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Full text of "B. Kothe's Abriss der allgemeinen musikgeschichte"

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KOTHE  -  PEOCHAZKA 


ABRISS  DER  MUSIKGESCHICHTE 


ACHTE  AUFLAGE 


4 


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Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2009  witii  funding  from 

University  of  Toronto 


littp://www.arcliive.org/details/bkotliesabrissderOOkotli 


B.  KOTHK'S 
ABßISS  DER  ALLGEMEINEN 

MUSIKGESCHICHTE 

ACHTE,  AUF  GRUND  DER  NEUESTEN 

FORSCHUNGEN  VOLLSTÄNDIG  UMGEARBEITETE 

AUFLAGE 

VON 

KÜDOLPH  FREIUERRN  PßOCHÄZKA 


MIT   VIELEN   ABBILDUNGEN,   PORTRÄTS   UND 
NOTENBEILAGEN 


JDOCENDO  DISCIMDS- 


LEIPZIG 
VERLAG  VON  F.  E.  C.  LEUGKART 

K.  K.  Oesterreichisrbe,  Königl.  Dänische  und  Großberz.  Jtfecklenburgische 
Medaille  für  Wissenschaft  und  Kunst. 

1909 


FACULTY  OF  MUSIC 

in  /^^— 

UNIVERSITY,  OF  TORONTO 


Alle  Rechte,  auch  das  der  Übersetzung 
in  fremde  Sprachen,  vorbehalten. 


ML 


1^09 


J06735 


Aus  dem  Vorwort  zur  6.  Auflage. 

Von  Begünstigung  irgendeiner  Richtung  weiß  ich  mich 
frei,  achte  vielmehr  jedes  redliche  Streben ,  selbst  wenn  es 
meiner  persönlichen  Geschmacksrichtung  widerspricht. 

Breslau,  den   12.  Mai   1894. 

B.  K. 


Aus  dem  Vorwort  zur  7.  Auflage. 

Wie  der  Verfasser,  der  im  Jahre  1897  verstorbene  Königl. 
Musikdirektor ,  Seminar-Musiklehrer  B.  K  o  t  h  e  zu  Breslau, 
seine  Arbeit  stetig  zu  verbessern,  den  Bedürfnissen  und  An- 
forderungen der  musikalischen  Bildungsanstalten  immer  mehr 
anzupassen  bemüht  war ,  so  habe  auch  ich  dazu  beitragen 
wollen,  das  vorliegende,  für  Musikschulen  und  Lehrerbildungs- 
anstalten sowie  zur  Selbstbelehrung  bestimmte  Kompendium 
möglichst  nutzbar  zu  gestalten.  Die  ursprüngliche  Anlage 
und  Einrichtung  desselben,  die  Gruppierung  des  Stoffes  usw. 
ist  im  wesentlichen  unverändert  geblieben.  Ich  habe  mich 
darauf  beschränkt,  kleinere  Versehen  zu  berichtigen,  die  lite- 
rarischen Nachweise  zu  ergänzen. 

Hannover,  im  November   1900. 

F.  G.  J. 


Vorwort  zur  8.  Auflage. 

Durch  die  Geschichte  lernt  man  die  Taten  und  Schicksale 
der  Völker  kennen,  durch  ihre  Lieder  sieht  man  ihnen  ins 
Herz  —  so  sprach  der  Dichter,  und  wer  eine  Geschichte 
der  Musik  schreibt,  muß  dessen  Adern  nicht  warmes  Herzblut 
durchpulsen,  soll  in  seiner  Feder  nicht  ab  und  zu  ein  funkelnder 
Tautropfen  von  jenen  „Liedern"  glänzen?  Ambros  und  einige 
wenige  nach  ihm  zeigten  ja  in  ihren  großen  Werken,  wie  schön 
die  Hand  des  Geschichtsschreibers  nicht  nur  den  schwarzen, 
scharfzeichnenden  Griffel  des  Gelehrten  zu  führen  vermag, 
sondern  auch  den  Farbstift  des  Poeten.  Aber  just  die  Blätter 
landläufiger  kleinerer  Geschichten  der  Musik,  für  weiteste  Kreise, 
vor  allem  für  Lehrer  und  Lerner  bestimmt,  sind  meist  so 
trocken  und  dürr,  und  der  erste  Blick  darauf  schreckt  zu- 
rück. Warum  nicht  nach  dem  Muster  jener  großen,  leider 
den  Meisten  unerschwinglichen  Werke  ein  wohlfeiles  Handbuch 
der  Musikgeschichte  schreiben,  wissenschaftlich-gründlich,  aber 
nicht  geheimnisvoll  wie  eine  mittelalterliche  Partitur,  sondern 
gemeinverständlich  und  anregend  im  Ausdruck?  So  dachte 
der  verdienstreiche  Urheber  unseres  Buches.  Wie  trefflich  er 
jenes  Ziel  verfolgte,  beweist  die  steigende  Beliebtheit  von 
B.  Kothes  „Abriß  der  Musikgeschichte",  der  mehr  sein  durfte, 
als  bloß  aus  sechs  Büchern  ein  siebentes.  Abermals  ist  eine 
Neuauflage  nötig.  Mit  der  zunehmenden  Verbreitung  eines 
Buches  aber  wächst  die  Verantwortung  des  Autors.  Kothe 
selbst  sähe  sich  heute  zur  durchgreifenden  Neuverfassung 
seines  Werkes  bemüssigt.  Seit  dem  ersten  Erscheinen  verfloß 
ein  Menschenalter;  seit  der  letzten  Revision  durch  Jansen 
ein  Zeitraum  von  acht  Jahren.  In  musikgeschichtlichen  Dingen 
jedoch  ist  bei  dem  gegenwärtigen,  erfreulichen  Forschungseifer 
jedes  Lustrum  von  Bedeutung  für  die  Erkenntnis  der  älteren 
Zeit ;  für  die  neue  und  neueste  bringt  es  Umwertungen  mit 
sich,    die    gewissenhaft    verfolgt  sein  wollen.     Die  Versenkung 


Vorwort.  VII 

spielt,  wie  auf  der  Geschichtsbühne  überhaupt,  auch  hier  ihre 
Rolle.  In  ihr  verschwinden  Gestalten,  denen  noch  vor  ge- 
raumer Zeit  mehr  oder  weniger  Bedeutung  zukam ;  andere  wieder 
treten  hervor,  die  man  nicht  sah,  oder  nicht  bemerken  wollte. 
So  riefen  denn  im  Lichte  neuester  Forschungen  ganze  Kapitel 
des  Kotheschen  „Abriß"  nach  Umgestaltung,  manche  Materien 
nach  dem  Ausbau ;  es  galt  überflüssiges  auszuscheiden,  dafür 
vieles  frisch  einzufügen  und  das  neu  eingeteilte  Ganze  fester 
durch  einen  Grundriß  der  Ur-  und  Vorgeschichte  der  Musik 
als  Tonkunst  zu  fundieren. 

Möchte  die  vorliegende  Neugestalt  des  Kotheschen  Buches 
—  die  Frucht  mehrjähriger,  intensiver  Arbeit,  der  ich  mich 
als  einem  Herzenswunsche  des  verewigten  Verlagsinhabers  Herrn 
Konstantin  Sander,  der  Größe  und  Schwere  der  Aufgabe 
wohl  bewußt,  nach  bestem  Können  unterzog  —  einigermaßen 
den  Forderungen  der  Gegenwart  gerecht  werden  !  M  Vor  allem 
trachtete  ich  nach  größerer  Übersichtlichkeit  in  der  Gruppierung 
des  Stoffes,  Anschaulichkeit  des  geschichtlichen  Zusammen- 
hanges. Das  überwuchernde  rein  Biographische  wurde  auf 
das  Notwendigste  eingeschränkt,  zumal  im  Hinblick  auf  die 
immer  reichlicher  vorhandenen  wohlfeilen  Monographien.  Mehr 
Geschichte  der  Musik  als  der  Musiker,  kein  Lexikon  —  rief 
man.  Zwar  sollte  es  auch  weiterhin  nur  ein  „Abriß"  sein, 
bestimmt,  lediglich  die  Hauptwege  der  Entwicklung  zu  zeichnen. 
Ich  glaube  aber,  dem  Leser  sei  wenigstens  der  Ausblick  auf 
die  belebten  Nebenwege  nicht  zu  verwehren.  Sie  erst  vervoll- 
ständigen ja  das  Bild  und  ermöglichen  beim  Studium  das  Ver- 
ständnis für  die  wichtigsten  Tatsachen  der  Musikgeschichte. 
Gewiß,  nur  mit  dem  Wichtigsten  —  es  ist  im  I.  Teil  durch 
größeren  Druck  und  Randworte  hervorgehoben  —  braucht  sich 
der  Kandidat ,  für  den  ja  diese  Arbeit  in  erster  Linie 
bestimmt  ist,  vertraut  zu  zeigen.  Aber  das  Buch  soll  ihm 
auch  über  die  Prüfungstage  und  -zwecke  hinaus  im  prak- 
tischen Leben  ein  vertrautes,  unterhaltsames  Vademecum  sein 
und  bleiben.  Es  soll  als  Nachschlagebuch  ihm,  wie  allen  Be- 
rufsmusikern auch  in  Einzelfragen ,  im  Falle  individuellen 
Interesses  für  einen  der  Nebenzweige  jener  Entwicklung,  nicht 


')  Viel  des  hochangehäuften  Materials  muß  für  eine  weitere  Auf- 
lage aufgespart  bleiben. 


