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Full text of "Biologisches Zentralblatt"

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MARINE BIOLOGICAL LABORATORY. 


— 


Received. 


Accession No.. 


*,*No book or pamphlet is to be removed from the Lab- 
oratory without the permission of the Trustees, 





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Biologisches Gentralblatt. 


Unter Mitwirkung 


von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Professor der Botanik Professor der Zoologie 


herausgegeben 


von 


Dr. J. Rosenthal, 


Professor der Physiologie in Erlangen. 


Zwölfter Band. 
1892. 


Mit 31 Abbildungen. 


Leipzig. 
vVeriagevon BRduwanrd Besold 
(Arthur Georgi.) 

1892. 


me 


Kgl. b. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge {Junge & Sohn) in Erlangen. 


Inhaltsübersicht des zwölften Bandes. 


I. Botanik. 


Seite 
Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen . . . 71, 97 
Warburg, Ueber Ameisenpflanzen (Myrmekophyten) ae 120 
Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie 161, 385, 417 
Dammer, Die Verbreitungsausrüstungen der Polygonaceen ISRR2D 
Bokorny, Einige Beobachtungen über den Einfluss der se auf 
die Beschaffenheit der Pflanzenzelle rot 
Molisch, Die Pflanze in ihren Beziehungen zum ken eine sielo. 
gische Studie 5 441 
Bokorny, Ueber Bohlensäurezesimilakten 481 
Möbius, Welche Umstände befördern und welche Hemmer das Blühen 
der Pflanzen? . . . E NIT 
Mayer, Ueber die Alnunsaintenktiät von Schuktenpilahzen 705 
Schenk, Beiträge zur Biologie und Anatomie der Lianen, im Besonderen 
der in Brasilien einheimischen Arten 708 
II. Zoologie. 
Faussek, Zur Anatomie und Embryologie der Phalangiden l 
Famintzin, Nochmals die Zoochlorellen : 51 
Nusbaum, Zur Kenntnis der Würmer- und Cekaeonkanna Polens e 54 
v. Lendenfeld, Bemerkungen über die neuerlich von Dendy beschrie- 
benen Kalkschwämme : 98 
Korschelt und Heider, Tahrkoch der ersläichenden Yırtwicklımas: 
geschichte der wirbellosen Tiere . ER en ER A u 
Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon 
Salinella . 108 
Wasmann, Die PER ong Nee weeer el rasen Klonen Ken 
en 123 
Wierzejski, Ueber da. Vorkonmeil von oe en non Bau: nd 
Heteromeyenia repens Potts in Galizien 142 
Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und en dr v il 
zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane 
146, 722 


IV Inhaltsübersicht. 


Seite 
Imhof, Die Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasser- 
beeken un. Se SEA Rn a 70152010) 
Will, Zur Kenntnis der Schildkrtten Gastruls ae ST 2 
Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien . . . 205 
Korotneff, Histolyse und Histogenese des Muskelgewebes bei der Meta- 
morphose der Insekten . . 261 
Oka, Die periodische Rerenetztion nr Oberen Körperhälfte De ken 
Diplosomiden . . . N N N NER a Eee OD 
Werner, Zoologische Miszellen. . RAR a Ara 268 
Kükenthal, Ueber die Entstehung und Falorekiune des Säugetier- 
stammes . . . RE, gi Ul0) 
Leydig, Zum na ken Marheltiere atemack N 
Rein. Quantitative Planktonstudien im Süßwasser . . . 484 
Imhof, Vorläufige Notiz über die Lebensverhältnisse und Baiktenzben 
dingungen der pelagischen und Tiefsee-Flora und Fauna. . . . . 524 
Gräfin Maria v. Linden, Beiträge zur Biologie der Phryganreiden . 523 
Matthiessen, Die neueren Fortschritte in unserer Kenntnis von dem 
optischen Baue des Auges der Wirbeltiere . . . 940 
Jensen, Methode der Beobachtung und Vivisektion von ker in 
Gelatinelösung . . PRR IT SEELE RES ÄN EDEN a RE RS 0000 
Imhof, Beitrag zur Kennenin “er Lebensverhältnisse der Rotatorien. 
Ueber marine, brackische und eurhyaline Rotatorien . . >60 
Maas, Die Auffassung des Spongienkörpers und einige neuere Aapenten 
über Schwämme . . . a ee FI Sg u en 
v. Wagner, Zur Biologie wilder Bienen u 572 


Wasmann, Die internationalen Beziehungen von Lomechusa vr umosa 584, 638. 
Kochs, Versuche über die künstliche Vermehrung kleiner Orustaceen . 599 


Röse, Zur Phylogenie des Säugetiergebisses . . ER 9602 
ee Beiträge zur Kenntnis des anatomischen Ben ER Ge 
organe bei den Galeodiden . . . 687 
Zykoff, ee ee von Fphydatıa Mülleri eh aus an 
Gemmulae . . . a A e BEa N Et 
Imhof, Die Tasnalaas von Selerıdas linie L. in den stehenden Ge- 
wässern der europäischen Alpenkette „. . . . rl 
Sehuberg, Ueber die Fähigkeit einheimische en ich, an elaken 
Flächen festzuhalten und zu bewegen . . . ERTL 


Lwoff, Ueber einige wichtige Punkte in der Ex fmicklune des en 129 


III. Anatomie, Anthropologie, Histologie, Entwick- 


lungsgeschichte. 
Sobotta, Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsge- 
schichte der Uterusmuskulatur . . . NN a 
Schneider, Zur Frage der Entwicklung E Intelleiier N 
v. Köllıker Nervenzellen. und Nervenfasern .:. a msn an 33 


Kalischer, Neurologische Untersuchungen . . . . . . 60, 367, 476, 692 
Kolossow, Ueber die Struktur des Endothels der Pleuroperitonealhöble, 
der Blut-"und Dymphaeraßen en ae rn. EN 


Inhaltsübersicht. 


Zander, Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Zellteilung 

Wickersheimer, Kurze Anleitung zur Verwendung der Wickers- 
heimer’schen Flüssigkeit für anatomische mit einem An- 
hange über Metallkorrosionen 

Braune, Das Gewichtsverhältnis der rechten zur liaken Hirnhälfte 

Ogneff, Einige Bemerkungen über das Magenepithel 


IV. Physiologie. 


Rollet, Untersuchungen über Kontraktion und Doppelbrechung der quer- 
gestreiften Muskelfasern N TEEN NE Me 

Brieger, Kitasato und Warzen) Ueber Immunität und Gift- 
festigung . ; 

Ehrlich, Ueber Enannität Aisch Meraane Aa Sausung \ 

Behring und Frank, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Be; 
kämpfung der To tionskrankherten Ueber einige Eigenschaften des 
Tetanusheilserums 

Langendorff, he atblograhe phil 

Kochs, Ueber die Vorgänge beim Einfrieren nnd Naene von Freien 
und Pflanzensamen 

Kionka, Ueber das Verhalten den Korperinäigkeiten.. gegen one 
Mikroorganismen . 

Retzius, Biologische en ; RUE 

Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an aan (5. Mitt.) 2. 

Capparelli, Ueber die Funktion des Pankreas (Bauchspeicheldrüse) 

Verworn, Die Bewegung der lebendigen Substanz S ’ 

Nagel, ek über auffallend starke Einwirkung est Sub- 
stanzen auf die Empfindungsorgane einiger Tiere 


V. Verschiedenes. 


Rosenthal, Ernst Brücke ; 

Joseph v. Gerlach, Handbuch der an Aaeme des Menschen 
in topographischer Behandlung. Mit besonderer Rücksicht auf die 
Bedürfnisse der ärztlichen Thätigkeit ; : 

Zacharias, Die biologische Station bei Plön in Holstein ; 

van Eeden, Kolonialmuseum in Haarlem (Holland) 

Lendl, Eine neue Konstruktion für Mikroskope 

Haeckel, Anthropogenie . . . . . 

Baur, Ein Besuch der Galäpagos - TaRelh 

Zacharias, Katechismus des Darwinismus 

Errera, Bitte, lateinische Namen! 

Migula, Bakteriologisches Praktikum zur Eintilhrune in die Drakttsch 
wichtigen bakteriologischen Untersuchungsmethoden für Aerzte, Apo- 
theker, Studierende . IE EN San 

Aus den Verhandlungen Be Gesellschaften a al 10 


V 


Seite 
281 


316 
670 
689 


(ee) 


250 
310 


312 
313 


330 


339 
415 
468 
606 
744 


754 


65 


94 
95 
96 
126 
157 
221 
256 
314 


317 
, 759 


VI Inhaltsübessicht. 


Seite 
Dammer, Die Beziehungen der Biologie zur Systematik . . . .. . 39% 
Zacharias, Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers . - . 2... 480 


Imhof, Programm zu einer monographischen Bearbeitung eines größeren 
Sees, enthaltend die verschiedenen Gesichtspunkte, deren eingehendes 
Studium zur Erkenntnis der Existenzbedingungen des a orga- 


nischen Lebens der Seen notwendig ist . . . . 2512 
Driesch, Kritische Erörterungen neuerer De znr hebreiidehen 

Morphologie . . Mc 22a 
Zacharias, Die Erforschung, de: roßen Plöner Sees U EN rl 


B3:6hhm8-Lierleben: 72.7, 2 VERWEEDETE TA DE nr e099 


Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 
Prof. der Physiologie in Erlangen. 


24 Nummern von je2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





XII. Band. 15. Januar 1892. Drei: 
Inhalt: Faussek, Zur Anatomie und Embryologie der Phalangiden. — Rollett, 
Untersuchungen über Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften 
Muskelfasern. — Sobutta, Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Ent- 
wicklungsgeschichte der Uterusmuskulatur. — Schneider, Zur Frage der 


Entwicklung des Intellekts. 





Zur Anatomie und Embryologie der Phalangiden. 


Von Victor Faussek. 
Aus dem zootomischen Kabinet der Universität zu Petersburg. 

Soeben erscheint meine russische Arbeit unter dem Titel „Stu- 
dien über die Entwieklungsgeschichte und Anatomie der Afterspinnen 
(Phalangiüidae)“ (Arbeit. Petersb Naturf.- Gesellschaft, Abt. Zoologie. 
Bd. XXI. Lief. 2. [Arbeit. aus dem zootomisch. Kabinet d. Petersb. 
Universität]. Um dem ausländischen Publikum die Bekanntschaft 
mit meiner Arbeit zu erleichtern, biete ich das folgende Resume der 
wichtigsten Resultate meiner Forschung dar, die zum Teil schon in 
zwei kleineren vorläufigen Mitteilungen veröffentlicht worden sind Ü); 
dabei werde ich die meine Arbeit begleitenden Abbildungen zitieren. 

1. Zu meinen Studien dienten mir Eier zweier Phalungium-Arten: 
Cerastoma cornutum L. und Opilio parietinus Herbst. Die Eier der- 
selben unterschieden sich von einander durch den Bau des Chorions 
und durch einige zu ihrer Entwicklung notwendige Bedingungen. 
Die Eier von Ü. cornutum sind von gelblicher Farbe, die sie einer 
Menge von gelben das Chorion bedeckenden Körperchen verdanken: 
bei Opilio parietinus besitzt das Chorion keine gelben Körperehen 
und die Eier sind rein weiß. Die im Herbste gelegten Eier von 
Cerastoma cornutum fingen bei Zimmertemperatur an sogleich sich 
zu entwickeln, binnen 1'/,—2 Monaten wurde der ganze Entwicklungs- 
zyklus vollendet, die jungen Tiere schlüpften aus und gediehen ganz 
gut den ganzen Winter hindurch. Die Eier von Opilio parietinus 
kamen bei denselben Bedingungen um und konnten sich nur nach 

4) Biolog. Centralbl., VIII, 12, 1888. — Zoolog. Anzeiger, Nr. 353, 1891. 

XI, 1 





2 Faussek, Anatomie und Embryologie der Phalangiden. 


einer normalen Ueberwinterung weiter entwickeln, wenn ich sie auf 
den Boden lagerte. — Außer diesen zwei Species hatte ich noch 
einige größere Eier einer mir unbekannt gebliebenen Art. 

2. Von Reagentien leistete die besten Dienste die Flem- 
ming’sche Mischung, außerdem Perenyi’s Flüssigkeit und zuweilen 
(für die früheren Stadien) heißer Ale. abs. Die Bildung der Fur- 
chungskerne wurde von mir nieht untersucht. Die ersten untersuchten 
Stadien zeigten das Ei in einen kompakten Zellenhaufen zerfallen; 
in jeder von den großen Furchungskugeln lag ein großer Kern 
(Fig. 6, 7. Taf. I der russischen Arbeit). Das Ei unterliegt somit 
einer totalen Furchung und geht ein Morulastadium durch. Von 
den oberflächlich liegenden Blastomeren spalten sich die ersten Blasto- 
(Ekto-) dermzellen ab, wie es Henking richtig beschreibt !). Die 
Furchungskerne kommen nicht auf die Oberfläche des Eies, sondern 
bleiben sämtlich in den Blastomeren liegen. Bei den Araneiden findet, 
wie man nach den Untersuchungen von Morin?) schließen kann, 
auch totale Furchung statt, und die Eier laufen ein Blastulastadium 
mit großer Segmentationshöhle durch. Bei Phalangium bildet sich 
eine solide Morula und die Ektodermzellen werden durch Abspaltung, 
gleichsam durch Delamination, gebildet. 

3. Das ganze Ei bedeckt sich allmählich mit einer Schicht flacher 
Ektodermzellen und tritt somit in das zweischichtige Stadium über. 
Nach der Bildung des Ektoderms wird die innere Eihülle (Oolemm) 
beträchtlich dieker, wobei man in ihr deutlich zwei Schichten unter- 
scheiden kann, die jedoch dieht aneinanderliegen und niemals aus- 
einandergehen. Offenbar findet eine Ausscheidung von Cutieular- 
substanz seitens der Ektodermzellen statt, die zu der Bildung einer 
Art Embryonalhülle führt; doch bildet diese neue Cutieularmembran 
keine selbständige Hülle, sondern dient zur Verdickung des Oolemms. 
Diese spätere, sekundäre Verdiekung der Membrana vitellina durch 
Bildung einer neuen, vom Ektoderm ausgeschiedenen Cutieularschiecht 
kann mit der Bildung jener Blastodermhaut verglichen werden, die 
bei vielen Crustaceen vom Blastoderm gebildet wird (Fig. 7, Fig. 11). 

4. An dem einen Eipol entsteht die Keimscheibe durch Ver- 
mehrung der Ektodermzellen. Das neugebildete untere Blatt des 
Keimstreifens stellt das Mesoderm vor, da das Entoderm vom An- 
fang an differenziert ist. Zwischen den Zellen des unteren Blattes 
sondert sich vom Anfang an eine Gruppe von Zellen ab, die sich 
durch ihre Größe und eigentümliches Aussehen auszeichnen. Die 
Absonderung dieser Zellengruppe geht sogar der Bildung des Keim- 
streifens voraus; noch zur Zeit, da das Ektoderm mit einer Zellen- 





1) Henking, Untersuchungen über die Entwicklung der Phalangiden. 
Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 45. Bd. 

2) Morin, Ueber die Entwicklung der Spinnen. (Russisch.) Zeitschrift 
der Neurussischen Gesellschaft in Odessa. XIII. Bd. 1888. 


Faussek, Anatomie und Embryologie der Phalangiden. 3 
schicht das Ei bedeckt, ragt schon diese Zellengruppe als ein kleiner 
Haufen ins Innere des Eies hinein (Fig. 9, 10, Fig. 11); dieser 
Haufen liegt, wie es später zu sehen ist, im hinteren Teile, obgleich 
nicht ganz am Ende des Bauchstreifens, und bildet somit eine lokale 
Ektodermverdiekung, die fast zugleich mit dem Mesoderm entsteht 
und später die Keimzellen liefert. 

5. Die Kerne der großen Entodermzellen litten oft durch die 
Einwirkung der Reagentien und schienen dann membranlos zu sein 
(Fig. 8); aber durch die Flemming’sche Flüssigkeit wurden sie gut 
fixiert und hatten das Aussehen wie auf Fig. 7, 9, 11, 12, 13. Die 
Kerne, die bei Henning (l. e.) abgebildet sind, scheinen mir auch 
(wenigstens in einigen Fällen) von den Fixierungsflüssigkeiten ge- 
litten zu haben und dadurch keine Membran und keine scharfen 
Grenzen aufzuweisen. Was er zum Beispiel für mehrere Kerne in 
einer Zelle hält (seine Fig. 37), bin ich geneigt für nueleoli eines 
sroßen Kernes, dessen Membran zerstört ist, zu halten. Zur Zeit der 
Mesodermbildung werden die Entodermkerne bedeutend größer, so- 
dass sie im Vergleich mit den Kernen der Keimscheibezellen geradezu 
riesig erscheinen. Sie besitzen einen sebarfen Kontur und sind sehr 
chromatinarm; beinahe die ganze tingierbare Substanz des Kernes 
wird in einem sich stark färbenden und sehr glänzenden Nucleolus 
eoncentriert. Oft trifft man Figuren, die auf amitotische Kernteilung 
hinzuweisen scheinen (Fig. 15): es scheint, dass dieser Kernteilung 
auch Zellteilung folgt (Fig. 12). Wenigstens werden die Entoderm- 
zellen niemals mehrkernig und selbst zweikernige Zellen kommen 
selten vor. Eine ähnliche charakteristische Kernstruktur gelang mir 
auch in dem Entoderm (Dotterzellen) der Araneiden zu konstatieren, 
auf den früheren Entwicklungsstadien derselben; bisher wurde sie 
von keinem Autor beschrieben (Tegenaria, Fig. 14 u. 15). Bei Ara- 
neiden und Phalangiden kommt somit eine Kernfragmentation im 
Sinne Ziegler’s!) vor; die Kerne verlieren jedoch ihre histogene- 
tische Eigenschaft nicht (s. weiter). Das Studium der Fragmentation 
der Kerne hat mich auf den Gedanken geführt, ob nicht vielleicht 
das sogenannte „sekundäre Mesoderm“ der Krebse (Astacus, nach 
Reichenbach) keine zelligen Elemente, sondern Kerne im Frag- 
mentationszustande vorstelle ? 

6. Das Mesoderm bildet sich, wie gesagt, aus dem Ektoderm; 
aber während der ersten Entwicklungsperiode schließen sich ihm 
noch einige Elemente entodermischen Ursprungs an; es sind große 


1) Ziegler, Die Entstehung des Blutes bei Knochenfischembryonen. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie, 30. Bd. — Während des Druckes meiner Arbeit 
erschienen die interessanten Abhandlungen von Ziegler „Die biologische 
Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung im Tierreich“, Biologisches 
Centralblatt, XI. Bd., Nr. 12—13 und Frenzel „Zur Beurteilung der amitotischen 
(direkten) Kernteilung“, ibidem Nr. 18, die ich nicht mehr benutzen konnte. 


1* 


4 Faussek, Anatomie und Embryologie der Phalangiden. 


Zellen, die sich von den Entodermzellen abspalten (Fig. 13 u. 16); 
sie lösen sich in geringer Anzahl von .den peripherisch unmittelbar 
unter dem Keimstreifen liegenden Entodermzellen ab, und bald sind 
sie von den Zellen des Keimstreifens nicht zu unterscheiden: des- 
wegen blieb mir ihr späteres Schicksal unbekannt. 

7. Die Anlage der Keimzellen erscheint, wie gesagt, sehr früh 
im Ektoderm und ragt ins Innere des Eies hinein. Schon auf den 
ersten Stadien kann man in gewissen Eiern Unterschiede in der 
Keimanlage bemerken. Zuweilen besteht sie aus großkernigen Zellen, 
zuweilen aber unterscheiden sich deren Kerne wenig von denjenigen 
der Keimstreifszellen. Die erste Stufe in der weiteren Entwicklung 
der Anlage der Geschlechtsorgane besteht darin, dass dieselbe sich 
vom Ektoderm ablöst; ihre Zellen werden von der Oberfläche mit 
einer Schicht gewöhnlicher Ektodermzellen bedeckt (Fig. 17). Auf 
etwas späteren Stadien liegt die Anlage der Geschlechtsorgane in 
das abdominale Nervensystem eingesenkt (Fig. 18 u. 19); nachdem 
aber das Nervensystem sich in den Cephalothorax zurückzieht, bleibt 
die Keimanlage im Abdomen hinter den Cephalothoracalganglien 
liegen, wo sie jetzt zwischen zwei Mesodermblättern, d. h. im Cölom 
eingeschlossen erscheint (Fig. 19, 20, 21). Auf folgenden Stadien 
vergrößert sich die großkernige Keimanlage bedeutend und dient 
nach der Ausschlüpfung des Embryos zur Bildung der weiblichen 
Geschlechtsorgane (Fig. 20, 22, 23, 27, 28, 29). Die Keimanlage der 
zweiten Art (aus kleinkernigen Zellen bestehend) bleibt von unan- 
sehnlicher Größe und bildet sieh zu männlichen Geschlechtsorganen 
um (Fig. 24, 25, 26). Während der ersten zwei Monate des post- 
embryonalen Lebens kann man bei jungen Phalangien die weitere 
Entwicklung der weiblichen Keimanlage und die Umwandlung der 
embryonalen Keimzellen in Eizellen leicht verfolgen (Fig. 27 u. 28). 
Die definitive Entwicklung der männlichen Keimanlage gelang mir 
nicht zu untersuchen; bei jungen Afterspinnen erschien dieselbe als 
eine ziemlich kleine Zellengruppe, im Abdomen unmittelbar hinter 
dem Nervensystem liegend, von dem letzteren und von der Körper- 
wand, ähnlich wie die weibliche Anlage, durch eine Schicht lockeren 
Bindegewebes getrennt (Fig. 25, 26). An Umfang steht die männ- 
liche Anlage der weiblichen während derselben Entwicklungsperiode 
weit nach. Diese embryonalen Keimanlagen bilden zunächst den 
Anfang der eigentlichen Keimdrüsen, ovarium resp. testis; andere Teile 
der Fortpflanzungsorgane, der männlichen sowie der weiblichen, 
fehlen zur Zeit der Ausschlüpfung der Jungen vollständig und ihre 
Ausbildung fällt gänzlich auf die postembryonale Entwicklung. Die 
weiblichen wie die männlichen Keimanlagen sind von einer äußerst 
zarten membrana propria mit zerstreuten sehr kleinen Kernen um- 
hüllt. Bei Phalangium findet also eine sehr frühe Sonderung der 
Keimzellen statt, ähnlich wie bei Moina, Chironomus und den Aphiden. 


Faussek, Auatomie und Embryologie der Phalangiden. 5 

8. Die Entodermzellen bewahren ihre allgemeine Form und 
Struktur ohne bemerkenswerte Veränderungen bis zu den späteren 
Entwieklungsstadien; nur werden sie etwas kleiner. Aber die Frag- 
mentation der Kerne dauert nur eine beschränkte Zeit fort Wenn 
das Nervensystem sich zu bilden anfängt, haben bereits die Kerne 
der Entodermzellen die charakteristischen Merkmale der Fragmen- 
tation verloren: sie sind jetzt kleiner geworden und besitzen nicht 
mehr die frühere eigentümliche Struktur. Die definitive Bildung des 
Mitteldarms findet ganz am Ende der Embryonalentwicklung statt. 
nachdem die äußere Gestalt des Embryos schon ganz ausgebildet, 
das Nervensystem im Üephalothorax eoncentriert ist und die vom 
Ektoderm abstammenden Teile des Darmkanals (stomodaeum und 
proctodaeum) völlig ausgebildet sind Das viscerale Blatt des Meso- 
derms bildet Falten, die tief in den Dotter hineinragen und ihn in 
einzelne Massen teilen (die späteren Lebersäcke). Der centrale Teil 
des Dotters bleibt ungeteilt und bildet den eigentlichen Mitteldarm. 
Die Entodermzellen scheinen zum Ende der embryonalen Entwicklung 
einem Rückbildungsprozess zu unterliegen: sie verlieren ihren Kontur 
und die Dotterkugeln liegen frei herum: zuweilen liegen zwischen 
ihnen kleine bald amöboide, bald größere rundliche Kerne. An der 
Peripherie des Dotters, wo ihm das splanchnische Blatt des Mesoderms 
anliegt, erscheint (noch vor der Einteilung des Dotters in die künftigen 
Lebersäcke) eine Anzahl kleiner Zellen mit kleinen runden Kernen; 
diese Zellen, die aller Wahrscheinlichkeit nach sich von den großen 
Entodermzellen abspalten, lassen sich auf das viscerale Mesoderm- 
blatt nieder und bilden das Epithel des Mitteldarms. Also bilden 
nicht die Entodermzellen selbst das Mitteldarmepithe!, sondern ihre 
Derivate (Fig. 31, 32). 

9. Die Coxaldrüsen einer erwachsenen Afterspinne (Fig. 50) be- 
stehen aus drei Abteilungen: 1) das innere Ende ist sackförmig er- 
weitert und bildet das Endbläschen: 2) das Endbläschen verengt sich 
und geht in eine sehr lange, gewundene Röhre über, die längst be- 
kannte Röhre der Coxaldrüse (Malpighi’sches Gefäß): 3) die Röhre 
mündet in einen großen dünnhäutigen Sack (Harnblase), der sich an 
der Seite im Cephalothorax zwischen den Hüften des 3. und 4. Bein- 
paares nach außen öffnet. Das Endbläschen der Coxaldrüse ist noch 
nie beschrieben worden. Es liegt als ein längliches Säckchen im 
Uephalothorax an den Seiten der den Oesophagus umschließenden 
Ganglienmasse, an der Basis des dritten Beinpaares; am vorderen 
Ende biegt sich das Säckchen nach unten und etwas nach innen um, 
zieht sich etwas nach hinten und endet blind neben der äußeren 
Oeffnung der Coxaldrüse nach innen von derselben (Fig. 50, es‘). 
Man sieht daher auf den Querschnitten zwei Lumina, eines über dem 
andern (Fig. 33, es?, est): aber bei der Durchmusterung einer Schnitt- 
serie kann man sich leicht überzeugen, dass nach vorn hin beide 


6b Faussek, Anatomie und Embryologie der Phalangiden. 


Lumina in einander übergehen, nach hinten aber das untere Säckchen 
(das umgebogene vordere Ende des Endbläschens) blind endigt, 
das obere enger wird und in die Röhre übergeht (Fig. 50 est, es?, 
cox?; Fig. 34 es?; Fig. 35 cox?). Diese Röhre, anfangs überaus dünn, 
(Fig. 50, 35 cox?) wird allmählich breiter und geht in die längst 
bekannte gewundene Röhre über, das „Malpighische Gefäß“ Plateau’s, 
deren wahre Bedeutung zuerst von Loman erkannt wurde !). Die 
Coxaldrüsenröhre bildet einen verworrenen Knäuel, zieht nach der 
Dorsalseite des Körpers hin, bildet hier eine parallel mit dem Her- 
zen verlaufende Schleife, kehrt nach der Bauchseite zurück und 
mündet in den Harnsack (Fig. 34, 35, 50 cox, cox!\. Der letztere 
(Fig. 33, 34, 35, 50 — HS, O0. HS) erstreckt sich weit nach hinten in 
das Abdomen, nach vorn aber reicht er über die Anbeftungstelle des 
dritten Beinpaares hinaus; mit seinem vorderen blinden Ende schließt 
er sich dieht an die bogenförmige Biegung des Endbläschens (Fig. 50). 
Nicht weit von seinem vorderen Ende tritt von dem Harnsack eine 
ziemlich enge höhre ab, die nach unten zieht und sich nach außen 
zwischen den Hüften des 3. und 4. Beines öffnet (Loman) (Fig. 33, 
50. 0. HS). — Die histologische Struktur des Endbläschens konnte 
nicht näher untersucht werden, da dieser Teil der Drüse auf den 
Präparaten einen ziemlich schlechten Konservierungszustand aufwies. 
Der Bau der Röhre (Fig 357, 38) wies keine beträchtlichen Ab- 
weichungen vom typischen Bau der Coxaldrüsen, wie er zum Beispiel 
von Lankester und Anderen bei Scorpio ete. beschrieben ist. Die 
Wand des Harnsacks (Fig. 56, Flächenansicht) besteht aus einer 
kleinkernigen membrana propria und aus einem flachen großkernigen 
Epithel; Muskelfasern wurden in derselben nicht nachgewiesen. — 
Der übrige Inhalt des Kapitels über die Coxaldrüsen ist einer Ana- 
Iyse der Arbeiten über die Ooxaldrüsen der Arachniden, namentlich 
einer Kritik der Ansichten Eisig’s?), nach denen die Coxaldrüsen 
nicht den Nephridien, sondern den Borstendrüsen der Anneliden ho- 
molog sein sollen, gewidmet. Meine Ansichten kann ich in folgenden 
Sätzen resumieren: a) die Coxaldrüsen von Phalangium bestehen aus 
drei Abteilungen — Endbläschen, Röhre und Harnsack: b) dieselben 
Abteilungen finden sich in den Antennendrüsen der Urustaceen ®); 

1) Plateau, Sur les phenomenes de la digestion etc. chez les Phalangides. 
Bull. Acad. Belg. 1876. — Rössler, Beiträge zur Anatomie der Phalangiden, 
Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 34, 1882. — Loman, Altes und Neues über das 
Nephridium (die Coxaldrüse) der Arachniden. Bijdr. tot de Dierkde. N. A.M, 
14. Aufl., 1883. — Die neuere Arbeit von Sturany (Die Coxaldrüsen der 
Arachnoiden. Arch. zool. Instit. Wien. 9 Bd. 1891) kam in meine Hände, nach- 
dem meine Arbeit schon ganz vollendet war. 

2) Eisig, Die Capitelliden in: Fauna und Flora des Golfes von Neapel, 
XV]l. Monographie, 1887, I, S. 374 fg. 

3) Das „nephro-peritoneal sac* der Dekapoden nach Weldon (Weldon, 
Ihe renal Organs of Certain Decapod Crustacea. Quart. Journ Mier. Sc. 1891. 
Vol. XXXII) entspricht wohl einem außerordentlich entwickelten Harnsack. 


Faussek, Anatomie und Embryologie der Phalangiden. 


ce) diese drei Abteilungen sind den 3 Teilen des Nephridiums von 
Peripatus (und Anneliden) homolog: dem Trichter und Endbläschen 
(hei Peripatus, resp. dem anliegenden Teile des Cöloms bei Anne- 
liden), der Röhre und der Erweiterung derselben am distalen Ende: 
d) die Coxaldrüsen von ZLimulus und Arachniden, sowie das von 
Lebedinski beschriebene Exkretionsorgan der Zoea von Eryphia ") 
und die Antennen- und Schalendrüsen der Crustaceen sind den Ne- 
phridien von Peripatus und Anneliden homolog; e) Eisig’s Hypo- 
these über die Homologie der Coxaldrüsen der Arachniden mit den 
Spinndrüsen von Peripatıs und Borstendrüsen der Anneliden erweist 
sich als nicht haltbar. 

10. Die von Krohn beschriebenen Cephalothoracaldrüsen bilden 
sich auf den letzten Entwieklungsstadien als zwei birnförmige Ekto- 
dermeinstülpungen seitlich von den beiden Augen (Fig. 40, 41, 47, 
c. dr.); schon frühzeitig beginnt in den Ektodermzellen der Drüsen 
die Absonderung eines dunklen Pigments sich anzuhäufen, das auf 
der Oberfläche des noch ganz weißen Embryos zwei schwarze Punkte 
bildet, die sowie die Augen dureh die Eihüllen durchsehimmern. — 
Gleichzeitig mit den beschriebenen drüsigen Gebilden existiert beim 
Embryo ein Paar von provisorischen Organen drüsigen Charakters. 
Bei Cerastoma cornutum erscheint es als zwei Gruppen von großen 
Zellen, die beiderseits im Cephalothorax neben den Augen liegen. 
Von außen sind diese Zellen unmittelbar vom Ektoderm bedeckt, 
und von der Leibeshöhle scheinen sie durch eine dünne membrana 
propria geschieden zu sein. In den Zellen dieses Organs sind außer 
einem großen Kern noch besondere Konkremente eingeschlossen, die 
sich von Karmin intensiv färben. Obgleich vom Ektoderm bedeckt, 
besitzen diese Zellen dennoch eine Verbindung mit der äußeren Welt 
mittelst einer besonderen Oeftnung, durch welche die sich in den- 
selben bildenden Konkremente nach außen befördert werden. Auf 
den Schnitten liegt gewöhnlich an dieser Oeffnung eine kompakte 
Masse dieser Exkrete (Fig. 39, 40, 41, 44, 45). Bei einer audern 
nicht näher bestimmten Phalangium-Art hatte dieses Organ einen 
noch mehr ausgesprochenen drüsigen Bau. Es bestand hier aus einem 
ziemlich großen halbkugelförmigen Zellenkomplexe, das frei in die 
Leibeshöhle hineinragte und mit einem verhältnismäßig kleineren 
Teile dem Ektoderm anhing (Fig. 42, 43, 46, 47); die hohen, deutlich 
abgegrenzten pyramidalen Zellen dieses Organs trafen mit ihren 
Spitzen in einem Punkt zusammen, und mit den breiten Basalflächen 
nahmen sie eine halbkugelförmige Fläche ein. In jeder Zelle lag 
unweit der Basis ein großer Kern und näher der Spitze waren die 
Ausscheidungsprodukte angehäuft. Die äußerliche Oeffnung der Drüse 
hatte die Form einer kleinen Grube, von mit Karmin intensiv ge- 

I) Lebedinski, Entwicklung von Eryphia spinifrons. Zeitschrift der 
Neurussischen Naturf. Ges. in Odessa. Bd. XVI. 1889. (Russisch.) 


S Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


färbtem Sekret gefüllt: kurze Stäbchen dieses Sekretes strahlten von 
dieser Grube zwischen den Zellenspitzen aus (Fig. 43). Aber nicht 
auf allen Präparaten dieser Phalangium- Species hatten diese Drüsen 
genau denselben Bau; bisweilen erinnerten sie an denjenigen von 
Cerastoma cornutum (Fig. 48). Dabei waren die untersuchten Em- 
bryonen alle auf derselben Entwicklungsstufe. — Also habe ich bei 
zwei Phalangium-Arten während der Embryonalentwicklung ein be- 
sonderes drüsiges Organ gefunden, das in einem Paare im Cephalo- 
thorax zwischen den Augen und den Cephalothoracaldrüsen jederseits 
liegt und wahrscheinlich als exkretorisches funktioniert. Bei den 
zwei untersuchten Arten wies dieses Organ beträchtliche Struktur- 
unterschiede auf. Es sind rein embryonale Organe; bei den jüngsten 
Spinnenexemplaren, die ich untersuchen konnte, fand ich schon keine 
Spur davon. Ihr Schicksal während des Ueberganges zum post- 
embryonalen Leben ist mir unbekannt geblieben. Dieses Drüsenpaar 
erinnerte lebhaft an das kückenorgan der Mysiden, wie es neuerdings 
von Nussbaum!) und Butehinski?) beschrieben ist. Obgleich es 
mir nicht gelungen ist, sein erstes Auftreten zu beobachten, halte ich 
es doch für sehr wahrscheinlich, dass es ebenso wie dasjenige von 
Mysis {wenigstens bei der zweiten Phalangium-Art) in der Form einer 
Ektodermeinstülpung auftritt. Aehnliche Organe hat Watase?°) bei 
Limulus beobachtet, wo er sie auch den Rückenorganen von Mysis 
ähnlich fand. Kingsley und Patten halten jedoch diese Organe 
bei Limulus für Sinnesorgane *). Was Phalangium betrifft, so kann 
hier der drüsige Charakter der „Seiten- oder Rückenorgane“ nicht 
dem geringsten Zweifel unterliegen, wie es die zahlreichen in ihre 
Zellen eingeschlossenen Konkremente und deren Ausscheidung nach 
außen beweisen. 
18./30. November 1891. 


Alexander Rollett, Untersuchungen über Kontraktion und 
Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 
Denkschriften der math.-naturw. Klasse d. k. Akad. der Wissensch. Gr. 4°. 
Mit 4 Tafeln. Wien 1891. F. Tempsky in Koınm. 

Verf. veröffentlicht jetzt die schon im Jahre 1886 angekündigte 
Fortsetzung seiner „Untersuchungen über den Bau der quergestreiften 


1) Nussbaum, Zur Embryologie von Mysis chamaeleo. Zeitschr. Neuruss. 
Naturf. Gesellschaft in Odessa. XII. Bd. 1887. 

2) Butschinski, Zur Entwieklungsgeschichte der Mysiden. Zeitschrift 
Neuruss. Naturf. Gesellschaft in Odessa XV. Bd. 1890. 

3) Watase, On the struct. and development of the eyes of Limulus. 
Johns Hopkin’s Univ. Cire. Vol. 8. 

4) Kingsley, The Ontogeny of Limulus. Zool. Anz, 1890. — Patten, 
On the origin of Vertebrates from Arachnids. Quart. Journ. Micr. Se. XXX. 
18%. 


Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern, 4 


Muskelfasern“. Die Langwierigkeit und Schwierigkeit dieser Arbeit 
liegt in der Notwendigkeit sehr viel sorgfältig konserviertes Material 
zu untersuchen, um durch die Vergleichung verschiedener Tiere und 
verschiedener Präparationsweisen die Allgemeingiltigkeit der Ergeb- 
nisse zu prüfen. 

Ueber den einen Teil seiner hier niedergelegten Arbeiten, über 
die an unverletzten oder ausgeschnittenen Insektenmuskeln zu beob- 
achtenden Kontraktionen hat Verf. selbst in Bd. XI Nr. 5 u. 6 dieses 
Blattes beriehtet. Es sei deshalb gleich zu den Betrachtungen über 
die fixierten Kontraktionswellen und ihr Verhältnis zu den Wellen 
der lebenden Muskelfasern übergegangen; Verf. wendet denselben des- 
halb besonderes Interesse zu. weil sie ihm wertvolles Material zur 
Untersuchung der Querstreifung kontrahierter Muskelfasern bieten. 
Solehe „fixierte Kontraktionswellen“, mit welchem Namen man kon- 
trahierte Stücke einer sonst erschlatften, durch eines der gebräuch- 
lichen Reagentien fixierten Muskelfaser bezeiehnet, findet man an den 
Muskeln in Alkohol ertränkter Käfer, Hymenopteren, Fliegen und 
-Krebse in großer Zahl, ebenso an Muskeln dieser Tiere, welche 
durch Eintauchen in verdünnte Osmiumsäure getötet wurden und 
gelegentlich auch an Muskeln, welche ohne jeden Zusatz abgestorben 
sind. 

Die fixierten Kontraktion-wellen ähneln zuweilen den langsamen 
Wellen der absterbenden Insektenmuskeln, meistens aber sind sie 
viel länger und nicht so scharf begrenzt, sondern verlaufen allmäh- 
lich; gelegentlich findet man aber auch welche von solcher Kürze, 
wie man sie an lebenden Fasern nie beobachten kann. Verf. kam 
Sich deshalb nicht der Begründung Exner’s anschließen, welcher 
sagt, die fixierten Kontraktionswellen der Autoren könne man nicht 
als lebende fixierte Wellen ansehen, weil sie viel zn lang wären. 
Exner hat hier augenscheinlich nur die langsamen kurzen Wellen 
ausgeschnittener Muskeln im Sinn und erklärt nicht, warum eine 
Fixierung der langen Wellen lebensfrischer Muskel unmöglich sei. 
Engelmann hält im Gegensatz gerade die langen fixierten Wellen 
für die normalen Verhältnisse entsprechendsten, weil dann die Wellen 
fixiert worden seien, während noch ihre Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit bedeutend war. Verf. kann sich aber auch dieser Vorstellung 
nicht anschließen. Er hat sich oft bemüht, eine Fixierung lebender 
Wellen unter dem Mikroskop zu beobachten, indem er ausgeschnittene 
Muskeln, welche ein lebhaftes Wellenspiel zeigten, rasch mit Alkohol 
oder verdünnter Osmiumsäure überströmte. Es ist aber niemals ge- 
glückt. Entweder traten von den Enden her Schrumpfungen ein, 
oder, bei langsamerer Wirkung, das Wellenspiel hörte auf und nur 
die erschlaffte Faser wurde fixiert. Verf. ist der Meinung, dass wohl 
überhaupt kein Fixationsmittel von außen so rasch wirken könne, als 
auch nur eine langsame Welle an einer Stelle einer Faser bestehe. 


10 Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


Er hat gelegentlich Beobachtungen gemacht, welche die Entsteh- 
ungsweise solcher fixierter Kontraktionswellen aufklären, und zwar 
wahrschemlieh für alle Fälle, ganz sicher aber für den seltenen Fall, 
dass sich dieselben an Fasern finden, auf welehe keine Reagentien 
eingewirkt haben. 

In seiner Veröffentlichung in diesem Blatte hat er beschrieben, 
wie man bei dem Wellenspiel absterbender Muskeln hänfig Punkte 
auffinden kann, an welchen «die Kontraktionswellen entstehen, um 
daun nach beiden Seiten hin sich fortzupflanzen. Wenn er nun eine 
solche Stelle während des Schwächerwerdens des Wellenspiels be- 
obachtete, sah er zuweilen, nachdem sich die Wellen bis dahin mit 
unregelmäßigen Pausen, aber sonst ganz regelmäßig gefolgt waren, 
dass einige Muskelabschnitte an der Ursprungsstelle der Welle in 
Kontraktion stehen blieben, während dieselbe weiterlief und auch 
noch wenn die nächsten Abschnitte wieder erschlafften. Nach einiger 
Zeit entstand dann an den Rändern des so gebildeten stehenden 
Wulstes eine neue Welle, aber während diese ablief, blieb der dem 
stehenden Wulste nächste Muskelabschnitt (zuweilen auch zwei, aber » 
nie mehr) kontrahiert und diese Erscheinung wiederholte sich immer 
wieder, so dass der stehende Wulst langsam durch Apposition wuchs. 
Dies kann an beiden Seiten geschehen, oder aber die Faser gelangt 
an der einen Seite des Wulstes in erschlafttem Zustand zur Ruhe, 
während an der andern Seite die Wellen fortdauern. Das Wachsen 
(ler fixierten Welle wird dann häufig abgebrochen dadurch, dass auf 
einmal keine Wellen mehr entstehen. Ebenso häufig aber hört die 
Erscheinung auch allmählicher auf: es tritt, nachdem das Wellenspiel 
längere oder kürzere Zeit gleich lebhaft gedauert, rasch eine beträcht- 
liche Verlangsamung ein, die letzten Wellen nehmen in geringer Ent- 
fernung von ihrem Ausgangspunkt sehr beträchtlich an Höhe ab und 
schließlich hört die ganze Bewegung mit einer gegen das erschlaftt 
bleibende Faserende gleichsam verrinnenden Welle auf. 

Ob die ständige Kontraktion, der stehende Wulst, noch an lebender 
Muskelsubstanz besteht, so lange an den Rändern noch Wellen neu 
entstehen, oder an toter, lässt sich vorerst nieht entscheiden. Eine 
Veränderung des Bildes dieser Abschnitte lässt sich nicht mehr be- 
obachten, bis vollständige Ruhe eingetreten ist: und dann gleicht das 
Bild in jeder Beziehung einer fixierten Kontraktionswelle. 

Verf. machte diese Beobachtungen innerhalb dreier Jahre an 
6 Käferspeeies und verfolgte die Erscheinung in allen Stadien, aber 
er kann kein Mittel nennen, dass den Eintritt derselben begünstigt. 
Der Beobachter ist ganz dem Zufall anheimgegeben und kann nur 
durch häufige Wiederholung der Beobachtungen den Eintritt desselben 
erleichtern. 

Da die so beobachteten angelegten Wellen m jeder Beziehung 
den flxierten Kontraktionswellen gleichen, und man aus kürzeren und 


Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. [1 


längeren der letzteren Reihen zusammenstellen kann, welche voll- 
ständig das allmähliche Wachsen der ersteren darstellen, glaubt Verf. 
schließen zu dürfen, dass die fixierten Kontraktionswellen an Alkohol- 
und Osmiumsäurepräparaten in ähnlicher Weise entstanden seien, wie 
hier geschildert wurde. Dann können dieselben nach den Beobach- 
tungen, wie sie Verf. angestellt und mitgeteilt hat, in keinem früheren 
Stadium entstanden sein, als bis mit dem Absterben das Wellenspiel 
der Muskeln begonnen hat. Zu dieser Vermutung stimmt sehr gut, 
dass an Vertebraten, bei welehen das Wellenspiel so viel schwächer 
ausgeprägt ist, als bei den Insekten, auch nur selten fixierte Kon- 
traktionswellen beobachtet wurden, obgleich man auch sie, wenn sie 
klein sind, durch Ertränken in Alkohol sehr sehnell töten kann. 

Die fixierten Kontraktionswellen sind also nach dem Verf. nicht 
einheitlich angelegte Gebilde. Da sie aber zusammengesetzt sind aus 
einzelnen in der Kontraktion fixierten Abschnitten, glaubt er, den 
gebräuchlichen Namen nicht ändern zu sollen. Doch benutzt er im 
Fortgang seiner Darstellung mit Vorliebe die seiner Anschauung ent- 
sprechendere Bezeichnung „angelegte Kontraktionswellen“. 

Es ist hier nicht der Ort, die Untersuchungen des Verf. aus den 
Jahren 1885 und 1886 wieder zu geben, aber es sei gestattet, einige 
Ausführungen, mit welchen er an verschiedenen Stellen auf diese 
Arbeiten hinweist, seine früheren Angaben betonend und teilweise 
auch erweiternd, hier zusammenzustellen. Verf. hat eine inzwischen 
auch von anderen Seiten angenommene Nomenklatur eingeführt. Er 
sprieht, um jeden Nebensinn auszuschließen immer nur von „Streifen“ 
der Muskelfaser und bezeichnet dieselben mit Buchstaben: @ = (Quer- 
scheibe der Aut, h = Hensen’scher Streifen, Z — Zwischenscheibe 
oder Krause’sche Membran, N — Nebenscheibe Engelmann’s, 
J — der schwach liehtbreehenden Substanz zwischen Q@ und N oder, 
wenn N fehlt, zwischen @ und Z, E = der schwach liehtbrechenden 
Substanz zwischen N und Z. Er unterscheidet zwischen der ein- 
facheren Querstreifung Z + J + a + J + Z und der reicheren 
ZEN +J+Q+JI+N+ E + 2. Den Streifen h 
bezeichnet er mit einem kleinen Buchstaben und lässt ihn aus dem 
Schema fort, weil er nie als selbständiger Streifen erscheint, sondern 
immer als Mittelteil von W. Verf. betont nun, dass durchaus kein 
physiologischer Unterschied zwischen Muskelfasern mit reicher und 
mit einfacher Querstreifung, mit und ohne die Streifen N zu beobachten 
sei. Auch finden sich die einen oder die andern bei bestimmten Arten 
und an bestimmten Muskeln zwar immer in der großen Mehrzahl, 
doch nie so, dass nicht auch einzelne der anderen Art zu finden 
wären. Hier sei die Angabe des Verf., dass auch bei Astacus fluviatilis 
in den Muskeln, welche von den Coxopoditen der Scheeren und 
Gehfüße in die Thorakalsomite hineinlaufen, die Streifen N schön 
zu sehen sind, besonders wiedergegeben, weil sie den Angaben von 


12 Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


Retzius, über welche früher hier berichtet wurde, zu widersprechen 
scheinen. 

Dann hebt Verf. den Wechsel in dem Aussehen der Querstreifung 
bei tiefer und hoher Einstellung hervor. Bei tiefer Einstellung sind 
die Streifen @, N und Z dunkel und zwar N und Z dunkler als @, 
J und E hell; h ist bei dem frischen Muskel nicht zu beobachten, 
bei Alkoholmuskeln erscheint er bei tiefer Einstellung hell. Bei hoher 
Einstellung sind Z und N am hellsten, @ etwas weniger hell. J und E, 
und ebenso h, wenn es vorhanden ist, dunkel. 

Ein leichtes Mittel zur Unterscheidung der einzelnen Schichten 
bilden bei Alkoholmuskeln die „Tonnengewölbe“, wie sie schon von 
Bowman beobachtet und beschrieben wurden. Es erscheinen näm- 
lich Bogen zu beiden Seiten der Muskelfasern, welche die optischen 
Durchschnitte von tonnenförmigen Ringen bilden, die durch das ab- 
gelöste Sarkolemm gebildet werden. Die Fußpunkte dieser Bogen 
fallen mit den Streifen Z zusammen, aber nicht weil hier eine Membran 
mit dem Sarkolemm verbunden ist, sondern weil das Sarkoplasma, 
welches rings das Sarkolemm auskleidet und sich an den anderen 
Teilen mit diesem ablöst, hier fester mit der kontraktilen Substanz 
zusammenhängt. 

Für die Gesamtsumme aller Streifen zwischen zwei Streifen Z 
schlägt Verf. die Bezeichnung Muskelabschnitt oder Segment vor, die 
Bezeichnungen wie Muskelkästchen, Scheibe und ähnliche verwirft er, 
weil sie auf nicht gerechtfertigten Anschauungen über eine Quer- 
trennung der kontraktilen Substanz beruhen. 

Auf die von Engelmann herrührende Trennung in eine aniso- 
trope, dem Streifen Q@, und eine isotrope, den Streifen J+ N + 
E-+Z-+ E--N + J entsprechende Schicht legt er dagegen 
großen Wert. Nur kann er die E.’schen Namen nicht billigen, da sie 
den von E. selbst erforsehten Thatsachen widersprechen: denn in der 
„isotropen“ Schicht sind die Streifen N u. Z ebenso, nur etwas schwächer, 
doppelbreehend wie der Streifen @. Verf. schlägt deshalb, auf das 
im folgenden darzulegende Verhalten bei der Kontraktion bezug- 
nehmend, die Namen metabol für anisotrop und arimetabol für isotrop 
vor. Auch hier soll daher im folgenden mit metaboler Schiehte der 
Streifen Q und mit arimetaboler Sehiehte der Komplex J + N + 
E+72-+E-+ N + )J bezeichnet werden. 

Verf. hat zu seinen Untersuchungen der Kontraktionsstreitung an 
lebenden Muskeln am häufigsten Stückchen aus dem Femur des hin- 
tersten Beinpaare: oder auch die entsprechenden Muskeln aus den 
vorderen Beinpaaren von Käfern benutzt. Für die Art der Beobach- 
tung kann ich auf seinen eigenen Aufsatz in Nr. 5 u. 6 Bd. XI ver- 
weisen. Er war nun im Stande in den Kontraktionswellen, trotz der 
Flüchtigkeit der Erscheinung, zwei Streifen zu unterscheiden, nämlich 
schmale sehr dunkle Streifen und hellere, sie trennende. Und zwar 


Rollett, Kontraktion und Doppelbreehung der quergestreiften Muskelfasern. 13 


war zu erkennen, dass die dunkeln Streifen an Stelle der Streifen- 
folge J + Z + J im einfach gestreiften Muskel traten und dass 
die hellen Streifen wesentlich verkürzten Streifen Q entsprachen. 
Verfasser schlägt Bezeichnungen ähnlich den von ihm für die Streifen 
des erschlafften Muskels eingeführten vor; die dunklen, von Nasse 
als „Kontraktionsstreifen* beschriebenen Streifen sollen mit C, die 
verkürzten @ mit Q' bezeichnet werden. Es ist wichtig, dass auch 
hier bei Wechsel der Einstellung das Bild sich umkehrt: nur bei tiefer 
Einstellung sind die Streifen € dunkel, bei hoher sind sie hell, die Q, 
dagegen dunkel. 

Verf. wendet sich nun zu der Querstreifung kontrahierter Fasern, 
welche in erschlafftem Zustand die reichere Querstreifung zeigen. Er 
weist zunächst auf die Schwierigkeit hin, an einer lebenden Faser 
zu entscheiden, ob reichere Querstreifung vorliegt oder nicht: häufig 
ist E so schmal, dass N und Z zu einem Streifen zu verschmelzen 
scheinen; dann muss man etwas gedehnte Fasern aufsuchen: an diesen 
sind J und E immer verhältnismäßig am stärksten gedehnt und des- 
halb nicht zu übersehen: zuweilen aber sind auch die Streifen N so 
viel heller wie Z, dass man sie deshalb übersehen kann. In Kon- 
traktion bieten die reicher gestreiften Fasern ganz (dasselbe Bild wie 
die einfacher gestreiften: nur zwei Streifen, Q' und C, bestehen, 
und C ist an Stelle vn JH NH E+Z+-E + N +) ge- 
treten. 

Wenden wir uns nun zu den fixierten Kontraktionswellen. Zuerst 
sei auf das Bild in Alkohol fixierter erschlaffter Fasern verwiesen. 
Die Lichtverteilung ist bei diesen ungefähr dieselbe wie bei der 
lebenden Faser bei tiefer Einstellung. Nur treten erstens die Streifen N, 
wenn sie vorhanden sind, deutlicher hervor und erscheinen ebenso 
dunkel wie die Streifen Z; dadurch werden auch die Streifen E deut- 
lieber. Zweitens erscheint der, an der lebenden Muskelfaser nicht 
beobachtete Streifen h als ein helles, nieht scharf begrenztes Band 
in der Mitte von Q. 

Verf. verwendete Muskelfasern von Käfern, die in 93proz. Alkohol 
ertränkt waren. Dieselben wurden in verdünntem Glyzerin isoliert 
und ungefärbt untersucht oder aber mit Hämatoxylin -Glyzerin nach 
Renaut gefärbt oder nachträglich vergoldet. 

Folgen wir zunächst der Beschreibung einer mit Hämatoxylin 
gefärbten Faser von Otiorrhychus mastix, wie sie Verf. als Beispiel 
schildert und abbildet. An ihr erfolgt ein regelmäßiger Uebergang 
aus dem Bild der erschlafften Faser in das der kontrahierten, das 
Bild würde also von den Anhängern der Lehre, dass die fixierten 
Wellen einheitliche Gebilde seien, als ein normales angesehen werden 
müssen. 

Die einzelnen Abschnitte oder Segmente sind an dieser Faser 
leicht zu unterscheiden durch die oben erwähnten Tonnengewölbe, 


|4 Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


deren Scheitelpunkt immer über der Mitte der Streifen Q der er- 
schlafften oder Q' der kontrahierten Faser liegt. 

In den erschlafften Teilen unserer Faser sind die Streifen Z 
und N stark mit Hämatoxylin tingiert, die Streifen J u. E gar nicht 
oder kaum; Q ist an den beiden Enden dunkler, doch nieht so stark 
gefärbt wie Z und in der Mitte, dem Streifen h entsprechend, heller. 

In den nächsten „der Erschlaffung nahen“ Segmenten rücken in 
der arimetabolen Schichte die Streifen N näher an Z heran, so dass 
die Streifen E ganz verschwinden. Verf. bezeichnet als „der Er- 
schlaffung nah“ Stadien, welche dem Typus der erschlafften Muskel- 
faser angehören und dennoch etwas verkürzt sind. Sobald das Bild 
der Streifenfolge ein wesentlich anderes als beim erschlafften Muskel 
ist, soll es als das des „Uebergangsstadiums“ oder des kontrahierten 
Muskels bezeichnet werden. 

Zunächst folgen nun Abschnitte, in denen die Streifen NZ N 
mit einander verschmelzen, so dass nun nur noch der einfache Typus 
der Querstreifung vorhanden erscheint, indem die arimetabole Schicht 
aus den Streifen J——- Z + J besteht. Der Angabe, dass die Streifen N 
sich auch mit Q vereinigen könnten, muss Verf. auf Grund aller seiner 
Beobachtungen entschieden widersprechen. 

In dem nächsten Stadium tritt eine auffallende Umkehrung 
des Bildes in der arimetabolen Schieht ein: zwei dunkel tingierte 
Streifen erscheinen getrennt von einem hellen. Das Verhalten im 
polarisierten Licht lehrt, dass der mittlere, helle, immer noch dem 
Streifen Z, die dunklen Streifen aber den vorher ungefärbten J ent- 
sprechen. Verf. bezeichnet deshalb den mittleren als Streifen Z/, die 
äußeren als J". 

Diese Streifenfolge J’ —+ Z’—+- J‘ gehört dem Uebergangsstadium 
an. Ihre Erkennung ist besonders erschwert an der nicht tingierten 
Faser. Denn auch bei ihr kehrt sich das Bild, welches bei tiefer 
Einstellung in der Lichtverteilung dem der tingierten Faser ähnelt, 
bei hoher Einstellung um. Es gleicht daher das Bild „ — Z + )J' 
bei hoher Einstellung dem Bild J + Z + J bei tiefer und J+Z—+)J 
bei hoher Einstellung dem Bild J'—+ 7° + J' bei tiefer und nur eine 
fortwährende Kontrolle mit der Mikrometerschraube kann vor Ver- 
wechslungen schützen. 

Im nächsten Stadium vereinigen sich die Streifen J‘ mit ein- 
ander, indem Z‘ zwischen ihnen immer schmäler wird und endlich 
verschwindet, zu dem Streifen ©, welcher mit Hämatoxylin immer 
sehr dunkel gefärbt erscheint. Diese Bilder und den Uebergang 
derselben ineinander hat Nasse ganz richtig beobachtet und wieder- 
gegeben, aber er hat sie falsch gedeutet. Die Deutung des Verf.’s 
ist bestätigt durch die Untersuchung im polarisierten Licht. 

In den metabolen Schichten gehen entsprechend den geschilderten 
Stadien der arimetabolen Schichten ebenfalls, aber geringere Ver- 


Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 15 


änderungen vor. Sie verkürzen sich, aber verhältnismäßig weniger 
als die arimetabolen. Dabei werden sie entsprechend heller tingiert, 
die Differenzierung der kandpartien und der Mitte verschwindet. 
Dann, bei zunehmender Verkürzung, tritt sie wieder auf, doch nun 
ist die Mitte stärker gefärbt als die Ränder. Verf. bezeichnet die 
so erscheinende Schicht als @, den dunkleren Streifen in der Mitte 
mit m. Der Streifen m erscheint auch an nicht gefärbten fixierten 
Kontraktionswellen, als ein dunkles Band mit verwachsenen Grenzen 
in Q und hat mit h, dem er entspricht, die Inkonstanz des Auftretens 
gemein; bei hoher Einstellung ist auch hier das Bild das umgekehrte: 
m hell in dunklem ©“ 

Zuweilen hat nun Verf. zwischen dem dureh die Streifenfolge 
J + Z-+ ) charakterisierten, der Erschlaffung nahen Stadium und 
dem als Uebergangsstadium bezeichneten Bild + Z + J ein 
Bild gefunden, wie es von Engelmann als „homogenes Stadium“ 
und von Frederieq als „stade intermediaire* beschrieben wurde. 
Doch sieht sich Verf. genötigt, E.’s Erklärung und Bezeichnung, zu- 
rückzuweisen. Er wenigstens hat nie ein vollständiges Verschwinden 
der Querstreifung beobachten können, wohl aber ein scheinbares bei 
flüchtiger Betrachtung mit schwacher Vergrößerung. Bei Untersuchung 
mit starken Objektiven ließen sich dann immer die Konturen der 
einzelnen Querstreifen erkennen. Diese waren aber schwer zu unter- 
scheiden, weil in diesem Stadium alle Streifen ziemlich gleich hell 
sind: in der arimetabolen Schieht sind die Z verblasst und die 
dunkler geworden, aber noch ist das Bild mit dunklen J‘ und hellen 
Z' nicht zu stande gekommen, und auch die metabole Schicht ist 
gleichmäßig und der arimetabolen Schicht ähnlich von einer mittleren 
Helligkeit, da die Streifen h verschwunden, die Streifen m noch nicht 
aufgetreten sind. Die Identifizierung der einzelnen Streifen in diesem 
Stadium beruht wieder auf der Untersuchung im polarisiertem Licht. 
Da dieses Bild den Uebergang zu dem vorher beschriebenen „Ueber- 
sangsstadium“ bildet und von sehr kurzer Dauer ist, hält es Verf. 
für zweckmäßig, es mit jenem zusammenzufassen und auch hier schon 
die Bezeichnungen J‘ und Z‘ zu benutzen. 

Verfasser schlägt daher vor, inbezug auf das histologische Bild 
der Muskelfasern wie bisher drei Stadien zu unterscheiden und zwar 
in folgender Weise: 

1) Das Anfangs- oder Ruhestadium des erschlafften oder der Er- 
schlaffung nahen Muskels mit der Streifenfllge J-N + E—+Z 
+ E + N + ) oder der Streifenfolge J + Z + J in den arime- 
tabolen Schichten und dem Streifen @ (mit h) in den metabolen 
Schichten. 

2) Das Uebergangsstadium in seinen verschiedenen Erscheinungs- 
weisen mit der Streifenfolge J — Z’ + J' in den arimetabolen 
und dem Streifen Q@' (mit m) in den metabolen Schichten. 


16 Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


3) Das Kontraktionsstadium mit den Streifen C in den arimeta- 
bolen und den Streifen @' (mit m) in den metabolen Schichten. 

Die bisher entwickelten Anschauungen des Verf.’s werden durch 
eine Anzahl besonders interessanter Funde bestätigt und erläutert, 
auf welche hier hingewiesen sein soll. 

Bei den Chrysomeliden findet sich häufig eine Abart der fixierten 
Kontraktionswellen, die seitlichen Kontraktionswellen. Bei diesen kann 
man an demselben Muskelabschnitt den Uebergang von einem Stadium 
in das andere verfolgen, und zwar besonders schön an Hämatoxylin- 
präparaten. Vor allem ist an diesen die Gabelung von C in die 
Streifen J + Z + J' auffallend, welche letztere dann weiter in 
J + Z-+ J u. s. w. übergehen. Dabei laufen die Schwänze des 
gegabelten C, also die J‘, außerordentlich spitz zu. Diese Erscheinung 
weist darauf hin, dass die Verdunkelung von J an der Grenze gegen 
Q beginnt und gegen Z hin fortschreitet. Diese Anschauung wird 
bestätigt durch ein Bild einer vergoldeten fixierten Kontraktionswelle, 
welches Verf. als Beispiel abbildet und auf welches wir gleich ein- 
gehen wollen. 

Verf. fand es zweckmäßig, längere Zeit mit Alkohol vorbehandelte 
Muskeln kurze Zeit in schwachem Goldbad zu lassen und dann zu 
reduzieren, wie er diese Methode in seinen früheren Untersuchungen 
ausführlich behandelt hat. Dadurch erhielt er sehr schöne Präparate: 
die Streifen Q erscheinen rein rot, an den Rändern satter gefärbt, 
h entsprechend heller; Z und N haben dagegen ins Purpur- bis 
Dunkelblaurot abweichenden Farbenton und beide denselben: fast 
weiß erscheinen J und E. 

Im Uebergangsstadium erscheint Z’ beinahe ungefärbt, J‘ dagegen 
dunkelblaurot. Die Streifen © sind besonders dunkel rötlich - blau, 
()‘ dagegen rein rot wie Q. 

Die Goldbilder bestätigen nun ganz die aus der Betrachtung der 
ungefärbten und der mit Hämatoxylin tingierten Wellen geschöpften 
Anschauungen. Die Reihenfolge der verschiedenen Stadien, der Ueber- 
gang aus einem ins andere, wie z. B. die Spaltung des Streifens C 
in J' Z' J finden sich wieder. Besonders interessant ist es, dass 
an dem erwähnten Präparat zwischen den der Erschlaffung nahen 
Segmenten und denen des Uebergangsstadiams sich eine arimetabole 
Schicht findet, welche aus 4 Streifen besteht: ein dunkler an der 
Grenze gegen die Welle hin, an eine Sehicht @' grenzend; auf diesen 
folgt ein heller Streifen, auf diesen wieder ein dunkler und wieder 
ein heller, letzterer an eine Schieht @ grenzend. Verf. bezeichnet sie 
in der angeführten Reihenfolge als #7 + J + Z + J und weiß sie 
nur so zu deuten, dass das eine J schon teilweise zu J‘ verwandelt, 
das andere noch unverändert geblieben ist. Dann ist dieses Bild ein 
schlagender Beweis für die Richtigkeit der Anschauung, dass die 
Umwandlung von J in J‘ an der Grenze gegen @ beginne und gegen 
Z fortschreite. 


tollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 17 


Verf. weist des ferneren noch darauf hin, wie die schroffen Ueber- 
gänge von dem Mittelpunkt der Welle gegen die erschlafften Teile 
hin und die wechselnde Erscheinung derselben, wie sie an diesen 
tingierten Präparaten sehr auffallend sind, für seine Hypothese von 
dem stückweisen Entstehen der fixierten Wellen sprechen. 

Verf. geht noch auf Exner’s Warnung, aus dem bloßen optischen 
Bild auf so feine Strukturverhältnisse zu schließen, ein; er ist der 
Ansicht, dass die Dimensionen der hier in Betracht kommenden Streifen 
sroß genug seien, um Täuschungen auszuschließen. Auch verweilt er 
bei den Ranvier’schen Gitterspektren der Muskeln und verweist auf 
die Kritik derselben und die Untersuchungen seines Assistenten Dr. 
Zoth; (über diese soll hier später berichtet werden). 

Wenden wir uns nun zu den Untersuchungen, mit welchen Verf. 
setreu seinen in den früheren Abhandlungen niedergelegten Grund- 
sätzen die Ergebnisse der rein optischen Beobachtungen zu bestätigen 
sucht. Zuerst kommt da der Zerfall der Muskelfasern in Alkohol in 
Betracht. Wenn Muskelfasern mit angelegten Kontraktionswellen in 
Alkohol zerfallen waren, so blieben die Wellen selbst gewöhnlich un- 
verändert. Häufig erstreckte sich «der Zerfall bis in die Abschnitte 
des Uebergangsstadiums und dann konnte man sehen, dass die Tren- 
nung in Z' stattgefunden hatte, wie sie in den erschlafften Fasern 
in Z statt hat. War die Trennung eingetreten, so dass die metabolen 
Schiehten, @', mit anhängenden dunklen Streifen isoliert waren, so 
ließ sich nieht mehr unterscheiden, ob dies die Streifen J‘, oder Teile 
von © waren. Doch darf man das letztere wohl in den seltenen 
Fällen annehmen, in welchen fixierte Wellen durchweg zerfallen waren. 
Dieser Umstand würde dann beweisen, dass die Streifen © nur schein- 
bar homogen seien, thatsächlich aber, wie es auch ihre Entstehungs- 
weise wahrscheinlich macht, aus zwei verschmolzenen Hälften be- 
stehen. 

Auch an den natürlichen Querschnitten der kontrahierten Faser, 
welche also wahrscheinlich ein Bild der Schichte C darstellen, sind 
die Cohnheim’schen Felder und die sie trennenden Sarksplasma- 
balken erhalten, wie sie an der erschlafften Faser erscheinen. 

Um die Säurewirkung auf die kontrahierte Faser zu prüfen, be- 
nutzte Verf. Muskeln, welche in Alkohol ertränkten Käfern nach 
einigen Stunden entnommen und dann in verdünntem Glyzerin präpa- 
riert waren. Er ließ auf dieselben 1proz. Ameisensäure auf dem 
Okjekttisch einwirken. Bei Beginn der Säurewirkung verändern sich 
die kontrahierten Abschnitte nur wenig, so dass die quellenden er- 
schlafften Teile bald breiter als sie erscheinen und die fixierten Kon- 
traktionswellen nun Einschnürungen an den Fasern bilden. Innerhalb 
derselben sind es die metabolen Schichten, welche sich zuerst ver- 
ändern: die Streifen @' werden heller, höher und breiter. Die Streifen C, 
unverändert, bilden nun wiederum kleine Einschnürungen im Vergleich 

IT, 2 


{IS Rollett, Kontraktion und Doppelbreehung der quergestreiften Muskelfaserm. 


zu den @‘. Bei fortschreitender Säurewirkung beginnen aber auch 
die © zu quellen und lösen sich in Reihen dunkler Knoten auf. Diese 
sind durch dunkle Streifen in den Sehiehten Q@ verbunden: kurz es 
entsteht ein Bild, gleich dem Säurebild des erschlafften Muskels mit 
den Retzius’schen Körnerreihen. Bei weiterer Einwirkung der Säure 
tritt häufig eine Trennung in den Schichten @' ein, gerade wie bein 
erschlafften Muskel in @. An den so isolierten C erscheinen die 
Cohnheim’schen Felder heller, durch dunkle Balken getrennt, eben- 
falls gleich der Erscheinung an erschlafften Muskeln, welche Retzius 
früher als „Querfadennetze* bezeichnete. 

In kontrahierten Muskelfasern verhalten sich also die Muskel- 
säulchen und das Sarkoplasma durchaus ähnlich wie im erschlafften 
Muskel. Die metabolen Schichten, die Streifen @‘, quellen unter dem 
Säureeinfluss sehr viel stärker als die arimetabolen Schichten €. 

Die „Goldsäurebilder“, welche Verf. nach der in seinen früheren 
Untersuchungen veröffentlichten Methode von fixierten Kontraktions- 
wellen an Fasern, welche nur kurze Zeit in Alkohol gelegen hatten, 
erhielt, stimmen vollständig zu den eben geschilderten Erscheinungen 
bei Säureeinwirkung. 

Nun wendet sich Verf. zu dem Verhalten der Muskelsäulchen 
und der Fibrillen in der kontrahierten Faser, Er beschäftigt sich 
zunächst mit in Alkohol fixierten Fasern. An solchen erschlafften 
Fasern erkennt man bei tiefer Einstellung helle, dem Sarkoplasma 
entsprechende Durchgänge zwischen den Stäben des Streifens Q und 
zwischen den Knoten der Streifen Z und N. Im günstigsten Falle 
kann man auch in den Schichten J und E noch das Sarkoplasma von 
der ebenfalls hell sich darstellenden, die Knoten und Stäbe der stark- 
lichtbrechenden Streifen verbindenden Substanz unterscheiden. Stellt 
man auf eine fixierte Kontraktionswelle ein, so kann man zuweilen 
die Sarkoplasmastreifen kontinuierlich durch die ganze Welle ver- 
laufen sehen. Dieser Fall ist aber der weit seltnere und findet sich 
nur bei gewissen Käfer- und Fliegenarten. Gewöhnlich scheint der 
Sarkoplasmastreifen in den Streifen C unterbrochen, indem diese ein 
ganz homogenes Band darstellen. Die dunkeln Streifen J im Ueber- 
sangsstadium verhalten sich wie die Streifen © an denselben Prä- 
paraten, indem sie meistens homogen, selten als aus Knoten zusammen- 
gesetzt erscheinen. Diese Homogenität der Streifen C ist schwer zu 
erklären, sie kann aber nur eine scheinbare sein; denn wäre hier die 
Kontinuität des Sarkoplasmas wirklieh durchtrennt, so könnte nicht 
bei Säurewirkung das Bild der Retzius’schen „Querfadennetze* und 
Körnerreihen I. Ordnung hier auftreten, welche aus dem gequollenen 
Sarkoplasma bestehen und nach Säurewirkung jedesmal auftreten. 

In den Streifen @' sind die Sarkoplasmadurchgänge immer sehr 
deutlich zu sehen. Häufig sind sie in der Mitte von Q' erweitert und 
erscheinen wie helle Schlitze, bei tiefer Einstellung. 


Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. U 


Im Uebergangsstadium sind die hellen Sarkoplasmalängsstreifen 
in dem dunkeln J‘ nur selten zu beobachten, wie schon erwähnt. Im 
hellen Streifen Z° sind sie nicht erkennbar, weil das Brechungsver- 
mögen der Glieder Z° der Muskelsäulchen dem des Sarkoplasmas 
wesentlich gieich ist. Dagegen ist im sogenannten homogenen Stadium 
die Längsstreifung in allen Schichten und Streifen besonders deutlich. 

Ebenso wie an den ungefärbten Fasern erscheint das Sarkoplasma 
an den mit Hämatoxylin tingierten oder nach Alkoholwirkung ver- 
goldeten fixierten Wellen; es bleibt im Wegensatz zu der Substanz 
der Streifen @', J‘ und Ü immer ungefärbt. In den letzteren Streifen 
ist es aber ebenso selten wie an ungefärbten Wellen zu beobachten. 
Diese vergoldeten Fasern lassen sich an der Stelle der Kontraktions- 
wellen ebensogut wie erschlaffte Fasern zu Muskelsäulchen und Fibrillen 
zerzupfen, und man kann auch an den feinsten Fibrillen (von Astacus 
Sluviatilis und Maja squinado) noch die Streifenfolge + ZI + W 
(mit m) und © + Q@ (mit m) erkenuen. 

An lebenden Fasern konnte Verf. die Längsstreifung in den 
Schichten Ü nie erkennen; in den Schichten Q’ ist sie dagegen sehr 
deutlich und lässt häufig die schlitzförmigen Erweiterungen in der 
Mitte erkennen. 

Bei hoher Einstellung kehrt sieh natürlich auch hier die Erschei- 
nung um und das Sarkoplasma erscheint an frischen wie an Alkohol- 
präparaten dunkel. i 

Verf. vergleicht nun noch einmal seine Beobachtungen an fixierten 
und an lebenden Kontraktionswellen. Die dunkeln und hellen Streifen 
im Bauche der lebenden Welle sind wohl sicher mit den Streifen Ü 
und @' der fixierten zu identifizieren. 

Ob der Streifen m sich im Leben ausbildet, wagt Verf. nicht zu 
entscheiden. Hier ist es besonders schwer ein Urteil zu fällen, weil 
die erwähnten Erweiterungen des Sarkoplasmastreifen, welche bei 
hoher !) Einstelluug dunkel erscheinen, zu Verwechslungen Anlass 
geben. 

Die Streifenfolge J’ — Z' + J' konnte Verf. an lebenden Kon- 
traktionswellen nicht beobachten: die Erscheinungen an der Grenze 
der Welle sind zu flüchtig, so dass sieh nieht mehr ausmachen ließ, 
als dass dort weder das Bild des erschlafften Muskels noch das der 
Streifen C — @' besteht. 

Verf. bemerkt hier, dass eine Methode, solche Bilder durch Moment- 
photographie zu fixieren, wohl zu finden sei, aber Apparate und Ein- 
richtungen dazu nötig wären, welche seine Mittel übersteigen. 

Eine Erfahrung hat Verf. auch gemacht, welche das regelmäßige 
Auftreten des Uebergangsstadiums J' — Z’ —+ J' an der lebenden 
Welle sehr wahrscheinlich macht. Er konnte nämlich dasselbe an 


1) im Original steht tiefer; offenbar ein Druckfehler. 


II 


20 Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


den letzten, langsamen Kontraktionswellen nachweisen, welche er bei 
Gelegenheit des Entstehens der angelegten Wellen beobachtete. 


Ehe wir uns zu den Resultaten von des Verf.s Untersuchungen 
über die Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern wenden, 
scheint es notwendig, auf die von ihm gebrauchten Apparate kurz 
einzugehen. Verf. hat im Jahre 1581 die von ihm konstruierte Kom- 
bination eines zusammengesetzten Mikroskops mit einem Spektral- 
und einem Polarisationsapparat in der Zeitschrift für Instrumenten- 
kunde beschrieben, mittelst welcher er seine neue Methode, spektral 
zerlegtes polarisiertes Licht anzuwenden, erst durchführen konnte. 
Diese Anordnung ist darauf von Dippel und Abbe modifiziert und 
Spektropolarisator genannt worden !), und Verf. hat mit letzterer, in 
mancher Beziehung große Vorteile bietenden Einrichtung zuletzt haupt- 
sächlich gearbeitet. Hier seien nur die Hauptbestandteile und das 
Prinzip beider Apparate wiedergegeben. 

Die wesentlichsten Teile sind: der Polarisator, der Spalt, das 
Prismensystem und ein Gypsplättehen. Diese Teile sind zusammen 
unter dem Objekttisch montiert und zwar bei beiden Apparaten hori- 
zontal, dem Spektrum parallel, verschiebbar. Diese Verschiebliehkeit 
des Spektrums im Gesichtsfeld ist besonders wichtig. Zu diesen 
Teilen tritt selbstverständlich noch der Analysator über dem Okular. 
Um den Apparat bequem zu benutzen, ist es unerlässlich, ihn mit 
dem Mikroskop einmal verbunden aufgestellt zu lassen und während 
des Arbeitens durch einen Heliostaten zu beleuchten. Auch muss 
alles Nebenlicht von den Instrumenten, dem Objekte und dem Auge 
sorgfältig ausgeschlossen werden. 

Die Teile des Spektropolarisators und der Analysator müssen für 
die Versuche so orientiert werden, dass die Schwingungsrichtung des 
durch die Gypsplatte stärker gebrochenen Strahles parallel dem Spalt, 
diejenige des schwächer gebrochenen Strahles dann also senkrecht 
zu letzterem steht. Polarisator und Analysator müssen so orientiert 
sein, dass die Schwingungsrichtung in dem letzteren senkrecht zu 
der im ersteren steht, beide aber mit dem Spalte einen Winkel von 
45 Grad bilden. | 

Apparat und Mikroskop müssen so eingestellt werden, dass die 
wichtigsten Fraunhofer’schen Linien scharf erkennbar sind. Dann 
sieht man einen dunkeln Interferenzstreifen, dessen Mitte bei den 
vom Verf. benutzten Gypsplättchen Rot I. Ordnung und Purpur 
II. Ordnung der Wellenlänge 0,000490—0,000545 mm entspricht. 

Ueber diesem Interferenzstreifen wird nun das Untersuchnngs- 
objekt eingestellt. Ist dasselbe einfach brechend, so bleibt es immer 
dunkel, in welcher Richtung man es auch lagern mag. Ist dasselbe 

AM Dippel, Das Mikroskop. I. Ieil.. 2, Abt. 8. 619. 2, Aufl. "Braun- 
schweig 1882. 


Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 24 


aber doppelbrechend, so werden sich zwei Stellungen finden lassen, 
in welehen es am hellsten in der durch den Interferenzstreifen aus- 
gelöschten Farbe leuchtet. Und zwar wird es in der einen dieser 
Stellungen als Verdiekung, in der anderen als Verdünnung der Gyps- 
platte wirken müssen. Verf. bezeichnet die eine Stellung als die Ad- 
ditionslage, die andere als die Subtraktionslage. Welche dieser beiden 
Lagen vorhanden ist, kann man jederzeit durch Verschieben des Spek- 
trums unter dem Objekt entscheiden. In der Additionslage erscheint 
das Objekt dunkel an einer bestimmten gegen das rote, in der Sub- 
traktionslage an einer gegen das blaue Ende des Spektrums hin ge- 
legenen Stelle. Durch Messung der hierzu nötigen Verschiebung kann 
man also nieht nur die Lage, sondern auch die relative Größe der 
Elastizitätsaxen eines doppelt brechenden Objektes bestimmen. Wenn 
der Charakter der Doppelbrechung und die Dieke der Substanz zweier 
Objekte gleich ist, so kann man auf diese Weise den Grad der 
Doppelbrechung der beiden vergleichen. Darin beruht die Ueber- 
legenheit des Spektropolarisators über das gewöhnliche Polarisations- 
mikroskop, dass man diese Verschiebung des Objektes gegen das 
Spektrum messen kann, während man bei letzterem auf die Beurtei- 
lung von Farbenänderungen mit dem bloßen Auge angewiesen ist. 
Dagegen hat der Spektropolarisator den großen Fehler, dass er starke 
Vergrößerungen ausschließt. Die stärkste Vergrößerung, mit welcher 
Verf. arbeitete war Zeiß Obj. E, Okular 2. 

Deshalb benutzte Verf, auch das Polarisationsmikroskop, an dem 
er einige kleine Aenderungen vornahm, welehe die Untersuchungen 
sehr erleichtern und die er zu allgemeiner Einführung vorschlägt: 
Den Polarisator setzte er aus zwei, einem oberen feststehenden und 
einem unteren drehbaren Nieol’schen Prisma zusammen: Durch Dreh- 
ung des unteren lässt sich die Lichtstärke auf das vollkommenste 
regulieren. Den Analysator befestigte er an besonderem Stativ, so 
dass er durch eine Drehung zu entfernen und zurückzuführen war: 
dadurch wird es möglich ein Objekt in raschem Wechsel im polari- 
sierten und im gewöhnlichen Licht zu untersuchen. Endlich ver- 
wendete Verf. nur Stative, an welchen Tubus und Objekttisch um 
die optische Axe drehbar waren: dadurch konnte er das Objekt in 
verschiedenen Azimuthen einstellen, ohne die Zentrierung zu ändern. 

/werst wenden wir uns nun zu den Beobachtungen, welche sich 
an erschlafften Muskelfasern in Alkohol ertränkter Tiere mit dem 
Spektropolarisator machen lassen, da hier die Untersuchung noch am 
leiehtesten ist. Man muss solche Fasern isolieren und gerade aus- 
gestreckte aufsuchen, welche man dann parallel dem Spalt über dem 
Interferenzstreifen des, wie oben beschrieben, aufgestellten Apparates 
orientiert. Sie liegen dann in Additionslage. Die Subtraktionslage 
kann man dureh Drehung der Gypsplatte herstellen, da eine Drehung 
der Fasern, so dass sie quer zum Spalt liegen, natürlicher Weise 


99 Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


sehr unzweckmäßig wäre. Sind die Fasern, wie eben geschildert, 
orientiert, so erscheinen bei Fasern der einfachen Streifenfolge h und J 
vollständig dunkel, während @ und Z in der im Interferenzstreifen 
ausgelöschten Farbe leuchten. Bei Fasern mit reicher Streifenfolge 
erscheinen h, J und E dunkel, während @, N und Z leuchten. Es 
sind also h, J und E einfach, @, N und Z alle doppeltbrechend. 

Verschiebt man das Spektrum so, dass die Faser in der Additions- 
lage gegen das rote Ende hin zu liegen kommt, so muss sich eine 
Stelle finden lassen, an welcher die doppeltbrechenden Streifen Q, 
N und Z dunkel erscheinen, während h, J und E die Liehtintensität 
des Grundes nicht ändern. Bei dem Versuche diese Stelle zu finden, 
stellte sich aber heraus, dass schon eine sehr geringe Verschiebung 
genügt, um die Streifen N und Z zu verdunkeln, aber erst bei einer 
größeren Verschiebung die Streifen @ dunkel werden. Verf. stellt 
zwei Beispiele in Abbildungen dar: wenn die Mitte des Interferenz- 
streifens der Wellenlänge 0,000500 mm entsprieht, so erschien im 
einen Fall Z bei 0,000528 mm Wellenlänge, @Q erst bei 0,000565 mm 
dunkel, im andern Falle wurden Z und N bei 0,000522 und Q bei 
0,000548 mm Wellenlänge verdunkelt. Diese Messungen sind keines- 
wegs leicht auszuführen. Es ist zwar gewöhnlich nicht schwer, die 
Stelle zu bestimmen, an welcher Q@ am dunkelsten erscheint, aber 
sehr sehwer ist es die stärkste Verdunkelung der schmalen Streifen 
Z und N festzustellen, da hier dunkle Konturen den Beobachter irre 
leiten können Deshalb konnte Verf. auch nicht entscheiden, ob wirk- 
lich, wie es zuweilen scheint, Z noch früher verdunkelt wird als N. 

Verf. stellt in einer Tabelle die Ergebnisse der an 12 Käferarten 
angestellten Messungen zusammen: hier seien die Grenzwerte ange- 
führt: durch eine Gypsplatte, welche die Wellenlänge 0,000500 aus- 
löscht und die Streifen Z oder N würden Wellenlängen zwischen 
0,000520 und 0,000542 mn ausgelöscht, durch dieselbe Gypsplatte und 
die Streifen Q aber Wellenlängen zwischen 0,000540 und 0,000580. 

Das verschiedene Verhalten im zerlegten polarisierten Licht der 
Streifen Z und N einerseits und Q anderseits lässt sich durch einen 
Unterschied im Breehungsvermögen der Substanzen oder in der Dicke 
der brechenden Schichten erklären. Verf. weist auf das in seinen 
früheren Untersuchungen nachgewiesene ungleiche Verhalten dieser 
Streifen beim Scheibenzerfall in Alkohol und in Säuren und gegen 
Farbstoffe hin und erinnert daran, dass ein Diekenunterschied dieser 
Streifen sich nieht beobachten ließe, um sich für die erstere Erklärung 
zu entscheiden und den Schluss zu ziehen, Z und N beständen aus 
schwächer doppeltbrechender Substanz als Q. 

Dass die Streifen Z und N schwächer doppeltbrechend sind als 
die Streifen Q, hat schon Engelmann durch Beobachtung derselben 
im Polarisationsmikroskop über einer Gypsplatte gefunden. Verf. 
führt aus, dass das ungleichstarke Steigen der Farbe in den Streifen 


Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 25 


Q, N und J in der Additionslage bei einiger Uebung sich gut be- 
obachten lässt, trotz des störenden Kontrastes gegen den Grund. In 
der Subtraktionslage dagegen ist ein Unterschied im Sinken der 
Farben nur schwer zu beobachten: nach dem Verf. beruht dies auf 
der Verschiedenheit der Teile des Spektrums: die steigenden Farben, 
welche durch Addition der Muskelfaser zur Gypsplatte Rot I. Ordnung 
hervorgerufen werden, fallen in das Gebiet von Purpur II. Ordnung 
und Violett II. Ordnung bis Indigo II. Ordnung, so dass geringe Unter- 
schiede der Wellenlänge schon merkbare Farbenunterschiede bedingen. 
Bei der Subtraktionslage der Fasern über der Gypsplatte entstehen 
dagegen Farben. welche in die Grenze von Orange und Braungelb 
I. Ordnung und in das breite Bereich der letzteren Farbe fallen und 
deshalb kaum zu unterscheiden sind. 

Aus dem gleichartigen, nur gradweise verschiedenen Verhalten 
der Streifen @. N und Z leitet Verf. einen Beweis gegen die Anschau- 
ung ab, welche im Streifen Z kein Glied der Muskelsäulehen, sondern 
den Ausdruck von querliegenden Fadennetzen sehen will. Würde 
nämlich für @ dieses Verhalten durch positiv emaxige Glieder @ der 
Muskelsäulehen, für N und Z aber nieht durch positiv einaxige Glieder 
N und Z der Muskelsäulehen, sondern dureh Querfaden oder Glia- 
netze bedingt sein, so blieben nur zwei Möglichkeiten: entweder sind 
die Fäden dieser Netze positiv doppeltbrechend und die Axe der 
Doppelbrechung ist parallel der Längsaxe der Muskelfaser, steht also 
senkrecht auf der Längsaxe der einzelnen Faden und das widerspricht 
allen unsern Erfahrungen über die Doppelbrechung von Fasern: oder 
die Axe der Doppelbrechung ist der Längsaxe dieser Faden parallel, 
also senkrecht zur Längsaxe der Muskelfasern und die Faden sind 
negativ doppeltbrechend: dann müssten dieselben aber nicht nur von 
der Seite, sondern auch von der Fläche her gesehen doppeltbrechend 
erscheinen. Parallel der Längsaxe einer Muskelfaser einfallendes Licht 
wird aber einfach gebrochen, denn der Querschnitt von Muskelfasern 
bleibt zwischen gekreuzten Nicols in allen Teilen, in allen Azimuthen 
dunkel und ändert auf Gypsgrund in keinem seiner Teile die Farbe 
des Grundes. 

Verf. schloss an diese Beobachtungen nach seiner Methode auch 
wieder solche an frischen Muskeln: diese waren aber besonders lang- 
wierig, da sich zu den an anderm Ort geschilderten Schwierigkeiten 
der Präparierung frischer Muskelfasern noch das oft erfolglose Auf- 
suchen vollständig isolierter und gerade ausgestreckter Muskelsäulchen 
und die an und für sich umständliche Untersuchung mit dem Spektro- 
polarisator schloss. In einigen Fällen. gelang es, an frischen ohne 
jeden Zusatz aufpräparierten Fasern die ausgelöschten Wellenlängen 
zu messen. Die hier gefundenen Werte sind ganz die gleichen wie 
die oben von Alkoholmuskeln angeführten und ebenso waren die 
Farbenänderungen im Polarisationsmikroskop dieselben. Verf. führte 


94 Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 


nun auch zweimal den zeitraubenden Versuch durch, frischen Muskel- 
fasern, welehe im Spektropolarisator untersucht waren, durch Drainage 
erst 93 prozentigen, dann absoluten Alkohol und endlieh Origanumöl 
zuzuführen. Sie blieben während der ganzen Zeitim Apparate orientiert 
und als sie, vollständig aufgehellt, von neuem untersucht wurden, 
hatte sich die Doppelbrechung weder der @ noch der Z und N im 
geringsten geändert. Man darf also wohl annehmen, dass Alkohol- 
behandlung die doppelbrechenden Eigenschaften dieser Streifen gar 
nicht oder kaum merkbar verändert. 

Der letzte Abschnitt handelt von dem Verhalten kontrahierter 
Muskeln im polarisierten Licht: er beginnt mit den Erscheinungen 
an fixierten Kontraktionswellen. Engelmann hat dieselben schon 
mit dem Polarisationsmikroskop untersucht und gefunden, dass die 
Streifen @' sich ebenso verhalten wie die Q des erschlafften Muskels 
und die Farben in demselben Sinne und in gleichem Grade ändern 
wie diese, ohne diese Thatsache auffallend zu finden. Verf. weist 
nun darauf hin, dass es doch nieht das naheliegendste sei, dass die 
so wesentlich diekeren Streifen W' die Farbe nieht in stärkerem Grade 
verändern als die Streifen Q@. Man hat nämlich in solchen Präparaten 
häufig genug Gelegenheit zu sehen wie viel stärker die Farbe ge- 
ändert wird an Stellen, wo zwei Fasern sich auch nur teilweise über- 
lagern. So erscheint auf Gypsgrund Rot I. Ordnung die Farbe durch 
die @ in Additionslage gesteigert zu Indigo II. Ordnung, an Stellen 
wo zwei Fasern sieh überlagern aber auf Gelbgrün II. Ordnung bis 
3elb II. Ordnung; bei Subtraktionslage der einzelnen Fasern sinkt 
die Farbe auf Braungelb I. Ordnung, bei übereinander lagernden Fasern 
aber auf Lavendelgrau. In denselben Präparaten aber lassen sich 
auch an den dicksten Kontraktionswellen kaum Abweichungen von 
der Farbe der erschlafften Faserteile finden. 

Verf. hat nun das Doppelbrechungsvermögen der Q auch mit 
dem Spektropolarisator untersucht und gemessen. Ueber dem Inter- 
ferenzstreifen erscheinen die Streifen @' einer fixierten Kontraktions- 
welle leuchtend, die C vollständig dunkel; die letzteren sind also 
einfach brechend. Das Brechungsvermögen der Streifen Q mals Verf. 
an Fasern, an weleben sich lang gestreckte Kontraktionswellen be- 
fanden und welche auf größere Strecken hin isoliert und ausgestreckt 
lagen. Er benutzte die Streifen @ aus dem mittleren dieksten Teil 
der Welle und Streifen Q, welche von der Welle möglichst weit ent- 
fernt lagen. Dabei ergab sich, dass entweder an derselben Stelle 
des Spektrums die Q und Q' am dunkelsten erschienen oder die Q 
schon bei geringerer Verschiebung als die Q. Aus einer Tabelle 
der bei 22 Arten gefundenen Werte ergibt sich, dass zuweilen ganz 
dieselbe Wellenlänge, gewöhnlich eine kleinere, nie aber eine größere 
Wellenlänge durch Q' ausgelöseht wurde als durch @. Verf. zieht 


Rollett, Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. 25 


daraus den Schluss, dass die Verdiekung der Faser bei den fixierten 
Kontraktionswellen in ihrer optischen Wirkung kompensiert oder 
überkompensiert werde durch eine Abnahme der Differenz der Brech- 
ungsquotienten. Bei derKontraktion nimmt also die Doppelbrechung ab. 

Auch die Uebergangstadien hat Verf. mit dem Spektropolarisator 
untersucht und zwar stützt sich seine oben wiedergegebene Darstel- 
lung dieses Stadiums gerade anf diese Untersuchungen. Die Identifi- 
zierung der Streifen J‘ und Z° geschah durch abwechselndes Beob- 
achten im polarisierten und gewöhnlichen Licht. Denn über dem 
Interferenzstreifen erscheinen die Streifen Z’ immer hell wie die Z 
und die ) immer dunkel und auch die Einstellung ändert das Bild 
in keiner Weise. Ob zwischen den Streifen Z' und den Z ein Unter- 
schied im Grad der Doppelbreehung ähnlich wie zwischen den @ 
und @' besteht, ließ sieh nicht feststellen. 

Auch die Sarkoplasmadurchgänge lassen sich mittels des Spektro- 
polarisators schöner wie mit jeder anderen Methode darstellen. Liegt 
eine Muskelfaser über dem Interferenzstreifen, so erscheinen bei ge- 
nügend starker Vergrößerung die Stäbe von Q und die Körner oder 
Stäbe von N und Körmer von Z vollständig isoliert auf schwarzen 
Grunde wie glitzernde Edelsteine. Ebenso deutlich ist das um- 
gekehrte Bild bei Verdunkelung der doppelbrechenden Teile. 

Bei der Untersuchung lebender Muskelfasern im polarisierten 
Lieht ist früher Brücke zu dem Resultat gelangt, dass sich die 
optischen Konstanten bei der Kontraktion nicht merklich änderten. 
Verf. hat ein anderes Verfahren als B. eingeschlagen. Er lagerte 
lange, schmale Stückchen lebender Käfermuskeln über einer Gyps- 
platte Rot I. Ordnung in dem Sehfeld seines, wie oben beschrieben, 
verbesserten Polarisationsmikroskopes, welches für diesen Zweck auelı 
noch mit einem Revolver versehen war. Er konnte mit demselben 
mit schwachem Objektiv und im gewöhnlicher Beleuchtung rasch ein- 
zelne oder in geringer Zahl parallel beieinanderliegende Fasern auf- 
suchen, sie zu den Mittellinien der Gypsplatte orientieren und dann 
sogleich mit starker Vergrößerung im polarisierten Lichte unter- 
suchen und auch noch beliebig zwischen Additions- und Subtrak- 
tionslage wechseln. 

Die Fasern zeigen dann je nach ihrer Dieke und Uebereinander- 
lagerung sehr verschiedene Farben. So fand er, dass, sobald Wellen 
über dieselben ablaufen, diese bei Additionslage regelmäßig in sin- 
kender, bei Subtraktionslage in steigender Farbe erscheinen. Diese 
Bilder sind sehr deutlich und lassen sich auf ihr wirkliches Vorhan- 
densein durch Aenderung der Additionslage in die Subtraktionslage 
und umgekehrt kontrolieren. Manchmal ging das Maximum des 
Farbenunterschiedes der eigentlichen Welle noch voraus, was auf 
eine Dehnung der noch nicht oder erst wenig kontrahierten Abschnitte 
zurückzuführen ist. Das Hauptergebnis bleibt, dass auch bier die 


26 Sobotta, Anatomie und Entwieklungsgeschichte der Uterusmuskulatur. 


von der Verdickung bedingte Farbenänderung weit überkompensiert 
wird. Wir finden also hier noch viel deutlicher als an den Alkohol- 
muskeln, dass bei der Kontraktion die Doppelbreehung vermindert wird. 

Seiner Arbeit fügt Verf. einige Bemerkungen über Kontraktions- 
theorien an. Er glaubt, dass unsere Kenntnis der Thatsachen noch 
beträchtlich vermehrt werden muss, ehe sich begründete Theorien 
ausarbeiten lassen. Damit hat er eigentlich alle bisherigen Versuche 
zur Aufstellung erklärender Hypothesen verurteilt. Gleichwohl geht 
er noch besonders auf Engelmann’s Theorie eines Wasseraus- 
tausches zwischen den einzelnen Muskelabschnitten ein, weil er 
E’s Beobachtungen in vielen Punkten nur bestätigen konnte. Er findet 
aber auch E.s Hypothese, wie den meisten Kontraktionstheorien 
gegenüber den Vorwurf gerechtfertigt, dass sie zwar die Kontraktion, 
nicht aber die Erschlaffung der Muskelfaser erkläre. 

Im Einzelnen übt er folgende Kritik: E.’s Schema des Baues der 
Faser ist zu einfach. Die isotrope Substanz zwischen den Muskel- 
säulehen, das Sarkoplasma des Verf., ist nieht identisch mit der Sub- 
stanz, welche die doppeltbrechenden Schichten innerhalb der Säulchen 
verbindet. 

E.s Theorie, dass die metabolen (bei E. anisotropen) Schichten 
durch Wasseraufnahme quellen und sich dabei verkürzen, stimmt 
nach von Ebner’s Betrachtung vortrefilich zu dem von diesem am 
Froschmuskel beobachteten Sinken der Doppelbreehung bei der Kon- 
traktion. Und gerade ein außerordentliches Sinken der Doppel- 
breehung hat ja Verf. auch an den metabolen Schichten der leben- 
den Käfermuskeln beobachtet. Aber durch die von Engelmann 
vorausgesetzte vollständig passive Wasserabgabe der arimetabolen 
(isotropen) Schichten lassen sich noch durchaus nicht die vom Verf. 
beobachteten verwickelten Vorgänge in denselben erklären. W. 


Sobotta J., Beiträge zur vergleichenden Anatomie und 
Entwicklungsgeschichte der Uterusmuskulatur 
(Aus dem I. anatom. Institut der Universität Berlin.) Archiv für mikroskop. 
Anatomie Bd. XXXVII. S. 52. 

Zur Lösung der trotz zahlreicher Arbeiten noch sehr unklaren 
Frage des Verlaufs und der entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung 
der Uterusmuskulatur liefert die vorliegende Arbeit ein reiches, fleißig 
zusammengestelltes Material. Zahlreiche mikroskopische Untersuch- 
ungen setzten den Verfasser in den Stand, sowohl auf dem Wege der 
vergleichend-anatomischen Forschung wie durch das Studium der 
früheren Entwieklungsstadien eine Auffassung der menschlichen Uterus- 
muskulatur darzulegen, die in Kürze etwa so lautet: Die Muskula- 
tur des menschlichen Uterus ist eine Modifikation der ursprüng- 
lichen Ring-Muskulatur der Müllerschen Gänge, die in dem 
Verlaufe der Muskelbündel und -balken zumeist durch die in ihr 


Sobotta. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Uterusmuskulatur. 27 


liegenden großen Gefäße bedingt wird. Eine Schichtung derselben 
ist daher nur durch künstliche Einteilung möglich, hat aber keinen 
Rückhalt in der phylo- und ontogenetischen Geschichte. 

Die Untersuchung vergleichend-anatomischer Präparate erstreckte 
sich auf die Ordnungen der Nager, Raubtiere, Huftiere, Halbatfen, 
Fledermäuse und Affen. Sie betraf bei jeder Tiergattung den eigent- 
lichen Tragsack, also bei dem Uterus bipartitus und bicornis das 
Horn, ferner das tubare und das cervikale Ende des Uterus, letzteres 
namentlich wegen des dort sich allmählig vollziehenden Uebergangs 
der durch ein Septum geteilten Uterushöhle in ein gemeinsames Cavum. 

Bei den Nagern hat sowohl das Horn des Mäuseuterus wie 
eine Hälfte des Uterus bipartitus vom Kaninchen Berücksichtigung 
gefunden. Beide zeigen ein meist exzentrisch liegendes Lumen und 
eine dasselbe umgebende, dieke, drüsenführende Schleimhaut, die ihrer- 
seits wieder von einem festen Ring von zirkulär verlaufenden, glatten 
Muskelfasern umgeben ist; dieser Muskelring wird von einem lockeren 
Bindegewebslager umschlossen, das zahlreiche und große Gefäße tührt 
und eine genaue Trennung von der nach außen liegenden Längs- 
muskulatur bildet. Diese Längsmuskulatur, in Bündeln angeordnet, 
liegt dicht an der Serosa an und begleitet dieselbe auch dort, wo sie 
den Uterus verlässt, und z. B. auf das Bindegewebe des Ligamentum 
latum übergeht; sie verliert sich erst weit vom Uterus entfernt im 
Ligamentum latum. Auch die zwischen der Ring- und Längsmusk.u- 
latur liegende Bindegewebsschicht geht ohne Grenze in das Binde- 
'sewebe des Ligamentum latum über. So gehört also streng genom- 
men nur die Ringmuskulatur dem Uterus selbst an, während die 
Längsmuskulaturschieht in enger Beziehung mit der Serosa steht. 
Dieser Befund wird auch dadurch deutlich, dass sehr bald nach 
dem Abgang der Tube vom Uterushorn die Längsmuskulatur sieh 
gänzlich verliert, sodass nur eine zirkuläre Tubenmuskulatur zurück- 
bleibt. Noch deutlicher zeigt sich die Trennung der ,‚Musceularis serosue“ 
und „Muscularis uteri‘‘ am unteren Ende des Uterus, namentlich dort 
wo äußerlich schon eine Vereinigung der beiden Hörner zu einem 
Organ sich vollzogen hat, während im Innern noch zwei Lumina deut- 
lich getrennt sind: jedes derselben wird von einer Schleimhaut und 
einer ringförmigen Muskelschieht umschlossen, während die Binde- 
gewebschicht ebenso wie die Längsmuskulatur und das Peritoneum 
glatt die beiden Hohlräume überspannt und nach beiden Seiten in 
das Ligament übergeht. Auch weiter nach der Portio zu ist das 
Verhältnis das gleiche; schließlich verlässt das Peritoneum den Uterus, 
die Längsmuskulatur verschwindet und nur die zirkuläre Muskelschicht 
setzt sich in die lockere Scheidenmuskulatur fort. 

Auch bei den Raubtieren, als deren Vertreter die Katze 
untersucht wurde, zeigt sich gleichfalls um die Schleimhaut des Uterus 
herum eine feste, ziemlich dieke Ringmuskelschicht. Von ihr durch 


98 Sobotta, Anatomie und Entwicklungsgeschiechte der Uterusmuskulatur. 


eine Bindegewebsschicht getrennt liegt wieder unmittelbar an der 
Serosa in längsverlaufenden Bündeln die „Museularis serosae“, die 
etwas schwächer als die Ringmuskel chieht, mit dem Peritoneum die 
große Platte des Mutterbandes bildet. Die Gefäße der bindegewebigen 
Zwischenschicht sind sehr zahlreieh und mächtig, ihre Wandungen 
zeigen eine erhebliche Muskulatur, die vorzugsweise Längsrichtung 
hat und durch abgehende Fasern eine lockere Verbindung zwischen 
Längs- und Ringmuskulatur bedingt. Auch bei der Katze zeigt die vom 
Uterus sich scharf absetzende Tube nur zirkuläre Fasern; auch hier wird 
bei der Aneinanderlagerung der Hörner und der äußeren Verschmel- 
zung die Längsmuskulatur eine einfache, vom Ligamentum latum der 
einen Seite glatt zu dem der anderen Seite herüberziehende Muskelplatte. 

Von den Huftieren hat der Uterus des Schweines zunächst 
als Beobachtungsobjekt gedient, «der ganz ähnliche Verhältnisse wie 
der Katzenuterus darbietet. Die Hörner verlaufen eine längere Strecke 
getrennt unter der gemeinsamen Hülle der Serosa und der Längs- 
muskelschieht, um sieh dann zu vereinen. Die beiden Muskelschichten 
zeigen eine deutlichere Diekendifferenz zu Ungunsten der Longitu- 
dinalschicht. liegen aber, infolge der geringeren Entwicklung der 
Bindegewebsschicht zwischen ihnen, ziemlieh dicht aneinander und sind 
nur durch die Verlaufsriehtung der Fasern deutlich zu unterscheiden. 

Auch der Scehafuterus zeigt das Näheraneinanderliegen der 
beiden Muskelschiehten, die nur an einigen Stellen durch eine 
/wischenschicht getrennt sind, welche hier dureh einen großen 
Reichtum an Gefäßen uud glatten Muskelfasern ausgezeichnet ist. 
Diese Fasern haben sehr verschiedene Richtungen, nahe der Ring- 
muskelschieht mehr longitudinale, nach der Peripherie zu mehr 
zirkuläre. Die Verhältnise am Tubenende des Schafs- und Kalbs- 
uterus zeigen besonders deutlich die Zusammengehörigkeit der longi- 
tudinalen Muskelschicht mit der Serosa; denn hier, wo die Tube 
neben dem Uterushorn eine Strecke entlang läuft, werden beide von 
einer Schlinge des Ligamentum latum überzogen, die auf dem Durch- 
schnitt ebenfalls die subseröse Längsmuskulatur zeigt. Der übrige 
Befund ähnelt sehr dem der Raubtieruteri. 

So zeigt auch der Uterus des Lemur, zur Ordnung der Halb- 
affen gehörig, die gleichen Verhältnisse; nur ist die intermuskuläre 
Bindegewebssubstanz noch weniger ausgebildet; es liegt auch hier 
Längs- und Ringmuskulatur dieht zusammen, die letztere erscheint 
hier mehrmals stärker ausgebildet als die erstere. 

Die Zwischenbindegewebsschieht fehlt ganz bei dem Uterus bi- 
eornis des Pteropus, eimer Gattung der Chiropteren, nur einzelne 
Gefäße, die schon in den peripheren Schichten der Ringmuskulatur 
liegen, deuten ihr früheres Bestehen an. 

Die Aneinanderlagerung der beiden Schichten ist noch aus- 
gesprochener bei dem nieht anthropoiden Macacus-Affen; von der 


Sohotta, Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Uterusmuskulatur. 209 


sefäßführenden Zwischenschieht ist nur am Ansatz des Ligamen- 
tum latum noch etwas erhalten. Die eigentlichen Gefäße des Uterus, 
also wesentlich die Aeste der großen Stämme, liegen zwischen den 
peripheren Lamellen der Ringmuskulatur. Diese ist aber sehr stark 
entwickelt, 5—6 fach die Längsmuskulatur an Dicke überragend; sie 
zeigt nicht mehr ausschließlich zirkuläre Fasern, sondern es treten auch 
longitudinale und schiefe Faserzüge auf und bedingen eine Spaltung 
der ganzen Muskelmasse in gröbere Bündel und Lamellen. Die 
Längsmuskelschicht ist mit ihr so eng verwachsen, dass sie nicht 
abgezogen werden kann; es zeigt sich dies auch schon im allmählichen 
Uebergang des Verlaufes der zirkulären Fasern der Ringmuskulatur 
in die longitudinalen der „subserösen Muskularis“. Diese Verhältnisse, 
wie sie sich im Corpus uteri zeigen, verändern sich aber wesentlich 
im Collum: es lässt sich auch hier eine „Museularis serosae* deutlich 
unterscheiden, aber unter ihr liegen noch, einen großen Teil der 
Collumwand einnehmend, longitudmale und schräge Faserzüge, deren 
Riehtung je mehr nach innen um so mehr sich der der zirkulären, 
unter der Schleimhaut liegenden Muskelschicht nähert. Es ist hier 
also die Ringmuskulatur des Corpus derart verwandelt, dass ihre 
Fasern jetzt zum größten Teil einen mehr longitudinalen Verlauf 
nehmen. Es ist dadurch „die auch für den menschlichen Uterus so 
charakteristische und überaus wichtige Trennung in einen eigentlich 
fruchthaltenden Abschnitt des Uterus, das Corpus, und einen lediglich 
ausführenden, das Collum*, angedeutet. 

Eine noch erheblichere Umbildung lässt der Uterus des anthropoiden 
Chimpansen, von dem der Verfasser ein etwa 3 Jähriges Exemplar 
untersuchte, erkennen. Die Muskulatur des Corpus uteri zeigt eine sehr 
komplizierte Faserrichtung: neben der verworren-zirkulären Richtung 
der Hauptmasse lässt sich noch ein deutlicher Längsverlauf einer 
unter der Schleimhaut gelegenen Muskelschicht konstatieren. Eine 
longitudinale, subseröse Muskulatur fehlt gänzlich. Die Gefäße laufen 
zwischen den Muskelfasern des Uterus durch und sind dadurch zum 
Teil von bedeutendem Einfluss auf die verschiedene Richtung der 
Fasern. Wenn wir noch betrachten, wie im Collum uteri die Schich- 
tung der ursprünglichen zirkulären Muskelmasse sich noch deutlicher 
als beim Macacus in drei Teile sondert, deren mittelster nur zirkuläre 
Fasern führt, während die beiden anderen aus longitudinalen Fasern 
bestehen, so zeigt sieh darin schon eine bedeutende Aehnlichkeit mit 
dem menschlichen Uterus, ja es ließe sich auch daraus schon die 
Richtigkeit des oben angeführten, die Ergebnisse zusammenfassen- 
den Schlusssatzes entnehmen. 

Der Verfasser hat aber auch dureh ontogenetische Forschungen 
die erwähnte Auffassung näher gelegt: 

Gegen die Mitte des 5. Monats treten beim Menschen zuerst zirku- 
läre Fasern auf; dieselben werden allmählich zahlreicher und ordnen 


30 Schneider, Entwieklung des Intellekts. 


sich lamellös; bald ändert sich auch durch das Auftreten der Gefäße, die 
Verlaufrichtung der Muskelfasern, die nun bald zirkulär, bald schief, 
bald schräg durch einander verlaufen. Im Cervix sind schon die 
peripheren und die unter der Schleimhaut liegenden longitudinalen 
Muskelbündel angelegt. Das Neugeborene zeigt vorwiegend die Haupt- 
ringmuskulatur, in Lamellen gespalten, im Corpus uteri, während im 
Collum die Längsfaserung schon ausgesprochen ist. Die Gefäße des 
Corpus liegen zum Teil in den seitlichen Teilen des Uterus, zum Teil 
in dem zwischen Serosa und Ringmuskulatur liegenden Bindegewebe: 
einige sind auch schon im Bereiche der äußeren Schiehten der Ring- 
muskelschicht. Eine subseröse Längsmuskelsechicht fehlt. 

Bei einem 2 jährigen Mädchen zeigt die Ringmuskulatur sich von 
großen Gefäßen vielfach durchsetzt, die den Verlauf der Muskel- 
fasern sehr beeinflussen, so «ass sich diese Schicht mit ihrem Faser- 
und Gefäßgewirr deutlich von den beiden anderen zirkulären Schichten 
abhebt. Noch ausgebildeter sind die sonst gleichen Verhältnisse beim 
Uterus der Erwachsenen; hier aber ist auch die dem Collum ange- 
hörige submuköse Längsschicht jetzt im Corpus ausgebildet: hier 
zeigen sich jetzt auch spärliehe, dicht unter der Serosa liegende longi- 
tudinale Fasern, als Reste jener subserösen Längsmuskulatur der Tiere. 
„Dieselben scheinen während der Schwangerschaft zu hypertrophieren.“ 

Das sind die Grundzüge der Sobotta’schen Arbeit. Die da- 
„wischen eingestreuten Kritiken und Besprechungen der Untersuchungs- 
resultate vieler anderer Forscher vermitteln den Lesern auch eine 
genaue Bekanntschaft mit den gegenteiligen und den zustimmenden 
Auffassungen derselben. 

Wir hätten demnach bei den untersuchten Uteri stets und haupt- 
sächlich Ringmuskulatur anzunehmen, die mit der höheren Tiergattung 
auch sich stärker entwickelt, während die Längsmuskulatur haupt- 
sächlich bei den niederen der untersuchten Tiere hervortritt. Dieser 
so deutliche Wechsel scheint in klarster Beziehung zu der physiologi- 
schen Verschiedenheit des Geburtsaktes zu stehen. 

Ü. Spener (Berlin). 


/ur Frage der Entwicklung des Intellekts. 
Von Dr. Karl Camillo Schneider. 

Dem im „Biologischen Oentralblatt“ erschienenen Aufsatz: „Ein 
Beitrag zur Phylogenie der Organismen“ füge ich einige Zeilen über 
die Entwicklung des Intellekts hinzu. Auch für diese Frage folge 
ich dem in jener Arbeit eingeschlagenen Wege und beginne mit dem 
einfachsten Materiale. Stadium I (Protozoon, Zoon) erwies sich als 
eine Summe von Atomen, die derart auf fremde Substanzen einzu- 
wirken vermochten, dass sie diese in die eigne umsetzten und hier- 
durch den Verbrauch deckten, also dauerndes Leben gewannen. 
Dies war rein mechanisch gedacht: die Atome antworten unaufhör- 


Schneider, Entwicklung des Intellekts. 31 


lich dureh Aenderungen in den Lagebeziehungen zu einander auf 
äußere Einflüsse. Die Atome bewegen sich aber auch in Anorganis- 
men kontinuierlich (außer im absoluten Nullpunkt); sie unterscheiden 
sich überhaupt substanziell (als physikalisches Atom gedacht) in 
nichts von den Atomen dieser — und doch zeigen sie Empfindung im 
Organismus, im Anorganismus nicht. Daraus folgt, dass die Atome 
überhaupt die Fähigkeit zur Aeußerung der Sensibilität besitzen; dass 
diese aber nur unter gewissen Verhältnissen zu Tage tritt. Was be- 
deutet nun der Begriff: empfinden? Das Atom reagiert zweifach auf 
einen Reiz; es bewegt sich in bestimmter Weise und es deponiert den 
Reiz in sich, es wird desselben bewusst und ist fähig, die durch den 
Reiz veranlasste Bewegung auszuführen, ohne dass derselbe Reiz aufs 
neue wirkt. Für gewöhnlich versteht man unter Empfindung, dass 
der Organismus irgend ein Gefühl von etwas hat; dass ihn etwas 
schmerzt, etwas gleichgiltig ist ete., das ist von den Menschen und 
den höheren Tieren hergeleitet und operiert mit komplizierten Begriffen : 
von einem Stentor z. B. aber, der im warmen Wasser sich lebhafter 
zu bewegen anfängt, wird man vielleicht nur sagen dürfen: er bewegt 
sich schneller auf Grund irgend eines mechanischen Einflusses, nicht 
weil ihm schlimm zu Mute ist. Und diese Fähigkeit, sich unter an- 
dern Verhältnissen anders zu verhalten, behält der Organismus, und 
so kann sich der Stentor im normal temperierten Wasser auch ohne 
äußere Veranlassung schneller bewegen. Er hat es eben gelernt; 
er hat die Reizwirkung in sich deponiert. Ohne Ursache wird er 
natürlich die schnellere Bewegung auch nieht ausführen, aber es 
kann ein anderer Reiz wirksam sein, als der, welcher jene ursprüng- 
lich nach sich zog. Das Atom hat also eine gewisse Initiative ge- 
wonnen; es kann in anderer oder gesteigerter Weise reagieren; es 
lagert Einflüsse gewissermaßen als eine Art Spannung in sich ab. 

Woran ist also die Sensibilität gebunden? An das Leben; spe- 
ziell an das Dauerleben. Leben aber ist das Vorsichgehen von Be- 
wegungserscheinungen bestimmter Art. Da solehe sieh in Organis- 
men und Anorganismen vollziehen — in beiden spielen sich eben 
Vorgänge ab —, so müssen also auch Anorganismen zur Sensibilität 
geeignet sein; d. h. sie müssten die Erfahrung, die sie durch irgend 
einen mechanischen Einfluss machen, in sich deponieren und ihn 
später auf ändern Reiz hin auslösen können — wenn die Zeit ihres 
Lebens nicht mit dem Vorgang selbst endete! Mit dem Leben geht 
auch die Möglichkeit der Empfindungsäußerung des Lebens (des Vor- 
ganges) verloren: im Organismus bleibt sie aber, da das Leben sich 
immer erneut. 

Die Atome, Molekule ete. unterliegen bestimmten Gesetzen. Diese 
Gesetze repräsentieren die Konstanz der Einwirkungen der Um- 
gebung. Diese Einwirkungen sind verschiedenwertig; folglich spricht 
man von stärker und schwächer wirkenden Gesetzen. Diesen ent- 


32 Schneider, Entwieklung des Intellekts. 


sprechend zeigen sich die äußeren Reaktionen der Atome fest be- 
grenzt (im Organismus wie im Anorganismus); in gleicher Weise gilt 
dies aber auch für die inneren Reaktionen, die einzelnen Empfin- 
dungsmomente. Auch unter diesen überwiegen die einen die anderen 
und drücken so den Aeußerungen der Sensibilität einen gewissen Stempel 
auf, das infolge des eben gegebenen Gedankenganges diese als be- 
dingt, der landläufigen Vorstellung gemäß sie aber als willkürliche 
oder, besser gesagt, zweckentsprechende auffassen lässt. Es dünkt 
uns also das Dauerlebewesen mit Unterscheidungsvermögen begabt, 
d. h. es vermag in anscheinend unbedingter Weise zu handeln; im 
Grund ist jedoch diese Selbständigkeit nur Reflex auf die verschie- 
den mächtige Einwirkung der Umgebung; das Zoon unterscheidet 
unter einer durch Gesetze geregelten Zwangslage. All unser Will- 
kürvermögen ist nur eine Folge von Erwerbungen: wir können nur 
das thun, was wir erlebt haben; es existiert also kein freier Wille, 
denn der könnte nur daraus erhellen, dass der Organismus etwas 
noch nicht Erfahrenes, Erlebtes ansführte. Aber zu denken vermögen 
wir nur das, was uns bewusst wurde, und unser Bewusstsein ist 
niehts als eine Anhäufung von Reflexen, umschließt nur Erinnerungen. 

Fassen wir den Gedankengang nochmals kurz zusammen. Das 
Atom besitzt Sensibilität: ein Vorgang, der sich an ihm abspielt, 
kommt ihm zum Bewusstsein; es empfindet das Leben mit. Im An- 
organismus ist Leben eine vorübergehende Erscheinung; folglieh be- 
merken wir auch keine Empfindung «des Lebens. Im Organismus 
äußert dagegen das Atom seine Erfahrungen und bringt sie, soweit 
es möglich ist, zur Bethätigung, d. h. unter den vielen aufgespei- 
cherten, einzelnen Empfindungselementen (Trieben, wie sie Wundt in 
seiner „physiologischen Psychologie“ nennt, auf welche Arbeit ich in 
einer bald vollendeten, ausführlicheren Darstellung meiner Auffas- 
sungen und der daraus sich ergebenden Folgerungen näher eingehen 
werde) treten die als beeinflussend auf den im Organismus zirku- 
lierenden Lebenstrom hervor, welche an Bedeutung die anderen (im 
gerade gegebenen Falle) überwiegen. Das Zoon, oder vielleicht erst 
das Syntheton (denn in diesem findet sich wohl erst die Mannig- 
faltigkeit der Reaktionsweisen, die hierzu Vorbedingung ist), besitzt 
deshalb Unterscheidungsvermögen, ohne dass es im Stande wäre, 
willkürlich zu handeln 

Da die komplizierteren Aeußerungen des Intellekts nur gradatim 
von den Geschilderten sich unterscheiden, gehe ich auf diese nicht 
näher ein, verweise vielmehr betreffs dieser auf Wundt’s vorzüg- 
liches Werk (siehe oben), das ieh nach Niederschrift des Ange- 
gebenen kennenlernte und welches entsprechende Ansichten, soweit 
die Stoffbehandlung es bot, enthält. 

München, am 1. Januar 1892. 
Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 





Biologisches Üentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





XI. Band. 30. Januar 1892. Nr: 
Eanaleani Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. — Famintzin, Nochmals die 
Zoochlorellen. — Nusbaum, Zur Kenntnis der Würmerfauna und Crustaceen- 
fauna Polens. — v. Lendenfeld, Bemerkungen über die neuerlich von Dendy 
beschriebenen Kalkschwämme. — Kalischer, Neurologische Untersuchungen. — 


Korsehelt u. Heider, Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte 
der wirbellosen Tiere. 





Nervenzellen und Nervenfasern. 


Rede zur Eröffnung der fünften Versammlung der anatomischen Gesellschaft 
zu München 1891 '). 


Von Albert v. Kölliker. 


Hochgeehrte Herren Kollegen! 


Als ich vor 4 Jahren die Ehre hatte, die erste Sitzung der ana- 
tomischen Gesellschaft zu eröffnen, versuchte ich die Ziele derselben 
zu skizzieren und bezeichnete dieselben im allgemeinen als För- 
derung der anatomischen Wissenschaften. Unter diesem 
Namen verstand ich aber nicht etwa die menschliche Anatomie 
allein, obwohl wir dieselbe an die Spitze unserer Bestrebungen 
stellen, vielmehr war ich der Meinung, dass als Aufgabe unserer 
Gesellschaft die Erforschung des ganzen morphologi- 
schen Gebietes zu bezeichnen sei, oder mit anderen Worten die 
Förderung der gröberen und der mikroskopischen Anatomie 
der gesamten Tierwelt, sowie der vergleichenden Entwick- 
lungsgeschichte. Dass wir mit dieser Auffassung das Richtige 
getroffen haben, beweisen am klarsten unsere bisherigen Zusammen- 
Künfte, bei denen die große Mehrzahl der Vorträge diesem ver- 
gleichenden Standpunkte gerecht wurden. Neben diesen Dis- 
ziplinen mussten wir aber auch von vornherein ein sehr großes Gewicht 
auf die Physiologie legen, die streng mit der Morphologie ver- 
bunden ist und mit ihr zusammen erst das Gesamtgebiet der 





1) Mit Bewilligung des Herrn Verfassers abgedruckt aus den Verhandlungen 
der anatomischen Gesellschaft, 1891. Verlag v. 6. Fischer in Jena. 
XI, 3 


34 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


Biologie darstellt, sowie ferner auf die pathologische Anatomie 
des Menschen und der Tiere und selbst auf die Pathologie, 
der die Anatomie so viele schöne Beobachtungen verdankt, wie vor 
allem in der Lehre von dem feineren Baue der nervösen 
Zentralorgane. Endlich ergaben sich auch die systematische 
Zoologie und die Botanik als für uns von Belang, wenn wir auch 
nicht in der Lage uns befanden, an der Förderung dieser Disziplinen 
einen größeren Anteil zu nehmen. 

Die wenigen Jahre, die hinter uns liegen, haben die Erwartungen, 
die an unsere junge Gesellschaft sich knüpften, wie ich wohl sagen 
darf, glänzend gerechtfertigt, und mit jeder neuen Zusammenkunft 
zeigt sich immer mehr, dass der Gedanke, der zur Gründung derselben 
führte, ein glücklicher war. Die Zahl der Mitglieder ist von 100 nach 
und nach auf 250 gestiegen, und als besonders erfreulich verzeichnen 
wir einmal, dass eine Reihe Physiologen, pathologische 
Anatomen, praktische Mediziner und Zoologen sich uns 
anschlossen, sowie zweitens, dass auch eine große Anzahl nicht- 
deutscher Gelehrten unserer Gesellschaft beitraten, die wir in 
weiser Voraussicht nicht „deutsche“, sondern einfach „anato- 
mische“ genannt hatten. Wenn Männer, deren Namen einen solchen 
Klang hat, wie diejenigen von E. van Beneden, Chievitz, Cun- 
ningham, Dekhuyzen, Fürst, van Gehuchten, Gedoelst, 
Golgi, Hoyer, Hubrecht, Kastschenko, Leboueg, Ramön 
y.62j21,@ Retzius, Romiti, van der Stricht, Turner u.a! 
an unseren Zusammenkünften sich beteiligten, wenn andere, wie 
Arnstein, van Bambeke, Eternod, Fraser, Guldberg, Hoff- 
mann, Julin, Kowalewski, Lahousse, Minot, Paladino, 
Peroneito, Testut, Thane, Zaijer, Zahn, Zawarykin u. v.a. 
wenigstens als Mitglieder sich uns anschlossen, so verdient eine 
solche Gesellschaft schon nahezu als international bezeichnet zu 
werden, und wird unser weiteres Bestreben auch voll darauf gerichtet 
sein, die anatomischen Bestrebungen aller Nationen zu 
vereinen. 

Trotz dieser glücklichen Anfänge und vielen Lichtes fehlen doch 
auch dunkle Punkte nicht. Ein solcher, den ich schon vor 
4 Jahren berührte, ist die große Zersplitterung der anato- 
mischen Litteratur. Ich habe damals mir erlaubt, den Wunsch 
auszusprechen, es möchten alle Morphologen sich verpflichten, ihre 
Beobachtungen nur in Einer der vier bekanntesten Sprachen zu 
veröffentlichen, und zugleich darauf aufmerksam gemacht, wie wünsch- 
bar es wäre, dass die anatomischen Abhandlungen nur in wenigen 
bestimmten Zeitschriften niedergelegt würden; es hat je- 
doch im Ganzen diese Mahnung vorläufig nur wenig gefruchtet. Ich 
erlaube mir daher dieselbe zu wiederholen und im Einzelnen folgende 
bestimmte Vorschläge zu machen, durch deren Beachtung die größten 
Uebelstände beseitigt werden könnten: 








v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 35 


1) Jeder Autor, der in einer anderen Sprache als englisch, fran- 
zösisch, italienisch oder deutsch schreibt, fügt seiner Arbeit eine 
kurze Uebersicht in einer dieser Sprachen bei, wie dies jetzt 
schon in vielen Fällen geschieht. 

2) Wäre es von großem Werte, wenn in jedem Lande eine Zeit- 
schrift bestände, die es sich zur besonderen Aufgabe machte, von 
allen wichtigen Arbeiten, die nicht in Fachzeitschriften enthalten sind, 
möglichst rasch kurze Auszüge zu geben. Aehnlich dem Moni- 
tore zoologico italiano könnte auch bei uns, in England und 
Frankreich eine solche Zeitschrift gedeihen, und z. B. in Deutschland, 
wie Froriep vor kurzem andeutete, der „Anatomische Anzeiger“ diese 
Rolle übernehmen. So würde vielen wichtigen, in Gesellschafts- und 
Zeitschriften vergrabenen und oft nur sehr spät bekannt werdenden 
Arbeiten ihr Recht werden und ihre Bedeutung gewahrt. 

Bei Erwägung des eben Besprochenen wendet sich der Blick von 
selbst auch auf die älteren und neueren Versuche der Aufstellung 
einer Weltsprache, und möchte ich, ohne weiter in diese Frage 
einzugehen, meine Ansicht kurz dahin abgeben, dass alle Versuche, 
eine künstliche Sprache zu schaffen, möge dieselbe nun 
Volapük oder Nov Latin oder sonstwie heißen, zu keinem 
Ziele führen werden, da eine Sprache, wie ein Organismus, ihr 
eigenes selbständiges Werden und ihre gesetzmäßige 
weitere Entwicklung hat, die niemand nachzumachen im Stande 
ist. Abgesehen hiervon, würde übrigens eine solche Sprache keinem 
ersparen, mindestens 3 andere Sprachen noch dazu zu erlernen, so 
dass dieselbe nur Nachteile böte. Eine echte Weltsprache haben 
die Gebildeten im Mittelalter im Lateinischen besessen, und nur 
in dieser Weise wäre auch jetzt noch eine solche möglich, in 
welchem Falle vor allem an das Englische oder Französische 
zu denken wäre. 

Ich schließe diese allgemeinen Betrachtungen mit einer kurzen 
Erwähnung der Leistungen unserer Nomenklaturkommission. 
Wie Sie wissen, wurde im vorigen Jahre, auf die von His gegebene 
Anregung hin, der Beschluss gefasst, eine einheitliche anatomische 
Namengebung anzubahnen und mit der menschlichen Anatomie zu 
beginnen. Die zu diesem Zwecke von der Gesellschaft ernannte Kom- 
mission von 9 Mitgliedern war so glücklich, zur Verwirklichung ihrer 
so schwierigen Aufgabe in Prof. W.Krause einen Kollegen zu finden, 
der mit umfassenden Kenntnissen auch den nötigen Eifer und wirk- 
liche Liebe zur Sache mitbrachte, und so ist denn in diesem Jahre 
bereits die Muskellehre und ein Teil der Osteologie zur Beratung 
gekommen, und wird Ihnen das Ergebnis binnen kurzem vorgelegt 
werden können. Die nötigen Geldmittel anlangend, gelang es den 
Herren Waldeyer, Ludwig, His, Toldt, Mihalkovics und 
Kupffer, von der Akademie in Berlin 1500 M. als I. Rate, von 

3* 


36 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


der Sächsischen Akademie 500 M. als I. Rate, von der Wiener 
Akademie 530 M. 97 Pf., von der Ungarischen Akademie 
520 M. 50 Pf. und vom K. bayr. Staatsministerium desKultus 
durch die bayr. Akad. d. Wissenschaften 1500 M. und vom K. öst. 
Staatsministerium des Unterrichts 600 fl. zu erlangen, für 
welche werkthätige Unterstützung ich im Namen der Gesellschaft den 
genannten h. Staatsbehörden und Gesellschaften unsern besten Dank 
ausspreche. Hoffen wir, dass auch fernerhin unserem wichtigen 
Unternehmen die nötige Unterstützung nicht mangeln werde, um 
so mehr, als dasselbe wohl mit der Zeit zu einem internationalen 
sich gestalten dürfte, da in allen Ländern das Bedürfnis nach ein- 
heitlichen und verbesserten Benennungen sich geltend macht. So 
haben amerikanische Gelehrte im letzten Jahre einen Versuch zur 
Verbesserung einiger Teile der anatomischen Nomenklatur unternom- 
men, und hoffen wir, dass dieselben unserer Einladung zu gemein- 
samer Arbeit entgegenkommen werden. Sollte es gelingen, wenigstens 
die lateinischen Namen in den morphologischen Wissenschaften 
zu einem Gemeingute aller zu machen, so wäre hiermit offenbar ein 
großes Ziel erreicht. i 

Ich wende mich nun zur Hauptaufgabe meiner Eröffnungs- 
rede unserer 5. Versammlung, für welche ich ein Thema gewählt 
habe, das gerade jetzt das Interesse der Anatomen nach den ver- 
schiedensten Seiten in Anspruch nimmt. Es ist dies die Schilderung 
des jetzigen Standes der Lehre von den Beziehungen der 
nervösen Elemente zu einander. 

Wie allgemein bekannt, hat Golgi im letzten Decennium an der 
Hand besonderer Methoden eine neue Aera in diesem Gebiete inaugu- 
riert, als deren Hauptergebnisse sich herausstellten: 1) das Vorkommen 
eines feinen, diehten, durch die gesamte graue Substanz der 
Zentralorgane verbreiteten und zusammenhängenden Filzes 
von Nervenfasern und Ausläufern von Nervenzellen; 
2) ein Entspringen der zentripetal leitenden Nerven- 
fasern in diesem Filze; 3) ein vollständiges Uebergehen 
der nervösen Ausläufer gewisser Zellen in diesen Filz; 
4) eine etwelche Beteiligung auch der zentrifugalen motori- 
schen Fasern an der Bildung desselben und 5) ein Ein- 
gehen von Seitenästen aller Strangfasern des Markes 
und der höheren Teile in den genannten Filz. — Mit den- 
selben Methoden stellten dann viele von Golgi’s Landleuten, wie 
Magini, Fusari, Mondino, Martinotti, Sala u. a. und einige 
wenige andere Forscher, wie vor allem Nansen, Ramön y Cajal, 
M. v. Lenhossek, Retzius und ich selbst ausgedehntere Unter- 
suchungen an, durch welche viele der Entdeckungen Golgi’s be- 
stätigt wurden, anderseits aber auch neue Thatsachen sich heraus- 
stellten. Besondere Beachtung verdienen unter diesen die vonRamön 








v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 37 


und mir gemachten Beobachtungen: 1) dass alle in den Zentralorganen 
endenden Nervenfasern und Zellenfortsätze mit feinen Veräste- 
lungen auslaufen und nirgends anastomosieren, 2) dass die 
zentripetalen Wurzelfasern nicht in dem Nervenfilz ent- 
springen, sondern in demselben enden, und 3) dass es zen- 
tripetal und zentrifugal leitende lange Bahnen, sogenannte 
Bahnen zweiter und höherer Ordnungen giebt, die nicht 
aus den Zentralorganen herausgehen. Sollten diese Erfah- 
rungen sich bestätigen, so würden dieselben zu einer neuen Auffassung 
der Beziehungen der nervösen Elemente zu einander führen, die auf 
hypothetischer Basis bereits früher in His und Forel Vertreter ge- 
funden hat. 

Neben den Golgi’schen Methoden baben in unseren Tagen noch 
andere Untersuchungsweisen sich als sehr fruchtbringend erwiesen, 
von denen ich vor allem die Entwieklungsgeschichte betone, 
die in der Hand von His zu so überraschenden und wichtigen Er- 
gebnissen geführt hat. Wir verdanken diesem unermüdlichen Forscher, 
neben vielen andern mehr morphologisch bedeutungsvollen Thatsachen, 
den Nachweis, wie die Fortsätze der Nervenzellen entstehen und 
weiter sich ausbilden, der namentlich bei den sensiblen Wurzelfasern 
zu dem wichtigen Funde führte, dass dieselben von den Zellen der 
Ganglien aus nach zwei Seiten sich entwickeln, an welchen dann die 
weitere Erkenntnis sich anschloss, dass weder im Gehirn noch im 
Mark sensible Ursprungskerne in der bisher angenommenen 
Weise vorkommen. Sehr belangreich waren ferner die Beobachtungen 
von Flechsig an mit Rotholz behandelten Golgi’schen Präparaten, 
durch die wir zuerst erfuhren, dass die Nebenäste der nervösen Fort- 
sätze der Pyramidenzellen des Großhirns markbaltige Fasern sind 
und Ranvier’sche Einschnürungen besitzen. Endlich haben uns die 
letzten Jahre durch Ehrlich im Methylenblau ein Reagens ge- 
schenkt, das der Golgi’schen Silber- und Sublimatbehandlung eben- 
bürtig an die Seite sich stellt und in den Händen von Ehrlich selbst, 
von Dogiel, Arnstein, Smirnow, Biedermann und vor Allem 
in der eben erschienenen großartigen Arbeit von Gustav Retzius 
Ergebnisse zu Tage gefördert hat, die über das schwierige Gebiet 
der sympathischen Nervenzellen, sowie über das Nerven- 
system der Wirbellosen ungeahntes Licht verbreiten. 

Ungeachtet aller Fortschritte, die diese neuen Untersuchungen im 
Zusammenhange mit vielen älteren wichtigen Arbeiten aus den Ge- 
bieten der feineren und gröberen Anatomie, der experimen- 
tellen Physiologie und Pathologie und der Pathologie selbst 
zu Tage gefördert haben, bleibt immer noch sehr vieles dunkel und 
unsicher und erlaube ich mir nun in Kürze den Versuch zu machen, 
das bereits Gewonnene von dem Zweifelhaften zu sondern und die 
der Zukunft erwachsenden Aufgaben festzustellen. 


38 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


Die Hauptpunkte, die unser Interesse in Anspruch nehmen, sind: 
die Art und Weise, wie die Nervenfasern entspringen 
und wie dieselben in den Zentralorganen enden oder anders 
ausgedrückt: die Beziehungen der wesentlichen Elemente 
des Nervensystems zu einander. 

Lösen wir diese Fragen in ihre Komponenten auf, so haben wir 
Folgendes zu erörtern: 

1) Entspringen Nervenfasern nur von Zellen oder auch ohne 
direkte Beteiligung solcher ? 

2) Wie viele nervösen Fortsätze besitzen die Nervenzellen und 
sind die sogenannten Protoplasmafortsätze auch nervöse lei- 
tende Elemente? 

3) Bilden die Fortsätze der Zellen oder die Nervenfasern irgendwo 
wirkliche Netze? 

4) Wie kommt die Einwirkung der Elemente des Nervensystems 
aufeinander zustande und welches ist die Bedeutung der 
Zellen und der Fasern? 


I: 


Entspringen Nervenfasern nur von Zellen oder auch 
ohne direkte Beteiligung solcher. 


Seitdem der unipolare Ursprung von Nervenfasern aus 
Nervenzellen im Jahr 1842 durch Helmholtz bei Wirbellosen 
und 1844 durch mich bei Wirbeltieren nachgewiesen wurde, hat die 
Frage nach den Ursprüngen der Nervenfasern manche Wandlungen 
durchgemacht. Während auf der einen Seite Robin, Wagner und 
Bidder in den Spinalganglien der Fische Zellen entdeckten, die an 
beiden Enden in Nervenfasern auslaufen, und Deiters nachwies, 
dass viele multipolare Zellen der Zentralorgane einen einzigen be- 
sonderen Fortsatz, den sogenannten Axenzylinderfortsatz, besitzen, der 
in eine markhaltige Faser übergeht, tauchte auf der anderen Seite 
die Lehre auf, dass Nervenfasern auch direkt, ohne Vermittlung 
von Zellen, aus einem Netzwerk entspringen, das in der 
srauen Substanz der Zentren von Ausläufern von Nervenzellen ge- 
bildet werde. Für die Wirbeltiere wurde diese Ansicht wohl zuerst 
1870 von Gerlach und dann von Rindfleisch, von jedem in einer 
besonderen Weise, vertreten und fand später in Golgi und seinen 
Schülern warme Verteidiger, während bei den Wirbellosen viele 
Autoren ein solches Verhalten, neben direkten Ursprüngen von Zellen, 
annahmen, wie vor allem Walter, Solbrig, Bela Haller und 
Nansen, ja manche direkte Ursprünge gänzlich leugneten oder die- 
selben nur als Ausnahmen zugaben, wie Leydig und Hermann. 

Unterwerfen wir diese Frage einer näheren Beleuchtung, so finden 
wir, dass bei Wirbeltieren allgemein zugegeben wird, dass die 
motorischen Fasern direkt von Zellen entspringen und dass es 





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v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 39 


nur die sensiblen Elemente sind, bei denen ein Ursprung aus einem 
Nervennetze oder Geflechte angenommen wird. Eine solche Auf- 
stellung war auch einigermaßen begreiflich, da niemand den Ursprung 
einer sensiblen Wurzelfaser im Rückenmark oder einer psychosen- 
sorischen Faser im Gehirn von einer Nervenzelle beobachtet hatte. 
Immerhin hätten bei eingehender Erwägung aller Verhältnisse eine 
Reihe unzweifelhafter Thatsachen zeigen können, dass die Annahme 
eines indirekten Ursprunges sensibler Fasern doch auf sehr schwachen 
Füßen steht. Ich erinnere an die Opticusfasern, deren Ursprung 
von den Zellen des Ganglion nervi optiei seit den Untersuchungen 
von Corti und mir, von Remak, H. Müller und Max Schultze 
feststeht, ferner an die Fasern des Nervus cochleae, deren Ver- 
bindung mit den bipolaren Zellen des Ganglion spirale cochleae 
Corti bereits im Jahre 1850 nachwies, endlich an die oben schon 
erwähnten Entdeckungen von Robin, R. Wagner und Bidder über 
die sensiblen Wurzelfasern der Fische und ihre Verbindung mit den 
bipolaren Zellen der Spinalganglien. Diese allbekannten alten Be- 
obachtungen hätten wohl genügen sollen, um die Annahme eines 
Ursprunges sensibler Fasern ohne direkte Beteiligung von Zellen als 
wenig wahrscheinlich erscheinen zu lassen und in der That ist nun 
auch für die höheren Wirbeltiere durch die Entdeckung der Bezieh- 
ungen der unipolaren Spinalganglienzellen zu den sensiblen Wurzel- 
fasern durch Schramm, Ranvier (Tubes en T), Freud, Retzius, 
Lenhossek und vor allem von His die Lehre von dem Entspringen 
sensibler Fasern in einem zentralen Nervengeflechte so erschüttert 
worden, dass dieselbe alle Basis verloren hat. Hierzu kommen nun 
von neuesten Thatsachen noch folgende: 

1) Von den sensiblen Wurzelfasern der Spinalnerven haben Ramön 
y Cajal und ich übereinstimmend nachgewiesen, dass dieselben teils 
direkt, teils mit ihren Ausläufern (den Collateralen) in der grauen 
Substanz des Markes mit feinen Verästelungen frei auslaufen. 
Ganz dasselbe Verhalten finde ich auch bei den sensiblen Kopfnerven 
(Vagus, Glossopharyngeus, Trigeminus, Acusticus) und kann somit 
bei allen sensiblen Cerebrospinalnerven von einem Ursprunge in einem 
Nervennetze keine Rede sein. 

2) Ebenso wie die sensiblen Leitungsfasern erster Ord- 
nung von Zellen der Spinalganglien entspringen, so verbinden sich 
auch diejenigen zweiter Ordnung mit Nervenzellen von Rückenmark 
und Gehirn, wie von mir und zum Teil bereits von Ramön nach- 
sewiesen wurde. So entspringen die Fasern der Kleinhirnseiten- 
strangbahn vor allem von den Zellen der Clarke’schen Säulen, die- 
jenigen der wahrscheinlich ebenfalls zentripetalleitenden Vorderstrang- 
srundbündel und Vorderseitenstränge von bestimmten Zellen der grauen 
Substanz des Markes, ferner die Fasern der sogenannten oberen Pyra- 
midenkreuzung von den Zellen der Kerne des F. gracilis et F. euneatus. 


40 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


Aehnliche Leitungsfasern Il. Ordnung entwickeln sich nach 
meinen Erfahrungen auch von den Zellen der Endkerne des V., VIII, 
IX. und X. Paares. 

3) Von den Olfaktoriusfasern haben Golgi und Ramön y 
Cajal einerseits gezeigt, dass dieselben in den Glomeruli des Bulbus 
olfactorius mit freien Endigungen auslaufen, während auf der andern 
Seite eine Reihe von Autoren mehr oder weniger bestimmt nachge- 
wiesen hat, dass diese Fasern mit gewissen Zellen im Epithel der 
Regio olfactoria sich verbinden. Da nun diese Aufstellung durch die 
neuesten Untersuchungen von His, die lehren, dass die Olfaktorius- 
fasern vom Riechepithel aus gegen das Gehirn zu sich entwickeln, 
ihre volle Bestätigung gefunden haben, so lässt sich jetzt mit Sicher- 
heit sagen, dass auch hier sensible Fasern mit Nervenzellen, den so- 
genannten Riechzellen in Verbindung stehen. 

Außer diesen Elementen enthalten die Bulbi olfactorii nach Golgi 
und Ramön noch zentripetale Leitungsfasern Il. Ordnung, die 
auch von Zellen entspringen und in den Tractus olfactorius übergehen 
und außerdem Traktusfasern, die im Bulbus enden und höchst 
wahrscheinlich im Gehirn von Zellen entspringen, deren Bedeutung 
noch unbekannt ist. 

4) Auch die Netzhaut zeigt wie das Geruchsorgan mehrere 
Arten sensibler Fasern, die mit Zellen zusammenhängen. 
Ramön y Cajal hat nämlich für die Vögel nachgewiesen, dass 
während die im Ganglion nervi optiei entspringenden Optikusfasern 
mit reichen Verästelungen im Lobus optieus frei ausgehen (Riv. trim. 
Aug. 1888, p. 17, Tab. V, Fig. 1. 2), andere Fasern des Optikus in 
der Netzhaut selbst ihr Ende erreichen. Woher diese Fasern 
im Gehirn stammen, ist freilich bis anhin nieht mit Sicherheit be- 
kannt, immerhin ist es als höchst wahrscheinlich zu bezeichnen, dass 
dieselben von den Zellen kommen, welehe nach Ramön im Lobus 
optieus des Sperlings (Riv. trim. März 1889, p. 72, Tab. IX, j, m, n) 
ihre nervösen Ausläufer in den Optikus senden. Diese Darstellung, 
der zufolge im Optikus zweierlei Fasern vorkommen, die einerseits 
von Zellen der Netzhaut, anderseits von Gehirnzellen entspringen, 
findet in den neuesten Untersuchungen von His und Martin (Zeit- 
schrift f. vergl. Augenheilkunde, Bd. VII) ihre volle Bestätigung und 
lehrt zugleich, dass sowohl die Annahmen von W. Müller über die 
zentripetale, als die früheren Behauptungen von His und mir 
über die zentrifugale erste Entwiekelung der Optikusfasern ihre 
Berechtigung haben. 

Fassen wir alles zusammen, so finden wir somit bei den beiden 
am genauesten untersuchten höheren Sinnesorganen folgende 
drei Arten sensibler Zellen und Fasern. 

a) Sensible, den Reiz aufnehmende Zellen und sen- 
sible, von denselben entspringende Leitungsfasern 
I. Ordnung; 





v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 41 


b) sensible Zellen II. Ordnung, die von den Enden der 
Fasern I. Ordnung erregt werden und ihrerseits wiederum 
durch sensible, von denselben entspringende Leitungsfasern 
1I. Ordnung auf Zellen einwirken, die als Sitz der bewussten 
Empfindung anzusehen sind; 

ce) sensible Fasern I. Ordnung, die von Gehirnzellen entspringen 
und peripherisch frei auslaufen, Elemente, deren Bedeutung 
noch vollkommen dunkel ist. 

5) Ursprünge sensibler Fasern von peripheren Zellen 
finden sich nun übrigens höchst wahrscheinlich noch bei einem andern 
Sinnesorgane, dem Geschmacksorgane, bei welchem in neuester 
Zeit Fusari und Panaseci sich sehr entschieden für einen Zusammen- 
hang der Geschmackszellen in den Geschmacksbechern mit Nerven- 
enden ausgesprochen haben (Sulle termin. nerv. nella mucosa e nelle 
ghiandole sierose della lingua dei mammiferi, Torino 1890). 

Ueberblicken wir die Gesamtheit der bei den Wirbeltieren er- 
mittelten Thatsachen, so finden wir keinen einzigen, einer genaueren 
Beobachtung zugängigen Fall, in dem nicht ein Ursprung oder 
eine Verbindung sensibler Nervenfaser mit Zellen nach- 
gewiesen wäre und kann ich nicht umhin, den von Golgi noch 
in seiner letzten Veröffentlichung (Anat. Anz. 1891, S. 389) festge- 
haltenen Satz, dass es auch einen indirekten Ursprung von Nerven- 
fasern aus dem allgemeinen Nervennetze gebe, als nicht den That- 
sachen entsprechend zu bezeichnen. Die Verzweigungen der sensiblen 
Fasern, die Golgi als Ursprünge auffasst, stellen gerade umgekehrt 
Endigungen derselben dar und sind, wie das eben Dargelegte hin- 
reichend lehrt, die Zellen, mit denen dieselben zusammenhängen, an 
vielen Orten mit Bestimmtheit aufgedeckt. 

Verhalten sich bei den Wirbeltieren die Sachen in dieser 
Weise, so wird es höchst wahrscheinlich, dass auch die Wirbel- 
losen demselben Gesetze folgen. In der That haben auch 
eine große Zahl von Beobachtern, wie Hannover, Owsjannikow, 
Buchholz, Stieda, Lang, Spengel, Claus, Freud, Rohr 
u. v. a. sich dahin ausgesprochen, dass auch bei diesen Geschöpfen 
keine Nervenfasern vorkommen, die nicht mit Zellen verbunden seien, 
eine Auffassung, die nun auch in der neuesten großartigen Arbeit 
von Gustav Retzius die kräftigste Stütze findet. Verglichen mit 
den positiven Beobachtungen dieses Forschers müssen, wie mir scheint, 
alle Angaben anderer Beobachter in den Hintergrund treten und als 
nicht hinreichend begründet erscheinen. Stellt man die Abbildungen 
von Retzius, der keine mit Zellen nieht zusammenhängenden Fasern 
gefunden hat, denen anderer neuerer Forscher, die solche zeichnen, 
an die Seite, so ergibt sich, dass alles auf die mit mehr oder weniger 
Erfolg gelungene Darstellung der Zellen und ihrer Ausläufer ankommt. 
Retzius ist es geglückt, wenn auch nicht alle, doch die Mehrzahl 


42 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


der Zellen und ihrer Ausläufer durch Methylenblau zu färben; 
gelingt dies nicht, färben sich namentlich die kleineren Zellen gar 
nicht oder nur unvollkommen, so entsteht eben der Anschein eines 
freien Auslaufens von Nervenfasern in dem Filz der Zentralmasse der 
Ganglien in der sogenannten Punktsubstanz, der so viele gute Be- 
obachter getäuscht hat. Wir dürfen daher wohl für einmal sagen, 
dass auch die Wirbellosen keine Ausnahme bilden und die erste Frage 
dahin beantworten, dass nirgends ein Ursprung von Nerven- 
fasern ohne direkte Beteiligung von Zellen beobachtet ist. 


11. 

Eine weitere wichtige Frage ist die: Wie viele nervöse Fort- 
sätze besitzen die Nervenzellen und sind die sogenannten 
Protoplasmafortsätze auch an den nervösen Funktionen 
unmittelbar beteiligte, leitende Elemente. 

Wie oben schon geschildert wurde, lehrten die ersten Beobach- 
tungen an Ganglienzellen nur einen Nervenfaserfortsatz kennen, 
während später auch bipolare Zellen mit zwei solchen Fortsätzen 
bekannt wurden. Nachdem dann durch Deiters die in der Einzahl 
vorhandenen Axenzylinderfortsätze der multipolaren Zellen der großen 
Zentralorgane aufgefunden worden waren, traten die bipolaren Zellen 
in den Hintergrund und gewann es den Anschein, als ob, wenn auch 
nicht überall, doch weitaus vorwiegend die Nervenzellen nur einen 
nervösen Fortsatz besäßen. Vor allem bestimmend erwiesen sich in 
dieser Frage einmal die ausgedehnten Untersuchungen von Golgi, 
durch welche nicht nur im Marke, sondern im ganzen zentralen 
Nervensysteme überall das Einzelvorkommen der nervösen Fortsätze 
nachgewiesen wurde, zweitens die Beobachtungen an Wirbellosen, bei 
denen unipolare Zellen als die verbreitetsten Elemente sich ergaben, 
endlich drittens die Erfahrungen von His, die lehrten, dass embryo- 
nale Nervenzellen der verschiedensten Oertlichkeiten in erster Linie 
immer und ohne Ausnahme einen einzigen Fortsatz treiben, 
weleher der spätere Axenzylinderfortsatz ist. 

Erwog man weiter, dass bei den bipolaren, mit zwei markhaltigen 
Fasern verbundenen Zellen doch kaum von einem Ursprunge von zwei 
Nervenfasern von einer Zelle gesprochen werden kann, da ja die 
beiden Fasern zentripetal leiten und funktionell nur eine Faser dar- 
stellen, die durch eine Nervenzelle unterbrochen wird, so schien bis 
vor kurzem der Satz gerechtfertigt, dass alleNervenzellen funk- 
tionell nur einen einzigen nervösen Fortsatz besitzen, 
wenn auch im oben erwähnten Falle mit Bezug auf die Entwicklung 
von zwei solehen gesprochen werden darf. 

Nun tauchen aber in neuester Zeit sehr merkwürdige Beobach- 
tungen von Ramön y Cajal auf (Gaz. med. Catalana, 15. Dez. 18%, 
p. 23). Derselbe fand in der äußersten Rindenlage des Kaninchen- 





v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 43 


großhirns größere bipolare und dreieckige Nervenzellen mit horizontal 
gerichteten Protoplasmafortsätzen, von denen wenigstens zwei ner- 
vöse Fortsätze ausgingen, die sich verästelnd auf weite Strecken 
in sagittaler Richtung mitten unter den oberflächlichen Fasern ver- 
liefen und wahrscheinlich frei endeten. Besonders auffallend sind 
unter diesen Zellen die bipolaren, deren beide protoplasmatische 
Ausläufer, nach längerem Verlaufe und nach Abgabe von Aesten, an 
ihren Enden je in einen protoplasmatischen und in einen 
nervösen Fortsatz sich teilen. Bei den dreieckigen Zellen ferner 
wurden protoplasmatische Ausläufer beobachtet, die an zwei ver- 
schiedenen Stellen nervöse Fortsätze abgaben. 

Weitere Schlüsse aus diesen vorläufig einzig dastehenden Be- 
obachtungen zu ziehen, wäre offenbar verfrüht, immerhin wird es er- 
laubt sein zu sagen, dass in dieser Frage das letzte Wort noch nicht 
gesprochen ist, umsomehr als auch die Bedeutung der protoplas- 
matischen Fortsätze der multipolaren Nervenzellen nichts weniger 
als feststeht. 

Halten wir uns für einmal an die großen Zentralorgane, so ist 
bekannt, dass diese Fortsätze, die ich mit His als Dendriten be- 
zeiche, früher allgemein als nervös angesehen wurden, bis Golgi auf 
eine Reihe neuer Erfahrungen gestützt, dieselben als einen ernähren- 
den, Säfte zuleitenden Apparat bezeichnete und ihnen jede 
andere Funktion absprach. Diese Ansicht hat bis jetzt im ganzen 
wenig Beachtung gefunden und ist eigentlich nur vonRamönyCajal 
und mir einer näheren Würdigung unterzogen. Ich selbst stellte in 
meiner Arbeit über das Rückenmark das Pro und Contra zusammen 
und enthielt mich für einmal einer bestimmten Entscheidung, während 
Ramön in mehreren Besprechungen!) sich ganz entschieden für die 
nervöse Bedeutung der Dendriten aussprach. Ohne ausführ- 
licheres Eingehen auf diese Streitfrage haben sich dann Gad, Marti- 
notti, Nansen und Sala auf Golgi’s Seite gestellt, während His 
einigen kurzen Aeußerungen zufolge der alten Ansicht zugethan ist. 

Wenn ich jetzt wiederum auf die Bedeutung der Dendriten ein- 
gehe, so liegt der Grund darin, dass neue Beobachtungen eigener Art 
eine Entscheidung im Sinne der alten Annahmen herbeizuführen 
scheinen. Es sind dies die Untersuchungen Ramön y Cajal’s über 
den Bulbus olfactorius der Säuger und seines Bruders Pedro über 
denjenigen der Vögel und Reptilien (Gaceta Sanitaria di Bar- 
celona 1890, Nr. 1, pag. 13), durch welche die eigentümlichen Be- 
ziehungen der Zellen der unteren Molekularlage und der Ganglien- 
zellenschicht von Schwalbe zu den Glomeruli olfactorii dargelegt 
wurden. Diese Zellen alle, die Ramön „Federbuschzellen“ (Cellulas 
empenachadas inferiores, medias et superiores s. mitrales) nennt, ver- 


1) La medieina präctica, Madrid 1889, Nr. 88 und Anat. Anzeiger, 1890, 
Nr. 20, 8. 586. 





44 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


zweigen sich auf und in den Glomeruli mit reich verästelten Dendriten- 
büscheln, während von denselben Zellen hirnwärts echte nervöse 
Fortsätze in den Tractus olfactorius übergehen. Da nun zugleich in 
den Glomeruli auch die von der Mucosa herkommende Fila olfactoria 
mit zahlreichen Verästelungen enden, so scheint hier eine Ueber- 
tragung von Nervenfasern auf Dendriten stattzufinden. 
Es ist jedoch zu beachten, dass nach den älteren Untersuchungen von 
Golgi noch andere Möglichkeiten vorliegen. Dieser Gelehrte, der 
schon im Jahre 1875 in einer schönen Arbeit (Sulla fina struttura 
dei Bulbi olfattorii, Reggio Emilia 1875) die Endigungen der Fila 
olfactoria und die Verzweigungen der Dendriten von Ram ön’s Busch- 
zellen in den Glomeruli beschrieben und abgebildet hat, lässt auch 
nervöse Fortsätze der kleinsten Buschzellen und Aus- 
läufer von Fasern des Tractus olfactorius in die Glomeruli 
eingehen! und würden, wenn dem so wäre, Uebertragungen von den 
Fila olfactoria zum Cerebrum durch diese Elemente vermittelt werden 
können. Nichtsdestoweniger verdienen die so bestimmten Behaup- 
tungen Ramön’s (pag. 3), dass er in Hunderten von guten und be- 
weisenden Präparaten nie andere Elemente in die Glomeruli habe 
eindringen sehen. als die Enden der Fila olfactoria und die genannten 
Dendriten, für einmal alles Zutranen, umsomehr als die ganz eigen- 
tümlichen Beziehungen der Dendriten zu den Glomeruli die Annahme 
nahezu unabweisbar machen, dass hier Beziehungen beider Teile zu 
einander sich vorfinden. 

Für eine Beteiligung der Dendriten an den nervösen Funktionen 
sprechen ferner folgende Thatsachen: 

Einmal das Vorkommen von Ursprüngen nervöser 
Fortsätze aus Dendriten. 

Dass Axenzylinderfortsätze in manchen Fällen nieht von den 
Zellenkörpern selbst, sondern in einer gewissen Entfernung von den- 
selben aus Dendritenstämmen hervorgehen, haben bereits Golgi und 
andere Neuere beobachtet, dagegen ist erst in neuester Zeit durch 
Ramön bekannt geworden, dass solche auch in großer Ent- 
fernung vom Zellenkörper aus Dendritenästen sich ab- 
„weigen (man vergl. die Arbeit über den Lobus opticus der Vögel, 
Taf. IX, die Zellen j und 0), ja selbst, wie schon oben erwähnt wurde, 
aus Enden soleher Fortsätze durch Teilung derselben in 
einen nervösen und in einen Protoplasmafortsatz hervor- 
sehen können. In solehen Fällen kann man doch unmöglich etwas 
anderes annehmen, als dass die nervöse Leitung auch durch die 
Dendritenstämme geht. Außerdem bemerke ich noch, dass auch 
Nansen bei Myxine Aeste von Dendriten beobachtet hat, die durch 
ihren eigentümlichen Verlauf ganz an nervöse Fortsätze erinnerten, 
so dass er die Frage aufwirft, ob es gemischte, nervös-proto- 
plasmatische Ausläufer von Zellen gebe (Bergen’s Museum Aars- 
beretning for 1886, p. 156). 





v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 45 


Weiter erwähne ich das Vorkommen von Nervenzellen, die 
nur Dendriten und gar keine nervösen Fortsäte besitzen, 
wie Ramön dies von den Zellen der Körnerschicht des Bulbus olfae- 
torius behauptet. Auch Golgi, der die fraglichen Zellen mit den 
kleinen Pyramidenzellen des Cerebrum vergleicht, war nicht im Stande, 
an denselben mit Sicherheit einen nervösen Fortsatz zu finden. 

Möglicherweise kommen noch an anderen Orten bei Wirbeltieren 
solehe Elemente vor und erwähne ich hier nur folgendes: 

1) Dogiel beschreibt in der Netzhaut auf Grund der Färbung 
in Methylenblau eine Kategorie von Nervenzellen, die keine nervösen 
Fortsätze besitzen (Anat. Anz., 1888, S. 143), Elemente, die jedoch 
von Ramön zur Neuroglia gestellt werden. 

2) verdienen Beachtung die peripherischen, multipolaren, 
in der Zungenmucosa von Fusari und Panasci beschriebenen 
Zellen (l. s. e., Fig. 2, 3, 4), die zahlreiche verästelte Ausläufer in 
das Epithel und einen Fortsatz nach dem Zentrum entsenden, von 
denen die ersteren kaum anders, denn als kurze, sensible Nerven- 
fasern angesehen werden können. 

Endlich kann 3) als besonders wichtig hervorgehoben werden, 
dass bei Wirbeltieren und bei Wirbellosen multipolare 
Nervenzellen sich finden, die keine Unterschiede ihrer 
verschiedenen Ausläufer zeigen. 

Bei Wirbeltieren gehören hierher viele Zellen des Sympatbicus 
des Menschen und der Säuger, an denen bis anhin noch von 
niemand Axenzylinderfortsätze mit Sicherheit beobachtet wurden, wäh- 
rend viele Forscher und vor allen AxelKey und Retzius denselben 
nur gleichartige blasse Ausläufer zuschreiben. Auch ich habe an 
diesen Zellen bei Versilberung derselben nur Einerlei verästelte Aus- 
läufer gefunden, die ich alle für marklose Nervenfasern halte. 

Im Nervensysteme der Wirbellosen sind multipolare Zellen 
selten. Wo dieselben aber vorkommen, zeigen sie Verhältnisse, die 
gegen das Vorkommen von zweierlei Fortsätzen sprechen. Zwar be- 
sitzen die betreffenden Zellen neben feineren verzweigten Ausläufern 
einen stärkeren Fortsatz. Allein dieser stärkere Fortsatz gibt eben- 
falls, wie Retzius nachweist, feinere Verzweigungen ab und ist kein 
Grund vorhanden, die einen dieser Aestehen für nervös zu halten und 
die anderen nicht (s. Retzius, Taf. XIII und X). 

So scheint, wie die Sachen jetzt liegen, die Wagschale zu Gunsten 
der nervösen Natur der Dendriten sich zu neigen. Jedoch bin ich 
nicht gemeint, für einmal eine ganz bestimmte Ansicht aussprechen 
zu wollen und möchte nun auch noch die Gründe hervorheben, die 
für die Ansicht von Golgi sprechen, dass die Dendriten nur 
Ernährungsapparate der Nervenzellen seien. 

Ueberlegen wir diese Hypothese genauer, so ergibt sich in erster 
Linie unzweifelhaft, dass alle Ausläufer von Nervenzellen bei den 


46 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


Ernährungsvorgängen und dem Stoffwechsel dieser Zellen in ähnlicher 
Weise eine Rolle spielen müssen, wie die Ausläufer anderer verzweigter 
Zellen (Knochenzellen, Bindegewebskörperchen, Pigmentzellen u. a. m.). 
Eine solche Funktion würde aber die Bedeutung der betreffenden 
Fortsätze als leitender nervöser Elemente nieht unmöglich machen 
oder ausschließen und wäre hier vor allem an die motorischen Zellen 
zu erinnern, die einerseits mit der von ihnen entspringenden motori- 
schen Nervenfaser in chemischer Wechselwirkung stehen, anderseits 
durch dieselbe auf die Muskeln wirken. 

Schwieriger wird die Frage, wenn es sich darum handelt, zu be- 
stimmen, ob gewisse Dendriten eine solche doppelte Funktion haben, 
andere nicht, und da scheinen denn doch einige Thatsachen mehr 
oder weniger entschieden gegen die nervöse Natur gewisser derselben 
zu sprechen, wie vor allem der Umstand, den Golgi entdeckt und 
Nansen und ich bestätigt haben, dass im Rückenmark viele Aus- 
läufer von Dendriten weit in die weiße Substanz der Stränge sich 
erstrecken; ja wie bei Myxine bis an die Oberfläche des Markes 
reichen und mit knopfförmigen Enden ausgehen. 

Ein fernerer, Bedenken erregender Umstand ist der, dass in vielen 
Fällen eine physiologische Verwertung der Dendriten, unter der Vor- 
aussetzung, dieselben seien leitende, einerseits erregende, anderseits 
Erregungen aufnehmende Apparate, kaum oder nur sehr schwer denk- 
bar ist, während allerdings in anderen Fällen solche Beziehungen nahe 
liegen, wie bereits Ramön und ich selbst andeuteten. So kann man 
bei den Purkinje’schen Zellen annehmen, dass ihre Dendriten von 
den nervösen Fortsätzen der Körnerzellen beeinflusst werden, die in 
so übergroßer Menge die ganze Molekularschicht der Rinde des Klein- 
hirns durchziehen, und dasselbe gilt von den Zellen des Bulbus olfac- 


torius, die ihre Dendriten in die Glomeruli senden, mit Rücksicht auf 


die Enden der Fila olfactoria. Auch bei der Netzhaut lässt sich 
an solche Verhältnisse denken, denn wie sollten die Zellen des Ganglion 
nervi optiei und die großen Spongioblasten, die beide ihre nervösen 
Fortsätze in den Optieus senden, ihre Erregungen empfangen, wenn 
nicht durch ihre Dendriten, auf welche die Enden der nervösen Fort- 
sätze der bipolaren Zellen und die Elemente des Geflechtes in der 
inneren Körnerlage Einwirkungen auszuüben im Stande seien. 

Alles zusammengenommen scheint mir alles darauf anzukommen, 
welche Einrichtungen in bestimmten Gegenden vorliegen, 
um Uebertragungen zwischen Zellen und Nervenfasern 
zu vermitteln. In allen den Fällen, in denen die Zellenkörper 
selbst von den Enden von Nervenfasern dieht umsponnen sind, er- 
scheint es nicht nötig, den Dendriten besondere nervöse Funktionen 
zuzuschreiben, wie z. B. bei den Zellen der motorischen Kerne 
im Rückenmark und der Medulla oblongata (hier betone ich 
vor allem das bekannte dichte Fasergeflecht im Kerne des Hypo- 





v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 47 


slossus, das ich ganz in derselben Weise in den Kernen des IIL., IV., 
VI, VII. Nerven und im motorischen Kerne des Quintus finde), in 
den Endkernen der sensiblen Cerebrospinalnerven (dichte 
Geflechte in den sensiblen Endkernen des V., VIIL, IX., X. Nerven), 
in der Substantia gelatinosa medullae spinalis, in den 
Clarke’schen Säulen, im Nucleus Fasc. euneati et graeilis, 
ferner in der unteren und oberen Olive u. s. w. Wo dagegen 
keine solehen Beziehungen sich finden und die Zellenkörper mehr frei 
liegen, ließe sich vielleiebt daran denken, dass die Dendriten als zu- 
leitende und ableitende Apparate wirken, wie z.B. bei den Pyramiden- 
zellen der Hirnrinde, in der Netzhaut, im Geruchsorgan, im Cerebellum. 
Alles zusammengehalten, so scheint es, dass die Dendriten in der 
höheren Sphäre des Nervensystems, im Cerebellum und Cerebrum, 
sowie in gewissen höheren Sinnesorganen eine wichtigere Rolle spielen, 
als im Marke und in der Medulla oblongata, für welche Auffassung 
auch noch das sich anführen lässt, dass nach His bei Embryonen 
schon eine gewisse Zahl von nervösen Funktionen niederen Grades 
vorhanden ist, noch bevor die Dendriten auftreten, was bei mensch- 
lichen Embryonen erst am- Ende des zweiten Monates geschieht, 


II. 


Eine dritte Hauptfrage ist die, ob die Fortsätze der Nerven- 
zellen und die Enden der Nervenfasern irgendwo wirk- 
liche Netze bilden, und wie die Einwirkung der nervösen 
Elemente aufeinander zu stande kommt. 

Diese Frage ist unstreitig eine der schwierigsten, indem in allen 
den Fällen, in denen nur freie Enden zur Beobachtung kommen, der 
Einwand möglich ist, dass die eigentlichen Anastomosen durch die 
angewandten Methoden nicht dargestellt wurden. Immerhin ist soviel 
sicher, dass in neuerer Zeit, seitdem solche Untersuchungen mit größerer 
Vorsicht als früher angestellt wurden, niemand bei höheren Geschöpfen 
mit Sicherheit Netzbildungen der betreffenden Teile wahrgenommen 
hat und ist namentlich auch Golgi, wie er mir brieflich und münd- 
lich mitgeteilt hat, ganz missverstanden worden, wenn man annahm, 
dass er das Vorkommen wirklicher Nervennetze behaupte. Auch bei 
Wirbellosen leugnen Nansen und Retzius Netzbildungen und steht 
somit jedenfalls diese Angelegenheit so, dass freie Enden von 
Nervenfasern und Nervenzellenausläufern vielfältig be- 
obachtet, Netze dagegen noch nie mit Bestimmtheit wahr- 
genommen und von irgend wem demonstriert wurden, was 
ich auch von den so bestimmten Behauptungen Dogiel’s über die 
Netzhaut sagen zu dürfen glaube, die allerdings mehr Dendriten als 
Nervenfasern betreffen; denn auch bei dieser sind nirgends Netze 
nachgewiesen, wie in neuerer Zeit namentlich Golgi, Ramön und 
ich selbst vor allem für die Purkinje’schen Zellen darthaten. 


48 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


Hierzu kommt nun, dass in hundert und hundert Präparaten, die ganz 
vorzügliche Färbungen der feinsten nervösen Elemente und keine 
Spur von Niederschlägen ergaben, von Ramön y Cajal und mir im 
Mark und Gehirn freie Enden von Nervenfasern und deren Collateralen 
immer in der nämlichen Form beobachtet worden sind, so dass es 
nicht wohl angeht, auch in diesen Fällen von negativen Ergebnissen 
zu reden. 

Die weitere Frage ist nun die, wie gestalten sich unter diesen 
Verhältnissen die Uebertragungen der aufeinander wirken- 
den Teile. Hier ergeben sich zwei Möglichkeiten. Entweder 
wirken Fasern auf Zellen und Zellen auf Fasern, oder es 
übertragen sich zweitens die Erregungen mit Ausschluss 
der Zellen direkt von Fasern auf Fasern. Diese letztere An- 
nahme wird bekanntlich von Nansen verteidigt, der die Fibrillen- 
geflechte ausschließlich als übertragende Zentren selbst für die psy- 
chischen Vorgänge auffasst, die Zellen dagegen nur als Ernährungs- 
zentren ansieht und ihnen jede Bedeutung für die nervösen Vor- 
gänge abspricht. Ein Reflexbogen besteht nach Nansen aus 
einer zentripetal leitenden sensitiven Faser, aus dem 
zentralen Fibrillengeflecht als übertragendem Zentrum 
und aus einer zentrifugal leitenden Nervenfaser (Jen. Zeit- 
schrift, Bd. 21, S. 319, Taf. XIX, Fig. 19 [im Texte fälschlich als 18 
bezeichnet] und Bergen’s Museum Aarsberetning for 1886, p. 164 fg., 
Fig. 113). Zu dieser eigentümlichen Ansicht und seinem auffallenden 
Schema, in dem namentlich die Fasern 1 u. 2 ganz willkürlich ein- 
gezeichnet sind, scheint Nansen durch gewisse Verhältnisse der 
Wirbellosen, die noch berührt werden sollen, veranlasst wordeu zu 
sein. Fasst man dagegen alles, was in unseren Tagen über die 
feinere Anatomie des Nervensystems bekannt geworden ist, ins Auge, 
so ergibt sich unzweifelhaft, dass die Zellen bei den Funktionen 
des Nervensystems die Hauptrolle spielen. Vor allem ist hier 
an die Nervenfasern der willkürlichen Muskeln zu denken, die als 
unmittelbare Fortsetzungen der nervösen Fortsätze gewisser 
zentralen Zellen erscheinen und mit dem zentralen Fasergeflechte der 
grauen Substanz keinerlei beständige und ausgedehntere Verbindungen 
eingehen. Denn wenn auch Golgi und Ramön an diesen nervösen 
Fortsätzen in gewissen Fällen Seitenästehen gesehen »haben, so sind 
dieselben doch zu unbeständig und zu spärlich, um beim Zu- 
standekommen der willkürlichen Bewegungen eine Rolle zu spielen. 
Dasselbe gilt von den motorischen Fasern der unwillkürlichen Muskeln, 
bei denen (Herz, Darm) andere Einwirkungen als die von Zellen ganz 
undenkbar sind. 

‚„ Des weiteren sind von sensiblen Leitungen alle diejenigen 
voll gegen Nansen beweisend, die mit zelligen Elementen be- 
ginnen, wie im Geruchs- und Sehorgan. Die Olfactoriusfibrillen, die 


v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 49 


Optikusfasern erhalten ihre Erregungen von den Riechzellen in der 
Mucosa narium, von den Nervenzellen in dem Ganglion nervi optici, 
und von Geflechten oder Fasern, die hier direkt, mit Umgehung der 
Zellen, die äußeren Eindrücke aufnehmen konnten, findet sich keine 
Spur. Für entschieden gegen Nansen sprechend halte ich ebenso 
alle die Fälle, in denen Enden von Nervenfasern Nervenzellen 
umspinnen, wie dies bei den Zellen mit Spiralfasern seit Arnold’s 
ersten Mitteilungen durch viele Beobachter, vor allem durch Arn- 
stein, Smirnow und Retzius bestätigt wurde. Aehnliche Ver- 
hältnisse hat vor kurzem Ramön auch bei den Zellen der Spinal- 
ganglien beobachtet (Pequenas comunicaciones anatomicas, 20. Dec. 
1890 I), nachdem bereits Ehrlich solche Verhältnisse angedeutet 
hatte. Hier findet wohl unzweifelhaft eine Einwirkung der einen 
Faser auf die Ursprungszelle der II. Faser und nicht auf diese selbst 
statt, wie dies auch von allen oben sehon berührten Fällen von End- 
büscheln gilt, die motorische und sensible Zellen umspinnen (sensible 
Endkerne, motorische Ursprungskerne, Oliven). 

Alles zusammengehalten, stehe ich nicht an, zu behaupten, dass 
bei den höheren Geschöpfen von der großen Mehrzahl der Nerven- 
zellen der Satz aufgestellt werden darf, dass dieselben bei den nervösen 
Funktionen die Hauptrolle spielen und kommen hier auch eigentlich 
nur die Zellen der Spinalganglien in Frage, bei denen es zweifelhaft 
erscheinen kann, ob dieselben außer der nutritiven auch noch eine 
andere Rolle spielen. Wenn jedoch die eben erwähnten Beobach- 
tungen von Ehrlich und Ramön sich als allgemein giltig ergeben 
sollten, so würde auch bei diesen Zellen eine nervöse Funktion nicht 
fehlen. Von demselben Standpunkte wie die Wirbeltiere beurteile ich 
auch die eigentümlichen Verhältnisse der Wirbellosen, die wir 
am genauesten durch Retzius kennen gelernt haben. Wie oben 
schon auseinandergesetzt wurde, finden sich bei diesen Geschöpfen 
vorwiegend unipolare Zellen, die in die sensiblen und motorischen 
Fasern auslaufen und außerdem eine große Menge von Seitenästen 
abgeben, welche in der Zentralmasse der Ganglien aufs feinste sich 
verästeln, ohne Netze zu bilden. Da nun alle Nervenzellen nicht in 
dem feineren Nervenfilz (Neuropilema, His) ihre Lage haben und 
keine Zelle von Nervenfasern umsponnen wird, so hat es allerdings 
den Anschein, als ob hier die Uebertragungen von sensiblen auf 
motorische Fasern ohne Vermittlung von Zellen, nur durch den Nerven- 
filz vor sich gehen, wie Nansen erwies. Derselbe hat jedoch nicht 
beachtet, dass jeder Reiz, der eine motorische Faser trifft, nicht, wie 
er behauptet, sofort zentrifugal verläuft, sondern nach beiden Rich- 
tungen sich verbreitet. Somit müssen bei allen Erregungen der mo- 
torischen Faserenden im Nervenfilz auch die motorischen Zellen ge- 
troffen werden und steht nichts im Wege, eine Beteiligung derselben 


auch beim Zustandekommen der Reflexe anzunehmen, wie eine 
Xu. 4 


50 v. Kölliker, Nervenzellen und Nervenfasern. 


solche jaohne weiteres bei den willkürlichen Bewegungen 
angenommen werden muss. 

Alles zusammengenommen leugnen wir somit keineswegs die 
Möglichkeit von Uebertragungen von Nervenfasern auf 
Nervenfasern, sondern nur das Vorkommen von solchen 
Uebertragungen ohne Beteiligung von Zellen. Wenn die 
oben gegebenen Schilderungen richtig sind, so müssen solche Ueber- 
tragungen auch in den Glomeruli olfactorii, in der Rinde des Cere- 
bellums und wohl noch an anderen Orten sich geltend machen, in 
welchen Fällen aber immer Zellen mitbeteiligt sind. 

Stelle ich nun zum Schlusse die Ergebnisse der ganzen Betrach- 
tungen zusammen, so finden wir folgendes: 


1. Alle Nervenfasern entspringen von Zellen und sind 
die Bildungen, die bisher für Ursprünge in einem Faser- 
netze gehalten wurden, nichts als Endverästelungen sen- 
sibler Elemente. 


Die Ursprünge selbst finden statt: 
a) von zentralen Zellen 

1) bei den motorischen Cerebrospinalfasern, 

2) bei den motorischen Elementen des Sympathieus, 

3) bei allen zentrifugal wirkenden Fasern der Zentralorgane 
(Pyramidenbahnen, Purkinje’schen Zellen, psychomotorische 
Bahnen), 

4) bei den meisten sensiblen peripherischen Leitungen, 

5) bei allen zentripetal wirkenden Fasern höherer Ordnungen 
(Kleinhirnseitenstrangbahn, Vorderstranggrundbündel, Seiten- 
strangreste, Schleifenbahnen u. s. w., psychosensorische Bah- 
nen u. 8. w.). 

b) von peripheren Zellen. Bei den Fasern der Fila olfactoria. 
2. Die Nervenzellen besitzen zum Teil nur einerlei, 
zum Teil zweierlei Fortsätze, nervöse und protoplasma- 
tische oder Dendriten. 
3. Die nervösen Fortsätze finden sich der Zahl nach: 


a) in der Einzahl — alle Zellen des Rückenmarks und die 
meisten des Gehirns, die der Spinalganglien der höheren 
Geschöpfe, viele des Sympathicus, 

b) zu zweien — Spinalganglien der Fische, Acustieusganglien, 
Olfactorius der Haie (Leydig), Zellen der Hirnrinde des 
Kaninchens (Ramön y Cajal), 

ec) zu vielen — Sympathische Ganglien, Ganglien der Wirbel- 
losen zum Teil. 

4. Bezüglich ihres Verlaufes unterscheiden sich die 
nervösen Fortsätze in solche, die nach kürzerem oder 
längerem Verlaufe in zentrifugal oder zentripetalleitende 


Famintzin, Zoochlorellen. 51 


Nervenfasern übergehen und in andere, die in zahlreiche 
feine Endäste sich auflösen. 

5. Möglicherweise kommen Nervenzellen vor, die gar 
keine sogenannten nervösen Fortsätze, nur Dendriten 
besitzen. 

6. Die Dendriten scheinen bei gewissen Nervenzellen 
(höhere Sinnesorgane, Gehirn zum Teil, Cerebellum) nervöse Funk- 
tionen zu haben, während in anderen Fällen (somatische 
Sphäre des Nervensystem) sie derselben vielleicht ermangeln. 
In allen Fällen aber stellen dieselben Bildungen dar, die 
eine nutritive Verrichtung besitzen. 

7. Alle Ausläufer von Nervenzellen, protoplasmatische 
ebensogut wie nervöse, enden frei, ohne Anastomosen- 
bildung und finden daher alle Uebertragungen vonFasern 
auf Zellen und umgekehrt und von Fasern auf Fasern nur 
durch Kontakt statt. 

8. Die Nervenzellen sind ebensogut wie die Nerven- 
fasern wirksame Elemente des Nervensystems und ist 
sogar aller Grund vorhanden, die höheren nervösen Funk- 
tionen, die Empfindung, die motorischen Impulse und 
die psychischen Funktionen einzig und allein in sie zu 
verlegen. 

Von diesen Sätzen betrachte ich durchaus nicht alle als gesichert 
und werden vor allem die Ursprungs- und Endigungsweisen der 
Nervenfasern, die Frage nach den Nervennetzen und der Bedeutung 
der Protoplasmafortsätze weiter zu prüfen sein. Wenn man übrigens 
erwägt, welche Errungenschaften die letzten Dezennien in diesem 
schwierigen Gebiete aufzuweisen haben und welche große Zahl um- 
sichtiger, eifriger und glücklicher Forscher auf demselben thätig sind, 
unter denen die Namen von Ehrlich, Flechsig, Golgi, His, 
Lenhossek, Nansen, Retzius, Ramön y Cajal und Weigert 
vor allem hervorleuchten, so ist die Hoffnung wohl berechtigt, dass 
unsere Kenntnisse der feineren Anatomie des Nervensystems je länger, 
umsomehr sich klären und der Physiologie und Pathologie eine immer 
sicherere Basis gewähren werden. 


Nochmals die Zoochlorellen. 


Erwiderung von A. Famintzin. 


In den Nr. 15 u. 16 des XI. Bandes des Biologischen Central- 
blattes hat Dr. W. Schewiakoff einen kurzen Aufsatz unter dem 
Titel: „Bemerkungen zu der Arbeit von Professor Famintzin über 
Zoochlorellen“ publiziert, indem er mich beschuldigt, in meiner „als 
vollständig“ angegebenen historischen Uebersicht der die Zoo- 
chlorellen betreffenden Arbeiten, Schewiakoff’s Beobachtungen voll- 


59 Famintzin, Zoochlorellen. 


kommen übersehen zu haben, obgleich seine an Frontonia leucas 
Ehrbg. im Jahre 1887 angestellte Untersuchungen in dem von mir 
mehrfach zitiertem Werke Bütschli’s erwähnt, als auch in 
seiner im Jahre 1889 in der Bibliotheca zoologiea H. S. erschienene 
Arbeit genauer angeführt werden. 

Vor Allem erlaube ich mir die Bemerkung, dass ich nicht der 
Prioritätsfrage wegen mich genötigt fühle, Herrn Schewiakoff zu 
erwidern; ich will sogar die Prioritätsfrage gar nicht berühren, weil 
es einem jeden frei steht, durch den Vergleich unserer diesen Gegen- 
stand betreffenden Angaben ein Urteil darüber zu fällen. 

In den folgenden Zeilen werde ich nur die Gründe angeben, 
weshalb ich in meiner historischen Uebersicht der die Zoochlorellen 
betreffenden Arbeiten, die Beobachtungen von Schewiakoff nicht 
besprochen habe. 

Die im Jahre 1887 von Schewiakoff angestellten und von 
Bütschli erwähnten Untersuchungen habe ich nicht, wie Herr 
Schewiakoff meint, übersehen; diese Voraussetzung ist schon 
deshalb nicht stichhaltig, weil ich auf S. 7 meiner Abhandlung auf 
die von Bütschli (p. 1832—39) gegebene Znsammenstellung der die 
Zoochlorellen betreffenden Arbeiten, unter denen auch Schewiakoff’s 
Resultate erwäbnt werden, hinweise, 

Die Ursache, weshalb ich der Untersuchungen Schewiakoff’s 
speziell nicht erwähne, liegt darin, dass von der als unediert an- 
gegebenen Arbeit nur die Resultate von Bütschli kurz erwähnt 
sind. Die fast während drei Jahren negativ ausgefallenen Versuche 
Zoochlorellen außerhalb des Wirtes zu kultivieren und die Auffindung 
der mit Zoochlorellen identischen und mit letzteren leicht zu ver- 
wechselnden frei lebenden Algen, haben mich belehrt, dass nur mittels 
ununterbrochener Beobachtung bestimmter, vom Beginne des Versuchs 
gewählter Zoochlorella-Zellen es möglich sei, genauen Aufschluss 
über die Möglichkeit der Züchtung der Zoochlorellen außerhalb der 
Infusorien zu erzielen. Wegen dieser durch langwierige und mühe- 
volle Untersuchungen gewonnenen Ueberzeugung halte ich es auch 
jetzt noch wie früher für unmöglich, trotz der großen Autorität 
Bütschli’s und meiner Achtung vor dem hochverdienten Infusorien- 
forscher, der kurzen, in seinem Protozoenwerke gegebenen Notiz über 
Schewiakoff’s Untersuchungen vollen Glauben zu schenken und 
die Sache als erledigt zu betrachten. Ich beschloss daher, bis zum 
Erscheinen von Schewiakoff’s Arbeit mich jeder Besprechung 
dieser Resultate zu enthalten 

Die im Jahre 1889 erschienene Abhandlung Schewiakoff’s habe 
ich in der That übersehen, und erst vor einigen Tagen zur Ansicht 
bekommen. Ich erwartete in dieser Abhandlung eine ausführliche 
Belehrung über die mich interessierenden Fragen zu finden. Nicht 
wenig war ich deshalb überrascht nur sieben Zeilen hinsichtlich 








Famintzin, Zoochlorellen. 53 
des selbständigen Lebens der Zoochlorellen außerhalb der Infusorien 
und die Möglichkeit die Infusorien (Frontonia leucas) mit Zoochlorellen 
zu infizieren zu finden. Schewiakoff’s Angaben lauten wörtlich 
folgendermaßen (p. 40): „Die isolierten Zoochlorellen ließen sich im 
hängenden Tropfen kultivieren (gegen 20 Tage), und vermehrten sich 
dabei lebhaft durch Teilung, welcher die Zweiteilung des Kernes und 
des Chromatophors immer voranging. Auf diese Weise wurde die 
Selbständigkeit dieser Algen auch für Frontonia leucas nachgewiesen. 
Ja es gelang mir sogar einmal ein chlorophyllleeres Exemplar mit 
Zoochlorellen zu infizieren, indem ich zu mehreren isolierten Exem- 
plaren einige chlorophylihaltige zerdrüekte Tiere hinzusetzte, worauf 
eines der Tiere am folgenden Tage mehrere Zoochlorellen ent- 
hielt, die sich im Verlauf von ein paar Tagen so stark ver- 
mehrten, dass das Tier vollkommen grün erschien. 

Ich will nicht hier noch einmal wiederholen, weshalb ich das in 
diesen wenigen Zeilen über die Kultur der Zoochlorellen außerhalb 
der Infusorien Gesagte als ganz ungenügend und für mich als nicht 
beweisend ansehe. 

Obgleich ungern, fühle ich mich gezwungen auch der Angabe 
Schewiakoff’s: dass esihm gelungen sei, Ciliaten (F'rontonia leucas) 
mit Zoochlorellen zu infizieren, zu widersprechen. Schewiakoff’s 
Behauptung beruht, seinem eigenen Bekenntnis nach, darauf, dass es 
ihm nur einmal und nur an einem von mehreren dem Versuche 
unterworfenen chlorophylllosen (Frontonia leucas) gelungen sei ein 
Ergrünen mittels Zoochlorellen zu beobachten. Leider ist aber auch 
dieses Experiment nicht vorwurfsfrei. Schewiakoff versichert zwar, 
dass die wenigen vom chlorophylllosen Exemplare wäh- 
rend des ersten Tages verschluckten Zoochlorellen im 
Verlaufe von ein paar Tagen sich so stark vermehrten, 
dass das Tier vollkommen grün erschien. Den Beweis aber 
der Vermehrung der verschluckten Zoochlorellen innerhalb der Fron- 
tonia ist Schewiakoff schuldig geblieben. Die grüne Farbe konnte 
ebenso durch bloße Anhäufung der in zwei folgenden Tagen ge- 
fressenen Zoochlorellen verursacht sein. Es ist mir wenigstens mehrere 
Male vorgekommen zu beobachten, dass von Infusorien verschluckte 
Algen innerhalb derselben tagelang unverändert bleiben können, ohne 
mit ihnen eine Symbiose einzugehen. 

Es ist zu bedauern, dass Schewiakoff diesen einzigen, 
seinen Angaben nach geglückten Versuch nicht sorgfältig genug aus- 
geführt und versäumt hat, ihm durch einen kleinen und leichten Kunst- 
griff eine unbestreitbare Gewissheit zu verleihen. Es hätte nämlich 
genügt die noch wenige Zoochlorellen enthaltende Frontonia in einen 
Tropfen zoochlorellenfreien Wassers zu übertragen. 

Wäre in diesem Fall, trotz des Mangels der Zoochlorellen in dem 
umgebenden Medium, eine Vermehrung der Zoochlorellen und dadurch 


54 Nusbaum, Würmer und Crustaceen Polens. 


bedingtes Ergrünen hervorgerufen worden, so würde kein Zweifel an 
dem Resultate des Versuches möglich sein. 

In Folge der auseinandergesetzten Gründe glaube ich auch jetzt 
noch an dem in meinem Aufsatze ausgesprochenen Satze: „Die nächste 
der Entscheidung barrende Frage, unter welchen Umständen und auf 
welche Art Stentoren, Paramecien und andere grün gefärbte Tiere 
sich mit Zoochlorelta symbiotisch vereinigen, bleibt bis jetzt, auch 
trotz meiner Untersuchungen, vollkommen dunkel. Es lassen sich in 
dieser Hinsicht nur mehr oder weniger gewagte Voraussetzungen, 
aber keine sicher beobachteten Thatsachen anführen“ festzuhalten. 


Zur Kenntnis der Würmerfauna und ÜUrustaceenfauna Polens. 
(Hirudinei, Turbellaria Rhabdocoela, Lumbricidae, Cyclopiden). 
Von Dr. Jözef Nusbaum in Warschau. 


I. Zur Fauna der Hirudineen. 

a) H. Lindenfeld und J. Pietruszynski, „Beiträge zur Hirudineen- 
fauna Polens“ polnisch in „Physiographische Denkschrift“, Warschau, 
Bd. IX, 12 Seiten und 1 Tafel Abbildungen, 1. Teil. 

b) Dasselbe, II. Teil; ibidem Bd. X, 1890; 42 Seiten u. 1 Tafel kolor. 
Abbildungen nebst 13 Holzschnitten !), 

In den oben zitierten Arbeiten haben die Verfasser zum ersten 
Male das Vorhandensein folgender Hirudineenarten in Polen kon- 
statiert: Nephelis octoculata Bergm., Aulostomum gulo Braun, Hi- 
rudo medicinalis Ray et Lin., Ülepsine sexoculata Bergm., (l. 
marginata Müll., Ol. bioculata Bergm., Ol. polonica n. sp., Piscicola 
piscium Rösel (gefunden in der Umgegend von Warschau, Lublin 
und im Gouvernement Minsk) und Cl. tesselata«a Müll. (im Gouv. 
Minsk). Bei den Arten Nephelis octoculata, Aulostomum gulo und 
Hirudo medicinalis sind viele Farbenvarietäten beobachtet worden 
nebst zahlreichen Uebergangsstufen zwischen den letzteren. Die Ver- 
fasser sind der Meinung, dass die Färbung der Hirudineen genug 
konstant ist, um ein Varietätenmerkmal bilden zu können und haben 
sogar eine gewisse Abhängigkeit von dem Standorte gefunden, z. B. 
die Nephelis octoculata var. monostriata haben sie nur in Lithauen in 
dem Koldycezewer See (Gouv. Minsk) gesehen, Aulostomum gulo var. 
taeniata nur in den Gewässern im Dorfe Lomianki (Gouv. Warschau), 
Aut. gulo var. Lithuanica nur in Lithauen (Koldyezewer See) u. s. w. 
Besonders auffallend ist es mit den Varietäten von Aulostomum qulo. 
In gewissen Gegenden fanden sich hauptsächlich sehr dunkle Formen, 
in anderen hellere. Wo die var. sinuata und Grubei auftraten, dort 
war die var. Zaeniata nicht zu finden und umgekehrt. Von den 





1) „Pamietnik Fizyografiezny“. Die bis jetzt erschienenen 10 Bände, dieser 
den deutschen Lesern wenig bekannten Denkschrift, enthalten viele nicht un- 
wichtige Beiträge zur Fauna und Flora Polens. 





Nusbaum, Würmer und Crustaceen Polens. 55 


Moquin Tandon’schen Varietäten der Nephelis octoculata sind 
var. normalis und reticulata gefunden worden. Was die var. retieu- 
lata M. Tand. betrifft, so ist bei ihr das Retieulum viel deutlicher 
als es M. Tandon gezeichnet hat. 

Die Verfasser unterscheiden noch folgende, der Färbung nach 
verschiedene Formen der Nephelis octoculata: 1) am Rücken mit sehr 
kleinen schwarzen Pünktchen, 2) die Pünktchen gehen in kleine 
Strichelchen über, welche 3) bei anderen Exemplaren ein Netz bilden, 
dessen Maschen nicht ganz geschlossen sind, 4) die Maschen des 
Netzes sind gänzlich geschlossen. Alle diese Formen vereinigen die 
Verf. in eine Varietät: N. octoculata, var. poecila mit Subvarietäten: 
punctata (1), reticulata (3, 4), hierher die M. Tandon’sche var. reti- 
cılata. Noch eine neue: N. octoculata, var. monostriata, auf der 
Mittellinie des Rückens eine schwarze Längslinie. 

Bei Aulostomum gulo ist der Rücken mehr oder weniger dunkel- 
braun mit einer grauen oder olivenfarbenen Nuance und ohne (var. 
Fuliginosa M. T.) oder mit zahlreichen schwarzen Flecken. Die Ver- 
fasser unterscheiden der Färbung und Zeichnung nach folgende neue 


Varietäten: 1) var. maculata — die Flecke ohne jede Ordnung, oder 
in zwei nicht regulären Längsreihen verstreut, 2) var. sinuata — die 


Flecke in zwei sehr regulären wellenartigen Reihen geordnet, eine 
Welle auf je 5 Ringe, an den Seiten des Rückens sind die Flecke 
ohne Ordnung verstreut, 3) var. Grubei an den Seiten der beiden 
Wellenreihen sind längliche Flecke in 2 Längsreihen auf je 3 Ringen 


geordnet, 4) var. Zaeniata — die Flecke sind in 2 mediane gerade 
Längsbänder zusammengeflossen mit Flecken ohne Ordnung an den 
Seiten, 5) var. Zithuanica — an den Seiten der 2 medianen Längs- 


bänder sind die 2 Reihen länglicher Flecke auf je 3 Ringe verteilt, 
6) var. umbrina (von Prof. Grube als Aulostomum umbrinum be- 
schrieben) — an den Seiten des Rückens, namentlich an der Grenze 
des Bauches 2 gelbe oder orangegelbe Längsbänder. 

Von Hir..do medicinalis sind folgende M. Tandon’sche Varietäten 
gefunden worden: catenata, signata, serpentina, nebst Uebergangs- 
stufen zwischen catenata und signata und zwischen signata und ser- 
pentina. 

Von Clepsine tesselata ist eine neue sehr schöne Varietät (var. 
marmorata) beschrieben worden: auf dem olivbraunen Rücken sehr 
große, vieleckige gelbe Flecke (gefunden im Koldyezewer See in 
Lithauen). 

Clepsine polonica n. sp. gefunden in der Umgegend von Warschau 
und in Lithauen, ist der Cl. heteroclita L. nach der Beschreibung 
M. Tandon’s und Dr. Apathy’s sehr ähnlich, aber sie ist etwas 
anders als jene gefärbt und ihre 6 Augen sind anders als bei 07. he- 
teroclita, und zwar paarweise auf den 7., 9. und 10. Ringen gestellt, 
wie bei keiner der sechsäugigen Clepsinearten. (Ol. polonica ist 


56 Nusbaum, Würmer und Crustaceen Polens. 


7—8 mm lang, 3—4 mm breit, das Vorderende rasch verengt und 
abgespitzt, auf dem farblosen konvexen Rücken mehrere Längstreifen 
kleiner gelber Flecken und Quer- und Längsstreifen bräunlicher 
Strichelehen. Die Eier und die Jungen sind an der Bauchfläche der 
Mutter angeheftet. Der Rüssel wird selten ausgestülpt. Wenig be- 
weglich. 


II. Zur Fauna der Rhabdocoelen. 


Herr H. Lindenfeld arbeitete während des verflossenen Sommers 
an der Fauna der Rhabdocoelen Polens. Seine Forschungen sind 
noch nicht beendet und nur vorläufig kann ich mitteilen, dass er in 
der Umgegend von Warschau 11 bis jetzt für das Königreich Polen 
von Niemanden angegebene Arten gefunden hat und zwar: 

. Stenostoma leucops OÖ. Schm. (sehr häufig). 

2. Microstoma lineare De. 

3. Macrostoma hystrie Oe. 

4. Vortex Millportianus Graff. (sehr häufig). 

5. Vortex sexdentatus Graff. 
6 
7 
8 


en 


. Gyrator hermaphroditus Ehrbg. 
. Mesostoma productum Leuck. 
. Mesostoma personatum ©. Sehm. 
9, Mesostoma viridatum M. Sch. 
10. Custrada radiata Graff. 
11. Castrada species, die in Graff’s Monographie der Turbellarien 
nieht beschrieben worden ist. 
Die obige Anzahl der Rhabdocoelenarten ist für Polen ohne 
Zweifel zu gering und die Arbeit wird hoffentlich nächsten Sommer 
ergänzt und zu Ende gebracht werden. 


III. Zur Fauna der Lumbrieciden. 


Der Verfasser dieses Berichtes fand bisher folgende, zum ersten 
Male in seinem Vaterlande konstatierte Regenwürmerarten (haupt- 
sächlich in der Umgegend von Warschau): 

1. Lumbricus herculeus Rosa. 

2. Lumbricus rubellus Hoffm. Es finden sich in Polen zwei 
Varietäten: a) mit 1 oder 2 Querfurchen auf der Rückenseite des 
Lobus cephalicus und mit einer Längsfurche auf der Unterseite des- 
selben, die Zahl der gesamten Segmente 125—150, b) weder mit einer 
Querfurche auf der Rückenseite, noch mit einer Längsfurche auf der 
Unterseite des Lobus cephalicus. Die Gesamtzahl der Segmente 82 
bis 120. 

3. Lumbricus purpureus Eisen. 

4. Allolobophora turgida Eisen. Die Gesamtzahl der Segmente 
120—150. Auch hier kann man 2 Varietäten unterscheiden: a) mit 
der Gesamtzahl der Segmente eirca 120 und gewöhnlicher Anzahl 








Er 


Nusbaum, Würmer und Crustaceen Polens. a 


der Segmente des Clitellums 7—8, b) mit der Gesamtzahl der Seg- 
mente eirca 150 und mit 9—10 Segmenten des Clitellums. 

5. Allolobophora mucosa Eisen. 

6. Allolobophora foetida Eisen. 

7. Allolobophora subrubicunda Eisen. 

8. Allolobophora arborea Eisen. Die Gesamtzahl der Segmente 
erreicht bei einigen Exemplaren bis 100. 

9. Dendrobaena Boeckiüi Eisen. 

10. Allurus tetraedrus Eisen. 

Die ausführliche Arbeit wird nächstens in der physiographischen 
Denkschrift (polnisch) erscheinen. 


IV. Zur Fauna der Cyelopiden. 

Adam Lande, „Beiträge zur Fauna der freilebenden Copepoden des 
Königreichs Polen.“ I. Die Cyelopiden. Polnisch in „Physiogra- 
phische Denkschrift“ (Pamietnik Fizyografiezuny). Bd. X. 1890. 
90 Seiten und 7 Tafeln Abbildungen. 

Herr A. Lande hat bis jetzt folgende, zum ersten Male in Polen 
konstatierte Cyclopiden gefunden: 

1. Oyelops signatus Koch. 

2. Cyclops tenuicornis Hoeck, Vosseler. Der Verfasser glaubt, 
dass die Angaben einiger Autoren über die fehlerhafte Beobachtung 
von Claus, welcher keine Hakenkränze an Antennen fand, viel- 
leicht auf Missverständnis beruhen, weil er auch einen solehen 
Oyelops gefunden und als eine neue folgende Art beschrieben hat: 

3. Cyelops gracilicornis n. Sp. 

Den ©. annulicornis Koch, Sars betrachtet der Verfasser als 
eine kleinere und stärker. gefärbte Varietät von ©. tenwicornis. 

Einige auffallende Unterschiede der obengenannten 3 Species sind 
vus der folgenden Tabelle ersichtlich: 

‘groß, das 3. Glied der 

2. Antenne sehr gestreckt. 

Bläuliche Färbung der hin- 

Die Hakenkranze |teren Abdominalsegmente 
vorhanden | ©. tenuicornis 


C. signatus 


klein, auf der 1. Antenne (Mit schwarzen Ringen 
1 bis 2 schwarze Ringe, auch auf der Thorax, 
durchsichtig Abdomen u. Furca — 

var. annulicornis). 


Were jerune Färbung, die End- R : 
E ‘borsten länger als bei ©. gracilicornis. 
kränze ! 
allen anderen Öyclopiden 
4. ©. viridis Jurine, mit ©. gigas Claus identisch. 


5. C. vicinus Ulianin, vielleieht mit C. /ueidulus Sars identisch. 
6. ©. pulchellus Koch. 


58 v. Lendenfeld, Kalkschwämme, 


7. C. strenuus Fischer. 

8. C. simplex Poggenpol = Ü. Leuckartiü Sars. 

9. C. hyalinus Rehberg. 

10. ©. Dybowskii nov. species. Sehr ähnlich dem ©. Ahyalinus 
Rehberg, unterscheidet sich aber durch eine stärker entwickelte 
Körperform, durch verschiedene Länge der Erdborsten und eine stets 
violette Färbung. Der Verfasser gibt eine ausführliche Beschreibung 
dieser neuen Art. 

11. €. agilis Koch. Der Verfasser glaubt, dass hier vielleicht 
2 bis 3 Varietäten zu unterscheiden sind. 

12. ©. macrurus Sars. 

13. C. varicans Sars, mit dem (. orientalis Ulianin identisch. 

14. C. bicolor Sars'!). 

15. C. gracilis Lilijeborg (?). 

16. ©. phaleratus Koch. 

17. ©. fimbriatus Fischer = Ü. Poppei Rehberg 

18 C. affinis Sars = (. pigmaeus Rehberg. 


Nach der Veröffentlichung der obigen Arbeit hat noch Herr Lande 
zwei folgende Arten gefunden: 

19. ©. oithinoides Sars. 

20. C. Clausii Heller, fraglich mit (©. diaplanus Fischer und 
©. minutus Claus identisch. 


Bemerkungen über die neuerlich von Dendy beschriebenen 
Kalkschwämme. 


Von R. v. Lendenfeld. 


Am 8. Januar 1891 wurde der kais. Akademie der Wissenschaften 
in Wien eine Arbeit von mir über das System der Kalkschwämme 
vorgelegt, welche bald darauf im Druck erschien. Ehe Herr Dendy 
in Melbourne diese Arbeit erhalten haben konnte, schrieb und ver- 
öffentlichte er zwei Mitteilungen über Kalkschwämme, von denen die 
eine (Studies ete. on Sponges III, Quart. Journ. mier. Se., Bd. XXXI, 
pag. 1) im Januar, und die andre (A Monograph 'of the Vietorian 
Sponges ]J, Trans. R. Soc. of Vietoria, Bd. III, pag. 1) im Juli 1891 
erschien. Es scheint wünschenswert einerseits die Richtigkeit meines 
Systems an den Angaben Dendy’s zu erproben und anderseits den 
von Dendy beschriebenen Arten ihren Platz in meinem System an- 
zuweisen. 


1) In der oben zitierten Arbeit wurde fälschlich (wie es sich aus den 
erneuerten Untersuchungen des Herren Lande ergab) €. bicolor als identisch 
mit CO, diaphanus Fischer und (©. minutus Claus diagnosiert. 








v. Lendenfeld, Kalkschwämme., 59 


In der erstgenannten Arbeit schildert er die von Carter als 
Teichonella labyrinthica beschriebene Form und teilt sie dem Genus 
Grantia zu. In diesem Punkte herrscht eine erfreuliche Ueberein- 
stimmung zwischen uns, da auch ich diesen Schwamm dem Genus 
Grantia zugeteilt habe. Unter der dermalen sowohl als der okularen 
Oberfläche dieses Schwammes fand Dendy Zellen, welche den von 
mir bei Aplysilliden beobachteten Drüsenzellen gleichen. Dendy 
nimmt dieselben auch als Drüsenzellen in Anspruch. Das ist wichtig, 
da bis dahin bei Kalkschwämmen Drüsenzellen noch nicht beobachtet 
waren. 

In der zweiten Arbeit beschreibt Dendy die Homocoela der 
Viktorianischen Küste. Er verwirft meine frühere Einteilung der 
Hoemocoela in die drei Familien Asconidae, Homodermidae und Leu- 
copsidae, ebenso Haeckel’s Einteilung in die bekannten sieben 
Genera, und vereint alle Homocoela jener Küste in der alten Gattung 
Leueosolenia Bowerbank. Dies ist nicht gerechtfertigt. Neuerlich 
habe ich einen Repräsentanten der Familie Homodermidae genauer 
untersucht und beschrieben (Homandra falcata in Zeitschrift f. wiss. 
Zoologie, Bd. LIII, S. 229) und, wie ich glaube, ziemlich unwiderleg- 
bare Argumente für die Existenzberechtigung der Familie Homoder- 
midae vorgebracht. Dendy selbst hat nun einen Kalkschwamm (als 
Leucosolenia) beschrieben, welcher sich aber durch die Trennung des 
bei andren Asconen kontinuierlichen Gastralraums in unregelmäßige 
Kammern derart von den einfachen Asconen unterscheiden, dass er 
mit denselben nicht vereint werden kann. Diese Art sowie auch mög- 
licherweise die beiden andren, welche Dendy mit derselben in der 
Gruppe „Subdinisia“ vereint hat möchte ich als Repräsentanten meiner 
Familie Leucopsidae in Anspruch nehmen und der Gattung Leucopsis 
zutheilen. Die übrigen 11 von Dendy beschriebenen Arten sind 
echte Asconıden und den beiden Gattungen Ascetta und Ascandra zu- 
zuteilen. Die Gattung Leucosolenia teilt Dendy in drei Sektionen: 
I. Simplieia, einfache Formen welche keine Röhrennetze bilden und 
bei denen die einzelnen Individuen als solehe leicht kenntlich sind; 
II. Reticulata, verzweigte, netzbildende Formen, ohne als solehe er- 
kennbare Individuen; und III. Radiata, Formen mit einer einfachen, 
zentralen Asconröhre, von welcher Aeste abgehen. Diese Einteilung 
halte ich nicht für vorteilhaft. Ich glaube, nach dem was Haeckel 
über die Veränderlichkeit der Verzweigungsart der Asconen gesagt 
hat, und was ich, soweit meine eigene, viel beschränktere Erfahrung 
reicht, nur bestätigen kann, dass jeder Versuch die Asconen nach der 
Verzweigungsart einzuteilen vergeblich sein wird. Die Sektion Reti- 
eulata teilt Dendy in zwei „Subsektions“, deren zweite, die Subdivisia 
möglicherweise mit meiner Familie Leucopsidae zusammenfallen könnte. 

Nach meinem System, wären die, von Dendy beschriebenen 
Arten folgendermaßen unterzubringen: 


60 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


Grantia labyrinthica Dendy 1891 im Genus Grantia in meinem Sinne 


Leucosolenia asconoides „, er: „ Ascandra „ N 5 
2 canata 5 lach „ Ascandra „ " n 
2; depresa  „ Le „ Leucopsis? „ 5 5 

oder Ascetta 
a dubia = sen „.Ascandra „ = . 
= lucasi H ln ne Ascerlad Sen 5 5 
3 pelliculata „ Ss nullsgetiar.. & „ 
n protogenes „ RN „ Leucopsis? „ D) „ 
oder Ascetta 
= pulcherrima „, es SR ASCeltR 4 n 
a sthpitata.‘ , a nAsceitar , 5 n 
, stolonifer , RT „ Ascandra „ 5 > 
& tripodiferu „ EMS MeerAscotta A. 3 a 
“ ventricosa „ ne „ Ascandra „ n H 
£ wilsoni n x a lleucopsis. , 5 " 


Innsbruck den 8. Januar 1892. 


Neurologische Untersuchungen. 


C. F. Hodge, The process of recovery from the fatigue occasio- 
ned by the electrical stimulation of cells of the Spinal Ganglia. The 
American Journal of Psychology. February 1891. Vol. 3. Nr. 4. 
St. 13. Mai 1888 konnte H. durch eine Versuchsreihe nachweisen, dass 
die elektrische Reizung der Nerven, die zum Spinalganglion gehen, 
in den Ganglienzellen eine Veränderung hervorrief, die sich mikros- 
kopisch (am meisten an den Zellkernen) nachweisen ließ. Nach 
7stündiger Reizung verlieren die Zellkerne ca. 40°/, ihres Umfangs; 
auch die Zellen selbst nehmen ein wenig an Umfang ab und es bil- 
den sich in ihnen Vakuolen; ebenso schrumpfen die Kerne der Zell- 
kapsel. Mai 1889 konnte H. in einer 2. Versuchsreihe nachweisen, 
dass diese Veränderungen um so stärker waren, je länger die Nerven- 
reizung dauerte. Der Reiz wurde stets nur auf einer Seite appliziert, 
so dass die Zellen der anderen Seite zur Kontrole dienen konnten. 
In einer dritten Versuchsreihe untersuchte der Verf. die Erholung 
resp. Wiederherstellung der so gereizten Zellen, indem er eine Zeit 
nach der Reizung vergehen ließ, bevor er die Zellen exzidierte und 
untersuchte. Die Versuche wurden an 6—8 Wochen alten Katzen 
mit exakter Bestimmung der Stromstärke, der Dauer, der Erholungs- 
zeit angestellt. Der zentrale Einfluss wurde ausgeschaltet, indem vorher 
in der Aethernarkose trepaniert und die beiden Hinschenkel durch- 
schnitten wurden. Nach der Narkose wurde der Plex. brachialis frei- 
gelegt und mit verzinnten Platinelektroden während 5 Stunden, 
in jeder Minute 15 Sekunden lang gereizt. Alsdann wurden nach 
einem längeren Schlafe des Tieres die Ganglien des 1. Dorsal- und 
8. Halsnervenpaares exzidiert und mit 1proz. Osmiumsäure oder ge- 





Kalischer, Neurologische Untersuchungen. Gl 


sättigter Sublimatlösung 4 Stunden lang behandelt. Mikroskopisch 
wurden die Zellen und Kerne gemessen und es ließ sich feststellen, 
dass der Kern der Zelle um so kleiner war, je länger die Zelle ge- 
reizt worden und je geringere Zeit das Tier nach der Reizung gelebt 
und geruht hatte. Erst nach 24 Stunden Erholung waren Kern und 
Zelle nach der Reizung denjenigen der andern Seite d.h. den normalen 
gleich und wieder hergestellt. Die Kerne der Zellen zeigten auch 
durch die Reizung der zuführenden Nervenfasern insofern eine Ver- 
änderung, als ihre helle lichte Substanz sieh mit dunkel tingierten 
Körnchen oder Aggregationen füllte, sei es, dass diese neugebildet 
werden oder präexistierend mehr hervortreten. Bei der nichtgereizten 
Zelle sah man im Kern neben dem Kernkörperchen 4—5 Körnchen, 
die mit dem ersteren durch ein Fasernetz verbunden waren. 

Bruns, Ueber Störungen des Gleichgewichts bei Hirntumoren. 
Vortrag auf der Naturforscherversammlung zu Halle. 21. Sept. 1891. 
Nach Anführung von 4 Fällen eigener Beobachtung von Stirnhirn- 
tumoren, bei denen allen das Symptom der Ataxie sich in ausgeprägter 
Weise fand, kommt B. zu folgenden Schlüssen: 1) Eine der soge- 
nannten cerebellaren Ataxie ganz gleiche Störung der Balanzierfähig- 
keit kommt sehr häufig auch bei Stirnhirntumoren vor. 2) Dieses 
Symptom ist bei Tumoren anderer Hirnregionen jedenfalls viei seltener: 
es fehlt, wie es scheint, ziemlich regelmäßig bei Tumoren der Ro- 
lando’schen Gegend. 3) Die Begieitsymptome erlauben meist eine 
Differentialdiagnose zwischen der durch Kleinhirn oder Kleinhirn- 
tumoren bedingten Ataxie. -— 

Ed. Michelsohn, Untersuchungen über die Tiefe des Schlafes. 
Inaugural- Dissertation. Dorpat 1891. Nach M.’s Kurve findet die 
größte Schlaftiefe in der 2. Stunde statt, dann erst folgt ein Abfall 
der Kurve erst in schnellen, dann in langsamen, regelmäßigen Schwan- 
kungen. Bei neurasthenischen Personen erhielt M. Kurven mit allmäh- 
lichem Anstieg und ebenso allmählichem, unregelmäßigen Abfall, auch 
trat das Maximum viel später als in der Norm auf. 

Hoesel, Die Zentralwindungen ein Zentralorgan der Hinter- 
stränge und des Trigeminus. Vortrag auf der Naturforscherversamm- 
lung zu Halle. 21. Sept. 1891. Aus den Befunden an einem Gehirn 
mit porencephalitischem Defekt folgert H.: 1) Die Zentralwindungen 
sind außer mit den Vorder- und Seitensträngen, mit einer zweiten 
langen Bahn direkt, ohne Einschaltung grauer Substanz, mit den 
kontralateralen Hinterstrangskernen verbunden. Sie sind demnach 
ein Rindenzentrum für die Hinterstränge. 2) Ein bestimmter Teil 
Trigeminusfasern enden in den Zentralwindungen der anderen Seite. 
Letztere sind demnach auch ein Rindenzentrum für den Trigeminus. 

A. Bergheim, Schlafähnlicher Zustand bei Tieren, denen das 
Kleinhirn entfernt wurde. Neurolog. Centralbl., Nr. 21, 1. Nov. 1891. 
B. beobachtete bei Hunden nach vollständiger Exstirpation des Klein- 


b2 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


hirns durch Verbinden der Augen einen schlafähnlichen Zustand, aus 
dem der Hund durch alle erdenklichen Reize nicht erweckt resp. zur 
Bewegung angeregt werden konnte. Dabei können seine Gliedermaßen 
in die unbequemste Lage gebracht werden, ohne dass er dieselben 
zurückzieht. Dabei war die Sensibilität resp. das Schmerzgefühl er- 
halten. Das Gesichtsorgan ist das wichtigste Mittel, mit dessen Hilfe 
der Hund die durch die Entfernung des Kleinhirns hervorgerufene 
lokomotorische Störung korrigieren kann. Durch die Beraubung des 
Sehvermögens erhält das Tier das Bewusstsein der völligen Bewegungs- 
unfähigkeit und verliert den Willen, sich zu bewegen. — 

L.v.Frankl-Hochwart, Ueber den Verlust des musikalischen 
Ausdrucksvermögens. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, 1891, 
Heft 3 u. 4). In 5 Fällen, von denen 2 frühere vortreffliche Instru- 
mentalmusiker betrafen, beobachtet F. durch Aphasie bedingte Stö- 
rungen des musikalischen Ausdrucksvermögens. In der Litteratur 
findet man mehr Fälle von Aphasie mit erhaltenem musikalischen 
Ausdrucksvermögen. Es gibt Aphasie ohne Amusie, doch gibt es auch 
Individuen, die beinahe gar nicht sprechen und doch bis zu einem ge- 
wissen Grade singen können. Nie sah man den Verlust des musika- 
lischen Ausdrucksvermögens allein, und nie bei Erkrankungen der 
rechten Hemisphäre. Die Musikvorstellungen beruhen bei vielen Leuten 
auf Kehlkopf-Lippeninnervation. Bei manchen kommen diese Vorstel- 
lungen noch auf andere Weise zu stande (Fingerbewegungsvorstel- 
lungen u. s. w.). Bei vielen Leuten beruhen Sprache und Musik- 
vorstellungen auf gleichen oder benachbarten Zentren. 

W. Bechterew und N. Mislawski, Ueber die Innervation und 
die Hirnzentren der Thränenabsonderung. Neurolog. Centralbl., Nr. 16, 
15. Aug. 1891. Nach ihren Untersuchungen schließen die Verfasser, 
dass die Erregung der Hirnrinde und der Sehhügel auf die Thränen- 
absonderung sowohl mittels des Trigeminus wie auch wenigstens teil- 
weise mittels des Halsstammes des Sympathieus wirkt. Das Haupt- 
reflexzentrum für die Thränenabsonderung liegt in den Sehhügeln 
und dort befinden sich auch die zentralen Leitungsbahnen des Hals- 
sympathieus, von wo aus ihre Fortsetzungen dann zur Hemisphären- 
rinde (in ihren inneren Teilen des vorderen und hinteren Abschnittes 
der Sigmoidalwindung) gehen. — 

Ch. Fere, Les signes physiques des hallueinations. Revue de 
Medecine, 1890, p. 758. Unter den äußeren physischen Zeichen bei 
Halluzinierenden finden sich einige, die direkt von dem inneren psy- 
chischen Vorgange abhängen, so bei Gesichtshalluzinationen: Die ent- 
sprechenden Pupillenveränderungen je nach dem Nahen oder Entfernen 
des scheinbaren Objektes, ferner Falten und Furchen um das Auge 
herum, mimische Muskelspannungen, Gefühl der Reizung im Auge mit 
Rötung der Conjunetiva. Bei Gehörshalluzinationen bemerkt man 
Muskelspannungen in den Gesichts-Halsmuskeln und an der Ohr- 











Korschelt u. Heider, Entwicklungsgesehichte der wirbellosen Tiere. 63 


muschel selbst, artikulatorische Mitbewegungen der Zunge und Lippen. 
Bei Geschmacks-Geruchshalluzinationen werden Bewegungen an Lippe, 
Zunge und Nasenflügel beobachtet. — 

Paul Richter, Experimental - Untersuchungen über Antipyrese 
und Pyrese, nervöse und künstliche Hyperthermie. Inaugur. -Dissert. 
Breslau 1891. R. bemüht sich im ersten Teil die Richtigkeit der 
Filehne’schen Theorie nachzuweisen; die Antipyretica stellen die 
höher eingestellte Temperatur des Fiebernden auf einen anderen Grad 
ein und beeinflussen in gleichem Sinne, nur in verschiedener Intensität 
auch den Regulierapparat des Gesunden. Im 2. Teil erörtert er die 
Gründe, welche gegen die Annahme sprechen, dass die Reizung eines 
lokalisierten Wärmezentrums im Großhirn Fieber erzeuge. Die nach 
Verletzung des Corp. striatum erzeugte Hyperthermie ist kein dem 
Fieber analoger Zustand, sondern ein mit temporärem Verlust der der 
Wärmeregulierung dienenden Apparate, sowie mit Erschwerung der 
Wärmeabgabe einhergehender resp. dadurch bedingter Vorgang. Die 
Ueberhitzung steigert an und für sich den Eiweißzerfall. — 

S. Kalischer (Berlin). 


E. Korschelt und K. Heider, Lehrbuch der vergleichenden 
Entwickelungsgeschichte der wirbellosen Tiere. 
Spezieller Teil. Zweites Heft. Jena. Verlag von G. Fischer. 1891. 


Das vorliegende zweite Heft des oben genannten Lehrbuches 
(vergl. das Referat über das 1. Heft im X Bande dieser Zeitschrift 
S. 252) erfüllt in vollstem Maße die Erwartungen, zu welchen das 
erste Heft berechtigte; auch hier zeigt sich wieder das große Ge- 
schick der Verfasser, nach erschöpfendem Studium der Litteratur eine 
eingehende und klare Behandlung des Stoffes vorzunehmen. Das Heft 
umfasst 38 Bogen, enthält 315 Textabbildungen und behandelt der 
Reihe nach in neun Kapiteln die Entwicklungsgeschichte der Crusta- 
ceen, Palaeostraken, Arachnoiden, Pentastomiden, Pantopoden, Tar- 
digraden, Onychophoren (Peripatus), Myriopoden und Insekten; diesen 
reiht sich ein interessantes Schlusskapitel: „Allgemeines über die 
Arthropoden“ an. Im großen und ganzen schließt sich innerhalb 
der einzelnen Kapitel an die Besprechung der Furchung, Keimblätter- 
bildung und Entstehung der Körperform die Behandlung der Organ- 
entwieklung an resp. findet die Metamorphose eine eingehende Be- 
rücksichtigung. Ohne auf die Einzelheiten der Ontogenie hier ein- 
zugehen, sei nur auf die phylogenetischen Anschauungen der Verfasser 
hingewiesen. Die Entwicklung unserer Kenntnisse über die Stammes- 
geschichte der Crustaceen wird chronologisch übersichtlich geschildert 
und betrachten die Verfasser mit Dohrn die Phyllopoden als die 
Stammform aller Crustaceen, nehmen jedoch als hypothetische Stamm- 
form mit Claus „Urphyllopoden“ an, welche gegenüber den heute 


64  Korschelt u. Heider, Entwieklungsgeschichte der wirbellosen Tiere, 


lebenden noch in mancher Beziehung, besonders hinsichtlich der 
Mundteile, ursprünglicher gestaltet war. Die Urform der Phyllopoden 
wird am natürlichsten (mit Hatschek) von annelidenähnlichen Vor- 
fahren abgeleitet. Dem gegenüber sind die Nauplius- Form und das 
Zoea- Stadium der Krustentiere nicht als Stammformen, sondern als 
infolge der Existenzbedingungen des Larvenlebens sekundär abgeän- 
derte Larvenformen aufzufassen. Die Abtrennung der Gruppen der 
Palaeostraken (Trilobiten, Gigantostraken und Xiphosuren) von den 
verwandten Ürustaceen rechtfertigt sich durch das Fehlen der beiden 
wesentlich der Sinnesperzeption dienenden präoralen Antennenpaare 
und des Nauplius-Stadiums, doch sind Crustaceen und Palaeostraken 
von einer gemeinsamen hypothetischen Ahnenform (Protostraken) aus 
entstanden. Durch die Anpassung an das Landleben entwickelten 
sich aus den Palaeostraken die Arachnoiden, deren nahe Verwandt- 
schaft mit den Xiphosuren ausführlich begründet wird. Den übrigen 
Tracheaten (Myriopoden und Insekten) gegenüber bilden die Arach- 
niden eine besondere Reihe und ist die scheinbare Uebereinstimmung 
zwischen Arachniden und den übrigen Tracheaten nur die Folge 
einer durch die Arthropodennatur bedingten und durch die ähnliche 
Lebensweise hervorgerufenen gleichartigen Ausbildung. Die Stämme 
der Arachniden und der übrigen Tracheaten sind als getrennte auf- 
zufassen und hängen nur an der Wurzel zusammen. Wenn die Panto- 
poden auch in der Entwicklung einige schwache Anklänge an die 
Arachniden darbieten, so bleibt doch die Anschauung von Dohrn, 
nach welcher dieselben von den Anneliden abstammen, die wahr- 
scheinlichste. Die schwer aufzufassende Stellung der Tardigraden 
im System erklären die Verfasser durch sehr frühzeitige Abspaltung 
von der Wurzel des Arthropodenstammes. Eine erschöpfende Erör- 
terung finden die Beziehungen des interessanten Peripatus zu den 
Anneliden einerseits und den Arthropoden anderseits. Bei der sehr 
übersichtlichen Schilderung der Insektenentwicklung kamen den Ver- 
fassern die wichtigen neueren Untersuchungen des einen derselben 
(Heider) über die Embryologie des Hydrophilus zu statten. Die 
Metamorphose wird unter Bezugnahme auf Lubbock und Bromer 
als unvollkommene (bei den „homomorphen“ Insekten) und als voll- 
kommene (Heteromorpha) klassifiziert. Ueber Parthenogenesis, Pae- 
dogenesis und Heterogonie findet man eine zusammenfassende Be- 
sprechung. 0. Schultze (Würzburg). 





Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- 
tion, physiol. Institut, Bestellungen an die Verlagshandlung 
von Eduard Besold, ee 9 Salomonstr. 16, zu richten. 











vera von Eduard Besold in ie — Druck der En bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 











Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 








XI. Band. 15. Februar 1892. Nr. 9: 
Eh Ss Rosenthal, Ernst Brücke. — Möbius, Morphologie der haarartigen Organe 
bei den Algen. — Kulossow, Ueber die Struktur des Endothels der Pleuro- 
peritonealhöhle der Blut- und Lymphgefäße. — Joseph v. Gerlach, Hand- 


buch der speziellen Anatomie des Menschen in topographischer Behandlung. 
Mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der ärztlichen Thätigkeit. — 


Zacharias, Die biologische Station bei Plön in Holstein. — Anzeige des 
Kolonialmuseum in Haarlem (Holland). — Berichtigungen. 





Ernst Brücke. 


Ein reiches und schönes Leben ist abgeschlossen. Am 7. Januar 
starb zu Wien an den Folgen der Influenza Ernst Wilhelm Brücke, 
einer jener Männer, welehe aus der Schule Johannes Müller’s 
hervorgegangen, seit mehr als 40 Jahren an der Spitze der physio- 
logischen Forschung und Lehre stehen, dieser Wissenschaft eine 
glänzende Entfaltung gegeben und weit über die Grenzen Deutsch- 
lands hinaus zu Ansehen gebracht haben. 

Brücke ist in Berlin am 6. Juni 1819 geboren, als Sohn eines 
Malers, dessen Namen ich vergebens in Seubert’s Künstlerlexikon 
suche. Ich vermag über seine Bedeutung als Künstler nichts auszu- 
sagen. Aber sicherlich verdankt ihm der Sohn viel, was er später 
wissenschaftlich verarbeitete. In dem Brücke’schen Hause wehte 
ein echt künstlerischer Geist. Ein leider früh verstorbener Bruder 
des Physiologen, Hermann Brücke, war gleichfalls Maler und von 
entschieden ausgeprägtem Talent. In soleher Umgebung konnte sich 
der feine Kunstsinn ausbilden, welcher unseren Physiologen aus- 
zeichnete. Mit ihm eine Gallerie zu besuchen, gewährte einen hohen 
Genuss, denn er verstand es, mit wenigen Worten viel zum Verständnis 
eines Kunstwerks beizubringen. Er hatte nicht nur viel gesehen, 
sondern auch über das Wesen der bildenden Künste nachgedacht. 
Und da ihm auch die Technik der Malerei in allen ihren Einzelheiten 
geläufig war, und er außerdem die Gabe gefälliger Unterhaltung in 
hohem Grade besaß, so lernte mau in seiner Begleitung, während man 
nur angenehm zu plaudern vermeinte. 

XII, 5 


66 Rosenthal, Ernst Brücke. 


Im Jahre 1843 wurde Brücke Assistent bei Johannes Müller. 
Die bahnbrechenden Arbeiten dieses großen Anatomen und Physiologen, 
sowie des gleichzeitigen Ernst Heinrich Weber (in Leipzig) hatten 
damals eben begonnen eine neue Epoche der physiologischen Forschung 
einzuleiten. Brück e’s Vorgänger in der Assistentenstellung, Theodor 
Schwann und Jakob Henle, hatten schon, von dem großen Meister 
angezogen, ‚in seinem Geiste weiter gearbeitet. Während diese 
beiden Berlin wieder verlassen hatten, traten bald Emil du Bois- 
Reymond und Hermann Helmholtz neu in jenen Kreis. Mit 
ihnen und dem gleichaltrigen KarlLudwig hat dann Brücke lange 
Jahre hindurch die unbestrittene Führerschaft der Physiologie über- 
nommen. Was die jetzige jüngere Generation leistet, verdankt sie 
jenen als ihren unmittelbaren Lehrern und Vorarbeitern. 

Im Jahre 1846 übernahm Brücke im Nebenamt die Stelle eines 
Lehrers der Anatomie bei der Akademie der bildenden Künste, eine 
Stelle, welche seinen künstlerischen Neigungen entsprechen musste 
und seinen Studien nach dieser Richtung hin eine sichere Grundlage 
zu geben geeignet war. 1848 wurde er Professor der Physiologie in 
Königsberg, aber schon im folgenden Jahre folgte er einem Rufe 
nach Wien, wo er seitdem bis zu seiner vor 1!/, Jahren erfolgten 
Pensionierung ununterbrochen gewirkt hat. 

Seine erste größere Arbeit war die „anatomische Beschreibung 
des Augapfels“, eine dureh ihre Genauigkeit mustergiltige Arbeit, 
nicht nur für die Anatomie, sondern auch für die Physiologie des 
Auges von unschätzbarem Wert. Dem mit dieser Arbeit betretenen 
Gebiet blieb Brücke bis in die letzten Jahre treu, indem er zahlreiche 
Untersuchungen über die Physiologie des Sehorgans, namentlich über 
Farbenempfindungen anstellte. Von den vielen bedeutsamen Leistungen 
auf diesem Gebiet seien hier nur einige hervorgehoben. Er beschrieb 
den M. ciliaris oder tensor choriodeae, dessen Bedeutung für die Akko- 
modation später erkannt wurde, den Bau der Zonula Zinnii, das Epithel 
der Linsenkapsel. Seine Messungen der Netzhautelemente (Stäbchen 
und Zapfen) zeigten, dass die Dimensionen derselben mit den Grenzen 
der kleinsten getrennt wahrnehmbaren Lichtpunkte gut zusammen- 
stimmen. Außerdem erklärte er, wie Liechtstrahlen, welche in eines 
diieser Elemente hineingelangt sind, nicht in merklicher Stärke in 
ein Nachbarelement übergehen können, und legte so den Grund zu 
der jetzt allgemein angenommenen Lehre, dass diese Stäbehen und 
Zapfen die eigentlichen liehtperzipierenden Endigungen der Sehnerven- 
fasern seien. Seine Erklärung des Augenleuchtens und der Nachweis 
desselben bei allen Augen, auch denen ohne Tapetum, sowie die An- 
gabe des Verfahrens zu seiner Beobachtung gaben seinem Freunde 
Helmholtz den unmittelbaren Anlass zur Erfindung des Augen- 
spiegels. Er maß die Absorption der ultraroten und ultravioletten 
Strahlen durch die Augenmedien und zeigte, dass die ersteren so er- 





Rosenthal, Ernst Brücke. 6% 


heblich absorbiert werden, dass schon dadurch ihre Unsichtbarkeit 
verständlich wird, während die letzteren bekanntlich, wenngleich sehr 
schwach, wahrgenommen werden können. 

Ein anderer Teil seiner physiologisch - optischen Untersuchungen 
bezieht sich auf die Nachbider, die intermittierende Netzhautreizung, 
die Farbenempfindung, die Erscheinungen des simultanen und successiven 
Kontrasts, auf die binokulare Farbenmischung, den Metallglanz und das 
stereoskopische Sehen. In letzterer Beziehung vertrat er die Ansicht, dass 
die Vorstellung der Tiefendimension durch das Muskelgefühl bei den 
verschiedenen Konvergenzgraden der Augenaxen bedingt sei. Gegen 
diese Lehre sind viele Einwendungen gemacht worden, besonders aus 
dem Grunde, dass auch bei momentaner Beleuchtung durch den elek- 
trischen Funken stereoskopisch gesehen werde. Ich glaube jedoch, 
dass jene Versuche seinen Anschauungen im grunde nicht wider- 
sprechen, indem sie nur zeigen, dass bei mangelnder Zeit die Doppel- 
bilder nicht zum Bewusstsein kommen, während bei ruhigen Sehen das 
von B. hervorgehobene Moment in der That eine wesentliche Rolle spielt. 

Von Brücke’s anderweitigen Arbeiten müssen besonders hervor- 
gehoben werden diejenigen über die Blutkörperchen, in denen er den 
Nachweis führte, dass der Farbstoff von dem übrigen Teile räumlich 
getrennt werden kann, diejenige über die Gerinnung, welche be- 
sonders in dem Nachweis der gerinnungshemmenden Eigenschaft der 
lebenden Gefäßwand gipfelt, ferner seine vielen Arbeiten zur Chemie 
und Mechanik der Verdauung, von denen nur die Beiträge zur Kenntnis 
der Stärke und ihrer Zersetzungsprodukte (Achroo- und Erythro-Dextrin), 
des Glykogens, die Methode zur Darstellung der Fermente durch Er- 
zeugung von Niederschlägen, die Rolle der Darmzotten bei der Re- 
sorption, insbesondre des Fettes, erwähnt seien. Wir verdanken ihm 
ferner wertvolle Aufklärungen über den Bau der Leber, besonders 
aber der Muskeln, deren Verhalten im polarisierten Licht er zuerst 
einer genaueren Untersuchung unterzog. In späteren Jahren lieferte 
er eine Reihe von Arbeiten über die elektrische Reizung der Muskeln 
und Nerven und machte besonders auf die Unterschiede dieser beiden 
Gewebe in ihrem Verhalten gegen kurzdauernde elektrische Ströme 
aufmerksam. Endlich seien hier noch erwähnt seine Arbeiten über 
die Natur der Zelle (von ihm rührt der Ausdruck „Elementarorganis- 
men“ her), über Protoplasma und seine Bewegung (Körnchenbewegung 
in den Brennhaaren von Urtica urens, Pigmentzellen und ihre Beziehung 
zur Farbenänderung beim Chamaeleon u. a.), die Bewegungen der 
Mimosa pudica, seine Versuche über Endosmose, das spezifische Ge- 
wicht der Milch, die Farben trüber Medien und viele andre. 

Aber seine Leistungen beschränken sich nicht auf das Gebiet 
der eigentlichen Physiologie und der Naturwissenschaften im engeren 
Sinne. Brücke’s umfassender Geist und vielseitige Thätigkeit sin« 
ganz besonders geeignet, die Wahrheit des Satzes zu beweisen, dass 


ne 


68 Rosenthal, Ernst Brücke. 


dem Physiologen, welcher sich mit den Erscheinungen des mensech- 
lischen Lebens zu beschäftigen hat, nichts Menschliches fremd ist. 
Auch die sozusagen geistigste seiner körperlichen Leistungen, das 
Sprechen, ist als eine Verrichtung bestimmter Organe Gegenstand 
physiologischer Forschung. Auch hierin hatte Johannes Müller 
durch seine Untersuchungen über das Stimmorgan, den Kehlkopf, den 
Weg eröffnet. Die musikalische Natur der Vokalklänge haben 
später Donders und vor allen Helmholtz genauer aufgeklärt. 
Brücke wandte seine Arbeit vornehmlich dem anderen Element der 
Sprache, den Konsonanten, zu, welche als unregelmäßige Schwing- 
ungen oder Geräusche der physikalischen Analyse sich entziehen. 
Dass die Verschiedenheiten dieser Geräusche durch die Stellung der 
Mundteile gegeneinander bedingt sind, ist ja leicht genug zu bemerken, 
und die Unterscheidung von Lippen-, Zungen-, Gaumenbuch- 
staben u. s. w. findet sich deshalb schon bei den älteren Gram- 
matikern. Aber nur eine wirklich exakte physiologische Analyse 
konnte hier volle Aufklärung schaffen und die viefachen Unklarheiten 
beseitigen, welche sich neben den Anfängen richtiger Einteilung und 
Unterscheidung in den von jenen Grammatikern nebenher gebrauchten 
willkürlichen und nichtssagenden Bezeichnungen, wie „mutae“, „liqui- 
dae“, „Schmelzlaute“ u. s. w. ausdrücken. Was in dieser Richtung 
vor Brücke geleistet worden, soll dadurch nicht in seinem Werte 
herabgesetzt werden. Willis, Kempelen und namentlich der ältere 
du Bois (der Vater des Physiologen) sind hier ehrenvoll zu erwähnen. 
Allein erst Brücke’s Arbeit, welehe im Jahre 1856 unter dem Titel 
„Grundzüge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute“ er- 
schienen ist), hat die Wissenschaft von der Sprachlauterzeugung so 
vollkommen abgeschlossen, dass sie als Grundlage aller weiteren 
Sprachforschung dienen kann. Alle möglichen Mittel der Sprachlaut- 
erzeugung wurden von ihm physiologisch untersucht und danach alle 
Laute sämtlicher bekannter Sprachen genau in ihrem wesentlichen 
Charakter festgestellt. Auf dieser Grundlage arbeitete Brücke später 
(1863) seine „Neue Methode der phonetischen Transkription der Sprach- 
laute“ aus. Unsere Buchstabenschrift ist bekanntlich aus einer Be- 
sriffszeichenschrift allmählich entstanden. Aber bei der Ueberwan- 
derung zu neuen Völkern und der Uebertragung auf andere Sprachen 
haben die Zeichen häufig ihre Bedeutung verändert. Man denke nur, 
um ein möglichst einfaches Beispiel zu wählen, an „j“, welches in 
der französichen, deutschen und spanischen Sprache drei ganz ver- 
schiedene Laute bezeichnet. Die Schwierigkeiten, welche diese Unvoll- 
kommenheit unserer Schrift bereitet, treten besonders hervor, wenn 
es sich darum handelt, Wörter wiederzugeben, geographische Namen 
z. B. aus Sprachen, in denen Laute vorkommen, für welche unsere 
Schrift gar kein entsprechendes Zeichen besitzt. Brücke’s phone- 


1) Zweite Auflage. Wien 1876. 








Rosenthal, Ernst Brücke. 69 


tisches System sieht ganz von den herkömmlichen Schriftzeichen ab, 
bezeichnet vielmehr jeden Laut nur allein auf physiologische Art, 
d.h. durch Zeichen, welche angehen, mit welchen Mundteilen (Lippen, 
Zunge u. s. w.) und auf welche Art das Geräusch hervorgebracht 
wird (ob es ein Reibungs-, Zitter- oder Verschlusslaut u. s. w. sei). Auf 
diese Weise genügt es für die lautlich getreue Wiedergabe aller, 
bekannter oder unbekannter, Sprachen. Mit seiner Hilfe ist man im 
Stande, Wörter einer ganz unbekannten Sprache, die man hört, so 
niederzuschreiben, dass ein anderer, welcher die Bedeutung der Schrift- 
zeichen kennt, sie richtig zu lesen und auszusprechen vermag, wenn 
ihm auch die betreffende Sprache selbst vollkommen unbekannt ist 
und zwar so, dass ein Dritter, welcher die Sprache kennt, die Worte 
sofort versteht. Man sieht ein, welche großen Dienste ein solches 
Sehriftsystem der wissenschaftlichen Sprachforschung und dem Studium 
fremder Sprachen zu leisten vermag, namentlich solcher, welche noch 
&ar keine Schrift haben und welche (wie z. B. die Sprachen der Neger- 
völker) Laute benutzen, die in unserer Sprache nicht vorkommen. 

Abgesehen von diesem praktischen Nutzen der Systematik der 
Sprachlaute hat dieselbe für den Physiologen an und für sich ein 
großes Interesse als eine der feinsten und in ihrer Bedeutung hervor- 
ragendsten Leistungen unserer Organe. Aber mit der genauen Fest- 
stellung der Sprachlaute ist die physiologische Untersuchung der 
Sprache noch nicht beendet. Sprache entsteht erst aus der Zusammen- 
setzung der Sprachlaute zu Silben und Wörten. Und bei dieser Zu- 
sammensetzung spielt u. a. die Zeit, welche die Hervorbringung der 
einzelnen Laute in ihrer Aufeinanderfolge erfordert, sowie die Höhe 
und Stärke des Stimmtons eine wesentliche Rolle. Indem Brücke 
auch diesen Verhältnissen nachging, gelang es ihm, die Grundlagen 
der Metrik auf physiologische Bedingungen zurückzuführen. Seine 
kleine Schrift über diesen Gegenstand (Die physiologischen Grund- 
lagen der neuhochdeutschen Verskunst, Wien 1871), wie alles aus 
seiner Feder Geflossene voll feiner, kunstsinniger Andeutungen, hat, 
wie mir scheint, bei den deutschen Sprachforschern nicht das volle 
Verständnis und dementsprechend nicht die Beachtung gefunden, welche 
sie verdient }). 

Eine andere Seite von Brücke’s Arbeiten allgemeineren Inhalts 
knüpft an seine physiologisch -optischen Untersuchungen an. Diese 
hatten sich vielfach mit den Farbenempfindungen beschäftigt, und 
seinem Wesen entsprechend war er nicht bei der Beobachtung und 
Feststellung der Thatsachen stehen geblieben, sondern hatte sie für 
die Erklärung von Erscheinungen im Gebiete der Kunst verwertet. 
Sein reges Kunstinteresse und hohes Kunstverständnis, seine ge- 
diegenen Kenntnisse im Gebiete des Kunstunterrichts hatten veranlasst, 





1) Näheres hierüber findet man in meinem Vortrag „Unsere Sprache“, ab- 
gedruckt in der Monatsschrift „Unsere Zeit“ 1882. 


70 Rosenthal, Ernst Brücke. 


dass er bei Gründung des österreichischen Museums für Kunst und 
Industrie (einer Anstalt, welche neben dem South Kensington Museum 
for Art and Industry hauptsächlich als Vorbild für das Berliner Kunst- 
gewerbe- Museum gedient hat) in das Kuratorium dieser Anstalt als 
Mitglied berufen wurde. Auf Veranlassung des Direktoriums derselben 
schrieb Brücke „die Physiologie der Farben für die Zwecke der 
Kunstgewerbe“ (Leipzig 1886), ein vortreffliches Buch, eine wahre 
Fundgrube schätzbarer Winke für den Kunstindustriellen wie für den- 
jenigen, welcher Kunstwerke mit Verständnis und Genuss zu betrachten 
lernen will. Niemand war mehr als er befähigt und vorgebildet dazu, 
die Lehren der wissenschaftlichen Optik im Zusammenhang mit ihrer 
Anwendung auf künstlerische Zwecke vorzutragen. Niemand war 
aber auch mehr als er befähigt, auf einem Gebiete, das noch voll- 
kommen unbearbeitet war und das sich, da Fragen des Geschmacks, 
des subjektiven Gefallens oder Missfallens hineinspielen, jeder wissen- 
schaftlichen Forschung zu entziehen scheint, den Versuch zu wagen, 
Regeln aufzustellen. Mit feinem Takt unterscheidet Brücke zwiscben 
der Farbenwirkung in der Malerei und im Kunstgewerbe. Nur für 
letzteres, in welchem die Farbe nicht durch das Objekt bedingt, 
sondern von der freien Wahl des Künstlers abhängig ist, lassen sich 
Regeln geben. Aber diese können nur begründet werden auf die 
Wirkungen, welche sie auf den Menschen machen, also auf physio- 
logische Gesetze. Für die Zusammenstellung verschiedener Farben 
kommen hier namentlich die Erscheinungen des Kontrastes (im physio- 
logisch - optischen Sinne des Worts) in Betracht. Auf dieser Grund- 
lage hat Brücke eine „Farbenästhetik“ aufgebaut, vollkommen würdig 
ihrer Zwillingsschwester, der von Helmholtz geschaffenen physio- 
logischen „Klangästhetik“. Aber wenn er auch die Malerei ausdrück- 
lich, als nicht den Gesetzen der Farbenlehre, die er vorträgt, unter- 
worfen ausschließt, so enthält doch sein Buch sehr vieles, was auch 
für das Verständnis von Gemälden von großem Werte ist, ist über- 
haupt voll feiner Bemerkungen und gewährt bei aller Strenge der 
Darstellung großen Genuss. 

Eine dritte Reihe der Brücke’schen Schriften beschäftigt sich 
unmittelbar mit Problemen oder mit Werken der bildenden Kunst, 
welche er vom Standpunkt des Anatomen und Physiologen zu er- 
läutern versucht. Die Kunstzeitschriften, namentlich die von Lützow 
herausgegebene Zeitschrift für bildende Kunst, zählten ihn zu ihren 
angesehensten Mitarbeitern. Von selbständigen Schriften dieser Gat- 
tung sei hier nur das kleine, aber sehr wertvolle, in der Internationalen 
wissenschaftlichen Bibliothek erschienene Werk „Beiträge zur Theorie 
der bildenden Künste“ erwähnt, sowie das erst kürzlich erschienene 
„Sehönheiten und Fehler der menschlichen Gestalt“. 

Es hat Brücke nicht an Anerkennung seines Wirkens gefehlt. 
Als Universitätslehrer war er ungemein beliebt und hochgeachtet. 














Möbius, Morphologie der haartigen Organe bei den Algen. 71 


Seine Vorlesungen über Physiologie (nach stenographischer Nachsechrift 
im Druck erschienen, zuerst 1873 und mehrfach neu aufgelegt) waren 
stets von vielen Hunderten von Zuhörern besucht, seine persönliche 
Unterweisung im Laboratorium wurde hochgeschätzt. Von seinen 
Schülern zählen mehrere zu den hervorragendsten Vertretern des 
Faches, so Alexander Rollett (Graz), Sigmund Exner, jetzt 
sein Nachfolger im Lehramt. Ein dritter, sehr begabter, Ernst v. 
Fleischl, ist ihm leider nach langjähriger, schwerer Krankheit vor 
wenigen Monaten im Tode vorausgegangen. Von seinen Kollegen 
hochgeachtet, von der Regierung, welche seinen Rat gern in wich- 
tigen Angelegenheiten einholte, ausgezeichnet, wirkte er bis zum 
vollendeten 71. Lebensjahre an der Universität und in vielen Ehren- 
ämtern, u. a. auch als lebenslängliches Mitglied des Herrenhauses. 
Aber auch nach seinem Rücktritt vom Lehramt war er nicht müßig, 
sowohl als Schriftsteller thätig wie auch unablässig bemüht, durch 
Studien sein Wissen zu mehren. Wer ihn gekannt hat, liebte ihn als 
Menschen; seine hohe und vielseitige Bildung machten seine Unter- 
haltung ebenso lehrreich als angenehm, während seine seltene Liebens- 
würdigkeit die geistige Ueberlegenheit nicht merken ließ. Sein An- 
denken wird hochgehalten werden, so lange die Menschheit sich derer 
erinnert, welehe durch ihre Arbeit die geistigen Güter vermehrt haben. 
Erlangen. J. Rosenthal. 


Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 
Von M. Möbius in Heidelberg. 


Den Ausdruck „haarartige Organe“ will ich nach Berthold’s") 
Vorgang hier für Anhangsgebilde des Thallus der Algen gebrauchen, 
um die Bezeichnung „Haar“ oder „Triehom“ zu vermeiden, weil damit 
ein bestimmter morphologischer Begriff verbunden ist. Denn unter 
demselben, wie er aus der Betrachtung der höheren Pflanzen abge- 
leitet ist, verstehen wir ein zelliges, aus der Epidermis entstandenes 
Anhangsorgan des Sprosses oder der Wurzel. Da aber bei den meisten 
Algen eine Epidermis nicht differenziert ist, so ist auch eine Haar- 
bildung im obigen Sinne nicht möglich; außerdem gibt es hier haar- 
artige Organe, die nicht den Bau einer Zelle besitzen ?). So ist es 
schwer, eine kurze Definition für das zu finden, was hier unter haar- 
artigen Organen verstanden sein soll. Aber gerade darum halte ich 
es für nützlich, die betreffenden Gebilde in ihrer Verschiedenartigkeit 
kennen zu lernen und eine Uebersicht über dieselben zu gewinnen. 





1) Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Meeresalgen. Prings- 
heim’s Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XIII, S. 569-717. 

2) Im Laufe der Darstellung wird allerdings der Ausdruck Haar der Kürze 
wegen in weiterem Sinne, als dem streng morphologischen, öfters gebraucht 
werden. 


72 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen, 


Es soll hier zunächst gezeigt werden, wie vielfach verbreitet der- 
artige Organe bei den Algen vorkommen, so dass wir sie nur in 
wenigen größeren Familien vermissen. 

Ferner werden wir sehen, dass die Haare im weitesten Sinne in 
ihrer Struktur und ihrer Entwicklung sich ziemlich verschieden ver- 
halten können. Wir können hierher rechnen Gebilde, die nur Fort- 
sätze des Plasmas oder der Membran sind, oder eine Ausstülpung der 
Zelle bilden, die teils hohl bleibt, teils mit Membransubstanz ausge- 
füllt werden, oder eine eigene Zelle repräsentieren, oder schließlich 
sich aus mehreren Zellen zusammensetzen. Dabei wird sich ergeben, 
dass die verschiedene Form der Haare einigermaßen zusammenhängt 
mit der übrigen Organisation der Algen, nach welcher wir sie syste- 
matisch gruppieren. Hier werden wir teils eine Uebereinstimmung 
in den Haaren bei ganzen Ordnungen (Phaeophyceen) teils bei 
Familien (Rhodomelaceen, Chaetophoraceen u..a.), teils in 
anderen größeren oder kleineren Gruppen finden, während allerdings 
auch einzelne Species ein eigentümliches Verhalten zeigen können. 

Ein Zweck anderer Art bei dieser Arbeit war der, verschiedene 
unrichtige Angaben über den Bau der Haare richtig zu stellen, da 
sich solche Angaben auch in manche Handbücher eingeschlichen haben 
und geeignet sind, die systematischen Beziehungen der betreffenden 
Algen in ein falsches Licht zu stellen: solche Fälle habe ich dann 
ausführlicher behandelt. Auf eine vollständige Aufzählung der vor- 
kommenden Haarorgane konnte ich natürlich nicht ausgehen, doch 
hoffe ich die Haupttypen erwähnt und durch genügende Beispiele 
illustriert zu haben. Was die letzteren betrifft, so wurden von den 
Algen möglichst selbst vom Verf. untersuchte Arten gewählt, andern- 
falls sind besonders Formen unserer Flora und solche, von denen 
leicht Abbildungen zu Gebote stehen, berücksichtigt. Die Haare, auf 
die ich hier die Aufmerksamkeit lenken möchte, bilden übrigens nur 
die eine Klasse derjenigen, welche überhaupt bei Algen vorkommen. 
Man könnte sie zusammenfassen als aufwärts gerichtete Haare im 
Gegensatz zu den abwärts gerichteten, welche die Rhizoiden und Ver- 
stärkungsrhizinen begreifen. Ueber die letzteren hat H. Stroem- 
feld!) eine Uebersicht gegeben, in welcher ebenfalls die verschie- 
denen Typen durch Beispiele illustriert werden. 

Was nun die Funktion der aufrechten Haare betrifft, so mögen 
sie in manchen Fällen als Schutzmittel gegen zu intensive Beleuch- 
tung dienen, worauf Berthold (l. e.) hingewiesen hat, in andern 
Fällen sind sie vielleicht Verteidigungsorgane gegen die Angriffe 
kleiner Tiere, wie es z.B. Hieronymus für die Haare von Dierano- 
chaete annimmt; bei andern Algen fungieren sie als Hilfsapparate für 


=), Untersuchungen über die Haftorgane der Algen. Botaniska Sektionen 
af Naturvetenskapliga Studentsällskapet i Upsala. Bot. Centralbl., Bd. XXXII, 
S. 381—382, 395—400, 1885. 








Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen, Nie) 
die Fortpflanzungsorgane, wie die Paraphysen in den Conceptakeln 
der Fucaceen, und bisweilen sind sie vielleicht als Nahrung zu- 
leitende Organe aufzufassen, nämlich bei endophytisch lebenden Algen, 
die Haare nach außen senden; wohl am deutlichsten erscheint die 
Funktion der Haare als die von Schutzorganen da, wo sie in der 
Entwicklung begriffene Teile umgeben, sei es die Vegetationspunkte 
des Stammes oder die Anlagen der Fortpflanzungsorgane. Im All- 
gemeinen wissen wir über die Funktion der aufrechten Haare recht 
wenig Sicheres, doch können wir wohl so viel sagen, dass eine Be- 
ziehung zwischen den Verschiedenheiten des Baues und der Funktion 
nieht in dem Sinne besteht, dass für eine bestimmte Funktion Haare 
von gleichem Bau bei den verschiedenen Algen gebildet würden. 

Für die Darstellung der haarartigen Organe bei den Algen scheint 
es mir nun zweckmäßig die Hauptgruppen nach den größeren Ab- 
teilungen der letzteren zu bilden, zur weiteren Einteilung aber teils 
die systematische Anordnung der Algen nach Familien ete., teils die 
morphologische Beschaffenheit der Haare zu benutzen. 

Wir beginnen mit den Rhodophyceen oder Fig. 1. 
Florideen, bei denen haarartige Organe ziemlich 
verbreitet sind. Besonders bei solchen Flori- 
‘deen treten sie vielfach auf, die einen strauch- 
artigen Thallus mit dünnen biegsamen Aesten be- 
sitzen, während bei den knorpeligen und fleischigen 
ebenso wie bei den blattartigen Formen die Haare 
zu fehlen pflegen. Ganze größere Familien sind 
es also, bei denen Haare gar nicht oder ganz 
vereinzelt vorkommen, wie die Cryptonemia- 
ceen (im Sinne Berthold’s), Gigartinaceen, 
khhodymeniaceen, Sphaerococcaceen, Ge- 
lidiaceen, Delesseriaceen. 

Auch die durch Verkalkung des Thallus aus- 
gezeichneten Corallinaceen entbehren der Haare 
mit wenigen Ausnahmen, die hier gleich erwähnt . 
seien. So bildet Bornet!) eine Corallina (Jania) 
rubens L. ab, welche ganz mit äußerst zarten, ein- 
fachen, farblosen, einzelligen Haaren bekleidet ist. 
Ferner habe ich eine Melobesia pustulata Lamx. 
von der Insel Malta untersucht, von deren scheiben- 
förmigem Thallus sich zahlreiche, lange, einzellige 
und unverkalkte Haare erhoben (Fig. 1). 

Von andern Kalkflorideen ist Galaxaura bisweilen mit Haaren 
versehen, die dann auch unverkalkt sind. Bei einer brasilianischen 





1) Reproduktion in Hauck, Meeresalgen S. 278. 


74 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 
Galaxaura-Art fand ich mehrzellige, manchmal verzweigte Haare, deren 
Zellen aber reichlich Farbstoff enthielten !). 

Als Haarbildner kommen besonders inbetracht die Familien der 
Rhodomelaceen, Ceramiaceen und Wrangeliaceen. Im All- 
gemeinen lässt sich nur bemerken, dass die Haare hier immer einen 
zelligen Bau besitzen und sich durch den Mangel des Farbstoffs aus- 
zeichnen, im übrigen sei auf die Angaben bei den einzelnen Gruppen 
verwiesen. 

Bei den Rhodomelaceen sind die Haare meist wiederholt 
gabelig verzweigte Zellfäden am Ende der wachsenden Aeste mit 
farblosen und inhaltsarmen Zellen. Sie sind auch meist hinfällig, 
denn sie lösen sich von den Teilen, welehe ihr Wachstum einstellen, 
ab und gehen zu Grunde. Ihr Auftreten kann überhaupt auf eine 
gewisse Entwicklungsperiode der betreffenden Alge beschränkt sein, 
so dass man aus der Untersuchung eines beliebigen Exemplares noch 
keine sichere Angabe über Vorkommen oder Fehlen der Haare machen 
kann. Die Zellen, aus welchen die Haare bestehen, sind meistens 
langgestreckt und dünn, und zwar pflegen sie um so länger und 
dünner zu sein, je näher sie der Spitze der Haare liegen. Ueber 
deren Funktion lässt sich mit großer Wahrscheinliehkeit vermuten, 
dass sie als Schutzorgane für die jungen im Knospenzustand befind- 
lichen Triebe, welche von ihnen umhüllt werden, dienen, in ähnlicher 
Weise wie die jungen Blätter in der Laubknospe einer höheren Pflanze 
den Vegetationsscheitel schützen. Das Verhalten bei den einzelnen 
Gattungen und Arten ist etwas verschieden. 

So finden wir an den Spitzen der jungen Zweige Haarbüschel 
bei den meisten Arten der Gattungen Rhodomela, Polysiphonia, Alsidium, 
Chondria, Dasya u. a. Bei Chondria und Polysiphonia sind die Haare 
auch die Träger der männlichen Reproduktionsorgane, indem die meist 
kätzehenförmig gestalteten Antheridien an den Basalgliedern der Haare 
sitzen, mit denen sie dann abgeworfen werden. Bei Dasya ist oft 
kein scharfer Unterschied zwischen den Haaren und den letzten Aus- 
zweigungen des Thallus, weil hier die Aestehen, welche von den 
stärkeren Aesten allseitig oder fiederartig ausgehen, ganz oder doch 
in den letzten Verzweigungen monosiphon gegliedert sind. Als Haare 
können dann nur die Zellfäden angesehen werden, die sich durch 
ihren Mangel an Inhalt und ihre Hinfälligkeit ven den übrigen Thallus- 
teilen unterscheiden: als Beispiel dafür sei Dasya elegans (Mart.) Ag. 
angeführt. Eine eigentümliche Form ist Leveillea Schimperi Deene 
(Kützing’s Tabulae phyeologieae, Bd.XV, Tab.7), welche den Habitus 
einer beblätterten Jungermanniacee besitzt und auf den Spitzen 
der seitlichen blattartigen Organe Büschel gegliederter, verzweigter 
Haare trägt. Bei den Arten von Laureneia sind die im Querschnitt 
aus zahlreichen Zellen bestehenden Sprosse am Ende stumpf und ihr 


1) Notarisia V, Nr. 20, p: 1079, Tab. I, Fig. 3. 








Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 76) 
Scheitel liegt mehr oder weniger stark in einer Vertiefung eingesenkt. 
Die auf dem Scheitel stehenden Haarbüschel sind bei manchen Arten 
ganz in dieser Höhlung versteckt, also äußerlich nicht sichtbar (z. B. 
L. obtusa (Huds) Lamx.) während sie bei anderen mit flach aus- 
gehöhlten Zweigenden weit aus der Mündung hervorragen (z. B. 
L. eyanosperma Kütz.). Bei der ebenfalls zu den Rhodomelaceen 
sehörenden, auf Laureneia obtusa halb endophytisch lebenden Kicardia 
Montagnei Derb. et Sol. kommen nur unverzweigte Haare vor, die 
aber ziemlich lang und im oberen Teile farblos sind. Gattungen 
dieser Familie, bei deren Arten die Haare ganz zu fehlen scheinen, 
sind: Bonnemaisonia, Digenea, Rytiphloea, Vidalia, Bostrychia, Halo- 
dietyon u. a. 

An die Familie der Rhodomelaceen schließt sich bezüglich 
der Haarbildung die ihr auch sonst nahestehende Familie der Cera- 
miaceen an. So besitzt z. B. Griffithsia barbata Ag. farblose, wieder- 
holt 2- bis 4mal geteilte lange Haare, ganz ähnlich denen von Poly- 
siphonia, an den Enden jüngerer Aeste, sie dienen auch hier offenbar 
zum Schutz des Vegetationspunktes und sind an älteren Thallusteilen 
nicht mehr vorhanden. Bei manchen Callithamnion- und Antithamnion- 
Arten (z. B. A. plumula (Ellis) Thur. $. cerispum Hauck und €. 
seirospermum Griff.) sind die Endzellen einiger Aeste farblos und 
hinfällig und können deshalb als Haare von den Aesten, die auch 
nur aus einem einfachen Zellfaden bestehen, unterschieden werden. 
Solche farblose Haare finden wir ferner in verschiedener Ausbildung bei 
Ceramium-Arten. Es kommen hier erstens vor an den Gelenken sehr 
zarte, farblose fadenförmige Haare, meist einzellig, wie bei manchen 
Formen von C. rubrum (Huds.) Ag, bisweilen aber auch mehrzellig, 
wie ich es bei einer Form von ©. eöreinatum (Kg.) J. Ag. beobachtete; 
zweitens treten, ebenfalls an den Gelenken, farblose diekere und kür- 
zere, an den Enden aber zugespitzte Haare auf, welehe entweder ein- 
zellig sind, z. B. ©. (Acanthoceras) echinatum (Kg.) J. Ag., oder aus 
mehreren Zellen bestehen: z. B. ©. (Centroceras) celavulatum (Montg.) 
Ag. Bei ©. (Echinoceras) ciliatum (Kg.) Duel. finden wir beiderlei 
Gebilde vereinigt, so dass jeder Knoten einen Wirtel 3- bis 6gliedriger 
Stacheln trägt, außerdem aber auch in unregelmäßiger Verteilung un- 
gegliederte zarte fadenförmige Haare. Bei manchen Formen von 
Spyridia filamentosa (W ulf.) Harv. finden sich ganz feine, farblose, 
einzellige Haare an den Gelenken der Aestchen, wie ich es an einem 
Exemplar von der Insel Malta sah; Kützing hat diese Form als 
Sp. villosiuscula bezeichnet (Spee. Alg., p. 667, Tab. phyeol., XII, 48). 
Diese Beispiele mögen genügen, um die Haare der Ceramiaceen 
zu charakterisieren. 

Von den Florideen sei dann noch der Verwandtschaftskreis 
der Wrangeliaceen und Helminthocladiaeeen erwähnt. Unter 
den letzteren sind es die Gattungen Helminthora, Nemalion und Liagora, 


16 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


bei denen die Haare eine charakteristische Eigenschaft bilden. Sie 
bestehen hier aus je einer langen, fadenförmigen, inhaltsarmen Zelle, 
welche den Endzellen der die Rindenschicht bildenden kurzzelligen, 
reichverzweigten Aestehen aufsitzt und nach einiger Zeit abgeworfen 
wird. Von den Wrangeliaceen ist besonders Wrangelia selbst zu 
‘nennen: bei W. penicillata Ag. treffen wir ähnlich wie bei Polysiphonia 
gebaute, 1 bis 3 mm lange verzweigte Haare, die durch ihr reich- 
liches Auftreten den jugendlichen Teilen des Hauptfadens und seiner 
Aeste ein zottiges Aussehen verleihen, während sie an den älteren 
Teilen oft fehlen. 

Einfache und einzellige Haare dagegen finden wir wieder bei den 
sich hier anschließenden Gattungen Chantransia und Batrachospermum. 
Die Haare sind auch hier durch ihre Dünne, Farblosigkeit und Hin- 
fälligkeit ausgezeichnet, sie bilden die Spitzen einzelner Zweige. Bei 
den Chantransia- Arten, von denen übrigens die einen reichlich, die 
andern nur spärlich mit Haaren versehen sind, sind die Haare in der 
Regel fein zugespitzt, während sie bei den Batrachospermum - Arten 
am Ende abgerundet sind. Von letzteren ist besonders die Gruppe 
des B. moniliforme (Roth) Ag. und B. vagum Ag. dureh reichliche 
Haarbildung ausgezeichnet. Da ich eine australische Form von B. 
vagum genauer betreffs der Haare untersucht habe, so will ich mit 
deren Beschreibung die Angaben über die haarartigen Gebilde der 
Florideen abschließen, allerdings ohne diese Ordnung in jener Hin- 
sicht erschöpfend behandelt zu haben !). 

Die Haare bestehen aus sehr langen zylindrischen, oben abge- 
stumpften, sehr dünnwandigen Zellen, in denen nur an der Spitze 
eine größere Plasmaansammlung zu sehen ist, im übrigen Teil aber 
nur ein dünner körniger plasmatischer Wandbelag. Sie entstehen als 
schlauchförmige Ausstülpungen terminal oder seitlich am Ende der 
letzten Zweigzelle. Auch wenn die Ausstülpung schon 2- bis 3 mal 
länger als breit geworden ist, hat sie sich noch nicht von der Trag- 
zelle abgegliedert, sondern das Plasma, mit dem sie ganz ausgefüllt 
ist, geht kontinuierlich in das der Tragzelle über. Es erfolgt dann 
die Abgliederung der Zelle und bei der weiteren Streckung bleibt die 
Hauptmasse des Plasmas an der Spitze angesammelt. Wahrscheinlich 
findet hier auch hauptsächlich das Längenwachstum des Haares statt. 
Die äußere Membranschicht der Tragzelle folgt nur eine kurze Strecke 
weit der Ausstülpung, dann wird sie gesprengt und bildet an der 
Basis eine Scheide um das nur noch von der inneren Membranschicht 





1) Es sei hier nur noch hingewiesen auf einige Formen, deren Haare mir 
nach den Abbildungen in Kützing’s Tab. phycol. bemerkenswert erscheinen, 
die ich aber vicht selbst untersuchen konnte: Dasyphloea insignis Kg. (1. e. 
Bd. XVIII Tab. 18), Aglaophyllum ciliolatum Kg. (XIX, 7), Ptilophora spissa Kg. 
(XIX, 45), Thamnoelonium hörsutum Kg. (XIX, 47). 





Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. IN 


umkleidete Haar. Deswegen besitzt auch der basale Teil des Haares 
eine etwas derbere und stärker glänzende Membran und verläuft eine 
feine Linie quer über das Haar in einer Höhe, die ungefähr den dop- 
pelten Querdurchmesser des Haares beträgt (Fig. 2a). 
An dieser Stelle bricht auch das Haar leicht ab und 
es bleibt dann eine hohle oben offene Röhre auf der 
Tragzelle stehen. Letztere aber hat die Fähigkeit in 
diese Röhre und durch dieselbe hindurch ein neues Haar 
auszubilden, das dann an seiner Basis noch von einer 
lockeren kurzen Scheide umgeben ist (Fig. 25). Diese 
Verhältnisse sind für uns deswegen von Interesse, weil 
wir das Aufreissen der äußeren Membranschicht über 
der Ansatzstelle des Haares bei verschiedenen Chloro- 
phyceen wieder antreffen werden. Anderseits findet 
das Durchwachsenwerden der abgeworfenen Haare eine 
Analogie in dem der entleerten Antheridien bei Ba- 
trachospermum und der entleerten Sporangien bei Ohan- 
transia und andern Algen. 

Gehen wir jetzt zu den Phaeophyceen über, so 
sehen wir hier Haare als besondere Organe des Thallus 
sehr verbreitet vorkommen. Dieselben sind meistens ° a b 
einfache Zellreihen, seltener sind sie einzellig und noch seltener ver- 
zweigt. Jene wachsen gewöhnlich an ihrer Basis, also intercalar, 
in andern Fällen durch eine ziemlich gleichmäßige Teilung aller Zellen. 
Entweder treten sie einzeln auf oder, was häufiger vorkommt, in 
ganzen Gruppen und in letzterem Falle bisweilen aus Vertiefungen 
des Thallus aussprossend. Bemerkenswert ist die Beziehung der Haare 
zum Wachstum des Sprosses bei den einen Formen und zu den Fort- 
pflanzungsorganen bei den anderen Formen. Diese Umstände können 
wir benutzen, um einzelne Gruppen zu bilden, nach denen die hier 
zu betrachtenden Beispiele sich anordnen lassen. 

Als erste Gruppe können wir diejenigen Haare ansehen, welche 
mit dem Längenwachstum des Thallus nichts zu thun haben und un- 
abhängig von den Fortpflanzungsorganen entstehen; hier findet sich 
nur manchmal eine Beziehung zwischen letzteren und den Haaren in 
ihrer Anordnung. Die in Rede stehenden Haare bezeichnen wir nach 
dem Vorgange Kützing’s als Sprossfäden, wenn dieser auch den 
Ausdruck wohl in etwas engerem Sinne gebraucht hat. Es ist ihnen 
gemeinsam, dass sie nach der ersten Anlage, bei welcher sich dureh 
wiederholte Teilungen in derselben Richtung ein kurzer Zellfaden 
gebildet hat, ein interecalares Wachstum annehmen, indem die Tei- 
lungen mehr oder minder deutlich auf die Basis beschränkt sind und 
eine allmähliche Streckung der Zellen in der Folge von oben nach 
unten erfolgt. Ferner führen sie meistens in den langen zylindrischen 
Zellen keine Chromatophoren, doch kann das Plasma im Alter eine 








18 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


braune Farbe annehmen. Mit dem zunehmenden Alter des betreffen- 
den Thallusteiles sterben sie oft ab und werden abgeworfen. 

Zunächst seien einige Algen genannt, bei denen die Haare ver- 
einzelt und ohne nachweisbare regelmäßige Anordnung am Thallus 
auftreten. Myröotrichia clavaeformisHarv. (auch M. adriatica Hauck) 
ist, wie ihr Gattungsname sagt, durch reiehliche Haarbildung ausge- 
zeichnet; die langen Haare stehen in gewissen Abständen seitlich an 
dem fadenförmigen, aber polysiphon gegliederten Thallus und sind 
nach oben gerichtet. Bei den Streblonema- Arten (inkl. Streblonema 
investiens Thur.) wächst der Thallus zwischen den Rindenzellen größerer 
Algen und besteht aus verzweigten Zellfäden: die nach außen abge- 
gebenen Aeste entwickeln teils die Sporangien, teils werden sie zu 
farblosen Fäden, also Haaren. Bei den Sphacelaria-Arten stehen die 
Haare einzeln, seitlich auf den Gliedern der Aeste, werden aber direkt 
in der Scheitelzelle derselben angelegt, welche dabei eine Ablenkung 
ihrer Wachstumsrichtung erleidet. So finden wir es nach Prings- 
heim!) bei Sph. olivacea Ag., Sph. tribuloides Menegh. u. a. 

Von den Sprossfäden abweichende, einzelnstehende Haare kommen 
nach Reinke!) auf der Thallusfläche steriler Pflanzen von Cutleria 
multifida Grev. vor. Sie sind auch einfache gegliederte Fäden mit 
zylindrischen Zellen, dieselben enthalten aber Chromatophoren und 
sind sämtlich teilungsfähig, das Wachstum geht also nicht von der 
Basis aus. Häufiger als einzelnstehende Haare finden wir in Büscheln 
oder Reihen vereinigte; wenn die Haare nicht zu zart sind, geben 
sich ihre Gruppen dem bloßen Auge schon als Punkte oder Linien 
zu erkennen. Die Haarreihen setzen eine gewisse Regelmäßigkeit der 
Anordnung voraus, während die Haarbüschel sowohl in bestimmter 
Stellung als unregelmäßig zerstreut am Thallus auftreten können. 
Das letztere finden wir z. B. bei manchen Punctaria- Arten, wie P. 
plantaginea (Roth.) Grev. und P. /atifolia Grev., mit band- oder 
blattförmigem Thallus. Aehnlich verhalten sich die Dietyota- Arten, 
wo die Entwicklung der Sprossfäden durch Nägeli genau be- 
kannt ist. Sie finden sich hier in voller Ausbildung nur, solange 
die Pflanze noch keine Fruktifikationsorgane entwickelt hat; wenn 
diese entstehen, so fallen die Haare ab. Bei der mit Dietyota nahe 
verwandten Dictyopteris ist manchmal schon eine gewisse Regelmälig- 
keit in der Anordnung der Haarbüschel zu beiden Seiten der Mittel- 
rippe auf dem blattförmigen Thallus zu erkennen. Wenn die Haare 
ausgewachsen sind, brechen sie etwas oberhalb der Basis ab, aber 
aus den stehen gebliebenen Basalstücken können unter Umständen 
neue Sprossfäden hervorwachsen. Von Uutleriaceen sei hier an- 


4) Ueber den Gang der morphologischen Differenzierung in der Sphace- 
larien-Reihe (Abhandl. d. k. Akad. d. Wissensch., Berlin 1873) S. 166. 

2) Entwieklungsgeschichtliche Untersuchungen über die Cutleriaceen 
(Nova Acta Leop.-Carol., Bd. XL, Dresden 1878) S. 60. 





Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 19 


geführt Aglaozonia reptans Kütz., welche Pflanze auch im sterilen 
Zustande vereinzelte Sprossfädenbüschel, denen von Dictyota gleich, 
auf ihrer Oberfläche entwickelt. Von Laminarieen schließlich 
können wir Alaria nennen mit Haarbüscheln, welche auf beiden Seiten 
der Blattfläche als Punkte erscheinen. 

Bei anderen Phaeophyceen aus dieser Gruppe nehmen die 
Haarbüschel eine ganz bestimmte Stellung ein. Sehr deutlich zeigt 
sich dies z. B. bei Cladostephus vertieillatus Ag., welche Alge die 
höchste morphologische Differenzierung in der Sphacelarienreihe er- 
reicht hat (Pringsheim |. e.). Die als Blätter bezeichneten Seiten- 
triebe des Stammes tragen nämlich einige seitliche Zipfel und nur in 
den Achseln dieser Blattzipfel wird je ein, wie es scheint immer vier- 
zähliges Haarbüschel entwickelt, dessen einzelne Fäden aber verhält- 
nismäßig kurz bleiben. Bei anderen Formen sehen wir Büschel 
längerer Haare die Spitzen bestimmter Zweige krönen, so bei den 
Arten von Sporochnus, Stilophora und Nereia, wo sie schon mit bloßem 
Auge an den jungen Zweigen wahrzunehmen sind, während sie von 
den älteren abgefallen sind. 

Bei den eben genannten Algen ist der Thallus strauchförmig mit 
zylindrischen Aesten, bei den Dietyotaceen Padina, Taonia und 
Zonaria ist er flach fächerförmig oder bandförmig: hier sind die 
Sprossfäden in quer über den Thallus in gewissen Abständen ver- 
laufenden Zonen angeordnet. Sie entwickeln sich dicht unter dem 
an der Spitze gelegenen Vegetationsscheitel in der oben angegebenen 
Weise, sind aber, bevor sie durch das interkalare Wachstum sich zu 
langen, oben farblosen Fäden ausgebildet haben, anfangs von der 
vorgewölbten Cutieula bedeckt, die dann gesprengt wird; später 
werden sie während der Ausbildung der Fortpflanzungsorgane ab- 
gestoßen. 

In die zweite Gruppe würden wir sodann diejenigen Haare stellen, 
welche in Beziehung zu dem Längenwachstum des Thallus stehen 
und ein von Janezewski!) als trichothallisch bezeichnetes Wachs- 
tum bedingen. Bei den betreffenden Algen nämlich geht der Thallus 
an der Spitze in ein oder mehrere Haare aus und an der Uebergangs- 
stelle des eigentlichen Thallus in das Haar findet lebhafte Zellteilung 
statt, die nach oben abgegebenen Zellen werden dabei zu Gliedern 
des Haares, welches allmählich an der Spitze abstirbt, indem sie sich 
strecken und keinen Farbstoff ausbilden; die nach unten abgegebenen 
Zellen dagegen vermehren die Substanz des Thallus und bilden seinen 
Längenzuwachs an der Spitze. 

Den einfachsten Fall dieser Art finden wir bei einigen Arten der 
Gattung Eetocarpus (E. penieillatus Ag., litoralis (L.) Kuckuk, con- 
Fervoides Roth, dasycarpus Kuckuk) und bei Sorocarpus uvaeformis 
Pringsh. Hier besteht der Thallus aus verzweigten Zellfäden, die, 





1) Mem. d. 1. soc. sc. nat. Cherbourg 1875. 


Ss0 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


soweit sie überhaupt weiterwachsen, an der Spitze in eine einfache 
Zellreihe ausgehen, deren Zellen mehr gestreckt und farblos sind im 
Gegensatz zu den Chromatophoren führenden kurzen Thalluszellen. 
Uebrigens haben auch diese letzteren die Fähigkeit weiterer Teilung 
behalten, so dass ein scharf begrenzter Vegetationspunkt nicht vor- 
handen ist. Aehnlich verhält sich Dichosporangium repens Hauck, 
nur dass hier die aufrechten Fäden in zwei oder mehrere Haare an 
der Spitze auslaufen; es müssen sich also die von der dicht unter- 
halb der Haare liegenden Teilungszone nach oben abgegebenen Zellen 
sehr bald ein- oder mehrmals längs teilen und die Zellen auseinander- 
weichen. 

Bei den Mesogloeaceen können wir uns den Thallus aus in 
der Längsrichtung verflochtenen Eetocarpus- Fäden zusammengesetzt 
vorstellen: der Vegetationspunkt liegt auch unterhalb der endständigen 
Haare. 

Bei Striaria geht der zylindrische, im Querschnitt größtenteils 
aus vielen Zellen bestehende Thallus an der Spitze in eine Zellreihe 
aus, die von einem einfachen Haare gekrönt ist, also auch hier haben 
wir ein trichothallisches Wachstum. 

Dasselbe ist der Fall bei Desmarestia aculeata aber mit dem Unter- 
schied, dass die „Haare“ nicht einfache farblose Zellreihen, sondern 
verzweigte Zellfäden sind, deren Zellen reichlich Farbstoff führen, 
Sie dienen als Assimilationsorgane, fallen aber später wie andere 
Haare ab. Man wird vielleicht diese, auch seitlich am Thallus auf- 
tretenden Gebilde besser als „Blätter“ bezeichnen, allein in der Lage 
des Vegetationspunktes zwischen dem eigentlichen Thallus und dem 
letzten fadenförmigen Abschnitt desselben schließt sich Desmarestia 
an Eetocarpus an und sind die endständigen „Blätter“ der ersteren 
Alge den Endhaaren der letzteren homolog. 

Besonders interessant ist das Auftreten der endständigen Haare 
bei den Cutleriaceen. Cutleria multifida Grev. z.B. besitzt einen 
bandförmigen, wiederholt dicho- bis polytom gespaltenen Thallus, der 
am Ende fransenförmig in einzelne Haare aufgelöst ist: Haare und 
Thallus wachsen durch dieselbe Initialschicht, welche an der Basis 
eines jeden freien Haares gelegen ist, aber die nach unten abgegebenen 
Zellen verwachsen gruppenweise mit einander auf das innigste und 
bilden so die bandförmigen Thallusstücke. 

Die Haare selbst sind in dieser Gruppe, wie schon mehrfach an- 
gedeutet, bei den verschiedenen Algen, mit Ausnahme von Desmarestia, 
sehr ähnlich gebaut und es ist über ihren Bau dem, was über die 
Sprossfäden in der ersten Gruppe gesagt wurde, nichts hinzuzufügen. 
Sie sind also gewissermaßen als endständige Sprossfäden anzusehen. 

Etwas größere Verschiedenheit finden wir bei den Haaren der 
dritten Gruppe, die in Beziehung zu den Fortpflanzungsorganen stehen. 
Sie kommen entweder zwischen den Sporangien und Gametangien in 








Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. si 


den Soris vor oder dienen als Träger der genannten Organe. Hier 
haben wir außer den einfachen Zellreihen auch verzweigte Zellfäden 
und einzellige Haare, besonders die letzteren finden wir häufig auch 
farbstoffführend. Wir können sie nach ihrer Stellung als Paraphysen 
zusammenfassen. 

Als Beispiele für das Vorkommen mehrzelliger Paraphysen führen 
wir die Sporochnaceen und Cutleriaceen an. Bei ersteren sind 
die Parapbysen torulos gegliedert und keulenförmig, die Endzelle ist 
besonders angeschwollen, kuglig oder birnförmig gestaltet. Bei Nereva, 
Asperococcus und Stilophora sind die Paraphysen unverzweigt, bei den 
beiden ersteren stehen sie zwischen den Sporangien, bei der letzteren 
entspringen die Sporangien an der Basis der Haare. Wie bei Stlo- 
phora sind auch bei Sporochnus die Sporangien seitliche Aeste der 
Paraphysen, diese sind aber hier verzweigt und vereinigen sieh zu 
ovalen oder birnförmigen Fruchtkörpern, an deren Ende ein Büschel 
von Sprossfäden steht. Auch bei den Cutleriaceen sitzen die 
Antheridien und Oogonien an den Paraphysen, die zu büscheligen Soris 
vereinigt sind, bei seitlicher Anheftung der Fortpflanzungsorgane kann 
die Paraphyse in ein langes sprossfadenähnliches Organ auswachsen. 

Bei den meisten Dietyotaceen kommen zwischen 
den Fruktifikationsorganen keine Haare vor, die ersteren 
bilden oft Reihen, die mit den Reihen der Sprossfäden in 
bestimmter Weise abwechseln, wie bei den Padina-Arten. 
Bei Phycopteris dagegen bestehen die Sori aus Fruktifika- 
tionsorganen und Paraphysen. Ich untersuchte Ph. stu- 
posa Kg. in einem an der brasilianischen Küste gesammelten 
Exemplar, das auf beiden Seiten des Thallus vereinzelte 
punktförmige Sori trug. Dieselben bestanden aus Tetra- 
sporangien und zahlreichen vier- bis fünfzelligen Haaren, 
deren untere Zelle keulenförmig, die oberen kugelförmig an- 
geschwollen waren, die also den Paraphysen von Aspero- 
coccus sehr ähnlich sind (Fig. 3). Wie Ph. stuposa verhält 
sich nach Kützing’s Abbildung (Tab. phycol., IX, 67) 
Ph. interrupta Kg., während Stoechospermum marginatum 
Kg. (l. e. Tab. 40) einzellige Paraphysen zu besitzen 
scheint. 

Solche treffen wir ferner bei den Seytosiphoneen 
und Laminarieen. Von ersteren sei Scytosiphon und 
Hydroclathrus genannt mit einzelnen verkehrt eiförmigen 
oder birnförmigen Paraphysen zwischen den zu Soris vereinigten 
Zoosporangien. Bei Chorda, die man früher zu den Laminarieen 
rechnete, bedecken Sporangien und Paraphysen fast die ganze Thallus- 
oberfläche, letztere sind keulenförmig und sind in ihrem angeschwol- 
lenen Ende reichlich mit Farbstoff versehen, aueh sind sie ziemlich 
diekwandig. 

DSL. 6 





NS 


Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


Von Laminarieen untersuchte ich Laminaria digitata Lamx. 
Hier haben wir zweierlei Paraphysen: am Rande der Sori, wo keine 
Sporangien stehen, zwei- bis vierzellige, nach oben etwas 
keulenförmig verdickte Fäden und in der Mitte der Sori 
zwischen den Sporangien einzellige Paraphysen von seh, 
eigentümlicher Gestalt (Fig. 4). Am Grunde sind sie dünn 
zylindrisch und verdicken sich nach oben etwas, am oberen 
Ende sind sie quer abgestutzt und hier ist die Membran 
sehr stark verdickt. Es scheint, dass die innere Membran- 
schicht am Scheitel des Haares zu einer schleimigen Masse 
aufgequollen ist, welche die äußere Membranschicht erst 
gedehnt, dann aufgerissen hat. Diese schleimige Masse 
sitzt nun wie ein Pfropf in der zylindrischen äußeren Mem- 
bran, die sich nach unten bis zur Basis des Haares fort- 
setzt. Im Inneren der Zelle finden wir ziemlich viel Plasma 
und wohl auch Farbstoff. Bei Alaria scheinen die Paraphysen 
ebenso wie bei Laminaria gebaut zu sein. 

Schließlich will ich aus dieser Gruppe noch Ascocyelus 
(Myrionema) orbicularis Magn. erwähnen, weil hier zwischen 
den Sporangien zweierlei Paraphysen vorkommen, nämlich 
solche, die den Sprossfäden gleichen und einzellige schlauchförmige, 
diekwandige farblose Haare von verschiedener Länge. Diese beiden 
Haarformen und die Sporangien erheben sich untereinander gemischt, 
von einer dem Substrate aufliegenden einfachen Zellscheibe, die den 
vegetativen Teil des Thallus darstellt. 

Eine besondere Gruppe für sich dürften die Haarorgane der 
Fucaceen bilden, welche in grubenförmigen Vertiefungen stehen, 
die in die Rinde des Thallus eingesenkt sind und sieh nur mit enger 
Mündung nach außen öffnen. Enthalten diese sphärischen bis ellip- 
soidischen Hohlräume keine Fortpflanzungsorgane sondern nur Haare, 
so nennen wir sie Fasergrübchen. Dieselben finden sich in der Regel 
auf dem Thallus verstreut bei den meisten Fucaceen. Von ihrer 
inneren Wandung erheben sich Haare, die ganz mit den Sprossfäden 
übereinstimmen und durch das basale Wachstum zum Teil noch aus der 
die Mündung hervorgeschoben werden, so dass sie außen büschel- 
förmig ausstrahlen. Bei Cystosira barbata Ag.) ist beobachtet worden, 
dass die Sprossfäden, da sie dureh mechanische Einflüsse leicht ab- 
gerieben werden, kontinuierlich neu nachgebildet werden, wenigstens 
während der kräftigsten Vegetation der Pflanze, im Winter. Dieselben 
Haare, wie in den Fasergrübehen, finden sich in den Coneeptacula 
genannten Höhlungen, welche männliche oder weibliche Organe oder 
beide zugleich enthalten. Hier würden wir sie als Paraphysen zu 
bezeichnen haben und ebenso können wir die verzweigten Zellfäden 














En ER Te STH 





1) Dodel-Port, Biologische Fragmente, Teil I. Cassel und Berlin. 
Th. Fischer. 1885. 














Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. s3 


nennen, an denen die Antheridien ansitzen. Daraus sieht man aber, 
dass zwischen Sprossfäden und Paraphysen kein durchgreifender 
Unterschied gemacht werden kann. Was die Funktion der Haare in 
den Conceptakeln betrifft, so dienen sie wohl zum Teil dazu, dass 
sie den ausgestoßenen Antheridieninhalten und Eiern die Richtung 
zum Austritt aus der Mündung geben. Die Haare, welche aus den 
Mündungen der Fasergrübehen vorragen, sollen nach Dodel-Port’s 
Beobachtungen an Cystosira (1. e.) bewirken, dass die ausgestoßenen 
Antherozoidenklumpen nieht durch ihre Schwere im Wasser sogleich 
untersinken, sondern von den Haaren aufgehalten werden, so dass 
das Wasser sie dann auseinanderspülen und die einzelnen Anthero- 
zoiden zu den Eiern hinführen kann. 

Noch eine besondere Art von Haaren bieten uns die Fucaceen 
dar, nämlich innere Haare in den Hohlräumen, welehe als Schwimm- 
blasen an dem Thallus ausgebildet werden. So beobachtete Wille!) 
bei Ozothallia nodosa (L.) Dene et Thur., dass sich von der Innen- 
wand der Blasen kurze, gegliederte zugespitzte Haare in den Blasen- 
raum hineinstrecken, während bei Halidrys siliquosa (L.) Lyngb. 
und Oystosira ericoides (L.) J. Ag. von den querverlaufenden Fäden 
kurze, ein- bis zweizellige zugespitzte oder in abnormen Fällen bauchig 
aufgetriebene Haare gebildet werden. Uebrigens ist hier schon kaum 
mehr von Haaren in morphologisch definierbarer Weise zu sprechen, 
sondern die betreffenden Bildungen sind mehr aufzufassen als Teile 
des lockeren Gewebes, welches die Blasen auskleidet und zum Teil 
auch den Innenraum durchsetzt und von dem sie viel weniger scharf 
abgegrenzt sind als die Haare, welche außen am Thallus bei den 
Phaeophyceeen vorkommen. 

Bei diesen sind, wie wir gesehen haben, die Haare meistens nach 
dem Typus der Sprossfäden gebaut, die andern zeigen auch unter 
sich wenig Verschiedenheiten, sind gewöhnlich einfache Zellfäden, 
seltener einzellig, immer sind es jedenfalls zellige Bildungen ?). In 
dieser Beziehung stehen nun mit den Phaeophyceen im Gegensatz 
die Chlorophyceen, da wir bei ihnen sehr verschiedene Formen 
der Haare unterscheiden können, die nicht immer auf bestimmte 
systematische Gruppen dieser Algen verteilt sind. Wir müssen des- 
halb hier wiederum eine neue Einteilung der Haare vornehmen und 
zwar werden wir zunächst unterscheiden, ob dieselben zellige Struktur 
besitzen oder nicht. Die letzteren sind dann entweder Fortsätze der 
Membran oder des Plasmas, die ersteren sind entweder einfache Fort- 
sätze der Tragzelle oder sie bestehen aus eigenen Zellen und sind 
in diesem Fall ein- oder mehrzellig. Wir werden hierbei aber auch 
Uebergangsformen zu konstatieren haben und werden am besten die 
einzelnen Fälle mit Einschaltung der Uebergänge nach einander be- 


4) Bihang till k. Svenska Vet.-Akad. Handl., Bd. 14, Afd. II, Nr. 4. 
2) Ueber die Cilien der Schwärmzellen. Siehe weiter unten. 
Gr 


SA Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


sprechen in der Reihenfolge, dass wir von den morphologisch am 
höchsten entwickelten, also den mehrzelligen Haaren ausgehen. 

‘Mehrzellige Haare finden wir vor Allem in der Familie der 
Chaetophoraceen und speziell bei den Arten der Gattungen Chaeto- 
phora, Stigeoclonium, Draparnaldia und Endoclonium. Da die Haar- 
bildung bei den 3 ersteren Gattungen von Berthold!) eingehend 
studiert worden ist, so sei es gestattet, einiges aus dessen Beobach- 
tungen hier wiederzugeben. Regelmäßig mit Haarspitzen versehen 
sind Chaetophora und Draparnaldia, bei ersteren besitzen jedesmal 
die ältesten Zweigspitzen ein sehr langes, aus 20 bis 30 Zellen be- 
stehendes Haar, bei letzterer treten die Haare frühzeitiger an den 
Zweigen auf, werden aber nicht so lang, da die oberen Haarzellen 
hier bald abfallen. Dies geschieht auch bei Ohaetophora und Stigeo- 
clonium, aber viel später. Das Haar entsteht, indem die Zellen an 
der Spitze des Astes aufhören sich weiter zu teilen, in die Länge 
wachsen und das Chlorophyll verlieren. Die ausgebildeten Haarzellen 
sind 10- bis 15mal länger als die vegetativen (am längsten bei Stigeo- 
elonium), die unteren zylindrisch, die oberste oft pfriemenförmig zu- 
gespitzt, sie führen hyalines Plasma mit geringen Ueberresten des 
Chlorophylis. Der Uebergang der vegetativen in Haarzellen geschieht 
suecessive von oben nach unten, einzeln oder paarweise. Bei Dra- 
parnaldia und Chaetophora ist nach Berthold eine Art von tricho- 
thallischem Wachstum vorhanden, von einer bestimmten Zelle, der 
Scheitelzelle, werden haarerzeugende Zellen nach oben, zweigerzeugende 
nach unten gebildet, also ähnlich wie bei Eetocarpus u. a. — Bei 
manchen Stigeoclonium-Arten, 2. B. St. /ubrieum Kütz., fand Bertho ld 
im Freien ganz haarlose Exemplare (im Frühjahr), nach vierwöchent- 
licher Kultur traten Haare in großer Menge auf; bei Sf. variabile Näg. 
scheint die Haarbildung erst im Herbst zu beginnen. Ueber Endo- 
elonium ist nieht viel zu bemerken, da es sich in der Haarbildung 
ganz an Ohaetophora anschließt. 

Unter den Chaetophoraceeen soll ferner Herposteiron (Näg.) 
Hansg. mehrzellige Haare besitzen. Hansgirg?’) will wenigstens, 
abgesehen von andern Merkmalen, diese Gattung dadurch von Aphano- 
chaete mit einzelligen Haaren unterschieden wissen. Er beschreibt 
auch (l. e. 8. 214) eine von ihm gefundene Art: H. polychaete mit 
gegliederten Haaren. Die Borsten, deren jede Zelle 2 bis 6, selten 
nur eine besitzt, sind an jungen Zellen am unteren (nicht selten auch 
am oberen) Teile deutlich gegliedert, 10 bis 20, seltener bis 50 und 
mehrmal so lang als die sie tragende Zelle, unten oft etwas erweitert, 
oben in eine farblose Spitze auslaufend, zerbrechlich. In den untersten 
Zellen der Borste sind gelblichgrüne Chromatopboren, in den oberen 

1) Verzweigungen einiger Süßwasseralgen (Nova Acta Leop.-Carol., Bd. XL, 
Dresden 1878) 8. 19. 

2) Flora 1888. 8. 211. 





Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. tor) 


Zellen nur noch farblose oder fast farblose Plasmastreifen vorhanden. 
Aehnlich dieser Art verhält sich 4. globiferum Hansg. (Physiolog. 
und algolog. Mitteilungen, 1590), dessen Zellen auf dem Rücken meist 
einzelne Haare tragen. Diese sind durch einige, wie es scheint, später 
entstehende Querwände gefächert, führen in der untersten Zelle noch 
etwas Chlorophyli und sind oben farblos und in eine sehr feine Spitze 
ausgezogen. | 

Zu Herposteiron in diesem Sinne soll noch gehören H. repens 
(Aphanochaete repens A. Br.) und H. confervicola Näg. (Aph. conf. 
A. Br.), welehe Algen ich leider nicht nach Originalexemplaren unter- 
suchen konnte. Bemerken möchte ich aber, dass die Abbildung von 
ersterer in Rabenhorst’s Flora Europaea Algarum [III, p. 304] !) 
Haare zeigt, welche nicht durch Scheidewände geteilt sind, sondern 
nur eine Anzahl von Inhaltsmassen in bestimmten Abständen besitzen. 
Außerdem habe ich mehrfach eine Alge beobachtet, die ich für AH. 
confervicola halte, die aber auch sicher einzellige Haare besitzt (siehe 
unten). Es scheint mir, dass diese Sache noch weiterer Untersuchung 
bedarf. 

Mehrzellige Haare finden sich sicher noch bei 
einigen Oedogonium-Arten, z. B. Oe. Huntii Wood 
und Oe. polymorphum Wittr. u. Lund. Ich unter- 
suchte eine derartige nicht näher bestimmte Art (aus 
Australien) und führe die gefundenen Verhältnisse 
als Beispiel an (Fig. 5). Die letzte Zelle unter dem 
Haar ist immer etwas verjüngt und trägt an der 
Spitze eine große Anzahl von Kappen. Danach kann 
man den Anfang des Haares bestimmen, denn dessen 
unterste Zelle unterscheidet sich von der vorher- 
gehenden nur durch ihre geringere Dicke, führt aber 
noch ein die Zelle im Umfang fast ausfüllendes 
Chromatophor. Die folgenden Zellen werden all- 
mählich noch etwas dünner und das Chromatophor 
wird relativ immer kleiner; der Zellkern ist bei allen 
deutlich in der Mitte der Zelle wahrzunehmen. Die 
oberste Zelle besitzt ein abgerundetes Ende. Die 
mittleren sind hier die längsten, wie folgende an 
einem Haar gemachte Messungen ergaben: von unten 
angefangen betrug die Länge der acht Zellen, aus 
denen das Haar bestand 30, 60, 100, 120, 100, 110, 
30, 60 Mikren. 





1) Die hier abgebildete Pflanze würde auch wegen der 4ciligen Schwärm- 
sporen zu Aphanochaete repens Berth. (von A. Br.) gehören, doch bezieht 
sich Rabenhorst’s ausdrücklich auf A. Braun, dessen Alge er im trockenen 
Zustande gesehen hat, 


S6 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


Außerdem gibt es aber einige Oedogonium-Arten, bei denen nur 
die letzte Zelle sehr lang, dünn, und inhaltsarm ist, z. B. Oe. ciliatum 
(Hass.) Pringsh., das also bereits in die nächste Gruppe der Chloro- 
phyceen, der mit einzelligen Haaren, gehören würde. 

Charakteristisch sind dieselben für die mit Oedogonium am nächsten 
verwandte Gattung Bulbochaete, deren sämtliche Arten ihre Haupt- und 
Seitensprosse mit Haaren abschließen, die an der Basis noch dieselbe 
Dicke haben wie die Tragzelle, sich dann aber plötzlich verschmälern 
und zu einem sehr langen dünnen Faden auswachsen. Man bezeichnet 
sie deshalb als Borsten, welche an der Basis bulbös angeschwollen 
sind und hat danach dieser Gattung den Namen gegeben. Bei jungen 
Haaren (ieh untersuchte D. elatior Pringsh. aus Australien) sieht 
man in der basalen Anschwellung den Zellkern und etwas farb- 
losen Inhalt, an älteren Haaren ist an dieser Stelle nur noch ganz 
wenig körniger Inhalt zu bemerken und der übrige Teil des Haares 
ist leer. Das Lumen setzt sieh bis zur Spitze fort, dieselbe war aber 
in den meisten Fällen abgebrochen, die Zelle also geöffnet. Trotzdem 
war sie oft noch sehr lang (800 uw und darüber). Durch den eigen- 
tümlichen Zellteilungsmodus!) bei Dulbochaete wird es bewirkt, dass 
ein Teil der Haare an der Basis mit einer kurzen, aus der zweiklappig 
aufgerissenen äußeren Membran bestehenden Scheide umgeben ist, ein 
anderer Teil dagegen keine solche Scheide besitzt. Auch die auf der 
Basalzelle aufsitzende Borste hat keine Scheide, da sie das obere 
Membranstück nicht durchbrochen, sondern kappenförmig abgeworfen 
hat. An Bulbochaete schließt sich an Bulbocoleon piliferum Pringsh.?). 
Die Alge bildet auf dem Substrat kriechende Fäden, einige Zellen 
tragen auf dem Rücken die langen Haare, welche unten zwiebelförmig 
angeschwollen sind und in diesem Teil noch Reste des Inhats mit 
etwas Chlorophyll enthalten. Die äußere Membranschieht umgibt den 
dünnen Teil des Haares nur in seiner unteren Hälfte, die obere Hälfte 
wird nur von der inneren Membranschicht gebildet, welche also beim 
Wachstum die äußere gesprengt und durchwachsen hat, eine Erschei- 
nung die wir noch oft bei solchen Haaren antreffen werden. Die 
obere zartere Hälfte scheint leicht ganz oder doch an der Spitze ab- 
zubrechen. 

Zur Gattung Bulbocoleon habe ich auch eine Alge gestellt, die 
ich endophytisch in der Membran von Oladophora fracia lebend fand’). 
Indem ich die Zugehörigkeit dieser Alge zur genannten Gattung frag- 
lich lasse, erwähne ich sie hier nur, weil sie ebenfalls einzellige lange 


1) Ueber die Wachstumsweise von Bulbochaete vergleiche man Prings- 
heim’s vortreffliche Arbeit über die Morphologie der Oedogonieen in Prings- 
heim’s Jahrbüchern, Bd. I, 1858. 

2) Pringsheim, Zur Morphologie der Meeresalgen. Berlin 1862, 

3) Notarsia, 1891, p. 1292. 














Kolossow, Struktur des Endothels. 81 


(dünne Haare mit wenig Inhalt besitzt, welche die Membran der Wirts 
pflanze durchbohren und frei nach außen ragen. Sie sind nur 1-2 u 
diek, erreichen aber eine Länge von 0,2 mm, an der Basis sind sie 
nieht angeschwollen, sondern eher eingeschnürt. 

(Schluss folgt.) 


Ueber die Struktur des Endothels der Pleuroperitonealhöhle, 
der Blut- und Lymphgefäße. 
Vorläufige Mitteilung. 
Von Dr. A. Kolossow, 


Assistent am histologischen Kabinete der Universität Moskau, 


Das Endothel der Pleuroperitonealhöhle (des Göloms), der Blut- und 
Lymphgefäße wird gewöhnlich als aus einer Schicht ganz flacher, durch- 
sichtiger, fast homogener, kernhaltiger Zellen bestehend beschrieben. 
Jede Zelle ist von den Rändern ihrer Nachbarn allseitig begrenzt. 
Die schwarzen Linien, welche an versilberten Präparaten zwischen 
den Zellen erscheinen, werden für den Ausdruck einer besonderen 
Substanz (Kittsubstanz v. Recklinghausen) gehalten; dieselbe soll 
die Zellen miteinander verbinden. Der Verlauf dieser Linien ist 
durch kleine schwarze Punkte, Kreise und Ringe unterbrochen. Diese 
sogenannten Stigmata und Stomata erscheinen aber äußerst un- 
beständig. Die Bedeutung und die Ursachen ihrer Erscheinung unter 
normalen und pathologischen Bedingungen sind bis jetzt noch bei- 
nahe vollständig unaufgeklärt. Bei den Säugern am Pleuroperitoneal- 
endothel finden sich an gewissen Stellen (Pleura, abdominale Fläche 
des Diaphragmas, großes Netz, Tunica vaginalis, Testis propria ete.) 
zwischen den gewöhnlichen flachen kleine protoplasmatische relativ 
hohe Zellen („endotheliale Keimzellen“. Klein). Dergleichen Zellen 
(„Keimzellen“;) kommen auch beim Frosche und bei der Kröte in 
demselben Endothel zerstreut vor. Viele Forscher haben beim Frosche 
hier auch mit Flimmerhaaren besetzte Zellen beschrieben. 

Mich längere Zeit mit der Struktur der Endothelien beschäftigend 
bin ich zur Ueberzeugung gekommen, dass diese Struktur viel kom- 
plizierter ist, als man bis jetzt meinte. Ich fand erstens, dass an 
versilberten Präparaten, die aus stark und gleichmäßig gespannten 
serösen Häuten verfertigt waren, man am Endothel an Stelle der 
schwarzen Linien regelmäßig Ketten aus verschieden großen schwarzen 
Ringen, Kreisen und Punkten findet; dieselben liegen dicht hinter- 
einander mit kurzen schwarzen intermediären Brückehen (rosenkranz- 
förmig) verbunden. Die Linie erscheint also von diesen kleinen 
Figuren (Stomata und Stigmata) unterbrochen. Auch konnte ich 
mich überzeugen, dass das Bild durch teilweise Trennung der Zellen- 
ränder bedingt ist. Solche Bilder waren durchaus nicht mit allem 


SS Kolossow, Struktur des Endothels. 


dem, was bis jetzt von der Natur des Kittes als einer flüssigen oder 
halbflüssigen Substanz bekannt war, in Uebereinstimmung zu bringen. 
Es war zu erwarten, dass bei der Spannung der serösen Häute die 
Endothelzellenränder der ganzen Länge nach auseinandergehen werden. 
Wenn dieses sich aber nicht einstellte, so musste man daraus schließen, 
dass die Zellen nicht durch eine Kittsubstanz miteinander verbunden 
sind, sondern dass sie auf irgend eine andere Weise zusammen- 
gehalten werden. Es gelang mir diese Verbindungsart durch eine be- 
sondere gleichzeitig Fixierungs- und. Färbungsmethode aufzuklären. 
Meine Methode, welche ich bald in einer ausführlichen Arbeit (mit 
Abbildungen) veröffentlichen werde, besteht hauptsächlich in einer 
besonderen Bearbeitung der Gewebe mit Osmiumsäure, kombiniert 
mit einigen Reagentien. Auf diese Weise wurde mir die Möglichkeit 
gegeben folgende interessante Strukturverhältnisse zu eruieren. Eine 
jede Zelle des Pleuroperitonealendothels bei allen von mir unter- 
suchten Vertebraten (Säuger — Mensch (2— 3monatliche Kinder), 
Hund, Katze, Kaninchen, Meerschweinchen, graue und weiße Mäuse 
und Ratten, Eichhorn, Igel, Iltis, Hamster; Vogel — Taube, Huhn, 
Habicht; Reptilien — Lacerta agilis, viridis et Anguis fragilis, Emys 


europaea; Amphibien — Rana esculenta et temporaria, Kröte, Triton 
cristatus et T. taeniatus, Salamandra, Axolotl; Fische — Esox lu- 


cius, Leueiscus rutilus) hat eine sehr komplizierte Struktur. Sie be- 
steht aus zwei verschiedenen Teilen: einem protoplasmatischen Teil 
und einer äußerst dünnen Deckplatte; letztere ist ein wenig breiter 
als der erstere Teil, dessen freie Fläche sie überdacht. Beide über- 
einander geschichtete Teile bilden ein unzertrennliches Ganzes. Der 
untere, tieferliegende, protoplasmatische Teil besteht aus einer fein- 
körnigen Substanz, enthält einen exzentrisch gelegenen Kern und 
verbindet sich durch zahlreiche kurze, feine, zuweilen verästelte 
Fortsätze mit den entsprechenden protoplasmatischen Teilen der Nach- 
barzellen. Der zweite, oberflächliche, äußere Teil, den ich Deckplatte 
nennen werde, ist dünn, durchsichtig und homogen; die Ränder der 
Deckplatten berühren sich untereinander auf der Oberfläche und 
werden auf der Unterfläche durch feine protoplasmatische Fäden im 
/Zusammenhange gehalten. Die letzteren entstehen dadurch, dass 
sich das Protoplasma nicht bis zum Rande der Deckplatte erstreckt, 
sondern unweit von diesem endet und sehr feine kurze mit der Un- 
terfläche der Deckplatte verlötete Fäden aussendet, welche die Grenze 
zwischen zweien Deckplatten durchkreuzen und sich ohne jede Unter- 
breehung mit den entgegenkommenden Fäden der Nachbarzelle ver- 
binden. Darus folgt, dass die Fäden parallel nebeneinander liegen; 
an Stellen, wo die Spitzen der Deckplattenecken zusammentreffen, fehlen 
sie fast gänzlich. Im Ganzen also bekommt man folgendes Bild. Bei 
oberflächlicher Einstellung des Mikroskopes sind kleine Felder zu 
sehen, die durch kaum bemerkbare Linien voneinander getrennt sind; 


























Kolossow, Struktur des Endothels, Ss) 


mit einem Worte ist das Bild ganz dem der Silberpräparate analog. 
Bei etwas tieferer Einstellung sind die die Ränder der Deckplatten 
zusammenhaltenden und an ihrer Unterfläche hinziehenden Fäden zu 
sehen; noch tiefer unter letzteren sieht man helle Zwischenräume, 
welche die protoplasmatischen Teile der Zellen voneinander trennen 
und von den anastomosierenden zahlreichen Protoplasmafortsätzen 
durchsetzt sind. Diese hellen Zwischenräume sind also Kanälchen 
(Interzellularkanälehen), die von oben von den protoplasmatreien 
peripherischen Säumen der Deckplatten überdacht werden, unten aber 
von dem subendothelialen Gewebe begrenzt sind. Je tiefer das Mi- 
kroskop eingestellt wird, desto breiter werden die Zwischenräume. 
Dabei kann man sich davon überzeugen, dass die Zellen nicht gänz- 
lich flach sird, sondern (schematisch) nur sehr niedrige, abgestutzte, 
unregelmäßig vielkantige Pyramiden, deren Basen nach oben gegen 
die freie Oberfläche des Endothels gerichtet sind, darstellen. Da 
aber von den Seitenflächen und Kanten zahlreiche Fortsätze auslaufen, 
so sieht jede Endothelzelle bei tieferem Einstellen des Mikroskops im 
Allgemeinen sternförmig aus. Jeder Fortsatz fängt am protoplas- 
matischen Teile der Zelle mit einer kleinen konischen Hervorragung 
an, verdünnt sich aber sogleich fadenartig, durchsetzt quer den 
Zellenzwischenraum und geht in eine ähnliehe Hervorragung der 
Nachbarzelle über. Aus dieser Beschreibung ist es klar, dass die 
Fortsätze um so länger sind, je tiefer sie in dem immer breiter wer- 
denden Zellenzwischenraume liegen. Die Fortsätze sind weniger 
zahlreich und haben eine weniger regelmäßige Anordnung da, wo in 
der Tiefe des Zwischenraumes die Zellenecken gegeneinander ge- 
richtet sind. Bei einigen Tieren (Axolot!, Salamandra) sind in der 
Tiefe der Interzellularkanälchen die Fortsätze oft verästelt und bilden 
ein protoplasmatisches Reticulum. Bei den Amphibien und Reptilien 
kann man oft in den eben erwähnten Kanälchen Leukoeyten während 
ihrer Wanderung antreffen; dieselben geben dem Laufe der Kanälchen 
entlang sehr lange Ausläufer. in den Interzellularkanälchen wird 
das Indigokarmin nach Injektion ins Blut mit nachfolgender Be- 
rieselung der serösen Häute mit Chlornatriumlösung abgesetzt. Die 
breiten blauen Linien, die dabei zwischen den Zellen erscheinen, so- 
wie die breiten Silberlinien (bei Entzündung der serösen Häute) wur- 
den von Arnold für Ausdruck der Kittsubstanz gehalten. Ich bin 
sehr geneigt anzunehmen, dass die Kanälchen mit einer serösen 
Flüssigkeit erfüllt sind; dieselbe siekert zwischen den Rändern der 
Zellendeckplatten durch und verursacht die Erscheinung der schwarzen 
Linien an versilberten Endothelpräparaten, da sie auf die Silbersalze 
reduzierend wirkt. Dringt aber das Silbersalz in die Tiefe der Ka- 
nälchen (besonders bei Entzündung), dann erscheinen die Linien breit. 
Alle hier beschriebenen Verhältnisse sind viel schärfer bei den Am- 
phibien und Reptilien ausgeprägt; bei den übrigen von mir unter- 


0 Kolossow, Struktur des Endothels. 


suchten Vertebraten (besonders bei Fischen) treten sie weniger klar 
hervor, obgleich der Typus der Zellenstruktur derselbe bleibt. Die 
beschriebenen Verhältnisse sind desto schärfer ausgeprägt, je dicker 
die flache Zelle ist. In den dünnsten Zellen kann man dennoch 
immer zwei verschiedene Teile unterscheiden. Hier sieht man nur 
eine Schicht mehr oder weniger feiner Anastomosen, die mit der 
unteren Fläche der Deekplatte verlötet sind, so dass sie zugleich die 
protoplasmatischen Teile zweier untereinander verbinden und die 
känder deren Deckplatten im Zusammenhange halten. 

Jch konnte noch eine interessante Eigentümlichkeit der Struktur 
des Pleuroperitonealendothels auffinden.- Die Oberfläche der Deck- 
platte ist mit sehr zarten, kurzen (durehschnttlich 2 u) Härchen dicht 
besetzt: als solehe erscheinen dieselben bei Profilansicht, von der 
Fläche gesehen als eine feine diehte Punktierung, die gleichmäßig 
die ganze Oberfläche der Zelle bedeckt. Diese Härchen finden sich 
beim Menschen (2—3monatliehe Kinder) und den Säugern am Endo- 
thel der ganzen Pleuroperitonealhöhle (Cölom). Am Mesenterium, Media- 
stinum pleurae, Lig. suspensorium hepatis und anderen freien serösen 
Häuten (mit Ausnahine des Pericardiums und der Tunica vaginalis testis 
propria) sind sie aber weniger deutlich als in allen übrigen Stellen des 
Cölomendothels ausgeprägt. Am großen Netze können sie sogar 
bei vielen Tieren gänzlich fehlen; beim Kaninchen und beim Hamster 
sind sie jedoch auch hier zu finden. Diese Härchen sind auch ganz 
gut an frischen Präparaten ohne jede Bearbeitung bei Untersuchung 
im Pericardialserum zu sehen (mit Apochromaten homog. Immers. 
v. Zeiss). Bei niederen Vertebraten waren die Härchen kaum aus- 
geprägt, zum Beispiel beim Axolotl; bei den Vögeln, Fischen, Rep- 
tilien und anderen von mir untersuchten Amphibien fehlten sie gänzlich. 
Beim Frosche sind die mit Wimperhaaren besetzten Zellen miteinan- 
der und mit den gewöhnlichen flachen Endothelzellen durch die schon 
oben beschriebenen Fortsätze verbunden. Diese Wimperzellen, die bei 
den geschlechtsreifen Weibehen der Frösche, wie bekannt, in großer 
Menge an gewissen Stellen zu finden sind, entwickeln sich aus ge- 
wöhnlichen flachen Endothelzellen, indem diese an Protoplasma 
reicher werden und sich mit kaum bemerkbaren Härchen, welche zu 
langen Wimpern auswachsen, bedecken. Die Wimperzellen sind also 
den echten Endothelzellen an die Seite zu stellen. Die „endo- 
thelialen Keimzellen“ beim Frosche wandeln sich auch in Wimper- 
zellen um, aber hanptsächlieh ist es die Eigentümliehkeit der flachen 
Zellen. An ihrer freien Fläche entbehren die „Keimzellen“ einer 
Deckplatte, werden aber gewöhnlich von den Seiten dureh Deck- 
platten der benachbarten flachen Endothelzellen ziegeldachförmig 
bedeckt: mit dem protoplasmatischen Teile dieser letzteren sind sie 
dureh zahlreiche feine, oft variköse Fortsätze vereinigt. An ihrer 
freien Oberfläche sind die Keimzellen nur dieht aneinander gedrängt, 








Kolossow, Struktur des Endothels. 4] 


die tieferen Partien derselben sind aber durch feine Fortsätze mit- 
einander verbunden. Solche „Keimzellen“ findet man bei allen von mir 
untersuchten Amphibien und Reptilien; bei den Vögeln und Fischen konnte 
ich sie nicht auffinden. — Bei den Säugern sind die feinkörnigen 
„endothelialen Keimzellen“ auch mit den großen flachen einfachen Endo- 
thelzellen und miteinander dureh Fortsätze verbunden, außerdem sind 
sie auch wie die flachen mit oben beschriebenen kurzen Härchen 
bedeckt, sind also nicht von den gewöhnlichen Endothelien zu trennen. 
Die Gruppen der „Keimzellen“ sind nicht für Keimzentren (les centres 
de formation Tourneux et Hermann) der Endothelien zu halten, 
da sie im Pleuroperitonealendothel der Fische und Vögel, wie gleich 
erwähnt, fehlen, bei den übrigen Vertebraten aber sowohl bei ganz ent- 
wiekelten Tieren als bei ganz jungen zu finden sind. Sowohl die 
großen flachen als die „Keimzellen“ vermehren sich durch Karyo- 
kinese bei jungen noch wachsenden Tieren; bei ganz erwachsenen 
aber findet man unter normalen Bedingungen im Pleuroperitoneal- 
endothel keine Spur einer Zellvermehrung. Während der Entzündung 
(bei Säugern) wird der Endothelzellenverlust durch die Vermehrung 
der Nachbarzellen (Karyokinese) ausgefüllt, ganz gleich, ob diese 
groß oder klein sind. Die Verbindung der Endothelzelle mit den 
benachbarten dureh die Fortsätze wird während ihrer Teilung gar 
nicht unterbrochen. Der Rand der Deckplatte der sich teilenden Zelle 
verbleibt dabei mit Rändern der benachbarten Zellendeckplatten in 
Zusammenhang. Die Teilung geht nicht vollständig vor sich — es teilt 
sich vollständig nur die Deckplatte, die protoplasmatischen Teile 
zweier junger Zellen bleiben durch Anastomosen in Verbindung 
unter einander. Die sich teilende Zelle wird dicker, körniger 
und die sie bedeckenden Härchen werden dabei auch dicker und 
länger. Die Härchen haben ein ganz gleiches Aussehen sowohl bei 
ganz jungen Embryonen als bei den erwachsenen Tieren. Dieses 
Faktum und die Abwesenheit der Härchen bei niederen Vertebraten 
erlaubt nicht dieselben für rudimentäre Wimperzilien zu halten. Von 
ihrer physiologischen Bedeutung ist überhaupt schwerlich etwas 
Sicheres zu sagen. Ihre morphologische Bedeutung aber scheint 
sehr wichtig zu sein für die Beurteilung des Verhaltens der serösen 
Höhlen (der Pleura und des Peritoneum) und der Lymphgefäße gegen 
einander. Die ersteren können nicht ohne weiteres für eine unmittel- 
bare Fortsetzung, so zu sagen eine Erweiterung der letzteren (Reck- 
linghausen und andere) gehalten werden, da das Endothel der 
Lymphgefäße weder bei den Säugern noch bei den übrigen Ver- 
tebraten mit Härchen besetzt ist. 

Aus allem oben Gesagten folgt, dass das Endothel der Pleuro- 
peritonealhöhle nicht vom Epithel geschieden werden darf, da es 
sich in nichts seinen morphologischen Eigenschaften nach von dem 
echten Epithel unterscheidet. Dieses Endothel mit platten Binde- 


9) Kolossow, Struktur des Endothels. 


gewebszellen zu identifizieren (Ranvier, Toldt, Orth, Dekhuyzen 
und viele andere) erscheint mir nach all dem Obengesagten gänzlich 
unmöglich. 

Die Deckplatten der Endothelzellen kann man als metamorpho- 
sierte oberflächliche Partie des Protoplasmas betrachten. Diese letz- 
tere wie das Protoplasma überhaupt ist.kontraktil, wovon man sich 
am besten bei der Entzündung der serösen Häute überzeugen kann. 
Bei den Entzündungen verdickt und kontrahiert sich der protoplas- 
matische Teil der Endothelzellen, wodurch die freie Zellenoberfläche 
konvex wird; die Fortsätze werden auch dicker und mehr gespannt, 
treten klar hervor, dann reißen die Zellenanastomosen an vielen 
Punkten von einander ab und ziehen sich in das Protoplasma hinein. 
Die Interzellularkanälchen werden dabei breiter. Wenn der Reiz nur 
kurze Zeit gewirkt hat, oder nur schwach gewesen ist, so können 
die Fortsätze von neuem hervortreten und sich mit den Fortsätzen 
der Nachbarzellen vereinigen. Wirkte aber der Reiz längere Zeit 
und stark (Entzündung bei Injektionen von Kulturen des Micrococeus 
pyogeneus albus et aureus insbesondere in die Pleurahöhle), so 
nehmen dabei die Endothelzellen Kugelform an, verlieren jeden 
Verband mit ihren Nachbarn und teilen sich von ihnen und dem 
unterliegenden Gewebe ab. Sind sie dabei mit Härchen bedeckt, so 
sehen sie einem zusammengerollten Igel äußerst ähnlich, wobei die 
Härchen sehr scharf hervortreten. Die Zellendeekplatten scheinen 
gegenüber den Bewegungen des Protoplasmas sich passiv zu ver- 
halten. Sie lösen sich bei der Abrundung der Zellen an ihren Ecken 
voneinander ab und an versilberten Präparaten erscheinen hier die 
Stigmata und Stomata. — Bei der künstlichen Spannung der serösen 
Häute erscheinen hauptsächlich die Stigmata und Stomata erstens 
da, wo die Zellenecken zusammenstoßen, und dann in Form von 
Ketten zwischen den Zellenrändern. Das ist die unvermeidliche Folge 
der oben beschriebenen Zellenstruktur — der Art und Weise der 
gegenseitigen Verbindung der Zellen untereinander. Die schwarzen 
Punkfe und Kreise (Stigmata) sind nur die ersten Stadien der Bil- 
dung der Ringe (Stomata); alle diese Formen erscheinen nur als 
Ausdruck des partiellen Auseinandergehens der Deckzellenplatten: 
die Ringe erscheinen infolge der Reduktion des Silbersalzes an den 
Rändern dieser Deekplatten durch die an ihnen fest haftende feine 
Schicht der serösen Flüssigkeit; die schwarzen Punkte und Kreise 
infolge der Reduktion des Silbers durch diese Flüssigkeit, die den Raum 
zwischen den nur wenig voneinander getrennten Deckplattenrändern 
gänzlich erfüllt. Anders ist es wenigstens schwer sich die zahl- 
reichen Uebergänge zwischen den Kreisen und Ringen zu erklären, 
die man an versilberten Präparaten der gespaunter Häute beständig 
findet. — Ich konnte mieh überzeugen, dass man bei normalen phy- 
siologischen Verhältnissen keine Stomata als praeformierte Bildungen 











Kolossow, Struktur des Endothels. 95 


am Pleuroperitonealendothel auffindet. Warum dieselben aber den- 
noch zuweilen hie und da unbeständig erscheinen, ist schwer zu 
sagen; es ist sehr möglich, dass auch hier irgendwelche mechanische 
Einwirkungen während der Präparation von Einfluss sind. — Das 
Einspritzen von indifferenten Flüssigkeiten in die Pleural- oder 
Peritonealhöhle, die in sich suspendierte feste Partikelchen enthalten 
(0,6°/, Chlornatriumlösung — Tusche oder Karmin) bleibt nie ohne 
eine merkliche Wirkung auf die Struktur der Endothelzellen. Obgleich 
dabei keine Entzündung der Pleura oder des Peritoneums auftritt, 
findet man dennoch regelmäßig die oben beschriebenen entzündlichen 
Veränderungen am Endothelüberzuge mehr oder weniger klar aus- 
geprägt. Dabei findet man regelmäßig, besonders am Zellenüberzuge 
der Intereostalpleura und der abdominalen Fläche des Diaphragmas, 
die Stomata in größerer oder minderer Zahl vorhanden; dieselben 
sind mit Tusche ausgefüllt. Diese Versuche erlauben mir den Schluss 
zu ziehen, dass bei diesen Einspritzungen die Stomata als Folge der 
reizung der Endothelzellen durch feste Partikelehen erscheinen. — 

Das Keimepithel des Eierstockes hat dieselbe Struktur wie das 
Pleuroperitonealendothel (Epithel): an dessen Zellen kann man auch 
zwei Teile unterscheiden -— einen protoplasmatischen Teil und eine 
Deckplatte, die mit Härchen besetzt ist (Säuger). Auch sind die 
Zellen des Keimepithels miteinander und mit Endothelzellen des Peri- 
tonenms durch feine kurze Fortsätze verbunden. Das Keimepithel 
des Eierstockes unterscheidet sich also vom Endothel der Pleuro- 
peritonealhöhle nur dadurch, dass seine Zellen viel höher und reicher 
am Protoplasma sind; sie gleichen also sehr den hohen Endothel- 
zellen der Pulmonalpleura bei den Säugern. Der Unterschied zwischen 
der Höhe der Zellen an Pleura pulmonalis und costalis ward schon 
von Klein bemerkt. — Oben wurde gesagt, dass das Endothel der 
Lymphgefäße der Härchen entbehrt; dasselbe gilt auch von dem En- 
dothel der Blutgefäße. Darin unterscheidet sich die endotheliale Aus- 
kleidung des Cöloms vom Gefäßendothel. Im Uebrigen gleichen sich 
die beiden Endothelienarten beinahe gänzlich. Eine jede Zelle be- 
steht auch bier aus einer Deekplatte und einem protoplasmatischen 
Teil. Der letztere steht durch feine kurze Fortsätze mit den Nach- 
barzellen im Zusammenhang. Die Struktur der Gefäßendothelzellen 
gleicht den dünnsten Zellen des Cölom. Wegen der großen Dünne der 
Zellen treten hier besonders in den Blutkapillaren, die beschriebenen 
Eigentümlichkeiten der Struktur weniger klar hervor. Der Unter- 
suchung wurden hauptsächlich die Gefäße der Gehirnhäute, der Me- 
senterien und der Lungen verschiedener Vertebraten unterzogen. Von 
den Lymphgefäßen wurden nur stärkere — Ductus thoraeieus und 
Perivaskularräume (Frosch) untersucht. 

Die Löcher der Membrana fenestrata sind größtenteils längs der 
Interzellularräume des Gefäßendothels angeordnet. Dieses Verhältnis 


94 Kolossow, Struktur des Endothels. 


tritt um so deutlicher hervor, je kleiner das Blutgefäß ist. Die Mem- 
brana fenestrata konnte ich in kleinsten Arteriolen und Venulen auf- 
finden; ohne Zweifel existiert sie auch an Kapillaren, aber es ist mir 
nicht gelungen hier dieselbe klar und deutlich darzustellen. — Das 
Auftreten der Stigmata und Stomata in den Blutgefäßen bei der Ent- 
zündung und venöser Stauung ist nicht etwas zufälliges, sondern 
etwas beständiges, durch die Struktur der Zellen und deren Verän- 
derungen während der Entzündung bei der gleichzeitigen Erweiterung 
des Gefäßes bedingt. Diese entzündliche ist der künstlichen analog. 
Durch die letztere kann man die Erscheinung der Stigmata und 
Stomata in größerer oder minderer Zahl je nach Spannung der Ge- 
fäßwand hervorrufen. Es muss hinzu bemerkt werden, dass die ent- 
zündlichen Veränderungen des Gefäßendothels sehr schwer zu beob- 
achten sind. — Dass die Leukoeyten durch die gebildeten Sto- 
mata und Stigmata auswandern, scheint mir höchst wahrscheinlich 
zu sein; die aktiven Bewegungen derselben müssen dabei eine große 
Rolle spielen. Näheres über die Emigration der Leukoeyten hoffe 
ich in einer anderen Mitteilung auseinanderzusetzen. 

Aus allem hier von der Struktur des Endothels Gesagten kann 
ich nur einen Schluss ziehen, dass dasselbe den echten Epithelien 
zugerechnet werden muss, dass kein Grund vorhanden ist die Endo- 
thelien den Epithelien gegenüberzustellen, dass sowohl der Arehiblast 
als der Parablast echte Epithelien produziert. 


Nra-chhib,n, a2: 

Nachdem diese Zeilen sehon niedergeschrieben waren, habe ich 
die kurze Mitteilung des Herrn Ranvier!) bekommen, worin er seine 
neuen Anschauungen über die Struktur der Endothelzellen veröffent- 
licht. Herr Ranvier hat am großen Netze vom Meerschweinchen 
Folgendes gefunden: Die Endothelzellen bestehen hier aus einer ober- 
flächlichen dünnen Platte verdichteten Protoplasmas, deren Grenzen 
durch Silberbehandlung dargestellt werden. Das Protoplasma unter- 
halb dieser Platte ist nicht von den benachbarten Zellen getrennt, 
sondern es setzt sich kontinuierlieh in Form von Netzen von einer 
Zelle zur andern fort. Ich muss erstens dazu bemerken, dass diese 
Resultate, die an die meinigen erinnern, durch eine ganz von der 
meinigen verschiedene Methode erlangt sind, obgleich ich sowohl wie 
Herr Ranvier ein und dasselbe Reagens anwendeten, und zweitens, 
dass ich durchaus nicht die Meinung des Herrn Ranvier von der 
Herkunft der Endothelien von den Bindegewebszellen annehmen kann. 

Meine Präparate waren dem jetzt verstorbenen Herrn Prof. Ba- 
buchin und seinem Nachfolger Herrn Prof. Ognew schon vor 
einem Jahre demonstriert worden. 


4) Comptes rendus CXII. 16. p. 342. De l’endothelium du peritoine ete. 








Zacharias, Biologische Station bei Plön. N) 


Joseph v. Gerlach, Handbuch der speziellen Anatomie des 
Menschen in topographischer Behandlung. Mit besonderer 
Rücksicht auf die Bedürfnisse der ärztlichen Thätigkeit. 
München und Leipzig bei R. Oldenbourg. Gr. 5%, 918 Seiten. Preis 20M 

Das vorliegende Handbuch der speziellen Anatomie des Menschen 
ist insbesondere mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des praktischen 
Arztes geschrieben worden Schon der Name des Verfassers, der 
selbst, bevor er die akademische Laufbahn einschlug, Jahre lang als 
praktischer Arzt gewirkt hat, bürgt dafür, dass in der Abgrenzung 
dessen, was für die ärztliche Thätigkeit notwendig und wissenswert 
erscheint, von dem, was mehr theoretisches Interesse darbietet, der 
richtige Weg eingeschlagen worden ist. — Die Einteilung des Stoffes 
ist eine zweckentsprechende, die Darstellung eine frische und lebhafte. 
Mit besonderem Interesse wird der Leser die Kapitel über das Ge- 
hirn, die Unterleibsbrüche und die höheren Sinnesorgane verfolgen. 
Bei letzteren ist auch die Histologie in hervorragendem Maße berück- 
sichtigt worden, in der vollkommen richtigen Auffassung, dass bei 
gewissen Körperteilen das Eingehen auf deren feinere Struktur das 
topographische Verständnis ganz wesentlich zu fördern im Stande 
ist. — Die äußere Ausstattung des Werkes, Druck, Papier und Ab- 
bildungen sind allen gerechten Anforderungen entsprechend. Was 
die letzteren anlangt, so entstammen sie zum allergrößten Teile Prä- 
paraten aus der Erlanger anatomischen Sammlung. 

So stellt denn die vorliegende topographische Anatomie nicht 
nur für frühere Erlanger, wie es in der Vorrede heißt, sondern auch 
für alle jene praktischen Aerzte, welche die anatomischen Studien 
nach ihrem wahren Werte zu schätzen wissen, ein in jeder Hinsicht 
nützliches und lesenswertes Werk dar. 

Carl Rosenthal (Berlin). 


Die biologische Station bei Plön in Holstein. 


Wir erhalten von Dr. Otto Zacharias, dem Leiter des neubegründeten 
wissenschaftlichen Instituts zu Plön, die Nachricht, dass dasselbe vom 15. 
April d. J. ab als eröffnet betrachtet werden kann. 

Die Plöner biologische Station liegt unmittelbar am Grossen Plöner 
See amd letzterer ist durch seine Grösse (50 qkm —= 20000 preussische 
Morgen) und durch seinen Organismenreichtum besonders dazu geeignet, ein 
Arbeitsfeld für xoologische und pflanzenphysiologische Untersuchungen zu 
bilden. Dazu kommt noch die Nachbarschaft anderer grosser Wasserbecken 
(Kleiner Plöner See, Trammersee, Behlersee, Dicksee, Kellersee, Grosser und 
Kleiner Eutiner See, Ukeleisee u. s. w.), so dass hierdurch zugleich die 
denkbar günstigste Gelegenheit zur Vornahme von faumistischen Ausflügen 
gegeben ist. Den Verkehr auf den einzelnen Seen vermitteln grosse Segel- 
und Ruderboote. Der biologischen Station steht ausserdem noch die Be- 


95 Anzeige des Kolonialmuseum in Haarlem. 


nutzung eines Petroleum - Schraubenbootes zur Verfügung, welches eine an- 
sehnliche Fahrgeschwindigkeit (1O—12 km pro Stunde) besitit. 

Das Stationshaus ist ein xweistöckiges Gebäude, welches ausser den 
erforderlichen Arbeitsräumen (Laboratorium, Esxperimentierzimmer und Bib- 
hiothek) auch die Wohnung für den Direktor enthält. Im Erdgeschoss sind 
die Aquarien untergebracht, welche durch eine Röhrenleitung mit fliessendem 
Wasser aus dem See gespeist werden. Der Mikroskopiersaal hat dreiflügelige 
grosse Fenster und die Arbeitstische sind mit vorzüglichen Instrumenten 
aus der Optischen Werkstätte von ©. Zeiss in Jena ausgerüstet. Bei aller 
Bescheidenheit ihrer Einrichtung besitzt die Plöner Station doch Alles, was 
zur Ausführung von mikroskopisch-anatomischen und entwiecklungsgeschicht- 
lichen Arbeiten erforderlich ist. Mehr vst nicht versprochen worden und zu 
einer luxuriösern Ausstattung wären auch die Mittel nicht vorhanden ge- 
wesen. Vom 15. April 1892 ab werden — wie schon erwähnt — die 


Arbeitsplätze in der biologischen Station zu Plön für süsswasserfreundhche 


Zoologen und Botaniker benutzbar sein. 

Der Besuch dieses Instituts ist bis zum 1. Juli d. J. vollständig frei- 
gegeben. Nach. diesem Termin st von Seiten der die Arbeitstische  be- 
nutzenden Herrn 15 M pro Monat zu zahlen. Im Ganzen sind 8 Arbeits- 
plätze vorhanden. Anmeldungen werden in der Reihenfolge ihres Ein- 
ganges berücksichtigt; ste sind zu richten an: 

Dr. Otto Zacharias u Plön in Holstein. 


Kolonialmuseum in Haarlem (Holland). 


Die Herren Verfasser von Arbeiten in den Annalen und Zeitschriften 
Wissenschaftlicher Vereine werden freundlichst gebeten von jedem der von 
ihnen publizierten Notizen, welche Beziehung haben auf die tropische Botanik, 
Zoologie, Produkten und Landwirtschaft einen Separatabdruck für die Biblio- 
the des Kolomiahlmusemms zu Haarlem (Holland) zu bestimmen. 

Die Direktion des Kolonialmuseum in Haarlem 


F. W. van Eeden. 


Berichtigungen. 

3ei der Fertigstellung voriger Nummer sind leider von den Artikeln der 
Herren Famintzin und v. Lendenfeld die Revisionen unbenutzt geblieben. 
Wir bitten deshalb die folgenden, dort stehen gebliebenen Fehler gütigst ver- 
bessern zu wollen: 
Sehe Zara ur statt: indem lies „ınr dem- 
SED DNZEERTEN ROSE HS. 2 „Heft 5“ 
S.53 2. 9v. „ „.  ehlorophylleeres lies: „chlorophyllloses“ 
2.10 v.,„  „ anführen lies: „anführen“ d.h. hinter anführen sind die 

Zeichen * vergessen. 


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[el 
Hn 


SH Zee er lieg:,Dendy“ 
S.592Z. 5v.,„ .„ okularen. lies: „oskularen“ 

S. 59 2. 22 v.u. „ unterscheiden lies: „unterscheidet 
Ss. 59 2.19 v. „  „.  Subdinisia lies: „Subdivisia“ 

: »». Bubsektions lies: „subsections*“ 
S:46012.. 73 v.o. = "keanataihes; „cavata- 


Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 


a ee 























Diologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 


24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XI. Band. 29. Februar 1892. Nr. 4. 





Inhalt: Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen (Schluss). — 
Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. — 
Wasmann, Die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der 
Ameisen. — Lendl, Eine neue Konstruktion für Mikroskope. 





Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 
Von M. Möbius in Heidelberg. 
(Schluss. ) 

Auf der O/adophora fand ich ferner häufig eine Alge, die dem 
Herposteiron confervicola (A. Br.) Hansg. gleicht; dieselbe Alge habe 
ich auch auf australischen Dedogonien aufsitzend gefunden. Viele 
Zellen derselben trugen sehr lange Haare. Dieselben entstehen als 
Ausstülpungen der Zelle aus ihrer oberen Seite und erscheinen dem- 
nach zunächst als ein kleiner hohler Zapfen, in den sich der Zell- 
inhalt direkt fortsetzt. Der Zapfen verdünnt sich an der Spitze und 
wächst hier zu einem langen Faden aus. Dieser wird aber nur von 
der inneren Membran gebildet, da die äußere später nicht mitwächst, 
sondern aufreißt und eine dicht anliegende, von unten nach oben 
verdünnte Scheide um die Basis des Haares bildet. Auch Hansgirg 
erwähnt in der oben zitierten Arbeit diese Scheide. Nachdem sich 
das Haar von der Tragzelle durch eine Querwand abgegrenzt hat, 
verschwindet der Inhalt aus dem unteren Teil und verteilt sich auf 
die ganze Länge des Haares, das infolge dessen sehr inhaltsarm er- 
scheint. Das Lumen ist äußerst eng und der ganze Faden misst nur 
1—2 w im Durchmesser. Auch hier fand ich die Zelle durch Ab- 
brechen der Spitze oben geöffnet; oft ist aber der Faden so weit ab- 
gebrochen, dass nur noch der von der Scheide umgebene Teil stehen 
bleibt, als eine kleine, oben offene, leere, annähernd kegelförmige 
Zelle. Es kommt vor, dass ein Haar auf der Grenze zweier Zellen 
aufsitzt, wenn nämlich die Tragzelle nach der Entstehung des Haares 
unter seiner Ansatzstelle eine Querwand gebildet hat. Dies wäre 
natürlich nieht möglich, wenn das Haar nur eine nicht abgegliederte 

XI, 7 


g8 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


Ausstülpung seiner Tragzelle wäre. Erwähnt sei auch noch, dass 
einmal eine Verzweigung des Haares in seinem oberen Teile be- 
obachtet wurde (Fig. 6). 

Ich habe niemals eine Form von Herposteiron 
confervicola mit septierten Haaren gesehen und be- 
„weifele deshalb eimigermaßen, ob überhaupt in 
dessen Haaren wirkliche Querwände vorkommen. 
Ich glaube auch nicht, dass ich die betreffende Alge 
mit Aphanochaete repens Berth. verwechselt habe, 
da die Haare dieser Alge, die ich nicht selbst unter- 
suchen konnte, nach der Angabe ihres Autors noch 
eine andere Struktur haben. Sie werden folgender- 
ımnaßen beschrieben!). „Die Zellhaut kann in eine 
lange, unten zwiebelartig aufgetriebene Borste aus- . 
wachsen, an der eine Gliederung nicht wahrgenommen 
werden konnte. Ein deutliches Lumen findet sich 
nur im unteren zwiebelförmigen Abschnitt, der obere 
Teil zeigt auch bei sehr starker Vergrößerung nur 
einfache Konturen. Die Borsten finden sich unregel: 
mäßig auf den Zellen der Exemplare verteilt“. Nach der Zeichnung 
und der Analogie mit anderen Haaren ist es wahrscheinlich, dass die 
Borste eine Zelle ist, bei der das Lumen im oberen Teile durch Ver- 
diekung der Membran verschwunden ist. 

Die Haare von Chaetonema irregulare Now. kenne ich auch nur 
aus der kurzen Beschreibung des Autors?) und der Abbildung, welche 
Kirchner in seiner mikroskopischen Pflanzenwelt des Süßwassers 
(1891, Taf. II, Fig. 22) davon gibt. Danach sind sie ähnlich wie bei 
Heryposteiron confervicola (nach meinen Angaben), endigen aber in eine 
feine Spitze; dass sie an der Basis umscheidet sind, ist aus der An- 
gabe zu vermuten, dass sich auf älteren Zellen gewöhnlich mehrere 
abgebrochene Borstenbasalteile finden. 

Besser bekannt sind die einzelligen Haare von Phaeophila. Nach 
Kirehner’s Angaben?) über Ph. Floridearum Hauck sind diese langen 
zylindrischen Haare anfangs durch eine Querwand von der Tragzelle ge- 
schieden und an der Spitze geschlossen. Später wird jene Querwand 
resorbiert und die Spitze fällt ab, so dass die in der darunter liegen- 
den Zelle gebildeten Schwärmsporen durch die offene Röhre, indem 
sie dieselbe erweitern, austreten können. Diese Alge wächst endo- 
phytisch in der äußeren Membran größerer Meeresalgen und besteht 
aus kriechenden Fäden, deren Zellen auf ihrem Rücken bisweilen ein 
bis zwei jener Haare tragen, welche aus der Substanz des Wirtes 


Fig. 6. 





1) Verzweigung einiger Süßwasseralgen. S. 215. 

2) Cohn’s Beitr. zur Biologie d. Pflanzen, Bd. IH, S.76 (Nowakowski). 

3) Tageblatt der 54. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in 
Salzburg 1881. 





Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 45 


hervorragen. Ueber die Natur der Haare kann man sich also leicht 
täuschen, wenn man die Entwicklung nicht kennt, da ältere Haare 
als oben und unten offene Röhren erscheinen, wie ich es bei einem 
auf Polysiphonia opaca (Ag.) Aanard. von der Insel Malta wachsen- 
den Exemplare beobachtete. Auch die Abbildung in Hauck’s Meeres- 
algen (S. 464) gibt eine ganz falsche Vorstellung von der Beschaffen- 
heit der Haare. Ph. minor Kirehn. verhält sich der vorigen Art 
ganz ähnlich. Bei Ph. horrida Hansg.!) kann eine Zelle 5—18 Haare 
tragen, die 2—4 w breit, über 150 w lang, an der Basis unmerklich 
erweitert, gerade oder leicht gekrümmt sind und zwischen den Wirts- 
zellen büschelig hervorragen. Ueber ihre Entwickelung wird nichts 
weiter angegeben. 

Von den Formen mit einzelligen abgegliederten Haaren ist noch 
Nylandera tentaculata Hariot zu erwähnen, eine zu den Trente- 
pohliaceen gehörige Alge, die sich von der Gattung Trentepohlia 
selbst eben durch den Besitz jener Haare unterscheidet. Dieselben 
sitzen einzeln, seltener zu 2 bis 3 auf einer Zelle des fadenförmigen 
Thallus, sind 4—5 uw diek und 37—90 « lang, zylindrisch, aber an 
der Spitze köpfenchenartig angesehwollen, so dass sie im ihrer Form 
an die Tentakeln der Schnecken erinnern. Nach Hariot’s Abbildung ?) 
sind sie leer oder doch arm an Inhalt im Vergleich zu den Zellen 
der Fäden. 

Vielleicht können wir hier am besten die Haare der Characeen 
einschalten; ich meine die Stacheln, welche sich aus den mittleren 
Zellen der Rindenknoten bei Chara erinita W allr., Ch. hispida A. Br. 
u. a. entwickeln. Jene Zellen teilen sich bekanntlich parallel der 
Oberfläche, und die äußere Zelle wächst direkt zu dem spitzkegel- 
förmiggestalteten Haar aus. Fasst man die innere Zelle als Trag- 
zelle des Haares auf, so gehört es in die Gruppe, welche bisher be- 
sprochen wurde, nimmt man aber an, dass die äußere Zelle selbst 
das Haar erzeugt, so ist es nur eine Ausstülpung ohne Abgliederung 
und es gehört zu der nächsten Gruppe. Sonst dürften die bei Chara 
vorkommenden Stachelhaare keine besonderen Eigentümlichkeiten 
bieten. Ihr Inhalt ist wie der der anderen Rindenzellen beschaffen. 

Wir kommen jetzt zu denjenigen Haaren, welche nur eine Aus- 
stülpung der Tragzelle bilden. Hier würden zunächst die Siphoneen 
anzuführen sein, bei denen ja überhaupt der ganze Thallus, mag er 
äußerlich noch so reich gegliedert erscheinen, nur eine große schlauch- 
förmige Zelle repräsentiert. Auf diese Haare hat auch schon Ber- 
thold?) hingewiesen und zwar erwähnt er Codium, bei dessen Arten 
aber die Haarbildung nur unter besonderen Umständen aufzutreten 
scheint. Ich habe diese Haare bei Codium weder selbst gesehen noch 


1) Sitzungsber. d. k. böhm. Gesellsch. d. Wiss., 10. Jan. 1590, 8. 5. 
2) Journ. de Botanique, 1890. 


i) 


5) Morphologie und Physiologie der Meeresalgen. 


I 


100 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


anderswo erwähnt oder abgebildet gefunden. Nach Berthold brechen 
sie aus den oberen Teilen der peripherischen Blasen in größerer An- 
zahl seitlich hervor. Sie werden hier 2—3 mm lang, enthalten nur 
sehr wenig Farbstoff und stehen mit dem Hohlraum der Blasen in 
offener Verbindung bis sie beginnen abzusterben, worauf sich an der 
Basis durch ringförmige Verdiekung der Membran ein Abschluss 
bildet. 

Aus dieser Abteilung der Siphoneen sei noch Udotea ciliata Kg. 
(Tab. phye., VII, 19) angeführt, bei welcher der obere breite Rand 
des Laubes mit langen wiederholt diehotom verzweigten „Cilien“ be- 
setzt ist. Sie entstehen durch direktes Auswachsen der peripherischen 
Schläuche und erreichen eine Länge bis zu 7mm (nach der Abbildung), 
es scheint auch, dass sie weniger Inhalt führen, als die Schläuche 
des Thallus. 

Aehniiche Haare besitzen mehrere der sogenannten verticillierten 
Siphoneen, bei denen sie unverkalkt sind, während der übrige Teil 
des 'Thallus verkalkt erscheint; mit dem zunehmenden Alter der be- 
treffenden Teile fallen die Haare ab. Wir können diese Gebilde somit 
wohl als Haare auffassen, wenn auch Cramer, auf dessen Arbeit 
über die verticillierten Siphoneen ich hier verweise!), sie zu den 
Kurztrieben rechnet und als eigentliche Trichome, d. h. Teile, die 
von den Thallomen morphologisch verschieden sind, nur die Rhizoiden 
betrachtet. Ich untersuchte sie bei Oymopolia barbata Lamx., wo 
sie in diehten Büscheln die Enden der Sprosse krönen. Ich fand sie 
etwa 3 mm lang und wiederholt trichotom geteilt. Die 3 Aeste werden 
ganz gleichmäßig am Scheitel des betreffenden Schlauches als zylin- 
drische Ausstülpungen angelegt, in die der Inhalt sich hineinzieht. 
Nachdem sie ausgewachsen sind, bildet sich an ihrer Ursprungsstelle 
eine ringförmige Membranleiste nach innen, die nach der Mitte weiter- 
wachsend eine vollständige Abgrenzung zwischen den übereinander- 
stehenden Teilen herbeiführen kann. Trotzdem rechnen wir diese 
Gebilde nicht unter die mehrzelligen Haare, weil sie ursprünglich ein- 
heitlich sind und nieht durch wirkliche Querwände gefächert werden, 
sondern durch Einschnürungen, wie sie auch an andern Teilen des 
Thallus der Siphoneen vorkommen, den wir ja auch als einzellig 
zu betrachten pflegen. | 

Bei Oymopolia bibarbata Kg. (Tab. phye., VII, 23) treten außer 
an den Spitzen auch an den älteren Teilen seitlich lange Haare auf. 

Bei Neomeris Kelleri Cramer finden sich die Haare nur in der 
Nähe des wachsenden Seheitels und entspringen einzeln aus den End- 
gliedern der Wirteltriebe. Sie sind einfach oder verzweigt und an 
der Basis durch eine fast bis zur Mitte gehende, aber noch einen 
weiten Porus lassende Einschnürung abgegliedert. 





1) Denkschr. d. Schweiz. Naturf. Ges., Bd. XXX, 1887. 














Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 101 


Fraglich ist es, ob wir die „sterilen Blätter“ der bekannten Acetabu- 
laria Mediterranea Lamx. hierher rechnen können, da sie zwar äußerlich 
den Haaren von Cymopolia entsprechen, morphologisch jedoch eher den 
Wirtelzweigen derselben äquivalent sind. Sie entstehen an der jungen 
Pflanze in wirteliger Anordnung dicht unterhalb der Stammspitze zu 
4 bis 7 und gabeln sich 3- bis 4mal in mehrere, zuletzt gewöhnlich 
in zwei Aeste, die der Verzweigung folgend an Länge und Breite, 
sowie an Dieke der Membran und Menge der Inhaltsstoffe abnehmen. 
Die Zweige letzter Orduung sind kurz, konisch zugespitzt und beinahe 
oder ganz chlorophylifrei. Die einzelnen Glieder sollen durch Quer- 
wände abgegrenzt sein, deshalb wären diese Gebilde vielleicht auch 
besser bei den mehrzelligen Haaren zu besprechen, wenn wir nicht 
lieber Acetabularia unter den andern Siphoneen behandeln wollten 
und nicht die Querwände vermutlich nur durch nachträgliche Ein- 
schnürung entstanden wären. Dass die Organe besser als Haare denn 
als Blätter bezeichnet werden, dafür spricht ihr geringer Chlorophyll- 
gehalt und ihre Hinfälligkeit. Denn es werden nach einander bis zu 
4 Haarwirtel gebildet und wieder abgeworfen, bevor der die Sporan- 
gien erzeugende Schirm entsteht; von ihrer Existenz zeugen dann nur 
noch die Narbenkränze unterhalb des letzteren. 

Erwähnt sei hier noch, dass auch bei Polyphysa Peniculus Harv. 
nach Cramer’s Beobachtungen an jungen Exemplaren solche „Haar- 
wirtel“ auftreten, bevor die Pflanze zur Bildung der fruktifizierenden 
Keulenäste schreitet. 

Wir haben nun eine Anzahl anderer Chlorophyceeen zu be- 
sprechen, bei denen das Lumen der Tragzelle direkt in das des meist 
einfachen, borstenförmigen Haares übergeht. Von diesen ist zunächst 
Coleochaete etwas ausführlicher zu behandeln. Nach Pringsheim!) 
sind die Borsten „lange, äußerst dünne, hohle zylindrische Fäden, die 
in ungefähr gleichweiten Strecken zellenartig abgegliedert erscheinen“. 
„leh zweifele jedoch (fährt er fort) daran, dass es wahre zellige 
Fäden sind, obgleich die Fadenglieder durch scheidewandartige Bil- 
dungen von einander getrennt und begrenzt werden“. Etwas anders 
drückt sich derselbe Autor später aus ?), indem er von der Borste 
sagt: „sie geht aus einem lokalen Wachstum der Membran hervor... 
und gestaltet sich zu einer nach oben offenen Röhre, aus welcher ein 
langes biegsames Haar hervorsieht“,. Ferner: „bei Coleochaete treten 
die mit einem Haar versehenen Borsten als Auswüchse der Membran 
normaler Zellen auf“. Daraus hat sich nun die Meinung gebildet, 
die Haare von Coleochaete seien bloße Wucherungen der Zellmembran 
ohne Lumen, wie es Berthold?) angibt, und Falkenberg *) be- 





4) Jahrb. f. wissensch. Botanik, Bd. II, S. 12. 

2) Morphologie der Meeresalgen. Berlin 1862. S. 3. 

3) Morphologie und Physiologie der Meeresalgen. 

4) In: Schenk’s Handbuch der Botanik, Bd. II, S. 250. 


102 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


hauptet sogar in seiner Bearbeitung der Algen, „die Borsten seien 
zarte, aber solide Cellulosefäden, in welche sich das Zelllumen nicht 
fortsetzt und die an ihrer Basis von einer weiteren Scheide umgeben 
sind. Diese Scheide besteht wahrscheinlich aus der gesprengten 
äußeren Lamelle der Membran, während die inneren Partien derselben 
sich zu einem dünnen Borstenhaar gestreckt haben“. Es ist schwer 
sich eine derartige zentrifugale Membranverdiekung vorzustellen, aber 
es ist leicht, sich davon zu überzeugen, dass die Haare mit Lumen 
versehene Fortsätze der Tragzelle sind. Ich untersuchte ©. pulvinata 
A. Br., ©. scutata Breb. und zwei neue australische Arten, von welch 
letzteren besonders die eine die Verhältnisse sehr deutlich zeigte. 
Auf sie beziehen sich hauptsächlich die folgenden Angaben. 

Fig. 7. Als Anlage des Haares bemerkt man, dass die 
Zelle an einer Stelle in einen kleinen dünnen Zapfen 
ausgezogen ist, in den sich das Zelllumen direkt 
fortsetzt. Dieser Zapfen wächst in seiner zylindri- 
schen Gestalt weiter, wobei sich die äußere Membran- 
schicht etwas von der inneren abhebt. Die erstere 
folgt dem Wachstum nur eine Zeit lang, wird infolge 
dessen an der Spitze gedehnt und immer dünner, bis 
sie hier gesprengt wird. Das Haar ist jetzt nur noch 
von der inneren sehr zarten Membranschicht umgeben, 
durch seinen plasmatischen Inhalt aber befähigt weiter 
zu wachsen und verlängert sich soweit, dass es die 
Länge der Scheide mehrfach übertreffen kann. An 
längeren Haaren findet man auch hier die Spitze fast 
immer abgebrochen, das Ende des Haares also offen, 
wie es Pringsheim abbildet. Der Inhalt ist ziem- 
lich gleichmäßig in dem Haarlumen verteilt, auch 
bei noch wachsenden Haaren beobachtete ich keine 
besondere Plasmaansammlung an der Spitze. Stellen- 
weise allerdings finden sich stärker lichtbrechende 
Klümpehen und diese erscheinen dann als „scheide- 
wandartige Bildungen“. Besonders bei C. scutata 
fielen sie auf, aber schon daraus, dass manchmal mehrere dicht hinter 
einander, dann auf lange Strecken gar keine auftreten, lässt sich 
entnehmen, dass es keine Querwände sind. Bei jener australischen 
Coleochaete lag fast immer an der Ursprungsstelle des Haares ein 
größeres stark liehtbrechendes Korn. Die Scheide ist meist zylin- 
drisch, ihre oberen Ränder sind schwach nach außen gebogen, bei 
der erwähnten australischen Art aber zeigt sie noch eine besondere 
Bildung (Fig. 7). Der obere Rand mit undeutlicher, verschwindender 
Begrenzung hebt sich triehterförmig ab und am unteren Rande des 
Triehters bildet die Membran eine niedrige Falte, weiter nach unten 
zu treten noch Erweiterungen und Einschnürungen auf. Die innere 





























Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 105 


Membran ist, soweit das Haar in der Scheide steckt, nicht sehr deut- 
lich zu sehen, aber doch bei genauer Beobachtung bis zur Basis zu 
verfolgen. Um den Inhalt deutlich zu machen, empfiehlt sich Fär- 
bung desselben mit Jod, oder noch besser mit Methylgrün. Sehr 
scharfe Bilder erhielt ieh durch Saffranin in wässriger Lösung: die 
Membranen waren braungelb, der Inhalt in dunklerem und rotem Ton 
gefärbt. Congorot färbt die Scheide gar nicht, die innere Membran 
nur schwach, ebenso wie die Wände der Zellen von Coleochaete über- 
haupt. Sie bestehen also, wie häufig bei den Algen, nicht aus reiner 
Cellulose. Dass das Haar kein solider Cellulosefaden ist, braucht 
kaum noch einmal erwähnt zu werden. Es ist eine zellige Bildung 
und dabei bemerkenswert nur, dass an seiner Basis keine Scheide- 
wand gebildet wird und dass zwischen Scheide und innerer Membran 
ein Zwischenraum entsteht. Die Scheide an sich ist nichts Auffal- 
lendes, sondern dass die äußere Membran nur die Basis des Haares 
umgibt, fanden wir mehrfach: nicht bloß bei den Chlorophyceen, 
wie Bulbocoleon, Herposteiron und wahrscheinlich Chaetonema, son- 
dern auch bei der Floridee Batrachospermum. Wir werden es auch 
noch bei einigen der folgenden finden. Somit zeigen die Haare von 
Coleochaete eine viel größere Uebereinstimmung im Bau mit denen 
anderer Formen, als man bisher annahm. 

Für die kleineren Arten, ©. orbieularis Pringsh. und irregularis 
Pringsh., die ich nicht untersuchte, gibt Pringsheim an!), dass 
die Scheide meist weniger deutlich ausgebildet, verhältnismäßig 
kürzer ist und sich oft gar nicht öffnet. „Sie wird häufig noch in 
sehr alten Exemplaren geschlossen und nach oben spitz in den Fa- 
den auslaufend angetroffen, auch der Borstenfaden selbst ist noch 
viel zarter und dünner als in den größeren Arten.“ 

Ochlochaete Hystrice Thwait., von Rabenhorst zu Aphano- 
chaete gezogen, ist nach Pringsheim ?) mit Coleochaete pulvinata 
identisch, nach der Zeichnung Rabenhorst’s (Flora Europaea Al- 
garum III. p. 305) sind aber die Haare nicht umscheidet. Nach 
De-Toni (Sylloge Algarum I. p. 213) schließt sich Ochlochaete am 
ehesten an Herposteiron an. Daraus kann man also nicht entnehmen, 
wie die Haare beschaffen sind, denn die Beschreibungen sind in dieser 
Hinsicht zu ungenau. 

Acrochaete repens Pringsh. aber dürfte eher hieher gehören. 
Denn obgleich nach der Abbildung die Haare einfache Membranaus- 
wüchse mit Scheide sind, gibt Pringsheim?) von den „Borsten“, 
welche von den Endzellen der aufrechten Zweige getragen werden, 
an: „Sie stimmen in ihrem Bau und ihrer Entstehung vollkommen 
mit den Borsten «der COoleochaete - Arten überein, und zwar ist es hier 

I)1.46: 9:13. 

2) Meeresalgen S. 6. 

3) eod. p. 4 


104 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen 


immer die äußerste Spitze der Endzelle, welehe in die nach oben 
offene Röhre auswächst, aus der dann das lange biegsame Haar her- 
vorsieht. Die Borste ist an ihrer Basis nicht verdiekt und niemals 
durch eine Scheidewand als besondere Zelle abgegliedert.“ 

Hier schließt sich dann an Aphanochaete globosa 
(Nordst.) Wolle. Nordstedt, der diese Alge zuerst 
beschrieb !), sagt bezüglich der Haare nur, dass die 
Zellen auf dem Rücken eine sehr lange Borste tragen 
und aus der Abbildung wäre zu schließen, dass die Mem- 
bran in einen nach der Spitze zu immer dünner werden- 
den Faden ausgezogen ist. Ich fand diese Alge unter 
andern australischen und untersuchte die Haarbildung 
genauer (Fig. 8). Das Haar ist hier auch ein Fortsatz 
der Zelle, an seiner Basis ist die Membran ziemlich 


Fig. 8. 


Kosten der Membran, um dann in dem oberen Ende nur 
als feiner Strich kenntlich zu bleiben. Die äußere Schicht 
der Membran wird auch hier ein kurzes Stück über der 
Basis des Haares durchbrochen und an der Stelle, wo 
sie aufhört, bricht auch der Faden leicht ab. Der Bau 
ist also sowohl dem der Ooleochaete- wie dem der Herpo- 
steiron-Haare ähnlich, die Scheide umschließt aber im 
Gegensatz zu Coleochaete das eigentliche Haar sehr dicht 
und dieses trennt sich im Gegensatz zu Herposteiron 
nicht von seiner Tragzelle durch eine Querwand ab, 
sondern hier findet sich eben nur die Kommunikation durch Verdiekung 
der Membran sehr verengt. Von einer Scheidewandbildung im oberen 
Teil des Haares ist natürlich nichts zu sehen, da ja überhaupt das 
Lumen kaum zu erkennen ist. Bemerkenswert ist noch die ganz 
außerordentliche Länge des Haares und die Erscheinung, dass das- 
selbe oft in vielen Windungen aufgerollt ist. 

Eine besondere Stellung, auch betreffs der Haare, nimmt die 
interessante einzellige Alge Dieranochaete reniformis Hieron. ein ?). 
Jede Zelle trägt eine Borste, die SO—160 u lang, einfach bis 4mal 
dichotom verzweigt und von der Basis nach der Spitze hin verdünnt 
ist. Die Borste entsteht aus dem byalinen Vorderende der Schwärm- 
spore. Dieses wächst zu einem Plasmafaden aus, der, während die 
Zelle selbst sich auch mit einer Membran umgibt, eine Gallerthülle 
ausscheidet; beim Weiterwachsen an der Spitze kann er sich ver- 


1) De Algis aquae dulcis et Characeis ex insulis Sandvicensibusa. Sv. 
Berggren 1875 reportatis. Lundae 1878. 8. 23. 

2) Cohn’s Beiträge zur Biologie, Bd. V, S. 351. Das Haar soll hier ein 
Schutzorgan gegen den Angriff kleinster Tiere (Infusorien) vorstellen, weniger 
für die Zelle selbst, als für die Schwärmsporen, die sich kaum über den von 
dem Haar geschützten Raum von der Mutterzelle aus entfernen. 





stark verdiekt, dann erweitert sich das Lumen wieder auf 











Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 105 


zweigen. Tritt die Verzweigung dicht an der Basis ein und wird 
das untere Stück von der Zelle verdeckt, so scheint diese 2 Borsten 
zu besitzen. Wenn das Wachstum des Haares abgeschlossen ist, 
schließt sich die Gallerthülle an der Spitze über dem Plasmafaden 
zusammen, der plasmatische Inhalt zieht sich aus der Borste in den 
Zellkörper zurück und der so entstandene Raum wird ebenfalls mit 
Gallerte ausgefüllt. Nur an der Basis erhält sich der Plasmafaden 
bisweilen noch ein Stück weit. Die Substanz der so entstandenen 
soliden Gallertborste ist ähnlich der Stielmasse der Diatomeen. 

Wir haben hier also den Uebergang aus einem zelligen Haar zu 
einem bloßen Membranfortsatz vor uns. Haare von letzterer Be- 
schaffenheit bilden eine neue kleine Gruppe, zu welcher irrtümlicher- 
weise, wie oben gezeigt wurde, noch manche andere Haare gestellt 
worden sind, wie die von den Coleochaete- Arten. Eigentlich bleiben 
somit für diese Gruppe nur übrig die gewöhnlich als Stacheln be- 
zeichneten haarartigen Gebilde, die sich bei einigen Protococea- 
ceen und Desmidiaceen finden. Und selbst diese sind fraglich, 
da es sehr wohl möglich ist, dass sie als hohle Ausstülpungen der 
Zelle angelegt und später mit Membransubstanz ausgefüllt werden. 
Genauere Untersuehungen in dieser Hinsicht sind noch zu erwarten. 
Ich habe nur an den Stacheln von Scenedesmus caudatus Corda 
einen feinen Strich in der Mitte wahrnehmen zu können geglaubt, 
der als die Andeutung des ursprünglichen Lumens betrachtet werden 
kann. Von den Desmidiaceen sind es hauptsächlich die Stau- 
rastrum- und Arthrodesmus- Arten, deren Zellen mit Anhängen ver- 
sehen sind, die vielleicht noch als haarartige Organe bezeichnet wer- 
den können. 

Borstenförmige Fortsätze der Membran sollen noch vorkommen 
bei der von K. Bohlin 1890!) aufgefundenen Mysxochaete barbata, 
einer kleinen epiphytischen Alge, deren Zellen von einer dieken Gal- 
lerthülle umgeben sind. Diese bildet über jeder Zelle meist 2 aus 
Schleim bestehende haarartige, dünne, lange Fortsätze (setas mucosas), 
die bisweilen auch gegabelt sind. 

Ueber die durch Fortsätze des Plasmas ohne Membran gebil- 
deten haarartigen Organe kann ich mich kurz fassen, denn es sind 
dies nur die bekannten Cilien, Geißeln oder Wimpern, welche ge- 
wöhnlich paarig an den betreffenden Zellen vorhanden sind, aber 
auch einzeln oder zu mehreren auftreten Ich erwähne sie hier, weil 
sie bei den Chlorophyceen am meisten verbreitet sind, indem sie 
sich bei allen Arten der Volvocineen an den vegetativen Zellen 
finden und an den Reproduktionsorganen “aller übrigen Formen mit 
Ausnahme der Conjugaten, und zwar an den Zoosporen, Z00- 
gameten und Spermatozoiden, nicht aber an den Eiern. Bei den 
Phaeophyceen haben wir auf diese Art der haarartigen Organe 


4) Bihang till k. Svenska Vet.-Akad. Handl., Bd 15, Afd. IN, Nr. 4. 


106 Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 


keine Rücksieht genommen und müssen deswegen hier nachträglich 
erwähnen, dass alle Reproduktionsorgane der Phaeosporeen und 
Cutleriaceen und die männlichen Zellen der Tilopterideen und 
Fucaceen regelmäßig mit zwei seitlich an der Zelle inserierten 
Cilien versehen sind. Bei den Dietyotaceen und Florideen 
dagegen kommen keine eilientragenden Zellen vor. Unter den Cyano- 
phyeceen soll es nach Hansgirg!) einige einzellige mit 1 oder 
2 Plasmawimpern versehene Formen geben, für die er die Gattungen 
Öryptoglena und Ohroomonas aufgestellt hat. 

Damit sind wir denn bereits zu den haarartigen Organen der 
Uyanophyceen übergegangen, welehe sich denen der Chloro- 
phyeeen am nächsten anschließen. Auch hier finden sich zunächst 
mehrzellige Haare, welche denen von Stigeoclonium entsprechen, in- 
sofern der fadenförmige Thallus ausgeht in eine Reihe von farblosen 
Zellen, die länger und dünner sind als die unteren gefärbten Zellen 
des Thallus, und insofern der Uebergang der letzteren in die ersteren 
ein allmählicher ist. Der Besitz dieser Haare ist charakteristisch 
für die Angehörigen der Familie der Rivulariaceen. Sie kommen 
bier in verschiedener Ausbildung vor, indem das Haar nur aus wenigen 
Zellen besteht und kurz ist wie bei Calothrix pulvinata Ag. und ©. 
pilosa Harv. oder aus vielen Zellen zusammengesetzt und verhält- 
nismäßig lang ist wie bei Rivularia polyotis (J. Ag.) Hauck. Ferner 
können die letzten Zellen des Haares noch ziemlich so diek sein wie 
die unteren, z. B. Gloeotrichia natans Rabh., oder sie sind äußerst 
dünn, das Haar also fein zugespitzt, z. B. Calothrix fusca Born. et 
Flah. Am besten ausgebildet findet man die Haare an jugendlichen 
Fäden; wenn die Bildung der Hormogonien beginnt, fallen sie ab. 

Aus anderen Abteilungen gehört hierher die Sirosiphoniacee 
Mastigocoleus testarum Lagh., bei welcher besondere haarbildende 
Aeste vorhanden sind. Im unteren Teile derselben sind die Quer- 
wände kaum erkennbar, die untersten Zellen sind blaugrün, die oberen 
Zellen sind farblos, lang und sehr dünn. Nur der untere Teil des 
Haares ist von einer farblosen Scheide umgeben, aus deren zerschlitztem 
Rande das lange Haarende peitschenförmig hervorragt. Sonst erinnert 
noch einigermaßen an die Haarbildung der Rivulariaceen die Os- 
cillaria leptotricha Kg., bei welcher das Ende des Fadens bis auf 
ein Viertel der Zelldieke verdünnt und in eine lange gebogene Spitze 
ausgezogen ist ?). 

Ein einzelliges farbloses Haar scheint bei Clastidium setigerum 
Kirehn. vorhanden zu sein, einer kleinen zu den Chamae- 

4) Botanisches Centralblatt, Bd. XXIV, Nr. 11 ff., 1885. 

2) Die Cilien, welche bei manchen Oscillaria- (Phormidium-) Arten, wie 
O. ruprestis Ag. und O. subfusca Vauch., sich in Büscheln an den Endzellen 
des Fadens bisweilen vorfinden, sind höchst wahrscheinlich nur ansitzende 
Bakterien. Ich hatte leider keine Gelegenheit diese Gebilde zu beobachten. 











Möbius, Morphologie der haarartigen Organe bei den Algen. 107 


siphonaceen gerechneten Form. Der Tballus ist ein kurzer Zell- 
faden, der am einen Ende festsitzt, am andern das Haar trägt. Das- 
selbe „ist schon am unteren Ende, mit dem es dem Scheitel des 
Fadens aufsitzt, zart und dünn und deutlich von der obersten Faden- 
zelle unterschieden, man könnte diese Borste eher mit denen von 
Coleochaete oder Bulbochaete vergleichen. Beim Zerfallen des Fadens 
in Gonidien wird sie abgeworfen“ !). 

Von Cyanophyceen ist nur noch @Gloeochaete Wittrockiana 
Lagh.?) anzuführen, welche in Bezug auf die Haare der bei den 
Chlorophyceen genannten Myxochaete am ersten zu entsprechen 
scheint. Die Borsten sitzen einzeln oder zu 2 bis 4 an einer Zelle, 
sind einfach oder verzweigt, bis über 0,3 mm lang und im unteren 
Teile 0,003 mm dick. Nach der Beschreibung liegen sie in der 
Schleimmasse der Zellen eingebettet, sind aber deutlich zu unter- 
scheiden und gehen von einem farblosen Punkte der Zelle aus, in- 
dem sich die Membran allmählich in die Borste verlängert. Oder 
entstehen diese Haare vielleicht wie jene von Dieranochaete? >) 

Schließlich sei noch auf das Vorkommen von haarartigen Ge- 
bilden bei den Bacillariaceen oder Diatomeen hingewiesen, 
unter denen aber nur die Arten von Chaetoceros damit versehen sind. 
Jede Zelle trägt 4 lange dünne zylindrische Anhänge (Hörner), die 
von Schütt *) folgendermaßen beschrieben werden: „Die Hörner, 
welche als hohle papillöse Ausstülpungen der Membran mit dem 
eigentlichen Zellinnern in ununterbrochenem Zusammenhange stehen, 
sind von Protoplasma gefüllt und enthalten häufig sogar Chromato- 
phoren. Ihre Wand ist ebenso starr und verkieselt wie die übrige 
Zellmembran.“ Form und Größe der Hörner wechselt bei verschie- 
denen Arten und Individuen außerordentlich, bei einigen Arten sind 
sie glatt, „bei andern dagegen mit kleinen punktförmigen Verdiekungen, 
zarten Querstrichen und selbst mit starken soliden Stacheln versehen.“ 
Bei derselben Gattung kommen an den Ruhesporen haarartige An- 
hänge anderer Natur vor. Durch wiederholte diehotomische Ver- 
zweigungen am Ende haben sie das Aussehen eines zierlichen 
Bäumcehens. Sie sind aber nieht hohl wie die Hörner, „sondern so- 
lide, feste, verkieselte Stäbe. Sie können, da sie nirgends mit dem 
Plasma in Berührung sind, nur durch ein eigentümliches eentrifugales 
Diekenwachstum der Membran entstehen,“ 


1) Kirehner in Jahreshefte d. Ver. f. vaterl. Naturkunde in Württem- 
berg, 36. Jahrg., 1880, 8. 195. 

2) Nach Lagerheim mit @. bicornis Kirchn. und Schrammia barbata 
Dang. identisch (Nuova Notarisia, 1890, p. ROT) 

3) Haarartige Fortsätze der Membran sind die Geißeln der Bakterien, 
diese aber gehören eigentlich nieht mehr in die Ordnung der Algen und sind 
deshalb von der Besprechung ausgeschlossen. 

4) Bot. Zeitung, 1888, Nr. 11 u. 12. 


108 Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel'sche Mesozoon Salinella. 


So haben wir denn gesehen, dass in jeder größeren Abteilung 
der Algen haarartige Organe vorkommen, dass aber deren Bau und 
Entwicklung ziemlich verschiedenartig sein kann Im Bezug auf letz- 
teren Punkt bleibt noch Manches zu untersuchen, weil man diesen 
Gebilden in den Beschreibungen und Abbildungen nieht die genü- 
sende Sorgfalt gewidmet hat. Deswegen möchte ich zum Schlusse 
darauf hinweisen, dass es sich empfehlen wird, in den Beschreibungen 
nicht die Ausdrücke gegliedertes oder ungegliedertes Haar oder Borste 
zu gebrauchen, sondern bestimmt zu sagen, ob das Haar mehrzellig 
oder einzellig ist oder nur ein hohler Fortsatz der Tragzelle, oder 
ein solider Auswuchs der Membran. 

Heidelberg, Januar 1892. 


Kritische Bemerkungen über das Frenzel'sche Mesozoon 
Salinella. 
Eine biologische Skizze. 
Von Prof. Dr. Stefan Apäthy. 

Frenzel beschrieb im „Zoologischen Anzeiger“ (1891, Nr. 337, 
S. 230 fg.) und im „Biologisehen Centralblatt“ (Bd XI, S. 577 1g.) 
ein neues Tierchen, welches er Salinella getauft hat). Ein mit zwei 
Oeffnungen — Mund und After — versehener Schlauch, dessen Wand 
von einer einzigen Zellsehichte gebildet wird. Die Zellen sind 
an der Bauchfläche gleichmäßig, klein bewimpert; nur um den, nicht 
ganz endständigen, Mund herum sind einige mit stärkeren Cilien ver- 
sehen: am Rücken tragen sie anstatt Wimpern kurze Borsten. Die 
dem Darmlumen zugewandte Seite aller Zellen ist gleichfalls fein be- 
wimpert. Im Darm befinden sich Nahrungsbestandteile in fester Form. 
Frenzel glaubt eine intrazelluläre Verdauung derselben verneinen 
zu müssen. 

Durch die Entdeckung von Salinella wurde unser Thatsachen- 
material ganz wesentlich bereichert, indem Salinella, wie es mir scheint, 
die Lücke zwischen Volvox und Trichoplax einigermaßen auszufüllen 
hilft. Für das Verständnis ursprünglichster Formen vielzelligen Lebens 
erscheint Salinella wichtiger als die Orthoneetiden und Dieyemiden, 
in welchen wir ein wohl sehr altes genealogisches Stadium, als ent- 
wickeltes Tier. im besten Fall durch Parasitismus bloß restituiert 
finden. 


4) Eine ausführliche Beschreibung mit Abbildungen publiziert Frenzel 
unter dem Titel „Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens“ 
im letzten Heft des Archiv für Naturgeschichte (58. Jahrg., I. Band, 1. Heft, 
S. 66—96 mit Taf. VII), welches, im Dezember des v. J. herausgegeben, mir 
erst nachträglich in die Hände gekommen ist. Frenzel fügt hier seinen 
früheren Auseinandersetzungen nichts Prinzipielles zu; ich glaube also darauf 
vorläufig nieht weiter reflektieren zu müssen. 








Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 109 


Es lassen sich an Salinella eine große Anzahl Fragen von höchster 
biologischer Bedeutung anknüpfen. Obwohl aber Frenzel mit Sali- 
nella einen wichtigen Beitrag für unsere Vergleichungen liefert, benützt 
er selbst in der Beurteilung von Salinella und der an diese geknüpften 
Probleme das schon vorhandene Thatsachenmaterial nicht genügend 
zum Vergleichen, weshalb er gewisse allerdings vorhandene Schwierig- 
keiten größer ansieht, als sie, vom vergleichenden Gesichtspunkte aus 
betrachtet, in der That sind. 

Ich hoffe im Folgenden lauter Bekanntes und allgemein Aner- 
kanntes auf einen konkreten interessanten Fall nur anzuwenden und 
erlaube mir damit einige Erwägungen von meinem Eigenen zu verbinden. 

„Es ist bekannt“, sagt Frenzel in seinem zweiten Aufsatze 
(l. e. S. 577), „dass zwischen einzelligen und vielzelligen Tieren 
bisher eine Kluft sich ausdehnte, welche größer war, als die zwischen 
dem Pflanzen- und Tierreich, denn diese beiden sind ja auch heute 
noch trotz unserer fortgeschrittenen Kenntnisse kaum von einander zu 
trennen“. Je weiter aber unsere Kenntnisse vorschreiten werden, 
desto weniger wird eine solche Trennung möglich sein, und desto 
weniger werden wir sie auch für nötig halten: die Tier- und Pflanzenwelt 
hat sich von einer gemeinsamen Basis, von den kernlosen Protoblasten, 
in zwei verschiedenen Riehtungen entwickelt. Ueberhaupt glaube ich 
nicht, dass es eigentlich gestattet sei in den Naturwissenschaften 
solche Vergleiche aufzustellen. Eine Kluft, wenn sie einmal vorhanden 
ist, kann weder kleiner, noch größer sein, als irgend eine andere. 

Zwischen Tieren und Pflanzen könnte wohl eine Kluft existieren; 
glücklicherweise ist eine solche aber nieht da. Unser Thatsachen- 
material ist jedoch nur in verhältnismäßig ganz junger Zeit soweit 
bereichert worden, dass die Kluft, welche vom Standpunkte früheren 
Wissens aus nur zu sehr vorhanden war, überbrückt werden konnte. 
Möglich, dass es — unter den heutigen Lebewesen — zwischen Proto- 
zoen und Metazoen eine Kluft gibt; möglich, ja sogar sehr wahr- 
scheinlich, dass es keine gibt, und dass es bloß von einer weiteren Be- 
reicherung unseres Thatsachenmaterials abhängt sie zu überbrücken. Der 
Uebergang von den einzelligen Pflanzen zu den vielzelligen ist auch 
heute noch ganz allmählich: warum sollte es von den einzelligen 
Tieren zu den vielzelligen anders sein? Frenzel liefert einen ganz 


ansehnlichen Pfeiler zu jener Brücke, und bemüht sich dabei — im 
weiteren seines Aufsatzes — die Kluft tiefer und breiter erscheinen 


zu lassen, als sie ist. Eine so sehr pessimistische Auffassung ihres 
gegenwärtigen Standes verdient unsere Wissenschaft nicht; obwohl 


ich im Allgemeinen den Pessimismus — aber ohne Resignation und 
„lgnorabimus“! — den aktiven Pessimismus, für fruchtbarer als die 


Aktivität in übertrieben optimistischer Richtung halte. Frenzel über- 
sieht aber auch schon vorhandene Bausteine der künftigen Brücke 
zwischen Protozoen und Metazoen. 


110 Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 


Auch thut Frenzel dem modernen Zoologen unrecht, wenn er 
(l. e. im Biol. Centralbl., S. 577) sagt: „Muss man doch sogar, was 
jedem modernen Zoologen schwer wird, bei ihrer (nämlich der Proto- 
zoen) systematischen Anordnung physiologische Beweggründe walten 
lassen, da hier eben die rein morphologischen und embryologischen 
Stützen unzureichend sind“. In Fällen, wo ein „durchaus nicht un- 
wichtiger Unterschied“ „leider viel zu wenig beachtet wird, vielleicht 
deshalb, weil er zuvörderst nur physiologischen Motiven entspringt“: 
geschieht dies nicht deshalb, weil das Inbetrachtziehen physiologischer 
Beweggründe einem modernen Zoologen schwer fallen würde, sondern 
weil es leider noch viel zu viele einseitige, d. h. nicht moderne 
Zoologen gibt. 

Mir scheint es, dass gerade die Erkenntnis, dass zwischen morpho- 
logisch (d. h. anatomisch und embryologisch) nicht zu unterscheidenden, 
besonders einzelligen, Organismen Unterschiede rein physiologischer 
Natur vorhanden sind, eine der wichtigsten biologischen Errungen- 


schaften ist. Wir lernen nämlich daraus, dass die — meiner Ansicht 


nach wenigstens — wesentlichsten Unterschiede zwischen den Orga- 
nismen von der Entwieklungsstufe ihrer Organisation unabhängig sind, 
und dass das Protoplasma, besser gesagt, die Protoblasten — denn 
ein selbständiges Protoplasma, ohne irgend eine Art Protoblast, Lebe- 
wesen, zu bilden, gibt es überhaupt nieht — auch im organlosen Zu- 
stande wesentlich verschieden sind. 

Ja wir müssen sogar — auf einem Wege, den ich vielleicht ein 
anderes mal näher beschreiben werde — zu dem Schlusse gelangen, 
dass es mindestens so viele, wahrscheinlich aber viel mehr ursprüng: 
liche Gattungen von Protoblasten schon im organlosen Zustande ge- 
geben hat, als es heute wirklich unabhängige Formen von Lebe- 
wesen, man könnte sagen Qualitäten von Leben gibt. Neue 
(Qualitäten von Leben sind trotz der Mannigfaltigkeit sieh allmählich 
ausbildender Lebensformen nachträglich vielleicht gar nicht mehr ent- 
standen: denn neue verschiedene Lebensformen können durch 
allmähliche Formveränderung aus scheinbar gleichen Lebensquali- 
täten entstehen, deren von Anfang an vorhandene Verschiedenheit 
erst auf einem höheren Grade der Entwicklung wahrnehmbar wird: 
wohl aber müssen nicht alle ursprünglich vorhanden gewesenen Lebens- 
qualitäten den Kampf ums Dasein bis auf die Gegenwart ausgehalten 
haben. 

Mehr oder weniger sichtbare Klüfte zwischen den einzelnen Lebens- 
formen sind und müssen also vorhanden sein, wenn wir überhaupt 
den Begriff Unterschied mit Kluft identifizieren wollen. Die schein- 
bare Größe einer solchen Kluft kann in erster Linie von der Dürftig- 
keit unseres Thatsachenmaterials abhängen; sie ist aber anderseits 
nur Sache willkürlicher Schätzung: im wesentlichen ist es gleichgiltig, 
ob ein Abgrund, über welehen wir nicht hinüberkönnen, zehn Meter oder 








Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. AL 


hundert Meter breit ist. Ein Unterschied ist eben ein Unterschied, und 
er kann eigentlich weder größer, noch kleiner sein, als ein anderer. 

Und weshalb müsste man die Protozoen „von dem biogenetischen 
Grundgesetz Haeckel’s ausschließen“? Inwiefern sollte unsere 
Kenntnis von den Protozoen das biogenetische Grundgesetz über den 
Haufen werfen? Denn wenn es wirklich Lebewesen gibt, welche von 
dem biogenetischen Grundgesetz auszuschließen sind, so ist das- 
selbe überhaupt nicht giltig. Hat es sich aber in der neuesten Zeit 
herausgestellt, dass es auf unüberwindliche Schwierigkeit stößt anzu- 
nehmen, dass die Ontogenese auch bei den Protozoen ihre Phylogenese 
rekapituliert? Gewiss ist die Zahl der unterscheidbaren Formzustände, 
welche das individuelle Leben eines Einzelligen durchläuft, viel ge- 
ringer, als die Formenreihe seiner Phylogenese gewesen sein muss. 
Dieselbe Verkürzung sehen wir jedoch — verhältnismäßig noch mehr — 
auch bei den Metazoen, und die Formenreihe wird bei den Protozoen 
ebenso, wie bei den Metazoen, oft erst in einem Zyklus von mehreren 
Generationen etwas vollständiger. Desgleichen müssen larvale An- 
passungen und andere coenogenetische Formzustände bei den Protozoen 
eine vielleicht noch größere Rolle spielen, als bei den Metazoen. 

Man muss, wenn sich die Phylogenese in der Ontogenese wirk- 
lich wiederholt, in der individuellen Entwicklung eines Protozoons 
auch das Anfangstadium des kernlosen Protoblasten, 
das Monerenstadium, wiederfinden können. Dieselbe Forderung 
muss man aber auch gegenüber den Metazoen stellen; denn die Phylo- 
genese kann auch bei diesen nicht von dem kernhaltigen Protoblasten 
ausgegangen sein, wohl aber von dem kernlosen Ursprungsstadium 
aller Lebensformen. Und die Ontogenese jedes Metazoons schien bis- 
her mit dem Stadium der Eizelle (resp. Propagationszelle überhaupt), 
also mit dem kernhaltigen Protoblasten anzufangen. Nun finde ich 
jedoch dureh die Entdeckung der allgemeinen Verbreitung der Centro- 
somen (Attraktionsspbären) und ihrer so zu sagen leitenden Rolle bei 
der Zellteilung die Möglichkeit gegeben die Ontogenese auch der Ei- 
zelle und somit die aller Protozoen auf das Monerenstadium zurück- 
führen zu können. Nur wird das Stadium der kernlosen Protoblasten 
gegenwärtig immer innerhalb der Mutterzelle, noch vor der Abgrenzung 
der Tochterzellen passiert. Sobald sich nämlich das Centrosoma ge- 
teilt hat, dessen Attraktion mit der Einheit des Protoblasten, also mit 
dessen Individualität gleichbedeutend ist, hat das Mutterindividuum 
aufgehört zu existieren, und die zwei Tochterindividuen sind, obwohl 
noch weniger getrennt als später, schon vorhanden, ehe sich noch 
der Kern geteilt hat. 

Der ungeteilt übrig gebliebene Kern des Mutter- 
individuums gehört weder dem einen, noch dem andern 
Tochterindividuum an: diese befinden sich also auf dem 
Stadium des kernlosen Protoblasten. Da aber der Kern für 


112 Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella 


die volle Thätigkeit des Protoblasten ein sehon unentbehrlich 
wichtiges Organ geworden ist, so müssen sie einen Kern in der 
Ontogenese viel früher erhalten, als es in der Phylogenese geschehen 
sein mag. Ein relativ früheres Auftreten wichtiger Organe in der 
Öntogenese als in der Phylogenese ist ja ein seit Fritz Müller 
allgemein gewürdigtes Vorkommnis. Der herrnlos zurückgebliebene 
Mutterkern kann noch weniger ein selbständiges Leben führen und 
zerfällt in seine Bausteine und Balken; und die Tochterindividuen 
beeilen sich dieses wichtige Baumaterial ihrer weiteren Organisation 
unter sich zu teilen und davon sich selbst einen Kern, nach dem 
Muster des Mutterkernes, aufzubauen. Somit erscheint auch 
der Zweck der mehr oder weniger komplizierten Formen 
der Kernteilung niehts weiter, als eine ontogenetische 
Verkürzung des phylogenetischen Vorganges der Kern- 
bildung aus dem materiellen Substrate, an welches die 
erblichen speziellen Eigenschaften gebunden sind und 


welehes, — ohne noch in Form eines später so wiehtieen 
’ I oO 


Organs, des Kernes, konzentriert zu sein — gewiss auch 
dem kernlosen phylogenetischen Stadium eigen war!). Da 
nun der Kern, obwohl als Organ noch wichtiger denn jemals, gewisser- 
maßen detroniert wurde, kann der Protoblast ohne Kern, gleichviel 
ob es auch heute noch zu selbständigen Leben fähige kernlose Wesen 
gibt oder nicht, wieder in seine Rechte treten. 

Wir können also den kernlosen Protoblasten, als anfängliches 
Entwicklungsstadium, auch in der Ontogenie wieder finden, und zwar 
sowohl bei den Protozoen, als auch bei den Metazoen. Die Ontogenese 
eines Metazoon-Individuums fängt ja nicht mit dem Stadium der sieh 
teilenden befruchteten oder unbefruchteten Eizelle an, aus weleher es 
sich zum Metazoon hinauf entwickelt; sondern schon das durch die 
fertige Eizelle repräsentierte Individuum hat eine eventuell sehr lange 
individuelle Vergangenheit, welche mit dem kernlosen Stadium inner- 
halb jener Keimzelle anfängt, aus deren Zweiteilung es als unreife 
Eizelle unmittelbar hervorgegangen ist. 


1) Ich glaube auch jenen Umstand, dass die nach einfacher Teilung ent- 
standenen Tochterzellen auch andere Organe (Chromatophoren, Vakuolen bei 
Pflanzen, Cilienkränze, Kragen ee. bei Protozoen) nicht (resp. seltener) selbst 
ganz neu bilden, sondern durch Teilung der betreffenden Organe der Mutter- 
zelle erhalten, ebenfalls als ontogenetische Verkürzung des ursprünglichen Vor- 
ganges der Entstehung jener Organe auffassen zu müssen. In Fällen aber, wo 
die Ontogenese der Zelle ihre Phylogenese getreuer reproduziert, z. B. bei der 
Entwieklung einzelliger und vielzelliger Wesen aus Sporen, werden die Organe 
der Mutterzelle noch vor der Teilung behufs Sporenbildung rückgebildet, und 
die T'ochterzellen, resp. ihre weiteren Nachkommen, müssen dieselben Organe, 
mit Ausnahme des Kernes, ganz neu für sich konstruieren, 





Apäthy, Kritische Bemeıkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 115 


Mir sind — möglich dass dazu meine Kenntnisse nicht aus- 
reichen — keine Thatsachen geläufig, welche die Protozoen der morpho- 
genetischen Theorie entziehen würden, zumal zwischen den sichtbaren 
auch unsichtbare Stufen der Entwicklung ihrer Organisation vor- 
handen sein können. Die Entwicklung kann ja sogar ohne Entfaltung 
weiterer Organisation die höchste Stufe einzelliger Existenz erreichen, 
indem sie in einer den phylogenetischen Hergang nachahmenden 
Umwandlungsreihe der Eigenschaften des Protoblasten besteht, 
wobei mit der Aufeinanderfolge dieser Umwandlungen nur potentiell 
jede der betreffenden Entwicklungsstufe entsprechende Organisation, 
d.h. nur die Fähigkeit eine solche unter Umständen hervorzubringen, 
verbunden ist. 

In dieser Weise erreicht nach meiner Ansicht die Eizelle onto- 
genetisch die höchste Stufe einzelliger Existenz, welche in der Phylogenie 
jener Lebensform vorhanden gewesen ist, und alle ihre Tochterzellen 
und weitere Nachkommen, die Bildner des Metazoenkörpers, haben 
die Fähigkeit dieselbe Stufe zu erreichen und müssen trachten sie 
auf demselben Wege, vom Stadium des kernlosen Protoblasten herauf, 
zu erreichen. Die Schnelligkeit der Entwicklung ist verschieden je 
nach den Verhältnissen, unter welchen die betreffende Zelle ihr indi- 
viduelles Leben anfängt und weiter fristet. Der größte Teil der Zellen 
des Metazoonkörpers wird aber durch die Verhältnisse auf einem früheren 
oder späteren Stadium seiner Ontogenese gezwungen schon die Organi- 
sation, welche gerade diesem Stadium, wenn sie von anderen Zellen 
des Körpers auch nicht entfaltet wird, eigen ist, thatsächlich zu ent- 
wickeln. Jene Zellen, die auf welchem Stadium immer — ihre 
Organisation in der That entfalten müssen, werden durch unmittel- 
bare einseitige Anpassung in der virtuellen Weiterentwicklung auf- 
gehalten, durch spezielle Arbeitsleistung meistens entkräftet und er- 
reichen nie die höchste Stufe der Entwicklung, zu welcher sie bei 
ihrer Entstehung, so zu sagen, historisch prädestiniert waren. Es 
befinden sich nur die Propagationszellen, resp. wenn deren zweierlei 
vorhanden sind, nur die Eizellen unter solchen günstigen Bedingungen 
die ganze einzellige Phylogenese der Art in ihrem individuellen Leben 
ontogenetisch virtuell durchzumachen und dadureh den vollständigen 
Charakter jener Lebensform auf ihre Nachkommen überliefern zu können. 

Im Pflanzenreich ziemlich bäufig, im Tierreich seltener kommen 
aber unleugnbar auch solche Fälle vor, dass Zellen, welche sich 
schon einer speziellen Funktion angepasst hatten, und die man daher 
als Arbeitszellen den Fortpflanzungszellen gegenüberzustellen geneigt 
wäre, sich unter besonderen Umständen quasi wieder verjüngen, ihre 
virtuelle Weiterentwicklung wieder aufnehmen und daher, wenn sie 
das höchste Einzelligenstadium ihrer Art erreicht haben, selbst zu Fort- 
pflanzungszellen werden. Haben sie aber, durch zu weit vorgeschrittene 
Spezialisirung,durchAnhäufungaplasmatischerZellprodukte 

XII. Ä Q 





[A 


j14 Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 


entkräftet, die Fähigkeit die höchste Einzelligenstufe virtuell selbst zu 
erreichen eingebüßt: so können auch ihre eventuellen Tochterzellen 
keine solche besitzen und werden nie eine höhere Entwicklungsstufe 
als ihre Mutterzelle — nicht einmal virtuell — erreichen. Deshalb 
können die Nachkommen schon spezialisierter Gewebszellen nie anderes, 
als höchstens dasselbe Gewebe weiterbilden, vermehren, regenerieren; 
und nur deshalb können die Arbeitszellen aus sich ein neues, selbst- 
ständiges, der Mutter gleiches vielzelliges Individuum nie mehr her- 
vorgehen lassen. 

Vielleicht irre ich mich nicht, wenn ich glaube, dass die morpho- 
genetische Theorie für die Protozoen nur aus denselben Ursachen 
unanwendbar scheint, welche in der Deutung der embryologischen 
Stufen auch bei den Metazoen Schwierigkeiten machen, -— auf welchen 
übrigens die Differenzierung der Körperzellen ebenfalls beruht. Und 
diese Ursachen selbst beruhen — um das Gesagte nochmals kurz zu 
wiederholen — darauf, dass es die verschiedenen Zellen bis zu einem 
verschiedenen Grade der virtuellen Entwicklung, deren höchste mög- 
liche Stufe nur von der Eizelle in der That erreicht wird, bringen 
und, auf einer früheren oder späteren Stufe stehen bleibend, eine ent- 
sprechende niedrigere, je nach ihren Verhältnissen verschiedene Organi- 
sation entfalten, sich dabei einseitig anpassen und viel zu sehr ent- 
kräften, um noch eine weitere Zukunft haben zu können. 

Ich will aber nicht jeden Satz des Frenzel’schen Artikels so 
genau wägen, — obwohl man ja nur das wägt, was einem zu wiegen 
scheint. Man könnte mir sonst den Vorwurf des Bekrittelns machen. 
Ich hoffe jedoch, dass Frenzel nicht zu denen gehört, welche gleich 
geneigt sind jedes Bedenken gegen ihren Gedankengang als „An- 
bohrungen“ aufzufassen. 

Frenzel betont in seinem Artikel am meisten die vermeintliche 
Kluft zwischen Protozoen und Metazoen, welche dadurch verursacht 
wäre, dass die Protozoenzelle intrazellulär verdaut, wogegen bei den 
Metazoen, wo die extrazelluläre Verdauung vorherrscht, die intra- 
zelluläre „nur vereinzelter und ausnahmsweise angetroffen wird“. 


Dem gegenüber meine ich, — und dabei kann ich mich auf die ersten 
Autoritäten der Gegenwart stützen — dass die Art und Weise, wie 


sich die Zelle bei Protozoen und Metazoen ernährt, am wenigsten ge- 
eignet ist, eine Kluft zwischen ihnen zu bilden. Ganz im Gegenteil! 

Bei den Protozoen kann es Sache momentaner Anpassung sein, 
ob ein und dasselbe Tier extra- oder intrazellulär verdaut. Und bei 
den Metazoen kommt eine intrazelluläre Verdauung nicht nur nicht 
vereinzelt vor, sondern sie ist bei sämtlichen niederen Metazoen so zu 
sagen vorherrschend; bei manchen, wie z. B. bei den Schwämmen, 
ist vielleicht ausschließlich nur eine solehe vorhanden. Und es sind 
picht „nur die Entodermzellen, die dabei in Frage kommen können“, 
sondern auch, und zwar hauptsächlich, die amöboiden Mesenchym- 











Apäthv, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. ) 
pathy, 8 


zellen, welehe diese ihre von dem Protozoonstadium her bewahrte 
Fähigkeit sogar bei den höchsten Metazoen, als sogenannte Phagocyten, 
weiter ausüben. Wollten wir aus Protozoen ein Metazoon konstruieren, 
so würden wir in der Ernährungsweise gar keine physiologische 
Schwierigkeit, wie Frenzel glaubt, finden. Deshalb, weil die ein- 
zelnen Individuen auch in der Kolonie jedes für sich intrazellulär 
verdauen würden, könnten wir noch ganz gut „über eine simple 
Protozoenkolonie* hinauskommen und ein „regelrechtes Metazoon“ 
gewinnen. Wenn man die neueren vergleichend embryologischen und 
physiologischen Thatsachen bei den niedersten Metazoen in Betracht 
zieht, so kommt man zu dem Resultate, dass die einzelnen Zellen- 
individuen des Metazoons, welche von ihrer Selbständigkeit immer 
mehr und mehr aufgeben (— nach meiner Ansicht deshalb, weil die 
Protoblastengattung, welche durch sie repräsentirt wird, an ihrer 
ursprünglichen Lebensenergie immer mehr und mehr einbüßt —) deshalb 
noch lange die Fähigkeit ihre Nahrung selbst für sich zu verdauen, 
beibehalten haben. Wahrscheinlich ist diese Fähigkeit zuerst bei den 
Ektodermzellen, dann bei den Entodermzellen verloren gegangen, wo- 
gegen die Mesenchymzellen noch heute, bis zu den höchsten, selbst 
verdauen können. 

Wir müssen, im Gegensatz zu Frenzel, Metschnikoff voll- 
kommen beipflichten, „dass dieser Verdauungsmodus eine der wenigen 
von den Protozoen überlieferten Eigenschaften des Metazoenorganismus 
repräsentiert und folglich einen, so klein er auch ist, Verbindungs- 
faden zwischen beiden Gruppen liefert“ !. Gewiss würde man, ob- 
wohl nicht auf dem Gebiete der Ernährung, auf große Schwierig- 
keiten stoßen, wollte man Metazoen aus infusorienähnlichen Einzelligen, 
wie die „Larve“ von Salinella, konstruieren. Man muss aber nicht 
gerade die unwahrscheinlichste Möglichkeit wählen. Die allerersten 
Metazoen sind, wie allgemein angenommen wird, aus flagellatenähn- 
liehen ‚Wesen abzuleiten. Und bei den Flagellaten ist es erst recht 
nur Sache des Eutwicklungsstadiums, ob ein Tier extra- oder intra- 
zellulär verdaut; die verschiedenen Formzustände, welche die Zelle 
in ihrem Leben durchläuft, werden auch durch verschiedene Art und 
Weise der Ernährung charakterisiert. Die Protozoen können in ihren 
verschiedenen Lebensphasen bald amöben-, bald flagellaten- oder 
eiliatenähnlich sein, resp. alle drei Zustände durchlaufen (Cataliacten 
von Haeckel). Dasselbe gilt auch von sehr vielen Zellen des 
Metazoenkörpers. Wollte man auch grade holophytische Flagellaten 
als Ahnenformen der Metazoen annehmen, wobei Volvox einen sehr 
schönen Uebergang verwirklicht, so ist es leicht zu denken, dass, 
sobald sich eine Kommunikation der Zentralhöhle nach außen stabili- 
siert hat, oder anderswie eine Gastralhöhle entstanden ist, die Zellen 





4) Metschnikoff E., Untersuchungen über die intrazellulare Verdauung 
bei wirbellosen Tieren. Wien 1883. 8.2. 
gr 


116 Apaäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 


ihre holophytische Lebensweise aufgegeben haben, um anfangs zu 
einer extrazellulären Verdauung zu übergehen. Es haben ja sogar 
wirkliche, hochorganisierte Pflanzen die Fähigkeit, gelegentlich auch 
zu verdauen, und zwar extrazellulär zu verdauen, wie die insekten- 
fressenden Pflanzen. In der Beurteilung der Verwandtschaftsbezieh- 
ungen der Flagellaten ist es gar nicht von Belang, ob sich eine Form 
holophytisch oder saprophytisch ernährt; nieht nur von nahe ver- 
wandten Gattungen sind die einen holophytisch (z. B. Chlamydomonas 
und Oryptomas), die anderen (Po/ytoma und Chilomonas) saprophytisch, 
sondern die Ernährungsweise wechselt auch innerhalb der Gattung 
(die verschiedenen Species von Euglen«); ja sogar eine und dieselbe 
Form kann in ihrer domininierenden Lebensphase von der holophy- 
tischen zur saprophytischen Lebensweise, indem sie ihr Chorophyli 
verliert, übergehen (z. B. Chlorogonium und Carteria). Saprophytische, 
also eigentlich nicht verdauende Formen gehen aber sehr leicht in 
verdauende über, und zwar ist die Verdauung meistenteils, der an- 
genommenen amöboiden Form entsprechend (z. B. bei septischen 
Monaden), intrazellulär, gelegentlich aber auch extrazellulär. Denn 
wie soll man die Fähigkeit gewisser Bakterien Kautschuk und andere 
schwer angreifbare Stoffe durch ihre Sekrete zu lösen und als Nahrung 
zu resorbieren anders als extrazelluläre Verdauung bezeichnen ? 

Dass extrazelluläre Verdauung bei den Protozoen so wenig ver- 
breitet ist, ja sogar nur ausnahmsweise stattfinden kann, daran sind nur 
äußere Verhältnisse Schuld, welche eine extrazelluläre Verdauung für 
die meisten Protozoen zu einer physischen Unmöglichkeit machen. 
Unter Verdauung verstehen wir nur den Prozess der Ueberführung 
geformter Nahrung in einen gelösten Zustand oder in eine feine 
Emulsion. Dabei spielen die Verdauungssekrete und Enzyme die 
grösste Rolle. Bei der extrazellulären Verdauung wird die Nahrung 
außerhalb des Zellkörpers den Einflüssen jener ausgesetzt; bei der 
interzellulären aber innerhalb des Zellkörpers. Wie soll nun ein 
Protozoon, falls die Verdauungssäfte ohne unmittelbaren Reiz auf das 
Protoplasma überhaupt produziert werden können, ihre Einwirkung 
auf die Nahrung außerhalb seines Körpers sichern? Das Protozoon 
muss, um verdauen zu können, um die Einwirkung der Verdauungs- 
säfte auf seine Nahrung möglich zu machen, seine Speise einverleiben. 
Kann dies aber, infolge der Lagerung der Zellen in der Kolonie, 
auch außerhalb der Zelle geschehen, so wird das Einverleiben der 
Speise in die Zellen unterbleiben können. 

Es ist also gar nicht zu verwundern, dass die Veränderung der 
Lebensweise des ehemaligen Protozoons durch das Zusammenleben 
in der konsolidierten, individualisierten und differenzierten Kolonie, 
im Metazoon, eine Aenderung seiner Gewohnheiten mit sich brachte. 
Zuerst war es von großem Nutzen in einer Darmhöhle viel mehr Nah- 
rung aufspeichern zu können, als die einzelnen Zellen auf einmal 


Pa = 








Apathy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 117 


festzuhalten im Stande sind. Eine intrazelluläre Verdauung war nicht 
mehr unumgänglich; sie wurde aber für die meisten Zellen des Körpers 
allmählieh auch unmöglich. Schon das Zusammenbleiben in 
einer Kolonie und die Unfähigkeit selbständig zu leben 
ist ein Zeichen der individuellen Entkräftung der ein- 
zelnen Protoblasten; durch weitere Entkräftung büßen die meisten 
Zellen, allmählich auch die Entodermzellen, die Fähigkeit aktiver, 
amöboider Gestaltsveränderungen ein; als Ersatz für die ganze Kolonie, 
spezialisieren sie sich aber zu Bereitern von Verdauungssäften und 
Enzymen, d. h. ihre Entkräftung hat die Umwandlung ihres Proto- 
plasmas zu Verdauungssäften, weiter auch ohne direkten Reiz auf 
dasselbe, zur Folge. Die große Kaduzität der Entodermzellen (und 
der Drüsenzellen überhaupt) ist ein ganz allgemeiner Charakter. 

Würde man die Darmzellen, sagt Frenzel, „allenfalls noch als 
Protozoenzellen auffassen können, so ist dies bei den ersteren, den 
Mesoderm- und Ektodermzellen durchaus nicht mehr statthaft . . .“ 
Ich sehe gar nicht ein, warum? Die intrazellulär verdauenden 
Darmzellen entsprechen holophytischen Protozoen, die übrigen Körper- 
zellen entsprechen teils saprophytischen Protozoen, weil sie, Dank 
der Arbeit anderer Zellen, sich nur zu ernähren, aber ihre Nahrung 
nicht zu verdauen brauchen; teils sind aber die Körperzellen (nament- 
lich die Mesenchymzellen) ebenfalls holophytische Protozoen, und bleiben 
es auch dann, wenn es die Darmzellen schon längst eingebüßt haben 
intrazellulär verdauen zu können. In ursprünglicheren Fällen ver- 
dauen die Darmzellen selbst; später verlieren sie diese Fähigkeit und 
erschöpfen sich nur mehr in der Produktion von Verdauungssäften ; 
letztere genügen aber nicht zur Verdauung der Speise, und die 
amöboiden Wanderzellen müssen mit ihrer Fähigkeit intrazellulär zu 
verdauen mehr oder weniger nachhelfen. Immerhin sind die Darm- 
zellen Protozoen, mit welchen andere Körperzellen, ebenfalls Protozoen 
entsprechend, in einer Art Symbiose zusammenleben: ihre Sorge für 
einander ist gegenseitig, wobei sich ihre Funktionen zu einem physio- 
logischen Ganzen kompletieren. Nicht nur die Darmzellen ernähren 
die übrigen, sondern ein großer Teil der übrigen sorgt auch für die 
Darmzellen: Oxygen ist im weitesten Sinne ebensogut Nahrung, als 
Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate. 

Ich glaube im vorhergehenden zur Genüge dargethan zu haben, 
dass gerade die Physiologie der Verdauung beim Ableiten der Meta- 
zoen von den Protozoen am wenigsten Schwierigkeiten verursacht. 
Aber auch die andere „Kluft“ zwischen Protozoen und Metazoen, 
welehe Frenzel ebenfalls betont, und welehe durch die Mehrschichtig- 
keit der Metazoen verursacht wird, erscheint uns weniger groß, wenn 
wir Folgendes in Betracht ziehen. 

Als einschichtiges vielzelliges Tier kennen wir nun außer Volvor 
auch Salinella. Die nächste Stufe, deren Repräsentanten wir als ent- 


[18 Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 


wiekelte Tiere näher kennen, sind — von Trichoplax adhaerens abge- 
sehen — wohl sehon dreischichtig, indem bei ihnen zwischen Ektoderm 
und Entoderm sehon ein Mesoderm, besser Mesenchym, vorhanden ist, 
und wir vermissen Tiere, welche auch im entwickelten Zustande der 
typischen Gastrula entsprechen und bloß aus Ektoderm und Entoderm 
bestehen würden. Es fehlt uns somit der triftigste Beweis dafür, 


dass die Urform der Metazoen die Gastraea — ein Tier mit Darm- 
höhle und Mundöffnung, aus Ektoderm und Entoderm, ohne Meso- 
derm — gewesen ist. Wir haben aber diese Form nur dann 


als Uebergangsform nötig, wenn wir den nächsten Schritt 
derphylogenetischen Weiterentwicklung von derBlastula- 
form (Blastaea) aus in einer Invagination bestehen lassen 
wollen. 

Gewiss ist die Entstehung einer Gastrula durch Einstülpung die 
mechanisch einfachste Art der Weiterbildung, und deshalb schlägt 
auch die immer auf Verkürzung, Vereinfachung trachtende Ontogenese 
besonders bei den höheren Typen so oft diesen Weg ein: deshalb ist 
es anderseits auch natürlich und leicht erklärlich, dass die nächste 
Stufe nach der Blastula in der Ontogenie die Gastrula ohne Mesoderm 
ist. Ist aber eine ähnliche Gastrula-Bildung auch die physiologisch 
einfachste Möglichkeit der Weiterbildung von der Blastaea aus? Mir 
scheint es nicht so. Die physiologisch einfachste Art der Entodermbil- 
dung, und deshalb wahrscheinlich die genealogisch älteste, ist jene, welche 
mit Einwanderung von aus dem epithelialen Verband herausgedrängten, 
amöboid gewordenen Ektodermzellen in den inneren Hohlraum beginnt, 
d. h. die Entodermbildung durch apolare multilokulare Binwucherung 
(Metschnikoff). Eine apolare deshalb, weil die ursprüngliche 
Polarität des Eies erst dureh spätere Anpassung (Dotteranhäufung) 
so weit gesteigert werden konnte, schon selbst eine Differenzierung 
der Blastula-Zellen, eine größere Verschiedenheit des Hypoblastes 
vom Epiblast, zu bewirken. Die in die Blastula-Höhle hineingedrängten 
Zellen ordneten sieh nachträglich und allmählich, nachdem dazu die 
Kommunikation der Blastula- Höhle mit der Außenwelt durch den 
Urmund Veranlassung gegeben hatte, wieder epithelartig um das 
Entoderm zu bilden. Vielleicht ist eine solehe offene Dlastaea sogar 
noch ursprünglicher als die geschlossene Blase, und dann wäre die 
genannte Veranlassung nieht nachträglich eingetroffen, sondern von 
Anfang an vorhanden. Ich erinnere an die Entwicklung von Volvox, 
wo die jungen, aber schon fertigen Kolonien ihre Oeffnung erst nach 
dem Verlassen der Mutter verschließen. 

Nun mussten zur Entodermbildung weder alle eingewanderten 
Zellen aufgebraucht werden, noch muss die Einwanderung vom Ekto- 
derm her mit der Fertigstellung des Entoderms gleich ein Ende ge- 
nommen haben: vielmehr können die Mesenchymzellen nunmehr auch 
von seiten der sieh zur Zeit überflüssig vermehrenden Entodermzellen 











Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 119 


in derselben Weise auch vermehrt werden. Dann ist es aber absolut 
nicht einzusehen, warum gerade eine solche Tierform existieren sollte, 
bei welcher eben nur so viele Ektodermzellen amöboid werden, als 
es zur Bildung des Entoderms nötig ist um nicht, als sogenanntes 
Mesoderm, einige übrig zu lassen ? Die Entodermbildung ist ja weder 
Zweck noch Ursache, sondern bloß Folge der Einwanderung gewesen. 
Eigentlich kann ein solches zweischichtiges Tier, die Gastraea, weder 
in der Phylogenese existiert haben, noch heute vorhanden sein. 

Dass die Gastrula in der ÖOntogenese doch vorhanden ist, ist 
— wie erwähnt — daraus zu erklären, dass die unmittelbare Ver- 
anlassung zur Weiterbildung des Körpers aus der Dlastula, welche 
in der Phylogenie ein mehr physiologischer, von der Individualität 
der Zellen in höherem Grade abhängiger Vorgang war, hier, in der 
Öntogenie, eine mehr mechanische Notwendigkeit geworden ist. Der 
phylogenetische Weg ist länger, deshalb wird er ontogenetisch bloß 
bei sehr ursprünglichen Formen (gewisse Poriferen und Unidarier) 
eingeschlagen, wogegen die entwiekelteren Formen allmählich einen 
kürzeren, weil mehr mechanischen, Weg zu demselben Ziele gewählt 
haben. 

Da haben wir die verschiedenen Flagellatenkolonien und besonders 
Volvox, als höchste Stufe der Koloniebildung einzelliger Wesen, ja 
schon als ursprünglichstes vielzelliges Tier, welches schon eine einheit- 
liche Individualität zu besitzen scheint. Auf derselben oder etwas 
höheren Stufe, aber aus anderen einzelligen Ahnen herausgebildet, 
befindet sich auch Salinella!): ebenfalls ein Tier aus einer epithelialen 
Zellschichte gebildet, mit innerem Hohlraum. Nun werden immer 
mehr Zellen — wahrscheinlich darum, weil sie schwächer oder stärker 
sind als ihre Nachbarn, ‚und vielleicht auch darum, weil sie bei einer 
eventuell etwas schrägen Teilungsaxe mehr nach innen gelegen 
waren — aus der epithelialen Lage herausgedrängt (resp. wenn sie 
stärker sind, als die übrigen, so lösen sie sich selbst los) und ge- 
raten, in eine amöboide Phase übergehend, in den inneren Hohlraum 
Möglicherweise entspricht Trichoplax adhaerens gerade diesem Stadium, 
wo, mit der Kommunikation des inneren Hohlraumes nach außen, auch 
die Veranlassung zu einer sekundären epithelialen Anordnung der in 
den ursprünglichen Hohlraum hineingewanderten Zellen fehlt. Sobald 
sich aber eine Kommunikation der Blastulahöhle mit der Außenwelt 
durch eine Mundöffnung stabilisiert hat, so war auch die Veranlassung 
da, damit sich die eingewanderten Zellen wieder epithelartig, nunmehr 
zu einem Entoderm ordnen und von der Gymnomyxenform wieder in 
eine Kortikatenphase übergehen. So haben wir aber schon das echte 


1) Dass sich auf der Bauchfläche etwas anders gebaute Zellen befinden 
als auf der Rückenfläche, ist hier (sowie auch bei Trrehoplax) unmittelbares 
Resultat der kriechenden, nicht mehr schwebenden, Lebensweise und würde an 
und für sich keine höhere Stellung als die von Volvox andeuten. 


120 Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 


Metazoon, ein Cölenterat, resp. ein Porifer vor uns. Die Gastraea 
vermissen wir in dieser Stufenreihe nirgends. 

Eine größere Schwierigkeit als die von Frenzel vorgebrachten 
sehe ich darin, dass wir uns nicht leicht vorstellen können, wie 
die einheitliche Individualität des Metazoons aus den besonderen 
Individualitäten der Protozoen, welche anfangs eine lose Kolonie als 
Urform zusammenstellten, entstanden ist. Das ist aber schon eine 
Frage, welche das Verhältnis zwischen Protozoenseele und Metazoen- 
zelle direkt berührt, das ist eigentlich die Frage von der Seele über- 
haupt! 

Frenzel sieht endlich auch in der Entwieklung von Salinella 
etwas, was mit unseren bisherigen Kenntnissen schwer in Einklang 
zu bringen sein soll. Er sprieht von einem hypotrichen infusorien- 
artigen einzelligen Tier, welches er als Larvenstadium von Salinella 
betrachtet. „Es bleibt jedoch darin eine erhebliche Schwierigkeit“ 
— setzt er hinzu — „dass der Uebergang dieser einen intrazellulär ver- 
dauenden Zelle in das extrazellulär verdanende reife Tier rätselhaft 
und völlig unaufgeklärt ist“. Für so ganz rätselhaft würde ich diese: 
Erscheinung auch dann nicht halten, wenn es sich bestätigen ließe, dass 
Salinella wirklich enzymatisch und nicht intrazellulär, wie die meisten 
niederen Metazoen, verdaut. Diesen Punkt haben wir jedoch schon 
zur Genüge abgethan. — Gehen wir gleich auf die Frage über, ob 
man ein einzelliges Tier, wie es auch gebaut ist, für die 
Larve eines vielzelligen halten kann? 

Jenes Stadium in der Ontogenie der vielzelligen, welches, noch 
einzellig, der Mehrzelligkeit unmittelbar vorausgeht, also das höchste 
einzellige Stadium, nennen wir die — befruchtete oder unbefruchtete — 
reife Eizelle. Im Falle von Salinella haben wir — wenn ich die 
Bedeutung einer von Frenzel beobachteten Erscheinung richtig auf- 
fasse — das Produkt einer Kopulation, man könnte sagen eine Zygo- 
spore, vor uns; von einer eigentlichen Eizelle kann hier keine Rede 
sein, denn es ist zwischen den beiden kopulierenden Zellen kein 
Unterschied vorhanden, ja es gibt bei Salinella überhaupt keine ge- 
sonderten Propagationszellen. Alle Zellen des Körpers können die Art 
vermehren, und eigentümlicherweise zerfällt die Kolonie nicht erst in 
ihre Konstituenten (wie z B. Pandorina), sondern zwei ganze 
Tiere verschmelzen miteinander und bilden eine gemeinsame Cyste. 
Leider hat Frenzel die weiteren Erscheinungen innerhalb der Cyste 
nicht verfolgen können. Es ist aber kaum anders denkbar, als dass 
je zwei Zellen verschiedener Herkunft miteinander verschmelzen. 
Wenn, wie Frenzel schreibt, daselbst wirklich eine fortgesetzte Zell- 
vermehrung vor sich geht, geschieht dies wohl noch vor der Kopu- 
lation der einzelnen Zellen. Leider hat es Frenzel auch nicht direkt 
beobachtet, dass die einzelnen, gleichartigen Zellen in der Cyste in 
die beschriebene einzellige Ciliatenform übergehen. 











Apäthy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella, 121 


Sollte jenes Infusor wirklich ein Entwieklungsstadium von Salinella 
sein, so kann es, wie gesagt, doch keine Larve genannt werden. 
Auch von manchen anderen Tieren können die Eier Bewegungen, 
namentlich amöboide, ausüben und sich aus den benachbarten Zellen, 
wie u. a. bei Tubularia und Hydra, intrazellulär ernähren: und 
das kann nieht nur die unbefruchtete, die unreife Propagationszelle, 
sondern, wie bekannt, auch die befruchtete thun, z. B. bei gewissen 
Plattwürmern, wo sich neben zahlreicheren Dotterzellen nur einige 
befruchtete Eizellen in der Eikapsel befinden. Der einzige Unter-- 
schied zwischen Salinella und den übrigen bekannten Fällen von 
aktiven Eizellen ist, dass die letzteren das für sie schon aufgespeicherte 
Nährmaterial nur mehr einzuverleiben und zu verdauen brauchen, wo- 
gegen das befruchtete Ei (resp. Zygospore) von Salinella seine Nah- 
rung selbst, aktiv, erwerben muss, um seinen Körper weiter bauen zu 
können. Deshalb bleiben die Fähigkeiten die Organisation der höchsten 
einzelligen Ahnenform zu reproduzieren im höchsten einzelligen Sta- 
dium von Salinella nicht, wie bei den meisten Eiern, virtuell und 
latent. Die Notwendigkeit das Baumaterial zur Weiterentwicklung 
durch eigene Thätigkeit herbeizuschaffen tritt bei Salinetlla nur früher 
als bei allen übrigen Vielzelligen ein: einer alleinstehenden Zelle wird 
eben bei Salinella noch viel mehr zugemutet, als bei höheren Tieren, 
wo die einzelnen Zellen immer weniger von der Rührigkeit und selb- 
ständigen Lebensenergie der einzelligen Ahnen bewahren. Im übrigen 
ist aber der Uebergang der „intrazellulär verdauenden Zelle in das 
intrazellulär verdauende reife Tier“ bei Salinella gar nicht rätsel- 
hafter und unaufgeklärter als die Thatsache, dass sich aus amöboid 
verdauenden Eizellen Metazoen entwickeln, deren Körperzellen — zum 
Teil wohl zeitlebens selbst verdauen — zum großen Teil aber extra- 
zellulär, resp. gar nicht verdauen. 

Auch die weitere Ontogenie von Salinella aus dem schon aktiven 
einzelligen Stadium zeigt nichts Absonderliches. „Grade die weitere 
Entwicklung dieser Larve aber“ — sagt Frenzel — „so unvoll- 
kommen sie mir auch bekannt wurde, beweist, dass sie sich nicht 
etwa dnrch gewöhnliche Teilung zum vollkommenen Tier heranbildet, 
so etwa, wie aus einer einzelnen Choanoflagellate eine Kolonie wird, 
sondern durch einen bei weitem komplizierteren Prozess, den wir am 
passendsten als endogene Zellbildung bezeichnen dürfen“. Man kann 
aber die Furchung aller Metazoen überhaupt, ja sogar schon die Bil- 
dung der Tochterkolonien der Volvocineen, als endogene Zellteilung 
(„Zellbildung“) bezeichnen. In sehr vielen Fällen hat die Eizelle eine 
deutliche Zellmembran, und immer gehen die Teilungen, in welchen 
die Furchung besteht, innerhalb dieser Membran vor sich; oft verlässt 
erst die schon ziemlich vorgeschrittene Larve oder das beinahe fertige 
Tier die Zellmembran der Mutterzelle, der Eizelle. Noch deutlichere 
endogene Zellteilung, als bei den holoblastischen Eiern, ist die Furchung 


122 Apätlıy, Kritische Bemerkungen über das Frenzel’sche Mesozoon Salinella. 


bei den meroblastischen, wo, wie z. B. im Fliegenei, die Tochterzellen 
innerhalb der Zellmembran der Mutterzelle lange überhaupt nicht von 
einander abzugrenzen sind. R 

Es ist ja in erster Linie der Umstand, dass die Tochterzellen mit 
einander in organischer Verbindung bleiben, dass sie nicht mehr die 
Kraft haben, sich von einander zu trennen, welcher an Stelle der 
Zellgesellschaften die höhere Kategorie der Kolonien gesetzt hat; und 
eine noch innigere, mit der endogenen Entstehung in der Eizelle zu- 
sammenhängende Verbindung der Zellen, in Folge ihrer weiteren in- 
dividuellen Entkräftung, charakterisiert die Metazoen und macht aus 
ihnen ein einheitliches Individuum, ein unzertrennliches physiologisches 
Ganzes. 7 

Dass die Tochterzellen und weitere Nachkommen der Metazoen- 
eizelle heute nicht mehr die Fähigkeit haben sich von einander zu 
trennen und wie Protozoen oder wie die einzelligen Ahnen der Art 
ein selbständiges Zellenleben zu führen, ist ein Faktum. Was ist nun 
die Ursache desselben? Ein Abgewöhnen durch das lange Zusammen- 
leben in den Zellkolonien der Ahnen kann es nicht sein, denn letz- 
teres ist selbst schon die erste Folge der gesuchten Ursache. Ich 
glaube sie in einer gewissen Entkräftung der betreffenden Protoblasten- 
gattung sehen zu müssen; und letztere. ist wieder niehts weiter als 
die Folge jener mit der Zeit auch ohne spezielle äußere Einflüsse 
eintretenden Veränderung aller Protoplasmen (Lebensqualitäten), welche 
wir erst durch ihre Summierung und dureh ihre weiteren Konsequenzen 
wahrnehmen können, dann aber schlechthin Entwieklung nennen. Eine 
fortwährende und unumgängliche Veränderung in dem Zustande (Be- 
wegungszustande?) der Materie überhaupt ist das gemeinsame Schick- 
sal des Weltalls und ist mit der Existenz und mit dem Geschehen 
gleichbedeutend. Wir beziehen, wenn wir von phylogenetischer Ent- 
wieklung sprechen, diese allgemeine Veränderung nur auf einen spe- 
ziellen Fall, auf den der Lebewesen, wo sie je nach den Qualitäten 
der Protoblasten verschieden rasch, aber im wesentlichen überall in 
derselben Richtung, nach denselben Gesetzen vor sich geht. 

Gewisse Zellen im Metazoon erreichen, durch ihre besonders 
günstigen Lebensbedingungen, mehr von der ursprünglichen selb- 
ständigen Lebensenergie der einzelligen Ahnen, als die übrigen: diese 
Zellen sind die Propagationszellen. Die Eizelle von Salinella beweist 
eben auch dadurch die Ursprüngliehkeit (niedere Entwiecklungsstufe) 
der Art, dass sie als einfaches Zellindividuum noch lebensenergischer 
ddenn bei allen Metazoen ist. Im Allgemeinen kann vielleicht die etwas 
paradox erscheinende These aufgestellt werden, dass die höhere 
Organisation des vielzelligen Individuums als die Folge 
der allmählichen Degeneration der einzelnen Zell- 
individuen, welche dasselbe zusammensetzen, aufzu- 
fassen ist. 





Wasmann, Zusammengesetzte Nester und gemischte Kolonien der Ameisen. 125 


Um das im obigen Auseinandergesetzte kurz zusammenzufassen, 
halte ich Salinella grade deshalb für einen sehr wertvollen und 
interessanten Fund, weil sie, im Gegensatz zu Frenzel’s Ansicht, 
erst recht gut in unsere heutige biologische Auffassung über den 
Ursprung der Metazoen hineinpasst und sozusagen eine Lücke im 
Thatsachenmaterial für unsere Deduktionen ausfüllt. Gewiss hat 
Frenzel ganz recht, wenn er zum Schlusse seines Artikels (Biolog. 
Centralblatt) sagt, dass es absonderliche Glieder in der Natur gibt, 
„welche sich in unser so schön und so künstlich gebautes System 
nicht einreihen lassen und welche beweisen wollen, wie wenig sieh 
die Natur eine dogmatische Bebandlung von unserer Seite gefallen 
lässt, eine Behandlung, die in den biologischen Wissenschaften leider 
zu sehr die Ueberhand zu nehmen scheint und gerne Alles aus- 
schließen möchte, was nicht in ihren engen Rahmen passt“. Glück- 
liceherweise passt aber diese große Wahrheit auf Salinella nicht‘)! 

Kolozsvär im Oktober 1891. 


E. Wasmann, S. J., Die zusammengesetzten Nester und 


&emischten Kolonien der Ameisen. 
Münster i. W. 1891. Verl. d. Aschaffendorff’schen Buchdruckerei. 


Das vorliegende Werk, welches die Biologie, Psychologie und 
Entwieklungsgeschichte der Ameisengesellschaft behandelt, entstammt 


Phylogenie der Organismen“. Biol. Ctrbl., XI. Bd., S. 739— 744, 31. Dez. 1891) in 
gewisser Hinsicht nahe verwandte Ansichten über die einfachsten Lebewesen, über 
die Unzertrennlichkeit der Begritte Leben und Individualität, über die Bedeutung 
und die Ursachen der Fortpflanzung (Teilung) ete. habe ich schon vor mehreren 
Jahren in verschiedenen Aufsätzen (u. a. „Die lebende Materie und die Indi- 
vidualität“ ungarisch: Budapesti Szemle 1884) und in einer Reihe von Vor- 
lesungen als Privatdozent a. d. Univ. Budapest (1888), sowie auch in neuester 
Zeit als Professorin Kolozsvär, veröffentlicht. Ein Teil dieser letztern Vorlesungen 
ist in einer Reihe von Artikeln in den Sitzungsberichten der mathem.- 
naturw. Sektion des Siebenbürgischen Museumvereins im vorigen 
Jahr unter dem Titel „Die einzelligen Lebewesen von dem Gesichtspunkte der 
Vielzelligen“ erschienen. Eine Zusammenfassung meiner Resultate in deutscher 
Sprache wird im nächsten Heft der genannten Sitzungsberichte publiziert: kurz 
zusammengefasst, betrachtet meine Theorie die (organlosen) Protoblasten (= Zoen 
von K. Cam. Schneider) als Einheiten auf dritter Stufe (dritter Potenz) der 
Materie überhaupt (— die erste Potenz sind die Atome in den Elementen, die 
zweite Potenz sind die Moleküle in den chemischen Verbindungen —) und, 
natürlich, als lebendige Einheiten auf erster Stufe. Vorliegender Artikel, 
welcher einiges von den erwähnten Resultaten reproduziert, wurde sofort naclı 
dem Erscheinen des Frenzel’schen Artikels in diesem Blatt geschrieben, und 
nur äußere Verhältnisse verhinderten mich denselben dem Drucke schon früher 
zu übergeben, 


124 Wasmann, Zusammengesetzte Nester und gemischte Kolonien der Ameisen 


In diesem Buche finden wir die Ergebnisse von vieljährigen Beob 
achtungen dieser biologisch so interessanten Tiere zusammengefasst, 
welche meist dem holländisch Limburg und dem nördlichen Böhmen 
entnommen wurden. 

Zunächst sind die zusammengesetzten Nester der Ameisen 
behandelt. Als solehe werden jene Ameisenwohnungen betrachtet, 
die zwei oder mehrere Kolorien verschiedener Ameisenarten beher- 
bergen. Unter den zusammengesetzten Nestern unterscheidet der 
Verfasser zwei Gruppen, nämlich zufällige Formen und gesetz- 
mäßige Formen zusammengesetzter Nester. Die Veranlassung für 
die Entstehung der ersten Form liegt entweder in der großen Häufig- 
keit von gewissen Ameisenarten, indem ursprünglich getrennt lebende 
Kolonien sich in dem Maße vermehren, dass schließlich ihre Woh- 
nungen nachbarlich aneinander stoßen. In einem solchen Verbältnis 
leben häufig Tetramorium caespitum und Lasius niger mit Formica 
sanguinea, vufibarbis und fusca. Ein weiteres Beispiel hiefür ist die 
in den vereinigten Staaten Amerikas vorkommende körnersammelnde 
Ameisenart Pogonomyrmex barbatus, welche als Mieterin die kleine 


Spießameise Dorymyrmex pyramicus aufnimmt. Als eine andere Ur- 


sache für zufällig zusammengesetzte Nester betrachtet der Verfasser 
bauliche Vorteile, welehe z. B. die Nester der Praerieameisen (Po- 
gonomyrmex oceidentalis) anderen Ameisen bieten. 

Wenn das räumliche Zusammenleben von Ameisenkolonien ver- 
schiedener Art zur Regel wird, so spricht man von gesetzmäßigen 
Formen zusammengesetzter Nester. Hierher gehören kleinere Ameisen- 
arten, welche im Nestbezirk größerer Verwandter leben. Diese Mieter 
werden in Diebs- und Gastameisen unterschieden. Die Arten 
der Diebsameisen verlegen ihre Wohnplätze nie unmittelbar in die 
Wohnung ihrer Mietsherren, sondern immer nur in die nächste Nähe 
derselben. So baut z. B. die liehtscheue Zwergameise Solenopsis 
Fugax ihre aus Nestkammern und Hauptgang bestehende Behausung 
fast immer um oder in die Wände fremder Ameisennester der Gat- 
tungen Formica, Myrmica ete. Aehnlich lebt Solenopsis orbula in 
Nordafrika. Mittels Minen, sogenannter Arbeiterpfade, brechen sie 
in die benachbarte Wohnung ein und berauben sie. Was die Gast- 
ameisen anbelangt, so unterscheiden sich diese dadurch von den 
Diebsameisen, dass ihre Wohnungen nicht durch Scheidewände von 
denen ihrer Gastgeber getrennt sind, und dass die Individuenzahl 
der Kolonie eine geringe ist, etwa die Zahl 1000 nicht überschrei- 
tend. Als einziges sicher festgestelltes Beispiel hiefür aus der ein- 
heimischen Fauna nennt der Autor Formicoxenus nitidulus in den 
Nestern von Formica pratensis und rufa. Xenomyrmex Stolli in Gua- 
tamala ist vermutlich ebenfalls eine Gastameise. 

Der zweite Abschnitt des vorliegenden Buches behandelt die ge- 
mischten Kolonien. Diese entstehen dann, wenn Ameisen verschie- 








Wasmann, Zusammengesetzte Nester nnd gemischte Kolonien der Ameisen. 125 


dener Arten zu einem gesellschaftlichen Ganzen, einer Kolonie ver- 
schmelzen. Dazu ist zu bemerken, dass von der einen mitwohnenden 
Art regelmäßig nur Arbeiterinnen vorhanden sind, vom Autor als 
Hilfsameisen bezeichnet. Eine Ausnahme machen die gemischten 
Kolonien von Tomognathus mit Leptothorax, in denen nicht die Hilfs- 
ameisen, sondern die Herren ( Zomognathus) nur in der Arbeiterform 
vertreten sind, ferner die gemischten Kolonien von Strongylognathus 
testaceus mit Tetramorium caespitum. Die Bedingungen für gemischte 
Kolonien sind nahe Verwandtschaft der Arten und Aehnlichkeit in 
der Größe. Nach Art ihres Zustandekommens unterscheidet man 
Raubkolonien und Bundeskolonien. 

Die gemischten Kolonien werden in gesetzmäßige und zu- 
fällige Formen eingeteilt. Bei den gesetzmäßigen Formen fin- 
den wir dreierlei Verhältnisse zwischen den Herren und Hilfs- 
ameisen: 1) Die Herrn sind durchaus unabhängig von den Hilfs- 
ameisen; die Arbeiterform der Herrn besitzt nämlich einen gezähnten 
Kaurand des Oberkiefers. Sie sind dadurch in die Lage gesetzt, 
alle Verrichtungen selbst auszuführen. Als Beispiel finden wir hiefür 
von Wasman die Formica sanguinea angeführt, die als Hilfsameisen 
Formica fusca und rufibarbis besitzt. Die Vorteile, welche die Herrn 
aus den Hilfsameisen ziehen, beruhen darauf, dass letztere ihnen 
beim Nestbau und bei der Erziehung der Brut helfen und durch 
Blattlauszucht zur Verproviantierung der Kolonie beitragen. 2) Die 
Arbeiterform der Herrn besitzt keinen gezähnten Kaurand, weshalb 
sie in mehrfacher Beziehung in einem abhängigen Verhältnisse zu 
ihren Hilfsameisen stehen. (Polyergus rufescens zu Formica fusca 
bezw. rufibarbis oder ceinerea u. @. a.). 3) Die Herrn sind allseitig 
und gänzlich abhängig von ihren Hilfsameisen. Sie besitzen keine 
eigne Arbeiterform, sondern bloß flügellose, puppenähnliche Männchen 
und geflügelte Weibehen (Anergates atratulus und Tetramorium). In 
dem Abschnitte über Polyergus dürften die Untersuchungen des Au- 
tors über die Nahrungsaufnahme und über die Gründung neuer Ko- 
lonien dieser Ameise besonders von Interesse sein. Zu derselben 
zweiten Klasse von Sklavenhaltern wie Polyergus gehören auch 
die Strongylognathus und Tomognathus. Ueber die Symbiose von 
Strongylognathus testaceus mit Tetramorium caespitum geben Was- 
mann’s Beobachtungen neues Licht sowohl bezüglich der Zusam- 
mensetzung dieser gemischten Kolonien, die auch befruchtete Weibehen 
der Hilfsameisenart enthalten, als bezüglich der Art ihres Zustande- 
kommens; sie sind nämlich als Bundeskolonien aufzufassen, nicht als 
Raubkolonien wie jene von Formica sanguinea und Polyergus. 

Zufällige Formen gemischter Kolonien werden vom Verfasser 
als solche bezeichnet, in welchen Ameisen von zwei oder mehreren 
Arten, die für gewöhnlich nieht zusammenleben, zu einer Haushaltung 
verbunden sind. In diese Kategorie gehören Fälle von meist rätsel- 


126 Lendl, Neue Konstruktion des Mikroskops. 


hafter und zweideutiger Erscheinung. Es kann die Ausnahme auf 
Seite der Sklaven oder auf Seite der Herren oder endlich auf beiden 
Seiten liegen. Die nach biologischen Gesichtspunkten geordnete 
Uebersicht über die zusammengesetzten Nester und gemischten Ko- 
lonien am Schlusse dieses Abschnittes (S. 176—178) ermöglicht in 
Verbindung mit dem S. 262 beigefügten Verzeichnis der natürlichen 
Formen gemischter Kolonien eine rasche und sichere Orientierung 
über das ganze einschlägige Beobachtungsmaterial. 

Der dritte Abschnitt des Werkes handelt von der Psychologie 
und von der Entwicklungsgeschichte der Ameisengesellschaften. Der 
Verfasser versucht in diesem Abschnitt die Frage zu beantworten, 
ob die Wechselbeziehungen zwischen Ameisen verschiedener Arten 
in den zusammengesetzten Nestern und gemischten Kolonien auf In- 
stinkt oder Intelligenz oder auf beiden Faktoren beruhen? In sehr 
ausführlicher Weise behandelt er diese Frage und gelangt zu dem 
Schlusse, dass man, um alle Erscheinungen aus dem Ameisenleben 
zu erklären, keineswegs der Annahme einer Intelligenz bedarf, ja 


diese mache die Erklärung der Erscheinung unmöglich, vielmehr be- 


ruhen alle Thätigkeiten auf Instinkt. 

Dem hier besprochenen Buche, aus welchem nur einige wenige 
der vielen interessanten Beobachtungen und Thatsachen herausge- 
griffen sind, wird gewiss nicht bloß vom Fachmann, sondern auch 
von weiteren nicht fachmännischen Kreisen großes Interesse entgegen- 
gebracht werden. Dr. Cori (Prag). 


Eine neue Konstruktion für Mikroskope. 
Von Dr. Adolf Lendl, 


Dozent am Polytechnikum in Budapest !). 


Wenn wir das optische Vermögen eines modernen Mikroskopes 
untersuchen wollen, müssen wir hauptsächlich auf Folgendes ein be- 
sonderes Augenmerk richten: auf das definierende und das Abbil- 
dungsvermögen und auf den Grad der Vergrößerung. 

Würden sich unsere Anforderungen nur auf den Grad der Ver- 
größerung beziehen, so wäre die praktische Ausführung derselben 
keine schwere Aufgabe gewesen. Doch wir wissen es schon von 
Hugo v. Mohl, dass wir uns allein hiermit nicht begnügen dürfen, 
denn die gesteigerte Vergrößerung führt nicht auch zur Erkenntnis 
der Details — und was würde uns ein noch so großes Bild nützen, 
wenn darin die Details fehlten ? 

Mit Recht legt man daher bei der Prüfung und Benutzung der 
Mikroskope das Hauptgewicht auf die reine Definition und auf das 


1) Wir geben hier den das Wesentlichste enthaltenden Anfang dieser der 
ungar. Akademie der Wiss. vorgelegten Abhandlung wegen ihres allgemeinen 
Interesses wörtlich wieder. Der ganze Aufsatz ist abgedruckt in der Zeitschrift 
für wiss. Mikroskopie, Bd. VIII, Heft 3. 








Lendl, Neue Konstruktion des Mikroskops. 127 


Siehtbarmachen der feinen Struktur. Infolge dieser Anforderungen 
und Dank der Bemühungen gelehrter Optiker, Mechaniker und der 
Mikroskopiker selbst, ist eben in dieser Hinsicht ein wirklich be- 
deutender Aufschwung eingetreten, und die ausgezeichneten Objektive 
und Immersionssysteme lassen sozusagen nichts mehr zu wünschen 
übrig. Doch kommt nun auch das andere, für den Mikroskopiker 
ebenso wichtige Moment hinzu, nämlich in manchen Fällen mit der 
Beibehaltung des erreichbar höchsten Abbildungs- und Definitions- 
Vermögens auch eine möglichst starke Vergrößerung zu verbinden; 
denn ebensowenig wie für uns ein übermäßig vergrößertes Bild ohne 
Details nützlich sein kann, ebensowenig bedürfen wir eines Bildes, 
welches zwar noch die kleinsten Details enthält, jedoch nur so weit 
vergrößert, dass wir dieselben nieht mehr gehörig sehen können. Es 
muss eben, um gute Resultate zu erreichen, ein bestimmtes Verhältnis 
innegehalten werden. 

Gewiss wäre es ein verfehltes Bestreben, die Vergrößerung zum 
Schaden der gut definierten Umrisse und der Erkennung feinerer 
Strukturen zu steigern; aber so weit es möglich ist, müssen wir auch 
der Vergrößerung selbst Reehnung tragen, denn gerade unsere aus- 
gezeichneten Immersionssysteme führten uns an jene Grenze, wo wir 
unbefriedigt die Untersuchungen aufgeben müssen, da wir hier die 
zartesten Details im Bilde sehen oder zu sehen meinen, sie jedoch 
nicht mehr gehörig betrachten und sicher beurteilen können, weil 
das von der gut auflösenden Immersion gebotene Bild nicht auch so 
weit vergrößert ist, um das wahrnehmbar Kleinste groß genug er- 
scheinen zu lassen. Man sieht einen Punkt, einen Strich — doch 
kann man nicht mehr unterscheiden, ob dieser Punkt rund oder 
viereckig ist, ob der Strich drei-, viermal so lang als breit ist. Es 
ist das Detail des Bildes unserem Auge nicht in fassbarer Größe 
geboten. Selbst die Form der Felder des Pleurosigma angulatum 
ist noch ein Rätsel geblieben! 

Um diesem Uebel abzuhelfen, hat man sich bestrebt, auch die 
Vergrößerungskraft der Mikroskope hinaufzuschrauben. Die Oku- 
lar- Vergrößerung konnte aber, abgesehen von der Verdunkelung des 
Sehfeldes, nicht genügen, und die Objektiv-Vergrößerung — abgesehen 
davon, dass nicht Jeder in der Lage ist, sich die best auflösenden 
und dabei zugleich am stärksten vergrößernden, natürlich auch 
theuersten Immersionssysteme anzuschaffen — konnte auch nur bis zu 
einer bestimmten Grenze ohne andere Nachteile hinaufgeführt werden. 

Wollen wir daher in bestimmten Fällen eine gesteigerte Ver- 
größerung unseren Zwecken dienlich machen, wollen wir ein frag- 
liches Detail betrachten, so müssen wir diese Vergrößerung auf einem 
ganz anderen Wege, unabhängig vom Objektiv und ohne Okular- 
Vergrößerung zu erreichen suchen. Dies gelang mir auf sehr einfache 
Weise dureh Veränderung der Konstruktion des Mikroskopes. 


128 Lendl, Neue Konstruktion des Mikroskops. 


Das Prinzip der Konstruktion der bisher gebrauchten Mikroskope 
ist, in kurze Worte gefasst, das folgende: Das vom Objektiv erzeugte 
Bild wird dureh die Kollektivlinse gesammelt und sodann durch die 
nochmals vergrößernde Okularlinse betrachtet. Wenn wir mit Hilfe 
eines Immersionssystemes irgend ein Objekt untersuchen und im Bilde 
ein Detail wahrnehmen können, welches wir jedoch, um es z. B. seiner 
Gestalt und Größe nach gehörig beurteilen zu können, noch mehr 
vergrößert sehen wollen, da die eben benützte Vergrößerung noch 
nicht genügt: so setzen wir ein stärkeres Okular statt des schwächeren 
ein. Aber weit kommen wir auf diese Weise nieht, denn die Benutzung 
starker Okulare bringt nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile mit 
sich — und dann müssen wir uns damit begnügen, das fragliche Detail 
eben nur bemerkt zu haben, ohne es näher untersuchen und sicher 
beurteilen zu können. In solchen Fällen kann man sich nun leicht 
durch eine von mir erdachte Veränderung des Mikroskopes helfen. 
Diese besteht im Folgenden: Man schaltet die Okularlinse 
des Mikroskopes gänzlich aus und setzt an ihre Stelle 
ein zweites, geringe vergrößerndes ganzes Mikroskop. 
D. h. man betrachtet das durch die Kollektivlinse gesammelte Bild 
nieht mehr dureh eine vergrößernde Okularlinse, sondern durch ein 
„weites Mikroskop. 

Es kommen also zwei Mikroskope übereinander; vom untern fehlt 
die Okularlinse Mit Hilfe der mechanischen Vorriehtung stelle man 
das obere Mikroskop auf das Bild der Kollektivlinse ein; — blickt 
man nun in dieses doppelte Mikroskop, so erkennt man das vordem zu 
kleine Detail wieder, jetzt aber schon so weit vergrößert, dass man 
seine Gestalt und Größe ganz leicht erkennen und beurteilen kann. 
Dabei ist weder das Abbildungsvermögen, noch die reine Definition 
nachteilig beeinflusst worden, auch das Sehfeld hat sich nicht so 
verdunkelt als bei starker Okularvergrößerung. Man arbeitet mit 
demselben Mikroskop, mit demselben Immersionssysteme; nur darin 
ist der Unterschied, dass man statt einer Linse nun ein ganzes 
Mikroskop zu Hilfe nahm. 

Da die Mikroskope im allgemeinen schon an und für sich auch 
mit schwachen Objektiven und Okularen versehen sind, kann man 
gleich diese zur Armierung des obern Mikroskopes verwenden, und 
so ist eigentlich nur eine geringe Veränderung des mechanischen 
Teiles am Mikroskop durchzuführen. Nur ein Hilfsapparat kommt 
noch hinzu, welcher das obere Mikroskop in sich fasst. 


Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- 
tion, Er langen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle 
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Salomonstr. 16, zu richten. 


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Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 











Biologisches Uentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 








Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XII, Band. 15. März 1892. Nr 5. 





Inhalt: Warburg, Ueber Ameisenpflanzen (Myrmekophyten). — Wierzejski, Ueber 
das Vorkommen von Carterius Stepanovüi Petr und Heteromeyenia repens 
Potts in Galizien. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und 
Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und 
Bewegungsorgane (8. Stück). — Haeckel, Anthropogenie. — Berichtigungen. 





Ueber Ameisenpflanzen (Myrmekophyten). 
Von ©. Warburg. 


Seit einer Reihe von Jahren stehen die sogenannten Ameisen- 
pflanzen bei den Botanikern im Vordergrunde des Interesses, wenn- 
gleich gewisse Beziehungen zwischen Ameisen und Pflanzen schon 


_ seit geraumer Zeit, wenn man will, seit 2!/, Jahrhunderten bekannt 


sind. Das Wort Ameisenpflanze bedeutet in seiner weitesten Aus- 
legung solche Pflanzen, die zu Ameisen in irgend einer geregelten 
Beziehung stehen; gewöhnlich sagt man myrmekophile Pflanzen, 
eigentlich ein nicht ganz glücklich gewähltes Wort, das schon ge- 
wissermaßen eine Hypothese in sich schließt, indem es voraussetzt, 
dass die Pflanzen ein gewisses biologisches Interesse daran haben, 
von Ameisen besucht zu werden, etwa wie hygrophile Pflanzen feuchte, 
xerophile trockne Standorte wirklich bevorzugen. Wir wollen des- 
halb diese Pflanzenkategorie lieber einfach als Myrmekophyten 
bezeichnen, während an Stelle der unschön klingenden Worte Myr- 
mekophytie und myrmekophytisch besser die Worte Myrmekosym- 
biose und myrmekosymbiotisch zu setzen sind, Bezeichnungen, 
für welche der Umstand spricht, dass sie nur Thatsächliches aus- 
drücken, ohne irgendwelche Hypothesen oder Bilder in sich zu ver- 
bergen. 

Wie schon der Parallelausdruck myrmekophil zeigt, sind der 
Myrmekosymbiose alle die Fälle nicht zu subsummieren, wo die 
Pflanze nur gelegentlich Ameisenbesuch empfängt, ebenso wie man 
Ja auch zu den Xerophyten solche Pflanzen nicht zu rechnen pflegt, 


die sich nur gelegentlich an trockne Standorte verirren. Würde man 
AI, 9 


130 Warburg, Ameisenpflanzen. 





nämlich diese Beschränkung nicht annehmen, so wären fast alle 
Pflanzen Myrmekophyten; wenn schon bei uns der Blattläuse wegen 
beinahe alle Pflanzen gelegentlich von Ameisen besucht werden, so 
ist dies in den Tropen in noch weit höherem Maße der Fall, nament- 
lich in feuchten Gegenden, wo während der Regenzeit fast überall 
der Boden gelegentlich derart mit Wasser durchtränkt, wenn nicht 
gar überschwemmt ist, dass es den Ameisen vielfach unmöglich wird, 
ihre Nester in der Erde anzulegen, wollen sie ihre Brut vor dem 
Ersaufen, ihre Vorräte vor dem Verderben schützen. So bauen denn 
dort die meisten Ameisenarten ihre Nester auf den Pflanzen, sei es 
dass sie die Blätter zu diesem Zweck miteinander verweben, sei es 
dass sie sich papiermacheartige Nester an den Zweigen bauen, oder 
endlich dass sie irgendwelche geschützte Hohlräume oder wenigstens 
mit Regendach versehene konkave Flächen dazu aufsuchen. Dies 
sind Thatsachen, die sich jedem Reisenden in den Tropen unweiger- 
lich aufdrängen, wenn beim Durchdringen des Gebüsches die bissigen 
Schaaren auf ihn herabstürzen oder wenn die die Bäume erklettern- 
den Eingeborenen plötzlich blitzschnell wieder herabgleiten, weil 
irgend eine Ameisenkolonie ihnen den Weg verlegt hat. Sehr be- 
liebten Aufenthaltsort gewährt das Wurzelgeflecht epiphytischer 
Orchideen , ferner wurzelkletternder Lianen, auch eingerollte Blatt- 
stiele der Araceen ete. Deshalb aber alle diese Pflanzen als Myr- 
mekophyten zu bezeichnen, würde entschieden zu weit führen; viel- 
mehr thut man gut, den Ausdruck Myrmekosymbiose zu be- 
schränken auf solche Pflanzen, die in der einen oder andern Weise 
anatomische oder morphologische erbliche Eigentümlichkeiten auf- 
weisen, die wir uns nicht anders als in Relation zu Ameisen ent- 
standen denken können, mit andern Worten Abänderungen des nor- 
malen Typus, die wir wenigstens vor der Hand als Mittel betrachten 
müssen, dazu bestimmt, den Ameisen nützlich zu sein. 

Nachdem dieses vorausgeschickt, wenden wir uns jetzt zu den 
zwei Hauptlockmitteln für Ameisen, die den Pflanzen zur Verfügung 
stehen; es ist entweder Nahrung, oder Unterschlupf resp. Wohnungs- 
gelegenheit. Wir wollen hiernach die Myrmekophyten einteilen in 
myrmekotrophe Pflanzen (also solche, welche die Ameisen mit 
Nahrung versehen), und ferner nmyrmekodome Pflanzen (d. h. 
solche, die den Ameisen eine Behausung, resp. ein Schutzdach zur 
Verfügung stellen); diejenigen Pflanzen endlich, welche die Ameisen 
sowohl beherbergen als auch mit Nahrung versehen, also Gastfreund- 
schaft im weitesten Sinne üben, mögen myrmekoxene Pflanzen 
genannt werden. — Selbstverständlich sind sowohl Nahrung als auch 
Behausung vielerlei Variationen fähig; als Nahrung kommen nament- 
lich Kohlehydrate und Proteinstoffe in Betracht, geliefert durch Nek- 
tarien, wohl auch Fruchtfleisch, resp. besondere Drüsenorgane; als 
Wohnung können vorgebildete Hohlräume in Stengeln, in oder unter 








Warburg, Ameisenpflanzen. 131 


den Blättern, an den Früchten, endlich auch leicht auszuhöhlendes 
Gewebe dienen, ferner wäre es a priori nicht undenkbar, dass die 
Pflanzen den Ameisen auch Material zum Bauen der Nester zur Ver- 
fügung stellten, oder dass sie den Ameisenwohnorten Schutz gegen 
deren Feinde gewährten. 

Um mit den myrmekotrophen Pflanzen zu beginnen, so würden 
nach der Ansicht gewisser Forscher, vor allem Delpino’s, der sich 
ganz besonders um die Erforschung dieser Verhältnisse verdient ge- 
macht hat, alle Pflanzen mit extranuptialen Nektarien zu denselben 
zu rechnen sein, also alle Pflanzen, die solche Nektarien besitzen, 
welche nicht für die Anlockung kreuzungsvermittelnder Tiere bestimmt 
sind, einerlei ob diese Nektarien auf den Vegetationsorganen sich 
befinden, oder an den Blüten. Es sei hierbei bemerkt, dass die Aus- 
drücke extrafloral und extranuptial sich durchaus nicht decken; 
extrafloral bezeichnet nur die örtliche Lage, extranuptial schließt 
schon eine Art Zweckbestimmung in sich; florale, aber extranuptiale 
Nektarien auf dem Kelch besitzen z. B. Olerodendron, Catalpa ete., 
ferner zeigen Compositen aus den Gattungen Centaurea, Serratula, 
Helianthus, Jurinea an den Hüllschuppen der Blütenköpfehen eine 
starke Absonderung von Nektar, welche auf die Ameisen ganz be- 
sondere Anziehungskraft ausübt. Für Jurinea mollis hat Wettstein 
den Nutzen durch den Ameisenschutz experimentell nachgewiesen, 
unter 50 von Ameisen besuchten Blütenköpfehen waren 47 unversehrt 
aufgeblüht, unter 50 den Ameisen unzugänglich gemachten Blüten- 
köpfen dagegen gelangten nur 27 unversehrt zur Blüte, während 17 
mehr oder weniger erheblich von Insekten angefressen waren. Neuer- 
dings hat Burck in Buitenzorg sich mit der Frage beschäftigt und 
glaubt für Fagraeca, Gmelina, Bignoniaceen und Ipomoea-Arten nach- 
weisen zu können, dass durch die Nektarien an den Blütenkelchen 
mittels der dadurch herbeigelockten Ameisen die Blüten gegen Ein- 
bruch unberufener Gäste, namentlich gegen die Durchnagung der 
Blumenkrone durch die großen Holzbienen hinlänglich geschützt wer- 
den, und somit der Nektar der inneren Blüte den rechtmäßigen Kreu- 
zungsvermittlern oder wenigstens auf dem vorgezeichneten Wege 
eindringenden Gästen erhalten bleibt. Er hat in der That, freilich 
fast nur an Insekten in der Gefangenschaft, beobachtet, dass Ameisen 
die großen Bienen in die Flucht zu schlagen vermögen, und ferner, 
dass die Blüten der infolge soleher Nektarien durch Ameisen be- 
schützten Arten fast gar nicht seitlich angebohrt werden, während 
die im Garten daneben stehenden verwandten Arten ohne derartigen 
Schutz fast nur angebohrte Blüten aufweisen. Arten derselben Gat- 
tungen, die zu erfolgreicher Selbstbestäubung übergegangen sind, 
können natürlich eines derartigen Schutzes entraten, und so glaubt 
Burck auch gerade bei solchen Arten, die keine floralen extranup- 


tialen Nektarien besitzen, Anpassungen für Selbstbestäubung kon- 
g* 


439 Warburg, Ameisenpflanzen. 


statieren zu können. Der Hauptpunkt der ganzen Frage ist aber der, 
ob bei derselben Pflanzenart die infolge des Fehlens des Ameisen- 
schutzes von außen angebohrten Blüten weniger oder schlechteren 
Samen produzieren als die, welche von Ameisen besucht werden, und 
bis hierüber keine direkten Versuche angestellt sind, können die von 
Burck gezogenen Schlüsse wohl als wahrscheinlich, nicht aber als 
positiv erwiesen gelten. 

Der Pflanzen mit nichtfloralen extranuptialen Nektarien gibt es 
eine solehe Menge, dass es sich nieht verlohnt auf dieselben im Be- 
sonderen einzugehen; Delpino hat 1886—88 schon eine außeror- 
dentlich große Liste zusammengestellt, die aber durch neuere Beob- 
achtungen noch ungemein verlängert worden ist; selbst bei einer 
Reihe von Farnen, unter anderen bei unserem Adlerfarn sind Nek- 
tarien aufgefunden worden !). Der Unterschied zwischen floralen und 
extrafloralen Nektarien ist häufig durchaus kein scharfer; wenn wir 
soeben die Nektarien an den Hüllschuppen der Compositen zu den 
floralen Gebilden rechneten, so werden wir auch die Nektarien auf 
etwas tiefer stehenden Brakteen, wie bei Olerodendron, Gmelina, Me- 
lampyrum, Triumfetta ete. wohl noch als zu der floralen Region 
gehörig betrachten müssen, denn was im Speziellen auch ihre bio- 
logische Bedeutung sein mag, so wird sie zweifellos mit den Funk- 
tionen der Blüten in irgend einem Zusammenhang stehen. Die Nek- 
tarien hingegen, die sich so häufig an den Blättern und Blattstielen 
befinden, mögen vielleicht ganz andere Funktionen besitzen, sodass 
also allgemeine Urteile über die biologische Bedeutung extranuptialer 
Nektarien vorläufig entschieden zu vermeiden sind. So ist denn auch 
Kerner’s Ansicht, nach welcher die extranuptialen Nektarien dazu 
dienen, die Ameisen abzuhalten nach den Blüten vorzudringen, in 
dieser allgemeinen Fassung gewiss verkehrt und hat auch bei spä- 
teren Forschern nur wenig Anklang gefunden. Kerner’s Meinung 
ist nämlich folgende: bekanntlich gehören die Ameisen, da sie für 
die Fremdbestäubung der Blüten von geringer Bedeutung sind, zu 
den unberufenen Gästen derselben; würden sie in die Blüten ein- 
dringen und sich des dort aufgespeicherten Nektars bemächtigen 
können, so würden sie einerseits die Pflanzen der so wichtigen Lock- 
mittel für kreuzungsvermittelnde Insekten berauben, anderseits aber 
schon durch ihre Gegenwart den Besuch derselben verhindern, deshalb 
ist es wichtig die Naschhaftigkeit der Ameisen auf für die Pflanze 
unschädliche Bahnen abzulenken; und diesem Zwecke dienen nun 





4) Delpino betrachtet sogar neuerdings die Zuckerabsonderungen gewisser 
Eichengallen, sowie die Zuckerausscheidungen der Spermogonien von gewissen 
Aecidiomyceten als Lockmittel für und Anpassungen an die Ameisen, eine 
Annahme die doch wohl schon die Grenzen der berechtigten Hypothese über- 
schritten haben dürfte. 


























Warburg, Ameisenpflanzen. 139 


nach Kerner die extranuptialen Nektarien. Dass dies nicht all- 
gemein richtig ist, geht schon daraus hervor, dass auch windblütige 
Pflanzen, ja selbst Farne derartige Nektarien besitzen, vor allem 
aber daraus, dass sich die Ameisen vom Blütenbesuch, da wo ihnen 
der Zugang nicht dureh mechanische Schutzvorrichtungen versperrt 
ist, durch extranuptiale Nektarien gar nicht abhalten lassen; welche 
enormen Quantitäten Zucker müssten auch ausgeschieden werden, um 
die Ameisen derart zu versorgen, dass dieselben nicht mehr das Be- 
dürfnis fühlen, nach neuen ergiebigen Quellen zu suchen. Huth hat 
dann wenigstens die Doppelfunktion der extranuptialen Nektarien 
zugelassen und unterscheidet darauf hin myrmekophile und myrmeko- 
pbobe Pflanzen, doch ist die Funktion der extranuptialen Nektarien 
als Ablenkungsmittel weder in einem bestimmten Falle erwiesen, 
noch auch wahrscheinlich. 

Noch weniger Berechtigung hat die Annahme Bonnier’s, dass 
diese Nektarien Reservestoffbehälter seien, was schon deshalb nicht 
anzunehmen ist, da der ausgeschiedene Zucker entweder von Insekten 
ausgebeutet oder vom Regen abgewaschen wird, jedenfalls aber nicht 
der Pflanze wieder zugut kommen kann. Dagegen ist der Schutz, 
der den Blättern durch den Besucb von Ameisen gewährt wird, in 
einer Reihe von Fällen erwiesen, namentlich schützen in Südamerika 
die gewöhnlichen Ameisen die Blätter in hervorragendem Maße gegen 
die verheerenden Blattschneideameisen, auf die wir noch zurück- 
kommen werden, während neuerdings Burek auch auf Java große 
Ameisen beobachtet hat, welche gewisse Blätter zerfressen, und auch 
diese wurden durch kleinere, Nektarien besuehende Ameisen wirksam 
ferngehalten. Gerade dies ist eine sehr wichtige Beobachtung, da 
man bei dem Fehlen der Blattschneideameisen in Südasien die Vor- 
teile der Myrmekosymbiose für die Pflanzen daselbst sich nie recht 
hat erklären können. Für die myrmekotrophe Funktion der Nektarien 
spricht aber besonders auch die häufig bei denselben bemerkbare 
auffallende und vom übrigen Gewebe abweichende Färbung, die an- 
derweitig schwer zu verstehen wäre, während die von Schimper 
mit buntfarbigen Papierschnitzeln angestellten Versuche beweisen, 
dass die Ameisen auch ungewohnten Farbenmerkmalen sehr schnell 
ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Im Anschluss hieran macht Lud- 
wig in Greiz darauf aufmerksam, dass manche Pflanzen sogar den 
Weg zu diesen extrafloralen Nektarien durch auffallend gefärbte 
Punkte und Striche anzudeuten pflegen. 

Aus dem Angeführten geht also als sicher hervor, dass den extra- 
nuptialen Nektarien in vielen Fällen die ganz besondere Fähigkeit 
zukommt, Ameisen anzulocken, ferner, dass diese Pflanzen von Seite 
der sie besuchenden Ameisen einen ganz erheblichen Schutz genießen. 
Ob resp. in welchen Fällen diese Nektarien nun ausschließlich myr- 
mekotrophe Funktion haben, ferner ob diese Organe ausschließlich 


134 Warburg, Ameisenpflanzen. 


auf dem Wege der Selektion entstanden sind, oder, wie Beccari 
meint, infolge von gewissen, von den Ameisen auf die Pflanzen aus- 
geübten Reizen, also gewissermaßen direkt von den Ameisen ge- 
züchtet worden sind, dies sind Fragen, über die wir bei dem augen- 
blieklichen Stand der Thatsachen kaum berechtigt sind, mehr als 
Vermutungen zu äußern. Ferner ist der Nutzen, der den myrmeko- 
trophen Pflanzen durch die Ameisen gewährt wird, für die einzelnen 
Fälle genau zu spezialisieren, denn falls hauptsächlich die Selektion 
bei der Bildung resp. der Fixierung der Nektarien thätig war, so ist 
es kaum zu bezweifeln, dass die weitere Ausbildung der Organe in 
Relation zu der zunehmenden Schädlichkeit ganz bestimmter Pflan- 
zenfeinde vor sich gegangen ist, genau analog den ja sehr bekannten 
Beziehungen der Blütenentwicklung zu den Kreuzungsvermittlern; 
man wird also in den einzelnen Fällen viel mehr spezialisieren 
müssen, und jeder einzelne gut beobachtete und sichere Fall wiegt 
eine Menge allgemein und halb konstatierter Fälle derartiger An- 
passung an Bedeutung auf. 

Im Anschluss hieran sei es mir gestattet kurz eine Frage hin- 
zuwerfen, die, soweit mir bekannt, nie berührt worden ist, aber doch 
der Diskussion und wenn möglich der experimentellen Untersuchung 
zugänglich gemacht zu werden verdient. Wie sehr die meisten 
Pflanzen durch die Blattläuse leiden, ist bekannt, die Schutzein- 
richtungen gegen dieselben sind noch wenig studiert, scheinen aber 
im allgemeinen unzureichend, zumal da die Blattläuse ja unter der 
Protektion der Ameisen stehen, von ihnen bewacht, beschützt und 
verpflanzt werden. Wäre es nun nicht denkbar, dass für gewisse 
Fälle die extranuptialen Nektarien eine Schutzmaßregel gegen die 
Blattläuse sind, indem sie den Ameisen das, was dieselben sonst 
nicht ohne erhebliche Mühe und Geduld mittels der Blattläuse er- 
langen, freiwillig fertig bieten, sei es, dass sie sich die Blattläuse 
züchtenden Ameisenarten dadurch fernhalten, dass sie sich mit Schutz- 
truppen von solehen Ameisenarten umgeben, die keine Relation zu 
Blattläusen haben, sei es, dass sie jene Ameisenarten nur in dem 
gegebenen Falle veranlassen, davon Abstand zu nehmen, die be- 
treffende Pflanze mit Blattlauskolonien zu besetzen, resp. spontan 
entstehende Kolonien zu beschützen. Jedenfalls würde die Pflanze 
den Vorteil haben, Ort, Art und Quantität des Tributes an die 
Ameisen selbst bestimmen zu können, während im Gegensatz hierzu 
die Blattläuse ja gerade diejenigen Orte (junge Organe etc.) auf- 
suchen, welche vor allen Dingen des Schutzes bedürfen !). — 





1) Büsgen wendet sich, auf Berechnungen gestützt, gegen die Ansicht, 
als seien die Blattläuse den Pflanzen dadurch mehr nützlich als schädlich, 
dass die Pflanzen sich gerade durch die Blattläuse des Schutzes der Ameisen 
vergewisserten. Mit Recht hebt er hervor, dass ein Sechstel der gesamten 














Warburg, Ameisenpflanzen. 155 


Wir haben bisher nur von den zuckerabsondernden Nektarien 
als myrmekotrophen Bildungen gesprochen; um den Schutz der Ameisen 
zu genießen, zahlen die Pflanzen aber zuweilen auch noch viel wert- 
volleren Tribut. Bekanntlich sind die Pflanzen überall dort ver- 
schwenderisch, wo es sich um Kohlehydrate und sonstige stickstoff- 
freie Substanzen handelt, während sie sich meist von der äußersten 
Sparsamkeit leiten lassen, wo stickstoffhaltige Substanzen im Spiele 
sind. Die gut untersuchten Verhältnisse beim Laubfall z. B. zeigen 
dies aufs deutlichste, ebenso die sorgsame Vererbung der Protein- 
stoffe auf die Nachkommenschaft. Trotzdem sind jetzt schon 3 Fälle 
bekannt, in denen solche wertvolle Stoffe freiwillig von der Pflanze 
den Ameisen überlassen werden. Der erste und am besten bekannte 
Fall findet sich bei Cecropia- Arten Südamerikas, auf die wir noch 
zurückkommen werden. Sie sondern am Grunde des Blattstieles 
zwischen dichtstehenden Härchen kleine elliptische, hauptsächlich aus 
Proteinstoffen und Fett bestehende Zellmassen aus, von Schimper 
nach dem Entdecker derselben, Fritz Müller in Blumenau, Müllersche 
Körperchen genannt, denen die Ameisen äußerst eifrig nachstellen 
und die beim Fernhalten der Ameisen nutzlos abfallen. 

Ganz ähnliche Gebilde befinden sich auf einer gleichfalls myr- 
mecoxenen Acacia-Art Mittelamerikas an den Enden der kleinen 
Fiederblättehen; sie werden nach dem Entdecker als Ball’sche Kör- 
perchen bezeichnet; neuerdings sind dem Wesen nach wahrscheinlich 
gleiche, der Form nach andere, nämlich becherförmige Gebilde auf 
den umgewandelten Kelchen von 2 myrmekotrophen Thunbergia- 
Arten beobachtet, die nach dem Entdecker Burck’sche Becher resp. 
Körperchen genannt werden mögen; auch diese fallen bei fehlendem 
Zutritt von Ameisen nutzlos ab; in allen 3 Fällen scheinen sich die 
Körperehen allmählich aus Drüsenorganen entwickelt zu haben, was 
noch am deutlichsten bei den Burcek’schen Bechern zu erkennen ist, 
die aber auch schon keinen Zucker mehr secernieren. 

Von andern myrmekotrophen Substanzen wissen wir bisher nichts; 
würden die Ameisen Stärke als Nahrung benutzen, so stände ihnen 
ja überall dieselbe in Knollen, Brutknospen ete. in genügender Menge 
zur Verfügung, und es würde wohl kaum besonderer Anpassungen 
für die Lieferung dieses Stoffes bedürfen, im Gegenteil wohl eher 
Schutzmaßregeln gegen die übertriebene Ausbeutung. 

Myrmekotrophe Organe dienen nach dem, was wir anführten, 
fast ausschließlich dazu, der betreffenden Pflanze den nötigen Schutz 
der Ameisen zu sichern, nur zwei Fälle sind konstatiert, wo sie im 
Gegensatz hiezu die Ameisen anlocken sollen, um sie dann dem Ver- 
Blattproduktion doch ein zu hoher Preis für diesen Schutz sei; auch fand er 


nicht, dass blattlausfreie Bäume erheblich mehr durch Raupenfraß leiden als 
Blattläuse beherbergende. 


136 Warburg, Ameisenpflanzen. 


derben preiszugeben; das ist, wie schon lange bekannt, bei den 
Becherpflanzen Nepenthes der Fall, wo an der Außenseite des Bechers 
zerstreute Nektarien den Ameisen den Weg weisen sollen zu den 
vielen Nektarien des Becherrandes und des Deckels, die wieder 
durch die daran sich schließende glatte Fläche den ausgleitenden und 
in den Bechergrund fallenden Ameisen gefährlich werden. Aehnlich 
liegt der Fall nach Trelease bei Sarracenia, für welche Pflanze 
Delpino freilich annimmt, dass die Nektarien des Bechers Ameisen 
zum Schutze anlocken sollen. 

Nachdem wir somit das wesentlichste über die Myrmekotrophie 
gesagt haben, wenden wir uns den myrmekodomen Pflanzen zu. Wie 
es für die myrmekotrophen Organe in vielen Fällen zweifelhaft blei- 
ben muss, ob sie ursprünglich in Relation zu dem Ameisenbesuch 
entstanden sind, oder erst später ihre Funktion übernommen haben, 
ob sie ferner neben der myrmekotrophen Funktion noch andern 
Zwecken dienen, genau so ist es auch mit den myrmekodomen Or- 
ganen. Deshalb aber, wie es neuerdings versucht wurde, die Fälle 
der Myrmekodomie vollkommen aus dem Begriff der Myrmekosymbiose 
auszuschließen, ist ebenso verkehrt wie das Umgekehrte, wozu früher 
eine gewisse Neigung bestand. Nur da ist nach unserer im Anfang 
gegebenen Definition eine Grenze der Myrmekosymbiose zu ziehen, 
wo von Anpassungen überhaupt nieht die Rede ist, wo also z. B. die 
Ameisenwohnungen weiter nichts sind als Höhlungen oder Schutz- 
dächer, die ohne Dasein der Ameisen ebensogut phylogenetisch ent- 
standen wären, oder wo es sich um pathologische Verhältnisse han- 
delt, z. B. um von den Ameisen ausgehöhlte Gänge, oder um eine 
Folge von Reizerscheinungen, die bisher noch keine erblichen Modifi- 
kationen des Pflanzenkörpers veranlasst haben. 

Vor allem gut bekannt und sicher gestellt ist die Myrmekodomie 
bei der schon oben erwähnten zu den Artocarpaceen gehörigen Gattung 
Cecropia, kleineren Bäumen Südamerikas, die wegen der Verwendung 
ihrer hohlen Stammglieder auch Trompetenbäume genannt werden. 
Die Thatsache, dass diese Stammglieder von Ameisen bewohnt werden, 
wird schon 1648 von Marcegravius, 1658 von Piso erwähnt; die 
genaue Kenntnis der Symbiose verdanken wir aber Fritz Müller 
in Blumenau und namentlich Schimper in Bonn, der die Bäume in 
Südamerika selbst sorgfältig studiert hat. Die Besiedelung der jungen 
Pflanzen durch Ameisen geht auf folgende Weise vor sich. Oberhalb 
des Blattstieles, also in der Achsel eines jeden Blattes befindet sich 
eine vertikal laufende Rinne, die an ihrem oberen Ende, unter dem 
nächst höheren Blattknoten eine Vertiefung besitzt; hier durchbeisst 
das trächtige Weibchen das gerade an dieser Stelle dünnere Gewebe 
des Holzkörpers und schlüpft in die hohle Kammer hinein, um daselbst 
die Eier abzulegen; die durch die Ameise hervorgerufene Wunde 
schließt sich bald durch stark wucherndes Gewebe, das der Gefangenen 











Warburg, Ameisenpflanzen. 137 


zur Nahrung dient, oder wenigstens auf irgend eine Weise verbraucht 
wird. Dies geht aus folgender Thatsache hervor: manchmal werden 
die Ameisenweibehen von Schlupfwespen befallen und sterben dann 
im Innern der Kammer, in diesem Falle wird also das Wachstum des 
blumenkohlartig wachsenden Wuchergewebes nicht beschränkt und 
letzteres füllt die ganze Höhlung des Stengelgliedes aus; so kann 
man also schon an der Wucherung erkennen, ob die Glieder ein totes 
Weibchen oder eine lebende Kolonie beherbergen. Die jungen Ameisen 
eröffnen dann später wieder an derselben Stelle durch ein Loch die 
Verbindung mit der Außenwelt. In diesem Falle haben wir nun eine 
sehr deutliche Anpassung an «ie Ameisen vor uns; nicht die Höhlung 
der Glieder ist die Hauptsache, denn diese finden wir bei vielen 
Pflanzen ohne irgend welche Beziehung zu den Ameisen, sondern die 
im voraus angelegte dünnere und vertiefte Stelle, dort wo die Wand 
später durchbohrt wird, ein durchaus allein stehender Fall dieser Art; 
die Dünne der Wand wird hergestellt 1) durch eine Lücke in der 
inneren Zone diekwandigen verholzten Parenchyms, 2) durch das Aus- 
bleiben der Bildung von Zwischenbündeln, 3) durch die schwache 
Ausbildung resp. das gänzliche Fehlen des Collenchyms, endlich 4) 
durch die viel geringere Thätigkeit des Cambiums. Die Probe dafür, 
dass diese morphologische Abnormität in Beziehung zu Ameisen steht, 
wird auf glänzende Weise durch die Beobachtung geliefert, dass 
eine andere, Ameisen nicht beherbergende Cecropia-Art zwar die durch 
Knospendruck hervorgerufene Rinne, nicht aber diese präformierte 
Stelle besitzt. Gerade bei dieser Cecropia ist nun aber auch der 
Nutzen, den die Pflanzen durch die Ameisen haben, aufs deutlichste 
erwiesen, da einige der nicht bewohnten Bäume gleicher Art von 
Blattschneideameisen traurig zugerichtet waren. Diese merkwürdigen 
Blattschneideameisen nämlich beißen mit ihren scharfen Kiefern aus 
den Blättern mehr oder weniger runde Stücke von der Größe eines 
Zehnpfennigstückes heraus und tragen dieselben in ihre unterirdischen 
Bauten, wo sie sie aufeinanderschichten und nach Belt eine Art 
Pilzzucht darauf anlegen. Die eben erwähnte 2. Cecropia- Art, die 
keine Ameisen beherbergt, soll nach Schimper durch ihre glatten 
Stengel geschützt sein. Gleichfalls sehr früh bekannt, nämlich selon 
1651 von Hernandez erwähnt, 1697 von Commelyn genauer be- 
schrieben, ist die Myrmekodomie von zwei Acacia-Arten Südamerikas, 
von denen die eine schon oben als auch myrmekotrophisch erwähnt 
wurde. Die paarigen, Büffelhorn-ähnlichen, mächtig angesehwollenen 
Stipularstacheln derselben sind im Innern hohl, und werden von Ameisen 
bewohnt, die an anatomisch nicht näher umschriebenen Stellen sich 
die Zugangsöffnung bohren. Da diese dieken hohlen Stacheln als 
Schutzwaffe weniger Bedeutung haben als die dazwischen manchmal 
vorkommenden kleineren soliden, und sogar an in Gewächshäusern 
ohne Ameisenzutritt gezogenen Pflanzen sich finden, so sind diese Auf- 


198 Warburg, Ameisenpflanzen. 


treibungen wohl sicher erbliche Anpassungen an die Ameisen. Auch 
hier ist der Nutzen der Ameisen für die Belaubung experimentell 
nachgewiesen, und auch diese Pflanzen sind nebenher noch myrme- 
kotroph, Acacia sphaerocephala sogar in doppeltem Sinne, einerseits 
durch die gewöhnlichen schüsselförmigen Nektarien der Akazien an 
den Blattstielen, anderseits durch die Belt’schen Körperchen. Bei 
einer dritten Acacia-Art, aus Afrika, finden sich ähnliche Auftreibungen, 
aber mit Spalten, doch ist die Myrmekodomie hier noch nicht sicher er- 
wiesen, ebensowenig die Entstehungsweise der Spalten; die Annahme, 
dass die Auftreibungen Gallen seien, ist deshalb wohl sicher unzu- 
treffend, da ich in einer noch vollkommen geschlossenen Blase zwar 
noch die zerrissenen Markfetzen aber keine Spur eines Tieres sah, 
womit Schweinfurth’s Beobachtung, dass auch in Cairo an kulti- 
vierten Exemplaren die Blasen vorkommen, übereinstimmt, so dass 
die Ansicht, dass hier gleiche Verhältnisse vorliegen wie bei den 
amerikanischen Arten, gewiss berechtigt ist. Ziemlich deutliche Bohr- 
löcher, die ich an einer jungen Blase dieser afrikanischen Art be- 
obachten konnte, weisen auch hier darauf hin, dass die Spalten nicht 
spontan entstehen. 

Auch das von Beecari entdeekte Olerodendron fistulosum zeigt 
eine hohe Ausbildung der Myrmekodomie; die hohlen Stengel sind 
dicht unterhalb der Blattinsertionen an scharf umschriebenen, im Ver- 
hältnis zur Umgebung viel dünneren, etwas hornartig vorgezogenen 
Stellen von den Ameisen durchbohrt, die zu gleicher Zeit durch die 
unzähligen Nektarien der Blattunterseite Nahrung finden. 

Diese 3 Fälle sind die bei weitem am besten und sichersten be- 
kannten myrmekodomen Anpassungen. Die von Bower untersuchte 
Humboldtia laurifolia hat gleichfalls mit lockerem Mark angefüllte 
Auftreibungen der Stengel, die an der Spitze der Internodien eine 
ovale Oeffnung besitzen; Bower glaubt aus jugendlicheren Stadien 
schließen zu dürfen, dass sie spontan aufspringen, doch ist dies noch 
nicht erwiesen. Myrmekotrophe Nektarien finden sich zahlreich an 
den großen Stipeln. 

Aehnliche Auftreibungen der Stengel sind nun schon in einer 
größeren Anzahl von Fällen beobachtet, namentlich von Beccari und 
Sehumann, z. B. bei den Euphorbiaceengattungen Macaranga und 
Endospermum im malayischen Archipel, bei den Rubiaceen Nauclea 
und Sarcocephalus in Ostasien, Duroia in Amerika, Cuviera und Can- 
thium in Afrika, bei der Lauracee Pleurothyrium in Südamerika, bei 
der Paropsieeengattung Barteria in Afrika, bei Cordia gerascanthus 
in Amerika, bei der Monimiaceengattung Kibara und bei Myristica- 
Arten in Papuasien, welcher Liste ich noch eine bisher unbeschriebene 
Meliacee Amoora mynrmecophila n. sp. aus Neu-Guinea hinzufügen 
möchte. In allen diesen Fällen handelt es sich um lokale Auftrei- 
bungen, die dureh Löcher oder Spalten zugänglich gemacht wurden; 




















Warburg, Ameisenpflanzen. 159 


dass diese Spalten spontan entstehen, ist nie wirklich erwiesen; 
Schumann glaubt es für eine Reihe von Fällen wahrscheinlich 
machen zu können, doch kann ich wenigstens für Myristica erhebliche 
Gründe dagegen anführen, da es sich bei ihnen sicher nachweisen 
lässt, dass auch das Mark erst durch die Ameisen abgetragen wird. 
Meist, aber nicht immer, finden sich die Spalten an den Orten des 
geringsten Widerstandes, also oberhalb oder unterhalb der Blatt- 
insertionen; die Spaltenform erklärt sich meines Erachtens daraus, 
dass die Höhlungen angebohrt werden, bevor das Internodium die 
definitive Länge erreicht hat. Doch mögen immerhin diese Verhält- 
nisse bei den einzelnen, zu so vielerlei Familien gehörigen Pflanzen- 
arten verschieden sein. 

Im Anschluss hieran sind einige sehr interessante ostasiatische 
Pflanzengattungen aus der Familie der Rubiaceen zu erwähnen, die 
Anlass zu allerlei Diskussionen namentlich zwischen Beccari und 
Treub gegeben haben; Myrmecodia und Hydnophytum sind die wich- 
tigsten derselben mit beinahe 60 hauptsächlich Papuasien bewohnen- 
den Arten. Es sind Epiphyten mit oft kopfgroßen Stengelauftreibungen, 
die von labyrinthischen, mit der Außenfläche kommunizierenden Gängen 
und Gallerien durchzogen sind; diese Gänge sind von einer Kork- 
schieht umgeben, die von Lenticellen-artigen Bildungen durchsetzt wird; 
die Korkschiehten entstehen auch bei Ausschluss der Ameisen, worauf 
dann das abgeschlossene, ursprünglich die Gänge ausfüllende Wasser- 
gewebe kollabiert, auch die Kommunikationen mit der Außenwelt 
sind wenigstens teilweise spontanen Ursprungs. Hieraus allein aber 
den Schluss zu ziehen, dass die Pflanzen nicht myrmekophil seien, 
ist gewiss nicht berechtigt, mit demselben Recht könnte man es im 
Gegenteil als eine sehr hohe Art Anpassung ansehen, analog den 
oben besprochenen Fällen. Dass die Höhlungen Durchlüftungskammern, 
des Wassergewebes seien, scheint wenig währscheinlich, denn bei 
ebenso großen Luftknollen anderer Pflanzen finden wir nirgends ein 
derartiges System entwickelt, auch möchten Durchlüftungskammern 
die durch Kork abgeschlossen mit großem Substanzverlust erzeugt 
und durch Lenticellen zugänglich gemacht werden müssen, kaum den 
ökonomischen Grundsätzen, die wir sonst bei den Pflanzen zu finden 
gewohnt sind, entsprechen. Beceari hat schon darauf hingewiesen, 
dass die anatomisch den Lenticellen ähnlichen Organe vielleicht ab- 
sorbierenden Funktionen dienen, wie überhaupt der interessanten Frage, 
ob der ja gewiss stickstoff- und salzreiche Ameisenkot von Seite der 
Pflanze irgend eine Verwendung findet, bisher noch niemand näher 
getreten ist. 

“Die gleichfalls merkwürdigen Höhlungen in einer Nepenthes- Art 
sowie die von Goebel studierten Ameisenhöhlen in malayischen 
Farnen lassen wir unberüchsichtigt, ebenso auch die vielen Fälle, 
wo erweiterte Blattscheiden, vergrößerte Stipularbildungen, zurück- 


140 Warburg, Ameisenpflanzen, 


gekrümmte Fiederblättehen den Ameisen als Unterschlupf dienen, weil 
hier überall Myrmekosymbiose zwar wahrscheinlich, aber nicht ganz 
sicher konstatiert ist. Dagegen wenden wir uns jetzt den Fällen der 
Myrmekodomie zu, wo die Hohlräume nicht auf Zerreissung resp. Aus- 
höhlung anfangs geschlossener Gewebe beruhen, sondern durch un- 
sleichmäßiges Wachstum gebildet und demnach mit Epidermis über- 
zogen sind. Vor allem ist dies der Fall bei Melastomaceengattungen 
aus Südamerika, Tococa, Microphysca, Maieta, Myrmedone und Calo- 
physca, sowie bei einer Art der schon oben erwähnten Rubiaceengattung 
Duroia, endlich bei der Rubiacee Remira physophora, gleichfalls aus Süd- 
amerika. Auch die durch die Entstehungsweise merk würdigen Höhlenbil- 
dungen bei Cordia nodosa gehören hierher. Die afrikanische Stereuliacee 
Cola marsupium, malayische Asclepiadeen aus der Gattung Dischidia 
sowie Conchophyllum, endlich eine Vitex aus Neu-Guinea sind nur 
verdächtig als myrmekodome Pflanzen. Mit Recht macht Schumann 
darauf aufmerksam, dass namentlich die Pflanzen dieser Gruppe sich 
so häufig durch eine eigentümlich borstige, fuchsig-braune Behaarung 
auszeichnen. — Meist bestehen die Anpassungen dieser Pflanzen in 
besonders blasenartig aufgetriebenen Anhängseln der Blattbasis, zu- 
weilen finden sich diese Ausstülpungen aber am Blattstiele, ja bei 
Calophysca sogar an den Zweigen unmittelbar unterhalb der Blattstiele. 
Diese Hohlräume münden gewöhnlich auf der Blattunterseite in den 
Winkeln der basalen Blattnerven aus, sie entsprechen in diesem Fall 
vergrößerten Domatien, bei Duroia dagegen ist die Mündung auf der 
Blattoberseite. Meist hat jede der 2 Blasen einen gesonderten Aus- 
führungsgang, in einem Falle vereinigen sie sich jedoch. In manchen 
dieser Höhlungen sind Ameisen gefunden, obne dass hieraus allein 
natürlich ein Schluss auf Myrmekosymbiose gestattet wäre, aber man 
kann sich kaum eine andere Funktion dieser Höhlungen vorstellen. 
Einige dieser Pflanzen sind myrmekoxen, z. B. die Rubiaceen, bei 
denen ganz gegen die Regel in der Familie nach dem Abfallen der 
Nebenblätter ein Kranz von Stipulardrüsen stehen bleibt. Für die 
Melastomaceen dagegen sind myrmekotrophe Organe bisher nicht be- 
kannt geworden, und diese bilden mit Kibara, Myristica und wenigen 
anderen die einzigen Fälle, wo Myrmekodomie sich nicht zu Myrme- 
koxenie erweitert hat, wenngleich wie wir sehen werden, es gerade 
in diesen Fällen auch zweifelhaft ist, ob man von echter Myrmeko- 
symbiose sprechen darf. 

Ich habe die Myristica-Arten recht genau geprüft, und dabei haben 
sie sich, was wahrscheinlich auch bei Kibara der Fall, als auf seltsame 
Weise indirekt myrmekotroph erwiesen '). Sie geben nämlich, wie 





1) Durch nachträgliche Prüfung eines sehr reichlichen Materiales gelangte 
ich dazu, meine früher in Bezug auf diese Verhältnisse ausgesprochenen An- 
sichten in einzelnen Punkten zu modifizieren. 











Warburg, Ameisenpflanzen. 141 


schon Beccari für Kibara zeigte, inihren Höhlungen den Ameisen Ge- 
legenheit, Kolonien von Schildläusen anzulegen, die ja den Ameisen 
gegenüber vollkommen die Rolle spielen wie extranuptiale Nektarien, 
nur dass sie beweglich und versetzbar sind. Merkwürdigerweise findet 
man diese Schildläuse immer nur in den Zweighöhlungen, nie auf den 
Aesten oder Blättern selbst, und zwar habe ich neuerdings einen ganz 
sicheren Fall beobachten können, wo sie vollkommen von dem Zweig 
eingeschlossen waren, so dass die Ameisen wohl hinzu konnten, die 
Schildläuse aber nicht allein ihre Behausung verlassen konnten. Sie 
waren offenbar, da die nachträgliche Verengerung der Zugänge durch 
Wuchergebilde nur eine sehr geringe war, jung hineingebracht und 
dort dann so gewachsen. Die Höhlungen im Mark sind völlig ohne 
Lenticellen, und durch einen Ring verholzter Markzellen dieht abge- 
schlossen, so dass von Absorptionsfähigkeit der Pflanze daselbst kaum 
die Rede sein kann. Auch sonst ist der Nutzen der Ameisen für die 
Myristica sehr problematisch. Anderseits gibt es Thatsachen, die 
darauf hinweisen, dass diese Höhlungen in der That nichts sind als 
Ameisengallen. Sie liegen ganz unregelmäßig zerstreut, bald zu 
mehreren dicht neben einander, bald durch eine Reihe von Internodien 
getrennt, bald sind sie stark geschwollen und kurz, bald langgestreckt, 
bald oben im Internodium, bald unten, bald unterhalb des Blattstieles, 
auch die Oefinungen sind unregelmäßig; sie sind ohne Beziehung zu 
der Blütenregion, auch an jungen noch nicht blühenden Bäumen von 
mir gefunden. Eine junge Blase war noch größtenteils mit Mark ge- 
füllt, das nur an einer kleinen Stelle angefressen war, die Markzellen 
waren abgestorben, und durch einen Ring verholzter Zellen von dem 
gesunden Mark sowie dem Xylem scharf getrennt, also jedenfalls war 
die Anschwellung vor der Aushöhlung durch die Ameisen entstanden, 
auch ist ihr eine gewisse Aehnlichkeit mit Gallen nieht abzusprechen: 
von einem andern Insekt aber war in diesem Mark nichts zu ent- 
decken. Also entweder sind es wie bei Cecropia für die Ameisen 
vorgebildete Erweiterungen, dagegen aber spricht die Unregelmäßig- 
keit der Gestalt und des Auftretens, oder aber sie sind durch die 
Ameisen hervorgerufene, also in gewissem Sinne pathologische Er- 
scheinungen, und dies ist bei dem bekannten vorzüglichen Instinkt 
der Ameisen sicher nichts unnatürliches. Die Ameisen würden also, 
falls dies richtig, an noch wachstumsfähigen Spitzen auf irgend eine 
Weise, wohl durch Ameisensäure, das Gewebe zu lokalem Wachstum 
anregen, das mit dem Absterben und Abschließen des betr. Gewebes 
endigt, und würden später dann wiederkommen, die so erzeugten 
Anschwellungen öffnen, aushöhlen und als Ställe für die Schildläuse 
sowie als Wohnräume benutzen. In diesem Falle würde also Myristica 
und wohl auch Kibara nieht zu den eigentlich myrmekosymbiotischen 
Pflanzen zu reelinen sein, obgleich es ja denkbar wäre, dass wir hier 
die allererste Stufe dieser ganzen Erscheinungsreihe vor uns hätten; 


142 Wierzejski, (arterıus Stepanovii und Heteromeyenia repens in Galizien. 


denn falls die Ameisen für die Pflanze nützlich sind, so ist es nicht 
unwahrscheinlich, dass die Reaktionsfähigkeit der Pflanze gegen die 
von den Ameisen ausgeübten Reize sich nieht nur mit der Zeit wird 
verstärken können, sondern dass aus ihr allmählich auch eine erb- 
liche Erscheinung werden kann, die selbst dann eintritt, wenn kein 
Reiz mehr ausgeübt wird, etwa analog dem bei gewissen Sapro- 
legniaceen eintretenden Falle, wo die Oosporen, obgleich sie des an- 
regenden Reizes der Befruchtung durch Antheridien entbehren, den- 
noch genau ebensogut zur Reife gelangen wie ihre Verwandten, die 
den Befruchtungsreiz nieht entbehren können. 

Bei den Melastomaceen scheinen doch wohl schon erbliche Ver- 
hältnisse vorzuliegen, obgleich der Umstand, dass die Blasen ungleich- 
mäßig groß sind, häufig an der einen Blatthälfte und an kleineren 
Blättern völlig fehlen, dafür spricht, dass die Anpassung noch nicht 
in besonders hohem Maße fixiert ist; das gleiche ist bei den Akazien 
der Fall, wo auch zuweilen gewöhnliche Stipularstacheln mit den auf- 
getriebenen wechseln. Wir haben demgemäß hier alle Uebergänge 
von den einfachsten Formen zu den kompliziertesten; Fälle wo das 
Mark nur ausgehöhlt, nicht dilatiert wird, wie bei Triplaris, bilden 


die primitivste Stufe, und Fälle wo das ganze Mark nur ungewöhn- 


lich erweitert ist, offenbar die Folge eines Reizes, aber ohne Blasen- 
bildung und Abtrennung vom normalen Mark, wovon ich auf der 
Molukkeninsel Batjan an einer mir unbekannten Pflanze einen präg- 
nanten Fall beobachten konnte, bilden den fast unmerklichen Ueber- 
gang zu den komplizierteren Fällen. Myrmekosymbiose im eigent- 
lichen Sinne beginnt aber erst da, wo die erste, wenn auch minimale 
im Interesse der Ameisen gelegene Abänderung des Pflanzenleibes 
zu einer erblichen Eigentümlichkeit der Pflanze geworden ist. 


Ueber das Vorkommen von Carterius Stepanovä Petr und 
Heteromeyenia repens Potts in Galizien. 


Von Dr. A. Wierzejski in Krakau. 


©. Stepanovii Petr |Dossilla Stepanovä Dyb.!)| gehört bekannt- 
lich zu den allerseltensten Spongilliden Europas, da er seit seiner 
Entdeckung im See Wielikoje (Südrussland) 1884 nur noch an zwei 
Standorten in Mittel-Europa: nämlich in Deutschbrod (Böhmen) 1885 
von Petr?) und in Ungarn (Fundort unbekannt) von Dr. Traxler?) 


1) Diese Art hat Dr. W. Dybowski aufgestellt in Berichten der naturf. 
Ges. d. Chark. Univ., 1884. 

2) F.Petr, Dodatky ku faun& $eskych hüb. ete., 1886. 

3) Dr. L. Traxler, Enum. Spongill. Hungariae. Edit. Musei Nat. Hung. 
Budapestensi 1889 (ungarisch). 














Wierzejski, Carterius Stepanovii und Heteromeyenia repens in Galizien. 145 


1889 wieder gefunden worden ist. Galizien ist somit der 4. Standort 
in ganz Europa. 

H. repens Potts gehört der nordamerikanischen Fauna an; durch 
seine Entdeckung in Galizien ist die europäische Spongillidenfauna 
um 1 Art bereichert. 

Beide Arten habe ich bereits im Jahre 1890 entdeckt, aber bloß 
deren Gemmulae, die mitsamt anderem Materiale von Süßwassertieren 
ınit einem Netze gefischt worden sind nnd zwar in einem etwa 2 Meter 
tiefen, mit Pflanzen diehtbewachsenen Waldtümpel bei der Ortschaft 
Lubien (Ostgalizien). 

In der Hoffnung die vegetierende Form dieser sehr interessanten 
Schwammformen zu finden ließ ich im Sommer 1891 den genannten 
Tümpel zu wiederholten Malen und mit größter Sorgfalt durchsuchen, 
leider aber wurde von (©. Stepanovii nur eine kleine Kruste mit Gem- 
mulis (anfangs September) und von A. repens bloß ein Paar frei- 
schwimmende Gemmulae erbeutet. Letztere reichten aber zur sicheren 
Bestimmung der Art vollkommen aus. 

Die Thatsache, dass Gemmulae beider Arten freischwimmend 
vorkommen, gibt ein bequemes Mittel an die Hand denselben mittels 
eines Netzes auf die Spur zu kommen. Wollten alle Forscher der 
mikroskopischen Tierwelt des Süßwassers bei Sichtung ihres Materiales 
auch auf Schwammgemmulae achten, alsdann dürften in kurzer Zeit 
mehrere neue Standorte für die in Rede stehenden Arten verzeichnet 
werden können, hoffentlich möchte man auch andere für speziell 
exotisch geltende Arten entdecken. 

Es ist allenfalls sehr seltsam, dass gerade die Carterius- und 
Heteromeyenia-Arten sowohl auf dem europäischen als auch auf dem 
amerikanischen Festlande nur vereinzelt, an weitentlegenen Stand- 
orten und fast ausschließlich in geringer Individuen-Zahl und kleinen 
Dimensionen auftreten, während Arten anderer Genera in der Regel 
massenhaft und in großen Exemplaren vorkommen. 

Wie aus den Angaben Potts), der die meisten Arten der ge- 
nannten Genera gesammelt und beschrieben hat, zu erschließen ist, 
scheinen dieselben an ganz besondere Bedingungen angepasst zu sein, 
wofür auch meine eigene Erfahrung spricht. Ich habe nämlich seit 
1884 den einheimischen Spongilliden besondere Aufmerksamkeit ge- 
schenkt und inzwischen Hunderte von Exemplaren aus 50 Standorten 
untersucht, ohne dass es mir bis zum Jahre 1890 gelungen wäre irgend 
ein Exemplar von Cart. Stepanovii oder Heteromeyenia zu finden. 
Es wurde auch heuer ein aus 29 Teichen Galiziens stammendes Ma- 
terial auf Gemmulae untersucht, jedoch mit Ausnahme des erwähnten 
Tümpels bei Lubieri habe ich sonst nirgends Gemmulae dieser Arten 
entdeckt. Was aber noch auffälliger ist, dieselben waren weder in 
einem etliche Schritte entfernten Tümpel noch in einem in demselben 





1) Potts, Fresh Water Sponges, a Monograph, Philadelphia 1837. 


444 Wierzejski, (arterius Stepanovii und Heteromeyenia repens in Galizien. 


Walde gelegenen Teiche zu finden, wiewohl andere Arten als Euspon- 
gilla lacustris, Meyenia Mülleri in beiden vorkommen. Welche spezi- 
fische Eigenschaften der von Carterius und Heteromeyenia auserwählte 
Tümpel haben mag, darüber konnte ich mir kein richtiges Urteil ver- 
schaffen. Der diehte Pflanzenwuchs kann wohl an und für sich das 
Gedeihen dieser Arten kaum bedingen, da sie anderwärts in ähnlichen 
Verhältnissen nicht gefunden wurden. 

Was den feineren Bau des von mir näher untersuchten Carterius 
Stepanovii betrifft, so hätte ich zu der eingehenden Schilderung des Herrn 
Petr!) nichts Wesentliches beizufügen, zumal es mir nicht geglückt 
ist ein reichliches Material aufzubringen. Ich kann aber die Beobach- 


tungen Petr’s vollinhaltlich bestätigen. Die galizische Form unter- . 


scheidet sich von der böhmischen dadurch, dass sie zwei Arten von 
Skelettnadeln aufweist: glatte und mit winzigen Stacheln versehene; 
in letzterer Beziehung stimmt sie mit der von Dr. Dybowski be- 
schriebenen russischen Form überein. Es sei außerdem bemerkt, dass 
mit dem kleinen Exemplare, welches an einem morschen Stamm aus- 
gebreitet war, ein kleiner Zapfen von Eusp. lacustris lose zusammen- 
hing. 

Im Parenchym fallen an tingierten Schnitten glänzende, kugel- 
runde Gebilde, etwa 0,001 mm im Durchmesser auf. Dieselben liegen 
in und außerhalb der sogenannten Mesodermzellen, erscheinen im durch- 
Sgehendem Lichte homogen, durehscheinend bis durchsichtig. Bei näherer 
Betrachtung stellt es sich aber heraus, dass ihr Inneres von einem 
feinen Netze durchzogen ist, zwischen dessen Maschen wahrscheinlich 
ein Reservestoff aufgespeichert ist. Ihre Tinktionsfähigkeit ist sehr 
stark, mit Safranin färben sie sich hyazinthrot, mit Hämatoxylin blau, 
mit Karmin blaurot. Die Untersuchung der in Alkohol konservierten 
Gewebe mit verschiedenen Reagentien ergab nur negative Resultate. 
Sie lösen sich weder in Aether und Xylel noch in Alkalien und 
Säuren, zeigen auch keine Reaktion auf Amylum. Weleber Natur sie 
sein mögen und ob sie dem Schwamme als Reserv- oder Exkretions- 
stoffe angehören oder aber fremde Körper sind, darüber dürfte viel- 
leicht die Untersuchung frischen Gewebes entscheiden. 

Aehnliche Vorkommnisse im Parenehym von Süßwasserschwämmen 
sind mir unbekannt, obgleich ich viele Dutzende von Schnitten aller 
übrigen europäischen Arten durchgemustert habe, woraus ich auf eine 
spezifische Beschaffenheit des Parenchyms von €. Stepanovii schließen 
zu dürfen glaube. Eine eingehendere Forschung nach dem Wesen 
dieser Gebilde wird allenfalls eine dankenswerte Aufgabe sein, deren 
Lösung vielleicht einiges Licht über die Natur dieses interessanten 
Schwammes verbreiten wird. 

Schließlich will ich noch hervorheben, dass mit samt den Gem- 
mulis von €. Stepanovii und H. repens auch ein Paar solcher gefischt 


1) 1. ep. 148 u. fg. 











Wierzejski, Carterius Stepanovii und Heteromeyenia repens in Galizien. 145 
wurde, die zur Ephydatia bohemica Petr zu gehören scheinen. Letz- 
tere Art wurde vom Verfasser nur provisorisch aufgestellt und wie 
es mich dünkt mit Recht, da sowohl der Bau ihrer Gemmulae als 
auch anderer Bestandteile, sowie das Zusammenvorkommen mit 
C. Stepanovii die nahe Verwandtschaft mit letzterem sehr wahr- 
scheinlich machen. Es scheint thatsächlich eine Uebergangsform zu 
sein und könnte als solche nur als eine Varietät von ©. Stepanovii 
angesehen werden. Die von Petr betonte Thatsache, dass Eph. bo- 
hemica stets mit Eusyp. lacustris vorkommt und sogar mit letzterer 
zusammenwächst, ferner der Umstand, dass die Carterius- und He- 
teromeyenia-Arten mit Parenchymnadeln versehen sind, die unter 
europäischen Spongilliden bloß bei Bus. Zacustris vorkommen, legen 
die Vermutung nahe, dass zwischen allen diesen und nächstver- 
wandten Formen sehr innige Beziehungen bestehen. Freilich spricht 
anderseits die Bewehrung der Gemmulae mit Amphidisken, welche 
bei Euspongilla nieht vorkommen, gegen die direkte Ableitung von 
letzterer; es ist aber denkbar, dass die Carterius- und Heteromeyenia- 
Arten durch Kreutzung oder gewebliche Verwachsung irgend welcher 
mit Amphidisken versehener Form mit Euspongilla entstanden sein 
mochten. Uebrigens sind bereits Fälle bekannt, wo neben Amphi- 
disken Belegnadeln gebildet werden oder wo die Ausbildung von 
Amphidisken vollkommen unterdrückt wird. Bei der von Potts be- 
schriebenen Spong. novae terrae sind die Gemmulae mit Belegnadeln 
belegt und im Parenchym erscheinen Amphidisken als sogenannte 
Parenchymnadeln, während in einer von mir beschriebenen!) Abnormität 
von Meyenia Mülleri die Ampbhidisken durch charakteristische Beleg- 
nadeln vertreten sind. Diese Abnormität ist aber sonst fast identisch 
mit Sp. Novae terrae. Diese Befunde weisen darauf hin, dass zwischen 
Formen, deren Gemmulae Amphidisken tragen, und solchen mit Beleg- 
nadeln der Gemmulae keine scharfe Grenze sich ziehen lässt. 

Es wäre zu weit gegangen, wenn wir auf Grund der bis jetzt 
über die einzelnen Carterius- und Heteromeyenia- Arten gesammelten, 
höchst-dürftigen Beobachtungen in die Erörterung näherer Verwandt- 
schaftsverhältnisse uns einlassen wollten, weshalb wir uns mit der An- 
regung diesbezüglicher Fragen begnügen müssen. Ihre Lösung muss 
künftigen Forschungen vorbehalten werden, bei denen es hauptsäch- 
lich auf Zuchtversuche und auf möglichst allseitige Erwägung der 
biologischen Verhältnisse ankommen wird. 

Krakau den 11. Januar 1892. 





1) Vergl. Beitrag zur Kenntnis der Sißwasserschwämme. Verhandl. d, 
Zool.- Botan. Vereins. Wien 1888. 


XII, 10 


er 


146 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 


Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und 
Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie 
der Stütz- und Bewegungsorgane. 

(Achtes Stück.) 

Versuch einer Vorstellung über die beider metamerischen 
Umbildung sich vollziehenden histogenetischen 
Vorgänge. 

Um darüber Klarheit zu erlangen, wird es vor allen Dingen not- 
wendig sein, das feinere Verhalten der verschiedenen Gewebselemente 
während dieser Umbildung und namentlich die Beziehungen zwischen 
Nerv und Muskel zu studieren. Aus mancherlei Gründen war es 
F. nicht möglich, eine Lösung dieser Frage herbeizuführen, er legt 
aber in seinen Untersuchungen ete. dar, wie man sich diesen Prozess 
vorstellen könne. Wiederholt hat er die bekannte Thatsache betont, 
dass die Extremitätenmuskeln in der Hauptsache ihre Nervenfasern 
von 2 oder noch mehr Spinalnerven empfangen und zwar die proxi- 
malwärts gelegenen meist von den präaxialen, die distalen vorwiegend 
von den postaxialen Wurzeln des Plexus. Allerdings bewirken daneben 
Differenzierungen des Skelettes und der Muskeln auch zahlreiche Lagen- 


veränderungen der letzteren selbst und im Zusammenhang damit die 


verschiedenartigsten Kreuzungen der Nervenfasern. Bei der Beurtei- 
lung der Reduktionsprozesse stößt man auf keine Schwierigkeiten; 
vollzieht sich ein derartiger Vorgang, so bilden sich Nerven- und 
Muskelfasern zurück, dabei kann die eine oder andere Wurzel des 
Plexus dünner werden oder gar verschwinden und auf diese Weise 
dieser selbst sich verschmälern (dies ist sehr häufig der Fall bei ver- 
kümmernden Extremitäten). Komplizierter gestalten sich diese Ver- 
hältnisse bei Neubildungen, gleichviel ob dabei die Extremität sich 
nur vergrößert oder ob sie wandert — in jedem Falle kommt es zur 
Entstehung von Nerven- und Muskelfasern. Darüber, wie dieser 
Prozess vor sich gegangen sein mag, stellt F. in seinem hier in Be- 
tracht kommenden Werke ausführliche Erörterungen an, auf welche 
wir aber ebenso wenig wie auf die Hypothese bezüglich der den 
Wechsel der Halslänge und die Verschiebung der vorderen Extremität 
bedingenden Momente an dieser Stelle näher eingehen können. Es 
sei nur erwähnt, dass, während über die Ursachen und Bedingungen 
der Verschiebung der vorderen Extremität der Vögel bis jetzt sich 
noch kein Autor geäußert hat, verschiedene Forscher sich schon mit 
den damit in Zusammenhang stehenden Verlängerungen des Halses 
beschäftigt haben und dass bei diesem Vorgange 2 Instanzen in Be- 
tracht kommen, nämlich a) die Verlängerung der einzelnen Halswirbel 
und b) die Verschiebung der vorderen Extremität nach hinten. 
Ueber das Verhältnis der Körpergröße. 

Schon im speziellen Teile dieser Arbeit ist oftmals betont worden, 

dass die Körpergröße der verschiedenen Vögel bei der Ausbildung 











Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 147 


der Knochen und Muskeln keine gleichgültige Rolle spielt. Seit längerer 
Zeit ist nachgewiesen, dass bei kleineren Formen sich Luftarmut resp. 
Luftleere des Skelettes mit relativ mächtiger Entwicklung der Flug- 
muskulatur verbindet und dass andrerseits bei größeren Fliegern ein 
höherer Grad der Pneumatizität mit großer Ersparnis an Muskel- 
elementen Hand in Hand geht. Außerdem wächst mit zunehmender 
Größe — allerdings nicht ausnahmslos — der Intercoracoidalwinkel, 
die Spannung der Clavieula, die Zahl der Halswirbel ete.; die meisten 
dieser Differenzierungszustände (des Skelettes und der Muskulatur) 
lassen sich auf das allgemeine Prinzip der Ersparnis von Muskel- 
masse durch höhere und geeignetere Ausbildung der sonstigen korre- 
lativen Einriehtungen zurückführen. Es ist aber auch nieht zu ver- 
kennen, dass die Verschiedenheit der Körpergröße bei mehreren dieser 
Verhältnisse nicht wegen der Korrelation zum Fluge, sondern völlig 
unabhängig von dieser das bestimmende Moment bildet. Welche Ur- 
sachen hierbei in Frage kommen, können wir zunächst noch nicht 
bestimmen, aber wir dürfen als Thatsache ansehen, dass im allge- 
meinen bei den ziemlich kleinen und mäßig großen Vögeln die ein- 
facheren und primitiveren Verhältnisse vorwiegen, während die großen 
wie auch die kleinsten Formen eine einseitige Entwicklung und eine 
größere Abweichung von den als ursprünglich zu beurteilenden Bil- 
dungen darbieten; so finden sich z B. unter den Tubinares bei den 
ziemlich kleinen Gattungen ungefähr von der Größe wie Procellaria, 
Fulmarus ete. im ganzen die primitiveren Verhältnisse; die kleinsten 
Oceanitidae und mehr noch die großen Formen von Ossifraga, Diome- 
dea etc. weisen aber eine Reihe von Differenzierungen auf, welche 
nur als sekundär zu beurteilen sind. Stellen wir diese Vergleiche 
bei anderen Gruppen an, so kommen wir zu der Erkenntnis, dass die 
Größe der relativ primitivsten Gattungen bei den verschiedenen Fa- 
milien eine wechselnde ist, dass sie aber im allgemeinen den kleineren 
Formen näher steht als den größeren, dass somit überhaupt, wenn 
auch nicht ohne Ausnahmen, die letzteren eine größere Abweichung 
und reichere Differenzierung darbieten als die ersteren. Die Präzi- 
sierung der Größe der primitivsten Form unter allen Vögeln fällt 
aber zusammen mit der Bestimmung der ersten Stammeltern derselben 
und diese ist bei dem heutigen Stand der Wissenschaften nur auf 
deduktivem Wege zu erreichen. Auf Grund mannigfacher Vergleiche 
und mit Rücksicht darauf, dass Marsh Knochen sehr kleiner kaum 
von den jurassischen Vogelresten unterscheidbarer jurassischer Dino- 
saurier gefunden, dass ferner Parker seinen Proto-Carinaten keine 
riesige Größe zuzuerkennen vermochte und dass endlich Strasser 
bei seinen physiologischen Untersuchungen über den Vogelflug zu dem 
Schlusse kam, dass kleine Tiere das Fliegen erfunden haben müssen, 
nimmt F. an, dass der erste Vogel kleiner als Archaeopteryc und 


größer als die kleinen und mittelgroßen Gattungen der Passeres gewesen 
10 ® 


148 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 


sei. Ferner drängt sich ihm die Ueberzeugung auf, dass es nicht 
allein bei den Vögeln der Fall ist, dass die größten und sehr großen 
Formen eine höhere Differenzierung und eine größere Abweichung 
von primitiven Zuständen darbieten, sondern es scheint, dass diese 
Regel eine recht weite Verbreitung besitze und z. B. Bestätigung an der 
Wirbelsäule der Plesiosaurier, an dem Brustgürtel bei Insektivoren 
und Rodentia ete. finde. Obgleich eine allgemeine Anerkennung 
diesem Satze noch fehlt und seine Gültigkeit durch Vergleichung wei- 
terer Abteilungen noch zu beweisen ist, so glaubt F. doch schon jetzt 
den praktischen Wink geben zu müssen, beim Suchen nach Verwandt- 
schaften sieh weniger an die großen und mehr an die kleinen oder 
mäßig großen Tiere zu halten, weil dieselben infolge ihres mehr 
primitiven Verhaltens bessere Chancen für die Aufklärung der gene- 
tischen Beziehungen darbieten. Dieses gilt auch für den Paläontologen. 
Die verschiedene Körpergröße der Tiere beschäftigte schon früher 
einzelne Forscher z. B. Galilei, Bronn; der letztere benutzte bei 
seinen diesbezüglichen Untersuchungen die Messungen, welche Dana 
an Örustaceen ausgeführt hatte und stellte als Resultat seiner Arbeiten 
das Gesetz auf, dass die Tiere im allgemeinen von Kreis zu Kreis 
in ungefähr gleichem Verhältnis an Größe zunehmen, wie durchsehnitt- . 
lich ihre Fähigkeiten wachsen. Es hat sieh aber herausgestellt, «ass 
diesem Satze keineswegs eine allgemeine Gültigkeit zukommt. 


Systematische Ergebnisse und Folgerungen. 

Obgleich F. überzeugt ist, dass die im speziellen Teile seines 
Werkes mitgeteilten Resultate der osteologischen, neurologischen und 
myologischen Untersuchungen eine Reihe brauchbarer Folgerungen 
für die Systematik der Vögel gestatten, so liegt es ihm doch fern, 
auf diese Ergebnisse allein ein ornithologisches System aufzubauen. 
Er hat vielmehr bei der Konstruktion desselben auch die übrigen 
morphologischen Verhältnisse und sonstigen Lebenserscheinungen der 
Vögel in Betracht gezogen und es deshalb als seine 1. Aufgabe an- 
gesehen, die kesultate der bisherigen Forschungen und die dadurch 
gewonnenen systematischen Merkmale auf ihre Verwertbarkeit zu 
prüfen, dabei auch zahlreiche Resultate der eigenen Untersuchungen 
und Ueberlegung einzuflechten und im allgemeinen über die systema- 
tische Methode zu sprechen. Daran schließt sich der Versuch einer 
systematischen Gruppierung der einzelnen Familien und Ordnungen 
der Vögel und darauf folgt endlich eine Betrachtung über die Ab- 
stammung derselben aus dem gemeinsamen Sauropsidenstamme., 


Ueber systematische Merkmale und Hülfsmittel, sowie 
über Vogelsysteme im allgemeinen. 

Trotz der vielen Bestrebungen, das natürliche System der Vögel 

aufzufinden und trotz der Unsumme von Zeit und Arbeit, welche 





Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 149 


darauf verwendet worden ist, sind wir doch heute vom Ziele noch 
weit entfernt und zwar deshalb, weil die meisten Forscher dabei in 
einseitiger Weise vorgingen und nur eine kleine Anzahl derselben die 
verschiedenen äußeren und inneren Merkmale der Vögel zu verbinden 
und zu vermitteln und auf diese Weise zu taxonomischen Resultaten 
zu gelangen suchte. Zu dieser Gruppe der Forscher ist an erster 
Stelle Nitzsch zu rechnen; er und die in seinem Geiste arbeitenden 
Nachfolger haben den rechten Weg eingeschlagen und, da überdies 
in neuerer Zeit auch in Frankreich und England eine Anzahl Forscher 
in denselben Bahnen wandeln, steht zu erwarten, dass diese Unter- 
suchungen doch noch zu erfreulichen Ergebnissen führen werden. 

In einem besondern Kapitel seines Werkes gibt F. eine kritische 
Zusammenstellung der bemerkenswerteren Merkmale und sonstigen 
morphologischen und biologischen Beziehungen, welche für die Syste- 
matik der Vögel, soweit es sich hierbei vornehmlich um Bestimmungen 
der Familien und Ordnungen derselben handelt, von Bedeutung sind 
— auf die systematische Stellung der Gattungen und Arten innerhalb 
der Familien und Subfamilien wird jedoch dabei kein Bezug genommen. 

In Betracht zu ziehen sind dabei: 

1) die äußeren Merkmale, 

2) die oologischen Merkmale, 

3) die inneren Merkmale, 

4) die physiologischen Merkmale, 

5) die in der ontogenetischen und paläontologischen Entwicklung 
gegebenen Grundlagen, 

6) die geographische Verbreitung der Vögel. 

1) Die äußeren Merkmale sind, wie leicht erklärlich, namentlich 
von den älteren Ornithologen in sehr umfassender Weise für die 
Systematik verwertet worden. Schon seit den frühesten Zeiten diente 
der Schnabel als mehr oder minder wichtiges Klassifikationskenn- 
zeichen. Linne’s erstes System (1735) beruht bekanntlich in erster 
Linie darauf. Aber verschiedene Forscher wie Cabanis, Kessler etc. 
machten schon lange auf den Umstand aufmerksam, dass zahlreiche 
auf diesen Körperteil gegründete Abteilungen oft ein Sammelsurium 
höchst heterogener Vögel umfassen, die außer der äußerlichen Aehn- 
lichkeit in der Schnabelform wenig mit einander gemein haben; 
überdies erkannten andere Forscher wiederum, dass innerhalb eng 
zusammengehöriger Gruppen (z. B. bei den Pelargo- Herodii, Limi- 
colae, Trochilidae, Piei, Passeres ete.) eine außerordentliche Mannig- 
faltigkeit divergenter Schnabelformen zur Ausbildung kommt, auch 
selbst innerhalb gewisser Gattungen und Species eine nicht unbeträcht- 
liche Variabilität auftritt; ja es wurde sogar der Nachweis geführt, 
dass bei sehr vielen Vögeln die Schnabelform auch noch während 
der postembryonalen Entwicklung wechselt. Infolge dieses Umstandes 
hat die Schnabelbeschaffenheit der Vögel immer mehr an Bedeutung 


150 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 


verloren und wird gegenwärtig meist nur noch dazu benutzt, enger 
und näher verwandte Vögel von einander zu trennen. 

Neben dem Schnabel hat man auch die Nasenlöcher für die 
Systematik verwertet und zwar dabei ihre Gestalt, Größe, Lage, ihre 
Beziehungen zur Wachshaut etc. in Betracht gezogen. Mehrere dieser 
Momente haben bis heute ihre Bedeutung gewahrt (z. B. bei Apteryx 
Owen). 

Unter allen äußeren Merkmalen, welche im ausgedehntesten Maße 
systematisch verwertet worden sind, nehmen die Beine und nament- 
lieh die Füße der Vögel die erste Stelle ein. Linne gruppierte in 
seinem 2. Systeme die Ordnungen darnach und seitdem diente die 
Beschaffenheit dieser Körperteile zahlreichen Forschern als klassifika- 
torisches Moment. So ist z.B. Cabanis die Laufbekleidung von Wich 
tigkeit und sieht Reichenow in der Fußbildung das wichtigste 
(äußere) Kennzeichen zur Unterscheidung der Gruppen Anch F. er- 
kennt im großen ganzen den hohen diagnostischen Wert dieser Körper- 
teile an; doch kann er z. B. der sehr weit hinten befindlichen Lage 
der Beine, welche zur Aufstellung einer besonderen Ordnung (Pygo- 
yodes Illiger resp. Urinatores Sundevall) führte, nur eine sekun- 


däre Bedeutung beimessen. Ferner haben schon andere Autoren darauf. 


hingewiesen, dass die größere oder geringere Länge dieser Glied- 
massen und die bedeutende, mitunter (z. B. bei Squata rola) selbst 
individuelle Variabilität in der Größe, Lage, Anheftung und Existenz 
der 1. Zehe (Hinterzehe) für die Systematik nur von geringer Bedeu- 
tung ist, wenn auch der letztere Umstand für manche enger geschlossene 
Abteilungen (z. B. für die Accipitres und die Passeres) sich als recht 
gutes Kennzeichen erweist. Besonderes Gewicht wurde von Alters 
her auch auf die gegenseitige Stellung der Zehen gelegt, jedoch haben 
anderseits Zoologen wie Huxley, A. Milne Edwards etc. betont, 
dass die Anordnung derselben kein ausreichendes Merkmal zur Be- 
sründung größerer Vogelabteilungen abgeben könne. Aehnlich verhält 
es sich mit der systematischen Bedeutung der Verbindung oder Frei- 
heit der einzelnen Zehen (mit den mit Schwimmhäuten versehenen, 
zehefteten, verwachsenen oder gespaltenen Zehen). 

Mehrere Forscher (wie Brisson, Swainson, Keyserling und 
Blasius, namentlich aber Cabanis und Reichenow) verwerteten 
auch, wie schon angedeutet, die Laufbekleidung für die Systematik. 
Cabanis z. B. zeigte, wie im allgemeinen mit der Höhe der syste- 
matischen Stellung die Entfaltung und Größe der Tafeln zunimmt, 
schließlich zur Schienenbildung führt und wie dem entsprechend auch 
bei den tiefer stehenden Gruppen der Natatores, bei denjenigen vieler 
Grallatores, Rasores ete. die größern Tafeln noch in einer größeren 
Beschränkung auftreten, während sie bei den höhern Typen der 
Rapaces, Scansores, Clamatores und Oscines immer mehr überwiegen 
und in ausgedehnter Weise sieh zu Schienen verbinden. Aber diese 








Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. ID1 


höchste Bekleidungsform des Laufes, mit Schienen, findet sich mehr 
oder minder deutlich nicht allein bei den höher, sondern auch bei 
den tiefer stehenden Ordnungen, namentlich bei den langbeinigen 
Typen derselben, deshalb erweist sich eine scharfe Trennung der ver- 
schiedenen Gruppen mit Hülfe der Laufbekleidung als unmöglich, wohl 
aber leistet dieses Merkmal innerhalb enger Grenzen vorzügliche Dienste. 

Auch die Krallen der Vogelzehen haben einen gewissen, aber 
ziemlich eng begrenzten systematischen Wert. Eine wichtige, übrigens 
an Bedeutung derjenigen der Fußbildung nachstehende Rolle spielt 
auch der Bau des Flügels in der systematischen Ornithologie. Zur 
Feststellung der Familien und Ordnungen ist jedoch seine Größe immerhin 
benutzbar (Longipennes, Impennes) und eine mehr oder minder große 
Wichtigkeit der relativen Länge der einzelnen Flügelabsehnitte inner- 
halb beschränkter Ausdehnung gibt auch F. gerne zu. Die Sporen 
oder sporenähnlichen Gebilde an verschiedenen Stellen des Flügels, 
die Nägel (Krallen) an der Hand, dürften dagegen wohl kaum einen 
höheren Wert für die Systematik aufweisen können, nur im Verein 


mit anderen Kennzeichen sind sie -— beredte Erinnerungszeichen an 
die einstmalige Reptiliennatur der Vögel — im stande, über die tiefere 


oder höhere Stellung der verschiedenen Familien und Ordnungeu 
einigen Aufschluss geben. Wichtiger aber als alle die bis jetzt an- 
geführten äußeren Merkmale ist für die Klassifikation das Federkleid 
der Vögel, denn durch dasselbe sondern sie sich von den anderen 
Sauropsiden ab. Es ist deshalb auch erklärlich, dass von jeher ein 
besonderes Gewicht auf das Verhalten desselben gelegt wurde. An 
erster Stelle war es Nitzsch, der durch die Begründung seiner 
Pterylographie sich auf «diesem Gebiete unsterbliche Verdienste er- 
worben hat. Freilich muss auch in diesem Falle, so unentbehrlich 
dieses Merkmal in dieser Hinsicht ist, vor Ueberschätzung desselben 
gewarnt werden (das von Nitzsch aufgestellte System basiert 
übrigens auch nieht ausschließlich auf pterylographische Kennzeichen). 
In Betracht zu ziehen sind beim Federkleid, 1) die Formen, Farben und 
der Wechsel der Federn, 2) die Stellung derselben. 

Embryonaldune, Dune (Pluma) und Konturfeder (Penna) lösen 
bekanntlich in den verschiedenen Entwieklungsstadien des Vogels 
einander ab. Daneben treten auch noch verschiedene intermediäre 
und aberrative Gebilde, Halbdunen (Pennoplumae), Fadenfedern (Filo- 
plumae), Federborsten ete. in wechselnder Weise auf. Ueber die 
Grenzen und Definitionen der eben genannten einzelnen Federarten 
herrschen jedoch noch sehr verschiedene Auffassungen. Nitzsch 
rechnet z. B. die weicheren, wimperlosen, selbst strahlenlosen Federn 
der Ratiten einmal noch zu den Konturfedern, während er das andere 
Mal ihnen infolge ihrer Stellung die Mitte zwischen diesen und den 
Dunen anweist; einige Forscher, wie Schlegel, Studer, Dames, 
erblicken in dem starken Schafte und in den Häkchen an den Ramulis, 


152 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 
wodurch die Federn der Luft einen gewissen Widerstand zu leisten 
und dadurch den Vögeln das Flugvermögen zu verschaffen vermögen, 
das Charakteristische der Penna. Dames sieht zugleich darin ein 
tiefgreifendes Differentialmerkmal zwischen Archaeopterye und den 
Carinaten einerseits und den Ratiten auf der andern Seite (den Federn 
der letzteren fehlen diese Eigenschaften und dieselben sind bei ihnen 
wohl auch früher nieht entwickelt worden). Aehnlich sind auch 
Gegenbaur’s Ansichten; er betrachtet die Befiederung der Ratiten 
als ein von ihnen zeitlebens beibehaltenes früheres Entwicklungs- 
stadium, während die Carinaten dasselbe bereits in der Jugend durch- 
laufen haben. F. hingegen vermag nicht, dieser Auffassung beizu- 
stimmen, nach ihm lässt sich gegenwärtig nicht entscheiden, ob alle 
Ratiten früher typische Konturfedern im Sinne von Dames (Schwung- 
und Steuerfedern) besaßen oder nicht; außerdem zeigen die Remiges 
bei den Spheniscidae eine Rückbildung, durch welche sich diese Vögel 
tiefer stellen als die Ratiten durch ihre Flügelfedern. Deshalb folgert 
F., dass in Bezug auf die Befiederung eine scharfe generische Grenze 
zwischen Ratiten und Carinaten nicht besteht, dass eine höhere Feder- 
form durch Rückbildung zu einer niedrigen degradiert werden kann, 
die dann auch in ontogenetischer Retardation nur die früheren Phasen 
der Entwieklung wiederholt, während die späteren höheren unter- 
drückt bleiben. Auch die Zeit des Durchbruchs des embryonalen und 
des bleibenden Gefieders benutzen einige Ornithologen als wichtiges 
Trennungsmerkmal (Gymnogeni — Hesthogeni vonNewman, Psilo- s. 
Gymnopaedes und Ptilo- s. Dasypaedes von Sundevall). Unter ein- 
seitiger Berücksichtigung dieses Umstandes müssen aber oft nahe 
verwandte Familien (z. B. die Columbae und Pterocles) auseinander- 
gerissen werden, infolgedessen kann F. auch mit dieser lediglich die 
Zeit des Durchbruches beachtenden Richtung nicht übereinstimmen, 
er glaubt aber, dass eine ausgiebige und umsichtige morphologische 
Untersuchung des Embryonalgefieders von systematischer Bedeutung 
sein könnte und man dadurch über den genetischen Zusammenhang 
der Ordnungen und Familien vielfach Aufklärung erhalten dürfte. 
Aehnlich steht es auch mit der systematischen Verwertung der Mause- 
rung. Auch der sogenannten Afterschaft (Hyporhachis), auf dessen 
wechselndes Auftreten an den Konturfedern ebenfalls Nitzsch schon 
hingewiesen, ist nicht ohne klassifikatorischen Nutzen; denn er er- 
weist sich je nach der Art seiner Ausbildung, seines Vorkommens 
oder Fehlens als ein recht gutes, wenn auch nicht durchgreifendes 
Moment für die Sonderung der verschiedenen Ratitae, Aceipitres und 
Striges, sowie für die Konstatierung der Verwandtschaft der Pfero- 
cletes und Columbae ete., ist aber z. B. nicht anwendbar bei den 
Tubinares, Palamedeidae u. a. Von einer Reihe Forscher werden auch 
die haarähnlichen Federborsten am Mundwinkel und am Kinn sowie 
an den Augenwimpern zur Charakterisierung gewisser größerer oder 








Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 155 


kleinerer Gruppen, und zwar wie sich ergeben hat, mit Vorteil be- 
nutzt; wenigstens haben sie sich z. B. bei den Ducconidae und Galbu- 
lidae, Trogonidae, Caprimulgidae etc. bewährt, aber bei den Psittaeci 
als nicht stiehhaltig erwiesen. Einen geringen Wert für die Systematik 
besitzen auch die an verschiedenen Körperstellen vorkommenden so- 
genannten Schmuckfedern. Zur Unterscheidung der Species war schon 
seit Alters die Färbung des Gefieders eines der wichtigsten Merkmale 
und wird es für diesen speziellen Zweck wohl auch für immer bleiben; 
es ist aber noch nicht zu übersehen, inwieweit dasselbe sich für die 
größeren Gruppenbildungen von Nutzen erweist. Während die ein- 
facher und primitiver gebildeten Federn in ınehr oder minder gleich- 
mäßiger Ausdehnung den Vogelkörper bekleiden, gruppieren sich diese 
Gebilde mit ihrer Differenzierung in Konturfedern und Dunen in be- 
stimmter Weise; die ersteren konzentrieren sich auf gewisse Körper- 
stellen, sie bilden Fluren (Pterylen), die letzteren dagegen treten 
— wenn auch nicht immer — zwischen den Konturfedern, teils auch 
auf den zwischen den Fluren liegenden Regionen, den Rainen oder 
Apterien auf. (Bekanntlich hat sich Nitzsch auch um die Karstellung 
dieser Verhältnisse unschätzbare Verdienste erworben.) Den niedersten 
pterylotischen Formen fehlt noch eine Differenzierung in Fluren und 
Raine, bei ihnen ist der Körper mehr gleichmäßig und lückenlos be- 
fiedert (Ratitae, Impennes, Palamedeidae), bei den höher stehenden 
Gruppen sind die ersteren zwar meist noch breiter aber deutlich, 
sehen jedoch auch zuweilen ganz allmählich in Raine über (dies ist 
der Fall bei den Alcidae, Colymbidae, Steganopodes ete.), bei den am 
höchsten differenzierten Formen endlich sind die Fluren meist schmal 
und mehr oder weniger scharf und deutlich abgesetzt (Laridae, Limi- 
colae, Gruidae, Passeres ete.). Die primitivere Anordnung des Gefieders 
der Impennes, Aleidae ete. ist auch hier durch Rückbildung aus einer 
ursprünglich höher entwickelten zu erklären und damit verliert die 
Annahme von der in dieser Hinsieht durchaus separaten Stellung der 
Ratiten einigermaßen an Gewicht, weil auch bei ihnen von einem 
einstmals etwas höher organisierten Federkleid ausgegangen werden 
kann, welches im Laufe der Zeiten durch Mangel an Gebrauch auf 
eine niedrigere Stufe der Ausbildung zurücksank. Von größerer Wich- 
tigkeit als der Unterschied zwischen Federfluren und Rainen ist die 
speziellere Anordnung derselben. Zur Abgrenzung mancher Familien 
erweist sich z. B. die gegenseitige Lage der einzelnen Pterylen als 
ein treffliches Merkmal; so scheinen dadurch die Limicolae, Galli und 
Passeres besonders gut gesondert zu sein. Von verschiedenen Forschern 
(Nitzsch, Selater, Bartlest und Forbes) wurde auch das Auf- 
treten der Puderdunen eingehender berücksichtigt und für die Syste- 
matik zu verwerten gesucht. Wenn auch in manchen Fällen dies 
nieht ganz ohne Erfolg geschah, so kann doch eine breitere syste- 
matische Benützung dieses Merkmales erst dann erfolgreich sein, wenn 


154 Fiirbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 

die Natur und morphologische Entwieklung dieser Gebilde mit Rück- 
sicht auf ihre primäre oder sekundäre Bedeutung überhaupt aufgeklärt 
worden ist. Schon seit alter Zeit haben unter den Federfluren die- 
Jenigen des Flügels und des Schwanzes ihrer auffallenden Entwick- 
lung wegen die Aufmerksamkeit der Forscher erregt; namentlich waren 
es die Zahl und Größe der Schwung- und Steuerfedern, welche ein- 
gehend berücksichtigt wurden. Neben Nitzsch sind hier vor allem 
Cabanis und dann auch Sundevall zu nennen. Bei den Ratiten 
und Impennes finden sich, abgesehen von «den Flügelsporen der Casu- 
ariidae, weder die Handschwingen (Remiges primi ordinis s. Primariae), 
noch die Armschwingen (Remiges secundi ordinis s. Secundariae) deut- 
lich entwickelt; bei allen übrigen Vögeln dagegen sind beide Arten 
vorhanden und zwar erweisen sich die Handschwingen meist als die 
konstanteren und kräftigeren, die Armschwingen als die variableren; 
es ist daher wohl auch die Annahme gerechtfertigt, die ersteren seien 
in einer früheren phylogenetischen Zeit als die letzteren definitiv aus- 
gebildet worden und seien deshalb anch von höherer systematischer 
Bedeutung. Die Zahl der Armschwingen schwankt sehr (zwischen 6 
und 37 und noch mehr), ihre Anzahl richtet sich im allgemeinen nach 
der Länge des Vorderarmes, daher weisen einerseits die kurzarmigen 
Trochilidae und Cypselidae nur 6—8 auf, während manche Tubinares, 
Laridae, Steganopodes, Anseres, Phoenicopteridae, Grwidae ete. deren 
über 20 und die Diomedeinae über 50 besitzen; auch innerhalb der 
Familien kommen oft weitgehende Vartierungen selbst individueller 
Natur vor (bei den Laridae wechselt ihre Zahl zwischen 16 und 24, 
bei den Zudinares zwischen 10 und ca. 40, bei den Pelargi zwischen 
16 und 26, bei den Accipitres zwischen 12 und 27 ete.). Daraus er- 
gibt sich wohl zur Genüge, welch’ geringer systematischer Wert 
diesen Federn beizumessen ist. Gleich gestalten sich die Verhältnisse 
bei der Benutzung der Handschwingen (Primariae) für die Systematik. 
Ihre Zabl variiert, wie auch schon Cabanis betonte, zwischen 9 
und 11, die erstere Reihe (bei einzelnen Cnrculidae, bei Indicator, 
Jyn& und sehr vielen Oscines sich findend) kennzeichnet die höchste, 
die andere (bei den Podieipidae auftretend) die niedrigste Form Die 
Länge dieser Federn ist sehr verschieden, bald die erste oder die ersten 
am längsten, bald die darauf folgenden. Durch dieses wechselnde 
Verhalten wird aber die Flügelform (ob spitz, stumpf, zugeschärft, 
abgerundet ete.) bestimmt und infolge dessen hat die Beschaffenheit 
der Handschwingen einige Bedeutung erlangt; namentlich bei der an 
Gattungen und Arten reichen Abteilung der Passeres dient seit Cabanis, 
dem Sundevall, Wallace und Reichenow folgten, die 1. Hand- 
schwinge als sehr beliebtes diagnostisches Merkmal. Während dieselbe 
bei den meisten (passerinen) Olamatores kaum resp. wenig reduziert 
ist, verkürzt sie sich bei den Oscines um mehr als um die Hälfte der 
längsten Handschwinge, ja, sie bildet sich bei einer Reihe von Unter- 











Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 155 


familien fast ganz zurück. Im übrigen aber ist noch zu entscheiden, 
ob dieser Charakter von tieferem genealogischen Einflusse oder bloß 
von graduellem Werte ist. 

Mehrere Autoren (wie der ältere Sundevall, Jeffries, Good- 
child ete.) verwerteten auch das Verhalten der Flügeldeckfedern 
(Tectrices alarum) für die Systematik. Obgleich die Zahl der Steuer- 
federn eine ziemlich wechselnde ist, bietet sie doch bei den meisten 
Vögeln konstantere und von der Körpergröße unabhängigere Bezieh- 
ungen dar als diejenige der Armschwingen. Archaeopteryx weist an 
seinem gegliederten Schwanze entsprechend der Zahl der einzelnen 
Wirbel desselben gegen 40 Reetrices auf, während die lebenden Cari- 
naten durchschnittlich eine geringere Zahl (8-24) und nur ausnahms- 
weise mehr besitzen. Ob dem von Marshall bei mehreren Vögeln 
nachgewiesenen direkten Verhältnisse zwischen der Zahl der das 
Pygostyl (Vomer) zusammensetzenden Kaudalwirbel und derjenigen 
der an das Pygostyl angehefteten Reetrices allgemeine Gültigkeit zu- 
kommt, ist durch umfangreichere Untersuchungen noch zu erweisen. 
Abgesehen von einigen Carinaten (den Podicipidae, Rhynchotinae, 
einigen Impennes und Passeres), die sehr wenig ausgeprägte Steuer- 
federn besitzen, bietet die Zahl derselben bei den andern interessante 
und in mancher Hinsicht systematisch verwertbare Verhältnisse dar, 
doch sind auch hier noch eingehende Untersuehungen nötig. 

12 Steuerfedern finden sich bei den Alcidae, Laridae, Limicolae, 
Pulamedeidae, Strigidae ete., 10 bei den Musophagidae, Cueulidae (die 
Crotophagae, die nur 8 aufweisen ausgenommen), bei den Caprimul- 


gidae, Upupidae ete. — Die wenigen eben angeführten Ausnahmen 
lassen sich leicht als sekundäre Differenzierungen erklären. — Größere 


Variıerungen finden sich bei den Herodii, Pici, Passeres ete., aber es 
dürfte auch hier von einer konstanten Zahl (12) auszugehen und so- 
wohl ihre geringere als größere Anzahl durch Reduktion resp. durch 
sekundäre Vermehrung zu erklären sein. Bedeutendere Schwankungen 
treten bei den Colymbidae (zwischen 12 und 20), Tubinares (zwischen 
12 und 16), Steganopodes (zwischen 12 und 24), Anseres (zwischen 12 
und 24) auf, ja bei manchen (wie z. B. bei Phoenicopterus, Menura, 
Hylactes) ändert sich ihre Anzahl sogar nach den Species und den 
Individuen. Auch hier sind umfangreiche und eingehende Unter- 
suchungen zur Aufklärung der genetischen Beziehungen nötig, In 
Uebereinstimmung mit Cabanis erblickt auch F. in der geringsten 
Zahl der Steuerfedern die höchste Entwicklungsstufe, betont jedoch 
ausdrücklich, dass zwischen durchgehenden und einseitigen Verhält- 
nissen und sekundären Vermehrungen ein Unterschied zu machen sei. 
Für die meisten Vögel ist nach seiner Ansicht die Zwölfzahl als Aus- 
gangspunkt anzunehmen. Weil aber die Gestalt und Farbe dieser 
Federn und ihrer Deckfedern in der mannigfachsten Weise selbst 
innerhalb eng geschlossener Gruppen wechseln, so ist auch ihre 


156 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel, 


systematische Verwertung selbstverständlich nur eine beschränkte. 
Unbefiederte an der Brust (bei manchen Ratiten, Opisthocomus ete ), 
am Kopfe und Halse auftretende Stellen können ebenfalls unter Um- 
ständen innerhalb der Familien bei Sonderung der Gattungen und 
Species von Bedeutung sein. Die Wichtigkeit der Beinbefiederung 
für diesen Zweck braucht wohl nieht erst besonders betont zu werden. 
Auch die Wachshäute erweisen sieh von einem gewissen, aber be- 
schränkten taxonomischen Werte, und die Casuarius, manchen Anseres, 
den Palamedeidae, vielen Galli ete. eigentümlichen unbefiederten und 
eventuell erektilen Hautlappen an verschiedenen Körperstellen dienen 
in gleicher Weise für die Kennzeichnung bestimmter Gattungen und 
Unterfamilien, obgleich diesen Gebilden keine große Wichtigkeit bei- 
zulegen ist. 

Auch die bei der Mehrzahl der Vögel vorhandene Bürzeldrüse (Glan- 
dula uropygialis) hat schon sehr früh die Aufmerksamkeit der Forscher 
auf sich gelenkt; ihr Bau wurde vornehmlich von F. Müller, Nitzsch, 
Owen ete. untersucht, ihr Wert für die Systematik von Nitzsch, 
Huxley und Garrod eingehend behandelt. Die höchste Ausbildung 
in Bezug auf Größe zeigt sie, wie schon Nitzsch betont, bei den 
Sehwimmvögeln und bei den wasserliebenden Luftvögeln, hingegen 
fehlt sie den Ratitae, Otitidae, Argus, einigen Columbae (Diduneulus, 
Goura, Starnoenus, Treron) mehreren amerikanischen Psittaci und dem 
australischen Podargus. Betreffs ihrer Ausbildung bei den Carinaten 
— bei den Ratiten ist eine Entscheidung darüber noch nicht mög- 
lich — dürfte die Annahme gerechtfertigt sein, dass sie sich im Laufe 
der phylogenetischen Entwicklung «des Vogelstammes aus früher zer- 
streuten und kleinen, dann aber mit der höheren Entfaltung des Ge- 
fieders sieh zusammenhäufenden und zu einer kompakten Masse ver- 
bindenden Fettdrüsen in der dorso-kaudalen Gegend heranbildete und 
(dass weiterhin dieser Prozess je nach Bedürfnis im progressiven Sinne 
weiterging (bei den wasserlebenden Vögeln), stehen blieb oder selbst 
einer retrograden Metamorphose Platz machte (bei den auf dem 
Trockenen lebenden Vögeln). Daraus, dass die Existenz dieser Drüse 
von der Lebensweise der Vögel abhängig ist und ferner der Umstand, 
dass sie bei ganz nahe verwandten Gattungen und selbst Species in 
Größe und Auftreten wechselt, ergibt sich schon, dass sie über tief- 
liegende Verwandtsehaften nicht Aufschluß geben kann. Auch ihre 
Gestalt und die Zahl ihrer Ausführungsgänge hat man für die Syste- 
matik zu verwerten gesucht, jedoch ohne greifbare Erfolge. Nitzsch 
hat ferner den Umstand, ob ihr verlängerter Ausgang mit einem 
Federkranze versehen oder nackt ist, zur Unterscheidung der Familien 
oder wenigstens der Gattungen benutzt; auch F. ist geneigt, darauf 
ein größeres Gewicht zu legen als auf das Auftreten dieser Drüse 
überhaupt, weil ihre Existenz nur einen graduellen Charakter aus- 
drückt und sowohl eine befiederte als auch eine nackte Drüse sich 





Haeckel, Anthropogenie. 457 


rückbilden kann (Psittaci — Columbae), dagegen der Unterschied, ob 
befiedert oder unbefiedert, meist eine mehr qualitative Verschiedenheit 
andeutet; zu beobachten ist jedoch dabei, dass die befiederte Bürzel- 
drüse einen primitiven, die nackte einen sekundären Zustand bezeichnet. 
Daher stehen die nicht sehr zahlreichen Gruppen, welche mit nackter 
Bürzeldrüse ausgestattet sind (die Megapodiüdae, Pterocles, Columbae, 
Caprimulgidae, Steatornithidae, Cueulidae etc.) dem mit befiederter 
Drüse versehenen Hauptstamme gegenüber. Doch gilt auch dieses 
Merkmal nicht ohne Einschränkung und es darf ihm keineswegs eine 
solche Bedeutung beigelegt werden, wie es Garrod thut, weil selbst 
innerhalb guter Familien (wie z.B. bei den Galli, Bucconidae, Momo- 
tidae) nackte und mit einem Federkranz versehene Bürzeldrüsen auf- 
treten. Nur Hilfsmittel niederen Ranges für die Systematik bilden 
ferner noch die verschiedene Dieke der Haut, der Luft- und Fett- 
gehalt des Unterhautbindegewebes (die Dicke der Haut wechselt bei 
gleich großen Vögeln oft bedeutend, F. fand sie z. B. bei den von 
ihm untersuchten Colüidae, Cypselidae und Trochilidae auffallend dick, 
viel dicker als bei gleich großen und beträchtlich größeren Passeres). 
Größere Tubinares, die Steganopodes, Palamedeidae, Coracüidae, 
Meropidae, Upupidae ete. ete. zeichnen sich durch bedeutende Pneu- 
matizität aus, während die Alcidae, Colymbidae, Podicipidae ete. eine 
mehr oder minder große Adiposität (Fettgehalt des Unterhautbinde- 
gewebes) aufweisen. Obgleich im allgemeinen die erstere Eigenschaft 
von der zunehmenden Größe, der Fettgehalt von der geographischen 
Verbreitung der Tiere und der jeweiligen Nahrungsaufnahme abhängig 

ist, so kommen doch auch Ausnahmen vor. Dr. F. Helm 
(Fortsetzung folgt.) K. Anthrop. Mus. Dresden. 


E. Haeckel, Anthropogenie. 
4. umgearbeitete und vermehrte Auflage, Leipzig, W. Engelmann, 2 Bände, 1891, 


Nach nahezu 15jähriger Pause veröffentlichte eben in 2 statt- 
lichen Bänden E. Haeckel die vierte Auflage seiner Anthro- 
pogenie. Wenngleich dieses Werk für weitere Kreise berechnet 
ist, dürfte es doch am Platze sein, die Leser dieses Blattes über die 
nun vorliegende Neubearbeitung in Kürze zu unterrichten. 

Bekanntlich fiel die erstmalige Herausgabe der Haeckel’schen 
Anthropogenie (1874) in eine Zeit, in welcher der Streit um die Wahr- 
heit der durch Ch. Darwin’s Auftreten in den Mittelpunkt der 
wissenschaftlichen Diskussion gestellten Abstammungslehre unter den 
Biologen, insbesondere den Zoologen, überaus heftig entbrannt war. 
Hatte Haeckel bereits 1866 seine in vieler Beziehung grundlegende 
„generelle Morphologie“ und 1868 die allgemeiner verständlich 
gehaltene „natürliche Schöpfungsgeschichte“ im Geiste der 
neuen Descendenzvorstellungen erscheinen lassen, so bedeutete doch 


158 Haeckel, Anthropogenie. 


die „Anthropogenie“ den gewichtigsten Teil seiner allgemeinen 
Darstellungen, da hier zum ersten Male und nicht bloß für den engen 
Kreis der Fachgenossen die neugewonnenen Gesichtspunkte des zoo- 
logischen Denkens mit unerbittlicher Konsequenz unmittelbar auf den 
Menschen selbst, seine Abstammung, geschichtliche Entwicklung und 
Stellung im Naturganzen angewendet wurden. Bei der großen Lücken- 
haftigkeit unserer bezüglichen thatsächlichen Erfahrungen, welche 
der subjektiven Auffassung einen nicht selten bedenklich weiten Spiel- 
raum gewährte, musste ein derartiges Unternehmen mancherlei Schwierig- 
keiten begegnen. Misgriffe und Irrtümer, die nicht leicht zu vermeiden 
waren, boten nicht bloß den zahlreichen Gegnern jeder „natürlichen“ 
Entwicklungslehre erwünschte Angriffspunkte, auch bei manchen Fach- 
genossen erregte die von Haeckel gegebene Darstellung lebhaften 
Widerspruch oder doch ernste Bedenken. 

Die 15 Jahre, welche seit dem Erscheinen der letzten Auflage 
der Anthropogenie (1877) verflossen sind, bedeuten auf dem weiten 
Felde der tierischen Morphologie eine gewaltige Fülle neuer Erfah- 
rungen und Einsichten, die mannigfach und einschneidend alte und 
neue Vorstellungen berichtigt und umgestaltet, unser positives Wissen 
jedenfalls mächtig erweitert haben. Den Zeiten leidenschaftlichen 
Kampfes ist eine Periode emsigster Arbeit und damit auch nüchter- 
nerer Kritik gefolgt — der Entwicklungsgedanke aber hat durchaus 
in den organischen Naturwissenschaften dauernde Geltung gewonnen. 

Diesen Wandel des biologischen Zeitgeistes bringt die sorgfältige 
Neubearbeitung, welche Haeckel seiner Anthropogenie angedeihen 
ließ, in mannigfacher Weise und an verschiedenen Orten mehr oder 
weniger deutlich zum Ausdruck. 

Zunächst befriedigt, dass die Stellen, welche zum Teil recht un- 
erquiekliche persönliche Auseinandersetzungen enthielten und ja keinem 
Buche eine Zierde sind, fortgelassen wurden. Damit ist der Weg be- 
treten, zu welchem sich auch Moleschott bei der letzten (5.) Neu- 
bearbeitung seines bekannten Werkes „der Kreislauf des Lebens“ 
— ursprünglich lediglich eine Streitschrift (gegen Liebig) — ent- 
schloss, „statt neuen Wein in alte Schläuche zu gießen, den Schlauch, 
den die Polemik geliefert hatte, ganz aufzulassen, in der Hoffnung, 
(dass der Saft, den er enthielt, trotzdem geklärt bestehen und nur 
freier sich ergießen möchte“. 

Die so beträchtlich angeschwollene Litteratur des letzten Decen- 
niums, vornehmlich natürlich diejenige über die Ontogenie der Verte- 
braten, welche zu beherrschen selbst dem Spezialisten heutigen Tags 
kaum mehr möglich sein dürfte und dem Verfasser, dessen Arbeits- 
kraft in den letzten Jahren durch die Untersuchung des unvergleich- 
lich reichhaltigen Radiolarienmaterials der Challenger-Expedition voll- 
auf in Anspruch genommen war, ferner lag, konnte begreiflicherweise 
nur in Auswahl berücksichtigt werden. Immerhin führen die nun 











Haeckel, Anthropögenie. 459 


jedem einzelnen Vortrage vorangeschiekten Litteraturangaben neben 
alten eine große Anzahl neuer und neuester Arbeiten auf, deren Er- 
gebnisse in der Darstellung zum Teil sehr eingehende Verwertung 
gefunden haben. Insbesondere sind die Arbeiten von Gegenbaur, 
0. und R. Hertwig, Hatschek, Rabl, Selenka, E. van 
Beneden, van Wijhe, Rückert, Ziegler un. a. der Schilderung 
der individuellen Entwieklung oder Keimesgeschichte des Menschen, 
von welcher der erste Band handelt, zu Grunde gelegt worden, wobei 
die übersichtlich zusammenfassende Darstellung, welche ©. Hertwig 
in seinem weitverbreiteten Lehrbuch gegeben hat, vielfach vorbildlich 
benutzt erscheint. Für die Embryonalentwicklung des Amphioxus, 
auf welche jetzt an verschiedenen Orten ausführlich Bezug genommen 
werden konnte, waren die umfassenden, leider noch immer unvoll- 
ständigen Untersuchungen von Hatschek maßgebend. 

Auch im zweiten Bande, welcher die Stammesgeschichte des 
Menschen enthält, begegnen wir überall der verbessernden Hand des 
Verfassers, da auch hier die bezügliche neue Litteratur selbst bis in 
die allerjüngste Zeit herauf Berücksichtigung gefunden hat. Besonders 
ist auch auf die neueren Ergebnisse der paläontologischen Forschung 
Bezug genommen worden, so beispielsweise u. a. in Wort und Bild 
des durch Doederlein genauer beschriebenen interessanten Urse- 
lachiers Pleurocanthus gedacht worden. Demgemäß ist die Darstellung 
der früheren Auflage an vielen Stellen berichtigt oder ergänzt resp. 
durch Einschaltung neuer Abschnitte wesentlich erweitert worden. 

So erscheint die vorliegende neue Ausgabe der Anthropogenie 
dem augenblieklichen Stande unserer Kenntnisse entsprechend um- 
gearbeitet und damit auf die Höhe unserer gegenwärtigen Einsicht 
in die menschliche Entwieklungsgeschichte in individueller und phyle- 
tischer Hinsicht gebracht. Dass dabei die bekannten allgemeinen und 
philosophischen Anschauungen Haeckel’s, welche derselbe seit Jahren 
vertritt und zum Teil ja selbständig entwickelt und ausgebildet hat, 
in allen wesentlichen Punkten auch in der neuen Auflage unverändert 
festgehalten worden sind, braucht Ref. wohl kaum besonders zu er- 
wähnen. 

Im Zusammenhang damit begreift sich die durchaus ablehnende 
Haltung, welche Haeckel den neueren Vererbungstheorien gegenüber 
einnimmt. Goette hatte schon vor Jahren (1875) in seiner „Ent- 
wicklungsgeschichte der Unke* (S. 895) ausgesprochen, „dass die 
gemeine Erfahrung nicht für, sondern gegen die Vererbung erwor- 
bener Veränderungen“ spräche, eine Aufstellung, welche gänzlich 
unbeachtet geblieben ist. Von anderen Grundlagen aus ist vor 
wenigen Jahren bekamntlich Weismann zu der gleichen Behauptung 
geführt worden. Seither ist die Frage von der Vererblichkeit oder 
Nichtvererblichkeit erworbener Eigenschaften fortgesetzt das Objekt 
eindringlicher Erörterungen und lebhafter Kontroversen geblieben, 


160 Haeckel, Anthropogenie, 


allerneuestens auch Gegenstand experimenteller Untersuchungen ge- 
worden, ohne dass es jedoch bisher gelungen wäre, in der Sache zu 
einem Einverständnis zu kommen. Haeckel charakterisiert seine 
Stellung zu dieser Tagesfrage überaus kurz und bündig mit folgen- 
den wenigen Worten (S 837): „Ich halte mit Lamarck an der 
Ansicht fest, dass die erbliehe Uebertragung erworbener Eigen- 
schaften eine der wichtigsten biologischen Erscheinungen ist und 
dureh Tausende von morphologischen und physiologischen Erfahrungen 
klar bewiesen wird.“ 

Entsprechend den oben für die zahlreiehen Umänderungen und 
Erweiterungen kurz gekennzeichneten Maßgaben hat der Gesamtumfang 
des auch äußerlich vorzüglich ausgestatteten Werkes eine beträcht- 
liche Zunahme erfahren müssen. Es kann nicht eine Aufgabe des 
vorliegenden Berichtes sein, auf — selbst wichtigere — Einzelheiten 
einzugehen; Ref. beschränkt sich darauf ein paar Zahlen anzuführen. 

Die Anzahl der Vorträge ist um 4 (im Ganzen jetzt 30) ver- 
mehrt, indem je ein besonderer Abschnitt über die Gastrulation der 
Vertebraten (IX. Vortr.) und die Cölomtheorie (X. Vortr.) neu ein- 
gefügt wurde, der X. und XI. Vortrag, den Aufbau und die Glie- 
derung der Person aus den Keimblättern betreffend, und die 4 Ab- 
schnitte über die Ahnenreihe des Menschen in der vorigen Auflage 
nunmehr in 3 (XIL.—XIV. Vortr.), beziehungsweise 5 (XIX. — XXIII. 
Vortr.) erweitert erscheinen, wodurch der Text von 770 auf 966 Seiten 
anwuchs. Alte Tafeln wurden entfernt und durch bessere neue er- 
setzt, 5 überdies zugegeben, ebenso die Zahl der Holzschnitte um 
110 vermehrt; auch die genetischen Tabellen sind von 44 auf 52 ge- 
stiegen und im Einzelnen vielfach korrigiert und verändert worden. 

Schließlich hat Referent noch anzumerken, dass dem Werke ein 
„apologetischer“ Anhang beigeschlossen ist, in welchem der Verfasser 
die jüngsten scharfen Angriffe Hensen’s!) nachdrücklich zurück- 
weist. F. v. Wagner (Straßburg i./E.). 

4) V. Hensen, Die Plankton-Expedition und Haeckel’s Darwinismus, 
Kiel u. Leipzig 1891; vergl. auch E. Haeckel, Plankton - Studien, Jena 1890. 


Berichtigungen. 


In Nr. 2 des Biol. Centralblattes ist in dem Aufsatze „über die Würmer- 
fauna und Crustaceenfauna Polens“, S. 58, anstatt: 

„20. ©. Clausii Heller, fraglich mit ©. diaphanus Fischer und (. mi- 
nutus Claus identisch“ — — zu lesen: 

„20. ©. Olausii Heller, fraglich mit einer Jugendform von C.viridis Jurine 
identisch. 

21. ©. diaphanus Fischer mit Ü. minutus identisch“. 








Verlag von Eduard Besold in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 











Biologisches Uentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 


24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XII. Band. 31. März 1892. Nr. 6. 





Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie (Viertes Stück). — 
Imhof, Die Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken, — 
Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 





Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 
Von Dr. Robert Keller in Winterthur. 


Viertes Stück, 
Die außerordentliche Bedeutung, welche die Kenntnis des Baues 
und der Lebensvorgänge der Zelle für unsere Erkenntnis des Pflanzen- 
lebens überhaupt hat, dürfte es hinlänglich rechtfertigen, wenn auch 
in unserer heutigen Uebersicht die Physiologie und Anatomie der Zelle 
die erste Stelle erhält. Die Arbeiten, über welche wir heute die 
Leser orientieren möchten, betreffen folgende Zellenteile und Vor- 
gänge. 
I. Zellhaut. 
C.Correns, Zur Kenntnis der innern Struktur der vege- 
tabilischen Zellmembran!). 
C. Mikosch, Ueber die Membran der Bastzellen von 
Apoeynum venetum?). 


II. Stärke und Chromatophoren. 


0. Eberdt, Beiträge zur Entstehungsgeschichte der 
Stärke?). 

Zimmermann, Zur Kenntnis der Leukoplasten®). 

Derselbe, Ueber die Chromatophoren in chlorotischen 
Blättern ‘°). 


1) Pringsheim’s Jahrbücher für wiss. Botanik, Bd. XXIIL Heft 1 u. 2. 

2) Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, IX. Jahrg., Heft 9. 

3) Pringsheim’s Jahrbücher für wiss. Botanik, Bd. XXII, Heft 3. 

4) Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Pflanzenzelle, Heft 1. 
X11. 11 


162 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Zimmermann, Ueber die Öhromatophoren in panachier- 
ten Blättern). 

Derselbe, Ueber bisher nicht beobachtete Inhalts- 
körper des Assimilationsgewebes!'). 

Dalmer, Ueber stärkereiche Chlorophyllikörper im 
Wassergewebe der Laubmoose?). 


III. Aleuronkörper und Proteinkrystalloide. 


Belzung, Developpement de grains d’aleurone et struc- 
ture protoplasmique en general?). 

Zimmermann, Ueber die Proteinkrystalloide®). 

Derselbe, Ueber die Proteinkrystalloide in den Zell- 
kernen der Phanerogamen?). 








IV. Struktur des Protoplasmas. 


Fayod, Structure du protoplasma vivant°). 


V. Befruchtung und Fortpflanzung. 


Dodel, Beiträge zur Kenntnis der Befruchtungserschei- 
nungen bei /ris sibirica”). 

Overton, Beiträge zur Kenntnis der Entwicklung und 
Vereinigung der Geschlechtsprodukte bei Lilium 
Martagon'). 

Weissmann, Amphimixis oder die Vermischung der 
Individuen. Jena. Fischer. 1891. 

Errera, Sur la loi de la conservation de la vie?°). 


VI. Reizerscheinungen. 


C. Correns, Ueber die Abhängigkeit der Reizerschei- 
nungen höherer Pflanzen von der Gegenwart freien 
Sauerstoffes. 

C. Voegler, Beiträge zur Kenntnis der Reizerschei- 
nungen?). 





1) Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Pflanzenzelle, Heft 1. 

2) Flora, 74. Jahrgang, Heft IV u. V. 

3) Journal de Botanique, 1891. 

4) Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Pflanzenzelle, Heft 1 u. 2. 

5) Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, Bd. VII. 

6) Revue generale de Botanique, Nr. 29, 1891. 

7) Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Doktorjubiläums der Herren 
Prof. Nägeli und Kölliker, gewidmet von der Universität, dem eidgen. Poly- 
technikum und der Tierarzneischule in Zürich, 1891. 

8) Revue philosophique de la France et de ’Etranger, 1891. 

9) Botanische Zeitung, Nr. 39—42, 1891. 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphvsiologie. 163 


VII. Symbiose. 


Frank, Ueber die auf Verdauung von Pilzen abzielende 
Symbiose der mit endotrophen Mykorhizen begab- 
ten Pflanzen, sowie der Leguminosen und Erlen!). 


VIII. Teratologie der Pflanzen. 
de Vries, Monographie der Zwangsdrehungen?). 


An Zellmembranen beobachtet man häufig Streifungen, die als 
ein System dunkler Linien auf der hellen Zellhaut erscheinen. Stras- 
burger erklärte sowohl die Schichtung als die Streifung als „Kon- 
taktlinien“. Er nimmt an, dass die dunkeln Linien durch die 
Berührung zweier Lamellen erzeugt werden. In der zitierten Abhand- 
lung erklärt Correns diese Ansicht für physikalisch unmöglich. 
Sind die sich berührenden Lagen aus gleicher Substanz gebildet, 
kommt ihnen mithin gleiehes Liehtbreehungsvermögen zu, dann wird, 
wenn sie einander wirklich bis zur vollen Berührung genähert sind, 
zwischen ihnen keine Grenzlinie zu erkennen sein. „Unter Kontakt- 
linie versteht man eine Linie, welehe durch Reflexion oder Refraktion 
beim Eintritt der Lichtstrahlen aus einem Medium in ein anderes 
entsteht. Dabei ist aber immer die Voraussetzung, dass die beiden 
sich berührenden Medien verschiedenes Lichtbrechungsvermögen be- 
sitzen“. 

So bleibt also die Frage nach der Natur der Schichten und 
Streifen, wie sie in Zellmembranen zur Beobachtung kommen, immer 
wieder eine offene, neuer Prüfung bedürftige. 

Correns weist darauf hin, dass das Zustandekommen der Strei- 
fung nur in einem Wechsel optisch ungleich diehter Substanzen be- 
gründet sein kann, die in Streifen angeordnet sind. Dies aber ist in 
dreifacher Weise denkbar. Die Streifung bezw. Schiehtung kann be- 
sründet sein 

1)in der Membranskulptur, d. h. sie wird durch Fur- 
chung oder Kanellierung der Zellhaut hervorge- 
rufen; 

2) in einer Differenzierung der Membran, wobei die- 
selbe aus Streifen ein und derselben Substanz mit 
abwechselnd ungleichem Wassergehalt gebildet 
wird: 

3) in einer Differenzierung der Membran in Streifen, 
wobei dieselben zwar gleichen Wasserreichtum 
zeigen, aber aus Substanzen gebildet werden, die 
an und für sich im Liehtbreehungsvermögen sich 
ungleich verhalten. 





1) Berichte der botan. Gesellschaft, Bd. IX, 1891. 
2) Pringsheim’s Jahrbücher für wiss. Botanik, Bd. XXI. 
je > 


164 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Die Untersuchungen des Verfassers betreffen in erster Linie die 
Epidermiszellen von Hyacinthus und einiger verwandter Pflanzen mit 
analogen Strukturverhältnissen der Zellhaut, wie Ornithogalum, Leu- 
cojpum, Galanthus, Muscari, Colchicum. Ihre Epidermiszellen zeigen 
Längs- und Querstreifung. Erstere sind nach Verf., wie übrigens 
auch Strasburger schon angibt, durch Cutieularfalten bedingt. 

Von der Fläche gesehen erscheint die Querstreifung der Art, 
dass durch eine dünne dunkle Linie, die Mittellinie, je zwei helle 
Streifen getrennt werden. Zwischen je zwei Paar hellen Streifen 
liegt eine stärkere dunkle Linie, welehe sich verzweigen kaun, die 
Grenzlinie. Wird die vom Blatte leicht abziehbare Epidermis ge- 
trocknet, dann ist die Querstreifung noch zu sehen, wenn schon sie 
ganz anderer Art ist als die Streifung im wasserhaltigen Zustande. 
Die Streifen sind breiter und dentlicher. Beim Einbetten in ein 
Medium, das dem Brechungsvermögen der getrockneten Cellulose 
gleichkommt, wird die Querstreifung um so undeutlicher, je genauer 
diese optische Uebereinstimmung ist, und sie verschwindet oftmals 
ganz. „Daraus geht ohne weiteres hervor, dass die im imbibierten 
Zustande sichtbare Struktur nieht durch den Wechsel zweier an und 
für sich verschieden brechender Substanzen verursacht sein kann“. 

Lässt man allmählich zu den im absoluten Alkohol liegenden: 
Epidermisstücken Wasser hinzutreten, dann wird die Querstreifung 
allmählich wieder undeutlicher als im getrockneten Zustande. Leicht 
erkennt man aber, „dass jedem hellen Streifen des trockenen Zu- 
standes ein Streifenpaar des imbibierten entspricht, jedem dunklen 
Streifen der trockenen Außenwand ein Grenzstreifen. Zwischen den 
Grenzstreifen treten dann durch die Imbibition auch die Mittelstreifen 
wieder auf, von denen im trockenen Zustande keine Spur zu er- 
kennen war“. 

Daraus ergibt sich für die Mittelstreifen, dass sie aus wasser- 
reicher Substanz bestehen. Das Deutlicherwerden der Grenzstreifen 
durch Austrocknen weist ebenfalls darauf hin, dass sie wasserreicher 
sind als die hellen Streifenpaare. Denn dureh deren größere Volumen- 
abnahme bei der Wasserabgabe werden die Rillen, welchen sie bereits 
in der imbibierten Membran entsprechen, vertieft. Dies bedingt aber 
die sichtbare Struktur der troekenen Membran. 

Bezüglich des Erscheinens der Struktur weist Verf. nach, dass 
sie schon vor Vollendung des Diekenwachstums auftritt. 

Eine zweite Untersuchungsreihe ist der Membran der Bastzellen 
gewidmet. Als Untersuchungsobjekte dienten namentlich Apocyneen- 
Bastfasern (Oleander, Immergrün), ferner Hopfen, Hanf, kanadische 
Brennnessel, Resede, Waldrebe ete. 

Die Streifung beruht auf einem Wechsel wasserarmer und wasser- 
reicher Streifen. Diese sind gewöhnlich erheblich schmäler. Sie er- 
scheinen dunkel. Die Frage, ob zwischen den diehtern und weniger 











Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 165 


dichten Streifen chemische Unterschiede bestehen, ob zweierlei Sub- 
stanzen streifenförmig angeordnet sind, ist Verf. geneigt dahin zu 
beantworten, dass nicht sowohl chemisch verschiedene Individuen als 
vielmehr physikalische Modifikationen einer oder einiger weniger 
Substanzen die Streifen bilden. 

Die Querlamellierung der Bastzellen führt Verf. einerseits zurück 
auf die Unterschiede des Wassergehaltes, aber auch auf die Gegen- 
wart einer an und für sich stärker brechenden Substanz. Das un- 
gleiche Verhalten bei Färbungen mit bestimmten Anilinfarben, sowie 
das Verhalten beim Mazerieren weist darauf hin. 

Querlinien oder Gruppen von solchen, die bald horizontal, bald 
mehr oder weniger zur Zellaxe geneigt verlaufen und die durch 
schwache Faltungen bedingt werden, welche die Zellhaut mehr oder 
weniger tief durchsetzen, bilden die sogenannten Verschiebungs- 
linien der Bastzellen. Dass sie mit der gewöhnlichen Streifung 
nicht identisch sind, geht schon daraus hervor, (dass sie gewissen 
Reagentien gegenüber sich anders verhalten als diese. So lehren 
z. B. die Mazerationen, dass die Haut an den Verschiebungsstellen 
viel leichter angegriffen wird, als an andern Stellen. Als Membran- 
risse, wie eine Reihe Forscher glaubten, kann Verfasser diese Ver- 
schiebungslinien nicht anerkennen. 

Die Untersuchung der Schichtung der Bastzellhaut führt Verf. zu 
folgenden Resultaten. „Zwischen den suecessive aufeinander ange- 
lagerten Lamellen befinden sieh Schichten von großem Wassergehalte, 
welche erstere miteinander verbinden. Ihre Substanz ist gleich der- 
jenigen der weichen Streifen“. 

Eine dritte Untersuchungsreihe gilt den Holzteilen dikotyler Pflanzen 
(Kerria, Fugus, Hakea). Die Ringstreifung Nägeli’s hält Verf. für 
nichts anderes als Verschiebungslinien, da sie bezüglich ihrer Reak- 
tion mit den Verschiebungslinien der Bastzellen übereinstimmen. 

Die Streifung der Nadelholztracheiden hat eine 4. Untersuchungs- 
reihe zum Gegenstand. Die Spiralstreifung der Tracheiden führt 
Dippel auf spiralige Verdickung zurück. In einer Einbettungsmasse 
vom Lichtbrechungsvermögen der Substanz verschwinden die Streifen. 
Ausgetrocknete Längsschnitte zeigen sie deutlicher als vorher im 
Wasser. Dieses Verhalten weist darauf hin, „dass das, was man an 
der direkt imbibierten Membran sieht, auf feiner spiraliger Wand- 
verdickung beruht“. Auf Schnitten, die schräg zur Zellenaxe geführt 
wurden, sah Verf. überdies an Stellen, wo die Streifung senkrecht 
geschnitten wurde „einen welligen Verlauf des Innenhäutehens“, wo- 
durch Leisten und Rillen entstehen. So ist also die Wandstruktur 
einer Nadelholztracheide im Grunde genommen nicht eine Streifung, 
sondern ein Analogon zu den Spiralgefäßen. — 

Verfassers Untersuchungen ergeben also, dass die Streifung durch 
den Wassergehaltsunterschied allein sichtbar wird. In keinem Falle 


166 Keller, Fortschritte der Pflauzenphysiologie. 


war sie vom Wassergehalt unabhängig, also bedingt durch das ab- 
weichende optische Verhalten der die Streifung zeigenden Substanzen. 
Die eigentliche Ursache des Entstehens der Streifung ist aber nach 
wie vor in vollkommenes Dunkel gehüllt. Die Vorbedingungen sind 
jedenfalls im Protoplasma zu suchen. Vielleicht beruht dies bereits 
in der Anordnung der Cellulosekerne, die sich in der peripherischen 
Plasmaschichte bilden. 

Das Siehtbarwerden der Schichtung ist für gewisse Objekte in 
analoger Weise zu erklären. Es gibt indessen auch Fälle, wo sie 
auf Substanzunterschieden beruht. 

Die Zellwandstruktur führt bisweilen zu eigentümlicher Strei- 
fung. — 

Mikosch behandelt die Membran der Blastzellen von Apocynum 
Venetum teils mit Kupferoxydammoniak, teils mit konzentrierter 
Schwefelsäure, um durch dieses Verfahren einen Einblick in die 
Strukturverhältnisse zu erlangen. Durch beide Reagentien lassen sich 
Körnchen nachweisen, welehe in bestimmten Reihen angeordnet sind. 
Diese Körnehen sind die Dermatosomen Wiesner’s, die bei sorg- 
fältiger Präparation in einer der ursprünglichen Anordnung ent- 
sprechenden Lage sichtbar gemacht werden können. Die innern noch 
wachstumsfähigen Schiehten zeigen die Eiweißreaktion. Verf. beweist 
damit also auch die Gegenwart des das Wachstum der Zellhaut be- 
dingenden Dermatoplasmas. 

Natürlich kann man auch diesen Demonstrationen gegenüber den 
Einwand, der Wiesner gemacht wird, erheben, dass erst tief ein- 
greifende chemische Reaktionen die beschriebenen Bilder erzeugen, 
dass es also fraglich sei, ob sie einem natürlichen Zustande ent- 
sprechen. Dass diesem Einwand die große Bedeutung nicht zukommen 
kann, die man ihm vielleicht im ersten Momente beilegen möchte, 
betont Verf. mit Recht. Ohne Uebertreibung dürfen wir sagen, dass 
der größte Teil unserer Erkenntnis über die Strukturverhältnisse der 
Zelle, dass ein großer Teil unseres Einblickes in das Wesen so hoch- 
wichtiger Vorgänge wie z. B. Kernteilung, Befruchtung einzig dem 
Umstande zuzuschreiben ist, dass wir chemische Eingriffe ausüben. 
Durch sie werden bestimmte Formzustände, denen nur eine vorüber- 
gehende Dauer zukommt, fixiert, durch sie werden gewisse Kompli- 
kationen vereinfacht, indem z. B. das ungleiche chemische Verhalten 
der den Zellorganismus bildenden Stoffe gegen ein Reagens die 
einen Teile schärfer hervortreten lässt, andere vielleicht löst, also 
eliminiert. 

Eberdt gelangte durch seine Untersuchungen über die Entwiek- 
lungsgeschiehte der Stärke in wesentlichen Punkten zu andern Vor- 
stellungen über deren Entstehung als wie sie durch Schimper’s 
verschiedene einschlägige Veröffentlichungen, fast darf man sagen, 
zu den herrschenden geworden sind, 


u var 











Keller, Fortschritte der Pfllanzenphysiologie, 167 


Nach Nägeli und Sachs bilden sich einzelne oder mehrere 

Stärkekörner an beliebigen Stellen in den Chlorophylikörnern. Nach 
Schimper sollen in den Stengeln vieler Pflanzen die Stärkekörner 
in den Chlorophylikörnern ausschließlich dieht unter der Oberfläche 
entstehen. Durch die Lage in den Chlorophylikörnern wird nach ihm 
der Bau der Stärkekörner bestimmt, so zwar, dass die im Innern ent- 
stehenden und von ihm umgebenen zentrischen Bau haben, die ober- 
flächlich entstehenden exzentrisch gebaut sind. Das ungleiche Wachs- 
tum auf beiden Seiten des Kernes hält Schimper für eine Folge 
ungleicher Ernährung. 
i Dagegen macht Verf. geltend, dass bei der gleichen Pflanze that- 
sächlich die Lage der Stärkekörner im Chlorophylikorn eine ungleiche sei, 
dass ferner die Schichtung, also der zentrische oder exzentrische Bau 
erst auftritt, „wenn die das Stärkekorn umgebende Hülle von Chloro- 
phyli nicht mehr vorhanden ist, und das Stärkekorn, was nicht immer 
der Fall zu sein braucht, auch dann noch weiter wächst“. Bis dahin 
ist es eine homogene noch nicht in Kern und Schichten differenzierte 
Masse. 

In ehlorophylifreien, also nicht assimilierenden Zellen lässt Sch im- 
per die sich entwickelnden Stärkekörnern in „eigentümlich licht- 
breehenden Körperchen von gewöhnlich kugeliger oder spindelförmiger 
Gestalt“ entstehen. Dies sind seine Stärkebildner. Seiner ursprüng- 
lichen Ansicht nach entstehen sie aus dem Protoplasma. Später modi- 
fizierte er diese Ansicht dahin, dass sie nicht durch Neubildung aus 
dem Plasma, sondern durch Teilung auseinander entstehen. Die Be- 
ziehung der Stärkekörner zu dem Stärkebildner sind ganz analoge 
wie zwischen erstern und den Chlorophylikörnern. Die Körner, welche 
in der Peripherie der Stärkebildner entstehen, sollen einen exzentrischen 
Bau haben, die vollkommen innerhalb derselben sich entwickelnden 
Körner sind stets zusammengesetzte, als Einzelkörner, sofern eine 
Schiehtung überhaupt bemerkbar ist, konzentrisch geschichtete. Die 
Stärkebildner sind also die Organe der Stärkebildung in den nicht 
assimilierenden Zellen. Sie besorgen die Umwandlung der ihnen aus 
andern Pflanzenteilen zugeführten Assimilationsprodukte in Stärke. 

Dagegen macht nun Verf. geltend, dass vom ersten Auftreten der 
Jungen Stärkekörner in verschiedenen Zonen des Stärkebildners nicht 
gesprochen werden kann. Seine Beobachtungen lehren, „dass that- 
sächlich nicht eine mit Hilfe der Körperchen (Stärkebildner) vor sich 
gehende Umbildung derjenigen Assimilationsprodukte vorliegt, welche 
. diese in Rede stehenden Körperchen zugeführt werden, sondern eine 
Umbildung dieser letztern, der sogenannte Stärkebildner also, selbst 
und zwar von innen heraus“. Im weitern betont Verf., dass das 
Protoplasma der Zelle sowohl bei der Bildung als auch beim weitern 
Wachstum der Körner eine hervorragende Rolle spielt. Denn es gibt 
Fälle, wo Stärkekörner, die nur noch mit dem Zellenplasma, nicht 


168 Keller, Fortschritte der Pilanzenphysiologie. 


aber mit dem Stärkebildner in Verbindung stehen, noch weiter 
wachsen. 

Der spezielle Teil umfasst die Darlegung 1) der Untersuchung 
über die Stärkebildung bei Philodendron grandifolium, 2) bei Canna 
gigantea, 3) bei Stanhopea, Epipactis palustris und Convallaria majalis, 
4) Untersuchung der Samen von Chenopodium Bonus Henricus, 5) Unter- 
suchung der Knollen und Wurzeln von Phajus grandifolius. Der 
6. Abschnitt ist dem experimentellen Nachweis der Entstehung der 
Stärkebildner und ihrer chemischen Zusammensetzung gewidmet, der 
7. befasst sich mit der Untersuchung der Kartoffeln. Ein weiteres 
Kapitel hat die Untersuchung der Stärkekörner in den Milehsaftröhren 
der Enphorbiaceen zum Gegenstand: 

Es kann natürlich nieht unsere Aufgabe sein alle diese Einzel- 
beobachtungen einlässlich zu referieren, wenn schon sie zum Teil 
nicht unerhebliche Verschiedenheiten zeigen. Wir beschränken uns 
auf die Wiedergabe dreier Untersuchungsergebnisse, die uns einen 
hinlänglichen Einblick in die Stärkebildung gewähren. 

In den jungen Epidermiszellen des Blattstieles und Stengels von 
Philodendron grandifolium beobachtet man um den Zellkern herum 
zahlreiche mattglänzende kugelige Körperchen, die Schimper’schen 
Stärkebildner. Während Schimper sie als die Abkömmlinge der 
schon im Vegetationspunkt fertig vorhandenen Stärkebildner auffasst, 
also in ihnen in ähnlicher Weise präexistierende Elementarteile der 
Zelle sieht wie z. B. im Kern, lässt Verf. sie aus dem Plasma ent- 
stehen. Die Zellen des Vegetationspunktes enthalten ein feinkörniges 
Plasma, das in wenig ältern Zellen grobkörnig ist. Diese Körner 
lagern sich mit dem ihnen anhaftenden Plasma dem Zellkern maul- 
beerartig an. Jodzusatz ruft nicht wie bei Gegenwart von Stärke 
Blaufärbung hervor. Wohl aber zeigt sich im Innern der Körperchen 
ein rotgefärbtes Pünktehen. In einem spätern Entwicklungszustand, 
in welehem die Körner größer sind, umschließt das Plasma das ganze 
Gebilde gleich einer Haut. Jetzt nehmen die Körner eine leichte 
bläuliche Färbung an, die am Rande ausgesprochener ist als in der 
Mitte. Und in einem noch etwas ältern Stadium bewirkt der Jod- 
zusatz eine sattblaue Färbung. „Die Körner sind zu 3, 4 und mehr 
zu Gruppen vereinigt, die von den Plasmateilchen, von der nicht mehr 
vorhandenen Haut herrührend, umgeben sind. Diese Plasmateilchen 
stehen mit dem wandständigen Plasma in Verbindung und liegen mit 
ihrer stärkern Masse durchgehends der dem Zellkern abgewandten 
Seite der Körner an“. Diese Beobachtungen deutet Verf. dahin, dass 
er sagt: Die Stärkebildner Schimper’s, das sind im vorliegenden 
Falle die den Kern umschließenden Körner „ditferenzieren sich aus 
dem Plasma und bilden gewissermaßen eine Grundsubstanz, die 
sich von innen heraus zu Stärke umwandelt“. Das rötliche Pünktchen, 
das in einem gewissen Entwicklungszustande der Körner auf Jod- 
zusatz erscheint, ist das zuerst auftretende Umwandlungsprodukt. 








Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 169 


Während unserem Dafürhalten nach die Beobachtungen des Verf., 
dass die den Zellkern umlagernden Stärkebildner aus den Körnern 
des Plasmas der jüngsten Zellen des Vegetationspunktes hervorgehen, 
weniger den Eindruck einer Differenzierung als vielmehr des Wachs- 
tums kleiner in den jüngsten Zellen bereits vorhandener elementarer 
Gebilde macht, in denen allerdings nieht vom Momente ihres Sicht- 
barwerdens an ihre spätere Leistung zu konstatieren ist, hebt 
Verfasser hervor, dass er in keinem Entwicklungszustande der 
Scehimper’schen Stärkebildner eine Teilung konstatieren konnte, 
ein Umstand der nach Verfasser entschieden gegen deren Präexistenz 
sprechen soll. 

Gegen dieselbe führt Verf. auch seine experimentellen Unter- 
suchungen über die Entstehung der Stärkebildner an. Die Behand- 
lung von Schnitten, welche von den jüngsten Zellen des Vegetations- 
punktes ausgehend nach und nach durch ältere Zellenkomplexe 
geführt werden, lässt ein sehr ungleiches Verhalten derselben zu 
bestimmten Reagentien (gelbes Blutlaugensalz mit Essigsäure versetzt 
und hierauf Behandlung mit Eisenchlorid) erkennen. Der Stärke- 
grundsubstanz kommt danach eine andere chemische Zusammensetzung 
zu als den übrigen Inhaltsstoffen der Zelle. Die Stärkebildner sind 
demnach nicht bloß etwas größer gewordene in den jüngsten Zonen 
des Vegetationspunktes präexistierende Anlagen. 

Freilich erwähnt Verf. auch in den jüngsten Schnitten „einiger 
Mikrosomen, die deutliche Blaufärbung zeigen“ und die damit bezüg- 
lich ihres Verhaltens gegen das Reagens nicht im Gegensatz stehen „zu 
der sehr intensiven Blaufärbung der Schimper’schen Stärkebildner“. 

So scheint dem Referenten auch dieser experimentelle Beweis die 
Annahme der Präexistenz der Stärkebildner nicht absolute auszu- 
schließen. 

Durch Quellung der eng einander anliegenden Gruppen von Stärke- 
körnern lässt sich erkennen, dass sie aus mehreren Einzelschichten 
von Körnern bestehen, also nicht eine ihren Bildungsherd umschließende 
Kugelschale vorstellen. 

Während eine Teilung der Stärkebildner nieht konstatiert wurde, 
gibt Verf. an, dass er mehrfach „eine Vermehrung der fertigen noch 
ziemlich kleinen Stärkekörner auf diesem Wege“ beobachtet habe. 
„Die Teilung erfolgt in der Weise, dass sich an zwei einander gegen- 
überliegenden Stellen der längern Seite des Stärkekornes Plasma- 
kügelchen ansetzen, die anfänglich ohne jede Einwirkung auf das 
Korn zu bleiben scheinen. Nach und nach jedoch wird dies an den 
von dem Plasma besetzten Stellen dünner, das letztere zieht sich um 
das Korn herum und sobald dies vollkommen geschehen ist, hat sich 
auch die Teilung vollzogen“. 

Einen andern Typus der Stärkebildung zeigen die Wurzeln und 
Knollen von Phajus grandifolius. Die Differenzierung der Stärke- 


179 Keller, Fortschritte der Pflauzenphysiologie. 


srundsubstanz aus dem Plasma geht in ähnlicher Weise wie oben 
beschrieben vor sich. Ein anfänglich feinkörniges Plasma wird zu 
einem grobkörnigen. Die Körner wenden sich dem Zellkerne zu, 
vergrößern sich rasch und erscheinen teils als spindelförmige teils als 
kugelige Körper, die Jod gegenüber noch indifferent sind. Der Kern 
wird von letztern dieht umlagert, die Spindelchen liegen mehr ge- 
trennt um ihn herum. 

In den kugeligen Körnern erscheint auf Jodzusatz ziemlich früh 
ein rötliches Pünktehen, bald mehr im Zentrum bald mehr peripher. 

Die Spindelehen sind durch energisches Wachstum ausge- 
zeichnet. Sie verwandeln sich in Stäbehen, denen ein Teil des Plas- 
ınas, in welches es ursprünglich eingebettet war, anhaftet. In diesem 
entsteht, wenn das Stäbehen ausgewachsen ist, auf Jodzusatz ein 
rotes Pünktchen. Während des Wachstums dieses Stärkekornes ver- 
schwindet das Stäbehen mehr und mehr, zuletzt vollständig, „so dass 
nur noch die Kappe aus Plasma dem nunmehr exzentrische Schich- 
tung zeigenden Stärkekorn anhaftet“. Das Wachstum dauert nur so 
lange, als diese Kappe mit dem Korn verbunden ist. Nicht das 
Stäbehen, sondern das das entstehende Korn umhüllende Plasma be- 
wirkt also die Umbildung der ihm zugeführten Assimilationsprodukte 
zu Stärke. „Das von Schimper für den Stärkebildner gehaltene 
Stäbehen ist nichts als eine Modifikation des Protoplasmas, welches 
Nährstoffe in besonderer Konzentration enthält, die nach und nach 
durch das dasselbe einhüllende Plasma zu Stärke umgesetzt werden. 
Ist das Stäbchen aufgebraucht und das Stärkekom .... aus dem 
Gröbsten heraus, so kann die weitere Ernährung durch die Assimi- 
lationsprodukte vollführt werden, deren Umsetzung zu Stärke die an- 
haftende Plasmakappe bewirkt“. 

Das Ergrünen der Knollen, das beobachtet wird, wenn die dichte 
Hülle der jugendlichen Blätter abstirbt und abfällt, führt Schimper 
darauf zurück, „dass die Stärkebildner unter partieller Auflösung 
der Stärkekörner und sehr bedeutender Größenzunahme zu stab- 
förmigen Chlorophylikörnern werden“. Verf. konstatiert, dass nicht 
die Stärkebildner, „sondern die den Stärkekörnern nach dem Ver- 
brauch des sogenannten Stärkebildners haftenbleibende Kappe aus 
Plasma“ sich in Chlorophyll umzuwandeln vermag, wobei das Stärke- 
korn manchmal mehr, manchmal weniger angegriffen, resp. aufgelöst 
wird. 

Die Angaben Belzung’s, es könne sich das Stärkekorn direkt 
zum Chlorophylikörper umwandeln, führt Verf. auf Veränderungen 
zurück, die mit der Anlage und Ausbildung junger Knollen aus den 
Reservestoffen der alten Hand in Hand gehen. Die Plasmakappe 
hüllt nach und nach das Stärkekorn völlig ein. Die Schichten des 
Kornes verschwinden. Es bildet schließlich eine formlose Masse, 
welche auf Zusatz von Jodlösung nur mehr eine ungleichmäßige Blau- 








Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbeeken. 171 


färbung zeigt. „Schließlich ist von dem Korne niehts mehr übrig 
und uur das Plasmaklümpehen zurückgeblieben, welches unter dem 
Einfluss des Lichtes zu ergrünen vermag“. 

Die Abhängigkeit des Wachstums der Stärkekörner vom anhaf- 
tenden Plasma wird, wie Verf. zeigt, namentlich durch das Verhalten 
der Euphorbiaceen-Stärkekörner bewiesen. Die Stärkekörner, die 
im Milehsafte vieler Euphorbiaceen sich finden, zeichnen sich bekannt- 
lich dureh mancherlei besondere Gestalten aus. Bald sind sie rund- 
lich, häufig knochenförmig, bisweilen fast geraden Stäbchen gleich. 

Ist je eine bestimmte Form häufig eimer Art eigen, so kommen 
doch auch Fälle vor, wo in der gleichen Pflanze verschieden gestaltete 
Körner sich finden oder wo verschiedenen Teilen der gleichen Pflanze 
je eine bestimmte Form eigen ist. 

Reaktionen lehren, dass diesen Stärkekörnern (E. eyparissias, E. 
palustris, E. canariensis) eine protoplasmatische Substanz anhaftet, 
die gleich einer feinen Haut um das ganze Stärkekorn herumzieht. 
Wo sich Anhäufungen des Protoplasmas in der Haut finden, zeigen 
sich am Stärkekorn bedeutende Ausbuchtungen. Es wachsen also 
die Stärkekörner der Euphorbien mit Hilfe einer Plasmahaut. 

Verf. und Schimper stimmen also nach obigen Darlegungen 
bezüglich der Bildung der Stärke in nichtassimilierenden Pflanzen- 
teilen nur insofern mit einander überein, dass sie dieselbe von der 


Gegenwart stark eiweißhaltiger Körperchen — Stärkebildner, Stärke- 
srundsubstanz — abhängig machen. Im übrigen gehen ihre Ansichten 


auseinander. Die aktive Rolle, die Schimper diesen Körpern zu- 
schreibt, Umwandlung der Assimilationsprodukte zu Stärke, ist nach 
Verf. dem Plasma zuzuweisen. Statt der Präexistenz der Stärke- 
bildner setzt Verf. ihre Differenzierung aus dem Plasma ein. Die 
Umwandlung der Leukoplastiden in Chloroplastiden besteht nach 
Eberdt nieht zu Recht, indem nicht die Stärkebildner, sondern das 
ihnen anhaftende Plasma zu ergrünen vermag. Die Frage der Stärke- 
bildung die durch Schimper’s Untersuchungen gelöst schien, wird 
also wieder zu den umstrittenen gezählt werden müssen. 
(Schluss folgt.) 


Die Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasser- 
becken. 
Nach dem gegenwärtigen Stande der Untersuehungen. 
Von Dr. Othm. Em. Imhof. 

Das Studium der Tierwelt der Binnengewässer hat in der neueren 
Zeit ansehnliche Fortschritte zu verzeichnen. Zahlreiche Arbeiten be- 
treffen speziell die pelagische Fauna der kleineren und größeren Seen 
der Ebene und der Gebirge. In Anbetracht dessen, dass noch vor 


172 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken, 


wenig mehr als einem Jahrzehnt das allgemeine Ergebnis über die 
Zusammensetzung der pelagischen Süßwasserfauna folgendermaßen 
lautete: Die pelagisehe Fauna der Seen ist sehr arm an Species, 
allerdings sind diese wenigen Arten in kaum zählbaren Mengen von 
Individuen vorhanden — dürfte es gegenwärtig schon von Interesse 
sein, die früheren Verzeichnisse durch eine Zusammenstellung, den 
gegenwärtigen Kenntnissen entsprechend, zu ersetzen. 

Das Verzeichnis der pelagischen Gesellschaft der Schweizerseen, 
gegeben von Asper im Jahre 1880, enthält 13 Species, wovon 4 Cope- 
poden, 8 Cladoceren und 1 Hydrachnide. Die Uebersichtstabelle in 
der Bearbeitung der pelagischen Fauna der oberitalienischen Seen 
von Pavesi vom Jahre 1879 weist 24 Arten auf, davon 8 Copepoden, 
14 Cladoceren, 1 Ostracode und 1 Hydrachnide. Die etwas spätere 
Bearbeitung desselben Themas dureh den gleichen Autor vom Jahre 1883 
führt 29 Arten auf: Copepoda 9, Cladocera 18 und Ostracoda 2. 

Es hatte damals den Anschein, als ob beinah ausschließlich Ento- 
mostraca und nur ganz wenige andere wirbellose Tiere die große 
Wassermasse der Seen, allerdings durch ungeheure Schwärme ein 
und derselben Species, bevölkern würden. 

Bei der Anwendung feinerer Schwebnetze und beim Suchen nach 
Organismen von noch kleineren Dimensionen als die Entomostraca 
wurden anfangs der achziger Jahre zuerst bei Untersuchungen über 
die Zusammensetzung der pelagischen Fauna während des Winters 
1882/83 einige neue Mitglieder aus anderen Tierkreisen in Schweizer- 
seen als ständige Mitglieder aufgefunden, nämlich Rotatorien und 
Protozoen. Auch diese neuen Mitglieder erwiesen sich meist als in 
sehr großer Individuenzahl vorhanden. Es haben sich seither die 
Verzeichnisse der pelagischen wirbellosen Tiere der Seen immer mehr 
vergrößert. 

Die vorliegende Arbeit soll die Zusammenstellung der bis anhin 
im pelagischen Gebiete der europäischen Seen beobachteten Tier- 
formen in systematischer Uebersicht darlegen. 

Es sind gegenwärtig als Bewohner des pelagischen Gebietes der 
Seen Tierformen aus den Kreisen der: Protozoa, Vermes, Arthropoda, 
Mollusca und Vertebrata bekannt. 


I. Protozoa. 


Die ersten pelagischen Protozoen der Süßwasserseen wurden von 
Hellich und Pavesi aufgefunden. Hellich zitiert in seiner Mono- 
graphie der Oladoceren Böhmens (1877) das Vorkommen von Ceratium 
furca Ebg. in größerer Anzahl im Illadev-Teich. Pavesi entdeckte 
nach den Bestimmungen von Maggi (1880) in 4 der untersuchten 
oberitalienischen Seen Vertreter der Genera Ceratium und Peridiniun. 
Dies sind immerhin vereinzelte Beobachtungen, die aber noch nieht 





-_t 
Br 


Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbeeken. 1 


im Stande waren, eine Vorstellung von der Bedeutung der Protozoen 
in der pelagischen Fauna zu geben. Gegenwärtig kennt man von 
den folgenden Protozoen- Genera Repräsentanten in der pelagischen 
Fauna: Actinophrys, Actinosphaerium, Acanthocystis, Raphidiophrys, 
Uroglena, Mallomonas, Salpingoeca, Dinobryon, Peridinium, Ceratium, 
Vorticella, Epistylis, Codonella, Podophrya, Aecineta. 

Von diesen Gattungen enthalten der größere Teil freischwimmende 
wirkliche pelagische Species, der kleinere Teil auf pelagischen Mikro- 
phyten oder auf pelagischen Tieren sessil lebende Arten. Die letz- 
teren die sessilen Species, die auch etwa als Parasiten bezeichnet 
werden, was sie zwar nicht sind, da sie auf den Trägern nur Be- 
festigungspunkte suchen, aber nicht von den Säften oder von der 
Körpersubstanz der Träger sich ernähren, sind die folgenden: 

Mastigophora: Flagellata: Salpingoeca convallaria Stein (auf Asterio- 
nella). 

Infusoria: Ciliata: Peritricha: Vorticella convallaria L. (auf Tetra- 
spora virescens und 

Anabaena cireinalis). 

Epistylis lacustris Imh. (auf Cope- 

poden, seltener auf Cladoceren). 


Suctoria: Podophrya eyelopum Olap. Lach. 
Acineta elegans Imh. (auf Bytho- 
trephes). 
Aecineta robusta Imh. (auf Hetero- 
cope). 


Das Zusammenleben dieser sessilen Tierchen mit ihren Trägern 
ist jedenfalls bei der Su/pingoeca und den zwei Peritricha als ein 
gesellschaftliches symbiotisches Verhältnis aufzufassen. 

Freischwimmende Protozoen. In dieser Gruppe sind zu trennen 
diejenigen Formen, die gewöhnlich oder regelmäßig im pelagischen 
Gebiete angetroffen werden, von solchen die nur durch besondere Um- 
stände z. B. durch Bäche und Flüsse dem See direkt zugeführt oder 
von der litoralen Fauna in das pelagische Gebiet hineingetragen 
oder die mit den Niederschlägen aus der Atmosphäre, mit Regen, 
Schnee oder Staub im See abgesetzt werden, die aber meist hier 
nicht günstigen Aufenthalt zur Vermehrung finden und infolge dessen 
bald absterben und die immer wieder in neuen Exemplaren auf den 
genannten Wegen hineintransportiert werden müssen, 

Die Möglichkeit, dass mit Uferbewohnern der fließenden und 
stehenden Gewässer auch wirkliche pelagische Organismen von höher 
gelegenen Seen durch den Abfluss in tiefergelegene Seen hinunter 
getragen werden, ist als ziemlich regelmäßiger Transport höchst wahr- 
scheinlich. Dass durch den Abfluss eines Sees, in erhöhtem Maße bei 
günstigen Witterungsverhältnissen während der Nacht, da bekannter- 
maßen sich die pelagische Tierwelt dann allgemein mehr nahe der 


174 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 


Oberfläche der Seen findet, zahllose lebende pelagische Organismen 
gegen ihren Willen durch die Strömung aus dem See fortgeführt 
werden, ist nachgewiesen, ebenso ist konstatiert, dass in Flüssen, be- 
sonders in deren Ausbuchtungen und zeitweise bei niedrigem Wasser- 
stand abgetrennten Flussläufen, wirkliche pelagische Tiere sich hier 
ansiedeln; es bleibt nur noch der direkte Nachweis übrig, dass beim 
Einfluss in einen tiefergelegenen See, namentlich auch nach einem 
viele Kilometer messenden Flusslaufe, das zufließende Wasser lebende 
oder lebensfähige Keime aus einem höher gelegenen See mit sich 
führt. 

Im ersten Moment ließe sich aus Obigem der Schluss ziehen, dass 
tiefergelegene Seen stets, außer ihm speziell angehörenden Bewohnern, 
auch immer die Arten der höher gelegenen durch einen Bach oder 
Fluss in direkter Verbindung stehenden Seen beherbergen müsse. 
Es ist dies aber deswegen nicht absolut notwendig, weil, wie leicht 
denkbar, die durch einen vielleicht längeren Flusslauf miteinander 
in direkter Verbindung stehenden Seen verschiedene Existenzbeding- 
ungen bieten können, Existenzbedingungen die vielleicht den aus 
höhergelegenen Seen kommenden Bewohnern die Fortexistenz nicht 
erlauben. Immerhin muss auch daran gedacht werden, dass gewisse 
Organismen, wie es bisher erschien, in Wasserbecken von ganz ver- 
schiedenem Charakter angetroffen worden sind, ohne irgendwelche 
Variabilität zu bekunden, wie z. B. das Rädertierehen Pedalion mirum 
Hudson!). 

Diese Ansichten gelten sowohl für die Protozoen als auch für die 
anderen Mitglieder oder Aufenthalter des pelagischen Gebietes. 


Die freischwimmenden pelagischen Protozoen ergibt die folgende 
Uebersicht: 
Actinophrys sol Ebg. 
ä = RR | Actinosphaertum Eichhorni St. 
Sareodina: Heliozoa. / Acanthocystis viridis Gren. 
Chalarothoraca: turfacca Cart. 
nrapi ihr. pallida F. E. Schlaz. 


/Uroglena volvox Ebg 

Mallomonas Plösstü Pert. 
h pelagica Imh. 

Dinobryon sociale Ebg. 


. sertularia Ebg. 
Mastigophora: > rn alpinum Imh. 
Flagellata: a petiolatum Du). 


R bavaricum Imh. 
R divergens 

5 elongatum  , 

n cylindricum „ 

ns bütschli 


1) a Gentralblatt, BdSXN!19A1.220. 


” 





Imhof. Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbeeken. 175 


Gymnodinium helweticum Pen. 
mirabile Pen. 


Br 2 rufescens Pen. 
z viride Pen. 
Glenodinium Gymnodinium Pen. 
e girans Pen. 
A pusillum Pen. 
a cinetum Ebeg. 
Peridinium apieulutum Pen. 
Dinoflagellata: > tabulatum Clap. Lach. 
“ spiniferum , „  (Magsi). 
£ privum Imh. 
Ceratium  cornutum Ebg. 
’ longicorne Perty. 
5 furca Cl. Lach. (Maggi). 
3 „ lacustris Maggi. 
| n reticulatum Imh. 
hirundinella Glaronensis Asp. Hseh. 
’ - montanum -- & 
Infusoria: Ciliata: \ Syontor spec. 
Heterotricha: \ 
Codonella cratera Leid. 
Tintinnodea; . acuminata Imh. 


" /acustris Imh. 


Das Register der Protozoen des pelagischen Gebietes enthält 
demnach bisher: 


Heliozoa.. 123 ..12.8 Species 

Flagellata . . . 12 e 1 Varietät. 
Dinoflagellata . 15 fi 4 » 
Bemtrichas. u) 232.02 x 

Tintinnoda . . 3 ” 

Snetorian [+ a43 0 RS 4 


Im Ganzen: 40 Species 5 Varietäten. 

Von diesen freischwimmenden Protozoen sind im pelagischen 
Gebiete seltener vorhanden: Actinophrys Sol., Actinophaerium Eich- 
horni, Acanthocystis turfacea, Dinobryon sociale, D. sertularia, Ceratium 
cornutum, Stentor spee., die wahrscheinlich zum Teil aus der litoralen 
Fauna, zum Teil von der grundbewohnenden Fauna oder mancherorts 
aus mit dem betreffenden See direkt in Verbindung stehenden Torf- 
sümpfen dureh ablaufendes Wasser der eigentlichen pelagischen Fauna 
beigemischt werden. Anschließend an diese Möglichkeiten der Ver- 
mehrung der Mannigfaltigkeit der Aufenthalter im pelagischen Gebiet 
müssen noch horizontale, vertikale oder schiefe Strömungen in den 
Seen, die hauptsächlich durch langsamere oder raschere Temperatur- 
wechsel der Luft und des Bodens in Betracht gezogen werden, Strö- 
mungen, die im Stande sind einerseits litorale Formen und anderseits 
grundbewohnende Tiere, deren Lokomotionsbefähigung nicht stark 


176 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 


genug ist um sich solcher passiver Dislokationen zu erwehren, in 
das pelagische Gebiet zu tragen. Höchst wahrscheinlich dürfte die 
Verteilung der pelagischen niederen Tiere eines Sees mehr auf passiven 
Wanderungen beruhen, zum Teil auch zum Nutzen der mit den Strö- 
mungen fortgeführten Organismen, indem sie an Orte hingeführt 
werden, wo das Wasser in vollkommener Ruhe ist und wo ebenfalls 
durch die Strömungen im Wasser suspendiertes totes oder lebendes 
Nährmaterial in größeren Mengen angesammelt worden ist und wird. 

Dass viele der aufgezählten Protozoen in kaum zählbaren Schaaren 
das pelagische Gebiet der Seen bevölkern ist eingangs erwähnt und 
ist noch dahin zu ergänzen und zu erweitern, dass die Färbung des 
Wassers durch «die Anwesenheit unzähliger Individuen, die dichte 
Schwärme bilden, sehr oft bedingt wird. Die Arten, die in dieser 
Hinsicht besonders hervortreten, sind namentlich: unter den Heliozoen, 
Acanthocystis viridis, die Dinobryoniden, die Ceratien und einige der 
übrigen Dinoflagellaten. 


II. Vermes. KRotatoria. 

Dass Rotatorien als wirkliche Mitglieder der pelagischen Fauna 
regelmäßig und wie die übrigen Vertreter dieser Fauna in bedeutender 
Individuenzahl vorkommen, wurde eigentlich erst im Winter 1882/83 
festgestellt. Frühere Beobachtungen über Rädertierchen als pelagische 
Tiere dürften bloß aus den Jahren 1377 u. 1882 vorliegen Hellich 
berichtet in seiner Monographie der Uladoceren Böhmens über das 
semeinschaftliche Zusammenleben der pelagischen Cladoceren: Holo- 
pedium gibberum, Daphnella Brandtiana und Leptodora hyalina mit 
dem Kolonien bildenden Rädertierchen Conochilus volvox Ebg. Die 
Beobachtungen vom Jahre 1882 über pelagisehe Rotatorien betreffen 
das Vorkommen der Asplanchna anglica Dalr. in 10 von 21 unter- 
suchten Seen in der hohen Tatra durch Wierzejski Seither hat 
sich das Verzeichnis der pelagischen Rotatorien ansehnlich vermehrt, 
es umfasst gegenwärtig folgende Arten: 

I. Ordn. Rhizota: Flosculariadae: Floscularia mutabilis Bolt. 
Melicertadae:  Conochilus volvox Ebg. 
2 dossuarius Hds. 
Il. Ordn. Bdelloidea: Keine. 
III. Ordn. Ploöma: 1. Unterordn. Illoricata. 
Asplanchnadae: Asplanchna Brightwelli Gosse. 
priodonta n 
helvetica Imh. 
# Girodi de Gur. 
Synchaetadae: Synchaeta pectinata Ebe. 
Triarthradae: Polyarthra trigla Ebg. 
n platyptera Ebg. 
a latiremis Imh. 
Triarthra longiseta Ebg. 








Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Sü6ßwasserbeeken. 177 


2. Unterordn. Loricata. 


Rattulidae: Mastigocerca cornuta Ebeg. 
" eylindrica Imh. 


Dinocharidae:  Dinocharis pocillum Ebe. 
Scaridium longicaudum Ebg. 
Euchlanidae:  Euchlanis macrura Ebg. 
Gastropus Ehrenbergi Imh. 
% stylifer 


! Hudsoni 
Coluridae: Metopidia lepadella Ehe. 
Annraeadae:  Anuraea  aculeata cn 
r regalis Imh. 


stipitata Ebg. 
tecta Gosse. 
cochlearis Gosse. 
ix tuberosa Imh. 
y; intermedia „, 
Notholca longispina Kellie. 
IV. Ordn. Seirtopoda: Pedalionidae: Pedalion mirum Hudson. 


Die Uebersicht über die Rotatorien des pelagischen Gebietes der 
Seen ergibt bisher: 


I. Ordn. Rhizota . -» . 3 Species 

Mrs bdelloiden.. ., 0. °, 
Dieser ıhlaoima,-., . .28- -, 1 Varietät 
Me e.,2Scirtonode,. . 10, 


29 Speeies 1 Varietät 


Als seltene und besonders interessante Vorkommnisse, d. h. Arten 
von denen noch wenige Fundorte bekannt sind, wo dieselben anwesend, 
aber meist, wie die pelagischen Organismen überhaupt, in großer 
Individuenzahl vorhanden, müssen hervorgehoben werden: 

Floscularia mutabilis Bolton. Diese Species ist im Jahre 1885 
in einem Weiher im Sutton-Park bei Birmingham entdeckt worden. 
Als einzige weitere Fundorte kennt man gegenwärtig den Feldsee 
und den Titisee beim Feldberg im Schwarzwald. 

Oonochilus dossuarius Hudson. Wurde ebenfalls 1885 bei Bir- 
mingham entdeckt. Auf dem Festland von Europa ist er bisher nur 
aus dem Schluchsee im Schwarzwald bekannt. 

Mastigocerca ceylindrica Imh. Für diese Rotatorie kenne ich bis 
Jetzt als einzigen Fundort den Bergsee bei Säckingen. 

Gastropus Hudsoni Imh. Ebenfalls bisher nur im Bergsee ge- 
funden. 

Mit Ausnahme der Anurea cochlearis und der Notholca longispina 
sind für die übrigen Anuraeaden nur ein Vorkommen in der pelagi- 
schen Fauna bekannt, z B. von Anuraea tuberosa, A intermedia; oder 

XI, 12 


ui 


[78 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 


nur ganz wenige wie von Anuraea stipitata und A. tecta (A. stipitata 
Wartmonni Asp. Hensch.) 3 kleinere Seen in Ober-Toggenburg. 

Pedalion mirum Hudson, das bis vor wenigen Jahren eine be- 
sonders interessante große Seltenheit war, ist gegenwärtig aus einer 
Reihe von Fundorten genannt worden, z.B. in der Schweiz aus 4 Wasser- 
becken, denen noch ein fünftes, der große Weiher bei Lens im Unter- 
Wallis, anzureihen ist. 

Die Mehrzahl aller dieser Rotatorien finden sich da, wo sie vor- 
kommen, in großer Individuenzahl, zuweilen in solch diehten Schwärmen 
nahe der Oberfläche der Seen, dass sie dem Wasser besondere 
Färbung verleihen können. Dies kam z. B. von Conochilus volvox in 
einem ganz auffälligen Grade im Zürichsee zur Beobachtung. 

Mit Ausnahme der zuletzt hervorgehobenen seltneren Arten er- 
weisen sich die Uebrigen in geographischer Verbreitung als in fast 
allen bisher untersuchten Seengebieten vorkommend. Die weiteste 
Verbreitung besitzen: Conochilus volvox, Anuraea cochlearis, Notholca 
longispina und Asplanchna helvetica. Besonders die zwei letzteren 
Species lassen nach den gegenwärtigen Kenntnissen eine auffallende 
Verbreitung konstatieren. Hiefür dürften die folgenden Angaben, ge- 
stützt nur auf meine eigenen Untersuchungen über Asplanchna helvetica, 
sich eine Vorstellung bilden lassen. In der Schweiz sind bisher 27 
Seen als Aufenthaltsort zu notieren, in Frankreich in 3, in Italien 
in 5, in Oesterreich in 16, in Deutschland in Ober-Bayern und im 
Schwarzwald 13, im Ganzen in 64 Seen. Inbezug auf die Verbreitung 
in vertikaler Beziehung iiber Meer sind die Vorkommnisse von Poly- 
arthra platyptera bis zu 2500 m, von Synchaeta pectinata bis zu 2307 m 
und von Notholca longispina bis zu 2640 m ü. M. hervorzuheben. Die 
letztere Art ist die in hochalpinen Seen häufigste pelagische Rotatorie. 


III. Arthropoda. Crustacea. Entomostraca. 


Die Abteilung der niederen Krebse, mit ganz wenigen Ausnahmen 
wasserbewohnende Tiere, lieferten die ersten Vertreter der pelagischen 
Fauna der Seen. 

1. Ordn. Cladocera. Aus dieser Ordnung waren zuerst eine 
größere Anzahl als Mitglieder der pelagischen Fauna der Süßwasser- 
beeken bekannt geworden, darunter einige von ansehnlichen Dimen- 
sionen, so dass es ganz merkwürdig ist, wie lange diese Vertreter 
einer besonderen Tierwelt der Wissenschaft verborgen geblieben waren. 
Eine solehe Form ist die schönste der pelagischen Cladoceren die 
Leptodora Kindtii erst im Jahre 1844 im Bremer Stadtgraben gefunden, 
die bis zu 1,5 Zentimeter lang wird. 

Auch bei den Cladoceren bieten sich etwelche Schwierigkeiten 
in der Trennung der wirklichen oder echten pelagischen Formen von 
solehen die aceidentell durch besondere Umstände, die sich öfter 











Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken, 170 


wiederholen können oder sogar ziemlich regelmäßig vorhanden sind, 
in deren Gebiet gelangen. Der thunlichste Weg zur Erledigung soleher 
Vorkommnisse ist jedenfalls der, dass man die auf solchen Wegen 
in das pelagische Gebiet geführten Arten in die Verzeichnisse aufnimmt 
und die Wege, nachdem sie ergründet sind, angibt. 


Das aktuelle Verzeichnis der Oladoceren des pelagischen Gebietes 
der Süßwasserbecken gestaltet sich wie folgt: { 
Familie Sididae. 


Daphnella brachyura Liev. Sida erystallina ©. F. Müller 
„ brandtiana Fisch. Limnosida frontosa Sars. 
Holopedium gibberum Zad. 


2. Familie Daphnidae. 
Daphnia longispina O.F. Müller. Daphnia affinis Sars. 


»„ hyalina Leyd. „ longiremis „ 
= mellucıda PB. B. Müll. „. galeata e 
„  ventricosa Hell. „= cristate, R 
„  .gracilis 3 „ » eucullata 
„  agqwilina Sars. „  vürea Kurz. 
„ candata Me »  Apicata » 

Be epülchella, >, » Kahlbergensis Schödl 
Miu Haeustfis „ Cederströmii Schödl. 
jrocurva Poppe. „. magna Strauss. 
din yulchella Sars. Ceriodaphnia megops Sars. 
eenunetato., .. Bm. Müll. „.  retieulata = 


„ pelagica Imh. 
Scapholeberis mucronata OÖ. F. Müller. 
2 kohtisa. 
„. mueronata longicornis Lutz 
Simocephalus vetulus OÖ. F. Müller. 


Bosmina cornuta Jur. Bbosmina laevis Leyd. 
„  Tongispina Leyd. „ longirostris Leyd. 
a, A Ladogensis Nordy. 
Bosmina coregoni Baird. Bosmina coreg. humilis Lilljeb. 
x „ intermedia Poppe. 
„  gibbera Schödl. „. gibb. Thersites A 
„ erassicornis Lillj. nl lacusinis Sars: 
„  Lilljeborgi Sars. „. Lillj). bavarica Imh. 
„  bohemica Hell. „  longieornis Schödl. 
„  brevirostris P. E. Müll. „ . diaphana P. E. Müll. 
„  recticornis Nordg „ Kessleri Nordg. 
„ Dollfusi Mon. ne sfortdea, Im h. 
„ Berolinens/s Imh. „.. minima ) 


1S0 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbeeken. 


3. Familie Lynceidae. 

Diese Familie enthält beinah ausschließlich Ufer- und Grund- 
bewohner. Es gibt aber darunter einige ziemlich tüchtige Schwimmer, 
die zuweilen im pelagischen Gebiet mit den gewöhnlichen pelagischen 
Cladoceren gefischt werden, z. B: 

Aeroperus leucocephalus Koch.  Pleuroxwus truncataus ©. P. Müll. 
Alonopsis elongata Sars. „ne tmigonellusmugr, 5 
Alona guadrangularis OÖ. F.Müll. 


4. Familie Polyphemidae. 
Polypheminae: Bythotrephes longimanus lıeyd. 
Leptodorinae: Leptodora Kindiii Fock. 


Diese Uebersicht ergibt folgende Arten- und Varietätenzahl für 
die Cladoceren des pelagischen Gebietes: 


l.2Bam 2Sididee 27.2.2 75, Species 

2 DD aphınıdaen zen Ar a 6 Varietäten 
a nr BunceidaeP 2.75 e 

4. 2 ,Bolyhemidaen =*.02 ” 





59 Species 6 Varietäten 


Von diesen 'Cladoceren sind folgende noch einer besonderen Be- 
sprechung zu unterziehen: Sida erystallina, Daphnia longispina, das 
Genus Ceriodaphia, Scapholebris mucronata, Bosmina cornuta. 

Sida erystallina ©. F. Müll. ist vorzugsweise eine litterola Form, 
die reich mit Pflanzen bewachsene Ufer liebt. Dass sie aber auch 
wirklich in der pelagischen Fauna auftritt, beweist das Vorkommen 
im Langensee, mitten im See zwischen Stresa, Cerro und Punta di 
Castagnola, wo der See eine Tiefe von 297,5 Meter misst, in einer 
Tiefe von 30-40 Meter unter der Oberfläche; besonders in 40 Meter 
Tiefe enthielt das mit dem verschließbaren horizontal bewegten Netz 
gesammelte pelagische Material gegenüber den anderen Entomostraken 
die größte Individuenzahl !). 

Daphnia longispina Leyd. ist als Bewohner namentlich der 
Torfstiche bekannt, doch kommt sie auch in größeren Wasserbeeken 
wie z.B. in mehreren Seen in Frankreich (nach Riehard) vor, auch 
findet man sie in kleinen, wenig tiefen hochalpinen Seen in der Mitte 
derselben, zwar meist wenig über dem Grunde, ziemlich häufig und 
meist in großen Schwärmen. 

Das Genus Ceriodaphnia hat in der pelagischen Fauna bisher 
noch nicht die Berücksichtigung gefunden, wie sie ihm zukommt: es 
dürfte den Arten dieser Gattung als Aufenthalter und Bewohner des 
pelagischen Gebietes noch besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. 


1) Zoolog. Anzeiger, Nr. 280. 














Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 151 


Scapholeberis mucronata ist ähnlich wie Sida erystallina mehr 
Sumpf- und Litoral- Bewohner, wurde aber schon mehrmals im pela- 
gischen Gebiet gefischt. Dasselbe gilt für Sömocephalus vetulus. 

Die Gattung Bosmina hat, wie kürzlich durch eine chronologische 
Zusammenstellung ihrer Arten gezeigt wurde, einen auffallenden Reich- 
tum an Species. Der kleinere Teil lebt in ähnlichen Verhältnissen 
wie Sida erystallina und Scapholeberis mucronata. Etwa ?/, der Arten 
bewohnen das pelagische Gebiet der Seen. Eine .in Bearbeitung 
stehende Monographie der Bosminiden wird darüber genaueren Auf- 
schluss geben. 

Was den Reichtum an pelagischen Arten der in obigem Clado- 
ceren- Verzeichnis enthaltenen Genera betrifft, so ist die Gattung 
Bosmina bisher in auffallendster Weise vertreten. Da die Bosminiden 
keine Dauereier bilden und beim Verlassen des Wassers rasch ab- 
sterben, beansprucht deren geographische Verbreitung ein hervor- 
ragendes Interesse. 

2. Ordn. Ostracoda. Wenige Formen dieser Sumpf-, Ufer- 
und Grundbewohner sind auch ganz ordentliche Schwimmer und be- 
geben sich zuweilen in das Gebiet der pelagischen Fauna z. B. 

Cypris ovum Jur. Cypris fuscata Jur. 

3. Ordn. Copepoda. Die ersten Verzeichnisse der pelagischen 
Süßwasser-Fauna enthielten schon einige wenige Copepoden, ihre Zahl 
wurde in neuerer Zeit ansehnlich vergrößert. Die zwei artenreichsten 
Genera sind Cyelops und Diaptomus. 

Ganz besonders die Gattung Diaptomus hat sich in den letzten 
Jahren einer sehr fruchtbaren mehrseitigen Bearbeitung zu erfreuen 
gehabt, wie kaum irgend eines der süßwasserbewohnenden Genera. 


Die das pelagische Gebiet bewohnenden Copepoden sind: 
Unter-Ordn. Eucopepoda. Gnathostomata: 


1. Familie Oyelopidae. 


Uyelops signatus Koch. Oyelops tenwicornis Cls. 
x strenuus Fisch. ” gigas 5 
x serrulatus  „ r brevicornis 
a simplex Pogg. a minutus . 
„ fennicus Nordg. 3 longisetosus Nordgv. 


2. Familie (alanidae. 


Diaptomus castor Jur. Diayptomus serricornis Lill) 
e gracilis Sars. E tatricus Wierz. 
A affinis Ulj. 4 Richardi Schml. 
2 denticornis Wierz. „ laeiniatus Lillj. 
r pectinicornis . a alpinus Imh. 
n bacillifer Kölb. y Guernei „ 
a graeiloides Lillj. R gracilis-Gwernei Imh. 


R coeruleus Fisch. 


182 Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 


Heterocope appendieulata Sars. Heterocope saliens Lillj. 
Weismanni Imh. 
Limnocalanus maerurus Sars. 
Temorella Claus? Hoek. 
Eurytemora lacustris Poppe. 
a lacinulata Fisch. 


” 


Unter-Ordn. Dranchiura. 
3. Familie Argulidae. Argulus foliaceus \. 


Das vorliegende Verzeichnis wird voraussichtlich, namentlich in 
Bezug auf die Cyclopiden bald Modifikationen erfahren. Die Zahlen 
für die Species der Copepoden des pelagischen Gebietes stellen sich 
bis jetzt auf: 


I Kam. Cyelopidae. 3. 2.2. 30"Speeies 
De MCalantdaen menu Done 
De 2 Angulidap co sg a ee en, 


Im Ganzen: 33 Species 


Die am allgemeinsten verbreiteten Copepoden des pelagischen 
Gebietes sind nach den gegenwärtigen Kenntnissen: Cyelops simplex' 
und Diaptomus gracilis. Diapt. castor. Jurine trifft man gewöhnlich 
nur in kleineren Wasseransammlungen. Einige Arten der Diaptomiden 
bewohnen vorwiegend hochalpine Seen. D. alpinus Imh. kennt man 
bisher nur aus hochalpinen Seen. D. denticornis schien bis in die 
neueste Zeit ebenfalls eine spezifische Hochgebirgsform zu sein, wurde 
aber im letzten Jahre in zwei größeren Weihern im Jura in einer 
Höhe von bloß 1000 und 970 Metern über Meer und nahe beim 
Pfäffikersee in nur 541 m ü. M. angetroffen. 

Von den Copepoden kommen einige, wie die meisten im pelagi- 
schen Gebiete lebenden niederen Tierformen, oft in unzählbaren 
Mengen vor, so dass sie manchmal im Stande sind dem Wasser eine 


besondere Färbung zu verleihen. 
(Schluss folgt.) 


Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 
Von Ludwig Will in Rostock. 


Gelegentlich eines mir durch Unterstützung von Seiten der könig- 
lich preußischen Akademie der Wissenschaften ermöglichten Aufent- 
halts auf der balearischen Insel Menorca während des Sommers 1890 
gelangte ich neben einem reichen Material von Gecko- und Eidechsen- 
embryonen auch in den Besitz einiger junger Entwicklungsstadien 
von Cistudo lutaria. Wenn die Zahl derselben auch nur eine geringe 











Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 183 
war, so spielte mir doch ein glücklicher Zufall vorzugsweise solche 
Stadien in die Hände, die, bisher unbekannt, und im Stande waren, mir 
einen ganz neuen Einblick in die Gastrulation dieser Tiere zu verschaffen. 

Während man über die Entwicklung der Eidechse durch mehrere 
ältere und neuere Untersuchungen, über die Keimblätterbiidung des 
Geckos aber dureh meine beiden vorläufigen Mitteilungen?!) wenigstens 
im Allgemeinen richtig orientiert ist, liegen uns über die Keimblätter- 
bildung der Schildkröten nur Bruchstücke vor, die die ersten Stadien 
der Gastrulation überhaupt nicht berühren, die späteren Vorgänge 
derselben aber in Folge der Lückenhaftigkeit des Materials trotz der 
im Einzelnen richtigen Beschreibung in einem Licht erscheinen lassen, 
das wesentlich von dem richtigen Gang der Entwicklung abweicht. 

Aus den Arbeiten von Kupffer?)?) und Benecke?) sowie den 
sehr exakten Beschreibungen von Mitsukuri und Ischikawa®) 
scheint hervorzugehen, dass die Keimblätterbildung und Gastrulation 
ebenso wie bei der Eidechse sich verhält, bei der auch nach der 
neuesten Mitteilung von Wenckebach?°) der Urdarm nur eine im 
Verhältnis zum Gecko sehr geringe Ausdehnung erlangt, so dass hier- 
nach die Schildkröten ebenso wie die Eidechse keine ursprünglichen 
Verhältnisse mehr aufweisen würden. 

Sleich die erste Keimscheibe nun, welche ich an Ort und Stelle 
abpräparierte, ließ mich bei der Ansicht von unten ein Bild sehen, 
wie ich es in der zitierten Mitteilung in Fig. 7 vom Gecko abgebildet 
habe. Wenn die Oberflächenansicht nieht täuschte, musste es sich 
auch hier um einen im Durchbruch befindlichen Urdarm handeln, der 
aber nicht rudimentär wie bei der Eidechse sich verhält, sondern im 
Gegenteil sich unter den ganzen Embryonalschild erstreckte, wie 
beim Geeko. Mithin würde außer dem letzteren auch die Schildkröte 
dieselben ursprünglichen Verhältnisse aufweisen, welche so schön den 
Uebergang zwischen Amphibien und Amnioten vermitteln. Die Unter- 
suchung an Schnitten bestätigte sodann die Beobachtung am ganzen 
Objekt. 

Nach meiner Rückkehr fand ich sodann eine teilweise Bestätigung 


1) L. Will, Bericht über Studien zur Entwicklungsgeschichte von Platy- 
dactylus mauritanicus. Sitzungsber. d. k. preuß. Akad. d. Wiss., Berlin 1889. 

Derselbe, Zur Entwieklungsgeschichte des Geckos. Biol. Centralblatt, 
Bd. X, 1890. 

2) C. Kupffer, Die Gastrulation an den meroblastischen Eiern der Wirbel 
tiere und die Bedeutung des Primitivstreifs. Archiv f. Anatomie u. Physiol., 
Anatom. Abteilung, 1882. 

3) €. Kupffer u. B. Benecke, Die ersten Entwicklungsvorgänge am Ei 
der Reptilien. Königsberg 1878. 

4) K. Mitsukuri u. C. Ischikawa, On the formation of the germinae 
layers in Chelonia. Quart. Journ. Mier. Se., 1886. 

5) K. F. Wenckebach, Der Gastrulationsprozess bei Lacerta agilis. 
Anat. Anz., 1891. 


184 Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 


meiner Beobachtung und der daraus gezogenen Schlüsse in dem 
schönen Werke von Agassiz und Clark). Trotz der irrtümlichen 
Auffassung Clark’s, der, wie bereits von Kupffer hervorgehoben 
wurde, die Einstülpung für die beginnende Bildung des Kopfamnions 
hielt und die betreffende Stelle des Schildes demnach als das Kopf- 
ende statt als das Hinterende ansah, zeugen die Abbildungen der be- 
treffenden Stadien von so richtiger Beobachtung, dass die Figuren 
bei richtiger Orientierung direkt als Flächenbilder verwandt werden 
können. Wenn Clark auch den Urdarm noch nicht auf der vollen 
Höhe seiner Ausdehnung gesehen hat, da der Gastrulaeinstülpung 
noch die definitive Breitenausdehnung fehlt, so bildet er doch von 
Ozotheca und Malacoclemmys Stadien .ab, in denen der Urdarm in der 
Längsrichtung bereits das Vorderende des Schildes erreicht. 

Obwohl nun Kupffer bereits die von dem amerikanischen Forscher 
zuerst konstatierte Thatsache einer stattfindenden Einstülpung bestätigt 
und in ihrer Eigenschaft als Gastrulaeinstülpung gewürdigt hat, so 
haben doch weder er noch seine Nachfolger Mitsukuri und Ischi- 
kawa den außerordentlichen Umfang dieser Urdarmeinstülpung ver- 
mutet. Wenigstens findet sich über diesen Teil der Clark ’schen 
Beobachtung in der Litteratur weder ein bestätigendes Wort, noch 
in einem unserer entwicklungsgeschichtlichen Lehrbücher eine Copie 
der außerordentlich instruktiven Figuren 8, 9, 10 der Taf. XI des 
angezogenen Werkes. Es freut mich daher umsomehr in der Lage 
zu sein, auch diesen Punkt der Clark’schen Beobachtung der Ver- 
gessenheit entziehen zu können. 

Bei der nachfolgenden Schilderung begnüge ich mich, die wesent- 
lichsten Momente hervorzuheben, da eine eingehendere Darstellung 
an anderer Stelle erfolgen wird, hier überdies eine größere Zahl von 
Abbildungen notwendig machen würde. 

Das jüngste mir vorliegende Entwicklungsstadium wurde mög- 
licherweise bereits von dem amerikanischen Forscher gesehen, wenn 
auch aus erklärlichen Gründen ungenügend beobachtet und abgebildet 
und, wie alle späteren, vollständig unrichtig gedeutet. 

Der Embryonalschild stellt ein gedrungenes Oval von 2,5 mm 
Länge und 2,3 mm Breite dar. Bei der Ansicht von oben ist weiter 
niehts zu sehen, als am hintern Rande des Schildes eine, bei durch- 
fallendem Lieht undurebsiebtig erscheinende Stelle von größerer Weiße, 
die eine Breite von etwa 1 mm, dagegen eine sehr geringe Längs- 
ausdehnung besitzt und im der Mitte etwas nach hinten vorspringt. 
Auf der Oberfläche dieser Bildung verläuft eine seichte quere Rinne, 
die ungefähr parallel dem Hinterrande des Schildes verstreicht. Bei 
der Ansicht von unten bemerkt man sodann an der abgelösten Keim- 
haut, dass die Undurchsiehtigkeit der den Schild an seinem Hinter- 





41), U: Acassiz ET Clark, Contributions to the natural history of 
the U. St. of America, Vol. II, Part. III, Boston 1857. 








Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. ISD 


rande umfassenden Blastodermpartie auf einer ansehnlichen Anhäufung, 
sei es von Zellmaterial, sei es von Dotter beruht, welehe nach unten 
vorspringt, dagegen sich in keiner Weise über die Oberfläche erhebt. 
Diese Verdickung hat die Gestalt einer nach vorne gebogenen Mond- 
sichel und besteht aus einem mittleren besonders stark verdiekten 
Teil, dem Sichelknopf, und zwei seitlichen, nicht ganz symmetri- 
schen Flügeln, den Siehelhörnern, die sich von dem Knopf ziemlich 
deutlich absetzen um nach dem Ende zu sich allmählich zu verjüngen. 
Die Aehnlichkeit des Gebildes mit der gleichnamigen Bildung beim 
Vogelkeim, das Vorhandensein einer auf derselben verlaufenden Sichel- 
rinne, sowie der Befund an Schnitten berechtigen uns, die ganze Er- 
scheinung als Sichel zu bezeichnen. 





Fig. 1. Sagittaler Längsschvitt durch eine Schildkröten-Keimscheibe mit Sichel 
und Sichelrinne. 


s — Ektoderm des Embryonalschildes; dl! = ektodermale Plattenzellen der 
Area intermedia; e — Entoderm der Sichel mit Sichelrinne: e‘ = Entoderm- 
zellen im Bereich des Schildes: e‘‘ —= Entoderm der Area intermedia. 


Sagittalle Längsschnitte (Fig. 1) ergeben nun, dass der Schild aus 
einer einfachen Lage hoher Zylinderzellen besteht, die nach dem 
Rande desselben zu allmählich an Höhe abnehmen. Nach der Sichel 
zu verjüngt sich der Schild ziemlich rasch und setzt sich hier so 
scharf und deutlich von der ersteren ab, dass zwischen beiden keinerlei 
Uebergang besteht und hieraus unzweifelhaft hervorgeht, dass die 
Sichel und die sich aus ihr herleitende Primitivplatte 
anfänglich ganz außerhalb des Schildes liegen, eine That- 
sache, die für die Auffassung der Sichel von großer Bedeutung ist 
und auch an dem neubeschafften Material für den Gecko bestätigt 
werden konnte. Hinter der Sichel besteht das Blastoderm aus niedrigen 
Plattenzellen, während an der Sichel selbst ein epithelialer Ueberzug 
vollkommen fehlt. Auf der Sichel kommt an allen Schnitten die 
Sichelrinne gut zum Ausdruck: sie ist’ im Knopfteil am tiefsten, um 
nach den Seiten hin allmählich zu verflachen. 

Der histologische Bau der Sichel weicht nun ganz wesentlich von 
dem des oberflächlichen Blastoderms ab. Sie besteht aus einem sehr 
dotterreichen Zellmaterial mit nur spärlichen Kernen, die sich zumeist 
in den oberflächlichen Teilen finden. Zwischen den Kernen bemerkt 


1S6 Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 


man radiär und senkrecht zur Rinne gestellte Zellgrenzen, von denen 
sieh aber wegen des starken Dottergehalts nicht angeben lässt, ob 
sie bis unten durchgehen oder nicht. Nach hinten setzt sich die 
Sichel in eine Zellenlage fort, die eine relativ große Mächtigkeit be- 
sitzt, nach dem Dotter zu sehr unregelmäßig begränzt ist, in Bezug 
auf Dottergehalt der Sichel selbst gleicht, dagegen aber Kerne nur 
in so spärlicher Zahl aufweist, dass auf einen einzelnen Schnitt deren 
nur immer sehr wenige fallen. Nach vorne zu setzt sich die Sichel 
ebenfalls in eine blattartige Lage fort, welche nur viel dünner ist, 
als die eben besprochene, sonst aber einen ebenso unregelmäßigen 
Bau aufweist. Die Kerne liegen hier ungefähr in derselben Entfernung 
von einander, wie in der Sichel selbst und auch der Dottergehalt ist 
ganz der gleiche. 

Wie schon aus dem Vorhandensein der Sichelrinne hervorgeht, 
befindet sich der Embryo auf dem Gastrulastadium. Das Ektoderm 
wird gebildet von den Zylinderzellen des Schildes sowie den Platten- 
zellen der außerembryonalen Keimscheibenoberfläche, während das 
gesamte untere Blatt (e’”) samt der mit demselben zusammenhängenden 
Sichel (e) und dem ungefurehten Dotter das Entoderm darstellt. Die 
Sichel selbst stellt demnach einen Blastoporus dar, an der das Ento- 
derm zu Tage tritt, genau wie das beim Gecko der Fall ist. 

Fragen wir uns nun, wie die Sichel und das mit derselben zu- 
sammenhängende untere Blatt entstanden sind, so könnte man wohl 
vermuten, dass sie einer Wucherung des Ektoderms den Ursprung 
verdanken; dem ist aber nicht so. Zunächst spricht dagegen der 
verschiedene histologische Charakter von Ektoderm und Sichel Die 
Zellen der letzteren sind dermaßen mit Dotter vollgepfropft und 
machen einen so embryonalen Eindruck, dass Wucherungserschei- 
nungen in derselben unmöglich schon stattgefunden haben können. 
Wäre sie aus einer Ektodermwucherung entstanden, so hätten die 
Siehelzellen ihren Dotter sicher schon in gleicher Weise verbraucht, 
wie das überall im Ektoderm der Fall ist und müsste ferner auch 
die Zahl der Kerne eine annähernd gleiche sein, wie in den benach- 
barten Teilen des Ektoderms. Da ich nun an meinem neuen Gecko- 
Material mit Sicherheit den Nachweis liefern konnte, dass die Sichel 
resp. die Primitivplatte diejenige Stelle der Keimscheibe darstellt, an 
der die Differenzierung des Ektoderms unterblieben ist, so halte ich 
mieh umsomehr berechtigt, diesen Ursprung auch für die Schildkröte 
anzunehmen, als dadurch die Schnittbilder sofort ihre Erklärung 
finden. Das gesamte Entoderm, die Sichel eingeschlossen, 
entstammt daher nieht einem vom Ektoderm ausgehenden 
Wucherungsprozess, sondern geht aus dem Zusammen- 
schluss von Furehungselementen hervor, die bereits in 
Joeo vorhanden waren. 

Der vorliegende Befund veranlasst mich hervorzuheben, dass bis- 








Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula, 187 


her eine echte Sichel noch bei keinem Reptil gefunden worden. Zwar 
beschreibt Kupffer!) unter dem gleichen Namen ein Gebilde, welches 
bisher mit Unrecht der Sichel des Vogelkeims verglichen wurde. Die 
Sichel Kupffer’s ist mir sehr wohl bei verschiedenen Reptilien be- 
kannt, sie tritt aber erst, wie auch aus den Abbildungen des Münchener 
Forschers hervorgeht, später bei viel weiter vorgeschrittener Invagi- 
nation auf, zu einer Zeit, wo die echte Sichel längst ihre ursprüng- 
liche Form eingebüßt hat. Die Sichel Kupffer’s ist nichts anderes 
als die Ausbreitung des prostomialen Mesoderms im Bereich der Area 
intermedia; sie tritt demnach auch nieht mehr an die Oberfläche, 
sondern ist dorsal vom Ektoderm bedeckt, welches dann nur die 
Primitivplatte frei lässt. Immerhin lässt aber auch die Kupffer’sche 
Siehel einen Schluss auf das Vorhandensein der wahren Sichel inso- 
fern zu, als sie sich wahrscheinlich als die vom Ektoderm bereits über- 
wachsenen Sichelhörner auffassen lässt. 

Für den Gecko möchte ich bei dieser Gelegenheit noch nach- 
tragen, dass es mir auch hier gelungen ist, eine Reihe von Embryonen 
aufzufinden, welche eine deutliche Sichel als Vorläuferin der Primitiv- 
platte aufwiesen. Die Hörner der Sichel kommen sehr bald dadurch 
zum Schwunde, dass sie von den Seiten her vom Ektoderm über- 
wachsen werden und so nur der Sichelknopf übrig bleibt, der dann 
jenes Gebilde darstellt, welches ich als Primitivplatte bezeichnete. 
Mit dem Schwunde der Sichel beschränkt sich die anfänglich auch 
beim Gecko vorhandene Sichelrinne auf ihren mittleren Abschnitt, der 
dann zur Urdarmeinstülpung sich weiter vertieft. 






Fun —=——a— 7 
a SIR; RER 
N fr Sr 


Sen NOT 
2 5 ORT 
IR 

IL 


Fig. 2. Sagitalschnitt durch ein Stadium mit rundlicher Primitivplatte und 
dellenförmiger Urdarmeinstülpung. 

e‘, x = Urdarmblatt; e’‘ = Dotterblatt; ms = prostomiales Mesoderm. Die 
übrigen Bezeichnungen wie vorhin. 


Genau dasselbe muss sich auch bei der Schildkröte abspielen, 
denn bereits auf dem nächsten Stadium tritt nur noch ihr mittlerer 
Abschnitt, der Siehelknopf, als Primitivplatte direkt an die Oberfläche, 


DIML:?C. 


ISS Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 


welehe nach dem Dotter zu als Hügel vorspringt. Auf ihrer äußeren 
Oberfläche bemerkt man eine dellenförmige Vertiefung, welche als der 
mittlere erhalten gebliebene Rest der Sichelrinne aufzufassen ist und 
die beginnende Urdarmeinstülpung darstellt. Sagittalschnitte (Fig. 2) 
bestätigen den Befund bei Oberflächenbesichtigung ohne Weiteres. 

Wie aus dem medianen Längsschnitt hervorgeht, steigt die Delle 
ziemlich senkrecht nach unten, doch auffallenderweise mit einer Neigung 
nach hinten, eine Erscheinung, der ich keinerlei Bedeutung zuschreiben 
möchte, vielmehr für eine zufällige halte, die später bei dem ausge- 
sprochenen Wachstum der Urdarmeinstülpung nach vorne sieh aus- 
gleicht, ohne eine Spur zu hinterlassen. 

Viel wichtiger sind die sonstigen’ Veränderungen. Das Entoderm, 
welches wir an dem vorhin betrachteten Embryo im Bereich eines 
großen Teils der Keimscheibe wohl gesondert vom Dotter antrafen, 
ist auf dem vorliegenden Stadium (e”) in dieser Beziehung im Rück- 
stande. Nur auf einer ganz kurzen Strecke unmittelbar vor der Ein- 
stülpung (e”) treffen wir ein wohl gesondertes unteres Keimblatt von 
sehr unregelmäßigem maschigen Bau an; weiter nach vorne geht es 
unmittelbar über in die oberflächliche, hier gleichfalls maschige Dotter- 
masse, in der sich nur spärliche Kerne eingelagert finden. Dasselbe 
ist unter (bei x) und hinter der Primitivplatte (bei e‘) der Fall, wo, 
die oberflächliehe Dotterzone angefüllt ist mit zablreichen Kernen, 
welche das hier noch nicht vom Dotter gesonderte untere Blatt 
repräsentieren. 

Nach einer anderen Richtung hin macht sich aber auch schon 
hinsichtlich des Entoderms ein Fortschritt in der Entwicklung be- 
merkbar. Während auf dem vorhergehenden Stadium das gesamte 
Entoderm eine einheitliche Zellmasse darstellt, beginnt sich in der 
vorliegenden Fig. 2 ein oberer Teil desselben durch einen Abspal- 
tungsvorgang von dem unteren und dem Dotter zu sondern. Un- 
mittelbar vor der Einstülpung hat sieh dieser Prozess bereits vollzogen 
und wir bezeiehnen nunmehr den oberen abgespaltenen Abschnitt als 
das primäre Entoderm oder Urdarmblatt (e‘), die übrig ge- 
bliebene untere Schicht als das sekundäre Entoderm oder Dotter- 
blatt. Da gleichzeitig das Urdarmblatt unmittelbar vor der Invagi- 
nation zu wuchern beginnt, so kommt es infolge dessen zur Bildung 
eines zunächst noch kurzen Kopffortsatzes (e), der sich frei in 
den Raum zwischen Schild (s) und Dotterblatt hinein erstreckt. Wie 
wir sehen werden, setzt jedoch dieser Kopffortsatz sein Wachstum 
nach vorne fort, und indem sich dann gleichzeitig das Lumen der 
Einstülpung in denselben hinein erstreckt, kommt es zur Bildung eines 
nach vorne gerichteten Urdarms. 

Unter der Einstülpung selbst ist diese Sonderung von Dotterblatt 
und Urdarmblatt noch nieht vollzogen und da hier ferner auch das 
Entoderm als Ganzes sich noch nicht vom Dotter abgespalten hat, 





Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 159 


so stehen also an der Primitivplatte noch alle Teile des Entoderms 
in kontinuierlichem Zusammenhang, ein Beweis, dass Dotter, 
sekundäres und primäres Entoderm ein einheitliches 
Entoderm darstellen, das erst durch Vorgänge sekun- 
därer Natur sich in einzelne Abschnitte gliedert. 

Hinter der Urdarmeinstülpung finden wir wiederum den Abspal- 
tungsprozess vollzogen, so dass sich hier von dem sekundären Ento- 
derm (e‘) eine ansehnliche keilförmige Zellenmasse abgegliedert hat, 
die jedoch mit dem hinteren Rande der Einstülpung in kontinuier- 
lichen Zusammenhang steht und, soweit sie frei zwischen oberes und 
unteres Keimblatt hineinragt, als Mesoderm (ms) und zwar als prosto- 
miales Mesoderm zu bezeichnen ist. 

Das prostomiale Mesoderm entsteht demnach durch 
Abspaltung vom Entoderm, wenngleich nicht zu verkennen 
ist, dass bei seiner Anlage gleichzeitig Wucherungsvorgänge, die von 
der Blastoporuslippe ausgehen, eine Rolle spielen. 





Fig. 3. Sagittalschnitt durch ein älteres Stadium mit nach vorne gerichteter 
Urdarmeinstülpung. Das Dotterblatt ist überall vom Urdarmblatt und Dotter 
isoliert. 


Für den Verlauf der weiteren Entwicklung ist nun besonders ein 
bald früher, bald später hervortretendes Längenwachstum der Primitiv- 
platte charakteristisch, welches hauptsächlich in der hinteren Blasto- 
poruslippe seinen Sitz hat. Dieses Längenwachstum äußert sich zu- 
nächst darin, dass die gesamte Primitivplatte nach vorne gegen den 
Schild an Ausdehnung gewinnt, die Zellen desselben gleichsam vor 
sich herschiebend, so dass auf späteren Stadien der ursprünglich glatt 
gerundete Embryonalschild hinten tief herzförmig ausgeschnitten er- 
scheint. Während man auf Quersehnitten durch die vorhin beschrie- 
benen Stadien rechts und links von der Primitivplatte die niedrigen 
Ektodermzellen der Area intermedia antreffen würde, trifft man auf 
Quersehnitten durch ältere Stadien an gleicher Stelle die hohen Zylinder- 
zellen des hintersten Abschnitts des Embronalschildes. Mit andern 
Worten, während anfangs Sichel und Primitivplatte ganz 
außerhalb des Schildes liegen, wachsen sie später in den 
Schild hinein. Die gleiche Erscheinung lässt sich auch für den 


190 Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 


Gecko und die Eidechse konstatieren. Dass es auch für die Vögel 
das ursprüngliche Verhalten darstellt, beweist die Schilderung Has- 
well’s!) von der Entwieklung des Emu. Da mir die Originalarbeit 
nieht zur Hand ist gebe ich in der Fig. 4 nach meinen Excerpten 
eine Copie seiner Fig. 1 in der die Andeutung des Kopffortsatzes 
fortsatzes fortgelassen ist. Wie man aus der Abbildung ersieht, tritt 
auch beim Emu die Primitivplatte zunächst als ein Annex des Schildes 
auf, der erst allmählieh, wie die weiteren Abbildungen Haswell’s 
zeigen, in den Schild einbezogen wird. 


Fig. 4. 


Fig. 4. Junger Embryonalschild mit Pri- 
mitivstreif und Primitivrinne vom Emu 
nach Haswell. 


Pr.R = Primitivrinne; Pr.$= Primitivstreit. 





An dem in Fig. 3 abgebildeten Längsschnitt durch einen Sehild- 
krötenembryo hat sich nun die Sonderung aller Entodermabsehnitte, 
allerdings, wie ich hervorheben muss, ausnahmsweise frühzeitig voll- 
zogen, indem das Dotterblatt sowohl gegen das primäre Entoderm, 
wie auch nach dem Dotter zu überall deutliche Grenzen aufweist. 
Der Kopffortsatz ist bereits länger geworden und das Urdarmlumen 
hat die Riehtung nach vorne eingeschlagen, so dass es sich bereits 
weiter nach vorne erstreckt. 

Fragen wir uns nun auf Grund der vorgeführten Embryonen 
nach der ersten Anlage des unteren Keimblatts, so geht zunächst aus 
einem Vergleich der drei Figuren hervor, dass der Zeitpunkt, in dem 
es als selbständiges Blatt auftritt, ein im hohen Grade schwankender 
ist. Aus der Figur 2 aber geht hervor, dass es durch Abspaltnng 
aus der oberflächlichen kernhaltigen Dotterzone hervorgeht. Daraus 
folgt dann ferner, dass vor dem Eintritt dieses Abspaltungsvorganges, 
also auf einem Stadium, welches der Fig. 1 vorhergeht, der kern- 
haltige Dotter in der Region der Sichel an die Oberfläche getreten 
sein muss. Die Konstituierung des Entoderms vollzieht sich demnach 
etwas anders als beim Gecko, bei dem bereits vor dem Auftreten 

4) W.A.Haswell, Observations on the early stages in the developement 
of the Emu (Dromaeus Novaehollandiae) in: Proceed. Linnean Soe New South 
Wales (II) Vol. II, 1837, p. 579—600. 





Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 191 


der Keimblätter eine größere Zahl von Furchungszellen vorhanden 
sind, so dass nach der Differenzierung des oberen Keimblatts unter- 
halb desselben noch genügend Furchungszellen übrig bleiben, welche 
durch ihre Aneinanderlagerung ein zusammenhängendes unteres Blatt 
bilden können und überdies durch weitere Furchungszellen vermehrt 
werden, welche noch lange Zeit hindurch, jedoch einzeln und nicht 
als zusammenhängende Lage vom Dotter sich abschnüren. Der Unter- 
schied in der Entodermbildung beider Tiere lässt sich auch kurz 
dahin formulieren, dass bei der Schildkröte das Entoderm 
sich als zusammenhängende Zellschieht vom Dotter ab- 
spaltet, während beim Gecko das zur Bildung des Ento- 
derms bestimmte Zellmaterial einzeln vom Dotter abge- 
schnürt wird und erst sekundär sieh zu einem zusammenhängenden 
Keimblatt aneinander lagert. Ein wesentlicher Unterschied liegt in 
diesem verschiedenen Verhalten jedoch keineswegs. Bei den Schwan- 
kungen, denen überhaupt die Bildung der Keimblätter sowohl bei der 
Schildkröte wie auch beim Gecko unterliegt, würde es mich sogar 
gar nicht wundern, wenn auch gelegentlich bei der Schildkröte der 
Modus zur Beobachtung käme, den ich für den Gecko als typisch 
hingestellt habe. 

Ebenso verschieden kann auch der Zeitpunkt sein, in dem das 
prostomiale Mesoderm zur Abspaltung kommt. In den Figuren 2 u. 3 
ist dieselbe sehr früh erfolgt, doch besitze ich mehrere ältere Em- 
bryonen und besonders einen mit bereits vollständig durchgebrochenen 
Urdarm und senkreeht verlaufendem Canalis neurenterieus, indem 
dieselbe noch nicht vor sich gegangen ist und demnach prostomiales 
Mesoderm und sekundäres Entoderm noch eine durchaus einheitliche 
Masse bilden. Ich kann auf eine diesbezügliche Abbildung an dieser 
Stelle verzichten, weil dieses Verhalten wenigstens teilweise durch die 
Fig. 24 von Mitsukuri und Isehikawa illustriert wird, in der die 
Abspaltung des Mesoderms auf einem ebenso alten Stadium erst zu 
einem kleinen Teil erfolgt ist. 

Bei weiterer Entwieklung nimmt nun der Kopffortsatz in Folge 
teils selbständiger, teils von der Primitivplatte ausgehender Wuche- 
rung an Länge zu und, indem gleichzeitig das Lumen sich immer 
weiter nach vorne ausdehnt, kommt es zur Bildung eines umfäng- 
lichen hohlen Urdarms, dessen verschiedene Entwicklungsphasen be- 
reits bei Clark dargestellt sind Ich selbst habe derartige Ueber- 
gangsbilder nicht gesehen, ihre Richtigkeit wird mir aber durch 
mehrere Embryonen verbürgt, welche den Urdarım auf der Höhe seiner 
Ausbildung zeigen, allerdings schon mit den Anfängen des Durehbruchs. 

Aus diesen Stadien geht nun die wichtige Thatsache hervor, 
dass auch der Urdarm der Schildkröte noch in seiner 
ganzen Ausdehnung hohl ist und dass seine Ausdehnung 
absolut und relativ diejenige des Geeko noch übertrifft. 


192 Will, Zur Kenntnis der Schildkröten - Gastrula. 


Während derselbe beim Gecko die vorderen und seitlichen Ränder 
des Schildes nie vollständig erreicht, nimmt derselbe bei der Schild- 
kröte stets die ganze Fläche des Schildes ein. Der Durchbruch des 
Urdarms erfolgt auch hier ganz ebenso wie beim Gecko, so dass die 
Fig. 7 meiner oben zitierten Mitteilung auch geeignet ist, die Verhält- 
nisse bei der Schildkröte zu illustrieren. Es treten zunächst einige 
wenige isolierte Durchbrechungen der untern Urdarmwand (nebst dem 
unter derselben wegziehenden Dotterblatt) ein; indem sodann beständig 
neue Lücken auftreten, die alten sich aber vergrößern gelangt man 
zu Stadien, bei denen von der gesamten untern Urdarmwand nur 
noch ein unregelmäßiges, bei den verschiedenen Embryonen verschieden 
gestaltetes System von Netzbalken erhalten geblieben ist. Schließlich 
kommen auch diese letzten Reste zum Schwunde, wodurch dann das 
bisherige Urdarmlumen mit dem subembryonalen Raum zusammen- 
fließt. Beide Räume sind nunmehr zusammen als Urdarm aufzufassen 
und da gleichzeitig während des Durehbruchs an den vorderen und 
seitlichen Rändern des ursprünglichen Urdarms eine Verschmelzung 
des primären Entoderms mit dem Dotterblatt stattfindet, so stellen 
nunmehr sämtliche Teile des Entoderms mit alleiniger Ausnahme des 
Dotters wieder ein einheitliches unteres Keimblatt dar. Damit aber 
wird ein Verhalten hergestellt, wie es bei den Anamniern von Anfang 
an besteht. 

| Querschnitte durch solche Durehbruchsstadien gleichen im Wesent- 
lichen denen des Gecko, weshalb meine Fig. 6 der erwähnten Mit- 
teilung auch hier zur Illustration dienen kann. 

Folge des Durchbruchs ist auch bei der Schildkröte die Bildung 
eines Kanales, der anfangs von der Urmundspalte schräg nach vorne 
und unten verläuft, später aber sich senkrecht stellt und als Canalis 
neurenterieus zu bezeichnen ist. 

Rostock den 2. Februar 1892. 


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BEnale: Keller, F Fortschritte auf dem Gebiete der Eros (Schluss des vierten 
Stückes). — Imhof, Die Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süß- 
wasserbecken (Schluss). — Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphi- 
bien. — Baur, Ein Besuch der Galäpagos-Inseln. — Brieger, Kitasato und 


Wassermann, Ueber Immunität und Giftfestigung. — Zacharias, Katechismus 
des Darwinismus. 





5) N SEGEL Tee 
Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 
Von Dr. Robert Keller in Winterthur. 


(Schluss des 4. Stückes.) 


Zimmermann’s Arbeiten zur Kenntnis der Leukoplasten 
haben in erster Linie die Leukoplasten in der Blattepidermis der 
Tradescantien zum Gegenstande, die seiner Zeit von Schimper ent- 
deckt wurden. 

Sie liegen als Kügelehen körniger Oberfläche zumeist in unmittel- 
barer Umgebung des Zellkernes. Bei stärkerer Vergrößerung erkennt 
man in ihnen mehrere meist sehr kleine kugelige Gebilde, die Leuko- 
somen. Die chemische Natur derselben hindert nicht, dass bei Ver- 
letzungen der Zellen die Leukoplasten zu homogenen Körpern zu- 
sammenfließen. Sie entspricht also wohl der übrigen Masse der 
Leukoplasten; sie bestehen somit aus einer Proteinsubstanz. 

Den für den Fachmann wichtigen Teil der Abhandlung, welcher 
einlässlich die Methodik der Untersuchung, Tinktion, behandelt, müssen 
wir hier übergehen. 

Bezüglich der Verbreitung der Leukoplasten konstatiert Verf. für 
Tradescantia albiflora folgendes. Sie finden sich in den Epidermiszellen 
der Blätter und Stengel mit deutlich sichtbaren Leukosomen und zwar sind 
sie auch in den jüngsten Blättern wahrzunehmen, wenn schon sie hier 
erheblich kleiner sind. Auch am Stengel waren sie im fortwachsenden 
Teile, im Scheitel, nachzuweisen. Beachtenswert ist, dass bereits in 
geringer Entfernung vom Vegetationspunkte die Chromatophoren 
Tinktionsmitteln gegenüber sich ungleich verhalten, also frühzeitig 

X. 13 


194 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


sich differenzieren. Von den Epidermiszellen sind die Schließzellen 
des Spaltöffnungsapparates verschieden. Sie führen kleine, meist stärke- 
reiche Chloroplasten. Die Nebenzellen dagegen enthalten wieder Leuko- 
plasten mit Leukosomen. 

Das mechanische Gewebe enthält ebenfalls Leukoplasten In den 
Zellen des unter der Epidermis liegenden Kollenchyms finden sie sich 
in unmittelbarer Umgebung des Kerns als kleine Körner, die, wie die 
Tinktion zeigt, auch die Leukosomenstruktur haben. 

Im Assimilationsgewebe nehmen die Stelle der Leukoplasten die 
intensiv grüngefärbten Chloroplasten ein. 

Das Leitbündelsystem ist in seinen parenchymatischen Zellen 
wieder reich an Leukoplasten. Gleich den Leukoplasten des Bast- 
ringes sind sie stets stärkefrei. 

Die Verbreitung der Leukosomen scheint eine beschränkte zu 
sein. Nicht einmal bei allen Tradescantien- Arten konnte Verf. sie 
nachweisen. Dabei zeigt es sich, dass die Leukoplasten, denen die 
Leukosomeneinschlüsse fehlen, die Säurefuchsintinktion viel leichter 
wieder verlieren als die mit Leukosomen. Sie nähern sich in dieser 
Beziehung den Chloropla, ‘en. 

Ueber die Funktion der Leukosomen hat Verf. noch keinen klaren 
Einblick gewonnen. Dem Lichte gegenüber sind sie unempfindlich. 
Bei längerer Verdunklung lässt sich bei ihnen weder eine Veränderung 
der Größe noch der Gestalt wahrnehmen. Kulturen in stickstoffarmem 
und stiekstoffreiehem Boden zeigten völlig gleiche Ausbildung der 
Leukosomen. „Nach dem, was wir zur Zeit über das morphologische 
Verhalten der Leukosomen wissen, schreibt Verf., scheint es mir das 
wahrscheinlichste, dass dieselben mit den krystallinischen Protein- 
einschlüssen der Chromatophoren, über deren physiologische Bedeu- 
tung allerdings auch noch keine Klarheit besteht, in eine Kategorie 
gehören“, 

Mit seiner Untersuchung über dieChromatophoren in chlo- 
rotischen Blättern nimmt Zimmermann ein Thema auf, das 
der neuern Forschung eigentümlicher Weise so zu sagen vollständig 
sich entzogen hat. Als Untersuchungsmaterial dienten namentlich 
Maispflanzen, die in eisenfreier Nährlösung aufgezogen waren. Er 
findet, dass auch sie stets scharf begrenzte Chromatophoren haben, 
entgegen den ältern Angaben von Gries, wonach eine gelbliche körnige 
Masse und keine geformten Farbstoffträger die gesamte Zellmembran 
gleichmäßig auskleiden sollte. 

Je nach dem Grade der Chlorose sind die Chromatophoren ver- 
schieden. Das dureh Eisenzusatz bewirkte Ergrünen zieht nicht nur 
eine intensive Färbung der bleichen Chromatophoren nach sich, son- 
dern auch eine merkliche Größenzunahme. Verf. konstatiert ferner, 
dass die Fähigkeit der Chromatophoren Kohlensäure zu Stärke zu 
assimilieren, nieht erst mit völliger Entfärbung ihnen verloren geht. 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 19 


Deutlich gelbgefärbte Blattstücke von Mais bildeten weder bei starker 
Beleuchtung, noch wenn sie im dunkein oder im hellen auf 10pro- 
zentiger Rohrzuckerlösung schwammen, nachweisbare Stärkemengen. 

Eine weitere Untersuchungsreihe des Verf. hat die Chromato- 
phoren in panachierten Blättern zum Gegenstande. Dieser 
Begriff wird auf die Blätter beschränkt, deren weiße oder weißliche 
Färbung auf einem anormalen Verhalten des Chromatophorensystems, 
dem Albinismus, beruht. Es sind also nicht nur jene in der gärtneri- 
schen Litteratur als „albikate“ Pflanzen bezeichnete Formen auszu- 
schließen, in welchen z. B. durch Haare eine weißschimmernde Färbung 
der Oberhaut erzielt sein kann, sondern auch jene Fälle, in denen 
durch bestimmte äußere Faktoren, wie Lichtmangel, Eisenmangel ete. 
die abweichende Blattfärbung bewirkt wird. In diesen Fällen ist 
gewöhnlich nicht die je nach der Pflanzenart oder Varietät wechselnde 
Zeichnung am albikaten Blatte zu beobachten, vielmehr pflegt das 
Blatt in seiner ganzen Ausdehnung gleichmäßig gefärbt zu sein. 

In viel höherem Maße als man bislang glaubte, kommen auch den 
albikaten Zellen der panachierten Blätter Chromatophoren zu. Eine 
gänzliche Zerstörung derselben ist gewöhnlich nur in rein weißen 
Blattzellen zu beobachten. Dagegen sind sie allerdings in den übrigen 
Zellen von den normalen Chromatophoren mehr oder weniger ver- 
schieden. Sie sind im allgemeinen kleiner und weniger intensiv ge- 
färbt, selbst völlig farblos. In andern Fällen spielt die Färbung mehr 
ins gelbliche. In einem und demselben Blatte pflegt der Uebergang 
von den grünen zu den albikaten Chromatophoren zumeist ein plötz- 
licher zu sein. Tinktionsmitteln gegenüber verhalten sich die anoı nalen 
und normalen Chromatophoren gleich In den anormalen Chromato- 
phoren kommen nicht selten Vakuolen vor, die ihnen das Ansehen 
von im Wasser verquollenen Chloroplasten geben. 

Die Umwandlung von Zucker, der von außen zugeleitet wurde, 
in Stärke vermögen nicht nur die mehr oder weniger grün gefärbten 
Chromatophoren, sondern auch die farblosen und blasenförmigen zu 
bewirken. Ihre Grundmasse scheint durch die Zuckerzufuhr eine 
gewisse Stärkung zu erfahren. „Bei Eranthemum versicolor wurde 
sogar beobachtet, dass die vorher völlig farblosen Chromatophoren 
nach erfolgter Stärkebildung schwach grün wurden und zwar fand 
diese Ergrünung sowohl im dunkeln wie im hellen statt“. Diese 
Wahrnehmung legte den Gedanken nahe, dass vielleicht dieser Albi- 
nismus nur auf einer ungenügenden Zufuhr von Kohlehydraten zu 
den albikaten Chromatophoren während ihrer Ausbildung beruht. Ein 
sicherer experimenteller Beweis für diese Ansicht fehlt zur Zeit aller- 
dings noch. 

Wir schließen diesen Mitteilungen über die Chromatophoren einige 
Bemerkungen über die Granula an. So nennt Verf. einen Inhalts- 
körper des Assimilationsgewebes, der zuerst bei der Untersuchung 


13,5 


196 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


der Leukoplasten von Tradescantia discolor beobachtet wurde. Es 
sind kugelige Gebilde, bei Polypodium Stäbchen, viel kleiner als die 
Chloroplasten, oft fast an der Grenze des Wahrnehmungsvermögens. 
In solchen Fällen pflegen sie in großer Zahl vorzukommen. Häufig 
sind sie gleichmäßig über den Wandbeleg verteilt, bisweilen ziehen 
sie die Nähe der Chromatophoren vor oder umlagern den Zellkern. Ihr 
chemisches Verhalten weist darauf hin, dass sie aus Proteinstoffen 
bestehen. Von den Leukoplasten und speziell den Leukosomen unter- 
scheiden sie sich durch ein abweichendes Verhalten zu Fixierungs- 
mitteln. 

Den Granula scheint eine sehr allgemeine Verbreitung zuzukommen. 
Bei 31 Familien der untersuchten Phanerogamen, 43 Gattungen und 
46 Arten wurden sie nachgewiesen, bei 5 Familien, 9 Gattungen und 
9 Arten war der Nachweis zweifelhaft oder völlig negativ. Bei 
Moosen und Algen konnten sie nicht nachgewiesen werden. Dieses 
fast allgemeine Vorkommen macht es wahrscheinlich, dass sie im 
Chemismus der Pflanzen eine wichtige Rolle spielen. Vorläufige 
Orientierungsversuche scheinen auf eine gewisse Beziehung zwischen 
Größe der Granula und Stickstoffnahrung hinzuweisen. 

Einen Beitrag zur physiologischen Anatomie der Laubmoose bildet 
Dalmer’s Abhandlung über stärkereiche Chorophyllkörper 
im Wassergewebe der Laubmoose, deren kurze Besprechung 
wir hier einschalten wollen. 

Das Wassergewebe, ein Schutzmittel gegen die Nachteile zu großen 
Wasserverlustes, ist ein dünnwandiges Parenchym, welches durch 
blasebalgartige Bewegungen sehr leicht Wasser aufnimmt und abgibt. 
Während die Laubblätter der Phanerogamen diese Gewebeform in 
großer Verbreitung zeigen, kommt den Laubblättern der Laubmoose 
die Fähigkeit zu ohne Schaden lange Trockenheit zu ertragen. Be- 
grenzter ist diese Fähigkeit beim Sporogonium, womit wohl das 
Vorkommen eines Wassergewebes in der Mooskapsel im Zusammen- 
hang steht. 

Nach Haberlandt ist ein inneres und äußeres Wassergewebe 
zu unterscheiden. Die das Sporogonium in seiner Mitte durchziehende 
Columella wird als inneres bezeichnet. Dass wohl seine vorzüglichste 
Leistung nach einer andern Richtung liegt, lehren Dalmer’s Unter- 
suchungen. Die Zellen der Columella sind reich an relativ großen 
Chlorophylikörnern. Diese enthalten stäbchenförmige Stärkekörner, 
die einander sehr dicht anliegen. Während der Sporenbildung werden 
diese verbraucht und zwar beginnt dieser Vorgang in der Mitte der 
Columella. Diese erscheint somit als ein Stärkespeicherorgan, das 
physiologisch von theoretischer Bedeutung werden kann. Die Größe 
der in den Chlorophylikörnern eingebetteten Stärkekörner lässt ver- 
muten, dass sie bei der wieder in Fluss gekommenen Frage der 
Stärkebildung eine Rolle zu spielen berufen sind. 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 197 

In der oben zitierten Abhandlung über die Aleuronkörner 
stellt sich Belzung die Aufgabe ihre Entstehung klar zu legen und 
zugleich die Wechselbeziehung zwischen diesen und den Chlorophyll- 
körnern aufzuschließen. 

Es sind drei Punkte, die er einer Untersuchung unterwirft, näm- 
lich: 1) Die Struktur des Protoplasmas vor dem Erscheinen der Aleuron- 
körner. 2) Die Art ihres Auftretens. 3) Die Art und Weise ihres 
Wachstums und ihrer Differenzierung. Als Untersuchungsobjekte 
dienten Papilionaceen. 

In sehr jungen Teilen besitzt das Protoplasma der embryonalen 
Zellen eine netzförmig-körnige Struktur. Bestimmte Vakuolen des 
Protoplasmanetzes werden bald zum Sitze einfacher Stärkekörner, die 
häufig die Erzeuger von Chlorophylikörnern werden. Bei Lupinus 
mutabilis z. B. beobachtete Verf. diese Umwandlung. Die kleinen 
Stärkekörner, welche in bestimmten Vakuolen entstanden sind, „se 
resorbent lentement, tandisqu’apparait une zone verte de structure 
r6tieulde qui n’est autre que le commencement du corps chlorophyllien“. 
Bald ist diese Resorption der Stärkekörner in zahlreichen Vakuolen 
eine vollständige und es finden sich dann in ihnen ebenso viele 
Chlorophylikörner, bald schließt aber das Chlorophylikorn, das eine 
netzförmige Struktur besitzt, einen Rest des Stärkekornes ein, aus 
welchem es entstand. 

Bezüglich der Art des Erscheinens der Aleuronkörner und des 
Ortes spricht sich Verf. dahin aus, dass sie an der Peripherie der 
Zellen gegen die Membran entstehen. Da bilden sie sich gleich den 
Stärkkörnern und Oeltröpfehen in den Interstitien des netzförmigen 
Plasmas, weshalb Verfasser glaubt, dass das Protoplasma bei ihrer 
Bildung keine bedeutende Rolle spiele. Vor ihrer Entstehung be- 
finden sich die hauptsächlichsten Albuminoide, welche sie bilden 
müssen, zum Teil gelöst in Alkaliphosphaten, welche der Zellsaft in 
ziemlich bedeutender Menge enthält, zum Teil verbunden mit den 
Alkalien. Aus seinen Verbindungen wird das Legumin durch ver- 
dünnte Säuren als ein weißliches Pulver niedergeschlagen. Nun ent- 
stehen aber thatsächlich in den Samen der Leguminosen organische 
Säuren, bei Zupinus Zitronensäure. Auf ihre Bildung ist demnach 
unmittelbar das Erscheinen der Aleuronkörner zurückzuführen. Ihr 
schnelles Wachstum steht mit der steten Zunahme der Konzentration 
des Zellsaftes in Verbindung. So ist also nach Verf. die Entstehung 
der Aleuronkörper rein als eine Folge chemisch-physikalischer Vorgänge 
aufzufassen, an denen das Protoplasma keinen direkten Anteil hat. 

In dem rasch wachsenden Aleuronkorn, das ursprünglich voll- 
kommen homogen ist, erscheinen wahrscheinlich in Folge von osmo- 
tischen Vorgängen Flüssigkeitstropfen. Schließen die Körner eine 
größere Zahl von solchen ein, dann zeigen sie eine netzförmige Struktur 
(Faba vulgaris). In andern Fällen vereinigen sich die verschiedenen 


198 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Vakuolen zu einer großen Zentralvakuole (Lupinus elegans). Mannig- 
fache Uebergänge verbinden beide Erscheinungsformen. Immerhin 
herrscht erstere bedeutend vor. 

Zu dieser Zeit hat das Protoplasma seine deutliche Netzstruktur 
verloren. Einschlüsse wie Globoide, Krystalloide, sind auch bei 
stärksten Vergrößerungen nicht in diesen entwickelten Aleuronkörnern 
zu sehen. Sind die Samen völlig reif und trocken, dann findet sich 
in den Aleuronkörnern in verdichtetem Zustande ein in Wasser lös- 
liches Albuminoid, welches durch Wärme und verdünnte Säuren nieder- 
geschlagen wird, vielleicht auch Galactan, freie organische Säuren ete. 
und oftmals füllen dfese Stoffe die Zellen mehr oder weniger voll- 
ständig an. Das ursprüngliche Aussehen erhalten die Körner wieder, 
wenn sie längere Zeit der Einwirkung des Wassers ausgesetzt werden. 

Das Studium der Proteinkrystalloide, welches Zimmer- 
mann diese Inhaltskörper der Zelle in viel größerer Verbreiturg finden 
ließ, als man gewohnt war anzunehmen, richtet sich in erster Linie 
darauf eine Tinktionsmethode ausfindig zu machen, welche die Unter- 
scheidung derselben von formell ähnlichen Gebilden, so namentlich 
den Kernkörperchen, mit Sicherheit auch dann gestattete, wenn sie 
besonders klein waren. Als treffliches Färbemittel der Proteinkrystal- 
loide erwies sich Säurefuchsin. 

Gleich den Granula färben sie sich intensiv rot. Eine nahe stoff- 
liche Verwandtschaft mag dies bewirken. Die chemische Identität 
aber ist auszuschließen, da sie beide andern Reagentien gegenüber 
sich ungleich verhalten. 

In seiner ersten die Proteinkrystalloide betreffenden Abhandlung 
teilt Verf. seine Beobachtungen über ihr Vorkommen bei den Farnen 
mit. Sowohl im Zellkern als auch außerhalb desselben sind sie sehr 
verbreitet. Während sie in einzelnen Fällen auf die Epidermis, in 
andern auf das Mesophyll, speziell auf das Schwammparenchym, be- 
schränkt erscheinen, sind sie wieder in andern in allen Zellformen 
des Blattes nachweisbar. Aber auch im Schleier der Sporangien- 
häufchen, im Stiel und der Wardung reifer Sporangien finden sie sich. 
Auch dem Blattstiel und dem Rhizom fehlen sie nicht. In den Pro- 
thallien, die Verf. untersuchte, waren sie nicht nachweisbar. 

Zumeist liegen sie innerhalb des Zellkernes, selten ausschließlich 
außerhalb desselben, in ebenfalls seltenen Fällen innerhalb und außer- 
halb der Kerne, doch so dass sie in den einen Gewebeformen aus- 
schließlich innerhalb des Kernes zu sehen sind, in andern nur außer- 
halb desselben. 

Bezüglich der Größe zeigen sich sowohl bei den Farnen als 
Phanerogamen mannigfache Verschiedenheiten. 

Die Entwicklungsgeschichte der Zellkernkrystalloide spielt sich 
wahrscheinlich so ab, dass im Kern zunächst kleine Körnchen oder 
Eiweißvakuolen auftreten, denen die stoffliche Zusammensetzung der 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 199 


Krystalloide zukommt. Sie fließen alsdann zu größern Kugeln zu- 
sammen, „aus denen durch eine Art von Krystallisationsprozess die 
von mehr oder weniger ebenen Flächen begrenzten Krystalloide her- 
vorgehen“. 

