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Full text of "Bios : die Gesetze der Welt"

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DIE  GESETZE 
DER 

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NORTH  CAROLINA  STATE  UNIVERSITY  LIBRARIES 


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150M/01 -92— 920179 


BIOS 
DIE  GESETZE  DER  WELT 


RAOUL  H.  FRANCE 

BIOS 

DIE  GESETZE 

DER 

WELT 


ZWEITER  BAND 

MIT  139  ABBILDUNGEN  UND  TAFELN 

ZWEITE  AUFLAGE 


1*9*23 
WALTER  SEIFERT  VERLAG,  STUTTGART-HEILBRONN 


Nachdruck  verboten,  /  Alle  Rechte  vorbehalten.  /  Copyright 
1923  by  Walter  Seifert  Verlag,  Stuttgart  und  Heilbronn  a.  N. 
Druck-    und    Bindearbeit   von    Otto   Weber,    Heilbronn    a.  N. 


INHALTSVERZEICHNIS  ZU  BAND  II 


IV.  Das  Funktionsgesetz S.  1 

Das  Erleben  als  Weltenschöpfer  —  Definition  der  Funktionen  —  Das  Gesetz 
von  der  Erhaltung  der  Energie  —  Die  Hauptsätze  der  Wärmelehre  —  Der 
Entropiesatz  —  Besonderheiten  des  Erlebens  —  Die  Funktionsformen  —  Funk- 
tionelle Anpassung  als  Welterscheinung  —  Die  Trägheitsfunktion  —  Die  Ora- 
vitationsgesetze  —  Die  Basis  der  Newton'schen  Mechanik  —  Die  Kugel  als  op- 
timale Massenform  —  Bewegung  als  Funktion  —  Morphologie  der  Funktionen 

—  Die  periodischen  Funktionen  —  Die  Sinusfunktion  als  häufigstes  Erlebnis  — 
Das  Wellenphänomen  als  Universalphänomen  —  Die  Wellengesetze  —  Die 
Meeieswellen  —  Der  Golfstrom  —  Die  Transgressionen  —  Die  Brandung  — 
Die  Wellen  der  Luft  —  Die  Gesetze  des  Klimas  —  Winde  und  Depressionen  — 
Meteorologie  als  Mechanik  der  Luft  —  Die  Gesetze  der  Paläoklimatologie  — 
Die  Klimamigration  —  Die  Erscheinungen  der  Winderosion  —  Die  Gesetze  des 
Schalles  —  Das  menschliche  Gehörorgan  —  Musik  als  Mechanik  der  Seelen- 
fähigkeiten —  Musikalische  Harmonie  als  Verwirklichung  des  Weltgesetzes  — 
Kompositionen  als  höchste  Form  von  Philosophie  —  Die  Lichtwellen  —  Licht 
als  elektromagnetischer  Vorgang  —  Die  Maxwell'sche  Wellentheorie  —  Licht- 
äther oder  Lichtquanten  —  Die  Schwingungen  der  Elektronen  —  Das  elek- 
trische Grundgesetz  der  Welt  —  Elektrostatik  —  Allgemeingültigkeit  der  Wel- 
lenlehre —  Magnetismus  als  Eigenschaft  aller  Körper  —  Der  Erdmagnetismus 

—  Die  Röntgenstrahlen  —  Die  radioaktiven  Strahlen  und  die  Atomzersprengung 

—  Die  Wärmestrahlen  und  ihre  Gesetze  —  Das  Integrationsgesetz  in  der 
Wellenlehre  —  Periodizität  als  Weltphänomen  in  Natur  und  Geistesleben  —  Die 
Katalysatoren  —  Der  chemische  Prozeß  als  Variation  atomarer  Rhythmen  — 
Chemische  Qualitäten  als  Funktionen  —  Die  Variation  der  Funktionen  als  Reg- 
ler des  Weltbildes  —  Die  Erscheinungen  als  Funktionsformen  —  Funktions- 
formen als  technische  Formen  —  Die  technischen  Formen  des  Bios  —  Das  Ge- 
setz der  funktionellen  Anpassung  —  Die  mechanische  Teleologie  —  Das  See- 
lische als  Funktion  —  Begründung  der  Biotechnik  —  Denken  als  Gehirnfunk- 
tion —  Zivilisation  als  Funktion  des  Menschen  —  Technik  als  Funktion  —  Die 
Organe  der  Zelle  als  biotechnische  Werkzeuge  —  Die  biotechnischen  Formen 
des  Protoplasmas  —  Metabolischer  Bau  des  Plasmas  —  Funktionsformen  der 
Zellen  —  Die  Gesetze  der  organischen  Formbildung  —  Die  physiologi- 
schen Gesetze  als  biotechnische  Gesetze  —  Die  Gesetze  des  Stoffwech- 
sels —  Die  Verdauungsorgane  —  Technische  Formen  der  Organe  —  Die 
Selbstregulation  der  biotechnischen  Vorbilder  —  Die  Photosynthese  der  Pflanze 
als  biotechnische  Leistung  —  Die  Gesetze  der  menschlichen  Erfindungen  — 
Die  Erfindung  als  Anwendung  des  Funktionsgesetzes  —  Biotechnik  der  Atmung 
und  Fortpflanzung  —  Lamarekismus  als  Funktionslehre  —  Das  Verständnis 
der  organischen  Funktionsformen  —  Erklärung  der  Mimikry  —  Konvergenz 
aller  technischen  Leistungen  —  Die  Kultur-  und  Kunstgeschichte  der  Tier-  und 
Pflanzenwelt  —  Biotechnik  des  Anorganischen  —  Die  biotechnischen  Lösungen 
sind  optimale  Lösungen  —  Die  Sinnesfunktionen  des  Menschen  als  Einrichtun- 
gen zur  Weltselektion  —  Die  seelischen  Leistungen  als  Biotechnik  der  Orien- 
tierung —  Mechanische  Unerklärbarkeit  des  Lebens  —  Die  Ursache  der  Welt- 
teleologie  bleibt  unklar  —  Die  psychischen  Gesetze  des  Ichs  zwingen  zur  Bio- 
logisierung  der  Welt  —  Prinzipielle  Möglichkeit  einer  objektiven  Metaphysik 


—  Der  Zweck  der  Denkfunktion  ist  richtige  Einstellung  in  der  Zoesis  —  Daher 
relativistischer  Charakter  des  Erkennens  —  Denken  schafft  nur  „Mechanismen" 
mit  biologischen  Gesetzen  —  Daher  Ablehnung  des  absoluten  Mechanismus 
(Materialismus)  —  Objektive  Philosophie  als  Weltanschauung  des  geistigen 
Gesetzes,  das  sich  im  Leben  kundgibt  —  Der  Sinn  des  Funktionsgesetzes  ist 
funktionsgesetzmäßige  Gestaltung  unseres  Handelns  zur  reibungslosen  Ein- 
gliederung in  den  Bios  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

V.  Das  Gesetz  des  Optimums S.  131 

Definition  der  Mechanik  —  Die  Gesetze  der  Mechanik  —  Das  Trägheitsprinzip 

—  Das  Kräfteparallelogramm  —  Die  Theorie  der  komplexen  Systeme  —  Be- 
deutung der  Mechanik  —  Feststellung  der  optimalen  Seinsarten  —  Geologie 
als  Mechanik  der  Gesteine  —  Strategie  als  Mechanik  von  Menschenmassen  — 
Volkswirtschaft  als  Mechanik  des  Waren-  und  Geldverkehrs  —  Mechanik  ak 
Regellehre  aller  Systembeziehungen  (Panmechanik)  —  Darstellung  des  Opti- 
mumgesetzes mit  seinen  Konsequenzen  der  Selektion  und  des  kleinsten  Kraft- 
maßes —  Definition  und  Geschichte  des  Optimumgesetzes  —  Alle  Prozesse  des 
Organismus  verlaufen  optimoklin  —  Die  Tropismen  und  Reflexe  als  optimo- 
kline  Reaktionen  —  Intellekt  und  Gehirn  als  Mittel  zur  Erreichung  des  Opti- 
mums —  Denken  als  biologische  Funktion  —  Das  neue  Weltverständnis  der  ob- 
jektiven Philosophie  —  Optimoklines  Geschehen  im  Anorganischen  —  Optimo- 
kline  Bewegung  —  Das  Optimumgesetz  in  der  Talentwicklung,  im  freien  Fall, 
in  der  Erosion  —  Das  Optimum  im  Lachambre'schen  Reflexionsversuch  —  Die 
Transmutation  als  Mittel  des  optimoklinen  Geschehens  —  Der  Kosmos  kennt 
nur  Kreislaufprozesse  —  Kritik  des  Begriffes  der  schöpferischen  Entwicklung 

—  Fehlen  der  schöpferischen  Entwicklung  in  der  Klimatologie,  in  der  Geolo- 
gie, in  der  Geogenesis  —  Die  populären  Ansichten  vom  Stammbaum  des 
Lebens  —  Die  populäre  Entwicklungslehre  —  Kritik  dieser  Lehren  —  Die  Kräfte 
der  Erdumgestaltung  sind  konstant  —  Abbrechende  Entwicklungen  in  der  Vul- 
kanbildung und  Verlandung  der  Seen  —  Der  Begriff  der  Kumulation  an  Stelle 
der  Entwicklung  —  Kritik  der  biologischen  Entwicklung  —  Die  ontogenetische 
Entwicklung  als  Entfaltun^sprozeß  —  Entfaltung  des  Menscheneies  —  Der 
Wechsel  der  Generationen  m  der  Ontogenie  —  Generationswechsel  bei  Pflan- 
zen —  Erklärung  der  Zellteilung  als  Knospung  —  Zurechtbestehen  der  Ab- 
stammungslehre —  Entstehen  und  Kritik  der  Mutationen  —  Bedeutung  der 
Vererbung  —  Das  Mendelgesetz  als  Regler  der  Vererbung  —  Die  Vererbung 
erworbener  Eigenschaften  als  Tatsache  —  Die  Beweise  der  Abstammungslehre 

—  Der  genetische  Zusammenhang  des  Menschen  mit  den  Tieren  —  Definition 
und  Ursachen  der  Menschwerdung  —  Die  biologische  Funktion  des  Menschen- 
geistes ist  die  Schaffung  einer  Zivilisation  —  Übereinstimmung  mit  H,  Vaihin- 
ger  —  Die  objektive  Philosophie  als  Mittel  zum  Optimum  der  Menschwerdung 

—  Die  Kultur  als  übergeordnete  Stufe  der  Zivilisation  —  Die  Welt  als  kon- 
stantes System  von  Transmutation  —  Konkordanz  der  Ontogenie,  Phylogenie 
und  Regeneration  —  Die  Gesetze  der  Regenerationen  —  Umkehrung  der  Ent- 
wicklung —  Entwicklung  als  Ausgleichsvorgang  —  Die  Fortpflanzung  als  op- 
timokline  Geschehensart  —  Die  Gesetze  der  vegetativen  und  sexuellen  Fort- 
pflanzung —  Die  neue  Auffassung  der  Fortpflanzung  —  Erklärung  der  Parthe- 
nogenesis  —  Die  Sexualität  als  optimokliner  Faktor  —  Lob  der  Geschlechts- 
liebe als  Mittel,  um  zum  Optimum  zu  kommen  —  Ursache  des  Aussterbens  der 
Arten  —  Kritik  der  Anpassungs-  und  Organisationsmerkmale  —  Zusammenfas- 
sung der  Entwicklungserscheinungen  als  Äußerungen  des  Optimumgesetzes  — 
Kritik  der  H.  Sppncer'schen  Entwicklungsphilosophie  —  Die  Baer'sche  Formel 
als  Ausdruck  optimoklinen  Geschehens  —  Auch  Spencer  faßt  Entwicklung  nur 
als  optimokline  Entfaltung  des  Weltsystems  auf  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

VI.  Das  Selektionsgesetz S.  196 

Die  Ausgleichsprozesse  der  Welt  —  Klärung  der  Begriffe  Optimum  und  Har- 
monie —  Nur  optimales  Sein  gelangt  zur  Harmonie  —  Auch  die  Optima  be- 


dürfen  eines  wechselseitigen  Ausgleichs  —  Die  Unterschiede  in  der  Dauer  — 
Die  Umwelt  begrenzt  die  Dauer  —  Das  Fundament  einer  objektiven  Ethik  — 
Möglichkeit  einer  Weltselektion  —  Die  Gesetze  der  Wcltselektion  —  Der  Qe- 
setzbegriff  bereits  selektiv  —  Singula  bereits  ein  Selektionsergebnis  —  Selek- 
tive  Prozesse  in  der  Physik  —  Selektive  Absorption  —  Semipermeable  Mem- 
branen —  Selektive  Katalyse  —  Der  selektive  Bau  der  Kristalle  —  Erosion  als 
selektives  Geschehen  —  Die  Auslese  der  Wolkenformen  —  Der  Selektionsge- 
danke bei  Malthus  und  Darwin  —  Die  Gewebe-  und  Panselektion  —  Die  ge- 
genseitige Hilfe  als  antiselektives  Mittel  —  Die  Hilfsmittel  der  Organismen 
zur  Sabotage  der  Selektion  —  Die  Migrationen  der  Organismen  —  Die  Schreck- 
und  Warnfarben  —  Ausmerzende  Wirkung  der  Selektion  —  Der  Wille  als  Se- 
lektor  —  Selektion  als  Vorfrage  des  Erkennens  —  Die  Selektion  im  praktischen 
Leben  und  m  der  Kunst  —  Selektive  Nahrungswahl  —  Die  Bewegungswahl 
der  Pflanzen  —  Die  geschlechtliche  Zuchtwahl  und  ihre  Grenzen  —  Kritik  der 
Darwm'schen  Selektionslehre  —  Die  Selektion  ist  nicht  schöpferisch  —  Die 
Fluktuationen  sind  nicht  artbildend  —  Das  Quetelet'sche  Gesetz  —  Das  Gal- 
ton'sche  Rückschlaggesetz  —  Nachweis  der  Unrichtigkeit  der  Darwin'schen 
Selektionsannahme  —  Das  wahre  Selektionsgesetz  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

VII.  Das  Gesetz  des  kleinsten  Kraftmaßes S.  231 

Ableitung  des  Gesetzes  aus  der  Analyse  des  Seins  —  Frühere  Formulierungen 
des  Gesetzes.  Lex  parsimoniae  in  der  alten  Teleologie  —  Das  Hamilton'scht 
Prinzip  —  Das  Gauss'schc  Prinzip  des  kleinsten  Zwanges  —  Das  Ökonomie- 
prinzip von  Mach  —  Das  kleinste  Kraftmaß  ist  nur  im  optimalen  Fall  reali- 
siert, daher  bedingt  die  Optimoklise  der  Welt  eine  Parsimoklise  —  Das  Träg- 
heitsgesetz eine  Anwendung  des  Gesetzes  vom  kleinsten  Kraftmaß  —  Die  Gra- 
vitation eine  Umschreibung  des  gleichen  Gesetzes  —  Viele  Gesetze  sind  nur 
Umschreibungen  der  Parsimoklise  —  Alle  Funktionen  verlaufen  parsimoklin  — 
Alle  Naturformen  sind  Formen  des  geringsten  Widerstandes  —  Sonderanwen- 
dungen des  Gesetzes  —  Das  Kräfteparallelogramm  —  Das  Fermat'sche  Prinzip 
der  schnellsten  Auskunft  —  Der  Weg  der  Strahlen  ist  stets  der  kürzeste  Weg 

—  Die  Parsimoklise  im  Kristallbau  —  Der  kleinste  Widerstand  modelliert  die 
Erosions-,  Abrasions-  und  Küstenformen  —  Das  kleinste  Kraftmaß  in  der  Vul- 
kantätigkeit —  Das  Ökonomieprinzip  im  Organischen  —  Der  Bau  der  Zellen  — 
Das  Prinzip  des  inneren  Baues  der  Pflanzen  —  Die  I-Träger  und  Trajektorien 
im  Organismus  —  Der  Bau  der  Insekten  als  Beispiel  des  Ökonomieprinzipes  — 
Die  Parsimoklise  in  der  Technik  —  Der  Begriff  der  Werkkunst  —  Die  Ökono- 
mie der  Verkehrslinien  des  Städtebaues  —  Das  kleinste  Kraftmaß  als  Bedin- 
gung des  Kunstwerkes  —  Die  dramatische  Form  als  ein  Fall  von  Parsimoklise 

—  Der  kürzeste  Weg  im  Denken  —  Teleologie  als  die  Verwirklichung  des  kür- 
zesten Weges  —  Logik  als  die  Linie  des  kleinsten  Widerstandes  im  Denken  — 
Recht  und  Ehrlichkeit  als  Spezialfälle  der  Parsimoklise  —  Die  Ethik  als  ihre 
Verwirklichung  —  Die  Sparsamkeit  und  ihre  Gesetze  im  täglichen  Leben  — 
Das  kaufmännische  Denken  eine  Anwendung  des  Gesetzes  vom  kleinsten  Kraft- 
rnaß  —  Gemeingültigkeit  des  Gesetzes  —  Historische  Anwendungen  als  gött- 
liche Gesetze  und  kategorische  Imperative  —  Praktische  Anwendungen  in  der 
Neuzeit  als  Taylorsystem  —  Das  Taylorsystem  des  Organismus  —  Die  Not- 
wendigkeit eines  kulturellen  Taylorismus  —  Seine  Durchführung  der  größte 
„praktische"  Nutzen  der  objektiven  Philosophie  —  Die  Überwindung  des  Ma- 
terialismus durch  den  Idealismus  des  Gesetzes  und  der  Aufbau  einer  vollende- 
ten Zivilisation  als  Plattform  einer  Kultur  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

VIII.  Das  Harmoniegesetz S.  255 

Definition  des  Harmoniegesetzes  —  Unterschied  von  optimal  und  harmonisch 

—  Das  Kennzeichen  der  Harmonie  ist  unbegrenzte  Dauer  —  Analyse  des  Har- 
moniebegriffes —  Geschichtlicher  Abriß  seiner  Erkenntnis  —  Pythagoras  und 
Leonardo  da  Vinci  —  Der  goldene  Schnitt  und  der  Kanon  des  Polyklet  —  Der 
Sinn  des  Harmoniegesetzes  —  Das  Harmoniegesetz  im  physikalisch-chemischen 


Geschehen  —  Die  harmonische  Schwingung  —  Harmonie  der  Töne  —  Moleku- 
lare Harmonie  —  Chemische  Harmonie  —  Die  Disharmonie  der  Materie  zeigt 
sich  als  chemische  Änderung  (Disharmonie  der  Atome)  und  Kraftwirkung  (Dis- 
harmonie der  Moleküle)  —  Die  Harmonie  im  Kristallbau  und  in  der  Geometrie 

—  Die  Harmonie  (Gleichgewicht)  der  Wärme  —  Harmonie  als  Ausgleich  — 
Ihr  Mittel:  der  Kreislauf  —  Kosmischer  Kreislauf  —  Die  Harmonie  des  Him- 
mels —  Das  Gleichgewicht  der  Erdschollen  —  Der  Planetenkreislauf  —  Kritik 
der  Entropie  —  Der  Kreislauf  der  Luft,  des  Wassers  —  Sein  ist  stets  ein 
Kreislauf  —  Beispiele  —  Der  Kreislauf  des  Stickstoffes,  des  Eisens,  des  Kal- 
kes, der  Kohlensäure,  der  Kieselsäure,  des  Sauerstoffes  —  Kreislauf  der  Ener- 
gie —  Alle  Beziehungen  müssen  wiederkehren,  sonst  wären  Gesetze  nicht  mög- 
lich —  Die  Harmonie  im  Organismus  —  Dreifache  Harmonie  im  Organischen 

—  Das  organische  Schönheitsideal  —  Intrazellulare  Harmonie  —  Die  Kern- 
relation —  Die  Regulationen  als  harmonokline  Funktionen  —  Regeneration  als 
Wiederherstellung  der  Harmonie  —  Anpassung  als  Harmonoklise  —  Hormone 
als  Mittel  der  Harmonoklise  —  Hungerformen  und  Altersformen  —  Das  Kor- 
relationsphänomen —  Die  Erscheinungen  der  Morpholaxis  —  Die  Artenzahl 
der  Organismen  als  harmonoklines  Phänomen  —  Der  Kreislauf  des   Lebens 

—  Biocoenosen  —  Der  Ausgleich  der  Faunen  und  Floren  durch  Wanderung  — 
Die  Tier-  und  Pflanzenvereine  —  Harmonische  Vereine  —  Der  Wald  als  har- 
monokliner  Verein  —  Die  Harmonie  als  biologisches  Endstreben  —  Das  Har- 
moniegesetz des  Organismus  als  Ursache  der  harmonoklinen  Selektion  in  der 
Erkenntnis  —  Herstellung  der  Harmonie  als  Weltprozeß  —  Die  Harmonie  im 
praktischen  Leben  —  Erleben  als  Ausgleichserscheinung  —  Unser  Streben  nach 
dauernder  Eingliederung  der  Einzelerlebnisse  in  den  Bios  zwingt  zur  Harmoni- 
sierung dieser  Erlebnisse  —  Daher  Harmonie  das  oberste  und  Endgesetz  aller 
Erkenntnis  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

IX.  Die  Welt  als  Bios S.  281 

Die  Formel  des  Werkes  —  Die  Weltformel  der  Physik  —  Ihre  „Prinzipe" 
stammen  von  einem  übernatürlichen  Standpunkt  —  Definition  des  Massenprin- 
zipes  —  Das  Trägheitsprinzip  —  Das  Kraftprinzip  —  Das  Prinzip  der  Wechsel- 
wirkung —  Das  Schwerpunktsprinzip  —  Das  Flächenprinzip  —  Das  Entropie- 
prinzip —  Das  Relativitätsprinzip  —  Diese  Prinzipe  sind  Erlebnisordnungen 

—  Der  Rationalismus  stellte  ihnen  eine  Metaphysik  als  die  wahre  Ausdeutung 
des  Seins  gegenüber  —  Führt  dadurch  übernatürliche  Faktoren  in  das  Denken 
ein  —  Kant  als  Schöpfer  des  heutigen  naturwissenschaftlichen  Denkens  —  Ge- 
gensatz zum  objektiven  Denken  —  Bios  wird  geordnet  durch  die  sieben  Ge- 
setze der  Welt  —  Die  Biozentrik  eint  Denken  und  Leben  —  Relativität  des  Er- 
kennens,  absolute  Befähigung  zum  richtigen  Leben  —  Hunte,  Mill  und  Vaihin- 
ger  als  die  Pioniere  der  objektiven  Philosophie  —  Der  Wert  der  Intuition  — 
Intuition  spiegelt  nur  die  Weltgesetze  —  Der  Wert  der  Religion  als  Unterwer- 
fung unter  das  Weltgesetz  —  Die  Formel  der  objektiven  Philosophie:  Sie 
schafft  Ordnung  im  Erleben  und  hilft  dadurch  besser  leben  —  Der  Ursprung 
des  Leides  ist  unrichtiges  Leben  —  Das  Weltensein  als  Weltgericht  —  Das 
gleiche  Gesetz  über  Allem  —  Umwelt  und  Vererbung  als  Vollstrecker  des  Lei- 
dens —  Das  Weltbild  ist  nur  ein  Spiegel  unseres  Lebens  —  Der  Bios  ist  Selbst- 
erkenntnis —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

Register S.  289 


Das  Funktionsgesetz 

Das  Erleben  als  Weltenschöpfer  —  Definition  der  Funktionen  —  Das  Gesetz  von  der 
Erhaltung  der  Energie  —  Die  Hauptsätze  der  Wärmelehre  —  Der  Entropiesatz  — 
Besonderheiten  des  Erlebens  —  Die  Funktionsformen  —  Funktionelle  Anpassung  als 
Welterscheinung  —  Die  Trägheitsfunktion  —  Die  Oravitationsgesetze  —  Die  Basis 
der  Newton'schen  Mechanik  —  Die  Kugel  als  optimale  Massenform  —  Bewegung 
als  Funktion  —  Morphologie  der  Funktionen  —  Die  periodischen  Funktionen  — 
Die  Sinusfunktion  als  häufigstes  Erlebnis  —  Das  Wellenphänomen  als  Universalphä- 
nomen —  Die  Wellengesetze  —  Die  Meereswellen  —  Der  Golfstrom  —  Die  Trans- 
gressionen  —  Die  Brandung  —  Die  Wellen  der  Luft  —  Die  Gesetze  des  Klimas  — 
Winde  und  Depressionen  —  Meteorologie  als  Mechanik  der  Luft  —  Die  Gesetze  der 
Paläoklimatologie  —  Die  Klimamigration  —  Die  Erscheinungen  der  Winderosion  — 
Die  Gesetze  des  Schalles  —  Das  menschliche  Gehörorgan  —  Musik  als  Mechanik  der 
Seelenfähigkeiten  —  Musikalische  Harmonie  als  Verwirklichung  des  Weltgesetzes  — 
Kompositionen  als  höchste  Form  von  Philosophie  —  Die  Lichtwellen  —  Licht  als 
elektromagnetischer  Vorgang  —  Die  Maxwell'sche  Wellentheorfe  —  Lichtäther  oder 
Lichtquanten  —  Die  Schwingungen  der  Elektronen  —  Das  elektrische  Grundgesetz 
der  Welt  —  Elektrostatik  —  Allgemeingültigkeit  der  Wellenlehre  —  Magnetismus 
als  Eigenschaft  aller  Körper  —  Der  Erdmagnetismus  —  Die  Röntgenstrahlen  —  Die 
radioaktiven  Strahlen  und  die  Atomzersprengung  —  Die  Wärmestrahlen  und  ihre 
Gesetze  —  Das  Integrationsgesetz  in  der  Wellenlehre  —  Periodizität  als  Weltphäno- 
men in  Natur  und  Geistesleben  —  Die  Katalysatoren  —  Der  chemische  Prozeß  als 
Variation  atomarer  Rhythmen  —  Chemische  Qualitäten  als  Funktionen  —  Die  Varia- 
tion der  Funktionen  als  Regler  des  Weltbildes  —  Die  Erscheinungen  als  Funk- 
tionsformen —  Funktionsformen  als  technische  Formen  —  Die  technischen  Formen 
des  Bios  —  Das  Gesetz  der  funktionellen  Anpassung  —  Die  mechanische  Teleologie 

—  Das  Seelische  als  Funktion  —  Begründung  der  Biotechnik  —  Denken  als  Gehirn- 
funktion —  Zivilisation  als  Funktion  des  Menschen  —  Technik  als  Funktion  —  Die 
Organe  der  Zelle  als  biotechnische  Werkzeuge  —  Die  biotechnischen  Formen  des 
Protoplasmas  —  Metabolischer  Bau  des  Plasmas  —  Funktionsformen  der  Zellen  — 
Die  Gesetze  der  organischen  Formbildung  —  Die  physiologischen  Gesetze  als  bio- 
technische Gesetze  —  Die  Gesetze  des  Stoffwechsels  —  Die  Verdauungsorgane  — 
Technische  Formen  der  Organe  —  Die  Selbstregulation  der  biotechnischen  Vorbilder 

—  Die  Photosynthese  der  Pflanze  als  biotechnische  Leistung  —  Die  Gesetze  der 
menschlichen  Erfindungen  —  Die  Erfindung  als  Anwendung  des  Funktionsgesetzes 

—  Biotechnik  der  Atmung  und  Fortpflanzung  —  Lamarekismus  als  Funktionslehre  — 
Das  Verständnis  der  organischen  Funktionsformen  —  Erklärung  der  Mimikry  —  Kon- 
vergenz aller  technischen  Leistungen  —  Die  Kultur-  und  Kunstgeschichte  der  Tier- 
und  Pflanzenwelt  —  Biotechnik  des  Anorganischen  —  Die  biotechnischen  Lösungen 
sind  optimale  Lösungen  —  Die  Sinnesfunktionen  des  Menschen  als  Einrichtungen 
zur  Weltselektion  —  Die  seelischen  Leistungen  als  Biotechnik  der  Orientierung  — 
Mechanische  Unerklärbarkeit  des  Lebens  —  Die  Ursache  der  Weltteleologie  bleibt 
unklar  —  Die  psychischen  Gesetze  des  Ichs  zwingen  zur  Biologisierung  der  Welt  — 

Francs.  Bios  II  1 

1 


Prinzipielle  Möglichkeit  einer  objektiven  Metaphysik  —  Der  Zweck  der  Denkfunk- 
tion ist  richtige  Einstellung  in  der  Zoesis  —  Daher  relativistischer  Charakter  alles  Er- 
kennens  —  Denken  schafft  nur  „Mechanismen"  mit  biologischen  Gesetzen  —  Daher 
Ablehnung  des  absoluten  Mechanismus  (Materialismus)  —  Objektive  Philosophie  als 
Weltanschauung  des  geistigen  Gesetzes,  das  sich  im  Leben  kundgibt  —  Der  Sinn 
des  Funktionsgesetzes  ist  funktionsgesetzmäßige  Gestaltung  unseres  Handelns  zur 
reibungslosen  Eingliederung  in  den  Bios  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

Das  Erleben  spiegelt  sich  in  unserem  Bewußtsein,  als  ob  uns  eine  Welt 
umgäbe,  die  als  ein  ungeheuerlicher  und  verwickelter  Stufenbau  von  sehr 
verschiedenen  Singulationen  erscheint.  Das  ist  das  Ergebnis  der  Unter- 
suchungen, die  an  Hand  der  gegenwärtigen  Naturerkenntnis,  geleitet  von 
einer  biozentrischen  Erkenntnismethode,  im  ersten  Band  dieses  Werkes  dar- 
gestellt wurden. 

Es  gibt  nicht  viele  Kategorien  dieser  Seinsstufen,  wenn  man  nur  die 
wesentlichen  unter  ihnen  betrachtet.  Etwa  sechzehn  davon  haben  wir  unter- 
schieden. Diese  waren:  das  Quantum,  das  Elektron,  Atom  und  Molekül, 
die  geformte  Materie  in  ihren  Ausprägungen  als  Kristall,  Zelle  und  Zellen- 
gemeinschaft verschiedenster  Art  und  als  Organismenstaat.  Dann  die  Welt- 
körper, Sonnensysteme,  die  Fixsternsysteme,  der  Kosmos,  die  Vorstellungen, 
Ideen,  Werke  und  der  Bios  als  das  Gesamtsystem  der  Erlebnisse.  Umso 
größer  war  die  Mannigfaltigkeit,  in  der  das  Sein  auf  jeder  dieser  Stufen 
aufblüht.  Aber  ließ  man  sich  nicht  von  ihr  verwirren,  so  erhielt  man  jede 
wünschenswerte  Sicherheit  darüber,  daß  zwischen  diesen  Seinsformen  stets 
wiederkehrende,  ganz  bestimmte  Beziehungen  herrschen.  Die  eine  dieser 
Beziehungen  war,  daß  sich  eine  Zuordnung  aufstellen  läßt,  in  der  sich  die 
Stufen  in  solcher  Reihenfolge  anordnen,  daß  jede  von  ihnen  die  gesamten 
vor  ihr  genannten  in  einer  Vielheit  in  sich  schließt,  ihnen  also  übergeordnet 
ist.  Die  zweite  war,  daß  jede  Stufe  durch  besondere,  nur  ihr  zukommende 
Eigenschaften  ausgezeichnet  ist,  die  den  untergeordneten  Stufen  nicht  zu- 
kommen. Wir  drückten  das  so  aus,  daß  den  Integrationsstufen  auch  spezi- 
fische Eigenschaften  zukommen.  Und  ein  Vergleich  dieser  Eigenschaften 
zeigte,  daß  auch  sie  eine  Stufenfolge  ergeben,  die  allerdings  nicht  so  lücken- 
los zu  verfolgen  ist  wie  die  der  Singulationen,  die  aber  schon  in  der  Teil- 
reihe: Gestalt,  Personalität,  Leben,  Bewußtsein,  Dauer  (Harmonie)  die 
Vermutung  wecken,  daß  auch  sie  zwar  nicht  den  Stufen  unter  ihnen  eignen, 
dagegen  insgesamt  denen  über  ihnen,  daß  also  die  oben  gefundene  Überord- 
nung auch  in  den  Integrationseigenschaften  besteht.  Das  war  der  wesent- 
liche Inhalt  des  Integrationsgesetzes. 

Damit  war  zugleich  festgestellt,  daß  in  unserem  Erleben  kein  Sein  ohne 
Eigenschaften  sei,  oder  noch  allgemeiner  ausgedrückt,  daß  allem  Seienden 
gesetzmäßig  Zuordnungen  eignen.  Diesen  sehr  farblosen  Satz  kennt  die 
Analysis  schon  seit  sehr  langem  und  hat  ihn  in  der  Funktionenlehre  auf 
die  Form  gebracht,  wonach  sie,  wenn  man  im  Zahlenkontinuum  einer  Zahl  x 


eine  zweite  Zahl  y  nach  irgendeinem  beliebigen  Gesetz  zuordnet,  dieses  y 
als  eine  Funktion  von  x  bezeichnet  wird  [y  =  f(x)]. 

Mit  anderen  Worten:  Alles,  was  in  unserem  Erleben  ein  Sein  besitzt,  be- 
sitzt es  nur  durch  seine  Funktionen.  Unter  Funktionen  versteht  man  hiebei 
die  gesetzmäßige  Beziehung  zwischen  Größen,  Gebilden  oder  Vorgängen. 
Noch  einfacher  ausgedrückt:  Zwischen  den  Singula  bestehen  stets  wieder- 
kehrende Verbindungen  oder  Gesetze.  Das  Sein  ist  Gesetzen  unterworfen. 
Diese  Formulierung  hat  den  Vorteil,  daß  sie  es  auffällig  sichtbar  macht,  wie 
diese  Verbindungen  nur  zweierlei  sein  können.  Entweder  sie  ändern  den 
Charakter  der  ruhenden  Singulation  in  der  Richtung  auf  „Anderswerden", 
oder  sie  führen  „andersgewordene"  Singulationen  wieder  zu  ihrem  Ruhe- 
stand zurück.  Beide  Änderungen  zusammen  beschreiben  eine  aneinander 
knüpfende  und  ineinander  greifende  Bewegung,  die  zum  ruhenden  Sein  zu- 
rückleitet. Funktion  bedeutet  demnach  eine  Störung  des  Seins  oder  deren 
Wiederbehebung  durch  einen  Ausgleichsvorgang.  Und  so  entsteht  aus  der 
„Welt"  der  „Weltprozeß",  der  erhalten  wird  durch  Ausgleichsvorgänge, 
die  hiemit  als  das  wahre  Wesen  aller  Funktionen  erkannt  werden.  Der 
Weltprozeß  scheint  demnach  das  Mittel  zu  sein,  durch  das  die  Welt  auf 
allen  ihren  Integrationsstufen  im  Sein  beharren  kann.  Durch  ihn  über- 
windet sie  die  Störungen  und  erreicht  wieder  den  Dauerzustand. 

Die  Funktionen  werden  stets  zu  Bewegungen  führen,  wenn  eine  Bedin- 
gung des  ruhenden  Seins  nicht  erfüllt  ist.  Und  das  ist  die  Harmonie  der 
wechselseitigen  Funktionen.  Wie  das  vorzustellen  sei,  mag  durch  ein  Bei- 
spiel besser  erläutert  werden,  als  durch  abstrakte  Sätze.  Nach  dem  uns  be- 
reits bekannten  Gesetz  von  Gay-Lussac  ist  das  Volumen  der  Gase  eine 
Funktion  ihrer  Temperatur.  Das  heißt,  der  gesetzmäßige  Zusammenhang  ist 
so  eingerichtet,  daß  im  Gas  sofort  Bewegungen,  ein  Auseinanderstieben  der 
Moleküle  erfolgen  muß,  wenn  die  Temperatur  steigt.  An  sich  ist  der  Satz 
ja  eine  ziemlich  überflüssige  Feststellung,  da  Wärme  (Temperatur  =  ein 
Wärmegrad)  nur  ein  Sammelwort  für  einen  Bewegungsgrad  der  Moleküle 
ist,  der  Satz  demnach  eigentlich  lautet,  das  Auseinanderfliegen  der  Gas- 
moleküle hängt  vom  Auseinanderfliegen  der  Moleküle  an  sich  ab.  Aber 
in  dem  geringen  Inhalt,  der  übrig  bleibt,  ist  immerhin  ausgedrückt,  daß 
in  diesem  Fall  die  Funktion  keine  Bewegung  auslöst,  wenn  eine  andere 
Ursache,  z.  B.  ein  entsprechender  Druck  die  Ausdehnung  des  Gases  hindert. 
Dieser  Druck  muß  sich  mit  der  Temperatur  ausgleichen;  diese  beiden  müs- 
sen zueinander  in  einem  harmonischen  Verhältnis  stehen,  dann  bleibt  zwar 
die  Funktionsbeziehung  zwischen  Gas  und  Temperatur  erhalten,  doch  es  er- 
folgt keine  Änderung.  Funktionen,  die  einander  widerstreben,  sich  aber  im 
Gleichgewicht  erhalten,  sind  auf  diese  Weise  mit  einem  dauernden  Zustand 
vereinbar.  In  einem  derartig  konstruierten  Dauerzustand  befindet  sich  nun 
die  Welt.  Ihre  Dauer  beruht  nicht  auf  absoluter  Funktionslosigkeit,  sondern 
auf  der  Harmonie.   Ihr  „Sein"  ist  schon  durch  seine  Mannigfaltigkeit  stän- 

1* 
3 


dig  zahllosen  Störungen  ausgesetzt;  darum  besteht  es  in  zahllosen  durch 
und  gegen  einander  wirkenden  Funktionen  und  Bewegungen,  die  ununter- 
brochen einreißen  und  wieder  aufbauen,  Entwicklung  um  Entwicklung  auf 
jeder  der  Integrationsstufen  auslösen  und  nur  dort  in  das  starre  System 
ruhender  Funktionen  übergehen,  wo  sie  sich  im  Gleichgewicht  halten,  das 
heißt,  zu  einer  Harmonie  gelangt  sind.  Würde  die  Welt  auf  allen  ihren 
Stufen  zur  Harmonie  gelangen,  dann  wäre  der  Weltprozeß  nus. 

Das  sind  Sätze  von  einer  fundamentalen,  alles  erschütternden,  in  unser 
tiefstes  Sein,  Verstehen  und  Verhalten  hineingreifenden  Bedeutung.  Gelänge 
es,  sie  zu  erweisen,  so  wäre  damit  einer  der  brennenden  Wünsche  alles 
Denkens  erfüllt:  ein  einheitliches  Verstehen  des  Weltprozesses  wäre  er- 
reicht. Wer  würde  sich  da  nicht  gerne  der  Arbeit  unterziehen,  diesen  Be- 
weis wenigstens  zu  versuchen?  An  diese  Arbeit  soll  hier  nun,  durch  eine 
Untersuchung  der  Funktionen  auf  den  verschiedenen  Daseinsstufen  gegangen 
werden,  um  so  vor  allem  die  Gesetze  des  Funktionierens  zu  ergründen. 


Von  der  höchsten  Daseinsstufe,  nämlich  dem  Kosmos,  gibt  es  nun  in  der 
Naturlehre  eine  allgemein  anerkannte  und  in  ihren  Folgen  unschätzbare 
Anschauung,  die  besagt:  der  Kosmos  befindet  sich  tatsächlich  in  jenem  har- 
monischen Gleichgewicht  der  Funktionen,  die  seine  Unvergänglichkeit  garan- 
tiert, worauf  wir  schon  bei  der  Untersuchung  der  Integrationserscheinungen 
gestoßen  sind  (vgl.  Bd.  I  S.  81).  Diese  Ansicht  kursiert  allgemein  unter  der 
Bezeichnung:  das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Energie.  Es  will  eigent- 
lich besagen,  daß  eine  Bewegungsfunktion  die  andere  bedingt,  jede  in  die 
andere  übergehen  kann,  so  daß  alle  zusammen  einen  Kreislauf  ohne  Ende 
darstellen.  Dieses  Gesetz  knüpft  sich  bekanntlich  an  den  Namen  des  Heil- 
bronner  Arztes  Robert  Mayer,  von  dessen  Auftreten  her  tatsächlich  die  ge- 
samte moderne  Physik  datiert.  Es  ist  sehr  merkwürdig,  daß  die  Mensch- 
heit darauf  bis  zum  Jahre  1842  gewartet  hat,  in  dem  Mayers  erste  Schrift 
erschien,  da  doch  schon  jeder  bei  der  Arbeit  heiß  gewordene  Bohrer  oder 
Hobel,  ja  das  urprimitive  Feuermachen  durch  Reiben  von  Hölzern  ihr  die 
Grundtatsache  des  Gesetzes  vor  Augen  geführt  hat. 

Diese  Grundtatsache  ist,  daß  durch  Arbeit*)  Wärmemengen  entstehen. 
Da  nun  alles,  was  aus  Arbeit  entsteht,  Energie  genannt  wird,  ist  auch 
die  Wärme  als  eine  Energie  durch  diese  Terminologie  miterfaßt.    Und  das 


*)  Der  Begriff  der  Arbeit  geht  auf  den  der  lebendigen  Kraft  zurück.  Lebendige 
Kraft  eines  bewegten  Körpers  (ohne  Bewegung  keine  Arbeit)  heißt  die  halbe  Masse 
des  Körpers  multipliziert  mit  dem  Quadrat  seiner  Geschwindigkeit.  Diese  lebendige 
Kraft  ist  gleich  der  Arbeit  der  Kraft. 


hat  Mayer  erkannt,  dessen  Satz  lautete:  Mechanische  Arbeit,  kinetische 
(=  Bewegungs-JEnergie,  potentielle  Energie  und  Wärmemengen  sind  nur 
Energieformen  und  können  ineinander  verwandelt  werden. 

Von  da  aus  wurde  rasch  weiter  gebaut.  Das  mechanische  Wärmeäqui- 
valent, eine  der  großen  Konstanten  der  Natur,  steht,  wenn  auch  unsichtbar, 
über  den  Türen  aller  Ingenieurbureaus  aufgeschrieben,  denn  von  ihm  gehen 
alle  Rechnungen  der  modernen  Industrie  aus.   Diese  Formel  lautet: 

J  =  4,1861. 10^ -^fj^^ 

Sie  ist  in  ihrer  Hieroglyphik  der  Schlüssel  zu  der  gesamten  Energiewirt- 
schaft der  Völker  von  heute,  von  der  allerdings  der  weit  über  Völkern  und 
Zivilisationen  stehende  Denker  kalt  und  unbeirrbar  im  Angesicht  des 
Weltengeistes  sagen  muß,  sie  sei  derzeit  das  größte  Hindernis,  um  die 
Menschheit  auf  den  Weg  zur  Harmonie  zu  führen.  Der  wahre  Sinn  dieser 
Formel  ist,  daß  das  mechanische  Wärmeäquivalent  beliebig  in  Licht, 
Elektrizität,  mechanische  Wirkungen,  magnetische  Erscheinungen  verwan- 
delt und  aus  ihnen  auch  zurückgewonnen  werden  kann.  Seit  dieser  For- 
mel, die  sich  in  der  Elektrotechnik,  bei  der  Schaffung  aller  Wärmekraft- 
maschinen, bei  der  Ausnutzung  der  Wasserkräfte,  kurz  im  gesamten  indu- 
striellen Leben  bewährt  hat,  hat  sich  die  Überzeugung  festgesetzt,  daß  es 
Lichtenergie,  elektrische  Energie,  mechanische  Energie  usw.  gibt,  kurz,  daß 
das  Treibende  bei  allen  Vorgängen  in  der  Welt  die  Energie  sei,  die  in 
einem  unbeschreiblich  vielfältigen  Kreislauf  durch  die  ganze  Welt  proteus- 
gleich  strömt,  sich  niemals  mindern  noch  mehren,  sondern  so  wie  die  Materie 
nur  ihre  Formen  ändern  kann. 

In  dieser  Fassung,  als  Erhaltung  der  Energie  ist  der  Satz  allerdings  erst 
von  Helmholtz  formuliert,  und  daher  datiert  erst  von  ihm  die  allgemeine 
Überzeugung,  daß  auch  das  Leben  sich  dem  allgemeinen  energetischen 
Kreislauf,  einem  der  großartigsten  von  sämtlichen  in  der  Natur  sich  ab- 
spielenden Kreisläufen,  einfügt,  zum  mindesten  in  der  Form,  daß  die  Nah- 
rung durch  ihre  chemische  Energie  den  Körper  zur  Arbeit  befähigt,  gleich 
wie  die  in  den  Kohlen  gespeicherte  Wärme  durch  die  Dampfmaschine  in 
die  Form  mechanischer  Energien  verwandelt  wird. 

Von  da  ab  datiert  aber  auch  der  unglückliche  Vergleich  des  Organismus 
mit  einer  Maschine,  die  Wiedererweckung  des  Lamettrie^ schtn  „l'homme 
machine"  erbärmlichen  Angedenkens,  der  eine  ganze  Naturforschergeneration 
geradezu  blind  gemacht  hat.  Die  davon  Geblendeten  haben  immer  wieder 
übersehen,  daß  es  im  Menschen  als  Integrationseigenschaft  auch  eine  Ener- 
gie gibt  (die  seelische  oder,  wenn  man  will,  die  Nervenenergie),  die  sich 
dem  Gesetz  des  energetischen  Kreislaufes  nicht  fügt.  Man  kann  Willen  und 
Vorstellung  nicht  in  Elektrizität  verwandeln  und  Kohle  nun  einmal  nicht 
in  Gedanken.  Wenn  Ostwald  in  seiner  Naturphilosophie  meint,  der  Tag 
werde  kommen,  an  dem  sich  auch  die  Verwandlung  der  Nervenenergie  in 


die  übrigen  Energieformen  vollziehen  lassen  werde,  so  drückt  er  damit  nur 
einen  frommen  Wunsch  aus,  von  dessen  Verwirklichung  man  weit  entfernt 
ist.  Würde  es  gelingen,  dann  wäre  allerdings  seine  Energetik  gerechtfertigt, 
die  insofern  eine  große  Denkökonomie  bedeutet,  als  sie  an  Stelle  der  üb- 
lichen drei  Kategorien:  Materie,  Energie  und  Psyche  nur  mehr  die  Energie 
als  einziges  Prinzip  in  die  Erklärungen  einführen  würde. 

Weil  aber  die  Energetik  der  Vorstellungen  sich  nicht  in  die  der  Außen- 
welt überführen  läßt,  erschien  das  Welträtsel  absolut  unlöslich.  Darum  ist 
auch  Wissenschaft  in  ihrem  letzten  und  höchsten  Sinn  schlechterdings  un- 
möglich und  muß  sich  darauf  beschränken,  relative  Wahrheiten  zu  finden, 
die  nur  orientierende,  nicht  aber  absolute  und  erklärende  Bedeutung  haben 2) 
Deshalb  kann  es  für  einen  nicht  voreingenommenen  Kopf  nur  eine  objek- 
tive Philosophie  geben,  die  von  dem  Wahn  geheilt  ist,  „Wahrheiten"  finden 
zu  können,  sich  vielmehr  mit  allem  Können  und  Streben  darauf  wirft,  die 
Beziehungen  der  zwei  Welten:  der  inneren  und  der  äußeren  Energetik,  wenn 
man  es  so  nennen  darf,  festzustellen,  um  das  Denken  und  das  daraus  fol- 
gende Handeln  in  Einklang  mit  den  Gesetzen  der  Außenwelt,  der  Objekten- 
welt zu  bringeil,  damit  Reibung  und  somit  Zerreibung  vermieden  werde. 

Dieses  Verhalten  ist  ermöglicht,  weil  es  sich  herausgestellt  hat,  daß  die 
Relationen  der  Innenwelt  den  gleichen  Gesetzen  unterworfen  sind,  wie  die 
der  physikalischen  Energien.  Die  zeitgenössische  Philosophie  will  das  seit 
G.  Th.  Fechner  mit  dem  Satze  vom  psychophysischen  Parallelismus  aus- 
drücken. Im  Weltbilde  der  objektiven  Philosophie  ist  dieser  Parallelismus, 
richtiger  gesagt:  die  Gemeingültigkeit  der  Weltgesetze  für  Natur  und  Kul- 
tur eine  logische  Notwendigkeit,  die  sie  ebenso  wie  den  absoluten  und  uni- 
versellen Relativismus  gefordert  hätte,  wäre  sie  heute  noch  nicht  entdeckt. 
Denn  es  ist  ihr  methodologische  Voraussetzung,  daß  für  den  Teil  die  Ge- 
setze gelten  müssen,  die  der  ganzen  Seinsstufe  eignen,  in  die  er  gehört.  Die 
Besonderheit  der  menschlichen  „Seelenenergie"  (um  die  Sache  mit  dem 
Ausdruck  Ostwalds  zu  bezeichnen),  liegt  unter  anderem  eben  darin,  daß  sie 
nicht  unmittelbar,  sondern  erst  durch  die  Vermittlung*)  des  teleologischen 
Geschehens  wieder  in  die  rein  physikalischen  Energien  übergeht.  Diese  Be- 
sonderheit (eine  zweite  ist  das  Bewußtsein  bei  bestimmter  Integrationsart 
und  Höhe)  ist  eine  Integrationseigenschaft,  so  wie  das  Leben  eine  solche 
ist,  oder  das  Zonengesetz  eine  solche  für  die  Kristalle,  ohne  daß  deswegen 
die  übrigen  physikalischen  Gesetze  für  die  Denkenden,  die  Lebenden  oder 
die  Kristalle  aufgehoben  wären.     Die  gleiche  Forderung  nach  Einheit  und 


*)  Mittelbar  lassen  sich  ja  die  psychischen  Energien  in  Licht,  Wärme,  Bewegung 
umwandeln.  Jede  unserer  Handlungen  zeigt  das.  Nur  die  Methode  ist  eine  andere 
als  in  der  Technik  der  Physiker.  Die  Umwandlung  geschieht  nach  teleologischem 
Gesetz,  zielstrebig  (teloklin)  und  regulatorisch,  eben  als  menschliche  (organische) 
„Handlung"  mit  Hilfe  von  Werkzeugen,  und  darum  ist  der  Organismus  keine  Maschine. 


Einklang  der  inneren  und  äußeren  Energetik  und  damit  die  objektive  Philo- 
sophie würde  übrigens  auch  dann  gelten,  wenn  die  psychischen  Kräfte  in 
mechanische  Leistungen  übergeführt  werden  könnten,  wie  das  in  wachsen- 
dem Maße  die  okkultistische  Forschungsrichtung  behauptet. 

Unsere  geistige  Welt  bleibt  daher,  wenn  sie  auch  nur  eine  Besonderheit 
des  Erlebens  ist,  den  allgemeinen  Weltgesetzen,  damit  auch  den  Gesetzen 
der  Funktionen  und  der  Weltmechanik  unterworfen,  denn  sie  ist  ein  Teil 
der  Welt  und  ihr  untergeordnet.  So  gilt  denn  logischer-  und  damit  not- 
wendigerweise auch  für  sie  der  erste  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärme- 
theorie (Konstanz  der  Energie),  der  da  lautet,  daß  der  ganze  Betrag  der 
Energie  eines  abgeschlossenen  Systems  trotz  aller  Verwandlungen  derselbe 
bleibt.  Es  wird  eine  Aufgabe  der  objektiven  Kulturwissenschaft  sein,  die 
Gültigkeit  dieses  Satzes,  sowie  die  restlose  Verwandlung  der  geistigen 
Energien  ineinander  zu  erweisen;  heute  ist  diese  Aufgabe  noch  nicht  ein- 
mal in  Angriff  genommen. 

Vollständig  durchgeführt  ist  sie  dagegen  auf  dem  Gebiet  der  physikali- 
schen Energien,  wobei  es  sich  herausgestellt  hat,  daß  diese  Umwandlungs- 
prozesse nicht  absolut  umkehrbar  (reversibel)  sind.  Es  ist  zwar  praktisch 
möglich,  durch  mechanische  Arbeit,  z.  B.  also  Reiben,  eine  bestimmte 
Arbeitsmenge  restlos  in  Wärme  zu  verwandeln,  nicht  aber  diese  in  gleichem 
Maße  wieder  mechanisch  nutzbar  zu  machen.  Mit  anderen  Worten,  es  sind 
nicht  alle  Formen  von  Energie  gleichwertig.  Ein  krasses  Beispiel  für  diesen 
bedauerlichen  Tatbestand  bieten  die  Dampfmaschinen,  denn  sie  versetzen 
uns  ja  in  die  ungünstige  Lage,  aus  Wärme  Bewegungsenergie  gewinnen  zu 
müssen.  Ihr  Nutzeffekt  ist  stets  nur  von  der  Temperatur  des  Kesseldampfes 
und  des  Kondensators  abhängig,  wobei  die  Wärme  des  letzteren  ungenutzt 
bleibt,  ganz  unabhängig  davon,  wie  vollkommen  oder  unvollkommen  die 
Konstruktion  der  Maschine  ist.  Durch  keine  Verbesserung  daran  läßt  sich 
dieses  Manko  einbringen.  Die  unvermeidlichen  Unvollkommenheiten  der 
Maschinentechnik  drücken  diesen  sogenannten  Nutzeffekt  nun  noch  mehr 
herab.  Der  maximale  Nutzeffekt  einer  Dampfmaschine  beträgt  denn  auch 
nur  etwas  über  27  Prozent,  das  heißt,  nur  ein  Viertel  der  aufgenommenen 
Wärme  wird  wirklich  in  Arbeit  verwandelt.  Drei  Viertel  der  aufgewandten 
Wärme  gehen  in  den  Kondensator  über;  sie  können  von  dort  aus  zwar 
wieder  nutzbar  gemacht  werden,  aber  wieder  nur  mit  einem  Verlust,  so  daß 
auch  im  günstigsten  Fall  ein  Defizit  bleibt.  Diese  ungünstige  Sachlage 
drückt  sich  auch  darin  aus,  daß  wohl  Wärme  von  selbst  und  allenthalben 
von  höherer  Temperatur  in  niedere  übergeht,  niemals  aber  umgekehrt.  Es 
entsteht  durch  alle  diese  Prozesse  eine  stets  wachsende  Menge  von  gering- 
wertiger Energie,  eine  Zerstreuung,  eine  Größe  im  Naturhaushalt,  die  stets 
wächst  und  von  der  Wärmetheorie  als  Entropie  bezeichnet  wird. 

Der  zweite  Hauptsatz  der  Wärmelehre  sagt  hierüber,  daß  bei  allen  Pro- 
zessen die  Entropie  des  an  dem  Prozeß^  beteiligten  Systems  wächst.    Das  ist 


der  berüchtigte,  von  uns  schon  gestreifte  Clausius'sche  Satz  vom  Wärme- 
tod des  Universums  (vgl.  Bd.  I  S.  52).  In  der  Form,  wie  man  sich  ihn  vor- 
stellte, bedeutet  er  eine  einseitige  Richtung  des  Weltprozesses,  ein  Streben 
nach  einem  Ende,  das  sich  als  Umwandlung  der  gesamten  Weltenergie  in 
einen  definitiven  und  allgemeinen  Ausgleich  kundgibt,  wodurch  alles  Ge- 
schehen aufhört.  Man  hat  hieraus  einen  entropischen  Gottesbeweis  ge- 
macht, denn,  so  sagte  man,  ein  Weltprozeß,  der  ein  Ende  haben  kann,  muß 
auch  einen  Anfang  gehabt  haben.  Da  aber  die  zur  Ruhe  gekommene 
Molekularbewegung  sich  nicht  von  selbst  neuerdings  bewegt,  muß  eine 
außerweltliche  Ursache  stets  von  Zeit  zu  Zeit  den  Anstoß  gegeben  haben. 

Dieser  Entropiegedanke  hat  die  ganze  Generation  seit  der  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  beunruhigt  und  die  gesamte  Philosophie,  so  weit  sie 
die  Naturerkenntnis  überhaupt  in  den  Kreis  ihres  Denkens  zog,  zu  pessi- 
mistischen Folgerungen  verleitet.  Es  ging  daher  wie  ein  Aufatmen  durch 
die  wissenschaftliche  Welt,  als  der  berühmte  Wiener  Physiker  Boltzmann. 
seine  „statistische  Theorie''^  der  Mechanik  entwickelte  und  darin  dem 
düsteren  Entropiesatz  auf  folgende  Weise  die  Zähne  auszubrechen  suchte. 
Nach  ihm  ist  der  zweite  Satz  der  Thermodynamik  kein  Gesetz,  sondern  nur 
ein  Wahrscheinlichkeitssatz.  Tatsächlich  wird  die  Entropie  nach  den  Prin- 
zipien der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  festgestellt,  und  ihr  Satz  lautet  in 
strenger  Formulierung  eigentlich  so,  daß  Anhaltspunkte  vorhanden  seien, 
wonach  jedes  System  seinem  wahrscheinlichsten  Bestände  zustrebe})  Sein 
berühmt  gewordenes  „H-Theorem"  brachte  den  Entropiesatz  wieder  in  Ein- 
klang mit  der  Mechanik.  Es  war  allerdings  damit  der  Weg  beschritten^ 
der  bei  der  Untersuchung  der  Wärmestrahlung  auf  absolut  schwarze  Kör- 
per auf  die  in  Band  I,  S.  52  beschriebene  Weise  geradewegs  zu  den  Auf- 
stellungen der  Quantentheorie  führte.  Und  ein  Widerspruch  blieb  auch  da- 
durch bestehen,  daß,  von  den  Anschauungen  Poincare's  ausgehend,  Zer- 
melo  zeigen  konnte,  daß  sich  in  allen  energetischen  Vorgängen  Periodizität 
kundgebe,  mit  anderem  Ausdruck,  daß  entweder  die  Entropie  zurecht  be- 
steht oder  alle  Zustände  periodisch  wiederkehren. 

Von  anderer  Seite  (Sv.  Arrhenius)  wurde  die  Frage  allerdings  anders, 
kühner  und  bestechender  „erledigt".  Es  wurde  einfach  zugegeben,  daß  sich 
alle  Energie  ständig  verschlechtere.  Jawohl  —  so  sagte  man  —  aber  nur 
in  unserem  Sonnensystem.  Von  der  Sonne  stammt  alle  Energie,  die  wir 
kennen  (man  beachte,  daß  die  geistige  inbegriffen  ist).  Sie,  die  jedem 
Quadratzentimeter  der  Erdoberfläche  in  der  Minute  drei  Grammkalorien 
liefert,  also  ein  Energiequantum,  zu  dessen  Herstellung  auf  jedem  Quadrat- 
meter eine  Maschine  von  43  Pferdekräften  aufgestellt  sein  müßte,  sie  ist 
die  Urheberin  von  Elektrizität,  Licht,  Wärme  und  jeder  Art  von  Bewegung 
und  Leben  in  einer  wundervollen  Verkettung  der  Prozesse,  die  allerdings 
zu  einer  steten  Verschlechterung  dieser  uns  geschenkten  Energie  führen. 
Diese  „latent  gewordene  Wärme"  strahlt  wohl  in  den  eisigen   Weltraum 


hinaus,  wird  von  seinem  dunklen  Abgrund  verschluckt  und  scheint  für 
immer  verloren  zu  sein.  Das  sei  aber  nur  trügerischer  Schein;  in  Wirk- 
lichkeit wird  draußen  im  Fixsternsystem  in  der  Region  der  kalten  Nebel 
auch  die  deklassierte  und  zerstreute  Wärmeenergie  aufgefangen  und  wieder 
verbessert.  Denn  diese  dunklen  Nebel  beginnen  nach  und  nach  zu  glühen 
und  verwandeln  sich  in  neue  Sonnen.  Man  sieht  sowohl  dunkle,  wie 
glühende  Nebel  am  Himmel,  und  dazu  sei  diese  die  Gemüter  so  beunruhi- 
gende Wärmeausstrahlung  einfach  nötig  —  sonst  würde  die  durch  die 
Sonnenwärme  ununterbrochen  angereicherte  Temperatur  der  Erde  bis  zur 
Unerträglichkeit,  nämlich  zur  vollendeten  Sonnenhaftigkeit,  steigen.  Die 
Dampfmaschine  ist  darin  gewissermaßen  nur  die  biotechnische  Kopie  der 
Erde.  Denn  auch  diese  leistet  Arbeit  nach  dem  Prinzip  der  Dampfmaschine, 
weil  sie  Wärme  aufnimmt,  sie  in  allerlei  andere  Energien  verwandelt  und 
dann  das  nicht  Ausgenützte  an  Wärme  an  den  Weltraum  abgibt,  der  ge- 
wissermaßen den  Kondensator  darstellt.  Allerdings  fügt  diese  Anschauung, 
als  ob  sie  ihren  Argumenten  selbst  nicht  ganz  traue,  noch  zur  Sicherheit 
hinzu,  daß  das  gefürchtete  Maximum  der  Entropie  doch  niemals  erreicht 
werden  könne,  sonst  wäre  es  ja  schon  längst  eingetreten. 

Im  Licht  der  biozentrischen  Erkenntnis  sieht  sich  das  Entropieproblem 
ganz  anders  an.  Vor  allem  erblickt  man  ganz  andere,  viel  tiefere  Beziehun- 
gen zwischen  den  Begriffen  Wärme  und  Leben  als  gemeinhin.  Wärme  be- 
deutet doch  in  diesem  Sinne  einen  disharmonischen  Zustand  der  Vorstel- 
lungswelt, nämlich  Bewegung  und  stete  Zustandsänderungen.  Das  aber  ge- 
rade war  es,  was  die  Physik  mit  jeder  gewünschten  Deutlichkeit  bestätigte. 
Wärme  ist  Bewegung,  „Revolution  der  Materie";  nicht  umsonst  kann  man 
die  Zerstörung  eines  ruhigen,  ausgeglichenen  Zustandes  als  ein  „Auf- 
flammen" bezeichnen,  und  nicht  zufällig  nennt  man  einen  disharmonischen 
Menschen  einen  Hitzkopf.  Leben  aber  ist  ebenfalls  stete  Bewegung,  ein 
niemals  stillstehendes  Aufbauen  und  Zerfallen,  ein  Wechselspiel  gegen- 
einander wirkender  Kräfte,  ein  „Kampf  der  Teile"  und  wie  die  gebräuch- 
lichen Bestimmungen  für  den  Lebenszustand  sonst  noch  lauten.  Da  ist  der 
Zusammenhang  jetzt  sehr  durchsichtig,  warum  die  Lebendigen  Temperatur- 
wesen sind  und  Leben  so  eng  an  die  Wärme  gebunden  ist.  Die  Beobach- 
tung von  keimenden  Samen  im  Lenz  hält  jedem  darüber  ein  Privatissimum 
von  eindringlichster  Sprache,  wenn  nicht  schon  seine  eigene  Empfindlich- 
keit für  die  leisesten  Temperaturschwankungen  ihn  über  diese  Zusammen- 
hänge aufgeklärt  hätte.  Es  ist  nicht  übertriebene  Gewissenhaftigkeit,  son- 
dern bittere  Notwendigkeit,  die  den  Arzt  zwingt,  an  dem  Fieberkranken  bei 
Temperaturen  über  40°  sogar  die  Zehntelgrade  der  Bluttemperatur  zu 
beobachten.  Ohne  Wärme  käme  das  Leben  zu  seinem  Ausgleich,  der  Tod 
heißt  Wärme,  und  zwar  nicht  nur  die  äußere,  sondern  auch  die  in  Kalorien 
verwandelte  Nahrung  verlängert  die  Lebensprozesse  immer  wieder  und 
hindert  sie  an  dem  Ausgleich,  nach  dem  sie  gerichtet  sind.    Das  Leben  ist 


wie  eine  Uhr,  die  fortwährend  stehen  bleiben  will,  und  die  immer  nur  durch 
Stöße  dazu  gebracht  wird,  wieder  einige  Zeit  das  Räderwerk  zu  drehen. 
Eine  solche  Uhr  ist  die  „Weltmaschine"  selbst.  Wir  nehmen  in  der  Wärme 
und  ihren  Konsequenzen,  nämlich  im  Weltprozeß,  nicht  die  Urheber  dieser 
Störungen,  nicht  einmal  die  Uhr  selbst,  sondern  nur  die  steten  Verände- 
rungen der  Teile  wahr,  so  wie  eine  dunkle  Sonne  erst  dann  merkbar  wird, 
wenn  sie  „Störungen"  im  Gang  der  Gestirne  ausübt  oder  ihren  Ruhezustand 
verläßt  und  zu  strahlen  beginnt.  Wir  erleben  nicht  die  Welt,  sondern  nur 
die  Relationen  des  Weltprozesses,  nennen  die  stattfindenden  Störungen 
Wärme  und  die  aus  ihr  hervorgehenden  Energieformen  Materie,  Leben, 
empfinden  sie  als  Innenleben,  machen  uns  aus  der  Vielheit  dieser  Erleb- 
nisse ein  „Weltsystem"  zurecht  und  haben  uns  mächtig  gewundert,  ja  wir 
sind  von  heimlichem  Grauen  durchrieselt  worden,  als  einer  eines  Tages  die 
bei  dieser  Sachlage  gar  nicht  verwunderliche  Tatsache  entdeckte,  daß  allen 
diesen  Vorgängen  eine  „Richtung"  nach  der  gegenseitigen  harmonischen 
Bindung  (Entropie  genannt)  innewohnt.*) 

Man  möge  dabei  aber  keinen  Widerspruch  darin  sehen,  daß  die  Harmo- 
nie hier  scheinbar  zwei  verschiedene  Deutungen  erfahren  hat.  Das  eine  Mal 
(vgl.  S.  4)  wurde  sie  doch  als  die  Grundlage  des  Gesetzes  von  der  Erhal- 
tung der  Energie  bezeichnet,  als  Harmonie  der  Funktionen;  das  andere  Mal 
erschien  nun  Harmonie  als  der  Dauerzustand  absoluter  Ruhe.  Beides  ist 
durchaus  möglich,  da  Harmonie  ja  nicht  die  Konstatierung  eines  Systems 
bestimmter  Teile,  sondern  ein  Schema  von  Beziehungen  beliebiger  Faktoren 
darstellt.  Harmonie  ist  weder  von  Bewegung  noch  von  Ruhe  abhängig, 
sondern  regelt  nur  die  internen  Verhältnisse  komplexer  Systeme  im  Sinne 
von  Dauerhaftigkeit.  Harmonie  ist  ein  zoetischer  Begriff:  wir  müssen 
das,  was  uns  dauerhaft  vorkommt,  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Harmonie 
durchordnen.  Ein  System  harmonischer  Funktionen  ist  im  ganzen  nun 
weit  mehr  Störungen  ausgesetzt  und  leichter  zerstörbar,  also  durchaus 
labiler  als  ein  solches  von  ruhenden  Teilen;  das  eine  ist  die  Harmonie 
des  Weltprozesses,  das  andere  die  der  Welt.  Da  der  Prozeß  das  Werden 
ist,  das  nach  dem  Sein  strebt,  wird  durch  diesen  Gedankengang  dies  von 
den  Physikern  im  Geschehen  konstatierte  „Gerichtetsein^'  verständlich,  und 
darum  war  es  auch  gerechtfertigt,  zu  sagen,  aus  der  Tatsache  der  Harmonie 
selbst  ergebe  sich  bereits  die  Entropie.  Die  weniger  gesicherten  Formen 
harmonischer  Zustände  werden  abgelöst  von  absolut  gesicherten,  das  ist 
die  „Richtung",  in  der  sich  der  Weltengang  zu  bewegen  scheint,  und  der 
Wechsel  der  Funktionsformen  tendiert  zur  Befreiung  von  der  Funk- 
tionsform. 

Der  an  dieser  Stelle  sich  aufdrängende  Begriff  der  Funktionsform  ist 
der  nächste,  der  einer  Erörterung  bedarf,  da  er  an  sich  weder  durch  den 
Begriff  der  Funktion  noch  den  der  Energie  oder  der  Entropie  verständlich 
ist.  Überdenkt  man  die  Art,  in  der  sich  gesetzmäßige  Beziehungen  zwischen 

10 


zwei  Größen  abspielen  können,  so  wird  man  finden,  daß  das  Bestehen 
einer  Funktion  überhaupt  nur  durch  die  Form,  beziehungsweise  die  Eigen- 
schaften erkannt  werden  kann,  die  diese  Größen  unter  dem  Einfluß  ihres 
Funktionier ens  annehmen.  Daher  sieht  sich  auch  die  Mathematik  genötigt, 
in  ihrer  Symbolik  der  Funktion  ein  besonderes  Symbol  zu  verleihen,  das 
von  ihr  als  eine  Variable  erkannt  ist.  In  der  Formel  y  =  f(x)  ist  y  die 
Funktion,  zugleich  die  Variable,  die  abgeänderte  Form  von  x.  Oder  wenn 
das  ganze  Verhältnis  graphisch  dargestellt  wird  durch  ein  Koordinaten- 
system, dann  bildet  die  Funktion  darin  eine  jeweils  verschieden  verlaufende 
Kurve.5) 

Es  ist  also  nicht  anzuzweifeln,  daß  jede  Funktion  gesetzmäßig  ihre  von 
der  Funktion  abhängige  Funktionsform  nach  sich  zieht.  Es  ist  demnach 
zu  untersuchen  und  auch  an  sich  sehr  interessant,  mit  welchen  Funktions- 
formen sich  unser  Erleben  begegnet.  Diese  Untersuchung  ist  sogar  eine 
Notwendigkeit,  will  man  über  die  Funktionen  Klarheit  erlangen,  da  die 
Formen  ja  die  einzige  für  uns  verständliche  Sprache  sind,  in  der  die  Funk- 
tionen zu  uns  sprechen.  Nur  aus  den  Formen  kann  man  die  Kräfte  des 
Seins  erschließen,  sie  allein  gewähren  Aufschluß  über  die  Veränderungen 
im  Weltbild. 

Bevor  man  sich  dieser  Arbeit  hingibt,  soll  aber  unzweideutig  festgestellt 
sein,  daß  durchgängig  an  dem  Begriff  der  Funktion  selbst  auch  der  der 
funktionsbedingten  variablen  Form  hängt,  daß  demnach  funktionelle  An- 
passung keineswegs  bloß  eine  den  Organismen  zukommende,  sondern  in 
unserem  ganzen  Weltbild  wiederkehrende  Erscheinung  ist.  Das  bewun- 
dernswerte Lebenswerk  von  Wilhelm  Roux,  nämlich  die  Begründung  der 
funktionellen  Anpassung,  hat  daher  eine  weit  umfassendere  Bedeutung, 
als  es  ihrem  Urheber  selbst  scheinen  wollte,  und  es  wird  über  das  For- 
schungsfeld der  Biotechnik  hinaus  noch  zahlreiche  Kräfte  auf  dem  ganzen 
weiten  Gebiet  der  Weltforschung  in  Bewegung  setzen,  wenn  erst  einmal 
die  wahre  Bedeutung  der  Funktionsform  allgemein  begriffen  sein  wird. 

Die  einfachste  Form  von  Funktion  bieten  die  Erscheinungen,  welche 
von  dem  Vorhandensein  von  Massen  abhängen,  die  sich  wechselseitig  be- 
einflussen. Die  Masse  macht  sich  als  Beeinflussung  ihrer  Umgebung  nach 
außen  als  Gravitation,  an  ihr  selbst  aber  als  Trägheit  bemerkbar.  Es  ist 
demnach  auch  wohl  kein  Zufall,  daß  in  der  gesamten  modernen  Physik 
gerade  diese  zwei  elementaren  Erscheinungen  zuerst  die  Aufmerksamkeit 
der  Forschung  auf  sich  gezogen  haben. 

Bekanntlich  hat  Galilei  nach  einer  artigen  Legende  an  den  Schwingungen 
einer  Ampel  im  Dom  zu  Pisa  zuerst  die  Erscheinungen  der  Schwerkraft 
erkannt,  die  heute  als  Spezialfall  der  Newton'szhtn  Attraktion  nach  den 
Arbeiten  von  Kepler  und  Newton  die  Grundlage  der  noch  geltenden 
Himmelsmechanik  bildet.  Ihr  Kernsatz  lautet,  wie  ja  jedem  Schüler  ge- 
lehrt wird:    Die  Planeten  bewegen  sich  unter  der  Herrschaft  der  von  der 

11 


Sonne  ausgehenden  Gravitation.  Diese  hat  die  Richtung  Planet-Sonne 
und  ist  durch  folgende  zwei  Eigenschaften  bestimmt:  Sie  ist  dem  Produkt 
der  Massen  von  Sonne  und  Planet  direkt  -proportional  und  dem  Quadrat 
ihres  Abstandes  umgekehrt  proportional.  Vom  Himmel  aus  wurde  das 
Gesetz  zu  der  Formel  verallgemeinert,  daß  alle  Massen  in  der  Welt  sich 
mit  einer  Kraft  anziehen,  die  den  obigen  zwei  Gesetzen  gehorcht. 

Das  ist  das  Newton'sche  Gravitationsgesetz,  durch  das  die  Bewegungen 
aller  Massenteilchen  erfaßt  werden  konnten,  weshalb  sich  auf  ihm  die  ge- 
samte moderne  Physik  aufbaut.  Von  diesem  Boden  aus  wurde  das  Träg- 
heitsprinzip erkannt,  das  mit  der  Gravitation  zusammen  die  Basis  der 
gesamten  Newton' sehen  Mechanik  ist,  die  jetzt  durch  die  Relativitäts- 
anschauung abgelöst  wird.  Jeder  Körper  verharrt  in  Ruhe  oder  gleich- 
förmiger Geschwindigkeit  auf  gerader  Bahn,  solange  er  nicht  durch  Kräfte 
gezwungen  wird,  diesen  Zustand  der  Ruhe  oder  gleichförmigen  Bewegung 
zu  ändern.  (Erstes  Newton' sches  Prinzip.)  Die  Kräfte  aber,  die  auf  andere 
einwirken,  werden  gemessen  durch  das  Produkt  aus  der  Masse  des  Kör- 
pers und  der  Beschleunigung,  die  er  unter  dem  Einfluß  der  Kraft  erhält. 
Sie  wirkt  immer  in  derfenigen  Richtung,  welche  die  Beschleunigung  hat. 
(Zweites  Newton' sches  Prinzip.) 

Es  sind  also  an  die  Masse,  die  Bewegung  (des  Fallens),  die  Kraft  jene 
Formen  geknüpft,  in  denen  sich  am  elementarsten  Funktionen  äußern,  und 
eine  Untersuchung  des  Funktionsgesetzes  hat  an  sie  anzuknüpfen.  Unver- 
kennbar sieht  man  da  als  erstes,  daß  allem  Seienden,  wenn  es  die  Funk- 
tionen von  Massigkeit,  Bewegung  oder  Kraft  ausübt,  dadurch  allein  schon 
tiefe  Spuren  aufgeprägt  werden.  Eine  umfangreiche  Untersuchung  für  sich, 
eine  ganze  vielbändige  Wissenschaft  über  das  Formproblem  müßte  hier  an 
Stelle  dieser  wenigen  Sätze  stehen,  wollte  man  den  Gegenstand  auch  nur 
in  seinen  wichtigsten  Umrissen  aufzeigen;  die  Menschheit,  welche  durch 
die  Bedürfnisse  des  Lebens  so  bitter  darauf  angewiesen  ist,  die  Eigen- 
schaften der  Welt  zu  durchschauen,  um  sie  zu  Schutz  und  Arbeit  in  den 
Dienst  des  Lebens  zu  stellen,  wird  auf  die  Dauer  nicht  daran  vorüber- 
gehen können,  alle  Funktionsformen  des  Seins  so  genau  kennen  zu  lernen, 
wie  sie  einen  kleinen  Teil  von  ihnen,  nämlich  die  Funktionsformen  der 
Maschinen,  schon  heute  mit  befriedigender  Genauigkeit  beobachtet  und 
durchgerechnet  hat.  Sie  wird  die  objektive  Philosophie  einst  dafür  segnen 
und  ihr  Monumente  errichten  dafür,  daß  sie  den  Menschen  Augen  ein- 
gesetzt hat,  um  hier  zu  sehen,  und  sicherlich  wird  diese  praktisch-technische 
Anwendung  ihrer  Denkungsart  das  Erste  sein,  was  man  von  ihr  annehmen, 
und  was  jeder  von  ihr  auch  begreifen  wird. 

In  einem  Werke  aber,  das  unverrückt  das  Weltganze  im  Auge  hat,  darf 
dieser  angesichts  seiner  Aufgabe  geringfügigen  praktischen  Arbeit  nur  ein 
kurzer  Abschnitt  gewidmet  sein,  und  so  muß  ich  mich  denn  auf  Beispiele 
beschränken  dort,  wo  ein  Archiv  zu  öffnen  wäre. 

12 


So  möge  denn  darauf  nur  hin- 
gewiesen sein,  daß  alle  ruhenden 
Systeme  die  Eigenschaft  der  Mas- 
sigkeit in  der  Form  der  Kugel  ver- 
wirklichen, welche  die  elementarste 
Funktionsform  zu  sein  scheint.  Es 
ist  deshalb  auch  ein  anerkannter 
Denkzwang,  sich  alle  ruhenden 
,, Masseteilchen"  vor  Einwirkung  von 
Kräften  auf  sie,  beziehungsweise  im 
harmonischen  Gleichgewicht  der 
Kräfte  als  Kugeln  vorzustellen.  Das 
gilt  heute  von  den  Elektronen,  wie 
es  vordem  von  den  Atomen  und 
Molekülen,  den  Tropfen,  Körnern 
und  Granula  galt  und  noch  für  das 
Weltsystem  als  Ganzes  zutrifft.  Die 
Kugel  ist  die  optimale  Funktions- 
jorm*)  des  Zustandes  „Masse'\ 
wenn  er  in  Ruhe  oder  gleichmäßig 
harmonisch  Kräften  unterworfen 
ist.  Die  Trägheit  der  Masse  is- 
es,  welche  diese  optimale  Form 
von  Raumerfüllung  bewirkt,  und  es  bleibt  nun  eine  Untersuchung  für  sich, 
warum  auch  der  äquipotentiellen  Systeme  gerade  diese  Grundform  des 
Seins  annehmen.  Ist  doch  die  Kugel  auch  die  Urform  des  Protoplasten, 
beziehungsweise  der  Zelle  im  ruhenden  Zustand.  Kugelform  nimmt  die 
Zelle  sowohl  als  Eizelle  an,  wie  auch  die  ruhenden  Amöben,  die  Ruhe- 
zustände der  Einzeller  (Cysten),  die  Grundformen  der  Algen  überhaupt 
kugelig  sind. 

Es  spricht  vollkommen  für  die  Richtigkeit  der  Anschauungen  der  ob- 
jektiven Denkungsart,  daß  das  Newton'sche  Trägheitsprinzip  für  den  Be- 
griff Masse  in  jeder  seiner  Bedeutungen  zutrifft,  wofür  man  sich  im 
kulturellen,  sozialen  und  geistigen  Leben  die  Belege  leicht  zusammen- 
suchen kann. 


Abb.  1.  Die  Kugel  ist  die  optimale  Massenform.  Sie 
sinict  in  Wasser  (I)  tiefer  ein  als  es  ihrem  Gewicht 
entspricht;  auf  Quecksilber  (11)  erfährt  sie  eine  He- 
bung. Die  Ursache  liegt  in  der  verschiedenen  Ober- 
flächenspannung und  ihren  Randwirkungen.  Die  Er- 
scheinung beweist  die  Teleologie  der  Molekularkräfte; 
die  Oberflächenspannung  ist  von  den  jeweiligen  Ver- 
hältnissen abhängig. 


*)  Da  die  Technik  kein  anderes  Ziel  hat,  als  die  optimalen  Funktionsformen  der 
Werkzeuge  und  Maschinenelemente  zu  finden,  habe  ich  statt  dem  längeren  „optimale 
Funktionsform"  den  Ausdruck  „technische  Form"  hierfür  angewandt,  der  auch  in 
diesem  Werk  im  gleichen  Sinn  festgehalten  werden  soll.  Vgl.  hierzu  mein  Essay:  Das 
Problem  der  technischen  Formen  (Prometheus  1917).  —  Auch:  Die  Form  des  Er- 
lebens und  des  Gestaltens  (Österreich.  Rundschau  1918)  und:  Die  Grundprinzipien 
der  Biotechnik  (Technik  und  Industrie,    Zürich  1918). 


13 


Dasselbe  gilt  für  den  Begriff  Bewegung,  der  ebenfalls  sowohl  in  der 
physischen  wie  in  der  Vorstellungswelt  dem  gleichen  Gesetze  folgt.  Daß 
eine  Bewegung  nur  durch  Vektoren  ausgedrückt  werden  kann,  deren  ele- 
mentarer Charakter  durch  Länge,  Richtung  und  Richtungssinn  festgelegt 
wird,  hängt  mit  der  Euklidischen  Vorstellung  vom  Räume  zusammen;  an 
sich  bedeutet  Bewegung,  deren  Form  also  die  Linie  ist,  nichts  anderes  als 
die  Folge  unserer  Erkenntnisbeschränktheit,  die  sich  Erlebnisvielheiten 
hintereinander  projizieren  muß,  um  sie  vergleichen  zu  können,  und  die 
diese  linieare  Projektion  dann  als  Bewegung  und  Geschehen  für  einen 
selbständigen  Faktor  im  Weltbilde  hält,  während  sie  doch  nur  „technische 
Mittel  des  Erlebens"  sind. 

Die  verschiedenen  Arten  von  Bewegung  (gerade,  kreisförmige,  ellip- 
tische, parabolische,  beschleunigte,  gleichmäßige,  harmonische,  rhythmische 
usw.)  sind  die  Formen,  in  denen  sich  die  Kfäfte  äußern,  deren  Vorhanden- 
sein an  nichts  als  an  atomaren  und  molekularen  Änderungen  erkannt 
werden  kann.  Hier  breitet  sich  das  unübersehbare  Gebiet  der  Morpho- 
logie der  Funktionen  aus,  von  dem  für  eine  zusammenfassende  Betrach- 
tung, die  das  Ganze  überblicken  will,  nur  das  Eine  wesentlich  ist,  daß 
die  Gesetze  der  periodischen  Funktionen,  der  Beschleunigung,  der  Gleich- 
mäßigkeit, der  kreis-  und  geradlinigen  Bewegung,  der  Wellen  usw.  für 
die  Relationen  der  Elemente  des  Geistigen  mit  mathematischer  Notwen- 
digkeit zutreffen.  Diese  Erkenntnis  ist  allgemein,  denn  in  allen  mensch- 
lichen Verhältnissen  bis  zur  Umgangssprache  des  Alltags  herab  wird 
sie  angewendet.  Neu  ist  nur  die  Einsicht,  daß  diese  absolute  Gültigkeit 
einer  einheitlichen  Relationslehre  weder  eine  Übertragung  des  Physikali- 
schen auf  das  geistige  Gebiet  ist,  noch  umgekehrt  aus  einer  Vermensch- 
lichung der  Natur  entsprang,  sondern  das  Gesetz  der  Funktion  überhaupt 
ist,  nur  in  den  Sprachen  der  Mathematik,  Musik,  Mechanik,  Soziologie, 
Logik,  Nationalökonomie  wiederholt  wird.  Sein  kann  sich  nicht  anders 
entfalten  als  in  Funktionen,  und  diese  schwingen  in  jedem  Sein  nach  dem 
Funktionsgesetz. 

Wenn  ich  hierfür  als  Beispiel  die  sogenannte  Sinusfunktion  wähle,  so 
geschieht  dies,  weil  sie  im  gesamten  Erlebnisinhalt  in  tausend  Verwand- 
lungen und  Masken  vor  dem  Intellekt  tanzt,  vielleicht  überhaupt  das 
häufigste  Erlebnis  ist.  Die  Sinusschwingung,  mit  tieferem  Sinn  auch  die 
harmonische  Schwingung  genannt,  ist  nichts  als  eine  Bewegungsform,  bei 
der  ein  Punkt  an  die  gleiche  Stelle  zurückkehrt,  nachdem  er  mit  gleich- 
förmiger Bewegung  einen  vollständigen  Kreis  beschrieben  hat.  Der  Punkt 
vollführt  hierbei  eine  Bewegung,  für  die  man  sich  auf  den  Ausdruck 
Welle  geeinigt  hat.  In  der  Welle  hat  man  eine  periodische  Funktion  der 
Seinsstufen  vor  sich,  die  zugleich  die  einfachste  periodische  Schwingung 
ist.  Diese  Gesetze  der  Welt  zu  studieren  aber  hat  der  Menschengeist  allen 
Anlaß,  da  ihn  sozusagen  alles  Geschehen  in  Wellen,  nämlich  in  Rhyth- 

14 


men  umbrandet.  Jene  Entdeckung  von  Zermelo  (deren  scheinbares 
Ignorieren  vorhin  manchen  befremdet  haben  mag),  wonach  alle  Zustände 
periodische  Funktionen  des  Seins  seien  und  wiederkehren,  ein  Gedanke, 
der  aus  der  Philosophie  durch  die  großartige  Vision  Nietzsches  von  der 
„Wiederkehr  des  Gleichen"  bekannt  ist,  dieser  Zermelo' ^oho^  Satz  macht  das 
Wellenphänomen  überhaupt  zur  Universalfunktion  unserer  VorstellunQswelt. 

Ein  Stein,  der  senkrecht  ins  Wasser  eines  Weihers  fällt  (vgl.  Abb.  2)  ist 
auch  für  den  Physiker  der  Ausgangspunkt  aller  Wellenerkenntnisse.  Man 
beobachtet  an  den  Wasserteilchen  besonders  leicht,  daß  sie  auf  eine  solche 
Verdrängung  ihrer  Gleichgewichtslage  hin  eine  regelrechte  Sinusschvvin- 
gung  ausführen.  An  einem  im  Wasser  schwimmenden  Körnchen  sieht 
man,  wie  es  eine  Linie  beschreibt,  die  zuerst  ins  Wellental  hinabführt, 
dann  aber  den  Wellenberg  hinansteigt,  um  so  durch  einen  richtigen 
Kreis  wieder  zu  seinem  Ausgangspunkt  zurückkehren.  Der  kleine  Schwim- 
mer steigt  auf  und  nieder,  aber  er  rückt  nicht  von  der  Stelle.  Was  vor 
unseren  Augen  dahinwandert  und  viele  Kreise  beschreibt,  das  ist  die 
Wellenbewegung  selbst,  die  fortschreitet,  bis  sie  am  Ufer  anprallt.  Und 
nun  beginnt  das  gleiche  Spiel  in  der  anderen  Richtung,  und  die  rück- 
kehrenden Wellen  zerschneiden  die  langsam  ausschwingenden  primären 
Wellen.  So  entsteht  das  Geschaukel  und  Glitzern,  das  den  bewegten  See 
so  reizvoll  überflirrt.  Wir,  die  wir  dem  Spiel  mit  scharf  prüfendem  Auge 
folgen,  entdecken  ab  und  zu,  wie  zwei  Wellen  so  zusammenprallen,  daß 
ein  Wellenberg  ein  Wellental  ausfüllt,  und  wie  sie  sich  völlig  aufheben 
und  verschwinden.  Da  haben  wir  dann  die  Erscheinung  der  Interferenz 
erlebt,  die  jeder  Wellenbewegung  so  wesentlich  eignet,  daß  in  allem,  was 
sich  in  solche  tote  Lücken  unter  dem  Einfluß  zweier  Kräfte  auflöst,  deren 
vektorielle  Eigenschaften  gegeneinander  gerichtet  sind,  Wellenbewegung  ge- 
sucht wird.  Setzt  man  diese  Wellenstudien  fort,  schreitet  man  von  Ent- 
deckung zu  Entdeckung.  Man  findet  zunächst,  daß  das  Wasser  in  Trans- 
versalwellen schwingt,  während  im  Wellengang  des  Schalles  die  Luft  gerad- 
linig fortschreitet,  keine  Berge  und  Täler  hat,  dafür  Verdichtung  und  Ver- 
dünnung aufweist.    Das  sind  dann  Longitudinalw eilen. 

Aber  dem  Wellengesetz  gehorcht  jede  Energie;  aus  Wellen  der  Elek- 
trizität setzt  sich  auch  das  Scheinbild  der  Materie  zusammen  —  die 
Wellenbewegung  erscheint  jetzt  als  die  universale  und  wichtigste  Form 
der  Funktionen.  Ein  Phänomen  durchschwingt  das  ganze  physische  Sein, 
und,  wenn  man  es  auf  sein  Innerstes  prüft,  ist  es  die  Kreisbewegung, 
die  sich  als  Periodizität  kundgibt.  Wunderbar  ist  diese  Erscheinung  des 
Periodischen,  die  auch  aus  unserem  Herzschlag  spricht,  in  unseren  Pulsen 
klopft,  in  stummem  Zug,  von  dem  die  Schule  Freuds  manchen  Schleier 
abgerissen  hat,  durch  das  ganze  Menschenleben  geht,  mit  28tägiger  Wieder- 
kehr physiologischer  Zustände  (Menstruation),  mit  einer  großen  und  kleinen 
täglichen  Wachstumskurve  bei  Pflanzen,  als  Mauserung  der  Tiere  im  Ring 

15 


der  Monate,  als  Zeitempfinden  und  Zeitrechnung  in  unserem  Innenleben 
abgeleitet  aus  der  großen  Periodizität  am  Firmament,  als  in  ewigem 
Rhythmus  daherrauschende  Flutwelle  und  Luftdruckschwankung  und  als 
Gleichmaß  der  Jahreszeiten.  Nach  Rhythmusgesetzen  formt  der  Künstler 
den  Klang  der  Worte,  nach  ihnen  tönen  die  süßen  Zauberformeln  der 
Musik.  Periodizität  und  ihr  Wellengesetz  spricht  aus  Ornament  und  Archi- 
tektur, aus  dem  Gang  der  Geschichte  und  der  scheinbaren  Regellosigkeit 
des  Verkehrs  der  Güter  und  Werte.  Wer  seine  Mechanik  voll  und  ganz 
beherrscht,  der  ist  auch  Herr  der  Metrik,  der  Musik,  der  kulturellen  Ge- 
setze, so  wie  er  der  Herr  der  natürlichen  ist,  denn  er  hat  eines  der  funda- 
mentalsten Gesetze  der  Welt  erkannt. 

Wer  ist  nicht  schon  ins  Innerste  erschüttert  vor  dem  donnernden  Zer- 
stäuben der  Wellenberge  gestanden,  wer  empfand  nicht  wenigstens  für  den 
Augenblick  im  ahnungsvollen  Schauer  etwas  von  dem  Pathos  der  Distanz 
zwischen  Mensch  und  Natur,  wenn  Welle  um  Welle  daherrauschte  und,  wie 
berechnet,  an  gleicher  Stelle  sich  aufbäumte  als  Schaumroß  und  taktmäßig 
niederfiel  (vgl.  die  Farbentafel),  zurückfließend  in  hundert  kleinen  Wellen, 
die  dann  im  Intervall  zwischen  zwei  hohen  Wasserbergen  ihr  Lichterspiel 
trieben.  In  solcher  Stunde  spricht  das  Weltgesetz  selbst  zu  den  Wissen- 
den, denn  was  hier  in  gewaltigen  Massen,  angetan  mit  dem  Glanz  hehrer 
Naturschönheit,  unter  Donnertosen  und  des  Windes  Rasen  einherschreitet, 
das  wiederholt  sich  bis  in  die  leiseste  Schwingung  des  verborgensten  Elek- 
trons tausendfach  abgewandelt  und  doch  als  das  ewig  Eine  im  ganzen 
Welterleben! 

Das  Meer  entbehrt  niemals  der  Welle.  Sogar  bei  Meeresstille  und  glück- 
licher Fahrt  merkt  ein  kundiges  Auge  die  leise  Schwankung  mächtiger,  lan- 
ger Wellen,  der  Dünung,  deren  letzte  Ursache  eigentlich  noch  entdeckt  wer- 
den muß.  Gerade  an  diesem  „Parademarsch  des  Meeres"  kann  man  sich  am 
schnellsten  davon  überzeugen,  daß  sich  die  Wasserteilchen  zwar  ununter- 
brochen radförmig  drehen,  aber  nicht  von  der  Stelle  rücken,  was  dem  Un- 
kundigen kaum  glaublich  erscheint.  Von  da  bis  zur  „Kalema'\  der  enormen 
Brandung  an  der  afrikanischen  Guineaküste,  die  die  höchsten  Wellen  auf- 
wirft —  wenn  nicht  die  40  m,  die  man  die  Wellen  am  schottländischen 
Bell-Rock-Leuchtturm  aufspringen  sah,  sie  noch  übertreffen  — ,  sind  zahl- 
lose Wellenformen  des  Meeres  beobachtet.  Schon  auf  dem  schönen  Gemälde 
von  Eugen  Bracht,  dessen  vortreffliche  Reproduktion  diesen  Band  ziert, 
sind  nicht  weniger  als  fünf  Wellenformen  zu  sehen:  die  eigentliche  Bran- 
dungswelle, davor  gegen  das  Ufer  zu  die  geschichteten  Rückflußwellen 
(deren  Typus  in  klassischer  Entfaltung  in  Bd.  I  auf  der  farbigen  Tafel  von 
All  Bachmann  gemalt  ist,  wo  auch  das  Phänomen  der  Interferenzerschei- 
nung vom  Künstler  bewunderungswürdig  beobachtet  wurde),  dann  die 
kleinen  Teilwellen  in  der  Zone  zwischen  den  Wellenbergen,  viertens  die 
typische  überbrechende  Welle  und  ganz  draußen  eine  Art  hohler  Dünung. 

16 


Abb.  2.     Die  Erscheinungen  der  Transvcrsahvellen  im  Wasser.    Die  ringförmige 
Ausbreitung  der'  Wellen  um  ihr  Störungszentrum.    Interferen/.erscheinungon 

OriginalaufiialiiiiL'  von   Frau  Or.  A.   Pricdricli,   Miiiiclu-ii 


Abb.  3.    Rundling  (Rundhöcker),  entstanden  durch  die  scheuernde  Wirkung  des 
Eises.    Motiv  vom  Kochelsee  in  Oberbayern 

Originalaufnahme 


Im  allgemeinen  sind  freilich  bisher  Meereswellen  mehr  mit  den  Augen 
der  Dichter  als  der  Forscher  gesehen  worden,  denn  turmhohe  Wellen  gibt 
es  auf  freier  See  nicht;  die  höchste  gemessene  betrug  nur  18  m  Höhe,  da- 
gegen ihre  Länge  überraschender  Weise  von  Kamm  zu  Kamm  gemessen  an 
500  m.  Das  wird  freilich  von  den  Erdbebenwellen  des  Ozeans,  dem  gewal- 
tigsten Wellenphänomen  des  uns  bekannten  Universums,  weit  in  den 
Schatten  gestellt.  Sie,  die  wiederholt  mehrfach  die  Erde  umkreist  haben, 
sind  in  diesem  Sinn  900  km  lang,  und  ihre  Bewegung  rast  in  der  Sekunde 
150—200  m  vorwärts,  wodurch  sich  ihre  fürchterliche  Zerstörungskraft  er- 
klärt. Bei  Stürmen,  die  auch  mehr  poetisch  als  richtig  beschrieben  worden 
sind,  übersteigt  die  Schnelligkeit  der  Wellenfortpflanzung  nicht  28  m  in  der 
Sekunde. 

Gerade  an  dem  Phänomen  der  Meereswellen,  dessen  Betrachtung  uner- 
schöpflichen Genuß  gewährt,  glaubt  man  am  ehesten  unmittelbare  Gewiß- 
heit zu  erlangen,  daß  alle  Wellen  durch  das  Zusammenwirken  einer  gro- 
ßen Zahl  elementarer  Wellen  zustande  kommen  (Huygens'sches  Prinzip). 
und  kehrt  damit  zum  Ausgangspunkt  dieser  Beobachtungen,  zur  Theorie  der 
Wellen  zurück,  die  auch  in  der  exaktesten  Formulierung  nicht  anders 
lautet  als:  Wellen  entstehen,  wenn  durch  eine  Kraft  das  Gleichgewicht 
eines  Punktes  gestört  wird,  sich  eine  neue  Gleichgewichtslage  sucht  und 
dann  nach  Aufhebung  der  Kraft  wieder  zurückwandert.    (Schwingung.) 

Es  ist  wieder  der  Ausgangspunkt  unserer  Analyse  erreicht,  wenn  im 
Verfolg  dieser  Definition  die  Mathematik  die  Schwingung  (=  Welle)  als 
einen  zeitlich  räumlich  periodischen  Vorgang  bezeichnet  und  das  in  die 
Formel  kleidet:  p  =  die  periodische  Funktion  von  t. 

Der  Einklang  zwischen  der  Auffassung  vom  Weltprozeß  als  einem 
Ausgleichvorgang  zur  Behebung  von  Störungen,  welche  die  objektive 
Philosophie  verkündet,  und  der  modernen  Physik  ist  also  ein  vollständiger. 
Von  diesen  einfachsten  Wellen  bis  zu  den  letzten  Konsequenzen  der  Wellen- 
theorie ist  allerdings  der  Weg  ein  ungeheurer. 

Schon  in  der,  wenn  ich  so  mich  ausdrücken  darf,  zweitgröbsten  Mani- 
festation der  Wellengesetze,  nämlich  in  den  Meeresströmungen  und  Luft- 
wellen, welche  durch  die  Temperaturstörungen  der  Atmosphäre  als  Winde 
und  Depressionen  ausgelöst  werden,  verwickelt  sich  die  Erscheinung  in 
zunehmendem  Maße.  Die  Oberflächenwellen  reichen  im  Meer  nicht  tief 
hinab.  Schon  in  30—33  m  Tiefe  ist  das  Wasser  ruhiger,  in  200  m  voll- 
kommen ruhig,  mag  auch  oben  der  Wind,  der  die  schmalen  Kämme  der 
Wellen  schneller  entführt  als  deren  breite  Basis,  einen  donnernden  Zu- 
sammensturz nach  dem  anderen  verursachen.  Trotzdem  ist  das  Wasser 
auch  in  der  Tiefe  nicht  unbeweglich,  sondern  stets  findet,  wenn  auch  oft 
sehr  langsam,  eine  ununterbrochene  doppelte  Wellenbewegung  statt.  In- 
folge des  Gesetzes,  daß  kaltes  Wasser  schwerer  ist  als  warmes,  sinken  in 
den  Polarbreiten  ständig  von  der  durch  starke  Fröste  abgekühlten  Ober- 

Franci,  Bios   U  2 

17 


fläche  breite  Wassermassen  in  die  Tiefe,  und  Oberflächen-Ströme  verwan- 
deln sich  in  Tiefenströmungen.  Solches  ist  in  größtem  Maßstab  der  Fall 
an  den  Küsten  von  Neu-Fundland,  wo  der  aus  der  Baffinbai  hervordrin- 
gende Labradorstrom  mit  nullgrädigem  Wasser  in  die  Tiefe  sinkt  und  von 
da  allmählich  an  den  Ostküsten  der  Vereinigten  Staaten  bis  zum  mexikani- 
schen Golf  fließt,  wo  sich  das  Wasser  wie  in  einer  ungeheuren  Warm- 
wasserheizung bis  auf  250  erhitzt  und  aufsteigt,  allerdings  auch  wieder 
abströmt.  Als  sogenannter  Golfstrom  oder  Atlantischer  Strom,  das  große 
Triebrad  aller  Meeresströmungen,  fießt  das  warme  Wasser  durch  die  Straße 
von  Florida,  oberflächlich  zuerst  nach  Norden  (Floridastrom),  wendet 
dann  nach  Osten,  teilt  sich:  ein  Arm  fließt  zwischen  den  azorischen  Inseln 
und  Spanien  zurück,  der  andere  bespült  mit  lauem  Wasser  von  durch- 
schnittlich 10°  die  englische  und  norwegische  Küste,  um  sich  einesteils 
an  den  isländischen  Vulkanen,  an  der  Treibeisgrenze,  wieder  mit  den  kal- 
ten Wassern  des  Ostgrönlandstromes  zu  vereinigen,  anderenteils  immer 
mehr  abkühlend  bis  Spitzbergen  und  Nowaja-Semlja  vorzudringen,  wo 
dann  alles  in  kaltem  Wasser  stockt.  So  stellte  man  sich  das  Phänomen 
bis  zu  der  Zeit  vor,  da  man  bemerkte,  daß  die  mexikanischen  Wasser  nicht 
unmittelbar  nach  Europa  gelangen,  sondern,  daß  aus  dem  Antiantik  ein  auf- 
gelöster und  mehrfach  verzweigter  Strom  vergleichsweise  warmen  Was- 
sers zu  uns  hereinströmt,  der  z.  B.  in  Hoofden,  wie  die  Seeleute  die  süd- 
liche Nordsee  nennen,  praktisch  genommen  aufhört.  Er  ist  es,  der  als 
Irmingerstrom  Islands  Küsten  eisfrei  hält  und  sogar  Spitzbergens  Klima 
mildert.  Von  Jahr  zu  Jahr  ändern  sich  diese  Verhältnisse  etwas  und 
haben  offenbar  ihren  Einfluß  auf  den  europäischen  Winter  (auch  auf  die 
Fischereierträgnisse.*) 

Mit  anderen  Worten:  die  Verhältnisse  haben  sich  als  weit  komplizierter 
erwiesen,  als  man  anfangs  dachte,  aber  das  Gesetz,  das  wir  dahinter 
sehen,  ist  dennoch  nicht  durchbrochen.  Diese  atlantische  Trift,  die  freilich 
nicht  das  wärmste  Wasser  enthält  (dieses  findet  sich  mit  34,5°  im  persi- 
schen Golf,  mit  32°  im  Roten  Meer),  hat  allein  die  europäische  Kultur  er- 
möglicht, denn  sie  verändert  und  bestimmt  unser  Klima  dermaßen,  daß  es 
durchschnittlich  um  5°  wärmer  ist,  als  ihm  der  geographischen  Lage  nach 
gebührte.  Sie  allein  bestimmt  den  klimatischen  Charakter  Westeuropas 
durch  das  warme  und  regenreiche  „Westwetter"  und  bewahrt  so  weite 
Länder  vor  steppenartiger  Austrocknung.  Was  sie  für  Europa  bedeutet, 
sind  dem  Japaner  der  warme  Strom  des  Kuro-Schio,  dem  Südamerikaner 
die  brasilianische  Trift,  der  Menschheit  überhaupt  die  fünf  großen  Ellip- 
sen, in  denen  auf  der  Erdkugel  die  Wasser  mit  etwa  zwei  Meter  Geschwin- 


*)  Im  besonderen  scheint  der  atlantische  Hauptstrom  aber  jeweils  im  Herbst  einen 
Höhepunkt  seiner  Entfaltung  zu  erreichen.    (Nansen.) 

18 


digkeit  in  der  Sekunde  dahintreiben.  Ein  solches  gesetzmäßiges  System  der 
Zirkulation  greift  tief  in  die  Ökonomie  der  Erde  ein. 

Gerade  der  Golfstrom,  der  daraufhin  eingehend  studiert  ist,  kann  dem 
objektiven  Philosophen  als  einer  der  wertvollsten  Beweise  für  seine  Be- 
hauptungen dienen,  daß  alle  Vorgänge  der  Welt  im  Dienste  eines  Aus- 
gleiches stehen.  Dieser  37—640  km  breite  Wasserkreislauf,  der  zusammen 
90  Milliarden  Tonnen  bewegt  und  bis  320  m  Tiefe  erreicht,  (wo  das  Meer 
bei  26,5  0  Oberflächentemperatur  noch  immer  15,5  <^  mißt),  der  (nach 
Humboldt)  in  zwei  Jahren  und  zehn  Monaten  einen  Umlauf  vollendet  und 
dann  in  der  Tiefe  Wasser  von  —  2«  zurückbringt,  ist  ein  Ausgleichsvor- 
gang allergrößten  Stiles.  Schon  dadurch,  daß  er,  wie  auch  alle  übrigen, 
stets  paarweise  auftritt,  also  gleich  den  Muskeln  im  Tierkörper  seinen 
entgegenarbeitenden  Antagonisten  hat,  ist  ein  genaues  Kompensations- 
system gewährleistet,  das  die  Niveauunterschiede  im  Meer  so  vollkommen 
ausgleicht,  daß  der  Golfstrom  streckenweise  sogar  deswegen  bergauf  fließt. 
Die  noch  verbleibende  Überschußenergie  wird  in  großen  Wirbeln,  deren 
berühmtester  der  norwegische  Malstrom  ist,  zerrieben.«) 

An  diesem  Ausgleichvorgang  nehmen  selbst  die  fernsten  Faktoren 
teil.  So  regelt  sich  seine  Geschwindigkeit  nicht  nur  durch  die  Winde, 
sondern  auch  durch  die  Rotation  der  Erde,  die  z.  B.  den  europäischen 
wie  den  japanischen  Heizstrom  zwingt,  bei  40"  n.  B.  nach  Osten  abzu- 
schwenken und  langsamer  zu  fließen.  Sogar  der  Luftdruck  und  in  einer 
monatlichen  Periode  auch  der  Mond  beteiligen  sich  an  seiner  Regelung, 
die  dann  wieder  auf  Pflanzen,  Tiere  und  Menschen  in  einer  wunderbaren 
Verkettung  von  Gesetzen  zurückwirkt. 

Die  großen  Äquatorialströme  haben  die  Kokospalme  von  den  Südsee- 
gestaden Mittelamerikas  bis  nach  Ceylon  verfrachtet  und  damit  eine  an 
dieser  wichtigsten  aller  Tropenpflanzen  hängende  Kultur.  Die  Ausbreitung 
der  malayischen  Rasse  und  ihrer  Kultur  über  den  polynesischen  Archipel 
hängt  gesetzmäßig  mit  dem  Uhrwerk  der  Ströme  zusammen,  die  auch  der 
Entdeckung  Amerikas  Vorschub  leisteten  und  bis  heute  im  Verkehr  mit 
Amerika  die  große  Schiffahrtsstraße  auch  für  die  Dampfer  durch  das  Ge- 
setz der  kleinsten  Kraftanwendung  festlegen.  Noch  immer  weicht  man  der 
schon  für  die  Kolumbusschiffer  so  peinlichen  Sargassosee  aus,  in  der  die 
Tange  deswegen  zusammengetrieben  sind,  weil  sie  eine  Insel  zwischen 
den  zwei  Armen  der  Golftrift  darstellt.  Dagegen  drängen  sich  Tausende 
und  Abertausende  von  Schiffen  —  und  das  gesamte  Aufblühen  der  Ost- 
städte der  Union  hängt  daran  —  an  der  Grenze  der  Labradorströmmung 
und  des  Warmwassers,  wo  Wale  und  die  unermeßlichen  Fischscharen  der 
kühlen  Wasser  vor  der  „Flammenbarriere"  zurückgescheucht  werden  und 
sich  ansammeln.  Für  immer  werden  also  der  Golfstrom  und  seine  Ge- 
fährten eines  der  Hauptbeweismittel  meiner  Weltauffassung  bleiben,  als 
Kronzeuge,  wie  die  Ausgleichsvorgänge  Mutterschoß   aller  Prozesse  sind. 

2« 

19 


Neben  diesen  Oberflächenwellen  und  Ausgleichsvorgängen  im  Großen 
vollführt  aber  der  Ozean  als  Ganzes  noch  eine  sich  in  Wellen  abspielende 
Funktion,  die  mit  zu  den  folgenschwersten  Erscheinungen  gehört,  die  sich 
auf  der  Erde  jemals  abgespielt  haben.  Das  ist  die  Transgression  der 
Meere,  eine  Erscheinung,  im  bisherigen  als  Integrationsphänomen  der  Erd- 
kugel zwar  schon  kurz  gestreift  (vgl.  Bd.  I  S.  183),  aber  noch  nicht  auf 
ihre  Gesetzmäßigkeit  von  uns  untersucht.  Die  Vorbedingung  dieser  Wan- 
derung der  Weltmeere  ist  die  lebendige  Kraft  der  Wellen,  die  sich  in  der 
Gegenwirkung  an  hartem  Gestein  zu  gigantischen  Leistungen  aufbäumen 
kann.  Unter  den  vielen  felsigen  Meeresküsten,  an  denen  ich  mir  Erfahrung 
über  diese  Phänomene  erwarb,  trug  unstreitbar  der  Steilabfall  von  Helgo- 
land die  tiefsten  Spuren  dieser  Arbeit  des  Ozeanriesen,  wenn  auch  der  Fel- 
senrand an  der  Azurküste,  die  gelbroten  Felsenmauern  Korsikas,  gegen  die 
wütende  Brandung  peitschte,  die  kleinen  Inseln  an  der  dalmatinisch-slawi- 
schen Küste  oder  die  Riffe,  an  denen  die  langen  Gischtkämme  des  Roten 
Meeres  verschäumten,  jedes  in  seiner  Art,  das  Bild  gleicher  Zerstörungs- 
kraft anders  aufstellte. 

Stets  ist  die  Bedingung  der  Brandungswellen  die  auch  auf  unserer  farbi- 
gen Tafel  dargestellte  Situation,  daß  die  Wellen  auf  eine  Untiefe  aufpral- 
len, wodurch  die  Unterseite  in  ihrer  Bewegung  gehemmt  wird  und  die  Wel- 
len brechen.  Dadurch  wird  das  Kliff,  wie  der  Seemann  die  Steilküste 
nennt,  zertrümmert  und  unterwühlt,  indem  zunächst  eine  Hohlkehle  ausge- 
arbeitet wird,  über  der  der  Fels  allmählich  einstürzt.  Die  Trümmer  werden 
weggespült,  und  nach  und  nach  entsteht  eine  Brandungsterrasse,  aus  der  nur 
die  härtesten  Gesteinstrümmer  noch  emporstehen.  Wunderbare  Tore  und 
Höhlen  bohrt  sich  das  Wasser,  wie  sie  den  Besucher  von  Capri  entzücken, 
abenteuerliche  „Pilzfelsen",  breite,  glatt  gescheuerte  und  zurechtgeschliffene 
Strandterrassen,  vor  denen  Rollsteine  liegen,  verraten  als  Funktionsformen 
der  Abrasion  noch  in  späten  geologischen  Zeiten  die  Arbeit  des  Ozeans  und 
geben  dadurch  der  Forschung  ein  untrügliches  Mittel  an  die  Hand,  in  allen 
Gebirgen  den  Weg  A^r  Regressionen,  nämlich  das  Zurückweichen  der  Meere 
festzustellen.  Anders  an  den  flachen  Küsten.  Die  Stoßkraft  der  branden- 
den Wogen  trägt  grobe  Geschiebe  bei  den  Sturmfluten  weit  landeinwärts. 
Man  hat  Fälle  erlebt,  in  denen  viele  Zentner  schwere  Blöcke  stundenweit 
von  der  Wut  des  Elementes  ins  Land  gerollt  wurden.  Der  Rückstrom  hat 
dagegen  nur  wenig  Kraft  (man  betrachte  auch  daraufhin  die  farbige  Tafel), 
und  so  entsteht  gesetzmäßig  eine  Aussiebung,  die  auch  auf  Bachmanns 
Meereslandschaft  in  Band  I  zur  Geltung  kommt,  und  von  der  sich  jeder  bei 
einem  Gang  über  den  Flachstrand  mit  Leichtigkeit  überzeugen  kann.  Dem 
Meere  zunächst  liegt  der  feinste  Sand,  landeinwärts  das  gröbste  Geröll.  So 
wirft  die  See  rastlos  zerriebenes  Gesteinsmaterial  aus  und  häuft  es  an  zu 
Schutt-  und  Sandbergen,  aller  Welt  als  Dänen  bekannt. 

Jeder  Flachstrand  hinterläßt  bei  der  Regression  des  Wassers  einen  Dünen- 

20 


gürtel.  Und  erfolgt  sie  im  Laufe  der  Jahrtausende  Schritt  für  Schritt,  dann 
kann  am  Ende  einer  Epoche  ein  länderweites  Sandhügelgebiet  übrig  blei- 
ben, wofür  die  Sahara  ein  großes,  die  norddeutsche  Tiefebene  oder  Franken 
mit  ihren  sandigen  Kiefernwäldern  ein  kleines  Beispiel  abgeben. 

So  verschlingen  sich  die  Folgen  der  Abrasion  zu  wunderlichen  länder- 
umfassenden Wirkungen.  Und  da  die  Wanderung  des  Meeres  von  jenem 
Tage  an,  seitdem  es  ein  Meer  gab,  niemals  stille  stand,  ist  die  ganze  Ober- 
fläche der  Kontinente  eine  Hieroglyphenschrift,  durch  die  das  Meer  tausend- 
fach wiederholt:  hier  haben  meine  Wellen  das  Walten  des  Funktions- 
gesetzes verkündet.  Im  allgemeinen  schleift  das  Meer  glatter  ab  als  die 
denudierenden  Kräfte  des  Festlandes,  und  die  Spuren  der  Transgres- 
sionen  sind  besser  zu  erkennen  als  die  der  Rückzüge.  Da  das  Meer  überall, 
wo  es  war,  außerdem  noch  seine  Sedimente  zurückläßt,  ist  seine  Wellen- 
bewegung auf  diese  Weise  einer  der  einflußreichsten  Faktoren,  der  das 
Antlitz  der  Erde  ändert.  Das  menschliche  Wissen  hat  ein  ganz  untrüg- 
liches Mittel  dadurch,  die  Geschichte  der  Kontinente  und  Meere  festzu- 
stellen (vgl.  Bd.  I  Abb.  96/99).  So  ist  dies  eines  der  wenigen  erfreulichen 
Kapitel  der  Wissensgeschichte,  in  dem  wenigstens  die  Relationen  einwand- 
frei und  den  Zweifeln  entrückt  sind. 

Auf  solche  Weise  ließ  sich  feststellen,  daß  der  Pazifik  seit  Anbeginn  der 
Erdgeschichte  Meer  gewesen  ist.  An  seinen  Küsten  sind  keine  nennens- 
werten Strandterrassen  vorhanden.  Ganz  anders  aber  alle  übrigen  Meere. 
So  wie  gegenwärtig  ganz  Europa  in  dieser  Hinsicht  in  einer  großen  Erd- 
revolution begriffen  ist,  war  es  von  je  der  Kontinent,  der  am  ausgiebigsten 
dem  Wellenspiel  der  Meeresbewegungen  ausgesetzt  gewesen.  Ein  Blick  auf 
den  Versuch  (Bd.I  Abb.96/99),  die  Kontinente  in  vier  geologischen  Epochen 
zu  rekonstruieren,  wird  zeigen,  daß  allerdings  auch  zwischen  Asien  und  Ame- 
rika, zwischen  Afrika  und  Indien  sowie  Australien  große  Landbrücken  über- 
flutet worden  sind,  daß  auch  die  sagenhafte  Atlantis  des  Plato  dem  Erdfor- 
scher kein  ganz  inhaltloser  Begriff  ist,  daß  aber  immer  wieder  Europa  bald 
nur  ein  Archipel  von  im  blauen  Weltmeer  verlorenen  Inseln  war,  bald  ein 
mächtiger  und  ungefüger,  mit  kolossalen  Gebirgen  (Vansklkum)  bedeckter 
Kontinentblock,  gegen  den  der  heutige  Erdteil  nur  schöne  Reste  bedeutet. 

Im  dritten  Teil  meiner  „Grundlagen"  (München,  Die  Lebensgesetze  einer 
Stadt),  findet  der  Leser  für  die  oberbayrische  Hochebene  und  das  Alpenland 
eine  genaue  Geschichte  der  Kette  der  Transgressionen,  denen  der  Münchner 
Boden  ausgesetzt  war;  hier  aber,  wo  wir  nach  größeren  Zielen  blicken,  kann 
ich  solchen  Detailschilderungen  keinen  Raum  mehr  gönnen,  nachdem  ein- 
mal das  Gesetz  erkannt  ist.  Nur  daran  sei  erinnert,  daß  die  Wellen- 
bewegung des  Meeresganzen,  als  welche  man  das  Transgressionsphänomen 
sehr  wohl  bezeichnen  kann,  sehr  häufig  eine  regelrechte  Schwingung  (Os- 
zillation) ist,  bei  der  die  Rückzüge  genau  den  Vorstößen  entsprechen.  Sol- 
ches war  auf  der  nördlichen  Halbkugel  im  Kambrium,  Karbon,  Dyas  und 

21 


Trias  der  Fall.  Oder,  wie  im  europäischen  Silur,  Devon,  in  der  Jura-  und 
Kreidezeit,  es  erfolgte  zuerst  ein  allgemeines  Rückfluten  und  erst  metachron 
erfolgte  dann  wieder  das  Ansteigen  der  Fluten.  Die  größte  aller  solcher 
Transgressionen  in  der  oberen  Kreide,  im  Cenoman,  umfaßte  die  ganze 
Welt.  Ungeheure  Erdräume  wurden  damals  überflutet,  sogar  uralte  Fest- 
länder. Aber  im  Senon  trat  die  Regression  ein,  und  wenn  auch  noch  im 
Eocän  Meereswellen  über  Nordfrankreich,  Belgien  und  Südengland,  über 
dem  ganzen  Südeuropa  rauschten,  wenn  auch  zur  Zeit  der  Nummullten 
Nordafrika  mit  dem  unermeßlichen  Becken  der  Sahara  überflutet  war  und 
Atlas,  Himalaya,  Alpen  und  Karpathen  nur  als  flache  Inseln  aus  einem 
tropischen  Meere  ragten,  so  nimmt  doch  trotz  aller  Schwankungen  die 
Wasserbedeckung  seitdem  ab,  und  je  genauer  man  Transgression  und  Re- 
gression gegeneinander  abwägt,  desto  vollständiger  überzeugt  man  sich, 
daß  sie  dem  Wellengesetz  entsprechen  und  das  genaue  Auspendeln  und 
Ausgleichen  einer  Störung  darstellen,  gemäß  dem  Funktionsgesetz,  das  sich 
auch  in  ihnen  verwirklicht.  Und  was  sich  hier  im  Wasser  ereignet  und 
wegen  der  Schiffahrtsinteressen  auf  das  genaueste  erforscht  ist^),  folgt  dem 
gleichen  Gesetz  im  Luftozean.  Auch  die  Atmosphäre  erleidet  periodische 
Änderungen,  die  sich  wellenförmig  fortpflanzen  und  zusammen  das  Funktio- 
nieren eines  Ausgleichsmechanismus  bedeuten,  der  für  die  Dauer  der  Luft- 
hülle sorgt.  Aus  dieser  „Kette  der  einzelnen  Wettertypen"  aber  setzt  sich 
das  zusammen,  was  man  Klima  nennt.  Um  das  in  jeder  Einzelheit  voll- 
ständig beweiskräftig  zu  machen,  müßte  man  einen  vollständigen  Abriß  der 
Klimatologie  hier  folgen  lassen,  was  aber  durch  die  Forderung  nach  Har- 
monie in  diesem  Werke  verwehrt  wird. 

Jedenfalls  aber  muß  jedermann,  der  die  Gesetze  der  Welt  wirklich  kennen 
will,  das  eine  wissen,  daß  Klima  nichts  anderes  als  die  Kette  von  Witterun- 
gen ist  und  Witterung  die  jeweilige  Ausgleichsphase  zwischen  den  Einflüssen 
der  Temperatur  und  dadurch  von  Wind,  Luftdruck,  Feuchtigkeit  und  Elektri- 
zität. Mit  anderen  Worten,  das  Klima  eines  Ortes  ist  die  Beschreibung  der  sich 
an  ihm  abspielenden  Störungen,  die  sich  in  einer  Reihe  von  periodischen 
Vorgängen  vollziehen.  Die  Temperaturunterschiede  sind  die  alleinige  Ur- 
sache, warum  es  ein  stets  wechselndes  „Wetter"  gibt.  Sie  sind  zunächst  ge- 
geben durch  die  Seinsformen  des  Weltalls  selbst,  also  geregelt  durch  das 
Entitätsgesetz.  Schon  dadurch,  daß  die  Sonne  eine  Singulationsform  besitzt, 
ist  die  Ungleichheit  der  Erwärmung  geschaffen.  Wäre  die  Quelle  der  Wärme- 
strahlen nicht  individuiert,  so  gäbe  es  auf  Erden  keine  Wärmedifferenzen 
und  damit  kein  „Wetter",  das  also  zu  den  Funktionen  der  Sonne  gehört. 

Eine  weitere  Differenzierung  schafft  die  Kugelgestalt  der  Erde.  Sie  bedingt 
durch  rein  geometrische  Verhältnisse,  daß,  ideal  genommen,  nur  dem  engen 
Äquatorialgürtel  ständig  das  Maximum  der  Erwärmung  zuteil  wird.  Durch  die 
Kugelkrümmung  treffen  die  Wärmestrahlen  unter  einem  immer  ungünstiger 
werdenden  Winkel  auf  und  verteilen  sich  auf  einer  ständig  sich  vergrößern- 

22 


den  Oberfläche.  Durch  die  schiefe  Stelhing  der  Erdachse  (vgl.  B.I,  Abb.  100) 
ist  die  Verteilung  der  Wärmemengen  in  der  jedermann  so  wohlbekannten 
Weise  geregelt,  daß  die  europäische  Zone  sich  mit  einem  periodischen  Wech- 
sel von  Wärmemaximum  und  Minimum  abfinden  muß,  durch  dessen  Rhyth- 
mus das  Jahr  in  die  vier  Zeiträume  von  Frühling,  Sommer,  Herbst  und 
Winter  zerfällt.  Diese  Temperaturschwankungen  aus  kosmischer  Ursache 
sind  so  fein  abgewogen,  daß  kein  Tag  im  Jahr  dem  anderen  völlig  gleicht. 

Zu  diesen  Temperaturunterschieden  kommt  noch  der  Einfluß  der  Erd- 
rotation, durch  den  jeder  Punkt  der  Erde  in  jeder  Minute  des  Tages  einem 
anderen  Grad  von  Insolation  ausgesetzt  ist;  auch  des  Nachts  bleibt  die 
Temperatur  in  allen  Luftzonen  keineswegs  unverändert,  sondern  einem 
Wechselspiel  vieler  Faktoren  unterworfen. 

Durch  dieses  komplizierte  und  bewegliche  System  von  Temperaturunter- 
schieden entstehen  die  Winde  in  allen  ihren  Abstufungen  von  der  leisesten 
Luftströmung  bis  zum  tobenden  Orkan.  Denn  die  Temperatur  entscheidet 
über  die  Auflockerung  der  Luft;  das  Gewicht  einer  gleichhohen  Luftsäule 
ist  geringer,  wenn  sie  warm  ist,  als  wenn  sie  kalt  ist.  Es  wird  also  nahe 
dem  Erdboden  bei  kalter  Temperatur  die  Luft  höhere  Barometerstände 
(hohen  Luftdruck)  aufweisen,  als  bei  warmer  Temperatur.  Von  den  kälte- 
ren Orten  strömt  nun  die  Luft  dem  natürlichen  Gefälle  folgend  in  die  Zone 
der  „aufgelockerten"  warmen  Atmosphäre.  Und  diese  Bewegung  nennt  man 
Wind*).  Seine  Stärke  ist  um  so  größer,  je  steiler  das  Gefälle  im  Luftdruck 
ist.  So  wird  denn  die  Erdkugel  aus  diesen  Gründen  ständig  von  Luftbewe- 
gungen umkreist,  in  deren  unendlicher  Mannigfaltigkeit  allerdings  leicht 
gewisse  Gesetze  erkennbar  sind.  In  den  höheren  Luftschichten  besteht  vor 
allem  ein  vom  Äquator  gegen  die  Pole  zu  gerichtetes  Luftdruckgefälle,  der 
ein  gegenteiliger  unterer  Wind  entsprechen  muß.  In  Wirklichkeit  aber  sind 
diese  Luftströmungen  seitlich  abgelenkt,  da  die  Erdrotation  ihren  Einfluß 
auf  die  Luftbewegung  geltend  macht.  Infolgedessen  hat  auf  der  nördlichen 
Halbkugel  ein  Beobachter,  der  den  Wind  im  Rücken  hat,  den  Ort  niedrigen 
Luftdruckes  stets  zu  seiner  Linken.  (Barisches  Windgesetz  von  Bays-Ballot.) 
Diese  ablenkende  Kraft  der  Erddrehung  ist  natürlich  in  der  Aquatornähe 
am  stärksten;  sie  staut  dort  um  30  Grad  Breite  sogar  die  Luftströmung  und 
erzeugt  eine  Zone  der  Windstille  oder  schwachen  Winde,  die  man  mit  einem 
leichtverständlichen  Ausdruck  die  Kalmen,  mit  einem  kaum  erklärbaren  die 
Roßbreiten  nennt.  Der  Niederwind,  der  westwärts  dem  Äquator  zuströmt  und 
ständig  die  ganze  Erde  umkreist,  heißt,  wie  jedem  Weitgereisten  bekannt:  der 
Überfahrtwind,  der  Passat,  sein  Gegenwind  in  der  Höhe :  der  Antipassat. 


*)  Allerdings  verhält  sich  das  in  den  höheren  Schichten  der  Atmosphäre  gerade  um- 
gekehrt: die  warme  Luft  strömt  dort  in  die  kalten  Räume  ab,  so  daß  im  Ganzen 
bei  Temperaturunterschieden  benachbarter  Orte  eine  Zirkulation  entsteht,  die  durch 
Ausgleich  einen  mittleren  Zustand  (Harmonie)  ganz  nach  den  Behauptungen  un- 
serer Lehre  herzustellen  trachtet. 


23 


So  ist  ein  wunderbarer  Ausgleich  der  Temperaturen  über  dem  Erdball 
jederzeit  tätig  als  System  der  Winde,  das  in  seiner  Harmonie  gleichsam  wie 
ein  Abbild  der  ganzen  Welt  erscheint.  Aber,  und  auch  darin  macht  es  das 
Weltbild  faßbar,  wie  es  sich  für  die  objektive  Philosophie  spiegelt,  in  dieser 
Harmonie  niederen  Ranges  treten  ständig  Störungen  auf.  Hier  hat  man 
relativ  leicht  Einblick  in  ihre  Ursachen.  Sie  entspringen  nämlich  notwen- 
digerweise den  Funktionen  des  Seins,  d.h.  schon  die  Vielgestaltigkeit  der 
die  Erde  zusammensetzenden  Teile,  also  die  Singulation,  bedingt  die  Not- 
wendigkeit eines  gegenseitigen  Ausgleiches  der  Funktionen,  die  von  jedem 
Nachbarteil  als  Störung  seiner  Funktion  „empfunden"  und  entsprechend  be- 
antwortet wird. 

Die  Verteilung  von  Land  und  Wasser  ist  z.  B.  eine  der  Ursachen  dieser 
Störungen  im  ständigen  Luftausgleich.  Kontinente  erwärmen  sich  anders 
als  das  kühle  Meer,  und  darum  blasen  die  Passate  nur  auf  dem  Ozeait 
regelmäßig.  Auch  der  in  der  Lage  der  Erdachse  begründete  Wechsel  der 
Jahreszeiten  ist  eine  solche  Quelle  der  Störungen,  die  sich  unter  anderem 
darin  äußern,  daß  auf  dem  asiatischen  Kontinent,  dieser  größten  Landmasse 
der  Erde,  im  Sommer  ein  höchst  ausgedehntes  Tiefdruckgebiet  entsteht, 
auf  dem  im  Winter,  aus  leicht  begreiflicher  Ursache,  entsprechender  Hoch- 
druck herrscht.  Das  Gegenstück  dazu  befindet  sich  im  Atlantik  unter  dem 
Einfluß  des  uns  schon  bekannten  Golfstromes.  Bei  Island  steht  dann,  vor- 
ab im  Winter,  ein  ständiges  Tiefdruckgebiet,  eine  sogenannte  Depression 
oder  barometrisches  Minimum.  Das,  sowie  die  Roßbreiten  mit  ihrem  Maxi- 
mum sind  die  Störungs-  oder  Aktionszentren  der  Atmosphäre,  von  denen 
die  Witterungsunregelmäßigkeiten  ausgehen,  die  uns  unglücklich-glücklichen 
Westeuropäern  so  zur  Daseinsgewohnheit  geworden  sind,  daß  man  mit  Recht 
von  uns  gesagt  hat,  wir  bewohnten  ein  Land,  in  dem  alle  drei  Tage  ein 
anderes  Wetter  herrscht.  Andere  solche  von  der  Sondergestaltung  der  Teile 
der  Erde  abhängige  Funktionsstörungen  periodischer  Natur  sind  die  Land- 
und  Seewinde,  ebenfalls  abhängig  vom  verschiedenen  Grad  der  Erwär- 
mung, die  Festland  und  Meer  erfahren,  ferner  die  Tal-  und  Bergwinde, 
oder  das  größte  Beispiel  solcher  Zirkulationssysteme,  die  Monsune  Süd- 
asiens, die  nichts  anderes,  als  ein  auf  ganze  Kontinente  übertragenes  Bei- 
spiel von  Land-  und  Seewinden  sind. 

Alle  diese  Umstände  verwandeln  die  Witterung  in  ein  höchst  verwickeltes 
System  von  Luftströmungen  verschiedenster  Stärke  und  Richtung,  in  ein 
Durcheinander  von  Wellen,  deren  Einfluß  in  jeder  menschlichen  Tätigkeit, 
der  einfachsten  so  gut  wie  der  subtilsten,  stündlich  bemerkbar  ist,  ohne  daß 
es  aber  dem  Menschengeist  gelang,  die  Mechanik  dieses  Wellensystemes 
restlos  zu  klären  und  es  sich  dadurch  ebenso  dienstbar  zu  machen  wie  die 
Wellen  des  Lichtes  oder  der  Elektrizität. 

Da  ist  es  denn  leicht  begreiflich,  wieso  die  Wetterprognose,  eine  Vorher- 
sage, die  dem  Wellenmechaniker  auf  dem  Gebiet  der  Elektrizität  z.  B.  ohne 

24 


Ausnahme  gelingt,  noch  mit  so  vielen  Unzulänglichkeiten  behaftet  ist,  daß 
nur  etwa  71  o/o  der  Prognosen  Treffer  sind,  während  doch  schon  ein  will- 
kürliches Raten  50 o/o  Treffer  ergibt.  Nur  in  den  allergröbsten  Zügen  sind 
die  Zusammenhänge  geklärt.  Man  weiß  z.  B.  mit  Sicherheit,  daß  die  Luft 
diathermisch  ist,  d.  h,  die  Wärmestrahlen  fast  ganz  durchläßt,  ohne  sie  zu 
absorbieren,  so  daß  die  gesamte  Wärmestrahlung  vom  Festland  unter  dem 
Einfluß  der  Sonne  ausgeht.  Darum  wird  es  auch  immer  kälter,  je  höher 
man  steigt.  Im  allgemeinen  sinkt  nun  in  trockener  Luft  die  Temperatur 
für  je  100  Meter  um  einen  Grad,  und  aus  diesem  Grunde  sind  auch  die 
hohen  Berge  mit  ewigem  Schnee  bedeckt.^)  Demgemäß  ist  das  Klima 
nicht  nur  vom  Sonneneinfall,  sondern  auch  von  der  Form  der  Größe  der 
Kontinente,  der  Bodenbeschaffenheit  und  sonst  noch  vielen  Faktoren  mit- 
bestimmt. Dadurch  erklärt  sich,  warum  die  heißesten  Orte  nicht  am 
Äquator,  die  kältesten  nicht  am  Pol  liegen.  Die  größte  Hitze  maß  man  mit 
72  Grad  Celsius  in  der  Sahara,  die  größte  Kälte  jedoch  zu  Werchojansk  in 
Sibirien  mit  —  69,8  Grad  Celsius. 

Solchen  außerordentlichen  Differenzen  entsprechen  auch  Intensitäten  der 
Ausgleichung,  welche  die  Erdoberfläche  zuweilen  in  ein  grauenvolles  Trüm- 
merfeld verwandeln.  Die  zehn  Windstärken,  die  man  unterscheidet,  ent- 
sprechen Bewegungsgeschwindigkeiten  von  1,5— 50,0  Sekundenmeter  (Mann). 
Eine  solche  Bewegung  legt  195  km  in  der  Stunde  zurück;  natürlich  müssen 
dann  derartige  Tornados  oder  Tromben  verheerend  wirken.  Am  29.  April 
1892  beraubte  auf  Mauritius  ein  Sturm  von  solcher  Stärke  25  000  Menschen 
ihres  Obdachs,  er  tötete  an  1500,  hob  sogar  große  Schiffe  in  die  Luft  und 
schleuderte  sie  in  die  Stadt  Port  Louis.  Die  Ursache  war  ein  Druckgefälle, 
durch  das  das  Barometer  in  vier  Stunden  um  38  mm  sank.  Im  allgemeinen 
kann  man  sagen,  daß  eine  Senkung  der  Quecksilbersäule  um  einen  Millim.eter 
einen  Wind  von  3—5  sec/m  Geschwindigkeit  zur  Folge  haben  muß.*)  Da  die 
größte  Barometeränderung  zu  Mittag  erfolgt,  so  pflegt  dann  auch  bei  allen 
Stürmen  das  Maximum  einzutreten,  des  Nachts  dagegen  die  geringste  Stärke. 

Mit  den  Winden  wandert  nun  auch  die  Temperatur  im  Sinne  des  Aus- 
gleiches. Südwinde,  im  Winter  auch  der  West,  bringen  Wärme,  im  Sommer 
kühlen  auch  Westwinde  ab.  Daher  bringen  die  Winde  je  nachdem  Wolken 
oder  Aufklarung.  Durch  die  Verdunstung,  die  so  verschieden  ist,  daß 
in  Europa  durchschnittlich  nur  sechs  Hektoliter  auf  einen  Quadratmeter 
kommen,  während  man  in  den  Tropen  das  Zehnfache  rechnen  muß,  wird 
die  Luft  mit  Wasserdampf  in  Gasform  beladen,  der  sich  bei  Abkühlung 
ausscheidet.  Bei  0  Grad  kann  ein  Kubikmeter  Luft  nur  4,4  Gramm  Wasser 
in  Gasform  aufnehmen,  bei  20  Grad  aber  bereits  7,1  Gramm.  Kühlt  sich 
warme  Luft  auf  den  Nullpunkt  ab,  so  müssen  3  g  in  jedem  Kubikmeter 
ausgeschieden  werden.  Nur  dann  ist  der  Ausgleich  hergestellt.   Das  geschieht 


*)   15,0  sec/m  gelten  als  Sturm. 

25 


durch  die  Ausscheidung  in  Tröpfchen,  und  diese  sind  im  Milliardenverband 
sichtbar  als  Wolke  oder  Regen. 

So  bringen  die  Minima  die  Winde  mit  sich,  die  Winde  die  Wolken,  die 
Wolken  den  Regen.  Nach  dem  Regen  folgt  Sonnenschein.  Mit  diesem  Sprich- 
wort verrät  unsere  Muttersprache,  daß  sie  sehr  wohl  die  Welttatsache  des 
Ausgleichsvorganges  kennt.  Die  Niederschläge  erfolgen,  wenn  der  Tau- 
punkt  überschritten  wird,  d.h.  dann,  wenn  eine  Wolke  sich  so  weit  ab- 
kühlt, daß  sie  den  über  die  Sättigung  hinausgehenden  Wasserdampfvorrat 
ausscheidet.9)  Das  Hilfsmittel  des  Regens  ist,  wie  uns  schon  bekannt,  der 
Staub-  und  Rußgehalt  der  Luft.  Um  diese  Kondensationskerne  herum  bildet 
sich  je  nach  der  Temperatur  das  Kristallskelett  der  Schneeflocken  (Bd.  I, 
Abb.  31)  oder  die  Singulationsform  der  Hagelkörner  und  Regentropfen.  So 
einfach  und  nüchtern  stellt  Wissenschaft  diesen  Vorgang  dar,  und  wie  viel 
farbig  wechselvolles,  schicksalsreiches  Erleben  steckt  nicht  in  den  Worten 
Landregen,  Regenboe,  Wolkenbruch,  Unwetter,  Schneetreiben,  Hagelschlag, 
denen  allen  diese  gleiche  kühle  Gesetzlichkeit  zugrunde  liegt.  Wohl  malt 
die  Geographie  das  Bild  ihrer  Zahlen  und  Namen  noch  etwas  bunter  aus, 
wenn  sie  uns  das  Kapitel  der  Niederschläge  aufschlägt:  vor  allem  das  dürre 
trostlose  Bild  der  Wüsten,  wo  es  nicht  jedes  Jahr  regnet.  Ich  war  in  Afrika 
an  Orten,  wo  mir  Europäer  seufzend  sagten:  das  Unerträglichste  ihres 
Schicksals  sei  der  Mangel  an  Regen.  Seit  13  Jahren  warteten  sie  darauf.  Von 
ElKosseir  am  Roten  Meer  ist  verzeichnet,  daß  es  dort  110  Jahre  lang  nicht 
geregnet  hat.  Noch  wenn  die  Höhe  der  Niederschläge  eines  ganzen  Jahres 
250  mm  übersteigt,  ernährt  das  Land  nur  dürre  Steppe,  1000  mm  (z.  B. 
München)  sind  erst  normal.  Aber  die  Monsunregen  der  Tropen  bringen 
manchmal  in  einer  Woche  so  viel  nieder,  und  das  Kamerungebirge  mit 
10  Metern  Regenhöhe  oder  das  Extrem:  Dscherra  Pundscha  am  Südabhang 
des  Himalaya  mit  12,5  m  ist  selbst  für  den  Salzburger  und  Kreuther  (im 
bayerischen  Gebirge)  eine  unfaßliche  Wasserhel,  wenngleich  es  auch  in 
seiner  Heimat  an  2000  mm  Niederschläge  gibt  und  an  178  Tagen  im  Jahre 
regnet  oder  schneit.  *)  Die  Verteilung  dieser  Niederschläge  wird  nun  durch 
das  große  Gesetz  der  Jahreszeiten  und  dann  durch  den  Weg  der  Minimas 
im  Einzelnen  geregelt. 

So  wichtig  ist  das  für  den  Menschen,  daß  er  viele  Institute  in  allen  Län- 
dern geschaffen  hat,  um  die  Zugstraßen  der  Depressionen  festzustellen,  und 
in  täglich  überallhin  telegraphierten  Karten  studieren  das  täglich  Tausende, 
deren  Erwerb  und  deren  Lebenssicherheit  auch  oft  genug  von  der  richtigen 
Prognose  der  nächsten  vierundzwanzig  Stunden  abhängt.  Im  Prinzip  handelt 
es  sich  dabei  in  Europa  fast  immer  um  die  Bahnen,  welche  die  von  dem 
isländischen  Zentrum  sich  fortwährend  ablösenden  Teilminima  einschlagen. 
Diese  Zugstraßen  sind  nicht  vom  Zufall,  sondern  durch  ganz  bestimmte 

*)  In  Deutschland  im  allgemeinen  durchschnittlich  an  156  Tagen. 

26 


Gesetze  vorgeschrieben.  Wohl  weiß  man,  daß  deren  oberstes  auch  hier  die 
Erdrotation  ist,  wodurch  die  Minima  westwärts  gedrängt  und  abgelenkt,  da- 
durch in  eine  wirbeiförmige  Bewegung  gebracht  werden.  Sie  folgen  dabei 
dem  Laufe  des  Golfstromes  und  wandern  im  allgemeinen  auf  zwei  Haupt- 
wegen (vgl.  Bd.I  Abb.  104).  Der  eine  führt  über  Skandinavien  gegen  das 
nördliche  Rußland,  der  andere  wandert  entlang  den  Alpen. 

Im  Gebiet  des  Minimums,  das  man  mit  einem  Ausdruck  von  dichterischer 
Kraft  „das  Auge  des  Sturmes"  genannt  hat,  bilden  die  Luftwirbel  infolge 
der  Erwärmung  einen  aufsteigenden  Luftstrom,  wobei  die  Luft  in  „zyklo- 
naler  Bewegung"  (weshalb  die  Minima  in  der  Wissenschaftssprache  auch 
Zyklone  genannt  werden)  gegen  den  Uhrzeiger  strömt.  Mit  anderen  Wor- 
ten: Alle  Nordwinde  gehen  in  Europa  allmählich  mit  dem  Vorrücken  des 
Minimums  in  einen  Nordwest  über;  Ursache  davon  ist  der  Erdriese  mit 
seiner  Drehung;  die  Wirkung  der  Erscheinung  ist  die  Tatsache,  daß  NW 
der  herrschende  Wind  Europas  ist.  Hat  uns  ein  Minimum  erreicht,  dann 
dreht  der  Wind  nach  Westen,  und  in  dem  Maße,  als  es  abzieht,  folgen  ihm 
Südwest-  und  Südwinde,  schließlich  Ostwinde  nach.  Die  im  Minimum 
emporsteigende  Luft  kühlt  sich  so  stark  ab,  daß  aus  bekannter  Ursache  eine 
immer  mehr  sich  verstärkende  Bewölkung,  schließlich  auch  Niederschläge 
eintreten.  Ein  Minimum  bedeutet  daher  für  die  alltägliche  Erfahrung 
Schlechtwetter,  sein  Gegenteil  dagegen  Aufheiterung,  weil  dann  Luft  herab- 
steigt, durch  das  Zusammendrücken  sich  erwärmt  und  mehr  Feuchtigkeit 
aufnehmen,  also  Wolken  verzehren  kann. 

Man  sieht:  die  gesamte  Meteorologie  ist  nichts  als  die  Physik,  und  zwar 
die  Wellenmechanik  der  Luft:  Nichts  an  ihr  ist  unerklärlich;  wenn  sie  trotz- 
dem noch  so  viel  unbekanntes  Land  des  Wissens  in  sich  schließt,  so  kommt 
das  nur  von  der  großen  Verwicklung  der  Tatsachen.  Alles  läuft  da  in 
Wellen  und  Wellchen,  die  sich  kreuzen,  bis  sich  vor  diesem  Wellenspiel 
der  Funktionen  die  Sinne  verwirren.  Denn  jede  Gewitterwolke  bedeutet 
einen  lokalen  Zyklon,  hat  ihren  eigenen  Wind  und  alle  an  ihm  haftenden 
Erscheinungen,  jedes  Gebirge,  das  Meer,  jeder  große  See,  ja  schon  jeder 
Wald  macht  sich  im  Bilde  durch  besonderen  Einfluß  bemerkbar  und  muß 
in  eine  Rechnung  eingestellt  werden,  die  letzten  Endes  bei  der  für  Menschen- 
sinne unfaßbaren  Vielgestaltigkeit  der  Erde  unübersichtlich  wird.  So  er- 
eignet es  sich  in  diesem  Fall,  daß  man  wohl  das  Gesetz  kennt,  aber  es 
praktisch  dennoch  nicht  befriedigend  anwenden  kann. 

Es  bereitet  ein  wunderbares  Vergnügen,  wenn  man  so  vielerlei  und  ver- 
wirrende Erscheinungen:  das  Wellenspiel  des  Meeres,  seine  Strömungen, 
das  Auftauchen  der  Länder,  das  Brausen  der  Brandung,  den  geheimen  Zug 
der  Wolken,  das  Pfeifen  des  Sturmes,  die  Entstehung  der  Wüsten,  den  stillen 
Wandel  der  Jahreszeiten  auf  ein  und  dieselbe  Formel  bringen  kann.  In  dem 
Maße,  in  dem  man  die  Wellengesetze  konsequent  auf  die  Phänomene  der 
Atmosphäre  und  der  KUmatologie  anwenden  wird,  wird  sich  diese  Seite  des 

27 


Welterlebens  einfacher  und  durchsichtiger  gestalten  und  uns  mit  neuen  Er- 
kenntnissen bereichern.  Schon  jetzt  gestattet  der  uns  führende  Gedanke 
z.  B.  auch  in  das  Chaos  der  Paläokllmatologie  einige  Ordnung  zu  bringen. 
Von  ihm  hat  jedermann  wenigstens  insofern  einiges  Wissen,  als  man  von 
einer,  der  Geologe  sogar  von  mehreren  diluvialen  und  einer  karbonischen, 
mit  Fragezeichen  auch  von  einer  kambrischen  Eiszeit  Kenntnis  besitzt, 
zwischen  die  Perioden  mächtiger  Erwärmung  fallen.  Das  allgemeine  Bild 
der  vergangenen  Klimate  gestaltet  sich  (nach  F.  Frech,  um  eine  der  gel- 
tenden Ansichten  als  Grundlage  zu  wählen)  etwa  in  folgender  Weise: 

Das  Klima  des  Archaikums  und  der  präkambrischen  Zeit  ist  völlig  un- 
bekannt. 

Im  Kambrium  herrscht  eine   Eiszeit. 

Silur,  Devon  und  Karbon  waren  gleichmäßig  warm. 

Das  Dyas  hatte  wechselndes  Klima,  teilweise  eine  Eiszeit. 

Trias  und  Jura  besaßen  tropisches  Klima. 

In  der  Kreide  begann  eine  Abkühlung. 

Das  Tertiär  begann  mit  einer  Wiedererwärmung,  der  aber  wieder  Abküh- 
lung folgte. 

Diluvium  und  Gegenwart  bedeuten  eine  jetzt  langsam  auspendelnde  Eis- 
zeit, so  daß  nach  aller  Wahrscheinlichkeit  die  geologische  Zukunft  wieder 
durch   eine   allgemeine   Erwärmung   ausgezeichnet   sein   wird. 

Wo  soll  in  diesem  steten  Wechsel  nun  das  Gesetz  auffindbar  sein,  wenn 
nicht  im  Wellengesetz,  das  die  Klimatologie  auch  im  Größten  genau  so  be- 
herrscht, so  wie  es  ihr  Kleinstes  regelt?  Mit  voller  Zuversicht  läßt  sich  von 
dieser  Plattform  aus  behaupten,  daß  periodische  Eiszeiten  und  pantropische 
Zustände  vor  dem  Kambrium  genau  so  da  waren,  wie  sie  auch  in  Zukunft 
wiederkehren  werden,  und  in  dieser  Hinsicht  findet  die  Theorie  der  Pendu- 
lation  (vgl.  Bd.  I  S.  69),  welche  allein  bisher  den  Rhythmus  der  Eiszeiten 
zu  erklären  vermocht  hat,  an  dieser  Wellenlehre  eine  neue  Stütze.  Auch  die 
Klimamigration  erscheint  demnach  dem  Wellengesetz  unterworfen. 

Es  ist  sehr  artig  zuzusehen,  wie  sich  dieses  Wellengesetz  gewissermaßen 
in  den  Funktionsformen  von  Wasser  und  Wind  automatisch  in  das  Antlitz 
der  Erde  eingräbt,  und  wie  es  sich  auf  diese  Weise  Dauermonumente  er- 
richtet. Die  Strandterrassen  an  den  Meeresküsten,  so  gut  wie  die  oft  ge- 
nug auch  fossil  aufbewahrten  „Rippelmarken^^  des  Wellenspiels  am  san- 
digen Strand,  belegen  diesen  Satz  ebenso,  wie  die  zahllosen  Denkmäler  der 
Deflation,  welche  allerorten  in  den  Alltag  der  Menschen  hineinragen  und 
in  prachtvollen  Hieroglyphen  das  Gesetz  der  Welle  gewissermaßen  an 
allen  Wänden  eintragen. 

Der  Unterschied  von  Abrasion  (oder  Ingression,  wie  ein  neuerer  bes- 
serer Fachausdruck  sagt)  und  Deflation  (die  in  neuerer  Zeit  mit  Vorliebe 
Winderosion  genannt  wird),  beruht  eigentlich  nur  auf  dem  arbeitenden 
Material;    die  Funktion  bleibt   bei  beiden   die  gleiche.    Das   abradierende, 

28 


Abb.  5.  Modell  eines  Gletschers  nach  A.  Heim  im  Alpinen  Museum  zu  Mimchen 

Man    beachte    die    Firnmulde,    aus    der    durch    Ablation    die    Gletscher    entstehen,    mit    ihren    Kluft- 

systemen  und  Seitenmoränen.      Im  Vordergrund  die  abgeschliffene  Rundhöckerlandschaft   aus   Zeiten 

größerer  Vereisung.      Die  Hochberge  sind-ausgesprochene  „Karlinge"  mit   zugespitzten    Formen 


Abb.  6.    Gerolle  eines  Wildbaches  im  Hochgebirge 

Die    Steine   stellen    Funktionsformen    in    allen    Stadien    der   Vervollkommnung    dar.     Moti- 
in  Tirol.      Originalaufnahme 


aus   dem   Otztal 


Meer  unterwühlt  in  Form  von  Hohlkehlen  die  Kliffs,  wie  der  deutsche  See- 
mann die  Steilküsten  englisch  benennt,  durch  Rollsteine,  welche  klassisch 
ausgeprägt  die  Funktionsform  des  Rollens  an  sich  tragen  und  in  jedem 
Gebirgsbach  im  kleinen  die  großen  Erscheinungen  an  der  Meeresküste 
wiederholen  (Abb.  6).  Die  Ebbe  führt  dann  das  aufbereitete  Material  zu- 
rück ins  Meer,  und  so  schleift  der  Wellengang  der  Tiden  mit  lebendiger 
Kraft  sauber  und  glatt  die  Festlandsstümpfe  mit  solcher  Geschwindigkeit 
ab,  daß  man  die  Ingression  an  den  deutschen  Meeresküsten  jährlich  auf 
einen  Küstensaum  von  0,72  m  Breite  berechnet  hat. 

Genau  nach  gleichem  Wellengesetz  und  mit  den  gleichen  Mitteln  arbeiten 
die  Luftwellen,  vulgo  Wind.  Was  sie  leisten,  darüber  befrage  man  einen 
Dombaumeister,  oder  noch  besser,  beim  Besuch  eines  der  gotischen  Münster 
sehe  man  sich  die  zerfressenen,  ausgehöhlten,  schwindenden  und  abgeschlif- 
fenen Steine  in  der  Höhe  selber  an.  Ich  habe  manchen  Tag  mit  diesem  Stu- 
dium zugebracht,  nicht  nur  auf  dem  Straßburger  Dom  und  dem  Ulmer 
Münster  und  in  den  Hochgebirgen,  sondern  dort,  wo  der  klassische  Ort 
dieser  Winderosion  ist,  die  das  ganze  Landschaftsbild  zurechtmodelliert,  in 
den  morgenländischen  Wüsten,  namentlich  am  Sinai.  Der  Wind  verwendet 
vor  allem  den  Quarzsand  als  ein  Schleifmittel,  was  ihm  der  Mensch  als 
biotechnische  Imitation  nachgemacht  hat  in  den  Sandgebläsen.  Eine  kolos- 
sale mechanische  Kraft  wird  dadurch  entfaltet,  der  tatsächlich  nur  der 
Quarzfels  selbst  und  die  verkieselten  Kalke  widerstehen  können.  Darum 
selektiert  die  Deflation  Fels  und  Berg  nach  ihrer  Härte.  So  wurden  z.  B. 
die  beiden  sogenannten  versteinerten  Wälder  bei  Kairo  bloßgelegt,  und 
das  wunderliche  Landschaftsbild  geschaffen,  daß  verkieselte  Baumstämme 
der  Gattung  NicoUa  so  frisch  und  glatt  am  Boden  liegen,  als  wären  sie 
vor  kurzem  gefällt,  während  sie  doch  in  Wahrheit  jahrmillionenalt  sind  und 
im  Tertiär  grünten.  Auf  gleiche  Weise  arbeitet  der  Wind  mit  den  aneinan- 
der zu  „Gerollen"  zurechtgeschliffenen  Sandkörnchen  die  ganze  „Hammada" 
(Kieswüste)  durch.  Dieser  Wind,  dessen  Wellen  täglich  über  das  knochen- 
bleiche Land  fluten,  steigert  sich  im  40tägigen  Chamsin,  den  man  in 
Europa  mit  einer  alten  Redeweise  Samum  nennt,  dermaßen,  daß  er  selbst 
große  Kiesgerölle  in  Flug  bringt.  Ihm  gegenüber  schützen  sich  die  Kamel- 
beine durch  Schwielen,  und  oft  genug  hört  man  in  jenem  Lande  von  Rei- 
senden, die  durch  die  scharfen  Gesteinsplitter  verletzt  und  sogar  getötet 
wurden. 

Das  muß  man  wissen,  um  dann  die  wunderlichen  und  grotesken  Formen 
der  Berge  und  Felsen  in  der  arabischen  Wüste  zu  verstehen.  Tiefe  Löcher 
sind  in  die  Wände  eingefressen,  in  denen  Sand  wie  ein  Reibstein  arbeitet. 
Aus  der  kleinsten  Mulde  wird  bald  ein  Loch,  und  Höhlung  reiht  sich  an 
Höhlung  zu  wahren  Gittern.  Tiefe  Grotten,  ganze  Höhlen  bilden  sich, 
mächtige  Kessel  und  Pfannen  werden  zurechtgescheuert,  mit  denen  man 
allerdings    die    einst    durch    Erosion    zustande    gekommenen,    meist    blind 

29 


endenden  Trockentäler  (Wädis)  nicht  verwechseln  darf.i«)  Da  der  Sand 
und  die  Gerolle  nicht  hochfliegen,  scheuern  sie  mit  Vorliebe  bestimmte 
Hohlkehlen  aus  und  schleifen  so  an  isolierten  Felskuppen  allmählich  einen 
dünnen  Stiel  zurecht,  auf  dem  dann  ein  ganzer  Pilzhut  aufsitzt;  auf  diese 
Weise  entstehen  auch  die  merkwürdigen  Zeugenberge,  welche  für  das 
Landschaftsbild  der  Sahara  so  überaus  kennzeichnend  sind. 

Immer  —  und  das  ist  das  Gesetz  —  verwandelt  der  Wind  die  ihm  wider- 
strebenden Dinge  in  Formen,  welche  seine  Bahn  erleichtern:  er  schafft  sie 
um  in  Funktionsformen.  Und  sie  demonstrieren  am  harten  Fels  genau  so 
die  Gesetze  der  Wellen,  wie  die  Flugsandfelder  der  Erg,  der  reinen  Sand- 
wüste, wo  der  Wind  den  aus  der  Kieswüste  herausgeblasenen  Sand  und 
Staub  in  Walldünen  ablagert,  deren  Longitudinal-Wellen  und  Rippelung, 
deren  Sichelform  vom  feinsten  bis  zum  gröbsten  zu  dem  Kundigen  spricht 
wie  ein  Demonstrationsvortrag  über  das  Gesetz  der  Wellenbewegung,  das 
sich  an  diesen  Flugdünen  gleich  denen  am  Meeresstrande  auch  insofern 
bewährt,  als  sie  wirklich  wandern.    (Vgl.  Bd.  I  Abb.  68.) 

Hat  man  erst  einmal  das  Auge  an  diesen  großartigsten  Beispielen  von 
Deflation  geschult,  so  wird  man  die  Hieroglyphik  der  Luftwellen  auch  in 
der  Heimat  allerorten  in  leisen  Spuren  wiederfinden  und  sei  es  nur  in  der 
Gestalt  der  Bäume,  die  eine  Antwort  auf  die  Fragen  des  Windes  ist,  oder 
in  den  „Dreikantern"  (Windkantern),  zurechtgeschliffenen  Steinen  und 
Felsen,  wie  sie  besonders  in  nacheiszeitlichen  Moränenfeldern  zu  sehen 
sind.  Noch  deutlicher  reden  die  Berge  von  diesen  Dingen;  viele  Gipfel 
sind  „Schlifformen",  ihr  großartigster  Chorführer  darin  das  Matterhorn, 
wohl  der  größte  existierende  Dreikanter  (Abb.  9).  Was  hier  im  Größten 
erschütternd,  auf  Äonen  hinaus  sichtbar  und  wirkend  sich  ereignet,  das  ge- 
horcht immer  noch  dem  gleichen  Gesetz,  wenn  es  unsichtbar,  in  feinsten 
Wellen,  die  Luft  durchzittert  und  nur  als  süßer  Klang,  als  berückende 
Melodie  und  ergreifendes  Lied  zu  den  Sinnen  spricht.  Tatsächlich  ist  Musik 
und  die  ganze  Welt  der  Akustik  nur  eine  Anwendung  der  gleichen  Kraft, 
welche  Berge  mit  mächtiger  Hand  versetzt  und  umgestaltet.  Die  Akustik, 
welche  die  feinsten  Schwingungen  der  Luftwellen  erforscht,  macht  uns  da- 
her im  Prinzip  mit  keinen  neuen  Naturkräften,  sondern  nur  mit  neuen 
Anwendungen  altbekannter  Prinzipien  bekannt. 

Seit  langem  schon  hat  man  sich  gewöhnt,  die  Wellenbewegungen  der  Luft 
als  Schall  zu  bezeichnen,  wenngleich  es  nicht  immer  des  Ohres  bedarf,  um 
sich  von  dessen  Wellennatur  zu  überzeugen.  In  vielen  Fällen  läßt  sich  z.  B. 
an  einer  tönenden  Saite  schon  durch  das  Tastgefühl  erkennen,  daß  sie  Bewe- 
gungen und  zwar  Schwingungen  ausführt.  Mittels  eines  artigen,  von  jeder- 
mann leicht  auszuführenden  Versuches  kann  man  die  Art  dieser  Schwingungen 
sogar  graphisch  festhalten.  Man  braucht  dazu  nur  an  der  einen  Zinke  einer 
Stimmgabel  einen  federnden  Metalldraht  anzubringen.  Wenn  man  dann  mit 
dessen  Spitze  über  eine  berußte  Glasplatte  fährt,  während  die  Stimmgabel 

30 


angeschlagen  wurde  und  tönt,  so  zeichnet  der  Draht  die  Bewegung  der  Gabel 
als  regelmäßige  Wellenkurve  auf.  Variiert  man  den  Versuch  mit  höher  ge- 
stimmten Gabeln,  so  kann  man  sofort  feststellen,  daß  bei  höheren  Tönen  in 
gleicher  Zeit  mehr  Schwingungen  ausgeführt  werden.  Und  mißt  man  das  ganz 
genau,  dann  ergibt  sich,  daß  von  zwei  Stimmgabeln,  von  denen  |"  i  |  f 
eine  um  eine  Oktave  höher  gestimmt  ist,  also  sich  verhält  wie 


die  höhere  doppelt  so  viele  Schwingungen  ausführt  wie  die  tiefer  klingende. 

Das  Intervall  der  Oktave  entspricht  also  dem  Verhältnis  von  2:1  der 
Schwingungszahlen.  Es  ist  nun  nicht  durch  die  Mechanik,  sondern  durch 
die  Physiologie  bestimmt,  daß  wir  von  den  im  Prinzip  unendlich  vielen 
möglichen  Tönen  zwischen  dem  Intervall  2:1  nur  wenige,  ganz  gewisse 
bevorzugen.  Eigentlich  war  das  der  erste  Einbruch  der  Biologie  in  die 
Physik,  und  alles,  worauf  wir  an  Hand  der  Biozentrik  jetzt  erst  gestoßen 
sind,  hätte  sich  schon  zu  Pythagoras'  Zeiten  ableiten  und  feststellen  lassen. 
Denn  der  Weise  von  Samos  war  der  Erste,  der  diese  biologische  Akustik  in 
die  Wissenschaft  einführte.  Heute  sieht  man  es  auch  ohne  weiteres  ein,  daß 
er,  indem  er  diese  Akustik  zur  Grundlage  seines  gesamten  Philosophierens 
machte,  sich  dadurch  praktisch  auf  den  Boden  der  Biozentrik  stellte  und  nun 
notwendigerweise,  allein  durch  richtige  Schlußfolgerungen,  zur  Harmonielehre 
und  dem  Harmoniegesetz  als  oberstem  Weltprinzip  gelangen  mußte,  weil 
ja  für  das  Leben  Harmonie  tatsächlich  das  oberste  erhaltende  Prinzip  ist. 
Insofern  ist  das,  was  sich  jetzt  ereignet:  die  Schöpfung  des  Gedankens,  dem 
dieses  Werk  dient,  in  gewissem  Sinne  wirklich  nichts  als  ein  Neu-Pytha- 
goraeismus. 

Tatsächlich  ist  diese  Einführung  des  Biologischen  in  die  Akustik  ein  Ge- 
bot der  Notwendigkeit,  da  die  Existenz  von  Tönen  auf  keinem  anderen  Wege 
als  auf  dem  biologischen,  nämlich  durch  die  Empfindung  festgestellt  werden 
kann.  Und  sofort  stellt  sich,  wenn  man  mit  dieser  Prüfung  beginnt,  die 
vom  Biologischen  unzertrennbare  Relativität  ein.  Savart  fand,  daß  der 
tiefste  hörbare  Ton  durch  acht  Schwingungen  in  der  Sekunde  zustande- 
komme, der  höchste  durch  24  000.  Helmholtz,  der  ursprünglich  Arzt  war 
und  auf  dem  Weg  über  die  Akustik  zum  Physiker  wurde,  bestimmte  diese 
Zahlen  zu  16  und  38  000.  Die  Lösung  des  Widerspruches  liegt  darin,  daß 
das  Empfinden  von  Mensch  zu  Mensch  verschieden  ist.  Der  eine  hört  noch 
nicht,  was  der  andere  bereits  hört.  Wenn  es  daher  noch  irgendeines  Be- 
weises für  den  allgemeingültigen  Relativismus  der  Begriffe  bedurft  hätte, 
hier  wäre  er  für  jedermann  handgreiflich  zu  holen:  Es  gibt  kein  absolutes, 
sondern  nur  ein  relatives  Weltbild.  Und  die  Schwierigkeit  des  Daseins  be- 
steht darin,  daß  wir  für  die  Zoesis  eingerichtet  sind,  mit  allem  aber  stets 
nach  der  Extrazoesis  fragen,  die  allein  seit  dem  Ausgang  des  Altertums  für 
spezifisch  menschlich  und  „menschenwürdig"  gilt. 

.Wenn  der  Schall  nun  Wellen  der  Luft  darstellt,  dann  müssen  in  denSchall- 

31 


erscheinungen  auch  alle  Gesetze  der  Wellen  aufzufinden  sein.  Schallwellen 
müssen  dann  jedenfalls  zurückgeworfen  werden  können,  Wellenberge  und 
Wellentäler  besitzen,  die  sich  durch  Interferenz  aufheben;  auch  müssen  sie 
sich  dann  in  andere  Wellenformen  der  Energie  transformieren  lassen.  Tat- 
sächlich hat  die  Physik  auch  alle  diese  Forderungen  erfüllt.  Vor  allem  lernte 
sie  durch  die  Bemühungen  Chladnis,  den  man  nicht  umsonst  den  Vater  der 
neueren  Akustik  nennt,  die  Schwingungen  sichtbar  machen,  welche  tönende 
Körper,  z.  B.  Stäbe  oder  Platten  ausführen.  Der  allbekannte,  in  Ab.  7  darge- 
stellte Chladnische  Versuch  beruht  darauf,  daß  man  eine  elastische  Scheibe 
mit  feinem  trockenen  Sand  bestreut  und  hierauf  mit  einem  Violinbogen  an- 
streicht. Die  Körnchen  werden  dann  von  der  schwingenden  Platte  in  die  Höhe 
geschleudert,  und  es  zeigen  sich  Knoten,  welche  offenbar  Ruhestellen  be- 
deuten. Jeder  Ton  hat  seine  besondere  Klangfigur  und  demonstriert  damit, 
daß  die  Schallerscheinung  wirklich  auf  Wellen  beruht,  deren  Schwingungs- 
bäuche durch  Ruhepunkte,  nämlich  die  Knoten,  voneinander  getrennt  sind. 

Die  nächstwichtige  Analogie  mit  dem  Lichte,  nämlich  die  Reflexion  des 
Schalles,  hat  schon  jedermann  erlebt,  der  nur  einmal  einem  Echo  lauschte. 
Berühmte  Echos,  wie  das  an  den  Wasserfällen  von  Terni,  können  einen 
Schall  sogar  durch  wechselseitige  Reflexion  an  15  mal  wiederholen,  und 
Spielereien  nach  dem  Muster  des  Ohres  des  Dionysos  sind  in  der  Anekdoten- 
geschichte aller  Zeiten  erzählt  worden.  Verdichtet  man  das  zum  wissen- 
schaftlichen Experiment,  so  kann  man  auch  den  Schall  in  Hohlspiegeln 
ebenso  auffangen,  seine  Wellen  in  einem  Punkte  vereinigen  und  dadurch 
verstärken,  wie  man  das  mit  dem  Licht  und  den  Wärmestrahlen  von  alters- 
her  konnte.  Auf  der  Anwendung  dieses  Prinzips  beruht  der  Bau  der  Musik- 
instrumente ebensogut  wie  der  der  Konzertsäle  und  Theater.  Die  feinen 
und  gefälligen  Rundungen  der  Geige,  des  Flügels,  der  großen  Blechinstru- 
mente, die  Muschelformen  der  Zuschauerräume  verdanken  ihr  Entstehen 
nicht  dem  Schönheitssinn  oder  irgendwelchen  Moden  und  können  von 
diesen  daher  niemals  abgeändert  werden.  Sie  sind  vielmehr  biotechnische 
d.  h.  Notwendigkeitsformen  optimaler  Funktion,  die  ihr  organisches  Vorbild 
in  der  menschlichen  Ohrmuschel  (vgl.  Abb.  8)  als  einer  prachtvollen  Reso- 
nanzfläche zur  bestmöglichsten  Aufnahme  von  Tönen  aller  Art  besitzen. 

Diese  Reflexion  der  Schallwellen,  an  deren  Existenz  man  nach  so  vielen 
Beweisen  nicht  zweifeln  kann,  leitet  zum  Verständnis  der  ebenfalls  vorhan- 
denen Interferenz.  Die  jedem  musikalischen  Menschen  bekannten  Schwe- 
bungen (also  ein  Anschwellen  und  eine  darauf  folgende  Abschwächung  von 
Tönen)  lassen  keine  andere  Erklärung  zu,  als  daß  verschieden  geartete 
Schallwellen  sich  bald  gegenseitig  mehr  oder  minder  aufheben  oder  ver- 
stärken, so  wie  man  die  Sache  an  den  Wellen  des  Wassers  unmittelbar  be- 
obachten  kann.ii)     (Vgl.  Abb.  2  und   die   farbige   Tafel   zu   Bd.  L) 

Damit  aber  auch  der  letzte  und  alles  zusammenfassende  Beweis  für  die 
Schwingungsnatur  des  Schalles  nicht  fehle,  so  ist  das  menschliche  Gehör- 

32 


Abb.  7.    Die  Erscheinungen  der  Schallwellen 

Chladnische   Klangfigur,   welche   auf  einer   mit   Sand   bestreuten 
Platte   entsteht,   die   zum   Tönen   gebracht   wird 


Abb.  8.   Das  Ohr  des  Menschen  im  Längsschnitt 

I  Vom  äußeren  Ohr  (Ohrmuschel)  führt  der  Qchörgang  zum  Tronunci 
feil,  mit  dem  in  der  Paukenhöhle  die  üehörknöchelchen  in  Vcrhin 
düng  stehen.  Die  Eustachische  Röhre  (e)  führt  in  den  Rachen.  Oie 
Gehörknöchelchen  sind  durch  den  „Steigbügel"^  in  Verbindung  m 
der  (aufgeschnittenen)  Schnecke  und  dem  Labyrinth,  an  dcner"  sie 
der  Acusticus  (Gehörnerv)  verästelt.  In  der  Schnecke  liegt  das 
Corti'sche  Organ.  M  Das  statische  Organ  des  Menschen,  mit  den 
Bögen  in  den  drei  Richtungen  des  Raumes,  nach  deren  Verletzung 
die  Raumvorstellurg  gestört  ist.     Originalzeichnurg 


Organ  nichts  anderes  als  das  biotechnische  Vorbild  aller  Saiteninstrumente, 
nämlich  selbst  ein  äußerst  fein  konstruiertes  Saiteninstrument  zur  Aufnahme 
von  Luftwellen.  In  unserem  Ohr  wird  durch  Resonanz  musiziert,  und  das 
hören  wir.  Ein  Blick  auf  Abbildung  8  wird  das  denen  deutlich  machen,  die 
mit  dem  Bau  ihres  eigenen  Körpers  nicht  genügend  vertraut  sind.  Die  schon 
erwähnte  Ohrmuschel  ist  der  Resonanz-  und  Sammelapparat  und  ein  unbe- 
greiflicherweise technisch  noch  ganz  ungenügend  durchgeprüftes  System 
von  Reflexionsflächen,  von  deren  Leistungsfähigkeit  wir  daher  nur  an- 
nähernde Begriffe  haben,  während  man  es  ganz  verabsäumt  hat,  das  vom 
Leben  uns  darin  vorgelegte  Modell  irgendwie  technisch  zu  verwerten.  Be- 
kanntlich leitet  der  Gehörgang  zu  einer  in  seinem  Durchmesser  ausge- 
spannten elastischen  Membran,  dem  Trommelfell,  dessen  Schwingungen 
durch  ein  kompliziertes  System  von  übertragenden  Mechanismen,  nämlich 
den  Gehörknöchelchen,  auf  die  Flüssigkeit,  die  das  Labyrinth  erfüllt,  über- 
tragen werden.  In  diesem  Labyrinth  sind  an  mehreren  Stellen  Einrichtungen 
angebracht,  welche  die  verschiedenen  Schwingungen  als  Reiz  aufnehmen 
und  dem  zu  feinsten  Fasern  zerteilten  Hörnerv  (Acusticus)  als  Reiz  über- 
mitteln. Ganz  grobe  Geräusche  versetzen  wohl  die  winzigen  Kristalle  von 
kohlensaurem  Kalk  (Ohrsand)  in  ein  Erzittern  und  üben  damit  eine  plasma- 
tische Reizung,  die  man  auch  den  Pflanzen  und  niederen  Tieren,  die  viel- 
fach solche  Hörsteinchen  in  sich  bergen,  zumuten  kann.  Unsere  ebenfalls 
vorhandenen  Qehörsteinchen  werden  als  Hilfsmittel  angesprochen,  um  die 
Gehörreize  von  kürzester  Dauer  aufzufangen,  welche  wohl  die  im  soge- 
nannten Cortischen  Organ  ausgespannten  Hörnervsaiten  gar  nicht  in 
Schwingungen  versetzen  würden.  Dieser  Corti-Apparat  besteht  aus  etwa 
3000  gespannten  Hörnervfibrillen,  angeschlossen  an  je  eine  Membranfaser, 
von  der  man  annimmt,  daß  sie  für  einen  bestimmten  Ton  abgestimmt  sei, 
bei  dessen  Ertönen  sie  in  das  aus  der  alltäglichen  Erfahrung  sattsam  be- 
kannte „Mitschwingen  der  Fensterscheiben"  gerät.  Das  eigentliche  und 
feinste  Hörorgan  ist  demnach  eigentlich  eine  dreitausendsaitige  Harfe.  Die 
Saiteninstrumente  sind  unbewußte  biotechnische  Kopien  des  Ohres,  der 
menschliche  Erfindungsgeist  wiederholte  in  ihnen  den  Menschenleib. 

Hier  geht  dem  Denkenden  auch  das  Verständnis  für  die  Melmholtz^schen 
Entdeckungen  auf,  warum  Konsonanz  und  Dissonanz,  die  ganze  Welt  der 
Tonkunst  nicht  von  der  mathematisch  absolutistischen  Physik,  sondern  von 
der  relativistisch-biologischen  Psychophysik  gelenkt  wird.  Ton  ist  Emp- 
findung; aus  seinen  Schwingungen  trifft  die  Empfindung  eine  biozentrisch 
brauchbare  Auswahl,  und  sie  bestimmt  die  erlaubten  „wohlklingenden"  Ver- 
knüpfungen, sie  lehnt  die  unbrauchbaren  Dissonanzen  ab,  wobei  sie  der 
allgemeinen  Veränderlichkeit  der  menschlichen  Seele  folgt. 

Musik  ist  demnach  nicht  die  Mechanik  der  Schwingungen,  sondern  die 
der  Seelenjähigkeiten.  Sie  folgt  nicht  absoluten  physikalischen,  sondern 
relativistischen,  also  psychologischen  Gesetzen.    Musik  ist  daher  vor  allem 

Franci,  Bios  H  3 

33 


eine  biologische,  daher  bei  jedem  Volk  und  zu  allen  Zeiten  wechselnde  Aus- 
wahl aus  der  Summe  aller  möglichen  Geräusche. 

Der  Unterschied  zwischen  Geräusch  und  Klang  (Definition  des  Klanges 
s.  unt.)  wird  durch  die  Menschenseele  bestimmt.   Die  zwölf  Töne  der  Oktave: 


sind  durch  unser  psychisches  Vermögen  festgestellt  und  letzten  Endes  der 
Willkür  unterworfen.  Diese  zwölf  Töne  sind  so  ausgewählt,  daß  acht  von 
ihnen  Oanztöne  und  vier  Halbtöne  sind,  von  denen  der  erste  und  der  achte 
der  Ganztöne  um  eine  Oktave  differieren,  wenn  der  erste  also  den  Wert 
eins  hat,  dann  besitzt  seine  Oktave  den  Wert  zwei.  Und  die  dazwischen 
liegenden  sieben  Töne  haben  dann,  da  man  sie  als  gleich  große  Intervalle 
ausgewählt  hat,  folgende  Werte: 

c  d  e  f  g  a  h  c 

1  JL         A         J_         A         A         15_  2 

^843238 

Als  Bezeichnungen  für  diese  Intervalle  hat  man  sich  längst  über  die  Aus- 
drücke Sekunde,  Terz,  Quart,  Quint,  Sext,  Septime  und  Oktav  geeinigt. 
Diese  Auswahl  ist  es,  die  schon  Pythagoras  getroffen  hat,  und  schon  er 
hat  auch  erkannt,  daß  nur  diese  Terzen,  Quinten  usw.  unserem  Ohre  ge- 
nehm und  wahrnehmbar  sind,  wenn  mehrere  Töne  zusammen  erklingen. 
Nur  sie  sind  harmonisch. 

Wenn  eine  Saite  klingt,  so  ist  der  Ton  mit  der  kleinsten  Schwingungs- 
zahl, den  sie  gibt,  ihr  Grundton.  Sie  vollführt  aber  hierbei  stets  kompli- 
zierte Bewegungen,  als  deren  Folge  auch  Obertöne  erklingen,  und  zwar 
stellt  sich  hierbei  das  Gesetz  der  multiplen  Proportionen  insofern  ein,  als 
die  Schwingungszahlen  der  erklingenden  Obertöne  stets  das  2-,  3-,  4-,  5-, 
6  fache  des  Grundtones  sind.  Jeder  Ton  einer  schwindenden  Saite  ist  also 
zusammengesetzt  aus  einem  Grundton  und  mehreren  Obertönen  (das  nennt 
man  exakt  dann  Klang). 

Wenn  man  diese  Elementartatsachen  der  Klang-  und  Harmoniebildung 
als  Funktionen  der  Luftwellen  etwas  überdenkt,  kommt  man  zu  einem,  die 
Seele  bis  ins  Tiefste  aufwühlenden  Resultat.  Denn  nichts  anderes  wurde 
hier  gesagt  als  folgendes:  Wir  empfinden  als  harmonisch  nur  die  Verwirk- 
lichung des  Weltgesetzes  der  multiplen  Proportionen,  was  doch,  wie  wir 
erkannten,  zugleich  das  Quantengesetz  oder  die  Bode-Titius'sclie  Reihe  der 
Planeten,  also  der  Bau  der  Welt  vom  Kleinsten  bis  ins  Größte  ist.  Möglich 
und  auch  befriedigend  erscheint  unserem  Erleben  auf  musikalischem  Ge- 


•)  a  ist  der  Kammerton  (der  Stimmtonkonferenz  von  1885)  mit  435  Schwingungen. 

34 


biet  nur  ein  Verhältnis  in  der  Vielheit  der  Töne,  dessen  Mechanik  dem 
Weltgeschehen  entspricht,  wie  es  von  der  objektiven  Philosophie  durch- 
schaut wurde.  Musik  ist  nichts  anderes  als  angewandte  objektive  Philo- 
sophie. Die  Auswahl  der  musikalischen  Töne  aus  dem  Chaos  der  überhaupt 
möglichen  ist  demnach  nichts  als  die  Schaffung  der  Harmonie,  in  der  sie 
entweder  nacheinander  oder  zusammen  erklingen.  Oder  mit  anderen  Wor- 
ten :  auch  durch  die  Musik  nimmt  die  Menschenseele  nur  ihr  eigenes  inneres 
Gesetz  wahr,  so  wie  im  Weltphänomen  überhaupt.  Und  Pythagoras  hatte 
ganz  recht,  wenn  er  Musik  die  Grundlage  aller  Bildung  nannte  und  in 
richtig  verstandener  Musik  den  Kern  aller  Philosophie  sah.  Die  musikalische 
Harmonie,  die  Auflösung  der  Dissonanzen  ist  wirklich  das  Abbild  der  Welt, 
und  das  große  Gesetz  des  Erlebens  kann  in  ihr  dargestellt  werden. 

Das  musikalische  Kunstwerk  wird  so  zum  „vollkommenen"  Erlebnis,  und 
es  steckt  ein  tiefer  Sinn  in  dem  so  oft  unverständig  ausgesprochenen 
Wunsch:  das  Leben  zum  Kunstwerk  zu  gestalten.  Nichts  anderes  ist  da- 
mit ausgedrückt,  als  der  Wunsch,  daß  es  harmonisch  sei,  daß  es  die  Voll- 
kommenheit der  Welt  erlange.  Da  haben  wir  die  tiefste  Rechtfertigung,  die 
Urkunde  und  die  wahre  Deutung  der  Göttlichkeit  der  Musik,  das  innerste 
Verstehen,  warum  das  Beethoven-Septett  wirklich  vom  Weltengrunde  spricht 
mit  tiefer  Philosophie  und  Tristans  Erzählung  von  dem  Reich,  „daraus  die 
Mutter  ihn  entsandt"  wirklich  Urtatsachen  von  Leben  und  Tod  zergliedert. 
Daher  das  unerschöpfliche  Interesse  für  Musik,  die  Sehnsucht  nach  ihr  in 
der  Seele  jedes  Gebildeten.  So  endigt  dieses  Durchdenken  der  Grund- 
begriffe der  Akustik  mit  einem  neuen  Verständnis  für  die  Musik,  das  aller- 
dings wieder,  wenn  auch  auf  höherer  Integrationsstufe,  zu  der  ersten  pytha- 
goraeischen  Wertung  des  Musikalischen  zurückkehrt. 

Musik  ist  —  wenn  man  diesen  Ausdruck  gebrauchen  darf  —  eine  drei- 
dimensionale Geometrie  der  Wellen,  die  durch  das  Ohr  perzipiert  wird, 
vor  allem  ist  sie  der  vollkommene  Ausdruck  der  Weltmechanik.  Sie  führt 
alles  Geschehen  und  Erleben  auf  die  ihm  adäquate  Mechanik  von  Wellen- 
bewegungen zurück,  sie  ist  also  die  rhythmisch-melodisch-harmonische  Über- 
setzung (=  Sprache)  des  Weltgeschehens  in  einer  Formel,  welche  alle  seine 
ausschlaggebenden  Merkmale  zusammenfaßt.  Sie  ist  daher  als  „Sprache" 
des  Weltschaffens  der  Malerei  überlegen;  die  Gebärdensprachen,  auch  die 
Lautsprache  und  das  Denken  als  Abstraktion  der  Sprache  kommen  diesem 
Ziel  allerdings  schon  näher,  sind  aber  noch  zu  weitmaschig. 

Poesie,  namentlich  rezitierte  (alle  Poesie  wird  eigentlich  zu  diesem  Zweck 
geschrieben)  kommt  durch  ihren  rhythmisch-melodiösen  Gehalt  (Betonung) 
der  Musik  schon  nahe,  gehört  daher  eigentlich  zu  ihr,  und  beide  können 
sich  substituieren  und  steigern,  weshalb  die  Sprache  ihr  Begrifflich-Feinstes 
stets  auch  in  Versen  gesagt  hat.  Das  ist  die  Wurzel,  warum  sich  alle  Reli- 
gionen (Veden,  Psalmen),  auch  die  Urphilosophie  in  den  Lehrgedichten  der 
Vorsokratiker  stets  der  hymnischen  Formen  bedienten  und  Nietzsche  mit 

3* 

35 


seinem  Zarathustra  wieder  auf  sie  zurückgriff.  *)  Aber  erst  Musik  ist, 
namentlich  in  ihrer  höchsten  symphonischen  Form,  die  intensivste  aller 
Sprachen,  das  dichteste  Netz,  um  primäre  Perzeptionen  und  Vorstellungen 
einzufangen.  Deshalb  ist  sie  kein  Luxus,  sondern  eine  Notwendigkeit,  ein  Er- 
kenntnishilfsmittel, um  das  Weltphänomen  darstellen  und  erfassen  zu  können. 

Die  letzte  und  höchste  Form,  um  eine  Philosophie  wiederzugeben,  sollten 
daher  Kompositionen  sein,  und  so  wie  ich  zur  Konzeption  meiner  Werke 
von  Bach  und  Beethoven,  Mozart  und  Brückner,  von  Enna  und  Marschner 
wie  Wagner  Anregungen  und  Klärungen  empfangen  habe,  wünschte  ich,  daß 
der  objektiven  Philosophie  bald  ein  Beethoven  erstehen  möge,  der  erst  im- 
stande sein  wird,  das,  was  hier  unvollkommen  begonnen  ist,  zu  vollenden 
und  zum  Siege  zu  führen. 

Man  muß  sich  aber  hierbei  vollkommen  klar  sein,  daß  trotz  dieser  Wert- 
schätzung, welche  die  Musik  an  die  Spitze  der  wertvollen  Erlebnisse  stellt, 
ihr  hier  keineswegs  eine  metaphysiche  Bedeutung  zugesprochen  wird.  Sie 
ist  dem  objektiven  Philosophen  keineswegs  mehr,  allerdings  auch  nicht 
weniger  als  die  Natur  und  deren  innere  Spiegelung,  sie  ist  ein  Abbild  des 
Bios.  Daher  kann  sie  letzten  Endes  nichts  anderes  sein,  als  die  „Biotechnik 
der  Luftwellen".  Insofern  gibt  es  auch  „objektive  Musik".  Es  sind  nämlich 
die  Wellenbewegungen,  und  da  jede  Bewegung  in  Wellen  verläuft,  also  die 
Bewegungen  an  sich,  Elemente  dieser  natürlichen  Musik,  eine  Vorstellung, 
die  denen,  so  von  einer  „Sphärenharmonie"  sprachen,  innerlich  klar 
sein  mußte. 

Die  Bewegungen,  die  sich  im  Walde,  am  Meer,  am  Wasserfall,  im  Sturm, 
im  Angst-  oder  Lustschrei  eines  Tieres  kundgeben,  werden  vom  Menschen 
entsprechend  seiner  reicheren  seelischen  Sprache  in  der  Musik  nur  kompli- 
zierter nachgeahmt,  weshalb  sich  denn  diese  rhythmischen  und  melodischen 
Elemente  des  Herzklopfens,  des  rollenden  Donners,  des  Sturmesheulens, 
der  plätschernden  Wellen,  der  Liebeswallung  und  des  erstarrenden  Schmer- 
zes aus  dem  Musikalischen  niemals  haben  verbannen  lassen,  auf  einer  ge- 
wissen Integrationsstufe  (man  denke  an  den  Walkürenritt,  an  die  Hebriden- 
ouvertüre  von  Mendelssohn,  an  gewisse  Sätze  der  Pastoralsymphonie  oder 
der  fiaydn'schen  Jahreszeiten)  sogar  ihr  Eigentliches  ausmachen. 