VIII  Vorwort. 

im  Stiche  lassen.  Darum  die  noch  reichlicheren  Literatur- 
nachweise, namentlich  aus  der  jüngsten  Zeit.  (Hiebei  wurden 
Bücher  und  Zeitschriften  berücksichtigt.)  Gleich  den  Quellen 
und  Hilfswerken  unmittelbar  an  Ort  und  Stelle  angeführt, 
dürften  sie  das  mit  ausführlichen  Registern  versehene  Buch 
auch  dem  Musikschriftsteller  einigermaßen  nutzbar  machen. 
Die  Sonder-  und  Schlußstellung  der  Kapitel  des  II.  Teils  ge- 
schah auf  Grund  meiner  als  Mitglied  der  Musik-Staatsprüfungs- 
Kommission  gewonnenen  Erfahrungen,  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  die  Forderungen  der  vier  hauptsächlichen  Prüfungsfächer. 
Die  Mitteilungen  aus  der  älteren  Geschichte  beschränkte  ich 
auf  das  unverbrüchlich  Überlieferte;  Hypothesen  und  „Wahr- 
scheinlichkeitsrechnungen" vermeidend,  die  nicht  in  ein  Lehr- 
buch gehören  und  den  Leser  nur  verwirren.  Ambros, 
Dommer,  und  last  not  least  der  letzte  „Riemann"  mit 
seinen  Standwerken  deutschen  Forscher-  und  Sammlergeistes, 
wurden  unter  Berücksichtigung  der  jüngsten  Teilforschungen, 
die  Hauptstützen  für  diese  Arbeit.  Leider  konnte  das  Er- 
scheinen des  II.  Bandes  von  Lederers  umwälzendem  Werke 
nicht  länger  abgewartet  werden,  um  die  Ergebnisse  des  ersten 
Teils  durchgängig  mit  der  nötigen  Sicherheit  verwerten  zu 
können.  Die  Moderne  ist  im  Sinne  Kothes  (s.  das  Vorwort 
zur  6.  Aufl.)  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  objektiv,  von 
„höherer  Warte"  aus  behandelt  —  verträgt  doch  die  Musik 
am  allerwenigsten  den  Kleinkrämerstandpunkt.  Dem  frischpul- 
sierenden Leben  der  Gegenwart  mehr  Raum !  Den  Lebenden 
eine  Gasse!  sagte  ich  mir.  Österreich,  insbesondere  Böhmen, 
wurde  weitgehender  berücksichtigt.  Die  eingestreuten  kultur- 
historischen Bemerkungen  sollen  den  Leser  die  in  sein  ton- 
künstlerisches Bereich  hineinragenden  Höhenzüge  insbesondere 
der  Kunst-  und  Literaturgeschichte  wenigstens  aus  der  Ferne 
deutlich  erkennen  lassen.  Ich  verweise  hierbei  auf  die  Arbeiten 
von  Alw.  Schultz  (vgl.  S.  61)  und  Dr.  Brodbeck  (vgl. 
S.  31).  Musikästhetische  Fragen  —  soweit  solche  hier  über- 
haupt in  Betracht  kommen  —  sind  im  Sinne  der  Ästhetik  der 
Musik  als  Ausdruck  beantwortet  (gegenüber  der  neuerdings 
u.  a.  auch  von  R.  Strauß  wie  von  allen  Empfindungsmusikern 
energisch    abgelehnten    Formalästhetik). 

Zu  herzlichem  Dank  verpflichtet  mich  so  manche  unschätz- 
bare Mithilfe,  namentlich  seitens  der  Herren:  P.  Raph.  Molitor, 


Vorwort,  IX 

0.  S.  B.  Prior  der  Abtei  St.  Josef- Westphalen,  Seminarmusik- 
lehrer K.  Walter  in  Montabaur  (Kirchenmusik.  Jahrbuch), 
Dr.  Th.  Helm  in  Wien,  Konservatoriums-Direktor  v.  Käan, 
Prof.  Sevci'k,  Prof.  Bezecny  und  Max  Springer  in  Prag. 
Die  Winke  und  Bemängelungen  einer  ehrlichen  Kritik  sollen 
wie  diesmal  auch  in  Hinkunft  treulich  beachtet  werden.  Be- 
strebt, das  Buch,  so  weit  als  möglieh  immer  vollkommener 
seinen  Zwecken  zuzuführen,  dürfte  ich  vielleicht  hoffen,  die 
Aufgabe  der  Geschichte:  „jedem  sein  Recht  zu  verschaffen"  ^), 
nach  Maßgabe  dieses  Rahmens  treulich  zu  erfüllen. 

Prag,  im  Sommer   1908. 

R.  F.  P. 


')  M.    Roth    über   Lion.   da   Vinci,   Archiv   tür   Anatomie   und 
Physiologie,  1907. 


Inhaltsverzeichnis. 


Erster,  allgemeiner  Teil. 

8eite 
Einleitung 3 

I.  Altertum.      Von    den    ältesten    Zeiten    bis    zur 
Völkerwanderung. 

1.  Vorhellenische  Kultur.  (Ägypter.  Babylonier  und  Assyrer. 
Hebräer.     Inder.     Chinesen  und  Japaher) 9 

2.  Hellas  u.  Rom.  Die  ersten  Thristen.  Byzanz.  (Griechen: 
Die  Musik  als  Erziehungsmittel;  das  Dorische  System; 
Pythagoras;  Hochstand  und  Verfall  der  griechischen  Ton- 
kunst, ihre  Denkmäler.  Römer.  Altchristliche  und  byzan- 
tinische Musik) 19 

II.  Mittelalter.     Von  Ambrosius  zu  Palestrina. 

3.  Ambrosius  und  Gregor  der  Große.  [Der  Gregorianische 
Choral.     Neunien.     Kirchentöne)       44 

4.  Die  Sängerschule  zu  St.  Gallen.  Guido  von  Arezzo  und 
sein  System.  (Ausbreitung  des  Chorals.  Notation  und 
Solmisation) 59 

5.  Anfange  der  Mehrstimmigkeit.  Mensuralmusik.  (Hucbald, 
Franco  von  Köln,  Johannes  de  Muris.  Organum,  Dis- 
cantus,  Kontrapunkt  und  Mensur.  Entwickelung  der  Noten- 
schrift.    Die  Ars  nova  und  der  Falso  bordone)   ....     68 

6.  Die  außerkirchliche  ]>aienmusik.  (Barden.  Troubadours. 
Minne-  und  Meistersänger.  Fahrende  Spielleute.  Zunft- 
wesen. Instrumente.  Anfönge  des  musikalischen  Dramas. 
Volkslied  und  musikalisches  Kunstlied) 80 

7.  Die  Morgenländer.    (Araber  u.  Perser.    Türken.     Zigeuner)     98 

8.  Die  Musikreformation  im  15.  Jahrhundert.  John  of  Dun- 
stable,  der  Neugründer  unserer  Tonkunst,  und  die  Nieder- 
länder. (^Ursprung  und  Entwickelung  der  Polyphonie  in 
Britannien.  Reformation  d.  Kirchenmusik  durch  Heinrich  V. 
Dunstable  und  die  britische  Tonsetzerschule  des  15.  Jahr- 
hunderts. Ausbildung  der  kunstvollen  Mehrstimmigkeit. 
Messe  und  Motette.  Binchois,  Du  Fay,  Ockenheim,  Depres 
und  die  niederländische  Schule.  Der  Kanon.  Willaert 
und  die  venetianische  Schule.  Das  Madrigal.  Deutsche 
Meister.     Kantoreien)       106 


XII  Inhaltsverzeichuis. 