Bei den Phanerogamen ist das Vorkommen der Krystalloide eben- 
falls viel allgemeiner als man bisher annahm. Verfasser konnte bei 
47 Arten, die 10 verschiedenen Familien angehören, das Vorkommen 
von Proteinkrystalloiden nachweisen, ein Umstand, der dadurch an 
Bedeutung gewinnt, dass diese Verbreitung es nicht unwahrscheinlich 
macht, „dass die Krystalloide irgend eine wichtige Funktion besitzen 
müssen; denn, dass gerade die für das gesamte Leben der Pflanzen 
so wichtigen Proteinstoffe bei so zahlreichen Pflanzen in so großen 
Mengen einfach aus dem Stoffwechsel ausgeschieden werden sollten, 
ist doch a priori sehr unwahrscheinlich“. Eine Beziehung zwischen 
dem Vorkommen der Krystalloide und der Lebensweise oder dem 

"Standorte besteht nicht. In Kräutern, Sträuchern und Bäumen werden 
sie nachgewiesen, bei Land-, Sumpf- und Wasserpflanzen, bei frei- 
lebenden Pflanzen, Parasiten und Saprophyten finden sie sich. Dass 
ihr Vorkommen auch nicht für die verwandtschaftlichen Beziehungen 
verschiedener Arten Anhaltspunkte liefert, mag der Umstand beweisen, 
dass bei einzelnen Arten einer Familie, die im allgemeinen reich an 
Proteinkrystalloiden zu sein pflegt, dieselben fehlen können; dass 
ferner nahe verwandte Familien sich sehr ungleich verhalten. Während 
z. B. bei den Skroplularineen das Vorkommen der Proteinkrystalle 
im allgemeinen ein häufiges ist, scheinen sie den Labiaten zu 
fehlen. 

Der Annahme Wacker’s, dass die Kıystalloidbildung im Kern, 
„eine eigentümliche Desorganisation des Zellkernes anzeige und physio- 
logisch von geringer Wichtigkeit sein soll“, steht, wie Zimmermann 
betont, schon das häufige Vorkommen von Krystalloiden in jugend- 
lichen Zellen entgegen. 

Aus der Beobachtung, dass ältere Blätter ärmer an Protein- 
krystalloiden zu sein pflegen als jüngere völlig ausgewachsene, dass 
dort die Proteinkrystalloide fast nur in der Umgebung der Sori (bei 
Farnen) anzutreffen sind, während hier die Kerne des gesamten Meso- 
phylis zum Teil recht große Krystalloide besitzen, geht jedenfalls 
hervor, dass sie wieder in den Stoffwechsel aufgenommen werden 
können. Uebrigens scheint allerdings die Größe der Proteinkrystal- 
loide wenigstens innerhalb gewisser Grenzen je nach der Pflanzenart 
verschieden zu sein. So sind z.B. die Krystalloide von Alectorolophus 
major durch besondere Größe ausgezeichnet, während innerhalb des 
Blattes von Digitalis grandiflora besonders kleine Krystalloide be- 
obachtet werden. 

Hinsichtlich der Verteilung der Proteinkrystalle im Pflanzenkörper 
zeigen sich auch bei den Phanerogamen ähnliche Verschiedenheiten 


200 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken, 


wie bei den Farnen. Häufig ist die Fruchtknotenwandung durch be- 
sondern Reichtum ausgezeichnet. 

Eigentümlich ist das Verhalten der Krystalloide bei der indirekten 
Kernteilung. Sie werden, wie verschiedene Beobachtungen zeigten, 
ausgestoßen und gelangen in das Cytoplasma. Bald verschwinden 
sie hier. Als Krystalloide der Chromatophoren bezeichnet Verf. die 
von Eberdt als Stärkegrundsubstanz bezeichneten Gebilde von Phajus. 
Bei Berberideen und Orchideen enthalten die Chromatophoren nicht 
zu selten Proteinkrystalloide. 


Die Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasser- 
g pelag 
beeken. 
Nach dem gegenwärtigen Stande der Untersuchungen. 


Von Dr. Othm. Em. Imhof. 
(Schluss. 


Das Genus Heterocope verdient noch besonders hervorgehoben 
zu werden. Het. appendiculata ist bisher nur im Norden Europas 
nachgewiesen. Für Het. saliens kennt man bis jetzt in Deutschland 
nur 2 Fundorte, den Chiemsee in Ober-Bayern und den Titisee im 
Schwarzwald. Höher gelegene Seen, die Heterocope-Arten beherbergen, 
sind die zwei Schwendiseen 1148 m ü. M. bei Wildhaus im Canton 
St. Gallen!) und im Ober-Eugadin in Höhen von 1810, 1860 und 
2680 m ü. M. 


Arachnoidea. 
Ordn. Ascarina. Hydrachnidae. 


Die Wassermilben, eine Familie zierlicher, formenreicher, bunter 
Arthropoden, leben vorwiegend in Sümpfen und Mooren. Sie finden 
sich ziemlich zahlreich auch in der Fauna der größeren Wasserbecken, 
der Seen, besonders in vegetationsreichen littoralen Gebieten, aber 
auch auf dem Grunde der Seen in ansehnlichen Tiefen, wo die Flora 
nur noch aus Mikrophyten besteht. Hier wurden mehrere Arten ent- 
deckt, von wo sie zuweilen nach den interessanten Angaben von 
Forel zu hunderten und tausenden mit den großen Fischernetzen an 
die Oberfläche gezogen werden. Die Hydrachniden gelangen weniger 
passiv als vielmehr aktiv in das Gebiet der pelagischen Tierwelt. 
Die folgenden Arten wurden mit pelagischen Netzen gefunden: 

Axena versicolor O. F. Müll. Atax crassipes OÖ. F. Müll. 
Nesaea rotunda Kram. „ VSpinpes aus 
5 reticulata ,„ 





1) Asper und Heuscher, Zur Naturgeschichte der Alpenseen. Berichte 
der St. Gallischen naturw. Ges, 1887/88, S. 257. 





Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 201 


Insecta. 


An vollkommenen Insekten sind bisher keine als pelagische Arten 
zu bezeichnen. Zwar kommen etwa Coleopteren, Schwimmkäfer und 
Wasserkäfer, Hemipteren, Notonectiden, in weniger tiefen Seen auf 
ganz kurze Zeit in das pelagische Gebiet. In ähnlicher Weise, d. h. 
vorübergehend gelangen Chironomus- Larven, wenn sie im Nymphen- 
zustand an die Oberfläche steigen, um sich dann zum luftlebenden 
Imago zu entwickeln, in das pelagische Gebiet. Nur eine Dipteren- 
Larvenform wird ziemlich häufig im pelagischen Gebiet gefischt, wo 
sie sich längere Zeit aufhält und auch Nahrung zu sich nimmt, näm- 
lich die Larve von Corethra plumicornis Fabr. 


IV. Mollusca. 

Pelagische Mollusken des süßen Wassers der europäischen Binnen- 
fauna weist diese Tierwelt bisher keine auf. Ein einziges hier zu 
erwähnendes Vorkommen hat Blochmann!) ist neuester Zeit bekannt 
gegeben, nämlich das Vorhandensein zahlreicher Schwärme von Larven 
der Dreissena polymorpha Pallas in norddeutschen Seen: Tegelsee, 
in zahlreichen Seen Mecklenburgs, im ober Warnow bei Rostock. 


V. Vertebrata. 

Zum Schlusse sind noch die im pelagischen Gebiet der Seen vor- 

kommenden Wirbeltiere anzureihen. 
Pösces 

Die Zahl der vorwiegend oder ausschließlich im pelagischen Ge- 

biete sich aufhaltenden Fische ist keine große, die wichtigsten sind: 
Coregonus fera. Perca fluviatilis. 
a palea. Alosa finta. 
Thymallus vulgaris. 

Die letzteren 3 Speeies sind sowohl littoral als pelagisch lebende 
Arten. Es sind diese 5 Formen die für die Schweizerseen zu nennen- 
den Species, für die anderen Seegebiete Europas werden wohl noch 
weitere Arten aufzuführen sein. 


Amphibia. 
In kleineren Seen, besonders von geringerer Tiefe gelangen etwa 
Frösche und Tritonen in das pelagische Gebiet. 
keptilia. 
Hier wird wohl bloß Tropidonotus natrix Gess. zu nennen sein. 
Aves. 


Aus der Klasse der Vögel reihen sich die Genera: Mergus, Fuli- 
gula, Anas, Podiceps, Colymbus, Sterna und Larus an. 


4) Biol. Centralblatt, Bd. XI, Nr. 15 u. 16. 





302 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 


Die folgende Tabelle gibt die Uebersicht der Arten- und Varietäten- 
Zahl der Wirbellosen des pelagischen Gebietes der Seen. 


I. Protozoa. Sarkodina. Helioooa . . . 5 Species 
Mastigophora. Flagellata . 12 „.. 1 Varietät. 
Dinoflagellata 15 RB | 5 
Infusoria. Ciliata. Peritricha 2 ” 


Tintinnodea . 3 " 
BUCLOMIa NE a md Ri 
IP ermes,,, Roiatomasn san en unser. 1.20 ERNEL 3 
III. Arthropoda. Crustacea. Cladocera . . 59 OR 
Osiracodan 2. 2 = 
Copepoda . . 33 - 
Arachnoidea. Hydrachnida . 5 > 





168 Spec. 12 Varietäten. 


Die Kenntnisse über dieses Gebiet der Süßwasserfauna sind da- 
nach in außerordentlichem Maße gefördert worden. 

Es erübrigt nun noch die Seengebiete des Festlandes von Europa 
zusammenzustellen, in denen spezielle Studien über diese Fauna vor- 
genommen worden sind und einen Blick in derartige Untersuchungen 
in außereuropäischen Ländern zu thun. 

Eine oro-hydrographische Karte von Europa zeigt bei der ersten 
Betrachtung der Verteilung der Seen einige ganz auffallend reiche 
Seengebiete. Den größten Reichtum an Seen ansehnlicher Dimensionen 
besitzt der Norden Europas: Russland, Finland, der westliche Teil 
des kleinrussischen, der nördliche Teil des großrussischen, das west- 
russische, das uralische Gouvernement am Ostfuß des Ural, Livland 
und Kurland; Schweden; Norwegen; das nördliche Deutschland von 
Königsberg bis Holstein; Schottland, Irland; die Gebiete am nörd- 
lichen und südlichen Fuße der europäischen Alpenkette von Savoyen 
bis Steiermark, Kärnthen und Krain; das Tatragebirge auf der Grenze 
zwischen Galizien und Böhmen; im türkischen Reich die Provinzen 
von Saloniki, Bitolia und Joannina. 

Aus folgenden Gebieten liegen faunistische Berichte über einzelne 
oder mehrere Tiergruppen vor: Frankreich, Umgebung von Paris, 
Lille, Auvergne, Savoyen, Ober- und Mittel-Italien; Schweiz, aus Seen 
des Jura, der Ebene und der Alpen; Oesterreich-Ungarn, Tirol, Salz- 
kammergut, Ober-Oesterreich, Steiermark, Kärnthen, Krain, Böhmen, 
Galizien; Russland, nördlieher Teil des Gouvernement Kiew, Livland, 
Finland, Armenien; Schweden ; Norwegen; Dänemark ; Island; Deutsch- 
land, Ost- und West-Preußen, Schlesien, Sachses, Pommern, Schleswig, 
Holstein, Oldenburg, Hannover, Rheinland, Lothringen, Elsass, Baden, 
Ober- Bayern. 

Was die Erforschung der pelagischen Fauna außereuropäischer 
Seen und Seengebiete betrifit, so sind wenige Arbeiten früheren Da- 





Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 203 


tums vorhanden, dagegen liegen neuere Berichte über Süßwasser- 
bewohner aus verschiedenen Erdteilen vor. Vorwiegend erfreuen sich 
die Entomostraken besonderer Berücksichtigung. Diese Gruppe ist 
in Nordamerika speziell von Herrick eingehend bearbeitet worden. 
In den Notizen über Cladoceren von Birge (1878) aus Wisconsin- 
Massachusets triftt man 38 Arten, davon 20 neue. Einige sind Be- 
wohner des pelagischen Gebietes. Ein dritter Autor ist Forbes, der 
die großen Seen Nordamerikas untersucht hat und z. B. neue interes- 
sante Calaniden der Genera Osphranticum und Epischura entdeckte. 
Aus Wiscon gab kürzlich Marsh ein Verzeichnis der pelagischen 
Fauna des Green Lake. 

Von Madagaskar aus dem See Andohalo, sozusagen im Zentrum 
der Insel, haben de Guerne und Richard eine kurze Mitteilung 
über eine erste Untersuchung der Süßwasser-Entomostraka dieser 
Insel im letzten Jahre publiziert. Es fanden sich hier: 


Ceriodaphnia laticaudata P. E. Müller. 
Alona spec. 

Oyelops Leuckarti G. O. Sars. 
Canthocamptus spec. 


Ueber die Süßwasser-Fauna Madagaskars ist noch ein vorläufiger 
Bericht von Voeltzkow (1891) zu erwähnen. 

Ganz besonders interessante Ergebnisse haben Barrois und de 
Guerne über die Süßwasserfauna der Azoren der Inseln Fayal und 
St. Miguel veröffentlicht. In den Seen von Sete Citades entdeckte 
de Guerne im Lagoa Grande mit gegen 10 Meter Tiefe eine pela- 
gische Flora und Fauna. Die pelagische Fauna besteht aus: 


Protozoa. Rhizopoda . . . Diflugia spec. 
Flagellata . . . Volvocineen. 
Dinoflagellata . . Glenodinium und Peridinium. 
Vermes. Rotatoria . . . Asplanchna Imhofi de Guerne. 
Pedalion mirum Hudson. 
Arthropoda. Orustacea. Fureularia spec. 
Oladocera . . . Daphnella brachyura Lievin. 


Alona spec. 

Pleuroxus nanus Baird. 

Leptodora Kindti Focke. 
Copepoda . . . Üyelops viridis Fisch. 


Von der Leptodora wurden zwar nur Bruchstücke gefunden, die 
dieser wichtigen Speeies anzugehören schienen. 

Aus Zentral-Japan berichtete Fritze (1889) über das Vorkommen 
einer Leptodora im Kawaguchi-See, einem kleinen ea. 770 m hoch 
gelegenen kleinen Süßwassersee. 

Ueber die Süßwasser-Fauna von Sumatra in den Seen von 
Manindjau und Singkarah enthält das Werk von Max Weber nach 


204 Imhof, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken. 


der Bearbeitung von Richard 2 Cladoceren und 2 Copepoden aus 
deren pelagischer Fauna: 
Oladocera: Daphnella exeisa Sars. Moina Weberi Richard. 
Copepoda : Oyclops simplexe Poggp. Diaptomus orientalis Brad. 


Eine der wenigen Untersuchungen aus früheren Jahren über die 
Süßwasserfauna weitentlegener Gebiete, von Kerguelensland im süd- 
indischen Ozean von Studer, die zwar nicht spezifisch pelagische 
Arten behandelt, soll hier wegen des besonderen Interesses in Bezug 
auf die Inselfauna, namentlich wegen deren Herkunft aufgeführt 
werden. Sie enthält Cladoceren, Ostracoden und Cyelopiden und zwar 
sämtlich neue Arten. 


Cladocera: Simocephalus intermedius Std. Maerothrix Börgeni Std. 


Alona Weinecke Std. Pleuroxus Wittsteini „ 
Ostracoda: Candona Ahlefeldi Std. 
Copepoda: Cyclops Bopsini Std. Oyclops Krillei Std. 


Da ein Transport durch Vögel, so gut wie ausgeschlossen ist 
und andere Wege des Importes kaum zu finden und da diese Arten 
bisher noch nirgends anderswo beobachtet worden sind, muss diese 
kleine Entomostraken-Fauna der Kerguelen als eine autochthone an- 
gesehen werden. 

Ueber Cladoceren und Copepoden Australiens sind die Unter- 
suchungen von King zu nennen. 

Wie rasch die Kenntnis der Süßwasserbewohner gefördert werden 
kann, zeigt die Zahl der Speeies des Calaniden-Genus Diaptomus, die 
eine ganze Reihe pelagischer Arten aufweist. Bis zum Jahre 1887 
waren 15 ausreichend charakterisierte Species publiziert worden. Es 
folgten im Jahre 1887: 4; 1888: 8; 1889: 13 neue Species. Gegen- 
wärtig zählt dieser Genus 46 gute Arten. Außereuropäische pelagische 
Diaptomiden sind: 

Diapt. Tyrreli Poppe aus dem Summit Lake ea. 1600 m ü M. in 


Canada. 
„ oregonensis Lilljeb. von East Portland in Oregon, Nord-Am. 
»  sieiloides 5 aus dem Lake Tulan in Kalifornien. 
„ Signicauda in aus der Sierra Nevada in 5 


„ LumholtziSars aus dem Gracemeer Lagoon in Nord Queens- 
land, Australien. 


Obschon die obigen Daten über außereuropäische pelagische Süß- 
wasserorganismen nicht vollständig sind und nur das Wichtigste über 
die pelagische Fauna der Seen anderer Weltteile berühren, so dürfte 
doch das Wesentlichste auf diesem Gebiete erwähnt sein; es zeigt 
immerhin, dass die Erforschung der Süßwasser-Fauna und speziell 
der pelagischen Fauna noch in den ersten Anfängen steht. Dass 
diese Studien wissenschaftlich von größtem Interesse sind, dass sie 
auch ein äußerst dankbares Gebiet wissenschaftlicher Thätigkeit 





Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 205 


repräsentieren, ist über jeglichem Zweifel erhaben. Aber auch die 
Fortsetzung der Erforschung der europäischen Binnengewässer wird 
noch auf viele Jahre hinaus das Material zu mannigfaltigen Arbeiten 
liefern, wofür die ersten in neuester Zeit errichteten übertragbaren 
oder festen biologischen Süßwasserstationen die Beweise liefern und 
liefern werden. 

Zum Schlusse der vorliegenden Bearbeitung der Zusammensetzung 
der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken möge ein Gesichtspunkt 
noch betont werden, nämlich die spezielle Berücksichtigung derjenigen 
Formen, die außer im Süßwasser auch im salzigen Wasser und Brack- 
wasser vorkommen und die auch als wirkliche Meeresbewohner, als 
sogenannte eurhyaline Formen, bekannt sind. Die übrigen bisher zur 
Geltung gelangten Gesichtspunkte in der Erforschung der pelagischen 
Fauna der Süßwasser-Seen wurden früher!) hervorgehoben. 


Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


Bemerkungen von F. Leydig. 

Aehnlich wie bei so manchen andern Tieren nimmt auch bei 
vielen Fischen und Amphibien die Hautdecke zur Laichzeit ganz be- 
sonderen Anteil an den Vorgängen gesteigerten Lebens, welches sich 
im Fortpflanzungssystem abspielt. Es entwickelt sich ein sogenanntes 
Hochzeitskleid, das nicht bloß im Auftreten von Schmuckfarben be- 
steht, sondern auch in eigenartigen Umbildungen des Coriums und 
der Epidermis. 

Nur die letzteren Veränderungen, nicht die Farben, möchte ich 
im Nachfolgenden der Besprechung unterziehen, wozu als Grundlage 
die eigenen, teilweise neu gewonnenen Beobachtungen dienen, teils 
das von Andern Ermittelte. Dabei glaube ich im Stande zu sein, 
gewisse Organisationsverhältnisse, welche bis dahin unklar waren, 
in die richtige Stellung bringen, auch Einiges, was weit auseinander 
zu liegen schien, nunmehr näher zusammenrücken zu können. 


r 

Unter den einheimischen Amphibien gibt sich am Männchen von 
Rana fusca in der Fortpflanzungszeit eine Hautschwellung kund, 
die von früheren Autoren bereits durch Rösel angezeigt wurde ?). 
In unserem Jahrhunderte scheint alsdann Mayer°), der ehemalige 
Anatom in Bonn, zuerst wieder auf die Erscheinung gestoßen zu sein, 
hielt sie aber für etwas Pathologisches. Das Männchen und das 
Weibchen unsres Frosches bekommen — wie er sagt — während der 
Paarungszeit „Haut- und Bauchwassersucht“. 

1) Zool. Anzeiger, Nr. 264 u. 265. 

2) Rösel von Rosenhof, Historia naturalis ranarum nostratium, 1758. 

3) Mayer, Neuere Untersuchungen aus dem Gebiete der Anatomie und 
Physiologie, 1842. 





306 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


Einige Dezennien nachher beschrieb ich das histologische Ver- 
halten dieser Hautveränderung'!). Die sonst aus horizontalen Lagen 
bestehende Mittelpartie der Lederhaut sei es, welche sich in galler- 
tiges Bindegewebe umsetze und sich dadurch verdieke, während das 
obere und untere Stratum des Coriums so ziemlich in altem Zustande 
verbleibe.e. Und auch die großen Lymphräume unter der Haut er- 
scheinen nicht bloß sehr ausgedehnt und mit reichlicher Lymphe 
gefüllt, sondern die letztere war von gallertigem Wesen geworden, 
vom Aussehen des Glaskörpers im Auge, oder wie embryonales Binde- 
gewebe. Durch diese Umwandiung der Lederhaut und der sub- 
kutanen Lymphräume böten die Seiten des Männchens schon fürs 
freie Auge ein auffallend „quammig-quappiges“ Anssehen dar. 

Auch die Verdickung des Oberärms des männlichen Frosches zur 
Paarungszeit hängt, wenigstens teilweise, mit Schwellung der Haut 
zusammen, nicht minder die im Anschluss hieran sich vergrößernde 
Daumenschwiele.e Beim Umfänglicherwerden der letzteren verdicken 
und vergrößern sich nicht bloß die Lederhaut mit ihren Papillen und 
Drüsen, sondern auch die Epidermis verstärkt sich, wird dunkler und 
entwickelt besondere Skulpturen ?). 

Ebenso gehören hieher die Hautwucherungen der Wassersala- 
mander. Und ich möchte hiebei insbesondere auf die von mir ge- 
machte Wahrnehmung hinweisen, dass bei Triton im Frühjahr während 
des Aufenthaltes im Wasser die Lederhaut über den ganzen Körper 
hin anschwillt, um nachher wieder einzusinken, welcher Gegensatz 
beim nachfolgenden Landaufenthalt noch mehr hervortritt. Außer 
den längst bekannten Säumen und Lappen der Zehen und dem flos- 
senförmigen Rückenkamm, welche neben der allgemeinen Hautan- 
schwellung um diese Zeit sich entwiekeln, wies ich auch (an Triton 
eristatus) auf die Entstehung eines besonderen Hautsaumes am Mund- 
winkel hin, wodurch dem Tiere eine entschieden fischartige Mund- 





1) Leydig, Organe eines sechsten Sinnes. Nov. act. acad. Leop. Carol., 
Vol, XXXIV (1868), S. 42. — Vergl. auch: Anure Batrachier der deutschen 
Fauna, 1877, S. 121. 

2) In meinen der Daumenschwiele seiner Zeit gewidmeten Studien (Allge- 
meine Bedeckungen der Amphibien. Arch. f. mikr. Anat., 1876; Bau der Zehen 
der Batrachier. Morphol. Jahrb., II; Anure Batrachier der deutschen Fauna, 
1877), habe ich die den gleichen Gegenstand betreffenden Schriften einiger 
Vorgänger übersehen, weshalb ich die Gelegenheit wahrnehme, solches hier 
nachträglich zu verbessern. Es haben nämlich, außer den von mir angeführten 
Autoren: Swammerdam, Rösel, van Deen, F. E. Schulze, der Daumen- 
schwiele noch Aufmerksamkeit geschenkt: Meckel, System der vergleichen- 
den Anatomie, 1824 (Skeletteile des Daumens), ferner Mayer, Neuere Unter- 
suchungen aus dem Gebiete der Anatomie und Physiologie, 1842, endlich noch 
Walter, Mikroskopische Untersuchung der am Vorderfuße des Froschmänn- 
chens befindlichen Drüse. Verh. naturf. Ver. d. Rheinlande, 1851. 





Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 307 


bildung verliehen wird !. Eine eingehendere Darlegung über den 
histologischen Bau des Flossensaumes habe ich später gegeben ?). 

Wenn ich jetzt, um mir die Vorgänge bei der Hautanschwellung 
verständlicher zu machen, die Einzelheiten überblicke, welche ich 
nach und nach über die Struktur der Haut der Amphibien kennen- 
gelernt habe, so möchte ich den Weg, weichen die in Rede stehende 
Umbildung nimmt, folgendermaßen bezeichnen. 

Nachdem das Tier des Fortpflanzungsgeschäftes halber den 
Aufenthalt im Wasser genommen hat, so wird letzteres reichlich in 
die Haut aufgenommen. Als erste Sammelkanäle dienen die Inter- 
zellularräume der Epidermis, von welchen aus die Flüssigkeit in die 
Spalträume des Coriums gelangt. Beiderlei Hohlgänge haben bereits 
die Bedeutung von Lymphgängen ®). Nächst größere Lympbbahnen 
scheinen namentlich jene säulenartig die Lederhaut durchsetzenden 
Bindegewebszüge zu umfassen *), und zuletzt führen alle diese kleinen 
und größeren Lymphbahnen in die ausgedehnten subkutanen Lymph- 
säcke ’. Demnach würde die erste Ursache der Hautschwellung 
auf stärkerer Füllung der Lymphräume mit Wasser beruhen). 

Dass jedoch dieser Vergang nicht in rein mechanischer Weise 
sich vollzieht, sondern unter dem Einfluss des Nervensystems und 

1) Leydig, Molche der württembergischen Fauna. Archiv für Naturge- 
schichte, 1867. ; 

2) Leydig, Schwanzflosse, Tastkörperchen und Endorgane der Nerven. 
Archiv f. mikrosk. Anat, Bd. XII. 

3) Leydig, Bau des tierischen Körpers, 1864, S.50.— Derselbe, Haut- 
decke und Hautsinnesorgane der Fische, 1879, S.180. — Ders., Untersuchungen 
zur Anatomie und Histologie der Tiere, 1883, S. 146. 

4) Siehe meine Wahrnehmungen an der überaus feinen und zarten Haut 
der Innenfläche des Unterschenkels von Rana arvalis in: Anure Batrachier 
der deutschen Fauna, 1877, S. 136. 

5) In der „Anatomie des Frosches“ von Ecker u. Wiedersheim, 1881, 
wird bezüglich der subkutanen Lymphsäcke gesagt, dass ich zwar der Joh. 
Müller’schen Behauptung über die Bedeutung der unter der Haut sich ver- 
breitenden Räume beigetreten sei „ohne jedoch weitere Beweise zu bringen“. 
Hierzu darf ich doch wohl bemerken, dass ich allerdings keine Injektionen 
der Lymphsäcke ausgeführt habe; aber es wurden von mir Wand und Inhalt 
der betreffenden Höhlungen, sowohl an Amphibien als auch bei Reptilien, ge- 
weblich untersucht und daraus eben der Schluss gezogen, dass es sich wirk- 
lich um Lymphräume handle; insbesondere habe ich auch zur Bekräftigung 
dieser Ansicht darauf hingewiesen, dass man die Räume mit „lymphdrüsen- 
artiger Substanz“ erfüllt sehen könne. (Vergl. z. B.: Die in Deutschland leben- 
den Arten der Saurier, 1872; Aeußere Bedeckung der Reptilien; erster Artikel: 
Haut der einheimischen Ophidier. Arch. f. mikr. Anat., 1873.) 

6) Zu „Wasseraufnahme und Hautstruktur“ vgl. namentlich: Paul Sarasin 
und Fritz Sarasin, Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon, 
Bd. II, Heft 2, 1887. Die Verfasser liefern dort auch außer den eigenen wich- 
tigen Beobachtungen eine sorgfältige Bearbeitung des Geschichtlichen. 


208 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


der dadurch geregelten Kontraktilität der Gewebsteile, ist eine An- 
nahme, die wir notwendig machen müssen. An Elementen des Epi- 
thels ist die Fähigkeit der Bewegung, wenn auch bisher in wenigen 
Fällen, immerhin geselien worden !), länger schon an den Zellen des 
Bindegewebes; im Großen erfolgt die Zusammenziehung der Haut 
alsdann durch die glatten Muskeln, welche in das Corium eingewebt 
sind. Erwägt man dies Alles, so lässt sich einigermaßen begreifen, 
dass nach Bedarf des Tieres die Lymphbahnen sich verengern und 
erweitern, auf- und zugehen können. 

Der nächste Schritt der Umbildung scheint der zu sein, dass der 
vorher rein flüssige Inhalt der Lymphräume sich in gallertiges 
oder embryonales Bindegewebe verwandelt. Dies geschieht 
dadurch, dass ein zellig-faseriges: Fachwerk sich entwickelt unter 
Verdichtung der Zwischensubstanz. Und fragt man nach dem Her- 
kommen der Zellen, welche durch ihr Auswachsen das Fachwerk 
erzeugen, so sind hiefür ohne Bedenken jene Elemente anzusprechen, 
welche an und in der Wand der Lymphräume sich finden und bald 
für eine Art Endothel, bald für „Wanderzellen“ gelten ?). Meine 
Zweifel über die wahre Natur dieser Zellen, welche ich früher hegte, 
sind geschwunden, indem ich sie jetzt glaube gleichstellen zu sollen 
jenen Elementen des Bindegewebes, welche ich seit Langem als mem- 
branlose „Bindegewebszellen“* innerhalb der „Lücken“ und „Spalt- 
räume“ des „fibrillären Bindegewebes“ bezeichnet habe. Ob aber 
nicht auch daneben an der Herstellung des Fachwerkes in der 
Gallerte sich die sonst im Lymphraum befindlichen „Lymphkör- 
perchen“ oder „Leukocyten“ beteiligen? Ich wäre, ohne mich freilich 
auf bestimmtere eigene Wahrnehmungen berufen zu können, geneigt 
Solehes anzunehmen, würde nicht Fraisse in seinen ausgedehnten 
Studien über Gewebsneubildung bei Amphibien und Reptilien ganz 
entschieden sich dahin ausgesprochen haben, dass die „Leukocyten“ 
niemals zu fixen Gewebszellen werden, weder in der Bindesubstanz, 
noch sonstwo ). 

Wenn nach dem Ablauf der Fortpflanzungszeit die Hautschwel- 
lung zurückgeht und die Hautsäume verschwinden, so geschieht dies 
wohl auch unter Begleitung von Vorgängen geweblicher Abänderung. 
Mögen dieselben auch einfacherer Art sein, als diejenigen sind, welche 
beim Schwund des Froschlarvenschwanzes sich zeigen und worüber 





4) Ueber Kontraktilität von Epithelzellen: Leydig, Zelle und Gewebe, 
1885, 8. 39. 

2) Vergl. Taf. XI, Fig. 145 in: Die in Deutschland lebenden Arten der 
Saurier (Lymphräume der Augenlider der Eidechse); Anure Batrachier der 
deutschen Fauna, Taf. IX, Fig. 82 (aus dem Durchschnitt der Daumenschwiele 
von Rana arvalis im frischen Zustande). 

3) Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbel- 
tieren, besonders Amphibien und Reptilien, 1885. 





Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 209 


uns Looss!) in gründlicher Weise unterrichtet hat, so wäre es doch 
wünschenswert, Näheres auch nach dieser Seite hin erfahren zu 
können. , 

Jetzt mag nur noch in anderer Hinsicht erwähnt werden, dass 
der Grad der Ausbildung der Hautwucherungen auch unter dem 
Einflusse der Oertlichkeit zu stehen scheint, wie sich beim Vergleichen 
von Tieren aus verschiedenen Gegenden ergibt. So kann der Rücken- 
kamm von Triton eristatus in manchen Landstrichen eine ganz be- 
deutende Höhe erreichen und in andern Gegenden niedrig bleiben; 
Triton helveticus, sonst kammlos, nur mit einer Kante oder Leiste 
in der Mittellmie des Rückens versehen, entwickelt die Leiste 
doch in andrer Gegend zu einem niedrigen Kamm, zugleich mit stär- 
kerer Ausbildung der Schwimmilappen der Hinterbeine ?). Das reiht 
sich Alles an viele andere aus dem Pflanzen- und Tierreich bekannte 
älle an, in denen die Einwirkung der Oertlichkeit auf Größe und 
Gestaltung der Organismen sichtbar ist, ohne dass man jedesmal im 
Stande wäre, den Zusammenhang in bestimmterer Weise zu fassen. 


Bei den Fischen unsres Landes kann während der Laichzeit, 
wie bei Amphibien, die Haut im Ganzen anschwellen, wenigstens 
berichtet dies Fatio über die Haut der Forelle und des Salm °). 
Dazu kommen nun wieder Verdiekungen an einzelnen Körpergegenden, 
worüber Siebold genauere Angaben bringt). Es treibt sich z. B. 
bei Coregonus die Schnauze der männlichen Individuen beim Eintritt 
der Laichzeit mehr oder weniger auf; ebenso entwickelt sich zur 
angegebenen Zeit beim männlichen Tier von Salmo eine Art Haut- 
schwarte, welche den Hinterrücken und auch die Unterseite des 
Schwanzes überzieht. Ich bedauere bisher noch nieht Gelegenheit 
gefunden zu haben, diese Hautwucherungen selbst untersuchen zu 
können, weil man vermuten darf, dass die „Schwartenbildung“ haupt- 
sächlich auf Umbildung der Lederhaut beruhen möge, obschon 
Siebold ausdrücklich hervorhebt, die ganze Erscheinung sei auf 
eine „eigentümliche Verdichtung des Epithelüberzuges“ zurückzu- 
führen. 

Jedenfalls bin ich in der Lage, aus eigener Erfahrung behaupten 
zu können, dass ein zur Laichzeit auftretender Hautwulst bei der 
Seelamprete durch Wucherung der Lederhaut und keineswegs der 
Epidermis zu Stande kommt. Ich meine den von Panizza an Pe- 


1) Looss, Ueber Degenerationserscheinungen im Tierreich, besonders über 
die Reduktion des Froschlarvenschwanzes und die im Verlauf derselben auf- 
tretenden histologischen Prozesse, 1889. 

2) Leydig, Triton helveticus und Rana agilis. Beitrag zur Kenntnis der 
Tierwelt Frankens. Verh. phys. med. Ges. zu Würzburg, 1888. 

3) Fatio, Faune des Vertebres de la Suisse, Vol. V, 1890. 

4) v. Siebold, Süßwasserfische von Mitteleuropa, 1863. 

XII. 14 


310 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


tromyzon marinus zuerst angezeigten Wulst, welcher beim brünstigen 
Männchen längs des Rückens hinzieht. Siebold, da er keine ge- 
schlechtsreifen Tiere vergleichen konnte, bekam den Teil nicht zu 
Gesicht, während ich mich während meines Aufenthaltes in Bonn von 
der Anwesenheit dieser Hautwucherung überzeugen konnte. Denn 
es wurde mir in jedem Frühjahr von den Fischern Petromyzon ma- 
rinus aus dem Rhein zugetragen, was ich zu einer Mitteilung über 
Form und Bau des Wulstes benützt habe !). Nach dem, was ich sah, 
besteht die Rückenschwarte aus weichem Bindegewebe, ähnlich jenem, 
welches die Hautwucherungen der männlichen Wassersalamander im 
Frühjahr erzeugt. Dann schien es mir auch, was abermals hervor- 
gehoben sein mag, als ob in dem Bindegewebe, außer den Blut- 
gefäßen, noch einige größere Lymphgänge zugegen wären, denen ich 
wieder besondere Bedeutung beilegen möchte. 

Wenn wir nämlich heranziehen, was Siebold?) über das rasche 
Zusammenschrumpfen der verdickt gewesenen Schnauze von Core- 
gonus wiederholt bemerkt, so muss man auf den Gedanken kommen, 
dass auch bei den Fischen das Hervor- und Sichzurückbilden der 
Hautschwellungen hauptsächlich durch das Kommen und Gehen von 
Iymphatischer Flüssigkeit bedingt ist. 

Die Thatsache, dass auch die Haut der Fische, welche Tiere ja 
von ständigem Wasseraufenthalt sind, doch wieder nur periodisch 
anschwillt und Verdiekungen zu Wülsten und Schwarten ausbildet, 
spricht doch auch von Neuem vernehmlich aus, dass der Grund des 
Vollsaftigwerdens der Haut nicht allein von physikalischer Ursache 
abhängt, sondern dass ein andres Agens mitwirkt, wodurch dem 
ganzen Vorgang der Charakter einer Begleiterscheinung des Ge- 
schlechtslebens aufgedrückt wird. 


L. 


Bezog sich das Bisherige auf Veränderungen der Lederhaut, so 
ist jetzt eine Erscheinung hervorzuheben, welche an der Epidermis 
bei einer Anzahl von Karpfen- und Salmarten zur Laichzeit auftritt 
und gegenwärtig am meisten mit dem Ausdruck „Perlbildung“ be- 
zeichnet wird. 

Schon im Altertum war es bekannt, dass die Haut gewisser 
Fische zur Zeit der Fortpflanzung sich mit weißen Knötchen bedeckt; 
auch ist nicht zu verwundern, dass aufmerksame Leute des täglichen 
Lebens auch bei uns längst um das Gleiche gewusst haben, bevor 
die Wissenschaft davon Kenntnis genommen hatte. Und hinwiederum 
ist es befremdlich noch in neueren Beschreibungen zu finden, dass 
man etwas Pathologisches in dem Auftreten der weißen Wärzchen 





4) Leydig, Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische. Festschrift d. 
naturf. Ges. in Halle, 1879, S. 171, Anmerkung. 
2) v. Siebold a. a. O, 





Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 21 


vermuten wollte!). Umsomehr dünkt es mir am Platze zu sein, 
eine interessante Arbeit, welche in den Anfang des laufenden Jahr- 
hunderts fällt und in völlige Vergessenheit gesunken zu sein scheint, 
hier in Erinnerung zu bringen. | 

Der italienische Zoolog Giorna?) bekam nämlich, als er die 
Sammlung in Turin zu ordnen begann, das Exemplar einer Karpfen- 
art vor die Augen, welehes durch Dörnchen oder Stacheln auf der 
Haut ausgezeichnet war. Sehr erstaunt über den ihm ganz fremden 
Befund befragt er einen Turiner Fischer, ob er schon Derartiges 
gesehen habe, und erhält zur Antwort, dass die Sache ihm wohl- 
bekannt sei; der Fischer wusste sogar zu sagen, dass nur das lai- 
chende Männchen es ist, welches die Dornen besitzt, und lieferte 
denn auch in der richtigen Jahreszeit den bedornten Fisch ein. 

Was nun die Eigenschaften der Perlbildung im Allgemeinen an- 
belangt, so erscheint sie bei den Karpfenarten unter der Form feiner 
Körnehen, linsenförmiger Flecken, Hügelchen, Wärzchen, die bis zu 
kegeligen und selbst dornähnlichen Auswüchsen verschiedener Größe 
sich gestalten. Die Werke von Heckel und Kner?), dann ins- 
besondere von Siebold*) belehren uns hierüber in vielfacher Weise; 
auch erfährt man dort, dass unter den einheimischen Cyprinoiden die 
Arten Leueisens virgo und Leuciscus Meidingeri die stärkst entwickelten 
Hautdornen besitzen. Der Fisch, welchen Giorna vor sich hatte 
und als Oyprinus idus Linne& bestimmte, ist wohl auch hieher zu 
ziehen. Bei letzterem gingen die Spitzen der dornähnlich ausgezo- 
genen Wärzchen, wenn sie nicht aufrecht standen, nach vorn, waren 
also gegen den Kopf geneigt. Und betrachtet man in dieser Be- 
ziehung genau den unsern Fisch vorstellenden Holzschnitt bei Heckel- 
Kner, so richtet sich ebenfalls am Kopf die Spitze einer Anzahl von 
Dornen vorwärts, während alle übrigen Höcker am Rücken und an 
der Seite des Körpers die Spitze rückwärts kehren °). 

In etwas andrer Form stellt sich der Perlausschlag bei den 
Salmenarten dar. Hier begegnen wir auf den Schuppen flachen Er- 
habenheiten, welche nicht mit einer Spitze endigen, sondern mit einer 
Längsleiste. Auch hierüber erteilt das Siebold’sche Werk nähere 
Nachweise und vor Kurzem hat Fatio das durch die Perlbildung 
entstehende längsstreifige Aussehen des Fisches in einer schönen, 
farbigen Abbildung festgehalten ®). 





4) Vergl. z. B. meine Schrift: Anure Batrachier der deutschen Fauna, 
S. 123, Anmerkung 2. 

2) Giorna, Eclaircissement sur un poisson, aceidentellement &pineux. 
Mem. de l’acad. d. sciene. de Turin, 1805. 

3) Heekel und Kner, Süßwasserfische der österr. Monarchie, 1858. 

4) v. Siebold a.a. O. 

5) Heckel u. Kner a. a. 0. Fig. 94, auf S. 175. 

6) Fatio, Faune des Vertebr&s de la Suisse, Vol. V, Histoire des poissons, 
Il. partie, 1890: „Coregonus exiguus, mäle ad. en noces“. 


14 * 


919 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


Man darf fragen, ob beide Geschlechter den Perlausschlag er- 
halten, oder ob es nur das Männchen ist, an dem die Warzenbildung 
auftritt. 

Einer der frühesten Autoren, Salviani, schreibt den Hautaus- 
schlag bloß den Männchen zu!); nach Heckel-Kner haben bei 
Leueiscus Meidingeri zur Laichzeit „sowohl Männchen als Weibchen“ 
die großen, zugespitzten Auswüchse, während Siebold dies verneint 
und erklärt, er habe auf dem Fischmarkt von München nur die 
Männchen mit den Dornen besetzt gefunden. Bezüglich des Chon- 
drostoma nasus berichtet aber der genannte Ichthyolog selber, dass 
auch das laichende Weibehen den Hautausschlag erhalte, was von 
Solger bestätigt wird ?2). Und anbelangend die Salmoniden, so sagt 
Siebold ausdrücklich, dass „bei allen Arten an den Seiten des 
Leibes, sowohl der männlichen wie der weiblichen Individuen, sich 
der milchweiße Hautausschlag“ entwickle, was denn auch Nüsslin 
im Hinblick auf den von ihm aufgestellten neuen Coregonus wieder- 
holt: „Milchner und Rogner, besonders aber der Milchner“ bekommen 
die länglichen Wülste auf den Schuppen °). 

Hält man diese verschiedenen Beobachtungen zusammen mit 
jenen, welche über Umbildung und Anschwellung der Lederhaut ge- 
wonnen wurden, so ergibt sich der Schluss, dass zwar vorzugsweise 
das männliche Geschlecht es ist, an dem sich die beregien Erschei- 
nungen des Hochzeitskleides ausbilden, dass aber auch am weiblichen 
Körper das Gleiche, wenn schon immerhin in minderem Grade sich 
entwickeln kann. 


Was die Struktur der Perlbildung betrifft, so bezeichnen frühere 
Autoren die Knötchen und Dornen der Cyprinoiden als „knöcherne 
Auswüchse“* und selbst Heckel und Kner halten sie im Allge- 
meinen für „Knochenwärzchen“. Wo jedoch die genannten Autoren 
von den Dornen des Leueiscus virgo sprechen, befinden sie sich schon 


4) Salviani, Aquatilium animalium historia, 1554. 

2) Solger, Ueber Perlfische. Zool. Anz., 1879. Dort wird auch mitgeteilt, 
dass sich bei G@obio fluviatilis noch im November und Dezember an der abge- 
zogenen Epidermis die Perlbildung erkennen lasse. Der Autor verwahrt sich 
dabei ausdrücklich, dass er etwa Becherorgane für Perlbildung genommen 
habe. Trotzdem kann ich doch nicht ganz die Vermutung unterdrücken, es 
möge eine solche Verwechslung mit untergelaufen sein. Wenn Solger näm- 
lich sagt, die Körnchen (Perlen) schließen ein helles Zentrum ein, so passt 
nach dem, was ich sehe, dies nur auf die Becherorgane bei der Präparations- 
weise, wie sie eingehalten wurde, nicht aber entfernt auf die Körnchen des 
Perlausschlages. Zweitens kann ich beisetzen, dass und zwar gerade auch am 
Kopfe der Cyprinoiden die Becherorgane nicht ausschließlich den Papillen auf- 
sitzen, sondern auch einfach auf der Fläche der Lederhaut stehen können. 

3) Nüsslin, Beiträge zur Kenntnis der Coregonus - Arten des Bodensees 
und einiger anderer nahgelegener nordalpiner Seen. Zool. Anz., 1879. 








Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 215 


auf richtigerem Weg, indem sie melden, dass die Auswüchse „horn- 
artige“ Festigkeit haben, ihre Basis sei mit „sulziger Masse“ erfüllt 
und im ausgehöhlten Zustande werde der Auswuchs „dem Horn eines 
Rhinoceros im Diminutivmaßstabe vergleichbar.“ Aehnlich zerlegt 
auch Giorna den Dorn in einen harten, solideren äußeren Teil und 
einen inneren weichen, gallertigen Keim oder Mark („moälle“). Alle 
diese Angaben haben wohl als gute, mit der Lupe gemachte Beob- 
achtungen zu gelten. 

Die erste mikroskopische Untersuchung haben nahezu gleich- 
zeitig Siebold!) und ich ?) vorgenommen und wir fanden überein- 
stimmend, dass die Knötchen Verdiekungen der Epidermis 
sind und nichts „Knöchernes“ an sich haben. Solger?°), welcher 
später ebenfalls eine histologische Prüfung anstellte, übrigens von 
meiner Angabe nichts weiß, erklärt auch die Höcker für „Epidermoi- 
dalknoten“. Wenn dagegen noch in neuesten Schriften — aus dem 
Jahre 1890 — bezüglich der Perlbildung vorgetragen wird, dieselbe 
sei ein „Sekret“ auf der Oberfläche der Schuppen und diese „Kon- 
kretionen“ seien „halbknöchern“, so muss man eben in Betracht 
ziehen, dass gar Mancher der „Ichthyologen“ mit der Histologie auf 
gespanntem Fuße steht. 

Einstweilen habe ich von Neuem Cyprinus carpio, Rhodeus amarus 
und Phoxinus laevis auf die besagten Gebilde angesehen und glaube 
Folgendes vorlegen zu sollen. 

Im Falle die Knötehen so klein sind, dass sie kaum etwas über 
die Hautfläche vorragen, grenzen sie sich innerhalb der Epidermis 
dadurch ab, dass die sie zusammensetzenden Zellen eine konzen- 
trische Anordnung zeigen, auch größer geworden sind als jene der 
Umgebung. Dabei haben sie ferner ihren Saum in der Weise um- 
geändert, dass man sie den „Riffzellen“ anzureihen hat; endlich sind 
im kuppenförmig hervorragenden Teil die Zellen stärker verhornt. 

Hat sich die Kuppe zu einem Dorn oder Stachel verlängert, bei- 
spielsweise bei Phoxinus, so haben wir das Bild eines Hornzahnes 
vor uns. Der leicht gekrümmte, spitz endigende Dorn erscheint bei 
auffallendem Licht im frischen Zustande glänzend weiß, bei durch- 
sehendem Licht hell und anscheinend homogen -streifig, das letztere 
dadurch, dass die stark verhornten und sehr platten Zellen ganz 
dicht aufeinander liegen. Der innere Teil des Dornes besteht aus 
weicheren, rundlichen Epidermiszellen: es ist der Keim oder das 
Mark bei Giorny und die sulzige Masse, von welcher Heckel und 
Kner reden. Zu unterst an der Grenze zur Lederhaut haben, wie 
überall in der Epidermis, die Zellen eine aufrecht längliche Gestalt. 
Schleimzellen, so reichlich in der übrigen Epidermis vertreten, gehen 





1) v. Siebold, Süßwasserfische, 1863. 
2) Leydig, Bau des tierischen Körpers, 1864, S. 65, Anmerkung 5. 
3) Solger, Ueber Perlfische. Sitzber. d. naturf. Ges. in Halle a /S., 1878. 


214 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


nicht in den Bau der Wärzchen und Dornen über, sondern fehlen 
hier völlig, was auch Solger bereits hervorgehoben hat. 

Die Lederhaut unterhalb des Epidermisknotens bildet für ge- 
wöhnlich nur eine geringe muldenförmige Einbiegung, die so seicht 
sein kann, dass man ihr kaum Beachtung schenken mag. In dem 
eben erwähnten Punkt verhält sich aber der Bitterling, Rhodeus 
amarus, wesentlich anders und verdient daher eine Beschreibung für 
sich, die ich anderwärts durch Abbildungen zu vervollständigen 
gedenke. 

An genannter Karpfenart bildet nämlich die Lederhaut zur Auf- 
nahme der gelblichen oder auch kreideweißen Epidermiswarzen, 
welche sich bei beginnender Geschlechtsthätigkeit auf der Oberlippe 
des Männchens einstellen, wirkliche säckehenartige Eintiefungen. 
Und weiter wird auf Durchschnitten der größeren Warzen gesehen, 
dass die Wand des Säckchens einige kurze Vorsprünge abgibt, die 
sich wie Papillen ausnehmen, aber wohl besser auf eine Art be- 
ginnender Septenbildung zurückgeführt werden, da diese „Papillen“ 
in den Sehnittreihen immer genau an gleicher Stelle wiederkehren. 

Es ist abzuwarten, ob nicht fortgesetzte Untersuchungen auch 
noch bei andern einheimischen Karpfenarten die gleiche Säckchen- 
bildung aufzuzeigen vermögen. Doch selbst bei Leueiscus virgo . 
scheint es, als ob die so sehr entwickelten Dornen nur in mulden- 
förmigen Vertiefungen der Lederhaut, ohne Papillarentwicklung, sitzen, 
was daraus zu schließen sein möchte, weil Heckel-Kner bloß von 
„Narben“ sprechen, die sich beim Abfallen der Dornauswüchse nach 
und nach ausgleichen. Eher könnte die Beschreibung bei Giorna 
vermuten lassen, dass Papillen vorhanden wären, da es dort heißt, 
dass die weiche gallertähnliche Innensubstanz von „rötlicher Farbe“ 
sei. Wem sich zuerst Gelegenheit bietet unsern Fisch von Neuem 
vorzunehmen, wird sagen können, ob das „Rot“ in der That von 
Papillen und ihren Blutgefäßen herrührt, oder was doch wahrschein- 
licher ist, ob nicht diese Farbe der inneren weicheren Zellenmasse 
durch Einwirkung des Weingeistes entstanden ist. 

Noch mag an dieser Stelle und in Hinsicht auf die Verbreitung 
des Perlausschlages daran erinnert werden, dass außer den Karpfen 
und Salmen auch bei den Neunaugen (Cyklostomen) etwas der Perl- 
bildung Verwandtes vorzukommen scheint. Wenigstens habe ich an 
Petromyzon marinus eine Hügel- und Höckerbildung der Epidermis 
beobachtet, welche ich nach dem Aussehen fürs freie Auge mit dem 
Perlausschlag zusammenzustellen geneigt wäre. Aber bezüglich des 
Baues würde recht im Gegensatz zu den Teleostiern der Unterschied 
herrschen, dass die Höcker nicht aus einer Ansammlung gewöhnlicher 
Epidermiselemente bestehen, sondern aus Drüsenzellen '). 


4) Leydig, Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische, 1879. 








Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 215 


Ill. 


Durch das Vorausgegangene und insbesondere in Berücksichti- 
gung dessen, was der einheimische Bitterling erkennen lässt, werden 
wir in den Stand gebracht, gewisse, auf den ersten Blick ganz merk- 
würdig sich ausnehmende Vorkommnisse bei fremdländischen Karpfen- 
arten jetzt besser beurteilen zu können. 

Bei zahlreichen indischen Cyprinoiden kommen am Kopfe, na- 
mentlich in der Schnauzengegend, sehr auffällige Poren vor, die 
von früheren Ichthyologen nur insofern beachtet wurden, als die 
Verschiedenheit in Größe, Zahl und Lage dazu helfen konnte, manche 
dieser Fische in systematischem Sinne genauer abzugrenzen. Den 
Bau weiter aufzuklären hatte man nicht versucht. Als sich mir die 
Gelegenheit geboten, mit dergleichen Poren ausgestattete Cyprinoiden 
selber in Augenschein zu nehmen, gab ich die ersten, die Struktur 
betreffenden Darlegungen !). 

Je ein Porus erwies sich als die Oeffnung einer sackförmigen 
Einstülpung der Lederhaut; ins Innere des Säckehens, zwischen noch 
vorhandenen Resten der Epidermis, erhoben sich vom Grunde und 
seitlich fadenförmige Bildungen, welche die Natur äußerst verschmä- 
lerter und lang ausgezogener Papillen des Coriums hatten. Im Innern 
der Papillen ließen sich Nervenfasern erkennen. 

Welche Bewandtnis es nun aber mit diesen zum Teil geradezu 
stattlichen und eigenartigen Säckehen habe, war mir dazumal un- 
möglich zu bestimmen, und ich wusste eigentlich nur zu sagen, was 
die Organe nicht sind. Die Säckehen seien keine Drüsen, auch ihre 
Oeffnungen durchaus nieht den Löcherreihen der Kopfkanäle des 
Seitenkanalsystemes zu vergleichen, ebensowenig könne irgend eine 
Verwandtschaft zu den Gallertröhren angenommen werden. Sonach 
blieb nichts übrig, als anzunehmen, dass den innerhalb der Säckchen 
aufsteigenden, mit Nerven ausgestatteten Papillen durch die Lagerung 
in der Tiefe eine bergende und schützende Umgebung erwachsen sei, 
zudem Papillen von solcher Länge und Zartheit sonst nicht auf der 
Haut zugegen waren. Und so konnten endgiltige Aufschlüsse über 
die Bedeutung der Säckchen erst erwartet werden, wenn es sich 
treffen sollte Fische zu bekommen, welche noch die volle Epidermis 
besäßen. An den mir vorgelegenen Exemplaren war die Oberhaut 
bis auf schwache Spuren abgefallen und verschwunden gewesen. 

In die günstige Lage, ein Tier mit vollkommen erhaltener Epi- 
dermis untersuchen zu können, bin ich unterdessen gesetzt worden. 

Auf der an wissenschaftlichen Ergebnissen so reichen ceyloni- 
schen Forschungsreise, welche die Herren DDr. Sarasin ausgeführt 

4) Leydig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Tiere, 1883. 
(Zur Kenntnis der Hautdecke und Mundschleimhaut indischer Cyprinoiden, Taf. I 
und Taf. II.) 





916 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


haben, fiel ihnen unter Anderem der Cyprinoid Discognathus lamta 
wegen wunderlicher Bildungen der Kopfgegend auf, weshalb sie ein 
Exemplar sorgfältig mit Chromsäure behandelten und nach ihrer 
Rückkehr die Freundlichkeit hatten mieh damit zu beschenken. Ich 
berichte im Folgenden einstweilen und vorläufig nur über die Punkte, 
welche zur Aufhellung der gegenwärtigen Frage dienlich sein können. 
Ausführlicheres und Abbildungen werden an einem andern Ort folgen. 

Man erblickt bei genanntem Discognathus am vordern Teil der 
Schnauze „Poren“, die mit der Lupe angesehen beinahe an die Pa- 
pillae eircumvallatae der Zungenoberfläche bei Säugern gemahnen 
könnten, indem aus einer wallartig umzogenen Vertiefung eine kurze 
Wölbung hervorsteht. Da nun ferner bei der mikroskopischen Unter- 
suchung bald zahlreiche Nervengefleehte in der Umgebung der Gruben 
zur Ansicht kommen, so begreift sich, dass die Vermutung dahin 
gehen darf, es möchten Sinneswerkzeuge an diesen Hautstellen ver- 
borgen sein. 

Allein für eine solche Annahme bringt die fortgesetzte Unter- 
suchung keine rechte Bestätigung. Es zeigt sich, dass die Epidermis, 
welche die grubige Eintiefung der Lederhaut ausfüllt, mit ihrer 
innersten Zellenmasse sich zu einer Art Pfropf oder Zapfen ver- 
dichtet, der bald höher bald niedriger aus der Grube hervorragen. 
kann. Ja man bekommt weiterhin auch Gruben unter die Augen, 
in denen der Zapfen zu einem ganz ansehnlichen Kegel auswächst, 
der selbst die Gestalt eines dornartigen Gebildes annehmen 
kann. Der Kegel oder Dorn sieht zunächst aus, als ob er homo- 
genen Wesens sei und eine Art von kutikularem Käppchen vorstelle ; 
allein die genauere Prüfung lehrt bestimmt, dass er aus Epidermis- 
zellen von starker Abplattung und Verhornung, dabei aufs dichteste 
übereinander gelagert, zusammengesetzt ist. Noch verdient Er- 
wähnung, dass nur Epidermiszellen von der gewöhnlichen Sorte in 
die Bildung dieser Hauthöcker eingehen, keineswegs aber Schleim- 
zellen, die doch ringsum in der Epidermis sq häufig sind. 

Nach solchem Befund kann kaum ein Zweifel obwalten, dass 
man es bezüglich der Gruben des Discognathus samt ihren Zapfen, 
Kegeln und Dornen mit jener Organisation zu thun habe, welche 
wir als Hauttuberkeln oder Perlbildungen von einer ganzen Anzahl 
karpfenartiger Fische unsres Landes kennen und zum „Hochzeits- 
kleid“ rechnen. 

Füge ich nun noch hinzu, dass der senkrechte Schnitt durch die 
Gruben oder Säckchen des Discognathus die Anwesenheit von langen, 
zarten Papillen aufzeigt, welche in die Zellenmasse der ausfüllen- 
den Epidermis eindringen, so geht uns ein Licht auf über die wahre 
Natur der „Poren“ der seiner Zeit von mir untersuchten indischen 
Cyprinoiden. Man darf sich für überzeugt halten, dass auch bei 
letzteren zur Brunstzeit in und über den Säckchen solche vergäng- 








Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 217 


liche epidermoidale Wucherungen in Form warzen- oder perlenartiger 
Auswüchse sich entwickeln werden. 

Uebrigens möchte ich nicht unterlassen zu bekennen, dass, hätte 
ich vor der Untersuchung der außereuropäischen Arten den „Haut- 
ausschlag“ und seine Gruben beim heimischen Bitterling bereits histo- 
logisch gekannt, ich wahrscheinlich schon dazumal trotz des defekten 
Zustandes der Exemplare der Deutung näher gekommen wäre. Oben- 
drein, wenn mir eine Aeußerung, welche Siebold gethan, im Ge- 
dächtnis gewesen wäre). Derselbe spricht nämlich die Vermutung 
aus, dass die „für weite Poren gehaltenen Gebilde auf der Schauze 
des (außereuropäischen) Cyprinus Boga“ zu dem Perlausschlag Be- 
ziehung haben möchten. Den COyprinus Boga kenne ich zwar nicht 
aus eigener Anschauung, aber für die von mir untersuchten Gattungen 
und Arten scheint mir festzustehen, dass sich die Richtigkeit des 
Siebold’schen Vorausblickes bewahrheitet hat. 


IV: 

Geleitet von dem Gedanken, dass einheitliche Züge allerorts im 
Bau des tierischen Organismus wiederkehren, wird man sich darnach 
umschauen dürfen, ob nicht auch sonst bei Wirbeltieren etwas der 
Perlbildung der Fische Verwandtes vorkommen möge. 

Da meine ich denn, dass die sogenannten Schenkelporen der 
Eidechsen heranzuziehen seien. 

Die von mir vor 20 Jahren an Lacerta agilis und Lacerta vivi- 
para angestellten Untersuchungen habe ich jetzt an Lacerta ocellata 
wiederholt, ohne etwas von meinen früheren Angaben zurücknehmen 
zu müssen. Auch gegenwärtig sehe ich deutlich, dass der aus dem 
Porus hervorragende Kegel ein reines Epidermisgebilde ist, ein „ab- 
geändertes Stück der Oberhaut“, wie ich damals mich ausdrückte 
und im Einzelnen auseinandersetzte. Nach meinem Dafürhalten darf 
dieser Hornkegel nach Bau und Entstehung den zur Laichzeit auf- 
tretenden Dornbildungen der Epidermis der Fische angereiht werden. 
Ein großer Unterschied gegenüber von den Fischen besteht nur darin, 
dass hier bei Eidechsen an den Porus nach einwärts eine Drüse sich 
anschließt, die, gefächert und ohne Lichtung, dicht erfüllt ist von 
Zellen, welche jenen der Schleimschicht der Epidermis entsprechen 
und unter allmählicher Umwandlung übergehen in die homogenen Epi- 
dermisplättchen des aus dem Porus hervorstehenden Hornkegels. Die 
bindegewebigen Septen, welche Blutgefäße ins Innere tragen, lassen 
sich mit den gefäßführenden Papillen innerhalb der Säckchen der 
indischen Cyprinoider vergleichen. (Nur nebenbei mag erwähnt sein, 
dass die Gesamtheit der Drüsen in einen subkutanen Lymphraum 
hinabragt). 





1) v. Siebold, Süßwasserfische. Dort wo er Chondrostoma nasus abhandelt. 
2) Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier, 1872. 


218 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


Und während man so, schon in Erwägung des morphologischen 
Verhaltens, zwischen den Epidermistuberkeln der Fische und den 
Hornkegeln am Schenkel der Eidechsen Verwandtsehaftliches zu er- 
blicken sich befugt halten darf, wird auch von physiologischer Seite 
her diese Betrachtungsweise unterstützt. Denn es ist leicht wahr- 
zunehmen, dass gerade im Monat Mai, der Fortpflanzungszeit der 
heimischen Eidechsen, die Kegel am entwickeltsten sind, weit aus 
dem Porus hervorstehen, später aber wieder niedriger werden. 

Weniger richtig scheint eine andere Zusammenstellung zu sein, 
welche ich vorgenommen hatte. 

Schon vor Geraumem nämlich habe ich die Ansicht geäußert, 
dass ein beim Weibehen von Rana fusca während der Laichzeit vor- 
kommender Höckerausschlag der Perlbildung auf der Epidermis 
der Fische anzuschließen sei '). Es geschah dies zufolge von Unter- 
suchungen, welche ich vor nun bald vier Dezennien in der damals 
gebräuchlichen, einfacheren Weise unternommen hatte 2). Die Höcker- 
bildung glaubte ich auf eine Vermehrung von Epidermiszellen zurück- 
führen und ebendeshalb eine Verwandtschaft mit der Perlbildung der 
Fische annehmen zu können. 

In einer mit den jetzigen Hilfsmitteln und Methoden durch- 
geführten Arbeit von Huber?) (unter Anleitung von Professor F. E.. 
Schulze) wird aber gesagt, dass die Höcker bei Rana der Haupt- 
sache nach aus einer vorgewölbten Cutispapille bestehen, während 
das Epithel von gewöhnlicher Höhe sei, und es gehöre zu den sel- 
tenen Fällen, wenn die Epidermis zur doppelten Dicke sich verstärkt 
zeige. Sonach könne die Perlbildung der Fische und diese Warzen- 
bildung der Frösche vom morphologischen Standpunkt aus nicht auf 
eine Linie gestellt werden. 

Eine Nachprüfung habe ich unterdessen noch nicht vorgenommen, 
um zu schen, ob wirklich die Epidermis „nur in seltenen- Fällen“ 
über den Warzen verdickt ist. Bestätigt sich aber Solches, so wären 
die Höcker allerdings nicht mit dem Perlausschlag der Epidermis zu 
vergleichen, sondern man hätte vielmehr die vergrößerten Papillen 
des Coriums unter die oben aufgezählten Wucherungen der Lederhaut 
zu bringen. Dass jedoch physiologischerseits Huber meine Auf- 
fassung teilt, geht aus der den Höckern beigelegten Bezeichnung 
„Brunstwarzen“ hervor. 

V. 


Insofern die abgehandelten Veränderungen des Coriums und der 
Epidermis mit dem Geschlechtsleben zusammenhängen, darf man auch 


1) Leydig, Bau des tierischen Körpers, 1864, S. 65, Anmerkung 5. 

2) Leydig, Anatomisch -histologische Untersuchungen, 1853. 

3) Huber, Ueber Brunstwarzen bei Rana temporaria. Zeitschr. f. wiss. 
Zoologie, 1887. 








Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien, 219 


dafür halten, dass die Beziehungen des Nervensystems zum Integu- 
ment um diese Zeit einen schärferen Ausdruck erhalten mögen. 

Hiebei hat man wohl zunächst den Bau der Daumenschwiele 
ins Auge zu fassen. Von den zahlreichen Nerven, welche den Dau- 
menwulst unter geflechtartigem Austausch versorgen, steigt ein Teil 
in die Papillen des Coriums herauf, um dort mit „Tastkörperehen“ 
zu enden, ein andrer Teil lässt sich an die Drüsensäcke verfolgen 
und nach meinen früheren Ermittelungen „können sich kleine Gang- 
lienkugeln noch in die Nervenfasern einschalten.“ Die nervösen End- 
organe in den Papillen werden um genannten Zeitabschnitt in ent- 
wickelterem Zustande getroffen !). 

Auch die Mitteilungen Huber’s über den histologischen Bau der 
Brunstwarzen reden der Auffassung das Wort, es möge der Haut- 
sinn mit der Ausbildung der Warzen ein gesteigerter sein. Außer 
den reichliehen Blutgefäßen sind nämlich, wie der Genannte berichtet, 
Nervenfasern in der vorgewölbten Cutispapille zugegen und außer- 
dem noch „große multipolare Ganglienzellen“, von denen Ausläufer 
zwischen die Epithelzellen eindrängen und dort wahrscheinlich knopf- 
förmig aufhörten. Wenn nun auch diesen Angaben gegenüber für 
mich kaum ein Zweifel bestehen kann, dass die „multipolaren Gang- 
lienzellen“ dasselbe sein werden, was ich vor Langem als „verästigte 
Zellen in der Epidermis“ angezeigt habe, die gleichwertig wären jenen 
Chromatophoren, welche mit und ohne Pigment in der Lederhaut vor- 
kommen, so geschieht damit der Auffassung, wie sie hier vertreten 
wird, kein Eintrag, da ich ja ebenfalls den Zusammenhang dieser 
zelligen Elemente mit Nervenfasern sehon vor Dezennien angezeigt 
habe ?). 

Immerhin vermag ich doch nicht ganz der Meinung mich anzu- 
schließen, dass in den Papillen der Daumenschwiele und in den 
„Brunstwarzen“ der Sitz einer besonderen, vom Tasten verschiedenen 
Empfindung sei, und zwar aus dem Grunde nicht, weil ja Papillen 
mit den gleichen nervösen Endorganen auch sonst über die Haut- 
fläche verbreitet stehen, auch Huber selbst den Bau der Brunst- 
warzen mit jenen von Merkel an Rana esculenta beschriebenen 





4) Anknüpfend an frühere Studien (Histologie S. 81) habe ich die Tast- 
körperchen der Daumenschwiele weiter behandelt und vergleichend dargestellt 
in: Allgemeine Bedeckungen der Amphibien a. a. O.; Bau der Zehen der Ba- 
trachier a. a. ©. Taf. IX u. X; endlich in: Anure Batrachier der deutschen 
Fauna. 

2) Seit dem Jahre 1857 bin ich wiederholt auf den obigen Gegenstand 
zurückgekommen, zuletzt in: Pigmente der Hautdecke nnd der Iris. Verhand- 
lungen d. phys. med. Ges. zu Würzburg, 1888, S. 13. Jüngst hat auch Sig- 
mund Mayer in: Beiträge zur Histologie und Physiologie des Epithels, Zeit- 
schrift „Lotos“, 1892, diesen Zellen Aufmerksamkeit gewidmet und insbesondere 
gezeigt, dass dieselben keineswegs wie Andere wollten „Wanderzellen“ seien, 
sondern an Ort und Stelle entständen. 


0 Leydig, Integument brünstiger Fische und Amphibien. 


„Tastflecken“ in Verbindung bringen möchte. Wie mich bedünkt, 
lässt sich aus dem morphologisch Erkannten nur soviel folgern, dass 
der über das ganze Integument sich ausdehnende Hautsinn an ge- 
dachten Körperstellen in erhöhtem Grade zugegen sein möge. 

Und endlich im Hinblick auf die Epidermoidalknoten oder 
die Perlbildung der Cyprinoiden und Salmoniden glaube ich mich 
dahin äußern zu dürfen, dass diese, weil härtere Partien der Epi- 
dermis, dem Tastvermögen der Haut in ähnlicher Weise zu Hilfe 
kommen werden, als es etwa die Nägel der menschlichen Finger 
beim Tasten thun. Hautstücke der Fische, namentlich im frischen 
Zustande und von der Fläche betrachtet, zeigen vielfältige End- 
maschen eines Nervennetzes, dessen Ausläufer zum Teil nach den 
Becherorganen sich wenden, andrerseits wahrscheinlich aber auch zu 
den Epidermoidalknoten Bezug haben werden. Letztere Vermutung 
vorzubringen habe ich wohl einige Berechtigung durch die Befunde, 
welche sich mir in den Papillen der indischen Cyprinoiden darboten. 
Dort in dem keulig angeschwollenen Ende der langen und feinen 
Papillen innerhalb der Säckchen von Rohita vitata ist nicht bloß der 
Nerv sichtbar, sondern es hebt sich an seinem Ende ein „länglich 
runder Fleck“ ab, der „eine zellige Zusammensetzung“ zu haben 
schien und mich schon damals an „etwas den Nervenkolben Ver- 
wandtes“ erinnerte !). Jedenfalls zeigt sich die Gesamtorganisation 
des Säckchens darnach angethan, um einen Druck, der den hervor- 
stehenden Epidermiskegel trifft, den Endpunkten der Nerven im 
Innern der Papillen zur Empfindung zu bringen. 

Das auf dem Wege der Zergliederung Wahrgenommene lässt 
sich gut in Einklang bringen mit den Beobachtungen, welche ver- 
schiedene Ichthyologen bezüglich des Benehmens der laichenden 
Fische gemacht haben. So ist bekannt, dass die Tiere zur Fort- 
pflanzungszeit in Schaaren sich sammeln, dabei nebeneinander her- 
schießen und sich aneinander reiben. Da es nun nahe liegt anzu- 
nehmen, dass die Männchen und Weibchen es sein werden, welche 
sich gegenseitig streifen?), so darf man wohl ein Liebesspiel in diesen 
Bewegungen erblicken, wobei jetzt die Organe der Perlbildung in 
Dienst {reten. Bei Fischen, welehe sich in sehr dichten Schaaren 
zusammendrängen, mögen die Knötehen sofort teilweise abgerieben 
werden und sogar, wie berichtet wird, weite Strecken des Wasser- 
spiegel überdecken°®). Dass aber einzelne der Knötehen bei manchen 





1) Leydig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Tiere, 1883, 
Taf. I, Fig. 13, Papille aus dem Porus von Rohita vittata. 

2) Vergl. Nüsslin a. a. OÖ. und ebenso Fatio a. a. 0. 

3) Heckel u. Kner haben a.a.0. zuerst auf diese Erscheinung an Üore- 
gonus Wartmanni aufmerksam gemacht, aber die abgeriebenen Teile für Schuppen 
genommen, während Siebold wohl richtiger die oben berührte Deutung aus- 
gesprochen hat. 








Baur, Ein Besuch der Galäapagos - Inseln. 221 


Arten monatelang, ehe sie völlig eingehen, sich erhalten, wie ich 
selber z. B. an Phoxinus laevis gesehen, soll nur noch nebenbei er- 
wähnt sein. 

Ich schließe mit dem Wunsche, dass man in dem Dargelegten 
einige Aufklärung über den Gegenstand, welcher zur Sprache gebracht 
wurde, finden möge. 

Würzburg im Januar 1892. 


Ein Besuch der Galäpagos - Inseln '). 
Von Dr. Georg Baur. 


Sämtliche Inseln können nach ihrer Entstehung in zwei Gruppen 
geteilt werden, die man gewöhnlich mit dem Namen Kontinentalinseln 
und ozeanische Inseln bezeichnet. Jene sind abgelöste Teile eines 
Kontinentes; diese sind aus dem Wasser herausgehobene Landmassen. 
Die heute als ozeanischen Ursprungs betrachteten Inseln sind meist 
Korallen- oder vulkanische Inseln. Eine ganze Reihe vulkanischer 
werden als ozeanische betrachtet aus dem einfachen Grunde, weil sie 
vulkanisch und durch tiefes Wasser (über 1000 Faden) vom Lande 
getrennt sind. Es erhebt sich nun sofort die Frage: bietet die vul- 
kanische Natur einer Insel genügenden Grund, diese als ozeanisch zu 
erklären? Ich glaube nicht. Angenommen, ein mit ausgedehnten 
Vulkanen besetzter Teil eines Kontinentes senke sich allmählich; 
zuerst wird das Senkungsgebiet eine rein kontinentale Insel darstellen, 
auf welcher sich dieselben sedimentären Schichten finden wie auf dem 
Mutterkontinent. Dauert nun aber die Senkung fort, so verschwinden 
diese Schichten allmählich unter dem Wasserspiegel, und zuletzt 
bleibt niehts übrig wie die Gipfel der vulkanischen Berge, ein Gruppe 
von Inseln darstellend. Diese Inselgruppe wäre wahrscheinlich durch 
mehr als 1000 Faden tiefes Wasser vom Mutterkontinerte getrennt, 
wäre rein vulkanischer Natur und dennoch nicht ozeanischen, sondern 
kontinentalen Ursprungs. Wir sehen also, dass eine isolierte vulka- 
nische Inselgruppe ebensowohl ozeanischen als kontinentalen Ursprungs 
sein kann. Die geologische Beschaffenheit ist nicht genügend, um zu 
einem sicheren Schluss zu kommen. Wir müssen uns also nach anderen 
Hilfsmitteln umsehen. Diese finden wir in den Organismen, die die 
Inseln bewohnen. Es ist klar, dass die Organismen der kontinentalen 
Inseln Ueberbleibsel vom Mutterkontinente sind, sie werden aber mit 
denen des Kontinentes, je nach Zeit der Trennung, mehr oder weniger 
übereinstimmen. Es ist ebenso klar, dass die Organismen wahrer 





4) Wir bringen den folgenden Artikel unseres geehrten Mitarbeiters auf 
dessen Wunsch zum Abdruck, gleichsam als Einleitung zu den Berichten über 
die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen an dem von dem Herrn Verfasser 
gesammelten Material, mit welchen derselbe zur Zeit noch beschäftigt ist und 
deren Veröftentlichung in kurzer Zeit bevorsteht. 


399 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


ozeanischer Inseln zufällige Einwanderer sind, die sich erst nieder- 
lassen konnten, nachdem die Inseln sich über den Wasserspiegel ge- 
hoben hatten. Denken wir uns, eine große Kontinentalinsel zerfalle 
durch Senkung in eine Anzahl kleinerer Inseln, so wird jede derselben 
mehr oder weniger vollständig die Organismen der ursprünglichen 
Insel enthalten. Stellen wir uns aber vor, es werde allmählich eine 
Reihe von Inseln aus dem Wasser herausgehoben, so wird einmal 
diese Insel einen zufälligen Einwanderer erhalten, einmal jene einen 
solehen von ganz anderem Ort und womöglich von ganz verschiedener 
Natur. Um es kurz zu fassen, die Organismen einer kontinentalen 
Inselgruppe werden ein harmonisches Ganze darstellen, die Insel- 
gruppe wird sich zum Mutterlande verhalten, wie eine Satellitengruppe 
zum Planeten, von dem sie stammen. Die Organismen einer ozeani- 
schen Inselgruppe hingegen werden ein unharmonisches Gemisch dar- 
stellen. Ich glaube daher, dass es möglieh ist, durch eine genaue 
biologische Untersuchung einer Inselgruppe Schlüsse auf deren Ur- 
sprung zu machen. Als Beispiel sollen die Galäpagos-Inseln dienen, 
sie sind vollkommen vulkanischer Natur und durch mehr als 500 See- 
meilen vom südamerikanischen Kontinent getrennt. Darwin hat diese 
Inselgruppe zuerst für vulkanischen Ursprungs erklärt und angenom- 
men, dass sie nie mit dem Kontinent in Verbindung stand, sondern 
aus dem Wasser herausgehoben worden ist. Dieselbe Meinung wurde 
aufrecht erhalten durch Hooker, Wallace, Griesebach, Moriz 
Wagner, Peschel u. a. Henri Milne Edwards ist der einzige, 
weleher sich für den kontinentalen Ursprung erklärt hat. Wir wollen 
untersuchen, welehe Anschauung die meiste Wahrscheinlichkeit für 
sich hat. 

Durch ein genaueres Studium der riesigen Landschildkröten der 
Galäpagos-Inseln wurde ich bewogen, mich etwas eingehender mit 
dieser Inselgruppe, die mir nur dureh Darwin’s Beschreibung und 
Wallace’s Bemerkungen in seinem Island-life bekannt war, näher 
zu beschäftigen. Bekanntlich hat Darwin auf die Thatsache hin- 
gewiesen, dass jede einzelne Insel ihre besondere Rasse von Schild- 
kröten besitze, so dass die dortigen Kolonisten im Stande wären, beim 
Anblick der Schildkröten zu sagen, von welcher Insel sie kämen. Die 
Anwesenheit der riesigen Schildkröten und ihre eigentümliche Dif- 
ferenzierung waren mir unmöglich zu verstehen, wenn ich mit Darwin 
und den übrigen annahm, dass die Inseln durch Hebung entstanden 
seien. Ich konnte nicht begreifen, wie diese Schildkröten nach allen 
Inseln zufällig verschlagen worden sein sollten, und dass doch keine 
von einer Insel zur andern kam. Es war im Januar 1889, als im 
Peabody-Museum zu New-Haven, Conn. eine große Landschildkröte 
ausgepackt wurde, die mein Freund Hatcher im Miocän von Nebraska 
gesammelt hatte. Diese ausgestorbene Schildkröte glich sehr den 
noch auf den Galäpagos-Inseln lebenden. Am gleichen Tage kam 





Baur, Ein Besuch der Galapagos - Inseln. 295 


ich zum Schluss, dass die Galäpagos-Inseln durch Senkung entstanden 
sind und früher mit dem Kontinent von Amerika in Verbindung 
standen. Die Schildkröten waren nach der Isolierung der Inseln vom 
Kontinent auf jenen zurückgeblieben, und nach weiterer Spaltung 
hatte jede einzelne Insel ihre besondere Rasse entwickelt. Von diesem 
Tage begann ich Alles zu lesen, was ich über die Galäpagos- Inseln 
finden konnte, und mehr und mehr kam ich zur Ueberzeugung, dass 
eine genaue biologische Untersuchung von der allergrößten Wichtig- 
keit sein würde, nicht allein in der Frage nach dem Ursprung der 
Inseln, sondern auch nach dem Ursprung der Arten; denn wenn es 
sich zeigen sollte, dass diese Inselgruppe wirklich durch Senkung 
entstanden war, dann konnte man die Differenzierung der Arten auf 
den einzelnen Inseln, je nach der Zeit ihrer Trennung, Schritt für 
Schritt verfolgen. 

Im Januar 1890 hatte ich meine Stellung als Assistent des Herrn 
Prof. ©. C. Marsh in New-Haven aufgegeben; es kam mir nun der 
Gedanke, ob es nicht vielleicht möglich wäre, eine Expedition nach 
den Galäpagos zur Ausführung zu bringen. Ich entwarf ein Programm, 
das durch Vermittlung von Herrn Prof. Dr. v. Kupffer in München der 
Berliner Akademie vorgelegt wurde. Die Sache kam zur Besprechung, 
aber die Entscheidung lautete, dass die Summe von 20,000 Mark, die 
ich für eine vollkommene biologische und geologische Untersuchung 
der Inselgruppe für nötig gehalten hatte, den zu gewinnenden Resul- 
taten wohl nicht entsprechen würde. Nun wandte ich mich an ver- 
schiedene Institute und Museen in den Vereinigten Staaten, aber mit 
demselben negativen Resultat. Es war in dieser Zeit, als ich als 
Gast meines hochverehrten Freundes Professor Cope in Philadelphia 
Gelegenheit hatte, die Sammlung von Eidechsen durchzusehen, die 
der U. S. Fish-Commission Steamer Albatross im April 1888 auf den 
Galäpagos-Inseln gemacht hatte. Ich war nicht wenig erstaunt, als 
ich bemerkte, dass jede einzelne Insel nur eine einzige Art oder Rasse 
der Eidechsengattung Tropidurus besaß, und dass beinahe jede Insel 
eine ihr eigentümliche Art oder Rasse zeigte. Dies war eine neue 
gewaltige Stütze für meine Anschauung und ich veröffentlichte nun 
zum ersten Mal dieselbe. (Dieses Blatt, Bd. X, Nr. 15 u. 16, 1890.) 
Kurz darauf hatte ich einen Ruf an die Clark-Universität in Worcester 
erhalten. Mehr und mehr war ich von der Wichtigkeit einer Expe- 
dition überzeugt, und ich legte daher der Universität den Plan vor. 
Aber auch hier hatte ich kein Glück. Nun wurden Vorträge in Wor- 
cester, Boston, New-York und Princeton gehalten, um das Interesse 
wachzurufen; aber es war zweifelhaft, ob es möglich sein würde, die 
nötigen Mittel zusammenzubringen. In diesem kritischen Moment 
stellte mir Herr Stephen Salisbury, einer der Trustees der Clark- 
Universität, eine Summe zur Verfügung, die mit anderen Beträgen, 
die vom Elizabeth Tompson Fond in Boston und meinem Freunde 


224 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


Prof. H. F. Osborn angeboten waren, genügend erschien, den Erfolg 
einer Expedition nach den Inseln zu sichern. Dies war am 10. April 1891. 
Meine Absicht, einen Botaniker mitzunehmen, konnte ich leider nicht 
ausführen, da ich Niemanden finden konnte. Dagegen fand ich in 
Herrn C.F. Adams aus Champaign, Ills., der zahlreiche Sammlungen 
in Borneo und Neu-Seeland gemacht hatte, einen sehr nützlichen 
Begleiter. Ich brauche nicht anzuführen, dass ich alle Vorbereitungen 
für eine solche Expedition lange vorher bis ins Kleine ausgearbeitet 
hatte, und dass es daher ein leichtes war, bald zum Abgang bereit 
zu sein. 

Am ersten Mai 1891 verließen wir auf dem Dampfer „City of 
Para“ der Pacific Mail Steamship Co. New-York. Auf diesem Dampfer 
hatten wir durch die große Liebenswürdigkeit des Direktors der Linie, 
Herrn George J. Gould, freie Passage nach Colon oder Aspinwall, 
wie es die Amerikaner nennen, erhalten. Ich ergreife mit Freuden 
die Gelegenheit, Herrn George J. Gould und Herrn Kapitän John 
M. Dow, F.G.S. in Panama, für ihre Unterstützung und ihr liebens- 
würdiges Entgegenkommen auf der Hin- und Rückreise meinen besten 
Dank auszusprechen. Schon am Morgen des 9. Mai erreichten wir 
Colon, nur bei Fortune Island war gehalten worden, um die Post aus- 
zutauschen. Um 6 Uhr gingen wir an Land. Colon bietet einen sehr 
öden Anblick. Letztes Jahr im September wurde beinahe die ganze 
Stadt eingeäschert, und so liegt sie noch da, nur vereinzelte Holz- 
hütten finden sich zwischen den Trümmern. Wir erfuhren, dass schon 
am Nachmittag ein Dampfer von Panama nach dem Süden abginge. 
Es gelang uns, das Gepäck,“ welches aus 33 Kisten bestand, noch 
rechtzeitig auf den um 1 Uhr abgehenden Zug zu bringen. Selten 
hat eine Fahrt einen solchen Eindruck auf mich hervorgebracht, wie 
die Strecke von Colon nach Panama. Zwei Stunden lang geht es 
zwischen Palmen und Bananen an den Hügeln entlang. Eine Menge 
kleiner Ortschaften wird passiert. Die Bevölkerung besteht meist aus 
Eingeborenen, Schwarzen und Chinesen. Sie scheinen alle vergnügt, 
kommen an die offenen Thüren gelaufen und nicken uns zu. Die 
Kinder gehen halb oder ganz nackt. Und neben diesen sorgenlosen 
natürlichen Menschenkindern die Trümmer des Panamakanals! Hier 
steht eine ganze Reihe von Lokomotiven, dort eine riesige Bagger- 
maschine; hier eine lange Reihe von Wagen auf speziell dafür ge- 
legten Schienen, dort ein ganzes Dorf von Arbeiterhäusern, vollkommen 
verlassen. Alles ist Wind und Wetter preisgegeben. Um 3 Uhr kamen 
wir in Panama an und um 6 Uhr waren wir glücklich an Bord des 
Dampfers „Arequipa“, der nach Callao bestimmt war und in Guayaquil, 
unserm Bestimmungsort, anlegte. Die „Arequipa“ ist einer der neuen 
Dampfer der „South Pacifie Steam-Navigation Co.“ und steht nicht 
hinter unsern besten und größten transatlantischen Dampfern zurück. 
Die Cabinen sind äußerst geräumig und vorzüglich zu ventilieren. In 











Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln, 225 


Kapitän Harris fanden wir einen begeisterten Freund der Natur 
und in seiner Bibliothek Darwin’s Werke und Briefwechsel. Wir 
waren also vorzüglich aufgehoben. 

Am Morgen des 13. Mai erreichten wir Guayaquil. Die Nach- 
richten, die wir hier vernahmen, waren nicht sehr befriedigend. Herr 
Dr. Th. Wolf, der selbst die Galapagos-Inseln besucht und mit 
welchem ich in Korrespondenz gestanden hatte, war kurze Zeit vorher 
nach Deutschland abgereist. Herr Kapitän Petersen, ein Deutscher, 
der Herrn Dr. Wolf begleitet hatte, und den ich engagieren wollte, 
war ebenfalls abwesend, wurde aber jeden Tag zurückerwartet. Es 
dauerte aber 14 Tage, bis derselbe erschien, und auch dann konnte 
er uns seine Dienste nicht anbieten, da er kontraktlich anderwärts 
verpflichtet war. Der Aufenthalt in dem heißen, ungesunden Guaya- 
quil wäre unerträglich gewesen ohne die außerordentliche Freundlich- 
keit und Gastlichkeit, die uns der deutsche Klub „Germania“ entgegen- 
brachte. Schon am ersten Tage war ich dort bekannt geworden, 
und ich werde stets an die Zeit zurückdenken, die ich daselbst ver- 
leben konnte. Man fühlte sich nicht im fernen Ekuador, sondern in 
der Heimat. In der dritten Woche unsres Aufenthalts in Guayaquil 
erfuhren wir, dass eine kleine Schaluppe von da nach den Inseln ab- 
gehen würde. Wir meldeten uns als Passagiere und am 1. Juni ver- 
ließen wir Guayaquil. Aber unser Weg ging nicht direkt nach den 
"langersehnten Inseln. In Posorja, einem kleinen Dorf im Golf von 
Guayaquil, wurde angelegt, um einige notwendige Reparaturen am 
Fahrzeug auszuführen. Am 4. Juni endlich ging es weiter nach den 
Inseln. Während der fünftägigen Ueberfahrt hatten wir nun vollauf 
genügende Zeit, uns über die bisherige Geschichte der Galäpagos 
etwas näher unterrichten zu können. 

Die Galäpagos, etwa 600 Seemeilen westlich von der Küste Süd- 
amerikas unter dem Aequator gelegen, bestehen aus 6 größeren, 
9 kleireren Inseln und vielen Inselchen und Felsen, alle aus vulka- 
nischem Gestein zusammengesetzt. Die größte Insel ist Albemarle. 
Sie ist 72 Seemeilen lang und erreicht eine Höhe von 4700 Fuß. Dann 
folgen die Inseln Indefatigable, Narborough, Chatham, James, Charles 
und zuletzt die kleineren Inseln Hood, Barrington, Duncan, Jervis, 
Tower, Bindloe, Abingdon, Wenman und Culpepper. Die Spanier, 
welche die Inseln im 16. Jahrhundert entdeckten!), fanden dieselben 
unbewohnt. 

4) Es sei hier bemerkt, dass weder das Jahr der Entdeckung, noch der 
Ursprung des Wortes Galäpago bekannt zu sein scheint. Die Entdeckung 
muss wohl zwischen den Jahren 1527 u. 1570 gemacht worden sein. Auf der 
vorzüglichen Karte des Diego Ribero, ausgeführt in den Jahren 1527 u. 1529 
auf Befehl Kaiser Karls V. finden sich die Inseln noch nicht; dagegen auf dem 
Typus Orbis Terrarum von Abraham Ortelius aus dem Jahre 1570. Das 
Wort Galäpago scheint südamerikanischen Ursprungs und wird heute noch 


nicht allein für Landschildkröte, sondern auch für Sattel gebraucht. 
2 23 





226 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln, 


Nach ihrer Entdeckung wurden die Inseln vielfach von den See- 
räubern oder Buccaneers besucht und Dampier, Wafer, Rogers 
haben uns Berichte über diese Besuche hinterlassen. Später wurden 
sie namentlich von den Walfischfängern angelaufen, um Landschild- 
kröten mitzunehmen, die denselben auf ihren langen Fahrten zur 
Nahrung dienten. Hierüber geben besonders die Werke und Erzäh- 
lungen von Porter, Delaas, Morrell und Reynolds Aufschluss. 
Erst im Jahre 1832 wurde eine kleine Kolonie auf Charles Island 
gegründet, unter der Leitung von J. Villamil. Diese Kolonie be- 
stand in ihrer Blütezeit aus etwa 230 Leuten, meist Einwohnern von 
Ekuador. Rinder, Pferde, Esel, Schweine und Ziegen wurden einge- 
führt und vermehrten sich bedeutend. Nach einiger Zeit jedoch zerfiel 
die Kolonie wieder. In den 70er ‘Jahren wurde eine neue Kolonie 
von Jose Valdigan gegründet; derselbe wurde aber im Juli 1878 
von seinen Leuten ermordet. Seit dieser Zeit ist die Charles - Insel 
oder Floriana, wie sie von Villamil genannt wurde, vollständig 
verlassen. Dagegen findet sich eine blühende Ansiedelung auf Chatham, 
der östlichsten Insel. Diese wurde von Senior Manuel Cobos ge- 
gründet. Cobos kam schon 1865 nach den Inseln, um Orchilla zu 
sammeln, eine Flechte, die in der Färberei benützt wird und auf den 
Galäpagos in großer Menge vorkam. Die Ausbeute dauerte bis zum 
Jahre 1869, wo Cobos die Inseln verließ. Im Jahre 1879 kehrte er 
jedoch mit mehr als 100 Mann nach Chatham zurück und gründete 
daselbst eine Kolonie, die heute noch blüht und im Aufschwunge sich 
befindet. Keine der anderen Inseln ist heute bewohnt und auf keiner, 
mit Ausnahme von Charles und Chatham, wurden ernstere Koloni- 
sationsversuche gemacht, trotzdem sich Indefatigable dazu vorzüglich 
eignen würde. 

Die klimatischen Verhältnisse sind ganz ausgezeichnet. Man sollte 
denken, dass diese Inseln, direkt unter dem Aequator gelegen, eine 
hohe Temperatur zeigen würden, dies ist jedoch nicht der Fall. Die 
Temperatur wird namentlich durch die antarktische Strömung, die 
durch die Inseln bricht, heruntergesetzt. Die Meerestemperatur be- 
trägt 23°. Man unterscheidet 2 Perioden oder Jahreszeiten, eine 
trockene und eine feuchte. Die trockene Jahreszeit umfasst die Monate 
Juli bis Januar; die eigentliche Regenzeit ist im Februar bis Juni. 
Auf den höheren Punkten der Inseln über 800 Fuß regnet es übrigens 
sehr häufig, wenn auch nicht anhaltend. Die jährlichen Temperatur- 
schwankungen in der Höhe (ca. 1000 Fuß) betragen 18—25° C. In 
Folge der häufigen Regen in der oberen Region ist die Vegetation, 
falls die Inseln überhaupt diese Höhen erreichen, immer grün und 
üppig, während die untere Region meist ein dürres Aussehen bietet. 
Es ist natürlich, dass nur die höheren Regionen kultivierbar sind, 
auch ist durch die Feuchtigkeit das vulkanische Gestein bereits sehr 
verwittert und hat eine vorzügliche Erde geliefert. Dies gilt, wie 
oben bemerkt, namentlich für Chatham, Charles und Indefatigable. 





Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 397 


Seit Darwin’s berühmter Untersuchung der Galäpagos- Inseln 
im Jahre 1835 (15. Sept. bis 20. Okt.) sind dieselben verschiedene 
Male zu wissenschaftlichen Zwecken besucht worden. Im Jahre 1838 
machte die französische Fregatte „Venus“ unter dem Kapitän du 
Petit Thonars einen Besuch auf der Gruppe und hielt sich daselbst 
vom 21. Juni bis 15. Juli auf. Vom 10.—20. Mai 1852 finden wir 
das schwedische Schiff „Eugenie“ mit dem Zoologen Hinberg und 
dem Botaniker Anderssen daselbst. Von anderen Besuchern nenne 
ich noch das englische Schiff „Herald“ (6. bis 16. Januar 1846); 
Dr. Habel aus New-York (22. Juli 1868 bis 1. Januar 1869); die 
Haßler- Expedition unter Prof. L. Agassiz (10. bis 19. Juni 1872), 
die englischen Kapitäne Cookson (1875), Markham (1880), den 
Dampfer „Albatross“ der U. S. Fish-Kommission, (4. bis 16. April 1888 
und wiederum im Anfang des Jahres 1891). Von allen diesen ver- 
schiedenen Besuchern wurden immer nur eine oder mehrere der Inseln 
untersucht, eine genaue und gleichmäßige Durchforsehung aller Inseln 
war noch nicht unternommen worden. Einzelne Inseln, wie Albemarle, 
Jervis, Barrington, Tower waren so gut wie nicht bekannt, und andere, 
wie Wenman und Culpepper waren noch nie betreten worden. 
Unsere Aufgabe war, wo möglich alle Inseln zu besuchen und mög- 
lichst vollständige Sammlungen der Tiere und Pflanzen zu machen. 

Am Morgen des 9. Juni bekamen wir Chatham in Sicht und 
gegen Abend lagen wir in der Wreck Bay an der Südwestspitze der 
Insel vor Anker. Der Hafen ist reizend gelegen, rings umgeben von 
grünen Hügeln, und oben auf einem zurückliegenden Plateau liegt das 
Haus des Herrn Cobos. Eine Hütte steht am Ufer und daneben das 
sogenannte Leuchthaus, ein Pfahl mit einer großen Laterne. Die 
ekuadorianische Flagge begrüßt uns und wir erwidern den Gruß. Es 
war dunkel geworden und zu spät, um Cobos’ Haus noch zu er- 
reichen. Die Sonne neigte sich zum Untergang, es war ein prächtiger 
Abend; um uns stürzten sich die Tölpel (Sula) senkrecht aus den 
Lüften ins Wasser, um nach Fischen zu schnappen, vom Ufer klang 
der Gesang der Vögel, doch bald war es Nacht, und Alles ward 
ruhig. Da waren wir nun am langersehnten Ziel! 

Am andern Morgen gegen 6 Uhr kam Herr Cobos’ Sohn mit ein 
paar Mauleseln herunter an den Strand, um uns nach dem Hause zu 
bringen. Bald waren wir zum Aufbruch bereit. Der erste Eindruck, 
den ich von der Insel erhielt, war ganz anders, als ich erwartet hatte. 
Wenn Darwin behauptet, die Inseln seien starr, die Vegetation 
trocken und öde, so muss er an einem sehr schlechten Ort diesen 
Eindruck erhalten haben. Statt des dürren Gesträuchs, das ich er- 
wartet hatte, Alles im herrlichsten Grün, Sträucher und Blumen mit 
gelben, rötlichen und blauen Blüten, und dazwischen die riesigen, 
imposanten Cacteen und die Bäume mit den graugelben Flechten, die 


in langen Bärten an den Zweigen herabhängen und im Winde sich 
1# 


228 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


bewegen. Dazwischen eine Masse kleiner Vögel, die neben dem Weg 
auf den Zweigen sitzen oder auf dem Wege und sich kaum die Mühe 
nehmen, den Maultieren Platz zu machen. Manchmal läuft über den 
Weg ein Tausendfüßler (Scolopendra), beinahe einen Fuß lang; ein gelber 
Zitronenfalter und ein kleiner Bläuling fliegen von Zeit zu Zeit an uns 
vorüber und eine Menge großer Libellen. Der gute und breite Weg 
führt die Höhen hinauf, zur rechten liegt ein kleiner Hügel, bestehend 
aus riesigen Basalttrümmern, zwischen denselben erheben sich ge- 
waltige Cacteen mit ihren roten eiförmigen Früchten. Das Ganze gibt 
ein groteskes Bild. Nach etwa einer Stunde, nachdem der Weg durch 
Buschwerk mit größeren Bäumen geführt, ändert sieh plötzlich die 
Scene: eine weite Fläche dehnt sich vor uns aus, bepflanzt mit dem 
schönsten Zuckerrohr. Nun kommen wir auf kultivierten Boden. 
Beinahe eine halbe Stunde lang geht es durch die Pflanzung und 
dann halten wir vor einem großen Gebäude, aus welchem uns das 
Stampfen der Dampfmaschine und das Rollen der Räder entgegen- 
schallt. Es ist die Zuckerfabrik, die erst seit kurzer Zeit im Gange 
ist. Herr Cobos empfängt uns. Noch ein paar Schritte weiter den 
Berg hinauf und wir befinden uns vor dem Wohnhaus. Dieses steht 
auf der höchsten Stelle des Plauteaus, etwa 1707’ hoch, und um das- 
selbe, namentlich gegen Osten, liegen die Strohhütten der Bevölkerung, 
etwa 30—40 an Zahl mit gegen 180 Leuten. Gegen Osten erheben 
sich Hügel und Berge, die bis zu 2490° ansteigen. Im Umkreis liegen 
die weitausgedehnten Zuckerfelder, manchmal von Bananengärten 
unterbrochen. 210 Acker waren von Herrn Cobos schon kultiviert 
und gegen Osten dehnen sich die Weiden, die alle umzäunt sind, aus. 
Außerdem wird Kaffee gepflanzt, der vorzüglich gedeiht, und Ynka, 
Orangen, Limonen, sowie andere Gewächse. Bald saßen wir bei einem 
vorzüglichen Frühstück, und ich war nicht wenig erstaunt, als ich 
daselbst drei Landsleute vorfand, den Buchhalter, Ingenieur und 
Mechaniker, lauter Deutsche. Sie alle waren erst vor kurzem an- 
gekommen. 

Ueber 14 Tage blieben wir auf Chatham, die Ankunft eines kleinen 
Seglers erwartend, der augenblicklich in Guayaquil sich befand, und 
den wir von Herrn Cobos für unsre Expedition engagiert hatten. 
In dieser Zeit wurden die Sammlungen angelegt. Oben auf der Höhe, 
wo wir wohnten, regnete es sehr häufig und es war in Folge dessen 
sehr feucht, so dass sich alles im Hause sehr rasch mit Schimmel 
überzog; dies machte das Trocknen der Pflanzen sehr schwierig. "In 
der unteren Region, am Strande, regnete es dagegen sehr selten, es 
war trocken, sehr angenehm und etwas wärmer, wie oben. Die Nächte 
waren oft recht empfindlich kühl, so dass ich oft aufstand, um die 
Holzläden zu schließen. Trotzdem, dass Chatham schon seit über 
10 Jahren bewohnt ist, sind die Vögel doch noch so zahm, wie 
früher. Die kleinen Finken und namentlich die Fliegenschnapper 








Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 999 


et 


kamen oft heran und setzten sich, wenn man sich ruhig verhielt, auf 
Hut und Schulter, oder auf den Lauf der Flinte. Man braucht dieselbe 
häufig gar nicht, sondern kann die Vögel mit einer Gerte erlegen. 
Sehr eigentümlich ist, dass auch die Ente, die doch sonst ein so 
- scheuer Vogel ist, diese Zalmheit besitzt. Eines Tages ritten wir 
die Berge hinauf nach einer kleinen Lagune, um Enten zu erlegen. 
Als wir ankamen, lagen wohl 3 Dutzend Stück dort, die ruhig sitzen 
blieben. Wir schossen verschiedene Male dazwischen, um sie zum 
Auffliegen zu bewegen; dies thaten sie auch, kehrten aber bald wieder 
aufs Wasser zurück. Ich sah zwei Stück, welche von den übrigen 
isoliert waren; ich schoss die erste, die zweite blieb ruhig, wo sie 
war, so dass ich sie mit dem zweiten Schuss erlegen konnte. Ich 
werde später noch auf diese interessante Thatsache zurückkommen. 
Die Ente der Galäpagos-Inseln ist denselben eigentümlich und wird 
sonst nirgends gefunden. Die Zahmheit der Vögel ist, glaube ich, 
der sicherste Beweis, dass diese Inseln niemals von Menschen be- 
wohnt waren, ehe sie von den Spaniern im 16. Jahrhundert entdeckt 
wurden. 

Hier möchte ich nur noch kurz erwähnen, wie das Vieh erbeutet 
wird. Als Cobos auf die Insel kam, waren wohl an die 5000 Stück 
verwildertes Vieh auf derselben, welches von den Kolonisten von 
Charles eingeführt worden war und sich außerordentlich vermehrt 
hatte. Eine große Zahl wurde eingefangen und gezähmt. Das zahme 
Vieh wird nicht geschlachtet, sondern nur für Milch und als Zugvieh 
benützt. Das Fleisch wird vom wilden Vieh gewonnen, das geschossen 
wird. Dieses verwilderte Vieh hält sich am Tage über auf den 
höchsten Gipfeln im Gebüsch auf und kommt erst gegen Abend auf 
die Grasplätze. Beinahe jede Nacht gegen 2 Uhr geht der Jäger 
mit 2 oder 3 anderen Leuten hinaus, um 2—3 Stück für den laufenden 
Bedarf zu schießen, die an Ort und Stelle zerlegt und auf Maultieren 
heimgebracht werden. Alle Nahrungsmittel und Alles, was auf der 
Insel vorkommt, gehört Cobos, der es den Leuten zu einem von ihm 
festgestellten Preis verkauft. Das Zuckerrohr gedeiht vorzüglich, zur 
Zeit unsrer Anwesenheit wurden täglich beinahe 100 Zentner Zucker 
produziert. Zur Feuerung wird ein sehr schweres und festes Holz 
verwendet, welches in Menge in der mittleren Region der Insel wächst. 
Dasselbe kommt auch auf Indefatigable, James und Albemarle vor, 
dagegen fehlt es auf Charles. Chatham besitzt auch einen „Gouverneur“ 
und einige Polizeisoldaten; nichtsdestoweniger ist Sefor Cobos 
Alleinherrscher. 

Am 21. Juni kam der kleine Segler „Chatbam“ von Guayaquil 
zurück, der uns auf unsrer weiteren Expedition führen sollte. Nach 
einigen Tagen waren alle Vorbereitungen getroffen, so. dass wir am 
27. Juni Chatham verlassen konnten. Das Boot war ein kleiner Ein- 
master von etwa 20 Tonnen, auch ein vorzüglicher Segler. Außer 


230 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


Herrn Adams und mir bestand unsre Gesellschaft aus sechs Leuten: 
der Kapitän Herr Louis Bonhoff, ein Deutscher, der von Cobos 
für den Dienst zwischen Chatham und Guayaquil angestellt war, zwei 
Matrosen, die die Inseln genau kannten, da sie Cobos bei seinen 
früheren Orchilla-Expeditionen begleitet hatten, ein Koch, ein junger 
Mann von Chatham, einer der Orchilla- Sammler, mit Namen Silva, 
und unser Schwarzer, den wir von Guayaquil mitgebracht hatten. 
Wir hätten wohl kaum ein passenderes Schiff und passendere Leute 
finden können; denn dieselben kannten die kleinsten Ankerplätze der 
Inseln, außerdem die am leichtesten zugänglichen Stellen, und ohne 
dieselben wäre es kaum möglich gewesen, in einer verhältnismäßig 
kurzen Zeit die verschiedenen Inseln zu besuchen. Unsre Absicht war, 
zwei Monate auszubleiben und während dieser Zeit die folgenden 
Inseln zu besuchen: Charles, Hood, Barrington, Süd-Indefatigable, 
Süd-Albemarle, Duncan, West-Indefatigable, Jervis, Ost- Albemarle, 
James, Nord-Indefatigable, Nord-Chatham, und nach Wreck Bay 
zurückzukehren. Dort sollte neuer Proviant eingenommen und allen- 
fallsige Reparaturen gemacht werden, um den Rest der Inseln, Tower, 
Bindloe, Abingdon, West-Albemarle, Narborough, Wenman und Cul- 
pepper zu besuchen und von dort direkt nach Guayaquil zurückzu- 
kehren. 
Am 27. Juni, 9 Uhr Morgens, fuhren wir bei guter Brise aus dem 
Hafen von Chatham. Gegen 3 Uhr kamen wir in Sicht von Charles, 
welches etwa 90 Kilometer von Chatbam gegen W.S.W. liegt. Gegen 
8 Uhr sind wir in der Nähe von Charles, aber plötzlich tritt Wind- 
stille ein, so dass wir erst am folgenden Morgen um 5 Uhr in der 
Black Beach Road oder Playa prieta auf der westlichen Seite ankern 
können. Da lag nun die erste Insel zur Vergleichung vor mir. Schon 
vom Schiff aus bietet Charles ein ganz anderes Bild dar, wie Chatham; 
bier sind die Hügel alle abgerundet, der höchste Berg, Cerro de Paja, 
erhebt sich zu einer Höhe von 1780. Um 6 Uhr geht es ans Land, 
ein verwachsener Weg führt zur alten Ansiedelung hinauf. Die untere 
Region ist hier dürr, nicht grün, wie auf Chatham, und Darwin’s 
Beschreibung passt hier sehr gut. Die Fauna und Flora interessiert 
mich natürlich sehr und ich finde hier schon vollkommene Bestätigung 
meiner Ideen. Vor allem fällt eine riesige rotbraune Heuschrecke 
auf, die hier sehr gemein ist, aber auf Chatham vollkommen fehlt. 
Auf Chatham gab es eine kleine Art, die hier jedoch selten ist. Die 
Landschnecken sind verschieden, die eigentümliche Spinne Gasteracanta 
ist verschieden von der Chatham-Form. Die Vögel sind nicht genau 
dieselben. Der Finke Cactornis, von welehem wir während der ganzen 
Zeit unsres Aufenthaltes nur 2 Exemplare auf Chatham beobachtet 
hatten, ist hier sehr gemein, dagegen fehlt die Spottdrossel Nesomimus, 
so häufig auf Chatham, auf Charles vollkommen. Die Sträucher und 
Bäume machen einen anderen Eindruck und die großen Waldbäume 





Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Iuseln. 231 


von Chatham fehlen hier. Auch das Aussehen der Kakteen ist ein 
anderes, und die Früchte der Säulenkaktusse haben eine mehr kugelige 
Form. Es ist kein Zweifel: Charles ist ein umgeprägtes Chatham, 
oder um es richtiger auszudrücken, beide sind Planeten eines Systems. 
Nach °/, Stunden sind wir an der alten Ansiedelung angelangt; eine 
zerfallene Hütte und ein Kreuz auf dem Grabe Valdigans sind die 
einzigen Ueberbleibsel, außer den Orangen und anderen Fruchtbäumen 
und den verwilderten Eseln, die einem von Zeit zu Zeit begegnen. 
Eine hübsche Quelle findet sich oben zwischen schattigen Baum- 
gruppen hervorrieselnd; die Orangenbäume hängen voll der schönsten 
Früchte. Außer den Eseln finden sich verwilderte Pferde, Rinder, 
Schweine und Ziegen. Das Rindvieh ist hier gefährlich und die Stiere 
greifen den Menschen an. Einige Monate vorher war einer der Leute 
von Cobos hier sehr schwer verwundet worden. Den folgenden Tag 
machte ich mich mit Silva nach dem Innern auf, um die sogenannten 
Cuevas zu besuchen. Die Cuevas befinden sich auf einem Berge im 
Osten vom Cerro de Paja. Der Basalttuff ist von Wind und Wetter 
in verschiedene Höhlungen verarbeitet. Schon wiederholt haben hier 
Menschen längere Zeit gewohnt, und in einer der größeren Höhlen 
findet man ein Bett, einen Herd und einen Sitz, sowie verschiedene 
Nischen aus dem weichen grobkörnigen Tuff herausgehauen. Im 
Jahr 1809 hatte sich hier schon ein Ire niedergelassen. An den Felsen, 
die mit Farnkräutern bewachsen, rieselt ein Bächlein herunter, und 
am Fuß der Felsen stehen die Orangenbäume überladen mit Früchten. 

Am dritten Tage verließen wir Black Beach Road, um nach 
Cormorant Bay, im Nordwesten der Insel, zu gehen. Dort befand 
sich eine Lagune, wo gewöhnlich F/amingos zu treffen sein sollten. 
Am 1. Juli bei Tagesanbruch gingen wir ans Land. Gleich in der 
Nähe des Landungsplatzes lag die Lagune, von Mangrove-Gebüsch 
umgeben. Wir schlichen uns heran, und es bot sich uns ein herr- 
licher Anblick. Die Sonne war eben aufgegangen und beleuchtete 
den spiegelglatten See, in welchem wohl 20 der herrlichen Vögel 
standen, wateten, oder: nach Nahrung suchten, den Kopf und den 
langen Hals im Wasser versenkend. Ihr rosarotes Gefieder hob sich 
prächtig ab. Später machte ich einen langen Gang am Strand ent- 
lang, um die kleine Eidechse Tropidurus, die mich besonders interes- 
sierte, zu suchen; aber auch stundenlanges Suchen blieb vergebens. 
Nicht ein Exemplar wurde gesehen, und diese Eidechse war doch 
auf Chatham in der Nähe des Strandes so häufig gewesen. Ich wusste, 
dass die Exemplare von Charles verschieden waren von denen von 
Chatham, ich wusste, dass Darwin diese Eidechse hier gesammelt, 
und dass die Originalexemplare der Art von Charles stammten. Ich 
war entschlossen, die Insel nieht eher zu verlassen, als ich das 
Tierchen gefunden. Wieder ging es auf die Suche, aber wieder ohne 
Erfolg. Ich entschloss mich daher, nochmals an einer anderen Stelle 


2323 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


Es 


der Insel zu landen, und fuhr nach der im Nordosten gelegenen 
Cuevas-Bay. Zwischen den senkrecht ins Meer abfallenden Wänden 
findet sich eine kleine Sandbank, die das Landen ermöglicht. Hier 
finden wir dieselbe Tuffformation in parallelen Schichten abgelagert, 
und mit derselben Höhlenbildung, wie ich sie vorhin beschrieben. In 
die Wände sind mit Riesenbuchstaben verschiedene Namen eingehauen. 
Hier sah ich die erste See-Eidechse (See-Iguana, Amblyrhynchus) und 
war auch glücklich genug, sie zu erlegen. Aber trotz eifrigen Suchens 
nach Tropidurus, keine Spur derselben zu sehen. Am Nachmittag 
mache ich mich nochmals auf den Weg durch Gestrüpp; da höre ich 
etwas rascheln, es konnte wohl nur die Eidechse sein, aber zu Gesicht 
bekam ich sie nicht. Weiter geht es auf die Suche, da sehe ich ein 
Exemplar auf einem Steine sitzen,‘ sich sonnend, mit dem Kopfe 
nickend, ein Schuss und ich hatte wenigstens ein Exemplar dieser 
Eidechse von Charles. Nun konnte es weiter gehen. 

Am 3. Juli um 4 Uhr lichteten wir die Anker und segelten auf 
Hood zu. Hood liegt etwa 70 km östlich von Charles. Wir hatten 
Wind.und Strömung gegen uns und kamen nur langsam vorwärts. 
Wir fahren nördlich an der steilen Gardner-Insel vorüber, südlich 
davon liegt der mit einem Portal versehene kleine Watson-Felsen, 
kleine Schiffe können durch dieses Portal hindurchfahren. Alle diese. 
kleinen Inselchen und Felsen bestehen aus derselben Tuffformation 
wie die Cuevas und sind Trümmer von Vulkanen. Nachts lässt der 
Wind nach, und den ganzen folgenden Tag treiben wir uns auf dem 
Wasser herum, gegen Wind und Strömung. Der Albatross ist hier 
sehr häufig, aber er ist scheu und kommt nie in Schussnähe. Gegen 
9 Uhr seben wir Hood mit der kleinen Gardner-Insel gegen Osten 
liegen. Es erscheint als niedriges Tafelland mit wenigen auffallenden 
Spitzen, die höchste eine Höhe von 640° erreichend. Alle Augenblicke 
fliegt eine kleine braune Motte gegen Nordwesten in der Richtung 
des Windes an uns vorüber; von Zeit zu Zeit fällt eine ins Wasser, 
erhebt sich aber wieder und fliegt weiter. Die Schmetterlinge kommen 
von Hood, und das Phänomen dauert einige Stunden. Auf Hood war 
ich sehr gespannt, es war die erste Insel, welche wir besuchten, die 
nicht in die feuchte Region reichte. Nur zweimal zuvor war sie zu 
wissenschaftlichem Zweck betreten worden: Dr. Habel war hier im 
Jahre 1868, hatte aber nur einige Pflanzen gesammelt, der „Albatross“ 
dagegen hatte vor 3 Jahren interessante Sammlungen gemacht. 

Am 4. Juli um 5 Uhr ankerten wir zwischen Hood und der kleinen 
Gardner-Insel in der Gardner-Bay. Am Strande lagen auf dem herr- 
lieh weißen Sand, der sich die ganze Bucht entlang erstreckt, wohl 
300 Seehunde. Von Zeit zu Zeit kamen sie ums Schiff geschwommen 
und die ganze Nacht hörte man ihr Schnauben. Als wir am Morgen 
des folgenden Tages an Land gingen, gab es eine große Verwirrung 
unter den Seehunden, mit lautem Gebell hüpften die Tiere in unbe- 














Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 233 


holfenen Sprüngen, oft nach vorne niederfallend, dem Meer zu, als 
wir mitten unter dieselben sprangen. Die Tiere sind harmlos und 
nur selten kam es vor, dass sich ein sehr altes Männchen zur Wehr 
setzen wollte. Hier fiel uns vor allem die Spottdrossel Nesomimus 
auf, welche in sehr großer Zahl und ganz unbesorgt am Strande 
umherhüpfte. Es ist eine Art, eigentümlich für Hood und die größte 
von allen Rassen und Arten, die auf den Inseln vorkommen. Die 
Finkengattung Cactornis fehlt hier vollkommen, ebenso der prächtige 
rote Fliegenfänger Pyrocephalus. Tropidurus, so äußerst selten auf 
Charles, ist hier in außerordentlicher Zahl vorhanden, und bei weitem 
am größten von allen Arten der Galäpagos. Hier gelang es uns, auch 
eine Schlange zu erbeuten. Trotzdem wir eine dreitägige Jagd nach 
Schildkröten machten, die vor wenigen Jahren hier noch existierten, 
gelang es uns nicht, ein einziges Exemplar zu finden, und es ist daher 
anzunehmen, dass diese Tiere auf Hood nun ebenfalls ausgerottet 
sind, wie auf Charles und Chatham. Die Spinne Gasteracanta, die 
auf Charles und Chatham so sehr häufig war, wurde hier nicht be- 
obachtet, dagegen war eine andere Gattung Epeira sehr gewöhnlich. 
Von Landschneeken fanden wir keine Spur, niebt einmal die Gehäuse. 
Die großen Heuschrecken fehlten vollkommen, dagegen kam eine 
kleine Art wie auf Chatham vor. Die Flora von Hood ist im Ver- 
gleich mit Chatham und © 'arles außerordentlich dürftig. Eigentliche 
Bäume fehlen hier vollkommen. Hie und da begegnet man einem 
etwa !/, Fuß dieken „Palo Santo“ und einer Algaroba von derselben 
Dicke. Kakteen sind nicht sehr häufig. Die Opuntia ist kurz, aber 
diekstämmig; der Säulenkaktus ist hier eine Seltenheit. Ganz Hood 
ist sehr felsig, und es ist schwer, zwischen den eckigen Lavatrümmern 
und dem dornigen Gestrüppe durchzukommen. 

Am zweiten Tag machte ich einen Ausflug nach der nahen Gardner- 
Insel, diese zeigt dieselbe Flora und Fauna wie Hood. Hier fand ich 
zwischen den vom Meer bespülten Felsen die See-Eidechse (Ambly- 
rhynchus) in großer Anzahl. Diese Tiere, die eine Größe bis zu 5’ 
erreichen können (auf Albemarle z. B.), halten sich meist auf den 
äußersten Felsen, in der nächsten Nähe der Brandung auf. Sie leben 
von dem Seetang, der die Felsen überzieht. Wenn man sich ihnen 
nähert, verkriechen sie sich zwischen den Felsspalten, oder ziehen 
sich hinter oder unter Felsen bis zur Brandung zurück. Ins Meer 
selbst habe ich sie nie schwimmen sehen. Sie klammern sich mit 
den scharfen Krallen sehr fest an die Felsen an, und es ist oft äußerst 
schwer, ja manchmal unmöglich, sie aus den Spalten herauszuziehen, 
Auf der Gardner-Insel fand ich auch auf den steilen Felsen die prächtig 
weiß-graue Möve Oreagrus. Von diesem Vogel, der auch den Galaä- 
pagos-Inseln eigentümlich ist, existieren, so viel mir bekannt, nur 
vier Exemplare in den verschiedenen Museen, zwei in Washington, 
eines in London und eines in Paris; wir hatten den Vogel schon am 


234 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


ersten Tag, als wir uns Chatham näherten, gesehen und ebenfalls 
zwischen Charles und Hood ein einzelnes Exemplar fliegen sehen. 
Alle Exemplare, deren Lokalität sicher bekannt ist, waren auf dem 
Dalrymple-Rock, einem kleinen Felsen westlich von Chatham, erlegt 
worden. Es unterlag keinem Zweifel mehr, dass das Tier hier auf 
Gardner seine Brutstätte habe. Am dritten Tag fuhren wir mit dem 
kleinen Ruderboot wiederum nach Gardner, fanden aber diesmal den 
Vogel nieht. Wir fuhren nun nach einem Felsen in der Nähe, hier 
fanden wir zwei Exemplare an den steilabfallenden Wänden in Höh- 
lungen sitzen, und als wir dieselben schossen, flogen noch andere auf, 
von denen wir noch vier erlegen konnten. Später fand es sich, dass 
Creagrus sehr häufig auf den Galäpagos- Inseln ist, auf Brattle und 
Tower brütet er in sehr großer Zahl; außerdem beobachteten wir ihn 
auf Felsen im Nordosten von James, auf der Seymour-Insel, bei 
Bindloe und Abingdon und während der Rückreise auf offener See 
etwa 300 Meilen von der Küste. 

Am 8. Juli verließen wir Hood, um nordwestlich nach Barrington 
zu gehen, wo bisher noch gar keine Sammlungen gemacht worden 
waren. Um halb 10 Uhr kamen wir in die Nähe der Insel. Das 
ganze Südostufer ist steil und unzugänglich, in hohen Felswänden 
abfallend. Gegen Osten zu wird es flacher. Um 11: Uhr ankerten 
wir in einem reizenden kleinen Hafen im Nordosten von Barrington. 
Dieser ist vollkommen vom Land umschlossen, nur im Osten ist eine 
offene Stelle, durch welche man weit im Hintergrund Chatham er- 
blicken kann. Der Allgemeineindruck von Barrington ist wieder einzig, 
verschieden von den anderen Inseln, die wir bisher gesehen. Am 
meisten gleicht es Hood, nur herrschen hier die großen Opuntien vor, 
doch sind diese von anderer Form: hohe Stämme, schlanke Bäume 
bildend. Eine neue Rasse von Tropidurus ist sehr gemein, ebenso 
eine Rasse von Nesomimus. Der Finke Caciornis, der auf Hood fehlt, 
ist hier vorhanden. 

In der Frühe des 9. Juli machte ich mich mit Silva und den 
beiden Matrosen auf den Weg, um die ganze Insel zu durchkreuzen 
und vor allem auf die großen Land-Iguanen, die hier vorkommen, 
und die Schildkröten Jagd zu machen. Durch dichtes Gestrüpp und 
über Massen von Felsblöcken geht es dahin; oft sind die Blöcke 
durch Gras und Gestrüpp verdeckt, was sehr unangenehm ist, da 
man jeden Augenblick stolpert und zu Fall kommt. Die Opuntia ist 
hier sehr gemein und erreicht außerordentliche Dimensionen. Die 
Stämme werden bis 12’ hoch, ehe die Seitenäste beginnen und bis zu 
2‘ diek, und gleichen denen einer Kiefer. Wie wir so entlang stolpern, 
sehe ich plötzlich ein Tier wie eine Ratte dahinlaufen und unter einem 
Felsen verschwinden. Dieses Tier konnte nichts anderes sein, als 
der kleine, den Galäpagos-Inseln eigentümliche Nager Oryzomys, der 
seit Darwin nicht mehr gefunden worden war. Nun begann die 





Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 235 


Jagd; sorgfältig wurden die Steinblöcke entfernt, das Tierchen stürzt 
blitzschnell heraus, verschwindet aber sofort wieder in einer anderen 
Spalte. Das zweite Mal entrann es nicht, ein Schuss legte es nieder. 
Hier hatten wir also das den Galäpagos eigentümliche Säugetier. 
Später schoss ich noch ein Exemplar, und am folgenden Tage gelang 
es uns, noch sechs weitere zu erhalten. Von Schildkröten fanden wir 
keine Spur, früher existierten sie, aber sie scheinen auch hier, wie 
auf den Inseln, die wir zuvor besucht, vollkommen ausgerottet. Bald 
jedoch sahen wir zwischen den Felsblöcken einige der großen Land- 
Iguanen. Es sind große plumpe Tiere von schmutzig-gelber Farbe, 
sie werden bis zu 3° lang und über zwanzig Pfund schwer. Ihr Fleisch 
ist nicht übel, auch das der See-Iguanen wurde gekostet. 

Nachdem ich die ganze Insel durchkreuzt, kehrte ich mit einem 
der Matrosen zurück, während Silva mit dem anderen weiter ging, 
um womöglich eine der hier verwilderten Ziegen zu erlegen. Am 
folgenden Morgen kehrten sie mit zwei Stück zurück. Unterwegs 
sah ich noch zwei Schlangen, sie waren aber flinker, als ich. Als 
ich später den Magen der großen Land-Echsen öffnete, fand ich nichts 
wie Kaktus (Opuntia) in demselben. Die Flora ist ähnlich der von 
Hood, doch sind die wenigen Bäume jener Insel hier noch mehr 
reduziert, der einzige Baum, der vorkommt, ist der Palo-Santo. Hier 
fand sich die große Heuschrecke wie auf Charles und auch einige 
Landschnecken, die jedoch von denen, die vorher gesammelt worden, 
verschieden waren. Auf der kleinen Halbinsel, welche auf einer 
Seite den Hafen umgibt, befand sich wie auf Gardner eine Heerde 
Seehunde. Die Steine auf diesem Fleck waren von den Tieren voll- 
kommen poliert; wie lange müssen sich dieselben hier schon herum- 
treiben! Einige Seeschildkröten (die Green-turtle des Pacifischen 
Ozeans, die von der des Atlantischen Ozeans verschieden ist) lagen 
am Strand im Sande und wir nahmen eine zur Mahlzeit mit. Als 
ich dieselbe präparierte und die Gedärme ins Wasser warf, waren 
in sehr kurzer Zeit eine große Anzahl von Fregattvögeln da, die einer 
nach dem andern mit dem Schnabel nach den Abfällen griffen und 
dann wieder in elegantem Bogen weiter flogen, um den Prozess zu 
wiederholen, wenn die Reihe wieder an sie kam. 

Am 11. Juli verließen wir Barrington, um nach dem Süden von 
Indefatigable zu gehen, das nur 18 km entfernt liegt. Schon um 
10 Uhr Morgens langten wir im Hafen Aquada an. Dieser Teil von 
Indefatigable erinnert sehr an Chatham, erscheint aber noch größer; 
das ganze Ufer ist mit üppigen Mangroven bewachsen. Schon wenn 
man landet, fällt einem die große Zahmheit der Bussarde auf (Buteo 
galäpagoensis), eine für die Galäpagos-Inseln eigentümliche Art. Die- 
selben sind in sehr großer Zahl vorhanden. Sie sitzen in kleinen 
Gesellschaften bis zu 5 Stück auf den Büschen und bleiben ruhig 
sitzen, wenn man sich ihnen nähert; sie sehen einen nur erstaunt an, 


236 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


als wollten sie sagen: „wer bist denn du, und was willst du hier?“ 
Sie lassen einen ganz an sich herankommen, ohne wegzufliegen. Ich 
werfe ein paar Steine neben sie in die Büsche, sie rühren sich nicht; 
ich nehme ein Stück Holz, das ich am Strande finde und werfe es 
zwischen sie, worauf einige sich bewogen fühlen, sich auf den nächsten 
Busch, ein paar Schritte weit entfernt, zurückzuziehen. Dies klingt 
beinahe wie Jägerlatein. Die kleinen Vögel sitzen unter den Bussarden 
auf denselben Büschen und bekümmern sieh um dieselben gar nicht. 
Als ich den Magen eines der Bussarde öffnete, fand ieh nur Reste 
von der großen Heuschrecke und Scolopendra. Auf Indefatigable 
blieben wir nur 2 Tage, da wir später noch zweimal dieselbe Insel 
zu besuchen gedachten, und der Aufenthalt wegen der Unmasse von 
Mosquitos ganz unerträglich war. Tropidurus, sowie alle kleinen 
Landvögel sind hier ganz gewöhnlich. Auch die See-Echse wurde 
häufig gesehen. Am Abend des 12, Juli verließen wir Indefatigable, 
um nach Brattle zu fahren, einem kleinen Inselehen im Südosten von 
Albemarle. Diese Insel ist nichts anderes, wie der Rest eines großen 
Vulkans, dessen Südostseite bis auf zwei kleine Stücke, die nun als 
Felsen erscheinen, weggerissen ist. Vergebens suchten wir bier zu 
landen, die Wände fallen steil ab, und trotz vielfacher Versuche im 
kleinen Boot war es nicht möglich, anzukommen. Dies war sehr be- 
dauerlich, denn diese Insel ist die Brutstätte vieler Seevögel. Creagrus 
war hier in Hunderten von Exemplaren vorhanden, ebenso Fregatta, 
von welch letzterer wir die weißen Jungen in den Nestern sitzen 
sahen. Auch entdeckten wir hier zum ersten Mal einen kleinen Pinguin, 
der den Inseln eigentümlich ist. An manchen Stellen lagen eine große 
Zahl der See-Echsen und sonnten sich, wir sahen aber nur kleine 
Exemplare. Auch einige kleine Landvögel (Dendroica, Geospiza) 
wurden beobachtet. Die Insel ist grün und viele Ravinen laufen von 
oben herab. Gegen 10 Uhr lagen wir im Südosten von Albemarle, 
Brattle gegenüber, vor Anker. Eine gute Strecke vom Land entfernt, 
mussten wir uns mit dem Ruderboot nach einer kleinen, zwischen 
Mangroven versteckten Bucht bringen lassen. Eine Unmasse von 
Tölpeln und viele Pinguine sitzen auf den kleinen Felspartien, die 
aus dem Wasser hervorragen; auch viele Pelikane finden sich hier, . 
doch meist sitzen sie in den Mangrovegebüschen, wo sie auch ihre 
Nester haben. Nahe an der Landungsstelle steht eine alte Strohhütte, 
und etwa eine Viertelstunde davon entfernt ein verlassenes Feld 
Zuckerrohr. Hier sieht die Lava frisch aus, wie wenn sie erst vor 
kurzem geflossen wäre und es ist sehr leicht, die Riehtung der Strö- 
mung bei den kleinen Partien zu verfolgen. 

Albemarle ist die größte der Galäpagos-Inseln, zugleich aber 
diejenige, die am wenigsten bekannt war; nur vier Arten von Vögeln 
hatte man hier bis jetzt gefunden. Eine der Hauptaufgaben war 
daher, diese Insel genauer zu untersuchen und so hielten wir uns 

















Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 237 


beinahe drei Wochen auf. In dieser Zeit gelang es uns, nicht weniger 
- als 40 Arten von Vögeln zu beobachten. Hier war es auch, wo wir 
die ersten großen Landschildkröten antrafen, über welche ich nun 
etwas berichten will. Zuvor möchte ich nur bemerken, dass Albemarle 
in der Flora sehr an Indefatigable erinnert, und dass auch die Fauna 
der beiden Inseln sich sehr ähnlich ist. Schon am zweiten Tage nach 
unsrer Ankunft auf Albemarle machte ich mit Silva eine Tour nach 
den Höhen, um die großen Landschildkröten kennen zu lernen. In 
der Nähe des Strandes findet man sie nirgends mehr, dort sind sie 
längst von den Wallfischjägern und Orchilla- Sammlern ausgerottet 
worden, aber in schwer zugänglichen Teilen im Innern sollten die- 
selben nach den Angaben unsrer Leute noch vorhanden sein. Am 
Morgen des 15. Juli, kurz nach Sonnenaufgang, machten wir uns auf. 
Der Weg führt zuerst am Strande hin über Wiesengrund, dann durch 
Mangrovegebüsch an einer Lagune entlang. Später geht es den Berg 
hinauf auf einem Weg, den Silva Tags zuvor etwas gebahnt hatte, 
stets durch Unterholz, das sich über unsern Häuptern zusammen- 
schließt und angenehme Kühle hervorbringt. So wandern wir wohl 
eine halbe Stunde lang bergan. Der Weg besteht aus zerbröckelter 
Lava; öfters passieren wir große Mansanilla- Bäume, die herrlichen 
Schatten bieten und stets schöne Lagerplätze abgeben. Mehr und 
mehr Vögel erscheinen. Bald jedoch kommen wir auf weite Lava- 
felder, auf welchen nur dornige Kakteen und Akazien wachsen, die 
einen böse begrüßen, wenn man in ihre Nähe kommt. Dann folgt 
eine Strecke des dichtesten Gebüsches, durch welches erst der Weg 
mit dem Beil gehauen werden muss. Aber weiter geht es, wenn auch 
langsam. Und nun kommen wir an ein Schlackenfeld von Lava, das 
überwunden werden muss. Mehr wie 1!/, Stunden geht es über diese 
Schlackentrümmer, aus denen sich nur selten eine Pflanze hervor- 
drängt; hie und da sieht man die Eidechse Tropidurus zwischen den 
Schlacken verschwinden, heiß brennt die Sonne hernieder und heiß 
werden die Strahlen von dem Gestein zurückgesandt. Dabei muss 
man beinahe jeden Schritt analysieren, man muss immer erst suchen, 
wo man den Fuß hinsetzen will, ehe man den nächsten Schritt wagen 
kann, denn diese Lavabrocken sind wackelig und zerbrechlich, man 
‚verliert leicht das Gleichgewicht und zwischen die zackigen Schlacken 
zu fallen, ist kein Vergnügen. Nun folgt eine Stelle, wo etwas mehr 
Pflanzen sich angesiedelt, aber dies ist nicht angenehmer, im Gegen- 
teil, nun bleibt man oft plötzlich, während man einen Schritt thut, 
mit dem Fuß an einer binsenartigen Schlingpflanze hängen, und steht 
in der Schwebe, bis man sich mit Gewalt durchreißen kann, oder 
seinen Fuß mit Vorsicht befreit hat. So ist es schon nach 9 Uhr 
geworden, und noch sind wir nicht in der Gegend, wo die Schild- 
kröten vorkommen. Das Gras nimmt jedoch mehr und mehr zu, das 
Gebüsch wird dichter, der Boden wird angenehmer zu passieren. 


238 Baur. Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


Plötzlich kommen wir an einen etwa fußbreiten Pfad, und Silva 
hält mit den Worten: „Hier ist eine Galäpago gegangen.“ Es wird 
genaue Umschau gehalten und bald erblicken wir auch die erste 
lebende Galäpagos- Schildkröte. Der Rückenschild maß etwa 40 cm. 
Wir schlangen um die Beine des Tieres einen Strick, banden es an 
einem schattenverbreitenden Baume fest, und die Reise ging immer 
durch hübsches, mit Rasen bewachsenes Unterholz, welches glück- 
licherweise nur wenige Lavablöcke zeigte, weiter. Bis 11 Uhr hatten 
wir 8 Stück gefunden, die größte war über den Rückenschild etwa 
65 em lang. Dies war Alles recht schön; doch nun kam der andere 
Teil, die Tiere hinabzuschaffen. Es war natürlich nicht daran zu 
denken, mehr wie 2 Stück, eines pro Mann, mitzunehmen. Jeder von 
uns band sich eine Schildkröte mit Strieken auf den Rücken, und 
rückwärts ging es. Im Anfang machte sich die Sache ganz gut, aber 
im Schlackenfeld gab es einen heißen Kampf. War schon vorher 
das Balanzieren nicht leicht gewesen, so war es jetzt, mit dem Tier 
auf dem Rücken, erst recht schwierig, da sich dieses jeden Augen- 
blick mit seinen dieken Füßen gegen den Rücken stemmte, um sich 
los zu machen. Verschiedene Male fiel ich samt meiner Kröte zwischen 
die Schlacken, aber weiter geht es über Stock und Stein, wenn auch 
langsam. Wir hatten gar keinen Proviant mitgenommen, weder Essen 
noch Trinken. Die Hitze wurde immer größer, der Durst immer 
mächtiger. So war es !/,3 Uhr geworden, als Silva sagte, er wisse 
in der Nähe eine Stelle, wo es Wasser gäbe. Die Nähe schien mir 
sehr weit. Aber endlich kamen wir nach heißem Kampf mit Gestrüpp 
und zackigen Schlacken unter einer schattigen Gruppe von Mansanilla- 
Bäumen an. Silva sucht herum und findet auch endlich eine kleine 
Pfütze, in der Blätter und Aeste liegen. Das war das Wasser! Mein 
Panamahut wurde gefüllt und man trank das trübe Wasser mit Hoch- 
genuss, trotzdem es etwas faul schmeckte. Ja, nachdem man den 
größten Durst gestillt, trank man nochmals, war es doch frisch und 
kühl. Ich habe im vergangenen Jahr in Kansas und namentlich in 
Wyoming Wasser getrunken, das man unter gewöhnlichen Verhält- 
nissen nicht berühren würde, es war Quellwasser gegen dieses. Doch 
es ging besser nach dem Trunk und gegen 6 Uhr kamen wir nach 
12stündiger Abwesenheit im Lager wieder an. 

Am Tag darauf ging ich nochmals mit Silva und dem Kapitän, 
den ich aufgefordert hatte, uns zu begleiten, nach der Stelle, wo wir 
die übrigen Schildkröten angebunden hatten. Zwei weitere Tiere 
wurden heruntergeschleppt. Der Kapitän und ich trugen eine der 
größeren an einem Pfahl, und es war ein wunderbares Gewackel 
zwischen den Schlacken, als wir herab kamen. Der Kapitän war 
halb tot. Er hatte, wie er sagte, mit dem Knie einige Lavabrocken 
abgeschlagen, und als er sich beim Fallen an einem Baume halten 
wollte, zu seinem Schrecken und Schmerz bemerkt, dass es ein 





Baur, Ein Besuch der Galäpagos- Inseln. 239 


stacheliger Kaktus war. Nie in seinem Leben, schwur er, würde er 
wieder eine derartige Tour mitmachen. Allerdings sah er übel zu- 
gerichtet aus; von den Kleidern hingen die Fetzen, und die Stiefel 
waren in keiner besseren Verfassung. Dies war am 16. Juli. Am 
Tag darauf machten sich Adams mit Silva, den beiden Matrosen 
und unserm Schwarzen auf den Weg, um die übrigen Schildkröten, 
die wir vor 2 Tagen festgebunden, herunterzuschaffen. Am Abend 
kamen sie, jeder mit einer Schildkröte auf dem Rücken zurück. So 
hatten wir denn eine Anzahl lebender Schildkröten im Lager, aber 
sie waren keine Riesenschildkröten, wie sie nach der Aussage von 
Silva weiter im Innern existieren sollten. Am 18. Juli machten wir 
uns daher zu Fünfen auf, um weiter nach dem Innern zu maschieren, 
um womöglich eine der Riesen zu erhalten. Die Gesellschaft bestand 
aus Adams, Silva, einem der Matrosen, unserm Schwarzen und mir. 
Es ging den alten Weg hinauf wie früher. Unter der Mansanilla- 
Gruppe wurde Halt gemacht und Wasser eingenommen, dann ging 
der Marsch durch die Büsche weiter, Silva mit dem Beil den Weg 
bahnend, einer dem andern folgend. So arbeiteten wir uns vorwärts 
und begegneten bis !/,5 Uhr wohl einem Dutzend Schildkröten. Die 
Reste verschiedener großer Schildkröten lagen in den Büschen, ich 
nahm zwei gute Schädel und einen Oberarmknochen von 29 cm Länge 
mit. Als es dunkel wurde, machten wir Halt; eine der Schildkröten, 
denen wir begegnet waren, wurde verzehrt; die Leber auf dem Holz- 
feuer geröstet, schmeckte ganz vorzüglich. Leider war unsre Mahl- 
zeit trocken, denn das wenige Wasser musste für den anderen Tag 
gespart werden, wo es noch weiter nach dem Innern, nach den Riesen 
gehen sollte. Wir schleppten einen Haufen Gras zusammen und legten 
uns nieder, aber die Mosquitos ließen uns keine Ruhe. Sowie es am 
nächsten Tag hell geworden, machten wir uns wieder auf den Weg. 
Nur langsam kamen wir vorwärts, denn Schritt für Schritt musste 
mit dem Beil erobert werden. Gegen 9 Uhr verließen wir die Region 
der Opuntien und Palo-Santos und kamen in die mittlere, mehr wal- 
dige Region. Hier findet man dieselben Bäume wie auf Chatham, 
aber außerdem noch einen großen Baum mit eschenartigen Blättern 
und kleinen weißen Blüten, die traubenartig zusammenstehen (Savon- 
eillo).. Der Boden ist überall mit hohem Gras bedeckt. An den 
Bäumen und zum Teil am Boden erscheint eine große Orchidee, aber 
ohne Blüten, wie auf Chatham. Riesige Schlingpflanzen klettern die 
Bäume hinauf, auch eine Winde findet sich mit einer sehr großen 
weißen Blüte. Bis 11 Uhr begegneten wir zwölf Schildkröten, doch 
keiner, die uns groß genug erschien. Wir lagerten uns und schlach- 
teten eine Schildkröte. Leider ging unser Wasser zur Neige. Der 
Vorrat reicht nur für eine Runde Thee. Wenn wir wüssten, ob wir 
Wasser finden würden, könnten wir weiter; aber es ist höchst wahr- 
scheinlich, dass nirgends in der Umgebung welches existiert. Es 


240 Baur, Ein Besuch der Galäpagos- Inseln. 


bleibt niehts übrig, als umzukehren. Unter diesen Betrachtungen ist 
es beinahe 1 Uhr geworden, und in miserabler Stimmung wurde der 
Rückzug angetreten. Zwei Tage umsonst über die Steine gestolpert, 
Durst gelitten, die Beine zerschunden und nichts ausgerichtet. So 
wandern wir dahin, die Sonne sendet ihre heißesten Strahlen herunter, 
keiner spricht ein Wort. Wir mochten wohl eine Stunde gegangen 
sein, als Silva plötzlich hält und ruft: „Hier ist eine große Galäpago !“ 
und wirklich wandert ein mächtiges Tier dahin. Es musste wohl an 
die 200 Pfund wiegen, das Rückenschild maß gerade einen Meter. 
Es war nicht daran zu denken, den Koloss lebendig ins Lager zu 
bringen, es war also notwendig, das Tier zu schlachten. Wir litten 
gewaltigen Durst, und ich machte mieh sofort daran, das Wasser im 
Herzbeutel, über welches ich so viel gelesen, zu versuchen. Es ist 
sehr erfrischend und schmeckt nur etwas nach Eiweiß; über 5 Tassen 
bekamen wir, und jeder, der wünschte, bekam seinen Teil. Die Leber, 
größer wie eine Kalbsleber, wurde verzehrt, das übrige brauchbare 
Fleisch in einen Sack gebracht und mitgenommen. Die Zerlegung 
erforderte über eine Stunde. Es war !/,3 Uhr geworden; wenn wir 
sehr gut marschierten, konnten wir die Mansanilla- Bäume noch er- 
reichen, um dort zu kampieren. Silva nahm die Schale auf den 
Rücken und fort ging es. Es war ein langer Marsch, aber um. 
"7 Uhr, es war schon dunkel geworden, schlugen wir Lager unter 
den Bäumen. Früh am nächsten Morgen brachen wir auf, und kamen 
gegen 7 Uhr im Hafen an. 

Doch Silva sagt, es gebe noch größere Schildkröten weiter gegen 
Westen, und wenn es solche gibt, so müssen wir sie haben. Schon 
am nächsten Morgen, am 2. Juli, mache ich mich mit Silva und 
einem der Matrosen auf den Weg nach dem bezeichneten Ort. Vier 
und eine halbe Stunde gehen wir gegen Westen am Strand entlang, 
zuerst über weite Sandbänke, auf welchen man ausgezeichnet die 
Fußspuren der verschiedenen Vögel studieren kann, weiter über steile 
Klippen und eckige Lava. Dann muss durchs Wasser gewatet werden. 
Auf den ins Wasser ragenden holprigen Lavabänken sonnen sich eine 
Menge großer See-Iguane bis zu 4 Fuss lang, und ziehen sich, wenn 
wir nahe kommen, in die Spalten zurück. Plötzlich hört der Weg 
auf, denn die Mangroven wachsen bis ins Wasser hinein; da muss 
nun Weg gebahnt werden mit Beil und Messer. Um 12 Uhr kamen 
wir an einer Strohhütte an, die einst von Cobos’ Leuten dort erbaut 
worden, als sie Schildkröten fingen, um Oel zu gewinnen. Ich streiche 
um die Hütte herum, wohl zwei Dutzend kleiner Schildkrötenschalen 
entdeckend. In einigen finde ich auch die Schädel, und so bringe 
ich eine gute Sammlung zu Stande. Um 2 Uhr verlassen wir die 
Hütte und kampieren um !/,6 Uhr nach hartem Kampf mit Lava- 
brocken und diehtem Gesträuch oben auf der Höhe. Von Zeit zu 
Zeit stieß man auf große Schildkrötenschalen, und unter denselben 








Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 34 


fand ich gewöhnlich eine Familie kleiner Geckonen und große schwarze 
Ameisen. Am darauffolgenden Tag, kurz vor 6 Uhr, machen wir 
uns wieder auf den Weg, und nach einem langen Marsch, der von 
dem gewöhnlichen Vorwärtsarbeiten mit dem Beil begleitet war, machen 
wir um 12 Uhr Halt. Unterwegs fing ich eine Menge Landschnecken, 
die an dem langen Grase saßen. Die Vegetation ist üppig grün. Wir 
sehen verschiedene Schildkröten, darunter eine, die gerade einen Meter 
über das Rückenschild misst, aber wir wollen größere. Schon wieder- 
holt hatten wir breite Pfade im Gras entdeckt, die von großen Tieren 
herrühren mussten, sie waren aber nicht frisch. Endlich kamen wir 
an eine Pfütze, die sich in der ausgehöhlten Lava befand. Nach einer 
guten Mahlzeit von Schildkrötensuppe und gerösteter Leber ließen wir 
alles Ueberflüssige zurück und machten uns auf die Suche. Nach 
etwa 20 Minuten schon fanden wir ein altes Weibchen, dessen Schale 
gerade einen Meter maß. Ich war eben daran, das Tier zu präparieren, 
als ich die Anderen, die weiter suchten, rufen hörte. Ich eilte zu 
ihnen, und da fand ich denn ein Monstrum, wie ich es nie zuvor 
gesehen. Das Rückenschild war 1,40 m lang, 63 cm hoch und beinahe 
einen Meter breit. Es war natürlich nicht daran zu denken, dieses 
Tier, das sicher 400 Pfund wog, lebendig wegzuschaffen, ja es war 
eine Frage, ob man es, nachdem es präpariert, mitnehmen konnte. 
Der Schädel dieses Tieres ist 178 mm lang; der größte Schädel im 
Brittischen Museum, der seinerzeit von Kapitän Cookson gesammelt 
worden war und von dem die Leute sagten, dass es der größte wäre, 
der seit Jahren gefunden, misst nur 140 mm. Nach einer mühsamen 
Arbeit von drei Stunden war die Präparation vollendet. Als es dunkel 
wurde, kehrten wir zu der Pfütze zurück, wo wir unser Lager auf- 
schlugen. 

Am nächsten Morgen, während meine Leute wieder auf die Suche 
gingen, vollendete ich die Präparation der ersten Schildkröte vom 
vorhergehenden Tag. Die Leute kamen um 11 Uhr zurück, sie hatten 
noch eine andere Schildkröte, einen Meter lang, gefunden und sie 
angebunden; wir mussten an den Rückweg denken, denn für den 
folgenden Tag hatte ich mich mit Adams verabredet, unten an der 
alten Hütte zusammenzutreffen. Wir fällten einen schlanken Baum, 
dessen Stamm durch die Schale des Riesen gesteekt wurde, dann 
nahmen meine zwei Beute die Last auf den Rücken. Sehr langsam 
ging es vorwärts, und alle 15 Minuten musste Halt gemacht und ge- 
rastet werden. Auch der Weg, den wir zuvor gebahnt, war oft zu 
schmal und bedurfte einer Erweiterung. Um 6 Uhr, es hatte ange- 
fangen zu regnen, machten wir Halt. Am Tag darauf, die ganze 
. Nacht hatte es geregnet, ging es weiter, ich voraus, um Adams zur 
richtigen Zeit zu treffen, die anderen mit ihrer schweren Last hinten- 
drein. Um 12 Uhr kam ich total durchnässt an der alten Hütte an; 
um 1 Uhr folgten auch meine Leute, aber — ohne die große Schild- 

XII. 16 


949 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


kröte, sie war ihnen zu schwer geworden und sie hatten sie am Wege 
zurückgelassen. Bald darauf erschien Adams mit unserm Schwarzen, 
vom Osten kommend. Im Laufe des Nachmittags gingen die Leute 
wieder den Berg hinauf und brachten die Riesenschale herunter. Da 
man nur zur Zeit der Ebbe am Strande in das Hauptlager zurück- 
gehen konnte, so blieb ich mit den andern in der Hütte über Nacht. 
Am Morgen des 25. Juli machte ich mich auf den Heimweg, während 
Adams mit den drei Leuten wieder den Berg hinauf ging, um den 
Rest der Schildkröten herunter zu schaffen. Um 2 Uhr kam ich an 
unserm Ankerplatz an. Am 27. schickte ich den zweiten Matrosen 
mit neuem Proviant nach der Hütte, wohin Adams mit seinen Leuten 
nun zurückgekehrt sein musste. Am 28. kam Adams mit dem 
Matrosen ins Hauptlager zurück. Er hatte noch zwei weitere größere 
Schildkröten gefunden und alle wurden nun von den drei Leuten, die 
er zurückgelassen, nach dem Strand heruntergebracht. Es lagen also 
beinahe 5 Stunden von unserm Ankerplatz fünf große Schildkröten, 
die nun hergeschafft werden mussten. Eine Landung an jener Stelle 
war, der sehr starken Brandung und der Felsen halber, nicht mög- 
lich. Es blieb also nichts übrig, als dieselben den mühseligen Weg 
am Strande entlang zu transportieren. Am Abend des 29. Juli er- 
schienen unsre drei Leute mit zwei der Schildkröten. Am Morgen 
des 30. schiekten wir unsre fünf Leute, diesmal musste sogar der 
Koch mithelfen, wieder zurück, um die drei übrigen Schildkröten, die 
noch im Westen an der Hütte lagen, ans Schiff zu bringen. Am 
Abend des 31. Juli kehrten sie zurück, nach unendlicher Arbeit. Volle 
zehn Tage hatte es gekostet, um fünf der großen Schildkröten zu 
bekommen. 

Am Sonntag den 2. August verließen wir bei Tagesanbruch Albe- 
marle, wo wir vom 12. Juli an geweilt hatten. Wir fuhren an den 
Grossman-Inseln vorüber gegen die Duncan-Insel zu, unsern nächsten 
Bestimmungsort. Die Grossman-Inseln sind nichts wie die Reste ein- 
zelner Vulkane. Südlich von Duncan hat man ein vorzügliches Bild 
der großen Insel Albemarle. Die ganze Insel besteht aus fünf riesigen 
Vulkanen, oben abgeflacht, die Narborough-Insel ist ein sechster Riese 
von der gleichen Gestalt. Um 2 Uhr ankerten wir vor Duncan, wo 
wir bis zum 4. August Abends blieben. Wir waren so glücklich, auf 
dieser Insel eine neue Art von Schildkröten zu fmden, von denen nach 
vieler Arbeit acht Exemplare herabgebracht werden konnten. Die 
Schildkröten von Duncan sind ganz verschieden in Form von denen 
von Süd-Albemarle und ähneln den Formen von Abingdon. Einem 
spanischen Sattel gleichend, haben sie außerdem einen viel längeren 
Hals, wie die Albemarle-Tiere. Am Abend des 4. August ankerten 
wir in der Conway Bay im Westen von Indefatigable. Hier blieben 
wir bis zum Nachmittag des 7. August, nachdem ich mit Silva einen 
zweitägigen Gang ins Innere der Insel gemacht hatte. Von Schild- 





Baur, Ein Besuch der Galapägos - Inseln. 943 


kröten sahen wir keine Spur. Den 8. und 9. August brachten wir 
auf der kleinen und hübschen Insel Jervis zu, wo wir eine sehr 
interessante Ausbeute an Landvögeln machten. Die zwei folgenden 
Tage wurden im Osten von Albemarle gegenüber der kleinen Cowley- 
Insel zugebracht. Dieser Teil von Albemarle ist sehr verschieden 
von Süd-Albemarle und ist in seiner Flora und Fauna bedeutend 
ärmer. Zwei Tage lang versuchte ich mit Silva ins Innere über 
endlose Lavafelder nach den grünen Höhen vorzudringen; wir mussten 
aber den Versuch wegen Wassermangels aufgeben. Auch hier be- 
kamen wir keine Schildkröten zu Gesicht; ich zweifle jedoch nicht 
daran, dass auf den grünen, waldigen Höhen diese Tiere anzutreffen 
sind. 

Vom 12. bis 19. August besuchten wir die James-Insel. Zuerst 
wurde in James Bay im Westen gelandet und später an zwei anderen 
Ankerplätzen im Norden der Insel. In der Nähe des Landungsplatzes 
von James Bay befindet sich eine Lagune, wo wieder eine Menge 
Flamingos sich aufbielt. Als Adams um die ‚Lagune herumging, 
fand er an einer Stelle die Nester der Vögel, von denen acht je ein 
Ei enthielten. Diese Nester sind auf dem feuchten Boden am Rande 
der Lagune gebaut und gleichen vollkommen einem kleinen Vulkan, 
sie sind 15 cm hoch, der obere Durchmesser ist 25 em, der untere 
68 cm. Oben haben sie eine flache Vertiefung, in welcher das weiße 
Ei, in Größe zwischen einem Enten- und Gans-Ei, liegt. Die acht 
Eier enthielten ziemlich vorgeschrittene Embryonen verschiedenen 
Alters, die natürlich sorgfältig konserviert wurden. Auch auf James 
war eine zweitägige Exkursion ins Innere nach Schildkröten ohne 
Erfolg. Am Morgen des 19. August verließen wir James, um nach 
Nord-Indefatigable hinüberzusegeln, bei welcher Fahrt wir zum ersten 
Mal kennen lernten, wie es mit einem Segelschiff geht, wenn kein 
Wind da ist. Volle vier Tage, bis zum 23. August, trieben wir uns 
im Nordosten von James herum, ohne Indefatigable erreichen zu 
können. Als endlich am Nachmittag des 23. August eine Brise ein- 
setzte, schlug ich vor, dieselbe zu benützen und gleich nach dem 
Norden von Chatham hinüberzufahren und den Norden von Indefati- 
gable auf der zweiten Fahrt zu besuchen. Der Wind hielt an, und 
am Abend des folgenden Tages ankerten wir an der Nordspitze von 
Chatham in der Nähe von Terrapin Road. Dies ist die Gegend, wo 
Darwin seinerzeit gelandet war, und ich erkannte sie sofort aus 
seiner Beschreibung. Flora und Fauna ist hier sehr arm, doch sind 
die Arten dieselben wie in Wreek Bay. Den 25. August brachten 
wir in Stephens Bay zu und am 26. August kehrten wir nach zwei- 
monatlicher Abwesenheit nach Wreck Bay zurück. Während unsrer 
Abwesenheit war die Post angekommen. Leider waren die Nach- 
richten nicht gut und zwangen mich, so schnell wie möglich zurück- 
zukehren. Die Idee, Narborough, Wenman und Culpepper zu be- 

16* 


244 Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 


suchen, die nie vorher betreten worden waren, musste zu meinem 
größten Bedauern aufgegeben werden, aber Tower, das beinahe völlig 
unbekannt, wie Bindloe und Abingdon, konnten noch untersucht werden. 
Schon am 1. September konnten wir Chatham und die Niederlassung 
an der Wreck Bay verlassen. An dieser Stelle will ich nicht ver- 
säumen, Herrn Senior Cobos für seine große Gastfreundschaft und 
höchst wertvollen Ratschläge meinen verbindlichsten Dank auszu- 
sprechen. 

Am Nachmittag des folgenden Tages, am 2. September, ankerten 
wir im Westen von Tower. Trotz der Brandung gelang es uns, wenn 
auch mit mancher Schwierigkeit, zu landen. Tower ist sehr interessant, 
es ist der Brutplatz einer Menge von Seevögeln (Fregatta, Sula, Crea- 
grus, Phaeton), und wir erhielten eine gute Ausbeute von Embryonen 
und Nestlingen. Tower besitzt auch eine besondere Art von Nesomimus 
und einen Cactornis mit einem sehr großen Schnabel. Sonderbarer- 
weise konnten wir nicht ein einziges Exemplar der Eidechse Tropi- 
durus, die wir auf allen übrigen Inseln gefunden, entdecken. Wahr- 
scheinlich haben die vielen Seevögel die Schuld hieran. Die See- 
Iguane von Tower ist sehr klein, kleiner wie auf irgend einer der 
andern Inseln, die wir besuchten, mit Ausnahme von Brattle. Am 
Nachmittag des 4. September erreichten wir Bindloe, wo wir bis zum 
Abend des 5. blieben und ausgedehnte Sammlungen machten. Hier 
wurde eine besondere Art von Nesomimus und Tropidurus gefunden. 
Der 6. September wurde auf Abingdon zugebracht und am Abend 
desselben Tages sagten wir den Inseln Lebewohl und steuerten nach 
Osten Guayaquil zu. Am Morgen des 16. September liefen wir dort 
im Hafen ein. Mein erster Gang war nach der Post; glücklicherweise 
lauteten die Nachrichten besser und ich konnte wieder einmal frischer 
aufatmen. 

Schon nach wenigen Tagen, am 19. September, soilte der Dampfer 
„Santiago“ nach Panama abgehen; wir hatten eben genügende Zeit, 
um unsre Sammlungen noch vollständiger zu verpacken. In diesen 
Tagen erfreute ich mich wieder der Liebenswürdigkeit und Gastlich- 
keit meiner Landsleute im deutschen Klub, an die ich stets mit Dank 
mich erinnern werde. Auch ergreife ich hier gerne die Gelegenheit, 
dem Herrn Gouverneur von Guayaquil und dem Hause Daniel Lopez 
daselbst für ihr freundliches Entgegenkommen meinen besten Dank 


auszusprechen. Am Morgen des 23. September kamen wir in Panama 
an und zwei Tage später verließen wir Colon auf der „City of New- 


port“, die am 2. Oktober in New- York einlief. 


Ich werde nun kurz über die bis jetzt aus den Sammlungen und 


Beobachtungen gewonnenen Resultate berichten und untersuchen, ob 
dieselben mit meiner Theorie vom Ursprung der Galäpagos- Inseln 
durch Senkung übereinstimmen. Es ist natürlich hier nicht möglich, 
alle Gruppen der Tiere und Pflanzen durchzumustern, sondern ich 





| 


Baur, Ein Besuch der aläapagos - Inseln. 245 


werde mich auf die Schildkröten, die Eidechse Tropidurus und die 
Landvögel beschränken. 

Schon Porter hatte im Anfang dieses Jahrhunderts die Beobach- 
tung gemacht, dass die verschiedenen Inseln verschiedene Rassen von 
Schildkröten enthielten, und dieselbe ist von Darwin und später von 
Dr. Günther bestätigt worden. Leider sind die Lokalitäten der in 
den verschiedenen Museen befindlichen Galäpagos-Schildkröten meist 
unbekannt. Auf den folgenden Inseln haben diese Tiere seinerzeit 
existiert: Charles, Hood, Chatham, Barrington, Indefatigable, James, 
Duncan, Jervis, Albemarle, Abingdon. Weder auf Tower, noch auf 
Bindloe, noch auf Narborough sind Schildkröten beobachtet worden. 
Auf Charles, Hood, Chatham, Barrington, Jervis scheinen dieselben 
heute vollkommen ausgerottet zu sein. Vereinzelte Exemplare mögen 
noch auf James, Indefatigable und Abingdon existieren; auf Duncan 
sind sie sehr reduziert, während sie im Innern von Albemarle noch 
ziemlich häufig sind. 

Ich kenne heute 7 verschiedene Rassen oder Arten dieser Schild- 
kröten, aber nur von fünfen weiß ich, welchen Inseln sie angehören. 
Diese Inseln sind Albemarle, Charles, James, Duncan und Abingdon. 
Jede Insel enthält immer nur eine besondere Rasse. Die Rassen von 
Duncan und Abingdon sind sich ähnlich. Die Form von James steht 
in der Mitte zwischen den Formen von Duncan und Albemarle, wäh- 
rend die Form von Charles gewissermaßen eine Mittelstellung zwischen 
denen von James und Albemarle einnimmt. Die zwei Rassen, deren 
Fundort unbekannt ist, stammen wahrscheinlich von Hood und Inde- 
fatigable. Wie dem nun sein möge, die Thatsache bleibt, jede oder 
beinahe jede der Inseln besitzt ihre eigene Rasse von Schildkröten. 
Wenden wir uns nun zu der Eidechse Tropidurus, so finden wir hier 
genau dasselbe. Ich konnte, als ich im April 1890 das vom „Albat- 
ross“ gesammelte Material untersucht hatte, folgende zwei Sätze auf- 
stellen: 1) Jede einzelne Insel hat nur eine einzige Varietät oder Art 
von Tropidurus. 2) Beinahe jede Insel hat eine verschiedene Varietät 
von Tropidurus. Später sprach ich die Vermutung aus, dass wahr- 
scheinlich die anderen Inseln, die man noch nicht untersucht hatte, 
neue Rassen von Tropidurus enthalten würden. Meine Beobachtungen 
und Sammlungen haben Alles vollkommen bestätigt. Niemals findet 
sich auf einer Insel mehr wie eine Rasse oder Art von Tropidurus; 
und die Rassen der einzelnen Inseln sind immer mehr oder weniger 
von einander verschieden. Außer Unterschieden in der Färbung finden 
sich namentlich sehr charakterische Differenzen in der Zahl der 
Schuppen um die Mitte des Körpers. Zählt man die Schuppen rund 
um die Mitte des Körpers, so findet man folgende Zahlen: Albemarle 
53— 63; Indefatigable 53—63; Chatham 55—65; James 59—65;; Jervis 
61—67; Charles ?—69; Barrington 63-—-71; Bindloe 69—75; Hood 
69—77; Gardner 73—79; Duncan 83—89; Abingdon 91—101. Die 


946 Baur, Ein Besuch der Galapagos - Inseln. 


Zahl der Schuppen bei dieser Eidechse variiert demnach zwischen 
53—101. Aber beinahe jede einzelne Insel hat ihre besondere Sehuppen- 
zahl. Bestimmt man die Mittelwerte der einzelnen Inseln, so findet 
man: Albemarle 57; Indefatigable 57; Chatham59; James 63; Jervis63; 
Charles 65°; Barrington 67; Bindloe 71; Hood 73; Gardner 75; Dun- 
can 87; Abingdon 97. Es zeigt sich ferner, dass die größte Anzahl 
der Individuen einer Insel eine Schuppenzahl besitzt, die mit dem 
Mittelwert übereinstimmt. So zeigen z. B. 38 Exemplare von Barrington 
die folgenden Schuppenzahlen: die Zahl 63 kommt zweimal, 65 dreimal, 
67 einundzwanzigmal, 69 siebenmal, 71 fünfmal vor. 40 Individuen 
von Bindloe zeigen 69 5mal, 71 17mal, 73 15mal, 75 3mal. Wie 
bei den Schildkröten findet man, dass sich die Formen von Duncan 
und Abingdon nicht allein in der Zahl der Schuppen, sondern auch 
im Charakter derselben am nächsten stehen, die Form von Chatham 
zeigt Besonderheiten, die bei den übrigen nicht vorkommen. Die 
Formen von Albemarle, Indefatigable, James, Jervis, Charles, Bar- 
rington, Bindloe, Hood, Gardner, bilden eine gemeinsame Gruppe, in 
welcher die Formen von Hood und Gardner, die sich kaum unter- 
scheiden, und von Bindloe wieder eine mehr isolierte Stellung ein- 
nehmen. 

Wir wollen nun die Spottdrossel Nesomimus betrachten. Hier 
finden wir genau dieselben Verhältnisse, wie bei Tropidurus. Jede 
Insel besitzt nur eine Art oder Rasse von Nesomimus, und beinahe 
jede Insel hat eine ihr eigentümliche Rasse oder Art. Nesomimus 
wurde auf allen Inseln mit Ausnahme von Charles und Duncan ge- 
funden. Zur Zeit Darwin’s und sogar noch im Jahre 1868, als 
Dr. Habe] Charles besuchte, war dieser Vogel noch auf Charles vor- 
handen, er scheint aber jetzt vollkommen ausgestorben, denn weder 
der „Albatross“, noch wir konnten trotz sorgfältigen Suchens eine 
Spur desselben entdecken. Ob die Spottdrossel früher auf Duncan 
existierte, ist mir nicht bekannt, jedenfalls haben weder der „Albat- 
ross“ noch wir diesen Vogel daselbst angetroffen. Es ist eine sehr 
wichtige und interessante Thatsache, dass dieser Vogel niemals von 
einer Insel zur andern fliegt, sondern stets nur auf seiner Heimatinsel 
sich findet. Dies gilt für alle Landvögel. Nur ein einziges Mal be- 
gegneten wir einem Waldsänger (Dendroica) etwa eine Meile von 
Barrington auf dem Wasser. Wie Tropidurus in der Zahl seiner 
Schuppen, so variiert Nesomimus in der Länge seines Schnabels. Ich 
habe eine Anzahl Individuen gemessen, die Arbeiten sind noch nicht 
abgeschlossen, und folgende Werte gefunden. Auf den verschiedenen 
Inseln ist die Schnabellänge des Nesomimus: Albemarle 25,5 mm, 
Indefatigable 26,2, Jervis 27,5, Chattam 28,5, Bindloe 28,6, James 29, 
Tower 32,7, Abingdon 33, Charles 35, Hood 37. Außer der verschie- 
denen Schnabellänge finden sich noch andere Unterschiede, nament- 
lich in der Färbung. Es ist interessant zu bemerken, dass Hood den 





Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 247 


größten Nesomimus und zugleich den größten Tropidurus enthält. Aber 
nicht immer ist die Variation so stark ausgesprochen, wie bei Neso- 
mimus; so findet man z. B., dass ein anderer Vogel, Certhidia, nur 
seine nördlichen, mittleren und südlichen Rassen oder Arten besitzt. 
Auf den Zentralinseln findet man Certhidia olivacea, auf den nörd- 
lichen Certhidia fusca, auf Hood Certhidia cinerascens. Der rotköpfige 
Fliegenfänger Pyrocephalus variiert noch weniger, während Myiarchus 
und Dendroica sich auf allen Inseln wohl ganz gleich bleibt. Es er- 
hebt sich nun die Frage, woher stammt die Verschiedenheit der Formen 
auf den einzelnen Inseln? 

Vor allem unterliegt es gar keinem Zweifel, dass die Verbreitung 
der Organismen auf den einzelnen Inseln eine vollkommen harmonische 
ist; dies gilt nicht allein für die Fauna, sondern auch für die Flora; 
für letztere will ich nur ein Beispiel, das mir besonders auffiel, er- 
wähnen. Die große Opuntia hat einen verschiedenen Charakter bei- 
nahe auf jeder Insel. Die Opuntia von Barrington, Indefatigable und 
Süd-Albemarle z. B. entwickelt einen sehr hohen Stamm; die von 
Hood und Charles besitzt einen verhältnismäßig niederen und dickeren 
Stamm; die Opuntia von Jervis wiederum einen sehr niederen; die 
Verzweigung beginnt schon kurz über dem Boden; die Opuntia von 
Tower hat gar keinen Stamm, die Verzweigung beginnt sofort am 
Boden, es ist ein niederer Busch, aber kein Baum. Die Form von 
Bindloe zeigt Charaktere, die zwischen den Individuen von Tower 
und Jervis liegen. Also auch hier finden wir dieselben Verhältnisse 
wie bei den Tieren. 

Ich habe im Anfang ausgesprochen, dass die Harmonie in der 
Verteilung der Organismen nur durch Annahme einer Senkung erklärt 
werden kann, und durch die Hebungstheorie vollkommen unerklärlich 
ist. Wir wollen nun diesen Punkt etwas näher betrachten. Nach der 
Hebungstheorie können wir nur annehmen, dass alle Organismen als 
zufällige Einwanderer zu betrachten sind; denn die Inseln konnten 
nur bevölkert werden, nachdem sie einmal genügend über den Meeres- 
spiegel herausgehoben waren. Wie ist aber nach dieser Theorie die 
Thatsache erklärbar, dass auf jeder oder beinahe jeder Insel nur 
eine bestimmte Form einer Art oder Gattung vorkommt? Man sollte 
es doch für möglich halten, dass, wenn z.B. die Eidechse Tropidurus 
nach einer Reise von Hunderten von Meilen auf einer der Inseln 
landete, sie auch von einer Insel zur anderen gelangen könnte; dies 
ist aber nicht der Fall, denn wir finden stets nur eine Rasse dieser 
Eidechse auf einer Insel, nie mehr. Wie äußerst unwahrscheinlich ist 
ferner die Einfuhr der riesigen Landschildkröten, die für diese Inseln 
so charakteristisch sind? Von den Menschen sind sie nieht importiert 
worden, denn als die Spanier im 16. Jahrhundert die Inseln entdeckten, 
waren dieselben in enormer Zahl. vorhanden. Nach Darwin und 
seinen Anhängern kann man nur annehmen, dass, nachdem einmal 


248 Baur, Ein Besuch der Galapagos - Inseln. 


die Inseln aus dem Wasser durch vulkanische Thätigkeit herausge- 
hoben waren, es sich einmal ereignete, dass eine Landschildkröte von 
dem einige Hundert Meilen weit entfernten Kontinent dorthin ver- 
schlagen wurde. War diese Schildkröte ein Männchen, so konnte es 
die Inseln nicht bevölkern, wenn nicht zufällig ein Weibchen mit ge- 
kommen war, oder später zufälligerweise nach derselben Insel im- 
portiert wurde. Oder wir könnten auch annehmen, dass Tiere beiderlei 
Geschlechts zur selben Zeit dorthin verschlagen wurden. Aber wie 
wurden die übrigen Inseln bevölkert? Um dies nach der eben ange- 
führten Theorie zu erklären, müssen wir den Zufall tausendmal in 
zufälliger Weise walten lassen. Ferner, wie können wir verstehen, 
dass die Formen einer Gattung alle Inseln erreichten, und die Formen 
einer anderen Gattung wiederum alle Inseln u. s. f.? Kurzum, wie 
können wir die Harmonie der Verteilung nach der Hebungstheorie 
erklären? Ich behaupte, die Verhältnisse sind unvereinbar mit dieser 
Theorie. 

Die Theorie der Senkung aber macht Alles aufs einfachste klar. 
Der ganze heutige Galäpagos-Archipel bildete einst eine große Insel, 
und diese Insel selbst stand in noch früherer Periode mit einem Teil 
des amerikanischen Kontinents, der allerdings damals nicht die heutige 
Konfigurasion zeigte, im Zusammenhang. Durch allmähliche Senkung 
löste sich die große Insel nach und nach in immer mehr Inseln auf. 
Auf diese Weise erklärt sich die Differenzierung der Formen auf den 
verschiedenen Inseln ganz einfach. Als nur eine große Insel bestand, 
war die Zahl der Arten und Rassen sehr klein; höchst wahrscheinlich 
existierte nur eine Art von Tropidurus, von der Spottdrossel und von 
der Landschildkröte auf der Insel. Wenn auch die Verhältnisse auf 
dieser Insel verschieden waren, so wurde doch eine Differenzierung 
der Species durch Kreuzung verhindert. Durch Senkung lösten sich 
nun allmählich Inseln von der Hauptinsel ab. Die Formen der ver- 
schiedenen Inseln konnten sich nun nicht mehr unter einander kreuzen, 
und minimale Unterschiede, die sich durch Kreuzung verloren hätten, 
als die Inseln noch im Zusammenhang waren, erhielten sich nun. 
Außerdem aber waren die Verhältnisse auf den einzelnen Inseln nicht 
mehr dieselben; eine Insel reichte in die feuchte Region, die andere 
nicht; bei einer war die Zusammensetzung des Bodens verschieden 
von einer andern; diese Unterschiede, wenn auch noch so klein, mussten 
im Laufe sehr langer Zeiträume, und solehe müssen wir annehmen, 
auch Unterschiede in den Formen hervorbringen, und nur so kann 
ich mir die Erscheinung der verschiedenen Rassen und Varietäten 
auf den einzelnen Inseln erklären. 

Die Hauptfaktoren sind demnach die äußeren Umstände, das 
Wort im weitesten Sinn genommen, und die Zeit. Die Verhältnisse 
lassen sich mathematisch folgendermaßen ausdrücken. Angenommen, 
eine ursprüngliche Art, als nur eine große Insel bestand, werde mit a 





Baur, Ein Besuch der Galäpagos - Inseln. 249 


bezeichnet. Eine Spaltung der Insel z.B. in drei Inseln tritt nun ein 
und die Verhältnisse auf diesen drei Inseln wären ausgedrückt durch 
x, Y, z. Die verschiedenen Verhältnisse x, y, z müssen, wenn auch 
noch so klein, im Laufe langer Zeiten verschieden auf a wirken; 
aus a wird also auf den drei Inseln: 

a f(x), d.h. a -- einer Funktion von dem Verhältnisse 

af (J) 

a + f(). 
Die Zeit der Trennung ist aber außerdem ein Hauptfaktor, wenn der 
Effekt der Zeit t durch f (t) ausgedrückt wird, so erhalten wir für 
die Organismen auf den drei neugebildeten Inseln die Formeln 

af). fl) 

a+ftyN.f) 

a+f(z).f(t). 
Je verschiedener die Verhältnisse auf zwei Inseln und je verschiedener 
die Zeit der Isolierung, desto verschiedener die Formen auf den ein- 
zelnen Inseln. 

Es gibt nun aber verschiedene Genera auf den Galäpagos-Inseln, 
welche durch mehr als eine Speeies auf einer Insel vertreten sind; 
hierher gehören die Landschnecken z. B. und die Finken - Gattungen 
Geospiza, Cactornis, Camarhynchus. Von Cactornis wurden nie mehr 
als zwei Arten auf einer Insel angetroffen, auf Hood fehlte dieser 
Vogel vollständig. Die Inseln Indefatigable, Chatham, Albemarle, 
James und Jervis zeigten zwei Arten, die übrigen nur eine. Vergleicht 
man nun die verschiedenen Individuen, so findet man, dass sie zwei 
Gruppen angehören, von denen jede für sich auf den einzelnen Inseln 
mehr oder weniger variiert; man muss daher annehmen, dass dieser 
Vogel schon vor der Isolierung der Inseln in zwei Arten vorhanden 
war, von denen sich nur jede für sich auf den verschiedenen Inseln 
entwickelte. Dasselbe gilt für Geospiza und Camarhynchus. 

Nach all diesem scheint es mir zweifellos, dass die Galäpagos- 
Inseln nur durch Senkung entstanden sein konnten, und ich glaube, 
dass die Erhebungstheorie die verschiedenen Verhältnisse zu erklären 
vollständig unfähig ist. Es erhebt sich jetzt aber sofort die Frage: 
ist es nicht möglich, die Zeit der Trennung der Galäpagos vom Haupt- 
land zu bestimmen? Wahre Landschildkröten finden sich zum erstenmal 
im unteren Tertiär, wo sie schon eine bedeutende Größe erreichen 
(Hadrianus, Cope). Den Galäpagos- Schildkröten ähnliche Formen 
finden sich im Mioeän des nördlichen Nord-Amerika. Wir müssen an- 
nehmen, dass, da keine Landschildkröten vor der Tertiärzeit existier- 
ten, die Galäpagos keinesfalls zu dieser Zeit isoliert wurden. Ich 
glaube, es ist nieht zu weit gegangen, wenn wir annehmen, dass 
diese Inseln zur Zeit des älteren Tertiär noch mit dem amerikanischen 
Kontinent, der damals natürlich eine ganz andere Form hatte, im 
Zusammenhang war. Es war die vollkommene Isolation, die Abwesen- 


250 Brieger, Kitasato u. Wassermann, Immunität und Giftfestigung. 


heit irgend welcher Feinde, welche diese Schildkröten am Leben er- 
hielt, bis auf den heutigen Tag; gerade so wie wir heute noch uralte 
Dialektformen in isolierten Thälern erhalten finden. 

Nachdem ich nun nachgewiesen zu haben glaube, dass die Galäpagos- 
Inseln kontinentalen Ursprungs sind, erhebt sich natürlich die weitere 
Frage: wie steht es mit anderen Inselgruppen, die man gewohnt ist 
als ozeanische Inseln zu betrachten? Wie verhält es sich z. B. mit 
den Sandwich-Inseln und anderen Inseln im Stillen Ozean, wie verhält 
es sich überhaupt mit der Theorie von der Konstanz der Ozeane und 
Kontinente? Steht diese Theorie auf fester Basis? Ich glaube nicht. 
Wie ich schon früher bemerkt habe, ist die vulkanische Natur einer 
Inselgruppe an sich gar kein Beweis für deren ozeanischen Ursprung. 
Die vulkanischen Inseln können ebensogut als die Vulkane einer ver- 
sunkenen kontinentalen Landmasse betrachtet werden. Die Geologie 
lässt uns hier im Stich. Die Biologie dagegen hilft uns, das Rätsel 
zu lösen. Durch ein sehr sorgfältiges Studium der Organismen einer 
Inselgruppe und ihrer Verbreitung auf den einzelnen Inseln wird es 
wohl beinahe immer möglich sein, zu bestimmen, ob die Gruppe durch 
Hebung oder durch Senkung entstanden ist. Im ersten Fall werden 
wir keine Harmonie in der Verbreitung finden, im zweiten Fall wird 
das Bild der Verbreitung vollkommen harmonisch sein. Ich möchte: 
nur wünschen, dass die verschiedenen Inselgruppen einer möglichst 
sorgfältigen biologischen Untersuchung unterzogen würden. Es dürfte 
sich dann zeigen, dass die vielfach angefochtene Lemuria trotz alledem 
existierte; dass zu früheren Zeiten die Azoren und Kanaren zusammen- 
hingen; dass, wo heute der Stille Ozean sich erstreckt, früher mehr 
oder weniger ausgedehnte Landmassen existierten; und dass es einen 
antarktischen Kontinent gab, der sich von Neuseeland nach der Spitze 
von Südamerika erstreckte. Es wird sich wohl sicher zeigen, dass 
die gegenwärtige Verteilung von Wasser und Land nicht dieselbe ge- 
wesen ist seit paläozoischer Zeit, sondern dass wiederholte Schwan- 
kungen stattgefunden haben; hier wurde eine mächtige Bergkette 
emporgehoben und dort versank eine ausgedehnte Ländermasse unter 
den Wogen. 

Worcester, Conn. Dezember 1891. 


L. Brieger, S. Kitasato und A. Wassermann, Ueber 
Immunität und Giftfestigung. 


Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XI, 137—182. 


Die Biologie der pathogenen Mikroorganismen betrachtet es als 
ihre vornehmste Aufgabe, nach Mitteln zu suchen, welche geeignet 
sind, den von einer Infektion bedrohten oder von einer solchen bereits 
ergriffenen Tierorganismus im Kampf gegen die Krankheitskeime er- 





Brieger, Kitasato u. Wassermann, Immunität und Giftfestigung. 251 


folgreich zu unterstützen; sie strebt danach, der praktischen Medizin 
Mittel an die Hand zu geben, welche gegen die verheerendsten Krank- 
heiten „Immunität“ verleihen. Unter „Immunität“ verstehen wir — 
angesichts der wenig scharfen Auffassung dieses Begriffs ist es not- 
wendig dies hervorzuheben — lediglich die Unempfänglichkeit eines 
tierischen Organismus für einen pathogenen Mikroorganismus; ein 
Tier ist immun gegen einen Krankheitsträger, wenn 
dieser in dem tierischen Körper sich nicht vermehren 
kann. Nun beruht die verderbliche Wirkung pathogener Mikro- 
organismen entweder darauf, dass sie nach ihrer Invasion in den 
Tierkörper auf das üppigste in demselben wuchern und durch Ver- 
legen der Kapillaren schwere, mit der Fortdauer des Lebens unverein- 
bare mechanische Hindernisse schaffen, oder darauf, dass sie, ohne 
als Fremdkörper die vegetativen Funktionen ihres Wirtes wesentlich 
zu stören, heftige Gifte erzeugen, welche, in das Blut des betroffenen 
Organismus übertretend, eine verhängnisvolle Intoxikation hervorrufen. 
Ein typisches Beispiel für die erste Art der Infektionskrankheiten 
bietet der Milzbrand. Die Milzbrandbacillen wachsen im Tierkörper 
zu so ungeheuren Mengen heran, dass sie den Fortbestand der vitalen 
Prozesse völlig unmöglich machen; eine spezifische Giftwirkung der 
Stoffwechselprodukte dieser Bakterien tritt gegen den mechanischen 
Effekt ganz in den Hintergrund. Anders liegt es bei den für die 
Menschen verheerendsten Seuchen wie Cholera, Typhus, Diphtherie, 
Tetanus. Die Entwicklung der Träger dieser Infektionskrankheiten 
ist mehr eine lokal beschränkte, und sie würden ebenso wie die Un- 
zahl der Darmbakterien ohne Gefahr ertragen werden oder höchstens 
etwa lokale Reizerscheinungen hervorrufen, wenn sie nicht von ihrer 
Brutstätte aus ihre spezifischen Gifte in den Kreislauf ihres Wirtes 
hineinwürfen. Um die verschiedene Wirkungsweise der pathogenen 
Mikroorganismen zu kennzeichnen, unterscheidet man die Erreger des 
Milzbrands, Schweinerotlaufs u. ä. passend als septicämische von 
den Erregern der Cholera, Diphtherie, des Typhus und Tetanus als 
toxischen Mikroorganismen. Die Bekämpfung der septicämischen 
ist offenbar nur möglich durch Immunisierung des von der Infektion 
bedrohten tierischen Organismus oder durch rasche Tötung der Bak- 
terien innerhalb desselben, eine toxische Infektionskrankheit kann 
aber auch noch dadurch bekämpft werden, dass man der Wirkung 
der Bakteriengifte entgegenarbeitet. Dies kann auf zwiefache Weise 
geschehen, durch Einverleibung von Gegengiften oder durch geeignete 
Vorbehandlung, welche dem bedrohten Organismus eine große Wider- 
standsfähigkeit gegen Bakteriengifte verleiht d.h. ihn „giftfest“ macht. 
Ein gegen Tetanusgift gefestigtes Tier ist gegen Tetanusbaeillen nicht 
notwendig immun, aber eine Infektion mit solehen schadet ihm nicht; 
die Bacillen mögen sich immerhin in ihm entwickeln und vermehren, 
das von ihnen erzeugte Krampfgift ist in dem giftfesten Körper 


252 Brieger, Kitasato u. Wassermann, Immunität und Giftfestigung. 


machtlos. Anderseits kann Immunität vorhanden sein ohne Giftfestig- 
keit, es kann ein Tier gegen Tetanus immun sein, also jede Impfung 
mit frischen Tetanusbaeillen reaktionslos ertragen und doch an typi- 
schen tetanischen Krämpfen zu Grunde gehen, wenn ihm aus einer 
abgetöteten Tetanuskultur eine genügende Menge Tetanusgift appli- 
ziert wird. 

Die mit glücklichstem Erfolg ausgeführten Untersuchungen der 
Vff. haben vornehmlich die Giftfestigung zum Gegenstande. Naclı 
mancherlei vergeblichen Bemühungen, aus Eiweißkörpern giftfestigende 
Mittel darzustellen, die Peptone und Nukleine, die Verdauungsfermente 
in dieser Richtung zu verwerten, gelang es den Vff. in den Extrakten 
der Thymus, der Lymphdrüsen und des Fischspermas Substanzen zu 
finden, welche den bakteriellen Giften in hohem Grade feindlich sind. 
Bei der Mehrzahl der Versuche wurden Thymusauszüge verwendet. 

Die aus frischer Kalbsthymus bereitete sterilisierte Bouillon diente, 
in Reagensgläsern aufbewahrt, einerseits als Nährboden für die Züch- 
tung toxischer Bakterien, wie die gewöhnliche Nährbouillon, ander- 
seits als Zusatz zu üppig gewachsenen Bouillonkulturen toxischer 
Bakterien von bekannter Virulenz. Die Vff. bezeichnen den Thymus- 
auszug, auf welchem Tetanusbacillen gezüchtet worden waren, als 
Thymus-Tetanus-Bouillon und die aus frischem sterilisiertem Thymus- 
auszug und vollentwiekelten Nährbouillon- Tetanuskulturen bereiteten 
Mischungen als Thymus-Tetanus-Mischung. In analoger Weise sprechen 
sie von Tbymus- Cholera - Bouillon u. s. w. 

Bei dem Züchten von Tetanusbacillen auf Thymusauszug wurde 
zunächst die merkwürdige Beobachtung gemacht, dass die Bacillen 
auch bei längerem Verweilen im Brütofen sporenlos wuchsen. Sie 
hatten aber keinesfalls die Fähigkeit der Sporulation verloren, denn 
nach dem Ueberimpfen in tiefe Traubenzucker-Agarschichten kam es 
wiederum zur Sporenbildung. 

An der Thymus-Tetanus-Bouillon trat die giftfeindliche Wirkung 
des Thymusextraktes in überraschender Weise zu Tage: die tötliche 
Dosis dieser Bouillon war für Mäuse 0,35—0,5 cem, während sie bei 
einer gleichaltrigen Nährbouillon-Tetanuskultur nur 0,0001—0,001 eem 
betrug. Die Giftwirkung erwies sich also durch den Thymusextrakt 
auf Y/,n00—s000 der gewöhnlichen Giftigkeit gemindert. 

In gleicher Weise kam die antitoxische Wirkung der Thymuszellen 
zur Geltung, wenn eine hochgiftige Tetanusbouillonkultur mit Thymus- 
auszug gemischt wurde. Von einer solchen Thymus-Tetanus-Mischung, 
die acht Tage im Eisschrank gestanden hatte, vertrugen Mäuse mehr 
als das Zehnfache der tötlichen Dosis der nicht mit Thymusextrakt 
gemischten Tetanuskultur. Am deutlichsten aber stellte sich die gift- 
festigende Wirkung des Thymusextraktes heraus, als in mehreren 
Versuchsreihen 35 Kaninchen, einem jungen Hammel und einer großen 
Anzahl von Mäusen allmählich steigende Dosen einer Thymus-Tetanus- 





Brieger, Kitasato u. Wassermann, Immunität und Giftfestigung. 955 


Mischung injiziert wurden. Die Tiere ertrugen nach dieser Vor- 
behandlung sämtlich ohne den geringsten Nachteil sowohl die Injektion 
hochgiftiger Tetanusbouillon wie die Impfung mit frischen Tetanus- 
Agarkulturen und die Infektion mittels Holzsplitter, die mit Tetanus- 
sporen imprägniert waren; während die Kontroltiere ausnahmslos an 
typischem Wundstarrkrampf eingingen. Besonders auffallend ist, dass 
dies Schutzverfahren auch bei Mäusen, die von allen Tieren gegen 
Tetanus am empfindlichsten sind, seine Schuldigkeit thut. Die Vor- 
behandlung dauerte bei ihnen vier Wochen; sie erhielten während 
dieser Zeit zehn von 0,03 bis 1,0 eem steigende Dosen von Thymus- 
Tetanus-Mischung intraperitoneal injiziert. Die alsdann vorgenommene 
subkutane Impfung mit einer Oese frischer Tetanus-Agarkultur blieb 
wirkungslos, während die Kontrolmäuse nach 24 Stunden starben. 

In wie hohem Grade die Kaninchen giftfest geworden waren, 
ließ sich auch daran erkennen, dass ihr Serum die Eigenschaft ge- 
wonnen hatte, beträchtliche Giftfestigkeit mitzuteilen. Drei Kaninchen, 
die schließlich 10 eem Thymus- Tetanus - Mischung erhalten und dann 
1 cem virulentester Tetanusbouillon reaktionslos ertragen hatten, wurden 
je 10 cem Blut aus der Carotis entnommen und am nächsten Tage 
0,05—0,5 cem des Serums mehreren Mäusen intraperitoneal injiziert. 
Am nächstfolgenden Tage wurden die Mäuse mit einer Oese frischer 
Tetanusagarkultur geimpft. Die Kontrolmäuse starben nach 24 Stunden 
an schwerem Tetanus, während die mit dem Blutserum giftfester 
Kaninchen behandelten dauernd munter blieben. Die gleiche anti- 
toxische Wirkung besaß auch das Serum des giftfest gemachten 
Hammels. 

Diese Befunde bestätigen die Beobachtungen von Behring und 
Kitasato über die Schutzkraft des Serums künstlich immunisierter 
Tiere. Eine derartige Schutzkraft scheint seltsamer Weise dem Serum 
solcher Tiere zu fehlen, welche von Natur einer Infektion mit ge- 
wissen toxischen Mikroorganismen wiederstehen. So besitzt, wie 
Kitasato gefunden hat, das Huhn!) eine natürliche Festigkeit gegen 
Tetanus. 3 cem einer Tetanuskultur, von welcher 0,5 cem ein Ka- 
ninchen sicher töteten, alterierten ein Huhn nicht; die Dose konnte 
allmählich sogar bis zu 10 cem gesteigert werden. Man muss hier- 
nach annehmen, dass das Huhn über sehr energisch wirkende anti- 
tetanische Substanzen verfügt. Aber das Serum enthält von diesen 





1) Es mag hier daran erinnert sein, dass, wie J. Rosenthal u. O.Leube 
beobachtet haben, das Huhn dem Strychnin gegenüber eine auffallende Resistenz 
zeigt. Strychnin ist unter den Alkaloiden das typische Krampfgift, die Strychnin- 
krämpfe zeigen viel Aehnlichkeit mit Tetanuskrämpfen. Es liegt die Vermutung 
nahe, dass dieselben Stoffe, welche das Huhn gegen das Tetanusgift fest machen, 
ihm auch seine Strychninfestigkeit verleihen. efr. Arch. f. Anat. u. Physiol., 
1867, 629. 


254 Brieger, Kitasato u. Wassermann, Immunität und Giftfestigung. 


Substanzen nichts, denn die mit Hühnerserum vorbehandelten Mäuse 
erlagen einer Impfung mit Tetanus ebenso rasch wie die Kontrol- 
tiere. 

In ähnlicher Weise wie beim Tetanus haben die Vff. ihr Schutz- 
verfahren bei Cholera, Diphtherie, Typhus, Erysipel, Schweinerotlauf 
und Milzbrand geprüft. 

Bekanntlich werden die meisten Tiere, im Gegensatz zum Menschen, 
sehr selten von Cholera befallen. Aber man kann ein Tier leicht für 
Cholera empfänglich machen, wenn man die der Entwicklung der 
Choleravibrionen entgegenstehenden Hindernisse, die saure Reaktion 
des Magensaftes und die Darmperistaltik, beseitigt. So reagieren 
Meerschweinchen nach vorangängiger Alkalisierung des Magensaftes 
mittels Sodalösung und nach Ruhigstellung des Darms durch Opium 
sicher auf eine Einfuhr von Choleravibrionen; der Symptomkomplex 
der Krankheit ist derselbe wie beim Menschen. Die Vff. haben daher 
derartig vorbereitete Meerschweinchen (mehr als 100) zu ihren Ver- 
suchen verwendet. 

Von einer Cholerabouillonkultur töten 0,5 cem bei intraperitonealer 
Injektion ein Meerschweinchen innerhalb 12 bis 14 Stunden. Der Tod 
ist allein die Folge der Intoxikation mit Choleragift, zu einer Ent- 
wicklung der Vibrionen kommt es nicht; denn diese werden, wie 
Pfeiffer nachgewiesen hat, nach intraperitonealer Einverleibung im 
Tierkörper vernichtet. Bei Einführung des Choleragiftes in den Magen 
sind 5 eem Cholera-Bouillonkultur die für Meerschweinchen tötliche 
Gabe; der Tod tritt dabei erst nach 1 bis 3 Tagen ein. 

Auf Thymusextrakt wachsen die Choleravibrionen rasch und üppig, 
und die Thymus-Cholerabouillon wirkt noch überaus toxisch. Erhitzt 
man aber die Kulturen 15 Minuten auf 65° C, so nimmt die Giftig- 
keit beträchtlich ab, während die giftfestigende Kraft, das antitoxische 
Prinzip nieht gemindert wird. (Die Vff. sprechen an dieser Stelle 
von „immunisierender Kraft“. Der Ausdruck ist nicht zutreffend, wenn 
die von den Vff. geforderte strenge Unterscheidung zwischen Immuni- 
sierung und Giftfestigung gewahrt bleiben soll). 

Die schützende Kraft einer solchen auf 65° erhitzten Thymus- 
Cholerabouillon wurde an Meerschweinchen in 90 Einzelversuchen 
ermittelt. 80°/, der mit Schutzflüssigkeit vorbehandelten Tiere trotzten 
der wiederholten stärksten Intoxikation mit hochgiftiger Cholerabouillon- 
kultur, während die Kontroltiere sämtlich an typischer Choleravergif- 
tung starben. Der Giftschutz tritt sehr rasch ein, schon 24 Stunden 
nach der ersten Injektion von Thymus-Cholerabouillon sind die Tiere 
gegen das Doppelte der tötliche Dosis von Choleragift gefestigt. 
Falls also bei einem von Cholera befallenen Organismus der Krank- 
heitsprozess sich über mehrere Tage ausdehnt, wie das ja beim 
Menschen der Fall ist, würde man selbst nach Ausbruch der Krank- 
heit mit diesen Injektionen noch schützend eingreifen können. 





Brieger, Kitasato u. Wassermann, Immwmität und Giftfestigung. 5 


Zur Bekämpfung der Diphtherie verwendeten die Vft. eine Thymus- 
Diphtheriebouillon, die 15 Minuten auf 65—70° © erhitzt worden war. 
Auch hier wird die toxische Substanz durch die Hitze zerstört, wäh- 
rend das schützende Prinzip erhalten bleibt. Von 70 mit Thymus- 
Diphtheriebouillon vorbehandelten Meerschweinchen ertrug die weitaus 
größere Zahl die tötliche Infektion mit Diphtheriebouillon ohne Schaden, 
ein geringer Bruchteil derselben aber wurde gleich allen Kontroltieren 
hinweggerafft. Bei den überlebenden bildete sich an der Impfstelle 
ein Schorf, unter welchem noch nach Wochen lebende Diphtherie- 
bacillen gefunden wurden. Die Tiere waren also nicht immunisiert 
gegen Diphtherie, aber sie waren fest gegen das Diphtheriegift. 

Die Typhusbaeillen, die für Kaninchen nicht pathogen sein sollen, 
erzeugen bei weißen Mäusen und Meerschweinchen nach Einverleibung 
in die Bauchhöhle ausnahmslos tötlich verlaufenden Typhus. Gegen 
Typhusgift sind diese Tiergattungen gleichfalls sehr empfindlich. So 
wird eine Maus von 0,1 cem frischer Typhusbouillonkultur innerhalb 
24 Stunden getötet. Die Versuche mit Typhus wurden daher an 
Mäusen und Meerschweinchen ausgeführt. Das Resultat derselben 
war folgendes: Die einmalige Vorbehandlung mit Thymus - Typhus- 
bouillon schützt Mäuse und Meerschweinchen nach Verlauf von 10 Tagen 
ausnahmslos gegen den virulentesten Typhus — und ferner: Das Blut- 
serum von Tieren, die künstlich gegen Typhusgift gefestigt sind, übt 
gegen Typhus Schutz und Heilwirkung aus. 

Bei den septicämischen Seuchen Schweinerotlauf und Milzbrand 
war, wie von vornherein angenommen werden konnte, die Schutz- 
wirkung des Thymusextraktes nur eine geringe. Ein sicherer Schutz 
gegen Schweinerotlauf ließ sich nur dann erzielen, wenn kombiniert 
eine Vorbehandlung mit Thymus-Schweinerotlautbouillon und eine Vor- 
infektion mit einer alten abgeschwächten Rotlaufkultur, die Mäuse 
erst nach 8 bis 10 Tagen tötete, vorgenommen wurde. — Die mit 
einer sporenlosen Thymus - Anthraxmischung vorbehandelten Mäuse 
und Meerschweinchen zeigten zwar einer schwachen Anthraxinfektion 
gegenüber eine größere Resistenz als die Kontroltiere, gingen aber 
sämtlich zu Grunde, sobald ihnen ein Stück Milz einer an Anthrax 
gestorbenen Maus unter die Haut gebracht wurde. 

Zum Schluss diskutieren die Vff. die Frage nach dem Ursprung 
und der Bildungsstätte der antitoxischen Substanzen, mit welchen sie 
das Tetanus-, Cholera-, Diphtherie- und Typhusgift zu bekämpfen 
vermochten. Der Thymusauszug für sich allein enthält das antitoxische 
Prinzip nicht, denn niemals gewährte die Injektion selbst sehr großer 
Mengen Thymusextrakt irgendwelchen Sehutz gegen die toxischen 
Seuchen. Auch war der durch eine bestimmte Vorbehandlung er- 
reichte Schntz immer nur ein ganz spezifischer, nur gegen die eine 
Seuche wirkender, gegen welche das betreffende Tier künstlich fest 
gemacht worden war. Wenn aber in dem Thymusextrakt das anti- 


256 Zacharias, Katechismus des Darwinismus. 


toxische Prinzip nieht enthalten ist, so muss es ein Produkt der Bak- 
terien selbst sein. Dass dem so ist, bestätigte sich dadurch, dass aus 
Typhuskulturen dureh Eindampfen und Fällen mit absolutem Alkohol 
ein Körper gewonnen werden konnte, der Mäusen Festigkeit gegen 
sehr starke Typhusintoxikation verlieh. 

Die Zelle der toxischen Bakterien erzeugt also gleichzeitig ein 
spezifisches Gift und eine diesem Gift feindliche Substanz. Bei den 
Typhusbaeillen bleibt letztere in den Leibern der Bakterien; denn 
wenn man Typhuskulturen durch Chamberlandfilter hindurchtreibt, ge- 
langen nur geringe Mengen des schützenden Prinzips in das Filtrat. 
Aufgabe weiterer Versuchen wird es sein, Methoden zur Trennung 
des spezifischen Giftes und des giftfeindlichen und heilenden Prinzips 
aufzufinden. Oscar Schulz (Erlangen). 


Otto Zacharias, Direktor der Biologischen Station am Plöner See, 
Katechismus des Darwinismus. Mit dem Porträt Darwin’s, 
30 in den Text gedruckten und 1 Tafel Abbildungen. 16°. X und 
176 Seiten. Verlag von J. J. Weber in Leipzig. 


Die Bezeichnung als „Katechismus“ passt eigentlich für das Büchlein nicht, 
doch wollen wir daraus dem Herrn Verfasser keinen Vorwurf machen, da die 
Katechismusform für die Darstellung wissenschaftlicher Fragen nicht gerade 
die geeignetste ist. Als Zweck seines Buchs bezeichnet der Verf.: einen aus 
Laien bestehenden, also zoologisch nicht vorgebildeten Leserkreis mit den 
Thatsachen bekannt zu machen, welche zur Aufstellung der Lehre von der 
Entstehung der Tier- und Pflanzenarten durch natürliche Zuchtwahl geführt 
haben. Er hat sicherlich auch vollkommen Recht, wenn er eine solche Dar- 
stellung nicht für überflüssig erachtet, da man leider nach oft die Wahrneh- 
mung machen kann, dass Leute, welche enthusiastisch von Darwin reden 
und sich als Anhänger der nach ihm benannten Lehre gerieren, trotzdem nur 
sehr ungenügend darüber orientiert sind, um welche Probleme es sich eigent- 
lich bei dem scharfsinnigen Erklärungsversuch, der im sogenannten Darwinis- 
mus vorliegt, handelt. Dasselbe gilt aber auch von den meisten Gegnern, 
soweit dieselben nicht wirkliche Fachleute sind. 

Dass sich Z. auf dem Gebiete populärer Darstellung schwieriger wissen- 
schaftlicher Probleme schon oft bewährt hat, ist bekannt. Auch das vor- 
liegende Werkchen rechtfertigt seinen guten Ruf und kann daher zur Ein- 
führung in die wichtige Frage warm empfohlen werden, zumal es durch seine 
gute Ausstattung auch äußerlich alles Lob verdient. —. 


Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- 
tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle 
geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des blattes, 
auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen 
an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipiig, 
Salomonstr. 16, zu richten. 














Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 





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Bunt VATER IE, 


Biologisches Üentralblatt 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 


94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XII. Band. 15. Mai 1892. Nr. 9 u. 10. 





Inhalt: Dammer, Die Verbreitungsausrüstungen der Polygonaceen. — Korotneff, 
Histolyse und Histogenese des Muskelgewebes bei der Metamorphose der In- 
sekten. — Oka, Die periodische Regeneration der oberen Körperhälfte bei den 
Diplosomiden. — Werner, Zoologische Miscellen. — Zander, Ueber den 
gegenwärtigen Stand der Lehre von der Zellteilung, — Ehrlich, Ueber 
Immunität durch Vererbung und Säugung. — Behring und Frank, Experi- 
mentelle Beiträge zur Lehre von der Bekämpfung der Infektionskrankheiten, 
Ueber einige Eigenschaften des Tetanusheilserums.. — Langendorfl, Physio- 
logische Graphik. — Errera, Bitte! lateinische Namen. — Wiekersheimer, 
Kurze Anleitung zur Verwendung der Wickersheimer’schen Flüssigkeit für 
anatomische Präparate mit einem Anhange über Metallkorrosionen. — Migula, 
Bakteriologisches Praktikum zur Einführung in die praktisch-wichtigen bakterio- 

| logischen Untersuchungsmethoden für Aerzte, Apotheker, Studierende. — Aus 

den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften : Niederrh. Gesellschaft für 

Natur- und Heilkunde zu Bonn, 





Die Verbreitungsausrüstungen der Polygonaceen. 
Von Udo Dammer. 

Die Polygonaceen gehören, wie bereits Hildebrandt!) gezeigt 
hat, zu jenen Familien, deren Gattungen verschiedene Verbreitungs- 
ausrüstungen zeigen. Ascherson?) hatte hervorgehoben, dass bei 
den Polygonaceen oft gerade die nächsten Verwandten sich selbst 
bei Ausrüstungen für dieselbe Leistung sehr verschieden verhalten, 
als Beispiele erwähnt er indessen nur verwandte Gattungen. Ein 
eingehenderes Studium dieser Familie hat mir nun gezeigt, dass nicht 
nur die einzelnen Gattungen, sondern selbst die einzelnen Arten sich 
hinsichtlich ihrer Verbreitungsausrüstungen verschieden verhalten. 
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen habe ich an anderer Stelle ®) 
ausführlich niedergelegt. Hier will ich nur kurz die Hauptmomente 
derselben aufführen. 

Zu unterscheiden sind bei den Polygonaceen Ausrüstungen, welche 
der Verbreitung der Art auf vegetativem Wege dienen und solche 





1) Die Verbreitungsmittel der Pflanzen. Leipzig. Engelmann. 1873. 8. 138. 
2) „Subflorale Axen als Flugapparate* in: Jahrb. d. k. bot. Gart. u. bot. 
Mus. Berlin, I, 1881, S. 334. 
3) Engler’s botanische Jahrbücher, Bd. XV, S. 260 fg. 
X. 17 








258 Dammer, Verbreitungsausrüstungen der Polygonaceen. 


Ausrüstungen, welche eine Verbreitung der Sexualprodukte ermög- 
lichen oder doch wenigstens begünstigen. 

Zu den ersteren gehören die Bildung von Ausläufern und Brut- 
knospen, die Fähigkeit, bei Knickung des Stengels am Blattknoten 
leicht Wurzeln zu bilden, kriechende resp. an den Boden angedrückte 
Stengel, rückwärts gekrümmte, steife Borsten am Stengel. 

Ausläufer treten entweder oberirdisch oder unterirdisch auf. 
Erstere finden sich besonders bei Gebirgsbewohnern, letztere bei 
Wiesen- und Steppenbewohnern. Auf steinigem (Geröll-) Boden sind 
erstere für die Pflanze vorteilhafter, weil die Endknospe bei einem 
Wachstum über Steinen geschützter ist als bei einem solchen unter 
denselben. Andererseits finden auf Wiesen mit dichtem Pflanzen- 
bestande unterirdische Ausläufer besser Gelegenheit zur Besetzung 
eines Erdfleckes durch die aus. der Endknospe hervorgehende junge 
Pflanze, als oberirdische. Die Gefahr der Verletzung der Endknospe 
im homogenen Wiesenboden ist viel geringer als im Geröllboden. 
Auf trockenen, sandigen Plätzen ist der unterirdische Ausläufer eine 
Anpassung an das Klima. Er findet im Boden besseren Schutz gegen 
Austrocknen als über demselben. Als Anpassung an das Klima ist die 
bei oberirdischen Ausläufern häufig auftretende Verholzung anzusehen. 

Brutknospen treten bei den Polygonaceen oberirdisch am Blüten- 
stande und unterirdisch an der Wurzel auf. Ausbildung von Brut- 
knospen am Blütenstande (z. B. Polygonum viviparum) tritt bei Arten 
auf, deren Fruchtbildung durch klimatische Einflüsse leicht in Frage 
gestellt werden kann, nämlich bei hochnordischen und Hochgebirgs- 
pflanzen. Beachtenswert ist, dass hier aber die Brutknospen meist 
auf die untere Region des Blütenstandes beschränkt sind und dass 
in dem oberen Teile der Inflorescenz Blüten und Früchte gebildet 
werden. Die Erhaltung der Art ist also durch vegetative und 
sexuelle Vermehrung gesichert. Als besondere Verbreitungsausrüstung 
der oberirdischen Brutknospen treten Flügelbildungen in Gestalt von 
kurzen Laubblättern auf. Unterirdische Brutknospen an Wurzeln 
wurden von Beyerincek!) an Rumex beobachtet. Es ist von hohem 
Interesse, dass hier die Funktion der Wurzel in die eines Stengels 
übergeht. Es kann dies nach Beyerinck soweit gehen, dass die 
Wurzelhaube abgestoßen wird und die Wurzelspitze zu einem Stengel 
auswächst. 

Die vegetativen Verbreitungsausrüstungen dienen zum Teil einer 
allmählichen, schrittweisen Verbreitung, teils sind sie auch, wie die 
geflügelten Brutknospen und die mit rückwärts gekrümmten Borsten 
besetzten Stengel (Polygonum sectio Echinocaulon) zur Verbreitung 
der Art auf weitere Strecken geeignet; letztere, weil der Verbreitung 
durch Tiere angepasst, mehr als erstere, welehe vom Winde nur ein 





Dammer, Verbreitungsausrüstungen der Polygonaceen. 355 


Die Verbreitungsausrüstungen der Sexualprodukte sind entspre- 
chend den Verbreitungsagentien: Anemochore, hydrochore und zoo- 
chore Ausrüstungen. Anemochore Ausrüstungen sind bei den Poly- 
gonaceen: Flügel, Windsäcke, Oberhautbildungen (Haare, Stacheln, 
Schwielen). Hydrochore Ausrüstungen sind: Flügel, Schwielen, un- 
benetzbare, glatte Fruchtschale. Zoochore Ausrüstungen sind: Haft- 
organe (Haare, Stacheln, Haken), fleischige Ausbildung der Blüten- 
(Frucht -) Hülle, glatte Fruchtschale. 

Die anemochoren !) Ausrüstungen sind verschieden, je nachdem 
die Frucht bei der Reife aus größerer Höhe herabfällt oder vom 
Winde aus der Nähe des Erdbodens in die Höhe gehoben und dann 
erst weitergetragen wird. Es lassen sich danach zwei Typen unter- 
scheiden: federballähnliche Früchte mit ausgesprochen exzentrischem 
Sehwerpunkt (Triplaris, Ruprechtia |ähnlich auch die geflügelten Bul- 
billen von Polygonum viviparum|) und Früchte mit ziemlich konzen- 
trischem Schwerpunkte. Bei letzteren dienen luftführende Gewebe 
und der Fruchtstiel nicht selten dazu bei, den Schwerpunkt zu verlegen. 

Die Flügelbildungen treten auf als Leisten am Samen und an 
der Frucht, als häutige, breite Ränder an der Frucht, als trocken- 
häutig werdende Perigonzipfel, als häutige Kielfortsätze auf dem 
Rücken einiger Perigonzipfel, als Flügel am Fruchtstiel, als während 
der Fruchtreife heranwachsende und später trockenhäutig werdende 
Vor- und Tragblätter. Fast allen ist gemeinsam, dass sie erst mit 
der Ausbildung der Frucht zur Ausbildung gelangen. 

Windsäcke treten als mehr oder minder vollkommene Höhlungen, 
in denen sich der Wind fängt, auf. Es dienen als solehe zurück- 
geschlagene, trockenhäutig werdende Blütenhüllblätter, pantoffel- 
förmige Bildungen am Fruchtstiele, umgerollte Ränder der Vorblätter, 
schüsselförmige Tragblätter. Luftsäcke treten in Gestalt von luft- 
führenden Geweben auf den Perigonzipfeln („Schwielen“ der Autoren) 
und an der Perigonröhre, sowie als Ausstülpungen der Tragblätter auf. 

Dichte; wollige Haarbezüge als Flugvorrichtungen treten bei den 
Polygonaceen nur in der Umgebung der Frucht, nieht an dieser selbst 
auf. Dagegen finden sich direkt an der Frucht steife Stachelbezüge, 
hervorgegangen aus Wülsten („erista“ der Beschreibungen) auf den 
Fruchtknotenkanten bei Calligonum. Ferner treten Stacheln als Flug- 
ausrüstungen, also in großer Zahl dicht beisammen, an den Rändern 
der Perigonzipfel bei Rumex auf. 

„Schwielen“ können unter gewissen Umständen ebenfalls als 
Flugausrüstung betrachtet werden, wenn sie an drei Perigorzipfeln 
besonders stark auf Kosten der Perigonzipfel zur Entwickelung gelangen. 

Bei den hydrochoren ?) Ausrüstungen ist zu unterscheiden zwischen 





2) ?öwo - KwoeWv. 


360 Dammer, Verbreitungsausrüstungen der Polygonaceen. 


welche den Samen vor der schädlichen Einwirkung des Wassers be- 
wahren. Zu ersteren rechne ich die Flügelbildungen und die Schwielen, 
zu letzteren die unbenetzbare, glatte Oberhaut der Frucht. Die als 
Schwimmorgane dienenden Flügel sind von den als Flugorgane die- 
nenden Flügeln durch kräftigere Nervatur verschieden. Zu Schwimm- 
flügeln werden nur die Perigonzipfel gewisser Rumex-Arten ausge- 
bildet. Die Ausbildung der Schwielen steht, wie ich glaube, im 
Zusammenhang mit der Verbreitung durch fließendes oder stehendes 
Wasser. Für erstere Verbreitungsweise sind diejenigen Arten aus- 
gebildet, welche zwei oder drei Schwielen haben, so dass die Frucht 
flach auf dem Wasser liegt, während Früchte, welche in stehendem 
Wasser durch den Wind fortgeführt werden, nur eine Schwiele be- 
sitzen, so dass die gegenüberliegende Kante in das Wasser taucht 
und wie ein Schiffskiel wirkt. 

Neben der glatten, unbenetzbaren Oberhaut, welche als Schutz- 
organ gegen eindringendes Wasser zu betrachten ist, treten die 
Schwielen zu dem gleichen Zweck in Wirkung, indem sie die eigent- 
liche Frucht über das Wasser heben. 

Als zoochore Ausrüstungen treten Haftorgane, fleischige Ausbil- 
dung des Perigons und unbenetzbare, glatte Fruchtwand auf. Als 
Haftorgane dienen Haare (niemals direkt an der Frucht), Stacheln 
und Haken. 

Die Stacheln kommen entweder an der Frucht selbst oder in 
deren Umgebung vor. Haken an der Frucht werden nur in Gestalt 
trocken werdender, zurückgebogener Griffel ausgebildet, dürften aber 
eher als Verankerungsorgane im Boden als als zoochore Ausrüstungen 
aufzufassen sein. Dagegen sind sie in der Umgebung der Frucht, 
(Fruchthülle, Tragblätter und Fruchtstiel) weit verbreitet. 

Fleischige Ausbildung der Fruchthülle, bisweilen mit leuchtender 
Färbung verbunden, findet sich bei Coccoloda und in geringerem Maße 
bei Polygonum. 

Die glatte Oberhaut, auf deren Bedeutung als hydrochore Aus- 
rüstung bereits hingewiesen wurde, muss ferner auch als zoochore 
Ausrüstung angesprochen werden, da sie sich, wie darauf hin ange 
stellte Versuche ergaben, gegen Säureeinwirkungen außerordentlich 
widerstandsfähig erweist. 

Sehr häufig sind bei den Polygonaceen kombinierte Verbreitungs- 
ausrüstungen vorhanden, welche sich gegenseitig ergänzen oder in 
ihrer Wirkung verstärken. 

Von Interesse sind noch die Beziehungen der Verbreitungsaus- 
rüstungen zur Phylogenese der Familie. Unter der Voraussetzung, 
dass Entomophilie phylogenetisch jünger als Anemophilie ist, komme 
ich zu dem Schlusse, dass bei den Polygonaceen die Verbreitungs- 
ausrüstungen von der Umgebung der Frucht im Laufe der Phylo- 
genese auf die Frucht übergegangen sind, mit andern Worten, dass 





Korotneff, Metamorphose der Insekten. 61 


eine an der Frucht selbst auftretende cenogenetische Verbreitungs- 
ausrüstung phylogenetisch jünger ist als eine in der Umgebung der 
Frucht auftretende cenogenetische Ausrüstung. Als Beispiel seien 
die Gattungen Rumex — Oxyria — Jheum angeführt, von denen 
Rumex und Oxyria anemophil, Rheum entomophil ist, Kumex die Peri- 
sonzipfel zu Flügeln ausgebildet, Oxyria und Rheum aber direkt an 
der Frucht Flügel besitzen. Ist dieser Satz aber für die Polygona- 
ceen richtig, dann folgt für dieselben aus ihm ferner, dass zoochore 
Ausrüstungen phylogenetisch jünger sind als anemochore und hy- 
drochore. 

Betrachtet man als palingenetische Ausrüstungen diejenigen, 
welche sämtlichen Vertretern der Familie zukommen, so ist bei den 
Polygsnaceen nur die unbenetzbare, glatte Oberhaut der Frucht und 
des Samens hierher zu rechnen. 


Histolyse und Histogenese des Muskelgewebes bei der 
Metamorphose der Insekten. 


Von Professor A. Korotneff in Kiew. 


Die Frage der Metamorphose der Insekten hat in den. letzten 
Jahren, wegen der Untersuchungen von Ganin, Viallanes, Kowa- 
levsky und van Rees bedeutende Fortschritte gemacht; es bleibt 
aber, um diesen Prozess ins Licht zu setzen, noch vieles zu betonen, 
betreffend die histologischen Veränderungen, die dabei vorkommen. 
Im großen und ganzen sind die Erscheinungen, die im Körper des 
Insektes bei der Metamorphose vorkommen, in zwei verschiedene 
Akte zu teilen: einen destruierenden (Degeneration der Organe und 
Gewebe) und einen konstruierenden (Entstehung derselben). 

Am wenigsten ist man ins klare gekommen in der Frage der 
Veränderung des Muskelgewebes und in den vorliegenden Zeilen 
werde ich mich darauf beschränken diese Frage zu erörtern und um die 
Grenzen einer vorläufigen Mitteilung nicht zu überschreiten werde ich 
nur die zwei letzten Arbeiten von Kowalevsky!) und van Rees?), 
die diesen Gegenstand behandeln, erwähnen. 

Die epochemachenden Untersuchungen von Kowalevsky scheinen 
für die Musca vomitoria bewiesen zu haben, dass die Larvenmuskeln 
von den Leukocyten zerstört und verzehrt werden und dass keiner ver- 
schont bleibt. In dieser Weise hat das Larvenmuskelsystem nichts 
mit dem definitiven zu thun: es sind zwei unabhängige Bildungen. Be- 
treffend der Entstehung der definitiven, imaginalen Muskeln meint 





1) Kowalevsky, Beiträge zur Kenntnis der nachembryonalen Entwick- 
lung der Museiden. Zeitschrift der wissensch. Zoologie, T. 45. 

2) van Rees, Beiträge zur Kenntnis der inneren Metamorphose von Musca 
vomitoria. Zoolog. Jahrbücher, III. Band, I. Heft, 1888. 


3652 Korotneff, Metamorphose der Insekten. 


Kowalevsky, dass besondere, anfänglich zerstreute Mesodermzellen 
sich allmählich zu Stränge vereinigen und in dieser Weise die Anlage 
der künftigen Muskeln bilden. van Rees, der diesen Gegenstand an 
demselben Objekte untersuchte, hat einen weiteren Schritt gethan. 
Seine Ansichten werden so formuliert: 

1) es gibt drei Paar Larvenmuskeln, welche durch eine beson- 
dere Umbildung zur Anlage der Brustmuskeln werden und 

2) sämtliche in den künftigen Primitivbündeln (Muskeln) gelegenen 
Kerne stammen von den ursprünglichen Kernen den einstigen 
Larvenmuskeln ab. 

Eine eingehende Analyse der Beobachtungen, welche zu den er- 
wähnten Postulaten geführt haben, beweist aber, dass vieles dem 
Dr. van Rees unklar geblieben ist. Die Sache steht so: die drei 
Muskelpaare, die als Larvenmuskeln erwähnt sind, unterscheiden sich 
von allen anderen nicht nur durch ihre längere Widerstandsfähigkeit 
gegen die Angriffe der Leukoeyten, sondern durch die Lage und Form 
ihrer Kerne: diese werden kugelförmig und dringen ins Innere der 
Muskelsubstanz. „Es scheint somit, sagt van Rees, als wenn die 
nicht differenzierten Protoplasmareste des Muskels sich mit der kon- 
traktilen Substanz vermischt haben“. (!) Dieser Veränderung der 
Muskeln bleiben die Leukocyten ganz und gar fremd und die De- 
generation geschieht ohne jeden Anteil derselben. 

Hier wäre zu erwähnen, dass in der Leibeshöhle der Musca 3 Arten 
von Zellen vorkommen: Leukoeyten, Mesenchymzellen und Körnchen- 
kugeln. Die Mesenchymzellen umgeben die Muskeln, eine dichte Scheide 
um diese bildend. Weiter scheint es so zu sein, dass jeder der drei 
persistierenden Muskeln einige durch Teilupg entstandene Plasma- 
stränge (!) die in eine Mesenchymzellenmasse eingebettet sind, ausbildet. 
van Rees schließt seine Beschreibung mit folgenden Worten: „Aus 
den durch mächtiges Mesenchym getrennten Plasmasträngen sind nun 
die eng aneinander liegenden konstituierenden Teile der definitiven 
Flügelmuskeln entstanden“ !). 

Eine Anzahl von Fragen drängt sich nach dieser Beschreibung 
uns auf: 

1) Da die definitiven Muskelkerne von den Kernen der Larven- 
muskeln direkt abstammen, was ist die eigentliche Rolle, 
welche die Mesenchymzellen und ihre Kerne bei der Aus- 
bildung der Imagomuskeln spielen ? 

2) Wo und in welcher Weise entstehen die Muskelfibrillen? Die 
Plasmastränge, die nach van Rees daran Anteil nehmen 
müssen, sind sehr fragliche und ganz exklusive Bildungen. 

3) Wie entstehen die übrigen Muskeln des Körpers? Wenn 
es nach dem Prinzip von Kowalevsky geschieht, so sind 








Korotneff, Metamorphose der Insekten. 263 


und die Entwieklung der übrigen Muskeln der Imago ist 
ganz und allein den Mesenchymzellen zu verdanken. Diese 
so sonderbare und zweifache Entstehung der Muskeln bei 
derselben Form scheint mir kaum annehmbar zu sein. 


Meine eignen Untersuchungen beziehen sich auf die „Tinea*- 
Motte, welche, als eine Lepidoptere, eine weniger komplete Meta- 
morphose durchläuft und deswegen sind die dabei vorkommenden 
histologischen Veränderungen weniger eingreifend, aber verständlicher 
als bei der Fliege. 

Die Hauptzüge der Metamorphose der Motte sind folgende: 

1) die Abwesenheit von besonderen Mesenchymzellen in der 
Larve; die Leibeshöhle enthält nur Leukocyten und Körnchen- 
kugeln; 

2) die Leukocyten nehmen absolut keinen Anteil an der De- 
generation der Gewebe; 

3) die Entstehung aller Imagimalmuskeln ist als Reformation 
der Larvenmuskeln anzusehen ; 

4) im Thorax gehen einige Muskeln zu Grunde und nur die 
drei Paar von van Rees erwähnten Muskeln transformieren 
sich in die definitive Brustmuskulatur der Motte. 

Die Resorption der Muskeln geschieht in folgender Weise: der 
fibrilläre Teil wird körnig und zieht sich zusammen; die Kerne ver 
mehren sich hauptsächlich an einer Seite des Muskels. Zum Schluss 
bekommt der in Veränderung begriffene Muskel ein ganz besonderes 
Aussehen: er besteht aus einem faserigen und kernigen Teil, die 
einander parallel ziehen; anders gesagt es bildet sich der von vielen 
Autoren in der Pathologie beschriebene Kernstrang. Zu derselben 
Zeit resorbiert sich und schmilzt das Primitivbündel ohne, wie gesagt, 
jeden Anteil der Leukocyten, die bei der Motte nie durch das Sarko- 
lemma des Muskels hineindringen. Der Kernstrang trennt sich bald 
von dem Muskel ab und fängt an sich von der Oberfläche zu entfernen; 
er produziert bald, während er noch dem Primitivbündel gehört, neue 
Fibrillen, die anfänglich kaum zu unterscheiden sind; wenn er sich 
aber ganz und gar abgetrennt hat, erscheinen die Fibrillen als be- 
sondere rhomboidale Bildungen, die im Plasma des Kernstranges 
zwischen den Kernen eingebettet sind. Bei einem Längsschnitte bilden 
die beiden Muskeln, der frühere, der atrophiert ist und der, welcher 
neu sich entwickelt hat, zwei parallele Streifen, welche neben ein- 
ander dem Ektoderm anhaften und zwei verschiedene Sehnen, die 
durch Längsteilung entstanden sind, besitzen. 

Bei einer Tinea-Puppe die bedeutend vorgerückt und braun ge- 
worden ist, findet man schon keine Spur von Larvenmuskeln, die sich 
Schritt für Schritt verkleinert haben endlich resorbiert worden sind; 
anstatt dessen trifft man an Querschnitten bedeutende, sich stark mit 


264 Korotneff, Metamorphose der Insekten. 


Hämatoxylin färbende Flecken, die einen Ausdruck der Kernstränge vor- 
stellen, in denen die Muskelfibrillen sich schon angelegt haben. Bei 
der weiteren Entwicklung der definitiven Muskeln sammeln sich die 
Muskelfibrillen in Bündeln, die an Querschnitten von Muskelkernen 
umsäumt sind. Es kommt dabei vor, dass jeder große Muskel in 
mehrere Bündel zerfällt und alle diese sind von einander durch Kerne 
getrennt. 


Figuren: 





Ba 

Fig. 1. Die Kerne der Muskel vermehren sich. — Fig. 2. Bildung des Kern- 

stranges. — Fig. 3. Der Kernstrang fängt an sich vom Muskel abzutrennen. — 

Fig. 4. Der Kernstrang ist durch eine Sehne mit dem Muskel vereinigt; es 

legen sich im Kernstrang Muskelfibrillen ab. — Fig. 5. Der Kernstrang ist 
links mit dem Muskel vereinigt, rechts aber abgetrennt. 


Diese Art der Metamorphose des Muskels scheint vom theoretischen 
Standpunkte logisch und ganz verständlich zu sein; in einer Muskel- 
faser muss man zwei verschiedene physiologische Elemente unter- 
scheiden: einen aktiven, die Fibrille, und einen passiven, die Muskel- 
zelle (Mesoblast), dessen Rolle eine rekonstruierende ist. Bezüglich 
der Fibrille ist wohl anzunehmen, dass seine Vitalität zu der Zeit 
der Metamorphose wegen der beständigen Funktionierung ermüdet 
und endlich erschöpft ist: es entsteht eine Degeneration der Fibrille, 
ohne dass die erzeugende Kraft der Muskelzelle dabei etwas verliert, 
sie behält 1) eine Fähigkeit sich zu vermehren und 2) eine Neigung 
wieder Muskelfibrillen zu erzeugen. 

Meine Beobachtungen stehen im vollen Einklange mit den Er- 
scheinungen, die pathologisch in den Muskeln der höheren Tiere vor- 
kommen: nämlich wenn eine Anzahl Muskeln zu Grunde gehen'), 





1) Dies kann "künstlich durch Einspritzen von Alkohol, Chloroform ete. 
beim lebenden Tiere hervorgerufen werden. 








Oka, Regeneration der oberen Körperhälfte bei den Diplosomiden. 265 


einige Myoblasten dabei aber überbleiben, so vermehren sieh diese 
rasch und bilden so gesagt den Boden, der eine Neubildung der 
Muskeln hervorruft: es entstehen in der gemeinsamen Masse der 
Zellen (Myoblasten) neue Fibrillen, die sich zu Bündeln vereinigen. 
Ich muss dabei auch betonen, dass die Degeneration ohne jeden An- 
teil der Leukocyten vor sich geht: die Fibrillen gehen selbständig 
zu Grunde, was mittels eines chemischen Prozesses geschieht. 

Im Allgemeinen möchte ich bei dieser Gelegenheit einige Worte 
über die zerstörende Rolle der Leukocyten beifügen. Es fragt sich: 
wie kann man zwei so verschiedene Erscheinungen: eine mechanische 
Abolition der Gewebe mittels der Leukoceyten (bei der Fliege) und 
eine chemische ohne Leukocyten (bei der Motte), welche beide prak- 
tisch zu denselben Resultaten führen, theoretisch versöhnen. Ich 
glaube, dass der Zeitraum, in dem diese beiden Erscheinungen vor- 
kommen, eine bedeutende Rolle dabei spielte; die Metamorphose der 
Fliege verläuft kaum in einigen Tagen, während die der Motte mehr 
als zwei Wochen braucht. Im ersten Falle muss der Raum zu einer 
Rekonstruktion so schnell als möglich frei werden, anders gesagt, es 
müssen die alten abgeschwächten Organe rasch verschwinden, was 
bei der Motte gar nicht so dringlich erscheint. Der natürliche Prozess, 
eine allmähliche Degeneration (was äußerlich durch eine Verkleinerung 
der Organe, durch eine sogenannte Schmelzung sich manifestiert) ist 
ein lange dauernder Prozess, der bei der Fliege nicht anwendbar ist; 
es muss eo ipso etwas mehr aktives vorkommen: so entsteht das bar- 
barische Auffressen der Gewebe durch die Leukocyten. Diese zwei 
verschiedenen Erscheinungen sind zu vergleichen mit dem was patho- 
logisch im Körper vorkommt und einerseits als akuter und anderseits 
als chronischer Prozess anzusehen ist. Beim akuten, wo eine Ent- 
zündung vorkommt, spielen die Leukocyten eine bedeutende Rolle: 
sie verhindern die Entstehung oder die weitere Entwicklung eimes 
nekrotischen Prozesses. Bei einem chronischen Prozesse, wo diese 
Gefahr keinen Platz hat, kann die Resorption des überflüssigen 
Gewebes in einer chemischen Weise geschehen, ohne jeden Anteil der 
Leukoecyten. 

Die periodische Regeneration der oberen Körperhälfte 
bei den Diplosomiden. 


Von A. Oka. 


(Aus dem zoologischen Institut zu Freiburg i./Br.) 

Unter den Synascidien der japanischen Küste, die ich bis jetzt 
untersucht habe, kommt eine neue Species von Dip/osoma vor, welche 
periodisch die obere Körperhälfte erneuert. Dieser merkwürdige und 
sehr interessante Vorgang ist, so viel ich weiß, bisher unbekannt ge- 
blieben, und da überhaupt die Lebensverhältnisse der Diplosomiden 


3656  Oka, Regeneration der oberen Körperhälfte bei den Diplosomiden. 


noch lange nieht genügend studiert sind, so scheint es mir der Mühe 
wert zu sein, über diesen Prozess und auch über den Bau des Tieres 
im allgemeinen eine kurze Mitteilung zu machen; ich behalte mir 
dabei vor, die genaue Beschreibung bei einer späteren Gelegenheit 
zu bringen. 

Diese neue Species, welche ich Diplosoma Mitsukwrii benenne, 
ist am nächsten dem Dipl. chamaeleon von Drasche!) verwandt; 
bei beiden Formen zeigt der Thorax oben eine kuppelförmige An- 
schwellung, welche sehr typisch ist. Die Stöcke bilden Ueberzüge 
von ungleicher Dieke auf den Stengeln von Saragassım, und bestehen, 
wie bei anderen Diplosomen, aus zwei parallelen Tunicaschichten, 
einer Oberflächen- und Basalmembran, zwischen welchen die von 
großen Hohlräumen umgebenen Einzelindividuen eingeschlossen sind. 
Die Oberflächenmembran ist bei unserer Form sehr zart und leicht 
zerreißbar. Die Färbung der einzelnen Individuen bewegt sich je 
nach ihrem Alter zwischen hellgelb und schwarz, im Gegensatz zu 
Dipl. chamaeleon, wo die verschiedenen Färbungsabstufungen ver- 
schiedenen Varietäten entsprechen. Die schwarzen Pigmentanhäufungen 
treten bei beiden nur in den Ektodermzellen auf, während in der 
gemeinsamen Tunica nur hellgelbe Pigmente vorhanden sind. 

Wenn man die Einzeltiere genauer untersucht, so findet man, dass. 
jedes Individuum zwei Kiemensäcke und zwei Peribranchialsäcke von 
verschiedenem Alter besitzt. Demgemäß sind zwei Einfuhr- und zwei 
Ausfuhröffnungen, zwei Gehirne und zwei Hypophysen vorhanden, und 
auch der Oesophagus sowie das Rektum zeigen eine entsprechende 
dichotomische Verzweigung (s. Abbildung). Kurz, die ganze obere 
Körperhälfte jedes Individuums ist doppelt vorhanden. An gefärbten 
Schnitten erkennt man deutlich, dass der eine der Zwillinge?) ein 
größeres Alter zeigt und sichtlich in Degeneration begriffen ist, 
während der andere durch seine tiefe Färbung und das frischere 
Aussehen sieh als der jüngere von beiden aufweist. In manchen 
Fällen findet man auch eine dreifache Verzweigung des Oesophagus; 
dann läuft der eine Ast gegen die äußere Ektodermschicht aus und 
endigt daselbst blind, während der zugehörige Kiemenkorb bereits 
vollständig verschwunden ist. 

Jeder der Zwillingskiemensäcke besitzt eine stoloförmige, mit 
Längsmuskeln versehene Ausstülpung der äußeren Ektodermschicht, 
welche zuerst von Mac Donald3) beschrieben wurde und für die 
Gattung Diplosoma charakteristisch ist. Außer dieser „spurlike appen- 


4) von Drasche, Die Synascidien der Bucht von Rovigno. Wien 1883. 

3) Der Ausdruck Zwilling, den ich hier gebrauche, bezeichnet selbst- 
verständlich nur die gegenseitige Lagerung und bezieht sich nicht etwa auf 
das Alter. 

3) Mac Donald, On the anatomical characters of remarkable form of 
compound Tunicata. Transactions of the Linnean Society, XII, 1859. 





Oka, Regeneration der oberen Körperhälfte bei den Diplosomiden. 267 


dage“ ist noch ein wurmförmiger Anhang an der basalen Seite der 
Doppelindividuen vorhanden; die Bedeutung dieses Organs ist mir 
aber nicht klar geworden. 


„BrI 


Br, 










RR 
NR 


Schematische Darstellung eines Individuums von Diplosoma Mitsukurüi. 


Br I = Aeltere Ingestionsöffnung. — Br II = Jüngere Ingestionsöffnung. — 
At I = Aeltere Egestionsöffnung. — At II = Jüngere Egestionsöffnung. — 
Oe I, Oell = Oesophagus. — RIRI = Rektum. — Kn = Knospe. — 


m = Magen. 


In der Figur habe ich nur die gegenseitigen Lagebeziehungen 
der beiden oberen Körperhälften zu einander und zu der unteren 
Körperhälfte schematisch wiedergegeben. Das jüngere Halbindividuum 
ist gewöhnlich seitwärts abgebogen und nimmt erst allmählich eine 
aufrechte Stellung an, während das ältere zusammengeschrumpft und 
schließlich obliteriert, bis auf eine Narbe, welche aber auch schr bald 
in dem Ektoderm verschwindet. Unterdessen entwickelt sich aus 
einer seitlichen Knospe ein drittes Halbindividuum, welches zu dem 
noch übrig gebliebenen Halbindividuum dieselbe Lagebeziehungen 
zeigt, in welchen das letztere zu dem bereits obliterierten stand. In 
seiner schönen Arbeit über die Synascidien der Bucht von Rovigno 
hat von Drasche!) eine Abbildung von Dipl. chamaeleon wieder- 





1) loe. eit. Taf. IX Fig. 14. 


268 Werner, Konvergenz oder Verwandtschaft. 


segeben, in welcher man ziemlich deutlich zwei obere Körperhälften 
unterscheiden kann, wenn auch von dem Autor keine Bemerkung 
darüber gemacht wird. Vermutlich findet dieser Vorgang bei mehreren 
Species von Diplosoma statt; nur ist er bis jetzt übersehen worden. 
Dass die Aseidien eine außerordentliche Fähigkeit sich zu re- 
generieren besitzen, ist durch die Experimente von Mingazzini!) 
bewiesen. Derselbe hat unter anderen den Kiemensack und das 
Gehirn einer Ciona weggeschnitten, und fand immer, dass das Tier 
nach kurzer Zeit die verlorene Teile vollständig regenerierte. Die 
Regenerationskraft, welche bei anderen Ascidien nur beim zufälligen 
Verlust eines Körperabschnitts in Wirksamkeit gerufen wird, tritt bei 
Diplosoma unter normalen Verhältnissen auf und so kommt die eigen- 
tümliche Thatsache zu Stande, dass periodisch die obere Körperhälfte 
abortiert, während gleichzeitig durch Knospung eine neue entsteht. 


Zoologische Miscellen. 
Von Dr. Franz Werner in Wien. 
I. Konvergenz oder Verwandtschaft. 

Als ieh vor einiger Zeit die interessante Arbeit von Prof. Kü- 
kenthal in den „Zoologischen Jahrbüchern“ (1891) über die Anpas-. 
sung von Säugetieren an das Leben im Wasser durchlas, erinnerte 
ich mich eines seinerzeit mit Herrn Dr. Schmidtlein, Assistent am 
zoologischen Institut in Leipzig, geführten Gesprächs über die syste- 
matische Stellung einiger merkwürdiger Säugetiere und Vögel und 
namentlich der Pinguine. Sehon damals war ich davon überzeugt, 
dass diesen die Alken, überhaupt die Taucher unter den Schwimm- 
vögeln, ja sogar diese im Ganzen genommen nicht als gleichwertige 
Gruppe zur Seite gestellt werden dürfen; und beim Lesen des Kü- 
kenthal’sehen Aufsatzes fiel mir sofort die Analogie zwischen den 
Zahnwalen und Pinguinen einerseits, den Bartenwalen und den Alken 
anderseits auf. 

Ich will hier nicht mehr näher auf die Umstände eingehen, 
welche zu dem Schlusse bereehtigen, dass die Pinguine phylogene- 
tisch viel ältere Schwimmvögel sind als die Alken und dass sie eine 
ganz gesonderte Stellung unter den Carinaten verdienen. Kerbert 
hat sehon ?) darauf hingewiesen, wie sehr die Flügelfedern der Pin- 
guine den Reptilienschuppen ähneln; und ich habe an den Flossen 
von Spheniscus demersus mich überzeugt, dass die darauf befindlichen 
Federn mehr den Charakter von Hornschuppen als von Federn be- 
sitzen, während das Federkleid des Rumpfes noch sehr an die Em- 
4) Mingazzini, Sulla rigenerazione nei Tunicati. Bolletino della societä 
di naturalisti in Napoli, 1*91. 

2) Ueber die Haut der Reptilien und anderer Wirbeltiere. Archiv für 
mikrosk. Anatomie, XIII, 1876, S. A, p. 52. 





Werner, Konvergenz oder Verwandtschaft. 269 


bryonaldunen anderer Vögel erinnert. Das Fehlen der Markzellen im 
Schaft und das Persistieren der Federpapillen durch die ganze Le- 
benszeit (wie bei den Schuppenpapillen der Reptilien) ist ein weiterer 
Beweis dafür, wie weit die Pinguine von den übrigen Vögeln sich 
entfernt haben. 

Auch osteologisch bieten die Pinguine auffallend viel Interessantes. 
Von hohem Interesse ist vor allem der Umstand, dass das Tarso- 
metatarsale noch aus drei deutlich unterscheidbaren Knochen be- 
steht, was, wie Menzbier in seiner „Vergleichenden Östeologie der 
Pinguine“ (Moskau 1887) bemerkt, außer bei Tachypetes aquila bei 
gar keinem lebenden Vogel und sogar nicht einmal bei den ältesten 
fossilen Formen vorkommt. Ferner sind einige andere Eigentümlich- 
keiten von Bedeutung, welche zeigen, dass die Pinguine viel länger 
an das Wasserleben angepasst sind, als die Alken; vor allem der 
Bau der vorderen Extremität, deren Knochen in hohem Maße flach 
gedrückt sind, sodass die ganze Extremität eine scharfschneidige, 
sichelförmige Flosse bildet. Ich habe die Skelette von drei Arten 
von Endyptes chrysocoma, von Endyptula minor !) und von Spheniscus 
demersus untersuchen können, welche sich im Bau des Flügels nur 
sehr wenig unterscheiden. Vergleicht man den Flügel einer dieser 
Arten mit dem einer Alca torda oder einer Fratercula arctica, so fällt 
der Unterschied sofort in die Augen; die Knochen des Pinguinflügels 
baben einen flach linsenförmigen, die des Alkenflügels einen ellip- 
tischen Querschnitt. Ueberhaupt bieten die Alken in ihrem Skelett 
durchaus nichts Auffallendes dar, es sind noch immer recht typische 
Vögel und die Anpassung an das Wasserleben hat noch bei weitem 
nicht so tief in ihre Organisation eingegriffen, wie bei den Pinguinen. 

Wie kommt es nun, dass manche äußere Eigentümlichkeiten, die 
aufrechte Stellung in der Ruhe, die weit nach hinten gerückte Lage 
der Hinterextremitäten, die Reduktion der Steuerfedern des Schwanzes, 
bei beiden so verschiedenen Gruppen vorhanden sind? 

Wir werden gleich sehen, dass alle diese Eigentümlichkeiten 
untereinander und mit der Anpassung an das Wasserleben aufs 
innigste zusammenhängen, und dies auseinanderzusetzen ist eben der 
Zweck dieser Zeilen. 

Vor allem ist die fast vertikal aufgerichtete Stellung aus der 
Lage der Hinterextremitäten unschwer zu erklären, denn sie ist eben 
das einfachste Mittel zur Erhaltung des Gleichgewichtes. Warum 
sind nun aber die Hinterextremitäten so weit nach hinten gerückt? 
Aus demselben Grunde, aus dem wohl auch das Steuerruder eines 
Bootes, die Schraube eines Dampfers am Hinterende desselben sich 
befindet. Wer je selbst ein Boot gerudert oder gesteuert hat, wird 
wissen, um wieviel geringer der Kraftaufwand ist, der dazu gehört 


1) Wofür ich Herrn Dr. L. von Lorenz, Custos-Adjunkt am k. k. natur- 
historischen Hofmuseum in Wien sehr zu Dank verpflichtet bin. 


IO Werner, Konvergenz oder Verwandtschaft. 


die Richtung eines Bootes mit dem Steuer, als mit den mehr in der 
Mitte!) des Bootes „eingelenkten“ Rudern zu verändern. Die Be- 
weglichkeit ist durch die Verlegung des propulsatorischen Apparates 
nach hinten bedeutend erhöht; dabei kann aber die Schnelligkeit der 
Bewegung ganz ungeändert bleiben; daher sehen wir allenthalben bei 
guten Schwimmern im Tierreich den die Lokomotion besorgenden 
Apparat möglich weit nach hinten verlegt; also bei den Walen in 
den Schwanz, bei den Robben in die Hinterextremitäten; bei Kroko- 
dilen, Monitoriden, Wassermolchen ist wieder der Schwanz das haupt- 
sächlichste Bewegungsorgan beim Schwimmen, desgleichen bei den 
Fischen. Die Wasservögel schwimmen aber mit den Hinterbeinen, 
wie die Robben, denen die Pinguine und Alken unter den Vögeln 
ganz analog sind und zwar entsprechen die Seehunde geographisch 
den arktischen Aleiden, die Seelöwen aber den antarktischen Pinguinen. 
Bliebe nun der Ansatz der Hinterextremitäten in der Mitte des Rumpfes!), 
so müssten, um dasselbe Ziel zu erreichen, die Unterschenkel mit 
der Ferse bis zum Hinterende des Körpers reichen, also bedeutend 
verlängert sein; lange Beine sind aber schlechte Schwimmbeine 2), 
und wenn auch Störche und Reiher schwimmen können, so thun sie 
dies wohl nur im Notfall, nicht aber um ihre Beute im Wasser zu 
erjagen; denn sie schwimmen herzlich schlecht. 

Wir sehen darum auch, dass die Flosse der Pinguine im Ver- 
gleich zum Alkenflügel stark verkürzt ist, namentlich der Oberarm; 
denn die Pinguine benutzen, wie ich selbst an einem Aptenodytes im 
Berliner zoologischen Garten und mehreren Exemplaren von Sphe- 
niscus demersus im Wiener Vivarinm gesehen habe und was übrigens 
meiner Bestätigung gar nicht bedarf, da es eine wohlbekannte That- 
sache ist, ihre Flossen in ganz ausgiebiger Weise beim Schwimmen, 
was bei den Alken nur unter Umständen der Fall sein kann. Und 
zwar lehrt eine einfache Ueberlegung Folgendes: 

Die Pinguine schwimmen wegen der Schwere und Dichtigkeit 
des Gefieders, wohl auch wegen der Schwere und Massigkeit der 


4) Ich meine hier unter Mitte natürlich nur das Ende der vorderen Rumpf- 
hälfte, zum Unterschiede vom Hinterende. 

2) Da ihre einzelnen Teile infolge der Gelenksverbindung zu sehr gegen 
einander beweglich sind, was die Kraftwirkung erheblich verringert. Alle 
wirklich im Wasser lebenden und daselbst ihre Beute erjagenden Tiere haben 
relativ kurze, kräftige Extremitäten; ja die Flossen vieler ausgezeichneter 
Schwimmer unter den Wirbeltieren sind ganz einheitlich aussehend und platten- 
förmig und besitzen nur so viel Gelenke um nach erfolgtem Druck auf das 
Wasser sich so drehen zu können, dass sie bei ihrer Vorwärtsbewegung den 
geringsten Widerstand durch das Wasser finden (Brust- und Schwanzflossen 
der Wale, Flossen der Seeschildkröten). Daraus erklärt sich auch die beil- 
artige Form des Ulnare und andere Vorrichtungen am Pinguinflügel, welche 
eine Zusammenlegung desselben in der Weise wie sie noch beim Alkenflügel 
in der Ruhe stattfindet, verhindert und ihm eine gewisse Unbeweglichkeit 
verleiht. 





Werner, Konvergenz oder Verwandtschaft. 271 


Knochen !) sehr tief im Wasser, sodass nur Kopf, Hals und der 
oberste Teil des Rückens daraus hervorragen. Wäre dies nicht der 
Fall, so würden die Flossen beim gewöhnlichen Schwimmen nicht 
weit ins Wasser reichen und der größere Teil der Flosse ginge für 
die Fortbewegung verloren. Durch das tiefe Einsinken des Pinguins 
ins Wasser ist es ermöglicht, dass die ganze Oberfläche der Flosse 
unter Wasser sich befindet und daher eine größere Kraftentfaltung 
beim Schwimmen. Die Alken schwimmen aber, soviel mir bekannt 
ist, ziemlich hoch über dem Wasser, können daher ihre Flügel nur 
dann als Flossen gebrauchen, wenn sie tauchen. 

Wenn nun also die Lage der Hinterextremitäten begründet ist, 
so erklärt sich daraus, resp. aus der daraus mit Notwendigkeit resul- 
tierenden aufrechten Haltung beim Stehen auf dem Lande auch die 
Reduktion der Steuerfedern; denn es ist leicht einzusehen, dass die 
steifen und, wenn sie für die Lokomotion von Bedeutung sein sollen, 
auch mehr weniger langen Steuerfedern das aufrechte Stehen geradezu 
unmöglich machen würden; da nun das Amt des Steuerns im Wasser 
ohnehin den Hinterextremitäten zufällt, so stand einer Rückbildung 
der Schwanzfedern nichts im Wege. 

Wir sehen also, dass Alles, was in der Erscheinung der Pinguine 
und der pinguin-ähnlichsten Alken uns als ähnlich auffällt, nur aus 
der Anpassung an das Wasserleben zu erklären ist; dass aber diese 
beiden Gruppen außer den fundamentalsten Vogelcharakteren wenig 
mit einander zu thun haben und dass die Pinguine weit älter sind 
und sich von einer viel ursprünglicheren Vogelgruppe abgezweigt 
haben als die Alken, die noch mit den übrigen Tauchern, den Co- 
Iymbidae und Podieipidae eine recht große Verwandtschaft zeigen. 
Ich habe hier manche sehr merkwürdige Besonderheiten im Bau des 
Pinguinskelettes nicht hervorgehoben, (so z. B. die große Flächen- 
entwicklung der Scapula, die sich sonst bei gar keinem Vogel vor- 
findet und wie vieles andere auf die Reptilien- Vorfahren der Vögel 
zurückweist), da ich ja nur die wichtigsten Veränderungen, die sich 
durch das Leben im Wasser an diesen sonderbaren Vögeln er- 
geben, besprechen wollte. Jeder aber, der nur einmal ein Pinguin- 
skelett mit den sichelförmigen platten Flossen, den äußerst kräftigen 
charakteristischen Hinterbeinen und den mächtigen Schulterblättern 
gesehen hat, wird es unter allen Vogelskeletten sofort wieder heraus- 
finden können und er wird Menzbier recht geben, wenn er (S. 103) 
sagt, dass sie, „was ihre systematische Stellung betrifft, jedenfalls 
unabhängig von ihrer Abstammung und ihrer Entwieklung in eine 
Gruppe von gleicher taxonomischer Bedeutung wie die Saururae, 
katitae, Odontotormae und Carinatae ausgeschieden zu werden ver- 
dienen.“ 





1) Die oft nicht einmal mehr pneumatisch sind, 


Werner, Zeichnung der Tiere. 


U. Noch etwas über die Zeichnung der Tiere. 


In meinem im vorigen Jahre erschienenen Aufsatze „Bemer- 
kungen zur Zeiehnungsfrage“ habe ich mir erlaubt, den Eimer’schen 
Hypothesen einige mir bei meinen eignen Studien über diesen Gegen- 
stand aufgetauchte Bedenken entgegenzustellen; und da Herr Prof. 
Eimer darauf meines Wissens nicht erwiderte, so glaube ich an- 
nehmen zu dürfen, dass er nichts zu erwidern hat und jetzt meine 
Ansichten über Entstehung und Bedeutung der Zeiehnung angenom- 
men hat. 

Einstweilen hätte ich noch einige allgemeinere Bemerkungen dem 
obenerwähnten Aufsatz hinzuzufügen und zwar vor allem über fol- 
gende Punkte: 

1. Der Querstreifen zwischen den Augen ist phylogenetisch älter 
als der Längsstreifen hinter dem Auge. 

2, Ueber die Zeiehnung der Vogeleier. 

3. Die Bauchseite mancher Tiere, welche diese Bauchseite niemals 
sehen lassen, trägt eine ganz deutliche Zeichnung. 

Was den ersteren Umstand anbelangt, so halte ich ihn für nicht 
unwichtig. Denn wenn eine (Querbinde phylogenetisch älter ist als 
ein Längsstreifen, so kann sich wohl kaum die Querstreifung aus, 
der Längsstreifung entwickelt haben. Dass aber die interokulare 
Querbinde wirklich uralt ist, das ersehen wir daraus, dass sie bei 
den Haien allgemein verbreitet ist, auch bei den Kochen noch zu 
finden ist, während der Postokularstreifen daselbst noch durchaus fehlt. 

Außerdem sind Querbänder zwischen den Augen bei vielen Am- 
phibienlarven schon in recht früher Zeit zu beobachten und zwar zu 
einer Zeit, wo von dem postokularen Längsstreifen noch keine Spur 
zu bemerken ist. — Dass dieses Querband aus Flecken entsteht, 
ist überall erkennbar. 

Was die Zeichnung der Vogeleier anbelangt, so entsteht die 
Frage: Hat sie eine schützende Bedeutung oder nicht? 

Nehmen wir einmal an, es sei der Fall, so steht doch fest, dass, 
wenn überhaupt durch die Zeichnung ein Schutz erzielt werden kann, 
die Eier der Vögel dieses Schutzes bedürftiger sind, als die Vögel 
selbst; denn sie können sieh gegen Feinde nicht vertheidigen, noch 
sich ihnen durch die Flucht oder sonstwie entziehen; sie sind hilflos 
und nur durch die harte Schale vor kleinen, durch den Mut oder die 
Schlauheit der Eltern vor größeren Feinden geschützt. 

Sie wären also einer Hilfe durch die Zeiehnung recht bedürftig. 


Erfüllt nun ihre unregelmäßige Fleekenzeichnung — eine andere 
habe ich bei keinem heimischen Vogelei noch gefunden — ihre Auf- 


gabe oder nicht? 
Wenn ja, so ist nicht einzusehen, warum überhaupt noch eine 
andere Zeichnung existiert, wenn diese Fleckenzeichnung bei diesen 





Werner, Zeichnung der Tiere. 973 


so sehr schutzbedürftigen Tierprodukten die Feuerprobe bestanden 
hat — notabene unter den verschiedensten Lebensbedingungen. 

Wie viele Vögel brüten im Gras, Schilf und Rohr — und doch 
keine gestreiften Eier, weder längs- noch quergestreifte! 

Erfüllt die Zeichnung der Eier ihren schützenden Zweck nicht, 
dann steht die Frage offen, warum sie noch immer so weit verbreitet 
ist, so wenig Tendenz nach Veränderung d. h. Verbesserung zeigt. 
Es müsste eine Ausrottung oder zum mindesten Verminderung der 
betreffenden Vogelarten konstatierbar sein. Für Mitteilungen in dieser 
Riehtung wäre ich sehr dankbar. — 

Ich glaube aber, dass die Zeichnung der Vogeleier nicht allein 
eine schützende Aufgabe hat. Es ist nicht zu leugnen, dass sie in 
vielen Fällen diese Aufgabe wirklich erfüllen muss — wenn es auch 
viele Eierräuber in der Tierwelt gibt und es nicht anzunehmen ist, 
dass sie ihren Nahrungsbedarf ausschließlich mit einfarbigen, un- 
gefleckten Eiern decken. 

Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass das Eierpigment ent- 
weder lediglich Stoffwechselprodukt des Embryos ist, oder dass die 
dunklen Flecken mit der Wärmeaufnahme des Eies in einer wichtigen Be- 
ziehung stehen. Da mir nun über die Embryonalentwicklung solcher 
Vögel, welche aus gefleckten Eiern entstehen, nichts bekannt ist 
— embryologische Studien werden ja wohl durchwegs an Hausvögeln 
gemacht, die einfarbige Eier legen — ist es vielleicht schwierig zu 
konstatieren, ob die Pigmentierung gefleckter Eier etwa mit der Brut- 
dauer etwas zu thun hat oder eine andere physiologische Funktion 
besitzt. Da die Reptilieneier meines Wissens durchwegs einfarbig sind, 
so dürfte die Zeichnung der Eier phylogenetisch noch nicht gar alt sein. 

Als drittes Moment hätte ich noch die Zeichnung der Unterseite 
bei vielen Tieren zu erwähnen, bei denen diese Unterseite niemals 
sichtbar ist, und zwar eine Zeichnung von oft ganz regelmäßiger 
Anordnung. Betrachtet man z. B. die Unterseite südlicher Ringel- 
nattern, so findet man, dass die schwarzen Bauchflecken in zwei ganz 
regelmäßige Reihen geordnet sind. Dasselbe finden wir bei Coro- 
nella girondica und CO. Amaliae. Dabei ist gerade die vorderste 
Partie der Unterseite, also der einzige Teil, der beim laufenden oder 
ruhenden Tiere sichtbar ist, immer einfarbig. Soll dadurch etwa ein 
Feind der Schlange überrascht werden, dass er beim Angriff, wenn 
dieselbe sich hin und her dreht und wendet, um ihm zu entkommen, 
plötzlich die ganz verschiedene Unterseite zu sehen bekommt? Abge- 
sehen davon, dass die verschiedene Färbung der Unterseite allein 
für diesen Zweck hinreichen würde, legen schlangenfressende Tiere 
auf die Art und Weise, auf das Fehlen oder Vorkommen der Zeich- 
nung ganz und gar kein Gewicht und werden daher von was immer 
für einer Zeichnungsveränderung durchaus nicht so erschreckt, dass 


sie deswegen ihre Beute fahren ließen. 
XI. 18 


974 Werner, Zeichnung der Tiere. 


Wir können also auch hier wieder annehmen, dass die Zeichnung 
der Unterseite der Schlangen (längsgestreift, oder quergestreift wie bei 
Tropidonotus quincunciatus var. melanozostus, T. vittatus oder gefleckt) 
oder anderer Wirbeltiere mit dem Schutz oder der Abwehr oder der 
Warnung kaum etwas zu thun haben und es bleibt auch hier wieder 
eine physiologische Erklärung wahrscheinlicher als die biologische. 

Man wird sich vielleicht wundern, dass ich mitunter bei den 
sekundären Zeichnungen der Eidechsen, Schlangen und Anuren von 
einer Auflösung von Längsstreifen in Flecken gesprochen habe, 
während ich ja im Allgemeinen immer annehme, dass die Längs- 
streifen aus Flecken entstehen. 

Diese Zerreißung von Längsstreifen habe ich solange zur Er- 
klärung angenommen, als ich keine bessere und meinen sonstigen 
Erfahrungen entsprechendere wusste. Ueberall entstehen auf den 
primären Längsstreifen zuerst die sekundären Fleckenzeichnungen 
und aus diesen, indem sie an den Rand der Streifen rücken und da- 
selbst der Länge nach verschmelzen, die sekundären Längsstreifen, 
oder indem sich die beiden Fleckenreihen desselben Doppelstreifens 
(auf einfachen Streifen sind sekundäre Flecken eigentlich relativ 
selten) die sekundären Querstreifen. Die Längsstreifen können 
ohneweiters entstehen, die Querstreifen aber sind im Allgemeinen auf 
die Area der primären Längsstreifen beschränkt, und können sich, 
solange diese deutlich sind, nicht auf die Grundfarbe fortsetzen und 
mit den entsprechenden, auf anderen Längssreifen entstandenen Quer- 
bändern in Verbindung setzen. Daher sind längsgestreifte Ringel- 
nattern zwar in der Regel auf den drei dunklen Längsstreifen noch 
dunkler gefleckt, mitunter jeder dieser drei Streifen ziemlich regel- 
mäßig quergestreift, aber niemals, auch wenn sie genau in einer 
Linie liegen, verbinden sich drei solche Querstreifen miteinander, 
solange die beiden hellen Streifen der Grundfarbe noch existieren; 
sind diese verschwunden, so steht der Bildung einer geringelten 
Varietät, die als var. Cetii bezeichnet wird, nichts mehr im Wege. 
Dieses Gesetz erleidet bei Schlangen wohl kaum eine Ausnahme, 
während bei den Eidechsen etwas derartiges, die Durchkreuzung der 
primären Längs- und der sekundären Querstreifung nicht sehr selten, 
z. B. bei Tejus teguixin vorkommt; dagegen kann ich mich nicht 
erinnern, dass bei den anuren Amphibien diese Regel eine Ausnahme 
erleidet. 

In manchen Fällen, die bei den Eidechsen häufiger sind als bei 
den Schlangen, bilden die primären Längsstreifen direkt eine dunkle 
Grenzzone auf jeder Seite; aus solchen Längsstreifen entsteht keine 
weitere Zeichnung mehr, sie können höchstens, wie dies z. B. bei 
Zonosaurus der Fall ist, sich teilweise oder gänzlich der Länge 
nach teilen, sie können ebenfalls sekundäre Fleckenzeichnungen er- 
halten— aber es können aus ihnen keine Zeichnungen mehr entstehen. 





Werner, Zeichnung der Tiere. 375 


Wie erklären sich nun die sekundären t) Ocellenzeichnungen ohne 
Zuhilfenahme der Zerreißung der sekundären Längsstreifen? Ich 
habe diese Ocellenbildung früher so erklärt: Zwischen zwei sekun- 
dären Längsstreifen hellt sich die Grundfarbe zu Weiß oder Gelb auf. 
Die Längsstreifen zerreißen in Stücke, zwischen denen immer ein 
Stück der hellen Grundfarbe zu liegen kommt, die sich ebenfalls in 
Flecken aufgelöst hat; endlich umwachsen die beiden Stücke der 
Längstreifen den zwischen ihnen gelegenen hellen Flecken und der 
Ocellus ist fertig. Diese Darstellung habe ich noch meiner letzten 
Arbeit über die Zeichnung der Eidechsen (in den Zoolog. Jahrbüchern 
1892) zu Grunde gelegt Da aber die Annahme mit vielen Thatsachen 
nicht stimmen wollte, ich z. B. von Lacerta agilis und vielen andern 
Eidechsen aus der Lacertiden- und andern Gruppen Exemplare unter- 
_ suchen konnte, deren Zeichnung auf diese Weise nicht zu deuten war, 
so suchte und fand ich eine mit der Wirklichkeit übereinstimmende 
und sehr naheliegende Erklärung und hiemit ist auch das letzte 
Moment, das mir für die Entstehung der Fleckenzeichnung durch 
Zerreißung von Längsstreifung zu sprechen schien, gefallen. 

Die Erklärung, die ich später einmal durch Abbildungen zu 
illustrieren gedenke, ist folgende: Auf den primären ?) Längsstreifen 
bilden sich sekundäre Flecken. Zwischen den beiden Streifen ver- 
läuft nun der (bei größerer Nähe der Streifen stets aufgehellte) 
Streifen der Grundfarbe. Die einfachste Form der Ocellenzeicehnung 
geht aus dieser, die wir bei Psammodromus hispanicus genau so, wie 
eben geschildert, finden, dadurch hervor, dass die oben und unten 
an den hellen Streifen der Grundfarbe anstoßenden dunklen sekun- 
dären Flecken an einer oder an beiden Seiten Ausläufer entsenden, 
die einander entgegenwachsen; je nachdem beide Ausläufer beider 
Flecken einander treffen oder nur die der einen Seite oder dem 
einen Flecken an der andern Seite des hellen Streifens kein Flecken 
gegenübersteht, finden wir die verschiedenste Ausbildung der Ocellen; 
im ersteren Falle die vollkommenste; alle aber bei weiblichen Exem- 
plaren von Lacerta agilis. Sind die dunklen Ränder der Ocellen 
breit, diese selbst zahlreich, so stoßen sie aneinander und ihre Ränder 
können sogar miteinander verschmelzen, während die hellen Mittel- 
flecken getrennt bleiben; außerhalb der Ocellen verschwindet dabei 
die helle Grundfarbe schließlich vollständig. Alles dies kann an La- 
certa agılis sehr gut beobachtet werden, namentlich an 2. Sind die 
sekundären Flecken lang, so schließen sie auch lange Stücke der 
hellen Grundfarbe ein. Die Grundfarbe (grau, gelb, weiß), primäre 
(hellbraun) und sekundäre Zeichnung (schwarzbraun bis schwarz) 
sind von einander durch die Färbung leicht zu unterscheiden. 


4) primäre bei Urodelen (Molge viridescens), Geckoniden. 
2) oder durch Teilung aus ihnen entstandenen sekundären 


13° 


276 Werner, Zeichnung der Tiere. 


Wenn irgend ein Tier der Annahme irgend einer Zeichnungsform 
als der ursprünglichsten unangenehm ist, so ist es eine von mir schon 
abgebildete Schlange Dromophis praeornatus. Die Eimer’sche Theorie, 
welche die ursprünglichste Zeichnung am Vorderende eines Tieres 
sucht, findet daselbst Querstreifung, darauf Flecken, endlich an der 
Hinterhälfte Längsstreifung. Mir scheint das Hinterende im All- 
gemeinen die ursprünglichste Zeichnung zu tragen und damit stimmt 
es auch gut überein, dass bei der Schlange die Hinterhälfte die ge- 
wöhnliche Psammopbiden - Zeichnung trägt ([D] [LMg]) und damit die 
in der Zeichnung sonst unkenntliche Zugehörigkeit zu dieser Familie 
dokumentiert; aber die nach vorn daran sich schließenden Flecken 
müssten dann als durch Zerreißung der Längsstreifen gedacht werden. 
Nehmen wir die Verwandtschaft der Psammophiden mit den quer- 
gestreiften Dipsadiden zur Deutung in Anspruch, so wäre vielleicht 
das Vorderende mit der für diese Schlange ursprünglichsten Zeichnung 
versehen, dann aber die Fleckenzeichnung aus der Querstreifung her- 
vorgegangen, was ich mit Eimer verwerfe. Also ein Dilemma für 
beide Ansichten. 

Noch etwas will ich hier erwähnen. Die Streifung (ob Längs- 
oder Querstreifung, ist momentan gleichgiltig) ist an sich wohl kaum 
schützend. Wenn ein langes, dunkles Tier an einem Orte sich auf- 
hält, wohin lange Monokotylenblätter ihren Schatten werfen, so wird 
das Tier in toto einem solchen Pflanzenschatten gleichen und wahr- 
scheinlich übersehen werden. Wenn ein ebensolches Tier an einem 
langen Monokotylenblatte oder -Stengel von ähnlichen Dimensionen 
sitzt und von ähnlicher Färbung ist, dabei der Extremitäten entbehrt 
oder sie passend zu verwenden oder zu verbergen weiß, so kann 
man annehmen, dass auch diese Totalanpassung in hohem Grade 
nützlich ist. Aber wozu eine Streifung zu diesem Zwecke? Lebt 
das Tier wirklich unter diesen Pflanzen, so werfen diese ihren Schatten 
ohnehin darauf und der durch die Streifen angeblich vorgestellte 
Schatten ist total überflüssig; ja er kann sogar eher schädlich sein, 
da er sowohl durch Farbe und die Parallelität der Streifen das Tier 
auffallend macht — und dasselbe ist in noch höherem Grade der 
Fall, wenn sich das Tier nicht in dem Schatten der erforderlichen 
Pflanzen herumtreiben will. Ich kann daher nur eine Totalanpassung 
anerkennen; entweder vollkommene Gleichfarbigkeit mit der Um- 
gebung und zwar in allen Fällen (Farbenwechsel: Laubfrosch, Cha- 
maeleon) oder Anpassung an ein bestimmtes Aufenthaltsgebiet und 
zwar totale Anpassung: Aehnlichkeit mit Blättern, Aesten, Samen, 
tierischen Exkrementen (Byrrhus) ete., Phasmiden, manche Schmetter- 
linge ete.; mit anderen giftigen, wehrhaften, übelriechenden Tieren 
{Mimiery) und endlich Lokalanpassung: Gleichfarbigkeit mit einem 
bestimmten, in seiner ganzen Ausdehnung einförmig gefärbten Auf- 
enthaltsort: Wüstenschlangen, Felsenschlangen, Baumschlangen etc. 





Werner, Epitrichialskulptur der Schlangenepidermis. 277 


Noch etwas wäre zu bemerken: Es gibt ja bekanntlich auch 
gezeichnete Pflanzen und die gefleckten Blätter von Pulmonaria, 
Orchis, die weiß und grün längsgestreiften des Bandgrases etc. sind 
allbekannt: wie ist diese Erscheinung zu erklären ? 


IH. Die Epitrichialskulptur der Schlangenepidermis. 


In seiner bekannten Arbeit „Ueber die äußeren Bedeckungen der 
Reptilien und Amphibien“ (I. Die Haut einheimischer Ophidier) (Archiv 
f. mikroskop. Anatomie IX. 1873. S. 773) bemerkt Leydig nach 
Besprechung der merkwürdigen Schuppenskulptur der Schlangen, dass 
dieselbe vielleicht systematisch verwertbar sein könnte. 

In Weiterverfolgung dieses Gedankens habe ich einen großen 
Teil der europäischen Schlangenarten auf ihre Schuppenskulptur 
untersucht und teile hier kurz mit, was ich darüber weiß, mir eine 
ausführlichere Beschreibung und Abbildung für die Zeit vorbehaltend, 
wo ich auch die Haut von Macroprotodon ceucullatus, den ich nicht 
erhalten konnte, untersucht haben werde. 

Zur Untersuchung kamen Häute, die entweder von der Schlange 
beim Häutungsprozess abgestreift wurden, teils solche, welehe von 
in Alkohol konservierten Exemplaren abgelöst wurden; in letzterem 
Falle muss aber die Hornschuppe von dem (bei den in Alkohol kon- 
servierten Häuten sich mit ablösenden) Stratum Malpighii getrennt 
werden, da die oft sehr zahlreichen Chromatophoren des letzteren 
eine Untersuchung der Skulptur sehr erschweren würden. Für manche 
Skulpturen sind sehr starke Vergrößerungen erforderlich. 

Das Ergebnis meiner Untersuchungen sprach gerade nicht sehr 
für die systematische Verwendbarkeit der Schuppenskulptur. Schon 
die drei Arten Tropidonotus natrix, tessellatus, viperinus sind eben 
nicht leicht nach Epidermisfragmenten (ich habe bei dieser Erörterung 
immer nur Schuppen des Rumpfes im Sinne; andere Partien der 
Schlangenhaut standen mir bisher nicht in ausreichendem Maße zu 
Gebote) zu unterscheiden. So oft ich auch glaubte, ein unzweifel- 
haftes Unterscheidungsmerkmal gefunden zu haben, so oft stellte sich 
heraus, dass dasselbe Merkmal auch den beiden anderen Arten in 
ähnlichem Grade zukommt und die Arten natrix, viperinus, tessellatus 
bilden eine Reihe, in welcher natrix durch die geraden, relativ 
schwach ausgeprägten und annähernd parallelen Längsleisten, sowie 
die ebenfalls schwachen Querleisten (welehe nach Kerbert!) nichts 
anderes sind als die Konturlinien der Epitrichialzellen) den Anfang, 
tessellatus durch die mehr gewundenen, starken und deutlich als nicht 
parallel erkennbaren Längs- und starken Querleisten das Endglied 
der Reihe bildet, während 7. viperinus den Uebergang zwischen bei- 
den ziemlich genau herstellt. Es ist möglich, dass durch langjährige 





1) Archiv f. mikroskop. Anatomie, Bd. XIII, 1876. 


278 Werner, Epitrichialskulptur der Schlangenepidermis. 


Untersuchung das Auge genügend geübt werden kann, um die drei 
Arten nach ihrer Schuppenskulptur zu unterscheiden. Ich war bisher 
nicht im Stande, auf Grund der mikroskopischen Untersuchung der 
Haut ein sicheres Urteil über die Zugehörigkeit zu einer der drei 
Arten zu fällen. Die Epitrichialzellen sind bei allen drei Arten am 
Rande fein gezähnt, manche der Zähne sehr durch ihre Größe her- 
vorragend. Sie lassen aber eine Unterscheidung der Arten um so 
weniger zu, als sie sich bei allen untersuchten europäischen Schlangen 
überhaupt nicht wesentlich, meist nur durch ihre verschiedene Größe 
unterscheiden. Noch weniger ist dies bei den Epitrichialzellen der 
Verbindungshaut der Fall. — 

Die drei Tropidonotus- Arten zeigen aber in ihrer Schuppen- 
skulptur auch mit Coluber (Elaphis) quaterradiatus eine nicht un- 
bedeutende Aehnlichkeit und zwar in dem bei dieser Art namentlich 
auf den hinteren Dorsalschuppen vorhandenen Längskiel, der Zwei- 
zahl der sogenannten Schuppenporen !) und im Aussehen der Längs- 
leisten. Doch sind diese mehr verästelt, die Pigmentierung des 
Stratum corneum ist bei weitem stärker, und wenn man noch be- 
denkt, dass der Coluber quaterradiatus-Schuppe die Einkerbung an 
der Spitze fehlt, so ist wohl eine Verwechslung nicht leicht möglich. 
Jedenfalls ist es merkwürdig, dass die Schuppenskulptur dieser 
Schlange der der Tropidonotus- Arten viel näher steht als der der 
nahe verwandten Coluber aesculapii und quadrilineatus. 

Aehnlich ist noch die Skulptur bei Coelopeltis lacertina mit ge- 
raden, dieken, höchstens diehotomisch verästelten Längsleisten und 
wie bei allen vorigen gezackten, aber auffallend parallelen Quer- 
leisten. Da Schuppenporen fehlen, ein Kiel nicht vorhanden ist, so. 
ist eine Unterscheidung von den vorigen Arten leicht möglich. 

Die Längsrippen bei den Schuppen der Zamenis-Arten sind 
ziemlich gerade, stark, unverästelt, bei Zamenis Dahlü lang, bei den 
anderen etwas kürzer; die Querrippen nur bei dieser Art sehr 
deutlich wahrnehmbar, da die Pigmentierung schwächer ist als bei 
den anderen Arten. Die Längsrippen der Zamenis- Arten sind ganz- 
randig, während sie bei allen vorher erwähnten Schlangen gezähnt 
erscheinen. Zwei nahe nebeneinanderstehende Poren an der Spitze 
der Schuppe, die sehr oft undeutlich sind. 

Rhinechis scalaris besitzt ein System von feinen Längslinien, die 
Epitrichialzellen sind sehr klein (bei Zamenis Dahlii groß und sehr 
lang) und fein gezähnt. Zwei Schuppenporen, die um ihren drei- 
fachen Durchmesser voneinander entfernt sind. 

Von den beiden Co/uber-Arten besitzt ©. aesculapii lange, gerade, 
vereinzelt stehende und nicht ganz parallele Längsleisten, die unter 
einem Liniensysteme von ähnlicher Feinheit wie bei Rhinechis deut- 
lich hervorstechen. Die durch die Konturen der Epitrichialzellen 


1) Darüber siehe L eydig 1:.e.: 8. 768. 














Werner, Epitrichialskulptur der Schlangenepidermis. 379 


gebildeten Querleisten sind als solehe nieht erkennbar, da sie durch 

die starke Pigmentierung des Schuppenzentrums verdeckt und nur 

an der Schuppenbasis sichtbar sind, wo die Längslinien wie bei 
allen Arten aufhören. Zwei deutliche Schuppenporen, mitunter ein Kiel. 

Coluber quadrilineatus besitzt ebenfalls zwei Schuppenporen, nie- 
mals einen Kiel; das Stratum corneum ist viel schwächer pigmen- 
tiert, Längsstreifensystem und Längsleisten ungefähr wie bei voriger 
Art entwickelt. Die sogenannten Querleisten sehr zart, die Epitrichial- 
zellen überhaupt klein, aber überall auf der Schuppe erkennbar. 

Coronella austriaca und girondica besitzen Schuppen ohne Kiel, 
mit feinem longitudinalem Liniensystem und stärkeren Längsleisten, 
die ziemlich parallel verlaufen, gerade und ganzrandig sind, erstere 
eine mediane Schuppenpore, letztere dagegen zwei sehr undeut- 
liche. 

Ohne Schuppenporen und Kiel ist die Schuppe von Tarbophis vivaz; 
das Längsleistensystem ist deutlich wahrnehmbar, während die Quer- 
leisten nicht sichtbar sind. Die Leisten sind gerade, ganzrandig. 

Die Viperiden besitzen einen Kiel und zwei Poren auf jeder 
Sehuppe; Vipera berus weist ein System feinerer Längslinien in großer 
Zahl auf — das Netzwerk, welches Leydig von den Schuppen dieser 
Sehlange anführt und abbildet, habe ich nieht sehen können, außer 
auf der Verbindungshaut der Schuppen, wo es von den rundlichen, 
mit der höckerigen Struktur!) versehenen Zellen des Epitrichiums 
in gleicher Weise wie bei anderen Schlangen gebildet wird. Auf- 
fallend anders, aber untereinander ziemlich ähnlich verhalten sich 
V. aspis und ammodytes, ihre Skulptur ist der der Tropidonotus-Arten 
sehr ähnlich; bei V. aspis sind die Querleisten viel deutlicher als bei 
ammodytes, daher bei letzterer die Längsleisten unverästelt und ganz 
ohne Verbindung untereinander erscheinen. 

Bei Eryx jaculus sind die Schuppen ohne Poren und Kiel und 
ohne Längsleisten ; sehr deutlich aber treten die Konturen der großen 
Epitrichialzellen vor. 

Die Häute unserer wichtigsten und häufigsten europäischen 
Schlangen lassen sich demnach mikroskopisch folgendermaßen unter- 
scheiden: 

1) Keine Schuppenporen (kein Kiel). 

Eryz jaculus. Keine Längsleisten, aber die Konturen der Epi- 
trichialzellen sehr deutlich. 

Tarbophis vivax. Gerade, ganzrandige?) Längsleisten, Konturen 
der Epitrichialzellen sehr undeutlich. 

Coelopeltis lacertina. Starke, manchmal dichotomisch verästelte 
Längsleisten, Konturen der Epitrichialzellen (Querleisten) sehr 
deutlich. 

4) Leydig. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. IX, 8. 760. 
2) bei starker Vergrößerung ziemlich undeutliche 


280 Werner, Epitrichialskulptur der Schlangenepidermis. 


2) Eine Pore. ) 
Coronella austriaca. Schuppenpore in der Mittellinie der Schuppe 
gelegen, feines Liniensystem. 


3) Zwei Poren. 
Schuppen mit Kiel. 

Tropidonotus. Längsleisten der Schuppen mit deutlich gesägten 
Rändern (oft ganz gefiedert). Spitze der Schuppen in der Mitte 
eingekerbt. 

Elaphis‘) (quaterradiatus). Skulptur wie bei vorigen, doch Längs- 
leisten stark verästelt; keine Einkerbung an der Schuppen- 
spitze. Starke Pigmentierung. 

on \ Vipera berus: feines Längsliniensystem. 

z „  ammodytes. Längsleisten nicht in deutlicher 

Verbindung mit einander, da 
Querleisten undeutlich. 

„  aspis. Längsleisten durch Querverbindungen 

ein deutliches Netz miteinander bildend. 

Coluber!) (aesculapii). Längsleisten gerade, vereinzelt, ganzrandig, 
unverästelt, außerdem feines longitudinales Liniensystem. Starke 
Pigmentierung. Keine Einkerbung. 


9 


Vipera. 


4q.19Y93u1o 
yyaıu uoddny 


Schuppen ohne Kiel. 

Rhinechis scalaris. Schuppenporen weit von einander entfernt (um 
den doppelten oder 3fachen Durchmesser), System feiner Längs- 
linien. 

Zamenis. Schuppenporen genähert (Entfernung kaum den Durch- 
messer einer Pore übersteigend), starke, ganzrandige, bei Zamenis 
dahlii sehr lange Längsleisten, feine, bei Z. dahlii sehr deut- 
liche Querleisten. 

Coluber (quadrilineatus). Schuppenporen genähert (Entfernung un- 
gefähr wie bei den vorigen), feine parallele Längslinien, einzelne 
starke Längsleisten, die ganzrandig und gerade sind. 

Coronella (girondica). Schuppenporen um fast das Doppelte ihres 
Durehmessers von einander entfernt, sehr undeutlich; feines 
Längsliniensystem, gerade, ganzrandige, schwach sichtbare 
Längsleisten. Sehr schwache Pigmentierung. 

Höchst merkwürdig ist die Skulptur der Schuppen bei der afri- 
kanischen Vipera arietans. Sie besteht aus zahllosen kleinen an der 
Spitze dunklen Stacheln, die teils ein-, teils zweispitzig sind oder 
sogar eine beilförmige Schneide haben können. 





4) Im Falle von diesen zwei Arten Schuppen ohne Kiel (also von Jungen, 
vom Vorderrücken oder von den Seiten) zur Untersuchung gelangen, sind 
erstere an der Skulptur, letztere an der starken Pigmentierung wohl meistens 
von den Formen der ?2. Gruppe zu unterscheiden. 








Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 2851 


Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Zell- 
teilung. 
Vortrag, gehalten in der Biologischen Gesellschaft zu Königsberg i.|Pr. 


Von Dr. Richard Zander, 


Privatdozent und Prosektor am anatomischen Institut. 


Bei der großen Bedeutung der Zelle für alle Organisation ist es 
selbstverständlich, dass jeder Fortschritt in der Erkenntnis dieses 
Elementarorganismus das lebhafteste Interesse jedes Biologen zu er- 
wecken geeignet ist. 

Durch die Flut von Arbeiten, welche die Erforschung des Wesens 
der Zelle zum Gegenstand haben, sich hindurchzuarbeiten ist für jeden, 
dessen spezielles Arbeitsgebiet anderswo gelegen ist, so vollkommen 
unmöglich, dass es wohl berechtigt ist, wenn von Zeit zu Zeit in 
einer zusammenfassenden Uebersicht ein Bild von dem jeweiligen 
Stande unseres Wissens zu entwerfen versucht wird. 

Es kann nicht meine Absicht sein, alles das, was über die morpho- 
logischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften der Zellen, 
was über ihre Lebenserscheinungen unter physiologischen und patho- 
logischen Verhältnissen mitgeteilt worden ist, besprechen zu wollen. 
Ich will im Folgenden nur über den gegenwärtigen Stand unserer 
Kenntnisse von der Vermehrung der Zellen durch Teilung sprechen. 

Die gesamte Litteratur über diesen Gegenstand bis zum Jahre 1837 
ist von Waldeyer (90)!) übersichtlich zusammengestellt worden, und 
auf der letzten Versammlung der Anatomen zu München erstattete 
Flemming (27) ein Referat über Zellteilung. Bei dem großen In- 
teresse, das diesem Gegenstand mit Recht von allen Seiten entgegen- 
gebracht wird, darf eine erneute, für weitere Kreise berechnete Be- 
sprechung nicht überflüssig erscheinen, weil seit der Veröffentlichung 
von Waldeyer nicht unerhebliche Fortschritte auf diesem Gebiet 
erzielt worden sind, und weil anderseits der von Flemming im Fach- 
kreise gehaltene Vortrag vielerlei als bekannt voraussetzen durfte, 
was noch keineswegs Allgemeingut aller Biologen geworden ist. 

Man unterscheidet heutzutage ganz allgemein zwei Hauptformen 
der Zellteilung, die mitotische (karyomitotische, karyokinetische, in- 
direkte) und die amitotische (direkte)?). Das Wesen der ersteren ist, 
„dass während der Zellteilung eine Bildung regelmäßiger Fadenfiguren 
im Kern erfolgt“ (s. 22 S. 193); bei der zweiten Form erleidet der 
Kern keine innere Metamorphose in diesem Sinne (s. 22 8. 343). 





4) Die in () hier und weiterhin angeführten Zahlen beziehen sich auf die 
Litteraturangaben am Schlusse der Arbeit. 

2) Bezüglich des Ursprungs und der Berechtigung dieser und der sonst 
gebräuchlichen Bezeichnungen für die Zell- resp. Kernteiluug sei verwiesen 
auf die Veröffentlichungen von Flemming (22, 23, 27), Hennegny (44), 
Carnoy (17), Waldeyer (90). 


989 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


Diese Definition Flemming’s aus dem Jahre 1882 hat in dieser 
Allgemeinheit auch noch heute Giltigkeit (s. Flemming 27 S. 127). 


„Die mitotische Form der Kernteilung ist — wie Rauber in 
dem allgemeinen Teil seines im Erscheinen begriffenen Lehrbuches 
der Anatomie des Menschen (69 S. 40) hervorhebt — die weitaus 
überwiegende und wichtigste, während der amitotischen Form eine 
mehr nebensächliche Bedeutung zukommt“. 

So groß im Einzelnen die Differenzen sind, welche bei der mito- 
tischen Teilung zu Tage treten, so ist es doch den eifrigen Bemüh- 
ungen zahlreicher Forscher gelungen, in dem Wirrsal der Erschei- 
nungen gewisse, mit gesetzmäßiger Regelmäßigkeit auftretende Vor- 
gänge nachzuweisen. 

Wenn eine Zelle sich zur Teilung anschickt, so wandelt sich das 
Kerngerüst (Flemming 27 S. 100) in charakteristischer Weise um. 

Dasselbe besitzt in der ruhenden, d. h. nicht in der Teilung be- 
griffenen Zelle nicht immer das gleiche Aussehen. In der Mehrzahl 
der Fälle wurde es als ein unregelmäßiges Netzwerk von gröberen 
und zarteren Fäden, die stellenweise, besonders an den Knotenpunkten 
zu Netzknoten (Flemming) angeschwollen sind, beschrieben und ab- 
gebildet (vergl. Flemming 27). 

Balbiani (9) fand in den Speicheldrüsenkernen von Ohironomus- 
Larven an Stelle dieses unregelmäßigen Netzwerkes einen einzigen 
vielfach gewundenen Faden und meinte, dass diese knäuelartige An- 
ordnung der Kerngerüstsubstanz überhaupt in allen Kernen die Regel, 
die netzartige stets Reagentienprodukt sei. 

Auch Carnoy (16) nimmt in den typischen Kernen einen einheit- 
lichen aufgeknäuelten Faden an; das Bild eines Netzwerkes ist seiner 
Meinung nach auf optische Täuschung oder auf vorübergehende Ver- 
klebung der Kreuzungsstellen des Fadens zurückzuführen, oder kann 
durch ungeeignete Untersuchungsmethoden veranlasst werden. 

Strasburger, welcher schon früher (82) auf Grund von Unter- 
suchungen an pflanzlichen und tierischen Zellen behauptet hatte, dass 
im ruhenden Zellkern nur ein einziger sehr langer aufgeknäuelter 
Faden vorhanden sei, überzeugte sich später (83) davon, dass die 
Fadenschlingen unter einander zu einem Fadennetzwerk verbunden 
sind, und in seiner neuesten Publikation (84) schließt er sich der 
inzwischen durch Rabl (66) ausgesprochenen Ansicht an, dass im 
ruhenden Kern nicht ein Faden, sondern mehrere Fäden enthalten 
sind. Bei höhern Pflanzen bleiben, wie Strasburger (84) zeigen 
konnte, im Tochterkern die Fadensegmente, die derselbe vom Mutter- 
kern erhielt, getrennt, auch bis in die folgende Teilung hinein. 

Rabl (66) hatte die Beobachtung gemacht, dass an jedem Kern, 
der sich zur Teilung anschickt oder aus einer Teilung hervortritt, die 
Fäden ganz charakteristisch geordnet sind. In übergroßer Mehrzahl 








Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 283 


ziehen sie nämlich von der einen Seite des Kernes, von der „Gegen- 
polseite“, aus in kurzen unregelmäßigen Windungen entweder an der 
Kernoberfläche oder durch den Binnenraum zur entgegengesetzten Seite 
des Kernes, zu der „Polseite“. Hier biegen sie, einen kleinen Bezirk, 
das „Polfeld“, freilassend, schleifenförmig um und kehren dann in 
mehreren Windungen in die Nähe des Ausgangspunktes zurück. Rabl 
stellte nun die Hypothese auf, dass diese Fäden auch im Ruhezustand 
der Zelle als „primäre Fäden“ erhalten bleiben, dass von ihnen als- 
dann feine „sekundäre Fäden“ als seitliche Fortsätze ausgehen, von 
diesen vielleicht noch „tertiäre“ ete., die unter einander in Verbindung 
tretend das bekannte Netzgerüst bilden. Je nach der verschiedenen 
Ausbildung und Rückbildung der primären Kernfäden und je nach 
der Art der Verbindungen, die sie oder ihre Ausläufer eingehen, 
müssen sehr verschiedene Kerngerüste zu Stande kommen. Bekannt- 
lich beteiligen sich an dem Aufbau des Kerngerüstes in sehr wech- 
selndem Grade die chromatische und die achromatische Substanz. In 
Fällen, wo letztere sehr spärlich ist, werden sich im ruhenden Kern 
nur einzelne scharf abgegrenzte Chromatinmassen, aber kein Kernnetz 
vorfinden, weil die zarten achromatischen Stränge der Beobachtung 
entgehen. 

Die Rabl’sche Hypothese erscheint durchaus geeignet, für die 
mannigfaltige Anordnung, welche das Kerngerüst bei verschiedenen 
Objekten unzweifelhaft erkennen lässt, eine Erklärung zu liefern. 

Sie findet auch eine Stütze in neueren Beobachtungen. Die von 
Rabl als charakterisch beschriebene Anordnung der Gerüstsubstanz 
konnte Flemming (24) an den ruhenden Kernen der Spermatoeyten 
von Salamandra maculosa und Strasburger (84) bei Fritillaria, 
Lilium und anderen Pflanzenzellen nachweisen. 

Dass die Hypothese in den neuen Handbüchern der Histologie 
(59, 71, 72, 69) einen Platz gefunden hat, kennzeichnet die Bedeu- 
tung, welche man ihr zumisst. 

Ihren Hauptwert aber erlangt sie dadurch, dass sie eine einfache 
Erklärung dafür liefert, wie in der ersten Phase der Teilung aus dem 
Kerngerüst der Fadenknäuel entsteht. Man braucht nur anzunehmen, 
dass die chromatische Substanz auf vorgebildeten Bahnen in die 
primären Kernfäden ströme, um die Bildung des Knäuels zu verstehen. 

Die Nukleolen (über deren Bau und Bedeutung die Ansichten 
noch weit auseinandergehen) und die verdiekten Knotenpunkte des 
Kerngerüstes verschwinden, wenn die Zelle sich zur Teilung anschickt. 
Dickere Fäden markieren sich im Kerngerüst, von deren unregelmäßig 
zackigen Rändern zarte Fortsätze ausgehen. Während die Fortsätze 
kürzer und kürzer werden, verdieken sich die Fäden mehr und mehr. 
Schließlich sind die Fortsätze verschwunden und die Fäden, welche 
Sich nun viel intensiver färben, erscheinen glattrandig. Anfangs bilden 
die im Innern des Kernes scheinbar regellos sich windenden Fäden 


Y84 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


einen „dichten Knäuel“; dann aber macht sich, wie Rabl (66) es 
zuerst beschrieb, und wie es später von Flemming (24), Stras- 
burger (84) u. a bestätigt wurde, der charakteristische quere Ver- 
lauf der Fäden (d. h. senkrecht zum Längsdurchmesser des Kernes) 
und die typische Orientierung gegen das Polfeld hin mehr und mehr 
bemerkbar. Gleichzeitig wandelt sich der „dichte Knäuel“ in einen 
„lockeren Knäuel“ um, dadurch dass die Fäden ihre starken Schlänge- 
lungen verlieren, mehr gestreckt verlaufen und gleichzeitig sich ver- 
kürzen und verdicken. 

In den älteren Angaben, welche von der Voraussetzung ausgingen, 
dass der Knäuel ursprünglich aus einem einzigen kontinuierlichen 
Faden besteht, wurde die Quersegmentierung in einzelne Fadenstücke 
in einen früheren oder späteren Abschnitt des Knäuelstadiums verlegt. 

„In gröberen und mehr lockeren Knäueln sieht man, wie Flem- 
ming seinerzeit (22 S 202) angab, „immer deutlicher, dass eine 
Segmentierung des Gewindes in Längsabschnitte vor sich geht. Wann 
dieselbe beginnt, ob dies überhaupt an irgend einen bestimmten Zeit- 
abschnitt gebunden ist, und ob von Anfang an die Stellen dafür irgend 
wie präformiert waren, ist in den engen Anfangsknäueln nicht zu 
erkennen“. 

Rabl (66 8.237) bestritt entschieden, dass der Knäuel einen zu- 
sammenhängenden Faden darstelle, weil er auf der Gegenpolseite 
freie Enden zu konstatieren vermochte. 

Da Flemming in seinen neueren Publikationen die Einwände 
Rabl’s nicht zurückweist, so scheint er — und das wird auch durch 
seine Angaben über die Teilung der Spermatocyten von Salamandra 
maculosa (24) nicht wiederlegt — nicht mehr daran festzuhalten, oder 
wenigstens kein Gewicht darauf zu legen, dass das Kerngerüst am 
Anfang des Knäuelstadiums aus einem einzigen kontinuierlich zu- 
sammenhängenden Faden besteht. 

Auch Waldeyer (90 S. 15) pflichtete Rabl darin bei, dass er 
von Anfang an mehrere getrennte Fadenschlingen annimmt und Stras- 
bnrger erklärte in seiner jüngsten Veröffentlichung (84), dass er 
sich davon überzeugt habe, dass die im ruhenden Kern in Mehrzahl 
vorhandenen Kernfäden auch im Knäuelstadium getrennt bleiben. 

Erwähnt sei, dass van Beneden (13) und Zacharias (92) im 
Ei von Ascaris megalocephala in jedem Kern zunächst einen kontinuier- 
lichen Knäuel nachweisen konnten, der sich erst später in zwei Schleifen 
segmentiert. Boveri (15 S. 738) konnte dagegen einen ununter- 
brochenen Kernfaden nie sehen und hebt hervor, dass nach seinen 
Präparaten die Möglichkeit offen zu halten sei, dass in einem nur 
scheinbar einheitlichen Faden doch vom Anfang an die zwei Elemente 
bereits völlig gesondert bestehen und nur mit einander verklebt sind. 
In den beiden ersten Furchungskugeln gehen die einzelnen chroma- 
tischen Elemente mit von Anfang an völlig freien Enden aus dem 











Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 385 


‚Kerngerüst hervor, es kann demnach der kontinuierliche Knäuel kein 
wesentliches Moment der Karyokinese darstellen. 

Zweifellos gilt das gleiche ganz allgemein für alle Zellen. 

Durch Verklebung der Fadenenden, kann, wie Rabl (66 S. 324) 
hervorbebt, ein kontinuierlich zusammenhängender Kernfaden ent- 
stehen, wie er von Balbiani (9) bei den Chöironomus-Kernen nach- 
gewiesen wurde. 

Sollte aber nicht bloß eine scheinbare, sondern eine wirkliche 
Kontinuität des Kernfadens irgendwo vorkommen, so würde der that- 
sächlich von Rabl, Strasburger u. a. geführte Nachweis, dass in 
anderen Fällen von Anfang an getrennte Fäden auftreten, den Beweis 
erbringen, dass der zusammenhängende Faden keine prin- 
zipiellbedeutungsvolle Bildung sein kann. 

Darüber scheint kein Zweifel zu herrschen, dass eine Vermehrung 
der Fäden durch Querteilung während des Knäuelstadiums zu Stande 
kommt. Es erweisen das die positiven Beobachtungen von Flem- 
ming u. a. Nach der Ansicht von Rabl (66 S. 238) ist es „möglich 
und selbst wahrscheinlich, dass Anfangs eine geringere Anzahl von 
Fäden vorhanden war und erst allmählich durch weitere Querteilung 
größerer Fadenstücke“ die definitive Zahl entstand. 

Die Anzahl der chromatischen Fäden ist in den einzelnen Zell- 
arten eine verschieden große. Jedoch ist nach den Beobachtungen 
von Rabl (66 S. 250) und Flemming (24 S. 441) die Zahl für eine 
jede Zellart eine ganz bestimmte. Nach Strasburger (84) soll eine 
absolute Konstanz nicht bei allen Pflanzenzellen vorhanden sein; nur 
in den Pollenmutterzellen von Zilium-Arten wurde stets dieselbe Faden- 
zahl gefunden. 

Sämtliche Fadenschleifen des „lockeren Knäuels“ erfahren eine 
Längsteilung, und so entsteht der „segmentierte Knäuel“. Durch diese 
Längsteilung der Fäden wird die gesamte chromatische Kerngerüst- 
substanz in zwei gleiche Hälften zerlegt. 

Gleichzeitig schwindet die Kernmembran und es tritt die „achro- 
matische Kernspindel“ auf, ein aus feinen, in Kernfärbemitteln sich 
gar nicht oder nur schwach tingierenden Fäden zusammengesetztes 
Gebilde von spindelförmiger oder, was bei Pflanzen namentlich vor- 
kommt, zylindrischer Gestalt. Die Bildung der Kernspindel hat die 
Forsehung der jüngsten Zeit bedeutend aufgeklärt. Sie steht in naher 
Beziehung zu eigentümliehen Vorgängen im Zellkörper und wird später 
im Zusammenhang mit diesen behandelt werden. 

Die beiden Spitzen oder Pole der zunächst sehr kleinen Spindel 
liegen anfangs im Polfeld des Kernes. Indem die Spindel anwächst, 
wandert der eine Pol mehr und mehr zur Gegenpolseite hin und die 
Spindel rückt so mit ihrem Aequator in die Mitte des Kernes hinein. 
Die Längsaxe der Spindelfigur fällt mit der Teilungsaxe des Kernes 
zusammen. 


386 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


Die längsgespaltenen ehromatischen Fadenschleifen gruppieren 
sich um den Aequator der Spindel derart, dass die Schleifenscheitel 
gegen die Spindelaxe gerichtet sind. Anfänglich liegen die Faden- 
schleifen der Spindel einseitig an, später verteilen sie sich gleich: 
mäßig auf ihren ganzen Umkreis. Betrachtet man nun den Kern von 
einem Spindelpole aus, so bilden die chromatischen Fäden einen Stern, 
in dessen Mitte die Spindelaxe liegt. Man hat darum dies Stadium 
als „Mutterstern“ („Monaster“)!) bezeichnet. Gegen Ende dieses relativ 
sehr kurzen Stadiums sind die chromatischen Fäden am Aequator in 
eine Ebene zusammengerückt, die als „Aequatorialplatte* (Flemming) 
oder „Kernplatte“ (Strasburger) bezeichnet wird. 

In dem folgenden Stadium, der „Metakinesis“, rücken die sekun- 
dären (Schwester-) Fäden, welche aus der Längsspaltung der chro- 
matischen Fadenschleifen hervorgegangen sind, auseinander und zwar 
— wie Heuser (55) für Pflanzen, E. van Beneden (13) und Rab] (66) 
für Tiere entdeckten — ganz gesetzmäßig die eine zu dem einen 
Spindelpol hin, die andere zu dem andern. 

Sobald die offenen Schenkel der Fadenschleifen aus der Aequa- 
torialebene herausgerückt sind, spricht man von „Tochtersternen“ 
(„Dyaster“) ?). 

Die Fadenschleifen rücken weiter auseinander bis nahe an die 
Spindelpole heran, wo zwischen ihren Winkeln ein kleines Feld, das 
„Polfeld“ des Tochterkernes frei bleibt. Die Schenkel der Schleifen 
werden kürzer und dieker und krümmen sich mit ihren freien Enden 
gegen die Spindelaxe hin. Gleichzeitig erscheinen die ersten Spuren 
einer neuen Kernmembran. In diesem Stadium, dem „Tochterknäuel“ 
(„Dispirem“) vollzieht sich die Zellkörperteilung. 

Erst nach deren Beendigung geht aus dem Tochterknäuel der 
ruhende Kern hervor, indem die chromatischen Fäden rauh und zackig 
werden und seitliche Ausläufer treiben. 

Nicht immer wandelt sich das chromatische Kerngerüst während 
der Kernteilung in Fadenschleifen um. Wenn auch in der Mehrzahl 
der Fälle fadenförmige Gebilde auftreten, so sind doch bei einzelnen 
Zellenarten rundliche oder kurz-walzenförmige, ringförmige, bläschen- 
artige ete. „chromatische Elemente“ (Boveri) gefunden worden. Der 
von Waldeyer (90d 8.27) vorgeschlagene terminus technieus „Chromo- 
somen“, welcher die Gestalt der chromatischen Elemente unberück- 
sichtigt lässt, hat sich bereits ziemlich allgemein eingebürgert. 





4) Flemming (30 $S. 32) will fortan an Stelle der von Klein (58) für 
die Sternformen der chromatischen Figur zuerst benutzten Bezeichnungen 
„Monaster“ und „Dyaster“, „Asteroid“ und „Dyastroid“ sagen, weil Fol, das 
von ihm für die Strahlenbildung im Zellkörper des Eies eingeführte Wort 
„Aster“ (31) hierfür reklamiert (32 u. 33). 

9) Flemming (siehe die letzte Anmerkung) will statt dessen fortan 
„Dyastroid“ sagen. 








Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 2357 


In Fällen, in denen die Chromosomen nicht Fadenform haben, 
gestalten sich natürlich die chromatischen Kernfiguren so abweichend, 
dass die Bezeichnungen Spirem, Dispirem, Aster, Dyaster nicht mehr 
zutreffend sind. Da diese Fälle jedoch die Ausnahmen darstellen, so 
liegt wohl vorläufig kein zwingender Grund vor, diese allgemein ge- 
bräuchlichen Bezeichnungen für die Teilungsstadien aufzugeben. 

Während an dem Kern die geschilderten morphologischen Vor- 
gänge sich abspielen, treten auch in der Zellsubstanz eigentümliche 
Erscheinungen zu Tage, die schon frühzeitig das Interesse der Forscher 
erregt haben. 

Flemming hob schon in seiner Monographie über „Zellsubstanz, 
Kern und Zellteilung“ (22 S. 199) hervor, dass bei der gewöhnlichen 
mitotischen Zellteilung die erste wahrnehmbare Erscheinung, mit der 
man rechnen kann, die Differenzierung zweier Stellen in der Zell- 
substanz ist, nahe am Umfang des Kernes und einander gegenüber 
gelegen. Um diese Stellen, die „Pole“ herum, sind die Körner der 
Zellsubstanz radiär geordnet. Bei Eizellen!), wo diese radiäre Grup- 
pierung besonders deutlich ist, bietet sie das bekannte Bild der „Ästern“ 
oder „Radiensysteme“. Sehr bald nach dem Auftreten der Pole wird 
im Kern die Anordnung des Fadenwerkes zum Knäuel deutlich. „Wer 
kann nun sagen“ — fragt Flemming (22 S. 358) — „ob dies die 
konsekutive Erscheinung ist, oder die primäre?“ Flemming neigt 
mehr zur letzteren Annahme: „Es könnten“, fährt er fort, „molekular- 
mechanische Vorgänge im Kern, welche zur Knäuelbildung führen, 
schon lange vorhergegangen sein, ehe außen die Pole auftreten, wenn 
wir von solchen Vorgängen auch noch nichts sehen können, und die 
Spannkräfte, welche dadurch im Kern gesetzt werden, könnten erst 
die Ursache für das Auftreten der Pole sein“. 

Der von Strasburger (81) aufs nachdrücklichste vertretene Ge- 
danke, dass die Zellsubstanz das veranlassende, Aktive und Leitende 
bei der Zell- und Kernteilung sei, fand in Flemming (22 S. 359) 
einen lebhaften Gegner. 

Der Umstand, dass die Mehrzahl der Forscher gleich Flemming 
in dem Kern den „Teilungsapparat“ der Zelle annehmen zu müssen 
glaubte, hat es verschuldet, dass, während die Vorgänge in dem 
Kerne selbst mit größter Nachhaltigkeit und aufs Erfolgreichste studiert 
wurden, die Erscheinungen in der Zellsubstanz mehr vernachlässigt 
wurden. Darin haben nun die letzten Jahre eine Veränderung ge- 
bracht. Dieselbe datiert von der Entdeckung der Attraktions- 
sphären und Zentralkörper und der Rolle, die sie bei der Zell- 
teilung spielen durch E. van Beneden (13). 





1) Fol (31) beschrieb diese Strahlungen (Astern) schon 1873 an dem 
Geryonidenei und deutete dieselben als vom Kern unabhängige Anziehungs- 
punkte, 


288 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


Dieser Forscher (13 u. 14) sah in dem Ei von Ascaris megalo- 
cephala schon zu einer Zeit, wenn die Pronuclei noch netzförmig ge- 
baut sind und weit von einander entfernt liegen, zwei kugelige Stellen 
im Protoplasma sich markieren. Er nennt sie „Attraktionssphären“. 
In ihrer Mitte ist eine von einem hellen Hof umgebene kleine An- 
häufung feiner Körnchen, der „Zentralkörper“ erkennbar. Die anfangs 
dicht bei einander liegenden Attraktionssphären rücken auseinander. 
Während der Kernteilung treten um sie herum Protoplasmastrahlungen 
auf. Dieselben bilden um jeden Zentralkörper herum einen „Aster“ 
oder eine „Sternfigur“; die zwischen den beiden Zentralkörpern ge- 
legenen Strahlen stellen die achromatische Spindelfigur dar. Die 
Attraktionssphären sind, wie van Beneden an dem erwähnten Ob- 
jekte nachweisen konnte (14 S. 262 fg.) bleibende Bildungen, welche 
sich bei der Furchung des Eies mit teilen. In dem Augenblick, wenn 
sich der Kern zu einer neuen Kinesis anschickt, erfolgt die Teilung 
der Attraktionssphäre, nachdem die Teilung des Zentralkörpers bereits 
vorangegangen ist. 

van Beneden (14 S. 272 fg.) hält die Attraktionssphäre mit 
ihrem Zentralkörper für ein permanentes Organ der Zelle, gleich dem 
Zellkerne. Die Teilung des Zentralkörpers und der Attraktionssphäre 
geht der Teilung der Zelle voran und wirkt bei der letzteren auf 
Grund von Kontraktilität. Alle bei der Zellteilung sich zeigenden 
Bewegungen haben nach van Beneden’s Meinung ihre Ursache in 
der Kontraktilität der Fibrillen der Protoplasmastrahlungen (Astern, 
Spindel) und in ihrer Anordnung nach Art eines radiären Muskel- 
systems, das aus antagonistischen Gruppen zusammengesetzt ist. Der 
Zentralkörper hat die Bedeutung eines Ansatzorganes. Er teilt sich 
zuerst. In Folge dessen ordnen sich die kontraktilen Elemente der 
Zelle in zwei Systeme mit besonderen Zentren. Die Gegenwart dieser 
beiden Systeme hat die Zellteilung zur Folge und bestimmt aktiv das 
Vorrücken der Tochterkerne in entgegengesetzter Richtung. 

Boveri (15), welcher ebenfalls an dem Ei des Pferdespulwurms 
die Teilungsvorgänge studierte, kam, trotz mancher Differenzpunkte 
in den Einzelheiten doch im wesentlichen zu dem gleichen Resultat 
wie van Beneden. Die Spindelbildung wird eingeleitet durch die 
strahlige Metamorphose der beiden „Archoplasmakugeln“ (Attraktions- 
sphären van Beneden’s). Die Fibrillen, welche sich aus der gleich- 
mäßig granulierten Protoplasmamasse differenzieren, strahlen nach 
allen Richtungen in die Zellsubstanz aus und treten auch mit den 
Chromosomen in Verbindung. „Die Bewegung der (chromatischen) 
Elemente ist einzig und allein die Folge der Kontraktion der daran 
festgehefteten Fibrillen und die schließliche Anordnung derselben zur 
„Aequatorialplatte“ das Resultat der mittels dieser Fäden ausgeübten 
gleichartigen Wirkung der beiden Archoplasmakugeln“ (S. 784). 

Flemming ist durch die Untersuchungen van Beneden’s und 





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Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung, 339 


Boveri’s bestimmt worden, seine alten Anschauungen aufzugeben. 
Er gesteht zu (27 S. 127), dass von diesen beiden Forschern der 
Beweis geliefert sei, „dass die Zerlegung des Kerns in zwei Teile 
durch aktive Beteiligung der Zellsubstanz bewirkt wird“. 

Die Vermutung van Beneden’s (14 S. 279), dass die Attrak- 
tionssphäre mit ihrem Zentralkörper nicht nur bei Furchungszellen 
sondern bei allen Zellen überhaupt und nicht nur während der Tei- 
lung, sondern auch während der Ruhe vorhanden sei, ist durch eine 
Reihe von Beobachtungen bestätigt worden. 

Zuerst fand Kölliker (59 S. 50 u. 60) in den Furchungszellen 
von Siredon an der dem früheren Kernpole entsprechenden Seite des 
ruhenden Kernes „ein rundes, größeres Gebilde, ähnlich einer Attrak- 
tionssphäre, welche aus der früheren einen Polstrahlung entstanden 
ist und auch jetzt noch häufig, besonders an der Oberfläche feine 
radiär verlaufende Strahlen zeigt, andere Male aber mehr nur fein- 
feinkörnig oder unregelmäßig fibrillär erscheint und meist in der 
Mitte mehr homogen aussieht“. Ein gut ausgeprägtes „Polkörperchen“ 
oder Zentralkörperchen sah Kölliker in dieser mit Boraxkarmin 
sich färbenden Attraktionssphäre nicht. „Die Attraktionssphäre selbst 
ist an ihrer Peripherie nicht scharf begrenzt und verliert sich ent- 
weder in einen hellen, sie und die eine Seite des Kernes umgebenden 
Hofe, der faserig körnig erscheint oder im umgebenden Zellen-Proto- 
plasma“. Kölliker konnte an diesem Objekt auch bestimmt be- 
obachten, dass die Attraktionssphären sich zu einer Zeit teilen, wo 
die Kernmembran noch da ist. 

Im Gegensatz hierzu fand Schultze (75) bei einer erneuten 
Untersuchung der Furchungskugeln von Siredon pisciformis im Ruhe- 
zustand der Kerne stets schon zwei genau gegenüberliegende Attrak- 
tionssphären dem Kerne dicht anliegend. Die Sphären waren ziem- 
lieh scharf gegen den umliegenden Dotter abgegrenzt und färbten 
sich nach Chromosmiumessigsäure-Behandlung sehr intensiv mit Karmin. 
Ein Zentralkörper ließ sich bei der intensiven Färbbarkeit der ganzen 
Attraktionssphäre nieht unterscheiden. Die Teilung des Zentralkörpers 
beginnt bereits auf dem Dyasterstadium der Zellteilung. 

Eine Reihe von weiteren Beobachtungen, so die von Vialleton (89) 
bei Sepia und von Vejdovski (87) bei Rhynchelmis haben das Vor- 
kommen der Attraktionssphären bei Eiern als zweifellos dargestellt. 

Weiterhin machte Rabl (67) darauf aufmerksam, dass an den 
ruhenden Kernen der Epithelzellen von Triton sich eine polare Delle 
erhält, in deren Nähe, unmittelbar am Kern, eine stark lichtbrechende 
Partie sich findet, die wahrscheinlich der Attraktionssphäre entspricht. 

Etwa gleichzeitig entdeckte Solger (76 u. 77) in den Pigment- 
zellen aus der Dorsalgegend des Hechtschädels einen pigmentfreien 
Fleck, um den häufig die Pigmentkörnchen radiär angeordnet sind, 
und deutete ihn als Attraktionssphäre. 

XII, 19 


290 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


Hermann (47) fand in den Spermatocyten des Salamanderhodens 
alle Protoplasmafäden des Zellleibes gegen eine den großen Kernen 
angelagerte Scheibe körnigen Protoplasmas, die Attraktionssphäre 
zentriert. 

In allen erwähnten Fällen waren die Zentralkörper in den Atrak- 
tionssphären nicht erkennbar gewesen. 

Zum ersten Mal gelang der Nachweis derselben Flemming 
(26 u. 28). Dieser Forscher fand mittels eines neuen Untersuchungs- 
verfahrens (Fixierung in der Hermann’schen Lösung — 1°], Platin- 
chlorid 15 Teile, 2°, Osmiumsäure für Säuger 4, für Salamander 
2 Teile, Eisessig 1 Teil — oder in schwächeren Osmiumgemischen ; 
Dreifachfärbung mit Safranin, Gentiana und Orange) die strahligen 
Attraktionssphären und ihre Zentralkörper in den Leukoeyten von 
Salamandra außerhalb jeder Mitose der Zellen. An fixen Gewebs- 
zellen der Salamanderlarve, und zwar an den sehr flach geformten 
Epithelien der Lunge und an den flachen Bindegewebs- und Endothel- 
zellen des Bauchfelles sind die Zentralkörper erheblich kleiner (höchstens 
0,5 u im Durchmesser) als an den Leukocyten (bis 1,5 u); sie sind 
bisweilen von einem schwachen lichten Hof, umgeben, eine strahlige 
oder sonst besonders beschaffene Attraktionssphäre vermochte Flem- 
ming aber noch nicht regelmäßig wahrzunehmen. In den fixen Ge- 
webszellen wurden in der Regel zwei Zentralkörper beobachtet, wäh- 
rend in den Leukocyten nur ein soleher vorhanden ist. Nur einmal 
fand Flemming in einem Leukocyten zwei sehr nahe zusammen- 
liegende Zentralkörper. An Präparaten jedoch, die inHermann’schem 
oder in einem Osmiumgemische fixiert waren, erschienen die Zentral- 
körper vielfach nicht rund, sondern länglich (29 S. 707), so dass also 
eine Doppeltheit derselben oder doch ein Doppelbau nicht mit Sicher- 
heit auszuschließen sind. 

Von größter Bedeutung ist es, dass auch in ruhenden Pflanzen- 
zellen der Nachweis der Attraktionssphären und der Zentralkörper 
geführt worden ist. Der Pariser Botaniker Guignard (40) fand in 
den Mutterzellen von Lilium und anderen Pflanzen, in der Mutterzelle 
des Embryosackes und in den Zellen des weiblichen Geschlechts- 
apparates innerhalb derselben bei verschiedenen Pflanzen, in den 
Mikrosporangien von Jovetes und den Sporangien der Farne vor und 
während der Bildung der Sporen dieht neben dem ruhenden Kern 
zwei sehr kleine, nahe bei einander liegende kugelige Körper, um- 
geben von einem hellen Hofe, der von einem Körnchenkreise umsäumt 
ist. Radiäre Streifen werden erst deutlich, wenn der Kern sich zur 
Teilung anschiekt. Guignard fand, dass allgemein schon während 
der Mitose die Centralkörper sich teilen (in den Anaphasen) und dass 
demnach in der ruhenden Zelle die Attraktionssphären stets doppelt 
vorhanden sind. 

Aus den angeführten Beobachtungen darf wohl schon jetzt der 














Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 291 


Schluss gezogen werden, dass in den ruhenden Zellen von Tieren und 
Pflanzen Attraktionssphären mit Zentralkörpern konstant vorkommen. 
Der Mangel an geeigneten Untersuchungsmethoden, die Kleinheit der 
fraglichen Gebilde, die ungeeignete Beschaffenheit der Objekte (Größe 
der Zellen, Granulierung des Protoplasmas ete.) vor allem das Fehlen 
der verbesserten optischen Hilfmittel (Apochromate) machen es er- 
klärlich, dass trotz der zahllosen eingehenden Untersuchungen diese 
Zellorgane bisher der Beobachtung entgehen konnten. 

Aus den mitgeteilten Befunden erhellt ferner, dass das Aussehen 
der Attraktionssphären und der Zentralkörper bedeutende Verschieden- 
heiten darbieten kann. In einzelnen Fällen, wie bei den Leukocyten 
von Salamandra gelang der Nachweis von strahligen Sphären und 
deutlichen Zentralkörpern, bei den fixen Gewebszellen der Salamander- 
larve war eine deutliche Sphäre nicht erkennbar, die Zentralkörper 
aber markierten sich deutlich; umgekehrt konnte bei den übrigen 
Objekten der Zentralkörper nicht nachgewiesen werden, während die 
Attraktionssphäre mehr oder minder klar hervortrat. Es scheint dem- 
nach allein wesentlich und bedeutungsvoll die Zentrierung des Proto- 
plasmas zu sein. 

Sehr merkwürdig ist es, dass die Attraktionssphären im ruhenden 
Kern bei einigen Zellformen in einfacher, bei anderen in doppelter 
Anzahl vorhanden sind. Dass sogar beides an demselben Objekte 
vorkommen kann, zeigen die obigen Angaben von Kölliker und 
Schultze. Der Umstand, dass Kölliker an ruhenden Kernen nur 
eine Attraktionssphäre fand, kann, wie Schultze (75 S. 4) meint, 
als eine zeitliche Verschiebung aufgefasst werden und zwar als durch 
niedrigere Temperatur veranlasste Verlangsamung des Ablaufes der 
Erscheinungen, während in den von Schultze beschriebenen Fällen 
bei höherer Wassertemperatur die Zellteilungen Schlag auf Schlag 
erfolgten, die einzelnen Phasen sich zusammendrängten und die Zentral- 
körperteilung an den Tochterkernen schon vor der Teilung der Mutter- 
zelle eintrat. Da bei den Gewebszellen die Teilungen nicht in der 
rapiden Weise wie bei den Embryonalzellen auf einander folgen, so 
erkläre es sich, dass bei den ersteren an ruhenden Kernen nur selten 
zwei Attraktionssphären angetroffen werden. 

Henneguy (45), der in den Furchungszellen des Forelleneies 
konstant auch im Ruhezustand zwei Attraktionssphären und zwei 
Zentralkörper beobachtete, führt dieses ebenfalls darauf zurück, dass 
die Zellteilung hier eine sehr lebhafte und die Ruheperiode für jede 
Zelle sehr kurzdauernde ist. Die Teilung der Zentralkörper vollzieht 
sich an diesem Objekt sehon in dem Augenbliek, wenn die Aequatorial- 
platte sich verdoppelt. Während bei der normalen Zellteilung auf 
die Kernteilung die Zellkörperteilung unmittelbar folgt, können beide 
Vorgänge auch ganz unabhängig von einander sein, wie z.B. in dem 
Embryonalsack der Phanerogamen und im Parablast der Knochen- 

(32 


299 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


fische. Henneguy hält es für logisch, anzunehmen, dass das gleiche 
Verhältnis auch zwischen der Teilung der Attraktionssphäre mit ihrem 
Zentralkörper und derjenigen des Kernes bestehen könnte. Wenn die 
Zellteilung lebhaft ist, teilen sich die Attraktionssphären und Zentral- 
körper sehr frühzeitig vor der Bildung des Tochterkernes; wenn um- 
gekehrt eine ziemlich lange Ruhepause zwei auf einander folgende 
Zellteilungen trennt, so bleiben Attraktionssphären und Zentralkörper 
ungeteilt, um sich erst später zu verdoppeln. 

Flemming (29 S. 703) fand nun aber doppelte Zentralkörper 
gerade in solchen Zellen, welche im Vergleich mit denen der furchen- 
den Eier sehr lange Ruhepausen haben müssen. An den betreffenden 
Präparaten betrugen die Mitosen, selbst da, wo sie am reichlichsten 
auftraten, noch lange nicht 1°/, der vorhandenen Zellen und die Kerne 
zeigten ganz die Ruheformen, wie sie auch bei völlig mitosenfreien 
Geweben vorkommen. Die Beobachtung, dass an Sexualzellen vor 
und bei der Mitose eine Teilung vorher einfacher Zentralkörper statt- 
findet, ferner der Umstand, dass bei den Leukocyten, die viel größere 
Zentralkörper haben, diese meist einfach sind, hatte Flemming 
(26 8.4 S. A.) zunächst bewogen, anzunehmen, dass der Zentral- 
körper bei völliger Ruhe der Zelle einfach ist und sich erst ver- 
doppelt, wenn diese der Teilung entgegengeht, wobei es dann frei- 
lich wunderbar blieb, dass die Verdoppelung schon so lange vor dem 
Auftreten der Mitose sich vollzog. In der späteren und ausführlicheren 
Publikation (29 S. 701 fg.) neigt sich Flemming mehr der Annahme 
einer dauernden Duplizität der Zentralkörper zu, hauptsächlich des- 
halb, weil er in geeignet fixierten Leukoeyten länglich geformte Zentral- 
körper und einmal zwei Zentralkörper bemerkte, und weil ferner bei 
den Salamanderzellen der eine Zentralkörper größer als der andere 
und in der Entwieklung weiter voraus ist. Sollte sich, meint Flem- 
ming, ganz sicher herausstellen, dass die Zentralkörper bei völliger 
Ruhe der Zellen einfach sind oder sein können, so kann man sich 
doch vorstellen, dass sie auch in solehem Zustand aus zwei nur eng 
vereinigten Teilen bestehen. „Und selbst wenn auch diese Voraus- 
setzung schon zu weit ginge und sich bei weiterer Untersuchung 
zeigen sollte, dass es in ruhenden Zellen wirklich vollkommen ein- 
fache Zentralkörper gibt, so würde es immer noch denkbar bleiben, 
dass es an einem solehen zwei verschieden beschaffene Pole gibt und 
demnach, wenn er sich teilt, seine beiden Teilprodukte unter einander 
ungleich ausfallen werden. Damit hätten wir aber dann auch dort, 
wo solche Teilung noch nicht erfolgt ist, schon eine durch die Polarität 
des Zentralkörpers vorgezeichnete Axe der Zelle“. 

Solger (78) meint, das Vorhandensein von einer oder von zwei 
Attraktionssphären im Ruhezustand der Zellen nötige noch nicht dazu, 
„einen fundamentalen Unterschied zwischen beiderlei Zellen zu sta- 
tuieren, denn die Sehwierigkeit ließe sich durch die Annahme einer 











Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 293 


zeitlichen Verschiebung, einer Heterochronie im Sinne Haeckel’s 
hinwegräumen“. 

In der sehon vorher erwähnten Arbeit von Henneguy (45) sind 
äußerst wertvolle Beobachtungen betreffend die Teilung der Attrak- 
tionssphären und die Bedeutung derselben für die Kernteilung ent- 
halten. Henneguy fand in den Furchungszellen des Forelleneies 
schon im Ruhestadium konstant zwei Attraktionssphären mit Zentral- 
körpern neben einander einer Seite des Kernes dicht angelagert. Sie 
rücken dann auseinander, bis sie auf die entgegengesetzten Enden der 
Kernaxe zu liegen kommen, wobei sie gleichzeitig sich von der Kern- 
oberfläche entfernen. Die Attraktionssphären werden größer, ihre 
Strahlen länger. Sowie dieselben die Kernmembran treffen, ver- 
schwindet letztere. Die Strahlen dringen in den Kern ein und bilden 
die achromatische Spindel, in deren Aequator die Chromosomen sich 
zur Aequatorialplatte ordnen. Gleichzeitig bilden von der Attraktions- 
sphäre ausgehende Strahlen in dem Kernkörper Sternfiguren. Wenn 
die Aequatorialplatte sich verdoppelt, teilen sich die Zentralkörper 
senkrecht zur Axe der achromatischen Spindel in zwei, die sich ihrer- 
seits mit hellen Linien umgeben und die Mittelpunkte von Tochter- 
sphären werden. Die Tochtersphären rücken auseinander, eine Zeit 
lang durch zarte achromatische Fäden verbunden, alsdann aber unab- 
hängig werdend. Es liegen die beiden Tochtersphären mit ihrem 
Zentralkörper inmitten der um einen Punkt zentrierten Sternfigur, in 
welcher sich nun die Tochterkerne aus den Chromosomen rekonsti- 
tuieren. In dem Parablast vermehren sich etwa in der Mitte des 
Furchungsprozesses die Kerne rapid durch mitotische Teilung, die in 
der Regel in normaler Weise vor sich geht. Da aber, wo die Kerne 
sehr nahe bei einander liegen, wird, wie Henneguy fand, der Vor- 
gang alteriert. Entweder können zwei, ja selbst drei oder vier Kerne 
eine einzige Attraktionssphäre gemeinsam besitzen und es entstehen 
dann multipolare Gebilde, wie sie in pathologischen Geweben be- 
schrieben worden sind, oder aber es treten in der Umgebung eines 
einzelnen Kernes drei oder vier Attraktionssphären auf und führen 
zur Bildung von multinukleären Zellen. Aus diesen Beobachtungen 
erhellt aufs deutlichste die Selbständigkeit der Attraktionssphären 
gegenüber den Kernen; es ergibt sich aus ihnen ferner, dass die Zahl 
der Attraktionssphären in Beziehung zum Kern variieren kann und 
dass die Form der Kernteilung von dieser Zahl abhängt, so dass 
zwei, drei oder vier Attraktionssphären den Kern in zwei, drei oder 
vier Tochterkerne teilen. Henneguy hält die von Strasburger 
und Guignard für Pflanzenzellen, von Fol und ihm selbst für Tier- 
zellen vertretene Ansicht, dass die Zellsubstanz allein eine aktive 
Rolle bei der Kernteilung spiele, durch diese Beobachtungen für 
definitiv erwiesen. 

Das Studium der Attraktionssphären und ihrer Zentralkörper hat 


994 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


sich auch als äußerst fruchtbar erwiesen für das Verständnis der 
achromatischen Spindel, über deren Bau und Entwicklung die 
Ansichten bisher weit auseinander gingen. Während ein Teil der 
Forscher (Strasburger, Guignard und die meisten Botaniker, 
Henneguy) die Spindel aus in den Kern eindringender Zellsubstanz 
hervorgehen ließen, leitete ein anderer Teil (Flemming, Bütschli, 
Pfitzner, Carnoy, Rabl, Schewiakoff, O. Zacharias) sie 
von der achromatischen Kernsubstanz (Lininfäden von Schwarz) ab. 
Die zweite Ansicht fand ihre hauptsächlichste Stütze in der Beobach- 
tung von Fällen, wo die Kernmembran erst nach der Bildung der 
Spindel oder überhaupt nieht verschwindet. Dieses ist z. B. bei den 
Protozoen der Fall. Bei Euglypha alveolata, wo nach der Mitteilung 
von Sehewiakoff (73) an eine völlig typisch verlaufende Kern- 
teilung sich eine reguläre Zellteilung anschließt, entsteht die gewöhn- 
liche Kernspindel, trotzdem die Kernmembran während des ganzen 
Teilungsvorganges erhalten bleibt. 

van Beneden (13) schloss aus seiner Beobachtung an Ascaris 
megalocephala anfangs, dass die polaren Endel der Spindel aus den 
Attraktionssphären, also aus der Zellsubstanz, die äquatorialen Bezirke 
aber aus der Kernsubstanz stammen. Nach seiner letzten Mitteilung (14) 
sind die Fibrillen der Spindel nichts anderes als differenzierte Teile 
der Zellstrukturen; der größte Teil der Spindel bildet sich aus den 
Sphären; ob auch achromatische Substanzen des Kernes für die Spindel- 
bildung mit benutzt werden, bleibt unerörtert. 

Nach Boveri’s (15) Auffassung sind die Spindelfasern strahlige 
Metamorphosen der Attraktionssphären, Strahlen, welche von den 
Zentralkörpern aus gegen die Chromosomen hin ausgesandt werden. 

Am eingehendsten hat in neuerer Zeit Hermann (46 u. 47) die 
Bildung der Spindel behandelt. Er stellte seine Beobachtungen an 
den großen Zellen der ersten Generation der Salamander-Spermatocyten 
an. Beim Beginn der Längsteilung der Chromosomen im Anfang des 
Knäuelstadiums markieren sich in der scheibenförmigen, dem Kern 
dicht anliegenden Attraktionssphäre zwei Zentralkörper,. welehe durch 
eine zarte Verbindungsbrücke zusammenhängen. Die Chromosomen 
verkürzen und verdieken sich und rücken gleichzeitig von der Attrak- 
tionssphäre ab zu der gegenüber liegenden Seite des Kernes, wo sie 
sich zu dem dichten Knäuel zusammenballen. Dadurch wird das 
achromatische Kerngerüst, welches gegen die Attraktionssphäre zen- 
triert ist, sichtbar. In der Nachbarschaft der Attraktionsphäre ver- 
schwindet die Kernmembran und von hier aus schreitet dieser Vor- 
gang allmählich vor; auf der entgegengesetzten Seite des Kernes, da, 
wo die Chromosomen liegen, bewahrt die Kernmembran ihre Selb- 
ständigkeit am längsten. Die Verbindungsbrücke zwischen den beiden 
Zentralkörpern bildet sich darauf zu einer äußerst zierlichen kleinen 
Spindel um, die im Zentrum der noch einheitlichen Sphäre liegt. Die 























Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 295 


Spindel wächst nun an. Hat sie eine zwei- bis dreifache Länge er- 
reicht, so treten von einem Zentralkörper ausgehende Fibrillenstrah- 
lungen auf, deren Fäserchen sich mit den einzelnen Chromosomen 
verbinden. Diese Fäserchen wachsen aus dem Zentralkörper hervor 
und entstehen nicht aus den achromatischen Kernfasern. Die Zahl 
der von dem Zentralkörper zu einem Chromosom ziehenden Fasern 
beträgt, wie Hermann in Uebereinstimmung mit Rabl (67) fand, 
16—20. Alsdann wachsen auch vom zweiten Zentralkörper Strahlen- 
bündel aus und es scheint, dass jedes Chromosom von beiden Zentral- 
körpern her Fasern bezieht. Während nun die Spindel sich rasch 
vergrößert, kommen die von dem Polen derselben abgehenden Fibrillen 
in Kontraktion und so werden die Chromosomen mehr und mehr in 
die Nähe der Spindel gezogen. 

Flemming (29) studierte die erste Anlage und das Wachstum 
der Spindel in jüngster Zeit an den sehr großen und platten Epithel- 
und Bindegewebszellen der Lunge und den Endothel- und Binde- 
gewebszellen des Bauchfells von jüngeren Salamanderlarven. Im Gegen- 
satz zu seinen früheren Angaben kam er zu dem Resultat, dass die 
Spindel eine doppelte Herkunft hat. Die Zentralspindel — so benennt 
Flemming mit Hermann die Fasern der Spindel, welche zwischen 
den auseinander rückenden Zentralkörpern ausgespannt sind — und 
die Spindelenden entstehen außerhalb des Kernes aus Zellsubstanz, 
der mittlere Teil dagegen aus den Lininsubstanzen des Kernes und 
der Kernmembran. Von Boveri und Hermann weicht Flemming 
also darin ab, dass er sich die Bildung der Spindelfasern nicht so 
vorstellt, „als ob sie gleich Rhizopodenstrahlen von den Zentralkörpern 
ausgesendet würden, sondern so, dass sie aus den vorhandenen Struk- 
turen der Zelle, des Kerns und der Kernmembran durch Attraktion 
von den Zentralkörpern und durch eigene Kontraktion geprägt werden“ 
(27 S. 134). 

Hermann betont zwar ausdrücklich, dass die Fibrillen, welche 
die Zentralkörper mit den Chromosomen verbinden, nicht aus den 
achromatischen Kernfasern hervorgegangen sind. Er will damit je- 
doch keineswegs leugnen, dass sich die Polstrahlungen nachträglich 
mit den achromatischen Gerüstfasern in Verbindung setzen und letz- 
tere so bei der Bildung der Spindel verwendet werden können. In 
theoretischer Beziehung liest für Hermann die Hauptsache darin 
(47 8. 578), „dass die Bildung der karyomitotischen Spindel von dem 
Protoplasma aus eingeleitet wird, indem von den sich teilenden 
Centrosomen nach dem Kerne hin kontraktile Fibrillenzüge sich ent- 
wickeln, die eventuell mit den achromatischen Gerüstfasern des Kernes 
eine sekundäre Verbindung eingehen können“. 

Dass es bei manchen Zellformen, speziell bei den Protozoen zur 
Bildung einer Spindel kommt, obgleich die Kernmembran während 
der Teilung erhalten bleibt, scheint gegen diese Ansicht zu sprechen. 





296 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


Henneguy (45 S. 419) macht nun aber wohl mit Recht darauf auf- 
merksam, dass die Bilder, welche Schewiakoff (73) von der Kern- 
teilung der Euglypha alveolata gibt, bezüglich der Spindelbildung 
anders gedeutet werden können, als es seitens dieses Autors geschieht. 
Schewiakoff sah in der Anfangsphase der Sternform das Oytoplasma 
an zwei beliebigen Stellen der Kernoberfläche sich anhäufen und die 
Kernwandung etwas vorstülpen. In den so entstandenen Dellen wurde 
ein kleines stark lichtbrechender ellipsoidischer Körper bemerkbar, 
der als „Polkörperchen“ (van Beneden) anzusehen ist. Gleichzeitig 
traten in dem Cytoplasma eine Strahlung und im Kern die achroma- 
tischen Spindelfasern auf. Letztere drangen von den Polen. aus all- 
mählich gegen den Aequator hin vor, woselbst sie mit einander ver- 
schmelzen. Da Schewiakoff in der Tiefe der Delle niemals Poren 
sah, durch welche die Spindelfäden hätten in den Kern eingedrungen 
sein können, so leitet er dieselben von der achromatischen Kern- 
substanz ab. Henneguy’s Meinung nach sind die Polkörperchen 
wohl nichts anderes als Attraktionssphären, welche bei den Protozoen 
mit dem Kern in Berührung bleiben und die achromatischen Spindel- 
fasern durch die Kernmembran hindurch senden. „Wenn diese Hypo- 
these durch neue Untersuchungen eine Bestätigung erhielte, so würde“, 
wie er glaubt, „die Kernteilung bei den Protozoen sich in das all- 
gemeine Teilungsschema einfügen; sie würde sich von der Teilung 
anderer Kerne nur dadurch unterscheiden, dass die Kernmembran 
intakt bliebe ausgenommen an den Punkten, wo sie von den aus der 
Attraktionssphäre ausstrahlenden achromatischen Fäden durchsetzt 
wird“, 

Flemming hat in seiner jüngsten Publikation (29 S. 695) von 
Neuem die Aufmerksamkeit auf Veränderungen im Zellkörper 
während der Mitose gelenkt. 

van Beneden (12) hatte schon 1876 beobachtet, dass die in 
Teilung begriffenen Zellen des Kaninchenblastoderms durch Karmin 
und Hämatoxylin stärker gefärbt werden als die ruhenden Zellen. 
Flemming (22) hatte später an lebenden Objekten gefunden, dass 
während der Kern durch die Knäuelform geht, die Zellsubstanz eine 
stärker lichtbrechende Beschaffenheit annimmt und sich beim Ueber- 
sang des Kernes zur Sternform in eine dichte, stärker lichtbrechende 
Außenschicht und eine helle lockerer beschaffene Innenschicht um den 
Kern herum sondert. Dies konnte besonders deutlich gemacht werden 
durch die Anwendung von Osmiumsäure und Farbstoffen. Es sind 
die bezüglichen Beobachtungen Flemming’s seitdem nur von Rabl 
(66 S. 285) bestätigt worden, aber auch nur an wenig gelungenen 
Hämatoxylinpräparaten. Flemming betont nun, da er die Angelegen- 
heit von Neuem sorgfältig studiert hat, dass die Veränderung, welche 
der Zellkörper während der Mitose erfährt, kein zufälliges Reagens- 
produkt, sondern ganz typisch ist. In der hellen Innenmasse sind 











Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 297 


die Fadenstrukturen und die Polradien zwar verdiekt im Vergleich 
mit ihrem Zustand in der ruhenden Zelle, dafür aber auch lockerer 
und von viel größeren blassen Maschenräumen durchsetzt. In der 
verdichtet erscheinenden Peripherie sind die Fadenwerke zwar nicht 
verdiekt aber verdichtet, zusammengedrängt. An recht gut bei Osmium- 
säurebehandlung nachgedunkelten und stark tingierten Präparaten 
sind die in Teilung begriffenen Zellen soviel stärker gefärbt als die 
ruhenden Zellen, dass dies nicht durch eine Verdichtung der Filar- 
masse allein sich erklären lässt. Flemming nimmt daher an, dass 
die Zellkörper während der Teilung eine durch und durch besondere 
physikalische und chemische Beschaffenheit annehmen. 

Ueber die Gestaltsveränderungen des gesamten Zellkörpers bei 
der Mitose sind seit den bekannten Beobachtungen van Beneden’s 
am Ascaris-Ei neuere Mitteilungen nicht gemacht worden. 

Ein Aequivalent der pflanzlichen Zellplatte ist neuer- 
dings mehrfach beschrieben worden. Bekanntlich vollzieht sich die Zell- 
körperteilung bei den Pflanzen in der Regel nicht durch Einsehnürung 
des Zellkörpers sondern durch Auftreten einer äquatorialen Platte, 
die aus kleiner Körnchen besteht, welche sich zur trennenden Üellulose- 
membran umwandeln. Ein Aequivalent dieser Zellplatte in mehr oder 
weniger rudimentärer Form ist von Carnoy (17) und Henking (43) 
bei Insektenzellen, von van Beneden (briefliche Mitteilung an Flem- 
ming s. 29 S. 693) bei der ersten Eiteilung von Ascaris zwischen 
den beiden Blastomeren aufgefunden. Ein Zellplattenrudiment wurde 
von Flemming (22 S. 246) für Knorpelzellen, (25 u. 29 S. 690) für 
Bindegewebs- und Epithelzellen aus der Lunge und dem Bauchfell, 
und für Spermatocyten von Salamandra, von L. Gerlach (Berliner 
internat. mediz. Kongress) bei der ersten Furchung des Mause -Eies, 
von Solger (79) im Amnion der Ratte und von Geberg (37) im 
den Hornhantzellen von Triton nachgewiesen. 