So  hat  sich  der  Menschengeist  ein  wunderbares  Abbild  der  Weltgesetze 
erschaffen  in  der  Musik,  deren  wahre  Leistungen  nicht  hinter  uns  liegen, 
sondern  erst  noch  kommen  werden,  und  nirgends  ist  er  so  zur  objektiven 
Philosophie  vorbereitet  und  erzogen  worden,  wie  in  der  Mechanik  der  Luft- 
wellen, wo  es  ihm  seit  Jahrtausenden  klar  und  erstrebenswert  ist,  daß 
er    der   Schöpfer   eines    Erlebens    ist,    indem    er    aus    einem    Chaos    von, 


•)  Dies  ist  auch  die  Ursache,  warum  sich  zu  der  objektiven  Philosophie  von  Beginn 
ihre  eigene  Dichtung  gesellte,  z.  B.  in  dem  Versezyklus  von  Annie  Harrar:  „Ich 
bin",  aus  dem  Bruchstücke  im  Jahrgang  1920  der  Dresdner  Zeitschrift:  Der  Zwin- 
ger, erschienen  sind. 

36 


Schwingungsmöglichkeiten  sich  nur  jener  von  40—4000  Schwingungen  in 
der  Sekunde  (also  sieben  Oktaven)  bedient,  innerhalb  deren  er  durch 
möglichst  einfache  Proportionen  der  Schwingungszahlen  nach  dem  Welt- 
zweck, nämlich  nach  absoluter  Harmonie  strebt.12)  Wenn  dieses  musika- 
lische Ziel  erst  einmal  die  Lebenssphären  eine  nach  der  anderen  ergreift, 
dann  ist  der  Mensch  auf  dem  richtigen  Wege  und  wird  sein  Leben 
selbst  zur  Harmonie,  damit  zum  Kunstwerk  gestalten  und  dadurch  seinen 
wahren  Weltzweck  erreichen. 

Immerhin  muß  man  glücklich  sein,  daß  wenigstens  auf  einem,  wenn  auch 
angesichts  des  Lebensganzen  höchst  beschränkten  Gebiete  der  Mensch  auf 
sicherem  Grunde  steht.  Darum  ist  ja  Musik  solch  eine  Oase  in  der  Wüste 
des  sonstigen  Erlebens,  wohin  sich  die  Menschen  verzückten  Auges  und 
sehnsuchtsvollen  Herzens  flüchten,  und  aus  der  sie  beruhigt,  geläutert,  ge- 
bessert wiederkehren,  wenn  ihnen  durch  ein  Meisterwerk  die  Weltenhar- 
monie aufgegangen  ist. 

Auf  den  übrigen  Gebieten  der  Wellenwirkungen  ist  man  noch  weit  ent- 
fernt von  solchen  Einsichten.  Nur  auf  dem  Gebiete  der  Optik,  also  der 
Lichtwellen,  hat  das  Menschenstreben  auch  schon  einige  Schritte  nach 
dem  für  die  meisten  Menschen  tief  unter  der  Bewußtseinsschwelle  liegen- 
den und  sie  doch  alle  lockenden  Ziel  getan,  hat  in  der  Kunst  der  Malerei 
und  Plastik,  wenn  auch  erst  nebelhaft,  doch  etwas  von  dem  großen  Ge- 
heimnis erblickt. 

Heute  sind  die  Zeiten  vorbei,  da  man  mit  sicherer  Überzeugung  den 
Satz  hinschreiben  durfte:  Licht  und  Farbe  seien  die  Wellenschwingungen 
des  Lichtäthers;  denn  —  man  erinnere  sich  an  das  im  ersten  und  zweiten 
Abschnitt  des  ersten  Bandes  zur  Relativitätslehre  Gesagte  —  die  Existenz 
eines  solchen  Weltäthers  ist  mit  den  sonstigen  Vorstellungen  vom  Welten- 
sein nicht  mehr  vereinbar. 

An  Stelle  dieses  Bildes  ist  mit  immer  größerer  Bestimmtheit  jenes  von 
der  materiellen  Natur  des  Lichtes  getreten  (vgl.  Bd.  I  S.  27),  die  durchaus  im 
Einklang  mit  dem  durch  den  ganzen  Erlebnisinhalt  gehenden  Quantengesetz 
steht,  ohne  auch  nur  mit  einer  der  Erfahrungstatsachen  zusammenstoßen, 
da  sich  ja  nicht  die  Überzeugung  von  der  Weltennatur  des  Lichtes,  sondern 
die  von  der  „Aetherbeschaffenheit"  des  in  Wellen  Schwingenden  geändert  hat. 

Wenn  man  in  diese  Welt  eintreten  will,  gibt  es  zwischen  Schall  und  Licht 
noch  ein  Zwischenreich,  denn  zu  groß  ist  der  Sprung  von  den  groben  Wellen 
der  Luft,  die  bekanntlich  in  einer  Sekunde  330,60  Meter  zurücklegen'),  wäh- 
rend die  des  Lichtes  nach  uns  schon  bekannter  (Bd.  I  S.  19)  Rechnung  mit 
der  unvorstellbaren  Geschwindigkeit  von  300  000  km/sec  reisen,  bei  einer 
Länge,  die  mit  0,0004— 0,0008  mm  in  das  Reich  der  Ultramikroskopie  ge- 
hört.   Trotzdem  ist  uns  dieses  Zwischenreich   verschlossen;  nicht  das  Ge- 

*)  Allerdings  nur  bei  OGrad;  bei  26,6  0  Wärme  beträgt  ihre  Geschwindigkeit  schon 
347,7  Meter,  im  Wasser  1430  Meter. 

37 


ringste  ist  von  ihm  bekannt,  obwohl  an  seiner  Existenz  und  Wirksamkeit 
nicht  im  Geringsten  gezweifelt  werden  kann.  Hier  ist  wieder  einer  der 
Punkte,  von  dem  aus  eine  das  Weltganze  einheitlich  umspannende  Weltauf- 
fassung mit  Sicherheit  voraussagen  kann,  daß  der  Menschheit  noch  große 
Entdeckungen  von  heute  noch  unausdenkbarer  Tragweite  vorbehalten  sind. 
An  der  Wellennatur  des  Lichtes,  also  der  Einheitlichkeit  der  Wellenfunktion 
in  der  Welt,  läßt  sich  aber  deshalb  nicht  zweifeln,  weil  die  von  den  Wasser- 
weiien  her  gewonnenen  und  in  der  Akustik  so  schön  bestätigten  Erschei- 
nungen der  Reflexion  und  Interferenz  im  I^eiche  des  Lichtes  gleichfalls  nicht 
fehlen,  hier  sogar  ihre  klassischen  Phänomene  entfalten. 

Es  war  die  erste  berühmte  Entdeckung  Newtons,  daß  farbloses  —  im  all- 
täglichen Sprachgebrauch  als  weiß  bezeichnetes  —  Licht  aus  allen  Farben 
besteht.  So  verwunderlich  erschien  damals,  kurz  nach  dem  Dreißigjährigen 
Krieg  diese  heute  den  Kindern  als  Spiel  mit  dem  Prisma  geläufige  Tatsache, 
daß  Newton  sich  gedrängt  sah,  das  farbige  Zerlegungsbild  als  „Gespenst" 
(englisch  spectre,  daher  Spektrum)  zu  bezeichnen.  Und  doch  war  es  eigent- 
lich nur  für  die  Unwissenheit  ein  Gespenst,  konnte  doch  die  Erfahrung 
dieses  Gespenst  seit  Anbeginn  der  Menschentage  am  Himmel  sehen,  so  oft 
sich  des  Regenbogens  zartes  Farbenband  über  den  Himmel  spannte.  Auch 
das  Spektrum  der  Glasprismen  ist  also  eigentlich  eine  Biotechnik,  wie  viel- 
leicht letzten  Endes  alles,  was  der  Mensch  tut  und  schafft. 

Es  läßt  sich  nun  ein  Spektrum  auch  einfach  dadurch  herstellen,  daß  man 
starkes  Licht  durch  einen  ganz  engen  Spalt  fallen  läßt.  Man  sieht  dann,  daß 
sich  die  Sonnenstrahlen  nicht  völlig  geradlinig  fortpflanzen,  sondern  sich  in 
6— 8 farbigen  Linien  ausbreiten.  Deutlich  treten  dabei  nur  blau,  grün  und  rot 
hervor,  es  fehlen  aber  auch  die  anderen  Regenbogenfarben  nicht.  Da  die 
seitlichen  Farbenstreifen  ganz  außerhalb  der  Bewegungsrichtung  der  einfal- 
lenden Lichtstrahlen  liegen,  kann  es  sich  bei  ihrer  Entstehung  nur  um  eine 
Beugung  des  Lichtes  handeln.  Das  Licht  biegt  um  die  Ecke  und  ist  außer- 
dem etwas  Periodisches;  sonst  könnten  in  diesen  Beugungsspektren  nicht 
helle  und  dunkle  Streifen  abwechseln.  Mit  anderen  Worten,  wie  namentlich 
der  französische  Physiker  A.  Fresnel  daraus  mit  großem  Scharfsinn  abge- 
leitet hat,  die  Wellenbewegung  der  Lichtteilchen  ist  auf  diesem  Wege 
zwingend  nachgewiesen  (vgl.  Abb.  10).  Man  beachte  aber,  nicht  die  Ather- 
natur  der  Wellen,  sondern  daß  leuchtende  Punkte  um  ihren  Standort  Schwin- 
gungen ausführen,  das  ist  durch  Fresnel  zur  Sicherheit  erhoben  worden. 

Mit  diesem  Gedankengang  konnte  sogar  die  Länge  dieser  Schwingungen 
festgestellt  werden,  und  es  ergab  sich  dadurch,  daß  die  einzelnen  Farben 
durch  verschieden  lange  Wellen  erzeugt  werden,  von  denen  aber  auch  die 
längsten  noch  immer  unvorstellbar  klein  sind.  Von  rot  zu  orange,  gelb, 
grün,  hellblau,  indigo  bis  zum  violett  wird  die  Wellenlänge,  beginnend  mit 
0,00065  Millimetern,  immer  kleiner,  bis  im  violetten  Teil  des  Spektrums  die 
kleinsten  aller  bekannten  Lichtwellen  eine  Länge  von  nur  0,00045  Milli- 

38 


meter  erreicht  haben.  Die  letzten  Grenzen,  innerhalb  deren  man  noch  von 
Licht  sprechen  kann,  liegen  zwischen  0,76—0,24  fi;  was  darüber  hinaus- 
geht, wird  uns  anders  als  durch  das  Auge  merkbar. 

Wenn  man  ein  Blatt  schwarzen  Kartons  mit  einer  Schicht  des  Salzes  Ba- 
riumplatincyanür  bestreicht  und  nun  ein  Sonnenlichtspektrum  darauf  fallen 
läßt,  erlebt  man  das  schöne  Phänomen  des  Fluoreszierens.  Untersucht  man 
das  näher,  kann  man  sich  unschwer  davon  überzeugen,  daß  dieses  Selbst- 
leuchten nicht  erregt  wird,  wenn  die  roten  oder  gelben  Strahlen  den  Schirm 
treffen,  wohl  aber  durch  die  blauen  und  violetten.    Doch  der  Fluoreszenz- 


Abb.  10.  Der  Fresnel'sche  Spiegelversuch  zur  Erklärung  der  Interferenz.  Zwei  schief- 
liegende schwarze  Olasspiegel  bilden  einen  sehr  stumpfen  Winkel  zueinander.  Durch 
einen  Spalt  wird  Licht  auf  sie  geworfen  und  von  ihnen  reflektiert.  Die  reflektierten 
Strahlen  scheinen  bei  dem  einen  Spiegel  von  dem  Punkte  Pi,  bei  dem  anderen  von 
P2  zu  kommen.  Diese  reflektierten  Strahlen  durchdringen  einander  und  erzeugen  auf 
dem   Schirm,  auf  den   sie  auffallen,  gefärbte    Interferenzstreifen.    (Nach  Qraetz) 

schirm  leuchtet  noch  jenseits  der  violetten  Teile,  als  Zeichen  dessen,  daß  es 
auch  da  noch  Strahlen,  wenngleich  unsichtbare,  gibt.  Diese  ultravioletten 
Strahlen,  für  die  unser  Auge  unempfindlich,  das  der  Ameisen  aber  sehr 
wohl  empfänglich  ist,  sind  es,  die  nur  0,40—24  \i  lang,  in  einer  Abart  (den 
sogenannten  Schumannstrahlen)  nur  0,10  fi  lang  sind.  Sie  haben  aus  einer 
noch  unerforschten  Ursache  einen  besonderen  Einfluß  auf  die  chemischen 
Prozesse,  sie  scheinen  mit  den  blauen  Strahlen  irgendwie  den  Umbau  der 
Atome  in  den  Molekülen  zu  begünstigen,  wovon  unsere  Technik  in  der 
Photographie  ausgiebigen  Gebrauch  gemacht  hat. 

Hält  man  dagegen  ein  Thermometer  in  das  rote  Ende  eines  Spektrums, 
so  wird  es  auffallend  ansteigen.  Man  kann  diese  Strahlen  ablenken,  in 
einem  Brennpunkt  sammeln  und  erhält  fast  ebensoviel  Wärme  wie  aus  dem 
unzerlegten  Sonnenlicht,  als  Zeichen  dessen,  daß  im  roten  Licht  sich  die 


39 


Wärmestrahlen  einfinden.  Man  darf  nicht  rotes  Licht  mit  Wärmestrahlen 
verwechseln,  wozu  das  Empfinden  wegen  der  regelmäßigen  Koinzidenz  von 
Flammen  und  Wärme  verlockt;  die  Wärmestrahlen  sind  vollständig  un- 
sichtbar, sonst  könnte  man  beim  warmen  Ofen  lesen. 

Mit  diesen  ersten  Versuchen  ist  schon  Erhebliches  sichergestellt  aus  der 
Naturgeschichte  des  Lichtes.  Klar  geworden  ist,  daß  es  sich  in  Wellen  aus- 
breitet, daß  die  für  die  Zoesis  sichtbaren  Wellen  nur  ein  kleiner  Ausschnitt 
der  vorhandenen  sind,  die  als  Wärmestrahlung  wirksam  sind,  dann  in  immer 
kürzeren  Wellen  das  herstellen,  was  man  Farbe  nennt,  schließlich  in  den 
kürzesten  Wellen  nur  mehr  chemisch,  da  aber  auf  das  intensivste  wirken. 

Noch  steht  für  uns  die  Überzeugung  von  der  Reflexion  und  Interferenz 
der  Lichtstrahlen  aus.  Aber  schon  durch  einen  höchst  einfachen  Versuch, 
etwa  wenn  man  ein  Bündel  Sonnenstrahlen  durch  ein  Loch  in  einem 
schwarzen  Karton  auf  einen  Spiegel  und  durch  diesen  in  ein  Wassergefäß 
fallen  läßt,  kann  man  nachweisen,  daß  diese  Strahlen  an  der  Grenzfläche 
des  Wassers  zurückgeworfen,  also  reflektiert  werden,  wobei  der  Einfalls- 
und der  Reflexionswinkel  einander  gleich  sind.  Solche  Reflexe  am  Wasser 
oder  an  spiegelnden  Scheiben  kennt  jedermann,  desgleichen  die  scheinbare 
Brechung  eines  in  Wasser  gesteckten  Stabes.  Der  Spiegel  ist  nichts  anderes 
als  eine  diese  Reflexion  verwertende  Vorrichtung,  die  dem  Menschen  allein 
schon  zur  Genüge  besagt,  wie  es  mit  der  Realität  des  Welterlebens  bestellt 
ist.  Denn  der  Spiegel  zeigt  sein  Bild  der  Welt  dort,  wo  in  Wirklichkeit 
nicht  das  Geringste  davon  vorhanden  ist. 

Durch  Spiegel  aber  hat  sich  z.B.  in  dem  geistvoll  ersonnenen  Fresnel- 
schen  Spiegelversuch  (Abb.  10)  auch  die  Interferenz,  das  sich  gegenseitige 
Auslöschen  der  Lichtwellen,  das  wir  zuerst  an  den  Meereswellen  beobach- 
teten, zur  völligen  Gewißheit  erheben  lassen.  Man  läßt  bei  diesem  Ver- 
such durch  schwarze  Spiegel  Strahlen  reflektieren,  wobei  die  Spiegel  so 
angeordnet  sind,  daß  die  reflektierten  Strahlen  einander  durchdringen.  Da 
nun  bei  farblosem  Licht  dadurch  auch  farbige  Streifen  entstehen,  bei  rotem 
abwechselnd  rote  und  dunkle,  so  erkennt  man  daraus,  daß  die  Lichtstrahlen 
durch  ihre  Vereinigung  stellenweise  geändert  sind,  was  nur  unter  der  An- 
nahme erklärlich  ist,  daß  Wellenberg  und  Wellental  an  solchem  Ort  ein- 
ander aufgehoben  haben,  also  eine  Interferenz  eingetreten  sei.  Licht  und 
Licht  erzeugen  also,  wie  es  die  Theorie  verlangt,  durch  ihr  Zusammen- 
wirken unter  Umständen  Dunkelheit.  Seit  man  das  wußte,  konnte  man  auch 
die  Regenbogenfarben  der  Seifenblasen  oder  dünner  Ölhäute  auf  Wasser  er- 
klären; die  Lichtstrahlen  werden  nämlich  zum  Teil  auf  der  Vorderseite  der 
dünnen  Schicht  reflektiert,  zum  Teil  auf  deren  Rückseite;  beide  treffen 
wieder  unser  Auge,  wobei  der  zweite  einen  vom  ersten  differenten  Wellen- 
gang hat;  es  entstehen  demnach  den  klanglichen  „Schwebungen"  ent- 
sprechende Interferenzen,  die  natürlich  farbig  wirken.  So  bilden  sich  auch 
die  wunderbaren  metallischen  Farben  der  Käfer  und  vieler  Schmetterlinge 

40 


durch  Interferenz  des  Lichtes  an 
dünnsten  Plättchen  und  Skulpturen 
dieser  an  sich  farblosen  Flügel. 

Auf  diesen  Grundkenntnissen  von 
der  Lichtbrechung  und  Reflexion, 
sowie  der  Wellennatur  der  Strah- 
len baut  sich  nun  die  wirklich  er- 
staunlich vielfältige  Anwendung  auf, 
welche  diese  Gesetze  in  den  opti- 
schen Instrumenten,  seien  es  nun 
die  Brille  und  sonstige  einfache 
Linsen,  das  Stereoskop  und  Mikro- 
skop, das  Fernrohr  oder  das  Spek- 
troskop in  allen  ihren  Abarten  ge- 
funden haben.  Sie  alle  beruhen 
auf  einer  rechnerischen  Transfor- 
mation des  Strahlenganges  durch 
lichtbrechende  Medien,  von  denen 
Glas  das  wichtigste  ist,  und  ermög- 
lichen dadurch  als  biotechnische 
Abänderungen  und  Zusätze  zum 
Auge,  daß  Entferntes  nahe,  Alier- 
kleinstes  groß,  Flaches  räumlich 
angeordnet  erscheint  und  die  Licht- 
wellen in  ihre  einzelnen  Strahlen 
zerlegt  werden  können.  So  wun- 
derbar und  vor  allem  so  brauch- 
bar das  alles  auch  ist,  so  bereichert 
es  die  Erkenntnis  aber  doch  um 
keine  neuen  grundlegenden  Gesetze, 
weshalb  auch  unser  Raum  für  Wichtigeres  gespart  werden  kann,  so  für 
die  von  dem  französischen  Physiker  Malus  entdeckten  Lichtgesetze,  die  zur 
Erkenntnis  dtv  Polarisation  und  ihren  Konsequenzen  führten.  (Vgl.  Abb.  11.) 
Reflektierte  Strahlen,  die  unter  einem  Winkel  von  53-58°  einfallen,  be- 
sitzen in  besonders  hohem  Maße  die  Fähigkeit  der  Polarisation,  das  heißt, 
daß  durch  die  Reflexion  die  Schwingungsrichtung  geändert  wird;  aus  einer 
longitudinalen  verwandelt  sie  sich  in  eine  transversale.  Die  uns  schon  be- 
kannte Eigenschaft  (vgl.  Bd.  I  S.  31)  von  Kristallen,  das  Licht  doppelt  zu 
brechen,  ist  nichts  anderes,  als  daß  jeder  einfallende  Lichstrahl  durch  den 
Kalkspat  gedreht  wird.  Hierauf  beruht  eine  besondere,  auch  praktisch  ver- 
wertbare Untersuchungsmethode,  der  sich  der  Chemiker  bei  der  Feststellung 
des  Zuckergehaltes  von  Rübensaft  durch  den  Polarisationsapparat  ebenso  gut 
bedient,  wie  der  Kliniker  bei  Untersuchung  des  Harnes  von  Diabetikern. 


Abb.  11.  Apparat  zur  Polarisation  des  Lichtes  durch 
Reflexion.  Der  Lichtstrahl  AB  wird  von  der  Glas- 
scheibe G  nach  unten  reflektiert,  trifft  dort  einen  Sil- 
berspiegel und  wird  von  diesem  senkrecht  nach  oben 
geworfen.  Der  Strahl  CD  fällt  auf  den  schwarzen  Spie- 
gel S,  von  dem  er  nun  unter  den  in  der  Zeichnung 
dargestellten  gegenseitigen  Spiegel-  und  Glasplatten- 
stellungen nicht  mehr  reflektiert  wird,  also  polarisiert 
ist.    (Nach   Graetz) 


41 


Wichtiger  als  das  aber  war  es,  als  der  englische  Chemophysiker  Faraday 
polarisierte  Lichtstrahlen  durch  ein  starkes  magnetisches  Feld  sandte  und 
bemerkte,  daß  dabei  die  Polarisationsebene  dieses  Lichstrahles  ebenso  ge- 
dreht wird  wie  in  Quarz  oder  in  Zuckerlösung.  Diese  Beeinflussung  des 
Lichts  durch  den  Magnetismus,  beziehungsweise  die  hinter  ihm  stehende 
Elektrizität  wurde  durch  den  holländischen  Physiker  Zeemann  noch  deut- 
licher gemacht,  als  er  Linienspektren  (also  die  Spektren  glühender  Ele- 
mente) unter  dem  Einfluß  eines  magnetischen  Feldes  beobachtete  und  da- 
bei fand,  daß  deren  Linien  in  der  Richtung  der  magnetischen  Kraftlinien 
in  je  zwei  (Düblet),  senkrecht  dazu  in  drei  (Triplet)  gespalten  werden 
(Zeemann-Efjekt),  manchmal  sogar  in  noch  mehrere.  Damit  war  die  Licht- 
forschung mit  der  Forschung  nach  dem  Bau  der  Elektrizität  und  der  Atome, 
also  der  Materie  in  eine  Verknüpfung  geraten,  die  es  vor  allem  zweifellos 
machte,  daß  Licht  ein  Elektronenphänomen,  ein  elektromagnetischer  Vor- 
gang sei,  und  mit  einem  Schlag  war  dadurch  die  gesamte  Wellenfrage  auf 
das  Niveau  einer  anderen  Bedeutung  emporgehoben:  die  Wellenbewegung 
und  die  Gesetze  des  Rhythmus  waren  zu  einem  Universalphänomen  des 
ganzen  Weltalls  geworden.  Der  Zusammenhang  von  Licht,  Wärme,  Elek- 
trizität war  durchsichtig,  eine  Überfülle  von  Erlebnissen  war  einem  einzigen 
Gesetz  untergeordnet. 

Seine  erste  Formulierung  wurde  im  wissenschaftlichen  Denken  unter  der 
Bezeichnung:  die  Maxwell' scho^  Wellentheorie  oder  die  elektro-magnetische 
Lichttheorie  gehandhabt,  da  der  Engländer  Maxwell  als  erster,  noch  im 
Jargon  der  Ätherlehre,  voraussagte,  eine  elektrische  Entladung  müsse  im 
Äther  genau  so  Schwingungen  erzeugen,  wie  ein  ins  Wasser  geworfener 
Stein.  Der  deutsche  Physiker  //.  Mertz  fand,  daß  diese  Anschauung  zutrifft, 
und  erweiterte  als  erster  die  Wellentheorie  zu  einer  Weltmechanik,  deren 
kolossale  Bedeutung  für  das  Verständnis  unserer  Erlebnisse  erst  die  Genera- 
tionen nach  uns  voll  und  ganz  erfassen  werden.  Jedenfalls  wurde  auf  diesem 
Wege  vor  allem  das  eine  ganz  Grundlegende  erkannt  und  drang  auch  all- 
gemein in  die  Überzeugungen  ein,  daß  zwischen  den  elektrischen  und  den 
Lichtwellen  kein  prinzipieller,  sondern  nur  wie  auch  bei  den  anderen  Ka- 
tegorien der  Wasser-  und  der  Luftwellen  ein  gradueller  Unterschied  sei. 

Die  Brücke  hierzu  wurde  durch  die  Untersuchung  der  Wärmestrahlen  ge- 
schaffen, die  man  zunächst  einfach  als  ultrarote  Strahlen  ansah,  deren  Wel- 
lenlänge weit  größer  als  die  der  Lichtstrahlen  ist.  Sie  entstehen  stets,  wenn 
man  einen  Körper  in  jene  intensive  Molekularbewegung  versetzt,  die  man 
Erhitzung  nennt,  auch  wenn  sich  diese  nicht  bis  zur  Produktion  von  Licht 
steigert. 

Diese  dunklen  Wärmestrahlen  erfreuen  durch  alle  Erscheinungen,  die  den 
Lichtwellen  zukommen,  sie  lassen  sich  ebenso  reflektieren  und  brechen; 
durch  Zurückwerfen  mit  einem  Hohlspiegel  kann  man  z.  B.  fern  von  einem 
glühenden  Körper  eine  Zigarette  frei  in  kalter  Luft  anzünden  und  dergleichen 

42 


mehr.  Auch  für  sie  gilt  das  bei  der  Spektralanalyse  von  Kirchhoff  gefun- 
dene Gesetz,  daß  jeder  Körper  gerade  die  Strahlenarten  verschluckt,  die  er 
selbst  aussendet,  ja  nach  dem  Vorgang  von  Rubens  lernte  man  aus  einem 
Gemisch  von  Licht-  und  Wärmestrahlen  (wie  es  jedes  Licht  darstellt),  durch 
stete  Reflexion  einen  Rest  von  Strahlen  absondern,  der  nur  mehr  aus  ultra- 
roten Strahlen  bestand  und  Wellen  von  nahezu  V$  Millimeter  Länge  zeigte, 
die  schon  eine  Menge  Körper  durchdrangen  und  in  ihren  Eigenschaften 
außerordentlich  den  Wellen  der  Elektrizität  nahe  stehen.  Damit  war  der 
Zusammenhang  zwischen  Licht  und  Elektrizität  hergestellt.  Die  kleinsten 
elektrischen  Wellen  messen  etwa  6  Millimeter,  und  von  da  ab  bis  zu  den 
oft  hundert  Meter  bis  kilometerlangen  Wellen  der  drahtlosen  Telegraphie 
sind  alle  nur  denkbaren  Unterschiede  vorhanden.  Daß  diese  kilometer- 
langen Wellen  die  gleichen  Gesetze  befolgen  wie  die  winzigen  des  Lichtes, 
die  kurzen  der  strahlenden  Wärme  und  die  mäßig  langen  der  Luft  und  des 
Wassers  ist  ein  nicht  oft  genug  zu  betonender  Beweis  für  die  Richtigkeit 
der  Anschauung,  daß  alles  Erleben  einem  einheitlichen  Gesetzkomplex  folgt, 
die  Grundlage  aller  Natur-  und  Kulturwissenschaft  also  die  Biozentrik  sein 
muß.  Wenn  sich  daher  von  diesen  Wärmestrahlen  herausgestellt  hat  (und 
das  ist  im  ersten  Bande  dieses  Werkes  schon  genug  gewürdigte  Verdienst 
von  M.  Plank),  daß  sie  nicht  einheitlich  und  gleichmäßig,  sondern  nach  dem 
Gesetz  der  multiplen  Proportionen  tätig  sind,  so  muß  dieses  Quantengesetz 
ebenso  folgerichtig  für  den  ganzen  Umfang  des  Wellenphänomens,  kurz  ge- 
sagt, für  das  Weltphänomen  selbst  gelten,  wofür  bekanntlich  in  steigendem 
Maße  auch  Beweise  herbeigeschafft  sind.  Da  sich  aber  zugleich  herausge- 
stellt hat,  daß  dieses  Gesetz  der  multiplen  Proportionen  unter  verschiedenen 
Bezeichnungen,  jedoch  überall  in  gleicher  Weise  wirksam  ist,  so  nament- 
lich im  Bereich  der  Schallwellen  als  Gesetz  der  pythagoraeischen  Intervalle 
oder  der  Harmonie,  so  sind  jetzt,  was  man  bisher  nicht  gewußt  hat:  erstens 
Beziehungen  zwischen  Wärmestrahlung,  Licht  und  Schall  oder  zwischen 
dem  Quantengesetz  und  der  musikalischen  Harmonie  aufgedeckt,  zweitens 
ist  damit  der  Weg  beschritten,  auf  dem  die  Harmonie  als  universales  Welt- 
phänomen zu  erkennen  ist. 

Was  damit  aus  logischem  Zwang  vorhergesagt  wird,  ist  durch  die  Fort- 
schritte der  neuesten  Physik  wieder  im  Begriffe  erwiesen  zu  werden,  und 
die  von  den  Ideen  der  objektiven  Philosophie  Überzeugten  erleben  die 
Freude,  an  einem  ganz  wesentlichen  Punkte  sich  auf  die  Forschung  als 
ihren  Vorspann  berufen  zu  können. 

Der  akustische  Begriff  der  Oktave,  diese  Grundlage  der  Harmonielehre, 
durch  welche  die  Periodizität  und  der  Intervallbegriff  fundiert  werden, 
ist  nämlich  neuerdings  auch  in  die  Optik  eingekehrt.  Das  sichtbare 
Licht  reicht  von  violett  bis  rot.  Seine  Wellenlängen  reichen  also  von  0,38  n 
bis  0,76  n,  oder  die  Schwingungsskala  violett  bis  rot  verhält  sich  wie  1 :  2. 
Das  aber  war  (vgl.  S.  34)  das  Gesetz  der  Oktaven.   Von  da  bis  zur  Wellen- 

43 


länge  der  sogenannten  Jodkaliumreststrahlen  (96  fi)  sind  weitere  6  Oktaven 
bekannt,  während  nach  weiteren  7  Oktaven  die  elektrischen  Erscheinungen 
anheben.  Überall  sind  also  Quanten  vorhanden,  und  nach  diesem  ersten 
Schritt  in  die  Welt  der  sichtbaren  und  elektrischen  Wellen  wird  die  Mensch- 
heit allmählich  zur  Harmonielehre  der  Wärmestrahlung,  der  Farben  und 
der  Elektrizität  vordringen,  worin  ihr  unbewußt  die  Künstler  auf  dem  Ge- 
biet der  Malerei  schon  Wege  gebahnt  und  Vorarbeiten  geleistet  haben. 

Was  ich  aber  von  der  Musik  sagte,  das  trifft  die  Farbenlehre  und  die 
Malerei  in  einem  noch  erhöhten  Maße:  ihre  Zeit  war  nicht,  sondern  wird 
erst  kommen.  Die  inneren  Beziehungen  zwischen  Musik  und  Malerei,  deren 
sich  die  neuesten  Kunsteinrichtungen  tiefer  als  die  früheren  bewußt  gewor- 
den sind,  und  die  in  dem  Phänomen  des  Farbenhörens  und  der  unterbewuß- 
ten Weisheit  der  Sprache,  die  von  Farbentönen,  Farbenharmonie  und  Kom- 
position, von  Farbendissonanzen  und  musikalischen  Werten  der  Gemälde 
früher  wußte  als  von  Physik  und  Philosophie,  ihre  festesten  Stützen  haben, 
sind  dabei  nur  Wegweiser  für  das,  was  die  Menschheit  auf  diesem  Gebiet 
noch  erreichen  wird,  wenn  erst  einmal  die  Musik  der  Farben  ihre  Sympho- 
nien zu  spielen  anhebt.  Die  Erkenntnis  läßt  da  in  schwindelnde  Weiten  hin- 
einblicken, in  Jahrhunderte  des  denkerischen,  forschenden  und  künstleri- 
schen Schaffens  —  die  Selbstkritik  aber  schiebt  diese  Perspektiven  kühl  zur 
Seite  und  stellt  dagegen  ihr  großes  Fragezeichen  auf,  das  da  lautet :  Wie  soll 
dieser  Bau  aufgeführt  werden  von  einem  Wissen,  das  mit  dem  Lichtäther 
die  bisherigen  festen  Grundlagen  verließ,  ohne  neue  geschaffen  zu  haben? 

Diese  Frage  des  Lichtäthers  ist  es,  durch  die  gegenwärtig  die  gesamte 
Wellentheorie  in  eine  schleichende  Krise  geraten  ist.  Wenn  es  keinen  Welt- 
äther gibt,  was  führt  dann  diese  wunderbaren  Wellenbewegungen  im  un- 
ermeßlichen Weltenraum  aus?  Die  Relativitätslehre,  die  dem  Weltäther 
den  Todesstoß  versetzte,  hat,  wie  Unard  in  seiner  Kritik  der  Einstein'schen 
Lehre  sehr  treffend  hervorhob  i^),  eigentlich  an  seine  Stelle  nichts  als  den 
etwas  sehr  vagen  Begriff  des  Raumes  gesetzt,  wodurch  für  die  praktische 
Arbeit  aber  auch  gar  nichts  gewonnen  zu  sein  scheint.  Daran  kann  ja  tat- 
sächlich kein  Zweifel  sein,  daß  mit  allgemeinen  Vorstellungen,  wie  atomare 
Struktur  des  Lichtes,  noch  nichts  erreicht  ist,  zugleich  aber  auch,  daß  der 
Begriff  Lichtquanten  mehrdeutig  ist  und  vor  allem  die  Bündelung  (Quante- 
lung nennt  man  das  in  der  neuesten  Physik  mit  einem  sehr  barbarischen 
Fremdwort)  der  Strahlen  zu  bedeuten  hätte,  so  daß  man  zum  mindesten 
zwischen  Lichtquanten  erster  Ordnung  oder  elementaren  Lichtquanten  und 
solchen  zweiter  Ordnung  zu  unterscheiden  hätte.  Immerhin  ist  der  Begriff 
Lichtquantum  aber  auch  nicht  inhaltsärmer  als  der  Begriff  Atom  in  all  den 
Jahrzehnten  war,  in  denen  die  praktische  Chemie  mit  ihm  rechnend  Fabri- 
ken um  Fabriken  errichtete  und  Millionenwerte  schuf:  Man  konnte  damals 
auch  nicht  das  geringste  Anschauliche  an  diesen  Begriff  knüpfen,  und,  wie 
ich  bereits  ausgeführt  habe  (Bd.  I  S.  140),  ist  die  Vorstellung  „chemisches 

44 


Atom"  auch  heute  noch,  unabhängig  von  allen  Kenntnissen  über  das  physi- 
kalische Atom,  vollständig  luftig. 

Zudem  kennt  die  Physik  heute  außer  den  Lichtstrahlen  eine  ganze  An- 
zahl anderer  Strahlungen,  von  denen  augenblicklich  nur  die  Kathodenstrah- 
len und  die  Kanalstrahlen  genannt  seien,  die  ebenso  Brechung,  Reflexion 
und  Interferenz,  also  Wellennatur  aufweisen  wie  das  Licht,  aber  schon 
längst  als  Korpuskularstrahlen  bezeichnet  wurden,  weil  man  sich  davon 
überzeugt  hatte,  daß  in  ihnen  materielle  Teilchen,  und  zwar  in  den  Katho- 
denstrahlen die  negativen  Elektronen,  in  den  Kanalstrahlen  die  positiven 
Ionen  Schwingungen  ausführen.  Es  steht  demnach  der  Lichttheorie  prin- 
zipiell nichts  im  Wege,  dem  Licht,  wenn  es  von  dem  Zusammenhang  der 
sonstigen  Gesetze  gefordert  wird,  eine  atomare  Grundlage  zuzuschreiben 
und  den  Weltenraum  mit  irgendwelchen  noch  näher  zu  umschreibenden  ele- 
mentaren Lichtquanten  ebenso  zu  bevölkern,  wie  man  ihn  ohne  Bedenken 
mit  Elektronen  (Elektrische  Fernwirkungen  der  Sonne)  oder  den  Atomen 
der  Gase  (Coronium  und  Nebulium)  bevölkert  hat. 

Es  sind  also  jene  Denker  im  Irrtum,  die  annehmen,  daß  die  Quanten- 
theorie des  Lichtes  an  sich  ein  Widerspruch  zur  Wellentheorie  des  Lichtes 
sei.  Man  muß  diese  Begriffe  viel  schärfer  präzisieren.  Die  atomare  Struk- 
tur des  Lichtes  ist  an  sich  noch  nicht  identisch  mit  der  quantenhaften  Ab- 
gabe von  Energie,  wie  sie  Planck  entdeckte.  Und  der  Ausdruck  „Wellen- 
theorie des  Lichtes"  deckt  nicht  in  allem  die  fiuygens'sche  oder  Max- 
well'sche  Lichttheorie.  Wie  gerade  vorhin  gezeigt  wurde,  kann  man  sich 
sehr  gut  auch  harmonische  Schwingungen  von  Lichtkorpuskeln  vorstellen 
(schon  Newton  hat  ähnliche  Vorstellungen  gehabt  und  konnte  sie  sehr  gut 
mit  seiner  Mechanik  vereinbaren),  also  die  Wellentheorie  und  ihre  Konse- 
quenzen aufrechterhalten  und  dabei  doch  die  Äthervorstellung  preisgeben  i*). 
Übrigens  war  die  Maxwell'sche  Lichttheorie  keineswegs  auch  vor  den  neuen 
Einsichten  eine  allgemein  zufriedenstellende  Hypothese,  sondern  litt  an 
namhaften  Unzulänglichkeiten.  So  konnte  sie  namentlich  nicht  die  Erschei- 
nung der  Dispersion  deuten. 

Unter  Dispersion  des  Lichtes  versteht  der  Optiker  die  Tatsache,  daß  der 
Brechungsindex  eines  durchsichtigen  Körpers  für  verschiedene  Farben  als 
eine  Funktion  der  Wellenlänge  derart  verschieden  ist,  daß  die  sogenannte 
Dispersionskurve  stets  von  rot  nach  violett  ansteigt.  Daher  haben  alle  Lin- 
sen die  Neigung,  die  Farben  auseinander  zu  legen.  Die  farbigen  Ränder,  die 
man  in  einem  schlechten  Mikroskop  um  die  Ränder  der  Gegenstände  sieht, 
sind  eine  Folge  dieser  nicht  genügend  korrigierten  Farbenzerstreuung.  Die 
Lichtbewegung  zeigt  sich  also  in  dieser  Erscheinung  abhängig  von  der  Wel- 
lenlänge. Dafür  bietet  aber  die  Lichttheorie  von  Maxwell  kein  Verständnis. 
Um  es  herzustellen,  muß  man  zu  der  Hilfshypothese  greifen,  die  Materie, 
durch  die  das  Licht  geht,  sei  aus  Ionen  und  Elektronen  zusammengesetzt, 
die  durch  die  periodisch  wechselnde  elektrische  Kraft  der  Lichtquellen  in 

45 


Bewegung  versetzt  und  dabei  dann  durch  Reibung  so  behindert  werden,  wie 
es  die  Tatsachen  der  Dispersion  zeigen.   (Lorentz,  Planck.) 

Aus  diesen  Untersuchungen  entsprangen  die  Versuche  über  Lichtfortpflan- 
zung in  bewegten  Medien  von  Fizeau  (1851),  Michelson  und  Morley,  die 
heute  in  aller  Munde  sind,  trotzdem  sie  aus  dem  Jahr  1886  stammen.  Es 
ergab  sich  zwar  einerseits  eine  höchst  frappante  neue  Übereinstimmung  der 
Wellengesetze  des  Schalles  und  des  Lichtes,  indem  man  das  aus  der  Akustik 
so  wohlbekannte  Doppler'schG  Prinzip  in  der  Optik  gültig  fand.  Wenn  man 
auf  dem  Bahnhof  steht  und  ein  Schnellzug  fährt  pfeifend  durch,  so  wird 
sein  Pfiff,  je  näher  er  kommt,  desto  heller  klingen;  denn  die  Schwingungs- 
zahl der  Wellen  wird  durch  die  Bewegung  beeinflußt.  Das  Gleiche  läßt 
sich  nun  als  Farbenänderung  auch  an  sich  bewegenden  Lichtquellen  (z.  B. 
im  Spektrum  von  Sternen)  wiederfinden,  und  bestätigt  die  Einheit  der 
Wellengesetze  im  ganzen  Universum.  Andererseits  aber  stellten  sich  gerade 
im  Verfolg  des  Fizeau'szh&n  und  Micke Ison'schtn  Versuches  bei  Lorentz 
die  Überzeugungen  ein,  die  im  1.  Kapitel  dieses  Werkes  in  Band  I  so  ein- 
gehend behandelt  sind  und  mit  der  Relativitätslehre  die  Lehre  vom  Welt- 
äther ad  absurdum  führten  i*).  So  vereinigten  sich  die  Gesetze  des  Lichts 
auf  einem  langen  Weg  der  Erkenntnisse  mit  denen  der  Elektrizität  und  da- 
durch jenen  der  Materie  überhaupt,  ohne  irgendwie  den  Satz  zu  überschrei- 
ten, daß  die  elementare  und  allgemeine  Funktion  der  Materie  die  Wellen- 
bewegung sei. 

Alles,  was  man  auf  den  bisher  überblickten  großen  Gebieten  des  Erlebens 
erfahren  hat,  wiederholt  sich  nun  auf  dem  zentralen  und  eigentlichen  Ge- 
biet der  physikalischen  Erscheinung,  nämlich  in  der  Elektrizitätslehre.  Elek- 
trizität ist  der  Sammelname  für  die  Erscheinungen,  welche  die  Schwin- 
gungen der  Elektronen  darbieten. 

Und  Elektronen  ist  der  Sammelname  für  die  Atome  der  Elektrizität.  Die 
chemischen  Affinitäten,  das  Licht,  der  Magnetismus,  alles  das  ist  elektrische 
Erscheinung,  auch  die  Materie  ist  aus  Elektrizitätsteilchen  aufgebaut,  und  so 
ist  nicht  mehr  die  Mechanik,  sondern  die  Elektrizitätslehre  das  Fundament 
der  Physik. 

In  diese  Sätze  läßt  sich  etwa  das  zusammenfassen,  was  als  elektrisches 
Grundgesetz  der  Welt  in  einem  Überblick  über  die  Gesetze  der  Welt  noch 
Platz  heischt.  Davon  ist  an  dieser  Stelle  von  besonderem  Wert  jetzt  nur 
der  Nachweis,  daß  alle  elektrischen  Erscheinungen  in  Wellen  ablaufen,  die 
von  den  gleichen  Gesetzen  beherrscht  werden  wie  sämtliche  anderen  Wel- 
len. Gelingt  dieser  Nachweis,  dann  ist  allerdings,  nachdem  das  gesamte 
Sein  als  Elektrizität  erscheint,  die  W eilen junktion  zugleich  als  die  Welt- 
funktion  erkannt. 

Nun  haftet  der  gesamten  Elektrizitätslehre  ein  sehr  empfindlicher  Mangel 
an.  Wohl  ist  es  bis  zur  Überzeugung  getrieben  worden,  daß  alle  Elektrizität 
in  zwei  Kategorien  zerfällt,  in  sogenannte  positive  und  in  negative  Elektrizi- 

46 


tat,  die  sich  in  vielen  Beziehungen  grundlegend  voneinander  unterscheiden. 
Es  gehört  das  zu  den  elementaren,  auch  von  den  Nichtphysikern  vorauszu- 
setzenden Kenntnissen,  braucht  demnach  hier  nicht  weiter  zergliedert  zu 
werden.  Man  hat  nun  von  der  negativen  Eletrizität  eine  sehr  deutliche, 
durch  Versuche  kontrollierbare  Vorstellung,  sie  sei  aus  Elektronen,  d.  h. 
elektrischen  Elementarteilchen,  nach  Art  der  Atome  der  Chemie  oder  der 
Lichtquanten  zusammengesetzt.  Um  so  weniger  weiß  man  von  der  wahren 
Natur  der  positiven  Elektrizität. 

Wohl  sprechen  manche  Naturforscher  auch  von  positiven  Elektronen;  ja 
man  findet  sogar  im  Schrifttum  so  befremdende  Sätze  wie  den:  die  Elektri- 
zität sei  ein  Stoff,  ein  chemisches  Element  und  jene  ihrer  Atome,  die  mit 
den  Atomen  anderer  chemischer  Stoffe  in  jenem  unlösbaren  Zusammenhang 
stehen,  den  man  als  Ion  (vgl.  Bd.  I  S.  177)  bezeichnet,  seien  die  Träger  der 
positiven  Elektrizität. 

Diesen  Vorstellungen  haften  also  reichlich  Unklarheiten  und  Unzuläng- 
lichkeiten an,  und  es  ist  deshalb  nicht  schwer,  vorherzusagen,  daß  die  Elek- 
trizitätslehre nicht  dauernd  auf  dem  heutigen  Stande  ihrer  Grundüberzeu- 
gungen bleiben  wird.  Es  gibt  natürlich  nicht  zweierlei  Elektrizitäten  —  das 
ist  ganz  selbstverständlich  — ,  sondern  das  sind  nur  Modi  einer  hinter  ihnen 
stehenden  einheitlichen  Grundtatsache,  über  deren  wahre  Natur  sich  freilich 
jetzt  noch  kaum  etwas  aussagen  läßt. 

Aber  vielleicht  ist  dieses  immer  wieder  sich  Vereinigen,  das  den  entgegen- 
gesetzt geladenen  elektrischen  Körpern  anhaftet,  ein  tieferer  Einblick  in  den 
Unterbau  der  Welt,  als  ihn  die  Materie  sonst  bietet.  Denn  was  das  soge- 
nannte Coulomb'sche  Gesetz  sagt,  daß  die  Kraft,  mit  der  zwei  geladene 
Körper  aufeinander  wirken,  die  Richtung  der  Verbindungslinie  zwischen 
ihnen  besitze  und  sich  durch  das  Produkt  ihrer  Ladungen,  geteilt  durch  das 
Quadrat  ihrer  Entfernungen,  errechnen  lasse,  das  ist  nichts  anderes  als  die 
Konstatierung  des  Newton'schQn  Gravitationsgesetzes  für  die  Welt  der  Elek- 
trizität und  damit  wieder  ein  sehr  merkbarer  Schritt  zur  Vereinheitlichung 
der  Weltanschauung. 

Dieses  elektrostatische  Grundgesetz  enthält  nun  noch  mehr  als  die  Aus- 
sage über  die  Gravitation,  da  es  auch  von  einer  Abstoßung  weiß,  welche 
der  Physiker  sonst  nicht  kennt.  Aus  ihm  flössen  alle  die  Möglichkeiten, 
sich  Maßeinheiten:  Coulomb,  Volt  (als  die  Einheit  des  Potentials),  Farad, 
Ampere  (als  Einheit  der  Stromstärke),  Ohm  (als  Einheit  des  Widerstandes), 
der  elektrischen  Kräfte  zu  schaffen,  durch  welche  die  elektrische  Industrie 
erst  die  Möglichkeit  zu  ihrer  Begriffsmechanik,  nämlich  den  elektrotech- 
nischen Konstruktionen  erhielt.  Dadurch  drang  man  immer  tiefer  in  die 
vielgestaltigen  Äußerungen  der  elektrischen  Energie  ein  und  lernte  vor 
allem  ihr  Strömen  in  Flüssigkeiten,  Gasen  und  Leitern,  die  zumeist  Metalle 
sind,  näher  kennen.  Hiedurch  ergab  sich  dann  wieder  der  Einblick,  daß  die 
Erscheinungen    des   elektrischen    Stromes    in    Flüssigkeiten    unverständlich 

47 


sind,  wenn  man  der  Elektrizität  nicht  gleich  dem  Licht  eine  materielle 
Struktur,  einen  Zerfall  von  selbständig  tätigen  Elektroatomen,  kurz  gesagt: 
Elektronen,  zuschreibt. 

Damit  war  aber  die  erste  Brücke  geschlagen,  die  von  den  Wellengesetzen 
des  Lichtes  hinüberleitet  zu  denen  der  Elektrizität.  Wenn  man  nämlich  einen 
Energiestrom  elektrischer  Natur  oder,  wie  man  das  kurz  nennt,  einen  elek- 
trischen Strom  nicht  durch  Metalldrähte,  sondern  eine  leitende  Flüssigkeit, 
nämlich  eine  Lösung  von  Salzen  oder  Säuren,  sendet,  erlebt  man  sehr  merk- 
würdige chemische  Vorgänge  als  Beweis  dessen,  daß  der  Chemismus  auch  in 
das  große  Gebiet  elektrischer  Funktionen  gehört.  Von  dem  mit  dem  positiven 
Pol  verbundenen  Draht  (der  Anode)  ebenso  wie  von  der  Kathode  finden  dann 
chemische  Abscheidungen,  also  molekulare  Zersetzungen  statt,  eine  Elektro- 
lyse, welche  die  Moleküle  in  die  uns  schon  bekannten  Atome  mit  elektrischer 
anhaftender  Ladung  (vgl.  Bd.  I  Abb.  60),  die  Ionen,  zerlegt,  eine  Entdeckung, 
die  sich  namentlich  an  den  verehrungswerten  Namen  von  Faraday  knüpft. 

Nun  führte  der  Verfolg  dieser  Faraday' sehen  Gesetze  in  gerader  Linie  zu 
der  Einsicht,  daß  die  Atome  aller  chemisch  einwertigen  Stoffe  als  Ion  auch 
dieselbe  Elektrizitätsmenge  (nämlich  dieselbe  Anzahl  von  Coulomb)  mit  sich 
führen,  die  Atome  der  zweiwertigen  Stoffe  die  doppelte  und  so  fort,  so  daß 
sich  eine  Art  Gesetz  der  multiplen  Proportionen  oder  rationalen  Zahlen  auch 
hier  gültig  erwies. 

Aber  bedeutete  denn  das  nicht  zugleich,  daß  die  Elektrizität  bei  der  Elek- 
trolyse in  bestimmte,  gesetzmäßig  festgelegte,  quantenhaft  ausgezeichnete 
Teile  zerfällt,  daß  auch  sie  aus  Atomen  besteht,  wie  die  chemische  Materie? 
Auf  dieser  Überlegung  fußt  die  Lehre  von  den  Elektronen;  die  Erschei- 
nungen der  Elektrolyse  waren  der  erste  und  seitdem  nicht  vereinzelt  ge- 
bliebene Beweis  von  der  stofflichen  Natur  und  atomistischen  Zerteilung  der 
Elektrizität,  die  dann  so  fruchtbar  für  das  gesamte  Weltbild  wurde. 

Wenn  in  Lösungen  Elektronen  ihre  Schwingungen  ausführen,  denn  nur  so 
erscheinen  dem  neuen  Wissen  die  elektrischen  Erscheinungen,  dann  disso- 
zieren  sich  deren  Moleküle;  was  geschieht  aber,  wenn  ein  solcher  „Strom" 
durch  Gase  geleitet  wird?  Man  kann  es  experimentell  prüfen.  Sie  leuchten. 
Das  sind  die  Geißlerröhren  und  die  Bogenlampen.*)  Wenn  sie  durch  Me- 
talldrähte gehen,  werden  diese  wärmer,  wovon  man  sich  an  jeder,  nament- 
lich an  einer  überlasteten  elektrischen  Lichtleitung  leicht  überzeugen  kann. 
Hierauf  beruht  eine  Anwendung  des  elektrischen  Stromes,  die  von  größter 
Bedeutung  für  das  praktische  Leben  der  Menschen  geworden  ist.  Man  hat 
das  Gesetz  dieser  Erwärmung  nach  dem  englischen  Privatgelehrten  Joule 
(spr.  Schaul)  so  ausgedrückt,  daß  die  in  einem  Drahtstück  in  der  Sekunde 
entwickelte  Wärme,  dem  Widerstand  dieses  Drahtstückes,  multipliziert  mit 

*)  In  den  Bogenlampen  geht  nämlich  die  Lichterscheinung  nicht  nur  von  den  zur 
Weißglut  gebrachten  Kohlenstiften  allein,  sondern  auch  von  der  Luft  (daher  Licht- 
bogen), also  von  einem  Gas  aus. 

48 


dem  Quadrat  der  Strom- 
stärke gleich  sei,  was  bei 
näherem  Nachforschen  nur 
ein  besonderer  Fall  des 
schon  längst  bekannten  Sat- 
zes von  der  Erhaltung  der 
Energie  ist.  Diese  Joule- 
sche  Wärme  ist  bekanntlich 
der  Ausgangspunkt  von 
praktischen  Anwendungen 
sonder  Zahl  geworden,  be- 
ruhen doch  auf  den  Erschei- 
nungen in  Drähten  die 
Glühlampen,  die  jetzt  meist 
Metallfadenlampen  sind, 
und  die  Vorrichtungen  zum 
elektrischen  Kochen  und 
Heizen,  denen  das  Morgen 
gehört,  wenn  die  elektrische 
Beleuchtung  eine  Frage  von 
heute  ist.  Von  diesen  lei- 
tenden Drähten  macht  sich 
die  Theorie  die  Vorstellung, 
daß  in  ihnen  die  Elektro- 
nen außer  ihrer  unregelmä- 
ßigen eine  besondere  Bewegung  in  der  Richtung  der  Spannung  ausführen, 
nach  Art  eines  Windes  in  der  Luft  bei  Druckdifferenzen.  Das  ist  der 
„Strom",  der  sich  in  Wellen  fortpflanzt,  und  dem  der  Draht  einen  Wider- 
stand entgegensetzt,  der  sich  merkwürdigerweise  nach  der  absoluten  Tempe- 
ratur richtet.  Denn  er  wächst  mit  jedem  Temperaturgrad  gerade  um  Vs-r, 
seines  Wertes,  woraus  folgt,  daß  der  Widerstand  der  Metalle  bei  273« 
unter  Null  überhaupt  aufhören  muß.  Aus  diesem  Zusammenhang  folgt  auch 
das  Wiedemann-Franz's.QhQ  Gesetz,  nach  dem  die  elektrische  Leitungsfähig- 
keit der  Metalle  mit  der  Wärmeleitungsfähigkeit  übereinstimmt.  Beides  sind 
Belege  dafür,  daß  freie  Elektronen  da  sind,  die  im  Strom  —  und  zwar  bis 
zur  Lichtgeschwindigkeit  —  dahinrasen,  mithin  sind  es  Belege  für  die  All- 
gemeingültigkeit der  Wellenlehre. 

In  die  Ferne  wirkt  nun  die  Elektrizität  durch  Schwingungen  von  anderer 
Leistungsfähigkeit.  Wenn  man  das  Gleichgewicht  der  Elektrizität  auf  einer 
Leidener  Flasche  durch  eine  Funkenentladung  plötzlich  stört,  wird  man 
finden,  daß  sie  in  dem  Funken  und  von  da  ab  in  den  Leitungsdrähten 
Schwingungen  ausführt,  die  gemessen  wurden  und  mit  der  Frequenz  von 
200  000  in  der  Sekunde  noch  als  langsam  gelten,  während  sie  ihr  Maximum 

Franci,  Bios   U  ^ 

49 


Abb.   12.  Versuch  von   Joule.   In   einem  Oefäß  voll  Wasser  werden 
die  Schaufeln   bewegt,  wodurch   sich   das  Wasser  erwärmt  als  Be- 
weis dafür,  daß  Arbeit  in  Wärme  umgewandelt  werden  kann. 


etwa  in  1000  Millionen  pro  Sekunde  finden.  Diese  elektrischen  Schwin- 
gungen verhalten  sich  anders  als  gewöhnliche  elektrische  Ströme.  An  ihnen 
lassen  sich  die  Gesetze  der  Akustik  demonstrieren,  wie  denn  Telephon  und 
sprechende  Bogenlampe  auch  dem  Denkunfähigen  bewiesen  haben,  daß 
hinter  den  akustischen,  optischen  und  elektrischen  Erscheinungen  ein  und 
dieselbe  Gesetzlichkeit  stehen  muß,  sonst  wären  solche  Funktionsübertra- 
gungen nicht  möglich.  Ferner  stellte  sich  alsbald  heraus,  daß  jedes  System  von 
elektrischen  Leitern  und  Drähten  einen  Eigenschwingungsrhythmus  besitzt, 
d.  h.  eine  Schwingungszahl  in  der  Sekunde,  und  dementsprechend  abgestimmt 
eine  Periodizität  der  Schwingungen  hat,  die  nur  ihm  eigentümlich  ist.  Damit 
ist  das  Harmoniegesetz  und  die  Harmoniemöglichkeit  auch  im  Bereich  der 
elektrischen  Erscheinungen  sichtbar  geworden;  die  musikalischen  Begriffe 
Resonanz  und  „aufeinander  abgestimmt  sein"  haben  auch  in  der  Elektrizitäts- 
lehre ihre  festumrissene  Bedeutung  bekommen,  und  sofort  stellte  sich  mit 
dieser  Erkenntnis  eine  neue  ungekannte  Anwendung  der  elektrischen  Wellen  ein. 
Die  Verdienste  daran  knüpfen  sich  zunächst  wieder  an  den  Namen  Hein- 
rich Hertz,  dann  an  den  Italiener  Marconi  und  deren  Entdeckung  der  draht- 
losen (daher  auch  Funken-)  Telegraphie  und  Telephonie.  Zunächst  war 
hier  für  Hertz  der  Weg  gegeben,  um  zu  zeigen,  daß  die  Induktionsfunken, 
mit  denen  er  arbeitete,  Zeit  zu  ihrer  Ausbreitung  brauchen,  ein  Weg,  auf  dem 
man  zu  der  Erkenntnis  kam,  daß  die  elektrischen  Fernwirkungen  sich  mit 
Lichtgeschwindigkeit  durch  transversale  Wellen  ausbreiten.  Wieder  war  es 
die  Anwendung  optischer  Gesetze,  nämlich  die  elektrische  Wellen  reflek- 
tierenden Hohlspiegel,  durch  die  er  nachwies,  daß  elektrische  Wellen  im 
freien  Raum  sich  ganz  so  verhalten  wie  die  Wellen  des  Wassers,  die  der 
Luft  und  die  des  Lichtes,  nämlich  sowohl  Brechung  wie  Reflexion  erleiden. 
Wellen  von  der  Schwingungszahl  100  Millionen  werden,  da  sie  300  Mil- 
lionen Meter  in  der  Sekunde  zusammen  zurücklegen,  einzeln  drei  Meter  lang 
sein  müssen;  zu  ihrer  Reflexion  gehören  also  Hohlspiegel  von  mehreren 
Metern  Durchmesser.  Um  also  handlich  experimentieren  zu  können,  müs- 
sen Wellen  von  1000  Millionen  Eigenschwingungszahl  verwendet  werden; 
man  konnte  also  diese  Hertz'szhtn  Spiegel,  welche  die  erste  Grundlage  der 
Apparatur  bildeten,  seitdem  ganz  klein  machen,  um  drahtlose  Wellen  aus- 
senden und  auffangen  zu  können,  eine  Methode,  die  heute,  wie  seit  dem 
großen  Kriege  jedermann  weiß,  außerordentlich  vervollkommnet  ist.  Nur 
hat  man  sich  in  der  Praxis  hierzu  wieder  den  langen,  200  bis  3000  Meter 
langen  Elektrowellen  zugewendet  und  hat  gelernt,  nicht  nur  solche  Wellen 
von  bestimmter  Länge  auszusenden  und  zu  empfangen,  sondern  das  in 
weiten  Grenzen  zu  variieren.  Der  Detektor  von  heute  übermittelt  dem  Tele- 
graphisten  Zeichen  von  bestimmten  musikalischen  Qualitäten  (daher  System 
der  tönenden  Funken  der  Telefunken-Gesellschaft),  durch  die  jetzt  um  den 
Erdball  die  Signale  gesandt  werden,  ein  Triumph  sowohl  der  Menschheit 
wie  des  großen  Gedankens  von  der  Wellenfunktion  als  Weltphänomen. 

50 


Damit  ist  auch  die  letzte  Schranke  gefallen,  welche  die  Erkenntnis  bisher 
noch  hinderte,  den  Satz  auszusprechen:  Elektrizität  sei  Licht.  Der  einzige 
Unterschied  zwischen  den  beiden  Wellenformen  ist  ihre  Größe.  Die  ultra- 
mikroskopischen Elektri/itätswellen  werden  von  uns  Licht  genannt,  und 
Lichtwellen  von  sechs  Millimeter  bis  dreitausend  Meter  Länge  nennen  wir 
elektrische  Schwingungen.  Das  ist  der  ganze  Unterschied.  Damit  ist  aber 
auch  die  Brücke  geschlagen,  um  zu  einem  Verständnis  für  die  wahre  Natur 
des  Lichtes  zu  kommen.  Wenn  die  große  Schwingung  als  Material  Elek- 
tronen verwendet,  woran  kein  Physiker  von  heute  mehr  zweifelt,  dann  kann 
die  Grundlage  der  kleinen  Schwingung  auch  aus  nichts  anderem  bestehen. 

Die  Elektronenfolgerung  zogen  ziemlich  gleichzeitig  H.  A.  Lorentz  in  Lei- 
den und  Thomson  in  Cambridge  (der  Name  stammt  allerdings  von  Stoney), 
als  sie  das  Leuchten  einer  Crookes-Röhre  untersuchten  und  fanden,  daß  es 
von  den  Partikeln  der  Kathode  stamme,  wobei  es  gleich  blieb,  ob  diese  aus 
Gold,  Blei,  Kupfer  oder  anderem  Material  bestand.  Hieraus  war  zu  schlie- 
ßen, daß  es  nicht  materielle  Teilchen  seien,  die  da  als  winzige  Masse  von  nur 
Vi83o  der  Wasserstoffatome  (näheres  s.  Bd.!  S.  57)  mit  100  000  km;sek.-Ge- 
schwindigkeit  dahinflogen,  sondern  das  Atom  der  elektrischen  Ladung  selbst. 

Wenn  die  Elektronen  die  Grundlage  der  Elektrizität  der  Masse*),  also 
aller  Gase,  Flüssigkeiten  und  festen  Körper  sind,  wie  die  Radiochemie  im 
letzten  Jahrzehnt  mit  Erfolg  klargemacht  hat,  wenn  elektrische  Energie  und 
Lichtenergie  gleich  wie  die  Gravitation  ein  und  demselben  Gesetz  folgen, 
dann  muß  der  nächste  Schritt  der  Einsicht  die  Verknüpfung  des  Lichtes  mit 
den  Elektronen  sein.  Und  von  hier  aus  sind  auch  die  Zugänge  offen  für 
das  Verständnis  des  Magnetismus  wie  der  anderen  Strahlungen,  die  als 
Röntgen-,  Kathoden-  oder  Kanalstrahlen,  als  /?flc^/ofl/r//yz7fl/ usw.  die  Mensch- 
heit seit  einem  Menschenalter  in  Erstaunen  setzen.  Von  ihnen  sind  die  am 
einfachsten  verständlichen  die  Kathodenstrahlen,  die  bekanntesten  allerdings 
die,  welche  1895  Röntgen  zu  München  der  wissenschaftlichen  Welt  vorführte, 
während  der  Magnetismus  schon  lange  das  Erstaunen  erregt  hatte,  bevor  die 
Menschheit  von  anderer  Elektrizität  wußte,  als  Blitz  und  Nordlicht  ihm 
darbieten. 

Deshalb  entwickelte  sich  die  heute  noch  als  Anhang  in  der  Physik  beson- 
ders behandelte  Lehre  vom  Magnetismus  als  Disziplin  für  sich  und  erschwerte 


*)  In  diesem  Sinne  kann  der  Mensch  als  das  Elektrizitätsvvesen  an  sich  bezeichnet 
werden.  Man  bedenke  nur  folgendes:  Unsere  Sinne  perzipieren  nur  „Materie  und 
ihre  Funktionsformen,  nämlich  Energien";  nach  der  Relativitätslehre  ist  Masse  und 
Energie  sogar  dasselbe.  Alle  Energien  sind  Transformationen  der  Elektrizität. 
Auch  die  „Masse"  ist  nach  den  unangefochtenen  Ergebnissen  der  Physik  als  schein- 
bare Masse  nichts  als  elektrische  Energie.  Daher  kann  man  mit  Recht  sagen,  wir  per- 
zipieren nur  Elektrizität  in  ihren  verschiedenen  Erscheinungsformen.  Mit  anderen 
Worten,  aus  dem  ganzen  Komplex  der  Welt  wird  für  uns  nur  die  Elektrizität  zum 
Erlebnis.  Insofern  sind  wir  das  spezifische  Elektrizitätswesen,  was  ein  Problem  für 
sich  ist. 

4» 

51 


dadurch  lange  Zeit  das  einheitliche  Verstehen  der  Phänomene,  obwohl  schon 
die  erste  Jugenderfahrung  mit  einem  der  aller  Welt  bekannten  Hufeisenmag- 
neten jedermann  darauf  aufmerksam  machen  konnte,  daß  die  elektrischen 
Grunderscheinungen  von  Anziehung  und  Abstoßung  (vgl.  Abb.  13),  somit  der 
Polarität  auch  bei  diesen  in  der  Natur  gefundenen  rätselhaften  Eisensteinen 
vorhanden  seien,  an  die  die  Vorzeit  allerdings  nur  Märchen  knüpfen  konnte. 

Erst  als  es  gelang,  durch  Anwendung  einer  sogenannten  Induktions- 
spule (einer  hohlen  Metalldrahtspule,  in  deren  Höhlung  man  Eisen  oder 
Stahl  brachte),  dieses  durch  einen  elektrischen  Strom  magnetisch  zu  machen 
—  eine  Erfindung,  deren  Konsequenzen  zu  den  heutigen  Funkeninduktoren 
der  elektrischen  Motoren  und  den  Riesendynamomaschinen,  zu  Telegraph 
und  Telephon,  mit  einem  Wort,  zu  den  unschätzbaren  materiellen  Werten 
der  Elektrotechnik  führten,  —  wurde  es  allmählich  klar,  daß  Elektrizität  und 
Magnetismus  auf  derselben  Eigenschaft  beruhen,  und  daß  alle  elektrischen 
Phänomene  eigentlich  elektromagnetische  Vorgänge  sind.  Damit  war  der 
Magnetismus  als  besondere  Naturkraft  aus  dem  Gesetzbuch  der  Welt  ge- 
strichen und  bedarf  auch  für  uns  keiner  ausführlichen  Erörterung  mehr. 

Nur  kurz  will  ich  daher  erwähnen,  daß  auch  der  Magnetismus  den  Ge- 
setzen der  Elektrostatik  (s.  S.  47)  und  Gravitation  folgt,  daher  den  Wellen- 
gesetzen unterliegt.  Faraday  hat  gezeigt,  daß  der  Magnetismus  eine  Eigen- 
schaft aller  Körper  sei',  ob  es  sich  um  Glas,  Holz,  Blei  oder  Eisen,  Flüssig- 
keiten, Gase,  selbst  Flammen  oder  um  das  Licht  handle,  überall  läßt  sich 
die  Bildung  jener  „Kraftlinien^^  nachweisen,  die  man  so  einfach  anschau- 
lich machen  kann,  wenn  man 
einen  Magneten  auf  Eisenfeil- 
späne wirken  läßt  (vgl.  Abb. 
13*).  Man  kann  hiedurch  die 
Richtung  und  Größe  der  mag- 
netischen Kräfte,  kurz  mit  einem 
Wort  das  magnetische  Feld 
sichtbar  machen  und  hat  auf 
diese  Weise  Einblick  erlangt, 
sowohl  darein,  daß  in  einem 
Magneten  schon  die  Moleküle 
nach  bestimmter  Richtung  ge- 
ordnet sein  müssen,  wie  auch 


*)  Die  Beeinflussungen  von  Strah- 
lungen durch  ein  magnetisches  Feld 
führten  zu  den  weitreichendsten  Ein- 
blicken in  das  Wesen  der  Materie. 
Näheres  hierüber  siehe  in  Band  I 
dieses  Werkes  auf  Seite  23  sowie 
in  Abbildung  75  dortselbst. 


Abb.    13.    Das    „Magnetische    Feld"    mit    seinen    durch    die 
Anordnung   von    Eisenfeilspänen   verratenen    Kraftlinien. 


52 


daß  die  vektoriellen  Eigenschaften,  deren  große  und  grundlegende  Bedeu- 
tung unserem  Nachdenken  zuerst  bei  Betrachtung  der  Kristall  weit  aufge- 
gangen ist  (Bd.  I  S.  118),  in  allem,  worin  Elektromagnetismus  seine  Wir- 
kung hat  (und  das  ist  doch  die  gesamte  Erscheinungswelt),  ihre  große, 
noch  nicht  fundamental  genug  beachtete  Rolle  spielen.  Nun  steigert  sich 
die  Bedeutung  dieser  Tatsachen  ins  Ungemessene  dadurch,  daß  die  Erde  als 
Ganzes  selbst  ein  ungeheuerer  Elektromagnet  ist,  woraus  sich  das  natür- 
liche Vorkommen  von  Magneteisen,  als  einer  stark  magnetischen  Substanz 
ohne  weiteres  erklärt.  In  seinen  Konsequenzen  haben  diesen  Satz  die  Chi- 
nesen schon  seit  dem  Tage  des  frühen  Mittelalters  gekannt,  an  dem  sie 
den  Kompaß,  d.  h.  den  natürlichen  Magneten  anwendeten,  der  sich  dem 
Gesetz  der  vektoriellen  Einstellung  folgend  gegen  den  Nordpol  der  Erde 
immer  untrüglich  orientiert,  wenn  man  ihn  frei  aufhängt,  und  so  dem  See- 
fahrer zum  verlässigen  Berater  auf  der  irreführenden  Wasserwüste  wird. 

Die  Magnetnadel  hat  bekanntlich  eine  Abweichung  (Deklination)  von 
etwa  10 Grad  zum  geographischen  Meridian*)  als  Zeichen  dessen,  daß  der 
geographische  und  magnetische  Pol  der  Erde  aus  noch  unverstandener  Ur- 
sache nicht  zusammenfallen.  Es  hat  demnach  auch  die  Erde  als  Ganzes  ein 
magnetisches  Feld,  das  sich  als  ein  höchst  kompliziertes  Gebilde  von  über- 
einander gelagerten  Teilfeldern  erwiesen  hat.  Eine  ganze  Wissenschaft  dick- 
leibiger Bücher  hat  sich  da  aufgetan  unter  der  Gesamtbezeichnung  Erd- 
magnetismus, deren  Hauptresultate  leider  noch  nicht  den  richtigen  Zu- 
sammenhang mit  dem  sonstigen  Weltbild  gefunden  haben.  Denn  noch  ver- 
steht man  nicht,  woher  das  permanente  Feld  und  die  Variationsfelder,  die 
man  zu  unterscheiden  gelernt  hat,  stammen;  noch  ist  keine  befriedigende 
Deutung  gewonnen  für  die  säkularen  und  die  sonnen-  und  mondtäglichen 
Variationen,  die  im  Sommer  und  bei  Tag  groß,  bei  Nacht  und  im  Winter 
klein  sind  und  mit  den  Sonnenflecken  ebenso  wie  die  luftelektrischen  Er- 
scheinungen im  Zusammenhang  stehen.  Es  gibt  auch  magnetische  Gewitter, 
wie  das  große  vom  14.  Mai  1921,  bei  dem  sich  herrliche  Nordlichter  bis 
Bayern  zeigten,  die  oft  genug  die  telegraphischen  Leitungen  stören. 

Es  ist  daher  nur  eine  Ansicht,  aber  noch  keine  sichere  Lehre,  wenn  man 
das  Gesetz  des  Erdmagnetismus  etwa  in  folgende  Sätze  kleidet:  Die  Sonne 
schleudert  (offenbar  in  den  Sonnenjackeln)  eine  ungeheure  Menge  von  Elek- 
tronen aus,  die  als  Kathodenstrahlen,  wie  der  norwegische  Physiker  Birke- 
land an  künstlichen  Nordlichtern  experimentell  bewies,  in  den  Polarlicht- 
zonen  und  in  einem  äquatorialen  Gürtel  eingesogen  werden  und  die  Ur- 
sache des  prachtvollen  Phänomens  der  Polarlichter  (vgl.  Bd.  I  Abb.  100), 
der  luftelektrischen  Ströme  und  der  magnetischen  Störungen  sind.  Das  ist 
wahrscheinlich  der  innere  Zusammenhang  der  Sonnen jleckenperioden  **)  und 
der  gleichen  Periodizität  der  magnetischen,  sowie  der  atmosphärischen  Ge- 

•)  Desgleichen  eine  Inklination  von  60 "zum  Horizonnt.  —  **)  Man  bedenke,  daß  dir 
Sonnenflecken  für  Wolken  von  Metalldämpfen  gehalten  werden. 

53 


witter.16)  Im  engeren  stellt  man  sich  das  so  vor,  daß  die  Erde  durch  diese 
Elektronenmenge  in  einen  ungeheuren  Magneten  mit  Süd-  und  Nordpol 
verwandelt  wird,  was  sich  um  so  mehr  ausspricht,  als  ihr  Kern  (daher  die 
Inklination  der  Magnetnadel!)  aus  Eisen  besteht.  Wo  immer  an  ihrer 
Oberfläche  Eisen  zu  finden  ist,  hat  es  die  Neigung,  magnetisch  zu  werden. 
Dies  der  Ursprung  der  natürlichen  Magnete.  So  kommt  durch  ein  außer- 
irdisches Stromsystem  auf  dem  Wege  der  Induktion  in  den  magnetisier- 
baren  Massen  das  permanente  Magnetfeld  zustande.  Die  Partialfelder  unter- 
liegen dagegen  dem  Einfluß  der  Luftdruckschwankungen,  der  Gezeiten  des 
Mondes  und  der  Sonne,  die  atmosphärische  Bewegungen  und  durch  deren 
Reibung  elektrische  Ströme  hervorrufen.  Durch  Induktion  entstehen  im 
Erdinnern  gleiche,  die  wieder  ihre  stets  wandernden  magnetischen  Wir- 
kungen der  Partialfelder  haben,  wobei  alles  dies 
gefördert  oder  beeinträchtigt  wird  von  der  stei- 
genden oder  sinkenden  Temperatur. 

Ist  so  der  Magnetismus  in  allen  seinen  Aus- 
wirkungen nur  eine  Nebenerscheinung  der  all- 
gewaltigen Elektrizität,  so  sind  die  Röntgen- 
strahlen, die  der  Deutsche  Röntgen,  der  Ungar 
Lenärd  und  der  Franzose  Petrin  auf  gleichem 
Wege  entdeckt  haben,  insofern  gewissermaßen 
der  Gegenpol  der  elektrischen  Wellen,  als  sie 
die  Fortsetzung  der  im  Spektrum  sichtbaren 
Schwingungen  nach  der  Seite  des  Ultraviolett 
zu  darstellen.  Sie  haben  sich  —  akustisch  ge- 
sprochen —  um  etwa  10  Oktaven  höher  als  die 
ultravioletten  Strahlen  erwiesen,  denn  ihre  Wel- 
lenlänge beträgt  nur  0,05  mm,  in  den  Extremen 
sogar  nur  0,001-0,00001  fi,  da  es  „Röntgen- 
farben",  d.  h,  Wellen  von  verschiedener  Länge 
gibt.  Ihre  Wellennatur  schien  dadurch  zweifel- 
haft zu  sein,  da  sie  absolut  unbrechbar  sind; 
man  hält  sie  auch  nicht  für  zusammenhängende 
Wellenzüge,  sondern  für  einzelne  zerrissene 
Wellen.  Sie  wurde  aber  dennoch  jedem  Zweifel 
entrückt,  seitdem  man  an  ihnen  Beugungs-  und 
Interferenzerscheinungen,  seit  Ch.  Barkla  auch 
Polarisation  nachgewiesen  hat.  Heute  weiß  zum 
mindesten  jeder  Arzt,  wie  Röntgenstrahlen  ent- 
stehen, und  welche  wesentlichen  Eigenschaften 
sie  besitzen.  Aber  im  Jahre  1895  war  es  eine 
atembeklemmende  Überraschung,  zu  sehen,  daß 
in  einer  möglichst  luftleer  gemachten  Geißler- 


4- 

^\^'^ 

Ir^ 

f 

Abb.  14.  Die  Einrichtung  einer  Rönt- 
genröhre. In  eine  evakuierte  Glas- 
kugel ist  eine  metallspiegelartiges 
Blech,  die  Kathode  K  eingeschmol- 
zen. Von  ihr  gehen  bei  der  Einlei- 
tung eines  hochgespannten  Induk- 
tionsstromes Kathodenstrahlen  aus, 
die  das  schiefgestellte  Metallblech 
der  Antikathode  A  treffen,  von  dem 
die  Röntgenstrahlen  zurückgeworfen 
werden.  Die  Einrichtungen  der  Anit- 
kathode  dienen  zur  Ableitung  der 
reichlich  erzeugten  Wärme.  Sie  wird 
zugleich  als  Anode  benutzt.  O  =  die 
Osmoregenerierung,  die  das  Vakuum 
immer  wieder  auf  den  gewünschten 
Standb   bringt. 


54 


sehen  Röhre,  einer  sogenannten  Hit(orf/'schen  Röhre  (Näheres  siehe  in 
Bd.  I,  Seite  59  und  Abb.  11)  beim  Hindurchgehen  des  elektrischen  Stro- 
mes, von  der  Wand  des  Glases,  wo  die  entstehenden  Kathodenstrahlen 
aufprallen,  neue  Strahlungen  höchst  merkwürdiger  und  auch  gesundheits- 
schädlicher Art  ausgehen.  Durch  sie  fluoresziert  die  Glaswand  grün,  sie 
laßt  sie  durch,  und  nun  strahlen  sie  in  den  Raum  mit  einem  Durchdrin- 
gungsvermögen einziger  Art.  Durch  alles  gehen  sie  in  allerdings  verschie- 
denem Maße  hindurch,  nur  Metalle,  namentlich  Blei,  setzen  ihnen  wesent- 
lichen Widerstand  entgegen.  Desgleichen  haben  sie  die  Eigenschaft,  photo- 
graphische Platten  zu  schwärzen,  also  photochemisch  wirksam  zu  sein, 
weimgleich  sie  für  das  Auge,  wie  alles  ultraviolette  Licht,  unsichtbar  sind! 

Auf  diesen  Eigenschaften  beruht  ihre  medizinische  Verwendbarkeit.  Leisten 
sie  doch  das  anfangs  wahrhaft  okkult  Anmutende,  daß  sie  einen  Menschen 
durchleuchten,  der  zwischen  eine  Röntgenröhre  (Abb.  14),  die  nur  eine 
handsam  gemachte  Hittorffröhre  ist,  und  einen  mit  Bariumplatincyanür  be- 
strichenen Fluoreszenschirm  tritt.  Das  wohlabgestufte  Schattenbild  seines 
Leibes  wird  sichtbar;  am  dunkelsten  erscheint  das  Skelett,  die  Schatten- 
umrisse der  Eingeweide,  Herz  und  Lunge,  alle  inneren  Bewegungen  werden 
sichtbar  und,  namentlich  wenn  man  mit  röntgenlichtundurchlässigen  Mitteln, 
wie  die  Wismuthspeise  der  Magenkranken  eine  ist,  nachhilft,  erhält  man 
einen  zaubergleichen  Einblick  in  das  Getriebe  des  Leibes,  das  dem  Arzt  bei 
Knochenbrüchen  und  Krankheiten,  Schußverletzungen,  Magengeschwüren, 
Herzdeformationen,  Darmleiden  zur  Diagnostik  heute  ganz  unentbehrlich 
geworden  ist  und  schon  zahllosen  Menschen  das  Leben  gerettet  hat,  um  so 
mehr,  als  man  ja  die  Bilder  dieser  Röntgenstrahlen  photographisch  fest- 
halten, daher  in  aller  Muße  studieren  kann. 

Aber  nicht  das  ist  für  den  Intellekt,  der  den  Gesetzen  der  Welt  nach- 
forscht, wesentlich,  sondern  die  wunderbaren  Tatsachen,  durch  die  sich  die 
Röntgenstrahlen  in  Beziehung  zur  Chemie  und  Kristallotik  gesetzt  haben. 
Die  Röntgenstrahlen  besitzen  die  Eigenschaft,  die  Luft  zu  ionisieren,  d.  h. 
ihre  Moleküle  zu  zersprengen  und  jeden  Körper,  auf  den  sie  fallen,  zur 
Aussendung  von  sekundären  Röntgenstrahlen  zu  veranlassen,  was  besonders 
für  Metalle  von  höherem  Atomgewicht  als  27  zutrifft,  die  dann  ganz  cha- 
rakteristische Sekundärstrahlen  aussenden,  welche  alle  ihre  spezifische  Wel- 
lenlänge besitzen,  also,  wenn  man  es  so  nennen  darf,  ihre  ,,Röntgenfarbe^* 
haben. 

Das  gilt  letzten  Endes,  wie  sich  neuestens  herausgestellt  hat,  für  jedes 
Element,  und  dessen  spezifisches  Röntgenspektrum  gehört  gegenwärtig 
geradezu  zu  den  Typusqualitäten  der  Elemente  und  hat  ebenso  wesentlich 
zur  Aufdeckung  der  Atomstruktur  beigetragen,  wie  die  röntgenologische 
Untersuchung  der  Kristalle,  welche  mit  den  Bewegungs-  und  Interferenz- 
erscheinungen der  Röntgenstrahlen  bekannt  machte  und  die  Raumgitter- 
auffassung vgl.  Band  I  Seite  127,  Abbildung  36)  sicherstellte. 

55 


Alles  das  hat  freilich  noch  nicht  das  Denken  zwingend  zum  Verständnis 
der  wahren  Natur  dieser  merkwürdigen  Wellen  geführt.  Es  ist  erst  eine 
Tatsachenfeststellung,  aber  noch  keine  Erklärung,  wenn  man  sagt:  Röntgen- 
strahlen entstehen  durch  starkes  Bremsen  von  negativen  Elektronen  (Stokes), 
wenngleich  sie  trotzdem  mit  der  Ausbreitungsgeschwindigkeit  des  Lichtes 
fliegen.  Jedenfalls  erklären  sich  auf  diese  Weise  die  starken  Wärmewir- 
kungen, welche  sie  überall  auslösen,  wo  sie  auftreffen,  und  die  schon 
manchen  nicht  genügend  achtsamen  Arzt  oder  seine  Patienten  schweren 
Verbrennungen  aussetzten.") 

Alle  die  Erkenntnisse,  welche  auf  den  letzten  Seiten  dieses  Kapitels  aus- 
einander gelegt  sind,  bilden,  wenn  man  sich  ihrer  zusammenfassend  erinnert, 
einen  Kreis,  in  dessen  Zentrum  ein  Begriff,  der  des  Elektrons  liegt.  Die 
Röntgenstrahlen,  für  deren  korpuskulare  Natur  neuestens  (Bragg,  Barkla) 
natürlich  aus  demselben  Zwang  gestritten  wird,  aus  dem  man  das  Licht  als 
„Elektronenmaterie"  betrachten  muß,  enthüllen  uns  in  den  Linienspektren 
der  Elemente  deren  Atome  als  ein  komplexes  System  von  Elektronen;  die 
Elektrizität  hat  sich  als  nichts  anderes  denn  eine  Mechanik  der  Elektronen 
erwiesen,  das  Zeemann-Phänomen  ließ  erkennen,  daß  es  Elektronen  sind, 
die  im  „Duplet"  und  „Triplet"  die  Farben  erzeugen,  die  Elektrolyse  zeigte 
die  Atome  mit  Elektronen  im  Bunde,  ebenso  alle  Vorgänge  von  Ionisierung, 
in  den  Kanalstrahlen  sausen  Oasionen  dahin,  in  den  Kathodenstrahlen  die 
freien  Elektronen  selbst,  der  elektromagnetische  Vorgang,  dem  die  Erde 
unterliegt,  hängt  von  der  Flut  polarer  Elektronen  ab;  kurz,  das  Elektron 
ist  sozusagen  im  Begrifi,  die  zentrale  Vorstellung  von  allem  zu  werden, 
was  mit  dem  Begriff  Energie  überhaupt  zusammenhängt. 

An  nichts  zeigte  sich  das  heller  beleuchtet,  als  an  der  großen  Erweite- 
rung des  Wissens  von  der  Radioaktivität,  die  die  Chemie  in  dem  letzten 
Jahrzehnt  erfahren  hat.  Alles  Wesentliche  hierüber  haben  wir  schon  in 
anderem  Zusammenhang  aufgezeigt  (vgl.  Bd.  I  S.  142);  hier  sei  nur  darauf 
verwiesen,  daß  die  ß-Strahlung  des  Radiums  nichts  als  eine  Elektronen- 
strahlung ist,  daß  die  vielgenannten  Teilchen  der  a-Strahlung  die  Kerne  der 
Atome  darstellen,  indem  die  a-Strahlung  doppelt  positiv  geladene  Helium- 
ionen sind.  Beides  sind  Erkenntnisse,  die  man  Rutherford,  diesem  strah- 
lendsten Namen  der  zeitgenössischen  Physik,  verdankt.  Die  sämtlichen  Er- 
scheinungen der  Radioaktivität  sind  damit  wieder  auf  das  Kernproblem  des 
Weltphänomens  bezogen:  auf  die  Elektronik. 

Die  Atome  der  radioaktiven  Körper  sind  zerfallende  Atome.  Sie  sausen 
auseinander,  ihre  negativen  Elektronen  werden  frei;  Heliumionen  entführen 
die  positiven  Elektrizitätsbestandteile,  wobei  als  Begleiterscheinung  eine 
Art  Röntgenstrahlen  (die  y-Strahlen)  auftreten.  Eine  ungeheure  Energie- 
menge wird  dadurch  befreit,  und  die  Menschheit,  die  sich  schon  heute 
dessen  rühmt,  die  Atomzersprengung  als  Kraftquelle  sich  dienstbar  machen 
zu  können,  wird  nicht  ruhen,  bis  nicht  diese   Einsichten  ihr  noch   andere 

56 


Früchte  getragen  haben,  außer  den  ideellen,  die  in  dem  neuen  Wissen  von 
dem  Aufbau  der  Elemente  durch  eine  Elektronenmechanik  und  daher  von 
ihrer  Umwandlung  reifen.  Denn  unter  dem  Banne  der  materialistischen 
Idee  sucht  ja  die  Menschheit  im  Paradiesesgarten  der  Natur  nicht  nach  der 
Erkenntnis  der  Gesetze,  um  danach  ihr  Leben  reiner,  vollendeter  und 
harmonischer  gestalten  zu  können,  sondern  ausschließlich  nach  goldenen 
Früchten,  nach  Dingen,  die  ihre  Genußsucht  befriedigen  und  ihr  Herrschaft 
über  die  Natur  verleihen.  Die  durch  nichts  verzehrbaren  ungeheuren 
Mengen  von  Wärme,  die  das  Radium  und  seine  Verwandten  ständig  in  den 
Weltraum  hinaussenden,  sind  ein  unleugbarer  Beweis  dafür,  daß  im  Atom- 
zerfall tatsächlich  diese  so  heiß  gesuchte,  ungeheuerste  aller  Energiequellen 
eröffnet  werden  kann. 

Die  Lehre  von  den  Gesetzen  der  elektrischen  Wellen  schließt  ja  mit  der 
Erkenntnis,  daß  die  aus  dieser  Materie  und  ihren  Wellen  aufgebaute  Welt, 
also  die  unserer  Physik  einer  steten  Wandlung,  einem  Zerfall  und  Neuauf- 
bau unterliegt,  durch  den  die  Wärme,  die  „Mutter  aller  Energie",  ins  Dasein 
gerufen  wird.  Allerdings  ist  dieser  Zerfall  ein  außergewöhnlich  langsamer. 
Die  Erscheinungen  der  Radioaktivität  gestatten  keinen  anderen  Rückschluß, 
als  daß  von  den  Billionen  von  Atomen,  die  nicht  nur  in  einem  Milligramm 
Radium  vereinigt  sind,  in  einer  Sekunde  nur  äußerst  wenige  zerfallen.  Und 
dem  Zerfall  ausgesetzt  ist  jederzeit  ein  im  Verhältnis  gar  nicht  darstellbar 
kleiner  Bruchteil  der  Welt.  Es  kann  z.  B.  auf  Erden  ein  Atomzerfall  über- 
haupt nur  in  den  äußersten  Schichten  stattfinden.  Der  Engländer  Strutt 
fand,  daß  in  den  Gesteinen,  welche  uns  zugänglich  sind,  durchschnittlich 
eine  Million  Kubikmeter  nur  an  acht  Gramm  Radium  enthält.  Überträgt 
man  diese  Rechnung  auf  den  ganzen  Erdball,  so  müßte  dessen  Radium- 
gehalt dreißigmal  so  viel  Wärme  entwickeln,  als  die  Erde  durch  Strahlung 
verliert;  mit  anderen  Worten,  sie  müßte  eine  Sonne  sein  und  immer  heißer 
werden.  Da  dies  aber  nicht  der  Fall  ist,  so  kann  in  den  tieferen  Erd- 
schichten kein  nennenswerter  Atomzerfall  stattfinden.  Wohl  aber  ist  solches 
auf  der  Sonne  mit  ihrem  Heliummantel  denkbar,  und  das  Problem  der 
Sonnenhaftigkeit.  erscheint  auf  einmal  in  neuer  Beleuchtung. 

Mit  diesen  Gedanken  aber  auch  die  Frage  nach  der  Wärme,  die  als  letztes 
mit  den  Erscheinungen  der  Wellenbildung  untrennbar  verknüpft  ist.  Die 
Wärmestrahlen  sind  unserer  Betrachtung  schon  entgegengetreten  als  eine 
Wellenbewegung,  die  jenseits  der  roten  Lichtstrahlen  Schwingungen  von 
0,0008  bis  0,006  mm  ausführt,  die  sogar  bis  Vs  mm  gesteigert  werden 
können  (vgl.  S.  40)  und  ebenfalls  mit  Lichtgeschwindigkeit  den  Raum 
durcheilen  und  allen  Gesetzen  der  Wellen  dabei  folgen.  Die  Vorstellung 
von  Wärme  als  Molekularbewegung  (vgl.  Bd.  I  S.  114)  hat  die  physikalische 
Forschung  schon  lange  vor  ihrer  heutigen  Verfeinerung  zu  der  Überzeugung 
gebracht,  daß  alle  physikalischen  Erscheinungen  Wärmereaktionen,  näm- 
lich Energie  sind,  gleichwie  die  Wärme  auch  den  Punkt  bestimmt,  an  dem 

57 


alle  chemischen  Veränderungen,  auch  der  Lebensprozeß,  stattfinden.  Wer 
also  noch  Zweifel  daran  gehabt  hat,  daß  die  Wellenfunktion  die  elemen- 
tare und  allgemeine  Funktion  des  Seins  sei,  dem  müssen  sie  nach  diesen 
Feststellungen  schwinden. 

Die  Gesetze  der  Wärmestrahlung  sind  bei  diesem  Stand  der  Dinge  dann 
natürlich  von  ganz  besonderer  Wichtigkeit,  und  das  verleiht  dem  Umstände, 
daß  Planck  das  Quantenmäßige  oder,  wenn  man  so  sagen  will,  das  Gesetz 
der  multiplen  Proportionen  gerade  an  der  Wärmestrahlung  konstatiert  hat, 
jene  universelle  und  das  Weltbild  im  Tiefsten  beeinflussende  Bedeutung, 
die  ich  mich  im  ganzen  Verlauf  meiner  Erörterungen  bemühte  herauszu- 
arbeiten. Auch  das  Ste/an'sche  Gesetz  von  der  Quantität  der  gesamten,  von 
einem  Körper  ausgestrahlten  Wärmemenge,  das  besagt,  daß  diese  der  vier- 
ten Potenz  seiner  absoluten  Temperatur  *)  proportional  sei,  hat  daher  die 
weittragendsten  Konsequenzen.  Durch  seine  Kenntnis  konnte  an  Hand  der 
exakten  Beobachtung,  daß  je  ein  Quadratzentimeter  der  Erdoberfläche  in 
der  Minute  von  der  Sonne  drei  Kalorien  empfängt,  die  Temperatur  der 
Sonne  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  auf  6500°**)  bestimmt  werden. 

Da  nun  aber  die  Wärmemengen  aus  mechanischer  Arbeit  entstehen  und 
in  der  Gleichung  der  /oa/^'schen  Zahl  (vgl.  S.  49)  einfach  als  Gradmesser 
der  Energie  gleichgestellt  werden  können,  ist  der  Weltprozeß,  nämlich  die 
Verwandlung  der  Energieformen  zu  einem  Wärmephänomen  geworden,  und 
die  Temperatur forschung  gewährt  weit  über  das  hinaus,  was  ihr  zoetische 
Einsicht  meist  zuschreibt,  einen  Einblick  ins  innerste  Herz  des  Weltenseins 
selbst.  Zum  Glück  verfügt  die  Forschung  seit  der  Entdeckung  des  Ameri- 
kaners 5.  P.  Langley  in  dem  Bolometer  über  ein  Instrument,  das  Tempe- 
raturänderungen von  einem  Zehntelmilliontel  Grad  Celsius  angibt,  also  die 
Wärme  einer  Kerze  noch  in  zwei  Kilometer  Entfernung.  Danach  konnte 
man  Bestimmungen  von  höchster  Exaktheit  vornehmen,  und  somit  verdient 
es  Vertrauen,  wenn  angegeben  wird,  daß  das  gewöhnliche  Küchenherdfeuer 
nur  3—400°  C  warm  ist,  eine  Gasflamme  aber  6—700°,  das  elektrische 
Bogenlicht,  die  heißeste  aller  irdischen  Wärmequellen,  sogar  3600°.  Bei 
dieser  Hitze,  die  doppelt  so  hoch  ist  wie  die  des  weißglühenden  Eisens, 
verlaufen  alle  chemischen  Reaktionen  entgegengesetzt  wie  in  der  Zoesis. 
Jeder  chemische  Körper  löst  sich  dabei  in  seine  Atome  auf;  man  nennt  das 
gemeinhin  „gasförmig  werden"  und  es  ist  immerhin  diskutabel,  ob  nicht 
bei  Sonnentemperatur  auch  das  Gefüge  des  Atombaues  seinen  Bestand  ver- 
liert. Jedenfalls  ist  die  Sonne  ein  Hitzereservoir,  das  den  Merkur  (nach 
Arrhenlus)  auf  3979°  C,  sogar  die  Venus  auf  eine  mittlere  Temperatur  von 
40°  C  bringen  kann,  dessen  Wirkungen  durch  nichts  vielleicht  besser  de- 

*)  Absolute  Temperatur  eines  für  unser  Thermometer  100°  C  messenden  Körpers 
ist  —  273  -}-  100  =  —  173°. 

•*)  Nach  dem  W/<?/z'schen  Verschiebungsgesetz  berechnet  beträgt  ihre  Temperatur 
ebenfalls  nur  5800°  C. 

58 


monstriert  werden  können,  als  durch  die  Tatsache,  daß  der  Mond  so  viel 
Wärme  abgibt,  wie  ein  schwarzer  Körper  von  1 10"  C  Wärme  f Lord  Rosse).''') 

Wäre  nicht  diese  Wärmequelle  vorhanden,  würde  nicht  nur  der  bio- 
logische, sondern  auch  jeder  chemisch-physikalische  Prozeß  auf  Erden  er- 
löschen, denn  bei  der  absoluten  Temperatur  von  273«  C  unter  Null  hört 
offenbar  auch  jede  Atombewegung  auf.  Richtiger  wäre  es  freilich  zu 
sagen,  daß  das  Aufhören  jeder  molekularen  (und  auch  wohl  atomaren) 
Bewegung  von  uns  als  der  Zustand  von  —  273«  registriert  wird,  da  ja  nicht 
die  Wärme  die  Bewegungen  hervorruft,  sondern  die  Bewegungen  von 
dem  Menschen  vielmehr  als  Wärme  empfunden  werden.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit möchte  ich  meiner  Überzeugung  Ausdruck  geben,  daß  weder  im 
Weltenraum  noch  sonst  irgendwo  jemals  die  absolute  Temperatur  ge- 
herrscht hat,  da  sonst  der  Weltprozeß  eine  Unterbrechung  erleiden  würde. 

Wir  sehen  am  Himmel,  wie  die  Nebelmassen  aufglühen,  d.h.  von  dem 
dunklen  Zustand  sich  in  leuchtende  verwandeln  (vgl.  Bd.  I  S.  73);  das  wäre 
bei  absoluter  Temperatur  aber  auch  absolut  unmöglich.  Die  Bewegung, 
schärfer  gefaßt,  die  Schwingung  und,  allgemeiner  ausgedrückt,  die  Funktion 
ist  von  dem  Sein  unzertrennlich.  Kein  Sein  ohne  Funktion,  also  Bewegung 
der  Teile,  daher  auch  kein  Sein  bei  absoluter  Temperatur.  Diese  beiden  Be- 
griffe Sein  und  absolute  Temperatur  schließen  einander  gegenseitig  aus. 

Schon  bei  einem  namhaften  Sinken  der  zoetischen  Temperatur  tritt  ein 
Weltbild  ins  Erleben,  das  allen  Sinnen  fremd  ist.  Bei  großer  Kälte,  wie  sie 
Polarfahrer  gelegentlich  erlebt  haben  i»),  konnten  metallene  Gegenstände 
nicht  mit  bloßer  Hand  berührt  werden,  ohne  schwere  Verbrennungserschei- 
nungen zu  erzeugen,  der  Atem  fiel  als  Schnee  zu  Boden,  und  Eisenbeile 
waren  zerbrechlich  wie  Glas.  In  den  physikalischen  Sammlungen,  so  im 
Deutschen  Museum  zu  München,  kann  man  sich  mit  dem  merkwürdigen 
Phänomen  der  flüssigen  Luft  unterhalten,  denn  Luft  auf  140°  unter  Null 
unterkühlt,  fällt  wie  reines  Wasser  zu  Boden,  bei  einer  noch  etwas  tieferen 
Temperatur  verwandelt  sie  sich  in  festen  Schnee.  Bei  —  240°  wird  selbst 
das  flüssigste  und  leichteste  aller  Gase,  der  Wasserstoff,  fest,  und  bei 
einigen  Graden  darunter  erstarrt  auch  er. 

Schon  bei  200"  Kälte  sendet  Milch  schwach  blaues  Licht  aus,  und  Eier 
werden  zu  Leuchtkugeln.  Eiweiß  leuchtet  bei  dieser  Temperatur  so  stark, 
daß  man  bei  diesem  Licht  lesen  kann.  Sauerstoff  wird  zu  einem  blauen 
Schnee  von  stark  magnetischen  Eigenschaften,  die  Kräfte  der  Kohäsion 
steigen  enorm,  und  selbst  das  Licht  verliert  etwa  8O0/0  seiner  aktinischen 
Strahlen.  Nur  von  dem  Zustand  der  Welt  bei  absolutem  Nullpunkt  kann 
man  sich  keine  Vorstellung  machen,  weil  es  nicht  gelungen  ist,  ihn  herzustel- 
len.2o)  An  dem  Vergleich  dieser  phantastischen  Welt  mit  unserer  zoe- 
tischen zerreiben  sich  die  letzten  Zweifel,  so  einer  noch  welche  gehegt  hätte, 
daß  Wärme,  beziehungsweise  ihr  mechanisches  Äquivalent  Bewegung,  als 
notwendige  Funktionsform  das  Sein  in  den  gewohnten  Formen  bedingt. 

59 


Mit  anderen  Worten :  der  Wärme  zwischen  —  273  °  und  einigen  zehn- 
tausend Grad  entsprechen  die  Seinsformen  des  Weltalls,  jener  zwischen 
—  70°  und  etwa  3600°  C  die  unseres  Erdballs.^^)  Oder  noch  einfacher: 
Die  Funktion  der  wellenförmigen  Schwingung  innerhalb  der  so  normierten 
Grenzen  bedingt  die  uns  bekannten  Erscheinungsformen  der  Welt.  Beson- 
derheiten dieser  Wellenfunktion  oder  Bewegung  und  Änderung  schlechthin, 
die  durch  die  bisherige  Zergliederung  noch  nicht  erfaßt  wurden,  sind  der 
Rhythmus  und  die  Variation  dieses  Rhythmus  in  den  Erscheinungen  des 
chemischen  Vorganges  uns  seiner  Beschleunigung  (Katalyse),  sowie  die 
Variation  der  Funktionsformabänderung,  wie  sie  im  Geschehen  so  tausend- 
fach täglich  vor  Augen  tritt. 

Ebenso  allgemein,  wie  die  Ordnung  der  Änderungen  in  Wellen  ist  die 
Tatsache,  daß  dieser  Zusammenhang  der  Erlebnisse  nicht  ein  einmaliger 
ist,  sondern  durchgängig,  also  auch  für  das  Verhältnis  der  Wellen  zueinan- 
der gilt.  Die  Stimmgabelversuche,  von  denen  wir  in  der  Akustik  ausge- 
gangen sind,  haben  diese  Tatsache  unmittelbar  graphisch  anschaulich  ge- 
macht, indem  sie  verrieten,  daß  zwei  oder  noch  mehr  Integrationsstufen  von 
Schwingungen  ineinander  greifen.  Kleine  Schwingungen  werden  zu  grö- 
ßeren Wellen  zusammengefaßt,  was  sich  hörbar  in  dem  jedem  musikalischen 
Ohr  so  wohlvertrauten  Mitklingen  der  Obertöne  in  jedem  Klang  ausspricht. 
Anders  ausgedrückt:  das  Gesetz  der  Integrationen  macht  sich  eben  auch 
in  den  Funktionen,  vor  allem  in  der  elementarsten,  in  der  Wellenbewegung 
geltend.  Dadurch  entsteht  eine  Wiederkehr  sowohl  rein  wiederholend  als 
Periodizität  und  Rhythmus,  die  beide  infolgedessen  sich  in  allem  Sein  mel- 
den müssen,  wie  auch  integriert  in  höheren  Seinsstufen.  Mit  dieser  für 
einen  Kopf,  der  durch  die  Vorstufen  dieses  Werkes  gegangen  ist,  höchst 
einfachen  Feststellung  ist  uns  ein  Phänomen  verständlich  geworden  als 
Notwendigkeit  des  Weltenbaues,  das  in  jeder  seiner  Äußerungen  von  den 
uns  Fernstehenden  nun  schon  seit  Generationen  immer  wieder  mit  großem 
Geschrei  angestaunt  und  manchmal  den  mystischen  Erscheinungen  zugerech- 
net wird.  Das  ist  die  Erscheinung  der  Periodizität  aller  Geschehnisse,  im 
Leben  und  außer  ihm,  die  von  Naturforschern,  Biologen  und  Philosophen, 
Historikern  und  Mathematikern  viel  erforscht  und  noch  bis  jetzt  als  ge- 
heimnisvoll innerste  Mystik  des  Weltproblems,  gewissermaßen  als  Türe  zur 
Metaphysik  empfunden  wurde. 

In  gewissen  alltäglich  erlebten  Äußerungen  erscheint  es  freilich  jeder- 
mann als  selbstverständlich.  (Als  ob  das  „Selbstverständliche  weil  Alltäg- 
liche" weniger  geheimnisvoll  sein  müßte,  als  ob  Gewöhnung  eine  Erklä- 
rung sei!)  So  macht  sich  kaum  jemand  Gedanken  über  die  Systole  und 
Diastole  des  Herzens,  d.  h.  den  Rhythmus  des  Herzschlages,  obschon  ge- 
rade er  den  Anlaß  und  das  erste  Bedürfnis  zur  Zeitmessung  und  dadurch 
zur  Aufstellung  des  Begriffes  Zeit  gegeben  hat.  Ebenso  selbstverständlich 
erscheint  das  regelmäßige  Atemholen,  also  der  Rhythmus  der  Atemimpulse, 

60 


um  die  Sache  physiologisch  auszudrücken.  Desgleichen  der  allerdings  nicht 
mehr  so  absolut  unveränderliche  Rhythmus  von  Wachen  und  Schlafen.  Wer 
eingehender  vertraut  ist  mit  der  Physiologie  des  Menschen,  kennt  das 
„Treppenphänomen^' ,  d.  h.  die  rhythmische  Beantwortung  der  Reize  durch 
Muskelkontraktionen,  ebenso,  daß  in  den  Nerven  rhythmische  Aktions- 
ströme pulsieren. 

Wie  es  dem  Empfinden  nicht  schwer  fällt,  diese  und  hundert  andere  im 
Erleben  des  eigenen  Leibes  zutage  tretende  Rhythmen  in  die  Kategorie 
der  Dinge  abzustoßen,  über  die  man  nicht  nachdenkt,  so  verführt  zur  Denk- 
faulheit die  Formel:  diese  Rhythmen  gehörten  eben  zum  Wesen  des 
Lebens.  Was  aber,  wenn  unabhängig  vom  Menschen  und  auch  von  den 
tierischen  und  pflanzlichen  Organismen,  deren  ganzes  Sein  von  Periodizität 
beherrscht  ist,  auch  in  der  anorganischen  Natur  allenthalben  ewiger  Rhyth- 
mus pocht?  Mathematisch  festlegbar,  nein:  sicherer  sogar,  als  die  leider 
nur  relative  Analysis  feststellen  kann,  mit  absolutem  Rhythmus  dreht  sich 
die  Erde  um  sich  selber  und  um  die  Sonne,  geht  der  Sterne  Chor  auf  und 
nieder,  vollzieht  sich  „Periodik"  am  Himmel  nach  überwältigenden  Ge- 
setzen. Der  Rhythmus  der  Jahre,  der  Jahreszeiten,  der  Tage  und  Stunden, 
bedingt  hundertfache  Rhythmen  im  irdischen  Geschehen.  Von  ihm  hängen 
ab  die  Phänologie  im  Aufblühen  und  Erscheinen  von  Pflanzen-  und  Tier- 
formen, der  Donnergang  der  Gezeiten,  der  Weg  der  Winde,  die  Wiederkehr 
der  täglichen  barometrischen  Schwankung,  die  jährliche  zweimalige  Wan- 
derung der  Zugvögel,  die  Periodizität  der  Frauen,  der  hochzeitliche  Rhyth- 
mus einer  Brunst-  und  Paarungszeit,  die  Jahresringe  der  Bäume,  der  Gene- 
rationswechsel, das  Wellenspiel  der  Transgressionen  und  Klimamigrationen, 
kurz  fast  alles,  was  uns  am  Antlitz  der  Natur  als  Änderung  entgegentritt, 
weil  jede  Änderung  eine  zyklische,  in  Perioden  wiederkehrende  Änderung 
ist.  Diesem  Pulsschlag  ist  tägliches  Leben  und  Gemütsleben,  Geistesleben, 
Geschäfts-  und  Staatenordnung  angepaßt  durch  Arbeits-  und  Erholungs- 
einteilung und  durch  Gliederung  von  allem,  womit  wir  uns  beschäftigen, 
in  Abschnitte  von  verschiedener  Integrationshöhe. 

In  zahllosen  Dingen,  wo  noch  keine  Periodizität  (ihr  Studium  ist  im  Be- 
griffe, durch  Freud,  Fleiß  und  neuestens  P.  Kammerer'--)  die  gebührende 
Beachtung  zu  finden)  bekannt  ist,  stellt  sie  sich  bei  tiefer  dringender  Er- 
kenntnis heraus  und  muß  sich  auch  herausstellen,  da  Periodizität  eine  fun- 
damentale Eigenheit  der  Funktion  ist,  also  untrennbar  zum  Sein  gehört.  So 
hat  sich  neuestens  gezeigt,  daß  in  den  natürlichen  Gesteinen,  aber  auch  in 
den  künstlichen  Bausteinen  eine  rhythmische  Kristallisation  erfolgt.  Man 
beobachtete  das  z.  B.  an  den  Sulfaten,  wie  solche  die  Ziegel  der  Großstadt- 
häuser in  sich  schließen,  wodurch  sich  dann  die  Ziegel  in  Platten  abschälen. 
Der  Chemotechniker  Liesegang  beschrieb  z.  B.  auch  rh>ihmisch  eintretende 
Fällungen,  durch  die  das  Entstehen  der  tierisch-pflanzlichen  Zeichnungen 
faßlicher  wurde.    Und  so   ließe  sich,  wenn  hundert   Belege  eine  Tatsache 

61 


fester  auf  die  Beine  stellen  könnten  als  ein  Halbdutzend,  ein  großes  Mate- 
rial anhäufen,  das  immer  wieder  nur  das  Eine  beweisen  würde,  daß  rhyth- 
mische Funktionen  durchgängig  verbreitet  sind. 

Der  experimentellen  Psychologie  ist  das  auch  nicht  entgegen,  und  sie  hat 
eine  Lehre  vom  Rhythmus  geschaffen,  deren  wichtigstes  Gesetz,  das  der  Zeit- 
gestaiten.  folgendes  feststellt:  Eine  längere  Reihe  rhythmischer  Eindrücke 
tritt  im  Bewußtsein  aus  unvermeidbarem  seelischem  Zwang  zu  Gruppen  zu- 
sammen, deren  Ausgestaltung  in  hohem  Grad  der  Willkür  unterliegt. 

Man  mache  den  Versuch,  wozu  sich  bei  einer  Eisenbahnfahrt  die  beste 
Gelegenheit  bietet.  Man  taktiert  bei  den  gleichmäßig  erfolgenden  Stößen 
unwillkürlich  mit,  wobei  sich  dann  von  selbst  rhythmische  Gruppen  (Quan- 
ten) einstellen,  denen  man  mit  Vorliebe  metrische  Formen,  Verschen  oder 
sehr  ausgeprägte  Melodien  unterlegt.  Und  wenn  man  dann  gewitzigt  durch 
dieses  Erlebnis  irgendeine  Rhythmuserfahrung  anderer  Art  analysiert,  wird 
man  bald  finden,  daß  stets  aus  innerem  Zwang  einige  Elemente  daraus  zu 
Einheiten  zusammengefaßt  werden.  Es  entsteht,  wie  sich  die  Psychologie 
ausdrückt,  „ein  Betonungsrelief  unter  den  Gliedern  jeder  Gruppe"  r^^) 

Auf  diesem  inneren  Zwang  zur  „Zeitgestaltung"  beruht  ein  ganz  erheb- 
licher Teil  der  Technik  des  Kunstschaffens,  und  damit  ist  die  Brücke  für 
das  Verständnis  geschlagen,  wieso  Kunst  auch  darin  die  Weltgesetze  wie- 
derholt. Architektur,  Skulptur  und  Malerei  haben  überall  diese  Zusammen- 
fassung, die  Quantenbildung,  wenn  man  es  so  nennen  darf,  in  ihren  rhyth- 
mischen Gestaltungen  durchgeführt  und  empfinden  nur  solches  als  schön, 
während  ein  Rhythmus  ohne  diese  Gliederung  ihnen  leer  und  nichtssagend 
erscheinen  würde.  Man  denke,  um  sich  das  anschaulich  zu  machen,  an  die 
Mäander-  oder  Palmettenornamente  der  griechischen  Baukunst  oder  die  Be- 
deutung der  Gliederung  eines  Gebäudes  in  Haupttrakt  und  Seitenflügel: 
Oder  noch  deutlicher  wird  man  die  Wahrheit  des  Gesagten  empfinden,  wenn 
man  sich  an  die  Bedeutung  und  Notwendigkeit  des  Rhythmus  in  Poesie  und 
Musik  erinnert.  Nicht  nur,  daß  beide  ohne  diese  taktmäßigen  Wiederholun- 
gen ihre  Formen  schlechthin  verlieren,  sondern  sie  bedürfen  auch  der  Quan- 
tenbildung im  Bereich  der  Rhythmen  durch  stärkere  Betonung  einzelner  Ele- 
mente und  Zusammenschluß  von  Gruppen  anderer  nicht  betonter  um  sie. 

In  der  Dichtkunst  bestimmt  das  Versmaß  die  rhythmische  Einheit,  aus 
deren  Wiederholung,  beziehungsweise  Variation,  der  Vers  entsteht,  wobei 
eine  die  Schönheit  der  Sprache  bestimmende  Vielfältigkeit  dieser  Variation 
den  Ausschlag  gibt.  So  würden  einfache  Metren  wie  der  Jambus  (^_;  )  in 
monotoner  Aneinanderreihung  unschön  wirken,  weshalb  da  stets  zwei  Vers- 
füße gekoppelt  sind,  während  z.B.  die  Daktylen  (  — UU)  als  dreisilbiger 
Versfuß  schon  als  ein  „Quantum"  gelten,  das  für  sich  bestehen  kann.  Da- 
bei tritt  aus  der  Metrik  sofort  das  von  uns  von  allen  Dingen  der  Welt  zu 
fordernde  Integrationsgesetz  entgegen,  denn  die  Versfüße  sind  zusammen- 
geschlossen zu  Trimetern,  Pentametern,  Hexametern,  diese  wieder  zu  Stro- 

62 


phen  und  solche  zu  Gedichten,  die  in  Zyklen  wieder  ihre  höhere,  in  sich  ge- 
schlossene Einheit  mit  spezifischen  Integrationsstufen  finden,  so  daß  dem  Kun- 
digen das  ganze  Abbild  des  Weltenbaues  im  Werk  der  Dichter  entgegenblickt. 
So  schließt  sich  auch  in  der  Musik  die  Rhythmusgruppe  zum  Takt  zu- 
sammen und  Takte  durch  Legate  und  Betonungszeichen  zu  Gruppen;  ge- 
schlossene Melodien,  die   variiert  wiederkehren,  steigen   zur  höheren   Inte- 


^^m 


i 


1 


Abb.  15.  Notenspiel  aus  Beethoven,  Klaviersonaten  op.  101 


grationsstufe  der  Sätze  und  ganzen  Werke  auf,  überall  das  gleiche  Gestal- 
tungsgesetz widerspiegelnd,  das  eben  auf  Erden  überhaupt  nur  durch 
gleiche  Formen  „Sein"  ins  Erleben  rufen  kann. 

Ja  schon  in  der  gewöhnlichen  Rede  und  im  begrifflichen  Denken  ist  die 
Quantenbildung  im  rhythmischen  Fluß  durch  Betonung  und  Gliederung,  in 
der  Grammatik  durch  Satz-  und  Halbsatzbildung,  bereits  in  dem  Wortzu- 
sammenschluß der  Laute,  in  der  Logik,  in  der  Begriffsbildung  selbst.  Überall, 
sowie  bewußtes  Leben  nur  anhebt,  ist  dieses  Urgesetz  unseres  Erlebens  ver- 
wirklicht, das  uns  zwingt,  die  ganze  Welt  rhythmisch  zu  deuten.  Dieses  innere 
Gestaltungsgesetz  des  Erlebens  hat  nun  sehr  eng  gezogene  Grenzen,  die  sich 
zwischen  1—24  Glieder  bewegen.  Denn  es  ist  durch  Selbstbeobachtung  ge- 
wonnene Erfahrungstatsache,  daß  es  dem  Intellekt  versagt  ist,  rhythmische 
Einheiten  zu  bilden,  die  über  24  Takte  hinausgehen.  Es  wäre  ungemein 
fruchtbar,  den  Folgen  dieser  Tatsache  in  der  Ausgestaltung  unseres  Welt- 
bildes nachzugehen.  Ich  muß  es  mir  hier  nur  versagen,  veranlaßt  durch 
die  Forderung  nach  Harmonie  in  der  Gestaltung  meines  Werkes,  die  mich 
zwingt,  zu  der  Analyse  der  Funktionsformen  zurückzukehren,  von  deren  erster 
Eigenheit,  der  rhythmischen  Gliederung  des  Weltgeschehens  im  Erleben  ich 
einen  hoffentlich  genügend  deutlichen   Eindruck  zu  erzeugen  vermochte. 

Die  Geschehenskette  des  Weltphänomens,  der  wir  uns  hicmit  wieder  zu- 
wenden, weist  nun  außer  dem  Gleichmaß  auch  die  Eigenheiten  des  Gegen- 
satzes auf.  Von  diesen  Erscheinungen  ist  namentlich  eine:  die  Geschehens- 
beschleunigung, dem  Chemiker  wohlvertraut  und  wenigstens  von  dieser  Seite 
aus  ausgiebig  studiert.    Sie  ist  in  der  Chemophysik  unter  der  Bezeichnung 


G3 


Katalyse  jedem  Fachmann  bekannt.  Der  Funktionsbegriff  in  der  Chemie 
nimmt  die  Form  der  chemischen  Reaktion  an.  Und  es  zeigte  sich  alsbald, 
daß  die  Reaktionsgeschwindigkeit  je  nach  den  äußeren  Bedingungen  ver- 
schieden ist.  So  wird  z.  B.  durch  Steigerung  der  Temperatur  die  Geschwin- 
digkeit aller  chemischen  Vorgänge  größer;  eine  Erfahrung,  die  die  Mensch- 
heit schon  vor  Jahrtausenden  hätte  verwerten  können,  wenn  sie  die  Tatsache 
beachtet  hätte,  wie  langsam  ruhig  an  der  Luft  liegendes  Eisen  rostet,  und 
wie  rasch  sich  darauf  unter  dem  Schmiedehammer  der  Rost  einstellt.  Im  all- 
gemeinen kann  man  sagen,  daß  bereits  eine  Temperaturerhöhung  um  10  <> 
die  für  eine  Zeiteinheit  umgesetzte  Stoffmenge  verdoppelt.  Das  ist  die  Ur- 
sache, warum  kein  chemisches  Laboratorium  früher  ohne  Herd  und  jetzt 
ohne  Gasflammen  eingerichtet  werden  kann.  Der  Chemiker  erwärmt  sein 
Material,  um  die  Vorgänge  zu  beschleunigen. 

Es  gibt  nun  gewisse  Stoffe,  welche  diese  Rolle  der  Wärme  übernehmen. 
Wenn  ein  Stoff  die  Geschwindigkeit  einer  chemischen  Reaktion  durch  seine 
Gegenwart  erhöht,  ohne  selbst  eine  dauernde  Änderung  zu  erleiden,  dann 
nennt  man  ihn  einen  Katalysator  und  spricht  von  katalytischen  Reaktionen. 
Solche  Stoffe  sind  z.B.  das  Wasser  oder  das  Mangandioxyd  gelegentlich 
der  Zersetzung  des  Kaliumchlorates.  Eine  Spur  Wasserdampf  beschleunigt 
fast  alle  chemischen  Umsetzungen.  Ein  anderer  derartiger  hochberühmter 
„Kontaktstoff^^  wie  man  die  Katalysatoren  mit  einem  anderen  Ausdruck 
nennt,  ist  der  Platinmohr.^^)  Das  Urbild  aller  Katalysen  kennt  die  Mensch- 
heit ihrer  Sage  nach  seit  den  Zeiten  der  Hammurabi-Inschriften.  Denn  schon 
auf  diesem  Original  der  biblischen  Sagen  ist  Wein  und  damit  Gärung  er- 
wähnt. Die  von  den  Hefepilzen  (Saccharomyces)  erzeugte  Zymase,  das 
wichtigste  aller  Fermente  oder  Enzyme,  um  dafür  einen  moderneren  Aus- 
druck zu  gebrauchen,  beschleunigt  den  Prozeß  der  Zuckerspaltung  zu  Alkohol 
und  Kohlensäure.  Das  ist  es,  was  wir  Gärung  nennen.  Andere  Enzyme 
spalten  durch  ihre  bloße  Anwesenheit  die  Fette,  wie  jeder  von  uns  durch  seine 
Galle  täglich  beweist;  das  Ptyalin  des  Speichels  bewirkt  die  Stärkeverzuk- 
kerung,  es  ist  überhaupt  keine  tierische  Verdauung  und  kein  pflanzlicher 
Stoffwechsel  denkbar  ohne  eine  Fülle  von  Enzymen,  die  von  dem  Plasma  in 
bewundernswerter  Vielfältigkeit  und  Leistungsfähigkeit  ausgeschieden  werden. 

Noch  komplizierter  wurde  die  Sachlage,  als  man  erkannte,  daß  alle  En- 
zyme kolloidale  Struktur  besitzen,  weshalb  z.B.  auch  alle  kolloidalen  Metall- 
sole katalytische  Wirkungen  ausüben.  Diese  bestehen  nun  keineswegs,  wie 
man  gewöhnlich  glaubt,  und  wie  es  im  Verdauungsvorgang,  wenigstens  in 
seinem  ersten  Teil,  auch  ihre  Aufgabe  ist,  nur  aus  Spaltung.  Sie  vollführen 
sogar  auch  Synthesen,  ja  sie  besorgen  sogar  eine  Art  Reaktionsauslese,  so 
daß  es  sich  nicht  mehr  bezweifeln  läßt,  daß  in  ihnen  eine  biotechnische 
Erfindung  der  plasmatischen  Organismen  vorliegt,  die,  weil  sie  wegen  der 
schon  bei  60  <>  erfolgenden  Eiweißgewinnung  keine  Wärme  anwenden  können, 
sich  der  Enzyme  zur  Änderung  der  Reaktionszeit  bedienen.    Diese  Biotech- 

64 


nik  wird  nachgeahmt,  wenn  man  Gärung  bei  der  Wein-,  Bier-  oder  Brot- 
bereitung hervorruft.  Eine  vollkommenere  Form  ist  die  in  neuerer  Zeit 
üblich  gewordene  Hydrierung  ohne  Erwärmung  mit  Hilfe  von  Platinkollo- 
iden (der  Platinmohr  ist  ein  solches),  und  es  bedarf  wahrlich  keiner  beson- 
deren Intuition,  um  vorherzusagen,  daß  man  auf  diesem  Wege  zur  Revol- 
tierung der  Chemotechnik  und  damit  auch  der  Industrie  kommen  und  eines 
Tages  gleich  den  Pflanzen  ohne  Kohle  und  Fabrikschornstein  zu  produ- 
zieren gelernt  haben  wird.^^) 

Kann  man  aber  auf  solche  Weise  den  Rhythmus  der  Vorgänge  beschleu- 
nigen, so  muß  es  notwendigerweise  auch  gelingen,  ihn  zu  verzögern.  Und 
tatsächlich,  man  ist  auch  mit  derartigen  Verzögerungssubstanzen  bekannt 
geworden.  Sie  sind  nichts  anderes,  als  die  allgemein  bekannten  Gifte.  Blau- 
säure, Arsenik,  überhaupt  alle  starken  Gifte  verhindern  auf  eine  heute  noch 
unbegreifliche  Weise  den  Vorgang  der  Katalyse.  Und  gleichwie  man  die 
organischen  Reaktionen  vulgo  Lebensvorgänge  „vergiften"  kann,  gelingt 
das  gleiche  auch  bei  den  kolloidalen  Enzymen.  Diese  Beeinflussung  des 
funktionellen  Rhythmus  ist  nun  nichts  anderes  als  der  erste  Schritt  zu  seiner 
Abänderung,  die  letzten  Endes,  von  großer  Perspektive  aus  gesehen,  wieder 
nichts  anderes  als  eine  dermaßen  verzögerte  Wiederkehr  gleicher  Formen 
ist,  daß  unsere  Erfahrung  nicht  ausreicht,  um  deren  „Takt"  zu  bestimmen. 

Hier  wird  der  Entscheid  durch  das  Zermelo'schQ  Resultat  (vgl.  S.  75) 
gefällt,  nach  dem  alle  Vorgänge  in  ständigen  Wiederholungen  ablaufen,  ein 
Gedanke,  den  Nietzsche  in  einer  seiner  mysteriösen  Intuitionen,  in  der  im 
„Zarathustra"  zuerst  visionär  ausgeführten  „Wiederkehr  des  Gleichen",  vor- 
weggenommen hat,  ohne  zu  ahnen,  daß  dieser  Gedanke  nur  mit  einer  bio- 
zentrischen  Erkenntnistheorie  vereinbar  wäre.  Es  liegt  einfach  im  Wesen 
der  mathematischen  Voraussetzungen,  daß,  wenn  irgendwo  ein  Faktor  sich 
der  Unendlichkeit  nähert,  die  Permutationen  zu  rhythmischen,  also  perio- 
disch wiederkehrenden  Funktionen  werden.  Der  amerikanische  Popular- 
philosoph  C.  Snyder  hatte  den  artigen  Einfall,  das  an  einem  Beispiel  zu 
demonstrieren.  Wenn  es,  so  sagt  er,  am  Himmel  nur  eine  Milliarde  Sonnen- 
systeme gleich  dem  unseren  gibt,  so  existieren  8— 10  Milliarden  Planeten,  auf 
denen,  wenn  wir  je  eine  Dauer  von  tausend  Millionen  Jahren  ansetzen  wol- 
len, theoretisch  Menschenbesiedlung  möglich  wäre.  Rechnet  man,  daß  das, 
was  man  menschliche  Zivilisation  nennt,  sich  in  einer  uns  als  solche  an- 
sprechenden Form  zehn-  oder  zwanzigtausend  Jahre  lang  hält,  so  bedeutet 
das,  daß  das  Kulturleben  der  Menschheit  ein  Hunderttausendstel  der  be- 
wohnbaren Zeit  unseres  Sonnensystems  umfaßt,  daß  also  auf  einer  mil- 
liardenmal  größeren  Zahl  von  Planeten  die  Zahl  der  möglichen  Permutatio- 
nen, also  die  anderen  Möglichkeiten  längst  erschöpft  sind  und  wir  minde- 
stens einige  andere  {Snyder  rechnet  sogar  10  000)  Planeten  finden  müßten, 
auf  denen  annähernd  dieselben  Zustände  herrschen  wie  auf  dem  unsern. 
Unter  den  vielen  mit  Parallelentwicklung  ist  es  dann  wieder  nur  Sache  der 

Francs,  Bios   M  ^^  ^ 

65 


Ausdehnung  der  Kosmos-  oder  Zeitvorstellung,  um  die  Möglichkeit  einer 
Parallelität  zur  Sicherheit  eines  alter  ego  zu  verwandeln.  Es  ist  also  letzten 
Endes  nur  Sache  des  intellektuellen  Mutes,  wie  weit  jemand  in  dieser  Rich- 
tung praktische  Konsequenzen  zieht. 

Das  Problem  spitzt  sich  in  dieser  Richtung  auf  die  Formulierung  zu:  Ist 
der  Weltprozeß,  die  Änderung  der  Seinsformen,  eine  periodische  Funktion 
oder  nicht?  Und  da  muß  man  sagen,  daß  alles  vorhin  Gesagte  mehr  auf 
die  erstgenannte  Lösung  als  auf  ihr  Gegenteil  weist.  In  der  Lebenspraxis 
ist  es  freilich  gleich,  welche  Lösung  gefunden  wird,  weil  auch  die  be- 
jahende ein  derartiges  kosmisches  Tempo  der  Serialität  einschlägt,  daß  in 
ausdenkbarer  Zeit-  und  Raumvorstellung  de  facto  eine  Wiederkehr  ausge- 
schlossen ist.  Anders  freilich  in  ethischer  Hinsicht.  Für  sie  ist  die  Lösung 
der  Frage  von  grunderschütternder  Bedeutung,  was  Nietzsches  Flammen- 
geist nicht  verborgen  blieb  und  von  ihm  auch  mit  leuchtenden  Buchstaben 
an  den  Himmel  des  Gewissens  geschrieben  wurde. 

Die  Abänderung,  also  die  Variation  der  Geschehenskette  in  den  atomaren 
Zusammenhängen  erfüllt  nun  die  Anschauungswelt  des  Chemikers  mit  be- 
sonderen Vorstellungen.  Denn  Variation  im  Rhythmus  atomarer  Beziehun- 
gen nennt  man  chemischen  Prozeß,  und  durch  diesen  tritt  die  Vielheit  der 
chemischen  Stojfe  in  Erscheinung  als  materielle  Qualität.  An  dieser  Stelle 
begegnet  man  aber  so  ziemlich  der  größten  Dunkelheit,  die  im  Gebiet  der 
anorganischen  Naturwissenschaft  noch  herrscht.  Denn  die  Begriffe  der 
chemischen  Affinität,  welche  diese  funktionelle  Variation  regeln  sollen, 
haben  noch  nicht  den  Anschluß  an  die  elektronäre  Mechanik  gefunden,  als 
welche  sich  die  Physik  enthüllt  hat.  An  dieser  Stelle  klafft  eine  Lücke  in 
den  Vorstellungen.  Wohl  weiß  man  etwa  seit  Davy,  daß  die  chemische 
Affinität,  also  das  die  Verbindung  der  Stoffe  regelnde  Gesetz,  innig  mit  der 
Elektrizität  verwandt  sein  muß.  So  einfach  aber,  wie  man  sich  das  bis  vor 
wenigen  Jahren  gedacht  hat,  daß  die  Affinität  die  magnetische  und  elek- 
trische Ladung  der  Moleküle  sei,  verhält  sich  die  Sache  allerdings  nicht, 
sondern  die  chemische  Energie,  wie  man  sie  wohl  nennen  kann,  läßt  sich 
im  Grunde  genommen  auf  keine  andere  zurückführen,  wohl  aber  umwandeln 
(im  chemischen  Element)  und  messen  durch  ihre  Schnelligkeit  und  die  bei 
ihrer  Umwandlung  geschaffene  Wärme  oder  elektrische  Energie.  Das  Ge- 
biet dieser  Erfahrungen  steckt  die  Thermochemie  und  Elektrochemie  ab.^^) 
Tatsächlich  sind  auch  gesetzmäßige  Beziehungen  zwischen  dem  Quäle  des 
Stoffes,  welches  eben  das  Arbeitsgebiet  der  Chemie  ist,  und  dem  elektri- 
schen Quantum  wenigstens  insofern  da,  als  es  nicht  nur  eine  chemische 
Affinität  der  Elemente  untereinander,  sondern  auch  eine  solche  der  Ele- 
mente zur  positiven  und  negativen  Elektrizität  gibt.  Metalle  verhalten  sich 
z.B.  derart,  als  ob  sie  eine  Verwandtschaft  zur  positiven   Elektrizität  hät- 

*)  Die  säurebildenden  Elemente  z.  B.  Phosphor. 

66 


ten,  und  Metalloide*)  gerade  umgekehrt.  Diese  Beziehungen  treffen  aber 
nicht  den  Kernpunkt  dessen,  was  uns  in  diesem  Augenblick  an  der  Chemie 
interessiert.  Das  Wichtige  ist  vielmehr  für  uns  die  an  diesem  Punkte  auf- 
scheinende Einsicht,  daß  die  chemischen  Qualitäten  Funktionsjonnen  der 
Materie  sind  und  der  chemische  Prozeß  eine  Formenänderung,  ein  Umbau, 
also  eine  Funktion  der  Formen. 

Gilt  das  für  die  Chemie,  muß  es  ebenso  folgerichtig  auch  für  die  physi- 
kalischen Eigenschaften  gelten,  einheitlich  aufgefaßt  für  den  Funktionsbegriff 
überhaupt.  Oder  mit  anderen  Worten:  Die  Variation  der  Funktionen  er- 
gibt das  Weltbild.  Was  man  Erscheinung  nennt,  sind  die  Funktionsjormen 
des  Seins,  die  daran  gesetzmäßig  gebunden  sind,  so  daß  jede  Funktion 
ihre  ihr  allein  zukommende  Form  hat  und  eine  Änderung  der  Funktionen 
mechanisch  auch  eine  Änderung  der  Form  nach  sich  zieht. 

Dieser  Zusammenhang  kehrt  stets  wieder.  Es  gibt  also  ein  Gesetz  der 
Funktionsjormen,  dessen  Wortlaut  angesichts  seiner  Wichtigkeit  noch  ein- 
mal wiederholt  sein  soll:  Jede  Funktion  besitzt  eine  nur  ihr  zukommende 
Form,  die  sich  mit  der  Funktionsänderung  gesetzmäßig  ändert. 

Diese  Sätze  erscheinen  so  einfach,  daß  man  vielleicht  mit  Verwunderung 
und  Ungeduld  sie  für  selbstverständlich  und  altbekannt  hält.  Sie  sind  aber 
weder  das  eine  noch  das  andere.  Sie  sind  vielmehr  von  allergrößter  prak- 
tischer Wichtigkeit  und  in  ihrer  Anwendung  fundamental  neu.  Eine  voll- 
kommene Umwälzung  des  bürgerlichen  Lebens  muß  in  dem  Augenblick  ein- 
treten, in  dem  man  sie  wirklich  konsequent  anwendet.  Für  mich  persönlich 
sind  sie  z.  B.  die  erste  materielle  Frucht  der  objektiven  Philosophie,  die 
mir  die  Möglichkeit  gewährte,  mich  von  dem  ablenkenden  Broterwerb  los- 
zulösen und  mein  Leben  ausschließlich  auf  die  Schaffung  und  Verbreitung 
der  objektiven  Philosophie  einzustellen.  Und  das  hängt  in  folgender  Weise 
zusammen:  Wenn  die  obigen  Sätze  richtig  sind,  dann  muß  es  möglich  sein, 
von  den  Formen  der  Dinge  auf  die  Funktionen  zurückzuschließen,  und  darm 
ist  auch  eine  gewünschte  Funktion  zu  erwarten,  wenn  man  den  Dingen  die 
entsprechende  Form  verleiht.  Mit  anderen  Worten,  es  muß  dann  möglich 
sein,  eines  auf  das  andere  zu  übertragen  und  durch  Nachahmung  von  For- 
men beobachtete  Funktionen  wiedererzeugen  zu  können  auch  in  anderem 
Material  und  durch  Übersetzung  des  Zusammenhanges  von  einem  Gebiet 
ins  andere,  unter  Umständen  vom  natürlichen  Physischen  ins  rein  Geistige. 
Erlaubt  wird  solches  durch  die  von  uns  angenommene  Überzeugung,  daß 
das  Funktionsgesetz  richtig  sei,  daß,  da  dieses  nur  eine  Ableitung  aus  dem 
Seinssatz  überhaupt  ist,  auch  diese  Grundbehauptung  der  objektiven  Philo- 
sophie zu  Recht  bestehe,  mit  ihr  aber  auch  die  absolute  Indentität  des  Er- 
lebens, d.  h.  die  beliebige  Übertragbarkeit  identischer  Gesetzeszusammen- 
hänge von  einem  Gebiet  ins  andere,  also  das,  was  man  die  Einheit  des 
Biosbegriffes  nennen  kann. 

Man  hat  damit  ein  treffliches  Mittel  an  die  Hand  bekommen,  die  Berech- 

5» 

67 


tigung  aller  dieser  Behauptungen  der  objektiven  Philosophie  an  ihren  Kon- 
sequenzen praktisch  nachzuprüfen.  Ist  nämlich  die  behauptete  Übertragung 
ausführbar  und  führt  sie  zu  bisher  unbekannten  Funktionen  oder  durch 
Funktionsübertragung  zu  neuen  Formen,  dann  gibt  die  objektive  Philosophie 
mit  dem  oben  Gesagten  wirkliche  Gesetze  der  Welt  wieder  und  ist  außer- 
dem kultur-  und  lebensfördernd.  Diese  Übertragung  des  physikalischen  Ge- 
setzes der  Funktionsformen  ins  Geistige  und  Kulturelle  habe  ich,  als  ich 
mit  diesem  Gedanken  zum  erstenmal  auftrat  2g),  als  Biotechnik  bezeichnet. 
Die  Biotechnik  ist  also  ein  ausgezeichneter  Prüfstein  für  die  Berechtigung 
und  Richtigkeit*)  der  objektiven  Philosophie. 

Darum  soll  sie  hier  in  ihren  ganzen  Grundzügen  entfaltet  werden.  Wenn 
jede  Form  der  Ausdruck  einer  von  ihr  geprägten  Funktion  ist,  dann  ist 
die  Kugelform  (die  technische  Form  für  Rollen),  Masse  überhaupt,  die 
technische  Form  für  Trägheit,  auch  Bewegung  selbst  schon  eine  Funktions- 
form für  veränderliches  Sein.  Was  sich  bewegt,  ruht  nicht,  ist  also  nicht 
von  Dauer,  wobei  es  gar  nichts  ausmacht,  ob  diese  „Dauer"  den  Kreis 
unserer  Zoesis  überschreitet  wie  bei  den  Himmelskörpern  oder  nicht. 

Es  ist  also  der  Begriff  der  Funktionsform,  wofür  technische  Form  nur 
ein  Synonym  ist,  für  alles  Sein  gültig,  keineswegs  etwa  für  das  biologische 
oder  physikalische  Sein  allein.  Auch  das  geistige  Schaffen  hat  seine  tech- 
nischen Formen,  für  die  identische  Gesetze  gelten  wie  in  der  Physis.  Und 
auch  die  unbelebte  Natur  hat  unter  dem  Einfluß  der  in  ihr  vor  sich  gehen- 
den Bewegungen  (Änderungen)  technische  Formen  angenommen,  deren 
vornehmste  und  allgemeinste  die  Materie  selbst  mit  ihren  chemischen  und 
physikalischen  Qualitäten  ist.  Schon  die  Begriffe  „seiende  Welt"  und  „Er- 
scheinung" sind  Funktionsformen  des  Weltprozesses,  der  biotechnische 
Grundbegriff  also  einer  der  elementarsten  des  gesamten  Erlebens. 

Es  ist  also  das  Phänomen,  welches  die  moderne  Biologie  unter  dem  Ein- 
fluß von  W.  Roux^'')  unter  dem  Namen  ,,funktionelle  Anpassung"  als  eine 
der  Sondererscheinungen  belebter  Materie  aufzufassen  lehrte,  viel  allge- 
meiner zu  fassen,  als  man  es  derzeit  übt.   Das  Grundlegende,  die  Mechanik 


*)  Man  unterscheide  wohl,  daß  eine  Anschauung  sehr  gut  unrichtig  sein  kann,  aber 
dennoch  berechtigt  ist.  So  ist  z.  B.  die  mit  absoluten  Größen  als  Fiktion  rechnende 
Mathematik  vom  Standpunkt  des  relativistischen  Denkens  aus  gewiß  nicht  „richtig". 
Wer  wollte  aber  angesichts  ihrer  zoetischen  Notwendigkeit  ihre  Berechtigung  leug- 
nen? Sie  ist  praktisch  notwendig,  daher  lebensfördernd,  ergo  berechtigt.  Diesen  An- 
spruch muß  man  auch  der  objektiven  Philosophie  zubilligen,  seitdem  die  Biotechnik 
aus  ihr  entstanden  ist.  Sie  ist  sich  sehr  wohl  bewußt,  daß  sie  auf  einer  agnostischen 
Grundlage  ruht,  indem  sie  keine  Erklärung  des  Erlebens  gibt.  Vom  Standpunkt  des 
absolutischen  Wahrheitsforschers  aus  kann  sie  also  nicht  als  „richtig",  als  „die  Wahr- 
heit" gelten,  sondern  bestenfalls  als  Behauptung.  Sie  ist  aber  eine  berechtigte  Lehre, 
weil  sie  sich  als  lebensfördernd,  lebenserweiternd  erweist.  Und  nur  das  will  sie, 
nicht  aber  absolute  Wahrheit  erkennen,  die  sie  als  ein  Phantom  abweist.  Unter  Rich- 
tigkeit ist  dann  zu  verstehen,  daß  sie  richtig  die  Gesetzeszusammenhänge  wiedergibt, 

68 


der  Formänderung  unter  dem  Einfluß  von  Funktionen  ist  vielmehr  ein 
Weltphänomen,  dem  man  auf  Schritt  und  Tritt  vom  Kleinsten  bis  ins  Größte 
begegnet.  Das  ist  das  Erste,  was  ich  hier  zu  beweisen  habe.  Da  kann  ich 
darauf  hinweisen,  daß  schon  die  Gestalten  (es  wird  hier  doch  der  Umriß 
einer  Philosophie  der  Gestaltung  gezogen)  der  kosmischen  Gebilde:  Nebel- 
flecken, Kometen,  Sonnen  und  ihre  Trabanten  nichts  als  die  technischen 
Spiegelbilder  ihrer  jeweiligen  Funktion  sind.  Formlosigkeit  bei  sonst  funk- 
tionslosem Massensein,  ist  in  den  Weltnebeln  da  (vgl.  Bd.  I  Abb.  1),  die 
aber  sofort  in  Spiralform  und  Zusammenballungen  übergeht  (vgl.  Spiral- 
nebel der  Jagdhunde,  Bd.  I  Abb.  1  und  2),  sobald  Bewegungsfunktionen, 
Rotationen  auftreten.  Die  Funktion  prägt  also  auch  im  Anorganischen 
ebensogut  die  Form  wie  im  Organischen. 

So  entstanden  die  Funktionsformen  der  Weltkörper,  von  deren  Gestaltung 
man  stets  auf  die  ihnen  zugrunde  liegenden  Änderungen  zurückschloß,  wo- 
durch das  wissenschaftliche  Denken  längst  eine  tatsächliche  Anwendung 
von  einer  Konsequenz  des  objektiven  Denkens  gemacht  hat  (so  wie  das 
praktische  Leben  überhaupt  niemals  etwas  anderes  macht),  die  eigentlich 
ohne  Anerkennung  dieser  Denkrichtung  unerlaubt  ist.  Bis  ins  Feinste  wur- 
den dadurch  die  Trabanten  unserer  Sonne  durchgeformt  und  z.  B.  der  Erde 
jene  technische  Sonderform  verliehen,  welche  die  Geophysiker  bezeichnen 
wollen,  wenn  sie  die  Erde  nicht  eine  Kugel,  sondern  das  Geoid  oder  Rota- 
tionsellipsoid nennen. 

Seit  Christ.  Huygens  (1669)  weiß  man  es,  daß  eine  plastische,  schnell 
rotierende  Kugel  an  den  Polen  abgeplattet,  am  Äquator  angeschwollen  sein 
muß,  und  hat  erst  mühsam  durch  die  Erdmessung  mit  Hilfe  der  von  der 
französischen  Akademie  der  Wissenschaften  nach  Peru  und  Lappland  ent- 
sandten Expeditionen  bewiesen,  daß  dieses  Gesetz  für  die  Erde  auch  wirk- 
lich gilt.  Es  waren  das  ja  auch  jene  Expeditionen,  die  bei  dieser  Gelegen- 
heit den  Beweis  erbrachten,  daß  der  Meter  nicht,  wie  man  wollte,  ein 
Naturmaß  (nämlich  der  zehnmillionste  Teil  des  Erdquadranten),  sondern 
ganz  willkürlich  festgestellt  sei. 

Ohne  unser  Gesetz  der  technischen  Form  brauchte  die  Erde  keineswegs 
eine  annähernde  Kugel  zu  sein,  sondern  könnte  eine  beliebige  Gestalt  oder 
etwa  die  Scheibenform  besitzen,  an  die  der  mittelalterliche  Mensch  glaubte. 
In  Wirklichkeit  aber  ist  diese  hundertfach  bewiesene  Kugelkrümmung  so 
gewaltig,  daß  man  ihretwegen  in  einem  Meter  Höhe  den  Horizont  nur  in 
einem  Kreis  überblicken  kann,  dessen  Radius  kaum  viertausend  Meter  be- 
trägt. Ein  sich  entfernendes  Schiff  versinkt  daher  schon  in  S'/o  km  Ent- 
fernung scheinbar  um  einen  Meter  unter  dem  Wasserspiegel.  Und  auf  der 
Erde  trifft  der  Blick,  wohin  er  sich  auch  richten  mag,  überall  nur  technische 
Formen  der  auf  ihr  sich  vollziehenden  Veränderungen. 

Viele  sind  in  den  Ausführungen  bisher  schon  erwähnt  worden.  So  sind 
die    Zeugenberge    der   Wüste,    der    mächtige    Dreikanter    des    Matterhorns 

69 


nichts  als  technische  Formen,  aus  der  Luftbewegung  hervorgegangen.  Jedes 
Flußbett  oder  Trockental,  jede  Erosionsrinne  ist  ein  Zeugnis  für  das  gleiche 
Gesetz  (Abb.  4). 

Die  schöngeformten  Rundlinge  (vgl.  Abb.  3),  welche  allenthalben,  na- 
mentlich am  Nordrand  der  Alpen  und  in  den  Tälern  des  Inn,  der  Salzach, 
des  Lech,  der  Rhone  die  Landschaft  überaus  lieblich  gestalten,  sind  Funk- 
tionsformen der  scheuernden  Bewegung  des  Eises  während  der  großen  dilu- 
vialen Vereisung  jener  Landschaften.  Die  Kare  im  vergletschert  gewesenen 
Hochgebirge  (Abb.  5),  die  Gerolle  (Abb.  6)  in  jedem  Bachbett,  die  Schutt- 
rinnen, Berg-  und  Talform,  alles,  alles  zeugt  für  das  gleiche  Gesetz. 

Es  ist  ein  außerordentlicher  Genuß  und  eine  tiefe  Belehrung,  sich  die 
hier  eingestreuten  Landschaftsbilder  (vgl.  Abb.  3,  6  u.  Bd.  I  50)  daraufhin 
genau  zu  betrachten  und  diese  Übung  dann  auf  Ausflügen  und  Reisen  in 
der  freien  Natur  zu  wiederholen  und  zu  vertiefen.  Es  wird  nämlich  zum  er- 
schütternden Erlebnis,  wenn  man  sieht,  wie  das  Bild  der  Natur  nichts 
anderes  ist  als  die  Sprache  der  vielfältigen  und  gewaltigen  Kräfte,  die  sich 
in  der  Welt  verknoten:  der  Spiegel,  mehr  als  das,  das  Geschöpf  des  Welt- 
geschehens. Und  was  das  Festland  in  der  Ursprache  des  Seins  dem  Wissen- 
den sagt,  das  wiederholt  in  gleicher  Erhabenheit  das  noch  leichter  Formen 
bildende  Meer.  Welle,  Brandung,  Strömungen,  sie  alle  sind  die  technischen 
Formen  der  Prozesse,  welche  sie  vollziehen,  und  sie  wieder  sind  das  Werk- 
zeug, mit  dem  die  Kräfte  der  Abrasion  und  der  Transgressionen  das  Fest- 
land in  stets  neue  Formen  prägen. 

Jede  Funktion  der  seienden  Dinge  verleiht  diesen  Qualität,  welche  diese 
Funktion  immer  mehr  erleichtern,  bis  sie  sich  nahezu  optimal  vollzieht.  Es 
sind  dies  dabei  keineswegs  grobe  Formgebungen  allein,  sondern,  wie  es  uns 
bereits  am  Problem  der  chemischen  Qualität  und  Änderung  zum  Bewußtsein 
gekommen  ist,  auch  Zustandsänderungen  in  der  molekularen  oder  atomaren 
Struktur.  So  ist  der  Golfstrom,  gleich  den  fünf  anderen  großen  Meeres- 
triften,  eine  Warmwasserheizung  für  Westeuropa,  somit  in  seiner  Erhitzung 
und  dem  ausgleichenden  und  wärmeabgebenden  Zirkulationsstrom  die  Funk- 
tionsform einer  solchen,  oder  alle  Flüsse,  kalten  Luftströmungen  oder 
Schuttreissen  (Abb.  6)  sind  die  technische  Form  der  schiefen  Ebene,  auf  der 
Massentransporte  erleichtert  sind.  Freilich  sind  auch  die  Zustandsände- 
rungen im  chemischen  Sinn  letzten  Endes  immer  nur  mechanische  Ände- 
rungen gleichwie  auch  die  letztgenannten  Funktionen,  denn  der  Unterschied 
zwischen  materiellen  Teilen,  die  da  als  Gold,  dort  als  Blei  erscheinen,  hier 
in  Form  von  grüngefärbtem  Eiweiß,  dort  als  roter  Rubin  sich  dem  Auge 
darbieten,  da  als  farbloses  Gas,  dort  als  tiefschwarze  Kohle,  ist  ja  nie  etwas 
anderes  als  eine  prinzipiell  nachrechenbare  Verlagerung  der  Uratome,  der 
Atome  und  Moleküle,  also  eine  Änderung  der  strukturellen  Gestaltung,  bei 
der  mit  jeder  funktionellen  Phase  eine  ganz  bestimmte  Form  korrespondiert. 
Daß  wir  noch  fern  davon  sind,  diese  technischen  Formen  der  Zustände  zu 

70 


registrieren,  ist  nur  ein  Beweis  für  das  primäre  Stadium  unseres  Wissens, 
ändert  aber  an  dem  Gesetz  nichts. 

Selbstverständlich  ist  diese  Zusammenhangslehre  zwischen  Form  und 
Funktion  ebensogut  gültig,  ob  dieser  Zusammenhang  nun  innerhalb  eines 
lebenden  Wesens  oder  außerhalb  desselben  besteht. 

Daher  ist  das  sogenannte  biologische  Gesetz  der  funktionellen  Anpassung 
im  einfachsten  Fall  kein  anderes  Problem  als  das  bisher  geklärte.  Es  ist 
dem  objektiven  Denker  ganz  selbstverständlich,  daß  auch  das  Plasma  ebenso 
gut  seine  Funktionsformen  hat,  auf  jeder  seiner  Integrationsstufen,  so  wie 
das  Eisen  oder  der  Erdball  die  seinigen.  Natürlich  wechseln  auch  sie  mit 
wechselnder  Funktion,  und  dem,  was  man  als  „Anpassung"  bezeichnet,  liegt 
zunächst  kein  anderes  mechanisches  Geschehen  zugrunde,  als  der  Entstehung 
der  Hohlkehlen  in  einer  winddurchpfiffenen  Hohlschlucht.  Ich  will  dabei  nicht 
im  geringsten  das  teleologische  Moment  dieses  Geschehens  weder  in  der 
funktionellen  Anpassung  noch  in  der  Herausbildung  anorganischer  Funk- 
tionsformen gleich  den  soeben  genannten  leugnen.  Tatsächlich  wird  in  beiden 
Fällen  die  Form  final,  nämlich  so  abgeändert,  daß  die  Funktion  sich  vollen- 
deter, widerstandsloser  vollziehen  kann.  Die  Teleologie  liegt  also  bereits  im 
physikalischen,  im  mechanischen  Geschehen  selbst,  wenn  auch  nicht  in  der 
Form,  daß  B  auf  A  so  folgt,  damit  C  erreicht  werde,  so  doch  derart,  daß  B 
auf  A  so  eintritt,  daß  C  erreicht  wird.  Es  wird  also  im  Entwicklungsmecha- 
nischen nicht  etwa  das  Sinnvolle,  Teleologische  mechanisch  gedeutet,  sondern 
vielmehr  der  Mechanismus  des  Prozesses  lebensmäßig,  daher  teleologisch 
erläutert,  und  denen,  die  die  Lehre  der  Biozentrik  verstanden  haben,  brauche 
ich  nicht  erst  zu  sagen,  daß  solches  bei  dem  Wesen  unserer  Erkenntnisfähig- 
keit gar  nicht  anders  sein  kann,  also  kein  Problem,  sondern  eine  Vorausset- 
zung des  Erkenntnisvorganges  ist.  Gewissermaßen  der  Kaufpreis,  der  vom 
erkennenden  Subjekt  gezahlt  werden  muß,  um  erkennen  zu  können. 

Man  muß  daher  im  Anpassungsbegriff  sehr  wohl  zwei  voneinander  ganz 
verschiedene  Dinge  trennen.  Wenn  in  der  Epidermis  der  menschlichen  Hand 
durch  steten  Druck  eine  vermehrte  Teilung  der  Epidermalzellen  einsetzt,  durch 
die  nach  einiger  Zeit  eine  Wucherung,  nämlich  eine  Schwiele  entstehen 
muß,  dann  ist  dieses  Geschehen  von  einer  anderen  Finalität  regiert,  als  dem 
einfach  teleologischen  Zusammenhang  zwischen  Druck  und  Druckform. 
Nach  der  „mechanischen  Teleologie"  müßte  durch  den  Druck  einfach  in  der 
Hand  nach  und  nach  eine  Vertiefung  entstehen,  in  die  der  drückende 
Außenkörper  hineinpaßt  wie  ein  Schmuckstück  in  sein  Futteral,  wodurch  er 
seine  Druckfunktion  immer  vollkommener  ausüben  kann.  Das  erfolgt  auch, 
wenn  der  Druck  zu  heftig  ist  oder  zu  lange  währt.  Nach  der  organischen 
Teleologie  dagegen  erfolgt  etwas  ganz  anderes,  das  reine  Gegenteil.  Dem 
Druck  wird  durch  die  Schwiele  widerstanden.  Hier  wird  eine  höhere,  die 
Urteilsfunktion  in  sich  schließende  Stufe  von  Teleologie  sichtbar,  welche 
die  vorige  keineswegs  aufhebt,  und  man  bemerkt,  daß  das  Integrationsgesetz 

71 


auch  in  der  Teleologie  wirksam  ist,  und  daß  es  teleologische  Integrations- 
stufen gibt.  Der  Organismus  handelt  als  Person,  welche  den  Druck  als 
Motiv,  als  Reiz  und  Auslösung  zu  einer  Handlung  benützt.  Unabhängig 
davon'  ist  also  die  obengenannte  funktionelle  Anpassung,  die  mit  solchen 
Handlungen  und  dem  Leben  als  solchem  gar  nichts  zu  tun  hat,  wenngleich 
sie  auch  im  lebenden  Körper  sich  genau  so  wie  im  toten  vollzieht. 

Jedem  Physiologen  bekannt  ist  der  feinere  Bau  namentlich  der  Röhren- 
knochen (Abb.  16).  Im  Caput,  dem  Knochenkopf,  ist  durch  feinste  knöcherne 
Lamellen  das  Gerüstwerk  der  Spongiosa  verwirklicht,  das  je  nach  Bean- 
spruchung verschieden  eine  biegungsfeste  Konstruktion  aufbaut,  in  der  nur 
die  Stellen  des  Druckes  und  Zuges  durch  festeres  Material  betont  sind. 
Ändert  man  die  Druck-  und  Zugbeanspruchung,  ändert  sich  auch  die  Form 
der  Spongiosa,  so  daß  man  mit  Recht  das  Knochengerüstwerk  als  den  klas- 
sischen Fall  von  funktioneller  Anpassung  bezeichnet  hat. 

V^.  Roux  machte  nun  solche  Fälle  an  einem  Modell  aus  Gummi  und 
Paraffin  nach  und  fand,  daß  die  zug-  und  druckfesten  Elemente  darin  sich 
von  selbst  der  neuen  Funktion  gemäß  umlagern,  wenn  man  das  Modell 
anders  beansprucht. 

Daraus  ist  zu  schließen,  daß  bei  dem  so  viel  gerühmten,  bekanntlich  von 
/.  Wolff  zuerst  nachgewiesenen  sinngemäßen  Umbau  der  gebrochenen  Kno- 
chen, den  man  als  das  größte  Wunder  organischer  Teleologie  pries,  der 
Organismus  und  seine  intelligenten  Kräfte  gar  nichts  zu  tun  haben,  sondern 
daß  hier  die  „mechanische  Teleologie"  allein  das  Bewunderte  erschafft.  Mit 
anderen  Worten:  in  dem  zu  einem  Begriff  zusammengeworfenen  Anpas- 
sungsprozeß stecken  tatsächlich  zwei  verschiedene  Dinge:  die  jeder  Funk- 
tionsform anhaftende  Teleologie,  die  oft  allein  das  besorgt,  was  man  An- 
passung nennt,  und  eine  auf  höherer  Integrationsstufe  stehende  Intelligenz, 
welche  teleologische  Zusammenhänge  schafft,  als  deren  Beispiel  der  oben- 
erwähnte Fall  der  Epidermalschwiele  gelten  mag.  Die  Physiologen  haben 
diese  zwei  Dinge  bisher  nicht  gänzlich  zu  trennen  gewußt,  und  hier- 
aus entsprang  mancher  Streit  und  die  Unfruchtbarkeit  ihrer  Bemühungen-^«) 

Man  gehe  übrigens  nicht  daran  vorüber,  daß  durch  das  vorhin  wieder- 
gegebene Roux'scht  Experiment  die  Teleologie  der  Funktion  als  Weltgesetz 
sowohl  im  Organischen  wie  Anorganischen  erwiesen  worden  ist,  das  Te- 
leologische also  als  Grundeigenschaft  der  Welt  oder  als  Bedingung  der 
Erkenntnisfähigkeit  dem  erkennenden  Subjekt  zugeschoben  wurde.  Denn 
hier  ist  die  Grundlage  des  Verständnisses  für  die  gesamte  Technik  aufge- 
schlossen. Ist  doch  sie  in  Konsequenz  dieses  Satzes  nichts  als  die  „Tech- 
nik der  Zoesis",  nämlich  das  sich  Orientieren  im  Gebiet  der  Mechanik  des 
Erlebens  oder  in  einen  Merksatz  geprägt:  die  Nachahmung  der  Teleologie 
des  Weltgeschehens  durch  bewußte  Zielsetzungen. 

Diese  Teleologie  des  plasmatischen  Geschehens  beherrscht  den  ganzen 
Lebensprozeß,   der  ja  ununterbrochen   nach  seinem   Ausgleich   strebt  und 

72 


s  ^ 


O     O  r- 


durch  teleologische  Zusammenhänge  den  Störungen,  die  diesen  Ausgleich 
hindern,  entgegenarbeitet.  Das  spricht  sich  aus  in  seinen  bedürfnismäßigen 
Reaktionen,  in  deren  Ablauf  die  technischen  Hilfsmittel  des  Organismus 
eingeschoben  werden. 

Alles  an  dem  Organismus  -  so  wie  an  der  Welt  selbst  -  erscheint  uns 
daher  in  verschiedenen  Integrationsstufen  teleologisch  ablaufend;  jeder 
Prozeß  ist  ein  biotechnischer  Vorgang,  der  rein  mechanisch  zu  seinem  Opti- 
mum drängt.  Denn  das  Teleologische  liegt  schon  im  Begriff  der  Funktion 
darin,  die  alles  Funktionierende  sich  anpaßt. 

Darum  ist  nicht  nur  das  Anorganische,  sondern  vermöge  seiner  höheren 
Integrationsstufe  noch  in  einem  ganz  anderen  Sinn  auch  das  Organische 
seinen  Funktionen  gemäß  durchgeformt.  Ja,  auf  dieser  Stufe  beginnt  sogar 
im  Menschen  gipfelnd  die  Entstehung  und  Ausbildung  einer  neuen  Form 
für  die  Funktion,  welche  das  Funktionelle  zu  regeln  und  seinem  Optimum 
entgegenzuführen  trachtet.  Nervenzelle,  Gehirn  nennt  man  die  Organe  der 
teleologischen,  zielsetzenden,  regelnden  Funktion,  und  ihre  Formen  sind 
die  Empfindungen,  Handlungen,  Urteile,  Gedanken,  in  denen  sich  die 
Funktionen  der  Ganglien  und  des  Gehirns  äußern. 

Das  Seelische  ist  so  selbst  nur  eine  Funktion  des  Plasmatischen  und  da- 
mit dem  Funktionsgesetz  und  dessen  Konsequenzen  unterworfen.  Auf  diese 
Weise  ist  denn  die  Technik  des  Menschen  gleichem  Gesetz  Untertan  wie 
die  Technik  des  Organischen  und  die  Technik  der  Materie  und  wiederholt 
sie  nur  teilweise  auf  anderer  Integrationsstufe,  demzufolge  allerdings  auch 
mit  neuen  Integrationseigenschaften.  Das  ist  es,  was  in  dem  Satz,  auf  des- 
sen Bedeutung  ich  vorhin  so  nachdrücklich  aufmerksam  machte,  enthalten 
ist,  und  was  man  nicht  übersehen  darf. 

In  ihren  äußeren  Formen  ist  die  Biotechnik  des  Plasmas  ein  unerschöpf- 
liches Buch  wunderbarster  Bilder,  angefangen  von  den  technischen  Formen 
der  Waben  und  Piasmafibrillen  bis  zu  den  Erfindungen  und  technischen 
Leistungen  der  Zellenstaaten,  Pflanze,  Tier  und  Mensch  inbegriffen. 

Bekannt  von  ihnen  ist  der  großen  Menge  vorläufig  nur  die  Technik  des 
Menschen;  selbst  die  Gebildeten  und  die  Forscher  haben  gar  keine  Ahnung, 
daß  diese  nur  ein,  sogar  nur  ein  kleiner  Ausschnitt  aus  der  Gesamt- 
technik des  Plasmas  ist,  weshalb  es  maßloses  Erstaunen  und  teilweise  ebenso 
großen  Enthusiasmus  wie  heftigen  Widerstand  erregte,  als  ich  vor  einigen 
Jahren  den  Gedankengängen  der  objektiven  Philosophie  zuerst  dadurch 
Freunde  zu  werben  suchte,  daß  ich  einige  Kapitel  aus  der  außermensch- 
lichen Biotechnik  aufschlug  und  auf  verschiedene  Erfindungen  hinwies,  die 
man  durch  Übernahme  jener  Konstruktionen  und  Vorgänge,  also  Methoden 
in  unsere  Lebenspraxis  realisieren  könnte  (vgl.  Anmerkung  26). 

Es  hat  auf  solche  „biotechnische  Erfindungen"  hin,  die,  wie  man  nun 
einsehen  wird,  nur  der  objektiven  Philosophie  zu  verdanken  sind,  das 
deutsche  Patentamt  z.  B.  das  R.G.M.  Nr.  723  730  (Streuer  für  medizinische 

73 


usw.  Zwecke)  verliehen  und  andere  nachgesuchte  Patente  nur  mit  der  Moti- 
vierung abgeschlagen,  daß  diese  Vorrichtungen  und  Methoden  durch  die 
Technik  bereits  verwirklicht  und  in  Amerika  oder  England  bereits  paten- 
tiert sind.  Da  mir  das  natürlich  unbekannt  war,  erlebte  ich  auch  dadurch 
die  Genugtuung  (und  das  steht  in  der  Geschichte  der  Philosophie  einzig 
da),  daß  eine  Philosophie  bereits  praktische  Auswirkungen  zeigte  und 
Früchte  als  Zeichen  ihrer  Brauchbarkeit  erntete,  bevor  sie  noch  richtig  ins 
Leben  getreten  war.  Es  lag  daher  ganz  im  Geiste  der  neuen  Denkungsart, 
die  von  allem  „Richtigen"  (vgl.  S.  68)  fordert,  daß  es  Dauer  habe  und  er- 
folgreich sei,  daß  unmittelbar  danach  sich  diese  theoretische  Anerkennung 
auch  in  die  handgreiflichste  Praxis  umsetzte  durch  Gründung  von  Fabriken 
und  Produktion  lebenswichtiger  Artikel  im  Sinne  meiner  Forschung  und 
Denkungsart,  die  vorläufig  bereits  Hunderten  von  Menschen  Erwerb  und 
Zehntausenden  Brot  schafften,  da  durch  sie  eine  wesentliche  Mehrproduktion 
an  Getreide  und  sonstigen  landwirtschaftlichen  Produkten  auf  gleicher  An- 
baufläche erreicht  wurde.  Der  auf  S.  67  geforderte  „praktische  Erfolg" 
ist  demnach  eingetreten,  und  der  Beweis  für  die  Berechtigung  der  objektiven 
Philosophie  ist  dadurch  erbracht. 

Das  alles  ist  aber  natürlich  im  Vergleich  zu  dem,  was  sich  aus  der  bio- 
technischen Idee  entwickeln  muß,  erst  ein  ebenso  geringfügiger  Anfang  wie 
etwa  die  putzige  „Puffing  Billy"  des  Stevenson  gegen  das  Eisenbahnnetz 
von  heute. 

Es  wird  der  Menschheit  nichts  anderes  übrig  bleiben,  als  das  große  Bilder- 
buch der  Biotechnik  des  organischen  Seins  ebenso  ausführlich  zu  studieren 
und  nachzuzeichnen,  wie  man  es  mit  all  den  Torsi,  Fragmenten  und  Scherben 
antiker  Vorzeit  längst  gemacht  hat,  und  sollte  das  auch  noch  vielen  Tausen- 
den von  Biologen,  Ingenieuren,  Chemikern  und  Architekten  auf  Generationen 
hinaus  die  schönsten  Jahre  ihrer  Schaffenskraft  kosten;  es  wird  sich  ebenso 
bezahlt  machen,  wie  die  Lehrstühle  für  Biotechnik  an  den  technischen  Hoch- 
schulen, die  L.  Staby  unter  dem  Eindruck  ihrer  Ideen  für  sie  gefordert  hat. 

Die  Forschung  wird  dann,  um  nur  den  Begriff  der  „Funktionsform  der 
Dinge"  zuerst  zu  erörtern,  sich  bei  seiner  ersten  Anwendung  davon  überzeu- 
gen, daß  die  gesamte  Physiologie  und  damit  die  ganze  medizinische  Wis- 
senschaft (die  letzten  Endes  nichts  als  angewandte  Physiologie  ist)  sich  teils 
unbewußt,  teils  verkappt  vom  ersten  Tage  ihres  Bestehens  der  biotechnischen 
Voraussetzungen  bediente  (jeder  Mensch,  der  etwas  praktisch  macht,  ver- 
wirklicht damit  die  Gesetze  der  objektiven  Philosophie),  denn  physiologi- 
sches Denken  Ist  einfach  biotechnisches  Denken.  Der  Lebensprozeß  selbst 
ist  ein  fortgesetztes  Schaffen  von  Formen  für  die  stete  Variation  der  Funk- 
tion, also  eine  Kette  von  Techniken.  Alles,  was  sich  dem  Plasma  bietet,  ja 
bereits  die  Materie  selbst  für  das  Aktive  des  Lebens  {Schopenhauer  würde 
sagen  für  den  Lebenswillen)  ist  „Mittel"  zu  diesem  Zwecke,  daher  in  teleo- 
logische Zusammenhänge  eingespannt. 

74 


Demgemäß  ist  jede  Funktion  im  Organismus  von  der  einjachsten  bis 
zur  kompliziertesten  dem  Gesetz  der  technischen  Formen  unterworjen,  und 
selbst  die  Sinnes-  und  die  Gehirn junktion,  das  Denken  und  sein  Nieder- 
schlag, die  Kulturwerke  sind  nichts  anderes  als  biotechnische  Leistungen, 
für  die  das  einheitliche  Gesetz,  das  alles  Technische  regelt,  ebenso  gut  gilt. 
Die  technischen  Hilfsmittel  dienen  dem  Organismus,  um  seine  bestmögliche 
Vollendung  zu  erreichen,  oder,  um  das  in  einem  trefflichen  Wort  zu  sagen: 
sie  dienen  dem  Optimum.  Daher  ist  Biotechnik  eine  der  großen  Erlösungen 
und  Erfüllungen  des  Lebenssinnes.  So  erklärt  sich  auch  in  der  Menschen- 
brust der  durch  die  ganze  Kulturgeschichte  hindurchgehende  Trieb  nach 
Technik,  wobei  man  ja  das  Wort  nicht  in  dem  engherzigen  Sinn  von  In- 
dustrie allein  verstehen  darf.  Denn  Technik,  die  Anwendung  von  Hilfsmit- 
teln zur  Steigerung  von  Leistungen  liegt  in  jedem  Tun  des  Menschen,  im 
handwerklichen  ebensogut  wie  im  künstlerischen,  sozialen,  denkerischen 
oder  sonst  einem;  weshalb  denn  auch  der  in  der  Sprache  waltende  geheime 
Verstand  mit  gutem  Recht  es  sich  nicht  nehmen  läßt,  von  einer  Technik 
des  Violinspieles,  einer  dramatischen  Technik  oder  Technik  politischer  Or- 
ganisationen zu  reden. 

Dieser  Trieb  nach  Technik  ist  vielmehr  nichts  anderes  als  der  Lebens- 
willen: das  Substrat  der  physiologischen  Forschung  selbst.  Er  ist  berech- 
tigt (innerhalb  der  Grenzen  des  Harmonischen)  und  erst  gestillt  bei  Er- 
reichung des  Optimums.  Technik  ist  also  —  und  das  mögen  sich  nun  die 
unentwegten  und  einseitigen  Verfechter  der  Industrialisierung,  oder  die 
Künstler  jeder  Art,  auch  die  Naturforscher  des  „mikrotechnischen  Schlages" 
merken  —  weder  ein  Endziel  noch  überhaupt  ein  Ziel;  sie  ist  auch  nichts 
Niedriges  oder  außer  acht  zu  Lassendes,  sondern  sie  ist  ein  notwendiges 
„Mittel"  zum  Leben. 

Es  harrt  nun  unser  ein  großer  Genuß.  Es  ist  nämlich  ein  Rundgang 
durch  die  gesamte  lebendige  Organisation  und  physiologische  Funktion 
nötig,  nicht  nur,  um  den  Beweis  zu  liefern,  daß  wirklich  jede  lebendige 
Form  ein  technisches  Werk  darstellt,  sondern  auch  um  durch  ein  solches 
vergleichendes  Studium  die  feineren  Gesetzmäßigkeiten  dieses  biotechnischen 
Prozesses  feststellen  zu  können.  Die  ersten  erkennbaren  technischen  Formen 
sind  zugleich  auch  die  am  besten  erkennbaren  Bestandteile  lebender  Or- 
ganisation. 

Der  allereinfachste  Organismus,  als  den  man  vielleicht  gewisse  Bakterien 
betrachten  kann,  die  man  sich  (wenigstens  O.  Lehmann)  nur  aus  wenigen 
Molekülen  aufgebaut  denkt,  hat  immerhin  schon  Zellenjorm,  nämlich  die 
Form  einer  plastischen,  gestaltveränderlichen  Kugel.  Die  Zelle  selbst  ist 
diesen  Gebilden  gegenüber  schon  um  mehrere  Stufen  der  Organisation 
überlegen.  Es  kann  heute  kein  Zweifel  sein,  daß  es  Bakterien  gibt,  die 
mit  unseren  Hilfsmitteln  nicht  mehr  sichtbar  sind;  denn  man  kennt  z.  B. 
an  dem  Virus  der  Hundswut  oder  der  ansteckenden  Mosaikkrankheit  des 

75 


Tabaks  ihre  Wirkungen.  Da  nun  die  kleinsten  der  sichtbaren  Ultramikronen 
auch  schon  nur  mehr  1000—1250  Eiweißmoleküle  in  sich  schließen,  müs- 
sen diese  ultrazoetischen  Lebewesen  noch  einfacheren  Bau  besitzen.  Es 
ist  aber  nach  allen  Analogien  trotzdem  anzunehmen,  daß  sie  wenigstens 
im  Ruhezustand  kugelförmig  sind,  denn  wie  uns  //,  Driesch  in  einer  seiner 
prächtigen,  begriffsreinlichen  Ableitungen  überzeugt  hat,  ist  nur  die  Kugel- 
form jene,  welche  dem  Dauerzustand  eines  harmonisch-äquipotentiellen 
Systems,  das  jeder  lebende  Organismus  ist,  entspricht. 

Das  Verhältnis  der  Zellen  zu  den  Zelleinschlüssen,  die  in  keiner  fehlen, 
ist  das  von  Organismus  zum  Organ.  In  diesem  Verhältnis  ist  der  Funktions- 
begriff nur  ins  Biologische  übersetzt.  Organ  ist  nur  die  Bezeichnung  für 
Teile,  die  zu  dem  Ganzen  in  gesetzmäßiger  Abhängigkeit  stehen,  weshalb 
man  den  gleichen  Begriff  auch  ins  geistige  Leben  übertragen  hat  und  z.  B. 
von  Organen  der  Polizei  spricht  oder  den  Versuch,  eine  Vielheit  in  gesetz- 
mäßig zusammenarbeitende  Teile  zu  gliedern,  eine  Organisation  nennt.  Der 
Organismus  bedient  sich  also  seiner  Organe  als  Mittel,  um  seine  Leistungen 
auszuführen,  und  sie  üben  seine  Funktionen  aus.  Es  ist  in  dieser  Formu- 
lierung durchsichtiger  als  sonst,  daß  das  Leben  des  Organismus  im  ganzen 
nichts  als  eine  Biotechnik  sei  und  das  Biotechnische  nichts  als  die  Analyse 
des  Funktionsgesetzes  im  Bereich  des  Erlebens.  Organe  der  Zelle  in  diesem 
Sinn  sind  Zellplasma  und  Zellhaut  mit  ihren  Mutterorganen  und  Ausschei- 
dungen. Im  Plasma,  namentlich  der  Pflanzen,  sind  teils  Saftvakuolen  aus- 
geschieden, teils  sind  pulsierende  Vakuolen  (in  fast  allen  Einzellern  vgl. 
Abb.  19)  vorhanden.  Das  für  die  Erhaltung  und  die  Regelung  der  Funk- 
tionen unentbehrliche  Organ,  das  auch  die  Fortpflanzung  und  Vererbung 
regelt,  ist  der  Zellkern  (Abb.  18),  der  heute  überall,  auch  in  den  Bakterien 
und  Spaltalgen  (Schizophyceen)  nachgewiesen  ist.  Daneben  sind  sowohl 
in  den  pflanzlichen  wie  den  tierischen  Zellen  lebendige  Einschlüsse  von 
solcher  Selbständigkeit  da,  daß  eine  immer  mehr  vordrängende  Ansicht  in 
diesen  Chromatophoren  wenigstens  bei  den  Pflanzen  Organismen  sieht,  die 
sich  mit  den  Zellen  zu  einem  symbiotischen  Zusammenleben  vereinigt 
haben.  Tatsächlich  haben  die  Chlorophyllkörner  und  noch  deutlicher  die 
Farbstoffträger  in  den  Algenzellen  eine,  Eigenzwecken  dienende  Bewegung 
und  selbständige  Vermehrung.  Die  tierischen  Chromatophoren,  deren  Mas- 
senversammlung jedermann  als  Färbung  der  Iris  im  menschlichen  und 
tierischen  Auge  nur  zu  gut  kennt,  dienen  zwar  nicht  der  Verarbeitung  der 
Luftgase  zur  Ernährung  wie  bei  den  Pflanzen,  deren  ganzer  von  der  nai- 
veren Naturkenntnis  früherer  Zeit  so  übertriebener  Unterschied  zum  tie- 
rischen Organismus  auf  den  Konsequenzen  dieser  Ernährungsart  beruht, 
besitzen  aber  ebenfalls  ihr  Eigenleben,  das  sich  in  autonomen  Bewegungen 
ausspricht. 

Die  von  der  objektiven  Philosophie  geforderte  einheitliche  Betrachtungs- 
weise der  Tiere  und  Pflanzen  hat  in  neuester  Zeit  insofern  einen  großen 

76 


Sieg  errungen,  als  die  letzten  Werkens)  auf  dem  Gebiet  der  Zellenkunde 
sich  tatsächlich  einer  solchen  bedienen.  Man  wird,  wenn  man  diesen  Weg 
einschlägt,  sofort  belohnt  durch  die  Einsicht,  daß  sogar  die  Elemente  des 
Plasmas  weder  etwas  mit  der  Trennung  in  pflanzliche  und  tierische  Organi- 
sation, noch  mit  den  genannten  Organen  der  Zelle  zu  tun  haben. 

Zu  diesen  gehört  wohl  eine  ganze  Anzahl  von  Nebenorganen  und  Akzi- 
denzen, deren  wahre  Natur  früher  verkannt,  jetzt  von  A.  Aleyer^^)  ganz 
richtig  aufgefaßt  wird,  wenn  er  die  letzteren  als  ,,ergastische  Einschlüsse" 
bezeichnet,  d.  h.  Formelemente,  die  nur  Produkte  der  wahren  Organe  sind, 
wie  z.  B.  die  in  vielen  tierischen  und  pflanzlichen  Zellen  vorkommenden 
Fettropfen,  Mikrosomen  (Abb.  18),  Dotterkörner  der  Eizellen,  Kristallnadeln 
(vgl.  Bd.  I  Abb.  53),  Eiweißkristalle,  Stärkekörner  oder  die  Zellsaftein- 
schlüsse. Nebenorgane  dagegen  sind  die  mit  den  grünen  Farbstoffträgern 
in  Verbindung  stehenden  Stärkekerne  (Pyrenolde)  oder  die  Flimmerhaare 
(Bd.  I  Abb.  77)  und  Geißeln  vieler  vegetabiler  und  tierischer  Zellen  (Ab- 
bild. 20),  von  denen  sich  immer  deutlicher  herausstellt,  daß  sie  durch  Fäden 
mit  dem  Zellkern  verbunden,  sein  Abkömmling  sind,  der  auch  von  ihm  aus 
gelenkt  wird.  Nicht  zu  den  Organen  gehören  dagegen  die  vielerlei  (vgl. 
Abb.  18)  Formelemente  in  Gestalt  kleinster  Bläschen,  Körnchen  oder  Fi- 
brillen, die  sich  in  allen  Zellen  finden  und  von  der  Forschung  im  Laufe 
der  Zeiten  mit  vielfachen  Namen  wie  Waben,  Granula,  Splrosparte,  Chro- 
mosomen, Centrosomen,  Chondriosomen,  Mitochondrien  belegt  wurden.'") 
Offenbar  sind  diese  Bestandteile,  um  deren  Erkenntnis  die  biologische 
Forschung  seit  einem  Menschenalter  ringt,  keine  Organe  der  Zellen,  son- 
dern untereinander  in  gesetzmäßigem  Zusammenhang  und  zur  Zelle  nur  in 
einem  Integrationsverhältnis. 

Man  hat  bisher  an  diese  sehr  einfache  Lösung  der  Frage  nur  vereinzelt 
und  zaghaft  gedacht,  weil  man  eben  den  so  fruchtbaren  Integrations-  und 
Funktionsgedanken  auch  in  der  Biologie,  wo  er  an  sich  so  nahe  liegt,  noch 
nicht  konsequent  anzuwenden  wagte. 

Eigentlich  ist  es  nur  E.  Altmann  und  seine  Schule,  welche  den  Gedan- 
ken ausgesprochen  hat,  der  wahre  Elementarorganismus  sei  nicht  die  Zelle, 
sondern  ein  Gebilde,  das  er  Granulum  nennt,  und  aus  dem  sich  die  Zellen 
als  komplizierte  Organismen  nach  den  gleichen  Gesetzen  aufbauen,  wie  die 
dem  Alltag  bekannten  Organismen  aus  Zellen.    (Abb.  18.) 

Man  wird  angesichts  der  heutigen  Erkenntnisse  an  dieser  Ansicht  nicht 
mehr  vorüber  gehen  können;  denn  namentlich,  wenn  man  das  Gesetz  der 
Funktionen  auch  in  der  Welt  dieser  Elementarorganisation  anwendet,  wird 
man  finden,  daß  sich  dann  die  ganzen  vordem  so  unverständlich  scheinen- 
den Widersprüche  der  Forschung  auf  das  schönste  auflösen  lassen. 

Bisher  standen  sich  hart  und  unvermittelt  zwei  Ansichten  gegenüber.  Da 
war  die  eine,  welche  neuestens  auch  A.  Meyer  vertritt,  das  Plasma  sei  eine 
„optisch  homogene  Lösung",  oder,  um  in  der  Sprache  Bütschlis  zu  reden. 

77 


ein  kolloidaler  Schaum,  habe  also  nur  eine  Schein-,  nicht  aber  eine  wahr- 
hafte Struktur.  Für  die  andere  zeugte  der  Augenschein,  daß  die  Spermato- 
zoiden  vieler  Tiere  und  Pflanzen,  die  des  Menschen  inbegriffen,  einen  oft 
höchst  komplizierten  spiraligen  Bau  besitzen.  So  viele  Forscher  haben  das 
gesehen,  daß  keiner  mehr  daran  zweifelt.  Auf  der  Abbildung  20  habe  ich 
das  zeichnen  lassen,  um  den  Nichtanatomen  einen  überzeugenden  Eindruck 
davon  zu  verschaf- 
fen. Auf  der  dritten 
Seite  wurde  ebenso 
unzweifelhaft,  z.  B. 
in  den  Drüsenzellen 
eine    körnige,    also 

wirklich  granuläre 
Struktur  nachgewie- 
sen, wie  in  allen  Ar- 
ten von  Zellen  fädi- 
ge   Ausscheidungen 

(Chondnosomen. 
Bd.  I  Abb.  80)  und 
in  sämtlichen  sich 
fortpflanzenden  Zel- 
len fibrilläre  Diffe- 
renzierungen wieder 

spiraliger  Natur 
(vgl.  Bd.  II  Abb.  20). 
Was  man  Karyoki- 
nese  nennt,  und  was 
heute  jedem  Lehr- 
ling in  der  Biologie 
geläufig  ist,  das  ar- 
beitet in  der  Zelle 
nur  mit  Fäden  und 
Fibrillen.  Die  wider- 
spruchsvollen Be- 
funde versöhnen  sich 
in  dem  Augenblick, 
in  dem  man  die  Gültigkeit  des  Funktionsgesetzes  im  Zellenleben  anerkennt. 
Chondnosomen,  Chromosomen  und  SpiralfibrUlen  sind  biotechnische 
Formen  der  Elementar  Organismen;  sie  sind  funktionelle  Formen,  die  ver- 
raten, daß  diese  Elemente  nicht  Ruhezustände  darstellen,  sondern  Leitungs- 
und Zugleistungen  voll] Uhren.  Auf  einfacherer  Integrationsstufe  sind  sie  das, 
was  die  Zelle  als  Ganzes  darstellt,  wenn  sie  zur  Muskelßbrille  (vgl.  Bd.  I 
Abb.  12)   oder  zur  Nervenfaser  wird.    Auf  noch  höherer   Integrationsstufe 


20.    Samenfäden    der    Tiere 
Pflanzen    (U- 


-8,    10),    des    Menschen    (9)    und    der 
stark  vergrößert. 


78 


gehorcht  das  Organ  dem  gleichen  Gestaltungsgesetz,  in  der  fibrillären  Ge- 
stalt der  Muskeln  und  Sehnenfasern  (Bd.  I  Abb.  13)  noch  um  eine  Stufe 
höher  als  Organismus,  wenn  er  zur  Liane  wird  oder  Wurmgestalt  annimmt. 
Chromosom,  Muskelzelle,  Muskel,  Fadenwurm  wiederholen  nur  auf  vier 
Stufen  das  gleiche  Funktionsgesetz. 

Und  genau  das  Gleiche  gilt  für  das  kugelige  Ei,  den  mehr  oder  minder 
rundlichen  Magen,  die  parenchymatische  Pflanzenzelle  (vgl.  Abb.  26)  oder 
die  kugelige  Nervenzelle  (Abb.  33)  die  „Wabe"  oder  das  Granulum  in 
einer  Drüsenzelle.  Gleiche  Funktion  verraten  sie  alle  durch  ihre  Gestalt, 
nämlich  die,  ein  an  sich  ruhender  Behälter  für  Inhaltsstoffe  zu  sein. 

Mit  anderen  Worten:  die  Plasmaelemente  besitzen  einen  metabolischen 
Bau;  nach  biotechnischen  Gesetzen  geht  je  nach  der  wechselnden  Leistung 
eine  Funktionsjorm  in  die  andere  über. 