Seite 
9.  Die  Erfindung  des  Notendrucks 128 

10.  Palestrina  und  Orlando  Lasso.  Die  europäische  Ton- 
kunst in  der  zweiten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts. 
(Der  erhabene  [Palestrina-]Stil  und  die  römische  Schule. 
Reform  der  katholischen  Kirchenmusik  Die  päpstliche 
Kapelle  [Sixtina].  Fortblüte  der  venezianischen  Schule. 
Gabrieli  und  die  Übergangsepoche  zur  Neuzeit  [Instru- 
mentalmusik]. Spanische  Meister.  Lassus,  der  letzte 
Niederländer.  Die  Musik  in  Deutschland,  Frankreich, 
England.     Haus-  und  Lautenmusik) 130 

III.  Neuzeit.    Von  den  Florentinern   bis  auf  Rieh. 
Wagner. 

11.  Die  Entwickelung  des  europäischen  Tondramas  und 
der  Instrumentalmusik  bis  zum  Auftreten  von  Gluck, 
Bach  und  Händel.  (Der  monodische  Stil.  Florenz, 
die  Wiege  der  Oper.  Die  Kantate  als  Kirchenkonzert. 
Das  Oratorium.  Heinr,  Schütz  und  Monteverde,  die 
größten  Komponisten  des  17.  Jahrhunderts.  Die  Aus- 
bildung der  Oper  in  Italien.  Opera  buflfa.  Die  Oper 
in  Deutschland ,  Frankreich ,  England.  Melodrama. 
Partie,  Suite  und  Sonate.  Kammermusik.  Abschluß 
des  modernen  Harmoniesysteras.  Kammerton  und 
Temperatur  der  Instrumente) 159 

12.  Die  Kirchenmusik  während  des  17.  und  zu  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts.     (Die  letzten  Venetianer.     Deutsche 

und  böhmische  Meister.     Vorläufertum)       191 

13.  Die  Altklassiker  Händel  und  Bach.  Oratorium  und 
Passion  in  ihrer  Vollendung,  (Händeis  Oratorienmusik. 
Vorbild  und  Plagiat.  Bach  als  Urquell  der  Musik. 
Des  Meisters  Söhne.  Die  Bearbeitungsfrage.  Noch- 
mals das  Vorgängertum.    Die  Meisterschulen  Böhmens. 

Ein  Wiegenland  der  Musik) 194 

14.  Der  Ritter  von  Gluck  als  Reformator  der  italienischen 
Opera  seria 209 

15.  Der  neue  Insrumentalstil.  Johann  Stamitz  und  die 
Mannheimer  Symphoniker.  (Die  Mannheimer  [pfalz- 
bayrische] Tonschule  als  Bahnbrecherin  des  modernen 
Stils.  Wesen  der  Stilreform.  Der  Schöpfer  der  Sym- 
phonie. Die  neue  Sonatenreform.  Ph.  Em.  Bach  und 
der  galante  Stil.  Die  Brücke  zum  freien  Wiener 
Klassikertum) 214 

16.  Die  großen  Wiener  Klassiker:  Haydn,  Mozart,  Beet- 
hoven. (Der  schöne  Stil.  Quartett,  Symphonie  und 
[komische]  Oper  in  der  Vollendung.  Nebenmänner  und 
Gefolge  der  Klassiker.     Die  modernen  Instrumente)    .     220 

17.  Die  Meister  der  Romantik.  Fortschreiten  der  Oper 
imd  Instrumentalmusik.  (Die  nach  klassische  Zeit. 
Schubert,   der   Schöpfer   des   deutschen    Kunstliedes. 


luhaltsveizeichnis.  XIII 


Seite 
Klassizisten.  Die  Meister  der  Oper  in  Italien  und 
Frankreich :  Cherubini,  Spontini,  Rossini ;  dessen  Vor- 
gänger und  Nachfolger.  Die  französische  komische 
Oper.  Die  deutsche  romantische  Oper:  Spohr,  Weber, 
Marschner.  Meyerbeer.  Spieloper.  Mendelssohn, 
Schumann,  Chopin  und  ihr  Kreis.  Tanzmusik.  Rob. 
Franz  und  das  vollendete  Lied.  Populäre  Salonmusik. 
Bcrlioz  und  die  „Revolution  in  der  Musik".     1848)      .     246 

18.  Die  moderne  Ep(jche  [1848— 190(i].  Liszt,  Wagner  und 
ihr  Kreis.  Ausklang  des  XIX.  Jahrhunderts.  („Zukunfts- 
musik". Der  moderne  lustrumeutalstil.  Symphonische 
Dichtung  und  Musikdrama.  Die  Oper  nach  Wagner. 
Operette.  Nationale  Strömungen.  Brahms,  Brückner. 
Verdi,   Rubinstein,    Tsdiaikowski,    Dvorak,   Grieg    — 

die  letzten  Großen  des  19.  Jahrhunderts) 292 

ly.  Dlie  Gegenwart. 

19.  Musik  nnd  Musiker  unserer  Tage 339 

V.  Die  moderne  Musik  pflege. 

20.  Virtuosen,  Konzerte,  Vereine;  Unterrichts  und  Schrift- 
weseu 355 

Zweiter,   besonderer  Teil. 

Notizen  zur  Geschichte  des  Orgel-,  Violin-,  Klavierspiels 
und  des  Gesanges,  wie  des  deutschen  Kirchenliedes. 
VI.  Zur  Geschichte  des  Orgelspiels. 

21.  Die  Orgel,  ihr  Bau  und  ihre  Meister.  369 

VII.  Zur  Geschichte  des  Violinspiels. 

22.  Die  Violine,  ihr  Bau  und  ihre  Meister 388 

VIII.  Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 

23.  Das  Klavier,  sein  Bau  und  seine  Meister 39.5 

IX.  Zur  Geschichte  der  Gesangskunst. 

24.  Die  menschliche  Stimme,  ihr  Wesen  und   ihre  Meister    412 
X.  Zur  Geschichte    des   deutschen  Kirchenliedes 

25.  Der  deutsche  Clinr-  und  Gemeindegesang.  Seine  An- 
fange und  Eutwickelung 420 

Vergleichende  Jahrestabelle 432 

Berichtigungen  und  Nachträge 433 

Untergeschobene  Werke 438 

Beilagen 439 

Register 455 


Besondere  Abkürzungen. 

A.  =:  Auflage,  Ausgabe  —  ')  '^).  B.(n~i  =  Biographie(n).  [Die  nam- 
haftesten Verfassernamen  gesperrt  gedruckt].  —  Bd.  =  Band.  —  Brl.  = 
Berlin.  —  B.  &  H.  =  Breitkopf  &  Härtel,  Verlag.  —  Ch.  =  Chor.  — 
CL.  =  Collection  Litolff,  Verlag.  —  D.  :=  Dirigent ,  Direktor;  hinter 
den  Literaturnachweisen  =  Denkmal  (in  der  Klammer  der  Bildhauer- 
name). —  DKM.  =  Domkapellmeister.  —  D.  M.  =  ,,Die  Musik",  Zeit- 
schrift. —  DM.  :^  Denkmäler  der  Tonkunst  (in  Österreich,  Bayern 
usw).')  —  EP.  =  Edition  Peters,  Verlag.  —  ES.  =  Edition  Steingi-äber, 
Verlag.  —  GA.  =  Gesamtausgabe.')  —  GMD.  r=r  Generalmusikdirektor. 

—  „Harm."  =  „Harmonie"-Verlag,  Berlin.  —  HKM.  =  Hofkapellmeister. 

—  JMG.  =  Sammelbände  der  Internationalen  Musikgesellschaft.  —  K. 
=  Konservatorium.  —  KD.  =;  Konservatoriumsdirektor.  —  KM.  = 
Kapellmeister.  —  KMJ.  =^  Kirchenniusikalisches  Jahrbuch.  —  KP.  = 
Konservatoriumsprofessor.  —  L.  ^  Literatur.  —  Lkt.  =:  F.  E.  C.Leuckart, 
Verlag.  —  Lpz.  ^r  Leipzig.  —  MD.  :=  Musik-Direktor.  —  MM.  ^  Monats- 
hefte für  Musikgeschichte.  —  MS.(in)  =  Musik8chrift8teller(in).  —  NMZ. 
=  „Neue  MusikZeitung".  —  NZ.  f.  M.  =  „Neue  Zeitschrift   für  Musik" 

—  NA.  =  Neuausgabe.' I  —  0.  =  Orgel.  —  op.  =  opus.  —  Op.  =  Opei*. 

—  Optte.  =  Operette.  —  Orat.  =  Oratorium.  —  Orch.  ^  Orchester.  — 
S.  am  Anfang  der  Zeile  =  Siehe;  im  Kontext  =:  Seite.  —  Symph.  = 
Symphonie.  —  symph.  =  symphonisch.  —  U.  =  Uraufführung.  —  UE. 
=  Universal-Edition,  Verlag.  —  UMD.  =  Universitäts-Musikdirektor.  — 
V.  f.  M.  W.  =  Vierteljahrsschrift  für  Musikwissenschaft.  —  Var.  = 
Variationen.  —  Wke.  =;  Werke.  —  WKM.  =  „Wochenschrift  für  Kunst 
und  Musik",  Wien.  — 

Bei  den  Jahreszahlen  des  laufenden  Jahrhunderts  ist  das  19  fort- 
gelassen (z.  B.  08  =  1908). 