Flemming (24) beobachtete, dass die Mitose bei den Spermato- 
eyten von Salamandra maculosa Abweichungen von dem üblichen 
Schema zeigt. Es konnten zwei ganz verschiedene Typen konstatiert 
werden, der „homöotypische“ und der „heterotypische“, welche auf 
verschiedene Generationen verteilt sind. Beide stimmen trotz mannig- 
facher Differenzen doch in allen wesentlichen Punkten mit der Mitose 
anderer Zellarten überein. 

Man kennt aber auch schon ziemlich lange Mitosen, welche prin- 
zipielle Unterschiede von der gewöhnlichen Form erkennen lassen, so 
dass es berechtigt erscheint, dieselben als atypische, anormale, patho- 
logische anzusehen. 

Es sind das die asymmetrischen und pluripolaren Mitosen. 

Asymmetrische Mitosen, d.h. ungleiche Verteilung der chro- 
matischen Substanz des Mutterkernes auf die Tochterkerne beschrieb 
Klebs (56 u. 57) mehrfach in bösartigen Gesehwülsten und Hanse- 


298 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


mann (41 u. 42) erklärte sie für die Epithelkrebse für geradezu 
charakteristisch. Ströbe (86) konnte in Uebereinstimmung mit 
Hansemann in Karzinomen konstant asymmetrische Figuren nach- 
weisen. Diese Anomalie fand sich aber auch sehr häufig in Sarkomen, 
in verschiedenen gutartigen Gesehwülsten und in wucherndem nor- 
malen Gewebe, kurz überall, wo eine stärkere Gewebsproliferation 
stattfindet. 

Pluripolare Mitosen, d.h. solche, bei denen sich gleichzeitig 
drei und mehr Kerne bilden, beobachteten Arnold (1) und Martin (63) 
in Sarkomen und Karzinomen, Arnold (2, 5 u. 7) und Denys (21) 
bei der Teilung der Riesenzellen des Knochenmarkes, Cornil (18), 
Hansemann (41, 42) und Ströbe (86) in Geschwülsten, letzterer 
auch bei der Regeneration normaler Zellen, Schottländer (74) in 
dem Endothel der Descemet’schen Haut des Frosches nach Aetzung 
der Hornhaut, Hess (53) in den großen Zellen der Milz von Mäusen, 
die mit Milzbrand geimpft waren. Bei Pflanzen sind sie zuerst ge- 
sehen von Soltwedel (80) und Strasburger (82). 

Arnold (7) ist nicht geneigt, diese pluripolaren Mitosen als 
anormale Bildungen aufzufassen, weil Scehottländer (74) nach- 
weisen konnte, dass die vielpoligen Figuren bezüglich ihrer Archi- 
tektur und Struktur die typische Anordnung darbieten, welche durch 
die gleichzeitige Teilung in mehrere Kerne vorgezeichnet ist. 

Dass die asymmetrischen und pluripolaren Mitosen atypische, 
anormale Bildungen sind, wird dadurch bewiesen, dass dieselben voll- 
kommen übereinstimmen mit den pathologischen Kernfiguren, welche 
OÖ. und R. Hertwig (48-53) auf experimentellem Wege will- 
kürlich an befruchteten Echinodermeneiern hervorriefen. Die große 
Bedeutung dieser Experimente liegt darin, dass sie eine genaue Ver- 
folgung der einzelnen Stadien der Entstehung dieser abnormen Kern- 
figuren gestatten. 

Durch eine passende Anwendung von Chininum sulfuricum oder 
Chloralhydrat kann die in normaler Weise eingeleitete Kernteilung 
sehemmt und zurückgebildet werden. Wenn sich die Eier von der 
schädigenden Einwirkung der Gifte zu erholen anfangen, so beginnt 
der Teilungsprozess von Neuem. An der Oberfläche des Kernes treten 
nun aber an Stelle von zwei Attraktionssphären, wie bei dem unver- 
sehrten Ei, vier auf. Hierin ist, wie O.Hertwig betont, die Ursache 
für den weiteren abnormen Verlauf der Teilung gegeben. Zwischen 
den vier Attraktionssphären entwickeln sich in der Regel fünf Kern- 
spindeln und der Kern zerfällt in vier bis fünf Tochterkerne. Wenn 
von den beiden normalen Attraktionssphären sich nur eine geteilt 
hatte, so wird sich die Kernsubstanz zwischen drei Polen zu einem 
Triaster mit drei Spindeln ordnen. Den Grund für diesen anormalen 
Entwieklungsgang sieht O. Hertwig in dem Umstand, dass die ver- 
schiedenen in der Zelle enthaltenen Substanzen, Protoplasma, Chro- 

















u A ET u UT u A a 


Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 299 


- 


matin, Substanz der Zentralkörper, in ungleicher Weise von den che- 
mischen Agentien getroffen werden und dass in Folge dessen ihr 
Zusammenwirken, welches beim Teilungsprozess ein sehr kompliziertes 
ist, bei dem Schwinden des Lähmungszustandes ein anormales ist. 
Insbesondere fällt hierbei ins Gewicht, dass die beiden Zentralkörper 
sich auf dem Wege der Teilung auf vier vermehren zu einer Zeit, 
wo das Protoplasma noch mehr oder minder gelähmt ist. Ebenso 
wie diese Gifte bewirkt die Kälte eine Lähmung des Protoplasma. 
Für die anormalen Teilungsfiguren in pathologischen und entzünd- 
lichen Geweben sind schädliche Stoffwechselprodukte oder die Ein- 
verleibung chemischer Substanzen (bei Aetzung) gewiss dieselbe be- 
dingende Ursache wie für die Eiteilung die Gifte. ©. Hertwig legt 
bei seiner Erklärung das Hauptgewicht auf die Vermehrung der Zentral- 
körper und Attraktionssphären. Dadurch wird es auch verständlich, 
dass, wenn in geschädigte Eier zwei, drei oder mehr Samenfäden 
eindringen, die Zahl der Zentralkörper vermehrt wird und so kom- 
plizierte Kernfiguren wie Triaster, Tetraster ete. entstehen. Dieselben 
gleichen den Kernfiguren, welche durch chemische Eingriffe hervor- 
gerufen wurden, zum Verwechseln, obgleich hier die Abnormität da- 
durch veranlasst wurde, dass durch die Verschmelzung von mehreren 
Samenkernen mit dem Eikern der Teilungskern von Anfang an mehr 
als zwei Zentralkörper enthielt. 

Die Bedeutung der experimentellen Studien von O. u.R. Hertwig 
liegt außer in der Erklärung einer Reihe von abweichenden Mitosen 
vor allem darin, dass sie einen weiteren wichtigen Beweis für die 
Bedeutung der Zentralkörper bei der mitotischen Teilung liefern. 


Nachdem im Vorhergehenden über die Erweiterung unserer Kennt- 
nisse von der mitotischen Teilung, soweit sie sich auf thatsächlich 
Beobachtetes gründet, berichtet worden ist, sei zum Schluss noch zu- 
sammengefasst, was sich hieraus für die mechanische Auffassung des 
Vorganges ergeben hat. 

Als das wesentlichste Resultat ist an die Spitze zu stellen, dass 
die Zerlegung des Kernes durch aktive Beteiligung der Zellsubstanz 
bewirkt wird. Der leitende Mechanismus bei der Kernteilung ist in 
der Zellsubstanz zu suchen. Die Bildung der achromatischen Kern- 
Spindel nimmt von den Attraktionssphären und den Zentralkörpern 
ihren Ausgang, wird also von der Zellsubstanz aus eingeleitet, die 
achromatische Kernsubstanz hat nur eine sekundäre Bedeutung. Durch 
die Kontraktion der Spindelfasern werden die Chromosomen zunächst 
in den Aequator der Spindel gerückt. Von hier aus werden alsdann 
in der Metakinese ebenfalls durch die Kontraktion der Spindelfasern 
die Spalthälften der Chromosomen gegen die Spindelpole hin ausein- 


‚ander gezogen und damit das chromatische Material des Mutterkernes 


auf die beiden Tochterkerne verteilt. Es findet nicht, wie man früher 





300 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


annahm, ein Entlanggleiten der Chromosomen an den Spindelfasern 
statt. Es ist, wie Flemming in seinem Referat auf der Münchener 
Versammlung der Anatomen (27 S. 130) hervorhob, „soweit in dem 
Ausdruck Kontraktion eine Erklärung liegt, der Vorgang der Meta- 
kinese damit erklärt; wir haben eine neue und befriedigende Ein- 
sicht gewonnen in die Mechanik des Mittel- und Endteiles der Mitose. 
Die noch offen liegenden Fragen betreffen den Anfangsteil“. Sie 
lassen sich folgendermaßen formulieren: 1) Wodurch wird die Teilung 
der Attraktionssphären und der Zentralkörper veranlasst? Auf welche 
Weise wird von denselben aus die gesamte Zellmasse zentriert, warum 
entstehen die Spindeln und Astern? 3) Welches ist die Ursache der 
Chromosomen-Spaltung? 4) Wie kommt die Befestigung der Spindel- 
fasern an den Chromosomen zu Stande, welche es ermöglicht, dass 
die beiden Hälften nach verschiedenen Richtungen hin gezogen werden 
können? 

Alle diese Fragen würden ihre Lösung gefunden haben, wenn 
die geistreiche Hypothese Rabl’s (67) durch Beobachtungen bestätigt 
werden solite. 

Rabl geht von der Annahme aus, dass der Bau der ruhenden 
Zelle im wesentlichen derselbe ist wie der der jungen, eben aus der 
Teilung hervorgegangenenr. Alle geformten Bestandteile der Zelle 
sind gegen den Zentralkörper hin zentriert zu denken. Der Zentral- 
körper steht mit allen Zeilstrukturen in Verbindung und ebenso durch 
eine Lücke in der Kernmembran hindurch aueh mit der chromatischen 
Kernstruktur. Ist eine Zelle zu einer gewissen Größe herangewachsen, 
so „wird auf irgend einen inneren oder äußeren Reiz eine Kontrak- 
tion sämtlicher geformter Bestandteile erfolgen. Infolge der Kon- 
traktion der Fäden des Zellleibes wird sich zunächst das Polkörperchen 
(Zentralkörper) und die dasselbe umgebende Attraktionssphäre in zwei 
Hälften teilen. Die Fäden des Zellleibes werden sich während und 
infolge der Kontraktion geradestrecken und dabei kürzer und dicker 
werden; sie treten nun als „Polstrahlungen“ oder „Sternfiguren des 
Zellleibes* in die Erscheinung. An das Polkörperchen treten aber 
auch die Spindelfasern heran und diese heften sich anderseits wieder 
an die chromatischen Fäden an. Die Teilung des Polkörperchens 
wird eine Teilung der Spindelfasern nach sich ziehen; die wahrschein- 
lich unter dem Bilde einer Längsspaltung verlaufen wird; und diese 
selbst wird wieder eine Längsspaltung der chromatisehen Fäden im 
Gefolge haben. Je mehr sieh die Polkörperchen von einander ent- 
fernen, um so mehr werden auch die Spalthälften der Spindelfasern 
auseinander weichen. Diese aber werden infolge ihrer Kontraktion 
kürzer und dicker und werden dabei einen immer mehr gestreckten 
Verlauf annehmen. Da nun die Spindelkälften der Spindelfasern 
gleiche Länge haben, so werden sie, wenn ihre Verkürzung bis zu 
einem gewissen Grade gediehen ist und sich gleichzeitig die beiden 














Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 501 


Pole bis zu einer gewissen Distanz von einander entfernt haben, not- 
wendig die chromatischen Schleifen, an die sie sich anheften, in 
gleiehe Entfernung von beiden Polen bringen müssen, mit anderen 
Worten, es wird die chromatische Figur aus dem Stadium des Knäuels 
in das Stadium des Muttersterns übergeführt werden. Macht die Kon- 
traktion noch weitere Fortschritte, so werden endlich auch die Spalt- 
hälften der chromatischen Fäden in der bekannten Weise auseinander 
gezogen und den Polen entgegengeführt“. 

Gegen die Annahme Rabl’s, dass die Längsspaltung der Chromo- 
somen durch die Spindelfasern bewirkt wird, macht Flemming (27 
u. 29) sehr gewichtige Einwände. Er sah vielfach die Spaltung der 
Chromosomen schon zu einer Zeit auftreten, da von gestreckten Spindel- 
fasern noch keine Spur erkennbar war, wo vielmehr die achromatischen 
Faserwerke in dem Knäuel noch ganz locker, wellig und verästelt 
waren. Er beobachtete ferner, dass beim Uebergang vom Knäuel 
zum Stern die Chromosomen gelegentlich erst mit einem Spindelpol 
durch Fasern verbunden waren. Diese Angaben finden in der oben 
mitgeteilten Schilderung der Spindelbildung durch Hermann (47) 
eine vollkommene Bestätigung. 

Die Hypothese von Schultze (75), weiche die Zellteilung auf 
eine Teilung der Mikrosomen in der Zelle zurückführt, ist von dem 
Verfasser so kurz und andeutungsweise publiziert worden, dass sie 
keine Berücksichtigung erfahren hat. Gesetzt, sie ließe sich völlig 
durchführen, so würde sie doch keine Erklärung dafür liefern, warum 
die Mikrosomen sich teilen. 

So genau auch im Einzelnen die Erscheinungen, unter denen die 
mitotische Teilung sich abspielt, erforscht sind, so wenig wissen wir 
bis jetzt über den ursächlichen Zusammenhang dieser Vorgänge und 
wir sind noch weit davon entfernt, eine wirklich mechanische Erklärung 
derselben zu besitzen. 


Die zweite Hauptform der Zellteilung, die amitotische, unter- 
scheidet sich von der mitotischen nach der neuesten Definition von 
Flemming (27 S. 136) dadurch, dass „eine Spindelbildung, eine 
Bildung regelmäßig geformter Chromosomen und eine Umlagerung 
dieser letzteren in bestimmter Form und Reihenfolge fehlt“. 

Das Studium dieses anfangs allein bekannten Teilungsmodus ist 
lange Zeit hindurch sehr vernachlässigt worden und erst in neuerer 
Zeit hat man demselben ein allgemeineres Interesse geschenkt. Es 
darf jetzt als feststehend angenommen werden, dass amitotische Kern- 
teilungen unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen bei 
Pflanzen und in allen Tierabteilungen vorkommen. In einer ganzen 
Reihe von Fällen, wenngleich nur in der Minderzahl, folgt auf die 
Kernteilung eine Zellteilung. 

Arnold, der besonders eingehend die amitotische Teilung studiert 


302 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


hat, unterscheidet zwei Unterarten, die direkte Segmentierung und 
Fragmentierung. Als Segmentierung bezeichnet er eine Spaltung der 
Kerne in der Aequatorialebene in zwei oder mehrere nahezu gleiche 
Teile. Fragmentierung nennt er eine Abschnürung der Kerne an be- 
liebigen Stellen in zwei oder mehrere, gleiche oder ungleiche Ab- 
schnitte, welche nieht durch regelmäßige Teilungsflächen sich ab- 
grenzen. 

Flemming (28) beschrieb vor kurzem an Leukocyten von Sala- 
mandra eine ganz besonders deutliche Attraktionssphäre mit Zentral- 
körper. Dieselben werden aber nicht während der Fragmentierung 
des Kernes geteilt. Wenngleich demnach eine Zerlegung der Attrak- 
tionssphäre bei der amitotischen Teilung eines Kernes offenbar nicht 
erforderlich ist, so scheint dieselbe dennoch nicht ohne Einfluss auf 
die Kernteilung zu sein. Sie findet sich nämlich immer an den Ab- 
schnürungsbrücken der Kerne, und liegt bei ringförmigen Kernen der 
Mitte des Ringes gerade oder doch ungefähr gegenüber. | 

Meves (64), ein SchülerFlemming’s, fand in den Spermatogonien 
des Salamanderhodens amitotische Teilungen, die in Form einer ein- 
fachen Durchschnürung ablaufen und durch ein eigentümliches Ver- 
halten der Attraktionssphäre charakterisiert sind. Der Kern wird 
durch eine ringförmige Einschnürung in zwei gleiche oder seltener 
zwei ungleiche Teile zerlegt. Diese Einschnürung wird höchst wahr- 
scheinlich durch die ringförmig gewordene Attraktionssphäre mechanisch 
bedingt. Die Attraktionssphäre wird um so dicker, je weiter die Durch- 
schnürung des Kernes fortschreitet. Nachdem die Brücke zwischen 
beiden Tochterkernen bereits durchgerissen ist, liegt die Attraktions- 
sphäre der Mitte der Längsaxe der früheren Durchschnürung gegen- 
über. Derartige Amitosen kommen in etwas größerer Häufigkeit nur 
bei März-Fröschen vor. Unter den im Herbst häufig zur Beobachtung 
gelangenden Lochkeinen wurden einige bemerkt, bei denen der äußere 
Kontur durch mehr oder weniger tiefe von der Attraktionssphäre aus- 
gehende Stränge in drei Portionen geteilt wird, oder es fanden sich 
Zellen mit drei Kernen. Neben den Spermatogonien mit runden 
Kernen sah Meves besonders im Winterhoden auch solche mit poly- 
morphen Kernen. Die Attraktionssphäre umgibt in Gestalt einer Hohl- 
kugel allseitig diese Kerne. Im Frühjahre findet eine Umwandlung 
der polymorphen Kerne in runde statt; zu gleicher Zeit kontrahiert 
sich auch die Attraktionssphäre zu einem an einem Punkte der Kern- 
Bunene gelegenen Haufen. 


Während die Mehrzahl der er die Mitose und die Amitose 
für zwei streng unterschiedene Formen der Kernteilung halten, nehmen 
einzelne Autoren Zwischenformen zwischen beiden an. 

So hält Arnold (7) daran fest, dass eine Teilungsform, die sich 
charakterisiert durch „Abschnürung der Kerne an beliebigen Stellen, 

















Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 305 


in zwei oder mehrere gleiche oder ungleiche Abschnitte, mit Zunahme 
‘und veränderter Anordnung der ehromatischen Kernsubstanz“ vorkommt. 
Er bezeichnet sie als indirekte Fragmentierung. Bei derselben ist 
niemals die gesetzmäßige Anordnung der chromatischen Fäden vor- 
handen, wie sie in so eharakteristischer Weise der echten Mitose in 
den verschiedenen Stadien zukommt, von einer achromatischen Spindel 
ist nichts nachweisbar und die Vorgänge der Abschnürung der Kerne 
und Zellen vollzieht sich in wenig regelmäßiger Weise. Arnold 
wies indirekte Fragmentierung sowohl unter pathologischen, wie unter 
normalen Verhältnissen nach und zwar im Knochenmark, in Lymph- 
drüsen, in der Milz, an Wanderzellen und an Zellen von Geschwülsten 
(Sarkome und Karzinome). Eine Bestätigung und Erweiterung er- 
fuhren die Arnold’schen Beobachtungen durch Werner (91) für die 
Riesenzellen des Knochenmarkes von Hund, Katze, Mensch, durch 
Schottländer (74) für das Endothel der Descemet’schen Haut, 
durch Hess (54) für die großen Zellen der Milz von Mäusen, welche 
mit Milzbrand geimpft waren, durch Geelmuyden (38) für Myelo- 
plaxen im Knochenmark, durch Beltzow (11) für das in der Re- 
generation begriffene Harnblasenepithel des Kaninchens, durch Ströbe 
(85) für die Riesenzellen im Knochenmark junger Kaninchen und für 
Sarkome und Karzinome, durch Göppert (39) für die Iymphatische 
Randschicht der Salamanderleber. Gegen die Arnold’schen Angaben 
ist aber anderseits eine ganze Menge von Einwendungen erhoben 
werden, so von Cornil (19), Denys (21), Ayoama (8), Löwit (61), 
Demarbaix (20). 

Vor kurzem hat Reinke (70) Untersuchungen über die biologische 
Bedeutung der von Arnold beschriebenen Kernformen in den Zellen 
der Milz und ihr Verhältnis zur mitotischen und amitotischen Teilung 
angestellt, aus denen hervorging, dass ein großer Teil der Arnold’ 
schen Kernfiguren eine bis dahin unbekannte Form der Mitose dar- 
stellt, die der Knäuelform voraufgeht resp. den Tochterkernen folgt 
und wie es scheint nur bei der Maus vorkommt (Speichen- oder 
Melonenform). Die Ringformen sind nach Reinke’s Ansicht entweder 
Erscheinungen eines Reiz- oder Veränderungszustandes, die zur Frag- 
mentierung des ruhenden Kernes führen können und namentlich durch 
Veränderung der Attraktionssphäre hervorgerufen wurden, oder sie 
sind durch derartige Vorgänge aus mitotischen Figuren entstanden. 

Flemming (27 S. 137) erkennt die indirekte Fragmentierung 
Arnold’s nicht als eine bestimmt gekennzeichnete Form der Amitose 
an, einmal mit Rücksicht auf die Ergebnisse der Untersuchung 
Reinke’s, dann aber auch, weil er die stacheligen Formen, welche 
Arnold in seiner letzten Arbeit (7 Taf. XXVI) abbildet, als durch 
Reagentienwirkung erzielte Veränderungen betrachten muss, endlich 
weil er einen weitern Teil der Kerne für ruhende und nicht in der 
Teilung begriffene hält. 


304 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


Am weitesten ist Carnoy (17) gegangen, der auf Grund seiner 
Studien an Arthropoden zu dem Resultat kam, dass Mitose und 
Amitose nicht grundsätzlich verschiedene Teilungsmodi wären. Da 
Platner (65) und Henking (43) an dem gleichen Objekt (Insekten, 
Spermatoeyten) die Beobachtungen Carnoy’s nicht zu bestätigen ver- 
mochten, so ist es wohl berechtigt, wenn auch die Schlussfolgerungen 
vorläufig noch mit Zweifel angesehen werden. 


Zum Schluss sei die gegenwärtig aufs lebhafteste erörterte Frage 
nach der biologischen Bedeutung der beiden Teilungsmodi hier noch 
in Kürze berücksichtigt. 

Flemming (27 u. 28) hält nach dem jetzigen Stand unserer 
Kenntnisse die Annahme für wohl zulässig, dass nur die mitotische 
Teilung zur physiologischen Vermehrung und Neubildung von Zellen 
führt, während die amitotische Fragmentierung des Kernes mit und 
ohne nachfolgende Teilung der Zellen entweder eine Entartung oder 
Aberration darstellt oder vielleicht in manchen Fällen (Bildung mehr- 
kerniger Zellen durch Fragmentierung) durch Vergrößerung der Kern- 
peripherie dem cellulären Stoffwechsel zu dienen hat. 

H. E. Ziegler (93) schließt sich dieser Auffassung an. Er hebt 
hervor, dass die Kerne, welche sich amitotisch teilen, stets durch be- 
sondere Größe ausgezeichnet sind. Wo solche „Meganuclei“ vor- 
kommen, da findet ein lebhafter Sekretions- oder Assimilationsvorgang 
statt. Die Meganuelei haben eine beschränkte Teilungsfähigkeit und 
gehen stets nach einiger Zeit zu Grunde. An einer Reihe von 
eigenen und fremden Beobachtungen erläutert Ziegler, dass die 
amitotische Kernteilung bei den Metazoen nur in solchen Fällen vor- 
kommt, in welchen die Kerne an eine spezielle Funktion sich ange- 
passt haben. 

Gegen diese allgemeine Fassung haben Löwit (62), Verson (88) 
und Frenzel (34, 35, 36) Widerspruch erhoben. Löwit stützt sich 
auf seine Befunde an den Blutkörperchen des Flusskrebses und be- 
harrt bei seiner Ansieht, dass neben der degenerativen amitotischen 
Teilung auch eine regenerative besteht. Verson nimmt an, dass 
amitotisch entstandene Kerne sieh weiterhin mitotisch vermehren 
können, weil bei der Spermatogenese vom Bombyx mori und anderen 
Lepidopteren die Kerne der Samenmutterzellen jedes Hodenfaches 
dureh amitotische Teilung von einem einzigen großen Kern sich her- 
leiten. Frenzel misst der amitotischen Teilung am Mitteldarm von 
Crustaceen und Insekten und an der Mitteldarmdrüse der Crustaceen 
eine große Rolle zu. 

Hiergegen betonen Ziegler und vom Rath (94), dass bei 
Arthropoden, bei denen die amitotische Kernteilung häufiger als bei 
irgend einen andern Typus der Metazoen vorzukommen scheine, in” 
keinem Fall ein regenerativer Charakter der amitotischen Teilung 








Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 305 


erwiesen ist. In der Leber des Flusskrebses und der Isopoden, im 
Epithel des Mitteldarmes der Crustaceen und Insekten und bei der 
Spermatogenese der Arthropoden (vom Rath 68) sind Mitosen nach- 
gewiesen, und so wird der Schluss nahegelegt, dass bei den Arthro- 
poden in allen Geweben, in welchen die amitotische Kernteilung vor- 
kommt und bei welchen gleichzeitig ein reger Zellenverbrauch statt- 
findet, Regenerationszelleu existieren, welche sich mitotisch teilen; 
freilich ist das Auffinden der Mitosen manchmal schwierig und vom 
Zufall abhängig. 

In Uebereinstimmung hiermit ergaben auch die neuen umfang- 
reichen Studien Barfurth’s (10) über die Regeneration der Gewebe 
an der amputierten Schwanzspitze der Amphibien, dass die regenera- 
tiven Kernteilungen nach der typischen Mitose verlaufen. 

Wenn trotzdem von einigen Untersuchern daran festgehalten wird, 
dass die Regeneration auch durch indirekte Fragmentierung zu Stande 
kommen kann, so ist eine gewisse Skepsis zweifellos am Platze; 
anderseits aber lehrt die neue Beobachtung von Reinke (70), dass 
ein Teil der Fragmentierungen als echte Mitosen aufzufassen ist, wie 
weit wir noch davon entfernt sind, ein endgiltiges Urteil fällen zu 
können. 


Angezogene Litteratur. 


4) Arnold J., Beobachtungen über Kernteilungsfiguren in den Zellen der 
Geschwülste. Virchow’s Archiv, 78. Bd., 1879, S. 279. 

2) Derselbe, Beobachtungen über Kerne und Kernteilungen in den Zellen 
des Knochenmarks. Virchow’s Archiv, 93. Bd., 1883, S. 1—38. 

3) Derselbe, Ueber Kern- und Zellteilung bei akuter Hyperplasie der 
Lymphdrüsen und Milz. Virchow’s Archiv, Bd. 95, 1884, S. 46—69. 

4) Derselbe, Weitere Beobachtungen über die Teilungsvorgänge an den 
Knochenmarkzellen und weißen Blutkörperchen. Virchow’s Archiv, 
Bd. 97, 1884, 8. 1—23. 

5) Derselbe, Ueber Kernteilung und vielkernige Zellen. Virchow’s 
Archiv, 98. Bd., 1884, S. 501—512. 

6) Derselbe, Ueber Teilungsvorgänge an den Wanderzellen, ihre pro- 
gressiven und regressiven Metamorphosen. Archiv f. mikr. Anatomie, 
30. Bd., 1887, S. 205—310. 

7) Derselbe, Weitere Mitteilungen über Kern- und Zellteilungen in der 
Milz; zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der von der typischen Mitose 
abweichenden Kernteilungsvorgänge. Archiv f. mikr. Anatomie, 31. Bd., 
1888, S. 541—564. 

8) Ayoama, Indirekte Kernteilung in verschiedenen Neubildungen. Vir- 
chow’s Archiv, 106. Bd., 1886. 

9) Balbiani E. G., Sur la structure du noyau des cellules salivaires chez 
les larves de Ohironomus. Zool. Anzeiger, 1881, Nr. 99 u. 100. 

10) Barfurth D., Zur Regeneration der Gewebe. Archiv f. mikrosk. Anat., 
37. Bd., 1891, S. 406—491. 

11) Beltzow A., Zur Regeneration des Epithels der Harnblase. Virchow’s 
Archiv, 97. Bd., 1884, 8. 279—288. 

Xn. 20 


306 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


42) van Beneden E., La maturation de l’oeuf, la f&condation et les pre- 
mieres phases du d&eveloppement embryonnaire des mammiferes d’apres 
des recherches faites chez le Lapin. Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, 
Zue Ser. T. XL, Nr. 12, 1875. 

13) Derselbe, Recherches sur la maturation de l’oeuf, la f&condation et la 
division cellulaire. Gand et Leipzig 1883. 


144) van Beneden, E. et A. Neyt, Nouvelles recherches sur la f&condation 
et la division mitosique chez l’Ascaride me&galocephale. Bulletins de 
l’Acadömie royale des sciences, des lettres et des beaux arts de Belgique, 
H7me annde, 3me serie, T. XIV, 1887, p. 215—29. 

15) Boveri T., Zellen-Studien. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft, 
Bd. 22, 1888, S. 685— 882. 

16) Carnoy J. B., La biologie cellulaire. Aachen 1884. 

17) Derselbe, La cytodierese chez les arthropodes. La cellule, Tome I, 
S. 191—440, 1885. 


48) Cornil V., Sur le proc&de de division indireete des noyaux et des 1 
cellules &pithöliales dans les tumeurs. Archives de physiologie normale 
et pathologieque, II. Serie, T. VII, 1886, S. 310—324. 

19) Derselbe, Sur la multiplication des cellules de la moelle des os par 
division indirecte dans l’inflammation. Archives de physiol. normale et 
pathol., 3. Serie, T. 10, 1887, p. 46—70. 

20) Demarbaix H., Division et degenerescence des cellules geantes de la 
moelle des os. La cellule, T. V, 1889, p. 25—57. 

21) Denys J., Quelques remarques sur la division des cellules g&antes de 
la moelle des os d’apres les travaux de Arnold, Werner, Loewit et 
Cornil. Anat. Anzeiger, III. Jahrg., 1888, Nr. 7, S. 190— 204. 


22) Flemming W., Zellsubstanz, Kern- und Zellteilung. Leipzig 1882. 

23) Derselbe, Zur Orientierung über die Bezeichnung der verschiedenen 
Formen von Zell- und Kernteilung. Zool. Anzeiger, Nr. 216, IX. Jahrg., 
1886, S. 109—112. 

24) Derselbe, Neue Beiträge zur Kenntnis der Zellen. Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. 29, 1887, 8. 339—463. 

25) Derselbe, Ueber Teilung von Leukoeyten Verhandl. des X. inter- 
nationalen mediz. Kongresses. Berlin, 4.—9. August, 18%. 

%) Derselbe, Attraktionssphären und Zentralkörper in Gewebszellen und 
Wanderzellen. Anatom. Anzeiger, 1891, Nr. 3. 

27) Derselbe, Ueber Zellteilung. Verhandl. d. anatom. Gesellschaft a. d. 
V. Versamml. in München, 18.—20. Mai, 1891. 

38) Derselbe, Ueber Teilung und Kernformen bei Leukocyten und über 
deren Attraktionssphären. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 37, 1891, 
S. 249— 298. 

29) Derselbe, Neue Beiträge zur Kenntnis der Zelle. II. Teil. Archiv f. 
mikrosk. Anatomie, Bd. 37, 1891, S. 685— 751. 

30) Derselbe, Zur Nomenklatur der Zellteilung. Anat. Anz., VI. Jahrg., 
1892, Nr. 1, S. 26—32. 

31) Fol H., Die erste Entwicklung des Geryonideneies. Jenaische Zeitschrift 
für Naturwissenschaft, Bd. 7, 1873, S. 471. 

32) Derselbe, Le Quadrille des Centres. Un Episode nouveau dans l’histoire 
de la F&condation. Archives des sciences phys. et nat., 3. per., t. 253 
15. April 1891. 





Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 307 


33) Fol H., Die „Centrenquadrille“, eine neue Episode aus der Befruchtungs- 
geschichte. Anat. Anz., VI. Jahrg., 1891, Nr. 9 u. 10, $. 266—274. 

34) Frenzel J., Zur Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung. 
Biolog. Centralbl., XI. Bd., i891, Nr. 18, S. 558—565. 

35) Derselbe, Die nukleoläre Kernhalbierung, eine besondere Form der 
amitotischen Kernteilung. Biol. Ctbl., XI. Bd., 1891, Nr. 22, S. 701-704. 

36) Derselbe, Die nukleoläre Kernhalbierung. Ein Beitrag zur Kenntnis 
des Zellkernes und der amitotischen Epithelregeneration. Arch. f. mikrosk. 
Anatomie, 39. Bd., 1892, S. 1—32. 

37) Geberg A., Zur Kenntnis des Flemming’schen Zwischenkörperchens. 
Anat. Anzeiger, VI. Jahrg., 1891, Nr. 22, S. 623—625. 

38) Geelmuyden H. C., Das Verhalten des Knochenmarks in Krankheiten 
und die physiologische Funktion desselben. Virchow’s Archiv, 106. Bd., 
1886, S. 136—169. 

39) Göppert E., Kernteilung durch indirekte Fragmentierung in der Iympha- 
tischen Randschicht der Salamanderleber. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 
37. Bd., 1891, S. 375—391. 

40) Guignard L., Sur l’existence des spheres attractives dans les cellules 
des vegetaux. Comptes rendus, Ac. d. sc. Paris, 9. Mars 1891. 

44) Hansemann D., Ueber asymmetrische Zellteilung in Epithelkrebsen und 
deren biologische Bedeutung. Virchow’s Arch., Bd. 119, S.299—326, 1890. 

42) Derselbe, Ueber pathologische Mitosen. Virchow’s Archiv, Bd. 123, 
S. 356—370, 1891. 

43) Henking H., Untersuchungen über die Entwicklungsvorgänge in den 
Eiern der Insekten. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 51, 1891. 

44) Henneguy, L.-F., Sur la division cellulaire ou cytodierese. Assoe. fr. 
pour l’avancement des sc. Congr&s de la Rochelle. 1882. 

45) Derselbe, Nouvelles recherches sur la division cellulaire indirecte. 
Journal de l’anatomie, XXVIIe annee, 1891, Nr. 5, p. 397 —423. 

46) Hermann F., Die Entstehung der karyokinetischen Spindelfigur. Miün- 
chener mediz. Wochenschrift, 1890, Nr. 47, 8. 830—831. 

47) Derselbe, Beitrag zur Lehre von der Entstehung der karyokinetischen 
Spindel. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 37. Bd., 1891, S. 569-586. 

48) Hertwig 0®., Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung und Tei- 
lung des tierischen Eies. Morpholog. Jahrbuch, Bd. I, 1875, S. 347—434; 
Bd. III, 1877, S.1—86;; Bd. IV, 1878, S. 156—175 u. 8. 177—213. 

49) Derselbe, Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies. 
Eine Theorie der Vererbung. Jena 1884. 

50) Hertwig O. und R., Ueber den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des 
tierischen Eies unter dem Einfluss äußerer Agentien. Jena 1887. 

51) Hertwig O., Experimentelle Studien am tierischen Ei vor, während und 
nach der Befruchtung. Jena 1890. 

52) Derselbe, Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Eine 
Grundlage für celluläre Streitfragen. Archiv f. mikr. Anatomie, 36. Bd., 
1890, S. 1—138. 

55) Derselbe, Ueber pathologische Veränderungen des Kernteilungsprozesses 
in Folge experimenteller Eingriffe. Internat. Beiträge zur wissenschaft- 
lichen Medizin. Festschrift. cf. R. Virchow, Bd. I], S. 194—212. 

54) Hess, Ueber Vermehrungs- und Zerfallsvorgänge an den großen Zellen 
in der akut hyperplastischen Milz der weißen Maus. Ziegler’s Beitr. 


zur pathol. Anat. u. zur allg. Pathol., Bd. VII. r 
On*® 


308 Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 


55) Heuser E., Beobachtungen über Zellteilung. Botanisches Centralblatt, 
Bd. 17, 1884, Nr. 1—5. 

56) Klebs E., Allgemeine Pathologie, Bd. II, S. 524 fg., Jena 1889. 

57) Derselbe, Ueber das Wesen und die Erkennung der Karzinombildung. 
Deutsche mediz. Wochenschrift, 1890, Nr. 24, 25 u. 32. 

58) Klein E., Observations on the Glandular Epithelium and Division of 
Nuclei. Quart. Journ. of Mierose. Seience, 4879, p. 414 fg. 

59) Kölliker A., Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 6. Aufl., Leipzig 
1889, I. Bd. 

60) Derselbe, Das Aequivalent der Attraktionssphären E. van Beneden’s 
bei Siredon. Anatom. Anzeiger, IV. Jahrg., 1889, Nr. 5, S. 147—155. 


61) Löwit A., Ueber Neubildung und Zerfall weißer Blutkörperchen. Ein 
Beitrag zur Lehre von der Leukämie. Sitzungsber. d. Wiener Akademie, 
Bd. 92, III. Abt., Juni 1885. 

62) Derselbe, Ueber amitotische Kernteilung. Biolog. Centralbl., XI. Bd., 
1891, Nr. 17, S. 513—516. 

63) Martin W. A., Zur Kenntnis der indirekten Kemteilung. Virchow’s 
Archiv, 86. Bd., 1881, S. 57. 

64) Meves F., Ueber amitotische Kernteilung in den Spermatogonien des 
Salamanders und Verhalten der Attraktionssphäre bei derselben. Anat. 
Anzeiger, VI. Jahrg., 1891, Nr. 22, S. 626—639. 


65) Platner G., Die Karyokinese bei den Lepidopteren als Grundlage für 
eine Theorie der Zellteilung. Internat. Monatsschr., III. Bd., 1885, 8. 341— 398. 

66) RablC., Ueber Zellteilung. Morpholog. Jahrbuch, Bd. 10, 1885, S.214—330. 

67) Derselbe, Ueber Zellteilung. Anat. Anzeiger, IV. Jahrg., 1889, Nr. 1, 
S. 21—30. 

68) vom Rath O., Ueber die Bedeutung der amitotischen Kernteilung im 
Hoden. Zool. Anzeiger, 1891, Nr. 373 S. 331—332; Nr. 374 S. 342—343; 
Nr. 375 8. 355—363. 

69) Rauber A. Lehrbuch der Anatomie des Menschen. IV. Aufl. von Quain- 
Hoffmann’s Anatomie, Heft 1: Allgemeiner Teil. Leipzig 1892. 

70) Reinke F., Untersuchungen über das Verhältnis der von Arnold be- 
schriebenen Kernformen zur Mitose und Amitose. Inaug. Dissertation. 
Kiel 1891. 


74) Schäfer, General Anatomy or Histology, Vol. I, Part II von Quain’s 
Elements of Anatomy, X. Edit., London 1891. 

72) Schenk $.L., Grundriss der normalen Histologie des Menschen, I. Aufl., 
Wien und Leipzig 1891. 

73) Schewiakoff W., Ueber die karyokinetische Kernteilung der Euglypha 
alveolata. Morpholog. Jahrb., 13. Bd., 1887, S. 193— 258. 

74) Schottländer J., Ueber Kern- und Zellteilungsvorgänge in dem Endothel 
der entzündeten Hornhaut. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 31. Bd., 1888, 
S. 426—482. 

75) Sehultze, Ueber Zellteilung. Sitzungsberichte der Würzburger physik.- 
mediz. Gesellschaft, 1890, XV. Sitzung vom 26. Juli. 

76) Solger B., Zur Struktur der Pigmentzellen. Zoolog. Anzeiger, 1889, 
Nr. 324, S. 671—673 und 1890, Nr. 328, S. 93—95. 

77) Derselbe, Ueber pigmentierte Zellen und deren Centralmasse. Mit- 
teilungen aus den naturwissensch. Verein für Neu-Vorpommern und Rügen 
in Greifswald, XXI. Jahrg., 1890, S. 1—34. 





Zander, Gegenwärtiger Stand der Lehre von der Zellteilung. 309 

78) Solger B., Die radiären Strukturen des Zellkörpers im Zustande der 
Ruhe und bei der Kernteilung. Berliner klin. Wochenschr., 1891, Nr. 20. 

79) Derselbe, Zur Kenntnis der „Zwischenkörper* sich teilender Zellen. 
Anatom. Anzeiger, VI. Jahrg., 1891, Nr. 17, S. 482—483. 

80) Soltwedel F., Freie Zellbildung im Embryosack der Angiospermen, 
1881, II. 

81) Strasburger E., Ueber Zellbildung und Zellteilung, 3. Aufl., Jena 1880. 

82) Derselbe, Ueber den Teilungsvorgang der Zellkerne und das Verhältnis 
der Kernteilung zur Zellteilung. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 21, 
1882, S. 476— 4%. 

83) Derselbe, Die Kontroversen der indirekten Kernteilung. Archiv für 
mikrosk. Anatomie, Bd. 23, 1884, S. 246—304. 

84) Derselbe, Histologische Beiträge. Heft I: Ueber Kern- und Zellteilung 
im Pflanzenreiche, nebst einem Anhange über Befruchtung. Jena 1888. 

85) Stroebe H., Ueber Kernteilung und Riesenzellenbildung in Geschwülsten 
und im Knochenmark. Ziegler’s Beiträge zur path. Anatomie und zur 
allgem. Pathologie, Bd. VII, 339. 

86) Derselbe, Zur Kenntnis verschiedener cellulärer Vorgänge und Erschei- 
nungen in Geschwülsten. Ziegler’s Beiträge zur path. Anatomie und 
zur allgem. Pathologie, Bd. XI, S.1—38, 1891. 

87) Vejdovsky F., Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen. Heft I: 
Reifung, Befruchtung und die ersten Furchungsvorgänge des Rhynchelmis- 
Eies. Prag, Otto. 1888. 

88) Verson E., Zur Beurteilung der amitotischen Kernteilung. Biolog. Cen- 
tralblatt, XI. Bd., 1891, Nr. 18, S. 556—558. 

89) Vialleton M.L., Recherches sur les premieres phases du developpement 
de la seiche. Paris, Masson 1888. 

90) Waldeyer W., a) Ueber Karyokinese. Deutsche mediz. Wochenschrift, 

1886, Nr. 1—4, 

b) Ueber die Karyokinese und ihre Bedeutung für die 
Vererbung. Deutsche mediz. Wochenschrift, 1887, 
Nr. 43—47. 

c) Ueber Karyokinese. Archiv f. Anatomie u. Physiol., 
1887, physiologische Abteilung. 

d) Ueber Karyokinese und ihre Beziehungen zu den Be- 
fruchtungsvorgängen. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 
Bd. XXXII, 1888. 

e) Karyokinesis and its Relation to the Process of 
Fertilization. Quarterly Journal of Microscopical 
Seience, Vol. XXX, P. 2, 1889. 

94) Werner, Ueber Teilungsvorgänge in den Riesenzellen des Knochen- 
markes. Virchow’s Archiv, 106. Bd., 1886, S. 354—377. 

92) Zacharias O., Neue Untersuchungen über die Kopulation der Geschlechts- 
produkte und den Befruchtungsvorgang bei Ascaris megalocephala. Arch. 
f. mikrosk. Anatomie, Bd. 30, 1887, S. 111— 182. 

93) Ziegler H. E., Die biologische Bedeutung der amitotischen (direkten) 
Kernteilung im Tierreich. Biol. Centralblatt, XI. Bd., 1891, Nr.127u2 13, 
S. 372—389. 

94) Ziegler H.E. und O0. vom Rath, Die amitotische Kernteilung bei den 
Arthropoden. Biol. Centralbl., XI. Bd., 1891, Nr. 24, 8. 744—757. 





310 Ehrlich, Immunität durch Vererbung und Säugung. 


P. Ehrlich, Ueber Immunität durch Vererbung und Säugung. 
Zeitschrift f. Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XII, 184—203. 


Immunität der Kinder immuner Eltern kann nach Verf. bedingt 
sein 1) durch Vererbung im ontogenetischen Sinne, 2) durch eine 
Mitgabe des mütterlichen Antikörpers d. h. der im Blut und in den 
Körpersäften der Mutter vorhandenen, einer bestimmten Infektion oder 
Intoxikation entgegenwirkenden Substanz, 3) durch eine direkte intra- 
uterine Beeinflussung der fötalen Gewebe durch das immunisierende 
Agens. Verf. hat für gewisse Fälle die Art der vererbten Immunität 
festgestellt, indem er den Grad und die Dauer der Abrin- und Riein- 
festigkeit der Nachkommen abrin- und ricinfester Mäuse ermittelte. 
Die giftigen Pflanzeneiweißstoffe Abrin und Riein schienen für der- 
artige Versuche wohlgeeignet, weil sie weitgehende Analogieen mit den 
Toxinen und Toxalbuminen zeigen und weil der Grad der den Ver- 
suchstieren innewohnenden Resistenz gegen jene eigenartigen Giftstoffe 
stets sicher bestimmt werden konnte. 

Die Resultate der Versuche des Verf.s sind kurz folgende: 

Die Kinder von abrinimmunem Vater und normaler Mutter waren 
normal d. h. nicht abrinimmun, woraus geschlossen werden kann, 
dass das Idioplasma des Sperma nicht im Stande ist, die Immunität 
zu übertragen. (Die Bezeichnungen „abrinfest“, „rieinfest“..., welche 
Verf. in seinen ersten Mitteilungen über diesen Gegenstand — Deutsche 
mediz. Wochenschrift, 1891, Nr. 32 u. 44 — vorgeschlagen hat, werden 
hier identisch mit „Abrin-immun“, „Riein-immun“ ... gebraucht. Zur 
Vermeidung von Zweideutigkeiten wäre es zweckmäßig, die Resistenz 
gegen eine Intoxikation immer nur mit „Giftfestigkeit“ und allein 
die Resistenz gegen eine Invasion pathogener Mikroorganismen mit 
„Immunität“ zu bezeichnen. Vergl. das Referat über „Immunität und 
Giftfestigung“, Biol. Centralbl., 1892, S. 250. Ref.) 

Bei den Kindern von abrin-, riein- oder robinimmuner Mutter 
und normalem Vater ist etwa vier Wochen nach der Geburt eine 
hohe Immunität nachzuweisen. Diese Immunität ist eine passive, 
sie beruht allein auf einer Mitgabe des mütterlichen Antikörpers; im 
Gegensatz hierzu würde von aktiver Immunität zu sprechen sein, 
wenn eine spezifische Adaption der Nachkommenschaft stattgefunden 
hätte. Das schützende Agens wird nicht etwa durch die Eizelle über- 
tragen, ebensowen’g wie dies durch die Spermatozoen geschieht, son- 
dern es tritt während der Gravidität aus dem mütterlichen Kreislauf 
durch die Placenta in die Föten über. Dass die Jungen einer künst- 
lich immunisierten Mutter in der That nur passiv immun sind, geht 
daraus hervor, dass sie ihre Immunität allmählich verlieren; im Ver- 
laufe einiger Wochen nach der Geburt haben sie den maternen Anti- 
körper vollständig ausgeschieden. Hiernach erscheinen die Versuche 
von Chauveau u.A. über intrafötale Immunisierung in etwas anderem 





Ehrlich, Immunität durch Vererbung und Säugung. 311 


Lichte. Wenn Chauveau von Schafen, die er während der Gravidität 
gegen Milzbrand immunisierte, Milzbrand-immune Lämmer erhielt, so 
hätte er die Prüfung der Lämmer nicht schon 14 Tage nach der 
Geburt, sondern viel später vornehmen müssen, um aktive Immunität 
für erwiesen halten zu können. So bleibt es bei diesen und anderen 
gleichartigen Versuchen (Thomas, Klemperer, Burchhardt), 
auf welche die fast allgemein angenommene Hypothese von der Ver- 
erbung der Immunität sich gründet, zum mindesten zweifelhaft, ob 
die geprüften Tiere wirklich aktiv immun oder nur für kürzere Zeit 
durch die Mitgift des mütterlichen Antikörpers geschützt waren. 

Für die Beurteilung der Vererbung der Immunität kommt noch 
ein weiterer, bisher vernachlässigter Faktor in Betracht, der durch 
die Milch vermittelte Uebergang der maternen Antistoffe auf die 
säugenden Jungen. Wie groß die während der Säugezeit mitgeteilte 
Immunität ist im Vergleich zu der während der intrauterinen Ent- 
wieklung übertragenen, hat Verf. auf das unzweideutigste durch 
„Ammen- oder Vertauschungsversuche“ feststellen können. Vertauscht 
man zwei nährende Mäuse, die nahezu gleichzeitig geworfen haben, 
und zwar eine hoch abrin- oder rieinimmune und eine normale Maus, 
so dass die normalen Jungen von immuner Amme, die Jungen der 
immunen Mutter dagegen von normaler Amme gesäugt werden, so 
erlangen die normalen Jungen im Verlaufe der Laktationsperiode 
eine beträchtliche Immunität, während den Kindern der immunen 
Mutter ihre ursprüngliche Widerstandskraft mehr und mehr verloren 
geht; am Ende der Säugezeit ist die von den normalen Jungen er- 
worbene Immunität acht- bis zehnmal so groß als die Restimmunität 
der von normaler Amme genährten immun geborenen Mäuse. 

Die Säugungsimmunität (gegen Abrin und Riein) erreicht ihr 
Maximum am Schluss der Säugezeit; von da ab sinkt sie, ist aber wahr- 
scheinlich erst nach 7—8 Wochen ganz erloschen. Diesen Ergebnissen 
gegenüber werden die bisherigen Beweise für das Gelingen einer 
persistierenden Immunisierung des Embryos unzulänglich. Erst wenn 
die Jungen immuner Eltern auch dann noch immun befunden werden, 
nachdem die von der Mutter an die Föten und später an die Säug- 
linge übertragenen Antikörper sicher wiederausgeschieden sind, kann 
von (aktiver) Vererbungsimmunität die Rede sein. 

Von besonderer, praktischer Bedeutung ist die Beobachtung des 
Verf.s, dass auch gegen Tetanus ein Schutz durch Säugung ver- 
liehen werden kann. Er behandelte eine normale säugende Maus 
11 Tage lang nach der Methode von Brieger, Kitasato und 
Wassermann mit dem Serum eines gegen Tetanus gefestigten 
Kaninchens und fand, dass die Jungen sowohl auf Injektionen viru- 
lenter Tetanusbouillon wie auf Impfungen mit Tetanussporen nicht 
mehr reagierten, während die Kontrolmäuse nach 24 Stunden starben. 
Später konstatierte er den außerordentlich raschen Uebergang des 


312 Behring u. Frank, Bekämpfung der Infektionskrankheiten. 


gegen Tetanus schützenden Körpers von der Mutter auf die Säug- 
linge. Schon nach einer einzigen Injektion von Antiserum (von einem 
tetanusfesten Pferde) gab eine Maus, die 17 Tage zuvor geboren hatte, 
innerhalb 24 Stunden an ihre Jungen so viel Antikörper ab, dass die 
Säuglinge eine Impfung mit Tetanussporen, welche bei größeren nor- 
malen Mäusen nach 26 Stunden den Tod herbeiführte, reaktionslos 
ertrugen. Und ferner gelang es, eine nicht vorbehandelte junge Maus, 
der ein mit Tetanussporen imprägnierter Holzsplitter unter die Rücken- 
haut gebracht worden war, nach dieser Impfung noch dadurch zu 
retten, dass dem Tierchen eine tetanusfeste Amme gegeben wurde. 
Tetanische Symptome traten zwar in den ersten Tagen nach der In- 
tektion auf, verloren sich aber im Verlauf einer Woche. 

Dass die in der Milch künstlich immunisierter Tiere vorhandenen 
Sehutz- und Heilstoffe im Körper der Säuglinge überhaupt ihre Wir- 
kungen entfalten, erscheint auffällig, sofern nach den bisherigen Er- 
fahrungen die Antitoxine als sehr labile Substanzen gelten müssen, 
welche mutmaßlich von den chemischen Vorgängen im Darm nicht 
unberührt bleiben können. Für die Unbeständigkeit dieser Stoffe 
fand Verf. einen neuen Beweis in dem Ergebniss einiger Fütterungs- 
versuche. Er fütterte Junge Mäuschen, die eben selbständig zu fressen 
anfingen, mit dem Fleisch riein- und tetanusfester Tiere, brachte je- 
doch niemals auch nur eine Spur von Schutzeffekt hervor. Er kommt 
daher zu dem Schluss, das Auftreten der Säugungsimmunität lasse 
sich nur aus der eigenartigen Beschaffenheit der Milch erklären; die 
Muttermilch sei für eine vollständige und rasche Resorption seitens 
des Säuglings auf das zweckmäßigste eingestellt (Bunge), und es 
sei denkbar, dass auch die in ihr enthaltenen Antitoxine vermöge 
besonderer Bindungsverhältnisse und vermöge begleitender Eiweiß- 
körper unangetastet aus dem Darm in die Blutbahn gelangten. 

Oscar Schulz (Erlangen). 


Behring und Frank, Experimentelle Beiträge zur Lehre von 
der Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Ueber einige 
Eigenschaften des Tetanusheilserums. 

Deutsche mediz. Wochenschrift, 1892, Nr. 16. 

Nach den übereinstimmenden Resultaten zahlreicher Tierversuche 
wird man kaum mehr daran zweifeln, dass das Blutserum tetanus- 
immunisierter Tiere auch den Menschen gegen eine Tetanusinfektion 
zu schützen vermöchte. Aber selbst wenn dies sicher bewiesen wäre, 
so hätte die Therapie noch nicht viel gewonnen. Denn bei der großen 
Seltenheit des Wundstarrkrampfs würde Niemand daran denken, sich 
gegen Tetanus immunisieren zu lassen. Praktisch kommt es nicht 
darauf an, gegen die Tetanusinfektion zu schützen, sondern ausge- 





Langendorft, Physiologische Graphik. 315 


brochenen Tetanus zu heilen. Dieser Aufgabe sind die Vff. näher 
getreten, indem sie die Heilkraft des Serums eines tetanusimmuni- 
sierten Pferdes an tetanuskranken Mäusen prüften. 

Das von ihnen verwendete Antiserum war zwei Monate alt; es 
war frisch mit Karbolsäure versetzt worden, und zwar mit soviel, 
dass es 0,5°/, davon enthielt, und hatte sich bis zu seiner Verwen- 
dung steril und unverändert schutzkräftig gehalten, obwohl es ohne 
besondere Kautelen, bei freiem Luftzutritt und bei wechselnden, bald 
niederen bald höheren Zimmertemperaturen aufbewahrt worden war. Mit 
diesem, teils mit destilliertem Wasser, teils mit physiologischer Koch- 
salzlösung verdünnten, teils auf 65° erhitzten Serum behandelten die 
Vff. 13 Mäuse, denen sie kurz zuvor die tötliche Dosis einer frischen 
Tetanusbouillonkultur eingespritzt hatten; 5 weiteren, zur selben Zeit 
mit Tetanus infizierten Mäusen gaben sie das Serum erst 24 Stunden 
später. Die ersten 13 Mäuse überstanden die Infektion, ohne Krank- 
heitssymptome zu zeigen; von den 5 letzten verendeten 4 innerhalb 
4 Tage und eine, bei welcher die Serumbehandlung fortgesetzt wor- 
den war, starb nach 9 Tagen. Die Heilwirkung des Serums blieb 
also, selbst einer nur 24 Stunden vorher erfolgten Infektion gegen- 
über, beträchtlich hinter seiner Schutzkraft gegen die frische Infektion 
zurück. 

Die Vff. kommen auf Grund ihrer Beobachtungen zu folgenden 
Schlusssätzen: 

Durch zwei Monate lange Aufbewahrung des mit Karbolsäure 
versetzten Serums wird sein Immunisierungswert nicht in nachweis- 
barer Weise verändert. 

Es hat sich bis jetzt nicht nachweisen lassen, dass durch Ver- 
dünnung mit destilliertem Wasser eine Abnahme des Immunisierungs- 
wertes herbeigeführt wird. 

Die bis jetzt angestellten Versuche sprechen nicht dafür, dass 
durch Temperaturen bis zu 65° der Immunisirungswert des Serums 
vernichtet wird. 

Der therapeutische Wert des Serums beginnt erst bei außer- 
ordentlich viel höheren Dosen sich bemerkbar zu machen als der 
Immunisierungswert. Oskar Schulz (Erlangen). 


O. Langendorff, Physiologische Graphik. 


Ein Leitfaden der in der Physiologie gebräuchlichen Registriermethoden. 

Gr. 8. XIV u. 316 Stn. Leipzig und Wien. Franz Deutike 1891. 

Die Registriermethoden haben in der physiologischen Unter- 
suchungstechnik nach und nach eine sehr ausgedehnte Verwendung 
gefunden. Seitdem C. Ludwig zuerst die Schwankungen des Blut- 
drucks mit seinem Kymographion graphisch aufzuzeichnen gelehrt 
hat, seit Helmholtz den zeitlichen Verlauf der Muskelkontraktionen 


314 Errera, Lateinische Namen! 


mit seinem Myographion studiert hat, namentlich aber seitdem Marey 
die graphische Methode in vielfachen Abänderungen für das Studium 
physiologischer Vorgänge aller Art zu benutzen anfing, hat sich das 
Gebiet ihrer Anwendungen immer weiter ausgedehnt. Es ist daher 
eine dankenswerte Aufgabe, welche sich Herr L. gestellt hat, alle 
diese Anwendungen systematisch zusammenzustellen, die in vielfachen 
Abhandlungen zerstreuten Notizen zu sammeln, demjenigen, welcher 
von der Methode Gebrauch machen will, nützliche Winke zu geben. 
Herr L. hat dabei hauptsächlich Anfänger in der selbständigen 
Forschung im Auge gehabt. Aber auch der Fortgeschrittnere, der 
Fachmann im eigentlichen Sinne, wird sein Buch mit Nutzen ge- 
brauchen, da er manches darin finden kann, was ihm bei seinen 
Studien entgangen ist. Dieser Nutzen wäre allerdings noch größer 
gewesen, wenn der Herr Verfasser Literaturangaben beigefügt hätte, 
die das Aufsuchen der im Buch nur angedeuteten Einzelheiten er- 
leichtert hätten. Ein sorgfältiges Eingehen auf die Literatur hätte 
auch einige kleine historische Irrtümer vermeiden lassen, welche mir 
bei der Durchsicht aufgefallen sind, welche aber von so untergeord- 
neter Bedeutung sind, dass sie dem Wert des Buches keinen Ab- 
bruch thun. 

In einem allgemeinen Teil werden nach Erklärung des Funk- 


tionsbegriffs und des Prinzips der Selbstregistrierung die gebräuch- 


lichsten Registrierapparate, Schreibvorrichtungen, optischen Mittel zur 
Kurvendarstellung besprochen. Im speziellen Teil folgen auf die 
Mittel zur Zeit- und Signalvermerkung die graphischen Untersuchungs- 
methoden der Herzthätigkeit, des Blutdrucks, des Pulses, Organvo- 
lumens und der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes, der Atem- 
bewegungen, der Muskelkontraktion. Zahlreiche (249), zum Teil 
schematische Zeichnungen erläutern den Text auf das beste. 


Bitte! lateinische Namen!!) 


Den Gedanken der Brüderlichkeit und Gemeinschaft der Völker, 
welche große Philosophen und nach ihnen große Revolutionen in der 
Welt verbreitet haben, ist heute fast überall ein tiefgreifender Um- 
schwung gefolgt. Man kann sich eines Gefühls der Traurigkeit nicht 
erwehren, wenn man sieht, dass von allen Seiten sich wieder Schranken 
erheben, die man für immer beseitigt glaubte: steinerne und mora- 
lische Schranken, Festungen, Schutzzölle, Klasseneifersucht, Rassen- 
hass. Es scheint, dass am Schluss unseres Jahrhunderts jede Nation, 
jede Gesellschaftsgruppe, jede Interessengemeinschaft dabei angelangt 
ist, Ringe zu bilden, um ihre besonderen Interessen zu verfolgen und 
sich mehr und mehr abzuschließen. Als ob der Fortschritt für die 
Gesellschaft nicht ebenso gut wie für die Organismen darin bestände, 


4) Aus den Comptes rendus de la Soci6te royale de Botanique de Belgique. 








Errera, Lateinische Namen! 315 


das Band der Sympathie zwischen den verschiedenen Organen zu 
entwickeln, die Berührungspunkte mit der ganzen umgebenden Natur 
zu vervielfältigen. 

Während so zahlreiche schöne Träume einer nach dem andern 
zerrinnen, bleibt uns eine Hoffnung. Mögen immerhin die politischen 
und ökonomischen Konflikte die Menschen trennen, die Wissenschaft 
verbindet sie. Sie ist weder gallisch noch germanisch, weder sla- 
visch noch angelsächsisch, weder arabisch noch arisch: sie ist mensch- 
lich. Die Gelehrten aller Länder, jeder Rasse arbeiten alle an einem 
gemeinsamen Werk. 

Es ist daher notwendig, dass sie sich gegenseitig verstehen, dass 
sie ihre Gedanken leicht austauschen, ihre Entdeckungen sich mit- 
teilen können. Zweifellos wäre es nützlich eine wissenschaftliche 
Universalsprache zu haben — Latein, Novlatin, Volapük, einerlei 
welche. Aber ein solches Ideal scheint nicht erreichbar, wenigstens 
für lange Zeit nicht, und man muss sich mit einer vorläufigen Lösung 
begnügen. Man kann wohl sagen, dass es heute kaum einen Natur- 
forscher gibt, der nicht ohne allzugroße Mühe irgend eine Arbeit 
seines Sonderfachs, ob französisch, deutsch, englisch, italienisch oder 
lateinisch lesen kann. Dies haben viele hervorragende Gelehrte in 
Russland, Skandinavien, Holland, Japan eingesehen; sie bedienen sich 
daher für ihre Veröffentlichungen einer dieser fünf Sprachen, und sie 
thun recht daran, zwiefach recht. Sie leisten der Mehrheit ihrer Leser 
einen Dienst, aber noch mehr sich selbst, denn ihre Ideen werden 
dadurch Allen zugänglich und werden ohne weiteres Teile des großen 
wissenschaftlichen Schatzes. 

Aber es gibt einen Punkt, in welchem ein noch vollkommeneres 
Einverständnis erreicht zu sein schien, das ist die Benennung der 
Tier- und Pflanzenarten. Seit Linne nimmt man ohne Widerspruch 
an, dass diese Benennung zweinamig und lateinisch sein soll. Das 
ist unerlässlich. Man muss sofort wissen, von welcher lebenden Form 
ein fremder Kollege sprechen will. Wenn er hingegen die Arten mit 
ihren Vulgärnamen bezeichnet, zwingt er uns immerfort zum Wörter- 
buch zu greifen, wo wir in den meisten Fällen unvollständige und 
ungenaue Angaben finden. 

Diese Bemerkungen werden banal erscheinen, weil sie selbst- 
verständlich sind. Man sollte in der That glauben, dass in dieser 
Beziehung jede Meinungsverschiedenheit ausgeschlossen sei. Trotz- 
dem siekt man mit Verwundern und Bedauern seit einigen Jahren, 
dass sowohl Elementarbücher wie auch Werke für den höhern Unter- 
richt, ja sogar Originalmitteilungen sich der Vulgärnamen für Tiere 
und Pflanzen bedienen. 

Warum will man mich nötigen zu wissen, dass „Herbstwasser- 
stern“ Callitriche autumnalis bedeutet, dass „Habichtskraut“ einmal 
Barbara vulgaris bezeichnet, ein ander Mal Hieracium oder Hypo- 


316 Wickersheimer, Anatomische Präparate. 


choeris maculata oder Sisymbrium Sophia oder Taraxacum officinale 
und dass „Gundermann“ einer der acht deutschen Namen für Gle- 
choma hederacea ist, während „falscher Gundermann“ die Veronica 
Teucrium bedeutet? Ebensowenig sehe ich einen Vorteil darin, zu 
sagen „Echinocacte“, „Anthure“, „Bresillet“, „Gymnogramme lepto- 
phylle“, „Aspide en faux“ statt Echinocactus, Anthurium, Caesalpinia, 
Gymnogramme leptophylla, Aspidium falcatum. 

Es ist ja wahr, dass die meisten Schriftsteller, welche diese 
Neuerung ausüben, noch oft die lateinischen Namen in Parenthesen 
beifügen. Aber die neue Mode ist noch im Anfangsstadium, und 
wenn man nicht bei Zeiten einschreitet, muss man gewärtig sein, 
dass diese heilsame Inkonsequenz verschwindet. Immerhin füllen 
schon jetzt die Vulgärnamen den Text und ermüden die Aufmerk- 
samkeit des Lesers. Was würden wir von einem Chemiker sagen, 
dem es einfiele, von „Zinkblumen“ oder von „philosophischer Wolle“ 
zu sprechen, wenn es sich um Zinkoxyd handelt? Aber es ginge 
noch an, wenn man sich wenigstens nur derjenigen Vulgärnamen 
bediente, die allgemein bekannt sind, falls es solche gibt. Aber sie 
willkürlich erfinden und sie den überall gebräuchlichen lateinischen 
Namen unterschieben, dafür gibt es doch keinen Schein von Ent- 
schuldigung. 

Es ist also hohe Zeit, dagegen Verwahrung einzulegen. Die Frage 
ist nur scheinbar gleiehgiltig und voraussichtige Geister haben Grund 
zur Beunruhigung. Denn es handelt sich um die allerkostbarste 
Form des Freihandels: den wissenschaftlichen Freihandel. 

Also: Bitte, lateinische Namen! 

Leo Errera. 


J. Wickersheimer, Kurze Anleitung zur Verwendung der 
Wickersheimer’schen Flüssigkeit für anatomische Prä- 
parate mit einem Anhange über Metallkorrosionen. 

8. 32 Stn. u. 3 Lichtdrucke. Berlin, Boas & Hesse. 1892. 


Um alle Interessenten in den Stand zu setzen, die schönen Präparate, 
welche der Verf., Präparator am I. anatomischen Institut der Universität in 
Berlin, seit Jahren anfertigt und welche auf der Ausstellung des X. internat. 
mediz. Kongresses in Berlin so volle Anerkennung gefunden haben, selbst her- 
zustellen, veröffentlicht Verf. die Zusammensetzung seiner Injektionsmasse 
(Alaun 100, Kochsalz 25, Kali-Salpeter 12, Potasche 60, Arsenige - Säure 20, 
Wasser 3000; nachdem die angegebenen Substanzen in warmem Wasser gelöst 
und die Flüssigkeit wieder abgekühlt ist, wird die Lösung filtriert und auf je 
10 Vol. 4 Vol. Glyzerin und 1 Volum Methylalkohol zugesetzt) und fügt eine 
genaue Beschreibung des Injektionsverfahrens und der Herstellung der Prä- 
parate hinzu. Letztere zerfällt in die Beschreibung des Verfahrens bei Her- 
stellung des Bänderskeletts, von Muskel- und Nerven- und Gefäßpräparaten, 
der inneren Organe, der Lunge insbesondre, des Gehirns, pathologischer Prä- 
parate. Dann folgt die Anleitung zur Aufstellung der Präparate: Einbettung 





Migula, Bakteriologisches Praktikum. >17 


in Glyzerin-Gelatine und deren Herstellung, der Injektionsmassen. Im Anhang 
bespricht er die Metallkorrosionen und empfiehlt als von ihm erprobt eine 
Legierung von (chemisch reinem) Blei 32, Zinn 16, Wismut 60, Kadmium 
42 Teilen, denen nach dem Zusammenschmelzen 10 Teile Quecksilber zugefügt 
werden. Die Injektion wird nach Entfernung alles Bluts aus den Gefäßen 
durch Eingießen in einen in die Arterie eingebundenen Trichter nach Vor- 
wärmung des Organs auf 70—80° C und Verflüssigung der Legierung in einem 
Bade von kochendem Wasser vorgenommen und dann das Organ durch Auf- 
gießen kalten Wassers langsam abgekühlt. Die Mazeration erfolgt am besten 
im Brütofen bei 30—40° C, bei vielem elastischem Gewebe (z. B. Lungen) 
unter Zusatz von etwas Soda. Die mazerierten Gewebsfetzen werden zuerst 
mit einer feinen Pinzette entfernt und zuletzt durch einen feinen Wasserstrahl 


fortgespült. 
Die Anleitung wird sicher Anatomen und andern, welche derartige Prä- 
parate gebrauchen, willkommen sein. —l. 


W.Migula, Bakteriologisches Praktikum zur Einführung in 
die praktisch-wichtigen bakteriologischen Untersuchungs- 
methoden für Aerzte, Apotheker, Studierende. 


Kl. 8. XIX und 200 Seiten. Mit 9 Abbildungen im Text und 2 Tafeln mit 
(8) Photogrammen. Karlsruhe, Verlag von Otto Nemnich. 1892. 


Die immer zunehmende praktische Bedeutung, welche die Bakteriologie 
für alle möglichen Kreise erhalten hat, zeigt sich in der wachsenden Zahl von 
Anleitungen zur Bearbeitung der bakteriologischen Aufgaben. Die vorliegende, 
von dem Verf. für seine an der technischen Hochschule zu Karlsruhe abge- 
haltenen Kurse ausgearbeitet, wendet sich an Anfänger und besonders an 
solche, welche die Methoden zu praktischen Zwecken erlernen, ohne gerade 
tiefer eindringen zu wollen. Sie scheint mir für diese recht brauchbar, wenn 
gleich die Nachhilfe des Lehrers wohl nicht wird entbehrt werden können. 
Die Beschreibung der Methoden, besonders der Färbungen ist gut verständlich. 
Aufgefallen sind mir nur einige Stellen, die zu verbessern wären, so die ganz 
unbegründete Erklärung der Brown’schen Molekularbewegung durch elek- 
trische Spannungen (S. 6), die Verwechslung der Begriffe Plasma und Serum 
(S. 18), die unrichtige Darstellung der Milzbrandkrankheit im Eingang zum 
14. Pensum (S. 150), die Nichtübereinstimmung der Figurenerklärung auf S. 10 
und 11 mit dem, was die Figur zeigt. Etwas genauer hätten trotz der ge- 
botenen Kürze die Angaben über Glyzerin-Agar, verschiedene feste Nährböden 
(Reis-, Eiweiß u. a.) sein können, ebenso über die für gewisse Bakterien so 
wichtige Eigenschaft der Fluorescenz. Die beigegebenen Photogramme sind 
recht gut, doch würden daneben einige phototypische Reproduktionen noch 
andrer Formen von Nutzen sein. R. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
Niederrh. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn. 
Sitzung vom 15. Februar 1892. 


Privatdozent Dr. Noll brachte die eigenartigen Bewegungen einer geo- 
tropisch sich aufrichtenden Keimpflanze in einem sogenannten Schnellseher 


318 Noll, Stroboskopische Beobachtung von Pflanzenbewegungen. 


(Stroboskop, Zo6trop) zur Anschauung. Diese Bewegungen vollziehen sich in 
Wirklichkeit im Verlauf von vielen Stunden so langsam, dass der Eindruck 
der Bewegung selbst ganz verloren geht. Die Pflanze scheint, wie der kurze 
Zeiger einer Uhr, auch bei genauerem Zusehen völlig stillzustehen und nur 
durch die vergleichende Betrachtung nach längeren Zeiträumen kann man sich 
von den thatsächlich stattfindenden Form- und Lageveränderungen überzeugen. 
Diese letzteren treten bei einer normal aufrecht wachsenden Pflanze, die nach 
erfolgter Niederbeugung auf den Boden bekanntlich aus eigenen Kräften mit 
dem Gipfelteil sich wieder aufrichtet, in merkwürdiger Weise auf. Die Auf- 
wärtskrümmung beginnt für gewöhnlich dicht hinter der Gipfelknospe und 
schreitet von da basalwärts fort. Dadurch wird nach und nach eine immer 
längere Strecke des Stengels erhoben und sogar nach rückwärts, oft sehr be- 
deutend, übergekrümmt. Die Ueberkrümmung über die Lotlinie hinaus, einer- 
seits Folge der in den basalen Teil fortschreitenden Krümmung, anderseits 
auch das Resultat von Nachwirkungen, wird dann durch entgegengesetzte 
Krümmungen oben wieder ausgeglichen und dies Spiel dauert so lange, bis 
der noch wachsende obere Teil des Stengels vollkommen senkrecht gestreckt 
ist. Eine scharfe Krümmung bleibt nur da zurück, wo die noch langsam 
wachsenden basalen Stengelteile an fertig ausgewachsene, nicht mehr be- 
wegungsfähige, angrenzten. Die Erklärung dieser Bewegungsformen, die man 
wie ihre genaue Feststellung samt der Erkenntnis, dass hier typische Reiz- 
erscheinungen vorliegen, Julius Sachs verdankt, wurde mit Hilfe der von 
Sachs gezeichneten Tafeln!) gegeben. 

Zur Aufnahme der Beobachtungs-Serie braucht man hier natürlich keinen 
Momentapparat wie bei laufenden oder fliegenden Tieren; es genügt, etwa von 
halber zu halber Stunde, oder von Stunde zu Stunde, je nach dem Verlauf der 
Bewegung, eine Aufnahme zu machen, für die ein genauer Schattenriss zur 
Not schon genügt. Die so im Laufe mehrerer Stunden gewonnene Bilderreihe 
durchläuft im. Apparat das Gesichtsfeld in etwa einer Sekunde und dem- 
entsprechend ist natürlich die Geschwindigkeit der Bewegung vervielfältigt, 
ihr Eindruck außerordentlich lebendig. Die sich folgenden Phasen der Be- 
weguug, ihr Charakter als Reizerscheinung und das dabei zu erreichende Ziel 
gelangen so zu unmittelbarstem, gleichsam beredtem Ausdruck. 

Der Schnellseher in seiner gewöhnlich gebräuchlichen Ausstattung zeigte 
sich für diese Anwendung zuerst sehr wenig geeignet. Er hat bei Tierbildern 
ja nur den flüchtigen Gesamteindruck sehr rascher, periodischer Bewegungen 
wiederzugeben, welche uns in ihren Einzelstadien überhaupt gar nicht zu Be- 
wusstsein kommen, wie das der so fremdartige Eindruck von Momentbildern 
laufender Tiere ja auffallend beweist. Gerade auf diese Einzelstadien kommt 
es aber bei der Wiedergabe einfacher pflanzlicher Bewegungen an; sie müssen 
in ihrer charakteristischen Form und Folge klar zum Ausdruck gelangen. 

Um dies zu erreichen, war es vor allem nötig, an dem, wie Vortragender 
darlegte, optisch sehr unvollkommenen Apparate einige Verbesserungen anzu- 
bringen. Die Wirkung des Apparates auf unser Auge beruht wesentlich auf 
einem physiologischen Momente, auf der Nachwirkung, welche ein empfangener 
Lichteindruck über die Dauer seiner physikalischen Einwirkung hinaus in 
unseren Sehnerven zurücklässt. Bei genügend rascher Umdrehung des Appa- 
rates kommt nun ein nächstfolgendes Bild bereits zu frischer Wirkung, während 





1) Beigegeben den Arbeiten des botan. Instituts in Würzburg, III. Bd., 
Heft 4, 1888. 





Noll, Stroboskopische Beobachtung von Pflanzenbewegungen. 319 


der Eindruck des vorhergehenden noch nicht erloschen ist. Damit setzt dann 
ein rein psychologisches Moment ein, welches die beiden Eindrücke in unserer 
Vorstellung so verbindet, dass der Schein einer, beide Eindrücke vermittelnden 
Bewegung entsteht. 

Je ungestörter demnach die einzelnen Bilder zu ausschließlicher Einwirkung 
in unser Auge gelangen, um so vollkommener ist die optische Einrichtung 
des Apparates. Je geringer anßerdem die Abweichung zwischen den aufein- 
anderfolgenden Stadien, desto leichter und vollkommener vollzieht sich die 
psychologische Vermittlung, die Täuschung einer zusammenhängenden Be- 
wegung. Besonders bei der stroboskopischen Darstellung von Pflanzenbe- 
wegungen, deren Eindruck uns nicht so geläufig ist, wie z. B. der Anblick 
eines galoppierenden Pferdes und bei denen es, wie erwähnt, auch auf be- 
wusstes Erfassen der Zwischenstellungen ankommt, muss diesem psychologischen 
Momente durch die Aufnahme einer großen Zahl von Zwischenstadien Rechnung 
getragen werden. 

Was die rein optische Seite des Apparates betrifft, so ist dieselbe 
hauptsächlich in zwei Punkten verbesserungsfähig und verbesserungsbedürftig. 
Zwischen je zwei Schaulöchern der Trommel erstreckt sich die Trommelwand 
in einer Ausdehnung, die das 10—20fache der Lochbreite beträgt. Der von 
der Trommelwand ausgehende Lichteindruck auf unser Auge hat deshalb eine 
10--20 mal längere Dauer als der Lichteindruck, welcher durch ein Schauloch 
kommt. Ist die Trommelwand hell, bunt oder gar weiß, wie bei den im Handel 
eben erscheinenden Schnellsehern mit Anschütz’schen Serien, dann wird 
durch das Licht der äußeren Trommelwand der Bildeindruck auf der Netzhaut 
jedesmal gestört, die Nachwirkung desselben verwischt. Die theoretische 
Forderung, dass zwischen den Bild-Eindrücken kein anderer die Netzhaut 
affıziere, dass die letztere in der Zwischenzeit ruhe, beziehungsweise die Nach- 
wirkung ungestört zur Geltung kommen lasse, wird praktisch am besten erfüllt 
durch Dunkelheit während der Pausen, wodurch auch anderseits die Reiz- 
empfänglichkeit für das nachfolgende Bild gesteigert wird. Die Trommelwand 
ist daher, wenigstens zwischen den Schaulöchern, tief mattschwarz zu halten, 
was durch einen Anstrich von Elfenbeinschwarz leicht erreicht werden kann. 

Eine zweite sehr wesentliche Störung wird dadurch bedingt, dass für alle 
Beobachter, deren Pupillen nicht gerade so weit von einander entfernt sind, 
wie etwa die Mittellinien der Schaulöcher der Trommel!) und deren verlängerte 
Augenaxen (Rlicklinien v. Helmholtz’) daher nicht bequem auf einen ge- 
meinsamen Punkt der Innenwand gerichtet werden können, das Bild eines Be- 
wegungsstadiums in beiden Augen nicht gleichzeitig und nicht auf den so- 
genannten identischen Netzhautstellen erscheint. Da wir nun gewohnt sind, 
die Dinge mit beiden Augen zugleich zu betrachten und so zu fixieren, dass 
die Bildchen, auf identische Netzhautorte fallend, von uns zu einem einzigen 
Bilde kombiniert werden, so bringt die zeitliche und örtliche Differenz der 
auf beide Augen gesondert einwirkenden Bilder einen eigentümlich verwirrenden 
Eindruck hervor. Die Bilderreihe erscheint, wie das so manchem Betrachter 
eines Stroboskops schon aufgefallen sein wird, in der Bewegung unstet und 
zitternd, da in unserer Vorstellung sich in der That zwei diskordante Ein- 
drucksfolgen vermengen. Entfernt man sich mit dem Gesichte von der Trommel- 
wand, so wird diese verwirrende Störung auffallend verringert, wie das bei 





1) Der Abstand der Pupillen von einander ist aber individuell sehr ver- 
schieden. 


320 Noll, Stroboskopische Beobachtung von Pflanzenbewegungen. 


eingehender Erwägung der hier in Betracht kommenden Verhältnisse, die mit 
der verkleinerten Parallaxe der Blicklinien zusammenhängen, erklärlich ist. 
Die besagte Störung lässt sich aber auch ganz und gar vermeiden dadurch, 
dass das jedem Schauloch gegenüber liegende Bild mit Hilfe zweier vertikaler 
Spiegelpaare den beiden Augen gleichzeitig und mit entsprechender Strahlen- 
divergenz zureflektiert wird. Es zeigte sich, dass damit der Eindruck der 
Bewegung des nun bloß in der Einzahl erscheinenden Objekts ganz ungemein 
an Klarheit gewann, dass nun aber das Bild, welches nur momentan beim 
Passieren der Kante der vorderen spiegelnden Prismenflächen in die Augen 
gelangt, bei gewöhnlicher Lampen- und Gasbeleuchtung zu lichtschwach wurde 
und eben dadurch wieder viel an seiner Wirkung einbüßte. Aus diesem Grunde 
wurde auf die vollständige Korrektion der genannten Störung mittels der 
Spiegeleinrichtung ganz verzichtet und mit der schon recht wesentlichen Ver- 
besserung vorlieb genommen, welche die bloße Entferuung der Augen von der 
Trommelwand mit sich bringt. Um nun die Augen in derjenigen Entfernung 
zu halten, die sich empirisch als die vorteilhafteste erwiesen hatte!), und um 
außerdem alles fremde störende Licht von den Augen abzuhalten, wurde in 
der Höhe der geschwärzten Schauloch-Zone ein Tubus vor dem Apparat ange- 
bracht. Dieser Tubus, mit breitgezogenem rechteckigem Querschnitt, innen 
geschwärzt, schloss sich einerseits mit thunlich geringstem Zwischenraum an 
die Rundung der Trommelwand an und erweiterte sich (etwa im Verhältnis 
der verlängerten Trommelradien) nach außen so, dass er bequem beide Augen 
umschließen konnte. Er war wie die Trommel aus Pappdeckel gefertigt und 
mittels rechtwinklich umgebogener dünner Messingröhre direkt an dem Fuß- 
gestell des Apparates befestigt. — Mit Hilfe dieser einfachen Verbesserungen 
erschien dann die Bilderreihe recht klar in den Umrissen und wohlthuend 
stetig und einheitlich in der Bewegung. 

Im Sommer gedenkt der Vortragende noch Bilderserien von anderen 
Pflanzenbewegungen, wie z. B. das Greifen und Aufrollen von Ranken, die 
periodischen Bewegungen von Blattorganen (nyktitropische u. a.) aufzunehmen, 
um dieselben in ihrem charakteristischen Verlauf in den Vorlesungen einmal 
vollständig und in kurzer Zeit vorführen zu können. 





4) Zu weite Entfernung lässt bei der bekannten Anordnung von Bildern 
und Schaulöchern auch Teile der ersteren verschwinden. 





Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- 
tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle 
geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, 
auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen 
an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipiig, 
Salomonstr. 16, zu richten. 








Verlag von Eduard Besold in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 











Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess wd Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XII. Band. 15. Juni 1892, Nr. l1u1. 





Inhalt: Bokorny, Einige Beobachtungen über den Einfluss der Ernährung auf die 
Beschaffenheit der Pflanzenzelle. — Kochs, Ueber die Vorgänge beim Ein- 
frieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. — Kionka, Ueber 
das Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen pathogene Mikroorganismen. — 
Kalischer, Neurologische Untersuchungen. — Aus den Verhandlungen 
selehrter Gesellschaften : Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Natur- 
wissenschaften zu Marburg. 





Einige Beobachtungen über den Einfluss der Ernährung auf 
die Beschaffenheit der Pflanzenzelle. 


Von Dr. Th. Bokorny. 


Beobachtungen an Algenzellen zeigten mir aufs deutlichste, dass 
die Ernährung großen Einfluss auf die Form und innere Ausbildung 
derselben übt und Verschiedenheiten hervorzurufen vermag, die man 
von vornherein nieht vermuten möchte. Die Differenzen sind mitunter 
so groß, dass es schwer wird, die Identität auf den ersten Blick zu 
erkennen. 

Freilich beziehen sich diese Beobachtungen auf Pflanzen, die in 
gewissem Sinne einzellig sind, d. h. aus lauter gleichartigen Zellen 
bestehen und unter bestimmten Bedingungen in einzelne Zellen, welche 
sich dann als Individuen verhalten, zerfallen können. Hier spielt sich 
das gesamte Pflanzenleben in einer Zelle ab, ein und dieselbe Zelle 
ist befähigt zur Ausübung sämtlicher pflanzlichen Thätigkeiten. Ver- 
änderungen, welche durch verschiedene Ernährung hervorgerufen 
werden, treten hier voll und ganz an der einzelnen Zelle zu Tage, 
während sie bei höher organisierten Pflanzen am Gesamtorganismus, 
der aus Tausenden von Zellen und vielerlei Zellen besteht, zum Aus- 
druck kommen, nur in beschränktem Maße an der einzelnen Zelle. 

Spirogyren, meine hauptsächlichsten Versuchspflanzen, bilden 
in der Regel mehr oder weniger lange Fäden, die aus gleichartigen 
zylindrischen Zellen bestehen. Jede besitzt eine doppelte oder drei- 


fache Zellhaut, ein dünnes wandständiges Cytoplasma mit spiralig 
X. 21 


320 Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzeile. 


sewundenen seltener gerade verlaufenden Chlorophyllbändern, und 
einen großen Saftraum, in dessen Mitte der Zellkern an Plasmodien- 
strängen suspendiert liegt, welch letztere nach Pringsheim in die 
Stärkeherde auslaufen. Die Stärkeherde oder Pyrenoide liegen in 
den Chlorophylibändern und treten dort in gewissen mehr oder weniger 
großen Abständen auf; an ihrer Oberfläche entsteht die Stärke, das 
erste sichtbare Assimilationsprodukt. Die Zahl der Chlorophylibänder 
ist je nach der Spirogyren-Art wechselnd. Der Zellkern besitzt häufig 
Scheibenform mit allmählich sich verdünnenden Rändern (im optischen 
Durchschnitt spindelförmig), mitunter auch rundliche Gestalt. 

Wenn wir Spirogyren verschiedenen Ernährungsbedingungen aus- 
setzen, so treten Schwankungen auf in der Gesamtform und Länge 
der Zellen; der Lage, Breite und Färbung der Chlorophyll- 
bänder sowie ihrem Stärkegehalt; im Eiweißgehalt des Cyto- 
plasmas; endlich in der Zusammensetzung des Zellsaftes. 

Ich experimentierte vorzugsweise mit Spirogyra majuscula, welche 
gegen veränderte Ernährungsbedingungen empfindlicher ist als viele 
anderen Spirogyra - Species. 

Was zunächst die Gesamtform der Zelle anbetrifft, so ist 
dieselbe normalerweise die eines Zylinders. 

Im Stadium der Kopulation schwellen dieselben bauchig an und 
gewinnen das Aussehen einer Tonne. 

Auftreibung der Zellform lässt sich indess auch künstlich erzielen 
durch bestimmte Ernährungsverhältnisse. 

Bekanntlich gehören zur vollständigen Ernährung der Pflanzen 
außer Kohlensäure folgende Mineralstoffe: Kaliumsalze, Nitrate, Phos- 
phate, Sulfate, Caleium- und Magnesiumsalze, geringe Mengen Eisen, 
vielleicht etwas Chlor. 


Gewöhnlich gibt man nach Nobbe der Nährlösung folgende Zu- 
sammensetzung: 


Chlorkalum. Star sr. ol 58 
Salpetersaurer Klk . . 2 „ 
Schwefelsaure Magnesia . 0,8 „ 
Eisenphosphat, . ..:%.%:. 0,12, 
Monokaliumphosphat . . 0,52 „ 





4,44 g auf 4 Liter Wasser. 


Doch dürfte für Algenkulturen nach ©. Loew folgende Mischung 
zweckmäßiger sein: 


Salpetersauren Kalk . . 28 
Schwefelsaure Magnesia . 0,5 „ 
Bisenchlorid -.: +... 0,02, 
Monokaliumphosphat . . 02 „ 





3,02 g auf 10 Liter Wasser. 














Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzelle. 325 


Letztere Lösung zeigt andere Mengenverhältnisse der einzelnen 
Stoffe, hat kein Chlorkalium und ist verdünnter wie erstere, was für 
Algen mitunter vorteilhaft ist, da sie durch größere Konzentrationen 
leicht geschädigt werden. Selbstverständlich muss bei Gebrauch der 
letzteren Nährlösung eine größere Quantität derselben angewandt 
werden, was überhaupt, auch aus einem andern Grunde, anzuraten ist; 
denn die Spirogyren und andere Algen lieben es, recht locker zu 
liegen, so dass ziemlich große Abstände zwischen den einzelnen Fäden 
bleiben; ist das nicht der Fall, so ersticken leicht die inneren Fäden 
des Rasens und ziehen dadurch eine Unzahl von Spaltpilzen und 
Infusorien herbei, welche die Kultur schädigen. 

Verwendet man nun die Nährlösung ganz, so findet normale Ent- 
wicklung statt. Lässt man aber das Kalium aus derselben weg, indem 
man statt Monokaliumphosphat Mononatriumphosphat hinzufügt, so 
zeigt sich eine merkwürdige Veränderung an den Fäden. Sie werden 
steif und zerbrechlich, zerfallen bald in kurze Stücke und schließlich 
in einzelne sich zu Boden setzende Zellen, so dass nun nicht mehr 
in der Flüssigkeit schwebende Fäden sichtbar sind, sondern statt 
dieser ein grüner pulveriger Satz. Die Zellen zeigen unter dem Mi- 
kroskop Auftreibungen, entweder in der Mitte oder häufiger am Ende, 
welche oft mit einer Krümmung verbunden sind. Es macht den Ein- 
druck, als wäre der von innen auf die Zellwand wirkende Turgordruck 
stärker und in der Wirkung ungleichmäßiger geworden, als er zuvor 
gewesen war. Auf ein Steigen des Turgors ist wohl das Zerfallen 
der Fäden in kurze Stücke und einzelne Zellen zurückzuführen; er 
wird schließlich so stark, dass die äußere, benachbarte Zellen um- 
schließende gemeinsame Zellhautschicht zerrissen wird. Im Moment des 
Zerreissens wölben sich dann die Enden der einzelnen Zellen vor, da 
sie nun frei an Wasser grenzen und nicht den Gegendruck der Nach- 
barzelle mehr auszuhalten haben; allmählich tritt die Auftreibung 
der Zellenden ein, die, wenn sie beiderseits stattfindet, der Zelle 
ein hantelförmiges Aussehen gibt. 

Eigentümliche Formveränderungen bemerkte ich ferner an ver- 
schiedenen Spirogyren, als ich sie 8 Tage in gewöhnlicher minera- 
lischer Nährlösung liegen ließ, der noch 0,25°/, Bittersalz beigemischt 
war. Die Fäden, welche 4 verschiedenen Arten (Sp. Braunii, Webert, 
decimina und jugalis) angehörten, zeigten makroskopisch normales 
Aussehen; sie waren schön grün, schief (nach der Lichtseite hin) auf- 
gerichtet, und lagen fast parallel in Schlangenkrümmungen neben ein- 
ander. Unter dem Mikroskop bemerkte ich an einigen Zellen Ver- 
zweigungen ersten und sogar zweiten Grades, in welche auch die 
Chlorophylibänder sich hinein erstreckten; die Zweige waren der einen 
Querwand genähert und schmäler als die ursprüngliche Zelle selbst. 

In der Natur fand ich bis jetzt stets unverzweigte vegetative 
Spirogyrenzellen vor. 

E 21 % 


324 Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzelle. 


Die Länge der Zellen ist bei Spirogyren ungemein variabel, 
je nach der Art der Nährlösung, in welcher sie sich befinden. 

So hat O0. Loew!) hierüber folgendes beobachtet. 

In zwei je 5 Liter haltende Glasflaschen wurden je 2 Liter Nähr- 
lösung von folgender Zusammensetzung gebracht: 


Kaliumnitrat . . . 0,2 pro mille 
Caleinmmtrat 77.7. 102 975 
Natnıumsultat = 02.0.1 Zar 
Magnesiumsulfatt . O1 „ ,„ 
Ferrosulfat . . . Spur. 


Eine der Lösungen enthielt außerdem noch 0,1 p. m. Mono- 
kaliumphosphat und manchmal wurden ein paar Blasen Kohlen- 
säure in beide Flaschen, die mit Glasstöpsel verschlossen wurden, 
eingeleitet. 

Der Schwefel wurde außerdem noch in Form von Methylsulfid 
(je 0,05 p. m.), das sich bei anderen Versuchen als günstig erwiesen 
hatte, zugesetzt. 

„Nach 4 Wochen ergab sich schon beim bloßen Anblick ein sehr 
großer Unterschied: Die Vegetation der Phosphatalgen nahm einen 
viel größeren Raum ein als die der Kontrolalgen und das schöne 
Dunkelgrün der ersteren kontrastierte sehr mit dem Gelblichgrün der 
letzteren“. | 

Bei mikroskopischer Untersuchung ergab sich, dass die mit Mono- 
kaliumphosphat versetzten Algen fast doppelt so lange Zellen 
hatten als die Algen der phosphatfreien Nährlösung. 

Sehr erhebliche Längenveränderung erzielte ich an den Zellen 
einer frisch gesammelten Spir. majuscula, als ich sie in Kultur nahm 
und 8 Tage ins Dunkle verbrachte. 

Die Zellen der frisch eingebrachten Spirogyra waren außergewöhn- 
lich kurz, etwa !/, so lang als dick. Nach Stägigem Stehen im 
Dunkeln (zuerst unter Zusatz von mineralischer Nährmischung, dann 
mit bloßem Brunnenwasser) übertraf der Längendurchmesser um das 
4fache den Diekendurchmesser, also um das 12fache den ursprüng- 
lichen. Es zeigten sich Hungererscheinungen an den Zellen; die 
Chlorophylibänder waren jetzt ganz stärkefrei, oft nieht mehr als die | 
halbe Länge der Zelle ausmessend. 

Besonders empfindlich gegen Veränderungen der Nährflüssigkeit | 
sind auch die Chlorophyllbänder. 

Sie zeigen insbesondere bei Spir. majuscula Wandlungen, welche 
auf den ersten Blick staunenswert erscheinen. 

Spir. majuseula hat früher den Artnamen „orthospira“ geführt, 
weil in deren Zellen die Chorophylibänder häufig fast gerade ver- 
laufend, d. h. parallel zum Längsdurchmesser der Zellen, angetroffen 
werden, während sie sonst spiralig gewunden sind. 


4) Biolog. Centralblatt, 1891. 











Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzelle. 39 


Nun kann man aber schon in der Natur großen Schwankungen 
in dieser Hinsicht begegnen. Ich habe diese Art an ein und dem- 
selben Standort Jahre hindurch beobachtet und das einemal Fäden 
mit geraden Chlorophylibändern, das anderemal solche mit sehr steilen 
Windungen, wieder ein andresmal solche mit sehr niedrigen Windungen 
vorgefunden. 


Kulturversuche zeigten mir, dass dies mit den Ernährungsverhält- 
nissen zusammenhängt. 


Lässt man das Kalium aus der Nährlösung weg, schließt man 
also die Kohlensäureassimilation aus, so verkürzen sich die Chloro- 
phylibänder, besser gesagt, sie wachsen nicht mehr; und, indem das 
Wachstum der Zellen fortgeht, nehmen sie eine steile und allmählich 
ganz gerade Lage in der Zelle an. 

Gleichzeitig tritt auch eine Verschmälerung der Chlorophylibänder 
ein; sie ziehen zunächst ihre Zacken ein und schrumpfen dann zu 
schmalen Streifen zusammen. 


Erfolgt nun nicht bald eine Nahrungszufuhr, so sterben die Chloro- 
phylibänder ab und werden damit funktionsunfähig, während die 
übrige Zelle noch längere Zeit fortleben kann. 


Bei Spirogyren mit raschem Stoffwechsel kann man diesen Zu- 
stand bei vollem Licht- und Kohlensäurezutritt binnen 2 bis 
3 Tagen herbeiführen, wenn man eine nur etwas Caleiumnitrat und 
Magnesiumsulfat enthaltende Nährlösung anwendet. Durch diese beiden 
Salze wird rasch alles verfügbare Kohlehydrat in Eiweiß umgesetzt, 
welches zum Aufbau der Protoplasmaorgane dient, neue Kohlehydrat- 
mengen werden wegen Kaliummangels nieht oder nur in geringem 
Maße gebildet und so tritt rasch jener eben geschilderte Hunger- 
zustand ein. 

Aehnliches kann man durch Verdunkelung erreichen, da ja bei 
Liehtabwesenheit die Kohlensäureassimilation völlig aufhört. 


Doch ist es von größter Wichtigkeit, jene beiden eben genannten 
Salze hinzuzufügen, da sonst der Verbrauch noch vorhandener Nah- 
rungsvorräte außerordentlich langsam vor sich geht und Hungerzustände 
nur ganz allmählich eintreten. 


Häufig werden Pflanzen oder Pflanzenteile behufs Aushungerung 
einfach mit etwas destilliertem Wasser oder Brunnenwasser ins Dunkle 
verbracht. Soweit meine Erfahrungen gehen, ist das ein sehr unvoll- 
kommenes Mittel zur Erreichung jenes Zweckes; ich musste oft mehrere 
Wochen, ja bisweilen Monate lang warten, bis der gewünschte Zustand 
eingetreten war. 

Bei Anwendung von Caleiumnitrat und Magnesiumsulfat dürfte 
man dieser Unannehmlichkeit nicht ausgesetzt sein; wenigstens kam 
ich bei Spirogyren unter solehen Umständen stets binnen wenigen 
Tagen zum Ziel. 


326 Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzelle. 


Unterbricht man den Hungerzustand rechtzeitig, durch Belichtung, 
Kohlensäure- und Kaliumzufuhr, oder auch durch organische Ernährung, 
so dehnen sich die Chlorophylibänder wieder aus, sie nehmen die 
ursprüngliche Breite an, zeigen wiederum Zacken und winden sich 
spiralig um die Zellen, indem sie länger werden. 

Die Masse der Chlorophylibänder kann bei guter Ernährung so 
zunehmen, dass die ganzen Zellen grün gefärbt erscheinen; dann sind 
die Chlorophylibänder durch ungewöhnliche Verbreiterung so nahe an 
einander gerückt, dass kaum mehr farblose Stellen dazwischen übrig 
bleiben. 

Ganz ähnliche Dinge konnte ich auch an Zygnemen bei künst- 
licher Ernährung wahrnehmen. Auch bei ihnen ist der Umfang der 
hier sternförmig gestalteten Chromatophoren, die Länge und Zahl 
seiner Strahlen ete. sehr wechselnd, je nach der Nährlösung, in welcher 
sich die Algen befinden. 

Der Stärkegehalt der Chlorophylibänder hängt von 2 Dingen 
ab, von der Neubildung von Kohlehydraten aus Kohlensäure oder aus 
dargebotenen organischen Verbindungen und von dem Verbrauch der 
Kohlehydrate. 

Je nachdem der eine oder der andere Vorgang überwiegt, wird 
man bald viel, wenig oder auch gar keine Stärke in den Chlorophyll- 
körpern antreffen. 

Thatsächlich findet man auch in Spirogyren, die man direkt nat 
dem Einsammeln untersucht, sehr verschiedenen Stärkegehalt. 

Die Stärkeanhäufung kann sehr gesteigert werden, indem man außer 
der Kohlensäure noch zur Stärkebildung taugliche organische Stoffe 
hinzutreten lässt und den Verbrauch auf ein Minimum herabdrückt. 

Verbringt man Spirogyren in eine (öfters zu wechselnde) Auf- 
lösung von 0,2proz. Methylalkohol oder Glyzerin in ag. dest. — ohne 
weiteren Zusatz als etwas Monokaliumphosphat — und lässt sie in offenen 
Glasgefäßen am Lichte stehen, so sind die Bedingungen der Kohlen- 
säureassimilation, der Stärkebildung aus organischer Substanz, und 
des geringen Stärkeverbrauches zugleich gegeben. 

In solehen Kulturen findet man nach einigen Tagen enorme Stärke- 
mengen vor. Die schon vorhandenen Stärkeherde haben sich mit 
einer mächtigen Hülle von Stärkekörnern umgeben und außerdem sind 
neue Stärkeherde aufgetreten, die ebenfalls Stärke produzieren. Das 
ganze Chlorophyliband ist so mit Stärke vollgepfropft, dass kaum 
mehr Zwischenräume zwischen den einzelnen Stärkekörnchen übrig 
bleiben. 

Niemals konnte ich in der Natur eine solche Stärkeanhäufung in 
Spirogyren beobachten wie bei dieser künstlichen Ernährung. 

Für den ersten Blick auffallend erscheint die öfters konstatierte 
Thatsache, dass Spirogyren, die vollkommen entstärkt sind, allmäh- 
lich etwas Stärke ansetzen, wenn man sie in aq. dest. verbringt und 





Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzelle. Sal 


ans Licht stellt. Da Kaliumsalze zur Assimilation nötig sind, wie 
schon von mehreren Forschern bestimmt erkannt wurde (zuerst von 
Nobbe), so sollte man denken, dass in destilliertem Wasser keine 
Stärkebildung erfolgen könne. 

Indess findet sich doch in jedem Spirogyrenfaden von vornherein 
eine gewisse Kalium-Menge vor, welche vielleicht in Form eines 
Kaliumalbuminates in den Chlorophylibändern steckt; sie wird natür- 
lich dureh das Aushungern nicht entfernt, und die Spirogyren werden 
also gemäß diesem Kaliumgehalt assimilieren. 

Da in destilliertem Wasser fast kein Verbrauch von Kohlehydraten 
stattfindet, so wird dadurch das Auftreten von Stärkekörnern in den 
Chlorophylibändern noch weiter begünstigt. 

Von besonderem Interesse in gewisser Hinsicht ist die Thatsache, 
dass man Spirogyren, Zygnemen etc. zur Stärkebildung zwingen kann, 
indem man sie in eine Auflösung von O,1proz. formaldehydschweflig- 
saurem Natron + 0,05 proz. Dinatriumphosphat verbringt!). Auch wenn 
man nun die Kohlensäure vollständig ausschließt — durch Anwendung 
ausgekochten Versuchswassers, Einstellen in einem kohlensäurefreien 
Raum — tritt binnen wenigen Tagen reichlich Stärke in den Chloro- 
phylibändern auf. 

Das formaldehydschwefligsaure Natron wird von den lebenden 
Algenzellen gespalten, und der frei werdende Formaldehyd sofort zu 
Kohlehydrat kondensiert und als Stärke niedergeschlagen. 

Die Pflanzen vermehren dabei ihr Troekengewicht und die Nähr- 
flüssigkeit nimmt erheblich ab an Reduktionsvermögen gegen Kalium- 
permanganat. 

Hierin liegt eine teilweise experimentelle Bestätigung der Baeyer'- 
schen Assimilationshypothese, wonach aus Kohlensäure bei der Assi- 
milation zunächst Formaldehyd dann Kohlehydrat wird. 

Die Zellen bleiben bei dieser Art der Ernährung ganz normal 
und ich konnte sie wochenlang bei Ausschluss von Kohlensäure- 
assimilation kultivieren, ohne dass sie an gesundem Aussehen ein- 
büßten. 

Auch das Cytoplasma ist in Menge und Zusammensetzung sehr 
abhängig von der Ernährung. 

Der Eiweißgehalt desselben schwankt je nach der Zufuhr stick- 
stoffhaltiger und anderer Substanzen von außen. 

Bei Spirogyren ist zwischen den beiden Organen des Cytoplasmas, 
der äußeren und inneren Hautschicht, von denen die erstere die 
Celluloseabscheidung besorgt, die letztere als Vakuolenwand funk- 
tioniert, mehr oder weniger flüssiges nicht organisiertes aktives Eiweiß 
abgelagert. 





1) Th. Bokorny, Ueber Stärkebildung aus Formaldehyd. Ber. d, d. bot, 
Ges., 1891, Heft 4, 


398 Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzelle. 


Dieses Eiweiß schwankt seiner Menge nach sehr je nach den Er- 
nährungsverhältnissen; durch Aushungerung der Zellen kann man es 
soweit bringen, dass nur noch ganz geringe Mengen (mit Caffein, wo- 
durch es in kleinen Kügelehen ausgeschieden wird) nachgewiesen 
werden können. 

Ferner sind nach ©. Loew!) Phosphate von großem Einfluss 
auf die Menge dieses Eiweißes. Dieselben bewirken einen Verbrauch 
desselben, indem wahrscheinlich eine Umbildung des aktiven Albumins 
in organisierte Materie eintritt. 

Auch bezüglich des Fettgehaltes im Oytoplasma konnte O. Loew 
höchst auffallende Unterschiede konstatieren, je nachdem er die Phos- 
phate aus der Nährlösung wegließ oder dieser zusetzte. 

Er sagt?): „Was die Fettreaktion betrifft, so gaben die Phosphat- 
zellen nach 12stündigem Aufenthalt in 1prozentiger Ueberosmium- 
säure nur selten eine stärkere Reaktion, meist nur schwache Grau- 
färbung; die Kontrolzellen aber gaben in der Regel so intensive 
Schwärzung, dass das Chloropbyllband nicht zu erkennen war. Bei 
denjenigen Kontrolzellen, welche etwas weniger intensive Reaktion 
zeigten, schien es, als ob jene minimalen nur bei 1000facher Ver- 
größerung sichtbaren Partikeln, welche im strömenden Plasma die 
Körnchen bilden, sich stärker geschwärzt hätten, als der Rest des 
Plasmas, was Fettspeicherung vermuten lässt. — Der Grund jenes 
auffallenden Unterschiedes im Fettgehalte der Zellen bei An- resp. 
Abwesenheit von Phosphaten mag entweder darin liegen, dass bei 
der bedeutenden Streeckung der Phosphatzellen der aus dem Stärk- 
mehl gebildete Zucker zur Cellulosebildung diente, während die ent- 
sprechende Menge bei den im Wachstum gehinderten Kontrolzellen in 
Fett umgewandelt wurde — oder dass bei der durch Phosphatzufuhr 
begünstigten Umwandlung von Fett in Leeithin das Fett leichter 
zur physiologischen Verbrennung gelangte, als in den Kontrol- 
zellen. Möglicherweise wirkten beide Umstände zusammen“. 

Merkwürdige Wandlungen erleidet auch der Zellsartt, 08 
Vakuolenflüssigkeit, in der Zusammensetzung, wenn man die Zellen 
verschiedenen Ernährungsbedingungen aussetzt. 

Bekanntlich ist der Zellsaft eine wässerige Auflösung verschie- 
dener Stoffe, von Salzen organischer Säuren, häufig Gerbstoff, bis- 
weilen auch Eiweiß etec. 

Der Gerbstoff (eine Kollektivname für gewisse physiologisch 
gleichwertige im Zellsaft gelöste aromatische Oxyverbindungen) tritt 
in Spirogyren in sehr verschiedener Menge auf (bis zu 5°/, der Trocken- 
substanz). Selten findet man solche, die fast gerbstofffrei sind. 

Da die Natur selbst bald gerbstoffreiche, bald gerbstoffarme 





1) Dieses Centralblatt, 1891, S. 280. 
2. E08. .209. 





= 


Bokorny, Einfluss der Ernährung auf die Pflanzenzelle, 329 


Spirogyren erzeugt, muss es möglich sein, durch künstliche Züchtung 
den Gerbstoffgehalt derselben zu beeinflussen. 

OÖ. Loew und Verf. stellten vor einiger Zeit Versuche in dieser 
Hinsieht an und fanden, dass es durch geeignete Züchtung möglich 
ist, gerbstoffhaltige Spirogyren von Gerbstoff völlig zu befreien. 

Wir beschrieben die erhaltenen Resultate damals folgendermaßen'): 


„Nachdem wir schon 1881 beobachtet hatten, dass in nitrathal- 
tiger Nährstofflösung der Gerbstoff abnimmt (chem. Kraftquelle S. 87), 
glaubten wir, durch Begünstigung der Eiweißbildung einen starken 
Verbrauch von Gerbstoff herbeiführen zu können. Zwar ist nach- 
gewiesen worden, dass der Gerbstoff kein Reservestoff ist und weder 
als Atemmaterial noch als Eiweißbildungsmaterial normalerweise im 
Pflanzenkörper verbraucht wird; allein wir dachten, dass bei Mangel 
zur Eiweißbildung geeigneter Stoffe, wie Kohlehydrate und Asparagin, 
wohl auch Gerbstoff verwendet werden könnte, vorausgesetzt, dass 
alle übrigen für die Eiweißbildung wichtigen Umstände günstig ge- 
lagert seien. 

„Zudem bewiesen Versuche mit Schimmelpilzen, dass Gerb- 
stoff zur Eiweißbildung dienen kann. In einer Lösung von Tannin 
(1 g), Monokaliumphosphat (2 g), Diammonphosphat (1 g), Magnesium- 
sulfat (0,01 g), Natriumsulfat (0,10 8) und Caleiumchlorid (0,01 g) in 
200 g ag. bildete sich innerhalb 8 Tagen aus einer kaum sichtbaren 
angesäeten Schimmelsporenmenge eine Schimmeldecke, welche mit 
Sporen dicht bedeckt war. Nach 4 Wochen betrug das Gewicht der 
bei 100° getrockneten Schimmelmasse nach Abzug der Asche — 0,124 8. 

Bei Spirogyren lieferte nach längerer Versuchsreihe folgende Nähr- 
lösung ein über alles Erwarten günstiges Resultat: Zu destilliertem 
Wasser wurden je 0,1 pro mille Kalium- und Natriumnitrat, Bittersalz 
und Glaubersalz gesetzt. In diese Lösung wurde eine relativ kleine 
Menge Spirogyra nitida gebracht, welche mäßigen Gehalt an Stärke- 
mehl, Fett und Gerbstofi aufwies. Das Gefäß wurde an einer nicht 
zu hellen Stelle des Zimmers belassen, um die Assimilationsthätigkeit 
auf ein Geringes herabzusetzen; denn, dass bei lebhafter Assimilation 
Gerbstoff als Nebenprodukt entstehen kann, haben Westermayer 
und G. Kraus dargethan. Nach 12 Tagen waren die Fäden gesund 
und völlig frei von Fett und Gerbstoff, arm an Stärkemehl. 
Eisenvitriol (bei Luftzutritt) und Eisenchlorid ergaben völlige Ab- 
wesenheit von Gerbstoff im Filtrat des Decoctes“. 

Von größerem Interesse dürfte endlich auch noch die Thatsache 
sein, dass der Zellsaft der Spirogyren bisweilen große Mengen von 
gelöstem Eiweiß enthält, welches bei Einwirkung einer 0,1 prozentigen 
Coffeinlösung in ziemlich stark lichtbrechenden Kugeln ausgeschieden 
wird. 


4) Botan. Centralblatt, 1889, Nr. 39. 


350 Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 


An einer im Dezember gesammelten Spirogyra fand ich einmal 
so große Mengen von Eiweiß im Zellsaft vor, dass die mit Coffein 
ausgefällten Kugeln den Zellsaftraum mehr als zur Hälfte anfüllten, 
was einen merkwürdigen Anblick gewährte. Die Kugeln ergaben die 
üblichen mikrochemischen Eiweißreaktionen. 

Mitunter trifft man auch Spirogyren an, die mit Coffein kaum 
Spuren von Ausscheidungen im Zellsaft geben; sie enthalten fast 
kein Eiweiß im Zellsaft und nähern sich mit diesem Verhalten dem 
sehr vieler anderer Pflanzenzellen. 

Durch welche Ernährungsverhältnisse das mehr oder weniger 
reichliche Auftreten von Eiweiß in der Vakuolenflüssigkeit bedingt 
ist, darüber sind Studien beabsichtigt. 


Ueber die Vorgänge beim Einfrieren und Austrocknen von 
Tieren und Pflanzensamen. 


Von Dr. W. Kochs, Privatdozent. 


Die in früheren Arbeiten!) von mir berichteten Versuche und 
Beobachtungen über die Möglichkeit der zeitweisen Unterbrechung 
der Lebensvorgänge durch Kälte oder Austrocknen ergaben, dass 
Tiere und Pflanzen nicht in wirklichen Scheintod verfallen können. 
Kühlt man Tiere soweit ab, dass alles Wasser in ihrer Leibessubstanz 
krystallisiert, so werden dieselben beim Auftauen niemals mehr lebendig. 
Trocknet man Tiere und Pflanzen selbst ohne stärkere Erwärmung 
7.B. über Phosphorsäureanhydrid, so quellen dieselben beim Befeuchten 
zwar wieder auf, ohne jedoch wieder lebendig zu werden. Sporen 
und Samenkörner können hingegen durch Abkühlen oder Trocknen 
in einen Zustand gebracht werden, wo unsere feinsten Hilfsmittel 
keinen Stoffwechsel mehr nachweisen können. Dennoch behalten 
dieselben und zwar für wahrscheinlich sehr lange Zeit die Fähigkeit 
unter geeigneten Verhältnissen wieder lebendig zu werden. In der 
pflanzlichen und tierischen Eizelle allein scheint das Leben längere 
Zeit schlummern zu können. Ist dasselbe aber einmal erwacht, hat 
sich ein Wesen mit Stoffwechsel gebildet, dann kann das Werden 
und Vergehen des Lebens erst wieder in einer von diesem Wesen 
sebildeten Eizelle zum zeitweiligen Stillstand kommen. 

Durch unsere jetzigen Hilfsmittel ist über die Natur dieses Still- 
standes, ob er wirklich mit der Ruhe eines Krystalles vergleichbar 
ist, oder ob es sich doch um minimales Leben handelt, schwerlich 
eine weitere Kenntnis zu erlangen. Weshalb aber das Leben, wenn 
es durch Kälte oder Eintroeknen erloschen ist, durch Wärme oder 

4) W. Kochs, Kann die Kontinuität der Lebensvorgänge zeitweilig völlig 
unterbrochen werden? Biol. Centralbl., 1890, X, Nr. 22. 

Derselbe, Ueber die Ursachen der Schädigung der Fischbestände im 
strengen Winter. Biol. Centralbl., 1891, XI, Nr. 15 u. 16. 





Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 551 


Feuchtigkeit nicht mehr angefacht werden kann, ist einer näheren 
Untersuchung zugänglich und ich glaube im Folgenden einiges zur 
Aufklärung der Thatsachen beibringen zu können. 

Die prinzipielle und in mancher Hinsicht auch praktische große 
Wichtigkeit der betreffenden Fragen, sowie der Umstand, dass einige 
Gelehrte die Anabiose für lebende Wesen noch für möglich halten }) 
und dafür angeblich richtige Beobachtungen beibringen, veranlasste 
mich von Neuem die Vorgänge beim Einfrieren und Austrocknen 
lebender Wesen zu studieren um in diesen vielfach seit lange um- 
strittenen Fragen eine Entscheidung herbeizuführen. Scheinbar handelt 
es sich nur um die relativ einfachen Vorgänge des Einfrierens oder 
Austrocknens; bei lebenden Wesen können sich aber, wie wir sehen 
werden, diese Vorgänge recht verwickelt gestalten und sind bei Be- 
obachtung der betreffenden Phänomene leicht Täuschungen möglich. 

Zunächst ist zu erwähnen, dass Preyer besonders hervorhebt, 
dass Frösche nur auf — 2,5° im Inneren abgekühlt werden dürfen, 
um beim Auftauen wieder lebendig zu werden. Wenn wirklich in 
den Geweben des Frosches ein Krystallisieren des Wassers bei dieser 
Temperatur stattgefunden haben sollte und die Struktur des Proto- 
plasmas nicht in einer das spätere Leben unmöglich machenden Weise 
zerstört ist, dann kann doch eine weitere Abkühlung der festen 
krystallinischen Masse morphologisch oder chemisch nichts mehr ändern. 
Wenn aber nicht überall der feste Zustand eingetreten ist, was meiner 
Erfahrung nach bei — 2,5% nie der Fall ist, dann kann man Er- 
scheinungen beobachten wie die von Romanes 1877 an vielen durch 
und durch hartgefrorenen Medusen wahrgenommenen. Die durch Eis- 
krystalle verursachte partielle Zerreißung des Gewebes verhinderte 
nicht die Anabiose beim Auftauen, nur der Rhythmus der Kontrak- 
tionen war eben wegen der Gewebszerstörung nicht derselbe wie 
vorher. Wenn auch zahlreiche Partien eines Tierkörpers nicht mehr 
funktionieren können, kann derselbe noch eine Weile leben oder die 
zerstörten Teile wieder ersetzen, da eben nicht der ganze Tierkörper, 
respektive alle seine zelligen Elemente, durchgefroren waren. In 
solchen Fällen kann aber nicht von Anabiose gesprochen werden. 
Preyer berichtet, dass Davaine Rädertiere fünf Tage im Vakuum 
verweilen ließ und nach Anfeuchtung in der Luft viele wieder auf- 
leben sah und sagt: Hierbei muss aber das vermeintliche Vakuum 
noch Luft enthalten haben, denn ich habe trockene Rotatorien im 
vollkommenen Vakuum der Geißler’schen Quecksilberluftpumpe über 





1) Preyer Ueber die Anabiose. Biol. Centralbl., 1891, XI, Nr. 1. 
Felix Hoppe-Seyler, Rede: „Ueber die Entwicklung der physio- 
logischen Chemie. Straßburg 1884. 8. 19. 
Müller-Erzbach, Die Widerstandsfähigkeit des Frosches gegen das 
Einfrieren. Zool. Anz., 1891, 8. 383. 
K. Knauthe, Zur Biologie der Amphibien. Zool., Anz., 1892, 8. 20, 


332 Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 


Schwefelsäure lange vor Ablauf der vierten Woche jedem Wieder- 
belebungsversuch unzugänglich gefunden. 


Versuche über die Vorgänge beim Einfrieren von Wassertieren und Ermittelung 
der Gründe, weshalb das erloschene Leben nicht wieder angefacht werden 
kann. 


Im vergangenen Winter habe ich zu meinen Versuchen nicht 
mehr Frösche, Fische und Wasserkäfer wie bisheran verwendet, 
sondern Blutegel, Schnecken und kleine Krebse. Zunächst zeigte 
sich wieder beim langsamen Abkühlen des Wassers, dass bis gegen 0° 
die Tiere ruhiger werden. Die Blutegel liegen meist wie tot auf dem 
Rücken mit wenig kontrahierter Muskulatur; die Weinbergschnecke 
ist in das Innere des Gehäuses zurückgezogen, nachdem sie ein mehr 
oder minder solides Epiphragma gebildet hat; die kleinen Muschel- 
krebse (Cypris) haben ihre Schalen fest geschlossen; Wasserasseln 
sitzen ganz bewegungslos da. Beim Einfrieren in Gläsern bei — 5° 
bis — 8° Lufttemperatur zeigte sich ganz wie früher bei den Käfern, 
dass in einem Glase von 1 Liter Wasserinhalt nach 10 Stunden der 
oder die Blutegel im Inneren des Eisblockes saßen und lebhaft an 
den Wänden ihres eiförmigen Wasserraumes von etwa 200 ebem Inhalt 
herum krochen, oder nachdem sie sich mit ihren Saugscheiben ange- 
heftet hatten unausgesetzt in Bewegung blieben. Das Eis hatte eine 
Temperatur von — 2°. 

Folgender Versuch zeigt die Vorgänge im Einzelnen. 

Drei Bechergläser a 1 Liter Inhalt hatte ich mit Wasser gefüllt 
und in das erste 1 Blutegel, das zweite 2 Blutegel und das dritte 
3 Blutegel gesetzt. Nach 24 Stunden war der einzelne Blutegel in 
Mitten des Glases fast vom Eise umschlossen und hatte bei seinen 
Bewegungen so viel Gas abgeschieden, dass er in dem unmittelbar 
um ihn befindlichen stark mit Gasblasen durchsetzten Eise nicht mehr 
sichtbar war. Die 2 Blutegel hatten noch einen hühnereigroßen Wasser- 
raum, dessen Wände milchig und mit zahlreichen Gasblasen ebenso wie 
ihre Leiber besetzt waren. Die 3 Blutegel hatten noch einen erheb- 
lich größeren Wasserraum von gleichem Aussehen. Nach 48 Stunden 
waren auch die 2 Blutegel ganz eingeschlossen vom Eise. Die 3 Blut- 
egel hatten noch einen kleinen Wasserraum, was ich aber wegen der 
Luftblasen im Eise nur durch Anbohren feststellen konnte. Da die 
Lufttemperatur während der letzten Nacht auf — 7° gesunken war, 
glaubte ich, dass der einzelne Blutegel sicher tot wäre und stellte 
die drei Gläser in meine Stube zum Auftauen. Der einzelne Blutegel 
erwies sich als tot. Auf der Bauchseite war die sonst gleichmäßig 
dunkelgrüne Haut von zahlreichen blutigen Flecken durchsetzt. Elek- 
trische Reize vermochten nur die Saugscheibe ein wenig zur Kon- 
traktion zu bringen, der Körper war und blieb schlaff. Die 2 und 3 Blut- 
egel waren nach dem Auftauen völlig wohl. Sie waren eben durch ihre 





Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 353 


gemeinsame im selben Raume verwertete Wärmeproduktion im Stande 
gewesen die Temperatur ihres Gefängnisses auf einer höheren Tem- 
peratur wie 0° während 48 Stunden zu erhalten. 

Um nun das Einfrieren noch langsamer zu gestalten setzte ich 
darauf am Abend über eines der Gläser, in welchem sich wiederum 
1 Blutegel befand, eine Glasglocke. Kein kalter Luftzug konnte nun 
das Wasser direkt treffen. Die beiden anderen Gläser, welche ich 
mit je 1 Blutegel ohne Glasglocke hinstellte, waren am andern Morgen 
sehr stark zugefroren so, dass ich die Tiere im Eise nicht mehr sehen 
konnte, nur die milchige Trübung zeigte an, wo sie sich befanden. 
Das dritte Glas war zu meiner Verwunderung gar nicht gefroren. 

Ich nahm dasselbe herein um mit dem Thermometer die Tem- 
peratur des Wassers zu bestimmen und fand — 3°. Zuerst glaubte 
ich das Thermometer sei unrichtig. Als ich ein anderes holte, fand 
ich die ganze Wassermasse zu einer strahligen Eismasse erstarrt, 
welche aber gleich zu schmelzen anfing und der am Boden liegende 
Blutegel begann sich alsbald in dem Schmelzwasser zu bewegen. 
Durch günstige Bedingungen, welche, wie ich mich später überzeugte, 
nicht leicht herzustellen sind, hatte ich überschmolzenes Wasser von 
— 3° erhalten und diese Abkühlung hatte dem Blutegel nichts ge- 
schadet. Diesen Versuch wiederholte ich dann noch mehrere Male 
und nahm zur Sicherheit des Gelingens ausgekochtes ziemlich luft- 
leeres Wasser, in dem bei 0° ein Blutegel sehr lange lebendig bleibt, 
wenn er vorher in anderem Wasser auf 0° abgekühlt wurde. Bei 
dieser Temperatur hat er nur ein sehr geringes Sauerstoffbedürfnis. 

Wenn man Wasser — am besten destillliertes, welches gut filtriert 
ist so, dass keine kleinen Körperchen darin herumschwimmen — eine 
halbe Stunde tüchtig gekocht hat, ist dasselbe fast absolut luftleer 
und wenn man dasselbe dann ruhig abkühlen lässt, nehmen nur die 
obersten Schichten wenig Luft auf. Solehes Wasser kann man in 
einem glatten Glasgefäßse unter Abhaltung jeden Luftzuges durch Be- 
decken mit einer Glocke oder Zuschmelzen der Oeffinung bis auf 
— 10° ja selbst — 15° abkühlen, ohne dass das Gefrieren eintritt. 
Befindet sich aber ein Tier, welches durch vorherige Abkühlung ruhig 
gemacht wurde, darin, so gelingt wohl nur in seltenen Fällen eine 
Abkühlung bis — 5° ohne Gefrieren. Jeder fremde Körper, stets 
aber das kleinste Eisstückchen, bedingen bei überschmolzenem Wasser 
sofortige Krystallisation, wobei die Temperatur in Folge der damit ver- 
bundenen Wärmeentbindung schnell auf den Gefrierpunkt steigt. 

Die oben beschriebenen Versuche zeigen, dass nicht die Ab- 
kühlung der betreffenden Tiere auf — 3°, einmal habe 
ich — 4,5° erreicht, sie tötet, sondern die zumeist damit 
verbundene Krystallisation des Wassers um sie herum 
und vor allem in ihren Geweben. 

Bevor wir die beim Krystallisieren des Wassers innerhalb der 


394 Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 


tierischen Gewebe eintretenden Vorgänge näher betrachten, wird es 
zweckmäßig sein auf die physikalischen Verhältnisse, welche beim 
Frieren des Wassers von Wichtigkeit sein können, etwas einzugehen. 

Der Tierkörper besteht an keiner Stelle aus destilliertem Wasser, 
vielmehr zumeist aus salzhaltigen Eiweißlösungen, welche nicht bei 0° 
gefrieren, die dazu noch durch Kapillarität und Adhäsion am Gefrieren 
bei geringeren Kältegraden verhindert werden. 

Inbetreff des Einflusses von Kapillarität und Adhäsion erwähne 
ich nur folgendes: In einer horizontalen Glasröhre, welche mit einer 
längeren freiendenden Wassersäule versehen und beiderseits geschlossen 
ist, tritt selbst bei — 7° bis — 10° kein Gefrieren ein, wenn ihr Durch- 
messer 0,5—0,4 mm nicht übersteigt, bei 0,1—0,2 mm Weite selbst dann 
nicht, wenn man das eine Ende in gefrierende Flüssigkeit taucht. Aehn- 
liches beobachtet man mit Glasplatten, deren mit Wasser gefüllter 
Zwischenraum durch Festschrauben hinreichend verkleinert wird. Bei 
einer Wasserschicht zwischen Eisplatten siegt dagegen immer die Wir- 
kung gleichartiger Ansatzpunkte. Krystalle gleicher Art scheinen über- 
haupt das einzige Mittel zu sein, jede Ueberschmelzung zu hindern!). 
Dufour?) brachte Wasserkügelehen auf — 20°, indem er sie in einer 
gleich schweren Flüssigkeit (Chloroform mit Mandelöl oder Steinöl) 
von allen festen Anhaltspunkten befreite. Selbst beim Berühren mit 
einem festen Körper blieb das Erstarren oft aus, wogegen der Kon- 
takt mit einem gleichartigen Eisstückehen dasselbe stets hervorrief. 
Auf einer ähnlichen Erscheinung beruht die Bildung des sogenannten 
Glatteises, wobei die in der Luft bis unter 0° abgekühlten Wasser- 
tropfen dureh Berührung mit dem festen Erdboden plötzlich erstarren 
und denselben mit einer Eisrinde überziehen. Dass die Abkühlung 
der Regentropfen auf unter 0° nieht durch den kalten Erdboden er- 
folgt, sondern hoch in der Luft stattfand, geht daraus hervor, dass 
auf einem geöffneten Regenschirm sich auch Glatteis bildet. 


Wie verläuft nun die Eisbildung im einzelnen und ist aus diesem Vorgange 
allein der Tot erklärlich ? 


Einen quadratischen Paraffinblock von 2 cm Dicke und 4 em 
Breite habe ich in der Mitte 1 em weit durchbohrt, und diese Oeff- 
nung durch beiderseitig warm aufgeklebte große Deckgläschen ge- 
schlossen. In diesen so gebildeten durchsichtigen Hohlraum mündeten 
von den Seiten her 2 Glasröhren zum Einfluss und Ausfluss einer aus 
Schnee und Kochsalz entstandenen, gegen — 12° bis — 15° kalten 
Salzlösung. Das ganze legte ich auf den Objekttisch des Mikros- 
kopes. Brachte ich einen Tropfen destillierten Wassers auf diesen 
hohlen Objektträger und ließ dann die Salzlösung der Kältemischung 

1) A. Mousson, Die Physik auf Grundlage der Erfahrung, II. Auflage, 
2. Bd,'S.1133: 

2) Dufour, Compt. rend., LII, 878. 





Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 3535 


fließen, so erstarrte der Wassertropfen momentan in seiner ganzen 
Masse. Bei schwacher Vergrößerung fand kein Beschlagen der Ob- 
jektlinse statt und waren die Krystallnadeln des Eises genau er- 
kennbar. Zwischen ihnen: befanden sich jedoch, wie dieses besonders 
deutlich beim Auftauen sichtbar war, die beim Frieren aus dem 
Wasser plötzlich ausgeschiedenen absorbierten Gase. Wurde der 
Tropfen dann wieder ganz flüssig, so wurden die Gase nicht etwa so- 
fort wieder absorbiert, sondern es bildeten sich Bläschen, welche an 
der Oberfläche zum Teil zerplatzten. Durch Frieren wird Wasser 
von Luft und den meisten absorbierten Gasen fast ganz befreit. Ganz 
klares Eis gibt aufgetaut fast luftleeres Wasser. Meine Absicht, kleine 
Krebschen (Cypris) unter dem Mikroskop während des Einfrierens zu 
beobachten, war nicht ausführbar, da das sie umgebende Eis stets 
undurchsichtig war in Folge ausgeschiedener Gase. 

Ein Tropfen dünner 1—2prozentige Kochsalzlösung brauchte viel 
längere Zeit zum Frieren. Zuerst schieden sich mikroskopisch kleine 
Kochsalzkrystalle ab, und erst nachdem alles Salz in Krystallform 
ausgeschieden war, fror das Wasser. Konzentrierte Salzlösung konnte 
ich auf die angegebene Weise überhaupt nicht zum Frieren bringen, 
weil nieht alles Salz sich abschied. Meerwasser gefriert erst bei 
einer Abkühlung unter — 3°. Das gebildete Eis liefert beim Auf- 
tauen süßes Wasser. In dem — 3° kalten Wasser der Polargegenden 
leben große und kleine Fische und andere Meertiere. Hierdurch sowie 
durch meinen oben beschriebenen Versuch mit Blutegeln in über- 
schmolzenem Wasser von — 3° dürfte wohl bewiesen sein, dass die 
Lebensvorgänge selbst bei Temperaturen unter 0° noch nicht durch 
die Abkühlung zum Stillstand kommen, sondern nur dann, wenn damit 
elne Zerstörung der Struktur des Protoplasmas, wie beim Frieren, 
verbunden ist. Ein Tropfen frischen menschlichen Blutes war nur 
durch energische Abkühlung mit sehr guter Kältemischung von 
— 15° zum Hartfrieren zu bringen, wobei völlige Abscheidung der 
Gase und Salze stattfand. Die Blutkörperchen lösten sich auf und 
das Blut war später lackfarben. Auf dieser Schwierigkeit beruht 
offenbar die Angabe der physiologischen Lehrbücher, dass man Blut 
häufiger müsse gefrieren und auftauen lassen um dasselbe lackfarben 
zu machen. 

Das Protoplasma der Zellen, an dessen Integrität sich die Lebens- 
vorgänge knüpfen, ist eine Eiweiß- und Salzlösung, welche Gase ab- 
sorbiert und locker chemisch gebunden enthält. Da nun beim Hart- 
frieren die Salze und Gase stets abgeschieden werden, so muss dadurch 
die ganze Struktur des Protoplasmas total zerstört werden im chemi- 
schen und physikalischen Sinne. 

Plötzliches schnellstes Einfrieren lebender Gewebe dürfte hier- 
nach das beste Tötungsmittel sein, besonders, wenn es sich darum 
handelt die intra vitam vorhandenen Stoffe möglichst unzersetzt zu 


336 Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 


erhalten oder vielmehr die chemischen Vorgänge des Lebensprozesses 
Jäh zu unterbrechen ohne Neubildung komplizierter Körper. Hier- 
nach dürfte wohl Niemand mehr das Hartfrieren lebendigen Proto- 
plasmas ohne Zerstörung seiner innersten Struktur für möglich halten. 
Es sind aber stärkere Kältegrade nötig um Protoplasma, abgesehen 
von seiner Wärmeproduktion, wirklich hartfrieren zu lassen. Größere 
Krystalle entstehen nicht und mikroskopisch ist die Struktur für unsere 
jetzigen optischen Hilfsmittel nicht besonders verändert. Bei der 
vielfachen Benützung der Gefriermikrotome würde man dieses jeden- 
falls bereits bemerkt haben. 


Versuche über das Eintrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 


Ueber das Eintrocknen von Tardigraden, Rotiferen u. dgl., ja 
sogar Schnecken und nachherige Wiederbelebung durch Befeuchtung 
finden sich die widersprechendsten Angaben. Es scheint als wenn 
sehr viele Naturforscher noch heute solche Wiederbelebungsversuche 
eines völlig trockenen Tieres, welches ohne jeden Stoffwechsel längere 
Zeit aufbewahrt wurde, für möglich halten. Seit 2 Jahren habe ich 
durch genaues Beobachten der Vorgänge beim Eintrocknen der frag- 
lichen Tiere und verschiedener Pflanzensamen versucht das Thatsäch- 
liche klar zu stellen. 

Bei der Herstellung Geißler’scher Spektralröhren behufs Kon- 
trolierung der Atmung von Pflanzensamen in stark luftverdünnten 
Röhren hatte ich mich überzeugt, dass die Entfernung des Wassers 
aus ganz reinen leergepumpten Glasröhren so, dass mit bloßem Auge 
an der intensiv roten Farbe des Lichtes geschweige spektroskopisch 
keine Wasserdämpfe mehr nachweisbar sind, nur durch öfteres sehr 
starkes Erhitzen und tagelanges Verweilen der Röhren an einer guten 
Quecksilberpumpe mit frischem Phosphorsäureanhydrid möglich ist. 

Befinden sich Samenkörner in einer solehen Röhre, so ist eine 
Entfernung der Wasserdämpfe ohne Erhitzen ganz unmöglich selbst in 
einem Zeitraume von 16 Monaten und trotzdem ich die Schalen der 
kleinen Bohnen und Rettigsamen angeschnitten hatte. Nach dieser 
Zeit bewirkte Erhitzen auf 100° weitere Wasserabscheidung, die nicht 
erhitzte Partie keimte am 26. Dez. 1891 auf feuchtem Fließpapier bei 
etwa 20° in der Nähe des Ofens nach drei Tagen ganz vorzüglich. 
Es scheint mir sogar als ob für die verwandten Samen eine trockene 
Aufbewahrung in evakuierten Röhren die Keimkraft sicherer und 
länger erhält, als die wechselnden Feuchtigkeitsgrade der freien Luft. 

Ein Samenkorn, welches dureh Erhitzen getötet wurde, trocknet 
über Phosphorsäureanhydrid wohl ziemlich vollständig. Ganz bin ich 
jedoch mit diesen ziemlich subtilen Versuchen nieht zu Ende gekommen. 

Jedenfalls halten noch lebensfähige Samenkörner die Feuchtigkeit 
so fest, dass man wohl eine chemische Bindung des Wassers an- 
nehmen muss. 





Kochs, Einfrieren und Austrocknen von Tieren und Pflanzensamen. 357 


Noch keimfähige völlig wasserfreie Samen können demnach nicht 
existieren. - 

Vielfache Versuche, kleine Krebschen (Cypris), sowie Rotiferen 
nach wirklichem Eintroeknen an der Luft oder unter einer Glocke 
über Aetzkalk oder im Exsikkator über Phosphorsäureanhydrid durch 
Befeuchten wieder zu beleben, waren resultatlos.. Gegenteilige ältere 
Beobachtungen beruhen offenbar darauf, dass die Eier der getrockneten 
Tiere allerdings später beim Befeuchten vielfach aufkommen. 

Wenn man Schlamm eines mit kleinen Krebschen u. dgl. besetzten 
Aquariums selbst einige Zeit an der Luftpumpe trocknet, wird man 
bei genauem Zusehen in wenigen Tagen nach dem Befeuchten zwar 
keine eingetrockneten Krebschen lebendig werden sehen, aber oft 
zahllose schnell wachsende junge Brut. 

Ich habe den Schlamm mehrerer Aquarien im vorigen Herbst in 
einer offenen Kiste der Sonne, dem Regen und dem Froste ausgesetzt, 
indem ich die Kiste in einer Dachrinne meines Hauses aufstellte. 
Als ich Anfangs März dann Proben in Gläser mit ausgekochtem 
Wasserleitungswasser in meine geheizte Stube stellte, entwickelten 
sich in 3 Wochen zahlreiche Cypris, Daphnien und mikroskopische 
Rädertiere, speziell Hydatina seuta, und Infusorien. Jedenfalls sind 
die betreffenden Eier mehrfach 10° kalt gewesen. 

Vielfach trifft man die Angabe, dass die Eier niederer Tiere im 
völlig trockenen Schlamme der Tümpel ein oder mehrere Jahre aus- 
halten. Hierzu ist zu bemerken, dass selbst der durch den Sonnen- 
brand gerissene Schlamm stets noch mehrere Prozente Wasser enthält. 
Wirklich trocken wird solcher Schlamm nur bei 150% Abgesehen 
von Bodenfeuchtigkeit, Thau und Regen kommt in der Natur ein 
Austrocknen der betreffenden Eier demnach überhaupt nicht vor. 
Speziell mit den Eiern von Branchipus habe ich genaue Versuche 
gemacht. Schon das Aufbewahren des eierhaltigen Schlammes in 
einer trockenen Stube während des Winters genügt, alle zu töten. 
Im Exsikkator sterben dieselben sehr bald ab unter starkem Schrumpfen 
in Folge der Wasserentziehung. Der folgende Versuch mit einer An- 
zahl von großen Weinbergschnecken dürfte wohl durch seinen Ver- 
lauf befriedigende Aufklärung geben. 

Am 10. Juli und 1. August 1890 habe ich eine Anzahl Wein- 
bergschnecken (Helix pomatia) in ein Kistehen mit Luftlöchern, 
bedeckt mit einem Stück schwerer Spiegelscheibe, in meine Stube 
gestellt. 

Zuerst erfogten zahlreiche Fluchtversuche, wohl weil die Tiere 
Hunger bekamen nach frischem Grün, und gelang es den Tieren mehr- 
fach die 1 em dieke Spiegelscheibe, welche fast 1 Kilo wog, weg- 
zudrücken, so dass ich dieselbe beschweren musste. Noch einige 
Tage krochen die Tiere umher, dann fand mehrfache Defäkation 


‚statt und hiernach hingen sieh sämtliche Schnecken an der Glas- 
xl, 22 











338 Kochs, Einfrieren und Austrocknen von "Tieren und Pflanzensamen. 


scheibe auf und bildeten zwischen Scheibe und Gehäuse eine wasser- 
helle ziemlich feste Membran, wodurch sie vor Wasserverlust in denk- 
bar bester Weise geschützt waren. Einige Tiere brach ich ab und 
band sie mittels Draht, den ich am Gehäuse befestigte, fest am Bo- 
den des Kistchens an, die Oeffnung nach oben. In wenigen Tagen 
bildeten diese Schnecken mehr oder minder durchsichtige Deckel. 
Nach zwei Monaten befanden sich alle Schnecken sehr wenig mehr 
eingetrocknet und, wie ich mich an einer überzeugte, ganz lebendig. 
Dieses Tier kroch auf feuchten Rasen gesetzt alsbald aus dem Ge- 
häuse und suchte Futter. Bis 15. November hatten die Tiere nur 
sehr wenig Wasser verloren trotz der großen Trockenheit meiner mit 
Füllofen geheizten Stube. Das Hygrometer zeigte in der Folge den 
ganzen Winter nur 25—30°/, Feuchtigkeit, während es im Sommer 
oder Herbst ohne Ofen stets 60—90°/, anzeigt. Mehrfache Wägungen 
zeigten, dass kaum noch weiteres Eintrocknen stattfand. 

2 Schnecken mit Deckelehen legte ich dann in einen Exsikkator 
über Schwefelsäure. Nach 2 Tagen waren die Deckelchen bei diesen 
Tieren geplatzt und die Schnecken trockneten sichtlich unter fort- 
währender Bildung neuer Deckelchen weiter ein und zogen sich 
immer tiefer in das Gehäuse zurück. Am 15. Dezember bemerkte 
ich, dass plötzlich eine große Veränderung stattgefunden hatte. Unter 
dem Deckelehen befand sich eine braune Masse, die aus der Schnecke 
hervorgequollen und schnell getrocknet war und aus Fäces bestand. 
Ein Exemplar zersägte ich und erwies sich das Innere als keineswegs 
ausgetrocknet und lebendig. Ende Januar war bei dem zweiten noch 
im Exsikator befindlichen Exemplar die Farbe der Schale merklich 
brauner geworden und erwies die genauere Untersuchung, dass diese 
Schnecke ganz horntrocken und nicht mehr belebbar war. 

Die noch übrigen in dem Kistcehen seit 1. August 1891 aufbe- 
wahrten Schnecken, 3 Stück, habe ich am 5. April, wo dieselben 
gegen Januar kaum verändert erschienen, mit Wasser gut befeuchtet 
und auf den von der Sonne beschienenen Rasen gesetzt. In 2 Stun- 
den waren alle ausgekrochen und suchten anscheinend ganz wohl 
nach Futter. 

Nach dem Verlaufe dieses Versuches glaube ich wohl sicher die 
Möglichkeit einer Anabiose mit Schnecken ausschließen zu können. 
Meine nach 8 Monaten nicht eingetrockneten Schnecken kann man 
doch nicht als scheintot betrachten. Sehr merkwürdig ist nur, dass 
die Schnecke sich durch Bildung von Deckelchen oder selbst ohne 
solehe, nachdem viele zerrissen sind, so gut gegen das Eintrocknen 
schützen kann. Ihre Leibessubstanz hat aber nur diese Fähigkeit, | 
solange sie lebendig ist, wie aus dem Versuch im Exsikkator deutlich 
hervorgeht. Auch nachdem keine Deekelehen mehr gebildet werden 
konnten, trocknete das Tier sehr langsam; erst nachdem der Tod 
eingetreten war, wurde die Leibessubstanz schnell trocken. 








Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 339 


Meine Absicht die Leibessubstanz einer trocknen und einer leben- 
digen Schnecke hinsichtlich der Schnelligkeit des Eintrocknens zu 
untersuchen war bis jetzt unausführbar, da ich noch kein Mittel fand 
eine Schnecke ohne erhebliche Verletzung in einer für den Versuch 
zulässigen Weise zu töten. 

Für einen Teil der Versuche war Herr Geheimrat Binz wie- 
derum so freundlich mir die Mittel seines Institutes zur Verfügung 
zu stellen, wofür ich ihm an dieser Stelle besonders danken möchte. 

Das Ergebnis der in diesem Aufsatze beschriebenen Versuche ist 
kurz zusammengefasst folgendes: 

Nicht die Abkühlung unter 0° tötet die Tiere Inüber- 
sehmolzenem Wasser und im Wasser der Polarmeere von 
— 30 ist Leben möglich. 

Wenn aber durch die Abkühlung oder besondere Ver- 
hältnisse das Wasser in den Geweben krystallisiert, 
werden im selben Augenblicke die absorbierten Gase in 
Bläschen abgeschieden und die gelösten Salze krystalli- 
sieren aus. Hierdurch wird eine solche Zerstörung be- 
wirkt, dass ein Wiederbeginn der Lebensfunktionen nach 
dem Aufthauen unmöglich ist. 

Durch physikalische und chemische Ursachen kann allerdings 
der Vorgang des Auskrystallisierens des Wassers im tierischen Kör- 
per oder in Eiern lange verhindert werden. 

Pflanzensamen und manche Tiere, speziell Schnecken 
werden unter gewöhnlichen Verhältnissen überhaupt 
nieht trocken, weil ihre Leibessubstanz das Wasser so 
festhält, dass es ihr durch nicht künstlich getrocknete 
Luft nieht entzogen werden kann. 

Das Absterben künstlich getrockneter Tiere findet 
statt, bevor alles Wasser entzogen ist. 

Schnecken können vielleicht länger als ein Jahr hungern. 


Ueber das Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen pathogene 
Mikroorganismen. 


Von H. Kionka in Breslau 


Mancherlei Mittel stehen dem tierischen Organismus zu Gebote, 
um sich gegen das Eindringen pathogener Keime zu schützen. Den 
allgemeinsten Schutz besitzt er in der Epidermis. Ein Eindringen 
von Mikroorganismen in dieselbe ist, sofern sie unverletzt ist, für 
gewöhnlich nicht möglich, doch muss man eine Invasion pathogener 
Keime durch die Haarbälge und Schweißdrüsen in die tieferen Schichten 
zur Aetiologie einer großen Zahl der sogenannten „Hautkrankheiten“ 
heranziehen. Anders liegt die Sache, wenn die Epidermis Verletzungen 
besitzt. Durch diese sind den Mikroorganismen weite Eintrittspforten 

22 * 


340 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


geöffnet, und es treten hier die unter dem Namen der „Wundinfektion“ 
zusammengefassten Erscheinungen auf, sobald die Wundstellen mit 
pathogenen Keimen in Berührung geraten. 

Bei weitem größer, als an der äußeren Körperoberfläche ist die 
Gefahr der Infektion an den Wandungen des Respirations-, Verdau- 
ungs- und Genitaltraktus. Alle diese Körperhöhlen sind mit Schleim- 
häuten ausgekleidet und entbehren des bakteriensicheren Schutzes 
einer verhornten Epidermiszellschicht. — Am günstigsten liegen hier 
noch die Verhältnisse im Respirationstraktus. Da die Atmungswege 
zum größten Teile mit Flimmerepithel ausgekleidet sind, so können 
unter Umständen die durch den Atmungsluftstrom hineingelangten 
Mikroorganismen durch die oralwärts gerichtete Flimmerbewegung 
der Flimmerhaare der Epithelzellen wieder nach außen geschafit 
werden. Indess ist es doch möglich, dass pathogene Keime mit der 
Atmungsluft auch gegen den Flimmerstrom weiter nach innen mit 
fortgerissen und auf Stellen abgesetzt werten, welche nicht mit 
Flimmerepithel bekleidet sind. Hier kann alsdann eine Ansiedelung 
der eingeatmeten Keime und ein Eindringen derselben in die Lymph- 
bahnen oder in die umgebenden Gewebe stattfinden. Dass auf diesem 
Wege eine Infektion, z. B. durch Tuberkelbacillen zu stande kommen 
kann, ist eine schon häufig gemachte Erfahrung. Experimentell wurde 
diese Thatsache u. a. von Weiehselbaum!) nachgewiesen, der 
Hunde zerstäubtes Tuberkelbaeillen - haltiges Sputum und Cavernen- 
inhalt inhalieren ließ. Er fand dann bei der später vorgenommenen 
Obduktion in den Lungen je nach der Menge der eingeatmeten Keime 
mehr oder weniger zahlreiche tuberkulöse miliare Herde, welche 
meist von den Alveolen ausgingen. 

Anders liegen die Verhältnisse im Verdauungstraktus. Hier finden 
die parasitären Mikroorganismen nicht in einer direkten aktiven Be- 
thätigung der denselben auskleidenden Epithelzellen, wie in den 
Flimmerzellen des Respirationskanals einen Widerstand, welcher ihr 
Eindringen verhindert. Ja es besitzt die Sehleimhaut des Verdau- 
ungskanals einige Stellen, welche den Mikroorganismen als stets 
offene Eingangspforten dienen. So hat Stöhr nachgewiesen, dass 
an den Tonsillen des Rachens und den Peyer’schen Platten im 
Darme ein fortwährender Wechselstrom von ein- und austretenden 
Leukocyten stattfindet. Mit diesem Strome können auch eventuell 
pathogene Mikroorganismen mit durch die Lücken der Schleimhaut 
passieren und so ins Innere dringen. Es ist auch eine dem prak- 
tischen Arzte schon lange bekannte Thatsache, dass Diphtheritis u. a. 
entzündliche Krankheiten des Rachens sehr oft ihren Anfang an den 
Mandeln nehmen. Außer den Diphtherie-Bacillen spielen hier vor 
allem Eiterkokken — bei der parenchymatösen Angina — und die 





4) Wiener mediz. Jahrb., 1883. 





Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 34 
8°%5 5 34 


Erysipelkokken eine Rolle. Letztere setzen sich bei der Gesichtsrose 
in den Tonsillen fest und wandern von dort aus in der Rachenschleim- 
haut weiter, um schließlich an einer der nächstliegenden Gesichts- 
ötfnungen: Nasenloch, innerer Augenwinkel, Mundöffnung, Ohrmuschel, 
das Exanthem auf die äußere Haut zu übertragen, von wo aus sich 
dann das typische Erysipelas faciei ausbreitet. — Ebenso bekannt ist 
es, dass die Typhusbacillen meist die Peyer’schen Platten in der 
Darmschleimhaut zu den Punkten ihrer Ansiedelung wählen. 

Ueberhaupt ist es im Verdauungstraktus nicht das Schleimhaut- 
epithel, welches einen Schutz gegen das Eindringen von Mikroorga- 
nismen gewährt, sondern die von den Drüsen ausgeschiedenen Sekrete 
enthalten Stoffe, welche für etwa eingedrungene Bakterien giftig sind 
und dieselben töten. Von dem ersten Sekret, dem wir beim Vorgehen 
von der Mundöffnung aus in dem Verdauungskanal begegnen, dem 
Speichel, ist durch Versuche von Stern, auf welche wir später noch 
zurückkommen werden, nachgewiesen worden, dass demselben absolut 
keine bakterientötende Eigenschaft zukommt. Stern!) gewann die 
zur Untersuchung benützten Speichelmengen auf die Weise, dass er 
die Mundhöhle und die Zähne kräftiger Personen auf mechanischem 
Wege gründlich reinigte und dann den Speichel auffing. Er erhielt 
auf diese Weise einen Speichel, der nur verhältnismäßig wenige Keime 
enthielt, die sich leicht durch Anlegen von Kontrolplatten zählen 
ließen und welche die Versuche in keiner Weise beeinträchtigten. Schon 
die Thatsache, dass sich jeder Zeit massenhafte Bakterien in der 
Mundhöhle, also in fortwährendem Kontakt mit der Speichelflüssigkeit 
befinden, sowie die Beobachtungen einzelner Forscher, welche sogar 
patlıogene Mikroorganismen, wie den Diplokokkus pneumoniae (Frän- 
kel) und den Bacillus diphtheriae (Löffler) unter den Mundhöhlen- 
bewohnern ganz gesunder Personen gefunden haben, ließen dieses 
durchaus negative Resultat der Untersuchungen erwarten. 

Aehnlich, wie beim Speichel, dürften die Verhältnisse auch bei 
dem Nasensekret liegen, dessen Verhalten gegen Bakterien wohl noch 
nicht geprüft ist. Jedoch sind auch in diesem Sekret stets Mikro- 
organismen enthalten und öfters auch schon pathogene Keime be- 
obachtet worden. So wurde einmal bei Schnupfen der Baeillus pneu- 
moniae (Friedländer) gefunden. Anderseits muss man aber dagegen 
die Thatsache berücksichtigen, dass, während doch beim Schnupfen 
große Menge dieses Sekretes gebildet und oft auch lange Zeit vor 
ihrer Entleerung in der Nase zurückgehalten werden, dasselbe doch 
niemals — abgesehen von Ozaena, bei welcher wohl noch andere 
Momente, wie Schwund der Bowman’schen Drüsen u. a. mitspielen 
mögen — einen fötiden Geruch annimmt. Man könnte also hierbei sehr 


4) Ueber die Wirkung des menschlichen Blutes und anderer Körperflüssig- 
keiten auf pathogene Mikroorganismen. Zeitschrift f, klin. Medizin, Bd. XVII, 
Heft 1 u. 2. 


342 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 
wohl an eine abtötende Wirkung des Nasensekretes gegenüber ein- 
dringenden Fäulnisbakterien denken. — Weit häufiger ist das Ver- 
halten des Magensaftes gegen pathogene Mikroorganismen Gegenstand 
der Untersuchung gewesen. Schon lange vor der bakteriologischen 
Zeit fand Abt Spallanzani!) in einer Reihe von sehr einfachen 
Experimenten, dass der Magensaft eine fäulnis- und gärungshemmende 
Wirkung besitze. Diese Entdeckung geriet aber bald in Vergessen- 
heit. Erst als später durch die Physiologen das Vorhandensein von 
freier Salzsäure im Magensafte, sowie der Prozentsatz derselben fest- 
gestellt war, kam man wieder auf die interessante Frage nach der 
desinfizierenden Wirkung des Magensaftes zurück. Und so machte 
im Jahre 1887 Bunge in seinem „Lehrbuche der pbysiologischen 
und pathologischen Chemie“ darauf aufmerksam, „dass der Salzsäure- 
gehalt des Magensaftes genau der Menge entspricht, welche erforder- 
lich ist, die Entwieklung der Fermentorganismen zu hemmen“. Diese 
Vermutung, dass es die Salzsäure im Magensaft sei, welehe ihm die 
desinfizierende Wirkung verleihe, lag schon deswegen so nahe, da 
man bisher absolut nicht wusste, was für eine Funktion die freie 
Salzsäure des Magensaftes besitze. Denn es war sowohl durch Ex- 
perimente nachgewiesen, dass Tiere, denen der Magen exstirpiert war, 
trotzdem weiter leben und auch ohne das Sekret der Magendrüsen 
die Speisen normal verdauen konnten, als auch wurden allmählich 
immer mehr Fälle bekannt von gesunden Personen mit normaler Ver- 
dauung, welche in ihrem Magensafte keine freie Salzsäure besaßen. — 
Die desinfizierende Wirkung der im Magensafte frei vorkommenden 
Salz- und Milchsäure wurde zuerst von Koch, Gaffky undLöffler?) 
bewiesen. Hierbei zeigte sich, dass wenigstens für die Milzbrand- 
baecillen die Säuren ein sehr verschiedenes Verhalten gegen die aus- 
gewachsenen Bacillen und gegen Sporen besitzen, indem sich die 
letzteren bei weitem resistenter gegen Säureeinwirkung erwiesen. 
Diese Beobachtungen wurden bald durch eine lange Reihe von Arbeiten 
von Falk°®), Wesener®), Miller’), Dyrmont‘), Maefadyen’) 





1) Ueber das Verdauungsgeschäfte des Menschen und verschiedener Tier- 
arten nebst einigen Bemerkungen des Herrn Senebier. Uebersetzt von Dr. 
Chr. Fr. Michaelis. Leipzig 1785. 

2) Mitteilungen aus dem kais. Gesundheitsamt, 1881: Bd.I u. 1884: Bd. Il. 

3) Virchow’s Archiv, 1883, Bd. 93. 

4) Kritische und experimentelle Beiträge zur Lehre von der Fütterungs- 
tuberkulose. Habilit.- Schrift. Freiburg i./B. 1885. 

5) Ueber Gärungsvorgänge im Verdauungstraktus und die dabei beteiligten 
Spaltpilze.e. Deutsche mediz. Wochenschrift, 1885, Nr. 49. 

Derselbe, Einige gasbildende Spaltpilze des Verdauungstraktus, ihr 
Schicksal im Magen u. s. w. Deutsche mediz. Wochenschrift, 1886, Nr. 8. 

6) Archiv für experiment. Pathologie und Pharmakologie, 1886. 

7) The behaviour of Baecteria in the digestive tract. Journ. of Anatom. 
and Physiol., Vol. XXI, Part. II, 1887. 





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Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 345 


und Kitasato!) bestätigt und auch auf die Tuberkelbacillen (Falk, 
Wesener, Macfadyen), Milchsäurebaeillen (Miller), Cholerabaeillen 
(Macfadyen, Kitasato), Typhusbacillen (Maefadyen, Kitasato), 
Sta hylococcus pyogenes aureus (Macfadyen), sowie auf zwei Schim- 
melpilze: Penicillium glaucum und Aspergillus fumigatus (Falk) aus- 
gedehnt. Die verschiedenen Mikroorganismen zeigten eine sehr ver- 
schiedene Resistenz gegen die Wirkung der Säure. Dieselbe ist bei 
den untersuchten Arten am schwächsten bei den Cholerabaeillen, was 
auch schon Koch bei seinen Infektionsversuchen durch Fütterung 
bemerkt hatte. Eine stärkere Resistenz besitzen in aufsteigender 
Reihe sporenfreie Milzbrandbacillen, Staphylococcus, Typhusbacillen, 
sporenhaltige Milzbrandbaeillen, Tuberkelbaeillen, ferner die Milch- 
säurebaeillen, und völlig resistent sind die beiden Schimmelpilze. 
Salzsäure und Milehsäure waren in ihrem Verhalten gegen die ver- 
schiedenen Arten ziemlich gleich, nur waren bei letzterer weit höhere 
Konzentrationsgrade nötig. Noch einige andere interessante That- 
sachen wurden durch diese Versuche ans Licht gebracht. So fand 
Miller, dass sämtliche von ihm untersuchten Pilzarten den Magen 
passieren könnten, wenn sie am Anfang der Mahlzeit verschluckt 
würden, hingegen teilweise zu Grunde gingen, wenn die Verdauung 
auf dem Höhepunkt sei. Ferner stellten Frank?) und Macefadyen 
Versuche mit Pepsinlösung und Pepsin- und Säuregemischen an. Durch 
dieselben wurde übereinstimmend festgestellt, dass allein die Salz- 
säure, resp. Milchsäure, das wirksame Prinzip sei, doch dass auch 
deren Wirksamkeit eine beschränkte sei und überhaupt erst bei 
Konzentrationen von ungefähr 0,05—0,1°/, für Salzsäure, und 0,2°], 
für Milchsäure beginne. — Zu etwas von denen der übrigen Forscher 
abweichenden Resultaten kamen Strauss und Wurtz?°), welche das 
Verhalten von Milzbrand-, Typhus- und Tuberkelbaeillen gegen Magen- 
saft prüften. Doch sind dieselben bis jetzt noch von keiner Seite 
bestätigt, sondern im Gegenteil durch einige andere Versuche zum 
Teil schon widerlegt worden. — Ferner ist es eine bekannte That- 
sache, dass die im Magensafte vorhandene Salzsäure nur zum Teil 
frei ist, zum Teil dagegen an andere Substanzen: Eiweißkörper, 
Peptone ete. gebunden ist. Letztere zeigt ein von der ersteren ver- 
schiedenes Verhalten in ihrer ehemischen Wirksamkeit, und ebenso 
gibt sie einige der bekannten Farbenreaktionen nicht mehr, welche 
für die erstere charakteristisch sind. Dass sie auch ein verschiedenes 


1) Zeitschrift für Hygiene, Bd. 111. 

2) Ueber das Verhalten von Infektionsstoffen gegenüber den Verdauungs- 
säften. Deutsche mediz. Wochenschrift, 1884, Nr. 20. 

3) J. Strauss et R. Wurtz, De l’action du suc gastrique sur quelques 
microbes pathogenes. Archives de Medeeine exp&rimentale et d’Anatomie 
pathologique. Paris 1889, Bd. L. Nr. II. 


344 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


Verhalten gegen Mikroorganismen zeigt, wies Hamburger!) durch 
eine Reihe diesbezüglicher Untersuchungen nach. Er wich hierbei 
in der Versuchsanordnung von Kitasato u. a. ab, welche der Nähr- 
bouillon Salzsäure in verschiedenem Verhältnis zusetzten und diese 
dann, nachdem sie geimpft, direkt in Gelatine erstarren ließen. Da 
aber anzunehmen war, dass sich in der Nährbouillon Stoffe befänden, 
welche im Stande wären, gewisse Mengen, Säure zu binden, so wurden 
hierdurch Fehlerquellen für die Resultate geschaffen. Hamburger 
versetzte daher entsprechende Salz- oder Milchsäurelösungen mit 0,1 
oder 2 g Pepton, sterilisierte dieselbe und füllte sie zu je 1 cem in 
Reagensgläschen, die er mit Aufschwemmungen der zu untersuchenden 
Bakterienarten impfte. Bei den Versuchen mit Cholerabacillen ergab 
sich, dass dieselben in reiner Salzsäure bis 0,01°/, herab nieht mehr 
fortkommen können, jedoch noch bei 0,0375°/,, wenn 2°/, Pepton zu- 
gesetzt sind. Für Milchsäure war die Grenze des Wachstums bei 
0,045°/, auch bei Zusatz von 2°/, Pepton. Ein ähnliches Verhalten, 
nur verschieden nach dem Grade ihrer Resistenzfähigkeit gegen Säure- 
wirkung zeigten Typhus-, sporenfreie und sporenhaltige Milzbrand- 
bacillen, Staphylococcus pyogenes aureus und albus, mit denen Ham- 
burger ebenfalls Versuche anstellte. Seine weiteren Versuche mit 
menschlichem Magensafte ergaben, dass Magensäfte, welche freie 
Säure enthielten, stets frei von Mikroorganismen waren und dass sie 
Typhus- und Cholerabacillen absolut sicher töteten, Milzbrandsporen 
gegenüber hingegen völlig machtlos waren. Ferner zeigte sich, dass 
Magensäfte, welehe ungebundene Salzsäure nicht enthalten, gleichfalls 
im stande sind, Bakterienwachstum zu hindern, wenn die gebundene 
Säure in genügender Menge vorhanden ist. Erwärmen des Magen- 
saftes auf 55° hatte keinen Einfluss auf die Stärke der bakterien- 
vernichtenden Kraft desselben; hingegen war dieselbe sofort aufge- 
hoben, wenn die gesamte freie und gebundene Säure durch Zusatz 
von Natronlauge neutralisiert wurde. Es ist also allein die im Magen- 
safte vorhandene Säure, welche das Bakterienwachstum hindert, 
während das Sekret der Magendrüsen an sich, ebenso wie es Stern 
für das der Speicheldrüsen nachgewiesen hat, keine antibakteriellen 
Eigenschaften besitzt. — Zu wesentlich denselben Resultaten gelangte 
Kabrehl?), welcher ebenfalls den Unterschied der Einwirkung freier 
und gebundener Salzsäure auf pathogene Mikroorganismen konstatierte. 
Seine Versuche stellte er an künstlichen Magensaftgemischen, welche 
er sich durch Zusatz von Verdauungsflüssigkeit zu Fibrin oder Blut- 
serum herstellte, an. — Mit Tuberkelbaeillen wurden außer von den 


1) Ueber die Wirkung des Magensaftes auf pathogene Bakterien. Inaug.- 
Dissertation. Breslau 1890. 

2) G. Kabrehl, Ueber die Einwirkung des künstlichen Magensaftes auf 
pathogene Mikroorganismen. Archiv f. Hygiene, Bd. X, Heft 3, 1890. 








Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 1345 


oben zitierten Forschern auch von Zagani') Versuche angestellt. 
Derselbe fand, dass die Bacillen bei Hunden, die mit Phthisikersputum 
gefüttert wurden, stets im Kot wiederzufinden waren, also auf ihrem 
Wege durch den Verdauungstraktus der Einwirkung des Magensaftes 
widerstanden. Wenn er hingegen Tuberkelbacillen mit dem Magen- 
safte des Hundes außerhalb des Organismus bei 38° C verschieden 
lange Zeit in Berührung brachte, so besaßen die Baeillen zwar nach 
3 bis 4 Stunden noch ihre volle Virulenz, waren aber nach 18 bis 
24 Stunden völlig unwirksam. Die Tuberkelbaeillen scheinen also 
beim Passieren des Magens nur deswegen am Leben zu bleiben, weil 
sie der Wirkung des Magensaftes hierbei zu kurze Zeit ausgesetzt 
sind. — Hierzu im Widerspruche stehen die Resultate, welche Kur- 
loff und Wagner bei ihren Versuchen erhielten. Diese beiden 
Autoren fanden, dass Tuberkelbacillen, ebensowenig, wie sporenhaltige 
Milzbrandbacillen und Staphylokokken aus älteren Kulturen im nor- 
malen menschlichen Magensafte abgetötet oder auch nur abge- 
schwächt werden. Hingegen wurden, was auch schon von anderen 
Autoren festgestellt worden ist, sporenfreie Milzbrand-, Cholera-, 
Typhus-, Rotz-, Tetanusbaeillen und die Baeillen des blauen Eiters 
bereits innerhalb der ersten halben Stunde verniehtet. — Von be- 
sonderem Interesse sind auch die Versuche, welche Kianowsky?) 
ebenfalls am Menschen anstellte. Hiernach enthält der nüchterne 
Magen — 14 bis 18 Stunden nach der letzten Mahlzeit — zahlreiche 
Mikroorganismen. Je länger der Magensaft wirkt, desto mehr der- 
selben gehen zu Grunde; jedoch findet keine strenge Proportionalität 
zwischen der Steigerung der Acidität des Mageninhaltes und dem 
Zugrundegehen der Mikroorganismen statt 

Die Drüsensekrete, welche im weiteren Verlauf des Darmkanals 
abgeschieden werden, wurden von Leubuscher?) auf ihre bakterien- 
tötende Eigenschaft hin untersucht. Und zwar wurde das Verhalten 
des Darmsaftes, d. h. des Sekretes der Lieberkühn’schen Drüsen, 
des pankreatischen Saftes und der Galle geprüft. Leubuscher ver- 
wandte hierzu Typhus-, Cholera-, Finkler’- und Prior’sche, Kar- 
toffel- und Milzbrandbacillen und außerdem noch bei den Versuchen 
mit Galle das Bacterium coli commune, Proteus vulgaris, Bacillus 
butyrieus, Milchsäurebaeillen und zwei Hefearten: Saccharomyees cere- 
visiae und 8. elipsoides. Hierbei ergab sich, dass sich im Darmsatft 
und im pankreatischen Saft, resp. der angewandten Trypsinlösung, 





4) Zagani, Sul passagio del virus tubereulare pel tubo digerente del cane. 
Giorn. internazion. delle seienze med., 1889. 

2) B. Kianowsky, Zur Frage über die antibakteriellen Eigenschaften 
des Magensaftes. Wratsch 1890, Nr. 38—41 (russisch), ref. im Centralbl. f. 
Bakteriol. u. Parasitenkunde, Bd. IX. 

3) G. Leubuscher, Einfluss von Verdauungssekreten auf Bakterien (aus 
dem hygien. Institut zu Jena). Zeitschr. f. klin. Medizin, Bd. XV, 8. 472. 


346 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 
sämtliche untersuchte Bakterienarten sehr gut entwickelten, am besten 
in der Trypsinlösung, im Jejunumdarmsaft noch etwas reichlicher, 
als in dem aus dem Ileum stammenden Darmsafte. Die frische Galle 
zeigte ebenfalls keine desinfizierende Wirkung. Jedoch verhielten 
sich die angewandten Bakterien der Galle gegenüber nicht gleich. 
Während sich die pathogenen Bakterien, sowie Proteus, Bacterium 
coli commune und die Milcehsäurebaeillen sehr gut entwickelten, fanden 
der Bacillus butyricus und die Hefearten nur schlechte Entwicklungs- 
bedingungen. Die ebenfalls geprüften freien Gallensäuren erwiesen 
sich stets von stark desinfizierender Wirkung. — Diese Sekrete der 
Darmdrüsen zeigen also das gleiche Verhalten, wie die Sekrete der 
Speichel- und Magendrüsen — nicht des Magensaftes. Außerdem 
spricht gegen eine bakterientötende Eigenschaft auch die ungeheure 
Menge von Bakterien, die stets im Darminhalt enthalten ist, sowie 
die Versuche von Koch, welchem eine Infektion der Versuchstiere 
mit Cholera asiatica gelang, sobald er die Salzsäure des Magens durch 
Neutralisieren unschädlich machte oder die Bacillen direkt in den 
Darm injizierte. Ueberhaupt findet bei Cholera, Ruhr, Typhus (s. o.) 
u. a. infektiösen Krankheiten eine Infektion vom Darm aus statt, 
welche bei Anwesenheit von desinfizierenden Stoffen in demselben 
nicht möglich wäre. Es muss daher auch die Therapie dieser Krank- 
heiten besonders darauf geriehtet sein, eine Desinfektion des Darm- 
kanals zu bewirken. — In ähnlicher Weise günstig für das Eindringen 
von Mikroorganismen liegen die Verhältnisse im Genitaltraktus, welcher 
auch keine Sekrete von desinfizierender Wirkung absondert. Es gibt 
daher auch wohl kaum eine Stelle in den Wegen des Urogenital- 
systems, welche einer Infektion nicht zugänglich wäre. — Das Ver- 
halten des Harns gegen Mikroorganismen wird weiter unten noch 
genauer besprochen werden. 

Einen weit ausgiebigeren und allgemeineren Schutz, als in dem 
Verhalten von Epithelzellen und deren Sekreten besitzt der tierische 
Organismus in der bakterienfeindlichen Eigenschaft des Blutes Schon 
M. Traube und Gscheidlen!) hatten darauf hingewiesen, dass 
Bakterien, welche man Tieren intravenös injiziert, sehr rasch aus dem 
Blute derselben verschwinden. Diese Thatsache wurde später durch 
Versuche von Fodor?) bestätigt, der zugleich nachwies, dass im 
Blute gesunder Tiere keine züchtungsfähigen Bakterien enthalten 
sind. — Auf einem anderen Wege näherte sich Grohmann?) der 





4) M. Traube und Gscheidlen, Ueber Fäulnis und den Widerstand der 
lebenden Organismen gegen dieselbe. Jahresber. d. schlesischen Gesellschaft 
für vaterl. Kultur, 1874, 8. 179. 

2) Deutsche mediz. Wochenschrift, 18386, Nr. 36 und Archiv für Hygiene, 
Bd. IV, Heft 2. 

3) Ueber die Einwirkung des zellenfreien Blutplasma auf einige pflanz- 
liche Mikroorganismen, Inaug.-Dissertation. Dorpat 1884. 








Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 347 


vorliegenden Frage, der das Verhalten einiger pflanzlicher Mikro- 
organismen gegen filtriertes Pferdeblutplasma untersuchte. Es kam 
ihm hierbei darauf an, zu beobachten, ob sich irgend welcher Einfluss 
der geimpften Mikroorganismen auf den Eintritt der Gerinnung zeigen 
würde, und er glaubte’auch eine in der Gerinnung ihren Abschluss 
findende Wechselwirkung zwischen dem tierischen Plasma und dem 
Protoplasma der Bakterien gefunden zu haben. Die weitere Frage, 
welchen Einfluss die chemische Einwirkung des Blutplasma auf die 
Vermehrungsfähigkeit und Virulenz der pflanzlichen Mikroorganismen 
besitzt, beantwortete Grohmann auf Grund seiner Versuche dahin, 
dass das Wachstum der der Wirkung des Plasma ausgesetzten Pilze 
stets bedeutend verlangsamt wurde. Zu einem gleichen Resultat 
führten ihn die allerdings nur spärlichen Tierversuche, welche er mit 
Milzbrandbaeillen anstellte.e. Auch hier erwiesen sich die Baeillen, 
auf welche er Blutplasma hatte einwirken lassen, in ihrer Virulenz 
bedeutend herabgesetzt. 

Somit schien die von den oben genannten Forschern aus ihren 
Versuchen vermutete Thatsache, dass die ins Blut gelangten Mikro- 
organismen zu Grunde gingen oder wenigstens eine Schädigung er- 
litten, durch die Versuche von Grohmann eine experimentelle Be- 
stätigung gefunden zu haben. Jedoch wies Wyssokowitscht), der 
sich die Aufgabe gestellt hatte, zu untersuchen, was denn aus den 
ins Blut der Versuchstiere injizierten Mikroorganismen werde, nach, 
dass eine Ausscheidung derselben durch die Nieren, den Darm und 
die Milchdrüsen in die entsprechenden Exkrete nicht stattfinde. Hin- 
gegen fand er, dass die ins Blut injizierten Bakterien ebenso, wie in 
das Blut gelangte kleinste, nicht organisierte Partikelchen, in gewissen 
Organen, namentlich Milz, Leber und Knochenmark massenhaft fest- 
gehalten und dadurch dem Blutstrome entzogen werden. Die in den 
Organen abgelagerten Bakterien gehen dann, wie die Versuche zeigen, 
daselbst zu Grunde. 

Dass aber dem Blute selbst eine bakterienvernichtende Kraft 
zukomme, dafür war es erst möglich, einen exakten Beweis zu liefern, 
als man begann, eine eingehende und auf Benützung der Koch’schen 
Kulturmethoden gestützte Bearbeitung der Frage an dem Tierkörper 
entnommenen Blutproben anzustellen. Schon Fodor?) führte eine 
Reihe derartiger Versuche aus; doch defibrinierte er zu denselben das 
Blut vorher nicht, so dass die bald darauf eintretende Gerinnung eine 
sichere Beobachtung störte. Seine Versuche konnten daher keine 
unzweifelhaften Resultate liefern. 


1) W. Wyssokowitsch, Ueber die Schicksale der ins Blut injizierten 
Mikroorganismen im Körper der Warmblüter. Zeitschrift für Hygiene, Bd. I, 
1886, 8. 3. 

2) Jos. Fodor, Die Fähigkeit des Blutes, Bakterien zu vernichten, Deutsche 
mediz. Wochenschrift, 1887, Nr. 34, S. 745. 


045 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


Völlig unanfechtbare Beweise brachten erst die Versuche, welche 
Nuttall!) und später Nissen?) und Buchner?) anstellten. Ihre 
durchaus positiven Resultate fanden in den letzten Jahren auch noch 
von den verschiedensten anderen Seiten eine volle Bestätigung, und 
es wird auf diese Arbeiten später im Einzelnen noch genauer einge- 
gangen werden. Hierbei bildeten sich im Wesentlichen zwei Unter: 
suchungsmethoden aus, nach denen die Versuche angestellt wurden: 

1) Die Untersuchungsmethode im hängenden Tropfen, welche be- 
sonders von Nuttall angewandt wurde. Dieselbe besteht darin, dass 
man ein Tröpfehen Blut (Lymphe, Serum ete.) mit einer vorher ge- 
glühten Platinöse auf ein sterilisiertes Deckglas bringt und dieses 
Tröpfehen am Rande mittels einer Nadel mit den zu untersuchenden 
Bakterien impft. Statt des nachträglichen Impfens kann man auch 
schon vorher eine Vermischung des Blutes mit einem oder mehreren 
Tropfen einer Aufschwemmung von einer Reinkultur in einem sterili- 
sierten Reagensglase vornehmen und alsdann erst mit einer geglühten 
Platinöse einen Tropfen aus der Blut- Bakterienmischung auf das 
Deckglas bringen. Das Deckglas wird alsdann mit dem Tropfen 
nach unten auf einen ausgeschliffenen Objektträger gelegt und am 
Rande mit Paraffin zugeschmolzen. Es ist dann zu jeder beliebigen 
Zeit der Beobachtung mit dem Mikroskope zugänglich. Die Beobach- 
tung muss auf einem geheizten Objekttische oder, wie Nuttall seine 
Versuche anstellte, in einem Wärmekasten des Mikroskopes vorge- 
nommen werden. Natürlich müssen die Präparate auch in der Zwischen- 
zeit in Kästchen auf Körpertemperatur gehalten werden. 

Die zweite Methode ist die Kulturmethode, welche meist in 
zweierlei Formen angewandt wurde: 1) 5 bis 10 ecem Blut werden 
aus einer aseptisch freigelegten Arterie oder Vene (meist die Carotis 
oder Jugularis) des Versuchstieres in einem sterilen Glasgefäß auf- 
gefangen, unter Vermeidung jeder Abkühlung in einer sterilisierten 
Glasflasche durch Schütteln mit geglühtem Kies oder nach Buchner 
ebenfalls durch Glühen sterilisierten Glasperlen defibriniert und als- 
dann in Mengen von 8 bis 12 Tropfen mittels sterilisierter Pipette in 
sterile, schon vorgewärmte Reagensgläser verteilt. In diesen Blut- 
proben wird je eine Platinöse einer konzentrierten Aufschwemmung 
der zu untersuchenden Bakterien gut verrührt, und dieselben werden 

1) G. Nuttall, Experimente über die bakterienfeindlichen Einflüsse des 
tierischen Körpers. Zeitschrift für Hygiene, Bd. IV, 1888. 

2) F. Nissen, Zur Kenntnis der bakterienfeindlichen Eigenschaft des 
Blutes. Inaug.-Dissertation. Breslau 1889. 

3) Untersuchungen über die bakterienfeindliehen Wirkungen des Blutes 
und Blutserums. I. Vorbemerkungen von H. Buchner. II. Ueber den bak- 
terientötenden Einfluss des Blutes von H. Buchner u. Fr. Voit. III. Welchen 
Bestandteilen des Blutes ist die bakterientötende Wirkung zuzuschreiben ? von 
H. Buchner u. G. Sittmann. Archiv für Hygiene, Bd. X, Heft 1 u. 2. 





Kionka, Verhalten der Körpertlüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 349 


alsdann bei 38°C im Thermostaten gehalten. Von Zeit zu Zeit werden 
einige dieser infizierten Blutproben herausgenommen, mit ca. 8 cem 
verflüssigter Nährgelatine vermischt und zu Platten ausgegossen. Zu- 
gleich mit dem Blute werden auch zwei oder drei Reagensgläser 
Gelatine mit je einer Platinöse der Aufschwemmung geimpft und zu 
Platten ausgegossen, um die Menge der ausgesäten Keime zu be- 
stimmen. — Die zweite Form dieser Methode ist folgende: Es werden 
ebenfalls 5 bis 10 eem Blut aseptisch gewonnen und defibriniert, als- 
dann jedoch nicht verteilt, sondern direkt mit den betreffenden Bak- 
terien geimpft. Hierauf wird sofort nach kräftigem Umschütteln eine 
Platinöse dieses geimpften Blutes entnommen, zu verflüssigter Nähr- 
gelatine gesetzt und zu einer Platte ausgegossen. Dieser Vorgang 
wird nach verschieden langer Zeit in der gleichen Weise wiederholt, 
und somit die Anzahl der mit je einer Platinöse des geimpften Blutes 
entnommenen Keime ersehen. — 

Beide Methoden, sowohl die Kulturmethode, als die Untersuchungs- 
methode im hängenden Tropfen, ergaben fast stets dieselben Resultate, 
was für die Brauchbarkeit derselben spricht. Allerdings lässt sich 
eine partielle Abtötung der geimpften Bakterien im hängenden 
Tropfen nieht erkennen. Bei allen diesen Versuchen stellten sich 
auch noch eine Anzahl anderer bemerkenswerter Eigentümlichkeiten 
heraus. So ist die Wirksamkeit des Blutes abhängig von der Menge 
der ausgesäten Bakterien, und sie erlischt bei großer Aussaat viel 
rascher. Auch durch längeres Verweilen — nach 4 bis 16 Stunden 
nach Nuttall und Nissen, nach den Beobachtungen von Buchner 
und Stern jedoch erst nach 2 bis 4 Wochen — außerhalb des Tier- 
körpers verschwindet die bakterienfeindliche Eigenschaft des Blutes 
allmählich, und sie kann sofort aufgehoben werden durch ein halb- 
stündiges Erwärmen auf 55° C, resp. !/,stündiges Erwärmen auf 
60° ©, oder durch Gefrieren und Wiederauftauen. Auch die länger 
anhaltende Einwirkung niedrigerer Temperaturen kann eine Herab- 
setzung der bakterientötenden Kraft verursachen. Wenigstens be- 
obachtete Stern eine merkliche Abschwächung jener Eigenschaft, 
wenn er Blut vor der Impfung mehrere Stunden einer Temperatur 
von 43 bis 44° C aussetzte. Fodor!), welcher das bereits geimpfte 
Blut auf verschiedenen Temperaturen hielt, fand, dass die bakterien- 
tötende Eigenschaft desselben am stärksten bei einer Temperatur von 
38 bis 40° © hervortrete, bei Temperaturen über 40° hinaus jedoch 
immer schwächer werde. — Außer mit dem durch Sehütteln mit Sand 
oder Glasperlen defibrinierten Blute wurden auch Versuche mit nicht 
defibriniertem Blute (Buchner) vorgenommen, sowie mit Blut, welches 
dadurch zu einem langsameren Gerinnen gebracht war, dass seiner 





1) J.v.Fodor, Neuere Untersuchungen über die bakterientötende Wirkung 
des Blutes und über Immunisation Centralblatt f. Bakteriol. u. Parasitenk., 
Bd. VII, 1890, Nr. 24, S. 753. 


3D0 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


Entnahme aus dem Tierkörper eine intravenöse Peptoninjektion vor- 
ausgeschickt war (Buchner, Nissen). Eine zweite Art ungerinn- 
baren Blutes stellte sich ferner Nissen noch dadurch her, dass er 
das der Carotis entströmende Blut in einer 25proz. Lösung von Bitter- 
salz (SO,Mg) auffing. Sowohl das Vollblut, als auch das „Pepton- 
blut“ zeigten die gleiche bakterientötende Eigenschaft, wie das defibri- 
nierte Blut, hingegen hatte das SO,Mg-Blut seine Wirkung völlig 
verloren. 

Die Versuche, für diese auffallenden Eigentümlichkeiten eine Er- 
klärung zu finden, deckten sich mit der Aufgabe, die Ursache der 
bakterientötenden Kraft im Blute selbst zu entdecken. Zur Lösung 
dieser Frage sind schon mancherlei Hypothesen aufgestellt worden. 
Wohl die meisten Anhänger hat seiner Zeit die von Metschnikoff!) 
aufgestellte besessen. Metschnikoff verlegte die Ursache für 
das Zugrundegehen der in das Blut gebrachten Bakterien in eine 
aktive Thätigkeit gewisser Zellen. Es sollen nämlich die Leukoeyten 
und andere vom Mesoderm abstammende Zellen des Körpers die Fähig- 
keit besitzen, eingedrungene Bakterien aufzunehmen und intracellulär 
zu verdauen. Seit lange schon kennt man die Fähigkeit der Leuko- 
cyten, ins Blut gelangte kleinste Teilchen körniger Substanzen, wie 
Zinnober, chinesische Tusche ete. sich einzuverleiben und auf diese 
Weise aus dem Blutkreislaufe auszuschalten. Denselben Vorgang 
nimmt Metschnikoff an, wenn Leukocyten, oder wie er diese 
Zellen infolge ihrer „fressenden“ Thätigkeit nennt, „Phagocyten“ mit 
Bakterien in Berührung kommen, und sieht hierin die hervorragendste 
Schutzvorriehtung des Organismus gegen von außen auf ihn eindringende 
schädliche körperliche Elemente. Bleiben in diesem Kampfe, der sich 
zwischen den Zellen und den Bakterien abspielt, erstere Sieger, so 
ist, wenn die Bakterien z. B. Träger einer Infektionskrankheit waren, 
der Verlauf der Krankheit ein günstiger, sind die Phagocyten infolge 
irgend welcher Umstände nicht im stande, die Bakterien zu über- 
winden, ein ungünstiger. Die grundlegenden Untersuchungen für diese 
Theorie stellte Metschnikoff an Daphnien an, welche er einmal an 
einer durch Sprosspilze erzeugten Krankheit massenhaft zu Grunde 
gehen sah, und die ihm wegen ihres völlig durchsichtigen Körpers 
zu seinen Versuchen am geeignetsten erschienen. Ferner stellte 


wirbellosen Tieren. Arbeiten a. d. zool. Inst. d. Univ. Wien, 1884, Bd.V. 

Ders., Ueber die pathologische Bedeutung der intercellulären Verdauung. 
Fortschritte der Medizin, 1884, Bd. 1I. 

Ders., Sur la lutte de l’organisme eontre l’invasion des mierobes. Annales 
de V’Instit. Pasteur, 1887, Tome I. 

Ders., Sur l’attenuation des bacteridies charbonneuses. Ebenda. — Siehe 
auch dieses Centralblatt, 1883 u. 1884. 

Fortschritte der Medizin, 1888, Bd. V. 

Virechow’s Archiv Bd. XCVI, XCVII, CVII, CIX und a. a. ©. 





Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 351 


Metschnikoff Versuche mit Milzbrandbacillen an Fröschen an, 
welche gegen Milzbrand immun sind, und bei denen früher sehon 
Koch nach Impfung mit einem Stück milzbrandigen Organes an der 
Impfstelle bacillenhaltige Zellen gefunden hatte. Bei den von ihm 
vorgenommenen Untersuchungen fand nun Metschnikoff, dass die 
Milzbrandbaeillen, welehe von den massenhaft zugewanderten Leuko- 
eyten aufgenommen wurden, in denselben degenerierten. Sie wurden 
blass und durchscheinend, bekamen einen schärferen Umriss, der 
allmählich unregelmäßig und zackig wurde; schließlich traten an ein- 
zelnen Stellen Ausbuchtungen und Ansehwellungen auf, bis die Bak- 
terien endlich in unregelmäßig gestaltete Körnehen zerfielen. Außer- 
halb der Leukoceyten liegende Bacillen sah Metschnikoff niemals 
degenerieren. Zur Unterscheidung der abgestorbenen und der noch 
lebenden Baeillen bediente sich Metschnikoff einer Farbenreaktion. 
Er setzte zu dem eben entnommenen, baeillen- und leukoeytenhaltigen 
Exsudate einen Tropfen einer alten Vesuvinlösung, durch welche 
nur die abgestorbenen Bacillen gefärbt werden sollten, während die 
übrigen ungefärbt blieben. — Aehnliche Resultate erhielt Metschni- 
koff bei Versuchen mit Eideehsenblut, desgleichen bei Warmblütern. 
Jedoch gelang es ihm bei letzteren nur in der Milz bacillenhaltige 
Leukoeyten nachzuweisen. Dieselben scheinen also nur eine geringere 
bakterienvernichtende Thätigkeit zu entfalten, weshalb auch diese 
Tiere im Allgemeinen für Milzbrand sehr empfänglich sind. — Schließ- 
lich untersuchte Metschnikoff noch die Vorgänge bei einer Anzahl 
von Infektionskrankheiten, bei Wunderysipel, Malaria, Febris recurrens, 
Gonorrhöe, Lepra und Tuberkulose, deren Verlauf ihm ebenfalls die 
Richtigkeit seiner „Phagoeytentheorie“ zu bestätigen schien. — Neuer- 
dings ist diese Lehre von Capparelli!) noch weiter ausgesponnen 
worden. Derselbe schließt aus den von ihm angestellten Beobach- 
tungen, dass der Phagocyt, während er die vegetabilischen Elemente 
zerstört, selbst mit in die Zerstörung hineingezogen, also selbst zer- 
stört wird. Die letzte Phase des Phagocytismus wäre also vollständige 
Vernichtung der Phagocyten selbst und der von ihnen verschluckten 
Bakterien. — 

Diese von Metschnikoff aufgestellte Lehre fand bald von den 
verschiedensten Seiten eingehende Nachprüfungen. So kam Hess?), 
der Fröschen 1 eem einer dieken Milzbrandanschwemmung in physio- 
logischer Kochsalzlösung intravenös injizierte, zu denselben Resultaten, 
wie Metschnikoff. Er bediente sich, um Färbungsunterschiede 
zwischen den noch lebenden und den schon abgestorbenen Bacillen 
zu erhalten, der Gram’schen Methode. Außer mit Milzbrandbaeillen 
operierte Hess noch mit Staphylococcus pyogenes aureus. Auch diesen 


4) Beitrag zum Studium der Phagoeyten. Centralblatt f. Bakteriol. und 
Parasitenk , Bd. X, Nr. 9. 
2) Hess, Untersuchungen zur Phagocytenlehre. Vircho w’s Arch., Bd. CIX. 


359 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


Kokkus sah Hess die Leukocyten aufnehmen und verdauen. — Eben- 
falls mit Staphylococeus pyogenes aureus experimentierten Ribbert!) 
und dessen Schüler Haasler?) und Lähr?). Auch sie kamen zu 
sleichen Resultaten, wie Hess und Metschnikoff. — In ganz ähn- 
licher Weise äußert sich auch Lubarsch*) in seiner 1888 erschienenen 
experimentellen Arbeit zu dieser Frage. — Gleichfalls eine Bestätigung 
der Metschnikotf’schen Phagoeytenlehre fand Pawlowsky?°), 
welcher eire Heilung des Milzbrandes durch subkutane und intra- 
venöse Injektionen von Bacillus prodigiosus, pneumoniae ete. und die 
dadurch bewirkte massenhafte Leukocytenansammlung zu erreichen 
suchte. 

Bald wurden jedoch auch Stimmen laut, welche die „Phagocyten- 
lehre“ scharf kritisierten und bekämpften. So traten Baumgarten‘), 
Weigert”) und vor allem Bitter°) und Flügge?) der Auffassung 
Metschnikoff’s entschieden entgegen. Unter anderem bestreiten sie, 
dass die Phagocyten im stande wären, ausgewachsene lebende Ba- 
eillen aufzunehmen. Denn auch bei der von Metschnik off angeführten 
Sprosspilzerkrankung der Daphnien waren stets nur Sporen, niemals 
die wachsenden Gonidien in den Zellen eingeschlossen, und ebenso 
ist es zweifelhaft, ob bei den anderen Versuchen die in den Zellen 
eingeschlossenen Bacillen erst nach ihrer Aufnahme degeneriert sind. 
Wahrscheinlicher dürfte die Annahme sein, dass die Bacillen durch 
irgend welche andere außerhalb der Phagoeyten wirkende Schädlich- 
keiten zur Degeneration gebracht werden und dann im abgestorbenen 
Zustande von den Leukoeyten in gleicher Weise, wie Farbkörner oder 
andere leblose kleinste Körperchen aufgenommen werden. Besonders 
sprieht hierfür auch das Auffinden degenerierter Baeillen außerhalb 





4) Ribbert, Der Untergang pathogener Schimmelpilze im Körper. Bonn 
1887. — Siehe auch: Dentsche mediz. Wochenschrift, 1884. 

Derselbe, Der jetzige Standpunkt der Lehre von der Immunität. Deutsche 
mediz. Wochenschrift, 1890, Nr. 31. 

2) Haasler, Beitrag zur Histologie der akuten Entzündung der Niere. 
Inaug.- Dissertation. Bonn 1887. 

3) Lähr, Ueber den Untergang des Staphylococcus pyogenes aureus in den 
durch ihn hervorgerufenen Entzündungsprozessen in der Lunge. Inaug. - Diss. 
Bonn 1887. 

4) Lubarsch, Ueber Abschwächung der Milzbrandbaeillen im Frosch- 
körper. Fortschritte der Medizin, 1888, Bd. VI. 

5) Pawlowsky, Die Heilung des Milzbrandes durch Bakterien ete. 
Virehow’s Archiv, Bd. CVII. 

6) Berliner klin. Wochenschrift, 1884, Nr. 50 u. 51. 

7) Fortschritte der Medizin, 1887, Bd. V. 

8) Bitter, Kritische Bemerkungen zu E. Metschnikoff’s Phagocyten- 
lehre. Zeitschrift für Hygiene, Bd. IV, 1888. 

9) Flügge, Studien über die Abschwächung virulenter Bakterien und 
die erworbene Immunität. Ebenda. 














Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 353 


von Leukocyten, eine Thatsache, die Metschnikoff völlig übersehen 
zu haben scheint, wenigstens wird ihrer nirgends Erwähnung gethan. 
Auch die von Metschnikoff angewendete Vesuvinreaktion zum 
Nachweis von Degenerationsformen der Bacillen, ist, wie Bitter 
hervorhebt, ein sehr unvollkommenes Hilfsmittel. Denn wenn man 
dadurch auch die noch ganz lebensfähigen von den schon völlig ab- 
gestorbenen Baeillen unterscheiden kann, so ist es doch absolut un- 
möglich, durch diese Farbenreaktion auch die Zustände der erst be- 
ginnenden Degeneration zu erkennen. Wenn also auch die Möglich- 
keit, dass die Phagoceyten zuweilen in dem von Metschnikoff 
angegebenen Sinne wirken, nicht auszuschließen ist, so hat doch 
weder Metschnikoff noch einer seiner Nachfolger bis jetzt einen 
Beweis für die allgemeine Giltigkeit der Phagoeytenlehre erbringen 
können. — 

Auch einer experimentellen Nachprüfung wurde die Metschni- 
koff’sche Lehre von einer Anzahl Autoren unterzogen, welche die von 
Baumgarten, Weigert, Flügge u. Bitter ausgesprochene Ansicht 
voll bestätigen. Christmas-Dirkinek-Holmfeld!) gelang es, 
durch Impfung von Ratten mit sporenfreier Milzbrandkultur den Beweis 
zu liefern, dass entgegen den Beobachtungen Metschnikoff’s auch 
die freien, nieht in Zellen eingeschlossenen Baeillen so vollständig 
degenerierten, dass sie durch Verimpfungs- und Kulturversuche als 
tot nachgewiesen werden konnten. Emmerich?) und RE. di Mattei?) 
kamen durch Versuche mit Milzbrandbaeillen und Erysipelkokken zu 
den gleichen Resultaten. Ferner zeigte Petruschky®), dass, wenn 
Milzbrandbacillen entweder direkt in den Rückenlymphsack des Frosches 
injiziert oder in eine diffusible Membran eingeschlossen in den Lymph- 
sack eingeführt werden, die Degenerations- und Auflösungserschei- 
nungen größtenteils an den extracellulär gelegenen Baeillen sich voll- 
zogen. Somit war durch diese Untersuchungen die stärkste Stütze 
der Phagocytenlehre, welche grade in dem Verhalten des Milzbrand- 
baeillus zu dem Organismus des Frosches wurzeln sollte, gefallen. 
Auch Fodor spricht sich in seiner oben zitierten Arbeit in demselben 
' Sinne aus. Am vollständigsten und am meisten überzeugend sind je- 
' doch die Versuche von Nuttall, welcher die Versuche Metschni- 
' koff’s wiederholte. Außerdem stellte Nuttall, wie schon oben er- 
wähnt, auch Kulturversuche an. Sowohl durch die letzteren, als dureh 
seine Versuche an Fröschen und Kaninchen nach den von Metschni- 
koff angegebenen Methoden und durch seine Untersuchungen im 





1) Ueber Immunität und Phagoeytose. Fortschr. d. Medizin, 1837, Bd. V, 
Nr. 13. 

2) Die Heilung des Milzbrandes. Archiv f. Hygiene, Bd. VI, Heft 4. 

3) Fortschritte der Medizin, 1837, Bd. V. 

4) Petruschky, Ueber die Ursache der Immunität des Frosches gegen 
Milzbrand. Inaug.-Dissertation. Königsberg 1888. 

XII, 23 





Li; 


354 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen 


hängenden Tropfen auf dem heizbaren Objekttisch bewies Nuttall, 
dass Blut eine Degeneration der eingebrachten Milzbrandbaeillen un- 
abhängig von der Mitwirkung der Leukocyten bewirke. Und zwar 
wird ein großer Teil der Baecillen, welche mit Blut in Berührung ge- 
bracht werden, in mehr oder weniger kurzer Zeit wirklich abgetötet. — 
In gleicher Weise deuten auch Foä und Bonomet) ihre Resultate, 
welche sie bei Impfversuchen von Kaninchen mit Proteus vulgaris er- 
hielten, und auch Henke?) gelangte zu dem Ergebnis, dass bei 
Gonorrhöe, bei welcher doch stets in Zellen liegende Kokken be- 
obachtet werden, eine Phagocytose nicht stattfinde. Im Gegenteil 
werden die Zellen durch die eindringenden und sich in ihnen ver- 
mehrenden Gonokokken aufgefressen. — Es ist also die Behauptung 
Metschnikoff’s, dass die Vernichtung der Baeillen im lebenden 
Organismus ausschließlich eine Folge der Phagocytenthätigkeit 
sei, unrichtig. 

Aulserdem hat man auch eine anderweitige, mehr indirekte Beweis- 
führung gegen die Richtigkeit der Phagocytenlehre und der daraus 
gezogenen Konsequenzen eingeschlagen, indem man nachwies, dass 
Bakterien auch durch die Einwirkung völlig zellenfreier Flüssigkeiten 
zu Grunde gehen, wobei also eine Beihilfe von Leukocyten absolut 
ausgeschlossen ist. Es wurden nämlich dieselben Versuche, wie mit 
Blut, auch mit Blutplasma und Blutserum angestellt. Schon Groh- 
mann führte eine Anzahl seiner Versuche mit filtriertem Pferdeblut- 
plasma aus. Ihm folgte Nissen, der ebenfalls Pferdeblutplasma 
benützte, das er sich nach der von Brücke angegebenen Methode 
durch Stehenlassen des Blutes in einem auf 0° abgekühlten Zylinder 
verschaffte. Eine größere Anzahl ausführlicher Versuche stellte Buch- 
ner?) an zellenfreiem Blutserum an, ebenso Behring und Nissen‘). 


Hierbei stellte sich, wie schon hervorgehoben, heraus, dass dem Serum 


resp. Plasma dieselbe bakterientötende Eigenschaft wie dem Blute 
zukomme, dass also dieselbe nicht auf die Wirkung der Leukocyten 
zurückgeführt werden könne. — Auch die Bakterienfeindlichkeit des 
Serums kann, wie die des Blutes, aufgehoben werden durch ein halb- 
stündiges Erwärmen auf 55° C oder 20stündiges Erwärmen auf 46°C, 


hingegen nicht durch Gefrieren und Wiederauftauen. Die Wirkung 


des Serums ist ebenso, wie die des Vollblutes, eine begrenzte, und 
es vermag eine bestimmte Portion Serum nur eine bestimmte Menge 





41) Foa u. Bonome, Ueber Schutzimpfung. Zeitschr. f. Hygiene, Bd. V. | 
2) Henke, Die Phagocytenlehre Metschnikoff’s und der Gonococeus 


Neisseri. Inaug.-Dissertation. Würzburg 1889. 

3) Buchner 1. e. und: Ueber die bakterientötende Wirkung des zellen- 
freien Blutserums. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk., Bd. V Nr. 25 u. Pd. VI, 
Nr. 

4) Behring und Nissen, Ueber bakterienfeindliche Eigenschaften ver- 
schiedener Blutserumarten. Zeitschrift für Hygiene, Bd. VIII, 1890. 








Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 355 


Bakterien zu vernichten. Buchner berechnete, dass 1emm Kaninchen- 
serum etwa 1000 Typhuskeime abzutöten im stande ist. Die interes- 
sante Thatsache, dass Blut durch Gefrieren und Wiederauftauen seine 
bakterienvernichtende Eigenschaft verliere, Serum hingegen nicht, sucht 
Buehner dadurch zu erklären, dass durch das Gefrieren des Blutes 
die Blutzellen vernichtet würden und die so gelösten Blutzellenbestand- 
teile ein Nährmedium für die Bakterien abgeben. Ebenso fände in 
einer mit Bakterien besäten Blutprobe unter der Wirkung derselben 
ein allmählicher Zerfall der Blutkörperchen statt, so dass bei einer 
größeren Aussaat die bakterientötende Wirkung hierdurch schließlich 
aufgehoben wird. — Neuerdings ist auch von Gottstein!) eine 
ähnliche Ansicht ausgesprochen worden. Derselbe impfte Tiere, welche 
sonst gegen bestimmte Bakterienarten immun sind, grade mit diesen 
Mikroorganismen, nachdem er ihnen toxische Stoffe, welehe die roten 
Blutkörperchen zerstören, subkutan injiziert hatte. Die so geimpften 
Tiere wurden infiziert, resp. starben. Aehnliche Versuche stellte er 
zur Klärung der Vorgänge bei der gewöhnlichen Wundinfektion an 
und schloss daraus, „dass die Zerstörung roter Blutkörperchen ein 
Moment für das Zustandekommen sekundärer Septikämie abzugeben 
vermag“. — Noch mehr wurde Buchner in seiner Anschauung durch 
die Beobachtung bestärkt, dass er sichere Resultate erst erlangen 
konnte, als er sich zu seinen Versuchen ein Serum verschafft hatte, 
das möglichst oder fast völlig frei von allen körperlichen Bestand- 
teilen war. Ferner vermochte Buchner auch die bakterientötende 
Wirkung des Serums durch Zusatz von Nahrungsstoffen (Fleischpepton- 
lösung) aufzuheben. 

Diese Thatsachen führten Buchner?) dazu, nach der Ursache 
der bakterientötenden Kraft des zellenfreien Serums zu suchen. Durch 
mehrmaliges Gefrieren und Wiederauftauen wurde Hundeblutserum zur 
Schichtung gebracht, indem sich bei dieser Prozedur die festeren Be- 
standteile nach und nach mehr in den unteren Schichten anhäuften. 
Hierauf wurden mit dem Serum der verschiedenen Schichten Versuche 
angestellt, und es ergab sich, dass fast ausschließlich den untersten 
Schichten die bakterientötende Wirkung zukomme. Es scheint da- 
nach dieselbe, meint Buchner, an die Eiweißkörper des Serums ge- 
bunden zu sein. Außerdem zeigte sich aber noch, dass das Serum 
bei Dialyse gegen Wasser oder durch eine sehr starke Verdünnung 





1) Gottstein, Beiträge zur Lehre von der Septikämie. Deutche mediz. 
Wochenschrift, 1890, Nr. 24. 

2) Buchner |. e. und: Ueber die nähere Natur der bakterientötenden 
Substanz im Blutserum. Centralbl. f. Bakt., Bd. VI, Nr. 21. 

Untersuchungen über die bakterienfeindlichen Wirkungen des Blutes und 
Blutserums. IV. Versuche über die Natur der bakterientötenden Substanz im 
Serum von H. Buchner und M. Orthen berger. Archiv f. Hygiene, Bd. X, 
1890, Heft 2, 


E 
25 


356 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


mit Wasser seine Wirksamkeit gegen Bakterien vollkommen verliere. — 
Eine derartig reichliche Wasserverdünnung des Blutes erreichte Bo- 
nome!) durch zahlreiche intravenöse Wasserinjektionen der Versuchs- 
tiere. Auch er fand alsdann die antibakterielle Eigenschaft des Blutes 
herabgesetzt. — Bei einer derartigen Dialyse oder Verdünnung findet 
nun eine Entziehung der Mineralsalze statt. Es könnte also mithin 
die bakterientötende Kraft den Mineralsalzen innewohnen. Bestätigt 
schien diese Ansicht noch durch eine Anzahl von weiteren Versuchen 
Buchner’s zu werden, in denen die Dialyse nicht gegen Wasser, 
sondern gegen eine 0,75 bis 0,8prozentige Kochsalzlösung mit Zusatz 
von soviel Natriumbikarbonat, dass die Alkaleseenz der Kochsalz- 
lösung jener des betreffenden Serums genau entsprach, vorgenommen 
wurde. Bei dieser Dialyse blieb die Wirksamkeit des Serums ebenso, 
wie bei Verdünnung mit dieser Kochsalzlösung völlig erhalten. Die 
Bakterienfeindlichkeit des Serums scheint daher an die Anwesenheit 
der Salze geknüpft zu sein, aber nur insofern, als dieselbe eine un- 
erlässliche Bedingung für die normale Beschaffenheit der Albuminate 
des Serums darstellt. Es sind demnach, meint Buchner, die Eiweiß- 
körper die eigentlichen Träger der bakterienfeindlichen Eigenschaft 
des Serums, aber nur solange, als sie sich in „wirksamen Zustande“ 
befinden, welchen sie z. B. durch Erwärmen auf 55° C verlieren. — 
Dies ist die Hypothese Buchner’s über die Ursache der bakterien- 
vernichtenden Kraft des Blutes, die er auch den Angriffen Behring’s 
und Nissen’s gegenüber aufrecht erhält?). — 

Auch von anderen Autoren wurden verschiedene Theorien über 
diese Frage aufgestellt, so von Petruschky die sogen. Assimilations- 
theorie. Nach derselben befinden sich die Körpersäfte und somit die Nähr- 
stoffe normaler Weise in einem Zustande, in weichem sie von den Bacillen 
nicht assimiliert werden können. Die Folge davon ist, dass die Baeillen 
aus Mangel an Nährstoffen zu Grunde gehen. — Wäre dies der Fall, 
so müsste z. B. Blut oder andere Körperflüssigkeiten mit guten Nähr- 
lösungen versetzt einen brauchbaren Nährboden für Bakterien ab- 
geben. In diesem Sinne stellte Nissen eine Anzahl Versuche mit 
Blutproben an, denen er Nährflüssigkeiten in verhältnismäßig kleinen 
Mengen zugesetzt hatte. Und zwar benützte er eine Salzlösung, 
bestehend aus 1 Teile schwefelsaurer Magnesia, 1 Teile Caleium- 
chlorid und 1000 Teilen Leitungswasser, außerdem die gewöhnliche 
alkalische Bakteriennährbouillon. Doch zeigte sich in dem Verhalten 
des Blutes gegen Bakterien weder durch den Zusatz der Salzlösung, 
noch durch den der Nährbouillon irgend welche Veränderung. Man 
kann also nach diesen Versuchen die Bakterienfeindlichkeit des Blutes 





1) A. Bonome, Ueber einige experimentelle Bedingungen, welche die 
bakterienvernichtende Eigenschaft des Blutes verändern. Centralbl. f. Bakt. 
und Parasitenk,, Bd. VIIL, S. 149. 

2) Zeitschrift für Hygiene, 1891, Bd. IX. 





Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 357 


nieht, wie es Petruschky that, durch einen Mangel an Nährstoffen 
erklären. — Nissen fasste sie damals als eine spaltende Eigenschaft 
des Blutplasmas auf. Aehnlich glaubte auch Nuttall, dass es sich 
hierbei um eine Fermentwirkung handle. — Grohmann hatte sie, 
wie erwähnt, schon früher dem Gerinnungsvorgange des Blutes zu- 
geschrieben. Letzterer Auffassung trat Buchner näher, welcher 
Untersuchungen darüber anstellte, ob vielleicht doch die fibrinogene 
Substanz bei dem Vorgange der Bakterienabtötung eine Rolle spiele. 
Es ergaben auch in der That seine Versuche mit Peptonblut und 
Peptonplasma vom Hunde, wie es auch Nissen beobachtet hatte, 
eine tötende Wirkung auf Typhusbacillen; jedoch war dieselbe keine 
besonders starke und eher geringgradiger, als sie durch zellen- 
freies Kaninchenblutserum auf Typhusbaeillen ausgeübt wurde. Ebenso 
zeigte auch eine nach dem Verfahren von Wooldridge aus Thymus- 
drüse vom Kalb direkt hergestellte Fibrinogenlösung keine Spur einer 
bakterientötenden Wirkung. 

Bei allen diesen Versuchen, welche von den verschiedenen 
Forschern mit verschiedenen Blut- respektive Serumarten vorge- 
nommen wurden, zeigte es sich, dass die Blut- und Serumarten 
der verschiedenen Tierspecies unter einander ziemlich bedeutende 
Differenzen in ihrer Fähigkeit, Bakterien zu vernichten, zeigten. So 
beobachtete Nuttall bei seinen Versuchen der Untersuchung im 
hängenden Tropfen, dass am schnellsten die Degeneration der Milz- 
brandbacillen bei Menschenblut eintrat, fast ebenso schnell bei Blut 
von immunisierten Hammeln, ebenfalls in nahezu gleicher Stärke bei 
Hundsblut. Hingegen hat Vogelblut nur geringe bakterientötende 
Kraft. Langsam, aber sehr vollständig trat die Degeneration beim 
Kaninchenblut ein; gar keine Degeneration, sondern unverzögertes 
Wachstum zeigten die Versuche mit Mäuseblut. Wyssokowitsch 
und Nissen stellten ihre Versuche mit Hunde- und Kaninchenblsut 
an, Nissen außerdem noch mit Pferdeblutplasma, ebenso Buchner, 
Es konnte zwar der Letztere in dem Verhalten dieser beiden Blut- 
arten keine wesentlichen Unterschiede wahrnehmen; doch schienen 
ihm manche Serumarten ihre bakterientötende Wirkung viel eher zu 
verlieren, als andere. Wenigstens beobachtete Buchner diese Er- 
scheinung bei Rinder- und Pferdeserum im Gegensatz zu dem meist 
angewandten Hunde- und Kaninchenserum. Ferner hat Behring!) 
gezeigt, dass durch Blutserum von Meerschweinchen das Wachstum 
der Milzbrandbacillen nieht im geringsten beeinträchtigt werde, dass 
hingegen im Serum von Ratten diese Bacillen überhaupt nicht wachsen. 
Stern endlich stellte Versuche über die bakterienvernichtende Eigen- 
schaft des menschlichen Blutes an, welches er sich durch Setzen von 
Sehröpfköpfen und Aderlass, natürlich unter streng aseptischen Kau- 





1) Behring, Ueber die Ursache der Immunität von Ratten gegen Milz- 
brand. Centralblatt für klin. Medizin, 1888, Nr. 38, 


358 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


telen, verschaffte. Des Weiteren bediente er sich dann der schon 
oben angegebenen Kulturmethode. — Durch diese Beobachtungen, 
welche an den verschiedenen Blut- und Serumarten gemacht worden 
waren, angeregt, stellten Behring und Nissen eine große Anzahl 
von Versuchen mit den verschiedensten Serumarten an. Und zwar 
führten sie die erste Versuchsreihe mit Milzbrandbaeillen aus. Dieselben 
wurden geprüft in ihrem Verhalten gegenüber dem Blute von Rindern, 
Kälbern, Hammeln, Schweinen, Pferden, Ratten, Kaninchen, Meer- 
schweinchen, Mäusen, Hunden, Katzen, Hühnern, Tauben, Fröschen 
und außerdem noch von 3 milzbrandimmunen Hammeln und in ein- 
zelnen Versuchen auch vom Menschen. Hierbei ergab sich, dass im 
Serum der Meerschweinchen, Hammel — auch der immunen —, Mäuse, 
Pferde, Hühner, Tauben, Frösche und Katzen die Milzbrandbaeillen 
stets kräftiges Wachstum zeigten, ebenso in dem Serum von 2 Hunden, 
während das der dritten eine wachstumshemmende Kraft zeigte; Ka- 
ninchen- und Rinderserum verhielt sich verschiedenartig, und Ratten- 
serum schließlich zeigte ausnahmslos Wachstumshemmung. Außer 
mit Milzbrandbacillen wurden auch noch mit einer Anzahl anderer 
Bakterien Versuche mit denselben Serumarten angestellt 

Es hatten nämlich auch die Beobachtungen der früheren Autoren 
mit Sicherheit festgestellt, dass die Wirkung ein und desselben Blutes 
resp. Serums auf verschiedene Bakterienarten durchaus nicht dieselbe 
sei, sondern dass im Gegenteil die eine Bakterienart schnell und 
prompt abgetötet werden könne, während die andere einen guten 
Nährboden finde. So hatte schon Wyssokowitsch konstatiert, dass 
die verschiedenen Bakterienarten, Versuchstieren ins Blut injiziert, 
verschieden schnell daraus verschwinden. Er stellte die untersuchten 
Bakterienarten zu fünf Gruppen zusammen. 1) Schimmelpilze: Asper- 
gillus fumigatus, Peneillium glaucum; 2) saprophytische Bakterien: 
Baeillus subtilis, Bacillus acidi lactici, Micrococcus aquatilis, Spirillum 
Finkler et Prior, Spirillum tyrogenum; 3) Bakterien, die für den 
Menschen oder andere Tiere pathogen, für die benutzten Versuchs- 
tiere aber unschädlich sind: Micrococcus tetragenus, Bacillus typhi 
abdominalis, Spirochaöte Cholerae asiaticae, Streptococcus pyogenes; 
4) für die Versuchstiere pathogene Bakterien: Staphylococeus pyogenes 
aureus, Bacillus cuniculicida, Bacillus anthracis; 5) Bakterien, welche 
in kleinen Dosen nicht pathogen sind, in größeren aber toxisch wirken: 
Baeillus indicus ruber, Bacillus pneumoniae, Bacillus crassus sputigenus, 
Baeillus oxytokus perniciosus. Bei seinen Versuchen ergab sich nun, 
dass am schnellsten die Bakterien der Gruppe 1) und 2) aus dem 
Blute verschwanden, ebenfalls noch ziemlich rasch die der Gruppe 3); 
bei Gruppe 4) trat zuerst eine bedeutende Abnahme ein, die bis zum 
völligen Verschwinden führen konnte, alsdann jedoch wieder eine 
allmähliche Zunahme. Am schwierigsten war die Eliminierung bei 
den Bakterien der 5. Gruppe. Es werden also die Bakterien der für 








Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 359 


die Versuchstiere pathogenen Arten zwar auch aus dem Blutstrome 
in den verschiedenen Organen abgelagert, gehen aber dort nieht zu 
Grunde, sondern vermehren sich dort wieder und beladen das Blut 
von hier aus ihrerseits wieder von neuem. — Auch Nuttall stellte 
nach seinen Versuchen mit Milzbrandbacillen noch einige wenige 
Kulturversuche mit Bacillus megaterium, Baecillus subtilis und Staphylo- 
coceus pyogenes aureus an, von denen sich die ersten beiden ebenso, 
wie die Milzbrandbacillen verhielten; auf den Staphylococcus hingegen 
war eine Einwirkung des Blutes nicht zu konstatieren. — Eine große 
Anzahl von Bakterien-Arten prüfte Nissen in ihrem Verhalten gegen 
Blut. Von pathogenen Bakterien benützte er Cholera-, Milzbrand-, 
Typhus- und Friedländer’sche Pneumonie-Baeillen, welche sämtlich 
in frischem Blute in kurzer Zeit vernichtet wurden, sowie Staphylo- 
coccus pyogenes aureus und albus, Erisypelkokken, Hühnercholera, 
Schweinerotlauf und Proteus hominis, welche in ihrer Entwicklung 
vom Blute nur wenig oder gar nicht gehemmt wurden. Von Sapro- 
phyten wurden untersucht: ein Wasserkokkus, Milchsäurebacillen, 
Bacillus subtilis, Bacillus megaterium, welche schnell und sicher durch 
Blut abgetötet wurden, ferner Proteus vulgaris, Bacillus fluorescens 
liquefaciens, Bacillus aquatilis, Bacillus prodigiosus, die der vernich- 
tenden Wirkung des Blutes nicht unterlagen, sondern sich im Gegen- 
teil in demselben sehr gut vermehrten. — Auch Buchner fand die 
bakterientötende Wirkung am deutlichsten ausgeprägt in dem Ver- 
halten gegen Typhus- und Cholerabacillen, Bacterium coli commune 
und Bacillus foetidus, während ein typhusähnlicher Darmbacillus und 
Bacillus pyocyaneus nur sehr schwer getötet wurden, und gegen Milz- 
brand und Schweinerotlauf die Wirkung des Blutes eine mittlere war. 

Zu ganz gleichen Resultaten kam Stern bei seinen Versuchen 
mit menschlichem defibrinierten Blute. Dasselbe wirkt am stärksten 
auf Cholerabaeillen, etwas weniger auf Typhusbacillen, noch weniger 
auf den Friedländer’schen Pneumonie-Bacillus. Andere pathogene 
Mikroorganismen — Milzbrand- und Diphtheriebaeillen, Staphylococeus 
Ppyogenes aureus und albus, Streptococcus pyogenes — zeigten entweder 
sofort nach dem Einbringen in das Blut oder nach einer anfänglichen 
Verzögerung reichliches Wachstum in demselben. Es werden also 
vom menschlichen Blute grade die Baecillen des Typhus und der 
Cholera abgetötet; und diese Baeillen werden auch niemals, selbst 
bei schweren Fällen, in denen der menschliche Organismus schließlich 
erliegt, im zirkulierenden Blute aufgefunden. Andrerseits sind die 
widerstandsfähigen Eiterkokken bei pyämischen Erkrankungen sicher 
zeitweise im Blute vorhanden. Und auch die Erreger der Tier-Septi- 
cämien, welche durch ihre massenhafte Wucherung im Blute eine 
Verlegung fast sämtlicher Kapillaren hervorrufen, werden, soweit dies 
bis jetzt untersucht ist, von dem Blute der betreffenden Tierspecies 
nicht abgetötet. Diese interessante Thatsache könnte man, wie Stern 


360 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


hervorhebt, vielleicht dadurch erklären, dass die einen Mikroorganismen 
deswegen nie im Blute zu finden sind, weil sie daselbst abgetötet 
werden, wohingegen die Staphylokokken, Streptokokken und Septi- 
cämie-Bacillen sich grade deshalb im Blute entwickeln und vermehren 
können, weil sie der Einwirkung des Blutes Widerstand leisten. 

Da sich Behring und Nissen die Aufgabe gestellt hatten, zu 
entscheiden, „ob und inwieweit überhaupt sich Beziehungen zwischen 
Immunität gegen eine bakterielle Krankheit und abtötende Kraft des 
Serums immuner Tiere erkennen lassen“, so zogen sie außer den 
Milzbrandbacillen, wie schon oben erwähnt, auch noch andere Bak- 
terien in den Kreis ihrer Untersuchungen. Die Fränkel’schen Pneu- 
moniebakterien und die „wahrscheinlich mit ihnen identischen“ Bacillen 
der Sputumsepticämie zeigten sich durch keine der angewandten Serum- 
arten in ihrem Wachstum irgendwie beeinflusst, obwohl sie für Mäuse, 
Kaninchen und Ratten sehr stark pathogen sind!). Im Gegensatz 
hierzu wurden die Bakterien der Cholera asiatica — in Ueberein- 
stimmung mit den Beobachtungen fast aller andern Autoren — in 
allen Serumarten in kürzerer oder längerer Zeit abgetötet, nur besitzt 
das Mäuseblutserum die abtötende Wirkung nicht in gleich intensiver 
Kraft, wie das Serum der andern untersuchten Tiere. Der Vibrio 
Metschnikovi (Gamaleia) zeigte ein höchst-interessantes Verhalten. Er 
wurde nämlich im Blutserum aller normalen Meerschweinchen, für die 
er ebenso, wie für Tauben, Hühner, Kaninchen und Ratten stark 
pathogen ist, nicht abgetötet, hingegen in dem Blutserum von 7 gegen 
diesen Vibrio immunisierten Meerschweinchen, welche den Autoren 
zur Verfügung standen, in demselben Grade, wie die Bakterien der 
Cholera asiatica abgetötet. — Aus diesem letzteren Verhalten, sowie 
aus der Thatsache, dass kein milzbrandempfängliches Tier ein Serum 
lieferte, das eine in gleicher Weise milzbrandfeindliche Wirkung ge- 
habt hätte, als das der gegen Milzbrand sehr widerstandsfähigen 
Ratten, glauben Behring und Nissen schließen zu dürfen, dass 
zwischen der Immunität eines Tieres gegen eine Bakterienkrankheit 
und zwischen der bakterienfeindlichen Wirkung seines Serums sich 
gesetzmäßige Beziehungen nachweisen lassen. Doch glauben sie, dass 
die Stoffe, welche in den verschiedenen Serumarten im stande sind, 
die verschiedenen Bakterienarten abzutöten, unter sich ganz differenter 
Natur sind. Man dürfe also durchaus nicht nach der Ursache der 
bakterientötenden Wirkung des Blutes im Allgemeinen suchen, sondern 
es handelt sich hier sicher um verschiedenartige Stoffe und Ursachen. 





1) Anm. Auch Lacatello (Rivista eliniea, 1889, punt III; ref. inBaum- 
garten’s Jahresbericht, Jahrg. V, 1889) fand, dass sich der Fränkel’sche 
Diplococcus pneumoniae — ebenso wie Streptococcus pyogenes — in Blutserum 
gebracht, welches er aus Blut gewann, das er an krupöser Pneumonie leiden- 
den Personen mittels Aderlass entzog, nicht entwickelte. 








Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 361 


Neuerdings sind wieder noch eine ganze Anzahl anderer Hypo- 
thesen aufgestellt, aber zum Teil schon wiederlegt werden. So spricht 


Hafkine!) — und in allerneuester Zeit kommt Christmas?) wieder 
darauf zurück — die Vermutung aus, die Bakterientötung im Blut 


und Serum sei zum größten Teil eine bloße Konzentrationswirkung, 
welehe durch den raschen Uebergang der eingeimpften Bakterien aus 
einem Medium geringerer in ein Medium höherer Dichtigkeit hervor- 
gebracht werde. Jedoch wird diese Auffassung von Buchner?) in 
sehr energischer Weise zurückgewiesen. — Schon früher hatte Beh- 
ring die bakterientötende Eigenschaft des Rattenserums seiner großen 
Alkaleseenz zugeschrieben. Fodor suchte daher durch Alkalisierung 
des Organismus eine künstliche Immunisierung zu stande zu bringen. 
Jedoch wird eine therapeutische Wirkung derselben neuerdings von 
Behring*) und Chor?) bestritten. 

Jedenfalls sind wir heutzutage über die Ursache der Bakterien- 
feindlichkeit des Blutes, mag sie nun auf einer oder auf mehreren 
Ursachen beruhen, noch fast völlig im Unklaren. Zum Teil dürfte 
man dieselbe wohl allerdings der Thätigkeit der Phagoeyten zu- 
schreiben. Sicherlich stehen auch die Eiweißkörper des Serums in 
einer gewissen Beziehung zu derselben. Es sprechen dafür die schon 
oben erwähnten Versuche Buchner’s und vor allem die einiger 
neuer Autoren. So hat Hankin®) eine bakterienvernichtende, alka- 
lisch reagierende Eiweißart aus Rattenmilz und Rattenserum isoliert, 
die zu den Globulinen gehört. Aehnliche Versuche gelangen Ogata’) 
und Tizzoni und Cattani°). Hankin führt für diese „schützenden 
Eiweißkörper“ die Namen: Sozine und Phylaxine ein, je nachdem 





4) W. M. Hafkine, Recherches sur l’adaptation au milien chez les In- 
fusoires et les bacteries. Annales de l’Instit. Pasteur, IV. annde, 1890, p. 363. 

9) de Christmas, Etudes sur les substances microbieides. Annales de 
P’Inst. Pasteur, Tom. 5, 1891, Nr. 8. 

3) Buchner, Ursachen der Immunität ete. Hygien. Rundschau, Jahrg. I, 
Nr. 16; s. auch Centralbl. f. Bakteriol. u. Parasitenk., Bd. X, 1891. 

4) Behring, Ueber Desinfektion, Desinfektionsmittel und Desinfektions- 
methoden. Zeitschrift für Hygiene, 1890, S. 463. 

5) Centralblatt für Bakteriol und Parasitenk., Bd. VII, Nr. 24. 

6) Hankin, On the confliet between the organism and the micerobe. Brit. 
Med. Journ., XII, 1890, Nr. 1541. 

Derselbe, A Bacteria Killing Globulin. Proceed. of the Roy. Societ. of 
London, Vol. XLVIII, 1890. 

Derselbe, Ueber den schützenden Eiweißkörper der Ratte. Centralblatt 
für Bakteriol. u. Parasitenk., Bd. IX, 1891, 8. 336. 

Derselbe, Ueber die Nomenklatur der schützenden Eiweißkörper. Cen- 
tralblatt für Bakteriol. u. Parasitenk., Bd. X, 1891, Nr. 11 u. 12. 

7) Ogata, Ueber die bakterienfeindliche Substanz des Blutes. Central- 
blatt für Bakteriol. u. Parasitenk., Bd. IX, S. 599. 

8) Tizzoni u. Cattani, Ueber die Eigenschaften des Tetanus-Antitoxins. 
Centralblatt f. Bakteriol. u. Parasitenk., Bd IX, $. 685. 


362 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


dieselben schon im normalen Tiere vorkommen oder in Tieren, welche 
durch künstliche Mittel Immunität erworben haben. Hieran schließen 
sich auch die Versuche von Mya und Sanarelli!), welche be- 
obachteten, dass — allerdings nicht konstant — eine durch Blutgifte 
hervorgerufene intravaskuläre Globulinzerstörung die Tiere weniger 
widerstandsfähig gegen Infektionskrankheiten oder nachträgliche In- 
fektion mit virulenten pathogenen Mikroorganismen mache, resp. ihnen 
mehr oder weniger ihre natürliche Immunität nehme. 

Vorläufig bleibt demnach also eine sichere und vollständige Be- 
antwortung der Frage nach der bakterienvernichtenden Kraft im Blute 
noch der Zukunft vorbehalten. Bis jetzt ist es noch nicht einmal 
durch exakte Versuche bewiesen, dass auch dem im Tierkörper krei- 
senden Blute dieselben bakterienfeindlichen Eigenschaften zukommen, 
und dass nicht vielmehr dieselben sich, wie behauptet worden ist, erst 
nach oder beim Verlassen des Gefäßes in dem extravaskulären Blute 
ausbilden. So meint z. B. Lubarsch?), dass dieselben jedenfalls 
weit geringer seien, als es die Versuche mit dem dem Tierkörper 
entnommenen Blute anzeigten. Zwar ist Lubarsch, wie Stern ge- 
zeigt hat, durchaus nicht berechtigt, dieses Resultat aus den von ihm 
angestellten Versuchen zu ziehen, jedoch haben die von anderen 
Autoren am lebenden, zirkulierenden Blute bisher augestellten Versuche 
noch durchaus keine befriedigenden Resultate gezeitigt. Buchner 
und Stern versuchten die Abtötungsvorgänge in einem abgebundenen 
Gefäßstücke zu untersuchen. Jedoch trat bei den Versuchen beider 
Forscher Gerinnung innerhalb des abgebundenen Gefäßstückes ein; 
und es ist deshalb denselben keine volle Beweiskraft beizulegen, da 
die Abtötung auch erst nach dem Vorgange der Gerinnung eingetreten 
sein kann. Ebensowenig ist die Methode einwandfrei, welche Nissen 
anwandte, um die antibakterielle Eigenschaft auch im lebenden zirku- 
lierenden Blute zu prüfen. Nissen impfte eine Anzahl Tiere mit 
konzentrierten Aufschwemmungen von Reinkulturen und entnahm dann 
einige Zeit nach der Injektion Blutproben von den injizierten Tieren 
zur Prüfung auf ihre bakterienfeindlichen Eigenschaften. Es ergab 
sich hierbei die Thatsache, dass durch diese Einführung sehr großer 
Mengen von Bakterien in die Blutbahn eine entschiedene Abschwächung 
der bakterienvernichtenden Kraft des Blutes herbeigeführt wird. Aber 
„diese Experimente beweisen doch nur, wie Stern hervorhebt, „dass 
das Blut durch die massenhafte Bakterieninjektion eine derartige 
Veränderung erfahren hat, dass es nunmehr nach dem Defibri- 
nieren weniger energisch Bakterien abtötete. Ob dies aber deshalb 





I) Mya u. Sanarelli, Ueber hochgradige Hämatolyse als begünstigende 
Ursache für Infektionskrankheiten. Fortschr. d. Med., Bd. IX, Nr. 22. 

2) Lubarsch, Ueber die bakterienvernichtenden Eigenschaften des Blutes 
und ihre Beziehungen zur Immunität. Centralblatt f. Bakteriol., Bd. VI, 1889, 
S. 481 u. 529. 





Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 363 


der Fall war, weil im lebenden Blute schon sehr viele Bakterien ab- 
getötet worden waren, ist durch jene Versuche nicht entschieden“. — 
Interessant ist noch die von Nissen bei diesen Versuche beobachtete 
Thatsache, dass fast bei allen nach der Bakterieninjektion entnom- 
menen Blutproben eine mehr oder weniger bedeutende Verlangsamung 
der Gerinnung eintrat. — Enderlen!) untersuchte ebenfalls die 
bakterienvernichtende Kraft des zirkulierenden Blutes. Er injizierte 
einem Hunde 2 cem einer Typhuskultur in die Jugularis und prüfte 
hierauf das Karotidenblut auf seinen Gehalt an Bakterien. Er fand 
hierbei durch den Einfluss des zirkulierenden Blutes die Zahl der 
Bakterien verringert. Jedoch ist diese Versuchsanordnung derartig, 
dass man diesem Resultate keine Bedeutung beilegen kann, zumal 
wir schon seit langer Zeit wissen, dass in den Kreislauf gelangte 
Bakterien binnen kurzer Zeit wieder daraus verschwinden. — Es sind 
also die Resultate der bis jetzt angestellten Versuche mit zirkulieren- 
dem Blute noch vollkommen ungenügend, und der Schluss, welchen 
Buchner neuerdings erst wieder daraus gezogen hat, dass dem 
zirkulierenden Blute dieselbe abtötende Kraft, wie dem extravasku- 
lären zukomme, ist deshalb durchaus nicht berechtigt. Die gleichfalls 
dagegen angeführten Versuche seiner Schüler, der Herren Ibener 
und Roeder, welche fanden, dass Keime, die nicht direkt, sondern 
in Wattepäckchen der Wirkung von Blutserum ausgesetzt werden, 
weniger abgetötet wurden, als die frei suspendierten, erklärt Buch- 
ner auf folgende Weise: Durch die infolge der Versuchsanordnung 
bedingte ungleiche Verteilung der Bakterien könne der Fall eintreten, 
dass eine Anzahl derselben irgendwo mit weniger Serum zusammen- 
käme, als zu ihrer Abtötung nötig wäre. Diese Bakterien würden 
infolge dessen auswachsen können und sich an dieser Stelle ein In- 
fektionsherd bilden. Ganz ähnlich müssten die Verhältnisse im Kapillar- 
netze des Körpers sein. Auf diese Weise ließe sich auch sehr leicht 
die von Lubarsch hervorgehobene Thatsache erklären, dass „extra- 
vaskuläres Kaninchenblut weit mehr Anthraxbaeillen zu vernichten 
vermag, als andrerseits zur Tötung des Tieres bei Injektion in den 
Kreislauf erfordert werden“. 

Auch für die Annahme, dass in dieser bakterientötenden Kraft 
des Blutes ein Grund für die Immunität mancher Tiere gegen gewisse 
Krankheiten liege, sind uns bis jetzt die Forscher den Beweis schuldig 
geblieben. Denn wenn auch die Versuche von Behring und Nissen 
mit Milzbrandbacillen und dem Vibrio Metschnikovi einen solchen Zu- 
sammenhang vermuten lassen, so haben doch sehr zahlreiche Versuche 
anderer Autoren, die in diesem Sinne angestellt wurden, so zweifel- 
hafte und zum Teil negative Resultate geliefert, dass man auch diese 
Frage vorläufig noch als völlig unentschieden bezeichnen muss. 





1) E. Enderlen, Versuche über die bakterienfeindliche Wirkung normalen 
und pathologischen Blutes, Münchener med. Wochenschr., 1891, Nr.13, 8.235. 


364 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


Es sind im Vorstehenden nur die Versuche über das Verhalten 
des normalen Blutes, d. h. des Blutes normaler, nicht gegen gewisse 
Krankheiten immunisierter Tiere besprochen worden. Letzteres, sowie 
die Wirkung des Blutes von Natur immuner Tiere gegen gewisse 
pathogene Keime ist gleichfalls der Gegenstand zahlreicher Unter- 
suchungen gewesen. Jedoch ist auf diese ebensowenig, wie auf die 
zahlreichen Arbeiten über Immunität näher eingegangen worden, da 
sie außerhalb des Rahmens des vorliegenden Referates liegen. — 

Den Versuchen mit zellenfreiem Blutserum stehen die Versuche 
sehr nahe, welche eine Anzahl Autoren mit verschiedenen Ex- und 
Transsudatflüssigkeiten anstellten. Schon Nuttall operierte mit Humor 
aqueus und Liquor pericardii vom Kaninchen, sowie mit einem sehr 
zellenarmen pleuritischen Exsudat vom Menschen. Eine größere An- 
zahl von pleuritischen und peritonealen Transsudaten und pleuritischen 
Exsudaten, sowie je einmal Hydrocelenflüssigkeit und den Inhalt einer 
Brandblase prüfte Stern auf ihre bakterienfeindlichen Eigenschaften, 
ebenso Mitchell Prudden!) Aseites- und Hydrocelenflüssigkeit. 
Alle diese Flüssigkeiten zeigten dieselbe bakterienfeindliche Eigen- 
schaft, wie Blut und Serum, und zwar in ungefähr derselben Intensität. 
Jedoch lassen sich, wie besonders aus den zahlreichen Versuchen von 
Stern hervorgeht, sehr wohl bestimmte, wenn auch nur sehr geringe. 
Unterschiede in der Fähigkeit dieser verschiedenen Körperflüssigkeiten, 
Bakterien abzutöten, erkennen. Es ist offenbar das pleuritische Trans- 
sudat (Versuch 4) in seiner Wirkung auf Typhusbacillen schwächer, 
als die pleuritischen Exsudate (Versuch 12 u. 17) und auch, wenn 
auch nicht in so bedeutendem Grade, schwächer als das peritoneale 
Transsudat (Versuch 7). Da wir nun in diesen Trans- und Exsudaten 
Flüssigkeiten von verschiedenem Eiweißgehalt besitzen ?), so dürfte 
die Vermutung gerechtfertigt erscheinen, dass wenn die Eiweißkörper 
in diesen Körperflüssigkeiten irgend welche Rolle bei der Abtötung 
der Bacillen spielen, sich bei in größerer Anzahl vorgenommenen 
Versuchen vielleicht irgend eine Beziehung ergeben möchte zwischen 
der Menge der vorhandenen Eiweißkörper und der Fähigkeit der 
einzelnen Flüssigkeiten, Bakterien abzutöten. Aus den zwar ziemlich 
zahlreichen Versuchen von Stern lassen sich aus dem Grunde keine 
diesbezüglichen Schlüsse herleiten, weil hierzu eine annähernd gleich 
große Bakterienaussaat bei den verschiedenen Versuchen notwendig 
ist, was bei den Stern’schen Versuchen durchaus nicht der Fall ist. 

In jüngster Zeit sind auch Versuche über die Wachstumsverhält- 
nisse von Staphylococcus pyogenes aureus, Bacillus anthracis, Strepto- 
coccus pyogenes und Str. Erysipelatos im keimfreien Eiter von Bonome 

1) Medical Record 1890; ref, in der Deutschen Medizinalzeitung, 1890, Nr. 25. 

2) Anm. Nach Reuss beträgt der Albumingehalt von Transsudaten 
der Pleura 22,5; des Perikardium 18,3; des Peritoneum 11,5; des Unterhaut- 
gewebes 5,8; der Gehirn- und Rückenmarkshöhle 1,4 pro Mille. 














Kionka, Verhalten der Körpertlüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 365 


und besonders von Eichel!) angestellt worden. Und zwar gingen 
die Staphylokokken und Milzbrandbacillen zu Grunde, während die 
Streptokokken in dem Eiter einen günstigen Nährboden fanden. 

Dass das Körpereiweiß eine bakterienvernichtende Eigenschaft 
besitzt, ist auch durch die Versuche von Lehmann?) und Wurtz?) 
bewiesen, welche fanden, dass frisches Hühnereiweilß Typhus- und 
Milzbrandbacillen, nach Wurtz auch Cholerabaeillen, ferner die Ba- 
cillen der Hühnercholera und des grünen Eiters, den Baeillus subtilis 
und Staphylococcus pyogenes aureus in kurzer Zeit abtöten. Im Gegen- 
satz hierzu ist der Dotter des Hühnereies, wie Lehmann konsta- 
tierte, ein ausgezeichneter Nährboden für Bakterien. 

Da auch die Milch eine eiweißreiche Flüssigkeit darstellt, so 
lassen sich auch die Beobachtungen Fokker’s*) leicht erklären, 
dessen Versuche eine desinfizierende Wirkung der frischen Milch er- 
gaben. Fokker beobachtete zunächst, dass sterilisierte Milch mit 
kleinsten Mengen reingezüchteter Milchsäurebaeillen infiziert schneller 
gerinne, als mit derselben Menge geimpfte frische Milch. Er glaubte 
hieraus auf das Vorhandensein desinfizierender Substanzen in der 
Milch schließen zu können. Plattenkulturversuche, welche er hierauf 
anstellte, ergaben, dass die Zahl der aus geimpfter Milch wachsenden 
Kolonien anfänglich abnimmt. Diese Erscheinung konnte durch kurz- 
dauernde Erhitzung der Milch nicht aufgehoben werden, hingegen 
sicher durch anhaltendes Erhitzen, wie es beim Pasteurisieren an- 
gewandt wird. Diese Resultate scheinen allerdings für eine abtötende 
Wirkung der frischen Milch, wenigstens den geprüften Milchsäure- 
bacillen gegenüber zu sprechen. — Das Verhalten der Cholerabacillen 
in der Milch wurde von Kitasato?°) untersucht. Derselbe fand, 
dass die Lebensdauer der Cholerabaeillen, mit denen er die Milch 
geimpft hatte, von der Reaktion derselben abhing. Je schneller die 
Milch sauer wird, um so schneller gehen die hineingebrachten Cholera- 
keime zu Grunde. Wurde durch Sodazusatz das Sauerwerden der 
Milch verlangsamt, so hielten sich zugesetzte Cholerabaeillen bei 36° C 
noch bis 55 Stunden nach der Impfung am Leben. Versuche mit 
sterilisierter Mileh führten zu demselben Resultate. Denn, wie auch 
später von Lazarus‘) außer für die Cholerabacillen noch für den 

14) Virchow’s Archiv, Bd. CXXI, Heft 1. 

2) Ueber die pilztötende Wirkung des frischen Harns des gesunden Menschen. 
Centralbl. f. Bakteriol., Bd. VII, 1890, Nr. 15. — (Anhang). 

3) De l’action bacterieide du blane d’oeuf. La Semaine medicale, 1890, 
Brssap. 21. 

4) Ueber die bakterienvernichtenden Eigenschaften der Milch. Fortschr. 
der Medizin, 1890, Nr. 1. 

5) Das Verhalten der Cholerabacillen in der Milch. Zeitschr. f. Hygiene, 
Bd. V, 8. 491. 

6) Die Wirkungsweise der gebräuchlichen Mittel zur Konservierung der 
Milch. Inaug. - Dissertation. Breslau 1890. 





366 Kionka, Verhalten der Körperflüssigkeiten gegen Mikroorganismen. 


Bacillus Neapolitanus (Emmerich), die Finkler’- und Prior’schen 
und die Typhusbaeillen nachgewiesen wurde, bewirken diese Arten, 
sterilisierter Milch zugesetzt, nach einiger Zeit besonders bei günstigen 
Temperaturbedingungen (30—35° C) eine lebhaft saure Reaktion und 
bringen unter Umständen auch Gerinnung der Milch zu stande. Im 
Uebrigen fand Lazarus, dass die angeführten pathogenen Arten, 
sowie der gleichfalls untersuchte Ribbert’sche Bacillus der Darm- 
diphtherie des Kaninchen ebenso, wie die gewöhnlichen Saprophyten 
der Milch in sterilisierter Milch gut fort kamen. Anders war das 
Verhalten der Cholera- und Typhusbaecillen in roher, nicht sterilisierter 
Milch. Diese beiden pathogenen Arten wurden regelmäßig nach 
längerer oder kürzerer Zeit, je nach der Größe der Aussaat, durch 
die viel schneller wachsenden Saprophyten überwuchert, in ihrer Ent- 
wicklung gehemmt und schließlich abgetötet, wenn auch bei sehr 
starker Aussaat anfangs eine allerdings nur sehr geringe Vermehrung 
auch der pathogenen Keime zu konstatieren war. — Ganz ähnliche 
Befunde über das Verhalten der Cholerabacillen in der Milch erhielt 
neuerdings Cunningham!). Derselbe fand, dass in veruneinigter 
und daher leicht sauer werdender Milch die Cholerabaeillen zu Grunde 
gingen, in gekochter Milch sich dagegen zuerst vermehrten und erst 
allmählich durch Ueberwucherung des beim Kochen nicht mit abge- 
töteten Bacillus subtilis abstarben. In sterilisierter Milch konnten sie 
sich unbeschränkt vermehren. 

Ueber das Vorhandensein und das eventuelle Fortkommen patho- 
gener Mikroorganismen in der Milch innerhalb des Organismus, so 
lange sie sich noch in der Milehdrüse befindet, ist bis jetzt nur sehr 
wenig bekannt. Dass Tuberkelbaeillen, deren Verhalten hierbei natür- 
lich in erster Reihe in Betracht kommt, sieh auch in der Milch perl- 
süchtiger Rinder nachweisen lassen, ist schon öfters konstatiert worden. 
Jedoch ist hierbei die Möglichkeit nieht ausgeschlossen, dass die 
Bacillen erst nach dem Melken durch Verunreinigungen mit Kotpar- 
tikelehen oder mit Sekret aus dem Maule des tuberkulösen Rindes in 
die Milch hineingelangt sind. Versuche von Ernst?), bei welchen 
das Melken mit der größten Sorgfalt vorgenommen wurde, um ein 
accidentelles Hineingelangen von Bacillen zu verhindern, ergaben, 
dass sich in der Milch tuberkulöser Kühe, auch ohne dass tuberkulöse 
Veränderungen am Euter weder makroskopisch noch mikroskopisch 
nachzuweisen waren, Tuberkelbaeillen vorfanden. Es scheinen also 
danach die Tuberkelbaeillen sehon in der noch im Euter befindlichen 
Milch vorhanden zu sein. Ueber die Frage, wie sie dort hineinge- 
langen können, steht die Entscheidung noch offen. Schmidt-Mühl- 





1) Die Milch als Nährmedium für Cholerakommabaeillen. Archiv f. Hygiene, 
Bd. XII, Heft 2. 

2) How far may a cow be tuberculous, before her milk becomes dangerous 
as an article of food. The amer. Journal of the med. sciences, 1889, Nov. 








Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 9367 


heim!) nimmt zwar an, die im Kote perlsüchtiger Kühe befindlichen 
Tuberkelbaeillen gelangten beim Liegen der Kühe mit dem Euter in 
Berührung und könnten durch den nur 0,5 em langen Zitzenkanal in 
das Innere des Euters eindringen und die Infektion der Milch be- 
wirken; jedoch ist, wie Jahne bei Besprechung dieser Arbeit her- 
vorhebt, nicht einzusehen, auf welche Weise die Tuberkelbaeillen bei 
jedem Mangel einer Eigenbewegung durch den Zitzenkanal in die 
Milchzysterne einzudringen vermögen. — 

Ferner ist von Körperflüssigkeiten noch der Harn auf sein Ver- 
halten gegen Mikroorganismen geprüft worden. Lehmann?) impfte 
Proben frisch gelassenen Harnes vom gesunden Menschen mit Milz- 
brand-, Cholera- und Typhusbaeillen und hielt sie dann bei 30° C im 
Brütschrank. Platten, die er hiervon sofort und 1 bis 2, sowie 24 Stun- 
den nach der Impfung goss, zeigten deutlich eine abtötende Wirkung 
des Harns den Milzbrand- und Cholerabaeillen gegenüber, während 
sich der Urin in seiner Wirkung auf Typhusbacillen verschieden ver- 
hielt. Neutralisieren und Sterilisieren nahm dem Harn die desinfi- 
zierende Wirkung, welche Lehmann in der Acidität des Harnes 
begründet glaubt. Denn auch beim Sterilisieren nimmt letztere durch 
Bildung von kohlensaurem Ammoniak auf kosten von Harnstoff ab. — 
Zu genau denselben Resultaten kam Richter?), welcher das Ver- 
halten des Urins gegen dieselben Bakterienarten untersuchte. Auch 
er hält die saure Reaktion des Harnes für die Ursache seiner bak- 
terientötenden Kraft. — 

Dies sind im Wesentlichen die bis jetzt erschienenen Arbeiten, 
welche sich mit dieser interessanten Frage des Verhaltens der Mikro- 
organismen den Körperflüssigkeiten gegenüber beschäftigen. Doch 
es werden gegenwärtig in diesem Sinne von den verschiedensten 
Seiten Versuche angestellt, und fast jede Woche bringt uns Veröffent- 
liehungen teils alter, teils neuer Beobachtungen hierüber, so dass 
man wohl annehmen darf, auch die bis jetzt noch dunklen Punkte 
dieser Frage werden in kürzester Zeit ihre Lösung finden. 

Breslau im Januar 1892. 


Neurologische Untersuchungen. 


K. Schaffer, Vergleichend - anatomische Untersuchungen über 
Rückenmarksfaserung. Archiv für mikroskopische Anatomie. 

Bd. 38. 
Sowohl im Rückenmark der Blindschleiche (Anguis fragilis), wie 
in dem der Ringelnatter (Tropidonotus natrix) fanden sich Fasern, 





4) Ueber den Nachweis und das Verhalten von Tuberkelkeimen in der 
Kuhmilch. Archiv für animal. Nahrungsmittelk., 1889, Jahrg. V, Nr. 1 u. 3. 

3) Centralblatt f. Bakteriol., 1890, Bd. VII, Nr. 15. 

3) Studien über die pilztötende Wirkung des frischen Harnes. Archiv f, 
Hygiene, Bd. XII, Heft 1. 


5368 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


die vom Seilenstrang zum gekreuzten Vorderstrang gehen, wie auch 
Fasern aus dem Hinterhorne zur Vorderkommissur. Die Ringelnatter 
besitzt sicher direkte mediale Hinterwurzelfasern zur Vorderkom- 
missur; bei der Blindschleiche scheinen die Fasern der lateralen 
Portion in die Längsbündel resp. in die Grenzschicht des Seiten- 
stranges überzugehen und durch die Vorderkommissur in den cen- 
trallateralen Vorderstrang zu gelangen. — Bei höheren Vertebraten 
(Kaninchen, Katze, Fledermaus) muss eine doppelte Hinterwurzel- 
kreuzung angenommen werden: eine kürzere (die Edinger’sche 
(d. h. Hinterwurzel, Vorderkommissur, Vorderstrang) und eine längere 
(Hinterwurzel, Seitenstrang, Vorderkommissur, Vorderstrang). — 


Bechterew und Mislawski, Ueber die Gehirnzentren für Be- 
wegungen der Vagina an Tieren. (Medieinsk. Obosrenje 1891. 
Nr.°15). 


Die Experimente wurden an Kaninchen und Hündinnen angestellt. 
Die Ergebnisse zeigen, dass in der Großhirnrinde zwei Zentren für 
die Innervation der Vagina enthalten sind, sowohl für die Anregung 
wie für die Hemmung derselben; beide liegen beim Kaninchen im 
vorderen motorischen Gebiet, beim Hunde im Gyrus sigmoides. Beide 
Kategorien von Zentren sind nicht topographisch getrennt, sondern 
durcheinander gemengt. Bei einzelnen Tieren bewirkte die Rei- 
zung eines bestimmten Punktes der Hirnrinde bald Anregung bald 
Hemmung der Vagina-Bewegung. Es gelang ferner durch Reizung 
im vorderen Gebiet des Sehhügels Bewegungen der Vagina auszu- 
lösen, ebenso durch Reizung des verlängerten Marks. Die Leitungs- 
bahnen verlaufen bis zur Lumbalregion im Rückenmark, später in 
den Saeralnerven. Außerdem ließen sich die Bewegungen durch 
Reizung des peripheren Abschnittes der Nn. splanchnici auslösen, 
während Reizung der Nn. vagi Hemmung derselben zur Folge hatte. 


J. Langley, On the course and eonneetions of the secretory fibres 
supplying the sweat glands of the feet of the eat. (Journ. of 
Physiology Bd. XII. 4). 


L. konnte nachweisen, dass die zur Schweißsekretion der Vorder- 
und Hinterpfoten der Katze in Beziehung stehenden Sympathikus- 
fasern das Rückenmark in der 4. bis 10. Dorsalwurzel resp. in der 
12. Dorsal- und der 1. bis 3. Lumbarwurzel verlassen. Die sekre- 
torischen Fasern der Vorderpfote gelangen aus den Rami communice. 
in das Ganglion stellatum und von dort zu den Armnerven. Die 
sekretorischen Fasern der Hinterpfote treten aus dem 6. und 7. Lum- 
bar- und aus dem 1. und 2. Sakralganglion des Grenzstranges aus 
und gehen zum Ischiadieus. Es gibt direkte sekretorische spinale 
Fasern. Die vasomotorischen und vasodilatorischen Sympathieus- 
fasern treten an denselben Stellen ein und aus. 








Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 369 


L. Breisacher, Zur Physiologie des Schlafes. Archiv für Ana- 
tomie und Physiologie 1891. 

B. untersuchte dreimal in 24 Stunden seinen eigenen Harn auf 
den Gehalt an Stickstoff und Phosphorsäure; er arbeitete täglich 13 
bis 14 Stunden und schlief von 12 bis 8 Uhr. Das Resultat ergab, 
dass eine relative Zunahme der Phosphorsäure während der Nacht 
stattfinden kann. Er hält es für möglich, dass Phosphorsäure- und 
Stickstoffausscheidung nicht zugleich erfolgen, dass also die Mengen 
von Harnstoff, welche am Tage entleert worden, erst mit denjenigen 
geringen relativen Phosphorsäuremengen zusammentreffen, welche 
schon in der Nacht zur Absonderung kamen. 


H. Holm, Die Anatomie und Pathologie des dorsalen Vaguskernes. 
(Norsk. Mag. for Laegere 1892. Nr. 1. Norwegisch). 

Zur Untersuchung dienten Schnittserien aus der Medulla oblon- 
gata von menschlichen Föten, Säuglingen, Katzen, Hunden, Kaninchen, 
Geisteskranken u. s. w. Vom dorsalen Vaguskern liegt vom kau- 
dalen Ende des 4. Ventrikels gerechnet die kleinere Hälfte des Kernes 
unterhalb dieser Stelle, die größere oberhalb. Distalwärts kann er 
in der Med. oblong. ebensoweit verfolgt werden wie der Hypoglossus- 
kern. Er geht distalwärts nicht in den Accessoriuskern über und hat 
nichts mit dem Nucleus IX zu thun. Man kann an dem dorsalen 
Vaguskern 2Gruppen deutlich unterscheiden, eine ventro - mediale mit 
größeren Zellen und eine dorso-laterale mit kleineren. — Die Fort- 
setzung des Nucleus ambiguus ist distalwärts die Seitenpartie des 
Vorderhorns, proximalwärts der Faeialiskern. — In dem Faseieulus 
solitarius finden sich auch Fasern, die sich nieht dem Nuel. IX, son- 
dern der direkten, sensorischen Kleinhirnbahn anschließen. Außer 
den IX-Fasern führt das solitäre Bündel nach der Reihenfolge der 
Entwicklung 1) Fasern von dem sensitiven IX. Kern, 2) Fasern zur 
direkten sensorischen Cerebellarbahn, 3) Fasern von oder zu den 
Vorderhörnern, 4) Fasern, die durch die Raphe gekreuzt zentripetal 
verlaufen, 5) Fasern von den Kernen der Hinterstränge, 6) Fasern 
vom dorsalen Vaguskern. — Bei 5 totgeborenen Früchten war der 
dorsale IX. Kern nicht zur Entwicklung gekommen; derselbe hat 
keine Beziehungen zur Herzthätigkeit und wird als Atmungszentrum 
angesprochen; um atmen zu können, genügt die ventromediaie Gruppe. 
Die dorso-laterale Gruppe ist das Zentrum für die Sensibilität der 
Atmungsorgane. — Das solitäre Bündel ist immer degeneriert, wenn 
der dorsale Vaguskern zerstört ist. Der Nucleus ambiguus steht in 
keinen Beziehungen zum Kehlkopf. 


H. Munk, Sehsphäre und Raumvorstellungen. Internat. Beiträge zur 
wiss. Medizin. Festschrift, Rud. Virchow gewidmet. Bd.1. 
Hunde, denen die Sehsphäre vollständig exstirpiert war, welche 


also rindenblind waren, hatten auch die Orientierung im Raume ver- 
XI, 24 


90 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


loren; sie verhielten sich anders wie in finstere Räume gesetzte oder 
peripher geblendete Tiere. Es sind an die Sehsphären des Hundes 
nieht nur die Gesichtsvorstellungen gebunden, sondern auch die Ge- 
sichtserinnerungsbilder, welche ihm die Gesichtsvorstellungen des 
Raumes verleihen. Da, wo diese letzteren abhanden gekommen sind, 
tritt wohl der Gefühlssinn zur Orientierung im Raum vicariierend 
ein; doch bedarf es langer Zeit, bis dieser untergeordnete Sinn diesen 
Ersatz leistet. 


M. E. G. Schrader, Ueber die Stellung des Großhirns im Reflex- 
mechanismus des centralen Nervensystems der Wirbeltiere. 
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie Bd. 29. 


Das Unvermögen, sich selbständig zu ernähren, (Fressstörung) 
bei Vögeln, deren Großhirn entfernt war, beschreibt S. als Aphagie 
und ordnet diese Erscheinungen nach dem Schema der Aphasie. Ein 
junger Falke mit doppelseitiger Verletzung des Stirnhirns war mo- 
torisch aphagisch d. h. er erkennt die Nahrung, Zungen- und Kau- 
muskulatur ist nicht gelähmt, und doch ist er außer Stande seinen 
Hunger zu stillen. Nach Einbüßung der Hinterhauptslappen (oder 
Lobi optiei bei der Taube) tritt sensorische (resp. optische) Aphagie 
ein, d. h. das Tier sieht den Fressnapf, erkennt aber nicht die 
Nahrung, und würde ohne Hilfe des Geruchs nicht fressen können. — 
Ohne Großhirn war der Falke völlig aphagisch. Die motorische 
Aphagie beruht nicht auf einer Parese der Muskulatur, sondern auf 
dem Verlust einer bestimmten Art ihrer Verwendung. 


Turner, On hemisection of the spinal cord. Brain. Winter-Part. 1891. 


T. nahm 5 halbseitige Rückenmarksdurchschneidungen an Affen 
vor. Er schließt, dass die Ansicht Brown-Sequards, dass alle 
sensiblen Fasern sich gleieh nach dem Eintritt in das Mark kreuzen, 
für die unteren Extremitäten zutrifft, während für die oberen Extre- 
mitäten im Halsmark die Fasern für taktile Empfindungen zunächst 
nach beiden Seiden verlaufen, während die für Schmerz- und Tem- 
peraturempfindung sich sofort total kreuzen. Deshalb ist meist das 
Tastgefühl auf der der Läsion entgegengesetzten Seite erhalten. Das 
Muskelgefühl schien auf der anästhetischen Seite zu fehlen. Auf- 
fällig war die Restitution der Funktion, sowohl was Motilität wie 
Sensibilität anbetrifit, obwohl in der Narbe niemals neue Nerven- 
fasern gefunden wurden. Die nicht lädierte Stelle muss einen Teil 
der Funktionen übernehmen. — Das gelähmte Bein war anfangs viel 
wärmer wie das anästhetische. 

F. W. Mott, Hemiseetions made at different levels in the dorsal 
region of the monkey. Proe. of the Physiology Soe. 1891. Nr. 1. 
Journ. of Physiol. XI. 2. 

Die Halbdurehschneidungen des Rückenmarks bei Affen ergaben 
eine Herabsetzung oder Aufhebung der Sensibilität auf der Seite der 





Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 3A 


Operation für Schmerz, Wärme und Druck; auf der gekreuzten Seite 
wurde ein Verlust der Sensibilität nie gefunden. Die Restitution der 
Motilität erfolgte für eine bestimmte Bewegung um so rascher, je 
mehr sie bilateralen Charakters ist und je höher der Sehnitt angelegt 
ist. In der ersten Zeit nach der Operation wurde Rötung, Schwellung 
und Trockenheit der Haut auf der gelähmten Seite gefunden; auch 
war die Hauttemperatur erhöht. 


B. Lange, Inwieweit sind die Symptome, welche nach Zerstörung 
des Kleinhirns beobachtet werden, auf Verletzungen des 
Acustieus zurückzuführen? Pflüger’s Archiv Bd. 55. Heft 11 
und 12. 


L. nahm bei Tauben Kleinhirnexstirpationen vor. Die unmittel- 
baren passageren Folgeerscheinungen waren die bekannten; als sta- 
tionäres Symptom zeigte sich schwankender, unsicherer Gang neben 
unwillkürlichen krampfhaften Streckungen der Zehen und Beine. 
Störungen der Erhaltung des Gleichgewichtes wie bei Labyrinth- 
operationen kommen nicht vor. Der Flug ist schon bald nach der 
Operation normal. Nachdem ein stationärer Zustand sich heraus- 
gebildet hatte, wurden an den operierten Tieren Plombierungen der 
Bogengänge (nach Ewald) und Exstirpationen des Labyrinths vor- 
genommen. Die Störungen glichen den von Ewald beschriebenen. 
Es ist zwischen Kleinhirnsymptomen und Bogengangsymptomen 
streng zu unterscheiden. Verlust des einen Organs hindert nicht das 
Zustandekommen der Symptome, die nach Zerstörung des anderen 
Organes auftreten. Nur kann jedes der beiden Organe nach Verlust 
des anderen die dadurch verursachten Störungen bis zu einem ge- 
wissen Grade durch seine eigene besondere Funktion kompensieren. 
Weder sind mit Baginsky in den Acusticussymptomen nur Gehirn- 
störungen zu erblicken, noch mit Loeb die Kleinhirnsymptome auf 
Acustieusverletzung zu beziehen. 


Borgherini e Gallerani, Sull’ ativita funzionale del cervelletto. 
(Rivisla speriment. di freniatria ete. Vol. 17. Fasc. III. 1891. 


Die Autoren kommen zu dem Resultate, dass das Kleinhirn das 
wesentliche Organ für die Koordination der willkürlichen Bewegungen 
sei. Eine Beschädignng seiner Oberfläche (des oberen hinteren Teiles) 
verursacht ein konstantes und permanentes Zittern des Kopfes und 
Halses. Eine totale Zerstörung hat eine Ataxie aller freiwilligen 
Bewegungen des Körpers zur Folge. Krankheiten des Cerebellums 
erzeugen keine Verminderung der Muskelkraft, noch Störungen der 
Sensibilität. 


L. Luciani, Il cerveletto. Nuovi Studi di Fisiologia normale et 
Patologieca. Firenze 1891. 320 Stn. 
Teils kritische Erörterungen der bisherigen Anschauungen und 


Befunde, teils zahlreiche neue Experimente und Erfahrungen lassen 
24. 





| 


349 Kalischer, Neurologische Untersuchungen, 


L. zu dem Schlusse kommen, dass selbst eine ausgedehnte und tiefe 
Läsion des Kleinhirns bis zur völligen Entfernung des Organs kei- 
nerlei Lähmungserscheinungen, weder partielle noch allgemeine, we- 
der in sensibler und motorischer noch in sensorieller und intellek- 
tueller Hinsicht zur Folge habe. Das Kleinhirn ist ein kleines selb- 
ständiges Organ, das nicht intermediär, einfach in die cerebrospinale 
Bahn eingeschaltet ist; es ist ein Appendix, ein Endorgan, das durch 
zuführende Bahnen mit den peripheren Sinnesorganen (direkt oder 
indirekt) in Beziehung steht und durch ableitende Bahnen direkt 
verbunden ist mit der grauen Substanz und den Zentren des cerebro- 
spinalen Nervensystems und indirekt mit den peripherischen Be- 
wegungsorganen. Es hat histologisch wie funktionell eine bilaterale, 
vorwiegend direkte, resp. gleichseitige, ungekreuzte Aktion und Funk- 
tion, wie es auch die Degenerationen nach halbseitiger Exstirpation 
bei den verschiedenen Klassen der Vertebraten erweisen. Diese Wir- 
kung erstreckt sich auf alle willkürlichen Muskeln, wenn auch die 
der Extremitäten mehr beeinflusst werden. Der Mittellappen (Wurm) 
hat weder eine andere, noch eine stärkere, größere funktionelle Wir- 
kung wie die Seitenlappen; im Allgemeinen haben die verschiedenen 
Teile des Kleinhirns die gleiche Wirkung und der Verlust des Wurms 
kann zum großen Teil in seiner Wirkung durch die Seitenlappen 
organisch kompensiert werden. Die Verletzungen des Kleinhirns, 
symmetrische wie asymmetrische, eireumskripte wie ausgedehnte zei- 
gen ihrer Natur nach keine Differenz in den Ausfallserscheinungen; 
sie unterscheiden sich nur in der Stärke, Dauer und in dem Ueber- 
wiegen der einen oder andern Körperhälfte; jeder Teil dieses in der 
Funktion homogenen Organs hat die gleiche Funktion Dieselbe ist 
in keiner Weise sensibler oder sensorieller Natur. Der Verlust resp. 
Funktionsmangel des Kleinhirns äußert sich in neuromuskulärer Be- 
ziehung in dreifacher Hinsicht, indem die 3 normalen Funktionen 
desselben ausfallen: 1) die krafterhöhende Wirkung (azione stenica), 
2) die tonisierende Wirkung (azione tonica) Erhöhung des Tonus in 
der Ruhe, 3) die statische Wirkung (azione statica) d. h. die Regu- 
lierung der normalen Ausdehnung und Aufeinanderfolge der Bewe- 
gungen, wie die Vermehrung der Zahl der Impulse u. s. w. Eine 
trophische Wirkung des Kleinhirns äußert sich direkt in den nach 
seiner Zerstörung auftretenden Degenerationen und Sklerosen; und 
indirekt äußert sich der trophische Einfluss in langsamer Haut- und 
Muskel-Dystropbie (verminderte Widerstandskraft, verlangsamte Re- 
generation) und Atrophie. Ebenso wie die trophische ist auch die 
sonstige normale funktionelle Wirkung des Kleinhirns auf die mo- 
torischen Nervenzentren und Muskeln eine langsame, allmähliche und 
kontinuierliche. Bei Erkrankung und Reizung der Kleinhirnteile 
können sieh diese Wirkungen so steigern, dass heftige Rückwir- 
kungen auf andere sensorielle, motorische und trophische Nerven- 





Greeft, Ueber Amöben. 373 
zentren eintreten, wie Schwindel, motorische Koordinationsstörungen, 
Polyurie, Glykosurie, Acetonurie, schneller Verlust des Körpergewichts. 
Die trophischen, stenischen, tonischen und statischen Wirkungen des 
Kleinhirns sind unzertrennliche und beruhen auf einem gemeinsamen 
fundamentalen Prozess, der dem gesamten Nervensystem eigen ist. 

S. Kalischer (Berlin). 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften 


Gesellschaft 
zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften zu Marburg. 


In der wissenschaftlichen Sitzung vom 19. Februar 1892 sprach Herr 
G. R.-R. Prof. Greeff: 
Ueber Amöben. 
Dritte Mitteilung '). 


In den Sitzungen vom 19. Dezember 1890 und 18. Februar 1891 habe ich 

über einige Ergebnisse erneuerter Untersuchung der Erdamöben berichtet, nämlich: 

1) Ueber eine den Amöbenkörper umgebende äußere, vom Plasma ver- 
schiedene Haut. 

2) Ueber die Form und Lebenserscheinungen des Protoplasmas und zwar: 

A. Ueber das zähfeste, im Leben hyaline, homogene, durch Behand- 
lung mit Reagentien (Osmium-Alkohol),. nachweisbar radiär- 
streifige Ektoplasma und seine damit zusammenhängende 
Bedeutung als motorische Zone. 

B. Ueber das mehr weiche und flüssige, die Granula (Bioblasten, 
Altmann) tragende Entoplasma, unter denen ich zwei, ihrem 
äußeren Verhalten und ihrer Bedeutung nach verschiedene Elemente 
erkannte, die veränderlichen, wahrscheinlich als Stoffwechselpro- 
dukte anzusehenden, meist dunkeln Glanzgranula und die in 
Form und Vorkommen beständigen, das Entoplasma erfüllenden 
und für das Leben desselben bedeutungsvollen blassen Elementar- 
granula. 

3) Ueber die Form- und Bewegungserscheinungen und mutmaßliche funk- 

tionelle Bedeutung der kontraktilen Behälter bei den Erdamöben. 

4) Ueber die bisher von mir unterschiedenen fünf, teils einkernigen teils 

mehrkernigen Arten der Erdamöben nämlich: 1) Amoeba_ terricola, 
2) A. similis, 3) A. sphaeronucleosus, 4) 4A. fibrillosa, 5) A. alba. 

In gelegentlichem Anschluss an diese Mitteilungen über die Erdamöben 
habe ich gleichzeitig auch einige Bemerkungen über Beobachtungen an anderen 
Rhizopoden, namentlich Heliozoen und Süßwasser - Amöben angefügt. 

Ich habe seitdem den Süßwasser-Amöben aus einem reichen, aus der 
Umgebung von Marburg stammenden Material eine nochmalige eingehende und 
mit den bisherigen Ergebnissen vergleichende Prüfung widmen können und 
endlich durch einen Aufenthalt in Ostende im Herbst des verflossenen Jahres 
erwünschte Gelegenheit gefunden, eine Anzahl mariner Amöben zu unter- 
suchen. Ueber diese will ich heute zunächst berichten, da ich glaube durch 
sie und insbesondere durch genaue Beobachtung der unter dem Namen Amoeba 
Sluida Gruber zuerst behandelten Art einige weitere bemerkenswerte Fort- 


R 12) Erste und zweite Mitteilung s. Biol. Centralblatt, XI. Bd,, S. 599 und 
. 633 fg. 





374 Greeff, Ueber Amöben. 


schritte in der Erkenntnis der Form- und Lebenserscheinungen der Amöben 
gewonnen zu haben, dieser merkwürdigen Organismen, die, zu den einfachsten 
des Tierreiches gehörend, doch bei jedem Versuch in ihr Wesen tiefer einzu- 
dringen, neue Fragen und Rätsel vorlegen. 


See-Amöben von Ostende: 

1) Amoeba fluida Gruber. (Gestalt, Größe, Färbung, Bewegung, äußere 
Haut, Mündung derselben, Zottenanhang, Protoplasma, 
Nukleus, Fortpflanzung.) 

2) Amoeba erystalligera Gruber. 

3) Amoeba radiosa Ehrbg. 

4) Amoeba verrucosa Ehrbg. 

5) Amoeba flava Gruber. 


1) Amoeba fluida Gruber. 


In kleinen Aquarien mit Diatomeenschlamm und Algen, meist den Austern- 
parks von Ostende entnommen, entwickelten sich, entsprechend früheren Ver- 
suchen, nach einiger Zeit verschiedene Amöben in ganz erstaunlicher Menge, 
so dass aus jedem, dem Grunde entnommenen und auf dem Objektträger aus- 
gebreiteten Tropfen eine größere Anzahl derselben hervorkroch. Während 
indessen die meisten Arten allmählich wieder zurücktraten oder bald ganz 
vorschwanden, überdauerte eine sie alle und hat sich während des Winters 
bis heute in fast ungeschwächter Häufigkeit hier in Marburg in meinen Gläsern 
erhalten. Ich glaube dieselbe trotz einiger auffallender Abweichungen, ins- 
besondere aber auf Grund der Uebereinstimmung in einem der am meisten 
hervortretenden Charaktere, nämlich der sehr dünnflüssigen Konsistenz des 
Protoplasmas, der von A. Gruber als Amoeba fluida kurz beschriebenen Art!) 
gleich stellen zu dürfen. Gruber fand sie in Seewasser - Aquarien des zoo- 
logischen Institutes in Freiburg, deren Inhalt aus dem zoologischen Garten 
von Frankfurt stammte, und im Hafen von Genua2), ich selbst kenne sie seit 
länger als zwanzig Jahren durch mehrfachen Aufenthalt in Ostende als eine 
der dort häufigsten, namentlich die Austernparks bevölkernden Amöben und 
ich vermute, dass auch die von K. Moebius aus der Kieler Bucht als Amoeba 
villosa beschriebene Art?) mit jener identisch sei. 


Gestalt, Größe, Färbung. 

Die äußere Form dieser Amöbe ist bei der ersten Begegnung meist eine 
mehr oder minder kugelige, ovale, birnförmige oder breit gelappte, wobei der 
breitere Umfang in der Regel nach vorne gerichtet ist, während der hintere 
Teil sich etwas verjüngt und in ein abgerundetes oder etwas hervorgezogenes 
und dann häufig papillenartig angeschwollenes Ende übergeht, das den auch 
von anderen Amöben beschriebenen merkwürdigen „Zottenanhang* trägt, auf 
dessen eigentliche Natur und Bedeutung wir später noch ausführlich zurück- 
kommen werden, den Gruber aber von seiner Amoeba fluida auffallenderweise 
nicht erwähnt, obgleich er für die Ostender Form einen sehr hervortretenden 
äußeren Charakter bildet. 


1) Studien über Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., 41. Bd., 1885, 8. 219. 

2) Ueber einige Rhizopoden aus dem Genueser Hafen. Berichte d. naturf. 
Gesellschaft zu Freiburg i. B., Bd. IV S. 35 und in: Res Ligusticae, IV. Enu- 
merazione dei Protozoi raccolti nel Porto di Genova, p. 537. 

3) Bruchstücke einer Rhizopodenfauna der Kieler Bucht. Abhandl. d. k. 
preuß. Akademie d. Wissensch. zu Berlin, 1888, S. 25. 








Greeff, Ueber Amöben. 375 


Die Größe steigt bis zu 0,08—0,09 mm Durchmesser, beträgt im Mittel 
aber nur ungefähr die Hälfte und geht von da abwärts bis zu minimalen 
Formen, die aber natürlich rücksichtlich ihrer Entstehung ein ganz besonderes 
Interesse beanspruchen und deren wir ebenfalls später noch gedenken werden, 

Die größeren und mittelgroßen zeigen meist, namentlich bei schwacher 
Vergrößerung betrachtet, eine leicht ockergelbe Färbung, indessen kommen 
auch, abgesehen von den durch Nahrungs- oder sonstige Inhaltsstoffe bedingten 
braunen, grünen, gelben und anderen Färbungen, auch völlig farblose Individuen 
vor, insbesondere unter den kleineren, 


Bewegungen. 


Die im Allgemeinen ziemlich lebhaften Bewegungen erfolgen entweder 
durch gleichmäßiges Fortfließen des ovalen, birnförmigen oder breit ausge- 
buchteten Körpers oder noch häufiger durch ruckweises Hervorstoßen von 
blasen- oder lappenartigen Fortsätzen, in die dann die Inhaltsmasse wie „in 
einen Bruchsack“ einströmt und bis zum äußersten Umfang fortgetrieben wird. 
Hin und wieder quellen auch von verschiedenen Stellen des Körpers solche 
blasenartige Fortsätze hervor, wodurch derselbe dann eine unregelmäßige ge- 
lappte Gestalt erhält. In seltenen Fällen sind die Fortsätze finger- oder stab- 
förmig. Auch nadel- und fadenförmige Pseudopodien bis zu den feinsten nur 
mit starken Vergrößerungen erkennbaren Fäden und fadenförmigen Verzweigungen 
kommen vor, aber ausschließlich an dem schon oben erwähnten Zottenanhang, 
der bei diesen Bewegungen meist nach hinten gerichtet ist, bei besonders 
lebhaften Gestaltsveränderungen aber auch mehr oder minder nach vorne ge- 
drängt wird oder auf der unteren Seite der Amöbe liegt. In diesem Falle 
ist er zuweilen nicht oder schwer sichtbar, so dass die Amöbe alsdann zottenlos 
erscheint. 


Aeußere Haut. Mündung derselben. Der „Zottenanhang*. 


Ich habe, wie oben schon hervorgehoben, bei den Erdamöben eine den 
Körper umgebende dünne, von dem Protoplasma verschiedene, äußere Haut, 
an die sich nach innen das zähe, radiär-streifige Ektoplasma als eigentliche 
motorische Zone anschließt, auf das Bestimmteste nachgewiesen, Seitdem 
habe ich an allen anderen von mir hierauf untersuchten Amöben, sowohl 
an den im Süßwasser als im Meere lebenden, diese äußere Haut bestätigen 
können und darf deshalb wohl annehmen, dass sie einen allgemeinen Charakter 
dieser Organismen bilde. Auch bei Amoeba fluida tritt sie, wenngleich hier 
feiner als bei anderen Amöben, klar zu Tage, gleichzeitig aber führen die 
übrigen hiermit im Zusammenhang stehenden Erscheinungen bei diesem Rhizo- 
poden zu dem überraschenden Ergebnis, dass diese Haut an einer Stelle 
konstant unterbrochen und durch eine Oeffnung ersetzt ist, die 
direkt in das Innere des Körpers führt und aus der, und zwar 
hier allein am ganzen Umfang, das nackte Protoplasma unter 
Pseudopodien-Ausbreitung nach außen hervortritt. Diese Stelle 
liegt in dem sogenannten „Zottenanhang“ Da durch sie Nahrungskörper 
und sonstige Stoffe aufgenommen und anderseits solche ausgeführt werden, im 
Uebrigen aber der Körper durch die ihn umgebende Haut völlig abgeschlossen 
ist, so gehört Amoeba fluida und die mit ihr rücksichtlich jener Charak- 
tere übereinstimmenden Amöben, wie wir im Folgenden noch bestimmter nach- 
weisen werden, wie aber hier schon ausgesprochnn werden muss, nicht zu 
den nackten, sondern zu den beschalten resp. den monothalamen 


376 Greeff, Ueber Amöben. 


Rhizopoden, die man direkt der bekannten Gattung Lieberkühnia würde 
anschließen können, wenn sie von dieser nicht durch andere Charaktere und 
a priori als eigentliche Amöben getrennt wären. 

Schon an den kriechend sich fortbewegenden Amöben lässt sich bei ge- 
nauer Beobachtung mittels guter Immersionen diese äußere Haut erkennen. 
Zuweilen findet man Exemplare, die unverhältnismäßig große Nahrungskörper 
aufgenommen haben, wie Diatomeen und Algenfäden, deren Länge den Durch- 
messer ihres Körpers übersteigt, so dass derselbe oft weit ausgebuchtet wird. 
Lässt man nun das Auge sorgfältig prüfend an den seitlich hervorstehenden 
Enden dieser Objekte vorbeigehen, so sieht man, dass dieselben oft nur von 
einer dünnen Hautschicht schlingenartig oder kappenförmig umfasst werden 
und durch sie ganz allein in dem Körper der Amöbe zurückgehalten werden. 
Unmöglich auch würde zu einem solchen Umfassen und Festhalten weit nach 
außen hervorgetriebener und oft zugespitzter Gegenstände (Diatomeen etc.) 
das, wie wir später sehen werden, dünnflüssige Protoplasma im Stande sein. 

Mit überzeugender Beweiskraft aber wird die Anwesenheit einer den 
Körper umgebenden festen, von dem Protoplasma durchaus verschiedenen Haut 
dargethan, wenn man eine solche Amöbe, die eine ihren Körperdurchmesser 
an Länge weit übersteigende stabförmige und an ihren Enden zugespitzte 
Diatomee aufgenommen hat, bei ihren Bewegungen eine Zeitlang verfolgen 
kann, zumal wenn es hierbei glückt auch den Wiederaustritt der Diatomee zu 
beobachten und dadurch gleichzeitig festzustellen, dass nur eine Stelle an 
dem ganzen Umfang des Körpers vorhanden ist, die derselben Austritt ge- 
währen kann, nämlich die oben hervorgehobene Unterbrechung in der Haut 
resp. Mündung derselben in den Zottenanhang. Ich knüpfe zur Darlegung dieser 
Thatsachen an einen Beobachtungsfall, der es mir gestattete, eine sich lebhaft 
bewegende Amöbe mit einer ihren Durchmesser um mehr als das Doppelte an 
Länge übertreffenden Diatomee fast eine halbe Stunde lang aufmerksam im 
Auge zu behalten. Die Diatomee wurde bald nach dieser, bald nach jener 
Seite weit hervorgetrieben, ohne selbst im extremsten Fall die Oberfläche zu 
durchbrechen. Das flüssige Protoplasma durchglitt sie stets mit Leichtigkeit, 
oft durch dasselbe fast hindurchschießend, sobald sie aber gegen den äußeren 
Umfang stieß, fand sie Widerstand und wurde nun durch weiteren Druck von 
der entgegengesetzten Seite oft als langer stabförmiger Fortsatz, die biegsame 
und elastische Haut kappenförmig vor sich hertreibend, nach außen vorgestoßen. 
Dann wurde sie, einerseits vielleicht durch die Elastizität der Haut, anderseits 
durch die Bewegungen des Protoplasma wieder zurückgedrängt und das Spiel 
wiederholte sich an der entgegengesetzten Seite etc. Der Zottenanhang er- 
schien dabei meist an einer mehr oder minder ausgebuchteten Seite oder 
wurde undeutlich oder unsichtbar, indem er auf die obere oder untere Fläche 
der Amöbe gedrängt wurde. Als er gerade mit seinen strahlenden Pseudo- 
podien hervortrat, bemerkte ich, wie die Diatomee mit dem einen Ende nach 
dieser Gegend hinglitt und alsbald war das Zottenfeld durchbrochen und die 
Diatomee nach außen gestoßen. 

Auch durch die direkte Beobaentung an der lebenden Amöbe lässt sich 
erkennen, dass die Haut nicht in den Zottenanhang übergeht resp. das dasselbe 
bildende Feld nicht umhüllt. Verfolgt man nämlich beiderseits die Körperhaut 
bis zu der Stelle des Zottenanhangs, so erhält man den Eindruck, dass die 
Erstere hier endigt und in eine andere Schicht übergeht, die weniger scharf 
konturiert ist, ein etwas anderes Lichtbrechungsvermögen besitzt und auch 
dadurch ausgezeichnet ist, dass sie äußerst beweglich und daher in ihren Um- 





Greeff, Ueber Amöben. an 
rissen und ihrer äußeren Gestaltung sehr veränderlich und eben Träger der 
meist nach hinten gerichteten Zotten resp. Pseudopodien ist. 

In überraschender Weise wird die durch alle diese Erscheinungen be- 
dingte Annahme einer Verschiedenheit jener beiden Schichten, der Haut und 
des Zottenfeldes, und gleichzeitig der Bedeutung des Letzteren als Haut- 
mündung durch Behandlung der Amöbe mit Reagentien bestätigt. Tötet man 
nämlich eine Amoeba fluida durch Einwirkung von Osmium oder Alkohol ete., 
so bläht sie sich zu einer kugeligen Blase auf, an der man nun schärfer als 
an dem lebenden Objekt die sie bildende äußere Wandung erkennt. Das Zotten- 
feld aber ist verschwunden, an seine Stelle ist eine mehr oder minder 
weite Lücke, eine Oeffnung in der Blasenwand entstanden, aus 
der der unbedeckte krümelige Inhalt hervortritt. Verfolgt man beiderseits die 
Wandung der Blase bis zu dieser Stelle, so sieht man, wie sie plötzlich hier 
aufhört, die Enden erscheinen wie abgerissen. Liegt diese Stelle auf der nach 
oben gerichteten Fläche, so erkennt man bei aufmerksamer Prüfung hier eine 
mehr oder minder weite rundliche Oeffnung. 

Nach allen den oben angeführten und ähnlichen Erscheinungen kann es 
meiner Meinung nach nicht zweifelhaft sein, dass der Körper von Amoeba 
fluida von einer dünnen, sehr biegsamen, resistenten, viel- 
leicht ehitinigen Haut umgeben ist und dass diese von einer 
dnreh Vermittelung des Zottenanhangs in das Innere des Kör- 
pers führenden Mündung unterbrochen ist. Der Zottenanhang 
und die ihm zu Grunde liegende Substanzschicht wird aber, wie sowohl die 
direkten Beobachtungen des lebenden, als des mit Reagentien behandelten 
Objektes erweisen, von einer hyalinen, zähweichen, sehr beweg- 
lichen Ektoplasma-Schicht eingenommen, dem einzigen Protoplasma, 
das ohne äußere Hautumhüllung nach außen tritt und aus der die Zotten resp. 
Pseudopodien hervorgestieckt werden Dass die „Zotten* der Amoeba fluida 
Pseudopodien und nicht, wie man bisher im Allgemeinen rücksichtlich 
dieser Bildungen angenommen hat, starre Fäden sind, lässt sich dureh 
die genaue Beobachtung auf das unzweideutigste erkennen. Bald erscheinen 
sie kurz nadelförmig, bald in längeren unregelmäßigen und dichten Strahlungen, 
die den nach hinten gerichteten papillen- oder knopfförmigen Anhang umgeben 
oder als mehr oder minder unregelmäßige, zuweilen sich verzweigende und im 
Gewirre durcheinander laufende Faserbüschel oder endlich in seltenen Fällen 
in langen, den Körper-Durchmesser weit übersteigenden Fäden. In die Fäden 
sieht man häufig, diesen folgend und an ihnen oder durch sie sich bewegend, 
kleine, in Abständeu folgende Protoplasma-Tröpfchen (keine Körnchen) ein- 
gestreut. 

Wie die Pseudopodien, so zeigt auch das Plasmafeld selbst, aus dem sie 
hervorgehen, eine große Wandelbarkeit in der äußeren Gestaltung und Größe. 
In der Regel ist es bei den Kriechbewegungen der Amöbe nach hinten ge- 
richtet als mehr oder minder halbkugeliger, zuweilen fast kugeliger, nur durch 
eine Brücke mit dem Amöbenkörper verbundener oder auch als unregelmäßiger, 
knollen- oder höckerförmiger Anhang, zuweilen triehter- oder röhrenförmig 
nach hinten ausgezogen, namentlich dann, wenn Nahrungskörper ete. aufge- 
nommen oder, was häufiger zur Beobachtung gelangt, abgegeben werden etc. 
Wie schon früher bemerkt, kann bei lebhaften Bewegungen, namentlich bei 
mehrfachen Aenderungen der Richtungen der Anhang auch auf die obere oder 
untere oder an eine der Seitenfläche, in seltenen Fällen und dann immer nur 
kurz vorübergehend, nach vorne rücken. 


318 Greeff, Ueber Amöben. 


Welche Bedeutung dem sogenannten Zottenanhang der Amoeba fluida 
zukommt, ergibt sich aus den obigen Wahrnehmungen und Erörterungen wohl 
als selbstverständlich, er entspricht der in ihren Formerscheinungen so mannig- 
fachen, hier aber nadel- und fadenförmig sich gestaltenden Psendopodien- 
Ausbreitungen der monothalamen Rhizopodeu und das Feld, aus dem sie her- 
vortreten, ihrer Schalenmündung, durch welche mittels der Pseudopodien die 
Nahrung ergriffen und in den Körper eingeführt wird, wie ich dieses schon 
im Jahre 1866 für die Erdamöben ausgesprochen habe. 

Außerdem aber ist dem Zottenanhang und der Ektoplasmaschicht, aus 
der er entsteht, meiner Meinung nach noch eine andere wichtige Rolle zu- 
erteilt, nämlich für die Bewegung der Amöbe und das führt uns zu der 
Betrachtung des Protoplasmas der Amoeba fluida. 


Protoplasma. Granula. Vakuolen. Nukleus. 


Ein sehr merkwürdiger und bei genauer Beobachtung alsbald auffallender 
Charakter unserer Amöbe, den auch Gruber von seiner Amoeba fluida her- 
vorhebt und der mich zunächst bestimmte, jene mit dieser zu identifizieren, 
liegt in der völlig dünnflüssigen Konsistenz des Protoplasmas, so 
dass die darin suspendierten Granula und sonstigen feineren Inhaltsteile in 
lebhafter Molekularbewegung sich befinden, eine Erscheinung, die unter ge- 
wissen Umständen auch bei anderen Amöben und Rhizopoden vorkommt und 
die ich schon vor Jahren an Pelomyxa palustris beobachtet und genau be- 
schrieben habe !). In überraschender Klarheit tritt dieselbe bei Amoeba fluida 
erst bei genauer Prüfung mittels guter Immersion zu Tage. Das bei der: 
kriechenden Amöbe in die nach vorne gerichtete Bahn oder in die aus der- 
selben hervorgestoßenen Fortsätze, wie in einen, um dieses bezeichnende Bild 
zu wiederholen, „Bruchsack“ einstürzende Protoplasma, dringt in wirbelnder 
Bewegung bis zum äußersten Umfang des Körpers vor, um dann gegen diesen 
anstoßend nach rechts und links wieder znrückzufließen. Man gewinnt hierbei 
den Eindruck, dass die gleichmäßig und stetig fortschreitenden und scharfen 
äußeren Grenzen der Amöbe unmöglich diejenigen des lebhaft an ihnen vorbei- 
sprudelnden Protoplasmas sein können. Es hat vielmehr den Anschein, als ob 
eine eigenwandige, prall gefüllte Blase durch den gegen sie andrängenden 
Inhalt ruckweise oder wellenartig fortbewegt werde. In der That führen auch 
diese Beobachtungen zunächst wieder zu der Erkenntnis, dass der Amöben- 
körper von einer dünnen, biegsamen und elastischen, den Bewegungen des 
Protoplasmas nachgebenden und ihnen folgenden Haut umgeben ist. 

Welches aber ist nun die motorische Kraft der Amöbe, die den Impuls 
abgibt für den strömenden Inhalt und die durch ihn gebildeten, nach außen 
tretenden wellenartigen Fortsätze? Ich darf wohl zunächst hervorheben, was 
schon aus den obigen Erörterungen hervorgeht, dass die von mir nachgewiesene 
Haut der Amoeba jluida und anderer Amöben nichts zu thun hat mit einer an 
der äußeren Peripherie des Amöben- resp. Protoplasmakörpers durch chemische 
Prozesse stetig sich bildenden ölartigen, optisch nicht wahrnehmbaren Grenz- 
schicht, die G. Quinke auf Grund seiner interessanten Versuche als die 
mechanische Ursache jeder Protoplasma-Bewegung, auch der amöboiden an- 
sieht?). Ebenso wenig kann jene Haut dadurch entstehen, dass durch die 


4) Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. X, 8. 54. 

2) Ueber periodische Ausbreitung an Flüssigkeits-Oberflächen und dadurch 
hervorgerufenen Bewegungserscheinungen. Sitzungsber. der k. preuß. Akad 
der Wissensch., 1888, 8. 791, 














Greeff, Ueber Amöben. 3179 


Berührung des Protoplasmas mit dem umgebenden Wasser an den Berührungs- 
flächen durch eine Art Erhärtung eine immer von Neuem entstehende und 
wieder vergehende protoplasmatische Grenzschicht sich bilde, denn gerade an 
der Stelle, nämlich der Mündung der Haut, aus der das nackte Protoplasma 
zu Tage und in direkter Beziehung mit dem Wasser tritt, ist solche Grenz- 
schicht resp. die Haut, wie wir gesehen haben, nicht vorhanden. Sodann lässt 
sich die völlige Selbständigkeit, Unveränderlichkeit und Unverschmelzbarkeit 
derselben sowohl an der lebenden als den mit Reagentien getöteten Amöbe 
nachweisen. Niemals habe ich bei den oft sehr lebhaften Bewegungen der 
Amöbe eine Verschmelzung der einander sich berührenden Flächen der aus- 
gestreckten und oft gegen und umeinander fließenden Fortsätze mit Sicherheit 
wahrgenommen. Häufig sah ich zwei mit ihren Flächen dicht sich berührende 
Amöben längere Zeit nebeneinander herkriechen, ohne dass eine Verschmelzung 
stattfand, — nur in dem Falle, wenn die beiden Schalenmündungen mit dem 
aus ihnen hervorgestreckten „Zottenanhang“ sich berührten, erfolgte zuweilen 
eine Pseudopodien - Verbindung zwischen Beiden, die selbst dann, wenn die 
Amöben sich wieder von einander entfernten, durch zwischen Beiden ausge- 
spannte, lang ausgezogene Plasmafäden erhalten wurde. 

Ob an der äußeren oder inneren Oberfläche dieser Amöbenhaut eine 
Oelschicht sich bilde, die mit einer an dleser wiederum auftretenden Schicht 
von Eiweißseife sich kombiniere, wie dieses Quinke annimmt, vermag ich 
nicht zu sagen. Die an solchen Oelblasen auftretenden Bewegungserscheinungen 
zeigen nach der auf eingehende Beobachtungen gegründeten Darstellung 
Quinke’s in der That eine merkwürdige, geradezu überraschende Aehnlich- 
keit mit den mannigfachen Bewegungen protoplasmatischer Substanzen bei 
niederen Organismen, vor Allen mit den stoßweise hervorgetriebenen Plasma- 
Wellen unserer Amoeba fluida, so dass mir bei meiner Untersuchung jene 
Quinke’sche Erklärung der amöboiden Bewegung häufig nahe getreten ist. 
Aber es wird doch zunächst hierdurch nur eine verbindende Aehnlichkeit in 
der äußeren Erscheinungsform zwischen leblosen Substanzen und belebten und 
organisierten Wesen dargethan, ohne dass die jene bewegenden Ursachen auch 
bei diesen erwiesen werden könnten. Ich kann wenigstens für meinen Teil 
nach allen meinen an niederen Organismen bisher gewonnenen Beobachtungen 
und Erfahrungen nicht annehmen, dass die Bewegungen derselben nach der 
obigen Quinke’schen Theorie auf mechanischem Wege erfolge, sondern muss 
dieselben nach wie vorher für eine Lebensäußerung des Protoplasmas halten. 

Wo liegt nun aber die Quelle für die Bewegungen unserer Amoeba fluida, 
ist es das ganze den Innenraum ausfüllende Protoplasma, von welchem die- 
selben ausgehen, oder gewisse Regionen desselben? Zunächst lässt sich bald 
konstatieren, dass eine Sonderung des Protoplasmas in Ekto- und Entoplasma 
im Sinne anderer und namentlich der Erdamöben, bei welchem das Erstere die 
eigentliche motorische Zone darstellt und eine dieser entsprechende Konsistenz 
und Organisation zeigt, hier nicht vorhanden ist. Das bei den Bewegungen 
bis gegen die äußerste Grenze des Körpers vorausströmende Plasma zeigt 
gerade bei Amoeba fluida jene oben hervorgehobene sprudelnde Bewegung am 
auffallendsten und ist somit die am meisten dünnflüssige Substanz, während 
der innere und hintere, den Nukleus, fast ausnahmslos reichliche Vakuolen, 
Granula- Massen, Nahrungsstoffe ete. enthaltende Teil im Allgemeinen mehr 
zusammenhängend und zäher erscheint. Hierdurch entsteht zuweilen, nament- 
lich bei schwächeren Vergrößerungen, das mehr oder minder deutliche Bild 
einer Sonderung in ein helleres vorausströmendes Ektoplasma und dunkleres 


980 Greeff, Ueber Amöben. 


Entoplasma. Beide aber gehen wie die genaue Beobachtung der kriechenden 
Amöbe lehrt ohne jegliche Grenze in einander über. Die Granula und sonstigen 
Inhaltskörper des den mehr zentralen Raum einnehmenden Plasmas fließen auch 
in die peripheren Bahnen über oder werden bei Aenderungen der Stromriehtung 
wieder nach innen zurückgeführt; und zwischen den Inhaltsteilen dieser ento- 
plasmatischen Region erkennt man außerdem fast überall die tanzende Molekular- 
bewegung der Granula. Die protoplasmatische Grundsubstanz des gesamten 
Amöbenkörpers, in welche die Granula, Nukleus, Vakuolen etc. eingebettet 
sind, erscheint somit von mehr oder minder dünnflüssiger Beschaffenheit. Da 
ich nun nicht anzunehmen vermag, dass eine Substanz von solcher Konsistenz, 
abgesehen von der Frage, ob dieselbe überhaupt noch als Protoplasma im ge- 
wöhnlichen Sinne angesehen werden kann, eine mit den lebhaften Kriech- 
bewegungen der Amoeba fluida in ursächlichem Zusammenhang stehende Kraft- 
äußerung durch Kontraktilität ete. ausüben könne, so muss, wenn man nicht 
der oben erwähnten Quinke’schen Erklärung der amöboiden Bewegung sich 
anschließen oder eine innere der Bewegung zu Grunde liegende hier aber nicht 
nachweisbare Protoplasma-Struktur voraussetzen will, wohl angenommen werden, 
dass außer jenem dünnflüssigen Protoplasma noch eine andere protoplasmatische 
Substanz als Trägerin der motorischen Kraft im Amöbenkörper vorhanden sei. 

Wenn man die Bewegungen der Amöbe aufmerksam verfolgt, so erhält 
man, wie ich dies schon in meiner ersten Abhandlung über die Erdamöben 
hervorgehoben und beschrieben habe, den Eindruck, dass der Impuls für die- 
selben von dem hinteren Teile des Körpers, also bei Amoeba fluida von der 
Region des Zottenanhangs ausgeht. Und in der That zweifie ich nicht, dass 
hier die Haupt- wenn nicht die einzige Quelle der Bewegungen der Amoeba 
fluida liegt. Diese Region d. h. die die Schalenmündung einnehmende und 
aus ihr hervortretende zähe Ektoplasma-Schicht zeigt, wie wir früher ausführ- 
lich erörtert haben, eine außerordentliche und selbständige Beweglichkeit, 
teils durch mannigfache Pseudopodien - Entwicklung, teils durch Gestaltsver- 
ändernngen, Ausdehnung und Zusammenziehung und damit Erweiterung und 
Verengerung der Schalenmündung ete. Hierdurch wird auch das auf dieses 
Zottenfeld folgende und von ihm sowie von dem hinteren Teil der Schalenhaut 
eingeschlossene Innenplasma in Bewegung gesetzt und nach vorne geschoben. 

Eine auffallende Erscheinnng ist, dass gerade dieser hintere Teil fast 
ausnahmslos mit reichlichen, oft dieht zusammengedrängten Gra- 
nula und zwar den von mir vorläufig sogenannten Elementargranula erfüllt 
ist. Besonders ist das Zottenfeld selbst an seiner inneren Fläche meist ganz 
ausgekleidet mit diesen Granula, die außerdem zuweilen eine mehr oder minder 
deutliche kurz-stäbehen- oder eiförmige Gestalt zeigen, mit dem äußeren Ende 
direkt gegen das Zottenfeld stoßend. Ob denselben eine bestimmte Bedeutung 
zukommt, was ich bei dem merkwürdigen, fast regelmäßigen Auftreten zu 
glauben geneigt bin, insbesondere ob sie in direkter Beziehung stehen zu dem 
Zottenfeld und dessen Funktionen muss weiteren Prüfungen vorbehalten bleiben. 

Was die Granula betrifft, so unterscheide ich wie bei den Erdamöben 
und anderen Amöben und Rhizopoden auch bei Amoeba fluida zunächst zwei 
Formen derselben, nämlich erstlich die von mir früher sogenannten Glanz- 
granula, die, soweit ich dieses bisher habe ermitteln können, in zwei ver- 
schiedenen Abstufungen vorkommen, nämlich größere rundliche dunkelglänzende 
Körner und äußerst feine, nur bei starker Vergrößerung wahrnehmbare Körnchen, 
deren Mengen- und besondere Gestaltsverhältnisse aber bei der wirbelnden 
Molekularbewegung, in der sie sich in lebenden Amöbe befinden, schwer zu 





Greeff, Ueber Amöben. 381 


bestimmen sind. Wie bei anderen Amöben treten auch bei Amoeba fluida die 
Glanzgranula in sehr wechselnder Menge auf, im Allgemeinen aber spärlich 
gegenüber den den Körper meist mehr oder minder erfüllenden blassen, rund- 
lichen oder ovalen Elementargranula, die, wie früher schon bemerkt, 
namentlich im mittleren und hinteren Teil angehäuft sind. In seltenen Fällen 
enthält der Körper außerdem reichliche Mengen größerer, mattglänzender, 
Fetttröpfehen-ähnlicher Kügelchen, wie sie auch bei anderen Amöben konstant 
oder zeitweise vorkommen. 

Fast ausnahmslos ist das Protoplasma der Amoeba fluida mehr oder 
minder von Vakuolen erfüllt, meist Blasen von verschiedener Größe, die 
den mittleren und hinteren Teil des Körpers einnehmen. Zuweilen sind nur 
eine oder wenige größere und eine Anzahl kleinerer oder auch fast nur kleinere 
vorhanden, die in seltenen Fällen durch den größten Teil des Innenraums zer- 
streut sind. Kontraktile Vakuolen habe ich unter denselben trotz mancher 
hierauf gerichteter Aufmerksamkeit niemals wahrgenommen. 

Gruber bezeichnet den Nukleus seiner Amoeba fluida „als homogen 
und aus einer Vielheit von Körnchen zusammengesetzt“, während ich den Kern 
der hier behandelten und mit jener identifizierten Amöbe niemals homogen 
gefunden. Derselbe zeigt zunächst eine sowohl am lebenden, noch mehr an 
dem mit Reagentien behandelten Objekte deutlich sich abhebende Kernmembran, 
die den eigentlichen Kern, eine aus zwei konzentrischen Schichten bestehende 
chromatische Substanz, einschließt, nämlich eine periphere körnige und eine 
fast hyaline zentrale Schicht, die aber bei genauer Betrachtung mit Immersion 
auch im Leben als mit feinen punktförmigen Körnchen durchsetzt erscheint. 
Durch Behandlung mit Reagentien sondern sich die beiden Schichten schärfer 
gegeneinander. Die zentrale ist danı deutlicher granuliert und als Nukleolus 
von der peripheren durch einen feinen hellen Zwischensaum getrennt, während 
die periphere ebenfalls dunkelkörniger ist und sich ihrerseits schärfer von der 
Kernmembran nach innen abhebt. Die periphere Schicht ist bald mehr oder 
minder breit, so dass der zentrale Raum dem entsprechend eingeengt ist, bald 
schmaler; im Allgemeinen findet das Erstere bei den größeren, das Letztere 
bei den kleineren Amöben statt. Meistens auch ist die periphere Schicht un- 
gleich breit, so dass dann der Innenraum mehr oder minder exzentrisch liegt. 
Teilungen des Nukleus habe ich direkt niemals beobachtet, nur einmal zwei 
völlig gleich gestaltete, von einander getrennte Kerne in einer größeren Amöbe. 

Ob die Gruber’sche Amoeba fluida in Rücksicht auf diese Verschieden- 
heit des Kernes und ihren früher erwähnten Mangel des charakteristischen 
„Zottenanhangs“ doch spezifisch verschieden ist von der unsrigen, muss ich 
vorläufig unentschieden lassen. 


Fortpflanzung. 


Ebensowenig wie bei den Erd- und Süßwasser- Amöben habe ich bei 
Amoeba fluida, abgesehen von jenem oben erwähnten Fall eines zweifachen 
Kernes in einer Amöbe, über deren Entstehung ich aber nichts anzugeben 
weiß, eine zweifellose Vermehrung durch Zweiteilung wahrgenommen. Bei der 
früher schon erwähnten, erst allmählich auftretenden und dann monatelang 
sich erhaltenden oder auch wieder abnehmenden und von Neuem anwachsenden, 
oft geradezu staunenswerten Fülle dieser Organismen in meinen Gläsern, ohne 
dass neues Material, als zweitweise frisches Seewasser zugeführt wurde, darf 
man wohl von vorne herein mit einiger Berechtigung annehmen, dass, wenn 
in der That die Vermehrung in der Regel durch Zweiteilung erfolge, sie bei 


382 Greeff, Ueber Amöben. 


einer aufmerksamen Beobachtung, wie ich sie immer wiederholt und anhaltend 
hierauf gerichtet habe, gesehen werden müsste. 

Dahingegen deuten andere, früher schon erwähnte Beobachtungen, näm- 
lich das Vorkommen kleiner und kleinster Amöben, die mit Amoeba fluida 
mehr oder minder übereinstimmen und die ich deshalb glaube mit dieser in 
genetischem Zusammenhang bringen zu dürfen, auf eine andere Vermehrungs- 
weise hin. Während, wie früher berichtet, unsere Amöbe im Mittel ungefähr 
eine Größe von (0,05 mm zeigt, findet man bei Durchmusterungen häufig solche 
bis zu 0,02 mm, die noch alle wesentlichen Charaktere der Amoeba fluida zeigen, 
sowohl in der äußeren Gestalt und Bewegungen, als in der Beschaffenheit des 
Protoplasmas, des Nukleus, der Haut, des Zottenanhangs, so dass kaum zu 
zweifeln ist, dass dieselben zu Amoeba fluida gehören. Bei weiterer Prüfung 
aber trifft man auf noch viel kleinere Organismen, die ebenfalls eine gewisse 
Gleichartigkeit mit Amoeba fluida zur Schau tragen, deren Erkenntnis freilich 
zunächst oft mehr auf vielseitige Uebung und Erfahrung in der Anschauung 
des ganzen Kreises von Varietäten und Entwicklungsstadien beruht, als auf 
der Möglichkeit eines Nachweises durch Vergleich mit der von ihnen oft weit 
entfernten typischen Amoeba fliwida. Der Durchmesser dieser kleinsten mut- 
maßlichen Stadien der Amoeba fluida beträgt nur ungefähr 0,008 mm und geht 
von da allmählich wachsend aufwärts bis in die Größe der oben erwähnten 
kleinen Amöben. Von den wesentlichen Charakteren einer Amöbe ist zunächst 
nicht viel zu erkennen, namentlich fehlt die Haupt-Lebenserscheinung, nämlich 
die amöboide Bewegung, die ich wenigstens bei diesen kleinsten Formen nicht 
gesehen habe. Es sind mehr oder minder kugelige Körper von einer deut- 
lichen äußeren Membran umschlossen. Das Protoplasma zeigt schon den der 
Amoeba fluida eigenen und merkwürdigen Charakter der Dünnflüssigkeit. Die 
Granula stimmen mit der jener überein und bewegen sich lebhaft tanzend in 
der hyalinen Grundsubstanz. Auch kleine Vakuolen kommen vor, aber einen 
Nukleus konnte ich mit Bestimmtheit nicht erkennen, möglicherweise deshalb, 
weil es mir nicht gelungen ist, die meist einzeln zur Beobachtung gelangenden 
minimalen und zarten Objekte noch nach der Behandlung mit Reagentien im 
Auge zu behalten resp. mit Sicherheit wieder zu finden. Von dem der Amoeba 
fuida eigenen Zottenanhang war nichts zu sehen. Dahingegen traten von dem 
Umfang einzelne äußerst zarte und blasse Plasmafäden aus, die sich oft weit 
ausstreckten, sich krümmend bewegten und auch wohl am Ende dichotom 
verzweigten. Alle waren, und das war für dieselben eine charakteristische 
Erscheinung, mit kleinen hellen Plasmatröpfchen perlschnurartig besetzt. Ich 
betone ausdrücklich, dass dieselben Plasmatropfen und keine Granula waren, 
sowohl ihrem ganzen Aussehen als der Verschiedenheit in der Größe nach, 
und weil im Innern des Körpers, von dem Fäden ausgingen, keine ähnlichen 
Gebilde resp. Granula sich fanden. Wie die Fäden aus dem von einer Membran 
umschlossenen Innern hervortraten, ob durch eine einzige oder mehrere Oeft- 
nungen, habe ich nicht ermitteln können. 

Außer durch die Beobachtung einer allmählichen Stufenfolge von diesen 
kleinsten Stadien bis zu den wirklichen kleinen Amöben, die, wie oben aus- 
geführt, schon mit einer gewissen Berechtigung der Amoeba fluida zugesellt 
werden können, ist es mir geglückt auch auf direktem Wege die genetische 
Zusammengehörigkeit Beider wahrscheinlich zu machen. Bei häufiger Durch- 
musterung größerer Exemplare von Amoeba fluida behufs Ermittelung von 
Anzeichen ihrer Vermehrungsweise traf ich einst auf eine solche, die kugelig 
gestaltet und völlig bewegungslos erschien. Das Innere war in auffallendem 








Greetf, Ueber Amöben. 389 


Maße erfüllt mit größeren und kleineren vakuolenartigen Plasmablasen, zwischen 
und in denen Granula tanzend sich bewegten. Der Nukleus lag zwischen ihnen 
und schien unverändert, völlig in den Charakteren desjenigen der typischen 
Amoeba fluida. Einen Zottenanhang konnte ich nicht bemerken. Nach einiger 
Zeit sah ich an der Peripherie der Amöbe eine Plasmablase halbkugelig und 
dann ganz aus dem Inneren über die Oberfläche hervortreten. Statt sich von 
dieser zu lösen, blieb sie durch einen fein-bandartigen Plasmafaden mit dem 
Amöbenkörper verbunden. Der Faden verlängerte sich allmählich und erreichte 
bald ungefähr den Halbdurchmesser der Amöbe, ohne dass der Plasmakörper 
sich löste. Während dem traten zwei sehr merkwürdige neue Erscheinungen 
auf, erstlich streckten sich aus dem Plasmakörper selbst zwei, dem erst ent- 
standenen Verbindungsfaden durchaus ähnliche und ebenfalls allmählich sich 
verlängernde Fäden hervor und zweitens tauchten in allen dreien kleine Plasma- 
Tröpfehen auf, hier vereinzelt, dort perlschnurartig sich aneinander reihend, 
übereinstimmend mit den oben beschriebenen Fäden jener kleinsten isolierten 
Stadien. Der eine der von dem Plasmakörper ausgestreckten Fäden verlängerte 
sich nun ganz erstaunlich, so dass er fast den zweifachen Durchmesser der 
Amöbe erreichte und endigte dann in zwei dicht aneinander liegende Plasma- 
tröpfehen, von denen das äußere allmählich anschwellend größer wurde und 
knospenartig hervortrat. Plötzlich verschwand das ganze Gebilde, das bis 
dahin durch jenen Faden mit dem Mutterboden verbunden war, meinem Auge 
und zwar, wie mir schien, dadurch, dass es sich mittels eines hervorgetretenen 
Geißelfadens losriss und fortschwamm. Nur noch einmal beobachtete ich eine 
ähnliche Erscheinung, wie die oben beschriebene, nämlich eines Zusammen- 
hangs eines jener kleinen knospenförmigen Plasmakörpers mit einer Amöbe 
durch einen Faden. Auch von diesem traten wiederum Fäden mit Plasma- 
tröpfehen aus. Bei dem Versuch dem allmählich eintrocknenden Präparat 
neues Wasser zufließen zu lassen, wurde indessen das ganze Objekt meinen 
Blicken entzogen. Hoffentlich gelingt es, für diese, in ihren Ergebnissen noch 
unsicheren Beobachtungen Ergänzungen und so festeren Boden zur Erkenntnis 
der rätselhaften Fortpflanzung der Amöben, namentlich ob in der That hier 
eine Schwärmerbildung stattfindet, zu gewinnen. 


Amoeba erystalligera Gruber. 


Die unter dem obigen Namen zuerst von Grubert!), dann von Möbius?) 
beschriebene Amöbe erschien auch in meinen kleinen Aquarien von Ostende 
mit Amoeba flurda, anfangs, wie diese, äußerst zahlreich, nach einiger Zeit 
aber abnehmend oder ganz verschwindend. Sie unterscheidet sich von Amoeba 
fluida schon bei schwacher Vergrößerung alsbald durch ihr dunkleres Aussehen, 
herrührend von den dunkelglänzenden Krystalloiden, mit denen sie erfüllt ist, 
die indessen keine alleinige Eigentümlichkeit dieser Form bilden, sondern, wie 
bekannt, auch bei manchen anderen Amöben mehr oder minder konstant ge- 
funden werden. Gruber bezeichnet dieselben als „rechteckige Krystallplättchen®, 
Möbius als „quadratrische Krystalle“. Beide Formen kommen vor, quadratische 
und mehr oder minder länglich rechteckige, meist gemischt in ein und dem- 
selben Exemplar, doch überwiegen bei den Ostender Amöben im Allgemeinen 
die quadratischen. Auch in der Größe sind diese Gebilde sehr verschieden. 
Verfolgt man dieselben in der Amöbe, so bemerkt man bei ihren Wendungen, 





4) Studien über Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 41, 1885, $. 219. 
2) Bruchstücke einer Rhizopodenfauna der Kieler Bucht. Abhandl. d. k, 
preuß. Akad, d. Wiss. z. Berlin, 1888, S. 26. 


384 Greeff, Ueber Amöben. 


dass dieselben meistens keine Plättchen darstellen, sondern mehr oder minder 
kubische Körper, wie sie Möbius auch in einer seiner Figuren (Fig. 62) an 
einem dieser Gebilde angedeutet hat. Bei genauer Betrachtung mittels Immer- 
sion erkennt man außerdem, dass diese Körperchen nicht homogen sind, sondern 
in gewissen Lagen, namentlich deutlich von den Breitflächen betrachtet, eine 
sehr merkwürdige Struktur aufweisen. Zunächst schließen dieselben 
einen von einer rahmenartigen, ziemlich dieken und scharf begrenzten Wandung 
gebildeten Innenraum ein. Dieser erscheint wiederum durch Leistehen in 
eine Anzahl von rechtwinkligen Fächern eingeteilt, die bei den 
oblong recehtwinkligen Krystalloiden quergestellt sind. " 

Neben den Amöben mit mehr oder minder regelmäßigen Krystalloiden 
kommen aber auch solche vor mit völlig unregelmäßig gestalteten, bald glatt, 
bald zerklüftet oder zu kleinen Haufen zusammengeklebt, Sandpartikelchen 
ähnlich, die aber meiner Meinung nach rücksichtlich ihrer Natur den regel- 
mäßigen sich anschließen, zumal hier und dort zwischen den unregelmäßigen 
auch einzelne quadratische oder rechteckige auftreten. 

Was im Uebrigen die Organisation der Amoeba erystalligera betrifit, so 
lässt sich auch bei ihr eine den Körper umgebende Haut mit Sicherheit er- 
kennen, zumal sie hier noch stärker ist, als bei Amoeba fluida. Ebenso findet 
sich eine dem Zottenfeld dieser entsprechende Region am hinteren Körperende. 
Dieselbe erscheint in der Regel halbkugelig nach hinten hervor- 
gewölbt und ist statt mit Zotten resp. Pseudopodien ringsum besetzt mit 
dieht zusammengedrängten, kleinen papillenartigen Schlingen. 
Wie bei Amoeba fluida findet sich auch hier an dieser Stelle eine größere oder 
geringere Menge Elementargranula. Ich zweifle nicht, dass dieser Region die- 
selbe Bedeutung zukommt wie dem Zottenfeld der Amoeba fluida. 

Das Plasma ist, wie auch Gruber und Möbius beobachteten, dünn- 
flüssig, aber bei Weitem nicht in dem Maße, als dasjenige von Amoeba fluida. 
Im ruhenden Zustande und ohne Deckglasdruck betrachtet scheint der Körper 
meist in ein hyalines Ekto- und dunkleres Entoplasma gesondert. Sobald leb- 
haftere Bewegungen eintreten und man nun bei stärkerer Vergrößerung unter 
Deckglas beobachtet, erkennt man wie die Krystalloide und Granula durch 
den hyalinen Außensaum bis zum äußersten Umfang vordringen, zu gleicher 
Zeit auch, dass die kleinen Krystalloide ete. in zitternder Bewegung sich be- 
finden. Außer den Krystalloiden finden sich auch hier zwei verschiedene Granula- 
Formen: rundliche mehr oder minder dunkelglänzende Glanzgranula und 
blasse ovale, kurz-stäbchenförmige oder auch rundliche Elementargranula, 

Gruber schien der in der Einzahl vorhandenen Nukleus „eine ganz 
homogene Masse zu bilden“, während derselbe nach Möbius körniges Chromatin 
enthält und einen kugeligen Nukleus umschließt. Meine Beobachtungen rück- 
sichtlich des Nukleus der Amoeba cerystalligera schließen sich denen von 
Möbius an. Indessen fand ich immer nur einen Nukleus, während Möbius 
einmal in einem Exemplare acht Kerne beobachtete. 

Außerdem fand ich in meinen Gläsern auch die ebenfalls von Gruber 
und Möbius beobachteten und charakterisierten Amoeba radiosa Ehrberg, 
Amoeba flava Gruber und Amoeba verrucosa Ehrberg, sowie eine Anzahl 
anderer hiervon verschiedener Amöben, über die ich bei einer anderen Gelegen- 
heit hoffe ausführlicher berichten zu können. 











Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 


Hierzu 





eine Beilage der Verlagsbuchhandlung Wilhelm Engelmann in Leipzig. 





Biologisches Oentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 














XI. Band. 15. Juli 1892. Nr. 18. 

Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. — Dammer. 
Die Beziehungen der Biologie zur Systematik. — Kükenthal, Ueber die Ent- 
stehung und Entwicklung des Säugetierstammes.. — Retzius, Biologische 
Untersuchungen. 





Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 


Von Dr. Robert Keller in Winterthur. 
(IV. Stück. 2. Teil.) 


Fayod’s oben zitierte Arbeit „Structure du protoplasma 
vivant“ soll, wie Verf. sagt, zum Gegenstande eines einlässlichen 
Werkes gemacht werden. Dennoch scheint es uns gerechtfertigt schon 
an Hand dieses Artikels, der mehr den Charakter einer vorläufigen 
Mitteilung hat, die Leser mit Fayod’s Vorstellungen bekannt zu 
machen. 

Verf. glaubt, dass das Protoplasma nicht eine Emulsion sei, sondern 
ein netzförmiges Gewebe, gebildet aus röhrenförmigen und spiralig 
aufgewundenen Fibrillen, deren Wände byalin und durch außerordent- 
liches Quellungsvermögen ausgezeichnet sind. Er nennt diese Röhren- 
fasern Spirofibrillen. Sie haben etwa die Dimension eines Spirillum 
tenue. Wahrscheinlich sind sie selbst wieder aus Spiralfasern zu- 
sammengesetzt. Gemeinschaftlich sind sie um eine röhrenförmige Axe 
gewunden „a la maniere des serpents d’un caducee“. Diese Stränge 
sind des Verfassers Spirosparten. Sie sind zu einem Netze ver- 
flochten. 

Die sichtbare Substanz des Protoplasmas, das granulierte Plasma, 
der tinktionsfähige Teil des Protoplasmas, ist nichts anderes als der 
Inhalt der Kanäle. Seine chemische Zusammensetzung ist nicht nur 
‚ je in verschiedenem Alter und in den verschiedenen Organen des 
Individuums ungleich, sondern auch in ihren verschiedenen physio- 
logischen Zuständen verschieden. 

Xu, 25 





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386 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Die hyaline Substanz, also die Wände des Fasernetzes, die den 
wichtigsten Teil des Protoplasmas ausmachen, widersteht der Ein- 
wirkung färbender Reagentien. Sie ist aber durch Injektion mit 
farbigen Pulvern, z. B. Indigo, Karmin sichtbar zu machen. Verf. 
imprägnierte z. B. mit Indigo das Protoplasma, indem er die Zellen 
rasch in einen leicht erwärmten flüssigen Indigobrei eintauchte. Man 
beobachtet dann (z. B. an den Zellen eines Tulpenstieles), dass die 
Indigokörnchen rosenkranzähnlich angeordnet oder selbst zu Fibrillen 
von flockigem Aussehen verdichtet sind. Leicht aber lassen sich 
unter diesen Fibrillen auch solche finden, welche eine Spirale be- 
schreiben. Häufig bildet die mit Indigo injizierte Spirofibrille, wenn 
sie gepresst wird, feine blaue Querstreifen am Spirospart. Die Axe 
dieses letztern ist selten injiziert. Man sieht alsdann ein regelmäßiges 
Netz, das aus den Axen verschiedener Spirosparten gebildet wird. 

Der Kern ist wahrscheinlich nichts anderes als ein Knoten mehrerer 
Spirospartenstränge, welche ihn in verschiedenen Richtungen durch- 
dringen. Der nukleogene Strang, welcher die Zelle in der Längs- 
richtung durchzieht, besteht wahrscheinlich nur aus zwei Spirosparten, 
welche sich beim Eintritt in den Kern trennen, längs seiner Ober- 
fläche sich hinziehen, den Kernsaft bildend, um bei ihrem Austritt 
sich wieder zu vereinigen. In ungefähr querer Richtung wird der 
Kern von einem Strang durchdrungen, der in seinem Bau einer Nerven- 
faser gleicht. Seiner Quellung und wahrscheinlich seiner Vergröße- 
rungen durch Teilung seiner Elemente schreibt Verf. die Zellteilung ' 
zu und nennt ihn deshalb den schizogenen Strang. In querer oder 
mehr oder weniger diagonaler Richtung durchzieht er mehrere Zellen 
und ihre Wände um in einen andern Kern auszulaufen. Ein dritter 
Strang, der Nukleolarstrang, feiner als die vorigen, besteht wahr- 
scheinlich aus einem einzigen Spirosparten. Er geht in den Nukleolus 
über. Außerhalb des Zellkernes ist er selten scharf zu erkennen. 

Für die Beurteilung der hyalinen Protoplasmasubstanz der Röhrchen- 
wände ist die Einwirkung des Sauerstoffes auf das Protoplasma von 
besonderer Wichtigkeit. Es erweist sich, wie Versuche mit Kalium- 
chlorat, Kaliumpermanganat, Wasserstoffsuperoxyd und Sauerstoff im | 
Entstehungszustande lehren, als inoxydabel, während die granulierte 
Substanz sich unter dem Einfluss des Sauerstoffes im Entstehungs- | 
zustande vollständig in hyalines Plasma verwandelt. Werden z. B. 








Sporen von Mucor der Sauerstoffeinwirkung ausgesetzt, dann quellen = 


sie auf. In ihrem Innern erscheint alsdann ein ganzes System von 
mehr oder weniger netzförmigen Fasern. Diese Quellung, an welcher 
Haut und Protoplasma Teil haben, dauert so lange an bis die ganze | 
granulierte Substanz verschwunden ist. Wird sie nun getrocknet und 
lässt man auf sie eine Anilinfarbe einwirken, dann erfolgt kaum mehr 
eine Färbung. Zu ganz analogen Veränderungen führt die Oxydation 





von Infusorien. Auch hier verschwindet unter dem Einfluss des Sauer- 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 387 


stoffes der granulierte Teil des Protoplasmas. Dieses quillt sehr stark, 
es entsteht hyalines Plasma. Es ist also ein Oxydationsprodukt, ein 
durch die Atmung erzeugter Körper. Die Atmung würde danach der 
Schöpfungsakt der Fundamentalsubstanz der Lebewesen sein. 

Aus dem Umstande, dass das hyaline Protoplasma fast nicht 
oxydierbar ist, schließt Verf., dass es ein sehr sauerstoffreicher orga- 
nischer Körper ist. 

Die wichtigste Eigenschaft, seine bedeutende Imbibitionsfähigkeit, 
findet in der röhrigspiraligen Struktur des Plasmas seine Erklärung. 

' Verlängerung und Verkürzung der Spiralröhren des Plasmas unter 
dem Einfluss der Quellung oder Füllung lassen, wie Verf. glaubt, eine 
große Zahl physiologischer Erscheinungen unserem Verständnis näher 
treten. Ihre Darlegung versparen wir auf die Skizierung des später 
erscheinenden Hanptwerkes. 

So glaubt Verf. sagen zu dürfen „la spirofibrille est la seule vraie 
earacteristique de la substance organisee“. 

In einlässlicher Weise bespricht Dodel in der oben zitierten Ab- 

| handlung die Entwiceklungsgeschichte der Generationsorgane der Iris 
sibirica vom Momente der Bestäubung an bis zur Bildung des mehr- 

zelligen Embryos. 

Der innere Winkel der Taschen, welche die empfängnisfähige 
Stelle der einzelnen Narbe darstellen, mündet in eine Furche, die 
sich auf der obern Seite des Narbenblattes bis zum Griffel hinunter- 
zieht. Dies ist der Leitweg für die Pollenschläuche. Stärkeführende 
Grundgewebezellen begleiten ihn. In den Griffel setzen sich die 
Furchen als kleine Röhrchen fort, die in der Nähe der Griffelaxe ver- 
laufen. Sie sind mit papillösen Zellen ausgekleidet. 

Lange bevor der Pollenschlauch den Fruchtknoten erreicht hat, 
sind bisweilen im langgestreckten generativen Kern, der von einer 
spindelförmigen Zelle umschlossen ist, Teilungserscheinungen zu be- 
obachten. 

Hunderte schlanker Pollenschläuche wachsen gegen die Placenta. 
Die Aenderung der Wachstumsriehtung, welche nötig ist, wenn der 
Pollenschlauch in die Mikropyle hineinwachsen soll, wird, wie Verf. 
glaubt, durch eine chemische Substanz bewirkt, „welche vom Scheitel 
der Samenknospe aus in die Placentarfeuchtigkeit hinüber diluiert 
und die Wachstumsrichtung der Schläuche derart beeinflusst, dass die 
Pollensehlauchenden gegen den geöffneten Mikropylengang streben, 
in denselben eintreten und von der, wohl aus dem Eiapparat stam- 
menden Substanz in ihrer Richtung bestimmt, durch den langen Mikro- 
‚pylengang bis zum Scheitel des Knospenkernes vordringen“. Häufig 
wachsen mehrere Schläuche in die Mikropyle ein. Das Wachstum 
‚des Pollenschlauches durch die scheitelständigen Kernwarzenzellen 
hindurch bis zum Embryosack scheint darauf hinzuweisen, dass vom 
‚Eiapparat aus eine den Pollenschlauchscheitel zu weiterem Wachstum 

25* 


| Bee ee. a Tec. use ei ee Me 


u .. ui ie A 



























388 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


anreizende Substanz durch die Kernwarzenzellen einwirkt. Gerade 
dieser durch das Kernwarzengewebe durchtretende Schlauch ist durch 
besonderes Wachstum ausgezeichnet; denn oftmals ist er an seinem 
Ende zwiebelartig verdickt. Ob aber dieses das Wachstum bestimmende 
Sekret den Synergiden entstammt, ist noch eine offene Frage. Am 
Scheitel des Pollenschlauches liegen die zwei fast fädlichen Kerne. 

Eizelle und Synergiden sind, wenn der Eiapparat empfängnisfähig 
geworden ist, abgesehen von der Größe, durch eine Reihe von Merk- 
malen von einander unterschieden. Der Kern des empfängnisfähigen 
Eies ist scharf umschrieben, besitzt ein scharf-hervortretendes Kern- 
körperchen; er ist dem Embryosack zugekehrt im obern Teil der Ei 
zelle. In seiner Nähe liegt die Hauptmasse des an Vakuolen reichen 
Cytoplasmas. Die Kerne der Synergiden sind zu gleicher Zeit ge- 
wöhnlich undeutlich, ihr Kernkörperchen wenig scharf umschrieben, 
die Kerne liegen im basalen Teile der Zellen dem Scheitel des Embryo- 
sackes zugekehrt. Das vakuolenarme Plasma liegt ebenfalls basal. ' 
Die Teile der Synergiden werden von den Tinktionsmitteln der Eizelle 
schwächer gefärbt, als die entsprechenden Teile dieser. | 

Oft ist schon vor der Befruchtung die eine oder beide Synergiden- 
zellen desorganisiert, „was allerdings mit ein Moment abgibt, um in 
den Synergiden die Präparateure jener oben besprochenen Substanz 
zu vermuten, welche richtungsbestimmend durch die Kernwarzenzellen 
hindurch auf den wachsenden Pollenschlauch einwirkt“. 

Die Befruchtung erfolgt, indem aus dem am Scheitel sich öffnenden 
Pollenschlauch ein kleiner, langgestreckter Spermakern in die Eizelle 
eintritt. Auf seiner Wanderung zum Eizellkern wird er diesem an 
Form und Größe gleich. Die beiden so morphologisch gleich ge- 
wordenen Kerne treten in Kopulation. Im rasch sich vergrößernden 
Keimkerne verschmelzen schließlich auch die beiden Kernkörperchen. 
Der so entstandene Embryo entwickelt sich bald darauf zum mehr- 
zelligen Keim. 

Die Dodel’schen Beobachtungen sind demnach eine wertvolle 
Bestätigung der Strasburger’schen Darlegungen des Befruchtungs- - 
vorganges der Phanerogamen. | 

Neben dieser normalen Befruchtung nehmen nun gewisse abnorm 
verlaufende Vorgänge das größte Interesse in Anspruch. Ausnahms- 
weise kann auch der zweite generative Kern des Pollenschlauches in 
die Eizelle eintreten, sei es nun zu einer Zeit, wo sich die Kopulation | 
zwischen dem ersten und dem Eizellkern bereits vollzogen hat, sei | 
es gleichzeitig mit dem ersten. In diesem letzteren Falle ist alsdann 
die Möglichkeit vorhanden, dass die zwei generativen Kerne mit dem 
Eizellenkern in Kopulation treten. 

Eine andere Anomalie besteht darin, dass sich der Pollenschlaueh 
auch gegen die Synergiden öffnen kann. Dass wirklich eine Synergiden- 
befruchtung eintritt, geht daraus hervor, dass Verf. in 2 Eiapparaten 








Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 389 


zwei, einmal sogar drei Embryonen wahrnehmen konnte, 2 Synergiden- 
embryonen und einen zwischen ihnen hervorragenden Ovularembryo. 
„Nach Eröffnung dieser Thatsache kann es kein Zweifel mehr sein, 
dass bei Iris sibirica nieht selten die Synergiden noch unzweifelhaft 
Eicharakter besitzen, indem sie befähigt erscheinen Spermakerne auf- 
zunehmen und eine veritable Befruchtung zu erfahren, in Folge welcher 
sogar mehrzellige Embryonen resultieren können“. Aus dieser Syner- 
gidenbefruchtung zieht Verf. den Schluss, „dass die Synergiden in 
den Embryosäcken der Angiospermen nichts anderes sein können, als 
rückgebildete Eizellen resp. rückgebildete Archegonien“. — 

Overton verfolgt in der angeführten Arbeit ein ähnliches Ziel 
wie Dodel in der zitierten. Er will in möglichst erschöpfender Weise 
die Veränderungen statuieren, die sich durch alle Entwicklungsphasen 
der Geschlechtsprodukte von Lilium Martagon vor, während und nach 
der Befruchtung abspielen. Da namentlich die Entwicklung der Pollen- 
körner, sowie des Eiapparates zu einlässlicher Darstellung kommt, 
bildet die Arbeit in vielen Punkten eine willkommene Ergänzung zu 
der vorigen. 

Das in der Mutterzelle eingeschlossene Pollenkorn besitzt anfäng- 
lieh ein fast homogenes Plasma. Dem Kerne fehlt zunächst das Kern- 
körperchen. Es erscheint zu der Zeit, wo der Kern eine exzentrische 
Lage angenommen hat und zugleich eine Differenzierung im Zellinhalt 
sich zeigt, indem sich das Cytoplasma im kernhaltigen Teil der Zelle 
sammelt, während der kernfreie Teil von einer großen Vakuole ein- 
genommen wird. 2—3 Tage nach der Isolierung teilt sich der Kern, 
wobei die verkürzten und verdiekten 12 Kernfadensegmente sich der 
Länge nach spalten. Von den beiden entstandenen Kernen wird der 
dem Pole des Pollenkerns zugekehrte zum generativen Kern, der mehr 
zentralliegende ist der vegetative. Die generative Zelle entsteht da- 
dadurch, „dass durch eine uhrglasförmige Wand, die sich an die 
Intine innere Pollenhaut des Pollenkornes anlegt, eine den generativen 
Kern enthaltende Plasmapartie von dem übrigen Cytoplasma abge- 
sondert wird“. Sie löst sich später ganz ab und wächst rasch zu 
einem sichelförmigen Gebilde heran. Das Oytoplasma der vegetativen 
Zelle ist körnerreich, das der generativen homogen. 

Ausnahmsweise führt die Kernteilung nicht zur Bildung einer 
generativen Zelle. In solchen Fällen differenzieren sich auch die 
Kerne nicht. 

Ist das Pollenkorn auf die Narbe gelangt, dann wächst es zum 
Pollenschlauche aus, der etwa nach 4 Tagen die Mikropyle erreicht hat. 

Schon frühzeitig, wenn die Samenknospe erst als gekrümmter 
Wulst zu erkennen ist, entsteht die erste Embryosackanlage in Form 
einer Zelle, die von den umgebenden durch die bedeutendere Größe 
verschieden ist und einen fast vollkommen kugeligen Kern besitzt. 
Die Teilungsvorgänge des primären Embryosackkernes konnten nicht 


390 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


beobachtet werden. Bezüglich der Teilung der beiden Tochterkerne 
bestätigt Verf. die Angabe Guignard’s „dass, während die Zahl der 
Muttersegmente in dem obern Embryosackkern zwölf beträgt, die An- 
zahl der Segmente in dem untern Kerne eine beträchtlichere sei“ (12—16). 

Nach dem 2. Teilungsprozesse bildet sich zwischen den beiden 
obern kleinern und den beiden untern größern Kernen eine große 
Vakuole. Der letzte Teilungsvorgang, welcher zur Bildung des Ei- 
apparates, der Antipoden und der beiden primären Endospermkerne 
führt, vollzieht sich gewöhnlich erst während des Oeffnens der Blüte, 
bisweilen erst, wenn schon Pollenschläuche in die Fruchtknotenhöhle 
gelangt sind. 

Von den beiden untern Kernen teilt sich gewöhnlich nur der 
obere. Dabei zeigen sich wieder mehr Kernsegmente (16—20). Der 
untere bleibt ungeteilt oder degeneriert während der Teilung. 

Auch Verf. fand in seinem Untersuchungsmaterial eine Samen- 
knospe mit zwei Embryonen und er ist geneigt dies auf die Befruch- 
tung einer Synergide zurückzuführen. — 

Die ernährungsphysiologische Rolle, welche Westermeier den 
Antipoden zuschreibt, kann nach Verf. für Lilium Martagon keine 
Giltigkeit haben. Kurz nach der Befruchtung verholzt das unterste 
Ende des Embryosackes. „Die völlig desorganisierte Antipodenzelle 
erscheint dann als homogener, sichelförmiger Körper“, der seinem 
ganzen Verhalten nach ein rückgebildeter Körper ist. 

Die Einschaltung einer Uebersicht über Weismann’s „Amphi- 
mixis“ in unser Referat „über Fortschritte auf dem Gebiete der 
Pflanzenphysiologie“ dürfte wohl gerechtfertigt sein, wennschon sich 
Weismann bei seinen überaus interessanten und weittragenden 
theoretischen Erörterungen fast ausschließlich auf Beobachtungen im 
Tierreiche stützt. Handelt es sich doch um Erscheinungsformen, in 
denen beide Gebiete, Zoologie und Botanik, im Prinzipe sich decken. 
Sind die Beobachtungen der Zoologie nun auch in wichtigen Punkten 
den botanischen Erkenntnissen vorausgeeilt, so scheint doch die weit- 
gehende Analogie der Karyokinese pflanzlicher und tierischer Ge- 
schlechtszellen sehr dafür zu sprechen, dass wenigstens im Prinzipe 
den nachfolgenden Erörterungen auch für das Pflanzenreich Giltigkeit 
zukommt. 

Die einlässliche Abhandlung bezeichnet Weismann selbst als 
den „Schlussstein“ seiner im Laufe des verflossenen Jahrzehntes ver- 
öffentlichten Untersuchungen über biologische Probleme, die die Dauer 
des Lebens, Vererbung und Fortpflanzung zum Gegenstande hatten. 
Das Ziel aber, das er sich in diesem letzten Gliede der so bedeutungs- 
vollen Serie stellte, welches „dem Probleme der sogenannten geschlecht- 
lichen Fortpflanzung“ gewidmet ist, deutet er in folgenden Worten an. 
„Dass das, was wir so zu nennen gewohnt sind, im Grunde eigentlich 
gar keine bloße Fortpflanzung ist, sondern ein Vorgang sui generis 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 391 


der mit Fortpflanzung verbunden sein kann und bei höhern Tieren 
und Pflanzen auch meist verbunden ist, bei niedern aber getrennt 
von ihr abläuft, dass seine Bedeutung nicht in der Erhaltung der 
Lebensbewegung liegt, sondern in der Vermischung der Individuali- 
täten — diese Gedanken besser noch als in den frühern Aufsätzen — 
zu begründen, war das Endziel dieser letzten Abhandlung“. 

Ihr erster Teil befasst sich mit der „Bedeutung der Reifungs- 
vorgänge der Keimzellen“. 

Die Befruchtung fasste man, nachdem man erkannt hatte, dass 
sie in einer Vereinigung der Kerne von Samenzelle und Eizelle be- 
stehe, als eine Vereinigung gegensätzlicher Kräfte, eines männlichen 
und weiblichen Prinzips, auf. Die vorbereitende Veränderung der Ei- 
zelle, das Ausstoßen der Richtungskörperchen, deutete man gewisser- 
maßen als die geschlechtliche Differenzierung der Eizelle. Denn die 
Richtungskörper schienen Träger des männlichen Prinzips zu sein, 
durch dessen Entfernung das Ei erst zum weiblichen Prinzipe werde. 
Die Verbindung beider Prinzipien, die sich bei der Befruchtung voll- 
zieht, facht neues Leben an, welches ohne diese Verjüngung allmäh- 
lich auslöschen müsste. 