Gewiß  ist  die  Regel  des  kolloidalen  Baues  auch  für  die  plasmatischen 
Eiweiße  gültig.  Die  ruhenden  Eizellen  sind  eine  Architektur  von,  wie  man 
sie  nennen  könnte,  Ar cliip Lasten,  die  ruhen,  daher  kugelig,  beziehungs- 
weise durch  die  enge  Speicherung  polygonal  zusammengedrückt  sind.  Jene 
Archiplasten  aber,  die  Zugleistungen  zu  vollführen  haben,  wie  gelegent- 
lich der  Kernteilung,  nehmen  dazu  unter  dem  Einfluß  der  Funktion  die 
passende  Form  an;  andere,  denen  Bewegungen  zugemutet  werden,  gestal- 
ten sich  dadurch  zu  Spiralfäden.  Wenn  man  sich  das  durch  einfachste 
Beispiele  überzeugend  beweisen  will,  denke  man  nur  an  Form  und  Funk- 
tion der  Samenfäden  (Abb.  20),  die  sowohl  dem  Schwimmen  wie  dem 
Einbohren  (ein  solches  Einbohren  in  die  menschliche  Eizelle  auf  Abb.  95 
Bandl)  in  unübertrefflicher  Weise  angepaßt  sind.  Unter  den  Samenfäden 
gibt  es  Bohrerformen  einer  Art,  die  in  der  menschlichen  Technik  noch 
ganz  unbekannt  sind.  Ich  gebe  gewissermaßen  jedem  Freund  der  objek- 
tiven Philosophie  die  Möglichkeit,  Erwerb  und  neue  Industrien  durch  die 
Fabrikation  solcher  Bohrer  zu  begründen,  welche  Vorzüge  gegenüber  den 
gebräuchlichen  Modellen  haben,  und  wünsche  mir  nur,  daß  solche  Er- 
finder etwas  von  ihrem  Nutzen  zum  Wohle  der  Menschheit  im  Dienste 
dieser  Ideen  verwenden  mögen.  Was  aber  der  Samenfaden  (Abb.  20) 
als  „Funktionsform  einer  ganzen  Zelle",  das  sind  die  Chromosomen  auf 
der  Integrationsstufe  der  Archiplasten  gelegentlich  der  Befruchtung.  Wer 
pflanzenanatomisch  gebildet  ist,  weiß  zur  Genüge,  daß  sie  bei  dem 
Eindringen  in  den  Embryosack  funktionsgemäße  Schraubenzieherform 
annehmen.3i) 

Hier  ist  ein  Neuland  der  Forschung  voll  lockender  Ziele;  ist  doch  noch 
nicht  einmal  die  physiologische  Anatomie  der  Zelle  restlos  geklärt.  Wohl 
sind  rein  äußerlich  (und  ohne  Kenntnis  ihrer  technischen  Struktur  auch  un- 
vollkommen und  falsch)  die  Formen  plasmatischer  Organe  aufgezeichnet, 
und  in  großen  Tafelwerken  unterscheidet  man  außer  den  6000  Radiolaricn 
an    6000   spezifische    Formen    von   einzelligen   Protozoen,   an    6000   Dlato- 

79 


maceen  und  4000  Desmidiaceeii  unter  den  einzelligen  Grünalgen  allein, 
von  denen  jede  eine  technische  Lösung  ihrer  jeweiligen  Bedürfnissituation 
ist.  Jede  Lebensform  hat  eine  andere  solche  Aufgabe  zu  lösen  in  bezug 
auf  Kriechen,  Schwimmen,  Schweben,  Schutz,  Einstellung  zum  Licht,  Nah- 
rungserwerb und  Fortpflanzungssicherung,  und  jede  löst  sie  auch  auf 
andere  Weise.  Sonst  wäre  es  ja  nicht  möglich,  ihre  Differentialdiagnose 
festzustellen.  Die  Unterscheidung  der  Arten  nimmt  bekanntlich  gar  keine 
phylogenetischen  Merkmale  auf  (deren  Berücksichtigung  entscheidet  über 
die  Gattungen,  noch  mehr  in  zunehmender  Wichtigkeit  über  Familie,  Ord- 
nung, Klasse  und  Phylum),  sondern  benutzt  ausschließlich  die  Anpassungs- 
merkmale. Das  aber  sind  die  biotechnisch  erzeugten,  und  deshalb  ist  das 
Studium  der  Anpassungen  zugleich  das  der  biologischen  Techniken. 

Da  liegt  denn  schon  durch  die  Betrachtung  der  zellulären  Funktionen 
im  Einzellerleben  von  unserem  neuen  Gesichtspunkt  aus  ein  geradezu  un- 
übersehbares Reich  aufgeschlossen  vor  dem  Menschengeist.  Wenn  nun 
die  Geißelbewegungen  der  Flagellaten,  die  Balanziereinrichtungen  und 
Stützvorrichtungen  der  Radiolarien  (vgl.  Bd.  I  Abb.  37—38),  die  Schutz- 
bauten der  edaphischen  Wurzelfüßler  (Abb.  23)  und  Dinoflagellaten  (Ab- 
bildung 28),  die  Festigungseinrichtungen  der  Bacillariaceenpanzer  (Bd.  I 
Abb.  65),  welche  Widerstandsfähigkeit  gegen  enormen  Druck  mit  größter 
Leichtigkeit  und  Materialersparnis  vereinigen  müssen,  und  ähnliche  derartige 
Anpassungen  von  technisch  geschulten  Köpfen  studiert  würden,  die  diese 
Leistungen  sinngemäß  auf  menschliche  Kulturbedürfnisse  umrechnen,  so 
würde  allein  schon  das  Lexikon  technischer  Leistungen  um  viele  tausend 
neue  Stichworte  vermehrt. 

Das  Studium  der  Verspannungen  im  Kieselalgenpanzer,  dem  ich  mich 
einige  Zeit  hingegeben  habe,  hat  z.  B.  in  kürzester  Zeit  Vorschläge  zur 
Eisenzimmerung  für  Streckenausbau  in  Bergwerken  ergeben,  die  den  Tech- 
nikern, denen  ich  sie  vorlegte,  neu  waren.  Es  waren  darunter  sowohl 
Modelle  zur  Abhaltung  des  Firstendruckes,  wie  für  Seiten-  und  Sohlen- 
druck, und  es  zeigte  sich  sofort,  wie  in  den  gebräuchlichen  Streckenbogen 
der  Mensch  das  gleiche  technische  Prinzip  anwendet,  aber  auch  in  welcher 
Weise  diese  Anwendungen  ihrem  Optimum  nähergeführt  werden  könnten. 
Durch  das  gleiche  Studium  wurden  technisch  realisierbare  Erfindungsideen 
zur  Herstellung  von  unzerbrechlichen  Schachteln  und  Kisten  zutage  geför- 
dert, welche  Leichtigkeit  (daher  Billigkeit)  mit  enormer  Widerstandsfähig- 
keit gegen  Außendruck  vereinigen;  desgleichen  Vorlagen  für  bomben-  und 
drucksichere  Gewölbe,  im  besonderen  für  Schiffsrümpfe,  die  wie  die  Wal- 
fischfänger oder  Eisbrecher  kolossalem  Eisdruck  ausgesetzt  sind.'^) 

Es  kann  natürlich  nicht  der  Zweck  dieses  Abschnittes  sein,  hier  einen 
auch  nur  annähernd  vollständigen  Abriß  der  Biotechnik  zu  entwerfen;  für 
die  botanische  Seite  der  Frage  habe  ich  das  bereits  versucht  in  meinem 
Werk   über   die   technischen    Leistungen   der    Pflanzen,    das    die    Serie    der 

80 


Abb.   21.    Der  Copris-Mistkäfer  auf  der  um  sein   l,i   Ikiui 
angefertigten   Nahrungspille.    ZeichiuMig  von   E.  Schoch 


Abb.    22.    Lianen   von  (Heinatis   im   heitiiisciun    Auw.ikl. 
Motiv  aus  dem  Isartal  bei  .Vliinchen.   Origiiialaufiiahme 


% 


• 


^1 


Abb.  23.  Tierische  Edaphonorganismen  des  Waldbodens 
1  Nebela  carinata  Leidy,  2  Nebela,  3  Hyalosphenia  papilio,  4  Pontigulasia 
bigibbosa  Pen.,  5  Gro'mia  sp.,  6  Cyphoderia  ampulla  Ehrb.  Mäßig  ver- 
größerte Originalaufnahmen  des  Biologischen  Instituts  München 
Zu  diesen  beschälten  Wurzelfüßlern  gesellen  sich  nackte  und  halbstarre 
Amoeben,  Bodenbakterien  (besonders  die  Gattungen  Azotobaeter,  Clostri- 
dium, Nitrosomonas)  ferner  Kieselälgen  (im  besonderen  Hantzschia,  Navi- 
cula,  Fragilaria,  Nitzschia  und  Primularia,  sowie  Ennotia),  Spaltalgen  (be- 
sonders Oscillatorien,  Isocystis,  StichocoUus  und  Nostoc),  Grünalgen  (Meso- 
taenium,  Enastrum),  zahlreiche  Bodenpilze  (Leitformen  Cadosporium,  Mu- 
cor,  Aspergillus)  dazu  Rädertiere  (besonders  Rotifer,  Philodina,  Callidina), 
Fadenwürmer  (Dorylaimus,  Tripyla),  Regenwürmer  und  zahlreiche  sonstige 
Kleintiere,  welche  zusammen  die  Lebensgemeinschaft  des  Edaphons  (bisher 
an  330  Arten  bekannt)  bilden,  welche  die  Grundlage  aller  Bodenfruchtbar- 
keit und  Düngerwirkung  ist. 


„Grundlagen  einer  objektiven  Philosophie"  einleitete,  um  die  Aufmerksam- 
keit zuerst  auf  den  unmittelbaren  und  greifbaren  Nutzen  dieser  Dcnkungs- 
art  zu  lenken.  Eine  zoologische  und  cytologische  Biotechnik,  die  ich  zu- 
erst in  Aussicht  genommen,  mußte  ich  vorläufig  wieder  fallen  lassen,  da 
der  Stoff  in  solchem  Übermaße  zudrängte,  daß  die  Harmonie  des  Gesamt- 
werkes, das  mir  vorschwebt,  darunter  gelitten  hätte.  Andere,  mit  zureichen- 
derer technischer  Vorbildung  werden  das  ausführen.  Die  einmal  in  ihrem 
praktischen  Nutzen  gezeigte  Idee  wird  nicht  ruhen,  und  das  Jahrhundert 
nach  uns  wird  ganze  biotechnische  Bibliotheken  besitzen  und  seine  Produk- 
tion längst  im  neuen  Geiste  umgestaltet  haben.  Daß  man  das  Jahr  1917, 
in  dem  diese  Wende  des  Denkens  einsetzte,  dann  auch  als  den  Beginn  einer 
neuen  Epoche  des  Kulturlebens  im  Gedächtnis  behalten  wird,  daran  habe 
ich  nicht  den  geringsten  Zweifel,  so  unvollkommen  auch  heute  noch  die 
Gedanken  sind,  welche  diese  Aera  eröffnen.  Wohl  aber  kann  ich  hier  an 
ausgewählten  Beispie- 
len einen  Begriff  da- 
von schaffen,  wie  aus- 
gedehnt das  Neuland 
des  Wissens  ist,  das 
sich  nun  eröffnet.  Ein 
noch  unübersehbares 
Kapitel  darin  sind  un- 
ter den  Funktionsfor- 
men der  Einzeller  die 
Geißeln  der  Flagel- 
laten  und  die  Einrich- 
tungen, welche  den  im 
Wasser  lebenden  Klein- 
wesen das  Schwimmen 
und  Schweben  ge- 
statten. 

Die  Abbildungen  24 
und  28  stellen  einige 
hervorragende  tech- 
nische Versuche  des 
Plasmas  dar,  dieses 
Problem  optimal  zu  lö- 
sen. Alle  die  abgebil- 
deten Zellen,  Bewohner 
sowohl  des  Süßwas- 
sers wie  des  Meeres 
und  spezifisch  schwe- 
rer   als    das    Wasser, 

Franei,  Bios  U 


Abb.  24.  Eine  Schwebeform  des  Meeres  (Ornithocercus).  Sehr  sUrlc 
vergrößert.  Durch  die  technischen  Einrichtungen  des  Vorderendes  und 
den  Kiel  wird  die  bestimmte  gezeichnete  Stellung  der  Pflanze  fest- 
gehalten, in  der  das  Gebilde  in  einem  kleinen  \X'.isscrwirbcl  lang- 
sam sinkt  und  wieder  emporsteigt,  wodurch  es  dauernd  schwebt. 
Original  des  Verfassers. 


81 


sind  darauf  angewiesen,  an  der  Oberfläche  zu  leben,  da  sie  zur  Kohlenstoff- 
assimilation des  Lichtes  bedürfen.  Sie  dürfen  aber  zu  diesem  Zweck  nicht 
den  Wasserspiegel  selbst  aufsuchen,  da  sie  dort  einer  Zerreibung  durch  die 
Wellen  ausgesetzt  wären.  Das  zu  lösende  technische  Problem  war  dem- 
nach für  sie:  wie  erhält  man  sich  dauernd  in  der  Region  zwischen  einem 
halben  und  zwei  bis  drei  Metern  unter  der  Oberfläche  schwebend?  Die 
Formen  dieser  Zellen  verraten,  durch  welche  Konstruktion  diese  Aufgabe 
lösbar  ist.  Daß  sie  auf  diese  Weise  gelöst  wurde,  ist  nicht  zu  bezweifeln, 
denn  die  in  Frage  kommenden  Dlnoflagellaten  wären  sonst  längst  ausge- 
storben, wenn  sie  je  in  die  lichtlose  Tiefe  sinken  würden.  Man  findet  sie 
stets  auf-  und  niederschwebend  in  den  lichtschimmernden  Regionen  der 
Seen  und  des  Meeres.  Wenn  man  nun  ihre  merkwürdige  Einrichtung  näher 
studiert,  wird  man  finden,  daß  sie  eine  eigentümliche  Zwischenkonstruktion 
ist,  die  teils  an  Fallschirme,  teils  an  die  Leitapparate  von  Turbinen  erinnert, 
jedenfalls  in  der  menschlichen  Technik  nicht  ihresgleichen  hat  und  dem 
Maschineningenieur  ein  Studienobjekt  von  hervorragendem  Interesse  bietet, 
um  so  mehr,  wenn  man  bedenkt,  daß  es  an  600  spezifisch  verschiedene! 
solcher  Konstruktionen  gibt. 

Die  Ceratiumformen  der  Abbildung  28  überraschen  durch  eine  andere  An- 
passung merkwürdigster  Art.  Wenn  man  sie  mit  der  Ritterrüstung  auf  der 
Abbildung  29  vergleicht,  so  kann  man  nicht  verkennen,  daß  eine  prinzipielle 
Übereinstimmung  besteht  zwischen  der  Plattenrüstung  einer  solchen  Zelle 
und  den  Harnischen  der  Ritter  des  XV.  Jahrhunderts.  Im  besonderen  ist  die 
bewegliche  Verbindung  der  Armkacheln  mit  den  Armschienen  eine  Konstruk- 
tionsidee, die  in  Natur  und  Kultur  sich  aus  der  gleichen  mechanischen  Not- 
wendigkeit der  beweglichen  Verbindung  bewährte.  Ganz  besonders  bemer- 
kenswert ist  auch  die  Riefung  der  CeraäumpUtten,  wenn  man  sich  an  die 
alte  Erfahrung  der  Plattnerkunst  erinnert,  wonach  geriffelte  Rüstungen  (der 
sogenannte  Maximiliansharnisch)  besondere  Widerstandsfähigkeit  hatten. 
Beides,  sowohl  der  geschiente  Harnisch  wie  die  Riffelung  sind  übrigens 
technische  Leistungen,  die  als  Konvergenzerscheinung  im  Bau  der  Käfer 
wiederkehren,  als  ein  Zeichen  dessen,  daß  es  sich  bei  aller  Biotechnik  nicht 
um  spezifische  Leistungen  der  Organismen,  sondern  um  die  Kundgebung 
eines  alles  Sein  durchprägenden  Weltgesetzes  handelt. 

Sind  nun  aber  die  freilebenden  Zellen  auf  ihre  funktionellen  Anpassun- 
gen nicht  immer  leicht  einzuschätzen,  so  ist  das  noch  weit  mehr  erschwert 
bei  den  im  Zellenverband  sich  spezialisierenden  Oewebezellen,  obwohl  ge- 
rade sie  das  von  der  entwicklungsmechanischen  Schule  für  klassisch  er- 
klärte Beispiel  funktioneller  Anpassung  sind.  Schon  die  Gesellschaftsbil- 
dung  selbst  ist  eine  solche,  die  sich  vom  Archiplasten  an  durch  alle  Inte- 
grationsstufen bis  zum  Kosmos  verfolgen  läßt,  und  in  deren  Rahmen  die 
menschlichen  Gesellschaften  und  Staaten  ihre  Besonderheit  verlieren,  da- 
gegen das  Naturgesetzliche  besonders  scharf  hervortritt. 

82 


Aach  der  Staat,  sowie  jede  Organisation,  handle  es  sich  nun  um  eine 
wissenschaftliche  Gesellschaft  oder  eine  politische  Partei,  ein  Weißwaren- 
geschäft oder  eine  große  Bank,  sind  biotechnische  Produkte  und  werden 
nur  dann  von  voller  Wirksamkeit,  krisenjrei,  daher  von  Dauer  sein,  wenn 
sie  das  im  Organismus  deutlich  und  vorbildlich  erkennbare  Weltgesetz  der 
Organisation  befolgen,  was  allein  schon  genügen  dürfte,  um  Politiker  und 
Staatsmänner  wie  gewiegte  Kaufleute  zum  genauen  Studium  der  objektiven 
Philosophie  zu  veranlassen.  Sie  können  wahrlich  ihr  genug  ausschlag- 
gebende Anregungen  entnehmen.ss) 

In  diesem  Rahmen  gliedern  sich  die  Teile  des  Organismus  in  Organ- 
systemen, Organen,  Gewebesystemen  und  Geweben  nach  dem  Gesetz  der 
Integration,  die  dadurch  gleichfalls  als  Funktionsform  des  Weltphänomens 
durchschaut  ist. 

Dieser  Gedanke  rührt  unmittelbar  an  das  Herz  der  Physiologie,  indem 
er  zwingt,  sich  auf  allen  Stufen  der  Organisation  die  Ursache  der  Form- 
bildung klar  zu  machen.  Das  aber  ist  das  physiologische  Problem  kat 
exochen.  Formbildung  ist  immer  nur  ein  Ausdruck  des  Geschehens,  sei 
es  nun  in  der  lebenden  oder  in  der  sogenannten  toten  Substanz,  untrennbar 
von  Energieumsetzungen  und  Stoffwechsel.  Auch  die  scheinbar  feste  orga- 
nische Form,  also  das  Bild,  das  unser  Erleben  von  einer  Leber,  einer  Hand, 
einem  Insekt  empfängt,  ist  nur  der  jeweilige  Ausdruck  eines  Komplexes 
von  Vorgängen,  ganz  ähnlich  wie  das  Bild  einer  Flamme  oder  eines  Spring- 
brunnens, die  es  als  „Individuum"  in  Wirklichkeit  gar  nicht  gibt.  Wirklich- 
keit ist  nur  die  Bewegung  stets  wechselnder  Wasserteilchen,  die  leuchtende 
Oxydation  auftauchender  und  verschwindender  Materiepartikel,  wirklich  ist 
nur  die  Funktion  von  Zellen  als  Stoffaustausch,  Formänderung  durch  Kon- 
traktion, Wachstum  und  Teilung,  Farbenwechsel  durch  Änderung  ihres 
physikalischen  Zustandes,  weshalb  jeder  Wechsel  der  Funktion  einen 
Wechsel  der  Form,  das  Wort  im  weitesten  Sinn  genommen,  nach  sich  zieht. 
Es  ist  ein  und  dieselbe  Tatsache,  welche  dreimal  verschieden  bezeichnet 
wird,  wenn  man  sie  als  biotechnisches  Geschehen,  funktionelle  Anpassung 
oder  physiologische  Funktion  benennt,  je  nach  den  Gesichtspunkten,  nach 
denen  man  sie  betrachtet. 

Alles  physiologische  Geschehen  produziert  Biotechniken.  Die  Atmung 
ist  eine  solche,  ebensogut  wie  die  Bewegung;  der  Stoffwechsel  durch  Er- 
nährung ist  eine  solche,  die  Ausscheidung  und  die  Zirkulation  (Sekretion) 
haben  ihre  technischen  JUethoden,  ebenso  die  Sinnestätigkeit,  das  Denken 
ebensogut  wie  die  Fortpflanzung,  das  Wachstum  und  die  Speicherung  von 
Reserven,  die  Ausheilung  erlittener  Schäden,  die  Regeneration  und  was  der 
physiologischen  Funktionen  sonst  noch  mehr  sind.  Sie  alle  macht  der 
iV\ensch  nach,  zum  größeren  Teil  unbewußt,  teilweise  mit  vollem  Bewußt- 
sein in  seinem  Dasein,  auf  höherer  Integrationsstufe  und  mit  teilweise 
anderen    Mitteln.     Aber    auch    diese    Integrierung   ist   nichts    Neues,    denn 

f 
83 


schon  innerhalb  des  Organismus  wiederholt  sie  sich.  Die  Biotechnik  der 
Gewebe  wiederholt  sich  im  großen  und  ganzen  in  den  Organen,  dann  im 
ganzen  Organismus.  Die  schon  erwähnten  Knochenlamellen  der  Spon- 
giosa  (Abb.  16),  die  ein  Trajektoriensystem  bilden,  arbeiten  dabei  nach 
einem  mechanischen  Gesetz,  dem  auch  der  einzelne  Knochen  im  Verhält- 
nis zum  Organsystem,  in  das  er  eingebaut  ist,  folgt.  Auch  die  ganzen 
Knochen  sind,  wovon  ein  Blick  auf  das  Skelett  des  Menschen  (vgl.  dessen 
Bild)  überzeugt,  wieder  nur  die  Druck-  und  Zuglinien  im  sich  bewegenden 
Bein  oder  Arm,  die  nach  dem  Ökonomiegesetz  stabil  ausgefüllt  sind  und 
sich  nach  den  mechanischen  Gesetzen  größter  Haltbarkeit  zusammenschlie- 
ßen. Will  der  Mensch  seinen  ganzen  Körper  in  ein  über  ihn  hinausgehen- 
des System  einbauen,  so  wird  er  das  optimal  wieder  nur  durch  Verwirk- 
lichung derselben  Prinzipien  machen  können,  auch  wenn  er  dazu  andere 
Mittel,  also  etwa  Holz,  Stein  oder  Eisen  verwendet.  Wendet  er  nicht  die 
richtigen  Prinzipien  an,  dann  trägt  ihn  eben  das  Bauwerk  nicht.  Wünscht 
er  also  sein  Bein  zu  verlängern  oder  seinen  Standpunkt  zu  erhöhen,  so 
kann  er  das  zweckmäßig  nur,  indem  er  sich  künstliche  Röhrenknochen,  d.  h. 
Stelzen  anschafft  oder  sich  auf  Gerüste  stellt,  die  bei  größter  Material- 
ersparnis dann  am  haltbarsten  sind,  wenn  sie  in  den  Verspannungen  ihrer 
Balken-  oder  Eisenteile  wieder  das  Funktionsgesetz  seiner  feinsten  Knochen- 
trajektorien  wiederholen. 

Es  gibt  eben  nur  eine  Art,  um  etwas  vollkommen  zu  gestalten,  und  die 
ist  auf  jeder  Integrationsstufe  dieselbe;  sie  geht  durchgängig  durch  das 
ganze  System  von  Zusammenhängen,  das  der  Mensch  Welt  nennt.  Darum 
imitiert  die  Menschentechnik  bereits  unbewußt  die  organische  Technik. 
Beide  vollziehen  einfach  das  Funktionsgesetz,  weil  alles  nur  nach  diesem 
Gesetz  funktionieren  kann. 

Wenn  eine  Zugleistung  stattfinden  soll,  dann  ist  die  entsprechende  Form 
eine  feste  Verbindung  zwischen  einem  stabilen  und  dem  heranzuziehenden 
Punkt.  Sie  hat  Seilform,  mag  sie  nun  ausgebildet  sein  einmal  als  Myo- 
fibrille im  Muskelprisma,  oder  als  Muskelfaser,  als  ganzer  Muskel,  als 
Muskelgruppe  des  Armes,  als  Arm,  als  Liane  (Abb.  22),  als  ganzer  Mensch, 
der  etwas  zieht,  oder  in  seiner  Verlängerung  als  Seil,  kompliziertes  Kabel, 
das  den  Muskelbau  wiederholt.  Die  Sachlage  dieser  Beispiele  begleitet 
uns  nun  die  gesamte  Physiologie  hindurch.  Man  mag  hinblicken,  wohin 
man  will,  sei  es  auf  die  Anpassungen  der  Zellen  im  Gewebe  oder  die  der 
Organe  oder  des  ganzen  Organismus,  immer  und  überall  vom  Kleinsten  bis 
ins  Größte,  vom  Einfachsten  bis  zum  Kompliziertesten  ist  Pflanze,  Ein- 
zeller, Tier  und  Mensch  so  gestaltet,  daß  er  seine  Funktionen  optimal 
ausfährt.  Das  war  den  Menschen  auch  von  je  bewußt;  nur  haben  sie  sich 
einer  anderen  Ausdrucksweise  dafür  bedient;  sie  nannten  einen  Organis- 
mus mit  optimalen  Funktionen  „normal"  und  „gesund"  und  wußten,  daß 
er,   solange  er  beide   Bezeichnungen   verdient,   auch  unbeschränkte   Dauer 

84 


habe.  Ein  Zurückbleiben  hinter  dem  Optimum  infolge  nicht  vollkommen 
gesetzmäßiger  Funktion  wird  von  der  Sprachlogik  als  krüppelhaft,  patho- 
logisch, anormal,  als  Krankheit  bezeichnet  und  mit  dem  Bewußtsein  ver- 
knüpft, daß  nun  entweder  eine  Rückkehr  zur  Norm  erfolgen  oder  die  Dauer 
erlöschen  muß. 

Der  anormale  Organismus  stirbt  und  beendet  die  Funktionen  des  Le- 
bens. Da  nun  alle  Organismen  gestorben  oder  krank  sind,  die  nicht  op- 
timal funktionieren,  ist  in  dieser  Norm  die  Gewähr  der  bestmöglichen 
Funktion,  als  der  günstigsten  Lösung  des  jeweils  vorliegenden  technischen 
Problems  gegeben.  Und  daraus  leitete  ich  in  der  Biotechnik  das  Recht  ab, 
die  normalen,  lebenden  Organismen  der  Technik  als  unbedingte  Vorbilder 
hinzustellen,  wenn  das  gleiche  technische  Problem  wie  im  Vorbild  vorliegt. 

Es  wird  mithin  der  Techniker,  der  Ingenieur  so  gut  wie  der  Chemiker 
oder  der  Architekt  nicht  umhin  können,  sich  der  Biologie  mit  den  Frage- 
stellungen der  objektiven  Philosophie  zu  nähern  und  ihr  genaues  technisches 
Studium  in  sein  Programm  aufzunehmen. 

In  den  physiologischen  Gesetzen  wird  diese  biologisch  orientierte  Tech- 
nik alsbald  ein  prachtvolles  Beispiel  für  das  Funktionieren  einer  Kraft- 
maschine erkennen,  im  Organismus  ein  „stationäres  System",  das  selb- 
ständig die  zu  seinem  Betrieb  nötige  Energie  als  sogenannte  Nahrung  auf- 
nimmt und  die  Fähigkeit  hat,  sich  zu  vervielfachen. 

Dieser  Energiewechsel  hat  dreierlei  Formen,  die  man  hergebrachter- 
maßen als  tierische,  pflanzliche  oder  parasitäre  Lebensweise  bezeichnet, 
und  wonach  man  ziemlich  inkonsequent  Tiere  und  Pflanzen  unterscheidet. 
Inkonsequent  ist  das  deshalb,  weil  dann  die  tierisch  lebenden,  sogenannten 
fleischfressenden  Pflanzen,  deren  Mahlzeit  auf  Abbildung  30  dargestellt  ist, 
ebenso  zu  unrecht  dem  Pflanzenreich  zugeteilt  werden,  wie  die  halb  Aas 
verzehrenden,  halb  Bodenpilze,  also  Eiweiß  verzehrenden  Schmarotzer  nach 
Art  der  Nestwurz  (Abb.  26),  während  man  schmarotzende  und  dadurch 
die  Funktionsform  von  Wurzelfäden  annehmende  Krebse  unbedenklich  ihrer 
Abstammung  zuliebe  im  Tierreich  beläßt. 

Die  Pflanze  (Ausnahmen  s.  oben)  nimmt  durch  die  Blätter  nur  Gase,  im 
besonderen  Kohlensäure  und  Wasserdampf  auf,  durch  die  Wurzeln  dazu 
Wasser  und  darin  gelöste  Stickstoffverbindungen,  Kali-,  Magnesium-  und 
phosphorsaure  Salze,  verarbeitet  diese  mit  Hilfe  von  Oxygen,  das  sie  durch 
einen  anderen  Prozeß,  den  man  Atmung  nennt,  aufnimmt.  Dadurch  wird 
Energie  frei.  Davon  besorgt  die  Pflanze  die  molekularmechanischen  Um- 
wechselungen, die  sich  als  Wachstum,  Bewegungen,  Sinnestätigkeit  und 
Fortpflanzung  kundgeben,  sowie  Atomumsetzungen,  die  noch  zu  dem  Che- 
mismus ihrer  Ernährung  gehören,  kurz  alles,  was  man  ihren  Lebensprozeß 
nennt.  Was  nicht  verbraucht  wird,  speichert  sie,  so  wie  wir  Elektrizität  in 
Akkumulatoren  speichern,  in  Knollen  (Kartoffeln),  Samen  (Getreide)  und 
Früchten  als  Reservenahrung. 

85 


Das  Tier  nimmt  aus  seiner  Umwelt  gasförmige  Stoffe,  feste  und  flüssige 
Nahrung  auf,  die  im  wesentlichen  (und  das  tut  auch  sowohl  der  Saprophyt 
[Aasverzehrer]  wie  der  Parasit)  aus  Oxygen,  Eiweiß,  Fett,  Kohlehydraten 
und  Wasser  bestehen.  Mit  Hilfe  des  durch  die  Atmungsorgane  (vgl. 
Abb.  32)  aufgenommenen  Oxygens  werden  die  zwei  anderen  verbrannt  und 
verdampft;  durch  diese  Oxydation  wird  Energie  frei,  genau  so  wie  im 
Pflanzenleibe,  dessen  Stoffwechsel  daher  prinzipiell  durchaus  mit  dem 
tierischen  identisch  ist.  Da  somit  die  letzte  trennende  Barri&re  zwischen 
den  beiden  Gruppen  von  Lebewesen  fällt,  wird  die  Forschung  und  da- 
mit auch  der  Unterricht  nicht  umhin  können,  so  wie  es  auch  in  diesem 
Werke  geschieht,  nicht  mehr  Botanik  und  Zoologie,  sondern  nur  mehr 
eine  einheitliche  vergleichende  Biologie  zu  betreiben,  welcher  allein  die 
Zukunft  gehört.*) 

Von  der  freigewordenen  Energie  lebt  auch  das  Tier  genau  nach  dem 
gleichen  Gesetz  wie  der  pflanzliche  Organismus.  Im  besonderen  werden 
im  Stoffwechsel  Fette  und  Kohlehydrate  gleichsam  wie  in  einem  Ofen  zu 
H2O  und  Kohlensäure  verbrannt,  Eiweiß  aber  mit  Hilfe  von  Verdauungs- 
enzymen auf  kaltem  Wege  nur  bis  zum  Harnstoff  und  ähnlichen  Substanzen 
abgebaut.  Der  deutsche  Physiologe  Rubner  maß  die  Kalorien  der  aufge- 
nommenen Nahrung,  verglich  sie  mit  der  Abgabe  an  Wärme  beim  Menschen 
und  fand,  daß  das  Aufgenommene  durch  Lunge,  Nieren,  Darm  und  Haut 
fast  restlos  wieder  hergegeben  wird.   Die  Differenz  betrug  nur  0,1  Prozent. 

Es  stammt  also  das,  was  man  vitale  Energie  nennt  und  wozu  auch  die 
geistigen  Funktionen  gehören,  nur  aus  der  Nahrung.  Das  meiste  der 
Energie  wird  für  die  Muskeltätigkeit  und  die  Funktion  der  großen  Drüsen, 
wie  der  Leber  und  der  Nieren  verwandt  und  ebenso  zur  Verdauung;  das 
Gehirn  dagegen  erhält  davon  so  wenig,  daß  man  es  noch  nicht  messen 
konnte.  Beim  jungen  Organismus  von  der  Pflanze  bis  zum  Menschenkinde 
kommt  dazu  noch  ein  erheblicher  Energieverbrauch  durch  das  Wachstum, 
der  bei  der  Pflanze  zeitlebens  größer  bleibt  als  bei  dem  animalischen  Or- 
ganismus. Die  klassischen  Rubner'schtn  Untersuchungen  haben  die  Mecha- 
nik dieser  Vorgänge  klargelegt.  Seit  ihnen  weiß  man  z.  B.,  daß  zum  Ansatz 
von  einem  Kilo  Körpersubstanz  des  Menschen  4800  Kalorien  Nahrung 
notwendig  sind,  zu  dessen  technischem  Aufbau  nur  800  Kalorien  verwandt 
werden.  Der  Mensch  ist  also,  als  Kraftmaschine  betrachtet  —  ein  Vergleich, 
der  sich  schon  Lavoisier  aufdrängte  —  in  einer  ähnlichen  Lage  wie  die 
kalorischen  Maschinen,  also  die  Dampfmaschinen  oder  Benzinmotoren,  die 
das  Prinzip  seiner  Biotechnik  wiederholen.  Er  leistet  nur  durch  den 
physiologischen  Prozeß  eine  zweifache  Umwandlung,  zuerst  der  chemischen 
Energie  in  Wärme,  dann  dieser  in  chemische  Energie.     Der  Stoffwechsel 


*)  Vgl.  Grundlagen  zu  einer  objektiven  Philosophie  I.  Teil.  Vergleichende  Biologie 
Leipzig  (Theod.  Thomas).   1922. 


86 


Abb.   25.    Honigspome   der   Blüten   von    Aquilegia   chrysantha.   Orginalzeichnung. 

kann  von  diesem  Standpunkt  aus  definiert  werden  als  eine  Überfährung  der 
chemischen  Energie  in  Arbeit  und  Wärme.  So  wie  wir  gelernt  haben, 
durch  den  Akkumulator  aus  chemischer  Energie  unmittelbar  elektrische 
Energie  herzustellen,  so  kann  auch  der  „Muskelmotor",  wie  er  im  tieri- 
schen Organismus  verwirklicht  ist,  als  chemo-dynamische  Maschine  das 
gleiche  leisten,  wobei  die  Wärme  (wie  „heiß"  macht  doch  Muskelarbeit!) 
nur  mehr  ein  Nebenprodukt  ist. 

Diese  Wärme  wird  nach  Bedarf  durch  thermoregulatorische  Einrichtun- 


87 


gen,  wie  die  Haut,  die  Körperform,  die  Schweißdrüsen  abgeleitet  oder 
durch  das  Fett  und  das  Haarkleid  (Pelze)  zurückgehalten.  Wenn  wir  uns 
im  Winter  eines  Pelzmantels  erfreuen,  war  der  Kürschner  ein  Biotechniker, 
der  nur  den  Organismus  nachahmte,  und  daß  die  Pflanze  nicht  die  36°  C 
der  Blutwärme  in  ihrem  Innern  aufweist,  sondern  Baumstämme  im  Innern 
bei  Winterfrost  nur  wenige  Grad  über  Null,  also  eine  geringe  Körper- 
wärme besitzen,  rührt  namentlich  von  ihrer  Körperform,  der  Zerteilung 
durch  Äste,  Wurzeln  und  Blätter  her.  An  sich  produzieren  die  Pflanzen 
durch  Atmungsoxydation  ebensogut  Wärme  wie  das  Tier,  und  in  halbge- 
schlossenen Blüten  gleich  der  auf  Abbildung  25  dargestellten  Aquilegia 
herrscht  immer  eine  annehmbare  Temperatur,  die  sich  in  den  Arumbläten- 
ständen  bis  auf  Blutwärme  und  darüber  steigert.  Heizen,  d.  i.  die  Oxy- 
dation von  Kohle,  Holz  oder  Tran,  ist  demnach  ebensogut  eine  Nach- 
ahmung eines  organischen  Vorganges,  wie  das  ganze  Kulturleben  nur  eine 
angewandte  Biologie  ist.  Diese  zunächst  vom  allgemeinsten  Gesichts- 
punkt betrachteten  Funktionen  schafjen  sich  nun  im  Organismus  ihre  Or- 
gane, deren  Bau  vom  Größten  bis  ins  Feinste  ein  unerschöpflicher  Wun- 
derborn der  Biotechnik  ist,  den  man  von  unserem  Gesichtspunkt  aus  noch 
kaum  zu  studieren  begonnen  hat. 

Aus  dem  notwendig  werdenden  Handbuch  der  physiologischen  Biotech- 
nik will  ich  hier  nur  einige  wenige  Seiten  aufschlagen,  da  das,  was  zu  be- 
weisen war,  vielleicht  schon  mehr  als  genügend  belegt  ist. 

Gar  nicht  studiert  von  der  Praxis  sind  z.B.  die  Mundwerkzeuge  der  Tiere. 
V.  Graber,  einer  der  ganz  wenigen  Zoologen,  denen  schon  in  der  älteren 
Generation  etwas  von  dem  Problem  der  Biotechnik  aufgegangen  ist"),  sagte 
einmal  mit  Recht,  daß  die  Schneide-  und  Stechwerkzeuge  der  Tiere  den  Neid 
der  Mechaniker  schon  allein  durch  das  Material  erregen  würden.  Ohne 
jede  Theorie,  nur  aus  dem  plumpen  Bedürfnis  heraus,  hat  man  sich  ge- 
zwungen gesehen,  gewisse  Werkzeuge  nicht  nur  in  der  Form  nachzuahmen, 
sondern  aus  dem  tierischen  Material,  nämlich  aus  Hörn  und  Elfenbein,  zu 
verfertigen,  weil  dieses  das  Optimale  für  den  gegebenen  Zweck  ist. 

So  bestehen,  um  ein  konkretes  Beispiel  zu  nennen,  die  Chitinmundwerk- 
zeuge aller  Gliederfüßler  aus  einem  Material,  das  man  in  seinen  unerreich- 
baren Qualitäten  nicht  nachmachen  kann.  Wohl  aber  hat  man  in  der  Schere, 
der  Zange,  der  Nadel,  dem  Hammer  und  dem  Amboß,  der  Ahle  Funktions- 
formen nachgeahmt,  die,  wie  ein  Blick  auf  die  Abbildung  27  überzeugend 
lehrt,  von  der  Organisation  der  Rädertiere  (Rotatorien)  und  Käfer,  Fliegen 
und  ihrer  Verwandten  längst  angewandt  werden. 

Ein  chemisches  Laboratorium  von  verwirrend  vielfachen,  noch  längst 
nicht  durchschauten  Arbeitsmethoden  ist  der  Verdauungsapparat  der  Tiere 
und  des  Menschen,  zu  dessen  biotechnischem  Verständnis  die  Abbildung  82 
in  Band  I  und  hier  die  Abbildung  33  betrachtet  werden  mögen. 

Alle  Verdauung  geht  nach  der  neuen,  vom  Menschen  bisher  kaum  aus- 


>  > 
=  < 

N  ^  Ji 


Abb.   28.    Technische  Einrichtungen  zum  Schweben  im  Pflanzenreich 

Diiioflagellateii     der    Gattungen    Oyinnodinium     (1),     Glenodiniuni     (2),     Amphidinium     (3),    Hemi- 
diiiium    (4),   Ceratium    (5),   Peridinium    (6)   aus   den   heimischen    süßen    Gewässern,    von    denen    jede 
eine   andere   technische   Lösung    des   Schwebeproblems    darstellt.      Stark    vergrößert.       Originalzeich- 
nung von  A.  Pfenninger 


Abb.  29.    Ein  Maximiliansharnisch  nach  Atailäntk-r 
Art  „geriefelt"  aus  Niirnbero; 

Oritriiial  aiH  dem  Armeetmiscurn  7U  München 


Abb.  30.   Blatt  des  Sonnentaus  (Drosera 
rotundifolia)  bei  der  Nahrungsaufnahme 

Das   eingerollte   Blatt   saugt   eine   gefangene   Mücke   aus 
Aufnahme   von    Frau    Dr.    A.    Friedrich,   München 


Abb.  31.  Die  Anwendung  technischer  Mittel  im  inneren  Bau  der  Pflanze 

Einblick  in  das  Röhrensystem  eines  Stengels  der  Sonnenblume.  In  den  großen  Röhren  wird 
die  Nahrungslösung,  in  den  Siebröhren  (links  am  Rande)  werden  kolloidale  Substanzen  ge- 
leitet. Die  Wandung  der  Röhren  ist  nach  dem  Gesetz  der  Okono.mie  nur  in  bestimmter 
Weise    verdickt,    um    optimale    Festigkeit    zu    erreichen.       Sehr    stark    vergrößert.      Nach    Hegi 


genützten  Arbeitsmethode  der  katalytischen  Arbeitsbeschleunigung  ohne 
Wärme  vor  sich,  durch  Fermente,  die  als  Ptyalin  im  Speichel,  Pankreas- 
saft  durch  die  Bauchspeicheldrüse,  im  Darmsaft  und  durch  die  Leber  (vgl. 
hierzu  besonders  Bd.  I  Abb.  82)  ausgeschieden  werden,  um  die  Kohle- 
hydrate zu  invertieren,  das  Fett  mit  Hilfe  der  Galle  zu  emulgieren  und  die 
Eiweiße  von  ihrem  hochmolekularen  Zustand  in  einfachere  Verbindungen 
abzubauen.  Die  dazu  gehörigen  technischen  Formen  sind  die  der  Drüse 
(vgl.  Abb.  33)  in  ihren  verschiedensten  Formen,  die  vom  Menschen  als 
Retorte,  Eprouvette,  Flasche  nachgemacht  werden.  Zu  ihrer  Leitung  dienen 
Röhren  nach  Art  der  Ausführungsgänge  der  bekannten  Ohrspeicheldrüse 
(Parotis)  oder  der  Gallengänge,  vom  Menschen  in  den  Gummiröhren  eben- 
so kopiert,  wie  in  dem  Pflanzeninneren  in  Gestalt  der  wasserleitcndcn  Ge- 
fäße (Abb.  31)  und  eiweißleitenden  Siebröhren,  äußerlich  aber  als  Blatt- 
stiel oder  Liane  (Abb.  22  und  Bd.  II  Abb.  87)  in  höherer  Integrations- 
stufe vertreten,  was  sogar  in  der  anorganischen  Natur  als  Funktionsform 
des  Bachrinnsals,  der  Hochgebirgsrunse  oder  des  Höhlenflusses  wieder- 
kehrt. Behälter  wie  den  der  Mazeration  dienenden  Magen  oder  die  Gallen- 
blase oder  die  Harnblase  (s.  Bd.  I  Abb.  82)  wendet  der  Mensch  in  den 
Ziegenschläuchen  des  Orients  und  der  Antike,  in  den  Kesseln  und  Alembiks 
tausendfach  variiert  an. 

Wem  diese  ewige  Wiederkehr  gleicher  Formen  bei  gleicher  Funktion 
auf  allen  denkbaren  Seinsstufen  nicht  klar  macht,  daß  „Technik"  unter 
allen  Verhältnissen  ein  und  demselben  Gesetz  folgt,  dessen  Kopf  ist  für 
Denkarbeit  überhaupt  verloren.  Wenn  aber  die  Funktionen  gesetzmäßig  an 
bestimmte  Formen  gebunden  sind,  dann  kann  der  Mensch  die  Objekte, 
welche  ihn  umgeben,  und  die  bei  ihrer  weit  älteren  Vergangenheit  als  seine 
Erfahrung  stets  optimale  Lösungen  darstellen,  als  Modellbuch  für  von 
ihm  gewünschte  Leistungen  verwenden  und  seiner  Technik  das  Studium  der 
Natur  zur  maßgeblichen  Unterlage  geben.  Mit  anderen  Worten,  dann  ist 
die  Berechtigung  der  Biotechnik  evident. 

Röhren  sind  auch  die  Tracheen  der  Insekten  (Abb.  33)  oder  die  Därme 
(Abb.  32),  deren  Lagerung  in  der  Bauchhöhle  (wieder  ein  Behälter  höherer 
Seinsstufe)  maximale  Unterbringung  auf  kleinstem  Raum  verwirklicht,  deren 
Inneres  mit  den  Darmzotten  das  ideale  Vorbild  elektiver  Aufsaugung  wäre, 
wenn  es  nicht  nach  einer  Technik  tätig  wäre,  die  man  mit  unseren  Hilfs- 
mitteln noch  gar  nicht  nachahmen  kann.  Sie  geht  nämlich  aktiv  vor  sich 
durch  eine  energetische  Arbeit,  die  nicht  den  physikalischen  Gesetzen  folgt, 
sondern  regulativ,  also  den  teleologischen  Gesetzen  der  Psyche.  Die 
Möglichkeit  einer  Psychotechnik  aber  liegt  noch  in  weiter  Ferne,  obzwar 
sie  prinzipiell  durchaus  denkbar  und  dringend  notwendig  ist.  Unsere 
Maschinen  und  Mechanismen  sind  alle  Automaten  mit  heteronomer,  von 
außen  in  sie  hineingelegter  Teleologie,  während  die  lebenden  Organismen 
Maschinen  mit  autonomer  Teleologie,  also  Personen  sind.   Dies  übersah  der 

89 


Abb.  32.  Atmungsorgane  der  Amphibien.  Links  ein  Oim,  der  Kiemen  (B>  und  Lungensäcice  (P)  zugleich 
besitzt.  D  Darm,  A  Aorta.  Rechts  die  Darstellung  des  Kreislauforgane  eines  Frosches.  P  =  Lunge  der 
linken  Seite  (der  rechte  Lungensack  ist  nicht  gezeichnet)  mit  der  Arteria  pulmonalis  (hell)  und  der  Vene 
(dunkel)  der  Lunge.    H  Herz,  V  Vena  cava.  L  Pfortaderkreislauf  der  Leber,  Ao  Aorta,  N  Niere,  D  Darm. 

Nach  Claus  Lehrbuch. 

Materialismus,  der  sich  als  naturphilosophische  Richtung  Mechanismus 
gegenüber  dem  Vitalismus  nennt;  übersehen  hat  er  es  seit  dem  „rhomme 
machine"  von  Lamettrie  bis  heute;  gut  und  richtig  herausgearbeitet  haben 
dagegen  diese  Erkenntnis  ein  Teil  der  vitalistischen  deutschen  Biologen, 
namentlich  H.  Driesch  und  A.  Pauly^^),  die  aber  alle  über  das  Ziel  hinaus- 
gingen und  jeden  Zusammenhang  des  Seelischen  mit  der  unleugbaren 
Maschinenstruktur  des  Lebendigen  in  Abrede  stellten.  Daß  der  Organis- 
mus teleologisch  befähigt  ist,  braucht  man  gar  nicht  nachzuweisen  ange- 
sichts des  eigenen  Erlebens,  und  daß  er  eine  Maschine  ist,  läßt  sich  doch 
nun  einmal  nicht  leugnen.  Er  gehört  nur  zur  Kategorie  der  Maschinen 
mit  Selbststeuerung  nach  dem  teleologischen  Gesetz  des  Psychischen,  er 
hat  also  eine  besondere  Konstruktionsart,  die  man  derzeit  noch  nicht  an- 
ders nachmachen  kann,  als  daß  man  diese  Teleologie  von  außen  dazu 
bringt,  also  z.  B,  zur  Lokomotive,  die  keine  Orientierung  hat  und  keinen 
Bedürfnissen  und  Reizen  folgt,  einen  Lokomotivführer  stellt,  der  die  Auf- 
gabe ihrer  psychischen  Lenkung  hat.  Beide  zusammen  stellen  dann  eine 
neue  Art  von  Organismus  dar:  einen  Menschen  mit  biotechnischen  Kräften, 
die   über   seine   individuellen   hinausgehen.    So   vermehrt   die   Technik   die 


90 


Leistungen   des   Menschen;    die   Techniken   sind   gesteigerte   Anpassungen 
und  haben  hierin  ihre  Rechtfertigung  und  ihre  Grenze. 

Die  Röhren  der  Tiere  und  Pflanzen  enthalten  nun  zahlreiche  Eigenheiten, 
die  dem  Techniker  Neues  lehren  können.  Zu  ihnen  gehören  doch  auch  die 
Röhren,  welche  das  Blut,  nämlich  das  Mittel  zu  allen  Zellen  bringen,  das 
den  Atmungs-  und  Ernährungsstoffwechsel  durchführt.  Diese  Blutgefäße, 
sowohl  die  sauerstoffreiches  Blut  transportierenden  Arterien  wie  die  Venen, 
sind  eingerichtet  für  die  notwendigen  Funktionen  der  Beschleunigung  und 
Regulation  dieses  Transportes,  weshalb  sie  sowohl  elastische  wie  kontrak- 
tile, d.h.  selbsttätig  zusammenziehbare  Elemente  in  ihrer  Wandung  aus- 
bilden. Der  Anatom  bezeichnet  diese  als  Elastin-  und  glatte  Muskelfasern. 
Und  die  Selbstregulation  spricht  sich  wieder  darin  aus,  daß  sie  mit  einem 
unwillkürlich  funktionierenden  Nervensystem  verbunden  sind,  das  es  be- 
urteilt, wann  diese  Faser  im  Dienste  des  Ganzen  zu  erschlaffen,  und  wann 
sie  sich  zu  kontrahieren  habe.  Danach  tritt  Blutfülle  in  einem  Organ  ein 
oder  Blutleere.  Weil  aber  diese  Urteile  nur  als  Reflexe,  also  schematisch 
vor  sich  gehen,  geschieht  das  manchmal  nicht  zweckmäßig,  und  so  ent- 
stehen Entzündungen,  Eiterungen,  Ohnmächten  (Blutleere  des  Gehirns) 
und  damit  auch  schwere  Schädigungen.  Von  diesen  Eigenschaften  kann 
man  weder  die  Peristaltik  *)  noch  die  reflektive  Regulation  nachmachen, 
wohl  aber  die  Elastizität,  und  die  Industrie  benützt  denn  auch  tatsächlich 
geflochtene,  daher  elastische  Röhren  für  gewisse  Zwecke.  Ein  anderer 
Umstand  aber  ist  bislang  noch  ihrer  Aufmerksamkeit  entgangen.  Alle  Blut- 
gefäße setzen  bei  Verzweigungen  stets  mit  einer  kleinen  Erweiterung  an, 
was  zur  Folge  hat,  daß  der  Abfluß  beschleunigt  wird  und  Stauungen  ver- 
mieden werden.  Überall,  wo  die  mechanische  Lage  einer  Zirkulation  ge- 
geben ist,  müßte  man  sich  daher  dieses  biotechnischen  Mittels  zu  gleichem 
Zweck  bedienen.  Tatsächlich  erfüllen  ihn  die  Muffen  an  den  Zusammen- 
setzungen der  Kanalisationsrohre.  Sie  vermindern  auch  bei  den  Verzwei- 
gungsstellen die  Reibung  und  dadurch  Anhäufung  der  in  ihnen  zirkulieren- 
den Stoffe  genau  so  wie  die  gleiche  Funktionsform  die  Reibung  der  Blut- 
zellen auf  ein  Minimum  herabsetzt.  Nimmt  man  die  Pläne  altdeutscher 
Städte,  also  etwa  Hildesheim,  Frankfurt  a.  M.,  Nürnberg  oder  Nördlingen 
zur  Hand,  so  wird  man  in  ihrer  Altstadt  den  Verlauf  der  Gassen  und  den 
Ansatz  der  in  sie  mündenden  Gäßchen  das  Gesetz  der  Blutgefäße  wieder- 
holen sehen.  Überall  besteht  die  Neigung,  die  Abzweigungsstelle  mit  einer 
kleinen  Erweiterung  zu  versehen.  Es  ist  nun  nicht  anzunehmen,  daß  die 
alten  Stadtbaumeister  sich  dessen  bewußt  waren,  wie  sehr  sie  dadurch  dem 
regen  Verkehr  in  der  quetschenden  Enge  dieser  kleinen  Gäßchen  eine  Er- 
leichterung verschafften,  wohl  aber  haben  es  unter  dem  Zwange  der  Not 

*)  --  Rhythmus  der  Muskelbewegung,  der  sich  als  Puls  zeigt  und  aus  zwei 
Elementen  besteht,  der  Herzsystole  als  Kontraktion  des  Herzmuskels  und  dem  Dikro- 
tismus  als  Kontraktion  der  Muscularis  der  Adern. 

91 


die  modernen  Stadtarchitekten  gelernt,  und  namentlich  in  den  Weltstädten 
(man  sehe  sich  auf  das  hin  den  Hausvogtei-  oder  Nollendorfplatz  in  Berlin 
oder  die  Place  de  l'Opera  in  Paris  an)  trachtet  man  wenigstens  an  den  ver- 
kehrsreichsten Plätzen  dem  Verkehr  diese  Reibungsverminderung  zu  ver- 
schaffen. Ich  würde  vorschlagen,  das  biotechnische  Vorbild  der  Arterien 
an  allen  Straßenabzweigungen  anzuwenden,  zum  mindesten,  wenn  die  Bo- 
denpreise es  an  der  Oberfläche  verbieten,  in  der  Kanalisation,  da  dadurch 
ein  rascherer  Abfluß  erzielt  werden  wird. 

Mit  den  organischen  Röhren  hängt  aufs  engste  das  Herz  zusammen,  das 
sich   als   verdickte   Qefäßschlinge   aus   einer    Erweiterung   der   wichtigsten 

Arterie,  nämlich 
der /lö/-/«,  heraus- 
bildete, dessen 
Funktion  als  Pum- 
pe heute  schon  je- 
dem Volksschüler 

klar  gemacht 
wird,  als  Zeichen 
dessen,  wie  eine 
„Kryptobiotech- 
nik^'  unvermeid- 
lich schon  in  der 
gesamten  Physio- 
logie enthalten 
ist.  Es  ist  nicht 
notwendig,  daß 
ich  meinen  kost- 
baren Platz  der 
Schilderung  des- 
sen widme,  wie 
sehr  auch  das 
menschliche  Herz 
mit  seinen  Klap- 
penventilen Vor- 
bild und  Parallele 
der  Technik  ist, 
denn  man  kann 
das  ja  in  jeder 
leidlichen  physio- 
logischen Anato- 
mie nachlesen. 
Nur  auf  das  we- 
niger     Bekannte 


Abb.  33.  Der  anatomische  Bau  der  Insekten.  I.  Die  Innenorgane  der  Honig- 
biene (Apis  mellifica).  O  Augen  mit  dem  durch  den  Augenlappen  in  Verbindung 
stehenden  Oehim,  von  dem  Nerven  nach  oben  zu  den  Antennen  ausgehen. 
Das  strickleiterförmige  Nervensystem  setzt  sich  durch  den  Körper  mit  vielen 
ausstrahlenden  Nerven  fort,  besonders  gut  sichtbar  im  Bruststück  (Thorax;, 
von  dem  die  drei  Beinpaare  ausgehen.  Im  Abdomen  befinden  sich  außerdem 
die  zwei  großen  luftgefüllten  Tracheenblasen  (1)  mit  dem  weit  verzweigten 
Netz  der  Atmungsröhren  (Tracheen).  Die  Eingeweide  sind  seitwärts  heraus- 
geschlagen und  beginnen  am  Kopf  mit  den  Speicheldrüsen,  aus  deren  Kranz 
das  lange  Schlundrohr  in  den  Vorderdarm  (Kropf  v)  führt;  dieser  geht  in  den 
Mitteldarm  (Chlydusdarm)  [m  )  über,  an  den  sich  die  Malpighi'schen  Gefäße  (p), 
der  Rektaldarm  (r)  anschließen.  S  der  Giftstachel  in  der  Verbindung  mit 
der  Giftblase  (g)  und  Giftdrüse  (d).  II.  Ein  Längsschnitt  durch  ein  geöffnetes 
Männchen  des  Ligusterschwärmers  (Sphinx  ligustri).  Die  Maxillen  sind  aufge- 
rollt, von  der  Antenne  ist  nur  ein  Stück  gezeichnet.  L  der  Lippentaster.  Q 
das  Gehirn,  mit  dem  die  Ganglien  (N)  der  Brust  und  des  Bauches  in  Verbin- 
dung sind.  O  Oesophagus,  das  in  den  Kropf  und  Mitteldarm  (M)  führt.  V  Mal- 
pighi'sche  Gefäße.  E  Enddarm,  A  After,  C  Hoden.  Auf  der  Rückseite  liegt 
das  lange  gekamraerte  Herz   (H).  Originalzeichnung. 


92 


und  Unbekannte  möchte  ich  hinweisen,  daß  eine  solche  Druckpumpe  auch 
im  Baum,  in  allen  Gefäßpflanzen  funktioniert  (vgl.  Abb.  31),  allerdings  mit 
einer  Leistung  und  Mechanik,  die  noch  zu  den  dunkelsten  Rätseln  der  Bio- 
logie gehört.  Können  doch  die  Riesen  der  Baumwelt,  wie  eine  120  m 
hohe  Mammutfichte  (WelUngtonia)  oder  ein  150  m  hoher  australischer  Eu- 
kalyptus, nicht  minder  gut  auch  eine  an  200  m  lange  Liane  sich  anstands- 
los das  Wasser  aus  dem  Boden  bis  zu  ihrem  letzten  Blatt  pumpen,  ohne 
daß  uns  die  Kraftquelle  der  Leistung  verständlich  ist.  Aber  auf  eines  möchte 
ich  dabei  aufmerksam  machen.  Die  Leistung  von  Druckpumpen  hängt  be- 
kanntlich mit  von  der  Wandstärke  des  Druck-  und  Saugrohres  ab.  Es  ist  nun 
auffällig,  daß  die  Tracheen  (Abb.  31),  wie  man  mit  einem  sehr  mißver- 
ständlichen Wort  die  Saugrohre  der  Pflanzen  benennt,  besondere  spiralige 
oder  netzförmige  Wandverdickungen  haben.  Die  biotechnischen  Versuchs- 
Laboratorien,  die  es  hoffentlich  in  Verbindung  mit  Fabriken  bald  geben 
wird,  werden  sich  veranlaßt  sehen,  Pump-  und  Brunnenrohre  nach  diesem 
Modell  auf  ihre  Leistungsfähigkeit  zu  prüfen.  Meine  Vorversuche  haben 
Hoffnung  gemacht,  daß  sich  durch  diese  Konstruktion  bei  gleichem  Druck 
in  Pumpenleitungen  die  Hubhöhe  steigern,  mindestens  Material  sparen 
läßt.   So  denke  ich  mir  die  nächste  biotechnische  Arbeit. 

Durchgehen  müßte  der  Techniker  mit  seinem  Wissen  die  gesamte  tieri- 
sche wie  pflanzliche  physiologische  Anatomie,  und  überall  an  tausend  Stel- 
len würde  ihm  das  Gegenstück  seiner  Erfahrungen  vermehrt  und  bereichert 
durch  neue  Anregungen  entgegentreten. 

Der  Ernährungsvorgang  der  Pflanzen  wäre  ihm  ein  noch  ganz  unbe- 
ackertes  Feld,  so  viel  Arbeit  auch  die  Pflanzenphysiologen  schon  hinein- 
gesteckt haben.  Während  bei  dem  Tier  Ernährung  und  Blutzirkulation  auf 
das  Innigste  ineinandergreifen  und  der  Nahrungssaft,  der  schließlich  aus 
dem  Aufgenommenen  entsteht,  als  Lymphe  in  einen  Zustand  gerät,  daß  man 
ihn  ebensogut  als  Nahrung  wie  als  farbloses  Blut  ansprechen  könnte,  ist 
zwar  bei  der  Pflanze  im  Eiweißsaft  der  Siebröhren  ebenfalls  etwas  der 
Lymphe  Entsprechendes  vorhanden,  aber  die  Zirkulation  scheint  doch  zu 
fehlen,  wenn  auch  die  neuesten  Untersuchungen  von  Ch.  Böse  ein  rhyth- 
misches Pulsieren  in  der  Pflanze  unzweifelhaft  dargetan  haben. 

Im  Tier  sind  die  Kreislauforgane  ein  höchst  verwickeltes  Kanalsystcm, 
durch  das  des  Herzens  oder  des  Rückenorgans  (s.  Anatomie  der  Insekten 
Abb.  33)  Pumpwerk  das  Blut  treibt,  während  zahlreiche  präzise  funktio- 
nierende Einrichtungen  die  Stromgeschwindigkeit,  den  Druck  und  die  Ver- 
teilung regeln.  In  der  Pflanze  ist  insofern  ein  Kreislauf  vorhanden,  als 
durch  die  Transpiration  des  Wassers  aus  den  Blättern  eine  Zirkulation  er- 
möglicht wird,  durch  die  Wasser  mit  Mineralsalzen,  also  eine  Nährlösung 
aus  den  Wurzeln  in  das  Laub  befördert  und  eine  aus  Zucker  und  Eiweiß 
bestehende  Lösung  durch  bestimmte  Zellen  von  oben  nach  unten  geschafft 
werden.  Dieser  Funktion  angemessen  findet  man  die  verschiedensten  Röhren- 

93 


Einrichtungen  nach  Art  der  Kammerfilterpressen,  die  man  gehöfte  Tüpfel  in 
der  Sprache  der  Botanik  nennt,  außerdem  eingeschaltete  Siebe  und  Filtermem- 
branen. Dazu  kommen  noch  osmotische  Techniken.  (So  wandert  dxtGlykose.) 

Die  „Funktion  der  pflanzlichen  Ernährung"  ist  natürlich  dabei  auch  ein 
Stoffwechsel.  Und  er  vollzieht  sich  in  prachtvollen  Formen  chemischer  Syn- 
these*), also  atomarer  Variation,  deren  Nachahmung  heute  noch  hoffnungs- 
los erscheint.  Gelänge  diese  Biotechnik,  dann  wäre  mit  der  synthetischen 
Herstellung  von  Mehl,  Zucker,  Holz  und  Fett,  sowie  Eiweiß  aus  Oasen 
und  Erdsalzen  den  Menschen  alle  Ernährungssorge  genommen. 

Diese  Photosynthese,  die  sich  der  Lichtwellen  als  Energie  bedient,  indem 
sie  namentlich  die  weniger  brechbaren  zu  einer  Verbindung  von  COg  und 
HgO  bei  Herstellung  von  CgHioOö  (Kohlehydrat)  heranzieht,  ist  noch  nicht 
die  endgültige  Leistung  der  Pflanze,  denn  auf  einem  noch  unbekannten  Wege 
wird  mit  den  Kohlehydraten  außerdem  Stickstoff,  Phosphor  und  Schwefel 
in  einer  höheren  Synthese  zu  Plasma  verbunden,  das  zuerst  die  Vorstufe  von 
Asparagin  annimmt.  Hier  klaffen  betrübliche  Mängel  des  Wissens;  das  We- 
sentliche, was  man  weiß,  beschränkt  sich  darauf,  daß  offenbar  die  Nitrate, 
Phosphate  und  Sulfate  des  Magnesiums  und  Kalis  die  Materie  dieser  Syn- 
these liefern,  weshalb  wir  durch  die  Biotechnik  des  Dungens  diesem  Prozeß 
nachhelfen  können,  ferner  daß  die  Oxalsäure  hierbei  ein  durch  Kalk  zu  bin- 
dendes, sonst  schädliches  Nebenprodukt  ist,  weshalb  auch  der  Kalk  beim 
Düngen  nicht  entbehrt  werden  kann.  Die  Funktionsform,  in  der  das  alles 
sich  vollzieht,  sind  offenbar  die  Kolloidstruktur  und  die  Formen  der  Va- 
kuolenbildung  des  Plasmas  mit  seinen  osmotischen  Membranen  und  ver- 
bindenden Plasmodesmen,  durch  die  die  Zelle  instand  gesetzt  wird,  wie  in 
einem  wohlassortierten  Laboratorium  gleichzeitig  nebeneinander  Oxydatio- 
nen und  Reduktionen,  analytische  und  synthetische  Prozesse  auszuführen. 
Dazu  das  Chlorophyll  mit  seinem  plasmatischen  Substrat  (vgl.  Bd.  I  S.  207 
und  Abb.  79),  das  in  mehreren  Integrationsstufen  die  Photosynthese  von 
der  Funktion  im  kleinsten  Raum  der  Zelle  an  zu  einem  Kreislaufprozeß  ge- 
staltet, der  das  ganze  Erdenleben  in  sich  schließt.  Denn  diese  Farbstoff- 
träger im  Protoplasma,  die  je  nach  der  Funktionsbesonderheit,  nämlich  der 
Wellenlänge  des  verwendbaren  Lichtes  durch  Zusatzstoffe  blaugrün,  braun 
(Kieselalgen  [Bd.  I  Abb.  65]  und  Brauntange)  oder  rot  (Rottange  des  Meeres) 
sein  können,  bilden  Singulationen  jeder  denkbaren  Art  und  Komplikation. 

Sie  erscheinen  als  Chromatophor  in  hundert  Formen  in  der  Zelle,  sie  bil- 
den durch  den  Zusammenschluß  der  Zellen  Lager  wie  im  Kreise  der  Algen 
und  Flechten  (vgl.  Bd.  I  Abb.  93)  und  Lebermoose  (Abb.  34)  oder  in  Ge- 
stalt komplexer  Zellsysteme  Blätter,  die  wieder  ganz  unbeschreiblich  viel- 
gestaltig sein  können  (vgl.  Abb.  47).  Aus  den  Blättern  setzen  sich  die  Laub- 
kronen zusammen  in  Vereinigung  mit  den  durch  ihre  Funktion  variabel  ge- 


•)  Durch  Oxydasen,  Amylasen,  Zymasen  usw. 

94 


Abb.  34.  Vergrößerter  Querschnitt  durch  das  Lager  des  Brunnenlebermoose»  (Marchantia  polymorph«), 
als  Beispiel  der  biotechnischen  Einrichtungen  einer  einfacheren  Pflanze.  Der  Querschnitt  stellt  einen  In- 
terzellularraum mit  assimilierenden  Zellen,  der  aufgewölbten  Epidermis  und  einer  Spaltöffnung  dar.  Un- 
ter dem  primitiven  „Schwammparenchym"  liegt  ein  farbloses  netzförmiges  verdicktes  Parenchym.  Funk- 
tionell stellen  diese  Differenzierungen  folgende  biotechnischen  Einrichtungen  dar:  Die  Verarbeitung  der 
Kohlensäure  geschieht  in  den  retortenförmigen  Lichtkraftmaschinen  (=  Assimilationszellen),  die  zu  zweit 
oder  dritt  so  angeordnet  sind,  daß  sie  durch  die  glasartig  durchsichtige  Decke  die  Betriebsenergic,  das 
Licht  genügend  erhalten.  Diese  Decke  ist  in  Bogenwölbungen  konstruiert  und  ruht  auf  vier  bis  sechs  (in 
der  Zeichnung  sind  nur  zwei  sichtbar)  Stützpfeilern  mit  je  einem  abacusartigen  Aufsatz.  Die  Wandung 
dieser  hohlen  Stützsäulen  ist  nach  dem  technischen  Okonomiepririzip  konstruiert;  es  sind  Füllungen  her- 
ausgenommen, dadurch  Material  erspart,  ohne  der  Festigkeit  Abbruch  zu  tun.  In  die  Decke  eingelassen  ist 
ein  Ventilationsschacht,  dessen  Bauelemente  verzahnt  sind.  Dadurch  findet  ungehemmte  Kohlensäure-  und 
Wasserdampfzufuhr  statt,  zugleich  ist  Atmung  möglich.  Die  kleinen  Lichtkraftapparate  enthalten  die  photo- 
chemischen Einrichtungen  zur  Zerlegung  der  Kohlensäure  (Clilorophyllkörner).  Diese  haben  die  Gestalt  von 
transportablen,  selbsttätig  sich  ins  Lichtoptimum  setzenden  Scheiben.  Diese  Apparate  slt/cn  auf  einem 
Pflaster  kleiner  Zellen,  durch  deren  feinste  Poren,  auch  auf  osmotischem  Weg  die  Assimjlaie  abgeleitet  wer- 
den. Die  darunter  stehenden  Zellen  haben  wieder  die  Festigungseinrichtungen  der  Stützpfeiler.  Eine  Zelle 
davon  enthält  Schleim,  der  außerordentlich  viel  Wasser  speichern  kann  und  davon  zu  trockenen  Zeiten  ab- 
gibt. Es  sind  also  auf  dem  Bilde  nicht  weniger  als  15,  dem  Menschen  bekannte,  aber  von  ihm  nur  teilweise 
in  seiner  Technik  verwandte  biotechnische   Einrichtungen  dargestellt.    (Original.) 

stalteten  Stielen,  Zweigen,  Stengeln,  Ästen  und  Stämmen.  Dadurch  entsteht 
ein  neues  biologisches  Individuum,  die  Einzelpflanze,  deren  Habitus  (vgl. 
Abb.  36)  auch  eine  Funktionsform  des  Chlorophylls  auf  sehr  hoher  Stufe 
ist.  Aus  Einzelpflanzen  setzt  sich  das  dem  Naturfreund  und  Künstler  so 
wohlbekannte  Mosaik  der  Vegetationsdecke,  gegliedert  in  Pflanzenvcrcine, 
in  den  der  Moose,  der  Wiese  (Bd.  I  Abb.  8),  des  Unterholzes  (Abb.  22),  der 
Parklandschaft,  des  Waldes,  des  Moores  usw.  zusammen.  Und  es  entsteht 
eine  Flora,  die  auch  nur  ein  Glied,  durch  viele  Ringe  zusammengeheftet  mit 
anderen  Gliedern  der  Lebensdecke  ist. 


95 


Und  auf  jeder  Stufe  dieser  Hierarchie  sind  die  Funktionsformen  biotech- 
nisch durchgeprägt  in  einer  Vollendung,  welche  die  Pflanze  für  immer  zum 
Musterbeispiel  und  unerschöpflichen  Studienobjekt  unseres  neuen  Wissens- 
zweiges machen  wird.  Ist  doch  mit  diesem  neuen  Blick  auch  die  ganze 
Biologie  wieder  zum  Neuland  geworden,  jungfräulich,  unberührt  und  dank- 
bar, hingegeben  auch  den  einfachsten  Methoden.  Man  muß  die  ganze  Bo- 
tanik, Zoologie  und  Anatomie  neuerdings  biotechnisch  durcharbeiten. 

Das  Blatt  allein  schon  bedeutet  biotechnisch  genommen  eine  Wissensfülle, 
die  hier  nicht  einmal  im  Umriß  ausgebreitet  werden  kann,  ebensowenig  wie 
etwa  Kolumbus  nach  allen  seinen  Fahrten  nicht  imstande  sein  konnte,  nur 
annähernd  zu  beurteilen,  was  er  mit  seinem  Neuindien  entdeckt  hatte. 

Dem  Techniker  würde  es  auffallen,  daß  das  Blatt  in  seinem  Bau  bis  in  die 
letzte  Einzelheit  hinein  (vgl.  Abb.  34)  ein  System  von  Funktionen  darstellt, 
die  alle  nach  dem  Einen:  optimale  Leistung  streben.  Ich  werde  ja  in  den 
folgenden  Kapiteln  zum  Glück  wiederholt  Gelegenheit  nehmen  können,  ver- 
schiedene dieser  Funktionen  noch  näher  zu  analysieren.  Hier  aber  möchte 
ich  immerhin  in  Erinnerung  rufen,  daß  nicht  nur  die  Formen,  die  Trocken- 
heits-  oder  Transpirationsanpassungen  des  Blattes  ^s),  sein  anatomischer  Bau 
ebenso  wie  der  der  assimilierenden  Zelle  Ausdruck  der  Funktion  im  Sinne 
unserer  Gesetzlichkeit  sind,  sondern  auch  die  Maßverhältnisse  in  Größe  und 
Stellung  und  die  Bewegungen,  angefangen  von  der  einfachen  Phototaxis 
der  Blattgrünkörner  bis  zu  den  Wachstums-  und  aitiogenen  Bewegungen  der 
Blattstiele  und  Sprosse.  Auf  diesem  Wege  wird  es  niemand  leugnen,  daß  die 
Tropismen  und  Nastien  (Abb.  36)  der  Pflanze  Funktionen  ihres  Zellplasmas, 
ihr  gesamtes  „inneres"  Regulieren  und  Funktionieren,  das  sich  in  dem 
„Wurzelhirn''  und  den  Scheitelzellen  der  Sprosse36u.43)  seine  Zentren  schafft, 
ein  Organ  zur  Verwirklichung  ihres  Daseinsoptimums  ist. 

Als  eine  ungeheure  Fabrik  voll  von  den  wunderbarsten  Einrichtungen  und 
Maschinen  wird  ihm  das  Blatt  und  die  ganze  Pflanze  vorkommen,  in  der  oft 
sogar  die  äußeren  Formen  mit  denen  unserer  Industriewerke  übereinstimmen, 
wie  z.  B.  der  Ventilationsschacht  im  Lager  der  Brunnenlebermoose,  der  auf 
Abb.  34  dargestellt  ist,  zumeist  aber  Erfindung  über  Erfindung  verwirklicht  ist, 
von  der  sich  die  Anthropotechnik  nichts  träumen  läßt,  deren  Problemstellung 
sie  oft  sogar  nicht  einmal  noch  empfunden  hat.  Was  ist  eine  Erfindung?  Nach 
so  viel  Einsichten  in  ihr  Wesen  ist  es  nicht  schwer,  die  Frage  zu  beantworten. 

Erfindungen  des  Menschen  entstehen  dann,  wenn  der  menschliche  Orga- 
nismus im  Sinne  der  Weltgesetzlichkeit,  nämlich  funktionsmäßig  tätig  ist. 
Man  macht  stets  eine  Erfindung,  wenn  man  das  Funktionsgesetz  auf  eine 
Beziehung  des  Menschen  zur  Umwelt  anwendet.  Darum  fallen  die  biotech- 
nischen Erfindungen  mit  den  anthropotechnischen  zusammen.  Man  wird  da- 
her von  selbst  zu  Erfindungen  kommen,  wenn  man  die  Funktionsformen  der 
Pflanze  bei  identischem  Funktionsverhältnis  auf  die  Materialien  überträgt, 
welche  uns  zur  Verfügung  stehen,  wenn  man  sie  nicht  mit  identischem  Ma- 

96 


^^LjbP^ü^^SSS^j.%' ^ '^ '^i^SBI 

^^t^ssc^ 

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Hl 

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'^    £  "^  =  "^       £ 


•<  üj  u.  '.^  —  C  7 


Eines    der 
unten),    d. 


Abb.  37.    Blütenstand  des  Lerchensporns   (Corydalis  cava) 

iußeren    Kronblätter    ist    gespornt    (gut    sichtbar    an    der    ersten    und    zueilen    Blüte 
i-eitert    und    birgt    darin    Honig.       Originalaufnahme   von    Frau   Ur 
Friedrich,   München.      Vergrößert 


h.    sackartig 


terial  wiederholen  kann. 
Erfindungen  im  gleichen 
Reichtum   birgt  für  den 

technisch  geschulten 
Blick  auch  der  tierische 
Organismus.  So  haben 
wir  den  tiefsten  Sinn  der 
aller  Bildung  bekannten 
Tatsachen  erfaßt,  daß 
die  Lunge  ein  ßlaschalf^. 
die  Gliedmaßen  der  Tiere 
Hebel,  die  Oelenkrolle 
des  Menschen,  wie  schon 
ihr  Namen  andeutet,  eine 
Rolle  (vgl.  Abb.  38)  in 
physikalischem  Sinn,  das 
Auge  der  Säugetiere  eine 
Camera  obscura  und  das 
Ohr  ein  Saiteninstrument 
ist.  Nur  müßte  der  Satz, 
um  vollständig  der  Wahr 
heit  zu  entsprechen,  um- 
gekehrt werden,  denn 
Ohren,  Augen,  Füße  und 
Lungen  und  die  ganze 
Biotechnik  waren  früher 
schon  da  als  des  Men- 
schen Technik,  und  man 
muß  eigentlich  sagen: 
Die  Camera  obscura  ist 
ein  Auge,  der  Blasebalg 
eine  Lunge,  von  der  man 
künstlich  nur  die  Eigen- 
schaften nachmacht,  die  man  für  einen  gegebenen  Zweck  brauchen  will.  Noch 
nie  hat  der  Mensch  etwas  anderes  getan,  nie  wird  er  etwas  anderes  machen 
können,  als  das  Fiinktionsgesetz  mit  den  ihm  zu  Gebote  stehenden  Materialien 
zu  verwirklichen,  so  wie  der  Organismus,  ja  die  ganze  Welt  nie  etwas  anderes 
getan  hat,  als  der  Funktionsform  ein  Sein  verliehen.  Darum  muß  beides, 
Biotechnik  und  Menschentechnik,  in  identischen  Funktionen  ablaufen. 

Wenn  nach  den  Sachs'schtn  Versuchen,  die  im  Jahre  1010  Thoday  be- 
stätigte, die  Sonnenblume  (Helianthus)  pro  Quadratmeter  Blattflächc  ihr 
Gewicht  in  der  Stunde  um  1,684  g  vermehren  kann,  ist  das  der  Beweis  einer 
so  vollkommenen  Technik,  daß  man  mit  vollem  Recht  das  Blatt  als  eine  der 


Abb.  38.  Die  biotechnische  Einrichtung  des  menschlichen  Oberarmes. 
a  c  bedeutet  den  Vorder-,  d  c  den  Oberarm.  Der  Armbeugemuskcl 
(Biceps,  b)  kann  wegen  der  Art  seines  Ansatzes  nur  wenige  Zentner 
heben,  während  der  Wadenmuskel  bei  voller  Ausnutzung  seiner  Kon- 
struktion 5030  kg  heben  kann.  Damit  dies  der  Biceps  könnte,  müßte 
er  bei  a  der  unteren  Abbildung  inseriert  sein  und  in  der  Richtung  a  a' 
wirken  können.  Da  er  aber  nicht  am  Ende  des  Hebeis,  sondern  bei  b 
der  unteren  Abbildung  angreift,  und  nicht  in  der  optimalen  Kraftrich- 
tung b  b  wirkt,  sondern  im  unvorteilhaften  Winkel  b  d,  kommt  also  die 
Komponente  b  e  zur  Geltung,  während  die  Komponente  b  g  für  die 
Hebung  verloren  geht.  Hieraus  folgt,  daß  der  Armbeugcmuskel  nicht 
zum  Heben  von  Lasten  da  ist  und  unzweckmäßig  d.  i.  unorganisch  ver- 
wendet wird.  Dagegen  ist  er  optimal  ausgenutzt  und  von  eminente 
Leistungsfähigkeit  für  das  Emporheben  des  Körpers  bcii 
(Nach    V.  Gräber). 


Klettern. 


Franci,  Bios   II 


97 


bewundernswertesten  Fabrikeinrichtungen  der  Welt  bezeichnen  kann.  Durch 
diese  Fabrikation  speichert  z.  B.  die  Waldfläche  Bayerns  jährlich  acht  Mil- 
liarden Kilogramm  Kohlen  auf,  eine  Leistung,  die  man  wirklich  nicht  unter- 
schätzen darf.  Überträgt  man  sie  auf  die  ganze  Pflanzenwelt,  steht  man  vor 
der  Tatsache,  daß  die  Pflanzen  ein  ganz  wichtiges  Glied  in  der  Erhaltung 
der  irdischen  Harmonie  sein  müssen,  da  sie  allein  die  Vermehrung  der  durch 
die  Vulkane,  die  Heizung  der  Menschen  und  die  Atmung  der  Lebewesen 
ausgehauchte  Kohlensäure  verhindern  und  dadurch  einer  sonst  unvermeid- 
lichen Verschlechterung  des  Klimas  und  einem  Kohlensäuretod  des  irdischen 
Lebens  vorbeugen. 

Das  winzige  „Stoma^^  die  Spaltöffnungen  des  Blattes,  durch  welche  die 
Kohlensäure  ins  Innere  des  Blattes  eindringt  (vgl.  Abb.  34),  das  feine  S}'- 
stem  von  Lücken,  durch  welches  die  Luft  in  der  Pflanze  zirkuliert,  sie  machen 
den  Biotechniker  auf  eine  neue  Eigenheit  der  organischen  Techniken  auf- 
merksam, die  in  der  menschlichen  Tätigkeit  keineswegs  in  dem  Maße  ein- 
geführt ist  wie  in  der  Natur,  nämlich  auf  die  Verkettung  der  Techniken,  wo- 
durch höchste  Ökonomie  durch  die  Verwendung  derselben  Funktionsform 
als  Durchgangspunkt  verschiedener,  manchmal  einander  sogar  entgegen- 
stehender Prozesse  erreicht  wird.  Wohlverstanden,  nicht  so  ist  das  gemeint, 
daß  eine  Funktionsform  mehreren  verschiedenen  Funktionen  dient,  denn  un- 
verbrüchlich gilt  der  Satz,  daß  jede  Funktion  nur  eine  ihr  zukommende 
Form  haben  könne,  sondern  das  Bewundernswerte  liegt  darin,  daß  die 
gleiche  Funktion  als  Teilvorgang  in  verschiedenen  Prozessen  eingeordnet 
und  dann  ein  Organ  zu  verschiedener  Zeit  in  anderem  teleologischen  Zu- 
sammenhang in  Anspruch  genommen  wird.  Die  Spaltöffnungen  dienen  z.  B. 
von  Sonnenaufgang  bis  Untergang  der  Rohstoffzufuhr  für  Assimilations- 
zwecke, später  aber  nicht  mehr,  weil  nicht  assimiliert  wird.  Die  gesamten 
24  Stunden  aber  dienen  sie  zugleich  der  Luftzufuhr  zum  Zwecke  der  Atmung, 
also  der  Energiegewinnung  für  die  Fabrikation,  außerdem  der  Entfernung 
der  verbrauchten  Luft,  und  als  dritte  Funktion,  für  die  sie  durch  Schiebe- 
türen, oft  besondere  Schutzvorrichtungen  angepaßt  sind,  auch  der  Entfernung 
des  Wasserdampfes  (buchstäblich  des  Betriebsabwassers)  durch  Transpira- 
tion. Dem  Biotechniker  werden,  wenn  er  diesen  Prozeß  der  Atmung  durch- 
gängig in  den  lebenden  technischen  Einrichtungen  verfolgt,  auch  da  sofort 
bei  den  Wirbeltieren  Verbesserungen  auffallen,  gegenüber  den  Exhaustoren 
und  Gebläsen,  die  in  der  Menschentechnik  die  Funktion  der  Atmung  ausführen. 
Die  tierischen  Exhaustoren  arbeiten  nämlich  nur  mit  einem  einzigen  Rohr. 

Die  Lunge  ist  ein  Blasebalg  mit  einer  einzigen  Öffnung,  worauf  hiermit 
zum  Nachdenken  und  der  eventuellen  Verbesserung  der  Blasebälge  aufmerk- 
sam gemacht  wird. 

Auch  der  Fortpflanzungsvorgang  bietet,  von  dem  Gesichtspunkt  seiner 
technischen  Ausführung  aus  gesehen,  Anregung  über  Anregungen.  Auch  in 
ihm  sind  wieder  zwei  Funktionsketten  mit  Vorliebe  so  durcheinandergescho- 

98 


ben,  daß  es  für  zwei  Arbeiten  nur  eines  Organes  bedarf.  So  verwenden 
Vögel  und  Reptilien  zur  Ausscheidung  und  Fortpflanzung  nur  eine  gemein- 
same Kloake,  was  entsprechend  dem  „weh'  dir,  daß  du  ein  Enkel  bist",  in 
der  stammesgeschichtlichen  Vererbung  so  weit  nachwirkt,  daß  selbst  der 
Mensch  in  seinem  Körper  für  die  Eierstöcke  noch  keine  besonderen  getrenn- 
ten Organe  der  Ausführung  ausgebildet  hat,  sondern  die  edelsten  Organe 
der  Zeugung  in  unappetitlicher  Nachbarschaft  der  Auswurföffnungen  für  die 
Verdauungsabfälle  und  Abscheidungen  bergen  muß.  Doch  man  sieht  an 
dieser  Unvollkommenheit  höchst  belehrend  in  die  absolute  Gültigkeit  des 
Funktionsgesetzes  hinein,  da  man  aus  der  vergleichenden  Anatomie  des  Ge- 
nitalsystems von  den  Fischen  bis  zum  Menschen  unwiderleglich  erkennen 
kann,  wie  sich  jede  Funktionsänderung  sofort  ihre  Organabänderung  erschafft. 

Im  einfachsten  Fall  werden  z.  B.  bei  den  Rundmäulern  unter  den  Fischen 
die  Eier  durch  den  Porus  abdominalis  direkt  in  das  Wasser  entleert.  Aber 
schon  bei  den  Selachiern,  also  den  Haien,  bleibt  die  Leibeshöhle  der  Auf- 
bewahrungsort der  Keime.  Und  nun  sieht  man  Schritt  für  Schritt,  wie  sich 
aus  der  Funktion  neue  Organe  herausbilden.  Der  Alüller^sche  Gang,  der 
der  Leitung  der  Eier  nach  auswärts  dient  und  im  ersten  Fall  nichts  als  eine 
Abspaltung  des  Urnierenganges  (Wo///'scher  Gang)  war  und  dadurch  die 
Entstehung  der  Genitalien  aus  den  Harnorganen  verrät  (daher  Urogenital- 
system), wird  schon  bei  den  Lurchen  erweitert,  um  die  in  ihm  herabgleiten- 
den Eier  anzusammeln,  damit  der  Organismus  sich  nur  in  größeren  Zwischen- 
räumen mit  dem  Eierlegen  zu  bemühen  braucht.  Da  haben  wir  also  schon 
den  Beginn  der  Uterushildung,  die  dann  zu  einer  so  fundamentalen  Umge- 
staltung der  ganzen  Organisation  führte,  wie  sie  die  Amnioten  kennzeichnet. 
In  ihrem  Kreise,  namentlich  bei  den  höheren  Säugetieren  sind  die  äußeren 
Geschlechtsteile,  im  besonderen  Penis  und  Vagina,  einfach  das  Optimum 
von  Funktionsformen  in  bezug  aufeinander,  weshalb  man  sich  hier  auch 
längst  gewöhnt  hat,  aus  der  Form  sogar  Rückschlüsse  auf  die  Funktion  zu 
ziehen,  was  doch  der  echt  biotechnische  Gedanke  ist.") 

Der  gleiche  Organkomplex  ist  überdies  noch  geeignet,  eine  zweite,  dem 
Denker  allerdings  selbstverständliche,  dem  Erleben  dagegen  sehr  wichtig  er- 
scheinende Konsequenz  des  Funktionsgesetzes  so  recht  nachdrücklich  vor  Augen 
zu  führen.   Das  ist  die  Rückentwicklung  der  nicht junkiionierenden  Teile. 

Angesichts  der  durchgängigen  Bilateralität  der  Wirbeltiere  sind  die  Mül- 
/er'schen  Gänge  so  wie  die  Nieren  auch  paarig  angelegt.  Aber  was  sieht 
man  bei  den  Vögeln?  Sie  besitzen  nur  ein  ausgebildetes  Ovarium  aus  Grün- 
den, die  offenbar  mit  ihrer  Lebensweise  zusammenhängen.  Das  der  rechten 
Seite  wird  zwar  angelegt,  dann  aber  bis  zum  Verschwinden  rückgebildet.  Der 
rechte  Müller'sche  Gang,  dem  dadurch  keine  Funktion  zufällt,  wird  von  den 
bekannten  Freßzellen  in  seine  Bestandteile  zerlegt  und  diese  anderweitig  ver- 
wandt, der  linke  dagegen,  dem  alles  an  Funktion  zufällt,  entwickelt  sich 
übermächtig,  liefert  in  besonderen,  neugebildeten  Drüsen  die  Eiweißschichten, 

7* 

99 


die  Schalenhaut,  mit  seinem  uterinen  Teil  sogar  die  Kalkschale  und  deren 
Farben,  was  alles  dem  Vogelei  zukommt.  Ein  Gegenstück  hiezu  bieten  die 
Säuger'  Noch  die  Beuteltiere  unter  ihnen  verfügen  über  einen  paarigen  Uterus, 
von  den  Plazentalien  an  aber  verwachsen  diese  beiden  zu  einem  Uterus  du- 
plex, der  sogar  bei  den  Nagetieren  noch  paarig  in  den  Muttermund  ragt. 
Erst  bei  den  Primaten,  also  auch  bei  dem  Menschen,  ist  die  einheitliche  Ge- 
bärmutter ausgebildet,  die  aber  immer  entsprechend  ihrem  Ursprung  asym- 
metrisch ausgebildet  ist.  Weil  beide  Eierstöcke  vorhanden  sind,  bleiben  auch 
beide  Eileiter  funktionstüchtig,  das  heißt  wohl  ausgebildet. 

Diese  Zusammenhänge,  im  Sprichwort  sogar  in  den  Volksmund  überge- 
gangen (Arbeit  stärkt  die  Glieder),  wurden  sehr  früh  durchschaut  und  von 
den  Franzosen  Jean  de  Lamarck  und  E.  Geoffroy  de  St.-Hilabe  zu  einer 
Theorie  der  direkten  Bewirkung  (Lamarekismus),  beziehungsweise  der  Lehre 
vom  Gebrauch  und  Nichtgebrauch  der  Organe  verdichtet,  die  in  einem  ge- 
wissen Sinn  der  Mutterschoß  der  objektiven  Philosophie  gewesen  ist,  da  ich 
auf  dem  Umweg  über  den 
Lamarekismus  zu  ihrer  der- 
zeitigen Formulierung  ge- 
langt bin.  Die  Biologie  hat 
sich  von  diesen  Grundlagen 
aus  schon  längst  eine  Funk- 
tionslehre erarbeitet,  die  in 
ihren  Ansätzen  als  Entwick- 
lungsmechanik (durch  Roux) 
und  als  experimentelle  Mor- 
phologie (namentlich  durch 
den  Münchner  Botaniker  K- 
Goebel)  nur  darauf  wartet, 
einheitlich  zusammengefaßt 
und  dargestellt  zu  werden. 
In  der  funktionellen  Histo- 
logie der  Tiere  und  Pflan- 
zen hat  diese  Richtung  ein 
klassisches  Arbeitsfeld  gefun- 
den, um  ihre  Thesen  von 
der  Funktion  als  trophischer 
Reiz  und  der  direkten  An- 
passung mit  zahllosen  Be- 
legen stützen  zu  können,  die 
der    Biotechnik    ebensoviele 

der     unschätzbarsten      Vorar-  ^^^    ^^     ^^^  ^U^^j^  menschliche  Kiefer.    Fund  aus  der  Grube 

beiten     bedeuten.       Hier     war  Orafenrain  bei  Mauer  (Homo  Heidelbergensis)  im  Vergleich  zu 

j         ^    ,     *    .  ,,r    ,ct  dem    Unterkiefer  eines  Orangs    (unten).    Man   beachte  die   pri- 

es,   wo    der   bChweiZer    WOLJJ  mltlve  Gestaltung  und  das  Fehlen  des  Kinns. 


100 


den  zu  so  großer  Bedeutung  gelangten  Beweis  des  funktionsmäßigen  Um- 
baues der  Knochentrajektorien  (vgl.  Abb.  16)  fand,  der  seitdem  dermaßen 
zum  gesicherten  Bestand  der  Erkenntnis  wurde,  daß  der  Münchner  O.  Walk- 
hoff  aus  der  Röntgendurchleuchtung  paläoanthropologischer  Kiefer  (vgl. 
Abb.  39)  die  Behauptung  wagen  konnte,  die  Vorfahren  der  Kulturmenschen 
aus  den  Zeiten  des  Paläolithikums  hätten  noch  gar  keine  artikulierte  Sprache 
besessen.  In  dieser  meines  Wissens  nicht  abgelehnten  Methodik  steckt  die 
vollkommene  Anerkennung  des  biotechnischen  Grundgedankens.  Es  wird  aus 
der  Funktionsform  auf  die  Funktion  unbedenklich  unter  der  Voraussetzung 
zurückgeschlossen,  daß  zu  jeder  Funktion  (in  diesem  Fall  also  zur  artiku- 
lierten Sprache)  gesetzmäßig  nur  eine  Funktionsform  gehört,  es  wird  also 
die  Formulierung  angewandt,  die  wir  dem  Funktionsgesetz  gegeben  haben. 

Hierher  gehören  die  berühmten  vorderbeinlosen  Känguruhhunde  von  E. 
Fuld^^),  die  bekanntermaßen  das  erste  unbestreitbare  Beispiel  der  Lamarck- 
schen  direkten  Anpassung  sind.  Diese  Tiere  erlitten  typische  Veränderungen 
in  der  Mechanik  des  anatomischen  Baues  ihrer  Hinterbeine  infolge  der  ver- 
änderten Funktion,  da  sie  sich  anders  bewegen  mußten. 

Diese  Funktionenlehre  wird  auch  dem  sogenannten  Konvergenzgesetz,  das 
bisher  schon  einigemal  flüchtig  unseren  Gedankenweg  kreuzte,  seine  befrie- 
digende Einordnung  als  Konsequenz  des  Funktionsgesetzes  ermöglichen. 
Unter  Konvergenz  verstand  man  bisher  die  Feststellung  der  Tatsache,  daß 
trotz  verschiedener  Abstammung  die  gleiche  Lebensweise  dennoch  zum 
gleichen  Anpassungstypus  führe,  und  zitierte  gewöhnlich  als  die  klassischen 
Beispiele  den  Fledermaus-,  Vogel-  und  Insektenflügel,  die  Fischähnlichkeit 
der  Wale  und  Delphine  u.  dgl.  mehr.  Eine  Erklärung  war  nicht  möglich; 
man  sagte  sich  nur,  daß  die  Erscheinung  irgendwie  in  den  Kreis  der  direk- 
ten Bewirkung  fallen  müsse.  Von  unserem  Standpunkt  aus,  der  sich  mit 
dem  der  auf  ganz  richtigen  Wegen  wandelnden  Entwicklungsmechanik  und 
experimentellen  Morphologie  deckt,  ist  das  auch  wirklich  der  Fall.  Kon- 
vergenz ist  für  die  Biotechnik  nur  der  Ausdruck  dessen,  daß  gleiche  Funk- 
tionen tatsächlich  immer  und  überall  gleiche  Funktionsformen  nach  sich 
ziehen.  Nur  ist  dieser  Gesichtspunkt  weit  höher  gewählt  und  erlaubt  es,  die 
Konvergenzerscheinungen  in  der  ganzen  Natur  sowohl  bei  Tieren  wie  bei 
Pflanzen  aufzusuchen  und  sie  sogar  bei  der  vergleichenden  Betrachtung 
lebender  und  lebloser  Funktionsformen  zu  verstehen. 

So  ist  denn  mit  dieser  Idee  dem  Denken  ein  Werkzeug  gegeben,  aus  der 
Ähnlichkeit  der  Formen  Schlüsse  auf  die  Funktionen  ziehen  zu  können. 
Man  versteht  seitdem  auf  den  ersten  Blick,  warum  die  Formen  der  tierischen 
Geschlechtswerkzeuge  im  Bau  der  Blüten  wiederkehren,  wozu  man  die  bei- 
gegebenen Abbildungen  einer  Berberisblüte  (Ab.  40),  eines  Fruchtknotens 
(Abb.  35)  und  eines  Blütenstandes  des  Lerchenspornes  (Corydalis,  Abb.  37) 
als  Vorschule  für  ihre  Betrachtung  in  der  Natur  eingehender  studieren  möge. 
Nicht   auf  eine   leere   Ähnlichkeitsjagd   begibt  sich   damit   der  biotcchnisc': 

101 


denkende  Forscher  nach  Art  derer,  in  der  sich  die  Biologie  alter  Zeit  zu 
gerne  gefiel,  wenn  sie  in  der  Signatur  lehre  dem  Grundsatze  des  similis  si- 
milibus  gemäß  nach  der  Leberlappenform  der  H epaücablätter  ihnen  Be- 
ziehungen zu  Leberleiden  zusprach  oder  nach  Art  der  ägyptischen  Mytho- 
logie den  Skarabaeuskäfern  (Abb.  21)  wegen  ihrer  kugeligen  Mistpillen 
eine  symbolische  Bedeutung  für  die  Weltkugel  andichtete,  sondern  sehr 
wohl  und  bis  in  die  feinsten  Beziehungen  motiviert  weiß  man  nun,  warum 
die  Gestaltungsverhältnisse  des  pflanzlichen  Fruchtknotens  bei  Blütenpflan- 
zen die  gleichen  sind  wie  bei  Moosen  (vgl.  Abb.  35),  deren  Archegon  mor- 
phologisch doch  eine  ganz  andere  Bildung  ist,  warum  aber  im  Prinzip  ein 


Abb.  40.  Zwei  Einzelblüten  des  Sauerdorns  (Berberis  vulgaris).  Die  inneren 
gelben  Blütenblätter  tragen  je  zwei  Nektarien,  zwischen  welche  sich  die  Staub- 
fäden mit  ihren  zwei  Staubbeuteln  in  ungereiztem  Zustande  schmiegen  (links). 
Bei  Berührung  des  Staubfadens  (was  durch  besuchende  Insekten  leicht  geschieht) 
führen  die  Staubfäden  Bewegungen  aus,  die  rechts  dargestellt  sind.  Durch  diese 
gamotropen  Bewegungen  wird  der  Besucher  aus  den  mit  Schlitzen  versehenen 
Staubbeuteln  mit  Pollen  überstäubt.  Etwas  vergrößerte  Origiiialzeichnung  nach 
der  Natur. 

Fruchtknoten  gestaltlich  mit  einem  Uterus  der  Wirbeltiere  übereinstimmt 
und  die  Blütenöffnung  überraschend  den  weiblichen  Genitalien  der  Tiere 
(Abb.  40)  (besonders  auffällig  ist  dies  bei  gewissen  Orchideen)  ähnlich 
sind,  warum  Spermatozoiden  im  Pflanzen-  und  Tierreich  bei  völligem 
Mangel  an  Verwandtschaft  oft  größte  Obereinstimmung  zeigen  (Abb.  20), 
bei  naher  Verwandtschaft  z.  B.  im  Kreise  der  Gliedertiere  aber  auch  ganz 
verschieden  sein  können.  Ein  dickes  Buch  könnte  man  füllen  mit  den  Tat- 
sachen, die  von  hier  aus  verständlich  werden.  Ein  besonders  glänzendes 
Kapitel  wäre  darin  jenes  von  den  Parasiten,  die  im  Tier-  und  Pflanzenreich 
eine  Fülle  von  konvergenten  Merkmalen  (Wurmgestalt,  Saugfäden  ^9),  vgl. 
Abbildung  26)    aufweisen.     Verständlich   wird   nun   auch   ein    vielstudiertes 

102 


Abb.     41.       Schwebeanpassuiigeii     mariner    Planktonkrcbse.      Etwas   vergrößert.      l    Weibchen    des 

Ruderfüßlers  Setella  gracilis.    2  Weibchen  von  Calocalanus.     3  Weibchen    von    Oithona    pliimifcra. 

Originalzeichnung. 

Phänomen,    nämlich    das    der    Schwebeanpassungen    und    Schwiinmvorrich- 
tungen  im  Tier-  und  Pflanzenreich. 

Die  merkwürdige  Lebewelt  des  Planktons  in  Meer  und  Sülhvasser  (Ab- 
bild. 41)  überrascht  seit  fast  zwei  Menschenaltern  die  Forschung  mit  immer 
neuen  und  seltsamen  Anpassungen,  die  diesen  drolligen  Kleinwesen,  die  sich 

103 


Abb.    42.     Klein krebsclien    des    Brackwassers    (Artemia    salina;    in    einem    mit    Queller    (Salicornia) 
bestandenen    Tümpel.     Das   mittlere    Pärchen    in    Begattung.     Etwas   vergrößerte   Originalzeichnung. 

in  der  unglücklichen  Situation  steten  Schwimmenmüssens  befinden,  ganz 
gleichmäßig  zukommen,  ob  es  sich  nun  dabei  um  Algen,  Urtiere,  Würmer 
oder  Krebse  handelt.    (Vgl.  hierzu  die  Abbildungen  41,  42  und  49). 

Gemeinsame  Züge  sind  ihnen  allen  aufgeprägt.  Sie  streben  alle  nach  mög- 
lichster Oberflächenvergrößerung,  die  besonders  durch  ,, Ausleger"  oder  fall- 
schirmartige Schvvimmsäume,  blattartige  Ausbreitung,  Entwicklung  von  Schau- 
feln und  enormen  Borsten  nach  Art  der  auf  Abb.  41  dargestellten  Meeres- 
krebschen  erreicht  wird.  Woher  stammt  aber  diese  Notwendigkeit?  Sie  alle 
(mit  Ausnahme  der  mit  Gasballons  im  Meere  obenauf  schwimmenden  Si- 
phonophoren)  sind  spezifisch  schwerer  als  das  Wasser.  Die  Wirkungen 
dieses  Übergewichtes  müssen  also  vom  Organismus  selbst  überwunden  wer- 
den. Und  das  geschieht  zumeist  durch  die  Form.  Die  Sinkgeschwindigkeit 
ist  von  der  spezifischen  Oberfläche  und  der  horizontalen  Projektion  des 
Körpers  abhängig.  Das  sind  also  die  Punkte,  an  denen  der  nach  teleo- 
logischem Prinzip  arbeitende  Körper  der  Organismen  eingreifen  muß,  um 
die  Sinkgeschwindigkeit  auf  Null  zu  reduzieren.  Daher  sehen  wir  die  Form- 
veränderungen, im  besonderen  die  Vergrößerung  der  Oberfläche  bei  den  der 
Sinkgefahr  ausgesetzten  Planktonten.  Und  gemäß  der  Tatsache,  daß  die 
Viskosität,  also  die  Tragfähigkeit  des  Wassers  bei  25 «  C  nur  die  Hälfte  des- 


104 


sen  ist  wie  bei  null 
Grad,  entstehen  so  ganz 
im  Einklang  mit  dem 
Funktionsgesetz  soge- 
nannte Temperatiirvari- 
ationen,  also  z.  B.  die 
Ceratien  (Abb.  28),  die 
im  Winter  drei,  im  Som- 
mer aber  vier  Hörner 
haben,  oder  die  reizen- 
den Hyalodaphnia- 
krebschen,  deren  drol- 
liges Helmchen  nur  in 
der  Winterzeit  aufge- 
setzt wird,  während 
die  kleinen  Köpfchen 
im  Sommer  unbewehrt 
sind. 

Die  Konvergenz  zwi- 
schea  Pflanzen  (Dino- 
flagellaten)  und  Tieren 
(Krebsen),  die  durch 
hundert  andere  Bei- 
spiele aus  dem  großen 
Bilderbuch  der  Plank- 
tologie  belegt  werden 
könnte,  liegt  nun  auf 
der  Hand. 

Es  liegt  nahe,  daß  das  Denken  bei  Betrachtung  dieser  Erscheinung  auf 
den  Gedanken  gerät,  auch  für  die  so  vielerörterte  Mimikry  zwischen  den 
Organismen  die  gleiche  Erklärung  anwenden  zu  können. 

Unter  Mimikry  oder  schützender  Nachäffung  versieht  man  bekanntlich  die 
Tatsache,  daß  Tiere  und  Pflanzen  die  Gestalt  und  die  Farben  anderer,  oft 
sogar  unbelebter  Dinge  annehmen.  Daß  sie  solches  tun,  um  sich  vor  Nach- 
stellungen ihrer  Feinde  zu  schützen,  das  war  eben  die  unberechtigte,  weil 
ganz  willkürliche  Annahme  des  älteren  Darwinismus,  die  der  Mimikrytheorie 
so  viel  Feinde  geschaffen  hat.  Von  dieser  Annahme  und  auch  von  dem  Ein- 
wurf, daß  nicht  alle  Tierformen  Sehgeschöpfe  sind  wie  wir,  sich  daher  bei 
ihrem  oft  farbenblinden  Auge,  ihrem  gleich  den  Ameisen  für  ultraviolettes 
Licht  empfänglichen  Sehvermögen  und  ihrem  staunenswerten  Geruch  von 
dem  optischen  Bild  nicht  so  täuschen  lassen  wie  der  Mensch,  wollen  wir 
ganz  absehen;  Tatsache  ist,  daß  die  das  „wandelnde  Blatt"  genannte  Hcu- 
schrecken(Pterochroza-)arten  auf  ihren  Flügeln   bis  in  die  feinsten   Lin/cl- 


Abb.   43.     Der  große    Fetzcnfiscli    (I'bylloptcryx   cques   Caihr.)    citi    Bei- 
spiel   vollkommener   Schutzaiipassuiijj    im    Tangwald.    OrijjinaUeichnun^'. 


105 


heiten  Struktur  und  Farben  von 
Laubblättern,  oft  sogar  welke  samt 
den  Fraßgängen,  Schimmelpilzen  und 
Tautropfen  imitieren;  Tatsache  ist, 
daß  die  Stabheuschrecke  (Bacillus) 
einem  dürren  Zweig  zum  Verwech- 
seln gleicht,  so  wie  Rindenwanzen 
der  Baumrinde,  daß  die  überall  zu 
findenden  Spannerraupen  nicht  nur 
Form  und  Farbe  von  Stengeln  und 
Ästchen  haben,  sondern  auch  holz- 
steif, ganz  gegen  die  Art  der  sonsti- 
gen Raupen  ihren  Körper  nach  Art 
von  Zweigchen  hinaushalten;  unleug- 
bar ist  es  ferner,  daß  die  einhei- 
mische Motte,  welche  die  Zoologen 
Tortrix  acellaria  nennen,  im  Ruhe- 
zustand einem  Häufchen  Vogelkot 
zum  Verwechseln  ähnlich  sieht,  und 
daß  der  südamerikanische  Spinner 
Aides  Kokons  anfertigt,  in  denen 
Nachahmungen  der  Schlupfwespen- 
Löcher  angebracht  sind.  Auch  im 
Reich  der  höheren  Tiere  fehlen  Fälle 
von  Mimetismus  nicht.  Der  auf  Seite 
105  abgebildete  Fetzenfisch  (Phyl- 
lopteryx  eques)  lebt  zwischen  Mee- 
restangen und  nimmt  ihre  Gestalt 
und  Farbe  an,  der  Polarfuchs  ist 
schneeweiß  so  wie  der  Schneehase, 
der  Löwe  ist  wüstenfarben,  und  der  österreichische  Zoologe  P.  Kammerer, 
der  den  Gedanken  der  Mimikrykonvergenz  auch  streifte,  hat  mir  einmal  Sala- 
mander gezeigt,  die  er  jahrelang  auf  dunkler  Erde  hielt,  und  die  ganz 
schwarz  wurden,  während  die  auf  hellem  Boden  orangefarben  blieben. 

An  den  Tatsachen  läßt  sich  also  nicht  zweifeln.  Sehr  wohl  muß  man  da- 
gegen, wie  im  ganzen  Problem  der  Funktionsformen,  die  aktiven  von  den 
passiven  Anpassungen  unter  den  Schauspielern  der  Natur  trennen. 

Wenn  der  /4/fifesspinner  künstlich  die  Kokons  mit  Löchern  der  Schlupf- 
wespen, die  seine  größten  Feinde  sind,  ausstattet,  so  tut  er  dasselbe  wie  die 
Maskenkrabben,  die  den  Seetangen  ähnlich  sehen,  zwischen  ihnen  leben  und, 
wenn  sie  einmal  gezwungen  sind,  auf  fremden  tanglosen  Boden  hinaus  zu 
wandern,  dann  ein  Seetangstückchen  mit  den  Scheren  abkneipen  und 
schützend  über  sich  halten.  Sie  tun  dasselbe  wie  eine  Raupe,  die  zwischen 


Abb.  44.    Erdpyramide.    Motiv  vom  Ritten  bei  Bozen. 
Originalzeichnung. 


106 


Abb.  45.  Schema  einer  Gitterbrücke,  die  nach  dem  Prinzip  einer  Pflanzcnzelle  durchbrochen  ist,  d.  h.  nur 
entlang    den    Druck-    und    Zuglinien    feste    Elemente    enthält.     (Vgl.    Abb.    31    und  34).    Originalzeichnung. 

Knospen  lebend,  sich  auf  ihren  Stacheln  Knospen  aufspießt  uns  sich  so  mas- 
kiert. Die  Wespen  handeln  tatsächlich  nicht  anders,  wie  die  Soldaten  im 
verflossenen  Kriege,  die  nicht  nur  ihre  Kanonen  und  Tanks  grün  anstrichen, 
sondern  selbst  mimetische  Schutzgewänder  anzogen. 

Das  alles  aber  ist  ein  ganz  anderes  Problem  als  die  Mimikry;  es  gehört 
in  das  Kapitel  der  Intellektleistungen  und  ist  nichts  anderes  als  eine  Anwen- 
dung der  Kenntnisse  von  der  Mimikry  der  anderen,  die  sich  ebenso  gut 
auch  auf  der  anderen  Seite,  nämlich  bei  den  Feinden  findet.  Darum  ist  es 
gar  kein  Gegenbeweis  gewesen,  als  man  hervorhob,  daß  die  angeblich  ge- 
schützten Mimikrysten  doch  gefressen  werden.  Daß  ein  Schwindler  durch- 
schaut und  verhaftet  wird,  ändert  eben  nichts  an  der  Tatsache,  daß  er  doch 
ein  Schwindler  ist. 


107 


Abb.  46.  Die  Biotechnik  der  Tiere.  Der  Kopf 
eines  Fledermausflohes  mit  kammarligen  Ein- 
richtungen zum  Zerteilen  der  Haare  seines 
Opfers.    Schwach  vergrößerte  Originalzeichnung. 


Die  wahre  Mimikry  dagegen  ist  keine 
Intellektleistung,  sondern  eine  funktio- 
nelle Anpassung  wie  die,  daß  alles,  was 
trägt,  zu  einer  Säule  wird,  mag  das  nun 
Eis  oder  Erde,  ein  Baumstamm  oder  das 
Bein  eines  Storches  sein,  und  mag  die 
„bewirkende  Ursache"  nun  die  Wärme, 
die  mechanische  Kraft  des  Wassers  oder 
ein  biologisches  Bedürfnis  heißen. 

Die  Erdpyramide,  die  ich  hier  (Abb. 
44)  habe  abbilden  lassen,  ist  eine  solche 
Säule.  Zu  Hunderten  stehen  sie  bei  Bo- 
zen, im  Wallis  und  in  anderen  Gebirgs- 
tälern an  Orten,  wo  in  weichen  Lehm 
größere  Felsblöcke  nach  Art  der  in  Band  1 
Abbildung  70  dargestellten  Breccie  einge- 
backen sind.  Der  Regen  und  die  Schmelz- 
wasser waschen  die  lösbaren  Bestand- 
teile einer  solchen  Moräne  aus. 
Wo  ein  größerer  Block  liegt,  übt  er  die  Schutzfunktion  aus,  und  die  unter 
ihm  steckenden  Partikel  bleiben  unversehrt.  Je  weiter  die  Erosion  fort- 
schreitet, desto  ausgebildeter  erhebt  sich  die  Säule.  Genau  so  kommen  aber 
an  den  Gletscherrändern  die  Gletschertische  zustande,  nur  daß  hier  Eis  das 
Material  und  das  Abschmelzen  des  Eises  ohne  schattenspendenden  Hut  die 
bewirkende  Kraft  ist.  Die  tragende  Funktion  läßt  aber  auch  in  den  Zell- 
elementen eines  Baumstammes  die  funktionierenden  nach  dem  Gesetz  von 
Druck  und  Zug  zu  bestimmten  Systemen  zusammentreten,  wie  der /^OMAr'sche 
Versuch  mit  Gummi  (vgl.  Kap.  I)  bewiesen  hat,  und  verleiht  ihnen  die 
Säulenform,  indem  sie  sich  zu  Ringen  zusammenschließen,  in  denen  die 
Festigungselemente  (vgl.  Abb.  31)  —  Stereome  nennt  sie  der  Pflanzen- 
anatom —  die  Anordnung  befolgen,  die  der  Mensch  nachgemacht  hat,  als 
er  die  Konstruktion  der  I-Träger  erfand.  Das  Trajektoriensystem  in  anderer 
Anwendung  steht  damit  vor  uns,  und  vi'enn  man  eine  I-Träger-Gitterbrücke 
(vgl.  Abb.  45)  aus  Eisenschienen  erbaut,  wissen  die  wenigsten,  daß  damit 
eine  Biotechnik  als  Konvergenzerscheinung  ins  Leben  getreten  ist. 

So  wie  das  stete  Durchkämmen  der  feinsten  Haare  den  Kopf  des  Fleder- 
mausflohs zu  dem  drolligen  Kamm,  der  auf  Abbildung  46  vor  uns  steht,  um- 
gestaltet oder  die  Funktion  des  Laufens,  Schwimmens  oder  Fliegens  die  ent- 
sprechenden Gliedmaßen  und  die  Körpergestalt  der  Läufer,  Schwimmer  oder 
Flieger,  wofür  das  Tier-  und  Pflanzenreich  in  vielen  Konvergenzerscheinungen 
ein  wahres  Album  aufschlägt,  so  veranlaßt  das  hier  der  Beurteilung  Vor- 
gelegte, um  zu  seiner  Zusammenfassung  zu  gelangen,  den  Gedanken  wirk- 
lich  ernstlich   zu   erwägen,    ob   die   wahren   Nachahmungsfälle   denn   nicht 


108 


eigentlich    bloß    Fälle 
ausgeprägter     Konver- 
genz sind?  Ist  es  wirk- 
lich so  unmöglich,  daß 
die   gleichen    Faktoren 
der    Umwelt,    die    das 
Blatt  und  die  auf  Blät- 
tern  lebende  Raupe  be- 
einflussen, beide  in  ge- 
wisse ähnliche  Gestal- 
tungen   bringen?    Für 
eine   Anzahl  der   noch 
nach    der   obigen    Kri- 
tik bestehen  bleibenden 
Mimikryerscheinungen 
muß    diese    Erklärung 
ohne  Zweifel  zutreffen. 
Allerdings  ist  es  eine 
ihrer  Konsequenzen,  die 
mit  in  Kauf  genommen 
werden  muß,  daß  dann 
eine  Art  Mimikry  auch 
im  Unbelebten  vorkom- 
men müßte.    Nun  gibt 
es    Derartiges   tatsäch- 
lich, und  man  hat  nur 
nicht  genügend  darauf 
geachtet.    Die  Überein- 
stimmung von   Erdpy- 
ramide und  Gletscher- 
tisch   ist    nichts    ande- 
res;   Rundhöcker,  ent- 
standen durch  abschleifendes  Eis  (Abb.  3),  und  Gerolle,  hervorgerufen  durch 
abscheuerndes  Wasser  (Abb.  6)  sind  echte  Mimikryformen,  auch  die  Kugcl- 
form  der  Sandkörner  und  der  sich  im  Winde  zurechtschleifendeii  Eiskörner 
oder  die  der  schönen  rundhöckerigen  Wolken  des  Cumulustypus,  der  von 
den  Luftströmungen  zurechtgebosselt  wird.    Die  Wellenzüge  des  bewegten 
Meeres  und  die  aus  Erdkrustenbewegungen  hervorgegangenen  Wcllcnzüge 
der  Gebirge  (Abb.  9),  die  von  manchem  Aussichtsberg  so  unabweislich  ins 
Auge   fallen,   dazu   die   Wellenzüge   der   Dünen    und    Barchane   im    großen 
(vgl.   Bd.  I   Abb.  68)   und   der   Rippelmarken   im   kleinen   —  das   alles   sind 
Fälle  von  Mimikry  im  Anorganischen.    Und  es  ist  nur  die  notwendige  Be- 
schränkung auf  das  Wesentliche,  die  mich  abhält,  ln"er  Hundertc  von  Fällen 


Abb.    47.     Ein    Blutenstand    von    Ceropegia    Sanilersoni.     Die    Corolla    i>t 

zu    einem    Regenschutzdach    geworden,    das    die    Niederschläge    von    den 

tief    an     der     Basis     der     Blütenröhre     stehenden     Staubblättern     abh.ilt. 

Originalzeichnung. 


109 


zusammenzustellen,  die  sich  bis  auf  die  „Mimikry^^  im  molekularen  und  ato- 
maren Bau  (Isomerie!?)  erstrecken  könnten.  Ob  nun  das  Mimikryproblera 
mit  der  Konvergenzerscheinung  restlos  geklärt  ist  oder  nicht,  Tatsache  ist, 
daß  das  Konvergenzphänomen  (für  das  die  objektive  Philosophie  der  Wissen- 
schaft erst  die  Augen  richtig  zu  öffnen  heißt)  von  ungeahnter  und  allge- 
meiner Verbreitung  als  eine  Konsequenz  des  Funktionsgesetzes  ist. 

Nach  dieser  Vorbereitung  hat  man  denn  erst  auch  das  richtige  Verständ- 
nis, daß  auch  alle  technischen  Leistungen,  mögen  sie  nun  der  zellulären,  der 
histologischen  oder  individuellen  Integrationsstufe  entstammen,  auch  zu 
Konvergenzerscheinungen  fähren  müssen. 

Die  vielen,  deren  Aufmerksamkeit  die  Biotechnik  bisher  erregt  hat,  haben 
wohl  die  Bilder  und  nicht  ableugbaren  Beispiele  mit  Erstaunen  gemustert,  als 
sie  sahen,  daß  das  Herz  eine  Pumpe  ist,  die  Pflanze  Wasserleitungsröhren 
besitzt  und  die  Ahornfrüchte  Propellerflügel,  der  Haifischschwanz  ebensogut 
eine  Propellerschraube  ist  wie  gewisse  Flagellaten  im  ganzen,  daß  der  innere 
Bau  des  Ohres  (Abb.  8)  ein  Saiteninstrument  ist,  daß  gewisse  Pflanzen  Honig- 
sporne in  Form  von  Trinkhumpen  (Abb.  25)  und  Regenschirme  (Abb.  47) 
besitzen,  daß  die  Gelenke  der  Tiere  und  die  Kugelgelenke  der  Mechaniker 
identisch  sind  (Abb.  38),  die  Bienen  ganz  ähnliche  Schutzwälle  aus  Wachs 
(Abb.  48)  um  ihr  Flugloch  aufführen  wie  gewisse  Pflanzen  um  ihre  Tran- 
spirationsöffnungen, sie  haben  sich  ungläubig  und  mit  Recht  mißtrauisch 
gegen  eine  Behauptung  von  so  ungeheuerer  Tragweite  auch  gesagt:  Zu- 
fälle können  so  viele  und  so  frappante  Übereinstimmungen  doch  nicht  alle 
sein.  In  dem  Werk  über  die  technischen  Leistungen  der  Pflanzen  sind  rund 
hundert  Erfindungen  angeführt,  die  sowohl  dem  Prinzipe  nach  im  Pflanzen- 
leib wie  in  der  menschlichen  Technik  verwirklicht  sind,  und  wenn  ich,  der 
ich  kein  Techniker,  sondern  Biologe 
bin,  auch  manches  nicht  richtig  ge 
deutet  und  mißverstanden  haben  mag 
im  guten  wie  im  schlechten  Sinn,  so 
sieht  man  doch  daraus,  sowie  aus 
der  praktischen  Anwendbarkeit  mei- 
ner daraus  gezogenen  Vorschläge, 
daß  in  diesen  Dingen  ein  Gesetz 
walten  muß,  um  das  sich  die  Mensch- 
heit mit  allen  Kräften  bemühen  soll. 
Ob  sie  nun  die  Art  des  Denkens,  die 
ich  von  da  ab  eingeschlagen  habe, 
rechtfertigt  oder  nicht,  ob  sie  die  ob- 
jektive Philosophie  annimmt  oder 
andere  Konsequenzen  aus  diesen  Tat 

Sachen     zieht     als     ich,     darüber     kann        Abb.  48.     Flugröhre  brasilianischer  Bienen  an   einem 

man    nie   mehr   wieder    hinwegkom-  ^^""^  ^'^  '"'^S^JSlZt^"'^^''' 


110 


men:  daß  die  zellulären  und  histologischen  Bauten  und  Leistungen  der 
Protoplasten  und  Organe  dieselben  mechanischen  Zusammenhänge  auf- 
weisen wie  die  von  den  Tierindividuen  und  von  den  Menschen  primitiver 
und  kultivierter  Art  verwendeten  Geräte,  Mechanismen,  Schutzbauten,  Waf- 
fen, Maschinen,  überhaupt  Einrichtungen  materieller  und  geistiger  Art,  daß 
sich  also  die  einen  ganz  gut  als  Vorbilder  für  die  anderen  eignen. 

Es  liegt  hier  eine  Konvergenzerscheinung  größten  Maßstabes  vor,  und  die 
gesamte  Kultur  erscheint  nur  als  eine  Fortsetzung  und  Kopie  der  natürlichen 
Gesetze,  soweit  sie  Haltbares,  Zweckmäßiges,  Lebensförderndes  hervorbringt. 

Jede  Kritik  der  Biotechnik  und  damit  der  objektiven  Philosophie,  aus  der 
sie  folgerichtig  abgeleitet  ist,  muß  sich,  wenn  sie  die  Lehre  treffen  will, 
gegen  diese  Sätze  wenden;  alle  anderen  sind  nebensächlich,  können  fallen, 
weggenommen,  durch  andere  ersetzt  werden,  ohne  daß  dadurch  die  Bio- 
technik ins  Wanken  gerät  und  mit  ihren  Konsequenzen  aufgegeben  zu  wer- 
den braucht.  Ich  wiederhole  gegenüber  gewissen  Kritikern  der  Biotechnik, 
daß  es  für  die  Richtigkeit  des  biotechnischen  Gedankens  gar  nichts  aus- 
macht, ob  der  Tragmodul  des  Stahles  den  von  lebensfrischem  Bast  über- 
trifft oder  nicht,  ob  die  Hydathoden  wirklich  nach  dem  Prinzip  der  Feuer- 
spritze, also  einer  hydraulischen  Presse  oder  nach  dem  einer  anderen  Ma- 
schine arbeiten,  ob  die  Dinoflagellateneinrichtungen  durch  die  Turbinen 
nachgemacht  sind  oder  vielleicht  noch  gar  nicht  in  der  menschlichen  Tech- 
nik existieren,  „ob  die  Ozeandampfer  relativ  schneller  fahren"  oder  die 
schifförmigen  Flagellaten  (das  etwa  sind  die  Einwände,  die  mir  bisher  gegen 
die  Biotechnik  zu  Gesicht  gekommen  sind»«).  Das  alles  sind  nebensäch- 
liche Einzelheiten;  wichtig  und  wesentlich  dagegen  ist,  daß  eine  allgemeine 
und  erstaunlich  große  Konvergenz  zwischen  Einzeller,  Gewebe,  Pflanze, 
Tier  und  Mensch  in  den  „Funktionsformen"  besteht. 

Eine  alte  Gelehrtenanekdote  sagt  zwar,  daß  wenn  die  Menschen  eine  neue 
Idee  nicht  mehr  als  staatsgefährlich  (als  Pythagoras  seinen  Lehrsatz  fand, 
opferte  er  den  Göttern  eine  Hekatombe  Ochsen,  seitdem  zittern  alle  Ochsen, 
so  oft  etwas  Neues  entdeckt  ward)  empfinden,  sie  zu  schreien  pflegen,  das 
Neue  sei  nicht  wahr,  und  wenn  ihnen  das  auch  widerlegt  wird,  dann  sagen 
sie:   die  Sache  sei  ja  alt! 

So  wird  man  denn  im  letzten  Stadium  des  Kampfes  wider  die  objektive 
Philosophie  und  ihres  Abkömmlings  auch  sagen:  durch  Simon  Schwendencr 
(schon  1871),  durch  Culmann  und  andere,  durch  die  funktionelle  Anpassung 
überhaupt,  sei  der  biotechnische  Gedanke  längst  geschaffen  worden.  Ich 
verneige  mich  respektvoll  vor  jedem  meiner  Vorläufer,  freue  mich  aber  trotz- 
dem dessen,  daß  die  Menschen  nicht  mehr  länger  zugewartet  haben  mit 
jenen  Ansätzen  wirklich  Ernst  zu  machen,  sie  in  lebendige  Wirkung  zu  über- 
setzen und  sie  in  eine  Philosophie  einzuordnen,  und  daß  gerade  ich  es  war, 
dem  das  vergönnt  gewesen,  und  der  auch  schon  mit  Früchten  dieses  Ver- 
dienstes einigermaßen  belohnt  zu  werden  beginnt.   Nun  aber  hoffe  ich,  daß 

111 


man  es  nicht  mehr  übersehen  wird,  welch  frappante  Konvergenz  zwischen 
dem  Menschen  und  den  ihm  untergeordneten  Integrationsstufen  besteht. 

Man  wird  von  nun  an  eben  endlich  sehen,  daß  der  Arm  des  Menschen  und 
die  Werkzeugmaschinen  nach  ein  und  demselben  Prinzip  gebaut  sind  (Abb.  38), 
daß  der  Arm  aber  als  natürliches  Hammerwerk  mit  seinen  Muskeln  ganz 
anderes  leistet  als  die  Maschinen  [die  Wadenmuskeln  des  Menschen  sind  z.B. 
imstande  5000kg  zu  heben  (V.  Graber)].  Man  wird  hoffentlich  einsehen, 
warum  der  Mensch  erst  dann  „fliegen"  konnte,  als  er  die  Gesetze  der  Flug- 
maschinen der  Natur  auf  seine  Sonderverhältnisse  anwendete.  Die  Idee  des 
Lenkballons  ist  trotz  aller  Zeppeline  nicht  die  optimale;  die  vielen  Zeppelin- 
unfälle beweisen  es,  und  eines  Tages  wird  man  die  Lenkballone  wieder  auf- 
geben, zum  mindesten  nur  für  bestimmte  Sonderzwecke  verwenden.  Denn 
der  Lenkballon  löst  die  Bewegungsproblematik  für  die  Luft  so  wie  es  die 
Biotechnik  in  den  später  abgebildeten  Siphonophoren  und  mit  Gasblasen 
schwebenden  Spaltalgen  für  das  Wasser  gelöst  hat.  Die  Gesetze,  welche  das 
„Naturgeschehen"  zwangen,  andere  Wege  zu  gehen,  werden  daher  auch  das 
Menschenschaffen  dazu  zwingen.  Dagegen  ist  O.  Lilienthals  Werk  über  den 
Vogelflug  als  Grundlage  der  Fliegekunst  ein  unverfälscht  biotechnisches 
Werk  gewesen,  und  bekanntlich  baut  sich  alle  Aviatik  auf  diesem  unglück- 
lichen Berliner  auf.  Schon  die  eine  Tatsache,  daß  die  Flugmaschine  zum 
horizontalen  Flug  nur  Vn  der  Arbeit  des  Luftballons  bedarf  (K.  Steiger), 
entscheidet  den  Wettkampf  zwischen  beiden  definitiv.  Tatsächlich  hat  man 
die  Rumplertaube  genau  nach  den  Samen  der  Zffwow/flpflanze  konstruiert 
auf  Grund  der  Angaben,  die  das  Göttinger  botanische  Institut  lieferte. 

Die  62  Prozent  der  Tierwelt,  die  außer  den  Pflanzensamen  das  Fliegen 
gelernt  haben,  worunter  allein  248000  Insekten-  und  12  000  Vogelarten  sind, 
haben  dieses  Problem  besser  gelöst  als  der  Mensch,  der,  wie  der  französi- 
sche Großmeister  der  Aviatik,  Bleriot  im  Jahre  1909  ganz  richtig  sagte:  in 
erster  Linie  dabei  die  Vorgänge  in  der  Natur  so  getreu  als  möglich  kopieren 
mußte  und  sich  namentlich  die  Eule,  die  Pflanzensamen  und  die  Libelle  als 
Modell  wählte,  mit  dem  Endresultat:  je  vogelhafter  seine  Maschine  sei, 
desto  besser  sei  es  auch  für  ihre  Leistung.  Man  lasse  sich  dabei  nicht  irre- 
führen, daß  der  Mensch  keine  Flügelbewegung,  sondern  Schrauben  anwendet. 
Die  Schraube  funktioniert  (vgl.  Anmerkung  40)  genau  wie  der  Niederschlag 
des  Flügels,  und  die  Gleitflächen  des  Flugapparates  sind  letzten  Endes 
nichts  anderes  als  steife  Flügel  zum  Gleitflug,  der  nebst  dem  Segelflug  auch 
für  den  Vogel  die  ausschlaggebende  Leistung  ist.  In  höheren  Luftschichten 
segeln  alle  Vögel,  da  jeder  angeblich  horizontale  Wind  doch  3— 4°  Neigungs- 
winkel besitzt  (Lilienthal);  mit  anderen  Worten  sie  machen  biotechnischen 
Gebrauch  von  den  Gesetzen  der  schiefen  Ebene,  genau  so  wie  der  Mensch. 
Nur  ist  dieser  noch  nicht  so  weit  gekommen  im  Fliegen  wie  seine  Vorbilder, 
wofür  die  ungeheuren  von  den  Ringversuchen  der  ^  Vogelwarte  Rossitten 
nachgewiesenen  Flugleistungen  der  Zugvögel  das  beste  Zeugnis  sind.   Flug- 

112, 


Abb.  49.  Die  Kleinwelt  des  Süßwassers 

Technische  Einrichtungen  heimischer  Süßwassertiere  und  Pflanzen.  Das  Blascnkr.iut  (l'tric\ilaria), 
links,  bildet  an  seinen  Blättern  zum  Tierfanjr  eingerichtete  „Blasen"  mit  vcntilartiKcn  Klappen. 
Die  Wasserspinne  (Argyroneta  aquatica),  rechts  oben,  füllt  eine  von  ihr  verfertigte  „Taucher- 
glocke" mit  Luft,  um  darin  unter  Wasser  lauern  zu  können.  Die  Larven  der  Köcherflicgen  (Phry- 
ganceen),  am  Boden,  bauen  aus  abgebissenen  Pflanzenstengeln,  Sand-  oder  Quarzkörnchen  und  der- 
gleichen   zum   Schutz   Gehäuse,   in   denen    sie   umherwandern.      Original   von   C.    Winkler 


ibb.  50.    Rückschreitende  Erosion.    Auflösung  eines  Wasserfalls  in  eine  Reihe 
von  Fällen.    Motiv  vom   Kesselbachwasserfall  bei  Kochel  in  Bayern.    Onginal- 

aufnahme 


leistung  vieler  tausend  Kilometer  (Rossitten  bis  Afrika)  sind  einwandfrei 
beobachtet  worden.")  Übertroffen  hat  der  Mensch  solche  Flugleistungen 
keineswegs,  die,  wie  GouLd  berichtet,  einem  Riesen-Sturmvogel  vom  Kap  der 
guten  Hoffnung  bis  Tasmanien  drei  Wochen  hindurch  in  Kreisen  ein  Schiff 
zu  begleiten  erlaubten. 

Man  wird  hoffentlich  jetzt  dazu  gelangen,  das  Werk  der  Tiere  und  Pflan- 
zen bewußt  fortzusetzen,  das  schon  längst  in  angewandter  Biotechnik  be- 
steht, um  Nahrungs-  und  Schutzbedürfnisse  zu  befriedigen,  sich  vor  Feinden 
zu  schützen,  sogar  das  Leben  heiterer  und  reicher  zu  gestalten.  Es  gibt  schon 
längst  eine  höhere  Integrationsstufe  von  Biotechnik,  die  eigentlich  nichts  an- 
deres als  die  Kultur-  und  Kunstgeschichte  der  Tierwelt  ist,  die  tausendmal 
beobachtet  und  erforscht,  in  hundert  Monographien  dargestellt  und  merkwür- 
digerweise noch  niemals  durch  ein  geistiges  Band  mit  der  menschlichen  ür- 
und  Kulturgeschichte  verknüpft  wurde,  trotzdem  diese  die  gerade  Fortsetzung 
dieser  Linie,  nichts  als  ihre  endlich  bewußt  gewordene  Entfaltung  ist. 

Wieder  zwingt  der  Reichtum  des  Seienden  hier,  den  Inhalt  von  Büchern 
auf  Seiten  zusammenzupressen,  und  nur  erinnern  kann  ich  daher  daran,  daf» 
gemäß  dem  biotechnischen  Konvergenzgesetz  genau  nach  den  Prinzipien  der 
cyto-  und  organogenetischen  Leistungen,  die  z.  B.  die  Waffen  der  Pflanzen 
allein  bestimmen,  die  Tiere  prinzipiell  die  gleichen  Mittel  als  Waffe  anwen- 
den. Ein  Beispiel  möge  hierfür  an  Stelle  von  vielen  stehen.  Die  Brennessel 
(Urtica)  schützt  sich  durch  Brennhaare,  die  ein  kleines  mehrzelliges  Organ 
nach  dem  Prinzip  einer  gläsernen  Phiole  voll  Schlangengift  sind.  Genau 
dasselbe  Mittel,  nämlich  ätzende  und  brennende  Drüsensäfte,  wenden  die 
Medusen  im  Meere  an.  Aber  die  Äolidier  unter  den  marinen  Nacktschnecken 
gehen  einen  Schritt  weiter  und  üben  mit  dem  Vergiften  der  Feinde  eine  aktive 
Biotechnik.  Sie  fressen  nämlich  nesselnde  Polypen,  nehmen  sie  in  Darm- 
blindsäcke auf,  die  sie  bei  Angriffen  ihren  Gegnern  entgegenstrecken,  damit 
sie  danach  schnappen.  Das  ist  zugleich  ein  Fall  von  Anwendung  von  Werk- 
zeugen im  Tierreich,  die  zwar  nicht  häufig,  aber  der  definitive  Beweis  dafür 
sind,  daß  man  die  Anfänge  der  technischen  Kultur  wirklich,  wie  H.  Spencer 
wollte,  im  Tierreich  finden  kann.  Die  anderen  berühmten  Belege  dieser  Be- 
hauptung sind  die  von  F.  Doflein  beobachteten  Weberameisen,  die  spinnende 
Puppen  verwenden,  um  Blätter  zusammenzuheften,  die  kleine  Raubwcspo 
(Ammophila),  die  mit  einem  Kieselsteinchen  in  den  Mandibein  den  Boden 
stampft  und  glättet,  in  dessen  geheimem  Gang  sie  ihre  Nachkommenschaft 
verborgen  hat,  und  der  Affe,  der  sich  eines  Stockes  bedient  und  auch  in 
der  Wildnis  mit  Steinen  wirft.  Hierher  gehören  auch  die  entzückenden 
Laubenvögel  (Ptilonorhynchus  holosericeus  und  Chlamyderas  maculata),  die 
Tanzsäle  erbauen,  um  erotische  Bekanntschaften  zu  schließen.  In  diesen 
Gebäuden  sind  die  Prinzipien  der  Statik  richtig  angewendet,  es  sind  auch 
die  Erfindungen  verwendet,  die  zum  Dachbauen,  Tapezieren,  Legen  von 
Bodenmatten  gehören.     Ja,  hier  beginnt  zum  erstenmal  wirkliche  gewollte 

Franci,  Bios  H  ^ 

113 


Kunstausübung,  denn  sie  schmücken  diese  Tanzhäuser  mit  bunten  Lappen, 
Federn,  sie  suchen  auch  glitzernde  Steine,  überreichen  solche  den  Weibchen, 
die  dadurch  ebenso  geködert  werden  wie  menschliche  „Tanzweibchen"  durch 
Brillanten  (Schomburgk). 

Offen  ist  hiermit  das  unermeßliche  Museum  tierischer  Kunstfertigkeiten. 
Man  denke  nur  an  den  Nestbau  der  Vögel,  Fische,  Säuger,  an  die  Leistungen 
der  solitären  und  sozialen  Immen,  an  die  Kultur  der  Ameisen  und  Termiten 
mit  ihren  Häusern,  Städten,  dem  Bau  überwölbter  und  gepflasterter  Straßen 
(vgl.  Abb.  48),  der  Züchtung  von  Pilzkohlrabi,  der  Haltung  von  Blatt- 
läusen  als  Milchkühe,   an   die  Ameisengäste,  den  erwiesenen   Getreidebau 


Abb.  51.    Primitive  Lehmburgen   in    Innerafrika,   die  sich  von   der  Konstruktion   von   Ter- 
raitenbauten   nur  durch  die   Rohrbedachung  unterscheiden.     Nach    Heinrich    Barths    Zeich- 
nung vom  Dorfe  Duna. 

gewisser  Arten,  an  die  Brotbereitung,  an  ihre  Trillersprache,  an  die  von 
Prof.  V.  Fritsch  neu  entdeckte  Bienensprache,  um  zu  ermessen,  was  der  Be- 
griff der  untermenschlichen  aktiven  Biotechnik  alles  umfaßt. 

Die  Tiere  gebrauchen  die  Gesetze  der  Mechanik,  Dynamik  und  Statik, 
die  sich  in  den  biotechnischen  Leistungen  der  Zellen  und  Gewebe  kund- 
geben, und  sie  arbeiten  nach  denselben  Prinzipien,  nach  denen  die  Menschen 
ihre  Kulturwerke  schaffen.  Die  sozialen  Insekten  besitzen  auch  Kulturen, 
in  deren  Bann  sie  leben,  so  wie  die  Völker  in  den  ihrigen.  Zwischen  einem 
Termitenbau  und  den  Lehmburgen  der  afrikanischen  Szolaleute  in  Togo  ist 
kein  prinzipieller  Unterschied,  und  wie  ähnlich  sind  doch  diese  (Abb.  51) 
den  Befestigungswerken  des  europäischen  Mittelalters,  von  denen  sie  un- 
zweifelhaft unabhängig  entstanden  sind.  Dabei  sind  solche  aktive  Bio- 
techniken keineswegs  das  Privileg  gewisser  höchstentwickelter  Ausnahms- 
wesen, sondern  kennzeichnen  mehr  oder  minder  alle  Insekten,  ja  sie  be- 
ginnen schon  bei  den  Einzellern.    Die  kleinen  Wurzelfüßler,  die  in  jedem 


14 


Ackerboden  und  im  Humus  des  Waldes  ihr  stummes  Spiel  treiben  (vgl. 
Abb.  23),  bauen  sich  aktiv  mit  Hilfe  ihrer  glasklaren,  beweglichen  Schein- 
füßchen  ein  Gehäuse,  zu  dem  sie  Quarz-  und  ülimmersplitter  zusammen- 
suchen, um  sie  zu  kunstgerechten  Mosaiken  zur  Verstärkung  der  Wand  des 
Häuschens  dort  anzukleben,  weshalb  man  ihnen  mit  Recht  den  Namen 
Mosaiktierchen  (Dijjlugia)  gegeben  hat. 

Von  dieser  Stufe  zum  Eolithen,  zum  Schaber  und  Kratzer  und  zum  Stein- 
beil des  Steinzeitmenschen  war  nur  ein  Schritt.  Wieder  werden  im  Waffen- 
handwerk, auf  der  Jagd,  im  Wohnbau,  Nahrungserwerb,  in  Tänzen,  Ge- 
sängen, Sprache,  Schmuck  und  Kleidung  dieselben  Prinzipien  angewandt, 
die  in  der  Funktion  des  Plasmas  von  jeher  gegeben  waren,  und  die  heutige 
Kultur  des  Menschen  ist  nur  das  Ende  einer  Kette,  die  mit  den  Winden, 
den  Wellen,  den  Gestirnen  und  Himmelsnebeln  begann  und  von  uns  jetzt, 
wo  wir  die  ganze  Reihe  bis  zu  ihren  Ursprüngen  überblicken,  als  das  Wclt- 
gesetz  der  Funktion  erkannt  wird.  Vom  Anorganischen  bis  zu  den  Vor- 
bildern im  Bienenstaat  (Abb.  48)  und  Ameisennest  hat  der  Mensch  in 
seinen  technischen  Leistungen  stets  nur  die  Natur  kopiert,  und  —  was  viel 
wichtiger  ist  —  er  kann  prinzipiell  nie  etwas  anderes  machen. 

Es  gibt  eine  Anzahl  scheinbar  höchst  komplizierter  Techniken,  auf  denen 
Wissenschaften  und  große  Industrien  beruhen,  deren  Grundgesetz  trotzdem 
in  den  einfachen  Naturvorgängen  des  Alltags  verwirklicht  ist.  Daß  die  Spek- 
tralanalyse und  alle  Anwendungen  des  Spektrums  nur  Nachahmungen  der 
Gesetze  sind,  die  sich  im  Regenbogen  äußern,  wurde  schon  erwähnt.  Daß 
aber  beim  Anblick  der  marmorglatten  Wände  im  Becken  eines  Wasserfalles 
(vgl.  Abb.  50),  wo  sich  der  Wassergischt  und  die  Steine  im  Kreise  drehen, 
jemals  einer  auf  den  Gedanken  geraten  wäre,  daß  ihm  damit  das  Modell 
einer  Schleifmühle  und  eines  Polierwerkes  verraten  sei,  ist  doch  wohl  nicht 
vorgekommen.  Und  doch  ist  es  so.  Auch  aus  dem  Golfstrom  hat  noch  nie- 
mand die  Konsequenz  gezogen,  daß  sich  durch  zirkulierendes  heißes  Wasser 
eine  Warmwasserheizung  einrichten  läßt.  Stets  hat  sich  bisher  die  Mensch- 
heit auf  den  Zufall,  diesen  großen  Helfer  des  Technikers,  verlassen,  dem, 
wenn  man  die  Geschichte  der  Erfindungen  studiert,  bisher  fast  alle  die 
großen  bis  auf  ihr  Werden  zurückverfolgbaren  Erfindungen  zu  danken  sind. 
Der  Ausgang  der  Magd  von  James  Watt,  der  ihn  zum  Hüter  des  Koch- 
topfes werden  ließ,  an  dem  er  dann  merkte,  wie  der  Dampf  den  Deckel 
lüpfte,  dieses  Histörchen  zur  Entdeckung  einer  der  folgenschwersten  aller 
Erfindungen,  oder  die  Legende  vom  zufällig  Schwefel,  Salpeter  und  Kohle 
reibenden  Berthold  Schwarz,  sie  müssen  nicht  wahr  sein  und  verkünden 
doch  eine  große  Wahrheit,  nämlich  die  jämmerliche  Geistesverfassung  des 
Menschengeschlechts,  das  hungernd  und  frierend  in  der  großen  Nacht  steht 
und  sein  Schicksal,  seine  Lebensverbesserung  wie  ein  Lazzaroni  dem  Zufall 
in  die  Hand  gibt.  Der  andere  Faktor  in  der  Erfindungsgeschichte  war  da- 
gegen stets  die  meist  vergessene  und  nur  widerwillig  zugestandene  Nach- 

115 


ahmung  der  Natur,  also  die  Biotechnik.  Wenn  man  die  natürlichen  Gräben, 
welche  die  Erosion  schafft  (Abb.  4),  künstlich  als  Kanal  mit  leichtem  Ge- 
fall nachahmte,  dann  war  das  ebenso  Biotechnik,  wie  man  sie  in  von 
Lilienthal  und  Bliriot  eingestandener  Weise  bei  der  größten  Erfindung  der 
Gegenwart:  der  Fliegetechnik  übte.  Und  in  der  Urzeit  hat  der  Mensch  — 
man  denke  nur  an  die  Gärung,  die  Pfahlbaudörfer,  das  Zaungeflecht  und 
derlei  mehr  —  seine  Technik  den  Tieren  einfach  abgesehen  und  sie  gleich 
ihnen  verbessert. 

Errechnen  und  berechnen  kann  man  nur  die  Verbesserungen  und  neuen 
Anwendungen,  aber  alle  großen  Erfinderideen,  gerade  die  größten  sind 
allem  Rechnen  entrückt,  außer  in  der  Nachprüfung,  die  aber  durch  die 
Praxis  sicherer  ausgeübt  wird,  wie  die  Erfindergilde  schmerzlich  genug 
weiß.  Diesem  menschenunwürdigen  Kulturzustand  wird  nun  die  objektive 
Philosophie  für  immer  ein  Ende  machen.  Das  ist  heute  vorläufig  ihre 
wichtigste  Bedeutung. 

Durch  die  Biotechnik  wird  die  Möglichkeit,  das  Leben  optimal  zu  ge- 
stalten, unvergleichlich  erweitert.  Ausgeübt  werden  Techniken  von  dem  ganzen 
Weltall,  das  hat  sich  durch  die  vorhergehenden  Betrachtungen  sichergestellt. 
Schon  die  Million  verschiedener  organischer  Formen,  die  man  kennt,  allein 
birgt  in  sich  eine  solche  Fülle  technischer  Probleme,  daß  ganze  Generationen 
von  Forschern  dadurch  immer  noch  mühelos  Entdeckungen  machen  werden 
einfach  dadurch,  daß  sie  sie  beschreiben  und  nachrechnen.  Dabei  ist  die 
Sachlage  so,  daß  alle  diese  technischen  Lösungen  grundsätzlich  optimale 
Lösungen  sind,  denn  es  gehört  erstens  an  sich  zum  Wesen  der  Funktion, 
daß  sie  nicht  ins  Sein  tritt,  bevor  nicht  ihre  wesentlichen  Vorbedingungen 
erfüllt  sind,  zweitens  sorgt  der  stete  funktionelle  Wettbewerb  dafür,  daß 
nur  jene  Einrichtungen  erhalten  bleiben,  die  den  schärfsten  praktischen 
Prüfungen  gewachsen  sind.  Die  Prüfungsabteilungen  der  Patentämter  sind 
durch  die  Bedingungen  der  Natur  noch  bei  weitem  überboten. 

Das  Zeitalter  der  Erfindungen  liegt  also  keineswegs  hinter  uns,  sondern 
die  größten  und  allgemeinsten  Erfindungen  sind  erst  noch  zu  machen.  Sie 
werden  auch  gemacht  werden,  aber  auf  keinem  anderen  Wege  als  auf  dem 
der  Biotechnik,  die  die  materielle  Existenz  der  Menschen  auf  neue  Grund- 
lagen stellen  wird. 

Damit  scheint  dieser  Gegenstand  für  denjenigen  abgeschlossen,  dem  es 
um  eine  Erkenntnis  der  Gesetze  der  Welt  zu  tun  ist.  Aber  das  ist  nur 
scheinbar  so.  In  Wirklichkeit  beginnt  die  wahre  Bedeutung  des  Gesetzes, 
das  hinter  der  Biotechnik  steht,  so  richtig  erst  in  dem  Augenblick,  in  dem 
man  es  von  den  materiellen  Dingen  auf  die  geistigen  Leistungen  überträgt. 
Denn  es  ist  doch  klar,  daß,  so  wie  auch  die  Sinnesfunktionen  nichts  als 
Biotechniken  sind,  auch  die  auf  ihnen  beruhenden  seelischen  Funktionen  dem 
gleichen  Gesetz  Untertan  sein  müssen. 

Betrachtet  man  irgendein  beliebiges  Sinnesorgan  des  Menschen,  der  Tiere 

116 


oder  der  Pflanzen,  in  welchem  Kreise  es  bis  hinunter  zu  den  Einzellern 
(vergleiche  Band  I  Abbildung  79)  alle  denkbaren  Abstufungen  gibt,  so  wird 
man  finden,  daß  es  das  teleologische  Prinzip,  das  jeder  Technik  zugrunde 
liegt  (Technik  bedient  sich  wohl  der  Mechanik,  geht  aber  ihrem  Wesen 
nach  über  diese  hinaus),  deutlicher  denn  sonst  erkennen  läßt.  Wählen  wir 
als  Beispiel  das  Ohr  (Abb.  8)  des  Menschen,  so  mag  an  diesem  etwa  Fol- 
gendes auffallen.  Schon  die  Windungen  der  Ohrmuschel  sind  ein  Apparat, 
um  die  Schallwellen  optimal  auf  das  Trommelfell  zu  übertragen.  Es  ist  er- 
staunlich, daß  man  wohl  wiederholt  durch  Zufall  (Ohr  des  Dionysos)  Ge- 
bäude nach  diesem  Grundsatz  errichtete,  nicht  aber  Konzertsäle,  Theater, 
Vortragsräume,  Schulen  so  baut,  daß  das  Publikum  im  „Tympanon"  sitzt, 
oder  daß  es  noch  niemandem  eingefallen  ist,  an  dem  Schalltrichter  des  Tele- 
phons für  Ferngespräche  diesen  Gedanken  anzuwenden,  um  diese  , .hörbarer" 
zu  machen.  Die  Schallwellen  kommen  wahllos  vom  Trommelfeil  durch  die 
Vermittlung  der  Gehörknöchelchen  (deren  Biotechnik  noch  ganz  dunkel  ist) 
an  die  Flüssigkeit,  welche  die  Schnecke  (s.  d.  Bild)  erfüllt.  Die  Flüssigkeit 
gerät  wieder  durch  die  Übertragung  in  Schwingungen,  die  jede  Frequenz 
von  eins  bis  zu  vielen  Tausenden  in  der  Sekunde  aufweisen  müssen.  Nun 
ist,  um  im  Jargon  der  Histologen  zu  sprechen,  an  der  tympanalen  Wand  des 
Ductus  cochlearis  das  Epithel  des  Ganges  zu  einem  Neuroepithel  von  ganz 
bestimmtem  Bau  umgestaltet  (das  Organon  spirale,  gemeinhin  als  Corü- 
sches  Organ  bekannt).  In  diesem  innersten  Gehörorgan  ist  nur  das  Binde- 
gewebe der  Träger  der  eigentlichen  Funktion.  Es  ist  nämlich  die  Membrana 
basilaris,  die  eigentliche  bindegewebige  Unterlage  (die  letzten  Endes  bloß 
ein  Periost  ist)  aus  starren  geraden  Fasern  aufgebaut,  die  sich  zwischen 
dem  Ligamen  spirale  und  Labium  tympanicum  ausspannen.  Diese  13  000  bis 
24  000  CorWszhtn  Fasern  *2)  sind  das  schon  einmal  erwähnte  Harfenvor- 
bild. Sie  geraten  in  Schwingungen,  und  diese  werden  —  um  von  unwesent- 
licheren Einzelheiten  des  enorm  komplizierten  Organs  abzusehen  —  von 
dem  Sinnesepithel  der  „Haarzellen"  aufgenommen,  die  innig  mit  den  Fasern 
des  Ramus  cochlearis  nervi  acustici,  die  an  ihnen  enden,  verbunden  sind. 
Der  Acusticus  (Gehörnerv)  führt  dann  bekanntlich  ins  Gehirn. 

Die  Gehörempfindung  wird  nun  nach  den  unbestrittenen  Untersuchungen 
von  Helmholtz^^)  als  eine  Resonanz,  also  ein  Mitschwingen  aufgefaßt,  bei 
der  sich  die  oben  erwähnten  Fasern  der  Basilarmembran  wie  verschieden 
abgestimmte  Resonatoren,  also  wie  schwingende  Saiten  verhalten.  Sie  sind 
abgestimmt  (wie  der  Kohärer  in  der  drahtlosen  Telegraphie)  durch  ihre  ver- 
schiedene Länge  auf  bestimmte  Eigentöne;  jede  Faser  wird  durch  den  ihr 
zukommenden  Ton  in  Mitschwingungen  versetzt,  diese  werden  vom  Nerv  als 
Reiz  wahrgenommen.  Man  hört  demnach  nicht  die  Wellen  der  Luft,  son- 
dern nur  eine  von  unserem  Ohr  vorgesehene  und  auch  vorgeschriebene  Aus- 
wahl. Darum  ist  das  Unterscheidungsvermögen  für  Töne  von  Mensch  zu 
Mensch  verschieden  (daher  die  Unterschiede  der  musikalischen  Begabung). 

117 


So  ist  es  auch  erklärlich,  warum  auch  mit  dem  allerbesten  Gehör  ein 
Schwingungsunterschied  von  10  oder  20  Schwingungen,  im  oberen  Bereich 
der  musikalisch  verwandten  Töne  Unterschiede  von  800  Schwingungen 
(Schäfer,  Guttmann)  gar  nicht  wahrgenommen  werden.  „Gehör"  bedeutet 
also  nicht  Feststellung  wirklicher  Qualitäten  des  Weltenseins,  sondern  nur 
die  Konstatierung:  „ich  habe  diese  oder  jene  Struktur",  die  ich  erworben 
habe,  um  über  die  für  meine  Zoesis  wichtigen  Geräusche  orientiert  zu  sein. 
Und  genau  so  verhält  es  sich  nach  der  Erkenntnis  von  der  Spezifizität  der 
Sinneswahrnehmungen  auch  mit  dem  Sehen,  Tasten,  Fühlen,  Schmecken, 
kurz  mit  dem  gesamten  Erleben  der  Außenwelt.  Man  erlebt  sich  und  pro- 
jiziert sein  Erleben  und  dessen  Verknüpfungen  als  Welt.  Das  ist  alles  frei- 
lich nicht  neu,  mußte  aber  hier  aufgefrischt  werden,  um  das  Verständnis  für 
geistige  Biotechnik  richtig  erwecken  zu  können. 

Sinnesorgane  sind  Einrichtungen  zur  „Weltselektion^'  im  Dienste  der 
Zoesis.  Daran  wird  man  nach  dem  Ausgeführten  nicht  zweifeln  können. 
Mit  ihnen  verbunden  aber  ist  eine  andere  technische  Einrichtung  des  Kör- 
pers, die  in  ebenso  vielen  Integrationsstufen  wie  die  Sinnesorgane  selbst, 
durch  die  ganze  Organismenkette  hindurch  vorhanden  ist.  Im  Einzeller 
sind  die  Sinnesorganellen  wie  Geißel  und  Stigma  durch  fibrilläre  Differen- 
zierungen mit  dem  Zellkern  verbunden,  in  der  höheren  Pflanze  sind  teil- 
weise Reizleitungsstränge  (Nemec,  Fenner)  bekannt  geworden,  teilweise  der 
Zusammenhang  zwischen  Reizbeantwortungen  (als  Anzeichen  von  Sinnes- 
funktion) und  der  Unversehrtheit  gewisser  Teile,  wie  der  Narbe  oder  der 
Vegetationskegel").  Wenn  also  auch  kein  Gehirn  vorhanden  ist,  so  scheinen 
doch  Reflexzentren  vorhanden  zu  sein.  Bei  den  Tieren  üben  schon  im 
Kreise  der  Coelenteraten  (schon  bei  den  Medusen),  gewisse  Zellen  die  Tech- 
nik der  Umsetzung  der  Reize  in  Reizhandlungen  aus.  Man  nennt  sie  Gang- 
lien oder  Nervenzellen  (vgl.  Abb.  33)  und  kann  nun  bei  dem  Studium  der 
vergleichenden  Anatomie  mit  größtem  Interesse  Schritt  für  Schritt  ver- 
folgen, wie  sich  die  im  Körper  eines  Süßwasserpolypen  (Hydra)  noch  ganz 
zerstreut  stehenden  Ganglienzellen  zu  Nervenknoten,  zu  einem  Schlund- 
ring, zu  einem  Bauchmark,  vereinigen,  von  dem  aus  Leitungsfasern  alle 
funktionierenden  Organe  kontrollieren;  man  sieht,  wie  eine  Arbeitsteilung 
einsetzt,  jedes  Organ  seinen  Ganglienknoten  erhält,  die  sich  einander  ko- 
ordinieren und  subordinieren,  wie  das  supraoesophagale  Ganglion  allmäh- 
lich immer  mehr  ein  Primat  erhält  und  sich  als  Gehirn  (vgl.  die  Abbil- 
dungen der  Rädertiere  Abb.  33  und  Band  I  S.  82)  dann  zum  Zentralorgan 
des  gesamten  Nervenlebens  aufschwingt. 

Da  man  an  zahllosen  Anzeichen,  als  Reflex,  Instinkt,  Triebhandlung,  als 
Sprache  und  Kunstfertigkeit,  bei  den  Mitmenschen  auch  als  Intellekthand- 
lung, geistige  Betätigung,  im  eigenen  Icherleben  endlich  als  bewußte  Emp- 
findung, Wille,  Gefühl,  Gedanken,  Bewußtsein  die  Funktionen  dieser 
Nervenzellen  erlebt,  so  zweifelt  man  nicht  mehr  daran,  d-aß  das  seelische 

118 


Leben  auch  eine  Funktion  des  plasmatischen  Lebens  sei.  Auch  haben  Aus- 
fallserscheinungen bei  teilweiser  Zerstörung  gewisser  Ganglien  über  die 
Lokalisation  dieser  Funktionen  Klarheit  gewinnen  lassen,  und  so  hat  sich 
eine  ganze  große  Wissenschaft:  die  Gehirnphysiologie  und  die  Psycho- 
logie aufgebaut,  von  denen  die  erstere  den  Zusammenhang  zwischen  physi- 
kalischen Änderungen  und  den  Leistungen,  die  andere  den  Oesetzes- 
zusammenhang  der  Leistungen  erforscht. 

Es  bedarf  dessen  gar  nicht,  sich  in  die  dichtverschlungenen  Irrpfade  dieser 
Wissenschaften  zu  verlieren,  sondern  es  genügen  einige  einfache  Erwägun- 
gen, um  zu  erkennen,  daß  schon  bei  dieser  unanzweifelbaren  und  de  facto 
auch  nicht  angezweifelten  Sachlage  der  Wille,  die  Vorstellungen,  die  Ge- 
danken Funktions formen  einer  lebendigen  Betätigung  sind,  weshalb  auf  sie 
logischerweise  die  Gesetze  der  Funktionsformen,  unter  anderem  auch  die 
der  Biotechnik  zutreffen  müssen. 

Dieser  einfache  Satz  hat  verschiedene  Konsequenzen  von  außerordent- 
licher Tragweite.  Wenn  z.  B.  Schopenhauer,  mit  dem  die  objektive  Philo- 
sophie durch  manche  grundlegende  Überzeugung  verbunden  ist,  den  Willen 
als  Grunderscheinung  des  Weltphänomens  fassen  und  der  Welt  als  das 
„Ding  an  sich"  gegenüberstellen  will,  verstößt  er  gegen  das  Funktions- 
gesetz. Diese  Behauptung  des  großen  Frankfurter  Philosophen  von  dem 
Primat  des  Willens  ist  keine  Notwendigkeit,  sondern  entspringt  der  Will- 
kür. Ihr  kann  der  objektive  Philosoph  nicht  unbedingt  folgen,  für  ihn  ist 
sie  eine  Versuchshypothese.  So  ordnet  sich  notwendigerweise  auf  Grund 
dieser  Erwägungen  das  gesamte  geistige  und  damit  kulturelle  Leben  dem 
Rahmen  der  Welt  und  ihren  Gesetzen  ein,  damit  auch  der  Wille,  der  nur 
eine  Funktion  des  Lebens  ist.  Man  mißverstehe  nicht,  es  wird  hier  nicht 
die  theoretische  Unmöglichkeit  jeder  Metaphysik  behauptet.  Denn  ebenso- 
wenig wie  für  meine  Denkungsart  das  Vorhandensein  eines  allgemeinen 
Willens  in  der  Natur  eine  Notwendigkeit  ist,  ebensowenig  empfindet  sie 
den  Zwang,  die  Wiederkehr  geistiger  Fähigkeiten  und  damit  auch  des 
Willens  für  die  suprahumanen  Singulationen  zu  bestreiten.  Der  objektiven 
Philosophie  ist  das  Gebiet  des  geistigen  Lebens  aber  nur  das  einer  Psycho- 
technik,  weshalb  sie  von  den  Geisteswissenschaften  und  dem  Kulturleben, 
also  von  dem  Menschen  in  seiner  Lebensführung  fordert,  sich  den  Gesetzen 
des  Biotechnischen  als  Teil  der  Weltgesetze  zu  unterwerfen.  Sie  lenkt  den 
Blick  darauf,  daß  man  hier  der  tiefsten  Wurzel  nachgraben  kann,  warum 
das  Psychische  auch  das  Teleologische  kat  exochen*)  ist  (das  psychische 
Problem  ist  überhaupt  nichts  anderes  als  das  teleologische  Problem);  sie 
fordert   von   ihren   Anhängern   für   das    Geistesleben    die    gleiche    Betrach- 

*)  Die  biozentrische  Beschaffenheit  des  Intellekts,  d.  h.  die  Notwendigkeit,  alles 
Erleben  in  Beziehung  zum  Ichgefühl  zu  bringen,  zwingt  zur  teleologischen  Methode, 
nämlich  zu  einer  Betrachtungsweise  des  „als  ob",  aus  der  au:h  die  entsprechende 
Handlungsweise  aller  „Personen"  folgt,  deren  Seinsprozeß  ja  auch  biozentrisch  abläuft. 

119 


tungsweise  wie  für  das  Naturdasein  und  erklärt  diese  Forderung  mit  der 
soeben  klargelegten  Sachlage.*)  Ein  so  wichtiger  Punkt  ist  damit  für 
unser  Denken  erreicht,  daß  ich  nicht  umhin  kann,  nochmals  mit  der  größt- 
möglichen Klarheit  das  Prinzipielle  des  Standpunktes  der  objektiven  Philo- 
sophie herauszuarbeiten.  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  und  kein  denkender 
Biologe  zweifelt  auch  daran,  daß  das  „Erleben"  den  teleologischen  Faktor 
in  sich  schließt.  Teleologie  ist  nun  einmal  vom  Leben  unzertrennlich,  und 
jede  Analyse  des  Lebensgeschehens  enthält  einen  grundsätzlich  mecha- 
nistisch nicht  analysierbaren  Rest**),  der  eben  das  eigentliche  Problem  der 
Biologie  ist. 

Dieser  über  den  einfachen  Kausalzusammenhang  hinausgehende  Rest  ist 
schon  längst  von  scharfsinnigen  Biologen,  namentlich  von  //.  Driesch  (auch 
A.  Pauly,  A.  Wagner  u.  a.)  erkannt  worden.  Driesch  hat  versucht,  dieser 
Erkenntnis  die  Formulierung  zu  geben,  daß  er  diesen  Rest  als  eine  En- 
telechie  im  Sinne  von  Aristoteles  faßte**)  und  dadurch  der  Biologie  ent- 
rückte, ihn  ins  metaphysisch  Weltenschöpferische  verwies.  Im  Verfolg  dieser 
Denkungsart  wird  er  notwendigerweise  ganz  von  dem  Aristotelismus  und 
seiner  Metaphysik  in  Beschlag  genommen,  so  daß  neueste  theosophische 
Schriftsteller  ihn  bereits  für  sich  zu  reklamieren  versuchen.*«)  Auch  Scho- 
penhauer hat  diesen  Rest  erkannt;  ist  doch  gerade  er  es,  was  er  als  das 
aktive,  aktivierende  im  Organismus,  als  den  Willen  in  seiner  „Welt  als 
Wille  und  Vorstellung"  bezeichnet.  Ja,  mit  ausgezeichnetem  Scharfsinn  hat 
er  sogar  gesehen,  daß  dieses  Moment  üb€r  das  Biologische  hinausreicht 
(s.  hierüber  die  Anmerkung  44)  und  das  ganze  Weltphänomen  umfaßt.*«) 
Ich  habe  ihn  ja  gerade  deswegen,  weil  er  eine  biologische  Funktion  auf 
die  ganze  Welt  ausdehnt  und  sie  dadurch  biologisiert,  den  „biologischen 
Philosophen"  genannt.  Aber  auch  er  faßt  diesen  Willen  als  den  meta- 
physischen Urgrund  des  Seins  und  verläßt  so  das,  was  man  wirklich  wissen 
kann.  Auch  er  schafft  also  eigentlich  einen  Gott  damit,  der  eben  nur  das 
eine  Attribut  Willen  hat. 

Die  objektive  Philosophie  teilt  nun  verschiedene  dieser  Grundlagen  mit 
H.  Driesch  und  Schopenhauer.  Mit  Driesch  sieht  sie  das  mechanisch***) 
Unerklärbare  des  Lebens  ein.  Aber  sie  geht  mit  Schopenhauer  weiter  und 
findet  noch  ganz  anders  als  er  Teleologisches  im  Weltphänomen,  auch  im 
sogenannten  mechanischen  Geschehen.    An  gehörigem  Orte  (s.  S.  71)  hat 


•)  Darum  wird  und  muß  im  Programm  der  Entfaltung  der  objektiven  Philosophie 
auf  dieses  Werk,  das  schon  mehrfach  erwähnte  über  die  „Gesetze  des  Denkens  und 
Schaffens"  (dann  die  Soziologie,  Ästhetik  und  Ethik)  folgen,  in  dem  die  gleichen 
Weltgesetze,  die  hier  auf  die  Naturtatsachen  angewandt  wurden,  für  die  Oeisteswelt 
und  die  Kulturerscheinungen  geprüft  werden  sollen. 

**)  Alles  übrige  an  ihr  löst  sich  in  physikalische  (mechanische)  und  chemische  Teil- 
fragen auf. 

***)  Mechanisch  stets  als  rein  kausaler  Zusammenhang  verstanden. 

120 


der  Leser  diese  Hinweise  schon  gefunden.  Eine  der  auffälligsten  waren  die 
Störungen  am  Himmel;  ein  teleologisches  Phänomen,  das  jetzt  die  Aufmerk- 
samkeit der  ganzen  gebildeten  Welt  erregt,  äußert  sich  in  der  Notwendigkeit 
auch  Zeit  und  Raum  relativistisch  zu  betrachten.  Daß  dies  die  Einführung 
der  Biologie  in  die  Physik  sei,  habe  ich  in  meiner  Einführungsschrift  zu 
diesem  Werk  zuerst  ausgesprochen*^),  und  mit  großem  Vergnügen  sehe  ich, 
wie  man  nun  von  Seiten  des  Empiriokritizismus  sich  dieser  meiner  Meinung 
anschließt  und  sie  auch  in  der  Schulphilosophie  rechtfertigt. 

An  diesem  Punkt  aber  zwingen  uns  die  heutigen  Einsichten,  die  Schopen- 
haaer'sche  Annahme  einzuschränken.  Man  hat  keine  zwingende  Notwendig- 
keit, zu  sagen:  Die  Ursache  der  Weltteleologie  oder  allgemeinen  Relativität 
sei  der  Wille,  sondern  in  Wirklichkeit,  wenn  man  bei  der  reinen  Erfahrung 
bleiben  will  —  und  zu  mehr  hat  man  kein  Recht  — ,  kann  man  nur  sagen: 
das  Lebenszentrum  (daher  blozentnsche  Erkenntnistheorie),  das  sich  in 
meinem  Ichbewußtsein  mir  als  unmittelbare  und  einzig  unmittelbare  Ge- 
wißheit fühlbar  macht,  ist  die  Ursache,  warum  mir  alles  nur  in  bezug  auf 
mich  und  daher  auch  teleologisch  vorkommt.  Weil  unser  „Ich"  psychischen 
Gesetzen  Untertan  ist  (wir  nennen  nämlich  die  Ichgesetze  psychische  Ge- 
setze), finden  wir  mehr  als  bloß  Kausalzusammenhänge,  deshalb  ist  uns 
die  Welt  psychisiert,  biologisiert,  relaiivisiert,  daher  besteht  für  uns  die  Not- 
wendigkeit, die  Zusammenhänge  biozentrisch  zu  orientieren. 

Die  objektive  Philosophie  ist  sich  dessen,  man  kann  es  nicht  deutlich 
genug  wiederholen,  bewußt,  daß  mit  dieser  Auffassung  in  keiner  Weise 
ein  Grund  erkannt  ist,  warum  das  „Ich"  diesen  Gesetzen  folgt,  und  wo- 
her das  Ich  stammt.  Für  die  Metaphysik  bleibt  durchaus  der  Weg  offen. 
Nur  ist  Metaphysik  nicht  jedermanns  Geschmack,  und  ich  halte  es  be- 
züglich der  Metaphysik  mit  Kungh-Tseu,  der  einem  Schüler,  als  ihn  dieser 
nach  dem  Leben  nach  dem  Tode  befragte,  antwortete:  Du  kennst  ja  das 
Leben  noch  nicht!  Wie  den  Tod  kennen?  Wenn  es  einmal  feststeht,  daß 
der  menschliche  Intellekt  nur  eine  relative  Erkenntnisfähigkeit  besitzt, 
dann  ist  es  eine  Forderung  der  intellektuellen  Redlichkeit,  auf  die  Erkennt- 
nis „absoluter  Wahrheit"  zu  verzichten.  Das  praktisch  Unmögliche  wollen 
ist  keine  Beschäftigung  für  ernste  Leute.  Und  man  kann  diesen  Verzicht 
umso  leichter  leisten,  als  Wissenschaft  und  Denken  noch  genug  Arbeit 
haben,  um  das  menschliche  Leben  annähernd  optimal  zu  regeln.  Dieses 
Ideal,  die  Hilfsbereitschaft  für  den  Menschen,  um  seine  Funktionen  und 
damit  ihn  in  seiner  Art  möglichst  vollkommen  zu  machen,  das  ist  das 
ausgesprochene  Endziel  der  objektiven  Philosophie.  Erst  wenn  es  einiger- 
maßen erreicht  sein  wird,  dann  würden  und  dürfen  Kräfte  frei  werden  für 
metaphysische  Fragen.  Erst  dann  kann  man  überhaupt  die  Frage  auf- 
werfen:   Ist  denn  eine  Metaphysik  praktisch  möglich? 

Bei  solcher  Gesamtanschauung  des  Weltproblems,  wonach  Welt  die 
Summe   des   in  unserem    Bewußtseinserlebnis   sich   Abspielenden    ist,   kann 

121 


dem  Denken  kein  anderer  Charakter  zugeschrieben  werden,  als  der,  den  die 
gesamte  Biotechnik  hat;  die  Vorstellungen  und  ihre  Verknüpfung  sind 
funktionelle  Anpassungen  zur  Orientierung  im  Dasein  zum  Zwecke  seiner 
Erleichterung.  Denken  ist  also  keine  Fähigkeit  zur  Durchdringung  und 
Beherrschung  der  Welt,  sondern  nur  zur  richtigen  Einstellung  innerhalb 
der  Zoesis.  Das  muß  immer  wieder  mit  allem  Nachdruck  gesagt  und  fest- 
gehalten werden,  sonst  hören  die  Irrtümer  und  damit  die  Leiden  der 
Menschheit  durch  falsche  Einstellung  nie  auf.  Von  da  aus  versteht  man 
erst,  warum  sich  alles  „Vorstellen"  stets  der  Bilder  bedienen,  der  Willen 
stets  auf  ein  Objekt  gerichtet  sein  muß,  warum  die  Welt  der  Begriffe  und 
der  Sprache  prinzipiell  die  Gesetze  der  Biotechnik  wiederholt  (wie  in  dem 
Werke  über  die  Gesetze  des  Denkens  des  Näheren  auszuführen  sein  wird). 
Sinnestätigkeit,  Denken  und  Erkenntnis  sind  die  Signalkombinationen  zum 
alleinigen  Zweck  der  Lebensförderung;  nie  liegt  in  ihnen  etwas  anderes 
als  eine  Aussage,  die  sich  auf  das  Verhältnis  des  Erlebens  zum  Lebens- 
milieu bezieht,  ob  das  nun  im  engsten  oder  weitesten  Sinn  genommen  wird. 
Das  ist  es,  was  durch  die  Kant-M ach' sehe  Erkenntnis  vom  relativistischen 
Charakter  des  Erkennens  ausgesagt  wird. 


Wegen  dieses  technischen  Charakters  des  Erkennens  kann  das  Denken 
nun  grundsätzlich  nichts  anderes  liefern,  als  Übertragungen  der  biotech- 
nischen Leistungen  ins  Vorgestellte,  also  Mechanismen  aus  Begriffen,  Gü- 
tern, Tönen,  Zahlen,  Organisationen  aus  Menschen,  Bausteinen,  Maschinen- 
elementen, kurz  allen  möglichen  Materialien,  eine  Panmechanik,  in  der  sich 
immer  in  allem  wieder  nur  unsere  eigenen  biologischen  Gesetze  wiederholen. 

Ich  höre  welche,  die  sagen,  hiemit  werde  der  Anschluß  an  den  Mecha- 
nismus als  Weltanschauung,  also  an  den  platten  Materialismus  vollzogen. 
Aber  die  so  sprächen,  würden  nur  ihr  völliges  Unvermögen  zum  richtigen 
Verständnis  beweisen.  Die  objektive  Philosophie  ist  gerade  die  Welt- 
anschauung des  geistigen  Gesetzes.  Sie  ist  mit  aller  Schärfe  überzeugt  da- 
von, es  gebe  nichts  Reales,  wie  nur  die  Vorstellung,  die  das  einzig  sicher 
Erlebte  ist.  Gerade  ihr  ist  eigentlich  alles  „Geist".  Und  außer  dem 
Lebensgefühl  ist  ihr  nur  eines  gewiß,  das  bereits  in  ihrem  Lieblingswort 
ausgesprochen  ist.  Das  ist  nämlich  die  Gesetzmäßigkeit  in  den  Zusammen- 
hängen des  Erlebens,  jene,  welche  sie  die  Weltgesetze  nennt.  Alles  übrige 
bleibt  für  sie  offen  und  ignotus.  Sie  leitet  ebensowenig  zum  Materialismus 
wie  zur  Mystik,  denn  wenn  sie  Aussagen  macht  über  eine  Endlichkeit  der 
Welt,  eine  ewige  Wiederkehr  des  Gleichen,  über  Knäuelung  und  Weltrhyth- 
men, über  Weltseele  und  Weltkörper  oder  den  Begriff  einer  objektiven 
Gottesvorstellung,  so  hat  das  niemals  anderen  Sinn,  als  daß  die  Vorstellungs- 
welt dem  Zwang  unterliegt,  sich  die  Erlebnisse  in  solche  Kategorien  zu- 
sammenhängend zu  ordnen.    Das  hat  alles  nur  den  Sinn  und  ist  von  ihm 

122 


aus  zu  kritisieren,  daß  bei  solchen  Arten  von  Zuordnung  sich  die  Erleb- 
nisse des  Bios  lückenlos  zusammenschließen.  Wenn  unser  Handeln  in 
einem  Sinn  verläuft,  der  funktionsmäßig,  d.  h.  logisch  von  diesem  Well- 
bild abgeleitet  ist,  werden  unsere  Taten  reibungslos  sich  mit  ihren  Folgen 
in  diesen  Bios  eingliedern  und  keine  Erlebnisse  nach  sich  ziehen,  die  als 
Leid  empfunden  werden.  Das  wird  dann  das  einzige  untrügliche  Kenn- 
zeichen sein,  daß  das  Handeln  und  die  ihm  zugrunde  liegende  Erkenntnis 
richtig  war.  Die  Erzeugung  einer  Weltharmonie,  zuerst  als  Harmonisierung 
des  Innenlebens,  dann  als  harmonische  Einstellung  zum  Lebensmilieu,  schließ- 
lich als  Wirken  auf  Mitmenschen  und  Umwelt  im  Sinne  der  Weltharmonie, 
das  ist  für  mich  und  meine  Anhänger  das  sigillum  veritatis.  An  den 
Taten  eines  so  Gebildeten,  zur  Erkenntnis  Durchgedrungenen  wird  man  ihn 
erkennen.    Das  ist  ihm  der  tiefste  Sinn  des  Funktionsgesetzes. 


Anmerkungen  und  Zusätze 

1  (Zu  S.  5).  Die  Joule'scht  Zahl  (J),  die  das  mechanische  Wärmeäquivalent  aus- 
drückt, wurde  ursprünglich  in  der  Form  ausgedrückt,  daß  angegeben  wurde,  wieviel 
Kilogrammeter  Arbeit  man  aufwenden  muß,  um  eine  Kalorie  (=  1  g  15"  Wasser  um 
einen  Grad  zu  erwärmen)  zu  erzeugen.  In  dieser  Form  lautete  sie 

Da  aber  wegen  der  Schwerkraftwirkungen  der  Gesteine  (vgl.  Bd.  I  S.  67)  ein  Kilo- 
gramm nicht  überall  gleichschwer  ist,  betrug  die  Joule'sche  Zahl  z.  B.  in  München 
426,82,  in  Berlin  426,62.  Daher  nahm  man  das  Erg  (gewonnen  aus  dem  Begriff 
Dyne,  die  Einheit  der  Kraft,  die  der  Masse  von  1  Gramm  in  einer  Sekunde  1  c/m 
Beschleunigung  erteilt,  da  1  Erg  =  1  Dyne  X  1  cm)  als  Einheit  und  kam  so  zur  Formel : 

J=  4,1861.  10' 5g. 

2  (Zu  S.  6).  Vgl.  dazu  W.  Meurer,  Ist  Wissenschaft  überhaupt  möglich?  Leipzig. 
1920.  In  diesem  Werk  findet  sich  eine  prinzipielle  und  wesentliche  Annäherung  an 
den  Standpunkt  der  objektiven  Philosophie  insofern,  als  der  Verfasser  in  einer  dialek- 
tisch geführten,  erkenntnistheoretischen  Untersuchung  zu  dem  Schluß  kommt,  daß 
wenigstens  alle  wissenschaftliche  Beobachtung  wissenschaftlich  wertlos  sei,  denn  sie 
muß  das  Wichtigste  unbeobachtet  lassen.  Zu  sich  selbst  könne  man  nicht  objektiv 
sein.  Aber  er  gerät  nicht  auf  den  an  sich  so  einfachen  Gedanken,  daß  Wissenschaft 
ihren  Sinn  nur  dadurch  erhalte,  daß  sie  im  Erleben  nach  einheitlichem  Gesichtspunkt 
Ordnung  schafft,  nämlich  eine  Harmonie  herstellen  hilft  zwischen  den  zu  Gesetzen 
zusammengefaßten  inneren  und  äußeren  Erlebnissen,  indem  sie  eben  deren  „Gesetze'' 
feststellt.  So  wird  sie  zur  Gehilfin  der  Lebenslehre,  als  welche  sich  die  Weisheit  ge- 
genüber der  stets  bloßes  Wissen  bleibenden  Philosophie  darstellt. 

3  (Zu  S.  8).  Vgl.  hierzu  L.  Boltzmann.  Vorlesungen  über  Gastheorie.  2.  Band. 
Leipzig  1896—98.  —  Auch  zu  der  neueren  Entwicklung,  die  daraus  hervorging:  E. 
Zermelo,  Über  den  Satz  der  Dynamik  und  mechanischen  Wärmetheorie  (Widmanns 
Annalen  1896).  M.  Planck,  Theorie  der  Wärmestrahlung.  Leipzig  1906. 

4  (Zu  S.  10).  Das  Entropiegesetz  reicht  nämlich,  wie  aus  dem  Gesagten  auch  schon 
zu  entnehmen  ist,  weit  über  das  Gebiet  der  Wärmelehre  hinaus.  Seine  wahre  Formu- 
lierung sollte  also  heißen:    Irreversibilität  der  Naturvorgänge.    Fast  von  allen  Pro- 

123 


zessen  (es  ist  eine  Denkforderung  der  objektiven  Logik,  daß  es  bei  allen  der  Fall 
sei)  zeigt  sich  eine  derartige  Oerichtetheit.  Manchmal  so  mit  den  Händen  zu  greifen, 
wie  im  Fall  der  Lösungen.  Lösungen  finden  statt,  ohne  daß  wir  eine  Energieleistung 
anwenden  müssen.  Anders  bei  dem  umgekehrten  Prozeß.  Die  Ausfällung  kostet  ein 
mehrfaches  an  Energie  als  die  Lösung  brauchte.  Und  so  ist  es  bei  der  Diffusion  und 
vielen  anderen  Vorgängen. 

5  (Zu  S.  11).  Über  die  Darstellung  mathematischer  Funktionen  in  den  Natur- 
wissenschaften vgl.  G.  Loria,  Spezielle  algebraische  und  transzendente  Kurven.  Leip- 
zig 1910/11. 

6  (Zu  S.  19).  Vgl.  Mäller-Pouillet,  Lehrbuch  der  Physik.  —  Auch  H.  Starke,  All- 
gemeine Wellenlehre. 

7  (Zu  S,  22).  Literatur  über  Meeresströmungen  s.  O.  Krümel,  Handbuch  der  Oze- 
anographie. 2.  Bd.  2.  Aufl.  1911,  auch  A.Maury,  Physical  Geography  of  the  Sea.  1855. 

8  (Zu  S.  25).  Allerdings  wendet  sich  das  aus  noch  unbekannter  Ursache  in  den 
Höhen  zwischen  12  bis  30  000  m  Höhe.  Die  Julitemperatur  von  —56,8°,  die  in 
12  000  m  Höhe  gemessen  wurde,  sank  bei  26  000  m  auf  —  42,3o.  Bei  29  000  m  war 
dieser  „Wärmemantel"  der  Erde  allerdings  bereits  durchbrochen,  und  die  Tempera- 
tur betrug  in  dieser  Höhe  bereits  wieder  —  63,4°. 

9  (Zu  S.  26).  Wenn  also  ein  Kubikmeter  Luft  von  20"  und  17,1  Gramm  Wasser- 
gas sich  mit  einem  Kubikmeter  Luft  von  0/  und  4,4  Gramm  Wassergas  mischt,  wird 
das  Gemenge  10"  haben  und  21,5  Gramm  Wassergas  halten  sollen.  Das  kann  es 
nicht,  denn  lOgrädige  Luft  kann  nur  18,8  g  HjO  aufnehmen.  2,7  g  werden  also  aus 
den  2  Kubikmeter  Luft  ausgeschieden,  mit  anderen  Worten:  es  regnet. 

10  (Zu  S.  30).  Vgl.  dazu  Rolland,  Geologie  du  Sahara  algerien.  Paris.  1890.  — 
L.  Cholnoky,  Die  Bewegungsgesetze  des  Flugsandes.  (Földtani  Közlöny,  Ung.)  1902. 
—  Jordan,  Physik,  Geographie  und  Meteorologie  der  libyschen  Wüsten  1876. 

11  (Zu  S.  36).  Als  Probe  dieser  Versuche,  die  Ideen  der  objektiven  Philosophie  in 
adäquate  Formen  zu  gießen,  seien  folgende  Verse  von  A.  Harrar  hierher  gesetzt: 

Zwiegespräch: 

Ich: 

Du,  der  du  warst,  ich  weiß  nicht  wie  und  wann. 

Du,  der  du  bist,  was  Zeit  nie  werden  kann. 

Du,  der  mit  tausend  Leben  um  mich  ringt, 

Du,  der  in  tausend  Toden  niedersinkt  — 

Wo  such'  ich  dich? 

Du  meiner  Sinne  ungewisser  Schein, 

Du  Weltgeburt  und  Weltvergessensein, 

Du  Sturm,  der  sich  aus  kaum  bekanntem  Saum 

Letzter  Erkenntnis  stürzt  in  fremden  Raum  — 

Wo  find'  ich  dich? 

Es: 
Du  bist  —  ich  war.  Du  wirst  —  ich  bin  und  bin. 
Zeit  ist  nicht  Zeit,  und  Sinne  sind  nicht  Sinn. 
Aus  dir,  du  Form,  die  ewig  wird  und  bricht, 
An  deiner  Dunkelheit  zünd'  an  das  Licht 
Und  suche  mich! 

Dein  Einst,  aus  dem  du  selber  dich  erfüllt, 
Ist  Spiegel,  der  den  Weltentag  enthüllt. 
Was  über  deinen  Spiegel  flieht  und  flammt. 
Bin  ich,  aus  dem  dein  tiefstes  Du  entstammt  — 
Nun  finde  mich! 