')  Der  Name  des  Bearbeiters  bezw.  Herausgebers  ist  in  []  angeführt. 
•)  Ein  ♦  bezeichnet  besonders  wohlfeile  Ausgaben. 


Erster,  allgemeiner  Teil 


K  othe-Pro  eh  azka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Auf.  1 


Einleitung. 


»llurcii  ist  Glauben,  Sehen  ist  Wahrheit." 
Bardisches  Sprichwort. 

Die  Musik  ist  die  sinnlichste  und  zugleich  übersinnlichste  ^\esen  der 

~  Musik. 

der  Künste.  Der  Mensch,  der  emptindsame  zumal,  vermag  sich 
allen  anderen  Kindrücken  der  Außenwelt  besser  zu  verschließen 
als  jenen  auf  sein  Gehör.  Mit  unwiderstehlicher  Macht  dringt 
die  Musik,  wie  leise  auch  die  Wellen  ihrer  Töne  und  Harmonieen 
an  sein  Ohr  schlagen  mögen,  hier  ein  und  findet  sicher  ihren 
Weg  zu  seinem  Herzen  und  Gemüte.  Wie  keine  andere  auch 
erfüllt  sie  ihn  mit  geheimnisvollem  Ahnen  —  als  rührte  sie 
an  all  die  vielen  Dinge  zwischen  Himmel  und  Erde,  von  denen 
sich,  wie  Shakespeare  sagt,  Menschenweisheit  nichts  träumen 
läßt.*)  Vielleicht  auch  darum  ist  die  Musik  wohl  die  älteste  -^iter. 
der  Künste.  Mythe  und  Sage  befassen  sich  schon  in  frühen 
Zeiten  mit  ihrem  Ursprünge.  Und  läßt  sich  dieser  auch  nimmer 
genau  verfolgen,  so  reicht  die  Geschichte  der  Musik  doch 
weit  zurück  bis  in  die  graue  Vorzeit.  Ihre  erste  Entwickelung 
aber  steht  in  innigem  Zusammenhange  mit  jener  des  Gottes- 
begriffes, jenes  Religionsbedüfnisses,  das  der  Erkenntnis 
einer  höheren  Macht  entsprang.  So  bietet  die  ältere  Zeit  wie 
in  der  religiösen  Kunst  überhaupt,  auch  in  der  religösen  Ton- 
kunst immer  gerade  ihr  Bestes.  Nicht  übersehen  wollen  wir, 
daß  die  Musik  in  den  ältesten  Zeiten  in  ihrer  Eigenschaft  als  be- 
feuerndes Element  auch  durch  das  Kriegshandwerk  wesent- 
lich gefördert  wurde. 

Den  ersten  Menschen  war  die  Musik  kaum  etwas  anderes, 


^)  Ueber  das  Feinsinnliche  wie  Ueberslnnliche  der  Musik  vgl.  den 
Essay  ,. Musiksymbolik "  von  Dr.  A.  Schüz  ^Neue  Musik-Ztg.'', 
Nr.  8,  1905;  ferner  desselben  Autors  „Mystische  Miisikphänoraene', 
ebenda  Nr.  11,  1905.  Auch  Kurt  Mey:  „Die  Musik  als  tönende 
■^Veltidee^  I.,  1901. 

1* 


4  ■  Einleitung. 

als  sie  nocli  heute  den  Naturvölkern  ist :  ein  mehr  oder  minder 
„angenehmes  Geräusch",  um  mit  Goethe  zu  roden;  und  der 
Rhythmus  dasjenige  ihrer  Elemente,   das  am  sinnfälligsten  Hand 

Ursprung-,  ^nd  Herz  bewegte.  Es  gehen  jene  kaum  fehl,  die  das  Ent- 
stehen der  Musik  auf  jenen  früh  schon  bei  der  körperlichen 
Arbeit  angewandten  Rhythmus  zurückführen,  den  man  auch 
heute  ja  noch  zu  Hilfe  zieht,  wenn  es  bei  schwerer  Arbeit 
gilt,  vieler  Hände  Kraft  zu  gleichmäßigem  Einsetzen  zu  be- 
stimmen (beispielsweise  beim  Seilziehen,  Einrammen  eine* 
Pflockes,  beim  Ruderschlag  usw.).^)  Diese  sich  allmählich  zu 
förmlichen  Arbeit slie der n  (je  nach  der  Leistung  mehr  oder 
minder  kompliziert)  -)  entwickelnden  rhythmischen  Gesänge 
bilden  den  Uebergang  vom  unartikulierten  Begleitlaut  der  Lust 
und  Freude,  vom  Schrei  des  Schreckens  und  der  Angst  zu  den 
Anfängen  von  Gesang,  Poesie  und  der  zuvörderst  in  jener 
rhythmischen  Tätigkeit  wurzelnden  Sprache.'^)  So  war  im 
Anfange  der  Gesang  noch  vor  dem  Worte  der 
natürlichste  Dolmetsch  der  Gefühle  des  Menschen, 

Das  erste  ^^^^  ^^^  menschliche  Stimme  das  erste  Instrument. 

Instrument.  Später  erst  erbeutet  sich,   vielleicht  durch  Zufall,    der  Mensch 

aus   Fauna    und   Flora    die    ersten    eigentlichen    Tonwerkzeuge, 

vor  allem  Hörn  und  Pfeife.     Es  entsteht  nach  der  vokalen  die 

instrumentale  Musik. 


^)  S.  Karl  B  ü  c  h  e  r  s  ausgezeichnete  Studie  „Arbeit  und 
Rhythmus"  im  Sitzungberichte  d.  kgl.  sächs.  Ges.  f.  Wissensch. 
1896,  3.  Aufl.  1901. 

■-)  Wir  begegnen  solchen  (Schitifer-,  Schnitterliedern  u.  dgl.)  so- 
gut  wie  bei  allen  Natur-  und  Kulturvölkern  der  alten  imd  neuen  Zeit. 
Charakteristische  Proben  teilt  u.  a.  Svobuda  in  seiner  „111.  Mus.- 
Geschichte"  mit. 

■')  Die  „Jodler"  beispielsweise  sind  sicherlich  ein  Nachklang 
aus  jener  Vorzeit,  da  der  Mensch  sein  Emptinden  wohl  durch  Töne, 
nicht  aber  schon  durch  Worte  auszudrücken  vermochte.  In  seinem 
Essay  „lieber  den  Ursprung  und  die  Tätigkeit  der  Musik"  weist  der 
englische  Philosoph  Herbert  Spencer  (geb.  1820)  nach,  daß  jede 
starke  Empfindung  einen  Reiz  auf  die  Muskelbewegung  übe,  wodurch 
im  Kehlkopf  Töne  entstehen;  daU  die  Entwickelung  der  Musik  stets 
mit  jener  des  unmittelbaren  Ausdrucks  menschlicher  Emptindungen 
denselben  Weg  gegangen,  wie  daß  bei  Tieren  wie  bei  Menschen  jede 
Gemütsbewegung  von  Lauten  begleitet  wird,  und  daß  diesen  Lauten 
Grund  oder  Steigerung  des  Encglseins  anzumerken  ist.  S.  Svoboda., 
^111.  Mus.-Gesch.",  I.  lf{.  ' 


UrspruDü:  uud  Wt'sen  der  Musik. 


Was  Musik  ist.  diesen  Begriff  des  weiteren  auszuführen, 
ist  nicht  Aufgabe  ihrer  Geschichte,  sondern  ihrer  Aesthetik.'i 
Hier  genüge,  wenn  wir  sagen  :  Musik  als  Tonkunst  ist  Musik  hIs 
das  Vermögen,  Töne  nach  bestimmten  Regeln  und  Gesetzen  ®Kun"t 
künstlerisch  zu  fügen.  (Riemann  nennt  die  Musik  „die  Kunst, 
welche  ihre  Gebilde  aus  dem  flüchtigen,  schnell  vergänglichen 
Element  der  Töne  formt  und  daher  bezüglich  des  Materials 
in  dem  denkbar  größten  Gegensatze  zur  Architektur  steht".) 
Eine  auf  beglaubigter  Forschung  fußende  Darstellung  der  ge- 
schichtlichen Entwickelung  der  Tonkunst  und  deren  Meister 
nennen  wir  Musi  kgesch  ichte.  Diese  zeigt  uns  genau,  wie  -eschichte. 
die  herzerhebende  Macht  der  Musik,  der  dieser  innewohnende 
sittliche  Gehalt  mit  ihrer  Gesamtentwickelung  wuchs.  80 
leuchtet  das  ethische  Moment  der  Musik,  das  schon  die  Kultur- 
völker des  Altertums,  vornehmlith  die  Griechen,  erkannten  und 
schätzten,  auch  aus  ihrer  Geschichte  hervor.  Diese  ist  so 
nicht  minder  als  die  Tonkunst  seilest  von  hohem,  erziehlichem 
Werte.  Aus  der  Fülle  der  Lebensbilder  ihrer  Meister  treten 
uns  zudem  viele  in  sich  geschlossene,  feste  Künstlercharaktere 
entgegen,  die  wahrhaft  vorbildlich  auf  den  ehrlich  strebenden 
Jünger  der  Kunst  wirken  müssen.  Aus  der  Biographie  so 
manches  großen  Komponisten  vermag  er  nicht  minder  wie  aus 
dessen  Werken  Mut  und  Ansporn  zu  eigener  Tat  zu  gewinnen, 
ja  nicht  wenig  Trost  zu  schöpfen  auf  der  eigenen,  selten 
dornenlosen   Lebensbahn. 