Gegen diese Vorstellung, dass die Befruchtung ein Lebenswecker 
sei, sprach die anfänglich nur aus dem Tierreich bekannt gewordene 
Parthenogenese. Um auch diese der angedeuteten Befruchtungstheorie 
anzupassen, hielten viele Forscher, sofern sie überhaupt die Partheno- 
genese zu Recht bestehend anerkannten, dieselbe „für den Nacherfolg 
einer ihr in früherer Generation vorausgegangenen Befruchtung und 
stellten sich vor, dass diese Nachwirkung niemals auf unbegrenzte 
Generationen hinaus anhalten könne, sondern dass der „belebende“ 
oder „verjüngende“ Einfluss der Befruchtung immer wieder von Zeit 
zu Zeit eintreten müsse, wenn die Fortpflanzungsfähigkeit nicht er- 
löschen solle“. 

In Einklang mit den Thatsachen der Befruchtung kam die That- 
sache der Parthenogenese dann, wenn angenommen wurde, dass deren 
Bedeutung nicht in der Belebung des Eies liege, sondern „in der 
Vereinigung zweier Vererbungstendenzen, in der Vermischung also der 
Eigenschaften zweier Individualitäten“. Nicht dem innersten Wesen 
nach verschiedenes verbindet sich bei der Befruchtung, sondern dem 
Wesen nach gleiches. Diese Weismann’sche Befruchtungstheorie 
fand eine bedeutende Stütze in der Thatsache, dass auch partheno- 
genetische Eier durch Ausstoßen von Richtungskörperchen reifen. Alle 
Geschlechtsdifferenzierung war als ein Mittel aufzufassen um die beiden 
zum Geschlechtsakte notwendigen Zellkerne, die beiden individuell 
aber nicht dem innersten Wesen nach verschiedenen Vererbungs- 
tendenzen, zusammenzuführen. 

Worin könnte nun die Bedeutung der Richtungskörper liegen ? 
Weismann glaubte, dass das Idioplasma der Richtungszellen das 


399 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


histogene Idioplasma der Eizelle sei, welches die Keimzelle während 
ihres Wachstums und während der Ausbildung ihrer spezifischen 
histologischen Charaktere beherrscht. Die Abschnürung der Richtungs- 
zellen bewirkte also die Entfernung des histogenen Keimzellenidio- 
plasmas. So scharf durchdacht diese Vorstellung war, die Thatsachen 
erheischten doch auch ihre Preisgabe und heute erklärt Weismann 
die Bildung der Richtungskörper als einen Reduktionsprozess 
der Vererbungssubstanz. 

Bei allen befruchtungsbedürftigen Eiern werden zwei primäre 
Richtungskörper abgetrennt, bei den regulär parthenogenetischen da- 
gegen nur einer. Die Abtrennung des einen Richtungskörpers konnte 
also als der identische Vorgang mit der Entfernung des Richtungs- 
körpers aus dem parthenogenetischen Ei aufgefasst werden. Sie allein 
konnte die Entfernung des histogenen Idioplasmas darstellen. Die 
zweite Richtungsteilung wurde „als eine Reduktion der Vererbungs- 
substanz gedeutet, in dem Sinne nämlich, dass bei der Halbierung 
der Kernsubstanz für beide Tochterkerne eine Verminderung der Zahl 
der darin enthaltenen Ahnenplasmen auf die Hälfte eintrete“. 

Die Richtigkeit dieser Vorstellung vorausgesetzt musste ein der 
Ausstoßung der Richtungszellen des reifenden Eies entsprechender 
Vorgang auch an den Samenzellen sich vollziehen, indem auch diese 
eine Herabsetzung ihrer Ahnenplasmen auf die Hälfte erfahren mussten. 

Die Entdeckung der Reifungsvorgänge der Samenzelle (von Ascaris 
megalocephala) lehrte in der That einen der Ausstoßung der Richtungs- 
körperchen aus der Eizelle analogen Vorgang kennen. Die Ursamen- 
zelle enthält 4 Kernstäbehen. Sie werden bei der Muttersamenzell- 
bildung verdoppelt und nun durch zwei aufeinanderfolgende Teilungen 
je halbiert, so dass aus der Muttersamenzelle vier Enkelzellen ent- 
stehen, die je nur halb so viel Kernstäbehen enthalten als die Ursamen- 
zelle. Der Vorgang stebt also ganz im Einklang mit den Richtungs- 
teilungen der Eizelle. In einem Punkte differieren die Vorgänge. 
Denn während dort die Teilungsvorgänge 4 funktionsfähige Samen- 
zellen erzeugen, können hier nicht alle Tochterzellen als Eier funk- 
tionieren. Eine Analogie zwischen beiden Vorgängen besteht auch 
darin, dass „hier keine Längsspaltung d. h. Verdoppelung der Kern- 
stäbchen eintritt, durch welche jedes ursprüngliche Stäbehen der 
Aequatorialplatte beiden Tochterkernen zugeführt wird, sondern statt 
dessen die halbe Zahl der Stäbehen nach dem einen, die andere halbe 
Zahl derselben nach dem andern Pol der Spindel geführt wird“. 

Die Beobachtung, dass in der Eimutterzelle wie in der Samen- 
mutterzelle die doppelte Zahl von Stäbehen wie in der Ureizelle und 
Ursamenzelle vorhanden ist, bedingt die Preisgabe der Annahme, es 
sei die eine Teilung durch die Ausscheidung des histogenen Idioplasma 
bedingt. Die doppelte Teilung ist notwendig um eine Halbierung zu 
erzielen. Worin aber liegt die Bedeutung dieses Umweges der Ver- 








Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 395 


dopplung zur Erzielung der Reduktion? Warum wird nicht direkt das 
Kernplasma der Urzelle halbiert, sondern, erst verdoppelt, wenn es 
doch zuletzt auf die Hälfte herabgesetzt werden muss? 

Die Samenzellenbildung scheint den Vorgang in sehr einfacher 
Weise zu deuten. Er bewirkt eine bedeutende Erhöhung der Zahl 
der Samenzellen. Dass aber hierin seine Bedeutung nicht liegen kann, 
zeigt die Entstehung der Eizelle, da je von den 4 Abkömmlingen der 
Eimutterzelle nur einer zur normalen Ausbildung gelangt. 

Weismann versucht die Lösung des Rätsels durch seine Ahnen- 
plasmentheorie. Er stellt sich vor, dass die Vererbungssubstanz der 
beiden Eltern bei der durch die Befruchtung erzielten Vereinigung 
nicht zu einer Masse verschmilzt, sondern wie die beiderlei Kern- 
stäbchen zeigen, nur im Kern in nächste Nachbarschaft zu liegen 
kommt. Die beiderlei Kernstäbehen, in gleicher Zahl in der Zelle 
vereint, beeinflussen während der ganzen Entwicklung die Zelle, indem 
jedes Kernstäbehen die Entwicklungstendenz der Art voll und ganz 
enthält. Für sich allein wäre jedes befähigt beim Fehlen der andern 
das Ei zur Entwicklung zu bestimmen, sofern es in genügender Menge 
vorhanden wäre, also ein vollständiges Individuum der Art aus diesem 
Ei hervorgehen zu lassen. Die Vererbungssubstanzen sind also Ein- 
heiten, von denen jede sämtliche Anlagen enthält, welche zur Her- 
stellung eines Individuums erforderlich sind, der Art nach gleich, doch 
von individueller Färbung. Diese Einheiten sind die Ahnenplasmen 
oder Ide. Ide setzen die Kernstäbehen oder Idanten zusammen. 
Durch die Befruchtung würde die Zahl der Einheiten je verdoppelt, 
wenn nun eben nicht vor der Vereinigung der Geschlechtszellen eine 
Halbierung ihrer Zahl eintreten würde. — 

Die Beobachtung, dass das Kind bisweilen dem einen der Eltern 
allein in hohem Maße gleicht, scheint für die Kontinuität der Idanten 
zu sprechen, d. h. anzudeuten, „dass die Anordnung und Zusammen- 
setzung der Idanten aus Iden von der elterlichen bis zur kindlichen 
Keimzelle gleich bleibt“. Die Auflösung der Chromatinstäbehen oder 
Idanten bei jedem einzelnen Ruhestadium dürfte also nur eine schein- 
bare sein. Eine regellose Mengung der Ide ließe sie sich doch kaum 
wieder zu den ursprünglichen Idanten zusammenfinden. Der Wechsel 
der Individualitäten im Laufe der Generationen deutet darauf bin, 
dass die Anordnung der Ide innerhalb eines Idanten jedoch von Zeit 
zu Zeit sich ändert. 

Die Bedeutung der anfänglichen Verdopplung der Idanten der 
Keimzellen (der Ursamenzellen und Ureizellen) sieht Weismann „in 
dem Bestreben eine möglichst vielgestaltige Mischung der vom Vater 
und von der Mutter herstammenden Vererbungseinheiten herbeizu- 
führen“, um also die Zahl der möglichen Kombinationen der Idanten 
zu vergrößern. Ist die Zahl der ursprünglichen Idanten eine große 
— und man kennt thatsächlich Fälle, wo 32 (viele Mollusken) und 


394 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


mehr (viele Crustaceen) Idanten in der Urzelle vorkommen, dann wird 
allerdings die Zahl der möglichen Kombinationen, wie Prof. Lüroth 
berechnete, eine sehr große. „Bei 8 Idanten erhält man ohne Ver- 
doppelung 70 Kombinationen, mit Verdoppelung 266; bei 12 Idanten 
ohne Verdoppelung 924, mit Verdoppelung 8074 Kombinationen; bei 
16 Idanten ohne: 12870, mit Verdoppelung 258570; bei 20 ohne Ver- 
doppelung 184756 Kombinationen mit Verdoppelung 8433660; bei 32 
Idanten würde man mit Verdoppelung das 500fache an Kombinationen 
erhalten, wie ohne Verdoppelung“. 

Die Befruchtung führt von beiden Seiten her die gleiche Zahl 
von Idanten zusammen und jede der elterlichen Idantengruppen stellt 
nur eine der zahlreichen für die betreffende Art möglichen Kombi- 
nationen dar. Daraus folgt, dass die Zahl der Keimplasmavariationen, 
welche ein Elternpaar möglicherweise zu liefern im Stande ist, eine 
ganz ungeheure sein muss, denn sie wird durch Multiplikation der 
mütterlichen und väterlichen Kombinationszahl erhalten“. Die Wahr- 
scheinlichkeit also, dass die gleiche Kombination sich mehrfach wieder- 
hole, ist demnach äußerst gering, so dass „wir uns nicht wundern 
dürfen, wenn noch niemals unter den successiven Kindern eines 
menschlichen Elternpaares identische beobachtet wurden“. 

„Mir scheint deshalb, schreibt Weismann, dass die Verdoppelung 
der Idanten vor der Reduktionsteilung den Sinn hat, eine fast unend- 
liche Zahl von verschiedenen Keimplasmamischungen zu ermöglichen 
und dadurch die individuellen Unterschiede in so vielen verschiedenen 
Kombinationen der Naturzüchtung zur Verfügung zu stellen, als In- 
dividuen entstehen“. Die außerordentliche Zahl von Keimplasma- 
kombinationen bringt es mit sich, dass die die Artentwicklung leitende 
Naturzüchtung die bestmögliche Anpassung aller Teile und Organe 
zu Stande bringt. Wohl möchte man denken, dass all das auch ohne 
die vorangehende Verdoppelung möglich wäre, durch welche ja erst 
recht eigentlich die Zahl der möglichen Kombinationen ins ungeheuere 
gesteigert wird. Doch ist zu bedenken, dass in Wirklichkeit die 
Zahl der möglichen Kombinationen bei weitem nicht erreicht wird, 
indem es sehr wahrscheinlich ist, dass gewisse Kombinationen leichter 
eintreten, also häufiger vorkommen als viele andere und endlich wird 
die mathematische Kombinationsmöglichkeit auch dadurch herabge- 
setzt, „dass in dem Keimplasma identische Ahnenplasmen (Iden) und 
ganze identische Idanten vorkommen werden“. — 

Wie vollzieht sich nun die Vererbung bei parthenogenetischer 
Fortpflanzung? 

Aus dem vorangehenden ergibt sich, dass die spezifische Entwick- 
Jung eines Eies zum ausgebildeten Individuum von der Kernsubstanz, 
den Idanten, abhängig ist, welche dem vor der Befruchtung indifferenten 
Zellkörper eine bestimmte Differenzierung aufnötigte. Diese Vorstellung 
legt es nahe zu sagen, dass je dieser die Entwicklungsrichtung be- 





Dammer, Beziehungen der Biologie zur Systematik. 395 


stimmende Einfluss nur dann sich geltend machen kann, wenn eine 
bestimmte Menge von Kernsubstanz vorhanden ist. Die Fähigkeit 
einer Eizelle ohne Befruchtung sich zu entwickeln müsste also da- 
durch begründet sein, dass dieselbe die doppelte Menge von Keim- 
plasma besäße, die den befruchtungsbedürftigen Eiern zukommt oder 
dass sie durch Wachstumsprozesse Keimplasma erzeugen könnte. So 
erklärten Weismann und Strasburger die Möglichkeit partheno- 
genetischer Entwicklung. Nun zeigen auch die parthenogenetischen 
Eier die Ausscheidung eines Richtungskörpers. Weismann’s ursprüng- 
liche Ansieht, dass damit das histogene Plasma ausgeschieden werde, 
muss, wie schon erwähnt, der Analogie der Spermatogenese mit der 
Ovogenese wegen hinfällig werden. 

Wie durch die Bildung der 4 Samenzellen aus der Ursamenzelle 
jede derselben die halbe Idantenzahl also das halbe Keimplasma — 
erhält wie die Ursamenzelle, so muss auch das Idioplasma der 
4 Deszendenten der Ureizelle, der Eizelle und der 3 Richtungskörper, 
auf die Hälfte herabgesetzt werden. In der Ausstoßung eines Rich- 
tungskörpers möchte man vielleicht eine „phyletische Reminiscenz“ 
sehen. Warum aber sollte nun von beiden Reduktionsteilungen die 
eine wegfallen, die andere, so weit die Beobachtung geht, stets be- 
stehen bleiben? Die volle Uebereinstimmung in dem Verhalten der 
Repräsentanten verschiedener Tiergruppen (Daphniden, Brachiopoden, 
Östracoden, Rädertiere und Insekten) macht allerdings diese Deutung 
höchst zweifelhaft. 





(Schluss folgt.) 


Die Beziehungen der Biologie zur Systematik. 


Von Dr. Udo Dammer. 


Man ist bisher gewöhnt, in der Systematik in erster Linie den 
morphologischen und allenfalls den anatomischen Verhältnissen Wert 
beizulegen. Die biologischen Verhältnisse dagegen finden mit ganz 
vereinzelten Ausnahmen in der Systematik keine Beachtung. Es mag 
dies zum Teil daran liegen, dass es bisher an Arbeiten fehlt, welehe 
die biologischen Verhältnisse einer ganzen Familie erschöpfend be- 
handeln. Es will mir sowohl aber nach den Erfahrungen, welche ich 
bei einem hierauf gerichteten Studium der Polygonaceen gemacht habe, 
als auch aus rein theoretischen Gründen scheinen, dass gerade die 
Biologie in erster Linie dazu berufen ist, auf die systematische For- 
schung befruchtend einzuwirken. Ich will im Folgenden versuchen, 
einige Punkte anzudeuten, welche meiner Ansicht nach im Stande 
sind, diese Meinung zu bekräftigen. 

Jeder, der auf dem Boden Darwin’scher Lehre steht, wird zu- 
geben, dass die heute existierenden Pflanzenarten aus dem Kampfe 


396 Dammer, Beziehungen der Biologie zur Systematik. 


um das Dasein siegreich hervorgegangene Varietäten sind, sowie 
dass unsere Gattungen, Tribus ete. im Grunde nichts anderes als er- 
weiterte Artbegriffe, Artbegriffe höherer Ordnung, wenn ich so sagen 
darf, sind. Aeußere Einflüsse haben ohne Frage an ihrer Ausbildung 
einen Ausschlag gebenden Anteil gehabt. Nur dadurch, dass die 
Varietäten Charaktere besaßen, welche sie geeignet machten, unter 
den betreffenden äußeren Einflüssen zu leben, konnten sie den Kampf 
mit anderen Varietäten siegreich bestehen. Eine Aenderung der 
äußeren Einflüsse musste notwendig einen neuen Kampf entfachen. 
Diese Aenderungen der äußeren Einflüsse brauchen nicht an der Ur- 
sprungsstelle der Art eingetreten sein, vielmehr können die Samen 
an andern Lokalitäten mit andern äußern Verhältnissen gelangt sein. 

Infolge der Erblichkeit können nun aber sehr wohl Eigentüm- 
lichkeiten erhalten geblieben sein, welche unter den neuen Verhält- 
nissen nicht mehr von so einschneidender Wichtigkeit für die Er- 
haltung der Art sind, wie sie es ursprünglich waren. Diese vererbten 
Eigentümlichkeiten rein biologischer Natur besitzen für die Systematik 
einen hohen Wert. Ein Beispiel möge dies erläutern. 

Ein Jahr aus Jahr ein feuchtwarmes Klima wird die Vegetation 
beständig in Thätigkeit erhalten. Es liegt kein Grund vor, welcher 
eine Ruheperiode veranlassen könnte. In Klimaten mit einer Regen- 
und einer Trockenzeit dagegen müssen die Pflanzen notgedrungen 
eine Ruheperiode durchmachen, wenn sie nicht in einer Regenperiode 
ihren ganzen Vegetationszyklus vollenden. Und selbst dann machen 
sie als Samen die Ruheperiode durch. Die ausdauernden Pflanzen 
aber müssen ihren Vegetationskegel während der Trockenzeit in 
irgend einer Weise vor der verderblichen Einwirkung der Trockenheit 
schützen. Es entwickeln sich Laubknospen. 

In einem Klima endlich, welches im Laufe eines Jahres zwei 
Regen- und zwei Trockenzeiten hat, wird sich dieser Einfluss auch 
auf das Pflanzenwachstum geltend machen. Während die Pflanzen 
eines Klimas mit nur einer, aber langen Regenperiode längere Zeit 
hindurch ihre Triebe entwickeln können und erst gegen Ende der- 
selben zur Knospenbildung zu schreiten brauchen, müssen die Pflanzen 
in einem Klima mit zwei Regenzeiten, welche naturgemäß um Vieles 
kürzer sind als jene Eine, zweimal Knospen anlegen. Wenn nun in 
einem Klima der letzteren Art von zwei Pflanzen die eine ihre Triebe 
während der Trockenperiode oder doch kurz vorher mehr oder min- 
der vollständig vorbereitet, während die andere nur wenige Blätter 
am Ende der Regenzeit in der Knospe anlegt, so wird erstere vor 
der letzteren entschieden im Vorteile sein, weil sie bei dem Beginne 
der neuen Regenzeit den bereits angelegten Trieb nur zu strecken 
braucht und sich in kürzester Frist mit einem vollständigen Laub- 
kleide versehen kann, während die zweite erst nach längerer Zeit 
eine ebenso große Laubmasse besitzt. Es ließen sich mit Leichtig- 














Dammer, Beziehungen der Biologie zur Systematik. 397 


keit aus der großen Zahl der in unseren Gärten kultivierten Gehölze 
für alle drei Fälle zahlreiche Beispiele anführen. Wir haben sowohl 
Gehölze, welche während des ganzen Sommers treiben und ihre Laub- 
bildung erst bei eintretendem Froste ohne Endknospenbildung unter- 
brechen, als auch Gehölze, welche gegen Ende des Sommers von der 
Laubblattbildung zur Knospenschuppenbildung übergehen, und endlich 
solehe Gehölze, welche bereits Ende Mai ihren Trieb beendet und mit 
einer Endknospe!) abgeschlossen haben, aber im Hochsommer noch 
einmal einen Trieb, den sogenannten „Johannistrieb“, machen. 

Diejenigen Gehölze, welche während des ganzen Sommers treiben 
und keine Endknospe bilden, stammen meiner Ansicht nach von 
Formen ab, welche in einem dauernd feuchtwarmen Klima einheimisch 
waren; diejenigen Gehölze, welehe nur einmal im Laufe des Jahres, 
und zwar gegen Ende des Sommers zur Endknospenbildung schreiten, 
sind Abkömmlinge von Formen, welche in einem Klima mit einer 
Regen- und einer Trockenzeit, oder, was im Effekt auf dasselbe 
hinausläuft, mit einer warmen und einer kalten Periode heimisch 
waren; diejenigen endlich, welehe einen Johannistrieb bilden, doku- 
mentieren damit ihre Herkunft aus einem Klima mit zwei Regen- 
und zwei Trockenzeiten. 

Werden nun Pflanzen der letzten Art in ein Klima mit nur einer 
Regenzeit verschlagen, so können sie sehr wohl ihre Eigentümlichkeit 
beibehalten, ohne dass dieselbe gerade für sie jetzt von so hoher 
Bedeutung ist wie damals, als sie in ihrer Heimat mit dieser Aus- 
rüstung den Kampf ums Dasein ausfochten. Es werden nun aber 
andere Eigenschaften, welehe bisher vielleicht von untergeordneter 
Bedeutung gewesen sind, zu wertvollen Eigenschaften werden und 
Veranlassung zur Ausbildung neuer Formenreihen geben. An anderer 
Stelle können dieselben Eigenschaften ebenfalls zur Bildung von For- 
menreihen Veranlassung gegeben haben, aber an Pflanzen, welche in 
ihrer Ahnenreihe keine Bewohner eines Klimas mit zwei Regen- und 
zwei Trockenzeiten, sondern nur mit einer Regen- und einer Trocken- 
zeit aufweisen. Morphologisch können also die beiden Formenreihen 
große Aehnlichkeit, ja geradezu Uebereinstimmung zeigen, und unsere 
heutige Systematik wird deshalb kein Bedenken tragen, beide als 
nur eine Formenreihe anzusehen und Verwandtschaftsverhältnisse 
finden, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind. 

An anderer Stelle?) habe ich versucht darzulegen, dass bei den 
Polygonaceen die Verbreitungsausrüstungen einen hohen systema- 
tischen Wert besitzen. Ich habe dort gezeigt, wie die Verbreitungs- 
ausrüstungen nach und nach von der Umgebung der Frucht auf die 





1) Es sei hier noch besonders auf die pseudoterminalen Knospen, wie sie 
z. B. bei der Linde auftreten, hingewiesen. 
2) Engler’s bot. Jahrb., Bd. XV, S. 232; s. a. Biol. Centralbl., XII, S. 260. 


398 Dammer, Beziehungen der Biologie zur Systematik. 


Frucht selbst übergegangen sind, und habe für die Polygonaceen den 
Satz aufgestellt, dass „eine Verbreitungsausrüstung an der Frucht 
phylogenetisch jünger als eine solche in der Umgebung der Frucht“ 
ist. Daraus habe ich auf Grund meiner Erfahrungen weiterhin ge- 
schlossen, „dass anemochore Ausrüstungen phylogenetisch ein höheres 
Alter anzeigen als zoochore Ausrüstungen“. Ob diese Sätze in dieser 
Form für das ganze Pflanzenreich Geltung haben, wage ich nicht zu 
behaupten. Ich möchte hier aber auf einen andern Punkt aufmerk- 
sam machen, welcher mir gerade bei diesem Studium aufgefallen ist 
und, wie mir scheint, bisher nicht genügend gewürdigt worden ist. 
Die Verbreitungsausrüstungen bei den Polygonaceen werden fast 
stets erst mit der Entwicklung der Frucht ausgebildet, selbst dann, 
wenn das betreffende Organ, welches als Verbreitungsausrüstung dient, 
zur Blütezeit vorhanden gewesen ist. Seine Eigenschaft als Ver- 
breitungsausrüstung erlangt es erst nach der Blüte, im Laufe der 
Fruchtbildung treten an ihm die die Ausrüstung bedingenden Aen- 
derungen auf. Blütenhüllblätter z. B., welche später als Flugorgane 
dienen, wachsen erst während der Fruchtbildung aus, der bereits auf 
dem Fruchtknoten von Aitraphazxis vorhandene Kamm (erista der Be- 
schreibungen) wird erst während der Fruchtbildung zum Borstenpelz. 
Derartige nachträgliche Aenderungen finden sich im Pflanzenreiche 
vielfach. Sie sind aber nicht auf die Frucht und die dieselbe um- 
gebenden Organe beschränkt. Diese Bildungen, welche erst auftreten, 
wenn das betreffende Organ von denjenigen mechanischen Einwir- 
kungen befreit ist, welche bei der Anlage der Organe wirksam sind, 
wie der lückenlose Kontakt und die Streekung des Vegetationskegels, 
sind meiner Ansicht nach ganz speziell im Kampfe um das Dasein 
ausgebildete biologische Eigentümlichkeiten. Die Ursache ihrer Ent- 
stehung entzieht sich vollständig unserer Kontrolle. Es sind Eigen- 
schaften, welche, einmal entstanden, von der Pflanze vererbt wurden, 
weil sie ihr dienlich waren. Einen ganz besonderen Wert erlangen 
sie für die Systematik dadurch, dass sie fixierte Variationserschei- 
nungen sind, welche einen Teil eines ganzen Variationskreises bilden. 
Wenn man z. B. die Arten der Gattung Rumex miteinander vergleicht, 
so findet man, dass drei Blütenhüllblätter nach der Blütezeit einen 
außerordentlichen Formenreichtum aufweisen, dass aber für jede Art 
eine ganz bestimmte Form charakteristisch ist. Dabei lassen sich 
nun einige wenige Typen sehr deutlich unterscheiden, welche ge- 
wissermaßen kleinere exzentrische Kreise in jenem großen Kreise dar- 
stellen. Ja es lässt sich sogar erkennen, dass der große Rumex-Kreis 
wiederum nur ein Kreis von mehreren gleichwertigen, dem Rheum- und 
Oxyria-Kreise ist, welche in ihrer Gesamtheit eine einzige Gruppe bilden. 
In der ganzen Familie der Polygonaceen kehrt stets dasselbe Thema, 
die Verbreitungsausrüstung wieder, es geht von verschiedenen Punkten 
aus, hier von der weiteren, dort von der näheren Umgebung der 




















Dammer, Beziehungen der Biologie zur Systematik. 399 


Frucht, da endlich von der Frucht selbst, es variiert als anemochore, 
hydrochore und zoochore Ausrüstung und wird in diesen Gruppen in 
der mannigfaltigsten Weise erschöpft. Es ist ganz unverkennbar, 
dass bei den Polygonaceen die Verbreitungsausrüstung dasjenige Mo- 
ment ist, welches die Differenzierung der Arten herbeigeführt hat. 
In anderen Familien sind es andere Momente, doch will es mir 
scheinen, als ob gerade dieses sehr häufig wiederkehrt. Es sei z.B. 
an die Ranunculaceen, an die Kompositen, an die Dipterocarpaceen » 
erinnert. Weil diese Momente auf die Phylogenese einwirken, möchte 
ich sie phylogenetische Momente nennen. 

Ein dritter Punkt endlich, ebenfalls biologischer Natur, der für 
die Systematik von Bedeutung ist, betrifft die Jugendformen der 
Pflanzen. Vergleicht man die Sämlinge der verschiedenen Nymphaea- 
ceen, so findet man bei allen eine große Uebereinstimmung in der 
Blattbildung bis zu einem gewissen Stadium, welche umsomehr auf- 
fällt, als die späteren Laubblätter eine von den Jugendblättern sehr 
abweichende Gestalt annehmen. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse 
bei den Palmen nur mit dem Unterschiede, dass nicht ein, sondern 
drei Typen auftreten, von denen zwei wieder nur Modifikationen eines 
Typus sind. Alle Palmen machen dieses Stadium durch, bei allen 
tritt zunächst eine der drei Blattformen auf und erst in späteren 
Entwicklungsphasen werden die charakteristischen Blätter gebildet, 
doch auch erst, nachdem bestimmte Uebergangsformen gebildet wor- 
den sind. Bekannt sind auch die Jugendformen der Coniferen und 
der Phyllodien tragenden Akazienarten. Indessen nicht nur von den 
Kotyledonen zu den Laubblättern lässt sich eine solche konstante 
Reiterierung verfolgen. Auch die einzelnen Zweige zeigen, wenn auch 
in weniger deutlicher Form, eine derartige Wiederholung. Eines der 
auffallendsten Beispiele bietet Monstera deliciosa.. Zwingt man eine 
Pflanze dieser Art durch Entfernung der Stammspitze zur Bildung 
von Seitenzweigen, so entwickeln diese keineswegs sofort Laubblätter, 
welche mit den vor der Operation gebildeten übereinstimmen. Es 
fehlen sowohl die Perforationen als auch die Einschnitte der Blatt- 
fläche. Erst nach und nach werden Altersblätter ausgebildet. Hilde- 
brand (1892, Nr. 1) hat kürzlich gezeigt, dass man auch andere 
Pflanzen durch Köpfen zur Bildung von Jugendblättern veranlassen 
kann. In beiden Fällen glaube ich den Ausdruck eines biogenetischen 
Grundgesetzes erblicken zu müssen, wonach das Individuum die 
Stadien seiner Ahnenreihe wiederholt. Mir fehlt zur Zeit noch das 
Material, um dieses Gesetz fest begründen zu können. Diese Mit- 
teilung soll dazu anregen, die Richtigkeit meiner Vermutung zu prüfen, 
wie ich selbst bemüht bin, Thatsachen pro und contra!) zu sammeln. 


1) z. B. Anemone; s. Hildebranda.a. 0. 


400  Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 


Bestätigt sich meine Vermutung, so gewinnt die Systematik eine 
wertvolle Handhabe zur Prüfung ihrer phylogenetischen Ableitungen. 
In einem zweiten Aufsatze will ich darlegen, wie die Systematik 
direkt auf experimentellem Wege zur Lösung phylogenetischer Fragen 
gelangen kann. 


Ueber die Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 
Von Prof. Dr. W. Kükenthal in Jena. 


Vortrag, gehalten am 28. Mai 1892 in der Aula der Universität zu Jena, ent- 
sprechend den Bestimmungen der Paul von Ritter’schen Stiftung für 
phylogenetische Zoologie. 


Bei der großen Arbeitsteilung, welche in unserer Wissenschaft 
eingetreten ist und den Forscher zwingt sich mit einzelnen Problemen 
zu beschäftigen, ist es gut, wenn man einmal den Blick weiter schweifen 
lässt, das Verhältnis des gelieferten Einzelbeitrags zu dem großen 
Ganzen betrachtet und aus diesen allgemeinen Betrachtungen heraus 
neue Ideen schöpft, gewissermaßen Pläne macht, nach denen man 
weiter zu arbeiten sich vornimmt. Oft sind diese Ideen weit ver- 
schieden von dem, was sich dereinst als Resultat sich anschließender 
mühsamer Einzelforschung herausstellt. Ist man sich aber dieses 
Unterschiedes recht bewusst, so darf man wohl wagen, solche Ideen 
einmal auszusprechen, besonders wenn man, wie bei dieser alljährlich 
wiederkehrenden Gelegenheit, nicht in der Lage ist, jedesmal ge- 
sicherte Resultate eigener Forschung, welche einen größeren Hörer- 
kreis zu fesseln vermöchten, vorzuführen. 

Von diesem Gesichtspunkte aus möchte ich bitten meine Aus- 
führungen über die Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes 
aufzufassen. 

Unter allen Wirbeltieren treten die Säugetiere zuletzt auf der 
Erde auf, ihre ersten spärlichen Reste finden wir in triassischen 
Formationen. Während sie sich sehr bald die Herrschaft sicherten, 
so dass wir unser geologisches Zeitalter als das der Säugetiere be- 
zeichnen können, hatte vor ihrem Auftreten der Stamm der Sauropsiden 
das Uebergewicht. Es ist daher ganz natürlich mit der Betrachtung 
dieses Stammes zu beginnen, wenn wir der Frage nach der Entstehung 
der Säugetiere näher treten wollen. 

Von dem außerordentlichen Formenreichtum der Reptilienklasse 
vermögen wir uns keine Vorstellung zu machen, wenn wir die jetzt 
lebenden Eidechsen, Schlangen, Schildkröten und Krokodile heran- 
ziehen. Sie sind nur die letzten kimmerlichen Sprossen eines einst 
weitverzweigten Baumes, der über die doppelte Anzahl von Ordnungen 
enthielt; einen Ueberblick gewinnen wir erst an der Hand der Reste, 














Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 401 


welche uns die Erdschichten aufbewahrt haben. Auf Grund der 


paläontologischen Funde, welche sich von Jahr zu Jahr mehren, sind 
wir in den Stand gesetzt die Stammesgeschichte der Reptilien wenig- 
stens in ihren Hauptzügen mit einiger Sicherheit zu verfolgen. 

Die erst nach den Fischen und Amphibien auf unserer Erde er- 
schienenen Reptilien haben ihre ältesten bekannten Vertreter in der 
dem Paläozoiecum angehörenden permischen Formation. Die Progono- 
saurier, wie sie genannt werden, sind noch wenig spezialisierte Typen, 
die in ihrer Organisation Merkmale aller anderen Reptilienordnungen 
vereinigen. Wie eine Reliquie aus der Urzeit ragt ein Nachkomme 
dieser alten Formen in die Gegenwart herein, die nur auf Neuseeland 
vorkommende Hatteria. 

Fast gleichzeitig mit den Progonosauriern und in ihren frühesten 
Vertretern sich an sie anschließend, tritt eine zweite Ordnung auf, 
die eine außerordentlich vielseitige Entwicklung aufweist, die Ordnung 
der Theromorphen, auf die wir noch näher einzugehen haben. Eben- 
falls auf Progonosaurier zurückzuführen sind die beiden Ordnungen 
der Sauropterygier und Ichthyosaurier, welche auf hohen Meere pe- 
lagisch lebten, und in ihrem Bau tiefgreifende Umformungen erlitten 
haben, ganz analog wie in einer späteren Erdepoche unter den Säuge- 
tieren die Wale. Sehr alt ist auch die Ordnung der Krokodile, von 
denen sich ein Zweig bis auf die Jetztzeit erhalten hat. Ihre Stammes- 
geschichte gilt auf Grund der paläontologischen Thatsachen für recht 
gut bekannt. Die ersten Krokodile sind triassisch, dann treten Formen 
von stark verändertem Aussehen wieder im obersten Jura auf, die 
sich durch alle darauffolgenden Schichten hindurch bis zur Gegenwart 
verfolgen lassen. Es ist nun ganz lehrreich zu sehen, wie unvoll- 
ständig selbst die besten paläontologischen Urkunden sind; auf Grund 
entwicklungsgeschichtlicher Untersuchungen an Krokodilen !) muss ich 
nämlich schließen, dass ihre Vorfahren zu einer gewissen Zeit pelagische 
d. h. auf hoher See lebende Tiere mit charakteristischen morpho- 
logischen Merkmalen soleher waren und erst allmählich zu den heu- 
tigen Küsten- und Flussbewohnern wurden. Von solchen pelagischen 
Vorfahren weiß aber die Paläontologie nichts; erst durch die Entwick- 
lungsgeschichte wird sie darauf aufmerksam gemacht, und hoffentlich 
gelingt es dereinst Reste der vermuteten Vorfahren in den dem obersten 
Jura vorausgehenden Schichten zu finden. An die ältesten Krokodile 
sowie an die Progonosaurier (Rhynchocephalen) schließt sich eine 
Ordnung an, welche dadurch das allgemeine Interesse erregt, dass 
sie die größten landlebenden Formen enthält, welche jemals die Erde 
hervorgebracht hat. Die Länge des amerikanischen Atlantosaurus 
z.B. betrug 115 Fuß, seine Höhe 30 Fuß, sein Oberschenkel war über 
6 Fuß lang und maß an seinem oberen Ende über 2 Fuß im Durch- 





1) In einer im Drucke befindlichen Arbeit habe ich diese Behauptung auf 
Grund der Entwicklungsgeschichte des Handskelets zu beweisen unternommen, 


XI, 26 


402 Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 


messer. Da diese Tiere ausschließlich die Hinterbeine zum Gehen 
verwendeten, so wurde durch die Uebertragung der Körperlast auf 
die hinteren Extremitäten eine Umformung derselben, sowie des Beckens 
hervorgerufen, wie wir sie auf Grund derselben physiologischen Ursache 
bei den Vögeln sehen. Trotzdem es nicht ohne weiteres angeht, solche 
Aehnlichkeiten zur phylogenetischen Verknüpfung zu verwerten, ist 
es immerhin denkbar, dass Dinosaurier und Vögel gemeinsame Ahnen 
haben. Jedenfalls haben die Vögel nichts zu thun mit der Ordnung 
der fliegenden Reptilien, zu denen der merkwürdige Pterodactylus ge- 
hört. Die Abstammung der Pterosaurier ist durchaus noch nicht auf- 
geklärt. Während die Schildkröten ein stark spezialisierter, vielleicht 
von einer Theromorphen-Gruppe abzuleitender Zweig sind, haben die 
Eidechsen ihre Wurzel in den uralten Rhynchocephalen. Von ihnen 
zweigten sich zur Kreidezeit die bald darauf wieder ausgestorbenen 
pelagischen Pythonomorphen ab, sowie die noch heute lebenden 
Schlangen. 

Nachdem wir so die Stammesgeschichte der Reptilien, wie sie 
jetzt ziemlich allgemein angenommen wird, in kurzen Zügen skizziert 
haben, müssen wir uns nunmehr der Frage zuwenden, aus welcher 
ihrer Ordnungen der Stamm der Säugetiere entsprossen sein könnte, 
Diese Frage hat man dahin beantwortet, dass man die bereits er- 
wähnten Theromorphen als Säugetiervorfahren annimmt, da sie die 
größte Aehnlichkeit mit ihnen aufzuweisen haben. In der That zeigt 
eine Vergleichung der Skelette, nach denen allein wir gehen können, 
da uns keine anderen Reste überkommen sind, eine größere Anzahl 
der gleichen Merkmale bei beiden Gruppen!). 

Besonders auffällig und oft hervorgehoben ist die Aehnlichkeit 
in der Differenzierung des Gebisses. Wie bei den Säugetieren so 
finden wir auch bei den Theromorphen eine morphologische Ver- 
schiedenheit innerhalb der Zahnreihe; auch hier können wir von 
Schneidezähnen, Eck- und Backzähnen sprechen, zum Unterschiede 
von anderen Reptilien, wo nur gleichmäßige konische Zähne im Kiefer 
stehen. Es erscheint daher geboten eine nähere Betrachtung des 
Theromorphengebisses vorzunehmen. 

Von den 4 Unterordnungen der Theromorphen zeigen die Pareia- 
saurier in ihrer Bezahnung noch die meisten Anklänge an die anderen 
Reptilien. Alle Zähne, deren Zahl ziemlich hoch war (bei Pareiasaurus 
bombidens: 76), wurden zu ziemlich gleichmäßiger Funktion herange- 
zogen, und zeigen demgemäß in ihrem Bau nur geringe Verschieden- 
heiten. Nach innen von der Zahnreihe sind bei allen von Owen 
beschriebenen Gattungen (Tapinocephalus, Pareiasaurus und Anthodon) ' 
deutliche Ersatzzahnkeime vorhanden. 





1) Cope, The relations between the theromorphous reptiles and the a 
monotrema Mammalia. Proceed. of the am. Assoc. for the Advancement of 
Science, Vol. XXXIIL, 1885. 














Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes.. 405 


Viel weiter differenziert ist das Gebiss der Theriodontia, deren 
Zähne nach dem Raubtiertypus gebaut sind. Von Ersatzzahnanlagen 
ist bei keinem dieser Raubreptilien etwas gefunden worden. 

Die beiden anderen Unterordnungen haben ein sehr abweichend 
gestaltetes Gebiss; die Anomodontia besaßen nur ein paar mächtige 
Fangzähne im Öberkiefer (ähnlich den Stoßzähnen vom Walross) oder 
waren gänzlich zahnlos. 

Die Placodontia, deren Zugehörigkeit zur Ordnung der Thero- 
morphen indess nicht sicher steht, wären noch sonderbarer ausge- 
stattet, indem vorn Schneidezähne, hinten im Oberkiefer rundliche 
Backzähne, im Unterkiefer große Pflasterzähne standen, und der 
Gaumen außerdem mit großen Pflasterzähnen bedeckt war. Eine ganz 
ähnliche Bezahnung findet sich übrigens bei fossilen Fischen, den 
Pyenodonten, zu denen diese Reptilien zuerst gestellt wurden. 

Lassen wir die beiden letzterwähnten Gruppen zunächst bei Seite 
und betrachten wir Pareiasauria und Theriodontia, so fällt besonders 
auf, dass wir hier nicht, wie es bei anderen Reptilien der Fall ist, 
eine Aufeinanderfolge mehrere Dentitionen vor uns haben, die bei 
Fossilien vortrefflich erhalten sein können (vergl. z. B. die Abbildung 
von Diplodocus longus Marsh in: Zittel, Handbuch der Paläonto- 
logie, III. Bd., S. 716), wo nicht weniger als 6 aufeinanderfolgende 
Ersatzzähne ausgebildet sind), sondern dass hier nur ein einmaliger 
oder überhaupt kein Ersatz stattfindet, letzteres bei den am meisten 
spezialisierten Gebissen. Innerhalb der Theromorphenordnung geht 
also mit der höheren Spezialisierung der einzelnen Zähne die Bildung 
von Ersatzzähnen verloren. 

Ganz analoge Verhältnisse finden wir bei den Säugetieren wieder!). 
Auch bei den Marsupialiern ist die zweite Dentition bis auf einen 
Prämolaren unterdrückt, obwohl sie in der Anlage (der Zahnleiste) 
vorhanden ist, auch hier sind die Zähne der allein zur Entwicklung 
kommenden ersten Dentition hoch spezialisiert. 

Einen sehr wesentlichen Fortschritt in der Vervollkommnung des 
Gebisses zeigen erst die Placentaltiere (mit einigen gleich zu be- 
sprechenden Ausnahmen), bei denen sowohl hoch spezialierte Zähne 
der ersten wie der zweiten Dentition zur Ausbildung kommen. Damit 
haben wir die höchste uns bekannte Stufe der Zahnentwicklung er- 
reicht. Was die Ausnahmen, die Zahnwale und die Edentaten an- 
betrifft, so habe ich bereits in meiner vorjährigen, bei dieser Gelegen- 
heit gehaltenen Rede nachgewiesen, dass der Zustand ihres Gebisses 
ein sekundärer ist, indem die ursprüngliche Spezialisierung der Zähne 
in Folge Verminderung ihrer verschiedenen Funktionen nicht mehr 
notwendig erschien, und die ursprünglich vorhanden gewesene zweite 





1) Siehe meine Arbeiten im anat. Anzeiger, 1891, S. 364 u. S. 658, sowie 
meine am 30. Mai 41891 gehaltene Rede: Ueber den Ursprung und die Entwick- 
lung der Säugetierzähne. Jen. Zeitschrift, 1892. 

26* 


404  Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 


Dentition sich zwar noch embryonal anlegte, aber nieht mehr zum 
Durchbruch kommt. Die Aehnlichkeit des Gebisses dieser beiden 
Placentaltierordnungen mit dem der Beuteltiere berulit also auf dem 
Persistieren der ersten Dentition, der große Unterschied ist aber der, 
dass bei den Beuteltieren die zweite Dentition deshalb nicht erscheint, 
weil die Zähne der ersten sich hoch spezialisiert haben, bei den 
Edentaten und Zahnwalen dieselbe Erscheinung aber auf einer Rück- 
bildung beruht, hervorgerufen durch eine Verringerung der Funktionen. 
Betrachten wir also die besprochenen Gruppen mit unbefangenem, 
nicht durch phylogenetische Hypothesen voreingenommenem Blicke, 
so sehen wir wie bei Theromorphen, Marsupialiern und Placentaliern 
der ursprüngliche Zustand des Gebisses der polyphyodonte respektive 
diphyodonte war, wie aber durch die gleiche Ursache, Spezialisierung 
der einzelnen Zähne, bei den Theromorphen, alle Dentitionen bis auf 
die erste unterdrückt wurden, bei den Marsupialiern wenigstens ein 
Zahn der zweiten Dentition zum Durchbruch kam, bei den Placen- 
taliern aber trotz der Spezialisierung beide Dentitionen erscheinen. 
Wir haben also in den drei Gruppen der Thero- 
morphen, Marsupialier und Placentalier drei verschieden 
hohe Stufen der Zahnentwicklung vor uns, die sich nach 
denselben Gesetzen, aber von immer höherer Basis aus 
bildeten. | 
Es macht den Eindruck, als ob die Höhe der Gebissentwicklung 
Jedesmal der Höhe der Organisationsstufe der betreffenden Tiergruppen 
entspräche, ein Gedanke, der ja durch das Prinzip der Korrelation 
der Organe durchaus wahrscheinlich gemacht wird. Damit ist zu- 
gleich ausgesprochen, dass die Aehnlichkeiten, welche sich in den 
drei verschieden hoch entwickelten Gebissformen finden, auf Kon- 
vergenzerscheinungen beruhen und zu phylogenetischen Verknüpfungen 
nicht verwandt werden können. In der That sehen wir, wie das 
Gebiss der Theriodontier wohl dem der Raubbeutler und Raubplacen- 
talier, nicht aber dem der niedersten Säugetiere ähnlich ist, welche 


wir durch paläontologische Funde kennen, und zu deren Betrachtung 


wir nunmehr übergehen wollen. 


Die ältesten Reste der Säugetiere kennen wir aus der Trias, und 


zwar weisen sie schon eine große räumliche Verbreitung auf, da man 
vereinzelte Zähne oder unvollständige Schädel in Schwaben, Nord- 
karolina, im Basutoland und im Kaplande gefunden hat. Dies allein 
spricht schon für ein höheres Alter des Säugetierstammes, und macht 
seine Entstehung im Palaeozoicum wahrscheinlich, Bei der Unter- 
suchung der triassischen Säuger sind wir fast ausschließlich auf die 


Zähne angewiesen, deren Bau ein höchst eigentümlicher ist. Zwar 
sind sie in mancher Hinsieht noch reptilienähnlich, besonders durch 


die geringe Ausbildung der Wurzel, es tritt aber nicht nur eine 


Spezialisierung des Gebisses in Schneidezähne, Eekzahn und Backen- 
zähne ein, sondern letztere sind auch höchst auffällig gebaut. Ein 








1 





Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 405 


jeder Backzahn setzt sich nämlich zusammen aus’zahlreichen Höckern, 
die in zwei oder drei Reihen geordnet und durch Längsthäler getrennt 
sind. Man hat diesen alten Säugetieren deshalb den Namen „Multi- 
tuberkulaten“ gegeben. 

Vor einem Jahre habe ich die Ansicht aufgestellt, dass die 
Backzähne der Säugetiere aufzufassen sind als entstanden durch 
gruppenweise verschmolzene, ursprüngliche, konische Reptilien- 
zähne!), und diese Auffassung besonders aus der Beobachtung des ent- 
gegengesetzten Prozesses gewonnen, da bei Bartenwalen aus ursprüng- 
lichen mehrhöckerigen Backzähnen durch im Laufe der Entwicklung 
erfolgende Teilung eine große Anzahl einspitziger Zähne entsteht. In dem 
Backzahne der Multituberkulaten finde ich nun eine wichtige Stütze für 
meine Ansicht. Ich fasse einen solchen Zahn auf, als entstanden durch 
die Verschmelzung einer Anzahl konischer Reptilienzähne und gleich- 
zeitig damit eine Verschmelzung deren entsprechender Ersatzzähne 
mit einander und der ersten Reihe. Bei den mit drei Längsreihen 
von Höckern ausgestatteten Multituberkulatenbackzähnen kommt noch 
eine Verschmelzung entsprechender Zähne der dritten Dentition hinzu. 
Die Verschmelzung von Zähnen aufeinander folgender Dentitionen ist 
an sich nichts wunderbares. Die zeitliche Differenz des Auftretens 
ist ja eine durchaus sekundäre Erscheinung, und auch bei den höchsten 
Säugetieren tritt eine Verschmelzung der Anlagen beider Dentitionen 
bei der Bildung der echten Molaren ein ?). 





1) Dieser von mir mit der nötigen Reserve aufgestellte Gedanke wurde von 
0. Thomas (Notes on Dr. W. Kükenthal’s discoveries in mammalian den- 
tition. Ann. and Mag. Nat. Hist., Vol 9, Nr.52, p. 312) als wenig glücklich 
zurückgewiesen, und zwar stützt sich Thomas in seiner Zurückweisung haupt- 
sächlich darauf, dass die Zahl der Zähne der primitiven Säugetiere größer ist, 
als die, welche man bei vielen Anomodontia, den säugetierähnlichsten Reptilien, 
findet „This fact is alone suffieient to diseredit Dr. Kükenthal’s theory“. 
Obwohl ich nach wie vor weit davon entfernt bin meine Idee als eine sicher 
begründete Theorie anzusehen, möchte ich doch hier darauf hinweisen, dass 
ich nach dem, was ich oben über die Stellung der Theromorphen gesagt habe, 
diesen Einwand unmöglich gelten lassen kann. In einem während der Druck- 
legung dieser Arbeit erschienenen Aufsatze (Ueber die Entstehung der Form- 
abänderung der menschlichen Molaren. Anat. Anz., 3. Juni 1892) eignet sich 
Herr Röse meine Auffassung an, und bezeichnet sie als seine Theorie, ohne mich 
nur zu erwähnen, obwohl er Kenntnis von meinen diesbezüglichen Arbeiten hat. 

2) Auch diesen von mir an der Hand meiner Untersuchungen ausge- 
sprochenen Gedanken hält Thomas |. c. p. 311 für eine „extraordinary and 
to all appearance most unlikely theory“. Ohne mich hier auf weitere Erörte- 
rungen einzulassen, verweise ich nur auf Hertwig’s Lehrbuch der Entwick- 
lungsgeschichte des Menschen und der Säugetiere (S. 231) wo gesagt wird: 
Außerdem entwickeln sich die Schmelzorgane der hinteren Backzähne (der 
Molarzähne), welche keinem Wechsel unterworfen sind, sondern überhaupt nur 
einmal angelegt werden, am rechten und linken Ende der beiden Epithel- 
leisten“. Diese beiden Epithelleisten sind aber nichts anderes als die ersten 
Anlagen der Schmelzorgane der ersten und zweiten Dentition, die bei den 
Prämolaren gesondert bleiben. 


406 Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 


Sind die Multituberkulatenbackzähne auf diese Weise entstanden, 
so müssen sie in sehr geringer Zahl vorhanden sein, da ja jedesmal 
ein Zahn einer ganzen Anzahl einfacher Reptilienzähne entspricht. 
In der That finden sich in jeder Kieferhälfte nur 1 oder 2 Molaren, 
von den ähnlich gebauten Prämolaren höchstens 4, meist weniger vor. 
Wie der Prozess der Verschmelzung vor sich gegangen ist, ist schwer 
zu verstehen, da er aus der Verkürzung der langen Reptilienkiefer 
zu kurzen Säugetierkiefern allein nicht zu erklären ist; dennoch ist 
die Verschmelzung von. Zähnen bei den Wirbeltieren eine Thatsache, 
und daher meine Anschauung durchaus nicht mit Zahnbildungsvor- 
gängen bei niederen Wirbeltieren in Widerspruch. 

Ist die von mir angegebene Entstehung der Säugetierbackzähne 
richtig, so verliert die jetzt allgemein angenommene, besonders von 
Cope und Osborn ausgebaute Hypothese bis zu einem gewissen 
Punkte ihre Geltung. Von dem einfachen Kegelzahn der Reptilien 
ausgehend, wie er nach ihnen beim Delphin erhalten ist!), soll die 
Entwicklung der Säugetiermolaren durch Aussprossen eines vorderen 
und hinteren kleinen Höckers entstanden sein. Auf die Schwierigkeit, 
ein solches Auswachsen mechanisch zu begreifen, hat bereits Fleisch- 
mann?) hingewiesen, da die versuchte Erklärung Cope’s durch die 
größere Zufuhr von Bildungsstoff die Entwicklung dieser Höcker zu 
erklären, durchaus verfehlt ist. Nimmt man dagegen mit mir den 
triconodonten und trituberkularen Zahn nur als eine besondere Ab- 
teilung der multituberkularen Zähne, also als ursprünglich durch Ver- 
wachsung entstandene Bildungen an, so ist die Schwierigkeit gehoben. 
Die weiteren an den trituberkularen Zahntypus anschließenden Hypo- 
thesen der amerikanischen Paläontologen werden dadurch nicht berührt. 

Es würde demnach zwischen den Backzähnen der Reptilien und 
denen der Säuger ein durchgreifender Unterschied wahrzunehmen sein. 
Die theromorphen Reptilien, deren Backzähne schon Owen meist als 
einfache konische Zähne beschreibt, sind nur homolog einem einfachen 
Reptilienzahne, oder aber es kommt, wie bei den Theriodontiern, zu 
einer Verschmelzung. Diese Verschmelzung aber betrifft stets nur 
den einzelnen Zahn, und seine entsprechenden Ersatzzahnanlagen, 
welche in der Zahnleiste enthalten sind. (Deutlich illustriert wird meine 
Ansicht durch die Abbildung des Schädels von Eimpedocles molaris 
Cope, welche Zittel in seinem Handbuch die Paläontologie, Bd. HI, 
S. 581 gibt.) Die Backzähne der Säugetiere dagegen stellen viel 
kompliziertere Gebilde dar, sie sind entstanden aus Verschmelzung 
einer größeren oder geringeren Anzahl konischer Reptilienzähne, die 
hinter einander liegen, und meist treten dazu noch die entsprechenden 





4) Thomas irrt, wenn er meint, dass diese Anschauung nur von Baume 
geteilt werde; siehe z. B. Schlosser, Die Differenzierung des Säugetier- 
gebisses. Biol. Centralblatt, 1891, S. 238. 

2) Fleischmann, Die Grundform der Backzähne bei Säugetieren und 
die Homologie der einzelnen Höcker. Sitzungsber. d. k. Akad, Berlin 1891. 





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Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 407 


Zahnreihen der zweiten eventuell der dritten Dentition hinzu. Der 
Prozess der Kieferverkürzung muss bei diesem Prozesse ein wichtiges 
mechanisches Moment gewesen sein. 

Ich möchte meine Hypothese noch durch folgende die anderen 
Wirbeltierklassen mit umfassende Betrachtung stützen. Zunächst 
stelle ich für die Entwicklung der Zähne innerhalb der 
gesamten Wirbeltierreihe das Prinzip auf, dass die Aus- 
bildung der Zähne in erster Linie auf die Verschmelzung 
von Einzelzähnen zurückzuführen ist. 

Als ursprüngliches Element ist der einfache Dentinzahn der Fische 
anzusehen. Wie durch das Verwachsen der Basalplatten dieser Ele- 
mentargebilde nach ©. Hertwig die Belegknochen der Mundhöhle 
entstanden sind, so haben sich auch durch Verschmelzung der Zähne 
selbst kompliziertere Zahnformen gebildet. 

Dieser Vorgang lässt sich bei Selachiern vergleichend-anatomisch 
verfolgen. So hat z. B. Cladodus, eine der ältesten Haifischformen 
folgenden Zahnbau aufzuweisen; auf einer langgestreckten Basis er- 
heben sich eine Anzahl konischer Spitzen, von denen die mittelste 
und die beiden äußeren die längsten sind (siehe Zittel, Bd. IIL,.S. 67). 
Die Entstehung dieses Zahngebildes würde ganz unverständlich sein, 
wenn wir annehmen wollten, dass es durch allmähliche Differenzierung 
einer einzigen Zahnspitze entstanden sein soll; es erscheint vielmehr 
ganz selbstverständlich, diese Bildung aus einer Reihe verschmolzener 
Einzelzähne bestehend anzunehmen. Durch immer inniger werdende 
Verschmelzung der Einzelelemente sind dann die anderen Zahnformen 
entstanden. Es ist ja dabei keineswegs ausgeschlossen, dass auch 
ohne Verschmelzung einzelne Zähne in Folge erhöhter Inanspruch- 
nahme an Größe zunehmen, nur lassen sich daraus nicht die mebr- 
spitzigen Zähne erklären. Ich stelle also den ursprünglichen Einzel- 
zahn der Fische als Zahn erster Ordnung, den durch Verwachsung 
mehrerer entstandenen Gebilden, wie wir sie bereits innerhalb der 
Fischklasse finden, als Zähnen zweiter Ordnung gegenüber. Mit dieser 
Komplikation erfolgt naturgemäß eine Verringerung in der Zahl der 
sich anlegenden Dentitionen. Bei Fischen ist im allgemeinen der 
Zahnwechsel unbegrenzt, er hört aber bereits innerhalb dieser Klasse 
bei Ausbildung sehr großer Einzelzähne, also bei eintretender Speziali- 
sierung auf (z. B. bei Chimaera oder Ceratodus). 

Auch bei den Reptilien ist die Zahl der Dentitionen eine begrenzte. 
Wollen wir den Einzelzahn eines Reptiles mit den Zähnen der Fische 
vergleichen, so werden wir sie besser mit den Zähnen zweiter Ordnung 
zusammenstellen. Wie diese so zeigen auch manche Reptilienzähne 
Komplikationen, die auf eine ehemals erfolgte Verschmelzung hindeuten 
(z. B. die Zähne von Scelidosaurus Harrisoni Owen |Zittel, Bd. III, 
S. 741] oder von Anthodon oder Galesaurus unter den Theromorphen). 

Zu einer nochmaligen Verschmelzung kam es bei der Entstehung 
der Säugetiere aus reptilienähnlichen Vorfahren. Die Backzähne der 


408  Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 


Säugetiere sind also Zähne dritter Ordnung, entstanden durch Ver- 
schmelzung von Reptilienzähnen. In schönster Ausbildung zeigt sich 
das Resultat dieses Prozesses bei den ältesten bis jetzt bekannten 
Säugetieren, den Multituberkulaten. 

Einfacher Fischzahn, Reptilienzahn und Säugetierbackzahn sind 
also miteinander nicht homologisierbar, sie repräsentieren vielmehr 
drei verschiedene, durch Verschmelzung hervorgegangene Stadien der 
Zahnentwicklung. Damit ist zugleich der einfache mechanische Grund 
der allmählichen Abnahme der Dentitionen gegeben. 

So erklärt also das Prinzip der Zahnverschmelzung die stetig zu- 
nehmende höhere Ausbildung des Gebisses innerhalb des Wirbeltier- 
stammes. Ein zweites innerhalb jeder einzelnen Gruppe wirkendes 
Prinzip ist: die Zähne möglichst zweckmäßig umzugestalten und den 
von Seiten der Funktion gestellten Anforderungen anzupassen. Die 
Funktion richtet sich nach der Art der Nahrungsaufnahme, diese ist 
aber bei den verschiedenen Tierklassen wenig variabel und so lässt 
sich auch die große Aehnlichkeit der Gebisse vieler, verschiedenen 
Wirbeltierklassen angehöriger Formen erklären, wie z. B. bei Therio- 
dontiern, Raubbeuteltieren, Raubplacentaltieren. Meinen Ausführungen 
zufolge ist also eine phylogenetische Verknüpfung der betreffenden 
Formen auf Grund der Bezahnung durchaus unzulässig. 

Die Frage nach dem Ursprunge der Säugetiere beantworten wir 
nunmehr folgendermaßen. Die Vorfahren der Säugetiere waren 
nicht, wie meist angenommen, theromorphe Reptilien, sondern 
uralte zur paläozoischen Zeit lebende Formen (von denen ja die 
Theromorphen ebenfalls ihren Ausgang genommen haben können) 
mit weniger spezialisiertem, noch aus gleichmässigen konischen 
Zähnen bestehendem Gebiss. Aus ihnen heraus entwickelten sich 
zuerst Säugetiere mit Multituberkulatengebiss. 

Welche Gründe die Entstehung der Säugetiere bewirkt haben 
können, darüber lässt sieh mancherlei denken. Ganz plausibel klingt 
was Haacke!) darüber sagt. Nach ihm können die im Gegensatz 
zu den wechselwarmen Reptilien warmblütigen Säugetiere nur zu einer 
Zeit entstanden sein, als die Temperatur eine andauernd merkliche 
Abkühlung erfuhr, und es wird eine von den Geologen als permische (?) 
Eiszeit bezeichnete Kälteperiode als mutmaßlicher Zeitpunkt angegeben. 
Mit der Erwerbung höherer Blutwärme war die Ausbildung eines 
schlechten Wärmeleiters, des Haarkleides2), erforderlich, an das sich 
die Bildung von Talgdrüsen zur Einfettung der Haare, von Schweiß- 
drüsen zur Regulierung der Körpertemperatur anschloss. 





4) Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. Biol. Centralbl., 1889, S.8. 

2) In einer demnächst erscheinenden unter meiner Leitung ausgeführten 
Arbeit wird von Herrn stud. Römer auf Grund entwicklungsgeschichtlicher 
Untersuchungen der Nachweis erbracht werden, dass der Hautpanzer der Gürtel- 
tiere eine sekundäre Erwerbung ist, und der ursprüngliche Zustand der mit 
einem Haarkleid versehene war. 





Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 409 


Mit der Erniedrigung der Temperatur im Zusammenhang stand 
ferner die Bebrütung der Eier, die nunmehr durch eigene Körper- 
wärme ausgebrütet werden mussten. Daran knüpft sich die Aus- 
bildung und weitere Entwicklung des Brutapparates, wie wir ihn 
heute noch bei den eierlegenden Monotremen sehen. 

Wir kommen nunmehr zu dem zweiten Teile unseres Themas, 
der Entwicklung des Säugetierstammes. Die jetzt lebenden Säugetiere 
werden in drei Unterklassen eingeteilt, die Monotremen, die Beutel- 
tiere und die Placentaltiere. Der Körperbau der noch eierlegenden 
Monotremen zeigt, obwohl durch Spezialanpassung mannigfach modi- 
fiziert, so primitive Charaktere, dass wir sie als Abkömmlinge der 
primitivsten Säugetiere ansehen müssen. Nun hatten wir als primi- 
tivste Säugetiere, auf Grund unserer Betrachtungen über das Gebiss, 


_ die Multituberkulaten hingestellt, es müssten also die Monotremen 


Nachkommen der alten Multituberkulaten sein. Diese Annahme hat 
vor kurzem eine Bestätigung erfahren durch die Entdeckung, dass, 
während die erwachsenen beiden Formen, das Schnabeltier und der 
Ameisenigel, zahnlos sind, die jungen Schnabeltiere unterm Zahnfleisch 
verborgen zwei Backzähne besitzen, welche einen deutlichen multi- 
tuberkularen Bau aufweisen. Die Monotremen scheinen also in der 
That ein spezialisierter Seitenzweig der Multituberkulaten zu sein. 

Die Vertreter der zweiten Unterklasse, die Beuteltiere, haben 
sich schon sehr frühzeitig von diesem alten Stamme abgezweigt, ihr 
Gebisstypus lässt sich auf eine Modifikation des Multituberkulaten- 
typus zurückführen. Ihr Körperbau zeigt im allgemeinen eine zwischen 
Monotremen und Placentaltieren stehende Ausbildung, und man sieht 
sie als ein mittleres Säugetierstadium an, aus dem sich die letzteren 
entwickelten. Nach manchen Autoren stammen die einzelnen Ord- 
nungen der Placentaltiere von den entsprechenden Beuteltierordnungen 
ab, sind also polyphyletisch entstanden, nach anderen nahm die 
Unterklasse der Placentalier von einem mehr generalisierten Beutel- 
tiertypus aus ihren Ursprung. 

Prüfen wir zunächst die Beweise, welche überhaupt dafür sprechen, 
die Placentaltiere von den Beuteltieren abzuleiten. Da sind es zunächst 
allgemeine Aehnlichkeiten, der verschiedene Ausbildungsgrad der ein- 
zelnen Organe, welche herangezogen werden. Von vornherein können 
wir diese Gründe als nicht stichhaltig zurückweisen, denn der ver- 
schiedene Grad der Aehnlichkeit der Organe mit denen der beiden 
anderen Unterklassen lässt sich auch erklären, wenn wir die Placental- 
tiere nicht auf. die Beuteltiere, sondern direkt auf die Monotremen 
zurückführen. Die Aehnlichkeiten wären dann eben nur Konvergenz- 
erscheinungen, entstanden durch die Anpassung an gleiche Lebensweise. 

Ein zwingenderer Grund, die Beuteltiere als Vorfahren der 
Placentaltiere anzusehen, würde die Entdeekung von spezifischen 
Beuteltiercharakteren in der Entwicklung von Placentaliern sein. 
Eine solche Entdeckung glaubt man in der Auffindung von Resten 


410  Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Sängetierstammes. 


der Beutelknochen, welche bei den Marsupialiern zur Stütze des 
Beutels dienen, und ganz charakteristische Bildungen sind, gemacht 
zu haben. Nun schreibt aber der neueste Autor über diesen Gegen- 
stand, Wiedersheim!) über das Verbleiben der Beutelknochen bei 
den Placentaltieren: „Da muss ich vor Allem bemerken, dass ich 
dieselben bei keinem Embryo, geschweige denn bei einem erwach- 
senen Tier — und ich habe Vertreter aller Hauptgruppen untersucht — 
aufzufinden im Stande gewesen bin“. Was bei den Placentaliern ver- 
bleibt, ist eine Knorpelzone, welche bei den Ampbibien und Reptilien 
das Bildungsmaterial des Epipubis repräsentiert, bei den Marsupialiern 
die diesem homologen Beutelknochen liefert. 

Sind so die Gründe für eine Ableitung der Placentalier von den 
Beuteltieren nicht stichhaltig, so gibt es anderseits solehe, welche 
direkt dagegen sprechen. Der ursprünglichste Zustand des Brut- 
apparates wird durch zwei sogenannte Mammartaschen repräsentiert, 
wie sie sich beim Ameisenigel finden, der Brutbeutel ist eine davon 
abzuleitende Erwerbung, indem die Mammartaschenränder ganz (zeit- 
weilig bei Echidna) oder teilweise (bei den Marsupialiern) miteinander 
verschmelzen. 

Neuerdings hat nun Klaatsch?) die bei manchen Huftieren 
vorkommenden Hauttaschen als Mammartaschen erkannt, die er als 
außer Funktion gesetzte Mammarapparate ansieht, während die übrigen. 
Mammartascheppaare sich gänzlich in Zitzen umwandelten. Klaatsch 
hält es daher für denkbar, dass die Huftiere niemals ein Marsupial- 
stadium durchliefen, und schließt jedenfalls, dass die Huftiere eine 
Beutelbildung wie die der jetzt lebenden Beuteltiere niemals besessen 
haben. 

Ein weiterer schwerwiegender Einwand ist in der Beschaffenheit 
des Gebisses zu finden. Wie ich zuerst nachgewiesen habe, ist das 
Gebiss der erwachsenen Marsupialier der ersten Dentition zugehörig, 
während das der erwachsenen Placentalier die zweite Dentition reprä- 
sentiert. Das allein ist schon ein tiefgreifender Unterschied, der jede 
Homologisierung verbietet. Ferner weist das Beuteltiergebiss einen 
fest in sich geschlossenen Typus auf, aus dem eine Weiterentwicklung 
unmöglich erscheint. Ganz charakteristisch ist das Eintreten eines 
von der zweiten Dentition gebildeten Prämolaren in das Gebiss, ein 
Merkmal, welches von den jurassischen Formen bis auf die recenten 
sich erhalten hat. 

Fassen wir das Resultat dieser Betrachtungen kurz zusammen, 
so sehen wir, dass stichhaltige Gründe für eine Ableitung der Pla- 
centalier von den Beuteltieren nieht vorhanden sind, wohl aber da- 





1) Wiedersheim, Die Phylogenie der Beutelknochen. Eine entwick- 
lungsgeschichtlich- vergleichend anatomische Studie. Zeitschrift für wissen- 
schaftliche Zoologie, LIII, Suppl., 1892. 

2) Klaatsch, Ueber Mammartaschen bei erwachsenen Huftieren. Morph. 
Jahrbuch, Bd. 18, Heft 2, S. 349. 








Kiükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 411 


gegensprechende. Es lässt sich wohl denken, dass die Placentalier 
ihren Ursprung von dem alten Säugetierstamme nahmen, der in den 
Monotremen noch am wenigsten verändert fortlebt, und dass einzelne 
ihrer Ordnungen die Placenta unabhängig von einander erworben 
haben !). Ein den Placentaliern parallel laufender, ebenfalls aus dem 
Hauptstamme entstandener Zweig sind die Beuteltiere. Die Aehnlich- 
keiten innerhalb der einzelnen Ordnungen beider Unterklassen sind 
nur Konvergenzerscheinungen. 

Es liegt nicht in meiner Absicht die Entwieklung des Säugetier- 
stammes im Einzelnen zu verfolgen, so verlockend es auch wäre, zu 
zeigen, wie die auf vergleichend- anatomischem und entwieklungs- 
geschichtlichem Wege gewonnenen Hypothesen durch die von Jahr 
zu Jahr sich mehrenden paläontologischen Funde gestützt werden. Es 
kam mir vielmehr darauf an einige Probleme vorzuführen, welche mit 
der Erforschung des Säugetierstammes verbunden sind, und die Methode 
klar zu legen, nach welcher wir heutzutage arbeiten. 

Weit davon entfernt die Aufstellung einer Art Ahnengalerie als 
das zu erstrebende Endziel unserer Wissenschaft zu betrachten, suchen 
wir vielmehr den verwickelten Ursachen auf die Spur zu kommen, 
welche die ungeheure Mannigfaltigkeit der Tierformen verursacht 
haben. Wir wollen die Gesetze finden, denen die organische Welt ge- 
horcht. | 

Dabei möchte ich aber dem fundamentalen Irrtume entgegentreten, 
als ob das Problem des Lebens gelöst sein würde, wenn man ver- 
möchte die mechanischen Gesetze zu erkennen, welche bei der Ent- 
wicklung und Umbildung der organischen Körper thätig sind. Die 
Erkenntnis der Lebensvorgänge selbst wird dadurch nicht im geringsten 
gefördert, mit demselben Rechte könnte man, nach dem Gleichnis 
Bunge’s, die Bewegung der Blätter und Zweige am Baume, der vom 
Sturme gerüttelt wird — als Lebenserscheinurgen auffassen. Das 
was wir erkennen können ist nichts anderes als die Art und Weise, 
wie die lebendige Substanz auf von Außen kommende Kräfte reagiert. 
Diese von der heutigen Physiologie in vollem Umfange in Angriff 
genommene Aufgabe wird neuerdings von einer Anzahl meist jüngerer 
Forscher als das alleinige Ziel in Anspruch genommen, dem sich die 
biologische Wissenschaft zuzuwenden habe. Indem sie annehmen, 
eine durchaus neue Methode der biologischen Forschung entdeckt zu 
haben, glauben sie, dass nur diese mechanisch - ätiologische Methode 
allein der Weg ist, den man zur Lösung biologischer Fragen betreten 
darf, und dass die auf der Descendenztheorie beruhende bis dahin 
allgemein angewandte „morphologisch - historische“ Methode zu ver- 
lassen sei, ja von einer Seite wird vom „Unwerte der Descendenztheorie“ 
gesprochen! 





1) Marsh vertritt auf Grund seiner paläontologischen Forschungen den- 
selben Standpunkt; siehe Marsh, American jurassice Mammals. Am. Journ. of 
Science, Vol. XXXIII, 1837. 


412 Kükenthal, Entstehung und Entwicklung des Säugetierstammes. 


Wie konnte diese Ansicht entstehen? Zuvörderst ist zu bemerken, 
dass die sogenannte „morphologisch - historische“ Methode ein künst- 
lich konstruierter Begriff ist, der sich durchaus nicht mit der „phylo- 
genetischen“, die doch damit gemeint sein soll, deckt. Unzweifelhaft 
richtig ist, dass die Morphologie eine Zeitlang im Vordergrunde ge- 
standen hat, und fast ausschließlich bei phylogenetischen Untersuchungen 
angewandt worden ist. Indem noch dazu einzelne Zweige der Morpho- 
logie mehr oder minder ausschließlich zur Lösung phylogenetischer 
Probleme herangezogen wurden, drohte unsere Wissenschaft zu ver- 
flachen. Ich erinnere nur an die Unzahl Arbeiten auf dem Gebiete 
der Entwiceklungsgeschichte, welche ihre einseitigen Befunde zu phylo- 
genetischen Spekulationen verwenden. Ein Vertiefung unserer Wissen- 
schaft kann erst dann eintreten, wenn nicht nur die drei Zweige der 
Morphologie, die vergleichende Anatomie, Entwieklungsgeschichte und 
Paläontologie, sondern auch die Physiologie gleichzeitig als Wege 
zur Erkenntnis benutzt werden. Das Ziel zu dem wir dadurch kom- 
men, ist das Verständnis der Stellung eines jeden Tieres in der Natur, 
die Feststellung seiner Beziehungen zu der umgebenden organischen 
und anorganischen Welt, die Auffindung immer allgemeinerer Gesetze 
des organischen Werdens. Nach wie vor unberührt von dieser Art 
Forschung bleibt das Problem des Lebens selbst, wir rechnen bei 
unseren Untersuchungen mit den lebendigen Eigenschaften eines orga- 
nischen Körpers als mit einer Thatsache, die wir freilich nicht er- 
klärt haben, die aber nichts destoweniger feststeht. 

Wohl aber glauben Anhänger der neuen Richtung dieses letzte 
Problem seiner endgiltigen Lösung entgegenführen zu können, wenn 
sie die von ihnen erwählte Methode anwenden, alles Geschehende im 
Tierkörper auf physikalisch-chemische Gesetze zurückzuführen. Nun 
ist aber jeder Tierkörper das Resultat zweier ihn bildender und um- 
formender Kräftegruppen. Die eine ist noch unerklärt und wurde früher 
als Lebenskraft bezeichnet, die andere ist die Gesamtheit der physi- 
kalisch-chemischen Kräfte der Außenwelt. Um zu dem erstrebten 
Endziele zu gelangen, ignorieren die Vertreter der neuen Richtung die 
Thatsache vollständig, dass in jedem Organismus, in jeder Zelle des- 
selben, sich Vorgänge abspielen, die wir als Leben bezeichnen und 
nicht erklären können. 

Darin liegt also der große Irrtum der mechanisch - ätiologischen 
Richtung, dass sie glaubt das Leben selbst erklären zu können, wäh- 
rend ihr Endziel doch nur sein kann, zu zeigen, wie bereits vorhandene 
organische Bildungen den physikalisch-chemischen Kräften ebenso 
wie die anorganischen Körper unterworfen sind. Das Neue, was die 
mechanisch-ätiologische Richtung bringt, ist also falsch, das Richtige 
in ihr ist längst als Physiologie bekannt. 

Trotzdem ist ihre besondere Betonung von großer Wichtigkeit, 
sie vermag unsere historische Methode erheblich zu vertiefen, und 
muss ein integrierender Teil der phylogenetischen Forschung werden. 





Retzius, Biologische Untersuchungen. 415 


Sie in einen einander ausschließenden Gegensatz zur historischen 
Methode zu bringen, wie es geschehen ist, ist durch nichts begründet. 
Ohne den Gedanken der Descendenz lässt sich der Bau eines Tier- 
körpers nicht verstehen. Ein Beispiel wird genügen. Bei den Barten- 
walen kommen in der ersten Embryonalzeit Zähne vor. Diese brechen 
nicht durch das Zahnfleisch, sind gänzlich funktionslos und werden 
nach einiger Zeit, noch im Embryo, vollkommen resorbiert. Wie 
sollen wir nun auf mechanisch-ätiologischem Wege zu einem Verständ- 
nisse dieses Phänomens kommen? Wird nicht unser Kausalbedürfnis 
bis zu einem gewissen Grade befriedigt, wenn wir auf Grund der 
phylogenetischen Forschung nachweisen können, dass die Keime dieser 
Zähne von Vorfahren der Bartenwale geerbt sind, bei denen sie 
funktioniert haben, während sie bei den heutigen Walen in Folge 
veränderter Lebensweise durch zweckentsprechendere Organe, die 
Barten, ersetzt sind? 

Zum Schlusse möchte ich betonen, dass auch ich überzeugt bin, 
dass die als Lebenskraft bezeichneten Vorgänge denselben Gesetzen 
gehorchen, welche die anorganische Welt beherrschen. Auch ich er- 
blieke in der Einführung einer uns unbekannten geheimnisvollen 
Lebenskraft nur eine unnötige Zuthat und halte die Zurückführung 
des Lebens auf physikalisch-chemische Gesetze, wenn auch nicht 
für eine bewiesene Thatsache, so doch für ein wissenschaftliches 
Postulat. 

Jena den 24 Mai 1892. 


G. Retzius, Biologische Untersuchungen. 
Neue Folge II. 16 Taf. 53 S. Gr. Folio. Stockholm und Leipzig. 
(F. C. W. Vogel) 1891. 

Retzius gibt die versprochene Fortsetzung seiner Untersuchungen 
über das Zentralnervensystem der niederen Tiere (s. Biol. Centralbl., 
XI. Bd., Nr. 17). Er hat mit der Verwendung der Methylenblaumethode 
seit seinen früheren Veröffentlichungen besonders bei Würmern und 
in geringerem Grade bei den niedersten Wirbeltieren Erfolg gehabt. 
Diesen 2Klassen sind deshalb auch die zwei Abschnitte des neuen Bandes 
gewidmet. In der Vorrede aber sagt er, dass die Misserfolge, die er 
bisher bei Mollusken, Cölenteraten und Echinodermen gehabt, ihn 
nicht abschrecken werden, andere Species aus diesen Tierstämmen 
zu untersuchen und Modifikationen der Methode zu erproben, welche 
bessere Resultate ergeben könnten. Denn er hat auch bei den Würmern 
beobachtet, wie verschieden nah verwandte Arten sich gegen diese 
Färbung verhalten, und wie fast für jede Art ein nur wenig abge- 
ändertes Verfahren die besten Resultate liefert. 

Im ersten Abschnitt behandelt Verf. das Zentralnervensystem der 
Würmer; er hat von Polychäten hauptsächlich je eine Species von 
Nephtys, Nereis, Aphrodita und Lepidonotus in ausreichender Zahl 


414 Retzius, Biologische Untersuchungen. 


untersucht, von Hirudineen Aulostomum gulo und Hirudo medieinalis. 
Bei den Hirudineen ist ihm Biedermann mit der Anwendung des 
Methylenblaus vorangegangen, der seine schönen Untersuchungen zur 
selben Zeit veröffentlichte, als der I. Band von Retzius biol. Unter- 
suchungen erschien. R. hat keinem Punkte in den Resultaten seines 
Vorgängers zu widersprechen, nur hat seine geschiekte Hand mit der 
vitalen Methylenblaufärbung noch vollkommnere Bilder erzielt, als 
sie B. mit der Färbung des herauspräparierten Bauchstranges erhielt, 
und so hat er manche Einzelheit dem Bekannten zuzufügen. Nicht 
ganz so günstige Objekte sind die genannten Polychäten, bei denen 
Verf. als erster die Methylenblaumethode gebraucht hat. 

Verf. selbst fasst die Ergebnisse dieser Untersuchungen etwa 
folgendermaßen zusammen: es ergibt sich eine prinzipielle Ueberein- 
stimmung in der typischen Gestalt der Elemente des Nervensystems 
unter den Würmern, ja, im Hinblick auf Verf. frühere Untersuchungen, 
auch zwischen diesen und den Crustaceen. Bei allen, Würmern wie 
Crustaceen, ist die Ganglienzelle mit seltenen Ausnahmen unipolar 
und sendet ihren einzigen „Stammfortsatz“ direkt oder indirekt nach 
der Peripherie, um ihn dort als Nervenfaser zu ihren Endverästlungen 
laufen zu lassen; während ihres Verlaufs durch die Ganglien geben 
diese Stammfortsätze „Nebenfortsätze“ nach verschiedenen Richtungen 
ab. Diese feinen Nebenfortsätze verästeln sich meist dichotomisch 
und wiederholentlich; durch ihre reichliche Verästelung und durch die 
Nebenfortsätze der das Ganglion durchlaufenden Nervenfasern und die 
Endäste der aus der Peripherie stammenden Fasern entsteht die Haupt- 
masse der „Punktsubstanz“. Sie ist ein außerordentlich reichliches 
intrikates Geflecht, ein „Neuropilem“, aber kein Netz anastomosieren- 
der Fortsätze. 

Die Zusammensetzung und Anordnung dieser Punktsubstanz ist 
bei den verschiedenen Würmern sehr verschieden, ebenso wie die 
Anordnung des Nervensystems überhaupt: bei den Polychäten sind 
die Ganglien bald deutlich (bei Aphrodite), bald undeutlich (bei Nephtys, 
Nereis), bald gar nicht differenziert (bei Lepidonotus, Arenicola u. a.). 
Bei Nephtys, Nereis, Lepidonotus u. s. w. ist die Punktsubstanz auch 
nicht in der Mitte, sondern, in der Hauptmasse wenigstens, in der 
Peripherie gelegen. Dabei zeigen auch ihre Elemente verschiedene 
Formen: bei Nephtys sind es verhältnismäßig dicke, knotige, und ziem- 
lich regelmäßig angeordnete Seitenzweige, welche von den longitudi- 
nalen Fasern aus zur Peripherie laufen und dabei mit den Ganglien- 
zellen zusammenliegen; bei Nereis laufen eigentümliche Seitenfortsätze 
bis zur äußersten peripherischen Schicht des Bauchstranges hinaus 
und verästeln sich dort in einer, außerhalb der Ganglienzellen ge- 
legenen Schicht baumkronenartig. Bei Aphrodite dagegen und noch 
viel mehr bei den Hirudineen gleicht die Anordnung im großen wie 
im kleinen dem Bau der Orustaceenganglien. Es sind also recht große 
Unterschiede in Anordnung und Bau der Punktsubstanz bei den Würmern 





Retzius, Biologische Untersuchungen. 415 


vorhanden. Doch lassen sich alle Formen auf einen Grundtypus zu- 
rückführen, der den Würmern und Crustaceen gemeinsam ist. 

R. widmet den 2. Teil seiner Untersuchungen dem Nervensystem 
von Amphioxus lanceolatus und Myxine glutinosa; er hat auch Petro- 
myzon untersucht, aber die Verhältnisse denen bei Myxine so ähnlich 
gefunden, dass er auf genauere Untersuchungen verzichtete. 

Verf. gibt ein ausführliches Referat von allen früheren Veröffent- 
lichungen über das Nervensystem von Amphioxus. Die Resultate 
derselben widersprechen sich in verschiedenen Punkten. R. konnte 
nur den mittleren und hinteren Teil des Rückenmarks färben; be- 
sonders gut gelang die Färbung aller peripherer Nerven. Er stellt 
nun zunächst gegenüber den Angaben mancher Vorgänger fest, dass 
an den hinteren sensiblen Wurzeln weder irgend welche Kommissuren 
noch Ganglien oder einzelne Ganglienzellen in denselben zu sehen 
sind. Jede dieser Nervenwurzeln versorgt ein Segment. Im Rücken- 
mark selbst lassen sich 2 Bündel Nervenfasern unterscheiden, welche 
auf beiden Seiten verlaufen, aber nicht scharf begrenzt sind. Man 
sieht viele, quer oder schief von der einen zur andern Seite des Marks 
verlaufende Fasern. In der Mitte liegen die Ganglienzellen um den 
Zentralkanal gruppiert. 

Verf. sah alle Arten Ganglienzellen: zuerst „echte“ und „unechte“ 
unipolare Zellen; unecht-unipolar nennt er Zellen, welche einen dicken, 
nach kurzem Verlauf verzweigten Fortsatz entsenden, weil er infolge 
vieler Uebergangsformen, die er hier (und auch bei Würmern) be- 
obachtet hat, annimmt, dass dieser Fortsatz dem Zellleib zuzurechnen 
sei. Zu diesem Typus gehören die meisten der im hintern Abschnitt 
des Marks gelegenen „Riesenzellen“. Die von ihnen entspringenden 
und nach vorn verlaufenden „kolossalen Fasern“, verschmälern sich 
weiter vorn und lassen sich dann in der Menge der aufsteigenden 
Fasern nicht mehr unterscheiden, so dass ihre Bedeutung unbekannt 
bleibt. Die Kolossalfasern, wie überhaupt alle als Nervenfortsätze 
zu deutenden Hauptfortsätze, geben verzweigte Nebenfortsätze ab, die 
denen der Crustaceen und Würmer gleichen. 

Neben den Riesenzellen sah R. kleine, spindelförmige, bipolare 
Zellen. Dieselben liegen gewöhnlich quer zu den Längsfasern: der 
eine Fortsatz kreuzt das Mark, und scheint regelmäßig dort verzweigt 
zu enden; der andere tritt in eine sensible Wurzel oder in das Längs- 
bündel derselben Seite, auf der die Zelle liegt. Im Mittelfeld sah 
Verf. größere bipolare Zellen: zuweilen sah er den einen Fortsatz 
derselben mit T-förmiger Gabelung in eine sensible Wurzel treten. 
Er sah noch viele soleher T-förmiger Fasern, deren Zusammenhang 
mit Zellen sich nicht beobachten ließ. Zuweilen schien es, als ob von 
ein und derselben Faser in zwei hintereinander gelegene Wurzeln 
T-förmig Aeste abgingen. Diese Bilder werden dadurch wahrschein- 
licher, dass Verf. bei Würmern (Aulastomum) deutlich und häufig ge- 
sehen hat, dass der Hauptfortsatz einer Nervenzelle sich dichotomisch 


446 Retzius, Biologische Untersuchungen. 


teilte und die zwei einander ganz gleichen Fasern in zwei verschie- 
dene Wurzeln traten. 

Verf. sah bei Amphioxus auch noch multipolare Zellen, aber in 
geringerer Zahl. Zuweilen ließ sich der Hauptfortsatz in seinem 
weiteren Verlauf erkennen. Auch bei den größeren „bipolaren Zellen“ 
beobachtete er kurze seitliche Fortsätze, so dass diese eigentlich 
multipolar zu nennen sind. 

Von einer gewissen Art multipolarer, dreieckiger Zellen kann 
Verf. nicht entscheiden, ob sie Ganglien- oder Epithelzellen seien, ob- 
gleich sie sich mit Methylenblau färben. Ebenso lässt er unentschieden, 
ob der eine Typus der „Pigmentzellen“, von denen er zwei Arten 
unterscheidet, nervöser Natur sei. 

Sehr eigentümlich stellten sich R. die motorischen Wurzeln dar: 
dieselben entspringen aus niedrigen, mit „körniger“ Substanz erfüllten 
Hügeln an der Oberfläche des Markes. Von außen kann man die 
Fasern verfolgen, bis sie in diesen Hügeln häkchenförmig zu endigen 
scheinen, aber durchaus keinen Zusammenhang mit den feinen, aus 
dem Mark zu diesen Hügeln tretenden Fasern nachweisen. Muss Verf. 
den Ursprung der motorischen Fasern ganz unaufgeklärt lassen, so 
hat er ihren peripheren Verlauf desto besser verfolgen können: sie 
enden, selten dichotomisch verzweigt, in gewundenem Verlauf zwischen 
den Muskelbündeln, besondere Endapparate gibt es nicht, aber die 
Endpartien sind dichtkörnig varikös und erscheinen dadurch gebändert. 
So erklärt sich der Irrtum früherer Forscher, welche einen Ueber- 
gang der Nervenfasern in quergestreifte Muskeln zu sehen glaubten. 

Bei Myxine kann Verf. die Angaben Nansen’s, der allein vor 
R. hier das Nervensystem genau untersucht hat, bestätigen. Die 
meisten Nervenzellen scheinen bipolar und klein zu sein. So große 
Zellen, wie die Riesenzellen des Amphioxus, sah er bei Myxine nicht. 
Von den 2 Fortsätzen der bipolaren Zellen, die meist quer liegen, 
endet der eine, nach innen gewandte, bald verzweigt, der andere tritt 
an die Oberfläche des Markes und endigt dort verzweigt; zuweilen 
ließ sich aber erkennen, dass diese Verästelungen nur einen Neben- 
fortsatz darstellen und der Hauptfortsatz in das Längsbündel eintritt. 
Diese Hauptfortsätze sind schwer zu verfolgen, doch scheinen auch 
hier die Verhältnisse dieselben wie bei den andern niedern Tieren: 
von einem Hauptfortsatz gehen verzweigte Nebenfortsätze ab. Die 
Kolossalfasern zu färben gelang nicht. Der T-förmige Ursprung 
der Fasern der Dorsalwurzeln ist sehr schön zu sehen. Auch die 
ventralen Wurzeln färben sich, können aber nicht bis zum Zusammen- 
hang mit Zellen verfolgt werden. Das Gehirn zu färben missglückte 


auch hier. 
W. 








Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 





| 





Biologisches Öentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 


94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XII. Band. 1. August 1892. Nr. 14 u 15. 





Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie (Schluss). — 
Molisch, Die Pflanze in ihren Beziehungen zum Eisen, eine physiologische 
Studie. — Leydig, Zum Integument niederer Wirbeltiere abermals. — Rosen- 
thal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. — Kalischer, Neuro- 
logische Untersuchungen. — Ambronn, Anleitung zur Benützung des Polari- 
sationsmikroskops bei histologischen Untersuchungen. — Zacharias, Die 
Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. II. 





Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 


Von Dr. Robert Keller in Winterthur. 
(Schluss vom IV. Stück. 2. Teil.) 

Wie wir aus früherem wissen, ist die Bedeutung der Reduktions- 
teilung bei männlichen und weiblichen Keimzellen eine doppelte, 
Verminderung der Iden auf die halbe Zahl und Zusammen- 
stellung der Idanten zu neuen Kombinationen. Gerade da- 
durch, dass nun der Reduktion die Verdoppelung vorangeht, wird der 
letztere der beiden Vorgänge erst vollkommen erreicht werden. Ist 
die Richtungsteilung als Reduktionsteilung aufzufassen, dann muss 
ihr eine Verdoppelung vorangegangen sein, sonst müsste bei einer 
gegebenen Art im Verlaufe einer bestimmten Zahl von parthenogene- 
tischen Generationen die Zahl der Idanten auf eine einzige ver- 
ringert sein. 

Die direkte Beobachtung gibt bis jetzt über die berührten Vor- 
gänge keinen sichern Aufschluss. Dagegen machen es die Beobach- 
tungen an den parthenogenetischen Eiern von Artemia salina wahr- 
scheinlich, „dass sie in den parthenogenetischen Kolonien — die Art 
kann sich nämlich auch geschlechtlich fortpflanzen —, in welchen 
ihre Eier die zweite Riehtungsteilung aufgegeben, die erste aber bei- 
behalten haben, diese erste auch in ihrer ursprünglichen Form, d. h. 


‚ als Reduktionsteilung erhalten geblieben sei“. Dieselbe wird auch 


für das parthenogenetische Ei gleichbedeutend, wie für das befruch- 
tungsbedürftige sein, sie wird bewirken, dass eine Veränderung in 
XI. 27 


418 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie, 


der Zusammensetzung des Keimplasmas von Generation zu Generation 
stattfinden kann. Die fortgesetzte reine Parthenogenese bringt es mit 
sich, dass die Zahl der im Idioplasma enthaltenen differenten Idanten 
immer mehr abnehmen, bis im Laufe vieler aufeinander folgender 
parthenogenetischer Generationen nur noch 2 Arten von Idanten im 
Keimplasma vorhanden sind“. Sobald dieser Punkt erreicht ist, dreht 
sich die Sache um, denn nun wird die Wahrscheinlichkeit, dass durch 
die Reduktionsteilung bloß Idanten a oder bloß Idanten 5 dem Ei- 
kerne zugeteilt werden, weit geringer als die, dass neben «- auch 
noch D-Idanten vorkommen werden“. Die Verminderung auf eine 
Idantenart wird nur bei wenigen unter den zahlreichen Eiern ein- 
treten. Fortgesetzte Parthenogenese vereinfacht also das Keimplasma 
in Bezug auf seine Zusammensetzung aus Iden bis es nur aus zweierlei 
Idanten besteht. Lange kann sich alsdann diese Zusammensetzung 
aus 2 Idantenarten erhalten, „hin und her schwankend zwischen einer 
wechselnden Majorität bald der einen, bald der andern Art“, vereinzelte 
mit nur einer der beiden Idantenarten. 

Die unmittelbare Beobachtung über Vererbung bei Parthenogenese 
zweier verschieden gezeichneter Varietäten von COypris reptans, die 
sich über viele Generationen (bis jetzt 40) und viele tausende von 
Individuen erstreckt, also wohl geeignet ist ein Prüfstein der im 
vorangehenden skizzierten theoretischen Vorstellungen Weismann’s 
zu sein, ergaben „eine ungemein große Aehnlichkeit der Nachkommen 
einer Mutter sowohl unter sich als mit der Mutter“. Völlige Ueberein- 
stimmung zeigten sie zwar nicht, „aber die Unterschiede waren häufig 
so geringe, dass man zweifelhaft sein muss, ob sie auf verschiedener 
Anlage oder nur auf verschiedener Ernährung u. s. f. beruhen, die ja 
niemals bei zwei verschiedenen Individuen, nicht einmal bei identischen 
Zwillingen des Menschen völlig gleich sein können“. Doch bis zur 
40. Generation trat keine Aenderung des Zeiechnungstypus der Stamm- 
tiere ein. Durch die künstliche Züchtung der beiden Formen konnte 
nicht mit Bestimmtheit aus den Abkömmlingen der Varietät A eine 
mit den Deszenten von B übereinstimmende Form erzielt werden. 
Dagegen zeigte sich, dass ganz spontan in einzelnen Generationen 
Deszendenten der hellen Abart A die dunkelgrüne Abart B waren, 
und dass zwischen beiden Abarten Uebergänge auftraten. Auch das 
umgekehrte trat einmal ein, Abkömmlinge der dunkeln Abart waren 
hell. Ein verändernder Einfluss äußerer Bedingungen ist ausgeschlossen, 
da sie alle unter genau den gleichen Bedingungen erzogen wurden. 
Innere Ursachen, d. h. Veränderungen in der Zusammensetzung des 
Keimplasmas können allein die Erscheinung erklären. „Die Thatsache, 
dass sowohl die Form A in B übergehen kann, als auch umgekehrt 
Bin A, lässt schließen, dass beide Typen zu einer Zeit entstanden 
sind, als sie sich noch nicht ausschließlich durch Parthenogenese fort- 
pflanzten; andernfalls könnten nieht die Ide « im Keimplasma von 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 419 


Tieren des Typus D, und umgekehrt nicht die Ide 5 im Keimplasma 
von Tieren des Typus A enthalten sein. Nur durch die in einer 
wohl nicht weit zurückgelegenen Zeit noch stattfindende geschlecht- 
liche Fortpflanzung kann das Nebeneinander beider Id-Arten seine 
Erklärung finden“. 

„Nehmen wir die Verhältnisse möglichst einfach an. Es seien 
nur 4 Idanten im Keimplasma; davon seien drei gänzlich aus Iden 
des Typus A, eins ganz aus Iden des Typus B zusammengesetzt. 
Die 4 Idanten der Urkeimzellen aaab verdoppeln sich in den Mutter- 
keimzellen durch Längsspaltung und ergaben also die acht Stäbchen 
aa aa aa bb. Setzen wir nun den für den Rückschlag in die Abart B 
günstigsten Fall, so werden wir diesen in einem Ei sehen müssen, 
bei welchem die Reduktionsteilung so erfolgt, dass die Stäbchen- 
Kombination aaaa in die Richtungszelle zu liegen kommt, während 
die Kombination aabdb den Keimkern des Eies bildet. Die Tochter, 
welche aus diesem Ei hervorgeht, enthält in ihren Urkeimzellen wieder 
die Kombination aabb, in ihren Mutterkeimzellen die verdoppelten 
Stäbchen aa«abbbb, und nun liegt schon die Möglichkeit einer Reduk- 
tionsteilung vor, welche die 4 Idanten 5 zusammen in den Keimkern 
einer Eizelle führt; aus einem Ei mit dem Keimplasma 55bb muss 
aber unzweifelhaft ein Individuum der Abart B hervorgehen“. 

Der schnelle Rückschlag einer Abart in die andere ist nun aller- 
dings thatsächlich in den C'ypris- Kolonien nieht beobachtet worden, 
was ganz natürlich ist, sobald die Zahl der Idanten eine größere ist, 
als im Beispiel angenommen wurde. Das Idant 5 bildet alsdann einen 
viel kleinern Bruchteil sämtlicher Idanten, also muss es auch viel 
länger dauern, bis es durch günstige Kombinationen vorherrscht oder 
ausschließlich vorbanden ist. Die Deszenten eines aus A in B über- 
gesprungenen Individuums gleichen genau der Mutter, bleiben also 
gerade so B, wie die Abkömmlinge der ursprünglichen Varietät B in 
unendlich überwiegender Zahl B sind. Es lehrt also die unmittelbare 
Beobachtung, dass auch bei der Parthenogenese eine individuelle 
Variation stattfindet, die auf Vererbung beruht und selbst wieder 
vererbt werden kann. Die Fähigkeit der Umbildung durch Selektions- 
prozesse ist also, wenn auch gering, immerhin noch vorhanden. Die 
unmittelbare Beobachtung lehrt ferner, dass in der That bei reiner 
Parthenogenese das Keimplasma sehr einfach wird, da ja die auf- 
fallende Gleichförmigkeit der Nachkommen durch viele Generationen 
hindurch nur hierauf begründet sein kann. 

Wir schließen diese Darlegungen über die Vererbung bei der 
Parthenogenese, indem wir an Hand der Darlegungen des Verf. noch 
kurz die Frage der Entstehung der parthenogenetischen 
Eier erörtern. Es sind weibliche Keimzellen, also setzt die Partheno- 
genese das ursprüngliche Vorhandensein geschlechtlicher Fortpflanzung 
voraus. Da das befruchtungsbedürftige Ei zwei Richtungsteilungen 

Aue 


420 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


durchmacht, wird es ärmer an Keimplasma als das parthenogenetische 
Ei, welches nur ein Riehtungskörperchen ausstößt. Es liegt also nahe 
anzunehmen, dass die Unterdrückung der zweiten Richtungsteilung 
eines ursprünglich befruchtungsbedürftigen Eies die Fähigkeit partheno- 
genetischer Entwicklung verleihe. Ist dieser Vorstellung große Wahr- 
scheinliehkeit auch nicht abzusprechen, so deuten doch gewisse 
Thatsachen an, dass die Entstehung auch noch auf anderen Wegen 
vor sich gehen konnte. 

Nicht regelmäßig parthenogenetische Eier, wie sie bei vielen In- 
sekten vorkommen, können den gleichen Reifungsprozess zeigen, wie 
er befruehtungsbedürftigen Eizellen eigen ist. Sie können zwei Rich- 
tungsteilungen durehmachen, wodureh gleich wie bei diesen die 
Quantität des Keimplasmas des Eies auf die Hälfte herabgemindert 
wurde. Dies scheint darauf hinzuweisen, „dass das Kernplasma ein- 
zelner Eier einer Art das Vermögen des Wachstums in größerem 
Maße besitze, als die Majorität derselben oder — in dem Falle der 
Biene —, dass jedes Ei die Fähigkeit besitze, sein auf die Hälfte 
reduziertes Kernplasma, wenn es nicht durch Befruchtung wieder auf 
das normale Maß gebracht wird, durch Wachstum wieder auf die 
doppelte Masse zu bringen“. Dass die Beherrschung der Zelle von 
der Quantität des Kernplasmas abhängt, scheinen auch jene Beobach- 
tungen aufs schönste zu bestätigen, welche uns lehren, dass die un- 
befruchteten Eier verschiedener Tierarten zwar in die Embryonal- 
entwieklung eintreten können, sie aber nicht zu Ende führen, sondern 
auf früherer oder späterer Stufe stehen bleiben. Je nach der Wachs- 
tumskraft des durch die Ausstoßung der Richtungszellen auf die Hälfte 
herabgesetzten Keimplasmas kann sich dessen Quantität wieder so 
weit vermehren, dass es hinreicht einen mehr oder weniger großen 
Teil der Embryogenese zu beherrschen. 

So deuten also die Thatsachen an, dass die regelmäßige Partheno- 
genese durch Unterdrückung der zweiten Richtungsteilung, die fakul- 
tative dadurch entstand, dass das Keimplasma eine erhöhte Wachs- 
tumsfähigkeit erwarb. — 

Die Einsicht in das Wesen des Befruchtungsprozesses eröfinet 
uns zugleich einen neuen Einblick in das Wesen der Konjugation. 
Die Thatsachen, auf welchen die Theorie aufbaut, sind allerdings zur 
Zeit wieder ausschließlich auf dem Boden der Zoologie zu suchen. 
Es sind die bedeutungsvollen Beobachtungen vor allem von Maupas 
über die Konjugation des Paramaecium caudatum. Im Körper dieses 
Infusoriums befinden sich zwei Kerne, ein größerer, der Makronukleus, 
und ein kleinerer, der Mikronukleus. Treten zwei Individuen mit 
einander in Konjugation, dann beobachtet man, dass sich der Mikro- 
nukleus teilt. Es entstehen aus ihm zwei Tochterkerne, die sich 
wieder teilen und so 4 Enkelkerne erzeugen. Drei derselben lösen 
sich auf; der 4. und zwar je der der Substanzbrücke zwischen beiden 








Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 421 


sich konjugierenden Individuen am nächsten liegende, teilt sich aber- 
mals. Es entstehen so zwei Kopulationskerne. Der eine derselben, 
die Funktion der männlichen Keimzelle ausübend, wandert aus dem 
einen Individuum in das andere hinüber, so dass sich in jedem Indi- 
viduum zwei Kopulationskerne zu einem Keimkerne vereinen. 
Bekanntlich hat man früher schon in der Konjugation der Ein- 
zelligen eine gewisse Analogie zur Befruchtung der Metazoen gesehen. 
Die Beobachtungen von Maupas lehren uns, „dass sowohl Konjuga- 
tion als Befruchtung im wesentlichen nichts anderes sind als eine 
Vermischung der Vererbungssubstanz zweier Individuen“, eine Idio- 
plasmamischung, die Weismann Amphimixis nennt. Wie der bei 
der Befruchtung entstandene Keimkern die Entwicklungsrichtung be- 
stimmt, so auch der Keimkern des Paramaeciums. Durch zweimalige 
Teilung erzeugt er, nachdem der alte Makrokern zerfallen ist, zwei 
Makro- und zwei Mikrokerne, der Anfang der nun eintretenden ersten 
Zweiteilung des Tieres. Darin liegt nun allerdings ein Unterschied 
zwischen beiden Vorgängen, dass die beiderlei Vorgänge, welchen die 
mannigfachen Thätigkeiten jedes Organismus dienen, die Erhaltung 
des Individuums einerseits, die Erhaltung der Art anderseits, bei der 
Konjugation von zwei Kernen bestimmt werden. Der Makrokern kann 
als der vegetative Kern bezeichnet werden, welcher hauptsächlich die 
vegetativen Vorgänge bestimmt, der Mikronukleus ist der Vermittler 
der Kontinuität des Keimplasmas. Ein anderer Unterschied besteht 
darin, dass während bei den Metazoen die Kerne der Ei- und Samen- 
Zellen aus zweimaliger Teilung der Mutterzelle entstehen, die Kopu- 
lationskerne aus dreimaliger Teilung des Mikronukleus hervorgehen. — 
Der Mikronukleus der Infusorien enthält Kernstäbehen oder Idanten, 
ist also gerade wie der Kern bei den Metazoen der Träger des Idio- 
plasmas. Die erste Vorbereitung des Mikronukleus zur Konjugation 
besteht in einer bedeutenden Vergrößerung. Weismann sieht ihre 
Ursache darin, dass zu dieser Zeit eine Verdoppelung der Idanten 
durch Längsspaltung sich vollzieht. Er sieht also in den beiden 
Teilungen des Mikronukleus eine Reduktionsteilung, „welche die vor- 
her verdoppelte Zahl der Idanten auf die Hälfte der Norm herabsetzt, 
genau entsprechend den beiden Reduktionsteilungen der Samen und 
der Eimutterzelle. Die 3. Teilung, eine Aequationsteilung, bei welcher 
die Tochterkerne die gleiche Zahl der Idanten erhalten wie der 
Mutterkern, hat bei den Metazoen keine Analogie, da bei diesen die 
Keimzellen immer entweder männlich oder weiblich sind, während 
hier beide Kopulationskerne aus einem hervorgehen. Die Beobachtung, 
dass je derjenige der 4 Enkelkerne sich entwickelt, welcher dem 
andern Tiere am nächsten liegt, weist wohl darauf hin, dass nicht in 
der Verschiedenheit ihrer Natur die Erhaltung bezw. Auflösung be- 
gründet ist, dass die bewirkende Ursache vielmehr in irgend einem 
Einfluss zu suchen ist, welcher von dem entsprechenden Kerne des 


4929 Keller, Fortschritte der Pflanzenphsiyologie., 


andern Tieres ausgeht und dann natürlich den nächstliegenden am 
stärksten trifft. Wie die Reduktionsteilung bei den Metazoen zugleich 
eine Neugruppierung der Idanten eintreten lässt, so ist diese auch 
hier bei den Einzelligen ermöglicht. Es liegt also die tiefere Bedeu- 
tung der Konjugation wie bei der Befruchtung im wesentlichen darin, 
dass sie die Vermischung der Vererbungstendenzen zweier Individuen, 
diesen Quell der individuellen Variabilität, die unentbehrliche Voraus- 
setzung aller Selektionsprozesse, vollzieht. Das aber führt zu der weitern 
Vorstellung, dass auch bei den Protozoen die phylletischen Umbildungs- 
prozesse vom Keimplasma ausgehen, dem Idioplasma des Kernes. So 
erscheinen also nicht alle Einzelligen als „der Urquell der individuellen 
Ungleichheit, in dem Sinne, dass bei ihnen jede dureh äußern Einfluss 
oder durch Gebrauch hervorgerufene Abänderung erblich sein muss“, 
sondern nur jene niedersten Organismen, welche noch keine Differen- 
zierung in Kern und Zellkörper besitzen. 

Wenden wir uns zum Schlusse der Erörterung der Frage nach 
dem Auftreten der Amphimixis in der Organismenwelt zu, die uns 
namentlich erkennen lässt, ob, wie viele Forscher glauben, die Amphi- 
mixis als ein Verjüngungsprozess aufzufassen ist, oder wie Weis- 
mann will, „ein Vorgang, der zwar von tiefgreifender Bedeutung, 
aber kein die Fortdauer des Lebensprozesses bedingender ist“. 

Das Auftreten der Amphimixis in unzweideutiger Abhängigkeit 
von äußern Lebensbedingungen, der Umstand mit andern Worten, 
dass sie auf Anpassung beruht, dass ihr sogar eine ungemeine An- 
passungsfähigkeit innewohnt, steht mit der Annahme, dass sie eine 
Verjüngung darstelle nicht im Einklang. Weitgehendsten Schwan- 
kungen ist ihre Wiederholung im Lebenslauf einer Art unterworfen, 
indem sie bald in jeder Generation wiederkehrt, bald 2, 3, 10 Genera- 
tionen und selbst das 4fache hiervon überspringt. Ist sie eine An- 
passungserscheinung, dann sind diese Verschiedenheiten leicht zu er- 
klären. „Wir nehmen nichts an, als dass Amphimixis vorteilhaft ist 
für die phylletische Entwicklung des Lebens, inklusive die Erhaltung der 
einmal erreiehten Anpassungshöhe jeder Lebensform (Art), denn diese 
hängt ebenso sehr von der uwnausgesetzten Thätigkeit der Natur- 
züchtung ab“. 

Im einfachsten Falle musste die Amphimixis als völlige Ver- 
schmelzung zweier Bionten zu Einem auftreten (Einzellige). „Da 
dieser Vorgang der Fortpflanzung, d. h. der Vermehrung direkt ent- 
gegengearbeitet, so konnte er nur in größern Perioden sich wieder 
holen, sollte nicht die Vermehrung einer solchen Kolonie wesentlich 
beeinträchtigt werden“. Bei den Metazoen war die Amphimixis nur 
dadurch möglich, „dass sich dieselbe wieder mit allen ihren Anlagen 
in den winzigen Raum der Kernsubstanz einer einzigen Zelle zurückzog 
oder konzentrierte“. Eine sehr verwickelte Ontogenese wurde da- 
durch nötig. So konnte es natürlich für die Art unter Umständen 








Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 493 


von Bedeutung werden, dass die Entstehung eines neuen Individuums 
nicht notwendig und ausschließlich auf dem umständlichen Wege sich 
vollzog. Damit im Zusammenhang steht die große Ausdehnung der 
ungeschlechtlichen Fortpflanzung bei den niedern Metazoen und den 
Pflanzen. 

Doch auch da, wo der Kompliziertheit des Baues wegen, wie 
bei den höhern Metazoen, die Vermehrung durch Teilung und Knospen- 
bildung nicht mehr möglich ist, erscheint nicht jeder Vermehrungsakt 
mit der Amphimixis verbunden. Es wird die ursprüngliche Verbindung 
beider Akte aufgegeben. „Die Umwandlung der ursprünglich gerade 
für die Ermöglichung der Amphimixis geschaffenen weiblichen Ge- 
schlechtszellen zu Keimen, welche der Befruchtung nieht mehr be- 
dürfen, ist der Kunstgriff, dessen sich die Natur bedient hat, um die 
Amphimixis zu vermeiden, wo eine Fortpflanzung durch Teilung oder 
Knospenbildung wegen allzu hoher Differenzierung des Körperbaues 
nieht mehr möglich ist“. 

Das Fehlen der Parthenogenese bei höhern Tierkreisen wird uns 
die Frage nahe legen, welche Momente es sein mochten „die sie bei 
so vielen Gliedertieren vorteilhaft erscheinen ließen“. Als solche 
Momente sind zu nennen periodische Ungunst der Lebensbedingungen. 
Nur eine rasche Vermehrung während der günstigsten Periode 
schützte die Art vor dem Untergang. Konjugation und Befruchtung 
aber sind gewisse Verzögerungsmomente in der Fortpflanzung, ab- 
gesehen davon, dass natürlich die Vermehrung in dem Maße intensiver 
wird, als mehr Individuen Weibehen sind. Wenn wir nun sehen, dass 
bei einzelnen Arten vielleicht unter der überwuchernden Entwicklung 
der Parthenogenese die Amphimixis sogar völlig aufgegeben wird, 
dann spricht das jedenfalls auch nicht dafür, in ihr einen Verjüngungs- 
prozess des Lebens zu sehen. Eine einlässliche Vergleichung des Auf- 
tretens agamer Fortpflanzung mit den Lebensbedingungen lässt uns 
erkennen, „dass die seltenere oder häufigere Wiederholung der Amphi- 
mixis im Lebensgang einer Art nicht der physischen Natur der Art, 
sondern ihren Lebensbedingungen entspringt“. — 

Der phantasiereiche Erfinder der kosmozoischen und pyrozoischen 
Lebewesen, Prof. Preyer, versucht die Lösung des Rätsels der Ent- 
stehung des Lebens dadurch zu umgehen, dass er die lebende Sub- 
stanz als das primäre erklärt. Denn die unorganische Materie ist 
die tote; das aber, was tot ist, kann nur das Residuum dessen sein, 
was gelebt hat. Dieser Hypothese reiht er eine andere an, die er das 
Gesetz von der Erhaltung des Lebens nennt. 

Nach dem Gesetze von der Erhaltung des Stoffes ist die Gesamt- 
heit der Materie im Weltall konstant. Der Stoff setzt sich aber aus 
zwei Formen der Materie zusammen. Der eine Teil lebt, ist also 
organisiert, der andere ist leblos, nicht organisiert. Das Gesetz von 
der Erhaltung der Materie drückt deshalb Preyer durch die Gleichung 


424 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


mu 


Mz + Mn =(C aus, d. h. lebende plus tote Materie gleich einer 
Konstanten. 

Ein Teil der toten Materie wird durch die Nährstoffe der lebenden 
gebildet. Je mehr von dieser assimilierbaren Substanz an einem ge- 
gebenen Orte sich befindet, um so mehr Pflanzen entwickeln sich dort, 
um so mehr Tiere werden da leben. Die Entwicklung des Lebens 
wird aber bald ihren Kulminationspunkt erreichen und überschreiten. 
Denn je mehr Pflanzen und Tiere an einem Orte sind, um so mehr 
werden sie sich eingeengt fühlen. Sie treten in Konkurrenz. Nicht 
alles Lebensfähige wird leben bleiben, wird sich entwickeln. Der 
Kampf ums Dasein hat den Tod vieler Lebewesen im Gefolge. Ein 
großer Teil der lebenden Substanz wird wieder zu toter. Wie in den 
Gezeiten das Meer steigt und fällt, so folgen sich in ununterbrochenem 
Wechsel Leben und Todes. Die extreme Entwicklung des Lebens wird zur 
Ursache des Todes der Vermehrung toter Materie. Ueberfluss an dieser 
zieht eine lebhafte Entwicklung lebender Materie nach sich. So wechseln 
beide Größen mit einander periodisch und höchst gesetzmäßig, wie 
Preyer sagt, ab. Er drückt das, da ja das mathematische Gewand 
zum mindesten den Schein der mathematischen Sicherheit verleiht, 
durch die Formel Mz:Mn — K aus. Er fügt erläuternd hinzu: Das 
Verhältnis der Gesamtmenge lebender Materie zur Gesamtheit der 
nichtlebenden gleichzeitig existierenden Materie ist ungefähr kon- 
stant. Er führt weiter aus, dass die Stoffmenge, welche alle lebenden 
Teile aller lebender Organismen des Universums bildet, unveränder- 
lich sei, und da die lebende Materie nichts anderes ist als Protoplasma, 
so lässt sich das Gesetz von der Erhaltung des Lebens in die Worte 
kleiden: Die totale lebende Protoplasmamenge im Universum ist un- 
veränderlich. 

Gegen diese Darlegung wendet sich Errera in der erwähnten 
Abhandlung. Der Parallelismus, auf den der Wortlaut des Preyer’- 
schen Gesetzes hinweisen soll, besteht thatsächlich nicht, wie ihn 
denn auch Preyer selbst im Grunde genommen, aufgibt. Denn weder 
das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, noch das Gesetz von der 
Erhaltung der Materie ist ein ungefährer Ausdruck. Hält Preyer’s 
Vorstellung von der Beziehung zwischen lebender und toter Materie 
den Vergleich mit den Wechselbeziehungen aus, wie sie bei einem 
einfachen chemischen Vorgang statthaben z. B. bei der Verbrennung 
von Kohlenstoff? In dem Maße als eine bestimmte Menge von Kohlen- 
dioxyd entsteht, verschwinden bestimmte Mengen der freien Elemente 
Kohlenstoff und Sauerstoff. Das Gesetz der Erhaltung der Materie 
bedeutet nun, dass das Gewicht des entstandenen Kohlendioxydes 
gleich ist der Summe der Gewichte des als freies Element verschwun- 
denen Kohlenstoffes und des Sauerstoffes, Ganz analog verhält es 
sich mit dem Gesetze von der Erhaltung der Kraft. Die eine Form 
der Energie z.B. die Bewegung verschwindet nicht, um sich bald in 








Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 425 


den, bald in jenen Wert einer andern Energie z. B. der Wärme um- 
zuwandeln, sondern um stets eine äquivalente Menge dieser neuen 
Form der Energie zu bilden. 

Weder die Präzision noch die Tragweite des Gesetzes von der 
Erhaltung des Lebens sind die der physikalisch -chemischen Gesetze. 
In einem Aquarium kann durch zahlreiche Pflanzen und Tiere eine 
gewisse Masse lebender Materie verkörpert sein. Wenige Tropfen 
einer konzentrierten Sublimatlösung genügen, um mit einem Schlage 
das Bild zu ändern. Die ganze Lebewelt, der Makrokosmus, dessen 
buntes Treiben sich vor unsern Augen abspielte zugleich mit dem in 
ihm verborgenen Mikrokosmus, dem ungezählten Heere mikroskopischer 
Lebewesen, das in dem Wasser sich eben nsch tummelte, ist im Mo- 
mente vernichtet. Kein Leben kehrt wieder, so lange das Sublimat 
im Aquarium bleibt. Während dort das Verschwinden der brennenden 
Kohle von der Bildung einer bestimmten Menge von Kohlendioxyd 
begleitet wird, die Bewegung einer Kugel, deren Lauf plötzlich ge- 
hemmt wird, sich in eine bestimmte Wärmemenge verwandelt, so 
tritt für das plötzlich vernichtete Leben kein Aequivalent ein. Das 
Leben ist verschwunden, aber kein neues Leben ist als direktes not- 
wendiges Resultat der verschwundenen wieder entstanden. Mancherlei 
Faktoren fällt in der Natur die Rolle des Sublimates im Versuche 
zu. Unabsehbare Mengen lebender Materie kann z.B. ein Waldbrand 
zerstören, ohne dass die unmittelbare Konsequenz hiervon das Er- 
scheinen einer äquivalenten Menge neuer lebender Substanz, neuer 
Organismen wäre. Es ist also keineswegs das Verhältnis lebender 
Materie zu toter stets konstant. Mit Vernichtung von Leben ist nicht 
die Verminderung toter Materie verbunden, wie es Preyer’s mathe- 
matischer Ausdruck Mz : Mn —K aussagt, sondern umgekehrt zieht 
die Vernichtung lebender Materie die Vermehrung toter, die Ver: 
mehrung lebender die Verminderung toter nach sich. 

Im Entstehen und Untergang lebender Materie haben wir einen 
Kreislauf des Lebens, der in nahem Parallelismus zum Kreislauf des 
Wassers steht. Immer flüssiges Wasser und Wasserdampf ist vorhanden. 
In jedem Momente entstehen Wolken und schlagen sich nieder. Wäre 
es zutreffend deshalb von der Konstanz des Gewölkes zu sprechen? 
Der Niederschlag, der an einem Orte die Menge des Wassers ver- 
mindert, zieht nicht notwendig gleichzeitig anderwärts eine ent- 
sprechend vermehrte Verdunstung nach sich. 

Unaufhörlich verwandelt sich tote Materie in lebende und fällt 
wieder in den Zustand toter Materie zurück. Doch ein dauerndes 
Gleichgewicht zwischen der Summe entstehenden und sterbenden 
Protoplasmas anzunehmen, dafür spricht keine Erscheinung. Wie der 
Kreislauf des Wassers nieht die Konstanz der gesamten Menge des 
Gewölkes bedingt, so lässt auch der Kreislauf des Lebens die Konstanz 
der Summe lebender Materie nicht als notwendige Folge erscheinen. — 


426 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Voegler’s Beiträge zur Kenntnis der Reizerschei- 
nungen sind gewissermaßen eine Ergänzung zu Pfeffer’s Unter- 
suchungen über „Lokomotorische Reizbewegungen“. Verf. verfolgt 
vor allem die schon durch Pfeffer festgestellte Empfindlichkeit der 
Spermatozoiden gewisser Farne gegen Apfelsäure und deren Salze. 
Er weist nach, dass der Schwellenwert bei Vertretern verschiedener 
Farnenfamilien annähernd der gleiche ist, nämlich meist 0,001°/,; 
d. h. eine Apfelsäurelösung von dieser Konzentration bewirkt eben 
noch eine sichere Ablenkung und Anlockung der Samenfäden. Analog 
verhält sich die Apfelsäure in ihren neutralen Salzen. 

Die Empfindlichkeit der Samenzellen ist nicht während der ganzen 
Zeit ihrer Bewegung gleich groß. Je längere Zeit seit der Entleerung 
der Antheridien verstrichen ist, um so höher ist der Wert der Reiz- 
schwelle, um so geringer also die Reizbarkeit. Die eben entschwärmten 
Spermatozoidzellen von Dicksonia antarctica werden durch eine 0,0008], 
Apfelsäurelösung noch deutlich angelockt. 12 Minuten später vermag 
eine Lösung von 0,001°/, nur noch unbestimmte Reize zu erzielen. 
Ein Eindringen der Zellen in die die Lösung enthaltenden Kapillaren 
wird wenigstens fast nie beobachtet, während eine Ablenkung gegen 
den Kapillarmund erfolgen kann. Der Schwellenwert liegt alsdann 
bei 0,00125°,. Nach 25 Minuten ist er auf 0,1°/, gestiegen, nach 
30 Minuten vermag selbst diese über 100mal größere Konzentration, 
als die ursprüngliche war, keine bestimmte Reaktion auszulösen. 

Der Einfluss der Temperatur auf den Schwellenwert ist nach 
Verf. folgender. Für Blechnum occidentale ergab sich zwischen den 
Temperaturen 16°—25° der Schwellenwert 0,001°/,. Bei 30,5° reagierten 
die Samenfäden erst auf eine Lösung von 0,00125°,. Eine weitere 
Temperaturerhöhung verminderte die Reizbarkeit sehr schnell, so dass 
bei 35,5%, erst eine 0,05proz. Apfelsäurelösung die Bewegungsrich- 
tung deutlich beeinflusst, bei 36,8° sogar erst eine O,l prozentige. Bei 
höherer Temperatur sind die Reaktionen unbestimmt. Aehnlich wie 
die über 25° liegenden Temperaturen verhalten sich die unter 16° 
sinkenden. Bei 10° z. B. liegt die Reizschwelle bei 0,0025°/,. Für 
die verschiedenen Arten, die zur, Untersuchung kamen, ergab sich, 
dass die Reizschwelle zwischen 15--28° die kleinste ist, dass also 
diese Temperatur das Optimum der Empfänglichkeit darstellt. 

Das Verhalten der Samenfäden verschiedener Arten gegen das 
Archegonium einer Art ist insofern ein gleiches, als sie in jedem Falle 
bis zur Zentralzelle einzudringen vermögen. Die Verschmelzung der 
männlichen und weiblichen Geschlechtselemente tritt aber, sofern sie 
verschiedenen Arten angehören, nur äußerst selten ein. Verf. konnte 
eine Befruchtung einer Art durch die Spermatozoiden einer andern 
Art direkt nieht beobachten. So gleichmäßig die vom Archegonium 
einer Art ausgeschiedenen Schleimmassen die Bewegungsrichtung der 
Samenzellen verschiedener Arten beeinflussen, so sehr begegnen bei 











Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 427 


ihren Bohrversuchen an der Wand der Zentralzelle die Spermatozoiden 
der nicht zugehörigen Art den Eintritt erschwerenden Schwierigkeiten. 
Worin diese bestehen, weiß der Verf. indessen nicht zu sagen. — 

Ueber die Abhängigkeit der Reizerscheinungen 
höherer Pflanzen von der Gegenwart freien Sauer- 
stoffes liegen nur wenige Untersuchungen vor. Da die einlässlichste 
derselben, die Versuche von Kabsch „über die Einwirkung ver- 
schiedener Gase und des verdünnten Luftraumes auf die Bewegungs- 
erscheinungen im Pflanzenreiche“ vor fast drei Dezennien zur Aus- 
führung kam, zu einer Zeit, wo die physiologische Methodik von der 
heutigen Präzision noch weit entfernt war, ist es als ein sehr ver- 
dienstliches Unternehmen zu bezeichnen, dass Correns dieser Frage 
seine Aufmerksamkeit zuwandte, selbst wenn auch seine Ver- 
suche die Rolle des Sauerstoffes beim Zustandekommen einer Reiz- 
bewegung nicht durchgängig in völlig abschließender Weise erkennen 
ließen. 

Bezüglich der Methode mag die eine Bemerkung genügen, dass 
alle Versuche in höchst sorgfältiger Weise alle jene Fehlerquellen zu 
vermeiden suchen, die notwendig zu irrigen Vorstellungen führen 
müssen. Nur auf zwei Umstände, die die Quelle falscher Deutung 
der Versuche früherer Experimentatoren wurden, mag speziell hin- 
gewiesen sein. 

Dutrochet, der sich mit vegetabilischer Reizbarkeit des ein- 
lässlichen befasste, gibt z. B. auf Grund seiner Versuche an, dass 
„an seinen eingetopften unter den Reeipienten einer Luftpumpe ge- 
brachten Pflanzen nach dem ersten Kolbenzug ein Zusammenklappen 
der Blättchen (von Mimosa pudica), wie auf einen mechanischen Reiz“ 
eintrat. Er schrieb diese Reizbewegung der veränderten Luftdichte 
zu. Nun gehört die Versuchspflanze zu jenen Arten, die auf mecha- 
nische Reize außerordentlich empfindlich sind. Die unmittelbare Ver- 
bindung des Reeipienten mit der Luftpumpe legt daher die Vermutung 
nahe, dass die eingetretene Reaktion, das Zusammenklappen der Blätter 
nicht zufällig „wie auf einen mechanischen Reiz“ sich vollzog, sondern, 
dass sie eben wirklich die Folge eines mechanischen Reizes, der den 
ersten Kolbenzug begleitenden Erschütterung war. 

Thatsächlich hat schon Kabsch die Beobachtung gemacht, dass 
erst, als der Luftdruck auf 15 mm gesunken war, also zweifelsohne 
nicht bloß auf die durch den ersten Kolbenzug bewirkte Verdünnung, 
eine Bewegung der Blättehen eintrat, „der durch mechanische Reize 
bedingten ähnlich, nur dass die Blättchen sich nicht vollständig an 
einander legten“. 

Die Anwendung der Wasserstrahlluftpumpe bei den Versuchen 
von Correns ließ jede Erschütterung völlig vermeiden. Mit dem 
Ausschluss dieser Fehlerquelle steht zweifellos das abweichende Er- 
gebnis dieser Versuche im engsten Zusammenhang, d. h. erst diese 


498 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Versuche geben uns das wirkliche Bild des Einflusses, den die Gegenwart 
geringer Sauerstoffimengen auf die Reizerscheinungen der Möimosa pudica 
ausübt. Correns konnte evakuieren bis zu einem Drucke von 1,5 mm, 
ohne dass eine Stellungsänderung der Blätter eintrat. Bei dieser Ver- 
dünnung war der Sauerstoffgehalt noch etwa 0,2°/, der ursprünglichen 
Menge. Eine mechanische Reizung, die nun in diesem stark ver- 
dünnten Raume ausgeführt wurde, hatte eine deutliche Reaktion im 
Gefolge, die sich selbst auf den primären Blattstiel ausdehnte. Die 
rückgängige Bewegung, welche nach einiger Zeit eintrat, führte jedoch 
nicht mehr zur völligen Entfaltung der Blättehen. Die zwei opponierten 
Blättchen bildeten statt des Winkels von 180° einen solchen von etwa 60°, 
Nach einer halben Stunde der Ruhe, wobei der Druck unter dem Re- 
eipienten sich nieht änderte, trat auf eine kräftige Erschütterung hin 
aufs neue Reaktion der Blättchen ein, eine Senkung des primären 
Blattstieles blieb zweifelhaft. Wieder nach Verlauf einer Stunde hatten 
sich die Blättchen geöffnet, doch weniger stark als vorher. Kräftiges 
Schütteln führte keine Auslösung einer Bewegung herbei. „Als jedoch 
beim plötzlichen Einströmen der Luft die Pflanze hin und her und 
gegen den Draht (der zur mechanischen Reizung diente) geschleudert 
wurde, gingen die Blättehen in volle Reizstellung über“. 

Danach muss also gesagt werden, dass entgegen dem Schluss, zu 
dem Dutrochet’s und Kabsceh’s Versuchsergebnisse führten, auch 
eine weitgehende Luftverdünnung nicht als Reiz auf die Pflanze wirkt 
und die Reizbarkeit auch nicht ohne‘ weiteres aufhebt. 

Um nun noch eine stärkere Verdünnung des Sauerstoffes zu er- 
zielen, als wie sie durch ein einmaliges Evakuieren möglich ist, be- 
diente sich Correns des Wasserstoffes. Der Recipient wurde mit 
diesem Gase gefüllt und nachdem dasselbe einige Zeit in ihm ge- 
standen hatte um durch Diffusion den noch im Pflanzengewebe ent- 
haltenen Sauerstoff möglichst aufzunehmen, aufs neue evakuiert. Nach- 
dem diese Manipulation mehrfach ausgeführt war, gelang es eine 
Verdünnung von 0,0000003°/, der anfänglichen Sauerstoffmenge zu er- 
zielen. Bei dieser weitgehenden Verdünnung hatten sich die Blättchen- 
paare bis zu einem Winkel von etwa 30° genähert, die sekundären 
Blattstiele gesenkt. Der Versuch lehrt also, dass ein genügend starker 
Sauerstoffentzug einen Reiz ausübt, der die Blätter in eine Stellung 
überführt, „die im Aussehen ganz der Stellung im wärmestarren Zu- 
stande entsprieht“. Im weitern ergaben die Versuche, dass der Grad 
der Luftverdünnung, der als Reiz wirkt, bei verschiedenen Individuen 
ein ungleicher ist. Vor allem aber zeigte sie, „dass die Raschheit 
des Luftentzuges einen Einfluss zu haben scheint in dem Sinne, dass 
bei raschem Evakuieren die Stellungsänderung, das äußere Anzeichen 
der eintretenden „Vakuumstarre“, erst bei einer Verdünnung höhern 
Grades eintritt, als bei langsamen. Es geht daraus hervor, dass die 
Vakuumstarre nicht durch die Abnahme des Luftdruckes, sondern 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 429 


direkt oder indirekt durch die des Sauerstoffes bedingt wird. Sie 
braucht immer einige Zeit, bis sie deutlich zu werden beginnt. 

Dieses eine Beispiel zeigt uns, dass eine wichtige Fehlerquelle, 
von der frühere Versuche nicht frei waren, namentlich auch darin 
liegt, dass zu einem sicheren Resultate unter Umständen eine Sauer- 
stoffverdünnung gehört, wie sie bei früheren Experimenten nicht er- 
reicht und auch nicht angestrebt wurde. 

Wird die Verdünnung nicht durch besseres Evakuieren der Luft, 
sondern auch dadurch erzielt, dass man die Luft mit einem andern Gase 
mischt, dann kann auch die Anwendung dieses verdünnenden Gases 
zu einer wichtigen Fehlerquelle werden. Correns’ Versuche ergeben, 
dass Wasserstoff indifferent, also zu solchen Verdünnungen wohl 
geeignet ist, während z. B. Kohlendioxyd, dessen Anwendung nahe 
liegen möchte, zu falschen Ergebnissen führte; denn Kohlendioxyd 
wirkt lähmend auf die Pflanze ein. 

Ueberblicken wir nun die von Correns erzielten Resultate, so 
ergibt sich zunächst, „dass die verschiedenen Typen von Reizerschei- 
nungen auch die Gegenwart verschieden großer Mengen von Sauerstoff 
zur Ausführung der ihnen eigenen Bewegung beanspruchen“. 

Wir wählen aus den mannigfaltigen Versuchen die beiden Extreme 
aus, die durch verschiedene Uebergänge mit einander verbunden 
werden, das Verhalten der Tentakel des Drosera-Blattes 
im sauerstoffarmen Raume einerseits und der Ranken der Passions- 
blume anderseits. 

Bei ersterem Blatte wirkt die Evakuation an und für sich nicht 
als Reiz. Um die chemische Reizbarkeit des im evakuierten Raume 
befindlichen Blattes zu prüfen bediente sich Correns einer stark 
verdünnten Ammoniumphosphatlösung; um einen mechanischen Reiz 
auszuüben eines dünnflüssigen Breies ausgestoßenem Glas oder Bims- 
steinpulver und Wasser. Dabei wurde darauf geachtet, dass nicht 
etwa durch Assimilation freigewordener Sauerstoff vorhanden sein 
konnte, der Apparat also vom Lichte ausgeschlossen. 5—10mal wurde 
die Evakuierung nach jeweiligem Ausfüllen mit Wasserstoff bis auf 
einen Druck von 1,5 mm gebracht. Nach 10maliger Evakuierung be- 
finden sieh nach den Berechnungen des Verf. unter dem Reeipienten 
noch 0,000 000 000 000 000 000 000 0002°/, des ursprünglich vorhandenen 
Sauerstoffes oder je nach der Größe des Reeipienten 0,000 000 0001 — 
0,000. 000 000 000 000.000 0000008 em. Trotz dieser weitgehendsten Ver- 
dünnung, die wohl berechtigt zu sagen, dass sich die Blätter im 
sauerstofffreien Raume befanden, war die Reizbarkeit der Tentakel, 
die chemische wie die mechanische, erhalten. Selbst nach 6 Stunden 
reagierten die Blätter noch. Nach 12 Stunden war die Vakuumstarre 
eingetreten, wennschon die Blätter dem Aussehen nach unverändert 
waren. Der Uebergang in die Vakuumstarre vollzog sich hier also 
ohne merkliche Bewegung. 


430 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Ganz anderer Art ist das Verhalten der Ranken, vor allem der 
Ranken der Passiflora gracilis. Auch hier wirkt die Evakuation selbst 
noch nicht als Reiz. Befanden sich aber die Versuchspflanzen in 
möglichst sauerstofffreiem Raume, dann ließ sich „durch keine auch 
noch so lange dauernde Berührung mit dem Holzstäbehen oder dem 
Drahte eine Reizbewegung hervorrufen“. Blieb das Versuchsobjekt 
längere Zeit in diesem sauerstoffarmen Raum, dann war auch nach 
dem erneuten Zutritt der Luft die Ranke noch eine Zeit lang für 
Kontaktreize unempfindlich und zwar um so länger, je länger der 
Aufenthalt im sauerstoffarmen Raum gedauert hatte oder je voll- 
ständiger der Sauerstoff verdrängt worden war. „Dieser Starrezustand 
beschränkt sich jedoch augenscheinlich nicht bloß auf die Reizperzep- 
tion und die durch eine solehe induzierte Krümmung, sondern hemmt 
auch die mit dem Alter eintretende hypnastische Einrollung. In der 
atmosphärischen Luft begann namentlich auch diese nicht sogleich 
wieder; erst nach einiger Zeit nalım die Ranke die durch die Evakua- 
tion unterbrochene Bewegung wieder auf und führte sie zu Ende“. 
Verf. bestimmte den Grad der Verdünnung, der die Objekte eben noch 
deutliche Reizbewegung zeigen lässt. Wenn nun natürlich auch da 
gewisse individuelle Schwankungen nicht ausgeschlossen sind, so er- 
gibt sich immerhin das eine, dass der Sauerstoffgehalt ein relativ be- 
deutender sein muss. Die untere Grenze liegt für Passiflora gracilis 
bei 20-30 mm Quecksilberdruck, d. h. bei 3—4°/, der ursprünglichen 
Sauerstoffmenge. 

Bis zu einem gewissen Grade ist diese Verschiedenheit wohl 
darauf zurückzuführen, dass das Sauerstoffbedürfnis der verschiedenen 
Pflanzenarten ein ungleiches ist, unabhängig vom Charakter der Reiz- 
bewegung. Darauf scheinen die Versuche, welche den Einfluss des 
Sauerstoffes auf den Geotropismus prüfen, hinzuweisen. Es zeigten 
dieselben, dass so lange sich noch Wachstum konstatieren ließ, die 
geotropische Krümmung auch ausgeführt wurde. Mit intensivem Wachs- 
tum fallen auch die deutlichen geotropischen Krümmungen zusammen. 
Nun aber ist die das Wachstum ermöglichende Sauerstoffmenge nicht 
nur für verschiedene Species, sondern auch für verschiedene Indi- 
viduen gleicher Art ungleich. So beobachten wir denn auch, dass 
die geotropische Krümmung bei den einen Objekten früher aufhört 
als bei den andern. Bei Helianthus- Keimlingen lag die Grenze sehr 
tief. „Noch nach fünfmaliger Evakuation, schreibt Correns, mit 
darauf folgenden Einleiten von Wasserstoff, erhielt ich merkliche 
Krümmungen“. Bei Sinapis alba dagegen lag die untere Grenze der 
Reizbarkeit bei einem Drucke von 30—37,5 mm, d.h. bei einem Sauer- 
stoffgehalt von 4—5°/, der anfänglichen Sauerstoffmenge. 

Dass aber doch nicht alle Unterschiede auf die spezifischen oder 
individuellen Eigentümlichkeiten zurückzuführen sind, vielmehr auch 
durch den Charakter der Reizerscheinung bedingt werden, ergeben 











Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 431 


namentlich die Versuche des Einflusses luftverdünnter Räume auf den 
Geotropismus und Heliotropismus gleicher Objekte. 

Ueber das Verhalten von Keimlingen im sauerstoffarmen Raume 
hat Wiesner eine Reihe von Untersuchungen angestellt, aus denen 
hervorgeht, „dass bei sämtlichen untersuchten Objekten sowohl die 
positiv als die negativ heliotropische Krümmung im luftverdünnten 
Raume ausbleiben“. Correns wies nach, dass Helianthus-Keimlinge, 
welche, wie wir sahen, bei sehr weitgehender Sauerstoffarmut doch 
noch die geotropischen Krümmungen zeigen, nur dann heliotropische 
Krümmungen ausführen, wenn der Druck im Reecipienten 7,5 mm be- 
trägt, d. h. der Pflanze noch etwa 1°/, der ursprünglichen Sauerstoff- 
menge zur Verfügung steht. Sinapis hat ebenfalls für die Aus- 
lösung heliotropischer Krümmungen ein größeres Sauerstoffbedürfnis 
als für die geotropischen. Die untere Grenze liegt bei 6°/, der ur- 
sprünglichen Sauerstoffmenge. Die Verschiedenheit zeigt sich vor allem 
auch, wenn gleichzeitig beide Reize auf das gleiche Objekt wirken. 
Keimlinge der Kresse und von Senf wurden in einer Atmosphäre, die 
gerade so viel Sauerstoff enthielt, dass das Wachstum noch möglich 
war, gehalten und einseitigem Lichteinfall ausgesetzt. „So behandelt 
krümmten sich die etiolierten Keimlinge der Kresse mit 3%, der ur- 
sprünglichen Menge Sauerstoff (gleich 22,5 mm Druck) unter lebhaftem 
Wachstum sehr deutlich geotropisch ohne die geringste heliotropische 
Krümmung nach der Seite des Lichteinfalls hin auszuführen. Die 
Keimlinge des Senfs verhielten sich gleich, brauchten aber etwas 
mehr Sauerstoff“. 

Von Interesse musste die Prüfung der Wirkung des Sauerstoff- 
mangels auf die verschiedenen Phasen des Vorgangs einer Reiz- 
bewegung sein. Die Gruppe der Phasen von der Einwirkung des 
Reizes bis zur Vollziehung der Reaktion kann in Reizperzeption und 
in Reizreaktion geteilt werden. Eine Notwendigkeit für die Annahme, 
dass Anwesenheit von Sauerstoff für die Aufnahme des Reizes von 
Seite des Protoplasmas eine gleiche Vorbedingung ist wie für die 
Reaktion besteht natürlich nieht. Ganz wohl können wir uns vor- 
stellen, dass für jeden dieser beiden Vorgänge eine verschiedene 
Menge Sauerstoff nötig ist. Es ist auch die Möglichkeit a priori 
nicht auszuschließen, dass vielleicht der eine der beiden Vorgänge 
von der Anwesenheit des Sauerstoffes ganz unabhängig ist. Die 
experimentelle Prüfung dieser Möglichkeiten, welche natürlich sehr 
vielen Schwierigkeiten begegnet, ist bis jetzt noch sehr lückenhaft. 
Immerhin scheint es für eine Gruppe von Reizerscheinungen thatsäch- 
lieb, dass die Bedingungen beider Prozesse bezüglich des Sauerstoff- 
gehaltes nicht die gleichen sind. Correns schreibt hierüber: „Die 
untere Grenze für das Einrollen, das spontane sowohl wie das durch 
einen noch unter normalen Verhältnissen applizierten Reiz bedingte, 
scheint bei Sicyos tiefer zu liegen als die für die Reizperzeption. 


432 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Wenigstens sah ich die Einrollung (der Ranken) bei 15 mm Druck 
noch fortdauern, während vergleichende Versuche das Erloschensein 
der Reizempfänglichkeit zeigten“. 

Schon früher wurde darauf hingewiesen, dass sobald der Pflanze 
der Sauerstoff nicht nur vorübergehend entzogen wird, ein Zustand 
eintritt, welchen Verf. als die Vakuumstarre bezeichnet. In diesem 
Zustande ist die Reizempfänglichkeit reizbarer Organe bedeutend 
herabgesetzt oder völlig erloschen. Durch das Versetzen in atmos- 
phärische Luft wird die Pflanze nicht sofort normal. Dies deutet 
darauf hin, dass der Eintritt der Vakuumstarre mit einer Veränderung 
des Organismus verbunden ist. Oft zeigen die reizbaren Organe beim 
Eintritt der Vakuumstarre charakteristische Stellungsänderungen. Bis- 
weilen gleichen sie, wie wir bei der Mimosa erwähnten, der Stellung 
des gereizten Organes. 

Dass dieser Reiz nicht direkt durch den Sauerstoffentzug aus- 
gelöst wird, scheint z. B. das Verhalten der Staubgefäße von Berberis 
anzudeuten. Spontan tritt bei ihnen dann eine der Reizbewegung 
genau entsprechende Reaktion ein, sobald der Luftdruck hinlänglich 
weit gesunken ist. Die individuellen Verschiedenheiten sind hierbei 
allerdings sehr bedeutend. Verf. beobachtete z. B. in einem Falle 
die Bewegung schon bei einem Drucke von 300 mm, selten erst, wenn 
der Druck unter 20 mm gesunken war, gewöhnlich schon bei einem 
Drucke von 20—40 mm. Dabei zeigten die Staubgefäße der gleichen 
Blüte ein verschiedenes Verhalten. Verf. glaubt, dass die Staubgefäße 
mit eben geöffneten Staubbeuteln am schnellsten auf den Sauerstoff- 
entzug reagierten. Die Verschiedenheit lag aber auch zum Teil zweifels- 
ohne darin, „dass bei bereits genügend geringem Luftdruck das eine 
Filament viel längere Zeit brauchte, bis es die Bewegung ausführte 
als ein anderes. Dies ging daraus hervor, dass bisweilen, aber nicht 
immer, die Reizbewegung einiger oder aller übriger, bisher noch un- 
veränderten Filamente eintrat, wenn nach der Reaktion des ersten 
der Recipient abgesperrt wurde, der Luftdruck also gleich blieb“. 

Aus der Reizstellung kehrten die Staubgefäße im Reeipienten, 
der unter dem gleichen Druck gehalten wurde, in ihre ursprüngliche 
Stellung zurück. Ihre Reizempfänglichkeit für mechanische Reize war 
noch voll vorhanden. Wurde die Evakuation sehr langsam ausgeführt, 
dann konnte die Reizbewegung ein zweites Mal ohne äußern Anstoß ein- 
treten, der Sauerstoffentzug wirkte also in diesem Falle direkt als Reiz. 

Viel später erst tritt der Zustand der Vakuumstarre ein. Der 
Effekt dieses Reizes ist auch ganz anderer Art. „Die vakuum- 
starren Staubgefäße, schreibt Correns, unterscheiden sich im Aus- 
sehen fast gar nicht von den reizbaren, nur scheinen sie mir unter 
einem etwas kleinern Winkel vom Griffel abzustehn“. 

Worin die durch den Sauerstoffentzug bewirkte Aenderung im 
Organismus besteht, lässt sich allerdings nicht sagen. Die Vermutung 











Keller, Fortschritte der Pfianzenphysiologie. 45 


liegt aber nahe, dass es sich dabei nicht um eine einfache Erschei- 
nung handelt, sondern wahrscheinlich um eine ganze Reihe von Einzel- 
änderungen. Denn man beobachtet, dass die Wiederbelebung der 
vakuumstarren Pflanze um so länger dauert, je länger der Aufenthalt 
im sauerstoffarmen, bezw. sauerstofffreiem Raume dauerte. Ein zu 
langes Verweilen in diesem führt den Tod der Pflanze herbei. 

Die Vakuumstarre tritt übrigens nicht plötzlich ein. Stets braucht 
es eine gewisse Zeit, bis sie bemerkbar wird. So erklärt es sich 
denn auch, dass sie bei raschem Verdrängen der atmosphärischen 
Luft — wie oben für Mimosa erwähnt — bei einem viel geringeren 
Sauerstoffgehalt eintritt als bei langsamer Verdünnung. Dies zeigt 
sich namentlich auch an den reizbaren Narbenlappen von Mimulus 
moschatus und luteus. „So standen nach viermaligem sehr schnellem 
Evakuieren auf 3 mm Druck, mit jedesmaligen Einleiten von Wasser- 
stoff, noch einige Narben offen, während einige andere sich bei ganz 
langsamen Evakuieren schon bei 12mm Druck zu schließen begannen. 
Das Auspumpen hatte eine halbe Stunde gedauert. Wieder andere 
Narben schlossen sieh sogar nach längerem Verweilen in einer Atmos- 
phäre, die durch Auspumpen auf nur 200mm Druck gebildet wor- 
den war“. 

Aus dem Umstande, dass z. B. bei Mömosa auch dann, wenn die 
Blätter bereits in der Starrestellung sich befanden, doch auf starke 
Erschütterung noch eine Reaktion eintrat, ergibt sich, dass nicht die 
zur Ausführung einer Reizbewegung nötigen Prozesse durch den Sauer- 
stoffentzug zuerst erlöschen, dass ferner das Erlöschen der Funktionen, 
durch welche die Starre entsteht, nicht gleichwertig sein kann mit 
dem Ausfall jener Funktionen, welche die Reizbewegung oder die 
Reizperzeption bewirken. 

In Verbindung mit seiner Untersuchung über den Einfluss des 
Sauerstoffentzuges auf die Reizbarkeit stellte Verf. einige Versuche 
an über das Verhalten reizbarer Organe zu bestimmten Gasen. Sie 
verdienen um so eher auch an dieser Stelle erwähnt zu werden, als 
so ziemlich alles, was wir hierüber wissen auf den ältern Versuchen 
von Kabsch beruht, die durch Correns’ Experimente eine Reihe 
von Korrekturen erfuhren. 

Wie wirkt der reine Sauerstoff? Die Reizbarkeit der Staubgefäße 
von Berberis und der Narben von Mimulus wurde hierauf geprüft. 
Bei dieser Art traten nach einem Aufenthalt von 28 Stunden im reinen 
Sauerstoffe noch ganz deutliche Reaktionen ein, nach 40 Stunden 
wurden sie schwächer. Immer aber wurde die Bewegung wieder 
rückgängig gemacht. Die Reizbarkeit war also ganz normal, gleich 
der Reizbarkeit in der atmosphärischen Luft. Nach 56 Stunden war 
sie erloschen, die Narbenlappen gespreizt und nicht, wie bei der 
Vakuumstarre, geschlossen. Entgegen der Ansicht von Kabsch, 
dass ein kürzerer Aufenthalt der Berberis-Blüten im reinen Sauerstoff 

XII, 28 


434 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


die Staubgefäße reizunempfänglich mache, und dass nach mehrstün- 
digem Aufenthalt dieselben getötet würden, zeigen Correns’ Versuche, 
dass dieselben noch nach 24 Stunden reizempfänglich blieben. 

Die Kohlensäure wirkt als Hemmungsmittel. Ein sehr kurzes 
Verweilen (5 Minuten) von Berberis-Blüten in einem Gasgemenge von 
50 proz. Kohlensäure und 5Oproz. Luft führte ihre Reizunempfänglich- 
keit herbei. Blieben sie nicht zu lange in der hemmenden Atmosphäre, 
dann kehrt an der Luft die Reizbarkeit schnell wieder. 

Ganz gleich verhält sich Helianthemum, dessen Staubgefäße eben- 
falls reizbar sind. 

Dass die hemmende Wirkung der Kohlensäure eine sehr rasche 
ist, lehrten namentlich auch die Versuche mit Mimulus. Die Narben 
schlossen sich in der Kohlensäureatmosphäre nicht und hatten ihre 
Reizbarkeit eingebüßt. An der Luft zeigte sie sich wieder. Die 
Schlafbewegung vollführte sich in einer Atmosphäre von 20 proz. Luft 
und 80 proz. Kohlensäure nur langsam. Bei 99proz. Kohlensäure trat 
keine Bewegung mehr ein. Ein 24stündiges Verweilen in dieser 
Atmosphäre vermochte die Pflanze nicht dauernd empfindungslos zu 
machen, wenn schon sie an der atmosphärischen Luft erst nach 
längerer Zeit sich wieder erholte. 

Sehr eigentümlich ist das Verhalten der Ranken (von Sicyos) in 
der Kohlensäure. Der Aufenthalt in einem Gemisch von 12 proz. Luft 
und 8Sproz. Kohlensäure hebt bald die Reizempfänglichkeit durch Be- 
rührung mit dem Holzstäbchen auf. Bald aber rollten sich die Ranken 
von der Spitze an ganz allmählich spiralig ein. Dass diese Bewegung 
nicht durch einen vorangehenden mechanischen Reiz durch das Stäbchen 
bedingt war, lehrten jene Versuche, bei denen (in einem Gasgemenge 
von 60proz. atmosphärischer Luft und 94proz. Kohlensäure) obne 
Reizung durch das Stäbchen das Einrollen sich zeigte. „Nach 4stün- 
digem Verweilen im Recipenten an die atmosphärische Luft gebracht, 
schienen die Ranken ihre Reizbarkeit dauernd eingebüßt zu haben. 
Sie wurden mit den im Beginn ihres Aufenthaltes in der Kohlensäure 
gebildeten Windungen über Holzstückehen gewickelt; statt dass sie 
diese aber zu ergreifen suchten, wickelten sie sich in den folgenden 
18 Stunden ganz ab und erwiesen sich auch fernerhin für Kontakt- 
reize ganz unempfänglich. Schließlich rollten sie sich spontan ein“, 
Es scheint also die Kohlensäure in diesem Falle einen Reiz auszuüben. 
Anderseits lehrt der Versuch, dass die Perzeption für Kontaktreize 
früher aufhört als die Reaktionsfähigkeit. 

Die Wirkung des Stickstoffoxydes geht jener des Wasserstoffes 
ganz parallel. Beides sind also indifferente Gase. 

Verschiedene Objekte prüfte Correns auf ihr Verhalten zu 
Ammoniak. Eine heftige Reizung auf die Blättehen von Mimosa be- 
wirkte das Gas, ohne dass eine Schädigung der Pflanze einzutreten 
brauchte, wenn nur die Einwirkung unter gewissen besonderen Vor- 








Keller, Fortschritte der Pilanzenphysiologie. 435 


sichtsmaßregeln vollzogen wird. Das gleiche Blatt kann durch 
Ammoniakdämpfe mehrfach hintereinander gereizt werden, ist also 
chemisch reizbar. Dasselbe gilt für die Staubgefäße von Berberis, 
die Narbenlappen von Mimulus, während z. B. die Filamente der 
Centaurea-Arten nieht chemisch reizbar sind. Das Gas vermag sie zu 
töten, ohne dass eine merkliche Reizbewegung zur Auslösung käme. — 

Zu überraschenden Resultaten führten Frank ’s fortgesetzte Unter- 
suchungen über die Symbiose zwischen Pilzen und Phanerogamen. 
Es sind dieselben in einer Abhandlung „Ueber die auf Verdau- 
ung von Pilzen abzielendeSymbiose der mit endotrophen 
Mikorrhizen begabten Pflanzen, sowie der Leguminosen 
und Erlen“!) niedergelegt. 

Die Rindenzellen der Wurzeln und Rhizome der Orchideen ent- 
halten häufig eine knäuelförmige gelbliche Pilzmasse aus aufgewundenen 
vielfach verschlungenen Hyphen. In zahlreichen andern humusbewoh- 
nenden Kräutern konnte Schlicht die gleiche Mykorrhizenform nach- 
weisen. Die Fadenknäuel der einzelnen Zellen stehen miteinander 
durch Hyphen in Verbindung, welche die Zellwände durehbohrend von 
einer zur benachbarten Zelle gehn. 

Vom ersten Augenblicke seiner Entstehungen bis an sein Lebens- 
ende wird der Pilzkörper in dem lebenden Protoplasma der Wurzel- 
zelle völlig eingeschlossen. „Wenn man an ganz frisch hergestellten 
Längsschnitten die unversehrt gebliebenen pilzführenden Zellen be- 
obachtet, so sieht man einen meist von kleinen Körnchen durchsäeten 
Protoplasmasack die Innenseite der Zellwand auskleiden; wo die 
kommunizierenden Pilzhyphen die Zellwand durchbrechen, setzt sich 
die Protoplasmahaut auf die Hyphen und von diesen über die ganzen 
in der Zelle liegenden Pilzkörper fort. Zwischen dem wandständigen 
Primordialschlauch und der die Hyphen und Pilzkörper überziehenden 
Protoplasmahaut ist ein reiches Netz aus sehr zahlreichen und überaus 
feinen Protoplasmafäden ausgespannt, in denen die kleinen Körnchen 
fehlen, an denen man aber... eine sehr lebhafte Strömung und 
zitternde Bewegung wahrnimmt. Der Zellkern, welcher entweder von 
dem Pilzfadenknäuel umwachsen ist oder auch seitlich desselben 
liegt, bleibt beständig deutlich, ja er ist sogar im Vergleich zu den- 
jenigen der unverpilzten gleich großen Zellen um ungefähr das Dop- 
pelte vergrößert. Diese Thatsachen lassen wohl ahnen, dass hier das 
Protoplasma eine ungewöhnliche Energie in seiner Thätigkeit ent- 
faltet“. 

Welcher Art sie ist, sieht man an ältern, dem Absterben nahen 
Wurzeln. Die Pilzklumpen sind ehemisch sehr wesentlich verändert. 
Den großen Eiweißgehalt, der ihnen eigen war, haben sie, wie die 
chemischen Reaktionen erkennen lassen, verloren. Kern und Plasma- 
haut sind aber in diesen Zellen noch vorhanden, also hat das lebende 


1) Anm. Berichte der deutsch. botan. Gesellsch., IX. Jahrg., 7. Heft, 1891. 
25 * 





436 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


Plasma den Pilz seines Eiweißes beraubt. „So hängt er also aus- 
gesogen in dem Protoplasma der Zelle, wie die Fliege im Spinnen- 
netze oder wie die Blattlaus in den Digestionsdrüsen des Drosera- 
Blattes“. Es sind also die Orchideen und mit ihnen viele andere 
humusbewohnende Pflanzenarten „pilzfressende“ Pflanzen. Seine Ent- 
wicklungsfähigkeit hat der von seinem Wirte gefangene Pilz schon 
früh verloren, indem er unfähig ist außerhalb des Wurzel- 
plasmas zu vegetieren. „Der Pilz wird unter dem Einfluss des ihn 
hegenden Protoplasmas der Wurzelzelle degeneriert“. 

Den Ericaceen sind, wie wir durch Frank’s Untersuchungen 
wissen, eigentümliche Wurzelorgane eigen, „in deren besonders weiten 
Epidermiszellen konstant Nester von Pilzfadenknäueln liegen, welche 
durch Fäden unter sich und mit den epiphyt- wachsenden Pilzfäden 
zusammenhängen“. Auch hier ist der Eiweißreichtum des Pilzes in 
den jungen, seine größte Eiweißarmut in den ältern Wurzeln nach- 
weisbar. 

Die Pilzsymbiose der Leguminosen haben wir in einem frühern 
Referate einlässlicher besprochen. Die neuen Forschungen vorab auch 
Frank’s haben zu folgenden neuern Erkenntnissen geführt. „Ein 
Spaltpilz, dessen Keime allgemein in den Vegetationsböden verbreitet 
sind, wird durch gewisse Anlockungsmittel, die von der Leguminosen- 
wurzel ausgehen, gleichsam eingefangen. In einem Organe, welches 
aus den Zellen der primären Wurzelrinde, in die der Pilz übergeleitet 
worden ist, sich entwickelt, in den Wurzelknöllchen, wird der Pilz 
zu enormer Vermehrung veranlasst“. Dabei haben die Wurzelzellen 
selbst den Reiz zu sehr bedeutender Vermehrung empfangen. „Das 
Wurzelknöllchen ist also seinem wesentlichen Charakter nach eine 
auf Erzeugung großer Pilzmassen angelegte Pilzbrutstätte“. 

Auch hier sind die in diese Wurzelzellen eingeführten Bakterien 
während ihres ganzen Lebens im Plasma eingeschlossen, unter dessen 
Einwirkung der Spaltpilz Umwandlungen erfährt, die ihn zu den 
„Bakteroiden“ werden lassen. „Die letztern sind gleichsam hyper- 
trophierte Spaltpilze“. Ihr Körper ist gleichsam mit Eiweißmaterial 
gemästet. Seine Vegetationsfähigkeit außerhalb des Wurzelplasmas 
ist ebenfalls völlig verloren gegangen oder doch sehr geschwächt. 
Zur Zeit der Ausbildung der Früchte werden diese Eiweißspeicher 
gleich echten Reservestoffen zum großen Teil verbraucht. „In den 
Zellen, aus denen die Bakteroiden resorbiert sind, bleiben zahlreiche 
entwicklungsfähige Keime des Spaltpilzes von der Beschaffenheit der- 
jenigen, wie sie bei der Einwanderung in die Wurzel beobachtet 
werden, zurück und gelangen bei der Verwesung der Knöllchenüber- 
reste wieder in den Boden“. Ein Teil der Bakterien vermag sich 
also dem degenerierenden Einflusse des Plasmas zu entziehen. 

Gewisse Parenchymzellen der Wurzelrinde der Erlen enthalten 
ebenfalls Komplexe von Pilzfäden. Sie laufen durch die trennende 





Keller, Fortschritte der Pflanzenphvsiolosie, A437 
I y fo} +94 


Wand von Zelle zu Zelle, eine Verbindung zwischen den verschiedenen 
Fadenknäueln herstellend. „Gegen den Vegetationspunkt hin dringen 
die Fäden schrittweise weiter vor, so dass man in günstigsten Fällen 
Zellen findet, in welche eben erst einige Fäden aus der nächstältern 
Zelle eingewandert sind, aber noch nicht zu einem Fadenknäuel sich 
verflochten haben“. Ist der Pilz in das Zellplasma eingetreten, dann 
tritt eine Vergrößerung des Zellkernes ein, volle Analogie zu den 
Verhältnissen der Orchideen. Und diese Uebereinstimmung erstreckt 
sich auch auf das Schicksal des Pilzes,. Nachdem der Pilz zu einem 
sehr kräftigen Fadenknäuel in der Zelle herangewachsen ist, blähen 
sich die peripheren Fäden blasenförmig auf. Der nun traubenförmige 
Pilzkörper zeigt die Eiweißreaktion in sehr ausgesprochenem Maße. 
„Der Pilz ist nun durch den Einfluss des Erlen-Protoplasmas degene- 
riert, zu einem von Eiweiß strotzenden Monstrum verbildet“. Bald 
wird es seines Eiweißes durch das umschließende Plasma beraubt. 
In ältern Wurzelpartien tritt an seine Stelle ein zusammengeschrumpf- 
ter eiweißloser Körper „Die Wurzelanschwellungen sind von viel- 
jähriger Dauer; jedes Jahr wachsen sie an ihre Spitzen weiter, mit 
ihnen aber auch der Pilz, und so wiederholt sich das Spiel immer 
von Neuem“. Der Verlust der selbständigen Entwicklungsfähigkeit 
ist auch hier eine Folge der Degeneration. 

So ist also die überaus eigenartige Symbiose zwischen verschie- 
densten Phanerogamen und Pilzen, in welchen diese bezw. ihr De- 
generationsprodukt die Rolle eines Eiweißreservestoftes spielen, allem 
Anschein nach sehr verbreitet. „Die pilzfressenden Pflanzen wissen 
mit noch raffinierteren Einrichtungen Pilze als ihre auserkorenen Opfer 
in ihr Protoplasma einzufangen, darin groß zu züchten und schließlich 
zu verdauen um so von der reichen Eiweißproduktion gerade der Pilze, 
die die letzteren ja auch als menschliches Nahrungsmittel wertvoll 
macht, Nutzen zu ziehn. Es geht hierbei also der eine der beiden 
Symbionten im Organismus des andern derart auf, dass er wie ein 
stofflieher Bestandteil des letzteren erscheint, der im Stoffwechsel 
schließlich verbraucht wird“. — 

Eine Berichterstattung über die wichtigsten Erscheinungen jenes 
Zweiges der Pflanzenphysiologie, der den Inhalt der Teratologie aus- 
macht, gehörte bisher zu den schwierigen Dingen, sobald sie sich 
nicht an speziellste Fachkreise wandte. Nicht dass die teratologischen 
Publikationen besonders dünn gesäht wären. Es umfasst im Gegen- 
teil die Pflanzenteratologie eine umfangreiche, wenn auch sehr zer- 
streute Litteratur. Doch diese Publikationen beziehen sich in ihrer 
überwiegenden Zahl anf Einzelbeobachtungen, sind Studien und Be- 
schreibungen zufällig aufgefundener Objekte. Ausgedehntere, auf 
breiter Basis aufbauende Forschungen über in sich abgeschlossene 
Gruppen von Bildungsabweichungen, die zur Quelle gründlicher Er- 
kenntnis bestimmter abnormer Bildungsvorgänge werden könnten, 


438 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


sind vereinzelte Erscheinungen. Dass aber auch das Studium der 
Bildungsabweichungen die monographische Darstellung ermöglicht, die 
auf methodisch geschaffenem Materiale fußt, zeigt uns die Mono- 
graphie der Zwangsdrehungen von Hugo de Vries in 
schönster Weise. 

Zwei tordierte Exemplare von Dipsacus silvestris macht Verf. zu 
den Stammeltern einer großen Zahl von Individuen, die diese Bildungs- 
abweichung mehr oder weniger ausgesprochen in mancherlei Stadien 
und Uebergängen zeigen, indem er deren Kreuzung mit normalen 
Individuen verunmöglicht. Unter 1643 unmittelbaren Descendenten 
treten wieder 2 tordierte Individuen auf, die Stammhalter einer fol- 
genden Generation. Dabei wird darauf Bedacht genommen, dass jede 
Bestäubung mit normalen Individuen ausbleibt. Aus nichttordierten 
Exemplaren ließ sich ebenfalls ein reiches Beobachtungsmaterial ge- 
winnen. Ueber dem Wurzelhals wurden sie abgeschnitten. Aus den 
Achseln der Wurzelblätter trieben zahlreiche kräftige Schösslinge, 
von welchen sehr viele kleinere Torsionen und andere Bildungsab- 
weichungen lieferten. Von 1616 Individuen, welche die Abkömmlinge 
des vollkommener tordierten Exemplares der zweiten Generation waren, 
zeigten 67 Individuen Zwangsdrehung, d. h. 4,1°/,. Daneben traten 
46 Exemplare mit 3gliederigen Wirteln auf, während in der voran- 
gegangenen Generation nur zwei Individuen diese Bildungsabweichung 
zeigten. Rechtsläufige und linksläufige Zwangsdrehung war in unge- 
fähr gleicher Individuenzahl vertreten. Von den Individuen, welche 
die Zwangsdrehung am schönsten zeigten, wurden in einer folgenden 
Generation bis 10°/, tordierter Exemplare erhalten. Von den Stock- 
ausschlägen der 3. Generation zeigten im Maximum 29°/, der Seiten- 
äste Bildungsabweichungen in der Blattstellung und 9°/, Seitenäste 
mit lokalen Zwangsdrehungen. 

Die Zwangsdrehung ist also eine erbliche Erscheinung. Durch 
Zucehtwahl ist sie zu fixieren. So ist es nieht unwahrscheinlich, dass 
durch geeignete Kulturen auch bei anderen teratologischen Erschei- 
nungen eine erbliche Rasse gewonnen werden kann und damit eben 
ein für monographische Zwecke geeignetes Material. 

Der Begriff der Zwangsdrehung ist von Braun in folgendem Sinne 
verstanden worden. „Zu den abnormen Drehungen, schreibt er, welche 
dem kurzen Weg der Blattstellung folgen, gehört die Zwangsdrehung, 
welche bei vielen Pflanzen eintritt, wenn die normal paarige oder 
quirlständige Anordnung der Blätter in eine spiralige übergeht. Wenn 
nämlich in solehen Uebergangsfällen die in spiraliger Ordnung sich 
folgenden Blätter an der Basis einseitig, der Spirale folgend, zusammen- 
hängen, so mnss der Stengel, in seiner allseitigen Streckung behindert, 
durch ungleiche Dehnung eine spiralige Drehung annehmen, die so 
weit gehen kann, dass die Blätter mit senkrecht gestellter Basis eine 
einzige Reihe bilden. Der im Längenwuchs behinderte Stengel dehnt 








Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 439 


sich dabei oft stark in die Dicke und erscheint dann monströs auf- 
geblasen“. 

Wie stellt sich nun das reiche Beobachtungsmaterial auf das 
de Vries sich stützen kann, zu dieser Braun’schen Theorie. 

Die normalen Pflanzen von Dipsacus silvesiris haben dekussierte 
Blattstellung von den Kotyledonen an bis hinauf in die Inflorescenz. 
Unter den Descendenten der tordierten Vorfahren finden sich Indivi- 
duen mit 3zähligen Quirlen, selten mit 4zähligen. An allen Individuen 
aber, deren Axen Zwangsdrehung zeigen, sind die Blätter in spiraliger 
Anordnung vorhanden. Die Untersuchung der Anordnung der Blätter 
in der Knospe zeigt, dass diese abnorme Blattstellung lange vor dem 
ersten Anfang der Torsion auftritt. Die Divergenz beträgt gewöhn- 
lieh 138°, entspricht also der Formel 5/,,. Wie bei der normalen 
Pflanze die breiten Flügel der Blätter mit einander verwachsen sind, 
wobei jedes Blatt den halben Umfang des Stengels umfasst, so sind 
sie bei spiraliger Anordnung der Blätter ebenfalls verwachsen, /,, des 
Stengels umfassend. Die am Vegetationskegel in spiraliger Anord- 
nung angelegten Blätter sind also zu einem einzigen Bande vereint. 
Auf den Bau des Stengels übt dies natürlich einen bestimmten Ein- 
fluss aus. Die gürtelförmigen Gefäßstrangverbindungen sind auch bei 
den Blättern der tordierten Axen vorhanden. Sie liegen außerhalb 
des Gefäßbündelkreises, sind somit noch zum Blatte zu rechnen Das 
Diaphragma der Knoten teilt durch seinen queren Verlauf den hohlen 
Stengel einer normalen Dipsacus- Pflanze. Durchschneidet man den 
Stengel einer tordierten Pflanze, dann beobachtet man, dass zwar der 
Stengel auch hohi ist, die Fächerung aber fehlt. Dafür sieht man im 
innern des Hohlzylinders, einer Wendeltreppe ähnlich, eine hervor- 
ragende Leiste. Sie entspricht genau dem Ansatz der Blattspirale, 
also muss sie als die Vereinigung der Diaphragmastücke der einzelnen 
Blätter angesehen werden. 

Vergleichen wir diese abnorme Blattspirale von Dipsacus mit der 
normalen Blattspirale z. B. einer Umbellifere, so fällt sofort auf, dass 
hier das Diaphragma als Querwand durch den Stengel geht. Dem 
entsprechend können sich hier die Internodien ungehindert strecken. 
Die spiralige Blattstellung an sich bedingt also eine Zwangsdrehung 
nicht. Notwendig ist vielmehr, was wohl bei Pflanzen mit gegen- 
ständigen Blättern das gewöhnlich Verhalten ist, dagegen spiraligen 
Blättern fehlt, dass die Blätter mit einander verwachsen seien. 

Dass die spiralige Blattstellung vor dem Beginn der Torsion am 
Vegetationskegel zu beobachten ist, wurde bereits erwähnt. Die 
Torsion aber fängt erst an, sobald sieh die Internodien bedeutend zu 
strecken beginnen. Das Blatt hat zu dieser Zeit bereits eine anschn- 
liche Größe, 15—20 mm, erreicht. 

Eine endgiltige Entscheidung über die Ursache der Zwangs- 
drehung ist natürlich nur auf Grund von Versuchen möglich. Diese 


AA0 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 


galten in erster Linie der Prüfung der Theorie von Magnus. Er 
hat die Ansicht ausgesprochen, dass die Zwangsdrehung auf eine 
Hemmmung des Längenwachstums zurückzuführen sei, welche der 
jugendliche Stengel durch den Druck der abgehenden Blätter erfahre. 
Um diesen vermuteten Druck aufzuheben schnitt Verf. die Blätter 
während des Drehens am drehenden Stengel dieht über der Insertions- 
stelle ab. Ein merklicher Einfluss auf die Torsion wurde nicht be- 
obachtet. Die Verdunklung tordierender Individuen, durch welche die 
Festigkeit der Blätter geschwächt, also das Vermögen einen Druck 
auszuüben vermindert werden sollte, hatte auf die Zwangsdrehung 
des Stengels ebenfalls keinen Einfluss. 

Der Verlauf der Zwangsdrehung lässt eine Periode schneller Dreh- 
ung erkennen, die mit der Periode der starken Streekung zusammen- 
fallen dürfte. Ist also vielleicht in der Gürtelverbindung der Gefäß- 
bündel der Blätter die Ursache der Torsion zu sehen? Sie stellt ein 
ununterbrochenes Schraubenband um die junge Stengelspitze dar und 
ist, wie oben bereits erwähnt wurde, im Blattgrunde außerhalb des 
Steneels.. Wenn man also die Verbindung der benachbarten Blattflügel 
am Stengel wegschneidet oder abkratzt, dann kann man diese Gürtel- 
verbindung entfernen. An verschiedenen Pflanzen wurde, während der 
kräftigen Streckung des untern Absehnitts des sich drehenden Stengels 
alle Gürtelverbindungen über mehrere Umgänge der Blattspirale abge- 
tragen und zwar je vor oder im allerersten Anfang der Torsion. Dennoch 
ging diese in ganz normaler Weise vor sich. In zweiter Linie wurde 
der allfällige Einfluss des schraubenförmigen Diaphragmas geprüft. 
Wohl enthält es keine Gefäßbündel. Es konnte aber doch als kon- 
tinuierliches Band die Hemmung bedingen, welche nach Braun’s 
Auffassung die Drehung herbeiführt. Wurden von außen Einschnitte 
zwischen je 2 Blättern gemacht, dann wurde dadurch die Kontinuität 
aufgehoben. Sobald sich aber die Schnitte nieht wesentlich aufwärts 
oder abwärts von der Ansatzlinie der Blätter erstrecken, geht die 
Drehung ungestört weiter. Anders sobald sich die Einschnitte eine 
kleinere oder größere Strecke weit von der Ansatzstelle ausdehnen. 
Da gelang es denn die Drehung stellenweise völlig aufzuheben, wäh- 
rend sie oberhalb und unterhalb der Versuchsstrecke eine sehr starke 
blieb. Die getrennten Blätter wurden durch das Wachstum in verti- 
kaler Richtung auseinander geschoben und zwar bis zu 2 cm, wobei 
der Stengelteil gerade gestreckt wurde, die Insertion der Blätter 
nahezu quer zur Stengelaxe standen. 

Um noch größere Strecken gerade zu erhalten wurden längere 
und zahlreichere Einschnitte gemacht und sie wurden von 1—2 In- 
sertionen in derartiger Entfernung von einander angebracht, dass sieh 
ihr Einfluss auf die dazwischen liegenden Partien des Stengels sum- 
mieren konnte. Durch solche Versuche ergab sich, dass die von 
zwei parallelen Schnitten isolierten Streifen keine Torsion erfuhren. 





Molisch, Die Pflanze in ihren Beziehungen zum Eisen. 441 


„Als Schlussergebnis zeigt sich, dass als mechanische Ursache der 
Torsion nicht allein die spiralige Verwachsung der Blattbasen mit 
ihren Gürtelverbindungen und dem Diaphragma in der Höhlung des 
Stengels betrachtet werden muss, sondern die spiralige Anordnung 
der Blattbasen nebst den von ihren Blattspuren durchlaufenen Ab- 
teilungen des Stengels (für jedes Blatt bis zum nächst untern Umgang 
der Spirale gerechnet). Erst wenn, oder soweit diese Abteilungen von 
einander losgelöst werden, bleibt die Drehung aus“. 

Die mannigfachen Erscheinungsformen an Dipsacus silvestris torsus 
bestätigen also Braun’s Theorie von der Zwangsdrehung. 


H. Molisch, Die Pflanze in ihren Beziehungen zum Eisen, 
eine physiologische Studie. 
Jena, G. Fischer, 1892. 

Dem Verf. war es vor allem darum zu thun, über das Vor- 
kommen des Eisens im Pflanzenreiche und über die Ver- 
teilung desselben in der Pflanze, in Organen und Zellen, ins 
Klare zu kommen. 

Die Chemie bietet dazu hochfeine Reaktionen dar (Blutlaugensalz- 
reaktion ete.); trotzdem hätte M. die gestellte Frage nur unvollständig 
lösen können, wenn es ihm nicht geglückt wäre, eine über alles Er- 
warten empfindliche und sichere Methode ausfindig zu machen, die 
es gestattete, „auch jenes mit organischen Körpern fest verbundene 
Eisen direkt unter dem Mikroskop nachzuweisen, das für die gewöhn- 
lichen Reaktionen nicht zugänglich war, weil es, um mit dem Chemiker 
zu reden, im maskierten Zustand vorliegt“. 

Die meisten organischen Verbindungen, welche Eisen in maskierter 
Form enthalten, lassen selbst in ganz außerordentlich geringen Mengen 
ihr Eisen erkennen, wofern man die betreffenden Objekte ein oder 
mehrere Tage oder Wochen in gesättigter wässeriger (eisenfreier) 
Kalilauge liegen lässt und dann nach dem raschen Auswaschen in 
reinem Wasser den gewöhnlichen Eisenreaktionen, am besten der 
Ferrocyankaliumprobe, unterwirft. 

Mit Hilfe dieser Methode konnte gezeigt werden, dass das Eisen 
kurze Zeit nach seinem Eintritt in die Pflanze sich an organische 
Substanz kettet und dann in maskierter Form auftritt, und ferner, 
dass in der Regel die Hauptmasse des in der Pflanze vorkommenden 
Eisens uns in solehem Zustande begegnet. 

Im II. Abschnitt legt Verf. seine Untersuchungen über Vorkommen 
und Verbreitung des locker gebundenen Eisens (direkt nach- 
weisbar durch 2proz. Blutlaugensalzlösung + 10 proz. Salzsäure) dar. 
Er konnte bei Objekten der verschiedensten Abteilungen des Gewächs- 
reiches auf diese Weise Eisen auffinden, doch auch bei sehr vielen 


r 


42 Molisch, Die Pflanze in ihren Beziehungen zum Eisen. 


I 


nicht; so ergaben von etwa 100 untersuchten Algengattungen nur 20 
Eisen in unbedeutenden, seltener in größeren oder gar beträchtlichen 
Mengen. Unter den Flechten sind es besonders die als „formae oxy- 
datae, ochraceae“ oder als Flechten „thallo ferrugineo“ bekannten 
Arten, welche direkte Eisenreaktion geben; Verf. nennt sie „Eisen- 
fleehten“. Auch bei den Moosen lernte M. einige bemerkenswerte 
Beispiele eisenreicher Pflanzen kennen. !n den Samen der Phanero- 
gamen lässt sich Eisen ebenfalls häufig direkt nachweisen, insbeson- 
dere gelingt das gut bei den Cruciferen, beispielsweise bei dem weißen 
Senfsamen. Während der Keimung verschwindet die Eisenverbindung 
(eine Oxydverbindung) innerhalb der ersten oder zweiten Woche völlig, 
gleichgiltig ob man die Keimlinge im Licht oder im Finstern erzieht. 
„Das Eisen tritt eben in die maskierte Form ein“. 

Der III. Abschnitt handelt von Vorkommen und Verbrei- 
tung des maskierten Eisens. Während das locker gebundene 
Eisen nicht gerade häufig auftritt, wurde das maskierte (in orga- 
nischer Verbindung befindliche nieht direkt fällbare) Eisen von Verf. 
in keiner der untersuchten Pflanzen vermisst, womit auch 
die analytische Thatsache im Einklang steht, dass das Eisen in keiner 
Pflanzenasche fehlt. Die Hauptmasse, ja man kann sagen, nahezu 
das ganze Eisen steckt in organischer maskierter Form in der Pflanze. 
Alle Erfahrungen des Verf. zusammengenommen gestatten den Schluss, 
dass jede Pflanze Eisen enthält, und wenn diese mehrzellig ist, auch 
die meisten ihrer Zellen, bald im Inhalt, bald in der Wand, bald in 
beiden. Die verholzten Zeliwände enthalten stets maskiertes Eisen 
in relativ großer Menge; in den Globoiden der Proteinkörner ist Eisen 
aufgespeichert und zwar in Verbindung mit einer organischen Sub- 
stanz. Obwohl das Eisen alle Organe und Gewebe der Pflanze bald 
in größerer bald in geringerer Menge durchdringt, wird es überdies 
noch an bestimmten Orten zur Reserve aufgespeichert, um gelegent- 
lich wieder verbraucht zu werden. 

Im IV. Abschnitt, welcher die Eisenbakterien behandelt, tritt 
Verf. den bekannten Aufstellungen Winogradsky’s über die Be- 
deutung des Eisens für jene Pilze entgegen. Die Eisenbakterien haben 
braune Scheiden, welche mit Eisenoxyd durchsetzt sind. Nach W. nun 
soll der Gehalt an Eisenoxyd von einer Lebensthätigkeit der Bakterien 
herrühren, bei welcher Eisenoxydul zu Eisenoxyd oxydiert wird; das 
Eisenoxydul soll unentbehrlich für diese Bakterien sein, indem durch 
dessen Oxydation Wärme frei wird und die Lebensprozesse der Eisen- 
bakterien hauptsächlich auf Kosten dieser Oxydation im Gange er- 
halten werden. Ferner soll die Entstehung von Sumpf- und Wiesen- 
Erz oder Raseneisenstein auf die Thätigkeit dieser Organismen zurück- 
zuführen sein. 

Verf. weist nun nach, dass die Eisenbakterien auch ganz gut 
gedeihen, wenn man ihnen keine Gelegenheit zur Eiseneinlagerung 





Molisch, Die Pflanze in ihren Beziehungen zum Eisen. 44) 


gibt (in eisenfreien Lösungen), womit der wichtigste Satz der Wino- 
gradsky’schen Abhandlung!) fällt, demzufolge die Eisenbakterien 
eine Art Ausnahmestellung in der Reihe der Pflanzen einnehmen, 
insofern ihre Lebensprozesse durch die Oxydation von Eisenoxydul 
zu Eisenoxyd unterhalten werden sollen. Nach M. liegt das Auffallende 
der Eisenbakterien gar nicht in einem spezifischen Oxydationsvermögen, 
sondern vielmehr in einer merkwürdigen Anziehungskraft der Gallert- 
scheide für Eisenverbindungen. Dass dieselben hier als Oxyde nieder- 
geschlagen werden, kann in Anbetracht der außerordentlich leichten 
Oxydationsfähigkeit des Eisenoxyduls Niemand Wunder nehmen. 

Bezüglich der Entstehung der Raseneisenerze führt Verf. an, dass 
von 34 von ihm untersuchten Erzen nur 2 wirklich Eisenbakterien 
enthielten. „Wir müssen also schließen, dass die Entstehung der 
Raseneisenerze nicht ursächlich an die Thätigkeit von Eisenbakterien 
geknüpft ist, sondern dass dieselbe in der Regel ohne Intervention 
der genannten Organismen von Statten geht, dass sich aber diese 
unter Umständen an der Entstehung und Zusammensetzung der Rasen- 
eisenerze beteiligen, ja daran sogar hervorragenden Anteil nehmen 
können“. 

Im V. Abschnitt wird die Frage diskutiert, ob der Chlorophyll- 
farbstoff eisenhaltig ist. Nach des Verf. Untersuchungen ent- 
hält das Chlorophyllmolekül keinEisen und sind alle gegen- 
teiligen Resultate anderer Forscher auf den Eisengehalt der zum 
Ausziehen des Chlorophyils angewandten Lösungsmittel zurückzuführen. 
„Zweifellos haben die beiden Thatsachen, dass zur Chlorophyll- 
entstehung Eisen notwendig ist und dass der im tierischen und 
menschlichen Stoffwechsel eine so hervorragende Rolle spielende Blut- 
farbstoff eine Eisenverbindung ist, die Forscher verlockt, die in der 
Chlorophyllasche aufgefundenen Eisenspuren dem Chlorophyll selbst 
zuzuschreiben“. 

Verf. verwandte zu seinen Versuchen gewöhnlich 200 bis 500 g 
frischer Blätter und zur Extraktion derselben ca. !/,;—1 Ltr. Alkohol. 
100 em? Benzin genügten zur Ausschüttelung; gewonnen wurden auf 
100 g etwa 1 g Farbstof. Das zur Verdünnung des Alkohols 
verwendete destillierte Wasser, der Alkohol und das 
Benzin wurden, weil sie nachweisbare Eisenmengen ent- 
hielten, vor ihrem Gebrauch nochmals mit aller nur möglichen 
Sorgfalt überdestilliert, das Filtrieren der Chlorophylllösung geschah 
nur durch aschefreie Filter. So wurde ein Chlorophyll gewonnen, 
dessen Asche entweder kein Eisen oder höchstgeringe Spuren des- 
selben enthielt. 

Der VI. Abschnitt ist der Chlorose gewidmet. Verf. führt darin 
aus, „dass mit dem Mangel an Eisen im Organismus, gleichgiltig ob 





4) Ueber Eisenbakterien. Bot. Zeitung, 1888, S. 261 fg. 


444 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


grün oder nichtgrün, Störungen eintreten, die eine normale Funktion 
des Plasmas überhaupt nicht zulassen. Trifft dies für die grüne 
Pflanze zu, dann wäre die Chlorose höchstwahrscheinlich nicht eine 
direkte Folge dieser Störungen und mithin bloß ein Symptom eines 
krankhaften Zustandes des Protoplasmas“. 

Im Anschluss hieran setzt Verf. im VI. Absehnitt „über die 
Notwendigkeit des Eisens für die Pilze“ auseinander, dass 
das Eisen ein normaler Bestandteil auch der Pilze sei, 
für welche mehrfach eine Entbehrlichkeit des Eisens behauptet wurde. 
Alle von M. geprüften Pilze enthalten Eisen und zwar ebenso wie: 
die andern Pflanzen gewöhnlich in fester organischer Bindung, d. h. 
in maskierter Form. Kulturversuche mit sorgfältig hergestellten Nähr- 
lösungen thaten ebenfalls die Wichtigkeit des Eisens für die Pilze 
dar; besonders wichtig scheint es für die Fruchtbildung zu sein. 

Damit ist der herrschenden Lehre, wonach dem Eisen nur eine 
Funktion, nämlich die der Chlorophylibildung zukommt, der Boden 
entzogen. 

Hiemit schließt die wertvolle Arbeit, welche uns zwar über die 
spezielle physiologische Funktion des Eisens im Dunkeln lässt, aber 
alte Irrtümer in dieser Hinsicht beseitigt, und durch den allgemeinen 
mikrochemischen Nachweis des Eisens in Pflanzengeweben eine ge- 
eignete Basis zu weiterer Untersuchung liefert. 

T. Bokorny (Erlangen). 


Zum Integument niederer Wirbeltiere abermals. 


Von F. Leydig. 

In neueren, den Bau der Amphibienhaut berücksichtigenden 
Arbeiten kommen so manche Angaben und Behauptungen vor, welche 
ich nach dem, was ich über den Gegenstand zu wissen glaube, für 
unrichtig erklären darf. Auf dergleichen Punkte einzugehen, nehme 
ich mir hiermit die Freiheit, indem ich der Meinung bin, dass sowohl 
das wissenschaftliche Interesse an sich, als auch der Wunsch die 
Kenntnis der Sache zu fördern, dies rechtfertigen kann. 


Cuticula der Epidermis. 
Seit Langem verteidige ich die Ansicht, dass auch bei Amphibien 
im fertigen Zustande eine Cutieula zugegen sei, entweder so, dass 
sie sich an gewissen Körperstellen in Form eines zusammenhängenden 


homogenen Häutchens — eigentliche Cutieula — abheben lässt, 
oder in der Art, dass sie sich nur als dünne doppellinige Schieht — Cuti- 
eularsaum — der obersten platten Epidermiszellen darstellt. 


Aus verschiedenen der mir gemachten Gegenbemerkungen em- 
pfange ich den Eindruck, als ob meine Auseinandersetzungen !) nicht 

1) z. B. in: Allgemeine Bedeckungen der Amphibien. Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, 1876. 








Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 44h 


immer völlig verstanden worden seien, was ich mir zum Teil daraus 
erkläre, dass die Autoren jene Arbeiten, welche die erläuternden Ab- 
bildungen brachten, gar nicht angesehen haben !). Auch meine letzten 
die Cutieula betreffenden Studien?) sind von den Gegnern nicht be- 
achtet worden. Bevor daher die Unrichtigkeit meiner Einzelbeobach- 
tungen nicht nachgewiesen werden kann, sage ich mich von meiner 
Auffassung keineswegs los, ja ich fühle mich im Gegenteil darin be- 
stärkt durch das, was mir unterdessen an der Epidermis eines Fisches 
zu Gesicht kam. 

Die Karpfenart Discognathus zeigt nämlich auf ihrer Epidermis, 
bei starker Vergrößerung und von der Fläche betrachtet, ein gewisses 
streifiges Wesen, das sich für die weitere Prüfung als eine Art Skulptur 
ergibt. Die Membran der sehr platten obersten Zellen erscheint als 
homogener Saum, dessen Verdiekungen das Streifenwesen erzeugt. 
Von diesem Cutieularsaum weg erheben sich alsdann an gewissen 
Körperstellen, insbesondere auf den Flossenstrahlen, neue Verdiekungen 
in Form von Spitzen, Dörnchen oder Stächelchen, die jetzt für unbe- 
zweifelbare Cutieularbildungen anzusprechen sind. Der Uebergang der 
streifigen Skulptur in die Dörnchen lässt sich gut verfolgen: am Rande 
des Flossenstrahles z. B. entstehen ganz allmählich die feinen Spitzen 
der Epidermiszellen, werden größer auf der Wölbung des Strahles, 
um zuletzt wieder, gegen die Zwischenhaut der Strahlen hin, sich zu 
verlieren. Was man sieht, schließt also genau an das bei Amphibien) 
vorkommende an: ein doppelliniger homogener Saum bildet das An- 
fangsstadium einer Cuticula, woraus dann weiterhin an bestimmten 
Körperstellen diekere Erhebungen hervorgehen. Noch mag hierzu, 
wenn auch im Augenblick als etwas Nebensächliches, erwähnt sein, 
dass sich besagte Döruchen des Discognathus in eine Art Sockel und 
Endspitze gliedern, wovon die letztere, weil mehr erhärtet, etwas 
Glänzendes an sich hat; übrigens steht auf der Zelle das Dörnchen 
gerade dort, wo in der Tiefe der Kern liegt. 

Seiner Zeit hatte ich auch zu berichten über auffallende Ver- 
änderungen, welche an der Cutieula von Triton, nach dem Wechsel 
von Land- und Wasseraufenthalt, sich vollziehen. Bei der ge- 
nannten Molehgattung nämlich verbreiten sich in der Epidermis Zellen, 
welehe durch Größe und körniges Protoplasma etwas eigenartiges an 
sich haben und wovon jede ein Cutieularkäppchen über sich trägt. 


4) Ich habe hiebei insbesondere im Auge die Tafeln zu: Bau der Zehen 
bei Batrachiern. Morphol. Jahrb., Bd. II; dann: Hautdecke und Hautsinnes- 
organe der Urodelen. Morphol. Jahrb., Bd. II; endlich auch die histologischen 
Zeichnungen in: Anure Batrachier der deutschen Fauna, 1877. 

2) In: Zelle und Gewebe. Bonn 1885. 

3) Vergl. namentlich die Abbildungen über die Skulpturen von Bufo, Bom- 
binator, Rana, Triton, Geotriton in: Bau der Zehen bei Batrachiern. Morph 
Jahrb., Bd. II, Taf. VII, IX u. X. 


446 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


Beim Wasseraufenthalt, während der Laichzeit, sind die Cutieular- 
käppehen niedrig, rundlich und glattflächig, hingegen während des 
Landaufenthaltes, im Herbst und Winter, ändern sich die Käppehen 
dahin um, dass sie an Höhe zunehmen und zu abgestumpften Kegeln 
werden, und zugleich auf den früher glatten Flächen jetzt Kanten 
und Furchen entstehen lassen. Mit dieser Umformung der QCutieular- 
käppchen vergesellschaftet sich auch zeitlich eine Leistenbildung, 
welche von der ganzen übrigen Cuticula der Epidermis entwickelt 
wird. Das durch Beides hervorgerufene und geradezu merkwürdige 
Aussehen habe ich in Abbildungen festgehalten, welehe von der Fläche 
und im senkrechten Schnitt die Rückenhaut veranschaulichen!). 

Es will mir scheinen, dass die gemeldeten Thatsachen den Vor- 
stellungen, welche wir uns über die „Entstehung der Landtiere“ zu 
bilden versuchen, in manchem Betracht einigen Anhalt gewähren 2). 
Denn es liegt auf der Hand, dass von einem allgemeineren Gesichts- 
punkt aus dergleichen Umformungen auf Rechnung der austrocknenden 
Eigenschaft der atmosphärischen Luft zu bringen sein möchten. 


Stiftehenzellen der Epidermis. 


Eine bestimmte Ansicht darüber, unter welchen Teilen des Orga- 
nismus, ob unter die Sinneszellen, oder unter die Drüsenzellen 
man die Stiftchenzellen einzureihen habe, hat sich noch nicht fest- 
setzen lassen. Ich selber bleibe bei meiner Auffassung, dass ein ver- 
wandtschaftlicher Zug durch „Sinneszellen“ und „Drüsenzellen“ über- 
haupt geht?), demgemäß aber auch die Grenze zwischen beiden 
schwer zu ziehen ist. 

An den Elementen in der Epidermis der fertigen Frösche, Kröten 
und Molehe, welche andre und ich für „Drüsenzellen“ halten, sah ich 
beim Landsalamander aus der Oeffnung der Zelle einen pfropf- 
artigen Körper hervorragen, von einem gewissen glänzenden oder 
spiegelnden Wesen®). Diesem pfropfartigen Gebilde in den Drüsen- 
zellen der Epidermis ausgebildeter Tiere habe ich den kegeligen Vor- 
sprung wie er an der Mündung der „Stiftehenzellen“ bei Larven ge- 
sehen wird, verglichen’). Nach dieser Seite hin wären demnach die 





4) Morph. Jahrb., Bd. II, Taf. XX, Fig. 14 u. 15. Ein Stückchen der einen 
Figur findet sich, zwar nur dürftig nachgebildet, in: Pagenstecher, All- 
gemeine Zoologie, 1881, S. 720. 

2) Das anregende Werk von Simroth, Entstehung der Landtiere, 1891, 
hat freilich davon noch keinen Gebrauch gemacht 

3) Zelle und Gewebe, 1885, S. 103 („Sinneszellen verglichen mit Drüsen- 
zellen“). 

4) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen. Morph. Jahrb., Bd. I, 
Taf. XX, Fig. 18. — Rippenstacheln des Pleurodeles. Archiv f. Naturgesch., 
1829,18. 225. 

5) Zool. Anzeiger, 1885. 








Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 447 


Stiftehenzellen den Drüsenzellen anzuschließen und eine solche Zu- 
sammenstellung würde noch mehr gerechtfertigt erscheinen, wenn man 
in dem von mir angegebenen pfropfartigen Teil, welcher in echten 
Hautdrüsen vorkommt, eine gleichwertige, ins Große gehaltene Bildung, 
erblicken dürfte, wozu ich allerdings geneigt wäre. 

Andrerseits darf sich aber der Gedankengang auch dahin wenden, 
dass Sinneszellen das näher verwandte sein möchten, weil man Ursache 
hat, die Knöpfehen oder Höckerchen, welche den Becherorganen der 
Fische zukommen !), und ebenso die Stifte in den Hautsinnesorganen 
der Larven von Urodelen ?) gleichfalls für Bildungen anzusehen, welche 
dem „Pfropf“ verwandt sein können. 

Man könnte zur Stütze der Ansicht, wonach die Stiftehenzellen 
doch den Sinneszellen näher stünden als den Drüsenzellen, auch heran- 
ziehen, dass man Nervenfäden sich daran verlieren sah. Eine Be- 
obachtung die ich zwar nicht wiederholen konnte, aber nicht entfernt 
anzweifeln möchte. Ein ausschlaggebendes Gewicht kann ich aber 
der Thatsache deshalb nicht beilegen, weil mir bei Fischen an ein- 
zelnen Schleimzellen deren Verbindung mit Nerven sehr wahrschein- 
lich geworden war?), während doch die Mehrzahl dieser Elemente 
kaum als Endpunkte von Nerven gelten können. Hinwiederum bin 
ich bei Mollusken auf einzellige Hautdrüsen gestoßen, welche das Ende 
von Nerven aufnehmen*). Danach wäre also wieder zu schließen, 
dass die Stiftehenzellen und die einzelligen Hautdrüsen in dem einen, 
wie es scheint, seltneren Fall, mit Nerven sich verbinden, in den meisten 
Fällen dies aber nicht thun. 

Wie sehr es auch Andern schwer wird, Stellung in gegenwärtiger 
Frage zu nehmen, ersieht man aus den Aeußerungen von Looss, 
dem einzigen Beobachter, welcher sich meines Wissens unterdessen, 
nach eigener Besichtigung, über die Stiftehenzellen ausgesprochen hat. 
Schwankend ist auch dieser Autor geblieben, doch hebt er hervor, 
dass seine Wahrnehmungen der von mir vertretenen Auffassung, es 
bestehe ein „verwandtschaftlicher Zug zwischen Sinneszellen und 
Drüsenzellen“ das Wort reden?°). 


1) Hautdeeke und Hautsinnesorgane der Fische. Halle 1879. z. B. Fig. 26. 

2) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen. Morph. Jahrb, Bd. II, 
Fig. 1, 2 u. 3. — Ueber die Lage der Stiftehen und ihre kantige Oberflächen- 
bildung habe ich spätere Mitteilungen gegeben in: Zelle und Gewebe, Fig. 50, 
nur 52. 

3) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische, 1889, S. 138. 

4) Vergl. z. B. auf Taf. XIV, Fig. 29 in: Hautdecke und Schale der Gastro- 
poden. Archiv f. Naturgesch., 1876. 

5) Looss, Degenerationserscheinungen im Tierreich, besonders aber die 
Reduktion des Froschlarvenschwanzes und die im Verlaufe derselben auftreten- 
den histolytischen Prozesse, 1889. 


48 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


Hm 


Epidermiszellen zusammenhängend mit Elementen des 
Coriums. 


Schon vor Jahren bin ich auf die Frage eingegangen, ob die 
untersten Epidermiszellen der Fläche der Lederhaut bloß aufliegen 
oder in einer innigeren Beziehung zu den Gewebselementen der Cutis 
stehen. Es geschah dieses besonders im Hinblick auf Angaben von 
Billroth, welcher erklärt hatte, dass in der Zunge des Frosches 
längere und kürzere Endfortsätze der Zellen kontinuierlich in die 
Fasern der Papillen übergehen. Auch bezüglich der menschlichen 
Zunge sei wahrscheinlich das gleiche Verhalten anzunehmen; an der 
Lederhaut könne man vorläufig noch zu keinem bündigen Abschluss 
kommen !). Bei den von mir vorgenommenen Untersuchungen des 
Coriums verschiedener Säugetiere konnte ich ebenfalls nicht zu rechter 
Klarheit vordringen; doch war ich wenigstens zu dem Ergebnis ge- 
langt, dass die tiefsten, fadig ausgezogenen Zellen der Epidermis 
„fest angewachsen“ sind, also nicht einfach aufsitzen, welche Be- 
hauptung ich durch Anführung verschiedener Thatsachen begründete). 

Jahre nachher vermochte ich an der Hand besserer Hilfsmittel 
in der Haut von Fischen und Amphibien, sowie auch bei Säugetieren 
am Eierstocksepithel des Kalbes, den Zusammenhang zwischen 
den zelligen Elementen des Epithels und dem Bindegewebe be- 
stimmt aufzuzeigen®). Das Gleiche erkannten auch die beiden Sarasin 
an den Larven des Amphibiums Ichthyophis ®). 

Obschon nun ein derartiges Kontinuitätsverhältnis in morpho- 
logischer und physiologischer Hinsicht für bedeutsam gelten darf, so 
hatten doch bis vor Kurzem die vorstehenden Angaben keine Beach- 
tung gefunden. Erst jetzt hat ein jüngerer Beobachter, Schuberg, 
seine Aufmerksamkeit der Frage zugewendet und mit aller Schärfe 
den Zusammenhang von Epithel- und Bindegewebszellen dargethan. 
Einstweilen gelang der Nachweis an der Haut vom Laubfrosch, Axolotl 


Bau der Zylinder- und Flimmerepithelien und ihr Verhältnis zum Bindegewebe. 
Archiv f. Anatomie u. Phys., 1858. 

2) Ueber die äußeren Bedeckungen der Säugetiere. Archiv f. Anatomie 
u. Phys., 1859. 

3) Beiträge zur anatomischen Kenntnis der Hautdecke und Hautsinnes- 
organe der Fische, 1879, Naturf. Ges in Halle a/S. — Zelle und Gewebe. 
Bonn 1885. — Beiträge zur Kenntnis des tierischen Eies im unbefruchteten 
Zustande. Zool. Jahrb., 1889. 

4) Fritz Sarasin und Paul Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaft- 
licher Reisen auf Ceylon, 1837. 

5) Sehuberg, Ueber Zusammenhang von Epithel- und Bindegewebszellen. 
Sitzungsber, d. Würzburger phys.-med. Ges., 1891. — Ueber den Bau und die 
Funktion der Haftapparate des Laubfrosches, mit 2 Tafeln. Arbeiten aus dem 
zool.-zoot. Institut in Würzburg, Bd. X (1891). 











Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 449 


Man darf wohl die Ansicht hegen, dass das bezeichnete Verhältnis 
zwischen Epithel und bindegewebiger Unterlage ein allgemeineres ist, 
wenigstens vermag ich einen weiteren Beitrag zu liefern, der sich mir 
gelegentlich andrer Untersuchungen an Salmo fontinalis darbot. In 
der Haut dieses Knochenfisches, welcher größere zellige Elemente 
besitzt, als z. B. die Cyprinoiden, bekomme ich ebenfalls die Ver- 
bindung der Epidermis mit der Lederhaut deutlich vor Augen. 

Stehen an senkrechten Schnitten die untersten Zellen noch in 
unverschobener Lage, so biegen ihre Enden, anscheinend in einen 
einzigen Faden ausgehend, in leichter, beinahe geknickter Krümmung 
zur obern Fläche der Lederhaut herab. Hiebei könnte es auffallend 
erscheinen, dass das bogig-fadige Zellenende ein gegen den übrigen 
Zellenkörper etwas scharfliniges Aussehen hat, was sich aber als- 
bald aufklärt, wenn die Zellen in Unordnung geraten sind und so 
von verschiedenen Seiten sich darstellen. Man überzeugt sich jetzt, 
dass der scharfe Strich durch die Profilansicht bedingt ist: der untere 
Teil der Zelle ist nämlich bandartig platt und ruft mit seiner Kante 
die scharfe Linie hervor. Sonach handelt es sich um richtige Deu- 
tung eines optischen Bildes, auf welches ich schon vor Jahren auf- 
merksam machte!). Weiterhin wird bei genauem Zusehen erkannt, 
dass das Ende der Zellen nicht mit bandartiger Fläche in die Leder- 
haut sich einpflanzt, sondern es löst sich zuvor der Endsaum in kurze 
Fäserchen auf und diese erst sind es, welche in die Spitzen der 
rauhen Oberfläche des Coriums übergehen, genauer in das Plasma 
der obersten Zellenlage. Und auch das scheint mir noch erwähnens- 
wert, dass die obersten Bindegewebszellen, durch Größe und rund- 
liche Form der Kerne, den Zellen der Epidermis selber sehr ähnlich 
sind, und von der Fläche gesehen ein annähernd epitheliales Wesen 
an sich haben. Man wird an das gemahnt, was ich aus der Haut 
von Triton seiner Zeit zu veranschaulichen für gut befunden habe ?). 


Bindegewebe der Lederhaut. 


In Rücksicht auf dasjenige, was nachher über die Muskeln der 
Lederhaut zu erörtern sein wird, halte ich für passend zunächst der 
Ergebnisse zu gedenken, zu welchen ich durch wiederholte Beschäf- 
tigung mit dem Bau des Coriums gelangt war. 

Das Gewebe der Lederhaut scheidet sich in derbe wagrechte 
Lagen, die gewissermaßen den Grundstock des Coriums bilden, und 
zweitens in ein mehr weiches, lockeres Bindegewebe, welches zwei 
Grenzschichten herstellt, eine obere nach der Epidermis zuge- 








1) Histologie, S. 39, Fig. 21 C, Epithelzellen von Triton, „nach unten so 
komprimiert, dass sie bei gewisser Stellung in einen Faden auszulaufen 
scheinen“. 

2) Schwanzflosse, Tastkörperchen und Endorgane der Nerven bei Batrachiern. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XII (1876), Taf. XXI, Fig. 3. 

XII 29 


Y 





450 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


kehrte und eine untere, das Corium einwärts abschließende Lage. 
Beide Grenzschichten zeigen sich verbunden durch aufsteigende Züge, 
wodurch der senkrechte Schnitt der Lederhaut ein eigentümliches, 
wie in Felder geteiltes Aussehen erhält!). 

Zum geweblichen Charakter des Grundstockes der Lederhaut ge- 
hört es, dass in fertigem Zustande die Züge hauptsächlich aus homo- 
genen Platten bestehen, in jüngeren Tieren hingegen haben auch 
die wagrechten „Bündel“ noch ein zelliges Wesen. An der Larve 
vom Erdsalamander z. B. zeigt sich, dass das, was man herkömmlich 
als „Bindegewebsfibrillen“ beschreibt, Zellen sind, deren Substanz vom 
Kern weg flügelartig verbreitert ist. In der Profilansicht glaubt man 
gekräuselte Fibrillen vor sich zu haben, in Wirklichkeit handelt es 
sich aber um den Rand dünner Zellplatten, welche durch dichte 
Kräuselung wie Fasern erscheinen. 

Das lockere, die Grenzschichten und die säulenartigen Züge er- 
zeugende Bindegewebe behält zeitlebens eine eher zellige Natur, 
schon durch die zahlreichen, netzig zusammenfließenden Pigmentzellen, 
die hier ihren Hauptsitz haben. Außerdem hat dieses Gewebe näheren 
Bezug zu den Blut- und Lymphgefäßen und trägt auch die Nerven. 

Nach den Tierarten und nach den Körpergegenden des Einzel- 
tieres kommen mancherlei bemerkenswerte Verschiedenheiten vor in 
der Ausbildung des derben und des lockeren Bindegewebes. Bei 
Menopoma z. B. scheint hauptsächlich die Dicke der Haut bedingt zu 
sein nicht durch die derben wagrechten Lagen, sondern durch das 
lockere, gefäßtragende Bindegewebe, wohl im Zusammenhang mit den 
großen weiten Blutkapillaren, welche aus dieser Schicht aufsteigen 
und über die freie Fläche hinaus die Papillen erzeugen. Bei Sala- 
mandra ist die Lederhaut der Fußballen in ein Bindegewebe von sehr 
weicher Art umgewandelt, ohne regelmäßige Schichtung, die Balken- 
züge in verschiedener Richtung verflochten, der Hand- und Fußfläche 
etwas Geschwollenes verleihend ?). 





1) Zu weleh wunderlicher Deutung das dadurch entstandene Bild Andere 
verführen konnte, habe ich in: Organe eines sechsten Sinnes, 1868, S. 29, An- 
merkung 1, leicht gestreift. Der dort nicht genannte „berühmte Zoologe* ist 
der unterdessen verstorbene v. Siebold gewesen. 

2) Mit Untersuchung der Lederhaut des Grotten-Olms und des Frosches 
beginnend (Anat. histol. Untersuchungen über Fische und Reptilien, 1853 und 
Histologie, 1857), ließ ich ein Decennium später zur genaueren Darstellung einen 
Schnitt durch das Corium von Bombinator und Bufo folgen. (Organe eines sechsten | 
Sinnes; zugleich ein Beitrag zur Kenntnis des feineren Baues der Haut bei 
Amphibien und Reptilien, 1868.) Aus dem Bemühen, immer weiter in den Bau 
des Integumentes einzudringen, entstand die Arbeit: Ueber die allgemeinen 
Bedeckungen der Amphibien (Arch. f. mikrosk. Anat., 1876), welche sich über 
eine größere Anzahl anurer und urodeler Amphibien erstreckt. Auch schon 
früher hatte ich die Lederhaut mancher Urodelen (Triton, Salamandra in: 
Molche der Württembergischen Fauna, Arch, f. Naturgesch., 1867; Pleurodeles, 











Leydig, Integument niederer Wirbeltiere, 451 


Muskeln der Lederhaut. 


Vor mehr als drei Jahrzehnten — im Jahre 1853 — hatte Har- 
less die horizontal geschichteten Bindegewebslagen des Coriums für 
glatte Muskeln genommen, ein Fehler auf den ich bald nachher auf- 
merksam gemacht habe!). Darf man sich aber nicht höchlich ver- 
wundern, dass der gleiche Irrtum, trotz der vielen Untersuchungen 
welche unterdessen über den Bau der Amphibienhaut ans Licht ge- 
treten sind, sich auch jetzt noch wiederholen kann? 

So lässt Haller?) die Lederhaut bestehen aus einer bindege- 
webigen oberen Lage, dann aus einer „Muskularis“, unter welcher 
alsdann das subkutane Bindegewebe sich vorfinde. Mehr als einmal 
kommt der Genannte auf die „Muskelschieht“ zu reden und es geht 
allemal unzweifelhaft daraus hervor, dass damit die wagrechtziehen- 
den, derben Bindegewebsschichten für Muskellagen angesprochen 
worden sind. 

Auch noch Andre scheinen in gegenwärtiger Sache nicht klar 
gesehen zu haben, was sich z. B. in dem Durchschnitt der Haut 
offenbart, den Howes veröffentlicht hat. In der Erklärung der Figur 
wird der untere Teil der derben Bindegewebszüge ebenfalls frischweg 
als „muscular layer of derme“ bezeichnet). 

Dem gegenüber scheint es mir nicht ganz überflüssig zu sein, 
Einiges über die wirklichen Muskeln in Erinnerung zu bringen. 

Die ersten, welche glatte Muskeln im Corium des Frosches auf- 
fanden, waren Hensche*) und Eberth°). Dann habe ich®) bei den 
Studien über die Hautdecke einheimischer Frösche und Kröten die 
Muskeln gesehen bei Rana und Bufo und dabei auf zweierlei hin- 





Arch. f. Naturgesch., 1879) in den Kreis der Untersuchung gezogen, dann zu- 
sammenfassend und erweiternd in: Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen, 
Morph. Jahrb., Bd. II behandelt. Letztre Blätter, sowie der Artikel: Ueber 
den Bau der Zehen bei Batrachiern, Morph. Jahrb., Bd. Il liefern auch die Ab- 
bildungen zu den früheren Angaben. Endlich findet sich noch in: Anure Ba- 
trachier der deutschen Fauna, 1877, der Bau der Lederhaut vielfach berück- 
sichtigt. Vergl. auch: Zelle und Gewebe, 1885, Taf. II, Figg.36u.37 („Fibrilläres 
Bindegewebe von der Larve der Salamandra; Zellen von Plattenform mit ge- 
kräuseltem Rande‘). 

1) Histologie, 1857, S. 100. 

2) B. Haller, Ueber das blaue Hochzeitskleid des Grasfrosches. Zool. 
Anzeiger, 1885. 

3) G. B. Howes, Atlas of practical elementary Biology, 1885, Plate VI, 
Fig. XXIV. 

4) Hensche, Ueber die Drüsen und glatten Muskeln in der äußeren Haut 
von Rana temporaria. Zeitschr. f. wiss. Zool., 1856. 

5) Eberth, Untersuchungen zur normalen und pathologischen Anatomie 
der Froschhaut, 1869. 

6) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien. Archiv f. mikr. Anat., 1876. 
Sonderabdruck, $. 89. 


29 


459 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


gewiesen: einmal die Muskelelemente lägen in dem lockeren Binde- 
gewebe, namentlich in den säulenartig aufsteigenden Zügen, und 
zweitens die Muskeln seien nicht gleichmäßig über die ganze Haut 
verbreitet, sondern hielten bestimmte Linien ein und besonders zahl- 
reich seien sie in der Inguinalgegend. Eine sehr stark entwickelte 
Muskulatur fand ich ferner noch in der, eine Fortsetzung und Um- 
bildung der äußeren Hautdecke bildenden, Schleimhaut der Kloaken- 
wülste von Triton und gab nähere Aufschlüsse über Anordnung und 
Verbreitung. 

Daran reiht sich dann weiter die jüngst von Schuberg gemachte 
Entdeckung, dass in den Haftballen des Laubfrosches (Hyla arborea) 
eine reiche Muskulatur zugegen ist, bestehend aus zwei starken 
Bündeln, welche symmetrisch auseinander weichend, von der Spitze 
der Endphalanx zur plantaren Grenzfascie gehen; wozu dann noch 
dünnere Züge kommen, welche den zentralen Lymphraum des End- 
ballens durchziehen; endlich uch noch einzelne Muskelzellen in dem 
die Schlauchdrüsen umgebenden Bindegewebe). 

In physiologischer Hinsicht brachte ich das Vorhandensein der 
glatten Muskulatur in der Lederhaut in Verbindung mit der That- 
sache, dass an einem und demselben Individuum die Haut bald 
höckerig, bald glatt, je nach der Stimmung des Nervensystems, ge- 
troffen wird. Das Höckerigwerden verglich ich dem Auftreten der 
„Gänsehaut“ der menschlichen Cutis, entstanden durch Spannung und 
Nachlass der kontraktilen Elemente. Die reiche Muskulatur in den 
Kloakenwülsten hängt wohl zweifellos zusammen mit den Verrich- 
tungen der Teile im Geschlechtsleben. Die Bedeutung der glatten 
Muskeln in den Haftballen des Laubfrosches findet Schuberg darin, 
dass die Muskeln hauptsächlich auf den zentralen Lymphraum wirken, 
dessen Verkleinerung und Schwellung das Haftenbleiben des Zehen- 
ballens und dann wieder seine Ablösung beeinflusse. 

Aus Erwägung des Vorgesagten scheint zu folgern, dass be- 
stimmte Lebensbedürfnisse es sind, welche an dieser und jener Körper- 
gegend die Entwicklung der Muskelelemente hervorrufen und ihre 
stärkere Entwicklung bedingen können. 


Es möchte sich nach dem, was man über Muskeln in der Haut 
der Amphibien weiß, empfehlen, von Neuem auch das Corium der 
keptilien zu durchgehen mit der Frage, ob nicht vielleicht auch 
hier das Vorkommen von glatten Muskeln ebenfalls ein allgemeineres 
sei. Denn obschon bei meinen früheren Untersuchungen der ein- 
heimischen Saurier (Lacerta und Angwis) nichts über Anwesenheit von 
Muskeln zu melden war, so bin ich in letzterer Zeit doch an einem 





4) Schuberg, Ueber den Bau und die Funktion der Haftapparate des 
Laubfrosches in: Arbeiten des zool.-zoot. Instituts in Würzburg, 1891. 








Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 459 


fremdländischen Saurier auf solche Elemente gestoßen und zwar am 
Scheitelfleek von Varanus nebulosus!). An jener Stelle findet sich 
unter der Haut eine Lymphhöhlung und die Streifung des Coriums 
in der Umgebung der Höhlung hatte „den Charakter von Zügen 
glatter Muskeln“. 

Und früher schon, als ieh das Integument der Schlangen auf den 
Bau prüfte, sah ich, wenigstens bei einer Art und an bestimmter 
Hautstelle, glatte Muskeln ins Bindegewebe eingeflochten. Es war 
das Schnauzenhörnehen der Sandviper, Vipera ammodytes, das von 
mir zum erstenmal auf seine Struktur untersucht worden war?). 

Zur Zeit der Abfassung des „Lehrbuches der Histologie“ glaubte 
ich aussprechen zu können, dass in der Haut der Fische Muskeln 
nicht zugegen seien. Im Großen und Ganzen möchte ich auch jetzt 
noch dies für zutreffend halten, aber zweifelhaft bin ich doch ge- 
worden, ob nicht nebenbei in gewissen Körpergegenden immerhin 
Muskelfasern vorhanden sind. An Schnitten aus der Haut von Salmo 
‚Fontinalis nämlich begegnen mir Stellen, in der Nähe der Seitenlinie, 
allwo ich Muskelfasern zu erblicken glaube. Es sind Züge, welche 
nach dem ganzen Aussehen und in der länglich walzigen Form der 
Kerne mit „Faserzellen“ übereinstimmen. Ich würde mich in dieser 
Annahme noch sicherer fühlen, wenn ich mich einstweilen nicht auf 
Präparate, die mit Harzen behandelt und daher nicht ganz geeignet 
sind, beschränkt sähe; es müssen zuvor noch andere Untersuchungs- 
methoden in Anwendung gezogen werden. 


Harnsäurehaltiges Pigment der Lederhaut. 


Seit Langem wurde von mir in der Haut der Amphibien und 
Reptilien ein eigenartiges aus Körnchen gebildetes Pigment 
unterschieden, das sich gleich dem braunen oder dunkeln ebenfalls 
in Netzform ausbreiten kann. Die physikalischen Eigenschaften dieses 
Pigmentes bestimmten mich zu der Annahme, dass Ablagerungen 
harnsaurer Verbindungen die Körnchen bilden möchten, welche Ver- 





1) Parietalorgan der Amphibien und Reptilien. Abhandlungen der Senken- 
bergischen naturf. Ges., 1890, S. 486. 

2) Aeußere Bedeckungen der Reptilien und Amphibien. Erster Artikel: 
Haut einheimischer Ophidier, Arch. f. mikr. Anat., 1873, S. 35. — Der Bau des 
Schnauzenhörnchens der Vipera ammodytes bietet, wie ich in Wort und Bild 
gezeigt, in mehr als einem Betracht recht bemerkenswerte Verhältnisse dar, 
von denen indess die „Herpetologie* des Tages, ganz zeitgemäß, keine Notiz 
nimmt, sondern den Teil als „hornartigen Zapfen“ hinstellt. Meine litterarischen 
Nachweise (a. a. 0. S 88) können lehren, wie selbst ältere Autoren, obschon 
sie ebenfalls nur mit freiem Auge untersuchten, bereits bemerkt hatten, dass 
es sich nicht um ein eigentliches Horn handle, sondern um eine weiche Warze 
oder Spitze. 


454 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


mutung später Kruckenberg durch chemische Untersuchung als 
richtig erwiesen hat !). 

Gedachtes Pigment ist bald von gelblichem, bald weißlichem, 
auch bläulichem Farbenton, auch wohl von erzfarbenem Schimmer. 
Für gewöhnlich nicht irisierend, besonders so lange nicht, als seine 
Elemente nur die Größe von Körnchen haben. Doch können bereits 
die letzteren eine krystallinische Zuschärfung annehmen und selbst 
bin und wieder eine ausgesprochen krystallinische Form gewinnen. 
Damit nähern sie sich den irisierenden Plättehen oder Flitterchen, 
welehe bei Fischen den Metallglanz bedingen und in welchen längst 
von Barreswil ein Harnkörper, Guanin, nachgewiesen worden war. 

Während ich nun das Vorkommen des harnsäurehaltigen Pigmentes 
im Integument bei allen von mir untersuchten Arten von Amphibien 
und Reptilien aufzeigte, soll nach Haller?) das von mir auch be- 
züglich des „Grasfrosches“ erwähnte weißliche leicht bläulich irisierende 
Pigment in den obersten Schichten der Lederhaut an dem von ihm 
untersuchten Tiere nicht zugegen sein, auch nicht einmal in der ge- 
ringsten Spur. Diese kuriose Aussage steht in der zweiten Mitteilung 
unsers Autors, indessen er in der ersten angibt, dass an jeder be- 
liebigen Stelle der Körperoberfläche unter dem Epithel — also in der 
oberen Schicht der Lederhaut — ein bei durchfallendem Licht semmel- 
gelbes, bei auffallendem Licht milchweißes Pigment vorhanden sei. 

Es bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung, dass das 
von mir angezeigte weißliche, leicht bläulich irisierende Pigment der 
obersten Schieht der Lederbaut und das Haller’sche milchweiße 
Pigment unter der Epidermis eins und dasselbe ist. Bei keinem unsrer 
braunen Frösche (Rana fusca, R. arvalis, R. agilis) fehlt eben, wie 
ich behaupten darf, das harnsäurehaltige Pigment in der Hautdecke. 


Zu den Lebenserscheinungen der Chromatophoren. 


An absterbenden Fischen kann durch die Kontraktilität der Zell- 
substanz, welche die Elemente des Pigmentes umschließt, eine mehr 
oder weniger lebhafte Veränderung der Hautfarbe hervorgerufen 
werden, wozu ich ?) vor Kurzem aus eigner Erfahrung einen kleinen 





4) Ueber Vorkommen des harmsäurehaltigen Pigmentes in verschiedenen 
Tierklassen: Leydig, Pigmente der Hautdecke und der Iris. Verh. d. phys.- 
mediz. Ges. zu Würzburg, 1888. 

2) B. Haller, Ueber das blaue Hochzeitskleid des Grasfrosches. Zool. 
Anzeiger, 1885; Ergänzung hierzu, Zool. Anz., 1886. — Nur im Vorbeigehen 
mag bemerkt sein, dass Wiedersheim in dem Lehrbuch der vergleichenden 
Anatomie der Wirbeltiere, mit Außerachtlassen meiner Ermittelungen über das 
Zustandekommen des blauen Reifes, Haller als Gewährsmann anführt, ob- 
schon meine Untersuchungen acht Jahre vorher erschienen und, wie ich dafür 
halte, auch richtiger sind. 

3) Blaufarbiger Wasserfrosch ; Leuchtflecken der Ellritze, Zool. Garten, 1892. 





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Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 455 


Beitrag lieferte. Seitdem habe ich aber außerdem wahrgenommen, 
dass noch lange nach dem Tode des Tieres wenigstens die das 
dunkelkörnige Pigment bergenden Chromatophoren in hohem Grade 
reizbar bleiben. Und es ist wieder die Ellritze, Phoxinus laevis, an 
der die Erscheinung sich kund gab. 

Fische der genannten Art, welche bereits stundenlang tot im 
Wasser eines Tellers vor mir lagen, hellten die dunkle Farbe ihres 
Rückens auf einmal auf, als ich mit der Lupe darüber gebeugt, die 
Tiere betrachtete. Man muss annehmen, dass der warme Hauch aus 
dem Munde des Beobachters hinreichte, um die Zellsubstanz zur Kon- 
traktion zu bringen, woraus zugleich hervorging, dass, während das 
zentrale oder eigentliche Nervenleben des Tieres bereits erloschen ist, 
das Plasma in den Chromatophoren der Peripherie des Körpers noch 
fortlebt, daher auch die Fähigkeit sich zusammenzuziehen auf längere 
Zeit behält. 

Die gleiche Erscheinung ruft auch der Druck hervor. Fischehen, 
welche nach dem Tode im trockenen Teller auf der Seite liegen, 
hellen sich an der unteren, die Tellerfläche berührenden Haut derartig 
auf, dass sie an diesen Stellen weiß werden. 

Uebrigens ist das so eben bezüglich der Ellritze Gemeldete nur 
eine Bestätigung dessen, was Siebold bei Salmoniden vor Jahren 
schon bekannt gemacht hat!). „Bei den bezahnten Salmoneern, bei 
denen sich die schwarze Färbung besonders veränderlich zeigt, dauert 
die Reizbarkeit der schwarzen Chromatophoren auch nach dem Tode 
noch sehr lange fort. Sehr dunkel gefärbte, frisch getötete Forellen, 
welche ich in einem groben Fischnetze längere Zeit getragen habe, 
hatten allmählich einen vollständigen weißen Abdruck dieses Netzes 
auf ihrer Haut derjenigen Seite des Körpers erhalten, welche von 
den Maschen und Knoten des Netzes gedrückt worden war, indem 
sich hier durch den ausgeübten Druck die schwarzen Chromatophoren 
auf ein Minimum zusammengezogen hatten. Abgeschlachtete und in 
Körbe verpackte sehr dunkelfarbige Fische bekommen nach einiger 
Zeit immer ein sehr buntscheekiges Ansehen, weil auch hier alle ge- 
drückten Hautstellen sich durch das scheinbare Verschwinden der 
schwarzen Chromatophoren weißlich färben“. 

Aus den mannigfachen Erscheinungen, welche ich bezüglich des 
Farbenwechsels an einheimischen Amphibien und Reptilien vor die 
Augen bekam?), ergibt sich mit Notwendigkeit der Schluss, dass die 
Chromatophoren durch die Thätigkeit des Nervensystems zu ihrer 
Thätigkeit aufgerufen werden. „Alles spricht deutlich aus, dass es 
bei Amphibien und Reptilien außer den Verschiedenheiten der Färbung 
nach Alter, Geschiecht und Jahreszeit, sowie außer dem lebhafteren 
4) v. Siebold, Die Süßwasserfische von Mitteleuropa, 1863, 8. 17. 

2) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, Sonderabdruck, S. 61, mit 
Hinweisen auf früheres. 


456 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


Hervortreten der Farbentöne nach dem Abwerfen der Epidermis, noch 
einen Farbenwechsel gibt, welcher unter dem Einfluss des Nerven- 
systems steht: insofern Aufregung, Angst, Schreck, höhere oder niedere 
Temperatur, stärkerer oder geringerer Lichtreiz die Stimmung des- 
selben umändert und auf die beweglichen Farbzellen oder Chro- 
matophoren wirkt“. Und dieser zusammenfassenden Aeußerung schloss 
ich noch die weitere beweisende Erfahrung an, dass ich am Laub- 
frosch nach Zerstörung des Rückenmarkes das schöne Grün erst ins 
Dunkelgrüne, dann ins Spangrüne, zuletzt ins Fahlgelbe übergehen sah. 

Vergleicht man nun jetzt hierzu dasjenige, was vorhin über ganz 
örtliche Farbenveränderungen an Fischen erwähnt wurde, so drängt 
sich beinahe die Betrachtung auf, dass auch eine unmittelbare Ein- 
wirkung auf das Plasma der Chromatophoren durch Wärme und Druck 
erfolgen könne. Selbst meine an ganz jungen Tieren von Rana escu- 
Zenta gemachten Wahrnehmungen über fast plötzliche Kontraktion der 
Farbtupfen, gerade soweit als sie vom grellen, durch den Fensterspalt 
einfallenden Lichtstrahl getroffen wurden !), könnten wohl auch diesem 
Gesichtspunkt untergeordnet werden ?). 


Kalkablagerung in der Lederhaut. 


Bereits im Jahre 1868 habe ich”?) angezeigt, dass in der Leder-. 
haut von Bufo cinereus Kalkkonkremente sich finden, und gab darüber 
nähere Aufschlüsse. Später wurde ich gewahr, dass bereits aus den 
20ger Jahren des Jahrhunderts Angaben von Heusinger und Davy 
vorliegen, welche auf dieses Vorkommen von Kalk hindeuten ®). 

Mit gedachter Eigentümlichkeit der Lederhaut mich weiter be- 
schäftigend, untersuchte ich alle einheimischen Krötenarten und eine 
Anzahl außereuropäischer, wie sie mir gerade in einer Sammlung zu 
Gebote standen. Es blieb bezüglich des Vorkommens dabei, dass 
von einheimischen Arten nur Bufo vulgaris die Kalkkonkremente be- 
sitze und von fremden Arten fand ich sie nur bei Bufo japonicus, 
was mir zu Gunsten der Ansicht zu sprechen schien, dass diese ja- 
panische Kröte bloß als Varietät unsres Bufo vulgaris anzusehen sei. 

Meine Mitteilungen beziehen sich ferner auf Form und Lage der 
Kalkkörper, sowie auf die Gegend ihres Vorkommens; auch auf die 





1) a.a.0 8.64. 

2) Aus dem mir nicht zu Gesicht kommenden Centralblatt für Physiologie, 
Bd. 5, 1891, finde ich zitiert: Steinach, Ueber Farbenwechsel bei niederen 
Wirbeltieren, bedingt durch direkte Wirkung des Lichtes auf die Pigmentzelle. 
Dem Titel nach zu urteilen, ist der Verfasser zu Ergebnissen gelangt, welche 
mit obiger Auffassung zusammentreffen. 

3) Organe eines sechsten Sinnes. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis des 
feineren Baues der Haut bei Amphibien und Reptilien, S. 37. 

4) Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier, 1872, S. 16, Anmkg. 4. 











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Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 457 


Zeit, in welcher die Kalkkörper aufzutreten beginnen!). Ich habe 
die Kalkkonkremente in dem Falle, dass sie so groß sind, um schon 
fürs freie Auge erkennbar zu werden, auch „Kalkdrusen“ genannt, 
weil sie sich „dem Maulbeerförmigen nähernd“ von „drusiger Be- 
schaffenheit“ sind. 

In einer Inauguralabhandlung, welche jüngst an der Dorpater 
Universität unter der Leitung des Prof. v. Kennel erschienen ist?), 
ersieht man nicht ohne einiges Befremden, dass Lehrer und Schüler 
von dem in der Mineralogie doch gang und gäben Ausdruck „Druse, 
Kalkdruse“ nichts wissen, so dass sie dazu kommen, mir die Ver- 
kehrtheit unterzuschieben, dass ich die Kalkkörper für „Kalkdrüsen“ 
gehalten habe und mich deshalb berichtigen zu können meinen. Hätten 
die Kritiker nur einen Blick in meine ihnen freilich unbekannte erste 
Mitteilung °) geworfen, so hätten sie sehen können, dass ich schon 
damals die Kalkablagerungen von Bufo vulgaris für Anfänge einer 
Organisation betrachtete, welche bei andern Arten (Ceratophrys) Haut- 
knochen daraus entstehen lässt. Daneben verglich ich auch die Kalk- 
konkremente der Kröte den Anhäufungen von Kalkkugeln im Schilde 
von Arion. Endlich habe ich später *) nicht nur ausdrücklich hervor- 
gehoben, dass die Ablagerung des Kalkes „in die Grundsubstanz des 
Bindegewebes“ erfolge, sondern im „Rückblick“ der unten zitierten 
Abhandlung gebe ich meine Meinung dahin ab, dass die Erhärtung 
der Haut durch Kalkkonkremente bei Kröten an die Verkalkung der 
Haut niederer Tiere erinnere; noch näher läge es die Kalkkonkremente 
an der Unterfläche der Schuppen der Knochenfische und der Haut- 
stacheln der Selachier zum Vergleiche heranzuziehen. Man dürfe in 
dieser Ablagerung von Kalkkörpern das Vorspiel der wahren Ver- 
knöcherung der Haut erblicken, wozu unter den einheimischen Ba- 
trachiern Pelobates fuscıs ein Beispiel liefere. 

In der bezeichneten Dissertation wird auch gesagt, dass unter 
den einheimischen Kröten außer dem Bufo vulgaris noch Bufo cala- 
mita die Kalkkonkremente der Haut besitze. Da mir in den Exemplaren 
hiesigen Landes dies bisher nie zu Gesicht gekommen ist, so wäre 
die Beobachtung, wenn sie sich bestätigen sollte, von Interesse, weil 
auf abändernde Einflüsse der Oertlichkeit hinweisend; einstweilen 
kann ich aber die Vermutung nicht ganz unterdrücken, dass eine Ver- 
wechslung der Art stattgefunden haben möge. 





1) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien. Arch. f. mikr. Anat., 1876, 
Sonderabdruck, $.73. Abbildungen hierzu gab ich das Jahr darauf: senkrechter 
Schnitt durch die Haut des Rückens von Bufo vulgaris in: Anure Batrachier 
der deutschen Fauna, 1877, Tab. VI, Fig.66e; Flächenschnitte: Taf. VI, Fig. 61e, 
Taf. VII, Fig. 670. 

2) Seeck, Ueber Hautdrüsen einiger Amphibien, 1891. 

3) Nov. act. acad. Leop.-Carol., 1868, p. 38. 

4) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, Sonderabdruck, S. 120. 


458 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


Hautdrüsen. 


Auf die Hautdrüsen immer wieder zurückzukehren ergab sich für 
mich mehr als eine Veranlassung und ich erlaube mir meine auch 
diesen Organen gewidmeten Arbeiten unten !) zusammenzustellen, da, 
wie ich sehe nur einige derselben das Glück haben, in den zoologischen 
und histologischen Laboratorien bekannt zu sein. Vielleicht ist dies 
mit ein Grund, warum ich genötigt bin, nach verschiedenen Seiten 
hin Berichtigungen eintreten zu lassen. 

Die Drüsen können, was die Form betrifft, die Gestalt eines 
kugligen, länglichen oder eirunden Säckchens haben, auch wohl von 
linsenförmiger Gestalt sein, wie ich solches bei A/ytes sah; dann gibt 
es auch Hautdrüsen von Schlauchform, z. B. in den Haftballen von 
Hyla, im Endglied der Zehen von Salamandra. Für Schlauchdrüsen 
im Großen lassen sich auch die Drüsen des Daumenwulstes an- 
sprechen. Jene Drüsen von langhalsiger Retortenform, wie ich sie 
aus der Zehenspitze von Bufo variabilis abgebildet, nähern sich eben- 
falls der Schlauchform. 

Die Mündungsstelle der Drüsen auf der Fläche der Leder- 
haut scheint weiterer Untersuchung wert zu sein. Bei Salamandra 
maculosa stellt sich die Oeffnung nicht als schlichtes Loch in der 
Ebene der Lederhaut dar, sondern zunächst in Form einer rundlichen 
Einsenkung, aus der sich wieder eine kraterförmige, kreisrund ge- 
öffnete Papille erhebt. Mulde und Papille sind noch in der untern 
Hälfte pigmentiert, der mittlere Teil und die Spitze haben kein 
Pigment mehr?). Sollte nicht das Verhalten, welches ich 3) ferner 
vom Bufo cinereus zeichnete, allwo ein Raum über der Drüse in der 
Epidermis entstand, nachdem das Tier in kochendem Wasser getötet 
worden war, auf etwas Aehnlichem beruhen? Ja man möchte fragen, 
ob der trichterförmig nach unten sich erweiternde Gang durch die 
Epidermis, wie ich von Coecilia abgebildet habe *), nicht minder 
einen gewissen Zusammenhang mit dem Angegebenen hat. 





1) Anatomisch -histologische Untersuchungen über Fische und Reptilien, 
1853. — Histologie des Menschen und der Tiere, 1857, S. 84. — Molche der 
Württembergischen Fauna, 1867, Taf. VII, Fig. 26 u. 27. — Organe eines sechsten 
Sinnes, 1868, Taf. I. — Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, Arch. f. mikr. 
Anat., 1876. — Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen, Morph. Jahrb,., 
Bd. II, Taf. XVIIIL, XX u. XXI. — Bau der Zehen bei Batrachiern und die Be- 
deutung des Fersenhöckers, Morph. Jahrb., Bd. II, Taf. VIIL, X u. XI. — Rippen- 
stacheln des Pleurodeles Waltli, Arch. f. Naturgesch., 1879, Taf. XIV u. XV. — 
Anure Batrachier der deutschen Fauna, 1877, Taf. VI, VII u. VIN. 

2) Hautdecke der Urodelen, S. 296, Taf. XVII, Fig. 5. 

3) Nov. act. acad. Leop.-Carol., 1868, Taf. I, Fig.3 (Hautschnitt der Kehle). — 
Auch andere sprechen von einer „ampullenförmigen Erweiterung des Ausfüh- 
rungsganges innerhalb der Epidermis“. 

4) Ueber die Schleichenlurche (Coveciliae). Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XVII, 
Taf. XIX, Fig. 9. 














Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 459 


Anbelangend den Bau des Drüsenkörpers, so ist von mir an mehr 
als einem Orte erwähnt worden, dass die bindegewebige Haut der 
Drüse von der oberen lockeren Pigmentschicht der Lederhaut stamme, 
und es verhalte sich die Tuniea propria ähnlich, wie die gleiche 
Haut etwa der Nierenkanälchen: sie sei, was besonders an Quer- 
schnitten deutlich sichtbar werde, die Grenzschicht des weichen Binde- 
gewebes. Der Stock der Lederhaut sei an der „Ohrdrüse“ (Bufo 
vulgaris), allwo die Drüsensäcke äußerst dieht stünden, „zu einem 
bloßen Fachwerk zurückgebildet“. Neuere Autoren sagen dasselbe 
aus, stehen aber in dem Glauben, dass sie diese Thatsachen zuerst 
ans Licht gesetzt hätten. 

Zu den Muskeln der Drüsenwand mich wendend, so finden 
meine Angaben über Lage und Form der Muskelzellen Zustimmung 
in den Arbeiten von P. Schultz!) und Seeck 2), doch meldet keiner 
etwas von der Sonderung der Zellsubstanz, welche ich bei Salamandra 
angezeigt?). Es zerlegt sich nach meiner Wahrnehmung dort die 
Substanz der langgezogenen Spindelzellen in „homogene Rinde und 
körnige Axe“. Die gleiche Sonderung stelle ich auch von Pleurodeles 
dar *). Bei früherer Untersuchung der Daumendrüse von Bufo calamita 
bemerkte ich ferner eine querstreifige Sonderung der zelligen Elemente 
der Drüsenwand und schrieb sie den Sekretionszellen zu. Später ?) 
stiegen mir Zweifel auf, „ob nicht die auf die Drüsenzellen bezogene 
querstreifige Sonderung vielmehr den kontraktilen Faserzellen ange- 
hören möge“. 

Außer den Faserzellen, welche wie Meridiane am Globus ver- 
laufen, soll nach P. Schultz noch im Drüsenhals eine zweite Lage 
von kontraktilen Fasern vorkommen, die ringförmig verliefen und 
einen Sphinkter darstellten. Wenn der genannte Autor Recht hätte, 
so müsste ich diesen Muskelzug völlig übersehen haben, was aber 
doch von vorne herein, wie ich glaube, dem unwahrscheinlich dünken 
wird, welcher meine Abbildungen über die Hautdrüsen der Urodelen 
ins Auge fassen mag ®). 

Und ich nehme, indem ich Zeiehnung und Beschreibung bei 
P. Schultz aufmerksam vergleiche, keinen Anstand mich dahin aus- 
zusprechen, dass hier derselbe Fehler begangen worden ist, dessen 
seiner Zeit Wiedersheim in der gleichen Sache sich schuldig ge- 
macht hat”). Letzterer bildet nämlich die Hautdrüse von Plethodon 


4) Paul Schultz, Ueber die Giftdrüsen derKröten und Salamander. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. XXXIV. 

2) 0. Seeck, Ueber die Hautdrüsen einiger Amphibien, 1891. 

3) Hautdecke der Urodelen, S. 296, Taf. XVII, Fig. 7. 

4) Archiv f. Naturgesch., 1879, Taf. XV, Fig. 6. 

5) Anure Batrachier, S. 124. 

6) Morph. Jahrb., Bd. II, Fig. 5, 6 u. 7. 

7) Wiedersheim, Die Kopfdrüsen der geschwänzten Amphibien und die 


460 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


glutinosus ab und spricht von „dieht ineinander gefilzten glatten 
Muskelfasern“, welche den „Drüsenkorb“ bilden. Besieht man nun 
aber die Zeichnung, so besteht nicht der mindeste Zweifel, dass der 
Autor die eigentlichen Muskeln gar nicht kannte, sondern die hori- 
zontal laufenden, dabei leicht bogig gekrümmten, bindegewebigen 
Züge des Coriums für Muskeln genommen hat. Als er dann später!) 
einen Durchschnitt der Haut des Salamanders gab, hat er meine 
Darstellung der Muskellage?) aus der Hautdrüse des Salamanders 
stillsehweigend benutzt, obschon sie doch in grellem Widerspruch zu 
seiner Zeichnung von Plethodon steht! 

Noch sei darauf hingedeutet, dass in dem Teil der bindegewebigen 
Wand, welche P. Sehultz für Muskeln erklärt, dieselben hellen Lücken 
eingetragen sind, wie sie in den horizontalen Lagen des Coriums sich 
abheben und dort „Kerne“ sein sollen °). 


Für die Auffassung der Hautdrüsen im Ganzen ist von besonderer 
Wichtigkeit die Beschaffenheit ihrer zelligen Auskleidung. 

Längst schon habe ich aufmerksam gemacht, dass in der „Parotis“ 
gewisser Arten ein Epithel im gewöhnlichen Sinne nicht zugegen sei; 
die Zellsubstanz sei zusammengeflossen zu einer Punktmasse, in der 
die Kerne lägen. Für diese Erscheinung hat man gegenwärtig den 
Ausdruck „Syneytium“ in Anwendung gebracht. 

In den meisten Drüsen aber ist ein echtes Epithel zugegen und 
die Neueren pflegen seit den Untersuchungen von Engelmann‘) die 
Hautdrüsen der Batrachier in zwei Gruppen zu scheiden, in solche 
von hellem und in solche von dunklem Aussehen. Die ersteren 
nennen sie Schleimdrüsen, die zweiten Körnerdrüsen und Giftdrüsen. 
Warum ich nun selber, da ich ja die Arten und Formen des Epithels 
im Einzelnen behandelt habe und dabei ebenfalls ausdrücklich darauf 
hinweise, dass die Zellen bald von heller Beschaffenheit seien, bald 
durch Körnchen trüb geworden, dieser Einteilung doch nicht folgte, 
geschah aus einem nahe liegenden Grunde, den aber die Andern gar 
nicht bemerkt zu haben scheinen. 

Es war mir nämlich nieht gelungen, die Ueberzeugung zu ge- 
winnen, dass die kleineren kugligen Drüsen in dem einen Fall immer 
dunkel und in dem andern immer hell seien, sondern es wollte mir 
scheinen, dass in einer und derselben Drüse der helle und der 
dunkle Zustand vorkomme und also ein wechselnder sei. Selbst in 
den großen Säcken der Daumendrüse sah ich, dass die langen Zylinder- 
Glandula intermaxillaris der Anuren. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXVII, 1876, 
Taf. IL, Fig. 8. 

4) Wiedersheim, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, 1886, Fig. 18. 

2) Molche der Württembergischen Fauna, Tab: VA, Big. 26. 

B)la= a0. Big.6. 

4) Engelmann, Die Hautdrüsen des Frosches, 1872. 











Leydig, Integument niederer Wirbeltiere, A461 


zellen des Endbeutels, welche ich bei Bufo calamita „körnig gefüllt, 
daher dunkel“ antraf, bei Dufo viridis, an dem hierauf untersuchten 
Exemplar, von mehr hellem Aussehen waren. Dazu kam, dass ich 
längst den gleichen Wechsel an einer andern Drüsenart, an den 
Magendrüsen nämlich, wahrgenommen hatte !). Auch diese Organe 
der Batrachier trifft man in verschiedenem Zustande, bald hell, bald 
dunkelkörnig, und so war es für mich wahrscheinlich geworden, dass 
auch die Drüsen der Haut nach Umständen vom Hellen ins Trüb- 
körnige und umgekehrt sich verändern können. 

Und es scheint auch einen Batrachier zu geben, bei dem der 
Zustand gar nicht eintritt, dass „Körnerdrüsen“ entstehen, sondern 
alle Hautdrüsen hell bleiben. Es ist der Grottenolm. Dies lässt sich 
den Mitteilungen von Bugnion?) entnehmen, welcher ausdrücklich 
sagt: „A l’oppose de l’axolotl, des salamandres et des batraciens, le 
protee n’a qu’une seule espece des glandes peaucieres; ce sont des 
glandes & mucus qui correspondent aux petits glandes A contenu 
transparent des autres amphibies“. In Uebereinstimmung damit bot 
der Saft der Drüsen nichts von giftigen Eigenschaften dar: die Zunge 
oder das Auge mit dem Hautsekret befeuchtet, empfand nichts Aetzendes. 

In der oben erwähnten Dorpater Dissertation wird der Satz auf- 
gestellt, dass in den „Schleimdrüsen“ der Inhalt ein „Zellensekret“ 
sei und die Epithelzellen Becherzellen wären; in den „Körnerdrüsen“ 
hingegen sei der Inhalt „metamorphosiertes Protoplasma“. Die Richtig- 
keit einer derartigen Unterscheidung will mir zufolge des von mir 
Gesehenen nicht einleuchten. Das Verhältnis, in welchem Zellplasma 
und Sekret zu einander stehen, zeigt sich mir vielmehr in sämtlichen 
Drüsen in der Weise, dass man das Sekret allzeit für eine umge- 
wandelte Partie des Protoplasmas anzusprechen sich berufen fühlen 
darf. Das vordere in den Raum des Drüsensackes reichende Ende 
der Zellen wandelt sich in das Sekret um und die Zellen, in diesem 
Vorgang begriffen, erscheinen in ihrem oberen Abschnitt derart ohne 
Grenze, dass ihr Körper mit der Substanz, welche den Innenraum 
des Sackes erfüllt, zusammenfließt. Das habe ich schon in meinen 
frühsten Abbildungen festgehalten ?), und deutlich erscheint das Gleiche 
in der Zeichnung der Hautdrüse von Salamandra maculosa, welche 
Nussbaum seiner Abhandlung beigegeben hat ?). 

In den riesigen Zellen der großen Drüsen, wie ich sie von Sala- 





1) Histologie, 1857, S.317. — Moritz Nussbaum hat später die hiebei 
sich abspielenden Vorgänge im Einzelnen verfolgt. (Bau und Thätigkeit der 
Drüsen, Arch. f. mikr. Anat., Bd. XX1.) 

2) Bugnion, Rech. sur les organes sensitifs, qui se trouvent dans l’epi- 
derme du Protee et de l’Axolotl. Bull. d. 1. soc. vaudoise d. sc. nat., 1873. 

3) Nov. act. acad. Leop.-Carol., 1868, Taf. I, Fig. 3 („Hautschnitt der 
Kehle von Bufo cinereus“). 

4) Moritz Nussbaum a. a. O0. Fig. 31. 


462 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


mandra'‘), Triton?) und Pleurodeles?) veranschaulicht habe, stellt sich 
die eine Hälfte des Zellenkörpers hell und homogen dar, die andre 
körnig. Bei Pleurodeles, wo die Zellen das Aussehen von stattlichen, 
schollenähnlichen Gebilden hatten, zeigten sie eine breite homogene 
Rinde, während die einwärts gerichtete Partie von diehtkörniger 
Natur war. 

Eine weitere Umwandlung kann der oberste, in der Drüsenmündung 
steckende Teil des Sekretes insofern noch erfahren, dass er durch 
Verdichtung und Härtung zu einer Art Pfropf wird, auf den bereits 
oben gelegentlich der „Stiftehenzellen“ hingedeutet wurde, da er mir 
mit dem stiftehenartigen Gebilde dieser Zellen Verwandtschaftliches 
zu haben scheint. Erwähnt mag auch sein, dass ich aus den Haut- 
drüsen von Limax ebenfalls etwas Aehnliches angezeigt habe®). 


Noch habe ich seiner Zeit auf die mir bedeutsam dünkende 
Thatsache hingewiesen, dass im Sekret der Hautdrüsen mehrer Ba- 
trachier sich geformte Körper vorfinden, die den neueren Autoren, 
wie es scheint, gar nicht vor die Augen gekommen sind, es müsste 
dann das, was Kennel-Seeck über „Kerne“ im Drüsensekret be- 
richten, hieher einbezogen werden dürfen. Eine kurze Hindeutung 
mag daher am Platze sein. 

Bei Salamandra maculosa sah ich im frischen milehigen Sekret 
nur „fadigkörniges Gerinnsel“. An Bufo variabilis und B. calamita 
ließen sich in der weißlichen, zähen, hautartig zusammenhängenden 
Schicht, welche nach dem Eintauchen des Tieres in Weingeist die 
Körperfläche bedeckte „außer feinen Körnchen und durch die Ge- 
rinnung entstandenen Streifen, noch zahlreiche feine Stäbchen erkennen“. 
Die Prüfung des weißlichen Sekretes, wie es zwischen den Warzen 
der Haut beim geängsteten Tier von Dombinator hervorgetrieben wird, 
ergab, dass hier, abgesehen von einer homogenen Substanz, noch dicht 
beisammenliegende eigentümliche Körperchen zugegen sind: von Ge- 
stalt eirund, brechen sie das Licht stark, sind anfangs ganz homogen, 
lassen aber bald eine Art Querstreifung oder Querschichtung sehen, 
können auch noch von einer besonderen Substanz hüllenartig umgeben 
sein®). Auch in frischem, aus der Ohrdrüse stammenden Sekret von 
Bufo vulgaris begegnen wir wieder den besonderen Körpern, welche 
hier das Licht brechen etwa wie Kalk oder Fett. Bemerkenswerte 
Veränderungen stellen sich nach Einwirkung von Reagentien ein, 
wozu man die Zeichnungen vergleichen wolle ®). 





4) Molche der Württembergischen Fauna, 1867, Tab. VI, Fig. 26 u. 27. 

2) Hautdecke der Urodelen. Morph. Jahrb., Bd. II, Taf. XX, Fig. 14. 

3) Archiv f. Naturgeschichte, 1879, Fig. 8. 

4) Hautdecke und Schale der Gastropoden, 1876. 

5) Abgebildet in: Anure Batrachier der deutschen Fauna, Tab. VIII, Fig. 74. 
6) Anure Batrachier, Taf. VII, Fig. 67 u. 68. 





Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 463 


Gedachte Körper im Hautsekret der Batrachier gewinnen an 
Interesse, wenn man damit die Gebilde zusammenhält, welche sich 
im Hautschleim einheimischer Nacktschnecken finden, so dass 
ich seiner Zeit schon zur Ansicht kam, dass dieses Hautsekret morpho- 
logischerseits der milchfarbigen Feuchtigkeit aus der Haut der Ba- 
trachier in mehr als einem Punkte nahe stehe). Nicht-nur zeigen 
sich in den Drüsen eigenartige Gebilde in Form länglich runder, 
schleifsteinähnlicher Körper, sondern ein andermal trifft man auf eine 
Zerlegung in zylindrische Züge, die einem zu einem Knäuel zusammen- 
geschobenen Byssusfaden ähnlich werden. Im frisch hervorgetretenen 
Hautschleim können ebenso, neben Kalkmolekülen und Pigmentkörnern, 
auch die spindel- oder schleifsteinähnlichen Körper, sowie die Byssus- 
fäden sich wieder finden. 

Ferner habe ich aufmerksam gemacht, dass auch zum Nesselsaft 
der Zoophyten Verwandtschaftliches erblickt werden kann, insofern 
ich bei gewissen Arten von Helix eine Sonderung der Substanz der 
Hautdrüsen beschreiben konnte, welche an Nesselfäden erinnern dürfte). 





In der Frage, welcher Art von Drüsen im Integument der Säuge- 
tiere man die Hautdrüsen der Batrachier vergleichen solle, habe ich 
meine Ansicht dahin zusammengefasst, dass sie den Schweiss- 
drüsen angereiht werden mögen?®), indem ich mir noch dachte, 
dass einzelne Gruppen dieser Hautdrüsen in ähnlicher Weise umge- 
bildet seien, wie bei Säugetieren oftmals die Schweißdrüsen zu an- 
scheinend Drüsen von eigener Art geworden sind ®). 

Wenn man in neuerer Zeit die „Körnerdrüsen“ den Talgdrüsen 
der Säugetiere entsprechen lässt, so kann ich dies aus dem Grunde 
nicht für richtig halten, weil die Talgdrüsen in nächster Beziehung 
zu den Haarfollikeln stehen, Haare und Haarfollikel aber, deren 
Vorhandensein ein die Klasse der Säugetiere in hobem Grade aus- 
zeichnender Charakter ist, den Amphibien völlig abgehen. Und dann 
wirkt auch schon auf mich bestimmend dasjenige, was oben über den 
wechselnden Zustand einer aus derselben Drüse dargelegt wurde. 
Wenn wirklich ein und dieselbe Drüse vom Hellen ins Dunkle sich 
umsetzen kann, so müssen „Talgdrüsen“ und „Schweißdrüsen“ in 
Eins zusammenfallen. 


Mit den morphologischen Unterschieden in der Beschaffenheit der 
Sekretionszellen gehen Hand in Hand die Verschiedenheiten der 





1) Hautdecke und Schale der Gastropoden. Arch. f. Naturgesch., 1876. 

2) a. a. O.; vergl. auch meine Befunde an Ancylus lacustris in: Zelle und 
Gewebe, S. 91, Anm. 2. 

3) Allgemeine Bedeekungen der Amphibien, Sonderabdruck, S. 120. 

4) Histologie S. 88 und: Aeußere Bedeckungen der Säugetiere. Arch. f, 
Anat. u. Phys., 1859. 


464 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


physiologischen Leistung. Aus meinen Beobachtungen ergab 
sich, dass in dem einen Fall, wenn das Sekret z. B. beim Laubfrosch 
die ganze Haut beständig etwas einölt oder wie mit einem leichten 
Firniss überzieht, auf solche Weise dem während des Sommers außer 
Wasser, frei in der Luft, sich aufhaltenden Tier eine gegen allzugroße 
Verdunstung schützende Hülle erwächst. Sodann springt in die Augen 
der Nutzen, welchen die Klebrigkeit des Sekretes dem Tier leistet 
beim Sichanheften an glatten Flächen und beim Klettern. Der Laub- 
frosch sitzt z. B. am Glase bloß mit dem Bauche angeheftet, während 
die Zehen von der Glasfläche abgewendet sind; ganz junge Tiere von 
Bufo calamita bedienen sich der hinteren Bauch- und Weichengegend, 
um sich mittelst derselben an glatten Flächen festzuhalten. Endlich 
kann auch das Drüsensekret durch seine scharfe, ätzende, betäubende 
Eigenschaft ein Verteidigungsmittel werden und ich hatte aus persön- 
licher Erfahrung Manches zur Bestätigung dieser Ansicht beizutragen). 
Und wie ich vorhin morphologischerseits das Hautsekret der 
Weichtiere mit jenem der Batrachier in Vergleich brachte, so 
könnte dies auch vom physiologischen Gesichtspunkt aus geschehen; 
namentlich ist es eine Haupteigenschaft des Hautschleimes der Nackt- 
schnecken, dass derselbe sehr klebrig, ja bei manchen Arten geradezu 
von firnissartiger Zähigkeit ist. Und bezüglich der Zoophyten 
reden die von Spallanzani über die Wirkung des Nesselsaftes 
mitgeteilten Beobachtungen?) einer gleichen Auffassung das Wort, 
selbst bezüglich der Phosphorescenz. Den dicklichen klebrigen Nessel- 
saft gewisser Medusen sieht man leuchten und ich habe auf eine 
bis dahin ganz vergessene Abhandlung von Boie hingewiesen°), aus 
der hervorgeht, dass bei manchen Arten exotischer Batrachier dem 
Hautsekret ebenfalls die phosphoreszierende Eigenschaft zukommt. 


Das Hervortreten des Sekretes ans den Drüsen auf die Ober- 
fläche der Haut scheint durch verschiedene kontraktile Elemente zu 
erfolgen, die vielleicht einzeln oder nach Bedarf alle auf einmal zu- 
sammenwirken. 

Zunächst darf man vermuten, dass das Plasma der Sekretions- 
zellen an sich bewegungsfähig sei. Obschon ich nun einstweilen 
für den gegenwärtigen Fall keine eigenen Erfahrungen anführen kann, 
sei doch an meine und die Beobachtungen Andrer über Kontraktilität 
von Epithelzellen bei Wirbeltieren erinnert *). In gewissen Drüsen 
von Wirbellosen, z. B. in Speicheldrüsen und Malpighischen Gefäßen 
der Insekten, sah ich aber Vorgänge, welche für die Annahme ent- 





1) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, Sonderabdruck, S. 100. 

2) Siehe meine Arbeit: Hautdecke und Schale der Gastropoden, Sonder- 
abdruck, S.27 Anm. 

3) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, Sonderabdruck, S. 99. 

4) Zelle und Gewebe, 1885, S. 39. 





Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 465 


schieden sprechen, dass die Drüsenzellen kontraktil sein können). 
Sollte sich nachweisen lassen, dass in der That die Sekretionszellen 
in den Hautdrüsen der Batrachier die gleiche Fähigkeit besitzen, so 
würde daraus verständlicher werden, wie das Sekret stetig in zu- 
sagender Menge die Haut einölen oder mit dünnem Firniss überziehen 
könnte. 

Es treten aber zweitens Umstände ein, wo das Sekret als milchiger 
Saft reichlich auf die Hautfläche hervorquillt. Diese Erscheinung 
möchte ich auch jetzt noch von glatten Muskeln abhängen lassen, 
und zwar einerseits von jenen, welche einen Teil der Drüsenwand 
bilden, und andrerseits solchen, welche im Corium sich verbreiten. 

Kennel-Seeck wollen zwar die „Kontraktionsfähigkeit“ der 
Zellen, welche man seit Hensche als Muskelelemente in der Drüsen- 
wand anspricht, nicht leugnen, wohl aber bringen sie in Abrede, dass 
dieselben „eine besondere Funktion bei der Ausstoßung des Drüsen- 
sekretes“ ausüben sollten. Sie seien nicht Muskelzellen, sondern „Er- 
satzzellen“ des Sekretionsepithels der Drüsen, welches sich in seiner 
Thätigkeit nach und nach erschöpfen müsse. Ebensowenig seien die 
in den Schweißdrüsen bei Säugetieren vorkommenden „Spindelzellen“ 
für muskulöse Elemente zu halten. 

Schwerlich werden die beiden Autoren fortfahren, die bisherige 
Auffassung als unrichtig zu verwerfen, wenn sie selber mit den 
Schweißdrüsen der Säugetiere sich werden vertraut gemacht haben. 
Vielleicht hätte sie schon etwas zurückhaltender gestimmt, wenn sie 
auch nur die von mir gegebenen Abbildungen der Schweißdrüsen von 
Vespertilio murinus?) sich hätten ansehen mögen. Sind doch die 
„bandartig glatten Elemente, welche schräg um den Follikel herum- 
ziehen“, himmelweit verschieden von dem zu innerst folgenden „schön 
polygonalen Epithel“. Und um zu den Amphibien zurückzukehren, 
wie weichen doch auch an Salamandra maculosa die Muskelzellen und 
die Drüsenzellen von einander ab?). Auch besteht keineswegs, wie 
irrig gesagt wird, die Muskelschicht der Drüse „aus spärlichen Zellen“, 
vielmehr stellt sie, was ich längst vorbrachte, eine zusammenhängende 
Muskelhaut dar. Und spricht nicht unter Anderm auch meine von 
P. Schultz bestätigte Beobachtung*), wonach den Drüsen durch 
einen bestimmten Grad der Zusammenziehung der gedachten Schicht 





1) Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Tiere, 1883, S. 151. 

2) Aeußere Bedeckungen der Säugetiere. Arch. f. Anat, u. Phys., 1859, 
Taf. XX, Fig. 9. 

3) Hautdecke und Hautdecke der Urodelen. Morph. Jahrb., Bd. II, z. B. 
Fig. 6. — Die Verfasser der Dorpater Dissertation haben diese Arbeit nicht 
gekannt, — 

4) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, S.87. Abbildungen gefächerter 
Drüsen in: Anure Batrachier der deutschen Fauna, Taf. VI, Fig. 62, Taf. VII, 
Fig. 79, von Bufo variabilis, B. calamita, Pelobates. 


I, 30 


466 Leydig, Integument niederer Wirbeltiere. 


ein wie gekerbtes Aussehen erwächst, und die sonst einfach gestal- 
teten Säckehen jetzt wie gefächert erscheinen, dafür, dass Muskel- 
elemente und nicht „Ersatzzellen des Epithels“ im Spiele sein werden? 

Dass weiterhin die im eigentlichen Corium vorhandenen glatten 
Muskeln, von denen ich die Runzelung („Gänsehaut“) des Integumentes 
bedingt sein lasse, nicht minder auf das Hervorquellen des Sekretes 
Einfluss haben mögen, darf man deshalb für wahrscheinlich halten, 
weil diese Muskeln hauptsächlich innerhalb der senkrecht aufsteigen- 
den oder säulenartigen Bündel liegen, so dass durch ihre Verkürzung 
wohl ein Druck auf die Drüsensäckehen stattfinden kann. Für die 
Beteiligung soleher Hautmuskeln am Ausstoßen des Sekretes kann 
auch sprechen, dass nach Schuberg in dem Bindegewebe, welches 
die Schlauchdrüsen der Zehenballen beim Laubfrosch umgibt, eben- 
falls glatte Muskelzellen eingebettet sind, während den Schlauchdrüsen 
selbst die Muskellage fehlt. 

Kennel-Seeck wollen die Ansicht begründen, dass nur die 
Thätigkeit der unter der Cutis liegenden quergestreiften Stamm- 
Muskulatur für die Entleerung der Drüsen für maßgebend zu halten 
sei. Nun habe ich selber vor Jahren als ich zuerst mich über den 
Bau der Haut zu unterrichten suchte und noch nichts von Muskeln 
in der Drüsenwand und im Corium wusste, die Auffassung ausge- 
sprochen, dass wohl die energisch erfolgende Entleerung der Drüse 
durch Kompression von Seiten der darunter gelegenen, quergestreiften 
Stamm-Muskulatur geschehen müsse!). Und später hatte ich hierzu 
noch zu melden, dass bei Bufo vulgaris von der Stamm - Musku- 
latur Bündel sich ablösen und an die untere Fläche des Coriums, 
dort wo es die Ohrdrüse umschließt, sich ansetzen: sie seien jenen 
Hautmuskeln zu vergleichen, welche vorn an der Brust und in der 
Lendengegend vorkommen ?). 

Den Verfassern der berührten Dissertation kann ich mich, wie 
aus dem Bisherigen schon zu erwarten ist, nur darin anschließen, 
dass ich jetzt wie früher für die Fälle, in denen das Sekret aus den 
Drüsen bei Kröten und dem Salamander kräftig hervorgespritzt wird, 
der Thätigkeit der quergestreiften Muskulatur eine solche gewalt- 
same Ausstoßung zuschreibe, die ich übrigens, meiner Erinnerung 
nach, nur an der „Parotis“ von Bufo und Salamandra erfolgen sah, 
nicht aber bei Froscharten und den Wassermolchen. Wird hingegen 
das Sekret unter ruhigem Hervorquellen auf die Hautfläche geliefert, 
so halte ich dafür, dass dieses durch die glatten Muskeln geschieht, 
vielleicht auch unter Mitwirkung der Zusammenziehungsfähigkeit der 
Sekretionszellen selbst. 





4) Anatomisch -histologische Untersuchungen über Fische und Reptilien, 
1853, S. 111. 
9) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, Sonderabdruck, S. 87. 








Leydig, Integuiment niederer Wirbeltiere. 467 


Oberfläche der Lederhaut. 


Meine Studien über den Bau des Coriums ließen mich als etwas 
durchgreifendes erkennen, dass die der Epidermis zugewandte Fläche 
in ein System feinster Leisten sich erhebt, welche dicht nebeneinan- 
der herziehen und von Stelle zu Stelle zusammenfließen !). Der 
Schnitt der Lederhaut erscheine dadurch feinzackig oder kurzhaarig. 
Außerdem hatte ich auch das Vorkommen von größeren Leisten an- 
gezeigt, welche eine Art von zierlichem Blattwerk auf der Oberfläche 
der Lederhaut erzeugen. Diese Reliefverhältnisse wurden in einer 
Anzahl von Figuren veranschaulicht, welche, wie ich meine, für na- 
turgetreu gelten können ?). An der Zehenspitze von Bufo variabilis 
z. B. zieht sich die Lederhaut in hohe blattartige Leisten aus) und 
auf diesen stehen dann die Leistehen zweiter Ordnung, welche in 
der Profilansicht sich wie Härchen oder Wimpern ausnehmen, und 
„es bedürfe genaueren Zusehens, um sich zu überzeugen, dass jedes 
Haar sich über die Fläche weg als Leiste verlängert“. Noch andere 
an angezeigter Stelle befindliche Abbildungen lassen Aehnliches 
sehen. Mit Rücksicht auf die gleich zu erwähnende gegnerische Be- 
merkung sei auch hingewiesen auf „einen senkrechten Schnitt durch 
die Haut des Rückens von Dufo vulgaris“, dessen Abbildung ich 
zuletzt gegeben *), und allwo die feine Leistenbildung der Lederhaut, 
im Schnitt und von der Fläche, abermals ausgedrückt erscheint. 

In der unter Anleitung des Prof. Fritsch hervorgegangenen 
Abhandlung von P. Schultz?) wird ausgesprochen, dass die Leisten 
als solche nicht bestünden, sondern sie wären nur „scheinbare Her- 
vorragungen zwischen den Vertiefungen, in welche die Zellenfortsätze 
der Epidermis sich einfügen“. 

Ich glaube überhoben zu sein, das Irrige dieser Behauptung aus- 
einandersetzen zu müssen, da ich mir denke, dass die Genannten ein 
anderes Urteil würden gefällt haben, wenn sie die zwei letzten vorhin 
erwähnten Arbeiten, insbesondere die Abbildungen hierzu gekannt 
hätten, was aber, wie ihr Literaturverzeichnis bekundet, nicht der 
Fall war. Und ich möchte mit dem Wunsche schließen, dass, wem 
darum zu thun ist in der fraglichen Sache sich durch eigene An- 
schauung zu unterrichten, sich nieht auf Anfertigung von Schnitten 
beschränken, sondern daneben Hautstücke nach älterer Untersuchungs- 
methode vornehmen möge, insbesondere die Oberfläche auch solcher 
Partien, deren Epidermis zuvor entfernt worden war. 

Würzburg, im Mai 1892. 


1) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien, Sonderabdruck, S. 30 u. 121. 

2) Bau der Zehen der Batrachier. Morph. Jahrb., Bd. I. 

3) a. a. 0. Fig. 1. 

4) Anure Batrachier der deutschen Fauna, Fig. 66. 

5) Paul Schultz, Ueber die Giftdrüsen der Kröten und Salamander. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XXXIV. 





30* 


8 Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 


Hr 
[op 


Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 


Von J. Rosenthal'). 
Fünfte Mitteilung. 

In meiner ersten und zweiten Mitteilung?) habe ich auseinander- 
gesetzt, warum bei kurzdauernden kalorimetrischen Untersuchungen 
an Säugetieren keine Proportionalität zwischen der gemessenen 
Wärmeausgabe und den in den gleichen Zeiten erfolgenden chemischen 
Ausscheidungen (CO,, H,O u. s. w.) beobachtet werden kann. Ich 
habe jedoch an einigen Beispielen gezeigt, dass trotzdem aus der 
Vergleichung der Wärmeausgabe und der gleichzeitigen CO,- Aus- 
scheidung wertvolle Aufschlüsse über die Stoffwechselvorgänge im 
Tierkörper gewonnen werden können, welche über das hinausgehen, 
was uns die Bestimmung der Ausscheidungen allein zu lehren im 
Stande ist. 

Ich habe seitdem diese Untersuchungen wieder aufgenommen und 
namentlich das Verhalten der Wärmeausgabe und der CO,- Ausschei- 
dung im Verlaufe der 24stündigen Fütterungsperiode genauer verfolgt. 
Ich habe mich dabei auf die Untersuchung des regelmäßig und aus- 
reichend ernährten Hundes beschränkt, d. i. eines Tieres, welches 
seit vielen Wochen bei gleichmäßiger Fütterung, die gerade ausreicht, 
es auf seinem Körperzustand zu erhalten, sich mit dieser Nahrung in 
vollkommenes physiologisches Gleichgewicht gesetzt hat. 

Eine solche Beschränkung ist um so notwendiger, als auch noch 
dabei Einflüsse aller Art Schwankungen der Wärmeausgabe wie der 
respiratorischen Ausscheidungen herbeiführen, welche ein deutliches 
Erkennen ihrer gegenseitigen Beziehungen sehr erschweren. Je längere 
Perioden man der Untersuchung unterwirft, desto mehr gleichen sich 
viele jener Schwankungen aus, desto leichter gelangt man zu festen 
Zahlenverhältnissen. Aber gerade die Schwankungen zu studieren 
schien mir von Wert, da es darauf ankam, zu sehen, ob sich auch 
in ihnen bestimmte Gesetzmäßigkeiten würden erkennen lassen. 

Angesichts der missglückten Versuche von Dulong und von 
Despretz, den rechnerischen Nachweis zu führen, dass die Wärıne- 
produktion der Tiere auf den im Tierleibe vor sich gehenden Oxy- 
dationsprozessen beruhe, war es Aufgabe der physiologischen Ge- 
wissenhaftigkeit, die Ursachen jenes Misslingens nachzuweisen und 
die gelassene Lücke auszufüllen. Dazu waren langdauernde Versuche 
notwendig. Sie konnten aber, abgesehen von dem vorauszusehenden 
Ergebnis, dass auch bei den chemischen Prozessen im Tierleib das 
Gesetz der Erhaltung der Energie gelte, sonst weiter nichts lehren. 
Dagegen war es von vornherein nicht vorauszusehen, wie sich inner- 
halb kürzerer Perioden jene beiden Erscheinungen, die Wärmepro- 





4) Aus den Sitzungsberichten der k. preuß. Akademie d. Wissenschaften 
zu Berlin. Vorgelegt am 31. März 1892. 
2) Sitzungsbericht vom 13. Dezember 1838 und 28. März 1889. 





Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 469 


duktion einerseits und die Ausscheidung der im Tierkörper entstan- 
denen Oxydationsprodukte andererseits verhalten würden. 

Da die Ausscheidung dieser Produkte durchaus nicht ihrer Ent- 
stehung im Körper parallel verläuft und auch die einzelnen Produkte 
sich in Bezug auf den zeitlichen Verlauf ihrer Entstehung und ihrer 
Ausscheidung durchaus verschieden verhalten, so muss man sich auf 
eine getrennte Untersuchung jedes einzelnen dieser Produkte be- 
schränken, ehe man daran gehen kann, aus den Ergebnissen dieser 
Einzeluntersuchungen etwaige Schlüsse auf den Gesamtstofiwechsel 
und seine Beziehungen zur Wärmeproduktion zu ziehen. Eine ein- 
gehende Betrachtung lehrt aber, dass die Untersuchung nur hinsicht- 
lich eines jener Produkte, der Kohlensäure, überhaupt einen Sinn hat. 
Die beiden anderen, neben der CO, wichtigsten Ausscheidungspro- 
dukte, Wasser und Harnstoff, sind in ihrer Ausscheidung und Bildung 
von so vielen Bedingungen abhängig, dass gar keine Aussicht vor- 
handen ist, irgend eine Gesetzmäßigkeit zu finden. Anders bei der 
CO,. Wir dürfen, wie ich wiederholt hervorgehoben habe, durchaus 
nicht voraussetzen, dass alle in einem bestimmten Zeitraum pro- 
duzierte CO, auch sofort zur Ausscheidung kommt. Zwar muss im 
Allgemeinen mit der Produktion auch die Ausscheidung steigen. 
Doch darf man nicht außer Acht lassen, dass die Spannung der 
CO, nicht einfach proportional ihrer Menge sein kann, da sie u. A. 
auch von der Alkaleseenz des Blutes abhängt, und dass außerdem 
die Gesehwindigkeit der Blutströmung und die Zusammensetzung der 
Luft in den Alveolen der Lunge von Einfluss auf die Ausscheidung 
sein müssen. 

Ich habe deshalb in einer längeren Versuchsreihe, welche im 
ganzen etwas mehr als zwei Monate dauerte, Bestimmungen der aus- 
geschiedenen CO, in zahlreichen kürzeren oder längeren Perioden 
gemacht und mit den gleichzeitigen Wärmeproduktionen verglichen. 
Die Dauer jeder einzelnen Bestimmung wechselte zwischen 30 Minuten 
und 3—3!/, Stunden. Alle Werte wurden auf eine Stunde umge- 
rechnet, ebenso die gleichzeitigen Wärmeproduktionen auf Stunden- 
Kalorien. Die Division dieses letzteren Wertes (r) durch den ersteren (c) 


ergibt den sogenannten „Kohlensäurefaktor“ (=) d.h. die aufjelg 


ausgeschiedener Kohlensäure kommende Wärmemenge!). 
Gingen CO,- Ausscheidung und Wärmeausgabe stets parallel, so 


. N Ä : 
müsste der Wert — eine Konstante sein. Das ist aber, wie ich schon 





4) Außer der Kohlensäure wurde immer auch das von dem Ventilations- 
luftstrom fortgeführte H,O bestimmt. Man bedarf dieser Bestimmung zur 
Korrektur der von dem Kalorimeter angegebenen Wärme. Aber ich muss aus- 
drücklich bemerken, dass diese Zahlen nicht die ganze von dem Tier abge- 
gebene Wassermenge, sondern nur einen kleinen Teil derselben darstellen, den 
Teil nämlich, welcher nicht im Kalorimeter selbst kondensiert wird. 


470 Rosenthal, Kalerimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 


früher gezeigt habe, durchaus nicht der Fall. Die Schwankungen 
sind im allgemeinen um so größer, je kürzer die Versuchsdauer ist. 
Bei meinem gleichmäßig ernährten Hunde war bei halbstündiger 


Versuchsdauer der kleinste Wert von ” — 16,2 der srößte, an 


bei dreistündiger Dauer der Versuche war der kleinste Wert = 2.3 
und der größte —= 6.4. 

Es fragt sich, ob trotzdem ein vollkommener Parallelismus von 
Wärme- und CO,-Produktion angenommen werden darf, und ob 
jene Unregelmäßigkeiten nur auf Schwankungen in der Wärme- und 
CO,-Ausgabe zurückzuführen sind Dass Wärmeausgabe und Wärme- 
produktion nicht ohne weiteres gleich gesetzt werden dürfen, habe 
ich in meinen früheren Mitteilungen bewiesen. Die Schwankungen, 
welehe unter normalen Verhältnissen vorkommen, reichen aber bei 


i ANNE n 
weitem nicht hin, jene großen Unterschiede der Werte von Vz 


erklären. Ein Unterschied von 25 Prozent zwischen Wärmeausgabe 
und Wärmeproduktion würde bei meinem Versuchshunde eine Ver- 
änderung der Eigenwärme um rund 1° C bewirkt haben. Solche 
Schwankungen der Eigentemperatur kommen aber unter den Ver- 
suchsbedingungen, bei denen ich gearbeitet habe, niemals vor. Wir 
werden also keinen merklichen Fehler begehen, wenn wir die kalori- 
metrisch gemessene Wärmeausgabe als gleichbedeutend mit der Wärme- 
produktion ansehen und nur in denjenigen Fällen, wo eine wirkliche 
Aenderung der Körpertemperatur auftritt, dieselbe zur Berichtigung 
der Rechnung verwerten. 

Anders ist es mit dem Verhältnis der CO,-Ausgabe zur CO,- 
Produktion. Dass erhebliche Schwankungen in dem CO, - Vorrat 
des Körpers stattfinden können, ist nicht nur möglich, sondern auch 
bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich. Wir dürfen also aus 
Veränderungen der CO,-Ausscheidung nicht ohne weiteres auf Ver- 
änderungen der CO,-Bildung schließen, sondern müssen in jedem 
einzelnen Falle untersuchen, ob die Schwankungen der CO,- Ausgabe 
auch ohne die Annahme von Aenderungen in der CO,-Bildung erklärt 
werden können. 

Dagegen muss ich wiederholt mit Nachdruck hervorheben, dass 
die Bildung der CO, durchaus nicht proportional der Wärmeproduktion 
vor sich zu gehen braucht. Das würde nur dann der Fall sein, wenn 
stets das gleiche Material und stets in gleicher Weise verbrennen 
würde. Dass diese Voraussetzung auf den Tierkörper nicht zutrifft, 
habe ich schon früher bewiesen. 

Hält man sich dies alles vor Augen, so kann man gerade aus 


der Untersuchung der Schwankungen des Wertes - sehr wertvolle 


Aufschlüsse über die Vorgänge im Tierkörper erhalten, wie ich dies 








Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 471 


schon in meiner zweiten Mitteilung an einem Beispiel gezeigt habe. 
Mittels derselben kann man Thatsachen erkennen, welche durch aus- 
sehließliche Untersuchung der Ausscheidungen allein unerkannt bleiben. 

Man darf sich aber hierbei nicht auf die Untersuchung längerer 
Perioden beschränken. Je länger man dieselben nimmt, desto über- 
einstimmendere Werte erhält man; aber mit der Elimination aller 
zufälligen und störenden Einflüsse werden auch die gesetzmäßigen 
Schwankungen eliminiert, und man kann zu keiner tieferen Einsicht 
in die Vorgänge gelangen. Verlaufen die chemischen Prozess innerhalb 
des Tierkörpers nicht mit jener einfachen Gleichförmigkeit, welche 
Lavoisier, Dulong, Despretz und viele Andere stillschweigend 
vorausgesetzt haben, so wird man zu einem näheren Verständnis jener 
Vorgänge und der von ihnen abhängigen Wärmeproduktion nur ge- 
langen können, indem man sie Schritt für Schritt, Stunde für Stunde 
verfolgt und die nicht zu vermeidenden Unregelmäßigkeiten der ein- 
zelnen Versuchsergebnisse auf statistischem Wege zu elimi- 
nieren versucht, d. h. durch Vergleichung von Mittelwerten aus sehr 
vielen Versuchen. Dieser Weg ist sehr mühsam und zeitraubend, er 
ist aber der allein gangbare. Indem ich ihn seit mehreren Jahren 
verfolge, soweit es meine Zeit und meine Mittel gestatten, bin ich 
schrittweise vorwärts gelangt und bin so in der Lage, von Zeit zu 
Zeit einen kleinen weiteren Beitrag zur Lösung der zahlreichen noch 
vorliegenden Aufgaben zu liefern. 

Wenn man einen Hund regelmäßig alle 24 Stunden einmal füttert, 
so zeigt seine Wärmeproduktion einen ziemlich regelmäßigen Verlauf. 
Sie steigt nach der Nahrungsaufnahme ziemlich stark auf, erreicht 
in der Regel zwischen der 5. und 7. Stunde ein Maximum, sinkt 
dann wieder und erreicht etwa zwischen der 21. und 23. Stunde ein 
Minimum !). Dass auch die CO,-Ausscheidung eine von der Nahrungs- 
aufnahme abhängige periodische Funktion darstellt, ist aus zahl- 
reichen Beobachtungen vieler Physiologeu bekannt. Es schien mir 
deshalb wichtig festzustellen, wie sich diese beiden Funktionen zu 
einander verhalten. 

Ich benutzte zu dieser Untersuchung eine längere Versuchsreihe 
an dem schon erwähnten, in vollständigem Ernährungsgleichgewicht 
befindlichen kleinen Hunde. An 48 Versuchstagen waren an dem- 
selben im Ganzen 142 CO, - Bestimmungen von kürzerer oder längerer 
Dauer (!/,—3!/, Stunden) gemacht worden, die sich auf alle Teile 
der 24stündigen Ernährungsperiode verteilten. Die Werte der 0O,- 
Ausgabe wurden auf eine Stunde berechnet und mit den gleichzeitigen 
Wärmeproduktionen zusammengestellt. Aus allen in dieselbe Füt- 
terungsstunde entfallenden Werten wurden die Mittelwerte berechnet. 





4) Vergl. Kalorimetrische Untersuchungen. Von J. Rosenthal. Archiv 
f. Physiologie, 1889, S.1 fg. 


472 Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 


Man erhielt so eine Tabelle für den Gang der Wärmeproduktion und | 
der CO,- Ausscheidung für die 24stündige Ernährungsperiode. Die 
Werte dieser Tabelle waren, wenn ich so sagen darf, „Idealwerte“, 
d. h. sie waren schon von den zufälligen Schwankungen der einzelnen | 
Versuche gereinigt. | 
Die Werte dieser Tabelle wurden zur Erleichterung der Ueber- 
sicht in ein rechtwinkliges Koordinatensystem graphisch eingetragen, 
in welchem die Abseissen die Stunden nach der Fütterung, die Or- 
dinaten der einen Kurve (n) die berechneten Werte der Wärme- 
produktion, die der anderen (c) die Werte der Kohlensäure - Ausschei- 
dung für jede Stunde darstellten. Außerdem wurde eine drite Kurve 








hinzugefügt, derer Ordinaten den Werten Z entsprachen. 


Die Kurve n zeigt, übereinstimmend mit meinen früheren An- 
gaben, ein sehr steiles Ansteigen in den ersten Stunden nach der 
Fütterung. Das Maximum wird in der 7. Stunde erreicht und hält 
sich nahezu unverändert bis zur 11. Stunde !). Dann fällt die Kurve 
zwischen der 11. und 13. Stunde sehr steil ab, ungefähr auf den 
Wert, welchen sie in der ersten Stunde gehabt hatte und schwankt 
bis zum Schluss der Periode innerhalb enger Grenzen auf und nieder. 

Die Kurve c zeigt unmittelbar mit Beginn der Futtereinnahme 
ein starkes Steigen und bleibt auf diesem hohen Wert bis zur 
5. Stunde; sie sinkt dann allmählich bis zur 9. Stunde, zeigt zwischen 
der 9. und 11. Stunde ein zweites Ansteigen, sinkt zwischen der 11. 
und 13. Stunde ziemlich steil ab, um dann bis zum Schluss der 
Periode wieder mit geringen Schwankungen nahezu parallel der Ab- 
scissenaxe zu verlaufen und in den drei letzten Stunden wieder ein 
wenig anzusteigen. 


Die Kurve —, welche das Verhältnis der CO,- Ausscheidung zur 


Wärmeproduktion darstellt, müsste, wenn beide Vorgänge vollkommen 
parallel zu einander verliefen, eine der Abseissenaxe parallel ver- 
laufende gerade Linie sein. Da aber jene Voraussetzung, und ganz 
besonders für die erste Zeit nach der Nahrungsaufnahme, nicht zu- 
trifft, so zeigt diese Kurve folgenden Verlauf: Sie steigt in denersten 
Stunden nach der Fütterung langsam und stetig, vom Schluss der 
2. Stunde fast geradlinig an, erreicht in der 10. Stunde ein Maximum, 





4) Dieses lang anhaltende Maximum ist, zum Teil wenigstens, dadurch be- 
dingt, dass der benutzte Hund, welcher im Uebrigen wegen seines ruhigen 
Verhaltens für diese Versuche sich sehr gut eignete, nur langsam fraß und 
nicht, wie es meine früher benutzten Hunde gethan hatten, das vorgesetzte 
Futter innerhalb weniger Minuten auf einmal hinunterschlang. Die Verdau- 
ungsperiode wurde von der Zeit, in welcher er den größten Teil des Futters 
verzehrt hatte, gerechnet. Da er aber auch in der darauf folgenden Zeit 
langsam zu fressen fortfuhr, musste sich der zeitliche Ablanf aller von der 
Verdauung abhängigen Erscheinungen natürlich etwas verzögern. 





Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 4713 


sinkt dann wieder bis zur 13. Stunde und verläuft von da an mit 
kleinen Schwankungen nahezu parallel der Abseissenaxe mit einer 
geringen Steigung in den letzten 4 Stunden. 

Die Maßstäbe für die Ordinaten dieser drei Kurven sind voll- 
kommen willkürlich. In meinen Zeichnungen waren dieselben so ge- 
wählt, dass für die Kurve » je 1 cm einer Stunden-Kalorie entsprach, 
für die Kurve ce aber 1cm 1g CO, in der Stunde bedeutete. Für die 


Kurve Er ergaben sich Werte von 2.5 im Minimum, 5.3 im Maximum. 


Der Mittelwert aller Werte = für die ganze 24stündige Periode war 


— 4.01. 

Es wurde deshalb die Kurve e nochmals konstruiert, aber so dass 
alle Ordinatenwerte mit vier multipliziert wurden. Das hsißt mit 
anderen Worten, die Kurve ce wurde auf denselben Maßstab gebracht, 


mit welchem die Kurve n entworfen war. Wäre — eine Konstante, 


so hätten sich jetzt die Kurven n und c vollkommen decken müssen, 
Die Ausführung der Konstruktion ergab nun folgendes: Der Anfang 
der Kurve ce liegt höher als der Anfang der Kurve n; nach der 
5. Verdauungsstunde schneiden sich die Kurven und das Verhältnis 
kehrt sich um, n liegt jetzt höher als c. Zwischen der 11. und 
13. Stunde fallen beide Kurven steil ab und von da bis zum Schluss 
verlaufen sie nahe bei einander mit unregelmäßigen Schwankungen, 
indem sie sich mehrmals schneiden. Die Schwankungen von n sind 
etwas größer als die von c. Gegen Ende der Periode, von der 
21. Stunde an, zeigen beide eine geringe Steigung. 

Was können wir nun aus diesen Versuchen schließen? Zunächst 
bestätigen sie nochmals den von mir schon des öfteren nachdrücklich 
betonten Satz, dass Wärmeausgabe und CO?- Ausscheidung nicht ein- 
fach parallel verlaufen, dass man aus der einen nicht auf die andere 
schließen darf. Sie lehren ferner, dass ein solcher Parallelismus, 
wenn auch nicht streng, doch in gewissen Grenzen besteht für ein 
im Ernährungsgleichgewicht befindliches und regelmäßig alle 24 Stun- 
den einmal gefüttertes Tier für die letzten 12 Stunden der 
Fütterungsperiode, in welcher sich die Einflüsse der Verdauung 
nicht mehr bemerkbar machen. 

Ueberblickt man den ganzen Verlauf der Kurven für die 24stün- 
dige Ernährungsperiode, so heben sich zwei getrennte Teile von 
durchaus verschiedenem Charakter scharf von einander ab. Ich will 
den einen Teil der Periode als den Zustand der Sättigung, den 
zweiten Teil als den Zustand der Nüchternheit bezeichnen. Im 
letzteren sind sowohl die Wärmeproduktion als auch die CO, - Aus- 
scheidung einigermaßen konstant; zwar können sie in einzelnen 
Versuchen immerhin noch erhebliche Schwankungen aufweisen; wenn 


474 Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 


man aber Mittelzahlen aus vielen Versuchen zieht, so bekommt man 
für die einzelnen Stunden dieses Teils Werte, die nur um etwa 
20 Prozent von dem Gesamtmittel dieser Zeit nach oben und unten 


abweichen. In Folge dessen ist auch der Wert nE für diese Zeit nahezu 


konstant. Es herrscht zwar trotzdem keine vollkommene Ueberein- 
stimmung zwischen den Schwankungen der Wärmeausgabe und CO,- 
Ausscheidung. Es zeigt sich nämlich, dass bei jeder Steigerung der 
Wärmeproduktion die CO,-Ausscheidung in viel schnellerem Maße 
steigt und bald konstant wird und dass ebenso beim Sinken der 
Wärmeproduktion die CO,- Ausscheidung schneller sinkt und dann bald 
wieder konstant wird. So wiederholt sich hier in kleinerem Maßstab 
das, was ich früher für längere Zeiträume nachgewiesen habe, näm- 
lich dass mit steigender Wärmeproduktion der Kohlensäurefaktor 
größer wird. 

Der Zustand der Sättigung seinerseits zerfällt wieder in zwei 
scharf getrennte Hälften. In der ersten, etwa fünf Stunden dauernden, 
ist die CO,- Ausscheidung sehr hoch, während die Wärmeproduktion 
erst langsam und dann ziemlich schnell ansteigt; in der zweiten, eben 
so lang dauernden, sinkt die CO,- Ausscheidung wieder ein wenig, 
während die Wärmeproduktion noch etwas steigt und dann nahezu 


konstant bleibt. In Folge dessen steigt der Faktor e in dieser 


ganzen Zeit nahezu gleichmäßig an und erreicht am Ende desselben 
seinen höchsten Wert. 

Beide Zustände werden mit einander verbunden durch eine kurze 
Zwischenstufe von etwa zweistündiger Dauer (der 11. bis 13. Stunde ent- 
sprechend), in welcher sowohl die Wärmeproduktion wie die CO-,Aus- 
scheidung ziemlich schnell von ihren hohen Werten auf den nahezu 
konstanten des zweiten (nüchternen) Zustandes herabsinken. 

Diese Verschiedenheiten in dem Verlauf der Wärmeausgabe und 
der CO,-Ausscheidung sind zum Teil wenigstens durch die physi- 
kalischen Verhältnisse bedingt. Nehmen wir zunächst an, dass jeder 
Steigerung ‘der Wärmeproduktion sofort eine streng proportionale 
Zunahme der CO,-Bildung entspreche. Der Ueberschuss der gebil- 
deten CO, wird dann sehr schnell auch zu einer vermehrten Aus- 
scheidung derselben führen. Der Zuwachs an gebildeter Wärme aber 
muss erst nach und nach den ganzen Tierleib und namentlich seine 
äußeren Teile erwärmen, ehe es zu einer vermehrten Wärmeausgabe 
kommen kann. So würde sich erklären, warum die gesteigerte (O,- 
Ausscheidung der gesteigerten Wärmeausgabe vorauseilt, wie wir es 
bei den kleinen Schwankungen innerhalb des nüchternen Zustands 
gefunden haben. Aber diese Erklärung reicht nicht aus, die großen 
Unterschiede zu erklären, welche in dem Zustand der Sättigung, 
namentlich in den ersten Verdauungsstunden auftreten. Wäre hier 








Rosenthal, Kalorimetrische Untersuchungen an Säugetieren. 47D 
die Wärmeproduktion von Anfang an in dem Maße gesteigert, wie 
die CO,-Ausgabe es anzeigt, so müsste sich die Eigentemperatur des 
Tieres um 2—3°C, erhöhen. Solche Temperatursteigerungen kommen 
nicht vor; höchstens erwärmt sich der Körper um einige Zehntelgrade. 

Es bleibt also nur übrig anzunehmen, dass die vermehrte CO,- 
Ausscheidung aus dem vorhandenen Vorrat des Körpers herrühre, 
oder dass in den ersten Stunden der Verdauung auch vermehrte 
CO,-Bildung stattfinde, und zwar in einem stärkeren Verhältnis, als 
der Steigerung der Wärmeproduktion entspricht. Die erstere Annahme 
erweist sich aber bei näherer Betrachtung als unmöglich. Der Ueber- 
schuss an CO,, welchen mein Hund in den ersten 10 Stunden der 
Verdauung mehr abgab als in der gleichen Zeit der Nüchternheit, 
betrug rund 20 g oder reichlich 101. Die Gesamtmenge des Blutes 
dieses Tieres konnte höchstens 400 em? betragen und die Menge der 
in diesem enthaltenen CO, höchstens 200 cm. Selbst wenn wir an- 
nehmen wollten, dass in den Gewebssäften noch das vierfache dieses 
Volums an vorrätiger CO, stecke, so kämen wir doch immer nur auf 
ein Liter. Es bleibt uns also nur die andere Möglichkeit. Im satten 
Zustand wird mehr CO, produziert als im nüchternen. Auch die 
Wärmeproduktion ist vermehrt, aber die erstere in viel höherem 
Grade als die letztere. Ist dem aber so, dann finde ich nur eine 
Erklärung: die Stoffe, welche während des Zustandes 
der Sättigung verbrennen, müssen eine andere chemische 
Konstitution haben als diejenigen, welehe während des 
Zustandes der Nüchternheit zur Verbrennung gelangen; 
sie müssen eine geringe Verbrennungswärme besitzen, 
aber reichlich CO, erzeugen. 

Versuchen wir uns die Vorgänge klar zu machen, welche während 
der Verdauung und nachher in dem Tierkörper Platz greifen. Eine 
große Menge verbrennlicher Stoffe gelangen durch Resorption aus 
dem Darm in den Kreislauf und mit diesem in alle Gewebe. Sie 
kommen hier in das Bereich der lebenden Zellen, deren physiologische 
Eigenschaften darin gipfeln, dass sie gewisse organische Stoffe, Ei- 
weißkörper, Fette, Kohlehydrate fähig machen, sich mit dem dort 
vorhandenen Sauerstoff zu verbinden und unter CO,-Bildung Wärme 
zu produzieren. Je reichlicher der Zufluss verbrennbarer Substanz, 
desto größer wird die Verbrennung, desto mehr steigt die Wärme- 
produktion und die CO,-Bildung. Aber nicht alle zugeführten Stoffe 
sind gleich verbrennlich. Aus dem zugeführten Gemenge verbrennen 
zuerst diejenigen, welche am leichtesten verbrennen können. Nach 
und nach sind diese aufgezehrt. Nun beginnt der zweite Abschnitt, 
die langsame Verbrennung mit geringerer Wärmeproduktion und ge- 
ringerer CO,-Bildung. Die Zusammensetzung dieses Teiles muss eine 
gleichförmigere sein als die des ersten, denn dieser ändert fort- 
während seine Zusammensetzung, erstens wegen des fortdauernden 


A476 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


Nachschubs vom Darm her, dann wegen der allmählichen Abnahme 
der leichter verbrennlichen Anteile des Gemenges. Die anderen Stoffe 
aber, diejenigen, welche in der zweiten Hälfte der täglichen Periode 
verbrennen, sind viel gleichmäßiger zusammengesetzt; sie werden 
langsamer verbrennen und daher in gleichen Zeiten weniger Wärme 
und weniger CO, liefern, aber relativ zu letzterer mehr Wärme, und 
das Verhältnis beider zu einander wird nahezu konstant sein. 

Es scheint mir wahrscheinlich, dass jene leicht verbrennlichen 
Bestandteile der Nahrung vorzugsweise durch die Peptone, die 
schwer verbrennlichen vorzugsweise durch die Fette vertreten seien. 
(Kohlehydrate kommen bei unserem Versuchstier nicht in Betracht.) 
Die Peptone, welche gerade in der ersten Zeit der Verdauung reich- 
lich in das Blut gelangen, werden meiner Ansicht nach nur zum 
allergeringsten Teil in Eiweiß zurückverwandelt. Sie verbrennen 
vielmehr schnell und dienen dazu, das Organeiweiß vor dem Zerfall 
zu schützen. Ich will jedoch auf die weitere Verfolgung dieser Be- 
trachtungen jetzt nicht eingehen. Meine späteren Mitteilungen werden 
zu erweisen haben, welchen Wert die hier vorgetragene Hypothese 
für das tiefere Verständnis der Stoffwechselvorgänge beanspruchen kann. 


Neurologische Untersuchungen. 


H. Gudden- München, Beitrag zur Kenntnis der Wurzeln der 
Trigeminusnerven. Allgem. Zeitschr. für Psych. Bd. 48. 

Eine lückenlose Serie von Frontalschnitten durch ein Kalbsgehirn, 
dem der rechte Traetus olfaetorius und der rechte N. trigeminus 
fehlen, sowie ein mehrfach lädiertes Kaninchenhirn mit nachfolgenden 
Atrophien zeigten, dass die motorische Wurzel aus dem motorischen Kern 
derselben Seite entspringt, die absteigende Wurzel aus den groß- 
blasigen im zentralen Höhlengrau um den Aquaeductus gelagerten 
Zellen. Die partielle Kreuzung der motorischen und der absteigen- 
den Wurzel bezieht sich nur auf wenige Fasern. Die aufsteigende 
Wurzel entsteht im untern Halsmarke bereits aus der Substantia ge- 
latinosa. 

F. Sgobbo, Sulla rigenerazione del middolo spinale nei vertebrati. 
La Psychiatria 1890. fasc. 344. 

Nach Versuchen an Tritonen, Eidechsen, Froschlarven, Fröschen, 
Tauben, Hunden konnte S. feststellen, dass bei den Tritonen die 
Reflexzentren in der ganzen Spinalaxe, einschließlich des Kaudalteils 
liegen und sich in den wieder gewachsenen Schwänzen regenerieren. 
Die Integrität der ganzen Medulla ist für die Regeneration des 
Schwanzes nicht unbedingt nötig, jedoch erfolgt dieselbe nach Ver- 
letzung des Rückenmarks langsamer und weniger ausgiebig. Die 
Regeneration des Nervengewebes geht vom Epithel des Zentralkanals 
aus. Bei Tauben fand sich nirgends eine Spur von Regeneration von 
Nervengewebe; transplantierte Stücke wurden ganz resorbiert und 








Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 477 


durch Bindegewebe ersetzt. An 15 neugeborenen Hunden, an denen 
die Eichhorst-Naunyn’schen Versuche wiederholt wurden, er- 
gaben die physiologischen Resultate nichts Neues. Anatomisch zeigt 
sich nirgends ein Zeichen von Regeneration. 


J. Ott, The Function of the Tuber einereum. The journal of ner- 
vons and mental disease. July 1891. 


Durch 16 Experimente an Kaninchen kommt O. zu dem Schluss, 
dass das Tuber einereum ein Zentrum für Polyppoe und Wärmeregu- 
lierung sei. Punktierung des Tuber cinereum bei einem Kaninchen 
im Wärmekasten beseitigte die Polypnoe und bewirkte Temperatur- 
steigerung. 


J. Ott, The Interbrain: its relations to thermotaxis, polypno&a, 
vasodilatation and convulsive action. The journal of nervons 
and mental disease. July 1891. 


Versuche an Kaninchen und Katzen zur Bestimmung der Funktion 
des Zwischenhirns lassen ein vaso -tonisches Zentrum in den Thalami 
optici annehmen. In der Rinde finden sich Wärme - Hemmungs- 
Zentren, in dem Nucleus caudatus und Umgebung thermogene Zentren; 
im Zwischenhirn finden sich thermo-Iytische Zentren neben solchen 
für die Polypnoe und vaso-tonische Funktion. Im Nachhirn sind 
respiratorische, vasomotorische und thermolytische Zentren, im Rücken- 
mark thermolytische, thermogene und Schweißzentren. 


Borgherini e Gallerani, Contribuzione allo studio dell attirita 
del cerveletto. — Riv. speriment. di freniatria e di med. leg. 
Bd.1H.,.3: 


Durch das Studium der Ausfallserscheinungen an 5 lädierten 
Hunden kommen die Verfasser zu dem Resultate, dass das Kleinhirn 
für die Koordination der willkürlichen Bewegungen wichtig ist. Jede 
tiefere Läsion ruft Ataxie hervor; bleibt ein Stück Kleinhirn noch 
mit seinen normalen Verbindungen mit den übrigen Hirnteilen zurück, 
so übernimmt es die Funktionen des lädierten Teiles und die ex- 
perimentell erzeugten Störungen können wieder schwinden. Ober- 
flächliche Kleinhirnverletzungen verursachten Zittern des Kopfes und 
des Halses; vollständige Zerstörung hatte dauernde Ataxie zur Folge. 
Wird dabei noch der Gesichtssinn ausgeschaltet, so verzichtet das 
Tier auf alle willkürlichen Bewegungen. Die Kleinhirnverletzung hat 
auch trophische Störungen zur Folge, doch bleibt die Muskelstärke 
und die allgemeine Sensibilität wie die Funktion der Sinnesorgane 
unbeeinflusst. 


Ewald, Demonstration einiger Tiere ohne inneres Ohr. Deutsche 
med. Wochenschrift Nr. 34. 1891. 

Eine Taube, welcher beiderseits die Canales extern. und poste- 

riores durchtrennt waren, zeigte starke Gleichgewichtsstörungen, 


478 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


während eine andere Taube, welcher dieselben Kanäle mit der Plom- 
‘ benmethode durchschnitten waren, ganz gut fliegen konnte und nur 
ganz geringe Störungen zeigte. — Tauben mit doppeltem Verlust des 
Labyrinths lernen nie wieder fliegen, wohl aber geht die Fressstörung 
u. s. w. wieder zurück; es besteht dabei keine vollständige Taubbeit. 
Nach einseitiger Labyrinth - Entfernung sieht man Unterschiede im 
Gebrauch und Haltung der Extremitäten beider Seiten. — 


A. Spanbock, Einige Versuche an den motorischen Rindenzentren 
nach Unterbindung der Harnleiter. Neurologisches Centralblatt 
1891: Nr..21. 


Versuche an Hunden über die elektrische Erregbarkeit der mo- 
torischen Rindenzentren vor und nach der Unterbindung beider Harn- 
leiter zeigten, dass abgesehen von einer manchmaligen Zunahme der 
Erregbarkeit im Anfange der Urämie die Erregbarkeit mit dem Fort- 
schreiten des urämischen Prozesses regelmäßig abnimmt. Durch Aus- 
schneiden der entsprechenden Hirnrinde wurde nachgewiesen, dass 
diese Erscheinungen auf Veränderungen der Rindenzentren selbst zu 
beziehen sind. Nach anderen Experimenten ist, ganz abgesehen von 
der Chloroformnarkose und dem Operationseingriff, dem Hungern und 
der Abkühlung dabei nur eine unwesentliche Bedeutung zuzuschreiben, 
vielmehr ist die Veränderung der Erregbarkeit der Hirnrinde eine 
Folge der für die Urämie charakteristischen Stoffwechselstörungen. 
Die Beobachtung, dass die Krämpfe (besonders die tonischen) in den 
Fällen am stärksten sind, wo das Sinken der Erregbarkeit der Hirn- 
rinde ganz besonders erheblich ist, führt zur Vermutung, dass die 
vom regulierenden Einfluss der Rindenapparate freigewordenen sub- 
kortikalen Zentren zum Ausgangspunkt der Krämpfe werden. 


J. Nori e R. Brugia: Variazioni del tempo di reazione muscolare 
durante l’elettrotono dei nervi ed alterati. Rivista sperimentale 
ci rematrie 1891. Bd. 17. 'H: 129: 


Die Versuche beziehen sich auf den Einfluss des Nerven im elec- 
trotonischen Zustand auf die Zeitdauer, welche zwischen Reiz und 
Reaktion liegt. Der Anelektrotonus ruft eine deutliche Verlangsamung 
in der Geschwindigkeit der Uebertragung hervor. Der Katelektro- 
tonus beschleunigt die Uebertragung des Reizes außer bei starken 
Strömen, bei denen die Uebertragung verzögert wird. Die Leitungs- 
veränderungen des Katelektrotonus schwinden zuerst, während die des 
Aneleetrotonus länger andauern. Eine Verstärkung des Reizes vermag 
die Leitungserschwerung beim Katelektrotonus weitmehr auszugleichen 
als beim Anelektrotonus. — 


John Ferguson, Der Nervus phrenieus (Brain, Summer and Au- 
tumn number 1891). 

In einem Fall von progressiver Muskelatrophie mit Atrophie des 

Diaphragmas wurden die Phreniei post mortem zum Teil vollständig 








Ambronn, Polarisationsmikroskop. 479 


degeneriert gefunden; ein anderer Teil der Fasern war noch in der 
Degeneration begriffen und ein Drittel des Nerven war ganz normal. 
Die nicht degenerierten normalen Fasern wurden als sensible Fasern 
des Phrenieus angesehen. Bei einer Katze wurde 3 Wochen nach 
einseitiger Phrenieusdurchschneidung eine Sensibilitätsherabsetzung 
auf derselben Seite des Zwerchfells festgestellt. Bei einer Durch- 
trennung der hintern 3. bis 6. Spinalnervenwurzeln (nach außen von 
den Spinalganglien) wurde ein Drittel der Fasern des Phrenieus 
— ohne Zweifel die sensibeln — degeneriert gefunden. — 
S. Kalischer (Berlin). 


H. Ambronn, Anleitung zur Benützung des Polarisations- 
mikroskops bei histologischen Untersuchungen. 
Gr. 8. 598. 27 Texttabellen. 1 Farbentafel. Leipzig. J. H. Robolsky. 


Der Zweck des kleinen Buches ist, diejenigen, welche sich mit 
tierischer oder pflanzlicher Histologie beschäftigen, aber vor der Unter- 
suchung ihrer Objekte im polarisierten Licht zurückschrecken, weil 
sie sich in der physikalischen Optik nicht heimisch fühlen, mit den 
hierher gehörigen Erscheinungen und Methoden vertraut zu machen, 
ohne irgendwie mathematische Formeln zu benutzen Die Kenntnis 
der Undulationstheorie und verschiedener geometrischer und stereo- 
metrischer Begriffe freilich setzt der Verf. voraus, aber er ersetzt 
durch anschauliche Erklärung der Erscheinungen die rechnerische 
Ableitung der Gesetze; denn er hat gewiss recht, wenn er in der 
Scheu vor mathematischen Formeln die Ursache sieht, warum so 
wenige Histologen sich die von Valentin und Nägeli schon vor 
30 Jahren entwickelten Methoden angeeignet haben. 

Verf. wünscht, dass seine Anleitung in doppelter Weise zur Ver- 
breitung dieser Methoden diene; sie soll als Leitfaden es erleichtern, 
dass in histologischen Kursen die Erscheinungen im polarisierten 
Licht demonstriert werden, wie es jetzt gewiss nur sehr selten ge- 
schieht. Und zweitens glaubt er, dass der Anfänger in der histo- 
logischen Forschung, wenn er erst mit den Erscheinungen und Unter- 
suchungsmethoden im polarisierten Licht vertraut ist, ihre streng 
wissenschaftliche Begründung, wie sie in den Arbeiten der genannten 
Forscher und in den Handbüchern über das Mikroskop zu finden ist, 
leicht und gern sich aneignen wird. 

Seiner Absicht folgend, beschreibt Verf. zuerst einfache Versuche 
mit gespannter und gepresster Gelatine, welche die Grunderscheinungen 
erläutern, und nennt überall leicht zu beschaffende Beispiele aus den 
tierischen und pflanzlichen Geweben. Auch vermeidet er Hypothesen 
über die Struktur doppelbrechender organischer Substanzen zu geben 
und geht nicht über die Darstellung einfacher Verhältnisse hinaus, 


480 Zacharias, Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. 


um den Anfänger nicht zu verwirren. Er benützt die Terminologie, 
wie sie bei den Botanikern im Gebrauch ist, da sie an die einfache 
von ihm benützte Ableitung aller Erscheinungen aus dem Verhalten 
gespannter Gelatine sich anschließt. 

Die Aufgabe, eine leichtverständliche und doch wissenschaftliche, 
klare Darstellung dieses Gebietes zu geben, ist vollständig gelöst und 
es ist nur zu wünschen, dass die Anleitung dazu beitragen möge das 
Ziel des Verf. zu fördern, der Benutzung des Polarisationsmikroskops 
mehr Verbreitung zu verschaffen. W. 


O. Zacharias, Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. 
U. Bd. Gr. 8. Leipzig J. J. Weber. 


In Nr. 19 des XI. Bandes des biol. Centralblattes ist der 1. Band 
dieses Werkes angezeigt worden. Waren in diesem hauptsächlich 
die Pflanzen und niedersten Tierformen des Süßwassers geschildert 
worden, so kommen hier die höher entwickelten Tiere zu ihrem Recht: 
die Wassermilben werden von Prof. Kramer, die Kerfe und Kerf- 
larven von Dr. E.Schmidt-Schwedt, die Mollusken von S.Clessin, 
die deutschen Süßwasserfische von Dr. Seligo und ihre Parasiten von 
Prof. Zschokke geschildert So erscheint das Programm des Heraus- 
gebers erfüllt, alle Tier- und Pflanzengruppen des Süßwassers, bis 
auf diejenigen, die schon in vortreffliehen Monographien bearbeitet 
sind, zu behandeln. In allen Aufsätzen ist auf die Biologie der größte 
Nachdruck gelegt; demjenigen, der sich den Anregungen des Werkes 
folgend selbst mit der Fauna des Süßwassers beschäftigt, werden 
aber auch die genauen Litteraturverzeichnisse und die den beiden 
ersten Aufsätzen beigefügten Tabellen zur Bestimmung der bei uns 
im Süßwasser lebenden Milben und Kerflarven von größtem Nutzen 
Sein. 

Den genannten Aufsätzen sind folgende als Ergänzung und Schluss 
beigefügt: Dr. Apstein, „Die quantitative Bestimmung des Planktons 
im Süßwasser“; O. Zacharias, „Die Fauna des Süßwassers in ihren 
Beziehungen zu der des Meeres“, und „Ueber die wissenschaftlichen 
Aufgaben biologischer Süßwasserstationen“, endlich Boreherding, 
„Das Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen“. 

So bildet das ganze Werk nicht nur eine Einführung in das 
Studium der Süßwasserwelt, sondern eine abgeschlossene Darstellung 
dieses Gebietes, deren Studium jedem, der sich für biologische Unter- 
suchungen interessiert, viel Anregung und Belehrung bieten wird. 


W. 








Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 








Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Fhymplagie in Eraresn 


4 "Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XII Band. 1. September 1892, Nr, 161 u. 17. 





Inhalt: Bokorny, Ueber Kohlensäureassimilation. — Apstein, Plankton- 
Studien im Süßwasser. — Imhof, Programm zu einer monographischen Be- 
arbeitung eines größeren Sees, — Imhof, Vorläufige Notiz über die Lebens- 
verhältnisse und Existenzbedingungen der pelagischen und 'Tiefsee - Flora und 
Fauna der Seen. — Gräfin Maria v. Linden, Beiträge zur Biologie der 
Phryganeiden. — Drieseh, Kritische Erörterungen neuerer Beiträge zur theo- 
retischen Morphologie. — Matthiessen, Die neueren Fortschritte in unserer 
Kenntnis von dem optischen Baue des Auges der Wirbeltiere, 





Ueber Kohlensäureassimilation. 


Von Dr. Th. Bokorny. 


Unter Mitwirkung des Lichtes wird die Kohlensäure in den 
Chlorophyllapparaten der Pflanze zu Kohlehydrat; nur in seltenen 
Fällen treten statt dieses andere Assimilationsprodukte auf, wie fettes 
Oel ete. 

Da zwischen Kohlensäure und Kohlehydrat eine große Kluft be- 
steht, fragen wir uns mit Recht, ob keine Zwischenstufen vorhanden 
seien. Die Baeyer’sche Assimilationshypothese beantwortet diese 
Frage dahin, dass aus Kohlensäure zuerst Formaldehyd und aus diesem 
durch Kondensation Kohlehydrat entstehe. Da dies der einfachste 
Weg von Kohlensäure zu Kohlehydrat ist und die Pflanze sicher 
möglichst einfach verfährt, so hat die Hypothese von vornherein große 
Wahrscheimlichkeit für sich '). Der Formaldehyd hat die prozentische 
Zusammensetzung der Kohlehydrate, und da er zur Kondensation wie 
alle Aldehyde geneigt ist, so kann daraus leicht Kohlehydrat gebildet 
werden, indem 6 Molekule Formaldehyd zu einem zusammentreten. 

6 CH,0 — C,H,,0, (Glykose). 

Um die Hypothese experimentalphysiologisch zu prüfen, stellte 
ich Ernährungsversuche mit Formaldehyd an. Ist jene richtig, so 
müssen die Chlorophyllapparate aus dargebotenen Formaldehyd (bei 

1)] Nach v. Liebig sollen bekanntlich bei Assimilation der Kohlensäure 


zuerst organische Säuren (Oxalsäure, Weinsäure und Aepfelsäure) gebildet werden. 


X. al 


482 Bokorny, Ueber Kohlensäureassimilation. 


Ausschluss der Kohlensäureassimilation) Stärke bilden können; es 
muss in denselben ebensogut Stärke als erstes sichtbares!) Assi- 
milationsprodukt auftreten, wie wenn man Kohlensäureassimilation 
herbeiführt 2). 

Zu den erwähnten Versuchen müssen natürlich stärkefreie 
chlorophyllführende Zellen angewandt werden. Da man solche ver- 
hältnismäßig selten in der Natur antrifft, so müssen die Versuchs- 
Objekte (ich verwandte submerse Wasserpflanzen, hauptsächlich Algen 
aus der Gruppe der Konjugaten) in der Regel zuvor entstärkt werden, 
was man am besten durch Verbringen ins Dunkle und Zusatz von 
etwas Caleiumnitrat + Magnesiumsulfat zum Kulturwasser erreicht. 
Unterlässt man letzteren Zusatz, so wird die Stärke nur sehr langsam 
verbraucht, so dass man oft Wochen, ja Monate lang warten muss, 
bis die Entstärkung völlig eingetreten ist. Caleiumnitrat und Magnesium- 
sulfat bewirken den Eintritt der Eiweißbildung, wobei Kohlehydrate 
verbraucht werden, so dass schon nach wenigen Tagen (bei Sp. nitida 
und Sp. majuscula häufig schon binnen 2 Tagen) alle Stärke aus den 
Chlorophyllapparaten verschwindet. 

Ich experimentierte zunächst mit freiem Formaldehyd und 
stellte wässerige Lösungen desselben von 1:1000, 1:2000, 1: 5000 
u.s. w. her; in diese wurden entstärkte Algen verbracht. Bald zeigte 
sich, dass Formaldehyd in diesen Konzentrationen, ja noch weit ver- 
dünnter, giftig sei. Die Verdünnung musste auf 1:50000 getrieben 
werden, um die Versuchsobjekte nur einige Tage in der Lösung 
lebendig erhalten zu können. Dass unter solehen Umständen keine 
positiven Resultate erzielt werden konnten, ist erklärlich; denn tote 
oder stark angekränkelte Zellen assimilieren nicht, und Formaldehyd- 
lösung von 1:50000 enthält so wenig des ernährenden Stoffes, dass 
ein Stärkeansatz nicht erfolgen kann. Etwa gebildete Kohlehydrate 
unterliegen dem Verbrauch zur Atmung oder zu andern physiologischen 
Zwecken, und da in so verdünnter Lösung die Neubildung den Ver- 
brauch in Folge allzulangsamer Zufuhr des Formaldehydes nicht über- 
wiegt, unterbleibt der Stärkeansatz. 

Da freier Formaldehyd nieht günstig für meine Versuche war, 
wandte ich eine organische Verbindung an, welche leicht Formaldehyd 
abspaltet und selbst nicht giftig ist; ich hoffte die Zellen würden im 
Stande sein, jene Verbindung zu spalten und den freiwerdenden Form- 
aldehyd sofort, ehe er sich zur schädlichen Menge anhäufen kann, zu 
kondensieren. Methylal ist eine solehe Substanz; sie zerfällt unter 
Wasseraufnahme ziemlich leieht in Formaldehyd und Methylalkohol: 

N 
cube mo co Fr 2 (CH,ol), 


3 


4) Wahrscheinlich wird zuvor Glykose und aus dieser Stärke gebildet. 
2) Eine ausführliche Mitteilung über diese Versuche findet sich in landw. 
Jahrb., 1892, 5. 445—469. 














Bokorny, Ueber Kohlensänreassimilation. 485 


In 1 bis 5 pro mille wässeriger Auflösung von Methylal gedeihen 
Spirogyren sehr gut, wie OÖ. Loew in Gemeinschaft mit Verf. schon 
früher beobachtet hat!); erheblich stärkere Konzentrationen können 
freilich auch hier von Nachteil sein, doch ist es ja durchaus überflüssig, 
solehbe anzuwenden. Die Nährstoffe, welche den Pflanzen normaler 
Weise (in freier Natur) zu Gebote stehen, erreichen ja in der Regel 
kaum diese Konzentration. 

Bei zahlreichen Experimenten über die Ernährungsfähigkeit des 
Methylals stellte sich nun heraus, dass die Chlorophyllapparate daraus 
Stärke zu bilden vermögen, freilich nur unter Mitwirkung des Lichtes 
(CO,-Assimilation war bei diesen Versuchen ausgeschlossen). Im 
Dunkeln wirkt Methylal wohl ernährend, aber nicht Stärkeansatz 
verursachend; wie es scheint, geht bei Lichtabschluss die Neubildung 
nicht über den Verbrauch hinaus. 

Spirogyren und andere Pflanzen vermögen also das Methylal zu 
spalten (denn als ganzes kann das Methylalmolekül wohl nicht ver- 
wendet werden) und aus den Spaltungsprodukten Stärke zu bilden, 

Da nun aber spezielle Versuche zeigten, dass auch Methylalkohol, 
das andere Spaltungsprodukt, für manche Spyrogyren ein zur Stärke- 
bildung geeigneter Stoff ist, so können die mit Methylal erhaltenen 
Resultate möglicherweise auf den Methylalkohol zurückzuführen sein; 
wiewohl dann nicht einzusehen ist, was aus dem Formaldehyd sonst 
werden soll und wie der Methylalkohol anders als auf dem Wege 
über CH,O zu Stärke werden kann. 

Immerhin hielt ich es für angebracht, noch weitere Versuche mit 
einem jeden Zweifel ausschließenden Stoffe anzustellen. 

Ein solcher fand sich in dem formaldehydscehwefligsauren 
Natron. 

Es ist ein gut krystallisierendes Salz, welches sich leicht, schon 
beim Kochen mit Wasser, in Formaldehyd und saures schwefligsaures 
Natron spaltet: 


CH,<so, Na + H0 = CH, ‚0 + HSO,Na. 


Versuche mit Algen zeigten nun, dass in den Chlorophyllapparaten 
Stärke abgelagert wird, sofern man denselben O,1proz. Lösung von 
formaldehydscehwefligsaurem Natron unter Zusatz von 0,05proz. Di- 
kalium- oder Dinatriumphosphat darbietet. Letzterer Zusatz ist durchaus 
nötig, da sonst das freiwerdende saure schwefligsaure Natron schäd- 
lich wirkt; Dinatriumphosphat setzt sich mit Holen um in neutrales 
schwefligsaures Natron und Mononatriumphosphat, welches nicht nur 
unschädlich, sondern sogar ernährend wirkt. Ohne Dialkaliphosphat 
gingen mir die Kulturen regelmäßig binnen kurzer Zeit zu Grunde. 





4) Chemisch-physiologische Studien über Algen. Journ. f. prakt. Chemie, 
1887, 8. 288. 
ale 


484 Apstein, Quantitative Plankton- Studien im Süßwasser. 


Ich kann die Ergebnisse meiner Versuche mit formaldehyd- 
schwefligsaurem Natron folgendermaßen zusammenfassen: 

Aus formaldehydschwefligsaurem Natron können grüne Pflanzen- 
zellen Stärke bilden, indem sie das Salz zersetzen und den frei- 
werdenden Formaldehyd sofort kondensieren. 

Das Licht spielt bei dieser Synthese eine bedeutsame Rolle; bei 
schwacher Beleuchtung geht die Stärkebildung aus formaldehyd- 
schwefligsaurem Natron nur sehr langsam vor sich, im Dunkeln er- 
folgt kein Stärkeansatz, d. h. es wird kein Ueberschuss an Kohle- 
hydrat erzeugt. Bei guter Beleuchtung tritt in völlig entstärkten 
Pflanzen rasch Stärke auf, welche zu sehr bedeutenden Mengen sich 
anhäufen kann (trotz völligen Ausschlusses von Kohlensäureassimilation). 

Die Versuchspflanzen erfahren bei Zufuhr jenes Salzes und Aus- 
schluss der Kohlensäure eine erhebliche Trockensubstanzvermehrung. 

Indem Spirogyren in einer O,lproz. Lösung von formaldehyd- 
schwefligsaurem Natron vegetieren, nimmt die Flüssigkeit rasch und 
sehr bedeutend ab an Reduktionsvermögen gegen Kaliumpermanganat; 
das Salz wird verbraucht. 

Die Chlorophyllapparate können also, wenn ihnen Formaldehyd 
in geeigneter Form dargeboten wird, aus diesem Stärke bilden. 


Quantitative Plankton-Studien im Süßwasser. 
Von Dr. C. Apstein. 


(Aus dem zoologischen Institut zu Kiel.) 


Schon zweimal ist der Versuch gemacht worden, das Plankton 
im Süßwasser quantitativ zu bestimmen, und zwar einmal von 
Asper und Heuscher (3), dann von Imhof (9, 10). Jedoch lieferten 
diese Untersuchungen nur sehr unvollkommene Werte, da zu ihnen 
keine Apparate, die quantitativ fischen, verwendet wurden und ander- 
seits wurde von den genannten Forschern nur je einmal die Be- 
stimmung gemacht, so dass wir über den Wechsel der Tiere (denn 
diese wurden nur berücksichtigt) im Laufe der Zeit nichts erfahren. 
Ich habe nun diese quantitativen Bestimmungen, angeregt durch die 
Hensen’schen Untersuchungen im Meere, in einem benachbarten 
Land-See angestellt. Es ist der 1'/, Stunden von Kiel entfernte Dobers- 
dorfer See (2), der 3!/. qkm groß ist und in seinem südlichen Teile 
eine Tiefe von 20 m aufweist. Daneben habe ich auch einige andere 
Seen in den Rahmen meiner Untersuchungen einbezogen, so dass ich 
die Produktion verschiedener Seen vergleichen kann. 

Nachdem ich in meiner kleinen Arbeit „Das Plankton des Süß- 
wassers und seine quantitative Bestimmung. Teil 1: Apparate“ (2) die 
Netze beschrieben habe, welche ich zu me'nen quantitativen Unter- 
suchungen verwandte, will ich in folgendem die Resultate mitteilen, 
so weit sie sich aus den Volumenbestimmungen ableiten lassen. Die 








Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 485 


Zählung der Fänge ist noch nicht so weit fortgeschritten, um sie 
schon jetzt verwenden zu können. 


1. Volumina. 


Ich gebe in folgendem mein vollständiges Fischerei-Tagebuch mit 
Auslassung der qualitativen Fänge, da diese für die Beurteilung des 
weiter unten folgenden nicht in Betracht kommen. Zu der folgenden 
Tabelle bemerke ich noch, dass unter „Art des Fanges“ B bedeutet, 
dass das Netz bis zum Boden gelassen wurde, S dagegen Stufenfang, 
d.h. dass das Netz in 2, 5, 10m gelassen wurde, aber nicht bis zum 
Boden des Sees. Diese letzteren Fänge dienen zur Erforschung der 
vertikalen Verbreitung der Organismen und der Dichtigkeit des Plankton 
in den verschiedenen Wasserschichten. 














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21e Vilez 2 25h) 5 B 205 373196 O 2 |Nördlicher Teil 
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b | 19 B |55 | 83 e 
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dest B 39 530 ” 

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ehe B 145 227 Norden 
et]; B32 9 303 h 
2. VII. | 28a | 18 B 4 606 | 2006 W3 Süden 
Mel Besen 758 5 
e 10 s | 2375| 47 ö 
ed S 145 303 2 

30. VIH.| 30a | 19) | B | 9,25 | 4401 |4161),0| ssw 2 Siiden 
b | 20 Bm 10... Asa, 2C 5 
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d | 10 S U) 1136 5 

Bere: S 1,5110997 . 





























4) In Fang 30a war das Netz abgetrieben, so dass es 22 m durchfischte 
und 10,75 eem Fang lieferte. Der Fang ist daher auf 19 m reduziert. 


486 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 









































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d © = © R=] © Ir | 
1894 je Ei Es, = a 3: 5 Ess 8 Wind Dobersdorf. 
zu, 8 | <a 5272 E 5 
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| 
ED. EN le) 14 | 2121 |13°C| Süden 1 Süden 
p2=18 B 13 | 41970 u 
17518 B 72112:755101932 n 
a 40 Se 10598 61091 . 
e 2 S 4,25 | 644 r 
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4.X 33a 19-52 EB 28 | 4242 |11°C| kein Süden 
belt; Br #1 245520 3712 » 
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dz182), B 152702273 „ 
e | 181], B 17. = 2576 n 
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Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 4857 






































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e| M B 1.4.38 197°) | 
m. N. Aa B 1 192m | NS Einfelder See 
b| 4 Bir | Sat tu B2| | | 
[0 4 Bar I: 152 | 





In meiner Arbeit (1) „Ueber die quantitative Bestimmung des 
Plankton im Süßwasser“ hatte ich die Annahme gemacht, dass das 
Plankton im Süßwasser gleichmäßig verteilt sei. Um bei meinen 
jetzigen Untersuchungen die Art der Verteilung zu erforschen, wur- 
den, wie die vorstehende Tabelle zeigt, aus derselben Tiefe stets 
mehrere Fänge gemacht, dann kann man aus der Abweichung oder 
Uebereinstimmung der Fänge einen Rückschluss machen auf die Ver- 
teilung der Organismen. Für den Ozean hat Hensen auf der Plankton- 
Expedition den Beweis erbracht, dass das Plankton gleichmäßig genug 
verteilt ist, um aus wenigen Fängen (nach Hensen’scher Methode) 
über das Verhalten großer Meeresstrecken unterrichtet zu sein. Bei 
diesen Untersuchungen handelt es sich immer um relativ gewaltige 
Wasserflächen, in denen die physikalischen Bedingungen die gleichen 
bleiben. Anders bei einem kleinen Süßwassersee! Die Wasserfläche 
ist verhältnismäßig klein und die Ufer und der Boden müssen daher 
einen größern Einfluss auch auf die pelagische Organismenwelt aus- 
üben. Anderseits war auch das von mir untersuchte Wasserbecken 
flach, nur in seinem südlichen Teile fanden sich Tiefen bis zu 20 m. 
Alle diese Verhältnisse mussten bei der vorliegenden Untersuchung in 
betracht gezogen werden und ließen vermuten, dass, wenn auch das 


488 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 


Plankton wirklich ziemlich gleichmäßig verteilt sein sollte, die einzelnen 
Fänge, die in einigem Abstande von einander gemacht wurden, be- 
deutender im Volumen abweichen würden, als es bei den Unter- 
suchungen im Meere der Fall ist. Ich war daher überrascht, bei 
meinen Untersuchungen eine Gleichmäßigkeit in der Verteilung des 
Plankton anzutreffen, die meine Erwartungen bei weitem übertraf. 
Einschalten muss ich noch vorher eines. Wenn man ein und denselben 
Fang mehrmals hinter einander auf sein Volumen prüft, so erhält 
man meist etwas abweichende Werte, die um 1 bis 2 Zehntel eines 
Kubikzentimeter von einander verschieden sein können. Einen ab- 
soluten Wert erhält man also durch diese Methode nicht. Anderseits 
ist es aber auch oft nicht möglich, die Ablesung der Volumina bis 
auf '/,, eem genau zu machen, da beim Absetzen die Oberfläche der 
Örganismenmasse keine gerade Ebene bildet, und man daher mehr 
oder weniger Bruchteile eines Kubikzentimeters schätzen muss. Alle 
diese Umstände tragen dazu bei die Fehler der Volumenbestimmung 
zu vergrößern. Jedoch ist diese Bestimmung von großer Wichtigkeit, 
wenn es sich um Fragen über die Produktion eines Wasserbeckens 
an Organismen handelt, und Abweichungen um kleine Bruchteile eines 
Kubikzentimeters spielen kaum eine Rolle. Alle diese Uebelstände 
fallen bei der folgenden Zählung der Organismen (nach der Hensen’- 
schen (7) Methode) fort. 

Kehren wir nun zu unserer Volumentabelle zurück. Um die 
Frage von der Verteilung des Plankton zu lösen, benutze ich die 
Fänge aus 18—20 m aus dem südlichen Teile des Sees. Aus den 
gefischten Volumina berechne ich die Mittel und daraus für jeden Fang 
die Abweichung von diesem Mittel, ich erhalte dann folgende Werte: 





























Fa Tief: Abweichung 
ns 2 Volumen Mittel vom 
| E Mittel °], 
18a 45 3,9 r 
c 17 543,5 \ > 2 
23b 19,5 4,5 ) 4,4 
6 19,5 4,8 4,7 2,1 
d 19,5 4,7 | 0 
263 19 6 > e 
b 19 DD 3,6 
c 19 5) 5,7 14 
d 18 6 5 
e | 18 6 3 
272 | 19 4 2 
0: N : 
e | 19 43], = 13,7 
er: | 17,1 
& | 19 4 Be 
232 | 18 4 4,5 ; 
b | 18 h) 10 
30a | 19 9,25 1,8 
b | 20 10 | 9,42 4,7 
e | 19 9 5,8 














Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 489 








Abweichung 
Nr. | Volumen Mittel | vom 
Mittel °, 





= 


= 
= 


1,97 


= 











39a 18 44 5,7 
b 18 13 ' 13,2 1,5 

1 | 18 12,5 | 5,6 
33a) | 19,5 28 Be 6,2 
b 195 245 h 26,25 7A 

e 18,75 | 19 10,5 

d 18,5 | 45 | 17 13,3 

e 18,5 | 16 | 6,2 
34a | 19 | 45,5 | 12,9 
b | 19 18,5 | 17,5 5,4 

€ | 48 18,5 5,4 
37a 19 375,858 11,6 
b | 19 2,3 | 2,43 5,6 

e | 19 | 2,25 8 
39a | 12,5 2 | 6 
b | 13,5 15 h a 7,5 
41a 19 a | 1:5 a 
b | 19 ‚3 ’ 15,4 
43a | 19 2 | 13,5 
b | 19 ‚ | 1,93 229,8 

6 | 20,6 

0 1,5 

0 1,5 

9 3,7 





o 
fr 
co 
»vwvrveo 


b 18 


- 





44 Fänge 


Diese Tahelle zeigt, dass die Abweichung vom Mittel nie über 
25 °/, hinausgeht. Drei Viertel der Fänge bleibt unter 10°/, zurück. 
Und zwar sind von 44 Fängen 

zwischen 0—5 °, — 18 Fänge 
) 5,1—10 UNS TEREE 13 » 
” 10,1—15 HE ) ” 
” 15,1— 20 NR 2 ” 
„01-28, — 2, 
Diese Gleichmäßigkeit der Volumina muss ein Ausdruck sein für eine 
ebenso große Gleichmäßigkeit in der Verteilung der Organismen. Um 
aber dieser Frage noch näher zu treten, habe ich in Gemeinschaft 
mit den Herren cand. med. Steinhagen und Gastreich die 3 Fänge 
27a, e, e gezählt. Ich wählte diese Fänge darum, weil die Volumina 
27a und 27e gleich waren oder vom Mittel nur um 2,5 °/, abwichen, 
27e dagegen stärker abwich um 13,7 °],. 

Zur Vergleichung nehme ich die Organismen aus meinen Zählungs- 
protokollen, die sich mit größerer Sicherheit zählen lassen, während 
andere wie z. B. Kolonien von Chroococeaceen leicht zerfallen und 
daher ungenauere Zahlen liefern. 


ol Fänge 





1) Siehe S. 498 oben. 


490 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 


Die Zählung ergab für den Quadratmeter Oberfläche: 
27a | 27e 27e 
Pediastrum Boryanum . . .| 2441880 | 3040 0001| 2437 484 
& pertusum - » » .| 813960! 1 330.000 707 657 
Trigonoeystis gracilis . . . .| 1770496! 1678000) 1834665 
Melosira-Fäden . . . . . ., 87.970.000 , 76.000 000 | 106 428 750 
Asterionella gracilis . . . .448400 000 | 458 660 000 | 460 938 750 
Fragilaria virescns . . . ., 34713 608| 33 440 000 | 49.048 125 
Staurosira Smithiana (?) . . .. 123 120 000 | 116 280 000 | 152 257 500 
Ceratium hirudinella . . . .. 9658 992. 6900 800 | 9645 096 


Peridinium tabulatum . . . ., !) 154128 253 536 314 514 


| 


Dreyssena-Larven . . . : .| 4710732| 4012800| ' 4403 196 














Anuraea cochlearis . . . 2 .|"4015232| . 3923576) 4219730 

HIERSÜUCHLEEANE RE NAMEN 2: 227 088 228 456 256 338 
Polyathra platyptera . . . .| 1422720| 1540976] 2071 914 
Pompholyx sulcata Huds. (?) .| 7303296 | 8329 600| 9363 458 
Conochilus vovor . .» ... | 407 360 511 480 699 930 
Diurella 'tgris . ..,.,. 8%. 2)) 245784 325 432 360 024 
Diapiomus"gracilis.. . . 2. 328 320 198 208 539 947 
Oyclops.simplex 2 9.2262. 2081221083 93 024 128 018 
Chydorus sphaerieus . 2... 47 242 36 480 45 753 
Dapımar. re 173 280 215 688 219 978 
Bosmina gibbera .. . 14592 | 24 320 25 907 

" CORMULG ee] 1 520 2 128 2 576 
Daphnella brachyura . . : . 2576| 1 672 3 636 
Leptodora hyalina . . . . . 760 1 824 909 


Leptodora ist allerdings zu unregelmäßig gewesen, ich glaube aber 
einen Grund dafür in meinem etwas zu kleinen Netze (von der Netz- 
öffnung 92 gem) zu finden. 

Von allen andern Organismen zeigt aber nur Diaptomus eine 
größere Abweichung, er scheint sich also mehr in kleinen Ansamm- 
lungen zu halten, während z. B. Oyelops sehr gleichmäßig verteilt ist. 

Die Zahlen für die pflanzlichen Organismen zeigen, dass diese 
sehr gleichmäßig verteilt sein müssen, bei manchen sind sogar die 
Zahlen fast übereinstimmend. 

Ich sehe auch keinen Grund ein, warum die Algen sich in 
Schwärmen sammeln sollten; wo die Bedingungen im Wasser die 
gleichen sind, muss eine gleichmäßige Verteilung der pflanzlichen 
Organismen im Wasser die notwendige Folge sein. 

Die Rädertiere zeigen sich ebenfalls sehr gleichmäßig verteilt. 
Sie pflanzen sich während des größten Teiles des Jahres partheno- 
genetisch fort, haben also meiner Ansicht nach keinen Vorteil sich 





1) Im ersten Fange noch nicht genau erkannt. 
2) Zu wenig gezählt, da ich anfangs nicht dieselben für ein pelagisches 
Tier hielt. 











Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 491 


zusammenzuscharen. Die meisten Siüßwasserforscher reden von 
Schwärmen, unter andern auch Hudson and Gosse (8). Sie setzen 
aber hinzu „sometimes“ (S. 37); ich glaube aber nicht, dass einer von 
ihnen jemals dieselben direkt gesehen hat, da die Tiere alle mikros- 
kopisch klein sind. 

Die Crustaceen sind bis auf Diaptomus ebenfalls gleichmäßig genug 
verteilt. Von den Daphniden leben ebenfalls wie bei den Rädertieren 
den größten Teil des Jahres die Weibehen allein, die Männchen treten 
erst zu bestimmter Zeit auf. Für sie möchte ich dasselbe geltend 
machen, wie für die Rädertiere. Bei den Copepoden liegt die Sache 
anders. Das ganze Jahr hindurch findet man neben den Weibchen 
auch Männchen und, wie meine Zählungen für den Juli ergeben haben, 
sind beide Geschlechter bei Diaptomus fast in gleicher Zahl vorhanden, 
bei Oyclops überwiegen die Weibchen. Bei Diaptomus, glaube ich, 
liegt der Grund der Ansammlungen in der geschlechtlichen Fort- 
pflanzung; dann ist es nur wunderbar, dass C'yclops nicht auch sich 
zusammenschart, da für ihn die gleichen Verhältnisse maßgebend sind. 