124 


12  (Zu  S.  37).  Hiervon  ist  er  durch  die  Unvollkommenheit  der  Musikinstrumente 
heute  allerdings  noch  weit  entfernt.  Alle  Musikinstrumente  sind  nur  imstande,  an- 
nähernd Harmonien  zu  erzeugen.  Am  meisten  gelingt  dies  den  Saiteninstrumenten, 
allen  voran  der  Violine  und  der  vox  humana.  Am  wenigsten  dem  als  Zeichen  der 
eingetretenen  Musikbarbarei  am  weitesten  verbreiteten  Klavier,  auf  dessen  Verhält- 
nisse heute  die  gesamte  Komposition  eingestellt  ist.  (Nach  dem  Klavier  wird  alles 
gestimmt  und  singen  gelehrt!)  Denn  da  dieses  Instrument  unveränderbare  „feste"  Töne 
hat,  ist  es  ein  aus  seiner  Konstruktion  fließender  Zwang,  die  Intervalle  zwischen  zwei 
Tönen  gleichgroß  zu  machen.  Darum  nennt  man  sie  die  Intervalle  in  der  gleich- 
schwebenden Temperatur.  (Vgl.  Bachs  Wohltemperiertes  Klavier.)  Mechanisch  wird 
so  als  Wert  des  Intervalles  1,05946  festgelegt,  was  einem  gewissen  mittleren  Zur 
sammentreffen  mit  den  wirklich  reinen  Harmonien  entspricht,  aber  schon  einem 
wirklich  feinhörigen  Ohr  unerträglich  ist,  daher  Klaviermusik  immer  etwas  Unvoll- 
kommenes und  Unreines  besitzt.  Die  Differenzen  zu  den  pythagoräischen  Intervallen, 
welche  die  Weltgesetzlichkeit  weit  besser  ausdrücken,  sind  z.  B.  für  die  Quinte  statt 
1,5  (3/2)  bei  Pythagoras  nach  der  gleichschwebenden  Temperatur  2Vi2  =  1,4983. 
Oder  für  die  Sexte  verwenden  wir  1,68  statt  1,67.  Wir  kennen  also  nur  ein  annähern- 
des Musizieren,  das  die  Zukunft  als  barbarisch  verabscheuen  wird.  Vgl.  HelmhoUz, 
Die  Lehre  von  den  Tonempfindungen,  auch  Lord  Raleigh,  Theorie  des  Schalles. 

13  (Zu  S.  44).  Vgl.  Ph.  Undrd,  Über  Relativitätsprinzip,  Äther,  Gravitation.  Neue 
Aufl.  Leipzig.  1920.  In  dieser  Abhandlung  versucht  Unärd,  die  Ablenkung  des 
Lichtes  durch  das  Schwerefeld  der  Sonne  durch  eine  vielleicht  (!)  vorhandene  Son- 
nenatmosphäre anzuzweifeln,  und  erklärt  die  Störungen  der  Merkurbahn  lieber  mit 
den  in  Bd.  I  S.  18  gekennzeichneten  hypothetischen  „Massen"  von  Seeliger.  Dagegen 
betont  er  sehr  richtig,  daß  durch  die  Ersetzung  des  Wortes  Äther  durch  das  Wort 
Raum  die  geheimnisvollen  Eigenschaften  dieses  Äthers  nur  einen  neuen  Träger,  nicht 
aber  eine  Erklärung  gefunden  haben. 

14  (Zu  S.  45).  Die  Äthertheorie  faßt  diesen  nicht  als  elastische,  sondern  als  elek- 
tromagnetische Substanz,  in  dem  die  Fortpflanzung  der  Bewegungen  durch  das  Zu- 
sammenwirken von  elektrischen  und  magnetischen  Verschiebungen  geschieht,  setzt 
also  den  Äther  als  Elektrizitätsträger,  daher  als  aus  Elektronen  zusammengesetzt,  vor- 
aus. So  kam  auch  Lorentz  zu  seiner  Auffassung  von  der  Kontraktion  dieser  Elektro- 
nen, die  den  bekannten  Anstoß  zur  ganzen  Relativitätstheorie  gegeben  hat.  Die  Dif- 
ferenzen zwischen  einer  atomistischen  und  ätherelektronistischen  Auffassung  des  Lich- 
tes sind  also  gar  nicht  so  enorm,  wie  man  es  gemeinhin  hinstellt. 

15  (Zu  S.  46).  Die  maßgebenden  Abhandlungen  hierüber  veröffentlichte  Flzeaa  in 
den  Comptes  rendus  von  1851,  Michelson  und  Morley  im  American  Journal  of  Science 
1886,  dann  Lorentz  in  dem  Werke:  Versuch  einer  Theorie  der  elektrischen  und  opti- 
schen Erscheinungen  in  bewegten  Körpern,  Leiden  1895  (auch  in  The  theory  of 
Elektrons,  Leipzig  1909),  an  das  Einstein  mit  seiner  Abhandlung  in  den  Annalen  der 
Physik  (1905)  anknüpfte. 

16  (Zu  S.  54).  Vgl.  hierzu  sowie  zum  Abschnitt  Magnetismus:  G.  Mie,  Lehrbuch 
der  Elektrizität  und  des  Magnetismus.  1910.  —  E.  Cohn,  Das  elektromagnetische 
Feld.   1900   —  H.  Du  Bois,  Proprietes  magnetiques  de  la  matiere.   Paris.    1900. 

17  (Zu  S.  56).  Vgl.  über  Röntgenstrahlen  die  grundlegende  Abhandlung  von 
W.  C.  Röntgen  in  Wiedemanns  Annalen  Bd.  64  und  /.  Stark,  Die  Prinzipien  der 
Atomdynamik  II,  ebenso  W.  Friedrichs,  P.  Knipping  und  M.  v.  Laue,  Interferenz  der 
Röntgenstrahlen  in  Sitzber.  d.  bayr.  Akad.  d.  Wiss.  1912. 

18  (Zu  S.  59).  Die  Erdwärme  (die  höchsten  Temperaturen  der  Luft  in  der  Sonne 
können  bis  80"  C  ansteigen;  ich  selbst  fand  in  der  Sinaiwüste  62»^  C  noch  erträg- 
lich) ist  nicht  die  direkte  Strahlungswärme  der  Sonne,  sondern  das  Resultat  eines 
komplizierten  Prozesses.  Die  Lufthülle  der  Erde  wirkt  (Tyndnll)  wie  eine  Glas- 
scheibe, welche  wohl  Wärmestrahlen,  die  unser  Auge  als  Licht  empfindet,  durchläßt, 

125 


dagegen  nicht  die  dunklen  Wärmestrahlen,  welche  von  der  Erde  selbst  ausgehen. 
Daher  sind  wir  im  Freien  in  derselben  Lage,  wie  die  Pflanzen  in  einem  Treibhaus, 
das  nach  den  gleichen  Prinzipien  gebaut  ist,  oder  wie  in  einer  Glasveranda. 

19  (Zu  S.  59).  Man  verbindet  die  Orte  mit  gleicher  Temperatur  durch  Isothermen 
und  verrät  dadurch,  daß  die  unter  ewigem  Eis  bedeckten  Länder  westlich  des  Smith- 
sundes im  Polarkontinent  einen  Jahresdurchschnitt  von  —  20''  C,  der  Sudan  zwischen 
Chartum  und  Timbuktu  eine  Jahresisotherme  von  über  30*'  Hitze  hat.  Die  größten 
Temperaturextreme  an  einem  Ort  erlebt  etwa  Jakutsk  in  Sibirien,  wo  bei  mittlerer 
Jahrestemperatur  von  —  11,2°,  die  mittlere  Januartemperatur  —  42,8°,  die  mittlere 
Julitemperatur  aber  -|-  18,8°  beträgt.  Übrigens  hat  auch  Deutschland  (z.  B.  Braun- 
schweig) immerhin  noch  eine  Jahresschwankung  von  49°.  Das  mittlere  Maximum  von 
Timbuktu  als  den  heißesten  Ort  der  Erde  (nicht  Arabien,  wo  Dschidda  „nur"  40,8° 
erreicht)  beträgt  47,4°.  (Europa  in  Madrid  39,6°,  übrigens  Berlin  noch  33,0°.)  Das 
mittlere  Temperaturminimum  kulminiert  mit  Werchojansk  in  Sibirien  mit  —  63,9°. 
(Europa  mit  Moskau  —30,5°,  Berlin  —15,4°.) 

Die  größte  Hitze  im  Schatten  maß  man  am  Roten  Meer,  in  Zentralafrika,  im  Innern 
(Australiens  und  in  Arizona,  wo  überall  wiederholt  50°  erlebt  wurden.  Die  größte 
Kälte  an  der  Jana  in  Sibirien,  wo  —  60°  —  65°  Kälte  vorkommen,  desgleichen  am 
Bärensoo  in  Nordamerika  ( —  58°).  Vgl.  van  Bebber,  Die  Verteilung  der  Wärmeextreme 
über  die  Erdoberfläche  (Petermann's  Geograph.  Mitteilungen  1893). 

20  (Zu  S.  59).  Man  täusche  sich  nicht  darüber,  daß  es  prinzipiell  niemals  gelingen 
kann,  den  absoluten  Nullpunkt  herzustellen,  da  dies  doch  nur  in  das  Reich  der  extra- 
zoetischen  Fiktionen  gehört,  so  wie  der  Begriff  absoluter  Masse  oder  Zeit  oder  Raum. 

Abgeleitet  wurde  er  aus  dem  Gay-Lussac^ sdntn  Gesetz  d.  h.  aus  der  Tatsache,  daß 
sich  die  Spannung  der  Gase  unabhängig  von  dem  Druck  mit  jedem  Grad  Celsius 
um  1/273  ändert.  Somit  mußte  die  Spannung  bei  —  273°  Null  sein.  Oder,  da  die  „Span- 
nung" nur  das  Sammelwort  für  die  Molekülstöße  ist,  müßten  die  Molekülbewegun- 
gen bei  dieser  Temperatur  sistiert  sein.  Man  kann  diese  Temperaturen  daher  nur  an- 
nähern und  hat  dies  auch  durch  Verdampfung  von  flüssigem  Wasserstoff  bis  zu  16° 
absoluter  Temperatur,  also  —  257°  C  getan. 

21  (Zu  S.  60).  Es  ist  hierbei  die  Temperatur  des  Weltraumes  mit  142^  unter 
Null  angenommen  nach  dem  Vorgange  von  Pouillet,  der  sie  nach  der  Sternenstrah- 
lung, nämlich  nach  der  Wärmemenge,  schätzt,  die  mit  Ausnahme  der  Sonne  von  den 
anderen  Himmelskörpern  zur  Erde  gelangt.  Dieser  Wert  ist  aber  keineswegs  sicher, 
und  tatsächlich  wissen  wir  über  die  Temperatur  des  Weltenraumes  gar  nichts  Sicheres. 

22  (Zu  S.  61).  Vgl.  im  besonderen  /.  Breuer  und  S.  Freud,  Studien  über  Hysterie. 
3.  Aufl.  Wien  1913.  —  W.  Fließ,  Der  Ablauf  des  Lebens.  Grundlegung  zur  exakten 
Biologie.  Wien  1906.  —  W.  Fließ,  Das  Jahr  im  Lebendigen.  Jena  1918.  —  O.  Kam- 
merer, Das  Gesetz  der  Serie.   Stuttgart  1919. 

23  (Zu  S.  62),  Conf.  Koffka,  Experimentaluntersuchungen  zur  Lehre  vom  Rhyth- 
mus.   (Zeitschr.  f.  Psychologie,  Bd.  52.) 

24  (Zu  S.  62).    Behn,  der  deutsche  Rhythmus  und  sein  Gesetz.    1912. 

25  (Zu  S.  64,  65,  66).  Vgl.  W.  Ostwald,  Allgemeine  Chemie,  Bd.  II.  —  Woher, 
Die  Katalyse.  I.  1910.  —  Älter  auch:  Bredig,  Anorganische  Fermente.  1910.  —  Vgl. 
auch  C.  Berthelot,  Chemische  Mechanik,  gegründet  auf  Termochemie.    1879. 

26  (Zu  S.  68).  Meine  erste  Publikation  hierüber  datiert  vom  Jahre  1917  (Mitteilun- 
gen des  K.  K.  Techn.  Versuchsamtes  in  Wien.  1917).  Die  Hauptarbeit  ist:  R.  Franci, 
Die  technischen  Leistungen  der  Pflanzen.  Leipzig  (Vereinigung  d.  wissensch.  Ver- 
leger) 1919.  In  gemeinverständlicher  Form  unter  erweiterter  Ableitung  des  Funk- 
tionsbegriffes behandelt  in:  Die  Pflanze  als  Erfinder.  Stuttgart  (Kosmos)  1920.  7.  Aufl. 

27  (Zu  S.  68).  Vgl.  W.  Roux,  Der  züchtende  Kampf  der  Teile  oder  die  Teilaus- 
lese im  Organismus.  Leipzig  1881.  —  Gesammelte  Abhandlungen  über  Entwicklungs- 
mechanik der  Organismen,  I— II.   Leipzig  1895. 

126 


28  (Zu  S.  72).  So  entscheidet  sich  z.  B.  der  Streit  zwischen  Roux  und  den  Psycho- 
morphologen  durch  diese  Einsicht  auf  die  Weise,  daß  beide  Teile  recht  haben,  weil 
beide  Teile  etwas  anderes  meinen.  Roax  hat  durchaus  recht,  wenn  er  bei  funktio- 
neller Anpassung  an  das  Gesetz  der  Funktionsformen  denkt  und  wir  {A.  Pauly  und 
ich)  die  seinerzeit  die  Polemik  im  Archiv  für  Entwicklungsmechanik  und  der  Zeit- 
schrift für  den  Ausbau  der  Entwicklungslehre  (1902)  führten,  hatten  recht,  weil  uns 
die  biologisch  bedingten  Anpassungen  von  autoteleologischem  Charakter  allein  vor- 
schwebten. Daß  Roux  in  dem  von  ihm  angenommenen  Sinne  denkt,  beweist  er  durch 
seine  Lehre  von  der  tropischen  Wirkung  des  funktionellen  Reizes.  Er  macht  darin 
die  „inneren"  Zustände  der  Gewebe  für  die  Hyperämie  verantwortlich,  welche  das 
Ausführungsmittel  solcher  Umbauten  ist.  Er  sagt  demnach:  Die  Substanz,  welche 
funktioniert,  handelt  selber.  So  gestaltet  sich  das  Dauerfähige  selbst.  Und  hält  ganz 
logisch  das  teleologische  Geschehen  zugleich  für  das  Mechanische.  Mit  anderen  Wor- 
ten, er  sieht  sehr  wohl,  daß  das  Teleologische  schon  im  mechanischen  Gesetz  darin 
stecken  kann.  Vgl.  R.  France,  Funktionelle  Selbstgestaltung  und  Psychomorphologie 
(Archiv  f.  Entwicklungsmechanik  1908). 

29  (Zu  S.  77).  Vgl.  hierzu  Gurwitsch,  Morphologie  und  Biologie  der  Zelle.  1904. 
—  A.  Meyer,  Morphologische  und  physiologische  Analyse  der  Zelle  der  Pflanzen  und 
Tiere.   Jena.    1.  Teil.    1920. 

30  (Zu  S.  77).  Vgl.  O.  Bütschll,  Untersuchungen  über  mikroskopische  Schäume  und 
das  Protoplasma.  Leipzig.  1892.  —  R.  Francö,  Beiträge  zur  Morphologie  und  Phy- 
siologie des  Scenedesmus.  (Acta  mus.  Natur,  hung.  Budapest  1892).  —  M.  Fayod,  La 
structure  du  protoplasma  vivant.  (Revue  gen.  de  Botanique  1891).  —  G.  Entz,  Die 
kontraktilen  und  elastischen  Elemente  der  Vorticellinen.  (Mathem.  naturwiss.  Berichte 
aus  Ungarn  1892).  —  E,  Altmann,  Die  Elementarorganismen  und  ihre  Beziehungen 
zu  den  Zellen.  Leipzig.  1890.  Angesichts  der  für  die  gesamte  Lebenserkenntnis 
enorm  wichtigen  Frage  nach  der  wahren  Struktur  des  Protoplasmas  und  der  Elemen- 
tarorganismen kann  die  objektive  Philosophie  an  dieser  Frage  nicht  ohne  ausgiebige 
Erörterung  von  ihrem  Gesichtspunkt  aus  vorübergehen. 

31  (Zu  S.  79).  Die  hier  vertretene  Theorie  der  archiplastischen  Metabolie  ist  in 
„Atome"  von  Einsicht  zersprengt  in  der  gesamten  cytologischen  Literatur  vertreten. 
Allenthalben  sieht  man  Abbildungen,  auf  denen  alveoläre  und  fibrilläre  Cytoplasma- 
teile  nebeneinander  beobachtet  sind.  A.  Strasburger  glaubte  schon  1908  eine  solche 
Metabolie  beobachtet  zu  haben.  Auch  die  Einsicht,  daß  die  Chondriosomen  (==  Mito- 
chondrien)  ihre  Form  nach  der  jeweiligen  Zellbeanspruchung  wechseln,  geht  durch 
die  Literatur.  Sichergestellt  ist  jedenfalls  ihre  Umbildung  zu  Spirillen  in  Spermien 
und  zu  Myofibrillen  in  Muskelzellen.  Es  gibt  sogar  stützende  archiplastische  Skelet- 
fasern  als  Zeichen,  wie  durchgängig  das  Gesetz  der  funktionellen  Anpassung  den 
cytoplasmatischen  Bau  bestimmt. 

Auch  den  Botanikern  ist  es  durchaus  geläufig,  daß  die  Zellmembran  ein  Abdruck 
ihrer  Funktionen  sei.  Die  restlose  Aufhellung  der  cytologischen  Histologie  wird 
aber  natürlich  erst  dann  gelingen,  wenn  die  Funktionen  (man  denke  an  die 
Kernteile)  der  Elemente  durchschaut  sind,  wovon  man  heute  aber  noch  weit  ent- 
fernt ist. 

32  (Zu  S.  80).  Durch  diese  Studien  sonderten  sich  namentlich  neun  Haupttypen 
für  druckfeste  Konstruktionen:  L  Typ  von  Surirella,  IL  Typ  von  Mastogloia,  IIL 
Nitzschiatyp,  IV.  Eunotiatyp,  V.  Cymatopleuratyp,  VI.  Cratlculatyp,  VII.  Stauronelstyp, 
VIII.  Pmnulariatyp,  IX.  Tip.  von  Fragilaria  Harrisonii.  Von  diesen  ist  I  der  Durch- 
schnittsfall für  normale  Beanspruchung,  Typ  11  für  konstante  Belastung  geeignet, 
Typ  III  bis  VII  sind  Spezialformen  für  besondere  Druckverhäitnisse,  Typ  VIII  für  be- 
sonders große  Formen  konstruiert,  Typ  IX  noch  unverständlich. 

Einen  Teil  dieser  Konstruktionseinrichtungen  ahmt  der  Mensch  bereits  nach.    So 

127 


die  Herausnahme  der  Füllungen  aus  Wänden  in  der  Baukunst  oder  die  Kantenver- 
stärkungen in  Form  von  Beschlägen  bei  Koffern  und  Kisten. 

Dieses  eine  etwas  spezieller  ausgeführte  Beispiel  möge  ahnen  lassen,  mit  welchem 
Reichtum  an  Vorbildern  und  Anregungen  man  bekannt  wird,  sobald  man  sich  dem 
Sein  mit  dem  Gedanken  nähert,  in  ihm  ein  technisches  Musterbuch  zu  sehen. 

33  (Zu  S.  83).  Die  genaueren  Ausführungen  dieses  Gedankens  sind  der  Inhalt 
einer  objektiven  Soziologie,  welche  im  Rahmen  des  Gesamtwerkes  der  objektiven 
Philosophie  auch  vorgesehen  ist.  Vorstudien  dazu  enthält  meine  kleine  Schrift:  R. 
Franci,  Der  Weg  zur  Kultur.  2.  Aufl.  (11—15.  Tausend)   Prien.  1923. 

34  (Zu  S.  88).  Vgl.  V.  Graber,  Die  äußeren  mechanischen  Werkzeuge  der  Wirbel- 
und  der  wirbellosen  Tiere.  Leipzig.  1886.  I— II  ein  ausgezeichnetes  Werk,  das  ge- 
radenwegs die  Bahn  zur  Biotechnik  einschlägt.  Andere  Vorläufer,  die  immer  nur 
das  Weltgesetzliche  daran  nicht  erkannten,  sind  S.  Schwendener,  Das  mechanische 
Prinzip  im  anatomischen  Bau  der  Monokotylen,  Leipzig  1874.  —  A.  Dingler,  Die  Be- 
wegung der  pflanzlichen  Flugorgane  1889.  —  Kapp,  Philosophie  der  Technik,  Leip- 
zig, der  die  Biotechnik  auf  den  Abweg  des  metaphysischen  Begriffes  der  „Organ- 
projektion" führte.  —  Reulaux,  Kinematik  im  Tierreiche,  Braunschweig.  1900.  H.  V. 
Meyer,  die  Statik  und  Mechanik  des  menschlichen  Knochengerüstes.  Leipzig  1873. 
—  O.  Fischer,  Kinematik  organischer  Gelenke.  Braunschweig,  1907.  Außerdem  viele 
Abhandlungen  von  O.  Thilo  über  Sperrgelenke  bei  Fischen,  die  das  Vorbild  des 
Valeschlosses  sind.  Man  hat  also  zwei  Menschenalter  verstreichen  lassen,  ohne  diese 
Erkenntnisse  auch  wirklich  fruchtbar  zu  machen. 

35  (Zu  S.  90).  Vgl.  A.  Pauly,  Darwinismus  und  Lamarekismus.  München  1906.  — 
H.  Driesch,  die  „Seele"  als  elementarer  Naturfaktor.    Leipzig  1904.  — 

36  (Zu  S.  96).  Näheres  hierüber  vgl.  R.  France,  Das  Leben  der  Pflanze.  Bd.  I— IL 
Stuttgart.    1921.    2.  Aufl. 

37  (Zu  S.  99).  Vgl.  hierzu  E.Klotz,  Der  Mensch,  ein  Vierfüßler.  Leipzig.  1908. 
Ein  beachtenswertes  Werkchen,  in  dem  der  Verfasser  den  Beweis  für  eine  notwen- 
dige organischere  Art  des  Begattungsaktes  liefert. 

38  (Zu  S.  101).  Vgl.  E.  Fuld,  Ober  Veränderungen  der  Hinterbeinknochen  von 
Hunden  infolge  Mangels  der  Vorderbeine.    (Archiv  f.  Entwicklungsmechanik  1901.) 

39  (Zu  S.  102).  Diese  Konsequenz  des  biotechnischen  Gedankens  habe  ich  näher 
ausgeführt  in  meiner  Abhandlung,  R.  Franci,  Der  Parasitismus  als  schöpferisches 
Prinzip.  (Zentralblatt  für  Bakteriologie,  Parasitenkunde  und  Infektionskrankheiten. 
Band  50.    1920.) 

40  (Zu  S.  111).  Daher  besagt  auch  der  Einwand  nichts,  daß  die  Vorstufen  des  Men- 
schen kein  elektrisches  Licht,  keine  Klaviere,  Automobile  u.  dgl.  Erfindungen  mehr 
hergestellt  haben.  Wer  diesen  Einwand  vertritt,  der  hat  darauf  vergessen,  daß  jede 
Erfindung  nur  eine  Anpassung,  also  die  Befriedigung  eines  Bedürfnisses  ist.  Sie 
muß  daher  aus  der  Bedürfnislage  heraus  beurteilt  werden;  nur  von  da  aus  kann  sie 
optimal  gewertet  und  verstanden  werden.  So  haben  z.  B.  die  Zweihufer  (Pferde!) 
keine  harten  Hufeisen  von  Natur  aus,  und  der  Mensch  muß  durch  den  Hufbeschlag 
scheinbar  einer  Unvollkommenheit  der  technischen  Leistungen  des  Plasmas  nach- 
helfen. An  diesem  Beispiel  ist  die  Sachlage  besonders  durchsichtig.  Der  Huf  des 
Pferdes  ist  technisch  vollkommen  zulänglich  in  der  Zoesis  des  Pferdes,  nämlich 
auf  dem  weichen,  rasenbedeckten  Boden  der  Steppe,  wo  sich  das  Wildpferd  aufhält. 
Wir  haben  es  als  Haustier  in  eine  neue,  unnatürliche  Lebenssituation  gebracht  mit 
unserem  Granitpflaster  in  den  Städten  und  harten  Landstraßen.  Darum  müssen 
wir  seine  natürlichen  Anpassungen  erweitern,  können  es  aber  —  und  das  beachte 
man  wohl!  —  wieder  nur  im  Sinne  der  Biotechnik  tun.  Das  Hufeisen  ist  eine  Kopie 
des  Hufes,  nur  aus  härterem  Material  hergestellt. 

Einen  Einwand  gegen  die  Biotechnik  machte  man  mir  gelegentlich  des  Vortrages, 
den  ich  in  der  Technischen  Hochschule  in  Dresden  im  Jahre  1920  über  sie  hielt:  der 

128 


Organismus  wende  nirgends  die  technische  Form  des  Rades  an,  obwohl  dies  oft  in 
seiner  Bedürfnislage  gefordert  sei.  Demgegenüber  ist  zu  sagen:  die  Organismen  ver- 
wenden sehr  wohl  das  Rad,  das  ja  technisch  nur  eine  Abart  der  Kugel  ist,  inden» 
sie  die  Funktion  des  Rollens  ausüben.  Es  rollen  auf  den  Steppen  die  kugelig,  oft 
auch  radförmig  verschlungenen  Sprosse  der  sogenannten  Steppenhexen  (z.  B.  Ra- 
pistrum  perenne,  der  Windsbock)  unter  dem  Winde  dahin,  dadurch  für  die  Verbrei- 
tung der  Pflanze  sorgend.  Auch  Schnecken,  Ammoniten,  Foraminiferen  (vgl.  Abb.  58 
in  Bd.  I)  benützen  die  Radform  aus  allerdings  noch  undurchsichtigen  Gründen,  die 
sogar  eine  Biotechnik  verwirklichen,  von  der  der  Mensch  an  seinen  Rädern  erst  seit 
neuerer  Zeit  Gebrauch  macht.  Sie  haben  nämlich  sämtlich  zur  Stützung  ihres  Rad- 
gehäuses gebogene  Speichen,  und  damit  einen  statischen  Vorteil,  von  dem  der 
Mensch  bei  den  Schwungrädern  ebenfalls  profitiert.  Räder  sind  übrigens  unter  den 
pelagischen  Lebewesen  auch  die  Cyclotellen  und  Coscinodiscen;  an  den  Pianorbis- 
schnecken  des  Süßwassers  kann  man  beobachten,  wie  sie  bei  einer  Störung  ihre  Rad- 
form verwerten  und  zum  Schutz  kopfüber  in  die  Tiefe  rollen. 

Nach  E.  Mach  gibt  es  in  der  Natur  keine  rotierende  Bewegung  und  angeblich  auch 
keine  natürliche  Schraube  und  kein  Zahnrad,  weil  das  Rotieren  die  Aufhebung  der 
Massenkontinuität  zur  Folge  hat.  Dieser  Einwand  beweist  erstens,  welch  hohe  Mei- 
nung Mach  von  der  Technik  der  Natur  haben  mußte.  Denn  nur  äußerste  Geschwin- 
digkeiten der  Rotation,  die  wir  in  unserer  Technik  gar  nicht  erreichen  können,  wür- 
den rotierende  Gegenstände  zerreißen.  Außerdem  ist  das  Fehlen  der  Rotation  im  Bio- 
technischen doch  höchstens  nur  ein  Beweis  dessen,  daß  Rotieren  keine  optimale  Tech- 
nik darstellt;  derselbe  Effekt  kann  mit  geringerer  Kraftanwendung  erreicht  werden, 
wie  die  Schwanzflosse  der  heterozerken  Fische  (Haie)  beweist,  durch  deren  Antrieb 
diese  Tiere  auch  den  Dampfern  tagelang  folgen  können,  weil  deren  Bewegung  voll- 
kommen den  gleichen  Effekt  bewirkt,  wie  die  rotierenden  Schiffsschrauben.  Das 
gleiche  gilt  für  den  Vogelflügel,  dessen  Funktion  dem  Vogel  den  Vortrieb  verleiht, 
der  im  Flugapparat  durch  eine  oder  mehrere  Schrauben  nachgeahmt  und  noch  immer 
nicht  erreicht  wird.  Außerdem  ist  endlich  die  Behauptung,  der  Organismus  kenne 
keine  Schraube  und  kein  Zahnrad,  auf  Unkenntnis  der  Natur  aufgebaut.  Schrauben- 
förmige Spermatozoiden  sind  auf  Abb.  20  dargestellt,  und  Sperrvorrichtungen,  die 
auf  dem  Prinzip  des  Zahnrades  beruhen,  hat  O.  Thilo  von  Fischen  beschrieben.  Eines 
seiner  Modelle  ist  im  Münchner  Deutschen  Museum  als  vorläufiger  Embryo  von  des- 
sen biotechnischer  Abteilung  aufgestellt. 

41  (Zu  S.  113).   Vgl.  hierzu  K.Graeser,  Der  Zug  der  Vögel.   Leipzig.   II.  Auflage. 

42  (Zu  S.  117).  Vgl.  H.  V.  HelmhoUz,  Die  Lehre  von  den  Tonempfindungen.  5. 
Aufl.  Braunschweig  1896.  —  Auch  E.  Waetzmann,  Die  Resonanztheorie  des  Hörens. 
Braunschweig.  1912.  Auch  in  den  abweichenden  Theorien  (Ewald's  Schallbildtheorie) 
leugnet  man  nicht  die  Grundlage  des  biozentrischen  Selektivhörens,  auf  das  es  in  un- 
serem Gedankengang  allein  ankommt. 

43  (Zu  S.  96  und  118).  Solche  Untersuchungen  liegen  vor  von  A.  Wagner,  Über 
die  Anpassungsfähigkeit  von  Myriophyllum  verticillatum  (Ztschr.  f.  A.  d.  Entw.  1909), 
von  mir  selbst  R.  France,  Die  gamotropen  Bewegungen  von  Parnassia  palu- 
stris (Zeitschrift  f.  d.  Ausbau  d.  Entwicklungslehre  1908).  Vgl.  auch  E.Ungerer, 
Die  Regulationen  der  Pflanze.    Ein  System  der  teleolog.  Begriffe.    Berlin  1919. 

44  (Zu  S.  120).  Aristoteles  nennt  Entelechie  das  Formungsprinzip,  schlechthin  die 
Verwirklichung  von  Zwecken,  wodurch  er  klar  zu  erkennen  gibt,  daß  ihm  das  Teleo- 
logische in  der  gesamten  Weltgestaltung  klar  bewußt  war.  Entelechie  ist  ihm  daher 
auch  die  Gestaltungsseele  des  Leibes.  Vgl.  H.  Driesch,  Die  „Seele"  als  elementarer 
Naturfaktor.  Leipzig  1904.  —  Philosophie  des  Organischen.  Leipzig  1— II.  1909.  — 
Wirklichkeitslehre.   Leipzig  1917. 

45  (Zu  S.  120).  Dies  tut  namentlich  K.  Jelllnek  in  seinem  äußerst  kenntnisreichen 
Buch:  Das  Weltengeheimnis.  Stuttgart.   1921. 

Franci,  Bios  11  ' 

129 


46  (Zu  S.  120).  Vgl.  dazu  die  Abhandlung:  A.  Schopenhauer,  Ober  den  Willen 
in  der  Natur,  in  den  Schriften  der  Naturphilosophie  und  Ethik  von  1854.  Vgl.  auch 
den  Abschnitt:  Objektivation  des  Willens  im  tierischen  Organismus,  in  den  Ergän- 
zungen zum  zweiten  Buch  der  W.  a.  W.  u.  V.  und  Kap.  23:  Über  die  Objektivation 
des  Willens  in  der  erkenntnislosen  Natur. 

47  (Zu  S.  121).  S.R.Franci,  Zoesis.  Eine  Einführung  in  die  Gesetze  der  Welt 
(München  1920)  und  als  Bestätigung  des  Kernsatzes  dieser  Schrift,  die  nur  eine  Er- 
weiterung meines  auf  dem  Jahrestag  der  Schopenhauer-Gesellschaft  in  der  Dresdner 
Technischen  Hochschule  gehaltenen  Vortrages  ist:  /.  Petzold,  Die  Stellung  der  Rela- 
tivitätstheorie in  der  geistigen  Entwicklung  der  Menschheit.  Dresden  1921,  wo  in 
Abschnitt  34  ganz  im  Einklang  mit  mir  die  Forderung  gewollter  „invarianter  Natur- 
gesetze" aufgestellt,  in  Abschnitt  35  der  mir  am  meisten  am  Herzen  liegende  Punkt 
zugegeben  wird,  daß  sich  durch  die  neuere  Physik  diese  der  Physiologie  annähert, 
also  biologisiert  wird  (S.  121).  Und  ganz  folgerichtig  zieht  hieraus  Petzoldt  die 
Konsequenz,  daß  aus  dieser  Verknüpfung  der  unbegründete  Gegensatz  von  Natur- 
und  Geisteswissenschaften  überwunden  werden  wird. 


Das  Qesestz  des  Optimums 

Definition  der  Mechanik  —  Die  Gesetze  der  Mechanik  —  Das  Träe^heitsprmziD  — 
Das  Kräfteparallelogramm  —  Die  Theorie  der  komplexen  Systeme  —  Bedeutung  der 
Mechanik  —  Feststellung  der  optimalen  Seinsarten  —  Geologie  als  Mechanik  der 
Gesteine  —  Strategie  als  Mechanik  von  Menschenmassen  —  Volkswirtschaft  als  Me- 
chanik des  Waren-  und  Geldverkehrs  —  Mechanik  als  Regellehre  aller  Systembezie- 
hungen (Panmechanik)  —  Darstellung  des  Optimumgesetzes  mit  seinen  Konsequenzen 
der  Selektion  und  des  kleinsten  Kraftmaßes  —  Definition  und  Geschichte  des  Opti- 
mumgesetzes —  Alle  Prozesse  des  Organismus  verlaufen  optimoklin  —  Die  Tropis* 
men  und  Reflexe  als  optimokline  Reaktionen  —  Intellekt  und  Gehirn  als  Mittel  zur 
Erreichung  des  Optimums  —  Denken  als  biologische  Funktion  —  Das  neue  Weltver- 
ständnis der  objektiven  Philosophie  —  Optimoklines  Geschehen  im  Anorganischen  — 
Optimokline  Bewegung  —  Das  Optimumgesetz  in  der  Talentwicklung,  im  freien 
Fall,  in  der  Erosion  —  Das  Optimum  im  Lachambre'schen  Reflexionsversuch  — 
Die  Transmutation  als  Mittel  des  optimoklinen  Geschehens  —  Der  Kosmos  kennt  nur 
Kreislaufprozesse  —  Kritik  des  Begriffs  der  schöpferischen  Entwicklung  —  Fehlen 
der  schöpferischen  Entwicklung  in  der  Klimatologie,  in  der  Geologie,  in  der  Geoge- 
nesis  —  Die  populären  Ansichten  vom  Stammbaum  des  Lebens  —  Die  populäre  Ent- 
wicklungslehre —  Kritik  dieser  Lehren  —  Die  Kräfte  der  Erdumgestaltung  sind  konstant 

—  Abbrechende  Entwicklungen  in  der  Vulkanbildung  und  Verlandung  der  Seen  —  Der 
Begriff  der  Kumulation  an  Stelle  der  Entwicklung  —  Kritik  der  biologischen  Ent- 
wicklung —  Die  ontogenetische  Entwicklung  als  Entfaltungsprozeß  —  Entfaltung 
des  Menscheneies  —  Der  Wechsel  der  Generationen  in  der  Ontogenie  —  Generations- 
wechsel bei  Pflanzen  —  Erklärung  der  Zellteilung  als  Knospung  —  Zurechtbestehen 
der  Abstammungslehre  —  Entstehen  und  Kritik  der  Mutationen  —  Bedeutung  der 
Vererbung  —  Das  Mendelgesetz  als  Regler  der  Vererbung  —  Die  Vererbung  erwor- 
bener Eigenschaften  als  Tatsache  —  Die  Beweise  der  Abstammungslehre  —  Der  ge- 
netische Zusammenhang  des  Menschen  mit  den  Tieren  —  Definition  und  Ursachen 
der  Menschwerdung  —  Die  biologische  Funktion  des  Menschengeistes  ist  die  Schaf- 
fung einer  Zivilisation  —  Übereinstimmung  mit  H.  Vaihinger  —  Die  objektive  Phi- 
losophie als  Mittel  zum  Optimum  der  Menschwerdung  —  Die  Kultur  als  übergeord- 
nete Stufe  der  Zivilisation  —  Die  Welt  als  konstantes  System  von  Transmutationen  — 
Konkordanz  der  Ontogenie,  Phylogenie  und  Regeneration  —  Die  Gesetze  der  Re- 
generationen —  Umkehrung  der  Entwicklung  —  Entwicklung  als  Ausgleichvorgang 

—  Die  Fortpflanzung  als  optimokline  Geschehensart  —  Die  Gesetze  der  vegetativen 
und  sexuellen  Fortpflanzung  —  Die  neue  Auffassung  der  Fortpflanzung  —  Erklärung 
der  Parthenogenesis  —  Die  Sexualität  als  optimokliner  Faktor  —  Lob  der  Geschlechts- 
liebe als  Mittel,  um  zum  Optimum  zu  kommen  —  Ursache  des  Aussterbens  der  Arten 

—  Kritik  der  Anpassungs-  und  Organisationsmerkmale  —  Zusammenfassung  der  Ent- 
wicklungserscheinungen als  Äußerungen  des  Optimumgesetzes  —  Kritik  der  H.  Spcn- 

131 


c^r'schen  Entwicklungsphilosophie  —  Die  Baer^sche  Formel  als  Ausdruck  optimokli- 

nen  Geschehens  —  Auch  Spencer  faßt  Entwicklung  nur  als  optimokline  Entfaltung 

des  Weltsystems  auf  —  Zusätze  und  Anmerkungen. 


Ich  schlage  vor,  einen  Augenblick  stehen  zu  bleiben  und  zurückzublicken. 
Was  ist,  dem  Streit  der  Meinungen  entrückt,  als  das  Wesen  dessen  erkannt, 
was  als  Weltbild  in  unser  Erleben  jeden  Augenblick  tritt? 

Die  Welt  ist  eine  Stufenleiter  von  Integrationsstufen,  deren  große  Gliede- 
rung etwa  durch  die  Begriffe:  Materie,  belebte  Materie,  Psyche,  Kultur, 
Kosmos,  Bios  bestimmt  wird.  Freilich  sind  das  nur  die  Protagonisten  eines 
unendlich  getürmten  Systems  von  Integrationen,  die  das  Sein  durch  ihre 
Funktionen,  gemeinhin  Eigenschaften  genannt,  festlegen.  Die  Natur  und 
Vielheit  dieser  Funktionen  unterliegt  bestimmten  Regelungen  der  Zu- 
sammenhänge, von  denen  sich  alle  denjenigen  unterordnen,  welche  die 
Erhaltung  des  Seins,  im  besonderen  die  Erhaltung  der  Materie  und  der 
Energie  bewirken.  Das  ist  der  ganze  Sinn  des  physikalischen  und  des 
chemischen  Geschehens.  Die  Funktionen  sind  also  der  Ausdruck  eines  Ge- 
schehens, und  dieses  Geschehen  ist  nicht  erfolglos.  Sein  Resultat  kann  nur 
ein  einziges  sein.  Wir  sehen  es  auch  stündlich  vor  Augen.  Es  ist  die 
Erhaltung  des  Seins,  die  Dauer  der  Welt. 

Dem  dient  nun  das  gesamte,  ganz  unaussprechlich  verwickelte  Getriebe 
der  physikalisch-chemischen  Gesetze,  dessen  rein  beschreibende  Darstellung 
man  in  den  gemeinbekannten  Lehrbüchern  finden  kann,  wobei  das  biologische 
Geschehen  keine  Ausnahme  bildet,  sondern  nur  Chemophysik  in  der  be- 
stimmten, sattsam  erörterten  teleologischen  Konstellation  ist,  von  der  das 
Geistes-  und  Kulturleben  die  uns  bewußt  gewordene  Anwendung  bildet.*») 

Man  darf  also  den  Begriff  weiter  fassen  und  sagen:  das  Weltgeschehen 
wird  von  uns  in  Formen  erlebt,  die  seine  Dauer  bewirken.  Es  vollzieht 
sich  nämlich  in  fortwährenden  Kreisläufen,  in  einer  immer  wiederkehren- 
den Verkettung  von  Beziehungen,  die  eben  ihrer  Regelmäßigkeit  halber 
mathematisch  faßbar  ist*),  und  die  Gesetze  der  Mechanik  genannt  wird. 
Die  Mechanik  regelt  im  weiten  Bereich  des  Erlebens  die  Beziehungen 
zwischen  Form  und  Funktion  (Sein  und  Geschehen)  und  ist  eine  allgemeine 
Beziehungslehre. 

In  der  Schuldefinition,  daß  sie  die  Lehre  vom  Gleichgewicht  und  der 
Bewegung  der  Körper  sei,  steckt  schon  insofern  das  Richtige,  als  Gleich- 
gewicht nur  eine  bestimmte,  nämlich  eine  optimale  Beziehung  der  Körper, 
beziehungsweise  der  Bewegungen  gegeneinander  ist.  Und  sie  braucht  nur 
insofern  eine  Erweiterung,  als  die  Anwendung  auf  Körper  nur  eine  ihrem 
Wesen  nach  ganz  ungerechtfertigte  Beschränkung  einer  mathematischen, 
also  jeder  Abstraktion  fähigen  Wissenschaft  ist.    Wer  sich  bei  dieser  Sach- 


*)  Mathematisch  =  das  zahlenmäßig  Faßbare. 

132 


läge  die  Gesetze  der  Welt  klar  machen  will,  muß  demnach  die  Gesetze  der 
Mechanik  kennen  lernen,  denn  sein  Erleben  wird  von  ihnen  geordnet. 

Als  ihr  Grundgesetz  und  gleichzeitig  als  den  einzigen  Erfahrungssatz,  der 
ihr  zugrunde  liegt,  hat  Heinrich  Hertz^^)  den  Satz  herausgeschält,  daß 
überall  da,  wo  zwei  Körper  demselben  System  angehören,  die  Bewegungen 
des  einen  durch  die  Bewegungen  des  andern  mitbestimmt  sind.  Es  sind 
demnach  Gesetzesbeziehungen  zwischen  Teilen,  welche  durch  sie  näher  aus- 
gedrückt sind.  Und  diese  Teile  werden  von  ihr  in  den  Begriff  System  ge- 
faßt, der  zunächst  nichts  anderes  umschreiben  soll  als  eine  Summe  von 
Teilen,  die  in  irgendeinem  Zusammenhange  stehen.  Jeder  Vorgang  ist  nichts 
anderes  als  eine  Verschiebung  in  den  Beziehungen  dieser  Teile.  Jedes  System 
und  jeder  Vorgang  ist  durch  andere  Systeme  und  Vorgänge  bedingt.  Mit 
anderen  Worten:    alles   steht  unter  gesetzmäßigen  Zusammenhängen. 

Die  wichtigsten  drei  dieser  Gesetzeszusammenhänge  hat  schon  Newton 
erkannt  und  als  die  wesentlichen  Sätze,  die  Prinzipe  bezeichnet.")  Es  sind 
das  bekanntlich  das  Prinzip  der  Trägheit,  das  des  Kräfteparallelogramms 
und  das  von  Actio  et  Reactio,  d.  h.  von  der  Gleichheit  der  Wirkung  und 
Gegenwirkung.  Hierzu  gesellte  Robert  Mayer  dann  noch  den  Satz  von  der 
Erhaltung  der  Energie,  und  als  Ableitungen  aus  diesen  vier  großen  Haupt- 
gesetzen erkannte  man  noch  die  Prinzipe  von  der  Bewegung  des  Schwer- 
punktes, den  Flächensatz,  ohne  den  die  Astronomie  nicht  auszukommen 
vermag,  jenen  der  virtuellen  Verschiebung,  den  Satz  vom  kleinsten  Zwang 
und  kleinsten  Kraftaufwand,  das  D'Alembert'scht  und  das  Hamilton'sche 
Prinzip,  welche  aber  alle  teilweise  sich  decken  und  nur  verschiedene  For- 
mulierungen desselben  Gesetzes  sind.  Das  ist  das  gesamte  Um  und  Auf 
der  Mechanik. 

Von  diesen  ist  das  Trägheitsprinzip  oder  das  der  Beharrung  nichts  an- 
deres als  das  Seinsgesetz,  in  die  physikalische  Fachsprache  übersetzt,  wo 
es  dann  folgendermaßen  klingt:  Ein  Körper  behält  seine  Geschwindigkeit 
nach  Größe  und  Richtung  unverändert  bei,  solange  keine  Kraft  auf  ihn 
wirkt.  Mit  anderen  Worten:  A  ohne  Änderung  bleibt  A.  Das  Prinzip  der 
Gleichheit  von  Wirkung  und  Gegenwirkung  ist  ohne  weitere  Erörterung 
verständlich,  während  das  Kräfteparallelogramm  nichts  als  die  Konstatie- 
rung der  Tatsache  enthält,  daß,  wenn  ein  Körper  gleichzeitig  die  Geschwin- 
digkeit AB  und  AC  besitzt,  er  durch  diese  beiden  nach  AD  gelangt.    Mit 


anderen   Worten:    er  beschreibt   den   unter   den   gegebenen   Verhältnissen 
möglichst  vorteilhaften,  kurz  ausgedrückt,  den  optimalen  Weg.     Daß  dem 

133 


so  ist,  wurde  den  Menschen  schon  von  je  klar,  z.  B.  als  sie  durch  Anwen- 
dung dieses  Gesetzes  die  günstige  Flugbahn  eines  Geschosses  (seine  opti- 
male, ballistische  Kurve)  ermittelten;  was  aber  bisher  noch  von  niemandem 
bemerkt  wurde,  das  war  die  Tatsache,  daß  Im  Satz  vom  Kräfteparallelo- 
gramm eine  Anerkennung  des  Optimumgesetzes  steckt  als  einer  grund- 
legenden Tatsache  des  Naturgeschehens. 

Letzten  Endes  aber  ist  es  auch  wieder  nur  eine  Folgerung  aus  dem  Träg- 
heitssatze, da  es  doch  nichts  anderes  besagt,  als  daß  jedes  freie  System  in 
seinen  Bewegungen  einer  Gleichgewichtslage  zustrebt,  die  dafür  den  Aus- 
gleich darstellt.  Dieses  Gleichgewicht  ist  aber  die  günstigste  unter  allen  in 
der  betreffenden  Sachlage  möglichen  Situationen,  d.  h.  ihr  Optimum.  Zu- 
gleich jedoch  ist  es  die  Tendenz  zur  Restitution  des  Ursprünglichen,  also 
der  Ausgleich  aus  den  Widerständen,  welche  die  Beharrung  den  neuen, 
angreifenden  Kräften  entgegensetzt.  Die  Mechanik  betritt  mit  dieser  Ein- 
sicht nur  den  Weg,  den  auch  die  objektive  Philosophie  eingeschlagen  hat, 
als  sie  in  der  Analyse  des  Seinsgesetzes  unter  anderem  auch  das  Optimums- 
gesetz fand. 

In  diesen  Punkten  würden  weitere  Erörterungen  nur  offene  Türen  ein- 
rennen. Ganz  anders  jedoch,  wenn  wir  nun  daran  gehen,  die  Bedeutung 
dieser  mechanischen  Gesetze  für  das  Verständnis  des  Weltphänomens  ein- 
gehender zu  untersuchen.  Hat  nämlich  schon  Hertz,  ausgehend  von  seiner 
Massedefinition  (Masse  hat  nur  das  Merkmal  eindeutiger  raumzeitlicher 
Bestimmtheit),  alle  Naturerscheinungen  auf  Bewegungen  materieller  Systeme 
zurückgeführt  und  damit  dem  Sinn  von  „Erklärung"  den  neuen  Wert  ge- 
geben, daß  eine  Erscheinung  dann  als  erklärt  gelten  könne,  wenn  man  sie 
durch  Bewegungsgleichungen  darstellen  könne,  so  ist  damit  doch  noch 
nicht  der  höchste  Wert  dieser  Zusammenhangsätze  erreicht. 

Es  wäre  eigentlich  der  nackte  und  absolute  Materialismus,  den  zuerst 
Descartes  auch  unverhohlen  aussprach,  und  der  dann  eben  von  Lagrange, 
Kirchhoff,  Helmholtz  und  Hertz  als  seinen  Heroen  auf  seine  denkbar 
schärfste  Formel  gebracht  wurde,  daß  durch  die  Mechanik  eine  einheitliche 
Naturerklärung  möglich  sei.  Als  Letztes  der  Natur  gelten  für  sie  die  Massen- 
punkte der  Systeme  und  die  in  Bewegungsgleichungen  auflösbaren  Zu- 
sammenhänge, denen  sie  unterliegen.  Die  gesamte  Naturwissenschaft  wurde 
dadurch  zur  angewandten  Mechanik.  Dadurch  waren  Natur  und  Naturwis- 
senschaft auf  das  schärfste  umgrenzt  und  wie  durch  eine  unübersteigbare 
Mauer  vom  Geistesleben  und  den  Geisteswissenschaften  abgeschlossen. 
Jener  der  Kultur  so  überaus  schädliche  Zustand  war  damit  hergestellt,  der 
die  materialistisch-mechanistisch  gesinnten  Naturforscher  selbstzufrieden  auf 
ihren  Erfolgen  ruhen  ließ,  wenn  eine  Erscheinung  auf  mathematische  For- 
meln zurückgeführt  war,  und  sie  den  seelischen  Erscheinungen,  ja  auch 
nur  den  teleologischen  Zusammenhängen  gegenüber  mit  dem  Gefühl  der 
Pflichterfüllung  erklären  ließ,  ihre  Beachtung  und  Erforschung  lehnen  wir 

134 


ab,  „das  ist  nicht  unser  Fach",  denn  das  ist  nicht  Naturwissenschaft.  Und 
dabei  war  es  schon  vor  einem  Menschenalter  W.  Wandt  in  seiner  Logik 
klar,  daß  die  mechanischen  Gesetze  selbst,  s.  z.  B.  das  von  der  Erhaltung 
der  Energie,  teleologisch  seien,  weil  ja,  wie  er  sich  ausdrückt,  „der  Ge- 
danke der  Erhaltung  schon  notwendig  den  des  Zweckes  in  sich  schließt", 
eine  Teleologie,  die  übrigens  ebenso  auch  für  das  Kräfteparallelogramm 
(s.  die  obige  Formulierung)  oder  das  HamlUon'szht  Prinzip,  beziehungs- 
weise das  des  kleinsten  Kraftmaßes  gilt.  Der  Zweck,  die  Teleologie  aus 
der  Naturwissenschaft  auszuschließen,  war  also  ohnedies  nicht  erreicht. 

Das  alles  kam  von  der  völlig  willkürlichen  Einschränkung  der  Mechanik 
auf  Systeme  von  Massenpunkten,  die  zur  Einengung  des  Naturbegriffes  auf 
solche  materielle  Systeme  führte.  Man  merkte  gar  nicht  das  in  den  vor- 
stehenden Zeilen  wiederholt  und  als  selbstverständlich  Betonte,  daß  die 
mechanischen  Gesetze  nicht  bloß  die  „Punktsysteme'^  regieren,  sondern 
eine  Zusammenhangslehre  allgemeinster  Art  sind.  Alle  Systeme,  seien  sie 
nun  homogener  oder  komplexer  Natur,  also  alle  Mannigfaltigkeiten  und 
Vielheiten  von  Teilen  werden  durch  sie  in  ihrem  Bestände  gesichert.  Das 
gilt  für  alles,  was  sich  als  Vielheit  fassen  läßt,  vor  allem  auch  für  die 
menschlichen  Vorstellungen.  Aus  der  Biozentrik  heraus  muß  schon  diese 
Regelung  aller  Zusammenhänge  anerkannt,  und  die  Gültigkeit  der  Mecha- 
nik als  einer  Panmechanik  auch  für  die  Geisteswissenschaften  angenommen 
werden. 

Nur  mißverstehe  man  mich  nicht.  Wir  haben  keine  andere  Möglichkeit, 
die  Besonderheiten  von  komplexen  Systemen,  genauer  ausgedrückt,  den 
Begriff  des  Seins  anders  zu  erfassen,  als  durch  das  Trägheits-,  Kreislauf-, 
Funktions-,  Optimum-,  Wechselwirkung-,  kleinstes  Kraftmaß-  usf.  Prinzip 
und  sind  daher  gezwungen,  sie  einheitlich  auf  unsere  seelischen  Leistungen 
und  natürlichen  Erfahrungen  anzuwenden,  wenn  sich  beide  decken  und 
reibungslos  aufeinander  anwenden  lassen  sollen.  In  der  Beschaffenheit 
unseres  Intellekts  ist  diese  Mechanik  begründet;  er,  der  auch  die  Lebens- 
erfahrung aus  dem  Komplex  des  „Seienden"  so  selektiert,  daß  nur  mecha- 
nisch geordnete,  komplexe  Systeme  für  uns  erkennbar  sind,  funktioniert 
auch  als  Schöpfer  nur  nach  seinem,  nämlich  nach  dem  Gesetz  der  Mechanik. 

Das  ist  ein  Schritt  über  Hertz  und  Mach  hinaus,  und  er  kann  nicht  getan 
werden  ohne  eine  Schleppe  weitreichender  und  in  die  gesamte  Kultur  ein- 
greifender Folgen.  Denn  auf  einmal  ordnen  sich  nun  lange  Reihen  von  Be- 
griffen verständlich,  aber  in  neuer  Ordnung.  Denn,  wenn  die  Mechanik  der 
Moleküle  das  ist,  was  man  gemeinhin  Physik  nennt,  so  ist  die  Mechanik  des 
Atombegriffs  der  Umfang  der  Chemie  als  eines  Teiles  der  Physik.  Mechanik 
der  Schichten  liefert  die  Tektonik,  Mechanik  der  Raumgitterelemente  ist  die 
Kristallotik,  Mechanik  der  Himmelskörper  ist  Astronomie,  Mechanik  der 
Zahlen  ist  Mathematik,  Mechanik  der  Soldaten  ist  Strategie  und  Taktik,  die 
der  Menschenmasse  die  eigentliche  Staatswissenschaft;    Mechanik  der  Ge- 

135 


danken  heißt  Logik,  die  der  Rechtsbegriffe  ist  Jurisprudenz,  die  des  Geldes 
ist  Wirtschaftslehre,  die  der  Töne  ist  Musik.  Eine  Panmechanik  ist  der 
Weltprozeß. 

Natürlich  gehen  alle  die  genannten  Kulturleistungen  und  Naturwissen- 
schaften über  die  bloße  Verwirklichung  der  mechanischen  Prinzipe  hinaus, 
aber  den  Weltgesetzen  entsprechen  sie  —  und  das  ist  es,  worauf  es  mir 
ankommt  —  nur  so  weit,  als  sie  Mechanik  in  sich  enthalten.  Und  so  weit 
sind  sie  auch  mathematisch  faßbar.*)  ^o)  Sie  alle  handeln  so  wie  alles 
Lebende.  Sie  wenden  selbst  Mechanik  an,  um  ihr  Dasein  dem  Optimum 
näher  zu  führen.  Und  mitten  unter  ihnen  tut  das  auch  der  Mensch.  Es 
haben  eben  nicht  bloß  die  Organismen  ihre  „Biotechnik^^ ,  sondern  auch  er 
hat  seine  Technik;  nicht  nur  sie  haben  teleologisch  geregelte  Antworts- 
reaktionen auf  ihre  Sinneswahrnehmungen,  sondern  auch  er  hat  seinen  Ver- 
stand; nicht  nur  sie  haben  Gemeinschaften  und  Künste,  sondern  auch  er 
hat  sein  Staatsleben  und  seine  Zivilisation.  Aber  alle  Leistungen  bei  Zelle, 
Pflanze,  Tier  und  Mensch  sind  unterworfen  den  großen  mechanischen 
Gesetzen,  die  ihnen  Wirkung  und  Dauer  sichern,  wenn  sie  befolgt  werden, 
sie  aber  der  Zerreibung  und  Haltlosigkeit  ausliefern,  wenn  eine  Vielheit 
sich  anders  zu  regeln  versuchte,  als  nach  diesem  Zusammenhangsschema, 
das  nicht  deswegen  wirkt,  weil  es  gut  ist,  sondern  das  eben  die  einzige 
Möglichkeit  ist,  durch  die  eine  gute  Wirkung  zustande  kommen  kann. 

Da  ist  ein  großer  gemeinschaftlicher  Gesichtspunkt  gewonnen,  unter  dem 
Natur  und  Kultur  zur  Einheit  zusammenfließt  und  durch  den  die  uralte, 
dem  Optimum  des  Menschen  unsagbar  schädliche  Trennung  und  das  Sich- 
nichtkennen  und  Nichtverstehen  von  Natur-  und  Geisteswissenschaften  end- 
lich einmal  einer  objektiven  einheitlichen  Betrachtungsweise  weicht.  Eine 
neue  biozentrische  Einstellung  für  "das  Erleben  (eine  biozeritrische  Kultur- 
wissenschaft) ersteht  damit,  wie  sie  Comte  und  Spencer,  Häckel  und  auch 
Spengler  neuestens^i)  wohl  geahnt  und  angestrebt  haben,  die  aber  bisher 
nur  geringe  Überzeugungskraft  besaß,  weil  sie  nur  auf  Ähnlichkeiten,  auf 
Analogien,  nicht  aber  auf  zwingender  Logik  aufgebaut  war.    Es  ist  etwas 


*)  Eingesehen  hat  man  das  für  Naturwissenschaften  längst  und,  seitdem  Laplace 
seine  berühmte  Micanique  Celeste  geschaffen  hat,  wurde  es  immer  mehr  das  ausge- 
sprochene Ideal  aller  Naturwissenschaftler,  in  ihrer  Disziplin  so  viel  Mechanik  und 
Mathematik  als  nur  möglich  anwenden  zu  können.  Man  schwelgte  in  den  Begriffen 
Entwicklungsmechanik  und  Mechanismus  des  Lebens,  auch  Mechanismus  des  Geistes- 
lebens bis  zur  völligen  Verkennung  dessen,  daß  alle  Mechanik  in  dem  Maße  mehr 
unter  der  Herrschaft  biologischer  Beziehungen  steht,  als  die  Komplexe,  die  von  ihr 
geregelt  werden,  mehr  Analogien  zum  Menschen  aufweisen.  Man  hatte  sich  dermaßen 
hineingedacht  in  eine  Maschinentheorie  des  Lebens,  daß  es  H.  Driesch  und  seinen 
Bundesgenossen  einen  langen  und  zähen  Kampf  kostete,  ihre  Zeitgenossen  zu  über- 
zeugen, daß  die  lebenden  Maschinen  nicht  bloß  mechanischen  Gesetzen  folgen,  son- 
dern auch  durch  teleologische  Zusammenhänge  geregelt  sind. 

136 


Abb.  52.  Modell  zur  Erklärung  der  Faltung 
der  Gesteinsschichten 

Jura-  und  Kreideschichten  sind  in  Hauptdolomit  einge- 
faltet und  bilden  eine  „Mulde";  im  hinteren  Teil  des 
Modells  bilden  die  „Raiblerschichten"  einen  „Sattel", 
der  auf  dem  Wettersteinkalk  aufliegt.  (Vgl.  Abb.  54.) 
Original    im    Deutschen    Museum    zu    München 


Abb.  53.    Die   verworfenen    Schollen   der 
Abbildung  54  sind  durch  die  Erosion  zer- 
schnitten 

Original   im   Deutschen   Museum   zu   München 


Abb.  52—54.    Die  Entstehung  des  Qebirgsreliefs  in  den  vier  Phasen  der  Schichtung, 
Faltung,  Verwerfung  und  Erodierung 


Abb.  54.  Verwerfung  von  Gesteinsschichten  in  der  Längs-  und  Querrichtung 

An    der   Quervervverfung   ist    im    linken    Bild    die    Scholle    B    in    die    Tiefe   gesunken    (vgl.  da/u  Abb.   5J.  die   du 
gleiche   Sachlage   ohne   Verwerfung   darstellt).      Original    im    Deutschen   Museum   /u  München 


Abb.  55.  Die  Erscheinungen  der  Gebirgsabtragung:   Zerklüftung,  Grat-  und  Grat- 
turmbildung,  Entstehung   von   Kaminen,   Schuttreißen,   Aussiebung   des   Gerölles, 
Selektion  der  Gipfel,  Talbildung 

Motiv   aus  der  Palagruppe   in   den   Südalpen.      Der  Campanile   di  Val   di   Roda    von   der  Croda  da  Pala. 

Originalaufnahme 


ganz  anderes,  wenn  es  heißt,  die  Staaten  der  Tiere  sollen  unser  Vorbild 
sein,  denn  wir  sind  doch  auch  eine  Tiergattung,  wie  im  besten  Fall 
die  Argumentation  der  Genannten  lautet,  als  wenn  die  Formel  so  gestellt 
wird:  Dem  einheitlichen  Gesetz,  nach  dem  allein  wir  leben  können,  müssen 
auch  unsere  Werke  folgen,  sollen  sie  nicht  in  stetem  Gegensatz  und  Rei- 
bung zur  gesamten  übrigen  Welt  stehen  und  dadurch  zu  einer  Quelle  der 
Disharmonie  werden,  die  unsere  Gesamtleistung  mindert.  Man  muß  also 
die  Weltgesetze  erforschen,  um  die  Gesetze  unserer  Werke  ihnen  angleichen 
zu  können! 

In  der  Sprache  der  Mechanik  gesagt:  der  Teil  eines  Systems  muß  sich, 
wenn  er  sich  nicht  in  seinem  System  zerreiben  soll,  den  Gesetzen  dieses 
Ganzen  einordnen.  Oder  in  der  Spruchweisheit  der  objektiven  Philosophie 
wieder  als  der  Satz,  mit  dem  ich  die  Menschheit  allerorten  ständig  um- 
stellen möchte,  den  man  an  jedem  Rathaus  und  Parlament,  an  jeder  Schule 
und  jeder  Kirche  und  an  jedem  Vergnügungsort  anbringen  sollte:  Man 
kann  nicht  richtig  leben,  wenn  man  die  Gesetze  der  Welt  nicht  kennt. 
Diese  neue  Kulturwissenschaft  wird  genau  so,  wie  sie  Maschinen  der  Orga- 
nismen und  Maschinen  der  Menschen  miteinander  verglichen  hat,  auch  dazu 
kommen,  die  Leistungen  der  Pflanzen,  Tiere  und  Menschen  in  der  Organi- 
sation von  Vielheiten,  im  ethischen  Verhalten,  in  der  Gesamtlebenseinrich- 
tung miteinander  zu  vergleichen,  nicht  wie  etwa  naives  Mißverständnis 
glauben  kann,  damit  der  Mensch  die  Tiere  nachahme,  sondern  um  festzu- 
stellen, ob  es  verschiedene  Methoden  darin  gibt,  und  wenn  ja,  welche  von 
diesen  die  optimale  ist. 

Diese  Arbeit  ist  nun  freilich  nicht  die  Aufgabe  eines  Werkes,  das  der 
Feststellung  der  Weltgesetze  gewidmet  ist  —  handelt  es  sich  doch  dabei 
nur  um  die  Anwendung  dieser  Gesetze  auf  die  kulturellen  Leistungen  — 
es  gehört  daher  in  den  Komplex,  den  ich  in  diesem  Werke  wiederholt  mit 
dem  Namen:  Gesetze  des  Schaffens  umgrenzt  habe.  Freilich,  die  Wissen- 
schaft der  nach  uns  Kommenden  wird  nicht  umhin  können,  die  natur-  und 
die  menschengeschaffenen  Werke  gleich  einheitlich  und  untrennbar  zu  be- 
handeln, und  wird  die  Trennungslinie  Natur-  und  Geisteswissenschaft  eben- 
so auslöschen,  wie  unser  Geschlecht  die  Scheidewände  zwischen  dem  Tier- 
und  Pflanzenreich  niedergerissen  hat.  Wir  aber,  die  wir  erst  die  Methoden 
des  neuen  Denkens  feststellen,  können  das  noch  nicht  vollziehen,  ohne  die 
Geister  zu  verwirren.  Denn  noch  sind  sie  spezialisiert,  und  tatsächlich 
würde  ein  erheblicher  Teil  der  philologisch-historisch  Gebildeten  die  Sprache 
der  Naturdinge  in  unseren  Ausführungen  nicht  verstehen,  wohl  auch  um- 
gekehrt. Diese  rein  wirkungspädagogische  Erwägung  hindert  mich  daran, 
hier  nun,  wie  es  eigentlich  vom  logischen  Fluß  der  Gedanken  gefordert 
würde,  in  einen  Beweisgang  einzutreten,  der  nacheinander  an  den  Verbin- 
dungen der  Atome,  den  Faltungen,  den  Sätteln,  Mulden,  Synklinalen,  an 
überkippten,  geschleppten  und  verworfenen  Gesteinsschichten  (Abb.  52/54) 

137 


Abb.  56.  Die  Wage  zeigt  an,  daß  die  gleiche  Masse  oben  im  Hause 
ein  anderes  Gewicht  besitzt  als  unten  im  Keller  (Jolly'scher  Ver- 
such). Dadurch  ergibt  sich  bei  einer  Höhendifferenz  von  5,3  m  und 
1  kg  Gewicht  bereits  1,51  Milligramm  Differenz  als  Zeichen  des- 
sen, daß  jedes  Gewicht  vom  Ort  abhängig,  also  relativ  ist.  Durch 
das  Anbringen  einer  Bleikugel  unter  dem  untern  Gewicht  läßt 
sich  dieses  noch  vermehren.  Das  Gewicht  ist  also  auch  von  der 
Umwelt    abhängig.      Relativität    der    Schwerkraft       (Nach    Graetz.) 


die  mechanischen  Grund- 
gesetze von  Masse,  Träg- 
heit, Wechselwirkung,  der 
Erhaltung  der  Energie  usw. 
zeigt  und  dadurch  beweist, 
daß  die  großen  Sätze  der 
Tektonik  und  der  Stereo- 
chemie nichts  anderes  denn 
die  mechanischen  Prin- 
zipi'in  angewandt  auf  die 
Atome  und  Gesteine  sind. 
So  wie  der  Identitätssatz 
der  Mathematik  (a  =  a),  die 

Gleichungstransforma- 
tionen, die  Tatsachen  der 
Gravitation  am  Himmel,  die 
von  Newton  gelöste  Auf- 
gabe des  Jak.  Bernouilli 
über  die  Brachistochrone, 
d.  h.  die  Linie  der  kürze- 
sten Fallzeit,  nichts  als  an- 
dere Ausdrucksformen  der 
mechanischen  Weltgesetze 
sind. 

Wenn  Napoleon  in  sei- 
ner Kriegführung  das  Prin- 
zip zum  Siege  brachte  und 
es  bei  Austerlitz  und  Wag- 
ram ebenso  glänzend  be- 
wies wie  durch  sein  spä- 
teres Versagen  und  die  Nie- 
derlagen von  Leipzig  und 
Waterloo,  die  so,  wenn 
auch  in  negativem  Sinn, 
bestätigen,  daß  man  mög- 
lichst  starke  Massen   dem 

Feind  gegenüberstellen 

muß,   ein   Sieg   nur   durch 

Anwendung    aktiver    Ener- 


gie, nämlich  durch  eine  Offensive  zu  erringen  sei,  so  tat  er  mit  dieser  be 
währten  und  darum  seitdem  in  die  gesamte  Kriegführung  übergegangenen 
Strategie    nichts    anderes,    als    daß    er    dem    mechanischen    Weltgesetz   auf 
seinem  Gebiet  zum  Durchbruch  verhalf,  eine  Denkungsart,  die  bei  der  Er- 


138 


örterung  der  Hlndenburg^ sehen  Zangentaktik  gelegentlich  der  Schlacht  von 
Tannenberg  bis  in  das  letzte  deutsche  Dörfchen  drang.  Natürlich  hat  die 
Kriegführung,  genau  so  wie  jede  andere  „Schule",  auch  eine  Fülle  von 
Prinzipien  hervorgebracht  und  erprobt,  die  sich  mit  den  mechanischen  Ge- 
setzen nicht  decken.*)  Sie  hat  zur  Zeit  der  Lenkung  der  deutschen  Reichs- 
kriege durch  den  Wiener  Hof  die  Institution  des  Reichskriegsrates  ins 
Leben  gerufen,  der  taktische  Fragen  brieflich  entschied.  Und  sie  hat  natür- 
lich damit  die  Erfahrung  gemacht,  daß  Österreich  Jahrhunderte  hindurch 
sprichwörtlich  immer  besiegt  und  der  Begriff  Reichskriegsrat  zum  Gegen- 
stand des  Gespöttes  wurde.  Oder  sie  hat  im  byzantinischen  Spätreich  den 
Männern  die  Waffenübung,  also  die  Energieentfaltung,  untersagt  und  bei 
dem  Türkeneinfall  dennoch  geglaubt,  Energie  entfalten  zu  können.  Tat- 
sächlich haben  dann  die  Männer  von  Byzanz  Weiberkleider  angezogen,  um 
nicht  kämpfen  zu  müssen. 

Wenn  die  klassische  Nationalökonomie  von  dem  freien  Spiel  natürlicher 
Gesetze  das  Optimum  und  die  Harmonie  aller  wirtschaftlichen  Interessen 
erwartet  und  wenn  sich  dieser  „Manchesterschule"  Fr.  Lists  System  der 
nationalen  Wirtschaft  und  die  sozialistische  Theorie  mit  dem  Glauben 
gegenübergestellt  haben,  daß  die  Rechtsordnung  nicht  das  Ergebnis  freien 
naturgesetzlichen  Kräftespiels  sei^^),  so  läßt  sich  hierüber  der  Entscheid 
innerhalb  der  Volkswirtschaftslehre  niemals  fällen.  Denn  objektiver  Richter 
darüber  ist  allein  die  Wirklichkeit  der  Welt:  das  Sein,  wie  es  sich  gefügt 
hat.  Die  „nationale  Absperrung"  trägt  stets  den  Todeskeim  alles  wirtschaft- 
lichen Gedeihens,  die  Kriegsdrohung  in  sich,  und  die  willkürliche  „Rechts- 
ordnung" des  rein  marxistisch  regierten  Sowjetrußland  führte  zum  vollen 
Gegensatz  jedes  Wirtschaftsgedeihens.  Beide  nationalökonomischen  Rich- 
tungen können  sich  aber  auch  auf  keines  der  Weltgesetze  stützen,  als  deren 
Vollstrecker  sie  sich  fühlen;  ihre  Stützen  sind  die  Doktrinen  Hegels,  der 
mit  vollem  Bewußtsein  die  Unabhängigkeit  des  Menschen  von  der  Welt 
proklamiert. 

Man  untersuche  die  Wege  des  Waren-  und  Geldverkehrs  auf  die  in  ihnen 
am  wirksamsten  sich  äußernden  Prinzipien,  und  man  wird  die  Anziehungs- 
kraft der  großen  Zentren,  das  Bestreben  den  kürzesten  Weg  einzuschlagen, 
den  Austausch  von  Wirkung  und  Gegenwirkung,  die  raumzeitliche  Einord- 
nung als  typischen  Weg,  bei  widerstrebenden  Einflüssen  den  des  Kräfte- 
parallelogramms, kurz  alle  Prinzipien  der  Mechanik  darin  wiederfinden.  Ein 
Kaufmann   versuche   ihnen   entgegenzuarbeiten,   er   versuche   nur,    nicht   in 


•)  Die  logischen  Anwendungen  der  Mechanik  auf  allen  Gebieten  menschlicher  Be- 
tätigung sind  noch  niemals  systematisch  durchdacht  worden.  Es  fehlt  daher,  bevor 
dies  geschieht,  an  dem  praktischen  Beweismaterial,  daß  nur  die  Verwirklichung  der 
Weltgesetze  das  Haltbare  und  Gesicherte  an  den  wissenschaftlichen  und  künstleri- 
schen Behauptungen  bedeutet,  so  naheliegend  und  selbstverständlich  dieser  Satz  einem 
einsichtigen  Kopfe  auch  sein  mag. 

139 


allem  den  Weg  des  geringsten  Widerstandes,  nicht  den  der  Maximalarbeit, 
des  Gesetzes  von  Actio  und  Reactio  (es  ist  der  des  do  ut  des)  einzuschla- 
gen, und  seine  Bilanz  wird  ihn  auf  das  Nachhaltigste  belehren,  wie  viel 
Ursache  er  hat,  sich  auf  das  Genaueste  mit  den  Weltgesetzen  vertraut  zu 
machen,  die  von  seinem  Standpunkt  aus  nichts  als  eine  optimale  Anleitung 
sind  zur  besten  Art,  Geschäfte  zu  machen.  In  eine  vollständige  Analyse 
der  Zivilisation  müßten  diese  Gedanken  münden,  wollte  man  mehr  tun  als 
nur  gerade  auf  sie  hindeuten,  und  schon  dadurch  würde  ihre  Erörterung 
den  wahren  Zweck  dieses  Werkes  zerstören.^^) 

Was  hier  vorläufig  genügt,  das  ist,  gezeigt  und  auch  verständlich  gemacht 
zu  haben,  daß  die  Weltvorstellung,  der  Bios,  ein  komplexes  System  ist,  in 
dem  im  Großen  ebenfalls  dieselben  Beziehungsregelungen  herrschen,  wie  in 
dem  so  gut  durchforschten  komplexen  System  der  materiellen  Punktsysteme. 

Nicht  die  „Welt"  ist  Mechanik,  sondern  Mechanik  ist  nur  die  Regelung 
der  Weltfunktionen  vom  Kleinsten  bis  ins  Größte  auf  allen  Integrations- 
stufen. Daher  können  mechanische  Gesetze  auch  niemals  etwas  über  die 
Weltursache,  die  Ursache  der  Erscheinungen  aussagen,  wie  der  Materialis- 
mus fälschlich  geglaubt  hat.  Die  mechanischen  Gesetze  sind  vielmehr  nur 
Aussagen  über  unser  Innengesetz,  das  durch  Mechanik  umschrieben  wird 
und  die  Ursache  ist,  warum  alles  nur  in  diesen  Formen  erlebt  und  ge- 
schaffen wird.  Alle  bekannten  sechs  Gruppen  seelischer  Erlebnisse:  Emp- 
finden, Vorstellen,  Denken,  Fühlen,  Triebe  und  Wollen  und  die  aus  ihnen 
hervorgehenden  Leistungen  sind  nur  Zustände  eines  Ichs,  dessen  Funktio- 
nieren in  der  durch  die  mechanischen  Gesetze  normierten  Weise  vor  sich 
geht.  Diese  Erkenntnis  ist  der  sichere  Weg,  um  „weltgemäß"  (die  theo- 
logische Anschauung  würde  sagen:  gottgefällig,  d.  h.  reibungslos)  leben  zu 
können.  In  der  Theorie  der  komplexen  Systeme  liegt  der  Schlüssel,  damit 
der  Mensch  sein  erlebtes  Sein  vollständig  erfüllen  lerne,  daß  er  ganz  der 
werden  kann,  der  er  eigentlich  ist. 


Damit  schließt  erst  endgültig  die  Analyse  des  Funktionsgesetzes,  und  die 
letzten  Perspektiven  bis  zum  Rande  dessen,  was  uns  als  Welterkenntnis  zu- 
gänglich ist,  tun  sich  auf.  Das  Problem  der  objektiven  Philosophie  hat 
nach  den  vorangegangenen  Erörterungen  damit  die  folgende  Form: 

Die  einzige  haltbare  Erfahrungsgrundlage  ist,  daß  unser  Erleben  (Welt- 
bild) aus  verschiedenartigen  Teilen  aufgebaut  ist.  Es  ist  ein  komplexes 
System.  Es  gibt  also  ein  Verhältnis  zwischen  dem  Ganzen  und  seinen  Teilen. 
Welcher  Art  ist  das?  Ein  Verhältnis  von  Wirkungen  und  Gegenwirkungen. 
Die  Teile  beeinflussen  sich;  das  All  beeinflußt  die  Teile.  Demgegenüber 
sehen  wir  uns  genötigt,  die  Teile,  um  sie  als  solche  im  Sein  erfassen  zu 
können,  als  Individuen  zu  fassen.  (Ursache  der  Singulation.)  Erleben  wir  ja 
doch  nicht  eine  wirkliche  Welt,  sondern  nur  eine  durch  die  Organisation 

140 


unseres  Körpers  bestimmte  Scheinwelt.  Diese  Individuen  haben  gesetzmäßig 
nur  eine  Form,  die,  welche  eben  ihrem  Wesen  entspricht  (Identitätsform), 
und  die  bei  „Bewegungen"  (Verschiebungen  des  Systems)  zur  Wiederher- 
stellung der  Ruhelage  sich  ändert.    Diese  Änderungen  sind  die  Prozesse. 

Die  Prozesse  ruhen  nicht,  bis  nicht  ein  Ausgleich  erreicht  ist,  und  sie  er- 
reichen das  erfahrungsgemäß  (Parallelogramm  der  Kräfte!)  auf  dem  best- 
möglichen (optimalen)  Wege,  weil  jeder  andere  immer  wieder  Störungen 
auslöst,  zwangsläufig  die  entstehenden  Formen  immer  wieder  zerstört,  bis 
eben  die  optimale  Form  erreicht  wird.  Die  Störungen  bewirken  also  eine 
stete  Transmutation  zu  ihrem  Ausgleich,  die  als  Entwicklung  erscheint, 
ohne  daß  aber  durch  sie  etwas  Neues  ins  Sein  gesetzt  wird.  Dagegen  geht 
,^- --.^^  aus  der  steten  gegenseitigen  Störung  all- 

mählich die  optimale  Form  hervor,  so 
daß  dadurch  stets  eine  Weltselektion,  die 
das  Optimale  übrig  läßt,  im  Gange  ist. 
Die  Prozesse  vollziehen  sich  nun  im 
Rahmen  des  kleinsten  Kraftmaßes,  das 
untrennbar  zum  Optimum  gehört,  als  kür- 
zeste Prozesse  (Prinzip  des  kleinsten 
Zwanges  [ Minlmumprinzip ] ).  Daß  sie 
selektiv  zum  kürzesten  Prozeß  werden, 
ist  ihr  Gesetz.  Dadurch  sondern  sich 
überhaupt  Weltgesetze  aus,  wie  aus  dem 

^"^- -' "  kleinsten  Widerstand  gegenüber  der  Iden- 

Abb.  57.  Schema  der  harmonischen  Bewegung,     titätsherstellung    die    Formen    der    Welt 
Näheres  siehe  Anmerkung  58.  ^^^^^    natürlich    die    Naturformen),    die 

stets  Funktionsformen  in  mechanischem  Sinn,  also  technische  Formen  sind. 
(Vgl.  Bd.  I  S.  88.) 

Dadurch  geht  die  Welt  auf  jeder  Integrationsstufe  und  diese  alle  zu- 
sammen einem  Zustand  vollständiger  Ausgleichungen  entgegen,  einer  Har- 
monie, die  im  einzelnen  auf  jeder  Stufe  (wenn  sie  sich  einmal  eingestellt 
hat)  zwar  zerstört  wird,  falls  die  Oberstufe  die  Harmonie  noch  nicht  er- 
reicht hat,  die  aber  doch  unverkennbar  der  Endzustand  ist,  durch  den  allein 
wir  Dauer  begreifen  können. 

Alles  Sein,  in  jeder  seiner  Integrationsstufen,  mit  jeder  seiner  Funktionen 
drängt  zur  vollen  Entfaltung,  nämlich  zu  seinem  Optimum.  Das  ist  es, 
was  man  in  der  Terminologie  des  Hegelismus  Entwicklung  nannte.  Aber 
dieser  Prozeß  ist  nur  innerhalb  eines  gewissen  Rahmens  möglich,  nämlich 
bestimmt  durch  Selektion  und  das  kleinste  Kraftmaß.  Und  bewahrt  wird 
das  Sein  nur  durch  die  Harmonie.  Das  Disharmonische  drängt  sonst 
immer  wieder  zu  neuem  Geschehen. 

Die  Anwendung  des  Optimumgesetzes  auf  das  Sein  fährt  zu  den  Tat- 
sachen   der    Selektion.     Die    Anwendung    des    Optinwmgesetzes    auf    die 

141 


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Funktion  leitet  zum  kleinsten  Kraftmaß,  weil  dieses  das  Optimum  der 
Funktion  ist. 

Harmonie  aber  ist  das  oberste  der  großen  Weltgesetze,  weil  Harmonie 
auch  das  Maßverhältnis  von  Sein,  Integration,  Funktion,  Optimum,  Selek- 
tion und  kleinstem  Krajtmaß  bestimmt,  wodurch  allein  die  Dauer  herge- 
stellt wird. 

So  ist  auch  zwangsmäßig  die  Abrundung  dieses  Werkes  nicht  in  unser 
Ermessen  und  Belieben  gestellt,  sondern  vorgezeichnet  und  aus  den  Grund- 
lagen gegeben.  Die  Theorie  der  komplexen  Systeme  fordert,  daß  Entwick- 
lungen im  System  laufen,  also  kein  konstantes  System  denkbar  ist,  bevor 
nicht  die  Funktionen  seiner  Teile  bestmöglich  entfaltet  sind,  also  das 
Optimum  der  Funktionen  erreicht  ist.  Darum  sehen  wir,  wie  jedes  Sein  in 
allen  Seinsstufen  zum  Optimum,  d.  h.  dem  vollen  Sein  drängt. 

Diese  Entfaltung  zum  Optimum  ist  aber  nur  in  einer  bestimmten  Folge 
möglich.  Durch  Zerstörung  der  nicht  optimalen  Seinsformen  (Selektion) 
reduziert  sich  der  Prozeß  auf  den  geringsten  Widerstand.  Aber  auch  die 
optimalen  Systeme  kämpfen  untereinander,  bis  ihr  Gleichgewicht  hergestellt 
wird:  das  Optimum  der  optimalen  Systeme,  das  man  Harmonie  nennt.  Die 
Rangordnung  der  weitern  Probleme  lautet  demnach:  1.  Optimumgesetz 
(Entwicklung).  2.  Selektion.  3.  Gesetz  des  kleinsten  Widerstandes.  4.  Har- 
monie. Finden  wir  diese  Erscheinungen  wirklich  im  gesamten  Bereich  des 
Bios,  wie  wir  Sein,  Integration  und  Funktion  darin  gefunden  haben,  dann 
sind  sie  Weltgesetze,  und  auch  der  Mensch  muß  ihnen  folgen.  Wir  werden 
unsere  Lebensordnung  dann  aus  ihnen  ableiten. 

Die   Vorfragen   des   Optimumgesetzes. 

Optimum  übersetzt  sich  mit  dem  Ausdruck:  das  Bestmöglichste  und  be- 
tont in  dem  allerdings  schwerfälligen  und  darum  nicht  geeigneten  Wort  besser 
als  im  Lateinischen  das  Relativistische  dieses  Begriffes,  der  ohne  Bezugs- 
setzung keinen  Sinn  hat.  Schon  dadurch  verrät  sich,  daß  er  ein  eminent  bio- 
logischer Begriff  ist,  worin  auch  seine  wahre  historische  Wurzel  steckt.  Op- 
timum ist  die  verkörperte  Physiologie,  und,  wenn  auch  der  philosophische 
Vater  des  Gedankens  von  der  bestmöglichen  Welt  Leibniz  mit  seiner  „Theo- 
dicee"  ist,  so  steckt  dahinter  dennoch  Physiologie  trotz  des  scheinbar  meta- 
physisch-theologischen Gewandes.  Denn  was  soll  es  einen  anderen  als  einen 
Lebenssinn  haben,  wenn  Leibniz  sagt:  Gott  habe  unter  allen  möglichen 
Welten  die  beste  dadurch  verwirklicht,  daß  er  die  Unvollkommenheit,  sowohl 
das  metaphysische,  wie  physische  und  moralische  Übel  zum  Vehikel  der  Bes- 
serung machte.  Das  Böse  ist  doch  nur  Abwesenheit  des  Vollkommenen,  eine 
Notwendigkeit,  welche  die  Harmonie  der  Monaden  und  damit  des  Universums 
nicht  hindern  kann,  dafür  die  Entwicklung  auslöst,  die  zum  Vollkommenen 
führen  muß.    Man  sieht,  wie  in  den  Leibniz'schen  Gedankengängen  dem 

142 


Menschenleben  die  Tendenz  zum  Optimum  seiner  Artung  genau  so  zuge- 
schrieben wird,  wie  von  der  modernen  Physologie.  Es  war  daher  auch  nur 
logisch,  daß  diese  Idee  zu  ihrem  Ausgangspunkt  zurückfand.  Bekanntlich  be- 
herrschte der  durch  sie  geschaffene  Optimismus  die  Geister  während  des 
ganzen  Auf klärungszeitalters;  er  ist  der  Urheber  des  Glaubens  an  das  Gute 
und  Vollkommene  im  Menschen  bei  Herder  und  Rousseau,  auch  bei  Kant, 
wo  das  Optimum  als  Sieg  der  Vernunft  über  das  rein  Natürliche  aufgefaßt 
ist.  In  allen  diesen  Geistern  und  den  von  ihnen  beherrschten  Zeiten  wirkt 
er  als  Fortschrittsglauben,  der  dann  als  Tendenz  sowohl  auf  die  Sozialisten 
(Saint-Simon)  wie  durch  deren  Vermittlung  auf  Comte,  die  Engländer  Dar- 
win, Spencer  und  somit  Häckel  und  Huxley  überging,  die  dann  zu  den 
Fanatikern  des  Entwicklungsglaubens  wurden. 

Die  wahre  Grundlage,  auf  die  sich  das  alles  reduziert,  ist  das  Erlebnis, 
daß  jeder  Prozeß  des  Organismus  nicht  maßlos  weiter  drängt,  bis  er  dem 
Organismus  schadet,  sondern  sich  rechtzeitig  auf  ein  gewisses  Mittelmaß 
einstellt,  das  ihn  in  Harmonie  mit  den  anderen  Funktionen  erhält,  wobei  der 
Maßstab  in  der  Lebensfähigkeit  des  ganzen  Organismus  gegeben  ist.  Das 
Optimum  wird  durch  den  physiologischen  Prozeß  zwar  nicht  immer  erreicht, 
wohl  aber  immer  angestrebt.    Jeder  physiologische  Prozeß  ist  optimoklin. 

Das  bekannteste  Beispiel  hierfür  hat  der  Forschung  von  je  die  Pflanzen- 
welt und  die  niedere  Tierwelt  geboten.  Ist  ein  Pflanzenteil  in  dauernden 
Schatten  geraten,  so  daß  seine  Blattgrünapparatur  nicht  vollbeschäftigt  ist, 
dann  löst  diese  Sachlage  Wachstumsentwicklungen  aus.  Der  betreffende 
Sproß  oder  Keimling  „vergeilt".  Das  heißt,  er  bleibt  nicht  nur  bleich  und 
von  einer  gewissen  schlaffen  Beschaffenheit  durch  die  mangelnde  Funktion, 
sondern  beginnt  übermäßig  zu  wachsen.  Und  zwar  nicht  nur  in  dem  Rahmen 
seiner  ursprünglich  vorgesehenen  Gesetzlichkeit,  sondern  auch  phototrop, 
worunter  die  Tatsache  verstanden  ist,  daß  er  sich  über  die  Intensität  ver- 
schiedener Lichtquellen,  ebenso  über  deren  Einfallswinkel  und  Richtung 
orientieren  kann.  Die  Pflanze  wächst  nämlich  in  der  „bestmöglichen" 
Richtung,  dort  angelangt  setzen  in  ihr  neue  Prozesse  ein:  Ein  bestimmt  ge- 
richtetes Wachstum  der  Blattstiele  an  gewissen  Stellen,  wodurch  die  Blatt- 
spreite eine  Drehung  ausführt,  die  ihre  Hauptfläche  in  einem  Winkel  von 
90°  gegen  die  Richtung  der  Lichtstrahlen  (also  in  optimale  Lage)  bringt 
(Abb.  36).  Damit  nicht  genug,  verlassen  nun  innerhalb  der  Zellen  der  Blatt- 
spreite die  Blattgrünkörner  ihre  Lage  und  wandern  aktiv  wieder  in  einer  dem 
Optimumgesetz  entsprechenden  Weise.  An  den  Laubbäumen  kann  man  diese 
Vorgänge  in  feinster  Abstufung  jederzeit  beobachten.  Die  Aste  richten  sich 
mit  ihrem  Wachstum  bereits  nach  dem  Optimum  des  Lichteinfalls,  die  klei- 
neren Zweige  füllen  die  großen  Lücken,  die  das  Stockwerk  des  über  ihnen 
noch  stehenden  Laubwerkes  läßt,  die  Einzelblätter  werden  vom  Wachstum 
ihrer  Stiele  in  jeden  noch  verbleibenden  Lichtwinkel  geschoben.  Vom  größ- 
ten bis  ins  kleinste  beherrscht  das  Optimumgesetz  den  Wuchs  der  Bäi-me. 

143 


Dort  aber  —  und  gerade  darin  zeigt  sich  seine  durchgängige  Gültigkeit  — 
wo  die  Lichtmenge  das  optimale  Bedürfnis  übersteigt,  setzen  wieder  Bewe- 
gungen, also  Prozesse  ein.  Änderlingsalgen,  die  man  im  Dunklen  gehalten 
hat  und  einseitig  beleuchtet,  eilen  ins  Licht.  Geraten  sie  aber  in  zu  grelles 
Licht,  machen  sie  kehrt  und  fliehen  ebenso  intensiv.  Nur  in  einem  gewissen 
Lichtoptimum  sammeln  sie  sich  an.  Da  man  dies  Aufsuchen  einer  optimalen 
Lage  Tropismus  nennt,  spricht  man  in  diesem  Fall  von  einer  Umkehr  des 
Phototropismus  vom  Positiven  ins  Negative.  Die  wahre  Ursache  der  Er- 
scheinung ist,  daß  das  Optimumgesetz  auch  in  der  Chemie  gilt.  Das  Chlo- 
rophyll arbeitet  ebensowenig  richtig  unter  der  Mechanik  von  Wellen,  für 
die  es  nicht  abgestimmt  ist,  wie  bei  ungenügenden  oder  übermäßigen  Licht- 
quanten; sein  Arbeitsmaximum  liefert  es  nur  bei  einem  qualitativen  wie 
Mengenoptimum,  seine  Funktion  beginnt  überhaupt  erst  bei  gewissen  Nähe- 
rungswerten um  dieses  herum. 

Genau  das  gleiche  erkennt  man  an  allen  Tropismen  der  Pflanzen  und  der 
Tiere  (vgl.  Abb.  58).  Sie  sind  das  Mittel,  der  Prozeß,  der  in  Gang  gesetzt 
wird,  um  das  Optimum  zu  erreichen.  Der  Polyp,  der  seine  Funktionen 
optimal  nur  bei  einer  gewissen  Einstellung  zum  Licht  ausführen  kann,  kriecht 
durch  ein  ihn  daran  hinderndes  Sieb  ohne  weiteres  durch;  dreht  man  ihn 
um,  beginnt  er  sofort  neue  optimokline  Bewegungen,  wodurch  das  merk- 
würdige Bild  der  Abbildung  58  zustande  kam.  Nur  wenn  das  Optimum 
erreicht  ist,  dann  hören  die  Prozesse  auf,  die  Bewegungen  von  Pflanze 
und  Tier  werden  sistiert,  der  Ruhezustand  tritt  ein. 

Die  Tropismen  vollziehen  sich  nicht  immer  so  einfach;  es  gibt  zusammen- 
gesetzte, automatisch  ausgelöste,  vererbbare,  die  Reflexe  genannt  werden; 
es  gibt  Reflexketten  und  von  da  über  die  Instinkte  bis  zu  den  bewußten 
Handlungen  eine  nirgends  abreißende,  sondern  sich  von  einem  auf  das  andere 
bauende  Komplikation  von  Reizbeantwortungen,  die  alle  zielstrebiger,  finaler 
Natur  sind  und  niemals  etwas  anderes  erstreben  und  auch  erzielen,  als  das 
jeweilige  Optimum  im  stets  wechselnden  Getriebe  der  Lebensbedingungen. 
Auch  auf  diesem  Wege  läßt  sich  ein  Verständnis  anbahnen,  wozu  die  Or- 
ganismen Tropismen,  Sinnesorgane,  Rejlexzentren,  Ganglien,  ein  Gehirn 
und  die  Denkfunktion  besitzen  und  was  die  Rolle  des  Menschengeistes  für 
den  Menschen  ist.  Was  wir  schon  im  Rahmen  der  Biotechnik  sahen,  wie- 
derholt sich  hier.  Kann  das  alles  etwas  anderes  sein,  als  die  technischen 
Hilfsmittel  und  die  Funktion,  um  in  der  stets  wechselnden  Lebenslage  je- 
weils die  bestmögliche  Einstellung,  das  Optimum  zu  erreichen? 

Was  die  objektive  Philosophie  auf  anderem  Wege  erkannt  hat,  findet  da- 
mit wieder  Bestätigung.  Der  Intellekt  hat  deshalb  keine  Fähigkeiten  zur  ab- 
soluten Erkenntnis,  sondern  muß  alles  relativistisch  erkennen,  weil  er  eben 
nur  biologische  Zwecke  hat.  Nicht  zur  Welterkenntnis  dient  es,  sondern  nur 
zur  Orientierung  in  der  Welt.  Seine  Grenzen  sind  dort,  wo  die  Lebens- 
interessen des  Menschen  die  ihrigen  haben.") 

144 


Abb. 


59.  Die  Erscheinungen  der  Erosion  an  einem  Modell.    Erstes 
Stadium.   Erster  Beginn  der  Talbildung 


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Abb.  60.  Die  Erosion.    Zweites  Stadium 

Fortgeschrittene  Erosion  mit  Haupt-  und  Seitenabbildungen.  Das  Modell  entspricht  insofern 
nicht  der  Wirklichkeit,  als  es  nur  die  Tendenz  der  erodierenden  Kräfte,  ihr  Werk  auf  dem  kürze- 
sten Wege  auszuführen,  also  senkrecht  einzuschneiden  zeigt,  während  ihnen  in  Wirklichkeit 
das  Nachrollen  des  Gesteins,  also  die  Böschungsbildung  im  Sinne  des  Ausgleichs  entgegen- 
arbeitet. Berg-  und  Talformen  sind  also  nur  dann  so  übersteilt,  wenn  es  sich  um  sehr  hartes 
oder   sehr  weiches   Gestein    (Breccie,    s.    Bd.    I   Abb.   70)    handelt 


Ein  überragender  Gedanke  von  kolossaler  Tragweite  ist  das,  dessen  Aus- 
bau Generationen  von  Forschern  und  Denkern  beschäftigen  wird.  Nerven- 
zellen and  Gehirn  als  Organ,  der  menschliche  Intellekt  als  Mittel  zur  Er- 
reichung des  menschlichen  Optimums  ^s),  das  ist  einer  der  wichtigsten  Sätze, 
den  dieses  Werk  erarbeitet  hat.  Mit  ihm  steht  und  fällt  die  ganze  Bedeu- 
tung der  objektiven  Philosophie.  Wer  ihn  annimmt,  nimmt  dadurch  ein 
ganzes  Kulturprogramm  von  unermessener  Ausdehnung  an,  einen  grund- 
legenden Standpunkt  für  die  Beurteilung  der  idealsten  wie  der  realsten 
Fragen,  von  der  Metaphysik  bis  zum  letzten  Handgriff  des  alltäglichen 
Lebens.  Werte  und  Ideale  haben  ihre  Rangordnung  geändert,  die  von 
Nietzsche  prophezeite  und  mit  der  Relativisierung  der  Moral  auch  im  Sinne 
der  objektiven  Philosophie  angebahnte  „Umwertung  aller  Werte"  hat  dann 
tatsächlich  begonnen. 

Unverrückbar  und  felsenfest  ist  damit  der  Mensch  auf  seine  Mutter  Erde, 
in  die  Umwelt,  an  die  er  angemessen  ist,  gestellt.  In  ihr  allein  kann  er  ganz 
„Mensch"  werden,  vollkommen,  in  aller  Schönheit,  Macht  und  Harmonie 
den  Begriff  „Mensch"  ausspannen  und  damit  sein  Optimum,  das  höchste 
Ziel  menschlichen  Strebens  erreichen.  Dazu  hat  er  den  Verstand,  das  dunkle 
wogende  Meer  der  Gefühle  in  seiner  Brust,  seine  Talente,  das  tiefste  Unter- 
bewußte, das  ihn  mit  dem  All  verbindet,  Intuition  und  die  Begnadigungen  des 
Herzens.  Unermeßlich  weit  aber  überspannt  ihn  nun  auch  ein  Himmel,  zu 
dem  er  wieder  mit  vollstem  Wissen  als  „modernster"  Mensch  vertrauend  und 
gläubig  im  großen  beseligenden  Gefühl  der  endlich  wiedergefundenen 
„Gotteskindschaft"  und  der  Einheit  mit  dem  All  aufblicken  kann.  Was  ihm 
versagt  ist,  das  erfüllen  jene  Stufen  des  Weltenbaues,  in  den  er  als  Atom 
und  Baustein  eingeordnet  ist,  und  dessen  Gesetz  gerade  deshalb  das  seine  ist. 

Gewiß,  er  vermag  nichts  auszusagen  über  die  großen  metaphysischen 
Fragen,  über  Ursprung  und  Zweck  der  Welt,  über  seine  eigene  Zukunft 
nach  der  Spanne  des  Lebens,  ebensowenig  wie  es  einer  Zelle  oder  gar 
irgendeinem  Molekül  in  seinem  Inneren  zukäme,  zu  wissen  von  seiner  Her- 
kunft oder  gar  zu  bestimmen  über  seine  Taten.  Im  Kosmischen,  in  den 
Weltwelten,  den  hyperkosmischen  Organismen,  dort  werden  die  Antworten 
gegeben  vom  Weltengeist  auf  solche  Fragen,  und  ihnen  hat  der  Mensch 
schweigend,  verehrend  das  Unerforschliche,  sich  unterzuordnen.  Sichtbar 
ist  ihm  die  Existenz  des  Weltengeistes  als  Weltgesetz,  sein  Gefühl  erahnt 
ihn  als  das  göttliche  Prinzip  des  Seins  und  wenn  er  nur  sich  optimal  ein- 
fügt in  den  um  ihn  gespannten  Rahmen  Welt,  aus  dem  er  durch  keinen  Tod 
fallen  kann,  dann  hat  er  alles  getan  für  alle  Zeiten  und  mag  sich  auf  den 
großen  Kreislauf  verlassen,  der  ihn  angemessen  dem,  was  er  war,  wieder 
ins  Leben  und  unter  Umständen  in  Höheres  bringen  muß. 

Aus  diesem  Wissen  heraus  bildet  sich  das  neue  Weltverständnis  einer  ob- 
jektiven Philosophie,  eine  neue  Kulturordnung  und  Lebensregelung,  Aufgaben 
für  den  inneren  und  äußeren  Menschen,  ein  hochragender  Bau  einer  neuen 

Franci,  Bios  \\  10 

145 


Wissenschaft,  einer  neuen  Technik,  einer  neuen  Kunst,  einer  neuen  Gesell- 
schaftsordnung, einer  neuen  Ethik,  die  zu  einer  Religion  von  erhabener  Tiefe 
und  Ausgeglichenheit,  voll  unergründlicher  Geheimnisse  und  Tröstungen  der 
Seele  leitet.  Von  allem  Guten,  das  je  auf  Erden  war,  nimmt  diese  neue 
Lebenslehre  für  den  Menschen  das  Beste  und  konserviert  es  liebe-  und  ver- 
ständnisvoll, für  alles  Leid  hat  sie  Güte,  Verständnis  und  Heilmittel,  für 
seinen  höchsten  Flug  weiß  sie  Ziele  und  für  sein  gesamtes  Können  einen 
lockenden,  reich,  glücklich,  gesund  machenden  Preis:  das  Optimum. 

Indem  ich  in  heilig  ernster  Stunde  diese  Sätze  niederschreibe,  den  Blick 
auf  den  unendlichen  Himmel  und  den  blühenden  Garten  der  Erde  darunter 
gerichtet,  bin  ich  mir  wohl  bewußt,  daß  von  hier  aus  eine  Umwälzung  und 
Änderung  der  Menschheit  ausgehen  wird,  die  die  Jahrtausende  nicht  zu  er- 
schöpfen vermögen,  —  und  ich  will  nur  hoffen,  daß  wenigstens  einiges  von 
diesem  Gefühl  der  felsenfesten  Überzeugung  und  inneren  Überwindung  des 
Leides  aus  diesem  Buche  auf  die  übergehen  möge,  denen  ich  es  als  das 
Vermächtnis  einer  um  ihre  Ewigkeit  ringenden  Menschenseele  gebe. 


Zahllose  Organismen  handeln  optimoklin,  ohne  ein  Gehirn,  überhaupt 
ohne  auch  nervöse  Differenzierungen  zu  besitzen.  Schon  im  Kreise  der 
Hohltiere  besitzen  z.  B.  die  wunderbaren  Staatsquallen  nur  mehr  ein  ganz 
einfaches,  in  Ganglien  aufgelöstes  Nervensystem  und  die  Schwämme  gar 
keines  mehr.  Ebenso  fehlen  alle  derartigen  Einrichtungen  den  Urtieren 
(Abb.  23  und  Bd.  I  Abb.  77  und  79)  und  den  Pflanzen  in  allen  Abteilungen 
ihres  weiten  Systems  mit  Ausnahme  der  Nervenfibrillen,  die  von  Nemec  und 
Fenner,  auch  von  neueren  Forschern  seitdem  als  Verbindung  zwischen 
Sinnes-  und  Erfolgsorganen  nachgewiesen  wurden. *6)  Und  dennoch  ist  das 
Leben  aller  dieser  Wesen  ebenso  eine  Kette  von  allerdings  einfachen  Tropis- 
men und  Reflexhandlungen,  die  immer  nach  dem  von  W.  Pfeffer  in  seiner 
Pflanzenphysiologie  mit  aller  Schärfe  herausgearbeiteten  Schema  verlaufen, 
daß  das  Bedürfnis  Prozesse  erweckt  und  beschleunigt,  die  auf  Wiederher- 
stellung des  Gleichgewichtes  abzielen.  Diese  Regulationen  entspringen  den 
Reizreaktionen,  es  ist  also  die  Empfindungsfähigkeit,  wenn  man  will,  kann 
man  auch  sagen  die  Reizbarkeit  der  Pflanze  und  des  Plasmas  überhaupt  das 
Mittel,  durch  das  die  Organismen  ihr  Optimum  erreichen  können  und  durch 
das  die  Entwicklungen  ausgelöst  werden.  Mit  anderen  Worten,  auch  hier  ist 
das  Seelische  das  Mittel  des  Lebens,  um  zu  seinem  Optimum  zu  gelangen. 

Optimoklin  ist  aber  auch  das  Anorganische,  und  demgemäß  sieht  man 
überall  in  der  Welt  Entwicklungen  nach  Art  der  Reizreaktionen,  nämlich 
induziert  verlaufen  und  sofort  stillestehen,  sowie  ihre  Ursache  befriedigt 
ist.  Daß  dieses  finale  Geschehen  die  Physik  beherrscht,  wurde  uns  schon 
bei  Ableitung  des  Kräfteparallelogramms,  also  eines  der  ganz  grundlegen- 
den Prinzipien  der  physischen  Welt  klar,  als  wir  uns  davon  überzeugten,^ 

146 


daß  dieses  Prinzip  der  Zusammensetzung,  wie  man  es  auch  genannt  hat, 
stets  das  Optimum  des  Geschehens  *«)  hervorruft.  Auch  ein  fundamentales 
Prinzip  der  Chemie,  nämlich  das  der  Maximalarbeit,  fällt  mit  dem  des 
Optimums  zusammen.  Seitdem  der  französische  Chemiker  Berthelot'-''')  im 
dritten  Satz  seiner  grundlegend  gewordenen  Thermochemie  behauptete,  daß 
jede  chemische  Veränderung  die  Erzeugung  solcher  Verbindungen  anstrebe, 
bei  denen  die  meiste  Wärme  frei  wird,  die  also  in  Bezug  auf  chemische 
Arbeit  das  Optimum  darstellen,  haben  sich  zwar  vielerlei  Ausnahmen  von 
diesem  Gesetz  herausgestellt,  aber  zugleich  auch,  daß  es  beim  absoluten 
Nullpunkt  der  Temperatur  vollkommen  richtig  sei,  daß  also  die  vorkom- 
menden Temperaturen  eben  nur  „Störungen"  und  nicht  mehr  bedeuten. 

Einmal  darauf  aufmerksam  geworden,  wird  man  aber  das  Optimumgesetz 
in  der  physikalischen  Welt  allerorten  wiederfinden.  Wem  sind  im  Gebirge 
nicht  schon  die  prachtvollen  Geröllreißen  nach  Art  der  in  Abbildung  55 
wiedergegebenen  aufgefallen  (vgl.  auch  Bd.  I  Abb.  74),  in  denen,  auf  das 
Allerfeinste  aussortiert,  von  unten  nach  oben  die  größten  Felstrümmer  all- 
mählich in  feinen  Sand  übergehen.  Diese  Trümmerhalden,  vom  Menschen 
an  Bahndämmen,  Bergwerkshalden,  bei  der  Müllabfuhr  der  Städte  nach- 
geahmt und  in  ihrer  Gesetzlichkeit  angewandt,  sind  ein  Produkt  des  Stein- 
schlages durch  die  Verwitterung;  ihre  Form  wird  durch  die  Gesetze  der 
Schwerkraft  bestimmt,  die  es  festlegen,  daß  der  Böschungswinkel  solcher 
Halden  niemals  mehr  als  45"  beträgt.  Einmal  erreicht,  ändert  er  sich  ohne 
äußeres  Zutun  nicht  mehr.  Aber  bevor  er  erreicht  ist,  überschreitet  jede 
neue  Zufuhr  von  Material  die  unterwertigen  Winkel  und  steilt  sie  auf. 
Greift  nun  aber,  wie  man  das  im  Hochgebirge  und  an  alten  Flußufern 
allerorten  sehen  kann,  die  Erosion  in  die  Böschung  ein  und  übersteilt  sie, 
dann  stürzen  die  darüber  stehenden  Blöcke  nach,  eine  „Talentwicklung'' 
setzt  ein,  bis  wieder  die  optimale  Böschung  erreicht  ist.  So  bildet  jeder 
Fluß  sein  Tal  V-förmig  (Abb.  4),  wobei  die  Schenkel  des  V  maximal  einen 
Winkel  von  45°  beschreiben.  Ist  das  erreicht,  dann  ist  das  Tal  in  der 
Sprache  der  Geographen  „reif";  bis  dorthin  „entwickelt"  es  sich  und  zwar, 
wie  wir  gesehen  haben,  optimoklin  mit  der  gleichen  Teleologie  und  Umkehr 
des  Geschehens  wie  bei  einem  lichtsuchenden  Organismus. 

Das  Optimumgesetz  spricht  sich  auch  im  „freien  Fall"  aus,  für  den  der 
kürzeste  Weg  der  senkrechte,  also  der  Winkel  von  90"  ist.  Das  ist  so  ge- 
wohnt, daß  es  selbstverständlich  erscheint,  während  es  in  Wirklichkeit  eine 
Besonderheit  der  Welteinrichtung  ist.  Nichts  anderes  als  der  Ausdruck  des 
vorteilhaftesten  Geschehens.  Ausgeprägt  ist  das  in  hundert  und  aber  hun- 
dert Formen  in  der  gesamten  Welt,  in  Wasserfällen,  Klammen,  Felsmauern, 
Canons,  Stalaktiten  und  Mauern  und  Türmen.  Hier  steckt  die  Erklärung 
für  die  Mühe,  die  sich  der  Baumeister  gibt  mit  Richtscheit  und  Senkblei. 
Denn  nur  was  senkrecht  steht,  bleibt  stehen  und  ist  noch  tragfähig  für 
höhere  Aufbauten;   was  nicht  senkrecht  steht,  ist  nicht  haltbar. 

10* 

147 


Die  vielen  merkwürdigen  Lehren  der  Erdkunde  über  die  Erosion  und  die 
SchoUenbräche  gehen  alle  auf  diese  wenigen  Grundsätze  zurück.  Unter 
Erosion  (vgl.  Abb.  59—60)  versteht  die  Geologie  bekanntlich  die  Tatsache, 
daß  die  lebendige  Kraft  des  Wassers  den  gesamten  Verwitterungsschutt 
ständig  wegräumt  und  dadurch  auf  alle  Höhen  des  Festlandes  ständig  ab- 
tragend wirkt.  Während  die  Abrasion  durch  die  Schubkräfte  die  Meeres- 
küsten reinspült,  arbeitet  die  Erosion  unter  dem  Diktat  des  Fallgesetzes  stets 
optimoklin  und  sucht  den  senkrechten  Weg  in  die  Tiefe.  Sie  ruht  nicht,  bis 
nicht  der  Ausgleich  erreicht  ist.  Kein  Geschehen  im  Kosmos  ruht,  bis  nicht 
die  Ursache,  die  es  ins  Leben  rief,  den  Ausgleich  mit  seiner  Wirkung  ge- 
funden hat.  Die  Vorbedingung  der  erodierenden  Wirkungen  sind  nun  die 
Sonnenwirkungen  auf  das  Gestein.  Die  Hitze  dehnt  die  Felsen  aus,  die 
nächtliche  Abkühlung  zieht  sie  so  zusammen,  daß  Sprünge,  feinste  Risse 
entstehen.  In  den  Wüsten,  wo  die  Temperaturdifferenzen  zwischen  Tag  und 
Nacht  60—80°  betragen,  sieht  man  allenthalben  abgesprungene  Gesteins- 
stücke. In  einem  Wädi  des  Sinai  sah  ich  ein  Gegenstück  zu  dem  jedem 
Geologen  bekannten  Bilde,  auf  dem  ein  durch  diese  Wirkungen  wie  eine 
Orange  zersprungener,  kugeliger  Steinblock  zu  sehen  ist.  Wo  Winterfrost 
herrscht,  vollendet  das  beim  Frieren  sich  ausdehnende  Wasser  das  Werk 
der  Verwitterung.  Dazu  kommen  die  IJthobionten^^),  die  Gesellschaft  der 
Bakterien,  Spaltalgen  und  Flechten,  die  jeden  an  der  Luft  liegenden  Fels 
besiedeln  und  chemisch  zermürben.  So  zermorscht  wird  dadurch  der  eisen- 
harte Fels,  daß  wir  auf  einsamen,  selten  bestiegenen  Gipfeln  im  Vorder- 
karwendel an  der  tiroler  Grenze  auf  Graten  durch  einfaches  Angreifen  ganze 
Steinbauten  zum  Einsturz  brachten.  So  kommt  es  zum  Steinschlag,  der  den 
Schutt  am  Fuße  der  Wände  anhäuft  (vgl.  Abb.  55). 

Mit  diesem  Material  wirtschaftet  die  Erosion.  Schon  oben  in  der  luf- 
tigen Höhe  wirkt  sie  durch  den  Kohlensäuregehalt  des  Regens  lösend  auf 
fast  alle  Gesteine,  namentlich  aber  auf  die  kalkhaltigen;  tiefer  unten  ver- 
trägt sie  mit  den  Wildbächen  und  kleineren  Rinnsalen  bis  zu  den  großen 
Bergströmen  alles  gelockerte  Material  und  benutzt  dieses  selbst  als  Vehikel, 
um  die  kantigen  Trümmer  zu  Gerollen  zurecht  zu  schleifen  (vgl.  Abb.  6), 
auch  diese  zu  Kies,  Sand  und  Schlamm  zu  zerreiben  und  immer  wieder  zu 
verfrachten.  Und  dazu  nagt  das  Wasser  immer  in  die  Tiefe;  wo  noch  ein 
bißchen  Gefälle  ist,  entfaltet  es  seine  Macht;  wo  aber  alles  eben  ist,  auch 
da  steht  es  nur  oben  still,  in  der  Tiefe  sickert  es  immer  noch  erdwärts  und 
löst  an  dem  Untergrunde.  Gar  nichts  kann  dieser  Tätigkeit  widerstehen; 
sogar  im  Granit  graben  sich  Regenrillen  ein;  bestimmt  wird  der  Wirkungs- 
grad vom  Gefälle  und  der  Weichheit  des  Gesteins.  Die  Gesamtmacht  ist 
unermeßlich,  denn  30600  Kubikkilometer  (ä  1000  Millionen  Kubikmeter) 
Wasser  fließen  jährlich  in  den  Flüssen  dem  Meere  zu,  und,  wenn  trotzdem 
in  der  Hochgebirgshöhe  von  1800—2400  m  die  Gebirge  durch  die  Erosion 
in  je  1100  Jahren  nur  um  einen  Meter  ihrer  Gesamthöhe  abgetragen  wer- 

148 


den,  so  genügt  das,  um  ein  Gebirge  wie  die  Alpen  in  vier  Jahrmillionen 
spurlos  von  der  Erde  verschwinden  zu  machen.  Ihr  Optimum  erreicht  die 
Erosion  in  den  weichen  Gesteinen,  namentlich  im  Kalk.  Dort  sind  die  be- 
rühmten Schaustücke  der  Alpen,  die  Klammen  (Abb.  50)  und  Erdpyramiden 
(Abb.  44),  aber  auch  im  Sandstein  nagt  sich  das  Wasser  die  bizarrsten 
Türme  (Bd.  I  Abb.  69)  und  Wandgebilde  heraus.  Stille  steht  die  Erosion 
erst  in  den  Ebenen,  und  eigentlich  wird  das  AntUtz  aller  Gebirge  von  ihr 
geprägt  und  damit  das  Relief  des  gesamten  Festlandes.  Das  alles  steht 
also  unter  der  Herrschaft  des  Optimumgesetzes.  Wohin  man  sieht,  fällt 
der  Blick  auf  die  Zeugen  seiner  Macht.  Und  daß  seine  Wirksamkeit  im 
Anorganischen  auch  nicht  denkbar  ist,  ohne  die  teleologischen  Prinzipien 
unseres  Denkens  zu  Hilfe  zu  nehmen,  dafür  bietet  sich  im  Erfahrungsfeld 
der  Physik  ein  überwältigendes  Beispiel  durch  den  Lachambre'schen  Re- 
flexionsversuch, das  in  der  Fachliteratur  unter  dem  Namen  des  Fermat- 
schen  Prinzipes  der  schnellsten  Ankunft  bekannt  ist. 

Dieses  Fermat'sche  Theorem  ist  für  die  gesamte  Optimumfrage  des  An- 
organischen so  wichtig,  daß  man  ihm  notgedrungen  größte  Aufmerksamkeit 
schenken  muß.  Schon  im  Jahre  1662  hatte  der  französische  Physiker 
Lachambre  bewiesen,  daß  ein  Lichtstrahl  bei  der  Reflexion,  um  unter  Ver- 
mittelung  des  Spiegels  von  einem  Punkt  zu  einem  anderen  zu  gelangen, 
nicht  den  kürzesten,  sondern  den  zweckmäßigsten,  nämlich  jenen  Weg 
wählt,  der  die  kürzeste  Zeit  braucht.  Der  französische  Bearbeiter  des  Dio- 
phant,  H.  Fermat,  zeigte  dann,  daß  auch  der  gebrochene  Strahl  den  zeit- 
lich kürzesten  Weg  einschlägt,  um  von  einem  Punkt  des  einen  Mediums 
nach  einem  vorgeschriebenen  Punkt  des  zweiten  Mediums  zu  gelangen, 
wenn  beide  Medien  durch  eine  ebene  Fläche  getrennt  sind.  Es  liegt  also 
zweifellos  hier  eine  Kundgebung  dafür  vor,  daß  auch  das  Geschehen  der 
anorganischen  Natur  für  uns  nur  bei  Annahme  biozentrischer  Vorstel- 
lungen ausdeutbar  ist;  die  schnellste  Ankunft  wird  unter  allen  Umständen 
durchgesetzt,  wenn  es  auch  nur  durch  eine  besondere  Modifikation  geht. 

Immer  sieht  man  —  und  dieser  Gedanke  soll  uns  nun  in  die  Tiefe  des 
Optimumproblems  leiten  — ,  daß  durchgängig  in  jeder  Art  von  Weltge- 
schehen, im  biologischen  wie  im  anorganischen  Haltlosigkeit,  U nstabilität 
herrscht,  stets  neue  Kombinationen  auftreten,  wenn  in  einer  Beziehungs- 
verkettung nicht  die  Formel  des  Optimalen  verwirklicht  ist.  Diese  Er- 
scheinung haben  die  Denker  schon  von  je  erkannt,  und  sie  war  es,  die  sie 
ohne  Kenntnis  der  richtigen  Zusammenhänge  auf  den  Gedanken  brachte, 
daß  ein  ununterbrochener  Transmutationismus,  eine  stete  Entwicklung  das 
ganze  Weltbild  beherrsche.    (Vgl.  hierzu  Bd.  I  S.  76-79.) 

Wie  alt  der  Entwicklungsgedanke  eigentlich  ist,  soll  uns  hier  nicht  näher 
beschäftigen,  hat  man  doch  schon  in  besonderen  Werken«")  diese  Historie 
zusammengestellt.  Ob  nun  wirklich  der  Streit  als  Vater  aller  Dinge  des 
Heraklit  und  das  Werden  des  Anaxagoras  die  erste  Ausprägimg  des  Enf- 

149 


Wicklungsgesetzes  sind,  oder  ob  sich  schon  früher  in  der  ägyptischen*)  und 
indischen  Philosophie  dahin  zielende  Gedanken  finden,  Tatsache  ist,  daß 
nicht  etwa  erst  Herder,  Kant,  Laplace,  Lamarck,  Hegel,  Darwin,  Häckel^^) 
seine  Urheber  sind,  sondern  daß  er  zu  den  Orundüberzeugungen  des 
menschlichen  Denkens  gehört,  die  sich  allerdings  erst  in  der  Gegenwart  zu 
solchen  Extremen  verdichtet  haben,  wie  ihnen  Ed.  Bernstein  Ausdruck  ver- 
leiht, wenn  er  sagt:  im  Kulturellen  sei  der  Weg  alles,  das  Ziel  nichts.  Nur 
fortwährend  Fortschreiten,  das  sei  das  Glück  .  .  .  Der  Fortschritt  wird  da- 
durch selbst  zum  Ziel  gemacht.    (Vgl.  Anmerkung  61.) 

Es  ist  nun  bei  einer  objektiven  Betrachtung  dieser  absoluten  Entwick- 
lungslehre sehr  leicht,  in  ihr  verschiedene  Elemente  differenten  Ursprunges, 
die  auf  bloße  gleiche  Bezeichnung  hin  miteinander  verwechselt  werden, 
auseinander  zu  halten.  Da  wäre  als  erstes  der  überall  wahrnehmbare  Trans- 
mutationismus des  gesamten  Seins,  dessen  Zusammenhang  mit  dem  Opti- 
mumgesetz auf  den  vorstehenden  Seiten  geklärt  wurde.  Er  ist  unverkenn- 
bar —  ebenso  unverkennbar  aber  ist  auch,  daß  er  kein  Prinzip  des  Seins 
darstellt,  sondern  nur  eine  Folgeerscheinung  der  allgemeinen,  optimoklinen 
.Welteinrichtung  ist.  Alles,  was  noch  nicht  sein  Optimum  entfaltet  hat, 
leistet  dem  gegenseitigen  Druck,  der  Reibung  der  Vielheit  weniger  Wider- 
stand, als  die  Optima  der  Dinge.  Daher  vollziehen  sich  an  den  Pessima, 
wie  man  den  Gegensatz  der  Optima  nennen  könnte,  die  meisten  Zusammen- 
brüche und  Änderungen. 

Wenn  an  den  Weltnebeln  Kräfte  angreifen  und  auf  Grund  einfacher, 
durchschaubarer,  mechanischer  Notwendigkeit  diese  eine  Spiralform  an- 
nehmen, dann  ist  darin  nicht  eine  „Entwicklungstendenz"  sichtbar,  sondern 
nur  eine  Disharmonie  im  Bau  des  Nebels,  die  zu  einem  Potential  und  zur 
Einleitung  des  Ausgleichs  führte.  Wer  das  nicht  einsieht  und  daran  noch 
zweifeln  wollte,  der  betrachte  nur  die  große  Magelhaen'sche  Wolke  am 
südlichen  Himmel,  die  spiralige  Anordnung  besitzt,  trotzdem  sie  aus  Nebel- 
flecken, Sternen  und  Sternhaufen,  also  schon  aus  den  fertigen  Produkten 
besteht,  die  nach  der  Kant-Laplace'schen  Kosmogenie  erst  durch  den  Prozeß 
entstehen  sollten.  Die  „Entwicklung"  geht  also  dort  weiter,  trotzdem  ihr 
„Zweck"  schon  erreicht  ist. 

Die  Laplace^soht  Hypothese  aber  ist  in  den  letzten  Jahren  Gegenstand 
so  vieler  Angriffe  gewesen,  daß  sie  trotz  der  Poincarä-Darwin'schen  Modi- 
fikation ^2)  immer  mehr  durch  neuere  Versuche  (wie  z.  B.  die  von  Lokyer 


*)  Es  ist  unbegreiflich,  warum  man  die  aus  den  ägyptischen  Inschriften  und  Pa- 
pyri, sowie  dem  Legendenkreis  des  Herodot  und  Pythagoras  so  deutlich  zu  uns  spre- 
chende ägyptische  Philosophie  noch  nicht  gereinigt,  zusammengestellt  und  rekon- 
struiert hat.  Schon  bei  meinen  gelegentlich  meiner  orientalischen  Studien  angestellten 
Vorarbeiten  ergab  sich  mir  das  Vorhandensein  mehrerer  geistigen  Schichten,  die  bis 
zu  den  Alexandrinern,  bis  zu  Philo  und  Plotin  nachwirken.  Wer  leistet  diese  für  die 
Urgründe  unseres  ganzen  Denkens  bedeutungsvolle  Arbeit? 

150 


oder  Hörbiger)  ersetzt  wird.  Die  Tatsache,  daß  die  Planeten  und  Monde 
nicht  in  einer  Ebene  rotieren,  daß  Uranus  und  Neptun  und  viele  Monde 
anders  laufen,  als  es  ihnen  die  Annahme  einer  einheitlichen  Entstehung  er- 
laubt u.  dgl.  mehr,  machen  sie  dem  logischen  Verstand  zur  Unmöglichkeit. 
Jedenfalls  hat  keine  der  alten  und  neuen  Kosmogonien  es  nötig,  irgendein 
Entwicklungsprinzip  in  seine  Rechnungen  einzustellen;  überall  genügt  das 
Element  der  Störung  und  Ausgleichung,  um  den  Weltprozeß  verständlich 
zu  finden,  von  dem  jede  astronomische  Einsicht  sich  mit  der  von  S.  An- 
lienius  im  Einklang  fühlt,  daß  weder  die  Gegenwart  des  Kosmos  ein  Ziel 
der  Weltenbildung  sei,  noch  ein  solches  Endziel  sich  überhaupt  im  Ge- 
sichtskreis des  Denkens  zeige,  sondern  nur  ein  steter  Kreislauf  von  Welt- 
nebeln, Sonnensystemen,  Zerstreuung  von  deren  Energie  in  den  kalten 
Weltnebeln«3)  und  Wiederbeginn  der  Prozesse  durch  deren  hiemit  erklär- 
bare Spannungsdifferenzen.  Wenn  von  Kosmos  und  Entwicklung  gespro- 
chen wird,  tut  dies  der  Astronom  nur  mit  dem  Empfinden,  von  den  Sta- 
dien eines  Kreislaufprozesses  zu  reden. 

Ist  nun  damit  eigentlich  jede  Art  physischer  Entwicklung  auf  einer 
höheren  Integration  gegenstandslos  geworden,  so  pflegt  auch  in  der  an- 
organisch irdischen  Welt  dieser  Begriff  nur  einen  vergleichsweise  bildlichen 
Sinn  als  Bezeichnung  des  Transmutationismus  zu  besitzen.  Man  hat  in  der 
französischen  Gelehrten-Republik,  deren  beweglichem  Geist  der  Begriff  der 
Entwicklung  besonders  sympathisch  ist  (weshalb  auch  Bergson  mit  einer 
evolution  creatrice  operiert),  in  den  letzten  Jahrzehnten  sogar  von  einer 
„Entwicklung  der  Materie^'  gesprochen  ß*),  hat  aber,  bei  Licht  besehen,  dar- 
unter nur  die  Zustandsänderungen  um  den  hypothetischen  Äther  ver- 
standen, wobei  angenommen  wird,  daß  die  Radioaktivität  die  Materie 
„zersetzt"  (dissoziiert),  und  daß  durch  stete  Umwandlungen  (von  Gas, 
Flüssigkeit,  festen  und  kristallinischen  Zuständen)  unter  dem  Einfluß  der 
Temperatur  (man  denke  an  Quecksilber  oder  an  die  Tatsache,  daß  das 
Bolometer  am  Platin  gestattet,  eine  Erwärmung,  also  Zustandsänderung 
festzustellen)  sich  ein  Kreislauf  der  Erscheinungen  durch  die  ganze  Welt 
der  Materie  wälzt. 

Gerade  dadurch  aber  wird  anerkannt,  daß  es  eine  schöpferische  Entwick- 
lung der  Materie  nicht  gibt,  und  daß  die  Änderungen  stets  nur  die  Beant- 
wortungen von  Störungen  sind.  Es  war  sehr  wertvoll,  diese  Frage,  mit 
der  sich  auch  die  der  „Entwicklung"  der  Elemente  erledigt,  einmal  durch- 
zudenken, denn  gerade  dadurch  hat  es  sich  mit  jeder  wünschenswerten 
Deutlichkeit  herausgestellt,  daß  in  unserem  ganzen,  sowohl  im  sinnen- 
fälligen, wie  im  bloß  vorgestellten  Weltbild  das  Verhältnis  der  Einheiten 
zueinander  nicht  ein  skalares  (rein  zahlenmäßiges)  ist,  sondern  stets  das  der 
Kräftefunktion,  also  des  Potentials.  Alle  rein  mechanischen  Vorgänge  be- 
stehen lediglich  bei  Erhaltung  der  Energie  aus  einem  Austausch  zwischen 
lebendiger    und   toter    (also   Spann-)    Kraft   oder,    wie    der   Physiker    sagt, 

151 


zwischen  kinetischer  und  potentieller    Energie.     Alles   Sein   ist  mit  einem 
Potential  wirkender  Kräfte  verbunden.*)  ^^) 

Dadurch  wird  jedoch  jede  Änderung  nur  zur  Transmutation  im  Sinne  des 
Funktionsges€tzes,  nicht  zu  einer  schöpferischen  Bereicherung  der  Welt, 
bloß  zur  Entfaltung  ihrer  Wesenheit.  Und  so  kommt  es,  daß,  wie  schon 
(Bd.  I  S.  190)  an  dem  Beispiel  der  Petrographie  gezeigt  wurde,  nicht  nur 
im  Kosmischen,  Chemophysikalischen,  sondern  auch  im  Meteorologischen 
und  Geologischen  jeder  Begriff  einer  anderen  Entwicklung,  als  der  sich  in 
Kreisläufen  abspielenden  Transmutation,  fehlt. 

Wenn  die  Palaeokllmatologie  uns  an  den  Resten  der  Devonwälder  (Abb. 
62),  der  Steinkohlenzeit,  der  Buntsandsteinwüste  und  Jurariffe,  der  Braun- 
kohlenswamps  und  der  Dryastone  des  Diluviums  auch  unwiderleglich  eine 
stete  Klimaänderung  beweist,  deren  schon  skizzierter  Ablauf,  wenigstens 
nach  Eckardt  etwa  für  Europa  in  folgender  Kurve  verläuft: 

Archaikum  =  ? 

Kambrium  =  Eiszeit  (Eisdecken  am  Nordkap,  China,  Australien) 

Silur-Devon  =  wahrscheinlich  gleichmäßig  warm  (klimatisch  karbonisch) 

Karbon  =  wahrscheinlich  gleichmäßig  warm 

Dyas  =  wechselnd,  Eiszeit  (Permokarbone  Eiszeit  in  Indien,  Afrika) 

Trias  -Jura  =  warm 

Kreide  =  Abkühlung  (Frostspuren  auf  Blättern) 

Tertiär  =  Wiedererwärmung 

Diluvium-Gegenwart  =  Eiszeit,  langsame  Wiedererwärmung 
dann  ist  es  unmöglich,  darin  einen  „Entwicklungsgang"  zu  erkennen,  um- 
somehr  als  alle  Zeugnisse  der  Vorzeit  darin  übereinstimmen,  daß  die  ge- 
samtklimatische Situation  der  Erde  sich  niemals  wesentlich  von  der  heu- 
tigen unterschieden  hat  und  das  irdische  Klima  schon  seit  dem  Palaeozoi- 
kum  ein  durchaus  solares  ist,  also  ganz  von  dem  Verhältnis  Erde  —  Sonne 
geregelt  wird.**) 

Daß  in  die  Geologie  unter  dem  Einfluß  der  biologischen  Entwicklung  der 
Begriff  Evolution  überhaupt  hineingebracht  wurde,  hat  seine  historische 
Ursache  und  entstammt  dem  Kampfe  gegen  die  Kataklysm£ntheorie  Cu- 
viers,  der  aus  den  französischen  palaeontologischen  Funden  voreilig  verall- 
gemeinernd den  Eindruck  gewann,  daß  mit  jeder  Erdperiode  eine  von  Grund 


*)  Daher  kommt,  ganz  im  Einklang  mit  der  Panmechanik,  der  Begriff  von  Schwere- 
feld (Potentialfeld,  Feldstärke)  ebensogut  in  der  Gravitationslehre,  wie  aber  auch  in 
der  Meteorologie  (magnetisches  Feld),  in  der  Biologie  (Einflußsphäre  des  Zellkerns, 
Polarität  usw.),  in  den  Geisteswissenschaften  (man  durchdenke  die  Begriffe  Schwer- 
gewicht von  Rechtsgründen,  moralische  Einflußsphäre,  politische  Spannung,  Massen- 
wirkung usw.)   zur  Geltung, 

*'■)  Allerdings  behauptet  Sartorius  von  Waltershausen,  daß  diese  Wirkung  bis  zum 
Mesozoikum  gewährt  habe,  was  aber  schwer  vereinbar  mit  der  Berechnung  ist, 
daß  erst  bei  Rotglut  in  30  m  Tiefe  die  Sonnenstrahlung  ausgeglichen  sein  könnte. 

152 


Abb.  61.  Saurier  der  Triaszeit 

Auf   dem    Felsen    sitzt  ein    Panzermolch    (Mastodonsaurus),    links 

vorn    ein    Kammdrache    (Dimetrodon),    rechts   ein    Wangensauricr 

(Pareiasaurus) 


H^H^^^^sA  ^j.  h\^ 

H^H 

[j^l 

.\bb.  62.  Rekonstruktion  einer  Devonlandschaft  nut  bauinartii^en 
Bärlappgewächsen 


auf  neu  entstehende  Fauna  vernichtet  und  durch  Vulkane,  Erdbeben,  Über- 
schwemmungen begraben  wurde.  Demgegenüber  brachte  Lyell^^)  den 
Grundsatz  des  non  vi,  sed  saepe  cadendo,  die  „Häufung  kleinster  Wirkungen" 
in  unbeschränkt  angenommener  Zeit  zur  Geltung.  Damit  war  ein  besonders 
folgenschwerer  Satz:  „die  Geologie  sei  eine  gewaltige  Entwicklungsreihe 
im  Anorganischen"  postuliert.  Tatsächlich  hat  aber  die  Geologie  sowie  die 
Klimatologie  niemals  etwas  anderes  festgestellt,  als  daß  im  Gesamtbau  der 
Erde  sowie  in  dem  der  Atmosphäre  verschiebende  Kräfte  tätig  sind,  hier 
die  Temperaturdifferenzen  entspringend  aus  der  Stellung  der  Erdachse  zur 
Erdbahn  und  die  Erdrotation,  dort  die  Kräfte  der  Erdumgestaltung,  von 
denen  die  einen  das  aufbauen,  was  die  anderen  lösen.  Der  Ausdruck  Ent- 
wicklung hat  hier  eben  nur  den  Sinn  des  Anderswerdens,  wie  denn  über- 
haupt die  große  Tat  Fritz  Mauthners,  der  zuerst  auf  den  gleitenden,  mehr- 
deutigen Sinn  fast  aller  Worte  und  die  mangelnde  Eignung  der  Sprache  als 
Werkzeug  des  Denkens  aufmerksam  machte*),  noch  lange  nicht  für  die 
menschliche  Erkenntnis  fruchtbar  geworden  ist. 

Eine  gewisse  Richtung  der  populären  „Weltenschöpfung"  machte  es  sich 
freilich  leicht,  aus  den  Tatsachen  der  Tektonik  und  Stratigraphie  eine  Geo- 
genesis  zurechtzulegen,  die  nach  einem  bekannten  energetischen  Gesetz 
noch  in  ihren  Auswirkungen  in  der  populären  „Aufklärungsliteratur"  fleißig 
von  einem  Kompilator  dem  anderen  nachgeschrieben  wird  und  dadurch  zu 
den  Säulen  volkstümlicher  „monistischer  Glaubenslehren"  gehört,  während 
in  der  Wissenschaft  selbst  dieser  Standpunkt  längst  überholt  ist.  Dieses 
malerische  Bild  sieht  etwa  so  aus:  Unser  Planet  war  eine  Feuerkugel,  die 
nach  den  Gesetzen  der  Entwicklung  allmählich  abkühlte.  Dann  kam  der 
Augenblick,  in  dem  sich  das  Wasser  niederschlug  und  dadurch  die  Wiege 
vorbereitet  war  für  die  ersten  Lebewesen.  Klimaunterschiede  bestanden  noch 
nicht.  Auch  das  Klima  mußte  sich  zu  seiner  heutigen  Vielfältigkeit  erst  ent- 
wickeln. Einzelne  dieser  „Schöpfungsgeschichten"  erörtern  allen  Ernstes 
die  Frage,  ob  es  schon  „damals"  Stürme  und  Regengüsse  gegeben  habe. 
Nun  konnte  das  Wasser  seine  Nivellierungsarbeit  beginnen;  es  entstanden 
die  ersten  Sedimente  und  damit  das  Buch  der  Schichten,  in  denen  der  fort- 
geschrittene Forscher  von  heute  die  „Entwicklungsgeschichte  der  Erde"  so 
zungengeläufig  liest.  In  diesen  Erdschichten  niedergelegt  sind  die  „Doku- 
mente der  natürlichen  Schöpfungsgeschichte",  die  einer  gläubig  aufhorchen- 
den Generation  es  schonungsvoll  klarmachte,  wie  im  Archaikum  zuerst  die 
Wirbellosen  entstanden  und  es  nur  Kryptogamen  gab,  wie  noch  der  Stein- 
kohlenwald eigentlich  ein  Farn-  und  Bärlappwald  gewesen  (vgl.  Abb.  62) 
ohne  Vögel,  Säugetiere,  ja  selbst  ohne  Echsen,  wie  so  Blatt  um  Blatt  im 

*)  Von  Gnaden  welcher  Tatsache  die  ganzen  „Richtungen"  von  Exegese,  juristischen 
Kommentaren,  Rechtsstreiten  und  theologische  Disputationen,  auch  ein  erheblicher  Teil 
der  ganzen  historischen  Philosophie  lebten.  Man  denke  nur  an  die  historische  Bedeu- 
tung von  homousie  und  homoeusie,  an  die  Pälikommentare  und  die  christliche  Homiletik. 

153 


Zauberbuch  der  Entwicklung  sich  umwendet,  langsam  und  zielstrebig  alles 
zur  Gegenwart  drängt,  die  großen  Jurasaurier  (Abb.  61)  kommen,  aus  ihnen 
sich  der  Zweig  der  Sauropsidier  ablöst,  die  zu  Vögeln  werden,  wie  aus  den 
eierlegenden  Vögeln  durch  Vermittlung  von  Tieren  nach  Art  des  Schnabel- 
tieres (Ornithonhynchus)  eierlegende  Säuger,  dann  Beutler,  dann  die 
Schreckenstiere  der  Braunkohlenzeit  (vgl.  Bd.  I  Abb.  81)  und  endlich  die 
Fauna  der  Gegenwart  hervorgehen,  währenddessen  in  der  Kreidezeit  die 
ersten  Blütenpflanzen  erscheinen  und  sich  die  ganze  Blumenpracht  der 
Gegenwart  entfaltet.  Wunderbar  folgerichtig  erschien  dieses  Bild  vom 
Stammbaum  des  Lebens,  in  dessen  Krone  sich  ein  Zweiglein  erhob,  an  dem 
der  Mensch  selber  hing,  Untertan  dem  gleichen  Gesetz  wie  das  All,  aus  dem 
er  stammt,  und  wunderbar  genug  in  seinen  tiefsten  Rassen  den  Tieren  ana- 
tomisch, geistig,  sogar  blutsmäßig  noch  näher  stehend  als  uns,  der  Krone 
dieser  ganzen  langen  Entwicklung,  auf  deren  Klärung  die  zweite  Hälfte  des 
XIX.  Jahrhunderts  ebenso  stolz  war  wie  auf  die  damals  rapid  einsetzende 
Industrialisierung,  die  ganz  im  Sinne  der  Zeit  ebenso  als  „notwendiger 
Fortschritt"  gepriesen  wurde. 

Die  ganz  Kühnen  malten  gleich  mit  großem  Pinsel  und  trugen  grelle 
Farben  auf:  Panrevolution,  Entwicklung  ist  alles,  und  in  einem  Atemzug 
wurde  die  Abstammung  der  heutigen  Kultur  vom  Urnebel  als  bewiesene  Tat- 
sache hingestellt,  wobei  stillschweigende  Voraussetzung  war,  daß  die  heu- 
tige Kultur  und  namentlich  ihre  Träger  schon  kraft  des  in  ihnen  wirksamen 
Entwicklungsgesetzes  in  allem  klüger,  tüchtiger,  vollkommener,  ein  höherer 
Typus  Mensch  sein  mußten,  als  jeder  ihrer  Vorfahren.  Das  war  die  Zeit,  in 
der  man  eifrig  das  Alte  demolierte  und  gering  schätzte.  Was  alt  war,  war 
darum  wertlos.  Die  Schlagworte:  „Neuzeitlich,  der  Zeitgeist,  der  Fort- 
schritt", die  fürchterliche  Phrase  vom  „modernen  Menschen"  waren  — 
und  sind  noch  —  in  aller  Munde  und  halfen  den  Menschen,  sich  von  der 
Tradition  zu  befreien,  oberflächlicher  zu  werden.  Unter  der  Herrschaft  des 
Entwicklungsgedankens  schätzte  man  eben  nicht  mehr  das  Beste,  sondern 
das  Neueste,  man  wollte  nicht  absolut  gut  und  tüchtig,  sondern  modern  sein, 
und  es  begann  die  Zeit,  in  der  man  arbeitete,  um  zu  arbeiten,  und  die 
Änderung  um  jeden  Preis  zum  Leitwort  des  Daseins  machte. 

Heute  denkt  man  im  Wissen  um  die  Dinge  der  Welt  anders.  Die  Leit- 
sätze hierüber  habe  ich  schon  in  der  Einleitung  dieses  Werkes  (Bd.  I  S.  94) 
auseinandergesetzt;  hier  brauche  ich  nur  zu  vollenden.  Die  Geologie  als 
solche  kennt  wohl  einen  steten  Transmutationismus,  eine  Kumulation,  aber 
keine  Entwicklung  im  Sinne  einer  Vervollkommnung.  Der  von  den  Schöp- 
fungsgeschichten geschilderte  Vorgang  hat  sich  nicht  einmal,  sondern  oft 
abgespielt  und  ist  heute  ebenso  wie  jederzeit  in  seinen  Anfangs-  wie  End- 
stadien begriffen.  Eine  Abnahme  der  vulkanischen  Kräfte  ist  ebensowenig 
wie  ihre  Zunahme  zu  merken,  und  über  die  Erkaltung  von  Sonne  und  Erde 
kann  man  sich,  wie  ich  in  diesem  Werke  schon  mehrfach  andeuten  konnte, 

154 


gar  keine  definitiven  Vorstellungen  machen.  Es  gibt  gar  keine  Abkühlung 
des  Erdenklimas,  und  nichts  deutet  in  ihrer  Vergangenheit  auf  eine  heißere 
Sonne  (Eckardt).  Irgendein  Einfluß  der  Erdwärme  auf  die  Tier-  und 
Pflanzenwelt  ist  überhaupt  noch  nicht  nachgewiesen.  Es  gibt  wohl  Klima- 
schwankungen, aber  nirgends  kontinuierliche,  einseitige  Änderungen.")  Wenn 
man  die  Pendulationstheorie  (vgl.  Bd.  I  S.  69)  nicht  annimmt,  hat  man  für 
das  regellose  Wandern  der  Klimate  und  damit  der  Faunen  und  Floren,  auch 
der  Transgressionen  und  Schollenbewegungen  gar  keine  Erklärung.  Und  wenn 
man  sich  ihr  anschließt,  dann  ist  es  keine  Entwicklungslinie,  sondern  ein 
regelloses,  in  alle  Zeiten  fortwährendes  Pendeln,  das  man  angenommen  hat. 

Wenn  auch  S.  Anhenius  eines  seiner  Hauptwerke:  ,Das  Werden  der 
Welten'  genannt  hat,  so  entfaltet  er  darin  doch  nur  das  Bild  eines  Kreis- 
laufes. Die  Sonnensysteme  zerstreuen  ihre  Materie  im  Weltenraum;  die 
Nebel  fangen  die  Meteoriten  und  Kometen  ein,  der  Strahlungsdruck  hält  der 
Gravitation,  die  Wanderung  der  Gase  hält  der  Wärmevergeudung  das  Gleich- 
gewicht. Dadurch  ist  steter  Ausgleich,  eigentlich  das  Optimum  der  Welt 
gewährleistet.  So  hat  die  Kosmologie  Möglichkeiten,  um  das  Sein  ohne 
Entwicklung  zu  erklären.  Die  Kräfte  der  Erdumgestaltung  sind  konstant. 
Es  hat  sich  kein  Anzeichen  gefunden,  daß  die  Sedimentation,  die  Erosion 
oder  Abrasion,  die  Deflation,  die  Transgressionen,  der  Vulkanismus,  die 
Erdbeben,  die  Senkungen  und  Hebungen,  die  Auffaltungen  und  Brüche  je- 
mals mächtiger  gewesen  sind  oder  jetzt  zunehmen.  Es  ist  keine  einheitliche 
Entwicklungslinie  im  irdischen  Geschehen  erkennbar.  Wohl  aber  ist  eine 
immer  wiederkehrende  Transmutation  ganz  unleugbar  da.  Sie  spielt  sich 
vollkommen  nach  dem  Weltgesetz  der  Mechanik  ab,  wofür  namentlich  Fal- 
tung und  Gebirgsbildung  geradezu  Schulbeispiele  sind. 

Unverkennbar  stehen  sich  in  der  Wirkung  gewisse  Zusammenhänge 
gleichsam  wie  Antagonisten  gegenüber.  Die  Sedimentation  und  danachfol- 
gende  Auffaltung  baut  auf,  die  Erosion  baut  mit  der  Verwitterung  ab,  wo- 
zu sich  die  scheuernde  Kraft  des  Meeres  und  des  Windes  gesellt.  Vulka- 
nismus und  Erdbeben  schaffen  nichts  Neues,  sondern  wirken  nur  wie  ein 
Pflug,  der  Erdinneres  verwitterungsreif  macht,  wobei  aber  zu  bedenken 
ist,  daß  niemals  tiefere  Schichten  als  die  der  Magmaherde  (vgl.  Bd.  I 
Abb.  71)  das  Licht  der  Welt  erblicken.  Wohl  kommen  durch  die  He- 
bungen Tiefenschichten  zur  Oberfläche,  aber  dies  Auf-  und  Absteigen  hat 
auch  seine  Grenze  und  entblößt  nur  einen  sehr  dünnen  Mantel  der  Erd- 
kugel. 

Zur  Zeit,  als  man  noch  mit  dem  Entwicklungsgedanken  spielte,  befreun- 
dete sich  alle  Welt  mit  der  Schrumpfungstheorie  des  österreichischen  Geo- 
logen E.  Sueß,  hinter  der  der  Glaube  an  eine  einheitliche  Erdentwicklung 
im  Sinne  eines  Alterns  steckt.  Diese  Lehre  hielt  die  Gebirge  für  Runzeln 
der  erkaltenden  Erde,  der  die  Gesteinsdecke  allmählich  zu  weit  wird.  Es 
müßte,  sollte  sich  das  bewahrheiten,  ein  kontinuierlicher  Wärmerückgang 

155 


vorhanden  sein,  und  auch  die  Gebirgsbildung  in  alten  Zeiten  geringer  ge- 
wesen sein,  dagegen  mit  fortschreitendem  Alter  der  Erde  immer  mehr  zu- 
nehmen. Beides  ist,  wie  man  mit  jeder  Sicherheit  weiß,  nicht  der  Fall.  Die 
Beweise  für  die  erstere  Behauptung  möge  man  oben  nachschlagen;  ein 
Beweis  gegen  den  zweiten  Satz  sind  die  Stümpfe  der  karbonen  Faltenzüge 
(des  appalachisch-amerikanisch-variskischen  Gebirges).  Dieses  läßt  sich  seit 
dem  Devon  bis  zum  Perm  auf  der  ganzen  Erde  in  einer  Ausdehnung  ver- 
folgen, welche  die  heutigen  Hochgebirge  übertrifft.  Dazu  läßt  sich  aus  den 
abgetragenen  steilen  Falten  berechnen,  daß  diese  Hochketten  der  Stein- 
kohlenperiode*) zumindestens  so  hoch  wie  der  Himalaya  waren,  wenn  sie 
ihn  nicht  übertrafen.  Die  Summe  des  aufgefalteten  Erdmateriales  überstieg 
die  der  jungtertiären  Auffaltungen,  deren  Reste  heute  als  Himalaya,  Kor- 
dilleren, Kaukasus,  Alpen  usf.  bezeichnet  werden.  Dabei  besteht  mehr 
Wahrscheinlichkeit  als  das  Gegenteil,  daß  es  im  Präkambrium  ebenfalls 
enorme  Hochgebirge  gegeben  hat,  woraus  ein  vernichtender  Schluß  gegen 
die  Schrumpfungslehre  zu  ziehen  ist.  Ob  nun  die  an  ihre  Stelle  gesetzte 
Anschauung,  daß  glutflüssige  Magmamassen  zur  Oberfläche  streben  und 
dadurch  die  Auffaltung  und  Überschiebung  (man  denke  an  die  der  Alpen!) 
bewirken,  zurecht  besteht  oder  nicht ««),  daran  läßt  sich  nicht  rütteln,  daß 
eine  einheitliche  Linie,  wie  sie  der  Entwicklungsgedanke  fordert,  darin  nicht 
zu  erkennen  ist. 

Allerdings  darf  man  nicht  übersehen,  daß  tatsächlich  überall,  wo  man 
Einblick  in  die  Tiefenstruktur  der  Erdrinde  erhalten  hat,  sich  ähnliche 
Bilder  boten  wie  auf  Abbildung  52—54,  d.  h.,  man  sieht  einen  Faltenwurf, 
der  nur  durch  horizontale  Schubkräfte  zu  deuten  ist,  durchbrochen  von 
einem  System  von  Spalten  und  Verwerfungen,  das  Sueß  ganz  trefflich  mit 
den  Einbrüchen  eines  gefrorenen  und  dann  abgelassenen  Teiches  (vgl.  Bd.  I 
Abb.  15)  verglich.  Aber  gerade  das,  daß  nun  wohl  ein  Teil,  aber  nicht 
alle  Ozeane  Senkungsgebiete  sind,  sondern  gerade  ihr  größter,  der  Pacific, 
eine  ursprünglich  vorhandene  Hohlform,  welche  auch  alle  Wandlungen  des 
Erdreliefs  unverändert  überlebt,  wenn  sich  gleichzeitig  herausstellt,  daß 
die  großen  Ebenen  (Rußland,  die  süd-  und  nordamerikanischen  Steppen- 
gebiete, die  afrikanische  Steppe)  keine  Senkungsfelder,  sondern  Stellen  des 
Erdfriedens  sind,  dann  ist  mit  aller  nur  wünschenswerten  Sicherheit  nach- 
gewiesen, daß  Schrumpfungen  (Brüche),  von  innen  heraus  wirkende  Kräfte, 
Senkungen,  Ruheperioden  längster  Dauer  (die  sarmatische  Ebene  ist  seit 
dem  Carbon  ungestört  geblieben),  also  eine  Fülle  verschiedenster  Ursachen 
nebeneinander  bestehen,  zusammen-  und  gegeneinander  an  dem  Antlitz  der 
Erde  bosseln «»),  woraus  der  einzig  zulässige  Schluß  ist:  eine  einheitliche 
Entwicklung  des   Erdreliefs  gibt  es  ebensowenig,  wie  es  eine  materielle, 


*)  Ausführliches  über  ihre  Naturgeschichte  findet  man  in  den  Grundlagen  zur  objek- 
tiven Philosophie.   S.Teil.    (München.  Die  Lebensgesetze  einer  Stadt.  München  1920.) 

156 


eine  geographische,  eine  klimatische  Entwicklung  dieses  Planeten  im  Sinne 
der  klassischen  Entwicklungslehre  gibt. 

Wohl  aber  geht  aus  diesem  Tatsachenmaterial  etwas  anderes  hervor:  der 
Transmutationismus  ist  von  bestimmten  Ursachen  abhängig,  denn  ganz 
offensichtlich  wechseln  Stellen  der  Erdruhe  mit  großer  Bewegtheit,  so- 
wohl räumlich,  wie  zeitlich.  Mit  anderen  Worten,  die  Änderungen  sind 
die  Folgen  von  gelegentlich  wirkenden,  aus  anderen  Gebieten  stammen- 
den Ursachen. 

In  lokalen  Erscheinungen  und  bei  zeitlich  kurzer  Betrachtung  gibt  es  so 
auf  Erden  zahlreiche  Tatsachen,  die  sich  als  Entwicklung  deuten  lassen, 
aber  jeden  Anschluß  verlieren  und  nur  den  Charakter  einer  Reaktion  be- 
sitzen, wenn  man  sie  mit  Rücksicht  auf  das  Ganze  betrachtet.  So  macht 
z.  B.  jeder  Vulkan  den  Eindruck  einer  ganz  zielstrebigen  Entwicklung,  aber 
er  ist  doch  nichts  als  das  Ventil  lokaler  Spannungen.  Manchmal  stellt  er 
eine  Gleichgewichtslage  her  (solcher  Art  ist  der  Feuersee  auf  Hawai),  und 
dann  fehlen  ihm  alle  explosiven  Äußerlichkeiten.  Nach  Ausgleichung  der 
Störung,  die  ihn  ins  Leben  gerufen  hat,  schließt  sich  jede  dieser  noch  so 
feurigen  Essen,  und  viele  (man  blicke  auf  das  Ries  in  Bayern  und  die  an- 
schließenden schwäbischen  Vulkane)   verstummen  dann  für  immer. 

Eine  ähnliche  abbrechende  „Entwicklung"  tritt  uns  in  der  Verlandung  der 
Teiche  und  Seen  (Abb.  63)  entgegen.  Dem  Geographen  ist  es  längst  klar 
geworden,  daß  nicht  nur  das  Meer  seine  Transgressionen  hat,  sondern  auch 
kein  stehendes  Gewässer  der  Erde  konstant  bleibt.  In  allen  vollzieht  sich 
unter  dem  Einfluß  ihrer  Bewohner  jene  Änderung,  die  man  Verlandung  nennt, 
und  die  eigentlich  nichts  anderes  als  eine  Art  Humusbildung  ist.  Die  zahl- 
losen Kleinlebewesen,  die  das  Wasser  bewohnen,  erfüllen  dessen  Bodensatz 
mit  einer  wachsenden  Schicht  ausgelebter  Reste,  die  sich  zu  oft  meterdicken 
Faulschlammdecken  anhäufen.  Mit  ihrem  Fettgehalt  sind  sie  nicht  ohne 
gewichtige  Gründe  als  Bildner  des  Petroleums  angesehen  worden.  Dieser 
Detritus  wird  vom  Ufer  her  die  Wiege  der  weiteren  Besiedelung;  Arm- 
leuchteralgen, Wassermoose,  Schilf  und  Röhricht,  der  schöne  Wasserstern, 
Froschbiß  und  Pfeilkräuter,  die  Wasseraloe,  Fieberklee  und  viele  andere 
Gewächse  dieser  Art  schmücken  den  Rand  der  Gewässer,  trinken  aber  so 
ganz  allmählich  sein  Wasser  auch  aus.  Inseln  aus  Faulschlamm  und  dem 
Wurzeltorf  dieser  Gewächse  entstehen,  und  je  nach  dem  Klima  verwandeln 
sich  Teich  und  See  in  einen  Sumpf  oder  ein  Hochmoor,  dessen  weitere 
Etappen  dann  saure  Wiese  oder  Heide  genannt  werden.  Am  Schluß  dieser 
Entwicklung  steht,  wenn  man  sie  nicht  vorher  beeinflußt,  stets  der  Wald. 
Auf  diese  Weise  sind  in  der  nacheiszeitlichen  Periode  in  Oberbayern  Hunderte 
von  Seen  verschwunden;  das  gleiche  Schicksal  blüht  allen  Seen  der  Erde, 
soweit  man  Anhaltspunkte  für  Änderungen  ihres  Daseins  gefunden  hat.  Aber 
es  wird  doch  im  Ernst  niemand  hier  von  Entwicklung  im  Sinne  von  Evo- 
lution sprechen;   es  sind,  um  den  Ausdruck  von  H.  Driesch  hierfür  zu  ge- 

157 


brauchen,  vielmehr  typische  Anhäufungen  (Kumulationen)  kleiner  Wirkungen, 
aus  denen  die  Wirkung  sich  summiert.  Und  auch  dieses  Addieren  hat  sein 
Ende,  wenn  das  Waldstadium  erreicht  ist.  Die  Tatsache,  daß  es  solche 
„Schlußvereine"  im  ökologischen  Entvi^icklungsgang  gibt  —  solche  sind  außer 
dem  Wald  die  Felsenflur  mit  Zwergsträuchern  (vgl.  Abb.  55)  in  der  Hoch- 
gebirgszone  und  die  Moostundra  im  polaren  Bezirk  —  erledigt  den  Entwick- 
lungsbegriff sogar  im  Bereich  seiner  Hochburg,  nämlich  im  Biologischen. 

Die  biologische  Entwicklung  wird  freilich  das  letzte  Gebiet  sein,  auf  das 
sich  die  Evolutionisten  vor  der  Kritik  des  Entwicklungsgedankens  (die,  wo- 
für jeder  Tag  neue  Beweise  bringt  ^o),  mächtig  einsetzt),  zurückziehen  wer- 
den, denn  hier  liegen  in  der  Ontogenie,  im  Werden  des  Hühnchens  aus  dem 
Ei  und  in  der  großen  Abstammungskette  von  den  einfachen  Säugern  bis  zu 
den  menschenähnlichen  Affen  die  Tatsachen  handgreiflich  vor  Augen.  Trotz- 
dem genügt  es  aber,  irgendeinen  ontogenetischen  Prozeß  kritisch  durchzu- 
denken, um  zu  erkennen,  daß  in  ihm  etwas  ganz  anderes  vorliegt,  als  der 
Begriff  Entwicklung  besagen  will.  Entwicklung  hat  in  dem  Sinn,  der  allein 
werbende  Kraft  als  Fortschrittsschlagwort  hat,  nie  etwas  anderes  bedeutet, 
als  eine  Bereicherung  der  Welt  mit  vordem  nicht  Dagewesenem,  nicht  aber 
einen  Vorgang  gleich  dem  Aufbau  etwa  eines  Faltbootes,  das  man  zunächst 
bis  zum  Fluß  in  einem  Tornister  zusammengelegt  mit  sich  getragen  hat. 
Wird  die  Welt  durch  Entwicklung  nicht  reicher,  dann  wird  sie  durch  die 
Entwicklung  auch  nicht  anders. 

Der  Vorgang  aber,  durch  den  etwa  der  Mensch  oder  ein  Säugetier  —  um 
bei  einem  Beispiel  zu  bleiben  —  immer  wieder  aus  einem  Ei  hervorgeht  und 
in  seinen  Potenzen  in  ein  Ei  zusammenschlüpft,  ist  im  Prinzip  nichts  an- 
deres als  das  Auseinandernehmen  und  Zusammenlegen  eines  Faltbootes.  Das 
höchst  dotterarme  Menschenei  (vgl.  Bd.  I  Abb.  95)  wird  bekanntlich  von 
der  Eierstockdrüse  in  regelmäßigem  Turnus  abgeschnürt  und  wandert  durch 
die  Eileiter  in  die  Gebärmutter  und  gelegentlich  der  Menses  dann  durch  die 
äußeren  Geschlechtswege  ins  Freie,  wo  es  verkommt.  Auf  diesem  Weg,  den 
es  dem  Mutterkörper  gegenüber  als  selbständiges  Individuum  beschreibt, 
wächst  es  etwas,  bis  zur  Halbmillimetergröße,  heran  und  wird  gewöhnlich 
von  den  sich  nach  dem  Coitus  in  den  Tuben  aufhaltenden,  gleichfalls  im 
weiblichen  Organismus  wie  etwa  Infusorien  in  einem  Wassergraben  leben- 
den und  beweglichen  Spermafäden  aufgesucht  und  dort  befruchtet  (vgl. 
S.  225).  Ist  das  geschehen,  schließt  es  sich  ab  und  scheidet  Stoffe  aus,  die 
auf  den  Frauenkörper  so  wirken,  daß  die  Menstrualblutung  unterbleibt.  Noch 
stehen  sich  aber  beide  Wesen,  der  Zellenstaat  und  seine  nicht  mehr  einzel- 
lige, bald  zur  Morula  (vgl.  Bd.  I  Abb.  24)  heranwachsende  Knospe  als 
Fremdwesen  gegenüber.  Rein  mechanisch  durch  die  Flimmerbewegung  in 
den  Tuben  wird  in  5—8  Tagen  der  werdende  Embryo  bis  in  den  Uterus  ge- 
spült, und  dort  erfolgt  erst  die  Nidation,  d.  h.  sein  Verwachsen  mit  dem 
Mutterkörper,  dem  er  nun  als  zweite  Generation  an  270  Tage  lang  aufsitzt. 

158 


Die  sich  in  ihm  abspielenden  Vorgänge,  im  besonderen  dies  Durchlaufen  der 
Morula-,  Blastula-  und  Gastrulastadien,  die  Herausbildung  der  Keimblätter 
und  deren  Differenzierung  zu  den  Organen  ^i),  also  die  gesamte  Organo- 
und  Histogenesis  ist  nun  keineswegs  ein  rein  mechanischer,  nicht  abänder- 
barer Vorgang,  da  es  gelungen  ist  z.  B.  bei  Seesternen  auch  nach  Teilung 
der  Eier,  bei  Fröschen  nach  Teilung  der  Embryonen  abgeänderte,  aber 
immerhin  Ganzbildungen  zu  erhalten,  woraus  hervorging,  daß  die  gestalt- 
liche Leistung  der  Teile  in  den  Entwicklungsphasen  durch  übertragene  Zu- 
sammenhänge des  ganzen  Systems  mitbestimmt  werden. 

Wie  A.  Cohen-Kysper  hervorhebt,  dem  man  eine  der  wertvollsten  Ana- 
lysen (vgl.  Bd.  I  S.  98)  des  ontogenetischen  Entwicklungsprozesses  ver- 
dankt, ist  damit  auch  die  stammesgeschichtliche  Entwicklung  auf  die  gleiche 
Basis  gebracht,  und  das  sogenannte  biogenetische  Grundgesetz  (vgl.  Bd.  I 

S.  92)  verständlich  ge- 
worden. Denn  die  Or- 
ganismen gleicher  Ab- 
stammung sind  insge- 
samt wieder  eine  Ganz- 
heit, ein  System,  das 
die  gestaltlichen  Lei- 
stungen der  Teile,  das 
ist  diesmal  das  Indivi- 
duum,mitbestimmt,wes- 
halb  die  verschiedenen 
Formen  in  ihrem  Pha- 
senablauf anklingen. 

Erst  nach  der  Ein- 
nistung des  mensch- 
lichen Embryos  im  En- 
dometrium der  Gebär- 
mutter verwachsen  die 
zwei  Generationen  zeit- 
weilig. Es  ist  an  sich 
sehr  merkwürdig,  daß 
die  Embryologie  den 
Ausdruck  gebrauchen 
kann,  daß  der  Keim 
sich  mit  seiner  Cho- 
rionschale durch  Auflö- 
sung der  Zellen  eine 
Nisthöhle  nacfe,  daß  er 

Abb.    64.     Längsschnitt   durch   die   weibliche    Blüte   des   Mooses    Funaria  •  •        c 
hygrometrica   mit  den   Archegonien,  aus  denen   die   Eizelle   hervorschim-  sich     alsO    WlC    ein     Sa- 
niert,   Saftfäden    (Paraphysen)    und   einem    Kranz   von    Blättern.     (Vcrgl.  „Pnlrnrn  \n  cpinpr  Milt- 
Abb.    65.)     Nach    der    Natur    gezeichnet    bei    schwacher    Vergrößerung.  mcnKOrn  in  bCUlCl  l^\u\ 


159 


ter  einpflanze  und  zunächst  einmal  Fruchtfutter,  das  heißt  Schleimhaut- 
trümmer fresse,  bis  aus  einem  Plasmodiumvorstadium  der  Mutterkuchen 
fertig  ist,  der  dann  bis  zur  Abnabelung  bei  der  Geburt  durch  Blut  für  die 
Atmung  und  Ernährung  des  Fötus  sorgt.  Und  noch  merkwürdiger,  aber 
unbezahlbar  im  Sinne  unseres  Gedankenganges  ist  die  Tatsache,  daß  schon 
in  den  allerersten  Stadien  dieses  Werdeganges,  schon  in  der  Ovulation, 
eigentlich  bereits  bei  der  Morulabildung,  sich  die  Gechlechtszellen  früher 
als  alle  anderen  herausdifferenzieren  ^2)^  ja  (nach  Port)  vielleicht  sogar  als 
Reste  des  Eies  gedeutet  werden  können.  Das  Kontinuum  von  Ei  zu  Ei  ist 
damit  gewahrt;  dazwischen  liegt  jeweils  nur  ein  Anpassungs-  und  Aus- 
weitungsvorgang zur  Entfaltung  der  im  Ei  liegenden  Potenzen.  Wie  ich  in 
meiner  „Vergleichenden  Biologie"  des  näheren  ausführte,  sind  die  Verhält- 
nisse auch  im  Tierreich,  den  Menschen  inbegriffen,  nicht  anders  beschaffen 
wie  im  Reich  der  Pflanzen,  deren  merkwürdiger  Generationswechsel  seit 
den  Bemühungen  des  deutschen  Botanikers  Hofmeister  und  seiner  Zeit- 
genossen unbezweifelbar  und  klar  vor  jedermanns  Augen  liegt. 

Betrachtet  man  den  Lebenskreis  eines  Mooses  oder  Schachtelhalmes 
(Abb.  67)  oder  eines  Farnes,  wie  solches  den  Nichtbotanikern  zuliebe  auf 
den  Abbildungen  65  u.  74  dargestellt  ist,  wird  man  sich  unschwer  von  dem 
Vorhandensein  dieser  zwei  Generationen  überzeugen.  Man  sieht  die  pracht- 
vollen, bischofstabartig  eingerollten  Wedel  der  Farne  (Abb.  66)  sich  zu 
ihrem  entzückenden  Laubwerk  entfalten,  an  dessen  Unterseite  ohne  jeden 
Geschlechtsakt,  einfach  durch  Knospung  die  braunen  Sporen  entstehen. 
Läßt  man  diese  aber  keimen,  dann  erlebt  man  das  Absonderliche,  daß  aus 
ihnen  ein  Vorkeim  hervorgeht,  an  dem  sich  Geschlechtsorgane  bilden:  An- 
theridien  und  Archegonien  mit  Spermatozoiden  und  Eiern,  die  sich  mitein- 
ander vereinigen.  Erst  aus  dem  befruchteten  Ei  keimt  wieder  die  wedel- 
tragende Farnpflanze.  Bei  den  Moosen  ist  das  Verhältnis  etwas  anders. 
Aus  der  Moosspore  entkeimt  ein  Vorkeim,  aus  dem  ohne  weiteres  die  Moos- 
pflanze als  Geschlechtspflanze  wird.  Auf  dieser  aber  entsteht  die  Sporen- 
kapsel, die  Sporen  erzeugt  (Abb.  65). 

Bei  den  Blütenpflanzen  ist  dieser  Rhythmus  der  Generationen  nicht  ver- 
schwunden, sondern  nur  vereinfacht.  Die  Geschlechtsgeneration  (Gameto- 
phyt)  beschränkt  sich  auf  Eizelle  und  Pollen  selbst,  und  das,  was  man  ge- 
meinhin Kraut,  Strauch,  Baum  nennt,  das  ist  die  ungeschlechtliche  Gene- 
ration (Sporophyt),  die  als  Zeichen  dessen  imstande  ist,  sich  auch  durch 
Ausläufer  nach  Art  der  abgebildeten  (Abb.  68)  oder  durch  Brutknospen 
fortzupflanzen.  Gegenüber  den  Archegoniaten,  wie  man  Moose  und  Farn- 
pflanzen zusammen  einheitlich  benannt  hat,  erfährt  die  vegetative  Entfal- 
tung eine  Verschiebung  zugunsten  der  ungeschlechtlichen  Generation;  die 
geschlechtliche  beschränkt  sich  schließlich  auf  einige  Zellen,  was  man  bei 
den  Pflanzen  mit  Scharfsinn  (Wettstein)  mit  der  fortschreitenden  Anpassung 
an  das  Landleben  in  Zusammenhang  gebracht  hat. 

160 


Abb.  65.  Blüten  und  Sporciikapsclii  der  Laubmoose 

Das  Wiederlonmoos    (Polytrichum   commune)   treibt  im    Frühjalir  Sprosse  mit  üeschlechtsorRaiicn,  deren    feinerer 

Bau     auf    Abbildung    64     dargestellt     ist.       Aus     deren     Befruchtung    entwickeln     sich    die    Sporcnkapscin,    die 

im    unreifen    Zustand    mit    einem    fädigen    Mützchen    zugedeckt    sind.       Etwas    vergrößerte    Naturaufnahme    von 

Frau   Dr.  A.   Friedrich,  München 


Wenn  man  diese  Verhältnisse  nun  mit  denen  der  Säugetiere  vergleicht, 
ist  die  gleiche  Gesetzmäßigkeit  unverkennbar,  dagegen  die  Selbständigkeit 
und  das  eigentümliche  Verhältnis  des  Embryos  zur  Mutter  erst  jetzt  rich- 
tig verständlich.  Zwei  Generationen  wechseln  auch  hier  ab,  die  eine  ein- 
(und  wenig-)  zellige  (Gametobiont)  und  eine  vielzellige  nach  Befruchtung 
aus  dem  Gametobionten  hervorgehende  (der  Sporophyt  oder  Prolobiont)'), 
die  durch  Knospung,  gleichsam  als  Ausläufer  wieder  in  den  Generations- 
organen den  Gametobionten  hervorbringt.  Als  Knospung  muß  man  nämlich 
die  Zellteilung  bezeichnen,  durch  die  der  Prolobiont  sein  System  aufbaut. 
Beobachtet  man  solche  sich  teilende  Zellen  (vgl.  Abb.  74),  so  sieht  man 
ganz  im  Gegensatz  zu  den  Befruchtungs-  und  Konjugationsvorgängen 
(Abb.  78),  bei  denen  neue  Elemente  zu  den  vorhandenen  dazukommen  und 
die  Erbmasse  wirklich  vermehrt  wird,  daß  der  ganze  umständliche  Appa- 
rat der  Mitose  nur  die  Technik  gleichmäßiger  Verteilung  der  vorhandenen 
Materie  besorgt.  Die  sich  teilenden  Zellen  sind  Abschnürungen,  Knospen, 
Ausläufer,  die  sich  nicht  ganz  selbständig  machen,  sondern  in  Verbindung 
mit  dem  System  bleiben,  dem  sie  entsproßten.  So  oft  sich  das  auch  wie- 
derholen mag,  die  Ganzheit  bleibt  doch  nur  das  erweiterte  und  in  Arbeits- 
teilung getretene,  befruchtete  Ei,  das  aus  sich  nur  herauswickelt,  was  darin 
lag,  das  aus  sich  entfaltet,  was  darin  zusammengelegt  war  und  im  Game- 
tobionten durch  den  Geschlechtsakt  jeweils  noch  dazu  gelegt  wird. 

Das  hat  die  Biologie  von  heute  auch  eingesehen,  und  gerade  die  neueste 
Botanik  gewöhnt  sich  daran,  die  Pflanze  als  Ganzheit  einheitlich  zu  werten 
und  auf  ihre  einheitlichen  Reaktionen  hin  so  zu  prüfen,  wie  es  die 
Menschenbeurteilung  in  ihrer  Welt  niemals  anders  gekannt  hat.  Und  von 
dem  Leben  dieser  Generationen  spinnt  sich  nach  gleichem  Gesetz  der  Faden 
weiter  in  die  Geschlechterketten,  die  jeweils  durch  Anpassung  ihre  Formen- 
bildung ändern,  trotzdem  aber,  und  das  wird  von  der  objektiven  Philo- 
sophie trotz  aller  Kritik  der  Entwicklungslehre  keinen  Augenblick  be- 
stritten, mit  den  Ahnen  so  untrennbar  zusammenhängen  wie  die  Erdbeeren 
eines  ganzen  Gartens,  die  aus  einer  Ausläuferranke  einer  längst  zugrunde 
gegangenen  Stammpflanze  hervorgingen.  Die  Entwicklungslehre  ist  ein 
Irrtum  in  der  Fassung,  wie  sie  heute  noch  herrscht,  die  Tatsache  der 
Abstammung,  das  Verdienst  Lamarcks  aber  bleibt  unbestritten!  Es  ist  nun 
gar  kein  Zweifel  daran  möglich,  daß  Tiere  und  Pflanzen  genetisch  mit- 
einander zusammenhängen,  und  daß  alles,  was  heute  lebt,  direkter  Nach- 
komme der  Tiere  und  Pflanzen  ist,  die  vordem  auf  Erden  lebten.  Wir 
haben  zwar  keine  Anhaltspunkte  dafür,  ob  nicht  doch  etwas  von  der  Kata- 
strophenlehre des  Cuvier  zurecht  besteht,  ob  nicht  das  eine  oder  das  andere 


•)  Nach  Proles:  die  Knospen,  weil  er  durch  Abschnürungen  aus  der  Eizelle  sich 
entfaltet.  Auch  das  Ei  und  das  Spermatozoid  (die  Gametobionten)  werden  von  ihm 
durch  Sprossung  erzeugt. 


Francs,  Bios  U 

161 


Mal  die  Kette  riß  und  Lebenszusammenhänge  neu  entstanden.  Sind  sie 
einmal  entstanden,  können  sie  öfters  auch  entstanden  sein.  Kein  logischer 
Widerspruch  hindert  diese  Annahme.  Ich  sage  nicht,  daß  es  so  ist,  ich 
sage  nur,  man  weiß  weder  pro  noch  kontra  etwas.  Aber  jedenfalls  spricht 
alles  dafür,  daß  die  Kette  der  Schöpfung  schon  seit  langem  besteht,  und 
daß  nicht  nur  Menschen  durch  Dokumente  ihr  Geschlecht  auf  das  XI.  und 
XII.  Jahrhundert  zurückleiten  können,  sondern  auch  die  Menschheit  auf 
Urzeiten,  und  daß  die  Säuger,  ja  die  gesamten  Wirbeltiere,  um  die  Sache 
vorsichtig  auszudrücken,  gemeinsamen  Ursprung  haben.  Es  können  keine 
begründeten  Zweifel  ausgesprochen  werden,  daß  ein  Transmutationismus 
unter  gewissen  Umständen  besteht  und  vererbt  wird. 

Sowohl  die  Tatsache  der  Artensprünge  (Mutationen)  wie  der  Vererbung 
sind  wirkliche  Beobachtungs-  und  experimentell  prüfbare  Tatsachen  (vgl. 
Abb.  69).  In  den  Gärten  des  Pariser  Luxembourg  entstand  eines  Tages 
an  einer  gewöhnlichen  Rose  das  erste  Exemplar  der  Moosrosen,  dessen 
Nachkommen  heute  jeder  Gärtner  kennt.  In  Amsterdam  zeigte  mir  der 
holländische  Botaniker  Hugo  De  Vr/es  die  Nachkommen  jener  vielen 
Nachtkerzenarten  (Oenothera  Lamarckiana),  die  er  eines  Tages  in  Hil- 
versum  in  der  Nähe  von  Haarlem  als  wildwachsende  Pflanzen  entdeckte, 
und  die  nun  in  seinen  Kulturen  schon  jahrelang  die  sprunghaft  abgeänderten 
Eigenschaften  beib€hielten.  Denn  das  und  nicht  die  Abänderung  macht  das 
Wesen  der  sogenannten  Mutationen  aus.  Plötzliche  Änderungen  an  einem 
Lebewesen  gibt  es  viel  häufiger;  aber  diese  Modifikationen  oder  Fluk- 
tuationen, wie  man  sie  benannt  hat,  und  wie  sie  namentlich  den  Gärtnern 
und  Tierzüchtern  wohl  bekannt  sind,  vergehen  immer  wieder  und  hinter- 
lassen in  den  Nachkommen  keine  Spur.  Sie  bereichern  die  Art  nicht,  die 
Mutation  aber  bereichert  sie,  sie  macht  die  Welt  mannigfaltiger,  sie  voll- 
bringt das,  was  man  so  gerne  dem  Entwicklungsgesetz  in  die  Schuhe  ge- 
schoben hätte. 

Den  ursprünglichen  Einwand,  daß  Mutationen  zu  selten  seien,  um  durch 
sie  die  Eigenschaftenvielheit  der  Lebewelt  erklären  zu  können,  mußte  man 
doch  allmählich  in  dem  Maße  zurückstellen,  in  dem  man  Mutationen  kennen 
lernte:  die  Kaktusdahlie,  die  in  Amerika  entstand,  das  Merinoschaf,  das  von 
einem  1838  geborenen  Widder  mit  langen,  seidenartigen  Haaren  stammt, 
bestimmte  Insekten  und  dergleichen  mehr.  Aber,  und  das  ist  mir  das  gegen- 
wärtig Wichtigste,  es  zeigte  sich  neuestens  auch,  daß  die  Mutationen  aus  be- 
stimmten Ursachen  erworbene,  also  durch  Lebensumstände  bedingte  Eigen- 
schaften sind,  und  das  entrückt  sie  wieder  dem  Bereich  des  Entwicklungs- 
begriffes.   Der  Holländer  P.  C.  van  der  Wolk''^)  hat  die  Einwendungen*), 


*)  Johannsen  wendete  ein,  die  Oenotheraabänderungen  seien  verwickelte  Neukom- 
binationen  genotypischer  Elemente,  die  schon  in  der  Stammform  vorhanden  waren, 
auch  hielt  man  sie  für  Bstarde  und  Rückschläge  von  in  Amerika  einheimischen  Pflan- 
zen, da  die  Nachtkerzen  der  Adventivflora  angehören  und  aus  Nordamerika  stammen. 

162 


die  man  gegen  die  De  VnVs'schen  Oenotheraversuche  ins  Treffen  führte, 
zerschlagen  durch  die  Beobachtung  eines  gewöhnlichen  Ahorns,  der  be- 
schnitten wurde  und  nun  aus  den  Knospen  in  der  Nähe  der  durch  einen 
Bacillus  infizierten  Schnittwunden  abgeänderte  Blätter  und  Blüten  hervor- 
brachte und  diese  jahrelang  vererbte.  EXirch  künstliche  Infektion  mit  dem 
Spaltpilz  wurde  stets  das  gleiche  Ergebnis  erzielt,  sodaß  man  hier  die 
erste  Mutation  vor  Augen  hatte,  deren  Ursache  bekannt  war.  Aber  auch 
zugleich  die  Sicherheit,  daß  die  einzige  Art  von  Eigenschaftenmehrung  die 
Dauer  hat,  dadurch  bedingt  Ist,  daß  sie  in  einem  U rsaclienzusammenhang  mit 
den  Lebensumständen  steht,  also  mit  dem  „Entwicklungsgesetz"  als  solchem 
nichts  zu  tun  haben  kann!  Die  Vererbung  selbst,  an  die  solche  Eigen- 
schaftenbereicherung gebunden  Ist,  kann  kein  entwickelnder  Faktor  sein; 
sie  Ist  nur  eine  Einrichtung,  die  das  vorhandene  Quäle  konserviert  und 
anders  gruppiert;  durch  Vererbung  Ist  aber  noch  nie  etwas  vordem  nicht 
Dagewesenes  In  die  Welt  gekommen. 

Auf  wenig  biologische  Fragen  hat  die  Forschung  wohl  so  viel  Mühe 
verwendet,  wie  auf  das  Studium  der  Vererbung,  und  trotzdem  kann  man 
sagen,  daß  auch  selten  eine  Arbeit  so  steril  geblieben  ist,  wie  die  Ver- 
erbungsforschung. Hätte  nicht  ein  günstiger  Zufall  dem  österreichischen 
Ordenspriester  Gregor  Mendel  das  Zahlengesetz  der  Vererbung  (Mcndel- 
gesetz)  in  die  Hand  gegeben,  durch  das  wenigstens  die  Verteilung  der 
Erbmasse  berechenbar  geworden  ist,  seitdem  der  Wiener  Botaniker  C.  v. 
Tschermak*)  die  Mendelversuche  in  wissenschaftliche  Form  kleidete,  so 
wäre  die  ganze  Arbeit  im  Dickicht  der  Vererbungshypothesen  stecken  ge- 
blieben. Der  Kern  dieses  Mendelgesetzes  regelt  bekanntlich  die  Merk- 
malverteilung bei  Rassekreuzungen.  Unter  gleichbleibenden  Lebensbedin- 
gungen zeigte  sich  bei  Kreuzungen  ein  bestimmtes,  verfolgtes  Merkmal 
in  den  Mischlingen;  in  der  Enkelgeneration  nur  50  Prozent  gemischtrassige 
Exemplare,  dagegen  je  25  Prozent  reinrassige  Exemplare  der  beiden  Aus- 
gangsrassen, die  also  wieder  entmischt  werden.  Diese  Aufspaltung  be- 
weist die  in  der  Menschengeschichte  längst  klar  gewordene  enorme  Be- 
deutung der  Großeltern  für  die  Eigenschaften,  außerdem  aber,  daß  durch 
Vererbung  keine  „Mischung",  sondern  nur  eine  Durcheinanderschüttelung 
der  „Merkmale  (Gene  =  Erbeinheiten)  entsteht,  niemals  etwas  Neues,  son- 
dern nur  Kombinationen  des  Alten,  die  langsam  auch  wieder  die  ursprüng- 
lichen Zustände  herstellen.  Die  Vielgestaltigkeit  der  Lebewesen  ist  ein 
Würfelspiel  aus  freien  Mischungen  und  Trennungen  von  verhältnismäßig 
wenigen  Grundanlagen.  Wäre  also  nicht  die  Bereicherung  durch  erworbene 
Eigenschaften,  so  gäbe  es  überhaupt  nur  unveränderliche  Arten.  An 
dieser  tausendfach  bestätigten  Mendelregel  läßt  sich  nicht  rütteln.  Sie 
ist  der   feste    Kern   der   Vererbungslehre   geblieben,   der   von   den   übrigen 


*)  Mit  H.  De  Vries  und  C.  Correns  zusammen. 

163 


Annahmen  nur  in  wechselndem  Reigen  umtanzt  wird.  Es  ist  an  sich 
hiefür  ebenso  nebensächlich,  ob  man  die  Teilstücke  gewisser  Fäden  in 
den  Zellkernen  von  Ei  und  Spermafäden,  ebenso  in  den  sich  teilenden 
Zellen  (die  sogenannten  Chromosomen,  vgl.  Abb.  74),  als  die  Träger  der 
Vererbungseinheiten  ansieht,  wie  daß  man  nach  dem  Beispiel  des  Münch- 
ner Zoologen  Semon  die  Vererbung  auf  eine  psychologische  Basis  stellte 
und  ihre  Gesetzmäßigkeit  mit  der  des  Gedächtnisses  analog  auffaßte 
{Mnemelehre).  So  sehr  das  auch  berechtigt  ist,  so  wenig  führte  es  über 
das  hinaus,  was  man  schon  wußte,  nämlich  über  die  Tatsache,  daß 
Vererbung  wie  Gedächnis  immer  nur  reproduzieren,  aber  nicht  schöp- 
ferisch sind.  Erst  die  Vererbung  erworbener  Eigenschaften  bereichert  die 
Mannigfaltigkeit,  und  so  spitzen  sich  also  die  den  Kern  dieser  Fragen 
erfassenden  Arbeiten  darauf  zu,  ob  es  Belege  für  diese  theoretisch  unab- 
weisbare Möglichkeit  gibt  oder  nicht.  Im  allgemeinen  schien  die  Er- 
fahrung ihr  zu  widersprechen.  Täglich  erlebt  man  es  im  Kreis  des 
Menschenlebens,  daß  ein  Vater  mit  einem  amputierten  Arm  oder  Bein  nor- 
male Kinder  zeugt.  Das  klassische  Beispiel  sind  die  Orientalen,  die  trotz- 
dem sie  nun  seit  mehr  denn  hundert  Generationen  die  Beschneidung  üben, 
dennoch  Kinder  mit  einem  rassenmäßig  normalen  Präputium  in  die  Welt 
setzen.  Trotzdem  ist  heute  die  Frage  der  Vererbung  erworbener  Eigen- 
schaften auch  praktisch  in  bejahendem  Sinn  gelöst.  Nicht  nur  in  jenem 
spitzfindigen  Sinn,  daß  —  wie  der  österreichische  Vererbungsforscher  P. 
Kammerer  sehr  richtig  bemerkt  —  jeder  Mutationsfall  eine  Vererbung  er- 
worbener Eigenschaften  bedeutet,  sondern  auch  experimentell  beliebig  zer- 
gliederbar im  Fall  des  oben  beschriebenen  van  der  Wo/Ä'schen  Falles. 
Ein  anderes  Beispiel  ist  die  von  Kammerer  selbst  untersuchte  Verlänge- 
rung der  Ein-  und  Ausströmröhren  der  Darmscheiden  (Cione  intestinalis), 
die  man  ja  auch  experimentell  erzeugen  kann,  und  die  prompt  vererbt  wird. 
So  steht  denn  die  Frage  derzeit  so,  daß  man  nur  sagen  darf,  es  werden 
zwar  nicht  alle  beliebigen  Veränderungen,  die  den  Körper  treffen,  vor 
allem  nichtbiologisch  passive  Merkmale  vererbt,  wohl  aber  das  Aktivgut, 
das  der  Organismus  selbst  eingebracht  hat,  in  verschiedenen  gut  durch- 
analysierten Fällen.  Aber  auch  da  scheint  die  Einschränkung  zu  gelten, 
daß  sich  nicht  die  individuellen  Variationen  —  das,  was  die  Vererbungs- 
wissenschaft jetzt  mit  einem  guten  Ausdruck  den  Phänotypus  nennt  — 
vererben,  sondern  die  Arteigenschaften,  d.  h.  der  Genotyp.  Und  Muta- 
tionen sind  dann  genotypische  Variationen  (Johannsen).  Das  haben  — 
und  der  Kenner  der  Wissenschaftsgeschichte  wird  hiebei  ein  Lächeln 
nicht  unterdrücken  können  —  die  praktischen  Pflanzen-  und  Tierzüchter, 
die  Bauern,  die  Urmenschen  schon  lange  vor  aller  Wissenschaft  gewußt 
und  durch  die  Tat  bewiesen.  Sie  haben  nämlich  alle  Kulturpflanzen  und 
Haustiere  auf  diese  Weise  gezüchtet:  das  Pferd  aus  dem  Wildpferd 
der  Steppe,  den  Haushund  aus  dem  Torfhund  der  Glazialzeit,  das  Getreide 

164 


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Abb.  69.    Sprungartige  Abänderung.    Huktuation  eines  Blattes  der  Eiche   (Quercus) 

Auf   dem    etwa    50jährigen    Baum,   dessen    normale    BläUer   unten    wiedergegeben    sind,    fand    sich    ein    Zweig    mit 
Riesenblättern,    wie    oben    abgebildet.     Der    Baum    stand    in    einem    Eichenwäldchen    bei    Groß-Haiern    in    Mün- 
chen.   Originalaufnahme  von   Frau  Dr.  A.   Friedrich,   München 


aus  wilden  Gräsern  Vorderasiens,  die  Edeläpfel  aus  den  Holzäpfeln  des 
heimischen  Waldes,  die  Zuckerrübe  aus  der  holzigen  Meerstrandrübe  usf., 
indem  sie  unter  vielen,  vielen  Exemplaren  ständig  Auslese  hielten,  und  zwar 
nicht  unter  den  gelegentlichen  Modifikationen,  sondern  unter  den  genotypen 
Variationen,  die  das  erworbene  Mehrgut  auch  vererbten.  Man  hat  also  von 
je  praktische  Mutationslehre  getrieben,  und  das  menschliche  Wissen  hat 
sich  wieder  einmal  wie  bei  allem  erst  nachher  Rechenschaft  abgelegt,  Klar- 
heit verschafft  und  eine  Theorie  gebaut  über  das,  was  man  getan  hatte. 