Tausende    von    Jahren    nuißten    vergehen,    ehe    die    Musik 


^>  Aesthetik  ist  die  Wissenschaft  vom  Schönen  in  der  Kunst, 
die  Lehre  vom  Geschmack.  Vgl.  H.  A.  Köstlins  „Die  Tonkunst. 
Eintuhrung  i.  d.  Aesthetik  der  Musik"  (1879).  Eine  treffliche  Ueber- 
sicht  über  den  Gegenstand  findet  sich  in  der  „Neuen  Musik-Ztg.", 
1904,  Nr.  10,  IL  S.  daselbst  auch  den  Artikel  „Aufgaben  und  Methode 
der  Musikästhetik".     Von  Dr.  Max  Graf.     Nr.  1.  1904,  cit. 

Die  Musikästhetik  umtaUt,  kurz  bemerkt,  die  Untersuchung 
der  Gesetze  des  musikalischen  Hörens  und  die  Betrachtung  (griechisch 
„Theorie")  des  musikalischen  Kunstwerkes  nach  seinen  Wirkungen. 
Dieser  sog.  spekulativen  Theorie  (oder  Philosophie)  der 
Musik  gegenüber  steht  die  praktische  Theorie  der  Musik, 
d.  i.  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Kunstgriffe  und  Regeln 
des  Tonsatzes  als  planmäßiges  Lehrverfahren  (griechisch  „Methode"), 
also  die  Lehre  vom  Generalbaß,  der  Harmonie,  dem  Kontrapunkt,  der 
Komposition.  Vgl.  Riemann,  „Gesch.  d.  Musiktheorie  im  9.— 19.  Jahr- 
hundert.   1898. 


Q  Einleitung. 

EntWicke-  jj^^.g  gegenwärtige,  ebenbürtige  Stellung  unter  den  Schwester- 
Verhältnis  künsten  erreichte.  War  sie  doch  gleich  von  Anbeginn  auf 
»nde^en  ihre  eigenen  Füße  gestellt,  entbehrte  sie  allein  unter  den 
Künsten  Künsten  doch  nahezu  ganz  der  Führerin  Natur,  die  jenen 
schaffen,  andern  zum  Vorbild,  zur  Stütze  wurde.  Doch  während  jene 
durch  die  Natur  auch  wieder  begrenzt  erscheinen,  und,  sobald  sie 
diesem  Vorbilde  möglichst  nahe  gekommen  sind,  auch  bereits 
ihr  Ende  finden,  geht  die  Musik  über  die  Grenzen  der  Natur 
förmlich  ins  Unendliche  hinaus.  Daher  ihr  langsamer  Ent- 
wickelungsgang.  Sie  ist  an  sich,  wie  oben  bemerkt,  die 
älteste  der  Künste.  Und  wieder,  was  ihre  Blütezeit  und  Ver- 
vollkommnung betrifft,  tritt  sie  uns,  im  Gegensatze  zu  der 
ihr  nächstverwandten  Poesie  und  den  bildenden  Künsten,  als 
die  jüngste  unter  ihren  Schwestern  entgegen.  Wohl  der  Ent- 
stehung nach  geht,  wie  im  allgemeinen  die  Kunst  den  Wissen- 
schaften, so  im  besondern  unter  den  schönen  Künsten  die  Musik 
den  andern  voraus  ;  ähnlich  wie  unter  den  bildenden  Künsten 
wieder  die  Architektur  zuerst  gedieh.  Anderseits  aber  fallen 
die  letzten  Höhepunkte  unserer  musikalischen  Entwickelung  — 
man  denke  nur  an  das  vergangene  Jahrhundert  mit  seinen 
Musikgenien  Beethoven  und  Wagner  auf  der  einen,  und  den 
großartigen  wissenschaftlichen  Errungenschaften  auf  der  andern 
Seite !  —  mit  Glanzpunkten  auf  wissenschaftlichem  Gebiete 
zusammen  und  die  Musik  feiert  ihre  Blüte,  da  die  andern,  zu- 
mal die  bildenden  Künste  die  ihre  längst  hinter  sich  sehen 
müssen. 

Ein  Beispiel  nur  für  viele :  in  den  Jahren,  da  Michelangelo 
und  Raffael  die  Sixtinische  Kapelle  schmücken,  Avird  erst  der 
Tonmeister  geboren,  der  sie  mit  seinen  unvergänglichen  Engels- 
harmonieen  erfüllen  soll  —  Palestrina.  Zweihundert  Jahre 
aber  sind  schon  seit  dem  Tode  des  größten  welschen  Dichters, 
Dante,  verflossen. 

Der  Entwickelungsgang  in  der  alten  und  älteren  Zeit  wird 
uns  zeigen,  daß  die  Musik  mit  den  ihr  nachgeborenen  Emana- 
tionen der  menschlichen  Phantasie  (die  Religion  mit  inbe- 
griffen) eine  Weile,  u.  z.  während  des  relativen  Hochstandes 
der  Kultur,  Hand  in  Hand  geht  —  aber  sie  vermag  sich  lange 
nicht  zu  einer  jenen  ebenbürtigen,  über  ihre  Zeit  einflußreich 
hinausragenden,  allgemein  giltigen  Größe  zu  entwickeln.  Sie 
bleibt  am  längsten  in  den  Kinderschuhen    stecken,    tritt  diese 


Ursprung  und  Wesen  der  Musik. 


überhaupt  erst  mit  dem  Beginn  der  Neuzeit  aus.  Jene  Palestrina- 
Epoche  bedeutet  den  ersten  Höhepunkt  der  Blütezeit,  i) 

Und  erst  in  der  neuesten  Zeit,  trifft  das  Schwesternpaar 
Musik  und  Poesie  auf  einem  Gipfelpunkt  zusammen,  (ienieen 
wie  Mozart  und  Goethe,  Beethoven  und  Schiller  begegnen  ein- 
ander, üen  Spuren  der  Goethe,  Heine  und  Lenau  im  deutschen 
Dichterwald  aber  folgen  erst  die  Schubert ,  Schumann  und 
Franz  und  zeitigen  so  nach  der  lyrischen  Blüte  der  Poesie 
jene  der  Tonlyrik.  Als  aber  Wagner,  der  größte  dramatische 
Komponist  des  19.  Jahrhunderts  geboren  wird,  sind  just  drei- 
hundert Jahre  gar  verflossen,  daß  sich  Shakespeare,  der  größte 
Dramatiker  der  neueren  Zeit,  nach  Stratfort  zurückzog.  Und 
gegenwärtig  ?  Während  sich  auch  auf  dem  Gebiete  der  Dicht- 
kunst —  Ibsen  ausgenommen  —  kein  reformatorisches  Genie 
mehr  zeigt,  rühren  sich  im  Reiche  der  Musik  nicht  wenig  neue, 
gottbegnadete  Hände  —  man  blicke  auf  die  Jungdeutschen 
und  Jungrussen!  —  zu  neuem,  bahnbrechendem  Schaffen. 
Wir  stehen  gleichsam  vor  einem  neuen,  musikalischen  Früh- 
ling —  „man  weiß  nicht,  was  noch  werden  mag!"-)  Es  harren 
ja  in  der  Ferne  noch  ganze  Probleme,  wie  jenes  der  weiteren  Probleme. 
Ausnützung  und  praktischen  Verwertung  der  Halb-  und  Viertel- 
töne der  Lösung.  Eine  Umwälzung  unseres  ganzen,  auf  der 
7  stufigen  Grundskala  fußenden  Tonsystems  erscheint  nichts- 
weniger   als "^  ausgeschlossen,^)     Auch    das    Ergebnis    neuester 


1)  Dem  oben  Gesagten  gemäß  erscheint  auch  die  Musikwissenschaft 
noch  viel  jüngeren  Datums  als  die  Wissenschaften  der  anderen 
Künste.  Indessen  wurde  sie  schon  an  der  ältesten,  vorbildlichen 
Universität,  zu  Oxford  (8HG),  gelehrt  und  besitzt  seither  an  den  Hoch- 
schulen ihre  Lehrkanzel.  Dr.  Lederer  stellt  in  seinen  Untersuchungen 
„Über  Heimat  und  Ursprung  der  mehrstimm.  Musik"  (190GJ  die  Musik- 
wissenschaft direkt  als  die  älteste  moderne  id.  i.  fortschreitende) 
Wahrheitswissenschaft  hin.  Vgl.  u.  a.  Guido  Adlers  „Umfang, 
Methode  und  Ziele  der  Musikwissenschaft",  Vierteljahrschr.  f.  M.  W.,  1885. 