Nach den angeführten Zählungen scheint es mir ungerechtfertigt 
noch weiterhin von Schwärmen zu reden als von dem normalen, son- 
dern ich glaube, dass die gleichmäßige Verteilung der Organismen 
die Regel ist, wohl aber Ansammlungen unter gewissen Be- 
dingungen vorhanden sind, aber so, dass sie die Anwendung 
der Hensen’schen Methode durchaus nicht beeinträchtigen. Anders 
liegen wohl die Verhältnisse in kleinen Tümpeln, wo sich die Tiere, 
namentlich die Cladoceren in dichten Scharen bei einander finden, 
das ist auch wohl in der littoralen Region der Fall, da dort an 
manchen Stellen die Nahrung!) reichlicher fließen wird, während das 
in der freien Seefläche nicht der Fall ist. 

Nach den Befunden der Zählungen meiner drei Vergleichsfänge, 
sowie aus der mitgeteilten vergleichenden Volumenmessung scheint 
mir hervorzugehen, dass die Verteilung des Plankton im Süß- 
wasser eine recht gleichmäßige ist. Dieses Resultat meiner 
Untersuchungen ist sehr interessant, da es mit denen Hensens für 
den Ozean übereinstimmt. 

Auch einen Beweis für die Gleichmäßigkeit können die Stufen- 
fänge liefern. Denn wenn die Organismen sich in Schwärmen halten, 
dann ist nicht einzusehen, warum nicht das Netz aus 2 m mehr als 
aus 5m oder aus 5m mehr als 10 m ete. gebracht haben sollte, denn 
es konnte in der flacheren Wasserschicht doch einen Schwarm ge- 
troffen haben, während dieses in dem tieferen Zuge nicht der Fall 
gewesen wäre, aber die 11 vollkommenen Stufenfangreihen zeigen 
nichts, was auf solche Schwärme hindeutet. Die Wahrscheinlichkeit 





1) Siehe unten Nahrung der Crustaceen im Abschnitt: Zusammensetzung 
des Plankton, 


492 Apstein, Quantitative Plankton-Studien im Süßwasser. 


- 


mit weiteren Stufenfangreihen einmal solch eine Abweichung zu er- 
halten ist äußerst gering. 

Es werden also die „Schwärmer“ ihre Behauptung, dass die 
Organismen sich vornehmlich in Schwärmen halten, dureh einen durch 
Zahlen gestützten Beweis begründen oder zugeben müssen, dass 
Schwärme nieht das Normale sind und nur gelegentlich vorkommen. 

Imhof (11) schreibt (5.118): „Wie ich früher schon gelegentlich 
erwähnt .. . zeigen sich die pelagischen Tierchen in einem einzelnen 
See nicht überall gleichmäßig verteilt. Namentlich an der Oberfläche 
findet man hie und da Stellen, an denen ganz ungeheure Mengen von 
pelagischen Tieren vorhanden sind, so dass sie in bedeutender Zahl 
durch bloßes Wasserschöpfen erhalten werden. An solehen Stellen 
zeigt die genauere Untersuchung oft nur wenige Species, z. B. nur 
Ceratium, Dinobryon und Rotatorien, aber in unzählbaren Individuen, 
manchmal aber auch beinahe sämtliche Mitglieder der pelagischen 
Fauna von den kleinsten bis zu den größten“. 

Also auch Imhof schreibt von den Schwärmen als Ausnahmen, 
trotzdem er wohl die gleichmäßige Verteilung nieht erkannt hat, 
wenigstens den Beweis, wie er zu dieser Anschauung gekommen ist, 
schuldig bleibt. Hätte er genaue Zahlenangaben gemacht, von den 
Fängen, in denen die Schwärme getroffen waren, und von solchen, in 
denen diese nicht vorhanden waren, dann hätte seine Behauptung 
einen allgemeinen Wert gehabt, während jetzt mit ihnen nichts an- 
zufangen ist, als seine Angaben wie die anderer Forscher, die überall 
Schwärme registrieren, als auf Täuschung beruhend zurückzuführen. 
Gegen die „Schwarmtheorie“ möchte ich gar nichts einwenden, nur 
verlange ich, dass sie durch eine quantitative Methode gestützt 
wird. Ehe dieses geschieht, wozu nach meinen Untersuchungen wenig 
Hoffnung vorhanden ist, muss man die gleichmäßige Verteilung als 
Regel ansehen, Schwärme aber als die Ausnahmen. 

Nachdem wir so die Frage der Verteilung der Organismen be- 
antwortet haben, wollen wir untersuchen, was der von mir untersuchte 
See an Plankton in den einzelnen Monaten produziert hat. Ich be- 
nutze hierzu wiederum die 18—20 m Fänge. Wie ich schon früher (2) 
angab, muss ich um das Plankton- Volumen unter 1 qm Oberfläche 
d. h. aus einer Wassersäule vom Querschnitt 1 qm und der Höhe des 
Wasserbeckens (hier 20 m) zu berechnen, die von mir gefischten Vo- 
lumina mit 151,5 multiplizieren. Diese Multiplikationen sind in der 
ersten Tabelle unter „Volumina unter 1 qm“ zusammengestellt. Zur 
Aufstellung der Volumen -Kurve benutze ich die Mittel aus den an 
demselben Tage ausgeführten Planktonzügen. Ich erhalte dann 


Dh. IV. 1897 SstgeiNT II 553 cm: 
N. 0 a 
DERSV TS uclaet u ass Zoe ee 


oe, 2 won oe 














| 
| 





\ 


Hm 
de) 
ea 


Apstein, Quantitative Plankton -Studien im Süßwasser. 


DENE ELSE SEN 28 2 4,7692 em; 
AUS IN Saga ORTE 
BURN U 92 120087, 
BE, Ru 4 Se alaben, 
DEN IA U iyas. 26le ; 
Se RER Ele. 0.36; 


ANTEC rue eo ee ee: 
a SS dl re 
N A 0, 


TEN Se el 16:05 aaa, 


In dieser Tabelle fehlen leider die Monate Januar und Februar, 
da ich wegen der nur schwachen Eisdecke nicht bis zu der tiefen 
Stelle gelangen konnte. Ich fischte aber am 20. Februar in dem 
flachen nördlichen Teile und erhielt auf Am 0,25 cem in 2 m 0,2 ccm. 
Dieser 4m Fang verglichen mit dem 5m Fang am 27. März zeigt, 
dass noch nicht einmal die Hälfte von Plankton im Februar vorhanden 
war. Nehme ich dasselbe Verhältnis für den Tiefenfang an, um eine 
ungefähre Vorstellung von dem Volumen zu erhalten, so würde ich 
auf 19m ca. 0,9 cem erhalten haben. Dieses würde unter dem Quadrat- 
meter ca. 136 cem Plankton ausmachen. Da mir keine bessere Zahl 
zur Verfügung steht, so will ich diese einstweilen gelten lassen. Ich 
hätte dann also 


2U01E5 1892 27 -Nr340 u 22187 Cem: (2) 


Aus dieser Zahlenreihe sehen wir, dass im April 1891, nach einem 
sehr strengen Winter die Planktonmenge schon 530 cem beträgt. Das 
Volumen steigt bis zum Anfang Juli. Dann geht die Zahl wieder 
zurück, wodurch dieser Rückgang bewirkt wurde, ist vorläufig nicht 
zu sagen. Es liegen zwei Möglichkeiten vor, einmal können alle 
pelagischen Organismen eine Verminderung erfahren haben, anderseits 
kann diese nur bestimmte Organismen betroffen haben, so dass diese 
den Rückgang verschulden. Nur durch die Zählungen wird sich 
dieser Punkt entscheiden lassen. Von da an nimmt nun die Produk- 
tion schnell zu und erreichte am 4. Oktober ihr Maximum mit 3136 eem, 
Dieses ist eine ganz gewaltige Menge von Organismen, wenn man 
bedenkt, dass in 20 cbm = 20000 Liter Wasser 3,136 Liter Orga- 
nismen sich befinden. Das Volumen sinkt dann ziemlich schnell bis 
Mitte November, dann langsamer bis zum Dezember und vermutlich 
tritt im Februar oder auch schon Januar das Minimum ein. Von da 
beginnt dann wieder eine stärkere Vermehrung. Sonderbarer Weise 
war der Fang im Mai 1892 kaum größer als der im April, während 
im Jahr vorher das Volumen ungefähr doppelt so groß war. Im 
Jahr 1892 war aber die Wassertemperatur in beiden Monaten kaum 
verschieden, während im Jahre 1891 die Temperatur im Mai bedeu- 
tend höher war als im April. 


494 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 


Aus den oben angeführten Zahlen würde sich folgende Kurve 
der Planktonvolumina ergeben: 








N _- ala = a, 
| || 





200 | ! en 





ae ee ! Ar le IBRR a 


| | | | | | | | 
| / | | ii 
1000 - \ L 444 1 (a Er NE 






























































j 
| N 
| a | | 
| I\ | | 
z N | 
a \r | | 
300 2 IF ı H _—. | 1 j Fr 4 Si 
400- (m! | | 
300- AR | —+ 
200 - a A 
100- | | Die ere | 
rar ar ar ass awar a an ara 
DANN UF SVEN IX ok a A A Mr Sea 
9 NR 


Die Kurve für die Volumina an Plankton im Süßwasser fällt 
sehr einfach aus, ein schnelles Ansteigen bis zum Herbst, dann ein 
ebenso schneller Abfall bis zum Eintritt der kalten Jahreszeit, dann 
langsameres Fallen der Kurve bis zur Zeit der Eisbedeckung des 
Wasserbeckens, vom Auftauen derselben eine allmähliche Zunahme 
an Plankton. Ich glaube, diese Kurve wird mit derjenigen, die die 
Produktion an Chrooeoceaceen gibt, übereinstimmen. Durch die Massen- 
haftigkeit der Chroococcaceen im Verhältnis zu den andern Organis- 
men werden die Kurven für diese verdeckt. Ich sehe hier kein 
anderes Mittel diese darzustellen als die Zählung, durch die man für 








Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser, 495 


jeden einzelnen Organismus das Ansteigen und Abfallen im Laufe 
eines Jahres finden kann. Denn es ist nicht gesagt, auch nicht einmal 
wahrscheinlich, dass die Maxima resp. Minima für alle Organismen 
zusammenfallen. Die Diatomeen entwickeln sich unter anderen Be- 
dingungen als die Chroococcaceen und diese gewiss wiederum anders 
als Rädertiere oder Krebse. Ich kann nicht genug die Wichtigkeit 
der Zählungen für diese Frage betonen, namentlich da von anderer 
Seite (6) die Zählungen als nutzlos verworfen werden, und dureh 
Volumenbestimmung alles gemacht werden soll. Diese haben gewiss 
auch ihren großen Wert, der aber durch die folgende Zählung ganz 
unverhältnismäßig gesteigert wird. Man muss die Zählungen selbst 
mitgemacht haben, um über sie urteilen zu können. 


Vertikale Verteilung des Plankton. 


Um die vertikale Verteilung des Plankton kennen zu lernen, sind 
zwei Wege möglich, die je nach dem erstrebten Zwecke der Unter- 
suchung verschieden sind. Kommt es nur darauf an, die in einer be- 
stimmten Wasserschicht sich aufhaltenden Organismen der Art nach 
zu bestimmen, so wendet man am besten ein Schlielisnetz an. Dieses 
Netz ist für Untersuchungen im Ozean von hoher Wichtigkeit, da die 
Verteilung der Organismen im Ozean eine derartige ist, dass man in 
gewissen Schichten nur bestimmte Organismen antrifft, während andere 
vollkommen fehlen (5). In einem Süßwasserbecken von geringer Tiefe 
werden die Organismen nicht so scharf getrennt sein, man wird an 
der Oberfläche, wie in der Tiefe dieselben Organismen antreffen, es 
werden sich jedoch manche von ihnen mehr in der Nähe der Ober- 
fläche aufhalten, andere werden mehr die Tiefe bevorzugen. Um 
diese quantitativen Verhältnisse zu erforschen, ist die Methode der 
Stufenfänge von Wert. Diese Methode ist nur anwendbar, wenn das 
Plankton gleichmäßig (in horizontaler Beziehung) verteilt ist. Wäre 
dieses nicht der Fall, dann könnte man nie wissen, ob der eine Zug der 
Stufenfänge eine diehtere Menge von Plankton (Schwärme!) ein anderer 
nicht eine solche getroffen hat, man würde nie ein richtiges Bild von 
der vertikalen Verteilung der Organismen erhalten. Da nun aber 
durch die oben angeführten Erörterungen erwiesen ist, dass die Ver- 
teilung des Plankton recht gleichmäßig ist, so ist die Methode der 
Stufenfänge sehr wohl anwendbar und ich habe sie seit dem Juli 1891, 
wo ich auf diese Frage aufmerksam wurde, ausgeführt: Ich habe das 
Planktonnetz 2, 5, 10, 20 m in das Wasser hinuntergelassen und die 
erhaltenen Fänge (in den Tabellen mit S bezeichnet) verglichen. 
Durch ein einfaches Subtraktionsexempel lässt sich dann feststellen, 
wie viel Plankton in der Schicht von 0—2, 2-5, 5—10, 10—20 m 
vorhanden war und durch die Zählung dieser Fänge, wie viel von 
Jeder Organismenart in dieser Schicht lebten. 


496 Apstein, Quantitative Plankton -Studien im Süßwasser. 


Ich habe für die folgenden Rechnungen 3 Schichten unterschieden: 
1) Oberflächenschicht von 0--2 m 
2) Mittelschicht „ 2-10 ,„ 
3) Tiefenschicht . . „ 10-20 „ oder bis zum Boden. 

Diese Annahme ist ganz willkürlich und weitere Untersuchungen 
müssen zeigen, ob man nicht die Oberflächenschicht nur bis 1 m, die 
Mittelschicht über 10 m annehmen muss und dann bis zum Boden 
die Tiefenschicht. 

Aus der Tabelle ergeben sich folgende vollständige Stufenfang- 
reihen, bei denen also Fänge aus 2, 10, 20 Meter ausgeführt wurden. 
Ich stelle die Volumina in einer Tabelle zusammen, wobei für die 
Tiefenfänge die oben berechneten Mittel genommen u 


VIT. \vII.| va. | VIn. IX. x XI. |II. IV. eV. 
De OR 30r7 202 Aa 1ne 27 Aa le 


Nr.: | 26 127 | 28 | 30 |s2 |s3 | 34 | 37 | a1 | 43 | 46 
0-2 m: | 090,5) 15 | 15 |48) 5 | 5 [0,505 [05 |0,6 
eure > 





Datum: 








75| 75 |10516,5| 9 115 111 !09 12 
0-20 m: | 57 |41| 45 | 9,42 | 13,2) 21,51 17,52,4 |1,5 [1,9 | 2 


Diese Zahlen geben in Kubikzentimeter an, wie viel Plankton in 
den Schichten von der Oberfläche bis 2, 10, 20 m vorhanden war. 
Aus diesen Zahlen kann ich berechnen, wie viel Plankton sich in 
den Schichten von 0-2; 2—10; 10-20 m fand, indem ich für die 
Oberflächenschicht die ohne für 0—2 m direkt benutze, für die 
Mittelschicht Vol. 0—10 minus Vol. 0O—2, dann erhalte ich Volumen 
2—10 m; für die Tiefenschicht Vol. 0—20 minus Vol. 0—10, dann 
erhalte ich Vol. 10—20 m. 

Führe ich diese Subtraktionen aus, so erhalte ich folgende Werte: 
ITTER | EIER 33 134137] 41] 43 46, 
0-2 m:|09 | 0,75 Br 5 1,5 14,25) 5 19 75| 0,5 |0,5 06 
2-10. me] 21 15 15 6 16,25 1,5 | 4 10,75) 06 0,4 0,6 
10 20-m%| 2,78 1,85 1,75 1,9927 | 14,75 |8,5 09) 0,4 1.0 0,8 

Da ich aber die Schichten von verschiedener Höhe ernie 
habe, die Oberfläche 2 m, die Mittelschicht 8 m, die unterste 10 m, 
so kann ich diese Zahlen nicht direkt mit einander vergleichen. 
Ich muss daher die Planktonmenge auf 1m (innerhalb der betreffen- 
den Schicht natürlich) reduzieren, indem ich die Zahlen der Ober- 
flächenschicht mit 2, die der mittleren mit 8 und die der untersten 
mit 10 dividiere; führe ieh dieses aus, so erhalte ich für 1 m in der 
Schicht von 


N 126.27 | 28 30 | 32 | 33 | 34 | 37 | 41.| 43 |. 46 









































‚0-2, m: 0,45] 0,38 |0,75 0,75 2,13] 25 125 0.3810,.5810 ),251 0,3 _ 
2-10 m: 028 0,19 0,16 0,75.0,78| 0,22 0,5 0,09 0,08 0,05 0,075 


10-20 m: 0:27 0.19 0.18 0.19. 027| 1.48 0,85 0.09 0,0401 0,08 

















| 
| 
| 


Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 457 


Da diese Brüche aber unübersichtlicher sind, als ganze Zahlen, 
so verwandle ich die Angaben der Volumina, die in Kubikzentimetern 
war, in Kubikmillimeter dureh Multiplikation mit 1000 und erhalte: 


N.:1226 ,2210,9881730 732 1733. 1, 32.737127 2317% 
0-2 m:|) 450 | 380 | 750 | 750 2130| 2500 | 2500 | 380 | 250 | 250 | 300 
2-10 m: 260 | 190 | 160 | 750 | 780 | 220 | 500 | 90 | 80 ı 50 | 75 
10-20 m: 270 | 190 180 | 190 | 270 | 1480 | 850 | 90 | 40 \100 | 80 











Diese Zahlen geben also an, wie viel Plankton mein Netz an 
Kubikmillimetern in den 3 verschiedenen Schichten beim Durchfischen 
einer Wassersäule von im Höhe gefangen haben würde. 


Um nun das Verhältnis der Volumina in den verschiedenen 
Schichten an den einzelnen Tagen zu einander zu finden, nehme ich 
das Volumen der Tiefenschicht als 1 an und erhalte dann: 


NRIEUIEZEUETEINETEIETTETE 
ner T2 IT 22 63 123 
>70.m2,%0 (0 13,0,923,9.123,9°1°0,15..0,59,.7°|:2%0,5:0,94 
10-20 m: 1 eE Aa | Re a ere 
oder abgerundet: 





























| var. |vır.| von. | var. Iıx.|x. | x. |xı m |w|v 

rum 192 2 2 502090, 4. | 11. 15, 20 13. 1 
Nr.: | 26127 | 28 | so Is2 133 |34 | 37 |aı | as | 46 

0-2 m: | la a, la | lıy,| 3 la, lo, ou, 4 
2-10 m:| 1|1 jl 4 en ed 
1020 m:| 1jı[| 1 ea la. ya Ankekn uberet 

















I | | | | | 

Diese letztere Tabelle zeigt, dass stets in der Oberflächen- 
schicht das Planktonvolumen größer war, als in der gleichen 
Wassermenge einer anderen Schicht, dass also die Dichtigkeit hier 
am größten ist, und zwar war sie am größten im September, am 
geringsten am 5. Juli und 4. Oktober. 

Die Mittelschicht verhält sich verschieden, bald war die Dichtig- 
keit größer als in der Tiefe (30. VIII; 20. IX; 27. III, 92), bald 
@leich (5. VII; 19. VII; 2. VII; 15. XI; 11. V, 92), bald geringer 
EeX ; 11. X 5.13. IV, 92). 

Fragt man nach der Ursache der verschiedenen Dichtigkeit an 
den verschiedenen Tagen, so bin ich leider noch nicht in der Lage 
antworten zu können. Ich glaube aber, dass die Zählungen dieser 
Stufenfänge ein gutes Stück weiter helfen werden, jedoch ließen sich 
dieselben wegen Zeitmangel noch nicht so weit fördern, um zu Schlüssen 
zu berechtigen. 

Die Oberflächenfänge d. h. die quantitativen Fänge in der Ober- 
flächenschieht machen den Eindruck eines allmählichen Ansteigens 
zum September, dieser würde mit der Zunahme der Uhrooeocecaceen 

X, 32 


498 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 


zusammenfallen, die man an der Oberfläche direkt sieht; diese er- 
reichten aber erst am 4. Oktober ihr Maximum, und an diesem Tage 
ist die Dichtigkeit an der Oberfläche nur wenig größer als in der 
Tiefe. Es fanden sich aber an diesem Tage in «der Tiefe große 
Mengen von Melosira, möglich also, dass diese den Ausschlag zu 
gunsten der Tiefe abgegeben haben. 

Inwiefern diese Verhältnisse von der Wassertemperatur, der direk- 
ten Sonne, der Wellenbewegung abhängig sein mögen, entzieht sich 
noch der Beobachtung; auch wäre für diese Untersuchungen ein tieferes 
Wasserbecken mehr geeignet, als der nur 20 m tiefe Dobersdorfer 
See. In diesem werden die Sonnenstrahlen mit nur geringem Verlust 
bis zum Boden gelangen können, die Temperatur!) wird im Sommer 
in den tieferen Wasserschichten nur wenig, wenn überhaupt geringer 
sein, als an der Oberfläche. Die Messung im Mai 1891 zeigt bei 
16° C an der Oberfläche nur eine Differenz von 2,5° C in der Tiefe, 
am 27. März in 20 m ebenso wie an der Oberfläche. 

Ich hoffe diese Untersuchungen in dem „Großen Plöner See“, der 
Tiefen von 40—60 m hat, fortsetzen und den Gründen für die vertikale 
Verbreitung der Organismen näher treten zu können, namentlich ver- 
spreche ich mir aber viel aus den Zählungen der Stufenfänge, da 
diese zeigen werden, welche Organismen die Oberfläche, welche die 
Tiefe vorziehen. 


Zusammensetzung des Plankton. 


Die Organismen, die man freischwimmend — in der pelagischen 
Region — findet, gehören drei Gruppen an: 


1) Ich habe regelmäßig die Temperatur an der Oberfläche gemessen, meine 
Meyer’sche Flasche, mit deren Hilfe ich Wasser aus der Tiefe schöpfen 
wollte, funktionierte nieht recht und ging bald verloren. Die Temperaturen 
waren folgende: 


31. Mai Oberfläche: 16 °. Cin 15 m — 13,5’ C 


21. Juni 2 49,1 

2. August s N RR 

30. 25 5 161) 

20. September „ BET: 

4. Oktober „ I 

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27. März 4 41,0%. .21n720°- 7426 
43. April s BERSLTE 


4. Mai 3 BO Er 











Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 499 


1) echt pelagisch, oder aktiv pelagisch sind solche, die sich 
selbständig schwimmend Zeitlebens in der freien Seefläche 
aufhalten. Sie bilden das Plankton und von ihnen soll unten 
die Rede sein; 

2) passiv-pelagisch sind solche Formen, die an pelagischen 
Organismen festsitzend, an diesen in der freien Seefläche 
ihr Leben verbringen, ohne ihren Träger aber nicht lange 
der pelagischen Fauna resp. Flora angehören’ würden. Ich 
rechne dazu die Vorticellen, Acineten, Choanoflagellaten, ver- 
schiedene Diatomeen; 

3) zufällig-pelagische oder tychopelagisch nach Pa- 
vesi(14) nenne ich solche, die nur durch ungünstige Umstände 
(Wind, Strömung) in die pelagische Region verschlagen sind. 

Vor kurzem hat Imhof (12) eine „Zusammensetzung der pelagi- 
schen Fauna der Süßwasserbeceken“ erscheinen lassen, in der er die 
vorgenannten 3 Gruppen durcheinandermengt. Mit demselben Rechte 
wie zZ. B. Ceriodaphnia pulchella Sars, Scapholeberis mucronata 0. 
F. M., Söimocephalus vetulus ©. F. M., Pleuroxus truncatus OÖ. F. M. 
könnte man auch einen an der Wasseroberfläche hängenden Limnaeus, 
der auf die Seefläche hinausgetrieben ist, als pelagisch bezeichnen. 
Allerdings findet man hin und wieder ein Exemplar der vor- 
genannten Arten unter den echt pelagischen Organismen, das sagt 
aber meiner Ansicht nach gar nichts. Diese Formen findet man vor- 
zugsweise in kleinen Teichen und Tümpeln sowie in der littoralen 
Region größerer Seen häufig, oft massenhaft; dass sich das eine oder 
andere Exemplar einmal aus seinem Gebiete entfernt und durch Wind 
und Strömung weiter vom Lande abgeführt wird, ist selbstverständ- 
lich, aber früher oder später wird das Tier zu grunde gehen oder 
wenigstens seine direkten Nachkommen. Ein Kennzeichen für echt 
pelagischen Organismen ist es unter anderem, dass sie stets in größerer 
Individuenzahl vorhanden sind. In dem Fang 27a, dessen Zählung 
oben angeführt wurde, kommt das recht zum Ausdruck. In dem 
ganzen Fange fand ich 2 Alona, das würde auf den Quadratmeter 
Oberfläche 304 Alona machen. Nur doppelt so groß ist die Zahl für 
Leptodora und doch rechne ich letztere zum Plankton, erstere nicht. 
Für diese Frage ist die längere Zeit fortgesetzte Untersuchung ein 
und desselben Wasserbeckens von Wert. Denn während Leptodora 
den größten Teil des Jahres, also regelmäßig, im Plankton auf- 
tritt, ist Alona stets als zufälliger Bestandteil des Fanges zu er- 
kennen. Meine Erfahrungen, die ich bisher nur aus dem Studium 
einiger weniger mittelgroßer Seen habe sammeln können, setzen mich 
nicht in die Lage, das Imhof’sche Verzeichnis nach den 3 oben ge- 
nannten Gesichtspunkten ordnen zu können. 

In folgendem gebe ich nun das Verzeichnis der von mir im 
Dobersdorfer See beobachteten Plankton-Organismen. Es ist möglich, 


32 * 


Apstein, Quantitative Plankton- Studien im Süßwasser. 


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Apstein, Quantitative Plankton-Studien im Süßwasser. 


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502 Apstein, Quantitative Plankton -Studien im Süßwasser. 


Zählung (27a) zeigt, wo sich unter dem Quadratmeter bei 20. m Tiefe 
4 710 732 Larven fanden. Von diesen kann nur ein ganz geringer 
Bruchteil zur Entwicklung kommen. 

Ueber die Larve von Corethra plumicornis sprach ich schon oben. 

Einen Hauptbestandteil des Plankton während des größten Teiles 
des Jahres bilden die Crustaceen. 

Aus der Ordnung der Copepoden fand ich stets 2 Arten, Diaptomus 
gracilis G. OÖ. Sars und Cyclops simplex Pogg., selbst in dem Fange 
unter dem Eise im Februar 1892 waren sie zahlreich, während die 
Daphniden ganz zu fehlen schienen. Dasselbe beobachtete ich in den 
kleinen Torfmoortümpeln bei Kiel. Andere Copepoden habe ich im 
Dobersdorfer See nie in der pelagischen Region gesehen. 

Was die Nahrung der pelagischen Copepoden anbelangt, so gab 
ich in meiner ersten Arbeit über das Süßwasserplankton (1) Beobach- 
tungen von Claus und Vosseler an, die die Nahrung in pflanz- 
lichem und tierischem Detritus mit Hinzugesellung von Infusorien an- 
geben. Für die Meerescopepoden glaubt Hensen (7) die Ceratien 
als Nahrungsquelle in Anspruch nehmen zu müssen. Bei meinen Unter- 
suchungen machte ich oft die Bemerkung, dass der Darm der ge- 
nannten zwei Copepoden dieht mit Melosira- Zellen gefüllt war. Ich 
glaube, dass Melosira, vielleicht auch andere pelagische Diatomeen 
die Hauptnahrung der Copepoden bilden, will aber nicht in Abrede 
stellen, dass sie vielleicht die zahlreichen Chroococcaceen genießen, 
doch konnte ich dieses nicht direkt beobachten. Hiermit ist dieser 
wichtige Punkt wohl klargestellt, denn es war undenkbar, dass die 
kolossale Produktion an Diatomeen nicht irgend einer Tiergruppe zu 
gute kommen sollte. 

Ebenso wie für die Copepoden erkannte ich auch die Nahrung 
der meisten Daphniden in Diatomeen, namentlich Melosira. Melosira 
ist im Darm!) gut zu erkennen, während vielleicht Asterionella und 





4) Namentlich tritt der Diatomeen-Inhalt des Darmes in Canadabalsam- 
präparaten gut hervor, wenn die Organismen nicht vorher gefärbt waren. — 
Bei allen meinen Exkursionen nahm ich neben den quantitativen Fängen 
Material zu qualitativer Untersuchung mit. Ich konservierte es auf die mannig- 
fachste Art und Weise. Am meisten eignet sich die Flemming’sche Chrom- 
Osmium-Essigsäure dazu. Nachdem das Material in Alkohol gebracht war, 
stellte ich auf folgende Art von einem Teile desselben Dauerpräparate her. 
Die Prozeduren nahm ich in ca. 2!), em langen Reagensgläschen vor. Zu einem 
Teile that ich etwas Glyzerin, das Material sinkt langsam in dieses ein, ohne 
zu schrumpfen, dann hebt man den Alkohol ab und kann mit einem Spatel 
das Material auf einen Objektträger bringen und eindecken. Einen anderen 
Teil, von dem ich den Alkohol möglichst entfernt hatte, färbte ich, wusch 
dann aus, brachte das Material durch Alkohol in Nelkenöl und legte es in 
Canadabalsam ein. Einen dritten Teil brachte ich ungefärbt in Nelkenöl und 
dann in Canada. — Diese Präparate haben mir große Dienste erwiesen. Wenn 
es sich darum handelt einen Ueberblick über die Zusammensetzung des Plankton 








Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 503 


andere langgestreckte Formen beim Verspeisen zerbrochen werden 
und die Bruchstücke dann schwer zu bestimmen sind. 


Bei den Daphniden ist es mir auch höchst wahrscheinlich, dass 
sie Chroococecaceen verspeisen, denn ich sah öfter, wenn ich die Tiere 
lebend untersuchte, den Darm mit einer spangrünen Flüssigkeit ge- 
füllt, deren Farbe mit der der Chroococcaceen genau übereinstimmte. 
Die Zellen der Chrooeoceaceen glaube ich auch einige Male erkannt 
zu haben; meist ist aber der Darm mit einer breiartigen Masse ge- 
füllt, aus der mit Bestimmtheit nur die Diatomeen hervorleuchten. 

Aus der Familie der Sididae fand ich nur Daphnella brachyura 
Liev. und zwar vom Juli bis Anfang September; ob sie außer dieser 
Zeit ganz fehlt, kann ich nieht angeben, es mag sein, dass sie nur 
sehr selten ist, so dass sie in meinen kleinen Planktonproben nicht 
enthalten war; beim Auszählen des ganzen Fanges kann sie aber 
nicht entgehen. 


Die Familie der Daphnidae lieferte drei Vertreter aus der Gat- 
tung Daphnia, es waren D. galeata G. OÖ. Sars, D. cucullata G. 0. 
Sars und D. Cederstroemi Schödl. Die Arten sind beim Zählen 
schwer auseinanderzuhalten, da die Gestalt des Kopfes sehr variiert 
und nicht so konstant ist, wie es nach Besichtigung weniger Exem- 
plare scheint. Daphnia cucullata scheint vom April bis Oktober häu- 
figer zu sein, D. galeata aber vom Oktober bis Anfang des Jahres. 
D. Cederstroemi trat nur vereinzelt auf. 


Von der Familie der Bosminidae fand ich drei Arten des einzigen 
Genus Bosmina. Bis Ende Mai war DB. cornuta Jur.!) am häufigsten, 
in letzterem Monat auch B. coregoni Baird. Im Juni fehlten dann 
die Bosminen ganz, im Juli trat dann B. gibbera Schödl. auf, die 
bis zum Dezember zahlreich zu finden war und neben der die andern 
Bosminen ganz zurücktraten. Ich habe die charakteristische D. gibbera 
bisher in keinem andern See gefunden mit Ausnahme des mit dem 
Dobersdorfer See zusammenhängenden Passadersees. 


Aus der Familie der Lynceiden war nur Chydorus sphaerieus O. 
F. M. vorhanden und zwar meist in großer Individuenzahl. 


Alle bisher genannten Daphniden nähren sich, wie ich schon oben 
anführte von Diatomeen. Nur eine Daphnide, die zur Familie der 
an einem bestimmten Tage zu erhalten, dann genügt die Durchsicht eines 
solchen Präparates, da meistens alle häufigeren Organismen in demselben ver- 
treten sind. Eine Sammlung solcher Präparate ist leicht aufzubewahren. Ohne 
diese Methode wäre ich nicht so leicht auf die Diatomeen im Darme der 
Crustaceen aufmerksam geworden, aber im Canadabalsam leuchten sie sofort 
hervor. Durch diese Art der Untersuchung wird natürlich die frischen Materials 
nicht ersetzt. 

1) Mir fiel am Schalenstachel an der Unterseite stets auf, dass 3 Zähnchen 
vorhanden waren, die ich nirgend erwähnt finde. 


504 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 


Leptodoriden gehörige Leptodora hyalina!) Lillj. nährt sich von 
Tieren, und zwar werden Copepoden als Nahrung angegeben, selbst 
beobachtet habe ich die Nahrungsaufnahme nicht; im Darm habe ich 
niemals Reste vorgefunden. Leptodora fand ich vom April bis De- 
zember im Plankton und zwar im Sommer in sehr großer Zahl und 
weit über einen Zentimeter groß. 

Neben den Crustaceen spielen im Plankton von den tierischen 
Organismen die Rädertiere eine Hauptrolle. Einige von ihnen sind in 
ganz enormen Mengen vorhanden, so namentlich die zu den Lorieaten 
gehörige Anuraea cochlearis Gosse, die ich bis zum Dezember fast 
regelmäßig antraf. Seltener und nur bis zum November trat Anuraea 
acıleata Ehbg. auf, beides Formen, die ich auch in Moortümpeln 
häufig antraf. Ihre Verbreitung scheint eine ganz gewaltige zu sein, 
da ihr Vorkommen aus vielen bisher untersuchten Seen gemeldet wird. 
Neben diesen beiden Formen kamen häufig, aber nicht so regelmäßig 
Synchaeta pectinata, Polyathra platyptera und Conochilus volvox zur 
Beobaehtung. Im Juli erhielt ich dann bisher noch einige Rotatorien, 
so eines, das seiner vollkommenen Kontraktion wegen noch nicht 
hat genau bestimmt werden können und das ich in der Zähl- 
tabelle als Pompholyx sulcata Huds. aufgeführt habe. Es war im 
Juli bei weitem am zahlreichsten. Daneben traf ich noch Monocerca 
cornuta Ehbg. und Diurella tigris. Letztere glaubte ich anfangs nur 
als zufälligen Bestandteil anerkennen zu dürfen, aber die Zahl von 
246 000 unter dem Quadratmeter beseitigte meine Zweifel, namentlich 
auch daher, weil dieses Rädertier seine Eier in der pelagischen Region 
ablegt: Ich fand oft an Melosira ovale eiförmige Körper angeklebt?), 
lange bildeten diese für mich ein Rätsel, bis ich ein Stadium fand, 
bei dem in dem Ei ein vollkommenes Tier von Diurella angelegt war, 
das gerade ausschlüpfen wollte, da die Eimembran schon geplatzt 
war. Dieses Vorkommen eines Eies, das an eine pelagische Diatomee 
(nur Melosira) angeklebt war, setzte mich in Erstaunen, da die andern 
von mir beobachteten Rädertiere ihre Eier mit sich herum tragen. 
Bei der Zählung handelt es sich auch darum, die Eier — auch die 
von den Tieren abgefallenen — getrennt nach den Tieren zu denen 
sie gehören, zu bestimmen. Wenn man auf diesen Punkt achtet, so 
ist die Uuterscheidung nicht allzuschwer: Anuraea cochlearis hat ein 
ovales Ei mit dieker Membran, dessen Dotter weit von der Membran 
zurückgezogen ist; Anurea aculeata ein größeres mehr rundliches Ei 
mit ebenfalls dicker und abstehender Membran; Polyathra platyptera 
ein ovales Ei mit eng anliegender dünner Membran und Pompholyx 


4) Der Priorität nach müsste Leptodora Kindtiüi stehen, aber der Name 
L. hyalina hat sich so eingebürgert, dass ich keinen Grund sehe ihn zu ver- 
lassen, um einen unbekannten Namen an das Licht zu ziehen. 

2) also das Ei ist passiv pelagisch. 




















Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 505 


ein rundes Ei mit eng anliegender dünner Membran. Das Ei von 
Diurella erwähnte ich schon. 

Von andern tierischen Organismen fand ich im Plankton noch 
Tintinnidium fluviatile Stein, Codonella lacustris Entz. und Actino- 
phrys sol, alle in geringerer Anzahl und nicht in allen Monaten vor- 
kommend. 

Die passiv pelagischen Organismen übergehe ich einstweilen, nur 
will ich bemerken, dass auch ich,» wie Imhof (12) fast regelmäßig 
auf Asterionella gracillima eine Choanoflagellate Salpingoeca fand; 
der Form nach müsste es Convallaria Stein sein, jedoch hatten meine 
Exemplare nur eine Länge von 5 u und saßen stets da, wo die ein- 
zelnen Individuen der Asterionella mit einander zusammenhingen. 

Den bisher genannten Nahrungskonsumenten stehen eine große 
Zahl von Produzenten gegenüber, denen auch die Peridineen zuzu- 
rechnen sind. i 

Von Peridineen kamen 3 Arten zur Beobachtung: 

Ceratium hirudinella ©. F. Müller war häufig vom April bis 
Anfang Oktober, dann verschwand es vollkommen. Seine Zahl bleibt 
immer eine beschränkte, so dass es niemals „monotones Ceratien- 
plankton“ bildet, wie das in der Ostsee mit seinen Verwandten der 
Fall ist. Auch beginnt die Ceratienperiode in der Ostsee erst im 
Herbst, während im Süßwasser dann Ceratium schon verschwindet. 
Oft fand ieh auch Teilungsstadien, wie das von Blanc (4) Fig. 5 
abgebildete. Neben Ceratium sah ich häufiger Peridinium tabulatum 
und Glenodinium spec. nov. (siehe unten). 

Weit zahlreicher als die Peridineen waren die Diatomeen, nament- 
lich die Gattungen Melosira, Asterionella und Fragilaria. Melosira, 
von der M. varians Ag. und M. distanz Kg. beobachtet wurden, scheint 
namentlich im Sommer häufig zu sein, dann nimmt sie sehr ab und 
dafür treten Asterionella gracillima Heib. und etwas später Fragilaria 
virescens Ralfs und Staurosira Smithiana Grun (?)!) auf. Alle vier 
finden sich aber das ganze Jahr über. In geringerer Zahl kamen 
Surirella biseriata Br&b, Campylodisceus noricus Ehbg., Oymatopleura 
solea Br&b und C. elliptica Br&b zur Beobachtung. 

Eine winzige Navicula-Art besetzte oft dicht die Kolonien von 
Chroococeaceen, sie würde zu den passiv-pelagischen Organismen zu 
rechnen sein. 

Ueber die Diatomeen als Nahrung der meisten pelagischen 
Crustaceen sprach ich schon oben. 

Von Protococeaceen waren die Zellfamilien von Pediastrum per- 
tusum Kg. und Boryanum Men. häufig, sie scheinen das ganze Jahr 
über -vorzukommen. 

Von Desmidiaceen war fast regelmäßig Trigonoeystis gracilis Hass 
zu finden, während ich Staurastrum fureigerum Br&b bisher nur im 





1) Nicht genau zu bestimmen, ähnt Synedra, kommt aber in Bändern vor, 


506 Apstein, Quantitative Plankton- Studien im Süßwas ser. 


Juli antraf. Die Desmidiaceen ziehen kleine Tümpel vor, namentlich 
traf ich sie häufig in Moorgräben, für die manche Arten ganz charak- 
teristisch sind. 

Neben den Diatomeen bilden von pflanzlichen Organismen die 
Chroocoecaceen einen Hauptbestandteil des Plankton. Am zahlreiehsten 
war Ulathrocystis aeruginosa Henfd. Sie war stets in großer Zahl 
vorhanden, namentlich nahm aber ihre Zahl gegen den Oktober hin 
gewaltig zu. Sie bildet im Dobersdorfer See die Wasserblüte. Gegen 
den Herbst war das Wasser spangrün gefärbt und an einem ruhigen 
Tage war die Wasseroberfläche mit einer dichten grünen Schicht, wie 
mit einem Schleier, bedeckt. Sie ist es wohl vornehmlich, die am 
4. Oktober das große Volumen meiner Fänge hervorbrachte. Daneben 
war regelmäßig die nahe verwandte Microcystis ichthyoblobe Kze. zu 
finden. Seltener war Merismopedia elegans A. Br. und Chroococens 
minutus Näg. vorhanden. 

Von den Nostocaceen fand ich zwei Vertreter: 

Anabaena osecillarioides Bory. vom Mai bis September in großen 
Haufen, meist dicht mit Vorticellen besetzt, Bivularia viridis Hass 
immer nur vereinzelt vom Mai bis Anfang August. 


Vergleichung mit anderen Seen. 


Die bisherigen Erörterungen beziehen sieh nur auf den Dobers- 
dorfer See. Zur Vergleichung mit diesem hatte ich noch einige andere 
Seen in den Rahmen meiner Untersuchungen einbezogen, konnte in 
ihnen aber aus Zeitmangel nur einige Male fischen. Ich besuchte 
zweimal, im Mai und September, den Selenter See, welcher 20 qkm 
groß und bis 40 m tief ist und dann im Juni den flachen Einfelder 
See. Das Ergebnis der Züge findet sich in der Tabelle Seite 487. 

Im Selenter See erhielt ich am 24. Mai (Nr.21) aus 21 m: 0,6 cem 
Plankton, während am 31. Mai (Nr. 23) sich im Dobersdorfer See in 
19!/;, m: 4,6 cem und in nur 5 m: 3,5 cem Plankton fanden. Die 
Temperatur des Wassers war im Selenter See 11°C, im Dobersdorfer 
16° C. Der Temperatur 11° © entsprach im Dobersdorfer See der 
Fang vom 26. April 1891, aber hier fand ich schon in 15—17 m: 
3,d cem Plankton. Die Temperatur allein ist also nicht für das 
Planktonvolumen maßgebend. Selbst in demselben See geht Produk- 
tion an Organismen und Temperatur nieht Hand in Hand, denn 1891 
fand ich bei 10°C vom 26. April (Nr. 18) 3,5 cem Plankton im Dobers- 
dorfer See, während 1892 bei 13° C am 13. April das Volumen nur 
1,9 eem betrug. Es müssen also andere Verhältnisse von größerem 
Einflusse auf die Produktion des Wassers sein. Die Verhältnisse 
liegen, glaube ich, schwieriger, als es von Anfang scheinen will. Es 
wird namentlich die Entwicklung der Ufer in Betracht kommen und 
das Maß der Abfälle!), welche sie entweder aus ihrem Pflanzen- 





1) Sollte vielleicht im Dobersdorfer See die nach tausenden zählende 
Ansiedelung von Möven von Wichtigkeit sein ? 








Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 507 


bestande oder dureh menschliche Ansiedelungen erhalten. Ich vermute, 
dass je geringer die Entwicklung der Ufer im Verhältnis zur freien 
Seefläche ist, desto geringer auch der Planktonertrag sein wird, natür- 
lich bei sonst gleichen Verhältnissen zweier Seen. Auf ähnliche Er- 
örterungen ist schon Seligo (15) in seinen „Hydrobiologischen Unter- 
suchungen“ eingegangen. 

Bei einer zweiten Exkursion nach dem Selenter See am 6. Sep- 
tember 1891 (Nr. 31) fand ich in 20 m: 2 cem Plankton, während 
am 30. Aug. (Nr. 29) im Dobersdorfer See auf dieselbe Tiefe ein 
Volumen von 10 cem kam, wobei zu bemerken ist, dass in beiden 
Seen die Temperatur an der Oberfläche (aber wohl auch nur hier) 
fast dieselbe war. In beiden Fällen ist der Ertrag im Dobersdorfer 
See größer als im Selenter, ungefähr 5 Mal so groß. Wie mir Herr 
Inspektor Lübbe (Dobersdorf) mitteilt, ist der Dobersdorfer See der 
fischreichste in weiterer Umgebung. 

Die eine Exkursion am 7. Juni nach dem Bande See ergab 
bei 4 m (wohl die größte Tiefe dieses Sees) 1 ccm Plankton, damit 
lässt sich der 5m Fang aus dem Dobersdorfer See vom 31. Mai ver- 
gleichen, der 3,5 ecm lieferte; also wiederum bedeutend mehr. 

Was nun die Zusammensetzung des Plankton in den ver- 
schiedenen Seen anbelangt, so kann ich zum Vergleich Untersuchungen 
von Proben aus dem Passader See (Mai 1890), Einfelder See (Juni 1891), 
Selenter See (April 1890, Mai, Sept. 1891), Plöner See (Nov. 1891) 
beibringen. Allerdings fallen die Tabellen für die andern Seen im 
Vergleich zum Dobersdorfer See etwas spärlicher aus, da aus letz- 
terem die Organismen, die ich während eines ganzen Jahres gefunden 
habe, aufgeführt sind, aus den anderen Seen nur aus einem oder 
einigen Monaten. Da nach meinen Untersuchungen aber die meisten 
Organismen (im Dobersdorfer See) während des ganzen Jahres, viel- 
leicht mit Ausnahme des Winters, vorkommen, so dürften die Tabellen 
keine allzugroße Bereicherung mehr durch weitere Untersuchungen 
erfahren. Es liegen bisher nur Beobachtungen aus dem Plöner und 
Einfelder See von Zacharias (16) vor, diese nehme ich mit in die 
Tabelle auf und bezeichne sie mit „Z“, sofern ich selbst den Orga- 
nismus nicht gefunden habe. 
































ee © = F 
Sesıa3|Sd|lEg| sg 
ı2sa|an | En | <a 20 
ee 
Dreyssena polymorpha - Larve | En | Z 
Corethra-Larve . . TE AR SA EN I RR-TE 
Diaptomus gracilis G. OSarsas ug IE En Sr - + 
Hemorella lacustris - - 2... el + 
Cyclops simplex Pogg. | + + + + IE 
Leptodora hyalina Lillj. AN + = a5 nr Z 
Ohydorus sphaericus an leg + E= - IE 


508 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 












































I; En - en 
= Ö <= 5 S = © B © 
ses 33a: 2358 
Ia38 & = © — 
A A a a 
Bosmina cornuta Jur. . + + + — 
„ coregoni Baird . + Ze 4 + 
2 gibbera Schödl. + + | 
Daphnia galeata Ä ur a + 
5 cucullata . a ii 
5 A var. apicata + 
. % „  Cederströmi ae Zi ar 
Daphnella brachyura Liev. . An Zi ne 
Suneh@eton Nails ROTES. Er + 
Polyathra platyptera.. . . . .» 8 + Z 
Conochilus volwox . ; r 
Diurella tigris ı 
Monocerca cornuta Be zu | 
Anuraea acuminata Ehb. . a | 
Z cochlearis Gosse. . . ... .e IE Sp SF 
e Beuleatan HB U RED ZI + 
© longispina, Kellie. . ........ 11, % nr Ar 
Dinobryon sertularia =% IT 2 
Codonella lacustris Entz . A ne ze 
Tintinnidium flwviatile EI 
Actinophrys sol . i = Ai 
Ceratium hirudinella . de -p nr 2 
Peridinium tabulatum er En 
Glenodium sp. nov. an 
Melosira varians NEE ee u Be ze a 
Astertonella, gracilamanne u... in er vs 22 
Teragılarıa,vireseensa.l; Ns en a | ee a ee ei 
„urirella biseriata m eiL. 
Campylodiscus noricus IT ae 
Pediastrum pertusum N dee ge ei x 
5 Boryanum - 1-2 at 
Trigonocystis gracilis I + 
Staurastrum furcigerum RN RR: | + 
Clathrocystis aeruginosa . . 2... | + 
Mierocystis ichtihyoblabe -. . ..... | + se “ ie % 
Chroococcus minutus . | + 
Merismopedia . . - In 
Anabaena oscillarioide NOTEN BR Ba ar + 
Rivularia virıdis = se se ee 
| 
| | 
| 
42 12517143, 12 24 Ale 





Nehme ich an, dass Dreyssena polymorpha in allen Seen vor- 
kommt (bestimmt weiß ich es vom Dobersdorfer, Selenter und Plöner 
See) so enthält die Tabelle bisher nur 6 Organismen, 4 tierische und 
2 pfianzliche, die allen 5 Seen gemeinsam sind. Bei weiterer Unter- 
suchung wird die Zahl wohl noch um etwas vergrößert werden. 

Dreyssena findet sich in allen Seen hier um Kiel, sowohl in großen, 
wie auch in kleinen z. B. im Schulensee, der von der Eider durch- 
flossen wird. Temorella fand ich nur im Plöner See; weshalb sie in 
dem ebenso tiefen Selenter See fehlt, ist schwer zu verstehen; Diap- 
tomus gracilis und Cyclo fehlen nirgends. 











Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 509 


Von Daphniden finden sich im Dobersdorfer See 10 Arten, im 
Passader 6, im Einfelder nur 3, im Selenter 6, im Plöner 6 Arten. 
Der Einfelder See ist am ärmsten an Arten, aber in so großer 
Individuenzahl, wie in ihm Uhydorus sphaericus vorkam, sah ich diese 
Daphnide in keinem anderen See, daneben war Leptodora häufig und 
in großen Exemplaren, aber keine Bosmina war zu finden. Bosmina 
cornuta und B. coregoni scheinen sonst am verbreitetsten zu sein, 
während D. gibbera nur im Dobersdorfer und Passader See zu finden 
waren. In ersterem ist sie im Sommer die allein herrschende Form. 

Von Rädertieren fiel mir das Fehlen von Anuraea longispina Kell. 
in den drei kleineren Seen auf, während sie in den beiden großen 
vorkommt. Ich habe sie aber auch in dem kleinen Schulensee ge- 
funden, sie ist also von der Größe des Seebeckens unabhängig. Eigen- 
tümlich ist auch das Fehlen der Rädertiere im Passader See, während 
im Einfelder See nur die zwei gewöhnlichsten Anuraeen, A. aculeata 
und A. cochlearis zu finden waren. Conochilus volvox dürfte auch in 
den andern Seen vorkommen. 

Dinobryon sertularia fand sich im Dobersdorfer, Selenter und 
Plöner See, während sie in den andern Seen sonderbarer Weise fehlte. 
In der Schwentine, einem kleinen Flüßchen, das den Plöner See und 
eine große Zahl der um Plön liegenden Seen durchfließt, fand ich 
Dinobryon früher zahlreich dicht vor ihrem Eintritt in den Kieler 
Hafen. Der Selenter See steht mit diesem Flusssystem in keine Ver- 
bindung. 

Tintinnen fand ich im Dobersdorfer, Einfelder und Selenter See 
und zwar in ersterem in großer Zahl z. B. im April 1892. Actino- 
phrys sol, das seiner Kleinheit wegen leicht zu übersehen ist, war im 
Dobersdorfer See öfter vorhanden, ob die Heliozoe aus dem Plöner See 
dieselbe Art war, kann ich nicht bestimmt angeben, da ich nur 
1 Exemplar sah. 

Von Peridineen ist wohl Ceratium hirudinella in allen Seen vor- 
handen. Es variiert ziemlich stark, aber kaum so, um zur Aufstellung 
verschiedener Arten zu berechtigen. Von andern Peridineen fand ich 
Peridinium tabulatum außer im Dobersdorfer See noch im Selenter 
und ein noch unbeschriebenes Glenodinium!) nur im Dobersdorfer See. 

Von Diatomeen scheint Melosira varians am verbreitetsten zu 
sein, neben ihr Asterionella gracillima und Fragilaria virescens. Sel- 
tener traf ich, auch im Dobersdorfer See Surirella biseriata, Campy- 
lodiscus noricus und COymatopleura soleı und CO. elliptica an. 

Von Pediastrum waren zwei Arten häuflger zu finden, P. pertusum 
und P. Boryanum; im Dobersdorfer und Einfelder See kamen beide 
neben einander vor, während Selenter und Plöner See nur je 1 Art 
enthielt. 





1) Kommt auch im Plöner See vor (Zacharias). 


510 Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 


Die Desmidiaceen Trigonocystis gracilis und Staurastrum furci- 
gerum fand ich im Dobersdorfer See, während ich das Vorkommen 
der ersteren auch im Selenter See konstatieren konnte. 

Von Chrooeoccaceen war Clathrocystis aeruginosa in allen Seen 
zu finden, während Microcystis ichthyoblabe nur im Dobersdorfer, 
Passader und Selenter See vorkam. Merismopedia und Chroococcus 
fand ich nur im Dobersdorfer See. 

Anabaena oscillarioides sah ich nur im Dobersdorfer, Einfelder 
und Selenter See und endlich die Rivularia-Büschel nur im Dobers- 
dorfer See. 

Wenn die Liste auch noch vervollständigt werden wird !), soviel 
steht fest, dass eine Reihe von Organismen in verschiedenen Seen 
fehlen. Die von mir berücksichtigten Seen gehören drei von einander 
unabhängigen Niederschlags - Gebieten an. 

Der Plöner See gehört zum Gebiete der Schwentine, der Einfelder 
See zu dem der Eider und die drei übrigen Seen werden von kleinen 
Bächen gespeist. Der Selenter See schiekt einen Abfluss (Mühlenau) 
zur Ostsee und einen anderen (Salzau) zum Passader See. Der Dobers- 
dorfer See hat seinen Zufluss im Süden unabhängig vom Selenter See, 
steht aber mit dem Passader See durch einen Kanal in Verbindung, 
letzterer hat seinen Abfluss (Hagenerau) nach der Ostsee. Aus diesen 
Verhältnissen wäre eine größere Uebereinstimmung der Zusammen- 
setzung des Plankton nur für die drei letzteren Seen zu erwarten. 
Aber die Existenzbedingungen müssen wohl zu verschiedenartig sein, 
dass nicht alle Organismen in den drei Seen zugleich vorkommen. 
Bosmina gibbera fehlt im Selenter See, ebenso Chydorus sphaericus, 
Daphnia ceucullata, Anuraea aculeata, Conochilus volvox, Surirella, 
Campylodiscus und COymatopleura, Glenodinium, Pediastrum pertusum 
und Aivularia; andrerseits kommt im Selenter See allein vor Anuraea 
longispina. 

Um Passader und Dobersdorfer See zu vergleichen, wollen wir 
nur die Tabelle vom Mai für letzteren See in Betracht ziehen. Da 
zeigt es sich, dass der Unterschied nur gering ist, namentlich fällt 
das Fehlen der Anuraeen und Peridineen im Passader See auf. Je- 
doch kann ich nicht glauben, dass sie vollkommen fehlen, sie werden 
wohl nur zu der Zeit meiner Untersuchung sehr spärlick vorhanden 
gewesen sein. 

Wie weit die Zusammensetzung des Plankton bei Seen, die ganz 
eng mit einander verbunden sind, von einander abweicht oder überein- 
stimmt, wird sich wohl aus den Untersuchungen von Zacharias 
aus dem Seengebiet um Plön herleiten lassen. 





1) Nach mündlicher Mitteilung von Herrn Dr. Zacharias kommen im 
Plöner See noch eine größere Zahl Organismen pelagisch vor. 











Apstein, Quantitative Plankton - Studien im Süßwasser. 511 


Meine quantitativen Untersuchungen habe ich auch in diesem 
Jahre auf dieses Gebiet ausgedehnt. Ueber die Resultate kann ich 
erst später berichten, wenn die Untersuchungen etwas weiter fort- 
geschritten sind; erwähnen will ich nur, dass die Plankton-Produktion 
ärmer ist als im Dobersdorfer See, und sich wohl mehr der des 
Selenter Sees nähert. 

Bei den Zählungen meiner Fänge Fig..2. 
stieß ich öfter auf eine Peridinee, die ich 
noch nicht beschrieben fand. Sie gehört a 


in das Genus Glenodinium, ich will sie 

@l. acutum nennen. Lebend habe ich et 
diese Peridinee noch nicht genauer unter- Ne 
suchen können, so dass ich vorläufig nur 

eine Beschreibung von der recht auffälligen 

Gestalt geben will. Die Querfurche teilt b 
die Hülle in 2 Hälften, deren hintere glatt 
und halbkuglig ist, während die vordere 
einen Kegelmantel bildet, der in eine 
kleine stumpfe Spitze ausgezogen ist. 
Die Längsfurche ist breit und zieht sich 
weit nach dem hinteren Pole hin. Von 
hinten gesehen ist der Umriss fast kreisrund, nur die Längsfurche 
ist weit eingeschnitten. Am nächsten dürfte diese Form dem G/eno- 
dinium Gymnodinium Penard stehen, auch was die Größe anbetrifft, 
die bei meiner Peridinee vom hinteren Pole bis zu der Spitze am 
vorderen Ende 42,8 u misst. Im Juli traf ich sie namentlich massen- 
haft, so dass unter 1 qm sich fast eine Million (bei 20 m Tiefe) 
fanden, während Ende April nur ganz vereinzelte Exemplare beobachtet 
wurden. 


Glenodinium acutum n. Sp. 


Litteraturverzeichnis. 


(1) Apstein, Die quantitative Bestimmung des Plankton im Süßwasser in: 
Zacharias, Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. Bd. II. 

(2) Derselbe, Das Plankton des Süßwassers und seine quantitative Be- 
stimmung. Apparate in: Schriften des naturw. Vereins f. Schleswig- 
Holstein, Bd. IX, Heft 2. 

(3) Asper und Heuscher, Neue Zusammensetzung der pelagischen Orga- 
nismenwelt. Zool. Anzeiger, 1886, Bd. IX, S. 448. 

(4) Blane, Note sur le Ceratium hirudinella in: Bull. Soc. Vaud. Se. nat., 
Vol. 20, 9. 

(5) Brandt, Ueber die biologischen Untersuchungen der Plankton-Expedition 
in: Verhandl. d Gesellschaft f. Erdkunde zu Berlin, 1889, Heft 10. 

(6) Häckel, Plankton -Studien. Jena 1390. 

(7) Hensen, Ueber die Bestimmung des Planktons oder des im Meere trei- 
benden Materials an Pflanzen und Tieren in: 5. Bericht der Kommission 
f. wissensch. Untersuchung der deutschen Meere. 

(7a) Hensen, Die Plankton-Expedition und Häckel’s Darwinismus, 1891. 


5129 Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 


(9) Hudson and Gosse, The Rotifera or Wheel Animaleules. London 1889. 

(9) Imhof, Die Verteilung der pelagischen Fauna in den Süßwasserbecken. 
Zool. Anzeiger, Bd. 11. 

(10) Derselbe, Fauna der Süßwasserbecken. Zool. Anzeiger, 1888. 

(11) Derselbe, Studien über die Fauna hochalpiner Seen insbesondere des 
Kantons Graubünden in: Jahresbericht d. naturf. Gesellschaft Grau- 
bündens, N. F, Jahrg. 30, 1887. 

(12) Derselbe, Zusammensetzung der pelagischen Fauna der Süßwasser- 
becken im: Biolog. Centralblatt, Bd. XII, Nr. 6, 8. 171. 

(13) Korschelt, Entwicklung der Dreyssena polymorpha in: Sitzungsber. 
d. Gesellsch naturf. Freunde in Berlin, 1891. 

(14) Pavesi, Altra Serie di ricerche e studi sulla fauna pelagica dei laghi 
italiani in: Atti della Societä Veneto-Trentina di scienze naturali, 
Vol. 8, Padua 1882. 

(15) Seligo, Hydrobiologische Untersuchungen in: Schriften der naturf. Ge- 
sellschaft zu Danzig, N. F., Bd, VII, Heft 3, 1890. 

(16) Zacharias, Ueber die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süß- 
wasserstationen in: Zacharias, Die Tier- und Pflanzenwelt des 
Sißwassers. 

(17) Derselbe, Entomostraken Holsteinischer und Mecklenburgischer Seen 
in: Zool. Anzeiger, 1887, Bd. X. 

(18) Derselbe, Norddeutsche Seen. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 45, 1887. 

Kiel, Juni 1892. 


Programm zu einer monographischen Bearbeitung eines 
größeren Sees, 


enthaltend die verschiedenen Gesichtspunkte, deren eingehendes Studium zur 
Erkenntnis der Existenzbedingungen des gesamten organischen Lebens der 
Seen notwendig ist. 


Von Dr. Othmar Emil Imhof, 


Privatdozent an der Universität Zürich. 


Für die Erkenntnis der Physiologie der Seen, d. h. des gesamten 
Sein, Werdens und Vergehens der gesamten Lebensprozesse der Flora 
und Fauna, von den kleinsten mikroskopischen Formen bis zu den 
größten und am höchsten organisierten Pflanzen und Tiere und für 
die Erkenntnis des Ineinandergreifens der Lebensprozesse der Glieder 
beider Naturreiche der Flora und Fauna ist das Studium einer ganzen 
Reihe von oro-hydrographischen, physikalischen und chemischen Ver- 
hältnissen und Vorgängen notwendig. 

Für die Erforschung der Lebensverhältnisse in einem größeren 
See bedarf es als Wegleiter eines Programmes, das die zu bearbei- 
tenden verschiedenen Gesichtspunkte in ihrem natürlichen Zusammen- 
hang geordnet aufführt. 

Durch die vieljährigen eigenen unermüdlichen Forschungen in 
Verbindung mit den mehrseitigen regen Studien zahlreicher Mitarbeiter 
erwarb sich Prof. Dr. Forel einen weiten Ueberblick und tiefen 








Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 513 


Einblick in die verschiedenen Gebiete, die für die Erforschung der 

gesamten Lebensverhältnisse eines größeren Sees von Bedeutung sind. 
Prof. Dr. Forel gab eine Zusammenstellung der Gesichtspunkte, 

die für die Erforschung der Seen in Betracht kommen, eine Zusammen- 

stellung die von der k. Akademie der Wissenschaften in St. Peters- 

burg als Wegleiter für die Studien in den Süßwasserbecken ange- 

nommen worden ist. Es enthält dieses Programm die folgenden 

11 Gesichtspunkte. 

1. Hydrographische und kartographische Arbeiten. 

2. Untersuchung der Grundmaterialien der Seen. 

3. Chemische Zusammensetzung des Wassers. Oekonomische 

und hygienische Bedeutung. 

4. Studium der Seetemperaturen. 

5. Studium der Durchsichtigkeit des Wassers. 

6. Farbe des Wassers der Seen. 

7. Wellen und Strömungen. 

8. Seiches. 

9. Pegelstandsbeobachtungen. 

0. See- Fauna. 

1. See-Flora. 

Mit der monographischen Bearbeitung eines größeren Sees be- 
schäftigt, gebeich in Folgendem die Uebersicht der verschiedenen Kapitel, 
die zwar im Verlaufe der Ausarbeitung da und dort vielleicht noch 
etwelche Abänderungen und Erweiterungen erfahren können. 


Einleitung. 


Aelteste Angaben über die Existenz des Sees. Aeltere Litteratur 
allgemeineren Inhaltes über den See. 


I. Teil. 
Oro-hydrographische Verhältnisse des Sees. 


1. Kapitel. 
Lage des Sees, Ausdehnung nach Längen- und Breiten- 
graden. 


2. Kapitel. 
OÖberflächengestalt des Sees. 
a. Beschreibung der Gestalt des Sees. Trennung in mehrere natür- 
liche Abschnitte. 
b. Oberflächendimensionen. 
1. Längenausdehnung vom obersten Ende bis zum Abfluss. 
Länge der Seitenarme. Gesamtlänge. 
2. Breitendimensionen. Kleinere Breitendimension. Mittlere und 
größte Breiten. 
X, 39 


Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 


3. Umfang des Sees. Uferausdehnung. 
4. Berechnung der Oberfläche in Quadratkilometern und Quadrat- 
metern. 
3. Kapitel. 


Wassergebiet des Sees. 


. Beschreibung des Wassergebietes. Seine Oberfläche. Hydro- 


graphische Karte des Wassergebietes. 


. Zuflüsse des Sees und ihre Thäler. 
;. Im Gebiet der Zuflüsse gelegene kleinere Seen, Torfmoore, tem- 


poräre und permanente Wasserbecken. Im Wassergebiet vor- 
handene Oysternen und Pumpbrunnen. 


. Abgrenzung des Wassergebietes. Wasserscheiden. Höhe der 


Grenzketten und niedrigeren Sättel auf der Wasserscheide. An- 
grenzende Wassergebiete. 


4. Kapitel. 
Höhe des Wasserspiegels über Meer. 


. Höhe des Wasserspiegels über Meer in den verschiedenen Teilen 


des Sees. 


. Beobachtungen der Pegelstände in einer kleineren oder größeren 


Reihe von Jahren. Tabellen und graphische Darstellungen. 


Tabelle und graphische Darstellung der Monatsmittel der beobachteten 


Jahre. 

der niedrigsten und höchsten Pegel- 

stände und deren Differenzen der 

einzelnen Monate. 

n n + der Minima und Maxima und der 
Differenzen im Verlaufe der 12 Mo- 
nate für die beobachteten Jahre. 

„ n 5 der konstantesten Veränderungen 
und des größten Wechsels im Ver- 
laufe eines Monates. 

„ „ „ der größten Konstanz und des 
größten Wechsels in der Serie der 
beobachteten Jahre. 


. Dauer gleicher Pegelstände. 
. Beziehungen und Abhängigkeit der Konstanz und des Wechsels 


der Pegelstände zu den meteorologischen Einflüssen. Tempera- 
turen der Luft, Temperaturen des Wassers. Niederschläge auf 
der Oberfläche des Sees selbst und im tributären Wassergebiet. 
Zuflüsse. Einfluss der sich verändernden Pression der Atmosphäre. 
Seiches. Stand der Bewölkung des Himmels, Winde. 














Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 515 


5. Kapitel. 
Tiefenverhältnisse des Sees. 


a. Aeltere Messungen der Seetiefen. Angaben alter erfahrener 
Fischer. Neueste Tiefenkarte des Sees. 

b. Längenprofil durch den ganzen See und seine Nebenarme. Be- 
sondere Darstellung sublaeustrer Erhebungen. 

e. Querprofile durch verschiedene Teile des Sees mit den angren- 
zenden Gebirgen, bei denen Breiten- und Tiefen- resp. Höhen- 
maßstab der gleiche sein muss, um das wahre Bild des Verhält- 
nisses der Seetiefen zu den Berghöhen zur Darstellung zu bringen. 
(In der ausgezeichneten Monographie der Seen der deutschen 
Alpen von Dr. Geistbeck, 1885, sind leider zum Teil zwei ver- 
schiedene Maßstäbe angewendet.) 

Instruktiv gewählte Querprofile durch eventuell vorhandene 
parallel oder schief zu einander verlaufende Seeabschnitte, so 
dass das Profil den See an zwei oder mehreren Stellen durch- 
schneidet, mit den dazwischen stehenden Gebirgszügen (möglicher- 
weise auch Thäler) und den außen begrenzenden Höhen. 


6. Kapitel. 
Kubikinhalt des Seebeckens. Kubikinhalt der tributären 
Seebeeken. 


7. Kapitel. 


Frühere Gestaltung des Sees. Spätere natürliche Veränderungen 
durch außergewöhnliche Ereignisse verursacht. Spätere künstliche 
Veränderungen: Querdämme, Tieferlegung des Abflusses und deren 
Folgen. 


II. Teil. 
Meteorologische Einflüsse und deren Ergebnis. 


Kapitel 1 dieses Teiles kommt mehrfach in Relation und Rückbeziehung 
zu Kapitel 4 des ersten Teiles. 


1. Kapitel. 


a. Druck der Atmosphäre. 

b. Winde, regelmäßige und exceptionelle, deren Einwirkung auf die 
Oberfläche des Sees. 

c. Wellen. Ausdehnung der Wellenbewegung. Stärke der Wellen. 
Dauer der Wellen. 

d. Strömungen. Ursachen derselben. 

e. Niederschläge: Nebel, Regen, Riesel, Hagel, Schnee. 

Ausdehnung und Dauer der Niederschläge. 
f. Seiches. 


392 


516 Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 


2. Kapitel. 
Farbe des Wassers. 
Wechsel der Farbe im Verlauf des Jahres. Gleichzeitige Farben- 
differenzen in verschiedenen Teilen des Sees. Exceptionelle Färbungen. 


3. Kapitel. 
Durchsichtigkeit des Wassers. 


4. Kapitel. 


Ursachen der Farbe und der Durehsichtigkeit des 
Wassers. 


5. Kapitel. 
Temperaturen des Wasser». 
a. Temperaturen der Oberfläche. Tabellen und graphische Dar- 
stellung der täglichen Temperaturen der Oberfläche während 
einer größeren Serie von Jahren. 


Aus diesen Tabellen entnommene Spezialtabellen: 
Tabelle und graphische Darstellung der Minima und Maxima, deren 
Differenzen der 12 Monate wäh- 
rend der ganzen Serie von Be- 
obachtungen. 
der Minima und Maxima der ein- 
zelnen Monate während dieser 
Serie von Jahren. 
der Differenzen zwischen den nie- 
drigsten und höchsten beobach- 
teten Temperaturgraden in den 12 
Monaten in der Serie von Jahren. 
der Zeit des Minimum und Maxi- 
mum im Verlaufe der Jahre. 

n n n 5 der konstantesten Veränderung und 
des größten Wechsels im Verlaufe 
eines Monates. 

n » „ 5 der größten Konstanz und des 
größten Wechsels der Tempera- 
turen in der Serie der Beobach- 
tungsjahre. 

Dauer gleicher Temperaturen. 

Beziehungen und Abhängigkeit der Oberflächentemperaturen zu 

den verschiedenen meteorologischen Einflüssen. 
b. Temperaturen beim Einfluss der Bäche und Flüsse. 
c. Temperaturen in verschiedenen Tiefen. 
d. Geschwindigkeit des Wechsels der Temperaturen an der Ober- 
fläche und in verschiedenen Tiefen. 

















Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees 517 


e. Wechsel der Temperaturen im Verlaufe von 24 Stunden bei 
konstanten Witterungsverhältnissen und bei sich ändernden 
Witterungsverhältnissen. 

f) Veränderung der Temperaturen bei Witterungswechsel in größeren 
Zeiträumen. 

g. Allgemeines Resultat der Temperaturbeobachtungen des Wassers, 
in Beziehung zu den Temperaturen der Luft, zur Insolation. 


6. Kapitel. 
Druckverhältnisse im See in verschiedenen Tiefen. 
Konstanz und Variabilität des Druckes. 
Bisherige Annahmen und Darlegung neuer Ansichten über die 
Druckverhältnisse namentlich in größeren Tiefen und deren Bedeutung 
für das organische Leben in ansehnlichen Tiefen der Seen. 


7. Kapitel. 
Fortpflanzung des Schalles im Wasser. Künstlicher Schall ver- 
schiedener Natur, zum Teil schädlich auf die Organismenwelt ein- 
wirkend. 


III Teil. 
Chemische Beschaffenheit des Wassers. 
a. An der Oberfläche. In verschiedenen Teilen des Sees. 
b. In verschiedenen Tiefen, in verschiedenen Teilen des Sees. 


IV. Teil. 
Geologie des Wassergebietes und spezielle Geologie des Seebeckens. 
Natur des Grundmateriales in den verschiedenen Teilen des Sees. 


V. Teil. 
Einteilung des Seebeckens in die 3 Gebiete: Littorales, Tiefsee- und pelagisches 
Gebiet. Das organische Leben des Sees. 


Flora und Fauna. 
A. Flora. 
1. Kapitel. 
Allgemeines über die Flora. Litteratur. 
a. Littorale Flora. 1. Auf dem Ufer nahe am See vorkommende 
Pflanzen. Uferliebende Landpflanzen. 
. In den einmündenden Bächen und Flüssen nahe 
beim Einfluss wachsende Pflanzen. 
3. Im littoralen Gebiet lebende Pflanzen. 
«. Längs der Ufer wachsende Pflanzen, aus 
dem Wasser sich erhebend. 
ß. Die Blätter auf dem Wasser liegend, die 
Blütenstände aus dem Wasser sich er- 
hebend. 


IV 


518 Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 


y. Blätter untergetaucht. Blütenstände aus 
dem Wasser hervorragend. j 
d. Ganze Pflanze vollständig untergetaucht. 
4. Größte Tiefen, in denen Phanerogamen vor- 
kommen. Gestaltung des Ufers und jeweilige 
Zusammensetzung der Flora. 

b. Tiefseeflora. In größeren Tiefen über 25—30 Meter an den 
Seeabhängen, auf dem Grunde der verschieden 
tiefen Teile des Sees und in den größten Tiefen 
vorkommende pflanzliche Organismen. 

ce. Pelagische Flora. Qualitative und quantitative Zusammensetzung 
der pelagischen Flora: 1. an der Oberfläche, 2. in 
verschiedenen Tiefen, 3. Wechsel der Zusammen- 
setzung, ob und in welcher Weise in Abhängigkeit 
von den Witterungsverhältnissen. 


2. Kapitel. 
Erklärung der Karten, das Vorkommen der Flora darstellend. 
Erklärung der Karten, besonders günstige, an pflanzlichen Orga: 
nismen reiche Stellen der drei Gebiete enthaltend. 


3. Kapitel. 


Pflanzen und Pflanzenfragmente, die aceidentell und regelmäßig 
in den See gelangen. 


4. Kapitel. 
Einfluss der Flora auf die Färbung des Wassers. 


5. Kapitel. 
Bedeutung der Flora als Nahrung für die Tierwelt. 


6. Kapitel. 
Die mikroskopischen pflanzliehen Fäulnisorganismen und ihre Be- 
deutung im Haushalt des organischen Lebens des Sees. 
Jährlicher Reinigungsprozess des Sees. Seeblühen. Stoßen des 
Sees. 
B. Fauna. 
1. Kapitel. 
Allgemeines über die Fauna. Litteratur. 
a. Littorale Fauna. 
1. Systematische Uebersicht der beobachteten Tierformen. 
2. Karten mit Angabe der besonders reichen Lokalitäten und 
Einzeichnungen der Standorte besonderer Formen. 
3. Verteilung der littoralen Fauna in Bezug auf die Ufermaterialien 
in mineralogischer Qualität. 
4. Grenzen der littoralen Fauna, horizontal und vertikal. 

















Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 519 


b. Tiefsee - Fauna. 
1. Systematische Uebersicht der im Tiefseegebiet beobachteten 
Tiere. 
2. Erklärung der Karten mit Angabe der Stellen, an denen Tief- 
seematerialien entnommen wurden. 
3. Qualität und Quantität der Tiefseefauna in Beziehung zu der 
Natur der Grundmaterialien. 
4. Nahrung der Tiefsee - Fauna. 
5. Karte, enthaltend die Gebiete, die auffällig arm und die be- 
sonders reich an grundbewohnenden Organismen sind. 
c. Pelagische Fauna. 
1) Systematische Uebersicht der im pelagischen Gebiet beobach- 
teten Tierformen. 
«@. Aceidentell auf passivem oder aktivem Wege der pelagi- 
schen Fauna beigemischte Arten. 
ß. Eigentliche pelagische Fauna. Eupelagische Tiere. 
y. Sessil auf pelagischen pflanzlichen Organismen und auf 
Tieren vorkommende Tiere. Symbiotisches Zusammenleben. 
d. Parasiten der pelagischen Tiere. 

2) Vorkommen pelagischer Tiere in der Nähe der Ufer. 

3) Horizontale Verteilung der pelagischen Fauna an der Ober- 

fläche in den verschiedenen Teilen des Sees. 

4) Horizontale Verteilung der pelagischen Fauna in verschiedenen 

Tiefen in den verschiedenen Teilen des Sees. 
5) Quantitative Bestimmungen der pelagischen Fauna. 
6) Wechsel der Zusammensetzung der pelagischen Fauna im 
Laufe des Jahres. Vergleichung verschiedener Jahre. 
7) Einfluss der pelagischen Organismen auf die Färbung des 
Wassers. 
Vi. Teil. 

Flora und Fauna der dem Wassergebiete des Sees angehörenden 
Quellen, Bäche, Flüsse, Torfmoore, kleineren und größeren temporären 
und permanenten Wasserbecken, Seen, Grotten- und Höhlengewässern, 
Cysternen und Pumpbrunnen. 


A. Flora. 
B. Fauna. 
Untersuchungen über den Transport der in diesen Gewässern vor- 
kommenden Pflanzen und Tiere in den See. 


VII. Teil. 


Vergleichungen der wichtigeren Ergebnisse mit den Kenntnissen über andere Seen. 
Viil. Teil. 


Hypothesen und Theorien über die Entstehung der Seen und die Wege, auf denen 
der See bevölkert wurde und wird. Künstliche Bevölkerung. 


520 Imhof, Monographische Bearbeitung eines Sees. 


IX. Teil. 
Apparate und Methoden. 

Haspelapparat mit Stahldraht für die Untersuchungen im pelagi- 
schen Gebiete und in größeren Tiefen auf dem Grunde. Länge und 
Stärke des Stahldrahtes. Vorrichtung zum bequemen und leichten 
Bestimmen der Tiefen. 

Thermometer für die Temperaturbestimmungen an der Oberfläche 
und in verschiedenen Tiefen. 

Spiegel zur Bestimmung der Tiefe, in der die Lichtstrahlen noch 
reflektiert werden. 

Photographische Apparate zur Untersuchung des Lichteinflusses 
in größeren Tiefen. 

Kleiner dreiarmiger Anker zum Heraufholen der Pflanzen und 
der daran lebenden Organismen. 

Verschiedene Apparate für das Sammeln von Materialien auf dem 
Grunde der Seen. Verschließbarer Schlammschöpfer zum Heraufholen 
von Grundmaterialien mit Wasser vom Grunde. Einrichtungen zur 
Versenkung auf kürzere oder längere Zeit zum Sammeln von darauf 
oder darin sich ansiedelnden Organismen. 

Apparate zur Untersuchung der pelagischen Fauna. Gewöhnliche 
einfache Netze. Verschließbare Netze für qualitative und quantitative 
Bestimmungen der horizontalen und vertikalen Verteilung der pela- 
gischen Fauna. Oberflächenapparat auf dem Dampfschiffe während 
der Fahrt verwendbar. 

Apparate zur quantitativen Bestimmung der gesammelten pela- 
gischen Materialien. 

Methoden und Einrichtungen für den Transport und die Auf- 
bewahrung lebender Pflanzen und Tiere. 

Methoden zur Konseryation der Organismen. Makroskopische 
und mikroskopische Präparate. 


Schluss. 
Darlegung der Gebiete, die besondere eingehende Studien wünschen 
lassen. Desiderata. 
Litteratur - Uebersicht. 
1) Spezielle Litteratur des monographisch bearbeiteten Sees. 
2) Litteratur über die Seen im Allgemeinen. 


Karten. Profile. Graphische Darstellungen. Tafeln. 
Hydrographische Karte, das Wassergebiet des Sees darstellend. 
Tiefenkarten des Sees und der in seinem Wassergebiete gelegenen 

kleineren Seen. 
Längen- und Querprofile durch den See und die angrenzenden 
Gebiete, Längen- und Querprofile durch die tributären Seen. 
Geologische Karte des Wassergebietes und speziell des Sees. 











Imkof, Lebeasverhältnisse der Flora und Fauna der Seen. 521 


Graphische Darstellungen der Pegelstände. 

Darstellung der gewöhnlichen und außergewöhnlichen Winde. 

Darstellung der Strömungen. 

Darstellung der Wellen. Seiches. 

Darstellungen der Farbe des Wassers. Gewöhnliche und außer- 
gewöhnliche Färbungen. 

Graphische Darstellungen der Seetemperaturen. 

Darstellungen der Druckverhältnisse im See. 

Karten zur Darlegung der Verteilung der littoralen und Tiefsee- 
Flora. 

Tafeln mit Abbildungen besonders interessanter und neuer Pflanzen- 
formen. 

Karte, enthaltend die Stellen der Entnahme der Grundmaterialien. 

Karte der Verteilung der littoralen Fauna. 

Karte der Seehalden-bewohnenden und Tiefen- Fauna. 

Karten, enthaltend die Verteilung der pelagischen Fauna. 

Tafeln, enthaltend die Zeichnungen besonders interessanter und 
neuer Tierformen. 

Tafeln, enthaltend die Darstellung der Apparate. 


Vorläufige Notiz über die Lebensverhältnisse und Existenz- 
bedingungen der pelagischen und Tiefsee-Flora und Fauna 
der Seen. 


Von Dr. Othmar Emil Imhof. 


Es sollen in vorliegender Notiz namentlich zwei Momente der 
Lebensverhältnisse der pelagischen und Tiefsee-Fauna und Flora der 
Seen vorläufig kurz erörtert werden, über welche Verhältnisse ein- 
gehendere Studien während der Monate Februar, März, April und Mai 
dieses Jahres in einem größeren See gemacht wurden. 

Der erste Punkt betrifft die Tiefenverhältnisse der Seen. Die 
klarste Anschauung über die Gestaltung eines Seebeckens gibt ein 
Relief, das das Seebecken und die dasselbe begrenzenden Höhenzüge 
und Gebirge mit den dazwischen einmündenden Thälern darstellt. 
Die Erkenntnis der Tiefenverhältnisse eines Sees wesentlich erleich- 
ternd sind Quer- und Längsprofile durch das Seebecken und seine 
begrenzenden Ufer, sich eröffnende Thäler, Berge und höhere Gebirgs- 
ketten. Für den Versuch der Erklärung der Entstehung des Sees 
geben Quer- und Längsprofile, durch einmündende Thäler, um den 
Uebergang der Thalsohle zur Seehalde darzustellen, mit Eintragung 
des Streichens und Fallens der Schichten in den anstehenden Ufer- 
gebirgen, die Anhaltspunkte. 

Ein wesentliches Moment, um die natürliche Gestaltung der See- 
becken zur Darstellung zu bringen und die wahren Verhältnisse zu 


529 Imhof, Lebensverhältnisse der Flora und Fauna der Seen. 


erkennen, ist die Bedingung, dass sowohl für die horizontalen als 
auch für die vertikalen Dimensionen der gleiche Maßstab in Anwen- 
dung kommt, nur dann geben diese Darstellungen ein getreues Bild 
der Natur. Die erste geographische Monographie von Seen: Die 
deutschen Alpen von A. Geistbeck (1885), enthält zahlreiche Quer- 
und Längsprofile, von denen Längenprofile von 9 Seen und Querprofile 
von 3 Seen im gleichen Maßstabe für horizontale und vertikale Aus- 
dehnungen angenommen sind. Profile mit verschiedenem Maßstab der 
Längen- und Vertikal- Ausmaße geben falsche Bilder; sollen die 
Dimensionsverhältnisse deutlicher dargestellt werden, so muss das 
natürliche Profil einfach größer gezeichnet werden. 


Ein volles Verständnis für die Gestaltungsverhältnisse eines Sees 
gibt nur ein Relief oder eine Kurvenkarte und Quer- und Längsprofile 
mit gleichzeitiger Darstellung der Ufer, der einmündenden Thäler, der 
begrenzenden Hügel, Berge und Gebirge, die das Seebecken bilden, 
das die angesammelte Wassermasse zurückhält. Das Studium der 
Tiefenverhältnisse in Verbindung mit dem der Oberflächenverhältnisse 
der Seen, in Vergleich gezogen zu den sie einschließenden Oberflächen- 
erhebungen der Erde, dürfte eine dankbare, in hohem Grade frucht- 
bringende Arbeit sein, die ganz besonderen Wert für die Ergründung 
der physikalischen Verhältnisse der Seen und damit für die Erforschung 
der Lebensbedingungen, in denen die Flora und Fauna der Seen sich 
entfaltet, besitzen würde. 

Die Vergleichung der in dieser Weise nach ihrer Gestaltung klar- 
gelegten Seen dürfte Gesetzmäßigkeiten erschließen lassen, die auch 
bei der Untersuchung von noch unbekannten Seen sehr zu statten 
kommen und zum Vorteil gereichen werden. 


Das zweite hier vorläufig zu erörternde Moment in Bezug auf die 
Lebensverhältnisse der Organismenwelt der Seen, das in direkter 
Weise auf die Bewohner der Seen sehr wesentlichen Einfluss ausübt, 
das in inniger Abhängigkeit ist vom obigen ersten Moment, bilden die 
Temperaturverhältnisse des Wassers, die vielleicht vorwiegend in Ab- 
hängigkeit von den Temperaturverhältnissen der Luft, von der Inso- 
lation, zum Teil auch von der Beschaffenheit des Erdinnern sind, da, wo 
die Seen in der Nähe von Vulkanen, die diese besonderen Verhältnisse 
im Innern der Erde direkt bekunden, oder in Gebieten von Erdteilen 
liegen, wo vielleicht feurigflüssige Materien nahe unter der Oberfläche 
der Erdrinde vorhanden sind, die noch nicht in direkter Kommuni- 
kation mit der Atmosphäre stehen. 

Die Temperaturverhältnisse des Seewassers sind wesentlich von 
diesen Einflüssen abhängig, aber auch in Abhängigkeit von den 
chemisch - physikalischen Eigenschaften des Wassers selbst. 

Abhängig von einander sind Temperatur und Dichtigkeit resp. 
Schwere des Wassers. 








Gräfin v. Linden, Beiträge zur Biologie der Phryganeiden. 595 


Die bisherigen thermometrischen Messungen in den Seen haben 
ergeben, dass immer das Wasser in den größten Tiefen direkt über 
dem Grunde der Temperatur von 4° C, dem Temperaturgrade der 
größten Dichtigkeit am nächsten kommt. Das überlagernde Wasser, 
sei es wärmer oder kälter hat eine geringere Dichtigkeit, ein leich- 
teres Gewicht, es schwimmt auf dem Wasser, das näher der Tem- 
peratur von 4° C ist, ohne einen Druck auf dasselbe auszuüben. Es 
ist danach in Wasser von 4°C in einem offenen Wasserbecken der 
größt-mögliche Druck vorhanden und zwar gleichgiltig, ob dieses 
Wasser in einer Tiefe von 10 Meter oder mehreren hundert Metern, 
d. h. von einer Wassermasse von nur 10 Meter Mächtigkeit oder von 
einer ansehnlichen Wassermasse überlagert, im See ruht. 

Der ruhende Gleichgewichtszustand wird aber gewöhnlich durch 
scheinbar unregelmäßige, aber nach bestimmter Gesetzmäßigkeit, meist 
ungleich verteilt wirkende Kälte- oder Wärmequellen da und dort ge- 
stört sein, so dass die ruhende gleichmäßige Ueberlagerung von leich- 
terem Wasser, sei es von niedrigerer oder höherer Temperatur als 
4°C, von unten bis an die Oberfläche, durch lokale kalte Strömungen 
von oben nach unten oder durch lokale warme Strömungen von unten 
nach oben oder durch ausgedehnte Abkühlungs- und Erwärmungs- 
prozesse, die sich auf größere einzelne Teile oder das ganze Wasser- 
becken ausdehnen, höchst selten oder vielleicht gar nie vorhanden 
sein wird. 

Diese wichtigen auf das Leben einen wesentlichen Einfluss aus- 
übenden wechselnden Temperaturverhältnisse bedürfen noch ausge- 
dehnter Untersuchungen. Es soll auch die vorliegende Notiz bloß einen 
vorläufigen Charakter beanspruchen und soll für den Augenblick nur 
beabsichtigen auf zwei sehr wesentliche in inniger Abhängigkeit zu 
einander stehende Momente der Lebensverhältnisse der Organismen- 
welt der Seen hinweisen, von denen das erste bisher noch nicht in 
der notwendigen Weise bearbeitet wurde und das zweite in ganz 
anderer Anschauung in der Wissenschaft vertreten wird. Welche 
dieser Anschauungen die wirklichen natürlichen Verhältnisse richtig 
erklärt, wird die Diskussion und weitere Bearbeitung ergeben. 


Beiträge zur Biologie der Phryganeiden, 


Am zweiten Januar dieses Jahres fand ich in der Nähe des 
Hürbe - Ufers (eines kleinen Flusses im Stromgebiet der obern Donau) 
auf einer Stelle, welche bei hohem Wasserstand überschwemmt wird, 
unter zahllosen, leeren Lymneengehäusen haselnussgroße Gallert- 
klümpehen, welche bei genauer Betrachtung eine Menge kleiner, 
weißer Eier in ihrem Innern erkennen ließen. Die gelblich gefärbten 
gallertartigen Massen waren von sphärischer Gestalt und bestanden 
aus einer im Innern weichen, farblosen Substanz, deren äußerste 


594 Gräfin v. Linden, Beiträge zur Biologie der Phryganeiden. 


Schichte unter dem Einfluss der Luft zu einer widerstandsfähigen 
Membrane erhärtet war. Im Zweifel, ob ich Schnecken- oder Phry- 
ganeidenlaich vor mir hatte, nahm ich ein Exemplar mit nach Hause 
und brachte es, um die Entwicklung der Eier zu verfolgen, in eine 
mit Wasser gefüllte Schale. 

Bei schwacher Vergrößerung ließen sich in jedem Ei zwei röt- 
liche Pigmentflecke in der Augengegend der Embryonen erkennen 
und sehr bald zeigten die jungen Larven, welche innerhalb der gallert- 
artigen Masse umherkrochen, dass man es hier mit der Generation 
einer Phryganeidenart zu thun hatte. Die dem Ei entschlüpften In- 
sekten waren ungefähr 1,5 mm lang und führten in ihrer durch- 
sichtigen Hülle ein sehr bewegtes Leben. Sie scharrten mit großem 
Eifer an den Wandungen ihres Gefängnisses, gerade als ob sie sich 
durch die weiche Substanz hindurcharbeiten wollten; ganz besonders 
galten ihre Angriffe der nach oben gekehrten Hautfläche des 
Klümpehens. Mein Erstaunen war daher sehr groß, als ich die 
Larven am folgenden Tage ihre Geburtsstätte verlassen sah und 
zwar keineswegs an dem Punkte, welchem Tags zuvor ihr Eifer 
gegolten hatte, sondern durch einen Riss, welcher sich an der Basis 
des Klümpehens befand. Nun war es mir erst recht unklar, welches 
der Zweck des geschäftigen Treibens der jungen Larven im Innern 
der Gallerthülle gewesen sein konnte, bis eine derselben, welche 
sich eben durch den engen Ausgang hindurchzwängte, den gewünschten 
Aufschluss gab. Ich bemerkte nämlich, dass ihr Hinterleib bereits 
mit einem Futteral umgeben war, welches aus der Masse bestand, 
in welcher die Eier eingebettet lagen. Um den Vorgang des Hüllen- 
baues zu verfolgen, brachte ich den Klumpen unter das Mikroskop. 
Da schon ziemlich viele Insekten das Freie gesucht hatten, so war 
derselbe beträchtlich zusammengesunken und soweit durchsichtig, 
dass die arbeitenden Tiere gut beobachtet werden konnten. Der 
Hüllenbau verläuft im Wesentlichen in gleicher Weise wie bei der 
erwachsenen Larve, die, aus ihrer Hülle vertrieben, genötigt ist eine 
neue zu bauen. 

Die dem Ei entschlüpfte Larve ist mit einer zarten, durchsichtigen 
Haut umgeben, welche sie, ähnlich wie später die Puppenhaut, binnen 
wenigen Stunden abwirft. Nach durchgemachter Häutung beginnt 
ein geschäftiges Hin- und Herrennen, bis sich die Larven an einer 
bestimmten Stelle der Gallerthülle festgesetzt haben und den Bau des 
provisorischen Köchers in Angriff nehmen. Mittels der beiden mehr- 
fach gezähnten Chitinhaken, welche am Kopf über der weit vor- 
stehenden Unterlippe festsitzen, und der spitzen Krallen der Vorder- 
beine trennt das Insekt ein Stückchen nach dem andern von der 
Gallertmasse los. Das gewonnene Material wird mit den zwei an- 
deren Beinpaaren zusammengescharrt und festgehalten. Sobald eine 
größere Masse beisammen ist, wird dieselbe mit Fäden umsponnen 














Gräfin v. Linden, Beiträge zur Biologie der Phryganeiden. 595 


und zur Hülle zusammengeheftet, dann beginnt die Arbeit von neuem. 
Auch Eimembranen und Larvenhäute kommen zur Verwendung und 
ehe die Larve die Gallerthülle verlässt, schmückt sie ihren Köcher 
mit Algen, deren Zellen sich unter dem Klümpchen ansammeln und 
durch den Riss an der Basis eindringen können. 

In 12—18 Stunden ist die primitive Umhüllung fertig und die 
Larve gerüstet den Kampf ums Dasein aufzunehmen, dessen Ernst 
ihr nicht ganz unbekannt ist, denn schon um Baumaterial zu ge- 
winnen, musste sie sich der eifersüchtigen Genossen erwehren. 

Nicht alle Phryganeidenlarven haben die Gewohnheit sich schon 
vor ihrem Austritt ins freie Larvenleben eine Umhüllung zu bauen. 
Bei Phryganeidenarten, welche ihre Eier in das Wasser ablegen, 
habe ich diese Vorsichtsmaßregel nicht angetroffen und schließe 
daraus, dass sich die Larven, welche, wie beschrieben nieht in un- 
mittelbarer Nähe des Wassers ausschlüpfen, durch diese provisorische 
Umhüllung vor Austrocknung bewahren wollen. Wie ich beobachtet 
habe, können die jungen Insekten in diesem schützenden Futteral 
tagelang unbeschadet außerhalb des Wassers verweilen. 

Außerdem sichert die Elastizität dieses Köchers und seine 
schlüpferige Oberfläche den zarten Körper vor zahlreichen Anfällen, 
nicht zum wenigsten vor den Angriffen beutegieriger Feinde, zu 
welchen auch die eignen Genossen zu rechnen sind. Ob die Gallert- 
substanz daneben auch bei der Ernährung der Larven eine Rolle 
spielt, konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen. Auf jeden Fall 
wenden sich die jungen Insekten sehr bald zur Pflanzenkost, da sich 
in ihrem Darminhalt kurz nach dem Austritt ins Freie ausschließlich 
Algenzellen vorfinden, die vorwiegend den Gruppen der Schizophy- 
ceen und Chlorophyceen angehören. Schon in jugendlichem Zustand 
erfreuen sich die Phryganeidenlarven eines vorzüglichen Appetits 
und sind, wenn Mangel an der gewohnten Nahrung eintritt, keines- 
wegs in Verlegenheit einen Ersatz dafür zu finden. Wohl oder übel 
müssen sich unter solchen Umständen die schwächeren Larven dem 
allgemeinen Besten opfern und werden von den hungrigen Genossen 
erbarmungslos aufgezehrt. Selbst die chitinösen Körperteile, Kopf, 
Thorax, Beine und Hinterleibsanhang werden sorgfältig ausgehöhlt 
und bilden alsdann einen Aufenthaltsort für mikroskopische Wasser- 
bewohner der verschiedensten Gattungen. 

Nachdem der größere Teil der Phryganeidenlarven das Gallert- 
klümpchen verlassen hatte, brachte ich, um den Geschmack der 
Larven bei Vervollkommung ihrer Hüllen kennen zu lernen, Erde, 
Kalk und kleine Steinchen zu den Pflanzen, welche bereits im Gefäß 
vorhanden waren. Ein Teil der Insekten wählte Sand und Steinchen, 
der andere hielt sich ausschließlich an Pflanzengewebe. Mit der Zeit 
sahen jedoch die ersteren ein, dass unter den gegebenen Verhält- 
nissen die spezifisch leichteren Pflanzengewebe vorteilhafter seien und 


526 Gräfin v. Linden, Beiträge zur Biologie der Phryganeiden. 


nahmen einen Umbau ihrer Futterale vor. Nach Verlauf von einigen 
Tagen waren die mineralischen Bestandteile durch Algenfäden und 
verfaulende Pflanzengewebe ersetzt. Ein regelrechtes, festes Zusam- 
menspinnen des die Hülle bildenden Materials findet übrigens in den 
ersten Monaten nicht statt, die Stengel- und Blattsegmente waren 
anfangs nur lose mit der gelatinösen Unterlage verbunden. Erst viel 
später lassen die Köcher der vorliegenden Larve einen ausgesprochenen 
Baustyl erkennen. Auch die Phryganeiden scheint erst Uebung zum 
Meister zu machen. Viel größere Sorgfalt verwendet das Insekt von 
Anfang an auf die Auskleidung der inneren Fläche des Futterals. 
Es benützt hierzu ausschließlich die Zellen abgestorbener phanero- 
gamer Süßwassergewächse, welche mit bewundernswerter Sorgfalt 
aneinandergelegt und festgesponnen werden. 

In den ersten Monaten der Entwicklung erfährt der Organismus 
der Phryganeidenlarven zahlreiche Modifikationen. 

Die chitinösen Körperteile, welche anfangs farblos und durch- 
sichtig, später gelblich erscheinen, färben sich dunkler und erhärten 
mehr und mehr. Die Dornen (ich zählte 9—11), mit welchen bei der 
älteren Larve der Innenrand der tibiae (Schienen) am ersten und 
zweiten Beinpaar besetzt ist, werden im Laufe des ersten Monats 
sichtbar; desgleichen nehmen die Borsten an Kopf, Beinen und Hin- 
terleib an Zahl und Länge zu. 

Die Bewimperung der Seitenlinie ist bei vier Wochen alten Exem- 
plaren auf jedem Hinterleibsring durch drei ein Dreieck einschließende 
Härchen angedeutet. Zwei davon stehen seitlich an der oberen und 
unteren Grenze des Segments, das dritte bezeichnet ungefähr den 
höchsten Punkt auf dem Hinterleibsring, bis zu welchem die Wim- 
pernreihe ansteigt. Nach Verlauf des zweiten Monats ist dieselbe 
vollkommen dicht. Gleichzeitig treten auf den beiderseits am ersten 
Hinterleibsing befindlichen ein- und ausstülpbaren Fleischzapfen mi- 
kroskopische nach vorwärts gebogene Häckchen hervor, welche in 
elf konzentrischen Kreisen derart angeordnet sind, dass in die Lücken 
des ersten die Häkchen des folgenden zu stehen kommen. Ver- 
mittelst dieser Häkchen hält sich die Larve in ihrer Röhre fest und 
ist genötigt, wenn sie ihr Futteral verlassen will, die Fortsätze ein- 
zustülpen. Die Haut dieser kegelförmigen Gebilde ist sehr zart. An 
ihrer Basis sitzt ein langes Haar, ein zweites kürzeres bricht an der 
Spitze hervor. 

Wie aus den Beobachtungen von Zaddach (I ce. p. 59. 82) 
M’Lachlan (A monographie revision and synopsis of the Trichoptera 
of the European Fauna. London 1874—1880. p. 314) und anderer 
Forscher hervorgeht, ist es eine längst bekannte Thatsache, dass die 
Larven verschiedener Phryganeidengattungen in den ersten Stadien 
ihrer Entwicklung keine Tracheenkiemen besitzen, wenn ihnen die- 
selben auch später zugeschrieben werden. Auch die vorliegende 














Gräfin v. Linden, Beiträge zur Biologie der Phryganeiden. 527 


Larve ist in den ersten vier Wochen auf Hautatmung angewiesen. 
Die Cutieula des Hinterleibs ist sehr zart und vollkommen durch- 
sichtig, so dass der Verlauf und die Verzweigung der Tracheenstämme 
genau verfolgt werden kann. Die Haupttracheenstämme, welche den 
Körper der Larve in Bezug auf die Mittellinie in einer symmetrischen 
Wellenlinie durchziehen, entsenden auf jedem Körpersegment — mit 
Ausnahme des vorletzten Hinterleibsrings — an der Stelle ihrer 
größten Ausbuchtung ein Bündel feiner Verästelungen, die sich am 
Hinterleib dieht unter der Haut in der Richtung zur Körperaxe aus- 
breiten. Am letzten Hinterleibsring und Abdomen nehmen die ein- 
zelnen mit Luft gefüllten Kanäle an Länge zu, so dass sie hier über 
einander greifen. Zwei stärkere Nebenzweige des verjüngten Haupt- 
stammes durchziehen die fleischigen Hinterleibsanhänge. Auf dem 
Prothorax, Mesothorax und Metathorax setzen sich die Verästelungen 
des Haupttracheenstammes in den Beinen fort. Am Kopf entsendet 
er Ausläufer nach den Augen. Bei älteren Larven sind die feinen 
Verästelungen nicht mehr sichtbar, dagegen erscheinen am zweiten, 
dritten und vierten Hinterleibsring, beiderseits oberhalb und unterhalb 
der Seitenlinie ein bzw. zwei fadenförmige Anhänge, in welchen sich 
die Tracheen in sehr feine Zweige auflösen. Diese Tracheenkiemen 
entspringen nicht büschelförmig aus gemeinsamer Basis, wie Pictet, 
Hagen und M’Lachlan bei den Leptocerinen und einem Teil der 
Hydropsychinen beobachtet haben, sondern einzeln beim zweiten 
Hinterleibsring an der untern, beim dritten und vierten an der obern 
und untern, beim fünften an der obern Grenze. Die Haut, welche 
die Falten zwischen den einzelnen Hinterleibsringen auskleidet, ist 
sehr dünn und gefäßreich, so dass auch sehr wahrscheinlich hier 
Hautatmung stattfinden kann. Dieselbe Beschaffenheit zeigen die 
Membranen der innern Gelenkflächen und jene an den seitlichen 
Flächen des Abdomens. 

Was die generische Zugehörigkeit der vorliegenden Larve an- 
betrifft, so scheint das Fehlen von Tracheenkiemen im frühesten 
Jugendstadium für die Familien der Hydropsychinen, Hydroptilinen 
oder Rhyacophilinen zu sprechen. Da jedoch die Vertreter der bei- 
den letzten Familien im Lauf der Zeit büschelförmig angeordnete 
Tracheenkiemen erhalten, so wird ihre Zugehörigkeit zu den Lepto- 
cerinen am meisten Wahrscheinlichkeit besitzen. 

Leider gelang es mir nicht die ganze Metamorphose der Larven 
zu verfolgen, da ihre dezimierten Reihen im vierten Monat ihrer Ent- 
wicklung den feindlichen Angriffen zahlreicher Hydrachniden und 
anderer Wasserbewohner erlagen. 

Gräfin Maria v. Linden. 


528 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


Kritische Erörterungen neuerer Beiträge zur theoretischen 
Morphologie. 
Von Hans Driesch in Zürich. 

I. Friedrich Dreyer, Ziele und Wege biologischer Forschung be- 
leuchtet an der Hand einer Gerüstbildungsmechanik. Jena 189. 
(Kritisches Referat.) 

Die Arbeit Friedrich Dreyer’s, teilweise der Auszug eines 
größeren Werkest), auf welche in kurzen Worten hinzuweisen der 
Zweck dieser Zeilen ist, muss in zweifacher Hinsicht als bedeutungs- 
voll bezeichnet werden. Einmal versucht sie, ein großes Gebiet morpho- 
logischer Erscheinungen einer physikalischen Auffassung zugänglich 
zu machen, „mechanisch“ zu begreifen; zum andren macht sie be- 
wusterweise und energisch Front gegen die übliche (morphologisch- 
historische) Methode biologischer Forschung und führt in klarer Weise 
den Beweis, dass mit derselben nie und nimmer wirkliche Kausal- 
erkenntnis zu erreichen sei, vielmehr für solche die ätiologisch- 
mechanische Methode eingreifen müsse. 

Wir teilen zunächst das Wichtigste der Gedankengänge des Ver- 
fassers mit, um dann einigen Punkten kurze Bemerkungen beizufügen. 

Um „dieFlüssigkeitsmechanik als eine Grundlage der 
organischen Form- und Gerüstbildung“ nachzuweisen, erörtert 
der Verfasser am Eingang kurz die „Gesetze der Blasenspannung“, 
wie sie von einer Reihe von Physikern, zumal aber von Plateau 
nachgewiesen sind. Betrachten wir z. B. einen Komplex von Seifen- 
blasen, so ist das „fundamentale Prinzip, aus welchem sich alle 
Einzelfälle der Wandstellung ableiten lassen, das Prinzip der 
kleinsten Flächen“. Die Summe aller Oberflächen wird so klein, 
wie unter den gegebenen Verhältnissen möglich, ein Minimum. Es 
ist eine mathematisch beweisbare Folge dieses Prinzips, dass stets in 
jeder Kante 3 Wände, in jedem Punkte 4 Kanten zusammenstoßen. 
„Mit Größendifferenzen der Blasen gehen entsprechende Veränderungen 
der Winkel und der Krümmung Hand in Hand. Nach einem größeren 
Blasenraum zu sind die Winkel größer und die Wände konvex ge- 
wölbt“, und umgekehrt ete. ete. — Ueberschüssige Flüssigkeit (z. B. 
bei Seifenblasen) rinnt bei großen Blasen an den Wänden herab; bei 
kleineren Blasen und zäherer Flüssigkeit bleibt dieselbe aber an den 
Wänden haften und zwar nicht gleichmäßig sondern zunächst in den 
Ecken, dann auch in den Kanten, und ist noch mehr vorhanden, auch 
in den Flächen; die Blasenräume sind also unter den angegebenen 
Verhältnissen bestrebt sich abzurunden (Kugelflächen sind „kleinste 
Flächen“), es ist dies aber nur bei Vorhandensein reichlichen Materials 
möglich. 





1) Dreyer ‚ Die Prinzipien der Gerüstbildung bei Rhizopoden, Spongien 
und Echinodermen. Jenaische Zeitschrift, XXVI, N. F., XIX. 














Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 2) 


Der Protoplasmakörper der Protisten zeigt nun vakuolisierten, 
schaumigen Bau, es werden also die soeben erörterten Gesetze auch 
für ihn gelten; sie sind in der That leicht aufzuzeigen. Wird nun 
ferner „die Skelettsubstanz von und in der lebenden Sarkode abge- 
schieden“ so konserviert sie das Gerüst der letzteren gleichsam ver- 
steinert, und da diese den Gesetzen der Spannung gemäß gebaut ist, 
so „müssen auch die in schaumigen Sarkodekörpern ent- 
standenen Skelette teilweise versteinerte Blasengerüste“ 
darstellen. 

Völlige Versteinerung würde den Stoffaustausch verhindern, also 
das Leben unmöglich machen. 

Die partielle Skelettbildung geht nun ganz den genannten Ge- 
setzen entsprechend vor sich: in erster Linie versteinern Ecken 
und Kanten der Blasen, da hier die Sarkode am stärksten ange- 
sammelt ist u. =. f. 

Der thatsächlich so überaus häufige Vierstrahler ist also eine 
aus dem Sarkodeaufbau sich notwendig ergebende Folge (4 Kanten 
stoßen in einem Eckpunkt zusammen s. o.), auch die schwammigen 
Gerüste, die gleichsam als verwachsene Vierstrahler differenter Größe 
imponieren; beim Dreistrahler unterblieb die Verkieselung einer Kante. 
Winkel und Krümmung folgen natürlich aus der speziellen Konfigura- 
tion des versteinerten Systems. 

Wir können nicht auf alle Einzelheiten dieser interessanten Ver- 
hältnisse eingehen; der Mangel von Figuren würde auch das Ver- 
ständnis sehr einschränken, wir verweisen hier auf sorgfältiges Studium 
des durch zahlreiche höchst instruktive Abbildungen erläuterten Origi- 
nals und greifen nur noch einzelne Punkte heraus. 

Die bekannten Doppelvierstrahler sind ohne Weiteres ver- 
ständlich; an sie reihen sich die polyzentrischen Spieula, und 
diese führen wieder zu den Gitterschalen über, nämlich dadurch, 
„dass nur solche Strahlen verkieseln, die annähernd in einer Ebene 
liegen“. Letzteres Faktum erscheint in der so durchgreifenden 
Schichtenbildung des Rhizopodenkörpers des näheren begründet. 
Kommt zu der Gitterverkieselung Versteinerung einzelner radialer 
Kanten hinzu, so haben wir Radialstacheln. 

Die Radiolarien in ihrer so großen Mannigfaltigkeit der Schalen- 
formen illustrieren eigentlich alle erdenkbaren Möglichkeiten, stets 
unter strenger Wahrung des Gesetzes der Struktur: sehr luftige, weit- 
maschige Gerüste (gewisse Phaeodarien) weisen auf große Vakuolen 
hin; viel Zwischenmaterial, und (s. oben) in Folge dessen Abrundung 
der Vakuolen führt zur festen Gitterschale mit runden Poren; radiale 
Leistenwälle sind die Folge einer radiären Verkieselung unter Anwesen- 
heit von viel Material auch in den Wänden (vgl. die Radialstacheln). 

Besonders lehrreich ist ein überaus zierlicher Bau, der gewissen 
Polyeystinen eigen ist: von einer Gitterschale gehen Radialstrahlen 

XI. 94 


530 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


aus, welche sich am oberen Ende dreifach gabeln und in 3 Bögen 
übergehen, die zu den 3 benachbarten Radialstacheln hinübergespannt 
sind: es kommt so ein Arkadenbau zu Stande; näheres Studium zeigt 
grade in diesem kunstvollen Bau „das klassischste Beispiel einer 
Harmonie mit den Gesetzen der Blasenmechanik“. 

Was die so häufigen konzentrischen Schalenbildungen 
anlangt: so wird sie durch Annahme eines Durchwachsens der ersten 
Schale seitens des Sarkodekörpers und dann folgende ruckweise Ver- 
kieselung verständlich; der Verfasser weist hier analogieweise auf 
das plötzliche Auskrystallisieren übersättigter Salzlösungen hin, das 
gleichsam auf einen Reiz hin erfolgt. 

Ganz besonders instruktiv erscheint uns die Bildung der „Anker“ 
und „Mistgabeln“. Die ersteren resultieren oberflächlich aus dem 
erwähnten Arkadenwerk, falls die vom Radialstachel ausgehenden 
Bögen nicht vollständig sondern nur in engem Bezirk am Stachel 
verkieseln; „die Bildungsverhältnisse der Mistgabeln sind da gegeben, 
wo eine kleine Blase auf 3 großen sitzt“. Das Studium entsprechender 
Seifenblasenfiguren weist hier gerade außerordentlich instruktiv die 
Uebereinstimmung nach: alles sind Vierstrahler in manvigfach modi- 
fizierter Form. 

Das Vorstehende mag genügen um ein klares Bild dieses Teiles 
(Kapitel IH) der Dreyer’schen Arbeit zu geben; mit dem Hinweis 
auf Beseitigung einer eventuellen Schwierigkeit nehmen wir von den 
Rhizopodenskeletten Abschied: Sarkode und Vakuoleninhalt sind zwar 
flüssig, aber zähflüssig; irgendwie hervorgerufene Verzerrungen werden 
sich daher nur allmählich ausgleichen, und so kann es kommen 
dass, falls gerade in einer Zeit des Ausgleichs Skelettbildung statthat, 
mehr oder weniger große Verzerrungen fixiert werden, die nicht genau 
die Forderungen der Blasenspanung erfüllen. 

„Die Bedingung zum Inkrafttreten der Blasenspannung ist das 
Vorhandensein blasiger Elemente“. Da im lebenden Körper nun nicht 
nur die Vakuolen sondern auch die Zellen und das wabig ge- 
baute Protoplasma selbst blasige Gebilde sind; so werden wir 
vermutlich auch auf diesen Gebieten nicht vergebens nach Ueberein- 
stimmung des Baues mit der Blasentektonik suchen. 

Was die Zellen anlangt, so sind zumal die Pflanzenzellen zur 
Demonstration dieser Harmonie sehr geeignet: die Anordnung der 
Pollenzellen, junge Embryonen von Pflanzen zeigen die typischen 
polygonalen Maschen, andere Zellkomplexe von Pflanzen führen uns 
mehr oder minder ausgerundete Blasenbilder vor Augen. Bekanntlich 
hat Berthold dieses Gebiet ausführlich behandelt. 

Aber auch tierische Zellenkomplexe bestätigen die Herrschaft des 
Prinzips der kleinsten Flächen; so ist die Gruppierung der Furchungs- 
zellen ein lohnendes Objekt, worauf bereits Chabry und Referent 
wiederholt hingewiesen haben. 














Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 931 


Ein klassisches Beispiel eines Blasengewebes ist das Chorda- 
gewebe; ferner gehören das Fettgewebe, manche Bindegewebsarten 
u. s. w. besonders hierher. 

Das blasige Bindegewebe dürfte vielleicht zum Verständnis der 
sogenannten „Sternzellen“ überleiten, welehe demnach als sehr große 
Gebilde, mit riesigen Vakuolen aufzufassen wären; die Sarkode selbst 
wäre sehr an einem Orte zusammengedrängt und imponierte derart, 
als wäre sie die ganze Zelle. Jedenfalls folgen die Sternzellen insofern 
den Gesetzen der Blasenspannung, als die Knotenpunkte des Stern- 
zellennetzes zum größten Teile Dreistrahler oder Doppeldreistrahler sind. 

Von den Zellen- zu den Vakuolengerüsten übergehend, berufen 
wir uns auf oben Gesagtes, und was den Aufbau der Sarkode selbst 
betrifft, so haben bekanntlich die Forschungen Bütschli’s mit Erfolg 
ihre Blasenstruktur in Uebereinstimmung mit den Gesetzen der Physik 
befürwortet. 

Das vierte KapitelDreyer’s, das wir hiermit beschließen, dürfte 
berufen sein, für die Histologie der Zukunft eine große Bedeutung zu 
erlangen; zunächst wird das hier Gesagte freilich von erfalirenen 
Forschern auf diesem Gebiete zu prüfen sein. Das Verdienst großer 
Anregung wird ihm auf keinen Fall jemand versagen. 

Der Verfasser geht nun des Weiteren zur Betrachtung anderer 
tierischer Skelette, derjenigen von Spongien und Echinodermen, über. 
„Mit Ausnahme der Hexactinelliden, deren Skelette nach einem eigen- 
artigen, bis jetzt in Bezug auf seine bewirkende Ursache noch rätsel- 
haften Plane gebaut sind“ herrscht in beiden Gruppen die schönste 
Uebereinstimmung mit den supponierten Gesetzen: bei den Spongien 
ist der Vierstrahler überall der Ausgang, oder es ist doch ein den Pla- 
teau’schen Figuren entsprechendes Maschenwerk vorhanden und das 
Skelett der Echinodermen legt sich nach den Forschungen Semon’s 
als kleines Tetraeder an. Des Weiteren freilich dürften die Skelette 
letztgenannter Gruppe der großen Komplikationen wegen einer mecha- 
nischen Analyse noch unzugänglich sein, nur dureh ihre spongiöse 
innere Struktur weisen sie auf den elementaren Faktor der Blasen- 
spannung hin. 

Die Verhältnisse der Blasenspannung und damit der Gerüstbildung 
lagen im Rhizopodenkörper am einfachsten. Bei höheren Organismen 
treten Blasen von dreierlei Kategorie (Zellen, Vakuolen, Sarkode) auf. 
Hierdurch entstehen Komplikationen. Es ist aber auch wohl denkbar, 
dass ein Skelettelement, das sich im Anschluss an Sarkodewaben 
bildete, dann zum Vakuolenbau in Beziehung tritt und so fort, kurz, 
dass es von einer Kategorie zur andern wandert: stets würde es sich 
unter Einfluss der Blasenspannung befinden. 

Der Verfasser beschließt den speziellen Teil seiner Arbeit Bi 
Erörterung „der Bildungsmechanik der äußeren Gesamt- 
form der Rhizopodenkörper und -sehalen“. 

z 34* 


5329 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


„Die Sarkodekörper der Rhizopoden besitzen zähflüssigen Aggregat- 
zustand, folglich werden auch für sie die Gesetze der Flüssigkeits- 
mechanik Geltung haben“, und zwar kommt für die Gestaltung des 
Ganzen die Oberflächenspannung „die Differenz von Kohäsion 
und Adhäsion“ in Betracht. Ist dieselbe am stärksten, so ist die 
Oberflächenentfaltung am geringsten (der Körper stellt eine Kugel 
dar) und entsprechend umgekehrt. 

Je stärker die Beziehungen des Körpers mit dem Medium (Stoff- 
austausch) sind, um so stärker wird die Adhäsion, um so geringer 
also die Spannung, um so größer also die Entfaltung der Fläche: die 
Amöben stellen uns derartige Verhältnisse da, die durch Schalen- 
bildung (z. B. Astrarhigiden) fixierbar sind. 

Im Anschluss an Berthold geht der Verfasser nun noch des 
weiteren auf die Pseudopodienbildung ein; dieselben werden nicht 
ausgestreekt, sondern ausgezogen, der an bestimmten Stellen 
lokalisierte Stoffaustausch bedingt die größere Entfaltung der Fläche 
rein physikalisch. Nur die Einziehung bewirken dem Organismus 
innewohnende Kräfte. So wirft die Flüssigkeitsmechanik Licht auf 
die Bildung der Pseudopodien, als Folgen des Stoffwechsels !), ihren 
Gesetzen gemäß erfolgt auch die Gestalt bei Sistierung des letzteren, 
die kuglige Abrundung und die ihr folgende Eneystierung. Schalen- 
bildung fixiert die Kugelform; sie fixiert auch die Pseudopodien und 
ist in dieser Hinsicht also ebenso wechselnd wie diese selbst. 

Regelmäßig sind diese Fixationen bekanntlich bei vielen Radio- 
larien geordnet (radiale Apophysen): es dürfte aber eher Unregel- 

mäßigkeit eine besondere Erklärung erheischen als das Gegenteil, 
denn bei im Wasser freischwebenden Gehilgen sind allseits die Ver- 
hältnisse gleich. 

Für ungleichmäßige Verteilung macht der Verfasser zum großen 
Teil die Schwerkraft verantwortlich: Rhizopodenkörper, welche zur 
Gravitationsrichtung eine dauernde Lage einnehmen, erhalten ein 
monaxones Gepräge u. 8. f. — 

Ein Zylinder kann nach den Experimentaluntersuchungen Pla- 
teau’s nur so lange eine Gleichgewichtsfigur von Flüssigkeiten sein, 
als seine Länge kleiner oder gleich 2 r = ist; andernfalls erhält er 
Einschnürungen und löst sich zuletzt in Tropfen auf. Berthold 
schon hat an plasmatischen Gebilden analoges beobachtet und auch 
der Verfasser verwendet diese Gesetze für seine Zwecke. Neben 
perlschnurartigen Kernen (Stentor) sollen namentlich die qualster- 
artigen Formen der koloniebildenden Radiolarien diesen Aeußerungen 
der Oberflächenspannung ihre Beschaffenheit verdanken, wofür nament- 
lich deren ernle, individuelle Verschiedenheit zu sprechen scheint. 


1) Bezüglich der Kesichtetakte, die sich hieraus nebenbei für die Auf- 
fassung der Assimilation ergeben, sei auf das Original verwiesen. 











Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 533 


Wir können auch hier nicht alle Einzelheiten nennen und erörtern 
nur noch das Prinzip der „Konzentration und Integration der aus 
zahlreichen Kammern zusammengesetzten Schalen“ der Foraminiferen, 
wie es sich als Aufwindung, Einschachtelung u. s. w. äußert: Indem 
nach Bildung der ersten Kammer die Sarkode aus ihr heraustritt um 
die zweite Kammer zu bilden, soll sie durch die zwischen ihr und 
der Oberfläche der ersten Kammer herrschende Spannung, welche 
hier zu der zwischen Sarkode und umgebenden Wasser dazukommt, 
gezwungen werden auf ihr dahin zu gleiten, denn diese neu auf- 
tretende Spannung ist gleich Null, indem ein extrakortikaler Plasma- 
übergang für alle Rhizopoden gefordert wird!) und die Spannung 
zwischen gleichen Substanzen eben Null ist, sie mischen sich. So 
kommt es, dass die zweite Kammer die erste umgreift, und denken 
wir uns diesen Prozess mannigfach variiert und fortgesetzt, so führt 
er uns auch zum Verständnis für Schalenformen, wie sie die für 
2 Species gehaltenen Gebilde der Glodigerina und Orbulina darstellen: 
die Sarkode hat hier alle vorher gebildeten Schalen (Globigerina) 
umhüllt und ist als kuglige Umhüllung (Ordulina) skelettös fixiert 
worden. 

Einer Integration endlich steht eine Degeneration, eine Auflösung 
der bestimmten Forın entgegen: die gleichmäßigen Sehalenbildungen 
der Radiolarien waren uns eine Folge gleichmäßiger Umgebung: mit 
dieser fehlt auch die erstere, wie die Skelette der einzelnen Individuen 
kolonialer Radiolarien zeigen: jedes Gerüst ist vom andern verschieden. 
Und wie schließlich ein Tropfen seine Kugelform aufgibt, sobald er 
eine Unterlage berührt, so auch der Rhizopodenkörper, falls er seine 
schwebende Lebensweise aufgibt. Der näheren Ausführung dieses 
Punktes sind die letzten Zeilen des speziellen Teiles der Arbeit 
gewidmet. 

Referent glaubt zu einigen kritischen Bemerkungen über das 
Objekt seiner Darstellung um so eher berufen zu sein, als er bereits 
früher ?) die Gesamtheit der „mechanischen“ Untersuchungen zu 
sichten und jede auf ihren Leistungswert hin zu prüfen suchte. Es 
soll jedoch nur in aller Kürze auf die Bedeutung der Dreyer’schen 
Untersuchungen eingegangen werden, da wir dieselben einerseits 
andren Ortes bereits würdigten ?), andrerseits aber zur Entscheidung 
spezieller Fragen das Erscheinen des von Bütschli angekündigten 
großen Werkes über „künstliche Schäume“ passend abgewartet wer- 
den dürfte. 





1) Siehe Hauptwerk, Abschnitt I. 

2) Driesch, Die mathematisch-mechanische Betrachtung morphologischer 
Probleme der Biologie. Jena 1891. 

3) Im VI. Teil meiner „Entwicklungsmechanischen Studie“ in der Zeitschrift 
f. wiss. Zoologie. Erscheint demnächst. 


Zr 


34 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


Dreyer will den gemeinsamen Typus des Baues der 
sämtlichen Gerüste in den verschiedenenen Tiergruppen 
als notwendige Folge des Baues der lebenden Substanz 
nachweisen, wenigstens handeln davon 4 Kapitel seiner Arbeit. 

Erst dadurch, dass dieser Bau, als Ausdruck hydrostatischer 
Erscheinungen, eine mechanische Auffassung d. h. eine Auflösung in 
physikalische Erscheinungen zulässt, wäre also seine Leistung wirk- 
lieh mechanische Reduktion; zunächst, wie gesagt, ist sie nur ein 
Nachweis eines notwendigen Zusammenhangs. 

Nun hat zwar Dreyer selbst, wie auch vor ihm Bechhold, 
die Blasennatur des Baues der lebenden Substanz im weitesten Sinne, 
dureh zahlreiche Argumente als Faktum dargethan und auch etwaige 
Ausnahmen plausibel zu machen gewusst, und zwar haben genannte 
Forscher diesen Blasenbau als identisch mit demjenigen von Seifen- 
blasen u. 8. w. nachgewiesen; es bleibt aber doch noch die Frage 
offen, ob mit diesem Identitätsnachweis auch wirklich der hier in 
Betracht kommende physikalische Faktor als solcher erkannt ist, 
den genannte Forscher in der Oberflächenspannung sehen. 

Wenn so, so wäre mit dem „mechanischen“ Charakter der Er- 
klärung des Protoplasmabaues auch die Dreyer’sche Leistung, welche 
eine Folge dieses statuiert, eine mechanische. 

Es sind nun hiergegen Bedenken geltend gemacht worden und 
zwar vorwiegend von Zimmermannt). Die Erwägungen dieses 
Forschers gipfeln bekanntlich darin, dass das Prinzip der kleinsten 
Flächen ebensowohl wie von Oberflächenspannung, auch der Ausdruck 
des Turgors, wenigstens bei pflanzlichen Zeligebilden sein kann, 
und dass an Flüssigkeitsnatur und damit an Öberflächenspannungs- 
wirkungen bei der Entstehungsweise pflanzlicher Zellmembranen gar 
nicht gedacht werden könne. 

Setzen wir nun an Stelle des Turgors die von Sachs?) soge- 
nannte „Gewebespannung“ und sehen somit das Prinzip der 
kleinsten Flächen als Resultat einer Pressung an, worauf unserer 
Meinung nach Zimmermann hinaus will, so wäre auch dieser Fall 
der pflanzliehen Zellmembranen doch auf einen mechanischen 
Faktor zurückgeführt. — Es wären eben 2 physikalische Kräfte zur 
Erklärung derselben Erscheinung heranzuziehen. 

Das Prinzip der Minimalflächen erleidet nun zwar eine Reihe von 
Ausnahmen. Man darf aber nicht vergessen, dass die Summe der 
Flächen ein Minimum sein soll, soweit es die Bedingungen des 
Systems, deren Natur gleichgiltig ist, gestatten. Es könnten ja, 
wie auch Berthold annimmt, andere Kraftäußerungen in Form 
soleher „Bedingungen“ dazukommen. Wir glauben mit diesen Er- 





4) Morphologie u. Physiologie der Pflanzenzelle, II, Tübingen 1891. 
2) Siehe Definition in Sachs’ „Vorlesungen“, 2. Aufl, S. 581. 

















Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 535 


örterungen einigen Schwierigkeiten zu begegnen und können uns 
nur teilweise Zimmermann anschließen, wenn er im Prinzip der 
kleinsten Flächen nieht mehr als eine Regel sehen zu dürfen glaubt 
und dasselbe für „zur Zeit einer mechanischen Begründung gänzlich 
unzugänglich“ hält. 

Die Gewebespannung, wie gesagt, dürfte für festwandige Zellen 
(Pflanzen) die Begründung abgeben; im übrigen möchte ich nicht 
zögern, in der Kapillarität das wirksame Agens zu sehen. 

Ich will, wie gesagt, den Forschungen Bütschli’s nicht vor- 
greifen, aber doch einen Fall meiner Beobachtungen an Furchungs- 
stadien von Echinideneiern erwähnen, der mir hier wenigstens ganz 
entschieden für die Beteiligung der Kapillarität zu sprechen scheint. 
Wie am genannten Orte dargestellt ist, furcht sich das Ei der Echi- 
niden ganz ohne Rücksicht auf An- oder Abwesenheit seiner Ei- 
membran; eine Presswirkung scheint mir hier ausgeschlossen; da nun 
(im „resting stage“ Wilson’s) das Prinzip der Flächen minimae 
areae gerade hier besonders deutlich sich darstellt, dürften wir wohl 
nicht fehlgehen, es hier der Wirkung von Oberflächenspannung zu- 
zuschieben. Jede Furchungskugel ist von einem deutlichen Hyalo- 
plasmasaume umgeben: dieses repräsentiert die eine (zähere), die 
Sarkode selbst die andere Flüssigkeit, denn es ist wohl zu beachten, 
dass bei Vorhandensein nur einer Substanz an Blasenbildungen nicht 
gedacht werden kann; zwei Flüssigkeiten, wovon eine gasig sein 
kann, sind hierzu notwendig '). 

Ich möchte also, wenn auch mit Vorbehalt, die Beteiligung von 
Oberflächenspannung an einer großen Reihe von Wabenbildungen der 
lebenden Substanz nicht leugnen; ließen sich andere etwa nicht auf 
sie, aber auf Turgor reduzieren, nun gut, so hätten wir eben ein 
zweites physikalisches Agens für dieselbe Erscheinung in einigen 
Fällen zu supponieren. 

Ist somit also provisorisch wenigstens die Deutung des Waben- 
baues als eine mechanische Leistung, eine Zurückführung gewisser 
Erscheinungsgruppen auf Physik anzuerkennen, so ist es auch die 
Dreyer’sche Theorie des Gerüstsbaues, die diesen als Folge jener 
hinstellt. 

Es ist wohl zu beachten, dass Dreyer nur den Bautypus als 
solehen erklärt und erklären will; warum nun gerade bei dieser Form 
diese Sarkodestränge, bei jener jene verkalken oder verkieseln, das 
ist eine Frage der Qualität, die mit der erörterten gar nichts zu thun 
hat; Dreyer erklärt kein einziges vorkommendes Skelett als solches. 
Was er zeigt, ist dieses: wenn überhaupt Skelettbildung statthat, so 
muss diese den bestimmten, erörterten Typus einhalten. 





1) Nachtrag. Nachdem nunmehr Bütschli’s Werk erschienen, müssen 
wir die eine der beiden Substanzen in der „Alveolarschicht“ sehen, für die 
eine chemische Differenz hier notwendig zu postulieren ist. 14. VII. 92. 


536 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


Uns erscheint die „Vierstrahlertheorie“ Dreyer’s, wie wir sie 
der Kürze halber nennen wollen, bei weitem als das Bedeutsanste 
im speziellen Abschnitt seines interessanten Werkes. Ueber die spe- 
ziellen Fragen der Histologie, die das vierte Kapitel anregt, enthalten 
wir uns jedes Urteils. Bezüglich der Pseudopodienbildung und Theorie 
der Ausgestaltung des Ganzen scheint es uns, als hätte der Ver- 
fasser die Quantität des Erklärbaren bisweilen überschätzt und das 
was man „Reizwirkung“ nennt, sowie inhärente, dem Wesen nach 
gänzlich unbekannte Kräfte der Gestaltung zu wenig in den Kreis 
der Betrachtung gezogen, wobei wir auf Pfeffer!) hinweisen 
möchten. Etwaige Fehlgriffe nehmen aber auch diesem Teil 
nicht das große Verdienst gründlicher Durcharbeitung und weiter 
Anregung. Bezüglich der Ausnahme, welche die Skelette der Hexak- 
tinelliden darstellen (die Skelettelemente bestehen hier aus 3 zu 
einander senkrechten Stäben), möchte ich einen Gedanken mitteilen, 
der, wenn er richtig ist, vielleicht nützt und im andern Fall jeden- 
falls nicht schadet. Das achtzellige Stadium der Echinidenfurehung 
ist durch 2 aus 4 Zellen bestehende Kränze gekennzeichnet, welche 
direkt, nieht alternierend übereinander liegen. Die Zellen berühren 
sich (jede 3 anderen) nur in kleinen Bezirken und erscheinen nicht 
aneinander gepresst. Das Ganze stellt also einen Würfel dar; ver- 
bindet man die Mittelpunkte je zweier gegenüberliegender Flächen 
durch eine Gerade, so erhält man 3° zu einander senkrechte Linien, 
welche den 3 durch die 8 Zellen bestimmten Kanälen entsprechen, 
und denkt man sich also die acht Zellen in diese Kanäle hinein Ske- 
lettsubstanz abscheiden, so hätte man den Sechsstrahler. Somit wäre 
auch hier Kapillarität im Spiele. Wie gesagt, der Gedanke ist viel- 
leicht völlig, vielleicht teilweise unhaltbar; vielleicht aber auch ver- 
mag er auf richtige Deutung wenigstens hinzuleiten. 

Wir gehen nun zu kurzem Referate des allgemeinen Teiles von 
Dreyer’s Arbeit über, „die ätiologisch-mechanische Be- 
handlung der Probleme der Biologie“ betitelt. Hier können 
wir nur ganz kurze Andeutungen geben, empfehlen aber die 
Lektüre dieses Abscehnittes jedem dringend, der nicht 
in Spezialforschung vergehen und in allgemeinen Fra- 
sen das Gebotene gläubig hinnehmen, sondern der selbst 
nachdenken will. Wir betonen auch gleich am Eingang nach- 
drücklich, dass die Abweichungen der Ansichten, welche wir an an- 
derem Orte äußerten und auf die wir auch hier noch rekurrieren 
werden, Nebendinge betreffen, dass wir Dreyer’s Frontmachen 
gegen die „historische“ Forschung ganz und voll beistimmen 





4) Pfeffer, Zur Kenntnis der Plasmahaut und der Vakuolen. Abhandl, 
der sächs. Ges. d. Wissensch., 1890. 














Driesch, Beitr äge zur theoretischen Morphologie. 937 


und erfreut sind, die so selbstzufriedene biologische 
Forschung einmal wieder ordentlich aufgerüttelt zu 
sehen. Für Jeden, der das, was wir selbst seiner Zeit über die 
hier behandelten Fragen äußerten !) und auch jetzt?) wieder erwei- 
terten, mit Dreyer’s Ansichten denkend vergleicht, dürfte diese Ver- 
wahrung übrigens überflüssig sein; sie ist nur für solche Kreise be- 
stimmt, die etwa aus jeder Verschiedenheit der Spezialmeinung im 
Kreise der „mechanischen“ Biologen Kapital gegen die ganze Rich- 
tung schlagen möchten, 

Die Wissenschaft von den lebenden Formen ging zunächst auf 
nichts anderes aus, als „die Arteinheiten ihren Eigenschaften nach 
möglichst gründlich und gewissenhaft zu beschreiben“. Wir können 
diese erste Periode als desceriptiv-registrierende bezeichnen. 
Als dann die Deszendenztheorie der Forschung einen mächtigen Auf- 
schwung gegeben hatte, da galt und gilt noch als Ziel der Forschung, 
den Stammbaum der lebenden Wesen im Ganzen und im Einzelnen 
mit Hilfe von Paläontologie, Ontogenie und anatomischer Vergleichung 
möglichst genau zu ermitteln: die zweite Periode der Forschung 
ist charakterisiert als morphologisch-historische. 

Die Deszendenztheorie hat großen Aufschwung gebracht; aber 
ist es nicht vielleicht gerade darum angebracht einmal „zurückzu- 
blieken, was bisher geleistet ist, und vorwärts zu blicken, welchem 
Ziele man entgegengeht und ob man dasjenige der Gesamt- 
wissenschaft nicht aus den Augen verloren hat?“ Kein 
freudiges Resultat wartet dieser Ueberlegung: „Die historisch- 
morphologische Forscehungsrichtung führt uns durch Ab- 
leitung der Formen voneinander zu einem Verständnis 
der Formen, nicht aber zur Erkenntnis ihrer bewirken- 
den Ursachen. Durch eine phylogenetische Arbeit kann 
ich zeigen, dass diese Form aus jener hervorgegangen 
ist, nicht dagegen, warum diese Form aus jener hervor- 
ging; die phylogenetische Forsehung beschreibt Formen- 
reihen, sie erklärt sie aber nicht.“ 

Doch hat nieht Darwin durch die Selektionstheorie die Theorie 
der Abstammung „mechanisch begründet“? Nur mangelndes Nach- 
denken kann diese Frage stellen; die Selektion kann nur auswählen, 
nicht schaffen; über die Ursachen der Entwicklung sagt sie nichts. 
„Die bewegt sich ebenso auf der Oberfläche wie die Des- 
cendenztheorie, die sie begründen soll; halten wir letz- 
tere für eine Erklärung, so geben wir uns einer Selbst- 
täuschung hin, halten wir die erstere für eine Begrün- 
dung der letzteren, so machen wir uns eines logischen 
Denkfehlers schuldig.“ 

1) Siehe $. 533 2). 

2) Siehe 8. 533 >). 





538 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


Der Darwinismus, als mit der Selektionstheorie verbundene Des- 
cendenztheorie gefasst, hat einen dreifachen Nutzen: die Descendenz- 
lehre erleuchtet die Beziehung der Formen unter sich; die Selek- 
tionslehre diejenigen zur Außenwelt. Beide lehren, dass die Arten 
„etwas gewordenes und deshalb!) einer natürlichen Erklärung zu- 
gängliches sind.“ Ursachen der Formbildung aber lehrt keine kennen. 
Hierzu muss die ätiologisch-mechanische Forschungsrich- 
tung Platz greifen, welche das Wesen des Lebens selbst kennen 
lehrt, und den verwickelten Komplex von Erscheinungen, den wir so 
benennen, auf physikalisch - chemische Kräfte zurückführt. 

Aber wird die Beschreibung (in der desceriptiven Richtung von 
Formen, in der historischen von Formenreihen) nicht von selbst zur 
Ermittlung alles Gewünschten führen? Wieder ein oft gehörter Fehl- 
schluss. Ist doch die Beschreibung der Formenreihen selbst hoch- 
gradig hypothetisch, baut doch die heutige morphologische Forschung 
völlig in die Luft. Gerade umgekehrt: erst müssten wir zu 
einem kausal- mechanischen Verständnis des Wesens der Formen 
gelangen, müssten diesen organischen Körper, wie er sich gerade 
vor uns befindet, verstehen; dann würden sich eventuell Ge- 
sichtspunkte über seine historische Genese, übrigens ohne große Be- 
deutung, von selbst ergeben. 

Ist nun der gegenwärtige Zustand der Morphologie derartig trüb- 
selig, dass wir wirklich wünschen müssen, wir stünden nun endlich 
am „Höhepunkt“ der historischen Forschung, die ins Blaue baut und 
nicht weiter kann, was wartet unserer dann als Aufgabe? 

„Wir müssen die Biologie im Hinblick auf exakte Na- 
turwissenschaft, diese ferner im Hinblick auf jene be- 
treiben; wir müssen unsere chemisch-physikalischen 
Kenntnisse auf Deutung und Erklärung der biologischen 
Beobachtungsresultate anwenden.“ 

„Wir glauben und hoffen in dieser Hinsicht nicht „ignorabimus* 
sagen zu müssen. Wäre dem aber doch so — so würden wir uns 
von der Biologie ab- und solehen Gebieten zuwenden, die kausale 
Befriedigung gewähren können“ ?). 

Ein Beispiel ätiologisch - mechanischer Betrachtung nennt Dreyer 
seine oben referierte Gerüsttheorie. Er wies für den Skelettbau ganz 
differenter Gruppen, gleichgiltig ob er durch Hornfasern, Kiesel oder 
Kalk zu Stande kam, die Notwendigkeit eines gemeinsamen Bau- 
planes nach. Im Speziellen werden noch einige Punkte erörtert, die 
die Leistung dieser Methode und die möglichen Irrwege der morpho- 
logischen beleuchten sollen: die Vakuolen im Sarkodekörper der Ra- 
diolarien sind Schwankungen und Lageänderungen unterworfen, kann 
nun nicht, je nach früherem oder späterem Eintreten des Momentes 





} 1) Das „deshalb“ scheint uns nicht am Platze. 
2) ? (Ref.). 

















Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 539 


der Skelettbildung bald diese bald jene Gruppierung fixiert werden ? 
Wir würden, eventuell aus Schwärmern desselben Muttertieres ent- 
stammt, verschiedene Formen erhalten, die sich hübsch in Reihen 
ordnen und als Stammbaum verkünden ließen. Hier sehen wir, wo- 
hin die einfache Vergleichung führen kann. 

Der Skelettbau stellt gleichsam eine „Symbiose“ zwischen einem 
anorganischen Faktor und der Lebensthätigkeit des Organismus vor: 
„Die Rhizopoden können gar nichts dazu, dass sie so schöne Skelette 
haben“). 

Wie nun der Bau des Sarkodekörpers und in Verbindung damit 
der Skelettbau als nicht vital aufgezeigt wurden, so wird es auch 
allen andern Erscheinungskomplexen, die wir „Leben“ nennen, gehen. 
Das Leben ist kein einfaches Problem. Wir können das Knäuel 
nicht zerhauen, sondern müssen es allmählich sorgfältig lösen. Gerade 
die Protisten dürften sich zunächst am meisten als Objekte empfehlen; 
wie sie das Bindeglied sind zwischen Tier- und Pflanzenreich, so 
„werden sie auch einst die Kluft zwischen organischer und anor- 
ganischer Natur überbrücken helfen“. 


Da ich einzelne Abweichungen von des Verfassers Ansichten 
bereits in Fußnoten andeutete und meinen prinzipiellen Standpunkt 
in den hier erörterten Fragen im VI. Teil meiner „Entwieklungs- 
mechanischen Studien“ ausführlich erörtert habe, so will ich nur die 
2 Punkte hervorheben, die mir bei Dreyer’s Betrachtung zu kurz 
zu kommen scheinen. 

Ich habe am genannten Orte im Anschluss an Gedanken P. du 
Bois-Reymond’s die Möglichkeit dargelegt, dass die Biologie auf 
Elementarvorstellungen stoßen könne, die zwar mathematische De- 
duktion aller Erscheinungen aus sich gestatten möchten, aber nicht 
weiter zerlegbar seien und somit die Physik und Chemie erwei- 
terten; nach meiner Meinung würde dann, obschon Auflösung in 
Physik und Chemie der Forschung nicht gelang, sie doch den Rang 
der theoretischen Physik beanspruchen dürfen. Ich empfahl hierzu 
vorwiegend die Methode des Experiments zur Ermittlung „prospek- 
tiver und retrospektiver“ Beziehungen und Bedingungen. Die Mög- 
lichkeit der Entdeckung solcher „Prinzipien“ hat Dreyer, wie es 
scheint, nicht erwogen und daher die Ausbildung einer eignen Ex- 
perimentalmethode in der Biologie, die, will man nicht einen großen 
Umweg machen, neben seiner „Eliminationsmethode“ einhergehen 
muss, nicht als notwendig betont. 

Das andere betrifft die „Qualitäten“. Warum sind so und so 
viele Stämme oder Typen, wie man es nennen will, da? Gänzliche 





1) Hier scheint uns der Verf. zu weit zu gehen; er erklärt doch nur den 
allgemeinen Bildungstypus und eben nicht die Mannigfaltigkeit, nicht dieses 
einzelne Skelett. 


540 Matthiessen, Bau des Auges der Wirbeltiere. 


Unwesentlichkeit der Form glauben wir nieht annehmen zu dürfen; 
wir wissen zwar über diese Dinge gar nichts, wissen nicht, ob hier 
-— trotz des Unterschieds der Fortpflanzung — irgend welche Ana- 
logien mit Krystallsystemen vorliegen '); sobald aber gesetzliche 
Formbildung acceptiert wird, tritt jedenfalls diese Frage nach der 
Bedeutung der Qualitäten auf. Dieselbe ist nun wesentlich anderer 
Natur als jedes Problem der Physik, welche Wissenschaft 
der Quantität ist, und es ist bekanntlich von Wigand betont 
worden, dass wir hier gleich am Anfang vor einer unübersteiglichen 
Schranke stünden, dass wir Qualitäten nicht begreifen können. Die 
Möglichkeit einer Theorie der Krystallstruktur lässt hier aber doch 
wohl noch die Entscheidung offen. — Dreyer berührt diese Frage 
nicht. Wenn das heißen soll, dass er seine „Eliminationsmethode“ 
diesem Problem gegenüber für nicht leistungsfähig hält, so ist das 
jedenfalls richtig; aber das Problem ist darum doch da. 

Doch genug der Einwände, die sich außerdem mehr auf Dinge 
beziehen, die der Verfasser nicht erwähnte, als auf solche, die er 
aussprach. 

Seine positiven Ausführungen wirken anregend und belebend, 
und zwar nicht nur auf den, der verwandten Gedanken nachhing, 
sondern, wir sind dessen sicher, auf jeden, der in ernstem, wissen- 
schaftlichen Denken Befriedigung sucht. Wünschen wir ihnen nach- 
haltige Wirkung! 

Zürich, den 30. Mai 1892. 


L. Matthiessen, Die neueren Fortschritte in unserer Kenntnis 
von dem optischen Baue des Auges der Wirbeltiere. 


Hamburg und Leipzig. Verlag von Leopold Voss. 1891. Sonderabdruck aus 
der Festschrift zum 70. Geburtstag von Hermann von Helmholtz. 8. 
SS. 63. Mit 2 Tafeln. 

M. gibt eine kurze Uebersicht über die Resultate der Ophthalmo- 
logie in der Kenntnis des optischen Baues und der Dioptrik des Wir- 
beltierauges. Er untersucht die einzelnen Medien in ihrer natürlichen 
Ordnung und wendet am Schlusse die gewonnenen metrischen und 
theoretischen Resultate an auf die Dioptrik des größten Auges über- 
haupt, des Auges vom Blauwal, Balaenoptera Sibbaldüi. 

$.1. Hornhaut. Das Kollektivsystem der beiden glatten ge- 
krümmten Oberflächen der Hornhaut mit den angrenzenden Medien 
vollzieht im Wirbeltierauge gemeinschaftlich mit dem der Linse die 
gesamte Brechung der Lichtstrahlen zur Herstellung der Netzhaut- 





1) Dies wäre möglich sowohl in dem Fall eines Hervorgehens der Typen 
aus einander — nach unbekannten Gesetzen — als auch bei Koexistenz der- 
selben von jeher. Vergl. Lange (Gesch. d. Materialismus) u. a. 











Matthiessen, Bau des Auges der Wirbeltiere. 541 


bilder äußerer Objekte. Das Hornhautsystem ist in dem Auge des 
Menschen, der Affen und der Vögel das stärker kollektive von bei- 
den, umgekehrt ist dies bei den übrigen Säugetieren und den Fischen 
der Fall. 

$ 2. Der Astigmatismus der Hornhaut und die Hypo- 
these von Wolfskehl. Die Hornhaut des tierischen und mensch- 
lichen Auges schmiegt sich sehr nahe dem Scheitel eines dreiaxigen 
Ellipsoides an, von dessen 3 Halbaxen a > b > e ist und die größte a 
nahezu in der Richtung der Augenaxe liegt. Eine solche Fläche be- 
sitzt offenbar immer zwei aufeinander senkrecht stehende Meridiane 
stärkster und schwächster Krümmung. Die Hornhaut ist also immer 
astigmatisch und dabei sind die Meridiane stärkster und schwächster 
Krümmung in der Regel ein horizontaler und ein vertikaler. Da 
diese beiden Ellipsenmeridiane in manchen Fällen auch Unterschiede 
in ihrer längsten Axe zeigen, hieße der obige Satz mathematisch 
korrekter: „Die beiden Meridiane der Hornhaut schmiegen sich sehr 
„nahe zweien Ellipsen von verschiedenen Exzentrizitäten an, deren 
„längste Axen mit der Augenaxe nahe zusammenfallen.“ 

Wolfskehl glaubte in den spaltförmigen Pupillen eine Korrek- 
tion dieses Astigmatismus zu finden. Seine Hypothese bestätigt sich 
durch die Versuche von Wolfskehl, Mönnich, Klingberg und 
Matthiessen. Der Verfasser bemerkt hiezu, dass die längs ovale 
Pupille ein mehr horizontales, die senkrechte ein mehr vertikales 
Gesichtsfeld beherrscht. Gleichzeitig verbinden wir mit dem Auge 
mit längs ovaler Pupille, z. B. der Huftiere, die Vorstellung des Gut- 
mütigen, mit dem Auge mit senkrechter Pupille, wie sie den Raub- 
tieren eigen ist, die des Listigen und Tückischen. 

Der Ort, an dem die Pupille als Blende sich befindet, ist der 
einzig rationelle. Da die Ellipse die Eigenschaft hat, dass alle schief 
einfallenden Strahlenbündel, welche nach der Brechung den Fokus 
der Ellipse passieren, homozentrisch bleiben und bei allen bekannten 
Augen der Fokus des betreffenden elliptischen Meridians in die vor- 
dere Linsenhälfte fällt, so begünstigt die Pupille durch ihre Lage 
unmittelbar an der vorderen Linsenfläche wesentlich die Schärfe der 
Bilder. Denn offenbar werden unter den obwaltenden Umständen 
alle seitlich einfallenden Strahlenbündel bei peripherischem Sehen im 
wesentlichen nur die vordere Linsenhälfte auf der Axe passieren. 

8.3. Die Messung der Brechungsindices der Augen- 
medien. Eine Zusammenstellung der Litteratur und kritische Beur- 
teilung der bisher angegebenen Werte. Verfasser bestätigt die Rich- 
tigkeit des von v. Helmholtz zur Berechnung des schematischen 
Auges benützten Wertes des Totalindex der Linse —= 1,4370. Seine 
weiteren Resultate sind: 

„1) Der Wert n = 1,3763 kann für den Durchschnitt der Indices 
„sämtlicher Hornhautschichten gelten; genauer genommen nimmt er 


542 Matthiessen, Bau des Auges der Wirbeltiere, 


„von außen und innen gegen die mittelste Membran etwas zu. An 
„der Hornhaut des Rindes fand ich die aufeinanderfolgenden Werte 
„1,37317,.1,3785: und 1,8722. 

„2) Der Brechungsindex der Linsenkapsel ist im ganzen kleiner 
„als der der Hornhaut; er ändert sich aber beim Uebergange zur 
„alleräußersten Corticalschieht entschieden sprungweise, und der 
„Uebergang von dieser Schicht zu den tieferen ist ein kontinuier- 
„licher.“ 

„3) Den Index der Netzhaut fand Valentin an sieben verschie- 
„denen Augen im Durchschnitt gleich 1,3460; ich kann die Richtigkeit 
„nur bestätigen, für die Dioptrik ist er von keiner Bedeutung.“ 

„4) Der Brechungsindex des Kammerwassers ist um 0,0003 größer 
„als der des Glaskörpers.“ 

„5) Der für die äußerste unmittelbar unter der Linsenkapsel lie- 
„gende Corticalis von der Dicke 0,1 mm gefundene Wert 1,3860 ist 
„möglicherweise noch ein weniges zu groß, da es sehr schwer ist 
„eine so dünne Schicht abzunehmen. Man thut gut, kleine Proben 
„von der Innenfläche der abgestreiften Linsenkapsel abzuschaben.“ 

$. 4. Das Gesetz der Zunahme des Brechungsindex im 
Inneren der Linse „Wenn die Indices von Sehicht zu Schicht 
„oder in mehreren genau bestimmten Punkten auf einer durch das 
„Kernzentrum gehenden Axe gemessen werden, so liegen sie in gra- 
„phischer Darstellung auf einer flachen, konvexen und symmetrischen 
„Kurve, die ihr Maximum im Kernzentrum hat. Sehr sorgfältige 
„Messungen an verschiedenen Augen und andere auf jenes Gesetz 
„der Indexzunahme gerichtete Untersuchungen haben ergeben, dass 
„die sogenannte Indicialkurve einen Parabelscheitel darstellt von der 


„Gleichung 
ir ter), 


„worin N, den Index der äußersten Cortiealschichte, b ihren Abstand 
„vom Kernzentrum, y den Abstand einer Schieht auf der untersuchten 
„Axe vom Zentrum und & eine Konstante bedeutet, welche das In- 
„krement heißt und die Relation der Indiees, der Corticalis N, und 
„des Kernzentrums Nm ausdrückt, nämlich Nn = N, (1 + &).“ 

„Zu dem wichtigen Satze, dass die Gleichung der Indieialkurve 
„von der angegebenen Form ist, kann man auf mindestens fünf ver- 
„schiedenen Wegen gelangen und zwar 

„l) durch direkte Messungen mit Hilfe des Totalreflektometers;“ 

„2) durch Beobachtung einer gleichen optischen Beschaffenheit 
„quellbarer Substanzen ;“ 

„3) durch den analytischen Beweis, dass bei Annahme dieses 
„Gesetzes die Linse der Fische in den flüssigen Augenmedien trotz 
„ihrer Kugelgestalt und weiten Pupillenöffnung vollkommen aplana- 
„tisch ist;“ 








Matthiessen, Bau des Auges der Wirbeltiere. 543 


„4) durch die Betrachtung, dass die natürliche Lage der Retina 
„im Verhältnis zu den geometrischen und physikalischen Konstanten 
„eines jeden Auges dieses Gesetz fordert und 

„5) durch die Vergleichung des gemessenen mittleren Index der 
„gemischten Linsensubstanz mit seinem aus jenem Gesetze berech- 
„neten Werte.“ 

$S. 5. Diskussion der Messungen der Indices von 
Mönnich. Verfasser sucht die graphische Kurve der von M. ge- 
fundenen Indexwerte durch Wahrscheinlichkeitsrechnung nach der 
Methode der kleinsten Quadrate und zeigt, dass dieselbe sich auf 
die Gleichung 

b? — y? 

ne N, (\ +{L en) 
zurückführen lässt. „Da die beobachteten von den aus dieser Gleichung 
„berechneten Werten nur innerhalb der Grenzen der Beobachtungs- 
„fehler von einander abweichen, so wird man in allen Fällen den 
„direkten Weg einschlagen können, ohne auf dem weiten, mühevollen 
„Wege der Methode der kleinsten Quadrate zu fast derselben Gleichung 
„zu gelangen. Da aus der Tabelle der konstanten Brechungsindices 
„hervorgeht, dass der Mittelwert des kleinsten Index der Linsen- 
„schichten N, —= 1,3860 ist, so kommt es also wesentlich nur darauf 
„an, dass man den höchsten Index, nämlich den des Kernzentrums 
„Nm, möglichst genau misst, um daraus das Inkrement 5 zu be- 
„reehnen.“ Durch die Diskussion der obigen Gleichung gelangt man 
zu dem Satze: „Die Niveauflächen gleicher Indices sind ähnlich und 
„homothetisch um das Kernzentrum gelegen. Diese Niveauflächen 
„bestimmen aber auch die Krümmungen der inneren breehenden 
„Flächen.“ 

8.6. Die Form und Größe der Krystallinse. „Während 
„die Augen der Fische und der Batrachier mit einer fast vollkommen 
„kugelförmigen Linse ausgestattet sind, findet man bei den Säuge- 
„tieren des Landes sowohl als des Wassers und bei den Vögeln die 
„Linse mehr oder weniger abgeplattet. Wo die Form der Linse von 
„der Kugel abweicht, sind in der Regel die beiden Flächen ver- 
„schieden gekrümmt, und zwar gewöhnlich derart, dass die Wölbung 
„der Vorderfläche geringer ist als die der Hinterfläche. Nur bei 
„einigen nächtlichen Raubtieren und namentlich den Katzen findet das 
„Gegenteil statt.“ 

S. 7. Gestalt und Lagerung der Schichtflächen der 
Linse. Die Schichtung befolgt annähernd das Aehnlichkeitsprinzip, 
Jedoch ist für die Axenrichtung in der Nähe des Zentrums eine etwas 
stärkere Krümmung vorbanden als in den peripherischen Schichten. 
Die Prüfung mit dem Reflektometer ergibt, dass diese Niveauflächen 
nur in der Randzone des Durchmessers etwas von den Niveauflächen 
gleicher Indices abweichen. 


544 Matthiessen, Bau des Auges der Wirbeltiere. 


$.8. Die dioptrischen Differentialgleichungen und 
ihre Integrale. Verf. gibt die Gleichungen für die Brennweiten 
der Linse, die Hauptpunktdistanzen von der Vorder- und Hinter- 
fläche, das Hauptpunktsinterstitium und den Totalindex an. „Aus 
ihnen ergibt sich direktdie Richtigkeit zweier wichtiger von v. Helm- 
holtz induktiv bewiesenen Sätze: 

1) Die Brennweiten der Krystallinse sind kleiner als sie sein 
würden, wenn ihre ganze Masse das Brechungsvermögen ihres Kerns 
hätte. 

2) Die Entfernung der Hauptpunkte voneinander ist in der 
Krystallinse kleiner als in einer Linse, welche dieselbe Form und 
das Brechungsvermögen des Kernes haben würde.“ 

$. 9 behandelt ausführlich den physikalisch optischen Bau 
des Auges vom Blauwal. 

$. 10 gibt in einer Tabelle eine vergleichende Uebersicht der 
relativen Lage der Kardinalpunkte der Augen verschie- 
dener Landtiere (eine Tabelle über die Augen der Fische, Del- 
phine und Wale enthält schon $. 9). 

$. 11 endlich gibt eine Tabelle über die Größe der Retina- 
bilder äußerer Objekte bei verschiedenen Tieren. Wegen der 
Einzelnheiten müssen wir jedoch auf die Abhandlung selbst verweisen. 


C. R. 





Verlag von August Hirschwald in Berlin. 
Soeben erschienen: 


Beiträge 


zur 


Protozoen- Forschung 
von 


Privatdozent Dr. R. Pfeiffer, 


Vorsteher der wissensch. Abteilung des Instituts für Infektionskrankheiten. 
1. Die Coeeidienkrankheit der Kaninchen. 
1892. gr. 8. Mit 12 mikrophotogr. Tafeln. 10 M. 





Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redalk- 
tion, Eriangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle 
geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, 


auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen 9 


an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipiig;, 
Salomonstr. 16, zu richten. 








Verlag von Eduard Besold in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 





FLAFTTAU FE UTUY N 


Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Ehjsielogie in Erlangen. 


24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


XI. Band. 1. Oktober 1892, N.18u1. 





Inhalt: Drieseh, Kritische Erörterungen neuerer Beiträge zur theoretischen Morpho- 
logie. — Jensen, Methode der Beobachtung und Vivisektion von Infusorien 
in Gelatinelösung. — Imhof, Beitrag zur Kenntnis der Lebensverhältnisse der 
Rotatorien, Ueber marine, brackische und eurhyaline Rotatorien. — Maas, Die 
Auffassung des Spongienkörpers und einige neuere Arbeiten über Schwämme. — 
v. Waener, Zur Biologie der wilden Bienen. — Wasmann, Die internationalen 
Beziehungen von Lomechusa strumosa. — Kochs, Versuche über die künst- 
liche Vermehrung kleiner Crustaceen. — Capparelli, Ueber die Funktion des 
Pankreas (Bauchspeicheldrüse). — Berichtigung. 





Kritische Erörterungen neuerer Beiträge zur theoretischen 
Morphologie. 
Von Hans Driesch in Zürich. 
II. Zur Heteromorphose der Hydroidpolypen. 


Nachdem ich durch genaues Studium der tektonischen Verhält- 
nisse, welche die Stoekbildungen der Hydroidpolypen kennzeichnen, 
zu dem Schlusse gekommen war, dass es „für jede Species eine 
Summe von Entwieklungsmöglichkeiten“ gäbe und dass „den Habitus 
des realen Polypenstockes äußere Ursachen bedingen, durch Ver- 
anlassung der Entfaltung des potentiell gegebenen“ !), gelang es mir 
bald darauf, diesen Satz durch Thatsachen zu stützen, indem ich eine 
wohl charakterisierte „Heteromorphose“, verbunden mit heliotropischen 
Erscheinungen, an Sertularella polyzonias beobachten konnte ?). Ich 
hatte die bezügliche Mitteilung lediglich als „eine Probe“ bezeichnet, 
und die Zukunft gab dieser Bezeichnung insofern Recht, als nicht 
lange danach Loeb seine allbekannten „Untersuchungen zur physio- 
logischen ae 7) herausgab, welche das angeregte Gebiet 





1) Tektonische Studien an Hydroidpolypen. I. Die Campanulariden und 
Sertulariden. Jenaische Zeitschrift, XXIV. 

2) Heliotropismus bei Hydroidpolypen, Zool. Jahrb., Abt. f. Syst., V. 

3) I. Ueber Heteromorphose 1891; II. Organbildung und Wachstum, 1892, 
Würzburg. 

XI. 3D 


546 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


experimenteller Forschung auf sehr breiter, umfassender Basis be- 
handelten. Während ich von der Morphologie aus der physiologischen 
Formerforschung zugeführt worden war, dürfte Loeb durch seine 
verdienstvollen Studien über heliotropische Erscheinungen im Tier- 
reich auf dieses Gebiet hingewiesen sein, und aus dieser Thatsache 
dürften sich gewisse Eigenheiten seiner Auffassungsart ableiten. 

Ich beabsichtige nun einerseits nicht die vortrefflichen Loeb’schen 
Arbeiten hier des Eingehenden zu besprechen, das wäre jetzt ein 
etwas verspätetes Unternehmen; ich denke anderseits nicht daran 
wesentliches an neuem Material herbeizubringen; was diese Zeilen 
bezwecken, ist lediglich der Hinweis auf ein Paar von mir beobach- 
tete, teils bestätigende, teils ergänzende Einzelheiten, anderseits die 
Erörterungen einiger solehen Punkte der Untersuchungen Loeb’s, die 
mir einer gewissen morphologischen Klärung bedürftig erscheinen). 
Ich gehe nunmehr die einzelnen Punkte unter Hinweis auf das Original 
durch. 

Die Loeb’sche Nomenklatur („Spross“ und „Wurzel“) mag für 
das Physiologische an seinen Untersuchungen recht zweckmäßig sein, 
für den morphologischen Teil derselben scheint sie mir unbrauchbar. 
Wir werden sehen, dass Loeb namentlich mit dem Worte „Spross“ 
Bestandteile desselben Stockes bezeichnet, welche morphologisch völlig 
differente Bildungen sein dürften. — Es ist doch gerade das Wich- 
tigste an Untersuchungen über „Wachstum durch Korrelation und 
Induktion“, um einen Ausdruck Pfeffer’s!) zu gebrauchen, dass die 
durch Aeußeres erzielbaren Modifikationen möglichst scharf präzisiert 
und zerlegt dargestellt werden; es muss also eine bezügliche Unter- 
suchung so weit wie irgend möglich an das als „normal“ bekannte 
morphologische Verhalten anknüpfen und im Anschluss an dieses die 
erreichte Veränderung im Einzelnen analysieren: wie ich mir das 
denke, habe ich, soweit es das normale angeht, in meinen tektonischen 
Studien und mit Rücksicht auf Heteromorphose in der zitierten Arbeit 
über Heliotropismus praktisch gezeigt. 

Es hieße den Wert der Arbeiten des Physiologen Loeb verkennen, 
wollte man ihnen den Mangel genügender morphologischer Analyse 
als Fehler vorwerfen: Loeb wollte das Prinzipielle der Modifi- 
kationen darstellen, zu welchen das Wachstum der Hydroiden dureh 
Aeußeres zu veranlassen ist, das Wesen der Richtungen, in denen 
man es „beherrschen“ kann, und dass er hiermit einen großen Erfolg 
erzielt, möchte ich am allerwenigsten bestreiten. 


1) Was die langgesponnene Kritik der Loeb’schen Arbeiten von 
Trautsch (diese Zeitschrift, XI) eigentlich will, ist mir nicht völlig klar 
geworden; das Heranziehen aller möglichen Schulbegriffe ist hier doch durch- 
aus zwecklos. 

2) Pfeffer, Pflanzenphysiologie, II, 8.160 fg. Dies Kapitel, sowie das 
97. u. 28. Kapitel der Vorlesungen über Planzenphysiologie von Sachs (2. Aufl.) 
sind sehr zum Studium zu empfehlen. 












u a un A I nn eh 


Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 547 

Mich nunmehr den Heteromorphosen von Aglaophenia pluma zu- 
wendend, muss ich einiges allgemeine vorausschicken: alle Polypen, 
die im folgenden Berücksichtigung finden werden !) (Campanulariden, 
Sertulariden, Plumulariden), sind eymös gebaut d. h. die Axe, der 
Stamm (sei es Haupt- oder Nebenstamm) ist das, was der Botaniker 
ein Sympodium nennt: jeder Polyp ist klein, er trägt mit seinem 
Ursprungsteil zur Bildung der Axe bei und wendet sich dann mit 
seinem Kopf von ihr ab, der Polyp, der an ihm entspringt, macht es 
ebenso und so fort: die Axe oder der Stamm ist also kein einheit- 
liches Gebilde, jeder Polyp partizipiert an ihrer Bildung; die einzelnen 
Köpfe sitzen scheinbar seitlich einer einheitlichen Axe an. Bei 
Pflanzen ist dies Verhältnis allgemein bekannt. Von der Basis des 
Stockes aus geht ein Geflecht strangartiger Gebilde, welche zu den 
benachbarten Stöcken hinführen; man kann umgekehrt sagen: aus 
einem Stranggeflecht erheben sich hie und da die Stöcke. 

Diese Stränge bezeichne ich als Stolonen; was ein Stolo ist, 
unterliegt hiernach noch dem Zweifel. Bezüglich des basalen Stolonen- 
seflechts dürfte die Entscheidung schwierig sein, sie ist hier auch 
für meinen Zwecke irrelevant. Bezüglich der als Heteromorphosen 
entstandenen Stränge, bezeichnen wir als einen Stolo jeden Strang 
von seinem Ursprung bis zu seinem Ende, der Ursprung kann an 
einem Polypen des Stammes (erste heteromorphe Bildung) oder an 
einem anderen Stolo statthaben. Ich vermeide also den Loeb’schen 
Ausdruck Wurzel, da er ein gar zu spezifisch botanisch-morphologisches 
Gepräge für unsere Zwecke hat; ich verwende das Wort Stolo 
ohne Rücksicht auf die Reizbarkeit für jeden von 2 Zellen- 


schichten ausgekleideten chitinös überzogenen Strang 


und ich will mit Loeb das Wort „Spross“ verwenden, sobald es 
sich (bei Plumulariden und Antennularia) um ein aus allen wesent- 
lichen Teilen der Art, ılso auch Hauptstamm und typischen 
Seitenästen (Fidern, bestehendes Gebilde handelt; bei Sertulariden 
und Campanulariden dagegen rede ich nur von Stamm, damit irgend 
ein Sympodium mit daran sitzenden Köpfen bezeichnend. Im übrigen 
muss ich die Kenntnis sowohl der Loeb’schen wie auch ıineiner 
Arbeiten als bekannt voraussetzen. 

Schnitt Loeb Sprosse von Aglaophenia vom Stolonengeflecht ab 
und stellte sie mit der Spitze in Sand, so dass die Basis zenithwärts 
sah, so entstand oben aus der Schnittfläche heraus entweder ein 
Stolo oder ein Spross. Ich bestätige beide Befunde; namentlich letz- 
teren Fall, in welchem also das Sympodium (der Hauptstamm) direkt 
ein entgegengesetzt orientiertes Sympodium aus sich hervorgehen 





1) Außer dem zitierten siehe: Drieseh, Tektonische Studien etc. 
U. Plumularia und Aglaophenia. Die Tubulariden, Jen. Zeitschrift, XXIV. 
IH. Antenunlaria, ebenda XXV; ferner: Die Stockbildung bei den Hydroid- 
polypen. Diese Zeitschrift, XI. 


548 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


lässt, habe ich genau geprüft, da ich sein Vorkommen anfänglich be- 
zweifelte und hier einen Irrtum annahm. Loeb hat alles völlig 
korrekt dargestellt: ich füge seinen Mitteilungen hinzu, dass der 
Spross aus der Wunde geradeso hervorgeht, wie normalerweise aus 
dem Stolonengeflecht d.h. der erste Polyp des Sympodiums hat einen 
sehr langen mit 3—4 Nematophoren besetzten Stil (oder anders: das 
erste Glied der Scheinaxe ist länger und mit mehr Nematophoren be- 
setzt als die anderen). — Ist ein Stolo aus der Wunde entstanden, 
so kann dieser entweder wieder Stolonen produzieren, oder er produ- 
ziert Sprosse; wie Loeb richtig darstellt, entstehen letztere stets 
(soweit möglich, siehe Fig. 1 k) auf der der Erde abgewendeten Seite 
des Mutterstolo; die Tochterstolonen entstehen ohne erkennbares Gesetz; 
dasselbe gilt von der Riehtung der Stolonen; Loeb spricht von 
einer „Tendenz“ zur Abwärtskrümmung; wie ein Blick auf meine 
Figur 1, in denen das, worauf es ankommt, völlig naturgetreu ge- 
zeichnet ist, lehrt, ist diese Tendenz bisweilen und zwar in der 
Mehrzahl der Fälle nieht zu leugnen (a, e), es kann ihr aber wieder 
ein Aufwärtskrümmen folgen (d), oder solches von Anfang an statt- 
haben (b, f, %k) ete. Sehlingungen des Stolo vermehren noch die 
Komplikation. 


Pie. 


DAHEIE e £ 


A 
A /) Ü 


Figur 1. Abgeschnittene Stöcke von Aglaophenia mit der Spitze in Sand ge- 
steckt. Unter völlig gleichen äußeren Bedingungen bei einander gezüchtet 
zeigen sie doch ein so verschiedenes Verhalten. Der alte Stock ist schematisch, 
die Neubildungen aber sind naturgetreu gezeichnet. Der horizontale Strich an 
jeder Figur bezeichnet den Ort des Abschneidens. Näheres siehe im Text. 





Von Versuchsobjekten der Aglaophenia, die in demselben Aquarium 
neben einander eingepflanzt sind, produzieren also die einen Sprosse, 
die anderen Stolonen und letztere wieder zeigen alle denkbaren Ver- 
schiedenheiten. Man kann also hier die Organbildung nur „beherrschen“ 





Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 549 


soweit es überhaupt auf Entstehen einer Neubildung ankommt. Trotz 
mannigfach variierter Versuche kam ich hier nicht weiter als Loeb; 
ich erwähne nur, dass es völlig gleichgiltig ist, ob man den Ver- 
suchsspross dieht unten am Stologeflecht oder weiter oben abschneidet, 
sowie ob man, bei horizontaler Lage, die Wunde dem Licht zu- oder 
ihm abgekehrt. In jedem Falle kann alles entstehen. 

Nun einige Einzelheiten: bei Sertularella sollen nach Loeb an 
basalen Schnittflächen sowohl Stolonen („Wurzeln“) als auch sympo- 
diale Stämme („Sprosse“) entstanden sein („Untersuchungen ete.“, I, 
S. 37, Fig. 16): dürfte hier nicht in unmittelbarem Anschluss an die 
Wunde nur das eine, und seitlich an diesem, sehr nahe am Ursprung, 
das andere entstanden sein. Ich habe wenigstens bei Aglaophenia 
beobachtet (Fig. 1’), wie ein aus der Wunde entstandener Spross 
sofort nach Ursprung, etwa in Gegend der untersten Nematophore, 
einen Stolo entließ; anderseits ‚gibt oft ein der Wunde entstammter 
Stolo sehr bald einem vertikal aufrecht wachsenden Spross den 
Ursprung. Ohne Vergrößerung, welche ich zur Analyse verwandte, 
kann es hier leieht so scheinen, als entspringen Stolo und Spross 
gemeinsam. Sollte sich meine Vermutung bestätigen, so würde wohl 
eine Vereinfachung insofern gewonnen sein, als wir keine neue — näm- 
lich eine diehotomische — Wachstumserscheinung zu supponieren hätten. 

Endlieh interessieren uns von den Aglaophenia - Untersuchungen 
Loeb’s seine Adventivbildungen (I, S. 28), „Wurzeln“ und „Sprosse“ 
sollen mitten am Stamm entstanden sein, sei es dass dieser im übrigen 
normal (Fig. 13), sei es, dass er wie abgestorben erschien. Wie ent- 
standen diese Bildungen? traten sie etwa aus durch Abfall der 
Fiederehen gebildeten Löchern in der chitinigen Umhüllung des sym- 
podialen Hauptstammes hervor? In den Fällen von (ursächlich un- 
bekannter) Stolobildung mitten am Stamme, die mir zu Gesicht kamen, 
kam der Stolo aus dem Loche hervor, das durch Abreißen oder Ab- 
sterben einer Fieder bedingt war, und ich möchte vermuten, dass dies 
auch mit den entsprechenden Bildungen Loeb’s der Fall war: 
„adventiver“ Spross oder Stolo wäre dann auch eine „Heteromorphose*, 
nämlich andersartiger Ersatz einer Fieder. Das, was ich in meiner 
tektonischen Arbeit als „sekundären Hauptstamm“ bezeichnete, würde 
hierher gehören, womit nicht gesagt sein soll, dass ein solcher gerade 
immer heteromorphen Charakters, immer Ersatz für verlorenes sein 
muss. 

Auch bei Sertularella sollen nach Loeb oft „am alten Stamm 
neue Sprosse auf der der Lichtquelle zugekehrten Seite“ entstanden 
sein (I, S.38). Auch hier fehlt leider eingehende Analyse; liegt etwa 
die von mir (Tekton. Stud. I) als normal beschriebene Erscheinung 
vor, dass an einem Polypen des Sympodiums eine „Sekundärknospe“ 
auftrat, die dann einem Seitenstamm den Ursprung gab? In diesem 
Fall wäre in der Wirkung des Lichts auf die Produktion einer 


50 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


Sekundärknospe (die übrigens — siehe Tekt. Stud. J — in anderen 
Fällen von Aeußeren unabhängig ist) ein interessantes Faktum kon- 
statiert. — 

Leider vermissen wir, von Nebensächlichem abgesehen, eingehendere 
morphologische Analyse bei den so äußerst lehrreichen Versuchen an 
Antennularia, die nebst den Tubularia-Experimenten entschieden den 
Hauptpunkt der Loeb’schen Forschungen ausmachen. Von seinen 
Textholzschnitten sind 1 und 2 ohne Weiteres verständlich; wie ist 
die Sache aber bei 3? Ist hier das Fiederchen, welches ein Sym- 
podium ist, aus 2 Zellsehiehten gebildet, dem die Köpf- 
chen einseitig ansitzen, direkt in einen Stamm übergegangen, 
welcher doch aus mehreren in gemeinsames Ektoderm ein- 
gebetteten Entodermröhren besteht, und dem direkt 
keine Köpfchen, sondern nur Nematophoren ansitzen? 
Loeb’s Figur scheint darauf hinzuweisen; andrerseits beobachtete 
ich bei A. ramosa (Tekt. Studien III), dass die hier vorhandenen 
Hauptstämme höherer Ordnung immer zwischen 2 Fiedern ent- 
springen; eine äußere Analogie dieser mit den von Loeb erzeugten 
Bildungen ist, worauf später nochmals hinzuweisen sein wird, vor- 
handen. Eine nähere Untersuchung dieser Verhältnisse wäre sehr 
wünschenswert. 

Wir sind nunmehr in das Gebiet derjenigen Fälle geraten, in 
denen Loeb, wie auch seinerzeit ich, „Heteromorphose“ (d. h. hier 
anormales Weiterwachsen) ohne Operation, also ohne physio- 
logische Art der Zustandsveränderung, sondern durch mecha- 
nische (bekannte oder unbekannte) Methode der Zustandsbeeinflussung 
erzielte ). Bleiben wir zunächst bei Antennularia. 

Loeb hat die der Erde zugewandten Fiedern eben durch ihre 
Lage „als Wurzeln weiter wachsen lassen“. Wenn wir uns erinnern, 
dass die Fieder als Sympodium so zu stande kommt, dass sich ein 
Polyp an den anderen reiht, wobei jeder sein Teil zur Axenbildung 
beiträgt und beschränktes Wachstum hat, so werden wir uns hier 
die Sache wol so vorstellen müssen, dass unter Einfluss der Schwere, 
nun eben nicht mehr das Sympodium fortbildenden Polypen, sondern 
an dem zuletzt gebildeten Polypen eine Stolo entstand mit unbe- 
srenztem oder wenigstens sehr weit begrenztem Wachstum. Bildung 
eines solchen Stolos, dort wo eigentlich ein Polyp hätte stehen sollen, 
beobachtete ich schon seinerzeit („Heliotrop.“) und wird gleich noch 
näher geschildert werden. Wir hätten also, ist unsere Deutung richtig, 
prinzipiell nichts anderes als bei Sertularella ete. Nun soll (II 5.14) 
einmal „ein Spross aus einer Fieder“ entstanden sein. Sehen wir 
uns die betreffende Fig. 9 an, so ist das doch wohl ein wesentlich 
anderes Gebilde, als das was Loeb in den erwähnten Textholz- 

1) Vergl. über diesen Unterschied meine „Entwicklungsmechanischen 
Studien“, VI, 3. Erscheinen in Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. LV. 








Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 551 


schnitten (3) und sonst als „Spross“ bei Antennularia bezeichnet. Er 
besaß keine Fiedern! Ich glaube wir dürfen ihn, ebenso wie die 
„Wurzeln, als welche die Fiedern weiterwuchsen“, als Stolo, d.h. 
als polypenlosen Strang unbestimmter Länge, bezeichnen, der vom 
letzten normalen Polypen der sympodialen Fieder produziert ward 
und nun im Gegensatz zu den Wurzeln, vielleicht in Folge seiner 
Lage, negativ geotropisch war. Da ich in Neapel, woselbst die hier 
erörterten Bestätigungs- und Ergänzungsversuche ausgeführt wurden, 
nicht Zeit fand, Antennularia zu studieren, so ist meine Deutung 
natürlich hypothetisch; ich kann aber auf Grund meiner sonstigen 
Erfahrungen nicht umhin, sie für ziemlich wahrscheinlich zu halten. 
Auf alle Fälle scheint mir der Versuch einer Analyse gerade dieser 
so hochinteressanten Verhältnisse nützlich. 

Außer bei Antennularia hat Loeb heteromorphe Bildungen ohne 
Operation nur noch bei Gonothyraea studiert, ohne dass er hier der 
Veranlassung dieser Erscheinung auf die Spur kam. 

Ich habe bei Aglaophenia trotz sehr zahlreicher Versuche nie eine 
„spontane“ Andersbildung beobachtet, wohl aber ebenfalls bei einer 
Gonothyraea, woselbst die Stolonen schließlich ein wirres Fadennetz 
bilden können, bei einer Obelia, woselbst auch Tochterstolonen am 
erstgebildeten Stolo vorkamen und bei einer Plumularia, wo jedoch 
letzteres nicht der Fall war; alle Stolonen waren, wie die bei Aglao- 
phenia nach operativem Eingriff beobachteten bezüglich Licht, 
Schwere ete. riehtungslos; nur die (wenig zahlreichen) Tochter- 
stolonen der Obelia machten insofern eine Ausnahme, als sie an der 
zenithwärts gerichteten Seite des Mutterstolo entsprangen; ihre geringe 
Zahl lässt dies jedoch nicht mit Sicherheit als Gesetz erscheinen. 
Es gehören in diese Kategorie ferner eine Beobachtung die Lenden- 
feld!) schon vor ziemlich langer Zeit publizierte, sowie diverse Daten 
aus meinen tektonischen Studien I (bei Halecium). 

In besonders typischer Weise konnte ich „spontane“ Entstehung 
von Stolonen an Stelle von Polypen bei Sertularella polyzonias (siehe 
die zitierte Arbeit „Heliotropismus ete.“) studieren und bin jetzt in 
der Lage, gerade hierzu ein bezüglich der Reizbarkeit typisches Gegen- 
stück zu schildern, auf welehes mit einigen Worten eingegangen 
werden soll. 

Ueber Veranlassung zur Stolobildung ist hier wie dort nichts be- 
kannt; die Form, ebenfalls eine Serztularella, wurde in gut zirkuliertem 
Aquarium kultiviert und lebte beinahe 8 Wochen. Sie zu bestimmen 
war mir nicht möglich ?). 

1) Zool. Anzeiger, 1883. 

2) Für Fachgenossen, welche diese äußerst günstige Form etwa studieren 
wollen, bemerke ich folgendes: die gewöhnlich in die Neapler Station ge- 
brachte gedrungen buschige Sertularella, von Herın Lo Bianco provisorisch 
als S. Elisii bezeichnet, hat nie Stolonen gebildet; die höchst selten, immer 


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Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


Ich hatte seinerzeit für Sertularella polygonias angegeben, dass 
sich unter den gewissen unbekannten Bedingungen, sowohl am sym- 
podialen Hauptstamm, als auch an beliebig vielen ebenso gebildeten 
Nebenästen, kurz an beliebig viele Terminalpolypen, kein neuer Polyp, 
sondern ein Stolo ansetzt!), der Tochterstolonen erster und höherer 
Ordnung produzieren kann; er produziert von keiner Ordnung mehr 
als 2, doch war es, wie sich zeigen wird, ein Irrtum meinerseits, 
hierin die Wahrung eines bestimmten Teiles des normalen Wachstums- 
gesetzes der Art zu sehen. Die zuerst erzeugten Stolonen waren sehr 
deutlich negativ heliotropisch; die Tochterstolonen entstanden stets 
an der dem Licht zugekehrten Seite des Mutterstolo; hatte dieses um 
seinem Heliotropismus zu genügen, eine Wendung auszuführen, stets 
an oder bei der stärkst gekrümmten Wendungsstelle. Die Tochter- 
stolonen waren anfangs positiv und wurden nach Erzeugung neuer 
Stolonen dureh scharfe Wendung negativ heliotropisch; derselbe Vor- 
sang wiederholte sich bei weiteren Generationen. 

Dieser Abhängigkeit der beschriebenen Sertularella- Form vom 
Licht steht nun die Abhängigkeit der heteromorphen Gestaltung der 
Neapler Form von der Schwere gegenüber. 

Bereits 3 Tage nach Beginn des Versuches zeigt diese Form 
deutliche Stolonenbildung an den meisten Terminalpolypen, sowie bei 
abgescehnittenen und umgekehrt eingepflanzten Stöcken auch an der 
aufwärts ragenden basalen Wundfläche; wie oben geschildert so ent- 
stehen also auch hier die Stolonen dort, wo sonst ein Polyp ent- 
standen wäre. Die Primärstolonen nun sind in Bezug auf Licht und 
Schwerkraft richtungslos, wenn schon sich im Laufe des Wachsens 
meist eine Tendenz zu horizontaler Lage geltend macht. Anders die 
in beliebiger Zahl auftretenden Tochterstolonen und alle folgenden 
Generationen von solchen Gebilden, die dann an letzteren und so fort 
entstehen. 

Sämtliche Tochterstolonen entstehen an der zenith- 
wärts gerichteten Seite des Mutterstolo und sind ausge- 
prägt negativ geotropisch. Von Knospung an der der Erde 
abgewandten Seite kann natürlich nur bezüglich der primären, wie 
gesagt, annähernd horizontal verlaufenden Stolonen die Rede sein, 
die übrigen wachsen ja eben streng vertikal; an ihnen entstehen die 


nur in wenig Exemplaren (bei Nisita) gefischte, höchst spärlich verästelte, 
dunklere Form ist mein Versuchsobjekt. 

1) Loeb’s Darstellung (I 8. 38, 3, 2. Absatz) von Stolonen, die sich bei 
Sert. polyg. mitten am Stamme bildeten ist auch nicht verständlich; gingen 
sie etwa aus dem Loche hervor, den ein abgefallenes Köpfchen im Chitin ließ, 
also ähnlich wie bei Aglaophenia? oder sollte es sich in Analogie mit dem 
hier geschilderten Verhalten darum handeln, dass die „Sekundärknospe“ irgend 
eines Polypen, sich nicht als Polyp sondern aus unbekannten Gründen als 
Stolo bildet? 














Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 555 


Knospen irgendwoam Umfang, dann sofortihrem negativen Geotropismus 
genügend, wie es die Figuren veranschaulichen. Ist aber durch irgend 
welche Veranlassung ein Tochterstolo von der streng vertikalen Rich- 
tung abgewichen, so bildet er seine Knospen stets an der oberen 
Seite. 


Fig. 2. 





Fig. 2. Heteromorphes Weiterwachsen der sSertularella sp. Die Pfeile be- 
zeichnen die Richtung der Schwerkraft. In b und d sind die Stöcke künstlich 
umgelegt. Näheres siehe im Text. 


Durch wiederholtes Umlegen des Stockes können die Stolonen 
zu Wendungen veranlasst werden, die sich, da stets nur ein kleiner 
Bezirk wächst und nur dieser geotropisch ist, dauernd fixieren. Fig. 2 
zeigt diese Verhältnisse: in « haben wir einen Primärstolo mit 3 
vertikal wachsenden Tochterstolonen vor uns, 5 zeigt denselben in 
anderer Lage, in c haben sich 2 der Stolonen, der jetzt veränderten 
relativen Einwirkungsrichtung der Schwere entsprechend gedreht, der 
dritte Stolo istin einen Polypen ausgelaufen, was bisweilen vorkommt; 
in d sehen wir den Stock wiederum umgelegt, und in e haben die 
beiden schon einmal gekrümmten Stolonen ihre zweite Wendung ge- 
macht, der eine außerdem bereits 2 Generationen von Tochterstolonen 
produziert. — Das Licht fiel bei diesen Versuchen seitlich auf die 
Objekte ein und äußerte keinerlei Wirkung. 

Wir haben also das bemerkenswerte Faktum vor uns, dass zwei 
Sertularella-Arten, die, wie ich beifügen will, sich morphologisch sehr 
nahe stehen, sich bezüglich der Abhängigkeit ihres Wachstums von 
äußeren Einflüssen und, damit zusammenhängend bezüglich ihrer Reiz- 
barkeit, durchaus different verhalten: was für die eine die Schwer- 
kraft, das ist für die andere das Licht. Würde man bei völli- 
ger morphologischer Identität 2 derartige Formen wohl 
als 2 Species ansehen? Diese Frage sei hier immerhin ange- 
regt. — 


554 Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 


Fig. 3. Lässt man einen Stock meiner Sertula- 
rella-Form etwa 4 Wochen lang ungestört 
Stolonen bilden, so erhält man strauchartige, 
seltsam gestaltete Bildungen wie Fig. 3 ver- 
anschaulicht. Eine ähnliche Bildung stellt 
nun Loeb in Fig. 12 des 2. Heftes seiner 
„Untersuchungen von Antennularia“ dar; 
auch hier ist in successiver Reihenfolge 
Stolo an Stolo entstanden. Da Loeb be- 
züglich dieser Bildung einem entschiedenen 
Irrtum verfallen ist, so muss ich die Sache 
Fig. 3. Reiche Stolopro- etwas näher erörtern, zumal ich durch sein 
duktion derselben Form: Zitat meiner Arbeit (Tekt. Stud. III) dabei 
ua zbeudde: kompromittiert erscheinen könnte. 

Ich habe in der zitierten Arbeit hervorgehoben, dass kein einziger 
der Speeiesmerkmale von Antennularia antennina, ramosa und tetra- 
sticha ganz durchgreifend sei d. h. für jede Fieder, für jedes Glied 
des Stammes zuträfe; dass man nur dureh kombinierte Vergleichung 
der Merkmale zu sicherer Bestimmung gelangen könne; speziell hin- 
sichtlich der Verzweigung gab ich an, dass ich sie bei A. antennina, 
dem Versuchsobjekt von Loeb, nie, bei A. tetrasticha nur in etwa 
2 Fällen und bei A. ramosa fast stets in reicherem Maße beobachtet 
hätte. Ich habe in meiner Zusammenfassung dieses Verhältnis hinter 
das Wort verzweigt noch besonders in Klammer gesetzt „d. h. bildet 
neue Hauptstämme*. 

Unter „Hauptstamm“ war, wie in diesem Aufsatz unter „Spross“, 
der ınehrröhrige Stamm mitsamt den ihm ansitzenden Fiedern ver- 
standen. Wenn also „Verzweigung“ statthatte, so saßen, in am ange- 
gebenen Orte näher erläuterter Weise, ein oder mehrere gefiederte 
Stämme an einem ebensolchen u. s. f. Durch Vergleich der guten 
Habitusbilder auf Tafel LXI und LXII der Hincks’schen „British 
Hydroid Zoophytes“ mag der Leser noch deutlicher entnehmen, was 
ich meine. 

Dieses Verhalten hat nun natürlich mit den Befunden Loeb’s 
nicht die mindeste Aehnlichkeit; er hat eine strauchartige Stolonen- 
sprossung beobachtet, ebenso wie ich bei Sertularella, dieselbe ist 
ganz sicher kein „Speciesmerkmal von Antennularia ramosa“. Wenn 
Loeb daran liegt, Verzweigung bei seinem Versuchsobjekt künstlich 
hervorgerufen zu haben, so mag er sich auf seine Fig. 6 berufen: 
hier liegen die Verhältnisse prinzipiell wie bei A. ramosa, wenn schon 
man, wie gesagt, nicht näher erfährt, wie die Seitenstämme sich bil- 
deten. Uebrigens scheint Loeb die Bedeutung seiner angeblichen 
Entdeckung zu überschätzen; abgesehen davon, dass Verzweigung 
oder Nichtverzweigung doch das allerunwesentlichste Oharakteristieum 
der Species wäre, hätte er im günstigsten Fall das hervorgebracht, 














ee 


- - 


Driesch, Beiträge zur theoretischen Morphologie. 105) 


was man als (ursächlich unbekannte) „Standortsvarietät“ bezeichnen 
könnte. Derartige Bildungen, zu denen überhaupt alle Heteromorphosen 
gerechnet werden könnten, kennt man aber zur genüge, ja alle oben 
erwähnten heteromorphen Bildungen ließen sich so auffassen: dass 
sie für die Theorie der Artbildung zunächst noch ganz oder fast 
bedeutungslos sind, erörterte ich an anderem Orte). 

Wir haben hiemit die Darlegung derjenigen Punkte der Loeb’- 
schen Forschungen erledigt, in denen wir dieselben ergänzen konnten 
oder genötigt waren ihnen zu wiedersprechen; es sei nun noch auf 
einige allgemeinere Dinge hingewiesen. 

Der Leser wird in meiner?) Beurteilung der von Dreyer?) kürz- 
lich erörterten Forschungsmethode der „Elimination“, nämlich des 
Nachweises gewisser angeblich biologischer Erscheinungskomplexe 
als rein mechanisch, Anklänge an das von Loeb in der Einleitung 
zum Teil II seiner „Untersuchungen“ Gesagte bemerkt haben. Auch 
Loeb tritt mit Recht für Ausbildung einer eigenartigen physiologischen 
Methode zur Erforschung der „Reiz“-Erscheinungen ein. Es scheint 
mir nun hiemit anderseits die Bemerkung, die er über die Pflüger’- 
schen *) Schwerkraftversuche seinen Erörterungen einflicht, nieht ganz 
zu harmonieren. Pflüger dachte doch in der Beeinflussung der 
Teilungsrichtungen des Froscheies durch die Schwerkraft eine (wie 


1) Entwicklungsmechanische Studien, VI, s. oben. 

2) Entwieklungsm. Stud., VI. Ferner diese „kritischen Erörterungen“ 1. 
Leider zu spät für eine Berücksichtigung in meiner Besprechung der Dreyer- 
schen Arbeit erschien in Nr. 13 dieser Zeitschrift ein Aufsatz Kükenthal’s, 
dessen Schluss sich gegen Dreyer und mich unter dem gemeinsamen Titel 
„Jüngere Forscher“ wendet. Da sich diese Ausführungen durch Teil VI meiner 
„Entwicklungsmechan. Studien“ von selbst erledigen werden, so hebe ich nur 
ein Paar Punkte hervor, welche die Missverständnisse, denen Kükenthal 
verfiel, besonders klar aufzeigen: 1) Die Thatsache allein, dass Dreyer und 
ich gemeinsam behandelt werden, zeigt, dass K. den Begriff der Entwicklungs- 
mechanik, welche etwas durchaus anderes ist, als Dreyer’s „Eliminations“- 
Methode, gänzlich missverstand; gerade hierüber vergl. den erwähnten Teil VI. 
2) Wer von uns hat denn behauptet „das Leben erklären zu können“? Ich 
denke doch, man könne diese leichtfertige Behauptung mit weit mehr Recht 
den Phylogenetikern vorwerfen als uns, die wir nur zu sehr wissen, wie so 
ganz tastend all unser biologisches Wissen ist. 3) Wer von uns hat gesagt, 
dass er eine neue Methode „entdeckt“ habe? 4) Ich habe nie behauptet, dass 
die Phylogenetiker eine Ahnengallerie aufstellen wollen, sondern dass sie 
nicht mehr können; für die Methode freilich um so schlimmer. Ich denke, 
gerade dieser Gedankengang ist doch auch von Dreyer erschöpfend genug 
klargelegt. 5) Im Schlusssatz widersprieht Kükenthal seinem ganzen Artikel 
und stellt sich, ohne es zu merken, auf den Dreyer’schen Standpunkt, wie 
denn überhaupt die ganze Erörterung ebenso unbestimmt gehalten ist, wie die 
Begriffe, die sie verteidigt. 

3) Ziele und Wege biologischer Forschung. Jena 1892. 

4) Pflüger’s Archiv f. Physiologie, 32. 


556 Jensen, Beobachtung und Vivisektion von Infusorien. 


er meinte ganz allgemein vorkommende) Reizerscheinung d. h. eben 
etwas zunächst, wenn nieht überhaupt absolut rätselhaftes vor 
sich zu haben. 

Wenn nun aber diese Erscheinung sehon durch O. Hertwig’s!) 
Forschungen in ihrer Allgemeinheit erschüttert und bald darauf durch 
Born?) als rein hydrostatisches Faktum nachgewiesen, also „eliminiert“ 
worden war, so war eben dadureh die Bedeutung der Entdeckung 
wesentlich herabgesetzt und es heisst nicht die gedankenreichen 
Arbeiten Pflüger’s schmälern, wenn man dieses klare Verhältnis 
scharf betont. Wenn man von Reiz spricht, so denkt man heute 
wenigstens nicht etwas vor sich zu haben, dessen Mechanik man 
nur noch nieht durehschaut; wenigstens wäre das ein dogmatischer 
Standpunkt. Es mögen ja alle Schwerkraftswirkungen hydrostatische 
Erscheinungen sein; dann wären sie aber eben damit als bedeutungslos 
für das Wesen des Lebens nachgewiesen. 

Die Analogie der Loeb’schen Versuche mit meinen?) Experi- 
menten über die Bedeutung der Furchung und mit den Resultaten 
der Botaniker ist klar: alle diese Resultate sprechen gegen die Auf- 
fassung der Entwieklung als einer Spezialisierung der wesentlichen 
Substanz (Idioplasma): eine Furchungszelle kann sich je nach ihrer 
Lage an dieser oder jener Organbildung des Seeigels beteiligen und 
ein Polyp kann je nach Beeinflussung einen anderen Polypen oder 
einen Stolo, ein Stolo kann bald einen anderen Stolo, bald einen 
Spross aus sich hervorgehen lassen, 

Zürich 5. Juni 1892. 


Methode der Beobachtung und Vivisektion von Infusorien in 
Gelatinelösung. 


Von Paul Jensen. 


Durch eine mündliche Mitteilung des Herrn Prof. Stahl zu Jena 
wurde ich mit einer Methode bekannt, welche dem Zwecke dient, die 
lokomotorischen Bewegungen freibeweglicher niederer Organismen zu 
untersuchen unter Ausschluss von Flüssigkeitsströmungen, wie sie 
jederzeit im Wasser vorhanden sind. In diesem Sinne wurde von 
Stahl®) eine dünne, zitternde Gelatinegallerte verwendet, welche 
Euglena viridis, einer flagellaten Alge, noch hinreichende lokomotorische 
Beweglichkeit gestattete. Größere und kräftigere Infusorien, besonders 
liaten, überwinden die Widerstände des Mediums noch leichter, 

4) Welchen Einfluss übt die Schwerkraft ete. Jena 1884. 

2) Archiv f. mikr. Anat, 24. 

3) Entwicklungsmechanische Studien I, II, IV. Zeitschr. f. wiss. Zool., 
LII u. LV. 

4) E. Stahl, „Zur Biologie der Myxomyceten“. Bot. Zeitung, 1834, 8. 12. 

















Jensen, Beobachtung und Vivisektion von Infusorien. Da 


während freilich kleine und schwächere Arten bei dieser Konsistenz 
der Gelatinelösung nicht mehr von der Stelle kommen. 

Bei dem Gebrauch der Gelatine zu dem erwähnten Zwecke fand 
ich, dass dieselbe neben diesem noch nach anderer Richtung hin er- 
hebliche Vorteile bietet, sowohl für morphologische als auch für 
physiologische Absichten. Die Methode ist so bequem und die 
Vorzüge so augenfällig, dass ich nicht versäumen möchte, diejenigen 
Forscher, welche sich mit Untersuchungen an rasch beweglichen kleinen 
Organismen, besonders Infusorien, beschäftigen, auf dieselbe auf- 
merksam zu machen. Mancher Zoologe und Physiologe mag sich 
schon abgemüht haben, die hurtige Bewegung der Infusorien, jener 
flüchtigen Gäste im Gesichtsfeld des Mikroskops, zu hemmen, sei es 
um die Organisation des Tieres und die feinere protoplasmatische 
Struktur am Lebenden zu studieren, sei es um das Spiel der Wimpern, 
Geißeln oder kontraktilen Vakuolen zu beobachten. Wenn man nicht, 
wie bei manchen rein morphologischen Zwecken, von vornherein auf 
das Leben der zu untersuchenden Organismen verzichten wollte, so 
versuchte man wohl dieselben durch Deckglasdruck festzuhalten oder 
auch durch Narkotisierung ihre Bewegungen zu verlangsamen, wodurch 
der erwünschte Erfolg jedoch kaum ganz erreicht werden konnte. 

In der Gelatinelösung hat man nun ein Mittel auch eiligere Be- 
sucher des mikroskopischen Gesichtsfeldes für längere Zeit oder auch 
dauernd in dasselbe zu bannen. Behufs Untersuchung feinerer Struk- 
turen kann man die Infusorien vollständig festlegen und ohne Schwierig- 
keit mit Oelimmersion betrachten. Bei derartig vollkommen aufge- 
hobener Ortsbewegung können die Wimpern und Geißeln noch in 
verzögertem Tempo weiterschlagen, und ebenso dauert die Thätigkeit 
der kontraktilen Vakuole an. Bei dem Studium der Form und äußeren 
Organisation empfiehlt es sich eine dünnere Gelatinelösung zu nehmen, 
bei der noch eine geringe Lokomotion möglich ist. Es werden dann 
die in vielen Fällen auftretenden Formveränderungen des Körpers, 
Verbiegungen und Kontraktionen, welche recht störend sein würden, 
leichter vermieden. Bei Ciliaten, besonders bei solehen, welche schon 
während des normalen Schwimmens Rotationen um ihre Längsaxe 
ausführen, kann man es erreichen, dass bei aufgehobener Ortsver- 
änderung diese Rotation in mäßiger Geschwindigkeit andauert, so 
dass man den Körper leicht von allen Seiten zu Gesicht bekommt. 
Die Bewegung mit geringem lokomotorischem Effekt bietet vorzüg- 
liche Verhältnisse für die Beobachtung des Wimperschlags der Ciliaten, 
und auch die Geißelbewegung der Flagellaten lässt sich so sehr gut 
zur Anschauung bringen. Bei der bedeutend verlangsamten Cilien- 
kontraktion kann man die Thätigkeit jedes Elementes und die etwa 
auftretenden Veränderungen in der Schlagweise desselben wahrnehmen. 
Auf diese Weise stellt sich bei einer Vergrößerung von 100—150 die 
Flimmerbewegung in sehr anschaulicher und übersichtlicher Weise 


558 Jensen, Beobachtung und Vivisektion von Infusorien. 


dar. Ferner ist bei vollkommen festgelegten Tieren die Thätigkeit 
der kontraktilen Vakuole einer kontinuierlichen Beobachtung sehr 
bequem zugänglich. 

In zweiter Linie käme diese Gelatine- Methode dann in Betracht 
für die in letzterer Zeit von Zoologen und Physiologen vielgeübte 
und wichtige Vivisektion von Infusorien. Leichtbewegliche Arten, 
deren man im Wassertropfen unter dem Mikroskop nur mit großer 
Schwierigkeit und Geduld habhaft werden kann, sind in Gelatine ge- 
bracht viel leichter dem Messer des Experimentators zugänglich. Um 
einen Fall anzuführen, so war mir trotz längerem Bemühen die Zer- 
schneidung einer Ciliatenform nieht geglückt; nachdem ich die Tiere 
in Gelatine gebracht hatte, gelangen mir innerhalb kurzer Zeit mehrere 
Teilungsversuche. Man kann auf diese Weise mit verbältnismäßig ge- 
ringer Mühe einen Tropfen der Gelatinelösung mit einer großen Anzahl 
von Teilstücken bevölkern. Bei diesen vivisektorischen Versuchen 
muss man sich freilich damit begnügen, die Bewegungen der zu ver- 
wendenden Organismen nur zu verlangsamen ohne dieselben ganz auf- 
zuheben, da man die Gelatine nieht zu diek nehmen darf. Sobald 
dieselbe nämlich nicht mehr fließt, werden natürlich durch jeden 
Schnitt derartige Risse in ihr erzeugt, dass in Folge der unregel- 
mäßigen Liehtbreehungsverhältnisse der betreffenden Gelatinepartie 
das Versuchsobjekt nieht mehr zu sehen ist. 

Die Bereitung der Gelatinelösung geschieht in folgender Weise. 
In einer Kochflasche werden zu 100eem Leitungswasser etwa 3g weißer 
Gelatine (= zwei Stück der hier käuflichen Gelatine-Plättehen) zu- 
gesetzt, und die Auflösung derselben durch Erwärmen begünstigt. 
Man bekommt dann beim Abkühlen auf eine Zimmertemperatur von 
18—19° C eine starre Gelatinegallerte. Aus dieser kann man sich 
nach Bedarf die dünneren Lösungen herstellen; will man dieselbe 
aber mehrere Tage gebrauchen, so muss man das Gefäß durch Er- 
hitzen und darauffolgenden Verschluss durch einen Wattepfropf vor 
Infektion mit Bakterien schützen. In dieser etwa 3proz. Gelatinelösung 
zeigen beispielsweise die eiliaten Infusorien Paramaecium aurelia und 
Urostyla grandis keine Lokomotion mehr; die Wimperbewegung 
und die Thätigkeit der kontraktilen Vakuole blieben dabei noch stunden- 
lang erhalten. Soll dagegen die Lokomotion der Infusorien nur stark 
verlangsamt werden, etwa zum Studium der Flimmerbewegung, wenn 
man den Effekt des Cilienschlags noch wahrnehmen will, so kann 
man eine ca. 1,d5proz. Lösung verwenden, welehe eine zittternde nicht 
mehr fließende Gallerte darstellt. Für die vivisektorischen Zwecke 
empfehlen sieh Lösungen von 0,8—1 Prozent. Doch darf man den 
auf den Objektträger gebrachten Tropfen der Mischung nicht zu 
lange der Verdunstung aussetzen, da die Gelatinelösung dadurch 
leicht zu sehr eingediekt wird. Die angegebenen Daten verfolgen 
freilich nur den Zweck einer allgemeinen Orientierung, und sind im 











Jensen, Beobachtung und Vivisektion von Infusorien. 559 


Besonderen verärderlich je nach der Temperatur, nach den zu unter- 
suchenden Tieren und den speziellen Versuchsabsichten. 

Das Ueberführen der Infusorien in die Gelatinelösung lässt 
sich auf folgendem Wege bewerkstelligen. Will man mit starrer 
Gelatine arbeiten, so verflüssigt man dieselben vor dem Gebrauch 
durch Erwärmen. Sodann sehüttet man eine Quantität davon in ein 
Uhrschälchen, lässt auf eine möglichst niedrige Temperatur, bei der 
die Lösung jedoch noch flüssig ist, abkühlen, setzt einen Tropfen des 
die Versuchstiere enthaltenden Wassers zu und rührt das Ganze um. 
Von dieser Mischung bringt man ein bis zwei Tropfen auf den Ob- 
jektträger, wo die Gelatine dann rasch erstarrt; wenn man ein Deck- 
glas auflegen will, so muss das vor dem Starrwerden geschehen. 
Sollen die Infusorien, welche in der starren Gelatinegallerte in vielen 
Fällen nach einigen Stunden zu Grunde gehen, aus dieser befreit 
werden, so ziehe man den Objektträger 2—3mal mäßig rasch durch 
eine Gasflamme, setze dann etwas lauwarmes Wasser zu und rühre 
nötigenfalls mit einem feinen Glasstäbehen um. Der Zusatz von etwas 
Wasser ist auch sehr wünschenswert, wenn man nach einer Vivisek- 
tion die Teilstücke noch längere Zeit erhalten will. Für diesen letz- 
teren Zweck thut man jedenfalls in vielen Fällen gut, bei Bereitung 
der Gelatinalösung, wie auch bei sonstigen Anlässen, dasjenige Wasser 
zu verwenden, in dem die betreffenden Versuchstiere zu leben pflegen, 
da manche Protisten gegen geringe Veränderungen des Salzgehaltes 
des sie umgebenden Mediums äußerst empfindlich sind. Geschah die 
Vivisektion zum Zweck einer kurzdauernden Demonstration, wofür die 
Gelatine- Methode besonders günstig ist, so sind derartige Vorsichts- 
maßregeln natürlich nicht erforderlich. 

Schließlich wäre noch die Frage zu erwägen, ob und in welchem 
Maße die Gelatine die Organismen schädigt. Und da wäre zu be- 
merken, dass eine nicht zu diekflüssige Lösung für die Tiere nicht 
nur nicht nachteilig sondern sogar als Nährstoff vorteilhaft sein kann, 
zumal wenn sie mit Bakterien infiziert ist, wie sie an den Standorten 
und in den Kulturgefäßen der betreffenden Infusorienformen vorzu- 
kommen pflegen und als Nahrung dienen. So habe ich in einer 
ca. 0,5proz. Lösung von Gelatine eine beträchtliche Vermehrung von 
Paramaecium aurelia und bei einer wohl noch stärkeren Konzentration 
eine solche von Euglena viridis wahrnehmen können. Mit steigender 
Stärke der Lösung tritt allmählich eine Schädigung der Tiere ein, 
wobei sich verschiedene Arten aber sehr verschieden verhalten. Bei 
den mir zur Beobachtung gekommenen Ciliaten äußert sich der un- 
günstige Einfluss im Allgemeinen in einem langsam in längeren oder 
kürzeren Intervallen stattfindenden körnigen Zerfall; derselbe kann 
Jedoch durch Verflüssigung des Mediums aufgehalten werden, so lange 
die Degeneration des Protoplasmas die Gegend des Kerns noch nicht 
ergriffen hat. Dieser körnige Zerfall tritt innerhalb einer und derselben 


560 Imhof, Lebensverhältnisse der Rotatorien. 


Art bei manchen Individuen schon ziemlich früh, bei anderen viel 
später ein. So waren beispielsweise von Urostyla nach 2 Stunden in 
der starren (3proz.) Gelatinelösung noch eine größere Anzahl von 
Exemplaren unversehrt; dasselbe war bei der großen Mehrzahl der 
in eine noch zitternde Gallerte versetzten Individuen nach Verlauf 
von 3 Stunden der Fall. Fast alle, auch die schon in erheblicherem 
Maße körnig zerfallenen Tiere erholten sich wieder vollständig nach 
Verflüssigung des Mediums und Wasserzusatz. Hält man also die 
Versuchsobjekte nur mäßige Zeit in den dickeren Lösungen, so kann 
man auch bei Anwendung der starren Gallerte sicher sein, während 
der Untersuchung es mit normalen Verhältnissen zu thun zu haben. 
Ich kann noch erwähnen, dass ich Euglena viridis 24 Stunden in 
einer starren Gallerte bewegungslos eingeschlossen gelassen hatte, und 
dass diese Tiere nach der Verflüssigung der Lösung wieder vollständig 
frisch und mobil waren. 
Jena, physiologisches Institut, im Juli 1892. 


Beitrag zur Kenntnis der Lebensverhältnisse der Rotatorien. 
Ueber marine, brackische und eurhyaline Rotatorien. 


Von Dr. Othm. Em. Imhof. 


Die Rädertierchen haben, wie schon aus den gegenwärtigen 
Kenntnissen ersichtlich, eine außergewöhnliche, ganz auffallend weite 
geographische Verbreitung. Fast überall, wo bisher Nachforschungen 
über die mikroskopischen Wasserorganismen angestellt worden sind, 
fanden sich Vertreter dieser mannigfaltigen Gruppe von Mikrozoen. 
In langsam fließenden Bächen, Flüssen und deren Ausbuchtungen, 
in kleineren stehenden Gewässern, die reichen Pflanzenwuchs beher- 
bergen, im littoralen Gebiet der grüßeren Seen, das ebenfalls mancher- 
orts reich an Wasserpflanzen ist, in der Tiefseefauna der Binnen- 
gewässer und im offenen Wasser, in der großen Wassermasse der 
Seen, wo nur Mikrophyten als Repräsentanten des Pflanzenreiches 
die Zusammensetzung der pelagischen Organismenwelt vermehren, in 
solehen Gewässern in der Ebene bis in solchen der höchsten Alpen- 
regionen kommen Rotatorien vor. Außer in den permanenten Wasser- 
ansammlungen trifft man Rotatorien in Gewässern, die nur vorüber- 
gehend bestehen, an, in Wasserbecken, die infolge andauernder 
Trockenheit wieder verschwinden, die als temporär zu bezeichnen 
sind. Es finden sich Rotatorien in unterirdischen künstlichen und 
natürlichen Gewässern, in Cysternen, Pumpbrunnen, Grotten und 
Höhlen. Die Existenzbedingungen für Rotatorien sind in ausreichen- 
dem Maße selbst an nur vorübergehend feuchten Orten, in den Moos- 
überzügen und Moosdecken der Bäume, der Dächer und selbst in den 
Dachrinnen gegeben. 














Imhof, Lebensverhältnisse der Rotatorien 561 


Außer im Süßwasser, wo die weitaus größere Zahl von Räder- 
tierspezies vorkommt, haben schon in der frühesten Zeit mikrosko- 
pischer Forschungen einige Autoren marine und brackwasserbe- 
wohnende sowie Thermalwasser bevölkernde Rotiferen beschrieben 
und abgebildet. Die Zahl der gegenwärtig bekannten marinen und 
brackischen Arten ist zwar noch keine sehr große, dürfte aber größer 
sein, als allgemeiner zur Kenntnis gelangt ist. Alle marinen und 
Brackwasser-Rotatorien, die die Litteratur aufweist, dürften in euro- 
päischen Meeren, vorwiegend als Küstenbewohner und die Flutwasser- 
becken bevölkernd, wenige nur bis anhin als pelagische Bewohner 
des offenen Wassers gefunden worden sein. 

Ein besonderes Interesse beanspruchen die eurhyalinen Rota- 
torien, die in gleicher Gestalt und Ausbildung sowohl im Meer- und 
Brackwasser als auch im Süßwasser leben. 

Für die Erkenntnis der Lebensbedingungen, in denen Rotatorien 
leben können, ist die Verbreitung in salzigen Gewässern wie z. B. in 
den Salzseen von Nord-Afrika und das Vorkommen in warmen 
Mineralquellen z. B. in Schwefelthermen, ebenfalls von besonderer 
Wichtigkeit. 

In der vorliegenden Notiz sollen vorerst aus der außerordentlich 
reichen Rotatorien-Litteratur möglichst vollständige Uebersichten über 
die marinen, brackischen und eurbyalinen Rotatorien zusammengestellt 
werden, geordnet nach der Klassifikation von Hudson-Gosse. 

Zurückgehend auf die ältesten umfangreicheren Bearbeitungen 
der Rädertierchen ist hervorzuheben, dass Ehrenberg (1838) schon 
15 marine und Brackwasserbewohner beschrieben hat: 

Rotifer vulgaris, Synchaeta baltica, 8. tremula, Furcularia Rein- 
hardti, Diglena catellina, Distemma marinum, Euchlanis luna, Colurus 
uncinatus, Col. caudatus, Monura colurus, Mon. duleis, Pterodina cly- 
peata, Brachionus Mülleri, Anuraea biremis, Anuraea striata. 

Von diesen 15 Species kommen vor: 

in der Ostsee : 13 Species, davon 2 im Brackwasser, 

ee, Nordsee: 1 ur 

nuse Adrialir.::2 „_ , deren Anwesenheit noch zu be- 
stätigen bleibt, da Ehrenberg ein? beisetzt. 6 von diesen 16 Arten 
sind bis gegenwärtig nur als marin oder brackwasserbewohnend be- 
kannt, wie aus der Vergleichung mit der folgenden Gesamtübersicht 
der nur meer- und brackwasserbewohnenden Rotatorien ersichtlich ist. 

Im 4. Buche von Dujardin’s: Histoire naturelle des Zoophytes, 
Infusoires finden sich nur folgende Angaben über marine Rotatorien: 
Furcularia marina Duj. Im mittelländischen Meer im März 1840 
(S. 649) und: Es ist immerhin wahrscheinlich, dass die Zahl der im 
Meere lebenden Fureulariden viel größer ist; was meine Beobach- 
tungen betrifft, so kommen 3—4 sehr wohl unterscheidbare Species 


vor, allein die Zeit fehlte mir, um sie ausreichend zu beschreiben. 
XI. 36 


562 Imhof, Lebensverhältnisse der Rotatorien. 


Eine äußerst interessante Bereicherung erfuhren die Rotatorien 
speziell die marinen Rotatoria durch die Entdeekungen von Grube, 
Claus und Plate der Arten der Gattungen: Seison, Paraseison und 
Saccobdella, die eine besondere wohl charakterisierte Familie bilden, 
bei welcher eine deutliche Ausbildung von Kopf, Hals, Leib und Fuss 
als wesentlichster Unterschied hervortritt. Es enthält die Familie der 
Seisoniden Arten der wenigen Rotatorien, die als Schmarotzer auf 
anderen Tieren leben. 

Die Zahl der marinen Rotatorien wurde in den Jahren 1887 und 
1889 in der hervorragenden Monographie durch Gosse um 19 neue 
Arten vermehrt. Mit Ausnahme einer einzigen Art sind bisher nur 
Fundorte aus europäischen Meeren bekannt. Bloß Metopidia cornuta 
Schmarda ist außereuropäisch, bei New-Orleans gefunden, wie aus 
der folgenden Zusammenstellung ersichtlich ist. 


Systematische Uebersicht der bisher nur im Meer- und 
Brackwasser beobachteten Rotatorien. 
l. Ordn. Rhizota. 
Bis anhin noch keine. 


II. Ordn. Bdelloidea. 
Bis anhin noch keine. 


III. Ordn. Ploima. 
1. Unt. Ordn. Illoricata. 
Fam. Synchaetadae. Synchaeta baltica Ebg. (1838). Ostsee, Kiel, 
Kopenhagen, Lübeck ; Nordsee, Ciriesee, Küsten von 
England und Schottland; Irische See, Wales. 
Synchaeta gyrina Hood (1887). Nordsee, Taymündung. 
Fam. Notommatadae. Furcularia marina Duj. (1841). Mittel- 
ländisches Meer; Nordsee, Taybucht. 
Notommata Reinhardti Ebg. (1838). Ostsee, Kopenhagen, 
Finnischer Busen bei Reval, Golf von Hapsal. 
Diglena suilla G ss. (1887). Nordsee, Invergowrie. 
Distemma marinum Ebg. (1838). Ostsee, Wismar, Golf 
von Hapsal. 
Distemma raptor Gss. (1889). Nordsee, Taymündung. 
5 Forficula laeve Echw. (1847). Ostsee, Rigischer 
Busen bei Kaugern. 
Fam. Seisonidae. Seison Grubei Cls. (1876). Mittelländ. Meer, 
Adria bei Triest. 
Seison annulatus Cls. (1880). Mittelländ. Meer, Adria 


bei Triest. 
Paraseison asplanchnus Pit. (1887). Golf von Neapel. 
5 nudus Plt. D) 2) 2) n 
N proboscideus Plt. „ n D) D) 
5 ciliatus Pt. » „ » ) 


Saccobdella nebaliae V. Bn. (1863). Hss. Nordsee. 





Imhof, Lebensverhältnisse der Rotatorien. 565 


2. Unt. Ordnung. Loricata. 
Fam. Rattulidae. Rattulus calyptus &ss. (1889). Nordsee, schot- 
tische Küste, Taybucht. 
Rattulus sejunctipes Gss. (1889). Nordsee, schottische 
Küste, Taybucht. 
Fam. Salpinadae. Salpina marina Gss.(1889). Nordsee, Taybucht. 
Diaschiza fretalis Gss. (1887). Ostsee, Invergowrie. 
Fam. Euchlanidae. Lophocharis rostrata Echw. (1849). Ostsee. 
Fam. Cathypnadae. Distyla Weissei Echw. (1847). Ostsee, Reval, 
Kaugern. 
Fam. Coluridae. Colurus amblytelus Gss. (1889). Nordsee, Tay- 
mündung bei Dundee und Torbay. 
Colurus dactylotus Gss. (1889). Nordsee, Taymündung. 


»„.  pedatus Gss. - n; Taybucht. 
„ Dumnonius Gss. (1887). Nordsee, Paignton bei 
Torquay. 


„. grallator Gss. (1887). Nordsee, Taybucht. 
Metopidia cornuta Schd. (1859). Meerbusen von Mexico, 
New-ÖOrleans, Brackwasser. 
Monura loncheres Gss. (1887). Nordsee, Invergowrie. 


Mytilia poecilops Gss. „ ns e 
m. preducta.GsSs., . Nordsee, Devonshire. 
„. teresa Gss. s r Torbay. 


Fam. Pterodinadae. Pterodina clypeata Ebg. (1838). Ostsee, 
Wismar. Nordsee, Mündung der Naze und des Tay. 
Fam. Brachionidae. Brachionus Mülleri Ebg. (1838). Ostsee, 
Wismar. Nordsee, Küsten von Essex und Norfolk, 

Taybucht. 
Fam. Anuraeadae. Anuraea biremis Ebg. (1838). Ostsee, Kiel. 
Anuraea cochlearis pellueidalmh. Ostsee, Finnischer Busen. 


. aculeata, resupina Imh. Ostsee, Finnischer Busen. 
Notholca thalassia &ss. (1889). Nordsee, Taybucht. 
a scapha G ss. 5 . - 
» Jugosa Gss. (1837). Nordsee, Taybucht, Küste 
von Devon. 


= rhomboidea Gss. (1887). Nordsee, Taybucht, 
Küste von Devon. 
" spinifera Gss. (1887). Nordsee, Taybucht. 


Aus dieser Uebersicht geht hervor, dass von den bisanhin ver- 
öffentlichten marinen und brackwasserbewohnenden Rotatorien der 
Fauna der Ostee. . . . ... 9 Species und 3 Varietäten 

N EL Er AR 

& Irischentsee; 2554 237 As * 
dem mittelländischen Meer 7 „ ‚ davon 
36* 





564 Imhof, Lebensverhältnisse der Rotatorien. 


der Adrian au. 2) un 2 ODERIEN 
dem Golf von Neapel . 4 „ 
außereuropäischer Meere, dem Golf von Mexico, 1 Species angehören. 


Eine einzige Species wurde in der Nordsee und im mittelländischen 
Meer gefunden, Furcularia marina Duj. Von den anderen 6 medi- 
terranen Rotatorien leben laut den gegenwärtigen Kenntnissen nur 
bei Triest die 2 Arten des Genus Seison, im Golf von Neapel die 
4 Species der Gattung Paraseison. Die Nord- und Ostsee beherbergen 
nur 3 Arten gleichzeitig, so dass die Nordsee 23 Species aufweist, 
die bisher nirgend anderswo wiedergefunden wurden. Es ist aber 
hervorzuheben, dass von diesen 23 Arten 19 erst vor wenigen Jahren 
entdeckt worden sind. 

Das allgemeine Resultat der obigen Uebersicht weist dahin, dass 
Nachforschungen über marine Rotatorien nur in ganz wenigen euro- 
päischen Meeren, fast ausschließlich in der Nordsee und zwar an den 
britischen Küsten angestellt worden sind und lässt vermuten, dass 
das Auffinden der ansehnlichen Zahl von Rotatorien durch Gosse 
durch Forschungen in anderen Meeren oder Küstengebieten leicht 
neue Entdeckungen zur Folge haben könnte. Ein wesentlicher Punkt 
in der Kenntnis des Vorkommens der marinen Rotatorien dürfte be- 
sonders erwähnt werden, dass nur ganz wenige Formen auf offener 
See, im pelagischen Gebiete, beobachtet worden sind. 


Es folgt die: 


Systematische Uebersicht der eurhyalinen kRotatoria, 
mit Beifügung der marinen Fundorte. 


I. Ordn. Rhizota. 


Fam. Floscularidae. Floscularia campanulata Dob. Ostsee, Hapsal. 


Fam. Melicertadae. Melicerta tubicularia Ebg. y; 
Conochilus volvox Ebg. Ostsee, Stockholm, Finnischer 
Busen. 


I. Ordn. Bdelloidea. 


Fam. Philodinadae. Philodina citrina Ebg. Ostsee, Hapsal. 
Rotifer eitrinus Ebg. Ostsee, Hapsal. 
„ vulgaris Schrk. „ , Kaugern, Nordsee, Tay- 
mündung. 


II. Ordn. Ploim.a. 
1. Unt. Ordn. Zlloricata. 
Fam. Asplanchnidae. Asplanchna, welche Species, konnte noch 
nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Ostsee, 
Lübeck, Stockholm. 





Imhof, Lebensverhältnisse der Rotatorien. 565 


Fam. Synchaetadae. Synchaeta tremula Ebg. Ostsee, Kopen- 
hagen im Brackwasser. 
Synchaeta pectinata Ebg. Ostsee, Stockholm. 
Fam. Triarthradae. Polyarthra platyptera Ebg. Ostsee, Lübeck, 
Stockholm, Finnischer Busen. 
Triarthra longiseta Ebg. Ostsee, Lübeck. 
Fam. Notommatadae. Pleurotrocha leptura Ebg. Ostsee, Reval. 
Pleurotrocha gibba Ebg. Ostsee, Kaugern. 
Proales decipiens Ebg. 
Notommata najas Ebg. 


” 


2 
„  Hapsal. 


Furcularia gracilis Ebg. „  Kaugern. 
" Forficula Ebg. „  Hapsal. 
" sphaerica Gss. Nordsee, Taymündung. 


Diglena grandis Ebg. Ostsee, Hapsal. 
ns catellina Ebg. Ostsee, Wismar, Hapsal. 
= Forcipata Ebg. Ostsee, Reval. 
a durita Ebg. Ostsee, Hapsal. 
Distemma platyceps Gss. Nordsee, Schottland, Carnoustie. 
2. Unt. Ordn. Loricata. 
Fam. Cathypnadae. Cathypna luna Ebg. Ostsee, Wismar im 
Brackwasser Reval. 
Monostyla cornuta Ebg. Ostsee, Reval. 
= quadridentata. „ Hapsal. 
Fam. Euchlanidae. Euchlanis dilatata Ebg. Ostsee, Reval. 
Fam. Coluridae. Colurus incrassatus Eehw. Ostsee, Reval. 
Colurus uncinatus Ebg. Ostsee, Kopenhagen. 
Y caudatus Ebg. 8 Reval, Hapsal, var. 
) leptus Gss. Nordsee, englische Küste. 
Monura colurus Ebg. Ostsee, Kopenhagen, Reval. 
Fam. Pterodinadae. Pterodina patina Ebg. Ostsee, Hapsal. 
Fam. Brachionidae. Brachionus bakeri Ebg. Ostsee, Hapsal. 
Brachionus brevispinus Ebg. Ostsee, Reval. 
Fam. Anuraeadae. Anuraea aculeata Ebg. Ostsee, Stockholm. 
Anuraea cochlearis .Gss. Ostsee, Stockholm, Lübeck, 
Finnischer Busen. 
“ longispina Kll. Ostsee, Stockholm. 
2 valga Ebg. Ostsee, Hapsal. 
Notholca striata Ebg. Ostsee, Wismar, Kiel, Reval, Hapsal. 


Sollte diese vorstehende Uebersicht vollständig sein, so wären 
bisanhin 40 Arten eurhyaliner Rotatorien bekannt. Es dürfte diese 
Zahl, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Rädertierchen zwar noch eine 
kleine sein, aber größer immerhin, als sich vermuten ließ. Gegenüber 
dem Vorkommen der marinen und brackischen Rotiferen gibt sich zu 
erkennen, dass die Nordsee, die an marinen Rotatorien verhältnis- 





566 Maas, Auffassung des Spongienkörpers. 


mäßig reich erscheint, bisher nur 4 Species eurhyaliner Arten auf- 
weist: Rotifer vulgaris, Furcularia sphaerica, Distemma platyceps, 
Colurus leptus, während die Ostsee 37 Species zählt. Es ist dieses 
Ergebnis ein sehr auffallendes Verhältnis, das sich aber wohl darauf 
zurückführen lässt, dass eine sehr große Zahl von Süßwasserbecken 
durch ganz kurze Flussstrecken die Ostsee mit dem abfließenden 
Wasser speisen. Die Frage, ob die eurhyalinen Rotatorien ursprüng- 
lich marine Formen sind, oder ob sie aus dem Süßwasser stammen, 
dürfte gegenwärtig noch ziemlich schwer zu beantworten sein. Er- 
gänzungen zu den vorstehenden Zusammenstellungen sind in Anbetracht 
der interessanten Verteilung der Rotatorien und ihrer wissenschaft- 
lichen Bedeutung sehr wünschenswert. 


Die Auffassung des Spongienkörpers und einige neuere 
Arbeiten über Schwämme. 
Von Dr. Otto Maas. 


Seit den bahnbrechenden Untersuchungen von F. E. Schulze 
über Bau und Entwicklung der Spongien haben wohl alle Zoologen 
diese Tiere als dreischichtig angesehen, bestehend aus einem 
äußern und innern Epithellager und einer davon umschlossenen Binde- 
gewebsmasse mit Zellen und verschiedenartigen Einlagerungen. Diese 
Auffassungsweise lässt es außer Spiel, ob die drei Schichten den aus 
Ekto-, Ento- und Mesoderm hervorgehenden Schichten der höheren 
Tiere entsprechen, und bedingt auch keine Stellungnahme zur Frage 
der Einreihung der Spongien im System. In der That haben die 
Anhänger der verschiedensten hierher gehörigen Theorien, sowohl 
diejenigen, welche die Spongien getrennt von den übrigen Metazoen 
aus einer besonderen Protozoenklasse hervorgehen lassen, als auch 
diejenigen, welche sie als echte Metazoen, jedoch als besonderes 
Phylum betrachten, sowie endlich diejenigen, von welchen die 
Schwämme nur als degenerierter Zweig des Cölenteratenstammes an- 
geschen werden, alle diese haben bei ihren Betrachtungen den drei- 
schiehtigen Bau der Spongien anerkannt. 

Eine andere, sich innerhalb der Spongiengruppe haltende Frage 
wäre die, ob diese drei Schichten in der Entwicklung des einzelnen 
Schwammes auch aus drei verschiedenen Blättern hervorgehen, 
oder nur aus zwei. F. E. Schulze hat diese Unterscheidung von 
Blatt und Schicht mehrfach hervorgehoben und gesagt, dass man die 
Spongien nur dann als dreiblättrige Tiere ansehen könne, wenn am 
indifferenten Keim noch vor der histologischen Sonderung drei unter 
einander verschiedene, in sich noch indifferente Zellenlager unter- 
schieden werden könnten, ein Verhalten, das meines Erachtens noch 
bei keinem Schwamm mit Sicherheit festgestellt worden ist. Wie 
dem auch sein mag, jedenfalls hat man am ausgebildeten Schwamm 





Maas, Auffassung des Spongienkörpers. 567 


seit Schulze’s Vorgang die bedeckenden epithelialen Schichten von 
der eingeschlossenen, so verschiedene Elemente enthaltenden Binde- 
gewebssubstanz, der dritten Schicht, scharf getrennt. 

An dieser von räumlichen Gesichtspunkten ausgehenden und durch 
histologische Befunde gestützten Dreiteilung wurde neuerdings durch 
Topsent!) eine auf den ersten Blick nicht unbedeutende, im Grunde 
jedoch, wie mir scheint, wenig ändernde Korrektur angebracht. Dieser 
Autor unterscheidet, um seine Hauptresultate in dieser Beziehung zu- 
nächst kurz anzugeben, von den Bohrschwämmen ausgehend, dann 
auch bei allen Halichondrien, vier Arten von Zellen: 1) cellules con- 
traetiles, 2) vibratiles, 3) eonjonctives und 4) digestives pigmentees. 
Die ersten und zweiten bilden nach ihm Ekto- und Entoderm, die 
andern das Mesoderm. Unter den kontraktilen Zellen versteht er 
solche, die man bisher, wie er hervorhebt, je nach Lagerung und 
Aussehen, zum Ekto- und Entoderm oder zu den „fibres“, den kon- 
traktilen Faserzellen des Mesoderms gerechnet hat. Wenn er weiter 
sagt, dass diese letzteren bisher die einzigen Elemente im Schwamm- 
körper waren, die man für die Kontraktilität verantwortlich machte, 
so berücksichtigt er dabei nicht, dass man auch bisher wohl stets 
den epithelialen Ektodermzellen, die die Bedeckung bilden, Kontrak- 
tilität und Formveränderlichkeit zugestanden hat. Wie sollten sich 
denn anders die Autoren das Oeffnen und Schließen der Poren ge- 
dacht haben? Auch finden sich in der Litteratur eine ganze Reihe 
spezieller Beispiele, in denen auf die Formveränderungen der Ekto- 
dermzellen hingewiesen wird, so von Lieberkühn bei Spongilla, 
von F. E. Schulze bei Sycandra, von mir bei der jungen, von 
Weltner bei der ausgewachsenen Spongilla, von Vosmaer bei 
Myzilla u. A. Ferner dürfte es nicht ohne weiteres berechtigt sein, 
die Zellen der äußeren Haut mit den kontraktilen Elementen im 
Innern zu einer Gruppe zusammenzufassen, mögen sich beide Zell- 
sorten histologisch auch noch so ähnlich sehen. Die ersteren bilden 
die Bedeckung, da wo der Schwammkörper vom Wasser bespült 
wird, die letzteren aber liegen in einer Bindesubstanz und können 
daher nicht als Ektoderm bezeichnet werden, soweit es sich um den 
erwachsenen, differenzierten Schwamm handelt. 

Etwas anderes ist es weiter auszugreifen und die Frage aufzu- 
werfen, ob nicht im Laufe der Stammesentwicklung der Spongien die 
bedeekenden Epithelzellen und die kontraktilen Elemente ein und 
dasselbe waren, und ob wir nicht ein ähnliches Verhalten noch heute 
bei primitiven Schwämmen antreffen, wie dies E. A. Minchin ge- 
than hat?). Er hat an den Oscula eines allgemein als ursprünglich 





4) Topsent E., Contribution A l’Etude des Clionides. Arch. Z. exper. 
V bis Suppl. 

2) E. A. Minchin, Oscula and Anatomy of Leucosolenia clathrus. 
Quarterly Journal, XXXIIL, P. 4, Juni 1892. 


568 Maas, Auffassung des Spongienkörpers. 


und einfach gebaut angenommenen Kalkschwammes einen Sphinkter 
beschrieben, der diese Oeffnungen so leicht zusammenzieht, dass sie 
bisher noch nicht gesehen worden waren. Dieser Sphinkter besteht 
aus zwei epithelialen Lagen platter, spindelförmiger Ektodermzellen; 
von mesodermalen Elementen sind in ihm nur hie und da einige 
Wanderzellen wahrzunehmen; Minchin schließt also wohl mit Recht, 
dass hier die recht energische Kontraktion nur vom Ektoderm besorgt 
wird. Minchin gibt Topsent wohl zuviel zu, wenn er nachher 
meint, dass bis zu letzterem alle Autoren den Muskel als mesodermal 
bezeichnet haben; aber er wendet dessen und seine eigenen Resultate 
in korrekter Weise an, wenn er sagt, „dass in einem hoch differen- 
zierten Schwamm muskulöse Zellen, die ursprünglich einen Teil eines 
Epitheliums bildeten, sich mehr spezialisierten und in das Mesoderm 
sanken.“ 

Das ausgebildetste Verhalten in dieser Hinsicht sehe ich nach 
F. E. Schulze’s bekannter Beschreibung bei den Hornschwämmen. 
Dort liegen „kontraktile Faserzellen“ an ihrem Bau leicht erkenntlich 
zu großen Mengen im Mesoderm, d. h. in der Bindegewebsmasse, oft 
zu Strängen angeordnet, manchmal ganze konzentrische Lager um 
die Kanäle bildend; auf der andern Seite hat sich auch die Be- 
deekungsschicht weiter differenziert, die Zellen der Oberhaut haben 
eine feine Cutieula ausgeschieden, und soweit diese reicht, ist es 
wohl mit ihrer Kontraktionsfähigkeit zu Ende. Wir haben also hier 
die Arbeitsteilung vollständig durchgeführt vor uns. 

Im Gegensatz dazu haben wir nicht nur im Sphinkter, son- 
dern im ganzen Bau der Leucosolenia clathrus ein ursprünglicheres 
Verhalten vor uns, wie Minchin’s histologische Befunde zeigen '). 
Der Schwamm selbst ist sehr kontraktionsfähig und die verschiedenen 
daraus hervorgehenden Formen sind früher als Varietäten, dann als 
Entwicklungsstadien angesehen worden. In Wirklichkeit sind es nur 
Kontraktionsphasen, die ziemlich schnell in einander übergehen 
können, und untersucht man das Ektoderm in den verschiedenen 
Stadien der Zusammenziehung, so findet man alle Abstufungen von 
einer gewöhnlichen platten Zelle (da wo der Schwamm ausgedehnt 
ist) bis zu vollständig pilzförmigen, die die Hauptmasse des Zell- 
leibes in die Tiefe verlegt zeigen (da wo die Kontraktion sehr stark 
ist). Die Bindesubstanz euthält keine Elemente zur Kontraktion; die 
in ihr vorkommenden Wanderzellen unterscheiden sich durch ihren 
Kern mit Nucleolus und ihre ungleichartigen Einlagerungen leicht 
von den kontraktilen Zellen mit gleichmäßig granuliertem Protoplasma 
und Kern mit Gerüst. Da außer diesen in der mittleren Masse nur Spieula 
mit ihren Zellen und Geschleehtsprodukte zu finden sind, und da ferner 





4) E. A. Minchin, Some points in the Histology of Leucosolenia elathrus. 
Zool. Anzeiger, 1892, Nr. 391. 








Maas, Auffassung des Spongienkörpers. 569 


die oben erwähnten Ektodermzellen sich regelmäßig in einer der jeweili- 
gen Kontraktion entsprechenden Form zeigen, so darf man wohl mit 
Recht schließen, dass der Sitz der Kontraktilität bei diesem einfach 
gebauten Schwamm noch vorzugsweise im äußeren Epithellager ist. 
Die Einfachheit der Leucosolenia clathrus zeigt sich bekanntlich auch 
darin, dass sie noch keine gesonderten Geißelkammern besitzt, son- 
dern dass der ganze Innenraum gleichmäßig von Kragengeißelzellen 
ausgekleidet wird. Diese letzteren müssen die Kontraktion passiv 
mitmachen und werden dann der Kontraktionsrichtung entsprechend 
im Querdurchmesser zusammengedrückt und dafür länger. 


Durch die Minchin’schen wie die Topsent’schen Befunde wer- 
den wir wieder zu der oben berührten, von F. E. Schulze auf- 
geworfenen Frage geführt, ob die Schwämme, die doch in erwachsenem 
Zustande drei Schichten aufweisen, dennoch nieht nur zweiblättrige 
Tiere sind. (Metamorphose von Sycandra raphanus. Zeitschr. f. wiss. 
Z. Band 31. 1878). Beide neueren Autoren suchen auf histologischem 
Wege eine Auffassung der mittleren Schicht zu gewinnen, indem sie 
deren Elemente als untereinander nicht gleichwertig, sondern in 
näherer oder fernerer Beziehung zu den primären Lagern stehend 
ansehen. Topsent’s Verdienst scheint mir darin zu bestehen, dass 
er erkennt, dass die kontraktilen Zellen der mittleren Masse den 
bedeckenden Elementen viel ähnlicher sind als die Zellen der mitt- 
leren Masse unter sich; von diesen letzteren verbleiben ihm dann 
noch als eigentlich mesodermal die cellules conjonetives (hierher 
müssen auch die Skeletbildner gerechnet werden) und die digestives 
pigmentees. Auch Minchin hat eine ähnliche Auflösung der mittleren 
Schieht in ihre heterogenen Elemente versucht, und nach Ausschei- 
dung der kontraktilen Zellen als epithelialen Ursprungs sieht er als 
eigentlich „mesodermale Organe“ nur das Skelet und die Genital- 
produkte an. „Cellules digestives pigmentdes“ erwähnt er dabei nicht; 
doch werden diese schon dureh ihre Funktion — nach den einen 
Autoren nehmen sie die Nährstoffe auf, nach den andern transpor- 
tieren sie sie nur von den verdauenden Geißelzellen weiter — in 
näherer Beziehung zur Öberflächen- und Innenbedeekung stehen 
müssen, resp. sich direkt davon loslösen. 

So berechtigt es auch ist, die Histologie, namentlich eines 
primitiven Schwammes zur Deutung der mittleren Schicht zu ver- 
wenden, so werden wir doch von der Entwieklungsgeschichte 
noch besseren Aufschluss erwarten dürfen. Gelegentlich der Sycandra- 
Entwicklung hat F.E. Schulze darauf hingewiesen, dass bei diesem 
Schwamm zunächst jedenfalls nur zwei Blätter vorhanden sind, die 
nachher die drei Schichten bilden, indem aus den Geißelzellen der 
Larve nur das entodermale System, alle übrigen Elemente aus den 
größern geißellosen Zellen des Keims hervorgehen. Es darf darauf 


570 Maas, Auffassung des Spongienkörpers. 


hingewiesen werden, dass er (wohl damals schon nicht ohne Absicht) 
die Differenzierungen dieser Schicht in derjenigen Reihenfolge auf- 
zählt, in der sie, wie es jetzt scheint, in der Ontogenie wie Phylo- 
genie abgelagert werden. Er sagt nämlich: „Soll nun diese so be- 
schaffene Gewebsschicht, in der die Skeletteile entstehen, die Genital- 
zellen sich ausbilden und stellenweise sogar kontraktile Faserzellen 
sich finden, Mesoderm, und ihre äußere Plattenepitheldecke Ektoderm 
genannt werden oder nicht?“ Er kommt zum Schlusse: nein, weil 
alle diese Dinge aus einer am Keim indifferenten Zellenlage sich 
heraus differenzieren. Wie dieser zweifellose Vorgang sich im Ein- 
zelnen abspielt, ist bekanntlich noch zu untersuchen. 

Es ist mir an einer Larve, deren Bau und Metamorphose einen 
Vergleich mit Sycandra als zulässig erscheinen lässt, gelungen, diese 
Differenzierung etwas näher zu verfolgen !), namentlich zu konsta- 
tieren, wie die verschiedenen Elemente der mittleren Schicht in ver- 
schiedenen Perioden der Ontogenie zur Sonderung gelangen. Die 
Larve von Esperia besteht (ebenso wie eine Reihe von mir unter- 
suchter anderer Desmac/donidae-Larven), von Komplikationen im Ein- 
zelnen abgesehen, der Hauptsache nach aus zwei verschiedenen 
Lagern, erstens einer Schicht von kleinen, kleinkernigen und sehr 
schlanken Geißelzellen, die nach vorn zu liegt und den größeren Teil 
der Oberfläche der Larve ausmacht, und zweitens einer viel massi- 
geren Schieht von viel größeren Zellen auch mit Spieula, die nur am 
hintern Pol die Oberfläche, sonst das Innere der Larve bildet. Beim 
Ansetzen, das mit dem Vorderpol geschieht, kommen dann umgekehrt 
die kleinen Geißelzellen nach innen zu liegen und die ganze übrige 
Masse wächst um sie herum. Aus den ersteren entstehen die Geißel- 
kammern und zu einem Teil die ausführenden Kanäle, aus den Zellen 
der letzteren bilden sich alle übrigen Bestandteile des Schwammes. 

Die Sonderung einzelner Elemente hat sich bereits in der Larve 
vollzogen, so lassen sich in ihr schon zwei Zellsorten erkennen und 
Spieula sind in Menge gebildet; andere Elemente gelangen aber 
erst nach der Metamorphose zur Differenzierung. Die zwei Zellsorten 
in der großzelligen Masse sind erstens solche Zellen, welche mit 
Kern, Kernkörperchen und einem Protoplasma mit ungleich großen 
Einlagerungen versehen sind, und zweitens solehe, deren Kern ein 
Gerüst aufweist und deren Protoplasma gleichmäßig ist. Aus den 
ersteren gehen die amöboiden Wanderzellen hervor, die später be- 
kanntlich auch die Geschlechtsprodukte bilden; die letzteren dagegen 
mit gleichmäßigem Protoplasma haben verschiedene Bestimmungen. 
Sie sondern sich erst nach der Metamorphose in die Zellen der äußern 
Bedeckung und in die kontraktilen Elemente, die in das Parenchym 
der mittleren Masse zu liegen kommen; sie sind also identisch mit 





1) 0. Maas, Die Metamorphose von Esperia Lorenzi nebst Beobachtungen 
an andern Schwammlarven. Mitt. d. Zool. Station zu Neapel, X. Bd., 3, 189. 








Maas, Auffassung des Spongienkörpers. 571 


dem „Ektoderm“, den „cellules contractiles“ von Topsent. Die 
Trennung geschieht verhältnismäßig spät; noch während der Meta- 
morphose lassen sich namentlich an den Randpartien die „meso- 
dermalen“ Muskelzellen und die „ektodermale“ Bedeekung nicht aus- 
einanderhalten; erst mit der Ausbildung des Kanalsystems wird ihre 
Scheidung deutlich, Auch bei diesen Kieselschwämmen bilden die 
kontraktilen Elemente oft ganze Züge; doch geht die Differenzierung 
nie soweit wie bei den Hornschwämmen; die „Ektoderm“- d. h. Be- 
deckungszellen verlieren nie ihre Kontraktilität und sehen den ent- 
sprechenden Elementen in der mittleren Masse zeitlebens histologisch 
sehr ähnlich. 

Deswegen ist noch kein Grund vorhanden, diese Bedeekung und 
die kontraktilen Elemente einfach als „Ektoderm“, wie es Topsent 
thut, zu bezeichnen, auch nachdem ich deren gemeinsame Abstammung 
zeigen konnte, noch nicht. Man könnte sonst ebensogut die Spieula- 
bildner und die amöboiden Wanderzellen Ektoderm nennen. Aller- 
dings sondern diese sich viel früher im Keim wie die Muskelelemente; 
doch ist dies nur ein gradueller, kein prinzipieller Unterschied. 

Ueberhaupt ist das Verhalten lehrreich, wie sich aus der nach 
Abzug der Geißelzellen übrig bleibenden Hauptmasse der Larve die 
verschiedenen Gewebselemente nach und nach herausdifferenzieren. 
Zuerst scheidet sich die stützende Skeletsubstanz ab und 
das Zellmaterial, aus dem die zukünftigen Geschlechts- 
produkte hervorgehen. Erst später gelangen die epi- 
theliale Bedeckungsschicht und die kontraktilen Ele- 
mente zur Sonderung. Noch viel später erscheinen die 
Zellen differenziert, die die Nadeln dureh Spongin-Aus- 
scheidung zu Bündeln zusammenkleben. Die Ontogenie der 
Esperia bietet einen guten Fingerzeig, wie sich die Dinge im Lauf 
der Phylogenie entwickelt haben werden. Selbstverständlich dürfen 
zeitliche Verschiebungen und Zusammendrängungen nicht außer Acht 
gelassen werden; so werden z. B. allgemein und mit Recht in der 
Stammesgeschichte der Spongien Spieulabildung und Festsetzen in 
Verbindung miteinander gebracht; eine ganze Reihe freischwimmender 
Larven weist aber schon Spieula auf. Im Allgemeinen wird aber die 
Reihenfolge der Vorgänge unter sich und die Art und Weise der 
Differenzierung wohl zu Schlüssen leiten dürfen. 

Die Entwicklung von Esperia und wohl auch von Sycandra findet 
einen parallelen Fall in dem phylogenetischen Verhalten, das in der 
Schwammreihe Ascetta clathrus darstellt. In diesem einfachen Schwamme 
haben wir laut Minchin im mittleren Gewebe wenig mehr als Skelet 
und Genitalprodukte; der Sitz der Kontraktilität liegt noch vorwie- 
gend in der epithelialen Bedeekung; ganz so wie es laut der Ent- 
wicklung von Esperia und Sycandra in der Phylogenie gewesen und 
bei sehr primitiven Formen noch heute sein muss. 


572 v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 


Nach einer Reihe von Fällen, in denen uns die Schwamment- 
wicklung genauer” bekannt ist, sind wir wohl berechtigt, von einem 
zweiblättrigen Keim zu reden. Wir könnten an denselben nach den 
hier vorliegenden Fällen ein Ektomesoderm und ein Entoderm unter- 
scheiden; doch involvieren diese Namen sehon einen Vergleich mit 
den Keimblättern der höheren Tiere, und die vorstehenden Ausführungen 
wollten sich nur im Rahmen der Spongiengruppe halten. 

Berlin, 20. Juli 1892. 


Zur Biologie der wilden Bienen. 
T: 

Die biologischen Verhältnisse der solitären und der 
schmarotzenden Blumenwespen, welche den Honigbienen und 
Hummeln gegenüber als wilde Bienen zusammengefasst werden 
können !), bieten bekanntlich eine Reihe merkwürdiger Befunde, 
welche mit Recht das Interesse der Biologen in Anspruch nehmen. 
Leider bringt es die nun einmal üblich gewordene Behandlung der- 
artiger Dinge, zumal auf entomologischem Felde mit sich, dass die 
weiteren Fachkreise von den Fortschritten auf jenen Gebieten nur 
sehr mangelhafte Kenntnis erhalten. Um so mehr ist es als eine 
dankenswerte Arbeit zu begrüßen, dass ein namhafter Kenner der 
Apidenbiologie, H. Friese, welcher in nicht geringem Maße durch 
eigene Beobachtungen unsere Einsicht in die Lebensweise der wilden 
Bienen gefördert hat, den gegenwärtigen Stand des bezüglichen bio- 
logischen Wissens übersichtlich und in lesbarer Form dargestellt hat?). 

Das folgende enthält einen gedrängten, natürlich nur das Wesent- 
liche aus den betreffenden Abhandlungen des genannten Forschers 
herausgreifenden Bericht; hinsichtlich der zahlreichen Detailangaben 
muss auf die Originalarbeiten verwiesen werden. 

Die formenreiche Hymenopterenfamilie der Blumenwespen oder 
Bienen (Apidae, Anthophila) umfasst drei nach ihrer Lebensweise 
scharf von einander geschiedene Abteilungen: die solitären (einzel- 
lebenden), die parasitischen (schmarotzenden) und die sozialen 
(gesellig lebenden) Bienen. 

Zu der ersten Gruppe gehören diejenigen Apiden, welche, ohne 
gesellige Verbände zu bilden, zu Pärchen vereinigt sind; ihre Männ- 
chen sterben sehr bald ab und die Weibchen allein, jedes für sich, 
besorgen „das Einsammeln von Pollen und Nektar sowie die Her- 
richtung der Brutstellen und Nester“. 


1) Ref. fasst hier den Begriff „wilde Bienen“ weiter als es sonst Gepflogen- 
heit ist, wonach bloß die solitären Blumenwespen mit jenem Namen bezeichnet 
werden. 

2) H. Friese, Die Schmarotzerbienen und ihre Wirte. Zool. Jahrb,, 
Abt. f. Syst. ete., II. Bd., 8. 847; Derselbe, Beiträge zur Biologie der soli- 
tären Blumenwespen (Apidae). Ebenda V. Band, S. 751. 





v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 573 


Die Schmarotzerbienen, welche nach einer freilich nur wenig 
zutreffenden Analogie auch „Kuckuksbienen“ genannt werden, 
sind ebenfalls solitär lebende Apidenformen, unterscheiden sich aber 
durchaus von diesen durch ihre ausgeprägt parasitische Lebensweise, 
indem sie „ihre Eier in die Brutzellen sowohl der sozialen wie der 
solitären Bienen einzuschmuggeln verstehen und so der Sorge um die 
Heranbildung einer Nachkommenschaft überhoben sind“. 

Die letzte Abteilung, die sozialen Blumenwespen mit den beiden 
Gattungen Apis und Bomdbus sind durch ihr geselliges Zusammenleben, 
welches zu den bekannten Staatenbildungen geführt hat, ausreichend 
gekennzeichnet. 

Bloß die beiden erstgenannten Gruppen, unsere wilden Bienen, 
werden uns des Weiteren zu beschäftigen haben. 


IT. 


Wenn gleich die solitären Blumenwespen hinsichtlich ihrer 
äußeren Erscheinung, ihres Nestbaus, ihrer Lebensweise ete. eine 
überaus bunte Mannigfaltigkeit gewähren, lassen sich doch leicht 
drei natürliche Gruppen innerhalb derselben sondern: die Ur- 
bienen (Archiapidae), die Beinsammler (Podilegidae) und die 
Bauchsammler (Gastrilegidae). 

Die Urbienen „umfassen die beiden, allerdings im Habitus und 
Form, wie Lebensweise weit auseinandergehenden Gattungen Pro- 
sopis Fabr., Maskenbiene und Sphecodes Ltr., Buckelbiene. Der fast 
vollständige Mangel eines Sammelapparates und die minimale Weiter- 
entwicklung der Mundwerkzeuge im Vergleich mit den Grabwespen 
rechtfertigen es, mit Friese „diese beiden Gattungen zusammen- 
zustellen und in ihnen die letzten Vertreter der Vorfahren der mannig- 
faltigen Bienenwelt zu erblicken“. 

Die Beinsammler sind dadurch charakterisiert, dass das Ein- 
sammeln des Pollens seitens der bauenden Weibchen mittels der dazu 
in besonderer Weise ausgebildeten Hinterbeine bewerkstelligt wird. 
Die früher und gelegentlich wohl auch heute noch geübte Trennung 
dieser Gruppe in sogenannte Schienen- und Schenkelsammler wird 
von Friese mit Rücksicht auf die zahlreichen Uebergänge, welche 
jede derartige Sonderung als eine „gezwungene“ erscheinen lassen, 
zurückgewiesen. Weitaus die meisten wilden Bienen gehören hierher; 
es sind die folgenden 20 Gattungen: Halictus Ltr., Andrena Ltr., 
Colletes Ltr., Nomia Ltr., Panurginus Nyl., Dufurea Lep., Halic- 
toides Nyl., Rhophites Spin., Camptopoeum Spin., Panurgus Ltr., 
Dasypoda Ltr., Melitta Kirb., Systropha Ltr., Macropis Pz., Cera- 
tina Ltr., Xylocopa Ltr., Eucera Ltr., Meliturga Ltr., Saropoda Ltr. 
und Anthophora Ltr. 

Die Weibehen der Bauchsammler, welche die 7 Gattungen Heria- 
des Spin., Osmia Ltr., Lithurgus Ltr., Chalicodoma Lep., Mega- 


574 v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 


chile Ltr., Trachusa Pz. und Anthidium Fbr. vereinigen, sind ins- 
gesamt durch „eine starke, nach hinten gerichtete, bürstenartige 
Bauchbehaarung“ ausgezeichnet, durch welche das Einsammeln des 
für die Brut notwendigen Pollens erfolgt. 

Schon ein flüchtiger Ueberblick über die Lebensweise der eirca 
800 europäischen Arten solitärer Blumenwespen ergibt die hohe geistige 
Entwieklungsstufe dieser Tiere. Hierin den Ameisen und Wespen 
nahezu gleichkommend müssen sie hinsichtlich der Kunstfertigkeit, 
mit welcher sie ihre mannigfaltigen Nestbauten ausführen, zweifellos 
den ersten Platz beanspruchen. Aehnliches gilt auch für die weit- 
gehenden Anpassungseinrichtungen, welche diese Tiere zum Zwecke 
des Besuches und der damit verbundenen Befruchtung der Blumen 
erworben haben. 

Alle Weibehen der solitär lebenden Bienen legen ihre Eier in 
selbst verfertigte Räume, die sogenannten Zellen, welche nach den 
verschiedenen Gattungen und Arten einen mehr oder weniger kunst- 
vollen Bau und eine bestimmte Anordnung erkennen lassen; dadurch 
wird der typische Charakter des Nestes, womit die Gesamtheit 
dieser Brutzellen bezeichnet wird, bedingt. Das Material, welches 
die bauenden Bienenweibcehen zur Herstellung der Nester verwenden, 
ist ein ungemein mannigfaltiges, ja man kann fast sagen, dass sie 
Jederlei Stoff entweder ohne Weiteres oder nach vorausgegangener 
geeigneter Bearbeitung ihren Zwecken entsprechend zu gebrauchen 
verstehen. Für manche Formen ist das Baumaterial ein besonders 
typisches, ein Verhalten, welches bereits in althergebrachten Namen 
wie Mörtelbiene (Chalicodoma), Mauerbiene (Osmia), Woll- 
biene (Anthidium) u. a. angedeutet ist. 

In Form und Anordnung der Brutzellen wie überhaupt im ge- 
samten Nestbau herrscht die bunteste Verschiedenartigkeit, so dass 
selbst eine nur flüchtige Uebersicht an dieser Stelle nicht gegeben 
werden kann. Als ein hübsches Beispiel der Bauthätigkeit unserer 
Tierchen mag aber die treffliche Schilderung Platz finden, welche 
Friese auf Grund seiner eigenen ausgedehnten Beobachtungen vom 
Nestbau der in Lehmwänden nistenden Anthrophora personata Il1g. 
entworfen hat: „Beim Beginn des Nestbaues wird zuerst ein hori- 
zontaler Gang von außen in die mehr oder weniger senkrecht auf- 
strebende Lehmwand geschabt, öfters auch ältere Gänge oder sonstige 
Röhren teilweise mitbenutzt, um Arbeit zu sparen. Die Höhe, in 
welcher die Nester angebracht waren, schwankt von 60 em vom Boden 
bis ebensoweit von der oberen Kante der Wand; offenbar werden die 
Ränder der Wand wegen der zu großen von oben und unten ein- 
dringenden Feuchtigkeit gemieden, wenigstens war der Prozentsatz 
der durch Schimmel zu Grunde gegangenen Zelleninsassen in den 
untersten Schichten sehr bedeutend. Die erste horizontale Röhre führt 
nicht immer winklig und gerade in die Mauer hinein, sondern krümmt 





v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 575 


sich nach rechts und links, ja mehrere Male fand ich sie auch ge- 
gabelt. Die Tiefe dieser Röhre ist nun ganz von der Anzahl der 
Zellen abhängig, und zwar wird der Gang immer erst tiefer gemacht, 
sobald eine Zelle abgeschlossen ist. Die Tiefe der Röhren steht 
demnach im geraden Verhältnis zu den angelegten Zellen, und Zellen 
werden so viel angelegt, als die Witterung und eventuell die Härte 
des Lehms erlaubt, die das Tierchen ja zu überwinden hat. Gewöhn- 
lich gehen sie bis zu 10 cm hinein; die Röhre ist rund und entspricht 
dem Durchmesser der Biene, also ca. 10—12 mm. Von der Hauptröhre 
führen die einzelnen Zellen unmittelbar nach unten ab und zwar 
immer abwechselnd, eine bald mehr rechts, die folgende mehr links, 
dann wieder rechts und so fort bis ans Ende des Ganges. Diese 
Verschiebungen nach rechts und links von dem oberen Hauptgang 
scheinen nur wegen Raumersparnis, und um die nach oben aus- 
kriechenden Imagines den Hauptgang leichter finden zu lassen, befolgt 
zu werden. Die größte Zahl von Zellen, nämlich 11 Stück mit einem 
gegabelten Haupteingang, fand ich bei Lampertheim, in der Regel 
steigt die Zellenzahl nicht höher als 5—7 an einem Gang“. 

„Die einzelnen Zellen sind ebenso wie der Hauptgang außer- 
ordentlich glatt und eben gemacht und innen offenbar mit einem 
erhärtenden Schleim ausgeputzt. Dieser Schleim bewirkt, indem er 
die umgebenden Lehmschiehten durehdringt und dann erhärtet, eine 
bedeutend gesteigerte Festigkeit sowohl des Ganges wie namentlich 
der Zellen. Die Zellen sind gewöhnlich 20—21 mm lang und 11—12mm 
breit, nach unten etwas bauchig ausgetrieben und schön gleichmäßig 
abgerundet; nach oben werden sie durch die Mutterbiene vom Rande 
allmählich mit flüssig gemachten Lehm zugemauert, wie die oft sicht- 
baren konzentrischen Riefen an der Innenseite des Deckels beweisen, 
im Zentrum findet man ebenda eine kleine Vertiefung. Bevor diese 
Zellen nun geschlossen werden, trägt die Mutterbiene Pollen und 
Nektar in die Zelle ein, und zwar scheint Anthophara Pollen und 
Nektar immer abwechselnd einzutragen, wenigstens fand ich immer 
in noch nicht halbgefüllten Zellen schon den ziemlich dünnflüssigen, 
gelblich-grauen Brei vor. Wenn die Zelle bis zur Hälfte gefüllt ist, 
wird das Ei abgelegt, und zwar schwimmt dies Ei auf dem Brei. 
Nach der Eiablage beginnt dann die Biene die Zelle durch den oben 
erwähnten Deckel zu schließen, der eine Dieke von 5 mm erreicht; 
darauf glättet sie den Hauptgang wieder, und man erkennt nichts 
mehr von der darunter gebetteten Zelle“. 

Die aus den Eiern der solitären Blumenwespen hervorkriechenden 
Larven bedürfen, da sie nicht wie die der geselligen Bienen von den 
Alten aufgefüttert werden, eines Futtervorrates, dessen Herbeischaffung 
gleichfalls eine Mutterpflicht für die bauenden Bienenweibchen be- 
deutet. Dieses Vorratsmaterial, welches je nach dem Verhältnis der 
Mischung bald mehr bald weniger von breiartiger Beschaffenheit ist, 
besteht aus Pollen und Nektar. 


576 v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 


Der Pollen wird mittels besonders ausgebildeter Sammelappa- 
rate, welche aus steifen Haaren gebildet sind, eingeheimst. Diese 
letzteren sind entweder (Podilegidae) an der Unterseite der 
Hinterbeine oder (Gastrilegidae) an der Unterseite des Ab- 
domens in Form von Bürsten angebracht und stellen lange und 
nach hinten gerichtete Borsten vor. Zwischen diesen beiden Formen- 
gruppen vermittelt die Gattung Halietus, bei welcher neben dem 
typischen Beinsammelapparat eine außerordentlich mächtige Behaarung 
des Abdomens zu Tage tritt. Freilich finden wir eine derartige Bauch- 
behaarung, wenn auch nicht in dem Masse wie bei Halietus, bei 
vielen Podilegiden entwickelt; sie wird aber hier so wenig wie dort 
thatsächlich zum Pollenerwerb verwendet. Dass die Art des Pollen- 
sammelns im Einzelnen mannigfach verschiedene Befunde gibt, dass 
dabei die verschiedenen Species gewisse Pflanzen besonders bevor- 
zugen und zum Besuche derselben mehr oder weniger weitgehende 
Anpassungen aufweisen, ist seit H. Müller’s klassischen Arbeiten 
eine bekannte Thatsache. 

Das Einsammeln des Nektars ist ein Einschlürfen desselben und 
wird durch die Mundwerkzeuge bewerkstelligt, die, in den einzelnen 
Gattungen mancherlei Verschiedenheiten unterworfen in einfachster 
Ausbildung uns bei den Archiapiden entgegentreten; überall ist es 
die sogenannte Zunge (Glossa), das durch successive Umgestaltung 
des zweiten Maxillenpaares (Unterlippe oder Labium, auch 
Hinterkiefer genannt) entstandene Organ, mit dessen Hilfe der 
Nektar aus dem Grunde der Blüten geholt wird. Die Zunge (Glossa), 
deren Länge überaus wechselt, nicht selten die Körperlänge erreicht 
oder gar übertrifft, ist in ihrem ganzen Verlaufe mit feinen Börstehen 
besetzt und trägt am freien Ende ein unscheinbares, gelenkiges 
Läppchen. „Während des Leckens legen sich die beiden an ihrer 
Basis zu einer Röhre verwachsenen Maxillen zu beiden Seiten der 
Zunge fest an diese und bilden so eine provisorische Röhre bis zur 
Zungenspitze“, in welcher dann wohl durch Kapillaritätswirkung der 
Nektar aufsteigt. Auch hier finden wir die wunderbarsten Einrich- 
tungen in den zahlreichen wechselseitigen Anpassungen zwischen den 
Blumen und den sie besuchenden Bienen. 

Ganz allgemein und ausnahmslos wird in jede Zelle eines Nestes 
nur ein Ei abgesetzt, welches entweder auf dem halbflüssigen Futter- 
brei schwimmt oder an den nur leicht durchfeuchteten Pollen ange- 
klebt wird. 

Die Eier der solitären Bienen sind von weißlicher Farbe und 
zylindrischer Gestalt mit bald mehr bald weniger abgerundeten Enden. 
Ihre Größe variiert mit der Größe ihrer Erzeuger. Die sich ent- 
wickelnden Embryonen verlassen durchschnittlich nach ca. 10 Tagen 
die Eihüllen, um als kleine Larven sich alsbald über die angehäuften 
Futtervorräte herzumachen. Von den in dieser Zeit, während welcher 





v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. Dll 


die jungen Larven rasch an Größe zunehmen, wohl sicher stattfinden- 
den Häutungen konnten bisher keine Spuren nachgewiesen werden. 
Nachdem in wenigen Wochen (3—4) das Vorratsmaterial aufgezehrt 
worden ist, erfolgt in etwa ebenso viel Tagen die Entleerung der 
Verdauungsreste, worauf wenigstens die Gastrilegiden sich in einen 
nach den verschiedenen Gattungen mannigfaltig gestalteten Cocon 
einspinnen, „an dessen unterer Hälfte die kurz vorher ausgestoßenen 
Exkrementenkügelchen sitzen. Die Beinsammler und Urbienen ent- 
leeren ihre Exkremente ebenfalls nach vollkommener Aufnahme des 
Futterbreis, aber in flüssiger Form, die alsbald am untern Zellende 
erhärten“, auch hierin also eine nicht unbedeutende biologische Dif- 
ferenz zwischen den Bauch- und Schenkelsammlern. 

Die Larven, welche zunächst die weißliche Färbung der Eier 
zeigen, besitzen einen meist scharf abgesetzten rundlichen Kopf und 
einen aus 13 Segmenten gebildeten Körper. Leibesanhänge fehlen 
und auch die Mundteile sind mit Ausnahme der etwas deutlicher her- 
vortretenden Mandibeln (Vorderkiefer) noch unentwickelt. Nach 
Vollendung des Cocons, welcher der Durchbruch des Afters voraus- 
geht, pflegt die mächtig herangewachsene Larve, welche jetzt ihre 
Zelle nahezu ausfüllt, eine gelbliche Farbe anzunehmen. In dieser 
Zeit erleidet der Kopf der Larve eine Lageveränderung, wodurch er 
nach vorn und abwärts gebeugt wird. Aufdiesen Zustand, in welchem 
das sich entwickelnde Insekt in der Regel 2, seltener bis zu 10 Mo- 
naten verharrt, folgt das sogenannte Vorpuppenstadium, welches 
meist rasch durchlaufen wird und durch das allmähliche Hervortreten 
der Mundwerkzeuge und Beinpaare charakterisiert erscheint. Hierauf 
wird die sehr feine Larvenhaut gesprengt „und die in allgemeinen 
Umrissen fertige Biene entlassen“. Damit ist das eigentliche Puppen- 
stadium erreicht, „alle Teile sind weißlich, äußerst zart und deutlich, 
nur die Mundteile sind noch sehr kurz, der Leib langgestreckt, die 
einzelnen Segmente deutlich abgesetzt“. Das weitere Wachstum voll- 
zieht sich schnell; die der definitiven Oberhaut dicht anliegende, zarte 
Behaarung stößt die äußere Hautschicht, welche hier als Puppenhülle 
fungiert, ab, es folgt die nach und nach sich einstellende Pigmen- 
tierung durch Erhärten des von der Epidermis gelieferten Chitins, 
wodurch die ursprüngliche Färbung in die definitive übergeführt wird. 
Schließlich schmiegen sich die als weite, von Flüssigkeit erfüllte 
Säcke angelegten Flügeln mit fortschreitendem Wachstum eng dem 
Bienenleibe an, um erst, nachdem das Tier seine Freiheit erlangt hat, 
die typische Gestalt zu erreichen. 

Der Durchbruch aus den Zellen, resp. dem ganzen Nest 
wird mit Hilfe der kräftigen Mandibeln bewirkt, wozu bei manchen 
Formen, die ihre Nester in weichen Lehm oder Sand bauen, noch 
ein besonderer, von der jungen Biene ausgebrochener Saft durch Er- 


weichen der unmittelbaren Umgebung des Nistplatzes mithilft. 
XI. 37 


578 v Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 

Beim Nestbau wird häufig von mehreren Weibchen gemeinsame 
Sache gemacht, indem die einzelnen Nester derselben durch ein ge- 
meinschaftliches Flugloch zu einer Art Kolonial-Nest verbunden 
werden (Panurgus, Halictus). Gewiss mit Recht knüpft Friese an 
diesen bedeutungsvollen Befund die Auffassung, dass derselbe uns 
heute noch darauf hindeutet, „wie sich die soziallebenden Gesell- 
schaften der Hummeln, Honigbienen und Wespen zuerst gebildet und 
abgezweigt haben mögen“. 

Nach Erscheinungszeit und Lebensdauer scheiden sich 
die wilden Bienen in 2 Abteilungen, von welchen die eine, weitaus 
die meisten Bienengattungen umfassende, dadurch gekennzeichnet ist, 
dass die ihr zugehörigen Arten alsbald nach erlangter Freiheit sich 
paaren, worauf die Weibchen an den Nestbau gehen, die andere aber, 
zu welcher die Gattungen Halictus, Sphecodes, Ceratina und Aylocopa 
gehören, dahin charakterisiert sind, dass nach erfolgter Begattung 
sich die Weibchen mit dem Eintritt der kälteren Jahreszeit ver- 
kriechen, um dieselbe zu überdauern, und erst im folgenden Frühjahr 
dem Brutgeschäfte sich hingeben. Fast allgemein pflegen die Männ- 
chen, nachdem sie die Befruchtung der Weibchen vollzogen haben, 
abzusterben, nur selten überwintern sie wenigstens teilweise mit den 
befruchteten Weibchen; bei den Angehörigen der Gattungen Aylocopa 
und Ceratina erfolgt auch die Begattung erst im folgenden Frühjahr 
und überwintern daher bei diesen Formen insgesamt Männchen und 
Weibehen gemeinsam. 

Außerordentlich empfindlich erweisen sich unsere Tierchen gegen- 
über dem Wetter; in Nichts zeigt sich dieser Einfluss vielleicht 
deutlicher als in der Flugzeit: während warmer Sonnenschein unsere 
ersten Frühlingsbienen, dieAndrenen, Halictus und manche Osmien 
zu frohem, summendem Schwärmen lockt, wodurch die blühenden 
Weidenbüsche als Tummelplätze regster Lebensfreudigkeit erscheinen, 
„lässt ein sie treffender Wolkenschatten sofort eine gewisse Lähmung 
in ihren Bewegungen eintreten und veranlasst sie bei längerem An- 
halten, die Heimfahrt anzutreten“. Die Wärme ist also in erster 
Linie bestimmend, weit weniger der Grad der Feuchtigkeit, 
wenngleich auch diese, wie viele Beobachtungen lehren, von den 
bauenden Weibchen aufgesucht wird; von jener ist überhaupt die 
ganze Lebensthätigkeit der wilden Blumenwespen abhängig. Die 
Dauer der Brutthätigkeit schwankt von 4 Tagen (einige Andrena- 
Arten) bis zu 2 Monaten, wie das für Chalicodoma und AXylocopa 
Geltung hat. „Im Allgemeinen, meint Friese, dürfte in einem Zeit- 
raume von 4 Wochen das Leben der meisten Bienen (Imagines) ver- 
laufen sein“. Die gesamte Entwicklung der solitären Blumenwespen 
umfasst meist gerade ein Jahr, so dass die Tiere alljährlich ungefähr 
zur selben Zeit erscheinen; einige Formen der artenreichen Gattung 
Andrena, ferner Halictus und Sphecodes zeigen 2 Generationen im 








v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 579 


Jahreslaufe und wieder andere wie Chalicodoma durchlaufen ihre 
ganze Entwicklung wenigstens im nördlichen Deutschland erst in 
2 Jahren. Hier zeigt sich nun der verändernde Einfluss des Wärme- 
faktors besonders klar: für die ebengenannte Mörtelbiene (Ohalicodoma 
muraria) konnte Friese nachweisen, dass dieselbe — im Norden 
zweijährig — in der Umgebung von Straßburg ihre Entwicklung schon 
in einem Jahre vollendet, während derselbe Forscher an Anthophora 
personata Illg., deren Entwicklung im Süden (Spanien) in einem 
Jahre sich abspielt, für Straßburg eine zweijährige Entwicklungs- 
dauer feststellte. 

Die Empfindlichkeit der Bienen der Witterung im weitesten Sinne 
gegenüber ist überhaupt eine sehr große; Wärmegrad und Sonnen 
schein sind dabei freilich die Hauptfaktoren; sie regeln den Beginn 
der morgendlichen Bauthätigkeit, die tägliche Flugzeit und das Sam- 
meln von Pollen und Nektar. Eine eigentümliche und wohl auch mit 
der angeführten Sensibilität zusammenhängende Erscheinung ist die 
weitverbreitete Gewohnheit, dass — oft sehr plötzlich — die bauenden 
Bienen „im Sommer gegen 2 Uhr Mittags ihre Thätigkeit abbrechen“. 
Erst nach 2stündiger Mittagsruhe, also gegen 4 Uhr nehmen sie ihre 
Arbeit wieder auf, um erst mit der untergehenden Sonne ihr Tage- 
werk zu schließen. Friese konnte diese Beobachtung in verschie- 
denen Ländern, in der Schweiz, in Spanien und in der ungarischen 
Rakos immer wieder bestätigt finden. 

Das von W. H. Müller mit dem Ausdrucke „Proterandrie“ 
bezeichnete und bei den Insekten sehr allgemeine und wohlbekannte 
Verhalten, dass die Männchen immer vor den Weibchen erscheinen, 
wird von Friese bei den verschiedensten Bienenarten bestätigt und 
daher als ein für die solitären Blumenwespen allgemein giltiges Vor- 
kommnis in Anspruch genommen. Im Einzelnen mancherlei Ver- 
schiedenheiten bietend führt eine vergleichende Betrachtung zu der 
auch aprioristisch naheliegenden Vorstellung, „dass die Proterandrie 
erst eine im Laufe der Zeit erworbene und allmählich gesteigerte“ 
Erscheinung ist. 

Während die Weibchen unserer Bienen ihre Schlaf- und Ruhe- 
zustände, die Erholungspausen, welche sie sich bei ihrer anstrengen- 
den Arbeit gewähren, in ihren Nestern verbringen, nehmen die Männ- 
chen (und dies gilt auch für die Schmarotzerbienen und zwar ohne 
Rücksicht aufs Geschlecht für Männchen und Weibehen) zu diesem 
Zwecke eine eigentümliche Stellung ein, „indem sie sich mit den 
Mandibeln an einem Blattstiel oder an einem kleinen Zweigehen fest- 
beißen und nun sich regungslos mit hängendem Leib dem Schicksal 
überlassen, bis Licht und Wärme wieder neues Leben bringen“. Dass 
daneben bei plötzlich hereinbreehenden Unwetter auch die Glocken- 
blüten der Campanulaceen und andere Blumen oder dichtbelaubtes 

3 


580 v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 


Buschwerk u. dgl. als Zufluchtsstätten aushelfen müssen, ist mehrfach 
beobachtet worden. 

Dass die Männchen sehr früh zu Grunde gehen, wurde schon oben 
erwähnt. Der Tod erfolgt dadurch, dass die Tierchen am Morgen 
aus ihrem Schlafe nieht mehr erwachen. Die Weibchen dagegen findet 
man abgestorben stets in ihren Nestern, deren Gängen, fertigen oder 
unvollendeten Zellen. 

Auf die Eigentümlichkeit gewisser Andrenen, ferner Nomada- 
Formen [auch der Schmarotzerhummel (Psythyrus quadricolor)], einen 
deutlich wahrnehmbaren, spezifischen Individualgeruch zu besitzen, 
sowie auf das gelegentliche Vorkommen von Missbildungen nach Art 
der Zwitterbildungen sei hier nur flüchtig hingewiesen. Auch die 
durch Strepsipteren (Stylops) hervorgerufenen Abweichungen vom 
normalen Aussehen gehören hierher. 

Wenngleich die einzelnen Gattungen der wilden Bienen ohne 
Zwang als natürliche Gruppen sich erkennen lassen, ist die Abgrenzung 
der einzelnen Arten einer Gattung bei der außerordentlichen Variabilität 
jener mit großen Schwierigkeiten verknüpft, die noch durch künst- 
liche Umstände vermehrt werden. 

Die leichte Anpassungsfähigkeit der Blumenwespen an 
verändertes Klima bringt es mit sich, dass der Habitus, die Farbe 
und Behaarung, die Entwicklungsdauer ete. verschiedenartigen Ab- 
änderungen unterliegen, so dass südliche Formen derselben Art ein 
anderes Aussehen gewähren und einen rascheren Entwicklungsverlauf 
zeigen als im Norden. Dieser Thatbestand mahnt zur Vorsicht bei 
Aufstellung neuer Arten und lässt die Tendenz berechtigt erscheinen, 
dem endlosen Gewirr des Artenbildens entgegenzutreten. Dazu kommt 
noch, dass, während die Männchen der solitären Bienen in der Regel 
kleiner sind als ihre Weibehen, doch gelegentlich bei Andrenen- 
Arten uud solehen von Osmia sogenannte Riesenmännchen auftreten, 
welche die Größe der Weibchen erreichen oder gar übertreffen. End- 
lich muss hier noch der sexuellen Verschiedenheiten gedacht werden, 
welche als sogenannte sekundäre Geschlechtscharaktere 
eine im Tierreich sehr weit verbreitete Erscheinung vorstellen. Als 
solche erscheinen außer der schon angeführten geringeren Größe noch 
der Besitz längerer Fühler für die Männchen bezeichnend, was für 
die schmarotzenden Bienen in ähnlicher Weise wie für die solitären 
gilt. Hierher sind auch besondere Ausbildungen mannigfacher Art 
und Form zu rechnen, welche an verschiedenen Organen sich ent- 
wickelnd immer dem gleichen Zwecke der Erleichterung des Begat- 
tungsaktes dienen; für die Weibchen ist die lebhaftere und farben- 
prächtigere Behaarung etwa besonders anzumerken. 

Unter Zugrundelegung vornehmlich des Ausbildungsgrades des 
Sammelapparates, der Mundteile und der Art des Nestbaus gelangte 
Friese zu einer Vorstellung des phylogenetischen Entwieklungsganges 





v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen, 581 


von freilich nur provisorischem Charakter. Schon H. Müller nahm 
an, dass die solitären Bienen sich aus Grabwespen hervorgebildet 
haben, welchen die beiden Gattungen Prosopis und Sphecodes noch 
unmittelbar nahestehen. Der Mangel eines Sammelapparates einerseits 
und die Verbreiterung des ersten Tarsalgliedes — der typische Cha- 
rakter der echten Apiden — anderseits gestatten nach Friese in 
der That diese beiden Gattungen als Zwischenformen zu betrachten 
und sie zu Ausgangspunkten der weiteren Entwicklung von Bienen- 
formen zu stempeln. Dass die geselligen Bienen, Bombus und Apis 
die höchste Entwicklungsstufe dieser phylogenetischen Reihe bilden, 
dürfte ebenso ohne Weiteres einleuchtend sein wie die Vorstellung, 
dass die parasitischen Bienen aus freilebenden, bauenden, solitären 
Blumenwespen durch Anpassung an das bequemere Schmarotzertum 
sich abgezweigt haben. 


II. 


Die Schmarotzerbienen, deren Charakteristik bereits eingangs 
dieses Berichtes gegeben wurde, umfassen die folgenden 14 Gattungen: 
Psithyrus Lep., Stelis Ltr., Coelioxys Ltr., Dioxys Lep., Ammoba- 
tes Ltr., Phiarus Gerst., Epeolus Ltr., Epeoloides Gir., Pasites Jur., 
Phileremus Ltr., Biastes Panz., Nomada Fbr., Melecta Ltr. und 
Orocisa Ltr. 

Die charakteristische Eigentümlichkeit dieser Tiere zur Eiablage 
die Nester anderer Bienen (sowohl sozialer wie solitärer) zu benutzen 
und dadurch der Mühe, selbst ein Nest bauen zu müssen, enthoben 
zu sein, qualifiziert dieselben zu argen Raubtieren, indem diese Form 
des Parasitismus immer mit dem Untergange der betreffenden Wirt- 
tiere verbunden ist. Ist es der emsig suchenden Schmarotzerbiene 
gelungen, ein im Bau befindliches Nest ihres Wirtes aufzufinden, so 
benützt sie die Abwesenheit des den Futtervorrat einsammelnden 
Weibchens, um in eine fast fertige Zelle eiligst ein Ei abzusetzen 
und hierauf den Bau schleunigst zu verlassen. Die heimkehrende, 
rechtmäßige Besitzerin des Nestes legt nun, ohne von dem Besuch 
des Parasiten Notiz zu nehmen, auch ihrerseits ein Ei in die Zelle 
ab, um die letztere sodann zuzudeckeln. In solchen Zellen befinden 
sich demnach zwei Eier auf dem Futterbrei; schon nach kurzer Zeit 
findet man aber in diesen Zellen nur noch die Larve der Schmarotzer- 
biene vor. Wie und in welchem Entwieklungszustande das 
rechtmäßige Ei dem Untergange anheimfällt, ist mangels ausreichender 
Beobachtungen mit Sicherheit nicht anzugeben. Höchstwahrscheinlich 
verläuft die Entwicklung des Eies der Schmarotzerbiene schneller als 
die des anderen Eies und die vorzeitig auskriechende Larve des 
Parasiten beutet den eingetragenen Futtervorrat für sich aus. Ob 
der gefräßige Parasit, nachdem der Futterbrei verbraucht ist, auch 
die junge Larve oder den Embryo als erwünschten Bissen verzehrt 


589 v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 


oder ob der letztere infolge Nahrungsmangels verhungert und ver- 
geht, ist zur Zeit nicht zu entscheiden. 

Die weitere Entwicklung der kleinen Lärvchen der Schmarotzer- 
bienen verläuft ähnlich derjenigen der solitärlebenden, welche schon 
im vorigen Abschnitt in ihren Hauptzügen mitgeteilt wurde. Immer- 
hin zeigen sich im Einzelnen, insbesondere hinsichtlich der Zeit und 
Art der Verpuppung auch bei den Schmarotzerbienen verschiedene 
Besonderheiten; ihre Kenntnis ist aber noch weit lückenhafter als bei 
den einzelnlebenden wilden Bienen, ein bei der Schwierigkeit der 
Beobachtung begreiflieher Zustand, der aber die Aufstellung allge- 
meinerer Gesetzmäßigkeiten vorläufig noch verbietet. 

Dass auch bei den parasitischen Bienen die Männchen vor den 
Weibehen erscheinen, wurde neben Anderem schon oben angeführt 

Wenn unsere Bienen bei ihrer schmarotzenden Lebensweise es 
auch nicht nötig haben, für ihre Brut Vorräte aufzuspeichern, so sind 
sie doch exquisite Blumenbesucher. Nicht bloß die einzelnen 
Arten, vielfach auch Männchen und Weibchen derselben Species haben 
ihre Lieblingsblumen, die sie entweder ausschließlich besuchen oder 
doch unter anderen besonders bevorzugen. Von Interesse ist, dass, 
wie Friese fast ausnahmslos nachweisen konnte, „die Schmarotzer- 
bienen die Vorliebe für die oft ausschließlich bevorzugte Nahrungs- 
pflanze ihres Wirtes teilt“. 

Die Begattung der Schmarotzerbienen im freien Naturzustande 
wurde bisher noch nieht beobachtet!), doch wird man kaum mit der 
Annahme fehlgehen, dass dieselbe in der ersten Zeit des Blumen- 
besuches erfolgt; die Männchen fallen darauf dem Tode anheim, indess 
„die Weibehen die Nähe der zu beschenkenden Nester ihrer Wirte 
aufsuchen“. 

Was nun die Art des Verhältnisses betrifft, in welchem die para- 
sitischen Bienen zu ihren Wirten stehen, so ist dasselbe im Allgemeinen 
natürlich kein freundliches. Melecta und Coelioxys entfliehen sofort, 
wie sie das bauende Wirtweibehen (Anthophora resp. Megachile) heran- 
kommen sehen. Diesem Verhalten steht das „geradezu gemütliche 
Verhältnis“ gegenüber, welches zwischen den in den Nestern der 
Andrenen schmarotzenden Nomada-Arten und ihren Wirttieren be- 
obaehtet werden kann. So berichtet Friese, dass er an verschiedenen 
Orten eine Nomada-Art (N. lathburiana K.) mit ihrem Wirt, der 
Andrena ovina Klg. gemeinsam fliegen sah. „War eine Andrena in 
ihrer Brutröhre, so kam die Nomada wieder heraus, um ihr Glück in 
einer andern der zahlreich mit neben einander liegenden Oeffnungen 
mündenden Brutzellen zu versuchen, und war etwa eine Nomada in 





1) Doch gelang es Friese die Kopulation von Melecta notata, welche 
die Nester von Anthophora personata bewohnt, im Zimmer zu beobachten; 
vergl. die treffliche Schilderung dieses Vorgangs in: Beitr. z. Biol. d. sol. 
Blumenwespen |]. e. 8. 674. 

















v. Wagner, Zur Biologie der wilden Bienen. 583 


dem Nest, so kehrte die pollenbeladene Andrena wieder zurück, um 
erst die Nomadu herauszulassen und dann ihren Pollen in die bereit 
gehaltenen Zellen abzustreifen“. 

Im Zusammenhange mit der so wesentlich abgeänderten Lebens- 
weise, wie sie im Parasitismus gegenüber dem freien Leben der 
übrigen Bienenformen zu Tage tritt, stehen naturgemäß Umbildungen 
in den allgemeinen morphologischen Verhältnissen. 

In erster Linie ist hier der Verlust des Sammelapparates 
zu erwähnen, von welchem nicht einmal Spuren mehr nachweisbar 
sind; er ist durch die geänderten Lebensbedingungen überflüssig ge- 
worden und daher in Fortfall gekommen. Auch die Körperbehaarung 
hat bedeutende Einbußen erlitten, doch ist das Maß der Rückbildung 
bei den verschiedenen Gattungen durchaus nicht das gleiche, wobei 
sich auch Unterschiede nach dem Geschlechte vorfinden. Während 
die Gattung Psithyrus, wenigstens im männlichen Geschlecht noch die 
typische Leibesbehaarung der Hummeln zeigt, haben die Weibchen 
dieser GattungsowieMelecta, Orocisa, Nomada u.a. in beiden Geschlechtern 
schon weitgehende Rückbildungen in dieser Beziehung erfahren. Bei 
Biastes erscheint dann der Körper in beiden Geschlechtern völlig haarlos 
und kahl; dasselbe gilt von den weiblichen Angehörigen der Gattung 
Phiarus, neben welchen aber die Männchen sich noch einer wohl- 
entwickelten Behaarung erfreuen, der weitestgehende bekannte Fall 
eines derartigen Sexualunterschiedes.. Manche Formen wie Epeolus, 
Pasites u. a., welche des Haarkleids entbehren, besitzen dafür am 
Abdomen eine mehr oder weniger allgemeine Schüppchenbekleidung. 

Abgesehen von den eben näher bezeichneten Geschlechtsverschieden- 
heiten hinsichtlich der Behaarung tritt der sonst bei Bienen wohl aus- 
geprägte Sexualdimorphismus stark in den Hintergrund, so dass 
es z. B. bei den nahezu 100 Arten umfassenden Genus Nomada selbst 
für den Kenner kaum mehr möglich ist, nach äußeren Merkmalen 
Männchen und Weibchen auseinander zu halten. 

Eine gewisse Sonderstellung beanspruchen die Schmarotzerbienen 
bezüglich der bei ihnen weitverbreiteten grellen Färbung, welche 
in die sonst hier zu Tage tretende mehr gleichmäßige Gestaltung 
unserer Tiere nicht recht hineinpasst. Farbenmischungen, welche bei 
den andern Bienen nicht vorzukommen pflegen, finden sich hier in 
lebhafter Entwicklung vor. Ref. kann Friese nur zustimmen, wenn 
er sagt: „Diese Farbenzeichnungen der Schmarotzerbienen scheinen 
somit nicht eine von den Stammformen her ererbte, sondern vielmehr 
eine neu erworbene Eigentümlichkeit zu sein, deren ursächlicher Zu- 
sammenhang mit der angenommenen parasitischen Lebensweise dieser 
Tiere freilich noch dunkel ist“. 

Der Bau der Mundwerkzeuge zeigt bei den Schmarotzerbienen 
im Wesentlichen eine weitgehende Gleichmäßigkeit; wie überall bei 
den Bienen sind sie auch hier leckende und weisen nicht selten eine 


584  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


bemerkenswerte Uebereinstimmung mit dem Bau der gleichen Organe 
bei den Wirten auf (so z. B. Psithyrus- Bombus, Stelis- Anthidium, 
Melecta- Anthophora u. a.). 

Am Sehlusse seiner Arbeit über „die Schmarotzerbienen und ihre 
Wirte“ hat Friese auch versucht, die möglichen Verwandtschafts- 
beziehungen der einzelnen Gattungen dieser Bienenabteilung an- 
nähernd festzustellen. Mit Ausnahme der phylogenetischen Zusammen- 
stellung von Psithyrus und Bombus und etwa noch von Stelis und 
Anthidium, welche letztere mit dem Hinweis darauf begründet wird, 
dass gewisse Arten der ersteren Gattung eine so weitgehende Ueberein- 
stimmung mit Anthidium zeigen, dass sie bis vor Kurzem überhaupt 
zu dieser Gattung gestellt wurden, schweben indess die darüber hinaus- 
gehenden genetischen Vorstellungen auf zu unsicherem Boden, dass 
sie keinen Gegenstand für den vorliegenden Bericht abgeben können. 
Immerhin wird man aber das Verfahren Friese’s „den Grad der 
Rückbildung äußerer Organe, die bei den Stammformen gut ausge- 
prägt sind“, zur Grundlage derartiger Spekulationen zu benutzen, 
umsoweniger von der Hand weisen können, als andere Kriterien zur 


Zeit nieht zu Gebote stehen. 
F. v. Wagner (Straßburg i. E.). 


Die internationalen Beziehungen von Lomechusa strumosa }). 
Von E. Wasmann NS. J. 


Lomechusa strumosa F., eine unserer größten einheimischen Aleo- 
charinenarten, ist ein regelmäßiger Gast von Formica sanguinea Latr. 
In manchen Gegenden kommt sie sekundär auch bei F. rufa L. und 
pratensis Deg. vor. Dagegen ist sie in den selbständigen Kolonien 
der Hilfsameisen von F. sanguinea, F. fusca und rufibarbis, höchstens 
in seltenen Ausnahmefällen zu treffen, die zu den bloß zufälligen Er- 
scheinungen zählen. Bei F. sanguinea ist ihr Vorkommen völlig un- 
abhängig davon, ob die betreffende Kolonie Hilfsameisen hat, und 
zu welcher Art dieselben gehören. 

Lomechusa strumosa zählt zu den „echten Gästen“ (Emery’s 
Myrmecoxenen) und wird von F. sanguinea häufig beleckt, besonders 
an den gelben Haarbüscheln des Hinterleibes. Sie wird ferner häufig 
gefüttert aus dem Munde ihrer Wirte, und zwar nach Art einer Ameisen- 
Larve, nicht nach Art einer Ameise wie die lebhafteren und mit 
größerer Initiative begabten Atemeles. L. strumosa ist in ihrem ganzen 
Benehmen ziemlich plump und unbeholfen und wird dementsprechend 
auch von den Ameisen behandelt. Sie macht ihre ganze Entwicklung 
bei F. sanguinea durch; ihre Larven werden von letzterer gleich den 





1) Siehe Bd. XI Nr. 11 8.339 u. 343. Ich war leider durch Krankheit an 
der rascheren Fortsetzung dieser Arbeit verhindert. 














Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 585 


eigenen Larven gepflegt, obwohl sie die Eier der Ameisen verzehren. 
Aus dem Umstande, dass L. strumosa ihre ganze Entwicklung bei ein 
und derselben Ameise durchläuft, während die Atemeles als Käfer und 
als Larven bei verschiedenen Ameisengattungen leben, erklären sich 
fast alle biologischen und psychischen Unterschiede zwischen den im 
übrigen sehr nahe verwandten Atemeles und Lomechusa'). 


Wir stehen jetzt vor der Frage: Wie wird Lomechusa stru- 
mosa behandelt von Ameisen fremder Kolonien und 
fremder Arten? Die experimentelle Beantwortung dieser Frage 
wird folgende Abschnitte umfassen: 


1) Die Beziehungen von L. strumosa zu fremden Kolonien von 
Formica sanguinea und zu den Hilfsameisen in denselben. 

2) Zu F. rufa L. 

3) Zu F. pratensis Deg. 

4) Zu F. exsecta Nyl. 

5) Zu F. fusca L. 

6) Zu F. rufibarbis F. 

7) Zu F. fusco-rufibarbis For. 

8) Zu Polyergus rufescens (mit F. fusca als Hilfsameisen). 

9) Zu Camponotus ligniperdus Ltr. 
10) Zu Lasius fuliginosus Ltr. 

11) Zu Lasius niger L. 

12) Zu Lasius umbratus Nyl. 

13) Zu Lasius flavus Deg. 

14) Zu Tapinoma erraticum Ltr. 

15) Zu Tetramorium caespitum L. 

16) Zu Myrmica scabrinodis Nyl. 

17) Zu Myrmica ruginodis Nyl. 

18) Zu Myrmica laevinodis Nyl. 

19) Zu Myrmica rubida Ltr. 
20) Zu Leptothorax tuberum F. und Formicowenus nitidulus Nyl. 
21) Vergleichender Rückblick. 
22) Versuch einer Erklärung der internationalen Beziehungen von 

Lomechusa strumosa. 





1) Ueber das Verhältnis von Lomechusa strumosa zu ihren normalen Wirten 
und über ihre Entwicklung vergl. Ueber die Lebensweise einiger 
Ameisengäste I. (Deutsch. Ent. Zeitschr., 1886, S. 55); Beiträge zur 
Lebensweise der Gattungen Atemeles und Lomechusa (Tijdschr. v. 
Entomol. XXXI.u. Haag, 1888) S. 59 (303) ff. Vergleichende Studien über 
Ameisengäste und Termitengäste (Tijdschr. XXXII. u. Haag 1890) 
Nachtrag I (S. 93) u. Nachtrag Il (S. 262); Verzeichnis der Ameisen und 
Ameisengäste von Holländisch Limburg (Tijdschr. XXXIV. u. Haag 
1891) S. 58. Vergl. auch das Referat von Emery „Ueber myrmekophile In- 
sekten“ (Biol. Centralbl., IX, S. 23 ff.). 


586 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


1) Die Beziehungen von Z. straumosa zu fremden Kolonien von 
F. sanguinea und zu deren Hilfsameisen. 


Zahlreiche Versuche hierüber habe ich in Holländisch Limburg 
angestellt (Exaeten bei Roermond und Blijenbeek bei Afferden), einige 
wenige auch in Böhmen (Mariaschein bei Teplitz und in Prag). Es 
sind in diesem Abschnitte folgende Fragen zu beantworten: 

a. Wie wird Lomechusa aufgenommen in fremden sanguinea- 
Kolonien, die bereits selbst Lomechusa besitzen? 

b. In solehen Kolonien, die keine Lomechusa besitzen und wahr- 
scheinlich seit langer Zeit keine besaßen? R 

ce. In Kolonien, die aus ganz jungen, frischentwickelten sanguinea 
gebildet sind ? 

d. Wie verhalten sich die Hilfsameisen in den fremden sanguinea- 
Kolonien zur Aufnahme der Lomechusa ? 

Ada. Dies ist der einfachste Fall für die internationalen Be- 
ziehungen von Lomechusa strumosa. Das Ergebnis der zahlreichen 
Versuche ist übereinstimmend folgendes: F. sangwinea nimmt die aus 
fremden sanguwinea-Kolonien kommenden Zomechusa unmittelbar 
auf und macht keinen Unterschied zwischen den eigenen und 
den fremden Lomechusa. Diese Regel gilt sowohl für jene sanguinea- 
Kolonien, in denen ich bereits in freier Natur Lomechusa gefunden, 
als auch für jene, die erst in meinen Beobachtungsnestern Lomechusa 
erhielten, und zu denen ieh dann noch weitere Exemplare aus fremden 
Kolonien setzte. Einige besonders eharakteristische Versuche sollen 
hier näher angeführt werden. 

Am 15. Juni 1887 (Exaeten) setzte ich in ein kleines Beobach- 
tungsnest mit sanguinea — fusca |d. h. sanguinea, die fusca als Sklaven 
hatten !)], welches bereits eine eigene Lomechusa besaß, eine neue aus 
einer anderen sanguinea-Kolonie hinzu, und zwar unmittelbar aus der 
Gesellschaft der fremden Ameisen, also ohne vorhergehende „Quaran- 
taine“?). Einige sanguinea und fusca nähern sich dem neuen Gaste 


1) Das Zeichen — für gemischte. Kolonien dürfte nützlich sein, um 
Verwechslungen derselben mit den Mischrassen (Uebergangsformen zwischen 
nahe verwandten Arten) zu vermeiden, für welche Aug. Forel die Bezeich- 
nungen „rufo-pratensis“, „fusco-rufibarbis* ete. eingeführt hat. Das obige 
Zeichen für gemischte Kolonien habe ich in dem Buche „Die zusammengesetzten 
Nester und gemischten Kolonien der Ameisen“ (Münster 1891) zuerst ange- 
wandt (S. 177). 

2) d. h. ohne sie vorher mit einigen Arbeiterinnen der fremden Kolonie 
in ein Gläschen zusammenzusetzen und Bekanntschaft machen zu lassen. Diese 
Isolierungsmethode bezeichne ich deshalb als „Quarantaine“, weil sie dazu 
dient, dass die Gäste eventuell den Nestgeruch ihrer früheren Wirte verlieren 
und den der neuen annehmen. Die volle Bedeutung dieser Quarantaine wird 
erst bei den internationalen Beziehungen von Atemeles emarginatus und para- 
doxus klar werden. 











Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 587 


sofort mit prüfenden Fühlerbewegungen und halbgeöffneten Kiefern. 
Der Käfer trillert mit den Fühlern und rollt den Hinterleib hoch auf. 
Die Ameisen ziehen sich beruhigt zurück. Der Käfer läuft in das 
Innere des Nestes hinab und drängt sich unter die beisammensitzenden 
Ameisen. Schon nach 5 Minuten wird er von einer sangıinea sanft 
und anhaltend beleckt. Nach einer halben Stunde sehe ich die neue 
Lomechusa in Paarung mit der bereits vorher vorhandenen unter den 
Ameisen sitzen. 

In dem ebenerwähnten Falle wurde die fremde Lomechusa mit 
leichten Zeichen des Misstrauens (vorsichtig prüfende Fühlerbewegungen 
und halbgeöffnete Kiefer) aufgenommen, die allerdings nur wenige 
Sekunden anhielten. Meist fehlen auch diese Zeichen des Misstrauens, 
und die Aufnahme der fremden Lomechusa erfolgt ohne das geringste 
Zögern. Folgende zwei Beobachtungen können als Normalfälle an- 
gesehen werden. 

Im 17. Mai 1888 (Exaeten) setzte ich 6 an demselben Tage ge- 
fangene Lomechusa unmittelbar (ohne Quarantaine) in ein Beobach- 
tungsnest zu einer fremden sangwinea-Kolonie, bei der ich zwei Tage 
vorher 5 Lomechusa gefunden hatte und bei der gegenwärtig noch 2 
derselben in Pflege waren. Die neuen Gäste wurden ohne die ge- 
ringsten Aeußerungen von Feindseligkeit oder Misstrauen aufgenommen 
und ebenso behandelt wie die alten Gäste, während eine mit ihnen 
hineingesetzte fremde sangwinea- Königin (aus dem Neste der neuen 
Lomechusa) andauernd misshandelt und verstümmelt wurde. 

Am 30. April 1890 hatte ich (bei Exaeten) 10 Lomechusa gefangen, 
1 in einer Kolonie sanguwinea — fusca, 4 in einer anderen Kolonie 
sanguinea — fusca, 5 in einer natürlichen, anormal gemischten Kolonie 
sanguinea — rufa — fusca*). Ich setzte hierauf die 10 Lomechusa in 
ein Beobachtungsnest zu sanguinea—rufa —fusca aus der letztgenannten 
Kolonie. Sämtliche Lomechusa wurden von den sanguinea sofort auf- 
genommen, nach der ersten Berührung mit den Fühlern oder selbst 
ohne diese Untersuchung, die übrigens sehr rasch und ohne Zeichen 
von Misstrauen erfolgte. Zwischen den aus den verschiedenen Kolonien 
stammenden Gästen wurde kein Unterschied gemacht, weder bei der 
Aufnahme noch bei der späteren gastlichen Behandlung. Ueber das 
Benehmen der fremden Hilfsameisen vergl. unten Ad d. 

Ad b. Lomechusa strumosa wird auch in solchen sanguinea- 
Kolonien, die selbst keine Lomechusa besitzen und wahrschein- 
lich seit langer Zeit keine besaßen, unverzüglich aufgenommen 
und gepflegt wie in ihren eigenen Nestern. Es ist ein seltener, durch 
besonders ungünstige Umstände veranlasster Ausnahmefall, wenn 
Lomechusa von fremden sanguinea unter misstrauischem Oeffnen der 
Kiefer längere Zeit mit den Fühlern vorsichtig geprüft oder sogar 





1) Näheres über diese interessante Kolonie vergl. Die zusammenge- 
setzten Nester uud gemischten Kolonien. S. 169. 


588 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


feindlich umhergezerrt und misshandelt wird). In weitaus den meisten 
Fällen wird Lomechusa von den fremden sanguinea schon mit dem 
ersten, oberflächlichen Fühlerschlag als „Stammgast“ erkannt und als 
solcher fortan behandelt. Eine „Quarantaine“ ist zur Aufnahme 
von Lomechusa strumosa bei F. sanguinea nicht nötig. — Ich lasse 
nun einige Versuche folgen. 

In der Umgebung von Exaeten hatte ich 3 Jahre lang (1884—87) 
Lomechusa strumosa bei F. sanguinea vergeblich gesucht. Die ersten 
Exemplare fand ich Anfang Juni 1857. Am 14. Juni setzte ich eine 
Lomechusa zu fremden sanguinea einer großen, starken Rasse, in deren 
Nest ich Lomechusa schon oft vergebens gesucht hatte. Auch in dem 
Umkreise jenes Nestes, auf eine Stunde im Durchmesser, hatte ich 
während der drei vorbergehenden Jahre in keinem einzigen sanguinea- 
Nest Lomechusa gefunden. Der fremde Gast wurde von den sanguinea 
jener Kolonie nieht angegriffen, sondern scheinbar ignoriert. Nach 
drei Stunden lag er jedoch tot auf der Seite, ohne weitere Verletzung; 
Todesursache unbekannt. — Ich führe diesen ergebnislosen Versuch 
deshalb an, weil er zur Warnung dienen kann vor einer unberech- 
tigten Verallgemeinerung. Der obige Versuch war unter entschieden 
ungünstigen Umständen angestellt worden, die den natürlichen Ver- 
hältnissen nicht entsprachen. Ich hatte nämlich die Lomechusa samt 
den fremden Ameisen und etwas feuchter Erde in ein Beobachtungs- 
nest geschüttet und den Ameisen nicht Zeit gelassen, vor der Auf- 
nahme des Gastes ihr Nest einzurichten. Lomechusa wird aber, wenn 
sie durch ihr plumpes Umherlaufen die Erdarbeiten stört, von den 
sanguinea oft gewaltsam auf die Seite gezerrt, und, wenn sie durch 
ihre Unruhe andauernde Störung verursacht, sogar aus dem Neste 
hinausgeworfen. Dies kommt in sanguinea-Kolonien vor, in denen 
die Lomechusa bisher sorgfältig gepflegt worden waren [vergl. Bei- 
träge S. 70 (314)]. Für die erste Aufnahme fremder Lomechusa können 
so ungünstige Umstände a fortiori nicht als Normalverhältnisse an- 
gesehen werden. 

Am 15. Juni 1887 setzte ich eine Lomechusa in ein Quarantaine- 
Gläschen zu zwei fremden sanguinea-Arbeiterinnen derselben Kolonie, 
mit der ich das obige unglückliche Experiment gemacht hatte. Die 
beiden Ameisen griffen die Lomechusa nicht feindlich an. Am Morgen 
des 16. brachte ich eine größere Anzahl sanguinea« aus der nämlichen 
Kolonie in das Quarantainegläschen. Die Lomechusa wurde hie und 





4) Mit dieser wirklichen Misshandlung darf man andere Erscheinungen 
nicht verwechseln, die ein ungeübter Beobachter leicht als solche auffassen 
könnte, die jedoch zu der normalen Behandlungsweise von Lomechusa gehören. 
Sie wird oft bei der Beleckung an den gelben Haarbüscheln heftig gezerrt, 
ferner auch nicht selten von einer sanguwinea erfasst und trotz heftigen Sträu- 
bens an eine andere Stelle des Nestes getragen. Vergl. Beiträge 8. 67 
(31) 8. 








A 


Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 589 


da von einer sanguinea misstrauisch angefahren und mit geöffneten 
Kiefern am Hinterleibe zu fassen versucht. Sie reagierte darauf mit 
Zittern des ganzen Körpers und lebhaftem Fühlertrillern. Als ich 
noch mehr sanguinea hineinwarf und ein Tumult entstand, wurde die 
Lomechusa sehr aufgeregt. Sie tanzte unbeholfen und drollig im 
Kreise herum, indem sie jeder ihr nahe kommenden sanguinea die 
trillernden Fühler zuzukehren suchte, selbst wenn die Ameise ihr gar 
keine Aufmerksamkeit schenkte. Trotz der ungünstigen Verhältnisse 
und der heftigen Erregung, in welcher die gewaltsam in das Gläschen 
beförderten Ameisen sich befanden, wurde die Lomechusa nicht weiter 
behelligt. Als die sangwinea sich etwas beruhigt hatten, gab ich 
ihnen ein Stückchen Zucker. Bald darauf standen zwei sanguinea, 
sich fütternd, mit aufgerichtetem Vorderkörper einander gegenüber. 
Die eine ließ einen großen Tropfen auf die vorgestreckte Unterlippe 
treten, der von der anderen aufgeleckt wurde. Die Lomechusa näherte 
sich ihnen, richtete den Vorderkörper hoch auf, suchte mit ihrem 
Kopfe an den Mund der fütternden Ameise zu gelangen und beleckte 
Kopf und Fühler der beiden Ameisen. Endlich war die eine Ameise 
fertig gefüttert und zog ihren Kopf zurück, an dessen Stelle nun 
Lomechusa ihr Köpfchen hielt. Die fütternde sangwinea stutzte einen 
Augenblick, prüfte den Gast mit den Fühlerspitzen, während derselbe 
ihren Kopf mit den Fühlern betupfte und zu belecken suchte. Nach 
wenigen Sekunden gestattete sie dem Käfer, seinen Kopf in ihren 
Mund zu stecken und den Rest des süßen Tropfens aufzulecken. 

Ich habe diese Fütterungsscene deshalb so eingehend wieder- 
gegeben, weil es der einzige mir vorgekommene Fall ist, in welchem 
sanguinea einen Gast nach Art einer Ameise fütterte. Sonst 
füttert sie ihre Gäste, sowohl die Lomechusa als die Atemeles wie 
Ameisenlarven. Ueber die Unterschiede beider Fütterungsmethoden 
vergl. Beiträge 8. 65 u. 66 (309 u. 310). Im obigen Falle war die 
Fütterung der Lomechusa zufällig die Fortsetzung der unmittelbar 
vorhergehenden Fütterung einer sanguinea. Nur so vermag ich mir 
diese einzig dastehende Erscheinung zu erklären. 

Maßgebender für die Aufnahme von Lomechusa in solchen sangwinea- 
Kolonien, die bisher keine Lomechusa hatten, sind andere Versuche, 
die unter günstigeren Umständen angestellt wurden. Ich ließ den 
Käfer meist ruhig in das bereits fertig eingerichtete Nest der sanguwinea 
hineinlaufen, wie es unter natürlichen Verhältnissen zu geschehen 
pflegt, wenn Lomechusa auf der Suche nach einem neuen sanguwinea- 
Neste ist. |Vergl. Beiträge 5.68 (312)]. Da das Ergebnis dieser Ver- 
suche übereinstimmend auf unmittelbare Aufnahme von Lomechusa 
lautet, wie ich bereits oben angegeben, kann ich mich hier mit wenigen 
Detailangaben begnügen. 

Am 25. Mai 1888 setzte ich eine Lomechusa unmittelbar (ohne 
Quarantaine) in ein Beobachtungsnest mit sanguinea — fusca einer 


590  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa . 


fremden Kolonie, in der ich bisher niemals Lomechusa gefunden hatte 
und in derem Umkreise auf eine halbe Stunde Entfernung mir bisher 
keine Lomechusa-haltigen Nester vorgekommen waren. Der Käfer 
drängt sich sogleich unter die beisammen sitzenden Ameisen und 
wird von diesen ohne ein Zeichen von Misstrauen oder Feindschaft 
aufgenommen (Exaeten). 

Am 19. Mai 1891 hatte ich bei Mariaschein (Nordböhmen) bei 
F. sanguinea eine Lomechusa gefangen und setzte sie am 20. in ein 
kleines Beobachtungsnest mit sanguinea — fusca aus einer Kolonie, 
die ich gänzlich geplündert hatte, ohne eine Lomechusa zu finden. In 
demselben Beobachtungsneste befanden sich drei ursprünglich bei dieser 
Kolonie gefundene Ameisengrillen (Myrmecophila acervorum) und zwei 
fremde Keulenkäfer (Claviger testaceus). Die Lomechusa wurde sofort 
aufgenommen und behandelt wie ein längst bekannter Gast. Zwischen 
der Pflege der böhmischen und der holländischen Lomechusa durch 
ihre respektiven Wirte habe ich keinen Unterschied bemerkt. Auch 
von den böhmischen sangwinea wurden die Lomechusa wie Ameisen- 
Larven gefüttert, nicht wie Ameisen. 

Besonders interessant sind die Versuche über die internationalen 
Beziehungen von Lomechusa strumosa, die ich im Frühling und Som- 
mer 1888 mit einer Kolonie sanguinea — rufibarbis — fusca anstellte 
(Exaeten). Diese Kolonie war eine „künstliche Bundeskolonie“!), da- 
durch entstanden, dass ich am 17. September 1887 zwei große Be- 
obachtungsnester, das eine sanguinea — fusca, das andere sanguineu 
— rufibarbis enthaltend, durch eine Glasröhre verbunden hatte. Das 
größere jener beiden Nester, ein Lubbock’sches Beobachtungsnest 
(zwei Glasscheiben, durch Holzrahmen verbunden), bildete fortan den 
Wohnsitz der Bundeskolonie, während das andere, nach demselben 
System eingerichtete Nest als Vornest diente, in welchem die Ameisen 
auf Beute ausgingen und ihre Nestabfälle ablagerten; es stellte somit 
für jene Kolonie die freie Umgebung des eigentlichen Nestes vor. 
Im Laufe des Winters 1887—88 hatte ich mehrere Atemeles emarzgi- 
natus und paradoxus in der Bundeskolonie aufnehmen lassen, worüber 
später bei den internationalen Beziehungen der Atemeles. Es ist noch 
zu bemerken, dass diese Bundeskolonie weder vor noch nach ihrer 
Vereinigung Lomechusa besessen hatte; auch in ihren ursprünglichen 
Nestern hatte ich keine Lomechusa gefunden. 

Mitte Mai 1888 begann ich mit der Aufnahme fremder Lomechusa. 
Am 17. setzte ich eine Lomechusa in das Vornest, wo die umher- 
laufenden Ameisen viel reizbarer und kampflustiger sich zeigten als 
in dem eigentlichen Neste, und Alles, was ihnen begegnete, anzufallen 
pflegten. Selbst die indifferent geduldeten Dinarda dentata (teils aus 





4) Näheres über diese Kolonien vergl. Die zusammengesetzten 
Nester und gemischten Kolonien, 1. Abschnitt, 2. Kap. (8. 145 ff.). 

















Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 591 


diesen beiden, teils aus fremden Kolonien) wurden von den sanguinea 
oftmals heftig angefahren, wenn sie ihnen im Vorneste begegneten. 
Anfangs suchte die Lomechusa sich zu verbergen und setzte sich unter 
ein Klümpchen Erde. Nach einigen Minuten kommt sie hervor, nähert 
sich einer Ameise und betrillert sie mit den Fühlern. Diese greift 
den Käfer nicht feindlich an, sondern geht, nachdem sie ihn ober- 
flächlich mit den Fühlern berührt, ruhig ihres Weges, als ob sie einer 
Ameise ihrer Kolonie begegnet sei. Bereits nach einer Viertelstunde 
wird die Lomechusa im Vorneste von einer sanguinea eifrig und an- 
haltend am Hinterleibe beleckt. Sie reagiert mit den Fühlern trillernd 
und anfangs auch mit dem Körper zitternd. Kurz vorher war eine 
andere, kleinere sanguinea mit lebhaften Fühlerschlägen auf die Lo- 
mechusa zugesprungen wie auf eine befreundete Ameise, war ihr 
dann ein wenig gefolgt und hatte sie dann wieder mit ihren Fühlern 
geschlagen, wie um ihre Aufmerksamkeit zu erregen und sie einzu- 
laden, ihr zu folgen. Während die Lomechusa von der einen sanguinea 
beleckt wurde, sammelten sich mehrere andere um sie her. Ich reizte 
die Ameisen durch das Klopfen auf das Glasnest. Sie sprangen mit 
geöffneten Kiefern umher, den Störenfried suchend. Eine geriet hiebei 
zufällig auf die Lomechusa; nach der ersten wechselseitigen Berührung 
mit den Fühlern, schloss sie jedoch ihre Kiefer und lief weiter. 

Die Lomechusa war somit schon im Vorneste unmittelbar auf- 
genommen worden wie ein längstbekannter Gast. In jener Bundes- 
kolonie befanden sich damals drei Atemeles emarginatus und ein Atemeles 
paradoxus in Pflege, und zwar schon seit längerer Zeit. Es wäre 
jedoch ein Irrtum, die rasche Aufnahme der Lomechusa durch ihre 
Aehnlichkeit mit den bereits vorhandenen Gästen zu erklären; denn 
die Aufnahme neuer Atemeles musste stets aufs neue geschehen; 
jeder fremde Atemeles musste nochmals das ganze langwierige Auf- 
nahmeceremoniell durchlaufen, sollte er nicht von den sanguwinea zer- 
rissen werden. Somit darf man die Aufnahme der Lomechusa nicht 
in ursächliche Verbindung bringen mit der Anwesenheit der Atemeles, 
sondern nur mit ihrem spezifischen Charakter als Stammgast von 
F. sanguinea. 

Am 18. Mai nahm ich die Lomechusa aus dem Vorneste und 
setzte sie unmittelbar in das Hauptnest der Bundeskolonie sanguinea 
— rufibarbis — fusca. Bereits nach einigen Minuten saß sie mitten 
unter den Ameisen, von keiner derselben misstrauisch oder feindlich 
behandelt. 

Am 19. Mai setzte ich ein Weibchen von Lomechusa, das eben 
die Paarung vollendet hatte, in das Hauptnest. Es wurde sofort auf- 
genommen, nach der ersten Berührung mit den Fühlern. Es drängte 
sich unter die Ameisen und stieg daselbst umher. Bald darauf wurde 
es sanft und anhaltend von einer sanguines« am ganzen Körper be- 
leckt. Beide Lomechusa wurden auf gleiche Weise gastlich behandelt. 


592  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


Am 23. Mai setzte ich noch ein Pärchen von Lomechusa unmittel- 
bar in das Hauptnest. Sie wurden sogleich von den sanguinea um- 
ringt und beleckt und drängten sich ihrerseits zuversichtlich in den 
Ameisenknäuel, nach allen Seiten mit den Fühlern trillernd. An 
demselben Tage beobachtete ich, wie eine sanguinea jenes Nestes 
zwei in Paarung befindliche Lomechusa eifrig beleckte. Die sanguinea 
gestatteten auch hier den Lomechusa, an den Ameisenlarven zu fressen, 
und schienen die Pflege der Lomechusa der Pflege ihrer eigenen Larven 
vorzuziehen (vergl. hiezu „Beiträge“ S. 63 u. 64 (307 u. 308). 

Am 29. Mai waren drei Lomechusa (2 2 und 1) in der Bundes- 
kolonie gesund und munter. Fast fortwährend sind sie von einer 
Gruppe sangwinea umgeben, die sie teils mit den Fühlern streicheln, 
teils belecken oder füttern (Fütterung stets nach Art einer Ameisen- 
larve). Während ich das Tuch, welches das Nest bedeckt und zur 
naturgemäßen Verdunkelung des Nestinnern dient, fortziehe, wird eben 
eine Lomechusa von zwei sanguinea zugleich beleckt. Die eine der 
beiden Ameisen zieht sich bei Erhellung des Nestes sofort zurück, 
während die andere den Lichtwechsel gar nicht zu bemerken scheint 
und noch vier Minuten lang in der Beleckung des Käfers fortfährt. 
Die vierte Lomechusa (ein g') sitzt tot in einer Ecke des Nestes, in 
ganz natürlicher Stellung. Nur an ihrer Unbeweglichkeit merke ich, 
dass sie tot ist; ich nehme das Tierchen heraus, das (nach wieder- 
holter Paarung) offenbar eines natürlichen Todes gestorben ist. 

Da sich täglich die nämlichen Scenen der gastlichen Pflege in der 
Bundeskolonie wiederholten, übergehe ich die weiteren Aufzeichnungen. 
Eine der drei Lomechusa starb am 3. Juli, die zwei übrigen lebten in 
jener Kolonie bis zum 14. Juli, wo ich Exaeten für mehrere Wochen 
verließ. 

Wie hier so wurden die fremden Lomechusa auch in anderen 
sanguinea-Kolonien behandelt, die ursprünglich keine Lomechusa be- 
sessen hatten. 

Ad cc. Um die Frage zu lösen, ob die internationale gastliche 
Behandlung der Lomechusa bei F. sanguinea auf einem erblichen 
Instinkte beruhe, was bereits aus den Ad b erwähnten Thatsachen 
hervorzugehen schien, machte ich noch folgenden Versuch'). Am 
19. Juni 1889 nahm ich aus einem meiner Beobachtungsnester 4 Arbei- 
terinnen von F. sanguinea ?), die erst soeben aus dem Kokon gezogen 
worden und deren Körper noch gelblich grau und weich war. Ich 
setzte sie mit einer Anzahl Kokons von sanguinea- Arbeiterinnen und 


die Aufnahme von Lomechusa sich beziehen, teile ich sie doch hier mit, um 
ein vollständiges Bild von dem Benehmen der autodidaktischen sanguinea zu 
geben. 


2) In den folgenden Tagen setzte ich noch einige frischentwickelte Arbei- 
terinnen aus derselben Kolonie hinzu. 











Wasmann, Internationale Beziehung en von Lomechusa strumosa. 593 


Kokons von Arbeiterinnen von Lasius niger in ein Glas mit feuchter 
Erde. Am ersten Tage saßen die jungen Ameisen unthätig da; bald 
gaben sie sich jedoch bereits mit der Pflege der sanguwinea - Kokons 
ab, reinigten sie und schichteten sie auf. Am 20. Juni zogen sie 
die erste Gefährtin aus der Puppenhülle, putzten und beleckten sie, 
wie es mit frisch entwickelten Ameisen zu geschehen pflegt. Am 
26. Juni hatte sich die Bewohnerschaft des kleinen Nestes schon er- 
heblich vermehrt. Die autodidaktischen sanguinea besorgten nicht bloß 
Nestbau und Puppenpflege in normaler Weise, sondern schleppten 
auch die Leichen und die leeren Puppenhüllen an eine bestimmte 
Stelle außerhalb des Nestes. Da sie Ueberfluss an Nahrung hatten, 
verzehrten sie nur wenige Puppen von Lasius niger; sie zogen jedoch 
keine derselben auf, sondern wärfen die übrigen schließlich unter die 
Nestabfälle, gerade wie es sonst bei sanguinea zu geschehen pflegt. 
Ich gab ihnen auch Larven und Puppen (Kokons von Arbeiterinnen 
und Weibchen) aus fremden sanguinea-Kolonien; dieselben wurden 
adoptiert und gepflegt, wie es sanguinea mit fremder Brut ihrer eigenen 
Art gewöhnlich thut. Am 26. Juni bemerkte ich bei meiner kleinen 
Kolonie auch die Kampflust der F. sanguinea. Bei Oeffnung des 
Pfropfens, der ihr Nest verschloss, kamen sie wütend hervorgestürzt 
und bissen mir in den Finger. Am 27. setzte ich ihnen eine Lomechusa 
in das Nest. Sie wurde sogleich, ohne Feindseligkeiten, aufge- 
nommen. Am 30. sah ich, wie einige geflügelte Weibchen von san- 
guinea, die von meinen Autodidakten aufgezogen worden waren, mit 
der Lomechusa sich abgaben und ihr besonders die Mundgegend be- 
leckten. Die Pflege der Lomechusa durch die sanguinea-Arbeiterinnen 
unterschied sich nicht von der normalen Behandlungsweise. 

Am 5. Juli setzte ich einige (völlig ausgefärbte) Arbeiterinnen 
aus fremden sanguinea-Kolonien in das Nest der Autodidakten. Zwei 
Arbeiterinnen aus zwei verschiedenen Kolonien wurden nicht feindlich 
angegriffen, als ich sie vorsichtig hineinsetzte. Eine dritte aus einer 
dritten Kolonie griff anfangs selbst einige Arbeiterinnen und Weibchen 
des Nestes mit geöffneten Kiefern an, beruhigte sich aber bald. Von 
einer der beiden unmittelbar vorher hineingesetzten alten sanguinea 
wurde sie mehrmals feindlich angegriffen. Um das friedliche Be- 
nehmen meiner Autodidakten zu verstehen, muss man berücksicktigen, 
dass sie relativ noch jung waren, also wahrscheinlich noch keinen so 
entwickelten „Nestgeruch“ und noch kein so scharfes Unterscheidungs- 
vermögen für denselben hatten; ferner, dass die sanguinea, namentlich 
wenn sie schwach an Zahl sind, zu Bündnissen mit fremden Individuen 
der eigenen Art besonders neigen. 

Am 14. Juli setzte ich eine zweite Lomechusa zu meinen auto- 
didaktischen sanguinea. Diese hatten unterdessen auch einige rufi- 
barbis- Arbeiterinnen als Hilfsameisen erzogen aus Kokons, die ich 
ihnen vor einer Woche gegeben. Von den jungen Hilfsameisen, die 

xml, 38 


594 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


noch nicht soweit ausgefärbt waren wie die sanguinea, wurde die 
neue Lomechusa anfangs ziemlich heftig angegriffen und am Hinter- 
leibe gezerrt, während sie von den sanguinea unmittelbar aufgenommen 
ward gleich der ersten. Eine halberwachsene Lomechusa-Larve, die 
ich an demselben Tage in dieses Nest setzte, wurde von den sangınnea 
sofort zu den eigenen Larven gelegt, beleckt und gefüttert. Somit 
beruht auch die Pflege der Lomechusa-Larven bei F. sanguwinea auf 
einer instinktiven Vorliebe; denn dass aus diesen Larven Lomechusa 
werden, deren Beleckung einen besondern Genuss für Ameisen bietet, 
konnten diese sanguinea jedenfalls nicht wissen. 

Ad d. Wie benehmen sich die Hilfsameisen (F\. fusca und 
rufibarbis) in den sanguinea-Kolonien gegenüber fremden Lomechusa? 
Vorerst eine Bemerkung über ihr Verhältnis zu den eigenen Lome:- 
chusa der sanguinea-Kolonien. Die Sklaven behandeln die Lomechusa 
zwar freundschaftlich, geben sich mit ihr aber weit weniger ab als 
die Herren. F. fusca, die man am Öftesten als Hilfsameise von san- 
guinea trifft, habe ich in deren Kolonien wiederholt beobachtet bei 
der Beleckung von Lomechusa |vergl. Beiträge S. 67 (311)]. Seltener 
ist ihre Fütterung durch Hilfsameisen. 

Wie verhalten sich die Hilfsameisen von sanguinea gegenüber 
den aus fremden sanguinea-Kolonien kommenden Lomechusa ? 

In weitaus den meisten Fällen wird von Seite der Hilfsameisen 
keine Schwierigkeit gemacht gegen die Aufnahme dieser Gäste, auch 
nieht dureh vorübergehende Misstrauensbezeugungen. Die Aufnahme 
selbst erfolgt durch die sanguwinea; die Hilfsameisen verhalten sich 
dem neuen Gaste gegenüber meist gleichgiltig und geben sich erst 
später allmählich mit ihm ab, wenigstens durch gelegentliche Be- 
leekung. Dies ist die gewöhnliche Regel. So benahmen sich die 
rufibarbis und fusca in der Bundeskolonie sanguinea — rufibarbis = 
fusca (vergl. oben $. 590—592). Ebenso bei einem Versuche, den ich 
am 19. Mai 1889 anstellte (Exaeten). Ich setzte 6 Lomechusa ziem- 
lich gewaltsam aus einem Beobachtungsneste sanguinea — fusca in 
ein Beobachtungsnest sanguinea — rufibarbis. Obwohl die Ameisen 
durch die Störung sehr gereizt wurden, nahm sanguines die Gäste 
dennoch sofort auf und ihre Hilfsameisen (rufibarbis) griffen sie nicht 
an. Am 29. März 1890 setzte ich sangwinea verschiedener Kolonien 
zu einander, indem ich eine kleine Kolonie, die ich schon seit 2!/, Jahren 
in einem Lubbock’schen Beobachtungsneste hielt, mit einer frisch 
eingefangenen Abteilung einer fremden sanguinea-Kolonie vereinigte 
(Exaeten). Erstere Kolonie war ohne Lomechusa, letztere besaß eine 
Lomechusa, die ich am 27. März in ihrem eigenen Neste gefunden 
hatte. Die fremden sanguinea griffen sich gegenseitig nur vorüber- 
gehend an, mit kurzem Zerren an Fühlern oder Beinen. Dagegen 
wurden die wechselseitigen Sklaven (usca) von den sangıuinea der 
andern Partei eigentlich feindlich angegriffen, hie und da sogar mit 











Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 595 


Gift bespritzt. In der Mitte des Getümmels saß die Lomechusa ruhig, 
mit gespreizten Beinen; wenn eine Ameise ihr begegnete, trillerte sie 
nur mit den Fühlern. Sie wurde von keiner Ameise angegriffen, 
selbst nicht von den Hilfsameisen des alten Beobachtungsnestes. Nach 
drei Stunden herrschte zwischen beiden Parteien bereits völlige Ein- 
tracht. Die neuen Ankömmlinge, Herren und Sklaven, bauten gemein- 
schaftlich mit den alten an ihrem Neste. 

Dagegen habe ich in anderen, selteneren Fällen beobachtet, dass 
die Hilfsameisen der sanguinea-Kolonie eine fremde Lomechusa anfangs 
mit geöffneten Kiefern misstrauisch angriffen. Es geschah dies be- 
sonders dann, wenn die betreffende Kolonie verhältnismäßig viele 
Sklaven besaß. Diese letzten Bemerkungen gelten nur von fusca und 
rufibarbis als Sklaven von sanguinea. In dem Beobachtungsneste 
sanguinea — rufa — fusca, in welchem 10 Lomechusa aus drei ver- 
schiedenen Kolonien aufgenommen worden waren (vergl. oben $. 587), 
wurden die fremden Lomechusa von den rufa nicht im geringsten 
behelligt, während einige fusca im ersten Augenblick sich misstrauisch 
zeigten, dann aber sich beruhigten, als sie die Käfer mit den Fühlern 
berührt hatten. Dass in der autodidaktischen sanguwinea- Kolonie 
(Juli 1889) die jungen rufibarbis-Sklaven eine Lomechusa anfangs so- 
gar feindlich angriffen, wurde bereits oben (S. 594) berichtet. 

Zur Erklärung dieser scheinbaren Widersprüche dürften folgende 
Bemerkungen dienen. Die fusca und rufibarbis besitzen nicht einen 
angeborenen Instinkt zur unmittelbaren Aufnahme von Lomechusa, 
wie F. sanguinea ihn besitzt; denn Lomechusa strumosa ist kein Stamm- 
gast jener kleineren Formica-Arten. Spätere Versuche über die inter- 
nationalen Beziehungen von Lomechusa zu selbständigen Kolonien 
von /usca und rufibarbis werden dies noch klarer zeigen. Dass die 
Lomechusa trotzdem von den Hilfsameisen fremder sangıinea-Kolonien 
meist ohne weiteres freundlich aufgenommen wurden, kommt teils daher, 
dass manche dieser Kolonien schon eigene Lomechusa besaßen, an 
deren gastliche Behandlung die Hilfsameisen bereits gewöhnt waren; 
teils auch daher, dass in den meisten sanguwinea- Kolonien, besonders 
in meinen Beobachtungsnestern, die Herren weit zahlreicher waren 
als die Sklaven!); es waren deshalb fast immer die sanguinea, die 
zuerst auf den neuen Gast aufmerksam wurden und ihn oft schon 
bei der ersten Begegnung beleckten. Ist aber ein Gast von einer 
Ameise einer gemischten Kolonie beleckt worden, so wird er fürderhin 
von keiner Ameise derselben Kolonie feindlich behandelt, weil ihm 
durch jene Beleckung der „Nestgeruch“ der betreffenden Kolonie mit- 
geteilt worden ist. Diese sonderbare Wahrnehmung habe ich bei den 


1) Es ist dies das gewöhnliche Zahlenverhältnis zwischen Herren und 
Sklaven in den sanguinea-Kolonien. Meist sind die Herren zwei- bis fünfmal 


so zahlreich als die Sklaven; vergl. Die zusammengesetzten Nester und ge- 
mischten Kolonien, S. 49 ff. u. 357. 





38* 


596 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


internationalen Beziehungen der Atemeles zu Formica- Arten häufig 
gemacht, und ich glaube, dass sie auch für die Beziehungen von 
Lomechusa strumosa zu den Hilfsameisen fremder sangwinea-Kolonien 
nicht ohne Bedeutung ist. Wie die Aufnahme von Atemeles emargi- 
natus in den sanguinea-Kolonien dadurch vermittelt wurde, dass die 
Hilfsameisen (/usca) denselben zuerst beleckten, so wurde die Auf- 
nahme der Lomechusa bei den Hilfsameisen fremder saunguinea-Kolonien 
dadurch wenigstens beschleunigt, dass die sanguinea den Gast zuerst 
beleckten. 

Zur Bestätigung dieser Erklärung füge ich noch eine Beobach- 
tung bei. Bevor ich am 30. April 1890 die 10 aus drei verschiedenen 
sanguinea-Kolonien stammenden Lomechusa in das Beobachtungsnest 
sanguinea — rufa — fusca setzte (vergl. oben S. 587), nahm ich aus 
dem letzteren Neste eine fusca und that sie zu den 10 allein in einem 
Gläschen mit Erde befindlichen Lomechusa, von denen 5 aus dieser 
selben sanguinea — rufa —. fusca Kolonie waren. Kaum hatte die 
gewaltsam hineingesetzte und heftig aufgeregte fusca die Anwesen- 
heit der Lomechusa bemerkt, als sie sich ruhig unter dieselben setzte 
und sich zu putzen begann, als ob sie zu Hause wäre. Eine Arbei- 
terin aus einer selbständigen fusca-Kolonie, die noch nie mit Lomechusa 
in ihrem eigenen Neste zu thun gehabt, würde unter diesen Verhält- 
nissen die Lomechusa feindlich angegriffen oder sich wenigstens scheu 
vor ihnen zurückgezogen haben (vergl. die später folgenden Versuche 
über die Beziehungen von L. strumosa zu F\. fusca). 

Schlussbemerkung. Bei den bisher erwähnten Versuchen 
kamen die fremden Lomechusa stets aus anderen sanguinea-Kolonien, 
also aus fremden Kolonien derselben Ameisenart. In den 
folgenden Abschnitten werden noch manche Versuche besprochen 
werden, bei denen Lomechusa von sanguinea in die Nester fremder 
Ameisenarten und von diesen wiederum zu sanguinea der ursprüng- 
lichen oder fremder Kolonien zurückversetzt wurde. In allen Fällen 
zeigte sich übereinstimmend, dass Lomechusa strumosa für 
Formica sanguinea ein völlig internationaler Gast ist, 
der unmittelbar aufgenommen wird, mag er von fremden Kolonien 
derselben Art oder anderer Arten kommen. 


2) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Formica 
rufa L. 

Obwohl die meisten älteren Fundortsangaben von Lomechusa 
strumosa, die auf „Formica rufa“ lauten, auf einer Verwechslung der 
Ameisenart beruhen und auf Formica sanguinea Latr. sich be- 
ziehen, scheint Lomechusa doch in manchen Gegenden auch bei 
der wirklichen F. rufa L. gefunden worden zu sein [Fickler'), 





1) Vergl. Beiträge, S. 17 (261). 














Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 597 


Lokay!), J.Sahlberg]. Ich selbst habe sie stets nur bei F. sanguinea 
gefunden, nie in rufa-Nestern. Der oben S. 587 erwähnte Fall, wo ich 
mehrere Lomechusa in einer natürlich anormal gemischten Kolonie sangw- 
nea— rufa— fusca traf, bildet nur eine scheinbare Ausnahme; denn diese 
Gäste gehörten offenbar zu den sanguinea, nicht zu deren Hilfsameisen. 
Dennoch glaube ich, dass das Vorkommen von Lomechusa strumosa 
bei F.rufa kein bloß zufälliges ist, sondern dass F. rufa als „sekun- 
däre“ Wirtsameise von L. strumosa bezeichnet werden darf. Hierzu 
bestimmt mich außer obigen Fundortsangaben besonders das fried- 
liche Verhalten von F. rufa gegenüber Lomechusa bei meinen Ver- 
suchen, das mir um so mehr auffiel, als rufa die Atemeles emarginatus 
und paradoxus stets heftig angriff und tötete. Was eben von Formica 
rufa L. i. sp. gesagt wurde, gilt, wie sich später zeigen wird, auch 
für F. pratensis Deg. 