Damit  ist  aber  von  unserem  Problem  alles  abgeschält,  was  die  Ent- 
wicklungslehre im  Darwin-Häckel'schen  Sinn  darum  gehäuft  hat,  und 
übrig  bleibt  nun  nicht  eine  „Entwicklung  der  Lebewelt  vom  Urtier  zum 
Menschen"  durch  einen  geheimnisvollen  Entwicklungstrieb,  sondern  die  Tat- 
sache, daß  alles  Lebende  Eins  ist,  eigentlich  ein  in  viele  Individuationen 
zerspaltenes  Plasmawesen,  das  seinen  Genotypus  ständig  reproduziert,  aber 
durch  Anpassungsarbeit,  durch  jeweilige  Reaktion  auf  ganz  bestimmte, 
konkrete  Reize,  die  als  Nötigung  wirkten,  diesen  Genotyp  vielfach  in  den 
Formen  vom  Urtier  bis  zum  Menschen  variiert.  Wenn  also  auch  die  Ent- 
wicklungslehre fällt,  an  ihrer  Stelle  bleibt  doch  die  Abstammungslehre  be- 
stehen. Denn  an  dem  Zusammenhang  zwischen  großen  Reihen  von  Pflan- 
zen und  Tierarten  läßt  sich  nicht  zweifeln. 

Die  Beweise  dieser  Abstammungslehre  sind  oft  und  in  glänzender  Form, 
namentlich  in  England  von  Huxley,  der  sich  nicht  umsonst  den  General- 
agenten Darwins  nannte,  in  Deutschland  von  C.  Wiedersheim,  K.  Guenther, 
W.  Boelsche  und  E.  Häckel  ausgebreitet  worden,  ja  hierin  ruht  sogar 
das  wirkliche  und  unvergessene  Verdienst  Häckels,  groß  genug,  um  ihm 
die  Dankbarkeit  noch  mancher  Generation  zu  sichern.  Aber  es  ist  auch 
auf  wenigen  Gebieten  der  Naturerkenntnis,  vielleicht  nur  noch  in  der 
Ätherfrage  oder  einst  um  den  „tierischen  Magnetismus"  jetzt  um  den  Ok- 
kultismus, so  beharrlich  Irrtum  und  Wahrheit  durcheinander  gemengt 
worden,  wie  um  die  Abstammung  des  Menschen,  die  „Affenfrage"  und 
alle  diese  hypothetischen  Stammbäume,  die  es  glücklich  fertig  gebracht 
haben,  daß,  gleichwie  kein  Forscher  von  Reputation  sich  heute  gerne 
mit  den  landläufigen  Okkultisten  zusammen  nennen  lassen  mag  (sehr 
zum  Schaden  der  wirklichen  Erkenntnis),  so  auch  eine  merkliche  Abneigung 
gegen  alle  diese  Stammbaumfragen  und  populäre  „monistische"  Propa- 
ganda einzusetzen  beginnt. 

Tatsache  ist,  daß  es  keine  Berechtigung  gibt,  zu  sagen,  von  den 
Urtieren  bis  zum  Menschen  sei  die  einheitliche  Abstammung  nachgewiesen. 
Es  ist  vielmehr  im  Gegenteil  noch  völlig  offen,  ob  die  Tierwelt  einen 
monophyletischen  oder  polyphyletischen  Ursprung  besitzt,  so  wie  auch  im 
Pflanzenreich  die  Stämme  der  Flagellaten,  der  Siphoneen,  der  Schizo- 
phyceen,  der  Archegoniaten  nicht  auseinander  oder  von  einfacheren  Formen 
abgeleitet  werden  können.     Dagegen  gibt  es  in  beiden   Reichen,  die  auch 

165 


nicht  gut  auf  einheitliche  Urformen  zurückgeführt  werden  können,  lange 
Formenreihen,  die  sich  über  Arten,  Gattungen,  Familien  und  Klassen  er- 
strecken, deren  Blutverwandtschaft  ganz  unzweifelhaft  ist.  So  ist,  und  das 
mag  wohl  in  der  ganzen  Abstammungslehre  das  prinzipiell  Wichtigste  sein, 
der  genetische  Zusammenhang  des  Menschen  mit  der  Tierwelt  unzweifel- 
haft. Nach  einem  volkstümlich  gewordenen  Wort  ist  die  Blutverwandtschaft 
zwischen  den  niedrigsten  Menschenrassen  wie  also  etwa  den  Weddas, 
den  Buschmännern  oder  den  Hottentoten  und  den  Menschenaffen,  wie 
Schimpanse,  Gibbon  oder  Orang  größer  als  zwischen  den  tiefstehendsten 
Menschen  und  den  Vertretern  europäischer  Kultur.'*)  Das  ist  ein  Satz 
von  ganz  außerordentlicher  Tragweite,  ich  will  es  gestehen:  er  ist  viel- 
leicht der  wichtigste  der  gesamten  biologischen  Erkenntnis.  Bestände  ein 
-prinzipieller  Unterschied  zwischen  Mensch  und  Tier,  wäre  ein  einheit- 
liches Denken  überhaupt  nicht  möglich. 

Die  zweifellose  Abstammungskette  der  höchsten  Säuger  geht  aber  bis 
weit  in  die  niederen  Wirbeltiere,  mit  einigen  Konzessionen  tatsächlich  bis 
zum  Lanzettfischchen  {Branchiostoma,  in  der  ganzen  älteren  Literatur  noch 
Amphioxus  genannt)  zurück.  Dann  folgt  allerdings  eine  sehr  wesent- 
liche Lücke,  die  noch  durch  nichts  denn  Worte  überbrückt  ist.  Genau  so 
sind  die  Blütepflanzen  und  bei  einigen  Konzessionen  die  ganzen  Kormo- 
phyten,  also  alle  Pflanzen,  von  den  Rosenblütigen  angefangen,  die  zweifels- 
ohne im  pflanzlichen  Lebensbereich  das  darstellen,  was  der  Mensch  im 
Tierischen  ist,  bis  hinab  zu  den  Lebermoosen  (vgl.  Abb.  34)  von  einheit- 
licher Abstammung,  und  kein  Begriff  ist  durch  die  Gesetze  des  Pflanzen- 
lebens mehr  gerechtfertigt,  als  der  in  der  Botanik  so  gebräuchlich  gewor- 
dene der  „natürlichen  Pflanzenfamilien"  (vgl.  nochmals  Anmerkung  74 
Schluß). 

An  dem  Prinzip  also  läßt  sich  nicht  zweifeln,  und  dem  gegenüber  ist  es 
wahrlich  nebensächlich,  in  welchem  Umfang  es  angewendet  werden  kann. 
Diese  Abstammungstatsache  ist  es,  die  durch  die  jedem  auch  nur  halbwegs 
Naturgebildeten  bekannten  Erscheinungen  der  biogenetischen  Rekapitulation 
(vgl.  Bd.  I  Abb.  26),  der  merkwürdigen  Festhaltung  von  fremden  Larven- 
formen, der  rudimentären  Organe,  durch  die  Mischbarkeit  der  Blutsera  und 
gewisse  Tatsachen  der  Tiergeographie  belegt  wird.  Wenn  die  Wale  zwar 
keine  hinteren  Gliedmaßen,  wohl  aber  unter  der  Haut  verborgene  Reste 
eines  Beckengürtels,  sogar  manchmal  von  Schenkelknochen  besitzen,  oder 
wenn  die  Weibchen  des  kleinen  Frostspanners  (Cheimatobia  brumata),  die 
nicht  fliegen,  dennoch  kleine  Flügelstummel  aufweisen,  wenn  der  Mensch  in 
der  halbmondförmigen  Falte  im  Auge  ein  Organ  entwickelt,  das  ihm  keiner- 
lei Dienste  leistet,  oder  wenn  der  menschliche  Embryo  ein  ausgesprochenes 
Schwanzskelett  und  das  Skelett  des  Menschen  deswegen  auch  bald  33,  bald 
34  Wirbel  besitzt,  weil  bei  vielen  Menschen  ein  Kaudalwirbel  mehr  vor- 
handen ist,  so  sind  alle  diese  „Rudimente"  nicht  anders  zu  verstehen,  als 

166 


daß  die  Vorfahren  aller  dieser  Organismen  eben  anders  gestaltet  waren."') 
Wenn  dagegen  der  Mensch  gewisse  Einzelheiten  und  Organanlagen  mit 
den  Amphibien  bezw.  Reptilien  teilt,  so  die  vorhin  genannte  Plica  semi- 
lunaris  oder  das  Foramen  entepicondyloideum  humeri  oder  das  primitive 
Verhalten  des  Canalis  facialis  oder  die  in  alternierenden  Reihen  sitzenden, 
auf  ein  Schuppenkleid  zurückweisenden  Haargruppen  oder  den  Muse,  orbi- 
talis,  der  schon  bei  Fischen  angebahnt  ist  oder  Organe  gleich  der  Zirbel- 
drüse bezw.  dem  Pinealorgan  mit  den  Fischen  der  Devonzeit,  da  diese 
schon  ein  entsprechendes  Scheitelloch  in  den  Schädeldecken  besitzen,  wenn 
er  mehrfach  Zähne  bekommt,  ein  Milchgebiß,  die  eigentlichen  Zähne  und 
die  Weisheitszähne  nach  Art  der  Fische  und  Reptilien,  die  sich  eines  un- 
beschränkten Zahnersatzes  erfreuen  — ,  so  kann  die  Folgerung  aus  alledem 
nichts  anderes  sein,  als  daß  seine  Vorfahren  so  oder  ähnlich  gestaltet 
waren  und  diese  Eigenschaften  noch  beibehalten  haben  in  einer  verküm- 
merten Form,  wie  sie  funktionslosen  Organen  zu  eigen  ist.  Genau  das- 
selbe besagen  die  schon  traktierten  (Bd.  I  S.  91—94  Abb.  26)  Beweise  aus 
dem  Gebiet  der  Entwicklungsgeschichte  oder  die  Tatsache,  daß  die  jedem 
Seefahrer  bekannten  Entenmuscheln  (Lepas),  die  in  Wahrheit  Krebse  sind 
(Cirripedia),  diese  ihre  Abstammung  durch  die  krebsartigen  Larven  (Naii- 
plien)  beweisen;  genau  das  gleiche,  die  berühmte  Folge  der  Vorahnen 
des  Pferdes  oder  das  Auffinden  von  Zwischenformen  zwischen  Vögeln 
und  Reptilien  nach  Art  des  Urvogels  (Archaeopteryx).  Nicht  minder  be- 
weiskräftig sind  die  Beobachtungen  der  Tiergeographie.  Die  Juwelen  der 
Vogelwelt,  die  Kolibris,  sind  mit  ihren  gesamten  400  Arten  ausschließ- 
lich auf  Amerika  beschränkt.  Die  Affen  Südamerikas  werden  als  Neuwelt- 
affen besonders  und  einheitlich  unterschieden,  so  sehr  tragen  sie  gegen- 
über den  anderen  Affenarten  ihr  besonderes  Gepräge.  Die  palaearktische 
Fauna  dagegen  greift  reichlich  nach  Nordamerika  hinüber.  Das  ist  nur 
unter  Annahme  der  Abstammungslehre  verständlich,  da  Nordamerika  bis  in 
die  geologische  Neuzeit  mit  Sibirien  verbunden,  Südamerika  aber  isoliert 
war.  Auch  der  ganz  isolierte  Kontinent  Australien  hat  seine  Sonderfauna 
in  den  Beutlern,  die  früher  überall  verbreitet  und  verdrängt,  dort  ihr  Asyl 
gefunden  haben. 

So  ist  denn  gar  kein  Zweifel  an  der  inneren  Einheit  unseres  Geschlechts 
mit  der  lebenden  Natur  mehr  möglich,  und  die  ergreifenden  Worte,  die 
Goethe  zu  Eckermann  sprach,  als  er  ihm  von  dem  Siege  der  zum  Ab- 
stammungsgedanken drängenden  Denkrichtung  in  Frankreich  berichtete: 
„Dieses  Ereignis  ist  für  mich  von  ganz  unglaublichem  Wert,  und  ich  juble 
mit  Recht  über  den  endlich  erlebten  allgemeinen  Sieg  einer  Sache,  der  ich 
mein  Leben  gewidmet  habe,  und  die  ganz  vorzüglich  auch  die  meinige 
ist"  —  sie  müssen  jedem  Menschen  in  seinem  eigensten  Interesse  ganz 
aus  seiner  tiefsten  Seele  gesprochen  gelten,  denn  hier  erfaßt  das  Denken 
wirklich  einen  der  Grundsteine,  auf  denen  der  ganze  Bau  unserer  Vorstel- 

167 


lungen  vom  Verhältnis  des  Menschen  zu  seiner  Umwelt  ruht.  In  diesem 
Abstammungskomplex  inbegriffen  ist  doch  auch  eine  der  Fragen  aller 
Fragen,  nämlich  die  der  Menschwerdung,  die  Ursache  des  Auftauchens  des 
Menschenkopfes  aus  trübem  Elend  des  bloß  tierhaften  Lebens.  Man  gebe 
sich  nämlich  nur  keiner  Täuschung  hin:  so  vollendet  auch  die  Biotechnik 
des  tierischen  Körpers  funktioniert  und  den  Verstand  mit  einer  Überfülle 
der  sinnigsten  und  leistungsfähigsten  Erfindungen  fasziniert,  so  trist  und 
jämmerlich  beginnt  das  Dasein  auf  der  erreichten  neuen  Integrationsstufe 
des  Zellenstaates.  Das  Leben  der  Tiere,  auch  der  höchststehenden,  ver- 
läuft nun  einmal  unbeschreiblich  primitiv.  Gerade,  da  ich  diese  Zeilen  nie- 
derschreibe, komme  ich  von  einem  Erholungsspaziergang  heim,  auf  dem  ich 
sinnend  der  Flucht  eines  Hasens  vor  dem  ihn  vergeblich  verfolgenden 
Hühnerhund  und  den  Störchen  zusah,  die  vom  Dache  unseres  Rathauses 
im  Gold  der  Abendsonne  den  Flug  antraten,  um  sich  noch  einen  Bissen  vor 
der  sinkenden  Nacht  zu  erjagen. 

Und  diese  Wunderwerke  —  was  ist  doch  ein  Hase  und  ein  Storch  für 
ein  komplizierter  Organismus!  —  sind  genötigt,  der  eine  stets  voll  Angst, 
unsicher,  gehetzt,  in  einer  Welt  voll  hasenlüsterner  Ungeheuer  vorsichtig 
umherzuschleichen  in  diesen  Tagen  des  Vorfrühlings,  auf  der  Suche  nach 
junger  Saat,  Klee,  Baumrinde,  die  er  furchtsam,  mit  Erde  verunreinigt, 
zerkaut,  um  dann  in  einer  mit  den  Krallen  mühsam  zurechtgekratzten  Erd- 
mulde die  schreckenerregende,  lange  Nacht  zu  verbringen,  stets  gewärtig, 
von  einer  Katze,  einem  Marder,  von  Wiesel,  Fuchs,  Uhu  und  Krähen  selbst 
da  überfallen  zu  werden,  wo  ihm  kein  Mensch  droht.  So  elend  ist  dieses 
ungeschützte  Vagantendasein,  daß  es  längst  keine  Hasen  mehr  gäbe,  würde 
nach  dem  alten  Neckrätsel  sich  Meister  Lampe  nicht  jedes  Jahr  versech- 
zehnfachen. 

Und  der  Storch,  der  ein  König  ist  in  seinem  Revier  gegen  die  Hasen, 
an  deren  Brut  er  sich  oft  genug  vergreift,  wie  kläglich  vergeht  dennoch 
sein  Abend!  Hinaus,  auf  gut  Glück  fliegt  er  da,  ein  armseliger,  kultur- 
loser Wilder,  der  hungrig  sucht  und  mit  verirrten  Bienen  und  Schnecken 
und  Regenwürmern  vorlieb  nimmt,  wenn  er  kein  Mäuslein  oder  Vogelnest 
oder  Frösche  erbeuten  kann.  Was  ist  das  für  ein  Leben,  zuckende,  leben- 
dige Frösche  hinabzuwürgen  und  Sumpfwasser  zu  trinken  und  dann  die 
kalte,  regnerische  Nacht  zu  verbringen,  ungeschützt,  zusammengekauert  auf 
einem  miserablen  Astehaufen,  bis  ihn  wieder  der  Hunger  hinaustreibt  zu 
neuer,  rastloser  Jagd!  Was  ist  doch  dieses  Städtchen  dagegen  für  ein 
Wunderwerk  von  Leistungen  auf  der  gleichen  Integrationsstufe!  Sie  alle, 
diese  tausend  Familienväter,  die  es  bewohnen,  brachten  an  dem  Tage,  da 
sie  auf  die  Welt  kamen,  nicht  mehr  mit  als  Hase  und  Storch  und  jedes 
Tier.  Im  Gegenteil,  schutzloser  und  unbehilflicher  ist  der  kleine  Mensch  als 
das  junge  Tier.  Und  ursprünglich  ist  das  Leben  des  Menschen  auch  nicht 
anders  verlaufen  wie  so  ein  Tag  der  wilden  Tiere.    Ohne  Obdach  oder  nur 

168 


in  feuchten,  schmutzigen  Höhlen  wohnend,  nur  vertrauend  auf  die  Kraft 
seiner  Muskeln,  die  Schnelligkeit  seiner  Beine,  die  Kraft  seiner  Zähne,  die 
Schärfe  seiner  Augen  und  die  Erfindungen  seines  Hirnes,  begann  er  seine 
Laufbahn  tierisch  als  Tier  unter  Tieren,  so  wie  sie  auf  ewiger  Jagd  nach 
Nahrung,  auf  immerwährender  Flucht  vor  Feinden,  und  was  hat  er  aus 
seinem  Leben  zu  machen  verstanden!  Es  ist  ein  ganz  falscher  Begriff, 
das  geht  mir  in  dieser  Stunde  auf,  von  dem  Menschen  eine  Übergeistig- 
keit,  Urteile  über  Welt  und  Leben,  Einsicht  in  die  letzten  und  höchsten 
Fragen  zu  verlangen;  er  hat  genug,  er  hat  sogar  Unerhörtes  geleistet  mit 
seiner  Zivilisation  und  der  Organisation  des  bürgerlichen  Daseins,  eine 
Leistung,  die  ganz  ebenbürtig  neben  den  Anpassungen  und  Funktionen  der 
Zellen  und  des  Weltenbaues  steht. 

Das  muß  alles  nicht  sein;  Geist,  Genie,  Erfindung,  Liebe,  Güte  und 
Aufopferung  in  unermeßlichen  Mengen  ist  schon  in  allem,  was  einen 
Menschen  in  seiner  einfachen  Alltäglichkeit  umgibt:  im  Obdach,  im  Haus 
mit  Treppe,  Kammer  und  Stube,  mit  Herd  und  Bequemlichkeiten,  im  Ge- 
rät, mit  dem  er  sich  umstellt,  in  Tisch  und  Stuhl,  Schrank  und  Bett,  oft 
genug  mit  feinem  Sinn  köstlich  gearbeitet,  auf  das  scharfsinnigste  einge- 
richtet, fein  zueinander  abgestimmt;  in  der  Kleidung,  schmeichelnd,  warm 
und  kühl,  wie  er  es  wünscht,  seine  Körpervorzüge  hervorhebend,  seine 
Mängel  höflich  verdeckend.  Wie  wunderbar,  daß  jeder  enthoben  ist  der 
ganzen  unerträglichen  Mühsal,  sich  das  alles  selber  schaffen  zu  sollen, 
wozu  weder  des  Lebens  Dauer,  noch  des  Armes  Stärke,  der  Hand  Geschick, 
am  wenigsten  aber  des  Hirnes  Befähigung  zureichen  würde.  Denn  in  dem 
Gerät  des  Alltags  sind  Erfindungen,  Einfälle,  Verstand,  Erfahrung,  Geist 
von  hundert  Generationen  und  zehntausend  Köpfen  hineingearbeitet,  mehr 
als  in  die  geistreichsten  Bücher,  wenn  man  damit  den  reinen  Naturzustand 
vergleicht. 

Vergißt  man  nicht  jeden  Tag  darauf,  daß  der  Mensch  seine  Zoesis  in 
einer  schlechthin  genialen  Weise  ausgemessen,  bis  an  ihre  äußersten  Gren- 
zen hinausgeschoben  und  wahrhaft  optimal  durchgearbeitet  hat!  Welche 
Hilfsbereitschaft,  welches  Pflichtgefühl,  welche  Unsumme  vornehmster  Ethik 
ist  doch  hineingebaut  in  seine  sozialen  Organisationen!  Da  das  Rathaus; 
es  sorgt  für  mein  Licht,  die  Sauberkeit  meiner  Straßen,  die  Schönheit  der 
Gärten,  in  denen  ich  lustwandle,  die  Sicherheit  meines  Eigentums;  dort 
das  Krankenhaus,  die  Schule,  die  Kirche,  das  Armenhaus,  der  Arzt,  der 
Rechtsanwalt,  die  Feuerwehr,  die  zahllosen  Handelsleute,  durch  die  bei 
einer  einzigen  Mahlzeit  alle  Klimate  und  Erdteile  mir  ihre  Produkte  senden, 
da  Post  und  Eisenbahn,  das  Theater,  die  Musiker,  die  Zeitung,  die  Lehrer, 
die  Bücher,  die  Dichter,  —  ein  Kosmos,  ein  wohlgeregelt  Abbild  der  Welt 
zu  meinen  Diensten!  Und  ich  brauche  als  Gegenleistung  nur  in  dem,  was 
ich  kann,  tüchtig  sein  und  fleißig  acht  und  zehn  Stunden  im  Tage,  und 
dieser  ganze  Zaubergarten,  diese  Quintessenz  von  tausend  und  abertausend 

169 


gescheiten,  genialen  und  fleißigen  Hirnen  dient  mir  jeden  Tag  vierzehn  und 
sechzehn  Stunden  lang. 

Das  ist  die  eigentliche  Leistung  des  Menschenhirnes;  dazu  ist  es  da.  Diese 
Welt  zu  schaffen  war  die  Aufgabe  und  Möglichkeit  seiner  Integrations- 
stufe; als  primus  unter  den  Tieren  hat  der  Mensch  diese  Aufgabe  nahezu 
optimal  gelöst. 

Das  verstehe  ich  unter  Menschwerdung.  Dieser  Prozeß,  der  wunder- 
barste und  komplizierteste  unter  allen  biologischen  Vorgängen,  muß  an  der 
Abstammung  gemessen  werden;  dann  hat  man  wieder  Güte,  Liebe,  Ver- 
ehrung, Bew^underung  und  volle  Hingabe  für  das,  was  der  „Mensch"  eigent- 
lich ist.  Was  uns  so  oft  mit  den  Mitmenschen  unzufrieden  sein  läßt,  die 
bewegliche  Klage,  welche  die  über  ihr  Geschlecht  Hinausgehenden  so  oft 
anstellen,  daß  die  Menschen  nicht  verstehen  und  nicht  hören  auf  ihre  Worte 
von  Vollendung  und  Ideal,  von  Jenseits  und  höchster  Pflicht  im  Schönen, 
Guten  und  Lebensfördernden,  daß  sie  immer  wieder  lieber  in  ihre  Bürger- 
lichkeit und  den  Kreis  ihrer  Zoesis  zurückkehren  und  noch  das  Leben  eines 
jeden,  der  sie  über  diesen  Kreis  hinausführen  wollte,  zu  einem  Martyrium 
machten,  das  ist  von  nun  an  für  mich  und  jene,  die  mich  verstehen,  als 
Irrtum  unseres  eigenen  Mißverständnisses  erkannt  und  überwunden. 

Solches  ist  eben  nicht  die  biologische  Funktion  des  Menschengeistes.*) 
Mit  seiner  Zoesis  rundet  sich  des  Menschen  Wesen.  Was  darüber  hinaus- 
geht, gehört  einer  höheren  Integrationsstufe  als  der  Mensch  an!  Ein  ge- 
heimes Zeichen  an  der  Stirn  kündet  unter  Tausenden  von  Menschen  dem 
Suchenden,  wenn  er  wieder  einen  von  jener  höheren  Artung  gefunden 
hat,  die  eine  neue  Seinsstufe  vorbereiten,  eine  Geistwerdung,  eine  Kultur, 
wenn  Zivilisation  die  Menschwerdung  gewesen  ist. 


*)  Mit  der  objektiven  Philosophie  geht  darin  ganz  konform  die  Philosophie  des  Als 
ob  von  H.  Vaihinger.  In  der  sehr  guten  Selbstdarstellung  seiner  Lehre  sagt  Vaihinger 
hierüber  folgende  ausgezeichnete  Sätze:  „Es  ist  die  alte  Klage,  daß  der  menschliche 
Geist  an  enge  Schranken  gebunden  sei,  von  denen  höhere  Geister  nicht  eingeengt 
seien.  Meiner  Meinung  nach  aber  liegen  jene  Grenzen  des  Erkennens  nicht  in  der 
spezifischen  Natur  des  Menschen  im  Gegensatz  zu  anderen,  eventuell  höheren  Gei- 
stern, sondern  jene  Schranken  liegen  in  der  Natur  des  Denkens  überhaupt,  d.  h.  sie 
müßten,  wenn  es  höhere  Geister  gäbe,  auch  diese  und  sogar  den  höchsten  Geist  be- 
grenzen. Denn  das  Denken  dient  ursprünglich  nur  dem  Willen  zum  Leben  als  Mittel 
zum  Zweck  und  erfüllt  auch  nach  dieser  Seite  hin  seine  Bestimmung.  Nachdem  aber 
das  Denken  nach  dem  Gesetz  des  Überwucherns  des  Mittels  über  den  Zweck  sich  von 
seinem  ursprünglichen  Zwecke  losgerissen  und  sich  zum  Selbstzweck  gemacht  hat, 
stellt  es  sich  auch  Aufgaben,  denen  es  nicht  gewachsen  ist,  weil  es  selbst  überhaupt 
nicht  für  sie  gewachsen  ist,  und  schließlich  stellt  sich  das  so  emanzipierte  Denken 
Aufgaben,  die  in  sich  selbst  sinnlos  sind,  wie  z.  B.  die  Fragen  nach  dem  Ursprung 
dessen,  was  wir  Materie  nennen,  nach  dem  Anfang  der  Bewegung,  nach  dem  Sinn 
der  Welt  und  nach  dem  Zweck  des  Lebens.  Betrachtet  man  das  Denken  als  eine  bio- 
logische Funktion,  so  erkennt  man,  daß  das  Denken  sich  damit  unmögliche  Aufga- 
ben stellt  und  über  seine  natürlichen  Grenzen,  die  jedem  Denken  als  solchem  gezogen 
sind,  hinausstrebt."  (Die  Deutsche  Philosophie  d.Gegenwart.  II.Bd.  Leipzig  192LS.29L) 

170 


So  weit  wir  nun  auch  noch  von  einer  wirklichen  Kultur  entfernt  sein 
mögen,  die  biologische  Funktion  des  Menschengeistes  ist  ihrer  Vollendung 
nahe.  Jedenfalls  ist  das,  was  noch  fehlt  zur  wirklichen  Erfüllung  des 
menschlichen  Seins  und  seiner  Funktionen,  zum  wahren  Optimum  und 
zur  definitiven  Harmonisienmg,  so  drückend  und  unerträglich  es  sich 
auch  manchmal  auf  die  Seele  legen  mag,  weit  geringer  als  das,  was  schon 
erreicht  worden  ist.  Die  objektive  Philosophie  mit  ihrer  Lebensregclung 
ist  nichts  anderes  als  eines  der  Mittel,  durch  die  das  Optimum  der  Mensch- 
werdung und  des  Menschenseins  erreicht  werden  kann  und  soll.  Was  dar- 
über hinaus  ist,  gehört  zwar  auch  noch  in  ihren  Gesichtskreis,  bezieht  sich 
aber  nicht  mehr  schlechthin  auf  die  Menschheit  als  solche  und  als  Masse, 
sondern  zielt  auf  die  den  Menschen  übergeordneten  Integrationsstufen,  zu- 
nächst auf  die  schöpferischen  Menschen. 

Immer  wieder  ist  es  uns  bei  der  Erforschung  der  Weltgesetze  ent- 
gegengetreten, wie  die  eine  Seinsstufe  in  die  andere  sich  verwandelt,  nicht 
durch  eine  geheimnisvolle,  von  selbst  eintretende  „Entwicklung",  sondern 
durch  eine  bestimmte  Leistung,  die  Früchte  trägt,  wenn  man  sie  mit  Er- 
folg tut,  und  die  unsichtbar  ist,  wenn  sie  unterbleibt.  Haben  wir  nicht 
an  Atom  und  Molekül  gesehen,  daß  das  Zusammenwirken  nach  bestimmtem 
Gesetz  die  höhere  Stufe  der  Materie  mit  ihren  bestimmten  neuen  physi- 
kalisch-chemischen Eigenschaften  schuf,  daß  die  vektoriell  gerichteten,  be- 
stimmten neuen  Raumgitter  von  Molekülen  den  Kristall  und  seine  Wunder- 
welt aufleuchten  lassen;  sah  man  nicht  in  der  Organismenbildung,  wie 
dieser  Weg  der  Assoziierung  vor  sich  geht?  Daß  die  Zellen,  die  sich 
unter  bestimmte  lenkende,  denkende  unterordnen,  dann  zu  einer  höheren 
Stufe  aufsteigen,  als  jede  einzelne  von  ihnen  es  jemals  kann?  Klar  vor- 
gezeichnet ist  damit  der  Weg.  Die  „Geistwerdung",  die  Kultur  in  unserem 
Sinn*),  wenn  nun  einmal  für  die  höhere  Stufe  der  Menschwerdung  diese 
Bezeichnung  festgehalten  werden  soll,  kann  darnach  wohl  nur  das  Resultat 
einer  Vereinigung  und  Organisation  unter  der  Leitung  jener  sein,  die  über 
die  bloße  Zoesis  hinausgekommen  sind.  Wobei  es  freilich  ein  Problem 
für  sich  ist,  ob  die  körperliche  Organisation  des  Menschen  überhaupt 
noch  mit  einer  solchen  weiteren  Spannung  der  Ziele  in  Harmonie  gebracht 
werden  kann,  ob  Geist  im  Menschenkörper  nicht  Widernatur  ist,  und  ob 
nicht  erst  die  Menschenform  in  eine  neue  Verwandlung,  vielleicht  in  das 


*)  Kultur  wird  dadurch  festgelegt  als  die  Arbeit  an  dem  Optimum  des  Ganzen,  dem 
wir  angehören,  oder,  wenn  man  so  sagen  darf,  als  die  Harmonisierung  des  Bios  — 
während  Zivilisation  das  Optimum  in  der  Zoesis  der  Menschheit  anstrebt.  Insofern 
ist  Kultur  der  höhere  und  keineswegs  jedem  zugängliche  Begriff,  wenn  auch  jeder, 
der  zivilisatorisch  tätig  ist,  zugleich  auch  damit  kulturell  schafft.  Denn  die  volle  Er- 
füllung des  Begriffes  Mensch  ist  die  Vorbedingung  zur  Harmonisierung  des  Men- 
schen im  Weltganzen.  Ein  Kleinbürger,  der  sich  ein  ihm  angemessenes  organisches 
Haus  baut,  schafft  damit  auch  Kultur,  ohne  zu  wissen,  daß  er  es  tut. 

171 


„Werk"  übergegangen  sein  muß,  um  auf  der  höheren  Integrationsstufe 
wieder  mit  Erfolg  nach  Verwirklichung  der  uralten  Gesetze  des  Optimums 
zu  ringen. 

Nicht  hier  im  Rahmen  einer  allgemeinen  Untersuchung  der  Weltgesetze 
kann  diese  nur  für  die  Innenorganisation  des  Menschendaseins  Wert  ha- 
bende Frage  in  ihrer  vollen  Tragweite  erörtert  werden,  hier  ist  sie  nur 
als  ein  Grenzgebiet  erreicht;  ihr  wahres  Entfaltungsgebiet  ist  der  Teil  der 
objektiven  Philosophie,  der  sich  mit  den  Gesetzen  des  Denkens  und 
Schaffens  beschäftigt,  aber  es  durfte  auch  nicht  ganz  an  ihr  vorüber- 
gegangen werden,  denn  sie  bewies,  wie  mit  der  optimalen  Entfaltung  der 
Zoesis  die  „Menschwerdung",  das,  was  eine  ältere  Terminologie  die  Ent- 
wicklung des  Menschen  genannt  haben  würde,  abgeschlossen  wäre. 

Zweifellos  ist  es  freilich,  daß  unser  Tasten  und  Gestalten  auf  der  über- 
geordneten Seinsstufe  von  dem  Erreichen  des  Optimums  ebenso  entfernt 
ist,  wie  das  kulturelle  Leben  der  Tiere  und  des  Urmenschen  ^^)  von  dem 
seinen,  wozu  es  erst  in  der  Kultur  des  Menschen  namhafte  Ansätze  er- 
reicht. Es  ist  aber  ebenso  zweifellos,  daß  das  Erreichen  des  optimalen 
Gleichgewichtes  in  der  Lebensregelung  des  Menschen  den  steten  Krisen 
und  Änderungen,  die  der  Mensch  so  hoffnungsirrend  seine  Entwicklung 
nannte,  ein  Ziel  setzen  wird.  Denn  —  und  damit  schließt  sich  nun  dieser 
große  Kreis  von  Gedanken,  der  mit  der  Betrachtung  der  Rolle  des  Denkens 
für  das  Menschenleben  anhob  —  überall  in  der  Welt  des  Wirklichen  sieht 
man,  wie  mit  dem  Erreichen  des  Gleichgewichtes  alle  Transmutationen 
sistiert  werden.  Mit  anderen  Worten,  wie  ich  bereits  auf  Seite  94  des 
ersten  Bandes  nachweisen  konnte,  es  ist  erstaunlich,  daß  man  sich  auch 
nur  kurze  Zeit  darüber  täuschen  konnte,  daß  alle  sogenannte  Entwicklung 
durchwegs  bedingt  sei,  daher  diskontinuierlich  abläuft  und  sofort  aussetzt, 
wenn  die  auslösenden  Ursachen  fehlen. 

Was  dort  gesagt  ist  von  der  Umkehrbarkeit  von  Entwicklungsvorgängen 
des  Organismus  und  der  Inkonstanz  der  phylogenetischen  Entwicklung, 
wird  hier  nach  all  dem  Vorangegangenen  endlich  den  Punkt  nach  dem 
Entwicklungssatz  setzen.  Was  ich  hier  vorbrachte,  das  sind  die  Gründe, 
warum  ich  bekennen  muß,  was  meine  Überzeugung  ist:  Entwicklung  im 
Hegel-Häckel-Huxley sehen  Sinn  existiert  nicht.  Die  Welt  als  Ganzes  ist 
vielmehr  ein  konstantes  System,  das  solange  überall  und  dort  Trans- 
mutationen unterworfen  ist,  wo  es  nicht  seinen  partiellen  Ausgleich  und 
nicht  den  totalen  Ausgleich  der  Teile  erreichte,  das  daher  im  Ganzen 
stets  optimoklin  gerichtet  ist.  In  der  Sprache  der  älteren  Philosophie 
würde  dieser  Satz  so  lauten,  daß  die  Entwicklung  nicht  dem  Weltbegriff 
immanent  sei.  An  diesem  Begriff  aber  hält  die  Naturforschergeneration  fest, 
die  von  den  genannten  Führern  erzogen  wurde,  wobei  sie  oft  einen  plum- 
pen Materialismus  mit  einer  wahrhaft  metaphysischen  Überzeugung  auf 
das    Erstaunlichste    verbindet.     So    hat    man    (z.    B.    C.    Nägeli)    in    der 

172 


Abb.  70.   Ein  Wetterbaum  in  den  Hochalpcn  (sotjcn.  Rohne)  als  Va 

Unbilden,  denen  die  Bäume  im  Gebirge  ausgesetzt  sind 

Motiv   vom   Brandkogel   im   Wilden    Kaiser   in   Tirol.    Orifjiiial 


Abb.  "'2.   Die  Kälk'aiipA^siin.L;-  der  Christrn'.io 


(Helleborus  \iridis) 

Die    Pflanze    hat    hei    starkem    Frost    die    Blätter    gesenkt,    wodurch    ein 

Teil  vor  dem   Erfrieren   geschützt  war.    Originalaufnahme  von   K.  Siegle, 

Pforzheim 


Biologie  einen  „Trieb  nach  Vervollkommnung"  angenommen,  an  dem 
letzten  Endes  eigentlich,  wenn  auch  verkappt,  diejenigen  festhalten,  die 
sich  „innere  Ursachen"  als  Motor  für  den  „Aufstieg"  der  Lebewelt  vor- 
stellen. 

Die  objektive  Denkweise  kann  natürlich  auch  diesen  Vervollkommnungs- 
trieb nicht  anerkennen.  Ihr  ist  das,  was  man  Entwicklung  nennt,  nur 
eine  bedingte  Erscheinung.  Sie  war  erst  gegeben  als  Ausgleichsvorgang, 
als  der  Weltprozeß  in  Gang  kam,  um  die  Störungen  auf  dem  Wege  zur 
Harmonisierung  zu  überwinden.  Sie  ist  eines  der  Mittel,  deren  sich  die 
Weltmechanik  bedient,  um  die  optimokline  Richtung  einzuhalten.  Darum 
verläuft  —  was  so  viel  bewundert  und  niemals  verstanden  wurde  — 
die  Mechanik  der  Ontogenie,  Phylogenie  und  Regeneration  der  Organis- 
men in  ihren  Erscheinungen  mit  einander  parallel.  Ihr  Endziel  ist  eben 
in  allen  drei  Fällen  nur  der  Ausgleich  der  Störungen,  und  sie  stehen 
still,  wenn  wieder  der  Ausgleich  erreicht  ist.  Durch  Störungen  wird 
jeder  dieser  Prozesse  in  Bewegung  gesetzt,  durch  Verstärkung  der  Störungs- 
ursache werden  sie  beschleunigt;  in  dem  Maße,  in  dem  optimale  Zustände 
angenähert  werden,  werden  sie  verzögert  oder  aufgehoben. 

Das  sind  experimentell  prüfbare  Sätze,  zu  deren  ausführlicher  Belegung 
es  freilich  nicht  weniger  Seiten,  sondern  eines  umfangreichen  Sonderwerkes 
bedürfte.  Was  dort  ausgeführt  werden  kann,  muß  hier  mit  einigen  Hin- 
weisen erledigt  werden. 

Das  wichtigste  in  dieser  Hinsicht,  was  nach  den  Vorarbeiten  dieses  Ab- 
schnittes noch  zu  tun  übrig  blieb,  ist  die  Feststellung,  daß  sich  Regene- 
rationen ganz  nach  dem  Gesetz  der  Ontogenie  vollziehen.  Die  Tatsache 
der  Regeneration  ist  weit  über  den  Kreis  der  Biologen  jedermann  be- 
kannt, der  es  einmal  beobachtet  hat,  wie  einer  Eidechse  der  verloren  ge- 
gange Schwanz  nachwächst  oder  am  eigenen  Körper  eine  defekt  ge- 
wordene Hautstelle  sich  wieder  „regeneriert".  Im  Pflanzenreiche  sind  diese 
Regenerationen  nicht  so  auffällig.  Wenn  irgendwann  die  Maikäfer  einen 
Baum  kahl  fressen,  ersetzen  die  Blätter  nicht  die  verloren  gegangenen 
Stücke,  sondern  es  treiben  dann  die  am  Stamm  und  an  den  Asten  ver- 
teilten Reserveknospen  aus,  und  das  ist  keine  Regeneration.  Es  ist  eben 
die  Pflanze,  wie  man  an  jedem  Wetterbaum  im  Hochgebirge  sehen  kann 
(Abb.  70),  eigentlich  so  etwas  wie  ein  Tierstock,  eine  Koralle,  ein  dezen- 
tralisiertes Gemeinwesen,  das  ständig  da  abstirbt  und  dort  zuwächst,  für 
dessen  Lebensbetrieb  also  eine  Verletzung  von  Teilen  keine  Störung  be- 
deutet. Darum  antwortet  darauf,  ganz  wie  es  unsere  Auffassung  verlangt, 
die  Pflanze  nur  unter  Umständen  mit  einem  Prozeß,  wenn  ihr  Betrieb  ge- 
stört ist.  Die  Wettertanne  (Abb.  70)  erträgt  es  ohne  weitere  Reaktion, 
wenn  ihr  der  Sturm  Aste  knickt  und  sie  an  der  Luvseite  „windschert",  wenn 
aber  ein  Vögelein  sich  an  der  Fichte  auf  den  das  Wachstum  führenden 
Gipfelsproß  setzt  und  ihn  versehrt,  dann  richten  sich  die  Seitenzweige  senk- 

173 


recht  empor  und  übernehmen  die  Führung  des  Wachstums.  (Kandelaber- 
bäume). Oder,  wie  die  einzigartige  und  darum  höchst  beachtenswerte 
Photographie  einer  Nießwurz  (Helleborus  viridis)  auf  Abbildung  72 
zeigt*),  die  Pflanze  handelt  in  diesem  Fall  durch  Herabsenken  der  Blatt- 
stiele sofort,  wenn  ihr  in  einer  Frostnacht  der  Tod  droht;  ähnlich  reagiert 
z.  B.  das  in  Abbildung  36  dargestellte  Oeranium  auf  Verletzung.  Dem- 
gemäß gibt  es,  wie  namentlich  die  Botaniker  Goebel  und  Voechting  in 
schönen  Versuchen  gezeigt  haben,  auch  bei  den  Pflanzen  Regeneration,  die 
sich  bis  zur  Wiederherstellung  von  Keimblättern  oder  der  Hervorbringung 
einer  ganzen  Pflanze  aus  einer  Weinranke  steigern  kann.  In  anderen 
Fällen  wird,  wie  ich  an  Erbsenkeimlingen  beobachtete,  die  Zerstörung 
eines  Kotyledos  durch  eine  Entwicklungsbeschleunigung  allein  ausgeglichen. 

Immer  ist  in  diesen  Fällen  die  Regeneration  nur  ein  Sonderfall  des  all- 
gemeinen Wachstums,  das  schon  bei  jeder  Zellteilung  (Abb.  74)  durch  die 
allein  es  (abgesehen  von  einigen  Fällen  von  Streckung,  z.  B.  bei  Pilzen) 
stattfindet,  und  die  stets  mit  Regeneration,  nämlich  die  der  jeweils  geteilten 
Zellhälften,  verbunden  ist.  Gesetze  dieser  Regeneration  (vgl.  Abb.  71)  sind, 
daß  je  einfacher  organisiert  ein  Lebewesen  ist,  desto  größer  auch  seine 
Restitutionsfähigkeit  ist.  Beim  Menschen  beschränkt  sie  sich  auf  eine 
sehr  eng  umschriebene  Heilung  von  Wunden;  einen  Regenwurm  oder  eine 
Hydra  aber  kann  man  in  fast  beliebig  viele  Stücke  zerschneiden,  die  den- 
noch alle  wieder  zu  Ganzbildungen  regenerieren.  Eine  zweite  Regel  be- 
sagt nun:  daß,  je  jünger  ein  Organismus  sei,  desto  mehr  sei  er  fähig 
zum  Wachstum  und  zur  Regeneration.  Ferner  zeigte  sich,  daß  je  umfang- 
reicher der  Substanzverlust  ist,  desto  größer  ist  auch  die  Beschleunigung 
des  Wachstums,  also  die  Energie  der  Regeneration.  Ein  Krebs  regeniert 
beide  Scheren  schneller  als  eine,  ein  Molch  ersetzt  ein  Bein  schneller  als 
den  verlorenen  Fuß.") 

Dazu  ergab  sich  die  Tatsache,  daß  die  Regeneration  keineswegs  auf  die 
lebenden  Systeme  allein  beschränkt  ist,  sondern  auch  den  Kristallen  eignet 
(vgl.  dazu  Bd.  I  S.  126).  Einmal  darauf  aufmerksam  geworden,  wird  man 
finden,  daß  ihre  Mechanik  und  Teleologie  letzten  Endes  auch  in  den 
vektoriell  nicht  gerichteten  Systemen  wiedererkennbar  ist.  Die  Wiederher- 
stellung der  Kugelform  bei  einem  gestörten  Tropfen  oder  an  einem  ein- 
gedrückten elastischen  Ball  ist  im  Prinzip  auch  etwas  wie  eine  Regenera- 
tionserscheinung. In  allen  Fällen  aber  ist,  wie  ein  Durchdenken  der 
Regenerationsgesetze  unwiderstehlich  zu  sagen  nötig,  die  Regeneration  stets 
eine  Transmutation,  ein  Prozeß,  der  auf  Nötigung  hin  eingeleitet  wird,  der 


*)  Ich  verdanke  sie  Herrn  K-  Siegle  in  Pforzheim,  der  im  August  1914  vor  seinem 
Auszug  ins  Feld  mir  seine  sehr  wertvolle  Photographiensammlung  übersandte  „zur 
Verwertung  in  wissenschaftlichen  Werken,  falls  er  nicht  mehr  zurückkehren  sollte". 
Da  er  seit  7  Jahren  verschollen  ist,  erfülle  ich  nun  dieses  Legat,  zugleich  als  ehrendes 
Denkmal  für  seinen  Urheber. 

174 


also  stets  bedingt  ist.*)  Daß  sie  sich  bei  weniger  differenzierten  Organis- 
men vollkommener  betätigt,  ist  leicht  erklärlich,  wenn  man  bedenkt,  daß 
jede  Entwicklung  zuerst,  wie  namentlich  die  Regeneration  der  Iris  von 
Triton  (vgl.  Bd.  I  S.  93)  bewies,  und  wie  ich  schon  ausführlicher  dar- 
gelegt habe,  von  einer  rückläufigen  Differenzierung  eingeleitet  wird. 

Diese  rückläufige  Differenzierung  ist  aber  auch,  wie  Cohen-Kyspcr  nach- 
gewiesen hat,  bei  jeder  normalen  Entwicklung  vorhanden,  sodaß  Regenera- 
tion und  Ontogenese  auch  darin  konform  verlaufen.  Es  gibt  ebenso  ein 
rückläufiges  Wachstum  (Involution)  mit  einer  Größenabnahme,  wodurch 
weniger  Zellen  neu  entstehen  als  zugrunde  gehen.  Solches  kann  man  z.  B. 
beobachten  an  den  Froschlarven  um  die  Zeit,  da  sie  ihre  Kiemen  und 
ihren  Schwanz  einschmelzen.  Involution  tritt  auch  in  jedem  Organismus 
auf,  wenn  er  altert,  oder  wenn  man  ihn  länger  währendem  Hunger  aus- 
setzt. Die  Abmagerung  ist  ihr  erstes  Symptom;  im  weiteren  Verlauf  aber 
kommt  es  auch  zur  vollen  Umkehrung  der  Entwicklung  mit  gleichzeitiger 
Entdifferenzierung,  bis  nur  wenige,  ganz  embryonale  Zellengattungen  zu- 
rückbleiben. E.  Schultz''^)  zeigte  an  Seescheiden  (Clavellina),  den  Strudel- 
würmern Planaria  und  Hydren,  ebenso  wie  andere  Verfasser  an  den  Meeres- 
polypen, daß  zum  Beispiel  die  letztgenannten  Tiere  (vgl.  Abb.  73)  ihren 
doch  ziemlich  weit  in  Fangarme,  einen  Mund  und  Magenraum,  Stiel  und 
Fußscheibe  gegliederten  Körper  durch  Hunger  Stufe  für  Stufe  zurückbilden 
unter  Einschmelzen,  bis  sie  schließlich  fast  wieder  ihrem  eigenen  Ei 
gleichkommen.  Hunger  veranlaßt  bis  zu  den  höchsten  Lebewesen  hinauf 
Entwicklungshemmungen,  wofür  die  schrecklichen  Bilder  der  Kriegskinder 
in  den  Jahren  1917—1920  jedermann  genügend  Zeugnis  abgelegt  haben 
mögen.  Eine  Kaulquappe,  die  kein-  Fleisch  erhält,  bleibt  monatelang 
mit  allen  ihren  Organen  und  Geweben  in  ihrer  Größe  und  ihrer  „Gesamt- 
entwicklung" auf  dem  gleichen  Stadium.  Rückläufige  Entwicklung  setzt 
aber  auch  aus  entgegengesetzten  Ursachen  ein.  So  gibt  es  Schmarotzer- 
tiere und  -Pflanzen,  die  aus  zu  leichter  und  reichlicher  Ernährung  ihre 
Organisation  vereinfachen  und  zu  tieferen  Differenzierungsstadien  hinab- 
sinken, so   wie   Hydroidpolypen   durch   Hunger  Larven  wurden. 

Kurz,  dieses  ganze  Beweismaterial  plaidiert  immer  für  die  zwingend  ge- 
wordene Lehre,  daß  „Entwicklung"  in  allen  ihren  Formen,  sei  es  nun  Em- 
bryogenese, Ontogenese,  Phylogenese  oder  Regeneration,  stets  nur  auf 
konkrete  Nötigung,  auf  Anstoß  und  Störung  des  Gleichgewichtes  erfolgt, 
und  daß  der  hier  schon  wiederholte  Satz,  Entwicklung  sei  eine  Reaktion, 
durch  die  das  sich  entwickelnde  System  seiner  Ausgleichslage  zustrebt, 
zu    Recht    besteht.     Leben    ist    eben    auch    deshalb    eine    ständige    Trans- 


*)  Was  ich  schon  1917  in  meinem  Werke:  Der  heutige  Stand  der  Darwin'schen 
Fragen  (Leipzig)  vertrat,  wo  ich  auch  bereits  als  Vorläufer  der  objektiven  Philoso- 
phie die  Einführung  biologischer  Gesichtspunkte  in  die  anorganischen  Wissenschaften 
forderte  (S.  96). 

175 


mutation,  weil  es  die  ständig  versuchte  Wiederherstellung  des  ständig 
aufgehobenen  Ausgleiches  ist. 

Alles  dieses  Gesagte  gilt  nun  ebensogut  für  die  phylogenetische  Ent- 
wicklung. Auch  sie  ist  inkonstant,  auch  sie  ist  nicht  plan-  sondern 
zwangsgemäß.  Es  gibt  fast  ebensoviele  konstante  Arten,  wie  solche,  die 
sich  sprunghaft  entwickeln.  Immer  wieder  sieht  man,  daß  dort,  wo  Muta- 
tionen eintreten  (wir  wissen  bereits,  daß  die  stammesgeschichtlichen  Ände- 
rungen sich  nur  durch  Mutationen  vollziehen),  diese  sich  dann  explosions- 
mäßig, überaus  stürmisch  melden.  Die  gesamte  Systematik  der  Zoologie 
und  Botanik  ist  voll  von  solchen  explodierten  und  merklich  überquellenden 
Formenkreisen.  Man  braucht  hierzu  die  Fachkenner  nur  an  die  Gattung 
Carabus  oder  Helix  unter  den  Tieren  oder  die  Gattungen  Navicula,  Nectria 
unter  den  „niederen"  und  Rubus,  Hieraciutn  oder  Rosa  unter  den  „höheren" 
Pflanzen  zu  erinnern.  Ihre  Existenz  bedeutet,  daß  eine  „Entwicklungs- 
ursache" die  Vorgänge  in  ihnen  eben  geradezu  stürmisch  auslöst,  und  daß 
der  Weg  der  Fortpflanzung  eben  deswegen,  weil  dieses  Bild  der  reichen 
Formenkreise  nicht  allgemein  ist*),  stets  zwischen  langer  Konstanz  und 
gelegentlichen    Explosionen   wechselt. 

Die  Fortpflanzung,  das  Mittel  der  Phylogenie,  wird  allgemein  definiert 
als  das  Mittel,  um  die  Art  zu  erhalten.  Diese  Definition  aber  ist  kurz- 
sichtig. Sie  übersieht  eine  zu  kurze  Linie  des  Geschehens.  Fortpflanzung 
würfelt  nach  der  Mendel-Regel  die  Eigenschaften  durcheinander.  Jedes 
Würfelspiel  aber  ist  eine  Möglichkeit,  um  einmal  die  günstigste  Variante 
zur  Erfüllung  des  Seins,  also  das  Optimum  des  Merkmalsystems  hervor- 
bringen zu  können.  Mit  anderen  Worten:  auch  die  Fortpflanzung  gehört 
in  die  Gruppe  der  optimoklinen  Geschehensarten.  Sie  ist  eines  der  Mit- 
tel des  Organismus,  um  sein  Optimum  zu  erreichen. 

Die  Richtigkeit  dieses  sehr  bedeutungsvollen  Satzes  kann  daran  ge- 
prüft werden,  daß,  wenn  er  stimmt,  die  Fortpflanzung  sich  ähnlicher 
Mittel  bedienen  muß,  wie  die  Regeneration,  die  ja  dem  gleichen  Zwecke: 
Wiederherstellung  der  optimoklinen  Situation  dient.  Und  tatsächlich  sieht 
man  auch  im  Tier-  und  Pflanzenreich  Wachstum,  Regeneration  und  Fort- 
pflanzung untrennbar  mit  einander  verbunden  und  unmittelbar  in  einander 
übergehen.  Die  Hydroidpolypen  (Abb.  73)  und  Medusen  oder  das  merk- 
würdige Bryophyllum  (Abb.  71)  schnüren  Individuen  von  sich  ab  (Strobila 
der  Medusen!)  sowohl  auf  Verletzungen  hin,  wie  man  das  an  dem  abge- 
trennten Blatt  des  Bryophyllum  oder  letztlich  auch  an  jedem  Begonia- 
Steckling  sehen  kann,  wie  auch  aus  reinem  „Fortpflanzungstrieb"  heraus. 
An  manchen  Pflanzen  stellen  sich  solche  freiwillige  Ablösungen  oft  in 
absonderlichen  Formen  ein,  wie  z.  B.  an  der  Abb.  76  dargestellten  Kröten- 


*)  Es  gibt  zahllose  Gattungen  mit  nur  einer  oder  zwei  Arten  oder  Familien  mit 
ganz  wenigen  Gattungen.  Beispiele  sind  die  Moiiotrematen  oder  Narthecium  ossi- 
fraga,  Majanthemum  bifoliatum  und  andere. 

176 


Abb.  73.  Hydroidpolypen  von  Obclia  <rcni- 
culata  in  präpariertem  Zustand 

Schwach    vergrößerte   Originalmikroaufnahmc    des 

Biologischen    Instituts    München 


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Abb.  74.  Der  Vorgang  der  Mitose  gelegentlich  der  Zelltciiiing  in  seinen  Hauptstadien 

Auf  Figur  I  und  II  sind  in  den  unteren  Zellen  noch  ruhende  Kerne  sichtbar  mit  dem  Kerngerüst  und  den 
Kernkörperchen.  In  der  Mitte  von  Figur  I  haben  sich  die  Chromosomen  bereits  /ur  Spiiidclfigur  ange- 
ordnet, in  Figur  II  hat  sich  die  Teilung  der  Spindclfigur  bereits  vollzogen.  Ein  soeben  geteilter  Zellkern 
ist  in  Figur  I  oben  am  Rand  sichtbar.  Sehr  stark  vergrößertes  Präparat  der  Pollcnm'utterzellcn  der  Kaiser- 
krone  (Fritillaria   impcrialis).      Originalmikroaufnahme  des   Biologischen    Institutes  München 


?l 


Abb.  77.    Der  Aufbau  eines  einfachen  Schmarotzerpilzes.  Der  falsche  Mehltau  (Plasmopara  viticola).  1.  Schwach 
vergrößert  auf  einem   Blattquerschnitt.    2.  Konidienträger  in  starker  Vergrößerung  mit   Sporen,  die  durch   un- 
geschlechtliche   Fortpflanzung    hervorgebracht   werden.     3.    Das    Mycel    des    Pilzes,    das    mit    Haustoricn    die 
Zellen   der  Wirtspflanze  aussaugt.    Stark  vergrößert.    Originalzeichnung. 

orchis;  man  nennt  diese  oft  embryonalen  Zwischengestaltungen  von  Rege- 
neraten  und  Fortpflanzungsformen  Brutknospen,  Brutknollen  (man  denke 
an  die  Feuerlilien  oder  die  Steckzwiebel  im  Garten),  spricht  von  „lebendge- 
bärenden Pflanzen"  (Poa  vivipara  u.  a.)  als  Zeichen,  wie  sehr  sich  der 
Namensgebung  diese  Identität  von  Regeneration  und  Fortpflanzung  auf- 
drängte, und  hat  in  der  Botanik  daraus  die  Lehre  geprägt,  daß  es  zweierlei 
Fortpflanzungen  gebe,  die  vegetative  und  die  geschlechtliche.  Die  vege- 
tative ist  die  Regel  bei  vielen,  namentlich  den  einfacheren  Pflanzen,  von 
denen  Bakterien,  Spaltalgen,  das  ganze  große  Heer  der  Pilze  (allerdings 
nach  Verlust  der  Sexualität)  sich  nur  durch  Teilung  oder  Abschnürung  von 
Sporen  nach  Art  des  in  Abb.  77  dargestellten  Peronosporapilzes  des  Wein- 
stockes fortpflanzen.  Diese  Sporenbildung  kennzeichnet  weit  mehr  als  -/.•. 
aller  bekannten  pflanzlichen  Lebensformen.  Daneben  gibt  es  noch  eine  Brut- 
knospenbildung (vgl.  Abb.  65),  die  jedermann  in  der  ersten  Minute  beob- 
achten kann,   sobald  er   nur  einen  Moosrasen   mit  einer  Lupe   untersucht. 

Frana,  Bios   II  12 

177 


Abb.  78.  Der  Bau  und  die  Paarung  (Konjugation)  eines  Urtierchens  (Paramaecium  Aurelia).  Der  als  ein- 
zellig angesprochene  Körper  (I)  ist  mit  einer  Hautschicht  umhüllt,  die  zahllose  Wimpern  trägt.  Unter  diesen 
liegen  die  „Trichocysten",  Stäbchen,  welche  auf  Reize  hin  abgeschossen  werden.  Im  Entoplasma  liegen  zwei 
pulsierende  Vakuolen  mit  ihren  sternförmigen  Zuleitungsgängen;  hier  zirkulieren  zahlreiche  Verdauungs- 
vakuolen.  Der  Oroßkern  (Makronukleus)  schimmert  nur  undeutlich  durch.  Figur  H  stellt  die  einzelnen 
Stadien  der  Konjugation  dar.  Zuerst  zerfällt  der  Qroßkern,  der  Mikronukleus  teilt  sich.  Dann  erfolgt  eine 
Befruchtung  und  der  Austausch  der  Kerne,  worauf  sich  allmählich  der  Qroßkern-  und  Kleinkemapparat 
neu   bildet.     (Nach  Maupas.) 

Denn  der  Moosrasen  kommt  nur  dadurch  zustande,  daß  sich  an  seinen 
fädigen  Vorkeimen  durch  einfach  rasch  einsetzende  Zellteilungen  Knöpfchen 
bilden,  die  sich  allmählich  in  eine  fertige  Moospflanze  gliedern.  Solche 
Fortpflanzung  durch  Zellteilung  kann  man,  wenn  man  wollte,  ebensogut 
Regeneration  nennen.  Die  Grenzen  fließen  hier  vollkommen.  Diese  Art  von 
Vermehrung  legt  die  Pflanze  nie  ab.  Wenn  im  Lenz  tausend  Knospen 
sprießen  und  aus  sich  Blatt  und  Blüten  sonder  Zahl  entfalten,  ist  es  immer 
noch  die  gleiche  Erscheinung,  was  sich  schon  darin  kundgibt,  daß  oft 
genug  dadurch  regelrechte  Fortpflanzung  eintritt.  In  der  Frühlingsau  durch 
die  Brutknospen,  die  die  Feigwurz  (Ficaria)  abwirft,  im  Mangrovehain 
am  tropischen  Lagunenstrand  dadurch,  daß  der  Samen  schon  an  der  in  der 
Luft  noch  hängenden  Frucht  keimt  und  als  junge  Pflanze  zu  Boden  fällt, 
oder  im  heiligen  Hain  der  Banyanen,  wo  die  Luftwurzeln  im  Boden  Fuß 
fassen  und  neuen  Bäumen  zum  Leben  verhelfen. 


178 


Jede  Blüte  entsteht  durch  solch  vegetatives  Wachstum,  und  wir  wissen 
bereits,  daß  die  Botanik  es  gelernt  hat,  das  als  besondere,  sich  nur  unge- 
schlechtlich vermehrende  Generation  aufzufassen.  Diese  Art  von  Fortpflan- 
zung ist  dem  Plasma  auch  in  seiner  Tierform  nicht  fremd.  Teilung  kenn- 
zeichnet alle  Urtiere  (vgl.  Abb.  78),  und  den  Zoologen  —  man  schlage 
hierüber  ein  beliebiges  Handbuch  auf  —  ist  es  ganz  klar,  daß  solches  mit 
einer  fast  unbegrenzten  Regenerationsfähigkeit  Hand  in  Hand  geht.  Es  ist 
aber  auch  die  Knospiing  (vgl.  Abb.  73),  die  man  bei  Polypen  —  ein  pracht- 
volles Beispiel  ist  der  kleine  Süßwasserpolyp  (Hydra)  —  Schwämmen, 
Strudelwürmern,  Entoprokten,  Ringelwürmern,  Moostierchen  (Bryozoen), 
sogar  noch  bei  Manteltieren  kennt,  nichts  als  eine  Teilung  bestimmter 
Körperstellen,  die  vorher  embryonalen  Charakter  annehmen.  Wenn  es  bei 
den  Süßwasserbryozoen  auch  eine  innere  Knospung  gibt,  wenn  die  Tinten- 
fische (Abb.  75)  an  einer  bestimmten  Stelle  einen  Arm  durch  Knospung 
und  Teilung  hektokotylisieren,  d.  h.  umbilden  zu  einem  Begattungsorgan, 
das  sich  bei  Argonauta  selbständig  macht,  umher  schwimmt  und  die  Weib- 
chen aufsucht,  so  verrät  sich  dadurch  nicht  nur  die  von  uns  schon  be- 
hauptete Trennung  in  zwei  Generationen,  sondern  leicht  erkennt  man  auch, 
daß  die  „Ovulation"  des  menschlichen  Weibes  sowie  die  Samenbildung  des 
Mannes  auch  nur  Knospungsresultate  sind. 

Eine  neue  Auffassung  der  gesamten  Fortpflanzung  eröffnet  sich  da- 
durch dem  sinnenden  Blick:  Es  will  ihm  scheinen,  als  gebe  es  im  ganzen 
Lebensbereich  nur  vegetative  Fortpflanzung;  aber  ab  und  zu,  zumeist  in 
der  zweiten  Generation,  legen  die  Nachkommen  ihren  erworbenen  Erfah- 
rungsschatz wieder  zusammen,  gleich  den  kleinen  Pantoffeltierchen 
(Abb.  78),  die  erst  nach  Dutzenden  von  Teilungsgenerationen  hierzu  das 
Bedürfnis  empfinden  und  erst  nach  mehreren  hundert  Teilungen  lebens- 
unlustig  und  altersmüde  werden,  wenn  man  sie  künstlich  an  ihrer  Kon- 
jugation hindert.  Die  Mendel-Regel  bestimmt  es,  in  welcher  Weise  die 
Verteilung  des  erworbenen  Neukapitals  auf  die  aus  diesem  Bunde  wieder 
hervorgehenden  Sprößlinge  vorgenommen  wird,  die  nun  wieder  vom 
Ei  und  Samenfaden  regenieren  und  neue  Knospungen  hervorbringen. 
(In  dem  Wort  Prolet  hat  der  Sprachgeist  also  wahrlich  einen  tiefen  Sinn 
verborgen). 

Die  Qeschlechtlichkelt  ist  demnach  nichts  absolut  Lebensnotwendiges, 
sondern  nur  ein  Vorteil.  So  war  es  möglich,  daß  sie  großen  Gruppen  von 
Lebewesen  abhanden  kam,  sogar  als  sie  bereits  einmal  erworben  war.  Das 
entscheidende  Beispiel  sind  die  Pilze,  deren  altertümliche  Gruppen  (nie- 
drigere Formen  der  Phycomyceten,  einige  Ascomyceten  wie  Pyroncma  oder 
Erysibe)  noch  Geschlechtsorgane  und  Zeugungsakte  kennen,  während  die 
übrigen  ohne  „Liebe"  ihr  Dasein  verbringen.  Sonst  wäre  es  auch  nicht 
erklärlich,  woher  die  Jungfernzeugung  (Parthenogenesis)  in  die  Welt  kam. 
Die    Fadenwürmer,    Rädertiere    oder    Salzkrebschen    (Artemia    [Abb.  42]), 

12* 

179 


die  ihr  huldigen,  die  kleinen  Wasserflöhe  und  Blattläuse,  die  Bienen, 
welche  ihre  Männchen  parthenogenetisch  hervorbringen,  begehen  mit 
diesen  viel  angestaunten  und  von  keiner  der  herrschenden  biologischen 
Theorien  erklärten  Nachkommenschaften  jungfräulich  gebliebener  Mütter 
nur  den  normalen  Knospungsakt.  Sie  verzichten  eine  Weile  auf  die  Be- 
reicherung; die  Daphniakrchschen  eines  Teiches  bringen  von  März  bis 
August  alle  14  Tage  11—12  kleine  „Sprößlinge"  hervor  gleich  den  Ur- 
tierchen ihrer  Heimat,  die  das  täglich  vollbringen.  Erst  dann  erzeugen  sie 
Männchen  und  tauschen  durch  sie  in  der  Nachkommenkette  die  Erfah- 
rungen aus.  So  nähert  sich  dann  ihre  Art  dennoch,  wenn  auch  langsamer, 
dem  Optimum  ihres  Seins. 

Die  vegetative  Fortpflanzung  ist  einfache  Regeneration  mit  allen  ihren 
Eigentümlichkeiten.  Aber  auch  der  Geschlechtsakt  löst  nichts  anderes  aus 
denn  eine  Regeneration.  Daher  zeigen  sich  in  seiner  Folge  alle  die  Ge- 
setze, die  uns  beim  Studium  des  Regenerationsvorganges  entgegengetreten 
sind.  Die  jugendlichen  Individuen  sind  fortpflanzungsfähiger,  das  Neu- 
entstehende ist  wieder  jung,  sogar  embryonal.  Die  Regeneration  verläuft 
im  Bilde  einer  beschleunigten  Wiederholung  des  Ursprünglichen,  wofür  die 
Tatsachen  der  Embryologie  und  der  stürmische  Ablauf  der  Furchung  zeugen 
möge.  Kurz,  wohin  man  sieht,  erblickt  man  Bestätigungen  und  durch  sie 
auch  den  Schlüssel  für  das  Nieverstandene:  wieso  die  Fortpflanzung  den 
Organismus  zu  dem  wundervollen  Rhythmus:  alte  Eltern,  junge  Kinder 
befähigt.  Wenn  also  daran  nicht  zu  zweifeln  ist,  daß  Entwicklung  eine 
Reaktion  sei,  durch  die  das  sich  entwickelnde  System  seiner  Ausgleichs  läge 
zustrebt,  so  ist  die  geschlechtliche  Fortpflanzung  eine  Störung  dieses  Aus- 
gleiches durch  neu  in  ihn  eingebrachte  Elemente;  sie  ist  der  Gegenpol  des 
Todes,  sie  muß  daher  immer  wieder  Entwicklungen  auslösen. 

Die  Sexualität  bereichert  und  verjüngt  die  Welt.  Sie  fährt  das  Leben 
seinem  Optimum  näher.  Der  brausende  Hymnus,  der  tausendstimmige 
Jubelschrei  und  Lobgesang,  den  die  Dichter  aller  Zeiten,  die  Menschen 
aller  Rassen,  die  Geschöpfe  aller  Arten  zu  Ehren  der  Geschlechtsliebe  an- 
stimmen, ist  dem  objektiven  Philosophen  daher  wohlverständlich,  und  auch 
er  stimmt  in  diese  Verklärung  mit  ein.  Er  blickt  nicht  scheel  gleich  den 
pessimistischen  Denkern  auf  die  „Liebe"  als  einen  „Kniff  der  Natur", 
um  den  Menschen  immer  wieder  zu  narren  zur  Verewigung  der  „alten 
Leiden";  ganz  im  Gegenteil;  er  preist  die  Liebe  als  eines  der  herrlichsten 
Mittel,  um  dem  Elend  verrannten  und  verirrten  Menschentums  zu  ent- 
gehen. Nur  zu  wohl  versteht  er  aus  der  reichen  Dichtung,  die  Leben 
und  Kunst  ihm  bieten,  warum  die  Fortpflanzung  der  todüberwindende, 
tiefste  Trieb  des  Menschen  ist,  warum  immer  wieder  jene,  denen  Um- 
stände oder  eigene  innere  Hemmungen  das  Sich-Auswirken  in  Schöpfungen 
versagt  haben,  sich  nach  dem  Kinde  sehnen  und  auf  die  Kinderschar 
selig  lächelnd  deuten :  Hier  ist  mein  Werk !   Was  ich  nicht  beitragen  konnte 

180 


zum  Optimum  des  Menschengeschlechts,  diese  da  werden  es  machen!  Ge- 
rade er  versteht  aber  auch  tiefer  denn  andere,  warum  die  Genies,  die 
schöpferischen  Menschen  so  oft  unfruchtbare  Lenden  haben,  und  warum 
das  reine  geistige  Schaffen  das  Erotische  in  sich  aufnimmt  und  auch  eine 
Fortpflanzung  mit  allen  ihren  Eigentümlichkeiten  bedeutet.  Ohne  Fort- 
pflanzung ist  der  Tod  unvermeidlich,  daher  ist  sie  verknüpft  mit  dem  Sinn 
des  Lebens,  sie  ist  eines  der  vornehmlichstell  Mittel  des  Organismus,  um 
seinen  Sinn,  und  das  ist  doch  sein  Optimum,  zu  erreichen. 

Warum  nun  die  Fortpflanzung  trotz  der  „Amphimixis",  trotz  der  Mi- 
schung zweier  Erlebniskreise  das  eine  Mal  aeonenlang  die  Art  konstant 
erhält,  das  andere  Mal  explosionsartig  neue  Merkmale  der  Nachwelt  auf- 
bewahrt, ist  nicht  mehr  allzuschwer  einzusehen.  Man  kann  das  gewisser- 
maßen experimentell  prüfen,  wenn  man  die  Lebensumstände  der  kon- 
stanten Arten  mit  denen  der  mutierenden  vergleicht.  Man  wird  dann 
immer  finden,  daß  die  Lage  eine  ähnliche  ist,  wie  bei  den  Liw^ulaarten 
des  Meeres  (vgl.  Bd.  I  Abb.  25),  die  bekanntlich  eine  der  konstantesten 
Formen  der  Lebewelt  darstellen.  Sie  leben  nämlich  am  Meeresgrunde 
unterhalb  der  bewegten  See  in  einem  kaum  jemals  veränderten  Gleichmaß 
der  Verhältnisse,  während  gerade  die  Lebensformen  von  großer  Beweg- 
lichkeit unter  Grenzverhältnissen  (zwischen  Festland  und  Meer  oder  Wüste 
und  fruchtbarem  Boden)  vielen  Anderungsmöglichkeiten  gewachsen  sein 
müssenjs)  Gewöhnlich  sind  sie  die  artenreichsten,  schließen  allerdings 
auch  besonders  viele  ausgestorbene  Arten  und  Gruppen  in  sich.  Die  fast 
ganz  oder  doch  wesentlich  ausgestorbenen  Ammoniten,  Belemniten,  Ru- 
disten,  Gyroporellen  (Bd.  I  Abb.  87),  Graptolithen,  Saurier,  Trilobiten 
(Bd.  I  Abb.  85),  Sigillarien,  Stigmarien,  Benettitinen,  Calamarien  (vgl. 
Abb.  67)  lebten  alle  unter  solchen  rasch  wechselnden  und  Übergangs- 
verhältnissen. Es  wäre  eine  überaus  dankbare  Aufgabe  für  die  Palae- 
ontologie,  diesen  Gedanken  aufzugreifen  und  ihm  auf  das  Gründlichste 
nachzugehen;  sie  wird  freilich  zu  keinem  anderen  Resultat  kommen  als 
der  Bestätigung,  daß  die  großen  Integrationseigenschaften  des  Erdballs, 
also  die  Meerestransgressionen,  die  Klimamigration  und  in  ihrem  Gefolge 
die  Vereisung,  Verwüstung,  Steppenbildung,  die  Schollenbewegungen  und 
ihre  Folgen  die  auslösenden  Ursachen  der  phylogenetischen  „Entwicklung" 
sind,  soweit  sich  diese  auf  Anpassungsmerkmale  bezieht  (vgl.  Bd.  I 
S.  123). 

Es  kann  sich  also  der  Entwicklungsglauben  nur  mehr  in  emen  aller- 
letzten Winkel  retten,  und  das  ist  nach  Preisgabe  der  Anpassung  noch  der 
Begriff  der  Organisationsmerkmale. 

Was  sind  Organisationsmerkmale?  Es  gibt  sogar  Biologen,  denen  es 
kaum  bewußt  ist,  daß  das,  was  man  gemeinhin  das  Eigenschaftenkleid  der 
Organismen  nennt,  sich  aus  zweierlei  Elementen  aufbaut:  aus  den  Anpas- 
sungen,  die   leicht  veränderlich   jedem   Wechsel    der   Umgebung   im   Sinne 

181 


eines  Ausgleiches  zur  Erhaltung  der  Lebensfähigkeit  antworten,  und  aus 
bestimmten  Merkmalen,  die  niemals  eine  Abänderung  zeigen,  und  sollte  das 
für  den  Organismus  auch  noch  so  schädlich  sein.  Diese  letzteren  nennt 
man  Organisationsmerkmale.  Daß  z.  B.  das  Kamel  einen  langen  Hals  hat, 
ist  Anpassung,  um  seine  Nahrung  von  den  hohen  Bäumen  seiner  Heimat 
holen  zu  können,  Organisationsmerkmal  aber  ist,  daß  es  bilateral  sym- 
metrisch ist  und  eine  ausgesprochene  Metamerie,  d.  h.  Gliederung  in 
Wirbel,  Rippen  usw.  besitzt.  Daß  die  Rose  Dornen  besitzt  oder  als 
Heckenröschen  fünf  rosa  Blütenblätter  und  viele  Staubgefäße  und  leichten 
Duft,  das  alles  sind  ihre  Anpassungen.  Dementsprechend  lassen  sie  sich 
auch  wegzüchten,  und  das  Heckenröschen  läßt  sich  umwandeln  zur  fast 
dornenlosen,  tiefpurpurnen  Zentifolie  mit  vielen  Blütenblättern,  wenig 
Staubgefäßen  und  schwerem,  berauschendem  Duft.  Nicht  wegzüchten  aber 
läßt  sich  z.  B.  ihr  Generationswechsel.  Er  gehört  zu  den  Organisations- 
merkmalen, die  nicht  nur  die  Gattung  Rosa,  die  Familie  der  Rosaceen,  son- 
dern den  ganzen  Stamm  der  Siphonogamen,  in  den  sie  eingeordnet  ist,  kenn- 
zeichnet. Eine  der  höchsten,  freilich  auch  eine  der  schwierigsten  Aufgaben 
der  gesamten  Systematik  rollt  sich  damit  auf:  die  saubere  Abtrennung  der 
beiden  Merkmalsgruppen,  von  denen  offenbar  die  Anpassungen  nur  einen 
sehr  bedingten,  sozusagen  nur  praktischen  Wert  haben  und  für  die  Stammes- 
geschichte ganz  gleichgültig  sind.  Diese  Arbeit  ist  aber  noch  nicht  ge- 
schehen; die  Systematiker  arbeiten  noch  mit  unreiner  Methode  und  unge- 
klärtem Material;  nur  gefühlsmäßig  hat  man  große  Gruppen  nach  den 
Organisationsmerkmalen  zusammengestellt.  Man  nennt  das  „ein  Gefühl 
für  die  Verwandtschaft"  der  Organismen  haben,  und  so,  wie  die  Menschen 
derzeit  in  einer  Gefühlsreligion  dahinleben  und  Gefühlspolitik  machen  (vgl. 
Anmerkung  54),  so  beruht  auch  die  Ordnung  der  Begriffe  in  der  Biologie 
noch  immer  hauptsächlich  auf  Gefühlsmomenten,  was  die  Wissenschaft 
auf  die  Dauer  weder  dulden  kann  noch  wird. 

Versucht  man  sich  Rechenschaft  zu  geben  über  die  wesentlichsten  dieser 
Organisationsmerkmale,  so  entdeckt  man  bald,  daß  sie  die  eigentlichen  phy- 
letischen  Kriterien  sind,  daß  aber,  nachdem  sie  nicht  durch  eine  streng 
logische  Methode  gewonnen  wurden,  eine  genaue  Sichtung  der  „Stämme" 
des  Tier-  und  Pflanzenreiches  auch  aus  ihrem  Bereich  noch  ver- 
steckte und  als  solche  nicht  erkannte  Anpassungsmerkmale,  die  man  für 
phyletische  hält,  heraustrennen  wird.  So  ist  es  ohne  weiteres  klar,  daß 
die  Herausbildung  einer  Placenta,  überhaupt  das  Uterinalleben  der  Em- 
bryonen, das  Säugen,  der  aufrechte  Gang,  also  Merkmale,  auf  denen  die 
stammesgeschichtliche  Sonderung  der  allerobersten  tierischen  Gruppen  be- 
ruht, durchaus  Anpassungen  sind,  daß  das  System  hier  also  einer  Revision 
bedarf. 

Der  nach  solcher  Kritik  übrigbleibende  Rest  von  Organisationsmerk- 
malen allein  ist  es,   auf  den  sich  nun   die   Entwicklungstheoretiker  noch 

182 


zu  stützen  versuchen  können,  mit  der  Behauptung,  diese  seien  der  Aus- 
druck einer  allerdings  unerklärbaren,  aber  vorhandenen  Vervollkommnungs- 
tendenz, die  aus  den  Urtieren  und  Urpflanzen  langsam  die  obersten  Grup- 
pen des  Systems  herausentwickelt  habe.  Tatsächlich  findet  sich  diese  Be- 
hauptung, wenn  auch  nicht  auf  derartig  letzte  Formeln  zugespitzt,  in  der 
entwicklungstheoretischen  Literatur.  Aber  man  kommt  damit  nicht  weit. 
Denn  gerade  die  phyletischen  Merkmale  lassen  sich  nicht  eines  aus  dem 
anderen  ableiten,  wie  es  die  Entwicklungslehre  fordern  müßte.  Und,  noch 
wichtiger,  auch  nebeneinander  gestellt,  geben  sie  keine  Stufenfolge  von 
Vervollkommnung.  Um  das  zu  beweisen,  sei  mir  gestattet,  einige  von 
ihnen  vorzuführen.  Wenig  zweifelhafte  Organisationsmerkmale  sind  z.  B. 
die  Einzelligkeit  der  Protozoen  und  vieler  Algen,  die  Zellenlosigkeit  der 
Siphoneen,  der  radiär-symmetrische  Bau  der  Stachelhäuter  (Echinoderma- 
ten)  und  Hohltiere  (vgl.  Abb.  73  [Coelenteraten]),  der  bilaterale  Bau  und 
die  Gliederung  der  Würmer,  Gliederfüßler,  Arthropoden  und  Wirbeltiere.^) 
Aber  wir  haben  gar  keinen  Anhaltspunkt,  daß  die  bilateralen  Tiere  aus 
den  radiären  hervorgegangen  sind,  die  zelligen  Pflanzen  aus  den  zellen- 
losen, die  metamerischen  Tiere  aus  den  ungegliederten  oder  die  Metazoen, 
also  die  Vielzeller,  aus  den  Einzellern.  Oder  auch,  wie  das  der  deutsche 
Zoologe  V.  Franz  mit  Recht  allenthalben  betont,  nichts  berechtigt  uns 
zu  sagen,  ein  Insekt  sei  ein  „vollkommeneres"  Wesen  als  ein  Ringelwurm, 
eine  Maus  als  Säugetier  sei  vollkommener  als  der  Vogel  Buchfink.  Im 
Gegenteil,  wenn  man  ein  einzelliges  Tier,  etwa  ein  Glockentierchen  (Bd.  I 
Abb.  77)  mit  der  Zelle  eines  „höheren"  Tieres  (vgl.  Bd.  I  Abb.  90)  ver- 
gleicht, ist  sie  in  ihrer  Arbeitsteilung  unvergleichlich  höher  organisiert, 
desgleichen  irgendeine  Algenzelle  im  Vergleich  zu  der  Gewebszelle  einer 
Blütenpflanze.  Und  wenn  man  sich  an  das  Ganze  hält  und  das  ganze 
Rädertier  (Bd.  I  Abb.  82)  mit  dem  ganzen  Säugetier  vergleicht,  wer  kann 
da  von  einem  physiologischen  Höher  oder  Niedriger  reden?  Der  eine  lebt 
so  vollkommen  wie  der  andere,  die  Instinkte  der  Insekten  sind  in  vielem 
sogar  komplizierter  als  die  eines  Schweines  oder  einer  Ratte,  der  , .Stamm- 
baum der  Seele"  ist  ganz  anders  geartet  als  der  der  „Körper",  die  niedrig- 
stehenden Ringelwürmer  sind  intelligenter  als  die  hochstehenden  Muscheln, 
eine  Ameise  entfaltet  mehr  „Leistungen"  als  das  Faultier  oder  die  Gans, 
und  sogar  in  der  Arbeitsteilung  und  Komplikation  der  Organe  und  Zellen 
steht  eine  Biene  dem  Bau  eines  Fisches  nicht  nach. 

Das  Problem  ist  also  so:  Entweder  zeigt  sich  der  tiefer  dringenden 
Forschung,  daß  alle  Organisationsmerkmale  sich  doch  noch  auf  „vererbte 
Anpassungen"  zurückführen  lassen,  und  dann  ist  die  Frage  nach  der  Ver- 

•)  Ich  will  aber  nicht  leugnen,  daß  auch  diese  Merkmale  nicht  ganz  der  Diskussion 
entrückt  sind,  da  es  z.  B.  bilateral  symmetrische  Medusen  (Cestus,  Leptoplana)  gibt 
und  es  denkbar  ist,  daß  die  Einzelligkeit  der  Urtiere  und  Urpflanzen  eine  Anpassung 
an  deren  Lebensweise  sein  könnte.   (Vgl.  Anmerkung  80.) 

183 


vollkommnung  ohnedies  erledigt,  oder  es  bleibt,  wie  man  heute  annimmt, 
ein  Rest  von  „Stammesmerkmalen"  übrig,  und  dann  zeigt  sich  in  diesen 
nur  ein  Mannigfaltigkeits-,  nicht  aber  ein  Vervollkommnungsgesetz,  In 
diesem  Fall  wird  man  sich  nur  das  schon  erwähnte  (Bd.  I  S.  98)  be- 
friedigendere Bild  von  der  Ursache  des  Aassterbens  der  Arten  machen 
können,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  Organisationsmerkmale  ein  fester, 
nicht  überschreitbarer  Rahmen  für  die  Anpassung  sind.  Nur  in  ihrem 
Rahmen  kann  der  Organismus  den  Ereignissen  entgegentreten.  Fordern  die 
Verhältnisse  mehr,  dann  kann  keine  Anpassung  erfolgen,  und  der  Organis- 
mus kann  den  gebotenen  Ausgleich  nicht  mehr  vollziehen.  So  wäre  dann 
die  phylogenetische  Beschränkung  die  Ursache,  warum  so  viele  Lebens- 
formen im  Zusammenprall  mit  den  "Wellen  des  Weltgeschehens  ebenso 
untergehen,  wie  unter  den  Menschen  die  Ideologen,  die  durch  die  sie  be- 
seelende „Idee",  letzten  Endes  durch  ihren  Charakter  gehindert  werden, 
schrankenlos  jede  geforderte  Anpassung  zu  vollziehen.  Wer  lieber  ver- 
hungert, bevor  er  inmitten  von  fremden  Broten  sitzend  das  Gebot  der  ihm 
anerzogenen  Ehrlichkeit  verletzte,  ist  in  der  gleichen  Lage,  wie  es  durch 
diesen  Gedanken  mutatis  mutandis  für  die  Welt  der  Organismen  voraus- 
gesetzt wird.  Im  Verfolg  dieser  Denklinie  wird  man  entdecken,  daß  es 
eine  genaue  Norm  gibt,  welche  technischen  Leistungen  dem  menschlichen 
Organismus  zugemutet  werden  können  und  welche  nicht.  Alle,  soweit  sie 
kein  phylogenetisches  Merkmal  betreffen.  Er  wird  also  z.  B.  über  seine 
Coelomhöhle,  die  Metamerie,  das  innere  Skelett,  die  Bilateralität  in  allen 
Wandlungen  seiner  Zukunft  dennoch  niemals  hinauskommen. 

Und  in  die  gleiche  Linie  gehört  es  schließlich  auch,  daß  nicht  die  Phylo- 
genie  zum  Optimum  jähren  wird,  sondern  umgekehrt:  das  einmal  erreichte 
Optimum  wird  höchstens  die  Grundlage  des  stammesgeschichtlichen  Auf- 
stieges sein  können,  wenn  sich  ein  solcher  erweisen  ließe.  Die  Entwick- 
lungstheoretiker haben  es  ganz  übersehen,  daß  schon  ihre  Frage:  was 
die  Ursache  des  „phylogenetischen  Aufstieges"  sei,  falsch  formuliert  ist. 
Angesichts  des  Optimumgesetzes,  insbesondere  dessen,  daß  die  Organi- 
sation der  Lebewesen  erst  einmal  dem  Optimum  nahestehen  mußte,  damit 
es  dieser  überhaupt  aushielt,  seine  Organisation  fundamental  zu  ändern, 
kann  man  das  Optimum  nicht  erst  als  Ziel  an  das  Ende  der  phylo- 
genetischen Reihe  setzen,  sondern  muß  es  voraussetzen.  Mit  anderen 
Worten,  was  vorhin  aus  der  vergleichenden  Betrachtung  der  sogenannten 
niederen  und  höheren  Lebewesen  gewonnen  wurde,  läßt  sich  auch  schon 
aus  der  bloßen  Überlegung  erfolgern:  an  Lebensfähigkeit  lassen  sich  die 
phylogenetisch  noch  unentwickelten  Tiere  und  Pflanzen  auch  von  den  an- 
deren nicht  übertreffen,  und  somit  kann  es  in  dieser  Beziehung  überhaupt 
keine  Entwicklung  geben.  Die  Änderungen,  ob  nun  in  den  Anpassungen 
oder  in  der  Organisation,  können  nur  das  eine  bezwecken,  sich  mit  dem 
Transmutationismus  der  Umwelt  jeweils  in  Einklang  zu  setzen,  um  hierin 

184 


den  Ausgleich  zu  suchen.  Dieses  Optimum  sucht  auch  die  Fortpflanzung. 
Der  Zeugungsakt  legt  deshalb  gewissermaßen  die  vom  Organismus  über 
den  „gegenwärtigen  Zustand  der  Umwelt"  erworbenen  Erfahrungen  zu- 
sammen, damit  die  neue  Generation  wieder  ihre  Einstellung  finden  kann. 

In  Summa:  Wie  man  es  auch  drehen  und  wenden  mag,  eine  Entwick- 
lung in  dem  Sinne,  daß  die  Welt  im  ganzen  jrüher  unvollkommener  war 
und  in  Zukunft  leistungsjähiger  sein  wird,  findet  der  prüfende  Verstand 
nirgends,  wohl  aber  einen  Transmutationismus  überall  dort,  wo  kein 
Gleichgewicht  in  den  Beziehungen  von  Teilen  zueinander  und  zum  Ganzen 
besteht.  Und  diese  Änderungen  streben  überall  den  Ausgleich  an,  sind 
also,  da  er  zum  Optimum  der  Welt  gehört,  opiimoklin.  Was  man  Ent- 
wicklung nennt,  ist  in  jeder  ihrer  Formen  ein  Ausgleichsvorgang ,  ein 
Phänomen  im  Rahmen  des  Optimumgesetzes,  das  man  auch  so  definieren 
kann,  daß  alle  Beziehungen  bis  zur  Erreichung  ihres  vollkommenen  Aus- 
gleiches inkonstant  sind.  Diese  Fassung  lenkt  die  Aufmerksamkeit  auch 
nachdrücklich  darauf,  daß  nicht  nur  im  Kosmos,  sondern  im  ganzen  Be- 
reich des  Bios  alles  solange  nach  seinem  Optimum  strebt,  bis  der  Aus- 
gleich des  Günstigen  und  Mißlichen  eintritt,  daß  aber  auch  hier 
die  Transmutation  stets  an  Bedingungen  geknüpft,  von  Störungen  ab- 
hängig ist. 

Es  müssen  daher  auch  in  dem,  was  man  geistige,  soziale,  geschichtliche 
usw.  Entwicklung  nennt,  Perioden  des  Stillstandes  mit  denen  des  Fort- 
schrittes abwechseln.  Tatsächlich  ist  auch  in  der  Geistesgeschichte  des 
Menschen  kein  „Gesetz  des  Fortschrittes"  erkennbar,  wenn  auch  das  Sich- 
entfalten der  in  ein  Individuum  oder  Volk  gelegten  Eigenschaften  und  die 
fast  stete  Transmutation  solches  vortäuschen.  Was  im  Organismus  sich 
als  ontogenetische  Entfaltung  kundgibt  und  die  Annalen  der  Entwicklungs- 
lehre füllt,  zeigt  sich  auch  im  geistigen  Leben  in  gleichem  Gesetzesablauf, 
und  darauf  >  beruht  die  von  Oswald  Spengler  verkündete  Entdeckung  vom 
Werden,  Blühen,  Wachstum,  Altern  und  Tod  der  Völker  und  ihrer  Kul- 
turen «i),  so  sehr  auch  Spengler  jeden  „Naturalismus"  ablehnt.  Die  Mensch- 
heit versuchte  erst  jeden  anderen  Denkweg  zu  gehen  und  läuft  auf  diesen 
anderen  Wegen  heute  noch,  gepeinigt  von  dem  Selbstgefühl,  etwas  Be- 
sonderes und  Anderes  zu  sein  als  die  Welt;  sie  wird  aber  doch  endlich 
zu  der  einfachen  Konstatierung  zurückfinden,  an  der  sie  immer  wieder  vor- 
beiging, daß  ein  alter  Baum,  etwa  eine  tausendjährige  Eiche  oder  der 
nächstbeste  Naturwald  seine  soziale  und  organisatorische  Struktur  die  Jahr- 
tausende hindurch  ohne  jede  Änderung  aufrechterhält,  während  die  Men- 
schen ihre  soziale  Strukhir  ununterbrochen  umorganisierten;  auch  jetzt 
sind  sie  wieder  mitten  in  einem  solchen  Umbau  darin.  Zehnmal  haben 
sie,  seitdem  sie  Erinnerungen  haben,  ihres  Lebens  Formen  geändert;  seit 
tausend  Jahren  in  diesem  Lande  allein  primitiv,  romanisch,  gotisch,  renais- 
sancemäßig und  barock,  rokoko,  klassisch,  biedermeierisch,  historisch  und 

185 


modern  gelebt  und  gebaut,  sich  immer  wieder  anders  gekleidet,  sich  immer 
wieder  in  anderen  sozialen,  politischen,  gesellschaftlichen  Daseinsformen 
versucht.  Ihre  Lebenstechnik  hat  ununterbrochen  „lebenstechnisch  trans- 
mutiert", mit  Hohn  und  Dünkel  hat  man  so  lange  im  Gefühl  von  Fort- 
schritt und  „höherem  Menschentum"  auf  die  Vorfahren  herabgeblickt,  bis 
sich  fast  das  gegenteilige  Gefühl  einstellte  und  man  heute  nicht  mehr 
im  Ernst  glaubt,  der  Mensch  der  Gegenwart  sei  in  irgend  einer  Beziehung 
mehr  Mensch  als  die  Menschen  von  Einst. 

Der  Wald  aber,  sein  Gegenbeispiel,  ist  als  Schlußverein  inzwischen  un- 
verändert geblieben  und  bewies,  daß  er  lebenstechnisch  optimal  organisiert 
sei;  die  Menschheit  dagegen  muß  sich  entwickeln,  weil  sie  immer  noch  nach 
ihrer  „optimalen"  Lebensform  sucht.  Das  hat  der  große  Philosoph  des 
Entwicklungsgedankens,  //.  Spencer,  auch  eingesehen  schon  in  seinem 
Erstlingswerk,  der  „Sozialen  Statik",  wenn  er  dort  betont,  daß  der  Mensch 
aus  den  Notzuständen  seines  Lebenskreises  gezwungen,  die  steten  Ver- 
änderungen durchläuft,  die  sein  soziales  Leben  charakterisieren,  daß  dies 
aber  in  optimokliner  Richtung  geschieht  und  mit  dem  sozialen  Ausgleich 
zur  Ruhe  kommen  wird. 

So  paradox  das  im  ersten  Augenblick  auch  erscheinen  mag,  so  muß  die 
objektive  Denkungsart  gerade  bei  ihrer  Auffassung  der  Entwicklung  als 
einer  Entfaltung,  Spencer  als  einen  ihr  Nahestehenden  reklamieren,  trotz- 
dem er  die  „Fortentwicklung",  wie  das  Lieblingswort  des  Spencerismus 
lautet,  zur  absoluten  Weltparole  machte  und  auf  sie  seine  gesamte  Philo- 
sophie einstellte.  Hinter  der  Spencer^sohtn  Entwicklung  steckt  nämlich 
letzten  Endes  nichts  anders  als  das  Optimumgesetz  des  Seins  (vgl.  Bd.  I 
S.  98).  Den  Beweis  hierfür  zu  führen,  fällt  nicht  schwer.  Ausgangspunkt 
seiner  Auffassung  war,  wie  bereits  erwähnt,  die  Baer^soht  Formel:  Ent- 
wicklung sei  der  Übergang  von  der  Homogenität  zur  Heterogenität,  eine 
Definition,  die  von  dem  deutsch-russischen  Zoologen  aus  der  Eifurchung 
abgeleitet  worden  war. 

In  der  Sprache  der  Spencer'sch^n  Philosophie  (bekanntlich  immer  noch 
die  herrschende  im  englischen  Kulturkreis)  ausgedrückt,  erkannte  nun 
Spencer  alsbald,  daß  diese  Formulierung  nicht  nur  die  organische,  son- 
dern auch  die  unorganische,  kurz  alle  Entwicklung  umfasse.  Aber  in  jener 
Reihe  von  Artikeln,  in  der  sich  die  Klärung  und  die  Anerkennung  seiner 
Ansichten  vollzog,  dringt  schon  alsbald,  wie  z.  B.  in  der  „Erziehungs- 
kunst", die  Auffassung  durch,  der  Gang  des  geistigen  Wachstums  sei 
eine  bloße  Entfaltung  vom  Einfachen  zum  Zusammengesetzten,  ein  rein 
mechanisches  Problem  von  Gleichgewichtsfragen  in  einem  sich  differen- 
zierenden System.  Bald  taucht  nun  die  Formel  auf,  Entwicklung  sei  eine 
Anhäufung  (das  nennt  er  Integration  in  seiner  Sprache)  von  Stoff  unter 
gleichzeitiger  Zerstreuung  (Desintegration)  von  Bewegung  (also  letzten 
Endes   Energie)   aus  relativ  unbestimmter   Ungleichartigkeit,  wobei  er  zu- 

186 


gleich  zugibt,*)  daß  jedem  Werden  ein  Vergehen,  jeder  Entwicklung  ihre 
Auflösung  gegenübersteht,  weil  das  Universum  von  antagonistischen  Kräf- 
ten beherrscht  wird  und  einen  ewigen  Rhythmus  von  Evolution  und  Disso- 
lution  durchmacht. 

Die  Grenze  der  Entwicklung  wird  erreicht  sein,  wenn  alle  Bewegung 
der  großen  Massen  in  eine  solche  der  kleinsten  Teile  umgewandelt  sein 
wird,  wodurch  ein  allgemeines  Gleichgewicht  entstehen  muß.  Die  Ent- 
wicklung verläuft  umso  schneller,  je  weiter  sie  von  diesem  Ziel  entfernt 
ist,  und  desto  langsamer,  je  mehr  sich  die  Systeme,  in  denen  sie  sich  voll- 
zieht, dem  vollkommenen  Gleichgewichtszustand  nähern.  Daß  ein  solcher 
erreicht  werden  muß,  daran  zweifelt  Spencer  nicht  einen  Augenblick. 
.Wenn  er  allerdings  meint,  daß  dann  sofort  die  Dissolution  einsetzen 
müsse,  so  ist  damit  eine  Behauptung  ausgesprochen,  die  über  die  Erfah- 
rung hinausgeht  und  insofern  angezweifelt  werden  kann;  daran  aber  kann 
nicht  mehr  gezweifelt  werden,  daß  auch  die  Spencer'sche  Auffassung  der 
Entwicklung  gleich  der  unseren  nichts  anderes  im  Geschehen  sieht,  als 
eine  optimokline  Entfaltung  der  einmal  in  das  Weltsystem  gelegten  Eigen- 
schaften. Neues  wird  auch  durch  sie  nicht  in  die  Welt  gebracht  —  letzten 
Endes  ist  also  auch  der  so  viel  gefeierte  Paladin  der  Entwicklungstheorie 
der  Anhänger  eines  Konstanzglaubens,  der  sich  mit  dem  einer  ewigen 
Transmutation  logisch  vereint. 

Gewiß  bestehen  zwischen  der  objektiven  Philosophie  und  dem  Positi- 
vismus der  Spencer'szhtn  Richtung  eine  Reihe  von  Differenzen,  (so,  wenn 
er  zwar  sehr  richtig  die  biologische  Entwicklung  durch  die  astronomisch- 
geologischen Rhythmen  der  Erde  bedingt  sein  läßt,  dennoch  aber  das  Vor- 
handensein von  Beharrungsperioden  leugnet),  trotzdem  werden  die  An- 
hänger Spencers  sie  überbrücken  und  in  ihrem  Weltprinzip  unser  Opti- 
mumgesetz wiedererkennen,  nach  dem  jedes  Sein  in  allen  Integrations- 
stufen und  mit  jeder  Funktion  drängt. 

In  welcher  Funktion  aber  diese  Entfaltung  zum  Optimum  durch  die  an- 
deren Gesetze  des  Weltenseins  geregelt  und  allein  ermöglicht  ist,  das  zu 
untersuchen,  ist  die  Aufgabe  der  zwei  nächstfolgenden  Abschnitte.  Und 
erst  dann  wird  es  an  der  Zeit  sein,  zu  betrachten,  in  welchen  Lebensformen 
sich  des  Menschen  Dasein  abspielen  muß,  wenn  er  endlich  von  dem  Alp 
eines  „Sich-Entwickelns  ohne  Ziel"  befreit  ist  und  wieder  feste,  ewige 
Sterne  über  sich  sieht. 


*)  H.  Spencer,  First  principles.  6.  Ed.  §  145. 


187 


Anmerkungen  und  Zusätze 

48  (Zu  S.  132).  Da  dieser  Punkt  wichtig  ist  zur  gesamten  Einschätzung  der  objek- 
tiven Philosophie,  will  ich,  zur  reinlichen  Scheidung  vom  Materialismus,  ihn  nochmals 
hervorheben,  obzwar  fast  keine  Seite  des  vorliegenden  Werkes  nicht  in  irgendeiner 
Form  die  Scheidung  von  dem  unberechtigten  Teil  des  Materialismus  durchführt.  Man 
mißverstehe  also  nicht.  Nicht  das  wird  hier  gesagt,  daß  Leben  und  Geistestätigkeit 
auch  nur  Chemophysik  schlechthin  sind,  sondern,  daß  es  heute  zwei  Arten  von  Chemo- 
physik  gibt,  eine  teleologiefreie  (deren  Gebiet  sehr  eingeengt  ist,  sich  vielleicht  ein- 
mal verflüchtigt)  und  jene  teleologisch  verkettete,  die  man  Lebenserscheinung  und 
Geistesleben  nennt.  Also  nicht  das  Leben  wird  mechanisiert,  sondern  die  Chemophy- 
sik wird  „vitalisiert".  Und  das  ist  der  grundlegende  Unterschied  zum  Materialismus. 
Nach  Lebensgesetzen  hat  die  Welt  verstanden  und  das  Leben  geordnet  zu  werden, 
nicht  nach  chemophysikalischen  allein.  Die  Welt  ist  ein  „Erleben",  sie  ist  mehr  als 
ein  Kosmos  (eine  bloß  durch  mechanische  Gesetze  geordnete  Vielheit),  sondern  sie 
ist  ein  Bios  (eine  durch  Lebensgesetze  geordnete  Vielheit).  Das  ist  die  grundlegende 
Auseinandersetzung  mit  dem  Materialismus,  aus  der  alles  weitere  folgt.  Der  Materia- 
lismus enthält  Wahrheiten,  aber  er  ist  nicht  die  ganze  Wahrheit. 

49  (Zu  S.  133)  Vgl.  //.  Hertz,  Die  Prinzipien  der  Mechanik.  Leipzig  1894.  J.New- 
ton, Philosophie  naturalis  principia  mathematica.   London  1867. 

50  (Zu  S.  136).  Das  wird  neuerdings  von  verschiedenen  Forschern  auch  erkannt. 
So  versucht  A.  Cohen-Kysper  (Die  mechanistischen  Grundgesetze  des  Lebens.  Leip- 
zig 1914)  zu  Lösungen  ganz  im  Sinne  der  objektiven  Philosophie  zu  kommen,  und 
auch  L.  Kohl,  (Das  Ziel  des  Lebens,  München  1920),  versucht  die  Mathematik  auf 
den  Begriff  einer  moralischen  Energie  anzuwenden. 

51  (Zu  S.  136).  Vgl.  namentl.  A.  Comte,  Cours  de  la  philosophie  positive.  Paris. 
5.  Aufl.  1893.  H.  Spencer,  Grundlagen  der  Philosophie.  1895.  G.  Ratzenhof  er.  So- 
ziologische Erkenntnis.  Leipzig  1897  und  Positive  Ethik.  Leipzig  1900.  /.  Unold, 
Organische  und  soziale  Lebensgesetze.  Leipzig  1906.  O.  Spengler,  Der  Untergang 
des  Abendlandes.  Bd.  I.  Wien  1917.  Ebenso  die  Schriften  der  Darwinianer  Wolt- 
mann,  Lütgenau  und  Schallmeyer  und  Häckels  Welträtsel  1899. 

52  (Zu  S.  139).  Vgl.  E.  Dühring,  Kritische  Geschichte  der  Nationalökonomie  und 
des  Sozialismus.  Leipzig  1900. 

53  (Zu  S.  140).  Die  physikalische  Beobachtung  kann  nie  ein  Korrektiv  der  „biolo- 
gischen" Einsicht  sein,  denn  sie  zeigt  nur,  daß  sich  die  „Auswahl"  unserer  Sinnestätig- 
keit, also  der  sinnesphysiologische  und  psychische  Prozeß  so  abspielt  wie  das  Gesetz 
der  Mathematik,  d.  h.,  daß  eben  das  ,„Seelische"  immer  identisch  funktioniert,  ob  es 
nun  Abstraktionen  verknüpft  oder  Sinneseindrücke.  Dies  sieht  man  z.  B.  aus  der  üb- 
lichen Ableitung  des  Parallelogramms  der  Geschwindigkeiten.  Der  Physiker  legt  sich 
eben  alles  nach  den  ihm  an  der  Erfahrung  innegewordenen  Denkgesetzen  zurecht  und 
schuf  sich  so  seine  klassische  und  jetzt  wieder  die  neue  Mechanik,  die  sich  von  der 
alten  in  nichts  anderem  unterscheidet,  als  in  der  Einsicht  von  der  Biozentrik  aller  Er- 
kenntnis, also  nur  „Relativität"  aller  Beziehungen. 

54  (Zu  S.  144).  Die  Auffassung  der  „Soziologie  als  Mechanik  menschlicher  Bezie- 
hungen" hat  grundlegende  soziale  und  politische  Änderungen  zur  Folge.  Denn,  wenn 
die  Gesetze  aus  den  Beziehungen  der  Teile  eines  komplexen  Systems  fließen,  müssen 
die  Beziehungen  der  Menschen  zueinander  nach  Notwendigkeiten  geregelt  werden 
und  nicht  bloß  gefühlsmäßig  wie  bisher  durch  religiöse,  geistige,  historische  Autori- 
täten. Es  werden  also  z.  B.  ihre  Hauptgesetze  die  der  Regulation  und  der  Korrelation 
sein  müssen,  d.  h.,  jedem  wird  so  viel  Einfluß  auf  das  Ganze  eingeräumt  werden 
müssen,  als  es  seine  Potenzen  und  sein  vererbter  Funktionskomplex  fordern.  Damit 
eröffnet  sich  ein  neuer  Forschungszweig,   eine  bisher  unbekannte   historische  und 

188 


staatswissenschaftliche  Betrachtungsweise,  die  eine  „Technik  der  menschlichen  Bezie- 
hungen" aus  Biologie  und  Physik  genau  so  schaffen  wird,  wie  sich  eine  angewandte 
Chemophysik  und  Biotechnik  so  reich  als  „Technik  der  Naturkräfte"  entfaltet  hat.  Ein 
Vorläufer  auf  diesem  Wege  ist  H.Nienkamp  (H.  Kliemkc)  mit  dem  aus  seinem  Werk 
„Fürsten  ohne  Krone"  hervorgegangenen  Frey-Bund,  der  nach  Feststellung  dieser  opti- 
malen sozialen  Leiter  trachtet.  Tatsächlich  wird  die  organische  Gemeinschaft  weit  mehr 
eine  Monarchie  (aber  nicht  eine  der  reinen  Vererbung,  sondern  einer  intensiven  Aus- 
lese auf  optimales  Menschentum  hin,  wobei  die  Rassefrage  mitspielt)  als  eine  Demokra- 
tie sein,  in  der  die  Majorität  (wobei  die  Elemente  gleichgewertct  werden)  das  Handeln 
des  Ganzen  bestimmt.  Alle  Gemeinschaften  müssen  in  diesem  Punkt  einen  Entscheid 
treffen ;  die  Menschen  werden  ihm  nicht  ausweichen  können.  Wenn  sie  der  Entscheidung 
ausweichen,  dann  werden  die  Krisen  die  notwendigen  Änderungen  selbst  herbeiführen. 

55  (Zu  S.  145).  Diese  vorsichtige  Formulierung  bezieht  sich  auf  die  Erkenntnis, 
daß  die  Gehirnleistungen  im  Gehirn  nur  ein  spezialisiertes  Ausführungsorgan  besit- 
zen, aber  unter  Umständen  vertretbar  sind  durch  andere  Körpcrzellen,  wie  der  groß- 
hirnlose Hund  von  Goltz  und  die  Versuche  an  großhirnlosen  Fröschen  und  Tauben 
von  Pflüger  und  Schrader  mit  Sicherheit  ergeben  haben.  An  der  Grundtatsache  än- 
dert sich  dadurch  nichts,  nur  die  Lokalisationsfrage  der  Leistungen  und  das  Problem 
der  Vertretbarkeit  der  Hirnleistungen  ist  noch  im  Flusse. 

56  (Zu  S.  146).  Vgl.  hierzu  R.  France,  Pflanzenpsychologie  als  Arbeitshypothese 
der  Pflanzenphysiologie.  Stuttgart  190Q. 

57  (Zu  S.  147).  Vgl.  Berthelot,  Chemische  Mechanik,  gegründet  auf  Thermody- 
namik, 1879. 

58  (Zu  S.  147).  In  der  Physik  ist  der  Satz  von  der  sogenannten  „harmonischen 
Bewegung"  desgleichen  nichts  anderes,  als  die  Konstatierung,  daß  Bewegungen  unter 
bestimmten  Bedingungen  optimoklin  verlaufen.  Bei  der  Untersuchung  der  sogenannten 
harmonischen  Bewegung  macht  man  Gebrauch  vom  Kräfteparallelogramm  (vgl.  Abb. 
57).  Um  das  zu  verstehen,  betrachte  man  die  Figur  auf  S.  141,  ;iiif  der  ein  Körper  auf 
der  geraden  Linie  sich  abwechselnd  auf-  und  abbewegen  soll.  Wenn  er  nun  eine  Be- 
schleunigung erfährt,  die  nach  einem  festen  Punkte  hingerichtet  und  proportional  dem 
Abstand  von  diesem  Punkte  ist,  dann  vollführt  er  eine  harmonische  Schwingung,  bei 
der  jeder  Teil  des  Weges  sich  zum  ganzen  Weg  nach  dem  Gesetz  der  Harmonie  ver- 
hält, also  das  günstigste  Maßverhältnis  verwirklicht.  Tatsächlich  geben  Saiten,  die 
nach  diesem  Gesetz  schwingen,  harmonische  Töne.  Ein  fester  Körper,  der  so  schwingt, 
ist  absolut  elastisch,  damit  gegen  von  außen  angreifende  Kräfte  geschützt. 

Um  das  auf  seine  Richtigkeit  zu  prüfen,  beziehungsweise  das  Tempo  der  Bewegung 
zu  beschreiben,  verwendet  man,  wie  die  Figur  zeigt,  einen  Hilfskörper,  von  dem  vor- 
ausgesetzt wird,  daß  er  sich  auf  dem  gestrichelten  Kreis  mit  solcher  Geschwindigkeit 
bewegt,  daß  er  ihn  ganz  umläuft,  bis  der  Körper  seine  Amplitude  hin  und  zurück  be- 
schrieben hat;  dann  ist  auf  jedem  Punkt  des  Weges,  von  denen  die  Zeichnung  emen 
beliebigen  festhält,  das  Verhältnis  nach  dem  Gesetze  der  Harmonie  oder  des  goldenen 
Schnittes  festgelegt.    Die  harmonische  Bewegung  erfüllt  damit  das  Optimumgesetz. 

59  (Zu  S.  148).  Vgl.  R.  France.  Das  Edaphon.  Untersuchungen  über  bodenbewoh- 
nende Mikroorganismen.    2.  Aufl.    Stuttgart  1921. 

60  (Zu  S.  149).  Vgl.  E.  Dacque.  Der  Deszendenzgedanke  und  seine  Geschichte. 
München  1903. 

61  (Zu  S.  150).  Es  ist  kein  Zweifel  und  erfordert  genaueste  philologisch-historische 
Belegsarbeit,  daß  die  Wiederaufnahme  der  Entwicklung  (in  naturhistorischer  Form 
als  Abstammungsgedanke)  durch  Darwin,  Huxley  und  Hacket  nichts  als  eine  Aus- 
strahlung der  Megel'schen  Lehren  in  die  Naturwissenschaft  ist.  Der //^^i^/'schc  Grund- 
gedanke, durch  den  er  über  Schelling  und  Fichte  hinausging,  ist,  daß  das  von  ihm 
postulierte  Absolute  nicht  Sein,  sondern  Entwicklung  ist.   Der  Weltprozeß  wird  von 

189 


ihm  als  eine  „Selbstentwicklung  des  Absoluten"  aufgefaßt.  Schon  die  Hegel'sche  Me- 
thode, die  notwendig  dann  zu  gleichen  Resultaten  führt,  setzt  voraus  (und  zwar  will- 
kürlicherweise, weshalb  auch  das  Finden  von  Entwicklungssymptomen  gar  kein  Be- 
weis ist,  sondern  nur  die  Konstatierung,  daß  sich  Teile  finden  lassen,  wenn  jemand 
ein  Ganzes  in  Teilen  betrachtet),  daß  jeder  Begriff  in  sich  seinen  Gegensatz  besitze 
und  zu  dieser  Negation  forttreibe*),  um  bei  Erreichung  der  höheren,  die  Einheit  ver- 
mittelnden Form,  ad  infinitum  wieder  diesen  „Entwicklungsprozeß"  fortzusetzen.  Er 
setzt  also  in  seiner  „Phänomenologie  des  Geistes"  vor  dem  Begriff  dessen  „imma- 
nente Bewegung"  voraus.  Darum  erscheint  von  da  ab  immer  bestimmender  bei  ihm 
der  Begriff  einer  alles  durchdringenden  Entwicklung,  der  mit  der  Verbreitung  sei- 
ner Philosophie  allmählich  nun  auch  die  gesamte  Geistigkeit:  Rechtslehre,  Politik, 
Gesellschaftslehre  erfaßte,  die  Schlagworte  vom  notwendigen  politischen,  industriel- 
len, sozialen  „Fortschritt"  (nicht  das  Ziel,  sondern  das  Gehen  an  sich  ist  dieser  Rich- 
tung das  Wichtige)  schuf  und  nun  notwendig  den  Liberalismus,  mit  Marx  den  Sozia- 
lismus, den  Industrialismus  nach  sich  zog.  Der  Darwinismus-Häckelismus  war  ein- 
fach nur  die  Übertragung  dieser  Lehre  und  Schlagworte  auf  das  Gebiet  der  Naturbe- 
trachtung. Man  hatte  zwar  auch  hier  gar  keinen  Beweis  für  eine  andauernde  und  ziel- 
los fortschreitende  Entwicklung,  sah  im  Gegenteil  an  der  einzigen  Erscheinungsfolge, 
auf  die  man  alles  gründete,  an  der  Ontogenie,  daß  der  Entwicklung  sehr  bald  ein  Ziel 
gesetzt  war,  nämlich  nachdem  sich  der  Embryo  zur  Wiederherstellung  der  Eltern- 
form entfaltet  hatte;  trotzdem  herrscht  gerade  hier  unerschüttert  und  absolut  der 
Glaube  an  eine  allgemeine  Weltentwicklung,  deren  Ziele  unerkennbar  sind. 

62  (Zu  S.  151).  Poincare  zeigte  durch  mathematische  Abteilungen,  daß  die  Mecha- 
nik der  Annahme  von  Laplace  (rotierende  Kugeln  lösen  sich  in  Schalenringen  ab) 
nur  für  homogene,  nicht  aber  für  komplexe  Systeme  gilt.  Bei  diesen  müssen  Eifor- 
men  entstehen,  schließlich  hanteiförmige  Gebilde,  aus  denen  zwei  Kugeln  hervorge- 
hen. Das  bestätigt  Darwins  Sohn,  G.  H.  Darwin,  mit  seiner  Theorie,  daß  der  Mond 
als  Stück  der  Erde  (aus  dem  Stillen  Ozean  losgerissen)  zuerst  irdische  Rotation  hatte, 
aber  sie  so  wie  diese  durch  Gezeitenreibung  ändert,  so  daß  hierin  gar  keine  Stabili- 
tät besteht.  Vgl.  hierzu  Gx  H.  Darwin,  Ebbe  und  Flut.  Leipzig  1911  —  auch  als 
neuere  Kosmogonie  H.  Hörbiger  —  P.  Fauth,  Glazial-Kosmogonie,  Kaiserslautern 
1913. 

63  (Zu  S.  151).  Dabei  wird  als  neuester  Einwand  gegen  den  Wärmetod  des  Clau- 
sius  von  Arrhenius  ins  Treffen  geführt,  daß  die  ein-  und  zweiatomigen  Gase,  zu  de- 
nen auch  Helium  gehört,  sogenannte  negative  spezifische  Wärme  besitzen.  Sie  wer- 
den also  umgekehrt  wie  die  anderen  Gase  durch  Wärmeausstrahlung  wärmer,  durch 
Wärmeaufnahme  kälter.  Nachdem  nun  unendliche  Räume  des  Himmels  mit  diesen 
Gasen:  Nebulium,  Hydrogen,  Helium  erfüllt  sind,  kann  sich  nach  Arrhenius  das  En- 
tropiegesetz in  ihnen  nicht  praktisch  verwirklichen. 

64  (Zu  S.  151).  Vgl.  G.  Le  Bon.  L'evolution  de  la  matiere.  Paris  1905. 

65  (Zu  S.  152).  Vgl.  Clausius.  Die  Potentialfunktion  und  das  Potential  4.  Aufl. 
Leipzig  1885.  —  H.  Poincare,  Theorie  du  potentiel  newtonien.   Paris  1899. 

66  (Zu  S.  153).  Vgl.  Ch.  Lyell.   Principles  of  geology.   1832. 

67  (Zu  S.  155).   Vgl.  W.  Eckardt.   Palaeoklimatologie.   Leipzig  1910,  S.  6. 

63  (Zu  S.  156).  Vgl.  dazu  E.  Suess.  Das  Antlitz  der  Erde.  3  Bde.  Prag  1885  bis 
1909  und  E.  Kayser,  Lehrbuch  der  Geologie.   5.  Aufl.  Stuttgart  1919. 

69  (Zu  S.  156).  Als  Beleg  diene  F.  Frechs  Übersicht  über  die  Entstehung  des  Erd- 
reliefs: Es  gibt  nach  ihm  I.  Bruchgebiete.  Hierzu  gehören  die  Liparischen  Inseln  (ver- 
gleiche  Bd.  I,  Abb.  71),    die  Stellen   neuer  Meeressenkungen   (wie  die  Adria,    das 

*)  Wieviel?  Kraft  welcher  Eigenschaft?  Das  wird  nicht  gesagt  und  ist  willkür- 
liche Fiktion. 

190 


Schwarze  Meeis  der  Indische  Ozean)  kontinentale  Senken  nach  Art  der  afrikanischen 
Grabensenke  (Tanganjikasee)  oder  des  Rheintales.  II.  Gebirge,  die  um  die  Ursprung- 
hche  Lücke  des  Pazific  durch  seitlichen  Zug  entstanden  sind.  Man  vergleiche  dazu 
'■.  VH^^^^.^'^^'J^'^  "^^^  ^*"^^  Ozean  von  Randgebirgen  und  Vulkanketten  umrandet 
ist.  III.  Alpine  Gebirgstypen.  An  alten  Rümpfen  (Variskikum)  wird  eine  plastische 
Zone  aufgestaucht  (vgl.  F.  Frech.  Aus  der  Vorzeit  der  Erde.  II.  1910.  S.  2U). 

70  (Zu  S.  158).  Im  besonderen  tritt  neuestens  H.  Driesch  der  Auffassung  ent- 
gegen, als  sei  Entwicklung  ein  durchgängiges  Weltgesetz.  Desgleichen  //.  Ludowici 
m  einem  sehr  lesenswerten  Buch,  das  sich  bemüht,  ein  durchgängig  wirksames  Ge- 
setz des  Ausgleiches  nachzuweisen,  in  dessen  Formulierung  nichts  als  die  Erkenntnis 
der  Harmonie  als  oberste  Zusammenhangsregelung  und  damit  die  Anerkennung  der 
objektiven  Philosophie  steckt.  Vgl.  H.D/iesch,  Philosophie  des  Organischen  1911. 
Logische  Studien  über  Entwicklung.  (Sitz-Ber.  der  Heidelberger  Akademie  der  Wis- 
senschatten 1918—1919)  und  H.  Ludowici,  Spiel  und  Gegenspiel.  München  1921. 

71  (Zu  S.  159).  Vom  äußeren  Keimblatt  (Ectoblast)  stammen  z.  B.  die  äußere 
Haut  und  deren  Einstülpungen  in  den  Körperöffnungen,  das  Nervensystem,  die  Lin- 
sen. Vom  inneren  Keimblatt  (Entoblast)  die  Schleimhäute  und  die  in  sie  mündenden 
Drüsen  (Leber,  Pankreas)  im  ganzen  Bereich  der  Verdauungs-,  Atmungs-  und  Aus- 
scheidungsorgane. Vom  Mittelblatt  (Mesoblast)  zweigen  sich  ab  die  Muskeln,  die 
Auskleidung  der  Qeschlechtswege,  Keimdrüsen,  der  Niere.  Vom  Zwischenblatt  (Me- 
senchym)  die  Bindegewebe,  Knochen,  Knorpel,  Organmuskeln,  Blut-Lymphbahnen 
und  Blut-  sowie  Lymphdrüsen.  Nach  Keibel  und  Mall,  Franklin:  Handbuch  der 
Entwicklungsgeschichte  des  Menschen. 

72  (Zu  S.  160).  Bei  dem  Meereswurm  Sagitta  wies  der  französische  Zoologe  Yves 
Deläge  nach,  daß  schon  bei  der  Bildung  der  Morula  gewisse  Zellen  als  Keimzellen 
sich  isolieren  und  an  der  allgemeinen  Furchung  nicht  mehr  teilnehmen,  sondern  das 
Sondergesetz  der  Geschlechtsorganbildung  befolgen.  Auch  an  der  Gastrula  des  ein- 
fachsten Wirbeltieres  (der  Branchiostoma  lanceolata)  sondert  sich  das  Mesenchym 
durch  Einfaltung  von  vornherein  (nach  Hatschek)  ab. 

73  (Zu  S.  162).  Vgl.  P.  C.  van  der  Wölk,  in  Cultura  1919  —  Näheres  über  Mu- 
tationslehre, s.  in  P.  Kämmerer,  Allgemeine  Biologie.  Stuttgart  1905.  —  Vgl.  auch 
V.  Hacker,  Allgemeine  Vererbungslehre.  2.  Aufl.  Braunschweig  1912.  —  R.  Semon, 
Die  Mneme.   3.  Aufl.   Leipzig  1911. 

74  (Zu  S.  166).  Vgl.  hierzu  E.  Häckel,  Generelle  Morphologie.  —  W.  Boelsche, 
Entwicklungsgeschichte  der  Natur.  E.  Wiedersheim,  Der  Bau  des  Menschen  als  Zeuge 
seiner  Vergangenheit.   K.  Guenther,  Vom  Urtier  zum  Menschen. 

Nach  den  in  der  anthropogenetischen  Literatur  gegebenen  Stammbäumen  hat  sich 
dieser  Wissenszweig  folgende  Vorstellung  von  dem  Stammbaum  der  Tiere  gemacht. 

Die  12  Menschenrassen  der  Gegenwart  werden  durch  Vermittlung  des  Pithecan- 
thropus  erectus  abgeleitet  von  einer  hypothetischen,  noch  nicht  gefundenen  Vor- 
stufe (Missing  link),  die  gemeinsamen  Ursprung  mit  den  Herrenaffen  (Gorilla, 
Orang,  Schimpanse,  Gibbon)  hat,  die  also  nicht  als  unmittelbare  Vorfahren,  sondern 
als  weiterentwickelter  Seitenzweig  angesehen  werden. 

Die  Säugetiere  sind  mit  den  Reptilien  und  Vögeln  zusammen  als  Amnioten  gegen- 
übergestellt den  einheitlich  abstammenden  Anamniern  (Amphibien,  Fische,  Rund- 
mäuler, Schädellose,  Bd.  I  Abb.  26). 

Ein  Seitenzweig  von  ganz  willkürlicher  Insertion  sind  die  Gliedertiere,  geschieden 
in  die  Krebstiere  und  die  Tracheaten  (Protracheaten,  Tausendfüßler,  Spinnentiere  und 
Insekten)   (s.  Bd.  1  Abb.  46). 

Hypothetisch  als  Vorfahren  der  Wirbeltiere  gedeutet  werden  die  Manteltiere  (Tuni- 
katen)  mit  den  Seescheiden  und  Appendikularien  als  Urchordatiere. 

191 


Eine  Gruppe  einheitlicher  Abstammung  sind  auch  die  Weichtiere  (Mollusken),  die 
dreierlei  Entfaltungsreihen,  die  Schnecken  (Oasteropoden),  Muscheln  (Lamellibran- 
chiaten)  und  Kopffüßler  (Cephalopoden)  ausgebreitet  haben.    (Abb.  75). 

Ein  Phylum  von  unverkennbarer  stammesgeschichtlicher  Geschlossenheit  sind  die 
Würmer  (Vermes),  wenn  auch  im  einzelnen  die  Zusammenhänge  zwischen  Räder- 
tieren (Bd.  I  Abb.  82),  Ringelwürmern  (Anneliden),  Rundwürmern  und  Plattwür- 
mern noch  aufhellungsbedürftig  sind. 

Das  gleiche  gilt  für  die  Echinodermaten  (Bd.  I  Abb.  46),  obwohl  der  Stammbaum 
hier  von  den  Seesternen  (Asteroideen),  Seelilien  (Crinoideen)  zu  den  Seewalzen  (Ho- 
lothurioideen)  zu  den  Seeigeln  (Echinoideen)  weit  weniger  Schwierigkeiten  bereitet. 

Ganz  in  sich  geschlossen  erscheinen  auch  die  Coelenteraten  mit  den  Klassen  der 
Schwämme,  Rippenquallen  (Ctenophoren),  Polypen  (Abb.  73),  Medusen  und  der 
Korallentiere   (Bd.  I  Abb.  24). 

Um  so  hypothetischer  und  zusammenhangloser  sind  die  Urtiere  (Protozoen),  zwi- 
schen deren  Klassen  der  Wurzelfüßler  (Bd.  I  Abb.  58)  und  Flagellaten  (Bd.  I 
Abb.  79)  zwar  die  engsten  Beziehungen  bestehen.  Um  so  strenger  geschieden  sind 
die  Sporozoen  und  die  Wimpertierchen  (Ciliaten  Bd.  I  Abb.  77),  deren  wahre  stam- 
mesgeschichtliche Stellung  heute  ebenso  unklar  ist,  wie  die  der  Wenigzeller  (Meso- 
zoen)  oder  der  merkwürdigen  Häckelschen  Katallakten  und  Moneren. 

An  dem  genetischen  Zusammenhang  dieser  genannten  kleineren  und  größeren 
Gruppen  in  sich,  Ciliaten,  Sporozoen,  Rhizopoden  und  Flagellaten  (die  man  unbedingt 
vereinigen  muß),  Coelenteraten,  Vermes,  Mollusken,  Tunikaten,  Arthropoden  und 
Vertebraten  ist  kein  Zweifel  möglich.  Ganz  unklar  aber  ist  der  Zusammenhang  die- 
ser Q  Phyla  miteinander.  Namentlich  zwischen  Protozoen  und  Metazoen  klafft  eine 
unüberbrückbare  Lücke,  wenn  auch  zwischen  Coelenteraten,  im  besonderen  zwischen 
den  höchsten  Ctenophoren  und  den  niedersten  Plathelminthen  einige  Fäden  den 
Uebergang  vermitteln,  so  ist  wieder  die  Scheidung  von  Chordatieren  (Wirbeltieren) 
und  Evertebraten  eine  strenge  und  vollkommene.  Das  ist  an  sich  höchst  auffällig,  so- 
gar wenn  die  monophyletische  Abstammung  zu  recht  bestehen  sollte.  Warum  sterben 
die  Zwischenformen  innerhalb  der  Klassen  nicht  so  leicht  aus,  wie  die  innerhalb  der 
Tierstämme? 

Das  gleiche  gilt  für  die  Pflanzenarten,  deren  Stammbaum  einfacher,  aber  trotzdem 
namentlich  in  seinen  Anfängen  nicht  besser  durchschaut  ist.  Im  natürlichen  System 
von  Ä.  Engler,  das  auf  den  Stammbaum  aufgebaut  ist,  werden  die  folgenden  XII 
Stämme  des  Pflanzenreiches  unterschieden: 

I.  Schizophyta  (umfassen  Spaltalgen  und  Bakterien  (Bd.  I  Abb.  80). 
II.  Myxothallophvta  (Schleimpilze).   (Bd.  I  Abb.  92). 

III.  Flagellatae  (Bd.  I  Abb.  79). 

IV.  Dinoflagellatae   (Abb.  28). 

V.  Zygophyceae  (Jochalgen  und  Kieselalgen)   (Bd.  I  Abb.  65). 
VI.  Chlorophyceae  (Grünalgen,  inkl.  der  Siphoneen)  (Bd.  I  Abb.  87). 
VII.  Charales  (Armleuchteralgen). 
VIII.  Phaeophyceae  (Brauntange). 

IX.  Rhodaphyceae  (Rottange). 

X.  Eumycetes   (Pilze)    (Abb.  77)    (inkl.  Flechten,   Bd.  I  Abb.  94). 
XI.  Archegoniatae  (Moose  und  Farne).    (Abb.  64  bis  66). 

XII.  Phanerogamae  (Blütepflanzen).  (Abb.  40). 
Es  sind  hier  also  ganz  andere  Gesichtspunkte  der  Gliederung  in  Betracht  gezogen 
wie  in  der  Zoologie,  was  schon  an  sich  ein  Verstoß  gegen  die  Gesetze  einer  einheit- 
lichen Biologie  und  daher  unzulässig  ist.  Die  Zoologen  wählen  die  Einzelligkeit  als 
ausschlaggebendes  Merkmal  imd  vereinigen  ihm  zuliebe  in  den  Protozoen  Lebens- 
formen, die  ohne  Zweifel  nicht  voneinander  abstammen.    Die  Botaniker  legen  hier- 

192 


auf  gar  kein  Gewicht  und  vereinigen  in  den  Schizophyten,  Zygophycecn  und  Chloro- 
phyceen  unbedenklich  typische  Einzeller,  Coenobien  (vgl.  Bd.  I,  S.  220)  und  Ge- 
webepflanzen (Ulva,  Coleochaete)  sowie  Zellenlose  (Botrydium,  Caulerpa).  Desglei- 
chen im  Kreis  der  Pilze.  Die  Pilze  werden  auf  Grund  ihrer  heterotrophen  Ernäh- 
rungsweise abgeschieden,  obzwar  auch  unter  den  Kieselalgen  (Nitzschia  putrida  und 
die  edaphischen  Verwandten)  genug  heterotrophe  Formen  sind,  ebenso  unter  den 
Flagellaten,  die  von  Zoologie  und  Botanik  mit  Recht  in  Anspruch  genommen  werden 
und  auch,  ebenso  wie  die  Phanerogamen  (Lathreaea,  Rafflesia  [Bd.  I  Abb.  88]), 
Drosera  (Abb.  30)  sowohl  Saprophyten  und  Parasiten,  wie  tierisch  lebende  Formen 
umfassen. 

Das  ist  alles  unhaltbar,  und  die  Biologie  hat  alle  Ursache,  die  phylogenetische  For- 
schung nach  den  neuen  Gesichtspunkten  wieder  ganz  in  den  Vordergrund  zu  rücken. 

Sind  schon  unter  den  Stämmen  des  Tierreiches  die  verbindenden  Brücken  spärlich 
und  nicht  eben  tragkräftig,  so  sind  nur  zwischen  Archegoniaten  und  Phanerogamen 
Fäden  da,  es  fehlt  aber  jeder  Zusammenhang  zwischen  den  alten  Thallophyten  und 
den  höheren  Kryptogamen.  Es  ist  ausgeschlossen,  die  ersten  zehn  Stämme  des  Pflan- 
zenreiches irgendwie  auseinander  abzuleiten.  Die  phylogenetische  Situation  in  der  Bo- 
tanik ist  völlig  hoffnungslos.  Auch  R.  v.  Wettstein  (Handbuch  der  systematischen 
Botanik.  Leipzig  IQIO),  der  sieben  Stämme  unterscheidet  (Myxophyta,  Schizophyta. 
Zygophyta,  Euthallophyta,  Phaeophyta,  Rhodophyta,  Cormophyta)  und  damit  ohne- 
dies allen  Möglichkeiten  phylogenetischer  Zusammengehörigkeit  Rechnung  trägt,  sagt 
hierüber:  „Ich  halte  es  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  unter  den  sechs  ersterwähnten 
Stämmen  sich  Abkömmlinge  jener  Typen  befinden,  von  denen  auch  die  Cormophyten 
abzuleiten  sind,  doch  ist  es  derzeit  unmöglich,  derartige  Typen  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit nachzuweisen,  weshalb  ich  die  durchgeführte  Trennung  vorläufig  wenig- 
stens für  richtig  halte."  Vgl.  auch  A.  Engler  und  C.  Prantl,  Die  natürlichen  Pflanzen- 
familien.   1899—1900.    A.  Engler,  Das  Pflanzenreich.    Leipzig   1900. 

75  (Zu  S.  167),  Derartige  rudimentäre  Organe  des  Menschen  sind  das  Urhaarkleid 
(Lanugo)  des  Fetus,  Sohlenhornreste,  Montgomery'sche  Drüsen,  die  tierische  Thorax- 
form beim  Kinde  mit  vorschlagendem  dorso-sternalem  Durchmesser,  der  Schwund  der 
Bauch-  und  Halsrippen,  die  Reste  am  oberen  Ende  des  Sternums,  der  Processus  para- 
mastoideus,  Reste  des  Branchialskelettes,  Processus  coracoideus,  dreigliedrige  Dau- 
men, Prävalenz  des  Malleolus  tibialis  beim  Fetus,  die  Muse,  caudae  humanae,  die 
Spuren  einer  Metamerie  der  Bauchmuskeln,  Muskeln  der  Ohrmuschel,  die  Plantara- 
poneurose,  der  Muse,  flexor  pollicis  longus  proprius,  die  Zirbeldrüse  und  der  Hirn- 
anhang (Hypophyse),  das  Jacobson'sche  Organ,  das  Milchgebiß  und  die  Weisheits- 
zähne, Thyreoidea  und  Thymus,  Appendix,  Sinus  Morgagni,  Arterienbogen  in  der 
Kiemengegend,  die  Reste  des  Müller'schen  Ganges  beim  Mann,  Clitoris,  Nebennieren 
usw.  Vgl.  R.  Wiedersheim,  Der  Bau  des  Menschen  als  Zeugnis  für  seine  Vergangen- 
heit.  IV,  Aufl.   1908. 

76  (Zu  S.  172).  Die  ersten  Schritte  der  Menschwerdung  sind  nach  allem,  was  die 
vergleichende  Biologie  der  Menschenaffen  und  die  Palaeoanthropologie  weiß,  etwa 
in  folgender  Weise  vorzustellen: 

Die  vergleichende  Ökologie  der  Säugetiere  beweist,  daß  kletternde  Tiere  jeweils 
die  intelligentesten  sind,  weil  Gesicht,  Gehör  und  Tastsinn  bei  ihnen  harmonisch  in 
Anspruch  genommen,  daher  am  besten  ausgebildet  sind.  Wenn  nun  die  Proanthropo- 
iden in  einer  waldlosen  Gegend  oder  durch  Klimawechsel  zu  einer  zweibeinigen 
Lebensweise  gezwungen  waren,  wie  man  das  gelegentlich  an  den  Menschenaffen 
auch  heute  noch  sehen  kann,  dann  war  damit  eine  Änderung  der  Sinne  und  der  In- 
telligenz gegeben. 

Schon  die  Paviane  wenden  gewohnheitsmäßig  in  solchen  Gegenden  jeden  Stein  um, 
um  darunter  Insekten  zu  finden.  Auf  die  gleiche  Weise  müssen  die  Proanthropoiden 

Franci,  Bios   II  13* 

193 


bald  mit  allen  Steineigenschaften  bekannt  geworden  sein,  woran  man  bei  Beurteilung 
der  Eolithenfrage  denken  möge.  (Älteste  zweifellose  Eolithe  sind  immerhin  die  alt- 
pliocänen  von  Aurillac  im  Cantal.)  Schon  Affen  schützen  sich  durch  Zweige  vor  Re- 
gen und  Sonne.  Jedenfalls  kann  der  Weg  nicht  anders  gedacht  werden,  der  von  der 
Wissenschaft  der  Tiere  zu  jener  des  Menschen  führt. 

Auf  diese  Weise  muß  das  erste  Werkzeug  entstanden  sein,  und  es  ist  hierfür  ganz 
nebensächlich,  wie  seinerzeit  die  Streitfrage,  ob  die  Eolithe  von  Boucelles  aus  dem 
Oberoligocaen  die  ältesten  sind,  oder  ob  die  „Menschwerdung"  erst  in  späteren  Zei- 
ten des  Tertiaers  beginnt,  entschieden  wird.  Wichtiger  ist  das  heute  schon  Unbe- 
streitbare, daß  bis  zur  Gegenwart  der  Begriff  Mensch  sehr  verschiedene  Stufen 
der  „Menschwerdung"  gleichzeitig  umspannt.  Noch  jetzt  leben  mit  uns  Eolithiker; 
das  Neolithikum  ist  in  der  Südsee  in  vollster  Blüte,  ebenso  der  Pfahlbau,  die  Bronze- 
kultur ist  noch  nicht  überwunden,  und  die  Früheisenzeit  beherrscht  die  Negertech- 
niken Afrikas  dort,  wo  sie  noch  europäerungewohnt  sind.  Und  dementsprechend  fand 
auch  der  Urgeschichtsforscher  Rassen  der  verschiedenen  Stufen  nebeneinander  und 
im  Kampfe  miteinander. 

Neben  Madeleinewerkzeugen  fanden  sich  auch  Spuren  des  jüngeren  Eolithikums 
(Archaeolithikums),  so  wie  Australier,  Papuas,  Alaska-Eskimos  oder  die  Pescheräh  des 
Feuerlandes  rezente  Steinzeitler  sind.  So  wie  sie,  schweiften  auch  Horden  von 
Eolithikern  unter  den  höher  Zivilisierten.   (Rutot). 

77  (Zu  S.  174).  Vgl.  hiezu  Th.  Morgan,  Regeneration.  Leipzig  1907  und  P.  Käm- 
merer, Allgemeine  Biologie.  Stuttgart  1915. 

78  (Zu  S.  175).  Vgl.  E.  Schultz,  Über  umkehrbare  Entwicklungsprozesse.  Leipzig 
1908. 

79  (Zu  S.  181).  Zu  den  in  Bd.  I  auf  S.  94  genannten  Beispielen  tritt  noch  ein  un- 
gemein reiches  Material  der  Palaeontologie.  Rezente  Gattungen  gehen  unverändert 
zurück  bis  ins  älteste  Palaeozoikum.  Im  Silur  lebten  schon  die  Gattungen  Discina, 
Krania,  Rhynchonella,  Leda,  Area,  Avicula,  Dentalium,  Patella,  Pleurotomaria,  Turbo, 
Trochus,  Xenophora.  Der  heute  noch  lebende  Nautilus  findet  sich  in  allen  Perioden 
bis  zum  Silur.  Für  ihn  existiert  also  seitdem  kein  Entwicklungsgesetz.  Aber  auch 
für  höhere  Tiere  trifft  das  zu.  Palaeohatteria  aus  dem  unteren  Perm  stimmt  in  Vie- 
lem mit  der  auf  Neu-Seeland  noch  lebenden  Hatteria  überein. 

Die  Feinheiten  im  Aufbau  der  Echinodermaten  sind  seit  dem  Silur  die  gleichen  ge- 
blieben; sie  haben  sich  auch  nicht  morphologisch  entwickelt.  Sogar  die  Zell-  und 
Knochengewebe  devonischer  Wirbeltiere  und  jurassischer  Fische  stimmen  mit  denen 
der  Jetztzeit  überein.  Eine  histologische  Entwicklung  hat  nicht  stattgefunden. 

80  (Zu  S.  183).  Es  wäre  hier  übrigens  zu  beachten,  welch  eigentümlicher  Zusam- 
menhang zwischen  den  phylogenetischen  Merkmalen  und  der  fundamentalen  Mecha- 
nik der  Lebensweise  besteht.  Man  bedenke  doch,  daß  alle  unbeweglichen  oder  lang- 
sam sich  bewegenden  Tiere  aktinomorph  sind  (Spongiaria,  Coelenterata,  Echinoder- 
mata),  alle  schnell  und  freibeweglichen  dagegen  bilateral  (Insekta,  Vertebrata).  Be- 
sonders schön  zeigt  sich  diese  Erscheinung  im  Kreise  der  Protozoen  (Heliozoen  und 
Radiolarien  sind  radiär  gebaut,  die  rasch  beweglichen  Ciliaten  bilateral),  von  denen 
z.  B.  der  Flagellat  Dimorpha  mutans  in  seinem  rasch  beweglichen  Stadium  bilateral, 
im  ruhigen  Schwebestadium  aktinomorph  geformt  ist.  Das  gleiche  zeigt  sich  bei 
Cestus  und  Leptoplana  unter  den  Medusen.  Bilateralität  erscheint  in  diesem  Lichte 
als  „technische  Form"  einer  bestimmten  Bewegungsart. 

Wenn  dann  bilaterale  Tiere  wieder  langsame  Bewegungen  als  Lebensweise  an- 
nehmen, beginnen  sie  sich  einzurollen,  man  denke  an  die  alten  Orthoceratiten  und  die 
Ammoniten;  während  die  schnell  beweglichen  Flügelschnecken  (Pteropoden),  bila- 
teral bleiben,  rollen  sich  die  Heliciden  spiralig  auf.  Nebenbei  gesagt,  wer  könnte 
leugnen,  daß  auch  im  menschlichen  Organismus  Anzeichen  einer  Torsion  vorhanden 

194 


sind.  (Nierensitus,  Herzsitus,  ungleiche  Entwicklung  der  Lungen,  Lebcrlappen,  Rechts- 
oder Linkshändigkeit  usw.) 

81  (Zu  S.  185).  Vgl.  Osw.  Spengler,  Der  Untergang  des  Abendlandes.  Wien  1917. 
L  Bd.  Diese  Spengler'schen  Gedanken  von  den  „physiologischen  Funktionen"  der 
Völker  kennt  das  wissenschaftliche  Denken  allerdings  schon  seit  A.  Comte  und  H. 
Spencer.  Spencers  „Soziale  Statistik"  von  1850  (also  vor  dem  Darwinismus  und  vor 
HaeckeVs  Auftreten)  enthält  bereits  diese  Grundgedanken,  wonach  der  Mensch  ganz 
den  Gesetzen  des  Lebens  unterworfen  sei,  und  in  seinem  Essay  über  die  Entwick- 
lungshypothese von  1852,  der  die  K.  E.  v.  5a<?/-'schen  Gedanken  aufnimmt  und  auf 
höherer  Stufe  verarbeitet,  ist  im  Prinzip  auch  schon  die  Spengler'schQ  Konsequenz 
für  das  Völkerleben  vorweggenommen.  Bei  ihm  ist  anerkennenswert  früh  schon 
die  Erkenntnis  ausgesprochen,  daß  die  Differenzierung  der  Völker  stets  mit  einer 
Abnahme  der  Fruchtbarkeit  verbunden  sei.  Eine  Fülle  ähnlicher  Gedanken  entwickelt 
dann  teilweise  in  seinen  Bahnen  der  deutsche  Sozialethiker  /.  Unold  (Organische 
und  soziale  Lebensgesetze.  Leipzig  1906),  der,  sogar  darüber  hinausgehend,  sehr 
wohl  die  „Beharrungsepochen"  in  der  Geschichte  der  Menschheit  kennt  und  zugibt, 
wie  auch  den  Begriff  der  historischen  „Reize"  (Bedürfnisse)  als  Auslösung  von 
Entwicklungsperioden.  In  dem  Maße,  in  dem  sich  Spengler  mit  diesen  Ideen  aus- 
einandersetzen wird,  wird  sein  „autonomer"  Standpunkt  sich  immer  mehr  in  einen 
objektiven  wandeln. 


195 


Das  Selektionsgesetz 


Die  Ausgleichsprozesse  der  Welt  —  Klärung  der  Begriffe  Optimum  und  Harmonie  — 
Nur  optimales  Sein  gelangt  zur  Harmonie  —  Auch  die  Optima  bedürfen  eines  wech- 
selseitigen Ausgleichs  —  Die  Unterschiede  in  der  Dauer  —  Die  Umwelt  begrenzt  die 
Dauer  —  Das  Fundament  einer  objektiven  Ethik  —  Möglichkeit  einer  Weltselektion 

—  Die  gegenseitige  Hilfe  als  antiselektives  Mittel  —  Die  Hilfsmittel  der  Organis- 
reits  ein  Selektionsergebnis  —  Selektive  Prozesse  in  der  Physik  —  Selektive  Ab- 
sorption —  Semipermeable  Membranen  —  Selektive  Katalyse  —  Der  selektive  Bau 
der  Kristalle  —  Erosion  als  selektives  Geschehen  —  Die  Auslese  der  Wolkenformen 

—  Der  Selektionsgedanke  bei  Malthus  und  Darwin  —  Die  Gewebe-  und  Panselektion 

—  Die  gegenseitige  Hilfe  als  antiselektives  Mittel  —  Die  Hilfsmittel  der  Organis- 
men zur  Sabotage  der  Selektion  —  Die  Migrationen  der  Organismen  —  Die  Schreck- 
und  Warnfarben  —  Ausmerzende  Wirkung  der  Selektion  —  Der  Wille  als  Selektor 

—  Selektion  als  Vorfrage  des  Erkennens  —  Die  Selektion  im  praktischen  Leben  und 
in  der  Kunst  —  Selektive  Nahrungswahl  —  Die  Bewegungswahl  der  Pflanzen  — 
Die  geschlechtliche  Zuchtwahl  und  ihre  Grenzen  —  Kritik  der  Darwin'schen  Selek- 
tionslehre —  Die  Selektion  ist  nicht  schöpferisch  —  Die  Fluktuationen  sind  nicht  art- 
bildend —  Das  Quetelet'sche  Gesetz  —  Das  Galton'sche  Rückschlaggesetz  —  Nach- 
weis der  Unrichtigkeit  der  Darwin'schen  Selektionsannahme  —  Das  wahre  Selektions- 
gesetz —  Zusätze  und  Anmerkungen. 

Was  immer  von  den  Bestandteilen  der  Welt  unserer  Betrachtung  zu- 
gänglich geworden  ist,  überall  trat  derselbe  Eindruck  entgegen,  der  sich 
namentlich  in  dem  Abschnitt  über  das  Optimum  häufte:  Alles  ist  unstabil, 
alles  ändert  sich,  bis  ein  Aussieich  erreicht  ist.  Diese  Erfahrung  haben 
nicht  wir  allein  gemacht.  Seit  dem  berühmten  panta  rhei  des  Heraklit 
hat  die  Menschheit  immer  wieder  in  neuen  Ausdrucksformen  im  Glück 
die  Veränderlichkeit  des  Seins  beklagt  und  im  Leid  aus  ihr  Trost  ge- 
schöpft. Diese  Erfahrung  war  und  ist  in  den  naiven  Gemütern  noch  sicher 
auf  lange  hinaus  die  stärkste  Stütze  des  Entwicklungsglaubens. 

Es  zieht  sich  aber  für  jene,  welche  dieses  Werk  aufmerksam  studierten, 
stets  eine  noch  nicht  gelöste  Antinomie  durch  seine  Ergebnisse,  so  oft 
dieser  erreichte  Ausgleich  berührt  wurde.  Das  einemal  endete  nämlich 
die  Unstabilität,  sowie  das  Optimum  eines   Zustandes  erreicht  war.    Die 

196 


stete  Beweglichkeit  einer  Talwand  dauert  an,  bis  ihr  Optimum,  nämlich 
der  Böschungswinkel  von  45°  erreicht  ist,  worauf  ohne  Hinzutreten  neuer 
Kräfte  das  Rutschen  des  Gerölles  aufhört.  Diese  Erfahrung,  von  der  bei 
Anlage  von  Eisenbahn-  oder  Flußdämmen  täglich  Gebrauch  gemacht  wird, 
macht  diesen  Satz  sicher.  Das  andere  Mal  aber  sahen  wir,  daß  auch  das 
erreichte  Optimum  der  Einzelteile  ihnen  noch  keine  Dauer  verschafft,  daß 
sie  auch  dann  steter  Änderung  unterworfen  sind,  bis  nicht  ein  neuerlicher 
Ausgleich  höherer  Stufe,  nämlich  das  Eintreten  eines  Zustandes,  den  wir 
Harmonie  nannten,  dem  ein  Ziel  setzt.  Wir  haben  gelernt,  das  Leben  als 
einen  Ausgleich  widerstrebender  Kräfte  aufzufassen;  wir  bewunderten,  um 
unser  Denken  auf  ein  anschauliches  Beispiel  zu  richten,  die  Pflanzen,  die 
Gräser,  Blumen  und  Kräuter  einer  Wiese  als  optimale  Lösungen  des 
Lebensproblems,  allerdings  als  ein  Optimum,  das,  stets  erreicht  und  jeden 
Augenblick  zerstört,  sich  nur  durch  den  Lebensprozeß  immer  wieder  er- 
halten und  neu  aufrichten  kann.  Und  trotzdem  ist  eine  solche  Pflanzen- 
gesellschaft nichts  Dauerndes.  Die  Untersuchungen,  namentlich  der  dä- 
nischen Botaniker  und  des  Deutschen  Schimper  haben  gezeigt,  daß  eine 
stete  Änderung  der  Vegetationen  stattfindet,  auch  ohne  daß  klimatische  oder 
geologische  Änderungen  solches  provozieren.  Die  einzelnen  Pflanzen- 
individuen passen  sich  aneinander  an,  und  die  Arten  schließen  sich  zu 
Vereinen  zusammen,  von  deren  Existenz  wohl  schon  jeder  das  Eine  oder 
Andere  erfahren  hat,  und  sei  es  nur  in  der  Form,  daß  es  ihm  aufgefallen 
ist,  daß  Brennesseln  fast  stets  mit  Melden,  Hirtentäschel  und  Disteln  bei- 
sammen stehen  oder  Kuckuckslichtnelken  mit  Hahnenfüßen  und  Günsel, 
oder  daß  Waldmeister  nur  unter  Buchen  wächst.  Wer  kein  Botaniker  ist, 
schaue  sich  das  große  „Rasenstück"  des  Dürer  einmal  auch  darauf  hin  an; 
da  ist  ein  natürlicher  „Pflanzenverein"  in  unübertrefflicher  Treue  gemalt. 

Aber  die  Pflanzenvereine  sind  nicht  stabil.  Die  der  Moore  wandeln  sich 
allmählich  —  schon  binnen  einem  Menschenalter  ist  das  möglich  —  in  die 
der  sauren  Wiesen.  Das  Caricetum,  wie  der  Botaniker  eine  saure  Wiese 
benennt,  geht  über  in  eine  trockene  Wiese  von  süßen  Gräsern  oder  in 
eine  Heide.  Und  auf  der  Heide  melden  sich  dann  bald  Strauch  und  Baum, 
und  es  entsteht  eine  Parklandschaft.  Doch  auch  sie  bleibt  nicht  erhalten. 
Die  Holzgewächse  gewinnen  das  Übergewicht,  ohne  daß  jedoch  die  Stau- 
den und  Kräuter,  ja  nicht  einmal  die  Gräser  und  Moose  ganz  verdrängt 
werden.  Es  entsteht  ein  Wald,  der  sich,  wenn  man  ihn  daraufhin  be- 
trachtet, wie  ich  auf  das  Angelegentlichste  allen  meinen  Lesern  empfehlen 
mag,  als  ein  vollkommener  Ausgleich  der  Individuen  und  Arten,  der 
Einzelvereine  und  Formationen  erweist,  als  eine  Harmonie  der  Teile.  Und 
wie  bereits  erwähnt  ist  der  Wald  ein  Schlußverein.  Er  hat  absolute  Dauer 
aus  sich  selbst  und  kann  nur  durch  äußere  Kräfte,  die  gewaltiger  sind  als 
er,  und  dann  nicht  dauernd  vertrieben  werden.  Im  Aztekenreich  hat  der 
Mensch  die  Wälder  gerodet,  um  seine  Städte  anzulegen,  aber  was  sehen 

197 


wir  heute  dort?  Das  Aztekenreich  ist  vergangen,  der  Wald  aber  ist  ge- 
blieben. Tief  verborgen  im  Dunkel,  überwuchert  vom  Grün,  steht  noch  ein 
Tempel  da  und  dort  mit  Götterfratzen  und  zerfallendem  Turm,  aber  un- 
berührt breitet  sich  wieder  der  Götter  überdauernde  keusche,  gev/altige 
Wald  darüber.  Und  genau  so  wird  in  einer  fernen  Zukunft  auch  der  heute 
vertriebene  Wald  wiederkehren  und  grünen  auf  den  Ruinen  der  euro- 
päischen Großstädte.  Da  steht  ein  Beispiel  vor  uns,  in  dem  nicht  das 
Optimum  das  Ende  der  Entwicklung  nach  sich  zog,  sondern  erst  die  Har- 
monie. Wie  ist  nun  dieser  Widerspruch  auszugleichen?  Gerade  das  ge- 
wählte Beispiel  erscheint  sehr  vorteilhaft,  um  an  ihm  den  tieferen  Sinn 
von  Optimum  und  Harmonie,  dem  wir  nun  offenbar  auf  der  Spur  sind, 
verstehen  zu  lernen.  Es  gibt  nämlich,  wie  die  Pflanzen  vereine  erweisen, 
eine  Integration  der  Optima.  In  einer  Vielheit,  oder  um  in  der  spezi- 
fischen Sprache  der  objektiven  Philosophie  zu  reden,  in  einem  komplexen 
System,  erreichen  die  einzelnen  Teile,  auch  wenn  sie  selbst  schon  optimal 
durchgebildet  sind,  ihr  Optimum  in  höherem  Sinn  erst  durch  den  harmo- 
nischen Ausgleich  miteinander,  der  also  zugleich  wieder  ein  Optimum  der 
höheren  Integrationsstufe  darstellt.  Man  sieht  daraus,  daß  jede  Inte- 
grationsstu/e  ihr  Optimum  hat,  welches  der  Entfaltung  auf  dieser  Stufe 
ein  Ziel  setzt  und  Entwicklungen  stets  nur  dann  auslöst,  wenn  dieses  Opti- 
mum durch  einwirkende,  fremde  Kräfte  gestört  wird.  Das  Geschehen  in 
einem  Kristall  ist  optimoklin  und  steten  Wandlungen  so  lange  ausgesetzt, 
bis  er  nicht  die  seiner  Artung  entsprechende  Größe  erreicht  hat.  Dann 
steht  sowohl  die  Gestaltung  wie  das  Wachstum  still,  unter  Umständen 
jahrmillionenlang.  Wird  er  aber  verletzt,  dann  setzen  bei  dem  Vorhanden- 
sein geeigneter  Mittel  sofort  Regeneration  und  damit  wieder  Wachstums- 
vorgänge ein,  bis  wieder  der  Ausgleich  völlig  geschlossen  ist.  Hierauf 
steht  neuerdings  alles  still.  In  einer  Lösung,  in  der  Elemente  und  labile 
Verbindungen  von  noch  freien  Valenzen,  also  solche,  die  nicht  das  Opti- 
mum ihres  Seins  erreicht  haben,  vorhanden  sind,  erfolgen  chemische  Neu- 
bildungen (welche  die  Entwicklungstheoretiker  konsequent  auch  Entwick- 
lung nennen  müßten).  Dann  ruht  der  Chemismus,  bis  wieder  neu  herzu- 
tretende Substanzen  das  Gleichgewicht  der  Affinitäten  stören  und  einen 
Neuausgleich  provozieren.  Ein  Tierembryo  entfaltet  in  raschem  Wachstum 
alle  in  ihm  liegenden  Fähigkeiten  und  stellt  dann  die  ontogenetische  Ent- 
wicklung ein,  wenn  er  „voll  entwickelt"  ist,  d.  h.  das  Optimum  der  in  ihm 
liegenden  Gestaltungsfähigkeit  erreicht  hat.  Wird  das  Tier  aber  lädiert, 
dann  beginnen  in  Gestalt  von  Regenerationen  neuerdings  Entwicklungen, 
die  nur  bis  zur  Heilung  der  Wunden  andauern. 

In  allen  diesen  Fällen  gehen  aber  die  „Entwicklungen"  weiter  unter 
der  Herrschaft  des  Integrationsgesetzes,  indem  Kristalle,  Substanzen  und 
chemische  Verbindungen  sowie  Organismen  als  Bestandteile  von  Systemen 
stets  hineingerissen  sind  in  deren  Unstimmigkeiten  und  die  sie  regelnden 

198 


Ausgleichsvorgänge.  Die  Kristalle  werden  zu  Bestandteilen  von  Gesteinen 
und  teilen  deren  Schicksale,  die  Stoffe  unterliegen  den  Gesetzlichkeiten 
des  Irdischen,  die  Organismen  sind  Glieder  von  Biocoenoscn  (d.  h.  Ver- 
einigungen von  Lebewesen,  die  voneinander  abhängig  sind)  nach  Art  der 
Wiesen,  des  Planktons,  des  Edaphons,  der  Auwälder  usf.,  und  so  werden 
sie  mitgerissen  in  den  Wirbel  solcher  Änderungen,  wie  vorhin  das  Werden 
der  Wälder  aus  den  Moosen  und  Heiden  als  ein  Beispiel  für  viele  be- 
trachtet wurde. 

In  mannigfachen  Stufen  setzt  sich  das  fort.  Tier-  und  Pflanzenvercinc 
gehören  zu  Formationen;  Edaphon  und  Pflanzensiedlung  mit  der  ihr  ent- 
sprechenden Tierwelt  82)  einen  sich  zu  Lebensbezirken,  die  instinktiv  schon 
vor  der  Wissenschaftsanalyse  des  Menschen  Sprachgeist  richtig  zu  sondern 
gelernt  hat,  wenn  er  von  Wüste,  Steppe,  Wiese,  Wald  und  Moor,  Sumpf 
und  Alpenmatte  u.  dgl.  sprach.  Diese  wieder  verschmelzen  in  den  Begriffen 
der  großen  biogeographischen  Regionen  wie  der  Palaerarktis,  Nearktis,  der 
neotropischen  oder  indochinesischen  Region,  in  Begriffen  wie  Mediterra- 
neum,  Makaronesien  oder  der  Subarktis.  Weitere  Stufen  sind  der  Erdball 
als  Ganzes  und  das  Sonnensystem,  mit  dem  praktisch,  wenn  auch  nicht 
theoretisch,  die  Grenzen  der  Einsicht  in  diese  Gesetze  erreicht  sind. 

Jeder  Teil  muß  in  diesen  Systemen  in  seinem  Verhältnis  zu  den  anderen 
Teilen  neuerdings  sein  Optimum  suchen,  und  er  sucht  es  auch,  allerdings 
nicht  aktiv,  sondern  jeder  ist  durch  die  Einwirkungen  der  anderen  solange 
Störungen  ausgesetzt,  bis  endlich  ein  Gleichgewicht  hergestellt  ist.  Der 
Wald  sucht  sich  wohl  über  die  ganze  Erde  auszubreiten,  aber  Meer  und 
Gebirge  setzen  ihm  Grenzen,  desgleichen  das  Klima  in  dem  Maße  der 
Niederschläge  und  der  Dauer  der  Vegetationszeit,  ebenso  der  Mensch  mit 
seinen  Kräften  usf.,  bis  endlich  ein  Ausgleich  hergestellt  ist,  der  ihm  die 
bestmögliche  Existenz  gewährt. 

Wenn  man  nun  dieses  übereinander  getürmte  System  der  Optima  ver- 
folgt, entdeckt  man,  was  schon  im  Abschnitt  über  das  Seins-  und  das  Inte- 
grationsgesetz (Bd.  I  S.  75)  gebührend  hervorgehoben  wurde,  daß  auf 
einer  bestimmten  Seinsstufe  zum  erstenmal  dieser  Ausgleich  die  Gestalt 
eines  stets  in  sich  wiederkehrenden  Kreises  besitzt.  Das  ist  die  Stufe  des 
Weltsystems.  Bis  zu  ihm  hat  jede  der  untergeordneten  Stufen  ihr  beson- 
deres Optimumgesetz  und  damit  ihr  eigenes  „Entwicklungstempo".  Diese 
sind  voneinander  sehr  verschieden,  und  darum  scheint  oft  eine  „Entwick- 
lung" abgeschlossen,  während  in  Wirklichkeit  da  nur  ein  anderes,  viel  lang- 
sameres Ausgleichstempo  anhebt.  Auch  der  Böschungswinkel  von  45 « 
einer  Talwand,  von  dessen  Beispiel  diese  Zergliederung  ausging,  ist  kein 
Dauerzustand;  das  Tal  ist  weiteren  Erosionsvvirkungen,  den  Hebungen  und 
Senkungen,  also  den  geologischen  Kräften  höherer  Stufe  ausgesetzt,  unter 
deren  Einfluß  es  sich  wieder,  aber  nur  in  säkularer  Folge  ändert.  Und 
wenn  man  nun  anhebt,  die  Erscheinungen  in  diesem  Sinne  durchzudenken, 

199 


so  endet  das  mit  der  Einsicht,  erst  wenn  Teile  nicht  nur  als  einzelne  ihr 
Optimum  erreicht  haben,  sondern  auch  als  System  in  ein  optimales  (har- 
monisches) Verhältnis  zueinander  getreten  sind,  dann  sind  (und  dann  auch 
nur  innerhalb  dieses  Systemes)  die  Störungen  ausgeglichen.  Schon  im 
Weltsystem  wird  erkennbar,  daß  alle  Störungen  nur  im  Kreise  laufen  (die 
Entwicklung  ist  ein  Kreis);  erst  wenn  die  Begriffe  Kosmos  (Welt)  und 
Bios  (Erleben)  miteinander  auch  in  ein  harmonisches  Verhältnis  gelangt 
sind,  dann  erfolgt  der  große  letzte  Ausgleich,  das  Unveränderliche,  Wirk- 
liche. Das  Sein  ist  dann  für  das  Erleben  vollendet,  es  ist  ewig.  Das  ist  es 
wohl,  was  Nietzsche  meint  mit  dem  dichterischen  Wort:  die  große  Stunde 
des  Mittags  ist  da  —  und  Goethe  mit  dem:  Natur  in  sich,  sich  in  Natur 
zu  hegen  und  die  großen  Erleuchteten  des  deutschen  Stammes  mit  der 
„Unio  mystica  in  Gott",  Am  Ende  der  Entwicklung  steht  also  erst  die 
Harmonie.  Harmonie  aber  ist  nur  zwischen  Teilen  möglich,  und  jeder 
dieser  Teile  muß  sich  erst  optimal  entfaltet  haben. 

Das  ist  das  Verhältnis  von  Optimum,  Harmonie  und  Transmutation  oder 
„Entwicklung".  Dieses  Verhältnis  bedingt  nun,  wie  hervorzuheben  sich 
schon  wiederholt  Gelegenheit  fand  (vgl.  Bd.  I  S.  57,  81,  88),  eine  eigen- 
tümliche Konstellation  im  Weltgeschehen,  nämlich  erhebliche  Unterschiede 
in  der  Dauer.  Von  dem  Obersten:  der  Zeitlosigkeit  des  Erlebens*)  und 
der  absoluten  Dauer  des  Kosmos,  die  unser  Sprachgebrauch  als  Ewigkeit 
bezeichnet,  bis  zur  flüchtigen,  kaum  aufblitzenden  Erscheinung  eines  radio- 
aktiven Elementes  oder  einer  Sternschnuppe  ist  eine  Stufenleiter  der  Un- 
beständigkeit mit  unzählbar  vielen  Sprossen  ausgespannt,  die  zu  den  her- 
vorstechenden Charakterzügen  des  Welterlebens  gehört.  Ununterbrochen 
bestätigt  das  tägliche  Erlebnis,  daß  von  zwei  Dingen  gleicher  Kategorie 
das  eine  früher  seinen  Zustand  ändert  oder  gar  aus  dem  Sein  schwindet  als 
das  andere.  Von  vielen  gleichzeitig  ausgesäten  Fichten  erreichen  nicht  alle 
das  fünfzigste  Jahr,  allerdings  unvergleichlich  mehr,  als  Menschen  der 
gleichen  Generation.  Die  Geschichte  bezeugt  uns,  daß  das  Römerreich  fast 
tausend  Jahre  dauerte,  merkwürdigerweise  so  lange,  wie  das  römische  Reich 
deutscher  Nation,  während  das  deutsche  Kaiserreich  sich  nicht  einmal 
50  Jahre  lang  zu  halten  vermochte  und  das  chinesische  Reich  fast  ganz  un- 
verändert seit  2500  Jahren  bereits  besteht.  Die  Pyramiden  von  Gizeh  stehen 
unverändert  seit  mehr  denn  fünf  Jahrtausenden,  die  von  Dähschur  oder  jene 
im  Fajjum,  die  viel  jünger  sind,  haben  sich  schon  längst  in  einen  Trümmer- 
haufen verwandelt.  Die  Bank  von  England  häuft  ihre  Goldbarren  seit  dem 
Jahre  1694,  also  seit  fast  300  Jahren,  die  österreichisch-ungarische  Bank 
mußte  bereits  nach  103  Jahren  liquidieren.  Von  den  sieben  Spinnen,  die 
ich  in  meinem  Flußbad  täglich  in  ihrem  Leben  und  Treiben  beobachtete, 


*)  Man  bedenke,  daß  die  Begriffe  Zeit  und  Raum  für  das  Erleben  keinen  Sinn 
haben.  Alles  „Erleben"  (die  Vorstellung)  ist  unbeschränkt  und  an  keine  Zeit  gebun- 
den. Daher  die  Qöttergaben  der  beschwingt  über  alles  hinwegeilenden  Fantasie. 

200 


lebten  nach  einem  Monat  nur  mehr  sechs;  eine  war  verschwunden,  wohl 
ausgewandert,  aber  die  restlichen  sechs  waren  in  diesem  Monat  auch  sehr 
ungleich  gediehen.  Drei  waren  fett  und  groß  geworden  und  hatten  ihr  an 
gunstigen  Stellen  angebrachtes  Netz  voll  Fliegen  und  Mücken,  zwei  waren 
so  geblieben  wie  sie  waren  und  hatten  nur  je  eine  Fliege  gefangen,  und 
eine,  die  ihr  Rad  zu  innerst  ausgespannt  hatte,  saß  noch  nach  vier  Wochen 
dünn  und  wesenlos,  mager  und  hungrig  darin  und  wartete  unerschütterlich 
und  vergeblich.  Sie  wird  sicher  weder  solange  leben,  noch  soviele  Nach- 
kommen haben  wie  die  anderen. 

Diese  Unterschiede  in  der  Dauer  sind  eine  der  tiefsinnigsten  Erscheinun- 
gen im  gesamten  Weltgeschehen.  Versucht  man  die  Erscheinung  zu  analy- 
sieren, so  findet  man  als  erstes,  daß  zwei  Faktoren  jede  Dauer  be- 
stimmen: der  Zustand  und  die  Verhältnisse  der  Umwelt  und  der  Zustand 
und  die  Verhältnisse  des  Individiuums. 

Sehr  bald  wird  aber  klar,  daß  die  Dauer  vornehmlich  vom  Individuum 
abhängt,  wenn  zwischen  ihm  und  seiner  Umgebung  der  Zustand  der 
Harmonie  herrscht.  Wird  diese  gestört,  leidet  darunter  die  Dauer  des  Ein- 
zelnen. Als  Beispiel  diene  eine  Pflanze,  welche  übermäßigen  Regengüssen, 
Dürre,  zu  großer  Hitze  oder  Kälte,  zu  wenig  Licht  ausgesetzt  ist,  vom' 
Sturme  umgerissen  oder  vom  Blitz  getroffen  wird.  Von  dieser  Seite  aus 
steht  also  die  Dauer  ganz  unter  der  Herrschaft  des  Harmoniegesetzes. 
Der  andere  Faktor  hängt,  wie  sich  beim  ersten  Nachdenken  herausstellt, 
von  den  Funktionen  des  Individuums  ab.  Funktioniert  es  so,  daß  sich  bald 
eine  Harmonie  mit  seiner  Umwelt  herstellt,  gelangt  es  dadurch  alsbald  zu 
seinem  Optimum,  und  ist  nun  in  seiner  Dauer  weit  günstiger  gestellt,  als 
wenn  es  gegen  die  Seinsgesetze,  die  in  die  Harmonie  münden,  tätig  ist. 
Denn  dadurch  entstehen  stets  aufs  neue  Disharmonien,  welche  zu  ihrem 
Ausgleich  wieder  neuer  Änderungen  bedürfen,  die  aus  dem  Energiekapital 
des  Individuums  bestritten  werden  müssen,  dieses  daher  früher  erschöpfen 
als  ohne  solche  Prozesse.  Wird  dagegen  die  Harmonie  zur  Umwelt  her- 
gestellt, dann  wird  die  Dauer  nur  mehr  von  den  Gesetzen  des  Systems, 
dem  das  Individuum  angehört,  und  jenen  Störungen  begrenzt,  denen  die 
Integrationsstufe  der  Umwelt  ausgesetzt  ist. 

Letzten  Endes  ist  also  der  in  der  Macht  des  Individuums  liegende  Fak- 
tor ausschließlich  die  Art  seiner  Funktion.  Ist  diese  durchwegs  optimoklin 
eingestellt,  wird  die  Dauer  in  den  meisten  Fällen  länger  sein,  als  bei  einer 
nur  teilweise  vorteilhaften  Funktion  oder  gar  völliger  Pessimoklise.  Ein 
solches  Individuum  wird  in  seiner  Dauer  —  oder  wenn  es  Fortpflanzung 
und  Wirkungen  auf  die  Umwelt  hat  — ,  auch  in  seiner  Vermehrung  und 
seinen  Wirkungen  bald  günstiger  gestellt  sein  als  seine  Mitbewerber  im 
Sein.  Es  wird  übrigbleiben,  die  anderen  werden  vergehen.  Übersetzt 
man  diesen  Gedankengang  aus  seiner  abstrakten  Farblosigkeit  in  ein  an- 
schauliches, und  zwar  gleich   in  das  uns  am   nächsten  interessierende   Bei- 

201 


spiel,  nämlich  ins  Menschenleben,  so  müßte  er  folgendermaßen  aussehen: 
Abhängig  ist  der  Mensch  nach  dieser  Ansicht  zunächst  von  seiner  Um- 
welt, d.  h.  den  Gesetzen  des  Weltalls,  zu  denen  auch  das  Gesetz  eines 
eigenen  Systems,  nämlich  die  durch  die  Physiologie,  seine  rassische  Ab- 
kunft usw.  bedingte  Lebensdauer  gehört.  Er  muß  daher  mit  einer  un- 
vermeidlichen Begrenzung  der  Lebensdauer  und  Wirksamkeit  aus  diesen 
Gründen  rechnen,  und  dazu  mit  den  von  außen  kommenden  Störungen,  mit 
Unglücksfällen,  Elementarereignissen  und  dergleichen  von  der  Umwelt  und 
nicht  von  ihm  abhängigen  Faktoren.  In  diesem  Rahmen  hängt  nun  seine 
„Lebensdauer",  Wirksamkeit  und  Macht  durchaus  wieder  von  der  Art  seiner 
Funktionen  ab,  sowohl  den  physiologischen  wie  den  geistigen.  Sind  diese 
optimoklin,  d.  h.  entwickelt  er  sich  zum  Optimum  seiner  Art,  das  sich  in 
Harmonie  mit  seiner  Umwelt  in  jedem  Sinn  zu  setzen  weiß,  mit  anderen 
Worten,  benützt  er  seinen  Verstand,  um  die  Weltgesetze  zu  erkennen  und 
zu  befolgen,  dann  wird  er  auch  ein  gesunder,  schaffensfroher  und  schöp- 
ferischer Vollmensch  sein,  der  reichlich  geistige  oder  leibliche  „Nach- 
kommen" hinterläßt  und  das  Leben  bis  an  seine  systembedingten  Grenzen 
auslebt.  Handelt  er  nicht  im  Einklang  mit  den  Weltgesetzen,  vielleicht  weil 
er  sie  aus  irgendwelchen  Gründen  mißachtet,  dann  muß  sein  Leben  dis- 
harmonisch verlaufen,  er  wird  dann  zur  Ursache  stets  neuer  Änderungen 
d.  h.  Krisen  werden,  die  seine  Kräfte  zersplittern  und  vorzeitig  erschöpfen. 
Früher  als  es  in  seiner  Natur  und  in  den  äußeren  Verhältnissen  lag,  muß 
er  vom  Schauplatz  seiner  Tätigkeit  verschwinden,  die  niemals  reine  Be- 
friedigung bot.  Das  ganze  Heer  von  Menschenleid  in  allen  seinen  Formen, 
jeweils  variiert  nach  der  Art  seines  Vergehens  gegen  die  Weltgesetze,  um- 
schwebt sein  Leben,  und  jenes  schreckliche  Wort  uralter  Weisheit  von  den 
Sünden  der  Väter,  die  noch  gerächt  werden  am  siebenten  Kindeskind,  wird 
auch  für  seine  Nachkommen  zur  Wahrheit.  So  wie  er  selbst  eine  stete 
Quelle  von  Störung  und  Unruhe  für  seine  Mitmenschen  und  seine  gesamte 
Umwelt  ist,  und  so  wie  in  jedermanns  Leben,  auch  wenn  man  selbst  es  so 
optimoklin  gestaltet  wie  nur  möglich,  dennoch  die  Störungen  einer  dishar- 
monischen Mitwelt  und  die  Sünden  der  Ahnen  als  „Schicksal"  eingreifen. 
In  diesem  Beispiel  steckt  das  Fundament  der  objektiven  Ethik  und  der 
größte,  in  jedem  Augenblick  des  Lebens  goldene  Früchte  tragende  prak- 
tische Nutzen  der  objektiven  Philosophie  für  jedermann.  Würde  dieses 
fiktive  Beispiel  zur  Wahrheit,  wäre  eine  der  größten  aller  Erkenntnisse 
gewonnen. 

Die  so  umschriebene  Gesetzmäßigkeit,  welche  für  jeden  Bestandteil  des 
Weltsystems  gültig  ist,  brächte  eine  Weltselektion  mit  sich,  eine  stete  Aus- 
lese jener  Teile,  welche  dem  Optimum  und  der  Harmonie  des  Ganzen  'näher 
stehen  als  die  anderen,  d.  h.  mehr  im  Sinne  der  Weltgesetze  funktionieren. 
Damit  ist  nun  die  im  ersten  Band  dieses  Werkes  (S.  88,  vgl.  auch  Bd.  II 
S.  118)  geforderte  Panselektion  hoffentlich  bis  in  ihr  Letztes  durchsichtig 

202 


geworden  als  notwendige  Konsequenz  aus  dem  Zusammenwirken  der  Funk- 
tions-,  Optimum-  und  Harmoniegesetze.  Mit  einer  neuen  Art  zu  sehen  tritt 
man  aus  dieser  Stunde  der  Besinnung  zurück  in  die  Welt  der  Erscheinun- 
gen. Findet  man  diesen  Gedanken  bestätigt,  woran  sich  nach  der  Logik 
allerdings  kaum  zweifeln  läßt,  ist  wirklich  das  gesamte  Sein  an  sich  selek- 
tiv, dann  wird  eine  der  folgenschwersten  ethischen  Einsichten  zum  unver- 
lierbaren Besitz  und  wird  von  da  ab  als  steter  Mahner  bei  allen  der 
Vernunftregelung  unterworfenen  Handlungen  mitreden  und  das  Leben  von 
jedermann,  der  bisher  mit  uns  gegangen  ist,  in  neue  Bahnen  lenken.  Das 
ist  die  Bedeutung  dieses  Problems. 


Das  Selektionsgesetz,  dem  nachzuspüren  jetzt  unser  Begehr  ist,  erscheint 
damit  einfach  als  Folge  und  Ergänzung  des  Optimumgesetzes;  es  macht 
den  Eindruck,  das  Mittel  der  Optimoklise  zu  sein,  das  dem  Optimum  auto- 
matisch zu  seinem  Sein  verhilft. 

Wie  sind  nun  die  Gesetze  dieser  angeblichen  Weltselektion  beschaffen? 
Es  ist  klar,  daß,  wenn  das  Weltgeschehen  durchgängig  ein  selektives  Ge- 
schehen wäre,  dann  zunächst  in  der  Physik  und  Chemie  nicht  jede,  sondern 
nur  gewisse  Möglichkeiten  von  Beziehungen  verwirklicht  wären,  mit  ande- 
ren Worten,  daß  dann  der  Raum  und  die  Energiefelder  diskontinuierlich  er- 
füllt sein  müßten.  Die  Materie  müßte  in  diesem  Fall  eine  atomistische 
Struktur  besitzen,  an  gewisse  Formen,  d.  h.  an  Singulationen  gebunden 
sein,  der  Energieaustausch  könnte  nicht  stetig,  sondern  müßte  quantenweise 
erfolgen,  alles  Geschehen  wäre  an  einen  Rhythmus,  an  Wellen  und  Perio- 
dizität gebunden  und  könnte  nicht  in  ununterbrochenem  Zuge  abfließen.  Tat- 
sächlich ist  nun  aber  die  Welteinrichtung  dermaßen  beschaffen,  woraus  als 
notwendige  Folge  die  Tatsache  einer  gewissen  Auslese  hervorgeht.  Tat- 
sächlich bedeutet  schon  die  Existenz  von  Natur-  und  geistigen  Gesetzen, 
daß  nicht  jede  Beziehungsmöglichkeit  in  dem  Weltsystem  verwirklicht  ist. 
sonst  müßte  die  Zahl  dieser  Beziehungen,  vulgo  Gesetze  (die  ja  nur  der 
Ausdruck  für  stets  wiederkehrende  Beziehungen  sind)  unendlich  groß  sein. 
was  sie  ja  bekanntlich  nicht  ist. 

In  der  Zahlenreihe  1,  2,  3,  4,  5,  6  ist  ebenso  wie  in  dem  Gesetz  der  mul- 
tiplen Proportionen  (vgl.  Bd.  I  S.  109)  und  dem  Quantengesetz,  das,  wie  wir 
erkannten,  auf  den  gleichen  Voraussetzungen  beruht,  die  Tatsache  selektiven 
Weltenseins  ausgedrückt,  indem  zwischen  den  rationellen  Zahlen  noch  un- 
endlich viele  Größen  liegen,  welche  bei  der  Auslese,  die  sich  in  dem  Prozeß 
des  Rechnens  und  im  physiko-chemischen  Geschehen  ausspricht,  einfach 
durchfielen,  und  deren  sich  die  Infinitesimalrechnung  (die  eben  damit  über 
das  Zoetische  hinausgeht)  zwar  bedient,  aber  nur  als  Hilfsmittel,  mit  dem 
ausdrücklichen  Vorbehalt,  daß  die  Differentiale  zwar  „unendlich  klein 
werden",  aber  niemals  unendlich  klein  sein  kann«»). 

203 


Ich  weiß  nicht,  ob  sich  die  Physiker  schon  einmal  klar  gemacht  haben, 
daß  sie  in  ihrer  Wissenschaft  das  Selektionsgesetz  nicht  entbehren  können; 
ich  habe  wenigstens  in  ihrer  Literatur  keine  Anzeichen  dafür  gefunden,  daß 
sie  es  wissen,  obzwar  sie  für  gewisse  Vorgänge  selbst  den  Ausdruck  „selek- 
tiver Prozesse'^  geprägt  haben,  also  das  von  der  objektiven  Philosophie  Be- 
hauptete damit  zugeben.  Alle  leuchtenden  Gase  und  Metalldämpfe  besitzen 
z.  B.  eine  „selektive  Emission"  farbiger  Strahlen  im  Spektrum,  d.  h.  sie  sen- 
den entweder  Linien  oder  Banden  (d.  s.  breite  Streifen)  von  bestimmter 
Lage  und  Farbe  im  Spektrum  aus.  Wenn  man  aber  weißes  Licht  durch 
Dämpfe,  also  farbige  Flammen  sendet  und  ein  Spektrum  davon  entwirft, 
dann  wird  gerade  das  Licht  von  der  Farbe  der  gleichen  Fraunho fernsehen 
Linie  absorbiert,  die  der  Dampf  selbst  emittiert.  Der  selektiven  Emission 
steht  also  auch  eine  selektive  Absorption  gegenüber. 

Eine  ähnliche  Selektion  ist  der  Chemophysik  auch  von  den  semipermeab- 
len Membranen  bekannt,  die  im  Organismus  sowohl  pflanzlicher  wie  tieri- 
scher Natur  vorhanden  sind  und  in  der  Plasmahaut  jeder  Zelle  eine  aus- 
schlaggebende Rolle  in  der  Ernährung  spielen.  Wären  die  Zellwände  in  un- 
seren Darmzotten  nicht  halbdurchlässige  Häute  von  ganz  bestimmten,  aus- 
wählenden Eigenschaften,  so  wäre  jede  Resorption  des  Speisebreies  un- 
möglich gemacht.  Im  Laboratorium  läßt  sich  das  mit  Pergamenthäuten,  die 
gleicher  Natur  (sind  sie  doch  tierischen  Ursprunges)  sind,  nachahmen.  Es 
zeigt  sich  dann,  daß  sie  den  einen  Stoff  diffundieren  lassen,  den  anderen 
aber  nicht,  daß  also  eine  ganz  ausgesprochene  Selektion  tätig  ist.  Diese  Er- 
scheinung kennzeichnet  auch  die  Pflanzenzelle,  deren  straffe  Konstitution 
(der  Turgor)  nur  dadurch  zustande  kommt,  daß  das  Plasma  selektiv  gewisse 
Stoffe  durchläßt,  andere  dagegen  zurückbehält.  Die  Tatsachen  der  Osmose, 
die  dabei  entwickelten  mächtigen  Druckkräfte  sind  alles  ebensoviele  Be- 
weise zugunsten  der  selektiven  Plasmabetätigung.  Durch  die  Plasmahaut  der 
Pflanzenzelle  geht  Wasser  sehr  leicht  hindurch,  während  die  Kristalloide 
nicht  hindurchwandern,  sondern  den  Eintritt  in  das  Plasma  versperrt  finden. 
Dagegen  diosmieren  alle  Kristalloide,  ähnlich  wie  durch  eine  Tierblase, 
durch  die  Zellhaut,  die  wieder  den  Kolloiden  den  Austritt  versperrt,  also, 
sollen  diese  in  Korrespondenz  treten  können,  durch  Tüpfel  und  feinste  Po- 
ren durchbrochen  sein  muß.  Das  gesamte  Pflanzenleben  wäre  mithin  un- 
möglich, wäre  es  nicht  auf  den  Grundgesetzen  der  in  der  Osmose  ver- 
borgenen Selektion  aufgebaut. 