-)  In  die  moderne  Musik  spielt  eigentümlich  die  moderne  Philo- 
sophie hinein.  Schopenhauer  übte  Einfluß  auf  Rieh.  Wagner.  Mehr 
äußerlich  ist  die  Anregung,  die  z.  B.  Nitzsche  imd  Ibsen  der  ton- 
künstlerischen Phantasie  eines  Mahler,  Strauß  und  Ptitzner  geben. 

^)  In  den  von  Vincent,  Hahn,  Sachs  u.  a.  angestrebten  Ver- 
suchen einer  Refonn  unseres  Musiksystems  t^C  h  r  o  m  a  genanntes  Zwölf- 
halbtonsystem, d.  i.  Aufbau  des  Systems  auf  die  in  12  gleiche  Teile 
geteilte  Oktave)  wie  in  den  praktischen  Lösungsversuchen  der  neuesten 
Zeit  (neben  Appunns  Harmonium  mit  63  stufiger  Skala  erwähne  ich 
hier  namentUch  das  von  Josef  Ant.  Gruss  in  Franzensbad  erfundene 


g  Einleitung. 

Forschungen,  die  Uebereinstimmung  der  Grundlagen  unseres 
Musiksystems  mit  jenen  der  Musik  der  Naturvölker  ^)  ist  noch 
durchaus  kein  Beweis  gegen  die  Möglichkeit  einer  Umwälzung 
im  gedachten  Sinne,  wie  manche  Musiker  meinen.  Man  wird 
sich  auch  noch  mit  dem  merkwürdigen  Phänomen  des  sog. 
„absoluten  Gehörs",  das  jeden  Ton  auf  noch  so  verschieden 
gestimmten  Instrumenten,  also  trotz  der  relativ  verschiedenen 
Höhe,  stets  richtig  erkennt,  ordentlich  auseinandersetzen  müssen. 
Eines  nur  ist  sicher:  Die  Tonkunst  hat  mit  der  Epoche  Bach- 
Wagner  zum  zweiten,  aber  sicherlich  nicht  zum  letzten  Male  einen 
hohen  Gipfel  erreicht.  Ihre  Geschichte  steht  vor  einem  neuen 
Abschnitte,  ist  also  lange  nicht  so  geschlossen,  wie  es 
jene  der  andern  Künste  wenigstens  zu  sein  scheint.  2)  Früher 
^^^un^*'^  als  diese  hat  sie  begonnen  —  wen  wunderte  es,  wenn  die 
Zukunft.  Musik  alle  andern  Offenbarungen  des  menschlichen  Geistes 
überdauerte?  Ist  es  doch,  als  trüge  sie  in  sich  ein  Stück  des 
Ewigen,  Unendlichen.^) 


„Enharraonium",  ein  Harmonium  mit  24  stufiger  Tonleiter  [ausgestellt 
1906  in  der  deutsch  -  böhmischen  Musikausstellung  zu  Reichenberg, 
vgl.  den  Katalog  zu  derselben  von  Franz  Moissl,  S.  222,  und  Kap.  VIII]) 
ist  gegenwärtig  ein  Stillstand  eingetreten.  Den  allerjüngsten  Versuch 
der  Einführung  von  Vierteltönen  (vorerst  vorzugsweise  als  Durchgangs- 
und Wechselnoten,  also  eine  Art  „Heterophonie"  [vgl.  S.  29])  in  die 
musikalische  Praxis  wagt  Rieh.  Stein  in  Berlin.  S.  desselben  „Zwei 
Konzertstücke"  für  Violincello  und  Klavier,  op.  26,  Berlin,  1007. 
Vgl.  das  später  über  „Temperatur"  Gesagte. 

1)  Vgl.  R.  Wallaschek,  „Anfänge  der  Tonkunst",  1903. 

-)  Läßt  man  die  „Sezession"  in  der  Baukunst  und  Malerei  als 
neue  zukunftsreiche  Stilperiode  gelten,  muß  man  umsomehr  eine  solche 
auch  in  der  Musik  erwarten. 

^)  Derlei  hat  mit  den  altertümlichen  Musikphilosophien  der  Fohl 
imd  Pythagoras,  oder  Vitry  und  Kircher  nichts  zu  schaffen.  „Musik 
und  Philosophie  haben  den  gleichen  Gehalt  der  Idee:  das  Wesen 
des  Ewigen,  Göttlichen,  des  absolut  Wertvollen  zu  erfassen. 
Der  Musiker  offenbart  es  uns  unmittelbar  durch  Töne  —  durch  die 
unmittelbare,  weil  unvermittelte  Sprache  des  Geistes;  der  Phi- 
losoph durch  den  Gedanken,  durch  Urteile  und  Schlüsse.  Der  Gehalt 
ist  bei  beiden  derselbe,  nur  die  Form  der  Darstellung  trennt 
sie."     (Dr.  Gerstenkorn.) 


I.   Altertum.    Von  den  ältesten  Zeiten   bis 
zur  Völkerwanderung. 

(4.  Jahrtausend   v.   Chr.   bis   375   n.   Chr.) 

I.  Vorhellenische  Kultur. 

A  e  g  y  p  t  e  r.    —    Ha  b  }  1  o  n  i  o  r   ii  n  d   A  s  s  }  r  c  i-.    —    II  e  b  r  ä  c  r.    — 
Inder.  —  Chinesen  und  Japaner. 

Die  musikgeschichtliche  Erforschung  der  ältesten  Zeiten  Allgemein« 
ergibt  bis  jetzt  nur  ein  Resultat :  wir  wissen,  dank  den  Aus-  f"o"cii- 
grabungen  uralter  Kunstdriikniäler  genau,  daß,  womit  und  erfrebnisse 
warum,  nicht  aber  wie  damals  musiziert  wurde.  Das  heißt, 
wir  haben  recht  genaue  Kenntnis  der  alten  Klang  Werk- 
zeuge, zum  Teil  auch,  auf  Grund  erhaltener  theoretischer 
Schriften,  Kenntnis  alter  Tonschriften  und  Tonsysteme 
—  das  eine  wie  das  andere  verrät  uns  den  relativen  Hoch- 
stand der  Musik  bei  den  Kulturvölkern  des  Altertums.  Aber 
wir  besitzen  bis  auf  verschwindend  wenig  Ausnahmen  so  gut 
wie  keine,  oder  noch  nicht  genügend  entzifferte  Ton  werke 
aus  jenen  ältesten  Zeiten:  sind  demnach  bezüglich  der 
Tonformen,  also  der  praktischen  Musikübung  jener  Völker 
lediglich  mehr  oder  minder  auf  Vermutungen  hingewiesen. 
Wir  beschränken  uns  demgemäß  hier  vornehmlich  auf  die  Be- 
trachtung der  alten  Musik  vom  allgemein  interessierenden,  vom 
kulturhistorischen,  nicht  vom  besonderen  musikwissen- 
schaftlichen Standpunkte. 

Inschriften  und  bildliche  Darstellungen  auf  den  Felsen-  vegypten. 
gräbern  Aegyptens,  mutmaßlich  des  Landes  der  ältesten 
Kultur,  geben  uns  verbürgte  Nachricht  über  eine  wahre,  musi- 
kalische Kunstübung  dort  bereits  im  4.  Jahrtausend  v.  Chr. 
Da  überraschen  uns  Abbildungen  mannigfacher  Instrumente, 
in  erster  Linie  vielsaitiger,    mehr  als  mannshoher  Harfen,  gar 


IQ  I.  Altertum. 

verschieden,  oft  primitiv,  oft  sehr  kunstvoll  gebaut,  ferner 
ein-    bis    dreisaitiger  Lauten.      Die  Gestalt   aller    gemahnt   be- 

nie'ute'ais  reits    lebhaft    an    die    gewohnten    neuzeitlichen    Formen.      Das 

Kultur-    redet  deutlich  von  einer  in  der  Zeit  der  Erbauuns;  der  Riesen- 

Pyramiden  von  Gizeh  (3000  v.  Chr.)  schon  stark  entwickelten 

musikalischen  Kultur,    von  einem  Musizieren,   dessen  Beginn 

abermals  Jahrtausende  zurückliegen  muß. 