Im Mai 1884 hielt ich (Blijenbeek) in einer großen Krystallisations- 
schale eine Kolonie sanguinea — fusca mit einer Lomechusa strumosa. 
Am 15. Mai setzte ich eine starke Abteilung rufa in dasselbe Glas- 
gefäß und beobachtete den Kampf zwischen beiden Kolonien. Während 
des ersten hitzigen Kampfes, in welchem die rufa wegen ihrer über- 
legenen Zahl die Oberhand behielten, kam eine Lomechusa aus dem 
sanguinea-Neste hervor, lief zwischen den einander umherzerrenden 
und mit Gift bespritzenden Kämpfern umher, spazierte dann in ein 
von rufa besetztes Stück skelettierten, morschen Holzes, in welchem 
die rufa ihre Larven untergebracht hatten, kam aus demselben nach 
einigen Minuten wieder hervor und lief auf der Oberseite des von 
rufa dicht besetzten Holzstückes umher: sie wurde während dieser 
ganzen Zeit von keiner einzigen rufa feindlich angegriffen. Die rufa 
schienen ihr vielmehr gar keine Aufmerksamkeit zu schenken, wie 
einem Gegenstande, an den sie längst schon gewohnt waren. Nach- 
dem in den folgenden Tagen die beiden feindliehen Kolonien getrennte 
Nester eingerichtet und Waffenstillstand geschlossen hatten, sah ich 
die Lomechusa wiederholt aus dem sanguinea-Neste zu rufa sich be- 
geben und in deren Nest aus- und einspazieren. Für gewöhnlich ver- 
weilte sie jedoch bei sanguinea. Einige am Eingange des rufa-Nestes 
befindliche Schildwachen sprangen manchmal auf sie zu und prüften 
‘sie mit den Fühlern; der Käfer trillerte dann auf sie mit seinen 
Fühlern, und die Ameisen ließen ihn unbehelligt weiter laufen. 

Am 25. Mai 1888 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa strumosa 
unmittelbar von F. sanguinea in ein Beobachtungsnest mit F. rufa. 
Im ersten Augenblick sprangen mehrere rufa mit geöffneten Kiefern 
auf sie los; sobald die Lomechusa sie jedoch mit ihren trillernden 
Fühlern berührte, schlossen sich die drohend geöffneten Kiefer, und 





1) Die Mitteilung des Lokay’schen Myrmekophilenverzeichnisses, das in 
der böhmischen Zeitschrift „Ziva“ (1860) erschien, verdanke ich der Güte von 
Herrn Dr. ©. Nickerl (Prag). 


598  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


die Ameisen betupften den Gast mit ihren Fühlerspitzen, als ob sie 
ihn untersuchen wollten. Bald saß die Lomechusa ruhig bei den ver- 
sammelten Ameisen. Am 29. Mai befand sie sich noch sehr wohl in 
dem rufa-Neste. Da sie hier bereits endgiltig aufgenommen war, 
nahm ich sie heraus und setzte sie zu F. rufibarbis. Näheres darüber 
später. Es sei nur noch bemerkt, dass diese Lomechusa, als ich sie 
später wieder zur Formica sanguinea (ihrer eigenen Kolonie) zurück- 
versetzte, sich dort heimischer zu fühlen schien als bei rufa. 

Am 30. Mai 1888 setzte ich wiederum eine Lomechusa von san- 
guinea unmittelbar zu rufa. Nach der ersten Berührung mit den 
Fühlern wurde sie sofort aufgenommen. Zehn Minuten später nahm 
ich sie heraus und setzte sie unmittelbar zu F. pratensis, worüber 
später. 

Am 1. Mai 1890 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa von F\. san- 
guinea in ein kleines Beobachtungsnest mit rufa, die ich vorher da- 
durch reizte, dass ich mit einer Pinzette 2 Dinarda Märkeli aus ihrem 
Neste nahm. Die Lomechusa fällt mitten unter die heftig erregten 
Ameisen, wird mit den Fühlern berührt, und sofort schließen sich die 
Kiefer der vor ihr sitzenden Ameisen. Diese beginnen den Gast mit 
ihren Fühlern zu streicheln. Eine von hinten sich nähernde rufa sucht 
unterdessen den Hinterleib des Käfers mit ihren Kiefern zu packen; 
sobald dieser aber mit den zurückgebogenen Fühlern sie betrillert, 
lässt sie ihn in Ruhe. Die Lomechusa geht hierauf in das Nestinnere 
hinab. An demselben Tage sah ich, wie in dem rufa- Neste eine 
Thiasophila angulata !) mehrere Sekunden lang an den gelben Haar- 
büscheln der Lomechusa zerrte und leckte, wovon diese gar keine 
Notiz zu nehmen schien. Endlich stieg die Thiasophila auf den Rücken 
der Lomechusa und auf der andern Seite wieder hinab. Am Nach- 
mittag setzte ich die bei rufa bereits völlig heimische Lomechusa 
wiederum zu F. sanguwinea in ihr altes Nest zurück, wo sie ohne 
Zeichen des Misstrauens sofort aufgenommen wurde, als ob sie unter- 
dessen gar nicht in dem Neste einer fremden Ameisenart gewesen wäre. 

Am 4. September 1890 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa, der 
ich beide Fühler an der Basis abgeschnitten, zu F. rufa. Anfangs 
hatte es den Anschein, als ob dieses Exemplar ebenso unmittelbar 
aufgenommen würde wie die im Besitze ihrer Fühler befindlichen 
Individuen. Als die fühlerlose Lomechusa jedoch nach einigen Minuten 
umherlief und die Aufmerksamkeit der Ameisen erregte, wurde sie 
von einer rufa mit den Kiefern am Kopfe gefasst und umhergeschleppt. 
Eine andere ergriff den Käfer gleich darauf an einem Bein, hielt ihn 
fest und betupfte ihn mehrere Minuten lang sorgfältig mit ihren 
Fühlerspitzen. Eine dritte stürzte auf ihn zu, packte ihn mit den 
Kiefern an den Halsschildseiten und biss ihn, ließ ihn aber sogleich 





1) Ein kleiner, zur Familie der Aleocharinen gehöriger, indifferent ge- 
duldeter Gast von F. rufa und pratensis. 











Kochs, Künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 599 


wieder los. Fast jede Ameise, die ihm begegnete, öffnete misstrauisch 
ihre Kiefer, während sie mit etwas aufgerichtetem Vorderkörper ihn 
mit den Fühlern prüfte. 

Hierauf setzte ich zu denselben rufa eine Lomechusa mit Fühlern. 
Sie fiel bei ihrer Ankunft mitten auf die Oberfläche des kleinen Nestes. 
Die herbeieilenden rufa berührten sie mit den Fühlern, aber keine 
öffnete ihre Kiefer, um den Käfer anzugreifen. Er blieb mitten unter 
den Ameisen sitzen, seine Nachbaren leise mit den Fühlern berührend. 

Am 5. September waren beide Lomechusa bei F. rufa aufge- 
nommen und wurden freundschaftlich behandelt. Die Fühlerlosigkeit 
der einen hatte ihre Aufnahme zwar verzögert aber nicht ver- 
hindert. 

Ich setzte nun die Fühlerlose zu einer Anzahl sanguinea ihrer 
eigenen Kolonie zurück. In dem rufa-Neste und an der Pinzette, 
mit welcher ich die Lomechusa übertrug, war starker Geruch von der 
Ameisensäure der rıfa, die auf die Pinzette gespritzt hatten. Die 
fühlerlose Lomechusa blieb im sangwinea-Neste sogleich ruhig sitzen. 
Mehrere sanguinea nacheinander näherten sich ihr, öffneten sämtlich 
die Kiefer, einige kneipten sogar für einen Augenblick nach dem 
Hinterleibe des Käfers. Aber nachdem sie ihn einige Sekunden mit 
den Fühlerspitzen untersucht hatten, zogen sie sich beruhigt zurück. 
Sie hatten also ihren Gast wieder erkannt, obwohl er keine Fühler 
hatte und ihm der Geruch von rufa anhaftete. 

(Schluss folgt.) 


Versuche über die künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 
Von Dr. W. Kochs, 


Privatdozent in Bonn. 

In den letzten 20 Jahren sind die Fisehzüchter immer mehr zu 
der Ueberzeugung gelangt, dass die Kenntnis und Verbreitung der 
kleinen Kruster und anderer niederer Süßwasserbewohner für die 
Fischerei von großem Vorteile ist. Das Wachstum der jungen Brut, 
die Vermehrungsfähigkeit der ausgewachsenen Individuen wird bei 
gleich günstigen Allgemeinbedingungen vor allem bestimmt durch die 
Leichtigkeit gute Nahrung regelmäßig und womöglich im Ueberfluss 
zu erlangen. 

Auf dem internationalen land- und forstwissenschaftlichen Kongress 
in Wien 1890 hat Emil Weeger einen wertvollen Vortrag über dieses 
Thema gehalten; derselbe ist später, begleitet von einer Tafel, 
welche — „stark vergrößerte Abbildungen mehrerer Arten in Seen, 
Teichen, Tümpeln, Lachen, Flüssen und Bächen Mittel-Europas häufig 
vorkommender, den Fischen zur Nahrung dienender Krebstierchen und 
einiger zur Familie der Mücken, Köcherjungfern und Eintagsfliegen 
gehörigen Fluginsekten“ — darbietet, im Druck erschienen. Nach 


600 Kochs, Künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 


diesem Vortrage sprach Vietor Burda, Teichwirt in Bielitz, über 
dieselbe Frage vom Standpunkte der großen Teichwirtschaften und 
äußerte sich wie folgt: 

„Welche Bedeutung die kleinsten Wassergeschöpfe für den Salmo- 
nidenzüchter besitzen, hat mein Vorredner (Herr Weeger) in seinem 
überaus lehrreichen Vortrage soeben erörtert. Gerade uns Karpfen- 
züchter mussten seine Auseinandersetzungen fesseln, betreffen sie ja 
ein Thema, das in Fachkreisen in Kurzem mit Recht zu den modernsten 
gehören dürfte, denn seitdem unser hochverdienter Fachgenosse, Herr 
Direktor Susta, den Schleier gelüftet, hinter dem sich die Ernährungs- 
frage des Karpfen die längste Zeit verborgen hielt, wissen wir, dass 
der integrierende Teil der Nahrung des Karpfen nicht nur, wie bei 
den Salmoniden, in der frühesten Jugend, sondern auch in jedem 
Lebensalter aus Tieren besteht“. 

„Sollten wir uns da nicht der von Herrn Weeger angegebenen 
künstlichen Zuchtmethoden für die kleine Wasserfauna bedienen? 
Was im Kleinen rationell erscheint, würde im teichwirtschaftlichen 
Großbetrieb den Stempel der Spielerei tragen, deren Effekt dem Tropfen 
im Meere gleichkäme“. 

Des Weiteren gibt dann Herr Burda von seinem Standpunkte 
einige Maßnahmen an, durch welche der Teichwirt auf das Gedeihen 
der kleinen Wasserfauna einwirken könne. 

Von dem richtigen Gedanken ausgehend, dass die kleinen Kruster 
von Infusorien leben und diese nur bei Vorhandensein von in Zer- 
setzung begriffenen Pflanzen und Tierkörpern gedeihen, sucht er vor 
Allem dem Teiche die nötige geeignete Nahrung zuzuführen. Er sagt: 
„Die den Infusorien als Nahrung dienenden verwesenden Materien 
sind sowohl auf dem Teichgrunde angesammelt, wie auch im Wasser 
mechanisch verteilt und verleihen demselben die trübe Färbung. Was 
letztere betrifft, so entstammen sie teils dem Teichgrunde selbst, teils 
gelangen sie mit dem Zuflusse in den Teich hinein, in welchem Falle 
sie je nach den Terrain- und Wasserverhältnissen größeren oder 
kleineren näher oder entfernter gelegenen Ländereien entstammen. 
Je üppiger und fruchtbarer diese sind, desto höhere Bedeutung müssen 
wir den Bestandteilen zumessen, die sie bei eintretenden Niederschlägen 
besonders in kupierten Lagen dem Teiche zusenden. Während rapider 
Regengüsse heißt es also auf den Beinen sein, die Einflussstellen 
revidieren, damit von dem trüben Wasser möglichst viel in den Teich 
hineingelangt“. So zweifellos richtig diese Ausführungen auch sind, 
so muss man doch sagen, dass der Gewinn der Teiche auf Kosten 
der umliegenden Terrains stattfindet, weil diese durch starke Regen 
ausgelaugt werden. Allerdings würden beträchtliche Werte, welche 
in Form kostbarer organischer und anorganischer Substanzen vom 
Feld in den Bach, vom Bach in den Strom und vom Strom ins Meer 
abgeschwemmt werden, jahrein jahraus dem Lande verloren gehen, 





Kochs, Künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 601 


wenn sie nicht in Teichen aufgefangen und in Fischfleisch umgewandelt 
würden. Eine vollkommene Teichwirtschaft darf aber nicht vom Zu- 
falle abhängig sein und ebenso wie der Landwirt dem Acker jährlich 
eine bestimmte Düngermenge von geeigneter Zusammensetzung zuführt 
ohne ein Nachbarterrain zu schädigen, um die Erträge zu sichern, 
wird es die Aufgabe der Zukunft sein ein gleiches Verfahren für die 
Teichwirtschaft zu ermitteln. 

Die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen dürften das zu ver- 
langende in praktisch gut durehführbarer Weise leisten. 

Seit einem Jahre habe ich versucht, die auf der Weeger’schen 
Tafel verzeichneten Crustaceen einzufangen und in Gläsern von 8 bis 
10 Liter Inhalt weiterzuzüchten, um ihre Lebensbedingungen genauer 
kennen zu lernen. 

Gefunden habe ich dieselben nur in Tümpeln, welche aus der 
Nachbarschaft Düngstoffe erhielten oder durch tierische Kadaver ver- 
unreinigt waren. In einem Falle, einem Tümpel in einer Thongrube 
bei Witterschlick, konnte ich genau feststellen, dass von einem reben- 
liegenden abschüssigen Obstgarten, in welchem zahlreiche Dünger- 
haufen lagen, der Regen sogar Düngerteile in den Tümpel getrieben 
hatte. Eine mächtige Vegetation und zahllose Kruster waren die 
Folge, während in den zahlreichen benachbarten durchaus gleiehartigen 
Tümpeln kaum etwas lebendiges zu entdecken war. Es ist nicht not- 
wendig viele Individuen zu fangen, da dieselben sich sehr leicht ver- 
mehren. Um aber leicht die zwischen den Wasserpflanzen sich auf- 
haltenden Arten vollständig zu bekommen, benutzte ich eine birn- 
förmige Glaspipette von 1 Liter Inhalt und 1,5 m langem starkwandigem 
engen Rohr an einem Ende, während das andere Ende der Birne eine 
etwa 1 em weite Oeffnung hat. Tauche ich nun das birnförmige 
Gefäß, während ich das Ende des engen Rohres verschließe zwischen 
die Pflanzen unter, so schießt beim Oeffnen der engen Röhre das 
Wasser schnell in den 1 Liter großen Raum, die kleinen Tiere mit- 
reißend. Schließe ich dann wieder das enge Rohr mit dem Daumen, 
so kann ich leicht ohne Verlust 1 Liter Wasser, welches zumeist große 
Mengen kleiner Wassertiere enthält, herausheben. Mit Mullnetzen ist 
es nicht möglich auch nur annähernd so viel zu fangen; zwischen 
Wasserpflanzen sind dieselben gar nicht brauchbar; auch sind die Tiere 
nicht leicht aus dem Netze zu entfernen. 

Seit Juni 1891 habe ich dann in meiner Privatwohnung, sowohl 
in einer im Winter geheizten Stube als auch im Freien, ferner in 
einem ungeheizten aber fast frostfreien Raume des pharmakologischen 
Institutes, sowie von Januar ab in dem sehr großen Temperatur- 
schwankungen ausgesetzten tierphysiologisehen Laboratorium der 
Akademie in Poppelsdorf eine Anzahl großer Gläser als Aquarien in 
verschiedener Weise hergerichtet, beobachtet, nachdem ich in jedes 
alle.nur möglichen Arten kleiner Kruster hineingebracht hatte. 


602 Kochs, Künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 


Ein Teil der Aquarien war so beschickt, wie es Weeger angibt: 
Auf dem Boden befanden sich 10 cm Gartenerde, welche mit Dünger- 
Jauche getränkt war, darauf brachte ich Schlamm aus den mit Kruster 
besetzten Tümpeln, hierauf trockene Blätter von Haselnuss- und Weiden- 
sträuchern und etwa 30cm hoch Wasser. Mit dem Schlamme waren 
auch einige fadenförmige Algen, Wasserlinse und einige andere kleine 
Wasserpflanzen in die Aquarien gekommen. Nach 14 Tagen entwickel- 
ten sich in allen Aquarien zahlreiche Muschelkrebse, Flohkrebse, Wasser- 
asseln, Infusorien, einzellige grüne Algen, große Filze von fadenförmigen 
Algen und eine diehte Decke von Wasserlinse. Die Aquarien, welche 
am wärmsten gewesen waren, hatten sich schneller und besser ent- 
wickelt. Im Ganzen schien aber die Pflanzenwelt mehr zu gedeihen 
als die Tierwelt. Ein Herausfangen der kleinen Kruster mit einer 
geeigneten Pipette ergab gegenüber den in der Natur beobachteten 
Mengen relativ geringe Quantitäten. 

Durch Versuche stellte ich dann fest, dass die Mehrzahl der 
kleinen Kruster sehr empfindlich gegen nur einigermaßen bemerkbare 
Mengen Ammoniak, Schwefelwasserstoff oder gar freie Säuren sind, 
wie das auch Weeger angibt. 

Offenbar wird bei den nach Weeger angesetzten Aquarien nur 
zuweilen das Optimum für das Gedeihen der Kruster zufällig gegeben. 
Es tritt dann eine zumeist sehr schnell vorübergehende Blüteperiode 
ein, in der sich sehr viele Individuen entwickeln. Durch kleine Stücke 
Fleisch und Dünger versuchte ich die Vermehrung oftmals mit mehr 
oder minder Erfolg zu beschleunigen und größere Individuen zu er- 
zielen, was noch am besten mit den Wasserasseln gelang. 

Diese Versuche führten mich bald zu der Ueberzeugung, dass ein 
Wasser, in welchem die Kruster gut gedeihen und sich stark ver- 
mehren, für die meisten Fische zu unrein ist. Da ferner die Kruster 
sehr warmes ruhiges Wasser benötigen, so können dieselben nur in 
ganz flachen, sich durch die Sonne stark erwärmenden Pfützen mit 
vielen Wasserpflanzen gezogen werden, woraus sich mit Not- 
wendigkeit ergibt, dass die Zucht dieser zur Fischnah- 
rung dienender Wesen von den Fischen ganz zu trennen 
ist. Im gleichen Wasser gedeiht entweder die kleine Wasserfauna 
und dann können die meisten Fische nicht leben oder umgekehrt. 
Durch besondere Versuche habe ich dann noch festgestellt, dass bei 
einer Wasserbeschaffenheit, welche für das Wachstum, speziell der 
mikroskopischen Pflanzenwelt, die beste ist, die kleinen Kruster kaum 
am Leben bleiben. 

Wenn man das stark kalkhaltige Wasser der Bonner Wasser- 
leitung pro Liter mit 0,1 Ammonium nitrieum und 0,1 Kali biphos- 
phorieum, sowie einer Spur Ferrum sulfuricum versetzt und dazu nur 
eine kleine Menge Wasserpflanzen fügt, erhält man selbst bei 10—12° 
bald intensiv grünes undurchsichtiges Wasser, welches von zahllosen 








Kochs, Künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 603 


kleinen Algen ganz schleimig ist. Daphnia und Cypris gedeihen kaum 
darin. 

Meine Absicht, zuerst in geeigneter Weise große Mengen grünen, 
pflanzenreichen Wassers zu erzielen und hierdurch die kleinen Kruster 
zu ernähren erwies sich als ganz undurchführbar. Richtig ist, dass 
viele Kruster von mikroskopischen Pflanzen leben, aber das Optimum 
ihrer Lebensbedingungen fällt nicht mit dem Optimum für die Pflanzen 
zusammen. 

In der Natur sind die Kruster auch nur in gut durchsichtigem 
Wasser; ferner enthielten alle seit Jahren für diese Wesen erprobt 
guten Aquarien, welche ich sah, große Wasserpflanzen, aber durchaus 
durchsichtiges Wasser. 

Späterhin verfuhr ich dann nach folgender Ueberlegung: 

Wenn eine Methode der künstlichen Zucht kleiner Kruster prak- 
tisch brauchbar sein soll, müssen die zu verwendenden Materialien 
überall leicht, gleichmäßig und hinreichend billig beschafft werden 
können. 

Soll die Zucht in besondern Behältern stattfinden, muss es leicht 
sein die Tiere rein abzufischen, um sie den Fischen zuzuführen. Soll 
für die große Teichwirtschaft ein wirklicher Nutzen resultieren und 
das ganze keine Spielerei mit ungenügenden Mitteln sein, muss das 
Verfahren in irgend einer Weise mit dem großen Teiche in Verbindung 
gebracht werden können. Folgende Versuche führten mich zu dem, 
wie ich glaube, brauchbaren Verfahren. 

Wenn man in zwei Gläser von etwa 10 Liter Wasserinhalt je 
100 & frischen Kuhdünger ohne Streustroh derart hineingibt, dass in 
dem einen Glase der Dünger sich ganz verteilen kann, während die 
100 g des andern Glases sich in einem kleinen Becherglase befinden, 
welches durch ein Drahtnetz zugebunden ist, so bemerkt man be- 
sonders bei wärmerer Witterung, dass in dem ersten Glase alsbald 
eine heftige Zersetzung eintritt. Es bilden sich dieke Häute von 
Bakterien, die Flüssigkeit wird hellbraun und riecht intensiv nach 
Moschus und Ammoniak. Bei den angegebenen Verhältnissen können 
sich bei nicht zu großer Hitze Oypris und auch Daphnia in dieser 
stinkenden Jauche halten und sogar vermehren. Das zweite Glas, in 
welchem der Kuhdünger im Becherglase eingeschlossen ist, hat da- 
gegen fast keinen Geruch. Durch die im Kuhdünger stattfindende 
Gasbildung steigt das Glas meist bald mit dem Boden nach oben an 
die Oberfläche des Wassers, welehe sieh mit einer aus zahllosen Bak- 
terien und Infusorien bestehenden Haut bedeekt. Die Außenfläche des 
Becherglases sowie der Boden des ganzen Gefäßes sind bald mit 
einem weißen Schleim, der ebenfalls aus Bakterien und Infusorien 
besteht, überzogen. Erst nach längerer Zeit entwickeln sich chloro- 
phylihaltige Organismen in größerer Menge. In einem solehen Glase 
vermehren sich Daphnia, Oypris, Cyclops und noch viele andere kleine 


604 Kochs, Künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 


Kruster ganz ausgezeichnet. Das Drahtnetz, welches den Kuhdünger 
verhindert sich mit dem Wasser zu mischen, ist immer dicht besetzt 
von Nahrung an der Quelle suchenden kleinen Krustern. Da im 
Uebrigen das Wasser fast klar bleibt, kann man die Tierchen leicht 
rein abfangen und überzeugt sich bald von der ungeheueren Produk- 
tivität der Anlage. 

Es findet unter dem Einfluss von Wasser und Wärme eine groß- 
artige Weiterentwicklung der im Kuhdünger vorhandenen zahllösen 
Mikroorganismen statt, welche die unverdauten Teile des Düngers 
verzehren und ihrerseits den kleinen Krustern zur Nahrung dienen. 
Im Verlaufe der Monate Mai, Juni und Juli war fast der ganze Kuh- 
dunger verschwunden. Füttert man hiermit kleine Karpfen oder Gold- 
fische, wie ich dieses längere Zeit durchführte, so hat man eine glatte 
Verwandelung von Kuhdünger in Fischfleisch, fast ohne Beihilfe von 
Pflanzen. 


In letzter Zeit habe ich den Gammarus pulex im Endenicher Bache 
bei Bonn in großer Menge zwischen alten im Bache liegenden Ziegel- 
steinen und halb faulem Reisig gefunden, ohne dass weder im Wasser 
noch im Schlamm chlorophylihaltige Zellen zu finden waren. Das 
Wasser des Baches war aber trübe, weil der Unrat mehrerer Ort- 
schaften hineinfließt. 


Auch dieser relativ große Krebs gedeiht ganz vorzüglich in den 
mit Kuhdünger wie oben beschrieben beschickten Aquarien, wenn 
man etwas trockenes Reisig hineingibt. 

Für die Praxis wird es je nach den örtlichen Verhältnissen leicht 
sein, in großem Maßstabe diesen Umwandlungsprozess von Kuhdünger 
in Fischfleisch zu bewerkstelligen. 


Am besten dürfte wohl sein, auf den Ufern des Teiches lange 
schmale, etwa 1 m breite, höchstens 25 em tiefe Gräben anzulegen, 
welche mit dem Teich durch zahlreiche enge Gräben in Verbindung 
stehen. In diese Gräben müsste dann der Kuhdünger in durch- 
löcherten Kisten oder großen Blumentöpfen vor den Strahlen der 
Sonne geschützt hineingebracht werden. Die stärkere Erwärmung 
des flachen stehenden Wassers durch die Sonne und der Gehalt an 
Düngstoffen werden große Mengen Infusorien und Kruster erzielen, 
welche auch durch die Schwankungen des Wasserstandes in den 
Teich entleert werden. Wenn nun die Ufer des Teiches möglichst 
flach sind, so werden auf dieser Fläche die Düngstoffe sich ablagern 
und das für die Zucht der kleinen Kruster gute Terrain vergrößern 
und den eigentlichen Futterplatz für die jungen Fische bilden. Be- 
sonders empfindlich sind alle die in Frage kommenden Wesen gegen 
Licht. Alte Ziegelsteine, Reisig, Blätter u. dergl. müssen sowohl in 
den Zuchtgräben als auf den Ufern sein, damit die Tiere den nötigen 
Schutz finden. Ueppiges Wachstum von Wasserpflanzen, speziell der 





Kochs, Künstliche Vermehrung kleiner Crustaceen. 605 


Wasserlinse ist zu: bekämpfen, weil zeitweise durch diese Pflanzen 
dem Wasser zu viel Nährstoffe entzogen werden, d. h. in den Pflanzen 
in einer Form aufgespeichert werden, in der sie für die uns interes- 
sierenden Tiere nicht nutzbar werden können. 

Im Winter müssen die Zuchtgräben womöglich trocken sein und 
gut durchfrieren. Die im Schlamme liegenden Wintereier der kleinen 
Kruster entwickeln sich dann im Frühjahre besser und zahlreicher, 
als wenn sie den Winter unter Wasser verbrachten. Die Gründe für 
dieses eigentümliche Verhalten festzustellen, dürfte sehr interessant, 
aber auch sehr schwierig sein. Den Schlamm mehrerer Aquarien 
habe ich im vorigen Herbst in einer offenen Kiste der Sonne, dem 
Regen und dem Froste ausgesetzt, indem ich die Kiste in einer Dach- 
rinne meines Hauses aufstellte. Als ich Anfangs März dann Proben 
in Gläser mit ausgekochtem Wasserleitungswasser in meine geheizte 
Stube stellte, entwickelten sich in 3 Wochen zahlreiche Cypris, Daph- 
nien und mikroskopische Rädertiere, speziell Hydatina senta, und In- 
fusorien. Jedenfalls haben die betreffenden Eier mehrfach 10° unter 
Null ausgehalten. Ende Mai habe ich nochmals mehrere Portionen des- 
selben, bis dahin lufttrockenen Schlammes in ausgekochtes Wasser 
gegeben und nach 14 Tagen waren wieder zahlreiche Kruster ent- 
wickelt. Indem man größere Mengen eihaltigen Schlammes im Herbste 
trocknet, kann man im Frühjahr und im Sommer leicht die richtigen 
Futtertiere zur richtigen Zeit züchten. Um keine unrichtigen Vor- 
stellungen hervorzurufen, sei nur hinsichtlich des Trocknens der 
Eier bemerkt, dass dieselben einer Trocknung über Schwefelsäure 
und Phosphorsäureanhydrid nicht Widerstand leisten, sondern alle 
absterben, wie ich mich öfters überzeugte. Ich bemerke dieses, weil 
man vielfach liest, dass die Eier niederer Tiere im völlig trockenen 
Schlamme der Tümpel ein oder mehrere Jahre aushalten. Selbst der 
durch Sonnenbrand gerissene Schlamm enthält stets noch mehrere 
Prozent Wasser; derselbe wird nur durch eine Temperatur von 
150° zur Gewichtskonstanz gebracht. Abgesehen von Thau und 
Regen kommt demnach ein Austrocknen der Eier in der 
Natur überhaupt nicht vor. Durch besondere Versuche habe 
ich mich an Weinbergschuecken überzeugt, dass ihre lebendige Leibes- 
substanz unter gewöhnlichen Verhältnissen, selbst in geheizter Stube, 
auch in Jahresfrist nicht trocken wird, überhaupt, sobald einmal 
ein Deckelchen gebildet ist, nur in künstlich getrockneter Luft Wasser 
bis zum Tode des Tieres verliert; und dieser erfolgt eher als bis alles 
Wasser abgegeben ist. Während der frostfreien Jahreszeit werden 
die durch langsame Zersetzung organischer Substanzen am Boden der 
Gewässer zunächst sich bildenden giftigen Substanzen durch das 
Pflanzenleben zerstört. Im Winter, wo dieses oft längere Zeit nicht 
stattfindet, werden leicht durch die Anhäufung dieser Gifte die Wasser- 
tiere und auch die Eier der niederen Tieren gefährdet. Halb zer- 


606 Capparelli, Funktion des Pankreas. 


setzte organische Substanzen werden durch ein Durehfrieren gelockert 
und später nur noch leichter zergehen. Austrocknen und Durchfrieren 
des Schlammes ist daher nur nützlich. 


Ueber die Funktion des Pankreas (Bauchspeicheldrüse). 
Vorläufige Mitteilung. 
Von Professor Andrea Capparelli. 


Vor der Revision der bekannten Phänomene, welche man infolge 
der Exstirpation des Pankreas erhält, wissend, dass sich dem Fort- 
schritte dieser Studien eine fast unbesiegbare Schwierigkeit, die voll- 
ständige Exstirpation des Organs entgegenstellte, da, wie bekannt, 
ein großer Teil der Tiere, welehen das Pankreas exstirpiert wurde, 
durch Gangrän des Zwölffingerdarmes untergehen, beschäftigte ich 
mich mit der Suche nach einem ÖOperationsverfahren, welches im 
Stande wäre, die des Pankreas beraubten Tiere am Leben zu erhalten. 

Und in der That fand ich, dass die Exstirpation des Pankreas, 
ohne dabei die Centralgefäße und die peritoneale Bekleidung zu 
verletzen, nicht mehr den Tod der operierten Tiere verursacht. 

So gelang es mir die auf diese Art und Weise operierten Tiere 
nicht nur für lange Zeit am Leben zu erhalten, sondern die Operation 
selbst wurde nach und nach so geläufig in meinem Laboratorium, 
dass Assistenten und Studenten dieselbe schon unternommen haben 
und die gleichen Resultate erzielten. 

Da ich somit eine größere Anzahl von Tieren am Leben erhalten 
konnte, wollte ich alle streitigen Punkte der Mering’schen und 
Minkowski’schen Experimente kontrolieren. 

Ich konnte, wie die zitierten Verfasser, konstatieren, dass der 
vollständigen Exstirpation des Pankreas stets die Glukosurie und 
die zehrende Form des Diabetes folgt. 

Ich habe außerdem durch Experimente festgestellt, dass die von 
De Dominicis angedeutete Form von Diabetes insipidus, die 
sogenannten Fälle von intermittierendem Diabetes und die tar- 
dive Erscheinung des Diabetes stets die Folge von kleinen Pan- 
kreasbruchstückchen sind, welche während der Exstirpation vergessen 
wurden. 

Anstatt Diabetes mellitus erhielt ich Diabetes insipidus 
in meinen Experimenten in dem Falle, dass hinter dem Bauchfell 
Pankreasbruchstückehen vorgefunden wurden, welche nur ein Gewicht 
von einem Gramm oder 50 Centigramm hatten. 

Augenscheinlich werden wir, wenn diese isolierten und zu einer 
intermittierenden Funktion fähigen Bruchstückchen zurückbleiben, die 
intermittierende Form des Diabetes mellitus erhalten; wenn diese 





Capparelli, Funktion des Pankreas. 507 


Bruchstückchen alsdann entweder durch den Vernarbungs- oder In- 
volutionsprozess zerstört werden, wird sich Diabetes mellitus 
entwickeln. 

Außerdem wollte ich experimentell feststellen, ob infolge von 
Einspritzungen des pankreatischen Saftes in die des Pankreas be- 
raubten Tiere die Glukosurie aufhörte, um definitiv zu beweisen, 
dass das Pankreas wirklich ein Produkt in das Blut ergießt, welches 
sich der Bildung des Zuckers im Organismus entgegenstellt. 

Mit mir zu gleicher Zeit versuchten die Herren Hedon und 
De Dominicis ein ähnliches Experiment, aber diese bewährten 
Verfasser erzielten negative Resultate. 

Bei Anwendung der folgenden speziellen Methode erzielte ich 
dagegen stets positive Resultate: Ich bediente mich des von einem 
kaum getöteten Hunde entnommenen Pankreas und zerrieb es fein 
in 0,76°/, Kochsalzwasser. Diese Mischung spritzte ich alsdann in 
die Bauchhöhle eines durch die Exstirpation des Pankreas diabetisch 
gemachten Hundes; schon nach kaum drei Stunden fing der Zucker 
im Urin an sich zu vermindern und in den meisten Fällen verschwand 
er bald darauf vollständig. 

Auf Grund der Phänomene, welche die des Pankreas beraubten 
Hunde darbieten, kam mir der Verdacht, dass die Glukosurie von 
der anormalen Resorption des Speichels abhängen könne. Ich ver- 
suchte alsdann Einspritzungen von filtriertem menschlichen Speichel 
durch die Vena jugularis. Diese Einspritzungen erniedrigten die 
Temperatur der Hunde und der Kaninchen sofort um 2 bis 3° C. 
Man kann mithin einen beträchtlichen hypothermischen Zustand de- 
terminieren. Der für mehrere hintereinanderfolgende Tage sich selbst 
überlassene Urin weist vor den Einspritzungen keinerlei Niederschläge 
von phosphorsauren Ammoniak -Magnesiakrystallen auf, wird dagegen 
nach den Einspritzungen reich an diesem Salz, zeigt eine Vermin- 
derung des spezifischen Gewichtes und wird weniger sauer. In an- 
deren Worten, der Urin zeigt eine erhebliche Aenderung der gewöhn- 
lichen Bestandteile, was eine Idee von den Ernährungsstörungen gibt, 
welche der Speicheleinführung in das Blut folgen. 

Nun wohl, die Hypothermie und die Phosphaturie sind zwei be- 
ständige Phänomene des experimentellen pankreatischen Diabetes. 
- Dieselben beiden Phänomene determinieren sich in den Tieren durch 
die Speicheleinspritzungen in die Venen, nur dass in diesem Falle 
die Symptome transitorisch sind, denn transitorisch ist die Speichel- 
einführung, während in der experimentellen pankreatischen Diabetes 
die Symptome permanent sind, weil auch die Speichelresorption durch 
den Darm permanent ist. Ich erzielte außerdem eine leichte und 
eine gewisse Zeit anhaltende Glukosurie. Ich schreibe diese Gluko- 
surie der raschen Einführung des diastasischen Fermentes in die 
Gewebe zu, während das von dem Pankreas auf dem Wege der 


608 Apstein, Berichtigung. 


Gefäße ergossene Material auf das diastatische Ferment einwirken 
und dessen physiologische Wirkung vertilgen kann. 

Auf Grund meiner Beobachtungen glaube ich feststellen zu können, 
dass sich bei dem experimentellen Diabetes zwei Arten von Störungen 
produzieren. Die einen sind an die Abwesenheit des pankreatischen 
Saftes im Darm gebunden, daher die Ernährungsstörungen, welche der 
morböse und zehrende Diabetes insipidus erzeugt. Die anderen da- 
gegen, wie die Glukosurie, sind einzig und allein der Abwesenheit 
eines aus dem Pankreas abgesonderten und direkt in das Blut er- 
gossenen Materials zuzuschreiben; dies Material verhindert die Trans- 
formation des Glykogens in Glukose, welehe ohne diese Verhinderung 
das diastatische Ferment des Speichels bewirken würde. 

Es ist wahrscheinlich, dass die Phosphaturie, die Hypothermie 
und die Glukosurie von der raschen Einführung des Speichels in das 
Blut durch die Vena Porta in Abhängigkeit stehen. 

Laboratorio di Fisiologia Sperimentale dell’ Universitä di Catania. 
Juni 1892. 


Berichtigung von Dr. C. Apstein in Kiel. 


In meinem Aufsatze: Quantitative Plankton-Studien im Süß- 
wasser (Biol. Centralbl., Bd. 12, Nr. 16, 17) konnte ich die Namen einiger 
Organismen nicht mit vollkommener Sicherheit angeben, da ich von einigen 
kein lebendes Material hatte untersuchen können. Jetzt habe ich dieselben 
lebend beobachtet und will hier gleich die endgiltigen Namen anführen. Das 
im Juli so zahlreich vorhandene Rädertier ist Pompholyx sulcata Huds. 
(S. 490, 504). Die Diatomee, die ich als Staurosira Smithiana anführte, ist 
Synedra crotonensis var. prolongata Grun. (S. 490, 501, 505). 

Außerdem muss es heißen: 

S. 490 Zeile 7 v. o.: Asterionella gracillima, 
S. 493 Zeile 23 v. o.: 136 (statt 137), 
S. 508 Zeile 1 v. u.: Oyclops (statt C'yclo). 





Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart. 


Soeben erschien: 
Lehrbuch 


der 


Niederen Kryptogamen. 


Mit besonderer Berücksichtigung 


derjenigen Arten, die für den Menschen von Bedeutung sind oder im Haushalte 
der Natur eine hervorragende Rolle spielen. 


Von Prof. Dr. Friedrich Ludwig. 
Mit 13 Figuren in etwa 130 Einzelbildern. gr. 8. geh. M. 14.— 





Hierzu eine Beilage der Verlagsbuchhandlung Lipsius und Tischer in Kiel und Leipzig. 








Verlag von Eduard Besold in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 





Biologisches Oentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 








Pflanzen? — Röse, Zur Phylogenie des Säugetiergebisses. — Wasmann, Die 
internationalen Beziehungen von Lomechusa strumosa (Schluss). — Braune, 
Das Gewichtsverhältnis der rechten zur linken Hirnhälfte. — Zacharias, Die 
Erforschung des großen Plöner Sees. — Anzeige. 





Welche Umstände befördern und welche hemmen das Blühen 
der Pflanzen. 


Von M. Möbius in Heidelberg. 


Im Anfang dieses Jahres erhielt ich von Herrn Dr. Franz 
Benecke, Direktor der Versuchstation für Zuckerrohrkultur zu 
Klaten auf Java, die Aufforderung, das im Titel genannte Thema zu 
bearbeiten und die Arbeit in den Mitteilungen der Versuchsstation 
erscheinen zu lassen. Dr. Benecke ging dabei von der Ansicht aus, 
dass man auf Grund einer Erörterung, welche sich mit der Erscheinung 
des Blühens im Allgemeinen befasst, der Frage näher treten könne, 
welehe Faktoren speziell beim Zuckerrohr auf das Blühen desselben 
von Einfluss sind, um aus deren Kenntnis eventuell Maßregeln ableiten 
zu können, die das dem Pflanzer unliebsame Blühen beim Rohr ver- 
hindern. Ich ging auf den mir gemachten Vorschlag sehr gern ein, 
da auch mir eine Zusammenstellung der Umstände, welche das Blühen 
der Pflanzen befördern oder hemmen, in der Litteratur der Pflanzen- 
biologie nicht bekannt war und ich glaubte, einen Beitrag zur Aus- 
füllung dieser Lücke liefern zu können. So ist die vorliegende kleine 
Arbeit entstanden, die in den „Mededeelingen van het Proefstation 
„Midden-Java“ te Klaten“ (Semarang, G.C. T. van Dorp & Co. 1892, 
gedruckt in Heidelberg) erschienen ist, versehen mit einer von Dr. 
Benecke geschriebenen Vorrede und einer von mir beigefügten kurzen 
Inhaltsangabe, beide in deutscher und holländischer Sprache ab- 
gedruckt. In dieser Form der Veröffentlichung wird die Arbeit wohl 

XL. 39 


510 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


nur wenigen deutschen Lesern zu Gesicht kommen, vielleicht aber 
sind noch einige andere da, die Interesse an dem Gegenstand nehmen: 
aus diesen Gründen dürfte sich ein erneuter Abdruck in dieser Zeit- 
schrift rechtfertigen lassen. Ich habe dabei den vorhandenen Text 
nicht ändern wollen, obgleich er wohl manches enthält, was den meisten 
selbstverständlich und bekannt erscheint, es möge dies mit der ursprüng- 
lichen Bestimmung, welche diese Schrift hatte, entschuldigt werden. 

Alle höheren Pflanzen bilden in einem gewissen Stadium ihrer 
Entwieklung besondere Sprosse aus, an denen die Geschlechtsorgane 
angelegt werden und die wir als Blüten bezeichnen. Da sich unter 
normalen Umständen aus der Blüte die Frucht mit dem Samen ent- 
wickelt, so ist die Blüte ein Organ, das zur geschlechtlichen Ver- 
mehrung der Pflanze, zur Reproduktion, dient. In der Regel unter- 
scheiden sich die Blüten äußerlich so von den vegetativen Teilen der 
Pflanze, dass man beim ersten Anblick sieht, ob die Pflanze blüht oder 
nicht. Es sind dann gewöhnlich die die Blütenhülle bildenden Blatt- 
organe, welehe durch ihre andere Gestalt oder Farbe sich bemerkbar 
machen. Bisweilen fehlen aber auch die Hüllorgane und es sind nur 
die Geschlechtsorgane, die Staubgefäße als die männlichen und die 
Pistille als die weiblichen, vorhanden. Die Ausbildung dieser Teile 
ist, wie schon eingangs erwähnt, nur den höheren Pflanzen eigentüm- 
lich, die Linne als Phanerogamen zusammengefasst und den Crypto- 
gamen gegenübergestellt hat. Letztere (die Farnpflanzen im weitesten 
Sinne, die Moose, Algen, Flechten, Pilze) besitzen entweder keine 
Geschlechtsorgane, wie viele Pilze, oder dieselben sind doch nicht in 
der Form von Staubgefäßen und Pistillen ausgebildet. Zwar könnte 
man auch bei den Uryptogamen den Zustand, in welchem sie ihre 
Geschlechtsorgane oder die Organe, in denen die Sporen erzeugt 
werden sollen, entwickeln, als Blühen bezeichnen. Allein man pflegt 
es nicht zu thun und thut recht daran, denn die betreffenden Organe 
der Oryptogamen haben eine ganz andere morphologische Natur als 
die Blüten der Phanerogamen. Nur die letzteren haben echte Blüten 
und werden deshalb mit Recht als Blütenpflanzen den Oryptogamen 
als blütenlosen Pflanzen gegenübergestellt. Wenn man also von einem 
Moos, das seine Geschlechtsorgane in besonderen Hüllen oder auf 
besonderen Trägern entwiekelt, oder von einem Farn, der im Begriff 
ist, die Sporen zu bilden, sagt, die Pflanze „blühe“, so muss man 
sich bewusst sein, dass man diesen Ausdruck in übertragenem Sinne 
anwendet. Es braucht deshalb kaum noch besonders bemerkt zu 
werden, dass wir uns im Folgenden nur mit den Blütenpflanzen oder 
Pharerogamen zu beschäftigen haben werden. 

Das Blühen einer Pflanze bedingt nicht immer deren Fruchten, 
denn abgesehen davon, dass Pflanzen, welche nur männliche Blüten 
hatten, keine Früchte produzieren können, so gibt es bekanntlich auch 
Fälle, wo aus den weiblichen Organen sich keine Früchte entwickeln, 











Möbins, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 611 


sei es dass die Befruchtung ausgeblieben ist, sei es dass trotz er- 
folgter Befruchtung die Ungunst äußerer Verhältnisse die Blüte nicht 
zur Frucht reifen ließ. Für die Vermehrung der Pflanzen, also für 
die Erhaltung der Species, kommt es natürlich nur darauf an, ob die 
Früchte und deren Samen reifen, und ein erfolgloses Blühen hat nicht 
mehr Wert als das Ausbleiben der Blüte überhaupt. Ebenso bei den- 
jenigen Pflanzen, die wir ihrer Früchte oder Samen wegen kultivieren: 
es kann uns nichts nützen, wenn sie noch so reichlieh geblüht haben 
und dann doch keine Früchte ansetzen!). Deshalb hat man immer 
mehr Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse gerichtet, von denen die 
Fruchtbildung der Pflanzen abhängt, als auf diejenigen, welehe das 
Blühen hemmen oder befördern. 

Es ist mir keine Schrift bekannt geworden, welche diesen Gegen- 
stand speziell behandelt, aber es werden vereinzelte Beobachtungen 
mitgeteilt, die von Unregelmäßigkeiten im Blühen berichten oder 
einzelne Umstände behandeln, welche auf die Blütenbildung von Ein- 
fluss sind. Deshalb ging ich gern auf den Vorschlag des Herrn Dr. 
Franz Benecke ein, eine solehe Untersuchung in Rücksicht auf 
die im Vorwort dargelegten Zwecke zu unternehmen und den Ver- 
hältnissen nachzuforschen, auf denen die zu beobachtenden Eigen- 
tümlichkeiten im Blühen der Pflanzen beruhen. 

Wir sehen, dass die einen Pflanzen nur in einer kurzen Pnriode 
ihrer Entwicklung blühen, während andere, besonders tropische, fast 
unausgesetzt immer neue Blüten produzieren; es gelingt in der Kultur 
bei der einen Pflanze leicht, bei der andern schwer, sie zum Blühen 
zu bringen; auch dieselbe Pflanze kann sich verschieden verhalten: 
wenn sie in dem Klima ihrer Heimat leicht blüht, so gelangt sie in 
einem andern Klima, das ihrem Gedeihen sonst nicht schadet, nicht 
zur Blüte; schließlich verhält sich eine Pflanze auch in verschiedenen 
Jahren ungleich, in dem einen Jahre blüht sie reichlich, in dem andern 
wenig oder gar nicht. 

Für letztgenannten Fall bietet das Zuckerrohr ein gutes Beispiel, 
über welches folgende Angaben eines durchaus dla an ls31 
Forschers? ) vorliegen. 





1) Ich hatte schon früher Gelegenheit, auf die Erscheinung hinzuweisen, 
dass es Pflanzen gibt, die regeimäßig die Ausbildung reifer Samen unterlassen, 
indem sie entweder keine Blüten und nur vegetative Vermehrungsorgane bilden 
und zwar blühen, aber keine Früchte reifen (conf. meine Abhandlung: Over 
de gevolgen van voortdurene vermenigvuldiging der Phanero- 
gamen langs geslachteloozen weg in Mededeelingen van het 
Proefstation „Midden- Java“ te Semarang, 1890, p. 4—6). 

2) Dr. Benecke in der Vorrede zu dieser Abhandlung im „Mededee- 
lingen ...*“ Es möge dadurch auch meine aus Häckels Bearbeitung der 
Gramineen (in Engler-Prantl’s natürlichen Pflanzenfamilien) entnommene 
Notiz (im Biolog. Centralbl., Bd. IX, S. 36) über das seltene Blühen des Zucker- 
rohrs berichtigt werden. 


35 * 


b12 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


„In der Litteratur wird bis auf die neueste Zeit die Behauptung 
aufgestellt, dass das Zuckerrohr „selten“ blüht. Jeder Pflanzer auf 
Java weiß, dass dies leider!) nicht der Fall ist. Woher dieser Irrtum 
stammt, ist mir unbekannt; immerhin ist nicht unmöglich, dass es 
Gegenden gibt, wo das kultivierte Zuckerrohr klimatischer Verhält- 
nisse wegen bis zur Zeit seiner Verarbeitung nicht zur Blüte gelangt; 
darauf könnte die irrtümlicher Weise allgemein gehaltene Behauptung 
basieren. 

Wir haben Jahre auf Java, in welchen das Zuckerrohr überreich- 
lich blüht, so dass man schon aus weiter Ferne die Zuckerrohrfelder 
an den wallenden Blütenbüschen erkennt, die aus Hunderttausenden 
von einzelnen Inflorescenzen bestehen. In solchen Jahren können 
nicht-blühende Felder zu den Seltenheiten gehören. Anderseits gibt 
es Jahre, in welchen im Allgemeinen wenig Blütenstände sichtbar 
sind. Schließlich kommen Jahre vor, in welchen man bald Felder 
sieht, auf welchen fast jeder Stock im Blühen begriffen ist, und bald 
Felder, wo man nach einem blühenden Stock suchen muss; dabei 
können solche blühende und nichtblühende Felder in nächster Nähe 
sich befinden. Man sieht auch häufig in einem und demselben Feld 
zwei unter anscheinend gleichen Verhältnissen gewachsene Pflanzen, 
von denen die eine nur blühende, die andere nur nichtblühende Stöcke 
besitzt. Schließlich kann man auch an einer und derselben Pflanze 
beobachten, dass sie aus Stöcken besteht, von denen die einen völlig 
ausgebildete Inflorescenzen tragen, während die anderen solche nicht 
einmal in der ersten Anlage aufweisen, trotzdem sie sich, was Höhe 
und Stärke betrifft, keineswegs von den blühenden Stöcken prinzipiell 
unterscheiden“. 

Auch bei andern Gräsern, besonders Bambusen, treten auffallende 
Unregelmäßigkeiten im Blühen auf, indem nur einzelne Jahre eine 
reichliche Blütenbildung bringen, zwischen denen längere sterile 
Perioden liegen. 

Für die hier angedeuteten Erscheinungen wird sich zur Zeit nicht 
immer eine Erklärung finden lassen, aber eine Uebersicht der Um- 
stände, welche auf das Blühen der Pflanzen von Einfluss sind, wird 
uns auch diesen Lebensprozess der Pflanzen hoffentlich besser ver- 





1) „Mit dem Beginn der Bildung der endständigen Inflorescenz hört ja 
selbstverständlich die Bildung neuer, für die Zuckergewinnung brauchbarer 
Stockglieder auf und das ganze Wachstum des Stockes kann nur noch auf 
der Vergrößerung der bereits vorhandenen Internodien beruhen. Kommt nun 
das Zuckerrohr, wie es z. B. im letzten Vegetationsjahre (1891 — 92) leider 
vielfach der Fall war, frühzeitig zum Blühen, so bleiben die Stöcke kurz und 
der Schaden kann dadurch ein sehr bedeutender werden. Dazu kommt noch, 
dass in Blüte befindliches Rohr leicht austrocknet, und besonders auch, dass 
solches Rohr keineswegs empfehlenswerte Stecklinge liefert. Schließlich ist 
noch zu erwähnen, dass „Sereh“krankes Rohr Neigung zum Blühen besitzt“. 
Beneckel. c. 











Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 613 


stehen lehren. Wir werden sehen, dass einesteils nur innere, dem 
Charakter der Species eigentümliche Gründe maßgebend sind, dass 
aber anderseits auch äußere Agentien eine Wirkung ausüben. Natür- 
lich ist mit der Erkenntnis des Zusammenhanges eines Lebensprozesses 
mit einem äußeren Faktor noch keine Erklärung gegeben. Wenn wir 
finden, dass Feuchtigkeit die Entwicklung der vegetativen Organe 
der Pflanze befördert, die Blütenbildung dagegen zurückhält, so beruht 
dies eben auf dem inneren Wesen der Pflanze, auf die Feuchtigkeit 
derartig zu reagieren. Indessen sind wir doch insofern etwas weiter 
gekommen, als wir es nicht mehr mit speziellen Eigentümlichkeiten 
bestimmter Pflanzenarten zu thun haben, sondern mit einer für viele 
Pflanzen giltigen Regel. Dazu kommt noch, dass sich aus der Kenntnis 
derartiger Regeln unter Umständen gewisse Lehren für die Behand- 
lung der Pflanzen in der Kultur ableiten lassen. Nur sind wir leider 
nicht immer im Stande, und dies trifft gerade bei der Zuekerrohr- 
kultur ein, die betreffenden Verhältnisse, wie Wärme, Feuchtigkeit, 
Beleuchtung, so zu gestalten, wie es für unsere Zwecke wünschens- 
wert erscheint. 

Wir wollen zunächst das Blühen der Pflanze als eine Phase ihres 
Entwicklungsganges betrachten, die aus inneren, durch Vererbung 
fixierten Gründen zu einer bestimmten Zeit eintritt: Wir wissen, dass 
die Entwicklung der verschiedenen Pflanzen derartig ungleich ist, 
dass die genannte Phase nur einmal, sei es früher, sei es später, 
eintritt oder dass sie sich in mehr oder weniger regelmäßigen Perioden 
wiederholt. Man kann danach hauptsächlich zwei Gruppen unter den 
Pflanzen unterscheiden: die einmal und die wiederholt blühenden, die 
ersteren pflegen als hapaxanthische oder monokarpe, die letzteren als 
polykarpe Pflanzen bezeichnet zu werden. 

Die hapaxanthischen Pflanzen wiederum kann man unterscheiden 
nach der Länge der Zeit, welche sie von der Keimung an bis zur 
Blütenbildung in Anspruch nehmen. Wir haben hier zunächst die 
sogenannten einjährigen Pflanzen, die in einer Vegetationsperiode ihren 
Entwieklungsgang, somit auch Blühen und Fruchten, beendigen. Sie 
finden sich besonders reichlich in solehen Zonen, wo scharfe Unter- 
schiede der Jahreszeiten herrschen, wo der Pflanzenwuchs durch Kälte 
oder Trockenheit auf eine längere Zeit unterbrochen ist. Buropa ist 
reich an solchen einjährigen Pflanzen, die im Frühling keimen, im 
Sommer blühen und nach der Fruelitreife im Herbst vollkommen ab- 
sterben bis auf die Samen, die den Winter im Ruhezustand verbringen. 
So verhalten sich auch viele Gräser, besonders die in den gemäßigten 
Zonen als Sommergeireide angebauten Arten. Gerade dem Umstand, 
dass diese Gräser bereits in demselben Jahre, in dem sie ausgesäet 
werden, zur Blüte und Fruchtreife kommen, verdanken sie es, dass 
sie zu den Pflanzen gehören, die von dem Menschen zuerst in Kultur 
genommen wurden. 


614 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


Manche Pflanzen aber entwickeln sich noch schneller, so dass 
während eines Sommers mehrere Generationen von ihnen zur Blüte 
kommen und Samen reifen, die sofort keimfähig sind. Man unter- 
scheidet sie von den oben erwähnten einjährigen Pflanzen als ephimere?): 
als Beispiel sei nur der fast über die ganze Erde verbreitete Hühner- 
darm (Stellaria media) genannt. 

Ihnen gegenüber stehen dann diejenigen hapaxanthischen Pflanzen, 
welche mehr als ein Jahr brauchen, um zu blühen, Viele derselben 
besitzen eine zweijährige Lebensdauer, entwickeln im ersten Jahre 
nur Vegetationsorgane, im zweiten auch Blüten und Früchte. Es sind 
dies die sogenannten Stauden und zu ihnen gehören viele Umbelliferen, 
Oruciferen, Serophulariacacen und andere Formen des europäischen 
Florengebietes. Sie produzieren im ersten Jahre nur einen kurzen, 
unten in die Wurzel übergehenden Stamm, der über der Erde eine 
Blattrosette entfaltet. Die Blätter sterben im Winter ab, Wurzel und 
Stamm bleiben aber erhalten und letzterer treibt im nächsten Jahre 
nicht nur Blätter, sondern wächst auch in einen blütentragenden 
Stengel aus. Damit ist aber die Kraft der Pflanze erschöpft und sie 
stirbt, nachdem die Früchte ausgebildet sind, ab. 

Auch von Gräsern gibt es mehrere, die sich im ersten Jahre nur 
bestocken und erst im zweiten die ährentragenden Halme treiben. 
Etwas anderes ist es mit dem sogenannten Wintergetreide, das zwar 
auch unter die zweijährigen Pflanzen gerechnet wird. Hier ist nur 
insofern ein Unterschied von dem rein einjährigen Sommergetreide, 
als ersteres im Herbst gesäet, noch vor dem Winter keimt, dann eine 
Ruheperiode durchmacht und sich im Frühling direkt weiter entwickelt, 
so dass es im Sommer zur Blüte kommt. Es gehört also das so 
kultivierte Getreide eigentlich zu den einjährigen Pflanzen, die nur 
durch die Aussaat im Herbst zu einer unterbrochenen Entwicklung 
gezwungen werden. Bei den eigentlichen Stauden dagegen ist der 
Stamm im ersten Jahre noch nieht kräftig genug, um Blüten treiben 
zu können; er beschränkt sich zunächst darauf, Assimilationsorgane 
zu produzieren; durch deren Thätigkeit wird soviel Stoff aufgespeichert, 
dass im zweiten Jahr genug Material zur Blüten-, resp. auch Frucht- 
bildung vorhanden ist. 

Andere Pflanzen brauchen noch längere Zeit, um diesen Zustand 
zu erreichen, besonders solche, die sehr große Inflorescenzen ent- 
wickeln. Es können hier wieder manche Umbelliferen genannt werden, 
z.B. die in den persischen Steppen einheimischen Scorodosmua ‚foetidum 
Runge und Dorema Ammoniacum Don. Beiihnen werden in mehreren 
Jahren nur Blattrosetten gebildet, bis schließlich die große Inflorescenz 
erscheint, nach deren Ausbildung die ganze Pflanze abstirbt. Wohl 
das bekannteste Beispiel dieser Art ist die sogenannte hundertjährige 
Aloe, Agave Americana. „Es vergehen oft 20, 30, angeblich selbst 


1) Wiesner, Biologie der Pflanzen (Wien 1889) 8. 22. 








Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 615 


100 Jahre, in welchem langen Zeitraume diese Pflanze über die Bil- 
dung des bodenständigen, mit rosettig gruppierten Blättern besetzten 
Kurztriebes nicht hinauskommt. Endlich erhebt sich aus der Mitte 
der Rosette ein Langtrieb, welcher mit einem umfangreichen Blüten- 
stande abschließt. Sobald sich aus den Blüten Früchte herausgebildet 
haben und die Samen ausgeflogen sind, stirbt dann, ähnlich wie bei 
den zweijährigen Pflanzen, nicht nur dieser Langtrieb, sondern auch 
der Kurztrieb mit seinen großen, dornig gezahnten, starren Rosetten- 
blättern gänzlich ab“!). 

Solche, mehrere und selbst viele Jahre ausdauernde, aber nach 
einmaliger Blüten- und Fruchtbildung zu Grunde gehende Pflanzen 
können als perennierende Monokarpen bezeichnet werden?). Die Ursache 
ihres Absterbens ist die Erschöpfung, in die sie durch die Entwicklung 
des großen Blütenstandes geraten; derselbe erreicht bei der erwähnten 
Agave die Höhe von 5—7 Meter! Zu einer solchen Leistung ist die 
Pflanze erst nach längere Zeit fähig und so können wir sagen, dass 
das Alter des Individuums von wesentlichem Einfluss auf das Blühen 
der Pflanzen ist. Wir sehen’ dies aber nicht nur bei den monokarpen, 
sondern auch bei den perennierenden wiederholi blühenden Pflanzen, 
von denen wir wiederum verschiedene Formen unterscheiden können. 

Zunächst gibt es solche, bei denen nur die unterirdischen Triebe 
ausdauern und die oberirdischen in jedem Jahre neu gebildet werden. 
Hierher gehören die meisten Gräser und vor allem diejenigen, welche 
eine geschlossene Grasnarbe bilden. Solche Pflanzen — außer den 
Gräsern zählen noch viele andere zu ihnen — pflegen in dem ersten 
oder auch in den ersten Jahren nach der Keimung nur Blatttriebe zu 
entwickeln, bis der Wurzelstock kräftig genug ist, auch Blütentriebe 
zu produzieren, welche aber nun in jedem Jahre wieder erscheinen 
im Gegensatz zu den Stauden und perennierenden Monokarpen. 

Als Büsche oder Virgulta?) werden sodann solche Pflanzen be- 
zeichnet, deren unterirdische Triebe ausdauern und deren oberirdische 
Teile zu ihrer Entwieklung mehr als ein Jahr gebrauchen oder sich 
überhaupt unabhängig von der Jahreszeit entwickeln, so dass jeden- 
falls immer solche oberirdische Triebe vorhanden sind. Die ober- 
irdischen Triebe können bereits im ersten Jahre, in dem sie entstanden 
sind, blühen, z. B. bei Rubus odoratus, bei welcher Art sie dann im 
zweiten Jahre nochmals blühen, um darauf abzusterben. Bei Aubus 
Idaeus dagegen blühen die ebenfalls zweijährigen Triebe erst im 
zweiten Jahre, während sie im ersten nur Blätter treiben. Zu dieser 
Gruppe der Virgulta gehören die bananen, aber auch bei Musa ver- 
halten sich die einzelnen Arten verschieden und bei manchen (z. B. 

1) Nach Kerner, Pflanzenleben, Bd. I, S. 618. 

2) Wiesnerl. ce. S. 22. 


3) Vergl. den Aufsatz von Krause in den Berichten der deutschen bot. 
Gesellschaft, 1891, S. 233. 


616 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


Musa Enseta) dauert es mehrere Jahre, bis aus dem Blatttrieb, der 
den scheinbaren oberirdischen Stamm darstellt, ein Blütenstand her- 
vorkommt; nach der Fruchtreife stirbt dieser ganze Trieb ab. 

Das Zuckerrohr findet hier am besten seine Stelle. Hackel be- 
zeichnet die Arten der Gattung Saccharum als perennierende Pflanzen. 
Auf Java allerdings und auch in anderen Gegenden lässt man (nach 
gütiger Mitteilung des Herrn Dr. F. Benecke) das in Kultur befind- 
liche Zuckerrohr gewöhnlich nur ein Jahr!) alt werden; als aber die 
„Serehkrankheit“ die Kulturen auf Java noch nicht bedrohte, erntete 
man oft auch den zweiten und sogar den dritten Schnitt?). Wie nun 
oben geschildert wurde, kann das Zuckerrohr schon im ersten Jahre 
reichlich blühen; wenn zweiter und dritter Schnitt angewendet wird, 
können die Stöcke dieser weiteren Ernten ebenfalls zum Blühen ge- 
langen. Auch das kultivierte Zuckerrohr muss also als perennierende 
Pflanze betrachtet werden. Wie alt eine solche Pflanze werden kann, 
zeigt ein von Dr. F. Benecke im botanischen Garten zu Genua 
neuerdings gesehenes Exemplar, das (bei der geringen Höhe von 
31/, Mtr. inkl. Blattkrone) nach Mitteilung von Prof. Dr. O. Penzig, 
5 Jahre alt ist. 

Dr. F. Benecke hält es auch nicht für unwahrscheinlich, dass 
in den Tropen alle Varietäten zum Blühen kommen würden, wenn 
man ihnen die dazu nötige Zeit ließe und nicht die Ungunst äußerer 
Umstände (siehe später) das Blühen verhindern könnten). In seinem 
Versuchsgarten auf Java besitzt er viele Varietäten, die noch nie 
geblüht haben, aber besonderer Verhältnisse wegen auch nie länger 
als ein Vegetationsjahr stehen gelassen werden konnten. 

Schließlich haben wir die eigentlichen Stammpflanzen, die Halb- 
sträucher, Sträucher und Bäume, bei denen die oberirdischen Triebe 
in der Regel verholzen und nebst den Wurzeln die ausdauernden 
Teile der Pflanze bilden. Bei der Mehrzahl der hierhergehörigen 
Formen tritt das Blühen und Fruchten erst ein, wenn sie sich nach 
der Aussaat mehrere Jahre hindurch gekräftigt haben. Denn die 
Pflanze muss anfangs ihre Assimilationsprodukte auf die Ausbildung 
der holzigen Triebe verwenden und bedarf längerer Zeit bis Material 
genug zur Entwicklung der Fortpflanzungsorgane vorhanden ist. Doch 
gibt es auch einige holzige Pflanzen, die bereits im ersten Jahre 


1) Das Vegetationsjahr des Zuckerrohrs dauert nicht genau 12 Monate, 
sondern ist teils viele Wochen länger, teils entsprechend kürzer, indem der 
Eintritt der Reife in hohem Maße von der Witterung des Jahres abhängig ist. 

2) Man schneidet dann nämlich am Ende des ersten Vegetationsjahres die 
Stöcke behufs Zuckergewinnung am Boden ab und lässt die unterirdischen 
Sprossaugen der im Boden verbleibenden Stockreste zur Entwicklung kommen: 
ihre Sprosse liefern die zweite Ernte, d. h. den zweiten Schnitt, u. s. w. 

3) Versuche nach dieser Richtung sind von Dr. F. Benecke auf Java in 
Angriff genommen. 











Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 617 


blühen, wie den Rieinus. Derselbe wird deswegen in kälteren Ländern 
(Mitteleuropa) leicht für eine einjährige Pflanze gehalten, weil er nach 
dem Blühen im Herbst zu Grunde geht. In seiner Heimat ist er ein 
Baum, der auch in den folgenden Jahren regelmäßig blüht. Im Gegen- 
satz dazu befinden sich die Waldbäume der nördlichen gemäßigten 
Zone, da bei ihnen meist viele Jahre vergehen, bevor sie zum ersten 
Male blühen. 

Am besten sind wir in dieser Beziehung über die deutschen 
Waldbäume orientiert, über welche ich die folgenden Angaben aus 
Nördlinger’s Forstbotanik entnehme!): Das Blühen beginnt bei der 
Lärche (Laryx europaea) im Tiefland mit 15-20, im Gebirge mit 
20—30 Jahren, bei der Kiefer (Pinus silvestris) auf trockenem, 
warmem Boden zum Teil schon mit 15, im Bestand mit 30—40 Jahren 
(bei Pinus montana dagegen schon mit 4—D Jahren), bei der Eibe 
(Taxus baccata) mit 20, bei der Fichte (Picea vulgaris) mit 30—40, 
bei der Tanne (Adies pectinata) erst mit 60 Jahren. Von Laub- 
bäumen blüht die Hasel (Corylus avellana) schon mit 10, die Birke 
(Betula alba) mit 15—20, die Weißbuche (Carpinus betulus), die 
Edelkastanie (Castanea vesca), die Zitterpappel (Populus tre- 
mula) etwa mit 20, die Erle (Alnus glutinosa) im Buschwald mit 
12—20, im Hochwald mit 40, die Buche (Fagus silvatica) im Bestand 
nicht vor 60 Jahren (freistehend 20 Jahre früher) und die Stiel- 
eiche (Quercus pedunculata) erst im 60.—80. Lebensjahre. 

Dass der Zeitraum, in dem diese Bäume zum ersten Male blühen, 
ziemlich unbestimmt ist, zum Teil zwischen 20 Jahren schwanken 
kann, rührt daher, dass äußere Umstände von großem Einfluss auf 
das Erscheinen der ersten Blüte sind; allein es ist hier nicht der 
Ort, diese Umstände näher zu berücksichtigen, weil wir von ihnen 
erst später zu sprechen haben. Erwähnt sei nur, dass jene Regeln 
nicht ohne Ausnahme sind; so wird angeführt, dass gelegentlich in 
Samenbeeten Eichen und Götterbäume (Ailanthus glandulosa) im 
ersten bis dritten Lebensjahre zum Blühen kommen, dann aber bald 
absterben. 

Bei den Hochpflanzen haben wir aber auch noch auf eine andere 
Erscheinung hinzuweisen: nicht nur erlangt der Baum in einem be- 
stimmten, von der Species abhängigen Alter die Fähigkeit zu blühen, 
sondern bei manchen Arten ist auch die Wiederholung der Blüte nicht 
bloß von der Jahreszeit, sondern auch von der Lebenszeit der Pflanze 
abhängig. Wir beobachten nämlich, dass manche Bäume nicht jedes 
Jahr blühen, sondern in längeren Zeitintervallen ?2). Unter den Nadel- 
hölzern blühen Taxus und Juniperus alljährlich, die Tanne (Abies 
pectinata) dagegen blüht in milder Gegend etwa alle 2-5, in rauher 


1) 2. Band. Stuttgart 1876. 
2) Etwas ähnliches beobachtet man übrigens auch an einigen perennierenden 
krautartigen Pflanzen, z. B. Erdorchideen. 


518 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 


Gegend nur alle 6—8 Jahre, die Kiefer (Pinus silvestris) alle 3—5, 
die Fichte (Picea vulgaris) alle 3—4 Jahre. Von den Laubhölzern 
der nördlichen Wälder blüht wohl die Mehrzahl alljährlich, aber die 
Birke (Betula alba) etwa alle 3 Jahre und die Eiche (Quercus pedum- 
culata) in Intervallen von 4—6 Jahren!). Dass auch in wärmeren 
Ländern analoge Erscheinungen im Blühen der Bäume auftreten, zeigt 
derDrachenbaum (Dracaena Draco), von dem Schacht sagt, dass 
er auf den kanarischen Inseln verhältnismäßig selten blühe 2). 

Eine ganz eigentümliche Periodizität im Blühen zeigen die Bambus- 
Gewächse, die gewissermaßen eine Zwischenstufe zwischen den Virgulta 
und den Bäumen bilden; denn sie gleichen den letzteren zwar darin, 
dass sie holzige, ausdauernde oberirdische Stämme bilden, aber diese 
scheinen doch regelmäßig, wenn sie einmal zum Blühen gekommen 
sind, nach der Fruchtreife abzusterben. Dabei ist aber zu bemerken, 
dass sich die einzelnen Arten sehr verschieden verhalten und dass 
darauf die Angaben immer Rücksicht nehmen müssen. Es gibt Arten, 
die alljährlich blühen, während bei anderen Arten die Sprosse eine 
ganze Reihe von Jahren alt werden müssen, ehe sie blühen®). Was 
aber das besonders auffallende bei manchen Bambusen ist, das ist 
das Auftreten von Blütenjahren in großen Zwischenräumen (bei Bam- 
busa arundinacea z.B. 32 Jahren) und das dann gleichzeitig erfolgende 
Blühen aller Sprosse, mögen sie von noch so verschiedenem Alter 
sein. Es scheint also in diesen Fällen hauptsächlich das Alter des 
Rhizoms, das unter dem Boden wächst und nach oben die verholzten 
Halme aussendet, von Einfluss auf das Blühen zu sein, wenn auch 
außerdem klimatische Verhältnisse eine Rolle spielen. Weitere An- 
gaben über das Blühen der Dambus-Gräser findet man gesammelt 
von Sehröter in seiner Arbeit über den Bambus*), auch Hackel 
hat in seiner Bearbeitung der Gramineen dieser Erscheinung eine 
längere Besprechung gewidmet°). 

Wir haben also im vorhergehenden das Blühen als eine zu ge- 
wisser Zeit im Leben der Pflanze eintretende Erscheinung kennen 
gelernt und die Hauptgruppen, welche sich nach diesen Verhältnissen 
bei den Pflanzen bilden lassen, unterschieden. Es ergibt sich daraus, 
wie auch schon erwähnt, dass das Alter der Pflanze, sei es des 
ganzen Organismus, sei es nur gewisser Sprosse, das Blühen bestimmt. 


1) Ueber die Buche siehe weiter unten. 

2) Schacht, Madeira und Tenerife, S. 26. 

3) In den Tropen wird sogar von gewissen Bambusen angenommen, dass 
sie niemals blühen, was aber nicht erwiesen sein dürfte. 

4) C. Sehröter, Der Bambus und seine Bedeutung als Nutzpflanze. 
Basel 1885. 

5) In Engler und Prantl, Natürliche Pflanzenfamilien, II. Teil, 2. Ab- 
teilung, S. 89. 








Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 619 


Die Gründe, die bei der einen Pflanze das Erscheinen der Blüte 
im ersten, bei der andern im zweiten oder einem späteren Jahre 
veranlassen, liegen in der Natur der Pflanze und da wir sie nicht 
weiter verfolgen können, nennen wir sie innere Gründe. Allerdings 
stehen diese Eigentümlichkeiten einer Pflanze, nämlich ihre Lebens- 
dauer und ihre Blütezeit, nicht unveränderlich fest, aber sie verändern 
sich in der Natur doch nur bei der allmählichen Abänderung der 
äußeren Verhältnisse, unter denen die Pflanzen wachsen. Wir können 
diese darum nach besagten Eigenschaften in der Weise, wie es eben 
geschehen ist, einteilen. Nur ist die Schwierigkeit vorhanden, dass 
wir noch keineswegs genügend unterrichtet sind, wie sich die ein- 
zelnen Pflanzen im Verlaufe ihres Lebens verhalten; besonders über 
tropische Gewächse, auch kultivierte, findet der, welcher sie nicht an 
Ort und Stelle beobachten kann, oft nur mangelhafte Angaben in der 
Litteratur. Die Mitteilung von weiteren Beobachtungen in dieser 
Hinsicht wäre demnach durchaus wünschenswert. 

Im Allgemeinen also können wir sagen, dass jede Pflanzenart 
die durch Vererbung fixierte Eigentümlichkeit besitzt, in einer be- 
stimmten Phase ihrer Entwicklung Blüten zu produzieren und dass 
diese Phase je nach der Species nur einmal oder wiederholt in der 
Entwicklung eintritt. Wie aber der ganze Lebenslauf der Pflanze 
abhängig ist von äußeren Faktoren: Wärme, Licht, Feuchtigkeit, 
Bodenverhältnisse u. s. w., so natürlich auch das Blühen. Es kann 
demnach die oben bezeichnete Phase in der Entwicklung sowohl durch 
die in der Natur sich abspielenden Vorgänge, als auch durch künst- 
lich vom Menschen herbeigeführte Verhältnisse nicht bloß verschoben, 
sondern sogar unterdrückt werden, allerdings nur innerhalb gewisser 
Grenzen. Wir hatten schon eine solche Verschiebung der Blütezeit 
zu erwähnen Gelegenheit gehabt, nämlich beim Wintergetreide: da- 
durch, dass man die Samen nicht im Frühling, sondern im Herbst 
aussäet, wird die Entwicklung der Pflanze derart verzögert, dass die 
Blüte viel längere Zeit nach der Keimung auftritt als bei dem nor- 
maler Weise im Frühling gesäeten Getreide. Es wird nun unsere Auf- 
gabe sein, die verschiedenen Agentien, deren Wirkung für das Blühen 
in Betracht kommt, zu besprechen und zu sehen, was sich über ihren 
befördernden oder hemmenden Einfluss auf diese Erscheinung des 
Pflanzenlebens sagen lässt. 

Es bietet sich aber hier die Schwierigkeit, dass selten ein Agens, 
wie Wärme oder Licht oder Feuchtigkeit allein zur Wirkung kommt, 
sondern vielmehr in Kombination mit den andern auftritt. Wenn 
dieselbe Pflanze in dem einen Klima regelmäßig blüht, in dem andern 
aber nicht oder schwer zur Blüte kommt, so sind auch dabei ver- 
schiedene Agentien im Spiel und es ist die Frage, welches derselben 
vornehmlich die Wirkung ausübt. Auch experimentell hat es seine 
Schwierigkeiten, derartige Fragen zu entscheiden: z. B. kann man 


520 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


nicht leicht zwei Pflanzen bei verschiedener Temperatur und gleicher 
Feuchtigkeit halten, um die reine Wirkung der Wärme zu studieren; 
denn die kälter gehaltene Pflanze wird auch durch ihre Wurzeln 
weniger Wasser aufnehmen und somit den oberirdischen Teilen weniger 
Feuchtigkeit zuführen, als die wärmer gehaltene. Besser schon kann 
der Einfluss des Lichtes beobachtet werden und wir können hier 
gleich sagen, dass das Lieht, sowohl inbezug auf verschiedene Hellig- 
keitsgrade als auch betreffs seiner verschiedenen Farben von großem 
Einfluss auf die Blütenbildung ist. 

Es wird zunächst zu untersuchen sein, ob das Lich! für die Pflanze 
notwendig ist, damit sie blühen kann. Ohne weiteres lässt sich diese 
Frage nieht beantworten, denn wir sehen, dass einige Lebensvorgänge, 
wie Keimen und Wachsen, auch im Dunkeln sich abspielen können, 
und wir werden finden, dass es sich dabei nicht so sehr um den 
direkten Einfluss des Lichtes auf die Blütenbildung als vielmehr um 
seinen Einfluss auf die ganze Entwieklung der Pilanze handelt. 

Wenn man von einer Pflanze mit grünen Blättern Keimlinge im 
Dunkeln erzieht, so gelingt es nicht, dieselben zum Blühen zu bringen, 
weil die Pflanze ihre Organe überhaupt nicht in normaler Weise aus- 
bilden kann. Die Stengel und Blätter solcher, als etioliert bezeich- 
neter Pflanzen, haben eine abnorme Gestalt, die Blätter meist eine 
geringere Größe und keine grüne, sondern eine weiß-gelbliche Farbe. 
Die ganze Pflanze geht zu Grunde, sobald die im Samen aufge- 
speicherten Nährstoffe aufgebraucht sind, denn sie kann sich ohne 
Licht keine organische Substanz neu aus den ihr dargebotenen un- 
organischen Substanzen bereiten. Anders ist es, wenn man Zwiebeln 
oder Knollen im Dunkeln austreiben lässt. An diesen sind nämlich 
meist schon die Blüten in ihrer ersten Anlage vorhanden und selbst 
wenn das nicht der Fall sein sollte, so ist doch soviel Reservematerial 
da, dass es zur Blütenbildung ausreicht. Dies Reservematerial, also 
die ganze Knolle oder Zwiebel, hat sich aber nur bilden können durch 
die Thätigkeit der vorjährigen grünen Blätter am Licht, welehes 
somit auch indirekt zur späteren Blütenbildung notwendig ist. Treibt 
nun eine Knolle oder Zwiebel im Dunkeln aus, so zeigen sich die 
Blätter mehr oder weniger im etiolierten Zustand, die Blüten aber 
können sich in ihrer normalen Schönheit entfalten, wie es z. B. bei 
den Tulpen nach Sachs!) der Fall ist. Bei anderen Pflanzen, z. B. 
blaublühenden Hyazinthen entfalten sich die Blüten auch in normaler 
Größe, zeigen aber blassere Farben?). Dass das gewöhnliche Sonnen- 
licht die Ausbildung der Blüten viel weniger beeinflusst als die der 
Blätter und Stammorgane, zeigt sich auch aus folgendem Versuch. 


1) Siehe dessen Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 
9) Siehe Askenasy’s Arbeit über diesen Gegenstand in Botanische Zei- 
tung, 1876, 8.1. 














Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 621 


w 


Man führt von einer Pflanze, die am Licht wächst, einen Spross, der 
auch unter normalen Verhältnissen Blüten entwickeln würde, in einen 
dunkelen Raum ein. Dann bildet derselbe seine Blätter in abnormer 
Form und nicht grüner Färbung aus, die Blüten aber produziert er 
sanz normal, in derselben Größe und meist auch in derselben Farbe 
wie die am Licht gewachsenen. Die Blüten im dunkelen Raum ent- 
falten auch funktionsfähige Geschlechtsorgane, denn sie können, wenn 
nur die Bestäubung richtig erfolgt, zu reifen Früchten werden. Das 
Material aber für die Ausbildung der Blüten und Früchte wird von 
den nicht verdunkelten Teilen unter dem Einfluss des Lichtes produ- 
ziert und in die verdunkelten Teile weitergeleitet: also auch hier ist 
das Licht die indirekte Ursache der Blütenbildung. 

Beim Wachstum der Pflanzen in der Natur wird es sich nun 
kaum jemals um eine vollständige Verdunkelung, sondern vielmehr um 
eine stärkere oder schwächere Beleuchtung handeln. Doch auch dabei 
zeigt sich deutlich, dass das Licht einen befördernden Einfluss auf 
das Blühen ausübt. Allerdings ist es nur ein auf Erfahrung be- 
ruhender Satz, dass schwächeres Licht ein stärkeres Wachstum der 
vegetativen Teile und eine Verzögerung der Bildung von Blüten und 
Früchten bewirkt und dass diese letztere einesteils dem direkten Ein- 
fluss der Beschattung, andernteils dem Ueberwiegen des vegetativen 
Wachstums zuzuschreiben ist!). Wir können aber nicht sagen, in 
welcher Weise das helle Licht einen Vegetationspunkt beeinflusst, so 
dass aus ihm ein Blütenspross wird, während er im Schatten sich 
vielleicht zu einem vegetativen Spross entwickelt hätte. Wir schließen 
nur aus den Thatsachen, dass „die Sonnenstrahlen als Anregungs- 
mittel für die Anlage blütentragender Sprosse“?) zu betrachten sind. 
Als solche Thatsachen seien folgende angeführt. 

Einzelne umfangreiche Pflanzenstöcke, welche im Sommer an der 
einen Seite beschattet, an der andern besonnt sind, legen im Bereiche 
des beschatteten Teils ausschließlich oder vorwaltend Laubknospen, 
im Bereiche des besonnten Teils dagegen zahlreiche Blütenknospen 
an (Kerner, IH, S. 478). Ebenso findet man, dass Pflanzenstöcke, 
welche das eine Jahr im Schatten gehalten und das darauffolgende 
Jahr vom Beginn ihrer Entwicklung an in die Sonne gestellt werden, 
in diesem reichlicher blühen als im vorigen Jahr (l. e. S. 500). Ein 
ähnlicher Versuch im Großen lässt sich bisweilen bei im Walde 
wachsenden Pflanzen beobachten. Während dieselben nämlich, so 
lange sie im dichten Schatten des Waldes standen, viele Jahre hin- 
durch blütenlos blieben und sich dort nur mittels Laubknospen er- 


4) F.Hildebrandt, Die Lebensdauer und Vegetationsweise der Pflanzen, 
ihre Ursachen und ihre Entwicklung (Engler’s Jahrbücher, Bd. II, S. 100). 

2) Kerner, Pflanzenleben, Bd. I, $S. 388. Ueber den Vorteil, den die 
Pflanze von der Ausbildung der Blüten im Sonnenlicht hat, ist hier nicht zu 
sprechen; man vergleiche darüber das angeführte Werk von Kerner, ]l. ec. 


622 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


hielten, so setzen sie nach dem Fällen der Bäume im sonnendurch- 
leuchteten Holzschlag wieder Blütenknospen an und gelangen zur 
Blüten- und Fruchtbildung (l. e. S. 478). Hierher gehört auch die 
von mehreren Reisenden gemachte Beobachtung, dass auf dem Boden 
des Urwaldes, durch dessen dichte Belaubung nur wenig Licht ein- 
dringt, kaum blühende Pflanzen sich finden, sondern der Boden von 
Farnen, Pilzen und verwesenden Organen bedeckt ist!). In den nörd- 
lichen Wäldern ist zwar Aehnliches der Fall, allein die Erscheinung 
ist weniger auffallend, da auch sonst im Wald keine hervorragende 
Blütenentfaltung stattfindet, in den Tropen dagegen ist der Kontrast 
mit der Blütenpracht der höheren Gewächse und der auf denselben 
angesiedelten Epiphyten um so größer. Auch sonst sehen wir in der 
Natur, dass starke Beschattung die Blütenbildung hemmt und dass 
manche Pflanzen an schattigen Standorten entweder gar keine Blüten 
anlegen oder die angelegten Blütenknospen nicht zur Entwicklung 
und Entfaltung bringen. Als Beispiel will ich nur noch nach Kerner 
(l. e. 8.448) das schmalblättrige Weidenröschen (Epilobium 
angustifolium) erwähnen, das seine purpurnen Blüten nur an sonnigen 
Plätzen entfaltet und zwar um so schöner rot gefärbte Blüten treibt, 
Je kräftiger der Sonnenschein ist. Wird dagegen die Pflanze in 
dichten Schatten versetzt, so verkümmern an ihr die Blütenknospen 
viel früher, als sie sich geöffnet haben und fallen als weißliche ver- 
troeknete Gebilde von der Spindel der Blütentraube ab. 

Wie ist diese Empfindlichkeit gegen den Sehatten in Einklang 
zu bringen mit der Erscheinung, dass auch in voller Dunkelheit, wie 
wir oben sahen, andere Pflanzen normale Blüten produzieren? Teils 
müssen wir annehmen, dass sich die verschiedenen Pflanzenarten in 
dieser Hinsicht eben ungleich verhalten, teils erklärt es sich aus den 
verschiedenen Wachstumsbedingungen: bei den austreibenden Tulpen- 
zwiebeln waren die Blüten noch unter normalen Verhältnissen vor- 
bereitet worden, bei dem Versuch, wo ein Zweig im dunkeln Kasten 
blüt, befindet sich der größere Teil der Pflanze unter günstigen Be- 
leuchtungsverhältnissen, bei dem genannten Weidenröschen aber ist 
die ganze Pflanze in ungünstiger Lage und in solcher werden auch 
die Blüten angelegt. 

Dass die Intensität der Beleuchtung, die zur Hervorbringung von 
Blüten notwendig ist, je nach den Pflanzenarten verschieden ist, lässt 
sich nieht bezweifeln. Für viele tropische Pflanzen genügt das so oft 
durch Wolken gedämpfte Sonnenlicht im mittleren Europa oder das 
auch noch durch die Scheiben der Glashäuser geschwächte Licht nicht, 
um die Anlage von Blüten zu erzielen. Der Mangel an Helligkeit ist 
es, wie auch die Gärtner wohl wissen, der so viele tropische Gewächse 
in den nördlichen Ländern nicht zum Blühen kommen lässt, auch 
wenn sie sonst gut gedeihen. Denn fehlte es nicht daran, sondern 


4) eonf. Grisebach, Die Vegetation der Erde (1884) Bd. IL, 8. 344. 











Möbius, Welche Umstände befördern und heinmen das Blühen der Pflanzen? 625 


an der genügenden Wärme oder Feuchtigkeit, so könnte dem ja leicht 
abgeholfen werden. 

Wir haben bisher von dem Sonnenlicht im Allgemeinen und von 
dessen größerer und geringerer Intensität gesprochen. Das Sonnen- 
licht ist aber bekanntlich kein einfaches Lieht, sondern setzt sich 
aus verschiedenen Farben zusammen, die wir teils im Sonnenspektrum 
sehen, die aber teils auch für unser Auge unsichtbar sind und nur 
aus ihren thermischen und chemischen Wirkungen wahrgenommen 
werden. Wenn nun auch unter natürlichen Verhältnissen die einzelnen 
Farben des Sonnenlichtes nieht gesondert in Wirkung treten, so liegt 
doch die Frage nahe, ob sie alle von gleicher Bedeutung für die 
Blütenbildung sind. Dies konnte bezweifelt werden, seitdem man 
weiß, dass für die Kohlensäureverarbeitung einerseits, für die vom 
Licht abhängigen Bewegungserscheinungen anderseits ganz verschie- 
dene Farben des Sonnenlichtes maßgebend sind. Wirklich hat sich 
auch das interessante Resultat ergeben, dass die Blütenbildung nur 
von gewissen Lichtstrahlen abhängt und zwar von denen, die, für 
unser Auge unsichtbar, aus ihren chemischen Wirkungen erkannt 
werden. Sie liegen außerhalb des violetten Teils des Sonnenspek- 
trums und werden deshalb ultraviolette Strahlen genannt. Sie haben 
die Eigentümlichkeit, von einer Lösung von schwefelsaurem Chinin 
in Wasser, durch welche man das Sonnenlicht scheinen lässt, ab- 
sorbiert zu werden, während alle andern Lichtstrahlen ungehindert 
passieren. Für unser Auge ist natürlich kein Unterschied, ob man 
durch jene Lösung oder durch eine Schicht reinen Wassers sieht: die 
Helligkeit ist in beiden Fällen die gleiche. Lässt man aber Pflanzen 
hinter jener Lösung wachsen, so dass sie kein anderes Licht erhalten, 
als das die Lösung passiert hat, so kann man beobachten, welchen 
Einfluss das Fehlen der ultravioletten Strahlen auf die Entwieklung 
der Pflanzen hat. Diese von Sachs!) angestellten Versuche führten 
nun zu folgendem überraschendem Resultat: „Die hinter einer Wasser- 
schicht gewachsenen Pflanzen (Kapuzinerkresse, Tropaeolum majus) 
erzeugten normale Blüten; die hinter einer gleichdieken Schicht von 
schwefelsaurer Chininlösung wuchsen zwar anscheinend ebenso normal 
und kräftig; allein die Blütenknospen blieben winzig klein und ver- 
darben nach wenigen Tagen“. Weitere Versuche zeigten sogar, dass 
vielfach hinter Chininlösung nicht einmal Knospen angelegt wurden 
und während an 20 Pflanzen hinter Wasser 56 Blüten entstanden, war 
von 26 Pflanzen hinter Chininlösung im Ganzen nur eine verkümmerte 
Blüte hervorgebracht worden. Leider sind die Versuche bisher auf 
Tropaeolum beschränkt geblieben, doch lässt sich wohl annehmen, 
dass ihre Resultate auch für andere Pflanzen Giltigkeit haben und 


1) J. Sachs, Ueber die Wirkung der ultravioletten Strahlen auf die 
Blütenbildung (Arbeiten aus dem bot. Institut in Würzburg, III. Bd., 8. 372—388). 


624 Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 


dass man sagen kann, für die Blütenbildung ist nieht das Sonnen- 
licht im Allgemeinen, sondern sind nur die ultravioletten Strahlen 


desselben notwendig. 
(Schluss folgt.) 


Zur Phylogenie des Säugetiergebisses, 
Von Privatdozent Dr. med. ©. Röse. 


(Aus dem anatomischen Institute zu Freiburg i. B.) 


Neue fruchtbringende Ideen liegen meistens eine Zeit lang in der 
Luft und werden von mehreren Forschern zugleich teils empfunden 
teils als Hypothese mehr oder minder klar ausgesprochen, bis es 
einem Autor gelingt hinreichendes Beweismaterial zusammenzubringen, 
um der Idee den Wert einer Theorie zu sichern. Schon im Jahre 
1890 bei Beginn meiner Untersuchungen über die Zähne kam mir der 
Gedanke, ob nicht die Molaren und Prämolaren der Säuge- 
tiere entstanden seien durch Verwachsung aus mehreren 
reptilienähnlichen Kegelzähnen. Da ich im Allgemeinen kein 
Freund der „vorläufigen Mitteilungen“ bin, so erfolgte die erste Mit- 
teilung über vorliegendes Thema erst Ende März 1892 !), nachdem ich 
hinreichendes Beweismaterial für meine Theorie gesammelt zu haben 
glaubte. Die bereits im April geschriebene ausführliche Mitteilung 
konnte erst im Juni d. J. veröffentlicht werden 2). 

In meiner ersten Mitteilung habe ich ausgehend von der Zahn- 
entwicklung der Krokodile bereits die Ueberzeugung ausgesprochen, 
dass das Gebiss der Säugetiere sich entwickelt haben müsse aus einem 
vielzahnigen, thekodonten Reptiliengebisse, ähnlich wie es heut- 
zutage nur noch die Krokodile besitzen. Ferner: „Die Zahnleiste 
der Säugetiere vor der Bildung der Milchzähne muss auf- 
gefasst werden als ein Gebilde, welches in nuce eine 
ganze Reihe verloren gegangener Zahnreihen umfasst.“ 
Ferner: „Die erste Zahnreihe der Säugetiere, die soge- 
nannte Milchzahnreihe, ist entstanden durch Zusammen- 
ziehung mehrerer aufeinanderfolgender Zahnreihen der 
Vorfahren in eine einzige mit soliderem Ausbau des Ein- 
zelzahnes. Die Summe aller übrigen früher vorhandenen 
Zahnreihen ist dann bei den diphyodonten Säugern zu- 
sammengedrängt in die zweite oder bleibende Zahnreihe.“ 
Hinsichtlich der Entstehung der Backenzähne sagte ich in meiner 
ersten Mitteilung: „Schon bei Ansicht meiner Zahnmodelle vom 





1) €. Röse, Ueber die Zahnentwicklung der Reptilien. Deutsche Monats- 
schrift für Zahnheilkunde, 1892. 

2) C. Röse, Ueber die Entstehung und Formabänderungen der mensch- 
lichen Molaren. Anatomischer Anzeiger, 1892, Nr. 13 u. 14. 











Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 625 


Menschen fällt es auf, dass bei der ersten Anlage der Zähne die 
Zahnpapille der Molaren nicht einfach ist, sondern durch vorspringende 
kammförmige Einschnürungen des Epithels mehrfach abgeteilt er- 
scheint. Man hat deutlich den Eindruck, dass die Papille der Mo- 
laren aus mehreren miteinander verschmolzenen Papillen besteht. 
Diese Verhältnisse werden beim Fortschreiten der Entwicklung noch 
deutlicher. Die Spitze jeder einzelnen dieser verwachsenen Papillen 
entsprieht in Form und Lage einem Höcker des ausgebildeten Mahl- 
zahnes. Wenn die Abscheidung von Zahnbein und Schmelz beginnt, 
so geschieht dies zuerst in der Spitze jeder einzelnen Papille derart, 
dass der Molar der Säugetiere zu einer Zeit seiner Entwicklung ent- 
sprechend der Anzahl seiner späteren Höcker aus der gleichen An- 
zahl kegelförmiger Einzelzähnchen besteht, welche mit den kegel- 
spitzigen Zähnen der Reptilien große Aehnlichkeit haben. Diese 
einzelnen Zähnehen wachsen dann durch weitere Dentinbildung am 
Grunde zusammen, bis wir die Krone des fertigen Molaren vor uns 
haben. Die Molaren der Säugetiere sind also entstanden 
durch Verwachsung mehrerer einfacher, kegelförmiger 
Zähne zu einem komplizierten, hochdifferenzierten Zahn- 
sebilde.“ Im meiner ausführlicheren Arbeit über diesen Gegenstand 
sowie in meinen Arbeiten über die Zahnentwieklung der Edentaten 
und Beuteltiere!) wurden noch weitere Beweise für die Richtig- 
keit der Verwachsungstheorie angeführt. 

Gleichwie ich diese Theorie zuerst eingehend zu begrün- 
den versuchte, so glaubte ich dieselbe auch zuerst klar ausgesprochen 
zu haben. Nachträglich habe ich mich jedoch überzeugt, dass eine 
ganze Reihe von Autoren schon vor mir denselben Gedanken verfolgt 
haben. 

Bereits Giebel?) gibt an, dass einige Backenzähne von Dasypus 
gigas Cuv. aus zwei Einzelzähnen verschmolzen zu sein scheinen. 
Sehr deutlich spricht sich der Pariser Paläontologe A. Gaudry’°) 
aus: „Wenn wir die komplizierte Form der Wiederkäuermolaren ver- 
gleichen mit den Kaninen und Ineisiven der meisten Tiere oder mit 
den vorderen Prämolaren der Landsäugetiere oder mit den hinteren 
Molaren der Delphine und einiger fossiler Säuger der Sekundärzeit 
(Stylodon pusillus Owen), so müssen wir auf den Gedanken kommen, 
dass sie aus mehreren Einzelzähnen zusammengesetzt sind, welche 
einander nahe gerückt und innig verschmolzen sind, ähnlich wie dies 
häufig bei anderen Skeletteilen der Fall ist.“ „Man kann in Fig. 22 
sehen, dass die fötalen Zähnchen von Walfischföten (Balauena boops. 


4) C. Röse, Beiträge zur Zahnentwicklung der Edentaten. Anatomischer 
Anzeiger, 1892, Heft 16 u. 17. 

2) Giebel, Odontographie, 1856. 

3) A. Gaudry, Les enchainements du monde animal dans les temps 
geologiques. Mammiferes tertiaires, 1878, S 54—56. 


X. 40 





626 Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 


nach Eschrieht) bald isoliert sind, bald sich nähern, bald ver- 
schmolzen sind, um einen einzigen Zahn zu bilden.“ Gaudry ver- 
mutet weiter, dass die oberen Molaren der Ungulaten meist aus 6, 
die unteren aus 4 Einzelzähnen, jedes Joch des tapyroiden Zahn- 
typus aus 2 Einzelzähnen besteht. 

E. Magitot!), welcher mit Recht Prämolaren und Molaren unter 
dem gemeinsamen Namen „Molaren“ zusammenfasst, gibt an: „Man 
wird zur Ueberzeugung gedrängt, dass die so sehr verschiedenartigen 
Zahnformen alle aus einem gemeinsamen Urtypus entstehen, wie wir 
ihn bei Fischen finden. Dieser Urtypus ist der Kegelzahn. Die Vor- 
sprünge und Tubereula der einzelnen Säugetierzähne entsprechen 
einzelnen Kegelzähnen.“ Magitot sucht seine Ansicht auch ent- 
wieklungsgeschichtlich zu begründen. Da er nicht modelliert hat, 
so entging es ihm, dass schon bei der ersten Anlage der 
Molaren mehrere Papillen gemeinsam von der Zahnleiste 
umwachsen werden. Magitot lässt vielmehr alle Zahnsorten, 
Zylinderzähne, Plakoidzähne, multituberkulate und zusammengesetzte 
Molaren etc. ursprünglich aus einer Papille hervorgehen. Auf dieser 
gemeinsamen Basis erscheinen dann soviele Vorsprünge als der spä- 
tere Molar Höcker hat. Auf jedem dieser konischen Höcker entsteht 
ein Zahnscherbehen. Letztere bleiben eine Zeit lang voneinander ge- 
trennt, verschmelzen dann an ihrer Basis und bilden so die Zahn- 
krone. Nach Magitot bestehen auch die Schneidezähne aus drei 
verschmolzenen Kegelzähnen. Unter allen Zähnen ist nur der Eck- 
zahn homolog einem konischen Reptilienzahne (?). 

Man ersieht aus Vorstehendem, dass Magitot auch bereits die 
getrennte Anlage der einzelnen Zahnscherbehen bei Molaren lange 
vor mir richtig erkannt hat. Nur die primitive Umwachsung mehrerer 
Papillen bei der ersten Anlage eines Molaren und die Identität jeder 
dieser Papillen mit der Papille eines Reptilienzahnes entging ge- 
nanntem Forscher. Wenn der Entwieklungsmodus richtig wäre in 
der Weise, wie ihn Magitot angibt, dann könnte man ja unmöglich 
den Höcker eines Säugetiermolaren mit je einem Reptilienzahne 
homologisieren, sondern die gegnerischen Autoren hätten recht, welche 
den ganzen Molaren mit je einem kegelspitzigen Reptilienzahne 
homologisieren. 

Dybowski?) führt alle Säugetierzähne auf einen 4jochigen 
Hauptbauplan zurück. Jedes Zahnjoch besteht aus zwei Teilen: 
Jochrand und Jochbogen; jeder dieser letzteren Teile soll wieder aus 





!) E. Magitot, Les lois de la dendition. Journ. de l’anatomie et de la 
physiologie, 1883, p. 84— 88. 

2) Dybowski, Studien über die Säugetierzähne. Verhandlungen d. k. k. 
zoologisch - botanischen Gesellschaft in Wien, 1889. 

Dybowski, Niectöre wypadki srych badan nad Lebami zwierzat ssacych. 
Odbitka 2 „Kosmosu“ Roczn XIV, Zesz VII, VII. 








Röse, Phylogenie des Saugetiergebisses. 627 


je drei Pfeilern entstehen. Jeder Pfeiler entwickelt sich aus einer 
einfachen Papille. Die Ineisivi und Canini sind keineswegs als ein- 
fache Zähne zu betrachten, sondern sind den Backenzähnen ähnlich 
gebaut und wie diese zusammengesetzt. 

Als Resume gibt Dybowski an: „Einem jeden vierjochigen 
Säugetierzahne liegen 24 einfache Papillen zu Grunde, aus welchen 
ebensoviele Pfeiler entstehen, z.B. die Zähne mit nicht centralisiertem 
Zahnbeine. Indem nun je drei Pfeiler miteinander verwachsen, ent- 
steht je ein Halbjoch, die ihrerseits untereinander verwachsend je ein 
Zahnjoch bilden. Aus dem Verwachsen einzelner Zahnjoche miteinan- 
der kommt eben der zusammengesetzte, vierjochige Zahn zu Stande. 
Durch das Verkümmern einzelner Pfeiler (resp. Papillen) erklärt sich 
das Verkümmern oder gar Fehlschlagen der einzelnen Zahnjoche.“ 

Dybowski’s Hypothesen entsprechen im Einzelnen so wenig 
den ontogenetischen und paläontologischen Thatsachen, dass ich auf 
eine spezielle Widerlegung verzichten kann. Wie mir scheint, so will 
Dybowski die Säugetierbezahnung in direkte Beziehung setzen zu 
den Zähnen der Sellachier. Solche weitgreifende Homologisierungen 
haben aber schon oft zu falschen Resultaten geführt. 

Im Jahre 1891 erschien eine vorläufige Mitteilung von Küken- 
thal!). Darin wird unter andern die bereits von Eschricht be- 
obachtete und von Gaudry (siehe oben) in ihrer Bedeutung vollauf 
gewürdigte Thatsache bestätigt, dass bei Embryonen von Bartenwalen 
Doppelzähne vorkommen, deren allmählichen Uebergang in Einzel- 
zähne man verfolgen kann. An einer Serie von 7 Embryonen von 
Balaenoptera musculus fand Kükenthal die wichtige Thatsache, 
dass die Zahl der Doppelzähne mit zunehmendem Wachstume be- 
trächtlich abnimmt, während die Zahl der einzelnen Zahnspitzen in 
jeder Kieferhälfte konstant 53 beträgt. Am Schlusse seiner Mit- 
teilung führt Kükenthal an: „Zum Schlusse möchte ich folgenden 
Versuch einer Erklärung der Entstehung von Säugetierbackzähnen 
beifügen, dessen rein hypothetischen Charakter ich durchaus nicht 
verkenne. Wir haben an der Hand der Untersuchung von Barten- 
walzahnkeimen die Erscheinung kennengelernt, dass bei Säugetieren, 
deren Kiefer sich verlängern, die Backzähne sich in eine Mehrheit 
von konisch zugespitzten, reptilienzahnartigen Gebilden teilen; sind 
nicht die Säugetierbackzähne auch umgekehrt so entstanden, dass 
bei dem umgekehrten Prozess, einer Verkürzung der Kiefer, welche 
die Vorfahren der heutigen Säuger bei ihrer Umwandlung aus rep- 
tilienartigen Vorfahren erlitten, je eine Anzahl einfacher, konischer 
Reptilienzähne zur Bildung eines Säugetierbackzahnes zusammentrat ? 
Die Paläontologie spricht für meine Ansicht, die ältesten bekannten 





1) Kükenthal, Einige Bemerkungen über die Säugetierzahnung. Anat. 
Anzeiger, 1891, Nr. 13. 
40 * 


698 Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses 


Fi 


Säugetiere, z. B. Triconodon aus dem oberen Jura, zeigen Backzähne 
von für unsere Idee gefordertem typischen Bau, je 3 gleichartige, 
hintereinanderliegende konische Zahnteile, die miteinander verschmol- 
zen sind. Vom trieonodonten resp. dem trituberkularen Typus aus 
lassen sich dann, wie die schönen Arbeiten eines Cope, Osborn, 
Schlosser u.a. gezeigt haben, die Backzähne aller Säugetiere ableiten.“ 

Vorstehenden Passus, den ich, obwohl die betreffende Arbeit in 
meinen Händen war, ebenso übersehen hatte wie die Ausführungen 
von Giebel, Gaudry, Magitot und Dybowski, bringt Küken- 
thal!) in einer ausführlicheren Arbeit beinahe wörtlich wieder und 
fügt in einer Anmerkung hinzu: „Es ist wohl kaum nötig darauf 
hinzuweisen, dass meine Ansicht über die Entstehung der Säugetier- 
backzähne nicht viel über das Stadium der bloßen Vermutung gelangt 
ist. Verwandte Anschauungen haben geäußert Dybowski .. 
Magitot...Gaudry...Ameghino?) ... Cope und Andere 
mehr.“ 

Nach den mitgeteilten Daten klingt es nun einigermaßen merk- 
würdig, wenn Kükenthal neuerdings ?) in doppelt gesperrtem Drucke 
sagt: „Vor einem Jahre habe ich die Ansicht aufgestellt, dass die 
Backzähne der Säugetiere aufzufassen sind als entstanden durch 
gruppenweise verschmolzene, ursprüngliche, konische Reptilienzähne“, 
und wenn der Autor in einer Anmerkung hinzufügt: „In einem 
während der Drucklegung dieser Arbeit erschienenen Aufsatze (Ueber 
die Entstehung und Formabänderung der menschlichen Molaren. Ana- 
tom. Anzeiger. 3. Juni 1892) eignet sich Herr Röse meine Auffas- 
sung an und bezeichnet sie als seine Theorie, ohne mich nur zu er- 
wähnen, obwohl er Kenntnis von meinen diesbezüglichen Arbeiten hat.“ 

Gesetzt den Fall, dass Herr Kükenthal anfangs gleich mir die 
Auffassung von der Verwachsung der Molaren selbständig gefasst 
hat, ohne die Ansichten früherer Autoren zu kennen, so kann doch 
genannter Autor, der jetzt Kenntnis von den oben angeführten Daten 
haben muss, unmöglich ebensowenig als ich daran denken, die schon 
früher sehr bestimmt von Gaudry und Magitot ausgesprochene 
Idee als die seinige bezeichnen zu wollen. Was die Begrün- 
dung dieser Idee betrifft, so bringt Kükentkal gleichfalls nichts 
Neues, denn die Doppelzähne der Wale, das Hauptargument Küken- 
thals, ist schon von Gaudry genügend gewürdigt worden. 

Vor dem Erscheinen meiner oben genannten Arbeit hat nur Ma- 
gitot embryologische Beweise für die Verwachsungstheorie zu geben 


4) Kükenthal, Ueber den Ursprung und die Entwicklung der Säugetier- 
zähne. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft, 1892. 

2) Anmerkung. Die Arbeit von Ameghino war mir leider nicht zu- 
gänglich. 

3) Kükenthal, Ueber die Entstehung und Entwicklung des Säugetier- 
stammes. Biologisches Centralblatt, 15. Juli 1892. 








Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 629 


versucht. Das Hauptargument jedoch, die primitive Umwachsung 
mehrerer Papillen durch die Zahnleiste bei der Anlage der Molaren 
hat vor mir noch kein Autor durchgeführt. Dybowski hatte das- 
selbe zwar geahnt; seine Annahme von 24 Papillen bei der Anlage 
eines Molaren bewegt sich aber vollständig auf dem Gebiete der un- 
bewiesenen und unbeweisbaren Hypothese. 

Ein vollkommener Beweis für die Richtigkeit der Ver- 
wachsungstheorie lässt sich heute noch nicht führen. Ein solcher 
liegt nur dann vor, wenn die Ergebnisse der Entwieklungsgeschichte 
durch die vergleichende Anatomie und Paläontologie bestätigt werden. 
Auf dem Gebiete der vergleichenden Zahnforsehung fühlten sich in 
den letzten Jahren die Paläontologen derart als Meister, dass einige 
von ihnen den Wert der Entwicklungsgeschichte völlig negieren zu 
dürfen glauben. Dem gegenüber kann ich nicht scharf genug betonen, 
dass die Paläontologie lediglich in positiver Hinsicht 
beweiskräftig ist, niemals aber in negativer. Die ver- 
gleichende Ontogenie gibt Beweismittel an die Hand, woraus sich 
schließen lässt, dass die Säugetiermolaren entstanden sind durch Ver- 
wachsung mehrerer einspitziger thekodonter Reptilienzähne: Wenn 
nun die Paläontologie die verlangten Zwischenstufen nicht aufweisen 
kann, so folgt daraus nur, dass wir dieselben bisher noch nicht ge- 
funden haben, nicht aber folgt daraus, dass sie gar nicht vorhanden 
waren! Hinsichtlich des Wertes von Spekulationen, die sich nur auf 
Thatsachen der Paläontologie stützen, kann ich mich lediglich darauf 
beschränken, die Anschauung von Fritsch!) wiederzugeben: „Die- 
jenigen, welche erwarten am Schlusse dieser Arbeit einen der mo- 
dernen Stammbäume zu finden, werden enttäuscht sein. Nicht Jeder- 
manns Gemüt eignet sich dazu solche hypothetische Gebilde zu 
schaffen, welche bei Entdeckung fernerer paläontologischer That- 
sachen wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Man mag deshalb nicht 
annehmen, dass ich ein Gegner der Deszendenziehre bin, im Gegen- 
teil, ich weiß den Wert dieser genialen Lehre wohl zu würdigen; 
aber ich sehe, dass auf dem Gebiete der Paläontologie in der Regel 
aus dem vorliegenden sehr lückenhaften Materiale zuviel gefolgert 
wurde. Bedenken wir, wie viel Neues die sehr beschränkten Fund- 
orte in Böhmen auf einigen Hundert Quadratmetern Fläche lieferten, 
so sieht man ein, welchen kleinen Bruchteil von dem einstigen Tier- 
leben wir kennen und wie beschränkt der Wert aller Spekulationen 
ist, die früher auf Grund der mangelhaften Kenntnis des Archego- 
saurus gemacht wurden.“ 

Was die Entwicklungsgeschichte betrifft, so können ja allerdings 
auch ihre Urkunden durch Caenogenese gefälscht sein und sind außer- 
dem größtenteils durch Abkürzung in der Entwicklung mangelhaft 





1) Fr its ch, Fauna der Gaskohle und der Kalksteine der Permformation 
Böhmens, 1889, Bd. II, S. 56. 


630 Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 


Ein Stammbaum, der nur auf den Thatsachen der Entwieklungs- 
geschichte basierte, würde mit ebensovielen Fragezeichen zu ver- 
sehen sein wie die paläontologischen Stammbäume. In den meisten 
Fällen aber haben sich bisher die Thatsachen der vergleichenden 
Entwicklungsgeschichte und diejenigen der Paläontologie aufs schönste 
ergänzt. So wissen wir z. B., dass die Vorfahren der heutigen pari- 
digitaten Ungulaten, Dichobume, Phagaterium u. a. Zahnformen be- 
sitzen, die gerade in der Mitte stehen zwischen den heutzutage hoch- 
differenzierten bunodonten und selenodonten Zahntypen. Die Halb- 
monde jener fossilen Zähne sind so dick, dass es schwierig ist zu 
sagen, ob wir Lobi (Halbmonde) oder Coni (Höcker) vor uns haben. 
Bei Choeropotamus sind die Unterkiefermolaren mehr bunodont, die 
Oberkiefermolaren mehr selenodont. Hinsichtlich ihrer Zähne bilden 
die genannten Gattungen demnach einen schönen Uebergang von den 
Suiden zu den Anthracotheriden. Kowalewski!) sagt: „Es unter- 
liegt keinem Zweifel, dass beide jetzt so scharf geschiedenen Zähne, 
die Halbmondzähne und die Höckerzähne durch die vollständigsten 
Uebergänge miteinander verbunden sind und nur Extreme ein und 
derselben Urform darstellen.“ Nun sind die mesozoischen Urahnen 
des ganzen Ungulatenstammes noch nicht aufgefunden worden. So 
kommt es, dass Kowalewski, Rütimeyer, Dybowskiu.a. als 
jene hypothetische Urform der Ungulatenzähne den bei den ältesten 
Unpaarhufern schon vorkommenden Jochzahn ansehen, während Cope, 
OÖsborn und Schlosser als Ausgangspunkt den triconodonten 
Höckerzahn betrachten. In diesen Streit der Meinungen greift die 
Entwicklungsgeschichte entscheidend ein. Aus den Untersuchungen 
Täker’s?), die ich inzwischen bestätigen und erweitern konnte, 
sehen wir, dass beide so weit verschiedenen Zahnformen der heutigen 
Ungulaten entwicklungsgeschichtlich sich ganz gleich anlegen. Beide 
entstehen aus mehreren konischen Einzelzähnchen durch Verwachsung 
derselben. Der Unterschied zwischen beiden Zahnformen liegt ledig- 
lich darin, dass bei den bunodonten Zähnen die Coni ihre ursprüng- 
liche Gestalt nahezu beibehalten, während sie bei den selenodonten 
Zahnformen zunächst zu Halbmonden auswachsen. Was die Joch- 
zähne betrifft, so hat bereits Gaudry mit Recht darauf hingewiesen, 
dass jedes Joch aus 2 bis 3 konischen Einzelzähnen entstanden zu 
denken ist und auch für diese Anschauung liefert die Entwicklungs- 
geschichte Beweise. 

Hinsichtlich der Verwachsungstheorie hat man mir von paläon- 
tologischer Seite den Einwurf gemacht, dass man ja die allmähliche 
Entwicklung eines wahren Höckers aus einer kleinen Basalknospe 
paläontologisch verfolgen könne. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig! 
Wie ich bei Beuteltieren besonders schön verfolgen konnte, ent- 





4) Kowalewski, Monographie der Gattung Anthracotherium. 
2) Täker, Zur Kenntnis der Odontogenese bei Ungulaten. Dorpat 1892. 














Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 631 


wickelten sich z. B. die Basalknospen der Prämolaren aus je einer be- 
sonderen Papille, die vermutlich ursprünglich einer späteren Zahnreihe 
angehörte als die Hauptpapille und der Hauptkegel. Demgemäß ist 
auch die Papille der Basalknospe später von der Zahnleiste um- 
wachsen worden und verkalkt viel später als die Hauptpapille. Eine 
Basalknospe, welche einem größeren Kegelzahne ansitzt, 
z. B. bei den Prämolaren von Didelphys, ist also nichts 
Anderes als ein kleines Zähncehen, welches mit einem 
größeren verwachsen ist. 

Ein fernerer Einwand, der mir gemacht werden könnte, liegt in 
der allmählichen Angliederung der später auftretenden Papillen an 
die Hauptpapillen. Man könnte behaupten, dass die später angeglie- 
derten Papillen ebenso wie die erste Anlage mehrerer Papillen neben- 
einander aufzufassen sei als ganz sekundäre Modellierungen einer 
ursprünglichen Hauptpapille. Hinsichtlich dieses eventuellen Ein- 
wandes kann ich nicht dringend genug empfehlen bei möglichst 
starker Vergrößerung nach Born’s Methode einwandfreie Wachs- 
modelle anzufertigen. Dann wird man finden, dass die Molaren zur 
Zeit, wo ihre verschiedenen Papillen sich anlegen, meist noch in 
ganzer Ausdehnung mit der gemeinsamen Matrix, der Zahnleiste, zu- 
sammenhängen und dass die ganze Anlage eines Molaren um 
diese Zeit lediglich einen Teil der Zahnleiste vorstellt, 
nicht aber ein abgesondertes Einzelindividuum. Zu letz- 
terem wird der Molar erst dann, wenn er von der Zahnleiste sich 
abgeschnürt hat; dann aber sind auch alle Papillen schon entwickelt. 

In manchen Fällen, z. B. bei den hochdifferenzierten Molaren 
unserer Feliden liegen die Verhältnisse infolge sekundärer Abän- 
derung überhaupt nicht so klar auf der Hand wie bei den viel primi- 
tiveren Zähnen von Mensch, Schwein, Opossum ete. In solchen Fällen 
muss dann die vergleichende Entwieklungsgeschichte zu Rate ge- 
zogen werden. 

In folgenden Zeilen möchte ich in kurzen Zügen einen Ueberbliek 
über die Phylogenie der Zähne geben in der Weise, wie ich ihn aus 
meinen vergleichend entwieklungsgeschichtlichen Untersuchungen ge- 
wonnen habe. Ich sehe hierbei ganz ab von allgemeinen phyletischen 
Spekulationen und gehe nur auf die Phylogenie des Zahnindividuums 
ein. Da die Zahnformen in vieler Hinsicht einfach Produkte der 
Nahrungsweise sind, so können, wie schon Kowalewsky bemerkt, 
naturgemäß in ganz differenten Tierklassen infolge gleicher Lebens- 
weise gleiche oder ähnliche Zahnformen auftreten. Danach eignen 
sich die Zähne überhaupt nicht gut als Stützpunkte für all- 
semeine phyletische Spekulationen; man läuft zu leicht 
Gefahr Analogien mit Homologien zu verwechseln. 

Wann zuerst Zähne im Vertebratenstamme aufgetreten sind, 
wissen wir nicht. Vermutlich aber geschah dies sehr frühzeitig. Aus 


6329 Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 
entwicklungsgeschichtlichen Gründen nimmt man mit Recht an, dass 
die ältesten Vorfahren der Vertebraten nackt waren, ähnlich wie noch 
heute der Amphioxus. Nur Baume!) glaubt, dass die ältesten Verte- 
braten bereits einen starken kalkhaltigen Hautpanzer besaßen, welcher 
von wirbellosen Vorfahren (Eehinodermen?) übererbt wurde!? Erst 
durch Zerfall dieses Hautpanzers entstanden die Plakoidschuppen der 
Selachier. Die Hautpanzer der Störe, Panzerwelse, Stegocephalen, 
Krokodile, Schildkröten, vielleicht auch diejenigen der Edentaten 
sollen nach Baume sämtlich durch Vererbung aus jener hypothe- 
tischen Urform abzuleiten sein!? 

Wenn man nun auch dieser Anschauung gegenüber mit Recht 
allgemein annimmt, dass die ersten Hartgebilde der Wirbeltiere Zähne 
und zahnartige Plakoidschuppen waren, so haben wir damit immer- 
hin noch keinen Grund die Selachier resp. selachierähnliche Fische 
als die gemeinsame Urform aller Vertebraten zu betrachten. Je- 
mehr sich unsere paläontologischen Kenntnisse vermehren, um so 
tiefer rückt die untere Grenze des Vorkommens höherer Tierformen 
herab, umsomehr macht sich die Ueberzeugung geltend, dass die 
Form unserer heutigen Stammbäume unrichtig ist, dass die bisher auf- 
gefundenen spärlichen Reste der einstigen Tierwelt nicht den einzelnen 
der heutigen Gruppen affine, sondern als mehreren von ihnen 
korrelate Typen zu betrachten sind (Burmeister). Unsere bisher 
üblichen Stammbäume aber wollen alle Lebewesen aus einem ge- 
meinsamen Stamme ableiten, etwa wie die Aeste und Zweige einer 
Eiche aus ihrem Stamme. Der wahre Stammbaum der Vertebraten 
hat aber vermutlich viel eher die Form eines am Spalier gezogenen 
Obstbaumes oder eines Weinstockes mit vielen parallelen Zweigen, 
welche von einer gemeinsamen breiten Basis entspringen. 

Wenn wir von einem einfachen Selachierzahne als Zahneinheit 
ausgehen, so wissen wir seit Hertwig’s!) Untersuchungen, dass 
derselbe aus Dentin besteht, mit einem dünnen Schmelzüberzuge be- 
deekt ist und einem knochenähnlichen Cementsockel aufsitzt. Was 
seine Genese betrifft, so entsteht der Selachierzahn ursprünglich 
ebenso wie jedes Haargebilde aus einer frei über die Schleim- 
hautoberfläche hervorragenden Schleimhautpapille. Wie bei 
jeder Papille so ist auch schon bei jenen primitiven Zahn- 
anlagen das Epithel das formgebende Element und der 
mesodermale Kern das indifferente Ausfüllmaterial, wel- 
ches indess durch seine neugewonnenen Beziehungen zur epithelialen 
Umhüllung eine spezifische Funktion gewinnt, nämlich die Zahnbein- 
bildung. Das Zahnbein ist lediglich eine höher differenzirte Form 
von Knochengewebe. Während bei letzterem die knochenbildenden 





1) Baume, Odontologische Forschungen, 1882. 
1) O0. Hertwig, Ueber den Bau der Placoidschuppen und der Zähne der 
Selachier. Jenaische Zeitschrift f. Naturw., Bd. VIII. 











Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 699 


Osteoblasten völlig von der gebildeten Grundsubstanz umschlossen 
werden und dann nur noch als Nutritionsorgane für den Knochen 
thätig sind, so verwenden die Odontoblasten nur einen Teil ihres Zel- 
lenleibes, den Tomes’schen Fortsatz, als Nutritionsorgan, während 
der Hauptteil des Zellenleibes während der ganzen Wachstumsperiode 
des Zahnes formativ thätig bleibt. Osteoblast und Odontoblast, beide 
entstehen von derselben Grundlage, aus indifferenten Mesodermzellen. 
Die spezifische Funktion der Zahnbeinbildung gewinnen die Odonto- 
blasten lediglich durch ihre Beziehung zum umhüllenden Epithelorgan, 
zur Epithelseheide oder wie man bisher in nicht hinreichend 
korrekter Weise sagte, zum Schmelzorgan. Die Hauptfunktion der 
Epithelscheide liegt darin die Form abzugeben, innerhalb derer sich 
Zahnbein ablagern wird. Die Funktion der Schmelzablage- 
rung übernimmt nur der oberste Teil der Epithelscheide 
und auch dieser nicht konstant. 

Soweit man aus der Entwieklungsgeschichte schließen kann, 
waren bei den Vorfahren der Selachier auch die Zähne des Mund- 
einganges kleine indifferente Gebilde ähnlich den heutigen Placoid- 
schuppen. Erst als dieselben zur Nahrungsaufnahme verwandt wurden, 
wuchsen diese Zähne rasch heran. Die größeren Ersatzzähne konnten 
nun nicht mehr auf der Schleimhautoberfläche gebildet werden, wo 
die fortwährende Nahrungsaufnahme störend auf ihre Bildung ein- 
wirkte. Es senkte sich also ein Teil des Mundhöhlenepitheles in 
Gestalt der Zahnleiste ins Kiefermesoderm ein und übernahm im 
weiteren Verlaufe der Entwicklung allein die Zahnbildung. 

Baume glaubt Hertwig’s Beobachtungen korrigieren zu müssen 
und gibt an, dass schon bei der ersten Anlage von Zähnen und 
Plaeoidschuppen bei Selachiern das Epithel sich zunächst in Form 
eines Zapfens ins Mesoderm einstülpe um erst sekundär in Gestalt 
einer Papille hervorzutreten. Diese Angaben Baume’s beruhen zwei- 
fellos auf unrichtigen Deutungen von Schnittbildern. 

Nicht allein bei Selachiern, sondern auch bei den von mir unter- 
suchten Teleostiern, Ganoiden, Perennibranchiaten, Derotremen (Am- 
phiuma), Urodelen, vor Allem aber selbst bei den hochorganisierten 
Krokodilen, überall zeigten sieh die Anlagen der ersten 
Zähnchen als über die Oberfläche hervortretende freie 
Papillen. Bei den Urodelen hat Hertwig im Gegensatze zu den 
richtigen Angaben von Gegenbaur und Sirena die ersten Anlagen 
zweifellos übersehen. 

Die bisher in Betracht gezogenen einspitzigen Kegelzähne waren 
sehr geeignet zum Ergreifen und Festhalten der Beute, nicht aber 
zum Zermalmen derselben. Für diese Funktion erwarben die Verte- 
braten zwei große korrelate Gruppen von Kauwerkzeugen, einerseits 
die rein epithelialen Hornzähne und Hornkiefer, andrerseits die durch 
Verwachsung von Einzelzähnen entstandenen Zahnplatten und zu- 


654 Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 


sammengesetzten Zähne. Unter den Selachiern finden sich heute noch 
alle Uebergänge vom einfachen Kegelzahne bis zu den Zahnplatten 
der Chimaeren. Das Bestreben durch Verwachsung von Einzelzähnen 
widerstandsfähigere und kautüchtigere Zahngebilde zu erhalten, muss 
sich schon sehr früh geltend gemacht haben. Bereits im Silur fand 
Fritsch hochorganisierte Zahnplatten von Vertebraten, die er den 
heutigen Dipnoern an die Seite stellt. Soweit man aus ihrem Zahnbau 
und Zahnwechsel schließen kann, sind die Dipnoer allerdings eine 
uralte Familie. Bei ihnen ist noch keine Zahnleiste entwickelt sondern 
beim Zahnwechsel fungiert der ganze betreffende Kiefer- 
teil der Mundhöhlenschleimhaut als Epithelscheide oder 
Schmelzorgan. Bisher glaubte man, dass bei den mit großen 
Zahnplatten versehenen Vertebraten kein Zahnwechsel stattfinde. 
Nachdem ich einen solehen jedoch bei Protopterus nachgewiesen 
habe, so liegt die Vermutung nahe, dass auch Ceratodus, Chimaera ete. 
ihre Zähne wechseln. 

Unter den Amphibien besitzen die niedrigsten Formen einspitzige 
Kegelzähne; die zweispitzigen Zähne der höheren Formen sind nach 
meiner Ueberzeugung zweifellos ursprünglich entstanden durch Ver- 
wachsung von zwei einspitzigen Kegelzähnen. Größere Zahnplatten 
kommen anscheinend bei Amphibien nicht vor, dagegen verwachsen, 
wie wir durch Hertwig’s Untersuchungen wissen, die Basalplatten 
oder Sockel der Zähne zu einheitlichen Knochengebilden, den Kiefer- 
knochen, welche sich von nun an auf alle höheren Vertebraten ver- 
erben. Mit diesen Kieferknochen sind bei Amphibien und den meisten 
Reptilien die Zähne fest verwachsen. Beim Zahnwechsel wird nicht 
nur der Zahn sondern auch ein Teil seines Sockels resorbiert. Diese 
unnötige Materialverschwendung wird umgangen durch die Ausbildung 
thekodonter Zähne. Unter den heutigen Reptilien finden wir dieselben 
nur noch bei den uralten Krokodilen, unter den ausgestorbenen Rep- 
tiliengattungen und bei den Vögeln der Kreide war diese Zahnform 
sehr verbreitet und unter den Säugetieren ist sie bekanntlich allein- 
herrschend. 

Wann zuerst thekodonte Zähne aufgetreten sind, wissen wir nicht, 
wie sie entstanden sind, das zeigt uns die Entwicklungsgeschichte der 
Krokodile. Die ersten Zähnchen dieser Tiere entsprechen durchaus 
den primitiven Selachierzähnen und entstehen aus über die Schleim- 
haut hervorragenden freien Papillen. Soweit die Epithelscheide reicht, 
bildet sich Dentin mit dünnem Schmelzüberzuge, weiter hinab schließt 
sich in Gestalt von feinen Knochenbälkchen ein Zementsockel an. 
An einigen Stellen steht derselbe mit den später entstehenden Kiefer- 
knochen in Verbindung. Nach innen von dieser primitiven Zahnreihe 
senkt sich in späterem Stadium die Zahnleiste in die Tiefe und um- 
wächst in gewissen Intervallen die Papillen der zweiten Zahnreihe. 
Nachdem sich diese zweite Zahnserie von der Zahnleiste abgeschnürt 











T 


Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 65: 


hat, dann beendet jedoch die Epithelscheide ihr Wachstum nicht, wie 
bei den pleurodonten und akrodonten Reptilien, sondern sie wächst 
immer weiter, solange der Zahn funktioniert. In ihren oberen Teilen 
wird sie siebartig durchlöchert, um das weit offene Wurzelende des 
Zahnes aber bildet die Epithelscheide einen geschlossenen Ring, genau 
so, wie das auch während der Entwicklung aller Säugetierzähne zu 
sehen ist (v. Brunn, C. Röse, Ballowitz). Der fertige thek.o- 
donte Krokodilzahn gleicht in seinem Bau und in seiner 
Entwieklung vollständig einem einfachen Säugetier- 
zahne, dessen Wurzelwachstum noch nicht vollendet ist. 
Darum sind wir vollkommen berechtigt zu dem Schlusse, dass die 
direkten Vorfahren der Säugetiere vielzahnige, theko- 
donte Reptilien waren. Wir kennen bisher weder die direkten 
Ahnen der bereits im Trias als hochspezialisierte teilweise pelagische 
Formen (siehe Zittel) auftretenden Krokodile noch die Vorfahren 
der ebenfalls im Trias schon weit verbreiteten und hochspezialisierten 
Säugetiere. Die letzteren erlangten sicherlich nur ganz allmählich 
das Uebergewicht über die Saurier und nicht „sehr bald“, wie 
Kükenthal meint. Aus diesem Grunde sind auch die Ueberreste 
der Säuger aus der Sekundärzeit so außerordentlich spärlich vor- 
handen. Nach meiner Ueberzeugung haben sich die Säugetiere spä- 
testens in der Permformation, vermutlich aber noch früher vom ge- 
meinsamen Stamme abgezweigt. Jedenfalls sind, wie ich mit Cope 
und Kükenthal annehme, die direkten Vorfahren der Säuger nicht 
unter den bis heute bekannten Theromorphen zu suchen, sondern 
stammen von älteren vielzahnigen, thekodonten Formen ab, die bisher 
noch nicht bekannt sind. 

Allem Anscheine nach sind die mehrhöckerigen Reptilienmolaren 
durch Verwachsung von mehreren einspitzigen Zähnen entstanden 
analog den Molaren der Säuger. Ueber diesen Punkt fehlen bisher 
nähere Untersuchungen. Was jedoch die einspitzigen Reptilien- 
zähne betrifft, so sind dieselben trotz ihrer größeren 
Funktionstüchtigkeit morphologisch durchaus homolog 
einem Fisch- oder Amphibienzahne. Ich kann Kükenthal 
durchaus nieht zustimmen, wenn er die einspitzigen Reptilienzähne 
als „durch ehemals erfolgte Verschmelzung“ entstandene Zähne „zweiter 
Ordnung“ bezeichnet. Die bessere Ausbildung der Reptilien- 
und noch mehr diejenige der Säugetierzähne wird nicht 
durch Verschmelzungsprozesse bedingt, sondern ledig- 
lich durch die Anpassung an das längere Ei- resp. Intra- 
uterinleben. Bei den phyletisch uralten Krokodilen sehen wir, 
dass die erste primitive Zahnserie noch ausgebildet und während des 
Eilebens wieder resorbiert wird. Die Zähne der zweiten Serie bilden 
sich auf ganz dieselbe Weise aus einer einfachen Papille, aber ihre 
Ausbildung erfolgt viel langsamer und gründlicher. Das Material, 


536 Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 


welches bei den Vorfahren, die in früherer Entwick- 
iungsperiode den Kampf umsDasein aufnehmen mussten. 
zur Ausbildung mehrerer Zahnserien aufgewandt wurde, 
wird durch Anpassung an das längere Eileben zur Aus- 
bildung einer einzigen funktionstüchtigeren Zahnreihe 
benutzt. Weil diese erste in Funktion tretende Zahnreihe sich lang- 
samer abnützt, deshalb bleibt sie auch länger in Funktion als die 
weniger dauerhaften Zähne der Vorfahren. Da die erste Zahnreihe 
länger funktioniert, so können sich die Ersatzzähne langsamer und 
gründlicher ausbilden, funktionieren ebenfalls länger und eine Be- 
schränkung des vielfachen Zahnwechsels der Selachier ete. ergibt sich 
bei den Reptilien ganz naturgemäß. Bei den übrigen von mir bisher 
untersuchten Reptilien ist durch Abkürzung in der Entwicklung auch 
die erste primitive Zahnserie der Krokodile verloren gegangen. Bei 
den Säugetieren, bei denen das foetale Leben noch länger dauert, ist 
naturgemäß noch eine größere Reihe von Zahnserien der primitiven 
Vorfahren ausgefallen. Als Andeutung derselben aber finden wir 
bereits in einer sehr frühen Entwicklungsperiode die Zahnleiste an- 
gelegt. Die Zahnleiste der Säugetiere vor der Bildung 
der ersten Zahnserie muss, wie ich oben erwähnte, in 
noch viel höherem Grade als bei den Reptilien betrachtet 
werden als ein Gebilde, das in nuce eine ganze Reihe 
verloren gegangener Zahnserien umfasst. Entsprechend 
der längeren intrauterinen und der Säuglingsperiode wird auch die 
erste Zahnserie der Säugetiere noch in viel höherem Grade langsam 
und gründlich ausgebildet als dies bereits bei den Reptilien der 
Fall war. In vielen Fällen z. B. bei den Marsupialiern ist diese 
Ausbildung der ersten Zahnserie so vollendet, dass dieselbe zeitlebens 
funktioniert und die zweite Zahnserie gar nicht zur Ausbildung kommt. 

Wir sehen also, dass die bessere Ausbildung des Einzel- 
zahnes und die damit erfolgende Abnahme in der Zahl 
der Dentitionen lediglich aus der Anpassung an das Ei- 
resp. Säuglingleben resultiert und nicht aus Verwachsungs- 
prozessen, wie das Kükenthal will. Ueberall da, wo Ver- 
wachsungsprozesse von Zähnen in der Vertebratenreihe 
vorkommen, da wird nur bezweckt Zahngebilde zu 
schaffen, welehe zum Zermalmen und Kauen dienlich 
sind. Solche Verwachsungsprozesse treten nun in der Vertebraten- 
reihe durch Anpassung an ähnliche Lebensweise mehrmals auf und 
zwar, wie Kükenthal ganz richtig sagt, von einer immer höheren 
Basis aus. Den höchstentwiekelten zusammengesetzten oder Stock- 
zahn !) haben wir in den Molaren der Säuger vor uns. Ganz abge- 

4) Sollte nicht vielleicht der vulgäre Ausdruck „Stockzahn“ für Molar 


die Bezeichnung darstellen für einen aus mehreren Einzelzähnen verwachsenen 
Zahnkomplex ? 








Röse, Phylogenie des Säugetiergebisses. 697 


sehen von der Entwicklungsgeschichte, muss uns, wie auch Küken- 
thal angibt, schon die Form der ältesten bekannten Säugetiermolaren 
auf die Idee bringen, dass dieselben entstanden sind durch Verwach- 
sung von mehreren einspitzigen Zähnen. Ob wir berechtigt sind die 
2—3 Höckerreihen der multituberkulaten Zähne als ebensoviele auf- 
einanderfolgende Dentitionen zu betrachten oder ob diese Höcker 
lediglich gegen einander verschobene Zähne ein und derselben Den- 
tition sind, dies ist eine bisher noch offene Frage, deren Lösung sich 
vermutlich aus näherer Kenntnis von der Zahnentwicklung der Mono- 
tremen ergeben wird. 

Was die Schneidezähne betrifft, so halte ich dieselben im Gegen- 
satze zu den Molaren für einfache Zähne, weil sie sich aus einer 
einzigen Papille entwickeln. Die 3—4 Höckerchen auf den Schneiden 
derselben beim Menschen ete. halte ich für morphologisch indifferent. 
Im Gegensatze zu den einfachen Ineisiven bezeichnet man nach Ma- 
gitot's Vorgange die Prämolaren und Molaren, als zusammengesetzte 
Zähne, am Besten unter dem gemeinsamen Namen „Molaren“. Der 
Eekzahn markiert dann die Grenze zwischen einfachen und zusammen- 
gesetzten Zähnen, sei es dass man ihn als letzten einfachen, sei es 
dass man ihn, wie viel wahrscheinlicher, als ersten Prämolaren resp. 
Molaren betrachtet, dessen hinterer Zahnkegel zurückgebildet ist. 

Was die Wurzelbildung der Säugetierzähne betrifft, so ist dieselbe 
ein ganz sekundärer Vorgang. Unter den Reptilien haben bereits die 
Ichthyosaurier ziemlich vollständig ausgebildete Wurzeln. Zur Zeit 
als bei den Vorfahren der heutigen Säuger die einzelnen Zahnkegel 
zu Molaren verschmolzen, war das Wurzelwachstum sicherlich noch 
nicht vollendet. Darauf deutet das noch nicht vollendete Wurzel- 
wachstum der ältesten bisher bekannten trikonodonten und multi- 
tuberkulaten Molaren hin. Aus dieser Thatsache erklärt es sich auch 
sehr leicht, warum z. B. die bekannten trikonodonten Molartypen 
nur zwei Wurzeln haben anstatt von drei entsprechend der Anzahl 
der Einzelzähne. Die Wurzelbildung ging vor sich lediglich 
aus Zweckmäßigkeitsgründen behufs besserer Befesti- 
gung des besser ausgebildeten ZahnesimKieferknochen. 
Daher werden in den meisten Fällen immer nur so viele Wurzeln 
ausgebildet als bei geringstem Stofiverbrauch zur Befestigung im 
Kiefer am dienlichsten sind. Die Wurzeln der übrigen Höcker der 
Molaren wurden entweder primitiv gar nicht angelegt oder sie siud 
später wieder verkümmert. Aufgabe der Einzelforschung wird es 
sein diese Verhältnisse im Einzelnen klar zu legen. Ebenso ist die 
vergleichende Entwicklungsgeschichte der Zähne bei verschiedenen 
Säugern noch nicht genügend untersucht um bereits eine vollständige 
Systematik aufstellen zu können. Hinsichtlich der immerwachsenden 
Zähne kann ich nicht eindringlich genug die Ansicht Baume’s be- 
kämpfen, welcher dieselben als primitive Urtypen betrachten will, 


635  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


aus denen die bewurzelten Zähne mit beschränktem Wachstum her- 
vorgegangen sein sollen. Die von offenen Pulpen permanent wach- 
senden Zähne sind lediglich durch Anpassung an vorwiegend vegeta- 
bilische Nahrungsweise entstanden und stellen als Zahneinheit das 
höchstdifferenzierte Zahngebilde dar, welches überhaupt existiert. 

Vermutlich haben sich die immerwachsenden Zähne sämtlich aus 
krokodilähnlichen Zähnen mit offener Pulpa aber beschränkter Lebens- 
dauer in einer sehr frühen Periode bei den einzelnen Stämmen ge- 
bildet. Jedenfalls ist es unzulässig auf Grund ihrer übereinstimmen- 
den Zahnstruktur etwa die Nager vom Wombat ableiten zu wollen. 
Die Monotremata, Marsupialia und Placentalia sind kor- 
srelate, keineswegs aber affine Typen. In dieser Hinsicht 
stimme ich den Auslassungen von Fleischmann, Wiedersheim, 
Klatsch, Kükenthal ete. völlig bei. 

Freiburg i. B., den 15. August 1892. 


Die internationalen Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


Von E. Wasmann N. ). 
(Schluss.) 


3) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Formica 
pratensis Des. 

F. pratensis, die „schwarzrückige Waldameise“, ist ein Rasse von 
F. rufa L. Auch bei ihr wurde, obgleich sehr selten, Lomechusa 
strumosa gefunden (Roger), und da überdies ihr Verhalten gegenüber 
Lomechusa demjenigen von F\. sanguinea gleicht, kann man auch F. 
pratensis als „sekundäre Wirtsameise“ jenes Gastes bezeichnen. 

Am 30. Mai 1888 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa strumosa, 
die zuerst bei F. sanguinea, dann bei rufa gewesen war, von letzterer 
unmittelbar zu F\ pratensis (vergl. oben 8.598). Da ich den Käfer in 
das Nest hineinfallen ließ, stürzten sofort mehrere Ameisen mit ge- 
öffneten Kiefern auf ihn los, wurden aber durch seine Fühlerschläge 
sogleich beschwichtigt und beleckten ihn sanft am Hinterleibe, den 
sie soeben in feindlicher Weise mit ihren Kiefern hatten fassen wollen. 
Sie schienen rasch bemerkt zu haben, dass der neue Ankömmling ein 
angenehmes Wesen sei, an dem es etwas zu lecken gebe. In den 
folgenden Stunden wurde die Lomechusa fast fortwährend von einer 
oder mehreren pratensis beleckt, manchmal auch gefüttert. Sie wurde 
ebenso gastlich behandelt wie bei F. sanguinea und schien die Auf- 
merksamkeit der Ameisen in höherem Grade auf sich zu ziehen als 
es bei F. rufa der Fall gewesen. Am 31. Mai setzte ich die Lome- 
chusa von F\. pratensis zu F. fusco-rufibarbis (Mischrasse), worüber später. 

Ueber eine Lomechusa, die ich mit dem Geruche von Lasius 
Fuliginosus versah und dann zu F. sangwinea und hierauf zu pratensis 
setzte, werde ich später berichten. 








Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 630 


4) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Formica 
exsecta Nyl. 


F. exsecta ist kleiner als rufa, von der sie sich namentlich durch 
den tief ausgerandeten Hinterkopf unterscheidet. Ihr Nestbau gleicht 
jenem von rufa, enthält aber mehr feines Material. In Raschheit der 
Bewegung, Reizbarkeit und Kampflust, kurz in ihrer psychischen 
Anlage, ist exsecta nach meinen Erfahrungen mehr mit sangwinea als 
mit rufa verwandt. In Holland ist sie noch nicht aufgefunden. An- 
fangs September 1890 nahm ich ein kleines Beobachtungsnest mit 
F. exsecta aus Feldkirch (Vorarlberg) mit nach Exaeten (Holland). 
Am 4. September setzte ich eine Lomechusa strumosa, die ich an 
demselben Tage bei Exaeten in einer sangwinea-Kolonie gefunden, zu 
den Vorarlberger exsecta. Anfangs wurde sie von mehreren Ameisen 
mit drohend geöffneten Kiefern angefahren und zu beißen gesucht, 
bald aber ruhig geduldet. Die Fühlerbewegungen der Lomechusa 
schienen die Ameisen zu besänftigen. Hierauf nahmen sie von dem 
Gaste längere Zeit keine Notiz mehr; er wurde nur hie und da von 
einer Ameise im Vorübergehen wie zufällig beleckt. Die Lomechusa 
schien sieh nicht zu Hause zu fühlen, wurde unruhig und suchte an 
der Nestwand emporzuklettern. Sobald jedoch eine Ameise sich ihr 
näherte und sie mit den Fühlern berührte, blieb die Lomechusa sofort 
rubig sitzen und bewegte nur lebhaft die Fühler. Abends um 5!/, Uhr 
saß die Lomechusa auf der Nestoberfläche, mitten unter den ewsecta. 
Eine derselben hielt den Käfer mit ihren Kiefern an der Wurzel des 
rechten Fühlers fest und betastete ihn unterdessen mit den Fühler- 
spitzen. Dann ließ sie den Fühler der Lomechusa los, beleckte ober- 
flächlich deren Kopf, dann den aufgerollten Hinterleib und entfernte 
sich. Schon bald nach der Ankunft der Lomechusa im exsecta - Neste 
hatte ich bemerkt, dass ein Emphylus glaber‘), den ich in Feldkirch 
bei F. rufa gefangen und zu exsecta gesetzt hatte, die Lomechusa als 
Reitpferd benutzte. Er stieg auf die Oberseite ihres Hinterleibes und 
ließ sieh von ihr umhertragen. Mehrere Stunden verharrte er auf der 
Lomechusa, die ihn gar nicht zu bemerken schien. Um 5!/, Uhr Abends 
saß der Emphylus noch immer auf der Lomechusa, in der Wölbung 
ihres aufgerollten Hinterleibes. Er hatte sich daselbst an den gelben 
Haarbüscheln festgeklammert und schien an denselben zu lecken. 
Um 8 Uhr Abends war er immer noch an derselben Stelle, an den 
Haarbüscheln der Lomechusa. 

Am 5. September Morgens saß die Lomechusa bei F. exsecta mitten 
in einem diehten Ameisenknäuel. Als ich mit der Pinzette unter die 
Ameisen fuhr und sie in heftigen Zorn versetzte, wurde die Lomechusa 
trotzdem nicht einmal vorübergehend angegriffen, obwohl sie in Folge 





4) Ein zur Käferfamilie der Cryptophagiden gehöriger kleiner Gast von 
F, rufa. 


640 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


der Aufregung ihrer Umgebung unruhig umbherlief. Als die Ameisen 
wiederum ruhig geworden, beleckte eine vor ihr sitzende Arbeiterin 
längere Zeit den Kopf der Lomechusa. Eine Viertelstunde später saß 
die Lomechusa noch unter den Ameisen und wurde von einer derselben 
längere Zeit an einem Fühler festgehalten; die Ameise verhielt sich 
dabei ebenso unbeweglich wie der Käfer und berührte und streichelte 
ihn nur fortwährend mit ihren Fühlerspitzen. Unterdessen stieg der 
Emphylus wieder auf den Hinterleib der Lomechusa, von dort auf 
ihren Kopf und dann auf den Kopf der Ameise. Diese wurde auf ihn 
aufmerksam, betastete ihn lebhaft mit ihren Fühlern, ließ den Fühler 
der Lomechusa los, ergriff ein Bein des Emphylus und zog heftig an 
demselben, jedoch vergebens, da der kleine Käfer sich unterdessen 
an einem Vorderbeine der Lomechusa festgeklammert hatte. Endlich 
ließ sie den Emphylus frei und dieser lief weiter. Die Ameise suchte 
nun die Lomechusa an den Halsschildseiten zu fassen, dann an den 
gelben Haarbüscheln des Hinterleibes; hier beleckte sie dieselbe 
mehrere Sekunden lang. Der Käfer trillerte unterdessen mit den 
Fühlern, und die Ameise entfernte sich. In den folgenden Stunden 
sah ich wiederholt, wie eine Ameise die Lomechusa an den Hinter- 
leibsseiten beleckte, jedoch meist nur kurz und vorübergehend, nicht 
so anhaltend und eifrig, wie es durch F. sangwinea zu geschehen 
pflegt. Am Nachmittag beobachtete ich mehrmals, dass eine exwsecta 
gleichsam spielend die Fühlerwurzel der Lomechusa oder deren Kopf 
zwischen ihre Kiefer nahm und dann ihre Unterlippe über den be- 
treffenden Teil hingleiten ließ; ähnlich verfuhr sie auch am Hinter- 
leib des Käfers. Manchmal belekte sie auch einen Körperteil des- 
selben mit geschlossenen Kiefern, aber kurz und oberflächlich. Meist 
saß die Lomechusa ruhig zwischen einer Anzahl Ameisen, die sie 
häufig mit ihren Fühlerspitzen berührten. Emphylus glaber stieg auch 
an jenem Tage wieder auf dem Rücken der Lomechusa umher. 
Aehnliche Beobachtungen auch an den folgenden Tagen. Am 
Nachmittag des 6. September sah ich, wie eine exsecta wiederum die 
Lomechusa an einem Fühler festhielt und in dieser Stellung eine Viertel- 
stunde lang vor dem gleichfalls ruhig dasitzenden Käfer verharrte. 
Es machte mir einen ähnlichen Eindruck, wie wenn eine Ameise eine 
Larve oder Puppe im Maule hält, nur mit dem Unterschiede, dass bei 
der Lomechusa die Fühler den einzigen bequemen Anhaltspunkt boten. 
Ich hielt die Lomechusa in dem exsecta-Neste bis Ende September. 
Das Verhalten der Ameisen ihr gegenüber blieb stets dasselbe. Sie 
wurde offenbar freundschaftlich behandelt, aber in einer eigentüm- 
lichen, spielend-neugierigen Weise, ein Benehmen, das F. sanguwinea 
den Lomechusa gegenüber nicht zeigt!). Sie wurde ferner bei exsecta 
nie so anhaltend und eifrig beleckt wie bei sanguinea, auch nicht ge- 





1) Gegenüber fremden Gästen, Atemeles emarginatus und paradoxus, 
zeigt auch F. sanguinea ein neugierig -spielendes Benehmen, worüber später. 











Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 641 


füttert; ich habe wenigstens keine einzige Fütterung der Lomechusa 
durch exsecta beobachtet, obwohl sie gut zu gedeihen schien und 
nicht abmagerte. Die zudiinglicheren Atemeles emarginatus und para- 
doxus, die ich in jenem September gleichfalls in meinen exsecta-Neste 
aufnehmen ließ, erregten bei den Ameisen lebhaftere Aufmerksamkeit 
als die träge Lomechusa und wurden häufiger beleckt. 


5) Die Beziehungen von Zomechusa strumosa zu Formica 
fusca L. 

Wie F. fusca als Hilfsameise von F. sanyuinea gegen fremde 
Lomechusa sich benimmt, wurde bereits oben mitgeteilt (8.594 u. 595). 
Ihr Benehmen gegen Lomechusa als Hilfsameise von Polyergus wird 
später behandelt werden. Hier haben wir uns nur mit den selb- 
ständigen Kolonien von f\. fusca zu beschäftigen. 

Am 4. Juni 1883 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa, die bereits 
von F. sanguinea zu rufa, dann zu pratensis, zu fusco-rufibarbis und 
zu rufibarbis gekommen war, unmittelbar aus dem Neste der letzteren 
Ameise zu F. fusca. Anfangs wurde sie von mehreren fusca heftig 
angegriffen, an den Fühlern umhergezerrt und gebissen. Sie vertei- 
digte sich durch Geruchssalven mit hoch aufgekrümmtem Hinterleib, 
wodurch die Ameisen noch heftiger gereizt wurden. Nach einigen 
Minuten war der erste Angriff vorüber und die Lomechusa beruhigte 
sich allmählich. Eine Ameise zerrt noch heftig an den gelben Haar- 
büscheln ihres Hinterleibs, beginnt aber bereits dazwischen sie zu 
belecken. Unterdessen ist eine andere fusca damit beschäftigt, den 
Käfer sanft und anhaltend zu belecken; bei ihr scheint bereits die 
Naschhaftigkeit über den Zorn völlig gesiegt zu haben. Eine andere 
Jusca kommt herzu, fasst die Lomechusa an den gelben Haarbüscheln, 
hält sie einige Augenblicke fest und beleckt sie dann eifrig mit ge- 
schlossenen Kiefern. Fünf Minuten später sitzt die Lomechusa, von 
Fusca umgeben, ruhig da und wird von mehreren derselben anhaltend 
und eifrig beleckt. Nach einer Stunde wird sie bereits von einer vor 
ihr sitzenden fusca nach Larvenart gefüttert, wie bei F\. sanguinea. 
In den Pausen der Fütterung beleckt die Ameise die Mundgegend und 
den Kopf des Käfers und zieht mit ihren Kiefern sogar an der vor- 
gestreckten Unterlippe der Lomechusa, während letztere ihren Kopf 
in den Mund der Ameise stecken will, um von ihr wiederum gefüttert 
zu werden. Ungefähr fünf Minuten lang beschäftigte sich die be- 
treffende fusca auf diese Weise mit der Lomechusa, sie abwechselnd 
naschhaft beleckend und dann wiederum fütternd. 

Am 5. Juni wurde die Lomechusa nie mehr feindlich angegriffen, 
sondern häufig von einer fusca beleckt, zwischen der Beleckung aber 
oft heftig an den gelben Haarbüscheln gezerrt, worauf der Käfer den 
Hinterleib hoch aufrollte und mit einem Rucke des ganzen Körpers 
die Ameise abschüttelte. Die fusca schenkten ihr übrigens seltener 

XI, 41 


549  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


Aufmerksamkeit als am Tage vorher, wo der Gegenstand für ihre 
Neugierde noch fremd war. Ich setzte die Lomechusa hierauf zu 
Lasius fuliginosus, worüber später. | 

Am 8. Juli 1891 hatte ich bei Wran (unweit Prag in Böhmen) in 
einer sanguinea-Kolonie eine Lomechusa strumosa gefangen und setzte 
sie eine Stunde später in ein kleines Beobachtungsnest von F. fusca, 
in welchem sich eine Anzahl Larven von Atemeles emarginatus be- 
fanden, die ich in jener fusca-Kolonie an demselben Tage ge- 
funden. Anfangs wurde die Lomechusa von den ihr begegnenden 
Ameisen heftig angegriffen und in den Hinterleib gebissen. Einigemal 
krümmte die angreifende Ameise sogar ihren Hinterleib nach vorn, 
wie um den Käfer mit Gift zu bespritzen. Die Lomechusa war erst 
frisch ausgefärbt, deshalb noch nicht völlig gehärtet, und fühlte die 
Angriffe der Ameisen um so mehr. Sie wurde sehr aufgeregt, lief 
unruhig umher und widersetzte sich auch noch in den nächsten 
Stunden der Berührung durch eine Ameise, indem sie mit dem ganzen 
Körper zitterte, den Hinterleib hoch aufrollte und mit zurückgebogenem 
Kopf ihre Fühler auf die Ameise trillern ließ. Trotz der Aufregung 
der Lomechusa hörten die Angriffe der fusca bald auf und verwandelten 
sich schon nach der ersten Viertelstunde allmählich in Versuche, den 
Hinterleib des Käfers zu belecken. Wenn die Lomechusa sich dabei 
sehr renitent benahm, wurde die Ameise wieder gereizt und begann 
an den Hinterleibsbüscheln zu zerren. Nach einer Stunde war die 
Aufnahme der Lomechusa durch die fusca vollendet. In den folgenden 
Tagen gaben sich die Ameisen wenig mit ihr ab, vielleicht weil sie 
durch die Pflege der Atemeles-Larven zu sehr in Anspruch genommen 
wurden. Eine Fütterung der Lomechusa durch fusca habe ich diesmal 
nicht gesehen; ich konnte übrigens der Beobachtung dieses Nestes 
nur wenig Zeit schenken. Dass sie den Käfer jedoch als einen an- 
genehmen Gast betrachteten, erhellt daraus, dass sie bei einem Nest- 
wechsel (am 10. Juli) wiederholte Versuche machten, die Lomechusa 
mitzunehmen. Diese widersetzte sich störrisch allen derartigen Ver- 
suchen, wie sie es auch bei sanguinea zu thun pflegt. Uebrigens 
erwies sich auch das Glasröhrehen, welches das alte Nest mit dem 
neuen verband, als zu eng für den dicken Gast. 

Zur Erklärung des Verhaltens von F\. fusca gegenüber Lomechusa 
sirumosa dürften folgende Bemerkungen dienen. Die Lomechusa ist 
für F. fusca bei der ersten Begegnung offenbar eine fremde, feind- 
liches Misstrauen erweckende Erscheinung. Bald jedoch 
bemerken die Ameisen bei ihrem Angriffe auf dem Käfer, dass es an 
ihm etwas angenehmes zu lecken gibt, und seine Fühlerbewegungen 
tragen überdies zu ihrer Beschwichtigung bei. F\. fusca bezieht be- 
kanntlich ihren Unterhalt hauptsächlich aus der Beleckung von Blatt- 
läusen. Sie hat ferner als häufigen Gast Atemeles emarginatus, der 
zur Eierablage in die /usca-Nester kommt und bei ihr seine Larven 











Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 643 
erziehen lässt. Die Aehnlichkeit der Lomechusa mit Atemeles trägt 
wahrscheinlich dazu bei, dass die fusca sie rascher aufnehmen und 
rascher zu ihrer Beleckung übergehen. Vor allem zeigt sich bei fusca 
eine rücksichtslose Naschhaftigkeit. Unter diesem Laster haben die 
Atemeles oft zu leiden, indem die fusca bei der Beleckung immer 
unersättlicher werden und — vielleicht um die Absonderung des an- 
genehmen Exsudates zu beschleunigen — immer heftiger an den 
gelben Haarbüscheln der Atemeles zerren, bis sie dieselben schließlich 
verwunden und auffressen !). Die weit größere und stärkere Lomechusa 
vermag zwar diese Behandlung leichter zu ertragen als die Atemeles, 
anderseits kann sie jedoch die zerrenden fusca nicht so leicht be- 
schwichtigen wie die Atemeles, deren Fühlerbewegungen geschmeidiger 
und den fusca besser proportioniert sind. Die große, plumpe Lome- 
chusa reagiert bei der zerrenden Beleckung unbeholfener und heftiger 
und reizt dadurch die /usca oft zu gewaltsamer Behandlung. 


6) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Formica 
rufibarbis F. 


F. rufibarbis ist mit F. fusca i. sp. sehr nahe verwandt und wird 
mit Recht nur als eine Rasse von F\ fusca s. lat. betrachtet. Trotz- 
dem zeigen fusca und rufibarbis in ihrem psychischen Charakter 
manche bedeutende Unterschiede. Rufibarbis ist viel mutiger und 
kampflustiger als fusca, hat meist auch volkreichere und minder ver- 
steckte Nester als /usca. In der rücksichtslosen Naschhaftigkeit 
gleicht sie fusca. Ihr Benehmen verrät große individuelle Initiative, 
verbunden mit einer fast launenhaften Wandelbarkeit. 

Am 29. Mai 1888 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa, die bei 
F. rufa aufgenommen war (vergl. S. 598), unmittelbar von rufa zu 
rufibarbis. Als ich sie mit der Pinzette aus dem rufa-Neste heraus- 
nehmen wollte, flüchtete sie sich mitten unter die rufa. Diese ge- 
rieten in große Aufregung und spritzten gegen die Pinzette, so dass 
das Glasnest mit dem Geruch der Ameisensäure erfüllt wurde. Wegen 
der Berührung mit der Pinzette musste auch die Lomechusa mit dem 
Geruche der Ameisensäure von rufa behaftet sein. Als ich sie zu 
rufibarbis setzte, wurde sie sofort von mehreren Ameisen angepackt 
und zu beißen gesucht, sogar mit eingekrümmtem Hinterleib mit Gift 
bespritzt, dann an den Beinen umbergezogen. Um sie vor dem Zer- 
reißen zu schützen ?), nahm ich sie heraus und setzte sie zu den 
sanguinea jener Kolonie zurück, in welcher ich sie ursprünglich ge- 
funden hatte. Der Käfer lief nach seiner Ankunft im sanguinea-Neste 
ängstlich umher, in Folge der vorhergegangenen Angriffe und reizte 


1) Näheres hierüber bei den internationalen Beziehungen der Atemeles. 
2) Die Befürchtung war allerdings unbegründet, wie der folgende Versuch 
zeigt. 
41 * 


(444  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


dadurch auch die sanguinea, die nun gleichfalls umhersprangen, als 
ob sie einen Feind suchten. Aber keine griff den Käfer feindlich an, 
nieht einmal vorübergehend, obwohl einige mit geöffneten Kiefern auf 
ihn zusprangen. Sobald sie ihn mit den Fühlerspitzen berührt hatten, 
waren sie sofort besänftigt. Dies ist um so bemerkenswerter, da die 
Lomechusa mit dem Geruche der Ameiseusäure zweier feindlicher 
Ameisenarten (rufa und rufibarbis) behaftet war. Die Lomechusa 
fühlte sieh bei den sanguinea völlig heimisch und setzte sich mitten 
unter die Ameisen. 

Am 30. Mai brachte ich eine andere Lomechusa, die bereits bei 
F. sanguinea, rufa, pratensis und fusco-rufibarbis gewesen war, aus 
dem Neste der letzteren unmittelbar zu rufibarbis einer wilden, kampf- 
lustigen Kolonie. Diesmal hatte ich die Lomechusa vorsichtiger aus 
dem alten Neste in das neue übertragen, ohne die Ameisen besonders 
aufzuregen. Trotzdem wurde die Lomechusa von den rufibarbis wütend 
angefallen, mit Gift bespritzt und gebissen. Zur Verteidigung krümmte 
sie den Hinterleib hoch auf und gab Geruchssalven; es gelang ihr 
dadurch, sich zu befreien. Noch mehrmals wurde sie auf dieselbe 
Weise angegriffen, manchmal nur an den Fühlern gezerrt, anderemal 
aber heftig gebissen und bespritzt. Die Ameisen schienen vor den 
Geruchssalven der Lomechusa Respekt zu haben; denn es gelang ihr 
meist, durch diese Gegenwehr sich sofort zu befreien. Da beginnt 
plötzlich eine ziemlich große rufibarbis, die den Käfer soeben noch 
feindlich angepackt hatte, ihn zu belecken. Eine andere folgt ihrem 
Beispiele, zerrt aber dazwischen an den gelben Haarbüscheln. Die 
Lomechusa geht hierauf in das Innere des Nestes hinab. Bald kommt 
sie wieder hervor, eine rufibarbis springt auf sie zu, zieht an ihrem 
Fühler und beginnt dann, sie an den gelben Haarbüscheln an der 
Basis des Hinterleibes zu belecken. Zwei andere rufibarbis vereinigen 
sich mit der ersteren und lecken ebenfalls. Die Beleckung erfolgt 
sehr eifrig und eilig. Dazwischen zerrt eine Ameise wieder heftig 
an den gelben Haarbüscheln und lässt sich durch das Fühlertrillern 
der Lomechusa nicht besänftigen. Aber der Gast wird jetzt von keiner 
Ameise mehr mit geöffneten Kiefern drohend angefahren. Eine Stunde 
später ist die Lomechusa völlig aufgenommen und wird von einer 
rufibarbis gefüttert, nach Larvenart wie bei sanguinea. 

Am 2. Juni ging es der Lomechusa bei rufibarbis noch gut. Ebenso 
am 4., wo ich sie herausnabm und zu F. fusca setzte (vergl. S. 641). 

Auch für F. rufibarbis ist Lomechusa strumosa bei der ersten Be- 
gegnung offenbar eine fremde, feindliche Erscheinung. Im 
übrigen erklärt sich das Verhalten der Ameisen aus den obigen Be- 
merkungen über den Charakter von rufibarbis. Es sei nur noch bei- 
gefügt, dass Atemeles paradoxus gegen Ende des Frühlings in die 
Nester von rufibarbis kommt, um dort seine Eier abzulegen und seine 
Larven erziehen zu lassen wie Atemeles emarginatus bei F. fusca. 





Wasmann, Internationale Beziehungen von Zomechusa strumosa. 645 


Daber kommt es vielleicht, dass diese beiden Ameisen auch leicht 
zur Fütterung von Lomechusa übergehen. 

Ueber das Benehmen der rufidarbis gegenüber Lomechusa als Hilfs- 
ameisen von sangırinea wurde schon oben berichtet (S. 594 ff.) und auch 
bereits angedeutet, weshalb rufibarbis in diesem Falle die Lomechusa 
leichter aufnimmt als in ihren selbständigen Kolonien. 


X) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu F. fusco- 
rufibarbis For. 

Ich habe nur einmal mit einer Uebergangsform von fusca zu 
rufibarbis Versuche angestellt (Ende Mai 1888). Das Verhalten der 
Ameisen gegenüber Lomechusa näherte sich mehr jenem von fusca als 
von rufibarbis. Der Gast wurde zwar anfangs mit misstrauisch ge- 
öffneten Kiefern angefahren aber nicht so heftig angegriffen wie bei 
rufibarbis. 


8) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Polyergus 
rufescens und deren Hilfsameisen. 


Die Polyergus, mit denen ich die betreffenden Versuche anstellte 
(Exaeten), hatten F\. fusca in beträchtlicher Anzahl als normale Hilfs- 
ameisen und überdies einige wenige sanguinea als anormale Hilfs- 
ameisen !). Die gemischte Kolonie befand sich in einem geräumigen 
Glasneste Lubbockscher Methode. Am 10. Mai 1889 setzte ich ein 
Männchen von Lomechusa in das Polyergus-Nest; seine Ankunft wurde 
von keiner Ameise bemerkt; es blieb ruhig in einer Ecke sitzen. 
Eine sanguinea begegnete der Lomechusa zufällig, ergriff sie an einem 
Beine und suchte sie mit sich zu ziehen; dann beleckte sie oberfläch- 
lich den Hinterleib des Käfers und lief fort. Einige Minuten später 
kamen mehrere fusca und begannen sofort die Lomechusa zu belecken; 
sie wurde ohne einen einzigen feindlichen Angriff aufgenommen. Die 
Polyerqus, die sonst über jeden Fremdling im Neste wütend herfallen, 
nahmen von der Lomechusa keine Notiz. Hie und da berührte eine 
Polyergus im Vorübereilen mit ihren Fühlerspitzen den Käfer, lief aber 
dann sofort weiter. Die Lomechusa macht, wie es scheint, auf die 
Amazonen den Eindruck eines ameisenähnliehen Wesens, das zu ihrer 
Kolonie gehört. Bald darauf sah ich die Lomechusa im Mittelpunkte 
des Nestes unter den Polyergus und fusca sitzen. Sie beschäftigte 
sich eben mit einigen toten Arbeiterinnen von sanguinea, indem sie 
mit ihrem Munde an demselben herumarbeitete; ob sie die Aufmerk- 
samkeit der (toten!) Ameisen durch zudringliches Lecken auf sich zu 





4) Näheres über diesen Fall vergl. Die zusammenges. Nester u. gem. Kol. 
S: 165 u. 166. — Die Balgereien, denen die sanguinea zum Opfer fielen, be- 
gannen schon im Mai, nicht erst, wie dort angegeben, im Juni. Ich fand 
nachträglich noch eine diesbezügliche Notiz vom 10. Mai. 


646  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


lenken versuchte, wie sie es bei sangwinea nicht selten thut, oder ob 
jene Mundbewegungen ihr einen gastronomischen Genuss — vielleicht 
durch die den Leichen anhaftenden mikroskopischen Parasiten — 
verschafften, vermag ich nicht zu entscheiden. 

Am 10. Mai Nachmittags setzte ich eine zweite Lomechusa von 
sanguinea in das Polyergus — fusca-Nest. Auch sie ward ohne 
Schwierigkeit aufgenommen und saß schon nach wenigen Minuten 
unter den Ameisen. Am 13. Mai beobachtete ich die Fütterung einer 
Lomechusa durch fusca in dem Polyergus Neste. Dieselbe erfolgte wie 
bei sanguinea (nach Larvenart).,. Am 18. Mai ging es den beiden 
Lomechusa noch immer gut; das gastliche Verhältnis blieb ungestört 
seit der ersten Aufnabme. Ich nahm sie an diesem Tage heraus und 
ersetzte sie durch ein anderes Pärchen von Lomechusa, das ich un- 
mittelbar aus dem sanguinea-Neste zu den Polyergus that. Das 
Männchen des neuen Lomechusa- Paares wurde von einer fusca, die 
ihm begegnete, mit geöffneten Kiefern angefahren, gleich darauf aber 
eifrig am Hinterleib beleckt. Die eine Lomechusa saß wenige Minuten 
später schon mitten unter den Polyergus und fusca. Die andere blieb 
ruhig in einer Ecke; nach einiger Zeit wurde sie von einer zufällig 
vorüberkommenden fusca eifrig und anhaltend beleckt. Die rücksichts- 
lose Naschhaftigkeit der fusca zeigte sich auch hier in der Hast des 
Verfahrens. Drei Stunden später saß auch die zweite Lomechusa 
mitten in dem Ameisenknäuel. 

Am 19. Mai setzte ich abermals eine Lomechusa von sanguinea 
zu meinen Polyergus — fusca. Zwei fusca sind gleich bei ihr; die 
eine packt sie am Fühler und zieht an ihr, während die andere sie 
am Hinterleib beleckt. Die erstere beleckt einige Sekunden später 
den Mund der Lomechusa. Eine vorübereilende Polyergus untersucht 
für einen Augenblick die Lomechusa mit ihren Fühlerspitzen, eilt dann 
aber sofort weiter. Am 29. Mai ging es zwei Lomechusen im Polyergıs- 
Neste gut; die dritte hatte ich einige Tage vorher herausgenommen 
und zu anderen Versuchen verwendet. Bei Erhellung des Nestes sah 
ich, wie eine fusca eine Lomechusa am Fühler ergriff und sie, rück- 
wärts laufend, mit sich in einen dunkeln Nestteil ziehen wollte. Die 
Lomechusa stemmte sich wie gewöhnlich und ließ sich nicht mit- 
nehmen. Während diese fusca nur sanft zog, sah ich bald darauf 
eine andere heftiger an dem Fühler des Käfers ziehen; da dieser 
sich trotzdem nicht fortbewegte, ließ sie ihn los und ging allein. An 
demselben Tage beobachtete ich, wie eine fusca die Hinterleibsbüschel 
einer Lomechusa mit den Kiefern fasste, den Käfer mit großer An- 
strengung in die Höhe hob und ihn aus dem Mittelpunkte des Nestes 
forttrug gegen den Eingang hin. Die Lomechusa kehrte aber alsbald 
wieder zu den Ameisen zurück und wurde nicht wieder fortgetragen. 
An demselben 29. Mai begegnete mir der einzige Fall, dass Polyergus 
von Lomechusa nähere Notiz nahm, während sie sonst sich gar nicht 








Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 647 


um den Gast kümmert. Eine Lomechusa lief gerade in der Nähe 
des Nesteinganges umher, als eine Polyergus auf sie losstürzte, sich 
an ihr festzuklammern suchte, auf den Rücken des Käfers sprang 
und die Hinterleibsseiten mit den Säbelkiefern zu packen suchte. Die 
Lomechusa blieb nun ruhig sitzen und trillerte, den Kopf zurück- 
biegend, auf die Angreiferin. Diese ließ sogleich von ihr ab und 
setzte ihren tollen Tanz allein fort. Es ist hiebei zu bemerken, dass 
die Polyergus an heißen Tagen sich oft wie rasend gebahren und 
auch über ihre eigenen Gefährtinnen herfallen !). 

Am 2. Juni lag eine der beiden Lomechusa tot in dem Glase, 
welches der Polyergus — fusca-Kolonie als Vornest diente und durch 
eine Glasröhre mit dem eigentlichen Neste in Verbindung stand. 
Dorthin pflegten die fusca die Leichen der Ameisen aus dem Neste 
zu bringen. Die Lomechusa war schon großenteils mit frischer Erde 
bedeckt, aber völlig unversehrt. Es war mir auffallend, dass die so 
naschhaften fusca die tote Lomechusa nicht aufgefressen, wie sie es 
mit den Atemeles zu thun pflegen. Die andere Lomechusa war noch 
gesund und wohlgepflegt. An demselben Tage wurde sie von einer 
fusca bei Erhellung des Nestes an den Mundteilen ergriffen und von 
der rückwärts laufenden Ameise in Sicherheit gebracht. Diesmal 
folgte die Lomechusa ohne Widerstreben, vermutlich wegen der 
Schwäche ihrer Mundteile, die sonst beschädigt worden wären. Auf 
dieselbe Weise nahmen die fusca ihre normalen Herren (Polyergus), 
ja sogar die in demselben Neste von ihnen erzogenen sanguinea ge- 
wöhnlich bei Erhellung des Nestes an den Kiefern und traten mit 
ihnen den Rückzug an). Es ist interessant, wie diese /usca die Be- 
handlungsweise ihrer Herren auf die F. sanguinea und auf die Lome- 
chusa übertrugen. Auch die letzteren wurden von den fusca als zu 
ihrer Kolonie gehörige, schutzbedürftige Wesen angesehen. 

Vergleicht man das Benehmen der fusca in dieser Polyergus- 
Kolonie mit dem Verhalten der fusca gegenüber Lomechusa in ihren 
selbständigen Kolonien (8. 641 u. 642), so wird man bemerken, dass 
die Lomechusa in jener leiehter aufgenommen wurden als in diesen. 
Bei der Aufnahme der ersten Lomechusa mag vielleicht die erwähnte 
Dazwischenkunft von sanguinea mitgewirkt haben; für die späteren 
Ankömmlinge ist die Vermittlung von sanguinea kaum annehmbar, 
da ich nichts derartiges beobachtet habe und zudem die wenigen, 
Mitte Mai noch vorhandenen sanguinea bald starben. Leider habe 
ich nicht notiert, wenn die letzte sanguinea in jenem Neste umkam. 





1) Ueber die Balgereien und die blinde Rauflust von Polyergus vergl. 
l. eit. S. 67 u. 166. 
22 6...8- 166. 


648  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


9) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Camponotus 
ligniperdus Ltr. 


Ich nahm ein Nest dieser in Holland noch nicht aufgefundenen, 
größten einheimischen Formieidenart im September 1890 von Feldkirch 
(Vorarlberg) mit nach Exaeten. Am 4. Sept. begann ich meine Ver- 
suche und setzte eine an demselben Tage bei F\. sangıinea gefangene 
Lomechusa zu den Vorarlberger Camponotus. Mehrere Ameisen, die 
ihr begegnen, fahren mit einem Sprunge auf sie los, packen sie mit 
geöffneten Kiefern und suchen sie zu beißen, jedoch mit unverkenn- 
baren Zeichen von Furcht. Durch einen dieser Bisse schwer verletzt, 
bleibt die Lomechusa in einer Ecke des Nestes sitzen. Die vorüber- 
gehenden Camponotus kümmern sich meist nieht um sie; hie und da 
springt eine Ameise mit geöffneten Kiefern auf sie zu und berührt 
sie vorsichtig mit den Fühlern, versucht auch, sie zu zwieken; die 
eine oder andere lässt am Schlusse dieses Manövers ihren Mund 
leckend über den Hinterleib des Käfers hingleiten, aber nur ganz 
oberflächlich. Ein zweites Exemplar von Lomechusa, das ich nun in 
das Nest der Camponotus setzte, war anfangs glücklicher. Die Ameisen 
zeigten sich nicht so erregt wie bei der Ankunft der ersten und griffen 
den Gast seltener und weniger heftig an. Die Lomechusa« schien sich 
jedoch bei ihnen unbehaglich zu fühlen, lief ängstlich umher und 
suchte aus dem Neste zu entkommen. Bald darauf wurde sie von 
einer großen Camponotus-Arbeiterin an einem Mittelbein ergriffen und 
umhergezerrt, nach kurzer Zeit jedoch wieder freigelassen. Sie setzte 
sich dann ruhig zu einigen Camponotus, die um ein Stück Zucker 
leckend versammelt waren, und blieb hier unbeachtet sitzen, hie und 
da bei Berührung mit einer Ameise mit den Fühlern trillernd. Nach 
einer halben Stunde war die zweite Lomechusa noch munter und ge- 
sund, die erste aber saß in einer Ecke des Nestes ohne ihren 
Kopf; derselbe war ihr am Halse hinter den Augen wie mit einer 
Scheere abgeschnitten und nicht mehr zu finden: die Lomechusa war 
von Camponotus geköpft worden gleich einer feindlichen Ameise. Das 
Exemplar wurde zum Andenken meiner Sammlung einverleibt. 

Nach anderthalb Stunden zeigte sich auch die zweite Lomechusa 
bei Camponotus bereits lahm und abgemattet. Sie wurde mehrmals 
nacheinander von einer großen Arbeiterin an den Körperseiten mit 
den Kiefern gepackt, gebissen und mit Gift bespritzt. Von einer 
anderen großen Arbeiterin wurde sie einige Minuten später, während 
sie ruhig dasaß, mit den Fühlern berührt und auf der Oberfläche des 
Hinterleibes oberflächlich beleckt. Eine andere kleine Arbeiterin 
näherte sich ihr ebenfalls, prüfte sie mit den Fühlern und suchte sie 
sodann zwischen Kopf und Halsschild mit den Kiefern zu packen, 
wie um sie zu köpfen. Die Lomechusa trillerte lebhaft mit ihren 
Fühlern, worauf die Ameise von ihr abließ. Um 5!/, Uhr Abends 








Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 649 


lebte die Lomechusa noch und wurde nieht mehr feindlich angegriffen, 
sondern hie und da vorübergehend beleckt. Meine Hoffnung, sie würde 
nun gerettet sein, ging nicht in Erfüllung. Am nächsten Morgen ver- 
mochte sie kaum noch sich zu bewegen und ihr Hinterleib war stark 
eingeschrumpft, ein Zeichen des nahen Endes. Ich nahm sie nun 
heraus und that sie in Alkohol. 

Am 5. September setzte ich eine andere Lomechusa strumosa, die 
bereits bei F. rufa aufgenommen worden, zu den Camponotus. Sie 
wurde von mehreren Ameisen nacheinander feindlich angegriffen. 
Nachdem sie wiederholt gebissen worden war, aber nur am Hinter- 
leibe, wo die Bisse ihr selten gefährlich sind, nahm ich sie heraus 
und setzte sie zu einigen Arbeiterinnen von F\. sanguinea aus ihrer 
eigenen Kolonie. Diese erkannten sie sofort, und eine derselben be- 
gann bald darauf die noch ängstliche und unruhige Lomechusa zu 
belecken, worauf diese sich beruhigte. 

Am Nachmittag des 5. September setzte ich abermals eine neue 
Lomechusa von F. sanguinea zu Camponotus. Aber obwohl der Käfer 
sich anfangs ruhig verhielt und bei Annäherung einer Ameise dieselbe 
mit seinen Fühlern zu beschwichtigen suchte, wurde er dennoch bei 
fast jeder Begegnung heftig angefahren und gebissen, während andere 
Individuen wie erschreekt auswichen oder umkehrten, wenn sie in 
seine Nähe kamen. Bereits nach wenigen Minuten hatte er solche 
Bisse erhalten, dass ich ihn herausnehmen musste, um ihn zu retten. 
Ich setzte ihn nun zu einigen Arbeiterinnen von F. sanguinea. Ob- 
gleich er sich noch sehr aufgeregt gebärdete infolge der vorherge- 
gangenen Angriffe und sich bei Annäherung einer sanguinea zu ver- 
teidigen suchte, wurde er trotzdem von keiner derselben feindlich be- 
handelt. Bei der ersten Begegnung hatte eine sanguinea die Kiefer 
drohend geöffnet, aber sofort wieder geschlossen, als sie den Käfer 
mit den Fühlern berührte. 

Am 7. September machte ich noch einen letzten Versuch, die 
Aufnahme von Lomechusa bei Camponotus zu bewirken. Ich wählte 
eine kleine Arbeiterin aus, von der ich hoffte, dass die Fühlerschläge 
der Lomechusa wegen der geringen Größendifferenz der beiden Korre- 
spondenten wirksamer sein würden und ließ die Ameise erst einige 
Zeit allein in dem Gläschen, bis sie beruhigt schien; dann setzte ich 
eine Lomechusa zu ihr. Die Ameise fiel wütend über die Lomechusa 
her, biss ihr in den Kopf und bespritzte sie, ihren Hinterleib ein- 
krümmend, mit Gift. Ich musste die bereits bedenklich verletzte und 
heftig aufgeregte Lomechusa sofort wieder herausnehmen. Auch dieser 
Versuch, der mit F. sangwinea und den Atemeles fast regelmäßig 
glückte, war misslungen, weil die Lomechusa schon dem ersten An- 
griffe der starken Camponotus unterliegt Ich setzte die Lomechusa 
zu ihren sanguinea zurück. Zwei Ameisen stürzten mit geöffneten 
Kiefern auf sie los, beruhigten sich aber sogleich, nachdem sie den 


650  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


Ankömmling mit ihren Fühlern berührt hatten. Trotz des feindlichen 
Geruches, welcher der Lomechusa durch die Bespritzung von Campo- 
notus anhaftete, hatten sie ihren Stammgast sofort wieder erkannt. 

Nach meiner Ansicht kann Lomechusa strumosa bei Camponotus 
ligniperdus nicht aufgenommen werden. Nach mündlichen Mittei- 
lungen, die mir gemacht wurden, soll sie zwar manchmal auch in den 
Nestern dieser Ameise gefunden worden sein. Da Camp. ligniperdus, 
sowohl unter Steinen als in alten Strünken, nicht selten in „zusammen- 
gesetzten Nestern“ mit F. sangiinea zu treffen ist, kann bei jenen 
Angaben leicht ein Irrtum vorliegen. Dagegen ist Atemeles cavus Lee. 
in den Vereinigten Staaten Nordamerikas bei Camponotus pennsyl- 
vanicus und ©. pietus gefunden worden; ferner Lomechusa montana bei 
Camp. pietus!) Unsere Atemeles haben übrigens nach meinen dies- 
bezüglichen Versuchen noch weniger Aussicht, bei Camp ligniperdus 
aufgenommen zu werden als die größere und stärkere Lomechusa 
strumosa. 


10) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Lasius 
fuliginosus Ltr. 


In eine große Krystallisationsschale, in der ich eine Kolonie von 
F. sanguinea mit Lomechusa strumosa hielt (Blijenbeek), setzte ich am 
13. Mai 1884 eine Handvoll Arbeiterinnen von Lasius ‚fuliginosus. 
Alsbald entspann sich ein Kampf, bei welchem die Lasius trotz ihrer 
Minderzahl die Angreifer waren und sich an die Fühler und Beine 
der sanguinea anklammerten. Diese sprangen wütend umher und ge- 
berdeten sich wie toll, bissen jedoch nur selten eine der an ihnen 
hängenden Schwarzen entzwei, weil sie den Geruch und Geschmack 
derselben sehr verabscheuen?).. Während des Kampfes kam eine 
Lomechusa aus dem sanguinea-Neste hervor und lief, durch das Ge- 
tümmel beunruhigt, ängstlich umher. Sie wurde von Lasius fuliginosus 
wiederholt mit prüfenden Fühlern und halboffenen Kiefern im Vorüber- 
sehen angefahren, aber kein einziges Mal wirklich angegriffen. 

Am 5. Juni 1888 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa, die bereits 
bei F\. sanguinea, rufa, pratensis, fusco-rufibarbis, rufibarbis und fusca 
gewesen war), von letzterer Art unmittelbar in ein kleines Beobach- 
tungsnest zu Lasius fuliginosus, und zwar mitten unter die beisammen- 
sitzenden Ameisen. Die Lomechusa wurde angegriffen, wiederholt ge- 
bissen und mit Gift bespritzt, an Fühlern oder Beinen umhergezerrt, 
jedoch fast immer nach einigen Sekunden wieder losgelassen. Nach 
einer halben Stunde hatten die Angriffe noch nicht aufgehört. Sie 
schienen aber auf die Lomechusa keinen großen Eindruck zu machen; 





1) Vergl. Schwarz, Proc. Ent. Soc. Wash., 1890, 8. 243. 
2) Andere Beispiele hierfür vergl. Die zusammenges. Nester etc. S. 154 ff. 
3) Vergl. oben S. 641. 














Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 651 


denn sie verhielt sich völlig passiv, ohne Gegenwehr oder ängstliches 
Umherlaufen. Hie und da wurde sie bereits von einer Ameise ober- 
flächlich beleckt. Ich übertrug sie hierauf samt den Lasius fuliginosus 
(50—60 % mit einigen ? und Z) in ein anderes Beobachtungsnest, 
in welchem einige Dutzend F. sanguinea sich befanden. Die letzteren 
wurden alsbald von den Lasius heftig angegriffen. Dagegen wurde 
die Lomechusa jetzt von Lasius fuliginosus bei Begegnung meist 
ignoriert, nur bie und da vorübergehend angefahren. Eine Lasius 
begann bald darauf die vor ihr sitzende Lomechusa zu belecken; bald 
gesellt sich eine zweite dazu, beleckt den Käfer, ergreift ihn dann 
an den gelben Haarbüscheln und hält ihn fest, mit den Fühlerspitzen 
ihn lebhaft berührend. Unterdessen fährt die andere Ameise fort, 
die Lomechusa zu belecken und zerrt sie dazwischen an den Haar- 
büscheln des Hinterleibes. Die Lomechusa sitzt ruhig da, nur mit 
den Fühlern trillernd. Bald darauf suchte sie die Gesellschaft einiger 
sanguinea auf, die sich in eine Ecke des Nestes zurückgezogen hatten. 

Am 6. Juni saß die Lomechusa abseits von den Lasius, in der 
Nähe einiger sanguinea. Ich nahm sie nun heraus und that sie zu 
einer Anzahl sanguwinew aus der Bundeskolonie sanguwinea — rufi- 
barbis — fusca (oben 8. 590). Obwohl von Lasius fuliginosus kommend 
und an einem Beine hinkend wurde sie sofort aufgenommen, nicht 
einmal bei der ersten Begegnung misstrauisch angefahren. 

Ich nahm nun die Lomechusa wieder heraus und rieb ihr den 
Hinterleib mit zwei zerquetschten Arbeiterinnen von Lasius fuliginosus 
ein; dann setzte ich sie wieder zu den ebengenannten sanguinea zurück. 
Jetzt wurde sie bei jeder Begegnung mit geöffneten Kiefern ange- 
fahren, und die Kiefer schlossen sich erst nach genauer Prüfung des 
Gastes. Dieses feindliche Misstrauen dauerte aber nur so lange, bis 
alle Ameisen ihm einmal begegnet waren und ihn mit den Fühlern 
untersucht batten; dann schienen sie den Käfer unmittelbar als alten 
Gast wieder zu erkennen. Ich nahm nun eine dieser sanguinea heraus 
und berührte sie mit den Fingern, zwischen denen ich eben eine 
Lasius fuliginosus zerrieben hatte. Als ich sie wieder zu den Ihrigen 
setzte, wurde sie sofort wütend angegriffen, sogar mit Gift bespritzt 
und dann längere Zeit umhergezerrt. Aus diesen merkwürdigen That- 
sachen werde ich später einige Folgerungen ziehen. 

Hierauf setzte ich die mit Lasius fuliginosus eingeriebene Lome- 
chusa von F. sanguinea zu F. pratensis. Anfangs fuhren wie bei 
sanguinea einige Ameisen mit geöffneten Kiefern auf sie los; nach 
Berührung mit den Fühlern erkannten sie die Lomechusa jedoch so- 
gleich und duldeten sie ruhig. Der Käfer ging hierauf in das Nest- 
innere hinab. Nach zwei Stunden fand ich ihn daselbst tot liegen. 
Er war ganz unversehrt. Wahrscheinlich starb er an den Folgen der 
Einreibung mit dem Gifte von Lasius fuliginosus. Er hatte übrigens 
ein vielbewegtes Leben hinter sich: von F\ sanguinea war er zuerst 


659 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


zu F. rufa, dann zu pratensis, zu fusco-rufibarbis, zu rufibarbis, zu 
fusca, zu Lasius fuliginosus, zu sanguinea und endlich zu pratensis 
versetzt worden! ' 

Das Ergebnis der obigen Versuche, soweit dieselben das Ver- 
hältnis von Lomechusa strumosa zu Lasius fuliginosus betreffen, ist 
kurz folgendes. Lomechusa steht zu dieser Ameise zwar in keinem 
freundschaftlichen Verhältnisse, sondern wird, wenn sie in deren Nest 
kommt, feindlich angegriffen, aber nicht so heftig und andauernd wie 
eine feindliche Formica. Bei Kämpfen zwischen Lasius fuliginosus 
und F\. sanguinea zeigt sich deutlich, dass erstere die Lomechusa von 
ihren Wirten wohl unterscheiden. Der Lomechusa scheint es bei den 
übelrieehenden L. fuliginosus nieht zu behagen; abgesehen hievon 
glaube ich, dass ihre Aufnahme bei dieser Ameise nicht unmöglich 
ist, da sie die anfänglichen Angriffe derselben ohne Schaden aushält 
und bald von ihr geduldet oder sogar schon beleckt wird. 


11) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Lasius 
niger L. 


Am 21. Mai 1889 setzte ich eine Lomechusa von F. sanguinea. zu 
L. niger von mittelgroßer Rasse (Exaeten). Sie wurde sofort heftig 
angegriffen, an Fühlern, Beinen und Hinterleib gebissen und mit Gift 
bespritzt. Anfangs verhielt sie sich passiv und suchte durch ihre 
Fühlerschläge die Angreifenden zu beschwichtigen. Da diese Ver- 
suche vergeblich waren und die Wut der kleinen Ameisen nur noch 
steigerte, suchte sie ängstlich zu entfliehen. Ich musste sie nach 
einer Viertelstunde herausnehmen, um sie zu retten. Sie hinkte bereits 
an einem Beine, erholte sich aber bald, als ich sie von den anhängen- 
den Ameisen befreit hatte. 

Das Ergebnis dieser und anderer Versuche, Lomechusa strumosa 
zu Lasius niger zu setzen, ist ein übereinstimmend negatives. 
Die Differenz der Körpergröße zwischen dem Gaste und diesen Ameisen 
ist zu bedeutend, als dass ein friedliches Verhältnis zu Stande kommen 
könnte. Trotz ihres Fühlertrillerns bleibt die Lomechusa für Lasius 
niger nur ein Gegenstand des Zornes, ein feindlicher Koloss, um so 
mehr, da die genannte Ameise sehr reizbar und kampflustig ist. 


12) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Lasius 
umbratus Nyl. 


Am 25. Mai 1889 setzte ich eine Lomechusa zu Lasius umbratus 
(Exaeten). Sie wird von begegnenden Ameisen vorsichtig mit den 
Fühlern betupft, dann meist ignoriert; nur wenige öffnen feindlich 
ihre Kiefer und suchen sie bei einem Fühler zu fassen, gehen aber 
gleich weiter. Die Lomechusa bleibt ruhig auf der Oberfläche des 
kleinen Nestes sitzen; die Ameisen kümmern sich nicht weiter um sie. 





Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 053 


13) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Lasius 
flavus Des. 


Am 10. Juli 1891 setzte ich eine Lomechusa zu Las. flavus (Prag), 
in ein Beobachtungsnest, das Larven und Puppen enthielt und seit 
April zahlreiche Olaviger testaceus besessen hatte. Die Ankunft der 
Lomechusa mitten im Neste erregt Schrecken und Unwillen. Mehrere 
Ameisen greifen sie an, aber nur eine bleibt an einem Beine des 
Käfers festgebissen, während derselbe einen dieken weiblichen Kokon 
von Lasius flavus besteigt und nun dort rubig sitzt. Einige Minuten 
hatte es den Anschein, als ob die Lomechusa nun indifferent geduldet 
würde wie bei L. umbratus; die meisten Ameisen gingen ruhig an 
ihr vorüber; nur wenige versuchten, sie von dem Kokon herabzuziehen, 
auf dem sie sich festhielt. Als sie jedoch umherzulaufen begann, 
steigerte sich die Erregung der Ameisen. Mehrere suchten sie an 
Fühlern und Beinen umherzuzerren und zu beißen, ließen sie meist 
sogleich wieder los, als ob sie sich vor dem Ungetüm fürchteten, 
griffen sie dann aber sofort aufs neue an. Nun begann ein merk- 
würdiges Schauspiel. Ein paar Arbeiterinnen kamen mit Erdklümpchen 
im Maule herbei und legten dieselben auf die Lomechusa, die sich 
unterdessen wieder an einem großen weiblichen Kokon festgeklammert 
hatte. Andere folgten diesem Beispiele. Als die Lomechusa hierauf 
weiterlief, wurde sie von den Erdklümpchen tragenden Ameisen ver- 
folgt. Einer gelang es, dem Käfer ein diekes Klümpehen in die 
Höhlung des aufgerollten Hinterleibes zu stecken. Bei der nächsten 
Bewegung der Lomechusa fielen sämtliche Klümpchen wieder herunter. 
Die Ameisen setzten ihre freimaurerische Taktik trotzdem hartnäckig 
fort. Eben saß die Lomechusa wiederum auf einem großen weiblichen 
Kokon und hielt sich krampfhaft fest, während einige Ameisen an 
ihren Beinen zerrten. Unterdessen legten andere ihre Erdklümpehen 
auf den Thorax und den Hinterleib des Käfers. Die Lomechusa lief 
weiter und schüttelte die Last ab. Gleich darauf blieb sie wiederum 
sitzen und saß diesmal mehrere Minuten lang ruhig, da sich keine 
Ameise an sie anzubeißen suchte. Von allen Seiten kamen nun die 
Lasius flavus mit ihren Erdklümpchen und legten sie auf den ermüdeten 
Gegner. Nach fünf Minuten sah man nur noch die Fühlerspitzen der 
Lomechusa aus einem unförmlichen grauen Klumpen hervorragen. 

Zum Benehmen von Lasius flavus und umbratus gegenüber Lome- 
chusa bemerke ich Folgendes. Diese beiden gelben Ameisen sind 
weniger kampflustig als Lasius niger, mehr friedliebend und furchtsam. 
Lasius umbratus ist erheblich größer als favus, und daher verursachte 
ihr die Lomechusa vielleicht geringeren Schrecken als den kleineren 
flavus. Von Wichtigkeit dürfte folgender Umstand sein. Die Lasius 
umbratus begegneten der Lomechusa nur auf der Oberfläche ihres 
‚Nestes. Ferner konnten die weitverzweigten Gänge, die sie in jenem 


054  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


Beobachtungsneste angelegt hatten, und in denen sie, nach Wurzel- 
läusen suchend, fortwährend hin und her liefen, nieht als das eigent- 
liche Nestinnere aufgefasst werden, das bei L. umbratus gewöhnlich 
tief versteckt und schwer zu finden ist; da diese umbratus keine 
Larven oder Puppen bei sich hatten, schien das Nestinnere im vor- 
liegenden Falle ganz zu fehlen. Dagegen kam die Lomeckusa bei 
Lasius flavus mitten in das eigentliche Nestinnere, unter die auf- 
geschichteten Kokons; daher die größere Aufregung der Ameisen. 
Die interessante Erdklümpchentaktik von Lasius flavus erinnert mich 
an eine ähnliche Beobachtung (vom 1. April 1888, Exaeten), wo ein 
Molch (Triton alpestris), den ich in ein Nest von sanguinea — fusca 
gesetzt, nach vielen vergeblichen Angriffen der Ameisen endlich von 
einem Erdwalle umgeben und eingemauert wurde. Hier begann f". 
Jusca das Herbeitragen von Erdklümpchen, die sanguinea folgten all- 
mählich ihrem Beispiele. F. fusca und Lasius flavus sind — nebenbei 
bemerkt — die geschicktesten Erdarbeiterinnen unter unseren ein- 
heimischen Ameisen. 


14) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Tapinoma 
erraticum Latr. 

Tapinoma erraticum ist eine kleine, sehr lehhafte und flinke 
Ameise, deren Kampfesweise dadurch ausgezeichnet ist, dass sie sich 
nicht gleich anderen kleinen Ameisen an den Fühlern und Beinen des 
größeren Gegners festbeißt, sondern ihm zuerst ihre Hinterleibs- 
spitze zukehrt und eine Geruchssalve gegen ihn abgibt. Der Ver- 
teidigungsgeruch dieser Dolichoderide stimmt genau überein mit dem 
Dufte, den die Atemeles und Lomechusa aus ihrer Hinterleibsspitze, 
und gereizte Honigbienen aus ihrem Munde von sich geben '). Bei 
dem sehr bedeutenden Größenunterschiede, der zwischen Tupinoma 
und Lomechusa besteht, wusste ich von vornherein, dass hier eine 
Aufnahme des Gastes unmöglich sei. Trotzdem habe ich einen Ver- 
such hierüber angestellt. 

Am 10. Juli 1891 (Prag) setzte ich eine Lomechusa in eine kleine 
Kıystallisationsschale, in welcher ein ziemlich volkreiches Nest von 
Tapinoma sich befand. Die Ankunft der Lomechusa erregte einen 
allgemeinen Tumult; die Lomechusa selber schien ebenfalls sehr ängst- 
lich und aufgeregt zu sein in der Gesellschaft dieser Ameisen. Sie 
lief mitten durch die aufgeschiehteten Larven und Puppen von Tapi- 
noma hindurch, die teilweise an ihr kleben blieben. Die Ameisen 
stoben nach allen Seiten auseinander und umkreisten die Lomechusa 
unter fortwährenden Geruchssalven. Der Käfer schien dadurch sehr 
unangenehm berührt zu werden und geriet in große Aufregung, ob- 





1) Vergl. hierüber: Beiträge zur Lebensweise der Gattungen 
Atemeles und Lomechusa, Kap. 7, 8.42 (286) und Vergleichende 
Studien 8. 96. 








Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 655 


wohl keine Ameise sich an ihm anzuklammern wagte. Endlich ergriff 
ihn eine an einem Beine und auch andere drohten über ihn herzu- 
fallen. Es wäre wahrscheinlich getötet worden, hätte ich ihn nicht 
sogleich herausgenommen, um ihn für andere Versuche zu verwenden. 


15) Die Beziehungen von Zomechusa stirumosa zu Tetra- 
morium caespitum L. 

Das Schicksal der Lomechusa bei dieser kleinen sehr kampf- 
lustigen und beutegierigen Myrmicide war mir von vornherein un- 
zweifelhaft. Ein Versuch vom 23. Mai 1889 (Exaeten) bestätigte meine 
Ueberzeugung. Die Tetramori/um fielen sofort von allen Seiten über 
die zehnmal größere Lomechusa her, bissen sich an ihren Fühlern und 
Beinen fest und bearbeiteten dieselben mit ihrem Stachel. Die Lomechusa 
wäre getötet und aufgefressen worden, hätte ich sie nicht schon nach 
wenigen Minuten wieder herausgenommen und von den anhängenden 
Ameisen befreit. 


16) Die Beziehungen von Zomechusa strumosa zu Myrmica 
scabrinodis Nyl. 

Am 21. Mai 1888 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa in ein 
Beobachtungsnest von Myrmica scabrinodis. Sie wurde sofort wütend 
angegriffen, gebissen und mit dem Stachel bearbeitet. Ihre trillernden 
Fühlerbewegungen schienen die Wut der Ameisen nur noch mehr zu 
reizen. Ich nahm das Exemplar heraus, um es zu retten. 

Diese Kolonie von Myrmica scabrinodis hatte in jenem Frühling 
keine Atemeles besessen. Ich wiederholte deshalb am 23. Mai den 
Versuch mit einer Kolonie, die noch kurz vorher einige Atemeles in 
Pflege gehabt hatte. Das Ergebnis war jedoch dasselbe wie bei dem 
ersten Versuche 


17) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Myrmica 
ruginodis Nyl. 

Am 25. Mai 1889 (Exaeten) setzte ich eine Lomechusa zu einer 
Kolonie von Myrmica ruginodis; es war eine mittelgroße Rasse, etwa 
halb so lang wie die Lomechusa. Sie wurde sofort heftig angegriffen, 
an Fühlern und Beinen gepackt und mit dem Stachel bearbeitet. Die 
Lomechusa suchte ängstlich aus dem Neste zu entfliehen. 

Die gegen Atemeles emarginatus und paradoxus so freundschaft- 
lichen Myrmica scabrinodis und ruginodis behandeln die Lomechusa 
strumosa offenbar als einen fremden, feindlichen Eindringling. 


18) Die Beziehungen von Lomechusa strumosa zu Myrmica 
laevinodis Nyl. 

Am 10. Juli 1891 (Prag) setzte ich eine Lomechusa in ein Nest 

dieser roten Knotenameise in einer Krystallisationsschale. Die Lome- 


656  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


chusa wurde heftig angegriffen, an Fühlern und Beinen gebissen, 
umhergezerrt und mit dem Stachel bearbeite. Nach fünf Minuten 
schien sie bereits durch die erhaltenen Stiche wie gelähmt, und die 
Ameisen ließen nun von ihren Angriffen ab. Nur hie und da näherte 
sich ihr eine Myrmica, betupfte sie vorsichtig mit den Fühlerspitzen, 
beleckte sie dann manchmal oberflächlich oder kneipte nach ihr mit 
geöffneten Kiefern und mit einem knrzen, stoßweisen Rucke des 
ganzen Körpers; dann zog sich die Ameise sofort wieder zurück. Ich 
hielt die Lomechusa bereits für tot oder wenigstens für tötlich ge- 
lähmt, und nahm sie heraus. Auf meiner Hand begann sie jedoch 
sofort munter umherzulaufen, ohne Zeichen einer Lähmung. Hierauf 
setzte ich sie vorsichtig in das Myrmica-Nest zurück; sie nahm da- 
selbst sofort wieder ihre steife Haltung an und blieb an der Stelle, 
wo ich sie hingesetzt, regungslos sitzen. Die Ameisen, die herzu- 
kamen, berührten den Käfer mit ihren Fühlern und öffneten miss- 
trauisch die Kiefer, griffen ihn aber nicht an. Nach einer halben 
Stunde befand sich die Lomechusa immer noch an demselben Platze 
und in derselben Stellung, mit gesenktem Kopf, seitlich etwas ausge- 
streckten Beinen und schwach aufgerolltem Hinterleib, wie tot. Als 
ich am Abend wieder nachsah, saß die Lomechusa an einer anderen 
Stelle im Neste, immer noch abseits von den Ameisen. Als ich sie 
mit einer Pinzette berührte und zum Umherlaufen zwang, wurde sie 
von den begegnenden Ameisen wiederholt mit geöffneten Kiefern an- 
gefahren. Die Myrmica schienen jedoch kaum geringeren Respekt 
vor der Lomechusa zu haben, als diese vor ihnen; denn sie wichen 
sofort zurück, wenn sie nach ihr gekneipt hatten, und liefen weiter. 
So lange der Käfer ruhig dasaß, wurde er nicht behelligt, sondern 
nur bie und da prüfend mit den Füblerspitzen berührt. 

Am 11. Juli saß die Lomechusa noch immer abseits von den 
Ameisen in ihrer gestrigen Haltung. Ameisen, die sich ihr näherten, 
öffneten zwar manchmal misstrauisch ihre Kiefer, kneipten aber nur 
selten nach ihr. Als ich die Lomechusa näher heransetzte zu den bei 
ihren Larven und Puppen versammelten Myrmica, wurde sie wiederum 
häufiger angefahren und in den Hinterleib gezwickt. Sie ließ mit 
schlaff herabhängenden Fühlern alles über sich ergehen, ohne sich 
zu regen. Ich nahm sie nun heraus und that sie in Alkohol. 

Obwohl Myrmica scabrinodis, ruginodis, laevinodis die nahen Ver- 
wandten von Lomechusa, Atemeles emarginatus und paradoxus, als 
Gäste haben, ist doch eine gastliche Aufnahme von Lomechusa stru- 
mosa bei den genannten Myrmica nicht möglich. Sie scheint sieh 
auch ihrerseits bei diesen Ameisen sehr unbehaglich zu fühlen und 
durch die erlittenen Misshandlungen in Lethargie zu verfallen; da- 
durch ist die Anknüpfung eines gastlichen Verhältnisses ausgeschlosser, 
da die Initiative zu denselben von dem Gaste auszugehen pflegt. 





Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 657 


19) Die Beziehungen von Lomechusa sirumosa zu Myrmica 
rubida Ltr. 


Die Versuche über die Aufnahme von Lomechusa und Atemeles 
bei Myrmica rubida gehören zu den lehrreiehsten Experimenten über 
die internationalen Beziehungen der echten Ameisengäste. Myrmica 
rubida ist unsere größte einheimische Myrmieide, von der Größe der 
F. rufa, aber schlanker. Sie besitzt einen empfindlichen Stachel, aber 
im Gegensatz zu ihren kleineren, sehr reizbaren Verwandten (Myrmica 
laevinodis ete.) ein gutmütiges und friedsames Temperament. M. rubida 
ist eine Gebirgsameise und kommt deshalb in Holland nieht vor. 
Ich brachte Anfang September 1890 ein Nest dieser Ameise von Feld- 
kirch (Vorarlberg) mit nach Exaeten und gesellte zu ihr die Gäste 
aus den Sand- und Haideflächen von Holländisch Limburg. 

Am 4. September setzte ich eine Lomechusa (Nr. 1), die ich an 
demselben Tage bei F. sanguinea gefangen hatte, zu den Myrmica 
rubida. Sie wurde anfangs von mehreren Ameisen mit den Kiefern 
gepackt, von einigen sogar mit eingekrümmtem Hinterleib zu stechen 
gesucht. Diese Angriffe dauerten jedoch nur wenige Minuten. Nach 
einer Viertelstunde schien die Lomechusa bereits aufgenommen zu 
sein. Sie saß mitten unter den Ameisen und wurde wiederholt be- 
leckt, zuerst nur kurz und oberflächlich, bald aber eifriger und an- 
haltender, besonders auf dem Hinterleib; sie verhielt sich hiebei ganz 
ruhig. Um zu sehen, ob die Fühlerschläge der Lomechusa ihre rasche 
Aufnahme bewirkten, setzte ich nun ein Exemplar, dem ich beide 
Fühler an der Basis abgeschnitten, zu den M. rubida. Diese Lomechusa 
(Nr. 2) wurde anhaltender und heftiger angefahren, gebissen und mit 
eingekrümmten Hinterleib gestochen. Näherte sich dagegen eine Ameise 
der anderen Lomechusa (Nr. 1), so öffnete sie zwar manchmal noch 
ihre Kiefer, während sie den Gast mit den Fühlerspitzen berührte, 
wurde aber sogleich durch sein Fühlertrillern beruhigt und ging 
weiter oder beleckte ihn oberflächlich. Die Angriffe auf die Fühler- 
lose dauerten an. Nach kurzer Zeit zeigte sie bereits Lähmungs- 
erscheinungen an den Beinen infolge der erhaltenen Stiche. Das linke 
Mittelbein war ganz steif und der Käfer sehwankte wie betrunken 
hin und her. Ich setzte an demselben Tage noch eine unversehrte 
Lomechusa (Nr. 3) in das Myrmica-Nest. Diese wurde anfangs auch 
angegriffen, aber weniger heftig. Schon glaubte ich, der Stachel 
werde diesmal gar nicht zur Anwendung kommen, als ich plötzlich 
bemerkte, wie eine ziemlich kleine Arbeiterin den Käfer an einem 
Vorderbeine packte und zu stechen versuchte. Die Lomechusa reagierte 
heftig mit hoch aufgekrümmten Hinterleib und starken Geruchssalven. 
Dadurch wurde die Angreiferin noch heftiger gereizt und stach mehrere 
Minuten lang auf das Bein des Käfers los, das sie mit ihren Kiefern 
festhielt. Durch die Geruchssalven der Lomechusa wurde das Be- 

XII, 12 


658  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


obachtungsnest mit dem Lomechusa-Geruch erfüllt und auch die übrigen 
Myrmica wurden unruhig. Nach etwa drei Minuten ließ die Ameise 
den Käfer endlich los, und dieser lief ängstlich weiter, das betreffende 
Bein steif nachschleppend. 

Als ich an demselben Abend wieder in das Myrmica-Nest hinein- 
sah, zeigten alle drei Lomechusa Zittern an den Beinen und hinkten 
beim Laufen. Die Fühlerlose (Nr.2) war allerdings im schlimmsten 
Zustande, schon dem Tode nahe. Die Lähmungserscheinungen der 
beiden anderen Exemplare, die nicht mehr angegriffen sondern im 
Vorübergehen öfters beleckt wurden, waren eine Nachwirkung der 
Stiche, die sie beim ersten Angriffe erhalten hatten. 

An demselben Abend beobachtete ich, wie eine Myrmica rubida 
anhaltend und eifrig die Oberseite des Hinterleibes der Lomechusa 
Nr. 1 beleckte. Der Käfer trillerte mit zurückgebogenem Kopf auf die 
Ameise. Die Beleckung dauerte 2!/, Minuten unausgesetzt. Die Ameise 
hielt ihren Kopf über die Hinterleibsspitze des Käfers gebeugt und 
steckte ihn zwischen seinen aufgerollten Hinterleib und die Flügel- 
deeken, um zu den gelben Haarbüscheln zu gelangen. Sie schien an 
der Lomechusa Gefallen zu finden; denn sie blieb bei ihr sitzen und 
begann nach einigen Minuten wiederum sie zu belecken, ebenfalls 2 
bis 3 Minuten lang. Die Fühlerlose (Nr. 2) wurde unterdessen noch 
wiederholt angegriffen, aber nicht mehr gestochen. Die Lomechusa 
Nr. 3, die anfangs von einer kleinen Arbeiterin gestochen worden war, 
lag mit zuckenden Beinen auf’ der Seite. Um 7 Uhr Abends hinkte 
die Lomechusa Nr. 1, die beiden anderen lagen zuckend auf dem 
Rücken. Die Fühlerlose wurde in dieser Stellung von einer vorüber- 
gehenden Myrmica beleckt. Ich nahm die Lomechusa Nr. 3 heraus 
und untersuchte sie näher. Die Lähmung, die ursprünglich nur an 
dem einen gestochenen Beine aufgetreten, hatte sich bereits auf 5 Beine 
ausgedehnt. Ich setzte das Exemplar in Alkohol. 

Am Morgen des 5. September war die Fühlerlose (Nr. 2) gestorben. 
Die andere (Nr. 1) hatte sich ziemlich gut erholt und zeigte nur noch 
ein leichtes Hinken am rechten Vorder- und Mittelbein. Sie spazierte 
unter den Ameisen umher, ohne angegriffen zu werden. Die Myrmica 
schenkten ihr fast gar keine Aufmerksamkeit; sie wurde nur hie und 
da im Vorübergehen mit den Fühlern berührt. Ich setzte nun eine 
neue, ihrer Fühler beraubte Lomechusa (Nr.4) in das Nest. Diese 
wurde anfangs von mehreren Ameisen mit geöffneten Kiefern ange- 
fahren, aber nicht gestochen. Die fühlerlose Lomechusa bewegte bei 
diesen Angriffen ihren Kopf, als ob sie mit den Fühlern trillern wollte. 
Die Angriffe waren anfangs ziemlich heftig, hörten jedoch schon nach 
5 Minuten allmählich auf. Nur eine kleine Arbeiterin hielt den Käfer 
längere Zeit an den gelben Haarbüscheln fest und zerrte an ihnen, 
worauf er seinen Körper zur Abwehr in zitternde Bewegung ver- 
setzte. 











Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 659 


Eine Viertelstunde später gab ich eine neue Lomechusa (Nr. 5), 
ein schönes, unversehrtes Exemplar, unmittelbar von F\. sanguinea in 
das Myrmica-Nest. Sie wurde trotz ihres Umherlaufens nicht an- 
gegriffen, selbst nieht bei der ersten Begegnung. Ihre Fühlerschläge 
schienen die Ameisen sofort zu beschwichtigen. Die Myrmica rubida 
hatten sich bereits an die Lomechusa gewöhnt und nahmen deshalb 
auch neue Exemplare ohne Feindseligkeit auf. An demselben Tage 
beobachtete ich hie und da, aber sehr selten, die Beleckung einer 
Lomechusa. Nähere Erwähnung verdient die Beleckung der Fühler- 
losen (Nr. 4), die ungefähr 4'/, Minuten dauerte. Die Ameise zog 
anfangs ziemlich heftig an den gelben Haarbüscheln des Käfers, ließ 
dieselben dann durch ihre Kiefer gleiten, während sie mit der Zunge 
daran leckte. Dann wurde die Hinterleibsspitze des Gastes mit halb- 
geöffneten Kiefern beleckt; hierauf beleckte die Ameise seinen Kopf 
und nahm ihn hiebei zwischen die Kiefern, ohne jedoch den Käfer 
zu beißen, der sich ganz ruhig verhielt. Schließlich wurden Hinter- 
leibsspitze und Hinterleibsseiten der Lomechusa mit geschlossenen 
Kiefern beleckt. 

Am 6. September saßen die 3 Lomechusa (Nr. 1, 4, 5) unter den 
Ameisen und wurden nicht angegriffen, als ich in das Nest hineinblies 
und die Ameisen heftig reizte. Die Lähmung am rechten Vorder- 
und Mittelbein von Lomechusa Nr. 1 hatte sich verschlimmert und der 
Käfer hinkte stark; ich setzte ihn in Alkohol. Nr. 4 u. 5 befanden 
sich völlig gesund und wohl. 

Am Morgen des 7. September lag die Fühlerlose (Nr. 4) tot im 
Neste. Die Lomechusa Nr. 5 war wohlauf. Ich setzte nun ein neues, 
unversehrtes, kräftiges Exemplar (Nr. 6) von F. sanguinea unmittelbar 
in das Myrmica-Nest. Sie wurde gleich der vorigen nicht ange- 
griffen, obgleich sie anfangs unruhig umherlief. Die Ameisen berührten 
sie bei Begegnung mit den Fühlerspitzen; aber nur eine einzige öffnete 
hiebei misstrauisch ihre Kiefer, um sie sogleich wiederum beruhigt 
zu schließen. In den folgenden Tagen ging es den zwei Lomechusa 
bei M. rubida gut. Die Ameisen gaben sich jedoch wenig mit ihnen 
ab, wegen der geringen Initiative dieser Gäste. 

Am 12. Sept. setzte ich den ersten Atemeles emarginatus in das- 
selbe Nest von M. rubida, am 16. den ersten At. paradoxus. Da die 
näheren Einzelheiten der Aufnahme von Atemeles später zu berichten 
sein werden, sei hier nur bemerkt, dass die Anwesenheit der zwei 
bereits aufgenommenen Lomechusa die Aufnahme der Atemeles nicht 
erleichterte. Die Atemeles, emarginatus wie paradoxus, mussten die- 
selben Schicksale durchmachen wie ehemals die Lomechusa, d. h. die 
ersten Exemplare beider Arten starben infolge der erhaltenen Stiche, 
die folgenden wurden bereitwilliger zugelassen, mehrere derselben 
endgiltig aufgenommen. Am 21. September war die eine der beiden 
Lomechusa tot, am 23 folgte die andere. Beide starben eines natür- 


660 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


lichen Todes und schienen sich bis kurz vor ihrem Ende ganz wohl 
zu befinden, obgleich ich keine einzige Fütterung einer Lomechusa 
durch M. rubida beobachtet habe. Während es den Lomechusa trotz 
ihrer diesen Ameisen ebenbürtigen Größe nieht gelang, von M. rubida 
gefüttert zu werden, brachten es zwei Atemeles emarginatus und ein 
paradoxus nach vierzehntägigen, vergeblichen Zudringlichkeiten end- 
lich dahin, dass sie von den ihnen an Größe dreifach überlegenen 
Ameisen gefüttert wurden. Die erste Fütterung eines Atemeles durch 
M. rubida sah ich am 7. Oktober. Näheres über diese interessanten 
Vorgänge bei den internationalen Beziehungen der Atemeles. 


20) Die Beziehungen von Lomechusa struumosa zu Leptothorax 
tuberum F. und Formixenus nitidulus Nyl. 

Im Mai 1891 hatte ich in Mariaschein (Nordböhmen) ein zu- 
sammengesetztes Nest von F\ sanguinea — fusca mit Leptothorax 
tuberum gebildet, indem ich eine kleine Kolonie der letzteren Ameise 
in das Beobachtungsnest der ersteren setzte. Die Leptothorax hielten 
sich verborgen und schienen von den sanguinea und fusca kaum be- 
merkt zu werden. Bei den sanguinea befand sich eine Lomechusa 
(vergl. S. 590). Ich nahm dieses zusammengesetzte Nest später mit 
nach Prag und setzte daselbst meine Beobachtungen fort. Die kleinen 
Leptothorax benahmen sich sehr friedfertig, und wenn eine derselben 
zufällig der Lomechusa begegnete, nahm sie von dem Käfer nicht die 
geringste Notiz. 

Von März bis Juli1889 hielt ich in dem großen Lubbock’schen 
Beobachtungsnest, welches eine Polyergus — fusca -Kolonie beher- 
bergte (vergl. oben S. 645) eine Anzahl Formicoxenus nitidulus, die 
ich von ihrer normalen Wirtsameise (F. rufa) dorthin versetzt hatte. 
Von der Anwesenheit der kleinen, glänzenden Gastameisen war für 
gewöhnlich nichts zu bemerken. Nur sehr selten zeigte sich eine 
Formicoxenus-Arbeiterin außerhalb ihres Versteckes. Begegnete sie 
zufällig einer Lomechusa, so ignorierte sie den Käfer vollständig. 


21) Vergleichender Rückblick über die internationalen Bezieh- 
ungen von Lomechusa strumosa. 
I. Zusammenfassung der Ergebnisse. 

1) Unverzüglich aufgenommen wurde Lomechusa strumosa: 
a. Von F. sanguinea fremder Kolonien 
b. Von F\ rufa (Gastlich behandelt). 
c. Von F'. pratensis 
d. Von Polyergus rufescens (bloß geduldet). 

2) Nach anfänglichen Feindseligkeiten aufgenommen 

wurde L. strumosa: 

a. Von F. fusca. 
b. Von F. rufibarbis. 











Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 661 


c. Von F. exsecta. 
d. Von Myrmica rubida. 


3) Nicht aufgenommen wurde Lomechusa strumosa: 


a. Von Camponotus ligniperdus. 

b. Von Myrmica scabrinodis. 

ec. Von Myrmica ruginodis. 

d. Von Myrmica laevinodis. 

e. Von Lasius flavus. 

f. Von Lasius niger. 

g. Von Tapinoma erraticum. 

h. Von Tetramorium caespitum. 

i. Von Leptothorax tuberum und Formicoxenus nitidulus. 


4) Zweifelhaft blieb das Benehmen: 


Ad. 


Ad 2. 


a. Von Lasius fuliginosus. 
b. Von Lasius umbratus. 


Il. Schlussfolgerungen und Bemerkungen zu 1. 


Lomechusa strumosa ist völlig international nur 
gegenüber fremden Kolonien ihrer normalen Wirts- 
ameisenart (F.sanguinea) und gegenüber jenen ver- 
wandten Formica-Arten!), welche dieselbe Körper- 
größe besitzen (F. rufa und pratensis). Gegenüber 
Polyergus rufescens ist Lomechusa bloß negativ inter- 
national, d.h. sie wird indifferent geduldet, und ihrer Auf- 
nahme durch die Hilfsameisen kein Hindernis entgegengesetzt. 
Daher wird bei F. sanguinea das Benehmen der Hilfsameisen 
(F. Jusca und rufibarbis) gegenüber Lomechusa durch das Be- 
nehmen ihrer Herren beeinflusst (S. 594 fi.), bei Polyergus rufes- 
cens nicht. Aus demselben Grunde richtet sich das Benehmen 
der Hilfsameisen von sanguinea gegenüber Lomechusa durch- 
schnittlich nach der ersten Klasse (unverzügliche Aufnahme), 
dasjenige der Hilfsameisen von Polyergus neigt zur zweiten 
Klasse (Aufnahme nach anfänglichen Feindseligkeiten). 
Unter jenen Ameisen, welche die Lomechusa nach anfäng- 
lichen Feindseligkeiten aufnahmen, sind drei Formica- 
Arten, die merklich kleiner sind als Lomechusa und als deren 
normale Wirtsameise; ferner eine Myrmica-Art, die an Größe 
der F. sanguwinea gleichkommt. Bei F. fusca und rufibarbis, 
welche selber nahe Verwandte von Lomechusa als normale 
Gäste haben, wurde die Lomechusa nicht nur beleckt sondern 
auch gefüttert, während ich bei F. exsecta und Myrmica rubida 
eine Fütterung wenigstens nicht beobachtet habe. 


1) Ich fasse hier den Namen „Art“ nicht im strengen systematischen 


Sinne, nach welchem z. B. F. rufa und pratensis nur als Rassen einer und 
derselben Art zu betrachten sind. 


662  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


Ad 3. Unter jenen Ameisen, welche die Lomechusa nicht auf- 
nahmen, befindet sich eine sehr große Formieide, die be- 
deutend größer ist als die Lomechusa (Camponotus ligniperdus).; 
ferner drei Myrmieiden, die kaum halb so groß sind als die 
Lomechusa (Myrmica scabrinodis, ruginodis, laevinodis); endlich 
zwei Formiciden (Lasius niger, flavus), eine Dolichoderide 
(Tapinoma) und drei Myrmiciden, welche sämtlich viel kleiner 
sind als die Lomechusa. Die meisten der genannten Arten 
misshandelten die Lomechusa, ihrem kampflustigen Charakter 
entsprechend. Dagegen begnügten sich die friedfertigen Lepto- 
thorax und Formicoxenus damit, den Gast zu ignorieren. Einen 
Mittelweg schlug Lasius flavus ein, indem sie den unangenehmen 
Eindringling mit Erde bedeckte. 


22) Erklärungsversuch der internationalen Beziehungen von 
Lomechusa strumosa. 


Welche Faktoren sind maßgebend für die Aufnahme von Lomechusa 
strumosa bei Ameisen fremder Kolonien und fremder Arten? Um 
diese ebenso interessante wie schwierige Frage einigermaßen beant- 
worten zu können, müssen wir folgende Punkte unterscheiden: 

1) Worauf beruht der internationale Charakter von Lomechusa 
strumosa gegenüber Formica sanguinea? 

2) Worauf beruht ihre Internationalität gegenüber F. rufa und 
pratensis? 

3) Wie ist ihre friedliche Duldung bei Polyergus rufescens zu 
erklären ? 

4) Wie ist das Verhalten jener Ameisen zu deuten, welche die 
Lomechusa nach anfänglichen Feindseligkeiten aufnahmen? 

5) Warum ward Lom. strumosa bei so vielen anderen Ameisen- 
arten nicht aufgenommen? 


1) Worauf beruht der internationale Charakter des Gast- 
verhältnisses von Lomechusa strumosa zu F. sanguinea? 


Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass ein ererbter, 
angeborener Instinkt der F. sanguinea die Hauptursache ist 
für die unmittelbare Aufnahme jenes Gastes in allen sanguinea-Kolonien. 
Denn Lomechusa wird von F. sanguinea unverzüglich aufgenommen, 
nicht bloß in solchen Kolonien, die schon andere Exemplare desselben 
Gastes besitzen, sondern auch in solchen, welehe noch keine Lomechusa 
hatten. Sie wird unverzüglich aufgenommen, mag sie nun aus fremden 
sanguinea-Kolonien oder von irgend welchen anderen Ameisenarten in 
das sanguinea-Nest gesetzt werden. Sie wird unverzüglich aufgenommen 
selbst bei autodidaktischen sanguinea, die weder durch eigene Er- 
fahrung die Annehmlichkeiten des Gastes kennen, noch auch durch 








Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 6659 


das Beispiel älterer Gefährtinnen zu seiner gastlichen Behandlung 
angeregt werden konnten. 

Wie bethätigt sich der genannte ererbie Instinkt von F\ sanguinea? 
Dadurch, dass Lomechusa strumosa auf das sinnliche Wahrnehmungs- 
vermögen dieser Ameisen einen angenehmen Eindruck macht, welcher 
in den Ameisen sofort den entsprechenden Trieb zur gastlichen Be- 
handlung des Käfers anregt. F. sanguinea braucht eine fremde Lo- 
mechusa strumosa nur mit den Fühlerspitzen zu berühren, um sie so- 
gleich als ihren Stammgast zu erkennen. Diese Erkennung geschieht 
wohl durch die von Forel als Berührungsgeruch (odeur au 
contact) bezeichnete Wahrnehmung, die als eine uns nicht näher be- 
kannte Verbindung von Geruchs- und Tastsinn aufzufassen ist. 

Auch eine fühlerlose Lomechusa wurde von F. sanguinea sofort 
erkannt und aufgenommen, nachdem die Ameisen den Käfer mit den 
Fühlerspitzen berührt hatten (S. 599). Hieraus darf man schließen, 
dass die Fühlerschläge der Lomechusa, die Ameisenähnlichkeit ihres 
Fühlerverkehrs, nur eine untergeordnete Bedeutung haben für ihre 
Aufnahme bei dieser Ameise. Der Umstand, dass Lomechusa stru- 
mosa, auch im fühlerlosen Zustande, von F. sanguinea selbst dann 
aufgenommen wurde, wenn sie unmittelbar vorher von fremden Ameisen 
mit Gift bespritzt worden war (8.598, 599, 643, 649, 651), deutet an, 
dass bestimmte Eigenschaften der Lomechusa auf die Fühlersinnesorgane 
ihrer normalen Wirtsameise einen sehr charakteristischen Eindruck 
machen. Inwieweit der Geruchs- und der Tastsinn in diese Sinnes- 
wahrnehmung sich teilen, dürfte kaum zu ermitteln sein. Immerhin 
besteht kein Zweifel, dass auch der erstere Sinn dabei im Spiele ist, 
obwohl wir uns schwer vorstellen können, wie eine Ameise bereits 
beim ersten Fühlerschlage den eigentümlichen Geruch der Zomechusa 
von dem ihr anhaftenden, viel intensiveren, fremden Geruche zu unter- 
scheiden vermag'!). Für die Intensität des Eindruckes, den die Lo- 
mechusa auf das Wahrnehmungsvermögen ihrer normalen Wirtsameise 
macht, sprieht besonders die Thatsache, dass selbst eine mit zer- 
quetschten Zasius fuliginosus eingeriebene Lomechusa von ihren Wirts- 
ameisen rasch wiedererkannt ward, während eine F. sanguinea, welcher 
derselbe feindliche Geruch in geringerem Maße anhaftete, von ihren 
eigenen Gefährtinnen längere Zeit misshandelt wurde (S. 651). 

Lomechusa strumosa macht somit auf das sinnliche Wahrnehmungs- 
vermögen von F\. sanguinea nicht sosehr den Eindruck einer be- 

4) Aehnliche Rätsel bieten sich uns übrigens auch in den gemischten 
Kolonien der Ameisen, indem z. B. F\. sanguinea die zu ihrer Kolonie gehörigen 
F. fusca durch Berührungsgeruch als Nestgenossen erkennt, obwohl dieselben 
einen anderen spezifischen Geruch haben. Der Umstand, dass ihrer Fühler 
beraubte Gefährtinnen von den Ihrigen zwar noch durch Fühlerschläge erkannt 
werden, während sie selber dieses Unterscheidungsvermögen verloren haben, 


scheint zu beweisen, dass es im Fühlerverkehre der Ameisen nicht um eine 
Zeichensprache (Parole) sich handelt. 


6654 Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


freundeten Ameise, als vielmehr den Eindruck eines zwar ameisen- 
ähnlichen, aber immerhin ganz eigenartigen Wesens, 
Für den Vorstellungskreis der F\. sanguinea scheint Lomechusa strumosa 
ein angenehmes Ens sui generis, ein Ameisenfreund im 
eigentlichen Sinne zu sein. 

Die Annehmichkeit der Lomechusa für die Ameisen beruht zwar 
objektiv hauptsächlich auf dem Besitze der gelben Haarbüschel, deren 
Beleckung den Ameisen einen hohen gastronomischen Genuss zu be- 
reiten scheint. Aber die ganze Erscheinung dieses Käfers übt auf 
das sinnliche Wahrnehmungsvermögen seiner normalen Wirtsameise 
bereits einen entscheidenden angenehmen Einfluss aus, bevor die 
Ameise die individuelle Erfahrung jenes Genusses gemacht hat. Hierin 
besteht eben das Instinktive ibrer Freundschaft für L. strumosa. Das 
Benehmen des Gastes gegenüber den Ameisen ist für seine gastliche 
Behandlung allerdings insofern auch von Bedeutung, als seine Fühler- 
schläge dazu dienen, allzu heftig leckende Ameisen zu beschwichtigen; 
ferner insofern, als die Lomechusa durch ihre Fühlerschläge und durch 
Beleckung der Mundgegend der Ameise diese zur Fütterung reizt. 
In diesem Benehmen des Gastes ist jedoch nur eine unvollkommene 
Nachahmung des Benehmens der Ameisen enthalten, weil er sie nicht 
nach Ameisenart zur Fütterung auffordert, indem er nämlich nicht 
mit erhobenen Vorderfüßen die Kopfseiten der Ameise streichelt. Ein 
solches vollendet ameisenähnliches Benehmen ist unter allen mir be- 
kannten echten Gästen nur den Atemeles eigen. Daher füttert F san- 
guinea die Lomechusa nicht wie eine Ameise sondern wie eine 
Ameisenlarve; ja sie überträgt diese Behandlungsweise ihres 
normalen Gastes sogar auf die Atemeles, obgleich letztere sie nach 
Ameisenart zur Fütterung auffordern. Weitere Vergleichspunkte 
zwischen Atemeles und Lomechusa können erst am Schlusse der inter- 
nationalen Beziehungen der Atemeles erwähnt werden. Hier sei nur 
noch bemerkt, dass bei der plumperen und unbeholfenere Lomechusa 
der unmittelbare angenehme Eindruck, den sie auf das Wahrnehmungs- 
vermögen ihrer normalen Wirtsameise macht, relativ stärker und un- 
beschränkter ist, während die Ameisenähnlichkeit ihres Benehmens 
nicht nur geringer, sondern auch von relativ geringerer Bedeutung 
für das Gastverhältnis ist als bei Atemeles emarginatus und paradoxus. 

In den genannten Punkten dürfte das Wesentlichste enthalten 
sein, was wir aus den internationalen Beziehungen von Lomechusa 
strumosa über die Psychologie ihres Gastverhältnisses zu 
F. sanguinea ermitteln können. 

Auf das Benehmen der Hilfsameisen von sanguinea gegenüber 
Lomechusa strumosa brauche ich hier nieht weiter zurückzukommen, 
da schon oben (8. 594 u. 595) angedeutet wurde, weshalb Formica 
Fusca und rufibarbis als Hilfsameisen von sanguinea jenen Gast leich- 
ter und unverzüglicher aufnehmen als in ihren selbständigen Kolonien. 











Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 665 


Außer dem dort erwähnten Umstande, dass die Lomechusa meist den 
sanguinea zuerst begegnet, von ihnen beleckt wird und hiedurch den 
Freundesgeruch mitgeteilt erhält, dürfte auch das Beispiel der Herrin 
unmittelbar auf den Nachahmungstrieb der Hilfsameise wirken und 
diese zur gastlichen Behandlung anregen. 


2) Worauf beruht die Internationalität von Lomechusa 
strumosa gegenüber F. rufa und pratensis? 


Lomechusa wird bei diesen beiden Ameisen ebenso rasch oder 
fast ebenso rasch aufgenommen wie bei F. sanguinea. Ferner konnte 
die Fühlerlosigkeit einer Lomechusa ihre Aufnahme bei F. rufa zwar 
verzögern, aber nicht verhindern (S. 599) und eine mit Lasius fuligi- 
nosus eingeriebene Lomechusa wurde von F. pratensis aufgenommen, 
nachdem die Ameisen den Käfer mit ihren Fühlerspitzen untersucht 
hatten (S. 651). 

L. strumosa macht somit auf das sinnliche Wahrnehmungsvermögen 
dieser beiden Rassen der Waldameise einen ähnlichen instinktiven 
Eindruck wie auf F. sanguinea, mit welcher sie nahe verwandt sind 
und dieselbe Körpergröße besitzen. Andererseits scheint es jedoch, 
dass für die Aufnahme dieses Gastes bei rufa und pratensis seine 
Fühlerschläge von größerer Bedeutung sind als bei F. sanguwinea; 
denn die fühlerlose Lomechusa wurde bei sanguinea unverzüglich auf- 
genommen, bei rufa längere Zeit misshandelt, während die im Besitze 
ihrer Fühler befindlichen Exemplare in demselben rufa-Neste unmittel- 
bar Aufnahme fanden (S. 598 u. 599). 

F. rufa und pratens’s besitzen also einen ererbten Instinkt zur 
gastlichen Behandlung von Lomechusa strumosa, wenngleich nicht in 
demselben Grade wie F. sanguinea. Hieran knüpft sich die Frage, 
weshalb man diesen Gast trotzdem nur so selten in den Waldameisen- 
nestern antrifft, während er bei sanguinea in derselben Gegend häufig 
vorkommt. Man könnte vielleicht geneigt sein, die instinktive Neigung 
der Waldameisen für L. strumosa entwicklungsgeschichtlich zu er- 
klären, nämlich durch die Vermutung, das Gastverhältnis der Lomechusa 
sei schon so alt, dass es bereits zur Zeit bestand, wo rufa und pra- 
tensis sich noch nicht von sanguinea differenziert hatten. Leider 
stehen uns für diese Vermutung keine weiteren Anhaltspunkte zu 
gebote, und falls sie auch richtig wäre, vermöchte sie die Seltenheit 
der Lomechusa bei F. rufa und pratensis noch nicht zu erklären. Was 
wir aus den Thatsachen entnehmen können, ist nur, dass Lomechusa 
strumosa durch ihre ganze Erscheinung, besonders aber durch ihre 
Fühlerschläge, auf jene Formica, welche dieselbe Größe besitzen wie 
dieser Gast, einen angenehmen Eindruck macht und sie zur gastlichen 
Behandlung anregt. Dass Lomechusa trotzdem nur bei einer dieser 
großen Formica- Arten, nämlich bei sangwinea, für gewöhnlich vor- 
kommt, begreift sich am besten aus der Behandlungsweise ihrer 


666  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


Larven bei den verschiedenen Formica-Arten. F. rufa und pratensis 
geben sich bei weitem nicht so eifrig mit der Pflege der Lomechusa- 
Larven ab wie F. sangwinea!). Da letztere Ameise auch für die 
Pflege der Imago die größte Neigung und das größte Geschick besitzt, 
ist es begreiflich, dass L. strumosa der eigentümliche Gast von F. 
sangırinea ist. 


3) Wie ist die friedliche Duldung von Lomechusa stru- 
mosa bei Polyergus rufescens zu erklären? 


Polyergus greift die Lomechusa nicht an, sondern pflegt sie bei 
Begegnung nur mit den Fühlerspitzen zu berühren. Dies deutet an, 
dass der Gast auf ihr sinnliches Wahrnehmungsvermögen instinktiv 
einen angenehmen oder wenigstens friedlich indifferenten Eindruck 
macht. Polyergus ist ungefähr von derselben Größe wie Lomechusa; 
aber ebenso friedlich behandelt Polyergus auch die weit kleineren 
Atemeles emarginatus und paradoxus, während dieselben z. B. bei F. 
rufa und pratensis feindlich angegriffen und getötet wurden. Ob die 
Lomechusa und Atemeles auf die ziemlich dummen Polyergus den Ein- 
druck einer befreundeten Formica- Arbeiterin (Hilfsameise) machen, 
oder aber den Eindruck eines angenehmen ens sui generis, ist 
schwer zu entscheiden. Ich glaube eher das Letztere, weil Polyergus 
sonst manchmal auch einen dieser Gäste zur Fütterung auffordern 
würde, was ich nie beobachtet habe. 

Die Duldung, welche Lomechusa bei Polyergus genießt, ist ganz 
verschieden von dem indifferenten Verhalten der Leptothorax und 
Formicoxenus gegen denselben Gast. Polyergus ist sehr reizbar und 
kampflustig und würde über jede fremde Ameise und über jeden 
Käfer von derselben Größe herfallen und sie töten; sie duldet die 
Lomechusa, weil diese ihr einen angenelimen Eindruck macht. Die 
genannten kleinen Ameisen dagegen würden eine Ameise oder einen 
Käfer von Lomechusa-Größe ebenso ignorieren wie die Lomechusa, 
weil sie furchtsam und friedfertig sind. 


4) Wie ist das Verhalten jener Ameisenarten zu erklären, 
welche die Lomechusa nach anfänglichen Feindselig- 
keiten aufnahmen? 


Diese Ameisen haben offenbar keinen ererbten Instinkt zur un- 
mittelbaren Aufnahme der ZLomechusa. Der erste Eindruck, den die 
Erscheinung des Käfers auf ihr Wahrnehmungsvermögen macht, er- 
regt Misstrauen und Streitlust. Erst allmählich lassen sie sich durch 
seine Fühlerbewegungen besehwichtigen und beginnen auch, ihn zu 
belecken, sobald. sie zufällig die Annehmlichkeit erfahren haben, 
welche die Berührung der Ameisenzunge mit den gelben Haarbüscheln 





1) Näheres bei den internationalen Beziehungen der Lomechusa-Larven. 








Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa, 667 


des Käfers bietet. So finden sie allmählich Gefallen an dem Gaste, 
der anfangs für sie ein fremdartiges und deshalb feindliches Wesen war. 

Es ist bemerkenswert, dass zu den Ameisen, welche die Lomechusa 
auf diese Weise aufnahmen, drei kleinere Formica- Arten und eine 
große Myrmica-Art gehören. Der Unterschied in der Körpergröße, 
der zwischen Lomechusa strumosa und Formica fusca, rufibarbis, exsecta 
besteht, scheint zu bewirken, dass die Fühlerschläge des Gastes nicht 
sofort die Angreifer beschwichtigen, wie es bei den größeren F\ rufa 
und pratensis der Fall ist. Formica fusca und rufibarbis, welche 
wenigstens zu bestimmten Jahreszeiten Lomechusa-ähnliche Gäste 
(Atemeles emarginatus bezw. paradoxus) als normale Pfleglinge haben, 
lassen sich auch bald zur Fütterung der Lomechusa bewegen. Doch 
füttern sie die Lomechusa gleich F. sanguinea nach Larvenart, während 
sie die Atemeles, ihrem ameisenähnlicheren Benehmen entsprechend, 
nach Ameisenart füttern; dagegen füttert F. sanguinea auch die Atemeles 
wie Ameisenlarven, obwohl dieselben sie nach Ameisenart zur Fütterung 
auffordern; vielleicht ein Zeichen, dass F\. sanguinea einen Ameisen- 
gast von einer Ameise deutlicher unterscheidet als jene anderen Formica- 
Arten. 

Besonders interressant ist das Benehmen von Myrmica rubida 
gegenüber Lomechusa strumosa. Obwohl diese Ameise keine normalen 
Gäste hat, gelang es schon den ersten Exemplaren der Lomechusa, 
die Ameisen durch ihre Fühlerschläge allmählich zu besänftigen. 
Aber die Käfer hatten bereits Stiche erhalten, welche ihre Lähmung 
und ihren Tod herbeiführen mussten. Die folgenden Exemplare wurden 
leichter und rascher aufgenommen, weil die Ameisen durch die vor- 
hergehenden Erfahrungen bereits an sie gewöhnt waren. An die 
Atemeles aber mussten sie sich erst aufs Neue gewöhnen, trotz deren 
Aehnliehkeit mit Zomechusa. Die fühlerlosen Lomechusa wurden länger 
misshandelt als die unversehrten Exemplare; dies deutet an, dass die 
Fühlerschläge des Käfers zur Anknüpfung eines freundschaftlichen 
Verhältnisses wesentlich beitrugen; die Ameisen schienen erst allmäh- 
lich zu bemerken, dass die Fühlerlosen ähnliche Wesen seien wie die 
mit Fühlern begabten. Die Gleichheit der Körpergröße von Lomechusa 
und Myrmica rubida erleichterte die Aufnahme dieses Gastes, weil 
sie die Wirksamkeit seiner Fühlerschläge unterstützte; insofern war 
Lomechusa günstiger gestellt als die kleineren Atemeles. Andererseits 
aber gelang es den Lomechusa trotz ihrer ebenbürtigen Größe nicht, 
von den Myrmica auch gefüttert zu werden, weil sie, von der sorg- 
fältigen Pflege durch ihre normalen Wirte gleichsam verwöhnt, nicht 
die nötige Initiative den fremden Ameisen gegenüber entwickelten. 
Die kleineren Atemeles hingegen brachten es schließlich durch ihre 
unermüdliche Zudringlichkeit dahin, ihre viel größeren fremden Wirte 
zur Fütterung zu bewegen. Daraus scheint hervorzugehen, dass die 
Initiative des Gastes von noch größerer Bedeutung ist für die Ent- 


668  Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 


wicklung eines innigen Gastverhältnisses als die Uebereinstimmung 
der Körpergröße von Gast und Wirt; hiebei wird natürlich voraus- 
gesetzt, dass die Verschiedenheit der Körpergröße nicht bis zu dem 
Grade sich steigert, dass sie einen wirksamen Fühlerverkehr unmöglich 
macht. Schließlich sei noch bemerkt, dass der friedfertige Charakter 
von Myrmica rubida die Aufnahme der Lomechusa wie der Atemeles 
ermöglichte, weil er nach der ersten Aufregung fast von selbst zur 
Duldung des Eindringlings führte, wodurch die Grundlage für die 
Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen geboten wurde. 


5) Warum wurde Lomechusa strumosa bei so vielen 
anderen Ameisenarten nicht aufgenommen? 


Bei Camponotus ligniperdus gelang die Aufnahme der Lomechusa 
nicht, weil die Ameisen ihr an Größe und Kraft bedeutend überlegen 
waren und zudem eine Kampfesweise befolgten, durch welche der 
Käfer gleich anfangs schwer verletzt wurde. Wären diese Ameisen 
so friedfertig wie Myrmica rubida, so wären die folgenden Exemplare 
wahrscheinlich leichter aufgenommen worden, und ein Gastverhältnis 
hätte zu Stande kommen können, zumal die kleinere Arbeiterform 
von Camponotus ligniperdus nur wenig größer ist als die Lomechusa. 

Myrmica scabrinodis, ruginodis, laevinod’s sind im Vergleich zu 
Lomechusa zu klein und haben überdies einen reizbaren, heftigen 
Charakter. Daher blieben die beschwiehtigenden Fühlerschläge des 
Gastes erfolglos; die Angriffe hörten erst auf, als die Lomechusa sich 
nicht mehr zu regen wagte. Als Gäste dieser kleineren Myrmica 
passen nur die an Körpergröße ihnen ähnlichen Atemeles, die zudem 
durch die hohe Ameisenähnlichkeit ihres Benehmens sich einschmeicheln. 

Bei Lasius niger und flavus, Tapinoma erraticum und Tetramorium 
caespitum ist der Unterschied in der Körpergröße zwischen ihnen und 
der Lomechusa so bedeutend, dass die Fühlerschläge des Kolosses 
die Ameisen nur noch heftiger erbitterten oder ihre Furcht erregten 
(Lasius flavus). Die Entwicklung eines Gastverhältnisses war somit 
von vornherein ausgeschlossen. Obwohl ferner Leptothorax tuberum 
und Formicoxenus nitidulus wegen ihrer Friedsamkeit keinen Angriff 
auf die Lomechusa wagen, soist doch auch ihnen gegenüber aus dem- 
selben Grunde die Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen für 
Lomechusa unmöglich. Obgleich Lasius flavus und niger sich mit der 
Pflege von Claviger eifrig abgeben, so können sie doch wegen ihrer 
Kleinheit nicht einmal zu Wirtsameisen der Atemeles werden, während 
die größere Lasius fuliginosus, die als normalen echten Gast Amphotis 
marginata hat!), nicht bloß die Atemeles aufnimmt, sondern vielleicht 





1) Erst im letzten Jahre (1891) habe ich die überraschende Beobachtung ge- 
macht, dass Amphotis marginata ein echter Gast ist, während ich ihn früher 
für bloß indifferent geduldet hielt. In der Deutsch. Ent. Ztschr. (1892, 2. Heft) wird 
Näheres über die Fütterung von Amphotis durch die Ameisen mitgeteilt werden. 








Wasmann, Internationale Beziehungen von Lomechusa strumosa. 669 


sogar bis zu einem gewissen Grade mit Lomechusa sich zu befreunden 
vermag. 


Schlussbemerkung. 


Zum Schluss der internationalen Beziehungen von Lomechusa 
strumosa seien diejenigen Faktoren kurz namhaft gemacht, welche 
für die Aufnahme eines echten Gastes bei Ameisen fremder Kolonien 
oder fremder Arten von Bedeutung sein können. Manche dieser Fak- 
toren werden sich bei den internationalen Beziehungen anderer echter 
Gäste wichtiger erweisen, als es bei Lomechusa der Fall war. Dennoch 
sollen sie der Vollständigkeit halber und um den späteren Vergleich 
zu erleichtern, schon hier genannt werden. 


I. Von Seite des aufzunehmenden Gastes sind von Bedeutung: 


1) Seine instinktiven Anziehungsmittel (eigentümlicher Geruch, 
gelbe Sekretionsbüschel, aromatische Sekrete), die auf das 
sinnliche Wahrnehmungsvermögen der Ameisen einen ange- 
nehmen Eindruck machen. 

2) Seine Initiative den Ameisen gegenüber, namentlich in der 
Nachahmung ihres Fühlerverkehrs und der Aufforderung zur 
Fütterung. 


IH. Von Seite der Ameisen, welche den Gast aufnehmen 
sollen: 


1) Die erbliche instinktive Neigung zur Pflege eben dieser 
Gastart. 
2) Die erbliche instinktive Neigung zur Pflege einer nahe ver- 
wandten Gastart. 
3) Die angenehmen Sinneserfahrungen, welche die Ameise bei 
der Berührung des fremden Gastes macht. 
4) Die Aehnlichkeit in der Körpergröße zwischen Ameise und 
Gast und die daraus sich ergebende größere Wirksamkeit 
seiner Fühlerschläge. 
5) Der reizbare oder friedfertige Charakter der betreffenden 
Ameisenart. 
6) Die systematische Verwandtschaft der betreffenden Ameisen- 
art mit der normalen Wirtsameise des aufzunehmenden 
Gastes. 
7) Die Vermittlung der normalen Wirtsameise (bei Aufnahme 
des Gastes in gemischten Kolonien). 
Den nächsten Abschnitt dieser Arbeit werden die internatio- 
nalen Beziehungen von Atemeles emarginatus und para- 
doxus bilden. 


670 Braune, Gewichtsverhältnis beider Hirnhälften. 


W. Braune, Das Gewichtsverhältnis der rechten zur linken 
Hirnhälfte. 
Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Abteilung. 1891. S. 253—270. 


Nach den Angaben von Boyd, Ogle, Broca und Topinard 
ist beim Menschen die linke Hirnhälfte stärker entwickelt als die 
rechte, sowohl in Beziehung auf Windungen als Gewicht. Lombroso 
bemerkt, dass bei Verbrechern die rechte Hemisphäre öfter schwerer 
sei als die linke. Ogle bringt diese Thatsache in Zusammenhang 
mit der Rechts- und Linkshändigkeit und glaubt, dass Rechtshändige 
eine schwerere linke und Linkshändige eine schwerere rechte Hirn- 
hälfte hätten. Ausgehend von der Größe der Fehlergrenze beim 
Wägen und Vergleichen infolge der Unmöglichkeit einer genauen 
Teilung und des unkontrolierbaren Wasserverlustes prüft B. die oben 
genannte Litteratur und findet, dass die angegebenen Gewichtsunter- 
schiede noch innerhalb der Fehlergrenzen liegen. Ebenso sind die 
von Ogle für seine Theorie der Rechts- und Linkshändigkeit an- 
geführten Beobachtungen zu wenig umfassend, um irgend beweisend 
sein zu können. 

B. stellt dann 100 teils eigene teils fremde Wägungen zusammen, 
deren Resultat er folgendermaßen formuliert: 

„Aus den Wägungen ergibt sich, dass beide Hälften des Ge- 
samthirns nur in einem Falle gleich schwer waren; dagegen war 
A7 mal die rechte Hälfte schwerer, 52mal die linke. In Summa be- 
trug das Uebergewicht der rechten Hälften 267,98 g, das der linken 
213,2 g. Die Diiferenzen sind in der Mehrzahl der Fälle so gering, 
dass sie nicht in Betracht kommen können und innerhalb der Fehler- 
grenzen liegend angesehen werden müssen. Nach den vorliegenden 
Wägungen wird man also nicht ein wesentliches Ueberwiegen der 
einen Hirnhälfte über die andere annehmen dürfen.“ 

„In den 5 Fällen, bei denen die rechte Hirnhälfte beträchtlich 
mehr wog als die linke, wurde auf Linkshändigkeit untersucht, aber 
kein Zeichen dafür gefunden, sodass also auch der Satz von Ogle, 
wonach bei Linkshändigkeit das rechte Hirn ausnahmslos schwerer 
als das linke sei, nicht haltbar ist.“ 

„Das Großhirn allein genommen zeigte in einem Falle beide 
Hemisphären gleich schwer. Unter 92 Messungen war 54mal die 
rechte Hälfte schwerer als die linke; nur 37mal überwog die linke. 
Die Summe der Uebergewichte der rechten Seite betrug 273,4 g, die 
der linken 129 g.“ 

„Am auffälligsten war am Kleinhirn, bei dessen Teilung die 
Fehlerquellen naturgemäß am kleinsten sind wegen der größeren 
Sicherheit der Schnittführung und der geringeren Menge von Flüssig- 
keit, das Ueberwiegen der linken Hälfte. Unter 92 Wägungen wogen 











Zacharias, Erforschung des Plöner Sees. 61 


5mal beide Hälften gleich. 54mal war die linke Hälfte schwerer 
und 33 mal die rechte.“ 

„Wenn die Asymmetrie in kausalem Zusammenhang stände mit 
der ungleichen Muskelverteilung auf beiden Seiten des Körpers, müsste 
die Asymmetrie eben so konstante Verhältnisse des Vorkommens zei- 
gen, wie die des Muskel- und Knochensystems, und dies ist sicher 
nicht der Fall.“ 

„Aus den Befunden am Kleinhirn sichere Schlüsse zu ziehen halte 
ich mich vorläufig nicht berechtigt.“ 


Ü. R. 


Die Erforschung des großen Plöner Sees 


von Seiten der zu diesem Zwecke errichteten Biologischen Station 
(Direktor: Dr. Otto Zacharias in Plön) hat eine Anzahl bemerkens- 
werte Ergebnisse zur Folge gehabt, von denen hier nur die haupt- 
sächlichsten zur Kenntnis der Fachgenossen gebracht werden sollen. 
Die Station wurde bekanntermaßen am 1. April d. J. eröffnet und hat 
somit erst eine sechs Monate umfassende Thätigkeit hinter sich. 
Während dieser Zeitspanne wurden für den großen See, um dessen 
Untersuchung es sich in erster Linie gehandelt hat, 20 Fischarten, 
40 Arten von Krebsen, 69 Würmer (darunter 37 Rotatorien), 14 Mol- 
lusken und 80 Protozoen festgestellt. Hierzwischen sind etwa ein 
Dutzend neuer Arten und mehrere neue Gattungen. Hand in Hand 
mit diesen faunistischen Ermittelungen gingen biologische Beobach- 
tungen über das Auftreten und Wiederverschwinden der am häufigsten 
vorkommenden Organismen (pflanzlicher sowohl wie tierischer); ins- 
besondere wurden auch Beobachtungen über die Periodizität des Er- 
scheinens gewisser Algenspecies im Süßwasserplankton ange- 
stellt. Letzteres wurde überhaupt fortgesetzt während der verflossenen 
6 Monate seiner Zusammensetzung und seiner Menge nach kontroliert, 
also qualitativ und quantitativ studiert. Die quantitativen Unter- 
suchungen wurden von Herrn Dr. C. Apstein (Kiel) ausgeführt und 
sollen nach Erledigung des unvermeidlichen Zählgeschäfts, welches 
geraume Zeit in Anspruch nimmt, zur Publikation gelangen. Ueber 
die Ergebnisse der qualitativen Forschungen von Zacharias wird 
schon in nächster Zeit ein ausführlicherer Bericht erscheinen, der jetzt 
in Vorbereitung ist. — 

Für Botaniker (Kryptogamisten) dürfte es von hohem Interesse 
sein, zu vernehmen, dass es dem Leiter der Plöner Station bei seinen 
täglichen Planktonmusterungen unter anderem auch geglückt ist, 
2 Species von marinen Diatomaceen im großen Plöner See aufzu- 
finden. Und zwar gehören dieselben den Gattungen Rhizosolenia und 
Atheia an. Ein nieht minder schöner Fund, der gewiss manchen 
Algenforscher veranlasst, sich gelegentlich nach Plön zu begeben, ist 


672 Anzeige. 


die Wiederentdeckung jener interessanten Phaeosporee des Süßwassers 
(Pleurocladia lacustris A. Braun), welche der berühmte Berliner 
Pflanzenforscher um die Mitte der fünfziger Jahren im Tegeler See 
bei Spandau auffand. Diese einzige Braunalge des Süßwassers (die 
an ihrer ersten Fundstätte längst verschwunden ist) besitzt Verwandt- 
schaftsbeziehungen zu den Fucoideen, worin eben das Interessante 
ihrer systematischen Stellung liegt. Dr. Zacharias gibt als ihren 
Standort abgestorbene Schilfstengel an. 

Auch eine entomologische Seltenheit hat sich bei den Plöner 
Forschungen mitergeben. Es ist dies ein kleiner (noch näher zu be- 
stimmender) Rüsselkäfer, welcher vollständig unter Wasser 
lebt, gewandt und taktmäßig mit seinen vordersten Beinpaaren rudert 
und sieh von Wasserpflanzen (Elodea) nährt. Von einigen Rüssel- 
käfern ist es zwar bekannt, dass sie nur auf Wassergewächsen zu 
finden sind; aber ob schon eine Species entdeckt ist, die so wie die 
im Plöner See nachgewiesene völlig dem Wasserleben angepasst ist, 
dürfte erst noch zu ermitteln sein. — 

Von den 8 im Plöner See vorhandenen Arbeitsplätzen waren 
während des verflossenen Sommers 4 ständig besetzt. Im Uebrigen 
zeigte sich das Interesse der wissenschattlichen Kreise daran, dass 
gegen hundert durchreisende Botaniker und Zoologen die Einrich- 
tungen der Station besichtigten. P. 





Verlag von Arthur Felix in Leipzig. 
Beiträge 


zur 
Physiologie u. Morphologie 
niederer Organismen. 
Aus dem Kryptogamischen Laboratorium der Universität Halle a./S. 
Herausgegeben 
von 
Professor Dr. W. Zopf, 


Vorstand des Kryptogamischen Laboratoriums der Universität Halle. 


Erstes Heft: 

Inhalt: Ueber den sogenannten Froschlaichpilz (Leuconostoc) der europäischen 
Rübenzucker- und der javanischen Rohrzuckerfabriken, von €. Liesen- 
berg und W. Zopf. — Zur Kenntnis der Färbungsursachen niederer 
Organismen, von W. Zopf. — Zur Kenntnis der Organismen des ameri- 
kanischen Baumwollsaatmehls, von W. Zopf. (Erste Mitteilung.) 

Mit 3 Tafeln in Farbendruck. 
In gr. 8. VI, 97 Seiten, brosch. Preis: 5 Mk. 60 Pf. 


Das zweite Heft ist demnächst zu erwarten. 








Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und 
Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 


Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Eiygoleeis, in Een 


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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





XL. Band. Tanner 1803) Mr 2. 





Inhalt: Möbius, Welche Umstände befördern und welche hemmen das Blühen der 
Pflanzen? (Schluss). — Biritla, Beitrag zur Kenntnis des anatomischen Baues 
der Geschlechtsorgane bei den Galeodiden. — Ognefl, Einige Bemerkungen 
über das Magenepithel. — Kalischer. Neurologische Untersuchungen. — 
Brehm’s Tierleben. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell- 
schaften: Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. 





Welehe Umstände befördern und welche hemmen das Blühen 
der Pflanzen. 


Von M. Möbius in Heidelberg. 
(Schluss. 


Da aber in Natur weder die ultravioletten Strahlen allein noch 
das übrige Licht ohne dieselben gesondert in Wirksamkeit tritt, so 
würden wir auch hieraus schließen: ohne Licht keine Blütenbildung. 
Dieser Satz wird, wie nochmals zu betonen, nicht umgestoßen durch 
die im Dunkeln Blüten treibenden Knollen und Zwiebeln, denn in 
ihnen hat das Licht vorher die Anregung zur Blütenbildung erweckt. 
Nach der Anschauung von Sachs produzieren die Blätter unter dem 
Einfluss des Lichtes und zwar speziell des ultravioletten blütenbildende 
Stoffe, die entweder direkt verwendet werden, wie bei Tropaeolum, 
oder erst in Reservestoffbehältern deponiert werden zu späterem Ge- 
brauch, wie bei manchen Knollen. Mag man diese Anschauung, die 
meiner Meinung nach viel für sich hat, zugeben oder nicht, so wird 
man doch den Erfahrungssatz nicht angreifen können, dass das Licht 
zur Blütenbildung notwendig ist und zwar in verschiedener Intensität 
je nach Art der Pflanze, wie wir dies im Vorhergehenden zu zeigen 
versucht haben. 

Dabei haben wir den Einfluss des Lichtes als eines für sich 
allein wirkenden Faktors betrachtet und es ist auch möglich, dies zu 
thun, obgleich in der Natur meistens mit der Zunahme der Beleuch- 
tung auch eine Steigerung der Wärme verbunden ist. Diese ist nun 
ein anderes, für die Blütenentwicklung sehr bedeutungsvolles Agens, 

XII, 43 


674 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


wie ja überhaupt die meisten Lebenserscheinungen der Pflanze von 
der Wärme abhängig sind. Es ist bekannt, dass die einzelnen Phasen 
des Pflanzenwachstums an bestimmte, innerhalb gewisser Grenzen 
liegende Temperaturen gebunden sind, die je nach den betreffenden 
Pflanzenarten verschieden sind. So erfolgt die Keimung nur, wenn 
ein bestimmter Wärmegrad erreicht ist, und wenn die Pflanze sich 
weiterentwickeln und zur Blüte gelangen soll, so muss die Temperatur 
noch über die zum Keimen notwendige erhöht werden. Im Allgemeinen 
kann man sagen, dass eine Pflanze ihre Entwicklung von der Keimung 
oder überhaupt von der Entfaltung ihrer Organe an bis zur Blüte 
und Fruchtreife um so schneller durchläuft, je mehr Wärme ihr in 
bestimmter Zeit geboten wird. 

So sehen wir besonders bei einjährigen Gewächsen, die in Mittel- 
europa im Sommer blühen, dass sie in südlichen Gegenden ihre 
Blüten schon im Frühling entfalten’). Es ist ebenso bekannt, dass 
die Treiberei der Gärtner darauf beruht, dass sie den Pflanzen in er- 
wärmten Treibhäusern eine höhere Temperatur bieten, als sie gewohnt 
sind, und sie dadurch zu verfrühtem Blühen bringen. Es könnten 
viele Beispiele angeführt werden für die Verschiebung der Blütezeit 
durch Vermehrung oder Verminderung der Wärmemengen in be- 
stimmter Zeit über das gewohnte Maß?). Dies lässt sich besonders 
beobachten, wenn wir das Verhalten derselben Pflanze in Ländern 
mit verschiedenem Klima vergleichen. 

Der Einfluss der Wärme kann sich aber in dem Grade bemerkbar 
machen, dass das Blühen überhaupt nicht mehr erfolgt, wenn die 
Temperatur während der betreffenden Entwicklungsperiode nicht hoch 
genug ist. Man sieht dies an Pflanzen, die aus einem heißen Klima 
in ein kälteres verbracht, hier nicht zur Blüte kommen, wie z. B. das 
aus dem heißen Mexiko stammende und dort wie in manchen andern 
tropischen Ländern als Futterpflanze angebaute Gras Kuchlaena mewi- 
cana selbst im südlichen Europa selten blüht®). Auch findet man bei 
einigen Pflanzen mit einem weiten Verbreitungsgebiet, dass sie nur 
in der wärmeren Region desselben blühen, in der kälteren dagegen 
keine Blüten treiben. Sie können deshalb hier sich auch nicht durch 
Samen fortpflanzen und sind auf die Vermehrung auf ungeschlecht- 
lichem Wege (durch Ableger u. s. w.) angewiesen. So blühen die 
Lemnaceen mit reichlicher ungeschlechtlicher Vermehrung in der ge- 
mäßigten Zone selten und Wolffia arrhiza gelangt in Mitteleuropa nie 
zur Blüte, wohl aber in den wärmeren Gegenden, wo sie auch weit 
verbreitet ist). Andere hierhergehörige Beispiele führt Kerner in 





4) Hildebrand |. e. S. 104. 

2) Vergl. hierzu den Aufsatz von Askenasy tiber die jährliche Periode 
der Knospen, in: Botanische Zeitung, 1877, 8.793 ff. 

3) conf. Hackel in: Engler und Prantl S. 19. 

4) Engler, Lemnaceen in: Engler u. Prantl S. 159. 


Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 6% 


seinem Pflanzenleben an (Bd. II S. 449): Nardosmia fragrans, eine 
Komposite, ist über den größten Teil des arktischen Gebietes ver- 
breitet, aber nur an der Südgrenze dieses Gebietes treibt sie Blüten 
und Früchte, während sie weiter nordwärts „noch keines Menschen 
Auge jemals blühen gesehen hat“. Aehnlich ist es mit gewissen 
Pflanzen, welche hoch hinauf in die Gebirge gehen, wie Adenostylis 
Cacaliae (ebenfalls eine Komposite) in den Alpen. In den Voralpen- 
wäldern und selbst noch über der Waldgrenze blüht die Pflanze in 
Menge, in der alpinen Region dagegen, in der Seehöhe über 2200 Meter 
kommt sie niemals zur Blütenbildung. Polygonum amphibium blüht in 
den Niederungen reichlich, wurde aber in der Höhe von 1200 Meter 
in den Tiroler Bergen in einer Form gefunden, die sich nur durch 
Stocksprosse vermehrt. Also auch hier findet eine Unterdrückung 
der Blütenbildung dureh die in der Höhe vorhandene Temperatur- 
erniedrigung statt. Gerade an den genannten Gebirgspflanzen wie 
an den arktischen zeigt es sich deutlich, dass es der Mangel an 
Wärme und nicht an Licht oder einem andern Umstand ist, der das 
Blühen verhindert. 

Um so auffallender ist die Erscheinung, dass höhere Wärme auch 
ein Unterdrücken der Blütenbildung bewirken kann, wie sich an 
Pflanzen zeigt, die aus einem kälteren in ein wärmeres Klima ver- 
setzt werden. Dies geben Edwards und Colin!) für die Cerealien, 
speziell den Weizen an. Eine Weizenart, welche sich in England 
ein- und zweijährig ziehen ließ, wurde in das wärme Frankreich ver- 
pflanzt und blieb hier im ersten Jahre nach dem Keimen immer ohne 
Blüte; erst im zweiten Jahre trat Blütenbildung ein. Die genannten 
Autoren zitieren auch in diesem Sinne die Angabe von Humboldt?), 
dass in der tropischen Region Mexikos, bei Jalapa der Weizen immer 
nur Blätter, niemals Aehren treibt und deshalb dort nur als Grün- 
futter verwendet werden kann. 

Weniger auf der erhöhten Temperatur als vielmehr auf der Gleich- 
mäßigkeit derselben während des ganzen Jahres beruht es, wenn 
manche europäische Obstbäume in den Tropen nicht zur Blüte kommen. 
Besonders wenn zu dieser ununterbrochenen Wärme noch eine immer 
genügende Feuchtigkeit der Luft und des Bodens hinzukommt, ent- 
behren jene Bäume den gewohnten Eintritt einer Ruheperiode, wie sie 
in Europa durch den Winter veranlasst wird. Sie sind gewohnt, zu 
bestimmter Zeit ihre Blätter zu entfalten und zu bestimmter Zeit ihre 
Blüten anzulegen, welche Perioden durch die Unterschiede der Jahres- 
zeiten reguliert werden. In die Tropen versetzt, bilden sie aber unter 
dem Einfluss der gleichmäßigen Wärme und Feuchtigkeit immer neue 





1) Annales des sciences naturelles. Botanique, II. Ser., T. 5, p. 5—23. 
2) Diese Angabe von Humboldt findet sich in seinem Werke über 
Neuspanien (neueste Cotta’sche Ausgabe) Bd. X S. 36. 


43° 


676 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


Laubtriebe aus und es bleibt keine Zeit für dieBlütenanlage. Boulger!) 
spricht von Obstbäumen im Allgemeinen und sagt: „When the fruit- 
trees of northern elimates are transported to more tropical ones, when 
in a rich, moist soil, or in a mild, moist atmosphere, their continous 
growth prevents blossoming“. Ebenso ist es wohl auch zu verstehen, 
wenn de Candolle?) sagt: „On sait combien la culture de nos 
Pommiers, Poiriers, Cerisiers ete. devient languissante vers le Midi 
et s’arr&te A l’approche de pays voisins des tropiques“ und dann 
„Transportes ä Ceylon les Cerisiers ne perdent pas leurs feuilles“. 
Humboldt bemerkt in dieser Hinsicht: „Es ist sehr auffallend, wie 
gewisse Pflanzen bei dem kräftigsten Wuchse in gewissen Lokalitäten 
nicht blühen; so zwischen den Tropen die bei Quito seit Jahrhunderten 
angepflanzten europäischen Oelbäume (9000 Fuß hoch über dem Meere); 
so auf Ile de France Wallnüsse, Haselnusssträucher und wiederum 
schöne Oelbäume [Olea europaea]“?). Wenn hier auch die Ursache 
der Erscheinung nicht erörtert wird, so ist doch kein Zweifel, dass 
das gleichmäßige feuchtwarme Klima, wie es besonders auf Mauritius 
herrscht, in der oben angegebenen Weise die Blütenbildung verhindert. 

Wir haben also in diesem Falle auch schon die Feuchtigkeit 
berücksichtigen müssen, als einen Umstand, der die Ausbildung der 
vegetativen Triebe einer Pflanze ebenso sehr befördert als er das 
Blühen hemmt. Auf diese Verhältnisse werden wir sogleich noch 
näher einzugehen haben. Es ist hier bloß noch, was die Wärme be- 
trifft, darauf aufmerksam zu machen, dass eine plötzliche Erhöhung 
der Temperatur vor dem Blühen in der Regel störend auf die Ent- 
wieklung der Pflanze und somit auch auf die Ausbildung der Blüte 
einwirkt. So etwas kann in der Natur zuweilen auftreten, wird aber 
besonders bei der künstlichen Pflanzenzucht beobachtet. Man pflegt 
bekanntlich viele Pflanzen, um ihre Blüten eher zu haben, als sie 
dieselben in der Natur entwickeln, im Gewächshaus durch Wärme 
anzutreiben; aber hier kann es geschehen, dass, wenn die Temperatur 
mit einem Male zu schnell erhöht wird, die bereits angelegten Blüten 
sich nieht entwickeln. Ein solches Steekenbleiben der Blüten ist 
beobachtet worden bei Tulpen, Hyazinthen, Orocus, Convallarien, 
Syringen*). Es ist nicht zu sagen, warum die zu starke Temperatur- 
erhöhung gerade in der Art hemmend auf die Blütenentfaltung wirkt, 
wenu man nicht annimmt, dass sie überhaupt die Entwicklung der 
Pflanze stört und dass das nächste Stadium derselben, welches eben 
die Blütenentfaltung war, unterdrückt wird. Dann würde aber ein 


1) Gardeners Chronicle, 1878, I, p. 790. 

2) Geographie botanique raisonnee, Bd I, p. 391 u. 392. 

3) In Anmerkungen zu: Ansichten der Natur (neueste Cotta’sche Aus- 
gabe) Bd. XI S. 267. 

4) Hildebrandt l. c. S. 96. 











Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 677 


anderer Faktor, der ebenfalls die Entwicklung hemmt, denselben 
Effekt wie die plötzliche Temperaturerhöhung haben. Darüber fehlen 
nun noch vergleichende Untersuchungen und es bleibt noch unent- 
schieden, ob in diesem Fall die Wärme auf die Entwicklung der 
Pflanze überhaupt oder speziell die Blütenbildung einwirkt. Sonst 
hatten wir gesehen, dass ein gewisses Wärmemaß für das Blühen 
notwendig ist, dass eine Pflanze ebenso das Blühen unterlässt, wenn 
sie in zu kaltem Klima wächst, wie eine andere, wenn sie in ein zu 
heißes Klima versetzt wird. In beiden Fällen kommen aber ver- 
schiedene korrelative Wachstumsverhältnisse mit ins Spiel. Auch den 
mit dem Einfluss der Temperatur Hand in Hand gehenden Einfluss 
der Feuchtigkeit auf das Blühen haben wir teilweise nicht ganz außer 
Acht lassen können. 


Wir wollen jetzt versuchen, den letzteren möglichst für sich zu 
betrachten, denn gerade dieser Umstand, die größere oder geringere 
Feuchligkeit scheint sehr wesentlich für das Blühen zu sein und zwar 
in dem Sinne, dass dasselbe durch verminderte Zufuhr von Feuchtig- 
keit zu der Pflanze begünstigt wird. Wir können dies sowohl aus 
den von der Natur gebotenen Verhältnissen entnehmen, als auch aus 
den Methoden, welche die Pflanzenzüchter anwenden, um die Pflanzen 
zur Blütenproduktion zu veranlassen. 

Trockenheit und Feuchtigkeit verhalten sich in ihrer Wirkine 
auf die Entwicklung der Pflanze ähnlich wie starke und schwache 
Beleuchtung: bei starker Beleuchtung und Trockenheit findet eine er- 
höhte Blütenproduktion auf Kosten der Laubbildung statt, bei schwacher 
Beleuchtung und Feuchtigkeit entwickeln sich die Laubtriebe stärker 
und die Blütenbildung wird unterdrückt. Der Zusammenhang dieser 
Erscheinung ist auch hier nieht näher erklärt. Man kann wohl, wie 
es Sorauer!) thut, darauf hinweisen, dass bei der Laubtriebbildung 
meist ein stärkeres Längenwachstum eintreten muss und dass zur 
Streekung der Organe mehr Wasser aufgenommen werden muss, allein 
dies scheint doch nicht zuzutreffen, wo große, sehen achsende‘ Blüten 
an Stelle gedrungener Laubsprosse produziert werden, wie z. B. bei 
Cacteen. Wenn ferner Sorauer sagt, dass bei andauernder Trocken- 
heit das plastische Material gleichsam konzentrierter wird und sich 
reichlicher in Form von Reservestoffen niederschlägt, die zur Aus- 
bildung von Blütenknospen notwendig sind, so ist damit nicht erklärt, 
warum die Reservestoffe gerade zur Ausbildung von Blütenknospen 
und nicht zu der von Laubknospen verwendet werden, indem doch 
letztere eigentlich mehr Material erfordern. Indessen bleibt es richtig, 
dass die Trockenheit auf das Blühen eine fördernde Wirkung hat 


4) Lehrbuch der Pflanzenkrankheiten, 2. Aufl., 1. Teil, S. 161. 


678 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


und in vielen Fällen sehen wir auch den Nutzen dieser Erscheinung 
für das Leben der Pflanze und die Erhaltung der Art ein. 

Es könnte nun vielleicht Jemand erwarten, wenn größere Feuch- 
tigkeit das Blühen hindert, dass dann die im Wasser wachsenden 
Pflanzen am wenigsten in der Lage sein müssten, zum Blühen zu 
gelangen. Allein die eigentlichen Wassergewächse besitzen doch eine 
besondere Organisation, die dem Leben im Wasser angepasst ist, und 
es gibt viele solcher Pflanzen, die reichlich blühen, wie die betreffen- 
den Ranunculus (Batrachium)- Arten und die Nymphaeaceen. Dass 
dagegen andere selten blühen, hängt damit zusammen, dass bei ihnen 
die geschlechtliche Vermehrung mehr oder weniger durch die Bildung 
ungeschlechtlicher Propagationsorgane zurückgedrängt wird, wie wir 
es bei den meisten Lemnaceen, bei Elodea canadenis und Oymodocea 
antarctica finden. 

Wir werden vielmehr solche Pflanzen in Betracht ziehen müssen, 
die teils an feuchten, teils an trockenen Standorten vorkommen. „Dass 
die Feuchtigkeit eine die Blütezeit retardierende Wirkung auf die 
Pflanzen hat, können wir leicht bei unseren Kulturen sehen, wo eines- 
teils die gleichen Kulturpflanzen sehr verschiedenzeitig ihre Früchte 
reifen, je nachdem sie an Stellen stehen, wo sie trockenem Luftzuge 
ausgesetzt sind, oder wo sie in stagnierender feuchter Luft wachsen; 
andernteils bemerken wir auch in den verschiedenen Jahren das 
verschiedenzeitige Reifen der Früchte nicht so sehr durch niedere 
Temperatur, wie durch eine größere Feuchtigkeit der Luft hervor- 
gebracht“!). So sollen sich auch nach dem eben zitierten Autor durch 
die Feuchtigkeit des Standortes aus kurzlebigen Gewächsen langlebige 
ausbilden, indem sie „auf einem feuchten Boden bei sonst günstigen 
klimatischen Verhältnissen“ die erste Zeit ihres Lebens nur zum 
Vegetieren benutzen und gegen das Ende der Vegetationszeit nicht 
zum Blühen kommen, sondern Reservenahrung aufspeichern für den 
Anfang der nächsten Vegetationsperiode?). 

Was nun spezielle Beobachtungen betrifft, so kann zunächst an 
das oben geschilderte Verhalten der Obstbäume aus Mitteleuropa 
erinnert werden, die in einem gleichmäßig feuchten und warmen 
Klima nicht aufhören Laubtriebe zu bilden und nicht dazu kommen, 
Blüten anzulegen und zu entfalten. Ferner bemerken wir, dass in 
manchen Ländern, wo der Wechsel der Jahreszeiten wesentlich durch 
den Wechsel von Regen- und Trockenperioden bedingt ist, die Ge- 
wächse ihr Laub in der nassen, ihre Blüten in der trockenen Periode 
entwickeln. Für den Sudan, der ein entsprechendes Klima hat, gibt 
Grisebach?) an, dass die Bäume ihre Blüten meist am Ende der 
trockenen Periode vor den Blättern entfalten, welche erst nach dem 

4) Hildebrand l. ce. S. 98. 


2) Hildebrand |. e. S. 106—107. 
3). ©. BO10S2113: 














Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 679 


Beginn der Regenzeit aus den Knospen hervorkommen. In Australien 
dagegen sollen die Bäume des Serub und der Waldsavannen die 
nasse Jahreszeit vorzüglich zum Wachstum der vegetativen Organe 
verwenden und die meisten erst dann blühen, nachdem der Regen 
vorüber ist !). Hier handelt es sich also nur um die durch die Feuch- 
tigkeit bedingte Blütezeit, nicht um das Blühen oder Unterbleiben 
desselben überhaupt. 

In dieser Hinsicht können wir die Beobachtungen von Wollny?) 
über das Blühen der Kartoffeln anführen. Es ist von diesen Pflanzen 
bekannt, dass die in den gemäßigten Zonen kultivierten Varietäten 
eine sehr beschränkte Blütenbildung haben. Die meisten Sorten kommen 
gar nicht zum Blühen, einzelne nur in manchen Jahren und nur einige 
wenige entwickeln öfter oder sogar regehnäßig Blüten und Früchte. 
In ihrem Vaterland Chile dagegen bildet die Kartoffel, sowie die ihr 
verwandten Arten in jeder Vegetationsperiode Blüten aus. Das Klima 
im Innern des nördlichen Chile, wo die Kartoffel wildwachsend vor- 
kommt, zeichnet sich aber durch große Trockenheit und geringe Be- 
wölkung aus, während im mittleren Europa die Pflanze eine größere 
Bodenfeuchtigkeit genießt und durch die häufige Bewölkung des 
Himmels die Sonnenstrahlen die Luft nicht so austrocknen können. 
Werden ausnahmsweise die klimatischen Verhältnisse hier den chi- 
lenischen ähnlich, d. h. tritt eine längere Trockenperiode und stär- 
kere Insolation ein, so blühen auch hier viele Kartoffelvarietäten, 
die bei feuchter Witterung und schwächerer Beleuchtung niemals 
Blüten entwiekeln. Diese Erscheinung beobachtete Wollny beson- 
ders in den Jahren 1876, 1886 und 1887 in München, als die Nieder- 
schläge dort nur spärlich waren. Die Colocasie (Colocasia antiquorum), 
welche in den Tropen teilweise die Kartoffel ersetzt, scheint auch 
nur an besonders trockenen Stellen zu blühen. Wenigstens berichtet 
Schacht?), dass er von dieser Pflanze, deren Blüte überhaupt zu 
den Seltenheiten gehört, nur einmal auf einem ziemlich trockenen 
Acker alle Stöcke in Blüte fand. In einem sumpfigen, humusreichen 
Boden, sagt er, scheint sie niemals zur Blüte zu gelangen. 

Ferner haben wir schon oben gesehen, dass die mitteleuro- 
päischen Waldbäume erst spät zur Blüte kommen und dass manche 
nicht alle Jahre blühen: auch dies hängt mehr oder weniger von 
Trockenheit und Wärme ab. Besonders deutlich ist dies bei der 
Buche, die in dem kühlfeuchten Meeresklima von England oder Rü- 
gen seltener blüht als auf dem Kontinent*). Hier kann man bei 





4) Grisebach |. e. S. 206. 

2) In Wollny’s „Forschungen auf dem Gebiete der Agrikulturphysik“, 
X. Bd., 1888, S. 214—218. 

3) Schacht, Madeira und Tenerife mit ihrer Vegetation, S. 42. 

4) Diese und die folgenden Angaben aus Nördlinger’s Forstbotanik, 
Bd. 1, S. 241—243. 


680 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


diesem Baume beobachten, dass besonders reiche Blüten- und Frucht- 
bildung in den Jahren erfolgt, deren Vorjahr sich durch einen trocken- 
heißen Sommer auszeichnet; denn die Blüten werden bereits im Vor- 
jahre angelegt. Nasskalte Sommer haben die entgegengesetzte Wir- 
kung, was sich nicht nur an Buchen zeigt. Auf den nasskalten 
Sommer 1860 z. B. blieben im Jahre 1861 ganz ohne Blüten: Picea 
vulgaris und Abies canadensis, die meisten Ahornarten und viele an- 
dere Bäume. 

Vielleicht kann hier auch hingewiesen werden auf eine Beobach- 
tung, wonach das bei einigen Bäumen nicht zu seltene Auftreten einer 
zweiten Blüte von der Trockenheit abhängig sein soll. Magnus!) 
beobachte nämlich (Wien, 1873) an Aesculus Hippocastanum, dass die 
auf feuchtem Grunde wurzelnden Bäume im Herbst ihre Blätter frisch 
und grün behielten. Wo sie aber auf relativ trockenem Boden stan- 
den, hatten viele Bäume ihr Laub im Oktober fast ganz verloren und 
blühten zum zweiten Mal. 

Vielleicht ist es aber mit der Trockenheit ähnlich wie mit der 
Wärme, dass nämlich ein allzu großes Maß von beiden wieder hin- 
dernd auf die Blütenbildung wirkt. So würde es sich erklären, dass 
Överdieck?) in einem Bericht über seine Obsternte des Jahres 1877 
(Deutschland) es dem schädlichen Einfluss der Trockenheit zuschreibt, 
dass viele Bäume überhaupt keine Blüten angesetzt hatten. Indessen 
lässt sich nicht wohl entscheiden, ob ‚hier nicht noch andere Um- 
stände, welche nicht bemerkt wurden, mitgewirkt haben. 

Sonst ist mir keine Angabe bekannt geworden, dass Trockenheit 
jemals einen hemmenden Einfluss auf Blütenansatz und Blühen gehabt 
habe. Vielmehr wird sie, resp. die Entziehung der Feuchtigkeit, in 
der Kultur allgemein angewandt, um vermehrte Blütenbildung zu er- 
zielen, während man durch reichliche Bewässerung die Ausbildung 
der vegetativen Organe zu vermehren sucht. Deswegen wendet man 
bei der Wiesenkultur viel Aufmerksamkeit auf eine richtige Bewäs- 
serung der Wiesen, damit die Gräser viele und große Blätter 
bilden; auf zu trockenen Wiesen ist die Grasnarbe niedriger und es 
werden mehr ährentragende Halme gebildet. Bei den Pflanzen, 
deren Laubtriebe als Futter oder zu andern Zwecken (wie das Zucker- 
rohr) verwendet werden, wird man also im allgemeinen durch feuchte 
Kultur dazu verhelfen können, dass sich die Blätter auf Kosten der 
Blüten vermehren. Die Kulturpflanzen aber, wo es auf Blüten und 
Früchte ankommt, wird man gern trocken halten, soweit dadurch 
nicht ein Mangel an Ernährung herbeigeführt wird. Allerdings tritt 
dieser Uebelstand häufig auf, wenn auf eine reiche Blütenproduktion 





4) In Sitzungsberichten der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin 
vom 17. Februar 1874. 

2) In Pomologische Monatshefte von Lucas, 1878, 8. 193. (Zitiert nach 
dem Botanischen Jahresbericht.) 











Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 681 


hingearbeitet wird, während man doch möglichst viel Früchte erzielen 
will; es geschieht dann oft, dass die meisten Blüten abfallen, ohne 
Früchte anzusetzen. Betreffs dieser Verhältnisse sei auf einen Ar- 
tikel in Gardener’s Chroniele (1881, Bd. II, p. 16) verwiesen. 

Das hauptsächlichste Mittel, Pflanzen zum Blühen und auch zum 
reichen Blühen zu bringen, ist die Erschwerung der Wasseraufnahme 
durch die Wurzeln. Es geschieht bei Obst- und anderen Bäumen 
oder Sträuchern durch den sogenannten Wurzelschnitt, indem man 
einen Graben um die Pflanze zieht und die bloßgelegten Wurzeln mit 
einem scharfen Messer abschneidet!). Da so die Ausbreitung des 
Wurzelsystems gehindert wird, wird auch von der Pflanze weniger 
Wasser aufgenommen, es können sich die vegetativen Teile weniger 
entfalten und es kommt um so eher zur Anlage von Blüten. Schneidet 
man dagegen die Laubtriebe zurück, so wird die Verdunstung herab- 
gesetzt, und da die Wurzeln immer noch dieselbe Wassermenge auf- 
nehmen, so wird eine größere Saftmenge in der Pflanze angesammelt. 
Diese wirkt auf die schnelle Entwicklung der noch im Koospen- 
zustand befindlichen vegetativen Organe und es werden keine Blüten 
gebildet. Aehnlich dem Beschneiden der Wurzeln wirkt es auch, 
wenn man den Raum beschränkt, in dem sich das Wurzelsystem 
ausbreiten kann, wenn man also die Pflanzen in Töpfen zieht. Diese 
Methode wird z. B. beim Treiben der Rosen befolgt. Man pflanzt 
dieselben schon im August des Vorjahres in Töpfe und hält sie recht 
trocken, damit sie frühzeitig sogenanntes ausgereiftes Holz pro- 
duzieren, an dem im nächsten Jahre sich reichliche Blütenknospen 
bilden 2). Auch um Cacteen zum reichlichen Blühen zu veranlassen, 
wenden die Gärtner analoge Mittel an ?). Sie lassen Cereus und ähn- 
liche Formen im Herbst in den Töpfen im warmen Zimmer bis zum 
Schrumpfen austrocknen oder reißen sie gar aus dem Boden aus und 
pflanzen sie nach dem Welken später wieder ein. Die geschrumpften 
Exemplare bilden in der nächsten Vegetationsperiode meist reichliche 
Blüten. Hierher gehört auch die von Nördlinger*) mitgeteilte 
Beobachtung, dass Gewächse, welche versendet worden sind, wobei 
sie gewöhnlich einen Teil ihrer Organe, zumal Wurzeln, einbüßen, 
manchmal unmittelbar darauf blühen, wenn auch nachher zeitlebens 
nicht wieder. 

Aber nieht nur dureh verminderte Wasseraufnahme der Wurzeln, 
sondern auch durch eine gehemmte Leitung des Wassers in den 
Stammteilen kann man die Wasserzufuhr der Pflanze beschränken 


4) Vergl. Wissenbach, Wurzelschnitt bei Obstbäumen. (Nach „The 
Garden“ in Pomologische Monatshefte von Lucas, 1878, S. 41.) 

2) Vergl. Wendt in Monatsschrift des Vereins zur Beförderung des Garten- 
baus, 1880, S. 163. 

3) Nach Sorauerl. ce. S. 161. 

4) Forstbotanik II, S. 245. 





682 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


und stärkere Blütenbildung veranlassen. Wird ein Zweig gebrochen, 
so dass er nur noch durch eine geringe Holzmasse mit dem Haupt- 
aste zusammenhängt, so erhält er natürlich auch weniger Wasser, 
da dieses ja im Holze geleitet wird. Dass solche halb gebrochene, 
herunterhängende Aeste viel reichlicher blühen als nicht verletzte, 
beobachtete Ernst!) an den angepflanzten Kaffeebäumen in Carracas 
und er bemerkt dazu, dass die Pflanzer solche Aeste beim Reinigen 
der Bäume niemals abschneiden. Die Wasserzufuhr kann aber auch 
dadurch herabgesetzt werden, dass die Holzgefäße, in denen sich das 
Wasser bewegt, verstopft werden. Dies geschieht durch krankhafte 
Erscheinungen, so auch bei der Rotschleimkrankheit des Zuckerrohrs?). 
Dabei zeigt sich, ganz abgesehen von der ursprünglichen Ursache der 
Krankheit, dass die Gefäße, da wo die Stränge rot erscheinen, von 
einer schleimigen Masse verstopft sind. Ganz offenbar ist die da- 
durch hervorgerufene Störung in der Wasserzufuhr daran schuld, dass 
sich der Stengel nicht in normaler Weise in die Länge streckt und 
dass die Pflanze, anstatt ihre vegetativen Organe ordentlich zu ent- 
falten, möglichst rasch zur Blütenbildung schreitet und auch dazu 
gelangt, wenn nicht die Krankheit die Pflanze schon vorher tötet. 

Mit dem Wassermangel ist nun aber sehr leicht auch verbunden 
ein Mangel an Nährstoffen, denn in dem Wasser sind die Salze ge- 
löst, deren die Pflanze zu ihrer Ernährung bedarf, ja selbst die Assi- 
milation der Kohlensäure, die Bildung der Kohlehydrate leidet, wenn 
nicht genügend Wasser den grünen Teilen zugeführt wird. So werden 
wir denn, was wir als Folge der Trockenheit bezeichneten, zum Teil 
auch dem Mangel an Ernährung zuzuschreiben haben. Dieser letztere 
befördert ebenfalls die Blütenbildung auf Kosten der Entwicklung der 
vegetativen Organe. Es tritt dann bisweilen ein Zustand der Pflanze 
ein, den man als Verzwergung oder Nanismus?) bezeichnet und der 
künstlich erzeugt werden kann dadurch, dass man die Pflanze in 
möglichst kleinen Töpfen zieht. Es entstehen dann kleine, aber 
reichblütige Exemplare, wie sie den Gärtnern bei den Blütensträuchern 
zum Verkauf erwünscht sind. Auch ın Gewächshäusern kann man 
häufig beobachten, dass kümmerliche Exemplare in kleinen Töpfen 

1) Botanische Zeitung, 1876, 8. 33— 41. 

2) Ich bediene mich hier eines von Dr. F. Benecke vorgeschlagenen 
Namens, Unter „Rotschleimkrankheit des Zucekerrohrs“ versteht der genannte 
Autor einen Teil derjenigen krankhaften Erscheinungen, die bisher auf Java 
unter dem Namen „Sereh“ zusammengeworfen wurden; er definiert die Krank- 
heit folgendermaßen: „Die Rotschleimkrankheit des Zuckerrohrs beginnt mit 
der Bildung von Schleim in den Zellen der sich rot färbenden Fibrovasalstränge 
und zeigt sich: einmal durch Störungen im Wachstum bereits vorhandener 
Organe und anderseits durch zu frühzeitige Entwicklung neuer Organe*. Ueber 
die ausführliche Schilderung vergleiche man die Abhandlung: „Sereh“, 3. Af- 
levering, Hoofdstuck V, p. 21—22. 

3) Sorauerl. c. 8.9. 











Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 6853 


bereits blühen, während andere in größeren Töpfen ihr Laub üppig 
entfaltet haben, ohne zu blühen. Von einer eigentlichen Krankheit 
kann man in solchen Fällen noch nicht sprechen, aber die Pflanze 
kann durch überreiche Blüten- und gar Fruchtproduktion geschwächt 
werden und sich sogar „tot blühen“. Das überreiche Blühen ist also 
teils eine Ursache, teils ein Symptom von Kränklichkeit. „So weiß 
man“, sagt Sorauer'!), „dass kränkelnde Exemplare, namentlich 
solche, die an Wurzelerkrankungen leiden, zu erhöhter Blütenent- 
wicklung geneigt sind.“ Als Beispiel dafür wird der von John Scott 
beobachtete Fall, der einen Sandelbaum (Santalum album) in Indien 
betrifft, angeführt. Dieser Sandelbaum schmarotzte mit seinen Wur- 
zeln auf einer daneben stehenden Araliacee (Heptapleuron umbraculi- 
ferum), welche abgehauen wurde. Wenige Monate darauf war der 
Sandelbaum ganz entblättert und kränkelte 3 Jahre, blühte dabei 
aber reichlich. 

Die günstigen Folgen des Nährstoffmangels auf das Blühen 
illustrieren auch folgende Beispiele?). Auf Hagelbeschädigung der 
Obstbäume erfolgt nicht selten großer Blütenreichtum. Gipfel der 
Esche (Fraxinus excelsior), die von Hornissen stark beschädigt, d. h. 
ihrer Rinde in Form eines Ringes beraubt sind, blühen und tragen 
besonders gerne Samen. An einer jungen Ulme (Ulmus campestris) 
war ein Ast mit einem Draht umwiekelt und dieser hatte den dicker 
gewordenen Ast eingeschnürt: dadurch blühte diese Ulme vor der 
Zeit und zwar lediglich an dem eingeschnürten Ast. Das Umschnüren 
mit Draht ist demgemäß auch ein in der Obstbaumzucht angewandtes 
Mittel, um den Blütenansatz zu erhöhen. Andere, auf dem Prinzip 
der verminderten Nahrungszufuhr beruhende Mittel sind: ringförmige 
Entrindung oder Halbdurchsägung von Aesten, Entblößung des Bo- 
dens von Laub und sogar Entfernung der Erde in der Umgebung 
des Stammes; auch kann man hier erwähnen „das Pfropfen der Schosse 
junger, raschwachsender Sämlinge von Laub- und Nadelhölzern auf 
ältere Bäume, um bei deren gemäßigteren Saftzudrange bald Blüten 
und Früchte zu bekommen.“ 

In der Troekenheit,- verbunden unter Umständen mit Nährstoff- 
mangel, haben wir also einen Faktor kennen gelernt, der einen sehr 
wesentlichen Einfluss auf das Blühen der Pflanze hat. Nehmen wir 
dazu noch Licht und Wärme, deren Bedeutung in dieser Hinsicht wir 
vorher besprochen haben, so werden wir damit die wichtigsten Agen- 
tien, die für das Blühen in Betracht kommen, genannt haben, ab- 
gesehen von der nach der Pflanzenart sich richtenden Eigentümlich- 
keit in einem bestimmten Alter zu blühen. Es ist jetzt nur noch 
einmal darauf hinzuweisen, was schon mehrfach angedeutet wurde, 
dass die Blütenproduktion in Korrelation steht mit der Ausbildung der 

4) 1. e. 8.161. 

2) Nach Nördlinger, Forstbotanik II, S. 246. 





684 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen ? 


vegetativen Teile: einmal in dem Sinn, dass keine Blüten auftreten 
können, wenn die Sprosse zu gering entwickelt sind, um die nötigen 
Stoffe zu liefern, wie wir es bei den im Dunkeln keimenden und 
wachsenden Pflanzen sahen; dann aber vor allem in dem Sinn, dass 
die Vegetationsorgane um so schwächer werden, je mehr die Repro- 
duktionsorgane sich entfalten. Der Pflanze steht eben nur ein ge- 
wisses Quantum Nährmaterial zur Verfügung, und wenn sie viel davon 
auf die einen Organe wendet, so bleibt für die anderen weniger übrig. 
Wenn das Licht viele Knospenanlagen veranlasst, sich zu Blüten- 
knospen zu entwickeln, so können um so viel weniger zu Lanbknospen 
werden. Bei viel Feuchtigkeit geht die Pflanze stark ins Laub, bleibt 
aber in der Blütenbildung zurück. Wird die Entwicklung der vege- 
tativen Teile begünstigt, wird besonders der Stamm kräftiger und 
holziger, so ist der Pflanze auch eine längere Existenz gesichert und 
sie braucht weniger dafür zu sorgen, durch Blühen und Fruchten 
Nachkommen zur Erhaltung der Art zu erzielen, sich fortzupflanzen. 
Die Fortpflanzung braucht aber nicht immer durch Samen zu ge- 
schehen, sondern sie kann auch auf vegetativem Wege erfolgen. So 
finden wir denn, dass die Blütenproduktion und die Ausbildung vege- 
tativer Vermehrungsorgane sich gegenseitig beschränken. Dies wurde 
in OÖbigem sehon mehrfach erwähnt. Wir sahen, dass manche Pflanzen, 
die in kälteren und wärmeren Regionen leben, in ersteren sich vege- 
tativ vermehren, in letzteren Blüten und Samen bilden. Wir führten 
ferner die Wassergewächse an, die um so seltener blühen, je leichter 
sie sich durch vegetative Vermehrung fortpflanzen können. Auch die 
Kartoffeln gehören hierher, bei denen die Knollenbildung zur Blüten- 
entwieklung im umgekehrten Verhältnis steht: die Trockenheit, welche 
die letztere fördert, ist für die erstere ungünstig. Auf diese Ver- 
hältnisse will ich aber hier nicht weiter eingehen, da ich sie bereits 
in einem früheren Aufsatze behandelt habe, auf den ich hiermit ver- 
weise !). 

Zum Schluss sei es mir erlaubt, die Resultate eines Versuches 
anzuführen, den ich diesen Sommer im Heidelberger botanischen 
Garten anstellte ?). 

Es wurden gegen Ende April in je 8 Töpfe gesäet Phalaris ca- 
nariensis L. und Borago officinalis L. und in weitere 8 Töpfe wurde 
die Grasnarbe von Andropogon Ischaemum L. gepflanzt. Von jeder 
Pflanzenart wurden die Töpfe paarweise folgendermaßen behandelt: 





1) Over de voortdurende Vermenigvuldiging der Phanero- 
gamen langs geslachteloozen Weg. (Mededeelingen van het Proef- 
station „Midden - Java“ te Semarang, 1890.) 

3) Herrn Universitätsgärtner, Inspektor Massias, sage ich auch an dieser 
Stelle für die freundliche Unterstützung bei diesem Versuch, sowie für mehr- 
fach erteilte Auskunft bezüglich des Blühens kultivierter Pflanzen meinen 
verbindlichsten Dank. 








Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 685 


Ein Paar stand an einem sonnigen Standort und wurde trocken ge- 
halten, d. h. die Töpfe standen frei auf dem Boden und erhielten 
außer dem Regen nur soviel Wasser durch Begießen als in trockenen 
Zeiten notwendig war. Ein zweites Paar stand daneben, aber in 
einer Schale, die beständig Wasser enthielt, und wurde reichlich be- 
gossen. Das dritte und vierte Paar wurde in derselben Weise trocken 
und nass gehalten, aber an einem sehr schattigen Standort. Die 
Pflanzen entwickelten sich nun in den verschiedenen Töpfen’ ziemlich 
ungleich. 

I. Phalaris.. Am 1. Mai waren die Samen bereits aufgegangen. 
Schon am 10. Mai zeigten sich die Keimpflanzen in den besonnten 
Töpfen stärker entwickelt als in den beschatteten. Am 23. Juni 
waren an den beiden besonnten und trockenen Töpfen bereits die 
Blütenähren bemerkbar, während alle übrigen Töpfe noch keine Spur 
davon zeigten. Am 28. Juni blühte bereits ein Teil dieser Aehren 
und alle Pflanzen des genannten Paares hatten Aehren tragende 
Halme gebildet. Am 4. Juli wurde die Höhe der blühenden Halme 
zu 25-30 em gemessen, die Blätter waren verhältnismäßig kurz ge- 
blieben und sahen gelblich aus mit vertrockneten Spitzen. Die Pflanzen 
in den daneben stehenden nass gehaltenen Töpfen waren 15—20 em 
hoch, hatten aber noch keine Aechren. Auch die Schattenpflanzen 
waren am 4. Juli noch ganz blütenlos, zeigten aber gut entwickelte 
grüne Blätter: in den trockenen Töpfen waren die Pflanzen 20—29 cm, 
in den nassen 25—30 em hoch. Jetzt war also der Unterschied am 
auffallendsten: nur die besonnten und trockenen Pflanzen blühten, 
zeigten aber kleinere und bereits vergilbende Blätter, die nassen und 
beschatteten Pflanzen dagegen hatten große und kräftig entwickelte 
grüne Vegetationsorgane, die beschatteten und trockenen Pflanzen 
waren nicht ganz so kräftig und die besonnten und nassen standen 
am schlechtesten. Am 11. Juli wurden auch an den Pflanzen der 
andern 3 Topfpaare die Aehren sichtbar. Am 18. Juli wurde noch- 
mals gemessen: 1) sonnig und trocken, 28—30 cm hohe Halme mit 
großen abgeblühten Aehren, nur die obersten Blätter etwas über die 
Aehren hinwegragend, alle Pflanzen ganz und gar fahlgelb; 2) sonnig 
und nass, die Halme mit Aehren 20—25 cm hoch, die Aehren klein, 
die Blätter verhältnismäßig größer als bei den vorigen, alle Pflanzen 
gelblich; 3) schattig und trocken, alle Pflanzen lebhaft gelbgrün, 
Blätter groß, nur an der Spitze vertrocknet, Halme im Topf A 24cm 
hoch mit freien, teilweise blübenden Aehren, Halme im Topf B 18 cm 
hoch mit noch vom Blatt umschlossenen Aehren; 4) schattig und nass, 
die lebhaft gelbgrünen Pflanzen mit ihren kräftigen, die Halme über- 
ragenden Blättern bis 35 em hoch, in einem Topf noch alle Aehren 
umschlossen, im andern teilweise schon frei. — Es braucht wohl 
kaum noch darauf hingewiesen zu werden, wie deutlich sich der be- 
fördernde Einfluss des Lichtes und der Trockenheit auf die Blüten- 


686 Möbius, Welche Umstände befördern und hemmen das Blühen der Pflanzen? 


bildung zeigt und dass es vor allem das Licht ist, welches die Pflan- 
zen zum Blühen trieb, and wie anderseits Schatten und Feuchtigkeit 
fördernd auf die Entwicklung der vegetativen Organe einwirken. 

II. Andropogon. Bis zum 18. Juli waren noch nirgends Blüten 
sichtbar, während auf einem Rasen des botanischen Gartens, wo die- 
selbe Art eine dichte Grasnarbe bildete, sich die ersten Aehren zeigten. 
Doch war im vegetativen Verhalten ein ziemlicher Unterschied zu 
bemerken: 1) besonnte und trockene Pflanzen schwach entwickelt, 
10 bis 15 cm hoch, mit vielen roten Blättern; 2) besonnte und nasse 
ebenso, nur mit weniger roten Blättern; 3) beschattete und trockene 
Pflanzen gut entwickelt, bis 35 em hoch, mit lauter schön grünen 
Blättern; 4) beschattete und nasse spärlicher entwickelt, bis 30 cm 
hoch, aber auch alle Blätter schön grün. Andropogon Ischaemum ist 
demnach eine Pflanze, welche sich an schattigen Standorten vegetativ 
besser entwickelt als an sonnigen und welche die Trockenheit besser 
verträgt als die Feuchtigkeit. Am 9. August waren an den 2 be- 
sonnten und trockenen Pflanzen Inflorescenzen sichtbar und bei einer 
Inflorescenz hatten sich die Aehren bereits entfaltet, alle übrigen 
Topfexemplare machten noch keine Anstalten zum Blühen. Dasselbe 
wird also auch bei Andropogon sehr deutlich durch Licht und Trocken- 
heit begünstigt. Bis zum 10. September waren die beschatteten 
Pflanzen noch nicht zum Blühen gekommen, die besonnten und nass 
gehaltenen Töpfe waren aus Versehen entfernt worden. 

III. Borago. Die Keimung beginnt bei den sonnig stehenden 
Töpfen am 9. Mai, bei den schattig stehenden einige Tage später. 
In der Folge entwickeln sich alle Pflanzen zu Zwergexemplaren, 
offenbar wegen der Kleinheit der Töpfe. Am 23. Juni erscheinen an 
den besonnten und trockenen Pflanzen Blütenknospen, während an 
allen andern sich noch kaum die Stengel gestreckt haben. Am 18. Juli 
verhielten sich die Pfianzen folgendermaßen: 1) besonnt und trocken; 
ein Stengel hatte geblüht und war 30 em hoch, kleinere Stengel blühten 
noch; das größte Blatt war 6 cm lang und 3 cm breit ohne den 3 cm 
langen Stiel; 2) besonnt und nass; nur ein Stengel, der 8cm hoch 
war, hatte eine Blüte gebildet; die andern Pflanzen hatten kurze, 
blütenlose Stengel, das größte Blatt war 2'/, cm lang und 1'!/, cm breit 
ohne den 1!/, em langen Stiel; 3) schattig und trocken; nur in einem 
Topf hatten sich Pflanzen entwickelt, waren aber fast ohne gestreckte 
Stengel und darum natürlich ohne Knospen, das größte Blatt war 
6 cm lang und 4 cm breit ohne den 4 em langen Stiel; 4) schattig 
und nass; zwei Stengel von 18 cm Höhe mit Knospen, größtes Blatt 
6 cm lang und 3 cm breit ohne den 5 em langen Stiel. Auch hier war 
der eine Topf ganz eingegangen. -— Bei den Schattenpflanzen von 
Borago haben wir also einen Widerspruch gegen die Regel, dass 
Trockenheit das Blühen befördert, allein man darf darauf nicht zu 
viel Wert legen, denn Borago ist eine entschiedene Sonnenpflanze 








Birula, Geschlechtsorgane der Galeodiden. 687 


und da im Schatten zwei Töpfe eingegangen waren, so konnten auch 

zu wenig Pflanzen verglichen werden. An den besonnten Pflanzen 

sehen wir deutlich den fördernden Einfluss der Trockenheit auf das 

Blühen und wir beobachten, dass alle Pflanzen im Lichte früher blühen 

als die im Schatten. Dies sind die bis jetzt erhaltenen Ergebnisse 

meiner in bescheidenem Maßsstabe angestellten Versuche. 
Heidelberg, September 1892. 


Beiträge zur Kenntnis des anatomischen Baues der Ge- 
schlechtsorgane bei den Galeodiden. 
Vorläufige Mitteilung. 

Von A. Birula. 


(Aus dem zootomischen Institut der Universität St. Petersburg.) 


Die Hauptresultate meiner Untersuchungen des anatomisch - histo- 
logischen Baues der Genitalorgane bei den Galeodiden sind die fol- 
genden. 

Als Untersuchungsmaterial dienten: 

a) Galeodes araneoides Pall. (? und f), 
b) @aleodes ater Bir. (2). 

Die männlichen Genitalorgane sind von folgendem Baue: 

1) die äußere Genitalöffnung stellt eine Längsspalte in der Aus- 
buchtung des Hinterrandes des ersten abdominalen Ringes dar; 

2) in den mit Chitin ausgekleideten Uterus masculinus münden 
acinöse Drüsen (sog. Anhangsdrüsen) mit chitinisierter Intima; 

3) die Samenleiter (vasa deffer.) teilen sich im dritten abdomi- 
nalen Ringe in je zwei Aeste, welche, sich plötzlich verengend, in die 
fadenförmigen Hoden übergehen; 

4) in den Wänden jedes Samenleiters bei ihrer Mündung in den 
Uterus maseulinus liegen acinöse accessorische Drüsen mit hohem 
zylindrischem Epithel, aber ohne Intima; 

5) die histologisch nicht verschiedenen Enden eines jeden Astes 
der vasa deferentia blähen sich zur Zeit der Reife der Sexualpro- 
dukte zu Blasen auf und fungieren als Vesicula seminalis; 

6) die Hoden bestehen aus 4 dünnen und sehr langen gewun- 
denen Röhren, die vor der Mündung in die Vesicula seminalis das 
für sie typische Epithel verlieren und 

7) den speziell drüsigen Teil bilden, welcher dazu dient die 
Chitinsubstanz für die Membran der Spermatophoren auszuscheiden; 

8) der Same tritt in die Gesehlechtsorgane des Weibchens in der 
Form von ovalen etwas abgeplatteten Spermatophoren. 

Die weiblichen Geschleehtsorgane sind auf folgende Weise ge- 
baut: 

1) die äußere Genitalöffnung hat dasselbe Aussehen wie beim g'; 


688 Birula, Geschlechtsorgane der Galeodideii: 


2) die Vagina ist mit einer dieken, chitinisierten Intima aus- 
gekleidet; 

3) die receptacula seminis stellen zwei Blasen mit chitinisierter 
Intima vor und münden in die Vagina in der Nähe der Genitalöffnung; 

4) der Uterus ist an seiner hintern Wand mit zwei ohrförmigen 
Anhängseln versehen, die ihrem histologischen Baue nach sich nicht 
von den übrigen Teilen des Uterus unterscheiden und, wie es scheint, 
gar keine physiologische Rolle spielen; 

5) die Eileiter gehen unmittelbar in die Eierstücke über. Die 
Wände dieser beiden Abschnitte sind längsfaltig, infolge dessen sie 
bei der Anfüllung der Sexualorgane mit Eiern oder Spermatophoren 
sich bedeutend ausdehnen können, wodurch die Höhlung der Organe 
vergrößert wird; sie bestehen aus a) der äußeren Fettschicht, b) der 
“Ringmuskulatur, ec) der Längsmuskulatur, d) der tunica propria und 
e) dem zylindrischen Epithel. In den ersten drei Schichten wird 
eine reiche Verästelung der Tracheen beobachtet; 

6) die Eier entwickeln sich aus einer speziellen epitelialen Schicht, 
welche die nach außen geriehtete Wand der Eierstöcke auskleidet; 

7) die reifen Eier, welehe schon in den sich ausstülpenden Folli- 
keln liegen, haben ein sogenanntes „Stylum“ !); 

8) in der Höhlung der Eierstöeke und der Eileiter bemerkt 
man eine bedeutende Zahl freiliegender Zellen, welche sehr den Blut- 
körperehen ähneln. Die Zellen besitzen das Vermögen sich amö- 
boidal zu bewegen und zeigen Bilder der karyokynetischen Teilung. 
Sie zerstören die Hülle der Spermatophoren, befreien dadureh die 
Spermatozoiden und vernichten zugleich die überflüssigen Spermato- 
zoiden und die nicht befruchteten Eier ?); 

9) die reifen Eier fallen in die Höhlung der Eierstöcke und hier 
vollzieht sich die Entwicklung des Embryos; 

10) noch vor der Anlage der Extremitäten ist ein großer Unter- 
schied in der Form zwischen den Thorakal- und Abdominalsegmenten 
des Keimstreifens bemerkbar. Das Chelicerensegment wird später 
als die übrigen Thorakalsegmente getrennt, und zwar dann, wenn 
aus dem Schwanzabschnitte sich 3—4 Abdominalsegmente gebildet 
haben; 

11) die Gliederung der Extremitäten tritt schon in einem ziemlich 
frühen Stadium auf; 

12) Embryonalhüllen existieren nicht; 

13) es findet eine Umrollung des Embryos wie bei den Araneina 
statt; 

4) Bertkau, Ueber den Generationsapparat der Araneiden. Archiv. f. 
Naturgeschichte, 1875, S. 245. 

9) Derartige Körperchen sind von Prof. A. Schneider bei Nephelis, 
Aulostomum und Hirudo beschrieben: A. Schneider, Ueber die Auflösung der 
Eier und Spermatozoen in den Geschleehtsorganen. Zool. Anz., 1880, Nr.46, 5.19. 














Ögneff, Magenepithel. 689 


14) die Seitenorgane, die von Croneberg') beschrieben sind, 
stellen in jüngeren Stadien längliche, große, blasenförmige Säcke vor, 
welehe mit dem Körper über dem 1. Beinpaare mittels eines dünnen 
Stieles zusammenhängen. Bei den eben geborenen Jungen sind die 
Seitenorgane bedeutend verkleinert und zusammengeschrumpft. Bei 
dem erwachsenen Tiere müssen, wie es scheint, als ein Rest der 
Seitenorgane die zungenförmigen dreieckigen Hautfalten, welche sich 
unter den Mandibeln befinden, angesehen werden. 


Einige Bemerkungen über das Magenepithel. 
Von Dr. Ogneff in Moskau. 


Obgleich das Epithel der Magenschleimhaut schon sehr viele 
Male bei sehr verschiedenen Tieren untersucht worden ist und die 
verschiedenen diesen Gegenstand betreffenden Arbeiten an Gründ- 
lichkeit und Vollständigkeit scheinbar nichts zu wünschen übrig 
lassen, stellte es sich mir doch bei der erneuten Untersuchung bald 
heraus, dass man trotzdem noch einige und noch nicht aufgeklärte 
Einzelheiten an diesem Epithel aufzufinden vermag. Auf einige solche, 
soviel ich weiß, noch nicht beschriebene interessante Einzelheiten will 
ich in dieser kleinen Bemerkung hinweisen, die man bei den Katzen 
und jungen Hündchen auffindet. Wie bekannt wird das Magenepithel 
kurz folgendermaßen beschrieben: es bestehe aus fest mit ihren Seiten 
aneinander geklebten Zellen. Das eine Ende der Zelle ist von 
größerer oder minderer Quantität Schleim eingenommen (Becherzellen). 
Das innere Ende, das in einen Faden ausgezogen ist, endet frei, 
unter die gleichen Fäden der Nachbarzellen gebogen, in dem un- 
terliegenden festen Gewebe, der sogenannten Basalmembran, oder 
wie einige Forscher glauben, einer Schicht flacher Endothelzellen, 
geht aber nicht, wie ehemals Heidenhain meinte, in einen Fortsatz 
einer Bindegewebszelle über. Diese Beschreibung passt, wie ich 
mich überzeugen konnte, nicht für die Katzen. Hier, besonders an 
feinen Flächenschnitten, kann man leicht einsehen, dass die Epithel- 
zellen mit kurzen feinen Stächelehen an ihrer ganzen freien Ober- 
fläche bedeckt sind. Die Stächelehen sind nur an dem mit Schleim 
gefüllten Teile nicht zu sehen. Besonders stark und lang sind sie 
am Körper der Zelle, etwas kürzer und feiner an deren Schwanze. 
Bei aufmerksamer Untersuchung wird es klar, dass sie, sich gewöhn- 
lich etwas verjüngend oder verzweigend, in die Stacheln der Nach- 
barzellen übergehen, also Interzellularbrücken darstellen. Aus dem 
Gesagten folgt, dass zwischen den Zellen des Magenepithels bei der 
Katze ein System feiner interzellularer Kanälchen existiert, ähnlich 


4) Croneberg A., Ueber ein Entwicklungsstadium von Galeodes. Zool. 
Anz., 10. Jahrg., 1887. 
XII, 44 


690 Ögneff, Magenepithel. 


dem, das zwischen den Zellen der Malpighischen Schicht der Haut be- 
schrieben ist. Das System scheint an der Oberfläche der Schleim- 
haut geschlossen zu sein, dagegen offen von der Seite des unterlie- 
senden Gewebes. Wie nun aber die Kanälchen sich zu demselben 
beziehen, ist an gewöhnlichen Schnitten schwer zu sagen und stellt 
für den Augenblick einen Gegenstand der weiteren Forschung für 
mich dar, deren Resultate ich bald zu veröffentlichen hoffe. Hier 
will ich nur noch bemerken, dass die Interzellularkanälchen sich in 
die Gewebsspalten und perivaskulären Räume öffnen. Am breitesten 
und am klarsten zu sehen sind die Kanälchen an den Zellenkörpern; an 
der Grenze mit dem unterliegenden Gewebe werden sie der Ver- 
kürzung der Brücken wegen immer enger und unregelmäßiger. Leer 
erscheinen sie nie, scheinen aber mit einer Substanz, die schwächer 
lichtbrecherd ist, als die Interzellularbrücken selbst, erfüllt zu sein. 
Zuweilen sieht man in den Kanälchen Leukocyten liegen. 

Die beschriebene Eigentümliehkeit habe ich, außer bei den Katzen, 
bei anderen Haustieren (Hunden, Kaninchen ete.) nur äußerst schwach 
angedeutet gefunden. Bei Katzen ist dieselbe nur bei vollständig 
entwickelten Tieren vorhanden. Bei jungen noch die Muttermilch 
saugenden Kätzchen sind keine Stacheln an den Zellen des Magen- 
epithels zu finden. Sie fangen erst am 10.—12. Tage des Extrauterin- 
lebens an sichtbar zu werden; dabei findet man sie zuerst im Fundus 
des Magens und viel später am Pylorus. Anfangs sind die Stacheln 
außerordentlich dünn und kurz und nur mit Hilfe stärkerer Objektive 
zu unterscheiden. Erst bei den Tieren von 1!/,—2!/, Monaten er- 
langen sie ihre volle Entwicklung. 

Eine andere Besonderheit, auf die ich hier hinweisen wollte, 
steht in einem gewissen Zusammenhange mit der eben beschrie- 
benen und hat eine größere Verbreitung, wenigstens wird sie nicht 
allein bei jungen Kätzchen gefunden, sondern ist auch bei jungen 
Hündehen und Mäusen sehr klar ausgeprägt. Diese Besonderheit, 
deren schon v. Kölliker im Jahre 1857 mit einigen Worten erwähnt 
hat!), besteht darin, dass die Epithelzellen der Magenschleimhaut 
bei jungen noch die Muttermilch saugenden Tieren konstant Fett- 
tröpfehen enthalten. Bei solehen Tierchen, wenn sie, gerade von der 
Mutter genommen, getötet werden, findet man den Magen mit einem 
Stücke Kasein gefüllt, dasselbe ist an seiner Oberfläche mit mehr 
oder weniger großen Tropfen Oel bedeckt. Schon mit bloßem Auge 
sieht man an der Schleimhaut weißliche Fleeken, die den Orten ent- 
sprechen, wo die Zellen in sieh Fettkörnchen enthalten. Gewöhnlich 
enthält die Pars pylorica mehr Fett in sich als der Fundus. Davon 
überzeugt man sich leicht sowohl bei der Untersuchung mit bloßem 
Auge als auch mit Hilfe des Mikroskopes. Mit Hilfe dieses letzteren 

4) Verhandlungen der physikalisch - medizinischen Gesellschaft in Würz- 
burg, Bd. VIL, S. 176, 1857. 

















Ögneff, Magenepithel. 691 


sieht man auch klar, dass die Fettkörnchen sich ausschließlich nur 
in den Becherzellen befinden, und von diesen auch nur in denen, 
die die Gipfel der Falten zwischen den Drüsen einnehmen. Gewöhn- 
lich sieht man die Tröpfehen nur um den Kern der Zellen herum 
liegen und zwar in sehr verschiedenen Mengen: bald enthielten 
die Zellen nur einige feine Körnchen, andere Male waren dieselben 
fast strotzend gefüllt. Das der freien Oberfläche der Schleimhaut 
zugewendete Ende der Zellen enthielt dabei fast nie Fetttröpfehen. — 
Nach den Versuchen, die ich an kleinen Hündehen und Kätzchen an- 
stellte, konnte ich mich überzeugen, dass nach Fütterung mit Milch die 
Fetttröpfehen in den von Drüsenlumen am weitesten entfernt gelegenen 
Zellen zuerst erscheinen und am spätesten von hier verschwinden, 
überhaupt dass zwischen der Nahrungsaufnahme und dem Fettgehalte 
der Zellen ein gewisses direktes Verhältnis existiere. Man findet 
also 1!/,—3 Stunden nach Fütterung mit Milch (oder mit fettreicher 
Speise bei größeren Tieren) merklich mehr Fettkügelchen in den 
Zellen, nach Hungern oder nach Fütterung mit fettarmer Speise 
merklich weniger. Ich kann mich aber gar nicht entscheiden alle 
diese beschriebenen Erscheinungen als Resorption zu definieren, da 
ich erstens nie Bilder auffinden konnte, die ganz entschieden als 
Aufnahme von Fett von außen gedeutet werden konnten; zweitens 
konnte ich auch nie den Weg finden, durch welchen das Fett aus 
den Zellen bei noch die Muttermilch saugenden Tierchen verschwindet. 

Bei aller Mühe, die ich mir gab, um die Frage von dem Schick- 
sale des Fettes in den Epithelzellen des Magens zu entscheiden, 
konnte ich bis jetzt nur Folgendes auffinden: 

1) Die Fettkörnehen werden nur solange in den Becherzellen 
gefunden, bis dieselben zu funktionieren, also Schleim abzusondern 
angefangen haben. Sobald nun aber dieser Prozess anfängt und man 
also offene und leere Becher auffindet, verschwinden die Körnchen. 
Nach außen scheinen sie aber dabei nicht hinausgeworfen zu werden; 

2) das Verschwinden der Körnchen fängt im Magenfundus an 
und schreitet von hier zu der Pars pyloriea fort. Hier kann man 
mit Fettkügelchen erfüllte Zellen bei Hündehen und Kätzchen 2—3 
Monate nach der Geburt, ja noch später auffinden; 

3) bei den Kätzchen fällt das Verschwinden der Fettkügelehen 
mit dem Erscheinen der Stachelehen an den Zellen zusammen. Das- 
selbe fängt auch zuerst am Fundus des Magens an und erst später 
erstreckt es sich auch auf die Pars pylorica. — Es ist sehr interes- 
sant zu bemerken, dass die Fettkörnchen dabei allmählich zwischen 
den Zellen, also in den sich formierenden Kanälchen erscheinen. — 
Da haben aber die Kügelehen ein ganz anderes Aussehen als im 
Inneren der Zellen. In diesen letzteren sind die Kügelchen verhältnis- 
mäßig groß, erreichen zuweilen die Größe der kleinen Miichkügelchen 
(beim Hunde und Katze). Zuweilen haben sie eine verschiedene 

44° 


692 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


Größe in einer und derselben Zelle. In den Kanälchen erscheint 
aber das Fett in Form von unermesslich feinen Körnchen, die man 
hie und da im Lumen des Kanälchens sieht. Haufen solcher Körnchen 
kann man zuweilen in den feinen Spalten der Tunica propria auf- 
finden, was auf die Möglichkeit einer Fettresorption in dem Magen 
hinzuweisen scheint. Man kann nun aber eines mit Sicherheit dabei 
behaupten, dass, wenn diese Resorption auch stattfindet, sie nur 
äußerst gering sein muss: einen andern Schluss erlauben mir die von 
mir gesehenen Bilder nicht zu machen. 
Moskau, 15. Juli 1892. 


Neurologische Untersuchungen. 


Max Dessoir, Ueber den Hautsinn. Archiv für Anatomie und 
Physiologie. Physiologische Abteilung, 1892, S. 175—339. 


In dem ersten Teil der sowohl ausführlichen wie gründlichen 
Bearbeitung wird die Lehre von den Empfindungen behandelt; die- 
seiben sind, erkenntnistheoretisch betrachtet, Zeichen für die Vorgänge 
der äußeren und der inneren Welt, psychologisch lassen sie sich in 
ihren Inhalt und in den Akt des Empfindens zerlegen, der ein Be- 
wusstseinsvorgang ist, während für den Inhalt die Eigenthätigkeit 
zurücktritt. Wahrnehmung wird von Empfindung am besten durch 
das Merkmal der Zusammengesetztheit geschieden. Während die 
Empfindung eine vom Bewusstsein der seelischen Eigenschaften ge- 
tragene Sinnesvorstellung einfachster Natur ist, besteht die Wahr- 
nehmung aus einer Sinnesvorstellung zusammengesetzter Natur. Die 
Haupteigenschaft der Empfindung ist die Intensität, die Qualität hat 
erst bei der Wahrnehmung Bedeutung. — Was die Mitempfindungen 
anbetrifft, so sind die echten von den unechten, wie Begleitempfin- 
dungen, sekundäre Erinnerungsbilder und Empfindungsreflexe zutrennen. 
Die echten Mitempfindungen zerfallen in ungleichartige und gleichartige; 
letztere in Doppelempfindungen und Verstärkungs- und Schwächungs- 
empfindungen. Die Reflexe zerfallen in zwei Gruppen, a) wo der 
Reiz unbemerkt bleibt, b) wo der Reiz bemerkt wird. Jede dieser 
Gruppen wird in 3 Abteilungen gegliedert: 1) Reflexe unbemerkt, 
2) Reflexe bemerkt, 3) Reflexe bemerkt und von kürzerer Empfindung 
begleitet. — An der herrschenden Theorie von den spezifischen 
Energien der Empfindungen und Wahrnehmungen ist nur die That- 
sache anzuerkennen, dass ein bestimmtes Nervengebilde immer nur 
eine bestimmte Wahrnehmungsart liefert; falsch erscheint es, dass 
ein und derselbe Reiz diese verschiedenen Wahrnehmungen hervor- 
bringen könne und dass eine Mehrheit von Reizklassen (besonders 
Sinnes- und elektrischer Reiz) ein und dieselbe Wahrnehmungsart 
erzeuge. Es bleiben aber wohl zu Recht bestehen die spezifische 
Erregung, die jedem Sinnesapparate, und die spezifische Funktion, 





Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 693 


die jedem Großhirnrindenbezirke zukommen. — Von der exzentrischen 
Projektion ist die Enternalisation zu scheiden. Während erstere darin 
besteht, dass Empfindungen nicht als Thätigkeit des Gehirns (des 
Zentrums) sondern als Vorgänge in den übrigen Körperteilen auf- 
gefasst werden, sprechen wir von Enternalisation, wenn gewisse 
Wahrnehmungen in die Objekte der Außenwelt als deren Eigenschaften 
verlegt werden; beide Erscheinungen finden zum Teil eine Erklärung 
in der verschiedenartigen Beteiligung der Muskelthätigkeit. Entwick- 
lungsgeschichtlich geht die Enternalisation der exzentrischen Projek- 
tion und diese wieder der Lokalisation voraus. Zur Klassifikation 
der Sinne schlägt D. folgende Einteilung vor: 

1) Totalempfindungen (Wohl-, Uebelbefinden), 

2) Organempfindungen (Hunger, Ekel, Wollust), 

3) Irrdiationsempfindungen (Kitzel, Schauder), 

4) Summationsempfindungeu (Temperatur, Schmerz, Druck), 

5) Zentralempfindungen (Riechen, Schmecken, Hören, Sehen). 

Für die Lehre von den durch die Haut vermittelten Empfindungen 
schlägt Verf. die Bezeichnung „Haptik“ vor, nach Analogie von Optik, 
Akustik u. s. w. Die Haptik im Besonderen zerfällt in den Kontakt- 
sinn (Berührungs- und Druckempfindungen) und in die Pselaphesie 
(Tast- und Muskelsinn). — 

Der zweite Teil der Arbeit enthält eingehende Betrachtungen und 
mannigfache eigenartige Untersuchungen über den Hautsinn. Wir 
beschränken uns auch hier darauf, die Hauptsätze aus den zusammen- 
fassenden Schlussbemerkungen des Verfassers anzuführen, obwohl die 
einzelnen Untersuchungen viel Neues und Anregendes enthalten. Der 
Temperatursinn ist eine einheitliche zu den Summationsempfindungen 
gehörende Wahrnehmungsmodalität mit zwei Qualitäten, die sich in 
wachsender Größe von einem Nullpunkt entfernen. Der Versuch aus 
vivisektorischen und pathologischen Beobachtungen eine Trennung in 
zwei Modalitäten herzuleiten, scheint ebenso wenig geglückt, wie der 
Versuch, zwei verschiedene Endapparate nachzuweisen. Die Blix’schen 
Punkte sind ein Kunsterzeugnis. Ob wir Wärme oder Kälte fühlen, 
ist nicht davon abhängig, ob ein Wärme- oder Kältepunkt von einem 
beliebigen Reiz getroffen wird, sondern davon, welcher Reiz auf den 
einheitlichen Endapparat einwirkt. D. nimmt an, dass bei der Kälte- 
empfindung die Hautwärme sinkt, bierdurch der nervöse Endapparat 
sich ausdehnt und einen ganz bestimmten Reiz mit Hilfe des indif- 
ferenten Leitungsnerven an das Großhirn übermittelt, während ein 
andersartiger Reiz an das Zentrum gelangt, sobald die Hautwärme 
durch Zufuhr von außen oder durch Behinderung ihrer normalen Aus- 
strahlung steigt und der Endapparat sich verdichtet. Die Intensität 
einer Temperaturempfindung entspricht nicht schlechthin der lebendigen 
Kraft der Bewegungen der Wärmereize, sondern sie ist noch durch 
folgende Faktoren bedingt: Die Größe der getroffenen Fläche, die 


694 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


Zeit der Einwirkung des Reizes, die Dieke der Oberhaut, ihr Leitungs- 
vermögen und ihre Temperatur. Die mittlere Hauttemperatur liegt 
zwischen 32 und 35° C. — Die Entscheidung über den nervösen End- 
apparat der Haut muss sich aus der histologischen Untersuchung 
derjenigen Teile ergeben, die alle anderen Hautempfindungen, aber 
keine Temperaturempfindungen vermitteln (Epidermis). — Erkran- 
kungen der peripheren Nerven des Rückenmarks und des Gehirns, 
sowie die Wirkungen einzelner Arzneimittel lehren, dass der Tem- 
peratursinn in einem bestimmten Umfange unabhängig von den übrigen 
Sensibilitätsmodalitäten ist und am nächsten dem Schmerze steht. 
Was das zeitliche Verhältnis betrifft, so lässt die Reizung einer 
mittelempfindlichen Hautstelle durch Kälte von — 10° C ungefähr 
2/,, Sekunden zwischen Druck- und Kälteempfindung, Wärme von 
—- 40° C etwa 9, Sekunden verstreichen; das Intervall zwischen 
Wärme und Schmerzgefühl schwankt je nach der Stärke des Reizes 
von 7 Sekunden bis hinunter zu !/,, Sekunde. Die Reizung eines 
sensiblen Nerven in seinem Verlaufe durch unmittelbare Reize setzt 
zwar eine Erregung, aber nicht die Sinnesempfindung, die man er- 
warten könnte, also etwa Wärme oder Kälte. Sollte es aber der 
Fall sein, so wäre damit für die übliche Lehre von den spezifischen 
Energien nichts gewonnen; denn man dürfte vasomotorische Vorgänge 
oder die Thätigkeit der Terminal-Körper in den Nervenscheiden für 
das etwaige Auftreten der Empfindung verantwortlich machen. — 


Hawald Holm, Den dorsale Vagus kjernes Anatomie en Patologi 
(Norsk. Magazin f. Laegeridenskaben, Nr. 1, 1892). 


Die Untersuchungen an Schnitt-Serien von totgeborenen Kindern 
und jungen Kaninchen, Kätzchen und Hunden sowie Erwachsenen er- 
geben eine direkte nervöse Verbindung des Vaguskernes (dorsalen) 
mit dem Faseic. solitar. Die Hälfte der Vagusfasern entspringt einer 
vorher unbekannten Zellengruppe und hat einen an das Facialisknie 
erinnernden Verlauf. Der Nervus glossopharyngeus hat wie der 
Trigeminus eine aufsteigende sensitive und eine hinabsteigende mo- 
torische Wurzel. Das Zentrum der Tracheobronchialreflexe ist in den 
kleinen dorso-lateralen Ganglienzellen des Vaguskernes zu suchen. 
Das Respirationszentrum dürfte in den großen Zellen der ventro- 
medialen Gruppe des Vaguskernes liegen. — 


W. von Bechterew, Zur Frage über die Striae medullares des 
verlängerten Marks. Neurologisches Centralblatt, 1892, Nr. 10. 


Dureh Untersuchungen bei Kaninchen und Katzen stellte man 
fest, dass die Striae acusticae eine Fortsetzung der Fasern der hin- 
teren Acustieus-Wurzeln seien. Nach v. Beehterew und H. Virchow 
dürften die Striae acustieae dieser Tiere denen des Menschen nicht 
analog sein. Während die Striae bei Katzen und Kaninchen nach 
Umkreisung des Striekkörpers sich in die Marksubstanz versenken, 





Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 695 


in die bogenförmigen Fasern der Formatio retieularis übergehen und 
sich dann in der Raphe kreuzen, verlaufen die Striae des Menschen 
nach Umkreisung des Corpus restiforme auf dem Boden der Rauten- 
grube bis zur Mittellinie und versenken sich dann in die Raphe. 
Diese Fasern entwickeln sich viel später als die Acusticuswurzeln. 
Während die Stärke des Acustieus keinen wesentlichen Schwankungen 
unterliegt, variiert die Dieke der Striae und übertrifft häufig die Dicke 
des hinteren Acusticuszweiges. Die Fasern der Striae gehen längs der 
Oberwand der äußeren Fläche des Striekkörpers über die Fasern des 
hinteren Acustieuszweiges hinweg, und nach außen vom Tub. acustie, 
unmittelbar in die weiße Substanz des Kleinhirns (Nähe des Floceulus), 
wo sie fast sogleich verschwinden, während die Fasern des hintern 
Acustieuszweiges als äußerst zarte grauliche Bündel nach Umkreisung 
des Strickkörpers an seiner inneren Grenze in das verlängerte Mark 
verschwinden. — Die Striae stehen weder zu den Funiculi teretes 
noch zum Vagus, Glossopharyngeus und zum Trigeminus in irgend 
einer Beziehung. Sie scheinen zur Verbindung der Basalabschnitte 
des Kleinhirns mit einander zu dienen. — 


Canizzaro, Ueber die Funktion der Schilddrüse. Deutsche medi- 
zinische Wochenschrift, 1892, Nr. 9. 

Hunde und Katzen, an denen totale Thyrektomien gemacht wurden, 
blieben am Leben, wenn ihnen die eigene exstirpierte Drüse wieder 
einverleibt wurde oder die eines anderen Tieres auf ihre Museuli 
sterno-hyoidei verpflanzt wurde. Dabei nahm die verpflanzte Drüse 
jedesmal einen embryonalen Zustand an. Doch blieben die Tiere auch 
bei zwangsmäßiger Milchfütterung und großen Bromkali-Dosen am 
Leben. Auch Hunde, die der Schilddrüse beraubt waren, blieben am 
Leben, wenn ihnen das eigentümlich präparierte konzentrierte Blut 
von gesunden Hunden unter die Haut gespritzt wurde. Dasselbe 
Resultat wurde erzielt mit einem aus den Schilddrüsen verschiedener 
Tiere zubereiteten Saft und mit einem aus der Hirnrinde gesunder 
Hunde präparierten Saft. — Alle Phänomene nach Thyrektomie werden, 
wie C. annimmt, auf die Alteration der Ganglienzellen-Funktion durch 
das Fehlen oder die zu geringe Menge des Schilddrüsensekretes 
zurückzuführen sein. — 


J. Kopp, Veränderungen im Nervensystem, besonders in den peri- 
pherischen Nerven des Hundes nach Exstirpation der Schild- 
drüse. Virchow’s Archiv, Bd. 128, Heft 2. 

An den Nerven zweier Hunde, die von Kocher der Schilddrüse 
beraubt und 4—7 Tage nach der Operation getötet waren, fanden sich 
herdförmige perineuritische Zonen, die von eigentümlichen Zellen 
durchsetzt waren. Diese Zellen glichen den von Langhans be- 
schriebenen ein- und mehrkammerigen Blasenzellen. Die Nervenfasern 
selbst schienen den Herden auszuweichen. Die Muskeln zeigten herd- 


696 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


weise auftretende Degenerationen mit dem Charakter großzelliger 
Spindelsarkome. Die Pyramidenbahnen der Medulla oblongata und 
des Rückenmarks ließen eine bedeutende Schwellung der Axenzylinder 
erkennen. — 


F. de Sarlo e C. Bernardini, Ricerche sulla eircolazione cere- 
brale durante l’ipnosi. Rivista speriment. di freniatria e di 
med. leg., Bd. 17, H.3, 1891. 


Bei einem 40jährigen Epileptiker, der durch einen Unfall eine 
Lücke im Schädeldach sich zugezogen hatte, gelang es eine Hypnose 
mit kataleptischen und letargischen Zuständen zu erzielen. Die 
während der Hypnose an dem entblößten Hirnteile vorgenommenen 
sphygmograpbischen Untersuchungen ergaben, dass im letargischen 
Stadium Hyperämie, im kataleptischen Anämie bestand. Während 
des hypnotischen Zustandes beobachtete man größere Pulsfrequenz 
und fast Verschwinden der respiratorischen Schwankungen. Die 
psychische Thätigkeit ruft während der Hypnose eine gleiche Gefäß- 
reaktion hervor, wie im gewöhnlichen Zustande, nur ist dieselbe 
infolge der bestehenden Vasokonstriktion weniger deutlich. Der Hy- 
pnotismus macht immer nur die schon früher in latenter Weise in 
dem Individuum existierende Manifestation der reflektorischen Ueber- 
erregbarkeit augenscheinlich. 


F. de Sarlo e C. Bernardini, Ricerche sulla eircolazione cere- 
brale durante Yattirita psichica. Riv. sper. di freniatria, Bd. 17, 
H.4, 1891. 