Die  selektive  Tätigkeit  der  Katalysatoren  in  den  chemischen  Reaktionen 
wurde  bereits  erwähnt.  Die  Tatsache,  daß  es  solche  Stoffe  gibt,  die  gleich 
dem  fein  verteilten  Platin  die  Reaktionsgeschwindigkeit  der  kalten  Gase 
ganz  außerordentlich  steigern,  gehört  an  sich  schon  in  den  Bereich  des 
Selektionsgesetzes,  wie  alles,  was  die  Ungleichheit  in  der  Welt  befördert, 
umsomehr,  als  es  sich  dabei  keineswegs  um  bloße  Energietransformation 
handelt,  wie  bei  allen  anderen  energetischen  Prozessen.    Will  man  die  Fahr- 

204 


geschwindigkeit  eines  Zuges  oder  eines  Schiffes  steigern,  muß  man  die  dazu 
nötige  Energie  der  Kohle  oder  der  Elektrizität  oder  sonstwie  entnehmen; 
man  vermindert  also  irgendwo  den  Energievorrat  der  Welt  und  transpor- 
tiert die  Energie  bloß  anderswohin.  Anders  bei  den  Kontaktverfahren. 
Die  Oeschwindigkeitssteigerung  der  chemischen  Reaktion  erfordert,  wie 
der  Fabrikant,  der  auf  diese  Weise  Schwefelsäure  herstellt,  sehr  wohl  weiß, 
theoretisch  gar  nichts,  denn  sie  braucht  keinen  Aufwand  an  Energie,  eine 
Tatsache,  die  nach  einigen  Generationen  in  der  Welt  der  Technik  eine 
ganz  andere  Bedeutung  haben  wird  als  heute. 

Selektion  ist  es  auch,  wenn  aus  allen  möglichen  Gruppierungen  von 
Molekülen  in  den  Kristallen  nur  230  Raumgittermöglichkeiten  (vgl.  Bd.  I 
S.  129  und  Abb.  36)  realisiert  sind  und  durch  das  Zonengesetz  nur  32 
Arten  von  Kristallklassen  und  sieben  Gattungen  von  Symmetrie.  In  dem 
zu  Beginn  dieses  Werkes  entwickelten  Satz:  „Bei  jeder  Art  von  Materie 
gruppieren  sich  Teile  unter  genau  bestimmten  und  konstant  festgehaltenen 
Kantenwinkeln,  nach  eigenen  Symmetriegesetzen  und  unter  Wahrung  ratio- 
naler Verhältnisse  zu  einer  einheitlichen  und  harmonischen  Kristallgestalt" 
sind  in  den  in  Kursivschrift  gedruckten  Ausdrücken  überall  die  selektiv  wir- 
kenden Gesetzmäßigkeiten  hervorgehoben,  denen  die  oben  erwähnten  Eigen- 
tümlichkeiten der  Kristallwelt  zuzuschieben  sind. 

Dem  Geographen  ist  es  längst  geläufig,  daß  das  Relief  der  Festländer 
durch  die  gegenseitige  Konkurrenz  der  Täler  und  der  Berggipfel  geprägt 
wird  (vgl.  hierzu  Abbildung  5,  9  und  80).  Die  Erosion  kann  Täler  nur 
dadurch  schaffen,  daß  sie  die  jeweils  den  Fallgesetzen  entsprechenden 
Wasserbewegungen  ausführt,  wie  denn  überhaupt,  wenn  der  Begriff  Gesetz 
selbst  schon  den  der  Selektion  in  sich  schließt,  in  allen  Anwendungen  der 
Naturgesetze  dann  das  Selektive  wiedergefunden  werden  muß  und  wir  uns 
diese  Arbeit  eigentlich  sparen  könnten,  wenn  es  uns  nur  darauf  ankäme, 
die  Tatsache  der  Selektion  selbst  festzustellen.  Da  es  uns  aber  nicht 
nur  auf  die  Feststellung  der  Selektionsgesetze,  sondern  auch  auf  das  Ver- 
ständnis der  Welterscheinungen  an  Hand  der  Weltgesetze  ankommt,  kann 
es  doch  nicht  unterlassen  werden,  die  merkwürdigen  Phänomene  der  Tal- 
bildung, der  Enthauptung  der  Flüsse,  der  Anpassung  der  Talnetze  an  die 
Gebirgssysteme  näher  zu  betrachten. 

Das  fließende  Wasser  wirkt  nun  auf  seine  Unterlage  vornehmlich  durch 
die  mitgeschleppten  festen  Bestandteile,  wie  wenn  eine  Säge  wirken  würde 
oder  das  Gestein  mit  Hacke  und  Spaten  bearbeitet  wäre.  Flüsse  kön- 
nen dadurch,  wie  z.  B.  die  Kander  am  Thuner  See  in  der  Schweiz  ge- 
zeigt hat,  schon  binnen  weniger  Wochen  wilde  Schluchten  von  40  m  Tiefe 
schaffen,  in  denen  der  Fluß  täglich  an  40  000  Kubikmeter  Gesteinsmaterial 
in  den  See  schleppt.  Wie  der  den  Stein  höhlende  stete  Tropfen  durch 
seine  Wirbelbewegungen  wirkt,  mögen  sich  die,  welche  noch  keine  Klamm 
gesehen  haben,  an  Abbildung  98  betrachten ;  Bäche  erzeugen  dadurch  „Wir- 

205 


beikolke"  (vgl.  Abbildung  99)  und  Strudellöcher  von  oft  gewaltiger  Tiefe. 
Nur  ist  diese  ganze  Arbeit  je  nach  dem  Charakter  des  Gesteins,  in  dem 
sie  ausgeführt  wird,  in  ihren  Wirkungen  höchst  verschieden,  und  das  be- 
wirkt den  selektiven  Effekt.  Eine  Zusammenstellung  von  Angaben  hierüber 
wird  volle  Beweiskraft  auch  für  die  schärfste  Kritik  besitzen.  Ich  ent- 
nehme  sie   dem   Werke   von   Nemnayr-Sueß   Erdgeschichte   (3.  Afl.    1920): 

Der  Fluß  Sineto  (Sizilien)  hat  durch  Lava  seit  300  Jahren  ein  Bett 
bis  35  m  Tiefe  und  16  m  Breite  genagt. 

Die  Kander  (Schweiz)  hat  in  wenigen  Wochen  in  Schottern  eine  Schlucht 
von  40  m  Tiefe  erodiert. 

Die  Salzach  (Salzburg)  hat  in  offenbar  hartem  Gestein  in  30  Jahren  ein 
Bett  von  1,5  m  erodiert. 

Der  gleiche  Fluß  hat  in  Schutt  in  8  Jahren  eine  2  m  tiefe  Schlucht  aus- 
genagt. 

Die  Düna  (Kurland)  hat  in  Kalk  und  Dolomit  in  34  Stunden  ein  Bett 
von  1—3  m  Tiefe  aufgerissen. 

Überdenkt  man  diese  Angaben  mit  unserer  Logik,  so  erkennt  man  daraus, 
daß  die  Erosion  sich  um  so  mehr  dem  Optimum  nähert,  einen  je  größeren 
Wert  der  Bruch  Qf^'^'^härte  besitzt.   Da  aber  im  Flußlauf  bei  gleichbleiben- 

Wasserkratt*)  ^ 

der  Wassermenge  der  Wert  „Wasserkraft"  ununterbrochen  wechselt,  wird 
das  Relief  des  Tales  ungleich.  Nicht  nur  daß  das  Längsprofil  eines  Ge- 
wässerlaufes stets  eine  im  Oberlauf  steilere,  im  Unterlauf  flachere  Kurve 
darstellt,  sondern  auch  das  Querprofil  wird  differenziert.  Wo  optimale 
Erosion  stattfindet,  nämlich  senkrecht  erodierende  Wirkung  im  Wasserfall, 
wandert  dieser  nach  rückwärts;  es  entsteht  eine  intensive  „geographische 
Entwicklung",  die  solange  dauert,  bis  der  Ausgleich  geschaffen,  nämlich 
die  Schlucht  durchsägt  und  der  Wasserfall  aufgehoben  ist  (das  Ende  aller 
Wasserfälle:  die  Schlucht  oder  Klamm,  am  großartigsten  im  Kolorado- 
gebiet  in  Nordamerika).  Wo  nur  langsam  die  Wasser  einschneiden,  werden 
die  Gehänge  flacher,  von  Schutt  überrieselt,  das  V  des  typischen 
Erosionstales  wird  immer  weniger  spitz,  das  Tal  wird  seitlich  ausgeweitet, 
es  entstehen  Mäander  (Abb.  101),  aus  dem  V-  wird  ein  immer  weiteres 
U-Profil,  So  paßt  sich  das  Talnetz  der  Erosion  an,  die  aus  Hochebenen 
Gebirgslandschaften  (Täler  ohne  Berge)  schafft  nach  Art  des  Isartales  oder 
teilweise  des  Eibsandsteingebirges  (Bd.  I  Abb.  69)  oder  nach  Art  der 
CaÄo«-Landschaft  am  Rio  Colorado  in  Arizona,  wo  der  große  Caiion  in 
320  km  Länge  bis  1800  m  tief  ist  und  das  „Erhabenste"  genannt  wurde, 
was  es  auf  Erden  gibt. 


*)  Dieser  Wert  setzt  sich  zusammen  aus  den  Faktoren:  Wassermenge,  lebendige 
Kraft  des  Wassers  durch  die  Neigung  des  Bettes,  wobei  natürlich  die  Wassermenge 
die  im  Profil  des  Flußlaufes  in  einem  gleichbleibenden  Zeitmaß  durchflutet,  ver- 
standen wird. 

206 


Durch  diese  Ungleichheit  werden  die  Täler  selektiert;  die  Täler  werden 
verlagert,  Nebentäler  schneiden  manchmal  Haupttäler  an,  große  geologische 
Decken  werden  bis  auf  wenige  Reste  entfernt,  oft,  wie  es  in  den  Alpen  der 
Fall  ist,  wo  über  den  Kalk-  und  Urgesteinszonen  alle  jüngeren  Decken 
längst  fehlen,  wahrhaft  denudiert,  und  die  Unterlage  wird  je  nach  der  Härte 
des  Gesteins  selektiv  zu  einem  Relief  umgestaltet.  Ein  prachtvoller  Wett- 
bewerb der  Flüsse  tritt  ein,  indem  die  Gewässer,  welche  den  tiefer  liegen- 
den Ausgleichspunkt  haben  (die  tiefere  Erosionsbasis),  mit  ihrem  steileren 
Gefälle  rascher  nach  rückwärts  einschneiden,  wie  man  das  an  manchen 
Nebenflüssen  des  Neckar  sieht,  die  auf  diese  Weise  Gebiet  von  der  weniger 
rasch  erodierenden  Donau  eroberten,  ihr  Tal  anzapften  oder,  wie  das  die 
Geographen  nennen,  die  Donau  enthauptet  haben.  Neumayr  sagt  hierüber: 
es  bestehe  ein  allgemeines  Bestreben,  die  Flüsse  allmählich  auf  den  tiefsten 
Linien  zu  vereinigen.  In  unserer  Sprache  heißt  das,  durch  die  Selektions- 
tätigkeit der  Erosion  wird  deren  Ausgleich  angestrebt. 

Auf  diese  Weise  wird  in  allen  Ländern  und  Gebirgen  das  Relief  geprägt 
als  Ergebnis  eines  Wettbewerbes  der  Flüsse,  der  in  jedem  Berg,  in  jedem 
Gratturm  (Abb.  80)  und  Grat  nur  die  Restfälle  übrig  läßt.  Das  ist  die 
Erklärung,  warum  jedes  Gebirge  seine  Haupt-  und  Nebenzüge  besitzt 
(Abb.  5),  warum  es  in  einer  Gruppe,  diese  wieder  in  einem  Hauptgipfel 
kulminiert,  warum  das  Ganze  eine  konkurrierende  Gesellschaft  von  Tälern 
und  Bergen  darstellt,  die  sich  ständig  umbildet  bis  zu  ihrem  endgültigen 
Ausgleich.  Und  das  ist  zugleich  ein  Symbol  für  alle  komplexen  Systeme 
(vgl.  Abb.  6),  an  denen  Kräfte  angreifen.  Überall  entwickelt  sich  aus  den 
Differenzen  automatisch  ein  Wettbewerb,  der  die  dauerhaftesten  Singu- 
lationen  herausfordert.    Das  aber  ist  es,  was  zu  beweisen  war. 

An  jedem  Tag  voll  Frühlingswolken  erblickt  man  dieses  Gesetz  hin- 
geschrieben in  den  flüchtigen  Zug  der  Wolkengestalten,  die  stets  das 
Resultat  einer  großartigen  Selektion  sind.  In  Bd.  I  S.  88  findet  man  diesen 
Wettbewerb  um  die  Form  der  Wolken  (Abb.  82)  bereits  geschildert,  der 
nicht  ruht,  bis  nicht  Harmonie  in  der  Atmosphäre  hergestellt  ist.  Es  ist 
mir  stets  einer  der  größten  Naturgenüsse  gewesen,  von  Bergeshöhe  dem 
geheimnisvollen  Schauspiel  des  Wolkenwerdens  und  -vergebens  zuzusehen, 
diesem  steten  Kampf  von  Ausscheidung  und  Aufsaugung,  von  Wind  und 
Sonne,  dem  Ringen  um  die  Form  der  Wolke,  die  so  wunderbar  plastisch  die 
leiseste  Einwirkung  verrät.  Und  als  Lohn  dieser  Andacht  ging  mir  in  der 
wimmelnden  Gestaltenfülle  dieser  stumm  sich  drängenden  Geisterheere  eines 
Tags  das  Geheimnis  aller  Formgestaltung  auf  als  des  Ausgleichs  der  mit- 
einander ringenden  Kräfte  und  damit  die  Idee  der  Weltsclektion,  wie  sie 
hier  niedergelegt  ist. 

Diese  Weltselektion,  aus  der  die  Form  jeder  Materie  und  jedes  Seins 
hervorgeht,  von  den  im  Nebelschleier  der  Erkenntnisgrenzen  tanzenden  Elek- 
tronen und  Quanten,  von  Kristall  und  Gebirge  bis  zur  weißschimmernden 

207 


Wolke  und  dem  bunten,  lebensbewegten  Heer  von  Tier  und  Pflanze,  ja  bis 
zu  den  Werken  der  Menschenhand  und  den  Gestaltungen,  die  Menschengeist 
ersinnen  kann,  hat  aber  im  Grunde  genommen  nichts  zu  tun  mit  dem  Begriff 
Selektion,  wie  ihn  der  Darwinismus  der  sechziger  Jahre  faßte  und  volks- 
tümlich machte  als  ein  plump  mechanisches  Geschehen,  das  die  Entstehung 
von  Sinn  und  Geist  aus  dem  Sinnlosen  jedem  Strohkopf  faßlich  macht.  Der 
Selektionsgedanke,  wie  er  namentlich  von  Ch.  Darwin  unter  dem  Einfluß 
der  Malthus' sehen  Ideen  gleichzeitig  von  R.  Wallace,  dann  als  „struggle 
for  life"  besonders  scharf  von  dem  englischen  Zoologen  Th.  Huxley  formu- 
liert und  durch  E.  Häckel  verbreitet  und  verbreitert  wurde,  enthält  Rich- 
tiges und  Übertriebenes,  Wahrheit  und  Irrtum  in  so  innigem  Gemisch,  daß 
es  nur  bei  weitausholender  Analyse  möglich  ist,  die  Stellung  der  objektiven 
Philosophie  zur  Darwin'szhtn  Selektionstheorie  zu  präzisieren. 

Die  vordarwinischen  Grundlagen  dieses  Gedankens  gehen  zunächst  auf 
den  englischen  Theologen  und  Geschichtsforscher  Thomas  Robert  Malthus 
(1760—1834),  im  besonderen  auf  sein  Hauptwerk:  „Essay  on  the  principles 
of  the  Population"  zurück,  das  in  London  im  Jahre  1798*)  erschien.  Dort 
formulierte  er  das  an  seinen  Namen  geknüpfte  und  in  seinen  Grundzügen 
noch  immer  allgemein  anerkannte  Gesetz,  das  besagt:  die  Bevölkerung 
habe  die  Tendenz,  sich  rascher  zu  vermehren  als  die  Menge  der  gewinnbaren 
Nahrungsmittel.  Dadurch  setze  eine  Zurückdrängung  der  Bevölkerung  durch 
Moral,  aber  auch  Laster  und  Elend  ein.  Dem  natürlichen  Vermehrungs- 
trieb des  Menschengeschlechts  stünden  als  „checks",  als  Hemmnisse  sowohl 
Wirkungen  der  Natur,  wie  die  bei  Übervölkerung  sich  besonders  steigern- 
den Krankheiten,  als  auch  menschliche  Handlungen  zur  Herstellung  des 
Gleichgewichts,  wie  Auswanderung  oder  Kriege  gegenüber.  In  der  Kritik 
an  dieser  Anschauung s*)  tat  sich  besonders  der  deutsche  positivistische 
Philosoph  Eugen  Dühring  hervor,  der  einwandte,  daß  ja  mit  Zunahme  der 
Bevölkerung  auch  die  „Bevölkerungskapazität"  größer  werde  und  mit  ihr 
der  Spielraum  der  Ernährung  wachse.  H.  Spencer  dagegen  betonte,  daß  bei 
allen  Völkern  mit  wachsender  geistiger  Tätigkeit  die  Fruchtbarkeit  ab- 
nehme. Schließlich  blieb  aus  der  Diskussion  ein  gemäßigter  Neomalthu- 
sianismus  übrig  (J.  St.  Mill,  Mantegazza,  Kautsky),  dessen  sich  sowohl  die 
sozialistische  wie  die  imperialistische  Doktrin  mit  Eifer  bediente,  die 
eine,  um  daraus  die  Notwendigkeit  der  „Verelendung  der  Massen"  abzu- 
leiten, die  andere,  um  aus  der  Übervölkerung  des  Landesbodens  die  Not- 
wendigkeit von  Landzuwachs,  sei  es  durch  das  Schwert,  sei  es  durch  Kolo- 
nisation erfolgern  zu  können. 

Tatsächlich  kann  auch  die  objektive  Philosophie  nicht  leugnen,  daß  jedes 
Volk,  jedes  lebende  Wesen  in  seiner  Fortpflanzung  vorzugsweise  durch  die 
Umweltseinflüsse  beschränkt  wird,  die  freilich  auch  wieder  auf  seine  Physio- 


*)  Deutsch  in  zweiter  Auflage  zu  Berlin  1900. 

208 


Abb.  79.    Der  Wettbewerb  der  Blüten  iini  die  Bet"ruditiiri,-,r 

Blütenfekl  des  Steinbrechs   (Saxifraga)   im  Hodigebirtrc.     OriniMalaufnahm'^ 


Abb.  80,   Ein  Erosionsturm  im  Hochgebirge 

Der  Winklerturm   in   der  Rosengartengruppe  wurde    durch    sein    härteres    Oe 
der   Erosion    ausgelesen.     Originalaufnahme 


Abb. 


81.    Die   Ausmerzung  der   nicht   mehr   optiiiialL-n    li;iiiiiu' 

Motiv   aus  dem   Tegcniseer   Urwald   in    Bayern.    Originalaufnalinu- 


IUI     IfUMld 


> 

3- 

3 

^ 

3 

0 

logie  zurückwirken.  Im  allgemeinen  bewegt  sie  sich  in  progressiver  Rich- 
tung, während  an  sich  der  Nahrungsbestand  durch  keine  Notwendigkeit  ge- 
zwungen wird,  zuzunehmen  oder  abzunehmen,  jedenfalls  in  seinem  Quan- 
tum sich  nicht  parallel  mit  den  auf  ihn  angewiesenen  Organismen  verhält. 
Unter  Umständen  wird  er  rascher  anwachsen,  wie  z.  B.  die  Raupen  in  einem 
Raupenjahr  zunächst  einmal  schneller  zunehmen  als  die  auf  sie  angewiesenen 
Singvögel;  ebenso  oft  wird  es  sich  aber  ereignen,  daß  das  Nahrungsquantura 
rapid  sinkende  Tendenz  zu  einer  Zeit  hat,  in  der  die  Fortpflanzungstätig- 
keit überaus  rege  ist.  Man  denke  an  Heuschreckenschwärme,  die  den 
Vögeln  mühelos  Futter  verschafften,  sie  zu  nochmaligem  Brüten  veran- 
laßten  und  dann  eine  verdreifachte  oder  verdoppelte  Vogelbevölkerung  vor 
einen  Notstand  stellen,  wenn  die  alten  Schwärme  vertilgt  sind  und  neue 
nicht  mehr  nachkommen.  Unser  Selektionsgesetz,  das  in  jeder  Vielheit,  auf 
die  eine  Kraft  wirkt,  tätig  ist,  muß  dann  die  Zahl  der  Vögel  in  der  Rich- 
tung eines  harmonischen  Ausgleiches  zur  Nahrungsmenge  drängen,  wenn 
die  Vögel  nicht  andere  Anpassungswege  durch  ihren  Intellekt  einschlagen. 
Nicht  anders  mit  der  Pflanzenwelt.  Sie,  die  durch  Ausläufer,  Sporen  und 
Früchte  im  allgemeinen  die  Tierwelt  an  Fruchtbarkeit  um  ein  Bedeutendes 
überbietet,  würde  dem  gegenseitigen  Wettbewerb  um  den  Boden  in  einem 
ungemein  scharfen  Maß  ausgesetzt  sein,  wenn  gerade  sie  nicht  mit  einer 
unerschöpflichen  biotechnischen  Erfindungskraft  ihre  Sporen  und  Früchte 
mit  „Verbreitungseinrichtungen"  der  verschiedensten  Art  ausrüsten  würde. 
Wem  sind  sie  nicht  bekannt,  diese  wunderbaren  Schleuderfäden,  mit  denen 
Schleimpilze  und  Lebermoose  ihre  Sporen  weit  auswerfen  (vgl.  Bd.  I 
Abb.  92),  die  „Vogeljrächte'',  strotzend,  voll  saftigen  Fleischs  (Abb.  84), 
angetan  mit  grellen  Farben,  gefüllt  mit  Zucker  und  aromatischen  Stoffen, 
damit  die  Vögel  sich  gnädig  herbeilassen,  solche  Früchte,  nachdem  sie 
ihren  Tribut  verzehrt  haben,  zu  verschleppen,  eine  Einrichtung,  die  wir  als 
Usurpator  stören,  wenn  wir  die  Sperlinge  von  unseren  Kirschen  und  anderem 
Obst  verjagen. 

Wer  von  den  Naturfreunden  kennt  nicht  die  merkwürdigen  Flügel  der 
Ahorne,  die  Luftschiffeinrichtungen  der  Ringelblumen  und  ihrer  Verwandten, 
die  Kletten,  die  Schwimmeinrichtungen,  kurz  das  ganze  biotechnische 
Museum  pflanzlicher  Verbreitungseinrichtungen,  alle  dazu  bestimmt,  der 
Selektion  den  Boden  zu  entziehen!  Und  in  diesem  Lichte  erwacht  auch  ein 
ganz  neues  Verständnis  für  die  Brutpjlegeinstinkte  und  die  Mutterliebe  im 
Tierreich.  Der  Mistkäfer  Copris,  der  auf  unserer  Abbildung  21  um  sein  Ei 
eine  so  gewaltige  Nahrungspille  aus  Mist  angefertigt  hat,  die  Ameisen  und 
Bienen,  die  mit  Hingebung  ihre  Brut  schützen  und  füttern,  die  kleinen  Sand- 
wespen, die  sich  zu  Tode  arbeiten,  um  ihre  Nachkommenschaft  den  ver- 
derblichen Wirkungen  des  nackten  Kampfes  ums  Dasein  zu  entziehen,  die 
nestbrütenden  Vögel,  die  junge  Menschenmutter,  die  lieber  selbst  darbt  und 
ihr  Leben  ungescheut  aufs  Spiel  setzt  ihrem   „Kleinen"   zuliebe,  das   alles 

Ftanci,  Bios   II  '* 

209 


sind  nicht  Gegenargumente  gegen  das  Malthus^sche  Gesetz,  sondern  Mittel 
des  Organismus,  um  die  Selektion,  die  sich  sonst  schärfer  bemerkbar 
machen  würde,  aufzuheben,  weil  sie  eben  tatsächlich  fühlbar  ist. 

Etwas  ganz  Wichtiges  ist  damit  festgestellt.  Wie  ein  Schreckgespenst 
schwebt  die  Selektion  unaufhörlich  über  allem  Lebendigen.  Da  aber  die 
Lust  zum  Leben  nach  Ewigkeit  verlangt,  so  ist  im  Leben  selbst  der  Not- 
stand und  damit  die  Verschiedenheit  begründet,  in  die  die  Selektion  ein- 
greifen kann.  Aber  diese  Ausmerzungsdrohung  erklärt  nicht  das  Vorhanden- 
sein des  Teleologischen,  dessen  wahrer  Zweck  sich  nun  plötzlich  als  „anti- 
selektive Wirkung"  entpuppt  und  tatsächlich  auch  eine  gewisse  Milderung 
der  Ausmerzung  der  nicht  optimalen  Fälle  erreicht.  Diese  wird  um  so  wirk- 
samer sein,  je  höhere  Stufen  diese  Intelligenz  erreicht.  Im  Bereich  des 
Menschen  erhält  sich  dadurch  eine  Übervölkerung,  die  im  XIX.  Jahrhundert 
in  Europa  besonders  bedrohlich  angewachsen  ist  und  dann  wirklich  jene 
Notstände  und  Krisen  heraufbeschworen  hat,  die  Malthus  als  mechanische 
Folge  der  Volksvermehrung  ausgibt.  An  der  Übervölkerung  gewisser  euro- 
päischer Länder,  im  besonderen  von  England,  Belgien,  Deutschland  und' 
Italien  läßt  sich  ebensowenig  zweifeln  wie  daran,  daß  Rußland,  Ungarn, 
Spanien,  Frankreich  und  mit  Ausnahme  gewisser  nordamerikanischer  und 
chinesisch-japanischer  Distrikte  die  ganze  Erde  ohne  Krisen  und  Kriege 
noch  eine  weit  zahlreichere  Menschheit  als  die  1650  Millionen  ernähren 
könnte,  auf  die  man  sie  heute  schätzt.  Wichtiger  als  Maßnahmen  gegen 
Übervölkerung  (neomalthusianische  Propaganda)  wären  daher,  vom  Stand- 
punkt der  ganzen  Menschheit  gesehen,  Verbreitungseinrichtungen,  also  der 
Weg,  den  die  Pflanze  eingeschlagen  hat.  Eine  größere  Überbevölkerung, 
wie  sie  ein  Blütenfeld,  etwa  eine  der  in  Abbildung  79  dargestellten  Stein- 
brech-Matten der  Alpen  oder  der  polaren  Region  darstellt,  kann  man  sich 
wohl  kaum  vorstellen,  und  dennoch  vollzieht  sich  deren  Vervielfältigung  bei 
der  Fruchtung  ganz  ohne  nennenswerte  Krise  infolge  der  nahezu  voll- 
kommenen Verbreitungseinrichtungen.  In  diesem  Sinn  ist  innerpolitisch  die 
Sledelungsbewegung,  außenpolitisch  die  Kolonisation  ein  durchaus  orga- 
nischer Gedanke,  und  von  allem  Unglück,  das  Deutschland  betroffen  hat, 
wird  auf  die  Dauer  das  verhängnisvollste  der  Verlust  seiner  Kolonien  sein. 
England  wäre  ohne  die  weitsichtige  Politik  seines  Kolonienerwerbes  schon 
längst  an  inneren  Krisen  zugrunde  gegangen.  Jedenfalls  aber  ist  Europa 
im  ganzen  überbevölkert,  und  alle  seine  Leiden,  Unruhen  und  Kriege,  die 
soziale  Spannung  und  Teuerung,  die  Revolutionen,  sein  Industrialismus, 
Materialismus,  die  stete  „Entwicklung"  und  Zersetzung  aller  seiner  Verhält- 
nisse, die  Demoralisation,  die  gesamten  unleugbaren  Verfallserscheinungen 
haben  darin  ihre  innerste  Quelle.  Die  Tatsache,  daß  es  durch  die  schreckens- 
vollen Ereignisse  der  letzten  zehn  Jahre  um  reichlich  vierzig  Millionen  (den 
Geburtenrückgang  mitgerechnet)  Menschen  weniger  zählt,  als  es  ohne  sie 
gehabt  hätte,  sichern  zwar  unserer  Generation  noch  auf  ein  Menschenalter 

210 


die  Erhaltung  der  Zustände,  wie  sie  zu  Beginn  des  Jahrhunderts  bestanden 
haben;  ist  aber  dieser  Verlust  ausgeglichen,  dann  müssen,  diktiert  von  den 
.Weltgesetzen,  entweder  neue  Krisen  eintreten,  oder  der  Zustand  der  Groß- 
städte, wo  die  Geburtsziffer  unaufhaltsam  sinkt,  wird  allgemein.  So  stellt 
sich  die  Denkungsart  der  objektiven  Philosophie  zu  den  Problemen  des 
Malthusianismus. 

Wenn  Darwin  diese  Erfahrungen  auf  die  Welt  der  Organismen  verall- 
gemeinern wollte,  beging  er  daher  einen  Fehler,  indem  sie  teilweise  weit 
bessere  Mittel  hat,  um  die  Folgen  der  Übervölkerung  auszugleichen,  als  der 
Mensch  sie  anwendet.  Es  wurde  daher  Ungleiches  verglichen,  und  das 
mußte  zu  Irrtümern  führen.  Der  Hauptirrtum  war,  daß  man  aus  der  großen 
Fruchtbarkeit  der  Tier-  und  Pflanzenwelt  auf  eine  besonders  scharfe  Selek- 
tion schloß,  sich  die  Welt  des  Lebens  als  einen  steten  Kampfplatz  von 
Gladiatoren  vorstellte,  wie  es  in  einer  sehr  bekannt  gewordenen  Rede- 
wendung Huxleys  hieß,  und  ihr  zutraute,  daß  sie  einfach  alle  Eigenschaften 
der  Organismen  heranzüchtete.  An  die  Stelle  der  Ausmerzungs-  und  Auslese- 
vorstellung trat  dadurch  der  einer  Naturzüchtung  und  „natürlichen  Zucht- 
wahl", einer  „schöpferischen  Selektion".  Dazu  geben  aber  die  Weltgesetze 
keinen  Anhaltspunkt. 

Der  ganze  Kampf  gegen  den  Selektionsgedanken,  an  dem  sich  die  Gene- 
ration von  1890— 1910  beteiligte,  und  der  sich  zu  den  Fronten  der  deutschen 
Zoologen  Weismann-Plate  und  Hertwig-Pauly^^)  entwickelte,  galt  diesem 
Problem.  Gekämpft  wurde  nicht  um  die  Anerkennung  der  ausmerzenden 
Wirkung  der  Selektion,  sondern  um  die  Idee  der  Teleologie.  Aber  in  der 
Hitze  des  Kampfes  verschoben  sich  wie  in  jedem  Kampf  die  ursprünglichen 
Ziele,  und  schließlich  war  die  Sachlage  darauf  zugespitzt,  daß  Weismann 
die  Allmacht  der  Naturzüchtung  behauptete,  Plate  die  schöpferische  Fähig- 
keit der  Selektion  und  Pauly  die  absolute  Ohnmacht  und  Unfähigkeit  jeder 
Art  von  Selektion.  Man  war  von  allen  Seiten  über  das  Ziel  hinausgeschos- 
sen, und  wenn  die  Selektionstheorie  in  dem  letzten  Jahrzehnt  sichtlich  an 
Anhängern  verloren  hat,  so  steht  zu  befürchten,  daß  man  mit  ihrer  Ab- 
lehnung das  Kind  mit  dem  Bade  ausgießt. 

An  der  längeren  Dauer  der  dem  Optimum  ihrer  Art  näherkommenden 
Lebewesen  —  so  definiert  die  objektive  Denkungsart  das  Selektionsgcsctz 
in  der  Biologie  —  kann  nicht  gezweifelt  werden.  Und  zwar  aus  folgenden 
Gründen:  Grundbedingung  einer  siebenden  Wirkung  ist  Ungleichheit  der 
Eigenschaften.  In  homogenen  Systemen  stellt  sich  keine  Selektion  ein. 
Nun  ist  doch  die  lebende  Materie  auf  jeder  ihrer  Integrationsstufen  ein 
komplexes  System.  Ob  man  nun  die  kleinsten  belebten  Einheiten,  Waben 
und  Fäden  oder  die  Zellorganula  oder  die  Zellen  selbst  betrachtet,  überall 
walten  Differenzen,  welche  verschiedene  Grade  von  Vollkommenheit  und 
damit  Dauer  bedingen.  Das  erweist  sich  schon  an  den  in  der  Betrachtung 
des    Funktionsgesetzes    kennengelernten   Tatsachen    der   junktionellen    An- 

14* 

211 


passung,  welche  (vgl.  Seite  48)  von  dem  Hallenser  Anatomen  W.  Roux  mit 
Scharfsinn  bereits  als  interplasmatisch  erkannt  wurde.»^)  Was  er  nun  mit 
dem  Ausdruck  „züchtender  Kampf  der  Teile"  belegt,  und  was  Weismann  als 
Germinalselektion  bezeichnet,  ist  die  Erfahrung,  daß  die  einzelnen  Teile  des 
Zellsystems  ungleich  funktionieren  und  dementsprechend  einige  von  ihnen, 
eben  jene,  die  nicht  dem  Funktionsgesetz  in  allem  entsprechen,  vorzeitig 
degenerieren.  Übrig  bleiben  die  Optimalen.  Das  hat  v.  Hansemann  an  den 
Zellen  des  tierischen  Eierstockes,  K-  Theslng  an  den  Samenfäden  in  der 
Hodendrüse  unmittelbar  beobachten  können.  Erklärt  ist  damit  die  Ursache 
der  Ungleichheit  nicht,  —  sie  liegt  im  Vitalen  —  wohl  aber  sind  ihre  Konse- 
quenzen offenbar.  Sie  sind  gleichsam  die  Strafe  der  Weltgesetze  für  Un- 
tüchtigkeit.  Daher  erfolgt  in  allen  nicht  funktionierenden  Teilen  eine  Rück- 
entwicklung. Die  Existenz  der  rudimentären  Organe  (vgl.  diese),  das  Er- 
blinden der  in  den  Bergwerken  verwendeten  Pferde  sind  dafür  ebenso 
zwingende  Belege,  wie  die  jedem  Sportliebhaber  bekannte  Ertüchtigung  des 
Körpers  durch  Training  ein  Beweis  der  Wirkung  der  Funktion  ist.  Und  was 
intrazellulär,  gilt  auch  für  die  Gewebe  und  die  Individuen  selbst.  Die  Un- 
gleichartigkeit  der  Leistungen  bedingt  die  verschiedene  Dauer.  Die  Aus- 
drücke Kampf  ums  Dasein,  Wettbewerb  um  die  Nahrung,  Raum,  Licht,  Luft 
und  Wärme,  das  sind  alles  nur  Umschreibungen  einer  weit  einfacheren  Ge- 
setzmäßigkeit. Hätte  man  sich  auf  diese  Formel  beschränkt,  wäre  man  nie- 
mals auf  den  Gedanken  geraten,  daß  die  Selektion  ein  aktives,  entwickelndes 
Prinzip,  daß  sie  eine  „Kraft"  sei  und  Fähigkeiten  habe,  daß  sie  die  Organis- 
men vollkommener  mache,  und  was  an  derlei  irrtümlichen  Behauptimgen 
aus  dem  reichen  Schrifttum  der  Selektionstheorie  noch  mehr  existiert. 

Wo  wirklich  ein  aktiver  Kampf  der  Organismen  gegeneinander  stattfindet, 
hat  das  an  sich  mit  dem  Selektionsgesetz  nichts  zu  tun.  So  wenn  ein  Löwe 
oder  Storch,  die  beide  streng  auf  die  unbeschränkte  Herrschaft  in  ihrem 
Jagdgebiet  halten,  einen  Rivalen,  der  eingedrungen  ist,  überfällt  und  nun  ein 
Kampf  auf  Leben  und  Tod  beginnt.  Oder  wenn  die  Knöllchenpilze  eine 
Wurzel  befallen  und  es  ihnen  gelingt,  auf  ihr  Fuß  zu  fassen  und  die  Pflanze 
dann  die  Pilze  verdaut  (vgl.  Abb.  26  in  Bd.  II).  Oder  wenn  die  mächtigen, 
alten  Bäume  im  Walde  den  in  ihrem  Schatten  stehenden  lichtgedrückten 
Nachwuchs  nicht  aufkommen  lassen,  bis  nicht  der  Sturm  einen  der  Waldes- 
alten fällt,  worauf  der  Kümmerling  die  Erbschaft  im  Lichtraum  antritt  und 
nun  das  durch  rasches  Wachstum  nachholt,  was  er  jahrelang  versäumte. 

Das  sind  nicht  gesetzmäßig  wiederkehrende,  sondern  gelegentlich  vor- 
kommende Handlungen,  und  es  gibt  außer  den  gleich  zu  erwähnenden  Ge- 
schlechtskämpfen keine  regelmäßige  Konkurrenz  unter  den  Tieren  und  den 
Pflanzen.  Darin  hat  sowohl  Pauly  recht,  wie  einer  der  scharfsinnigsten 
Kritiker  des  Auslegegedankens,  der  russische  Zoologe  Fürst  Peter  Kropot- 
kin,  der  mit  vielem  Glück  an  einem  reichen  Beobachtungsmaterial  bewiesen 
hat,   daß   dem   unfreiwilligen   Wettbewerb   eine    absichtliche   „gegenseitige 

212 


Abb.  83.   Wettbewerb  der  Blattformen  um  die  Belichtung  durch  Anpassung  der 
Blattform   und  Mosaikbildung  an  einem   Bachrand.    Originalaufnahme 


Abb.  84.  Der  Wettbewerb  der  Samen 

Vergrößerter     Längsschnitt     durcli     die     Frucht 

des  Ackerkümmels   (NigcUa).    OriKinalaufnahme 

von   Frau  Dr.  A.   Friedrich,   München 


Abb.    S5.    Smciinthus   ocellata   in   Schreckstellung. 

Unten   Raupe  des  Weinschwärmers   (Chaerocampa 

Elpcnor)   in  Schrcckstellung.    Nach  Weismann 


Abb.  86.  Mimikry  der  italienischen  Sol- 
daten     im      italienisch -österreichischen 
Kriege    1915  1Q18 

Versuch,  sich  im  Gewirr  der  Baumschatten  durch 
ein  Zebra-  oder  Tigermotiv  unl<enntlich  zu  ma- 
chen.       Ein     Beispiel     für     mimetischc     Biotechnik. 


Hilfe"  wenigstens  im  Tierreich  gegenübersteht.  Er  zeigte,  daß  kranke  Tiere 
von  anderen  gepflegt,  blinde  dauernd  gefüttert  werden,  daß  überall  im  Tier- 
reich jeder  Funken  von  Intelligenz  dazu  benützt  wird,  die  natürliche  Un- 
gleichheit zu  vermindern  und  dadurch  der  Ausmerzung  der  weniger  Tüch- 
tigen so  entgegenzuarbeiten,  wie  das  auch  der  primitive  Mensch  mit  Ge- 
schlechtergilden, Sippen,  Blutsfreundschaft,  der  mittelalterliche  durch  Werke 
der  Barmherzigkeit,  durch  Zünfte  und  Gilden,  der  moderne  durch  Staats- 
gefühl und  sozialen  Gemeinsinn  übt.  Der  Kampf  ist  auch  unter  den  Pflan- 
zen, auf  die  sich  Kropotkins  Werk  nicht  erstreckt,  die  Ausnahme;  die  An- 
passung, Vereinigung,  die  gegenseitige  Hilfe  ist  die  Regel.  Nicht  nur  un- 
trennbare Gemeinschaften  entstehen  dadurch  gleich  den  Flechten  (vgl.  die 
Bilder  in  Bd.  I  Abb.  93—94)  und  anderen  Symbionten,  sondern  die  einen 
unterstützen  auch  ganz  in  freier  Existenz  die  anderen,  von  denen  sie  neben 
manchem  Übel  auch  wieder  Vorteile  empfangen.  Ein  derartiges  Verhältnis 
besteht  z.  B.  zwischen  den  Bäumen  und  den  Moosen.  Die  Bäume  rauben 
durch  ihr  Laub  den  Moosen  zwar  das  Licht,  daran  passen  sich  jene  an  und 
lernen  es  ertragen.  Aber  sie  empfangen  von  den  Bäumen  auch  den  ihnen 
köstlichen  Schutz  vor  der  prallen  Sonne  und  sind  dadurch  vor  dem  Ver- 
trocknen geschützt;  sie  gewähren  wieder  den  Bäumen  einen  Wasservorrat 
in  ihrem  Rasen,  ohne  den  kein  Wald  auf  die  Dauer  bestehen  kann.  Moose 
und  Bäume  kämpfen  also  nicht  gegeneinander,  sondern  unterstützen  sich. 
Wo  irgendwelche  Pflanzen  in  dichtem  Verein  durcheinanderstehen,  wird 
man  wieder  die  Situation  verwirklicht  finden,  die  auf  Bild  83  dargestellt 
ist.  Die  Blätter  unterdrücken  sich  nicht  gegenseitig,  sondern  bilden  „Mo- 
saike", nicht  nur  interindividuell,  sondern  auch  Art  gegen  Art.  Das  Ver- 
hältnis an  einer  solchen  Hecke  oder  an  einem  Bachesrand  liegt  nun  nicht 
etwa  derart,  daß  zwischen  den  großen  plumpen  Blättern  der  Ampferarten 
oder  Pestwurzen  das  feine  Laubwerk  der  Milzkräuter  oder  das  noch  feinere 
der  Geranien  und  Hundspetersilien  zuerst  alle  möglichen  anderen  Formen 
versucht,  bis  nach  und  nach  alles  ausgemerzt  wird,  was  nicht  Licht  genug 
erhält,  —  ganz  im  Gegenteil:  die  Pflanzen  weichen  solchen  Kämpfen  um 
den  Lichtraum  aus,  indem  sie  entweder  als  Spreizenklimmer,  wie  es  eben  die 
Geranien  oder  die  Mieren  sind,  sich  aus  dem  Gewirr  sie  verdunkelnder  Blät- 
ter herausheben  oder  durch  Ranken  zum  Lichte  klettern  nach  Art  der  Wald- 
erbsen  oder  mit  besonderer  Vorliebe  ihre  Blattstiele  von  Fall  zu  Fall  opti- 
moklin  so  verlängern,  daß  jedes  Blatt  doch  zu  seinem  Recht  kommt  oder, 
wie  es  der  Efeu  liebt,  nach  Bedarf  die  Blattgestalt  aktiv  ändern.  Oben  im 
Licht  hat  er  zugespitzt  eiförmige  Blätter,  unten  im  Schatten  treibt  er  die  be- 
kannten dreilappigen.  Man  untersuche  nur  das  Bild  83  oder  noch  besser 
einmal  einen  Waldrand  daraufhin,  wie  die  Einzelpflanzen  durch  verschie- 
denen Wuchs  die  Ungunst  der  Lichtverhältnisse  auszugleichen  verstehen. 
Nicht  Kampf,  sondern  Anpassung  mit  ihren  Helferinnen:  Tropismen,  be- 
sondere Organe,  teleologische  Handlungen  dominieren,  und  Kampf  ist  erst 

213 


das  Letzte,  wenn  alles 
andere  versagt  hat. 

Und  was  oben  im 
Licht,  das  geschieht 
auch  unten  in  der  Was- 
sertiefe. Überall  sieht 
man  die  Bildung  von 
Gemeinschaften,  um 
sich  den  „Daseins- 
kampf" zu  erleichtern. 
Stunden  eines  unbe- 
schreiblichen Vergnü- 
gens habe  ich  damit 
verbracht,  Lebensge- 
nossenschaften nach 
Art  der  auf  Abbildung 
87  dargestellten,  in 
südlichen  Meeren  zu 
studieren,  und  immer 
wieder  habe  ich  mich 
überzeugt,  daß  auch 
hier  Intelligenz  auf  al- 
len Stufen  der  Indivi- 
duation  danach  strebt, 
dem  auszuweichen,  was 
nach  der  Darwin^schen 
Lehre  das  Gesetz  wäre, 
das  sie  geschaffen  hat. 
Ein  solch  großer  Spiro- 
graphiswurm  mit  seiner 

stattlichen,  hohen 
Röhre,  aus  der  er 
seinen  bunten  Kranz 
heraussteckt,  ist  ein 
kleines  Wirbelzentrum 
in  den  stillen  Ecken 
der  adriatischen  Häfen, 
von  dem  eine  bunte 
Gesellschaft  von  Lebensgenossen  profitiert.  Es  ist  nicht  etwa  so,  daß  das 
ganze  Hafenwasser  belebt  war  ursprünglich  von  Polypen,  Würmern, 
Schnecken,  Manteltieren  und  Muscheln,  und  daß  nur  jene,  die  im  Schutze 
eines  großen  Röhrenwurmes  standen,  übrig  blieben,  sondern  alle  die 
Kleinen  sind  als  Larven  tapfer  umhergeschwommen  und  haben  sich  den 


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Abb.  87.   Ein  stark  bewachsenes  Exemplar  von  Spiro- 

graphis  Spallanzani  von  einem  der  Triestiner  Hafenmoli 

(Verkleinert) 

N   =.  eine    kleine    Nachtschnecke.      D   =   ein    Röhrenwurm    Dasyckone. 
K   =   Kalkschwämme.    C  =.  ein   Manteltier  (Cione).     Z  =.  eine  nest- 
bauende JVluschel  (Uma)  in   ihrem  Nest.    Nach  Steuer. 


214 


Lebensplatz  ausge- 
sucht, nicht  etwa  als 
Huxley*sche  Gladiato- 
ren der  Natur,  um  ge- 
geneinander zu  kämp- 
fen, sondern  in  hüb- 
scher Anpassung  an 
die  Lebensgewohnhei- 
ten des  anderen,  jeder 
auf  der  Spähe  nach 
Abfällen  und  noch 
nicht  ausgenützten  Vor- 
teilen, in  deren  Genuß 
er  sich  setzen,  und  auf 
die  er  sein  Dasein  auf- 
bauen kann.  Was  der 
große  Wurm  übrig 
läßt,  darin  teilen  sich 
die  Kleinen  (D),  die 
seine  Stielröhre  besie- 
deln. Es  fällt  noch  ge- 
nug für  sie  ab,  und  sie 
profitieren  mehr  von 
seinen  großen  und 
kräftigen  Wirbeln  als 
den     eigenen     schwa- 


Abb.  88.    Der  Wettbewerb  der   Pilzhüte   des   Parasol- 
schwammes.    Originalzeiclinung 


chen,  die  sie  anstellen  könnten.  Was  von  ihnen  verschmäht  wird,  genügt  im- 
mer noch  für  die  Mündchen  der  Kalkschwämme  (K),  die  deswegen  gern 
an  solchen  Orten  siedeln.  Die  winzigen  Polypen  und  Moostierchen  sind 
auch  noch  für  Brosamen  dankbar,  und  auch  die  große  Limamuschel  (L)  hat 
ihr  Nest  nicht  deshalb  aufgeschlagen,  um  die  anderen  zu  ruinieren,  sondern 
handelt  wie  ein  kleiner  Krämer,  der  die  Messe  besucht,  weil  schließlich,  wo 
viel  Leben  ist,  es  auch  für  ihn  mehr  Verdienst  gibt.  Nur  die  Nacktschnecke 
(N)  ist  ein  Räuber  in  diesem  Idyll,  da  neben  der  gegenseitigen  Hilfe  und 
Eintracht  es  natürlich  auch  nicht  an  Krieg  und  Zwietracht  fehlt.  Man  darf 
eben  nicht  in  das  andere  Extrem  verfallen  und  glauben,  es  gebe  auch  gar 
keine  Ausmerzung.  Wohl  vereinigen  sich  Krabben  und  Anemonen  sowie 
Schwämme  zu  Lebensgemeinschaften  aufs  friedlichste,  aber  die  Krabben 
selbst  beißen  einander  und  raufen  wie  die  Bauernjungen.  Es  gibt  weder 
Symbiose  noch  Kampf  allein;  das  Leben  benützt  alle  beide. 

Ein  besonders  beliebtes  Mittel  der  Organismen,  der  Selektion  entgegen- 
zuwirken, ist  die  Auswanderung.  Die  Pilzhüte,  die  aus  dem  Mycel  einer 
Spore  entstehen  (Abb.  88)  stehen  nur  scheinbar  miteinander  in  Wettbewerb. 


215 


Gewiß,  sie  machen  einander  den  Platz  streitig.  Aber  es  ist  ganz  gleich- 
gültig, welcher  von  ihnen  zuerst  „reift".  Es  hat  keiner  und  auch  die  Art 
hat  keinen  Vorteil  davon,  daß  einer  zuerst  seinen  Lebensgang  früher  vol- 
lende. Im  Gegenteil,  das  Nacheinanderfertigwerden  bedeutet  den  Nutzen. 
Denn  jeder  streut,  wenn  er  ausgewachsen  ist,  seine  vielen  tausend  Sporen  in 
die  Lüfte.  Sie  wandern  aus,  erfüllen  einen  ganzen  Horizont  mit  ihrem 
Leben  und  weichen  dadurch  dem  Wettbewerb  und  der  Selektion  nach  Tun- 
lichkeit  aus.  Diese  Auswanderung  zur  Sabotierung  der  Auslese  ist  den 
Biologen  schon  frühzeitig  in  die  Augen  gefallen,  denn  bereits  einer  der 
ersten  Darwinisten,  M.  Wagner,  gründete  seine  Migrationstheorie  darauf. 
Trotzdem  bleibt  —  und  es  ist  notwendig,  das  immer  wieder  zu  betonen  — 
ein  Rest  von  Wettbewerb,  eben  der,  den  das  Teleologische,  die  Intelligenz 
im  Lebensreich  nicht  zu  beseitigen  vermochte,  übrig,  und  der  wirkt  als  Sieb. 
Aktiv  ist  die  gegenseitige  Hilfe,  die  Anpassung,  die  Auswanderung,  passiv 
ist  die  Selektion.  Die  Ungleichartigkeit  bedingt  verschiedene  Dauer,  und 
übrig  bleiben  diejenigen,  die  am  meisten  den  Linien  der  Weltgesetze  folgen. 
Dem  sind  auch  wir  unterworfen.  Über  das  ist  nun  einmal  nicht  hinwegzu- 
kommen. Nur  ist  diese  von  den  Phantasien  gereinigte  Selektion  kein  schöp- 
ferisches Prinzip,  sondern  nicht  mehr  und  weniger  als  die  große  Walze,  die 
unnachsichtlich  die  Welt  so  lange  zerbricht,  bis  sie  haltbar  ist.  Und  es  ist 
kennzeichnend  für  die  ganze  Artung  des  Menschengeschlechtes,  daß  man 
diese  einfache  und  selbstverständliche  Sachlage  beileibe  nicht  aus  logischem 
Zwang  eingesehen  hat,  sondern  erst  Schritt  für  Schritt  unter  steten  Zweifeln 
und  Kämpfen,  unter  dem  Druck  eines  mit  unsäglicher  Mühe  erarbeiteten 
Beweismaterials. 

Besonders  an  eine  Vorstellung  klammerten  sich  die  Verteidiger  der 
„schöpferischen  Selektion".  Das  ist  die  Mimikryerscheinung  (Abb.  85,  86, 
89,  vgl.  auch  Abb,  43).  Jahrzehnte  hindurch  war  sie  das  Paradebeispiel  des 
mechanistischen  Darwinismus.  Ich  kann  ihre  Kenntnis  voraussetzen,  umso- 
mehr  als  ich  sie  auf  Seite  105  schon  behandelt  und  dort  als  Konvergenz- 
erscheinung gedeutet  habe,  eine  Auffassung,  zu  der  sich  übrigens  auch 
P.  Kammerer  in  seiner  „Allgemeinen  Biologie"  bekennt.  Es  ist  zunächst  ganz 
unleugbar,  daß  der  Mimetismus  in  jedem  Fall  „lebensverlängernd"  wirkt, 
wenn  auch  oft  in  jenem  ganz  merkwürdigen  Sinn,  den  zuerst  der  Münchener 
Philosoph  Erich  Becher  aus  der  belebten  Natur  herausgefunden  und  als 
Anzeichen  einer  über  die  individuellen  Seelenfähigkeiten  hinausgehenden 
Anpassung  gedeutet  hat.  Tatsächlich  sind  nicht  nur  die  von  ihm  als  Bei- 
spiel gewählten  Gallen,  sondern  auch  viele  von  den  durch  „Schreck-  oder 
Warnfarben"  geschützten  Insekten  in  der  Lage,  sich  für  die  Interessen  von 
anderen  Individuen  allerdings  der  gleichen  Art  aufzuopfern.  Wanzen  sind 
im  allgemeinen  durch  solche  feurige,  metallisch  schimmernde  oder  gelbrote 
Farben  ausgezeichnet,  dazu  durch  schlechten  Geschmack  und  stinkende 
Säfte,  und  man  kann  oft  genug  sehen,  wie  ein  junger  Vogel  gierig  nach 

216 


ihnen  schnappt,  den 
fetten  Bissen  aber  so- 
fort unter  allen  Zeichen 
des  Ekels  ausspuckt. 
Die  Warnfarbe  hat 
dem  Individuum  gar 
nichts  genützt,  denn  es 
ist  doch  zerhackt  wor- 
den, wohl  aber  nützt 
sie  allen  anderen,  ähn- 
lichen Wanzen:  das 
Todesopfer  ist  eine  Art 
heroischer  Tat  für  das 
Volk  gewesen,  die  An- 
passungsursachen rei- 
chen also  über  das  in- 
dividuelle Leben  hin- 
aus. In  anderen  Fällen, 
so  bei  der  bekannten 
Trutzstellung      des 

Abendpfauenauges 
(Smerinihus  ocellatus, 
Abb.  85)  oder  auch 
der  Raupe  des  Wein- 
schwärmers {Chaero- 
campa  Elpenor)  [Ab- 
bildung 85],  die  Weismann  so  besonders  hervorhebt,  kann  man  sich  wirk- 
lich unmittelbar  überzeugen,  wie  sich  z.  B.  Hühner  abschrecken  lassen. 

Aber  das  ist  ja  keine  Mimikry;  das  sind  teleologische  Vorgänge,  Instinkt- 
oder Intellekthandlungen,  deren  Absicht  es  ist,  die  Selektion  auszuschalten, 
ihr  zu  entgehen.  Genau  so,  wie  wenn  die  Soldaten  der  italienischen  Armee 
im  verflossenen  Kriege  sich,  wie  auf  Abbildung  86  dargestellt  ist,  gelbgrün 
vermummten,  um  auf  Bäumen  unsichtbar  zu  bleiben.  Und  ob  die  berühmte 
Insektennachahmung  der  Orchideen  (Abb.  89)  Mimikry  sein  soll  und  mit 
dem  Innenleben  der  Pflanzen  zusammenhängt,  kann  heute  niemand  sagen. 
Tatsache  ist  nur,  daß  alle  derartigen  Blüten  von  den  Insekten  nicht  zur 
Befruchtung  gewählt  werden,  also  gerade  durch  sie  nicht  fortgepflanzt  wer- 
den können,  wie  es  die  Selektionslehre  verlangt.  Schöpferisch  wirkt  Selek- 
tion in  keinem  Fall  dieser  Mimetismen,  weil  diese  alle  schon  da  sein  müssen, 
bevor  die  bestgelungenen  übrig  bleiben  können.  Immer  ist  sie  nur  im- 
stande, das  zu  entfernen,  was  als  Störenfried  der  Optimoklise  entgegenstand. 

Was  das  Gleichgewicht  stört,  wird  durch  die  Selektion  eliminiert  —  sie 
findet  demnach  gar  keine  Handhabe,  um  die  Mimikryerscheinungen  hervor- 


Abb.  89.  Blüte  der  Orchideengattunij  Oncidium  Papilio, 

ein  Beispiel  von  konvergenter  Gestaltung  des  tierischen 

und  pflanzlichen  Organismus.   Originalzeichnung 


217 


zubringen.  Im  Gegenteil,  die  besten  und  übertriebenen  Fälle,  also  auch  die 
mimetischen  Orchideen,  müssen  durch  sie  entfernt  werden,  haben  also  schon 
deshalb  zweifellos  eine  andere  Entstehungsursache.  Immer  ist  das  Verhält- 
nis, soweit  man  die  Natur  beobachten  kann,  so,  daß  durch  die  Selektion 
ein  gewisses  Gleichgewicht  erzeugt  wird,  indem  das  Selektionsgesetz  jedem 
zu  leben  gestattet,  der  nicht  gegen  die  Harmonie  verstößt.  Wie  auch  der 
deutsche  Zoologe  Richard  Hesse,  der  an  die  Darwin 'sehe  Theorie  glaubt, 
sehr  richtig  sagt:  wir  bemerken  von  Kampf  ums  Dasein  wenig,  wir  folgern 
ihn  nur  theoretisch.  Die  Störenfriede  der  Harmonie  werden  durch  Regu- 
lationen in  der  Lebensgemeinschaft  ausgemerzt.  Ein  allgemein  bekanntes 
und  hübsches  Beispiel  ist  das  übermäßige  Auftreten  von  Mäusen  nach 
einem  milden  Winter  und  trockenem  Lenz.  Diese  Abweichung  vom  meteo- 
rologischen Gleichgewicht  pendelt  bekanntlich  durch  Ausschläge  nach  der 
anderen  Seite  so  gründlich  aus,  daß  im  100  jährigen  Durchschnitt  das 
Klima  konstant  erscheint.  Die  Folgeerscheinung  aber,  nämlich  die  Mäuse- 
plage bringt  sofort  günstige  Ernährung  und  damit  Vermehrung  der  Mäuse- 
feinde, der  Mäusetyphusbazillen,  der  Bussarde,  Eulen  usw.  im  Gefolge 
und  damit  die  Ausmerzung  der  Mäuse,  bis  wieder  das  Gleichgewicht  her- 
gestellt ist.  Freilich  folgt  danach  auch  wieder  die  Aussiebung  der  Mäuse- 
bussarde. 

Ein  berühmt  gewordenes  Beispiel  für  die  Zusammenhänge,  unter  denen 
sich  die  Selektion  abspielt,  ist  die  Tatsache,  daß  in  der  Nähe  der  Dörfer  der 
Klee  besser  gedeiht  als  fern  von  ihnen.  Das  hängt  in  folgender  Weise  zu- 
sammen. Die  Katzen  leben  in  den  Dörfern;  es  gibt  dort  keine  Wildkatzen. 
Die  Katzen  jagen  die  Feldmäuse,  diese  wieder  rauben  in  den  Erdnestern 
der  Hummeln  Honig  und  Larven.  Die  Hummeln  dagegen  suchen  die  roten 
Kleeköpfchen  ob  ihres  Honigreichtums  mit  Vorliebe  auf.  Also  je  weniger 
Mäuse,  desto  mehr  Hummeln,  je  mehr  Katzen,  desto  weniger  Mäuse.  So 
schloß  Darwin,  der  auf  diesen  klassischen  Fall  von  Selektion  aufmerksam 
machte,  und  vergaß  dabei,  daß  sich  darin  nicht  so  sehr  ein  mechanisches 
Gleichgewichtsgesetz  ausspricht,  als  vielmehr  ein  klassischer  Fall  von  Selek- 
tionssabotage durch  die  Willenshandlungen  der  Tiere. 

Die  Hummeln  selektieren  die  roten  Kleeköpfchen  nicht,  sondern  suchten 
sie,  wenn  keine  in  der  Nähe  der  Dörfer  wären,  auch  in  den  fernen  Gemar- 
kungen auf;  desgleichen  werden  die  Feldmäuse  in  kornreichen  Jahren  die 
immerhin  gefährlichen  Hummelnester  weniger  behelligen.  Es  spricht  also 
nicht  eine  starre  mathematische  Gesetzmäßigkeit  aus  diesen  Vorgängen, 
sondern  biologische  Anpassung,  eine  Biotechnik,  nämlich  eine  künstliche 
Auslese  durch  den  Willen  der  Organismen,  die  mit  dem  Selektionsgesetz  an 
sich  nichts  zu  tun  hat.  Dieses  würde  sich  vielmehr  darin  äußern,  daß  in 
einem  schlechten  Kleejahr  die  Katzen  weniger  Junge  kriegen  und  dadurch 
selektiert  werden.  Das  ist  ein  Moment,  das  die  Literatur  zur  Selektions- 
frage noch  gar  nicht  aus  dem  Gesamtkomplex  der  Fragen  herausgeschält 

218 


und  genügend  beachtet  hat.  Der  Wille,  soweit  er  sich  in  der  Natur  äußert, 
nimmt  auf  eigene  Faust  Auslesen  vor  und  kompliziert  und  stört  so  auto- 
teleologisch das  selektive  Weltgeschehen.  Indem  der  Wille  stets  auf  ein 
Objekt  gerichtet  erscheint,  ist  er  ja  bereits  dem  innersten  Wesen  seiner 
Funktion  nach  selektorisch.  Hinter  Schopenhauers  Annahme  eines  allge- 
meinen Willens  in  der  Natur,  steckt  —  aus  seinem  Beweismaterial  ist  es 
wohl  ersichtlich  —  die  Ahnung  des  Weltselektionsgesetzes,  dessen  Wir- 
kungen er  vielfach  in  seine  Willensbegriffe  verkleidet.  Einmal  darauf  auf- 
merksam geworden,  bemerkt  man  (wie  auf  S.  54  bereits  vorweggenommen), 
daß  die  Sinnesorgane  die  Organe  dieser  Willensselektion  sind.  Indem  ich 
einen  Gegenstand  ins  Auge  fasse,  habe  ich  ihn  selektiert,  jeder  Ton,  den 
ich  unterscheide,  ist  eine  Selektion  aus  vielen  —  ja  im  Begriff  „unter- 
scheiden" verrät  mir  schon  die  Sprache  die  Mechanik  meiner  dabei  statt- 
findenden Auslesen.  Natürlich  muß  das  auf  die  Sinnestätigkeit  hin  in  Tä- 
tigkeit gesetzte  Denken  und  Erkennen  dann  ebenso  selektiv  beschaffen  sein. 
„Denkbar"  ist  ein  Wort,  das  nur  in  diesem  Sinn  verstanden  werden  kann. 
Unsere  Seinsbeschaffenheit  selektiert  bereits  die  Umwelt;  unser  Erkennen 
ist  seinem  Wesen  nach  ein  Herausheben  nur  gewisser  Elemente  aus  dem 
gesamten  Weltkomplex.  Nur  durch  Selektion  bilden  wir  den  Begriff 
Naturgesetz  (vgl.  Bd.  I  S.  40,  89,  208). 

Selektion  gehört  also  zur  Einrichtung,  zu  den  Vorbedingungen  der 
menschlichen  Erkenntnis  überhaupt;  sie  gehört  zu  den  Eigentümlichkeiten 
der  biozentrischen  Erkenntnisfähigkeit.  So  ist  sie  eine  optimokUne  Funk- 
tion und  wird  als  Biotechnik  ausgeübt,  von  uns  und  von  allem,  das  teleo- 
logische Zusammenhänge  herstellen  kann.  Unsere  Psyche  arbeitet  so  gut 
wie  jede  andere  Person  im  Weltsystem  in  einem  egozentrischen  Sinn  der 
mechanischen  Panselektion  entgegen.  Es  ist  ihre  Aufgabe,  die  Ungleich- 
heiten auszugleichen,  die  Nachteile,  die  durch  Vererbung  oder  Umwelts- 
änderung eintreten,  zu  vermindern,  indem  sie  auf  biotechnischem  Wege 
„Anpassungen"  schafft,  vor  der  Selektion  die  Punkte  beseitigt,  an  denen 
sie  angreifen  könnte;  es  ist  mit  Hilfe  von  Sinnesorganen,  Empfindungen, 
Vorstellungen  und  deren  Verknüpfung  ihr  Zweck,  über  mögliche  oder  ent- 
standene Nachteile  in  der  Zoesis  zu  orientieren,  damit  die  Selektion  sabotiert 
werden  kann.  Darum  selektiert  sie  selber  in  einem  optimoklinen  Sinn,  da- 
her imitiert  sie  das  Weltgeschehen  in  einem  der  Person  angenehmen  Sinn 
(Kultur). 

Man  werfe  nun  einmal  mit  diesen  Gedanken  im  Kopf  einen  Blick  auf  das 
Menschenleben,  einen  auf  das  Gebaren  von  Tier  und  Pflanze.  Selekteure 
sind  wir  alle  jeden  Tag  mit  jeder  Tat  und  jedem  Schritt.  Da  eilen  die  Abi- 
turienten zur  Prüfung.  Sie  werden  selektiert  (Selekta!)  auf  die  Eignung  als 
künftiger  Akademiker  und  Beamter  hin.  Unsere  Freundin  heiratet  nach 
langem  Suchen  und  Schwanken.  Sie  wäre  entrüstet,  wollte  man  ihres 
Herzens  Nöte  und  Freuden  so  gefühllos  benennen,  trotzdem  hat  sie  nichts 

219 


anderes  getan;  indem  sie  unter  drei  Bewerbern  endlich  einem  den  Vorzug 
gab,  hat  sie  geschlechtliche  Zuchtwahl  getrieben.  Jeder,  der  diese  Zeilen 
liest,  kritisiert  sie  nach  seinem  Verstand;  was  tut  er  dabei?  Er  selektiert 
das  ihm  brauchbar  Erscheinende  und  gibt  danach  dem  Buch  Dauer  in  seiner 
Umwelt,  oder  er  beachtet  es  nicht  weiter,  es  existiert  dann  für  ihn  nicht 
mehr.  Was  ist  Forschung  und  Wissenschaft  überhaupt?  Ein  stetes  Durch- 
suchen der  Welt  nach  „brauchbaren"  Zusammenhängen  und  Tatsachen  zum 
Aufbau  eines  gewünschten  Systems.  Was  macht  der  Kaufmann  und  sein 
Kunde?  Beide  wenden  ständig  das  Selektionsgesetz  an,  sollten  es  daher 
kennen.  Der  Kaufmann  selektiert  seine  Angestellten  auf  Eignung,  seine 
Lieferanten,  den  Markt  seiner  Erzeugnisse,  die  Ware;  sein  ganzes  Talent 
besteht  überhaupt  nur  in  selektiven  Fähigkeiten,  der  Kunde  aber  wählt  den 
Kaufmann  und  seine  Ware  in  einer  Oegenselektion  nach  anderen  Gesichts- 
punkten. Eine  typische  Selektion  sind  die  Musterungen  der  Rekruten.  Der 
Rechtsanwalt  liest  im  Tatsachenmaterial  seines  Falles  die  wesentlichen  Züge 
aus,  er  gruppiert  ihn  danach  (darum  haben  ja  beide  Gegenanwälte  Argu- 
mente und  zumeist  beide  auch  richtige  vorzubringen),  dann  selektiert  er  das 
Gesetzbuch  auf  die  zusagenden  Paragraphen.  Das  gesamte  bürgerliche 
Leben  ist  nichts  als  eine  fortgesetzte  Anwendung  der  Selektionsgesetze.  In 
ihm  sticht  namentlich  noch  eine  Form  dieser  Betätigung  besonders  hervor, 
sie  möge  uns  daher  noch  einen  Augenblick  Geduld  abringen.  Das  ist  die 
Selektion  des  Künstlers. 

Gerade  das  Kunstschaffen  hat  in  verschiedenen  Zeiten  seiner  Selbstbesin- 
nung und  überwiegend  bis  heute  (Expressionismus)  von  sich  geglaubt,  es 
sei  ganz  auf  seine  eigene,  innere  Autonomie  gestellt,  von  göttlicher  Freiheit 
und  den  Weltgesetzen  entrückt.  Aber  noch  nie  ist  ein  Kunstwerk  zustande 
gekommen,  wenn  es  nicht  auf  das  Genaueste  den  Weltgesetzen  gemäß  er- 
schaffen wurde  und  ihnen  entsprach.  Zu  diesen  gehört  auch  die  Selektion, 
mag  sie  den  Künstler  bei  seinem  Schaffen  noch  so  unbewußt  leiten.  In 
jedem  Kunstwerk  wird  eine  Welt  aufgebaut;  entweder,  indem  man  versucht, 
Abbilder  der  „wirklichen",  d.  h.  der  Welt  der  Sinneseindrücke  in  Wort, 
Formen,  Farben  oder  Tönen  zu  schaffen  oder  aber  das  Abbild  einer  vor- 
gestellten, inneren  Welt.  Stets  ist  die  Schöpfung  ein  komplexes  System, 
Jcann  daher  der  Gesetze  dieser  Systeme  nicht  entraten.  Zu  ihnen  gehört 
aber  während  des  ganzen  Schaffensprozesses  die  Selektion. 

Sie  ist  es,  die  in  den  ausgezeichneten  kunsttheoretischen  Aialysen  R.  H. 
M.  Holzapfels^'')  als  die  Exklusion  bezeichnet  wird.  Die  Analyse  eines 
konkreten  Beispiels  wird  das  mit  wenigen  Worten  klären.  Wählen  wir  als 
solches  irgendein  Genrebild.  Durch  die  Freundlichkeit  eines  Anhängers 
unserer  Philosophie  kann  ich  auf  den  Abbildungen  90  und  91  das  Gemälde 
eines  Künstlers,  und  die  Photographie  der  „Wirklichkeit"  wiedergeben,  die 
ihm  als  Modell  gedient  hat.  Auf  den  ersten  Blick  sieht  man,  wie  der 
Maler  die  Welt  der  Sinneseindrücke  für  seine  Zwecke  selektiert,  in  welch 

220 


Abb.  92.  Der  Wettbewerb  in  der  Blütenentwicklung  einer 
Pirola 

.Vergrößerte  Originalaufnahme  von    Frau   Dr.   A.    Friedrich,   München 


hunderterlei  Beziehungen  nach  Formen,  1-arbe,  Anordnung,  Licht  und  Schat- 
ten er  das  „Wesentliche"  hervorhebt.  Unwesentliches  zurücksetzt  oder  weg- 
läßt und  dadurch  einen  nüchternen  Hofwinkel  zur  Bildhaftigkeit  umschafft. 
Diese  zwei  Bilder  sagen  es  mit  lauter  Stimme:  künstlerisches  Sehen  ist  zu- 
nächst selektives  Sehen.  Gewiß  ist  es  nicht  das  allein,  so  wie  die  Selektion 
auch  nur  ein  sehr  kleiner  Winkel  und  nicht  das  ganze  Um  und  Auf  der 
Weltgesetze  ist,  aber  hier  wie  dort,  in  der  Welt  des  Kunstwerkes  gerade  so 
gut  wie  in  der  sonstigen  Welt  des  Erlebens  bestimmt  sie  über  das,  was  da 
„bleibt",  was  im  Sein  geduldet  wird. 

Und  so  wie  der  menschliche  Intellekt  arbeitet  auch  jeder  andere  Organis- 
mus bis  hinab  zu  dem  allereinfachsten.  Was,  nebenbei  gesagt,  ein  Beweis  ist, 
daß  auch  den  einfachsten  Lebewesen  das  „urteilende  Prinzip",  diese  selek- 
tive Fähigkeit  par  excellence,  nicht  abgeht.  Es  hat  seinerzeit  in  der  Bio- 
logie großes  Aufsehen  erregt,  als  man  bei  Amoeben,  Flagellaten  und  sonstigen 
Infusorien  die  Fähigkeit  der  Nahrungswahl  entdeckte.  Monas  aniyli,  ein 
winziges  Geißelzellchen,  durchzieht  die  Welt  seines  Wassertropfens  rastlos. 
Hundert  eßbare  Dinge  stoßen  ihm  auf;  es  verschmäht  sie  alle,  aber  Stärke- 
körner, die  es  findet,  werden  sofort  angenommen.  Von  ihnen  allein  lebt 
diese  Monade.  Vampyrella  Spirogyrae  bohrt  Grünalgen  an.  Aber  es  ver- 
meidet alle  bis  auf  die  Spirogyraarten.  Gewisse  Bakterien  lassen  sich  nur 
durch  Apfelsäure  locken,  andere  nur  durch  Zitronensäure.  Der  Begriff  der 
„elektiven  Ernährung"  ist  den  Biologen  seitdem  längst  geläufig. 

Die  Pflanzen  zeigen  sie  in  ihrem  Wurzelleben  genau  so  wie  die  Einzeller. 
Selektion  spricht  sich  aus  in  der  Bewegungswahl,  die  sie,  die  Bewegungs- 
unlustigen,  mit  größter  Bedächtigkeit  ausführen.  Wenn  man  Abbildung  92 
betrachtet,  kann  man  an  der  dritten  Blüte  des  dargestellten  Blütenstandes 
ein  schönes  Beispiel  dieser  Bewegungswahl  erkennen.  Die  später  so  mächtig 
auswachsenden  Griffel  entwickeln  sich  früher  (man  sieht  das  an  der  zweiten 
Blüte  sehr  schön),  die  Blüte  ist  also  protogyn.  Wenn  aber  die  Befruchtung 
unterbleibt,  dann  erfolgt  eine  Bewegungswahl  der  Staubfäden,  um  der 
Selektion  vorzubeugen.  Ein  Staubfaden  krümmt  sich  über  die  Narbe  und 
führt  autogamisch  die  Befruchtung  aus. 

Eine  andere  Art  von  „Bewegungsvvahl"  vollführt  der  Griffel  in  der  Blüte 
des  Fingerhutes  (Digitalis)  (Abb.  93),  von  dem  vier  Stadien  abgebildet  sind 
auf  der  ausgezeichneten  Aufnahme,  die  ich  Prof.  Heineck  verdanke.  Die 
Blüte  ist  diesmal  proterandrisch,  und  die  Wahl  liegt  in  dem  Rhythmus  der 
Wachstumsbewegungen.  Die  Staubfäden  wachsen  rasch  und  entfalten  sich, 
während  der  Griffel  ohne  merkliches  Wachstum  bleibt.  Erst  wenn  jene  aus- 
geblüht haben,  beginnen  seine  Wachstumsbewegungen  und  Entfaltung  (das 
letzte  Bild  rechts).  Auch  in  diesem  Fall  wird  der  Selektion  vorgebeugt; 
würde  nämlich  die  Pflanze  nicht  so  handeln,  dann  käme  es  zu  einer  Selbst- 
befruchtung, die  erfahrungsgemäß  auf  die  Dauer  wachsende  Sterilität  nach 
sich  zieht.    Im  obigen  Beispiel  wurde  die  Autogamie  erzwungen,  in  diesem 


wird  sie  verhindert,  es  wählt  also  die  Pjlanze  von  Fall  zu  Fall  das  Mittel, 
um  der  Selektion  zu  entgehen.  Sie  übt  eine  Auswahl.  In  der  gesamten 
Blütenbiologie  kehrt  auf  seiten  der  Pflanze  die  gleiche  Sachlage  und  Hand- 
lungsweise wieder;  von  seiten  der  Insekten,  Vögel  und  Schnecken  aber 
wird  die  Selektion  wieder  in  einer  so  zielbewußten  Weise  geübt,  daß  sie 
seit  langem  als  das  Musterbeispiel  aller  selektiven  Biotechnik  gelten. 

Seitdem  der  deutsche  Schullehrer  Sprengel  unter  dem  eisigen  Schweigen 
der  Zeitgenossen  die  Befruchtung  der  Blüten  durch  Insekten  entdeckte,  hat 
sich  hieraus  eine  umfangreiche  Zweigwissenschaft  entwickelt,  deren  Beweis- 
material viele  Tausende  von  Fällen  umfaßt.  Ganz  zielbewußt  suchen 
Bienen,  Hummeln  und  Falter  bestimmte  Lieblingsblumen  auf  (man  denke 
nur  an  den  Hummel-  und  Bienenbesuch  von  Klee  und  Linde),  die  sich  auch 
wieder  an  sie  in  den  wunderlichsten  Formen  (s.  Abb.  89  oder  AquUegia 
Abb.  25  oder  Berberis  Abb.  40)  angepaßt  haben,  durch  Farben,  Honig- 
sporne (Abb.  25),  Einstäubungsvorrichtungen  (Abb.  40),  Düfte  der  herr- 
lichsten und  der  ekelhaftesten  Art  (der  faule  Uringeruch  des  blühenden 
Efeus),  nur  um  ihnen  die  Selektion  zu  erleichtern.  Das  geht  so  weit,  daß 
z.B.  aus  ihrer  Heimat  entfremdete  Pflanzen  wie  die  Vanille  in  unseren  Glas- 
häusern mangels  ihrer  gewohnten  Befruchter  solange  keine  Frucht  an- 
setzten, bis  sich  der  Mensch  zu  ihrer  Bedienung  bequemte. 

Wenn  die  Selektionslehre  glaubt,  daß  durch  diese  Wahltätigkeit  der  In- 
sekten die  Blumenwelt  ihre  heutige  Schönheit,  den  Farbenschmelz  und  den 
Wohlgeruch  erworben  hat,  so  muß  kritische  Besinnung  den  Entscheid  hier- 
über von  der  genauen  Kenntnis  des  „Weltbildes  der  Insekten"  abhängig 
machen,  die  heute  noch  nicht  erreicht  ist,  ja  nach  den  neuesten  Unter- 
suchungen des  Ophthalmologen  C.  v.  Heß  scheint  dies  Weltbild  höchst 
wahrscheinlich  anders  zu  sein,  als  man  bisher  dachte.  Jedenfalls  aber  selek- 
tieren die  Insekten  nach  ihren  Trieben,  und  die  Blumenwelt  ist  ein  Spiegel- 
bild des  Insektengeschmacks.  Eine  von  dem  Willen  und  dem  Weltbild  der 
Tierseele  abhängige  Zuchtwahl  üben  auch  alle  Männchen  aus,  die  sich  auf 
die  Brautschau  begeben,  und  alle  Weibchen,  die  ihre  Huld  verschenken. 
Darwin  wußte  das,  und  in  seiner  Theorie  der  „geschlechtlichen  ZuchtwahV^ 
hat  er  die  Tatsache  vielleicht  sogar  überschätzt.  Erstaunlich  ist  dabei,  wie 
man  die  so  leicht  erkennbare  Tatsache,  daß  hiebei  nicht  das  mechanische 
Gesetz  bloßer  Ausmerzung  des  nicht  Optimalen  waltet,  sondern  die  spe- 
ziellen Triebe  der  betreffenden  Tiere,  so  völlig  übersehen  konnte. 

Der  sexuelle  Dimorphismus,  die  Zwiegestalt  der  Geschlechter,  bald  sehr 
wenig  ausgesprochen  wie  bei  den  Fröschen  (Abb.  94),  bald  aufs  höchste 
ausgeprägt,  wie  beim  Hirschkäfer  (Lucanus)  (Abb.  96  <S  und  $)  oder  den 
Paradiesvögeln,  wird  bei  vielen  von  ihnen  zur  Paarungszeit  noch  gesteigert. 
Diese  Erscheinung  beschränkt  sich  nicht  etwa  auf  die  Hochzeitskleider  von 
Fischen  und  Molchen,  sondern  ist  auch  bei  niederen  Krebsen  vorhanden, 
ja  selbst  im  Pflanzenreich  ist  sie  nicht  unbekannt.    Wenigstens  sieht  man 

222 


zur  Zeit  der  Fortpflanzung  selbst  an  Windblütlern,  wie  z.  B.  der  weiblichen 
Haselblüte,  das  prachtvolle  Rot,  das  im  ganzen  Lebensbereich  die  Herzens- 
farbe der  Sexualtriebe  ist.  Diese  „Schönheit"  scheint  ihren  Ursprung  also 
in  inneren  Erregungszuständen,  vielleicht  in  den  erotisierenden  Hormonen 
der  Organismen  zu  besitzen.  Bekanntlich  ist  auch  der  Mensch  diesem 
sexuellen  Dimorphismus  unterworfen;  das  männliche  Geschlecht  zeichnet 
sich  durch  Größe,  Körperkraft  und  die  nach  der  Pubertät  sich  meldende 
Bartbildung  aus,  das  weibliche  durch  die  (in  ihrer  Entstehungsursache  noch 
unerklärten)  Brüste,  die  langen  Haare  und  den  zarteren,  rundlichen  Bau. 
Und  tatsächlich  spielen  diese  Momente  bei  der  Paarungswahl  auch  eine  sehr 
bedeutende  Rolle.  Der  erotische  Schönheitsbegriff  hat  sich  nach  ihnen  ge- 
bildet, und  daß  schöne  Mädchen  mehr  umworben  werden  als  reizlose,  ist 
eine  Binsenwahrheit.  Daß  aber  die  schönen  Mädchen  und  noch  mehr  die 
schönen  Männer  nicht  gerade  unbedingt  mit  dem  Begriff  Menschheits- 
optimum zusammenfallen,  braucht  ebensowenig  zergliedert  zu  werden.  Und 
genau  so  ist  es  in  der  Tierwelt  auch.  Die  Geschlechter  regen  sich  an  diesen 
Merkmalen  zur  Begattung  an,  das  ist  alles.  Nur  bei  einigen  höheren  Tier- 
gattungen, den  Hirschen,  den  Auerhähnen  und  derlei  hat  man  sich  überzeugt, 
daß  unter  den  vor  einem  Parterre  von  Weibchen  kämpfenden  oder  tanzen- 
den oder  sich  als  Rezitator  (Laubenvögel)  produzierenden  Männchen  aus- 
gewählt wird,  aber  für  gewöhnlich  nimmt  jedes  Weibchen  den  Mann  an, 
der  sich  ihm  zur  Paarungszeit  nähert.  Und  man  wird  doch  nicht  im  Ernst  be- 
haupten wollen,  daß  der  beste  Balzer  oder  Tänzer  oder  Sänger  oder  der  bun- 
teste Paradieshahn  der  „Zweck"  im  Walten  eines  Naturgesetzes  sein  könne.  Die 
geschlechtliche  Zuchtwahl  ist  nichts  als  einer  der  vielen  Beweise,  daß  auch 
die  Tiere  selektieren  können,  aber  sie  ist  von  keiner  größeren  Bedeutung. 
Was  nun  die  Tiere  so  vielfällig  können,  das  hat  auch  der  Mensch  von  je 
geübt.  Nicht  nur  in  den  nun  schon  zur  Genüge  erörterten  Beziehungen, 
sondern  auch  an  Tieren  und  Pflanzen,  die  er  sich  in  bestimmter  Hinsicht 
heranzüchten  wollte.  So  wie  Wissen  und  Schaffen  eine  selektive  Biotechnik 
ist,  so  sind  auch  die  Besonderheiten  der  Tiere  und  Pflanzen,  mit  denen  sich 
der  Mensch  umgibt,  kein  Natur-,  sondern  ein  Zivilisationsprodukt,  entstanden 
durch  künstliches  Auswählen  und  dadurch  am  Leben  Erhalten  der  von  ihm 
gewünschten  Eigenschaften.  Legte  ein  Schafzüchter  besonderen  Wert  auf 
feine  Wolle,  so  suchte  er  mit  rastlosem  Bemühen  aus  den  Herden  Böcke 
und  Schafe,  die  das  zarteste  Vließ  besaßen,  und  kreuzte  sie.  Nach  der 
Mendel-Regel  waren  dann  Kinder  zu  erwarten,  welche  ebenfalls  zarte 
Wolle  tragen.  Indem  er  das  Verfahren  fortsetzt,  kann  er  Rassen  von  er- 
staunlich hoher  Einseiligkeit  heranzüchten.  Oder  er  kann  auf  Mastflcisch 
hin  selektieren  oder  auf  Hornlosigkeit;  kurz,  man  hat  auf  diese  mühsame, 
aber  einfache  Art  aus  wildwachsenden  Gräsern  und  Sträuchern  Getreide, 
Zuckerrüben,  Gemüse,  Zentifolien,  aus  wilden  Tieren  den  Haushund,  die 
Rinder,  die  hunderterlei  Taubenrassen,  Geflügel,  kurz  einen  großen  Kreis 

223 


von  Gefährten  herangezüchtet,  ein  Kulturprodukt  an  die  Stelle  der  Natur 
gesetzt.  Den  Entscheid,  welche  Eigenschaften  und  wieviel  Rassen  man 
„auslesen"  konnte,  fällte  dabei  natürlich  nicht  der  Mensch,  sondern  es 
fällten  ihn  die  Tiere  und  Pflanzen  selbst.  Daher  gibt  es  z.  B.  von  der  Haus- 
gans nur  ganz  wenig  Rassen,  umsomehr  aber  von  den  Hunden  oder  den 
Kanarienvögeln;   die  Hausgans  ist  kaum  variabel,  die  anderen  umso  mehr. 

Dieses  Verfahren  hat  Darwin  wohl  gekannt  und  geübt  und  in  Gedanken 
auf  die  Natur  und  die  ganze  Welt  übertragen.  Ohne  Bedenken  stellte  er 
einen  Begriff  „Natürliche  Zuchtwahl"  auf,  den  er  identisch  nahm  mit  der 
künstlichen  Zuchtwahl  der  Züchter. 

Es  entging  seiner  Bedachtsamkeit  dabei,  daß  alle  „gezüchteten"  Tiere 
einseitige  Geschöpfe  sind,  deren  Organismus  wohl  trachtet,  die  gestörte 
Harmonie  ihres  Eigenschaftenkomplexes  regulatorisch  wieder  herzustellen, 
weshalb  auch,  wie  jeder  Züchter  weiß,  die  „Rückschläge"  {Atavismen  nannte 
man  sie  mißverständlich)  auf  die  Stammesart  umso  beharrlicher  und  häu- 
figer sind,  je  höher  gezüchtet  die  Art  ist,  daß  es  ihnen  aber  nicht  gelingt, 
die  volle  Harmonie  wieder  zu  gewinnen,  weshalb  alle  seit  alters  her  be- 
kannten Kulturpflanzen  und  Kulturtiere  höchst  empfänglich  für  Krankheiten 
und  so  wie  der  Mensch  kaum  jemals  robust  gesund  sind.  Der  Weinstock, 
die  Zuckerrübe  oder  das  Rind  sind  treffliche  Beispiele  hierfür;  die  er- 
steren  zwei  sind  diejenigen  Pflanzen,  welche  von  den  meisten  Pjlanzen- 
krankheiten  befallen  werden  (vgl.  Abb.  9  in  Bd.  I),  wie  denn  auch  das  Ge- 
treide unter  epidemischer  Erkrankung  durch  den  Getreiderost  leidet;  die 
Kuh  dagegen  nimmt  sogar  bereits  an  der  sinkenden  Fruchtbarkeit  und  den 
Erschwerungen  des  Gebäraktes,  die  im  Menschengeschlecht  üblich  sind,  teil. 
Hunde  und  Pferde  sind  die  einzigen  Tiere,  die  in  ihren  „höchsten,  also  ein- 
seitigsten Rassen  sogar  seelisch  erkranken;  wie  nervös  Rennpferde  sind, 
wissen  die  Turfbesucher,  und  der  so  intelligent  dreinblickende  Hund  Rolf 
(Abb.  95),  der  den  Streit  um  die  Tierseele  durch  seine  Klopfantworten  und 
„Briefe",  die  er  schrieb,  aufs  neue  entfesselte,  litt  an  geistigen  Über- 
müdungserscheinungen und  ging  auch  vorzeitig  zugrunde  gleich  den  an- 
deren  Wunderkindern. 

Aber  auch  abgesehen  von  dieser  unzulässigen  Übertragung  einer  mensch- 
lich unvollkommenen  Technik  auf  das  gesamte  Naturgeschehen  und  dem  Über- 
sehen der  Tatsache,  daß  jede  irgendwann  vorkommende,  allzu  scharfe  Selek- 
tion korrigiert  wird  im  Sinne  des  Ausgleiches,  steckte  in  den  Darwin-Wallace- 
schen  Gedankengängen  noch  eine  Täuschung,  welche  die  nachfolgende  Kri- 
tik auf  das  schärfste  herausgearbeitet  hat.  Das  ist  der  Irrtum,  als  ob  die 
künstliche  Zuchtwahl  etwas  Neues  erzeugen  könnte.  Mit  einer  bemerkens- 
werten Unreinheit  des  Denkens  setzten  diese  Engländer,  die  das  spitze  Epi- 
gramm, mit  dem  Nietzsche  sie  bedachte,  wohl  verdienen,  den  Zufall  als  schöpfe- 
risches Prinzip  in  die  Selektionstheorie  ein  und  zwingen  dadurch,  im  Namen 
des  Selektionsgesetzes  sich  auf  das  Entschiedenste  dagegen  zu  verwahren. 

224 


Abb.  93.    Verschiedene  Zustände  der  Blüte  des  Fingerhutes  (Digitalis  pui 
purea)  an  aufgeschnittenen  Blüten  demonstriert. 

Originalaufiiahnie    von    Prof.    Dr.    O.    Heineck,    Alzcv 


Abb.   94.    Der   Liebesakt  der  (nasf rösche.     N.itnr;uitnahnic   von   II.    I  Jopfcr, 
München 


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Die  auch  von  Hacket  übernommene  Darwin' ?,q.\\q.  Selektionslehre  nimmt 
an,  daß  alle  Nachkommen  eines  Elternpaares  untereinander  und  gegen  die 
Eltern  ungleich  sind.  Das  ist  eine  Beobachtungstatsache;  ihre  Beachtung 
entspringt  auch  dem  richtigen  Gefühl  dafür,  daß  Selektion  immer  nur  in 
heterogenen  Systemen  ihre  Angriffsfläche  findet.  Aber  die  Selektionisten 
täuschen  sich  über  die  Tragweite  dieser  Veränderlichkeit.  Sie  machten 
die  willkürliche,  daher  unzulängliche  Annahme,  daß  alles  das,  was  sie  er- 
klären wollten,  nämlich  die  verschiedenen  Eigenschaften,  schon  da  seien 
als  zufällig  entstandene  Abänderungen  in  der  Nachkommenreihe,  die  nun 
die  Selektion  im  Sinn  des  Optimalen  nur  mehr  heraus  zu  isolieren  braucht. 
Und  das  ist  falsch.  Dieses  Irrtums  halber  bekämpfte  man  und  kritisiert 
man  noch  heute  die  Selektionslehre  der  Darwinisten.  Und  auch  die  objek- 
tive Denkungsart  wendet  sich  davon  ab  und  weiß  sehr  wohl,  daß  Selektion 
in  dem  Sinn  ein  ohnmächtiges  Prinzip  sei,  weil  sie  nur  Bestimmungen 
über  die  Erhaltung  des  im  Sinne  der  Weltgesetze  Liegenden  trifft,  nicht 
aber  selbst  der  Schöpfer  der  Welt  ist. 

Für  den  aber  haben  sie  die  Materialisten  gehalten,  die  eine  Generation 
hindurch  triumphierend  verkündeten,  nun  sei  es  verständlich  geworden, 
wie  die  Welt,  wie  der  Geist  entstanden  sei.  Sie  seien  aus  der  Nichtweit, 
also  dem  Nichts,  aus  dem  Nichtgeist,  also  dem  Unsinn  rein  mechanisch 
herausselektiert  worden. 

Das  ist  heute  längst  und  schon  vor  der  objektiven  Philosophie  berich- 
tigt worden.  Erstens  hat  die  Mendel-RtgtX  gezeigt,  nach  welchem  Gesetz 
die  kleinen  Abänderungen  der  Nachkommen  sich  verteilen,  und  woher  sie 
stammen.  Sie  deckte  das  Würfelspiel  der  Vorfahrenmerkmale  auf.  Anderer- 
seits aber  haben  höchst  mühsame  und  gewissenhaft  ausgeführte  Unter- 
suchungen —  die  Namen  Johannsen,  Galton  und  Quetelet,  ein  Däne,  ein 
Engländer  und  ein  Belgier  stehen  darin  an  der  Spitze  —  erwiesen,  daß 
diese  kleinen  Abänderungen  in  langen  und  reinen  (d.  h.  nicht  durch  Kreu- 
zung verwirrten)  Fortpflanzungsreihen  wieder  verschwinden.  Man  bezeich- 
nete sie  deshalb  als  Ftaktuationen,  weil  sie  die  unveränderlichen  Typen 
gleichsam  umtanzen  (vgl.  Abb.  97)  in  einem  Reigen,  der  sich  niemals  ändert. 

Wenn  man  die  soeben  genannte  Abbildung  studiert,  ist  sie  der  Nieder- 
schlag folgender  Beobachtungen.  Man  denke  sich  einen  beliebigen  Pflan- 
zen- oder  Tierbestand,  eine  „Population",  wie  das  die  Selektionstheoretiker 
nennen,  und  wir  untersuchen  nun  die  vorhandenen  Abänderungen,  z.  B.  an 
einer  Ernte  weißer  Bohnen  die  Samen  mit  schwarzen  Flecken.  Wir  werden 
bald  Varianten  finden,  die  wir  nun  der  Größe  nach  geordnet  in  eine  Varia- 
tionsreihe einordnen.  Bald  stellt  sich  dann  heraus,  und  das  ist  bei  allen 
variationsstatistischen  Untersuchungen  so,  mögen  sie  sich  auf  was  immer 
beziehen,  daß  es  bestimmte  Variantengruppen  gibt,  von  denen  einige  sehr 
zahlreich  sind.  Diese  nennt  man  die  „Mode''  der  betreffenden  Abänderung 
(z.  B,  Schuhform,  die  „man"  trägt),  wobei  die  Formen,  die  zwischen  den 

Franci,  Bios   U  '^ 

225 


Abb.  97.  Diagramm  von  fünf  reinen  Linien  (A,  B,  C,  D,  E)  einer  Bohnenrasse,  die  in  Probierzylinder  sor- 
tiert sind  nach  den  Merkmalen.  Jedes  Merkmal  zeigt  dieselbe  Variationskurve.  Die  Bohnenreihe  A— E  ist 
eine  aus  der  Summe  der  fünf  reinen  Linien  gebildete  Population,  deren  Variantenverteilung  mit  der  der 
remen  Linien  übereinstimmt.  Die  Variation  hebt  sich  aber  wieder  auf  und  führt  zu  keiner  dauernden  Ände- 
rung der   Eigenschaften.     (Nach  Johannsen). 

Extremen  den  „Mittelwert"  halten,  sich  sehr  häufig  mit  der  Mode  decken. 
Je  extremer  die  Abweichungen  sind,  desto  seltener  sind  sie  auch. 

Dieser  Erfahrungskomplex  wird  unter  dem  Namen  des  QueteleVszhtn 
Gesetzes  begriffen.  Man  hat  es  bestätigt  gefunden  an  der  Fruchtlänge  von 
Pflanzen,  an  den  Kleidermoden,  am  Hirngewicht  des  Menschen,  in  der 
Häufigkeit  von  mathematischen  Fehlern  [Gauß'schts  Fehlergesetz,  ausge- 
drückt durch  die  binomische  Formel  (a  +  b)"],  kurz,  es  hat  sich  als  allge- 
meines Charakteristikum  des  Seins  erwiesen.  Die  Ergebnisse  solcher  varia- 
tionsstatistischer Untersuchungen,  aufgetragen  auf  ein  Koordinatensystem, 
wobei  die  Werte  auf  die  Abszisse,  die  Zahl  der  untersuchten  Individuen  auf 
den  Ordinaten  eingetragen  sind,  ergeben  Kurven  wie  die  dargestellte,  die 
meist  symmetrisch  sind  und  nur  einen  Gipfel  aufweisen.  Sie  machten  das 
je  nachdem  schreckliche  oder  tröstliche  Resultat  sinnenfällig,  daß  das  Mit- 
telmäßige in  allem  die  Majorität  hat,  also  das  Sein  bestimmt. 

Johannsen  wählte  nun  aus  solchen  reinen  Populationen  von  Bohnen  ein- 
zelne aus,  befruchtete  sie  mit  sich  selbst  (um  eben  Kreuzung  zu  ver- 
meiden) und  unterwarf  ihre  Nachkommen  wieder  der  variationsstatistischen 


226 


Prüfung.  Wieder  ergab  sich  eine  entsprechende,  natürlich  kleinere  Kurve. 
Und  so  läßt  sich  der  ganze  Bestand  in  solchen  Kurven  weiterzüchten,  die 
zusammengenommen  wieder  die  große  GaUon-KuT\c  ergeben.  (Vgl.  An- 
merkung 88.) 

Wenn  man  also  die  Selektion  in  einer  Richtung  konsequent  fortsetzt, 
werden  die  Variationsmöglichkeiten  immer  geringer  (gemäß  dem  Galton- 
schen  Rückschlaggesetz),  niemals  wird  Selektion  eine  Steigcrimg  der  Varia- 
bilität hervorrufen.  Sie  liest  eben  nur  das  Vorhandene  aus,  aber  sie  schafft 
nichts  Neues.  Sie  arbeitet  rein  negativ.  Damit  war  auf  mathematisch  exakte 
Weise  bewiesen,  was  sich  die  Logik  schon  längst  sagte,  daß  die  Darwin- 
sche. Selektionstheorie  falsch  sei!  Nicht  die  Selektion  bereichert  die  Welt 
der  Organismen  an  Merkmalen,  das  tun  nur  die  Mutationen,  und  diese  ent- 
stammen dem  Innenleben,  wie  auf  Seite  162  ausgeführt  ist.»!»)  So  hat  die 
V ererbungswissenschaft  definitiv  gegen  Darwin  entschieden  und  damit  auch 
alle  darauf  aufgebauten  Folgerungen  sowohl  der  rein  materialistischen  wie 
der  HäckePsohtn  Schule  zu  Fall  gebracht. 

Die  Übertragung  der  Züchtertechnik  auf  die  ganze  Natur  war  ein  großer 
Irrtum,  und  der  Begriff  des  Selektionsgesetzes  muß  von  nun  an  einen  an- 
deren Inhalt  haben,  als  ihn  die  materialistische  Generation  prägte.  So  rundet 
sich  nun  dieser  Gedankengang  zu  Einsichten,  die  jeder  Kritik  standhalten, 
weil  sie  nichts  als  eine  Beschreibung  des  in  allem  Geschehen  Wieder- 
kehrenden sind. 

Unbestreitbar  ist  die  Verschiedenheit  der  Individuen  in  bezug  des  Er- 
reichens  ihres  Optimums  auf  jeder  Integrationsstufe  des  Seins,  soweit  sie 
sich  noch  zu  komplexen  Systemen  zusammenschließen.  Unbestreitbar  ist 
auch  die  Tatsache,  daß  je  nach  dem  Grad,  in  dem  ein  Seiendes  dem 
bestmöglichen  Sein  näher  steht,  es  mehr  Aussicht  auf  Dauer  hat.  Der  bes- 
sere Schwimmer  wird  sich  länger  auf  dem  Wasser  erhalten  können  als 
der  schlechte,  das  härtere  Gestein  ist  widerstandsfähiger  als  das  weiche 
gegen  die  Abnützung,  das  den  Menschen  mehr  bietende  Buch  bleibt  län- 
ger im  Gebrauch  als  das  unverständliche  oder  rasch  veraltende.  Es  be- 
stimmt also  der  Grad  der  Optimoklise  die  Dauer.  Das  ist  zwar  kein  zwin- 
gender Schluß,  aber  eine  Erfahrungstatsache  von,  wie  in  diesem  Abschnitt 
gezeigt  wurde,  so  allgemeiner  Bestätigung,  daß  sie  zur  praktischen  Ge- 
wißheit wird. 

Eine  notwendige  Konsequenz  dieser  Tatsache  aber  ist,  daß  schon  durch 
das  bloße  Walten  der  Zeit  infolgedessen  nicht  alles  in  einem  gegebenen 
Erlebensmoment  Vorhandene  erhalten  bleibt.  Die  Welt  zerfällt  in  eine 
Stufenfolge  von  Dauerhaftigkeiten,  deren  Gesetz  lautet:  Die  Dauer  regelt 
sich  nach  der  Annäherung  an  das  Optimum  alles  Seins:  an  die  Harmonie 
der  Welt.  Nur  diese  letzte  Seinsform  hat  absolute  Dauer.  Das  verstehe 
ich  unter  Selektion.  Da  aber  das  Optimum  durch  die  Funktionen  erreicht 
wird,  so  bestimmt  deren  Art  über  die   Dauer  der  Seinsstufen.    Soweit  in 

15* 

227 


diesen  Funktionen  Wahlfähigkeit,  also  ein  Intellekt  sich  ausspricht,  ist  es 
diesem  Intellekt  anheimgegeben,  die  Funktionen  des  Individuums  in  der 
Richtung  auf  längere  Dauer  und  Reibungslosigkeit  zu  regeln. 

Da  der  Mensch  diese  Wahlfähigkeit  wenigstens  teilweise  besitzt,  liegt  es 
in  seiner  Hand,  sich  jeweils  so  zu  verhalten,  wie  es  dem  jeweiligen 
Optimum  seiner  Situation  entspricht.  In  den  unbewußten  Funktionen  wird 
das  Optimum  ohnedies  nicht  unbegrenzt  aufrecht  erhalten,  ebenso  veran- 
laßt der  nicht  absolut  harmonische  Zustand  der  Umwelt  oft  genug  Störun- 
gen, die  dem  System  ebenfalls  ein  Ende  bereiten  können.  Wenn  aber  auch 
die  wählbaren  Handlungen  gegen  das  Optimumgesetz  gerichtet  sind,  treten 
Entwicklungen  und  Änderungen  ein,  die  entweder  das  Handeln  wieder 
optimoklin  gestalten  oder  die  Dauer  des  Lebens  abkürzen. 

So  ist  es  in  des  Menschen  Hand  gegeben,  entweder  durch  sein  Handeln 
und  Wirken  das  Weltoptimum,  die  große  Harmonie  ihrer  Verwirklichung 
näher  zu  führen  oder  deren  Werden  zu  verzögern.  Im  letzten  Fall  gerät 
er  in  widersinnige  Bewegung  zur  allgemeinen  Richtung  des  Weltgeschehens, 
und  der  Teil  zerreibt  sich  am  Ganzen.  Im  ersteren  Fall  wird  der  Mensch 
nach  einem  zwar  nicht  absolut,  aber  relativ  weit  reibungsloseren  Dasein 
auch  nach  dem  Zerfall  seiner  Integrationsstufe  einen  für  jedes  weitere 
Sein  günstigeren  Weltzustand  vorfinden. 

So  ist  er  eingeordnet  in  ein  System,  das  durchgängig  die  Dauer  alles  Ge- 
schehens nach  dessen  Annäherung  an  die  Weltgesetze  sortiert.  Selektion 
tront  wie  ein  dunkler,  aber  gerechter  und  unbestechlicher  Richter  über  der 
Welt  und  duldet  nur  das  im  Sein,  was  den  Gesetzen  dieses  Seins  gemäß  ist. 


Anmerkungen  und  Zusätze 

82  (Zu  S.  199).  Es  wird  eine  Aufgabe  der  vergleichenden  Biologie  sein,  die  wirk- 
lich eine  biocoenotische  Einheit  bildenden  d.  h.  von  einander  in  der  Ernährung  und 
in  den  gegenseitigen  Anpassungen  abhängigen  (Schutz!)  Pflanzen  und  Tiere  in  ihren 
natürlichen  „Lebensgemeinschaften"  zu  erfassen.  Denn  es  ist  zweifellos,  daß  z,  B. 
das  für  Heideboden  kennzeichnende  Edaphon,  die  Nostocaeen  und  Phormidien  des 
Sandbodens,  die  Flora  des  Callunetums  (mit  Calluna  vulgaris,  Erica  tetralix,  den 
Vaccinien,  Empetrum,  Arctostaphylos,  Ulex,  Ginster  usw.),  die  spezifischen  Heide- 
moose und  Flechten  sowie  Pilze  (Cetraria,  Cladonia,  Boviste),  dazu  die  Sandlauf- 
käfer (icindeliden)  und  gewisse  Schmetterlinge  (Lycaenen),  die  Erdhummeln,  Heide- 
schnecken (besonders  Helix  ericetorum,  sericea  und  andere  xerophile  Schnecken), 
die  Haubenlerchen,  Goldammern,  Wachteln  und  andere  Charaktervögel  der  Heide, 
die  Mäuse  und  Kaninchen  eine  ganz  geschlossene,  gesetzmäßig  in  sich  zusammen- 
hängende Lebenseinheit  bilden.  Und  was  für  die  Heide  gilt,  trifft  ebenso  für  Steppe 
und  Wiese,  die  Felsenflur,  den  Wald  aller  Arten,  die  Brüche,  das  Moor,  den  Sumpf, 
den  Teich,  die  Tundra,  die  Salzformationen  und  die  Wüste  in  der  Art  zu,  wie  ich  es 
in  meinem  Buche  über  München  (München,  H.  Bruckmann's  Verlag  1920)  und  in 

228 


meinem  Werkchen:  Die  Kultur  von  morgen.  Dresden  (C.  Rcißner  1922)  eingehend 
bearbeitet  habe. 

Die  objektive  Philosophie  fordert  diesen  tiefer  dringenden  biologischen  Blick  von 
der  Wissenschaft  auch  namentlich  im  Hinblick  auf  die  Schule,  die  nur  eine  derartig 
einheitliche  und  im  Hinblick  aufs  Lebensganze  eingestellte  Biologie  der  Heimat 
brauchen  kann. 

83  (Zu  S.  203).  Hierin  beruht  der  ganze  Unterschied  zwischen  der  antiken  und 
modernen  Mathematik,  worauf  O.  Spengler,  wenn  auch  nicht  ganz  klar,  aber  doch 
scharfsinnig  in  seinem  „Untergang  des  Abendlandes"   (Bd.  1)   hingewiesen  hat. 

Tatsächlich  hat  erst  Newton  in  seiner  „Fluxionsrechnung"  den  Begriff  der  Diffe- 
rentiale angewendet,  die  dann  von  Leibniz  und  Lagrange  (fonctions  derivdes)  zur 
Differential-  und  Integralrechnung  erweitert  wurde.  Die  Griechen  gelangten  niemals 
über  die  bloße  Formulierung  der  irrationalen  Zahl  (durch  den  Platoschüler  Theatet) 
hinaus,  wie  bei  Archimedes  klar  hervorgeht  in  seiner  Abhandlung  über  die  Sandzahl, 
in  der  er  sich  ausdrücklich  weigert,  das  Vorstellbare,  also  die  Zocsis  zu  überschreiten. 

Infolge  dessen  blieb  auch  die  gesamte  antike  (die  Römer  waren  in  den  Wissen- 
schaften reine  Barbaren  und  daher  Nachbeter  des  griechischen  Geistes)  Wissenschaft 
im  Bereich  der  Zoesis,  ein  Beweis,  wie  wenig  die  Euklidische  Geometrie  geeignet 
ist,  zur  Grundlage  für  unsere  Mechanik  des  Himmels  zu  dienen  (vgl.  Band  1), 
die  sich  daher  denn  auch,  wie  in  diesem  Werke  einleitend  ausgeführt,  die  Relativi- 
tätstheorie für  ihr  extrazoetisches  Weltbild  schaffen  mußte.  Vgl.  zum  Problem  der 
mathematischen  Historie:  M.  Cantor,  Vorlesungen  über  Geschichte  der  Mathematik. 
2.  Aufl.  Leipzig.  1902.  Zum  Begriff  der  Differentiale:  Stolz,  Grundzüge  der  Diffe- 
rential- und  Integralrechnung.  Leipzig.  1893—99. 

84  (Zu  S.  208).  Vgl.  außer  dem  im  Text  genannten  Werk  von  Malthus  noch  H. 
Spencer,  The  theorie  of  population.  London  1852.  —  G.  Stille,  Der  Neomalthusianis- 
mus.  Berlin  1880.  —  Kaatsky,  Der  Einfluß  der  Volksvermehrung.  Wien  1880.  — 
E.Diihring,  Kursus  der  National- und  Sozialökonomie.  Leipzig.  1892.  Während  '/g  der 
bewohnbaren  Erde  nur  1—10  Einwohner  auf  dem  Q  ^^  zählen,  hat  Europa  durch- 
schnittlich 25—50,  Vorderindien  und  China  durchschnittlich  50—100.  Das  Jang-tse- 
Kiangtal  ist  mit  über  200  Menschen  pro  D  km  übervölkert,  ebenso  die  Gangesebene, 
das  Nildelta,  Brabant  und  Flandern,  sowie  die  Gegend  von  Lyon.  100—200  Einwoh- 
ner leben  im  Rheingebiet  und  seinen  Nebenflüssen  (Neckartal),  in  Sachsen  und  in  der 
lombardischen  Tiefebene. 

85  (Zu  S.  211).  Vgl.  A.  Weismann,  Vorträge  über  Deszendenztheorie.  3.  Auflage. 
2  Bde.  Jena  \Q\i.  —  L.  Plate,  Selektionsprinzip  und  Probleme  der  Artbildung.  4  Aufl. 
Leipzig.   1913.  —  A.  Pauly,  Darwinismus  und  Lamarekismus.  München  1905. 

86  (Zu  S.  212).  Vgl.  W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen  über  Entwicklungs- 
mechanik.  Leipzig.   1895. 

87  (Zu  S.  220).  Vgl.  R.  M.  Holzapfel,  Panideal.  1910. 

88  (Zu  S.  227).  Vgl.  hierzu  W.  Johannsen,  Elemente  der  exakten  Erblichkeits- 
lehre. 2.  Aufl.  Jena  1913.  —  Quetelet,  Anthropometrie.  Paris  1871.  —  F.  Oalton, 
Hereditary  Genius.  1869.  —  F.  Galton,  Natural-Inheritance.  London  1889.  —  C.  B. 
Davenport,  Statistical  methods  with  Special  Reference  Biolog.  Variation.  2e  cdit. 
New-York  1904.  Galton,  auf  dem  nächst  Quetelet  die  ganze  Richtung  fußt,  hat  die 
Beziehungen  zwischen  Eltern  und  Nachkommenmerkmalen  an  928  erwachsenen  Nach- 
kommen von  205  Elternpaaren  berechnet  und  dabei  gefunden,  daß  jedes  Kind  vom 
Mittelwert  der  Bevölkerung  um  Vs  weniger  abweicht  als  seine  Eltern.  Das  hat  sich 
—  wenn  auch  zahlenmäßig  etwas  different  —  für  alle  Lebewesen  herausgestellt,  und 
diese  Erkenntnis  bildet  den  Inhalt  des  Galton'schen  Rückschlagsgesetzes,  das  man 
in  folgenden  zwei  Sätzen  formuliert  hat  rA:fl/"/"^''<'^>'-- Die  Nachkommen  weichen  weni- 
ger vom  Typus  ab,  als  die  Eltern.  Sie  weichen  jedoch  nach  derselben  Richtung  vom 

229 


Durchschnitt  ab  wie  die  Eltern.  Das  gilt  aber,  wie  Johannsen  gezeigt  hat,  nicht  für 
„reine  Linien"  (Biotypen).  Bei  diesen  vereinigt  sich  eine  fluktuierende  Variabilität, 
ein  stetes  Anderswerden  sehr  wohl  mit  einer  bemerkenswerten  innerlichen  Konstanz 
der  Typen  im  gesamten  Lebensbereich,  wie  im  Text  ausgeführt  ist. 

89  (Zu  S.  227).  Hierher  gehören  auch  die  in  ihrem  Tatbestand  kaum  anzweifel- 
baren Ergebnisse  des  deutschen  Zoologen  Th.  Eimer,  die  ihn  zu  der  Überzeugung 
führten,  daß  es  auch  eine  bestimmt  gerichtete  Variabilität  gebe.  In  seiner  als  Ortho- 
genese  bezeichneten  Theorie  stellt  er  z.  B.  den  Satz  auf,  daß  die  Zeichnungen  der 
Tiere  in  den  phyletischen  Reihen  bereits  eine  Verstärkung  in  gewissen  Richtungen  er- 
kennen lassen,  die  erst  bei  einem  bestimmten  Nachkommen  Schutzwirkung  üben 
mögen,  bis  dorthin  also  gewiß  nicht  lebenserhaltend  gewirkt  haben  können.  Ganz 
unverkennbar  berührt  er  damit  das  Problem  der  Entfaltung  durch  Mutation  aus  inne- 
ren Ursachen  und  verdient  dadurch  eine  weit  größere  Beachtung,  als  sie  dem  leider 
zu  früh  Gestorbenen  zuteil  geworden  ist.  Vgl.  Th.  Eimer,  Orthogenesis  der  Schmet- 
terlinge.   1897. 


230 


Das  Gesetz  des  kleinsten  Kraftmaßes 


Ableitung  des  Gesetzes  aus  der  Analyse  des  Seins  —  Frühere  Formulierung  des 
Gesetzes.  Lex  parsimoniae  in  der  alten  Teleologie  —  Das  Hamilton'sche  Prinzip  — 
Das  Gauss'sche  Prinzip  des  kleinsten  Zwanges  —  Das  Ökonomieprinzip  von  Mach  — 
Das  kleinste  Kraftmaß  ist  nur  im  optimalen  Fall  realisiert,  daher  bedingt  die  Opti- 
moklise  der  Welt  eine  Parsimoklise  —  Das  Trägheitsgesetz  eine  Anwendung  des  Ge- 
setzes vom  kleinsten  Kraftmaß  —  Die  Gravitation  eine  Umschreibung  des  gleichen 
Gesetzes  —  Viele  Gesetze  sind  nur  Umschreibungen  der  Parsimoklise  —  Alle  Funk- 
tionen verlaufen  parsimoklin  —  Alle  Naturformen  sind  Formen  des  geringsten  Wi- 
derstandes —  Sonderanwendungen  des  Gesetzes  —  Das  Kräfteparallelogramm  — 
Das  Fermat'sche  Prinzip  der  schnellsten  Ankunft  —  Der  Weg  der  Strahlen  ist  stets 
der  kürzeste  Weg  —  Die  Parsimoklise  im  Kristallbau  —  Der  kleinste  Widerstand 
modelliert  die  Erosions-,  Abrasions-  und  Küstenformen  —  Das  kleinste  Kraftmaß  in 
d-er  Vulkantätigkeit  —  Das  Ökonomieprinzip  im  Organischen  —  Der  Bau  der  Zellen 

—  Das  Prinzip  des  inneren  Baus  der  Pflanzen  —  Die  T-Träger  und  Trajektorien  im 
Organismus  —  Der  Bau  der  Insekten  als  Beispiel  des  ökonomieprinzipes  —  Die  Par- 
simoklise in  der  Technik  —  Der  Begriff  der  Werkkunst  —  Die  Ökonomie  der  Ver- 
kehrslinien des  Städtebaues  —  Das  kleinste  Kraftmaß  als  Bedingung  des  Kunstwerkes 

—  Die  dramatische  Form  als  ein  Fall  von  Parsimoklise  —  Der  kürzeste  Weg  im 
Denken  —  Teleologie  als  die  Verwirklichung  des  kürzesten  Weges  —  Logik  als  die 
Linie  des  kleinsten  Widerstandes  im  Denken  —  Recht  und  Ehrlichkeit  als  Spezial- 
fälle der  Parsimoklise  —  Die  Ethik  als  ihre  Verwirklichung  —  Die  Sparsamkeit  und 
ihre  Gesetze  im  täglichen  Leben  —  Das  kaufmännische  Denken  eine  Anwendung  des 
Gesetzes  vom  kleinsten  Kraftmaß  —  Gemeingültigkeit  des  Gesetzes  —  Historische 
Anwendungen  als  göttliche  Gesetze  und  kategorische  Imperative  —  Praktische  An- 
wendungen in  der  Neuzeit  als  Taylorsystem  —  Das  Taylorsystem  des  Organismus 

—  Die  Notwendigkeit  eines  kulturellen  Taylorismus  —  Seine  Durchführung  der 
größte  „praktische"  Nutzen  der  objektiven  Philosophie  —  Die  Überwindung  des 
Materialismus  durch  den  Idealismus  des  Gesetzes  und  der  Aufbau  einer  vollendeten 

Zivilisation  als  Plattform  einer  Kultur  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

In  der  Idee  eines  vollkommenen  Seins  liegt  unabweislich  auch  die  Vor- 
stellung eingeschlossen,  daß  dieses  Sein  an  eine  Form  gebunden  ist,  die 
ihre  Vollkommenheit  mit  dem  kleinsten  Aufwand  an  Quantität  und  Quali- 
tät erreicht  und  Funktionen  ausübt,  durch  die  auf  dem  kürzesten  Wege  die 
Dauer  dieses  Seins  erreicht  wird.  Das  haben  wir  bereits  bei  dem  ersten  Ver- 
such einer  Analyse  erkannt  (vgl.  Bd.  I  Seite  81),  und  seitdem  ist  uns  ein 

231 


solches  „Gesetz"  des  kleinsten  Kraftmaßes  vielenorts,  z.  B.  gelegentlich  der 
Betrachtung  der  Funktionen,  der  Selektion  und  der  aus  ihr  übrigbleiben- 
den optimalen  Fälle  entgegengetreten.  Es  zeigte  sich  sogar,  daß  die  An- 
wendung des  Optimumgesetzes  auf  die  Funktionen  von  ihnen  notwendiger- 
weise das  kleinste  Kraftmaß  fordert;  von  zwei  gleichwertigen  Beziehungs- 
reihen ist  die  stabilere  und  darum  häufiger  vorkommende,  schließlich  auch 
allein  übrigbleibende  stets  jene,  in  welcher  die  Leistung  mit  geringeren  Mit- 
teln realisiert  ist.  Es  gehört  also  der  Begriff  des  kleinsten  Kraftmaßes  da- 
durch notwendiger  Art  zu  dem  des  Seins  selbst. 

Eine  so  leicht  erkennbare  Beziehung  der  Dinge  mußte  natürlich  jedem 
Kopfe  bewußt  werden,  der  das  Problem  des  Seins  auch  nur  einigermaßen 
durchdachte,  und  so  hat  das  Gesetz  des  kleinsten  Kraftmaßes  seine  lange, 
in  diesem  Buch  der  Tatsachen  allerdings  nur  flüchtig  erwähnbare  Ge- 
schichte, die  als  Gesetz  der  kleinsten  Wirkungen  von  Leibnitz  zuerst  for- 
muliert, dann  von  Maupertuis  viel  erforscht,  als  Sparsamkeitsprinzip  der 
Natur  (lex  parsimoniae)  weit  in  die  Zeiten  der  alten  Physikotheologie  zu- 
rückreicht und  meist  als  Beispiel  für  die  Rationalität  der  Schöpfung  und  die 
überragende  Weisheit  des  Welturhebers  mit  besonderer  Vorliebe  gepflegt 
wurde.  In  irgendeiner  Form,  als  Minimal-Maximalprinzip  fehlt  diese  Vor- 
stellung seit  Helmholtz  eigentlich  in  keinem  Denksystem.  Wenn  ich  es 
auch  einer  Geschichte  der  objektiven  Philosophie  überlassen  muß,  diesen 
langen  und  sehr  anziehenden  Weg  der  Klärung  eines  so  wichtigen,  wenn 
auch  für  die  Kultur  noch  mehr  als  für  das  Weltgeschehen  bedeutsamen 
Gesetzes  darzustellen,  so  sei  hier  doch  wenigstens  auf  einige  der  wich- 
tigeren Etappen  dieses  Weges  hingewiesen. 

Ganz  unkritisch  wurde  das  Sparsamkeitsprinzip  von  den  alten  Meta- 
physikern  und  Theologen  in  einer  ästhetisierenden  Form  übertrieben,  bis 
dann  diese  Phraseologie  vor  der  unwiderstehlichen  ratio  kantischer  Logik 
unhaltbar  wurde,  wenngleich  auch  er  gelegentlich  sich  auf  den  Standpunkt 
stellt,  daß  von  der  „Sparsamkeit  der  Natur"  mit  Recht  gesprochen  werden 
könne.90)  Zugleich  aber  durchschaute  Kant  in  der  Kritik  der  Urteilskraft 
den  biozentrischen  Ursprung  dieser  Sparsamkeitsvorstellungen,  indem  er  in 
ihnen  nichts  als  eine  „subjektive  Maxime  der  Urteilskraft"  sieht.^i) 

Dieser  freie  Standpunkt,  von  dem  aus  man  alle  Türen  der  Erkenntnis 
offen  sah,  wurde  aber  von  den  mechanistisch  naiv  denkenden  Physikern 
wieder  verlassen,  als  sie,  gleich  dem  englischen  Astronomen  Hamilton,  in 
dem  nach  ihm  benannten  Prinzip  ^2),  ebenso  dem  Franzosen  d'Alembert 
(d'Alembert'sches  Prinzip)  und  dem  Deutschen  K.  F.  Gauß  (Prinzip  des 
kleinsten  Zwanges  ^s)  zu  den  Vorstellungen  der  Minimalprinzipe  zurück- 
kehrten, ohne  die  auch  H.  Hertz  nicht  den  Wunderbau  seiner  Pan- 
mechanik  aufführen  konnte  (sein  Prinzip  der  geradesten  Bahn).  Daß 
es  sich  hierbei  tatsächlich  um  eine  fundamentale  Notwendigkeit  des 
Denkens   handelt,   geht   daraus   hervor,   daß  aus  diesen   Minimalprinzipien 

232 


die  gesamte  Mechanik  mitsamt  dem  Relativitätsprinzip  abgeleitet  werden 
kann. 

Deshalb  mußten  auch  die  physikalischen  Denker,  welche  die  Mechanik 
mit  ihrem  Substanzbegriff  aufzuheben  unternahmen,  also  E.  Mach  und 
R.  Avenarius^*)  ebenfalls  das  Prinzip  des  kleinsten  Kraftmaßes  stehen 
lassen.  Der  Schweizer  Denker  sah  sich  sogar  bemüßigt,  es  zur  grund- 
legenden Architektur  eines  seiner  Hauptwerke  zu  verwenden,  und  der 
Österreicher  Mach  führte  es  wenigstens  in  der  Form  ein,  daß  er  seine 
empirische  Naturauffassung  auf  zwei  „praktische  Prinzipien"  fundierte:  auf 
das  der  Einfachheit  und  der  Ökonomie.  Beides  sind  Masken  für  die  Hamil- 
ton-Gauß'schen  Vorstellungen.  Wenn,  wie  Mach  sagt,  das  Ziel  der  NX'issen- 
schaft  nichts  anderes  sein  kann,  als  die  Erfahrungen  durch  zusammen- 
fassende Beschreibungen  so  zu  ersetzen,  daß  sie  durch  den  geringsten  Auf- 
wand an  Gedankenarbeit  übersehen  werden  können,  dann  macht  er  das 
Prinzip  des  kleinsten  Kraftmaßes  damit  sogar  zum  obersten  Leitmoment  der 
Ordnung,  dem  er  alles  unterordnet. 

Und  von  da  zieht  sich  ununterbrochen  die  Verwendung  des  Begriffes 
der  Sparsamkeit  als  Merkmal  der  Vollkommenheit  durch  das  gesamte 
philosophische  Denken  der  Gegenwart  bis  zu  //.  Driesch^^),  ohne  daß  er 
aber  jemals  in  die  zentrale  Bedeutung  für  das  Weltbild  gerückt  wäre,  die 
ihm  als  einem  wesentlichen  Merkmal  des  stabilen  Seins  zweifelsohne  zu- 
kommt. Es  möchte  fast  scheinen,  daß  mit  dem  Durchschnittsdenken  zu- 
sammen auch  die  philosophische  Besinnung  die  Tendenz  zum  kleinsten 
Kraftmaß  alles  Geschehens  als  Selbstverständlichkeit  aufzufassen  geneigt 
ist,  was  aber  /.  Petzoldt  in  seinem  Werk  über  das  Weltproblem  (S.  166) 
schon  trefflich  abgewehrt  hat,  wenn  er  sagt:  Sehen  wir  uns  aber  solche 
„Selbstverständlichkeiten"  näher  an,  gleich  dem  Satze,  daß  zwischen  zwei 
Punkten  die  kürzeste  Linie  die  gerade  sei,  so  finden  wir,  daß  sie  auf  zahl- 
reichen positiven  und  negativen  Erfahrungen  beruhen,  die  niemand  vor- 
aussehen könnte,  wenn  er  sie  erst  als  reifer  Mensch  machen  müßte.  Man 
könnte  sich  die  Dinge  ganz  anders  denken,  als  jene  Axiome  sie  beschreiben. 

Ist  demnach  zwar  die  Erkenntnis,  daß  der  Begriff  des  kleinsten  Kraft- 
maßes sich  in  vielen  Beziehungen  finden  läßt,  schon  längst  sozusagen  zum 
Gemeingut  des  wissenschaftlichen  Denkens  geworden,  so  fehlt  es  umso- 
mehr  an  der  Einsicht,  daß  eine  ideale  Ökonomie  in  den  Beziehungen  weit 
seltener  erreicht  worden  ist,  denn  eine  bloße  Parsimoklise.  Das  Geschehen 
ist  nur  im  optimalen  Fall  wirklich  das  der  geringsten  Mittel,  sonst  aber 
verläuft  es  im  allgemeinen  nur  sparsam  (ökonomisch),  d.  h.  dem  Ideal- 
verhältnis zwischen  Ergebnis  und  aufgewendeten  Mitteln  im  allgemeinen 
nur  annähernd. 

Überschaut  man  von  diesem  Standpunkt  aus  die  Welt  der  Erscheinungen, 
so  wird  man  zunächst  inne,  daß  alle  Funktionen  nicht  nur  optinioklin, 
sondern  auch  parsimoklin  ablaufen.    Angesichts  des  zu  erzielenden  Zweckes 

233 


wird  stets  nur  das  unbedingt  Notwendige  in  Aktion  gesetzt.  Wenn  die 
Mechanik  feststellt,  daß  sich  jeder  frei  bewegliche  Körper  so  dreht,  daß 
sein  Schwerpunkt  in  Ruhelage  kommt  und  dies  auf  dem  Wege  des  gering- 
sten Widerstandes  erreicht,  hat  sie  damit  einen  Beweis  dieser  allgemeinen 
Parsimoklise  gegeben.  Wenn  man  nämlich  einen  Stab,  dessen  Schwerpunkt 
etwa  in  seiner  Mitte  liegt,  mit  zwei  Fingern  oben  so  faßt,  daß  er  sich 
drehen  kann,  so  hat  er  ein  stabiles  Gleichgewicht,  das  er  auch  sofort  ein- 
nimmt, ohne  erst  in  anderen  Richtungen  zu  schaukeln  oder  andere  Dreh- 
bewegungen auszuführen.  Er  beschreibt  hiebei  den  kürzesten  aller  denk- 
baren Wege.  Bringt  man  ihn  durch  Drehen  aus  dieser  Lage  heraus,  dann 
stellt  er  sich  von  selbst  immer  wieder  auf  dem  kürzesten  Wege  in  die 
gleiche  Lage  des  optimalen  Gleichgewichtes  ein.  Hier  äußert  sich  Ziel- 
strebigkeit zur  Erreichung  des  Optimums,  und  das  kleinste  Kraftmaß  liegt 
auf  dem  Wege  dazu.  Die  Schwerkraft,  die  auch  in  diesem  Beispiele  wirkte, 
ist  überhaupt  nichts  anderes,  als  eine  Umschreibung  des  Gesetzes  vom 
kleinsten  Kraftmaß,  was  denn  im  allgemeinen  viele  Gesetze  und  Beschrei- 
bungen von  Naturvorgängen  mit  ihr  teilen. 

Wenn  sich  irgendwo  im  Räume  zwei  Massenteilchen  finden,  üben  sie  auf- 
einander eine  anziehende  Kraft  aus,  die  zwar  proportional  zum  Produkt  der 
Massen  beider  im  umgekehrten  Verhältnis  zum  Quadrat  ihrer  Distanz  steht. 
In  dieser  Gravitationsdefinition  von  Newton,  welche  aufgestellt  wurde,  um 
die  Planetenbewegungen  zu  erklären,  dann  aber  auf  die  ganze  Astronomie 
und  zuletzt  auf  die  gesamte  Physis  übertragen  wurde,  ist  eigentlich  nichts 
als  eine  (noch  dazu  nicht  ganz  zureichende)  Beschreibung  der  Tatsachen 
enthalten,  und  sie  legt  fest,  daß  diese  rätselhafte  Fernwirkung  den  kür- 
zesten der  möglichen  Wege  zwischen  den  Massenteilen  beschreitet,  also  dem 
Ökonomiegesetz  folgt. 

Es  sind  demnach  auch  die  zwei  berühmt  gewordenen  Newton^sch^n  Sätze, 
sowohl  der  Satz  von  der  Trägheit,  wie  das  sogenannte  „zweite  Prinzip", 
welches  aussagt,  daß  die  Kraft,  die  auf  einen  Körper  wirkt,  gemessen  werde 
durch  das  Produkt  aus  seiner  Masse  und  der  Beschleunigung,  wobei  die 
Kraft  immer  in  der  Richtung  wirke,  welche  die  Beschleunigung  hat,  des- 
gleichen nichts  als  Umschreibungen  unseres  Gesetzes.  Der  ohne  Kräfte  in 
Ruhe  bleibende  Körper,  so  selbstverständlich  das  auch  scheinen  mag,  wendet 
tatsächlich  das  kleinste,  in  diesem  Fall  Null  betragende  Kraftmaß  zur 
Änderung  seiner  Lage  an.  Der  Begriff  der  Vektoren  aber  schließt  den  des 
kürzesten  Weges,  also  wieder  unser  Gesetz  ein.  Wenn  einer  daher  auf  der 
Trambahn  aus  dem  fahrenden  Wagen  springt  und  gewaltig  hingeschleudert 
wird,  dann  erlebt  er  es  am  eigenen  Leibe,  daß  seine  Masse  auf  die  öko- 
nomischeste Weise  ihren  Platz  behalten  wollte.  Die  Trägheit  ist  der 
kürzeste  Weg  und  das  kleinste  Kraftmaß. 

Noch  schlagender  wird  unser  Gesetz  offenbar  im  Kräfteparallelogramm. 
Die   Diagonale  ist   stets   der   kürzeste   Weg,   wenn    an   einem   Punkt   zwei 

234 


Kräfte  von  verschiedener  Richtung  angreifen,  ebenso  ist  die  Schwingungs- 
dauer der  elastischen  Schwingungen  (vgl.  Abb.  57)  der  günstigste  unter 
den  möglichen  Fällen,  und  die  Parabel  eines  Geschosses  die  Verwirk- 
lichung der  kürzesten  der  möglichen  Linien.  Dasselbe  gilt  für  die  Kreis- 
bewegung oder  die  Bahn  der  zentrifugalen  Kräfte. 

Die  Gesetze  der  Vektoren  beherrschen  den  Strahlengang,  so  wie  die  der 
harmonischen  Bewegung  den  Gang  der  Wellen,  von  denen  sich  die  Strahlen 
dadurch  unterscheiden,  daß  sie  Vorgänge  sind,  die  sich  schnell  und  gerad- 
linig ausbreiten,  weshalb,  strenge  genommen,  die  Optik  gar  nicht  von 
Strahlen  sprechen  dürfte.  Da  aber  das  Sparsamkeitsgesetz  sich  in  beiden 
Arten  von  Bewegung  verwirklicht,  ist  der  Unterschied  der  beiden  für  uns 
an  dieser  Steile  gegenstandslos.  Wellen  entstehen,  wie  bereits  im  Funk- 
tionskapitel (vgl.  S.  15)  ausgeführt  ist,  wenn  durch  eine  Kraft  das  Gleich- 
gewicht eines  Punktes  gestört  wird  und  er  sich  nun  eine  neue  Gleich- 
gewichtslage sucht,  nach  Aufhebung  der  Kraft  aber  wieder  zurückwandert. 
In  beiden  Fällen  tut  er  dies  auf  dem  kürzesten  der  möglichen  Wege,  also 
nach  dem  Prinzip  des  kleinsten  Kraftmaßes. 

Das  Paradigma  hierfür  ist  das  schon  erwähnte  FermaVsche  Prinzip  der 
schnellsten  Ankunft  (vgl.  S.  65  und  71).  Der  Lichtstrahl,  der  stets  den 
kürzesten  Weg  nimmt,  wenn  er  auch  nicht  der  schnellste  ist,  zeugt  so  un- 
widerleglich für  die  Tatsache  der  Parsimoklise,  daß  wir  uns  weitere 
Exemplifikationen  aus  dem  Gebiete  der  Funktionen  getrost  sparen  können. 

Nicht  anders  steht  es  auch  auf  dem  Gebiet  der  Chemie.  Das  Prinzip  der 
Maximalarbeit  (vgl.  S.  62),  das  der  französische  Chemiker  Berthelot  für 
jede  chemische  Veränderung  nachgewiesen  hat,  ist  das  Prinzip  des  größten 
thermochemischen  Effektes,  das  natürlich  wie  jedes  Maximalergebnis  auch 
in  den  Satz  größter  Leistung  bei  kleinstem  Energieaufwand  umgebaut 
werden  kann. 

Der  Bau  der  Kristalle  ist  durchgängig  von  dem  Gesetz  des  Optimums 
und  folgerichtig  daher  auch  von  dem  des  kleinsten  Kraftmaßes  bedingt. 
Schon  ihre  Entstehung  aus  Achsenkreuzen  und  Skeletten  (vgl.  das  Bild  der 
Schneekristalle,  Abb.  31  in  Bd.  I)  bedeutet  die  sparsamste  Verwendung  des 
Materiellen,  und  die  bekannten  drei  Hauptgesetze,  denen  sie  unterliegen, 
sind  der  Weg,  um  diese  Ökonomie  in  der  Raumausnutzung,  denen  auch  die 
Anordnung  der  Partikel  in  den  Raumgittern  folgt,  zu  verwirklichen.  Schon 
die  Tatsache,  daß  nicht  alle  denkbaren,  sondern  nur  bestimmte  Raumgitter 
und  Kristallformen  verwirklicht  sind,  verweist  unbestreitbar  auf  den  Weg 
unserer  Denkungsart,  die  in  den  Kristallen  geradezu  den  Idealfall  für  öko- 
nomische Raumerfüllung  durch  die  verschiedenen  Arten  von  Molekülen  er- 
blicken muß  und  als  ihre  Hauptstütze  die  Verwirklichung  der  Mathematik 
(Gesetz  der  rationalen  Zahlen!)  in  den  Kristallen  ansieht.  Damit  paßt  es 
sehr  gut  zusammen,  daß  der  Kristall  der  Zustand  molekularer  Stabilität  ist; 
solange  die  kristallinische  Struktur  intakt  ist,  bleibt  auch  der  Kristall  un- 

235 


veränderlich;  er  geht  höchstens  in  andere  kristallinische  Seinsstufen  über, 
so  z.  B.  als  Anpassung  an  den  Wechsel  der  Temperatur  in  andere  Tem- 
peraturformen (vgl.  Bd.  I  S.  119).  Erst  muß  der  Kristallbau  zerstört,  also 
die  optimale  Anordnung  der  Partikel  verlassen  sein,  bevor  seine  Materie  in 
molekulare  Wechselwirkungen  eintritt. 

Es  ist  nun  selbstverständlich,  daß  das  Prinzip  des  kürzesten  Weges,  nach- 
dem es  einmal  durchgängig  die  Mechanik  und  damit  den  chemophysikali- 
schen  Prozeß  bestimmt,  auch  in  allen  geologischen,  geophysikalischen, 
meteorologischen,  astronomischen  und  biologischen  Beziehungen  auffindbar 
sein  muß.  Es  ist  aber  immerhin  interessant,  diese  Erscheinungen  trotzdem 
aufzusuchen,  umsomehr  als  sie  den  betreffenden  Wissenschaften  meisthin 
gar  nicht  bewußt  sind,  für  sie  daher  eine  Art  Entdeckung  bedeuten,  die  zu 
weiterem  Forschen  und  besserem  Verständnis  leiten  wird.  Handgreiflich 
meldet  sich  das  Gesetz  des  geringsten  Widerstandes  da  zunächst  in  den 
Tatsachen  der  Erosion,  die  uns  schon  so  vielfach  als  treffliches  Demon- 
strationsobjekt der  Weltgesetzlichkeiten  gedient  hat. 

Stets  arbeitet  die  Erosion,  und  zwar  Erosion  in  weitestem  Sinne,  also 
sowohl  die  Abschleifung  durch  das  Wasser  wie  durch  den  Wind  oder  durch 
Eis,  ebensogut  durch  das  bewegte  Wasser  im  Binnenland  wie  an  der 
Meeresküste  in  der  Richtung  des  kleinsten  Kraftmaßes,  wofür  ich  zunächst 
einmal  das  reichliche  Bildermaterial  der  Abbildungen  98 — 101,  dann  aber 
auch  Bild  10,  12,  51,  56—58  zu  studieren  bitte.  Es  ist  höchst  geeignet,  um 
Anschaulichkeit  zu  verschaffen,  wie  die  Gesetze  der  Funktion  und  Selektion, 
des  Optimums  und  des  kleinsten  Kraftmaßes  in  der  Natur  ineinandergreifen 
und  sich  verknüpfen  zum  Wunderwerk  des  Seins. 

Stets  ist  die  Erosion  in  (vektoriell)  senkrechter  Richtung  tätig,  bei  der 
Süßwasser-  und  Gletschererosion  also  gegen  den  Mittelpunkt  der  Erde  zu, 
und  sie  ruht  nicht  einmal  dann,  wenn  sie  senkrechte  Wände  eingeschnitten 
hat,  wie  es  in  Bild  50  und  98,  die  den  Kesselbergfall  im  bayerischen  Hoch- 
land und  eine  benachbarte  Klamm  des  Lainbaches  darstellen,  der  Fall  ist. 
Denn  dann  schreitet  die  Erosion,  wie  es  namentlich  auf  Bild  50  instruktiv 
zu  sehen  ist,  noch  immer  nach  rückwärts  und  zerlegt  die  Felswand,  an 
welcher  der  Bach  arbeitet,  in  eine  Reihe  von  Terrassen,  die  dann  in  ein- 
zelnen Fallstufen  überwunden  werden.  Aus  jedem  Wasserfall  wird  so  all- 
mählich die  Stromschnelle.  Dort,  wo  der  Wasserschwall  die  Felsenwand 
seitwärts  trifft,  ist  seine  Kraft  wieder  dem  Gesetz  des  kürzesten  Weges 
Untertan,  um  tiefe  Seitenhöhlungen  auszunagen,  wofür  Abbildung  98  (Höhle 
über  dem  Wasserstrahl)  Anschauung  gewähren  möge.  Natürlich  entstehen 
auf  diese  Weise  auch  in  den  Abflußrinnen  der  Gletscher  (Abb.  99)  senk- 
recht ausgekolkte  Höhlungen  (sogenannte  Gletschertöpfe),  namentlich, 
wenn  darin  durch  die  lebende  Kraft  des  Wassers  auch  scheuernde  Steine  um- 
hergetrieben werden,  eine  Erscheinung,  die  sich  übrigens  neuerdings  auch  an 
Flußläufen  gezeigt  hat,  in  denen  sich  Kolke  von  30—50  m  Tiefe  fanden. 

236 


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Abb.  98.    Strudellöcher  (Auskolkungen)  durch  die  Kr;ift  stronu  i  ,\ 

Motiv    vom    LainbachfaU    bei    Koclicl    in    den    bayerischen    Alpen,      uii^ni.il.iiiin.iin 


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Abb.  101.  Das  kleinste  Kraftmaß  in  der  anorganischen  Natur 

Der  Mäander  eines   Baches  als  der  Weg  des  geringsten   Widerstandes.     Motiv 
aus  einem   Hochmoor  im   Schwarzwald.    Originalaufnahme 


Es  bemißt  sich  nun  der  Ort  dieser  Tätigkeit  je  nach  dem  geringsten 
Widerstand,  den  das  Gestein  der  Erosion  gegenüber  leistet,  wodurch  ja 
überhaupt  die  Reliefierung  der  Landschaft  (man  sehe  sich  daraufhin  be- 
sonders Bild  53  und  55  an)  zustande  kommt.  Wie  oft  sind  Bergesgipfel, 
Grattürme,  Klippen  und  andere  aus  dem  Mittelgebirge  emporragende  Fels- 
gebilde nichts  anderes  als  die  Zeugen  der  Gesteinssortierung  nach  den 
Härtegraden,  selektiv  vorgenommen  durch  die  Erosion  nach  dem  Prinzip 
des  geringsten  Widerstandes. 

Es  werden  dadurch  auch  scheinbar  dem  Prinzip  des  kürzesten  Weges  so 
widerstreitende  Naturformen  geschaffen,  wie  der  anmutige  Mäander 
(Abb.  101),  den  alle  Bäche  und  Flüsse  der  Ebene,  gleich  ihrem  der  Er- 
scheinung den  Namen  gebenden  kleinasiatischen  Genossen  bilden.  Der 
kürzeste  Weg  ist  eben  immer  nur  der  kürzeste  der  möglichen  Wege;  das 
darf  in  den  Wirkungen  unseres  Gesetzes  niemals  vergessen  werden!  Der 
Fluß  nagt  sich  überall  dort  durch,  wo  er  den  geringsten  Widerstand  findet, 
schlägt  also  den  Verhältnissen  gemäß  jeweils  den  kürzesten  Weg  ein.  Mag 
dieser,  rein  mechanisch  genommen,  auch  noch  so  sehr  als  Kraftvergeudung 
erscheinen,  so  bedeutet  er  dennoch  eine  parsimokline  Leistung.  Genau  nach 
gleichem  Gesetz  vollzieht  sich  das  Abgleiten  eines  Gletschers  an  der  Tal- 
vvand  (Abb.  100).  Auch  hier  wird  der  Ort  des  geringsten  Widerstandes  ge- 
sucht; das  härteste  Gestein  nur  gerade  angekritzt  und  poliert,  wie  das  sehr 
schön  an  den  Trichterwänden  der  Strudellöcher  (Abb.  99)  zu  sehen  ist,  das 
weichere  so  ausgeschürft,  daß  dadurch  Trogtäler  nach  Art  des  obersten 
Zemmgrundes  in  den  Zillertaler  Alpen  (Abb.  100)  entstehen,  in  dem  das 
Waxeggkees  nun  seine  charakteristischen  Moränen  ablagert.  So  wie  die 
Erosion  den  Ort  der  Sättel,  Mulden  und  Gipfel  je  nach  dem  Gesteins- 
charakter determiniert,  so  bestimmt  die  viel  härter  arbeitende  Eiserosion  die 
scharfen  Hochgebirgsf ormen ;  sie  spitzt  die  Gipfel  dermaßen  zu,  wie  das 
dem  Bergsteiger  von  dem  Karwendel-,  Wetterstein-  oder  Kaisergebirge  in 
Tirol  geläufig  ist,  und  modelliert  die  großen  Wannen,  die  nach  dem  Ab- 
schmelzen der  Gletscher  übrig  bleiben;  sie  rundet  und  poliert  die  „Rund- 
linge" (Abb.  3  bis  5)  und  übertieft  die  Täler,  in  denen  dann  die  harten 
Gesteinsmassen  als  Höcker  am  Talausgang  in  landschaftlich  so  reizvoller 
Weise  übrigbleiben,  daß  sie,  wie  zu  Salzburg,  Kufstein,  Sion  oder  Bellinzona 
in  der  Schweiz  das  Urteil  A.  v.  Humboldts  rechtfertigen,  hier  seien  die 
schönsten  Orte  im  gesamten  Bereich  der  irdischen  Schönheit. 

Bekanntlich  wirkt  ja  dabei  nicht  das  Eis  als  solches,  sondern  der  feine 
Schlamm  und  Grus  seiner  Grundmoräne,  auf  dem  das  Eisgewicht  so  lastet, 
wie  die  Hand  des  Tischlers  auf  dem  Hobel,  wobei  das  stete  Frieren  und 
Wiederauftauen  den  Felsgrund  durch  die  Zermürbung  vorbereitet.  Wie 
stark  diese  mechanische  Wirkung  ist,  wird  durch  die  Angabe  von  Heß  illu- 
striert, daß  die  Gletscher  dem  Bergkamm  in  jedem  Jahrhundert  1  bis  3  m 
von  ihrer  Höhe  rauben. 

237 


Genau  so  wirkt  auch  die  Erosion  des  fließenden  Wassers  nur  durch  die 
mitgeschleppten  festen  Bestandteile,  wobei  ja  nur  Vs  der  Niederschläge  sich 
in  lebendiger  mechanischer  Kraft  auswirkt  (Vs  bleibt  Grundwasser,  und  der 
Rest  aller  Niederschläge  wird  im  Gesteinsmantel  der  Erde  chemisch  ge- 
bunden). Dabei  hat  die  Erosion  drei  Phasen  von  sehr  verschiedenem 
Wirkungsgrad.  Im  Sammeltrichter  wirkt  das  Wasser  in  der  bislang  be- 
trachteten Weise  einschneidend;  im  Tobel  oder  Hals  des  Laufes  nur  trans- 
portierend, im  Tal  dagegen  sogar  aufbauend  in  Sandbänken  und  Geröll- 
mengen, die  sich  kegelförmig  ausbreiten.  In  jeder  Phase  aber  folgt  das 
Wasser  dem  kürzesten  Weg,  so  daß  es  unter  Umständen  auch  auf  jeden 
Weg  verzichtet  und  sich  dann  im  Unterlauf  zu  Sümpfen,  sogar  zu  Seen  und 
Lagunen  (Deltabildungen)  staut,  aus  denen  es  in  vielen  kleinen  Armen 
seine  kürzesten  Auswege  sucht.  Es  ist  daher  jedes  Flußnetz  eine  Karte 
der  Stellen  des  geringsten  Widerstandes,  die  dabei  so  fein  ausgearbeitet 
ist,  daß  Höhenunterschiede  von  minimalster  Größe  auf  ihr  schon  sichtbar 
werden  in  der  Verteilung  der  Wasserscheiden. 

Genau  nach  gleichem  Gesetz  regeln  sich  aber  auch  die  Druckunterschiede 
in  der  Atmosphäre,  wobei  Winde  und  Wolken  in  der  mannigfaltigen  Ver- 
teilung mit  der  gleichen  untrüglichen  Bestimmtheit  den  geraden  Weg  zum 
Orte  des  Minimums  aufsuchen,  wie  ein  Wasserlauf  die  tiefste  Lage  unter 
den  möglichen,  worauf  ja  übrigens  die  Anwendung  der  Libelle  als  Was- 
serwage beruht. 

Auch  im  Vulkanismus  liegt  schönes  Demonstrationsmaterial  zugunsten 
unseres  Gesetzes  vor  aller  Augen.  Stets  entweichen  die  im  Magma  gebun- 
denen Gase  wie  der  Dampf  aus  einem  Kessel  an  den  Stellen  des  geringsten 
Widerstandes,  wobei  sie  das  Magma  mitzureißen  pflegen.  Das  nennt  man 
dann  Vulkanausbruch,  dessen  Intensität  in  dem  Augenblick  sinkt,  in  dem 
der  Ausgleich  zwischen  innen  und  außen  einzutreten  beginnt. 

Eine  so  zum  Grundsatz  alles  physikalischen  Geschehens  gewordene  Art 
von  Beziehungsverkettung  muß  nun  auch  im  lebendigen  Getriebe  nach- 
weisbar sein.  Und  so  Ist  das  ökonomische  Prinzip  sozusagen  ganz  selbst- 
verständlich eine  der  obersten  Maximen,  die  sich  in  allen  physiologischen 
Prozessen  erkennen  läßt.  Längst  hat  die  biologische  Forschung  sie  darin 
auch  erkannt,  und  es  bedarf  hier  nicht  erst  des  Nachweises,  sondern  bloß 
der  Erinnerung  und  des  Hervorhebens  der  auffälligsten  solcher  parsimo- 
klinen  Erscheinungen. 

Im  besonderen  haben  als  erste  Biologen,  die  dem  Okonomieprinzip  des 
Lebens  zielbewußt  nachforschten,  der  Schweizer  S.  Schwendener,  dann  der 
österreichische  Botaniker  G.  Haberlandt  an  den  Pflanzen  in  großen  Wer- 
ken nachgewiesen  9«),  daß  diese  zunächst  in  mechanischer  Hinsicht  die  An- 
forderung größtmöglichster  Festigkeit  mit  der  einer  möglichsten  Sparsam- 
keit in  der  Verwendung  von  Mitteln  zu  vereinigen  wissen.  In  einer  un- 
endlichen Variabilität  werden  von  der  Pflanze  auf  allen  ihren  Integrations- 

238 


stufen  die  Festigungseinrichtungen  (Stereome)  nach  dem  Prinzip  der  Spar- 
samkeit angelegt. 

Das  zeigt  sich  schon  innerhalb  der  Zelle  selbst.  Als  klassisches  Beispiel 
dafür  habe  ich  in  meinen  botanischen  Schriften  mehrfach  die  Kicselal^cn- 
zelle  angeführt  (vgl.  Bd.  I  Abb.  65,  auch  Bd.  II  Abb.  118),  welche  in 
ihrem  edaphischen  Leben  darauf  angewiesen  ist,  unter  Umständen  einem 
großen  Druck  zu  widerstehen,  daher  der  Festigungseinrichtung  bedarf.  Des- 
halb wird  in  der  Membran  Kieselsäure  ausgeschieden.  Es  bleiben  aber 
durchwegs  die  überflüssigen  Stellen  davon  frei,  es  werden  aus  der  Wand 
gewissermaßen  die  Füllungen  herausgenommen  und  nur  jene  Verspannungs- 
linien  mit  festem  Material  ausgearbeitet,  die  „gleiche  mechanische  Leistung 
bei  größter  Materialersparnis"  gewährleisten. 

Das  gleiche  sieht  man  auch  im  Zellverband  an  jenen  Zellen,  die  als  ,,Ste- 
re'iden"  tätig  sind.  Man  werfe  einen  Blick  auf  den  anatomischen  Bau  von 
Tannennadeln,  Oefäßen,  Stämmen  und  von  Fichtenholz,  wie  sie  in  Abb.  31 
sowie  102,  103,  105  dargestellt  sind.  Vom  Feinsten  bis  zum  Gröbsten  wird 
man  darin  stets  das  Prinzip  der  Ökonomie  im  Bau  (beste  Leistung  mit  ge- 
ringsten Mitteln)  entdecken  und  es  in  hundert  kleinen  Zügen  bestätigt  fin- 
den in  dem  Maße,  in  dem  man  sich  selbständig  in  die  Bilder  vertieft.  Mit 
größter  Gewissenhaftigkeit  hat  man  Jahrzehnte  hindurch  die  verschiedenen 
Arten  von  Wandverstärkungen  in  den  Pflanzengefäßen  (Abb.  31)  beschrie- 
ben und  unterschieden,  ohne  ihren  Sinn  zu  kennen.  Mit  den  „Riefen''  und 
sogenannten  Schalenzeichnungen  der  Diatomaceen  und  anderer  Einzeller 
(vgl.  Abb.  117  und  23)  geschieht  dies  noch  heute;  sie  werden  mit  größtem 
Fleiß  beschrieben  und  untersucht,  um  systematische  Merkmale  zur  Unter- 
scheidung aus  ihnen  zu  gewinnen.  Die  Windeln  werden  also  erzogen,  das 
Kind,  ihr  eigentlicher  Sinn  wird  völlig  übersehen.  Noch  jetzt  fehlt  es  auch 
in  bezug  der  pflanzlichen  Zellwandstrukturen  an  einem  vergleichenden 
Studium,  welche  Vorteile  in  materialökonomischer  Hinsicht  den  einzelnen 
Bautypen,  also  den  spiraligen,  ringförmigen  und  sonstigen  Arten  von  Ver- 
dickung zukommen.  Der  Bau  des  Holzes,  in  den  Bild  103  einen  über- 
raschend lehrreichen  Blick  tun  läßt,  ist  in  dieser  Hinsicht  ein  wohlabgcwo- 
genes  System  der  verschiedensten  Zelltypen,  deren  Form  stets  aus  der  Har- 
monie zweier  Faktoren,  nämlich  der  jeweiligen  Funktion  und  dem  Prinzip 
der  Ökonomie  in  der  Materialverwertung  verstanden  werden  kann,  eine  Ar- 
beit, die,  nebenbei  erwähnt,  noch  gar  nicht  in  Angriff  genommen  worden 
ist.  Das  reicht  von  den  feinsten  Struktureigentümlichkeiten  bis  zu  den  ganz 
großen  Zügen  der  Organisation.  Als  Beweis  dafür  lege  ich  in  Bild  102  den 
Querschnitt  eines  dreijährigen  Ästchens  der  Eibe  (Taxus  baccata)  vor. 
Auch  darin  redet  das  Okonomieprinzip  ganz  unverkennbar.  Die  Nadelhölzer 
haben  keine  besonderen  Stereome,  wie  das  Holz  der  Laubbäume  oder  die 
Halme  der  Gräser  und  Stämme  der  Palmen,  sondern  ihr  Holzteil  ist  als 
Ganzes   die   Stütze   und  in   gewisser  Weise   als   Stereom   eingerichtet.     Als 

239 


solches  stellt  er  im  gegebenen  Fall  eine  Röhre  dar,  was  bekanntlich  die 
günstigste  Form  ist,  um  mit  kleinstem  Materialaufwand  die  größtmöglichste 
Festigkeit  zu  erreichen.  Wie  aus  der  Abbildung  ersichtlich,  ist  dagegen 
die  Borke  wieder  nur  ein  Agglomerat  luftgefüllter,  toter  Zellen;  sie  haben 
eben  nicht  zu  stützen,  also  wird  ihnen  nur  wenig  Baustoff  zugemessen. 
Und  in  dem  Querschnitt  einer  Fichtennadel  (Abb.  105)  kann  man  alles 
Gesagte  nochmals  in  instruktivster  Weise  rekapitulieren.  Die  Festigungsele- 
mente sind  da  als  verdickte  Zellen  in  einem  Längsstrang  in  das  Zentrum 
verlegt;  ganz  fein  abgewogen  sind  aber  noch  einzelne  Stränge  von  Skleren- 
chymzellen  eingeschoben;  die  Schutzscheide  des  Gefäßbündels  ist  einiger- 
maßen verstärkt,  und  um  die  Harzgänge  an  der  Peripherie  jeweils  ein 
Mantel  von  verstärkten  Zellen  gelegt.  Auch  unter  die  Epidermis,  die  doch 
großen  Anforderungen  an  mechanischer  Beanspruchung  genügen  soll,  ist 
eine  Schichte  von  Stützzellen  eingeschoben.  Schon  diese  komplizierte  Archi- 
tektur verrät  es,  wie  wohlabgewogen  ein  solcher  Bau  sein  muß,  in  dem 
von  Fall  zu  Fall  entschieden  ist,  wo  Festigungsgewebe  eingelegt  werden 
müssen  und  wo  nicht. 

Genau  so  wenden  auch  die  Miniaturbäumchen  der  Moose  wieder  auf  ihre 
Weise  die  mechanischen  Prinzipien  der  großen  Bäume  an.  Wer  sich  in  den 
sehr  instruktiven  Längsschnitt  eines  solchen  Moospflänzchens  (Abb.  64) 
vertieft,  kann  daran  raffinierte  Anwendungen  des  Sparsamkeitsgesetzes  fin- 
den. Überall  sind  Festigungszellen  nur  dort  angebracht,  wo  die  Funktion 
es  fordert,  so  in  dem  „Pflaster",  auf  dem  die  schweren  Krüglein  der  Arche- 
gonien  stehen,  und  in  dem  zentralen  Strang  längsgerichteter  Zellen,  der  zu- 
gleich der  Wasserleitung  dient;  oft  sind  sogar  in  ausgesuchter  Weise  ein- 
zelne Festigungszellen  in  ganz  lockeren  Geweben  eingestreut,  genau  so 
viel,  als  die  Belastung  erfordert.  Sogar  in  den  Pilzen  verflechten  sich  die 
Fäden  zu  Marksträngen,  wenn  es  das  Bedürfnis  heischt,  und  so  sind  im  gan- 
zen Pflanzenreich  Skelettbildungen  vorhanden,  die,  wie  Haberlandt  nachge- 
wiesen hat,  ebenso  frühzeitig  angelegt  werden  wie  im  Körper  der  Tiere, 
wo  —  man  sehe  sich  die  Abbildung  des  Skeletts  des  Menschen  und  der 
Menschenaffen  im  folgenden  Kapitel  darauf  hin  an  —  aufs  feinste  ausbalan- 
ciert, die  Materialvergeudung  nirgends  auch  nur  mit  einem  Quentchen 
Knochensubstanz  Verschwendung  treibt. 

Es  ist  natürlich,  wie  man  bemerkt  haben  wird,  das  unerschöpfliche  Ge- 
biet der  Biotechnik,  auf  dem  sich  das  Prinzip  der  Material-  und  Funk- 
tionsersparnis auswirkt.  Alle  organischen  Maschinen,  seien  das  nun  die 
Traggerüste  bei  Pflanze  und  Tier  oder  die  Bewegungsmechanismen,  die 
Werkzeugmaschinen  der  Tiere  oder  die  Schwimm-  und  Flugapparate,  sind 
gerade  auf  das  hin  in  einer  Weise  selektiert,  daß  sie  der  nachahmenden 
menschlichen  Technik  immer  wieder  noch  als  Beispiel  dienen  können. 

Um  nur  einen  Beleg  für  viele  herauszugreifen,  so  sei  an  die  Musku- 
latur der  Insektenbeine  erinnert.    Es  gibt  wenige  Organe  des  Tierkörpers, 

240 


,-       3     O 


2   f  E 


Abb.  104.    Die  Anpassungen  eines  Kerftieres 

Menschliche    Filzlaus    (Phthyrius    inguinalis)    mit    ihren    spezifisch    als    Klammerorganen    umgebildeten 
zwei    Beinpaaren.     Schwach    vergrößerte    Originalmikroaufnahme     des    biologischen     Instituts    München 


Abb.  105.   Querschnitt  durch  eine  Fichtennadel 

Die  Anordnung  der  Zellen  und  aller  Organe  verwirklicht  das  Okonomiegesetz  nach  Art  des  Taylor- 
syslems  durch  eine  musterhafte  Arbeitsteilung.  Die  Gefäße  (s)  sind  in  einem  Bündel  zusammenge- 
faßt, die  nötigen  Versteifungen  sind  auf  bestimmte  sichelförmige  Trajektorien  beschränkt,  das  As- 
similationsgewebe ist  ein  Muster  von  Raumökonomie,  um  eine  assimilatorische  Maximalleistung  zu 
ermöglichen.    Vergrößert.    Nach  Tschirch 


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~     ü     ZJ    ^ 


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Die  Verteilung  der  Ableitungswege   nach   dem  Prinzip  des   kleinsten 
Kraftmaßes 

Naturselbstdruck    des    Biologischen    Instituts    München 


die  zu  einer  so  mannigfaltigen  und  ausdauernden  Tätigkeit  befähigt  sind, 
wie  gerade  das  Insektenbein,  das  darin  trotz  seiner  scheinbaren  Steifheit 
und  seinem  Chitinpanzer  der  menschlichen  Hand  nahe  kommt.  Es  läuft  mit 
unerhörter  Behendigkeit  als  Bein  der  Sandlaufkäfer,  es  gräbt  am  Leib 
der  Maulwurfsgrille  gleich  einer  Schaufel,  es  schleppt  Lasten,  die  das 
Gewicht  des  Körpers  um  ein  Vielfaches  übertreffen,  wenn  die  Sandwespe 
eine  Raupe  in  ihre  Höhle  schleift  oder  die  Ameisen  etwas  in  ihren  Bau  ein- 
tragen; es  rudert  als  Bein  des  Gelbrandschwimmkäfers,  es  baut  komplizierte 
Gehäuse  als  Bein  der  Köcherfliegenlarven  (vgl.  Abb.  49),  es  vollführt  wahr- 
haft technische  Kunststücke,  wenn  die  Pronubamotte  den  Pollen  der  Yucca- 
Palmlilie  knetet  und  die  künstliche  Befruchtung  vollzieht.  Und  doch,  von 
welch  einfachster  Gliederung  ist  es  innen  und  außen  aufgebaut!  Schon  die 
Zerteilung  in  einige  wenige  Röhrenstücke,  die  durch  Scharniergelenke 
gegeneinander  beweglich  sind,  ist  ein  Meisterstück.  Und  innerhalb  der 
Röhren  sind  so  wenig  Zustränge  von  Muskeln  angebracht,  daß  man  hier 
geradezu  ein  hysteron  proteron  für  das  kleinste  Kraftmaß  im  Tierkörper 
vor  sich  hat.  Vor  allem  liegen  sämtliche  Beinmuskeln  der  Insekten  in  einer 
Ebene  (mit  Ausnahme  des  Muskels  zwischen  Schenkelring  und  Über- 
schenkel, der  zum  Pronieren  [Einwärtsdrehen]  des  Schenkels  dient),  kön- 
nen also  nur  strecken  oder  beugen.  Aber  auch  dazu  gibt  es  nur  zwei  Strek- 
ker,  und  schon  das  Fußglied  und  die  Krallen  können  sich  nur  durch 
ihre  allerdings  wie  Sprungfedern  wirkenden  Gelenkhäute  strecken.  Auch 
von  den  Beugemuskeln  gibt  es  nur  vier,  und  dort,  wo  sie  in  dem  so  engen 
Unterschenkel  keinen  Platz  mehr  haben,  dünne,  aber  kräftige  Zugschnüre, 
die  an  der  Wurzel  der  Kralle  mit  einer  federnden  Platte  enden,  sodaß  da- 
durch in  den  Tarsen  ein  besonderer  Muskel  zum  Wiederausstrecken  er- 
spart wird.  Das  Ganze  ist  eine  Maschinerie  von  höchster  Sparsamkeit  bei 
maximalen  Leistungen  (vgl.  Abb.  104). 

Ganz  unübertrefflich  ist  in  dieser  Hinsicht  die  Betriebsführung  und  das 
Zusammenarbeiten  der  Zellen  in  den  Geweben  und  Organen  organisiert. 
Vor  allem  ist  durchgängig  das  Prinzip  der  Arbeitsteilung  durchgeführt.  An 
die  Knochen  schließen  sich  überall  Bänder  der  verschiedensten  Form  an 
(Abb.  106);  jedes  in  seine  einzelnen  Sonderstränge  gegliedert,  in  einem 
wunderbar  zusammenarbeitenden  System,  das  namentlich  dem  menschlichen 
Rücken  und  der  Kreuzgegend  eine  Beweglichkeit  und  Elastizität  verleiht, 
ohne  die  die  tausendfältige  Anmut  des  Tanzes  ebenso  undenkbar  wäre,  wie 
die  Gelenkigkeit  der  Turner  und  Bergsteiger.  Muskeln  und  Bänder  arbeiten 
so  zusammen  wie  Knochen  und  Gelenke  gegenseitig  oder  der  Herzmuskel 
mit  seinem  System  von  Klappen  (Abb.  107),  die  eigentlich  nur  bindege- 
webige Häute  von  lockerster  Architektur  sind.  Knochen,  Gelenke,  Sehnen, 
Muskeln  und  Bindegewebe  aber  wirken  wieder  zusammen  bei  jeder  Be- 
wegung, sie  unterstützen  sich  gegenseitig,  so  wie  sich  wieder  in  den  inneren 
Organen  die  Drüsenzellen  mit  den  Bindegeweben  (man  sehe  das  Bild  der 

Ib 
Franci,  Bios   M  ^  ,  . 

241 


Niere  in  Bd.  I  auf  Abb.  90  nach)  vereinigen;  sie  alle  aber  werden  durch  die 
Blutgefäße  und  die  Nerven  neuerdings  verknüpft  und  zu  Arbeitsteilungen 
höherer  Art  gezwungen,  sodaß  im  Organismus  tatsächlich  eine  „Organisa- 
tion" von  Arbeitern  vorliegt,  in  der  jeder  einzelne  in  Hinsicht  auf  jedem  an- 
deren arbeitet  und  unentbehrlich  ist.  Es  gibt  denn  auch  nicht  einen  einzigen 
„Supernumerären"  in  dieser  Staatsverwaltung,  die  dadurch  höchste  wirt- 
schaftliche Leistung  mit  dem  geringsten  Energieverbrauch  erreicht. 

Wo  im  einzelnen  ein  scheinbares  Luxieren  und  eine  oft  unglaubliche 
Reichhaltigkeit  der  Formgestaltung  den  Betrachter  verwirrt,  wie  z.  B.  im 
Bau  der  Nervenzellen  (Abb.  109),  da  ist  das  Sparsamkeitsprinzip  noch  im- 
mer nicht  durchbrochen,  denn  gerade  diese  Neuronen  sind,  wie  man  seit  den 
klassischen  Forschungen  des  Spaniers  Ramon  y  Cajal  weiß,  die  Zellen  des 
Tierkörpers,  welche  die  vielfältigste  Funktion,  nämlich  Speicherung  und 
Verknüpfung  der  Erlebnisse  ausführen.  Es  ist  an  ihnen  kein  Büschelchen, 
dem  nicht  ein  wohlgerüttelt  Maß  von  Tätigkeit  zukäme,  und  sie  sind  in 
ihrer  Art  ebenso  notwendige  Funk- 
tionsformen wie  alle  übrigen  Zel- 
len des  Körpers  auch. 

Was  im  Tierleben  recht,  ist  dem 
Pflanzenorganismus  nur  billig. 
Auch  hier  ist  ein  in  seiner  Art 
nicht  weniger  verwickeltes  Zusam- 
menarbeiten der  Elemente  vor- 
handen, eine  Durchgliederung  der 
Arbeiter  in  Gruppen,  eine  Auf- 
lösung der  Tätigkeiten  und  Teil- 
arbeiten in  besonderen  Werkab- 
teilungen und  von  solcher  Plan- 
mäßigkeit, daß  gerade  die  Pflanze 
darin  noch  ein  lehrreicheres  und 
übersichtlicheres  Vorbild  für  ra- 
tionellste Arbeitsleistung  gewährt, 
denn  der  Tierkörper. 

Auf  der  Abbildung  108  ist  nur 
eine  einzige  Organgruppe,  es  sind 
nämlich  die  Einrichtungen  der  Ab- 
und  Zuleitung,  dargestellt  an 
einem  der  bekannten  prachtvollen 

Naturselbstdrucke        von        Blättern,  Abb.    109.      Das    kleinste     Kraftmaß    in    der    mensch- 

die  vollkommen    getreu    die    einfach  ''*^''^"    Histologie.       Bild    einer    PurkinjVschen    Zelle 

uic    vuiiKUiiiiucii    gciicu    uic    ClUIdLU  ^^^    ^^^    Kleinhirn    des    Menschen,    das    trotz    seiner 

optimale    Drainage    der    Blattspreite  scheinbar  luxurlerend   reichen  Ausbildung  dennoch  nur 

vTj  r.  *^'*  notwendigen   Büschelungen  enthält,  um  den   enorm 

durch      das      Netz      der       Blattadern  komplizierten     Funktionen    der    „Denkzellen"    gerecht 

...:«j      ~   t-  »<  t  1      •  werden    zu    können.      IQO  fach    vergrößert.     (Nach    So- 

wiedergeben.       Man     kann      kein  bottas  Lehrbuch  der  Histologie.) 


242 


vollkommeneres  System  ersinnen,  um  ein  bestimmtes  Territorium  auf  dem 
kürzesten  Wege  mit  Verkehrslinien  gleichmäßig  zu  durchziehen,  die  nach 
und  nach  in  einen  Hauptweg  münden.  In  fünf  Rangstufen  von  Blattadcrn 
wird  ein  solches  Blatt  so  vollendet  durchstickt,  daß  keine  einzige  Zelle 
seiner  Fläche  übrig  bleiben  mag,  die  nicht  ihren  Zulcitungs-  und  Ab- 
leitungskanal besäße,  um  so  mehr  als  ja  die  blattgrünführenden  Zellen  sich 
ohnedies  zu  mehreren  zu  verbinden  und  in  eine  „Trichterzelle"  zu  münden 
pflegen,  die  dann  Anschluß  an  die  Verkehrswege  hat.  Ein  Städtebaiimcister 
oder  ein  Landwirt,  der  sich  ein  optimales  Bild  machen  will,  wie  man  eine 
bestimmte  Fläche  kanalisiert  oder  gleichmäßig  entwässert,  wird  dieses  Bild 
mit  größtem  Nutzen  studieren. 

Ein  anderes  Beispiel  von  ähnlichem  belehrenden  Wert  mag  das  Denken 
im  Betrachten  der  Bilder  110,  111  beschäftigen.  Beide  stellen  sogenannte 
Xerophyten,  das  erstere  eine  Gruppe  blühender  Hauswurze  (Sempervivum 
tectomm),  das  letztere  die  Kaktee  Arlocarpus  retusus  Schneider  dar.  Beides 
sind  Beispiele,  wie  vollendet  die  Anpassung  mit  dem  Gesetz  von  der  ge- 
ringsten Kraftentfaltung  zu  hausen  versteht. 

Die  an  Trockenheit  angepaßten  Gewächse  müssen  notgedrungen  sich  auf 
die  kleinste  Transpirationsoberfläche  beschränken,  bei  der  noch  die  nötige 
Menge  von  Assimilaten  erzeugt  werden  kann.  Sie  erreichen  das  durch 
Reduktion  der  Blattoberflächen  bis  zum  völligen  Verschwinden  derselben, 
wobei  dann  oft  die  Zweige  und  Stämme  selbst  die  photochemischen  Tätig- 
keiten übernehmen.  Die  Wüsten  aller  Länder  sind  reich  an  solchen  blatt- 
losen Gewächsen  (vgl.  dazu  Abb.  68).  Bei  diesem  Bestreben  geraten  not- 
wendigerweise zwei  einander  entgegengesetzte  Tendenzen  in  Kampf.  Die 
Assimilation  fordert,  daß  die  Blattfläche  möglichst  umfangreich  sei,  um 
daran  möglichst  viele  der  Lichtkraftmaschinen  (vgl.  Abb.  34)  aufstellen  zu 
können,  der  Wasserhaushalt  dagegen  verlangt  gebieterisch,  daß  diese  gleiche 
Fläche  nach  Tunlichkeit  eingeschränkt  werde,  damit  nicht  zu  viel  Wasser 
verdunste.  Den  Ausgleich  beider  Notwendigkeiten  findet  die  Pflanze  durch 
die  Anwendung  des  kleinsten  Flächenmaßes  bei  möglichst  intensiver  Funk- 
tion. Es  ist  demnach  begreiflich,  wenn  die  Blätter  nicht  flach,  sondern 
fleischig,  d.  h.  dreidimensional  gestaltet  sind,  wie  das  namentlich  die  Haus- 
wurz, aber  auch  viele  der  Kakteen  (Melonenkaktus!)  bekannt  gemacht 
haben.  Das  zweite  Mittel  ist  die  rosettenförmige  Anordnung,  wie  sie  be- 
sonders bei  dem  von  oben  aufgenommenen  Bild  des  Äriocarpiis  sinnenfällig 
wird.  In  idealer  Weise  wird  dadurch  der  Assimilationsraum  ausgenutzt,  der 
Transpirationsraum  beschränkt,  die  Funktion  auf  dem  Wege  ökonomische- 
ster Gestaltung  erreicht.  Sehr  hübsch  ist  es,  dabei  zu  sehen,  wie  das  Leben- 
dige aber  alle  diese  Gesetze  beherrscht.  Denn  die  Notwendigkeiten  der 
Fortpflanzung  heben  die  Rosettenform  und  ganze  Gestaltungsökonomic  auf 
(Abb.  110).  Die  blühende  Hauswurz  erhebt  ihre  Blüte  hoch  und  frei  — 
die  Interessen  der  Fortpflanzung  (man  vergleiche  dazu  das  über  die  Fort- 

243 


Pflanzung  auf  S.  176  Gesagte)  lassen  die  des  Individuums  zurücktreten, 
allerdings  auch  nur  wieder  in  dem  Maße,  daß  der  Zweck  bei  kleinster  Auf- 
opferung erreicht  wird. 

In  solchen  Formen  vollzieht  sich  das  Gesetz  der  Parsimoklise  im  Reiche 
des  Lebens.  Die  gesamte  Physiologie  und  damit  auch  die  Biotechnik  steht 
unter  seinem  Einfluß.  Daher  muß  auch  die  Technik  des  Menschen,  will 
sie  zu  wirklich  haltbaren  Gebilden  fortschreiten,  das  Gesetz  des  kleinsten 
Krajtmaßes  an  die  Spitze  ihrer  Bestrebungen  stellen.  Und  das  gilt  für  jede 
Art  von  Technik,  keineswegs  für  die  der  Maschinen  allein. 

Die   Geschichte   der   Erfindung   ist   voll   von    Beweismaterial   für   diesen 
Satz.    Denn  bei  der  naturwidrigen  Richtung,  welche  die  Technik  lange  Zeit 
eingeschlagen  hatte,  ist  sie  genau  so  wie  die  Naturprodukte,  nicht  durch 
die  telokline  Selektion  des  Verstandes,  sondern  durch  die  rein  mechanische 
Ausmerzung  des  nicht  Haltbaren,  erst  allmählich  zu  der  Notwendigkeit  ge- 
drängt worden,  wenigstens  an  den  Maschinen  das  Überflüssige  an  Form- 
gestaltung und  gar  erst  an   Funktion  wegzulassen.    In  den  großen  euro- 
päischen Sammlungen  zur  Geschichte  der  Technik  findet  man  aus  vergangenen 
Jahren  noch  wunderlich  genug  anmutende  Instrumente  und  Maschinen,  die 
selbst  den  modischen  Schnörkel  und  das  dekorative  Ornament  nicht  ver- 
missen  lassen.     So   existiei^t  z.  B.   ein   englisches    Patent    (Nr.  3761    vom 
29.  Nov.  1813  für  John  Cragg)»').  i"  dem  an  Maschinen  Verzierungen  in 
gotischem  Stil   dem    Erfinder  geschützt  sind.     Im   Deutschen  Museum  zu 
München  wird  ein   absonderlicher   Zeuge   dieser   Denkungsart  aufbewahrt, 
nämlich  eine  stehende  Dampfmaschine,  die  in  ein  Tempelchen  mit  dorischen 
Säulen  aus  Eisen  eingebaut  ist.    Auch  erinnere  ich  mich  im  Conservatoire 
des  arts  et  metiers  zu  Paris  Mikroskope  aus  dem  Rokoko  gesehen  zu  haben, 
deren   Stative   Amoretten   darstellten.     In   der   schönen   Sammlung   solcher 
alter  Instrumente,  die  man  zu  München  im  Deutschen  Museum  hütet,  und 
der  die   Figuren   der  Abbildung  112   entstammen,   kann  man   den  Wellen- 
schlag   organischer    und    ephemerer    Konstruktionen    sehr    wohl    studieren. 
Wie  sachlich  wirkt  das  erste  Mikroskop   des  Leeuwenhoek   (Fig.  1)   trotz 
seiner   elenden    Linse    und   sonstigen   technischen    Unvollkommenheit,   des- 
gleichen das  Nürnberger  Pappmikroskop   (Fig.  3)  trotz  der  gedrechselten 
Beine,    wie    lächerlich    kokett    und    ernster    Arbeit    widerstreitend,    trotz 
seiner   relativen   technischen   Leistungsfähigkeit,    aber   das    Rokokolupenbe- 
steck (Fig.  2). 

Das  sind  Formen,  welche  wenigstens  die  Maschinentechnik  heute  völlig 
abgestreift  hat.  Wie  ungemein  sachlich,  gleichsam  als  eine  Verkörperung 
des  Gesetzes  vom  kleinsten  Kraftmaß  steht  doch  eine  moderne  Schnellzugs- 
lokomotive oder  eine  Dynamomaschine  vor  uns,  und  selbst  wenn  es  der 
Verstand  nicht  weiß,  so  wird  ihr  Beschauer  es  schon  durch  das  Gefühl 
inne,  daß  diesen  Dingen  Schönheit,  eine  Vollendung  innewohnt,  die  eben 
auf  dem  Optimum  ihrer  Funktionsform  beruht. 

244 


Abb.  HO.    Gruppe  von  blühenden  Hausvvurzen  (Sempervinnn  Toctorum)  als  Bcle» 
wie  die  Fortpflanzung  die  Ökonomieanpassungen   (Xerophiler  Habitus,   Rosettenbiu' 

dung)    aufhebt 


Abb.  111.   Die  Kakteenart  Ariocarpus  rctusus  Scheiden 

Beispiel    ausgesprochener    Reduktion    und    Verteilung  des  Assimilationsapparates  nach 


dem     Gesetz     maximaler 


Leistung     mit 
F.    Nissen 


kleinsten     Mitteln, 
in    Lauenburg 


Originalaufnahme 


Abb.   112.    Das  Ökonomiegesetz  in   der  menschlichen   Technik 

Alte  Mikroskope  als  Beispiele  technischer  und  spielerischer  Formgestaltung.  1.  Das 
Mikroskop  von  Leeuwenhock  aus  dem  XVII.  Jahrhundert,  ein  Beispiel  parsimokli- 
ner,  aber  unvollkommener  Gestaltung.  Als  Gegenbeispiel  dient  Figur  2  (Rokoko- 
lupenbestecke), das  trotz  technisch  hoher  Leistungen  (Kugelgelenke)  das  Gesetz  de 
richtigen  Formengebung  verletzt.  Figur  3,  e 
Versuch  harmonischer  Gestaltung  (zweckmäß 
Museum   zu   M 


n    Nürnberger   Pappiiiikroskop,   ist  ein 
g    und    hübsch).      Aus    dem    deutschen 


Im  gleichen  Moment  gehen  wohl  aber  auch  sämtlichen  meiner  Leser  die 
Augen  dafür  auf,  wie  himmelweit  noch  alle  anderen  Techniken:  Kunst- 
gewerbe, Architektur,  gar  nicht  zu  reden  von  den  Künsten,  von  diesem  Ideal 
des  kleinsten  Kraftmaßes,  das  doch  in  jedem  Naturgegenstand  verwirklicht 
ist,  entfernt  sind!  Noch  stehen  ja  alle  Bürgerstuben  voll  von  Erzeugnissen 
einer  solchen  in  den  übelsten  „Stilen"  und  „Zieraten"  schwelgenden 
Möbelschreinerei,  noch  produziert  eine  Andenken-  und  Fremdenindustrie 
wahre  Monstra  solcher  Sinnwidrigkeiten,  unglaublich,  wenn  man  einmal 
viele  derartige  Dinge  beisammensieht,  wie  in  der  „ästhetischen  Folter- 
kammer", die  das  Kunstgewerbemuseum  zu  Stuttgart  höchst  lehrreicher- 
weise zusammengestellt  hat. 

Wohl  ist  endlich  namhaften  Führern  des  Kunstgewerbes,  namentlich  der 
Werkkunstbewegung,  das  Gesetz  des  Sinngemäßen  und  Zweckgerechten  in 
der  Formengestaltung  aufgegangen,  das  auch  das  des  kleinsten  Kraftmaßes 
in  sich  schließt,  auch  ist  nach  langem  Suchen  und  Ringen  die  Architektur 
auf  dem  Wege,  Bauformen  zu  gestalten,  die  endlich  dem  inneren  Sinn  ihres 
Daseinszweckes  gemäß  sind.*)  Aber  das  sind  erst  Ansätze,  und  noch  sind 
Kleidung,  Hausrat,  Gerät,  das  ganze  Gehäuse  des  Alltags,  die  Art,  Feste 
zu  feiern,  ein  Tummelplatz  der  Unkultur,  vor  dessen  Sinnwidrigkeit  und 
Stillosigkeit  man  erschrickt,  wenn  man  erst  einmal  im  Lichte  der  objektiven 
Denkungsart  die  leuchtenden  Möglichkeiten  eines  wirklich  organischen 
Lebens  erblickt  hat.  Es  ist  für  den  Menschen  der  Gegenwart  kennzeich- 
nend, daß  nur  überall  dort,  wo  Technik  und  kaufmännisches  Denken  sein 
Tun  bestimmen,  in  seinen  Leistungen  das  Gesetz  des  kleinsten  Kraftmaßes 
an  herrschender  Stelle  steht.  (Man  mißverstehe  mich  nicht:  dieses  Gesetz 
allein  bestimmt  noch  keineswegs  den  Begriff  des  Kulturellen  und  Schönen, 
sondern  ist  nur  eine  seiner  allerdings  unentbehrlichen  Voraussetzungen.) 
Im  Verkehrswesen,  im  Straßen-  und  Bahnbau,  in  der  Organisation  von 
Wasserwerken,  Kriegsschiffen,  Flugzeugen,  Hafenanlagen  oder  Handels- 
häusern, da  ist  unser  Gesetz  eine  bis  zur  Unbewußtheit  selbstverständlich 
gewordene,  unentbehrliche  Voraussetzung.  Und  man  würde  den  Ingenieur 
an  dem  Tage  seines  Dienstes  entheben,  an  dem  er  ernstlich  vorschlüge, 
eine  Bahnlinie  anders  denn  nach  den  Prinzipien  der  Ökonomie  zu  trassieren. 
Es  ist  das  erste  Problem  des  technischen  Denkens  geworden,  daß  eine 
technische  Einrichtung  nicht  nur  ihren  Zweck  erfüllt,  sondern  dieses  Ziel 
auch  auf  dem  ökonomischesten  Wege  erreiche. 

Die  Beharrlichkeit,  mit  der  der  tägliche  Verkehr  über  Stadtgebiet  und 
Land  überall,  oft  genug  im  Widerstreit  zu  den  Rechten  einzelner  sich  seine 
„kürzesten   Wege"    als    „Abschneider"    verschafft,    ist    ein    Symbol    dieser 


•)  Prachtvolle  Zeugnisse  dieser  neuen  Architektur  sind  z.  B.  die  Anlage  des  Walcl- 
friedhofes  und  die  neue  Anatomie  zu  München  (abgebildet  in  München,  Lebensge- 
setze  einer  Stadt),  auch  der  Lübecker  Ehrenfriedhof,  der  neue  Hauptbahnhof  zu  Leip- 
zig usw.,  so  wie  die  gotischen  Dome  Beispiele  für  sie  in  vergangenen  Zeiten  waren. 

245 


inneren  Notwendigkeit,  die  das  Leben  allem  gegenüber  empfindet,  was  in 
seinen  Kreis  tritt  und  ihm  Reibung  bereitet.  Die  Worte,  mit  denen  R.  Ave- 
uarius,  der  Begründer  des  Empinokritizismus,  seine  erste  grundlegende 
Schrift  einleitete,  sind  hierfür  wahrhaft  klassisch:  „Die  Seele  verwendet  zu 
einer  Apperzeption  nicht  mehr  Kraft  als  nötig,  —  sagt  er  —  und  sie  gibt 
bei  einer  Mehrheit  möglicher  Apperzeptionen  derjenigen  den  Vorzug,  welche 
die  gleiche  Leistung  mit  einem  geringeren  Kraftaufwand,  beziehungsweise 
«nit  dem  gleichen  Kraftaufwand  eine  gröbere  Leistung  ausführt."  ^8)  Aus 
dieser  Erkenntnis  heraus  ist  denn  auch  Avenarius  seine  ganze  Philosophie 
der  reinen  Erfahrung  organisch  und  notwendigerweise  zugewachsen,  die 
mit  Erfolg  im  gesamten  Umkreis  des  Denkens  und  seelischen  Oestaltens,  in 
der  Gewohnheit,  in  der  Sprache,  in  der  Wissenschaft,  in  der  Philosophie 
selbst  nur  ein  kraftsparendes  Streben  des  Erlebens  sehen  lehrte  und  so  zu 
einem  mächtigen  und  erfolgreichen  Vorläufer  unserer  Denkweise  geworden 
ist,  den  wir  nicht  mehr  missen  mögen,  der  uns  aber  hier  auch  der  Aufgabe 
enthebt,  diese  Fundamente  des  Ökonomiegesetzes  im  Walten  des  Menschen- 
geistes erst  noch  zu  zimmern. 