Allgemeine  VeiTÄt  doch  die  Pflege  der  Saiteninstrumente,  dieser  vornehmsten 

Rang-      aller  Tonwerkzeuge,  ein  sicheres  musikalisches  Feingefühl.     Ihre  Er- 

ordnungder  f  indung  schon  setzt  höhere  Kultur  voraus.  Vom  rhythmischen  Hände- 
striunente  klatschen,  mit  dem  noch  heute  Naturvölker  ^}  wie  unsere  Kleinen  ihren 
Tanz  begleiten,  bis  zum  Erfinden  anderer,  künstlicher  mehr-minder 
musikalischer  Schlagwerkzenge,  ja  selbst  bis  zur  Erfindung  der  ersten 
Blasinstx-umente ,  war  kaum  ein  allzugi-oßer  Schritt.  Bis  aber  der 
Mensch,  mit  Pfeil  und  Bogen  ausgerüstet,  zum  ersten  Male  den  Klang 
der  Saite  vernahm,  vom  abschnellenden  Pfeil  erzeugt,  bis  er  Gefallen 
an  diesem  zarteren  Klange  findet-)   und   sich  dieser  „ersten  Harfe" 


^)  Auch  die  Naturvölker  haben  ihre  Geschichte  und  —  ihre 
Musikgeschichte.  Auch  sie  haben,  in  Afrika  wie  in  Polynesien,  ihre 
Sänger  und  Dichter  von  Beruf,  wie  einst  das  Abendland  seine  Barden, 
Skalden  und  Ministreis.  Die  Musik  entsprang  der  Freude,  der  er- 
regten Empfindung,  der  Lust  am  Rhythmus  in  Wort  und  Ton.  An 
jenem  Rhythmus,  der  auch  zur  Tanzbewegung  führt.  Und  wie  bei 
den  Kulturvölkern,  spielt  auch  bei  den  Naturvölkern  das  Musizieren, 
Singen  und  Tanzen  ad  majorem  dei  gloriam  stark  mit.  ,.Kein  Volk 
hat  soviel  Sinn  für  Musik  als  die  Neger;  die  armen  Negersklaven 
erhalten  sich  Mut  und  Heiterkeit  durch  Gesang  und  Tanz  und  ihre 
Liedchen,  wenn  sie  auch  in  Worten  und  Musik  immer  dieselbe  Leier 
sind,  ermüden  sie  so  wenig,  als  die  chansons  einen  Franzosen"  — 
bemerkt  Carl  Jul.  W e  b  e  r  im  Kapitel  „Die  Tonkunst"  in  seinem  geist- 
und  lehrreichen  Buche  „Demokritos,  oder  hinterlassene  Papiere 
eines  lachenden  Philosophen"  (zur  genußreichen  Lektüre  empfohlen !). 
Unter  den  Instrumenten  der  Naturvölker  nimmt  neben  dem  „Hand- 
teller" allerlei  Schlagwerkzeug,  voran  die  Trommel,  den  ersten  Rang 
ein.  Diese  Läi'mwerkzeuge  sind  auch  äußerlich,  im  Bau,  am  meisten 
entwickelt.  Am  primitivsten  geben  sich  die  Saiteninstrumente.  Als 
Rufinstrument  spielt  das  Hörn  seine  Rolle.  Aber  die  von  Flöte  und 
Tamtam  begleiteten  Lieder,  mit  denen  Beduinen-Karawanen  durch  die 
Sahara  reiten  und  den  Schritt  ihrer  Kamele  lenken,  wie  die  einsamen 
Lappenlieder  verraten  uns,  daß  Musik  und  Poesie  die  Sonnenstrahlen 
auch  im  Leben  der  Völker  sind,  die  fern  der  Kultur  ein  —  glück- 
liches Leben  führen.  Wer  sich  für  dieses  Vorkapitel  der  Musik- 
geschichte interessiert,  lese  die  ausführliche,  liebevolle  Würdigung  in 
Svobodas  Illustrierter  Musikgeschichte  (I.  Band),  auf  deren  originale 
Ausführungen  hier  nur  ein  kurzer  Blick  gestattet  ist. 

'-)  Beim  Kinde,  das  ja  in  gewissem  Sinne  den  Entwickelungs- 
gang  der  ganzen  Menschheit  immer  wiederspiegelt,   können  wir  es 


Aegypter.  1 1 

freut  'deren  ausgesprochene  Bogengestalt  auf  einzelnen  ihrer  altägyp- 
tischen Urbilder  weist  klar  auf  Jenen  Ursprung  hin)  —  mußten  da 
nicht  Jahrhunderte  und  abennals  Jahrhunderte  vergehen,  ebenso  wie 
weiterhin  bis  zu  jener  Ausgestaltung  und  besonderen  Pflege  dieser 
edlen  Instrumente,  die  wir  aus  den  erwähnten  Bildern  erkennen  V 

Für  den  Hochstand    der  musikalischen  Bildung  der  alten  iiotiistami 
Aegypter  spricht    auch    die    angesehene  Stellung    der  Musiker,      kuitnr. 
insbesondere  jener  am  königlichen  Hofe ;  überhaupt  der  Umstand, 
daß   die   Priester    auch    die   Musikgelehrten    waren.     Musika- 
lische Werke  selbst  sind  uns  aus  jener  Urzeit  nicht  überliefert.     Von 
figyptischer  Musiktheorie,  von  Tonsystem  und  Notenschrift  haben  wir 
keinerlei    unmittelbare    Kunde,    wissen    nur,    daß    die    Aegypter    die 
siebenstufige  Tonleiter  benutzten.    Tatsache  indessen  und  hier 
von  Interesse  ist:    die  Musik   in  jenem  Lande  diente,  im  Verein  p,fjg"ieund 
mit  Poesie  und  Tanz,   vornehmlich  dem  Kultus.      Sie    hilft    die    Tanz  als 
Feierlichkeit  der  gottesdienstlichen  Handlungen  erhöhen.     Sänger  und      mutd. 
Instrumentalisten    haben    hier,    ferner   bei    Festlichkeiten    mehr    oder 
weniger   weltlichen   Charakters  (Krönungen,  Aufzügen  aller  Art,   (Be- 
lagen, Bestattung  der  Leichen  n.  s.  f  >  reichlich  zu  tun. 

Das  Volk    selber    musiziert    in    seiner  Art,    zu  Hause  auf     Volks- 

MlllSi  K 

dem  Felde.  Einfacher  Liedgesang  erleichtert  die  Arbeit.  Früh- 
lings- und  Liebesfreude,  Herbst-  wie  Totenklage  bilden  den 
Grundton  einer  großenteils  zarten  Tonlyrik. 

Zur  Harfe  i  Tebuui  >  und  Laute  (Nabla  ^  i  gesellt  sich  später  noch 
die  Lyra  (von  Assyrien  hen;  daneben  gibt  es  Blas-  und  Schlag- 
instrumente aller  Art:  dort  unterschiedliche  Flöten  i„Mem"  gerade, 
„S  e  b  i"  quer  angeblasen)  und  gerade  Trompeten,  da  (Kriegs)  Trommeln, 
Handpauken  und  allerhand  Klapper-  und  Rasselwerkzeug  (darunter 
eines  aus  mehr  minder  edlem  Metall,  das  „Sistrum";  es  diente  ähn- 
lich wie  das  Meßglöckchen  in  der  katholischen  Kirche). 

Manche  Abbildungen  zeigen  uns  die  verschiedenen  Instru-  Orchester- 
nientalisten   zu  orchesterartigen   Gruppen   vereinigt. 

Es  ist  allerdings  fraglich,  ob  wir  es  hier  etwa  mit  einer  andern 
Mehrstimmigkeit  zu  tun  haben  als  mit  jener  des  Einklangs  und  der 
Oktave  sofern  sich  nicht  die  einzelnen  Instrumente  überhaupt  nur 
solistisch  ablösten,  indessen  das  Schlagwerk  den  Rhythmus  verstäikt). 


füglich  jederzeit  beobachten :  Schlag-  und  Rasselzeug  macht  die  erste 
Freude,  dann  erst  kommen  Trompete  und  Pfeife  an  die  Reihe,  das 
„Horch  auf  den  Klang  der  Zither"  aber  erfüllt  seine  Lockung  erst 
dann,  wenn  die  Seele  stärker  erwacht  —  ein  Skala  ziemlich  parallel 
mit  jener  vom  Lallen  zum  Singen  und  Sprechen.  Vgl.  das  oben  in 
der  Einleitung  Gesagte.  Den  Uebergang  vom  Schlag-  ziun  übrigen 
Tonwerkzeug  bilden  wohl  die  Glocken. 