Bei einem Bauer, der nach einer schweren Kopfverletzung einen 
dreieckigen Defekt in der Gegend der Rolando’schen Furche am 
Schädel zurückbehalten hatte, traten seit der Verletzung (in seinem 
22. Lebensjahr) epileptische Anfälle auf; auch war er hemiplegisch 
und bekam hallucinatorische Zustände. An diesem Kranken wurden 
sphygmographische Kurven an dem bloß liegenden Hirnteilen und an 
den peripheren Arterien aufgenommen, während zugleich der Kranke 
durch einfache Sinneseindrücke und durch Hervorrufen von Affekten 
gereizt wurde. Die psychischen Funktionen riefen auf reflektorischem 
Wege Gefäßveränderungen hervor, und zwar in den nervösen Zentral- 
organen konstant eine Gefäßerweiterung, während die peripheren Ge- 
fäßveränderungen keinerlei Regelmäßigkeit erkennen ließen. Daher 
ist von einem Antagonismus zwischen cerebraler und peripherer 
Zirkulation kaum zu sprechen. — 


Aloys Kreidl, Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinths auf 
Grund von Versuchen an Taubstummen. Pflüger’s Archiv, 

51. Bd., Heft 1 u. 2, 1892. 
Im Hinblick auf die Mach-Breuer’sche Theorie hatte bereits 
James 1883 Untersuchungen angestellt, ob Taubstumme, bei denen 








Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 697 


häufig die Bogengänge verändert sind, schwindlig gemacht werden 
können. Von 519 Taubstummen blieben 186 schwindelfrei, währen! 
von 200 Gesunden nur 1 Individuum schwindelfrei blieb. Kreidl 
wiederholte diese Versuche in modifizierter Weise. Bei 109 Taub- 
stummen wurden in 50 Prozent die reflektorischen Bewegungen der 
Bulbi vermisst, die bei einer schnellen Körperbewegung um die Längs- 
axe und damit verbundener Bewegung der Endolymphe in den Bogen- 
gängen ausgelöst werden. Bei der Untersuchung von 50 normalen 
Menschen wurde nur einmal die exakte Bewegung der Bulbi bei der 
Drehung vermisst. Daraus schließt Kreidl, dass die kompensatorisch 
ausgeführten Bewegungen der Augen bei Drehung des Kopfes und 
des Körpers thatsächlich von den Bogengängen ausgelöst werden, 
und dass die Bogengänge das Perzeptionsorgan für die Drehungen 
des Kopfes und des Körpers seien. — Der Vestibularapparat scheint 
das Sinnesorgan für die geradlinige Körperbewegung zu sein. — 


Vittorio Marchi, Sull’ origine e decorso dei peduncoli cerebellari 
e sui loro rapperti cogli altri centri nervosi. Rivista speri- 
mentale di freniatria e di med. leg. 17. II. 


An 15 Hunden und Affen untersuchte M. die degenerierten Par- 
tien nach Abtragung verschiedener Teile des Kleinhirns. Er konnte 
feststellen, dass die oberen Kleinhirnarme sich nicht völlig kreuzen. 
Ein kleiner Faserzug entspringt direkt der exstirpierten Kleinhirn- 
hälfte und endet in den Thalami optiei, während das Hauptbündel 
im entgegengesetzten roten Kern endet. Die mittleren Kleinhirnarme 
sind nicht nur Kommissurfasern zwischen beiden Kleinhirnhälften. 
Ehe sie sich im Suleus medianus vereinigen, dringen sie in die Pyra- 
midenbündel, um in die gleichseitige Ponshälfte zu münden. Die 
unteren Kleinhirnarme senden ein Bündel an die entgegengesetzte 
Olive und bilden die Fibrae arciformes und das direkte Kleinhirn- 
bündel Flechsig’s.. Das hintere Längsbündel und das Reil’sche 
Band entspringen gemeinschaftlich aus dem Kleinhirnmittellappen und 
bilden so die Verbindung der Hirnnerven mit dem Kleinhirn. — Der 
Ursprung der drei Kleinhirnarme verbreitet sich über die ganze Klein- 
hirnrinde mit dem Unterschied, dass der Nucleus dentatus eine größere 
Fasermenge dem oberen Kleinhirnarm, der Wurm dem mittleren 
liefert. — 


A. van Gehuchten et J. Martin, Le bulbe olfactif chez quel- 
ques mammiferes. La Cellule, Tome VII, 2. 


Der Bulbus olfactorius von Hunden, Katzen, Kaninchen, Ratten 
und Mäusen wurde mit Hilfe der „raschen Golgi’schen Methode“ 
untersucht. Man kann an ihm unterscheiden 1) die Schicht der peri- 
pherischen Nervenfasern, welche aus den Axenzylinderfortsätzen der 
bipolaren Zellen der Riechschleimhaut entspringen und frei mit ihren 


698 Kalischer, Neurologische Untersuchungen. 


letzten Endigungen in die Glomeruli gehn. 2) Die Schieht der Mitral- 
platten (obere Federbuschzellen), welche die Knänelschicht, die mole- 
kuläre Schicht und die Nervenzellenschicht der deutschen Autoren 
umfasst. Der Axenzylinderfortsatz der Nervenzellen dieser Schicht 
(Mitralzellen) geht in eine Nervenfaser des Traetus olfactorius über. 
3) Die Schicht der Traktusfasern, die zahlreiche Kollateralen besetzen. 
Zu dieser gehören auch die sogenannten Körner, welche nur zum 
Teil Nervenzellen sind. Demnach nimmt die Leitung der Geruchs- 
reize zum Gehirn folgenden Weg: Riechzellen, Fila olfaetoria, End- 
bäume derselben, Endbäume der absteigenden Protoplasmafortsätze 
der Mitralzellen, Mitralzellen, Traktusfasern. Die Uebertragung der 
Erregung von den Endbäumen der Fila olfactoria auf die Endbäume 
der (durchaus nieht nur nutritive Funktionen habenden) Protoplasma- 
fortsätze der Mitralzellen findet in der Glomerulis durch Kontakt statt. 
In einem Glomerulus enden mehrere Olfaktoriusfasern, anderseits steht 
eine Olfaktoriusfaser zuweilen durch ihre Aeste mit mehreren Glo- 
merulis in Verbindung. Jeder Glomerulus steht nur mit einer Mitral- 
zelle in Verbindung (bei dem Hund allein mit mehreren). 


Berdez, Recherches experimentales sur le trajet des fibres centri- 
petes dans la mo&lle epiniere. Revue medicale de la Suisse 
romande, 1892, 20. Mai. 


B. durchschnitt in verschiedenen Höhen die Rückenmarkswurzeln 
und tötete die Tiere (Meerschweinchen) 20—35 Tage nach der Opera- 
tion. Nach seinen Untersuchungen sind die langen Fasern des Goll’- 
schen Stranges zum großen Teil direkte Fortsetzungen der hintern 
Wurzelfasern. Eine große Zahl derselben verlässt aufwärts steigend 
den Hinterstrang, aber einige verbleiben in demselben von der Cauda 
equina bis zum bulbären Hinterstrangkern. Die innere Partie des 
Hinterstrangs ist nicht ausschließlich aus Wurzelfasern gebildet. Die 
Fasern der Grenzzone des Suleus paramedianus dorsalis bleiben frei 
von Degeneration und stammen aus der grauen Substanz. Auch in 
den Vorderseitensträngen fanden sich degenerierte Fasern, und zwar 
auf der der Läsion entgegengesetzten Seite mehr ausgesprochen. 
Sehr stark degeneriert waren die Kleinhirnseitenstrangbahnen. Nach 
Durchschneidung der hinteren Wurzeln ist die aufsteigende Degenera- 
tion bilateral, stärker jedoch auf der Seite der Läsion. Im Hinter- 
strang verlaufen absteigende Fasern in einem Bande, das sich vom 
vorderen Winkel bis gegen die Mitte der Peripherie des Hinterstranges 
zieht; auch wurden absteigende degenerierte Fasern in den Vorder- 
seitensträngen beobachtet. 

Consiglio, Sur les fibres d’arret de la respiration dans le tronc 
du vague. Arch. ital. de Biologie, Bd. 17, Heft. 

Nach Spalitta muss man bei der Atmungsinnervation beschleu- 
nigende Fasern vom Sympathicus und Hemmungsfasern vom Vagus 








Brehm’s Tierleben, 699 


unterscheiden. C. suchte festzustellen, ob nicht die Hemmungsfasern 
der Atmung (wie die Herzhemmungsnerven des Vagus) auch vom 
inneren Ast des Accessorius kommen. Er stellte an Hunden und 
Katzen Ausreißungsversuche (nach Cl. Bernard) an, und fand, dass 
nach Entfernung des Accessorius der Vagus seinen hemmenden Ein- 
fluss auf die Atmung verliert; dass ferner jede Reizung des Vagus 
nach Entfernung des Accessorius die Atmungskurve vergrößert. Der 
spinale Vagusstumpf, der nach Durchschneidung der Sympathieus- 
fasern mit leichten Strömen gereizt wird, vermehrt die Frequenz der 
Atmung nicht. Bei Hunden sind die accelerierenden Fasern leichter 
erregbar, als die die Atmung hemmenden. 


W. von Beehterew, Ueber zeitliche Verhältnisse der psychischen 
Prozesse bei in Hypnose befindlichen Personen. Neurologisches 
Centralblatt, 15. Mai 1892, Nr. 10. 


Die Versuche wurden von Henika und Wartyuski an 3 mit 
hypnotischer Suggestion behandelten Patientinnen mit Hilfe des Hipp’- 
schen Chronoskops angestellt. Die bei den genannten Personen im 
wachen Zustande erhaltenen Werte bei der Bestimmung der einfachen 
Reaktionszeit, der Apperzeptions- und Wahlzeit unterschieden sich 
wenig von den von anderen Autoren angegebenen Werten für dieselben 
psychischen Prozesse beim gesunden Menschen. Dagegen erwiesen 
sich die Durchschnittswerte bezüglich der Zeit des Zählens von ein- 
fachen Zahlen und der Zeit der Assoziation von Vorstellungen merk- 
lich größer als bei Gesunden. Im hypnotischen Zustand ist die ein- 
fache Reaktionszeit, die Apperzeptions- und Wahlzeit im Vergleich 
zum wachen Zustande verlängert, die Zeit des Zäblens und der Asso- 
ziation war in der Hypnose meist kürzer. Die Zeit aller oben er- 
wähnten psychischen Prozesse war im hypnotischen Zustande, wenn 
den Untersuchten suggeriert wurde, dieselben schneller zu vollführen — 
unbedingt kürzer als die Zeit derselben Prozesse im hypnotischen 
Zustande ohne solche Suggestion. Die Verschlimmerung des nervösen 
Zustandes der Versuchspersonen verlängerten deutlich den Gang der 


psychischen Prozesse. 
S. Kalischer (Berlin). 


Brehm'’s Tierleben Bd. VI. 


Von der neuesten (dritten) Auflage von „Brehm’s“ Tierleben (Leipzig und 
Wien, Bibliograph. Institut, 1891) ist nun der siebente, von Professor Dr. O. 
Boettger und Prof. Dr. Pechuel-Loesche bearbeitete Band, der die 
Kriechtiere und Lurche behandelt, erschienen und wird nicht verfehlen, bei 
den immer zahlreicher werdenden Freunden dieser beiden, einst so allgemein 
gehassten und gefürchteten Tierklassen die lebhafteste Befriedigung hervor- 
zurufen. 

Schon bei flüchtigem Durchblättern des Bandes fallen die zahlreichen neuen, 
von Mützel’s Meisterhand herrührenden Abbildungen im Text auf; besonders 


700 Brehm’s Tierleben. 


sind die Abbildungen der Blind- und Erzschleiche, der Sandotter und Teich- 
schildkröte, des Scheibenfingers und anderer europäischer Arten als äußerst 
gelungen hervorzuheben; nicht weniger die gänzlich neuen des Fransenfingers, 
des Moor- und Springfrosches, überhaupt besonders vieler Lurche. (Nicht be- 
sonders sind dagegen einige Molge-Arten und die rotbauchige Unke ausgefallen.) 
Sechzehn (meist Chromo-) Tafeln und eine Karte der geographischen Verbreitung 
zieren überdies das schöne Werk. 

Was den Text anbelangt, so sind die trefflichen Arbeiten v. Fischer’s 
und vieler anderer hervorragender Beobachter der neueren Zeit im vollsten 
Maße berücksichtigt worden und zahllose größere und kleinere Beobachtungen 
über das Leben der in den letzten Jahrzehnten beobachteten interessanteren 
Kriechtiere und Lurche in Freiheit und Gefangenschaft sind derart geschickt 
in den Rahmen des früheren Textes eingefügt, dass der Gesamteindruck des 
Werkes, das ja noch immer „Brehm’s“ Tierleben bleiben sollte, wesentlich 
unverändert blieb. 

Dagegen wurde die systematische Anordnung der besprochenen Tiere den 
neuesten Forschungen, namentlich den grundlegenden Arbeiten Boulenger’s 
gemäß sehr beträchtlich umgestaltet und entspricht nun auch den strengsten 
wissenschaftlichen Anforderungen. Einzelne Stellen wie der die Einteilung 
der Nattern betreffende Absatz auf $.272 werden gewiss auch bei Laien auf 
dem Gebiete der Herpetologie ungeteiltes Interesse wachrufen. 

Von besonderer Bedeutung ist vor allem jene Stelle (S. 202 fg.), wo auf 
Grund der Mitteilungen glaubwürdiger Forscher und Reisender die Anzahl der 
Todesfälle durch Schlangenbiss in den Tropen als außerordentlich übertrieben 
nachgewiesen wird; namentlich in Britisch-Indien, woher alljährlich die entsetz- 
lichsten Schauerberichte über diesen Gegenstand in die Blätter Europas ge- 
langen, wird den Giftschlangen fast jeder Todesfall, bei dem es nicht ganz 
sauber zuging, kurz „nahezu alles, was aus irgend einem Grunde die Oeffent- 
lichkeit zu scheuen gerechte Ursache hat“ zur Last gelegt. Man kann daraus 
ersehen, wieviel von gewissen Reisebeschreibungen und von den 20000 Menschen, 
die alljährlich angeblich in Bengalen den Giftschlangen zum Opfer fallen, zu 
halten ist. 

Auf 8.201 findet man zwar noch die alte Fabel über die Schlangen-Land- 
plage in den Tropen recht glaubwürdig hingestellt; das ist aber noch eine 
aus der früheren Auflage herübergenommene Stelle, was hier ausdrücklich 
hervorgehoben werden soll. Ueberhaupt ist wohl hie und da der Text Brehm’s 
auf Kosten von Beobachtungen, die noch der Aufnahme wert gewesen wären, 
etwas zuviel geschont; Brehm war den Schlangen nicht eben freundlich ge- 
sinnt und schrieb ihnen und anderen Kriechtiere allzu geringe psychische 
Thätigkeit zu. 

Doch sind dies unbedeutende Mängel im Vergleich zu den Vorzügen des 
Werkes; welches nicht nur über die Lebensweise, sondern auch über die 
Organisation alles auch für den Nichtfachmann Wissenswerte von einem großen 
Teile aller überhaupt bemerkenswerter Kriechtiere und Lurche enthält und 
den Freunden dieser Tiere eine unerschöpfliche Quelle von Unterhaltung und 
Belehrung sein wird. 

Schließlich möge noch auf die Studie Boettger’s über den Einfluss von 
Klima und Boden auf die Kriechtiere Transkaspiens (S 14) aufmerksam ge- 
macht werden. Dr.>R.W. 

















Nasse, Ueber Antagonismus. 01 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 


Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. 
Sitzung vom 31. Mai 1892. 


Herr O0. Nasse hielt den angekündigten Vortrag über Antagonismus. 


Von dem Antagonismus, unter welchem hier „Antagonismus der Gifte* 
verstanden werden soll, wird gehandelt in der allgemeinen Pharmakodynamik, 
einem Zweig der medizinischen Wissenschaften, der zu der allgemeinen Physio- 
logie in engster Beziehung steht. Ist doch die immer wiederkehrende Frage, 
wie wirken fremde Moleküle oder auch die den Organismen eigenen Substanzen, 
wenn sie in abnormer Menge vorhanden sind, auf die Organismen, eine physio- 
logische Frage, deren Bearbeitung nötig wäre, auch wenn niemals in praxi 
dergleichen vorkäme. Aus der Einführung von fremden Stoffen oder auf der 
Vermehrung der normalen, mögen dieselben nun stark giftig oder mehr indifferent 
gewesen sein, hat die Physiologie viel Belehrung über die verschiedenartigsten 
Funktionen, animale sowohl wie vegetative geschöpft. Kommen nun zwei 
wirksame Moleküle gleichzeitig (oder ganz rasch nach einander) in den Orga- 
nismus, so kann es sich ereignen, dass jegliche Veränderung desselben aus- 
bleibt. Die beiden Stoffe wären dann Antidota oder Gegengifte im allgemeinsten 
Sinne des Wortes Gift. Wenn man hierbei absieht von dem Fall, dass die 
beiden Substanzen chemisch auf einander wirken, wie eine Säure und eine Base 
oder wie Kochsalz und Höllenstein, so kann man einen besonderen Fall als 
Antagonismus unterscheiden, nämlich den, in welchem die beiden Substanzen 
genau an derselben Stelle des Organismus aber im entgegengesetz- 
ten Sinne angreifen, die eine erregend, die andere lähmend. Die Schwierig- 
keiten bei dem Studium des Antagonismus liegen zunächst darin, dass der Oit 
der Giftwirkung sich keineswegs immer so genau bestimmen lässt wie etwa 
bei dem Kurare, dann aber weiter auch darin, dass der Ort bis zu einem ge- 
wissen Grade abhängt von der Menge des Giftes, indem mit Zunahme der 
Menge eine Ausbreitung eintritt, wie u. a. bei der Einwirkung des Atropins 
auf die Iris. So ist denn verständlich, dass mit Vertiefung der Erkenntnis 
manche Stoffe nicht mehr als Antagonisten angesehen werden, die früher als 
solche galten. Aber auch in scheinbar ganz einwurfsfreien Fällen von Antago- 
nismus, wie z. B. bei dem zwischen Atropin und Muskarin wird vielfach das 
Verhältnis nicht so aufgefasst, dass die Wirkungen der beiden Substanzen 
sich aufheben wie Plus und Minus zu Null, sondern ein sog. einseitiger 
Antagonismus angenommen. Hiermit soll ausgedrückt werden, dass zwar 
eine Erregung aufgehoben werden kann durch den entsprechenden lähmenden 
Stoff, nicht aber umgekehrt eingetretene Lähmung durch den erregenden Stoff. 
Also der Antagonismus im ursprünglichen und vollen Sinn des Wortes, jetzt 
häufig als doppelseitiger Antagonismus dem einseitigen gegenüber- 
gestellt, wird von vielen, übrigens keineswegs von allen Forschern geleugnet. 
Die Versuche und Beobachtungen aber, welche diese Trennung stützen sollen, 
können bei näherer Betrachtung nicht als beweisend angesehen werden, haupt- 
sächlich weil in denselben die Forderung einer möglichst gleichzeitigen Wir- 
kung der beiden Antagonisten fast niemals erfüllt worden ist. Wenn aber 
die beiden Substanzen nicht gleichzeitig in den Körper eingeführt werden, so 
ist es nicht ausgeschlossen, dass, in freilich einstweilen nicht vollkommen auf- 
zuklärender Weise, der zuerst eingeführte Stoff sich gewissermaßen festgesetzt 


702 Nasse, Ueber Antagonismus. 


hat in dem betreffenden Organ (etwa wie Alkaloide in der Leber oder wie 
Koffein bei Rana temporaria), oder dass der Lähmung — denn nur um den 
Fall, dass die Lähmung die erste Wirkung ist, handelt es sich ja — sekundäre 
Störungen gefolgt sind. 

So musste es denn als eine lohnende Aufgabe erscheinen, die durch genaue 
Kenntnis des Ortes ihrer Wirkung als Antagonisten erkannten Substanzen 
gleichzeitig in den Tierkörper einzuführen, und nun, zunächst bezüglich 
eines bestimmten Organs, festzustellen, ob und bei welcher Mischung der beiden 
Substanzen die Wirkung Null eintrete, und ob dieses Mischungsverhältnis ein 
konstantes, von den absoluten Mengen unabhängiges sei. 

Versuche an Tieren, an denen sich auch ganz ohne Eingriffe manche 
Veränderungen, so besonders die der Pulsfrequenz, verfolgen lassen, stoßen, 
weil doch ein Ausprobieren, ein Öfteres Wiederholen der Versuche mit wech- 
selnden Mischungen der Antagonisten notwendig ist, naturgemäß auf große 
Schwierigkeiten der verschiedensten Art, zumal die Einführung eigentlich nur 
eine intravenöse sein kann. Bessere Resultate würden Experimente mit dem 
isolierten Herzen versprechen, weil dasselbe sich leicht und rasch mit 
solehen wechselnden Mischungen füllen lässt. Derartige Versuche sind fast 
gleichzeitig mit der hier mitzuteilenden Untersuchung von Stokvis gemacht 
worden und zwar mit dem Resultat, „dass es in der That chemische Substanzen 
gibt, welche in ihrer Wirkung als gegenseitige Antagonisten betrachtet werden 
müssen“. Noch mehr aber war zu erwarten, wenn man, statt mit dem Herzen 
oder einem beliebigen anderen isolierten Organ in der eben besprochenen 
Weise zu arbeiten, versuchte, die an den Vorgängen in den Organen oder 
Geweben beteiligten Agentien zu benutzen. Die Berechtigung zu einem 
solchen Verfahren müsste allerdings erst nachgewiesen werden. Man wird 
davon ausgehen, dass die wirksamen (giftigen) Substanzen die normalen Vor- 
gänge nur quantitativ verändern, entweder beschleunigen (Erregung) oder ver- 
langsamen (Lähmung). Weiter ist es wahrscheinlich, dass diese Vorgänge, 
chemische Zersetzungen, veranlasst werden — zum Mindesten in ihren An- 
fängen — durch Agentien fermentartiger Natur (Organfermente). Wird 
diese Anschauung angenommen, so ist es endlich schon wieder als sicher zu 
betrachten, dass durch die wirksamen Stoffe nicht, wie man früher vielfach 
geglaubt hat, die zu zersetzenden Massen (Substrate) beeinflusst werden, son- 
dern eben jene in neuerer Zeit mehr und mehr in ihrer Bedeutung geschätzten 
Agentien fermentartiger Natur. Die hierin liegende Erklärung des Wesens 
der Giftwirkung in bestimmten Fällen (nämlich in erster Linie bei chemisch 
indifferenten Substanzen, dann aber auch bei chemisch stark eingreifenden 
Mitteln in sehr geringen Mengen) stützt sich auf die Thatsache, dass, wenn 
der Verlauf von enzymatischen Prozessen durch fremde Moleküle geändert 
wird, nicht die Substrate, sondern die Enzyme selbst beeinflusst, in ihrer Thätig- 
keit gefördert oder gehemmt werden. Da nun die Organfermente viel 
schwerer zu beschaffen sind als die Drüsenfermente oder Enzyme, schien 
es schließlich am besten, mit den letzteren zu arbeiten. Wenn dann ein solcher 
enzymatischer Prozess bei gleichzeitigem Zusatze von zwei in entgegengesetz- 
tem Sinn wirkenden Stoffen unverändert blieb, oder wenn auch nur das hierbei 
erhaltene, in Zahlen ausdrückbare Resultat gleich gefunden wurde dem arith- 
metischen Mittel aus der Summe der Werte in zwei Einzelversuchen (natürlich 
Gleichheit von Menge und Zeit vorausgesetzt), so war an einem Antagonismus 
im Sinne von Plus und Minus nicht zu zweifeln. 




















Nasse, Ueber Antagonismus. 703 


Herr Hans Baum, prakt. Arzt in Trier, hat in dem hiesigen Institut 
für Pharmakologie und physiologische Chemie nach dieser Richtung hin Ver- 
suche angestellt mit Invertin als Enzym und Rohrzucker als Substrat und 
unter dem Zusatz von Chlorkalium und Chlorammonium in einer und von 
Chinin und Curare in einer zweiten Versuchsreihe. Chlorkalium und Chinin 
waren aus früheren Arbeiten als die Invertierung des Rohrzuckers hemmende, 
Chlorammonium und Curare als dieselbe beschleunigende Substanzen bekannt. 

Aus der in diesen Tagen als Inauguraldissertation „Zur Lehre vom An- 
tagonismus“ publizierten Arbeit des Herın Baum, auf welche bezüglich der 
Anordnung der Versuche sowie alles Näheren verwiesen werden muss, seien 
nur wenige Daten hier mitgeteilt. 

4) In Versuch VIL5 wurde in einer Iuvertin-Rohrzuckerlösung mit 3°), KCl1 
und 4,8°/, NH,Cl das Reduktionsvermögen von der gleichen Höhe gefunden 
wie in der Invertin- Rohrzuckerlösung ohne jeglichen Zusatz. 

2) In Versuch VIlIa ergab sich als Reduktionsvermögen 


a BE159], SEHE 1 
bi, 99 NHL... aaa N RT SE 
©. „ 5%, KÜl + 2%, NEO EN. 36 


während das arithmetische Mittel aus a und b beträgt 3, 5, 
3) In Versuch XIIb betrug das Reduktionsvermögen 


a: bei,0.1 21 SRuraren Da Saale, 1055 
b.35. 0,06%, Chinins. N. re RG 0:8 
er». .0,1. 9% Kurare) + 0,060], Chininanr. 93 


während das arithmetische Mittel aus a und b sich auf 5, 6 Dee 

Mit vollkommener Sicherheit ist somit ein Antagonismus im Sinne von 
Plus und Minus für Enzyme festgestellt worden und wird sich zweifellos auch 
im lebenden Tier bei richtiger Anstellung der Versuche (Gleichzeitigkeit 
der Einführung beider Stoffe) ebenso zeigen lassen, wie er von Stokvis für 
isolierte Organe bereits nachgewiesen worden ist. 

Auf einen Punkt ist dabei noch aufmerksam zu machen: ein bestimmtes 
Mengenverhältnis der beiden Antagonisten zu einander, bei welchem der Erfolg 
Null eintritt, lässt sich nicht angeben. Es ändert sich dieses Verhältnis, wie 
in der Dissertation von Baum des Näheren auseinandergesetzt wird, einerseits 
mit der Versuchsdauer und anderseits bei gleicher Versuchsdauer mit der ab- 
soluten Menge der angewendeten Substanzen, — ein Resultat, das übrigens 
bis zu einem gewissen Grade vorauszusehen war, und auch ganz ähnlich von 
Stokvis für isolierte Organe (Herz) erhalten worden ist. Sehr viel kompli- 
zierter wird Alles in den Organismen selbst, da hier zu der Abhängigkeit der 
Giftwirkung von Größe der Dosis und Dauer der Wirkung als Drittes noch 
hinzukommt, dass die Stoffe an dem Ort ihrer Wirkung nicht dauernd bleiben. — 

Es ist die Untersuchung über den Antagonismus vollständig in die Physio- 
logie der Enzyme hinübergespielt worden, indem die Eigenschaft der Enzyme 
ganz wie Organe oder Organismen in ihrer Thätigkeit durch dle verschieden- 
artigsten Substanzen beeinflusst, gehemmt oder gefördert zu werden zum Aus- 
trag der Differenzen benutzt worden ist. Diese Eigenschaft der Enzyme ist 
vielleicht von weit allgemeinerer Bedeutung, als man anfänglich vermuten 
konnte. So ist es, um nur ein Beispiel herauszugreifen, wahrscheinlich, dass 
die „hochkomplizierten Eiweißkörper“, an welche H. Buchner die in letzter 
Zeit so viel besprochene keimtötende Wirkung des Blutserums gebunden denkt, 
Enzyme sind. Buchner teilt von diesen Eiweißkörpern, welche er Alexine 


104 Anzeigen. 


(Sehutzstoffe) nennt, in der neuesten Nummer (4) des Physiologischen Central- 
blattes vom 21. Mai d. J. mit, dass die keimtötende Wirkung bei Verdünnen 
des Serums mit der 5- bis 10fachen Menge Wassers erlischt, aber in ihrem 
vollen Umfange wieder hergestellt werden kann durch Zusatz von so viel 
Chlornatrium, dass die Flüssigkeit 0,7 °/, Chlornatrium enthält. Diese That- 
sache ließe sich so deuten, dass der Wasserzusatz Globuline zur Ausscheidung 
gebracht habe. Es könnten dann entweder diese Globuline selbst die ge- 
suchten Alexine sein, was freilich sehr unwahrscheinlich ist, oder sie könnten 
bei ihrer Auscheidung die unbekannten Alexine mit zu Boden gerissen haben. 
Bei der Wiederauflösung des Niederschlages durch nachträglichen Salzzusatz 
würden dann jedenfalls die wirksamen Substanzen wieder in Lösung kommen 
und wirkungsfähig werden. Da nun bekanntlich Fermente durch Niederschläge 
leicht mitgerissen werden, so spricht die eben erwähnte Erscheinung keinen- 
falls gegen eine fermentartige Natur der Alexine. Ebensowenig steht mit 
dieser in Widerspruch die zerstörende Wirkung, welche die Alexine verschie- 
dener Tiere auf einander ausüben, sowie ihre allgemeine Zerstörbarkeit durch 
Erwärmen. Indess finden sich bei Buchner noch andere Beobachtungen, die 
sich einzig und allein unter der Annahme, die „hochkomplizierten Eiweißkörper“ 
seien Fermente, verstehen. Diese Beobachtungen sind: dass manche Salze (so 
Magnesiumsulfat) das Chlornatrium zu ersetzen nicht im Stande sind und dann 
ganz besonders, dass gewisse Salze, nämlich die Ammoniumsalze, die keim- 
tötende Wirkung des Serums steigern. 

Nicht unmöglich erscheint es, dass die Steigerung der keimtötenden Wir- 
kung des Blutserums durch neutrale und an und für sich ziemlich indifferente 
Salze, welche ähnlich auch schon von Fodor bemerkt worden ist, sich bei 
Infektionen een verwerten ließe. 





Verlag: von August Hirschwald in Berlin. 
Soeben erschienen: 


Aeltere und neuere 


Eintwickelungs- Theorien. 
Rede 


gehalten zur Feier des Stiftungstages der militärärztlichen Bildungsanstalten 
am 2. August 1892 


von 


Prof. Dr. ©. Hertwig. 
18922 er 8 1a MN. 





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Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. 








Biologisches Oentralblatt 


unter Mitwirkung von 


M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der NEIN in ‚Erlangen. 


4 Nummern von je; 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


Al. Band. 15. Dezember 1892. | Nr. 23 U. 24. 








beit: en Ueber die Rangaineensität von Schattenpflanzen. — Schenk Bei- 
träge zur Biologie und Kane der Lianen, im Besonderen der in Brasilien 
einheimischen Arten. — Zykoff, Entwicklungsgeschichte von Ephydatia 
Mülleri Liebk. aus den Gemmulae. — Imhof, Die Verbreitung von Silurus 
glanis L. in den stehenden Gewässern der europäischen Alpenkette. — Schu- 
berg, Ueber die Fähigkeit einheimischer Tritonen, sich an glatten Flächen 
festzuhalten und zu bewegen. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morpho- 
logie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- 
und Bewegungsorgane (9. Stück). — Lwoff, Ueber einige wichtige Punkte in 
der Entwicklung des Amphioxus. — Verworn, Die Bewegung der lebendigen 
Substanz. — Nagel, Bemerkungen über auffallend starke Einwirkung gewisser 
Substanzen auf die Empfindungsorgane einiger Tiere. — Aus den Verhand- 
lungen gelehrter Gesellschaften: Würzburger Phys. -med. Gesellschaft ; 
Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien; Gesellschaft Deutscher 
Naturforscher und Aerzte. 





Adolf Mayer, Ueber die Atmungsintensität von Schatten- 
pflanzen '). 


Die Reduktion der Kohlensäure findet in den grünen Gewächsen 
unter gewöhnlichen Umständen mit sehr viel größerer Intensität statt 
als die Atmung, bei welch letzterer Kohlensäure produziert wird. 
Boussingault hat einmal die 30fache Intensität des Reduktions- 
prozesses (der Assimilation) festgestellt. „Aus diesem Missverhältnis 
ist bekanntlich die Thatsache der überwiegenden Produktion an 
organischer Substanz seitens der grünen Gewächse zu erklären, trotz- 
dem dass die Atmung täglich 24 Stunden dauert, während die Reduk- 
tion seitens der grünen Organe der Pflanze nur während der Stunden 
der Belichtung und seitens deren zahlreichen nichtgrünen Teile 
(Wurzeln, Blüten, Holz, Parenchym der Früchte, Epithelgewebe u. s. w.) 
überhaupt nicht stattfindet, sowie die andere Thatsache, dass bei 
manchen Pflanzen eine tägliche Belichtungsperiode von etwa 6 Stunden 
genügend ist, um sie noch ungefähr im Stoffgleiehgewieht zu erhalten“. 

Nun gibt es unter den gärtnerisch gezüchteten Zierpflanzen viele, 
die noch unter ganz schlechten Beliehtungsbedingungen, im tiefen 


N) Landw. Vers.- St., 1892, 8. 203 ff. 
XI. 45 


706 Mayer, Atmungsintensität von Schattenpflanzen. 


Schatten wachsen und gedeihen, ja mit unter diese Bedingungen andern 
(besseren Beleuchtungsverhältnissen) vorziehen; es sind die sogenannten 
„Schattenpflanzen“. Bei ihnen überwiegt trotz schlechtester Beleuch- 
tung (!/;, oder !/,oo des möglichen Lichtes) die Assimilation die Atmung, 
wie aus dem Gedeihen der Pflanzen hervorgeht; es wird mehr Kohlen- 
säure reduziert zu Pflanzensubstanz als organische Substanz zu Kohlen- 
_ säure oxydiert wird. 

Verf. vermutete, dass diese merkwürdige Erscheinung auf eine 
geringe Atmungsthätigkeit der Schattenpflanzen zurückzuführen sein 
möchte. Ihre Atmung könnte so gering sein, dass trotz der bei 
schwacher Beleuchtung sehr herabgesetzten Assimilationsthätigkeit 
immer noch die Neuproduktion von organischem Material den Ver- 
brauch übersteigt. 

Thatsächlich ergaben angestellte Atmungsversuche, dass bei 
Schattenpflanzen die Atmung geringer ist als bei Lichtpflanzen. 
Dieselben wurden wieder (wie frühere Versuche) in einem zu diesem 
Zwecke von Verf. in Gemeinschaft mit v. Wolkoff konstruierten 
Apparate gemacht !). „In demselben wurden die Atmungsgrößen aus 
der gasometrisch kalkulierten Volumverminderung einer durch Queck- 
silber abgesperrten und mit Kalilauge kohlensäurefrei erhaltenen 
Atmosphäre, in welcher sich das Objekt befindet, berechnet; denn 
diese Volumverminderung rührt unter den fraglichen Umständen ein- 
fach her von Sauerstoffaufnahme, die ja ihrerseits eines der charak- 
teristischen Symptome der Atmung ist“. 

Während bei Roggenblättern der Sauerstoffverbrauch per 18 
Trockensubstanz und Stunde 0,1 cem betrug, wurden von Blättern 
der Vigelia vivipara nur 0,03 cem, von Tradescantia zebrina 0,02 und 
von Aspidistra elatior 0,01 cem verbraucht (die Temperaturen waren 
bei allen Versuchen möglichst übereinstimmend). 


Wurde der Sauerstoffkonsum auf Frischsubstanz berechnet, 
so ergaben sich folgende Zahlen: 


Blätter vonRoggen brauchten p.Stunde 17 Volum proz. Sauerstoff 


R „ Vigelia - 4 „ 

» m Saxifraga torm. r 4 n 

n „ Tradescantia zebrina „ 3 ” 

2 % Aspidistra „ 1 „ 

Ganz jungeBl. „ Begonia 5 5 n 
AlteBl. „ “ n 4 „ 


Alle untersuchten Schattenpflanzen zeigen sehr kleine im Ver- 
hältnis zu der des Roggens höchstens ungefähr !/, betragende Atmungs- 
größen. 

„Als Gesamtresultat der experimentellen Untersuchung kann also 
mit großer Bestimmtheit ausgesprochen werden: 


f 1) Der Apparat ist beschrieben in landw. Jahrb., III, S. 481. 








Mayer, Atmungsintensität von Schattenpflanzen. 707 


1) Die gewöhnlichen als Zierpflanzen gezogenen Zimmergewächse, 
welche unsern bekannten landwirtsehaftlichen und forstwirt- 
schaftlichen Gewächsen gegenüber die bemerkenswerte Eigen- 
tümlichkeit zeigen, dass sie bei viel geringeren Lichtintensi- 
täten als jene zu gedeihen vermögen, sind, soweit sie hier 
untersucht worden sind, ausgezeichnet durch sehr viel ge- 
ringere Atmungsintensitäten ihrer entwickelten Blätter, sei 
es nun, dass man diese Intensitäten misst für die Einheit 
des Blattvolums oder für die Einheit der in ihnen enthaltenen 
Trockensubstanzen. 

2) Das Bestehen dieser Thatsache ist ein wichtiges Erklärungs- 
moment für das geringe Lichtbedürfnis dieser Pflanzen inso- 
fern dass, wenn weniger durch die Verbrennung von orga- 
nischer Substanz verloren geht, auch weniger Produktion in 
derselben Zeit nötig ist, um diesen Verlust zu decken, so 
dass leichter noch ein Ueberschuss bleibt, aus welchem die 
Bildung von neuen Organen und das Wachstum von schon 
vorhandenen bestritten werden kann“. 

Diese Sätze haben allgemein biologisches und agrikulturchemisches 
Interesse. 

In unsern Wäldern finden wir Schattenpflanzen in großer Zahl, 
Farnkräuter, Moose und viele andere. An den Blößen tritt eine 
andere Vegetation auf, ein Zeichen, dass erstere Pflanzen an andere 
Vegetationsbedingungen, wenig Licht und viel Feuchtigkeit angepasst 
sind. Nach der vorliegenden Untersuchung besteht die Anpassung 
hier zum Teil in geringerer Atmungsthätigkeit. 

In der Landwirtschaft unterscheidet man seit lange zwischen 
Öbergras und Bodengras, und „es sind bestimmte Gramineenarten, 
die mehr die Entwieklungsfähigkeit in der einen oder der andern 
Richtung besitzen, z. B. Lolium italicum und Phleum pratense mehr 
Obergras, Lolium perenne und Avena flavescens mehr Bodengras“. Die 
Bedeutung dieser in verschiedener Richtung ausgebildeten Eigenschaften 
für den Haushalt der Natur liegt auf der Hand. Die Blätter der 
Volllichtpflanzen hören bei gewissen Beleuchtungsverhältnissen auf, 
produktiv zu sein. Setzen wir selbst deren Produktionsintensität zur 
Atmungsintensität, wie durch Boussingault für einen besonderen 
Fall nachgewiesen, gleich 30 zu 1, so wird, da die Atmung stets 
24 Stunden dauert, die Belichtung unter mittleren Verhältnissen nur 
die halbe Zeit, schon bei einer Abschwächung des Lichtes durch be- 
schattende grüne Organe auf !/,, der vollen Menge, dieses nicht mehr 
zureichend sein zu einer Ueberproduktion. So besehattete Blätter der 
Vollliehtpflanzen werden unnütz für den Gesamtorganismus und fallen 
bald dem Absterben anheim, eine Erscheinung, die wir überall in der 
Natur an den dem Lichte abgewandten Blättern jener Pflanzen wahr- 
nehmen können. Aber dasselbe schwache Licht kann infolge der be- 

45 ® 


708 Schenk, Biologie und Anatomie der Lianen. 


sonderen Organisation der Schattenpflanzen durch die grünen Organe 
dieser noch nutzbar verwendet werden. Die gesamte Lichtausnutzung, 
worauf es in der Landwirtschaft so sehr und auch in der Forst- 
wirtschaft, sei es auch manchmal nur zum Zwecke einer reich- 
licheren Humusbildung, ankommt, wird so viel vollständiger, als es 
ohne diese besondere Organisation der Fall sein würde. Auch wird 
aus diesem selben Verhältnisse deutlich, dass auch eine ähnliche Ver- 
teilung der Arbeit für die verschiedenen grünen Organe ein und der- 
selben Pflanzensorte besteht. Denn die gemeiniglich dem Lichte zu- 
gewendeten jungen Blätter zeigen bekanntlich bei einem geringeren 
Produktionsvermögen eine größere Atmung, also ein ungünstigeres 
Verhältnis der beiden Prozesse als die erwachsenen und älteren Blätter, 
die zumeist durch jene beschattet also schlechter behandelt sind. 
Diese zeigen jenen gegenüber schon einigermaßen das Verhältnis von 
Schattenpflanzen, wie man sieht, sehr zu Nutz und Frommen des 


Gesamtorganismus. 
Mit diesen und ähnlichen Ausblieken schließt die interessante 
Publikation des Verfassers. T. Bokorny (München). 


Schenk, H., Beiträge zur Biologie und Anatomie der Lianen, 
im Besonderen der in Brasilien einheimischen Arten. 


I. Teil. Beiträge zur Biologie der Lianen. Mit 7 Tafeln. (4. Heft von Schim- 
per’s „Botanischen Mitteilungen aus den Tropen“.) Jena (G. Fischer) 1892. 
30, 253.8} 


Verf. hat während seines Aufenthaltes in Brasilien den Lianen 
des tropischen Urwaldes seine besondere Aufmerksamkeit zugewendet 
und nach seiner Rückkehr eine eingehende Untersuchung der Kletter- 
pflanzen überhaupt vom biologischen und anatomischen Standpunkte 
aus unternommen. Von dem Resultat dieser Arbeit liegt der erste 
Teil, der die Biologie behandelt, in vorzüglicher, der Verlagsbuch- 
handlung würdiger Ausstattung vor; der zweite, anatomische Teil 
soll nächstens nachfolgen. — Da seit Darwin’s bekanntem Buch 
keine zusammenfassende Darstellung der Kletterpflanzen in eingehen- 
der Weise versucht worden ist und da auch bisher noch Niemand 
ein so reiches Beobachtungsmaterial wie Verf. zusammengebracht 
hat, so sehen wir in dem vorliegenden Werk eine wertvolle Bereicherung 
der biologischen Wissenschatt. Die Lektüre desselben kann umsomehr 
empfohlen werden, als sich Verf. einer sehr klaren und anregenden 
Schreibweise bedient und es versteht, seinen Gegenstand von allen 
Seiten aus zu beleuchten. Bei der übersichtlichen Einteilung des 
Stoffes ist es auch leicht möglich, über bestimmte Dinge, die man 
gerade zu wissen wünscht, sich durch Nachschlagen zu orientieren. 
In seinen einzelnen Kapiteln bietet nun das Buch etwa folgendes, 

















Schenk, Biologie und Anatomie der Lianen. 709 


Es beginnt mit einem Litteraturverzeichnis und bringt in dem 
Vorwort einiges über die bisherigen Bearbeitungen dieses Gegenstandes. 
Zunächst wird sodann die Lebensweise der Lianen im Allge- 
meinen besprochen. 

Die Lianen sind ein charakteristischer Bestandteil des tropischen 
Waldes, dessen Formen Verf. in bestimmter Weise zu gruppieren sucht, 
nach dieser Einteilung versteht er unter Lianen die im Boden wurzeln- 
den, autotrophen Kletterpflanzen; Parasiten, Sapro- und Epiphyten 
sind also ausgeschlossen. In der Einteilung der Lianen selbst (siehe 
unten) weicht Verf. von anderen Autoren etwas ab, allein seine Auf- 
fassung ist durchaus begründet. Er schildert dann die Erscheinungs- 
weise der Lianen im brasilischen Wald, wo besonders Menisperma- 
ceen, Malpighiaceen, Sapindaceen, Leguminosen und Bignoniaceen 
vertreten sind, und die gemeinsamen biologischen Eigentümlichkeiten 
aller dieser Pflanzen: nach normaler Keimung starkes Wachstum der 
Haupttriebe mit Streekung der Glieder, späte Blatt- und Blütenentfal- 
tung; bemerkenswert ist die meist herzförmige Blattgestalt und das 
beschränkte Vorkommen freier Luftwurzeln. Weiter wird dann gezeigt 
wie sich aus den Kletterpflanzen Epiphyten (Vanilla), Parasiten 
(Cuseuta), Saprophyten (Galeola) ableiten können. Sehr umfangreich 
ist die systematische Uebersicht der Lianen-Gattungen 
nach den Familien des natürlichen Systems. Es ergibt sich aus dieser 
Zusammenstellung, dass etwa die Hälfte sämtlicher von Bentham 
und Hooker aufgezählter Phanerogamenfamilien wenigstens einige 
lianenartige Vertreter enthalten. Die Verteilung der Kletterpflanzen 
auf die Familien und die der Klettervorriehtungen auf die systema- 
tischen Sippen wird dann noch näher erläutert und die betreffenden 
Familien und andere Abteilungen werden übersichtlich gruppiert. 
Sehr interessant ist, was über die geographische Verbreitung 
der Lianen und ihre Hauptentwieklungsherde gesagt ist, spezieller 
schildert Verf. hier die Verbreitung in den verschiedenen Arealen 
Brasiliens. Neben den tropischen immergrünen Regenwäldern, be- 
sonders der neuen Welt, kommen für die Lianen vorzugsweise noch 
in Betracht die temperierten Zonen (südliches Nordamerika, Neusee- 
land, Ostasien) weniger das Mittelmeergebiet und nördliche antark- 
tische Waldgebiet, am ärmsten an Lianen sind die arktisch- alpine 
Vegetation und die subtropischen Wüsten- und Steppengebiete. — 

Es folgt nun die Behandiung der einzelnen Gruppen nach der im 
allgemeinen Teil gegebenen Einteilung. 

I. Die Spreizklimmer. Hierher gehören alle Kletterpflanzen, 
welche weder winden, noch reizbare Kletterorgane, noch Haftwurzeln 
haben, sondern sich mit den meist spreizenden Teilen ihres Spross- 
systemes einfach den Aesten der Stützpflanzen auflegen. Es ist das 
also der niederste Zustand, den man leicht von gewöhnlichen aufrecht 
wachsenden Pflanzen ableiten kann. Im einfachsten Fall sind die 


710 Schenk, Biologie und Anatomie der Lianen. 


Spreizklimmer unbewehrt, d. h. sie haben keine Dornen, Stacheln 
oder Kletterhaken (hierher als brasilische Vertreter Arten aus den 
Familien der Onagraceen, Amarantaceen, Polygonaceen, Capparida- 
ceen, Caesalpiniaceen, Verbenaceen, Boragineen, Compositen, Gymno- 
spermen, Commelinaceen, Asparagaceen). Typus der bedornten Spreiz- 
klimmer ist die Nyetaginacee Bougainvillea spectabilis Willd., sonst 
gehören noch Ulmaceen, besonders Cactaceen u. a. hierher. Von be- 
stachelten Spreizklimmern ist in Brasilien häufig die Stereuliacee 
Büttneria australis St. Hil. nebst Arten anderer Familien, uns besser 
bekannt sind Rosa- und Rubus-Arten. Besondere Formen der Spreiz- 
klimmer sind dann noch die kletternden Waldbambusen mit 
langen dünnen Halmen und fast dornigen Seitenknospen und die 
kletternden Palmen, deren mehrere Typen zu unterscheiden sind: 
1) die Blattspindeln bilden mit dem Stamm Haken (Chamaedorea 
desmoncoides); 2) sie gehen in ein Flagellum aus (manche Raphieae 
und Calameae); 3) die Flagellen sind umgebildete Infloreseenzaxen 
(viele Calamus- Arten); 4) die obersten Fiederpaare der Blätter sind 
Dornen (Desmoncus). Zuletzt werden die spreizklimmenden Farnwedel 
(Gleichenia dichotoma) erwähnt, an die sich die klimmenden Selaginella- 
und Equisetum - Arten anschließen. 

II. Die Wurzelkletterer. Sie klettern nach dem Typus von 
Hedera Helix, mit Hilfe adventiver Luftwurzeln und haben sich offen- 
bar aus Gewächsen mit kriechenden wurzelnden gestreckten Stengeln 
entwickelt. Gewöhnlich zeigen sie einen Dimorphismus von ortho- 
tropen und plagiotropen Sprossen. Verf. behandelt die ihm bekannt 
gewordenen Vertreter, deren es in Brasilien wenige gibt, nach den 
Familien. Diese sind die Piperaceae, Moraceae, Marcgraviaceae, Ana- 
cardiaceae, Celastraceae, Saxifragaceae, Cactaceae, Begoniaceae, Myrta- 
ceae, Melastomaceae, Asclepiadaceae, Gesneraceae, Bignoniaceae, Araceae, 
Cyclanthaceae, Pandanaceae, Palmae, Orchidaceae, Filice. Für die 
Kombination des Wurzelkletterns mit andern Modis (Winden, Ranken, 
Geißelklimmen) können nur 3 Fälle angeführt werden. Dass sich aus 
Wurzelkletterern leicht epiphytische Formen herausbilden können, 
wurde schon oben angedeutet. 

III. Die Windepflanzen. Sie überwiegen an Zahl bedeutend 
die übrigen Kategorien. Sie winden mit ihren Stengeln (nur einige 
Farne mit den Wedelspindeln), die im Gegensatz zu Ranken nicht 
auf Kontakt reizbar sind. Von den 39 angeführten Familien mit 
Windepflanzen sind 23 für den tropisch - brasilischen Urwald charak- 
teristisch, auf die aber nicht näher eingegangen wird; vielmehr er- 
örtert Verf. noch einige allgemeine beim Winden auftretende Erschei- 
nungen und bespricht hier zuerst die wichtigsten Eigentümlich- 
keiten der Windepflanzen. Was über die Beschränkung des 
Windens auf die Langtriebe, den Vorgang des Windens (Verf. schließt 
sich im wesentlichen der Auffassung von Wortmann an), den Ein- 








Schenk, Biologie und Anatomie der Lianen. 711 


fluss äußerer Faktoren, die Stützen, die Richtung der Spirale (Tabellen 
der Rechts-, Links-, und Rechts- und Links- Winder), die Torsionen 
und das Vorauseilen der Stammentwicklung vor der Blattentfaltung 
gesagt wird, ist im Allgemeinen bekannt, doch sind mehrfach neue 
Beobachtungen des Verf. zur Bestätigung angeführt. Die Phylogenie 
der Winder ist nach Verf. folgende: „Die Windepflanzen stammen 
ab von Kräutern und Sträuchern, deren Internodien die Fähigkeit 
hatten, sich stark zu verlängern, anfangs vielleicht nur infolge des 
schattigen Standorts zwischen andern Gewächsen“. „Zu der Ausbildung 
langer Internodien trat die nutierende Nutation in Kombination mit 
dem negativen Geotropismus“. Wenn in einer Familie die meisten 
Arten winden, so dürften die aufrechten Arten von ersteren abzuleiten 
sein infolge von Anpassung an freien trockenen Standort. Auch das 
Winden kann mit anderen Vorrichtungen kombiniert sein und zwar 
können 1) Haare, Stacheln, Dornen, Warzen als Hilfsmittel zur Be- 
festigung dienen, wofür viele Beispiele angeführt werden; seltener 
kombiniert sich das Winden mit 2) Wurzelklettern oder 3) Ranken 
(s. unten). 

IV. Die Rankenpflanzen. „Sie erreichen inbezug auf An- 
passungsverhältnisse die größte Vollkommenheit unter allen Kletter- 
pflanzen“. Die rankenden Organe können verschiedener Natur sein, 
aber allen kommt die Reizbarkeit für andauernde Berührung mit 
dargebotenen Stützen zu. Nachdem eine Einteilung der Rankenpflanzen 
nach der Natur der Ranken gegeben ist (s. unten) bespricht Verf. 
wie bei den Windern ihre wichtigsten biologischen Eigen- 
tümlichkeiten, nämlich: die Reizbarkeit, das Erfassen der Stützen, 
die Mechanik des Rankens (wobei er sich am meisten der Erklärung 
von Noll anschließt), das spiralige Zusammenziehen der Ranken, den 
anatomischen Bau derselben in Beziehung zu ihrer Funktion und die 
nachträgliche Differenzierung der Gewebe befestigter Ranken (vielfach 
im Anschluss an Worgitzki), die spontanen Bewegungen der Ranken 
und Langsprosse, die Stellung der Ranken an den Sprossen (möglichst 
freie, durch Blätter nicht gehinderte Stellung), Entwieklung und Ver- 
teilung der rankenden Organe an der Pflanze und besondere Ranken- 
formen. Es ist über diesen Abschnitt dasselbe zu sagen wie an ent- 
sprechender Stelle bei den Windepflanzen. Von andern Kletter- 
vorriehtungen, mit denen sich das Ranken kombinieren kann, werden 
angeführt das Winden (selten), Wurzelklettern (häufiger), Stacheln an 
Stengeln und Blattstielen, rückwärts gerichtete steife Haare, Stipular- 
dornen. Die Mannigfaltigkeit der Rankenformen erklärt sich aus der 
Verschiedenheit der Stützen, die sich in der Natur den Lianen dar- 
bieten. Phylogenetisch leitet Verf. die Rankenpflanzen nicht, wie 
Darwin, von windenden sondern von normalwüchsigen Pflanzen 
oder von wenig entwickelten Spreizklimmern ab; auch hier kann wieder 
der Fall eintreten, dass aus rankenden Formen nicht rankende infolge 


112 Schenk, Biologie und Anatomie der Lianen. 


anderer Lebensweise hervorgehen. Die einzelnen Formen der Ranken- 
pflanzen werden nun ziemlich ausführlich besprochen. I. Blatt- 
kletterer sind solche, deren Blätter ranken können ohne morpho- 
logisch von gewöhnlichen Blättern abzuweichen; sie zerfallen wieder 
in 3 Abteilungen: 1) die Blattspreitenklimmer, die sich nur bei 
einigen Fumariaceen vertreten finden, 2) die Blattstielkletterer, 
die am artenreichsten sind, doch nur bei Familien der Dikotylen vor- 
kommen, nämlich den Chenopodiaceen, Ranunculaceen, Menisperma- 
ceen, Nepenthaceen, Tropaeolaceen, Mimosaceen, Solanaceen, Serophu- 
lariaceen, Compositen (Mikania), 3) die Blattspitzenklimmer, die 
auf Monokotylen mit schmalen spitzen Blättern beschränkt sind, näm- 
lich auf Arten von Flagellaria, Gloriosa, Littonia, Fritillaria und 
Tillandsia. 11. Bei den Blattrankern sind die Blätter oder Teile 
derselben zu fädigen Ranken metamorphosiert; sie werden in 9 FA- 
milien, darunter 4 mit sehr großer Artenanzahl vertreten. Von Mono- 
kotylen sind es die Smilacaceen, bei denen die Ranken metamorpho- 
sierte Blattscheidenzipfel sind, von Dikotylen die Ranunculaceen, 
Fumariaceen, Papilionaceen (!), Mimosaceen, Polemoniaceen, Bignonia- 
ceen (!), Compositen, Oueurbitaceen (!). Il. Die Zweigklimmer 
sind nur aus den Tropen, am meisten aus dem tropischen Amerika 
bekannt; bei ihnen sind die beblätterten Seitenzweige der in die 
Höhe gehenden Langtriebe gegen Kontakt reizbar und vermögen um 
Stützen zu ranken, worauf sie oft beträchtlich in die Dieke wachsen. 
Wir finden sie bei Polygalaceen (Securiadaca, Bredemeyera), Hippo- 
crateaceen, Connaraceen, Papilionaceen (Dalbergieae, besonders Machae- 
rium), Mimosaceen, Anonaceen, Rhamnaceen, Thymelaeaceen. IV. Die 
Hakenklimmer sind mit reizbaren Kletterhaken (Stammgebilden) 
versehen, die sich fest um die erfasste Stütze krümmen und dann 
beträchtlich in die Dicke wachsen. Ihre Vertreter leben meist in 
den Tropen der alten Welt und bilden zwei Gruppen: bei der einen 
sind die Kletterhaken aus Dornen hervorgegangen (Olacaceen und 
Rutaceen), bei der andern aus Inflorescenzstielen (Anonaceen, Lina- 
ceen, Dipterocarpeen, Loganiaceen, Rubiaceen). V. Die Uhrfeder- 
ranker haben spiralig aufgerollte Ranken, in denen sich die Stützen 
fangen um dann durch den Kontaktreiz enger umfasst zu werden; 
sie bilden den Uebergang von den vorigen zu den letzten; ihr Typus 
ist Bauhinia. Wir finden solche bei den Rhamnaceen, Caesalpinia- 
ceen, Sapindaceen und Olacaceen. VI. Fadenranker, durch die 
Vitaceen und Passifloraceen repräsentiert, weisen die vollkommensten 
Kletterorgane unter allen Stammrankern auf. Von den Vitaceenranken 
verdienen diejenigen besonderes Interesse, welche Haftscheiben 
entwickeln, dabei lichtscheu sind und nicht mehr nutieren. Die Haft- 
scheiben werden entweder erst infolge des Kontaktreizes ausgebildet 
und sind vorher nicht bemerkbar oder sind an der Spitze der Ranken 
gleich anfangs als kleine kuglige Anschwellungen angelegt. Außer 





Zykoft, Entwicklung von Ephydatia Mülleri. 1 


den genannten beiden Familien stellen noch Vertreter die Polygona- 
ceen, Dioscoreaceen, Olacaceen, Phytocreneen und Apocynaceen. — 
Auf den 7 Doppeltafeln finden wir zahlreiche mit der vom 
Verf. bekannten Eleganz ausgeführte Figuren, von denen besonders 
die interessant sind, welche das Verhalten der Zweig- und Haken- 
klimmer illustrieren. Möbius (Heidelberg). 


Entwicklungsgeschichte von Ephydatia Mülleri, Liebk. aus 
den Gemmulae. 
Eine biologisch-embryologische Skizze. 
Von W. Zykoff. 
(Aus dem vergleichend- anatomischen Kabinet der Universität von Moskau). 

Indem ich eine ausführliche Arbeit, mit einer Uebersicht der 
Litteratur, über die Entwicklungsgeschichte von Ephydatia Mülleri 
aus den Gemmulae zum Druck vorbereite, halte ich es für nicht un- 
interessant, gegenwärtig Kurz die Hauptresultate meiner Forschungen 
in dieser Frage mitzuteilen, um so mehr, da wir bis jetzt fast keine 
Kenntnisse über den eigentlichen Gang dieser Entwicklung haben. 

Als Material für die Untersuchung dienten mir die Gemmulae der 
genannten Art, welche ich in der Umgegend von Moskau gefunden 
hatte, wobei es nicht ohne Interesse ist, dass diese Gemmulae im 
ausgetrockneten Zustande fast zwei Jahre gelegen hatten; nach dieser 
Zeit schüttete ich sie in ein kleines Aquarium aus, wo sich Lemna, 
Algen u. a. m. befanden. Man muss bemerken, dass die Gemmulae 
von Ephydatia Mülleri nieht untersinken, sondern auf der Oberfläche 
des Wassers schwimmen. Nach fünfzehn Tagen (und dieser Zeitraum 
ist gegenwärtig von mir auf Grund von acht einzelnen Beobachtungen, 
welche ich im Zimmer zu verschiedenen Jahreszeiten machte, fest- 
gestellt worden) fing aus den Gemmulae deren Inhalt an, hervorzu- 
kriechen. 

Eine junge, eben im Auskriechen begriffene Ephydatia stellt einen 
ziemlich kompakten Klumpen amöboider Zellen vor, welche eine große 
Menge von Dottersubstanz enthalten, doch an der Oberfläche dieses 
Klumpens, welcher die Gemmula umfließt oder sich über die Ober- 
fläche der nebenliegenden noch ruhenden Gemmulae ausbreitet, kann 
man schon die Bildung des Ektoderms als einer Schieht flacher Zellen 
ohne Dottersubstanz, welche Pseudopodien aussenden können, be- 
merken '). Infolge dieser Pseudopodien, welehe gewöhnlieh dünn und 
spitzig sind, nimmt die junge Ephydatia, immer weiter auseinander 
kriechend, die Form eines Plättehens an, in dessen Mitte oder neben 





1) Ich muss bemerken, dass die Beobachtungen sowohl an lebenden jungen 
Ephydatien, als auch an konservierten mit Hilfe von Schnitten gemacht 
wurden. 


714 Zykoff, Entwicklung von Ephydatia Mülleri. 


dessen Mitte die Gemmulaschale übrig bleibt; die Ränder dieses 
Plättehens sind gezackt, wie zerrissen infolge des beständigen Spieles 
der Pseudopodien. Der zentrale, von dem farblosen durchsichtigen 
Ektoderm umgebene Teil der Ephydatia erscheint unter dem Mikroskop 
dunkel, körnig — offenbar von der Dottersubstanz, welche noch in 
großer Menge sich in den Zellen des Parenchyms (Mesoderms) be- 
findet. Schon am zweiten Tage kann man das Erscheinen der Spieulae 
bemerken, so dass die Behauptung Lieberkühn’s!), dass die Spieulae 
am sechsten Tage erscheinen, wenigstens für Eph. Mülleri ungenau 
ist. Im Innern der Ephydatia kann man zu dieser Zeit, an Schnitten, 
den Anfang des Erscheinens der Kanäle in Form von Spalten — der 
Zwischenräume zwischen den auseinander gerückten Zellen des Paren- 
chyms (Mesoderms) sehen, wobei die Wandungen der Kanäle schon 
von sehr flachen Entodermzellen ausgepflastert sind, so dass Goette?) 
welcher behauptet, dass die Geißelkammern früher als die Kanäle 
erscheinen, auf Grund dessen, was ich öfter gesehen habe, Unrecht 
hat. Zu derselben Zeit, d. h. am zweiten oder dritten Tage bildet 
die junge Ephydatia ein Oseulum, welches die Form eines Schorn- 
steins hat. Interessant ist, dass dieses Oseulum vor der Bildung der 
Geißelkammern erscheint, und ich glaube, dass man sein Erscheinen 
in diesem Falle auf rein mechanische Weise so erklären kann. Schon 
vom ersten Moment ihres Erscheinens aus den Gemmulae nimmt die 
Junge Ephydatia Wasser in sich auf, welches sozusagen ihren Leib 
durchtränkt; da die jungen Eph. Mülleri auf der Oberfläche des 
Wassers als flach gewölbte Disken schwimmen, wobei die flache Seite 
nach oben und die gewölbte Seite nach unten gewendet sind, so ge- 
schieht es, dass infolge der Wirkung der Schwere des die Ephydatia 
erfüllenden Wassers dasselbe, indem es sich unten ansammelt, in der 
Mitte oder in der Nähe der Mitte (in der Linie des Gewichts- 
zentrums) das Ektoderm abzieht und dasselbe endlich durchbricht, 
wobei es eine kraterähnliche Oeffnung bildet, welche beim Auftreten 
einer konstanten Wasserströmung endlich die typische Form eines 
Schornsteins annimmt. Und dass diese Erklärung die Wahrschein- 
lichkeit für sich hat, wird dadurch bewiesen, dass ich öfters alle 
Uebergangsstufen von einem kaum bemerkbaren Ektodermhügel bis 
zum schornsteinartigen Osculum sah. Am dritten Tage geht die 
weitere Differenzierung der Gewebe der Ephydatia vor sich, welche 
sich vor Allem dadurch äußert, dass die Zahl der Zellen des Paren- 
chyms (Mesoderms) größer wird; es vollzieht sich die Teilung, die 
Vermehrung der Zellen, wobei die Dottersubstanz sich immer ver- 
ringert, die Zellen werden durchsichtiger, ihre Kerne treten deutlich 





4) Lieberkühn, Zur Entwicklungsgeschichte der Spongillen (Nachtrag). 
Müller’s Archiv, 1856, S. 403. 

2) Goette, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte von Spongilla 
luviatilis, 1886, S. 16. 











Zykoft, Entwicklung von Ephydatia Müller:. 115 


hervor; die Anzahl der Spieulae vergrößert sich, sie selbst wachsen, 
und man kann eine gewisse Regelmäßigkeit ihrer Verteilung bemerken; 
es legt sieh nämlich die Mehrzahl derselben dem Rande der Ephydatia 
parallel, d. h. tangential. Die Kanäle verzweigen sich und der Um- 
fang einiger von ihnen vergrößert sich; gerade zu dieser Zeit fangen 
die Geißelkammern an, zu erscheinen. Wie bekannt, existieren be- 
treffs ihrer Bildung bei den Forschern verschiedene Ansichten. Die 
Mehrzahl erklärt und beschreibt sie als Divertikel der Kanäle, in 
welchen die Entodermzellen die charakteristische Form der Kragen- 
zellen annehmen; Goette!) aber behauptet, obgleich nieht ganz be- 
greifbar, dass eine Knospung einer an Dottersubstanz reichen Paren- 
chymzelle sich vollzieht, welche einen Klumpen von Zellen erzeugt 
deren Kerne sich aus Dotterkörnern bilden; in diesem Klumpen er- 
scheint eine Höhlung, die Zellen brauchen nur den Kragen hervorzu- 
schieben, die Geißel hervorzustrecken, und die Kammer ist fertig. 
Ich richtete eine besondere Aufmerksamkeit auf diesen Punkt, und 
die Bildung der Geißelkammern erscheint mir so: einige Parenchym- 
zellen fangen an sich zu teilen, wobei aus jeder Zelle sich ein kom- 
pakter Haufen kleiner Zellen bildet (es ist bekannt, dass die Zellen 
der Geißelkammern wenigstens bei den Spongilliden viel kleiner 
sind, als die Zellen des Parenchyms); in diesem Haufen erscheint 
eine Höhlung, welche größer wird und die Zellen zwingt, sich in einer 
Schicht anzuordnen, und da solche Haufen gewöhnlich in der Nähe 
der Kanäle liegen, so ist es nicht im mindesten unwahrscheinlich, 
dass die Höhlung des Kanals mit der wachsenden Höblung des Zellen- 
haufens durch das Durchreißen des Kanals und den Durchbruch der 
Höhlung in Verbindung treten wird. 

Die weitere Differenzierung der Gewebe der Ephydatia in den 
folgenden Tagen besteht hauptsächlich in der Vergrößerung ihres 
Volumens, was auf ein energisches Wachstum der Gewebe hinweist, 
in der Vergrößerung und Verlängerung der Spieulae, welche aus einer 
tangentialen Richtung eine radiale annehmen und infolge dessen 
mechanisch noch weiter das Ektoderm emporheben, indem sie es mit 
ihren Enden anspannen, so dass sich umfangreiche subdermale Höh- 
lungen bilden. Was die Bildung der Spicula anbetrifft, so kann ich 
vollkommen Alles bestätigen, was darüber in der letzten Zeit von 
Noll?) für Spongilla fragilis Leidy gesagt wurde. Die Ansicht 
Marshall’s®), dass die Amphidisken oder die Nadeln, welche die 
Gemmula bedecken, als Material für die Ausscheidung der Kieselsäure 

Dale Set 

2) Noll, Beiträge zur Naturgeschichte der Kieselschwämme. Abh. der 
Senckenb. Nat. Gesellsch. zu Frankfurt, Bd. XV, 2. Heft, 1888, S. 31—41. 

3) Marshall, Vorläufige Bemerkung über die Fortpflanzungsverhältnisse 
von Spongilla lacustris. Sitzungsber. d. Naturforsch. Gesellschaft zu Leipzig, 
1884, 8. 23. 


716 Imhof, Verbreitung von Stilurus glanis. 


in den Silicoblasten dienen, kann ich nicht bestätigen, da ich keine 
Veränderung in den Ampbidisken der leeren Gemmulaschale nach der 
Bildung einer großen Anzahl von Spieulae in der Jungen Ephydatia 
bemerkt habe. 

Auf diese Weise, wenn wir alles Bekannte summieren, haben wir, 
wie es scheint, das Recht, zu behaupten, dass bei der Entwicklung 
der Ephydatia aus den Gemmulae die Elemente einer Schicht (des 
Mesoderms), wie ich die Gelegenheit hatte, an einer anderen Stelle 
zu zeigen t), indem sie sich differenzieren, die Elemente der anderen 
Sehiehten (des Ektoderms und des Endoderms) erzeugen. Solches 
Resultat stellt nichts Unerwartetes vor; man muss sich nur erinnern, 
dass die Schwämme den niedrigsten Platz unter den Metazoa ein- 
nehmen, sozusagen die erste Stufe dieser umfangreichen Abteilung 
des Tierreichs vorstellen, und so ist es natürlieh, dass bei ihnen keine 
so scharfe Spezialisierung der Gewebe sein kann, wie sie bei den 
höher stehenden Metazoa existiert. 

den 25. September 1892. 


Die Verbreitung von Silurus glanis L. in den stehenden Ge- 
wässern der europäischen Alpenkette. 


Von Dr. Othmar Emil Imhof. 


Die Fischfauna der Binnengewässer wird immer mehr durch das 
Einsetzen neuer in- und ausländischer Arten in ihrer natürlichen Zu- 
sammensetzung verändert. Es ist deshalb sehr zu wünschen, dass 
ehe es zu spät wird, die ursprüngliche, einheimische, natürliche Ver- 
breitung der Fische, die, in Verbindung mit den Ergebnissen über die 
Verbreitung der wirbellosen Wassertiere, noch mehrfach zur Beant- 
wortung wissenschaftlicher Fragen Anlass geben wird, der verschie- 
denen Wassergebiete festgestellt werde um das Vorkommen und die 
Lebensweise besonders charakteristischer Arten genauer kennen zu 
lernen., 

Eine der besonderes Interesse beanspruchenden Fischspecies ist 
der Silurus glanis T.., dessen Vorkommen eingehender festzustellen, 
von Wert sein dürfte. Künstliche Veränderung der geographischen 
Verbreitung dieses größten Süßwasserfisches der Alpengewässer ist 
noch wenig versucht worden und in den wenigen Fällen meist nicht 
von Erfolg begleitet gewesen. 

Ueber das Vorkommen des Welses finden sich in der Litteratur 
da und dort zerstreut einzelne Angaben, welche zu sammeln die vor- 
liegende Notiz beginnen möchte. 





1) Zykoff, DieEntwieklung der Gemmulae bei Ephydatia fluviatilis, Auct. 
Bull. de la Soc, Imp. des Nat. de Moscou, 1892, Nr. 1. 














Imhof, Verbreitung von Silurus glanis. rar 


In den Wassergebieten der europäischer Alpenkette fehlt Sdlurus 
glanis in folgenden Ländern: Frankreich und Italien. Er fehlt in 
Europa auch in Portugal und Spanien und soll auf den brittischen 
Inseln ein einziges Mal gefunden worden sein. 

Der Wels kommt in folgenden Seen des Alpengebietes vor: 

Im Aaregebiet: Murtensee, geht von hier auch etwa durch den 
Abfluss, die Broye, in den Neuenburgersee und von da durch die 
Thielle in den Bielersee. Früher, ehe das weitausgedehnte Torfgebiet 
zwischen diesen drei Seen dureh Kanalisationen immer mehr trocken 
gelegt worden ist, war hier das Laichgebiet dieses Fisches. Im Vier- 
waldtstättersee, nach einer Angabe von Öysat, wurde im Jahre 1601 
ein Wels gefangen. Seither aber ist in diesem See kein einziges 
Exemplar mehr gesehen worden. In den Brienzersee soll der frühere 
Besitzer des Schlosses Iseltwald, General Sinetti, einmal junge 
Siluriden geworfen haben. Nach der Versicherung einiger Fischer 
werden von Zeit zu Zeit sehr große Fische an der Oberfläche gesehen, 
gewöhnlich 4—5 oder 6 Exemplare, die aber bald wieder in die Tiefe 
gehen. Im August 1874 haben mehrere glaubwürdige Personen an 
verschiedenen Stellen des Brienzersees sehr große Fische, von bis 
25 Fuß Länge, beobachtet. Es sollte aber von wissenschaftlicher 
Seite das Vorkommen des Welses im Brienzersee noch bestätigt 
werden. 

Im Rheingebiet der Schweiz kommt der Wels im Bodensee ziem- 
lich häufig, besonders nahe den deutschen Ufern vor. Im Jahre 1864 
wurden gleichzeitig 5 Exemplare gefischt, von denen das schwerste 
über 50 Kilogramm wog. Dann und wann fing man im Rhein bei 
Laufenburg und Basel vereinzelte Exemplare, die wohl aus dem 
Bodensee stammen. Die Bevölkerung des Bodensees soll infolge von 
Ueberschwemmungen aus naheliegenden kleineren deutschen Seen er- 
folgt sein. 

Aus dem Rhonegebiet ist ein noch nicht sicher gestelltes Vor- 
kommen in einem kleinen See, Göronde bei Sierre, zwischen diesem 
Ort und der Rhone (rechtes Ufer) zu nennen. Wie im Brienzersee 
sollen sich von Zeit zu Zeit, wenn das Wetter ganz ruhig ist, an der 
Oberfläche 4—5 Individuen zeigen. Ein auf nahe Distanz von Herrn 
Zuffray gesehenes Exemplar maß 1,5 Meter. 


In folgenden Seen im Königreich Bayern leben Welse: 
Im Flussgebiet der ler : Nieder- Sonthofersee. 
Isar : Starnbergersee, Staffelsee, Riegsee, Karpfen- 
see (neben dem Walchensee). 
des Inn : Simmsee, Chiemsee. 
£ 5 der Salza: Wagingsee. 
Folgende Seen in der k. k. Monarchie Oesterreich - Ungarn be- 
herbergen den Wels: 


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718 Schuberg, Bewegung von Tritonen an glatten Flächen. 


Im Flußgebiet der Salza: Wallersee, nordöstlich von Salzburg. 
a ? „ Drau : Össiachersee, Fackersee. 
R A „ S1ö  : Plattensee. 

Die Zahl der Seen in den Wassergebieten der europäischen Alpen- 
kette, in denen Welse gegenwärtig vorkommen, ist nach der obigen 
Zusammenstellung keine große, 16. Vielleicht lässt sie sich bei wei- 
teren Nachforschungen noch vergrößern. Sollte von anderer Seite 
diese Zusammenstellung ergänzt werden, so wäre mein Wunsch erfüllt, 
um dann später auf die Frage der Ausbreitung dieses Fisches zurück- 
zukommen. 


Ueber die Fähigkeit einheimischer Tritonen, sich an glatten 
Flächen festzuhalten und zu bewegen. 
Von Dr. A. Schuberg, 


Privatdozent an der Universität in Würzburg. 

Seit langem ist bekannt, dass der südeuropäische @eotriton fuscus 
die Fähigkeit besitzt, sich an glatten senkrechten Flächen festzuhalten 
und zu bewegen. So schreibt z. B. Wiedersheim, der ihn in den 
Höhlen in der Umgebung von Spezia beobachtet hatte: „Man sieht 
ihn dort nicht nur an den glatten, senkrecht abfallenden und dazu 
noch von Wasser berieselten Kalkwänden mit Leichtigkeit empor- 
klimmen, sondern sogar an der Decke der Grotte (also den Rücken 
‚nach unten, den Bauch nach oben gewandt, nach Art unserer Stuben- 
fliegen) sich hin und her bewegen !)“. So viel mir bekannt, ist für 
andere Urodelen ähnliches bisher nicht mitgeteilt worden. Und doch 
kann man sich sehr leicht davon überzeugen, dass auch unsere ein- 
heimischen Tritonen im stande sind, nicht nur an glatten senkrechten 
Flächen festzuhaften, sondern auch daran emporzuklimmen. Trotz 
eifrigen Suchens in der mir zugänglichen Litteratur habe ich nirgends 
einen deutlichen Hinweis hierauf vorgefunden und ieh möchte deshalb 
nicht unterlassen, meine Beobachtungen hierüber bekannt zu geben. 
Eine einzige allenfalls hierhergehörige Notiz findet sich in Brehm’s 
Tierleben, wo, nach Erber, von einem Molche berichtet wird, der 
gelernt habe, „wenn er hungrig wurde, an dem Glase, in dem er ge- 
halten wurde, emporzuklettern“ 2). 

Es ist wohl sicherlich allen Liebhabern von Tritonen bekannt, 
dass diese so gern gesehenen Bewohner unsrer Zimmeraquarien 





1) Wiedersheim, Die Kopfdrüsen der geschwänzten Amphibien und die 
Glandula intermaxillaris der Anuren. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXVII, 1876, 
(Sep.- Abdr.) S. 36. 

2) Brehm’s Tierleben, III. Aufl., Bd. VII. Die Kriechtiere und Lurche, 
neubearbeitet von 0. Boettger und Pechuel-Loesche, Leipzig u. Wien, 
1892, 8. 764. 








Schuberg, Bewegung von Tritonen an glatten Flächen. 719 


durchaus nicht selten ihr mehr oder weniger verlockendes künstliches 
Heim verlassen. Die Möglichkeit zu solchen Fluchtversuchen sahen 
die Meisten bisher offenbar in der Nähe von „Aquariumfelsen® an 
der Glasscheibe, dem Vorhandensein von langen Pflanzen oder ähnl. 
gegeben. So erzählt wenigstens auch Glaser!), dem wir eine sonst 
sorgfältige Darstellung des Lebens unsrer Tritonen im Aquarium ver- 
danken, dass sie mit Hilfe „der längeren Pflanzenblätter“ leicht 
„durchgehen“. 

Ich selbst hatte nun auch schon öfter mit Bedauern die Thatsache 
dieses „Durchgehens“ wahrgenommen; waren mir doch einmal von 
etwa 30 Tritonen verschiedener Species, die ich an einem Nachmittage 
gefangen hatte, in zwei bis drei Tagen alle bis auf ein halbes Dutzend 
aus dem unbedeckten Aquarium verschwunden. Aber erst, nachdem 
ich zufälligerweise im vergangenen Jahre abermals ein Entweichen 
von Tritonen aus einem Glasaquarium, ohne „Felsen“ und ohne 
lange Pflanzen, bemerkt hatte, begann ich der Frage erneute Auf- 
merksamkeit zuzuwenden. 

Ich habe mich nun mit Leichtigkeit davon überzeugen können, 
dass die Tiere beim Entweichen aus den Aquarien einfach an den 
senkrechten glatten Glaswänden emporklettern. — Eine Anzahl sorg- 
fältig gereinigter viereckiger Sammlungsgläser, wie sie zur Aufbe- 
wahrung zootomischer Präparate vielfach in Gebrauch sind, wurden 
jeweils in andre größere Glasbehälter gebracht, die ihrerseits mit einer 
Glasscheibe zugedeckt werden konnten. Die Sammlungsgläser hatten 
eine derartige Breite, dass die Tritonen völlig gerade auf dem Boden 
sich ausdehnen konnten, und eine Höhe von 18 cm, die also die Länge 
eines erwachsenen Triton ceristatus (ca. 14 cm) übertrifft. In jedes 
Sammlungsglas wurde je ein Triton ceristatus gebracht. In einige 
Gläser hatte ich etwas Wasser gegossen, das 1-2 cm hoch den Boden 
bedeckte; diejenigen Tiere aber, welche in die mit einem reinen Tuche 
trocken geriebenen Gläser ohne Wasser kamen, wurden durch 
Fließpapier sorgfältig von dem ihnen anhängenden Wasser befreit. 
Alle Tritonen hatten sich bis zur Anstellung der Versuche in einem 
Glasaquarium befunden, das stets nur wenigen gleichzeitig Gelegen- 
heit gab, das Wasser zu verlassen. Die Versuche wurden im Monat 
August angestellt, also zu einer Zeit, wo man im Freien nur noch 
ausnahmsweise Tritonen im Wasser findet. — 

Bei diesen höchst einfachen Versuchen ergab sich nun sehr häufig, 
nahezu in der Hälfte der Fälle, dass die isolierten Tritonen am andern 
Morgen sieh nicht mehr in ihrem Glase befanden, sondern entweder 
in dem diese umgebenden Glaskasten, oder aber in einem der andern 
Gläser, so dass also mehrfach zwei Tiere zusammen angetroffen 
wurden. Die Anordnung der Versuche bewies schon an sich mit 





1) Glaser, Beobachtungen betreffend Wassermolche im Stubenaquarium 
und im Freien. Zoolog. Garten, XII, 1871, S. 262. 


720 Schuberg, Bewegung von Tritonen an glatten Flächen. 


Sicherheit, dass die Tiere im stande sein mussten, am glatten senk- 
rechten Glase emporzuklettern, da bei dem Fehlen aller Steine, 
Pflanzen ete. und bei der Höhe der Gläser jede andre Möglichkeit, 
die Gläser zu verlassen, ausgeschlossen war. Es gelang mir aber 
außerdem nicht selten Tritonen anzutreffen, die gerade am Glase fest- 
hafteten, und zwar derart, dass weder der Schwanz den Boden, noch 
etwa eine der vordern Extremitäten die obere Kante des Glases be- 
rührte. In der Regel saßen in diesen Fällen die Tiere in den etwas 
abgerundeten Kanten der im Querschnitt rechteckigen Gläser. Bei den 
am Glase festhaftenden Tieren fiel vor allem auf, dass meist die 
Haut des Bauches, der Schwanzunterseite oder der oberen Abschnitte 
der Extremitäten mit ihrer ganzen Fläche dem Glase dieht anlag, 
während die Finger und Zehen sehr häufig gekrümmt waren, so dass 
sie nur mit der Spitze das Glas berührten. Mitunter beobachtete ich 
auch, dass die auseinandergespreizten freien Finger- oder Zehenspitzen 
vom Glase abstanden, während die derart gespannte innere Hand- 
oder Fußfläche dem Glase angepresst war; es war hier somit eine 
ähnliche Wirkung erzielt worden, wie sie mit der menschlichen Hand 
unter gleichen Bedingungen erreicht werden kann. Aus alledem geht 
jedenfalls hervor, dass es die Haut der untern Körperseite 
ist, welche als Haftapparat dient. — 

Die Art und Weise nun, wie die Festhaftung zustande kommt, 
kann wohl kaum zweifelhaft sein; denn ich glaube nicht fehl zu 
gehen, wenn ich ihre Ursache in einer Adhäsionswirkung suche. Ob- 
wohl ich über das Verhalten und die Wirkung der einzelnen Muskeln 
bis jetzt nichts Genaueres aussagen kann, glaube ich doch, schon 
nach dem äußeren Aussehen, annehmen zu dürfen, dass mit Hilfe der 
Muskulatur in der Bauchwand, speziell vielleicht namentlich mit Hilfe 
der M. obliqui, eine Spannung und ein Anpressen der Haut erfolgt, 
wodurch dann das Eintreten der Adhäsion ermöglicht wird. Selbst- 
verständlich handelt es sich dabei um Adhäsion mit Zuhilfenahme 
einer dünnen Flüssigkeitsschieht. Eine solche wird in den Fällen, wo 
Wasser fehlt, sicherlich durch das Sekret der Hautdrüsen erzeugt. 
Ich hatte zuerst Versuche gemacht, bei denen der Boden der Gefäße 
mit Wasser bedeckt worden war, und hatte, da relativ viel Flüssig- 
keit zwischen Glas und Bauchseite des Tieres bemerkbar schien, ge- 
glaubt, dass dies Wasser bezw. ein sehr verdünntes Sekret sei. Selbst 
wenn letzteres auch der Fall war, zeigt sicherlich die Thatsache, dass 
auch mit Fließpapier abgetrocknete Tritonen an völlig reinen und 
trockenen Gläsern emporkamen, in genügender Weise, dass das Sekret 
allein schon genügt, um die Adhäsion zu ermöglichen. Ueberdies 
ist die geringere Menge der zwischen adhärierenden festen Körpern 
vorhandenen Flüssigkeitsschieht — natürlich nur bis zu einer be- 
stimmten Grenze — von Vorteil. Ich habe bei Mitteilung meiner 
Untersuchungen über die Haftapparate und den Haftvorgang beim 





Schuberg, Bewegung von Tritonen an glatten Flächen. 194 


Laubfrosch gezeigt, dass ein kleines Glasplättehen von 16 qmm 
Fläche bei Befeuchtung mit destilliertem Wasser ein Gesamtgewicht 
von 148g zu tragen im stande war, wenn es an der Unterfläche einer 
Glasplatte zur Adhäsion gebracht wurde !). Hiebei war die Adhäsion 
lediglich durch ein „leichtes Andrücken“ oder Vorbeiziehen erzielt 
und durchaus nicht auf Herstellung einer besonders dünnen Flüssig- 
keitsschicht Bedacht genommen worden. Verringerte ich die Dicke 
der Wasserschieht durch allmähliche Verdunstung so weit, dass Inter- 
ferenzfarben zur Wahrnehmung kamen, so vermochte das gleiche 
Glasplättehen durch seine Adhäsion das bedeutende Gewicht von 70 g 
zu tragen! Das Drüsensekret der Tritonen besitzt nun, wie das der 
Amphibienhaut allgemein, eine gewisse Klebrigkeit?). Da die größere 
Klebrigkeit einer Flüssigkeit natürlich die Adhäsion noch steigern 
kann, so dürfte schon ein sehr kleiner Teil der Bauchfläche genügen, 
um das ganze Gewicht des Tieres, das ich bei erwachsenen Exemplaren 
von Triton cristatus nie höher als 8,6 g fand, allein zu tragen, falls 
nur eine innige Berührung von Haut und Glasfläche statthat. Ich habe 
in der That auch einmal beobachtet, dass ein Triton eristatus am 
Glase festhaftete, obwohl nur die Haut an der Wurzel des Schwanzes 
als Adhäsionsfläche benützt wurde. Da übrigens die Fähigkeit, die 
Haut der Unterlage dicht anzupressen, offenbar eine beschränkte ist, 
so haften die Tritonen niemals so fest, als es z. B. ein Laubfrosch 
allein schon mit der Haut des Bauches zu thun vermag. Die Be- 
wegungen am Glase sind demgemäß sehr plump; und werden sie sehr 
rasch ausgeführt, so fallen die Tiere leicht ab. — 

Es ist wohl nieht ohne Interesse, bei dieser Gelegerheit die Haft- 
apparate und den Haftvorgang beim Laubfrosch zum Vergleiche heran- 
zuziehen. Ich habe, im Anschluss an früher wenig gewürdigte An- 
gaben Roesel’s und Leydig’s gezeigt °), dass beim Laubfrosch die 
Haut des Bauches und der Unterseite der Oberschenkel in wesentlicher 
Weise beim Festhaften mitwirkt; und ich stehe sogar nicht an, nach 
fortgesetzter Beobachtung, zu behaupten, dass der ruhig am Glase 
oder an einem glatten Blatte festsitzende Laubfrosch vorzugsweise 
hıermit sich festhält, während er die Zehenballen dabei nur wenig 
oder fast gar nicht benützt. Die mitgeteilten Beobachtungen an Tri- 
tonen zeigen nun, dass bei verwandten Tieren ein ähnliches, wenn 
auch geringeres, Festhaften und eine, zwar plumpe Lokomotion an 
senkrechten glatten Flächen möglich ist, ohne dass spezifische Apparate 
hierzu an den Zehen ausgebildet wären. Dadurch aber dürfte eine 
gleichfalls schon früher von mir ausgesprochene Ansicht eine neue 


1) Sehuberg, Ueber den Bau und die Funktion der Haftapparate des 
Laubfrosches. Arb. Zool. Zoot. Inst., Würzburg, Bd.X, 1891, S.45 (Sep.-Abdr.). 

2) Leydig, Ueber die allgemeinen Bedeckungen der Amphibien. Archiv 
f. mikr. Anat., 1876, S. 99 (Sep.--Abdr.). 

Sulzer Ss: 53. 

SUR 46 


N) Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 


Bestätigung erhalten, wonach nämlich die Bedeutung der Haftballen 
des Laubfrosches darin zu suchen sei, „dass sie hauptsächlich beim 
Anspringen der Laubfrösche in Wirksamkeit treten und hierbei 
ein sofortiges Haftenbleiben ermöglichen“ !). Ich darf vielleicht ferner 
an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass die mächtigere Ent- 
wicklung des Zwischengelenkknorpels zwischen letzter und vorletzter 
Phalange, die ja speziell für den Haftmechanismus der Zehen von 
ausschlaggebender Bedeutung ist, in einem bestimmten Verhältnis zur 
Anpassung an das Baumleben der Laubfrösche zu stehen scheint ?). — 

Zum Schlusse mag nicht unerwähnt bleiben, dass ich ein Fest- 
haften am Glase außer bei Triton ceristatus auch bei T. faeniatus und 
gelegentlich auch bei einem jungen Exemplare des Bombinator bom- 
binus beobachtet habe, sowie, dass Leydig?) das gleiche für junge 
Kreuzkröten (Bufo calamita) angibt. — 

Karlsruhe, September 1892. 


Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und 
Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie 
der Stütz- und Bewegungsorgane. 

(Neuntes Stück.) 


Oologische Merkmale. 


Wenn auch gegenwärtig die Ansichten der verschiedenen Forscher 
über den systematischen Wert der Oologie weit auseinandergehen, so 
steht doch unzweifelhaft fest, dass diese Wissenschaft eine eingehende 
Berücksichtigung verdient. Es ist wohl überflüssig, an dieser Stelle 
auf die reiche diesbezügliche Litteratur einzugehen. Aus sehr nahe 
liegenden Gründen erregte die Eischale zuerst das Hauptinteresse der 
Forscher. Bei vollkommener Ausbildung besteht sie bekanntlich: 

a) aus der (innern) Drüsenschicht (der Schalenhaut meist mit 
höckerigen Erhebungen, Mamillen, auflagernd und ein Ge- 
menge von körnchenhaltigen organischen Substanzen mit 
Kalkkrystallen darstellend), 

b) aus der (mittleren) Schwammschicht, d. i. ein aus filzartig 
verwebten Strängen bestehendes Gerinnungsprodukt des kalk- 
haltigen Schleimhautsekretes, 

e) aus der Oberhaut, der porösen, etwas elastischen, meist 
kalkarmen und dann ziemlich glänzenden äußersten Schicht. 





HalzerS: 57. 
2) Vergl. Howes and Davies, Observations upon the Morphology and 
Genesis of Supernumerary Phalanges. Proceed. Zoolog. Soc. London for 1888, 
sowie: Schuberg, Ueber sogenannte „überzählige Phalangen“ bei Amphibien. 
Arb. Zool. Zoot. Inst, Würzburg, Bd. X, 1891, 

S) Lac Ss: 











Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 135 

Die Drüsenschicht bildet den Hauptteil der Eischale, während die 
Öberhaut und mehr noch die Schwammschicht fehlen können. Bei 
diekschaligen Eiern treten zwar in der Regel alle 3 Schichten auf, 
es findet aber in dieser Hinsicht ein außerordentlicher Wechsel statt, 
der sich nieht immer an die systematischen Grenzen bindet. Die 
Farben der Schalen werden bei intensiv gefärbten Eiern meist in 
mehreren Schichten abgelagert, so dass selbst die Schalenhaut sie 
enthalten kann. Für die Systematik der Vögel scheinen diese Ver- 
hältnisse nicht ganz wertlos zu sein. Von verschiedenen Oologen sind 
aber hauptsächlich Größe, Form, Schalendicke des Eies, dessen Ge- 
wicht, Glanz (Verhalten der Oberhaut), Farbe und die feinere Textur 
der Schale berücksichtigt worden. Die beträchtlichere oder geringere 
Größe des Eies steht, wie bekannt, in ausgeprägter Weise zu der 
land- und wasserlebenden oder der luftlebenden Gewohnheit der 
Mutter und daneben vorzüglich zu der höheren oder tieferen Entwick- 
lungsstufe, welehe der Fötus bis zu seinem Durchbrechen der Eischale 
erlangt, in direkter Beziehung: hochfliegende und infolge dessen meist 
auch hochnistende Vögel legen kleinere Eier, aus denen nesthockende 
Junge sich entwickeln; wenig fliegende resp. flugunfähige Vögel, die 
zugleich tief nisten, produzieren größere Eier, aus welchen Nestflüchter 
kommen. Jedoch zeigt sich auch innerhalb spezieller und engerer 
Grenzen ein mannigfacher Wechsel, der noch dazu individuell nach 
der Legezeit sich geltend macht. Es ist aber trotzdem möglich, inner- 
halb der Species eine gewisse Konstanz des Volumens zu konstatieren, 
wie Reichenow überzeugend dargelegt hat. Ferner zeigt die Dicke 
der Schale, worauf vorzüglich Nathusius die Aufmerksamkeit ge- 
enkt hat, bei derselben Ordnung oder Familie eine gewisse Abhängig- 
keit von der geringeren oder größeren Gefahr, von außen her verletzt 
zu werden und von den mehr oder weniger ausgebildeten äußeren 
Sehutzvorriehtungen der Gelege (so sind z. B. die Eier der Megapodiidae 
dünnschalig, diejenigen der meisten anderen Galli dagegen dick- 
schaliger). Auch die Farbe der Eier (und zugleich die Farbenentwick- 
lung des brütenden Weibehens) steht in den meisten Fällen in Korre- 
lation zu der größeren oder geringeren Ausbildung der Nester: sind 
diese geschlossen und geschützt, so besitzen die Eier meist eine weiße 
Schale und das Weibchen weist eine Prachtfärbung auf; bei offenen 
oder unvollkommenen Nestern hingegen imitieren die Eier mit ihrer 
Sehutzfärbung häufig ihre Umgebung und der weibliche Vogel ist in 
der Regel anders als das Männchen und minder prächtig als dieses 
gefärbt. Es sind aber auch hier noch viele Phänomene zu erklären 
und es darf außerdem nieht übersehen werden, dass einerseits oft 
Eier entfernt stehender Vögel einander ziemlich ähnlich sind, andrer- 
seits diejenigen mancher Gattungen und sogar Species (so z. B. die- 
jenigen von Cusuarius Benettii, mehrerer Aleidae, Laridae, Limicolae, 
die von Plectrophanes nivalis ete.) erheblich variieren können. Doch 

46 * 


— 


94 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 


wird es einem geübten Forscher bei genügendem Material wohl ge- 
lingen, manche erfreuliche Resultate zu erlangen. Dies wird auch 
der Fall sein, wenn man den Glanz, die Rauheit und die kreidige 
Beschaffenheit der Oberfläche der Eischale berücksichtigt; manche 
natürliche Gruppierungen werden sich daraus ergeben. Freilich darf 
dabei abermals nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass auch 
diese Erscheinungen sich an die Natur der umgebenden Medien an- 
passen. Zur Charakterisierung gewisser Familien und Subfamilien 
erweist sich auch die Form des Eies gut geeignet, es müssen aber 
dabei die bedeutenden individuellen Variierungen mit in Betracht ge- 
zogen werden und aus diesem Grunde sind allgemeinere Folgerungen 
nur dann zu erhalten, wenn ein großes Material zur Untersuchung 
vorliegt. Den höchsten Wert für die Systematik scheint unter allen 
Bestandteilen des Eies die feinere Textur der Eischale zu besitzen. 
Es waren namentlich Nathusius und König-Warthausen, welche 
diesem Momente eine hohe systematische Bedeutung als klassifikato- 
risches Merkmal beilegten und gegenwärtig ist seine Wichtigkeit als 
solches als gesichert zu betrachten. Hauptsächlich ist es die innere 
(Drüsen-) Schieht mit den Mamillen, welche dabei den Ausschlag gibt, 
sie wurde wahrscheinlich auch bei den ancestralen Eiern in der 
frühesten paläontologischen Zeit vorwiegend ausgebildet, während die 
ihr aufliegende Schwammschicht sich erst später entfaltete. Als 
Resultat der Untersuchungen der schon namhaft gemachten Forscher, 
namentlich derjenigen von Nathusius ergab sich, dass, wie sehr 
auch die äußeren Formen und Farben der Eier einer Species variieren 
mögen, die Schalentextur derselben bei dieser Species unverändert 
bleibt. Außerdem zeigen viele der von diesem Forscher erlangten 
systematischen Ergebnisse eine überraschende Uebereinstimmung mit 
den dureh innere Untersuchungen gewonnenen taxonomischen Folge- 
rungen (dies ist beispielsweise der Fall in Bezug auf die von Nathu- 
sius betonte Stellung von Struthio unter den Ratiten, bei der Ver- 
schiedenheit von Spheniscus und den Alcidae, bei der Aehnlichkeit 
zwischen Pterocles und den Columbae ete.). 


Innere Merkmale. 

Unter allen inneren Organen der Vögel wurde von jeher dem 
Skelett eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt und osteologische 
Abhandlungen sind es daher, die den Hauptteil der Arbeiten über die 
Anatomie der Vögel bilden. Zahlreiche Monographien behandeln aus- 
schließlich das Skelett; das eine oder andere osteologische Merkmal 
desselben bildete oft die einzige Basis für systematische Schlüsse, wie 
ja unsere Kenntnis der fossilen Vögel, abgesehen von den erhaltenen 
Federn, Eiern, Trachealringen ete., sich auf die Osteologie derselben 
beschränkt. Viele Forscher haben großes Gewicht auf genaue Maß- 
bestimmungen der einzelnen Skelettteile gelegt, und es steht auch 








Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 125 


unzweifelhaft fest, dass derartige Messungen für deskriptive Zwecke 
eine hohe Bedeutung haben. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, 
dass infolge der ungleichen Größe der Tiere eine direkte Vergleichung 
der so erhaltenen Zahlen unmöglich ist, so ergibt sich schon von 
selbst, dass diese absoluten Maßangaben für komparative und taxo- 
nomische Zwecke nicht gut brauchbar sind; es empfiehlt sich vielmehr, 
dazu die Maße zu relativen Zahlen zu kombinieren die dann bei den 
verschiedenen Vögeln ohne weiteres verglichen werden können. Bis 
jetzt ist aber dieser Weg wenig eingeschlagen worden. Als Einheit 
für derartige Kombinationen hat F. die mittlere Länge eines Dorsal- 
wirbels gewählt und die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Messungen 
zum Teil auf den S. 746—815 sich findenden Tabellen zusammen- 
gestellt. Aus denselben ergibt sich, dass diesen Maßen zwar ein 
gewisser taxonomischer Wert zukommt, dass sich aber die von manchen 
Forschern behauptete Konstanz der Skelettmasse der Species nicht 
bestätigt und somit die systematische Verwertbarkeit der allein auf 
diese Messungen sich stützenden Vergleichungen nur eine beschränkte 
ist (nur bei einander nahe stehenden Gruppen können durch sie ohne 
weiteres gute Resultate erzielt werden, hingegen sind bei einer Ent- 
scheidung über Verwandtschaften oder Differenzierungen entfernter 
Abteilungen noch zahlreiche andere Anpassungen zu berücksichtigen). 

Mit Recht ist ferner von zahlreichen Forschern auf die im ver- 
schiedenen Grade am Vogelskelette auftretende Pneumatizität Gewicht 
gelegt worden. — Es kann dabei ein Unterschied zwischen nasaler, 
tympanaler und pulmonaler Pneumatizität gemacht werden; die letz- 
tere tritt bei den Vögeln gegen die erstere, die unter den übrigen 
Wirbeltieren ziemlich weit verbreitet ist, in den Vordergrund. An- 
deutungen derselben finden sich auch bei den heutigen Reptilien; bei 
den Dinosauriern und Pterosauriern ist dagegen die sehr entwickelte 
Osteo-Pneumatizität wahrscheinlich pulmonaler Abstammung, und weil 
diese Gruppen dadurch mit den Vögeln in direktere Parallele treten, 
könnte man geneigt sein, dies für den Ausdruck direkterer Verwandt- 
schaften zwischen diesen Sauropsidenklassen zu halten. Es ist aber 
auch hier zu beachten, dass bei allen dreien die Pneumatizität des 
Skelettes erst sekundär erworben worden ist und dass die primitiveren 
und kleineren Typen der Dinosaurier, Pterosaurier und Vögel zu einer 
Zeit, wo ihre geneologische Scheidung längst vollzogen war, noch kein 
lufthaltiges Skelett besaßen. — Die systematische Verwertbarkeit der 
Pneumatizität des Vogelskelettes ist jedoch keine große, denn der 
Luftgehalt der Knochen stellt sich als eine Differenzierung jüngeren 
Datums dar (dem Archaeopteryx fehlte sie noch gänzlich) und bei den 
jetzigen Vögeln kam sie in der Regel erst dann zur Ausbildung, wenn 
mit Erlangung einer bestimmten Größe eine entsprechende Erleich- 
terung des Körpers nötig wurde. Infolge dieses Umstandes fehlt die 
Pneumatizität den meisten kleineren Vögeln mehr oder minder ganz 


726 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 


und auch innerhalb enger Gruppen tritt sie je nach Körpergröße und 
Flugfähigkeit in ungemein wechselndem Grade auf; aus leicht ersicht- 
lichen Gründen ist sie bei ganz guten Tauchern nur gering und es 
ist sehr wahrscheinlich, dass in manchen Fällen diese geringe Ent- 
wicklung zum Teil eine sekundär erworbene ist. Der taxonomische 
Wert der Osteo-Pneumatizität ist deshalb meist nicht bedeutend; nur 
in den Fällen, wo gleich große und unter ähnlichen Bedingungen 
lebende Vögel durch einen sehr verschiedenen Grad der Ausbildung 
dieser Eigenschaft gekennzeichnet sind, wie dies beispielsweise bei 
den Ratiten vorkommt, wird derselbe größer. Mehr Bedeutung als 
das Auftreten der Pneumatizität überhaupt, besitzen die qualitativen 
Differenzen derselben, dies gilt besonders in Bezug auf die verschiedene 
Verteilung und Anordnung der ein- und ausführenden Luftlöcher. Die 
Wichtigkeit dieses Umstandes haben auch schon die älteren Autoren 
wie Nitzsch, R. Wagner, Blanchard ete. erkannt; in zahlreichen 
Fällen bieten diese Löcher für gewisse Familien bestimmte Charaktere 
und geben bei maßvoller Benutzung auch manchen guten systematischen 
Wink, sind jedoch zur Erkenntnis schwieriger verwandtschaftlicher 
Beziehungen kaum brauchbar. 

An einer anderen Stelle ist schon betont worden, dass die im 
Skelettsysteme der Wirbeltiere zur Entwicklung kommenden Knochen- 
kerne an Zahl und Größe sehr wechseln und infolgedessen in sehr 
ungleiche gegenseitige Beziehungen zu einander treten. Während sie 
bei den niederen Tieren durch Zonen von primitiven Geweben (Binde- 
gewebe, Knorpel) von einander getrennt sind, treten sie bei höheren, 
vorausgesetzt, dass keine Gelenkhöhlen zwischen ihnen zur Ausbildung 
kommen, in näheren Verband, welcher zu ausgedehnten Knochen- 
verwachsungen führen kann. Es entsteht auf diese Weise eine Reihe 
jener Verbindungen, die man im allgemeinen als synarthrotische und 
synostotische bezeichnet. Die niederen Sauropsiden weisen am Schädel, 
an der Wirbelsäule ete. zeitlebens zahlreiche Nahtverbindungen auf, 
welche bei den höheren bereits im fötalen oder jugendlichen Alter 
einer Synostose Platz machen und gewisse bei der Mehrzahl der 
Wirbeltiere getrennt bleibende Skelettstücke, namentlich am Carpo- 
Metacarpus und Tarso-Metatarsus, verschmelzen bei den Vögeln ge- 
wöhnlich zu einem Stück. Diese Verhältnisse sind unter Umständen 
wohl systematisch verwertbar, leisten jedoch, wenn sie einseitig an- 
gewendet werden, nur sehr wenig. 


Spezielleres Verhalten. 
1) Rumpfskelett. 

Eine große Reihe Forscher hat die Zahl der die Wirbelsäule zu- 
sammensetzenden Wirbel zum Gegenstand der Untersuchung gewählt 
und viele haben diese Zahl als Charakteristieum der Art und Gattung 
betrachtet. Es variiert aber die Anzahl der Wirbel zuweilen nicht 





Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. TON 
nur bei den verschiedenen Species desselben Genus (wie z. B. bei 
Casuarius, Cygnus ete.), sondern auch individuell. Aus diesem Um- 
stande ergibt sich schon der Wert, welcher diesen Zahlen beigelegt 
werden darf; selbst innerhalb enger Grenzen sind dieselben wenig 
konstant und in weiteren Grenzen hört jede Sicherheit auf, wie die 
großen Variierungen bei den Limicolae (zwischen 43 und 50) und 
Anseres (zwischen 50 und 63) deutlich zeigen. Vergleicht man die 
Zahl der Wirbel der primitiveren und recenteren Vögel unter einander, 
so findet man, dass Archaeopteryc 49 —50 (Hesperornis annähernd 
ebenso viel) besaß, während bei den lebenden Arten die Anzahl der- 
selben zwischen 39 und 63—64 schwankt. Die höheren Zahlen kommen 
vorwiegend den Ratiten, den meisten Schwimmvögeln und vielen 
Grallatores, die niedrigeren den Columbae, Psittaci und den höheren 
Baumvögeln zu. Dabei unterliegt es gar keinem Zweifel, dass die 
kürzere Wirbelsäule aus der längeren durch Reduktion hinterer Wirbel 
entstanden ist, es lässt sich aber gegenwärtig noch nicht entscheiden, 
ob die Wirbelsäule derjenigen Formen, welche mehr Wirbel als z. B. 
Archaeopteryx aufweisen, durch Reduktion aus einer zum mindestens 
nicht kürzeren als die längste bisher beobachtete oder ob sie infolge 
einer sekundären Ausbildung neuer Elemente am kaudalen Ende (ähn- 
lich wie z. B. bei den Ophidiern) entstanden sei. Mit Rücksicht darauf, 
dass die als primitiver zu beurteilenden Genera (Anas, Phaeton) der 
Anseres und Steganopodes weniger, die höheren Formen mehr Wirbel 
besitzen, hält F. die zweite Möglichkeit für die wahrscheinliche. Für 
die Anzahl der die einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule bildenden 
Wirbel gilt im großen und ganzen das gleiche; die Variierungen sind 
hier jedoch nicht so beträchtlich, ja, innerhalb mancher Familien 
treten sogar recht konstante Verhältnisse auf. Hauptsächlich sind es 
der cervikale und sakrale Abschnitt, welche die Konfiguration der 
Wirbelsäule bestimmen. Bezüglich der Bedeutung der Uervikalwirbel- 
Zahlen für die Systematik ist auf Taf. XXII des F.’schen Werkes 
das Nähere zu ersehen; es ergibt sich daraus, dass viele Familien 
sich durch ein charakteristisches Verhalten dieser Wirbel auszeichnen 
und das Archaeopteryx die kürzeste Halswirbelsäule besitzt. Auch 
in betreff des Saerum zeigt dieser älteste bekannte Vogel das einfachste 
Verhalten; dieses Skelettstück besteht bei ihm nur aus 7 respektive 
8 Wirbeln, bei den anderen Vögeln hingegen sind es mindestens 9 
oder 10 (dies ist der Fall bei /chthyornis, bei den kleinen und mittel- 
großen Tubinares, bei Phaeton, den Psittaci ete.) und bei den meisten 
Ratitae, bei den Colymbidae, Podicipidae, Anseres, Orontoglossae, Pelargi, 
bei vielen Galli ete. sogar 14—22 Wirbel, welche das Becken zu- 
sammensetzen. 

Wie Gegenbaur — der beste Kenner des Vogelbeekens — fest- 
gestellt hat, erfolgt die Vergrößerung desselben auf Kosten der be- 
nachbarten Abschnitte, indem neben den beiden primitiven Sakral- 


7125 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 


wirbeln auch dorsale, lumbale und kaudale Wirbel sich an seiner 
Bildung beteiligen, indem sie mit den ersteren und unter einander 
verschmelzen. Archaeopterye mit der großen Anzahl seiner Dorsal- 
und Kaudalwirbel liefert dafür den besten Beweis; weil bei ihm außer- 
dem das Beeken nur in mäßigem Grade nach hinten gerückt ist und 
überdies die Schwanzwirbel sich durch ziemliche Länge auszeichnen, so 
kommt der Schwanz bei ihm auffallend zur Geltung und dient als Unter- 
scheidungsmerkmal ersten Ranges zwischen ihm (Vertreter der Saururae 
Haeckel) und den übrigen bekannten Vögeln. Die Verbindung und 
Gelenkung der einzelnen Wirbel hat neben Jäger, Gegenbaur ete. 
namentlich Marsh nach allgemeineren Gesichtspunkten behandelt. 
Es wurde dadurch festgestellt, dass die bikonkave Form (bei Archae- 
opteryx, den Ichthyornithidae) den Ausgangspunkt bildet und dass 
dann bei fortschreitender Entwicklung die Sattelform (zylindroidische 
Form Huxley) zur Ausbildung gelangt, (bei den Hesperornithidae 
und bei fast allen posteretaceischen Vögeln). Bei verschiedenen jetzt 
lebenden Arten treten nur noch im kaudalen Bereiche Anklänge an 
die bikonkave Gestaltung auf; bei den /mpennes und den Alcidae 
zeigt sich an einigen Dorsalwirbeln Opistocoelie. F. kann der Be- 
urteilung der zuerst namhaft gemachten Artikulation als der primi- 
tivsten Wirbelgelenkung bei den Vögeln nur beistimmen, dagegen ist 
dies nicht der Fall mit der Ansicht von Marsh und anderen Forschern, 
welehe diejenigen Vögel, die sich durch bikonkave Gelenkflächen 
auszeichnen (wie dies der Fall bei Archaeopteryx und Ichthyornithes ist) 
den anderen scharf gegenüber gestellt wissen wollen. Er hält viel- 
mehr die beiden Wirbelformen für keine qualitative sondern nur für 
eine graduelle Differenz und weist die Möglichkeit, ob nicht die Vor- 
fahren aller lebenden Vögel in einer früheren Zeit bikonkave Wirbel 
besessen haben, nicht von der Hand. Im Gegensatz zu den eben an- 
geführten Gelenkformen zeigt die Dorsalgegend bei den meisten fliegen- 
den Vögeln eine Verringerung der Beweglichkeit, es macht sich an 
ihr das Bestreben geltend, dem Rumpfe als Träger der Eingeweide 
und als teilweise Ursprungsstelle der mächtigen Flugmuskeln — eine 
größere Kompaktheit zu verleihen. An Stelle der Sattelgelenke finden 
sich an diesen Wirbeln bei vielen Vögeln weniger bewegliche Arti- 
kulationen, bei manchen Gruppen tritt sogar eine mehr oder weniger 
weit entwickelte Anchylosierung der verschiedenen Rückenwirbel (zu- 
weilen mit 1 bis 3 hintern Halswirbeln) auf. Derartige Synostosen 
sind namentlich für Phoenicopterus, Threskiornis, für die Gruidue, für 
Psophia, die Parridae, Crypturidae, Galli, Pteroclidae, Dididae, Colum- 
bidae u. a. charakteristisch. Weil aber dieselben eine ganz sekundäre 
Differenzierung repräsentieren, so vermag F. darin ein tiefer begrün- 
detes Verwandtschaftsmerkmal nicht zu erblicken, doch dürfte es nach 
seiner Ansicht auch wohl kaum eine Zufälligkeit sein, dass bei den 
Gruidae und ihren Verwandten in der Regel der (18.) 19. bis 21. (22.), 














Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 729 
bei den Orypturidae, Galli, Opistocomidae und bei den Pteroclidae der 
16. bis 19., bei den Dididae der 16. bis 18. und endlich bei den 
Columbidae der 15. bis 17. Wirbel an der Synostosierung sich be- 
teiligen. 

Eine weitere Verschmelzung von Wirbeln unter einander findet 
sich bei der Mehrzahl der Vögel in der Kaudalregion; die (4-6) hin- 
tern derselben bilden nämlich einen kompakten Knochen, den Vomer 
oder das sogenannte Pygostyl. — Nach Marshalls ausgezeichneten 
diesbezüglichen Untersuchungen beteiligen sich an dieser Bildung bei 
Struthio 4, bei Podiceps, Buceros, Corvus 5, bei Eurylamus und Anas 
6 Wirbel. F. fand bei zahlreichen Vögeln die Fünf- und Sechszahl 
vorherrschend, während Giebel — allerdings auf Grund unzureichender 
Beobachtungen — von einem aus 1, 2 oder 3 Wirbeln zusammenge- 
setzten Vomer spricht. — Als Grund dieser Differenzierung ist die 
höhere Entfaltung der mit den hintern Kaudalwirbeln mittelbar ver- 
bundenen Steuerfedern anzusehen (durch diese Umbildung ist zugleich 
ein wesentlicher Gegensatz zu den freien und schlanken saurierähn- 
lichen Wirbeln des Archaeopteryx gegeben). Dr. F. Helm. 


Ueber einige wichtige Punkte in der Entwicklung des 
Amphiosus. 


Von Basilius Lwoff, 
Privatdozent an der Universität in Moskau, 

Bei den modernen ontogenetischen und phylogenetischen Erör- 
terungen bezüglich der Wirbeltiere bildet die Entwicklung des Am- 
phioxus immer den Ausgangspunkt. Darum bedarf jede neue Unter- 
suchung über die Entwicklung dieses Tieres keiner weiteren Reecht- 
fertigung. Mit der Frage über die Entwicklung der Chorda und des 
Mesoderms bei den Wirbeltieren mich beschäftigend wollte ich auelı 
Amphioxus in den Kreis meiner Untersuchungen ziehen und habe zu 
diesem Zwecke im Frühjahr 1889 eine Reise nach Messina unter- 
nommen, um am Faro das nötige embryologische Material zu sammeln. 
Wegen des fortdauernden schlechten Wetters aber habe ich dort 
wenig Material anschaffen können und habe mich größtenteils 
darauf beschränkt, die Entwicklung an lebenden Larven zu be- 
obachten. Wohl aber ist es mir im Frühjahr des folgenden 1890iger 
Jahres auf der zoologischen Station in Neapel gelungen, soviel Ma- 
terial zu sammeln, wie ich nur wünschen konnte. Dank der Zuvor- 
kommenheit des Vorstandes der Station wurde es mir möglich die 
Amphioxus in einem ziemlich großen Aquarium zu halten, wo sie viel 
mals massenhaft gelaicht haben !). Aber nicht nur in diesem großen 





1) Das erste Mal haben meine Amphioxus am 31, Mai gelaicht. Die 
Laichung begann immer um 8 Uhr Abends. 


730 Lwoft, Entwicklung des Amphiowus. 


Aquarium, sie haben auch in Gläsern gelaicht, sodass ich mich über- 
zeugt habe, dass man nur Geduld haben und seine Gläser jeden 
Abend aufmerksam beobachten muss, um das betreffende embryo- 
logische Material in Neapel zu bekommen. 

Um die Larven zu konservieren, habe ich noch am Faro ver- 
schiedene Fixierungsflüssigkeiten probiert. (Osmiumsäure, Flem- 
ming’sche Flüssigkeit, Kleinenberg’sche Pikrinschwefelsäure, Subli- 
mat-Eisessig). Es ergab sich (in Uebereinstimmung mit Hatschek), 
dass Osmiumsäure sich am besten zu diesem Zwecke eignet, da sie 
die Zellenkonturen am schärfsten konserviert. Nur im einer Hinsicht 
konnte diese Konservierungsmethode mich nicht befriedigen, weil 
dabei die Mitosen undeutlich werden. Da aber für viele Fragen 
gerade Mitosen von großer Bedeutung sind, so leisteten mir andere 
Fixierungsflüssigkeiten, vor allem Pikrinschwefelsäure und Sublimat- 
Eisessig, in dieser Hinsicht gute Dienste, weil sie Mitosen vorzüglich 
konservieren. Durch verschiedene Stadien wurden zahlreiche Serien 
von Sehnitten gefertigt. Dabei habe ich auch durch Gastrulastadium 
nicht nur Querschnitte, sondern auch Längsschnitte (und zwar sowohl 
Sagittal-, wie Horizontalsehnitte) gemacht, da es sich ergab, dass 
die sogenannten optischen Schnitte nicht immer dasselbe wiedergeben, 
was auf den reellen Schnitten zu sehen ist. Zum Zwecke der Orien- 
tierung wurden die Objekte zuerst nach der bekannten Methode in 
Celloidin eingeschlossen, dann die dünnen, die Larven enthaltenden 
Celloidinplatten in Paraffıin eingebettet. Die Larven wurden in toto 
mit Boraxkarmin gefärbt; aber größtenteils habe ich die mit Eiweilß 
aufgeklebten Schnitte mit dem Delafield’schen Hämatoxylin nach- 
gefärbt. 

In vielen Punkten waren meine Präparate in so guter Ueberein- 
stimmung mit Hatschek’s Angaben, dass ich in dieser Beziehung 
seine ausgezeichnete Arbeit nur bestätigen konnte. Anderseits aber 
ergaben sich auch einige Differenzen, die mir nicht unwichtig scheinen, 
da sie von großer Bedeutung sind und auf die modernen embryo- 
logischen Theorien nicht ohne Einfluss sein können. Meine Unter- 
suchungen haben etwa zwei Jahre gedauert. Im großen und ganzen 
bin ieh sehon vor einem Jahre zu den weiter zu erwähnenden Er- 
sebnissen gekommen; da ich aber in der Schilderung und der Deutung 
einiger Entwieklungsvorgänge von den so hervorragenden Forschern, 
wie Kowalevsky und Hatschek, abweichen musste, so eilte ich 
nieht mit vorläufiger Mitteilung: einerseits glaubte ich diese für mich 
damals noch fraglichen Punkte nachuntersuchen zu müssen, anderseits 
wollte ieh diese Ergebnisse mit den Resultaten vergleichen, zu denen 
ich bei meinen Untersuchungen über dieselben Entwicklungsvorgänge 
bei verschiedenen Wirbeltieren gekommen war. Nun nach dieser 
vergleichenden Untersuchung muss ich meine Auffassung aufrecht 
erhalten und will in dieser kurzen Mitteilung, ohne in die Einzel- 














Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 131 


heiten einzugehen, meine Angaben und Ansichten über einige wichtige 
Punkte in der Entwicklung des Amphioxus veröffentlichen, indem ich 
mir vorbehalte, später über diesen Gegenstand eingehender zu be- 
richten. Da ich keine Absieht habe die gesammte Entwieklungs- 
geschichte des Amphioxus zu schildern und nur über die Punkte be- 
richten werde, in denen ich von meinen Vorgängern abweiche, so 
wird meine Schilderung notwendigerweise etwas fragmentarisch aus- 
sehen. Ich glaube, man wird es mir nicht übel nehmen. 

Meine Beobachtungen über die Eifurchung stimmen mit den An- 
gaben von Hatschek überein. In Uebereinstimmung mit diesem 
Forscher nehme ich an, dass die obere größere Hälfte der Blastula 
(etwa „die oberen zwei Drittel der Wölbung“) von kleineren Ekto- 
dermzellen, die untere Hälfte (etwa „das untere Drittel“) von größeren 
dunkleren Entodermzellen zusammengesetzt ist. Ich will dabei nur 
hervorheben, dass dieser Unterschied zwischen Ektoderm- und Ento- 
dermzellen noch in der Blastula zu Tage tritt, ehe die Einstülpung 
beginnt, dass also das zweischiehtige Stadium hier als Resultat der 
Furchung zu betrachten ist. Wenn ich dies hervorhebe, so geschieht 
es darum, weil man in dem Gastrulastadium schon nieht ohne weiteres 
bloß zwei primäre Schichten — Ektoderm und Entoderm — unter- 
scheiden darf, sondern, wie man gleich sehen wird, die Verhältnisse 
hier nicht so einfach sind, wie es bisher angenommen wurde. Dies 
führt uns zur Frage, wie der Prozess der Einstülpung vor sich geht? 

Nach der Angabe von Kowalewsky bildet sieh die Gastrula von 
Amphioxus durch polare Einstülpung der einschichtigen Blastula, so 
dass die Gastrulaaxe ursprünglich der Blastulaaxe entspricht und der 
Gastrulamund nur später gegen die Rückenseite verschoben wird. 
Hatschek dagegen glaubt, dass dies nicht der Fall ist, dass die 
Längsaxe der Gastrula der Blastulaaxe nicht entspricht, sondern sie 
unter einem spitzen Winkel kreuzt. Es bildet sich dabei eine radial 
unsymmetrische Gastrula, deren Mund von Anfang an gegen die 
Rückenseite offen ist. Es fragt sich: wodurch erklärt sich die Ent- 
stehung dieser unsymmetrischen Gastrula? 

Hatschek sagt: „Nachdem die Bildung der Blastula vollendet 
ist, tritt ein Stillstand in der Vermehrung der Zellen ein, um einem 
anderen Prozesse Raum zu geben“, nämlich der Gastrulation. In 
Uebereinstimmung mit dieser Angabe glaubt Hatschek, dass die 
Entodermzellen während des Einstülpungsprozesses eine mehr aktive 
Rolle spielen, die Ektodermzellen dagegen während des ganzen Vor- 
ganges eine sich mehr passiv verhaltende Wölbung bilden. Die Ento- 
dermzellen sollen sich einstülpen, indem sie die in der Furchungshöhle 
befindliche Flüssigkeit resorbieren und darum allmählich an Größe 
zunehmen. Dadurch, meint Hatschek, erklärt sich die mechanische 
Seite des Prozesses. Mir scheint, dass der Prozess der Einstülpung 


182 Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 


anders vor sich geht. Nach meinen Beobachtungen tritt kein Still- 
stand in der Vermehrung der Zellen ein; im Gegenteil während des 
Einstülpungsprozesses kann man nach wie vor eine rege Teilung der 
Ektodermzellen bemerken, was an zahlreichen Mitosen zu erkennen 
ist. Diese Vermehrung der Ektodermzellen ist meiner Ansicht nach 
als ein wichtiges Moment bei dem Einstülpungsprozess zu betrachten. 
Man sieht Mitosen überall im Ektoderm, am zahlreichsten aber sind 
sie an der Seite, die später zur Rückenseite der Gastrula wird 


Fig. 1. Medianschnitt durch die Gastrula von 





{ N Amphioxus. Vergrößerung 160. 
$ ee % a = Vorderende; b, e = dorsaler Umschlagsrand. 
u, Schwarze Kerne bedeuten Mitosen. 


(Fig. 1, @c) und am dorsalen Umschlagsrande (Fig. 1, c) zu bemerken. 
Manchmal sind Mitosen auch in den Zellen der dorsalen Wand der 
inneren Höhle zu sehen. Wie Längssehnitte zeigen, wachsen diese 
Zellen vom dorsalen Umschlagsrande aus nach innen. Das Anwachsen 
der Zellen an diesem Umschlagsrande und Wachstumsdrang derselben 
nach innen soll sehr bedeutend sein, weil auf Medianschnitten der 
Gastrula (Fig. 1) die Zellen hier den Charakter des einschichtigen 
Epithels verlieren und unregelmäßig zweischichtig gelagert sind. 
Manchmal lassen sich an der dorsalen Wand der Höhle Unebenheiten 
bemerken und die einzelnen Zellen lösen sich sogar aus dem Zell- 
verbande los und erscheinen als rundliehe Zellen, die neben den 
übrigen Zellen liegen. Auf solehe Weise kann die aktive Rolle der 
Ektodermzellen bei der Einstülpung und die Beteiligung derselben 
an der Bildung der dorsalen Wand der sogenannten Gastralhöhle 
keinem Zweifel unterliegen. 

Auf Grund meiner Untersuchungen deute ich die Bildung der 
Gastrula von Amphioxus folgendermaßen. In einem gewissen Stadium 
der Eifurchung macht sieh die überwiegend aktive Rolle der kleineren 
Blastomeren gegenüber den größeren bemerkbar. Die Mikromeren 
teilen und vermehren sich rascher als die Makromeren. So kommt 
es zur Bildung der Blastula, deren zwei Drittel von Mikromeren und 
nur ein Drittel von Makromeren gebildet sind. Es gibt zwar keinen 
scharfen Gegensatz zwischen diesen beiden Elementen, aber soviel 
ist sicher, dass wir Mikromeren und Makromeren, resp. Ektoderm- 
und Entodermzellen unterscheiden können. Der Unterschied zwischen 
ihnen ist dadurch zu Stande gekommen, dass die einen sich rascher 
vermehren als die anderen So weit bin ich, wie es scheint, in 
Uebereinstimmung mit Hatschek. Aber dann nimmt Hatschek 





Lwoft, Entwicklung des Amphioxus. 38 


Ü 


an, dass ein Stillstand in der Vermehrung der Zellen eintritt, um 
einem anderen Prozesse, nämlich der Gastrulation Raum zu geben, 
und versucht die Einstülpung auf andere, namentlich mechanische 
Momente zurückzuführen. Für seine Annahme finde ich keinen An- 
haltspunkt, denn nach meinen Befunden dauert die Vermehrung der 
Mikromeren (Ektodermzellen) nach wie vor fort; was die Zurück- 
führung auf die mechanischen Momente betrifft, so finde ich sie 
schlechthin überflüssig, denn die Einstülpung kann durch denselben 
Prozess (die raschere Vermehrung der Mikromeren) hinreichend erklärt 
werden. Da ich dabei in kleineren Ektodermzellen zahlreiche Mitosen 
finde, in den größeren Entodermzellen Mitosen so gut wie ganz fehlen, 
so schließe ich daraus, wie ich glaube, mit Recht, dass die sich tei- 
lenden Ektodermzellen bei der Einstülpung eine aktive Rolle spielen, 
dagegen den sich träge verhaltenden größeren Entodermzellen eine 
mehr passive Rolle zu Teil wird und sie dahin zu liegen kommen, 
wohin sie durch die mehr aktiven Elemente verschoben werden. 
Infolge der Zellenvermehrung in den Ektodermzellen finden bedeu- 
tende Zellenverschiebungen an der Grenze zwischen Ektoderm- und 
Entodermzellen statt, wodurch die Einstülpung der Entodermzellen 
eingeleitet wird. Die Einstülpung beginnt an der Grenze zwischen 
Mikro- und Makromeren, we der Unterschied zwischen Wachstums- 
energien beider Elemente am größten ist. Da aber die Zellenver- 
mehrung nieht überall gleichmäßig vor sich geht, sondern sich vor- 
zugsweise an einer Seite konzentriert, die zur Dorsalseite der 
Gastrula wird, so erklärt sieh dadurch die Ungleichmäßigkeit und 
die radiale Unsymmetrie der Einstülpung. Nämlich, während an 
anderen Stellen die Entodermzellen nach innen hinein 
eingestülpt werden, stülpen sich an dieser Seite die Ek- 
todermzellen selbst nach innen ein. Mit andern Worten, die 
Zellen, die vom dorsalen Umschlagsrande aus nach innen 
wachsen, bilden die dorsale Wand der inneren Höhle und 
verdrängen, indem sie wachsen, die eigentliehen Entoderm- 
zellen, welche auf solehe Weise an die ventrale Wand 
und an die Seiten der Höhle zu liegen kommen, und viel- 
leicht nur wenige Entodermzellen bleiben im Vorderende der dorsalen 
Wand. Zugleich wächst der Umschlagsrand selbst nach hinten und 
schließt allmählich den sogenannten Gastrulamund. Dadurch kommt 
eine radial unsymmetrische, aber zugleich, da die Rückenseite mar- 
kiert ist, bilateral symmetrische Gastrula zu Stande. Ich betrachte 
also die Vermehrung und Verschiebung der Ektodermzellen als ge- 
meinsame Ursache der Einstülpung und der Schließung des Gastrula- 
mundes. 

Wenn, wie es Hatschek voraussetzt, die Entodermzellen dabei 
eine aktive Rolle spielten, welche, indem sie die in der Furchungs- 
höhle befindliche Flüssigkeit resorbierten, sich nach innen einstülpten, 


134 Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 


so würde die Einstülpung ganz gleichmäßig und radiär symmetrisch 
vor sich gehen, da alle Entodermzellen sich in gleiehen Bedingungen 
in dieser Hinsicht befinden und darum alle Zellen gleichmäßig diese 
Flüssigkeit resorbieren können; mit andern Worten, die Gastrula 
würde dann durch polare Einstülpung sich bilden, wie es Kowa- 
lewsky beschreibt. Es ist sonderbar, dass Hatschek selbst diesen 
Umstand nicht beachtet hat. Seine eignen Abbildungen sprechen 
nicht zu Gunsten seiner Auffassung. Bezüglich dieser Abbildungen 
sagt er: „Bei der Orientierung der Figuren ist zunächst die als Vor- 
derende gekennzeichnete schärfer gekrümmte Stelle der Wölbung 
berücksichtigt. Ich bin dadurch zum Schluss gekommen, dass der 
Gastrulamund ganz der späteren Rückseite angehört und dass der 
hintere Rand desselben das Hinterende des Embryo bezeichnet. Die 
Längsaxe wird demnach konstruiert, indem man von der scharf ge- 
krümmten Stelle der Wölbung, die das Vorderende bezeichnet, durch 
den hinteren Rand des Gastrulamundes eine gerade Linie zieht“ 
(5. 31). Man vergleiche nun von diesem Gesichtspunkte aus seine 
Fig. 24, 26, 29 und 33 mit einander. Hatschek glaubt, dass die 
eine Form (mützenförmige Gastrula) (Fig. 24) in die andere ver- 
schmälerte (Fig. 33) durch einfachen mechanischen Prozess ohne be- 
deutende Zellverschiebungen übergeführt wird. Diese Erklärung halte 
ich geradezu für unmöglich. Wenn man nämlich in beiden erwähnten 
Figuren das Vorderende berücksichtigt, so sieht man, dass die ven- 
trale Seite in Fig. 33 etwa dieselbe geblieben wie in Fig. 24, die 
Dorsalseite aber in Fig. 33 viel länger geworden, man könnte sogar 
sagen, fast eine Neubildung ist. Die Bildung der dorsalen Seite 
kann durch keinen mechanischen Prozess erklärt werden: da das 
Vorderende nicht auf die Seite geschoben werden darf, so bewege 
und falte man, wie man will, — die dorsale Seite kann nicht ohne 
bedeutende Zellenverschiebungen gebildet werden. Nach meiner An- 
sicht aber erklärt sich die Bildung und das Wachstum der dorsalen 
Seite durch die Zellenverschiebungen und das Wachstum des dorsalen 
Umschlagsrandes nach hinten, also durch einen Prozess, der auf die 
Zellenvermehrung der Ektodermzellen an dieser Seite zurückzuführen 
ist. Es ist weiter hervorzuheben, dass die Entodermzellen nur ein 
Drittel der Blastulawand bilden und darum nicht ausreichen, um die 
ganze innere Wand der Gastralhöhle zu bilden — dadurch schon 
wird die Beteiligung der Ektodermzellen an der Bildung derselben 
wahrscheinlich. Hatschek glaubt zwar diese Schwierigkeit durch 
die Angabe beseitigt zu haben, dass diese Zellen während der 
Einstülpung an Größe zunehmen; aber diese Angabe kann ich 
nicht bestätigen. Ich habe mir diese kleine kritische Abschweifung 
erlaubt, um darzuthun, dass Hatschek’s Deutung des Einstülpungs- 
prozesses bei Amphioxus nieht zutreffend ist und dass seine Abbil- 
dungen nicht immer zu Gunsten seiner Auffassung sprechen. 

















Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 755 


Was meine Untersuchungen betrifft, so belehren sie mich, dass 
die Zellen der dorsalen und ventralen Wand der Gastrulahöhle ver- 
schiedenen Ursprung und verschiedene Bedeutung haben. Die dor- 
sale Wand derselben ist fast ganz von den Ektodermzellen gebildet, 
die vom dorsalen Umschlagsrande aus hineinwachsen, die Seiten- und 
die ventrale Wand der Höhle von den eigentlichen Entodermzellen. 
Auf den Querschnitten der Gastrula kann man sehen, dass die Zellen 
hier und dort verschiedenes Ansehen haben. Erstens sind die Zellen 
der dorsalen Wand etwas niedriger als die der ventralen Wand !). 
Bei einigen Messungen ergab sich, dass die ersteren 16 «, die letz- 
teren 24 u hoch sind. Zweitens sind die Zellen der dorsalen Wand 
etwas durchsichtiger, was dadurch bedingt ist, dass sie weniger 
Dotterkörnchen enthalten, als die Zellen der ventralen Wand. Dieser 
Unterschied in der Größe und im Gehalt an Dotterkörnchen erklärt 
sich ganz wohl dadurch, dass sie verschiedenen Ursprung haben. 
Die ersteren sind aus durchsichtigeren Mikromeren, die letzteren aus 
dunkleren (dotterreicheren) Makromeren entstanden. Wie die weiteren 
Entwieklungsstadien lehren, stellt diese dorsale Wand der Höhle die 
ektoblastogene Anlage der Chorda und des Mesoderms dar, indem 
aus der mittleren Zellenpartie derselben die Chordaplatte, aus zwei 
seitlichen Teilen das der Chorda anliegende Mesoderm sich bildet, 
aus welchem, wie bekannt, Muskelelemente entstehen. Die eigent- 
lichen Entodermzellen geben jederseits einige an die ersteren an- 
grenzenden Zellen als ihren Beitrag zur Bildung des Mesoderms ab; 
die Ränder des übrig gebliebenen Entoderms wachsen unter den seit- 
lichen Mesodermanlagen nach der Mittellinie zu, vereinigen sich unter 
der Chorda und bilden auf solche Weise den Darm. 

Das Hauptergebnis dieser Untersuchung ist, dass in der 
Einstülpung bei Amphioxus zwei verschiedene Prozesse 
zu unterscheiden sind: erstens die Einstülpung der Ento- 
dermzellen, aus denen der Darm gebildet wird, (es ist ein 
palingenetischer Prozess — die Gastrulation); zweitens 
die Einstülpung der Ektodermzellen vom dorsalen Um- 
schlagsrande aus, die als ein cenogenetischer Prozess zu 
betrachten ist, der mit der Gastrulation nichts zu thun 
hat und dureh den die Bildung der Chorda und des Meso- 
derms eingeleitet wird. Diese ektoblastogene Anlage der Chorda 
und des Mesoderms hat mit dem Darm nichts zu thun und gehört 
nicht zum Entoderm, wenn wir mit dem Namen Entoderm nichts 
anderes als jenes primäre Keimblatt bezeichnen wollen, welches dem 
inneren Keimblatte der Archigastrula oder dem inneren Blatte der 
Cölenteraten homolog ist. — Weiter ist aus dieser Untersuchung 


4) Siehe Fig. 2, die einen Querschnitt durch ein etwas weiter vorgeschrit- 
tenes Stadium darstellt. 


736 Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 


ersichtlich, dass die Gastrula von Amphioxus keineswegs als eine 
Archigastrula zu betrachten ist. Wenn man ihr unumgänglich einen 
bestimmten Rang in der bekannten Gastrulahierarchie beilegen will, 
so ist sie eher als eine Amphigastrula zu betrachten. 

Dieses Ergebnis ist von großer Bedeutung für das Verständnis 
der ähnlichen Entwicklungsvorgänge bei höheren Wirbeltieren. Bisher 
war es sehr schwer zu erklären und in Uebereinstimmung miteinander 
zu bringen, dass, während bei Amphioxus und bei niederen Wirbel- 
tieren das zweiblätterige Stadium durch Einstülpung sich bildet, bei 
Amnioten die Einstülpung in einem zweiblätterigen Stadium statt- 
findet, wenn das untere Blatt schon vorhanden ist. Es wurden ver- 
schiedene Versuche von verschiedenen Seiten gemacht, um diese 
Schwierigkeit zu beseitigen. Aber diese Versuche sind nicht glücklich 
zu nennen. Von der Ueberzeugung ausgehend, dass das echte Ento- 
derm seine Entstehung einer Einstülpung verdanken muss, hofft man 
der Schwierigkeit abzuhelfen, indem man dem unteren Keimblatt des 
zweischichtigen Stadiums der Amnioten entweder andere Benennungen 
gibt, oder ihm jede Teilnahme an der Bildung des Embryo und zwar 
mit Unrecht absprechen will. Ich werde auf diese Frage hier nicht 
näher eingehen, da sie in einer kurz nach dieser folgenden Mitteilung 
erörtert werden soll. Hier will ich nur darauf hinweisen, dass ich 
nach meinen Untersuchungen die Dinge in anderem Lichte sehe. Es 
besteht für mich keine Schwierigkeit für die Erklärung der Einstül- 
pung in einem zweischichtigen Stadium bei Amnioten. Wir haben 
gesehen, dass in der Einstülpung bei Amphioxus zwei verschiedene 
Prozesse auseinanderzuhalten sind: die Gastrulation und die ekto- 
blastogene Einstülpung. Indem wir von Amphioxus zu niederen Wir- 
beltieren und dann zu Amnioten übergehen, sehen wir, dass der pa- 
lingenetische Prozess — die Gastrulation — obgleich sie sich in 
Form der Umwachsung vollzieht, je weiter, desto mehr unterdrückt 
wird; der cönogenetische Prozess — die ektoblastogene Einstülpung — 
dagegen in der Entwicklung der Chordaten deutlich auftritt und ihre 
volle Ausbildung bei Amnioten erreicht. 


Ein anderer Punkt, in welchem ich von Hatschek abweiche, 
betrifft die rätselhaften Polzellen des Mesoderms. Da diesen Zellen 
von vielen Forschern, namentlich von Rabl eine große Bedeutung 
zugeschrieben wurde, bei Hatschek aber nur wenige Angaben 
darüber sich finden, so wollte ich über dieselben ins Klare kommen 
und ihr weiteres Schicksal verfolgen. Aber leider kann ich keine 
positiven Angaben darüber mitteilen. Meine Ergebnisse in dieser 
Hinsicht kann ich kurz fassen, indem ich erkläre, dass ich solche 
Zellen, welche sich, wie es Hatschek beschreibt und abbildet, durch 
ihre Größe, rundliche Form und größeren Kern vor allen übrigen 
Entodermzellen auszeichnen, am ventralen Rande des Gastrulamundes 











Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 137 


weder an lebenden Larven, noch auf Osmiumkarminglyzerinprä- 
paraten, noch auf Schnitten trotz vielen Suchens auffinden konnte 
— ein Resultat, das der vielen darauf angewendeten Mühe durchaus 
nicht entspricht. 

Dieses negative Ergebnis kann natürlich gegenüber den positiven 
Angaben von Hatschek die Frage nicht entscheiden, bis andere 
Forscher es bestätigen oder widerlegen !). Aber die positiven dies- 
bezüglichen Angaben Hatschek’s sind nicht nur undeutlich, sondern 
auch zum Teil unrichtig. Diese Polzellen des Mesoderms, die stets 
den hinteren Körperpol bezeichnen, sollen nach Hatschek bei der 
Bildung des Mesoderms den hinteren Abschluss desselben bilden. 
Ich habe schon erwähnt, dass ich solche Zellen, die sich durch ihre 
Größe ete. von den übrigen Zellen unterscheiden, nicht auffinden 
konnte. Man könnte freilich annehmen, dass diese den hinteren Kör- 
perpol bezeichnenden Zellen sich von den übrigen Zellen nicht unter- 
scheiden und dessenungeachtet an der Bildung des Mesoderms An- 
teil nehmen. Aber für solehe Annahme finde ich keinen Anhalts- 
punkt. Denn die Angabe Hatschek’s, dass die Mesodermfalten 
über den Gastrulamund hinausreichen und mit den zwei großen Pol- 
zellen endigen, ist zweimal unrichtig: erstens reichen die Mesoderm- 
falten nie über den Gastrulamund hinaus, und zweitens kann kein 
Zusammenhang vorhanden sein zwischen den Mesodermfalten und den 
vermeintlichen großen Zellen, denn die ersteren liegen auf der dor- 
salen Seite und zwar vor dem Gastrulamunde, die letzteren sollen 
auf der ventralen Seite hinter dem Gastrulamunde sich befinden: es 
müssen also zwischen ihnen die gewöhnlichen Entodermzellen liegen. 
Ebenso unrichtig finde ich die Vermutung Hatschek’s, dass diese 
Polzellen das Material der noch ungegliederten Mesodermanlage re- 
präsentieren. Ich habe weder bei Hatschek, noch an meinen Prä- 
paraten Angaben zu Gunsten dieser Ansicht gefunden, denn ge- 
rade an dieser Stelle habe ich keine einzige Mitose gesehen. Nach 
meinen Befunden also muss ich diese Polzellen als Bildner 
des Mesoderms entschieden in Abrede stellen. Darum ist es 
für mich ganz unverständlich, wie Rabl gerade diese problematischen 
Polzellen von Amphioxus für den Ausgangspunkt seines peristomalen 
Mesoderms bei Wirbeltieren hält. 


Jetzt will ich zur Frage über die Bildung des Mesoderms über- 
gehen. Kowalewsky hat in seinen „Weiteren Studien“ die folge- 
reiche Entdeckung gemacht, dass das Mesoderm bei Amphioxus aus 
Längsfalten des Entoderms entsteht, die allmählich von vorn nach 
hinten in einzelne Ursegmente sieh gliedern. Auf solche Weise wer- 
den die Ursegmente als Ausstülpungen des Urdarms, die Höhlen der- 





1) Ich möchte hier nur hervorheben, dass auch Kowalewsky diese 
Polzellen nicht gefunden hat. 


Xll. 471 


138 Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 


selben, die zur Leibeshöhle werden, als Divertikel der Urdarmhöhle 
geschildert. Hatschek hat diese wichtigen Entdeckungen von Ko- 
walewsky im wesentlichen bestätigt und in einigen Punkten ge- 
nauer ausgeführt. 

Da ich gefunden habe, dass die dorsale Wand der Gastrulahöhle 
anderen Ursprung hat als die ventrale Wand, und dass an der Bil- 
dung der Mesodermfalten sowohl eingestülpte Ektodermzellen wie 
die seitlichen Entodermzellen Anteil nehmen, so kann ich die Meso- 
dermbildung bei Amphioxus als eine paarige Aussackung des Ento- 
derms nicht auffassen. Außerdem weiche ich nicht nur in der Deu- 
tung, sondern auch in der Schilderung der Bildung des Mesoderms 
und der Leibeshöhle nieht unwesentlich von beiden berühmten Zoo- 
logen ab. Meine Darstellung wird durch folgende Figuren illustriert 
(Fig. 2, 3, 4 und 5). 





Vier Querschnitte durch vier verschiedene Amphioxus-Larven (bei 160 facher 
Vergrößerung), welche die Einsenkung der Medullarplatte und die in inniger 
Beziehung damit stehende Bildung der Mesodermfalten demonstrieren sollen. 


Nachdem die bilateral - symmetrische Gastrula mit flacher Rücken- 
seite sich gebildet hat, dauert die Vermehrung der Ektodermzellen 
fort. Man kann besonders rege Zellteilung auf der Rückenseite der 
Gastrula beobachten — ein Vorgang, der zur Bildung der Medullar- 
platte führt. Es grenzt sich nämlich hier die zentrale Zellenpartie 
von den seitlichen Teilen ab (Fig. 2). Dabei lassen sich zahlreiche 
Mitosen beobachten, und zwar sowohl in der zentralen Platte, die zur 
Medullarplatte wird, wie in den seitlichen Teilen, von denen die Me- 
dullarplatte überwachsen wird. Auf der Abbildung (Fig. 3), die einen 
Querschnitt durch solches Stadium darstellt, sieht man, dass die Zahl 
der Zellen in der Medullarplatte beträchtlich zugenommen hat, und 
zugleich lässt sich die Einsenkung der Medullarplatte und die Ueber- 
wachsung derselben deutlich erkennen. In den folgenden Stadien 
wird die Einsenkung der Medullarplatte tiefer (Fig. 4 und 5); diese 
Medullarfurche wird endlich ganz vom Ektoderm überwachsen und 
verwandelt sich später in das Medullarrohr. Der Vorgang ist von K o- 
walewsky und Hatschek zutreffend geschildert. Was uns hier 
zunächst interessiert, ist die gleichzeitige Bildung der Mesodermfalten, 
die in so inniger Beziehung zur Bildung des Nervensystems steht, 





Lwoft, Entwicklung des Amphioxus. 39 


dass beide Vorgänge nur im Zusammenhange geschildert werden 
können. Das wird schon aus der Betrachtung der beiliegenden Fi- 
guren (Fig. 2, 3, 4 und 5) ersichtlich. In Fig.2 sind sowohl die Me- 
dullarplatte wie die dorsale Wand der Gastrulahöhle flach. In Fig. 3 
macht sich zugleich mit der Einsenkung der Medullarplatte die Bildung 
von zwei Falten bemerkbar. In Fig. 4 u. 5 wird diese innige Beziehung 
zwischen den beiden Bildungen noch deutlicher markiert Wenn man 
viele Präparate durchgesehen hat, so kommt man zum Schlusse, dass 
diese beiden Bildungen keineswegs unabhängig von einander sein 
können: in jedem Schnitte entspricht die Form der Medullarplatte so 
genau der Form der Falten, wie nur eine konkave Seite einer kon- 
vexen entsprechen kann. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich 
diese wechselseitige Beziehung so auffasse, dass die Bildung der 
Mesodermfalten auf die Einsenkung der Medullarplatte zurückzu- 
führen ist. Es ist also keine aktive Ausstülpung, es ist 
eine Faltenbildung, die infolge der Einsenkung der Me- 
dullarplatte jederseits entstanden ist. Man kann auch 
nicht diese Falten einfach als Aussackungen der dorsalen Wand der 
Gastrulahöhle betrachten; denn in jeder Falte muss man eine mediale 
und eine laterale Wand unterscheiden. Die mediale Wand ist von 
den Zellen der dorsalen Wand der Höhle gebildet und stellt darum 
die ektoblastogene Anlage des Mesoderms dar, die laterale ist von 
den eigentlichen Entodermzellen gebildet. 

Hatschek glaubt, dass die Bildung der Mesodermfalten zunächst 
auf eine bedeutendere Flächenausdehnung des Entoderms in der 
Rückenregion zurückzuführen sei (8. 47). Dafür aber finde ich keinen 
Anhaltspunkt, weder bei Hatschek, noch in meinen eigenen Prä- 
paraten. Wie schon erwähnt, lassen sich während aller dieser Ent- 
wicklungsvorgänge im Ektoderm zahlreiche Mitosen beobachten. 
Dagegen ist zu erwähnen, dass Mitosen in den Zellen, aus welchen 
die Längsfalten gebildet werden, in diesem Stadium sehr selten sind 
und, wenn vorhanden, immer solche Richtung haben, dass die Teilung 
der Zelle in eine obere und eine untere Hälfte sich vollziehen muss 
— ein Vorgang, der keineswegs im Sinne der Flächenausdehnung, 
vielmehr im Sinne der sich vorbereitenden Abspaltung der Zellen 
gedeutet werden kann. Jedenfalls sind die Mitosen in den Mesoderm- 
falten verhältnismäßig zu selten, um die Bildung der Falten zu erklären. 
Jeh werde noch Gelegenheit haben, auf diese Mitosen zurückzukommen, 
und dann wird es sich zeigen, wozu sie eigentlich dienen und was 
sie bewirken. 

Um diese Faltenbildung nicht zu überschätzen und ihre Be- 
deutung richtig aufzufassen, muss man nur aufmerksam zusehen, 
in welcher innigen Beziehung das Entstehen der Falten zur Bil- 
dung des Nervensystems steht. Hatschek gibt zwar zu, dass 
das Auftreten der hückenfurche nicht nur die Bildung des Nerven- 

47* 


740 Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 


rohres einleitet, sondern auch in ebenso inniger Beziehung zur Bil- 
dung der Mesodermfalten steht, aber dessenungeachtet schreibt er 
dabei die aktive Rolle den Entodermzellen zu. Seine eigenen Worte 
lauten folgendermaßen: „Ich möchte bei der Mechanik dieser Prozesse 
dem Entoderm die überwiegend aktive Rolle zuschreiben. Man wird 
schon bei oberflächlicher Betrachtung der Abbildungen viel eher der 
dieken Entodermschiehte eine aktive Leistung bei den Formverän- 
derungen zumuten, als der dünnen ektodermalen Deckschichte“ (S. 46). 
Sonderbarer Schluss! Ich brauche freilich nicht Hatschek darauf 
aufmerksam zu machen, dass die Zellendicke keineswegs als ein 
wahres Merkmal der aktiven Leistung zu betrachten ist, denn 
Hatschek selbst spricht an einer anderen Stelle seiner Studien die 
ganz richtige Ansicht aus, dass die Wachstumsenergie dort, wo die 
Dotterkörnchen schneller aufgebraucht werden, eine stärkere ist. 
Und was sehen wir in der That in der Entwicklung des Amphioxzus? 
In allen bisher geschilderten Prozessen spielen die sich rasch teilen- 
den kleineren Ektodermzellen eine aktive Rolle, während die größeren 
und diekeren Entodermzellen dabei sich passiv verhalten. Diese auf 
einander folgenden Vorgänge — die Abflachung der Rückenseite, die 
Abgrenzung, Einsenkung und Ueberwachsung der Medullarplatte — 
sind auf Wachstumserscheinungen im Ektoderm zurückzuführen. Jetzt 
will ich noch ein Beispiel anführen. Hatschek hat ganz richtig 
angegeben, dass die Ueberwachsung der Medullarplatte hinten zu den 
Seiten des Gastrulamundes beginnt und nach vorn fortschreitet, aber 
er versucht nicht diese Thatsache zu erklären. Ich erkläre mir dies 
folgendermaßen. Wie schon erwähnt, findet die Zellenvermehrung 
nicht nur auf der Dorsalseite der Gastrula, wo die wichtigsten Vor- 
gänge sich abspielen, sondern auch, obgleich in viel schwächerem 
Grade, im übrigen Ektoderm statt. Daher kommt es, dass, wenn die 
Einstülpung sich vollzogen hat und die Einsenkung der Medullarplatte 
sich beobachten lässt, die Ektodermzellen am ventralen Rande des 
Gastrulamundes sich auszubreiten anfangen, und zwar in der einzigen 
freien Richtung, d. h. sie fangen an den Gastrulamund zu über- 
wachsen. Sie überbrücken also zunächst den Gastrulamund und 
liefern ihren Beitrag zur Ueberwachsung des hinteren Teiles der 
Medullarplatte zu der Zeit, als im vorderen Teile derselben noch 
keine Spur davon ist. 

Die Gebrüder Hertwig und nach ihnen viele andere Embryo- 
logen sehen in der Bildung der Mesodermfalten bei Amphioxus einen 
wichtigen, für alle Wirbeltiere bedeutungsvollen Prozess, der so zu 
deuten sei, dass der Urdarm durch diese Falten in drei Abteilungen 
zerfällt: in einen mittleren Raum (den definitiven Darm) und zwei 
seitliche Divertikel (Cölomsäcke), die zur Leibeshöhle werden. Aus 
den Mitgeteilten ist ersichtlich, dass ich die Dinge in anderem Lichte 
sehe. Aber davon abgesehen, dass die Wand der Gastrulahöhle bei 











Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 741 


Amphioxus keineswegs als ein einheitliches Gebilde zu betrachten ist, 
dass die dorsale Wand derselben anderen Ursprung hat als die ven- 
trale Wand, dass also diese Falten keineswegs als Divertikel der 
Urdarmwand betrachtet werden dürfen, abgesehen von all dem will 
ich jetzt meine Beobachtungen anführen, die entschieden beweisen, 
dass die Höhlen dieser Falten keineswegs zur Leibes- 
höhle werden. Diese Höhlen verschwinden in jedem Ur- 
segment bald, nachdem dasselbe sich abgeschnürt hat. 
Dann bilden sieh durch Auseinanderweichen der Zellen 
die eehten Ursegmenthöhlen, die unmittelbar in die Lei- 
beshöhle übergehen. 

Indem ich die Serien von Schnitten durch Larven mit 6-8 Ur- 
segmenten untersuchte, wurde ich darauf aufmerksam, dass die 
Höhlen in den Ursegmenten nur selten sich bemerken ließen, größten- 
teils aber die Ursegmente solide Zellenhaufen darstellten. Da die 
Frage von großer Bedeutung ist, so habe ich viele Serien darauf 
untersucht. Um die Resultate der Untersuchung möglichst objektiv 
darzustellen, will ich hier eine solche Serie beschreiben; ich muss 
dabei hinzufügen, dass alle Serien in dieser Hinsicht miteinander 
übereinstimmen und dieselbe Bedeutung haben. Die Serie entbält 
28 Sehnitte von 7!/, w Schnittdieke. Die Schnitte beginnen hinten 
und gehen nach vorn. Sehnitte 1—4 stellen nichts Besonderes dar; 
Sehnitte 5 und 6 zeigen die Gastrulahöhle mit Mesodermfalten; 
Sehnitt 7” — links ist das Mesoderm schon abgeschnürt und stellt 
einen soliden Zellenhaufen dar, reehts ist noch Mesodermfalte vor- 
handen: Schnitt 8 — links solider Zellenhaufen, rechts ist die Meso- 
dermfalte schon abgeschnürt, aber zeigt noch eine kleine Höhle. 
Sehnitte 9—18 stimmen miteinander darin überein, dass das Meso- 
derm sowohl rechts wie links solide Zellenhaufen darstellt ohne jede 
Spur von Höhle (Fig. 6); Schnitt 19 — links eine Höhle im Meso- 
derm; rechts keine Höhle; Sehnitt 20 — keine Höhle weder rechts 
noch links: Schnitt 21 — links ist eine Höhle zu sehen, rechts keine 
Höhle; Schnitte 22 und 23 zeigen eine deutliche Höhle im Mesoderm 
sowohl rechts wie links (Fig. 7); Schnitt 24 zeigt die Mesodermfalten 
rechts und links; Schnitte 25—28 stellen für uns nichts Besonderes 
dar. 


Zwei Querschnitte aus einer Serie. 
Vergrößerung 320. 
Erklärung im Text. 

m — Mesoderm; m, = Muskelelemente, 





742 Lwoff, Entwicklung des Amphioxus. 


5 


Es ist deutlich, dass Schnitte 22 und 23 das erste Ursegment 
getroffen haben, welches eine deutliche Höhle zeigt; diese Höhle ist 
links auch auf Schnitt 21 zu sehen. Schnitt 20 zeigt die Scheide- 
wand zwischen 1. und 2. Ursegment; Schnitt 19 hat das zweite Ur- 
segment getroffen, welches links eine Höhle zeigt, rechts dagegen 
ganz solid ist; Schnitte 18, 17... .. bis 9 zeigen die folgenden Ur- 
segmente ohne jede Spur von Höhle. Das jüngste Ursegment ist auf 
den Schnitten 8 und 7 zu sehen, aus denen ersichtlich ist, wie das 
Verschwinden dieser Höhle im Mesoderm vor sich geht. Auf dem 
Sehnitte 7 ist die Mesodermfalte noch offen; auf dem Schnitte 8 rechts 
ist das Mesoderm sehon abgesehnürt, hat aber noch eine kleine Höhle; 
links ist sehon keine Höhle zu sehen. Nach der Untersuchung meiner 
Serien kann ich behaupten, dass die Höhle in dem jüngsten Ur- 
segment rechts im Begriffe ist zu verschwinden; in demselben Ur- 
segment links ebenso wie in den folgenden Ursegmenten ist sie schon 
verschwunden. Was die Höhlen betrifft, welche im ersten Ursegment 
und im zweiten Ursegment links zu sehen sind, so stellen sie die 
echten definitiven Ursegmenthöhlen dar, die durch Auseinanderweichen 
der Zellen sich bilden. 

Ich habe auch Längsschnitte (und zwar sowohl Horizontal- wie 
Sagittalschnitte) untersucht und bin zu denselben Resultaten gekommen. 
Die Längssehnitte sind in dieser Hinsicht sehr demonstrativ, da man 
auf einem solehen Sehnitte alle Ursegmente auf einmal überblickt. 

Nach allen diesen Untersuchungen stelle ich mir den Vorgang 
folgendermaßen vor. Während der Abschnürung der Ursegmente ver- 
engert sich der Spalt der Mesodermfalte und nach der Abschnürung 
kommt er bald zum Schwunde, ohne die Ursegmenthöhle zu bilden. 
Vor allem legen sich die mediale und laterale Wand der Falte an 
einander an; dann dazu trägt noch die Vermehrung der Mesoderm- 
zellen bei, welche früher schon erwähnt wurde, weil in den Meso- 
dermfalten sich manchmal Mitosen sehen lassen, in dem abgeschnürten 
Mesoderm aber die Zahl der Zellen etwas zugenommen hat. Indem 
die Zellen sich weiter vermehren und das untere Ende des Meso- 
derms nach unten zwischen Darm und äußere Bedeckung zu wachsen 
beginnt, bilden sich die echten Ursegmenthöhlen durch Auseinander- 
weichen der Zellen (Fig. 7). Die Bildung dieser Höhlen geht von 
vorn nach hinten. Daher kommt es, dass, während in den vorderen 
Ursegmenten die echten Höhlen zu sehen sind, die mittleren Ur- 
segmente ganz solide Zellenhaufen darstellen. Auf weiteren Stadien 
aber bekommen auch sie die Höhlen. Und so geht es allmählich 
weiter. 

Daraus ist klar, dass die Mesodermfalten mit ihrer Höhle bei 
Amphioxus nur eine äußere zufällige Erscheinung darstellen, der man 
keine besondere phylogenetische Bedeutung zumuten kann. Die 
Leibeshöhle hat hier mit den vermeintlichen Urdarm- 





Lwoft, Entwicklung des Amphioxus. ren, 


divertikeln nichts zu thun. Es ist also nur eine schein- 
bare Enteroecölie, die in Wirklichkeit nicht existiert, da 
die Leibeshöhle wie bei allen Wirbeltieren dureh Aus- 
einanderweichen der Zellen gebildet wird. Es darf darum 
keine Rede davon sein, dass Amphioxus ein Enterocölier ist, ge- 
schweige denn davon, dass alle Wirbeltiere von einem Enteroeölier 
abzuleiten sind, da ein solcher unter allen Chordaten nicht existiert. 

Zum Schluss noch ein paar Worte über die Chorda. Aus dem 
Mitgeteilten folgt, dass die Chorda bei Amphioxus aus einer ekto- 
blastogenen Anlage entsteht. Ich will aber nicht verschweigen, dass 
vielleicht im vorderen Teile auch die Entodermzellen an der Bildung 
der Chorda sich beteiligen. Es wurde schon bei der Schilderung der 
Einstülpung erwähnt, dass, während die dorsale Wand der Gastrula- 
höhle von den eingestülpten Ektodermzellen gebildet wird, im vor- 
deren Teile dieser Wand vielleicht wenige Entodermzellen bleiben. 
Es war mir unmöglich ihre Beteiligung an der Bildung der Chorda 
direkt nachzuweisen, obgleich diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen 
werden kann. Jedenfalls kann die Beteiligung dieses „Chordaento- 
blastes“ an der Bildung der Chorda nur sehr unbedeutend sein. Die An- 
gabe Hatschek’s, dass die seitlichen Zellen der Chorda an der 
Bildung der Chorda keinen Anteil nehmen und bei der Bildung des 
Darmes das dorsale Schlussstück desselben bilden, konnte ich nicht 
bestätigen. Nach meinen Befunden biegen sieh, nachdem die Mesoderm- 
falten sich abgeschnürt haben, die Ränder der Chordaplatte nach 
unten (vielleicht infolge des Druckes der angrenzenden Teile). Es 
bildet sich dadurch eine Chordafalte, die den sich zusammenschließen- 
den Rändern des Darmes (des Entoderms) so anliegt, dass sie in die 
Darmwand wie eingeschaltet erscheint (Fig. 8). Wie früher in der 


Fig. 8. 


Vergrößerung 320. Erklärung im Text. 


Schwarze Kerne bedeuten Mitosen. 





Chordaplatte, so kann man jetzt und später in der Chordafalte, so- 
lange die Zellen regelmäßig (je vier jederseits) gelagert sind, 8 Zellen 
zählen. In den angrenzenden Entodermzellen des Darmes lassen sich 
häufig Mitosen bemerken, was darauf hinweist, dass diese Ränder 
gegen einander wachsen. Auf dem Sehnitte, der auf Fig. 8 abge- 
bildet ist, waren zwei Mitosen vorhanden. Indem diese Ränder gegen 


144 Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 


einander rücken, wird die Chordafalte geschlossen und es beginnt die 
schon von Hatschek beschriebene Verschiebung der Chordazellen. 
Die Chorda bleibt noch einige Zeit lang in die Darmwand ein- 
geschaltet und manchmal ist es sehr schwer, die Grenze zwischen 
den Chordazellen und den Entodermzellen des Darmes zu ziehen. 
Aber aus solchen unklaren Bildern darf man freilich keine Schlüsse 
ziehen, denn auf anderen Sehnitten lässt sich diese Grenze sehr deut- 
lich sehen (Fig. 6 und 7). Weiter wird die Chorda allmählich aus- 
geschaltet, indem sie zuerst etwas in die Darmwand eingekeilt bleibt, 
dann wird ihr unterer Rand abgerundet und ganz vom Darm ge- 
sondert. Die Beteiligung der Chordazellen an der Bildung des Darmes 
konnte ich dabei nicht bemerken. 

Aus dem Gesagten folgt, dass die Verbindung der Chorda mit 
dem Entoderm eine sekundäre Erscheinung ist. Mit ebensolehem 
Recht wie bei den höheren Wirbeltieren können wir auch bei Am- 
phioxus die Einschaltung der Chorda in das Entoderm und die Aus- 
schaltung derselben unterscheiden. 

In einer demnächst folgenden Mitteilung, in der dieselben Ent- 
wicklungsvorgänge bei verschiedenen Wirbeltieren geschildert werden, 
sollen alle diese Befunde die phylogenetische Verwertung finden. 

Kostino, im August 1892. 


Max Verworn, Die Bewegung der lebendigen Substanz. 


Eine vergleichend-physiologische Untersuchung der Kontraktionserscheinungen. 
Jena, G. Fischer, 1892. 

„Die lebendige Substanz der rhizopodoiden Zelle mit ihrer Be- 
wegung muss Ausgangspunkt für die Untersuchung der Kontraktions- 
erscheinung sein. Es heißt die Lösung des Kontraktionsproblems 
unnötig erschweren, wenn man die Behandlung bei der quergestreiften 
Muskelzelle beginnt, wo die Differenzierung der lebendigen Substanz 
und ihre einseitige Anpassung an eine bestimmte Leistung ihren höchsten 
Entwieklungsgrad und ihre größte Komplikation erreicht hat“. Nach 
dem in diesen Sätzen von dem Verfasser ausgesprochenen Prinzip 
hat derselbe es unternommen, einer Untersuchung der Kontraktions- 
erscheinungen näher zu treten, zu welcher ihn Studien über die physio- 
logische Bedeutung des Zellkerns angeregt und ihm das erste grund- 
legende Material geliefert hatten. Er glaubt in Anbetracht der neuen 
Gesichtspunkte, welehe ihm die warm von ihm befürwortete und auch 
hier angewandte zellular- physiologische Methode eröffnet hat, die 
Hoffnung zu einer erfolgreichen Behandlung des alten Problems hegen 
zu dürfen, obgleich sich an demselben schon so mancher hervorragende 
Forscher mit vielem Aufwand von Zeit und Geist vergeblich ver- 
sucht hat. 





Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 4) 


Nach den einleitenden Worten gibt Verworn einen historischen 
Ueberblick über frühere Kontraktionstheorien, welche sich meist 
speziell nur auf die Protoplasma-Strömung in den Pflanzenzellen oder 
nur auf die Muskelkontraktion bezogen. Vergleichende Betrachtungen 
analoger Erscheinungen an verschiedenen kontraktilen Substanzen 
sind bisher sehr vernachlässigt worden, und unter der großen Zahl 
von Forschern, welche Beiträge zur Lösung des Kontraktionsproblems 
geliefert haben, sind es nur zwei, welehe durch Vergleichung mehrerer 
Kontraktionserscheinungen das Verständnis für dieselben zu fördern 
suchten, Engelmann und Montgomery. Aber die bisherigen 
Theorien von Hofmeister, Engelmann, Hermann u. a. reichen 
trotz der wesentlichen Gesichtspunkte, die sie enthalten, nicht aus, 
„um alle Bewegungserscheinungen in der Organismenwelt in befrie- 
digender Weise zu erklären, d. h. auf Vorgänge zurückzuführen, wie 
sie im Prinzip auch den Bewegungserscheinungen zu Grunde liegen, 
die uns aus der unbelebten Welt bekannt sind“. Diese Theorien zeigen 
meist nur eine Verschiebung des zu lösenden Problems, indem die 
nicht zu beseitigenden Schwierigkeiten in bestimmte Voraussetzungen 
der Theorie verlegt sind, ohne dass für dieselben eine Erklärung ge- 
seben werden kann; manchmal sind diese Voraussetzungen ganz will- 
kürlich, und im Allgemeinen entbehrt man bei denselben die Rück- 
sichtnahme auf die chemischen Vorgänge im Protoplasma. 

Die Verworn’sche Theorie baut sich auf die Bewegungserschei- 
nungen der Rhizopoden auf und findet ihre Ausgangspunkte in den 
Erscheinungen der Pseudopodienbildung, in den Wirkungen der Reize 
(Erregungserscheinungen) und in gewissen Degenerationserscheinungen 
des Protoplasmas. 

Aus der großen Formenfülle der Pseudopodien, welche in ihrer 
äußeren Form bei den einzelnen Rhizopodenarten sehr verschieden, 
in ihrem wesentlichen Verhalten aber übereinstimmend sind, legt der 
Verfasser hauptsächlich diejenigen des Orbitolites complanatus, eines 
sroßen Polythalams, seiner Schilderung der Pseudopodienbildung 
zu Grunde. Die letztere beginnt damit, dass an verschiedenen Stellen 
der scheibenförmigen Schale des Tieres feine Spitzchen hervortreten, 
indem das Protoplasma in das umgebende Wasser vorfließt. Dadurch, 
dass vom zentralen Protoplasmakörper fortwährend Substanz nach- 
strömt, verlängern sich diese Spitzchen zu geraden Fäden. Bei dieser 
Verlängerung ist zu bemerken, dass das vom Zentrum her naclı- 
strömende Protoplasma in der Axe des Pseudopodiums nach vorne 
fließt, die Substanz an der Spitze bei Seite drängt und selbst an die 
Spitze tritt, was sich stetig wiederholt, so lange das Pseudopodium 
sich ausstreckt. Während dessen bleibt das bei Seite gedrängte Proto- 
plasma liegen. In dieser Weise ist bei einem sich lebhaft aus- 
streckenden Pseudopodium die Protoplasmaströmung ausnahms- 
los zentrifugal. Lässt die Streckung des Pseudopodiums nach, 


746 Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 


so tritt allmählich auch ein zentripetaler Strom auf, welcher bei 
beginnender Einziehung des Pseudopodiums überwiegt und bei energi- 
scher Retraktion der allein herrschende ist. „Jede Pseudo- 
podienausstreekung beruht auf einem zentrifugalen 
Hineinfließen des Protoplasmas in das umgebende Me- 
dium und jedePseudopodieneinziehung aufeinem zentri- 
petalen Zurückfließen in den Körper, —.“ 

Was ferner die Wirkungen der Reize oder die Erregungs- 
erscheinungen betrifft, so ist der eharakteristische Ausdruck für 
diese die Einziehung der ausgestreckten Pseudopodien, wobei der 
Protoplasmakörper sich mögliehst der Kugelform zu nähern sucht. 
Bei Orbitolites verläuft die Reizwirkung in folgender Weise. Wird 
dureh einen scharfen Schnitt die Spitze eines ausschließlich in zentri- 
fugaler Strömung begriffenen Pseudopodiums abgetrennt, so sammelt 
sich an dem zentralen Stumpf desselben „das der Schnittstelle zu- 
nächstliegende Protoplasma zu einem kleinen Klümpchen an, das in 
zentripetaler Richtung auf dem Pseudopodium entlang zu gleiten be- 
ginnt“. Meist treten mehrere soleher kugel- oder spindelförmigen 
Klümpchen auf, welche sämtlich in zentripetaler Bewegung begriffen 
sich auf dem Weg nach dem zentralen Protoplasmakörper mehrfach 
mit der ihnen entgegenströmenden Substanz mischen, um endlich in 
dieser zerfließend wiederum an der zentrifugalen Strömung teilzunehmen. 
Nach diesen Erscheinungen bei partieller Reizung des Protoplasmas, 
für deren Studium auch das Süßwasserrhizopod Uyphoderia margaritacea 
als sehr günstiges Versuchsobjekt dargestellt wird, be=pricht der Ver- 
fasser das Verhalten mehrerer Rhizopodenformen gegenüber totaler 
Reizung des Körpers. Die entsprechenden Erscheinungen treten sehr 
deutlich bei heftiger Erschütterung der Tiere hervor und bestehen in 
der Einziehung sämtlicher Pseudopodien, wie es Difflugien, Orbdi- 
tolites, Actinosphaerium und Radiolarien gleicherweise zeigen. In 
der ganzen Länge der Pseudopodien von Orbditolites treten die schon 
erwähnten kugel- und spindelförmigen Verdickungen auf. Bei an- 
dauernder Reizung zeigen die kleineren das Bestreben in die nächst- 
liegenden größeren hineinzufließen. Aus der vielfachen Verschmelzung 
resultieren endlich einige wenige größere Kügelchen, für welche nun 
die zentrale Protoplasmamasse den Anziehungsmittelpunkt darstellt. 
Unter den genannten Erscheinungen verkürzen sich die Pseudopodien 
mehr und mehr und schmelzen schließlich ganz in den Protoplasma- 
körper ein. „Das erregte Protoplasma strömt ausnahmslos 
in der Richtung nach der zentralen Körpermasse und 
zeichnet sich im Ganzen ebenso wie in seinen Teilen 
dureh Neigung zur Kugelbildung aus“. 

Uebereinstimmend mit den Erregungserscheinungen sind gewisse 
Degenerationserscheinungen des Protoplasmas, welche nach 
Entfernung des Zellkerns aus demselben oder überhaupt in kernlosen 











Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. T1#7 


Teilstücken auftreten. Trennt man einen Teil der Pseudopodienmasse 
des Orbitolites vom Zentralkörper ab, so streckt diese kernlose, nach 
der Operation anfangs zu einem Klümpchen kontrahierte lebende 
Substanz bald wieder Pseudopodien aus. In der ersten Zeit sind die 
letzteren völlig normal, erst nach !/, bis 3 Stunden beginnen die 
Degenerationserscheinungen, welche sich durch eine vorwiegend zentri- 
petale Protoplasmaströmung ankündigen. Schreitet der Prozess fort, 
so erscheinen bald auf den ganzen Pseudopodiennetz die kleinen 
Kügelehen und Spindeln, und die diesbezüglichen Veränderungen der 
Pseudopodien entwickeln sich in derselben Weise wie bei der auf 
Reize erfolgenden Einziehung. Nur gelingt es hierbei vielen der größeren 
Protoplasmaklümpehen nicht mehr, die zentrale Masse zu erreichen, 
da die dazu erforderlichen Verbindungsfäden des Pseudopodiums 
häufig vorzeitig zerreißen und in die Kügelchen einschmelzen. Auf 
diese Weise bildet sich um den großen zentralen Protoplasmaklumpen 
ein Hof verschiedengroßer Tröpfehen und Klümpehen. Pseudopodien 
werden jetzt nicht mehr gebildet, und nach längerer Zeit zerfallen 
diese Stücke des rasch vollständig bewegungslos gewordenen Proto- 
plasmas in lockere Körnerhaufen. Der Verfasser legt besonderen 
Wert darauf, „dass die bei der Degeneration ablaufenden 
Erscheinungen bis in jede Einzelheit identisch sind mit 
den charakteristischen Erscheinungen, welche am un- 
verletzten Individuum bei andauernder Erregung be- 
obachtet werden“. 

Der Schilderung der Bewegungserscheinungen der Rhizopoden 
lässt der Verfasser den Versuch folgen, die denselben zu Grunde 
liegenden Lebensvorgänge zu erkennen und zu erklären. — Die Be 
wegung zeigt zwei Phasen, die Ausbreitungs- oder Expansions- 
phase und die dieser entgegengesetzt verlaufende Kontraktions- 
phase. Und da das Protoplasma als diekflüssige Substanz den 
Gesetzen tropfbar flüssiger Körper gehorchen muss, so ist die Form, 
welche dasselbe in den beiden Phasen darbietet, als Ausdruck der 
jeweils herrschenden Oberflächenspannungsverhältnisse zu betrachten. 

In der Expansionsphase hätten wir es demnach mit lokalen Ver- 
minderungen der Oberflächenspannung zu thun. Diese Annahme steht 
im Einklang mit dem schon früher von Hofmeister erbrachten 
Nachweis, dass die Ursache der Ausbreitungserscheinungen des Proto- 
plasmas an der Peripherie desselben und zwar an seiner Berührungs- 
fläche mit dem umgebenden Medium gelegen sei. Nachdem das fest- 
gestellt ist, erhebt sich weiterhin die Frage nach der Ursache einer 
Verminderung der Öberflächenspannung des vor der Expansion kug- 
lichen Protoplasmaklumpens. Diese Frage lässt sich nach Ausschluss 
aller anderen Einflüsse, von welehen man etwa eine Verminderung 
der Oberflächenspannung hätte erwarten können, dahin beantworten, 
dass der Sauerstoff des umgebenden Mediums das im letzteren 


148 Verworn, Bewegung der lebentigen Substanz. 


Sinne wirksame Agens ist. Der Beweis für die Richtigkeit dieser 
Vermutung ist schon in älteren Versuchen Kühne’s enthalten, aus 
welehen hervorgeht, dass bei Sauerstoffabschluss die Pseudopodien- 
bildung von Amöben vollständig aufhört. Dabei handelt es sich 
aber nicht etwa um eine Reizwirkung, bei welcher wie oben ausge- 
führt, die Psendopodienbildung aus den oben genannten Gründen 
verhindert ist; denn die Pseudopodien bleiben aueh nach der Sauer- 
stoffentziehung noch ausgestreckt und können durch Reize zur Retrak- 
tion veranlasst werden. Es fehlt also thatsächlich nur die Ursache 
der Ausbreitung des Protoplasmas. Aus dem Vorstehenden ergibt 
sich also, dass die bekannte chemische Affinität des Sauer- 
stoffs zum Protoplasma die unmittelbare Ursache für die Ver- 
minderung der Oberflächenspannung abgibt. 

Vor der Aussendung der Pseudopodien ist die Oberflächenspannung 
des diekflüssigen Protoplasmaklümpehens an allen Orten gleich d. h. 
die einzelnen Teilchen unterliegen alle auf Grund ihrer gegenseitigen 
molekularen Anziehungskräfte einem Zug nach dem Mittelpunkt des 
Klümpchens, wofür eben die Kugelform der physikalische Ausdruck 
ist. Diesen Kohäsionskräften, deren Resultierende also nach dem 
Zentrum des Klümpchens gerichtet ist, wirkt nun die Affinität des 
Protoplasmas zum Sauerstoff des Mediums entgegen als eine Kraft, 
welche von jenem Zentrum weg gerichtet ist. Und da zu gleicher 
Zeit eine große Anzahl von Sauerstoffmolekülen eine große Menge 
sauerstoffbedürftiger Teile der lebendigen Substanz anzieht, so muss 
hier durch chemische Kräfte ebenso eine Veränderung der Kugel- 
form erzeugt werden, wie man sie auf physikalischem Wege durch 
irgendwelche Adhäsionskräfte hervorrufen kann. Die fortschreitende 
Massenbewegung kommt dann in folgender Weise zu Stande: „Durch 
die erste Verminderung der Oberflächenspannung ist eine Bewegung 
der nächstangrenzenden Protoplasmateilchen nach der Stelle der ver- 
minderten Spannung hin bedingt, so dass nun wieder neue Protoplasma- 
teilchen in die Wirkungssphäre von Sauerstoffmolekülen kommen, wieder 
Spannungsveränderungen herbeiführen und so eine immer weiter- 
schreitende Ausbreitung oder Pseudopodienausstreckung durch Vor- 
fließen des Protoplasmas in das Medium hinein bewirken“. Die mit 
Sauerstoff gesättigten Teilchen bleiben indifferent an der Oberfläche 
liegen und werden von den nachströmenden bei Seite geschoben. 

In dem angeführten Bewegungsmechanismus findet zugleich die 
weitverbreitete Erscheinung des Chemotropismus in ihrer ein- 
fachsten Form, wie sie sich bei Rhizopoden darstellt, ihre Erklärung. 
Der Chemotropismus zeigt sich hier als der „unmittelbare Ausdruck 
chemischer Affinität“. 

Die Frage weshalb der gleichmäßig im Medium verteilte und 
allseitig auf die Protoplasmaoberfläche einwirkende Sauerstoff im 
Allgemeinen nicht eine gleichmäßig flächenhafte sondern nur eine 





Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 749 


partielle Ausbreitung in Pseudopodienform erzeuge, beantwortet 
der Verf. in folgender Weise. Das Protoplasma ist keine homogene 
Masse, es sind dalıer von Seiten des letzteren die Bedingungen für 
die Ausbreitung nicht überall die gleichen, wie auch je nach dem 
Verhältnis der sauerstoffbedürftigen zu den in dieser Beziehung in- 
differenten Teilen die Pseudopodienformen der mannigfaltigen Rhizo- 
podenarten verschieden sind. Ferner lässt sich aber auch experimentell 
zeigen, dass ein vollkommen gleichmäßig im Medium verteilter Stoff 
Ausbreitungen eines Flüssigkeitstropfens in Pseudopodienform hervor- 
bringen kann. Das beweisen die bekannten Bewegungserscheinungen 
ranziger Oeltropfen in alkalischer Flüssigkeit, indem man auf diesem 
Wege die Pseudopodienbildung verschiedener Amöben, Myxomyceten, 
Heliozoen ete. in typiseher Weise nachahmen kann. In physikalischer 
Hinsieht sind diese Bewegungen des Oeltropfens und des Protoplasmas 
im Prinzip dieselben, wenn auch die chemischen Ursachen derselben 
durchaus verschieden sind. 

Vor der Besprechung des Kontraktionsvorganges gedenkt der 
Verf. noch folgender zwei Punkte: Wenn, wie es thatsächlieh vorzu- 
kommen scheint, auch nach vollständiger Entfernung des Sauerstoffes 
aus dem Medium, die Protoplasmabewegung von Myxomyceten- 
plasmodien noch einige Zeit andauert, so kann man das darauf zu- 
rückführen, dass im Protoplasma zur Zeit noch gewisse Mengen teils 
freien, teils gebundenen ungleich verteilten Sauerstoffs vorhanden 
sind, welehe bei dem geringen Sauerstoffbedürfnis der Myxomyceten 
einen länger dauernden Spannungsausgleich bedingen. In zweiter 
Linie ist noch zu bemerken, dass, wie die Thatsachen des Tropho- 
tropismus und überhaupt des Chemotropismus lehren, außer dem Sauer- 
stoff auch andere Stoffe, welche Affinität zum Protoplasma besitzen, 
Ausbreitungserscheinungen desselben veranlassen können. 

Im Gegensatz zur Herabsetzung der Oberflächenspannung bei der 
Expansion ist die Kontraktion der lebendigen Substanz der Aus- 
druck für eine Erhöhung der OÖberflächenspannung. Die letztere 
kann natürlich nur zu stande kommen, wenn das Protoplasma der 
Pseudopodien, welches eben noch auf Grund seiner Affinität zum 
Sauerstoff Ausbreitungserscheinungen zeigte, eine Veränderung er- 
leidet. Das geschieht durch die Reizung, welche, wie wir gesehen 
haben, die Veranlassung zur Retraktion der Pseudopodien gibt. Die 
erwähnte Veränderung besteht darin, dass diejenigen Protoplasma- 
teilchen, welche sich mit Sauerstoff gesättigt und jene höchstkompli- 
zierten, explosiblen Verbindungen gebildet haben, durch die Einwirkung 
des Reizes zerfallen. Mit diesem Zerfall, bei welehem bei dem rhizo- 
podoiden Protoplasma wahrscheinlich ähnlich wie bei der Erregung 
des Muskels Kohlensäure, Milchsäure etc. als Spaltungsprodukte der 
kontraktilen Substanz auftreten, ändert sich also das chemische Ver- 
halten der Pseudopodiensubstanz in tiefgreifender Weise, woraus auch 


750 Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 


die veränderten physikalischen Leistungen abzuleiten sind. Das sauer- 
stoffbedürftige Protoplasma erfährt, wie wir sahen, einen überwiegen- 
den Zug in das Medium hinein, das mit Sauerstoff gesättigte bleibt 
liegen, die gereizten und zerfallenen Protoplasmateilchen erfahren 
einen energischen Zug nach dem Zentrum des Protoplasmakörpers. 
Es ist also im letzteren Falle auf den Pseudopodien eine Erhöhung 
der Oberflächenspannung eingetreten. 

Da man die Ursache der erhöhten Oberflächenspannung im Inneren 
des Protoplasmakörpers zu suchen hat, so wird man vor Allem 
an den Zellkern denken müssen, welcher im Zentrum zu liegen 
pflegt. Zudem gibt die Betrachtung der physiologischen Bedeutung 
des Zellkerns eine wesentliche Stütze für die Vermutung ab, dass der 
Kern das Anziehungszentrum für das erregte Protoplasma darstelle. 
Zahlreiche Experimente haben es außer Zweifel gestellt, dass dem 
Protoplasma von Seiten des Kerns ständig Stoffe geliefert werden, 
ohne welche dasselbe nicht dauernd existieren kann. Und es ist sehr 
wahrscheinlich, dass die gereizten Protoplasmateilchen nach Abgabe 
der verschiedenen Spaltungsprodukte ihre freigewordenen Affinitäten 
mit Hilfe der „Kernstoffe“ wieder zu sättigen suchen, um sich so 
zu restituieren. Wenn demgemäß Affinitäten zwischen gereizten 
Protoplasmateilchen und Kernstoffen vorhanden sind, so wird 
sich ein Chemotropismus zwischen diesen beiden geltend machen. 
Und da die Kernstoffe von der Peripherie nach dem Zentrum hin, 
wo der Kern liegt, an Dichte zunehmen, so wird auch in der Rich- 
tung nach dem letzteren die chemotropische Bewegung der kernstoff- 
bedürftigen Protoplasmateilchen stattfinden. Da auf diese Weise die 
Öberflächenspannung auf den Pseudopodien überall erhöht wird, so 
wird der Protoplasmakörper wieder das Bestreben zeigen Kugelform 
anzunehmen. Jetzt ist für die Pseudopodien der zentrale Proto- 
plasmakörper dasjenige Medium, in welches die Substanz des- 
selben hineinfließt und sich ausbreitet; dieser Vorgang ist also dem 
der Pseudopodienausstreckung in das sauerstoffhaltige Wasser im 
Prinzip vollkommen gleich. 

Dass die erörterte Vorstellung von der Bedeutung der Kernstoffe 
für die Kontraktion der lebendigen Substanz richtig sei, beweist der 
Verf. durch folgenden Versuch: Ein kernloses Protoplasmaklümpchen 
von Orbitolites, welches soweit degeneriert ist, dass es keine Bewegung 
mehr zeigt, wird in seitliche Berührung mit den Pseudopodien eines 
unverletzten Tieres gebracht; das Protoplasmaklümpchen besitzt keine 
Kernstoffe mehr, denn der Mangel an solchen ist es eben, der ihm 
die Bewegungsfähigkeit raubt. Bald nach der Berührung aber be- 
merkt man, dass Klümpchen sich an der Berührungsstelle etwas vor- 
buchtet und Substanz auf die Pseudopodien übergehen lässt: Im 
weiteren Verlauf fließt das ganze Klümpcehen auf die Pseudopodien 
über, wobei sich aber seine Substanz ausnahmslos zentripetal bewegt. 














Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 751 


Wir sehen hier also, dass das kernstofflose Protoplasmaklümpchen 
durch die Berührung mit den kernstoffhaltigen normalen Pseudopodien 
eine Verminderung seiner Oberflächenspannung erleidet, welche nur 
auf chemischer Affinität zwischen den Teilchen der ersteren und den 
Kernstoffen der Pseudopodien beruhen kann; und ferner, dass diese 
kernstoffbedürftigen Protoplasmaelemente nur in der Riehtung dahin 
strömen, wo die Dichtigkeit der Kernstoffe zunimmt, d.h. in der Rich- 
tung nach dem Zentrum des kernhaltigen Protoplasmakörpers. Da 
sich nun degeneriertes kernstoffloses Protoplasma in Allem ebenso 
verhält wie das gereizte, so ist der vorstehende Versuch beweisend 
für das thatsächliche Vorhandensein des Chemotropismus nicht nur 
von degenerierendem sondern auch ven gereiztem Protoplasma 
nach gewissen unter der Mitwirkung des Kerns gebildeten Stoffen. 


Mit Hilfe der mechanischen Prinzipien, wie sie der Ausstreekung 
und Einziehung der Pseudopodien zu Grunde liegen, sucht der Verf. auch 
die Bewegungserscheinungen der anderen kontraktilen Gebilde, wie 
der Pflanzenzellen, der Infusorienmyoide, der glatten und quergestreif- 
ten Muskeln und der Flimmerzellen zu erklären. 

Die Pflanzenzelle lässt sich als ein in eine Zellulosekapsel 
eingeschlossenes Rlizopod auffassen, und was für die Bewegung der 
letzteren gilt, ist mit entsprechenden Modifikationen ohne Schwierig- 
keit auf die Protoplasmaströmung der Pflanzenzellen übertragbar. 

Die Besprechung der Muskelkontraktion beginnt der Verf. 
mit dem nachdrücklichen Hinweis darauf, dass die fibrilläre Struktur 
nicht allen kontraktilen Gebilden zukommt, wie die Untersuehungen 
der Rhizopoden und ihrer Bewegungen ergeben. Im Gegensatz zu 
den formwechselnden Protoplasmamassen der letzteren, welche ihren 
einzelnen Teilchen eine gleichausgiebige Verschiebung nach allen 
Richtungen hin gestatten, ist die fibrilläre Struktur ein höher 
entwickeltes Differenzierungsprodukt, welches einem motorischen Effekt 
in einer bestimmten Richtung dient. Da die Protoplasma- 
teilchen der kontraktilen Faser sich nur in bestimmter Bahn und 
innerhalb bestimmter Grenzen bewegen können, so zeigt eine solche 
Substanz auch nicht den prägnanten Ausdruck für Veränderungen 
der Oberflächenspannung, wie wir ihn bei den Rhizopoden sehen. 
Vielmehr erfährt die kontraktile Faser Formveränderungen wesentlich 
nur in der Längsrichtung, indem sie bald kürzer und etwas dicker, 
bald länger und etwas dünner wird. Ein zweiter wichtiger Unter- 
schied zwischen dem Rhizopodenprotoplasma und der kontraktilen 
Fibrille ist die dauernde Abgrenzung der letzteren von dem übrigen 
Protoplasma des Zellkörpers, dem sie entwieklungsgeschichtlich zu- 
gehört und mit dem sie stets im Verband bleibt. Da die kontraktilen 
Teilchen sich mit dem Zellprotoplasma nicht mischen können, so 
macht sich ihre ebemotropische Bewegung nach den Kernstoffen nur 


759 Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 


in einer gegenseitigen Verschiebung geltend, welche nach Maßgabe 
der dureh die Struktur der Fibrille gegebenen Bewegungsfähigkeit 
dahin gerichtet ist, wo die Kernstoffe am dichtesten liegen. Die 
Expansion unter dem Einfluss des Sauerstoffs steht in entsprechender 
Weise unter der Herrschaft des strukturellen Charakters der Fibrillen. 
Doch spielt hier auch die passive Streekung durch elastische 
Hüllen, Schwere und Wirkungen verschiedener anderer Gewebe eine 
wesentliche Rolle. 

Bei den glatten Muskelfasern, besonders bei den Stiel- 
muskeln gewisser Infusorien, wie der Vorticellen, liegen die 
Verhältnisse relativ am einfachsten. Der Kontraktionsvorgang 
besteht hier kurzgefasst darin, dass die kontraktilen Teilchen des 
Muskelfadens soweit es ihre Verschiebbarkeit gestattet möglichste 
Annäherung an das kernhaltige Zentrum des Protoplasmakörpers 
suchen, wobei der Muskel kürzer und dieker wird. Wie die Elemente 
eines Pseudopodiums würden diese Teilchen in den Protoplasma- 
körper hineinfließen, wenn sie vollständig freibeweglich und mit dem 
letzteren mischbar wären. In Wirklichkeit aber können sie sich nur 
soweit mit Kernstoffen sättigen als ihnen solche von Seiten der Kern- 
stoffquelle durch Diffussion zugehen. 

Die Expansion geschieht auch hier durch den Chemotropismus 
nach dem Sauerstoff, welcher auf die ganze Oberfläche des Stiel- 
muskels einwirkt und eine Ausbreitung der kontraktilen Substanz 
nach Malsgabe der Beweglichkeit ihrer Teilchen hervorruft, wodurch 
der Muskelfaden wieder länger und dünner wird. Die gleichzeitige 
sehr wesentliche passive Streckung geschieht durch die den Stiel- 
muskel umgebende elastische Scheide, welche nach der Kontraktion 
wie eine zusammengepresste Sprungfeder wirkt. Für andere glatte 
Muskelfasern gelten die gleichen Betrachtungen. 

Um Vieles komplizierter verhalten sich die quergestreiften 
Muskelfasern, wie schon aus der Morphologie desselben erhellt. Wir 
unterscheiden hier an der einzelnen Faser bekanntlich das vom Sarko- 
lemm umschlossene Sarkoplasma und die in dasselbe eingebetteten 
zahlreichen Zellkerne und Fibrillen. Die Fibrillen zerfallen in eine 
Reihe gleicher Segmente, in welchen man im wesentlichen drei in 
der Querrichtung parallele Schichten unterscheidet: die mittlere aniso- 
trope und die beiden seitlich von dieser gelegenen isotropen 
Schichten. Zwischen je zwei Segmenten liegt die Zwischenscheibe. 
Im Gegensatz zu den glatten Muskelfasern sind die quergestreiften 
Fibrillen nicht in ihrer ganzen Kontinuität kontraktil, vielmehr ist 
nach den Untersuchungen Engelmann’s anzunehmen, dass die kon- 
traktile Substanz der quergestreiften Muskelfaser bei der Kontraktion 
nicht an der Berührungsfläche mit dem kernstoffhaltigen Sarko- 
plasma eine Ausbreitung erfährt, sondern an der Berührungsfläche 
mit der isotropen Substanz, indem diese letztere Grenzfläche 





Verworn, Bewegung der lebendigen Substanz. 753 


sich unter teilweiser Vermischung von anisotroper und isotroper Sub- 
stanz vergrößert. Auf diese Weise wird das einzelne Fibrillen- 
segment kürzer und breiter. Dieser Vorgang deutet darauf hin, dass 
zwischen der erregten kontraktilen Substanz der anisotropen Schicht 
und zwischen den Teilchen der isotropen Substanz chemische Affini- 
täten vorhanden sind, während solche zwischen anisotroper Substanz 
und Sarkoplasma fehlen. Hieraus und aus der von Rollet gefundenen 
Thatsache, dass die isotrope Substanz in besonders enger Beziehung 
zum Sarkoplasma steht, zieht der Verf. folgenden Schluss: Die 
Kernstoffe werden der anisotropen Substanz nicht direkt vom Sarko- 
plasma geliefert, sondern nur durch Vermittlung der isotropen Sub- 
stanz, in welcher sie Veränderungen erfahren, die sie für die aniso- 
trope Substanz erst chemotropisch wirksam machen. Dass ferner das 
Sarkoplasma jene wirksamen Stoffe von den Zellkernen der Muskel- 
faser erhalte, darauf weist die Analogie mit den Rhizopoden und 
den glatten Muskeln der Vorticellen hin. 

Bei der Expansion kommt auch hier die chemische Affinität 
der mit den betreffenden Kernstoffen gesättigten Teilchen der aniso- 
tropen Substanz zum Sauerstoff zum Ausdruck. Die anisotrope Schicht 
wird höher und schmäler, d. h. sie vergrößert ihre Berührungsfläche 
mit dem Sarkoplasma. Die Ursache dafür ist die Affinität der kon- 
traktilen Teilchen zum Sarkoplasma, speziell, wie wir annehmen 
dürfen, zu dem daselbst befindlichen Sauerstoff, welehe eben nach 
Maßgabe der Beweglichkeit jener Teilchen die chemotropische Aus- 
breitung desselben ins Leben ruft. Da wir wissen, dass die kontrak- 
tile Substanz zur Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit des Sauerstoffs 
bedarf und dass der letztere um zu jener zu gelangen das Sarko- 
plasma passieren muss, so ist für diese Annahme eine ent- 
sprechende thatsächliche Grundlage gegeben. Zu erwähnen ist noch 
die bedeutende Unterstützung, welche die sich streekende Faser passiv 
durch verschiedene andere Faktoren erfährt. 

Bezüglich einer Erklärung der Erscheinungen bei Sauerstoffab- 
schluss und der Totenstarre des Muskels möchte ich auf das Original 
selbst verweisen. 

Im Anschluss an die Muskelkontraktion analysiert der Verf. zum 
Schluss die Flimmerbewegung auf Grund der erörterten chemisch- 
physikalischen Prinzipien. Die Bewegung der einzelnen Wimper wird 
durch eine Formveränderung derselben bewirkt, welche auf einer 
einseitigen Kontraktion und darauf folgenden Erschlaffung der 
Wimper beruht. Für den Vorgang der Kontraktion und Expansion 
gilt ganz dasselbe, wie für die analogen Erscheinungen am Stiel- 
muskel der Vorticellen. 

Der Verf. schließt mit dem Hinweis darauf, dass Modifikationen 
mancher Einzelheiten der von ihm entwickelten Anschauungen auf 
Grund von neuen Erfahrungen wohl nötig werden könnten, dass das 

AU. 48 


754 Nagel, Empfindungsorgane einiger Tiere gegen chemische Reize. 


Prinzip aber für alle Bewegungserscheinungen der lebendigen Sub- 

stanz zutreffend sein dürfte. Weitere Vorstöße in das im einzelnen 

noch unwegsame Gebiet müsse man von der physiologischen Chemie, 

speziell von der mikrochemischen Untersuchung der Zelle erwarten. 
P. Jensen (Jena). 


Bemerkungen über auffallend starke Einwirkung gewisser 
Substanzen auf die Empfindungsorgane einiger Tiere. 


Von Dr. Wilibald Nagel in Tübingen. 


Bei Gelegenheit von Versuchen über das Riech- und Schmeck- 
vermögen niederer Tiere fiel es mir auf, dass gewisse Substanzen, 
welche pharmakologisch nicht zur Klasse der Acria gerechnet werden 
können, auf die Haut bestimmter Tiere einwirkend, überraschend 
starke Reizwirkungen beobachten ließen. Die Stärke der Reaktion 
musste den Gedanken nahe legen, dass in der Haut dieser Tiere sich 
Empfindungsorgane befinden müssten, welche zur Wahrnehmung 
schwacher chemischer Reize spezifisch disponiert seien, „äußere 
Schmeckorgane“, wie ich derartige Organe an anderem Orte!) 
genannt habe. Die hier in betracht kommenden Stoffe haben selbst 
in höchst-möglicher Konzentration nicht die Eigenschaft, Gewebe mit 
welchen sie in Berührung kommen, zu zerstören, sie ätzen nicht und 
wirken auch nisht entzündungserregend. Deshalb ist ausgeschlossen, 
dass die Stoffe unter Zerstörung der nicht nervösen Gewebe bis zu 
den Tastnerven vordringen, und diese an abnormer Stelle, in ihrem 
Verlaufe, erregen. Auch dass der Sinneseindruck durch Tastorgane, 
besser mechanischen Sinnesorgane, der Haut, selbst vermittelt werde, 
ist nicht wahrscheinlich, wenn man nicht annehmen will, dass die 
Hautsinnesorgane eben nicht entweder Tast- oder Geschmacks- 
organe sein müssen, sondern zugleich verschiedenen Sinnen, dem 
chemischen, thermischen und mechanischen dienen. Ich halte nun 
aus hier nicht näher zu erörternden Gründen diese letztere Annahme 
für unabweisbar und glaube, dass es derartige „Wechselsinnes- 
organe* (vergl. l.c. S. 9) gibt, und dass sie speziell bei Wassertieren 
in der Haut ein häufiges Vorkommnis sind. Allein auch diese An- 
nahme räumt noch nicht die Schwierigkeiten hinweg, welche sich be- 
sonders betreffs der unten mitzuteilenden Beobachtungen über eine 
Art Geschmackssinn der Fischhaut aufdrängen. Die Frage ist bisher 
immer nur von der morphologischen Seite in Angriff genommen worden, 
nicht von der experimentellen Seite. Der physiologischen Forschung 
bietet sich hier noch ein weites aber schwieriges Gebiet. 


4) Wilibald Nagel, Die niederen Sinne der Insekten. Tübingen bei 
Fr. Pietzcker, 1892, S. 38. 





Nagel, Empfindungsorgane einiger Tiere gegen chemische Reize. 755 


I. Vanillin und Cumarin. 


In erster Linie habe ich hier zwei für unseren menschlichen Ge- 
ruchsinn sehr angenehm riechende Stoffe zu nennen, das Vanillin und 
das Cumarin, welche beide sich in Wasser in sehr geringem Maße 
lösen. In einzelnen Fällen verwendete ich noch das in Wasser nicht 
merklich sich lösende Naphthalin. Wasser, welches mit diesem 
Stoffe geschüttelt und dann filtriert wird, nimmt aber immerhin etwas 
von demselben auf, was sich am Geruch und der zu beobachtenden 
Reizwirkung zeigt. Auf der menschlichen Zunge, demjenigen Teile 
des Menschen, welcher mit der feuchten Haut der Wassertiere am 
ehesten in Vergleich zu setzen ist, rufen möglichst gesättigte Lösungen 
von Vanillin und Naphthalin gar keine Empfindung hervor. Cumarin 
ist etwas mehr löslich, und seine gesättigte Lösung erregt auf der 
Zunge ein leichtes Brennen. Eine etwa 10fach verdünnte Lösung 
thut dies nicht mehr, riecht aber merkwürdiger Weise kaum weniger 
stark und reizt manche Tiere noch immer deutlich. 

Es ist nun überraschend zu sehen, wie eine kleine Menge der 
Lösung von Vanillin in Meerwasser auf der Haut der bei Tage so 
trägen Katzen- und Hunds-Haie (Sceyllium catulus und canicula) 
offenbar heftige Empfindungen unangenehmer Art hervorruft. Denn 
wenn man aus einer feinen Pipette unter Wasser wenige Tropfen der 
Lösung die Haut des Haies treffen lässt, ja selbst nur eine Stelle der 
Schwanz-, Rücken- oder Brustflosse, so bewegt sich nach wenigen 
Sekunden der betreffende Körperteil seitwärts, und darauf sucht sich 
das Tier dem Reize zu entziehen. Dies geschieht, je nach der Inten- 
sität des Reizes, der Größe der gereizten Stelle und der augenblick- 
lichen Lebhaftigkeit des Fisches, entweder nur mit wenigen trägen 
Bewegungen des Schwanzes, oder (gewöhnlich) schwimmt der Fisch 
eine Strecke weit fort. 

Trifft der Reizstoff die Gegend von Mund und Nase, so schnappt 
der Fisch zunächst mehrmals heftig, und schwimmt dann unter 
energischem Schütteln des Kopfes rasch davon. 

Chininbisulfat, Chininhydrochlorat und Strychninnitrat wirken 
ziemlich in derselben Weise, wie die genannten Stoffe, nur sehr viel 
schwächer; sicher ist die Reaktion hier nur in der Nähe des Mundes. 
Dagegen ist die Reizwirkung der mit einem Tröpfehen Kreosot ge- 
schüttelten Seewassers wieder eine sehr ausgesprochene, während 
Seewasser, in derselben Weise mit Rosmarinöl behandelt, ganz 
ohne Wirkung ist; und dieses Rosmarinwasser ist es nun gerade, 
welches von allen den bisher genannten Lösungen auf der mensch- 
lichen Zunge und den Schleimhäuten weitaus den stärksten Eindruck 
hervorbringt. 

Die Thatsache, dass gerade so ausgesprochene Riechstoffe 
wie Vanillin, Cumarin, Naphthalin und Kreosot die Haifischhaut mit 

48 * 


756 Nagel, Empfindungsorgane einiger Tiere gegen chemische Reize. 


ihren Nerven so stark erregen, legt den Gedanken nahe, dass man 
es hier mit einem Organe speziell für das Riechen im Wasser zu thun 
habe. Der Versuch mit dem Rosmarinwasser zeigt aber sofort die 
ungenügende Begründung dieser Annahme. Was man aus den Ver- 
suchen erschließen darf, ist zunächst nur, dass die Hautsinnesorgane 
der Haifische selbst schwächsten chemischen Reizen sehr zugänglich 
sind. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass unter den natürlichen 
Lebensbedingungen des Tieres jemals jene Organe chemische Sinnes- 
thätigkeit vermitteln werden, mit anderen Worten als Geschmacks- 
organe gebraucht werden. Man sollte dies allerdings (mit ziemlich 
großer Wahrscheinlichkeit) erwarten. Allein keine Thatsache spricht 
dafür, dass Haie und überhaupt Fische durch die Hautsinnesorgane 
Gegenwart von Nahrung zu wittern vermögen. Alle meine diesbezüg- 
lichen Versuche sprachen vielmehr fürs Gegenteil. So lange aber der 
Beweis für Nahrungswitterung durch die Haut fehlt, ist es bedenklich 
von einem Geschmacksvermögen der Haut zu sprechen, da man dann 
annehmen müsste, dass mehrere Schmeckorgane vorhanden seien, 
welche sich in die Perzeption der verschiedenen schmeckbaren Sub- 
stanzen teilten; das ist sehr unwahrscheinlich. 

Eine weitere Schwierigkeit ist die, dass man bis jetzt nicht an- 
zugeben vermag, welches die Organe in der Fischhaut sind, welche 
für diese Geschmacksperzeptionen in betracht zu ziehen wären. Ich 
kann hier auf die sehr umfangreiche Litteratur über diesen Gegen- 
stand nicht eingehen, erwähne nur, dass es die sog. „becherförmigen“ 
Sinnesorgane sind, welche von vielen Forschern für Schmeckwerk- 
zeuge gehalten werden. Hiefür stimmen nun meine Beobachtungen 
insofern nicht, als viele Fische des Süßwassers (Anguilla, Cyprinus, 
Gasterosteus, Cobitis, Gobio u. a.), bei welehen becherförmige 
Örganenachgewiesensind, jedesSchmeckvermögens der 
Haut entbehren (worüber ich später noch besonders berichten 
werde). 

Außer bei Scyllium fand ich eine für Geschmacksreize empfind- 
liche Haut noch bei Lophius piscatorius und Syngnathus acus, ver- 
misste sie bei allen untersuchten Süßwasserfischen, bei Tritonen ver- 
schiedener Arten und bei Uranoscopus scader. 


wirbellosen Wassertieren als unangenehmer Reiz empfunden. Während 
aber Chinin ziemlich gleichmäßig bei allen Tieren wirkt, ist die Reak- 
tion auf erstgenannte zwei Stoffe bei einigen Tieren (Beroö: Mund- 
rand, Aktinien: Tentakel, verschiedene Ringelwürmer: am ganzen 
Körper) sehr ausgeprägt, bei andern fehlt sie vollständig (Protula, 
Serpula, Carmarina). 

An einer Erklärung dieser Unterschiede ist bei unserer gänzlichen 
Unkenntnis der beim Schmecken sich abspielenden Vorgänge, und 











Nagel, Empfindungsorgane einiger Tiere gegen chemische Reize. 757 


besonders der Bedingungen für Schmeckbarkeit eines Stoffes noch 
nicht zu denken. 
I. Saecharin 
(bei den Versuchen meist in 50 Teilen Wasser gelöst). 

Das Saccharin wirkt bei vielen wirbellosen Tieren (vielleicht 
auch Wirbeltieren) auf den Geschmackssinn durchaus verschieden 
vom Zueker, und zwar entschieden unangenehm, in ähnlicher Weise 
wie Chinin, wenn auch meistens etwas schwächer. 

Nicht in allen Fällen, aber sehr häufig ist Reizbarkeit der Haut- 
sinnesorgane durch das Saecharin deutlich ausgeprägt, welche ich bei 
Zucker nie beobachtete. Hier reizt also das Saccharin die äußeren, 
uneigentlichen Geschmacksorgane. Aber auch die eigentlichen Ge- 
schmaeksorgane am Munde, z. B. der Insekten und Schnecken unter- 
scheiden Saccharin vom Zucker; Ausnahmen hievon teile ich unten mit. 

Von einheimischen Tieren habe ich Empfindlichkeit für Saccharin 
bei Egeln und Regenwürmer beobachtet. Am auffallendsten sind die 
Erscheinungen bei dem gemeinen Limnaeus stagnalis. Dieser erweist 
sich für die Versuche dadurch besonders geeignet, dass er, im Gegen- 
satz zu den meisten anderen Wassertieren, eine Reaktion auf Zucker- 
lösung zeigt, welche beweist, dass der Geschmack des Zuckers (be- 
sonders des rohen Traubenzuckers) ihn „angenehm“ ist. Lässt man 
nämlich unter Wasser aus einer feinen Pipette einen Tropfen einer 
ziemlich starken Traubenzuckerlösung auf die Mundteile des Limnaeus 
sich verbreiten, so macht das Tier regelmäßig sofort seine charak- 
teristischen Saug- oder Leekbewegungen mit der Zunge, und wendet 
den Kopf der Reizquelle zu. Schwache Saccharinlösung dagegen be- 
wirkt, in der gleichen Weise zugeführt, dass der getroffene Teil, der 
Fühler, die Lippen, oder der ganze Kopf heftig zusammen- und zurück- 
gezogen wird, ganz wie bei Einwirkung von Chinin !). 

Da der Geschmack des Saccharins dem des Zuckers bei ent- 
sprechender Verdünnung so ähnlich ist, dass wohl die Mehrzahl der 
Menschen ihn gar nicht unterscheiden kann, ist diese starke Reiz- 
wirkung sehr auffallend. Manche Menschen erkennen im Saccharin 
einen leicht bitteren Beigeschmack; man sollte daher denken, Zu- 
mischung eines Bitterstoffes zur Zuckerlösung könnte ein Gemisch er- 
zeugen, das an Wirkung dem Saccharin ähnlich wäre. Das ist aber 
nicht der Fall. Wenn man sehr wenig Chinin zur Zuckerlösung hin- 
zufügt, wird die Mischung unverändert eingesogen; nimmt man viel 
Chinin hinzu, so wirkt dieses allein. Eine mittlere Mischung, die für 
meinen Geschmack noch intensiv bitter ist, wirkt in eigentümlicher 





1) Auch der ganze Fußrand ist für den Reiz des Saecharins wie für andere 
chemische und für elektrische Reize empfänglich, die übrige Körperhaut nicht; 
vergl. Wilibald Nagel, Beobachtungen über das Verhalten einiger wirbel- 
loser Tiere gegen galvanische und faradische Reizung. Plüger’s Arch. f. d. 
ges. Physiol., Bd. 51, S. 626. 


758 Nagel, Empfindungsorgane einiger Tiere gegen chemische Reize. 


Weise auf den Limnaeus: Er zieht den Kopf aus dem Bereich der 
bitteren Lösung fort, saugt aber dieselbe dabei durch Zungenbewegungen 
ein. Etwas ähnliches beobachtete ich bei Saccharin allein nie, wohl 
aber bei Mischungen von Zucker mit Saecharin. Auch mit Säuren, 
z. B. Zitronen- und Weinsäure lassen sich Mischungen von der ge- 
nannten Wirkungsweise herstellen; doch scheint der saure Geschmack 
sich weniger leicht vom süßen zudecken zu lassen, als der bittere, 
obgleich eine Lösung von Chininbisulfat 1:600 etwa gleich stark 
den Limnaeus reizt wie Lösung von Zitronensäure 1:6001). 


Nicht bloß Wassertiere, sondern auch Landtiere zeigen diese Ab- 
neigung gegen das Saccharin; ich bemerke sie bei manchen Insekten. 
Während es eine Hummel oder Biene durchaus nicht stört, wenn man 
über den Honigtropfen, von welchem sie eben leckt, etwas Wasser 
oder starke Zuckerlösung fließen lässt, verlässt sie sofort mit Abscheu- 
bezeugungen den Honig, wenn er mit Saccharin gemischt ist, oder 
solches während des Fressens zufließt. Ganz ähnliches gilt von dem 
Käfer Cetonia aurata, welchem schwache Saccharinlösung entschieden 
unangenehmer ist, als eine 2proz. Tanninlösung. Staphyliniden und 
andere Raubkäfer werden durch Saccharin beim Fleischgenusse ge- 
stört, durch Zucker nicht. Auffallend ist wiederum eine Beobachtung, 
welche ich schon früher mitgeteilt habe 2), dass nämlich von einer 
Anzahl Wespen desselben Nestes ein Teil dem Saccharin gegenüber 
sich nicht anders verhielt, wie gegen Zucker, während die übrigen 
es verabscheuten. 


Auf manche sonst recht empfindliche Wassertiere wirkt Saccharin 
so gut wie gar nicht reizend ein, so auf manche Meerwürmer (Nereis) 
und auf Beroö, sowie auf die von mir untersuchten Meerfische. 


II. Chloralhydrat. 


Da Chloralhydrat in starken Lösungen einen sehr heftigen, un- 
angenehm brennenden und bitteren Geschmack hat, ist es nicht auf- 
fallend, dass solche Lösungen bei allen meinen Versuchstieren heftig 
reizend wirkten; mitteilenswert dürfte dagegen folgendes sein. Eine 
Chloralhydrat-Lösung, welche so stark verdünnt war, dass ich eine 
beträchtliche Quantität davon in den Mund nehmen konnte, ohne den 
bezeichnenden Geschmack zu bemerken, ließ ich auf Blutegel ein- 
wirken. Dabei zeigte sich, dass Tropfen dieser Lösung für die Haut, 
besonders des Kopfes dieses Tieres einen intensiven Reiz bildeten. 





1) Ich kann hier gelegentlich anführen, dass ich bei Weinsäure in der gleichen 
Verdünnung (1:600) bei Limnaeus stärkere Reizwirkung beobachtete als von 
Zitronensäure, obgleich letztere Lösung für meinen Geschmack die saurere war. 
Von heftig zusammenziehender Wirkung ist bei beiden nichts zu merken. 

2) W. Nagel, Die niederen Sinne der Insekten. S. 42. 


v. Kölliker, Bau des Bulbus olfactorius. 759 


Dies ist um so auffallender, als die Grenze der Verdünnung des 
Chininbisulfats, bei welcher noch Reizwirkung eintritt, bei verschie- 
denen Anneliden-Gattungen sich als ziemlich mit derjenigen Grenze 
zusammenfallend herausstellte, bei welcher für meinen Geschmacks- 
sinn der bittere Geschmack noch deutlich ausgeprägt ist. 

Schließlich habe ich zu erwähnen, dass das Chloralhydrat auch 
die Riechwerkzeuge mancher Tiere unangenehm zu erregen scheint, 
obgleich es für den Menschen einen nur schwachen, angenehm obst- 
artigen Geruch besitzt. Ich beobachtete, dass Schnecken die Fühier 
vor einem mit der Lösung befeuchteten Glasstabe zurückzogen, was 
der reine, unbefeuchtete Stab nicht bewirkte. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 


Würzburger Phys. - med. Gesellschaft 1892. 
Sitzung vom 19. Dezember 1891. 


v. Kölliker, Ueber den feineren Bau des Bulbus olfaetorius. 
H. Kölliker spricht über den feineren Bau der Fila olfactoria und des 
Bulbus olfactorius. 

Die Fila olfaetoria bestehen, wie Herr K. bereits im Jahre 1853 bei den 
Säugetieren nachgewiesen hat (Würzb. Verhandl., Bd. IV, 1854, Nr. 61) aus 
2—10 u dicken blassen Röhren, aus denen an frischen Fasern durch Druck, 
ferner durch Essigsäure und kaustische Alkalien ein feinkömiger Inhalt mit 
vielen Kernen ausgetrieben werden kann. Dasselbe sah später M. Schultze 
bei den Elementen der Fila olfactoria gewisser Wirbeltiere (Hallenser Ab- 
handlungen, Bd. VII) und fand außerdem, dass in erhärtenden Flüssigkeiten 
(Chromsäure) der Inhalt der Olfactoriusröhren in feinste Fäserchen zerfällt, 
von welchen Fäserchen er mit größter Wahrscheinlichkeit einen Zusammen- 
hang mit den bereits von Eckhardt wahrgenommenen und dann von ihm vor 
allen zuerst genau beschriebenen Riechzellen annahm. 

Später wurden diese Olfaetoriusfibrillen von Golgi und Ramön y 
Cajal nach der Silber-Methode Golgi’s dargestellt und lassen sich in dieser 
Weise, wie auch v. Gehuchten und H.K. zu bestätigen vermochten, in der 
That mit größter Leichtigkeit nachweisen. 

Die Entwicklung dieser Olfaktoriusfibrillen ist noch lange nicht hinreichend 
erforscht. Herr K. zeigte zuerst im Jahre 1883 (Zur Entw. d. Auges und Ge- 
ruchsorganes menschl. Embryonen, Züricher Festschrift, 1883), dass die Fila 
olfactoria in einer ganz anderen Weise sich entwickeln als die gewöhnlichen 
Nerven mit dunkelrandigen Fasern, indem dieselben nicht als Bündel feinster 
kern- und hüllenloser Fäserchen auftreten, sondern schon bei jungen, 2 monat- 
lichen menschlichen Embryonen als faserige Stränge mit vielen Kernen er- 
scheinen (l. e. S. 17, Fig.20). Später wies His nach (Abh. d. sächs. Akad., 
Bd. XV, 1889, S. 714 u. fg.), dass diese kernhaltigen Stränge vom Epithel der 
Regio olfactoria aus sich bilden, indem gewisse Bestandteile desselben, den 
Neuroblasten anderer Gegenden vergleichbar, zu Fasern auswachsen und nach 
und nach zu bipolaren Zellen sich gestalten, welche, aus dem Epithel heraus- 
tretend, eine Art Ganglion bilden, das nach und nach gegen den Bulbus olfac- 


760 v. Kölliker, Bau des Bulbus olfactiorius. 


torius heranwächst und endlich mit demselben verschmilzt. Welche Beziehungen 
diese bipolaren Zellen zu den späteren Olfaktoriusfasern zeigen, das nachzu- 
weisen gelang His nicht, doch stellt er zwei Möglichkeiten auf, entweder sei 
der peripherische Olfaktorius ein gewöhnlicher Nerv, oder derselbe habe zeit- 
lebens die Bedeutung eines Ganglion. Ersteres wäre der Fall, wenn die Kerne 
der Fila olfaetoria nur den Scheiden zukämen, letzteres wenn diese Kerne den 
Fila olfactoria selbst angehörten (d. h. im Innern der Scheiden lägen). 

Herr Kölliker kam, indem er diese Angaben von His prüfte (Würzb. 
Sitzungsber., 1890, Sitzung vom 12. Juli), wenn auch nicht mit Sicherheit doch 
mit großer Wahrscheinlichkeit zu der Ueberzeugung, dass die Annahme von 
His von der zentripetalen Entwicklung der Fila olfactoria von der Schleim- 
haut der Regio olfactoria aus gegen das Gehirn zu richtig ist, gelangte jedoch 
mit Bezug auf die Deutung der embryonalen Fila olfactoria zu einer ab- 
weichenden Anschauung. Dieselben gehen nach ihm nicht aus einfachen bipo- 
laren Zellen hervor, sondern aus Zellenreihen, für welche Auffassung auch die 
an den Kernen derselben nicht selten vorkommenden Mitosen sprechen. Ist 
dem so, so entsprechen auch die fertigen blassen Olfaktoriusfasern der er- 
wachsenen Geschöpfe mit ihren vielen Kernen im Inrern Zellenreihen, von 
denen jede ein Bündel feinster kernhaltiger Fäserchen entwickelt, von welchen 
Fäserchen jedes seinen Anfang mit einer Riechzelle in der Riechschleimhaut 
nimmt. 

Im Bulbus olfaetorius lösen sich die Fibrilien der blassen Olfaktoriusfasern 
in jedem Glomerulus olfactorius, wie Golgi bereits im Jahre 1875 auffand 
(Sulla fina struttura dei Bulbi olfactorii, Reggio-Emilia, 1875, 23 S., 1 Taf.) in 
eine reiche Verästelung auf, deren Enden, wie Herr K. mit Ramön y Cajal 
fand (Verh. d. Anat. Ges. in München, 1891, Demonstrationen), frei enden, 
ohne Anastomosen zu bilden, wie auch v. Gehuchten und Martin bestätigten 
(Le Bulbe olfactlf in la Cellule, VII, 2. Fasc., 1891). In diese Glomeruli treten 
dann von der anderen Seite Protoplasmafortsätze der größeren und kleineren 
Zellen der nächstfolgenden grauen Lage des Bulbus ein, von denen diejenigen 
der größeren sogenannten Mitralzellen ebenfalls eine ungemein reiche Ver- 
ästelung ohne Netzbildung auf und in den Glomeruli erzeugen. Aus diesen 
beiden ungemein reichen und mannigfach sich durchflechtenden Verästelungen 
besteht die Hauptmasse der Glomeruli, doch kommen außerdem noch kleine 
verästelte Zellen, die wahrscheinlich die meisten die Bedeutung von Ganglia- 
zellen haben, in denselben vor, sowie Kapillaren an der Oberfläche und zum 
Teil auch in den Glomeruli selbst, endlich eine feinkörnige Substanz, von der 
nicht sicher zu sagen ist, ob dieselbe nur im Innern der Gliazellen oder auch 
zwischen den Elementen der Glomeruli liegt. Eine besondere Hülle besitzen 
die Glomeruli nicht und lassen sich dieselben am besten mit grauer Nerven- 
substanz vergleichen, die an vielen Orten auch wesentlich aus feinsten Ver- 
ästelungen von Nervenfasern, Nervenzellenfortsätzen und Gliazellen mit Blut- 
gefäßen besteht. 

Von einem Eindringen von Nervenfasern, die aus dem Traetus olfactorius 
stammen, in die Glomeruli, die Golgi abbildet, hat Herr K., ebenso wie 
Ramön und v. Gehuchten, bei seinen bisherigen Beobachtungen nichts 
wahrgenommen. 

Die Mitralzellen, die einen sich verästelnden absteigenden Fortsatz in die 
Glomeruli senden, besitzen außer diesem Einen noch andere Protoplasmafort- 


sätze, die in mehr horizontalem Verlaufe, wie gewöhnlich, sich verästeln und 
frei enden. 





v. Kölliker, Bau des Bulbus olfactorius. 761 


Die Axenzylinderfortsätze aller Zellen, die mit den Glomeruli in Ver- 
bindung stehen, dringen im weiteren Verlaufe geraden Weges in die innern 
Lagen des Bulbus ein und schließen sich dann, meist unter rechten Winkeln 
umbiegend, an die Fasern an, die in den Tractus olfactorius übergehen und 
den Bulbus mit dem Hirn verbinden. Auf diesem Wege geben dieselben im 
Bulbus zahlreiche, von v. Gehuchten genau beschriebene und auch von 
Herrn K. gesehene Kollateralen ab, die, teils in radiärer, teils horizontaler 
Richtung verlaufend, in verschiedenen Tiefen zu enden scheinen. 

Die Hauptleitung bei der Geruchsempfindung scheint durch die bisher ge- 
schilderten Elemente vermittelt zu werden und zwar 1) durch die Riechzellen, 
2) die von denselben entspringenden feinsten Fibrillen der blassen Nerven- 
fasern der Fila olfaetoria und deren Endigungen in den Glomeruli. 3) In 
diesen findet sich dann durch Kontakt eine Einwirkung auf die in die Glomeruli 
eintretenden Ramifikationen der Protoplasmafortsätze der Mitralzellen, von 
denen aus dann 4) in kontinuierlicher Bahn die Leitung weiter auf die Mitral- 
zellen selbst und durch ihre nervösen Fortsätze auf die Elemente des Traktus 
olfaetorius und das Gehirn sich fortsetzt. — Außer den Mitralzellen enthalten 
die Bulbi olfaetorii noch verschiedene Zellenformen, deren Bedeutung noch 
keineswegs feststeht. Herr K. erwähnt von diesen 1) die bipolaren Zellen 
der sogenannten Körnerschicht mit einem langen bis zu den Mitralzellen und 
weiter dringenden Fortsatze, der unter spitzen Winkeln sich verästelnd mit 
eigentümlichen wie mit zahlreichen Spitzen besetzten Ausläufern endet, während 
der innere Ausläufer meist weniger gästig, kürzer und mehr glatt ist, ohne 
einem nervösen Fortsatze zu gleichen. 

2) Andere reich verzweigte multipolare große Zellen ohne Axenzylinder- 
fortsatz finden sich bei der Katze in der weißen Substanz des Bulbus. Die 
Ausläufer dieser Zellen zeigen das Eigentümliche, dass sie mit vielen kurzen 
Spitzehen besetzt sind (Siehe v. Gehuchten und Martin Fig. 45). 

Zum Schlusse macht Herr K. noch in Kürze auf die wichtigen allgemeinen 
Folgerungen aufmerksam, die aus den neuen Erfahrungen über den Bau des 
Bulbus olfactorius sich ergeben, um so mehr, als dieselben schon an einem 
andern Orte!) hervorgehoben wurden, es sind folgende: 

4) Beweist der feinere Bau der Glomeruli olfactorii mit Bestimmtheit, 
dass auch Protoplasmafortsätze dieRolle vonleitenden nervösen 
Apparaten übernehmen können. 

2) Zeigt derselbe mit Entschiedenheit, dass nervöse Uebertragungen 
auch direkt von Fasern auf Fasern sich machen können und 
dass deren Zustandekommen nicht notwendig eine Einwirkung 
von Zellen auf Fasern oder von Fasern auf Zellen voraussetzt. 
Aehnliche Uebertragungen wie im Geruchsorgan finden sich in der Netz- 
haut, in der ebenfalls die Sehzellen nicht direkt, sondern nur durch Faser- 
verästelungen mit ähnlichen Verästelungen anderer Zellen verbunden sind, 
ferner nach den schönen Untersuchungen von Retzius in den Ganglien 
von Wirbellosen, in denen die sensiblen und motorischen Elemente nur 
durch die feinsten Ausläufer ihrer nervösen Fortsätze aufeinander einzuwirken 
im Stande sind, endlich wohl unzweifelhaft auch in der Rinde des Cerebellum 
zwischen den Axenzylinderfortsätzen der Körner und den Protoplasmafortsätzen 
der Purkinje’schen Zellen, wie Herr K. mit Ramön y Cajal annimmt. 


1) Eröffnungsrede beim 4. anatomischen Kongresse in München, 1891. 


762 Gürber, Einfluss großer Blutverluste auf den respirat. Stoffwechsel. 


Sitzung vom 7. Mai 1892. 


Gürber, „Ueber den Einfluss großer Blutverluste auf den respiratorischen 
Stoffwechsel“. 

Der Vortragende bespricht eine Reihe von Stoffwechselversuchen, die er 
gemeinschaftlich mit einem Herın Pembrey aus Oxford angestellt hat und 
zwar an Kaninchen, denen ein Großteil ihres Blutes durch die von Gaule 
angegebene alkalische Kochsalz - Rohrzuckerlösung ersetzt worden war. Die 
Blutentziehungen betrugen im Mittel über 3°/, des Körpergewichts und es 
sank dabei die Zahl der roten Blutkörperchen um etwas mehr als um die 
Hälfte. Obgleich die Versuchstiere nach beendeter Blutentnahme ganz asphyk- 
tisch waren, erholten sich diese nach Einspritzung der Infusionsflüssigkeit in 
kürzester Zeit vollkommen und zeigten ein in jeder Beziehung normales Ver- 
halten. Dieser Befund veranlasste auch den Vortragenden zu den vorliegenden 
Untersuchungen. Diese schienen ihm um so berechtigter, als die in der Lit- 
teratur zu findenden Angaben über den Einfluss von Blutverlusten auf den 
respiratorischen Stoffwechsel in argem Widerspruch zu einander stehen. 

Die Stoffwechselversuche wurden ausgeführt nach der von Dr. Haldane, 
dem Assistenten am physiologischen Laboratorium in Oxford, ausgebildeten 
Methode: Es werden hiebei Kohlensäure- und Wasserausscheidung direkt durch 
Wägung bestimmt, die Sauerstoffaufnahme aber indirekt nach dem bekannten 
Prinzipe: dass, wenn das Gewicht der in der Zeit durch /die Atmung ausge- 
schiedenen Kohlensäure und Wasserdampfes bekannt ist, ebenso der Gewichts- 
verlust, den das Versuchstier in dieser Zeit erleidet), sich das Gewicht des 
aufgenommenen Sauerstoffs berechnet, indem man von dem Gewichte der 
Kohlensäure und des Wassers den Gewichtsverlust des Tieres subtrahiert. Der 
Rest ist dann das gesuchte Gewicht Sauerstoff. 

Haldane’s technische Ausführung dieses Prinzipes hält der Vortragende 
inbezug auf Einfachheit und doch größte Exaktheit andern Versuchsanord- 
nungen, auch speziell der Pettenkofer-Voit’schen für überlegen. Das Tier 
atmet in einem Blechkasten durch den ein Strom trockener, kohlensäurefreier 
Luft mittels einer kräftig wirkenden Wasserluftpumpe aspiriert wird (pro Stunde 
90 Liter). Zur Ermöglichung einer gleichmäßigen Ventilation ist in den Luft- 
strom eine fein regulierte Gasuhr eingeschaltet. Die gesamte in den Kasten 
ein- und ausströmende Luft geht durch Woulf’sche Flaschen von etwa !/, Liter 
Inhalt, die zur Absorption des Wasserdampfes mit in konz. Schwefelsäure ge- 
tränkten Bimssteinwürfelehen und zur Absorption der Kohlensäure mit mittel- 
fein gekörntem, schwach feuchtem Natronkalk gefüllt sind. Da der Natron- 
kalk leicht Feuchtigkeit abgibt, so ist nach jeder solchen Flasche eine Schwefel- 
säureflasche eingeschaltet, die mit der Natronkalkflasche zusammen gewogen 
wird. Um eine Kontrolle für vollkommene Absorption zu haben sind die 
Schwefelsäureflaschen in doppelter und die Natronkalkflaschen in dreifacher 
Anzahl eingeschaltet. Die erstern absorbieren mit Sicherheit bis zu 150 g 
Wasser, die letztern bis zu 25 g Kohlensäure. Einen ganz besonderen Vorteil 
bietet die Methode darin, dass das Versuchstier in und mit der geschlossenen 
Respirationskammer gewogen werden kann. Damit lassen sich jene Fehler 
vermeiden, die sonst bei Wägung des Tieres auf freier Waage notwendig auf- 
treten müssen, was für die Sauerstoffbestimmung, wie leicht ersichtlich, von 
der allergrößten Bedeutung ist. Die Prüfung des Apparates auf seine Exakt- 
heit mit genau abgewogenen Mengen Wasserdampf und Kohlensäure ergaben, 
dass ein möglicher Fehler von 5°/, der in Betracht kommenden Größen nicht 


Gürber, Einfluss großer Blutverluste auf den respirat. Stoffwechsel. 763 


überstiegen wird. Zur Wägung des Tieres samt Kammer und der Absorptions- 
gefäße diente eine Waage von 5 Kilo Tragkraft und einer Empfindlichkeit von 
nahezu ?!/,o0009 der mittleren Belastung. 

Die Versuche selber wurden so eingeleitet, dass man kräftige Kaninchen, 
möglichst gleicher Art, während einigen Tagen auf eine ganze bestimmte Diät 
setzte und täglich, dasselbe Tier so weit möglich immer zur selben Tageszeit, 
deren respiratorischer Stoffwechsel in 2 Stunden dauernden Versuchen fest- 
stellte. Hiebei zeigten die einzelnen Versuchstiere nicht unbeträchtliche indi- 
viduelle Verschiedenheiten. 

Es variiert z. B. die Kohlensäureausscheidung pro Stunde und Kilo Tier 
von 1,0—1,5 g; die Wasserausscheidung von 0,5 — 0,85 g und die Sauerstoff- 
aufnahme von 0,75—1,1 g. Aber auch bei ein und demselben Tiere waren 
Schwankungen in den Stoffwechselgrößen zu beobachten, obgleich möglichst 
gleichartige Versuchsbedingungen angestrebt wurden, was allerdings darin seine 
großen Schwierigkeiten hatte, als eben die Versuchstiere nicht veranlasst 
werden konnten, die ihnen vorgesetzte Nahrung immer innerhalb gleichen 
Zeiten aufzuzehren, ein Missstand, der ein größeres Abweichen der Stoff- 
wechselgrößen von einem gewissen Mittelwerte jedesmal erklärlich machte. 
Da diese Schwankungen in der Kohlensäureausscheidung und der Sauerstoff- 
aufnahme nicht immer im gleichen Sinne und gleichem Maße auftraten, so 
war eine Konstanz in der Größe der respiratorischen Quotienten, als dem Ver- 
hältnis des Volumes der ausgeschiedenen Kohlensäure zum Volum des auf- 
genommenen Sauerstoffes selbstverständlich nicht zu erwarten. Es bewegt 
sich diese Größe bei Versuchen mit verschiedenen Tieren zwischen 0,87 u. 1,07 
und bei verschiedenen Versuchen mit demselben Tiere zwischen 0,96 — 0,97 im 
Minimum und 0,89—1,02 im Maximum. 

Uebrigens geht aus diesen Zahlen hervor, was für den Stoffwechsel der 
Kaninchen als Pflanzenfressern charakteristisch ist, dass der respiratorische 
Quotient der Größe Eins immer sehr nahe kommt. 

Den so vorbereiteten Kaninchen wurde nun die eine Karotis und Jugularis 
extr. freigelegt, in beide Gefäße Kanülen eingeführt, die Jugulariskanüle mit 
einer Bürette verbunden, welche die auf 40° C erwärmte Infusionsflüssigkeit 
(7g Kochsalz, 35 g Rohrzucker, 0,2 g Natriumhydrat im Liter Wasser) enthielt, 
dann die Ligatur der Karotis gelöst und so lange das Blut, ausfließen gelassen, 
als eben welches ausfloss und bis die Tiere ganz asphyktisch geworden waren. 
War dieser Zustand eingetreten, so begann sofort, um nicht ein gänzliches 
Absterben des Atemzentrums zu riskieren, die Infusion, indem langsam und 
unter niedrigem Drucke eine dem abgezapften Blute äquivalente Menge Flüssig- 
keit injiziert wurde, wonach die Atmung rasch wiederkehrte und sich die 
Tiere in kurzer Zeit ziemlich erholten. Nach Unterbindung der Gefäße und 
Verschluss der Wunde kamen diese in einen auf etwa 30° C erwärmten Raum, 
wo sie sich von der bei der Operation schwer zu vermeidenden und den Ka- 
ninchen recht gefährlichen Abkühlung erholen konnten und nach Verlauf von 
2 Stunden in den Respirationskasten zu den Stoffwechselversuchen. Diese 
wurden zuerst täglich, später in größeren Zeitintervallen wiederholt, bis sich 
bei den Versuchstieren die normalen Blutverhältnisse wieder hergestellt hatten, 
was durch Blutkörperchenzählungen und Hämoglobinbestimmungen ermittelt 
werden konnte. 

In dieser Weise sind an 3 Kaninchen Versuche angestellt worden, deren 
Ergebnisse sich kurz in einem Satze etwa so zusammenfassen lassen: Ein 
Einfluss selbst größter Blutverlustebei nachfolgender Infusion 


764 Wiesner, Einfluss der Lage auf die Gestalt der Pflanzenorgane. 


von &aule’s alkalischer Kochsalz- Rohrzuckerlösung auf den 
respiratorischen Stoffwechsel der Kaninchen ist kaum vor- 
handen und wenn, dann im Sinne einer geringen Steigerung 
desselben und zwar so, dass dabei der respiratorische Quotient 
an Größe meistens zunimmt; doch war in letzterer Beziehung, 
wenn auch seltener, gerade das Gegenteil zu beobachten. 

Da aber dieses Resultat in direktem Widerspruche mit den Befunden 
anderer Autoren, namentlich mit demjenigen Bauer’s') steht, der bei seinen 
Versuchen an einem venaesezierten Hunde eine bedeutende Herabsetzung des 
Stoffwechsels als Folge der Blutentziehung will gesehen haben, so glaubte der 
Vortragende, um den Bauer’schen Versuchen gerecht zu werden, auch einige 
Versuche an Kaninchen nach einfachem Aderlass machen zu müssen. Zu 
diesem Zwecke entzog er Kaninchen, deren normaler Stoffwechsel während 
mehreren Tagen vorher bestimmt worden war, 2,2—2,5 °/, ihres Körpergewichts 
Blut — eine unverhältnismäßig größere Menge, als sie Bauer seinem Hunde 
entnommen hat, wenn man bedenkt, dass das Kaninchen eine viel kleinere 
Gesamtblutmenge besitzt als der Hund. Aber auch bei diesen Versuchen war 
das Resultat: durchaus keine Abnahme des Stoffwechsel, sondern 
im Gegenteil war hier eine geringe Steigerung desselben ent- 
schieden deutlicher zu erkennen, als bei den Versuchen mit 
infundierten Kaninchen. 

Der Vortragende kommt daher zu dem Schlusse, dass Blutverluste, nach 
denen die physikalischen Bedingungen für den Blutkreislauf erhalten bleiben, 
oder durch eine geeignete Ersatzflüssigkeit wieder hergestellt werden, bis zu 
einer gewissen Grenze bei Kaninchen keinen oder nur einen geringen Einfluss 
auf die Größen des respiratorischen Stoffwechsels, beziehungsweise auf die 
im tierischen Organismus verlaufenden Verbrennungsprozesse, jedenfalls aber 
keine Herabsetzung derselben zur Folge haben. Werde dagegen die Grenze 
überschritten, dann träten derartige Störungen im Leben der Versuchstiere 
auf und zwar offenbar wegen mangelhafter Sauerstoffzufuhr, dass diese in 
kurzer Zeit unter den Erscheinungen der Erstickung zu Grunde gingen. Die 
Grenze aber liege für Kaninchen bei Blutverlusten von über 3,5 °/, des Körper- 
gewichts, oder einer Abnahme der roten Blutkörperchen um mehr als zwei 
Drittel. Wolle man diesen Thatsachen noch eine weitere Deutung geben, so 
sei man erstens zu der Annahme berechtigt, dass der tierische Organismus 
dadurch den Blutverlust kompensiere, dass er das noch vorhandene Material 
besser ausnütze und stärker anstrenge, was aber nur bis zu einem gewissen 
Grade möglich zu sein scheine. Sodann liege in ihnen wiederum ein Beweis 
dafür, dass die tierischen Verbrennungen der Hauptsache nach nicht im Blut, 
sondern in den andern Geweben vor sich gehen müssten, 


Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. 


Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse 
vom 14. Juli 1892. 


Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner übergibt eine Abhandlung: „Unter- 
suchungen über den Einfluss der Lage auf die Gestalt der 
Pflanzenorgane. Erste Abhandlung: Die Anisomorphie der Pflanzen“. 
Es folgen hier einige Hauptergebnisse dieser Untersuchungen. 


4) Zeitschrift für Biologie, Bd. VIII, S. 583. 








Bernstein, Versuche über die Sauerstoffzehrung in den Geweben. 765 


4) Wenn es darauf ankommt, die einfachsten Beziehungen der Lage der 
Pflanzenteile zu ihrer Form zu beurteilen, so sind folgende typische Fälle der 
Lage zu berücksichtigen: 1. die orthotrope (oder vertikale), 2. die hemi- 
orthotrope (geneigt mit auf den Horizont senkrechter Symmetrieebene) und 
3 die klinotrope (oder schiefe) Lage. 

2) Diesen drei Lagen entsprechen drei Grundformen der Organe: Die 
regelmäßige (orthomorphe), die symmetrische (hemiorthomorphe) und 
die asymmetrische (klinomorphe) Gestalt. 

3) Die genannten Formen stehen zu den bezeichneten Lagen in kausaler 
Beziehung, und es entstehen unter dem Einflusse der Lage die entsprechenden 
Gestalten entweder in der ontogenetischen oder erst in der phylogenetischen 
Entwicklung. Es ist selbstverständlich, dass auch andere Momente auf die 
Organgestalten einwirken, so dass in manchen Fällen das hier aufgestellte 
Gesetz nicht strenge erfüllt erscheint. Auch ist die Reaktion der wachsenden 
Pflanzenteile gegen die Einflüsse der Lage je nach der Pflanzenart verschieden, 
so dass sich die genannte Beziehung in verschiedenem Grade ausprägen muss. 

4) Die wichtigsten durch die Lage verursachten Erscheinungen sind: 

a. die Epitrophie (oberseitige Förderung des Rinden-, beziehungs- 
weise Holzwachstums, Förderung oberseitiger Knospen und Sprosse 
an geneigten Aesten); 

b. die Hypotrophie (Förderung der Holzentwicklung, Knospen- und 
Sprossbildung an den Unterseiten geneigter Aeste; auch die Aniso- 
phyllie gehört hieher); 

ec. die Amphitrophie (Förderung der Sprosse an den Flanken der 
Muttersprosse). Dieselbe ist eine zweckmäßige Anpassuug reich- 
belaubter Bäume oder tiefbeschatteter Sträucher an die Beleushtungs- 
verhältnisse des Standortes; sie kommt entweder durch Verkümmerung 
der oberen und unteren Sprosse oder durch Vereinfachung der Blatt- 
stellung zustande, oder sie ist eine erworbene Eigenschaft. 

Die einseitige Förderung des Holzwachstums geneigter Sprosse kann auch 
wechseln. So ist das Holz der isophyllen Laubgewächse an geneigten Sprossen 
anfangs isotroph, dann epitroph, schließlich hypotroph. Bei anisophyllen Holz- 
gewächsen beginnt die einseitige Förderung mit Hypotrophie. 

5) Bei dem Zustandekommen der meisten der genannten Erscheinungen 
ist auch die Lage des betreffenden Organes zu seinem Mutterspross beteiligt. 

6) Die Gestalt der Teile unter dem Einflusse der Lage zu ändern, gehört 
zu den Grundeigentümlichkeiten pflanzlicher Organisation. In der vorgelegten 
Abhandlung wird diese Grundeigentümlichkeit der Pflanzen als Anisomorphie 
bezeichnet. 


Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte. Halle 1891. 


Herr Julius Bernstein (Halle): Weitere Versuche über die 
Sauerstoffzehrung in den Geweben. 

Ueber die Schnelligkeit und Intensität der Sauerstoffzehrung durch die 
verschiedenartigen Gewebe des Organismus habe ich vor einiger Zeit Unter- 
suchungen veröffentlicht!). Die Methode bestand im Wesentlichen darin, mög- 





1) Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Halle, 
1888. Ueber die Sauerstoffzehrung der Gewebe, S. 105. 


766  Berstein, Versuche über die Sauerstoffzehrung in den Geweben. 


lichst blutfreie Gewebsstücke des eben getödteten Tieres, fein zerkleinert, in 
gleichen Mengen mit einer bestimmten Menge derselben Blutlösung so lange 
in einem abgeschlossenen Fläschehen zu schütteln, bis die Reduktion des 
O-Hämoglobin spektroskopisch zu erkennen war. Es ergab sich erstens eine 
verhältnismäßig schnelle und kräftige O-Zehrung des frischen gegenüber dem 
durch Zeit oder höhere Temperatur abgestorbenen Gewebe und zweitens eine 
sehr verschiedene Schnelligkeit und Intensität derselben durch die mannigfachen 
Organe des Körpers. Unter den letzteren stand namentlich das Gewebe der 
Nierenrinde und des quergestreiften Muskels in erster Linie. 

Es muss nun weiterhin von hohem Interesse sein, zu ermitteln, in welcher 
Weise die Reduktion des O-Hämoglobins in den genannten Versuchen abläuft; 
denn es liegt ja auch in diesem Falle, wie überhaupt für den gesamten Oxy- 
dationsvorgang im lebenden Organismus, die wichtige und vielfach aufgeworfene 
Frage zur Entscheidung vor, ob die Oxydation vornehmlich in der Blutflüssig- 
keit oder in den Geweben selbst vor sich gehe. In letzterem Falle könnte es 
noch fraglich erscheinen, ob die lebenden Gewebselemente oder die Gewebs- 
flüssigkeit Sitz dieses Prozesses seien. 

Während einige Forscher aus der Gegenwart von reduzierenden Substanzen 
im Blute glaubten schließen zu können, dass die Oxydationen vornehmlich in 
dem Kapillarblute erfolgen, dass der O nicht in die Gewebe dringe, sondern 
durch reduzierende Produkte der Gewebe im Blute selbst verzehrt werde, 
haben Pflüger!) und seine Schüler dureh mannigfache Ueberlegungen und 
Versuche zu zeigen gesucht, dass der O des Blutes von der lebenden Substanz 
der Organe gebunden werde. So durchschlagend auch letztere gewesen sind, 
so blieb doch noch die Möglichkeit offen, dass die Verbrennungen in dem 
Parenchymsafte erfolgen. 

Da nun die O-Zehrung des überlebenden Gewebes der des lebenden Körpers 
außerordentlich nahe kommt, so war es eine dankbare Aufgabe, zu ermitteln, 
wie es sich mit diesem Vorgange verhält, da in diesem Falle die Entscheidung 
auf streng experimentellem Wege gefällt werden kann. Wenn nämlich die 
Reduktion des O-Hämoglobins in diesen Versuchen in der Weise erfolgt, dass 
reduzierende Substanzen aus den Geweben in die Flüssigkeit diffundieren, so 
müsste sich nachweisen lassen, dass beim Schütteln der Gewebsmassen in 
einer geeigneten Flüssigkeit ohne Gegenwart von Hämoglobin so viel redu- 
zierende Substanzen sich darin auflösen, dass diese Flüssigkeit, von den Ge- 
weben getrennt, eine entsprechende Menge von O-Hämoglobin ebenso oder 
annähernd so schnell reduz ert, wie die Gewebe selbst. Da die angewendeten 
Blutlösungen etwa Aprozentig waren und 0,6°/, CINa enthielten, so ist es klar, 
dass eine 0,6°/, CINa die geeignete Flüssigkeit ist, weil außer dem Hämoglobin 
die geringe Menge der übrigen Blutbestandteile in einer 4prozentigen Blut- 
lösung als Null zu betrachten ist. 

In den ersten Versuchen dieser Art wurden kleine Mengen frischer Muskel- 
substanz (1—3 g Froschmuskel) mit etwa 5 cem der CINa-Lösung in einem 
Fläschchen geschüttelt, so lange und noch etwas länger, als in einem zweiten 
geschlossenen Fläschchen durch eine gleiche Quantität in etwa 5 cem Blutlösung 
von 1°), eine vollständige Reduktion stattgefunden hatte. Dann wurde die 
Flüssigkeit aus dem ersten Fläschchen abfiltriert und in einem dritten Fläschehen 
mit soviel Blutlösung vermischt, dass die Mischung etwa 1°/, Blut enthielt. 





4) Ueber die physiologische Verbrennung in den lebenden Organismen. 
Plüger’s Archiv, X, 1875, S. 251 u. s. w. 


Bernstein, Versuche über die Sauerstoffzehrung in den Geweben. 767 


In diesem dritten Fläschchen trat meist bis zum nächsten Tage keine Reduk- 
tion ein. Auch wenn man Muskelsubstanz in CINa-Lösung möglichst aus- 
quetscht und die abfiltrierte Flüssigkeit in ähnlichen Mengen mit Blutlösung 
mischt, tritt selbst nach 9 Stunden keine Reduktion auf. 

Gegen diese Versuche könnte man aber noch den Einwand erheben, dass 
beim Ueberfüllen und Filtrieren der Muskelflüssigkeit schon die Oxydation der 
darin vorhandenen reduzierenden Stoffe an der Luft stattgefunden habe. Es 
musste daher diese Operation unter Luftabschluss vorgenommen werden. 

Zu diesem Zwecke wurde folgender Apparat benutzt. Zwei Glaszylinder!) 
von etwa 30 em Länge und 22 mm Durchmesser wurden nebeneinander senk- 
recht in Haltern befestigt. Dieselben gehen oben und unten in Röhren über, 
welche mit eingeschliffenen Glashähnen versehen sind. Die oberen Hähne haben 
eine gerade Durchbohrung und werden durch ein 4 -förmiges Rohr mittels 
Kautschukstücken mit einander verbunden. Die beiden unteren Hähne besitzen 
eine rechtwinklige, nach außen führende Bohrung, die jederseits in ein Rohr 
übergeht. Der Zylinder 1 ist dazu bestimmt, um etwa 20 g frische zerkleinerte 
Muskelsubstanz aufzunehmen. Der übrige Raum desselben wird mit etwa 
110 cem 0,6 prozentiger ClNa-Lösung ausgefüllt. Der untere Hahn dieses 
Zylinders wird durch einen Kautschukschlauch mit einem Quecksilberdruck- 
gefäß verbunden und der ganze Raum bis zum Zylinder mit Hg gefüllt. Der 
Zylinder 2 dient zur Aufnahme der Blutlösung. Derselbe wird zunächst mit 
Hg ganz angefüllt, und dann werden etwa 20 cem einer 5prozentigen Blutlösung 
durch Abfließen des Hg von oben her eingesogen. Alsdann wird das Verbin- 
dungsrohr aufgesetzt und mit CINa-Lösung versehen. In demselben liegt un- 
mittelbar über dem Zylinder 2 ein Asbestpfropf. 

Nachdem nun in dem Zylinder 1 die Muskelmasse mit der CINa-Lösung 
genügend lange Zeit digeriert worden ist (über 30 Minuten), beginnt die Ueber- 
füllung der Flüssigkeit durch Hg-Druck in den Zylinder 2, während aus diesem 
das Hg abfließt. Es findet daher die Vermischung dieser Flüssigkeit mit der 
Blutlösung ohne Luftzutritt statt. Der Asbestpfropf verhindert das Ueber- 
treten von Muskelstückchen in den Zylinder 2. 

Das Resultat dieses Versuches bestand darin, dass innerhalb 10 Stunden 
eine Reduktion der Blutlösung nicht eingetreten war. Daraus kann gefolgert 
werden, dass die Reduktion des O-Hämoglobins nicht durch redu- 
zierende Substanzen erfolgt, welche aus den Geweben in die 
umgebenden Flüssigkeiten diffundieren, sondern dass der O in 
die Substanz der Organelemente eintritt, um dort assimiliert 
und zu Oxydationen verwendet zu werden. 

Man könnte Zweifel hegen, ob die O-Zehrung des überlebenden Gewebes 
für diejenige des lebenden Organismus maßgebend sei. Es lässt sich aber 
nachweisen, dass die Intensität beider Vorgänge nahezu dieselbe ist, ja sogar 
im überlebenden Gewebe als eine maximale auftritt. Es wurde in besonderen 
Versuchen die O-Menge ermittelt, welche in einer bestimmten Zeit von dem 
überlebendem Gewebe dem Blute entzogen wird. Zu diesem Zwecke wurde 
eine abgewogene Quantität zerkleinerter frischer Muskelsubstanz mit einer ab- 
gemessenen Quantität von defibriniertem Blute desselben Tieres unter Abschluss 
so lange digeriert, bis die Reduktion vollendet war. Man kann den Versuch 
in einer Flasche von passender Größe vornehmen, indem man den oberen Teil 
derselben mit reinem farblosen Oel füllt. 





4) Zwei Schüttelröhren von Geißler. 


768 Anzeige, 


Man beobachtet hierbei sehr schön das Absorptionsspektrum, indem man 
durch Neigen der Flasche eine dünne Blutschicht an der Wandung herstellt. 

Versuche mit Froschmuskel und Froschblut (zu 10°/, O-Gehalt, bei 0° und 
760 mm Hg) ergaben, dass 100 g Muskel in einer Stunde etwa 7,8 cem O ver- 
zehren würden. Nach Versuchen von Regnault und Reiset verbrauchen 
aber 100g Frosch in minimo 4,19 und in maximo 7,34 cem ©. 

Sicherer lässt sich die Beobachtung und Berechnung mit größeren Quan- 
titäten vom Säugetier anstellen. Es verzehrten 100 g Kaninchenmuskel in 
einer Stunde etwa 70 bis 83 cem OÖ. Unter den Zahlen von Regnault und 
Reiset finden wir aber für 100 g Kaninchen ähnliche Werte vor und zwar in 
maximo 76,5 cem 0. 

Es ist leicht erklärlich, dass wir für den Muskel zu höheren Werten ge- 
langen, als für das Gesamttier, da ja der Muskel zu den stärksten Sauerstoff- 
konsumenten unter den Organen gehört. 





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In unserem Verlage erschien soeben: 


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Assistenten des II. Anatom. Instituts Berlin. 
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Inhalt: Einleitung. 

I. Beschreibender Teil. A. Rückenmark. B. Gehirn: a. Nachhirn; 
b. Hinterhirn; ec. Mittelhirn; d. Zwischenhirn; e. Vorderhirn. C. Häute des 
Gehirns und Rückenmarkes. 

II. Vergleichender Teil. A. Das epichordale Gehirn. B. Das prae- 
chordale Gehirn. 41) Zwischenhirn. 2) Vorderhirn: a. Lobus hippocampi; 
b. Hemisphärenbildung; e. Pallium ; d. Lobus postolfaetorius; e. Lobus olfactorius. 
C. Die Phylogenie der Gehirnzellen. D. Uebersicht der phyletischen Entwicklung 
des Gehirns. E. Metamerie und Segmentation. Litteraturverzeichnis. Tafel- 
erklärung. 





Register, Inhaltsverzeichnis und Titelblatt zum XII. 
Bande des Biolog. Centraibl. liegen dieser Nummer bei. 








Dieser Nummer liegt ein Prospekt der Firma T. O. Weigel Nachf. in 
Leipzig bei, betreffend Verzeichnis im Preise ermässigter Werke aus dem Ge- 
biete der Naturwissenschaften. 








Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. 
bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. 








Alphabetisches Namen -Register. 


Ambronn 479. 
Apäthy 108. 
Apstein 484, 671. 
Arnold 49, 89, 298. 
Arnstein 37, 49. 
Äscherson 2357. 
Asper 172, 484. 
Ayoama 303. 


Balbiani 282 fg. 
Ballowitz 635. 
Banzer 327. 
Barfurth 304. 
Barrais 203. 
Barreswil 454. 
Bartlest 183. 
Bauer 764. 
Baum 703. 
Baume 632 fg. 
Baumgarten 352. 
Baur 221. 
Beeccari 134. 
Bechhold 534. 
Bechterew 62, 368, 691, 
699. 

Behring 312, 354 fg. 
Behrung 255. 
Belt 137. 
Beltzow 303. 
Belzung 170, 197. 
van Beneden 284 fg. 
Benecke 183, 612 fg. 
Bentham 709. 
Berdez 698. 
Bergheim 61. 

IT 


Bernardini 696. 

Bernstein 765. 

Berthold 72, 84, 99, 101, 
530 fe. 

Beyerinck 258. 

Bidder 38. 

Biedermann 37. 

Billroth 448. 

Birge 103. 

Birula 637. 

Bitter 352. 

Blanchard 726. 

Blochman 201. 

Bohlin 1095. 

Boie 464. 

Bokorny 322, 482, 708. 

Bonnet 73. 

Bonnier 133. 

Bonoine 354 fg. 

Borgherini 371, 477. 

Born 356. 

Boulger 676. 

Boussingault 705 fg. 

Boveri 284. 

Bower 138. 

Bowmann 12. 

Boyd 670. 

Braun 438. 

Braune 670. 

Brehm 718. 

Breisacher 369. 

Brieger 250. 

Broca 670. 

Brown -S&quard 370. 

Brücke 25, 66. 

v. Brunn 635. 


Brugia 478. 

Bruns 61. 

Buchholz 41. 
Buchner 348 fg., 703. 
Bugnion 461. 

Bunge 342. 
Burchhardt 311. 
Burck 131 fg. 
Burmeister 632. 
Büsgen 134. 
Butschinski 8. 
Bütschli 52, 531, 535. % 


Cabanis 149 fg. 
de Candolle 676. 
Canizzaro 695. 
Capparelli 351, 606. 
Carnoy 282, 294 fg. 
Cattani 361. 
Chabry 530. 
Chaveau 310 fg. 
Chor 361. 
Christmas 353, 361. 
Clark 184. 
Claus 41, 57, 502, 562. 
Colin 675. 
Commelyn 137. 
Configlio 698. 
Cope 406, 628, 630. 
Cornil 298, 303. 
Correns 163, 427 fg. 
Corti 39. 
Cramer 100. 
Croneberg 689. 
Cunningham 366. 
49 


770 


Dalmer 196. 
Dames 151. 
Dammer 257, 395 
Darwin 222, 245, 711. 
Davaine 331. 
Davy 456. 

van Deen 206 
Deiters 38 fg. 
Delpine 131 fg. 
Demarbaix 303. 
Dendy 158. 
Denys 293, 303. 
Despretz 468. 
Dessoir 692. 
Dippel 163. 
Dodel 387. 
Dodel-Port 83. 
Dogiel 37, 45. 

de Dominieis 606. 
von Drasche 267. 
Dreyer 528, 555. 
Driesch 528, 545. 
Dufour 334. 
Dujardin 561. 
Dulong 468. 
Dybowski 144, 626 fg- 
Dutrochet 427 fg. 
Dyrmont 342. 


Eberdt 166, 200. 
Eberth 451 
Ebner 26. 
Eckhardt 759. 
Edwards 675. 
Ehrenberg 561. 
Ehrlich 37, 310. 
Eichel 365. 
Eimer 272 fg. 
Eisig 6. 
Emmerich 353. 
Enderlen 363. 
Engelmann 9 fg., 460, 745, 
92: 
Erben 718. 
Ernst 366, 682 
Errera 424. 
Ewald 477. 
Exner 9, 17. 


Falk 342. 
Falkenberg 101. 


Famintzin 51 fg. 
Fatio 209 fg. 
Faussek 1. 

Fayod 385. 

Fere 62. 

Ferguson 478. 
Flechsig 37. 
Fleischmann 406. 
Flemming 281 fg. 
Flügge 352. 

Foä 354. 

Fodor 316 fg., 353, 407. 
Fol 286 fg. 

Forbes 153, 203. 
Forel 200, 513, 663. 
Fotker 365. 

Fraisse 208. 

Frank 312, 343, 435 fg. 
Frankl - Hochwart 61. 
Frederieq 15. 
Frenzel 3, 108, 304. 
Freud 39 fg. 

Friese 573 fg. 
Fritsch 629, 634. 
Fritze 203. 
Fürbringer 146, 722. 
Fusari 41. 


Gad 43. 

Gaffky 342. 
Gallerani 371, 477. 
Garrod 156 fg. 
Gaudry 625 fg. 
Geberg 297. 
Geelmuyden 303. 
Gegenbaur 152, 727 fg. 
van Gehuchten 697, 759 fg. 
(Gerlach 38, 297. 

v. Gerlach 9. 
Giebel 625, 729. 
Giorna 211. 

Glaser 719. 

Goebel 139. 

Goette 159. 

Golgi 36 fg., 759 fg. 
Goodcehild 155. 
Göppert 303. 

Gosse 562. 

Götte 714 fg. 
Gottstein 355. 


Alphabetisches Namenregister. 


Greeff 373. 

Gries 194. 
Griesebach 222, 678. 
Grohmann 346, 354 fg. 
Grosse 491. 

Grube 55. 562 
Gruber 374. 
Gscheidle 346. 

de Guerne 203. 
Günther 245. 
Gürber 762 fg. 
Guignard 290, 390. 


Haacke 408. 

Hackel 616. 

Haasler 352. 

Haeckel 157 fg., 728. 

Hafkine 361. 

Hagen 527. 

Haldane 762. 

Haller 451, 454. 

Haller -Bela 38. 

Hamburger 344. 

Hankin 361. 

Hannover 41. 

Hansemann 298. 

Hansgirg 84, 97, 106. 

Hariot 99. 

Harless 451. 

Haswell 190. 

Hatschek 730 fg. 

Heckel 211. 

Hedon 607. 

Heidenhain 689. 

Heider 63. 

Hellich 172, 176. 

Helmholtz 38, 541. 

Henika 699. 

Henke 354. 

Henking 2, 297, 304. 

Henneguy 291 fg. 

Henning 3. 

Hensche 451, 465. 

Hensen 160, 487 fg. 

Hermann 38, 290 fg., 745. 

Hernandez 137. 

Herrik 203. 

Hertwig 298, 407, 556, 
632 fg., 740. 

Hess 298, 303, 351, 





Alphabetisches Namenregister. 


Heuscher 484. 
Heusinger 456. 
Hieronymus 72. 
Hildebrandt 257, 399. 
His 37 fg., 759 fg. 
Hodge 60, 

Hoesel 61. 
Hofmeister 745, 747. 
Holm 369, 694. 
Hooker 222, 709. 
Howes 451. 

Huber 218. 

Hudson 491. 
Humboldt 675 fg. 
Huth 133. 

Huxley 150, 156. 


Jäger 718. 

Jahne 367. 

James 696. 

Janczewski 79. 

Ibener 363. 

Jeffries 155. 

Jensen 556. 

Imhof 171 fg., 200, 484, 
492, 499, 512, 521, 560, 
716. 

Ischikawa 183. 


Kabrehl 344. 

Kabsch 427 fg. 
Kalischer 63. 

Keller 161, 194, 385. 
Kennel 457, 462 fg. 
Kerbert 268, 277. 

Kerner 132, 621 fg., 675. 
Kessler 149. 

Key, Axel 45. 
Kianowsky 345. 

King 204. 

Kingsley 8. 

Kionka 339. 

Kirchner 98, 107. 
Kitasato 250, 343 fg., 365. 
Klaatsch 410. 

Klebs 297. 

Klemperer 311. 
Klingberg 541. 

Kner 211. 


Koch 342. fg. 

Kocher 69. 

Kochs 330, 599. 

v. Kölliker 33, 289, 690, 
759 fg. 

Kolossow 87, 

König-Warthausen 724. 

Kopp 69. 

Korotneff 261. 

Korschelt 63, 501. 

Kowalewsky 261 fg., 630, 
730 fg. 

Kraus G. 329. 

Kreidl 696. 

Kruckenberg 454. 

Kühne 743. 

Kükenthal 400, 555, 626 fg. 

Kupffer 183 fg. 

Kurloff 345. 

Kützing 75. 


Lagerhelm 107. 
Lähr 352. 
Lande 58. 
Lang 41. 
Lange 371. 
Langendorff 313. 
Langhans 69. 
Langley 368. 
Lankaster 6. 
Lazarus 365. 
Lebedinski 7. 
Lehmann 365 fg. 
Lendenfeld 58, 551. 
Lendl 126 fg. 
Lenhossek 39. 
Leube 253. 
Leubuscher 345. 
Leydig 38, 205 fg., 277 f8., 
444, 721. 
Lieberkühn 567, 714. 
v. Linden (Gräfin) 527. 
Lindenfeld 56. 
Loeb 545 fg. 
Loew 322 fg., 483. 
Löffler 342. 
Loman 6. 
Lombroso 670. 
Looss 209, 447. 
Löwit 303 fg. 


Lubarsch 352, 362. 
Ludwig 133. 
Lüroth 394. 

Lwoff 729. 


Maas 566. 
Macfadyen 342 fg. 
Maggi 172. 
Magitot 626 fg. 
Magnus 440, 680. 
di Mattei 353. 
Maregravius 136. 
Marchi 697. 
Marsh 147, 203, 411, 728. 
Marshall 155, 715, 729. 
Martin 40, 29, 69, 
760 fg. 
Martinotti 43. 
Matthiessen 541. 
Maupas 420. 
Mayer. 205, 206, 219, 705. 
Meckel 206. 
Menzbier 269. 
Mering 606. 
Merkel 219. 
Metschnikoff 105, 350. 
Meves 302. 
Michelsohn 61. 
Michlawsky 62. 
Mikosch 166. 
Miller 342 fg. 
Milne Edwards 150, 222. 
Minchin 567. 
Mingazzini 268. 
Miekowski 606. 
Mislewski 368. 
Mitschell - Prudden 364. 
Mitsukuri 183. 
M’Lachlan 527. 
Möbius 71 fg., 97 fg. 
383 fg., 609, 673, 713. 
v. Mohl 126. 
Molisch 441. 
Mönnich 541 tg. 
Montgomery 745. 
Morin 2. 
Müller F. 136, 156. 
Müller H. 39, 576. 
Munk 369. 
Mya 362. 
49* 


12 


Naegeli 167. 

Nagel 754. 

Nansen 38, 416. 

Nasse 13 fg., 701. 
Nathusius 723 fg. 
Nissen 348 fg., 354 fg. 
Nitzsch 149, 156 fg., 726. 
Nobbe 322. 

Noll 317, 214,248: 
Nördlinger 681. 
Nordstedt 104. 

Nori 478. 

Nusbaum 54. 
Nussbaum 8, 461. 
Nüsslin 212. 

Nuttall 348, 353 fg. 


Ogata 361. 

Ogle 678. 

Ogneff 689. 

Oka 265. 

Osborn 406, 628, 630. 
Ott 477. 

Overdieck 680. 
Overton 389. 

Owen 156, 406. 
Owsjanikow 41. 


Panesci 41. 
Panizza 209. 
Parker 147. 
Patten 8. 
Pavesi 172. 
Pawlowski 352. 
Pembrey 762. 
Peschel 222. 
Pettenkofer 762. 
Petr 142. 
Petruschky 352 fg. 
Pfeffer 426, 536. 
Pfeiffer 254. 
Pfitzner 294. 
Pflüger 555, 766. 
Pictet 527. 
Piso 136. 
Plateau 6, 528 fg. 
Platner 304. 
Porter 245. 
Preyer 331, 423 fg. 
Pringsheim 78 fg., 101 fg., 
322. 


QAuinke 378 fg. 


Rabenhorst 103. 

Rabl 282 fg., 289 fg., 759. 
Ramön y Cajal 36 fg., 46. 
Ranvier 39, 94. 

vom Rat 304. 

Rauber 282. 

van Rees 262 fg. 
Regnault 768. 
Reichenbach 3. 
Reichenow 150, 723. 
Reinke 78, 303. 

Remak 39. 

Renaut 13. 

Reichet 768. 

Retzius 37 fg, 413, 761. 
Ribbert 352. 

Richard 203. 

Richter 63, 367. 
Rindfleisch 38. 

Robin 38. 

Röder 363. 

Rohr 41. 

Rollet 8, 753. 

Romanes 331. 

Röse 624, 635. 

Rösel 205 fg., 721. 
Rosenthal 280. 

Rössler 6. 

Rütimeyer 630. 


Sachs 187, 318, 534, 623, 
673. 

Sala 43. 

Salviani 212. 

Sanarelli 362. 

Sarasin 215, 448. 

Sarlo 696. 

Schacht 618, 679. 

Schaffer 367. 

Schenk 708. 

Schewiakoff 51, 294 fg. 

Schimper 133 fg., 167, 193. 

Schlegel 151. 

Schlicht 435. 

Schlosser 628, 630. 

Schmidt- Mühlheim 367. 

Schneider 30, 688. 

Schottländer 298, 303. 


Alphabetisches Namenregister. 


Schrader 370. 

Schramm 39. 

Schuberg 488 fg., 718. 

Schultz 459, 467. 

Schultze M. 39, 289, 759. 

Schulze 206, 566. 

Schumann 138. 

Schütt 107. 

Schwalbe 43. 

Schweinfurth 138. 

Selater 153. 

Scott 683. 

Seeck 459 fg. 

Seligo 507. 

Seman 531. 

Sgobba 476. 

v. Siebold 209, 450, 455. 

Smirnow 37. 

Sobotta 26. 

Solbrig 38. 

Solger 212 fg., 289. 

Soltwedel 298. 

Sorauer 677, 683. 

Spalitta 698. 

Spallanzani 342, 464 

Spanbok 478. 

Spener 30. 

Spengel 41. 

Stahl 556. 

Stern 341, 349, 357 fg. 

Stieda 41. 

Stöhr 340. 

Stokvis 702. 

Strasburger 163 fg., 282 fg., 
298,393. 

Strasser 147. 

Ströbe 298, 303. 

Strömfeld 72. 

Studer 150, 203. 

Sturany 6. 

Sundervall 154 fg. 

Swammerdam 206. 


Täker 630. 
Tandon, M. 55. 
Thomas 34, 205. 
Tizzoni 361. 

de Toni 103. 
Topinard 670. 
Topsent 567. 





Alphabetisches Namenregister. le 


Traube 346. Wagner R. 38, 726. Wille 83. 

Traxler 142. Waldeyer 231. Winogradsky 442. 

Trelease 136. Wallace 222. Wolfskehl 541. 

Turner 370. Walter 206, 381. v. Wolkoff 706. 
Warburg 129 fg, Wollny 679. 
Wartyuski 699. Wooldridge 357. 

Valentin 542. Wasmann 120 fg., 584, 638, Worgitzki 711. 

Vehdovski 289. Wassermann 250. Wortmann 710. 

Verson 304. Watase 8. Wurtz 343. 

Verworn 744fg. Weber M. 203. Wurz 365. 

Vialleton 289 Weichselbaum 340. Wyssokowitsch 347. 

Virchow 694. Weigert 352. 

Voegler 426. Weismann 159, 390, 418. 

Voeltzkow 203. Wenckebach 183. 

Voit 762. Werner 268, 303. Zacharias 284, 294, 480, 

Vosmaer 597. Wesener 342. 507, 671. 

Vosseler 502. Westermayer 329. Zagani 345. 

de Vries 438. Wettstein 130. Zander 2831. 
Wiedersheim 410,459, 718. Ziegler 3, 304. 
Wierzejski 142, 176. Zimmermann 193 fg., 534. 

Wacker 199. Wiesner 166, 431, 764. Zoth 17. 


Wagner M. 222, 345. Will 182 fg. Zykoft 713. 


Alphabetisches Sachregister. 


A. 


Abies pectinata 617. 

Acacia 135; A. sphaerocephala 138. 

Acanthocystis 173 fg.; A. turfacea 174; 
A. viridis 174. 

Accipitres A50 fg. 

Acetabularia Mediterranea 101. 

Achromatische Spindel 294 fg. 

Acineta elegans 170; A. robusta 170. 

Acrochaete repens 103. 

Acroperus leucocephalus 180. 

Actinophrys sol 174 fg., 505 fg. 

Actinosphaerium Eichhorni A474 fg., 
746. 

Adenostylis Cacaliae 675. 

Aesculus Hippocastanum 680. 

Afterschaft (Hyporrhachis) 152. 

Afterspinnen 1 fg. 

Agave Americana 614. 

Aglaophenia pluma 547 fg. 

Aglaophyllum eiliolatum 76. 

Aglaozonia reptans 79. 

Ailanthus glandulosa 617. 

Alaria 79. 

Alca tarda 269. 

Alcen, system. Stellung zu den Pin- 
guinen 268 fg. 

Alcidae 153, 724 fg. 

Alectorolophus maior 199. 

Aleuronkörner, Entstehung 197. 

Alexine 704. 

Algaroba 233. 

Algen, haarartige Organe 71 fg., 97 fg. 


Allolobophora arborea 57; A. foetida 57; 
A. mucosa 57; A. subrubicunda 57; 
A. turgida 56. 

Allurus tetraädrus 57. 

Alnus glutinosa 617. 

Alona quadrangularis 
Weinecke 204. 

Alonopsis elongata 180. 

Alosa finta 201. 

Alsidium 74. 

Amblyrrhynchus 233. 

Ameisen, Nester und Kolonien, Diebs- 
124, Gast- 124, Hilfs- 123 fg., 125, 
-gäste 585. 

Ameisenpflanzen 129 fg. 

Amitotische Kemteilung 301 fg. 

Amoeba cerystalligera 383 fg., flava 384, 
fluida 374, radiosa 384, verrucosa 
384, villosa 374. 

Ammoniak, Einfluss 
bewegungen 434. 

Amoora myrmekophila 138. 

Amphibien, brünstige 205 fg. 

Amphimixis 390, 421. 

Amphioxus lanceolatus 159, 415, 723. 

Amphotis marginata 668. 

Amusie 62. 

Anabaena eircinalis 173, oscillarioides 
506 fg. 

Anabiose 331. 

Anacardiaceae 740. 

Anas 729. 

Andrena orina 582. 

Andropogon Ischemum 686. 


180, 209; A. 


auf Pflanzen- 


Sachregister, 


Anergates astratulus 125. 

Anguis fragilis 358, 367. 

Anisomorphie der Pflanzen 764. 

Anonaceen 712. 

Anseres 154, 727. 

Antagonismus, der Gifte 700. 

Antennendrüsen der Crustaceen 6. 

Antennularia ramosa 550, 554. 

Anthodon 402. 

Anthropogenie 157 fg. 

Antipyrese 63. 

Anuraeadae 177. 

Anuraea aculeata 177, 490, 504, 508 fg , 
565; A. a. resupinadb3, acuminata 
508 fg., biremis 563, cochlearis 176, 
490, 504 fg., 565, ce. pellucida 563, 
e. regalis 177; intermedia 176, longi- 
spina 508 fg., 565, stipitata 176, 
tecta 176, tuberosa 176, vulgaris 569. 

Anthrophora personata 574, 579. 

Antithamnion erispum 75; A. plumula 
75; A. seirospermum 75. 

Anthracotherium 630. 

Apfelsäure, Beziehung zu 
tozoiden 426 

Aphagie 370. 

Aphanochaete 84, repens 98, globosa 104. 

Aphasie 62. 

Aphiden 4. 

Aphrodite 414. 

Apocynaceae TA3. 

Apocynum Venetum, Strukturverh. der 
Zellmembran 166. 

Aptenodytes 270. 

Arachnoidea 200. 

Araceae 710. 

Aranoiden 2 fg. 

Archaecoptery& 152, 155, 725 fg. 

Arenicola 414. 

Argulidae 182. 

Argulus foliaceus 182. 

Argus 156. 

Armschwingen (Secundariae) 154. 

Artemia salina 417. 

Arthrodesmus 105. 

Arthropoda ATS fg. 

Ascandra 60. 

Ascarina 200. 

Ascaris megalocephala 2834, 283, 294. 

Ascetta 60, clathrus 571. 

Asclepiadaceae 710. 


Sperma- 


775 


Ascocyclus orbiceularis1; Myrionema 82. 

Asconidae 59. 

Aspergillus fumigatus 343, 358. 

Asperococcus 81. 

Asplanchna 504, anglica 176, Brightwelli 
176, Girodi 176, helvetica 176, prio- 
donta 176, Imhofi 203. 

Astacus 3; A. fluviatelis 11, 19. 

Asterionella 173, gracıllima 490, 505 fg. 

Atax crassipes 260, spinipes 200. 

Ataxie, bei Hirntumoren 61. 

Attraktionssphäre 237 fg. 

Atemeles cavus 650, emarginatus 641 fg., 
659, paradoxus 641, 659. 

Atheia 671. 

Atmungs-Hemmung 699, -Intensität bei 
Sehattenpflanzen 705, -Zentrum 699. 

Auge, optischer Bau des Wirbeltier-A, 
540. 

Aulostomum 668 ; gulo BAfg.; A.yg. var. 
fuliginosa 54; A. g. v. Grubei 55; 
A. g. v. Lithuanica 54; A. g. Vv. 
sinuata 55; A: 9. V. taeniata 54; 
A. g. v. umbrinad5; A. umbrinum 55. 

Avena flavescens 707. 

Axena versicolor 200. 

Axenzylinderfortsatz 42 tg. 


B. 


Bacillariaceen 107. 

Bacillus acidi lactiei 358, anthracis 364, 
aquatilis 359, butyricus 345, erassus 
sputigenus 358, cuniculicida 398, fluo- 
rescens liquefaciens 359, foetidus 359, 
indieus ruber 358, megaterıum 359, 
Neapolitanus 366, oxytokus perni- 
ciosus 358, pneumoniae 358, prodigio- 
sus 359, pyocyaneus 358, subtilis 
358 fg. 

Bakteriologische Untersuchungsmetho- 
den 317. 

Bacterium coli commune 345, 358. 

Balaena boops 625. 

Balaenoptera musculus 626; B. Sıb- 
baldii 540. 

Ball’sche Körperchen 155. 

Bambusa 612, arundinacea 618. 

Bananen 615. 

Barteria 138. 


716 


Batrachospermum moniliforme 76; B. 
vagum 76. 

Bauhinia 712. 

Badelloidea 176. 

Becherzellen 691. 

Begoniaceae 710. 

Berberis 432 fg. 

Berührungsgeruch (odeur au contact) 
b63a ‚un 

Bewegungsorgane, Anatomie d. B. bei 
den Vögeln 146 fg., 722 fg. 

Biastes 583. 

Bienen, biologische Verhältnisse der 
wilden B. 572, Beinsammler-B. (Podi- 
legidae) 573, Bauchsammler-B. (Ga- 
strilegidae) 573 fg, Schmarotzer-B. 
581 fg. 

Bignoniaceen 131, 710, 712. 

Biologie, Beziehungen zur Systematik 
395 ; Biologische Untersuchungen 413. 

Blastaea 118. 

Blätter, panachierte 105, sterile 101. 

Blattläuse, Verh. zu den Ameisen 134. 

Blattschneideameisen 137. 

Blechnum occidentale 426. 

Blix’sche Punkte 693. 

Blühen, hindernde und fördernde Mo- 
mente 609, 673. 

Blut, antibakterielle Eigenschaft 346 fg. 

Blutgefäße, Endothel 93. 

Blutverlust, Einfluss auf den respira- 
torischen Stoffwechsel 762. 

Bombinator 462, bombinus 722. 

Bomby& mori 304. 

Bonnemaisonia 75. 

Borago officinalis 686. 

Bosmina 181, 504; B. Berolinensis 179; 
B. bohemica 179; B. brevirostris 179; 
B. coregoni 179, 503, 508 fg.; B. c. 
cornuta 508 fg.; B. ce. humilis 179; 
B. c. intermedia 179; B. cornuta 
179, 490, 503; B. crassicornis 179; 
B. diaphana 479; B. Dollfusi 179; 
B. gibbera 179, 490, 503, 508 fg.; 
B. Kessleri 179; B. lacustris 179, 
B. laevis 179; B. Lilljeborgi 179; 
B. Lillj. bavarıca 179; B. longi- 
eornis 179; B. longirostris 179; B. 
longispina 179; B.1. Ladogensis 179; 
B. minima 179; B. styriaca 179; 
B. Thersites 179. 


Sachregister. 


Bostrichia 175. 

Bougainvillea spectabilis 710. 

Brachionus Bakeri 565, brevispinus 565, 
Muelleri 563. 

Branchipus 337. 

Bredemeyera 712. 

Brehm’s Tierleben 699. 

Brunstwarzen bei Amphibien 
Fischen 219. 

Brunstzeit, Veränderungen in der B. 
bei Fischen und Amphibien 205 fg. 

Bucconidae 153, 157. 

Buceros 729 fg. 

Buche, Blühen der B. 679. 

Bufo calamita 457, 462, 464, 722, ci- 
nereus 456, japonicus 456, variabilis 
462 fg., viridis A461, vulgaris 456 fg. 

Bulbochaete 86; B. elatior 86. 

Bulbocoleon piliferum 86. 

Bulbus olfactorius 697, feinere Struk- 
tur 759 fg. 

Burek’sche Becher, Körperchen 135. 

Büttneria australis 710. 

Bürzeldrüse (Gldl. uropygialis) 156. 

Buteo galapogoensis 239. 

Bythotrephes longimanus 180. 


und 


C. 


Cactaceae 710. 

Cactornis 230 fg 

Gaesalpiniaceen 712. 

Calameae 710. 

Calanidae 481 fg. 

Calligonum 259. 

Callithamnion 79. 

Calophysca 140. 

Calothrix fusca 106, pilosa 106, pul- 
vinata A06. 

Camarhynchus 249, 

Camponotus ligniperdus 648, 668, penn- 
sylvanicus 650, pietus 690 

Campylodiseus noricus 505, 508 fg. 

Candona Ahlefeldi 204. 

Canna gigantea 168. 

Canthium 138. 

Canthocamptus 203. 

Caprimulgidae 153. 

Carinaten 152. 

Carpinus betulus 617. 

Carterius Stepanovii 142 fg. 








Sachregister. N 


Castanea vesca 617. 

Castrada radiata 56. 

Casuartidae 154. 

Catalpa 131. 

Cathypna luna 565. 

Cecropia 135. 

Celastraceae 710. 

Centaurea 131, 435, 

Ceramiaceen 75. 

Ceramium eiliatum 75; Ü. eircinatum 
75; ©. elavulatum 75; ©. echinatum 
75; ©. rubrum 75. 

Cerastoma cornutum A fg. 

Ceratine 578. 

Ceratium A72, cornutum 175, fusca 175, 
f.lacustris 175, hirudinella 490, 505fg.., 
h. glaronensis 175, h. montana 175, 
reticulatum 175. 

Ceratodus 634. 

Ceriodaphnia 180; O©. megops 179; 0. 
pelagica 179; C. pulchella 179; ©. 
punctata 179; CO. laticaudata 203. 

Oerthidia 247, cinerascens 2471, fusc« 
247, olivacea 247. 

Cetonia aurata, 
Saccharin 758. 

Chaetoceras 107. 

Chaetonema irregulare 98. 

Chaetophora 84. 

Chalarothoraca A74. 

Chalicodoma 574. 

Chamaedorea desmoncoides 719. 

Chamaesiphonaceen 106. 

Chantransia 76. 

Characeen, Haare der Ch. 99. 

COhara crinita 99, hispida 99. 

Chemotropismus 748. 

CUhenopodium bonus Henricus 169. 

Ohimaera 6934. 

Chinin-Bisulfat 755 fg.; -Hydrochlorat 
298: 

Chironomus 4, 201, 282. 

Chloralhydrat, Geschmacks - Wirkung 
bei Tieren 758. 

Chlorophyceen 83, 101 fg. 

Chlorophyll-Bänder, Verhalten in Nähr- 
lösung 324 fg. ; Ch.-Körper bei Leber- 
moosen 196; Ch., Eisengehalt 443. 

Chloroplastiden 171. 

Chlorose bei Pflanzen 448. 

Ohoeropotamus 630 


Verhalten gegen 


Cholera-Baecillen, Verhalten in den 
Körpersäften 343 fg., 358; Ch., Im- 
munisierung gegen Ch. 254. 

Chondria 74. 

Chondrostoma nasus 212. 

Chorda 81, Bildung bei Amphioxwus 
735, 743 fg. 

Chromatophoren 194, 454 fg. 

Chroococcus minutus 506 fg. 

Chroomonas 106. 

Uhrysomelidae 16. 

COhydorus sphaericus 490, 503, 507 fg. 

Criliata 173. 

Ciona 268. 

Cistuda lutaria, Gastrulation 182 fg. 

Oladocera 172, 178, 203 fg. 

Cladophora fracta 86, 97. 

Cladostephus vertieillatus 79. 

Olamatores 150, 154. 

Olastidium setigerum 106 fg. 

Olathrocystis aeruginosa 506 fg. 

Clatodus 407. 

Olepsine bioculata 54 fg., heteroclita 
55, marginata 54 fg., polonica 54 fg., 
sexoculata 54 fg., tesselata 54 fg., 
tess. var. marmorata 52. 

Clerodendron 131, fistulosum 138. 

Coccoloba 260. 

Codium 99 fg. 

Codonella 173 fg., acuminata 175, era- 
tera AT5, lacustris 175, 505 fg. 

Coeliox@ys 582. 

Ooelopeltis lacertina 279. 

Cohnheim’sche Felder 18. 

Cola marsupium 140. 

Coleochaete 101, irregularis 103, pulvi- 
nata 102, orbieularis 103, seutata 101. 

Coliidae 157. 

Colocasia antiquorum 679. 

Coluber (Elaphis) Aescalapiı 278, qua- 
terradiatus 278 fg., quadrilineatus 
278. 

Columbae 152, 724 fg. 

Coluridae 177. 

Colurus amblytelus 563, caudatus 56), 
dactylatus 563, Dumnonius 563, gral 
lator 563, incrassatus 565, leptus 
565, pedatus 563, uncinatus 562. 

Colymbidae 271, 727. 

Colymbus 201. 

Compositen 712. 


178 


Conchophyllum 140. 

Conjugatae 105. 

Connaraceen 712. 

Conochilus dossuarius 176 fg., volwox 
490, 505 fg., 564. 

Convallaria majalis 168. 

Cope 249. 

Copepoda 203 fg., 502. 

Coraciidae 157. 

Corallinaceen 73. 

Corallina rubens 73. 

Cordia gerascanthus 138, nodosa 140. 

Coregonus 200, fera 201, polea 201, 
Wartmanni 220. 

Corethra plumicornis 201. 

Coronella Amaliae 273, austriaca 279 f8,, 
girondica 273. 

Corvus 729. 

Corylus avellana 617. 

Coxaldrüsen der Afterspinnen 5. 

Creagrus 235 Tg. 

Crocisa 583. 

Urotophagae 155. 

Crustaceen 2, 178, 213; C, Polens 54; 
künstliche Vermehrung der C. zur 
Fischzucht 599. 

Uryptoglena 106. 

Cryptonemiaceen 73. 

Urypturidae 7123 fg. 

Cuceulidae 154. 

Cueurbitaceae 712. 

Cumarin, Reizwirkung auf Haut von 
Fischen 755. 

Cuscuta 709. 

Cuticula, Membran 2; C.-Substanz 2; 
C. der Amphibienepidermis 444 fg. 

Cutleriaceen 80 fg.. 106. 

Cutleria multiflda 75 fg. 

Cuviera 138. 

Cyanophyceen 106 fg. 

Uyclanthaceae 710. 

Cyelopidae 57, 184. 

Oyclops affinis 58; C. agılis 58; €. 
annulicornis 87, C. bicolor 58; ©. 
Bopsini 204; CO. brevicornis 181; C. 
Olausii 58; ©. diaplanus 58; 0. Dy- 
bowskii 58, 181; (. fennicus 181; 
C. fimbriatus 58; C. gigas 57, 181; 
©. graeilicornis 57; CO. gracılis 58; 
©. hyalinus 58; C. Krillei 204; C. 
Leuckartii 58, 203; ©. longesetosus 


Sachregister. 


181; ©. luciäulus 57; C. macrurus 
58; CO. minutus 58, 181; ©. oithenot- 
des 58; (©. orientalis 53; CO. phalera- 
tus 58; C. pigmaeus 58; C. Poppei 
58; C. pulchellus 57; ©. serrulatus 
181; O. signatus 57, 181; CO. simplex 
58, 181, 204, 490, 502, 507 fg.; CO. 
strenuus 58, 181; O. tenuicornis 57, 
181; ©. varicans 58; Ü. vieinus 57; 
C. viridis 57, 203. 

Cymopolia barbata 100, bibarbata 100. 

Uymatopleura elliptica 505, solea 505. 

Cyphoderia margaritacea 746. 

Oyprinoiden 215. 

Oyprinus Boga 217, carpio 213, idus 211 

(ypris fuscata 181, ovum 181, reptans 
418. 

Oystosira barbata »2; Ü. ericoides 83. 

Cytoplasma, Verhalten in Nährlösungen 
327 fg. 


Dalbergieae 12. 

Daphnella brachyura 179, 203, 490, 
508 fg.; D. Brandtiana 176, 179; D. 
Cederströmü 503; D. cucullata 503; 
D. excisa 204. 

Daphnidae 179, 502 tg. 

Daphnia 490; D. affinis 179; D. ape- 
cata 179; D. aquilina 179; D. cau- 
data 179; D. Cederströmü 179, D. 
cristata179; D. cucullata 179, 503 fg. ; 
D. galeata 179, 503, 598 fg ; D. gra- 
eilis 179; D. hyalina 179; D. Kahl- 
bergensis 179, D. lacustris 179; D. 
longiremis179; D. longispina 17YTg. ; 
D. magna 179; D. pellueida 179; D. 
procurva 179; D. pulchella 179; D. 
ventricosa 179; D. vitrea 179. 

Darmsekrete, antibakterielle Eigen- 
schaften der D. 345 fg. 

Darwinismus, Katechismus des D. 256. 

Dasya 74; D. elegans 74. 

Dasyphloea insignis 76. 

Dasypus gigas 625. 

Daumenschwiele 206, 219 

Deckplatten d. Endothelzellen 83 18. 

Degenerationsvorgang im Protoplasma- 
körper 746 fg. 

Delamination 2. 











Sachregister. 


Delesseriaceae 73. 

Dendriten 43 fg. 

Dendrobaena Boeckiüti 57. 

Dendroica 236, 246. 

Dermatosomen bei Apocynum venetum 
166. 

Desmarestea aculeata 80. 

Desmidiaceen, Haare der D. 105. 

Desmoneus 10. 

Diabetes, Beziehungen zum Pankreas 
606. 

Diaptomus affinis 181, alpinus 181, 
bacillifer 181, castor 181, coeruleus 
181, denticornes 181, gracilis 181, 490, 
502, 508, gracilis-Guernei 181, graci- 
loides 181, Guernei 181, laciniatus 
181, Lumholtzi 204, oregonensis 520, 
orientalis 204, pectinicornis 181, Ri- 
chardi 181, serricornis 181, siciloides 
204, signicauda 204, tatricus 181, 
Tyrelli 204. 

Diaschiza fretalis 563. 

Diatomaceen, marine 671. 

Diatomeen 107. 

Dichobune 630. 

Dichosporangium repens 80. 

Dieksonia antarctica 426. 

Dieranochaete 72, reniformis 104. 

Dietyopteris 78. 

Dietyotaceen 78, 81, 106. 

Didelphys 631. 

Dididae 728. 

Diduneulus 156. 

Diebsameisen 124. 

Diflugia 203, 746. 

Digitalis grandiflora 199. 

Diglena catellina 565, durita 565, for- 
cipata 565, grandis 565, suilla 562. 

Dinobryon 173 fg.; D. bavaricum 174; 
D. Bütschli 174; D. eylindricum 174; 
D. divergens 174; D. elongatum 174; 
D. petiolalum 174; D. sertularia 174, 
508; D. s. alpinum 174; D. sociale 
174. 

Dinocharidae 177. 

Dinocharis pocillum 177. 

Dinoflagellata 175, 203. 

Diomedea 147, 154. 

Dioscoraceen 705. 

Diphtherie, Immunisierung 255. 

Diplodocus longus 403. 


79 


Diplosoma chamaeleon 266, Mitsukuri 
266. 

Diplosomiden, periodische Regenera- 
tion 265. 

Dipsacus syWestris torsus 438 fg. 

Dipterocarpeen 712. 

Discognathus lamta 216, 445. 

Distemma forfieula laeve 562, marınum 
562, platyceps 565, raptor 562. 

Distyla Weisse: 563. 

Diurella tigris 490, 504 fg. 

Dorema Ammoniacum 614. 

Dorymyrmex pyramicus 124. 

Dossilla Stepanovü 142. 

Dracaena Draco 618. 

Draparnaldia 84. 

Dreyssenia polymorpha 201, 490, 506, 
508. 

Dromornis praeornatus 276. 

Drosera- Tentakeln, Reizbarkeit bei 
Sauerstoffmangel 429. 

Duroia 138, 140. 

Dyaster 286 fg. 


E. 


Ectocarpus confervoides 79; E. dasy- 
carpus 79; P. ltoralis 79; E. peni- 
cillatus 79. 

Eidechsen 217. 

Eier, Bedeutung für die Systematik 
722 fg.,. Färbung der E. 273; E. 
wilder Bienen 576; E., parthenoge- 
netische 419 fg. 

Eifurchung bei Amphioxus 731 fg. 
Eintrocknen und -frieren von Tieren 
und Pflanzensamen 336 fg., 605. 
Eischale 723, Bed. für d. Systematik 

723. 

Eisen, Beziehungen zur Pflanze 441. 

Eisenflechten 442, -Bakterien 442 fg. 

Eiter 364. 

Ektoblastogene Einstülpung, Verh. zu 
der Gastrulation 736. 

Ektodermverdickung, lokale 3. 

Empedocles molaris 406 

Empfindung, Begriff 692. 

Empfindungsorgane, Wirkung cehemi- 
scher Substanzen auf E. 754 fg. 

Emphylus glaber 639. 

Endbläschen der Coxaldrüse 6. 


780 


Eindoclonium 84. 

Endospermum 438. 

Endothel, Struktur des E. in der 
Pleuroperitonealhöhle 87 fg. ; in Blut- 
und Lymphgefäßen 87 fg. 

Eindyptes chrysocoma 269. 

Endyptula minor 269. 

Entomostraca 178 fg. 

Enzyme 703. 

Epeira 233. 

Epeolus 583. 

öphydatia bohemica 145, MuelleriT13 fg. 

Epidermis der Schlangen 277; Epi- 
dermoidalknoten bei Fischen 270; 
Cuticula d. E. 444 fg.; Stiftchen- 
zellen d. E. 446; Wucherungen 210; 
E.-Zellen, Zusammenhang mit Corium 
448. 

Eprlobium angustifolium 622. 

Epipactis palustris 168. 

Episetura 203. 

Epistylis 173 fe. 

Epithel des Magens u. Mitteldarms 689. 

Ziquisetum WW. 

Eranthemum versicolor 19. 

Ericaceae, Wnrzelorgane 436. 

Erlen, Pilzsymbiose 436 fg. 

Ernährung, Einfluss auf die Pflanzen- 
zelle 321. 

Erregungserscheinungen 
plasmakörper 746. 

Eryphia spinifrons, Zo&a 7. 

Eryx jaculus 279. 

Esperia Lorenzi 570. 

Euchlaena mezxicana 614. 

Euchlanidae 177. 

Euchlanis dilatata 565, macrura 117. 

Eucopepoda 181. 

Euglena viridis 557. 

Euglypha alveolata 294. 

Euphorbiaceen - Stärke 171. 

Eurylamus 729. 

Eurytemora lacinulata 182; E.lacustris 
182. 

Expansion des Protoplasma 747 fg. 


am Proto- 


F. 


Fagraea 131. 
Fagus silvatica 617. 
Farne, Krystalloide 19. 


Sachregister. 


Fasergrübchen der Algen 82. 

Federbuschzellen 43 fg. 

Federfluren 153 fg. 

Fettresorption im Magen 692. 

Feuchtigkeit, Einfluss auf das Blühen 
677 fg. 

Filices 710. 

Finkler-Prior’scher 
358, 366. 

Fische 201, Integument brünstiger F. 
205 fg., Hautmuskeln 453. 

Fixierflüssigkeiten für Mitosen 730. 

Flagellaria 712. 

Flagellata 173 fg., 203. 

Flemming’sche Mischung 2. 

Flimmerbewegung, Mechanismus 753. 

Florideen 73, 106. 

Flosculariadae 176. 

Floscularia campanulata 564, muta- 
bilis 176 fg. 

Flügel als systemat. Merkmal 151. 

Flügeldeckfedern als syst. Merkmal 155. 

Foraminiferen 533. 

Formaldehyd 481; F.-schwefligsaures 
Natron 483. 

Formica ceinerea 125, exsecta 639 fg., 
Fusca 124fg., 641 fg., fusco-rufibarbis 
645, pratensis 124, 638, 665, rufa 
124, 596, 665, rufibarbis 124 fg., 
643 fg., sanguwinea 124 fg., 586, 66218. 

Formicoxenus nitidulus 124, 660, 668. 

Fragilaria virescens 490, 505 fg. 

Fregatta 236. 

Fritillaria 283, 712. 

F'rontania leucas 53. 

Fucaceen 73, 82, 106. 

Fumariaceen 712. 

Fuligata 201. 

Furcularia 203, forficula 565, gracilıs 
565, marino 562, sphaerica 569. 

Füße d. Vögel, als syst. Merkmal 150. 


Bacillus 345, 


G. 


Galanthus 164. 

Galapagos - Inseln, Besuch 221. 
Galaxaura 73. 

Galbulidae 153. 

Galeda 709. 

Galeodes araneoides 687 fg., ater 687 fg. 
Galeodidae, Geschlechtsorgane 687 fg. 





Sachregister. 181 


Galle, Verhalten gegen Mikroorganis- 
men 345 fg. 

Galli 153, 727 fg. 

Gammarus pulex, Fischfutter 604. 

Gastameisen 124. 

Gasteracantha 230. 

Gastraea 118. 

Gastropus Ehrenbergi 177; @. Hudsoni 
177: G: stylifer- 177. 

Gastrulation bei den Schildkröten 118, 
182 fg., Mechanimus des G. bei 
Amphioxus 731 fg. 

Gaule’s Infusionsflüssigkeit 764. 

Gebiss, Entwicklung bei T’heromorphen 
403; G. der Säugetiere 624. 

Gecko 183 fg. 

Gehirn, Gewichtsverhältnisse670, Kreis- 
lauf 696. 

Gehirnzentren für die Bewegungen der 
Vagina 368. 

Gelidiaceen 73. 

Generationsorgane, Entwicklung bei 
Iris sibirica 387. 

(Gemmulae, Entwicklung aus G. 713 fg. 

Geospira 236. 

Geotriton fuscus 718. 

Geotropismus 430. 

Gerbstoffe 328 fg. 

Geschlechtsorgane, Entw. der G. bei 
den Phalangiden. 

Geschlechtsprodukte, Entwicklung bei 
Lilium Martagon 380. 

Gesneraceae 718. 

Gifte, Antagonismus der G. 700. 

Giftfestigung 250. 

Gigartinaceen 73. 

Gleichenia dochotoma 710. 

Gleichgewicht, Störung bei 
tumoren 61. 

Glenodinum 203, 505 fg.; @l. Gym- 
nodinium A175; @. girans 175; G. 
pusillum 175; @. cinctum 175. 

Globigerina - Orbulina 533. 

Gloeochaete bicornis 107, Wittrockiana 
107. 

Gloeotrichia natans 106. 

Gliossopharyngeus 694. 

Gmelina 131. 

Gnathostomata 181. 

Gobio fiuviatilis 212. 

Gonothyraea 551. 


Hirn- 


Goura 156. 

Grallatores 150, 727. 

Grantiae 59 fg. 

Granula, des pflanzl. Organismus 19. 

Griffthsia barbata 75. 

Großhirn 370, 478, 670. 

Grottenolm, Hautdrüsen 461. 

Gruidae 153 fg., 728. 

Gymnodinium helveticum 175, G. mira- 
bile 175. 

Gyrator hermaphroditus 56. 


H. 


Haarartige Organe bei den Algen 71 fg. 

Hadrianus 249. 

Haftapparat der Laubfrösche und Tri- 
tonen 721. 

Haftscheiben bei Lianen 712. 

Halidrys siliquosa 83. 

Halietus 576 578. 

Halluzinationen, äußere Zeichen ders.62. 

Halodictyon 75. 

Handschwingen (Primariae) 154. 

Haptik 693. 

Härchen des Cölomendothels 90. 

Harn, Verhalten gegen Mikroorganis- 
men 367. 

Harnsäurehaltiges Pigment 458 fg. 

Hautdrüsen niederer Wirbeltiere 458 fg. 

Hautschwellung in der Laichzeit 205 fg. 

Hautsinn 692. 

Helianthemum 434. 

Helianthus 131, 430, 431. 

Heliozoa 174 fg. 

Helminthocladiaceae 75. 

Helminthora 75. 

Hemmungsfasern des Vagus 698. 

Hermann’sche Lösung 2%. 

Herodii 155. 

Herposteiron 84, 97 fg.; H. confervi- 
cola 85; H. globiferum 84; H. poly- 
chaete 84; H. repens 85. 

Heterocopae 173; H. appendiculata 182, 
200; H. saliens 182, 200; H. Weis- 
manni 182. 

Heteromeyenia repens Potts 142 fg. 

Heteromorphose der Hydroidpolypen 
545 fg. 

Hexaktinellidenskelett 533. 


182 . Sachregister. 


Hinterstränge, Verh. zu den Zentral- 
windungen 61. 

Hippocrateaceae 712. 

Hirudo 688, medieinalis var. catenata 
55, serpentina 55, signata 55. 

Hochzeitskleid der Fische und Amphi- 
bien 205 fg. 

Höckerausschlag bei Rana fusca 218. 

Holopedium gibberum 176, 179. 

Homandra falcata 59. 

Homocoela 59. 

Homodermidae 59. 

Humboldtia laurifolia 138. 

Hyacinthos 164. 

Hydrachnidae 200. 

Hydroclathrus 81. 

Hydroidpolypen 545. 

Hydrophilus 64. 

Hydrophyta 139. 

Hiylactes 155. 

Hyperthermie 63. 

Hypnose, Zirkulationsverhältnisse 696. 


Ichthyophis 448. 

Ichthyornis 727. 

Iden, Idanten 393. 418 fg. 

Illoricata 176. 

Immunität 250 fg., 310 fg. 

Impennes 153, 728. 

Indikator 154. 

Infusorien, Beobachtungsmethode 556. 

Insecta 201, 261 fg. 

Integument niederer Wirbeltiere 205 fg., 
444 fg. 

Intellekt, Entwickelung d. 1. 30 fg. 

Jovetes 2. 

Ipomaea 431. 

Iris sibirica 387. 

Jurinea 131; J. mollis 131. 

Jyn& 154. 


K. 


Kalorimetrische Untersuchungen 468 fg. 

Kalkschwämme 58. 

Kartoffelbrandbacillus 345. 

Kartoffeln, Blühen der K. 679. 

Keimzellen der Endothelien 91, 391, 
47. 


Kernfäden 282. 

Kernfragmentation 3. 

Kernstoffe, Bed. f. d. 
lebender Substanz 750. 

Kernteilung 282 fg. 

Kibara 138 fg. 

Kittsubstanz der Endothelien 88 fg. 

Kleinhirn, Exstirpation 61 fg. 371, 
477, 670, 679, 761. 

Kohlensäure, Assimilation 481; K., Ein- 
fluss auf Reizbarkeit bei Pflanzen 
434; K.-Ausscheidung 468 fg., 763. 

Konjugation 420 fg. 

Kontaktlinien 163. 

Kontraktionserscheinungen 744 fg., 
749 fg. 

Kontraktionswellen, angelegte 11; 
K., fixierte 9; K., seitliche 16. 

Körpereiweiß 365. 

Körperflüssigkeiten, Verhalten gegen 
pathogene Mikroorganismen 139. 

Körpergröße, Verhältnis zu dem 
Knochen- und Muskelbau bei den 
Vögeln 146 fg. 

Kreosot, Wirkung auf Fische 755 

Kuckuksbienen 571. 

Kulturmethode 348. 


Kontraktion 


L. 


Labyrinth 478, 696. 

Lacerta agilis 217, 275, ocellata 217, 
vivipara 217. 

Laminariaceae 79 fg. 

Landtiere, zur Entstehung 446. 

Laridae 153 fg. 

Larix europaea 617. 

Larus 201. 

Larven, wilder Bienen 577. 

Lasius flavus 653, 668, fuliginosus 650, 
668, niger 124, 652,668, umbratus 632. 

Laubfrosch, Haftapparat 721. 

Laubmoose, Chlorophylikörper bei L. 
196. 

Laufbekleidung 250. 

Laurencia 74; L. 
L. obtusa 75. 

Leben, Entstehung 423. 

Lebendige Substanz, Bewegung 744 fg. 

Lebensverhältnisse der pelagischen 
Tiefsee-Fauna und -Flora 521. 


eyanospermd 715; 


Sanchregister. 


Lebersäcke 3, 

Lederhaut niederer Wirbeltiere, harn- 
säurehaltiges Pigment 453, Kalkab- 
lagerungen 456 fg., Muskeln 451, 
Oberfläche 467, Wucherung 209. 

Leguminosen, Pilzsymbiose 436. 

Lemnaceae 674. 

Lepidonotus 414. 

Leptodora hyalina 176, 490, 504, 509; 
Kindtei 178 fg., 203. 

Leptodorinae 180. 

Leptothorax 124, tuberum 660, 668. 

Leueiscus Meidingeri 211, virgo 211. 

Leukocyten, Wanderung der L. durch 
das Endothel 94, 265, 350 (Phago- 
eyten). 

Leucojum 164. 

Leukoplasten 193 fg. 

Leukoplastiden 171. 

Leukosomen 193. 

Leucopsida 59 fg. 

Leuecosolenia 69, L. clathrus 568. 

Leveillea Schimperi 74. 

Liagora 75. 

Lianen Brasiliens 708 fg. 

Licht, Einfluss auf das Blühen 620 fg. 

Lilium 283; L. Martagon 389. 

Limax 462. 

Limicolae 153. 

Limnaeus stagnalis, Verhalten gegen 
Saccharin 757. 

Limnocalanus macrurus 182. 

Limnosida frontosa 179. 

Limulus 7. 

Linaceae 712. 

Littonia 712. 

Loganiaceae 712. 

Lolium italicum 707, perenne 707. 

Lomechusa montana 650; L. strumosa, 
Beziehung zu Ameisen 584, 638, 
661 fg. 

Lophius piscatorius 756. 

Lophocharis rostrata 563. 

Loricata 177. 

Luftgehalt der Vogelknochen, systema- 
tische Verwertung 725. 

Lumbrieidenfauna Polens 56 fg. 

Lumbricus herculeus 56; L. purpureus 
56; L. rubellus 56. 

Lupinus mutabilis 197. 

Lynceidae 180. 


185 


M. 

Macaranga 138. 

Machaerium 712. 

Macrostoma hystrix 56. 

Macrothrix Borgeni 204 

Magen, Epithel bei Katze und Hund 
689; M., Fettresorption 692. 

Magensaft, antibakterielle Eigenschaft 
342 fg. 

Maja squinado 19. 

Maieta 140. 

Makromeren 732. 

Malpighi’sches Gefäß 5. 

Marcgraviaceae 710. 

Marsupialia 638. 

„Maskiertes“ Eisen in der Pflanze 442. 

Mastigocoleus testarum 106. 

Materie, lebende und tote 423 fg. 

Mauerbiene (Osmia) 574. 

Melampyrum 132. 

Melastomaceen 140, 710. 

Melecta 582 fg. 

Melicerta tubicularia 564. 

Melobesia pustulata 73. 

Melosıra 490, 502 fg., varians 508 fe. 

Membrana vitellina 2. 

Merismopedia elegans 506. 

Mesodermbildung bei Amphioxus 735, 
737 fg. 

Mesogloeaceae 80. 

Mesostoma personatum 56; M. pro- 
ductum 56; M. viridatum 56. 

Metamerie 146. 

Metamorphose der Insekten 261 fg. 

Methylal 482. 

Methylenblau v. Ehrlich 37, 41. 

Metopidia cornuta 563. 

Meyenia Mülleri 144. 

Mierococcus aquatilis 358, tetragenus 
358. 

Microcystis ichthyoblobe 506 fg. 

Mierophysca 140. 

Microstoma lineare 56. 

Mikania 712. 

Mikromeren 732. 

Mikroskop, neue Konstruktion 126, 
Polarisations-M. 479. 

Milch, antibakterielle Eigenschaft 365. 

Milchsäurebacillen, Verhalten in Kör- 
perflüssigkeiten 343 fg. 


184 


Milzbrand, Immunisierung 255. 

Milzbrandbaeillus, Verhalten in Körper- 
flüssigkeiten 342 fg. 

Mimosa pudica42Tfg., 434; M.-aceae 712. 

Mimulus 433 fg., luteus 433, moschatus 
433. 

Mitempfindungen 692. 

Mitosen, assymmetrische und pluri- 

- polare 297. 

Mitotische Kernteilung 260,282 fg. 

Mörtelbiene (Chalicodoma) 574. 

Moina 4; M. Weberi 204. 

Mollusca 201. 

Monaster 286 fg. 

Monocerca cornuta 504. 

Monostyla cornuta 565, quadridentata 
565. 

Monotremata 633. 

Monstera deliciosa 399. 

Monura colurus 565, loncheres 563. 

Moraceae 710. 

Morphologie, Beiträge 528, 545. 

Müller’sche Körperchen 135. 

Musa Enseta 616. 

Musca vomitoria 261. 

Musikalisches Ausdrucksvermögen, 
Störung bei Aphasie 135. 

Muskelfasern, quergestreifte, Kontrak- 
tion und Doppelbrechung 8. 

Muskeln, Kontrahierte, Verhalten im 
polaris. Lichte 24; M.-Kontraktions- 
mechanik 751; M.-Gewebe bei der 
Insektenmetamorphose 261 fg. 

Myiarchus 247. 

Myriotrichia clavaeiformis adriatica 78. 

Myristica 140 fg. 

Myrmedone 140. 

Myrmekodia 139. 

Myrmekodome Pflanzen 130, 136 fg. 

Myrmekophile Pflanzen 129 fg. 

Myrmekophyten 129 fg. 

Myrmekosymbiose 129 fg. 

Myrmekotrophe Pflanzen 130 fg. 

Myrmekoxene Pflanzen 136 fg. 

Myrmica laevinodis 655, 668, rubida 
657 fg., 667, ruginodis 655, 668, 
scabrinodis 655, 668. 

Myrtaceae 710. 

Mysis 8. 

Mytilia poecilops 563, producta 563, 
teresa 563. 


Sachregister. 


Mysxine 44, M. glutinosa 415. 
Mysxochaete barbata 105. 
Myxomyceten, Bewegung 749. 


N. 


Nährlösungen für Pflanzen 322. 

Nanismus 682. 

Nasenlöcher der Vögel, systematisches 
Merkmal 150. 

Nasensekret 341. 

Natatores 150. 

Nauclea 138. 

Nauplius 64. 

Nawvieula 505. 

Nektarien, Verhalten zu den Ameisen 
131 fg. 

Nemalion 75. 

Neomeris Kelleri 100. 

Nepenthes 136. 

Nephelis 638; N. octoculata 54 fg., N. 
oct. var. monostriata 54; N. o. var. 
normalis 55; N. o. var. poecila 55. 

Nephridium von Peripatus 7. 

Nereia 79 fg. 

Nesomimus 230. 

Nerven, Leitungsverschiedenheit 478. 

Nervenfasern 33 fg., 41; N.-Netze 
47, 414; N., sekretorische 368; N., 
Verlauf im Rückenmark 698, direkte 
Leitungsübertragung 761. 

Nervensystem der Würmer 413. 

Nervenzellen 33 fg.; N., nervöse Fort- 
sätze 42; N., nervös -protoplasma- 
tische Fortsätze 48. 

Nesaea reticulata 200, rotunda 200. 

Netzhaut, sensible Fasern 40, Leitungs- 
übertragung in der N. 761. 

Neunaugen 214. 

Nenrologische Untersuchungen 60, 367, 
476, 692 fg. 

Neuropilem 414. 

Nomada Lathburiana 582. 

Notholca jugosa 563, longispina 177, 
rhomboidea 563, scapha 563, spint- 


fera 563, striata 565, thalassıa 
563. 
Notommata Najas 565, KReinhardti 
562. 


Nylandera tentaculata 99. 








Sachregister. 


0. 

Obelia 551. 

Obstbäume, Blühen der 0. 675; ©.- 
Zucht 683. 

Oceanitidae 187. 

Ochlochaete hystrix 103. 

. Odontoglossae 727. 

Oedogonium 97, Huntü 85; Oe. poly- 
morphum 85, 97. 

Olaeaceae 712 fg. 

Olfaktoriusfasern, sensible 40, 759 fg. 

Vologie, Bedeutung 722. 

Opilio parietinus 1. 

Opistocomidae 729. 

Opisthocomus 156. 

Opuntia 253. 

Orchidaceae 710. 

Orbitolites complanatus 745 tg. 

Orchideen 436. 

Ornithogalum 164. 

Oryzomys 254. 

Oscillaria leptotricha 106. 

Oscines 150, 154. 

Osmia 574. 

Osmiumsäure als Fixierflüssigkeit 730. 

Osphranticum 203. 

Ossifraga 147. 

Ostracoda 172, 181, 204. 

Otiorrhynchus mastix 13. 

Otitidae 156. 

Ovarium, Keimepithel 43. 

Oxyria 261. 

Ozothallia nodosa 83. 


P. 


Padina 79. 

Palamedeidae 152 fg. 

Palmen, kletternde 710. 

Palo-Santo 233 fg. 

Panachierte Blätter 19. 

Pandanaceae 710. 

Pankreas, P.-Funktion 606; P.-Saft, 
Verhalten gegen Mikroorganismen 
345 fg. 

Papilionaceae 712. 

Paramaecium caudatum 420. 

Paraphysen 81 fg. 

Paraseison asplanchnus 562, eiliatus 
562, nudus 562, proboscideus 562. 

XII. 


185 


Pareiasauria 402 fg. 

Parridae 728. 

Parthenogenese 418. 

Passeres 150 fg. 

Passiflora graeilis, Rankenbewegung 
bei Sauerstoffmangel 430. 

Passifloraceae 712. 

Pedalion mirum 174, 177, 203. 

Pedalionidae 177. 

Pediastrum Borganum 490, 505 fg., 
pertusum 490, 505 fg. 

Pelagische Fauna 171 fg., 200 fg.; 
Pelag. Fauna und Flora, Lebens- 
verhältnisse 521. 

Pelargi 154, 727. 

Pelobates fuscus 457. 

Penieillium glaucum 343, 350. 

Perca fluviatilis 201. 

Perenyi’s Flüssigkeit 2. 

Peridinium A172, 203; P. apiculatum 
175; P. privum 178; P. spiniferum 
175; P. tabulatum 175, 490, 505 fg. 

Peripatus 7, 63. 

Peritricha 173. 

Perlbildung in der Brunstzeit 210 fg. 

Pflanzenphysiologie 161 fg., 194 fg., 
385 fg, 417 fg. 

Pflanzenzelle, Erklärung der Bewegung 
der Pfl. 751. 

Phagophila Floridearum 98, horrida 99, 
minor 99. 

Phaeophyceen 77, 83, 105. 

Phaeosporeen 105. 

Phaeton 727. 

Phagaterium 630. 

Phagocyten 350. 

Phaius grandifolius 168, 200. 

Phalangiden, Anatomie und Embryo- 
logie 1 fg. 

Phalangium 1 fg. 

Phalaris canariensis 685. 

Philodendron grandifolium 168. 

Philodina eitrina 564. 

Phleum pratense 707. 

Phoenicopterides 154, 728. 

Phoxinus laevis, Chromatophoren 455. 

Phrenicus 478. 

Phryganeiden 523. 

Phycopteris interrupta 83; Ph. 
posa 81. 

Phylaxine 361. 


stu- 


B0) 


786 


Physiologische Graphik 314. 

Phytogreneae "13. 

Picea vulgaris 617. 

Pie A533: 

Pilze, Beziehung zu Eisen 444. 

Pilzsymbiosen 435 fg. 

Pinguine, system. Stellung 268 fg. 

Pinus montana 617, silvestris 617. 

Piperaceae 10. 

Pisces 201. 

Piscicola piscium 54 fg. 

Placentalia 638. 

Placodontia 403. 

Plankton im Süßwasser 484 fg., 671. 

Pleurocanthus 459. 

Pleurocladia lacustris Braun 672. 

Pleurodeles 462. 

Pleurothyrium 138. 

Pleurotrocha gibba 569. 

Pieuroxus trigonellus 180, truncatus 180, 
Wittsteini 204. 

Ploima 176. 

Plöner See 671. 

Plumularia 551. 

Podargus 159. 

Podicipidae 154 fg., 201, 271, 727 fg. 

Podophrya eyclopum 173. 

Pogonomyrmex barbatus 124, occiden- 
talis 124. 


Polarisationsmikroskop, Anwendung 
21,409: 

Polemoniaceae 712. 

Polen, Würmer- und Crustaceen- 


Fauna 54 fg. 

Polyarthra latiremis 176, platyptera 
176, 490, 504, 508 fg., 565, trögla AT76. 

Polyergus rufescens 125, 645, 666. 

Polygalaceae 712. 

Polygonaceae, Verbreitungsausrüst- 
ungen 257 fg., 713. 

Polygonum amphibium 675, echinocau- 
lon 258, viwiparum 258: 

Polyphemidae 180. 

Polyphysa peniculus 101. 

Polypodium 196. 

Polysiphonia 74, 99. 

Polzellen des Mesoderm bei Amphioxus 
736 fg. 

Pompholyx sulcata 490, 504, 608. 

Populus tremula 617. 

Poren der Cyprinoiden 215. 


Sachregister. 


Proales decipiens 565. 

Proktodäum 5. 

Prosopis 573. 

Proteinkrystalloide 198 fg. 

Proterandrie 579. 

Proteus anguilleus 461, hominis 359, 
vulgaris 345, 359. 

Protococeaceen, Haare 105. 

Protoplasma, _Degenerationserschei- 
nungen 746, Reizerscheinungen 746, 
Struktur 385 fg. 

Protopterus 634. 

Protozoen 172 fg.; P., Verhältnis zu 
den Metazoen 103 fg., 203. 

Psammodromus hispanicus 275. 

Pseudopodienbildung 745 fg. 

Psittaci 153, 727. 

Psophia 728. 

Pterocles 152, 157, edae 724 tg. 

Pterodina clypeata 563, patina 565. 

Ptiliphora spissa 76. 

Punctaria latifolia 78, plantaginea 78. 

Punktsubstanz 414. 

Pygopodes s. Urinatores 150. 

Pygostyl 729. 

Pyrese 63. 

Pyrocephalus 247. 


0. 


Quercus pedunculata 617. 
Querfadennetze von Retzius 18. 


R. 


Radiata 59. 

Radiolaria 746. 

Rana agılis 454, arvalis 554, esculenta 
219, 456, fusca 205, 218, 454. 

Rankenbewegung 434. 

Rankenpflanzen 718. 

Ranunculaeeae 712. 

Ranviers Gitterspektren 17. 

Rapaces 150. 

Raphidioptryx 173; R. pallida 174. 

Raphieae 710. 

Ratitae 152, 727. 

Rattulidae 177. 

Rattulus calyptus.563, seiunctipes 563. 

Reflexbogen 48. 

Regeneration, bei Diplosomiden 265; 
R. des Rückenmarks 476. 





Sachregister. 


Reizerscheinungen bei Pflanzen, Ab- 
hängigkeit von Sauerstoff 427, im 
Protoplasmakörper 746 fg. 

Remija physophora 140. 

Reptilien, Hautmuskeln 452. 

Reticulata 59. 

Rhabdocoelen 56. 

Rhamnaceae 712. 

Rheum 261. 

Rhinechis scalaris 278. 

Rhizopoda 203, 531 fg. 

Rhizosolenia 671. 

Rhizota 176. 

Rhodeus amarus 213 tg. 

Rhodomelaceen 74 fg. 

Rhodophyceen 73. 

Rhodymeniaceen 73. 

Rhynchhelmis 289. 

Rhynchotinae 155. 

Ribbert’scher Baeillus 366. 

Ricardia Montagnei 75. 

Richtungskörper 392. 

Ricinus 617. 

Riechstoffe, Wirkung auf die Haut der 
Haie 755 fg. 

Rivulariaceen 106. 

Rivularia polyotis 106, viridis 506 fg. 

Rohita vitata 220. 

Rolando’sche Gegend, Tumoren 61 

Rosa 710. 

Rosmarinöl, Wirkung aut Fische 755. 

Rotatoria 176 fg., 203, 560 fg., marine 
und brackische 562, 563, eurhyaline 
564, 565. 

Rotifer eitrinus 564, vulgaris 564. 

Rubiaceae 712. 

Rubus 710, idaeus 615, odoratus 615. 

Rückenmarksfasern 367; R., halbe 
Durchschneidungen 370 fg.; R, 
Regeneration 476. 

Rückenorgane bei Mysis 8. 

Rüsselkäfer, neuer 672. 

Rumex 258 fg. 

Ruprechtia 259. 

Rutaceae 712. 


S. 
Saceharin, Schmeckwirkung bei Tieren 
191. fg. 
Saccharomyces cerevisiae 345, dipsoi- 
des 345. 


or 


Saccharum 616. 

Saccobdella nebaliae 562. 

Salamandra maculosa 283, 462 fg. 

Salinella 108. 

Salmo 209, fontinalis 449, 453. 

Salpina marina 562. 

Salpingoeca 173 fg., 505; $. comval- 
laria 173. 

Sammelapparate wilder Bienen 576,583. 

Sapindaceae 712. 

Saprolegniaceen 142. 

Sarcocephalus 138. 

Sarcodina 174 fg. 

Sarkoplasma, S.-Durchgänge 25. 

Sarracenia 136. 

Sauerstoff, Einfluss auf Bewegungen 
bei Pflanzen 426 fg., auf protoplas- 
matische Bewegungen 778 fg. 

Sauerstoffzehrungin den Geweben76fg. 

Säugetierstamm, Entstehung und Ent- 
wicklung 460, 635. 

Säugung, Immunität durch S. 311. 

Savoneillo 239. 

Saxifragaceae 710. 

Scansores 150. 

Scapholeberis mucronata 179, 181; 8. 
m. longicornis 179; 8. obtusa 179. 

Scaridium longieaudatum 177. 

Scenedesmus caudatus 105. 

Schalenskelettbildung 529. 

Schattenpflanzen 705 fg. 

Schenkelporen der Eidechsen 217. 

Schilddrüse, Funktion, Ektomie 69. 

Schildkröten, Gastrulabildung 182 fg. 

Schildläuse, Verh. zu d. Ameisen 141. 

Schlaf, Tiefe des Schl 61, 369. 

Schlangenbisse 700. 

Schlangen - Epidermis, 
Verwertung 277 fg. 

Schmarotzer - Bienen 581 fg. 

Schmeckorgane der Fischhaut 756. 

Schnabel, als system. Merkmal 148. 

Schnellseher (Stroboskop, Zo&trop), 
Verbesserung 318. 

Schrammia barbata A07. 

Schweinerotlauf, Immunisierung 255. 

Seirtopoda 177. 

Scorodosma foetidum 614. 

Scorpio 6. 

Sceyllium caninus 755, catulus 755. 

Seytosiphoneen 381. 


systematische 


50% 


788 


Securiadaea 712. 

Seer, Programm zu wissenschaftlicher 
Beschreibung 512. 

Seison annulatus 562, Grubei 562. 

Sekret des Genitaltraktus 346. 

Sehsphäre und Raumvorstellungen 369. 

Selaginella 710. 

Sensible Ursprungskerne 37. 

Sepia 239. 

Serehkrarkheit des Zuckerrohrs 612, 
616. 

Serratula 131. 

Sertularella polyzonas 545, 551. 

Sexualdimorphismus 583. 

Sichel der Schildkrötengastrula 185fg. 

Sicyos, Rankenbewegung in Kohlen- 
säure 454. 

Sida erystallina 179 tg. 

Sididae 179. 

Sigmoidalwindung 62. 

Stilurus glanis 716 fg. 

Simocephalus intermedius 204, vetulus 
149. 

Simplicia 59. 

Sinapis alba 430, 431, 442. 

Sinne, Klassifikation 693. 

Siphoneen 99 fg., vertieillierte S. 100. 

Siredon pisciformis 289. 

Sirosiphoniaceen 106. 

Skelett, system. Wert bei Vögeln 
724 fg. 

Smilaceac 712. 

Solenopsis fugax 124, orbula 124. 

Sorocarpus uvaeformis 79. 

Sozine 361. 

Speichel 341. 

Spektralpolarisator von Dibbel und 
Abbe 20 fg. 

Spermatozoiden, Verhalten zu Apfel- 
säure 426. 

Sphacellaria 78; S. olivacea 78; $. 
tribuloides 78 

Sphaerococcaceen 73. 

Spherodes 573, 578. 

Spheniscidae 152, -us 724. 

Spirillum tyrogenum 358. 

Spirogyra 221 fg., Brunii 323, decimina 
323, Jugalis 323, majuscula 322, ni- 
tida 329. 

Spirofibrillen 385. 

Spirosparten 385. 


Sachregister. 


Spongien, Auffassung der Sp. 566. 

Spongiliden 142. 

Spongilla novae terrae 145. 

Sporochnaceen 81. 

Sporochnus 79. 

Sporogonium A490. 

Spyridia filamentosa 15; 98. villosius- 
cula 75. 

Spreizklimmer 709 fg. 

Squata rola 150. 

Stanhopea 168. 

Staphylococcus pyogenes albus 344, 
p. aureus 343 fg., 358, 364. 

Starnoenas 156. 

Stärke, Entwicklung 166 fg., 196 fg.; 
St.- Gehalt des Chlorophylis 326 fg. 

Stärkebilder, Schimper’sche 168. 

Staurastrum 105, furcigerum 508 fg. 

Staurosira Smithiana 490, 505, 608. 

Steatornithidae 157. 

Steganopodes 153 fg., 727. 

Stentor 31. 

Sterile Blätter 101. 

Sterna 201. 

Stickstoffoxyd, Einfluss auf Pflanzen- 
bewegungen 434. 

Stigeoclonium 84; 8. lubrieum 84; ®. 
variabile 84. 

Stigmata der Endothelien, Auffassung 
92) 

Stilophora 79, 831. 

Stirnhirntumoren 61 fg. 

Stoechospermum marginatum 84. 

Stolonen der Polypen 545. 

Stomadaeum 5: 

Stomata der Endothelien 92. 

Streblonema investiens 76. 

Streptococeus erysipelatos 
genes 358. 

Striae medullares 694. 

Striaria &0. 

Striges 152. 

Stroboskop 318. 

Strongylognathus testaceus 125. 

Struthio 724, 729. 

Strychnin - Nitrat 755. 

Stützorgane bei den Vögeln, Anatomie 
146 fg., 722 fg. 

Stylodon pusillus 625. 

Stylum (an Eiern) 638. 

Subdivisia 59. 


364,  Pyo- 





Sachregister. 789 


Suctoria 173. 

Süßwasserfauna, pelagische 171 fg.; 
S. und -Flora 480. 

Surirella biseriata 505 fg. 

Sycandra 569. 

Symbiosen 130, 435 fg. 

Synascidien 265 fg. 

Synchaeta baltica 562, gyrina 562, 
pectinata 176, 504 fg, 565, Zremula 
565. 

Syneytium 460. 

Syngnathus acus 756. 

Sypheniscus demersus 268 fg. 

Systematik der Vögel, Hilfsmittel 
146 fg. 


T. 


Tachypetes aquila 269. 

Taonia 79. 

Tapinocephalus 402. 

Tapinoma erraticum 654, 668. 

Tarbophis vivax 279. 

Tastflecken 220. 

Taxus baccata 617. 

Teichonella labyrinthica 59, temorella 
Claussi 182. 

Tejus teguixin 277. 

Temorella lacustris 507 fg. 

Temperatursinn 693. 

Tetanus, Immunisierung 251 fg ‚311, 312. 

Tetramonium caespitum 12Afg., 655, 668. 

Tetraspora virescens 173. 

Thamnoclonium hirsutum 76. 

Therioodontia 403. 

Thränenabsonderung, Innervation und 
Zentren 62. 

Threskiornis 728. 

Thunbergia 135. 

Thymallus vulgaris 201. 

Thymeliaceae 712. 

Thymusextrakt 252. 

Thyrektomie 695. 

Tillandsia 712. 

Tilopterideen 106. 

Tinea 263. 

Tintinnidum fluviatile 505. 

Tintinnodea 175. 

Tococca 140 

Tomognathus 124. 

„ Tonnengewölbe“ 12. 


Totenstarre 753. 

Tracheobronchialreflexe, Zentrum 694. 

Tradescantia albiflora 193 fg., discolor 
196. 

Trentepohliaceen 99. 

Treron 156. 

Triarthradae 176. 

Triarthra longiseta ATb, 569. 

Trichoplax 108. 

Trichothallisches Wachstum 79. 

Trieonodon 628. 

Trigeminus, Verhalten zu den Zentral- 
windungen 61, T.-Wurzeln 476. 

Trigonoeystis gracilis 490, 509. 

Triplaris 142, 259. 

Tritonen 756, Bewegungsfähigkeiten 
718 fg.; Triton 445, 462, ceristatus 
206, 289, 719, helveticus 209, taenia- 
tus 722. 

Triumfetta 132. 

Trochilidae 154. 

Trogonidae 153. 

Trompetenbäume 1386. 

Tropaeolum maius 623, 673. 

Tropidonotus natrix 201, 271, 367, 
quincunciatus var. melanozostus 274, 
tesselatus 277, viperinus 277, vittatus 
274. 

Tropidurus 233 fg. 

Tuber cinereum 477. 

Tuberkelbaecillus, Verhalten in Körper- 
flüssigkeiten 345 fg. 

Tubinares 147, 152, 727. 

Typhus, Immunisierung 255; T.-Baeillen 
345 fg., 358, 366. 


U. 


Uebertragung von Reizen 47 fg., direkte 
761. 

Udotea ciliata 99. 

Ultraviolette Strahlen, Einfluss auf 
die Entwicklung der Pflanzen 623. 

Untersuchungsmethode im hängenden 
Tropfen 348. 

Upupidae 155. 

Urämie, Einfluss auf elektrische Er- 
regbarkeit der Großhirnrinde 478. 

Uranoscopus scaber 756 fg. 

Urbienen (Archiapidae) 573. 


790 


Urdarm, der Schildkröten 187, Ver- 
hältnis zur Leibeshöhle bei Amphioxus 
741 fg. 

Uroglena 175; U. volvox 174. 

Ursprung der Nervenfasern 38 fg. 

Uterus - Muskulatur 26; U. der Nager, 
Katze 27, d. Schweins 23, Lemur, 
Schaf, Pteropus 28, d. Chimpansen 29. 

V. 

Vagina, Bewegungszentrum 368. 

Vaguskern, dorsaler 369, 694. 

Vakuumstarre 428, 432 fg. 

Vanilla 709. 

Vanillin, Reizwirkung auf die Haut 
von Fischen 755. 

Varanus nebulosus 453. 

Verbreitungsausrüstungen 
gonaceen 257 fe. 

Verdauung, extra- und interzelluläre 
116. 

Vererbung, Immunität durch V. 311; 
V. bei Parthenogenese 418 fg. 

Vermes 176, 203. 

Vertebrata 201 fg. 

Vespertilio murinus 465. 

YVibrio Metschnikovii 360. 

Vidalia 75. 

Vipera ammodytes 279, 453, arietans 
230 fg., aspis 279, berus 279. 

Vitaceae 712. 

Vitex 140. 

Vivisektion von Infusorien 558. 

Vögel, Morphologie u. Systematik 146, 
122 Sg. 

Volvoeineen 105, 203. 

Volvox 108. 

Vortex Millportianus 56, sexdentatus 56. 

Vorticella convallaria 173, Stielmuskel- 
kontraktion bei V. 752. 


der Poly- 


W. 


Wahrnehmung, Definition 692. 
Waldbambus 710. 
Waldbäume 617, 679. 

Wärme, Einfluss auf das Blühen 675 fg.; 
W.- Abgabe 468 fg 
„Wechselsinnesorgane“ 

tieren 754 fg. 
Weinsäure 758. 


bei Wasser- 


Sachregister. 


Wespen, Verhalten gegen Saccharin 758. 

Weizen 675. 

Wels, Verbreitung 716 fg. 

Wickersheimer’sche 
316 fg. 

Windpflanzen 710. 

Wirbellose, Entwicklungsgeschichte 63; 
Nervenfasern bei W. 41 fg., Schmeck- 
vermögen 756- 

Wirbeltiere, niedere Integument 44418. 

Wirbel, Anzahl bei Vögeln 727. 

Wolffia arrhiza 674. 

Wollbiene (Anthidium) 574. 

Wrangeliaceen 75 fg. 

Wrangelia penicillata 76. 

Würmer, Nervensystem 413, W.-Fauna 
Polens 54. 

Wurzelkletterer 710. 

Wurzelschnitt, Folgen 681 


Flüssigkeit 


X. 
Xenomyrmex Stolli 124. 
Xylocopa 578. 


1. 


Zahnbildung 403, 624 fg., 631 fg. 

Zahnleiste 636. 

Zahnwurzel 637. 

Zamenis Dahliü 278. 

Zeichnung der Tiere 272 fg. 

Zelle, Formveränderungen 322 tg., 
-Kern 301 fg., 356, -Membran 163, 
-Saft 325. 

Zellkern, Bedeutung für die Zellkon- 
traktion 755. 

Zellteilung, Modus bei Bulbochaete 86, 
231 fg. 

Zentralkörper 287 fg. 
Zentralwindungen, Verhalten zu den 
Hintersträngen u. Trigeminus 61. 

Zitronensäure 758. 

Zoea 64. 

Zonaria 74. 

Zoochlorellen 51 fg 

Zuckerrohr 611 fg., 682. 

Zunge, der Biene 576. 

Zusammengesetzte Nester von Ameisen 
154 fe. 

Zwangsdrehungen 438 fg. 

Zwischenhirn, Funktionen 477. 

Zygnema 326. 





Se 13, ZE 87. u. 
Sl Ze 1S vu: 


5 A) Yale wo al) 
201 2.247 


Berichtigungen. 


lies Otiorrhynchus 
Tunica  vaginalis 
2 propria 
»„ ©. hirudinella 
n  Dreissena 


(ebenso 8. 506, 508.) 


„213.2: 
256, 211 

-, ABl, Ze lan 
220625202 

7263, ZU2EN2 u: 
264 2.9 v. u. 
266 Z. 10 
289,210 Sy Ur 
294 Z. 18 

316 Ze 

358, Zu Ave: 
BSH ZADAR: 
ADELS DEN U. 
4355 Z. 11 
AORZEE DEN U: 
490 2. 
501 2.1 


501 2.7 u.8 


„ 547 (Fußnote) 
bl Zt 
687.2. 192 u: 
„ 688 Z. 24 

„ 693 2. 14 

„ 698 2. 14 


AG ve: 


RIESTER BER KERSER DER WI DEN} 


3 


15 und fg. 


„  Giorna 

„ Versuche 

„ betreffend die 

„ zu Strängen 

„ heben und endlich 
ihre Vitalität 

„ Sargassum 


„  Zhynchhelmis 

„ Enden 

„  Gymogramme 

„  Penieillium 

„ . Spirochaete 

„ Aulostomum 

„  Mykorrhizen 

„ Midollo 

„  Polyarthra 

„  Codonella 
Molosira vartans 

% distanz 

„  Antennularia 

„ BDarix 


„ . defer. 

„  karyokinetisch 
„  Irradiation 

„ den 


testis 


bezw. 


statt Otiorrhyuchus 


Bea wagsete me: 


U. hirundinella 
Dreyssenia 


Giorny 


» Versuchen 


betreffend der 
zu Stränge 
heben endlich 
seine Vitalität 
Saragussum 
Rhynchelmis 
Endel 
Gymnogramme 
Peneillium 
Spirochaete 
Aulastomum 
Mikorhizen 
middolo 
Polyathra 


„ Condonella 


3333 3 


M .virians bezw. distanz 


Antenunlaria 
Laryx 

deffer. 
karykynetisch 
Irrdiation 

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