Avenarius  hat  recht,  wenn  er  Philosophie  als  Denken  der  Welt  gemäß 
dem  Prinzip  des  kleinsten  Kraftmaßes  faßt  und  ihr  die  Aufgabe  zuweist, 
die  Gesamtheit  des  in  der  Erfahrung  Gegebenen  wissenschaftlich  durch- 
zuorganisieren, worin  er  sich  ja  mit  E.  Mach  begegnet.  Als  Ideal  dieser 
Lösung  muß  einer  solchen  Philosophie  gemäß  unserem  Gesetz  die  letzte 
begriffliche  Einheit  der  Welt  (das,  was  wir  Bios  nennen)  vorschweben; 
der  von  ihr  geforderte  methodologische  Monismus  (in  der  Sprache  von 
H.  Driesch:  Ordnungsmonistisches  Ideal)  erscheint  daher  von  diesem  Ge- 
sichtspunkt aus  als  Notwendigkeit,  zu  der  die  Menschheit  immer  wieder 
zurückkehren  wird,  so  oft  sie  ihn  verläßt,  weil  er  auf  einem  der  Weltgesetze 
beruht.  Genau  dasselbe  gilt  für  den  von  der  Wissenschaftslehre  unbedingt 
anerkannten  „Grundsatz  der  einfachsten  Erklärung" ,  der  sich  auch  immer 
in  allem  Wissenschaftsstreben  durchringt.  In  diesen  Formen  äußert  sich 
das  Okonomiegesetz  im  geistigen  Leben  und  hat  die  klassischen  Wissen- 
schaftsgrundlagen, sowohl  die  berühmte  Kirchhof fsoho.  Formulierung  von 
1874  der  „vollständigen  einfachsten  Beschreibung",  die  letzten  Endes  auf 
Adam  Smith,  den  englischen  Volkswirtschaftler,  und  sogar  auf  Newton 
zurückgeht,  wie  die  nun  ebenso  berühmt  werdende  Formel  von  E.  Mach 
von  der  ökonomischen  Darstellung  des  Tatsächlichen  (Ökonomie  des  Den- 
kens, von  1871  bis  1883)  vollständig  durchsickert.  Sie  ist  zum  gesicherten 
Besitzstande  des  menschlichen  Denkens  überhaupt  geworden. 

Ich  scheue  mich  fast,  solche  Zergliederungen  hier  vorzulegen,  so  sehr 
erscheinen  sie  mir  so  wie  alle  diese  Gesetze  von  Optimum,  Integration, 
Selektion,  Ökonomie  und  Harmonie  als  Selbstverständlichkeiten;  allerdings 
derart,  wie  es  auch  Mach  meint,  wenn  er  sagt:  „Solche  Selbstverständ- 
lichkeiten waren  es  immer,  auf  welche  die  Wissenschaft  ihren  Bau  sicher 

246 


gründen  konnte/'^»)  Daher  wird  es  denn  doch  nicht  überflüssig  sein,  aus- 
drücklich hier  zu  konstatieren,  daß  sowohl  jede  Art  von  Teleologie  wie 
auch  jede  Mathematik  nichts  anderes  ist,  als  die  Anbahnung  und  im  letz- 
teren Fall  die  strikte  Durchführung  des  Satzes  vom  kleinsten  Kraftmaß  in 
der  Regelung  von  Beziehungen.  Das  Ideal  von  Zweckmäßigkeit  ist  der 
geringste  energetische  und  materielle  Aufwand,  also  das  Minimum  an 
Mitteln,  durch  das  ein  bestimmter  Zweck  erreicht  werden  kann.  Jeder  Vor- 
gang kann  daher  nur  dann  als  bestmöglichst  bezeichnet  werden,  wenn  er 
parsimoklin  ist.  Die  Parsimoklise  ist  ein  ausschlaggebendes  Merkmal  des 
Zweckmäßigen.  So  wie  auch  alle  Zweckmäßigkeitsannahmen  das  Optimum- 
gesetz anerkennen. 

Es  ist  daher  das  Teleologiegebiet,  namentlich  die  Zweckmäßigkeitslehre 
der  Organismen:  Anpassungen,  Regulationen  und  Regenerationen  das  klas- 
sische Feld  der  Untersuchung  ökonomischen  Geschehens.  Wenn  in  Roux's 
bekanntem  Experiment,  im  künstlichen,  aus  Paraffin  und  Gummi  hergestell- 
ten Knochen  sich  auf  Funktion  hin  ein  Bild  der  Linien  stärksten  Druckes 
und  Zuges  ausbildete,  das  mit  der  Trajektorienanordnung  eines  in  gleicher 
Weise  beanspruchten  Knochens  übereinstimmte,  so  war  damit  nicht  nur  die 
hervorragende  Zweckmäßigkeit  dieses  Anordnungssystems  als  mechanisches 
Grundgesetz,  sondern  auch  die  Tatsache  erwiesen,  daß  jede  Funktion  welt- 
gesetzlich nach  den  Linien  des  geringsten  Widerstandes  verläuft.  Und  da 
nun  alle  Funktionsformen,  in  weiterem  Sinne  alle  Naturformen  die  Rest- 
gestaltung nach  Überwindung  des  Widerstandes  sind,  also  der  Funktion  nur 
mehr  ein  Minimum  an  Widerstand  entgegensetzen,  ist  schon  dadurch  das 
Okonomieprinzip  zum  Weltgesetz  erhoben. 

Das  Denken,  dieser  teleologische  Prozeß  kat  exochen,  und  sein  Organ: 
das  Gehirn  ist  die  Verwirklichung  der  Sparsamkeit,  wie  Avenarius  mit  aller 
Schärfe  nachgewiesen  hat.  Assoziationsfasern  und  Nerven  sind  die  Verkör- 
perung des  Begriffes:  kürzester  Weg  unter  den  möglichen.  Empfinden  und 
Vorstellen,  Denken  und  Handeln  streben  immer  nach  dem  kürzesten  Wege; 
das  Ziel  der  organischen  Funktionen  ist  in  den  meisten  Fällen  überhaupt 
nichts  anderes,  als  diese  Funktion  mit  dem  Minimum  an  Widerstand  auf 
dem  kürzesten  Wege  bei  geringstem  Energieverbrauch  durchzuführen.  Kei- 
nem anderen  Zweck  dient  die  Mechanisierung  der  Handlungen.  Wieder- 
holung und  Gewohnheit  sind  überaus  kraftsparend,  wie  /.  Fries'^°°)  schon 
vor  mehr  denn  einem  Jahrhundert  erkannt  und  betont  hat,  und  wie  es  jeder- 
mann alle  Tage  erleben  kann.  Insofern  war  es  höchst  fruchtbar,  Automatis- 
men, Reflexe  und  Instinkte  einmal  von  diesem  Standpunkt  der  Krafter- 
sparnis aus  zu  betrachten.  Und  was  endlich  das  Walten  dieses  Prinzipes 
im  logischen,  ethischen  und  praktischen  Verhalten  des  Menschen  anlangt,  so 
wurde  hierüber  so  Vortreffliches  gesagt  von  vielen  Autoren  (ich  erinnere 
nur  an  die  Theologie,  an  /.  Zöllner,  R.  Avenarius  u.  a.),  daß  es  Eulen 
nach  Athen  tragen  hieße,  wollte  man  hier  weiter  noch  beweisen. 

247 


Die  Geometrie  mit  ihrem  Prinzip,  daß  der  kürzeste  Weg  zwischen  zwei 
Punkten  eine  bestimmte  Linie,  nämlich  eine  Gerade  sei,  hat  hierfür  der 
ganzen  Menschheit  das  Beispiel  gegeben,  und  diese  hat  es  weidlich  be- 
folgt in  ihrem  Streben  nach  Arbeitsteilung  und  Zweckmäßigkeit  auf  den 
Gebieten  des  Sozialen,  des  Staatslebens,  des  Rechtsverkehrs,  in  Gesetz- 
gebung, Politik,  Handel  und  Industrie. 

Vollständig  durchdrungen  ist  das  praktische  Verhalten  des  Menschen  von 
unserem  Gesetz,  und  Faust  hat  wahrhaftig  Recht,  wenn  es  ihm  als  ewiger 
Gesang  aller  Stunden  in  den  Ohren  klingt:  Sparen  muß  man  mit  allem  .  .  . 
Nur  wissen  wir  heute  auch,  was  er  noch  nicht  wußte,  warum  man  sparen 
muß.  Denn  wer  könnte  der  Behauptung  widersprechen,  daß  diese  allge- 
meine Parsimoklise  eine  Notwendigkeit  sei:  weil  sonst  der  Welt  nicht 
die  Dauer  gesichert  wäre! 

Die  Wahrheit  (im  praktischen  Verhalten)  sagen,  das  Rechte  tun,  logisch 
sein,  das  ist  das  kleinste  Kraftmaß  im  täglichen  Leben.  Und  so  kommt 
zuletzt  unserem  Gesetz  auch  noch  eine  kolossale  ethische  Bedeutung  zu. 
Ja,  Ethik  ist  gleich  wie  die  Logik  nichts  anderes  als  die  optimale  Kraft- 
ersparnis auf  dem  Gebiet  des  Handelns  und  des  Denkens.  Das  Rechte 
ist  so  wie  das  Logische  der  kürzeste  Weg;  Lüge  und  Irrtum  sind  auf  die 
Dauer  der  größte  aller  Umwege  und  die  ärgste  Mühsal. 

Eine  erzstarre,  nie  versagende,  klare  Ethik  des  objektiven  Denkens  ist  da- 
mit aufgerichtet,  die  Güte  zur  Vernunft  macht,  Liebe  aus  den  unklaren 
Nebeln  der  Gefühle  emporhebt  ins  reine  Licht  höchsten  Menschentums,  die 
allerdings  auch  eine  unbeugsame  Gerechtigkeit  aus  den  Weltgesetzen  herab- 
holt ins  praktische  Verhalten  der  Menschen  und  unbeirrbar  so  ein  Reich 
des  Guten,  des  Wahren  und  Gerechten  schafft,  nach  dem  sich  freilich 
nur  die  mannhaften,  innerlich  starken  und  reinen  Naturen  und  die  klaren 
Köpfe  sehnen.  Denn  sie  allein  haben  dadurch  zu  gewinnen,  ihr  Wider- 
spiel würde  dabei  nur  verlieren.  In  dem  rein  praktischen  Verhalten  für 
sich  und  zueinander  haben  das  die  Menschen  schon  längst  eingesehen  und 
als  Wirtschaften  und  Sparen,  als  „kaufmännisches  Denken"  die  Parsimo- 
klise zu  einer  Vollkommenheit  entfaltet,  nach  der  wir  in  den  rein  geistigen 
Regionen  vergebens  lechzen.  Alle  Gesetze,  die  unsere  Analyse  im  Bis- 
herigen im  Gesamtbereich  der  Erlebniswelt  fand,  gelten  auch  für  Handel 
und  Wandel  und  werden  von  altersher  befolgt,  nur  weigert  sich  die 
Menschheit,  ihre  Gemeingültigkeit  auszusprechen  oder  anzuerkennen,  daß 
sie  den  wahren  Sinn  der  Intelligenz  erst  dann  wirklich  vollständig  er- 
füllen würde,  wenn  ihr  gesamtes  Dasein  dermaßen  ökonomisch  durch- 
organisiert wäre,  wie  es  in  Wirklichkeit  das  Leben  einer  Pflanze  oder  sonst 
eines  Lebewesens  ist.  Besonders  bemerkenswert  ist  hierbei,  daß  gefühls- 
mäßig oder  verkleidet  in  anderen  Formen  der  Menschengeist  stets  nach 
diesem  Ziele  gestrebt  hat.  Er  wählte  hierfür  nur  Ausdrucksformen,  wie 
die  Gebote  der  Religionen  oder  eines  inneren  Sittengesetzes,  das  Anerken- 

248 


nung  für  tyrannische  Forderungen  oder  andere  Begründung  als  die  der 
historischen  Konvention  heischte.  Die  Gebote  des  Dekaloges,  der  kate- 
gorische Imperativ  Kants,  die  Sittengesetze  der  Stoa,  jedes  der:  Du  sollst 
in  den  vielen  Formen  der  Menschheitsgeschichte  vom  nackten  Fetischismus 
bis  zu  dem  „equilibre  sociale"  des  positivistischen  Kultes,  sie  haben  letzten 
Endes  nie  etwas  anderes  von  dem  Menschen  gefordert,  als  daß  er  ein 
Reich  der  Logik  und  inneren  Gerechtigkeit  errichte,  in  dem  jede  Schuld  ihre 
Sühne  findet,  Lüge  und  Unwahrhaftigkeit  ausgetilgt  werden,  Ehrlichkeit 
der  gegenseitigen  Beziehungen  gekrönt  sein  soll.  Man  gehe  das  jüdische, 
das  christliche,  das  antike,  das  theosophische,  das  buddhistische  oder  chi- 
nesische Sittengesetz  durch,  durchforsche  nach  Belieben  die  Ethik  Spi- 
nozas oder  Kants  oder  Nietzsches,  stets  beziehen  sich  ihre  gegenseitigen 
Vorwürfe  und  Widersprüche  nur  auf  die  äußere  Einkleidung,  auf  die 
„Sprache",  in  denen  ihr  Wahrheitsgehalt  vorgetragen  wird,  dieser  selbst 
aber  ist  allen  Religionen  und  ethischen  Systemen  der  gleiche  und  kein 
anderer  als  die  Anerkennung,  daß  Güte,  Wahrhaftigkeit,  Reinheit,  Erfüllung 
der  Gesetze  auf  dem  geradesten  Wege,  Ehrlichkeit,  Gerechtigkeit  allein  ge- 
eignet sind,  um  den  Beziehungen  der  Menschen  unter  sich  und  zu  dem 
All  die  geringste  Reibung,  dafür  die  längste  Dauer  zu  verschaffen. 

Das  so  hinreißend  klingende  Wort  Kants,  das  die  optimale  Personi- 
fikation christlicher  Lebensprägung  ist:  von  dem  Sittengesetz  in  uns  und 
dem  Himmel  zu  unseren  Häupten,  beide  erstrahlend  in  der  gleichen  ewigen 
Gültigkeit,  ist  beim  Lichte  der  objektiven  Idee  betrachtet,  nichts  anderes  als 
die  gefühlsmäßige  Konstatierung,  daß  einheitlich  äußeres  und  inneres  Er- 
leben dem  Gesetz  der  kürzesten  Wege  unterliegen. 

Was  damit  jahrhundertlang  patriarchalisch  und  unklar  geübt  wurde,  die 
Erfüllung  einer  innerlich  empfundenen  und  von  keinem  Verstand  beweis- 
baren Forderung,  alles  auf  das  Beste  zu  tun,  das  hat  nun  die  Menschheit 
sehr  kennzeichnenderweise  sich  zum  ersten  Mal  bloß  auf  dem  grobmateriel- 
len Gebiet  des  Geldverdienens  ins  helle  Licht  des  bewußten  Strebens  ge- 
rückt. In  den  wichtigsten  Fragen  des  Menschentums,  bei  den  seelischen 
Werten  überläßt  man  sich  nach  wie  vor  einer  bloß  tastenden,  annähernde 
Erfolge  erzielenden  Tradition  von  Urväterzeiten  her,  an  die  zu  rühren 
man  sich  letzten  Endes  noch  immer  scheut,  aber  im  „Geschäftsleben",  da 
hat  man,  so  wie  man  das  Selektionsgesetz  in  die  Biotechnik  der  Zucht- 
wahl umformte,  auch  das  Ökonomiegesetz  auf  das  schärfste  durchdacht 
und  mit  Stolz  in  das  praktische  Verfahren  einer  mit  wissenschaftlicher 
Strenge  vorgehenden  Betriebsführung,  genannt  Taylorsystem  "o),  umge- 
bildet. Wer  darüber  nicht  lacht,  der  hat  keinen  Sinn  für  den  befreienden 
Humor,  der  die  köstlichste  Belohnung  der  schweren  Lebensarbeit  des 
Philosophen   ist. 

Dieses  Taylorsystem,  für  das  die  Arbeitgeber  in  dem  Maße  ihrer  Intelli- 
genz  ebenso   entschieden    eintreten,    in    dem    die    Arbeitnehmer   es    in    der 

249 


dumpfen  Besorgnis,  dadurch  unbillig  ausgebeutet  zu  werden,  ablehnen, 
hat  heute  schon  seine  große  Literatur,  namentlich  in  den  angelsächsischen 
Ländern.  Eigentlich  ist  es  eine  Wissenschaft,  wenn  auch  ihr  Urheber 
gleichen  Namens  in  Amerika  ein  Metalldreher,  also  reiner  Praktiker  war. 
Von  ihm  sind  vier  Hauptsätze  aufgestellt:  1.  Die  Leiter  eines  Betriebes 
(Fabrik,  Werkstätte,  kaufmännischer  Betrieb)  entwickeln  für  jedes  Ele- 
ment der  Tätigkeit  ein  System  der  günstigsten  Leistung.  2.  Danach  er- 
folgt eine  Auslese  der  Kräfte,  die  geschult  und  besonders  belehrt  werden. 
3.  Die  Leitung  geht  stets  Hand  in  Hand  mit  den  Arbeitern.  4.  Es  erfolgt 
eine  Teilung  von  Arbeit  und  Verantwortung  zwischen  den  Leitern  und 
Arbeitern.  Diese  vier  Sätze  sind  nun,  wie  jedem  Kenner  der  objektiven 
Philosophie  gleich  auf  den  ersten  Blick  einleuchtet,  nichts  anderes  als  die 
Einführung  der  objektiven  Philosophie  In  das  Industrielle  und  kauf- 
männische Leben.  Die  uns  wohlbekannten  Gesetze  von  Funktion,  Opti- 
mum, Selektion  und  kleinstem  Kraftmaß  werden  hier  gelehrt  —  der  prak- 
tische Geschäftsbetrieb  wird  „blologlslert'',  d.  h.  In  einen  Organismus 
verwandelt,  für  den  auch  die  Gesetze  des  Organischen  gültig  sind.  Nur 
ist  das  alles  erst  unvollkommen,  beiläufig  erfahren  und  nur  halb  durch- 
gedacht und  muß  Widerspruch  finden  und  tatsächlich  zur  platten  Mecha- 
nisierung und  Ausbeutung  führen,  die  man  ihm  vorgeworfen  hat,  wenn  man 
nicht  auch  die  Gesetze  der  Integration,  der  übereinander  geordneten  Stufen 
der  Arbelt  und  das  der  Harmonie  zwischen  den  einzelnen  Teilen  In  die 
Betriebe  einführt,  die  erst  deren  Organisation  auch  organisch  und  damit 
auf  die  Dauer  fruchtbar  und  erträglich  machen.  Wohl  konnten  die  Tay- 
lorianer  darauf  auch  jetzt  schon  verweisen,  daß  durch  ihre  Methode  eine 
bestimmte  Arbeit  (Materialverladen)  von  täglich  12  Tonnen  Leistung  auf 
47  Tonnen  gesteigert  und  auf  diesem  Leistungsniveau  auch  durch  drei 
Jahre  hindurch  erhalten  werden  konnte.  Und  welcher  Unternehmer  könnte 
der  Wucht  solcher  Argumente  widerstehen?  Es  ist  daher  nur  selbst- 
verständlich, daß  diese  Methode  alsbald  (seit  1909)  in  verschiedene  ameri- 
kanische Staatsbetriebe  eindrang  und  maßloses  Aufsehen  in  der  Welt  der 
praktischen  Menschen  erregte. 

Das  System  behauptet  von  sich,  in  100  Punkten  wohltätig  für  die 
Arbeiter  zu  wirken.  Und  tatsächlich  konnte  sein  Urheber  —  der  26  Jahre 
Erfahrung  für  sich  in  Anspruch  nahm  — ,  als  er  sein  Verfahren,  das  er 
als  Steigerung  von  12  veränderlichen  Funktionen  ausprobierte,  auf  das 
Problem  der  Stahlschnittgeschv/indigkeit  anwandte,  sofort  eine  Erfindung 
(Schnelldrehstahl)  machen,  die  eine  Umwälzung  im  Werkzeugmaschinenbau 
mit  sich  brachte.  Andererseits  wendeten  die  amerikanischen  Gewerkschaften 
auch  ebenso  100  Punkte  ein,  die  gegen  das  System  sprachen,  von  denen 
z.  B.  wichtigere  sind:  dieses  Arbeitsverfahren  mechanisiere  die  Menschen 
noch  mehr,  als  es  mit  der  Industrialisierung  ohnedies  unvermeidlich  sei, 
das   Bonussystem    (Teilnahme   der   Arbeiter   an   den   Erträgnissen)    verleite 

250 


die  Schaffenden  zu  einem  Raubbau  an  ihrer  Kraft,  das  Taylorsystem  sei 
unverträglich  mit  dem  „gewerkschaftlichen  Geist",  es  werde  auf  diese 
Weise  bald  keine  Facharbeiter  mehr  geben  und  dergleichen  mehr.  Uns 
ist  es  ganz  selbstverständlich,  woher  diese  Vorzüge  und  unleugbaren 
Nachteile  (wenn  auch  die  obigen  Einwände  nicht  in  allem  stichhaltig  sind) 
des  gegenwärtigen  Taylorsystems  rühren.  Es  war  für  den  objektiven 
Denker  von  vornherein  zu  erwarten,  daß  jemand,  der  mit  den  Prinzipien 
der  Funktion  und  der  aus  ihnen  folgenden  Gesetze  an  irgendein  Schaffen 
herantritt,  darauf  sofort  vom  Glück  des  biotechnischen  Erfinders  be- 
günstigt sein  muß.  So  ging  es  uns  selbst,  und  so  muß  es  jedem  gehen, 
der  im  Geiste  der  objektiven  Philosophie  an  die  Dinge  und  die  Technik 
herantritt. 

Ebenso  selbstverständlich  aber  ist  es  auch,  daß  ohne  die  Einführung 
der  Harmonie  zwischen  den  Leistungen,  zwischen  Arbeiter  und  Leiter, 
Arbeitnehmer  und  Arbeitgeber  es  gerade  durch  die  Steigerung  und  Opti- 
malisierung  gewisser  Leistungen  zu  einer  immer  krasseren  Einseitigkeit 
und  Belastung  kommen  muß  und  die  Betriebe  ihr  Optimum  als  Ganzes 
nie  erreichen  können.  Erstaunlicherweise  hat  noch  niemand,  trotzdem  die 
Gedanken  der  objektiven  Philosophie  nun  schon  seit  einiger  Zeit  aus- 
gesprochen sind  (im  besonderen  in  dem  in  technischen,  also  mit  dem 
Taylorsystem  hervorragend  vertrauten  Kreisen  in  Tausenden  von  Exem- 
plaren verbreiteten  Werk  über  die  technischen  Leistungen  der  Pflanzen), 
bemerkt,  daß  das  ganze  Taylorsystem  nichts  als  eine  elementare  und  noch 
unvollkommene  Anwendung  der  objektiven  Philosophie  auf  die  Industrie, 
im  weiteren  Sinn  auf  die  menschliche  Arbeit  ist.  In  dem  Augenblick,  in 
dem  man  diesen  Zusammenhang  herausfinden  wird,  hat  man  auch  das 
Mittel  in  der  Hand,  um  die  Nachteile,  die  diesem  Arbeitssystem  anhaften, 
und  die  daher  zum  Teil  nicht  ohne  Recht  erhobenen  Einwände  gegen  seine 
jetzige  Art  zu  beseitigen,  indem  man  das  Wichtigste:  die  Harmonisierung, 
zu  diesem  System  der  Selektion  und  Ökonomie  hinzufügt.  Aus  der  objek- 
tiven Philosophie  wird  man  es  lernen,  daß  nicht  nur  die  Glieder  jedes 
Betriebes  in  einer  Enharmonle  stehen  müssen  (siehe  hierüber  das  folgende 
Kapitel),  sondern  auch  diese  selbst  in  Harmonie  zum  Volks-  und  dadurch 
zum  Weltganzen.  Erst  dann  ist  das  organische  Arbeitssystem,  denn  so  und 
nicht  nach  dem  Zufallsnamen  einer  ersten  praktischen  Einführung  sollte 
man  es  nennen,  vollendet  und  wird  restlos  auf  dem  Gebiet  der  Arbeit  den 
Begriff  des  Optimums  erfüllen  und  die  Hoffnungen  wahrmachen,  die  man 
darauf  gesetzt  hat."2) 

Es  hätte  weder  des  Scharfsinnes  eines  Taylor  noch  erst  des  Auftretens 
der  objektiven  Philosophie  bedurft,  um  zu  diesem  Resultat  zu  kommen, 
wenn  man  nur  auf  den  so  einfachen  Gedanken  verfallen  wäre,  sich  aus 
der  Biotechnik  des  Organismus  das  Vorbild  der  Arbeitseinrichtungen  zu 
nehmen.  Im  besonderen  ist  wieder  die  Pflanze  eine  ideale  Verkörperung  des 

251 


Taylorismus  ohne  seine  Nachteile,  so  daß  man  schon  von  diesem  Gesichts- 
punkt aus  jeden  Unterricht  in  der  kaufmännischen,  technischen,  staats- 
vvissenschaftlichen,  sozialen,  überhaupt  organisatorischen  Praxis  mit  einer 
genauen  Kenntnis  der  Organisation  der  Pflanze  und  Tiere  beginnen  müßte. 
Die  Pflanze  kennt  z.  B.  nur  normalisierte  Leistungen,  d.  h.  das  Optimum 
der  Arbeitsformen.  Alles  in  Energie  und  Materialverbrauch  (also  Leistung 
und  Spesen)  vollzieht  sich  in  ihr  nach  dem  Gesetz  des  geringsten  Wider- 
standes. Das  Bonussystem  ist  in  Gestalt  der  funktionellen  Auslese  (bessere 
Ernährung  der  besser  Arbeitenden)  automatisch  wirksam,  und  —  was  bei 
dem  Taylorsystem  der  Menschen  als  einer  Blüte  des  menschlichen  Egoismus 
nicht  der  Fall  ist  —  in  idealer  Weise  kommt  in  der  Pflanze  jede  Mehr- 
leistung der  Einzelbetriebe  der  Gesamtheit,  also  dem  Staate  zugute. 

In  der  Pflanze  sieht  man  dem  Verhältnis  zwischen  Arbeiter  und  Leiter 
nicht  so  gut  auf  den  Grund  wie  im  tierischen  Organismus.  Dort  aber  er- 
kennt man  sehr  wohl,  wie  die  Leiter  stets  im  Einvernehmen  mit  den 
Arbeitern  tätig  sind  und  in  einer  streng  durchgeführten  Arbeitsteilung  mit 
verteilten  Kompetenzen  und  unbedingtem  Gehorsam  wirken.  Wer  nicht 
arbeitet,  wird  im  Organismus  ausgesperrt  und  verhungert  unbedingt.  Nur 
in  einer  Beziehung  unterscheidet  sich  das  System  des  Organismus  von  dem 
Taylors.  Statt  Auslese  tritt  in  ihm  die  Vererbung  in  Funktion.  Man  wird 
im  Betrieb  von  Pflanze  und  Tier  in  den  Beruf  hineingeboren.  Seinerzeit  — 
im  Zunftzwang  —  kannte  das  auch  die  menschliche  Arbeitsorganisation;  es 
wird  des  ernstlichsten  Nachdenkens  würdig  sein,  hierüber  neuerdings  im 
optimalen  Sinne  zu  einem  Entscheid  zu  kommen.  Jede  Leistung  wird  in 
Teilarbeiten  zerlegt  und  jede  dort  ausgeführt,  wo  die  günstigsten  Erzeu- 
gungsbedingungen sind.  Und  schließlich:  wie  günstig  die  Räume,  die  Auf- 
stellung der  Maschinen,  wie  optimal  das  Werkzeug  der  organischen  Betriebe 
ist,  das  wurde  im  Abschnitt  über  die  Biotechnik  (vgl.  Seite  80)  genugsam 
ausgeführt  und  ist  aus  der  Betrachtung  der  Abbildungen  16,  17,  20,  24, 
27,  28,  30,  31,  33,  34,  44,  70  besser  zu  erkennen,  denn  aus  vielen  Worten. 

Handel  und  Industrie  haben  also  mit  ihren  Schritten  zu  einem  organischen 
Arbeitssystem  begonnen,  das  Gesetz  des  Optimums  durch  das  der  Kraft- 
ersparnis zu  erfüllen.  Wann  wird  nun  die  gesamte  Zoesis,  wann  endlich 
sogar  die  Kultur  ihr  Taylorsystem  errichten?  Das  ist  die  Lebensfrage  der 
Kulturmenschheit  von  heute,  namentlich  die  der  tief  gesunkenen  und  durch 
die  Ereignisse  von  1914  bis  1920  an  den  Rand  des  Unterganges  ge- 
brachten Völker  Europas.  Wenn  im  Hochgefühl  des  Schaffens  in  diesem 
Werk  wiederholt  darauf  hingewiesen  wurde,  daß  die  objektive  Philosophie 
die  Kraft  in  sich  fühlt,  die  Welt  zu  erneuern  und  aus  der  Verstrickung  des 
Leides  zu  lösen,  so  ist  es  nun  durchsichtig,  woher  sie  diese  Überzeugung 
nimmt,  und  welche  Wege  sie  dafür  angeben  kann.  Einer  ihrer  ersten  Rat- 
schläge ist  es,  zunächst  einmal  das  gesamte  praktische  Leben  und  dann  die 
Geistigkeit  im  Sinne  des  Optimum-  und  Okonomiegesetzes  durchzuorgani- 

252 


sieren.ios)  Das  ist  die  erste  Vorbedingung,  um  auch  nur  zu  den  materiellen 
Grundlagen  einer  wahren  Zivilisation  zu  kommen,  welche  erst  die  Plattform 
bilden  kann  für  den  Bau  einer  Kultur,  von  welcher  —  ich  mache  kein  Hehl 
aus  meiner  Überzeugung  —  wir  heute  weiter  entfernt  sind  denn  in  ver- 
gangenen Zeiten. 

Hier  zeigt  die  objektive  Philosophie  den  Weg,  um  herauszufinden  aus 
dem  Barbarischen.  Barbarei  ist,  das  Gute  sehen  und  es  nicht  anerkennen 
(Goethe).  Das  führt  zu  dem  zerstörenden  Materialismus  der  heutigen  Welt- 
gesinnung, 

Wenn  irgendwie,  so  kann  nur  auf  diese  Weise  der  Aufstieg  zu  einem 
neuen  Idealismus  (vgl.  Bd.  I  S.  203)  wieder  begonnen  und  dem  Sinnlosen 
des  Daseins  neuer  Sinn  gegeben  werden.  Das  ökonomische  Denken  ist  die 
Weltanschauung  der  Teleologie  und  damit  die  der  triumphierenden  Geistig- 
keit über  die  sinnlose  Materie. 


Anmerkungen  und  Zusätze 

90  (Zu  S.  232).  Vgl.  /.  Kant,  Kritik  der  Urteilskraft.   (Ausgabe  von  1790,  S.  266.) 

91  (Zu  S.  232).  ibid.  Einleitung  S.  20,  wo  die  lex  parsimoniae  als  Sentenz  meta- 
physischer Weisheit  zitiert  wird.  „Dieser  transcendentale  Begriff  einer  Zweckmäßig- 
keit der  Natur  ist  nun  weder  ein  Naturbegriff  noch  ein  Freiheitsbegriff,  weil  er  gar 
nichts  dem  Objekte  (der  Natur)  beilegt,  sondern  nur  die  einzige  Art,  wie  wir  in  der 
Reflexion  über  die  Gegenstände  der  Natur  in  Absicht  auf  eine  durchgängig  zusam- 
menhängende Erfahrung  verfahren  müssen,  vorstellt,  folglich  ein  subjektives  Prin- 
zip (Maxime)  der  Urteilskraft  (S.  22)". 

92  (Zu  S.   232).  Das   Hamilton'schc  Prinzip  lautet: 

Wenn  T  die  kinetische  und  U  die  potentielle  Energie  irgend  eines  mechanischen 
Systems  ist,  dann  findet  die  Bewegung  so  statt,  daß  die  Variation  des  zwischen  den 
Zeitpunkten  ti  und  tj  erstreckten  Integrals  für  alle  Nachbarbewegungen  verschwindet, 
minimal  wird,  die  für  ti,  tj  gegebene  Lagen  haben. 

Die  enorme  Bedeutung  dieses  Prinzips  geht  daraus  hervor,  daß  durch  seine  For- 
meln sich  alle  physikalischen  Grundgesetze  darstellen  lassen.  In  ihm  eingeschlossen 
liegt  auch  bereits  die  gesamte  Relativitätstheorie  von  Einstein,  weshalb  eine  spätere 
Zeit  eigentlich  Hamilton  das  Verdienst  hieran  zuschieben  wird.  Als  Beweis  hierfür 
haben  Planck  u.  a.  die  Gesetze  der  Einstein'schen  Mechanik  mit  Hilfe  des  Hamilton'- 
schen  Satzes  von  der  kleinsten  Wirkung  formuliert. 

93  (Zu  S.  232).  Das  d'Alemberi'sche  Prinzip  deckt  sich  mit  dem  von  Gauss  erson- 
nenen  Prinzip  des  kleinsten  Zwanges,  das  lautet: 

Ein  Punktsystem  bewegt  sich  stets  so,  daß  der  Zwang  für  die  wirkliche  Bewegung 
in  einem  beliebigen  Zeitpunkt  (t)  kleiner  ist,  als  für  alle  anderen  virtuellen  Bewe- 
gungen, die  im  gleichen  Moment  dieselben  Koordinaten  und  Geschwindigkeiten  haben. 

Vgl.  in  der  Encyclopaedie  der  mathematischen  Wissenschaften  Bd.  IV  den  Artikel 
von  Nass,  Die  Prinzipien  der  rationellen  Mechanik. 

253 


94  (Zu  S.  233).  Vgl.  R.  Avenarius,  Philosophie  als  Denken  der  Welt  gemäß  dem 
Prinzip  des  kleinsten  Kraftmaßes.  Leipzig  1876  und  E.  Mach,  Die  Analyse  der 
Empfindungen.   7.  Aufl.   Jena.   1918. 

95  (Zu  S.  233).  Vgl.  H.  Driesch,  Mein  System  und  sein  Werdegang  in:  Die  deut- 
sche Philosophie  der  Gegenwart  in  Selbstdarstellungen,  herausg.  von  O.  R.  Schmidt. 
I.  Bd.  Leipzig.  1921.  S.  56.  „Ich  schaue  gewisse  —  nämlich  die  „euklidischen"  — 
Urbeziehungen  im  Rahmen  des  Neben  als  ordnungsendgültig;  sie  sind  das  nament- 
lich deshalb,  weil  sie  die  .sparsamsten*  sind." 

96  (Zu  S.  238).  Vgl.  S.  Schwendener,  Das  mechanische  Prinzip  im  anatomischen 
Bau  der  Monokotylen.  Leipzig  1874.  —  G.  Haberlandt,  Entwicklungsgeschichte  des 
mechanischen  Gewebesystems  der  Pflanzen.    Leipzig  1879. 

97  (Zu  S.  244).  Vgl.  F.  M.  Feldhaus,  Die  Technik  der  Vorzeit.  Leipzig  1914.  S. 
690  u.  ff. 

98  (Zu  S.  246).  R.  Avenarius,  Philosophie  als  Denken  der  Welt.  Leipzig  1876. 
S.  111. 

99  (Zu  S.  247).  Mach,  Analyse  der  Empfindungen.  S.  46. 

100  (Zu  S.  247).  Vgl.  /.  Fr.  Fries,  Neue  oder  anthropologische  Kritik  der  Ver- 
nunft.   2.  Aufl.   Heidelberg  1828. 

101  (Zu  S.  249).  Vgl.  F.W.Taylor,  The  Principles  of  Scientific  Management. 
(In  deutscher  Obersetzung  von  R.  Rösler.   München  1919.) 

102  (Zu  S.  251).  Natürlich  sind  gewisse  und  zwar  jene  Vorzüge,  die  sich  aus  ziel- 
bewußter Selektion  der  Funktionen  ergeben,  auch  jetzt  schon  von  größerem  Nutzen 
ohne  Nachteile.  So  z.  B.  wenn  durch  optimale  Aufstellung  der  Maschinen  im  Sinne 
des  organischen  Arbeitssystems  in  den  Heeresbetrieben  eine  20 o/o  Leistungssteigerung 
erzielt  wurde  (Vgl.  dazu  übrigens  die  optimale  Aufstellung  der  Lichtkraftmaschinen 
im  Lager  der  Lebermoose  auf  Abb.  34,  überhaupt  die  Ökonomie  jener  Einrichtungen.) 

103  (Zu  S.  253).  Bestrebungen  in  dieser  Richtung  sind  in  der  Philosophie  W.  Ost- 
walds, aus  der  z.  B.  seine  neue  Farbenlehre  hervorgegangen  ist,  und  in  der  leider 
an  der  Ungunst  der  Verhältnisse  gescheiterten  Bewegung  der  „Brücke",  der  Grün- 
dung des  hochbegabten  Schweizers  K.  W.  Bührer  zu  sehen,  von  diesen  namentlich 
die  letztere,  die  eine  reine  Anwendung  des  Ökonomiegedankens  (Brückenarchiv  der 
Kultur)  darstellt  (Vgl.  K.  W.  Bührer  und  A.  Saager,  Das  Brückenarchiv.  München 
1920)  und  ganz  sicher  heute  oder  morgen  seine  Wiederauferstehung  feiern  muß. 
Ich  kann  nicht  umhin,  der  Brückenmethode  —  in  die  ich  durch  ihren  Begründer  selbst 
eingeführt  worden  bin  —  diesen  Zoll  der  dankbaren  Anerkennung  zu  entrichten, 
denn  ohne  sie  wäre  es  mir  gar  nicht  möglich,  das  Werk  der  objektiven  Philosophie 
auch  nur  rein  äußerlich  zu  schaffen. 


254 


Das  Harmoniegesetz 


Definition  des  Harmoniegesetzes  —  Unterschied  von  optimal  und  harmonisch  — 
Das  Kennzeichen  der  Harmonie  ist  unbegrenzte  Dauer  —  Analyse  des  Harmoniebe- 
griffes —  Geschichtlicher  Abriß  seiner  Erkenntnis  —  Pythagoras  und  Leonardo  da 
Vinci  —  Der  goldene  Schnitt  und  der  Kanon  des  Polyklet  —  Der  Sinn  des  Harmonie- 
gesetze? —  Das  Harmoniegesetz  im  physikalisch-chemischen  Geschehen  —  Die  harmo- 
nische Schwingung  —  Harmonie  der  Töne  —  Molekulare  Harmonie  —  Chemische 
Harmonie  —  Die  Disharmonie  der  Materie  zeigt  sich  als  chemische  Änderung  (Dis- 
harmonie der  Atome)  und  Kraftwirkung  (Disharmonie  der  Moleküle)  —  Die  Har- 
monie im  Kristallbau  und  in  der  Geometrie  —  Die  Harmonie  (Gleichgewicht)  der 
Wärme  —  Harmonie  als  Ausgleich  —  Ihr  Mittel:  der  Kreislauf  —  Kosmischer  Kreis- 
lauf —  Die  Harmonie  des  Himmels  —  Das  Gleichgewicht  der  Erdschollen  —  Der 
Planetenkreislauf  —  Kritik  der  Entropie  —  Der  Kreislauf  der  Luft,  des  Wassers  — 
Sein  ist  stets  ein  Kreislauf  —  Beispiele  —  Der  Kreislauf  des  Stickstoffs,  des  Eisens, 
des  Kalkes,  der  Kohlensäure,  der  Kieselsäure,  des  Sauerstoffes  —  Kreislauf  der 
Energie  —  Alle  Beziehungen  müssen  wiederkehren,  sonst  wären  Gesetze  nicht  mög- 
lich —  Die  Harmonie  im  Organismus  —  Dreifache  Harmonie  im  Organischen  —  Das 
organische  Schönheitsideal  —  Intrazellulare  Harmonie  —  Die  Kernrelation  —  Die 
Regulationen  als  harmonokline  Funktionen  —  Regeneration  als  Wiederherstellung 
der  Harmonie  —  Anpassung  als  Harmonoklise  —  Hormone  als  Mittel  der  Harmono- 
klise  —  Hungerformen  und  Altersformen  —  Das  Korrelationsphänomen  —  Die  Er- 
scheinungen der  Morphallaxis  —  Die  Artenzahl  der  Organismen  als  harmonoklines 
Phänomen  —  Der  Kreislauf  des  Lebens  —  Biocoenosen  —  Der  Ausgleich  der  Faunen 
und  Floren  durch  Wanderung  —  Die  Tier-  und  Pflanzenvereine  —  Harmonische 
Vereine  —  Der  Wald  als  harmonokliner  Verein  —  Die  Harmonie  als  biologisches 
Endstreben  —  Das  Harmoniegesetz  des  Organismus  als  Ursache  der  harmonoklinen 
Selektion  in  der  Erkenntnis  —  Herstellung  der  Harmonie  als  Weltprozeß  —  Die 
Harmonie  im  praktischen  Leben  —  Erleben  als  Ausgleichserscheinung  —  Unser  Stre- 
ben nach  dauernder  Eingliederung  der  Einzelerlebnisse  in  den  Bios  zwingt  zur  Har- 
monisierung dieser  Erlebnisse  —  Daher  Harmonie  das  oberste  und  Endgesetz  aller 
Erkenntnis  —  Anmerkungen  und  Zusätze. 

Unsere  Analyse  des  Seins  beginnt  sich  zu  vollenden.  So  sehr  wir  es 
aber  auch  durchgepflügt  haben  nach  allen  denkbaren  Gesichtspunkten,  nichts 
fanden  wir,  was  so  charakteristisch  und  ausschlaggebend  für  das  Wesen  des 
Seins  ist,  als  daß  es  „ist".io*)  Zu  dem  Begriff  des  denkbaren  Seins  gehört 
untrennbar  der  des  „Daseins",  und  der  ist  ohne  eine  zeitlich  irgendwie  um- 
grenzte Dauer  nicht  denkbar.  Das  Ideal  des  Seins,  also  in  der  Sprache 
älteren  philosophischen  Denkens:  das  absolute  Sein  muß  daher  überhaupt 
stabil  sein,  unbegrenzte  Dauer  besitzen. 

255 


Dieser  Begriff  der  unbegrenzten  Dauer  ist  uns  aber  in  unserer  Analyse 
des  Erlebens  noch  nicht  entgegengetreten.  Genügt  es  denn,  damit  etwas 
ganz  und  stabil  sein  kann,  daß  es  irgendeiner  Integrationsstufe  angehöre? 
Nein;  das  Integrationsgesetz  hat  offenbar  mit  der  Sicherung  der  Dauer 
nichts  zu  tun.  Ebensowenig  die  Tatsache,  daß  ein  Sein  „Funktionen"  be- 
sitzt, und  daß  es  nach  dem  kleinsten  Kraftmaß  beschaffen  sei.  Erst  in  der 
Betrachtungsreihe,  als  wir  die  Erlebnisse  daraufhin  untersuchten,  wie  sie 
der  Selektion  widerstehen,  begegnete  uns  der  Begriff  der  Dauer  zunächst 
als  ein  Differentialbegriff.  Wir  haben  die  Tatsache  der  Selektion  aus  denen 
der  verschiedenen  Dauer  abgeleitet  und  gefunden,  daß  die  aus  der  Selektion 
hervorgehenden  Optima  relativ  gegenüber  den  anderen  Möglichkeiten  die 
längere  Dauer  besitzen.  Eine  unbegrenzte  Dauer  kommt  eben  optimalen 
Seinszuständen  —  wie  in  Bd.  I  S.  81  ausführlich  auseinandergesetzt  wurde 
—  nur  in  dem  einen  Fall  zu,  wenn  sie  zugleich  eine  absolute  Harmonie 
darstellen.  Dieser  Begriff  wurde  des  öfteren  gebraucht,  hat  aber  noch 
nicht  seine  Analyse  gefunden.  Mit  ihr  soll  daher  dieser  letzte  Abschnitt 
beginnen,  der  durch  die  Erörterung  des  obersten  der  Weltgesetze  dies  Werk 
vollendet. 

Was  soll  unter  einer  Harmonie  in  weltgesetzlichem  Sinn  verstanden 
werden?  Offenbar  ein  Verhältnis  des  Seins  entweder  in  der  Gestalt,  daß 
durch  die  Harmonie  das  Verhältnis  eines  Einzelseins  zu  dem  Gesamtsein 
oder  das  der  Teile  innerhalb  eines  Ganzen  geregelt  wird.  Eine  Entität,  die 
hiefür  in  Frage  kommt,  hat  nur  zwei  Möglichkeiten.  Sie  ist  entweder 
homogener,  einheitlicher  Natur  oder  ein  komplexes  System.  Im  ersteren 
Fall  stellt  ihre  Harmonie  jene  Beziehung  dar,  durch  die  sie  innerhalb  der 
Welt  (oder  des  Biosganzen)  im  Gleichgewicht  bleibt  und  ihr  Dauerverhältnis 
erreicht.  Wenn  es  sich  dagegen  um  ein  komplexes  System,  also  eine  Viel- 
heit aus  ungleichartigen  Teilen  handelt,  dann  sind  zwei  Arten  von  Harmonie 
möglich:  eine  intrasysiemale,  welche  die  Beziehungen  der  Teile  im  Sinne 
der  Dauerhaftigkeit  regelt,  und  eine  extrasystemale,  durch  die  sich  das 
System  zur  Umwelt  dauerhaft  einstellt. 

Es  ist  offenbar,  daß  die  homogenen  Entitäten  nur  die  extrasystemale 
Harmonie  kennen.  Ihre  Harmonie  besteht  in  einer  Beschaffenheit,  welche 
der  Zerstörung  durch  die  Umwelt  widersteht.  In  beiden  Fällen  aber  muß 
die  Harmonie  einem  und  demselben  Gesetze  folgen,  so  daß  sich  eine  ge- 
sonderte Betrachtung  der  beiden  Harmoniearten  erübrigt.  Sie  stimmen  im 
wesentlichen  darin  überein,  daß  Harmonie  ein  Verhältnis  innerhalb  einer 
Mannigfaltigkeit  ist.  Ohne  Mannigfaltigkeit  ist  keine  Harmonie  möglich. 
Allerdings  braucht  sich  die  geforderte  Vielheit  nur  auf  eine  Zweiheit  zu 
beschränken.  Andererseits  ist  Harmonie  ohne  den  Begriff  der  Umgrenzung 
nicht  zu  denken.     Das  Maßlose  ist  darum  ein  innerer  Widerspruch  zum 

256 


Harmonischen.  Eine  Regelung  der  Teile  ist  nur  innerhalb  einer  Endlich- 
keit denkbar.  Darum  sind  auch  alle  harmonischen  Wesen,  also  z.  B. 
Kristalle  oder  Organismen  als  „Individuum"  gestaltet,  d.  h.  in  ihrem 
Wachstum  begrenzt.  Aus  diesem  Satz  folgt  übrigens,  daß  wenn  das  Welt- 
all als  harmonisch  gestaltet  angenommen  werden  soll,  es  auch  als  endlich 
angenommen  werden  muß,  was  sich  mit  neueren  Vorstellungen  der  kos- 
mischen Physik  bekanntlich  sehr  wohl  deckt  (vgl.  Bd.  I  S.  85). 

Welcher  Art  aber  kann  die  Regelung  der  Mannigfaltigkeiten  durch  das 
Harmoniegesetz  sein?  In  der  alten  Definition  der  Harmonie  durch  Philo- 
laus,  den  Pythagoräer,  steckt  bereits  ein  Hinweis  darauf,  trotz  des  darin 
sich  äußernden  mythischen  Denkens  wohl  kenntlich,  wenn  er  sagt:  „Aus 
Streitendem  und  Entgegengesetztem  besteht  das  Seiende,  und  darum  hat  es 
billig  Harmonie  in  sich;  denn  Harmonie  ist  des  Vielgemischten  Einheit  und 
des  Zwieträchtigen  Zusammenhang."  Oder  wenn  in  der  wichtigsten  aller 
Harmonielehren,  der  des  Pythagoras,  immer  wieder  betont  wird,  daß  in  den 
Naturerscheinungen  vernünftige  Ordnung,  Zusammenstimmung  und  Gesetz- 
mäßigkeit walte,  weshalb  sie  in  Maß  und  Zahl  ausgedrückt  werden  könnten. 

Aus  diesen  Definitionsversuchen  leuchtet  bereits  hervor,  wie  auch  aus  der 
modernen,  allerdings  ins  bloß  Ästhetische  verflachten  Definition,  wonach 
Harmonie  die  wohlgefällige  Übereinstimmung  der  Teile  eines  zusammen- 
gesetzten Ganzen  sei,  daß  es  sich  dabei  um  ein  statisches  und  nicht  um  ein 
dynamisches  Verhältnis  handeln  kann,  um  ein  Maßverhältnis  der  Teile,  das 
Stabilität  hervorruft,  also  nichts  anderes  als  ein  Mittel  zur  Herstellung  von 
Gleichgewicht  sein  kann. 

Harmonie  erscheint  mithin  als  ein  zur  Stabilität  befähigender  Ausgleich 
der  Teile  oder,  vielleicht  noch  konziser  gesagt,  als  ein  Gleichgewicht  der 
Relationen  und  bewirkt  daher  Ruhe  (Stabilität).  Damit  ist  auch  das  Ver- 
hältnis von  Harmonie  und  Optimum  geklärt.  Denn  es  ist  mit  ausgedrückt, 
daß  Harmonie  ein  Verhältnis  von  Teilen  eines  Systems  sei,  die  dadurch 
zu  ihrem  Optimum  kommen,  wodurch  auch  das  Optimum  des  ganzen 
Systems  angenähert  wird.  Harmonie  ist  eine  Bedingung  des  Optimums, 
aber  nur  aus  den  Beziehungen  optimaler  Teile  zueinander  kann  jene  höchste 
Harmonie  entstehen,  welche  die  absolute  Dauer  und  damit  das  vollständige 
Sein  gewährleistet.  In  diesem  Sinn  ist  also  die  Dauer  nicht  so  sehr  ein 
Kennzeichen  des  Optimums  als  der  Harmonie. 

Alle  diese  Vorstellungen  haben  sich  dem  menschlichen  Denken  schon 
längst  aufgedrängt,  und  es  ist  überaus  kennzeichnend,  daß  jenes  bemerkens- 
werte sechste  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung,  mit  dem  überall  auf 
Erden  eine  wahre  Epoche  der  Erkenntnis  begann,  gleich  mit  dem  ersten 
Aufdämmern  philosophischer  Selbstbesinnung  der  Menschheit  den  Harmonie- 
gedanken bescherte,  der  sie  trotz  aller  Wandlungen  und  dem  Verfall  der 
Philosophie  bis  heute  nicht  mehr  verlassen  hat,  sich  sogar  zu  einem  der 
grundlegenden  Begriffe  der  Lebensgestaltung,  wenigstens  in  der  Kunst  ent- 

Franci.  Bios  11  " 

257 


wickelte  seit  jenem 
Kanon  des  Polyklet 
(Abb.  113),  der,  immer 
wieder  verloren  und 
immer  wieder  entdeckt, 
die  Menschheit  von  den 
Griechen  bis  Leonardo 
da  Vinci  und  den  Re- 
naissancekünstlern mit 
unsterblichen  Werken 
bereicherte,  inzwischen 
gewandelt  auf  die  Mu- 
sik übersprang  und 
durch  sie  allen  zerstö- 
renden Mächten  des 
Lebens  ein  Gegenge- 
wicht hält,  das  sogar 
der  heutigen  Verwü- 
stung des  Menschen- 
tums gegenüber  sich 
hoffentlich  bewähren 
wird,  bis  die  Philo- 
sophie des  harmoni- 
schen Lebens,  welche 
die  objektive  Philo- 
sophie so  recht  eigent- 
lich ist,  so  weit  Wur- 
zel gefaßt  und  Verbrei- 
tung gefunden  hat,  daß 
sie  ihr  mit  Erfolg  zu  Hilfe  an  die  Seite  treten  kann.  Dieser  „goldene 
Schniä",  der  dem  griechischen,  von  Leonardo  wiederentdeckten  Kanon 
zugrunde  liegt,  lautet  in  seiner  bekanntesten  Form:  Harmonisch  sei  das 
Verhältnis  der  Teile,  wenn  der  kleinere  Teil  zum  größeren  sich  ebenso 
verhalte,  wie  dieser  zum  Ganzen.^^^) 

Angeblich  entsprachen  an  der  Statue  des  Doryphoros  des  Polyklet  die 
menschlichen  Proportionen  diesem  Maßverhältnis  ^o«),  jedenfalls  diente  diese 
Statue  in  edelster  Harmonie  vielen  Generationen  von  Künstlern,  die  das 
Ideal  der  Antike  hochhielten,  als  „Kanon",  der  freilich  in  der  Linie:  praxi- 
telische  Schule  bis  Thorwaldsen,  Canova  und  den  Nazarenern  zu  einer 
Kurve  der  Verflachung  wurde,  während  er  in  der  Baukunst  (z.  B.  Verhält- 
nis bei  Türen  und  Fenstern,  angemessen  der  menschlichen  Proportion,  da- 
her mit  ihr  harmonisch)  und  im  Kunstgewerbe  (recht  naheliegend  auch  in 
den  Formaten  von  Schriftstücken  und  Büchern),  überhaupt  als  „biologisches*" 


Abb.  113.  Der  Kanon  der  Proportionen  des  menschlichen  Körpers. 
Idealer  Bau  eines  Mädchens,  das  den  „Goldenen  Schnitt"  in  allen 
Körpermaßen  verwirklicht.  Man  beachte  im  besonderen  das  Verhältnis 
von  Beinen,  Abdomen,  Thorax  und  Kopf,  sowie  die  Arralänge.  Nach 
O.    Fritsch. 


258 


Format  in  allem,  was  mit  dem  Menschen  zusammenhängt,  seine  Bedeutung 
bis  heute  unverändert  behalten  hat  und  für  alle  Zeiten  auch  behalten 
wird.io')  Eine  der  großen  Konstanten  des  Seins  (gleich  der  Oravitations- 
konstante  usw.)  ist  darin  gegeben,  die  sich  auch  in  zahllosen  Verhältnissen 
der  Natur  wiederfindet  und  schon  dadurch  unwiderleglich  beweist,  daß 
ihr  eine  Notwendigkeit,  sowohl  in  den  menschlichen  Proportionen,  wie 
außerhalb  dieser  zugrunde  liegt  und  nicht  eine  ästhetische  Konvention,  wie 
es  die  geläufige  Auffassung  des  Harmoniebegriffes  voraussetzt.  Die  objek- 
tive Philosophie  sieht  diese  Notwendigkeit  in  der  Dauerhaftigkeit  der 
harmonischen  Formen  und  Verhältnisse.  Um  es  gleich  vorweg  zu  nehmen: 
ihr  Denken  mündet  in  der  Hypothese,  daß,  wenn,  wie  hier  behauptet  wird, 
die  harmonische  Beziehung  aus  allen  Teilen  des  Weltsystems  hervor- 
leuchtet, sie  auch  dem  Ganzen  eignen  müsse,  da  doch  die  Teile  eines  Ge- 
samtsystems nur  dessen  Gesetze  wiederholen  (Konsequenz  des  Integrations- 
satzes vgl.  Bd.  \  S.  260).  Es  ist  also,  wenn  das  Erstere  zutrifft,  die  An- 
nahme möglich,  daß  Harmonie  gewissermaßen  der  Sinn  der  Welt,  der 
Endzweck  des  Weltprozesses  sei,  um  dadurch  ihre  Dauer  zu  erreichen. 
Mit  anderen  Worten,  das  Sein  ist  für  uns  ohne  Harmonie  nicht  denkbar. 

Zunächst  sei  im  Verfolg  dieses  Gedankens  daran  erinnert,  daß  die  har- 
monische Beziehung  durchgängig  die  gesamte  Mechanik  durchzieht.  Alle 
Bewegungen,  die  zur  Bildung  stabiler  Systeme  führen,  zeigen  immer  ein 
bestimmtes  Verhalten  nach  einem  Bewegungsprinzip,  das  die  klassische  Me- 
chanik in  die  Formel  gekleidet  hat,  daß  jedes  freie  materielle  System 
seinem  Ausgleich  zustrebe,  worunter  sich  die  Statik  nichts  anders  als  eine 
Gleichgewichtslage  vorstellen  kann.  In  ihr  halten  alle  Kräfte  des  Systems 
einen  Zustand  aufrecht,  durch  den  das  freie  System  keine  Beschleunigung 
mehr  erleidet,  oder,  wenn  die  Teile  Bewegung^^n  ausführen,  in  dem  seine 
Kräfte  in  solcher  Weise  aufeinanderwirken,  daß  die  durchschnittliche  Ge- 
schwindigkeit jedes  Teiles  dann  konstant  bleibt,  wofür  die  Bewegungen  am 
Himmel  als  anschaulichstes  Beispiel  dienen  mögen. 

Es  ist  ein  allgemeines  mechanisches  Gesetz,  daß  jede  Reaktion  (sei 
sie  nun  chemischer  oder  physikalischer  Natur),  die  in  einem  geschlossenen 
Gesetz  vor  sich  geht,  zu  einer  Konfiguration  des  Gesetzes  führt,  die  sich 
nicht  weiter  verändert,  sondern  einen  stationären  Zustand  neuer  gegen- 
seitiger Zuordnung,  den  man  im  Gleichgewicht  befindlich  oder  harmonisch 
nennen  kann,  bedeutet.  Das  ganze  chemisch-physikalische  Geschehen  oder, 
weiter  gefaßt,  alles  mechanische  Geschehen  ist  demnach  harmonoklin. 
Die  einfachsten  Experimente  zeigen  das  sofort.  Man  hänge  ein  Ge- 
wicht an  einen  Gummifaden.  Er  wird  dadurch  gedehnt.  Beide  Systeme  be- 
schleunigen sich,  aber  der  Prozeß  endet  mit  einem  Ausgleich,  durch  den 
Faden  und  Gewicht  zur  Ruhe  gelangen.  Alle  Systeme  streben  ihrem  har- 
monischen Ausgleich  zu.  Das  Prinzip  der  Trägheit  erhält  sie  vor  der 
Störung  stationär,  das  Minimumprinzip  regelt  nach  der  Störung  den  Aus- 

17* 

259 


gleich  selektiv  auf  dem  kürzesten  Wege  und  führt  zu  neuer  Harmonie  der 
Teile.^°^)  Es  ist  daher  selbstverständlich,  daß  wir  im  gesamten  Weltprozeß 
überall  die  Anbahnung  harmonischer  Verhältnisse  wiederfinden  müssen.  Es 
ist  also  nicht  des  Beweises  halber,  sondern  nur  der  Erläuterung  und  An- 
schaulichkeit zuliebe,  wenn  wir  nun  hiefür  einige  Beispiele  vorerst  aus  dem 
anorganischen   Naturgeschehen   suchen. 

Zunächst  sei  da  auf  die  schon  ausführlich  behandelte  (S.  17  und  Abb,  57) 
harmonische  Schwingung  als  einen  der  häufigsten  aller  Weltprozesse  ver- 
wiesen, der  durch  die  Schwingungen  der  Luft  auch  die  Ursache  der  musika- 
lischen Harmonie  ist,  deren  Empfinden,  wenigstens  im  Kreise  der  Pytha- 
goräer,  der  Ursprung  des  Harmoniegedankens  überhaupt  war,  wie  sie  denn 
auch  heute  noch  eigentlich  die  einzige  harmonische  Beziehung  ist,  welche 
jedermann  bekannt  und  sinnenfällig  ist. 

Die  Töne,  hervorgerufen  durch  die  elastische  Schwingungen,  die  dem- 
nach das  Gesetz  der  harmonischen  Funktion  erfüllen,  demonstrieren  dem 
Empfinden  alle  Gesetze  des  Harmonischen  und  Disharmonischen  im  Sinne 
von  Ausgleich  und  Störung  so  vollkommen,  daß  die  musikalische  Kunst 
von  je  das  hervorragendste  Demonstrationsmittel  war,  um  das  harmonische 
Weltgesetz  in  die  Seelen  eingehen  zu  lassen.  Der  Ausdruck  „Harmonie" 
hat  in  der  Sprache  der  Musikwissenschaft  den  Sinn  erhalten,  daß  man  in 
ihm  die  Vereinigung  mehrerer  Töne  zu  einem  Akkord  sieht,  also  Schwin- 
gungen, die  sich  für  unser  Tonempfinden  gewissermaßen  die  Wagschale 
halten,  während  die  pythagoräische,  überhaupt  die  griechische  Harmonie, 
nur  ein  Ausdruck  für  die  Tonleiter  selbst  war.  Allerdings  ist  damit  nichts  Ein- 
deutiges gegeben,  da  die  musikalische  Harmonie  sowohl  im  Gegensatz  zur 
Disharmonie  jeden  Zusammenklang  bedeuten,  wie  den  engeren  Sinn  der 
Konsonanz  haben  kann  (Durakkord,  Mollakkord).  In  allen  Fällen  aber 
wirken  harmonisch  zueinander  nur  die  Töne,  die  im  Verhältnis  des  goldenen 
Schnittes  zueinander  stehen,  so  daß  auch  hier  das  allgemeine  harmonische 
Weltgesetz  der  ganzen  Erscheinung  zugrunde  liegt. 

Im  Sinne  von  Gleichgewicht  und  Störung  wirkt  auch  das  Harmoniegesetz 
im  Gleichgewichtssatz  der  Wärme  (Theorie  von  Prevost),  der  besagt, 
daß  ein  Körper,  der  sich  in  einem  luftleeren,  für  Strahlen  undurchlässigen 
Gefäß  befindet,  durch  Absorption  der  ihm  von  dieser  Hülle  zugesandten 
Strahlung  ebensoviel  Wärme  erhält,  als  er  gleichzeitig  durch  Strahlung 
verliert.  Es  wird  sich  also  seine  Temperatur  ohne  Störung  von  außen 
niemals  ändern  können.  Er  befindet  sich  in  einem  beweglichen  Temperatur- 
gleichgewicht. Hievon  ging  bekanntlich  Kirchhoff  mit  seinen  Absorp- 
tionsforschungen absolut  dunkler  Körper  aus,  die  zur  heutigen  Quanten- 
theorie geführt  haben. 

Das  Harmoniegesetz  ist  es  auch,  dem  die  chemischen  Verbindungen  un- 
terliegen, wenn,  wie  z.  B.  in  dtr  Benzolringformel  deutlich  wird,  eine  gegen- 
seitige vollständige  Bindung,  also  ein  Gleichgewicht  der  Bestandteile  vor- 

260 


Abb.    114.     Diu   drei   üra/icu.     Aiis^rhnitl    .in^    dem    Oomiilcii,'   von   Kran/    Bartliolomaii^ 
van   Doiiven.    ücmiildeualerie  Cassel 


1 


banden  ist.  Die  chemische  Umsetzung  ist  dann  die  Aufhebung  einer  durch 
den  Hinzutritt  neuer  Atome  entstandenen  Disharmonie,  so  wie  auch 
Kraftwirkung  als  eine  Disharmonie  in  dem  Zusammenhang  der  Mole- 
küle aufgefaßt  werden  kann,  die  sich  auf  diese  Weise  den  Ausgleich 
schafft.  Die  Kapillarkraft  läßt  sich  auch  so  verständlich  machen,  daß 
man  sagt,  wenn  das  Wasser  in  einem  Streifen  Fließpapier  aufsteigt,  fin- 
det eine  gegenseitige  Beschleunigung  zwischen  dem  Papier  und  Wasser 
statt,  die  aufhört,  wenn  die  Wirkung  der  beiderseitigen  Kräfte  sich  auf- 
hebt. Beide  Systeme  sind  in  ein  harmonisches  Verhältnis  getreten,  sie 
haben  ihren  Ausgleich  gefunden.  Ein  solches  harmonisches  Verhältnis  der 
Moleküle  zueinander  liegt  im  Kristallbau  vor.  Daß  die  Flächen  des- 
selben Kristalls  und  alle  Kristalle  derselben  Art  miteinander  nach  dem 
Zonengesetz  (vgl.  Bd.  I  S.  126)  im  Verbände  stehen,  beruht  ebenso  wie 
das  Parameter gesetz  darauf,  daß  sich  die  Moleküle  in  den  Kristallen  in 
einem  bestimmten,  unveränderlichen  Gleichgewicht  halten,  das  eben  bei 
Störungen,  z.  B.  nach  einem  Bruch,  unter  geeigneten  Umständen  auch  wie- 
der hergestellt  wird. 

Diese  Gesetzmäßigkeit  des  dauerhaften  Ausgleiches  einer  Mannigfaltig- 
keit kehrt  dann  in  der  Welt  der  Beziehungen  bis  ins  größte  wieder.  Sie 
ist  es,  die  sowohl  hinter  der  Reihe  der  musikalischen  Obertöne  (vgl.  S.  244) 
wie  auch  hinter  der  Titius-Bode'schen  Reihe  der  Planeten,  letzten  Endes 
hinter  dem  Pythagoräismus  in  allen  seinen  Auszweigungen  steckt,  da  sie  den 
von  Pythagoras  ersonnenen  Ausdruck  Kosmos  als  den  eines  durch  Gesetze 
zu  einer  Dauer  beführten  Naturganzen  rechtfertigt. 

Im  Kosmos  ist  das  Prinzip  des  Ausgleiches  in  großartigster  Weise  ge- 
geben, und  gerade  hier  wird  in  seiner  Betrachtung  auch  das  vornehmlichste 
Mittel  dieses  Ausgleiches  offenbar,  durch  das  sich  die  Dauer  der  Welt  vom 
Größten   bis  ins   Kleinste  erhält. 

Dieses  Mittel  ist  der  Kreislauf.  An  vielen  Stellen  ist  er  uns  in  den 
bisherigen  Betrachtungen  schon  entgegengetreten,  denn  er  ist  unver- 
kennbar in  jedem,  auch  dem  oberflächlichsten  Erleben.  Ausgesprochen 
ist  er  nicht  nur  in  den  Bewegungen  der  Gestirne,  sondern  auch  in  zwei  so 
großartigen  und  allgemeinen  Phänomenen,  daß  man  sie  lange  noch  nach 
ihrer  Entdeckung  für  die  wichtigsten,  grundlegenden  aller  Naturgesetze  ge- 
halten hat,  während  sie  in  Wirklichkeit  nur  Kundgebungen  des  einen 
großen  Harmoniegesetzes  sind. 

Gmeint  sind  das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Materie  und  das  der 
Erhaltung  der  Energie  (vgl.  S.  7),  die  tatsächlich  den  gesamten  Welt- 
prozeß bestimmen.  Was  sind  sie  beide  als  eine  stete  Harmonoklise,  ge- 
eignet, eine  ununterbrochene  Gleichgewichtsverteilung  herzustellen,  durch 
die  die  Dauer  des  Weltphänomens  gewahrt  wird?  In  Erscheinung  treten 
sie  als  Entwicklung  und  Änderung  in  den  Formen  der  Selektion  und 
des   kleinsten    Kraftmaßes,   ferner   als   zahllose   Kreisläufe,   denen    nachzu- 

261 


forschen  nicht  nur  das  größte  praktische  Bedürfnis  besteht,  sondern  auch 
ein   unbeschreibliches   Vergnügen   bereitet. 

Wäre  die  Entwicklungshypothese  in  den  Formen  geblieben,  in  denen 
sie  schon  im  Jahre  1852  auftrat,  als  sie  von  H.  Spencer  begründet 
wurde,  dann  wäre  sie  in  den  Augen  der  Menschen  stets  als  ein  Aus- 
gleichsvorgang erschienen  (wie  sie  neuestens  von  der  Biologie  wieder 
aufgefaßt  wird),  dazu  bestimmt,  das  gestörte  Gleichgewicht  wieder  herzu- 
stellen und  dem  Sein  das  Beharrungsvermögen  zu  sichern.^o^)  Von  den 
Kreisläufen  sind  die  kleineren,  wie  sie  in  diesem  Werk  schon  gelegentlich 
betrachtet  wurden,  die  des  Wassers  (Bd.  I  S.  175),  der  Atmosphäre  (Bd.  I 
S.  156),  des  Sauerstoffes  (Bd.  I  S.  148),  der  Kieselsäure  (Bd.  I  S.  166). 
des  Kalkes  (Bd.  I  S.  167),  des  Eisens  (Bd.  I  S.  171),  des  Stickstoffs 
(Bd.  I  S.  149),  so  anziehend  und  wichtig  sie  für  das  praktische  Leben 
in  hundert  Beziehungen  auch  sein  mögen,  doch  nur  untergeordnet  gegen 
das  wunderbare  Phänomen  der  höchsten  Harmonie,  die  sich  in  dem 
steten  Kreislauf  aller  Materie  und  Energie  des  gesamten  Kcfsmos  aus- 
spricht, was  ganz  eigentlich  in  summa  das  Phänomen  aller  Phänome, 
der  Weltprozeß  selber  ist. 

Hier  ist  die  Rechtfertigung  des  ndvTa  öei  des  Heraklit  und  des 
tiefsinnigen:  „Alles  ist  dauerlos"  der  buddhistischen  Lehre.  Die  Einwen- 
dungen, die  man  gegen  diese  Überzeugung  ausgesprochen  hat,  als  sie 
namentlich  von  dem  deutschen  Philosophen  K-  Du  Prel,^^^)  der  für  die 
objektive  Philosophie  auch  als  einer  der  Vorläufer  der  Biotechnik  von 
Bedeutung  ist,  verfochten  wurde,  sind  durch  die  neueren  Einsichten,  wie 
sie  namentlich  Sv.  Arrhenius  in  seinem  „Werden  der  Welten"  verwertet 
hat,  gegenstandslos  geworden. 

Es  ist  „ein  ewiger  Kreislauf  der  natürlichen  Weltordnung"  gegeben  da- 
durch, daß  die  kalten  und  dunklen  Nebel  die  entwerteten  Energien  spei- 
chern und  wieder  in  aktive  Energie  rückverwandeln.  Die  unheilvolle  Pro- 
phezeiung der  Entropie  (vgl.  Bd.  I  S.  78)  hat  nicht  jenen  Grad  von 
Gewißheit  erreicht,  daß  sie  als  Gegengewicht  ausgespielt  werden  könnte, 
und  die  Einwände,  die  Arrhenius  und  E.  Zermelo  gegen  den  vermeintlichen 
Wärmetod  des  Universums  erhoben,  sind  immer  stichhaltiger  geworden,  da 
nicht  daran  zu  zweifeln  ist,  daß  sich  erstens  alle  Energie  im  Sonnen- 
stadium zwar  entwertet,  aber  im  Nebelstadium  ebenso  verbessert,  zweitens 
alles  Geschehen  rhythmisch  wiederholt.  In  dem  wahrnehmbaren  Ge- 
schehen zeigt  sich  allerdings  die  Irreversibilität,  die  Tendenz  einseitiger 
Richtung,  die  man  in  dem  Satz  ausdrückte,  daß  jedes  System  seinem 
wahrscheinlichsten  Zustand  zustrebe  (Bolizmann).  Aber  man  bedenke  doch, 
daß  damit  doch  nur  das  Harmoniegesetz  in  anderer  Form  konstatiert  ist, 
wenn  die  absolute  Harmonie  als  die  absolute  Dauer  angesehen  wird.  Die 
Entropie  wäre  dann  ein  Aufhören  der  Harmonie  ohne  eine  Kraft  von  außen, 
eine  an  sich  unvorstellbare  Vorstellung. 

262 


Dagegen  zeigt  sich  die  Harmonie  als  das  gesetzmäßig  sich  erhaltende 
und  regierende  Gleichgewicht  unverkennbar  durch  direkte  Beobachtung  im 
Weltsystem.  Die  bekannten  „Störungen"  (vgl.  Bd.  I  S.  17)  gleichen  sich 
immer  wieder  aus,  und  namentlich  die  Unregelmäßigkeiten  der  Erden-  und 
Mondbahn  kehren  immer  zum  „harmonischen  Mittel''  zurück.  Das  Son- 
nensystem führt  nur  Schwankungen  um  einen  stabileren  Zustand  aus,  wenn 
auch  dieser  erst  eine  zeitweilige  und  noch  nicht  die  unbedingte  Harmonie 
darstellt,  die  eben  erst  dem  Weltsystem  als  solchem  eignet. 

So  wie  sich  in  einem  bewegten  System  jedem  seiner  Teile  diese  Bewe- 
gung mitteilt  und  in  einem  Belebten  die  Lebensfunktion  auch  den  kleinsten 
Elementen  des  Systems  zukommt,  so  muß  aber  dann  in  einem  relativen  Sinn 
aus  der  Gültigkeit  des  Harmoniegesetzes  für  das  Weltganze  das  gleiche 
auch  für  jeden  seiner  Teile  folgern.  Somit  können  auch  die  belebten 
Systeme  im  Kosmos  nicht  ohne  die  harmonische  Regelung  der  Beziehungen 
bleiben.  Und  so  ist  es  auch.  Der  Begriff  Leben  ist  von  dem  der  Harmonie 
untrennbar.  Alle  Eigentümlichkeiten  der  Organismen  beruhen  auf  einem 
Prinzip  der  inneren  Ordnung,  auf  einer  Enharmonie  (J.  Wiesner),  die  eine 
gegenseitige  Korrelation  der  Teile  so  streng  bestimmt,  daß  man  keinen 
von  ihnen  ändern  kann,  ohne  die  Änderung  der  anderen  nach  sich  zu  ziehen. 
Niemals  ändert  sich  durch  die  Anpassung  nur  ein  einziges  Merkmal,  son- 
dern, durch  die  Korrelation  festgelegt,  stets  ein  ganzer  Komplex;  es  erfolgt 
stets  so  lange  eine  Verschiebung  sämtlicher  Merkmale,  bis  wieder  der  Zu- 
sammenschluß aller  zu  einem  harmonischen  Ganzen  möglich  und  auch  er- 
zielt ist.  Abbildung  116  ist  hierfür  ein  ausgezeichnetes  Beispiel.  Darge- 
stellt ist  das  weibliche  Geschlechtsorgan  des  im  Darm  der  Hummeln  para- 
sitisch lebenden  Wurmes  Sphaerularia  bombi.  Dieser  Geschlechtsteil  ist 
enorm  hypertrophiert,  so  sehr,  daß  das  Tier,  dem  er  zugehört,  daran  nur 
wie  ein  Anhängsel  sitzt  und  erst  bei  genauerem  Zusehen  entdeckt  werden 
kann.  Eine  solche  abnorme  Vergrößerung  erfährt  eigentlich  nur  der 
Eierstock,  um  die  bei  der  gefährlichen  und  einseitigen  Lebensweise  nötige 
enorme  Zahl  von  Eiern  produzieren  zu  können.  Trotzdem  nehmen  kor- 
relativ an  der  Vergrößerung  auch  alle  möglichen  anderen  Zellen,  z.  B.  die 
Wandzellen  des  Eierstockes  teil,  die  Zelle  für  Zelle  ein  größeres  Volumen 
erreichen,  als  der  ganze  Wurm  überhaupt  erfüllt.  So  wird  das  vergrößerte 
Organ  doch  wieder  zu  einer  Einheit  zusammengeschlossen,  die  in  sich  ganz 
harmonisch  ist. 

Eine  streng  eingehaltene  Korrelation  macht  sich  schon  innerhalb  der 
Zelle  bemerkbar.  Das  Verhältnis  von  Bakterium  und  Geißeln  ist  auf  das 
Genaueste  abgewogen  (Abb.  115),  nicht  minder  interplasmatisch  das  von 
Zellgröße  und  Granulum  (vgl.  Bd.  I  Abb.  80),  vor  allem  aber  die  soge- 
nannte Kernrelation,  d.  h.  das  Verhältnis  zwischen  Plasma  und  Kernmasse, 
das  sich,  wenn  man  es  durch  eine  Amputation  stört,  oder  wenn  es  durch 
eine  Kernteilung  autonom  zerstört  wird,  immer  wieder  herstellt. 

263 


Es  ist  sehr  merkwürdig  und  verlockt  die  Phantasie  auf  Reisen,  daß  diese 
Regel  der  Einflußsphäre  des  Kernes  auf  das  Plasma  durchgängig  auch  auf 
den  verschiedensten  anderen  Integrationsstufen  wiederkehrt.  Man  denke  nur 
an  die  merkwürdige  Anziehungskraft,  die  eine  Stadt  auf  die  sie  umgebenden 
Dörfer  ausübt,  die  ihrer  „Einflußsphäre"  in  geschäftlichen,  sogar  oft  mo- 
dischen und  kulturellen  Beziehungen  unterworfen  sind.  Man  kann  hieran 
eine  ganz  merkwürdige  Anregung  knüpfen.  Ich  habe  berechnet,  daß  die 
Kernrelation  der  Pflanzenzellen  1:20,  1:24,  1:36  im  Durchschnitt  be- 
trägt und  nie  auf  größere  Werte  steigt.  Die  Einflußsphäre  der  Hauptstädte 
dagegen  umfaßt  das  ganze  betreffende  Land  und  überrascht  mit  den  Ver- 
hältnisziffern von  1:10  für  München,  1:13  für  Paris,  für  London  gar 
durch  1 : 7.  Die  modernen  Großstädte  sind  also  auch  in  diesem  Sinn 
ganz  und  gar  kein  Abbild  des  Organischen,  und  es  wäre  nun  zu  unter- 
suchen, ob  sich  darin  nicht  eines  ihrer  Hauptgebrechen  ausspricht.  Frühere 
Zeiten  waren  dieser  Überzeugung.  So  behauptete  der  bayerische  Historiker 
Westenrieder  in  seinen  Beiträgen  zur  vaterländischen  Historie  um  1800, 
daß  München  (das  damals  40  000  bis  50  000  Einwohner  als  Hauptstadt 
eines  Landes  von  einer  Million  Einwohner,  also  eine  „Kernrelation"  von 
1 :  25,  mithin  das  organische  Verhältnis  hatte)  in  Gefahr  sei,  bei  weiterem 
Wachstum  übervölkert  zu  werden.  Wie  er,  für  die  Denkungsart  der  dama- 
ligen Zeit  sehr  kennzeichnend,  sagt,  würden  bei  einer  Verschiebung  dieser 
Relation  zugunsten  Münchens  dort  die  Lebensmittel  teurer  werden  als 
im  Land  und  Bettler,  Wirte,  Musikanten,  Advokaten  (!),  Agenten  sich  zu 
sehr  vermehren. 

Es  wäre  im  Verfolg  dieses  Gedankens  auch  zu  untersuchen,  wie  sich  das 
Verhältnis  des  Elektrons  zu  seiner  Ladung,  das  der  verschiedenen  Kraftfel- 
der zu  ihren  Kraftzentren  usw.  verhält,  und  danach  könnte  die  hier  aufge- 
worfene Frage  nach  einem  Gesetz  der  Einflußsphären  wohl  beantwortet 
werden.  Ein  wunderbares  Beispiel  dieser  intrazellulären  Enharmonie  waren 
von  jeher  die  freischwebenden  Einzeller  des  Planktons,  aus  denen  E. 
Häckel  seine  leider  nur  zu  wenig  bekannt  gewordene  Galerie  von  „Kunst- 
formen der  Natur"  hauptsächlich  auswählte,  unter  ihnen  namentlich  die 
Kieselalgen  und  Radiolarien  (vgl.  Bd.  I  Abb.  37,  38,  89)  und  außer  ihnen 
die  Foraminiferen  (Bd.  I  Abb.  58).  Wie  harmonisch  zusammen  geschlossen 
sind  doch  in  einer  solchen /^o/ycj/s///?^- (Abb.  117)  oder  einer  Actinoptychus- 
schale  (Abb.  118)  alle  Elemente,  wie  ästhetisch  befriedigend  ist  das  Ge- 
samtbild dieser  wohlabgewogenen  Architekturen,  wenn  sie  auch  bis  in  die 
kleinsten  Einzelheiten  hinein  nur  von  dem  Ingenieur  als  Anpassungen 
an  Festigkeit  und  Leichtigkeit  verstanden  werden  können. 

Häckel  sprach  mit  der  an  ihm  so  liebenswert  anmutenden  philosophischen 
Phantastik,  die  sein  Denken  kennzeichnet,  von  einem  Kunsttrieb  des  Plas- 
mas, eine  Vorstellung,  mit  der  objektives  Denken  allerdings  nichts  zu  begin- 
nen weiß;  was  in  seiner  Seele  und  in  denen  der  Betrachter  dieser  Wunder- 

264 


=   :0 


Abb.   121.    Natürliche  Parklandschaft  aus  einem   süddeutschen 
Hochmoor 


Abb,  122.    Eine  Rasenbank  in  den  Kalkalpen  als  Beispiel  der  Verwirk- 
lichung des  Harmoniegesetzes  durch  die  Pflanzenwelt 

Die    Harmonie    drückt    sirh    aus    ini    Verhältnis  der    Ve.^etationsorganc    zu    den    Blüten, 
im  Verhältnis  der   Einzelpflanzen   zum  Standort,   in  dem  der  Pflanzen  zueinandtr,  im  Maß 

der  Rasciibank  zu  der  Kluft,  usw. 
Dargestellt  sind  in  der  Mitte  der  große  Enzian  (Gentiana  punctata).  Vor  diesem  blüht 
Edelweiß  (Onaphalium  Leontopodium),  vor  diesem  eine  alpine  Primel,  davor  hängen 
einige  Wedel  des  Alpenmilzfarnes  (Athyrium  alptstre^  herab.  Links  vom  entkeimt  der 
Felsspalte  eine  junge  Latsche  (Pinus  montana),  hinter  ihr  stehen  blühende  Alpenrosen 
(Rhododendron),  neben  ihnen  ein  Alpenhabichtskraut  (Hieracium),  hinter  ihnen  blühen- 
der Steinbrech  (Saxifraga).  Neben  dem  Enzian  nickt  eine  weiße  Anemone.  Von  der 
Felswand  kriecht  die  Alpenrebe  (Atragenc  alpina)  herab. 
Originalzeichnung    unter    Benützung    eines    Gemäldes    von    Th.    Pctter. 


265 


geschöpfe  immer  wieder  die  ästhetische  Freude  entzündet,  das  ist  eben 
die  Harmonie  solcher  Erscheinungen,  die  ja  freilich  aus  der  ganzen  Natur 
zum  Menschen  spricht  und  die  wahre  Ursache  ist,  warum  ihn  Natur  stets 
wieder  von  seinen  Einseitigkeiten,  Verranntheiten  heilt,  und  warum  ihr  An- 
blick schon  ihm  den  Frieden  und  innere  Erquickung  gewährt. 

Das  Problem  der  Natur  Schönheit  erscheint  durch  die  Erkenntnis  des  Har- 
moniegesetzes nun  plötzlich  als  Ganzes  in  anderem  Licht.  Es  wird  erläutert 
und  verständlich  als  ein  Verhältnis  der  Korrelationen.  Die  Harmonie  der 
Natur  wird  uns  als  ihre  Schönheit  fühlbar.  Woran  immer  das  Auge  des 
Naturfreundes  schwelgen  mag,  sei  es  der  Anblick  einer  jener  lieblichen 
Parklandschaften  (Abb.  121),  wie  sie  für  das  süddeutsche  Trockenmoor  so 
kennzeichnend  sind,  oder  das  entzückende  Hügelland  (Abb.  210),  bei  dessen 
Anblick  das  Herz  des  Europäers  so  recht  aufgeht,  da  gerade  in  ihm  sich 
der  ganze  Zauber  des  Wortes  Heimat  zur  Einheit  zusammenschließt,  oder 
sei  es  vor  der  Erhabenheit  des  reifen  Hochgebirges  der  Zentralalpen  (Abb. 
119),  die  nach  übereinstimmender  Erfahrung  der  Bergkenner  die  schönsten 
aller  alpinen  Bilder  bergen,  an  welchem  Einzelbild  dieser  großen  Mannig- 
faltigkeiten er  sich  nun  entzückten  Sinnes  verlieren  mag,  sei  es  die  dich- 
terische Anmut  einer  Schar  von  Alpenblumen  (Abb.  122)  oder  der  wunder- 
liche Formenreichtum  einer  Schneckensammlung  (Abb.  125  und  126),  stets 
fühlt  er  sich  gefesselt  von  etwas  nur  der  Natur  so  restlos  Eignendem,  das 
den  Menschenwerken  kaum  und,  wenn  ja,  dann  gerade  nur  den  Kunstwer- 
ken von  Ewigkeitswert  anhaftet,  nämlich  von  dem  Eindruck  einer  inneren 
Vollkommenheit  voll  gesetzmäßiger  Bestimmtheit.  Stets  bietet  der  Anblick 
eines  Naturgegenstandes  eine  Mannigfaltigkeit,  die  wieder  harmonisch  zur 
Einheit  zusammengeschlossen  ist.  —  Das  ist  es,  was  der  große  Künstler 
auch  erreichen  will  und  nur  in  seinen  begnadetsten  Schöpfungen  erreicht. 
Die  Korrelation  der  Teile,  seien  das  nun  die  Zacken  einer  Schneckenschale 
oder  die  Strahlenkronen  von  Blumen  oder  der  lichte  Schimmer  der  Firn- 
häupter gegen  das  starre  Eisengrau  der  Felswände  und  das  leuchtende 
Grün  der  Matten,  erfüllt  in  den  Naturbildern  stets  das  Harmoniegesetz,  es 
erzeugt  den  Eindruck  des  „Organismus"  und  bringt  der  Seele  dadurch  die 
Oberzeugung  bei,  die  Welt  sei  „wohlgeordnet",  sie  sei  ein  „Kosmos"  un- 
verbrüchlicher Beziehungen,  in  die  auch  er  eingeordnet  sei.  Und  daraus  ent- 
springt das  Beruhigende  aller  Naturbilder.  Natur  macht  auch  die  Seele  har- 
monisch; das  sich  in  sie  Einfühlen  bedeutet  Reibungslosigkeit  des  Teiles 
mit  den  anderen  Teilen,  denen  er  in  einem  Ganzen  zugehört.  Und  so  ist  der 
künstlerische  Eindruck  im  allertiefsten  Grunde  eigentlich  ein  metaphysi- 
scher, oder  wenn  man  es  religiös  ausdrücken  will:  es  ist  der  Anblick  der 
Gottheit  und  ergreift  darum  die  Seele  bis  in  ihrem  Innersten.  Doch  man 
täusche  sich  nicht:  Nicht  die  Natur  wiederholt  mit  ihrer  Harmonie  das 
Knnstgesetz,  sondern  die  Kunst  ahmt  biotechnisch  das  Gesetz  der  Natur 
nach,  indem  sie  die  verborgendsten  Urgründe  des  Seins  fühlen  lassen  kann 

266 


Abb.    123.     Der   Hohlenkafcr   Leptoderus   Hohenwartii,   ein   in  allen  Hohlen   lebendem,  blindes   Insekt 
aus    der    Adelsberger    Grotte,    ct\va    siebenfach    vergrößert.    Original. 

in  einer  Selektion  ihrer  Mittel,  die  es  dem  Beschauer  manchmal  leichter 
macht,  sich  in  ihrem  engeren  Kreis  dem  Empfinden  hinzugeben,  als  in  der 
überwältigenden  und  verwirrenden  Überfülle  des  natürlichen  Erlebens  selbst. 

Das  ist  letzten  Endes  auch  die  Ursache,  warum  die  einfachere  Landschaft 
(Abb.  121)  meist  ästhetisch  befriedigender  wirkt  als  die  heroische  (Abb.  119). 
warum  die  kleine  Mannigfaltigkeit  einer  bestimmten  Blumengruppe  (Abbil- 
dung 122)  die  Sinne  mehr  entzückt  als  der  Anblick  einer  ganzen  Wiese.  Ge- 
wiß erschöpfen  diese  wenigen  Andeutungen  noch  nicht  das  ganze  Gebiet 
der  ästhetischen  Wirkung  —  es  ist  hier  auch  nicht  der  Ort,  um  darauf  ein- 
zugehen — ,  aber  sie  seien  als  Unterlagen  für  eigenes  Denken  dargeboten, 
das  bald  erkennen  wird,  daß  die  wahren  Gesetze  des  künstlerischen  Schaf- 
fens und  des  Kunstgenusses  doch  nur  im  Erleben  gesucht  werden  können 
und  dann  den  Weltgesetzen  ebenso  Untertan  sind,  wie  auch  die  übrige 
Geistigkeit  des  Menschen. 

Diese  Korrelation  der  Teile,  die  nach  außen  hin  der  Seele  den  Eindruck 
des  Vollkommenen  gewährt,  ist  nun  in  jedem  Organismus  innerlich  die 
Grundbedingung  seines  dauernden  Seins.  Sie  ist  die  wahre  Ursache  der 
ungeheueren  Mannigfaltigkeit,  mit  der  die  Welt  des  Seienden  das  Auge 
blendet.  Dabei  ist  sie  keineswegs,  wie  man  in  der  Wissenschaft  allgemein 
glaubt,  auf  die  Organismen  beschränkt.  Auch  ein  Kristall  ist  durch  die  ihm 
innewohnenden  Gesetze  gezwungen,  auf  eine  in  einmal  festgelegter  Weise 
gebildete  Fläche  die  anderen  entsprechend  abzustimmen;  auch  eine  Flüssig- 


267 


keit  ist  genötigt,  auf 
Kräfte,  die  sie  angrei- 
fen, einheitlich  und  ge- 
setzmäßig zu  reagieren. 
Im  Organismus  frei- 
lich ist  dieser  Zusam- 
menhang angesichts  der 
tausend  Beziehungen, 
welche  die  kleinsten 
Teilchen  schon  anein- 
ander ketten,  beson- 
ders augenfällig. 

Stets  wird  durch  die 
Korrelation  der  ganze 
Organismus  gewisser- 
maßen in  allen  seinen 
Eigenschaften  umge- 
prägt. Der  auf  Bild  123 
wiedergegebene,  häu- 
fige blinde  Höhlenkäfer 
Lcpioderus  unterschei- 
det sich  von  dem 
Durchschnittstypus  sei- 
ner Gruppe  in  fast  al- 
len Merkmalen,  trotz- 
dem sich  in  seiner  Lebensweise  ihnen  gegenüber  nur  das  Einzige  geändert 
hat,  daß  er  nicht  zeitweise  wie  sie  dem  Lichte  entrückt  ist,  sondern  eben 
ständig  im  Dunkeln  lebt.  Ich  möchte  sagen,  daß  er  dadurch  zu  einer  öm- 
harmonisierung  gezwungen  worden  ist.  Er  ist  vollständig  zum  Tasttier  ge- 
worden, dessen  ganze  Körpergestalt,  im  besonderen  dessen  Kopf  und  erstes 
Thoracalsegment,  dessen  Fühler  und  Beine  nun  total  umgestaltet  und  in 
Ausgleich  mit  den  Anforderungen  der  neuen  Lebensweise  gebracht  sind. 
Wie  sich  diese  korrelative  Anpassung  als  Ausgleich  stets  von  Fall  zu  Fall 
richtet,  kann  sehr  lehrreich  an  einem  Beispiel  studiert  werden,  das  in  Ab- 
bildung 124  wiedergegeben  ist.  Es  handelt  sich  um  den  den  Zierfisch- 
züchtern neuerdings  sehr  bekannten  Blattfisch  (Pterophyllum  scalare  C.  V.), 
der  im  Stromgebiet  des  Amazonas  lebt  und  als  überaus  schlechter 
Schwimmer  in  dem  Gewirr  der  dichten  Wasserpflanzen  in  seiner  Heimat  zu 
der  Anpassung  gezwungen  war,  blattartig  flach  wie  ein  Keil  sich  durch  die 
Lücken  des  Geblättes  schieben  zu  müssen.  Die  Enharmonie  forderte  dann, 
daß  nun  der  Zuschnitt  des  ganzen  Körpers  geändert  werden  müsse;  die 
Flossenstrahlen  sind  treppenförmig  angeordnet,  die  Bauchflossen  sind  völlig 
weich  und  überaus  verlängert,  so  daß  sie  im  Dickicht  leicht  nachgezogen 


Abb.    124.   Htcrophyllum   scalare,  ein   südamerikanischer  Aquariuinfisch. 
Näheres  siehe  unten.    Nach  der  Natur  gezeichnet. 


268 


Abb.  125.    Das  Ebenmaß  im  Bau  der  Scliiieckciitichäuse 

Man     versuche    aus    der    Regel    des    Goldenen     Schnittes    den     ästhetisch    befriedigenden    Anblick    dieser    Na- 
turgebilde   zu    verstehen.     1    Murex    hemispina.     2    Pteroccra    lambus.     3   Die   Variabilität    der   Tacheadcnge- 
häuse.     4   Cassis.     Originalaufnahme    von    Frau    Dr.    A.    Friedrich,    München 


Abb.  126.    Die  Schale  einer  Ranellaschnecke, 

ein  Musterbeispiel  ebenmäßiger  organischer 

Gestaltung 


Abb.  127.    Der  Schädel  des  Menschen 

Die  Verkörperung  des  Goldenen  Schnittes  in 
dem  Verhältnis  von  Stirn  und  animalischen 
Merkmalen,  Sinnesorganen  und  Qesamtbau, 
Preß-  und  Orientierungsorganen.  Man  beachte 
auch  die  Korrelation  der  Organe.  Nach  So- 
bottas   Atlas 


Abb.  128.  Skelett  des 
Oorilla  im  Vergleich 
zu  dem  des  Menschen 

In  dem  ersteren  spricht  sich 
die  einseitige,  auf  Muskel- 
kraft und  Klettern  gerichtete 
Anpassung    aus,    welcher    das 


Knochengerüst  harmonisch 
entspricht,  im  letzteren  die 
Anpassung  an  den  aufrech- 
ten Gang  (untere  Extremi- 
täten im  Vergleich  zu  den 
oberen),  dadurch  Verküm- 
merung des  Brustkorbes, 
dafür  allgemeine  Harmoni- 
sierung   in    der   Lebensweise. 


werden  können;  genau 
so  umgeändert  ist  auch 
die  Schwanzflosse,  so 
daß  durch  die  harmo- 
nische Umgestaltung 
das  kleine  Fischchen 
sich  mühelos  durch  das 
dichteste  Gewirr  hin- 
durchzudrücken ver- 
mag. Den  Gipfel  aller 
solcher  Umbildung  und 
desZusammenschlusses 
zu  neuen  enharmoni- 
schen  Einheiten  bewun- 
dert aber  die  Tier- 
kunde seit  altersher  in 
den  Staatsquallen  (Si- 
phonophoren),  von  de- 
nen einige  sehr  mar- 
kante Vertreter  auf  Ab- 
bildung 129  ihre  Fang- 
netze ausbreiten.  Die 
Gliederung  einer  sol- 
chen Tiergemeinschaft 
ist  aus  der  Legende  der 
Abbildung  ersichtlich 
und  verrät  allein  schon 
ein  erstaunliches  Maß 
von  Zusammenwirken, 
wie  es  sonst  nur  im 
geregelten  Betrieb  der 
Organe  bekannt  ist. 
Eine  solche  Gliederung 
in  Personen  ist  un- 
denkbar ohne  ein 
Gleichgewichtsgesetz, 
das  das  Ganze  regelt,  sowohl  im  Aufbau  wie  in  der  Funktion;  denn  eines 
muß  da  das  andere  ergänzen  und  auf  jedes  Einzelne  im  Wirken  des  Ganzen 
Bezug  nehmen.  Eine  solche  Korrelation  der  Teile  und  ihr  lückenloser  Zu- 
sammenschluß zu  einem  harmonischen  Ganzen,  wie  sie  namentlich  im  letzt- 
behandelten Beispiel  sich  unvergeßlich  einprägt,  ist  also,  wie  man  sieht, 
der  hervorstechendste,  allgemeinste  Charakterzug  des  Organismus.  Mit  den 
gewonnenen   Einsichten  im   Kopf  kehre  man  jetzt  einmal  zum   Kanon  der 


Abb.  12<J.  Staatsqualleii  (Siphoiiophoren)  als  Vertreter  organischer  üc- 
mciiischaftsbilduiig.  Links  die  Art  Dicolabe  quaJricata  aus  dem  Indi- 
schen Ozean,  rechts  Haiistemma  lergeslinam  aus  dem  Mittelmeer.  Beide 
verkleinert.  An  dem  Aufbau  dieser  Oemeinschaftsgebilde  nehmen  fol- 
gende „Personen"  teil:  Oben  regelt  ein  luftgefülltes  Individuum,  der 
Pneumatophor  (Luftkammer)  mit  den  darunter  zwei-  bis  mehrreihig 
angebrachten  Schwimmglocken  die  Schwimmfähigkeit.  Hierauf  folgt 
bei  Dicolabe  ein  Kranz  von  Tentakeln,  unter  denen  sich  die  nur  zur 
Fortpflanzung  dienenden  Individuen  (Ocnitaiträubchen)  befinden,  darun- 
ter wieder  Tentakeln,  die  der  Nahrunq;saufnahme  dienenden  FreRpoIvpcn 
mit  weitgeöffneter  Mundöffnung  und  ein  weitauigebreitetes  Netz  von 
Fangfäden  mit  Nesselknöpfen.  Hallistemma  ist  etwas  anders  zusam- 
mengesetzt. Unter  den  Schwimmglocken  sind  an  einem  spiralig  ge- 
wundenen Stamm  eine  große  Anzahl  von  Tastern,  schützenden  schild- 
förmigen Deckstücken,  urnenförmigen  Polypen  und  verzweigte  Senk- 
fäden mit  nesselnden  Köpfen  zum  Fangen  der  Nahrung  angebracht. 
Dazwischen  stehen  am  Stamm  nur  weibliche  kugelige  „Gemmen"  mit 
je  einem  Ei.  Andere  Stöcke  produzieren  nur  männliche  Individuen. 
(Originalzeichnung.) 


269 


menschlichen  Schönheit  zurück  (Abb.  114),  man  wird  nun  erst  bemerken, 
daß  zur  Harmonie  eines  Ganzen  unbedingt  die  Geltung  jedes  seiner,  auch 
des  geringsten  Teiles  dazugehört.  Was  darf  in  der  Körpergestaltung  des 
„schönen"  Menschen  fehlen,  ohne  daß  nicht  sofort  der  harmonische  Ein- 
druck unwiderbringlich  zerstört  wäre!  Deshalb  wirkt  ein  Verkrüppelter 
oder  Verstümmelter  unschön,  deshalb  sucht  das  Auge,  das  in  der  Beurtei- 
lung der  Harmonieverhältnisse  beim  anderen  Geschlecht  ungeheuer  geübt 
ist,  in  den  Zügen  und  Formen  einer  als  „schön"  geltenden  Frau  nach  der 
leisesten  Abweichung,  um  sie  als  Mangel  zu  empfinden.  Was  lebt  daher 
nicht  alles  als  Miederfabrikant,  Haarkünstler,  Schminkenerzeuger,  Schuh- 
macher und  Schneiderin,  Masseur  und  Arzt  von  dem  Beruf,  die  mangelhafte 
Harmonie  der  Teile  auszugleichen,  an  sich  eigentlich  ein  grotesker  Gedanke, 
der  aber  so  recht  zum  Bewußtsein  bringt,  wie  das  ganze  Leben  der  Men- 
schen nichts  als  ein  Dienst  vor  Gesetzen  ist,  die  sie  merkwürdigerweise 
gar  nicht  bewußt  kennen.  Sie  dienen  unsichtbaren  und  geheimen  Gottheiten 
im  Glauben,  etwas  anderes  zu  wollen,  als  was  sie  wirklich  tun. 

Die  Korrelation  der  Teile  ist  so  streng  gewahrt,  daß  der  französische 
Zoologe  Cuvier,  ihr  Entdecker,  das  Meisterstück  leistete,  aus  einzelnen 
Knochen  und  Bruchteilen  des  Knochengerüstes  tertiärer  Säugetiere,  deren 
ganze  Form  wieder  herzustellen  und  sogar  ihre  Lebensweise  vorherzusagen, 
eine  Prophezeiung,  die  sich  dann  an  späteren,  besser  erhaltenen  Funden 
bewahrheitete.  Von  dieser  Rekonstruktionskunst  macht  die  Paläontologie 
und  namentlich  die  Paläoanthropologie  heute  ganz  selbstverständlichen 
Gebrauch. 

Man  zögerte  nicht,  aus  einem  Bruchstück  eines  Schädeldaches,  einigen 
Zähnen  und  einigen  Schenkelknochen  sich  die  ganze  Gestalt  des  Pithe- 
canthropus  von  Java  vorzustellen  oder  aus  einem  Unterkiefer  (vgl.  Abb.  39) 
von  Heidelberg  einen  bestimmten  Typus  des  Urmenschen.  Tatsächlich  ist, 
wenn  man  das  Knochengerüst  des  Menschen  (Abb.  128)  oder  auch  nur 
seinen  Schädel  (Abb,  127)  von  diesem  Standpunkt  aus  betrachtet  —  von 
dem  aus  er  übrigens  der  Schönheit  nicht  entbehrt,  —  sein  Skelett  ein  lücken- 
loses Ganzes,  dessen  Teile  genau  so  ineinandergepaßt  sind,  wie  die  Glieder 
der  Frau  am  Kanon  der  Schönheit.  Wenn  auch  nur  eine  Einzelheit  anders 
wäre,  könnten  die  anderen  davon  nicht  unbeeinflußt  bleiben.  So  will  es 
das  Harmoniegesetz.  Und  so  ist  es  an  Mensch,  Tier,  Pflanze,  Zelle,  Kristall, 
Berg  und  Weltall  durchgeführt.  Namentlich  an  dem  Skelett  des  Gorilla 
auf  Bild  128  kann  man  sich  das  zur  festen  Überzeugung  einprägen.  Der 
gewaltige  Oberkörper  erfordert  ein  massiveres  Becken,  als  der  Mensch 
besitzt,  und  dementsprechend  wieder  kolossale  Oberschenkel.  Wer  nur 
einen  Femur  eines  solchen  Menschenaffen  sieht,  kann,  wenn  er  das  Har- 
moniegesetz des  Körperbaues  kennt,  dazu  niemals  einen  Menschen  rekon- 
struieren, so  wie  man  aus  einem  einzigen  Zahnloch  sich  ein  Bild  des  Kiefers 
und  von  diesem  eines  des  gesamten  Schädels  machen  kann  und  muß.    Und 

270 


Abb.    130.     Kretinöses   Kind    (nach   Virchow). 


das  gilt  für  jeden  beliebigen  Teil. 
Es  sind  daher  die  in  der  wissen- 
schaftlichen Literatur  im  Schwange 
gehenden  Wiederherstellungen  fos- 
siler Tiere  (vgl.  Abb.  61/62)  oder 
von  Urmenschen  nicht  Phantasie- 
produkte; sie  brauchen  es  wenig- 
stens nicht  zu  sein,  sondern  können 
sich  als  strengste  Wirklichkeit  ge- 
bärden. Der  sehr  bekannte  und 
sicher  ein  ziemliches  Maß  von 
innerer  Wahrheit  in  sich  bergende 
Versuch,  das  Antlitz  des  neander- 
taler  Europäers  von  den  Toten  zu 
erwecken  (Abb.  132),  ist  eine  der- 
artige Anwendung  des  Korrelations- 
gesetzes, deren  Einzelheiten  im 
Vergleich  zu  einem  Urmenschen 
der  Gegenwart  (Abb.  133)  nun  je- 
der verstehen  und  nachprüfen  kann, 
der  sich  im  Sinne  des  Obigen  in  diese  Abbildungen  vertieft. 

Seitdem  das  Wissen  das  erkannte,  bestand  die  Frage:  Wie  schafft  sich 
der  Körper  diese  unbedingt  gewahrte  Harmonie?  Das  wunderbare  Eben- 
maß, das  ebensogut  aus  dem  Kanonbild  wie  aus  dem  Skelett  spricht  und 
geradeso  für  den  Gorilla  wie  für  den  Triceratops  (Bd.  I  Abb.  81)  oder  den 
Menschen  gilt,  wenn  man  bei  jedem  nur  die  Funktionen,  denen  es  dienen 
soll,  bedenkt,  kann  nicht  gut  erst  das  Produkt  einer  Selektion  sein.  Der 
Organismus  kann  nicht  erst  disharmonisch  funktionieren  und  solange 
Schaden  erleiden,  bis  die  unzweckmäßigen  Formen  ausgemerzt  sind.  Er 
würde  das  mit  Krankheit  bezahlen,  so  wie  das  unglückliche  kretinöse  Kind, 
das  auf  Bild  130  nach  Ranke's  anthropologischem  Werk  wiedergegeben  ist. 
und  dessen  bejammernswerte  Unform  sofort  auch  in  dem  Nichtmediziner 
den  Eindruck  erweckt,  es  sei  krank. 

Es  war  eine  merkwürdige  Lösung  dieser  Frage,  als  sich  herausstellte, 
daß  die  Harmonoklise  der  Gestaltung  durch  bestimmte  Sekrete  sogenannter 
endogener  Drüsen  vermittelt  wird.  Bestimmte  Stoffe  (Hormone),  die 
neuerdings  auch  im  Pflanzenkörper  gefunden  worden  sind^^i),  regeln  das 
Wachstum  des  im  embryonalen  Zustand  disharmonisch  angelegten  Körpers 
im  Sinne  der  Harmonie  der  Teile;  es  sind  das  dieselben  Hormone,  die 
durch  die  Untersuchungen  des  österreichischen  Physiologen  E.  Steinach  als 
Regler  des  Alterns  so  viel  Staub  aufgewirbelt  haben.  Denn  auch  das  Alter 
hat  seine  Disharmonie,  wofür  ich  in  dem  Bilde  eines  117jährigen  Papageis 
(vgl.  Abb.  139),  ein  überzeugendes  Beispiel  vorlegen  kann.    Sie  wird  hint- 


271 


angehalten,  solange  bestimmte  Hormone,  die  eben  E.  Steinach  in  be- 
stimmten Zellen  der  Geschlechtswerkzeuge  sucht,  noch  abgesondert  werden. 
Der  Sitz  einer  solchen  harmonoklinen  Funktion  ist  z.  B.  auch  die 
Schilddrüse  des  Menschen,  weshalb  ihre  Entartung,  gemeinhin  als  Kropf 
bekannt,  sich  in  Störungen  der  körperlichen  Harmonie  auswirkt.  Auch 
der  Kretinismus,  für  den  Zwergwuchs,  Wasserköpfe,  eine  Disharmonie  der 
gesamten  Erscheinung  in  der  auf  Abbildung  130  wiedergegebenen  Weise 
die   Regel   sind,   scheint   nichts   anderes   denn   eine  Störung   der   harmono- 


Abb.  131.  Die  Regeneration  der  Triton-Linse.  I.  Schematischer  Schnitt  durch  das 
Tritonauge,  aus  dem  die  Linse  operativ  entfernt  ist.  t  der  Punkt,  an  dem  die 
Neubildung  einsetzt.  U.  Die  Neubildung  der  Linse.  (I)  durch  die  Umdifferenzie- 
rung  von  Zellen  der  Regenbogenhaut.  Ml.  Die  Abichiüruig  der  neuen  Linse 
(1)  erfolgt  erst  in  dem  Augenblick,  in  dem  sie  in  die  Augenhöhle  paßt. 
Nach    V/olff. 


klinen  Kräfte  des  Organismus  zu  sein  und  wird  dadurch  zu  einem  Zeugnis 
der  allgemeinen  Weltharmonie,  allerdings  zu  einem  von  erschütternder  Art. 
Es  kann  aber  die  Wohlgestaltung  des  Organismus  natürlich  nicht  von  der 
Existenz  gewisser  Drüsen  allein  abhängen;  diese  Fähigkeit  muß  vielmehr 
dem  Plasma  als  solchem  schon  innewohnen,  sonst  wäre  es  nicht  möglich, 
daß  sämtliche  Lebewesen,  auch  die  allereinfachsten,  ihr  Wachstum  durch- 
aus harmonoklin  ordnen,  ja  das  Bewirkende  muß  sogar  der  Materie  selbst 
innewohnen,  wie  der  harmonische  Bau  der  Kristalle  ebensogut  wie  der  des 
Weltalls  beweist.  Die  so  vielbewunderten  teleologischen  Leistungen  der 
Organismen  gelegentlich  der  Regeneration  sind  daher  in  dieser  Hinsicht 
doch  anders  anzusehen,  als  dies  bisher  geschah.  Die  Erörterung  von  zwei 
der  markantesten  Fälle  wird  das  sogleich  beweisen.  Der  erste,  den  ich 
hervorheben  will,  ist  in  der  biologischen  Literatur  zur  Berühmtheit  ge- 
worden.   Der  Schweizer  Anatom  G.   Woljf^^^)  ging  hiebei  von  folgender 

272 


Abb.  132.  Versuch  einer  Rekonstruktion  des  Menschen  vom 
Neandertal   (Homo  primigeniiis) 


Abb.    133.     Kopf    eines    Wcdda    von    Ceylon 

Die  Weddas  sind  Angehörig^e  der  primitivsten 

Menschenrasse 


Abb.    134.     Das    harmonische    Zusammenleben   der   Mitglieder 
in  dem  Waldverein 

Jeder   füllt   in   gegenseitiger  Anpassung  die   Lücl<en    des    Lebensraumes    aus,    die    ihm 
gelassen    sind.     In    den    Lichtinseln    des    Hochwaldes   machen   sich   Sträucher  breit,  da- 
zwischen    Kräuter,    darunter    Moose,    während     sich     das     Edaphon      auf    den     Boden 
selbst    beschränkt    und    des    Lichtes    kaum    mehr    bedarf.     Naturaufnahme 


Sachlage  aus:  Das  Auge  der  Wirbeltiere  besteht  im  wesentlichen  aus  zwei 
Teilen,  aus  dem  Augenbecher  und  der  Linse.  Die  letztere  bildet  sich  wie 
alle  Sinnesorgane  aus  der  Oberhaut  und  wird  allmählich  von  dem  Augen- 
becher umwachsen  (Abb.  131).  Wolff  schnitt  bei  einer  großen  Anzahl  von 
Jugendformen  des  gewöhnlichen  Molches  (Triton  taeniatus)  die  Linse 
sorgfältig  heraus  und  konnte,  indem  er  jeden  Tag  ein  Individuum  in  den 
aufeinanderfolgenden  Stadien  der  Regeneration  untersuchte,  den  Ablauf  der 
Wiederherstellung    lückenlos    feststellen.     Schon    binnen    24—48   Stunden 


Abb.    133.     Die    Morphallaxis    eines    Planariawurmcs.      Aus     herausgeschnittenen 
Teilen    regenerieren   neue  Tiere    stets   nach    den    Gesetzen    harmonischer   Gestal- 
tung.  Nach  Morgan. 


nach  der  Operation  (siehe  die  Abbildung)  änderte  sich  der  Augenbecher. 
Weiße  Blutkörperchen  verzehrten  eifrigst  den  schwarzen  Farbstoff,  mit  dem 
er  ausgekleidet  ist,  langsam  kehrte  er,  wie  man  das  auch  von  anderen  Rege- 
nerationsfällen weiß,  wieder  in  einen  Embryonalzustand  zurück.  Dann  be- 
begann an  der  Regenbogenhaut  eine  Zellvermehrung,  die  zu  einer  Neu- 
bildung der  Linse  führte,  und  zwar  genau  an  dem  einzigen  Ort,  der  geeig- 
net ist  zur  Aufnahme  einer  neuen  Linse.  Auch  erfolgte  deren  Abschnürung 
erst  in  dem  Augenblick,  in  dem  sie  die  Höhlung  für  sie  ganz  ausfüllt  und 
daher  richtig  sitzt.  Die  Linse  wird  demnach  in  voller  Harmonie  mit  dem 
physiologischen  Geschehen  neu  gebildet. 

Noch  vielsagender  ist  der  zweite  Fall,  der  zuerst  durch  die  amerikanischen 
Biologen  Morgan,  Ritter  und  Congdon^^^)  erforscht,  seitdem  wiederholt 
beobachtet  und  sichergestellt  worden  ist.  In  allen  stehenden  Gewässern 
leben  die  zierlichen,  kleinen  Strudelwärmer  (Turbellarien),  von  denen  ein 
Vertreter,  die  Gattung  Planaria  auf  Bild  135  dargestellt  ist.     Die  Regene- 


Franci.  Bios   H 


273 


ration  dieser  Tiere  ist  eine  vollkommene.  Man  kann  sie  gleich  einem  Süß- 
wasserpolypen oder  einem  Regenwurm  sozusagen  beliebig  in  Stücke  zer- 
schneiden und  erhält  aus  jedem  Teilstück  doch  wieder  ein  neues  Tier.  Nur 
ereignet  sich  hiebei  das  Merkwürdige,  daß  sie  nicht  so  sehr  durch  Zuwachs 
wieder  ihre  Vollständigkeit  erreichen,  wie  vielmehr  durch  Umgestaltung 
ihres  Inneren,  was  Morgan  als  Morphallaxis  bezeichnet.  Es  bildet  sich 
z.  B.  der  Schlund  bei  einem  solchen  Tierchen  nach  der  Operation  so  zurück 
wie  der  Augenbecher  der  Tritonen.  Aber  es  entsteht  dafür  ein  neuer 
Schlund,  dessen  Größe  genau  der  Harmonie  des  neuen  Gesamtkörpers  an- 
gepaßt ist!  Auch  die  anderen  Organe  passen  sich  bei  der  Neubildung  har- 
monisch den  geänderten  Verhältnissen  an,  so  daß  der  regenerierte  Wurm  das 
vollkommen  ebenmäßige,  jedoch  verkleinerte  Abbild  des  Ursprünglichen  ist 
(vgl.  die  Abbildung  135).  „Wie  wenn  sich  zuerst  die  Idealgestalt  des 
neuen,  kleinen  Wurmes  bilden  würde,  in  welche  sich  dann  der  alte  Körper- 
inhalt ergießt",  sagt  hierüber  H.  Driesch,  der  Leipziger  Philosoph. 

In  dem  wunderlichsten  Fall  dieser  Art  wurden  durch  die  Operation 
anderthalb  Strudelwürmer  veranlaßt,  sich  durch  Morphallaxis  zu  einem  um- 
zubilden. In  dem  Kopf  waren  Gehirn  und  Augen  bereits  entwickelt.  Die 
Augen  lösten  sich  auf  und  bildeten  sich  aufs  Neue  in  dem  Teil  des  Tieres, 
der  nun  dem  neuen  Kopf  entsprach.  Das  Qehirn  aber  wanderte  dorthin, 
wohin  es  das  Harmoniegesetz  im  Bauplan  der  Strudelwürmer  forderte. 
Jedenfalls  geht  aus  diesen  Tatsachen  hervor,  daß  die  Harmonoklise  dem 
Organismus  als  Ganzem,  dem  Plasma  an  sich  zukommt,  daß  jede  Anpassung 
unabhängig  von  Hormonen  und  Sonder  fähig  keilen  bereits  harmonoklin  ver- 
läuft. Es  hat  daher  Driesch  etwas  in  den  Gesetzen  der  Welt  Enthaltenes 
ausgesprochen,  wenn  er  in  den  Organismen  durchgängig  Harmonie  ver- 
körpert sieht  und  diese  von  dem  Biologischen  untrennbar  hält.  Sein  Begriff 
der  „Gottheit"  enthält  auch  den  der  davon  untrennbaren  Harmonie;  indem 
er  ihn  mit  dem  des  lebensfähigen  Individuums  gleichsetzt,  hat  er  sich  zu 
der  Gleichung  bekannt:    Lebendes  =  Harmonisches  System. 

Das  Lebensgeschehen  selbst  erscheint  so  als  eine  Kette  von  System- 
verschiebungen, die  man  verschieden  als  Regulationen,  Adaptationen,  Re- 
generationen benennt,  die  aber  insgesamt  nur  den  einen  Zweck  haben,  die 
Harmonie  dieses  Systems  zu  erreichen  und  immer  wieder  aufrecht  zu  er- 
halten. Dadurch  wird  die  Dauer  dieses  Systems  (des  Lebens)  gewährleistet; 
der  Tod  ist  das  Aufhören  dieser  Harmonie. 

Die  harmonische  Form  ist  demnach  nicht  nur  die  Dauerform,  sondern 
auch  die  optimale  technische  Form,  dadurch  die  „vollkommene  Erfüllung 
der  Wesenheit",  also  integrierend  für  den  Begriff  des  Seins.  Diese  Har- 
monie des  Organismus  besteht  aber  nicht  nur  für  das  Individuum  allein, 
sondern  es  regeln  sich  auch  die  Beziehungen  der  Individuen  zueinander 
nach  dem  harmonischen  Weltgesetz.  Die  Lebewelt  ist  tatsächlich,  wie  es 
auch  der  französische  Religionsphilosoph  Bergson  ausdrückt,  insgesamt  ein 

274 


harmonisches  Ganzes.  Es  spricht  viel  dafür,  in  der  maßlosen  Zersplitterung 
der  Lebensform  in  Gestaltungen  verschiedener  Art  eines  der  Mittel  zu 
sehen,  um  diese  Harmonie  nicht  nur  mit  der  Umwelt,  wie  sie  in  der  Adap- 
tation ausgesprochen  ist,  sondern  auch  untereinander  zu  erreichen. 

Der  Sinn  des  geschichtlichen  Werdens  erscheint  dem  Denker  unter 
diesem  Gesichtspunkt  als  das  Erreichen  der  Harmonie  im  Zusammenleben 
der  Individuen  (Soziologie)  und  der  Völker  (Politik),  um  dadurch  Dauer  zu 
erhalten.  Der  Prozeß  selbst  macht  den  Eindruck  einer  Harmonoklise.  Denn 
bevor  diese  Harmonie  erreicht  ist,  sind  nur  Durchgangsstadien,  also  ge- 
schichtliche Entwicklung  friedlicher  oder  kriegerisch-revolutionärer  Art, 
fortwährende  Verschiebungen,  Pendulationen,  kurz  der  ganze  geschichtliche 
Prozeß  zu  bemerken.  Eine  Geschichtsbetrachtung,  die  diesem  Gedanken 
nachgehen  würde,  führte  zu  einer  noch  ausstehenden  objektiven  Geschichts- 
philosophie. 

Das  gleiche  muß  dann  aber  auch  für  die  Historie  des  Lebens,  nämlich 
das  paläontologische  Werden  gelten  und  erklärt  dann  sowohl  die  Typen 
und  Stämme  wie  die  maßlose  Zahl  der  Arten.  Beide  erscheinen  im  Lichte 
dieses  Gedankens  als  die  Überbleibsel  der  fortgesetzten  Versuche,  unter  den 
so  vielfachen  Lebensbedingungen  und  ihrem  kosmisch  bedingten  Wechsel  zu 
der  Harmonie  mit  der  Umwelt  zu  gelangen,  ohne  die  das  Leben  auf  die 
Dauer  nicht  bestehen  kann. 

Tatsache  ist,  daß  alle  lebendigen  Wesen,  wie  hier  bereits  betont  wurde, 
in  Gemeinschaften  von  Tieren  und  Pflanzen,  in  Biocoenosen  oder  Vereinen 
und  Formationen  zusammengeschlossen  sind,  und  daß  diese  so  wie  die 
Einzelindividuen  stete  Wanderungen  über  die  Erdoberfläche  vollführen. 
Ich  habe  diesem  Problem  Jahre  meiner  Arbeitskraft  gewidmet,  indem  ich 
das  Edaphon,  die  Lebensgemeinschaft  der  im  Erdboden  lebenden  Orga- 
nismen (vgl.  Abb.  23  und  S.  80)  in  allen  ihren  Zusammenhängen  studierte. 
.\uf  das  klarste  sah  ich  da,  wie  die  einzelne  Form  dabei  nur  das  Glied  eines 
großen  Kreislaufes  ist,  an  dem  in  diesem  Fall  Spaltpilze  und  Algen,  Boden- 
pilze und  Urtiere,  Würmer  und  Insekten,  höhere  Tiere  und  grüne  Pflanzen 
teilnehmen,  und  durch  den  sie  zu  einem  gewissen  Ausgleich  gelangen.  Aber 
die  Grundlage  dieses  Kreislaufes  ist  die  Stickstpjjassimilation.  Auch  im 
oberirdischen  Leben  ist  das  ganze  organisierte  Sein  nichts  als  eine  stete 
Kette  von  Kreislaufprozessen,  deren  Fundament  wieder  die  Kohlensäure- 
assimilation ist.  Pflanze  und  Tier  greifen  auch  da  wunderbar  ineinander 
und  gehören  wechselseitig  dazu,  daß  der  große  Kreislauf  des  Lebens  er- 
halten bleibe,  der  sich  würdig  an  der  Materie  und  der  Energie  anschließt. 

Gerade  aus  dem  Edaphon  erkennt  man  besonders  deutlich  die  Tendenz 
des  Ausgleiches  und  der  biotischen  Gleichgewichtsherstellung  durch  die 
Wanderung  aller  Bodenorganismen  über  die  gesamte  bewohnbare  Erde.  Sie 
geschieht  zwar,  wie  es  auch  mit  dem  Plankton  oder  mit  den  Bakterien 
oder  den  Pflanzenkrankheiten  oder  sehr  vielen  höheren  Pflanzen  (Ameno- 

18» 

275 


Choren,  Kletten,  Hydrochoren)  der  Fall  ist,  passiv,  mit  dem  Winde  oder  als 
Verschleppung  durch  Tiere;  da  aber  alle  diese  Organismen  durch  beson- 
dere Verbreitungseinrichtungen  wie  die  Einkapselung  (Encystierung)  oder 
Flügeleinrichtungen,  Enterhaken  u.  dgl.  an  diese  Verbreitungsart  angepaßt 
sind,  muß  man  doch  wohl  sagen,  daß  sie  die  Tendenz  zum  faunistisch- 
floristischen  Ausgleich  besitzen.  Und  dazu  kommen  zahllose  andere  Lebens- 
formen, namentlich  aus  dem  Tierreich,  die  höchst  aktiv  von  Land  zu  Land 
ziehen,  und  dafür  sorgen,  gleich  den  wandernden  Heringen  oder  Lachsen 
oder  Aalen,  Wanderratten,  Staren  und  vielen  anderen  Vögeln,  Heuschrecken 
und  wandernden  Tierherden,  daß  sich  Fauna  in  Fauna  menge  und  das  Le- 
bensgleichgewicht erhalten  bleibe."*)  Ganz  entrückt  ihrem  Willen  tront 
der  Ausgleich  auch  in  jener  erhabensten  Form  über  ihnen,  daß  jede  Ver- 
mehrung und  Durchbrechung  der  faunistischen  Harmonie  den  Tieren,  die 
sich  von  der  „disharmonischen"  Art  nähren,  Gelegenheit  zu  besonders 
reichlicher  Fortpflanzung  gibt,  worauf  wieder  eine  schärfere  Auslese  so- 
lange erfolgt,  bis  das  Gleichgewicht  neuerdings  hergestellt  ist.  Auf  ein 
Maikäfer-  oder  Raupenjahr  folgt  eine  Singvögelvermehrung,  die  das  Leben 
der  Kerfe  wieder  eindämmt.  Und  so  ist  überall  gesorgt,  daß  die  Bäume 
nicht  in  den  Himmel  wachsen  und  die  große  Harmonie  der  Natur,  deren 
Anblick  zu  den  reinsten  Genüssen  und  tröstlichsten  Erhebungen  des  Gemü- 
tes gehört  und  das  Göttliche  des  Seins  unmittelbar  empfinden  läßt,  ewig  er- 
halten bleibe.  Das  schönste,  tiefsinnigste  und  unerschöpflichste  Beispiel 
hierfür  aber  ist  der  hier  immer  wieder  hervorgehobene  Wald,  die  wahre 
Heimat  von  uns  Mitteleuropäern,  die  wir  in  Organisation,  Anpassungen,  see- 
lischer Einstellung,  in  Religion,  Sprache,  Vorstellungen  und  Empfinden 
trotz  aller  Zivilisation  noch  immer  so  richtig  das  Waldvolk  sind.  Sein 
oberstes  Gesetz  heißt  Harmonie,  seine  erste  Existenzbedingung  ist  gegen- 
seitige Anpassung  aller,  die  in  ihm  vereinigt  sind,  und  dadurch  ein  vollen- 
deter Ausgleich,  der  ihm  jene  von  den  Biologen  so  viel  bestaunte  Eigen- 
schaft verleiht,  daß  er  von  dort,  wo  er  einmal  Fuß  gefaßt  hat,  unter  sonst 
gleichbleibenden  Umweltverhältnissen  nicht  mehr  weicht,  sondern  sogar 
noch  diese  Umwelt  in  ihrem  Klima,  in  der  Wasserregelung,  der  Bodenbil- 
dung, der  Verzögerung  der  Denudation  usw.  im  Sinne  einer  ihm  genehmen 
Dauer  beeinflußt. 

Es  ist  daher  keine  Mode  und  kein  Zufall,  daß  das  Bild  des  Waldes 
(Abb.  134)  in  unserer  Seele  die  geheimsten  Regungen  weckt  und  sie  dem 
Ewigen  gegenüber  am  weitesten  öffnet.  Der  Wald  ist  unsere  Gesundung  in 
jeder  Weise.  Auch  ohne  daß  man  um  den  so  vielverschlungenen  Reigen  der 
in  ihm  wirksamen  Weltgesetze  weiß,  erfühlt  man  aus  seinem  frischen,  er- 
quickenden Odem  wenigstens  das  oberste  von  allen:  die  Harmonie,  die  alle 
anderen  in  sich  schließt.  Auch  der  Naturunkundige  sieht,  wie  sich  im  Walde 
die  fünf  Stockwerke  des  Hochwaldes,  der  Sträucher,  der  Kräuter,  der  Moose 
und  des  Bodenlebens  (Abb.  134)  miteinander  in  Beziehung  setzen,  wie  die 

276 


einen  die  anderen  erhalten,  wie  jedes  einzelne  nur  die  Lücken  ausfüllt, 
welche  die  über  ihm  stehende  Integrationsstufe  des  Seins  seinem  Dasein  ge- 
stattet, wie  jedes  in  Form,  Lebensweise,  Bedürfnissen  und  Leistungen  an 
das  andere,  und  an  das  Ganze  angepaßt  ist,  ein  Abbild  der  ganzen  Welt 
im  kleinen.  —  Und  wenn  er  sich  alles  auch  nicht  in  den  Einzelheiten 
begrifflich  zu  erklären  vermag,  so  bleibt  doch  keiner  unempfänglich  für  die 
gewaltige  Wirkung,  die  dieser  reinen  und  „harmonischesten"  Form  von 
Harmonie  entströmt,  und  fühlt  es  wenigstens  künstlerisch  oder  ergriffen  im 
Herzen:  hier  webt  sich  der  Gottheit  ewig  lebendiges  Kleid.  .  .  .  Und  so  ent- 
läßt uns  der  Wald  mit  dem  unerschütterlichen  Wissen:  Alles  Sein  ist  stets 
ein  Kreislauf,  darum  ist  alles  Sein  im  Ausgleich  begriffen  und  sucht  die 
große  Harmonie  mit  dem  Unendlichen. 

Harmonie  ist  das  biologische  Endstreben.  Gelegentlich  der  Erkenntnis  der 
verheerenden  Wirkung,  die  die  einseitige  Anpassungen  der  Menschen  an  die 
Schwermetalle  auf  seine  Seele  und  seine  Lebensführung  ausübte  (vgl.S.  172) 
als  eine  Störung  seiner  Daseinsharmonie,  die  sich  heute  noch  aus- 
wirkt und  die  wahre  Ursache  des  Verfalls  der  Kultur  seit  hundert  Jahren 
zu  sein  scheint,  drängte  sich  brennend  der  Wunsch  auf,  zu  wissen,  ob  und 
wie  sich  eine  einmal  gestörte  Harmonie  wieder  herstellen  ließe.  Jetzt, 
da  wir  alle  die  vielfältigen  Verknüpfungen  und  Verknotungen  der  Weltge- 
setze wenigstens  in  großen  Zügen  zu  kennen  glauben,  kehrt  die  Frage  wie- 
der, behangen  mit  dem  Schwergewicht  des  Empfindens,  daß  alles  Streben 
nach  Erkenntnis  nutzlos  gewesen  wäre  in  letztem  Belang,  wenn  gerade 
auf  diese  lebensnotwendigste,  auf  diese  Frage  aller  Fragen  sich  Einsicht 
keine  Antwort  zu  verschaffen  vermöchte. 

Und  —  auf  der  Suche  nach  dieser  Antwort  hängt  unser  Blick  noch  ge- 
bannt an  dem  Anblick  des  Waldes.  Ist  das  nicht  die  Antwort  selbst?  Das 
lebendige  Beispiel,  wie  man  es  machen  muß,  um  zur  vollendeten  Harmonie 
und  dadurch  zur  Dauer  des  Ganzen  zu  kommen!  Sagt  es  nicht,  daß  es  nur 
den  einzigen,  allerdings  nur  mit  Überwindung  zu  beschreitenden,  zahllose 
innere  und  äußere  Opfer  fordernden,  vor  Härten  und  Mannhaftigkeit  nicht 
zurückschreckenden  Weg  dafür  gibt?  Es  gilt,  den  Weg  der  Weifgesetze 
zu  beschreiten!  Man  muß  sie  demütig  und  widerstandslos  auf  sich  nehmen, 
vor  allem  die  bescheiden  machende  Einsicht,  daß  es  Integrationsstufen  gibt, 
nicht  nur  unter  den  Menschen,  sondern  auch  inter  pares  und  über  uns,  man 
muß  die  das  Herz  bange  schlagen  lassende  Gewißheit  haben,  daß  Selek- 
tion unerbittlich  waltet,  auch  mit  uns,  wenn  wir  nicht  optimal  funktionieren 
für  uns  und  fürs  Ganze:  man  muß  danach  leben,  daß  nicht  unser  Glück 
und  dieses  Dasein  der  Sinn  des  Lebens  sei,  sondern  die  Harmonie  mit 
dem  Ganzen  auf  jeder  Stufe  des  Seins,  vom  Einzeldasein  zum  Staat,  zur 
Menschheit,  zum  Weltall  und  zur  ganzen  Innenwelt  aufsteigend,  mit  ihrem 
unermeßlichen  Reichtum  und  ihrer  unerbittlichen  Forderung!  Man  muß  die 
Weltgesetze  nicht  nur  kennen,  sondern   man   muß   auch   nach   ihnen   leben. 

277 


E^emütig  muß  man  sein.  Wir  können  nicht  so  leben,  wie  wir  wollen, 
sondern  müssen  so  leben,  wie  es  das  Gesetz  unseres  Seins  vorschreibt! 
Wir  können  dieses  Gesetz  erkennen  —  es  ist  das  ewige  Sittengesetz,  das 
alle  Denker  und  alle  Religionen  nur  übersetzt  haben  in  ihre  Sprachen. 
Ihm  müssen  wir  nachleben,  ihm  müssen  wir  uns  voll  und  ganz  hingeben, 
aus  tiefstem  Wissen  um  das  Sein.  Dann  können  wir  auch  gläubig  vertrauen, 
daß  wir  eingehen  werden  in  das  große  Mysterium  des  ewigen  Seins,  in 
tausend  neue  Verwandlungen  und  Seinsstufen,  wenn  wir  nur  erst  einmal 
den  Anschluß  gefunden  haben  an  die  Harmonie  mit  dem  Unendlichen. 


Harmonie  ist  im  obersten  Sinne  auch  das  MaBverhältnis  der  Gesetze 
untereinander,  das  sie  gemeinsam  zur  Dauer  führt.  Harmonie  ist  das  End- 
ziel aller  Entwicklung,  das  Wort  im  alten  Sinne  genommen.  Mit  dem  Er- 
reichen des  gegenseitigen  Ausgleiches  aller  Optima  schließt  erst  der  Entfal- 
tungsprozeß. Darum  ist  alles  Geschehen  nur  ein  stetes  Spiel  und  Widerspiel 
von  Ausgleichserscheinungen.  Einheitlich  ist  es  in  dem  Sinn  (wie  das 
Aristoteles  und  von  den  neuen  Denkern  auch  W.  Wandt  ausgesprochen 
haben),  daß  nichts  auf  der  Welt  ist,  was  nicht  auf  Bewegungen  zurück- 
geführt werden  könnte,  die  auf  dem  Streben  nach  einer  Gleichgewichts- 
oder Ruhelage  beruhen.  Herstellung  der  Harmonie  erscheint  uns  als  der 
Weltprozeß.  Aber  —  und  damit  geht  das  objektive  Denken  über  seine 
vielen  Vorläufer,  die  mehr  oder  minder  alles  das  Gesagte  über  die  Har- 
monie auch  schon  erkannt  haben,  hinaus  —  das  alles  ist  nur  notwendige 
Erkenntnisform  des  Menschen,  die  notwendige  Art,  wie  er  sich  sein  Welt- 
bild zurechtlegt. 

Sein  Leben  ist  nichts  als  Anpassung,  und  Anpassung  ist  Harmonie  des 
Individiuums  zu  seiner  Umwelt.  Deshalb  muß  ihm  Harmonie  als  sein 
und  seiner  Welt  Lebensziel  vorkommen.  Dieses  Ideal  ist  biozentrisch  be- 
stimmt. Der  Bios  ist  aus  erkenntnistheoretischen  Gründen  ein  harmo- 
nisches System. 

Unsere  Erkenntnisselektion  unterliegt  dem  Gesetz  der  Harmonie,  indem 
wir  aus  der  Welt  der  Erlebnisse  nur  das  „Menschenbezügliche"  selektieren 
und  es  „menschlich"  verknüpfen.  Wir  drücken  mit  allem,  was  wir  sagen, 
nur  „uns"  allein  aus.  Die  Weltharmonie  ist  unsere  Harmonie.  Und  Har- 
monie mit  dem  Unendlichen  bedeutet  nur  die  Vollendung  unseres  Wesens. 
Unser  Streben  nach  dauernder  Eingliederung  der  Einzelerlebnisse  in  den 
Bios  (das  Ergebnisganze)  zwingt  uns  zur  Harmonisierung  dieser  Erleb- 
nisse. Deshalb  erscheint  dem  Erkennen  die  Harmonie  als  das  oberste  aller 
Weltgesetze. 


278 


Anmerkungen  und  Zusätze 

104  (Zu  S.  225).  Die  erste  scharfe,  begriffliche  Fassung  dieses  Faktums  gab  mei- 
nem Wissen  nach  der  Schweizer  Philosoph  Rieh.  Avenarius,  der  Begründer  des 
Empiriokritizismus,  in  seiner  „Kritik  der  reinen  Erfahrung"  (Leipzig  1888/1890),  in- 
dem er  seinen  Begriff  der  „Vitalreihen''  schuf  und  damit  das  Gemeinsame  in  den 
Erlebnis-  und  in  den  Lebensprozessen  nutzbar  werden  ließ,  indem  er  zeigte,  daß  alle 
Vitalreihen  relativ  abgeschlossen  sind,  ihre  natürlichen  Grenzen  (ihr  Endglied)  be- 
sitzen. Das  Denken  drängt  stets  nach  einem  solchen  Abschluß  (einem  Ergebnis),  der 
keine  Komponente  mehr  enthält,  die  über  sich  hinausweist.  „Jede  Vitalreihe  ist  auf 
einen  abschließenden  Zustand  gerichtet",  hat  also  eine  Tendenz  zur  Stabilität.  Daher 
muß  das  Erleben,  soll  es  denkbar  sein,  für  uns  ein  „Sein"  haben,  und  dieses  „Sein" 
hat  nur  Sinn,  wenn  man  es  als  „Dauer"  faßt.  Vgl.  auch  /.  Petzoldt,  Einführung  in 
die  Philosophie  der  reinen  Erfahrung.  Leipzig.  1904  Bd.  II.  —  /'./«-/zsen,  Organische 
Zweckmäßigkeit,  Entwicklung  und  Vererbung  vom  Standpunkt  der  Physiologie. 
Jena.   1907. 

105  (Zu  S.  258).  Eigentlich  ist  die  Sectio  aurea  die  mathematische  Aufgabe,  eine 
gerade  Linie  A  B  durch  einen  Punkt  so  in  zwei  Teile  zu  zerlegen,  daß  der  kleinere 
Teil  B  C  zum  größeren  A  C  sich  so  verhalte,  wie  A  C  zu  AB.  Die  Lösung  wird  er- 
reicht, wenn  man  auf  A  B  die  Senkrechte  B  O  errichtet,  welche  Vj  A  B  lang  ist.  Ein 
mit  dem  Halbmesser  gezogener  Kreis  schneidet  die  Gerade  AO  im  Punkte  p.  AC  ist 
dann  gleich  A  p.  Dieses  Verhältnis  entspricht  dann  etwa  dem  von  5  : 8.  Vgl.  Zeising, 
Der  goldene  Schnitt.   Leipzig.   1884. 

106  (Zu  S.  258).  Vgl.  Friederichs,  Der  Doryphoros  des  Polyklet.  Berlin.  1863. 

107  (Zu  S.  259).  Vgl.  hierzu  auch  noch  Wittstein,  Der  goldene  Schnitt  und  die  An- 
wendung desselben  in  der  Kunst.  Hannover.  1874  —  auch:  Matthias,  Die  Regel  vom 
goldenen  Schnitt  im  Kunstgewerbe.  Hannover,   1886. 

108  (Zu  S.  260).  Vgl.  zu  dem  Gesagten  die  sehr  klaren  Ableitungen  von  A.  Cohen- 
Kysper,  Rückläufige  Differenzierung  und  Entwicklung.   Leipzig.   1918.  S.  32  u.  ff. 

109  (Zu  S.  262).  H.  Spencer  sah  vollkommen  deutlich  den  optimoklinen  Charakter 
jeder  Art  von  Entwicklung  und  sprach  es  ausdrücklich  aus,  daß  sie  Ausgleich  suche, 
genau  so  wie  seinem  scharfen  Blick  klar  war,  daß  Selektion  nur  ein  Reinigiings- 
prozeß  im  Sinne  des  Optimoklinen  sei.  Er  sagt  hierüber:  „Wenn  die  Kraft,  die  ein- 
wirkt, das  Gleichgewicht  völlig  zerstört,  dann  stirbt  das  Ungeeignete  aus,  oder  posi- 
tiv ausgedrückt,  es  überlebt  das  Passende."  So  kommt  „eine  ständige  indirekte  An- 
näherung an  den  vollkommenen  Typus  zustande."  Der  vollkommene  Typus  aber  ist 
das  endgültige  Gleichgewicht. 

Desgleichen  spricht  er  es  aus,  daß  das  Gesetz  der  Richtung  der  Bewegung,  d.  i.  die 
Richtung  aller  Bewegung,  die  des  kleinsten  Widerstandes  sei,  daß  auch  die  Bewe- 
gung rhythmisch  sei.  Vgl.  H.  Spencer,  First  Principles. 

110  (Zu  S.  262).  Vgl.  ä:./)«/'/'^/.  Der  Kampf  um  Dasein  am  Himmel.  Berlin.   1874. 

111  (Zu  S.  271).  Vgl.  F.Weber,  Hormone  im  Pflanzenreich.  (Naturwissenschaft- 
liche Wochenschrift.  1920).  Die  Voraussetzung  von  Hormonen  stammt  ei.ü^cntlich  von 
dem  deutschen  Botaniker  Fitting,  der  auch  als  erster  ganz  zielbewußt  auf  die  durcl» 
Korrelationen  bewirkte  Einheitlichkeit,  also  Personalität  der  Pflanze  hinwies. 

279 


112  (Zu  S.  272).  Vgl.  G.  Wo///,  Beiträge  zur  Kritik  der  Darwin'schen  Lehre.  Leip- 
zig.   1898. 

113  (Zu  S.  273).  T.  H.  Morgan,  Experimental  Studies  of  the  Regeneration  of  Pla- 
naria  maculata  (Archiv  f.  Entwicklungsmechanik.  1898).  —  C.  R.  Barden,  On  the 
Physiology  of  the  Planaria  maculata,  with  especial  reference  to  the  phenomena  of 
regeneration  (Amercian  Journal  Physiology  1901).  —  E.  Ritter  u.  F.  Congdon,  On 
the  Inhibition  by  artificial  section  of  the  normal  fission  Plane  in  Stenostoma.  (Procee- 
dings  of  Californian  Academy  Science.  1900.)  Vgl.  auch  H.  Driesch,  Die  organischen 
Regulationen.   Leipzig.   1901. 

114  (Zu  S.  276).  Vgl.  hierzu  F.  Knauer,  Tierwanderungen.  —  A.  Wallace,  Die  geo- 
graphische Verbreitung  der  Tiere.  Dresden.  1876.  —  W.  Kobelt,  Die  Verbreitung 
der  Tierwelt.   Leipzig.   1902/03. 


Die  Welt  als  Bios 


Die  Formel  des  Werkes  —  Die  Weltformel  der  Physik  —  Ihre  „Prinzipe"  stammen 
von  einem  übernatürlichen  Standpunkt  —  Definition  des  Massenprinzipes  —  Das 
Trägheitsprinzip  —  Das  Kraftprinzip  —  Das  Prinzip  der  Wechselwirkung  —  Das 
Schwerpunktsprinzip  —  Das  Flächenprinzip  —  Das  Entropieprinzip  —  Das  Relativi- 
tätsprinzi])  —  Diese  Prinzipe  sind  Erlebnisordnungen  —  Der  Rationalismus  stellte 
ihnen  eine  Metaphysik  als  die  wahre  Ausdeutung  des  Seins  gegenüber  —  Führt  da- 
durch übernatürliche  Faktoren  in  das  Denken  ein  —  Kant  als  Schöpfer  des  heutigen 
naturwissenschaftlichen  Denkens  —  Gegensatz  zum  objektiven  Denken  —  Bios  wird 
geordnet  durch  die  sieben  Gesetze  der  Welt  —  Die  Biozentrik  eint  Denken  und 
Leben   —   Relativität    des   Erkennens,    absolute   Befähigung    zum     richtigen   Leben 

—  Hume,  Mill  und  Vaihinger  als  die  Pioniere  der  objektiven  Philosophie  —  Der 
Wert  der  Intuition  —  Intuition  spiegelt  nur  die  Weltgcsetze  —  Der  Wert  der  Reli- 
gion als  Unterwerfung  unter  das  Weltgesetz  —  Die  Formel  der  objektiven  Philoso- 
phie: Sie  schafft  Ordnung  im  Erleben  und  hilft  dadurch  besser  leben  —  Der  Ur- 
sprung des  Leides  ist  unrichtiges  Leben  —  Das  Weltensein  als  Weltgericht  —  Das 
gleiche  Gesetz  über  Allem  —  Umwelt  und  Vererbung  als  Vollstrecker  des  Leidens 

—  Das  Weltbild  ist  nur  Spiegel  unseres  Lebens  —  Der  Bios  ist  Selbsterkenntnis  — 

Natürlich  enthält  dieses  Werk  viele  Fehler  und  Irrtümer,  deren  Ursachen 
teils  in  mir,  teils  in  der  Zeit  liegen.  Ebenso  natürlich  wird  es  auch  im 
Laufe  der  Zeiten  überholt  durch  die  wachsende  Einsicht  in  die  Zusam- 
menhänge des  Weltgeschehens.  Trotzdem  behält  es  einen  dauernden  und 
unvergänglichen  Wert:  die  Einsicht  wird  und  kann  sich  nicht  ändern,  daß 
das  Erleben  und  damit  auch  das  Leben  ein  ebenmäßiges  System  ist,  in  dem 
die  Erlebnisse  auf  den  verschiedenen  Integrationsstufen  nach  den  Gesetzen 
der  Ökonomie  ihr  Optimum  erreichen,  wodurch  allein  schon  die  Unvoll- 
kommenen ausgemerzt  werden.  Und  schon  diese  Einsicht  bedingt  eine  ganz 
bestimmte  Lebensweise,  wenn  Vorstellung  und  Erleben  reibungslos  in 
sich  harmonisch  verlaufen  sollen.  Da  ist,  auf  einen  Satz  gebracht,  der  Inhalt 
eines  ganzen  umfangreichen  Werkes. 


Die  Physik,  welche  heimlich  noch  immer  den  Anspruch  erhebt,  im  Sinne 
der  Physik  der  alten  Griechen  die  Weltformel  in  sich  zu  bergen,  ist  in 
diesen  letzten   Dingen  anderer  Überzeugung.    Sie  verzichtet  auf  die   letzte 

281 


Selbsbesinnung  und  nimmt  kurzerhand  das  Sein  als  eine  selbstverständ- 
liche Realität  und  den  Intellekt  als  das  unbedingt  zuverlässige,  außerhalb 
des  Seins  stehende,  daher  zu  seiner  Erforschung  absolut  geeignete  Mittel, 
mit  dem  sie  die  „Prinzipe"  findet,  die  den  Bau  der  Welt  zusammenhalten. 

Es  ist  eben  der  naive  Sensualismus  des  Hobbes  (dem  Newton  anhing) 
der  so  denkt  und  handelt  und  bis  heute  noch  in  Newtons  Fußstapfen  wan- 
delt. Denn,  wenn  jemand  danach  trachtet,  „die  Resultate  ganzer  Gebiete  auf 
die  kürzeste  Formel",  nämlich  auf  ihre  ..Prinzipien'"  zu  bringen,  in  der 
Hoffnung,  diese  Prinzipien  dann  nochmals  vereinfachen  und  zusammenlegen 
zu  können  zu  einer  „WeltformeV,  in  der  er  dann  Ursache,  Wesen  und 
Sinn  der  Welt  in  die  Hand  nehmen  kann,  so  hat  er  dabei  vorausgesetzt,  er 
selbst  stehe  außerhalb  der  Welt,  er  hat  sich  auf  einen  übernatürlichen 
Standpunkt  gestellt  (ganz  logischerweise  beschäftigte  sich  daher  Newton 
auch  in  gleicher  Methode  mit  „übernatürlichen"  Vorstellungen)  und  be- 
schreibt das  Gesehene  von  diesem  aus.  Alles  habe  eine  Masse  {Massen- 
prinzip), sagte  dieser  übernatürliche  Seher.  Die  Masse  eines  Körpers  sei 
unter  allen  Umständen  konstant.  Jede  Masse  sei  träge.  Ein  Körper  behält 
seine  Geschwindigkeit  nach  Größe  und  Richtung  unverändert  bei,  solange 
keine  Kraft  auf  ihn  wirkt  (Trägheitsprinzip).  Die  durch  eine  Kraft  an 
einem  Körper  hervorgebrachte  Beschleunigung  hat  die  Richtung  der  Kraft 
(den  Impuls)  und  ist  numerisch  gleich  der  Kraft,  geteilt  durch  die  Masse 
des  Körpers  {Kraftprinzip).  Zu  jeder  Kraft  aber  existiert  eine  Gegenkraft, 
welche  gleich  groß  und  entgegengesetzt  gerichtet  ist.  {Wechselwirkungs- 
prinzip). Der  Schwerpunkt  eines  Körpersystems  bewegt  sich  so,  als  wären 
alle  Massen  in  ihm  vereinigt  {Schwerpunktsprinzip).  Ein  abgeschlossenes 
System  hat  für  jede  beliebige  Achse  eine  unveränderliche  Summe  von 
Flächen  {Flächenprinzip).  In  einem  halbgeschlossenen  System  nimmt  die 
Entropie  bei  jedem  Prozeß  zu  {Entropieprinzip).  Und  dann  das  letzte  und 
neueste:  Sind  die  Naturgesetze  für  ein  Raumzeitsystem  gültig,  das  sich  gegen 
das  erste  in  gerader  Linie  und  mit  konstanter  Geschwindigkeit  bewegt,  und 
in  welchem  die  gleiche  Lichtgeschwindigkeit  herrscht  {Relativitätsprinzip).*) 

Da  ist  das  ganze  Um  und  Auf  der  Physik  beisammen.  Und  was  ist  es? 
Eine  Sammlung  von  Behauptungen;  Zusammenhänge,  die  in  der  Sinnes- 
welt immer  wiederkehren  und,  wie  der  Berliner  Philosoph  /.  Petzoldt 
einmal  sehr  artig  sagte,  bloß  ihre  Nützlichkeit,  nicht  aber  ihre  Gültigkeit 
durch  die  Erfahrung  rechtfertigen.  Wenn  jemand  meint,  das  sei  alles  so, 
dann  hat  das  den  gleichen  Wert  wie  der  Inhalt  der  Sibyllinischen  Bücher 
oder  der  Apokalypse  des  Johannes  oder  die  Visionen  Swedenborgs. 


*)  Eigentlich  nur  das  sogenannte  zweite  Relativitätsprinzip,  während  das  erste  lau- 
tet: Sind  die  Naturgesetze  für  einen  Beobachtungsstandpunkt  gültig,  dann  gelten  sie 
auch  für  jeden  anderen  Standpunkt,  der  sich  gtgtxx  den  ersten  in  gerader  Linie  mit 
konstanter  Geschwindigkeit  bewegt. 

282 


Der  Menschengeist  hat  es  auch  eingesehen,  daß  das  Bild  der  Sinne 
nicht  das  der  Welt  sei.  Und  vor  der  Wahl,  zu  sagen:  ich  weiß  nicht,  wie 
die  Welt  beschaffen  ist,  denn  ich  erlebe  ja  nicht  sie,  sondern  mich,  sagte 
er  tapfer  ein  Drittes.  Nämlich  er  behauptete  frei,  aus  dem  Nichts  könne 
„der  Menschengeist  alles  erdenken".  Wenn  man  das  Rationalismus  nennt 
und  als  seine  Väter  Descartes,  Spinoza,  Leibniz  und  Kant  verehrt,  dann 
klingt  das  zwar  gelehrt,  besagt  aber  nichts  anderes  und  ist  letzten  Endes 
wieder  nur  eine  verfeinerte,  mit  täuschenderen  Masken  zugedeckte  Behaup- 
tung von  der  übernatürlichen  Natur  des  Menschen.  Vor  der  Physik  steht 
dann  eine  Metaphysik.  Und  was  ist  die  Quelle  der  Metaphysik?  Man 
drehe  und  wende  die  Sache,  wie  man  will,  zuletzt  kommt  doch  nichts 
anderes  heraus,  als  daß  der  Mensch  nach  ihr  angeblich  Fähigkeiten  hat, 
die  in  der  „Physis",  das  Wort  im  alten  Sinn  genommen,  nicht  vorhanden 
sind,  weshalb  er  Natur  absolut,  von  außen  anschauen  kann.  Ist  das 
Wissen?  Nein.  Das  ist  Glaube.  Man  gebe  mir  eine  andere  Definition 
der  Metaphysik  als  die  der  Ausübung  einer  übernatürlichen  —  verschämt 
a  prioristisch  genannten  —  Befähigung.  Die  allgemeinsten  Prinzipien  des 
Erkennens  (reine  Anschauung  und  reiner  Verstand)  sind  für  Kant  doch 
a  priori.  Und  diese  wendet  die  Physik  von  heute  unbedenklich  an.  Damit 
ist  das  Tischtuch  zerschnitten.  Physis  muß  die  groben  Arbeiten  verrichten, 
sie  darf  nur  mehr  „beschreiben".  Es  heißt  jetzt  im  Banne  der  Kantischen 
Lehre;  alles  Erklären  sei  nur  ein  vollständiges  Beschreiben.  Wirklich 
kausal  erklären  könne  ja  doch  nur  der  Denker  auf  Grund  seines  übernatür- 
lichen Menschentums.  Seitdem  ist  selbstverständlich  die  Naturwissenschaft 
für  jeden  Philosophen  —  und  jeder  Denker  ist  heute  kantisch  erzogen  — 
nicht  mehr  das  ganze  Erkennen,  sondern  erst  ein  Teil  des  Wissensmöglichen. 
Der  bessere  Teil  schlummert  in  uns.  Er  ist  uns  von  jenseits  der  Natur 
(Metaphysik)  mitgegeben. 

Dem  steht  das  objektive  Denken  gegenüber.  Es  ist  weder  empiristisch 
noch  rationalistisch,  weder  an  dem  Materialismus  noch  an  der  Kantischen 
Metaphysik  „orientiert".  Es  will  nichts  anderes  als  die  Lebensidcc  zu 
erzeugen  aus  dem  Leben  selbst.  Bios,  das  Leben  regiert,  nicht  aber  Logos, 
das  Denken. 

Die  Aufgabe  des  Denkens  ist  Orientierung  im  Leben,  und  das  Weltbild 
ist  niemals  das  Ergebnis  des  reinen  Denkens,  sondern  das  des  Lebens.  In 
diesem  Sinn  versuchte  ich  hier  die  Erfahrungen  äußerer  und  innerer  Art  als 
den  Inhalt  unseres  Erlebens  zu  zergliedern,  und  fand  darin  die  sieben 
Weltgesetze.  Das  ist  darunter  zu  verstehen,  wenn  die  objektive  Philosophie 
sagt:  Der  Bios  wird  geordnet  durch  die  sieben  Gesetze  der  Welt.  Sie 
sind  eine  seelische  Notwendigkeit,  sie  sind  die  Gesetze  unserer  Bionomie, 
damit  das  Erleben  „sein"  kann,  d.  h.  Ganzheit  und  Dauer  erhalte.  In 
diesem  Sinne  unterschreibt  sie  die  erleuchteten  Worte  des  Spinoza:  „Es 
ist  klar,  daß  der  Geist  sich  um  so  besser  erkennt,  je  mehr  er  von  der  Natur 

283 


erkennt"  und  das  aus  der  eminent  zoetischen  Intuition  seiner  Rasse  heraus 
geschriebene:  „Alle  Wissenschaften  haben  nur  einen  einzigen  Zweck,  auf 
welchen  sie  hinzuleiten  sind  .  .  .  nämlich  die  höchste  menschliche  Voll- 
kommenheit zu  erlangen."  "5) 

In  der  Biozentrik  (vgl.  Bd.  I  S.  35)  eint  sich  Denken  und  Leben.  Was 
in  der  Begründung  dieses  Werkes  in  dessen  erstem  Abschnitt  vorweg  be- 
hauptet wurde,  ist  jetzt,  nachdem  der  große  Kreis  der  Beweisführung  ge- 
schlossen ist,  zur  Gewißheit  erhoben.  Das  durch  seine  Erfahrung  orientierte 
erkennende  Subjekt,  dessen  Vorstellungen  von  Zeit,  Raum  und  Kausalität 
lelativ,  d.  h.  biologisch  bedingt  sind,  kann  nie  etwas  Absolutes  erkennen, 
sondern  stets  nur  Relationen  zu  sich.  Zu  zoetischen.  Zwecken  reicht  der 
Intellekt  aus.  Er  gewährt  eine  praktisch  ausreichende  Orientierung  durch 
die  aus  diesen  Vorstellungen  zurechtgemachten  Gesetze  und  durch  das  „Bild 
der  Welt"  und  ermöglicht  ein  biologisch  wertvolles,  das  heißt  zur  Dauer 
führendes  Verhalten.  So  ermöglicht  sich  auch  die  Harmonie  zwischen  dem 
Erleben  und  dem  Verhalten. 

Das  gilt  für  jeden  Organismus  in  seiner  Zoesphäre.  Denn  wir  sehen  an 
den  Anpassungen,  Tropismen,  Reflexen,  Instinkten,  an  dem  Bau  und  dem 
Verhalten  von  jedem  Organismus,  daß  er  zu  einem  hohen  Grade  dieser 
Harmonie  gelangt,  meisthin  zu  einem  höheren,  als  der  Mensch  in  seiner 
Zoesphäre.  Damm  können  die  Organismen  uns  in  vielem  immer  noch 
Vorbild  sein. 

Das  Gehirn,  das  der  Mensch  im  Banne  der  rationalistischen  Philosophien 
so  sehr  zu  überschätzen  geneigt  ist,  kann  dabei  nicht  ausschlaggebend  sein, 
denn  nicht  nur,  daß  es  bei  vielen  Tieren  von  hervorragenden  intellektuellen 
Leistungen  nur  einfach  und  klein  ist,  wie  dies  durch  das  auf  Bild  138  dar- 
i^estellte  Bienengehirn  bewiesen  werden  soll,  oder  durch  die  minimalen  Ge- 
hirne von  Rädertieren,  die  von  entzückender,  geradezu  faszinierender 
Teleologie  des  Baues  sind  (Abb.  138),  sondern  die  Pflanzen,  an  denen  sich 
alle  Gesetze  des  harmonischen  Verhaltens,  also  eines  vollendeten  Lebens 
auf  den  vorhergehenden  Seiten  immer  wieder  als  dem  bevorzugten  Beispiel 
demonstrieren  ließen,  entbehren  des  geschlossenen  Gehirnes  vollständig. 
Dabei  ist  doch  der  Wald  ein  Organismenverein  von  Dauer,  der  nicht  nur 
in  sich  gefestigt  besteht,  sondern  sogar,  wenn  er  durch  Einflüsse,  die 
außerhalb  seiner  Integrationssphäre  liegen,  verdrängt  wird,  als  der  Sieger 
der  Situation  dennoch  immer  wiederkehrt,  was  zu  beobachten  jeder  im 
Hochgebirge  genugsam  Gelegenheit  hat  (Abb.  137). 


Seid  bescheidener!  sagt  dieser  Anblick,  sagt  die  ganze  Welt  zu  den 
Menschen.  Legt  den  Dünkel  ab,  in  den  ihr  euch  verrannt  habt,  als  sei  das 
Denken  der  Herr  der  Welt.  Hume,  John  Stuart  Mill  und  H.  Vaihinger 
unter  den  lebenden  Denkern  "<=)  haben  dem  Erkenntnisdünkel  ein  für  alle- 


284 


Abb.  136.   Die  Vollendung  im  Bau  der  Rädertiere 

1  Pterodina  elliptica.  2  Brachionus  quadratus.  3  Squaniclla 
bractea.  Man  beachte  die  winzi<jeti  Qcliirnc  (supraocsophaj^a- 
les  Ganglion)  im  Verhältnis  zum  Körper,  dagcfjen  die  kolos- 
sale Entwicklung  der  Verdauungs-  und  Fortpflan/ungsorgane 
(die  letzteren  bei  Pterodina  und  Squamella),  die  sich  trotzdem 
zu  einer  harmonischen  Einheit  zusammenschließen.  Stark  ver- 
größert.    Nach   der   Natur   gezeichnet   vom    Verfasser 


mal  die  falschen  Flügel,  mit 
denen  er  behauptete,  ins  ,, Jen- 
seits der  Seele"  fliegen  zu 
können,  abgerissen,  als  sie 
alles  Denken  und  die  soge- 
nannte Wirklichkeit  in  die 
Sinnescindrücke  und  ihre  Ver- 
knüpfung („Sensations  and 
Possibilities  of  Sensation") 
auflösten. 

Auf  allen  Gebieten,  zuletzt 
in  den  Relativitätsvorstel- 
lungen der  Physik,  hat  der 
Menschengeist  lernen  müssen, 
daß  über  das  Erleben  hinaus 
die  Grenzen  des  Erkennens 
erreicht  sind,  und  er  hat  des- 
halb Intuition,  die  letzte  Hoff- 
nung auf  die  Autonomie  des 
Denkens  trügerisch  zwar,  aber 
verzweifelt  festgehalten  (ßerg- 
son!^^'').  Aber  Intuition  ist 
nur  ein  Wissen  ohne  Lernen 
um  dieses  Gesetz,  sie  ist  da- 
gegen keine  Erkenntnisquelle  für  das,  was  dem  Denken  und  den  Sinnen 
verschlossen  ist.  Auch  sie  spiegelt  nur  die  Weltgesetze  wieder,  und  darum 
ist  auch  ihre  Welt,  nämlich  die  der  Kunst,  nur  eine  Wiederholung  der  Welt- 
gesetze mit  dem  auch  in  ihr  geltenden  Sein  in  Integrationsstufen  und  Funk- 
tionen, dem  kleinsten  Kraftmaß,  der  Selektion  und  dem  Optimum  und  vor 
allem  als  oberstem  auch  hier  im  Banne  der  Harmonie.  Religion  aber,  die 
es  noch  immer  versucht,  sich  dem  Erleben  gegenüber  als  eine  andere  Art 
von  „innerer  Welt"  mit  „inneren  Wahrheiten  des  Gefühls"  auszugeben, 
hat  auf  diesem  Wege  auch  nichts  anderes  gefunden  als  „Erlebnisse". 
Sie  ist  keine  neue  Erkenntnisquelle,  sondern  nur,  soll  sie  überhaupt  Sinn 
haben,  die  freiwillige  Unterwerfung  des  Intellekts  unter  das  Weltgesetz 
als  Folge  der  Einsicht,  daß  die  Gesetze  des  Ganzen  sich  im  Teil  spiegeln 
müssen. 

Freilich  sind  das  alles,  was  wir  vorbrachten,  nur  relative  Einsichten. 
Aber  sie  sind  die  einzige  Gewißheit,  die  dem  Menschen  überhaupt  zu- 
gänglich ist.  Mehr  als  eine  innere  Ordnung  seines  Erlebens  kann  er  nicht 
schaffen.  Er  ist  nur  Herr  in  seinem  eigenen  Haus.  Und  selbst  wenn  er 
auch  nicht  mehr  erreichen  mag,  schon  diese  Arbeit  belohnt  ihn  mit  wirk- 
lichem Segen.    Das  ist  das  Alpha  und  Omega  der  objektiven  Philosophie, 


Abb.  138.  Das  Gehirn  der  Insekten.  Oben  ein  Schnitt  durch 
ein  Bienengehirn,  unten  durch  das  eines  primitiven  Insektes 
(Lepisma)  mit  ganz  gering  entwickelten  Ganglien.  P  pilzför- 
mige Körper,  die  man  als  Analoga  der  menschlichen  Hirn- 
rinde betrachtet.  Sonst  sind  vornehmlich  nur  die  Ganglien 
der  Lichtsinnesorgane  (R)  und  der  Riechlappen  entwickelt. 
Schwach    vergrößert. 


2S5 


und  wir,  die  wir  zu  ihr  uns  bekennen,  dürfen  nicht  müde  werden,  es  zu 
wiederholen.  Schafft  man  sich  diese  innere  Ordnung,  dann  lebt  man  voll- 
endeter. Ich  weiß  nichts  anderes,  als  daß  ich  bin  und  wie  ich  bin.  Daher 
will  ich  auf  das  beste  sein,  was  ich  überhaupt  sein  kann! 

Das  ist  das  ganze  Um  und  Auf  unserer  biologischen  Philosophie.  Keiner 
geht  durch  die  Welt  mit  offenen  Augen  und  fühlendem  Herzen,  dem  sich 
das  ungeheuere  Leid  nicht  erschlösse,  unter  dem  alle  Zeiten  und  Völker 
geseufzt  haben,  ein  Zustand  der  Menschheit,  in  dem  nur  hie  und  da  ein 
Glücklicher  gewesen,  sonst  aber  jede  Art  von  Unglück,  Trauer,  Leid,  Ver- 
zweiflung, Krieg  und  Not  unter  den  Menschen  herrscht.  Sie  sind  so  verzagt 
geworden  dadurch,  daß  sie  die  herrliche,  in  ewiger  Schönheit  und  strahlen- 
der Lebenslust  sich  stets  aufs  Neue  wiederschaffende  Erde  ein  Jammertal 
nannten  und  glaubten,  das  Leid  müsse  sein,  es  sei  die  Strafe  des  Leben- 
wollens  selbst. 

Eines  ist  auch  ganz  richtig,  Leid  und  Strafe  sind  im  innigsten  Verhältnis 
zueinander.  Man  untersuche,  was  man  will.  Ob  man  nun  hinabsteigt  in  die 
tiefste  Verborgenheit  und  das  leidvolle  Zucken  der  eigenen  Seele,  ob  man 
blickt  auf  die  stummen  oder  mit  lauten  Zungen  redenden  Leiden  der  Mit- 
menschen, das  Leid  der  Kreatur,  auf  Unglück,  Verfall  und  Krisen  der 
Staaten,  die  Tatsache  des  Übels  überhaupt  in  der  Welt,  man  wird  immer, 
wenn  man  nur  hinabdringt  zu  den  letzten  Zusammenhängen,  die  eherne, 
unverrückbare  Gleichung  von  Schuld  und  Sühne  finden.  Ihr  beweint  euer 
unverdientes  Schicksal!  Ihr  klagt  über  schuldlos  hartes  Geschick.  Euer 
vor  Schmerz  schon  trocken  gewordenes  Auge  sagt  mit  stummer  Verzweif- 
lung: Warum  das  mir?  Warum  gerade  mir?  Immer  seid  ihr  an  der  Kette 
der  Geschlechter  die  Schuld  gewesen. 

Ich  nahm  das  ganze  Leid  der  Menschheit,  diesen  irren  Aufschrei  aller 
Jahrhunderte,  diese  Kette  von  Wahn,  Torheit,  Irrtum,  Verbrechen,  Blut  und 
Verzweiflung  auf  michi^s),  und  nie  habe  ich  etwas  anderes  gefunden  als 
Schuld  und  ihre  Folgen.  Eine  unerbittliche  Gerechtigkeit  steckt  im  Sein. 
Die  Welt  ist  zugleich  das  Weltgericht.  An  der  unzerreißbaren  Kette  der 
Generationen  rächt  sich  alles,  was  gegen  die  Harmonie  und  das,  was  in 
ihr  beschlossen  liegt,  verstößt.  Und  wenn  die  Disharmonie,  unter  der  wir 
fast  zusammenbrechen,  oder  die  als  schleichende,  innere  Krise  unser  Dasein 
vergiftet,  auch  schon  von  unseren  Vätern  und  Vorvätern  in  die  Welt  gesetzt 
wurde,  oder  wenn  unser  Leid  nur  durch  die  Disharmonie  der  Umwelt  erzeugt 
wird,  trotzdem  wir  selbst  uns  richtig  verhalten  —  überall,  unvermeidbar, 
mit  eiserner  Notwendigkeit  vollzieht  sich  das  Weltgesetz:  Was  nicht  harmo- 
nisch ist  im  tiefsten  Sinn,  ändert  sich.  Und  da  die  Lust  Ewigkeit  will,  ist 
jede  Änderung  die  Quelle  von  Leiden.  Das  gilt  von  kleinsten  und  einfachsten 
bis  zu  den  größten  Zusammenhängen  und  den  fernsten  Himmelsräumen. 

Das  überalte  Tier  (Abb.  139),  das  als  groteske  Ruine  seines  Lebens  seine 
Funktionen   nicht   mehr   richtig   vollzieht,   verwandelt   sich   ebenso   in   eine 

286 


traurig-lächerliche  Karikatur 
des  Lebens,  wie  der  Staat, 
der  gegen  die  Weltgesetze  ver- 
stößt; die  Wolke,  in  der  un- 
ausgeglichene Spannungen  mit 
stummer  Wucht  das  Unwetter 
zurüsten,  steht  unter  dem 
gleichen  Gesetz  wie  das  arme, 
sehnsuchtsschwere  Menschen- 
herz, in  dem  Kummer  und 
Hoffnung  in  ihrem  Schatten- 
tanz nach  Ausgleich  ringen. 
Was  nicht  richtig  lebt,  muß 
leiden.  Und  Umwelt  und  Ver- 
erbung stellen  düster  da  wie 

Vollstrecker  unerbittlicher 
Richtersprüche,  damit  die  Ge- 
rechtigkeU  der  Welt  sich  voll- 
ziehe an  allem. 

In  einer  heiligen  Stunde 
der  Erkenntnisse  stand  ich 
einst  vor  den  starr  drohenden 
Götterbildern  einer  versun- 
kenen Welt,  von  der  ich  da- 
mals ahnte,  daß  ihr  tiefster, 
nur  den  Eingeweihten  ent- 
hüllter Sinn  der  Kanon  war, 
nach  dem  sich  alles  Leben 
vollziehen  muß.  Hathor,  die 
liebliche  Freundin  glücklichen 
Lebens,  lächelte  auf  den  gleißenden  Mauern,  und  Anubis,  der  schreckliche 
Richter,  blickte  eisig;  Horus  aber,  der  Falkenköpfige,  der  die  Krone  trägt, 
weil  er  die  Welt  beschützt,  gab  mir  die  Hieroglyphe  des  Lebens,  die  ich 
mitnahm,  denn  ich  verstand: 

Das  Weltbild  ist  nur  Spiegel  unseres  Lebens.  Und  zuerst  muß  man  den 
großen  Bios  verstanden  und  sein  eigen  Leben  erfüllt  haben  und  ganz  Mensch 
gewesen  sein,  bevor  man  reif  ist,  zu  den  Göttergebilden,  den  Kräften  der 
Welt  aufzusteigen  und  einzugehen  in  jene  anderen  Stufen  von  Sein  und 
Erkenntnis,  die  unser  harren  nach  Erfüllung  unseres  Menschentums. 

Damit  nehme  ich  Abschied  von  dem  Leser  und  dieser  Selbstbesinnung 
und  gehe  zurück  ins  Leben,  um  es  wie  er  besser  zu  meistern,  als  bevor 
dieses  Buch  da  war. 


Abb.  139.  Ein  117jähriger  australischer  Papagei,  der  seit 
dieser  Zeit  in  ein  und  derselben  Familie  gepflegt  wurde. 
Seine  Federn  sind  zum  größten  Teil  ausgefallen  (namentlich  an 
den  wenig  benutzten  Flügeln),  der  Rumpf  ist  mit  einer  leder- 
nen, rissigen  Haut  umhüllt.  Da  der  Vogel  seit  vielen  Jahren 
sich  nur  von  Maisbrei  ernährt,  ist  die  obere  Schiiabelhälfte 
zu    einem    abnormen    Haken    ausgewachsen,    üriglnalzeichnung. 


287 


Anmerkungen  und  Zusätze 

115  (Zu  S.  284).  In:  B.  Spinoza,  Abhandlung  über  die  Vervollkommnung  des  Ver- 
standes.  (Reclam-Ausgabe.)   S.  10  u.  11. 

116  (Zu  S.  285).  Der  Kreis  der  Forscher,  mit  denen  sich  die  objektive  Philosophie 
als  ihren  Stützen  und  Vorläufern  auseinander  zu  setzen  hat,  was  allerdings  nicht  die 
Aufgabe  dieses  Werkes  sein  kann,  umfaßt  die  oft  genannten  Kant,  A.  Schopenhauer, 
Glogau,  H.  Vaihinger,  F.  Nietzsche,  E.  Mach,  R.  Avenarius  und  /.  Petzold,  die  Eng- 
länder /.  Stuart  MUl,  Hume  und  Spencer,  den  Begründer  des  Positivmus  A.  Comic 
in  Frankreich,  aber  auch  nicht  zum  wenigsten  die  drei  Leuchten  antiker  Welterkennt- 
nis Kungh-Tseu  im  Osten,  und  Pythagoras,  sowie  den  so  lange  verkannten  Prota- 
goras  im  Abendlande,  um  nur  die  größten  Namen  zu  nennen.  Außer  der  schon  wie- 
derholt zitierten  Literatur  sei  daher  noch  besonders  verwiesen  auf: 

H.  Steinthal,  Einleitung  in  die  Psychologie  und  Sprachwissenschaft.  Berlin.  1881. 
2.  Aufl.  —  G.  Glogau,  Abriß  der  philosophischen  Grundwissenschaften.  Breslau  1880 
bis  1888.  2  Bde.  —  J.Stuart  Mill,  System  of  logic,  ratiocinati-.e  and  inductive.  Lon- 
don. 1875.  9.  Aufl.  (deutsch  von  Schiel.  Braunschweig.  1877)  (obwohl  die  objektive 
Philosophie  mit  seinem  „Utilitarium"  nichts  zu  schaffen  hat).  —  D.  Hume,  Philo- 
sophical  works.  London.  1874.  In  4  Bdn.  —  (Vgl.  P.  Thormeyer,  Die  großen  eng- 
lischen Philosophen  Locke,  Berkeley,  Hume.  Leipzig.  1915.)  —  Faber,  Lehrbegriff 
des  Konfuzius.  Hongkong.  1873.  —  Natorp,  P.,  Protagoras  und  sein  Doppelgänger. 
1891. 

117  (Zu  S.  285).  Dieser  letzte  moderne  Versuch,  andere  Erkenntnisquellen  als  die 
Ratio  zu  eröffnen  (abgesehen  von  der  mit  wissenschaftlichen  Begriffen  gar  nicht  dis- 
kutierbaren Theosophie)  sagt:  „Der  Verstand  hat  sich  als  ein  größtenteils  falscher 
Weg  erwiesen,  des  Absoluten,  Gottes  in  seiner  ganzen,  wahren  Wirklichkeit  habhaft 
zu  werden.  Nicht  einmal  in  die  Materie,  welcher  er  doch  noch  am  besten  angepaßt 
ist,  vermochte  er  ganz  einzudringen;  denn  er  konnte  sie  nur  als  ein  System  ruhender 
Größen  begreifen,  ihre  Bewegungen  und  Beschaffenheiten  blieben  ihm  verschlossen 
(?  der  Verf.)  So  muß  noch  ein  anderer  Weg  beschritten  werden.  Das  ist  die  In- 
tuition, das  innere  Schauen,  der  bewußt  gewordene  Instinkt."  (E.  Ott,  Henri  Berg- 
son,  der  Philosoph  moderner  Religion.   Leipzig.   1914.  S.  35.) 

Demgegenüber  ist  Intuition,  mit  der  auch  die  Theosophie  operiert,  für  das  objek- 
tive Denken  zwar  ein  Erfühlen  des  Weltgesetzes;  aber  nur,  weil  die  Welt  nur  unsere 
seelische  und  somatische  Struktur  widerspiegelt,  ist  Intuition  (auch  in  niedrigen 
Graden)  imstande  Weltgesetzliches  d.  h.  „Richtiges"  vorzuspiegeln  und  damit  auch 
„Kunstwelten"  von  innerer  Wahrheit  zu  erzeugen. 

118  (Zu  S.  286).  Vgl.  R.Franci,  Die  Wage  des  Lebens.  3.  Aufl.  Prien.  1922; 
ein  Werk,  das  ich  als  eine  ethische  Ergänzung  des  „Bios"  gern  in  den  Händen  aller 
derer  sehen  möchte,  die  diese  Zeilen  lesen. 

288 


Register  zum  zweiten  Band 

(Bearbeitet  von  Frau    A.  Harrar-France) 


Aale,    Wanderungen   27ö 

Ableitungswege,  nach  dem  Prin- 
zip des  kleinsten  Kraftmaßes, 
Abb.    lOS 

Abkühlung,  und  Wasseraufnahme 
der    Luft    25 

Abrasion,  Begriff  28  —  Merkmale 
20  —   technische   Formen   der  70 

—  Wirkungen  der  148 
Absolute     Erkenntnis,     Unmöglich- 
keit   der    144 

Absorption,  absolut  dunkler  Kör- 
per   260 

Abstammung,  der  Menschen  (Ta- 
belle)   163,  170,   IQl 

Abstammungslehre,  und  Entwick- 
lungsgedanke   161 

Abstammungsgedanke,  und  Goethe 
167 

Abweichungsextreme,  Seltenheit  226 

Achsenkreuze,     Parsimoklise    235 

Actio  et  Reactio,  als  Oesetzeszu- 
sammenhang   133 

Actinoptychus,  Schale  von,  Abbil- 
dung   118 

Actinoptychus,    Schalenbau    264 

Acusticus,    Anordnung    33 

Adaptation,  als  Systemverschiebung 

Adria,    als    Bodensenkung    190 
Aolidier,   aktive   Biotechnik    113 
Äquipotentielle     Systeme,      Grund- 
form   13 
Äste,   photochemische  Tätigkeit  243 
Äther,   als   elektromagnetische  Sub- 
stanz   125 
Affe,    Werkzeugbenützung   113 
Affen,      Intelligenz     1Q3     —     süd- 
amerikanische    167 
Affinität,     chemische    66 
Afrika,  Regenlosigkeit  26 
Ahorn,    Mutationsvererbung    163 
Ahorne,  Verbreitungseinrichtung  209 
Aides,    Mimikry    106 
Aidesspinner,    Kokons    106 
Aktionszentren,    der  Atmosphäre   24 
Akustik,    als    Wellenbewegung    30 

—  biologische  31 
Alembiks,   als    Biotechnik   89 
Algen,    Chromatophoren    in    94    — 

Kugelform    13 

Alpen,  als  jungtertiäres  Restge- 
birge    156    —     Kalkzonen     207 

Alpenblumen,  harmonische  Schön- 
heit  266 

Alpenmatte,    als    Lebensbezirk    199 

Alpen  see,Verlandungserscheinungen, 
Abb.   63 

Franci,  Bios  II 


Altern,  der  Erde  155  —  Involution 

bei   175 
Alterserscheinungen,  Unterbrechung 

durch   Hormone  271 
Altmann,    E.    77,    127 
Amazonas,    Blattfische    im    268 
Ameisen,    Brutpflege    209    —    Kul- 
tur     114     —     und     ultraviolette 
Strahlen    39 
Ameisenbein,   als  Funktionsform  241 
Amenochoren,    Wanderungen    275 
Ammoniten,    Lebensverhältnisse   181 

—  Radform    129 
Ammophila,    Werkzeuge    113 
Amnioten,    Geschlechtsorgane    99 
Amöben,    Fähigkeit    der    Nahrungs- 
wahl   221    —    Kugelform    13 

Ampere,  als  elektrische  Maßein- 
heit 47 

Amphibien,  Atmungsorgane  Abbil- 
dung 33,  90 

Amphioxus,    Abstammung   vom    168 

Amphimixis    und    Arterhaltung    116 

Amylasen,  chemische  Synthesen 
durch    94 

Analytische  Prozesse,  in  der 
Pflanze  94 

Andenkenindustrie,  und  kleinstes 
Kraftmaß    245 

Anatomie,  als  technisches  Vorbild 
93  —   und   Biotechnik  96 

Anaxagoras    150 

Anemone,  auf  einer  Rasenbank, 
Abb.    122.  265 

Anode,  chemische  Abscheidungen 
48 

Anorganisches,  Mimikry  im  109  — 
optimokline   Prozesse  146 

Anpassung,    als    aktive  Leistung  216 

—  als  Regel  213  —  funktionelle 
11,  211  —  über  das  Individuum 
hinaus  217  —  und  Generations- 
merkmale   182 

Anpassungen,    harmonokliner    Ver- 
lauf  274   —    Rahmen    der    184  — 
Zweckmäßigkeit   247 
Anpa.ssungsrnerkmale,    und    Erdvor- 
gänge   181 
Anpassungstypus,    als    Konvergenz- 
erscheinung   101 
Anllieridien,    Bildung   160 
Antike,   Sittengesetz   der  249 
Antike    Wissenschaft,   als   zoetische 

Wissenschaft    229 
Antipassat,   als   Höhenwind   23 
Aorta,   Herzentwicklung  aus  der  92 
Aquilegia,    Atemwärme    83  —   Blü- 
tenform   222 


289 


Aquilegia,  chrysanta.  Honigsporne 
Abb.   25,  87 

Arbeitssystem,    organisches    251 

Arbeitsteilung,  im  tierischen  Orga- 
nismus  252—  im   Zcllcnstaat   211 

Argonaula,     Begattungsorgan     179 

Archacoptcryx,  als  Zwischenform 
167 

Archegon,    als    Funktionsform    102 

ArchcRoniaten,  Begriff  160  -  Ur- 
sprung   165 

Archegonien,    Bildung   160 

Archimedes    229 

Archiplasten,  als  zelligc  Architek- 
tur 79 

Architektur,  der  Einzeller  264  — 
und  kleinstes  Kraftmaß  245  — 
Wellcngesetz    in    der    16 

Ariocarpus  relusus  Schneider,  An- 
passung   243 

Ariocarpus  retusus  Schneider,  klein- 
stes  Kraftmaß  an,   Abb.    111 

Aristoteles     120,     129,    278 

Arm,    als    Hammerwerk    112 

Armleuthteralgcn,  als  Verlandungs- 
pflanze    157 

Arrhenius,  Sv.  8,  58,  151,  155,  190, 
262 

Arthereicherung,  durch  Mutationen 
162 

Arten,   Aussterben    der   184 

Artenzahl,    Ursache   275 

Artkonstanz,    und    Umwelt    181 

Artemia  salina.  Seh»  imniaiipassun- 
gen,   Abb.   42,    104 

Arterien,  als  biotechnisches  Vor- 
bild  92  —  als   Funktionsform  91 

Arumblütenstände,    Atemwärme    88 

Ascomycelen,  Geschlcchtslosigkeil 
179 

Asien,  als  sommerliches  Tiefdruck- 
gebiet  24 

AsparaLiin,    Herstellung   94 

Assimil.itionsraiimge»  innung,  durch 
rosettcnförmige     Anordnung     243 

Assimilation,  durch  Spaltöffnungen 
98 

Assoziatonsfasern,    als    Begriff    des 

kürzesten   Weges   247 
Astronomie,    Gesetz    des    kleinsten 
Kraftmaßes    in    der   2 14    —    Prin- 
zip   des     kürzesten    Weges    236 
Atavismen,    bei    Züchtung    224 
Atemwärme,   bei   Pflanzen   83 
Atlantis,      als      überflutete      Land- 
brücke   21 
Athyrium    alpestre,    auf    einer    Ri- 
senbank,    Abb.    122,    265 


19 


Atmosphäre,  Druckunterschiede  238 
Atmosphärilien,     gegenseitige    Stö- 
rungen 24 
Atmosphäre,    Harmonie    der   207  — 
Kreislauf   der  252  —  Zirkulation 
23 
Atmunr,  als  Biotechnik  83  —  durch 

Spaltöffnungen    98 
Atmungsorgane,    der    Tiere    86 
Atome,   als    komplexes    Elektronen- 
system    56 
Atombewegung,  und  absolute  Kälte 

59 
Atomzerfall,  des  Radiums  57 
Atomzersprengung,    als    Kraftquelle 

57 
Atragene   alpina,   auf   einer   Rasen- 
bank,   Abb.     122,    265 
Ausdrucksformen,  der  mechanischen 

Weltgesetze    138 
Auerhähne,    geschlechtliche    Selek- 
tion   223 
Auffaltung,   der  Alpen    156 
Auffaltungsreste,     jungtertiäre     15ft 
Aufspaltung   der   Eigenschaften    163 
Augenfalte,     halbmondförmige    166 
Ausbeutung,    durch  Taylorismus  250 
Ausgleich,    faunistisch  -  floristischer 

276   —   Gesetz   des    191 
Ausheilung,   als    Biotechnik   83 
Ausläufer,  Fortpflanzung  durch  160 
Ausleger,  des  Planktons   104 
Auslese,   Tatsache   der   203 
Auslesesabotierung,  durch  Auswan- 
derung 216 
Auslesevorstellung,     und     schöpfe- 
rische Selektion  211 
Ausscheidung,      als     Biotechnik    83 
Australien,  Sonderfauna   167 
Auswanderung,       als       Hilfsmittel 
gegen      Selektion     215     —     und 
Überbevölkerung   208 
Autogamie,    selektive    Bewegungen 

bei    221 
Automatismen,     als     Kraftersparnis 

247 
Autonomie,   des  Denkens  285 
Autonomiebegriff,    der    Kunst    220 
Autoteleologie,  des  Willens  219 
Auwald,  als  Biocoenose  199 
Avenarius,    R.    233,    246,    247,    254, 

279,   288 
Aviatikmodelle,  biologische   112 

Bach,    S.    36,    125 

Bachmann,    Alf    16,    20 

Bachmäander,  als  Weg  des  ge- 
ringsten  Widerstandes,  Abb.   101 

Bacillariaceen,  Panzerversteifun- 
gen  80 

Bacillus,    Mimikry    106 

Baer,   K.   E.   von    186,    195 

Bahnbau,  kleinstes  Kraftmaß  im 
245 

Bakterium,  Verhältnis  zur  Geißel 
263 

Bakterien,  Nahrungswahl  221  — 
technische  Form  der  75  —  Wan- 
derungen 275 

Ballistische   Kurve,  Gesetz  der   134 

Banden,   im   Spektrum   204 

Bank   von    England,  Alter  230 

Banyanen,    Luftwurzelbildung    178 

Barden,    C.     R.    280 

Barisches    Windgesetz,    Ursache    23 

Barkla,    Ch.    54,    56 

Barschschuppe,  vergrößert,  Abb.  17 

Barth,  Heinrich   114 


Bastardbildung,    an  Nachtkerzen  162 

Baukunst,   Harmoniebegriff  257 

Baumausmerzung  im  Urwald,  Ab- 
bildung   81 

Bäume,    und    Moose   213 

Baumstamm,  als  Funktionsfcrm   108 

Baumstämme,  Innentemperatur  bei 
Frost    88 

Baumwuchs,   Optimum    143 

Bauwerk,   organische   Prinzipien   84 

Becher,     Erich    216 

Beckengürtel,  weiblicher,  Bänder 
und    Gelenke,   Abb.    106 

Beethoven    36,   63 

Beethoven-Septett,  und  Weltge- 
setz   35 

Befruchtung,  des  Menscheneies 
158  —   protogyner   Blüten   221 

Beharrungsprinzip,  als  Seinsge- 
setz   133 

Behauptungen,   der   Physik   283 

Begattung,  und  Geschlechtsmerk- 
male  223 

Begonia,  Abschnürung  der  Steck- 
linge 176 

Begrenzung,    und    Harmonie    256 

Beharrungsepoche,  und  Mensch- 
heitsgeschichte   195 

Behn,     126 

Belemniten,  Lebensverhältnisse    181 

Belgien,    Überbevölkerung    210 

Benettitinen,  Lebensverhältnisse  181 

Benzol  ringformel,  und  Harmonie- 
gesetz   260 

Berberis,   Blütenform  222 

Berherisblüte,  Bau,  Abb.  40,  101, 
102 

Bergformen,  als  technische  Formen 
69  —   der  arabischen  Wüste  29 

Berggipfel,  im  Festlandsrelief  205 
—   Entstehung  237 

Bergwerkspferde,     Erblindung    212 

Bergwinde,  als  lokale  Störu  igen  24 

Bergson,    Henry    151,   274,   235 

Bemoulli,    Jak.    138 

Bernstein,    Ed.    150 

Berthelot    126,   147,   189.   235 

Beruf,    als    Selektion    219 

BcNchneidung,    Unvererbbarkeit   164 

Beugung,   der  Lichtstrahlen   38 

Beuteltiere,    paariger    Uterus    100 

Beutler,  als  australische  Sonder- 
fauna    167 

Bewegung,  als  Biotechnik  83  - 
als  lineare  Projektion  14  - 
Sparsamkeitsgesetze    in    der    21' 

Bewegungen,  optimokliner  Ver 
lauf    189 

Bewegungsverschiedenheiten,  durch 
Kräfte   14 

Bevölkerungskapazität,  Wachstum 
208 

Bevölkerungsrückgang,  Europas  210 

Beziehungslelire,   Mechanik   als    rj2 

Bienen,  Brutpflege  209  —  Lieb- 
lingshlumen  222  —  Partheno- 
genesis    180 

Bienengehirn,  Schnitt  durch,  Abb. 
138,   285 

Bienensprache,     Entwicklung     114 

Bilaterale  Symmetrie,  als  Organi- 
sationsmerkmal    182 

Bilaterilität,  als  Stammesmerkmal 
184  —  der  Wirbeltiere  99 

Bildhauerkunst,  Harmoniebegriff 
257 

Bim  engewässer,  Transgressionen 
157 


Binomische  Formel,  des  Gauß'- 
schen    Fehlergesetzes  226 

Biocoenosen,  Begriff  199  —  Erfor- 
schung durch  vergleichende  Bio- 
logie 228  —  Zusammenschluß  zu 
275 

Biogenerisches  Grundgesetz,  und 
objektive    Philosophie    159 

Biologie,  der  Geschichte  185  — 
Qefühlsmomente  in  der  182  — 
parsimokline     Erscheinungen     238 

—  Prinzip  des  kür.esten  Weges 
236  —  und  Biojechnik  96  — 
und  Harmonie  274  —  und  tech- 
nisches   Studium    85 

Biologische  Philosophen,  Schopen- 
hauer   als    120 

Biologi-ierung,  des  praktischen  Ge- 
schäftsbetriebes 250 

Bios,   als  harmonisches   System   278 

—  als  komplexes  System  149  — 
als  Welteinheit  246  —  ethische 
Ergänzung  des  238  —  Optimum 
im  142  —  und  Erlebnismö'jlich- 
keit    123   —    und    Logos    238 

Biosbegriff,  Einheit  des  67 
Biotechnik,  als  Analyse  des  Funk- 
tionsgesetzes 76  —  als  Beweis 
der  objektiven  Philosophie  68  — 
Berechiisung  85  —  der  Einzeller 
80  —  der  Enzyme  64  —  der  Ge- 
webe 84  —  der  Saiteninstrumente 
33  —  der  Samenfäden  79  —  der 
Luftwellen,  Musik  als  36  —  des 
Organismus  252  —  des  Plasmas 
73  —  des  Säugetierkörpers  97  — 
des  Tierkörpers,  Abb.  27  — 
geistige  118— Kritik  der  111  — 
Materialersparnis  240  —  physio- 
logisches Geschehen  als  83  — 
Selektion  als  219  —  tierischer 
Mundwerkzeuge  88  —  und  funk- 
tionelle Anpassung  11  —  und 
Konvergenz  101  —  und  objek- 
tive Philosophie  73  —  und  Le- 
bensoptimum 116  —  und  Men- 
schentechnik 97  —  und  optimale 
Form  13 
Biotechnikidee,  Vorläufer  der  111 
Biotypen,  und  Fluktuationen  230 
Biozentrik,    als    Orientierung      121 

—  als  Weltgesetz  43  —  der 
Massenpunktsysteme  135  —  der 
Selektion  219'  —  im  Anorgani- 
schen 149  —  des  Hörens  31  — 
der  Musik  35  —  und  Entropie 
9  —  der  Dampfmaschine  9  — 
Zweck    234 

Birkeland    53 

Blasebalg,    Lunge  als  97 

Blatter,  Mosaikbildung  213  —  als 
komplexes    Zellsystem    94 

Blatt,    Bau    96 

Blattadeni,  Netz  der  242 

Blattersatz,    nach    Insektenfraß    173 

Blattflächen reduktion,  als  Trocken- 
heitsanpassung  243 

Blattformen,  Wettbewerb  um  die 
Belichtung,    Abb.   83 

Blattgrünkörner,  aktive  Wande- 
rung   143 

Blattspreite,   Drehungen    143 

Blattstiele,  optimokline  Verlänge- 
rung 213 

Rlattfisch,   als    Funktionsform   268 

Blattläuse,    Parthenogenesis    180 

Blatlzellen,  Kanalsystem  zwischen 
243 


290 


Bl^riot   112,    116 

Blitz,    als    Elektrizität   51 

Bliinienwelt,    u.    Insektengeschmack 
222 

Blut,  Tätigkeit  91 

Blutgefäße,      Mündungserweiterung 
91 

Blutsera,   Mischbarkeif   166 

Blutfreundschaft,     als     Hilfsprinzip 
213 

B!u'sver>A'andtschaft      zwischen 
Mensch  und  Affe  166 

Blüte,    vegetatives    Wachstum    der 
179 

Bliitepflanzen,     Generationswechsel 
160 

Blüten,        Befruchtungswettbewerb, 
Abb.    79 

Blütenbefruchtung,    durch    Insekten 
222 

Blütenhiologie,    Selektionsverhinde- 
rung  222 

Blütenfeld,    Oberbevölkerung   210 

Blütrnduft,   Selektion   durch   222 

Blütenfarben,    Selektion    durch    222 

Bodenorganismen,  Wanderungen  275 

Boelsche,   W.    165,   191 

Böschunp^swinkel,     von     Qeröllhal- 
den   147  —  Optimum  der  197 

BoTjenlampe,  Wärme  58 

Bogenlampen,  Leuchtvorgang  48  — 
sprechende,    Gesetzlichkeit    50 

Bohrformen,    der   Samenfäden   79 

Bolometer,    Leistung    58 

Boltzmann    8,    123,    262 

Bonu-.system,      Einwendungen      ge- 
gen  251   —   in   der  Pflanze  252 

Borke,  Bildung  240 

Borslenbildung,     von     Planktonten 
104 

Böse,    Chr.    93 

Brnbant,    Übervölkerung    229 

Brachionus    quadratus,   Bau,   Abbil- 
dung   136 

Brachistochrone,     als     mechanische 
Ausdrucksform    138 

Bracht,    Eugen    16 

Bragg    56 

Branchiostoma    lanceolata,     Abson- 
derung des  Mesenchyms  191 

Branchiostoma,     Abstammung    vom 
166 

Brandung,  als   technische   Form   70 

Brandungswellen,    Entstehung   20 

Brasilianischer     Triftstrom,     Wich- 
tigkeit   18 

Braun kohlenswamps,  Klimaänderun- 
gen  152 

Brauntange,    Farbstoffträger    in    94 

Brechung,    elektrischer    Wellen    50 

Brechungsindex,    des    Lichtes    45 

Bredig    126 

Breniihaare,  von   Urtica   113 

Brennessel,    Oifthaare    der    113 

Breuer,    J.    126 

Bruchgebiete,     und    neue    Meeres- 
senkungen    190 

Brückner,    30 

Brücke,    Gedanke   der  234 

Brückenmethode,   u.   Objekt.    Philo- 
sophie   234 

Bruntienlebermoos,  Querschnitt 

durch    Lager   des,   Abb.    34,   93 

Brunnenrohre,     biotechnische    Ver- 
besserung 93 

Brutknospen,    Fortpflanzung    durch 
160    —    und    Brutknollen    177 

Brutpflege,  Instinkte  209 


Br>'Ophyllum,  Abschnürung  176  — 
Regeneration  aus  einem  Blatt 
von,    Abb.   71 

Bryozoen,    Knospung   179 

Buddhismus,      Rechtfertigung      263 

—  Sitlengesetz    des   249 
Bührer,    K.   W.   234 

Bündelung,     der     Lichtstrahlen    44 

Bürgerliches  Leben,  als  Selektion 
220 

Bütschli,  78,   127 

Buntsandsteinwüste,  Klimaänderun- 
gen   132 

Buschmäimer,  und  Menschenaffen 
166 

Bussarde,   Vermehrung  218 

Buys-Ballot    23 

Cajal,    Ramon   y  242 

Calamarien,   Lebensverhältnisse   181 

Calocalanus,      Schwebeanpassungen 

Abb.   41,   103 
Camera  obscura,  Säugetierauge  als 

Canalis    facialis,    als     Reptilienan- 
passung   167 
Canonlandschaft,    in    Arizona    206 
Canova    238 

Cantal,   Eolithen  im  193 
Canfor,    M.    229 
Capri,  Pilzfelsen  20 
Carabus,  Mutationen   176 
Carbon,  Ebenen  seit  dem  156 
Caricetum,    Umwandlung    197 
Cassis,  Schalenbau,  Abb.    123 
Centrosomen,    in    Zellen    77 
Ceratien,  Temperaturvariationen  von 

Ceratium,    Formen    82 
Ceropegia  Sandersoni,  Regenschutz- 
dach an,  Abb.  47,   109 
Cestus,  bilateral  symmetrischer  Bau 

Chaerocampa  Elpenor,  Trutzstel- 
lung  der  Raupe  von  217  —  Raupe 
in    Schreckstellung,  Abb.  83 

Chamsin,    Windstärke    29 

Cheimatobia  brumata,  Flügelstum- 
mel des  Weibchens  166 

Chemie,    oplimokline    Abläufe    147 

—  Optimumgesetz  der  144  — 
Transmutationen  152  —  und 
Harmoniegesetz  260  —  u.  klein- 
stes   KraftmaU   235 

Chemische  Energie,  Umwandlung 
66 

Chemische  Prozesse,  rhythmische 
Gesetze   in  66 

Chemische    Stoffe,    Entstehung    66 

Chemismus,  als  elektrischer  Vor- 
gang 48  —  der  Pflanze  94  — 
optimokliner    197 

Chemophysik,  harmonoklines  Ge- 
schehen in  der  2)9  —  Funktions- 
begriff   63    —    teleologische    188 

—  Transmutationen  132  —  und 
objektive  Philosophie  132 

Chemo;echnik,  biotechnische  Ver- 
besserungen   63 

China,  Sittengesetz  249  —  Ober- 
bevölkerung   210 

Chinesisches    Reich,    Dauer    200 

Chitinmundwerkzeuge  der  Glieder- 
füßler 88 

Chitinpanzer,  des  Insektenbeins  241 

Chladni     32 

Chlorophyll,  Funktionsoptimum  144 

—  Tätigkeit  94 


190 

HungerrOckbildungcn 


Chlorophyll  kömer,  in  Algenzellen 
76 

Cholnoky,    A.    124 

Chondrio'omen,  Bau  der  78  —  in 
Zellen   77 

Chri^te^tum,    Sittengesetz    des    219 

Chromatophorc,    Formen   94 

Chromafophorcn,  in  Pflanzenzcl- 
len    76 

Chromosomen,  als  Vererbungs- 
träger 164  —  in  Zellen  77  — 
Schraubenformen    unter   79 

Cione,  auf  einem  Röhrenwurm,  Ab- 
bildg.   87,   214 

Cione  intestinalis,  Vererbungsver- 
suche    164 

Cirripedia,  Larven   167 

Clamyderas  maculata.  Lusthauten 
113 

Claus   90 

Clausius    £ 

Clavellina, 
175 

Clematis,     Lianenbildung,    Abb.    22 

Coelenleraten,    Rcizhandlungcn    118 

Coelenleralenbau,  als  Organisa- 
tionsmerkmal    183 

Coelnmhöhle,  als  Sfammesmcrk- 
mal    184 

Cohen-K\sper    159,    175,    188,    279 

Cohn,    E.    123 

Comte,  Auguste  136,  143,  188,  193, 

Congdon    273,    280 

Coniferenholz,  innere  Architektur, 
Abb.    103 

Coniferenstamm,    Bau  des,   Abb.  102 

Copris-Mistkäfer,  mit  Nahrungs- 
pille,   Abb.    21,    209 

Coronium,     und    Lichttheorie    45 

Correns,    C.    163 

Corti'schc  Fasern,  Zahl  und  Stel- 
lung   117 

Corti'sches  Organ,  Bindegewebe 
117    —    Schwingungen    33 

Coscinodiscen,    Radform     129 

Coulomb  47  —  als  elektrische 
Maßeinheit   47 

Corydaüs  Cava,  Blütenstand,  Abbil- 
dung 37 

Cragg,    John    244 

Craliiulaiyp,  druckfeste  Konstruk- 
tion   127 

Crookes-Röhre,    Leuchterscheinung 

Culman    Hl 
Cuvier    152,    162,   270 
Cyclotellen,   Radform   129 
Cymatoplcuraiyp,    druckfeste    Kon- 
struktion   127 
Cysten,    Kugelform    13 

Dacqu^,    E.    189 

Dämpfe,  Fraunhofer'schc  Linien  in 
204 

Därme,  als  Röhren  89 

Dahsihur,   Alter   der  Pyramiden  200 

DAlembcrt    133,    232,    232 

Dampfmaschine,  in  dorischem  Stil 
244 

Dampfmaschinen,  Energieumwand- 
luiig    7    —     Erfindung    115 

Daphiiiakrcbschen,  doppelte  Fort- 
pflanzung   180 

Darm^aft,  als  Verdauungsferment 
89 

Darmscheiden,  Ein-  und  Ausström- 
röhrenverlängerung 164 


291 


Darmzotten,  optimale  Aufsaugung 
durch   89  —   Zellwände   der  204 

Danvin,  Ch.  143,  150,  163,  189, 
208,  211,  214,  218,  222,  224, 
225,  227 

Darwin,    O.    H.    190 

Darwinismus,  Mimikrytheorie  des 
105,    206    —    und    Selektion    208 

Darwin'sche  Selektionstheorie, 

Falschheit    der   227 

Daseinskampf,    Erleichterungen   214 

Dasychone,  auf  einem  Spirogra- 
phiswurm,   Abb.   87,   214 

Dauer,  des  Seins  235  —  und  ob- 
jektive Philosophie  201  —  Un- 
terschiede   201 

Dauerform,  harmonische  Form  als 
274 

Dauerhaftigkeit,  harmonischer  For- 
men   259  ] 

Davenport,    C.    B.   229  ] 

Da   Vinci,   Leonardo  258 

Davy    66 

Deflation,  Begriff  28  —  und  Wel- 
lengesetz   28 

Dekalog,    Gebote   des   249 

Deklination,     der   Magnetnadel     53 

Dellabildung,   im   Unterlauf  238 

Demokratie,  als  Staatsform   189 

Denken,  als  Biotechnik  75  —  als 
funktionelle  Anpassung  122  — 
Selektion  durch  219  —  als  teleo- 
logischer  Prozeß  247 

Denudierung,    in    den    Alpen    207 

Depression,  ständige,  auf  Island  24 

Depressionen,  Wellenbewegungen 
der  17  —  Zugstraßen  26 

Descartes    134,   283 

Desmidiaceen,    Formenreichtum    80 

Detritus,     floristische     Besiedelung 

Deutschland,    Niederschläge    26    — 

Oberbevölkerung   210 
Devonfische,   Scheitelloch   167 
Devon  landschaft,       Rekonstruktion, 

Abb.   62 
Devonwälder,    Klimaänderungen    an 

152 
De  Vries,   Hugo  162,   163 
Diagnostik,     durch    Röntgendurch- 
leuchtung 55 
Diagonale,   als   kürzester  Weg  234 
Diastole,    des   Herzschlags   60 
Diathermie,   der  Luft  25 
Diatomaceen,     Formenreichtum     80 

—   Schalenbildung  239 
Dicolabe    quadricata,    aus    dem    in- 
dischen   Ozean,   Abb.    125,    269 
Differentiale,    Konstanz    203 
Differenzen,   als  Wettbewerbursache 

207 
Differenzierung,   der  lebenden   Ma- 
terie   211     —     des    Querprofils 
eines    Flußlaufes    206    —    rück- 
läufige  175 
Difflugia,   Biotechnik  von    115 
Diffusionen,    als    Energiefrage    124 
Digitalis,    Bewegungswahl  des  Grif- 
fels  221 
Digitalis      purpurea,      verschiedene 

Blütenzustände,  Abb.  93 
Dikrntismus,     als     Muskelkontrak- 
tion 91 
Diluvium,    Klimaänderungen    152 
Dimorpha    mutans,    Bau    194 
Dimorphismus,   sexueller  222 
Dingler,    A.    123 


Dinoflagcllaten,  Gehäuse  80  —  Tief- 
gang   82 
Dionysos,   Ohr   des   32 
Diophant    149 

Disharmonie,     des   Alterns   271    — 
und    Harmonie  260  —   und   Ver- 
erbung  286 
Disharmonien,      durch    Mißachtung 
der   Weltgesetze  202  —   und   in- 
dividuelle   Energie    201 
Dispersion,    des    Lichtes   45 
Dissolution,   und   Evolution   187 
Doflein,    F.    113 
Donau,    Enthauptung  207 
Donautal,   Anzapfung  207 
Doppler    46 

Doryphoros,  Statue  des  258 
Dotterkörner,  in  Zellen  77 
Drahtlose  Telegraphie,  Wellenlänge 

43 
Drei  Grazien,  als  Motiv  für  Frauen- 
schönheit, Abb.   114 
Dreikanter,    Entstehung    30 
Driesch,   H.  76,  90,    120,   128,   129, 
136,   157,  191,  233,  246,  254,  274, 
280 
Druckpumpe,    in    Gefäßpflanzen   93 
Drüsen,    als    technische    Form    89 
Drüsenzellen,    granuläre  Struktur  78 
Dryastone,    Klimaänderung    an    132 
Du    Bois,    H.    215 
Ductus  cochlearis,  Neuroepithel  117 
Düna,    Erosionstätigkeit   206 
Düngen,    als    Biotechnik    94 
Dühring,    Eugen    188,    208,    229 
Dünen,    Bildung    20 
Dünenbildung,   fossile  21 
Dünengürtel,     als    Regressionswir- 
kung 20 
Dünung,    Erscheinung   der   16 
Dürer    197 
Du    Prel    262,    279 
Durakkord,    Harmonie    des    260 
Dynamomaschine       und       kleinstes 

'Kraftmaß   244 
Dyne,    Begriff    123 

Ebbe,    Tätigkeit    29 

Ebenen,    Unveränderbarkeit   156 

Echinodermaten,  Konstanz  seit  dem 
Silur   194 

Echinodermatenbau,  als  Organisa- 
tionsmerkmal   183 

Echo,    Entstehung  32 

Eckardt,    W.    152,    155,    190 

Eckermann,   167 

Ectoblast,    Abzweigungen    191 

Edaphon,  als  Lebensgemeinschaft 
199,   275 

Edelobst,    Züchtung    165 

Efeu,  Blattveränderung  213  —  Blü- 
tenduft 222 

Ehrlichkeit,  als  Menschheitsziel  249 

Eidechsenschwanz,  Regeneration  173 

Eier,  bei  20OO  Kälte  59 

Eierstockzellen,  Selektion  an  tie- 
rischen 212 

Eiformen,  aus  rotierenden  Kugeln 
190 

Eifurchung,  und  Baer'sche  Formel 
186 

Eigenschaften,  Vererbung  erworbe- 
ner 164 

Eigenschaftenmehrung,  Ursache  163 

Eigenschaftserwerbung,  und  Arten- 
bereicherung  163 

Eigenschaftskleid,  der  Organismen 
181 


Eigenschwingungsrhythmus,  elektri- 
scher Systeme  50 
Eileiter,    des    Menschen    100 
Eimer,    Th.    230 
Einfachheit,   Mach'sches  Prinzip  der 

233 
Einflußsphäre,   der   Städte   264 
Einheit,  des  Lebenden  165 
Einseitigkeit,      durch      Rassenzüch- 
tung 223 
Einstäubungsvorrichtungen,      Selek- 
tion   durch  222 
Einstein,    A.    44,    125,    253 
Einzeller,  Vakuolen  in  76 
Einzelligkeit,     als    ausschlaggeben- 
des Merkmal   192 
Einzelpflanze,  als  biologisches  Indi- 
viduum   95 
Einzelteile,    Optimum    197 
Eireste,    als    Geschlechtszellen    160 
Eisabschleifung,      kleinstes     Kraft- 
maß  in   236 
Eisen,     Kreislauf    262    —    magne- 
tische   Eigenschaften   54 
Eiserosion,  Hochgebirgsformen 

durch    237 
Eisregion,    Erscheinungen   der,  Ab- 

bildg.    100 
Eiszeiten,  in  Europa   (Tabelle)  152 

Zusammenstellung    28 
Eiv.eiß,    Kälteerscheinungen    59    — 

Verdauung    89 
Eiweißgerinnung,  und  Verdauungs- 
vorgänge 64 
Eiweißkristalle,  in  Zellen  77 
Eizelle,    Kugelform    13 
Elastinfasern,    in    Aderwänden    91 
Eibsandsteingebirge,      Erosionswir- 
kungen   206 
Elektrische    Phänomene,    als    elek- 
tromagnetische Vorgänge  52 
Elektrische  Wellen,  im  freien  Raum 

50 
Elektrizität,  als  Licht  51  —  Ein- 
heitlichkeit 47  —  Lichtbeeinflus- 
sung durch  42  —  materielle 
Struktur  47  —  und  chemische 
Affinität  66  —  und  objektive 
Philosophie  46  —  und  rationale 
Zahlen  48 
Elektrizitätsfernwirkung,  durch 

transversale    Wellen    50 
Elektrizitätswellen,  Gesetze  der  57 
Elektrizitätswesen,    Mensch    als    51 
Elektrochemie,   und   objektive   Phi- 
losophie  66 
Elektrolyse,     als    molekulare    Zer- 
setzung  48 
Elektromagnetismus,  Wirkungen  53 
Elektron,     als     zentraler     Energie- 
begriff  56  —    Erkenntnisse   über 
das    56    —    Verhältnis    zur    La- 
dung 264 
Elektronen,   freie   im   Strom   49   — 
Lehre    von    den    48    —    negative 
Elektrizität     durch     47    —    und 
Elektrizitätsmasse   51 
Elektronenbewegung,     in     Drähten 

49 
Elektronenmaterie,    Licht    als    56 
Elektronenmechanik,  als  Elementar- 
erkenntnis  57 
Elektronen  Phänomen,    Licht    als   42 
Elektrostatisches   Grundgesetz,   Be- 
griff 47 
Element,  chemisches  66 
Elementarorganismen,        technische 
Formen    78 


292 


Elemente,     Entwicklungsfrage    der 

Elfenbein,  als  tierisches  Werkzeiig- 

material    88 
El    Kosseir,   Rec;enlosigkeit  26 
Eltern,   und   Nachkommenmerkmale 

229 
Embryo,  als  zweite  Generation   153 
Embryologie,  und  Regeneration   180 
Embryoveränderung,     durch     Eitei- 

lung    159 
Embrvowachstum,  optimoklines  198 
Empiriokritizismus,     und    objektive 

Philosophie    121,   246 
Encystierung,    als    Verbreitungsein- 
richtung   276 
Endometrium,      Verwachsung      des 

Embryos    im    159 
EnerRetik,   Ostwald'sche   6 
Energie,  gesetzmäßige  Erhaltung  4 
—    kosmischer    Kreislauf    der    5, 
262,    275 
Energieerhaltung,  als  harmonischer 

Ausgleich    261 
Energieerneuerung,    kosmische    8 
Energieformen,    Umwandlung   5   — 

Ungleichwertigkeit    7 
Energietransport,  bei  Geschwindig- 

keitssteigerung    205 
Energieverbrauch,    im    Organismus 


Entwicklungsgedanke,     Alter      des 
149    —    und    Lcbensfähiijkcit    184 
Entwicklungsgesetze,       erste      Aus- 
prägung     150     —     und      Eigcn- 
schaftenmehrung     163 
Entwickluncshcmmungcn,  durch 

Hunger    175 
Entwicklunprshypothese,      als     Aus- 

glcichsvorgang    262 
Entwicklungsmcchanik,   Begriff   13fi 
—  und  obiektivc   Philosophie   100 
Entwicklungsprozeß,    ad     infinitum 

190 
Entwicklungstempo,    einzelner   Stu- 
fen    199 
Entwickluncfstendenz,    und    Dishar- 
monie   150 
Entwicklungstheorie,    und    Organi- 
sationsmerkmale 182 
Entz,    G.    127 
Enzyme,   der  Gärung  64 
Eolithen,   und   Proanthropoiden   193 
Eolithiker,    rezente    194 
Epidermisbau,     einer    Fichtennadel 
240 


Energiewechsel,    Formen    des    Sd 
England,    Oberbevölkerung   210 
Engler,    A.    192,    193 
Enharmonie.     als     Prinzip    innerer 
Ordnung    263   -    der    Teile    251 
—    des    Blattfisches    268    —    in- 
trazelluäre   264 
Enna,  A.,  als  Komponist  36 
Entdifferenzierung,  auf  embryonale 

Zellen    175 
Entelechie,      als      Formungsprinzip 
129    —    und    objektive    Philoso- 
phie 120 
Enlerhacken.     zur    Organismenver- 
breitung   276 
Entfaltung,     Fortschritt  als   185  — 

geistiges    Wachstum    als    186 
Entoblast,    Abzweigungen    191 
Entoprokten,    Knospung    179 
Entropie,    und    objektive    Philoso- 
phie   7,    10    —    und    Weltkreis- 
lauf  262 
Entropiegedanke,    und    Weltende    8 
Entropiegesetz,    und    Nebulium    190 

—  und   Wärmelehre    123 
Entropieprinzip,     halbabgeschlosse- 
ner  Systeme  282 

Entropieproblem,  und   Biozentrik  9 

Entwicklung,   als  Absolutes   189  — 

als    Ausgleichsvorgang    141,    185 

_  als    bedingte   Erscheinung   173 

—  als  Reaktion  175  —  diskon- 
tinuierliche 172  —  durch  ge- 
schlechtliche    Fortpflanzung     180 

—  Harmonie  als   Endziel  der  278 

—  Harmonoklise  als  261  —  im 
Erdbau  153  —  rückläufige  Dif- 
ferenzierung bei  175  —  Spencer- 
scher Begriff  186  —  und  Lei- 
stung 171  —  und  Kosmos  151 

Entwicklungen,  innerhalb  des  In- 
tegratiotisgesetzes    198 

Entwicklungsablehnung,  im  Bio- 
logischen   158  . 

Entwicklungsbegriff,  u.  f ruhorien- 
talische  Philosophien  150 


Equisetum,  fertiler  Sproß,  Abb.  67 
Erbeinheiten,  Durcheinanderschütte- 

lung   der   163 
Erbmasse,    Verteilung    163 
Erbsenkeimlinge,    bei    Kotyledonen- 
zerstörung   174 
Erdachsenstellung,      und     Wärme- 
verteilung  23 
Erdbahnunregelmäßigkeiten,       har- 
monisches Mittel   der  263 
Erdball,    als    Integrationsstufe    199 
—    als    permanentes    Magnetfeld 
54    _    Wärmeoptimum    60 
Erdbebenwellen,  ozeanische,  Schnel- 
'      ligkeit    17 
Erde,  als  Elektromagnet  53  —  Er- 
kaltung   154   —   technische    Form 
der    69 
Erdenklima,   Abkühlung   155 
Erdgestalt,   als   Wetterursache   22 
Erdintegrationseigenschaften,      und 

Artenveränderung   181 
Erdmagnetismus,       und      objektive 

Philosophie  53 
Erdoberfläche,     Sonnenwärme     auf 

der    58 
Erdperioden,    Vereisung     und    tr- 

wärmung  28 
Erdpyramide,  vom  Ritten,  Abb.  44, 

106 
Erdpyramiden,    Entstehung   149 
Erdrelief,    Entstehung    190   -    Ur- 
sachen   156 
Erdrinde,    kreislaufmäßiger   Umbau 

155  —  Tiefenstruktur   156 
Erdrotation,     und     Meeresströmun- 
gen   19  —   und  Wärmeverteilung 
23 
Erdschichten,  Atomzerfall  57 
Erdtransmutationismus,       Ursachen 

Erdveränderungen,  verschiedene 
Ursachen   157  ^.  ,,   a 

Erdwärme,      biologischer      Einfluß 
der    155  —   Maximaltemperaturen 
125 
Erfindung,    Bedürfnis   der    128 
Erfinderideen,  und   Berechnung  116 
Erfindungen    des    Menschen,    tnt- 
1      stehung    96  ,    u    ,     i, 

Erfindungsgeschichte  und  Biotech- 
nik 115  -  und  kleinstes  Kraft- 
maß   244 


Erfindungszeitalter,    künftiges   116 

Erg,    Begriff    123 

Er(;asiischc    Einschlüsse,    in    Zellen 

Erhaltung    der    Energie,    als    Gc- 

sctzcszusammcnhang     133 
Erhaltung    der    Materie,    »Is    har- 
monischer   Ausgleich    261 
Erkennen,    Selektion    durch    219    — 

technischer  Charakter  des  122 
Erkenntnisfähi(,'keit,  relative  121 
Erkenntnisgrenzen,       und      Erleben 

285 
Erkenntnistheorie,  biozentrische  121 
Erkenntnismöglichkeiten,  durch 

Musik    36 
Erleben,    Mittelmaß    143    —    Zeit- 

losigkeit    des     199 
Erlebnisspeicherung,     durch     Neu- 
ronen 242 
Erlebnisse,  HarmoniMerung  der  278 
Ernährung,    als     Biotechnik    83    — 
der    Pflanze   94   -    selektive   221 
Erniihrungsdifferen/en,     bei     Spin- 
nen  201 
Erosion,    drei    Phasen    der    238    — 
Erdpyramiden    durch    lOS   —    Er- 
scheinungen, erstes  Stadium  Abb. 
59     —      Erscheinungen,      zweites 
Stadium,   Abb.   60  —    Folgen    148 

—  Prinzip  des  kürzesten  Weges 
in  der  236  —  rückschreitende 
Abb.    50   —    Selektion    durch   205 

—  senkrechte    Richtung    der   236 

—  technische  Formen  der  70  — 
und    Festlandsgestaltung    149 

Erosionsschlucht,  im  Gebirge  Ab- 
bildung 4 

Erosionsturm,  im  Hochgebirge 
Abb.  80 

Erwärmung,    elektrische    48 

Ethik,  als  optimale  Krafterspamis 
248  —   kleinstes  Kraftmaß  in  247 

Erysibe,    Geschlechtslosigkeit    179 

Ethik,   objektive   202 


i., ..!.<,   objek.,.-   — 
Eukalyptus,   Pumpleistung  93 

Euklid    229 

Eule,  als  Flugmodell  112 

Eulen,   Vermehrung   218 

Eunotiatyp,     druckfeste     Konstruk- 
tion   127 

Europa,    als    Meeresbecken    22    — 
Überbevölkerung   210 

Evolutionsbegriff  der  Geologie  152 

Evolutionsgedanke,    in    der    Biolo- 
gie  158 

Ewald   129 

Ewiger   Schnee,   Ursache   23 

Exhaustoren,    und    Atmung   9S 

Exklusion,    Begriff  220 

Experimentelle    Morphologie,     und 
objektive  Philosophie  100 

Expressionismus       und       objektive 
Philosophie    220  .       „       ■„ 

Extrasystemale    Harmonie,    Begritt 
256 

Faber    288 

Fabrik,   Blatt  als  96         .... 

Fachwissenschaft,    u.    teleologische 

Zusammenhange    134 
Fadenwürmer,     Parthenogrnesis  179 
Fällungen,    rhythmische   61 
I  Faium.    Alter   der    Pyramiden    200 
Falter,    Licblingsblumen     222 
Fallgesctz.   und    Erosion    148 
Farad,    als    elektrische    Maßeinheit 
47 


293 


Faraday  41,  48,  52 
Farben,    Schwingungslänge   38 
Farbenhören,   Phänomen   des  44 
Farbenlehre,  Musik    und  Malerei  44 

—  von   Ostwald  254 
Farbenzerstreuung,   Ursache  45 
Farbsloffträger,   pflanzliche  94 
Farn,  Lebenskreis   160 

Farne,  Entfaltung  der  Sporophyten 
der,   Abb.   66 

Faulschlammdecken,  Organismen 
157 

Faust,    und    lex    parsimoniae    248 

Fauth,   P.   190 

Fayoa    127 

Fechner,  O.  T.  6 

Fehlergesetz,    Gauß'sches   226 

Feldhaus,   M.   234 

Felsenflur,   als  Schlußverein   158 

Fenner    118,    146 

Fermat    149,   235 

Fermente,  beim  Verdauungsvor- 
gang 89  —  der  Gärung  64 

Festigungszellen   in  Moosen  240 

Festlandformen,  als  technische 
Formen    70 

Festlandrelief,    Prägung  205 

Fett,    synthetische    Herstellung    94 

—  Wärmezurückhaltung  durch  88 

—  Verdauung  89 
Fettropfen,    in    Zellen    77 
Fetzenfisch,    im    Tangwald,  Abb.  43, 

105 

Feuerlilien,  Brutknospen  177 

Feuersee  auf  Hawai,  als  vulka- 
nische   Gleichgewichtsanlage    157 

Fibrillen,   Tätigkeit  78 

Ficaria,   Brutknospen   178 

Fichte    189 

Fichtennadel,  parsimokliner  Bau 
240 

Fichtennadel,  Querschnitt  durch 
eine,    Abb.    105 

Fieber,  als  Blutwärmeproblem  9 

Fieberklee,   als   Verlandungspflanzc 

Fische,   Hochzeitskleider  222 

Fischer,    O.     128 

Fischereierträgnisse,  und  Meeres- 
strömungen   18 

Fitting    279 

Fizeau    46,    125 

Flächenprinzip,  abgeschlossener 
Systeme  282 

Flagellaten,  Fähigkeit  der  Nah- 
rungswahl 121  —  Geißelbe- 
wegungen   80  —    Ursprung    165 

Flagellatengeißeln,    Funktionen    81 

Flandern,   Übervölkerung  229 

Flechten,  Chromatophoren  in  94 
—   Gemeinschaft  der  213 

Fledermausfloh,  biotechnische  An- 
passung,   Abb.   46,    108 

Fleischfressende  Pflanzen,  Eintei- 
lung   85 

Fliegetechnik,    als    Biotechnik    116 

Fließ,  W.  61,   126 

Flimmerhaare    als    Nebenhaare    77 

Flügelein richtungen,  der  Organis- 
men  276 

Flüssige    Luft,    Erscheinungen    59 

Flüssigkeit,  Korrelation  der  Teile 
267 

Flugdünen,   der  Sandwüste   30 

Flugsandfelder,  als  Funktionsform 
30 

Flugapparate,  Biotechnik  der  112 
Flugröhre,    brasilianischer    Bienen, 


Abb.  48,  HO 

Flugzeug,    und    Luftballon    112 

Flusrzeuge,  kleinstes  Kraftmaß  in 
245 

Fluktuationen,  der  Vererbung  225 
—    Vergänglichkeit    162 

Fluoreszenz,    Entstehung   39 

Fluoreszenzschirm,    Herstellung    55 

Fluß,    kürzester   Weg   237 

Flußnetz,  kleinstes  Kraftmaß  238 

Flußtäler,    Entwicklungsform      147 

Fluxionsrechnung,  Uifferentialan- 
wendung    229 

Fötus,   Ernährung  160 

Foramen  entepicondyloideum,  als 
Reptilienanpassung    167 

Foraminiferen,  als  Harmoniebei- 
spiel  264   —    Radform    129 

Form,  als  Eindruck  83  —  des 
Seins  231 

Formänderung,  bei  Funktionsände- 
rung   69 

Formgesetz,  der  Funktionsände- 
rung  67 

Format,   biologisches  257 

Formationen,  Bildung  199  —  Zu- 
sammenschluß   zu   275 

Formgestaltung,  durch  Kräfteaus- 
gleich   207 

Formproblem,  und  Funktionsgesetz 

Forschung,  als  Selektion  220 
Fortpflanzung,  als  Biotechnik  83 — 
als  optimokline  Geschehensart 
176  —  bei  Kakteen  243  —  der 
Moose  160  —  zweierlei  Arten 
177 
Fortpflanzungstrieb,  und  objektive 
Philosophie   180 

Fortpflanzungsvorgang,  Techniken 
des  98 

Fortpflanzungsweg,  formenreicher 
Arten     176 

Fortschritt,  als  Ziel  150  —  Ge- 
setz  der    185   —    sozialer   190 

Fortschrittsbegriff,  und  natürliche 
Schöpfung    154 

Fortschrittsglauben,  und  objektive 
Philosophie   143 

Fossile  Tiere,  Wiederherstellung 
270 

Fragaria,  Ausläufer,   Abb.   68 

Fragilaria  Harrisoni,  druckfeste 
Konstruktion    127 

France,  Raoul,  H.  21,  86,  126,  127, 
128,  129,  130,  156,  175,  189,  228, 
288 

Franklin     191 

Frankreich,  Bevölkerungsmangel  210 

Frantz    49 

Franz,    V.    183 

Frauenschönheit,  harmonisches  Ge- 
setz  der  270 

Fraunhofer  204 

Frech,    F.    28,    190,    191 

Fremden  Industrie,  und  kleinstes 
Kraftmaß   245 

Fresnel,    A.   38 

Fresnel'scher  Spiegelversuch,  Inter- 
ferenzerklärung   Abb     10,   39,   40 

Freud,    Sigmund    15,    61,    126 

Frey  -  Bund,  und  objektive  Philo- 
sophie   189 

Friedrichs,  W.   125,  279 

Fries,   J.   247,  254 

Fritsch,   G.   258 

Fritsch,  von    114 

Frösche,     Einteilung    159  —   groß- 


hirnlose  189  —  sexueller  Di- 
morphismus 222 

Froschbiß,  als  Verlandungspflanzc 
157 

Froschlarven,    Involution    175 

Fruchtbarkeitsabnahme,  und  Völ- 
kerdifferenzierung   195 

Fruchtbarkeitssenkung,  an  Kühen 
224 

Fruchtknoten,  Bau  eines  pflanz- 
lichen, Abb.  35  —  und  Uterus 
102 

Früchte,  als  Reservenahrung  86 

Früheisenzeit    in    Afrika    194 

Fuld,    L.    101,    123 

Funaria  hygrometrica,  weibliche 
Blüte,  Abb.   64,    159 

Funktion,  als  Geschehensausdruck 
132  —  Periodizität  der  61  — 
Sein  als  2  —  und  kleinstes 
Kraftmaß  141  —  und  Lebens- 
dauer 202  —  und  Funktionsform 
11  —  und  Macht  201 

Funktionelle  Anpassung,  Mimikry 
als  107  —  und  objektive  Philo- 
sophie  68 

Funktionen,  des  anormalen  Orga- 
nismus   85    —    harmonokline    272 

—  integrale,  der  Organismen 
79    —    parsimokliner    Ablauf    233 

—  Ziel    der    organischen    247 
Funktionsdauer,      durch     Gleichge- 
wichterhaltung   3 

Funktionsform,  der  Dinge  74  — 
Entstehung  11  —  im  Anorgani- 
schen 69  —  optimale,  Kugel 
als  13  —  und  f^unktion  101  — 
verschiedene    Verwendung  93 

Funktionsformen,  des  Chlorophylls 
95  —  aktive  Anpassung  106  — 
Konvergenz  der  111  —  chemische 
70 

Funktionsgesetz,  Allgemeingültig- 
keit 67  —  des  Seelischen  73  — 
im  Geistigen  68  —  im  Taylor- 
system 250  —  und  chemische 
Vorgänge  f  —  SchluUanalyse 
140  —  und  Qeisteswelt  7 

Funktionsketten,  der  Fortpflan- 
zungsorgane 99 

Funktionslehre,  biologische   100 

Funktionsvariation,  als  Weltbild  67 

Funktionsverlauf,  nach  geringstem 
Widerstand   247 

Funktionswechsel,  und  Formwech- 
sel  83 

Gärung,  als  Biotechnik  116  —  Pro- 
zeß   64 

Gäßchenmündungen,  und  Blutge- 
fäUmündungen  91 

Galilei    11 

Galle,     als    Verdauungsferment    89 

Gallen,  Anpassung  216 

Gallengänge,   als    Röhrenleitung   89 

üalton    225,    227,    229 

Galton-Kurve,    an    Züchtungen    227 

Gametobiont,   der  Säuger   161 

Gametophyt,    Gestalt    160 

Gang,  aufrechter,  als  Anpassung 
182 

Gangesebene,      Übervölkerung     229 

Ganglien,    Entwicklung   118 

Gase,  negative,  spezifische  Wärme 
190    —    selektive     Emission    204 

Gasflamme,    Wärme   58 

Gasionen,    in    Kanalstrahlen    56 


294 


Gaswechsel,  der  Pflanze  85  —  des 

Tieres    86 
Gauß,    226,   232,   233,   253 
Oay-Lussac    3,     126 
Oebärerschwerung,    an    Kühen    224 
Gebärmutter,    Asymmetrie     tOO 
Gebirge,  als   Erkaltunorsruiizeln   155 

—  optimale    Ausbreitunfr    igg 
Gebirgsabtragunc,       Erscheinungen 

Abb.   55   —    jährliche    148 
Gebirgsstümpfe,    karbone    156 
Gebläse,    und    Atmung    98 
Geburtenrückgang,    der    Großstädte 

Gedanken,  als   Funktionsformen  119 
Geflügel,    durch    Selektion    223 
Gefiihl,   als    Erkeniitnisquelle   285 
Oejenseiüge    Hilfe,    als   Regel   213 
Gehirn,   als   teleologisches  Organ  73 

—  als    optimales    Organ     145    — 
Energieverbrauch    86    —    Entwick- 
lung   118   —    Überschätzung    des 
284 

Gehirnleistungen,      bei     Vertretung 

durch   andere   Zellen    189 
Gehirn  Physiologie,     und     objektive 

Philosophie  il9 
Gehirniätigkeit,     als    Biotechnik    75 
Gehötte  Tüpfel,    als    Kammerfilter- 
pressen   93 
Gehör,    poetische    Unterschiede    118 
Gehörempfindung,      als      Resonanz 

Gehörknöchelchen,      Funktion      117 
Gehörnerv,    Weg    des     117 
Gehörorgan,  als  Vorbild  für  Saiten- 
instrumente 33 
Gehörsteinchen,     Bedeutung    33 
Geißeln,   als   Nebenorgane  77 
Ocißlerröhren,      Leuchtvorgang     48 
Oeißier'^che    Röhre,    Leuchterschei- 
nungen   54 
Geist,     als    mechanische    Selektion 
225   —    und    Menschenkörper    171 
Geistesleben,  und  Naturwissenschaft 

134 
Geisteswelt,  und  Weltgesetze  119 
Gei^itigkeit,  Entwicklung  in  der  190 
Geistwerdung,  des  Zoetischen  170 
Oeldvcrkehr,  mechanische  Prinzi- 
pien 139 
Gelbrandbein,     als     Funktionsform 

241 
Gemüse,   durch   Selektion   223 
Generationswechsel,      der      Pflanze 

160   —    der   Säugetiere    161 
Genetischer      Zusammenhang,     des 

Titrstammbaumes    192 
Oenitalsystem,  Formveränderun- 

gen   des   99 
Genotypus,    Begriff   164 
Gentiana    punctata,     auf    einer    Ra- 
senbank,   Abb.    122,    265 
Geoffroy  de  St.  Hilaire   100 
Geogenesis,     und    objektive    Philo- 
sophie    153 
Geoid,    Erde  als  69 
Geologie,     als     anorganische     Ent- 
wicklungsreihe     153     —     Kumu- 
lationen     154     —     Prinzip     des 
kürzesten    Weges    236   —   Trans- 
mutationen    152 
Geometrie,     und     kleinstes     Kraft- 
maß   248 
Geophysik,     Prinzip    des    kürzesten 
Weges    236     —     und     objektive 
Philosophie    69 
Gerät,    Unkultur    245 


Geräusche,    und    Musik    34 
Geranien,   als    Sprcizenklimmer   213 
Qeranium,    Vcrlctzungsreaktion    174 
Gcranium      Rohertianum,      Stelzen- 
bildung, Abb.   36 
Gerechtigkeit,    als    kleinstes    Kraft- 
maß   248    -    ah  Menschheitsziel 
249   -   der   Welt    287 
Oerichtetsein,    Begriff    10 
Oerminalsclektioi,    Begriff   212 
Oerölle,   als   technische    Formen   70 
Geröllreißen,    Optimumgesetz    der 

147 
Gesamtlebenscinrichtung,     optimale 

Methoden    137 
Oesamttechnik,    des    Plasmas    73 
Qeschäftsleben,   Okonomiegcsetz  249 
Geschehen,    Optimum    des  '  147 
Geschehensausdruck,    Form    als    83 
Geschehnisse,    Periodizität   60 
Qe-chichte,    als  Wellenphänomen  16 
Oeschichtsrhilosophie,         objektive 

Notwendigkeit  275 
Gesi-hichtsprozeß,      als      Harmono- 

klise  275 
Gesthichtsvergangenheit,     Änderun- 
gen   186 
Qeschlechtcrgilden,         gegenseitige 

Hilfe   durch   213 
Oeschlechtlichkeit,    Vorteile    179 
Geschlechtsakt,     als     Regeneration 

180 
Geschlechtsfortpflanzung,    als    Ent- 

wicklungsursaclie     180 
Geschlechtsorganbildung,       Sonder- 
gesetz   191 
Geschlechtsprodukte,      menschliche, 

als    Knospungsresultate    179 
Geschlechtswerkzeuge,     bei     Pflan- 
zen  und  Tieren   101   —   Hormone 
der  271 
Geschlechtszellen,      Herausdifferen- 
zierung   160 
Geschwindigkeitssteigerung,   chemi- 
scher   Reaktionen    235 
GesellschaftsbiUlung,  von   Zellen  82 
Gesetz,     als    Auslese    203    —     der 
Biotechnik     110  —  der     Einfluß- 
sphäre     264     —     der      multiplen 
Proportionen,  als   Auslese  203  — 
der     multiplen     Proportionen    als 
Harmoniefunktion  34  —  der  Par- 
simoklise,     Formen     244    —     des 
kleinsten    Kraftmaßes  232   —    des 
kleinsten    Kraftmaßes   im    Taylor- 
systeni  250  —  der   Bewegungen    14 
Gesetzgebung,    kleinstes    Kraftmaß 

in    248 
Gesetzmäßigkeit,     des    dauerhaften 
Ausgleichs    261    —    des    Erlebens 
122 
Gesteinsschichten,       Faltung      (Mo- 
dell),    Abb.     52 
Gesteinssorticrung,    nach    kleinstem 

Kraftmaß     237 
Oestirnkrcislauf,    als    harmonischer 

Ausgleich   261 
Getreide,    durch    Selektion    223    — 

Züchtung    164 
Getreiderost,  als  epidemische  Krank- 
heit   224 
Gewerkschaften,    und    Taylorismus 

251 
Gewitttrwolkcn,      Eigenschaftskreis 

27 
Gewölbe,     biotechnische    Verbesse- 
rungen 80 


Gewohnheit,     Philosophie    der    rei- 
nen   Erfahrung    in    der   246 
Gezeiten,    und    Erdmagnetismus    54 
Gifte,   und   Katalyse   65 
Gilden,    als    Hilfsprinzip    213 
Gilterbrücke,  Schema.  Abb.  45,  107 
Olasprismei'.    als    Biotechnik    38 
Glaube,    Metaphysik    als    283 
Gleichgewicht,     als     Bczichungsziel 
185    —   als   Optimum    114   —    der 
Teile   199 
Gleichgcw  ichtsfragen,         Mechanis- 
mus  186 
Gkichgewichtsgesetz,      an      Staats- 
quallen   269 
Gleichgewichtslage,      als     statische 

Harmonie   259 
Gleichgewichtsstörungen,  durch 

Funkenentladung    49   —    und    Se- 
lektion   217 
Olcichungstransformationen,  als 

mechanische    Ausdrucksform     138 
Gleitflug,    biologische    Konvergenz 

112 
Oletscher,    Abtragung    durch    237 
Gletscherabsinken,      als      parsimo- 

kline    Leistung    237 
Gletschermodell,  schcmatisches,  Ab- 

bildg.  5 
Gletschertische,     Entstehung    108 
Gletschertöpfe,    Entstehung   236 
Gletschertöpfe,    im   Otztal,   Abb.   99 
Gliederfüßlerbau.      als      Organisa- 
tionsmerkmal   183 
Gliederung,  des  menschlichen   Kör- 
pers   241 
Glogau    288 
Glühlampen,       Leuchterscheinungen 

49 
Glykose,    Wanderung   94 
Gnaphalium,    auf    einer    Rasenbank, 

Abb.    122,    265 
Goebel,   K.    100,   174 
Goethe.    W.    v.    167,    200,    253 
Goldener  Schnitt,   Begriff  253 
Golfstrom,    als    Ausgleichsvorgang 
19   —   als   Kulturfrage    13   —   als 
Warmwasserheizung    70     —     und 
Objekt.  Philosophie    19   —   Weg  8 
Goltz    189 
Gorillaskelett.     Harmonie    des   270 

—  und    Menschenskelett,    Abbil- 
dung   123 

Gotische    Dome,      organischer    Stil 

der   245 
Gotische  Münster,    Deflation  an  29 
Gottesbeweis,    entropischer    8 
Gottheit,    al>    harmonisches   System 

274    —    und    Seeleriharmonie    266 
Gould     113 

Graber,    Vitus   88,    112,    123 
Grammatik,      rhythmische     Gesetze 

der  63 
Granit,    Regenrillet    143 
Gracser,    Kurt     120 
Gräser,   Stereomc   239 
Graetz,    Leo   41 
Granula,    in    Zellen    77 
Granulum,      als      Zellenorganismus 

77 
Graptolitheii.  Lebensverh.iltnisse  181 
Grasfrösrhc,  Liebcsaki   der.  Abb.  94 
Grattürme,    Entstehung    217 
Gravitation,    aU    Massewirkung    11 

—  als     mechanische     Ausdrucks- 
form   133 

Oraviiatioiisdefinition    und    Okono- 
miegcsetz 234 


295 


OravitaHonsgesetz,   Newton'sches  12 

Griechen,  Formulierung  der  irra- 
tionalen  Zahl   bei  229 

Großstädte,  Übersteigerung  der  Ein- 
flußsphäre 264  —  und  Volksge- 
sundheit 211 

Großstadtdauer,  und  NX'aldesdauer 
1Q8 

Grunderscheinungen,  elektrische  52 

Grundgesetze,  der  Technik   115 

Grundgesetz  der  Welt,  elektrisches 
46 

Grundsatz,  der  einfachsten  Erklä- 
rung 246 

Grundton,    Begriff    34 

Gültigkeit,  der  physikalischen  Prin- 
zipien  282 

Guenther,  K.  165,  191 

Güte,  als  Vernunft  243 

Qummiröhren,    als    Biotechnik    89 

Gurwitsch    127 

Gyroporellen,  Lebensverhältnisse 
181 

Haarkleid,         Wärmezurückhaltung 

durch   88 
Haberlandt.  G.  238,  240,  254 
Häckel,    Ernst    136,    143.    150,    165, 

188,   189,   191,  192,  195,  208,  225, 

227,    264 
Haecker,    V.    191 
Haiistemma    tergestinum,    aus   dem 

Mittelmeer,    Abb.     125,    269 
Hafenanlagen,     kleinstes    Kraftmaß 

in    245 
Hagelkörner,  Entstehung  26 
Hammada,  Windfunktion   in  der  29 
Hamilton    133,    135,    232,    233,    253 
Handel,  als  Selektion   220  —  klein- 
stes   Kraftmaß   im   248 
Handelshäuser    .kleinstes    Kraftmaß 

in    245 
Hann  25 

Hansemann,   von   212 
Harfenbildung,      im      menschlichen 

Ohr   33 
Harfenvorbild,      Corti'sche    Fasern 

als    117 
Harmonie,    absolute    Dauer   227   — 

ästhetische   Wirkung   der   267   — 

als    biologisches    Endstreben    277 

—  als  Dauerzustand  10  —  als 
Ende  der  Entwicklung  200  — 
als  Oleichgewicht  der  Relationen 
257  —  als  Sinn  des  geschichtli- 
chen Werdens  275  —  als  steter 
Kreislauf  262  —  als  universales 
Weltphänomen  43  —  als  voll- 
ständige Ausgleichung  141  —  als 
Weg  zum  Unendlichen  278  — 
als  Weltsinn  259  —  als  Ziel  der 
Menschheit    277    —    Begriff    256 

—  Dauer  durch  142,  201  —  der 
Einzeller  264  —  der  Funktionen 
10  —  der  menschlichen  Schönheit 
270  —  der  rrmsikalischen  Inter- 
valle 34  —  der  Organismen,  mit 
ihrer  Umwelt,  Abb.  115  —  des 
Hochgebirges  266  —  faunisti- 
sche,  Durchbrechung  276  —  mu- 
sikalische, Ursache  260  —  und 
Entropie  10,  262  —  und  Selek- 
tion 218  —  und   Entwicklung  141 

—  und  Weltprozeß  4  —  und 
Züchtung    224 

Harmoniegesetz,  der  Paläontologie 
275  —  Gültigkeit  für  das  Welt- 
ganze 263  —  und  Elektrizität  50 


—  und    Organismusbegriff    266 

—  und  Taylorsystem  250  —  Vor- 
läufer 257 

Harmonielehre,  des  Pythagoras  257 

Harmonienotwendigkeit,  in  der 
Technik    251 

Harmonische  Bewegung,  Satz  der 
189    —    Schema,    Abb.    57,    141 

Harmonisierung,   des   Bios   171 

Harmoiioklise,  der  Planariarege- 
neration  274  —  des  mechani- 
schen Geschehens  259  —  des 
Weltbegriffes  261  —  durch  en- 
dogene   Drüsensekretion    271 

Harnblase,  als   Behälter  89 

Harnorgane,  als  Oenitalursprung 
99 

Harnstoff,     organischer    Abbau    86 

Harrar,    Annie    36,    124 

Harzgängeverstärkung,  an  einer 
Fichtennadel  240 

Hase,    Lebensmöglichkeiten    168 

Haselblüte,    Rot   der  223 

Hatscheck     191 

Hattcria,    und    Palaeohatteria    194 

Hauptgipfel,  Kulmination  um  einen 
207 

Hauptstädte.  Verhältnisziffern  der 
Einflußsphäre    (Tabelle;  264 

Hausgans,  Rassen  224 

Haushund,  durch  Selektion  223 

Hausrat,    Unkultur  245 

Hauswurz,    Blütenstand    243 

Haut,    als    Wärmeabieiter    88 

Havdn   36 

Hebel,   Gliedmaßen    als   97 

Hegel    139,    150,    189,    190 

Hegelismus,  und  objektive  Philo- 
sophie   141 

Heide,    Entstehung  157 

Heide-Edaphon,  als  Lebensgemein- 
schaft    (Tabelle)    228 

Heimat,    als    Harmoniebegriff   266 

Heineck,    O.    221 

Heizung,   als   Biotechnik  88 

Helgoland,    Wellenspuren    20 

Heliciden,     Bau    194 

Heliotropismus,  eines  Polypen.  Ab- 
bildg.   58 

Helium,  negative  spezifische  Wär- 
me   190 

Heliumjonen,    a-Strahlen    als    56 

Helix,  Mutationen  176 

Helleborus  viridis,  Wärmeregula- 
tion   174 

Helleborus  viridis,  Kälteanpassung 
von,    Abb.   72 

Helmholtz  5,  31,  33,  117,  125.   129, 

134,  232 

Hepaticablätter,  und  Leberleidcn  102 

Heraklit    150,    196,    262 

Herder   143,   150 

Heringe,   Wanderungen   276 

Herodot   150 

Herrenaffen,    als    Vorfahren    191 

Hertwig  211 

Hertz,    Heinrich    42,    50,    133,    134, 

135,  188,   232 

Hertz'sche    Spiegel,    Anwendung   50 

Herz,  als  Pumpe  110  —  als  Röh- 
renerweiterung 92 

Herz,  menschliches,  Längsschnitt 
Abb.    107 

Herzschlag,  Rhythmus  des  60 

Herzsystole,  als  Muskelkontraktion 
91 

Heß    237 

Heß  C.  von  222 


Hesse,   Richard  218 
Heuschrecken,    Wanderungen    276 
Heuschreckenschwärme,  und  Vogcl- 

vermehrung    209 
Hexameter,   als    Rhythmus  62 
Hicracium,    Mutationen    176 
Himalaya,     als    jungtertiäres    Rest- 
gebirge   156     —     Niederschlags- 
menge 26 
Himmelsmechanik,       Kemsatz      dei 

Newton'schen    12 
Himmelsnebel,     Entzündung    59 
HIndenburg    138 
Himgewicht,    Quetelet'sches  Gesetz 

226 
Histogenesis,  des   Embryos  159 
Histologie,       devonischer      Wirbel- 
tiere   194  —   funktionelle    100 
Hislorik,     und     objektive     Philoso- 
phie  189 
Hittorf 'sehe    Röhre,    Begriff   55 
Hitzemaximum,   der  Erde  126 
Hobbes    232 

Höchsttemperatur,     irdischer    Wär- 
mequellen  5S 
Hochdruckgebiet,    in    Asien    24 
Hochgebirgslandschaft,         harmoni- 
sche,   Abb.    119 
Hochgebirgszone,    als    Schlußvercin 

158 
Hochmoor,    Entstehung    157 
Hochwald,    Stockwerke   des   276 
Höhentemperatur,  Sinken  25 
Höhlenkäfer,  blinder,  Abb.  123,  267 
Hörbiger   151,   190 
Hörnervenfibrülen,    Anordnung   33 
Hofmeister    160 
Hohlkehlenbildung,    an    Felsenriffen 

20 
Hohlspiegel,     für     Elektrizitätswel- 
len   50   —    Schallauffangung   32 
Hohltiere,    Nervensystem    146 
Holz,  Bau  239  —  synthetische  Her- 
stellung   94 
Holzapfel,    R.    M.    220,    229 
Homo  Heldelbergensis-Kiefer,    und 

Orangkiefer,    Abb.    39,    100 
Homo      primigenius,       Rekonstruk- 
tionsversuch, Abb.  132 
Honigsporne,  als  Trinkhumpen  110 

—    Selektion    durch    222 
Horizont,    Radius    des    69 
Hormone,  erotisierende  223— Wachs- 
tumsregelung durch  271 
Hörn,      als     tierisches     Werkzeug- 
material 88 
Hornlosigkeit,    Selektion    auf    223 
Hottentotten,     und     Menschenaffen 

166 
H— Theorem,  als  Entropieausgleich  3 
Hügelland,  Harmonie  266 
Hume  284,  288 

Humboldt,    Alexander    von    19,    237 
Hummeln,     Lieblingsblumen     222 
Humusbildung,     durch    Verlandung 

157 
Hund,    großhimloser   189   —    Züch- 
tung  164  —   Rolf,  geistige  Ober- 
müdungserscheinungen    224 
Hund    Rolf,   Mimik,   Abb.   95 
Hunde,   seelische   Erkrankungen  224 
Hunger,    Involution    bei    175 
Huxley,   143,   165.   189,  238,  211,  215 
Huygens,   Christ.    17,   45,   69 
Huygens'sches     Prinzip,     der    Wel- 

lenzusammenwirkung    17 
Hj'alodaphniakiebschen,       Tempera- 
turvariationen   105 


296 


Hydra,   Ganglien   118  —   Kiiospung 

179       —      Regenerationsvorgäiige 

174 

Hydren,    Hungerrückbildungen     175 

Hydrierung,     durch     Platiiikolloidc 

65 
Hydrochoren,    Wanderungen    275 
Hydrogen,    und    Entropiegesetz    190 
Hydroidpolypen,     Abschniirung     176 

—  Hungerformen    175 
Hvmnus,    als    musikalische    Urform 

33 

Identität,    des    Seelischen    188 
Identitätssatz,  als  mechanische  Aus- 
drucksform  138 
Indischer     Ozean,     als     Meercssen- 

kung    191 
Individualbegriff,  und  Harmonie  237 
Individuum,    und    Dauer   201 
Indochinesische      Region,      Zusam- 
mensetzung  199 
Induktionsfunken,    Ausbreitung    50 
Induktionsspule,    Bedeutung    52 
Industrie,    Harmonieforderung    251 

—  kleinstes   Kraftmaß    in    248 
Industrialismus,  und  objektive  Phi- 
losophie  190 

Infinitesimalrechnung,  als  Auslese 
203 

Ingression,  an  deutschen  Meeres- 
küsten  29  —   Begriff  28 

Inklination,     der     Magnetnadel     53 

Inkonstanz,  der  Pflanzenvereine 
197  —  der  phylogenetischen 
Entwicklung   172,    176 

Insekten,  als  Selekteure  222  — 
anatomischer    Bau,    Abb.    33,    92 

—  Gehirn  der,  Abb.  138,  285  — 
Kultur  114  —  Mutationen  bei 
162  —  Metamorphose  der  (Hirsch- 
käfer), Abb.  96 

Insektenbeine,   Muskulatur  240 
Insektennachahmung,      von      Orchi- 
deen   217 
Insektentarsen,    Bau    241 
Insektentracheen,    als    Röhren    89 
Insolation,   verschiedene  23 
Instinkte,   als   Kraftersparnis   247 
Instinkthandlungen,    zur  Selektions- 
ausschaltung  217 
Integration,   der  Optima   198  —  der 
organischen    Gesellschaftsbildung 
83 
Integrationseigenschaften,      mensch- 
licher   Technik    73 
Integrationsgesetz,     der     Wellenbe- 
wegung   60   —    Inhalt   2   —    und 
Taylorsystem    250 
Integrationsstufe,    des    Tieres    168 
Integrationsstufen,  der  Musik  36  — 
der    Pflanzengesellschaften    95   — 
der  Welt   132  —  teleologische  72 

—  und  Optimumgesetz  172 
Intellekt,   als   Mittel   zum   Optimum 

145  —  biozentrische  Beschaffen- 
heit 119  —  Einschränkung  144  — 
und    Zoesis  248 

Intellektbeschaffenheit,  und  Me- 
chanik    135 

Intellektleistungen,  ohne  Gehirn 
284 

Intelligenz,  Daseinsdurchordnung 
durch  248  —  und  Überbevölke- 
rung   210 

Interferenz,  der  Schallwellen  32  — 
der  Wellenbewegung  15  —  Er- 
scheinungen   40 


Interferenzerscheinungen,    im    Was- 
ser, Abb.  2 
Intervalle,    Au-^wahl    34 
Intervall,    mechanisch      festgelegter 

Wert     125 
Intrasystcniale     Harmonie,     Begriff 

256 
Intuition,      als     Erkenntnismöglich- 

keit   285 
Involution,   Zellenabnahme   175 
Iris,     Chromatophurcn     in     der    76 
Irmingerstrom,      Klimaverbesserung 

durch    18 
Irreversibilität,  des  Geschehens  262 
Irrtümer,     des     Selektionsbecriffes 

211 
Isartal,    Erosionswirkung  206 
Island,      barometrisches      Minimum 

auf  24 
Isometrie,    als    Mimikry    109 
Isothermen,    als  1  empcratiirmaC  126 
Italien,  Überbevölkerung  210 

Jahreszeiten,   Periodizität   16 
Jang-tse-Kiangtal,   Überbevölkcnmg 

Jellinek,   K.   130 

Jensen,    P.    279 

Jodkaliumreststrahlen,  Wellenlänee 
43  '^ 

Johannsen,  162,  164,  225,  226, 
229,  230 

Jonen,  positive  Elektrizität  durch 
47 

Jonenzerlegung,  durch  Elektro- 
lyse   48 

Jordan,     124 

Joule  48,  58,   123 

Joule'sche  Zahl,  als  Energiemesser 
58  -   Formel  123 

Joule-Versuch,  schematischc  Dar- 
stellung,  Abb.    12,  49 

Joule-Wärme,  Anwendung  49 

Jungfernzeugung,  und  objektive 
Philosophie     179 

Juden,   Sittengesetz  der  249 

Justiz,  als  Selektion  220 

Jurafische,    Histologie    194 

Jurariffe,  Klimaänderungen  152 

Käferpanzer,    und    Ritterrüstung   82 
Kälteerscheinungen,   polare  59 
Kältemaximuni,  der  Erde  126 
Känguruhhunde,   vorderbeinlosc   101 
Kaffka    126 

Kairo,    versteinerte    Wälder    bei    29 
Kaisergebirge,     Eiserosion     im    237 
Kaiserreich,    deutsches,    Dauer    200 
Kakteen,    Blattbau   243 
Kaktusdahlie,   als  Mutation    162 
Kalema,   als  Wellenphänomen    16 
Kaliumchlorat,    Zersetzung  64 
Kalk,    beim    Düngen    94    —     Ero- 
sionswirkung     149    —    Kreislauf 
des    262 
Kalkschwänime,    als    Ansiedler    215 
Kalkspat,    als    Polarisator    41 
Kalmen,   Entstehung  23 
Kalte   Nebel,  und  Wärmeenergie  9 
Kamelhals,   als  Anpassung   182 
Kamelschwielen,      als      Windanpas- 
sung   29 
Kamerungebirge,  Niederschlags- 

menge  26 
Kamn.erer,    P.    61,    106,    126,    164, 

191,    194,    216,    230 
Kammerton,  Schwingungszahl  34 
Kampf,  als  letztes  Mittel  214 


Kanalbau,  als  Biotechnik  116 
Kanalisationsrohre,    Muffen    au    91 
Kanalstrahlci),     und    Licht     51     — 

Wcllcnnatur    der    45 
Kanarienvögel,    Rassen   224 
Kandclaljirbiiume,    als    Regulations- 
beispiel   174 
Kander,    Schluchtbildung    205.    206 
Kanon,   des   Poivkict  258 
Kant,     I.    122,    143,    150,    232,    249, 

253,    283 
Kapillarkraft,  Begriff  261 
Kapp    128 

Kare,   ah   technische    Formen   70 
Karwendclgebirgc,      Eiserosion     im 

237 
Karyokinese,  der  Zellen  78 
Kataklysmcnthtoric,    Folgen    152 
Katalysator,   Stoffe  als  64 
Katalysatoren,    Selektion    durch    204 
Katalyse,    Auswirkungen    der   60   — 

Begriff    64 
Katastrophenlchre,  Berechtigung  162 
Kategorischer      Imperativ,      Gesctz- 

mäUigkeit    des    249 
Kathode,    chemische    Abscheidungen 

Kathodenstrahlen,  und  Licht  51  — 
Wellennatur  der  45 

Kaudalwirbel,   überzähliger   166 

Kaukasus,  als  jungtertiäres  Resf- 
gebirge    156 

Kaulquappe,   hungernde   175 

Kautsky    208,    2'29 

Kayser,  E.   190 

Keibel    191 

Kepler  11 

Kernrelation,  Harmonie  263  —  und 
Einflußsphäre  der  Hauptstädte 
264 

Kernteilung,  Wiederherstellung  der 
Kcrnrelation  263  —  Zugleistun- 
gen   bei    79 

Kessel,   als   Biotechnik  89 

Kesselbergfall,    Erosion    236 

Kieselalgen,  druckfeste  Konstruk- 
tion 127  —  Farbstoffträger  in  94 
—    Harmonie   der   264 

Kieselalgenzelle,  Festigungseinrich- 
tungen   239 

Kieselsäure,  Kreislauf  der  262 

Kind,  kretinöses,  Abb.  130,  271  — 
und    Werk    181 

Kirchhoff,  Waller  42,  134,  246,  260 

Kisten,  biotechnische  Verbesserun- 
gen  80 

Klammen,  Entstehung  149 

Klangfiguren,  chladnische,  Abb.  7, 
32 

Klavier,   feste  Töne  125 

Klee,   als   Hummelblume  222 

Kleegedcihen,    Zusammenhänge    218 

Kleidermoden,  Queteict'sches  Ge- 
setz   226 

Kletten,  Verbreitungsein  richtungcn 
209  —  Wanderungen   275 

Kleidung,    Unkultur   245 

Kleinkrebschen,  Schwimmanpas- 

sung,  Abb.   42.   104 

Kleinstes  Krafimaß,  als  Selbstver- 
ständlichkeit  233 

KIcinwelt.  des  Süßwassers,  Abb.  49 

Kliemcke.    H.    189 

Kliff,  Entstehung  29  —  Zertrüm- 
merung   20 

Klima,  früherer  Erdperioden  28  — 
optimale  Auswirkung  199  —  Ur- 
sache   22 


297 


Klimakonstanz,       einhundertjährige 

218 
Klimamigration,    und    Wellengesetz 

27 
Klimatologie,   Phänomene  27  —  und 

objektive    Philosophie    22,    152 
Klimaänderungen,    in    Europa    (Ta 

belle)    152 
Klippen,    Entstehung  9.37 
Kloake,    verschiedene    Tätigkeit    0< 
Klotz,    H.    128 
Knauer,    F.    280 
Knipping,     P.    125 
Knochen,    Biotechnik  84 
Knochenbrüclie,  Umlagcrung  bei  72 
Knochengerüst,      funktionelle     An 

passung    des    72 
Knochentrajeklcnen,      funktionsmä' 

ßiger    Umbau    101 
Knöllchenpilze,   Verdauung  von    212 
Knollen,    Reservenahrung   86 
Knospung,    Fortpflanzung   durch  170 
Kochclsee,   Rundhöcker  am,  Abb.   3 
Köcherflicgenlarvenbcin,    als    Funk- 
tionsform   241 
Körperertüchtigung,  durch  Training 

Körperform,    als  Wärmeabieiter    88 

Körpersubstanz,  und  Nahrungsauf- 
nahme 86 

Kohl,   L.   188 

Kohlehydrate,  Verdauung  8Q 

Kohlehydrathcrstellung,  der  Pflanze 
04 

Kohlensäureassimilation,  durch 

Pflanzen  08  —  Kreislaufprozesse 
der   275 

Kokospalme,   und  Aquatorialströme 

Kolibris,     begrenztes     Vorkommen 

167 
Kolloidale  Struktur,  der  Enzyme  64 
Kolloide,        Diffusionsverhinderung 

Kolloidstruktur,  als  Funktionsform 

Kolonialpolitik,   englische  210 
Kolonisation,    Notwendigkeit   210 
Koloradogebict,   Wasserfälle   206 
Kolumbus    06 
Kombinationen,  zur  Erreichung  des 

Optimums     140 
Kompaß,  vektorielle   Einstellung  53 
Komplexe    Systeme,    Erfassung    135 
Komplexänderung,    durch    Korrela- 

lation    263 
Konjugation,   Zellteilung  bei   161 
Konsonanz,  als  Harmoniebegriff  260 
Konstanz,     der     Erdumgestaltungs- 

krafte    155 
Konstruktionen,    schwebender    Ein- 
zeller  82 
Kontaktstoff,   Begriff  64 
Kontinente,    Erwärmung   24 
Kontinentbildung,    u.    Meerestrans- 

gressionen    21 
Konvergenzerscheinung, 
als  216 


Mimikry 

Konvergenzerscheinungen,  an  Käfer- 
panzern 82  -  an  Planktonten 
103   ~  Schwimmanpassungen 

Konvergenzgesetze,  und  Funktio- 
nenlehre   101 

Kordilleren,  als  jungtertiäres  Rest- 
gebirge   156 

Korrelation,  der  Teile  263  —  in 
der   Soziologie    188 


Korrelationsgesetz,  an  biologischen 
Rekonstruktionen   271 

Korrelationsumprägungen,  im  Or- 
ganismus   268 

Kormophyten,   Abstammung  166 

Korpuskularstrahlen,  Strahlen  als 
45 

Kosmos,  absolute  Dauer  200  — 
Kreislauf  262  —  Funktionsformen 
des  69  —  Gesetzmäßigkeit  des 
dauerhaften   Ausgleichs   261 

Kosmogonie,  und  objektive  Philo- 
sophie   150 

Kosmologie,    statt   Weltentvvicklung 

Krabben,   Rauflust  der  215 
Kräfteparallelogramm,   als  Gesetzes- 
zusammenhang    133   —    als    opti- 
mokliner   Prozeß    146  —   Anwen- 
dung 180  —  und  kleinstes  Kraft- 
maB   234   —   und   Optimumgesetz 
134 
Kraft,    als    Bewegungsursache    14 
Krattaustausch,    des    Seins    152 
"^^ä/tersparnis,    durch    Gewohnheit 

247 
Kraftfelder,  und  Kraftzentren  264 
Kraftlinien,  magnetische  52 
Kraftprinzip,  der  Körper  282 
Krankheit,      als     Disharmonie     271 

—  Begriff  85 
Krankheit.-.enipf2nglichkeit,   der  Kul- 
turtiere   224 

Krebse,    Hochzeitskleider    222 
Krebs,    Scheren  regenerationen     174 
Kreisbewegung,    als    kürzeste    Linie 

235    -    Periodizität    15 
Kreislauf,  als  Ausgleich  2öl  —  des 

Edaphons   275  —   des  Lebens  274 

—  der  natürlichen  Weltordnung 
262  —  der  Störungen  200  — 
der  Weltenwcrdung  155  —  kos- 
mischer   151 

Kreisläufe,     als    Harmonoklise    261 
Kreislauforgane,   des  Tieres  03 
Kreislaufprozesse,    des   organischen 

Seins    275 
Kretinismus,  als  harmonokline  Stö- 
rung   272 
Kreuth,  Niederschlagsmenge  26 
Kreuzgegend,    Bau   der   241 
Kriege,    und    Überbevölkerung    208 
Kriegführung,     falsche     Prinzipien 

Kriegsschiffe,     kleinstes     Kraftmaß 

in    ?45 
Kristall,   Korrelation   der  Teile  267 

—  optimokline    Wandlungen    108 
Kristalle,     doppelte     Lichtbrechung 

41    —    Harmonie    257    —    Rege- 
neration   der    174   —    Selektions- 
möglichkeiten  205 
Kristallbau,    als    harmonisches    Mo- 
lekularverhältnis 261  —  kleinstes 
Kraftmaß    im    235 
Kristallformveränderung,    bei   Tem- 
peraturwechsel   236 
Kristallisation,  rhythmische  61 
Kristallnadeln,    in    Zellen    77 
Kristalloide,    verhinderte    Diffusion 

204 
Kristallskelette,     Parsimoklise    235 
Kristallunlersuchung,    durch    Rönt- 
genstrahlen   55 
Kritik,  als  Selektion  220 
Krötenorchis,   Abschnürung   177 
Krötenorthis,   als   Beispiel   der  Mi- 
mikryhypothese, Abb.  76 


Kropf,    als    Entartung   272 
Kropotkin,   Fürst   Peter  212,  213 
Krümmet,    O.     124 
Kryptobiotechnik,  Notwendigkeit  02 
Küchenherdfeuer,     Wärme     des     58 
Künstlicher      Knochen,      Funktions- 
umbildung  247 
Kürschnerei,  als  Biotechnik  88 
Kugel,   als   elementaiste    Funktions- 
form    13 
Kugeleinsenkung,   und  Oberflächen- 
spannung,  Abb.    1,    13 
Kultur,    als    Biotechnik   75    —     als 
Optimumsarbeit   171  —  der  Tiere 
114  —   Integrationsstufen    115    — 
soziale     Veränderungen     186     — 
Taylorsysteni     der    252    —    und 
kleinstes    Kraftmaß    245    —    und 
Selektion  223  —   und  Zivilisation 
170  -   Verfall   der  277 
Kulturleben,  als  Biotechnik  88 
Kulturleistungen,  Mechanik   in   136 
Kulturmenschen,       und      niediigste 

Menschenrassen    166 
Kulturptlaiizen,    KrEnkheitsempfind- 

lichkeit  der  224 
Kulturprogramm,    der    objekt.    Phi- 
losophie    145 
Kulturwerden,     des    Menschen     160 
Kulturwissenschaft,        biozentrische 

136 
Kungh-Tseu,  121,  288 
Kunst,  als  Wiederholung  der  Welt- 
gesetze   285    —    Harmoniebegriff 
der   257 
Kunstbauten,  bei  Vögeln   113 
Kunstfertigkeiten,    der   Tiere    114 
Kunstformen    der   Natur,   Harmonie 

der    264 

Kunstgeschichte,    der    Tierwelt    113 

Kunstgewerbe,    Harmonitbegriff  257 

—    und    kleinstes    Krafimaß    245 

Kunstgewerbemuseum       (Stuttgart), 

ästhetische  Folterkammer  245 
Kunstharmonie,    als    Biotechnik   266 
Kunstschaffen,     Selektion     des    220 
Kunsttrieb,  des  Plasmas  264 
Kunstwerte,    Harmonie    als    Ewig- 
keitswert   266 
Kuro-Schio,  Bedeutung  für  Japan  18 

Labradorstrom,   Weg  18 

Lachambre   140 

Lachse,   Wanderungen   276 

Lagrange    134,   220 

Lagunen,   Bildung  238 

Laiiibachfall,  Erosionswirkungen 
236  ^ 

Lamarck,   Jean  de  100,   101,   150 

Lamarekismus,  und  objektive  Phi- 
losophie   100 

Lamettrie    5,    00 

Landwinde,  als  periodische  Stö- 
rungen   24 

Langley,  S.  P.  58 

Laplace    136,    150,    100 

Larvenformen,  Festhalten  an  frem- 
den   166 

Laubbäume,    Stereome    230 

Laubenvögel,  geschlechtliche  Se- 
lektion   223    —    Lustbauten     113 

Laue,   M.  von    125 

Laubmoose,  Blüten  und  Spreng- 
kapseln   der,    Abb.    65 

Lavoisier    86 

Leben,  als  Ausgleich  widerstreben- 
der Kräfte  107  —  als  Bewegung 
9    —    als    Transmutation    176    — 


298 


antiselektive  Wirkung  210  — 
durcli  Harmonie  263  —  Perio- 
dizität f)0  —   und   Lebensidee  283 

Lebensila rmonie,  Wiederherstellung 
der  gestörten  277 

Lebciitbe^tliratikurg,   natürliche  208 

Lei  tii!-hc7irke,  Zusammensetzung 
199 

Lebensdauer.  Begrenzung  202  — 
und    Optimum    211 

Lebensformen,  der  Kultur  185  — 
Untergang    184 

Lebenbfunktioii,  der  Svstemele- 
mente  263  —  Wille  als   119 

Lebensgeschehen,      als     Kette     von 

Systemverschiebungen       274       

Biologie    des    120 

Lebensoestaltung,  Harmoniebegriff 
der   257 

Lebensmöglichkeit,  und  Wcltgesetze 
137 

Lebensmittelverteuerung,  u.  OroB- 
stadtwachstum    264 

Lebensoptimum,  durch  Sexualität 
180 

Lebei'sorganisation,  und  Optimum 
184 

LebensprozeO,  als  technische  Funk- 
tion 74  —  der  Pflanze  85  —  und 
Ideologie    72 

Lebensregelung,  durch  die  objek- 
tive Philosophie  145  —  durch 
optimales  Oleichgewicht   172 

Leber,    Energieverbrauch  86 

Lebermoose,  Abstammung  166  — 
Chromatophore  in  94  —  Schleu- 
derfäden    209 

Lebewelt,  als  harmonisches  Ganzes 
274 

Lebewesen,    ultramikroskopische    76 

Le    Bon    190 

Leeuwenhock    244 

Lehmann,    O.   75 

Lehmburgen,  in  Innerafrika,  Abbil- 
dung   51,    114 

Leibnitz   142,  229,  232,  283 

Leid,  durch  Vergehen  gegen  die 
Weltgesetze   202 

Leipziger  neuer  Hauptbahnhof,  or- 
ganischer Stil  der  245 

Leistungen,  der  objektiven  Philo- 
sophie   171 

Leistungssteigerung,  durch  optimale 
Maschinenaufstellung  254  —  durch 
Taylorsystem  250  —  durch  Tech- 
nik   75 

Leistungsungleichartigkeit,  verschie- 
dene   Dauer    durch    212 

Lenard    44,    54,    125 

Lenkballons,   Wert   der   112 

Lepas,    krebsartige    Larven    167 

Lepisma,  Schnitt  durcli  das  Gehirn 
von,    Abb.     138,    285 

Leptoderus  Hohenwarti,  aus  der 
Adelsberger  Grotte,  Abb.  123,  267 
—   JVlerkmalsunterschiedc  268 

Leptoplana,  bilateral  symmetrischer 
Bau    183 

Lerchensporn,  Blütenstand,  Abbil- 
dung  37 

Lex  parsimoniae,  als  metaphysische 
Weiiheit  253  —  und  objektive 
Philosophie    232 

Leydener  flasche,  Funkenentla- 
dung   49 

Libelle,   als    Flugmodell    112 

Liberalismus,  und  objektive  Philo- 
sophie   199 


Licht,     Elektrizität    und    Magnetis- 
mus 42  —   Kälteers(hcinunpcn   59 
Lichtather,    und    objektive    Philoso- 
phie   44 
Lichtätherbcpriff,    Überwindung    37 
Lithtaloni,    und    Enenjicquantuni    45 
Lichtbewegung,    u.    Wellenlänge    45 
Lichtbrechung,    als    Reflex    40 
Lichtdruck,   der   Bäume  212 
Lichtcinfall,     Optimum     de»     143 
Lichtgesetze,    und    optische    Instru- 
mente   41 
Lichtoptimum,    imd    Tropismus    Mi 
Lichtquanten,    Begriff   44 
Lichtquantentheorie,    und    Lichtwel- 
lentheorie   45 
Lichtquantum,    Begriff   44 
Lichtrcflexion,     Feststellung    40 
Lichtstrahl,     Wahl     des     kürzesten 
Weges    235     —     zweckmäßigster 
Weg    des    149 
Lichtstrahlen.      als      elektromagne- 
tischer   Vorgang    42    —     Polari- 
sation  41   —   und   Wärmestrahlen 
43 
Lichtteilchen,     Wellenbewegung    38 
Liebe,     als    höchstes    Menschentum 
248  -  als    Selektio.i    219    —    und 
objektive    Philosophie    180 
Liesegang    61 
Lilienthal,    O.    112,    116 
Lima,    neben     einem    Röhrenwurm, 

Abb.   87,   214 
Limamuschel,   Ansiedelung  215 
Linde,    als    Bienenblüte    222 
Linie,    als    BewegUTigsform    14 
Lingulaarten,    Formkonstanz   181 
Linbererneucrung,  an  Triton   taenia- 

tus    273 
Liparische    Inseln,    als    Bruchgebiet 

190 
List,    Fr.   139 

Lithobionten,   Tätigkeit    der   148 
Lösungen,   als   Energiefrage   124 
Löwe,   Mimikry    106 
Löwen,    Rivalitätskämpfe    212 
Logik,    als   Menschheitsziel    249   — 

kleinstes    Kraftmall    in    247 
Lokyer    151 
Loligo    aus    dem    mittelländischen 

Meer,  Abb.  75 
Lombardische    Tiefebene,    Übervöl- 
kerung   229 
London,    Einflußsphäre   264 
Longitudinalwellen,   der  Luft   15 
Lorentz,    H.    R.    46.    51,    125 
Loria,    O.    124 
Lucanus,     sexueller    Dimorphismus 

222 
Ludovici,   H.   191 

l.übe'-ker     Ehrenfriedhof,      organi- 
scher   Stil    des    245 
Lütgenau     188 

Luftabkühlung,    durch   Minimum    27 
Luftauflockerung,    und    Temperatur 

23 
Luftdruck,   Verteilung  23 
LuftUruckgcfälle,       höherer      Luft- 
schichten    23 
Luftdruckschwankunpen,    Periodizi- 
tät    16    —    und     Erdmagnetismus 
54 
Luftelektrizität,     und    Erdmagnetis- 
mus   53 
Luftjonisierung ,      durch      Röntgen- 
strahlen   55 
Luftströmungen,     und     Erdrotation 
23 


Luftv/Irbel,    in    Minimas    27 
Lunge,    als    cinrohriger    Blasebalg 

93 
Lurche,    Müller'schcr   Gang    der  99 
Lyell,    Chr.    153.    190 
Lymphe,    im    Tierkörper  93 
Lyoner  Gegend,  Übervölkerung  2Jfi 

Mäander,    Entstehung  206 

Mach,    E.    122,    129,    135,    233.    240, 

254.    288 
Madclcincwerkzeuge,     und    Eolithi- 

kerspuren     194 
Magclliacn'sche      Wolke,      spiralige 

Anordnung    150 
Magen,    als    Bch-ilter   89 
Magmagase.    Entweichung   238 
Magnetiisen,    natürliches    Vorkom- 
men   53 
Magnetische    Gewitter,     Störungen 

durch    53 
Magnetisches   Feld,  mit  Kraftlinien, 

Abb.     13,    52 
Magnetismus,         Licbtbeeinflussung 
durch    42    —    und     Licht    51    — 
Wcllengesetze   des  52 
Magnetnadel,   Abweichung   53 
Majanthemum  bifoliaium,  als  arten- 
arme   Gattung    170 
Majorität,    der  Mittelmäßigkeit  226 
Makaroncsien,     Begriff     199 
Malerei.   aU   Lichtwellenwirkung  37 

—    und    Farbenquanten    44 
Mall     191 

Malstrom,  als   ObcrschuRcnergie   19 
Malthus.    Thomas    R.    203,    210 
Malthus'sches    Gesetz,    Gegenargu- 
mente 209 
Malus    41 

Manchesterschule,    Theorien     139 
Mangandioxyd,    als    Katalysator    64 
Mannigfaltigkeit  des  Seienden,   Ur- 
sache   267 
Mannigfaltigkeit,   und  Harmonie  256 
Mantcgazza    208 
Manteltiere,    Knospung    179 
Marx     190 

March.iniia  polymorpha,  Querschnitt 
durch    Lager    von,    Abb.    34,    95 
Marconi    50 
Marschner   36 
Maschinen,      optimale     Aufstellung 

254 
Maschinentheorie,    des    Lebens    136 
Maskenkrabhen,       Mimikrvversuche 

106 
Massedefinition,   als    Erklärung    134 
Maßeinheiten,    elektrische    47 
Massenform,   harmonische    13 
Massenprinzip,   Vorstellung  de«  282 
Mastflcisch,    Selektion     auf    223 
Mastogloia.     drucktette     Konstruk- 
tion   127 
Materialersparnis,     an     Kieselalgen 

239 
Materialismus,    und    metaphysische 
Überzeugungen     173    —    und    Se- 
lektion    225     —      und      objektive 
Philosophie      122,      138     —      und 
Vercrbungswisscnschatt      227     — 
^Verkünder     134 
Materie,    als  Wärmeform    10  —  Ent- 
wicklung    der     151   —    Fiinktions- 
formen    der   68   —    Kreislauf   der 
275 
Mathematik,     und     Funktion    11    — 
und    kleinstes    Kraftmaß    247    — 
und  moralische  Energie  18d 


299 


Matterhom,  als  Dreikaiiter  30  — 
als  Windschliffzeuge,  Abb.  9 

Matthias    279 

Maulwurfsgrillenbein,  als  Funk- 
tion sform    241 

Maupas     178 

Mäusetyphusbazillen,  Vermehrung 
218 

Mäusevermehrung,  u.  Mäusefeinde- 
vermehrung    218 

Maupertuis    232 

Maury,    A.    124 

Mauserung,    Periodizität    16 

Mauthner,    Fritz    153 

Maximalarbeit,  als  optimales  Prin- 
zip   147 

Maximalarbeitsprinzip,  bei  chemi- 
schen  Veränderungen   235 

Maximiliansharnisch,  Plattenrie- 
fung    am,    Abb.    29,    82 

Maxwell    42,   45 

Mayer,     Robert    4,     133 

Mechanik,    Allgemeingültigkeit    139 

—  als  Naturerklärung  134  —  als 
Regelung  der  Weltfunktionen   140 

—  als  Weltprozeß  135  —  Ge- 
setze der  132  —  und  allgemeine 
Parsimoklise  234  —  und  Mini- 
malprinzip   233 

Mecanique  eheste,  als  Leitbegriff 
136 

Mechanische  Teleologie,   Begriff  72 

Mechanische  Wärmetheorie,  und 
Geisteswelt    7 

Mechanisierung,  der  Handlungen 
247    —    durch    Taylorismus    250 

Mechanismus,  und  Vitalismus  90 
188 

Mediterraneum,    Begriff    199 

Medusen,  Ahschnürung  176  —  Bau 
194  —  Brennhaare  113  —  bilate- 
ral symmetrische  183  —  Reiz- 
handlungen   118 

Meer,  optimale  Ausbreitung  199 

Meere,    Erwärmung   24 

Meeresformen,  als  technische  For- 
men   76 

Meerespolypen,  Hungerrückbildun- 
gen   175 

Meeresströmungen,  Bildung  18  — 
klimatische  und  biologische  Wir- 
kung   19 

.Meerestiefe,    Wellenbewegung    der 

Meerestransgression,  als  Wellen- 
bewegung 20  -  erdgeschicht- 
liche  21 
.Meereswellen,  Höhe  und  Länge  17 
Mehl,  synthetische  Herstellung  94 
Melonenkaktus,  Blattbau  243 
Mendel,  Gregor  163,  176.   179.  223 

225 
Mcndelgesetz,    Zahlenschema    163 
Mendelssohn    36 
Mensch,    Abstammungsbegriffe    154 

—  als  Kraftmaschine  86  —  als 
Primus  unter  Tieren  170  —  als 
Selekteur  219  —  Anpassungen 
182    —    Generationswechsel     160 

—  optimale  Einordnung  199  — 
Optimum  145  —  rudimentäre 
Organe  (Tabelle)  1Q3— sexueller 
Dimorphismus  223  —  und  Um- 
welt  202 

Menschendasein,     Innenorganisation 

Menschenei,   Entfaltung  158 


Menschengeist,     biologische    Funk- 
tion   171  —  optimale  Funktion   170 
Menschenhirn,    Leistungen    170 
Menschenrassen,  der  Gegenwart  191 
Menschenskelett,  Harmonie  des  270 
Menschentechnik,       und       kleinstes 
Kraftmali     244  —  und    organische 
Technik   74  84 
Menschheit,     gegenwärtige     Größe 

210   —    Dauer   162 
Menschheitsdauer,  und  Harmonie  275 
Menschheitsopfimum,    durch    objek- 
tive Philosophie  171  —  und  Schön- 
heit   223 
Menschlicher    Körner,     Kanon     der 

Proportionen,  Abb.   113,  258 
Menschlichkeit,   Begrenzung   145 
Menschwerdung,   erste   Schritte   193 

—  Ursache   der   168 
Menstruation,   Periodizität  15 
Merinoschaf,   als   Mutation    162 
Merkmale,    Verschiebung    263 
Merkur,    Sonnenwärme   auf   dem   53 
Mesenchym,    Abzweigungen    191 
Mesoblast,  Abzweigungen   191 
Mesozoikum,    Klima     152 
Metabolie,  Theorie  der  archiplasti- 

schen    127 
Metalle,   bei   großer   Kälte  59 
Metalldämpfe,  als  Sonnenflecken  53 

—  selektive    Emission    204 

Metalloide,   Begriff  66 

Metamerie,  als  Organisationsmerk- 
mal 182  —  als  Stammesmerk- 
mal   184 

Metaphysik,  und  objektive  Philo- 
sophie 119,  283  —  und  Spar- 
samkeitsprinzip  232 

Meteorologie,     als     Luftphysik     27 

—  Prinzip   des    kürzesten    Weges 
236    —    Transmutationen    152 

Meter,   als  willkürliches   Maß   69 

Metrik,  als  rhythmische  Integra- 
tion 62  —  als  Wellenphänomen   16 

Meurer,    W.    123 

Meyer,  A.  77,   127,  12S 

Michelson    46,    125 

Mie,    Q.    125 

Mieren,    als    Spreizenklimmer    213 

Migrationstheorie,  und  objektive 
Philosophie    216 

Mikroskop,    von    Leeuwenhoek    244 

Mikrosomen,    in    Zellen    77 

Milch,  bei  2000  Kälte  59 

Mill,    J.   St.   208,   284,   288 

Mimetismus,  Lebensverlängerung 
durch    216  ^ 

Mimikry,  des  Fetzenfisches  106  — 
im  Unbelebten  109  —  Konver- 
genzerscheinungen 106  —  und 
objektive    Philosophie    105,     216 

—  Wirkung    107 

Mimikry,  der  italienischen  Solda- 
ten   1915/16,    Abb.    86 

Mimikryerscheinungen,  Entstehungs- 
ursache   218 

Minima,    Weg    27 

Minimal  -Maximalprinzip,  Vorstel- 
lung   des    232 

Minimum,    Entstehung  27 

Minimumprinzip,  als  Störungsregu- 
lation   260   —    Notwendigkeit    141 

Missing   link,   Einordnung   191 

Mischung,    und   Vererbung    163 

Mitochondrien,     Funktionsforni,  127 

—  in   Zellen  77 

Mitose,  Vorgang  der,  Abb.  74  — 
Wirkung    161 


Mitteleuropäer,    als  Waldvolk    27ü 
Mittelwert,    der   Mode   226 
Mode,    Begriff   225 
Modifikationen,  Vergänglichkeit  162 
Möbclschreiiierei,       und      kleinstes 

Kraftmaß     245 
Molch,    Beinregenerationen    174 
Molche,  Hochzeitskleider  222 
Moleküle,     harmonisches      Verhält- 
nis  261 
Molekülstöße,  als  Spannung  126 
Molekularkrätte.      Ideologie     der, 

Abb.    1,    13 
Molckularrichtung,   in  Magneten  52 
Molekularstruktur,    und    technische 

Form   70 
Mollakkord,   als   Harmonie  260 
Monarchie,   nach   Auslese   189 
Monas    amyli,    Nahrungswahl    221 
Mond,     irdische     Rotation     190    — 

Wärmeabgabe    59 
Mondbahnunregclmäßigkeiten,    har- 
monisches Mittel  der  263 
Monismus,  methodologischer  246 
Monotrematen,    als   artenarme   Gat- 
tung   176 
Monsune,    als    periodische    Störun- 
gen   24 
Mor.sunregen,     Niederschlagsmenge 

Moor,    als    Lebensbezirk    199 
Moos,    Lebenskreis   160 
Moosarchegon ien,    Bau  240 
Moosbau,     Sparsamkeitsgesetz     am 

Moosrasen,    Brutknollenbildung   177 
Moostierchen,    Ansiedelung    215 
Moostundra,     als   Schlußverein    158 
Moral,   Hclativisierung    145 
Moränenhügel,   in   Oberbayem.  Ab- 

bildg.    120 
Morgan,    Th.    194,   273,   274,    280 
Morley    125 

Morpholaxis,    Begriff   274 
Morphologie,  der  Funktionen  14 
Mosaikkrankheit  des  Tabaks,  Klein- 
heit   75 
Mosaiktierchen,  Biotechnik  der  115 
Mozart    36 

Mnemelehre,    und   objektive   Philo- 
sophie   164 
MüUer-Pouillet   124 
Müller'scher    Gang,    Entstehung   99 
Müller'sche  Gänge,  paarige  Anlage 

99 
München,    Einflußsphäre  264  —  Ge- 
schichte   der  Transgressionen    21 
Münchener   neue  Anatomie,   organi- 
scher   Stil    der   245 
Murex    hemispina,   Schalenbau,   Ab- 

bildg.    125 
Musculus    orbitalis,     als    Reptilien- 
anpassung   167 
Musik,     als    Seelenfähigkeit    33    — 
als    Wellengeometrie    35    —    als 
Wellenphänomen     16    —    Harmo- 
niebegriff der  253  —   Rhythmen- 
gruppen der  63  —  und  objektive 
Philosophie    36 
Musikinstrumente,    akustischer    Bau 

32    —    Harmonieerzeugung    124 
Muskelbau,    des    Insektenbeins    241 
Muskelfibrille,    Leistungen   79 
Muskelmotor,     als     chemisch-dyna- 
mische   Maschine    87 
Muskeln,   Zugleistung  84 
Mu^keltätigkeit,      Energieverbrauch 


300 


Musterung,  als  Selektion  210 
Mutation,    und    Vererbung    er^vo^- 

bener  Eigenschaften   lö4 
Mutationen,     und    objektive    Philo- 
sophie   162     —     explosives    Auf- 
treten   176   —   Merkmalsbereiche- 
rung   durch   227 
Mutationslehre,  Züchtung  als  prak- 
tische   165 
Mutterkuchen,  Bildung  160 
Mutterliebe,   im   Tierreich  20Q 
Myofibrillen,    Umbildung    127 


Nachahmung,     als    Konvergenz    lOS 
Nachkommen,    Ungleichheit    225 
Nach  kommen  reihe,       Abänderungen 

225 
Nachtkerzen,    als    Adventivpflanzen 

162 
Nacktschnecke,    marine    215 
Nadelhölzer,     Stereombildung     239 
Nägeli,    C.    173 
Nahrung,     als    organische    Energie 

85   —   der  Tiere   86 
Nahrungsaufnahme,      und     Körper- 
aufbau  86 
Nahrungsmittelvermehrung,  und 

Menschheitsvermehrung  208 
Nahrungswahl,    der    Infusorien   221 
Napoleon    138 
Nansen    18 
Narthecium  ossifraga,  als  artenarme 

Gattung    176 
Naß,   253 
Natorp.    P.   288 
Natur,   Sparsamkeit   der  232  —  und 

Kultur    136 
Naturformen,    als    Funktionsformen 
141    —    als    Restgestaltung    nach 
Widerstandsüberwindung    247 
Naturformenbildung,     durch    klein- 
stes  Kraftmaß   237 
Naturgesetz,    durch    Selektion    219 
Naturharmonie,    als    Schönheit    266 

und    Harmonie  266 
Naturvorgänge,    Irreversibilität    der 

123 
Natuwissenschaft,    als    angewandte 

Mechanik    134 
Naturzüchtung,    Allmacht    der    211 
Nauplien,    der    Entenmuscheln    167 
Nautilus,    im    Silur    194 
Navicula,   Mutationen    176 
Neandertaler,      Rekonstruktionsver- 
such,   Abb.    132 
Nearktis,    Region    der   199 
Nebulium,  und  Lichttheorie  45 
Neckartal,    Übervölkerung   229 
Nectria,    Mutationen    176 
Neigungswinkel,  horizontaler  Winde 

112 
Nemec    118,    146 

Neolithikum,     in    der    Südsee    194 
Neptun,    Bahn   151 
Neomalthusianismus,      und     objek- 
tive   Philosophie  203 
Neotropische    Region,     Zusammen- 
setzung   199 
Nerven,   als    Begriff   des    kürzesten 
Weges    247    —    rhythmische    Ak- 
tionsströme  in    161 
Nervenenergie, Unverwandelbarkeit  5 
Nervenfaser,    Leistung   79 
Nervenfibrillen,  an   Pflanzen   146 
Nervenzellen,    als    optimales  Organ 
145   —   als   teleologische   Organe 
73    —    Bau   242 


Nestwurz,     als     Eiweibschmarotzer 

85 
Neumayr,    206,    207 
Neu  -  Pythagoracismus,     und    Aku- 
stikforschung   31 
Neuronen,     Bau    242 
Newton,    Isaac    11,    13,   33,   45,   47, 

133,    229,    234,    246,    282 
Nicolia,   verkicsclte    Stämme   29 
Nidation,    Zeitpunkt    der    158 
Niederschläge,     Entstehung    26    — 

Gesetzmäßigkeit  der  2b 
Niederschlagsmengen,    verschiedene 

26 
Nienkamp,    H.    189 
Niere,   Energieverbrauch  86 
Nietzsche,    F.    15,   36,   65,   66,    145, 

200,    224,    249,    288 
Nigella,    Wettbewerb    der    Samen, 

Abb.    84 
Nildelta,   Übervölkerung  229 
Nisthöhle,    des    Embryos    159 
Nitzschiatyp,    druckfesto    Konstruk- 
tion   127 
Nordlicht,    als    Elektrizität   51 
Nordlichter,    künstliche    53 
Nordamerika,    palaearktische   Fauna 
167    —    Schluchtbildung    209    — 
Überbevölkerung    210 
Normalleistungen,    der   Pflanze   252 
Nordwinde,  bei  Minimumeinfluß  27 
Notenbeispiel,    aus    Beethoven,   Ab- 

bildg.    15,    63 
Notwendigkeiten,      Beziehungsrege- 
lung  nach    188 
Nullpunkt,    absoluter   59 
Nummulilenzeit,  afrikanische  Trans- 

grcssionen  22 
Nutzeffekt,   der  Dampfmaschinen  7 


Obelia  geniculata,  Hydroydpoly- 
pen    von,    Abb.    73 

Oberarm,  Biotechnik  des,  Abb.  38, 
97 

Oberbayern,    verlandete    Seen     157 

Oberflächenvergrößerung,  an  Plank- 
tonten     104 

Oberlauf,    l.ängsprofil    206 

Oberoligocaen,  Eolithe  aus  dem  194 

Obertöne,    Entstehung   34 

Objektive  Philosophie,  als  har- 
monische Lebenslehre  258  — 
als  Lebensregelung  171  —  und 
Abstammungslehre  161  —  und 
Akustik  31  —  und  allgemeine 
Unkultur  245  —  und  atmosphä- 
rische Harmonie  24  —  und 
Ausgleichsgesetz  191  —  und 
Beethoven  36  —  und  Biologie 
der  Heimat  229  —  und  biotech- 
nische Erfindungen  73  —  und 
Brückenmethode  254  —  und  Dar- 
win'sche  Selektionstheorie  20S  — 
und  Energetik  6  —  und  Entwick- 
lung 150  —  und  Erfinderideen 
116  —  und  Fortpflanzung  17o 
—  und  Funktionsform  12,  67  — 
und  Gehirnforschung  119  — 
und  Geschlechtsliebe  180  — 
und  Golfstrom  19  —  und  Ha- 
milton'sches  Prinzip  253  —  und 
Intuition  288  —  und  Kunst- 
trieb des  Plasmas  264  —  und 
menschliches  Optimum  145  — 
und  Metaphysik  121  —  und 
moderne  Physik  17  —  und 
Regeneration    173    —    und    Reiz- 

I     beantwortung    144     —     und    Se- 


lektionsgesctz  203  —  und  Tc- 
leologie  71  —  und  Vervoll- 
kommnungsfrieb  173  —  und 
Staatsprinzipien  83  —  und 
Staatswissenschaft  189  —  und 
Wellentheorie  42  —  und  Wil- 
lensphänomcn  119  —  und  H 
Spencer  187  —  Taylorsystem 
als    250    —    Wcltverständnis    145 

—  Ziele    der    283 

Ökologie,  vergleichende,  der  Säuge- 
tiere   193 
Ökonomiegesetz,     Grundlagen     240 

—  im   Knochenbau  84 
Ökonomie,    Mach'sches  Prinzip   der 

233 
Okonomiepr.nzip,    der    Pflanze    23S 

—  von    Wirtschaft    und    Technik 
245 

Oenothera   Lamarckiana,  Mutations- 
versuche   162 
Österreichisch-ungarische    Bank,  Al- 
ter  200 
Ohm,  als  elektrische  Maßeinheit  47 
Ohr    des    Dionysos,   als    Biotechnik 

117 
Ohr    des    Menschen,    Längsschnitt 

Abb.    8 
Ohrmuschel,    als   Tonsammler   33 
Ohrmuschelform    und   Schallwellen- 
übertragung   117 
Ohrsand,  Tätigkeit  33 
Ohrspeicheldrüse,         Röhrcnleitung 

der   89 
Oithona    plumifera,    Schwebeanpas- 
sungen, Abb.  41,  103 
Oktave,    als    physisches    Phänomen 

34 
Oktavenintervalle,   u.   Schwingungs- 
zahlen   31 
Oncidium   Papilio,  Blüte  von,  Abb. 

89,    217 
Ontogenie,    und      objektive    Philo- 
sophie  158 
Optik,    Oktavenbegriff    in    der    43 

—  und  objektive   Philosophie   37 
Optimismus,     der     Aufklärungszeit 

143 
Optimoklise,    durch    Selektion    203 

—  und    Dauer    227 
Optimokliner    Verlauf,    physiologi- 
sche  Prozesse   143 

Optimum,  allgemeine  Notwendig- 
keit 185  —  als  Lebenszweck 
146  —  der  Erosion  149,  236  — 
der  Nationalökonomie  139  — 
der  Organismen  146  —  der 
Staatsformen  83  —  der  Talent- 
wicklung 147  —  durch  Biotech- 
nik 75  —  durch  doppelte  Fort- 
pflanzung 170,  180  —  durch 
Störungsbeseitigung  173  —  ein- 
zelner Integrationsstufen  198  — 
Entfaltung  zum  142  —  mensch- 
liches, Mittel  zum  145  —  und 
Entwicklung  141  —  und  Har- 
monie 257  —  und  harmonische 
Bewegung  189  —  und  ziellose 
Entwicklung  187  —  und  Zweck- 
mäßigkeitslehre 247 

Optimumgesetz,  im  freien  Fall 
147  _  im  Taylorsystem  250  — 
und     Fermat'sches    Theorem     149 

Optimumverschiedenheit,  und  in- 
dividuelle Verschiedenheit  227 

Ordnung,   und   Leitmomente  233 

Organe,  Biotechnik  84  —  Funk- 
tionen der  76  —  rudimentäre  160 


301 


Organisation,  der  Kultur  253  — 
des   Organismus   242 

Organisationen,  als  biotechnische 
Leistungen    83 

Organisationsfähigkeit,  des  Men- 
schen   169 

Organisationsmerl<niale,  als  ver- 
erbte   Anpassungen    183 

Orgaiiisationsoptimum,  des  Wal- 
des   186 

Organisationsmerkmale,  und  ob- 
jektive  Philosophie   181 

Organische    Teleologie,    Begriff   71 

Organismen,  als  technische  Vor- 
bilder  8ä,   234    —    Harmonie    257 

—  jugendliche,  Regeneration  und 
Wachstum  174  —  Kampf  der 
212  —  optiniokline  Handlungen 
146 

Organismus,  als  stationäres  Sy- 
stem   85     —     Biotechnik    des   84 

—  Korrelation  der  Teile  267  — 
Störung  der  harmonoklinen 
Kräfte  272  —  teleologische  Be- 
fähigung 90  —  Wellenbewegun- 
gen   im    61    —    und    Maschine    5 

—  und  Organe  76 
Organogenesis,    des    Embryos    159 
Organprojektion,    Begriff    128 
Ornament,    Wellengesetz    des    16 
Ornamentik,  rhythmische  62 
Ornithocercus,    technische    Einrich- 
tungen,   Abb.   24,   81 

Ornithorynchus,  Abzweigung  von 
154 

Orthogenese,  Theorie  der  230 

Oscillation,  bei   Transgressioncn  21 

Osmose,   Tatsachen   der  204 

Osmotische  Membrane,  als  Funk- 
tionsform 94 

Ostgrönlandstrom,  und  Golfstrom, 
18 

Ostwald,    Wilhelm    5,    6,    126.    254 

Ott   E.,  288 

Ovarium,   der   Vögel   99 

Oxalsäure,      Bindung     durch    Kalk 

Oxydasen,       chemische       Synthesen 

durch    94 
Oxydationen,  in  der  Pflanze  94 
Oxygen,  Sioffwechselprozesse  durch 


Paläolithiker,   Sprache  der   101 

Palaeontologie,  Rekonstruktions- 
kunst der  270  —  und  objektive 
Philosophie    181 

Palaeozoikuni,  als  Ursprung  re- 
zenter Gattungen  194  —  Klima 
seit    dem    152 

Palmenstämme,   Stereome  239 

Panmechanik,  Begriff  112  -  und 
Biozentrik    135 

Pankreassaft,  als  Verdauungsfer- 
ment  89 

Pantropische   Zustände,  früheste  28 

Panrevolution,   Begriff   154 

Panselektion,  und  objektive  Philo- 
sophie   202 

Pantoffeltierchen,  doppelte  Fort- 
pflanzung   179 

Papagei,   117jähriger,  Abb.  139,  287 

Pappmikroskop,   aus   Nürnberg   244 

Parabel  eines  Geschosses,  als  kür- 
zeste   Linie   235 

Paradiesvögel,  sexueller  Dimor- 
phismus   222 

Parallelismus,     psychophysischer    6 


—  von     Ontogenie,     Phylogenie 
und    Regeneration    173 

Paramaecium  aurelia,  Konjuga- 
tion,  Abb.  78,    178 

Parametergesetz,  und  Harmonie- 
begriff   2ol 

Parasit,    Nahrung    86 

Para  i.en,    Konvergenzerscheinun- 
gen    102 

Parasiten  krebse,    Funktionsform    85 

Parasolschwamm,  Wettbewerb  der 
Pilzhüte  eines,  Abb.  88,  215 

Paris,    Einflußsphäre    264 

Parklandschaften,    Harmonie    266 

Parklandsehaft,    natürliche.  Abb.  121 

Parsimoklise,  als  allgemeine  Not- 
wendigkeit 248  —  als  ausschlag- 
gehendes  Zwcckmäßigkeitsmerk- 
mal  247  —  als  kaulmännisches 
Denken  248  —  Begriff  233  — 
Lichtstrahls   235 

Passat,  als  Niederwind  23 

Patente,    biotechnische    74 

Pathogene  Bakterien,  im  Oewebe- 
schnitf,   Abb.    115 

Pauly,  A.  90,  120,  127,  128  211. 
212,   229 

Pendulation,  als  Wellenphänomen 
der    Erde    28 

Pendulationsthcorie,  und  Entwick- 
lungslehre   155 

Penis,   als    Funktionsform   99 

Pentameter,  als  Rhythmus  62 

Pergamenthäute,  Diffussion  durch 
204 

Periodik,  astronomische  61 

Periodische  Wiederkehr,  und  En- 
tropie   8 

Periodizität,  der  Kreisbewegung   15 

—  elektrischer   Schwingungen   50 

—  Wiederkehr  60 
Peristaltik,  als  unbekannte  Technik 

Perm,   Tiere   ans   dem    194 

Permutationen,  und  rhythmische 
Funktionen    65 

Peroiiosporapilz,    Sporenbildung  177 

Perrin    54 

Pessima,   Begriff  150 

Pessimoklise,  und  objektive  Philo- 
sophie   201 

Petrographie,    Transmutationen    152 

Petroleum,    Entstehung    157 

Petter,    Th.    265 

Petzoldt,   J.   130,  233,  279,  282,  288, 

Pfahlbaudorf,   als   Biotechnik   116 

Pflanze,  als  Gemeinwesen  173  — 
Atmung  85  —  Materialverbrauch 
252  —  Taylorismus  der  252 

Pflanzen,  biotechnische  Erfin- 
dungskraft 209  —  einheitliche 
Abstammung  166  —  Ernährungs- 
vorgang  93  —  gegenseitige 
Kämpfe  212  —  Nervenfibrilfen 
146  —  osmotische  Techniken 
in  94  —  Reflexzentren  118  — 
Samenfäden  der,  Abb.  20,  78  — 
Stammbaum  der  (Tabelle)  192  — 
technische  Leistungen  der  73, 
81,    251    —    Wärmeproduktion    88 

—  Waffen  der  113 
Pflan/enfrüchte,    fliegende    112 
Pflanzeiifruchilänge ,  Ouetelet'sches 

Gesetz   220 
Pflanzenkörper,    Hormone    im    271 
Pflanzenkrankheiten,      an       Kultur- 
pflanzen   224     —     Wanderungen 
275 


Pflanzenleben,  durch  osmotische 
Selektion    204 

Pflanzenorganismus,  Gliederung  242 

Pf laii/er, Physiologie,  und  objektive 
Philosophie   14ö 

Pflanzen  reich,   Stämme   182 

Pflanzen  vereine,  Zusammengehörig- 
keit   in    197 

Pflanzenwell,  überragende  Frucht- 
barkeit  2C9 

Pflanzenwurzeln,  selektive  Be- 
wegungen   221 

Pflüger    189 

Pfeffer,    W.    146 

Pfeilkraut,  als  Verlandungspflanze 
157 

Pferd,    Züchtung    164 

Pferde,    nervöse    Erkrankungen    242 

Pferdehuf,      als      Steppenanpassung 

Phänologie,  Rhythmus  als  Ur- 
sache 61 

Phänotypus,    Begriff    164 

Philo    150 

Philolaus  257 

Philosophie,  biologische  286  — 
der  Fortentwicklung  186  —  der 
Harmonie  274  —  der  reinen 
Erfahrung  246  —  des  Als  ob, 
und  objektive  Philosophie  170  — 
des  harmonischen  Lebens  258  — 
des  Rationalismus  283  —  klein- 
stes Kraftmaö  in  246 

Phosphor,  als  säurebildendes  Ele- 
ment   66 

Photosynthese,  der  Pflanze  94 

Phototaxis,   der   Blaitgrünkörner  96 

Phototropie,  der  Wachstumsentwick- 
lung   143 

Phototropismus,    Umkehr  144 

Phtyrius  inguinalis,  Klammerorgane 
des,  Abb.    104 

Ph.comyceten.  Geschlechtslosigkeit 
179 

Phyllopteryx  cques  Cathr.,  Schutz- 
anpassung,  Abb.   43,    105 

Phylogenie,  in  der  Botanik  193  — 
und  Fortpflanzung  176  —  und 
Optimum     184 

Physik,  als  Weltformel  281  —  op- 
timokline    Abläufe    146 

Physik,  Prinzipien  der  282  —  Se- 
lektionsgesetz   in    der  234 

Physiologie,  als  Biotechnik  74  — 
ökonomisches  Prinzip  238  —  und 
organische  Form  83  —  und 
Schwingungszahlen    31 

Physis,     und     Metaphysik     283 

Pilze,  Geschlechtslosigkeit  179  — 
Marksträiige    in    240 

Pinealorgan,   Ursprung   167 

Pinnulariatyp,  druckfeste  Konstruk- 
tion    127 

Pinus  montana,  auf  einer  Rasen- 
bank,  Abb.    122,   265 

Pirola,  Wettbewerb  der  Blüten- 
entwicklung von,  Abb.  92 

Pithecanthropus,      Einordnung     191 

—  Rekonstruktion  270 
Placentabildung,    als  Anpassung  182 
Planaria,  Hungerrückbildungen   175 

—  Regeneration    273 
Planariawurm,     Morpholaxis    eines, 

Abb.    135,   273 
Planetenbahnen,      und      einheitliche 

Entstehungstheorie    151 
Plank,  Max  43,  43,  46,  58,   123,  523 
Plankton,     als    Biocoenose    199   — 


302 


Anpassungen  103  —  intrazellu- 
läre Enharmonie  264  —  Kohlen- 
stoffassimilation 82  —  Wande- 
rungen    275 

Planktologie,  und  objektive  Philo- 
sophie   105 

Plar  ktoi;  k  rebse,  Schwebean  passun- 
gen    mariner,    Abb.    41,    103 

Planktonten,  Temperaturvariationen 
105 

PlanmäUigkeit,  der  Arbeit  im  Pflan- 
zenkörper   242 

Plancrbissrhnecken,      Radform     129 

Plasma,      Funktionsformen     des    71 

Plasmabetätigung,  selektive  204 

Plasmacigenschaft,  Harmonoklise 
als    274 

Plasmaelemente,  metabolischer  Bau 
79 

Pla.smahaut,  Selektionsvorrichtung 
204 

Plasmastruktur,  und  Elementar- 
organismen   127 

Plasmareizbarkeit  als  Mittel  zum 
Optimum     146 

Plasmatische    Eiweiße,    Bau   der   79 

Plasmodesmen,  als  Funktionsforni 
94 

Plasmopara  viticola,  Aufbau,  Abbil- 
dung  77,    177 

Plastik,    als    Lichtwellenwirkung   37 

Plate,   211,   229 

Plattenriefung,    an    Ceratium    82 

Platin,  Steigerung  der  Reaktions- 
geschwindigkeit   204 

Platinmohr,  als   Kontraktstoff  65 

Plato    21 

Plica  semilunaris,  als  Amphibien- 
anpassung   167 

Plotin     150 

Poa  vivipara,  Begriff  177 

Poesie,    als   Musik    35 

Poincar^  8,   150,    190 

Polabplattung,    der    Erde   69 

Polarfuchs,    Mimikry    106 

Polarlichter,    Ursache    53 

Polarisation,  Apparat  zur,  Abbil- 
dung  11,  41 

Polierwerk,    als    Biotechnik    115 

Politik,     kleinstes   Kraftmaß   in   248 

—  Harmonie    als    Ziel    der    275 

—  und    Überbevölkerung   208 
Polycystinen,    als    Harmoniebeispiel 

264 

Polyklet   258 

Polyp,    Lichtoptimum    144 

Polypen,  Ansiedelung  von  215  — 
Knospung    179 

Polytrichum  commune,  Naturauf- 
nahme,   Abb.    65 

Population,   Begriff  225 

Port    160 

Porus  abdominalis,  Eientleerung 
durch   99 

Positivismus,  und  objektive  Philo- 
sophie   187 

Potential,  als  Verhältnis  der  Ein- 
heiten    151 

Pouillet    126 

Präkambrium,    Hochgebirge    156 

Präputium,    der    Orientalen    164 

Prantl,  C.   193 

Praxis,     kleinstes   Kraftmaß   in   247 

Prevost    260 

Primula,  aut  einer  Rasenbank,  Ab- 
bildg.    122,   265 

Prinzip,  der  Biogenese  166  —  der 
geradesten      Bahn     232     —     der 


schnellsten    Ankunft    149,    235    - 
der   Trägheit,   als   Gesetzeszusain- 
menhang     133     —     des     kleinsten 
Kraftmaßes   232   —    des    kleinsten 
Zwanges  232  —    Erforschung  282 
Proanihropoiden,     zweibeinige     Le- 
bensweise   193 
Prolet,    Begriff    179 
Prolobiont,    der   Sauger    161 
Pronubamotte,     künstliche     Befruch- 
tung   durch    241 
Propaganda,   ncomalthusianische  210 
l'ropellerflügel,     der    Ahornfrüchie 

HO 
Propellerschraube,    Haifischschwanz 

als    110 
Protagoras   288 

Proterandrie,    und   Befruchtung  221 
Protoplasten,     Kugelforra    13 
Protozoen,    Bau    194     —     Formen- 
reichtum   80 
Protozoeneinzelligkeit,      als     Orga- 
nisationsmerkmal   183 
Prozeß,    als    Mittel    zum    Optimum 

144 
Prozesse,   als   Biotechnik   73 
Psyche,   und   Panselektion   219 
Psychologie,     Gesetz     der     Zeitge- 
staiten    62  —   und  objektive   Phi- 
losophie 119 
Psycho-Physiologie,    der    Musik    33 
Psycholechnik,    Begriff   89   —    Gei- 
stesleben   als    119 
Ptcrocera    lambus,    Schalenbau,   Ab- 

bildg.    125 
Pterothrozaarten,  Mimikry   105 
Ptcrodina    elliptira,    Bau,    Abb.    136 
Pterophvilum     scalare,       aus     Süd 

amerika,    Abb.    124,   268 
Pteropoden,    Bau    194 
Ptilonorhynchus    holosericus.    Lust- 
bauten    113 
Ptyalin,    als   Verdauungsferment   8^ 

Wirkung    64 
Pumpenfunktion,     des     Herzens    92 
Pumprohre,   biotechnische  Verbesse- 
rung   93 
Puls,   als   Muskelbewegung  91 
Pulsrhythmus,  in   Pflanzen  93 
Pulver,    Erfindung    115 
Purkinje'sche  Zelle,  aus  dem  mensch 
liehen     Kleinhirn,    Abb.    109,    242 
Pyramiden,    Alter    200 
Pyrenoide,   als   Nebenorgane  77 
Pyronema,    Geschlechtslosigkeit    119 
Pythagoras    31,    34,    35,     111,     125, 
150,   257,   261,   283 

Quantelung,     der    Lichtstrahlen    44 
Quanteiibildung,    im  Schöpferischen 

62 
Quantengesetz,    als  Auslese   203  — 

und  Wellenphänomen   43 
Quantentheorie,    und    Entropie   8   — 

und    Harmoniegesetz  260 
Quercus,    Blattfluktuation,   Abb.    69 
Quetelet  225,  226,  229 

Rad,    Biotechnik   des   129 
Radioaktive   Körper,  Atome  56 
Radioaktivität,     Erweiterung    56   — 

und    Licht   51 
Radiolarien,     als     Harmoniebeispiel 

264    —    Balanciercinrichtungen    80 

—    Formcnfülle    79 
Radiolarienskelctte,      Rosette      von, 

Abb.    117 


Radiochemie,    und   objektive    Philo- 
sophie 51 
Radium,   Wärmestrahlung   57 
Radiumgehalt,   des    Erdballs   57 
Radiumstrahlung,     als     Elektronen- 
Strahlung    56 
Rädcrticrc,    Bau    der,    Abb.    136   — 
Parthenogenesis     179     —     Werk- 
zeuganwendung,    AbD.    27,    6i 
Rädertiergehirne,    Bau    der   284 
Raleigh,    Lord    125 
Randgebirge,  um  den  Stillen  Ozean 

191 
Ranellaschnecke,    Schale    einer,    Ab- 

bildg.     126 
Ranke    271 

Rapistrum     perennc,     Radforni     129 
Rasenbank,    in    den    Kalkalpen,   Ab- 

bildg.     122,    2ü5 
Rassefrage,    und    Monarchie    189 
Rassekreuzungen,        Merkmalvertei- 

lung     163 
Rassen,    der   Hunde   224 
Rassenausbreitung       und       .Meeres- 
strömungen    19 
Rationalismus,    und    objektive    Phi- 
losophie    283 
Ratzenhofer,  G.   188 
Raumgitteranordnung,    Parsimoklise 

235 
Raumgittermöglichkeiten,    Selektion 

durch    205 
Raupenvermehrung,    und   Singvögel- 
vermehrung   209 
Reaktionsauslese,    Begriff    64 
Rechnen,    als    Auslese    203 
Rechtsordnung,   willküilichc    139 
Rechtsverkehr,     kleinstes    Kraftmaß 

im    248 
Reduktionen,    in  der  Pflanze  94 
Reflexe,    als    Kraftersparnis   247    — 
beim    Blutdruck   91     —     und    Re- 
flexketten   144 
Reflexhandlungen,    der    Pflanze    146 
Reflexion,     elektrischer    Wellen    50 
Rcflexionsflächen,   des  Ohres  33 
Reflcxionsversuch,    von     Lachanibre 

149 
Regen,    Entstehung   26   —    physika- 
lischer   Vorgang    124 
Regeneration,   als    Biotechnik   83   — 
als  Systemverschiebung  274  —  an 
Pflanzen     174     —     Harmonoklise 
der     272     —     im     Anorganischen 
174  —  nach  ontogenetischem  Ge- 
setz   173 
Regenerationen,         Zweckmäßigkeit 

247 
Regenbogen,   Spektrum   3S 
Regenschirme,   Honigspornc  als   110 
Regentropfen,   Entstehung  20 
Regenwirkung,     an     Gesteinen     148 
Regenwurm,   Regenerationsvorgänge 

174 
Regionen,    Zusammensetzung    199 
Regressionen,    Feststellung   23 
Regulation,   als   Syslemvcrschicbung 
274   —    in    der   Soziologie    ISS   — 
und    Reizreaktion    146 
Regulationen,    Zweckmäßigkeit    247 
RcibuMgsvcrminderung,      des      Ver- 
kehrs   92 
Reizbeantwortungci:  ,        zielstrebige 

144 
Reizlcitungsstränge,      der      höheren 

Pflanze    118 
Rekapitulation,     biogenetische     166 
Relativität,    der   Dauer   236   —   der 


303 


Joule'schen     Zahl     123     —     der 
Mechanik    188   —    des   Optimum- 
begriffes   142  —   der  Töne   31 
Relativitätsprinzip,     des     Raumzeit- 
systems 282 
Relativitätstheorie,    und    Hamilton- 
sches    Prinzip   253  —   und   Mini- 
malprinzipe    233 
Reliefgestaltung,    selektive    207 
Religion,     als    Erkenntnisquelle   285 
Religionen,  und  kleinstes  Kraftmaß 

249 
Reservenspeicherung,     als    Biotech- 
nik   83 
Restitutionsfähigkeit,    bei    einfachen 

Lebewesen    174 
Reulaux    128 

Rheingebiet,    Übervölkerung   229 
Rheintal,  als  kontinentale  Senke  191 
Rhythmus,  als  Funktionsform  15  — 
des    Weltenbaues    61    —    Wieder- 
kehr 60 
Rhythmuserfahrungen,      psychologi- 
sche   62 
Rhythmusgesetze,     als     Weltphäno- 
men  42 
Richtung,   der  Kräfte  234 
Riefen,   der   Diatomaceen   239 
Ries    in    Bavern,     erloschene    Vul- 
kane   157  ' 
Riesensturmvogel,    Flugleistung  113 
Rind,  Krankheiten  224 
Rindenwanzen,    Mimikry    106 
Rinder,    Selektion    223 
Ringelblumen,    Verbreitungseinrich- 
tungen   209 
Ringelwürmer,   Knospung   179 
Rio  Colorado,  Canon landschaft  206 
Rippelmarken,    Entstehung  28 
Ritter,    273,    280 
Röhren,    elastische   91 
Röhrenbildung,      bei     Nadelhölzern 

240 
Röhrensystem,     der    Verdauung    89 

—  eines     Sonnenblumenstengels, 
Abb.    31 

Römerreich,  Dauer  200 

Römisch -Deutsches  Reich,  Dauer 
200 

Röntgen,   W.   C.   51,   54,    125 

Röntgenfarbe,    Begriff    55 

Röntgenröhre,  Einrichtung,  Abbil- 
dung   14,    54,    55 

Röntgenspektra,  der   Elemente  53 

Röntgenstrahlen,    Entstehung  54,   56 

—  und    Elektrizität    54    —    und 
Licht    51 

Rösler,   R.   254 
Rokokolupenbesteck,  Stil  244 
Rokokomikrospe,  Amorettenschmuck 

an    244 
Rolland    124 

Rolle,  Qelenkrolle  als  97 
Rollsteine,     als     Funktionsform    29 
Rosa,    Mutationen    176 
Rose,    Anpassungen    182 
Rosenblütige,  Abstammung  166 
Roßbreiten,    Entstehung   23 
Rosse,  Lord  59 
Rossitten,    Ringversuche   112 
Rotation,    als    Biotechnik    129 
Rotationsellipsoid,    Erde  als  69 
Rotatorien,   s.  Rädertiere  —  Werk- 
zeugformen   an,   Abb.  27,   88 
Rottange,   Farbstoffträger  in  94 
Rousseau    143 

Roux,  Wilhelm  11,  68,  72,  100,  108 
126,  127,  211,  229,  247 


Rubens   42  I  Schall,  als  Wellenbewegung  30 

Rubner   86  ]  Schallerscheinungen,     und    Wellen- 

Rubus,    Mutationen    176  gesetz    31 

Rudimente,     des     Menschenkörpers  |  Schallmayer    188 
166 


Rudisten,   Lebensverhältnisse   181 

Rücken,   Bau  des  241 

Rückentwicklung,  bei  Nichtfunk- 
tion  99  —  in  nichtfunktionieren- 
den    Teilen    212 

Rückschlaggesetz,  Formulierung  230 
—    Oalton'sches    227 

Rundhötker,  durch  Eisscheuerung, 
Abb.    3 

Rundlinge,  als  technische  Eiszeit- 
formen  70  —    Entstehung  237 

Rundmäuler,    Eiablage  99 

Ruprechtskraut,  Stelzenbildung,  Ab- 
bildg.    36 

Ruß,    als    Kondenskern    26 

Rußland,    Bevölkerungsmangel    210 

Rutherford    56 

Rutöt    194 

Saager,    A.    254 

Saccharomyces,    Gärung    64 

Sachs,    Julius    97 

Sachsen,   Übervölkerung  229 

Sagitta,   Keimzellen    in    der   Morula 

191 
Sahara,  als  fossiler  Dünengürtel  21 
—   als   Hitzemaximum   25   —   als 
Meeresbecken    22   —    Bergformen 
30 
Saint    Simon    143 
Saiteninstrument,    Ohr    als    97 
Saiteninstrumente,     Harmonieergän- 
zung   124 
Salamander,    Mimikry    106 
Salzach,    Flußbett    206 
Salzburg,   Niederschlagsmenge   26 
Salzkrebschen.    Parthenogenesis   179 
Samen,    als    Reservenahrung    86 
Samenfäden,    menschliche,    Abb.  20, 

78  —  Selektion  an  212 
Samenkeimung,      als     Temperatur- 
frage  9 
Sammeltrichter,  Wasserwirkung  im 

238 
Samum,  Windstärke  29 
Sandlaufkäferbein,     als    Funktions- 
form   241 
Sandgebläse,  als  Biotechnik  29 
Sandstein,  Verwitterungsformeii  149 
Sandwespen,  Brutpflege  209 
Sandwespenbein,   als  Funktionsform 

241 
Saprophvten,    Nahrung    86 
Sargassösee,   als  Oolftriftinsel   19 
Säugen,    als    Anpassung    182 
Säuger,   Abstammungskette   158 
Sauerdorn,    zwei    Einzelblüten,    Ab 

bildg.    40,    102 
Sauerstoff,     Kälteerscheinungen     59 

-    Kreislauf   des   262 
Saure  Wiesen,   Entstehung  157 
Saurier,    der  Triaszeit,   Abb.   61   — 

Lebensverhältnisse    181 
Savart    31 

Saxifragamatte, Überbevölkerung  21C 
Schachtelhalm,    Lebenskreis    160 
Schachteln,    biotechnische   Verbesse- 
rungen   80 
Schädel,    des   Menschen,    Abb.    127 
Schaffen,     als    selektive    Biotechnik 

223 
Schaffensgesetze,     und   Weltgesetzc 
267 


Scharniergelenke,    am    Insektenbein 

241 

Schaufeln,     an   Planktonten   104 
Schelling    189 

Schicksalsbegriff,    u.  objektive    Phi- 
losophie   202 
Schiebetüren,   an   Spaltöffnungen  98 
Schiefe      Ebenen,       in      natürlichen 

Funktionsformen   70 
Schiffsrümpfe,      biotechnische    Ver- 
besserungen  80 
Schilddrüse,     harmonokline     Funk- 
tion   der   272 
Schilf,   als   Verlandungspflanze   157 
Schimper    197 
Schizophyceen,     Ursprung     165     — 

Zellkerne  in  76 
Schleifmühle,   als    Biotechnik   115 
Schleimpilze,      Schleuderfäden      209 
Schleuderfäden,      Sporenverbreitung 

durch  209 
Schlifformen,  der  Berggipfel  30 
Schluchlenbildung,    durch     Erosion 

205 
Schlußvereine,  im  ökologischen  Ent- 
wicklungsgang 158 
Schmarotzerpilz,    Aufbau,    Abb.  77, 

177 
Schmidt,   O.   R.   254 
Schneehase,    Mimikry    106 
Schnecken,  als  Selekteure  222 
Schneckengehäuse,  ebenmäßiger  Bau, 

Abb.    125 
Schneckensammlung,      Formenreich- 
tum   266 
Schneidewerkzeuge,   der  Tiere  88 
Schnelldrehstahl,    Erfindung    250 
Schnellzugslokomotive,     und    klein- 
stes   Kraftmab    244 
Schönheit,    und    kleinstes    Kraftmaß 

245 
Schönheitsbegriff,  erotischer  223 
Schöpfung,    als    komplexes    System 

220 
Schöpfungsgeschichte,     „natürliche 

153 
Schöpfungsrationalität,  und  lex  par- 

simoniae     232 
Schollenbrüche,    Entstehung    148 
Schomburgk     114 
Schopenhauer,    A.    74,    119,    120,    1 

130,    219,    288 
Seh  rader    189 

Schraubenwirkung,     bei     heterozer- 

ken    Fischen    129  ,      ^^^ 

Schreckfarben,     Schutz     durch     216 

Schrumpfungstheorie,  und   objektive 

Philosophie    155 
Schuld,    und    ihre    Folgen    286 
Schultz,    E.    175,    194 
Schumannstrahlen,  Lange  39 
Schuppe    288 
Schuttbildung,      durch     Steinschlag 

148 
Schwaben,    stumme  Vulkane    157 
Schwämme,   Knospung   179 
Schwanzskelett,    der    Embryos    166 
Schwarz,    Berthold    115 
Schwarzes     Meer,     als    Meeressen- 
kung   190 
Schwebeanpassungen,     als     Konver- 
genzerscheinung   103 
Schw  ebeeinrichlungen, 
pflanzen,   Abb.  28 


Klein- 


304 


Schwebeformen,     des    Planktons   81 
Schwebungen,  der  Töne  32 
Schwefelsäure,   Herstellung  205 
SchweiBdrüsen,     als    Wärmeabieiter 

Schwendener,    Simon    111,    128,    238 

284 
Schwerbegriff,     Anwendungen     des 

Schwerkraft,  als  kleinstes  Kraftmaß 
234  —  Entdeckung  11  —Relativi- 
tät der  (Jolly'scher  Versuch),  Ab- 
bildg.    56,    138 

Schwermetalle,  als  Störung  der  Da- 
seinsharmonie   277 

Schwerpunktsprinzip,  durch  Mas- 
senvereinigung   282 

Schwielen,  funktionelle  Entstehung 
71 

Schwimmeinrichtungen,  der  Pflan- 
zen   209 

Schwimmsäume,  an  Planktonten  104 

Schwingung,  Formel  17  —  Welle 
als   periodische   14 

Schwingungen,  der  Ohrflüssigkeit 
117  —  der  roten  Lichtstrahlen 
57  —  in  Leitungsdrähten  49  — 
Integrationsstufen  60  —  sicht- 
bare   32 

Schwingungsdauer,  und  kleinstes 
Kraftmaß    235 

Schvvingungsskala,  des  sichtbaren 
Lichtes    43 

Schwingungsunterschiede,  Hören 
der    117 

Schwingungszahl,  bei  höheren  Tö- 
nen 31  —  der  tiefsten  Töne  31 

Sectio  aurea,  als  mathematische 
Aufgabe    279 

Sedimente,  und  Transgressionen  21 

Seelenenergie,  und  physikalische 
Energie    6 

Seelenleben,   als  Plasmafunktion  118 

Seelenharmonie,  und  Metaphysik 
266 

Seeliger    125 

Seelische  Erlebnisse,  und  Welt- 
mechanik   140 

Seelisches,  als  Mittel  zum  Opti- 
mum   146 

Seen,  Bildung  238  —  Verlandung 
157 

Seesterne,    Eiteilung    159 

Seewinde,  als  periodische  Störun- 
gen   24 

Segelflug,  der  Vögel  112 

Sehen,    selektives   221 

Sehnenfasern,    Leistung  79 

Seilformen,    Anwendung   84 

Sein,  als  Kreislauf  277  —  Kon- 
stanten 259  —  als  Temperatur- 
frage   59    —    und    Optimum    142 

Seinsanalyse,    Vollendung    255 

Seinsentfaltung,  als  Optimum   141 

Seinsformen,    Beziehungen    2 

Seinsgesetz,    Optimumgesetz    im  134 

—  und   Menschenleben    278 
Seinsstufen,  Kategorien  2  —  perio- 
dische   Funktion   14  —   Umwand- 
lung   171 

Sekretion,    als    Biotechnik    83 
Sekundärstrahlen,      Entstehung     55 
Selachier,    Fortpflanzung    99 
Selbstregulation,     des    Adersystems 

91 
Selbststeuerung,  des  Organismus  90 
Selektion,    als    aktives    Prinzip    212 

—  als      Erkenntnisvorbedingung 

Franci,  Bios   H 


219   —   als   passive   Leistung   216 

—  als  optimokliner  Rcinigungs- 
prozeB    270    —    an    Pflanzen    222 

—  der  Talbildung  205  —  der 
Wolkenform  207  —  des  Künst- 
lers  220  —   durch    Diffusion    204 

—  durch  semipcrmeable  Mem- 
branen 204  —  Ok-ichgewicht 
durch  218  —  und  Fruchtbarkeit 
211  —  und  Harmonie  271  — 
und  Optimum  141  —  des  künst- 
lerischen    Schaffens,    Abb.    90 

Selektionsgedanke,    Kämpfe   um    211 
Selektionsgesetz,    im    Taylorsysteni 

Selektionssförung,  durch  Willen  219 

Selektionssabotage,  klassischer  Fall 
von    218 

Selektive  Prozesse  in  der  Physik 
204 

Selektivhören,      biozentrisches      129 

Semon,    R.    164,   191 

Sempervivum  tcctorum,  Blüten- 
stand von,  Abb.  110  —  Blüten- 
gruppe   243 

Senkrechte,  als  Optimum   147 

Sensualismus,  und  objektive  Phi- 
losophie   282 

Setella  gracilis,  Schwebenanpassuncr, 
Abb.    41,    103 

Sexualität,   als  Weifbereicherung  180 

Sexualtriebe,    Farbe   der   223  | 

Siebröhren,      in      Pflanzen     89     —  I 
pflanzliche,    Eiweißsaft    in    93 

Sicdelungsbewegung,     Vorzüge    210 

Siegle,   F.   X.   174 

Sigillarien,    Lebensverhältnisse    181 

Signaturlehre,   der   Biologie   102 

Silur,  Gattungen   im   194 

Sinai,  Winderosion  29 

Sinnenbild,    und   Weltbild   283 

Sinnesfunktion,    Hegriff    14 

Sinnesfunktionen,  als  Biotechniken 
116 

Sinnesorgane,  und  Willensselcktlon 
219    —   Weltselektion    durch    HS 

SinnesorgancHen,   der   Einzeller   118 

Sinnestätigktit,  als  Biotechnik  75, 
83  —   und  Mathematik    188 

Sineto,    Flußbett  206 

Sinnwidrigkeit,   moderner  Stile  245 

Siphonogamengenerationswechscl, 
als    Organisationsmerkmal    182 

Siphoneen,    Ursprung    165 

Siphonophoren,  als  organische  Ge- 
meinschaftsbildungen,  Abb.  125, 
269  —  Schwimmvorrichtungen 
104 

Sippen,   Hilfsprinzip  der  213 

Skarahaeuskäfer,  symbolische  Be- 
deutung 102 

Skelett,  inneres,  als  Stammesmerk- 
mal    184 

Skelettbildungen,    an    Pflanzen    240 

Skelettfasern,     archiplastische      127 

Sklerenchymzellen,  an  einer  Fich- 
tennadel   240 

Smerinthus  ocellata,  in  Schreckstcl- 
lung,  Abb.  85  —  Trutzstellung 
217 

Smith,  Adam   246 

Snyder,    R.   65 

Sobotta    242 

Sonne,  als  Wetterursache  22  —  Er- 
kaltung    154    —    Temperatur     58 

Sonirenatmosphäre,  Lichtablenkung 
125 


30: 


Sonnenblume,       Blattflächenvermch- 

rung    97 
Sonnenfackeln,    Elektronen    in   53 
Sonnenfltckcnperioden,    Ursache    53 
Sonnensystem,       als       Integrations- 
stufe  199  —  Schwankungen  263 
Sonnentau,     bei    der    Nahrungsauf- 
nahme,   Abb.    30 
Soniienwärmc,    auf    Planeten    58 
Sonnenwirkung,    und    Erosion    14S 
Sozialer    Ausgleich,    und    Optimum 

168 
Sozialer     Ocmeinsinn,     als     Hilfs- 
prinzip  213 
Soziales,    kleinstes    Kraftmaß   248 
Sozialismus,    und    objektive    Philo- 
sophie   190  —   und    Überbevölke- 
rung 208 
Sozialistische     Theorie,     Prinzipien 

139 
Soziologie,    als    Mechanik    mensch- 
licher   Beziehungen    188    —    Har- 
monie   als    Ziel    der   275    —    ob- 
jektive    128    —    und      objektive 
Philosophie   189 
Spaltalgen,   Gasblasen   der   112 
Spaltöffnungen,   verschiedene  Tätig- 
keit  98 
Spanien,     Bevölkerungsmangel     210 
Spannerraupen,    Mimikry    106 
Sparsamkeitsprinzip,    ästhetisierende 

Form    232    —       der    Natur    232 
Sparsamkeit,    im    Alltag    248 
Speisebrei,   Resorption   234 
Spektralanalyse,   als   Biotechnik   115 
Spektrum,    Entdeckung    38    ~    far- 
bige   Strahlen    im    204 
Spencer,    W.     113,     136,     143,     186, 
187,    188,    195,  208,   229,  262,   279, 

Spengler,  O.  136,  185,  188,  194. 
195,    229 

Spermatozoiden,  Bau  der,  Abb.  20, 
78  —  schraubenförmige  129  — 
Übereinstimmung   102 

Spezifizität,  der  Sinneswahrneh- 
mungen   118 

Sphärenharmonie,  Begriffsbildung  36 

Sphaerularia  bombi,  disharmoni- 
sche Gestaltung,  Abb.  116  — 
Geschlechtsorgan     263 

Spiegel,    als    Reflektor   40 

Spinnen,    Alfer   200 

Spinoza   249,   233,   288 

Spirillen,  in  Kultur,  Abb.  115  — 
Umbildung    127 

Spirographis  Spallanzani,  mit  sei- 
nen Lebensgenossen,  Abb.  87,  214 

Spirosparte,    in    Zellen    77 

Spongiosa,  als  technische  Form  72 
—  in  Trajektorienanordnung,  Ab- 
bildung    16 

Sporen,  als  vegetative  Fortpflan- 
zung  177 

Sporenbildung,  an   Farnen  160 

Sporenzerstreuung,  durch  Pilzhüfe 
216 

Sporophyf,  Gestaltung  160 

Sprache,  Philosophie  der  reinen 
Erfahrung    in    der   246 

Spreizenklimmer,  Anpassung  der 
213 

Sprengel  222 

Sprossung,  der  Geschlechtszellen 
161 

Squamella    bractea,    Bau,    Abb.    136 

Staat,  als  biotechnische  Leistung 
83 


Staatendauer,    und    Lebewesendauer 

185 
Staatsgefühl,  als  Hilfsprinzip  213 
Staatsleben,    kleinstes   Kraftmaß    im 

248 
Staatsquallen,     Enharmonie   269   — 

Ganglien    146 
Stabheuschrecke,   Mimikry   106 
Stabilität,    durch    Harmonie   257    — 

Tendenz    zur    279 
Staby,   L.  74 

Stadtanlagen,    altdeutsche,    als    Bio- 
technik   91 
Stämme,  der  Pflanzen   193 
Stammbaum,     der     Tiere     191     — 
des  Lebens,  Begriff  154  —  VC^ert- 
schätzung   nach    183 
Stammesmerkmale,   Rest  der   184 
Stärkekörner,   in   Zellen  77 
Stare,  Wanderungen  276 
Stark,    J.    125 
Starke,    H.    124 

Statistische     Theorie,     und     Entro- 
pie 8 
Staub,  als  Kondenskern  26 
Staubfadenbewegungen,     an     Blüten 

221 
Stauroneistyp,  druckfeste  Konstruk- 
tion   127 
Stechwerkzeuge,  der  Tiere  88 
Steckzwiebel,   Brutknollen   177 
Stefan    58 
Steiger,    K.    112 
Steinach,    E.    271 
Steinkohlenperiode,  Gebirge  156 
Stein  kohlenzeit,       Klimaänderuneen 

152 
Steinschlag,  Wirkungen   147 
Steinthal    2S8 
Steinzeitler,   rezente   194 
Steinzeitmenschen,    Kultur    der    115 
Steppe,    als    Lebensbezirk    199     — 

jährliche  Niederschlagsmenge  26 
Stereochemie,    mechanische    Gesetz- 
anwendung   138 
Stereiden,     Festigung    durch    239 
Stereome,     als     Pflanzenarchitektur 

108   —   Anlage   der   239 
Sterilität,    durch    Selbstbefruchtung 

221 
Stemspektrum,     und    Doppler'sches 

Prinzip    46 
Steuer  214 
Stevenson   74 

Stickstoff,  Kreislauf  des  262 
Stickstoffassimilation,  als  Grund- 
lage des  Edaphonkreislaufes  275 
Stigmarien,  Lebensverhältnisse  181 
Stilbegriff,  und  kleinstes  Kraft- 
maß 245 
Stille,    G.    229 

Stillstand,   und    Fortschritt   185 
Störche,   Rivalitätskämpfe  212 
Störung,  und  Ausgleich  173 
Störungsausgleich,     durch     System- 
optimum   200 
Stoa,   Sittengesetze   der  249 
Stoffwechsel,     als    Energiefiberfüh- 

rung  87  —  der  Pflanze  85 
Stokes  56 
Stolz    229 
Stoney  51 

Storch,  Lebensmöglichkeiten  16S 
Strahlenbeeinflussung,    durch    mag- 
netisches  Feld  52 
Strahlengang.        und      Vektorenge- 
setz  235 
Strasburger   127 


Straßenbau,  kleinstes  Kraftmaß 
im   245 

Strategie,  und  mechanisches  Welt- 
gesetz  138 

Streckenausbau  in  Bergwerken, 
biotechnische    Verbesserungen    80 

Strobila,  Bildung  176 

Strömungen,  als  technische  Form 
70 

Strom,  und  Drahtwiderstand  49 

Stroma,   als   organische  Technik   98 

Stromschnelle,  Bildung  236 

Strudellöcher,    Entstehung  205,  237 

Strudellöcher,  am  Lainbachfall  bei 
Kochel,   Abb.   98 

Strudelwürmer,  Fundort  273  — 
Knospung    179 

Strutt   57 

Stufenbau,  des  Seins  171 

Stürme,  Bewegungsgeschwindigkei- 
ten    25 

Sturmfluten,   Tragkraft  20 

Sturmmaximum,   Zeit  25 

Subarktis,    Begriff    199 

Substanzverlust,  und  Wachstums- 
beschleunigung   174 

Sümpfe,    Bildung    238 

Sueß,    E.    155,   156,    190,   206 

Sumpf,  als  Lebensbezirk  199  — 
Entstehung    157 

Surirella,  druckfeste  Konstruktion 
127 

Swedenborg  283 

Symbiose,  als  gegenseitige  Hilfe 
213 

Systeme,  Ausgleichsstreben  aller 
259 

System,  Begriff  133  —  der  Op- 
tima   199 

Systole,  des  Herzschlags  60 

T-Träger,    als     biotechnische     Kon 

vergenzerscheinung    108     —    und 

Knochentrajektorien    84 

Tacheaden,   Gehäuse   von,  Abb.   125 

Tal,      Entwicklungstempo     199 

Wasserwirkung  238 
Talentwicklung,      an     Oeröllhalden 

147 
Talwinde,   als   lokale   Störungen   24 
Täler,    im    Festlandsrelief    205    — 

Selektion    206 
Tanganjikasee,       als      kontinentale 

Senke    191 
Tanzhauser,    der    Laubenvögel    114 
Tauben,    großhirnlose    189 
Taubenrassen,  durch  Selektion  223 
Taupunkt,  Überschreitung  26 
Taxus       baccata,     Ökonomieprinzip 

239 
Taylor,   251,   254 

Taylorismus,     amerikan.      Staatsbe- 
triebe  250   —   im    tierischen   Or- 
ganismus  252 
Taylorsystem,    Grundprinzipien    250 

—  und  objektive  Philosophie  249 
Technik,  menschliche,  Ökonomiege- 
setz   der,   Abb.    112 

Technik,  der  menschlichen  Be- 
ziehungen 189  —  Allgemeinge- 
setz 89  —  biologisch  orientierte 
85    —    identische    Funktionen    97 

—  teleologisches   Prinzip    117   — 
und  optimale  Funktionsform  13 

Techniken,  als  gesteigerte  Anpas- 
sungen   91 

Technische  Form,  als  Funktions- 
form   68 


Technische  Integrationen,  und  Kon- 
vergenzerscheinungen 110 

Technischer  Trieb,  und  Lebens- 
wille   75 

Tektonik,  mechanische  Oesetzan- 
wendung    138 

Teilminima,    Bahnen    26 

Telefon,  Gesetzlichkeit  50 

Telefonhörrohr,  und  Ohrmuschel- 
form   117 

Telegraphie,  drahtlose,  und  objek- 
tive   Philosophie   50 

Teleologie,  der  mechanischen  Ge- 
setze 135  —  der  funktionellen 
Anpassung  71  —  des  Psychi- 
schen 119  —  im  Mechanischen 
127  —  und  kleinstes  Kraftmaß 
247 

Telokline    Umwandlung,    Begriff    6 

Temperatur,    absolute    58 

Temperaturdifferenzen,  der  Wüste 
148 

Temperaturen,  als  Störung  des 
Optimums    147 

Temperaturextreme,   der   Erde   126 

Temperaturforschung,      und    objek- 
tive   Philosphie    59 
Temperaturgleicligewicht,       beweg- 
liches  260 
Temperaturschwankungen,       kosmi- 
sche Ursachen  23 

Temperatursteigerungen,  in  elek- 
trischen   Drähten   49 

Temporaturvariationen,  an  Plank- 
tonten     105 

Temperaturwirkung,  auf  chemische 
Vorgänge    64 

Termiten,  Kultur  114 

Terrassenbildung,  durch  Erosion 
236 

Theatet   229 

Theologie,  kleinstes  Kraftmaß  in 
247  —  und  Sparsamkeitsprinzip 
232 

Theorie,   der  Wellenbildung  17 

Theosophie,     Sittengesetz    der    249 

—  und  objektive  Philosophie  288 
Thermochemie,    und    objektive    Phi- 
losophie   66,    147 

Thermodynamik,  zweiter  Satz  8 
Thesing,  Kurt  212 
Thilo    128,    129 
Thoday  97 
Thomson    51 
Thorwaldsen     258 

Thuner  See,  Schluchtenbildung  205 
Tiden,    Wellengang   29 
Tiefenströmungen,  Ursache  18 
Tiere,    aktinomorphe     194    —    flie- 
gende    112     —     Geschlechtskäm- 
pfe 212  —  bilaterale   194  —  Le- 
bensbegriff   168     —    Mundwerk- 
zeuge 88  —  Samenfäden  der  Abb. 
20,    78   —    technische    Leistungen 
der    73 
Tiergattung,   Mensch   als   137 
Tiergelenke,    als    Kugelgelenke    110 
Tiergemeinschaften,  Gliederung  269 
Tiergeographie,    und  Abstammungs- 
lehre   167   —    und    Biogenese    166 
Tierherden,   Wanderungen   276 
Tierreich,    gegenseitige    Hilfe    213 

—  Stämme    182 
Tierstaaten,    als    Vorbild    137 
Tierverschleppung,         Organismen- 
wanderungen   durch    276 

Tierwelt,  Kulturgeschichte  113  — 
Ursprung    165 


306 


Tintenfische,  HcktokotylisierunglJQ 
Titius-Bode'sche    Reihe,    und    Har- 

moniegesetz    261 
Tobel,    Wasserwirkung    »m    -iJ»     . 
Todr  als   Aufhören    der    Harmonie 

Töne.     Interferenzerscheinungen    32 
_  menschliches  Unterscheidungs- 
vermögen   für    117 
Tönende    Funken,   System   oO 
Tonleiter,   als   Harmoniebegriff  200 
Tonkunst,    und    Psychophysik    33 
Tornado,      Bewegungsgeschwindig- 
keit 25 
Torsion,   im   menschlichen  Organis- 
mus   194 
Tortrix  acellaria,  Mimikry  106 
Tracheen,    Wandverdickungen    93 
Trägheit,   als   Massewirkung   11 
Trägheitsprinzip,     der    Korper    28j 
_    und    Harmonie    259    —    und 
Newton'sche  Mechanik  12 
Trajektorienanordnung,    eines    Kno- 

TrS^ression,  technische  Formen 
der  70  —  Verhältnis  zur  Regres- 
sion   22  ^^  , 

Transgressionsphänomen,  ais  Wel- 
lenbewegung   21 

TransmuUtion,       Regeneration     als 

Transmutationismus,     der     Umwelt 

184   —   und   Optimum    149 
Transpiration,   bei   Pflanzen   93 
Transpirationsanpassungen ,  des 

Blattes    96  ,       ^  -   . 

Transpirationsflächenbeschrankung, 

an  Xerpophyten  243 
Transversalwellen,   des   Wassers   15 

—  im  Wasser,  Abb.  2 
Treibeisgrenze,        Oolfstromabkuh- 
lung    an    der    18  ,     ,     .    u 

Treppenphänomen,    als    rhythmische 

Erscheinung    61 
Trichterzellen,   Bedeutung  243 
Triceratops,    Ebenmaß    271 
Trieb,    nach   Vervollkommnung    173 

_    und    Zuchtwahl   222 
Trilobiten,     Lebensverhältnisse    ISl 
Trimeter,   als   Rhythmus   62 
Triton,    Irisregeneration    174 
Tritonlinse,    Regeneration    der,   AD 

bildg.   131,  272 
Triton    Uenfatus,   Regenerationsver 

suche  273 
Trockenheitsanpassungen,  des   Blat- 
tes   96 
Trogtäler,    Entstehung   237 
Tromben,    Geschwindigkeit   25 
Trommelfell,    Tätigkeit   33 
Tropen,    Verdunstung   25 
Tropfen.     Regeneration    der   Kugel- 

forra    174  ^     ^  .     _. 

Tropfenwirkung,  auf  Oestein  20d 
Trophische   Wirkung,   des   funktio- 
nellen   Reizes    127 
Tropismen,   Entstehung  146 
Trypanosomen,    im    Blut,   Abb.    Ho 
Tschermak,  C.  von   163 
Turbellarien,   Fundort  Z7J 
Turgor,    Zustandekommen    204 
Tyndall    125         ^,  „„ 

Typus,    xmd    Nachkommen    230 

Überbevölkerung,  Gefahren  der  20i 
Übernatürlicher     Standpunkt,      de 
Menschen    282 


Übernatürlichkeit      des     Menschen, 

und    Rationalismus    283 
Ultrarote    Strahlen,     Entstehung    42 
Ultraviolette    Strahlen,   Wirkung   39 
Umbildung,    von    anderthalb    1  lana- 

rien     zu    einer    274 
Umharmonisicrung,     blinder     Muh- 

lenkäfer    268 
Umkehrbarkeit,    der    Entwicklungs- 
vorgänge   172 
Umkehrung    der,    Entwicklung    175 
Umweltbeharrung,   u.   Artbeharrung 

181 
Umweltsänderung,  durch  den  Wald 

276  „  .     , 

Umweltselektion,     durch     Semsbc- 

schaffenheit   219 
Unbeständigkeit,      Stufenleiter     der 

Unfähigkeit,    der    Selektion    211 
Ungleichheit    und   Selektion   204 
Ungarn,      Bevölkerungsmangel     210 
Ungerer    129 
Universalform,  Wellenbewegung  als 

Universum,    Wärmetod   8,   262 
Unkultur,  des  täglichen  Lebens  24d 
Unold     J.    188,    195 
Unstabilität,   im  Weltgeschehen   149 

_   und  Optimum   196 
Unterlaut,   flachere   Kurve   206 
Unterscheidung,   Auslese   durch   219 
Untüchtigkeit,    Strafe   der   212 
Unveränderlichlceit,  als  letzter  Aus 

gleich  200 
Uranus,    Bahn    151 
Urformen,   einheitliche  160 
Urgeschichte,    Rassen    verschiedener 

Stufen   194 
Urgesteinszonen,   in   den   Alpen   -ttJ' 
Urmensch,   Typus   des  270 
Urnebel,  als  Kulturbeginn   154 
Urogenitalsystem,   Begriff  99 
Urtier,   und   Mensch    16d 
Urtiere,  Fortpflanzung  179  —  Ner- 
'      venlosigkeit    146 
Urwald  bei  Tegernsee,  Abb.  81    ^ 


Venen,   als   Funktionsform  91 
Ventilationsschächte,   an  March.otia, 

Abb.     34,    96 
Venus,     Sonnenwarme    aut    °"  J"» 
Veränderlichkeit,    des    Seins    196 
Vcrbreitung-cinrichtungcn  aer 

Pflanzen    '209  -  mcnschli*e    .Jiu 
Vereine,   Zusammenschluß  275 
Verdauungsapparat,    als    chemisches 

Laboratorium    88 
Verdunstung,    in    Europa   25 
Vereinigung,    als    Hegel    213 
Vererbung,     als    Reproduktion     104 
—    der    Transmutationen    162    — 
und    Auslese    252     —     und     ob- 
jektive   Philosophie    162,    225    — 
und    Selektion    219    —    vorhande- 
ner Eigenschaften   163 
Vererbungslehre,  feste  Begriffe  IM 
Vererbungswissenschaft,    u.    Mackel- 

Darwin'sche    Schule    227 
Vergleichende  Biologie,    Notwendig- 
keit   86   —    Werk    über    die    160 
Verkehr,      Prinzip     des     kürzesten 

Weges    im    245 
Verlandung,    Entwicklung    157 
Verlandungspflanzen ,      Vordringen 

Verlmasse,  als  Rhythmus  62 
Verschiebungsgesetz,  Wien  sdhes  58 
Verspannungssystem,       an      mcsci 

algen  80 
Verstand,  und   Intuition  288 
Versteinerte  Wälder.  BloBlegung  M 
Vervollkommnungstendenz,    Heraus 
I       Entwicklung    183  .  . 

Verwerfung,      von     Gesteinsschich- 
ten,   Abb.    54 
Verwitterung,  Wirkungsformen  147 
Verwitterunisschutt,      Fortraumung 

148 
Verworfene  Schollen,  unter  Erosion, 

Verzierungen,     an    Maschinen     244 
Xrr?"der'Hundswut,   Klei^nheit   75 
i  Viskosität,    des    Wassers    104 
Vitale    Energie,    und    Nahrung    86 
Vitalisierung,  der  Chemophysik  188 


Uterinalleben    der    Embryone  „„„,„,„..„ 

Anpassung    182  ,       ^  Vitalismus,  Richtung  des  90 

Uterusbildung,   Entwicklung  der  99  :^\  ^^^;    B,g,i„  279 

Uterus  duplex,  aer  Plazentaiier  luu  ^^^^j^^j^^g    ^74 


1  Vagina,  als   Funktionsform  99 
Vanille,    künstliche  Befruchtung  222 
Vaihinger,  H.  170,  284,  288 
Vampyrella    Spirogyrae,    Nahrungs- 

!      wähl    221  ^     ,^. 

I  Vakuolenbildung,      als      Funktions- 
form   94 
Van    Bebber   126 

Van  der  Wölk,  P.  C.  162,  164    19 
Variabilitätssteigerung,    und    beieK 

Va*r?a"ntengruppen.     bei     Vererbung 

225 
Variationen,  des  OenotyP«/^^.  ,„„ 
Variationsreihen,       der     Vererbung 

Vad^kikum,  als  fossiles  Gebirge  21 

_  Aufstauchungen  am   191 
Vegetationen,     Änderung     der     197 
Veietationszeit,  optimale  Dauer  199 
Vegetative    Fortpflanzung,    als   Ke 

generation    180 
Vektoren,   der   Bewegung   t* 
Vektorenbegriff,       und       kürzester 

Weg    234 


Vögel,   als  Selekteurc  222  -   Mul- 
kr'scher  Gang  99  -  Wanderun- 
gen 276  —   physiologische   Funk- 
tionen   195 
Vogelei,   Entwicklung   100 
Vogelflügel,   Schraubenw.rkung   1» 
Volelflui,     als    Fliegervorb.ld    m 
Vogelfrüchte,  Verbreitung  durch  209 
Vollkommene  Welt.  Begriff  U2 
Volt,  als  elektrische  MaBemheit  47 
Vorbedingung,   der   Selektion   2^1^ 
Vorfahrenmerkmale,        Durchwurtc 

lung   der  225 
Vorfragen,      des     Optimumgesetzes 

142 
Vorkeim,    der    Farne    160 
Vorstellungen,  als  Funktionsformen 

VorUagsräume.      und      verbesserte 

Schallwellenübertragung    IH 
Vulkan,    Entwicklung    157 
l^-SS^rsche-rngef    Unverinder- 

VilSnUmur    Wleinstes     KraftmaB 
im    238 


307 


Vulkanketten,  um  den  Stillen  Ozean 
191 

Waben,   in   Zellen   77 
Wachsschutzwälle,    der    Bienen    110 
Wachstum,     als     Biotechnik    83    — 
des    Menscheneies    158    —    Ener- 
gieverbrauch   86    —     gerichtetes, 
der     Pflanzen     143     —  harmono- 
kline    Ordnung    des    272    —    Re- 
generation  als  174 
Wachstumsbewegungen,    der    Pflan- 
ze  96   —   von    Digitalis   221 
W^achstumskurve,  Periodizität  16 
Wadenmuskeln,     Hebeleistung     112 
Wädis,     Bildung    30 
Wärme,     als     Bewegung    9    —    als 
Molekularbewegung     57     —     als 
organisches    Nebenprodukt    87  — 
bei   chemischen   Vorgängen   64  — 
des   weißglühenden    Eisens  58  — 
durch       Röntgenstrahlen      56     — 
Gleichgewichtssatz     260     —    und 
Wellengesetz    57 
Wärmeabgabe,    und    Nahrungskalo- 
rien   86 
Wärmeäquivalent,     mechanisches     5 
Wärmemantel,    der    Erde    124 
Wärmeoptimum,     des    Weltalls     60 
Wärmequelle,    als    Individuation    22 
Wärmestrahlen,    im    roten    Licht   39 

—    Untersuchungen    42 
Wärmetod,    des    Universums    8    — 

Einwendungen    gegen    den    190 
Wärmeverteilung,       Ursachen      der 

irdischen    23 
Waetzmann,    E.    129 
Wagner,    Adolf    120,    129 
Wagner,   Moritz  216 
Wagner,    Richard   36 
Wahlfähigkeit,     und    Optimum    22S 
Wahrheit,     als    kleinstes    Kraftmaß 


Wald,     als     Harmoniebeispiel     276 
—    als   Lebensbezirk    199    —    als 
Schlußstadium    157  —  als  Sieger, 
Abb.    137  —   Dauer   197  —  opti- 
male   Ausbreitung     199     —     und 
Kultur    186 
Waldedaphon,     tierisches,     Abb.   23 
Waldrodung,     im    Aztekenreich    197 
Waldverein,     harmonisches    Zusam- 
menleben   im,   Abb.    134 
Wale,    rudimentäre    Knochen    166      I 
Wallace,    R.   208,   224,   280  1 

Waltershausen,     Sartorius    von    152 
Wanderratten,    Wanderungen    276 
Wandverstärkungen,     an     Pflanzen- 
gefäßen   239 
Wannenbildung,     durch     Eiserosion 

237 
Wanzen,   Schutzfarben   216 
Warenverkehr,     mechanische     Prin- 
zipien   139 
Warmwasserheizung,     als     Biotech- 
nik 115 
Wamfarben,  Schutz  durch  216 
Wasser,  als  Katalysator  64  —  Kreis- 
lauf des  262  —  Sinusschwingung 
des   15  —  una  Verwitterung   14S 
Wasserabschleifung,  kleinstes  Kraft- 
maß   in    236 
Wasseraloe,    als  Verlandungspflanze 
157 


Wasserdampfentfernung ,  durch 

Spaltöffnungen  98 
Wasserkraft,    und   Talrelief   206 
Wasserfall,   senkrechte   Erosion  206 


Wasserflöhe,     Parthenogencsis     180 
Wasserkreislauf,    in    Pflanzen    93 
Wasserleitungsröhren,     der    Pflanze 

110 
Wasserleitungszellen,      in      Moosen 

240 
Wassermoose ,       als      Verlandungs- 

pflanzen    157 
Wasserscheiden,    Entstehung    238 
Wasserstern,  als  Verlandungspflanze 

157 
Wasserwage,    Gesetz    der   238 
Waldfriedhof,    organischer  Stil  des 

245 
Walkhoff,  O.  101 
Wasserköpfe ,      als      harmonokline 

Störung  272 
Wassermenge,    der    Flüsse   143 
Wasserstoff,   Festwerden  des  59        1 
Wasserwerke,     kleinstes     Kraftmaß 

in    245 
Watt,   James  115 
Waxeggkees,        Moränenablagerung 

237 
Weber,   F.  279 

Weberameisen,  Werkzeuge  113 
Wechselwirkungsprinzip,   durch  Ge- 
genkraft  282 
Wedda,    Kopt    eines,    Abb.    133 
Weddas,     und    Menschenaffen     166 
Wein,    Katalyse    64 
Weinstock,   Krankheiten  224 
Weismann   211,   212,  217,   229 
Welle,  als  periodische   Funktion   14 
Wellen,    Entstehung    17 
Wellenbewegung,    der    Lichtteilchen 

38  —  der  Wärmestrahlen  57 
Wellenformen,     der    Sandwüste     30 
Wellenfunktion,     als     Weltfunktion 
46   —   der  Welt,     Einheitlichkeit  1 
38 
Wellengang,     und    Vektorengesetze 

235 
Wellengesetze,    der    Elektrizität  48 
—    des    Magnetismus   52   —    und 
Doppler'sches    Prinzip  46 
Wellengesetz,    und    Funktionsform- 
abänderung  60 
Wellenkurven,     des     Stimmgabelan- 
schlags   31 
Wellenlänge,      Differenzen     38     — 

elektrische   43 
Wellenlehre,       Allgemeingültigkeit 

der    49 
Wellenmechanik,    der   Luft   27 
Wellennatur,     der    Röntgenstrahlen 
54  —  des  Lichtes  37  —  verschie- 
dener   Strahlen    45 
Wellenphänomen,      als      Universal- 
funktion   15     —     in    der    Kultur- 
geschichte   16 
Wellentheorie,    Maxwell'sche   42  — 

und    Lichtfortpflanzung    46 
Wellingtonia,   Pumpleistung  93 
Welt,    als   Erleben   188    —    als  Er- 
lebnissumme   121    —    als    geord- 
neter   Kosmos    266    —    als    kon- 
stantes  System   172  —   als  Welt- 
gericht 286  —   Harmonie   der   10 
Weltall ,     harmonische    Gestaltung 
257 
,   Weltanschauung,  der  Teleologie  253 
I  Weltbegriff,   als  biotechnischer   Be 


—   als   Lebensspiegel  287   —   der 
Insekten   222 
Weltenbau    und    Gesetz    der    mul- 
tiplen   Proportionen    34 
Weltengeist,    Weltgesetz    als    145 
Weltenschöpfung ,       Populärbegriff 

153 
Weltenstufe,   des  Menschen   145 
Weltentfaltung,     als   Transmutation 

152 
Weltentwicklungslinie,       Unerkenn- 

barkeit  155 
Weltformel,    Erforschung    282 
Weltformen,     als     Funktionsformen 

141 
Weltgesetze,    Aussonderung   141   — 
als   Biosordner  283  —  als  Lebens- 
ordner  277  —  Gemeingültigkeit  6 

—  im  Wald  276  —  Musik  als 
Abbild  der  36  —  notwendige  Er- 
forschung 137  —  und  Kunstwerk 
220 

Weltgesetzlichkeit,  der  Erfindunge« 
96  —  im  pythagoräischen  Inter- 
vall   125 

Weltgeschehen,    und    Theologie    72 

—  und   Weltselektion   203 
Weltharmonie,    Rolle   der   Pflanze« 


^.iff     . 
Weltbereicherung,  Entwicklung  als 

158 
Weltbild,  als  komplexes  System  140 


Weltkörper,    Funktionsformen    der 

69 
Weltmechanik,     und    Geisteswelt    7 
—  und  Töneverhältnis  35  —  und 
Wellentheorie    42 
Weltorientierung,    als    Intellektauf- 
gabe   144 
Weltphänomen,   Dauer  261 
Weltproblem ,     Periodizität    60    — 

und    kleinstes    Kraftmaß    233 
Weltprozeß,    als    Ausgleichsvorgang 
17  —   als  Ausgleich   von    Störun- 
gen   151    —   als    Herstellung    der 
Harmonie  278  —  als   periodische 
Funktion   66  —  als   relatives   Er- 
lebnis   10    —    Endzweck    259    — 
harmonische   Schwingung   als   10, 
260,    262    —    und    Integrationser- 
haltung   3   —   Wärme    als    Urhe- 
ber   des    10 
Weltoptimum,    und   Menschheit   228 
Weltraum,   Temperatur  59,   126 
Weltselektion,  als  Formursache  207 
—    Gesetz    der    219    —    Gesetz- 
mäßigkeit einer  202  —  Optimum 
141 
Weltsystem,    als    Erlehnissammlung 
10     —     harmonisches     Oleichge- 
wicht   im    263  —  Stufe    des    199 
Weltteleologie,  Ursache  121 
WeltunvoUkommenheit,   frühere  185 
Weltvorstellung,        Beziehungsrege- 
lungen   der    140 
Werk,    und   Mensch   171 
Werkkunstbewegung,   und   kleinstes 

Kraftmaß    245 
Werkzeug,   erstes   194 
Werkzeuge,   der  Tiere  113 
Wertschätzung,    physiologische    18j 
Wesentliches,  Selektion  221 
Westenrieder    264 
Westwetter,  und  Golfstrom   18 
Wettbewerb,   der  Flüsse  207 
Wetter,  Abhängigkeit  22 
Wetterbaum,    im    Hochgebirge,   Ab- 

bildg.   70 
Wetterprognose,  Unzulänglichkeit  24 
Wettersteingebirge,     Eiserosion    im 
237 


308 


Wettertanne,  Windscheerung  173 
\3/ettstein,    R.    160,    193 
Werchüjansk,     als      Kältemaximum 

25 
Wiedetnann    49 

Wiederholung,  Kraftersparnis  durch 
247 

Wiederkehr,  des  Gleichen  15 

Wiedcrsheim,  C.  165,  191,   193 

Wien    58 

Wiese,  als  Biocoenose  199  —  als 
Lebensbezirk    199 

Wiesenpflanzen,  Lebensoptimuni 

der    197 

Wiesner,    J.    263 

Wildbach,  Oerölle,  Abb.  6 

Wille,  als  Funktionsform  119  — 
als  Weltphänomen  120  —  Aus- 
lese   durch    219 

Wille,  willkürliches  Primat  des  119 

Wind,  kürzester  Weg  238  —  Or- 
ganismen, Wanderungen  durch 
276   —   und   Wellengcsetz   29 

Windabschleifung,  kleinstes  Kraft- 
maß   in    236 

Windblütler,    Blütenfarbe   223 

Winde,  Abstufungen  23  —  und 
Temperatur  23  —  Wellenbewe- 
gungen   der    17 

Winderosion,    Begriff    28 

Windrichtungen,     der    Minimas    27 

Windstärken,   Zahl  25 

Windstille,   Zonen   der  23 

Winkel,    des    kürzesten    Weges    147 

Winklerturm,  in  der  Rosengarten- 
gruppe als  ErosioMsturm,  Abb.  80 

Winterfrost,   und   Verwitterung   14S 

Wirbelkolke,  Entstehung  205 

Wirbeltierbau,  als  Organisations- 
merkmal   183 

Wirbeltiere,  geraeinsamer  Ursprung 
162 

Wirbeltierauge,  Zusammensetzung 
272 

Wirtschaften,  als  Begriff  des  tag 
liehen    Lebens    248 

Witterung,  als  Temperaturausgleich 
22  —   als  Wellensystem   22 

Witterung,    als   Wellensystem   25 

Wittstein    279 

Wissen,  als  selektive  Biotechnik 
223 

Wissenschaft,    als    Selektion    220 

Woker    126 

Wolff,  J.  G.  72,   100,  272,  273,  279 

Wolff'scher   Gang,    Funktion   99 

Wolken,  Entstehung  26  —  kürze- 
ster Weg  238  —  Selektion  der, 
Abb.    82 

WolkengesUlten,  Selektion  der  207 

Woltmann    188 

Wortsinn,  und  Denksinn  153 


Würmerbau,  als  Organisationsmerk- 
mal   183 

Wüste,  als  Lebensbezirk  139  — 
blattlose  Gewächse  in  243  — 
Steinzersprengung    der    148 

Wundeiiheilung,  als  Regeneration 
174 

Wundt,  W.   135,  278 

Wurzel,  Befall  durch  Knöllchen- 
pilze  212 

Wurzelfüßler,  Oehäusebau  der  114 
—   Schutzbauten  80 

Wurzelhirn,  als  zentrales  Organ  96 

Wurzelpilze,  Zellen  der  Nestwurz- 
wurzel   mit,    Abb.    26 

Wurzeltorf,   Bildung  157 

Xerophyten,  kleinstes  Kraftmaß  an 
243 


Yaleschloß,  biotechnische  Vorbil- 
der   128 

Yucca-Palmlilie,  Befruchtungsvor- 
gang 241 

Zahlenreihe,  als  Auslese  203 
Zahnrad,  als  Biotechnik  129 
Zahnwechsel,  Ursprung  167 
Zanoniasamen ,      als     Modell     der 

Rumplertaube  112 
Zaungeflecht,     als     Biotechnik     116 
Zeemann  42,  56 

Zeemann-Effekt,    Entstehung   42 
Zelle,      schematische      Darstellung, 

Abb.   18 
Zelle  und  Zelleinschlüsse  76 
Zellen,  Differenzen  211  —  Staaten- 
bildung 82 
Zellenbauten,    als     technische   Vor- 
bilder   HO 
Zellenform,  als  technische  Form  75 
Zellenlosigkeit    der   Siphoneen,    als 

Organisationsmerkmal   183 
Zelleiistaaten,     technische     Leistun- 
gen   der    73 
Zellgröße,    Verhältnis    zum    Granu- 

lum    263 
Zellhaut,  als  Zellorgan  76 
Zellkern,  Funktionen  76 
Zellkerne,     Waben     und     Granula- 
bildungen, Abb.  19 
Zellmembran,    Funktionsform    der 

127 
Zellorganula,  Differenzen  211 
Zellplasma,   als   Zellorgan   76 
Zellsafteinschlüsse    in    Zellen    77 
Zellteilung,    Regeneration     bei     174 
—    als    Knospung    161     —     Fort- 
pflanzung   durch    178 
Zellwandstrukturen,    Notwendigkeit 
der  Erforschung  von  239 


Zellsystem,  bei  Teilung  161   —  un- 
gleiche   Teilfunktion    212 
Zentifolien,     durch     Selektion     223 
Zeppeline,   Unfälle   112 
Zentralalpen,   Harmonie  der  266 
Zentrifugale    Kräftebahn,     als    kür- 
zeste  Linie   235 
Zermelo    8,    15,    65,    123,    262 
Zeugenberge,  der  Sahara  30 
Zeugungsakt,    künftige    Einstellung 

185 
Zielstrebigkeit,  der  Organismen  144 

—  zur  Erreichung  des  Optimums 
234 

Zillertaler  Alpen,  Trogtäler  in  den 

237 
Zirbeldrüse,   Ursprung  167 
Zivilisation,     als     zoctisches    Opti- 
mum  171  —  und  Weltgesetze  140 
Zöllner,    J.    247 

Zotsphäre,     der  Organismen    234 
Zoesis,    der  Tiere    153   —    des  Men- 
schen   168   —    Erkenntnis   der   284 

—  optlmokline  Selektion  219  — 
Taylorsystem  der  232  —  Ober- 
schreitung  171  —  und  Denkver- 
mögen   122 

Zonengesetze,   als  Selektion   204  — 

und   Harmoniebegriff  261 
Zoologie,   und   Biotechnik  96 
Zuchtwahl,    geschlechtliche    222    — 

natürliche   211 
Züchtertechnik,      Übertragung      auf 

die   Natur  277 
Züchtung,     als     Selektion     223    — 

als  Genotypus  104 
Zucker,     synthetische     Herstellung 

94 
Zuckerrüben,    durch    Selektion    223 

—  Krankheiten  224  —  Züch- 
tung   165 

Zuckcrspaltung,   bei   Gärung  64 
Zufall,     als     schöpferisches    Selek- 
tionsprinzip   224 
Zugleistung,    Form    84 
Zugvögel,     Flugleistung    der    112 
Zünfte,  als  Hilfsprinzip  213 
Zunftzwang,  als  organische  Arbeits- 
organisation   252 
Zusammenhang,     genetischer,     zvi-i- 

schen    Mensch    und   Tier    166 
Zustandsänderungen,     der     Materie 

151 
Zweckmäßigkeit     durch    Miniraum 

an    Mitteln    247 
Zweige,     photochemische    Tätigkeit 

243 
Zwergwuchs,  als  harmonokline  Stö- 
rung 272 
Zyklone,   Entstehung  27 
Zymase,  durch  Hefepilze  64 
Zymasen ,       chemische       Synthesen 
durch    94 


309 


DRUCKFEHLER-VERZEICHNIS 


Band    I.    Seitelöl   statt  unwissentlich 


richtig    unwissenschaftlich 


Abb.    23      , 

Primularia 

Pinnularia 

„      Ennotia 

Eunotia 

Stichocollus 

Stichococcus 

Enastrum 

Euastrum 

Cadosporiura 

Cladosporiiim 

Abb.   49      , 

Phryganceeii 

Phryganecn 

Seite  205 

,      Tunner   See 

Thuner 

Abb.   85 

,      Chaerocampa 

Pergesa 

Abb.  110 

Sempervirum 

Tectorum 

Sempervivum  tectorum 

Abb.  111 

,      Scheiden 

Schneider 

I 


m^ms^^&s^xK^B^ 


)        WALTER  SEIFERT  VERLAG   ( 

STUTTGART-HEILBRONN 


RAOUL  H.  FRANCE:  | 

PL  A  S  M  ATI  K 

DIE  WISSENSCHAFT   DER   ZUKUNFT 


MIT   12    ORIGINAL  -  FEDERSTAHLSTICHEN   DES   VERFASSERS 
1.— 3.  AUFLAGE  1923. 


^^^fi^^^^^^^&üttiafiafifiiiSfiaaaaafi^^fi^^Sfi^ 


Ein    Weiser    spricht 

hier  zu  den  Menschen  und  sie  sollten  seiner  Stimme  andachtsvoll 
lauschen,  schreiben  die  Leipziger  Neueste  Nachricht,  über  das  Werk 

RAOUL  H.  France 

Die  Wage  des  Lebens 

Grundzahl  10.— 

Der  bekannte  Naturforscher  schuf  hier  sein  Zentralwerk.  «In  Ein- 
klang sein  mit  den  Gesetzen  der  Welt",  das  ist  seine  Lebenseinstellung. 
In  wunderbar  belebter  Form  erzählend  nimmt  der  Verfasser  zu  den 
tiefsten  Lebensproblemen  Stellung  und  gibt  einen  Ueberbiick  über 
die  grossen  »Suchenden*  der  Welt  von  Babylon  bis  heute.  Ein  vor- 
nehmes Qeschenkwerk  in  besonders  geschmackvoller  Ausstattung. 


ANTHROPOS-VERLAG    /   PRIEN,OBB. 


WALTER    SEIFERT   VERLAG 

STUTTGART- HEILBRONN 

KUl^OliF  VOM  ]>i:iiIIJ^ 

Man  atmet  befreit  auf,  endlich  einmal  ein  Büchlein  vor  sich  zu  haben,  das  in 
knapper,  frischer,  blütenreicher  Sprachführnng  die  wesentlichsten  Momente  ver- 
gangener und  antiker  Phih  sophie-Abzweigungen  herausschält,  um  diese  Ergebnisse 
am  Ende  in  einem  sysiomvollen  Umriss  zu  vereinigen.  —  Ein  wertvolles,  kleines 
Büchlein,  das  durch  seine  allgemein  versländliche  und  doch  kompetente  wissen- 
echaftliche  Fassung,  wie  durch  seine  Endkonsequenzen  in  weitesten  Kreisen  Inter- 
esse an  philosphischer  praktikabler  Lebensproblematik  wachzurufen  imstande  ist. 
Deutsches    Blatt 

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Gedanken  und  Aphorismen 
»IE    I>£UTSS€HC:     BAKOCKL.YRIK 

Dieser  klare  Denker,  der  so  gar  nichts  vom  trockenen  Forscher  an  sich  hat,  besticht 
durch  die  Neuheit  und  Wesenhaftigkeit  seiner  Gedanken.  Er  gibc  nun  im  Auf- 
trage des  Verlags  Walter  Seifert,  Stuttdart-Heilbronn,  »ine  „Geschicte  der  deut- 
schen Lyrik  heraus,  deren  erster  vorliegender  Band  die  Barock-Lyrik  ist.  Wenn 
Delius  in  einer  Vorrede  sagt:  „In  diesem  Suche  werden  die  Dichter  neu  gewertet* 
—   so  sagt  er  damit  durchaus  nicht  zu  viel.  Nockarzeitung. 

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Sprüche  und  Bilder 


STIIEIFZUGE 


Oesaiumelte    Aufsätze 


Rudolf  von  Delius  hat  in  seinen  .Streifzügen"  einer  ganzen  Keiho  von  Dichtern 
und  Kulturkämpfern  der  Vorzeit  ihr  persönlichstes  Geheimnis  abzufragen  gesucht 
und  dabei  seine  Fähigkeit  erwiesen,  aus  der  Fülle  des  überlieferten  Stoffes  Kern- 
steilen  herauszugreifen,  die  blitzartig  die  ferne  Geistesart  erleuchten.  So  wird  ihm 
eine  an  sich  unscheinbare  Stelle  in  den  Schriften  des  Paracelsus  über  Mann  und 
Weib  zum  Schlüssel  für  die  persönliche  Stellung  des  grossen  Arztes  der  Natur. 
Immer  wieder  leuchtet  er,  an  der  Hand  der  Dokumente,  in  die  letzten  Gründe  der 
Menschlichkeit  unserer  und  fremder  Dichter  und  Seher  hinein,  handle  es  sich  nun 
um  .Märchen  der  Südseeinsulaner  oder  um  chinesische  Philosophie,  um  griechische 
Dramen  und  um  italienische  Renaissance.  Hamburger  Korrespondent. 


OEOICHT-AUS1VAUI.   BA:N1>E 

Gottfried  Arnold,  Liebesfunken   /    B.  H.  Brockes,  Der  Ring  des  Jahres 
Paul  Flemings  Leben  in  seinen  Gedichten