1)  Auf  sie  dürfte  das  Nablum  (Nebel i  der  alten  Hebräer  zurück- 
zuführen sein,  ein  Saiteninstrument,  ähnlich  der  sog.  Spitzharfo, 
d.  i.  eine  kleine  dreieckige  Harfe,  auf  den  Tisch  zu  stellen 


12 


I.  Altertum. 


Wie  immer  sich  auch  die  ägyptische  Tonkunst  innerlich 
entfaltet  haben  mag,  ihre  Flamme  erstickte  schliesslich,  offen- 
bar wie  alle  anderen  Regungen  dieses  Volkes  in  dessen  ein- 
gewurzelter Ergebenheit  an  das  Althergebrachte.  Wir  gingen 
indessen  fehl  zu  behaupten,  an  jener  Flamme  hätte  sich  keine 
andere  vorher  entzündet.  Dieses  Kulturvolk,  das  seine  Bau- 
riesen in  so  staunenswerter  Weie  dem  Basalt  und  Granit  wie 
für  Ewigkeiten  zu  entmeißeln  wußte,  daß  es  in  seinen  Felsen- 
tenipeln  die  Urform  der  monumentalen  Baukunst  hinstellte,  gleich- 
wie es  in  seiner  Poesie  ein  Vorbild  wahrhaft  überlegener,  groß- 
artiger Welt-  und  Naturanschauung  hinterließ,  —  dieses  Volk  hat 
auch  sicherlich  den  Grund  in  seiner  Weise  zur  alten  Tonkunst 
mit  gelegt. 

Die  paar  Instrumente   sind    es   auch   gewiß   nicht   allein ,   Avas 

Hebräer,  Griechen   und    andere   Völker  von    den   Aegyptern   „über- 

Die  ägyp-  macht"  erhielten.     Aegyptische  Priester  weihten  nicht  umsonst  Pytha- 

tische  Ton-  goras  in  ihre  Geheimlehre,  auch  der  Tonkunst  ein.     Und  wie  aus  den 

Fiindament  Pfeilern  des  ägyptischen  Felsentempels   die  griechische  Säule  hervor- 

wuchs,  um  verschieden  stilisiert  zu  werden,   so  ähnlich  dürfen  wir  in 

jener   Siebentonleiter  wenigstens  einen    der  Pfeiler  des   ägyptischen 

Tonsystems  erblicken,   der  nicht  nur  für   das   der  Griechen  zu  einer 

starken  und  doch  gefügigen  Stütze  wurde.^) 

Zwar  nicht  so  sehr  als  Kultur  macht  wie  bei  den  Aegy})- 
Babyion  teru  erscheint  die  Tonkunst  der  Babylonier  (3800  v.  Chr. 
'"'^''"Gründung  des  Reiches)  und  Assyrer  (1800  desgl.).  Mehr 
profan  sind  die  Zwecke,  denen  sie  dient,  wie  die  Hände,  von 
denen  sie  bedient  wird.  Im  Kriege  hat  sie  den  Mut,  bei  Fest- 
gelagen die  Ueppigkeit  zu  erhöhen.  Das  ist  indessen  kein  Grund, 
die  Musikübung  dieser  Völker  ohne  weiteres  gering  zu  achten-); 


1)  Die  ägyptische  bezw.  orientalische  Musik  erforschte  und 
beschrieb  besonders  einläßlich  der  französische  Musikschriftsteller 
Guillaume  V  i  1 1  o  t  e  a  u  (spr.  Willotö ).  Er  war  als  Mitglied  der  Ge- 
lehrtenkommission von  Napoleon  nach  Aegypten  mitgenommen,  um 
über  die  Musik  der  dort  gemischten  orientalischen  Völker  Material  zu 
sammeln.  Er  starb  1839  zu  Paris  (s.  Riemann).  Vgl.  ferner  Kiese- 
wetter,  „Ueber  die  Musik  d.  neueren  Griechen,  nebst  freien  Ge- 
danken über  altägypt.  u.  altgriechische  Musik"  (1838).  Loret,  V.. 
„Les  tlfites  egyptiennes  ancieunes"  (1889),  „Sur  une  ancienne  flute 
egyptienne  de  Panopolis"  (1S93),    ,,Les  cyrabales  egyptiennes"  ^  1901 '. 

-)  Vgl.  gegenüber  den  bezüglichen  bezw.  anzüglichen  Bemerkungen 
einzelner  Musikgeschichtler  (Ambroa,  Naumann  und  selbst  Riemann' 
die  ebenso  ausführliche  als  interessante  Würdigung  von  „Musik  und 
Poesie  in  Babylonien  und  Assyrien"  durch  A.  Svoboda,  „Illuatr. 
Musikgeschichte",  I.  Teil. 


Babylouier  und  Assyrer,  Hebräer.  13 

umsoweniger  als,  den  ueuesteu  Forsohuugen  nach,  die  altbabylouiscbe 
Kultur,  die  später  auch  jene  Assyriens,  des  Militärstaates  ohne  gleichen  a^lbabvfo^ 
zeitigte,   sich  schon  zur  Zeit  des  ersten  Pyraraidenbaues  in  Aegypten     nisch'en 
(3S(X)  V.   Chr.)    stark    entfaltet    hatte.     Nach    dem    berühmten    Assy-     Kultur, 
riologen    Professor    Delitzsch    wurzelt    die  Jüdische    bezw.    auch    die 
christliche  Keligion  in  der  altbabylouischen  Kultur!    Keilschriften,  auf 
den    Trümmerfeldern    Ninives ,    neben    bedeutenden    Denkmälern    der 
Architektur  und  Plastik  aufgedeckt,  zeigen  die  babylonisch-assyrische 
Poesie  (die  Patin  der  hebräischen  und  arabischen Ii  in  lebhafter,  durch- 
aus nicht  unbedeutender  Beziehung   zur  Musik.     Neben  der  spezifisch 
assyrischen  Lyra   finden   wir   hier   bereits   dreieckige   Harfen  strumeme 
und  andere  zitherähnliche  Instrumente     jene  im  Arm  gehalten,   diese 
wagi'echt   aufliegend,   mit   einem  Plektron,  d.  i.  Stäbchen,   wie   heute 
noch   Mandoline   und   Zither  gespielt),    dann   Flöten   und   Trompeten,    ^-j^^  y^^._ 
Pauken  und  Trommeln  (vgl.  Daniel,   Kaj).  3,  Vers  5).     Auch  tallt  ein    fahre  der 
babylonischer,   sehr  einfach  gebauter  Dudelsack  auf  —   es  ist  der      Orsel. 
Vorfahre  der  Orgel. 

Üeber  das  System  und  die  Formen  der  Musik  wie  deren 
Niederschrift  fehlt  auch  liier  jedwede  sichere  Nachricht.  Das- 
selbe   beklagen    wir    hinsichtlich    der    tonkünstlerischen  Wirk-    •'"«''sehe 

'^  ,  Musik. 

samkeit  der  Hebräer  (ab  1320  v.  Chr.).  Auch  hier  der  Ver- 
bleib musikalischer  Denkmäler.  Zeitgenossen  bezeugen  uns  den 
feierlichen  Ernst  althebräischer  Musik  und  deren  Größe,  wie 
daß  ihr  trotzdem  der  Jubelton  der  Freude  in  der  Begeisterung 
für    Gott    nicht    fremd    gewesen.  Tempel- 

Einen  leisen  Nachklang   nur  begrüUen  wir   in  den  vorhandenen    *'^und^^ 
Tempelgesängen.    Sie  lassen  infolge  starker  örtlicher  Unterschiede  hebräische 
ebensowenig  als  die  sog.  h  e  b  r  ä  i  s  c  h  e  n  M  e  1  o  d  i  e  n  i)  ein  sicheres  Zurück-   Melodien, 
führen  auf  jene  alten  Zeiten  zu.    Ein  ursprüngliches  Element  indessen 
leuchtet  aus  diesen  farbenreichen  Gesängen  zweifelsohne  hervor  und  ihre 
ganz  eigenartige  und  erhebende  architektonische  Schönheit  weckt  unwill- 
kürlich die  Erinnerung  an  die  Pracht  des  Salomonischen  Tempelbaues.-) 

')  Vgl.  «Hebräi.sche  Melodie"  für  Klavier  zu  4  Händen 
i'auch  Violine  bezw.  Cello_und  Klavier)  eingerichtet  von  Kob.  Franz. 
Leipzig,  Leuckart. 

■1  S.  das  Sammelwerk  „Tempelgesänge"  des  um  die  Pflege 
und  Förderung  der  jüdischen  Musica  sacra  hochverdienten  Prager 
Chordirektors  Da\  id  K  u  b  i  n  (geb.  1x31  in  Gewitsch).  Es  erschienen 
im  Selbstverlage  des  Komponisten  bisher  12  Hefte  und  nicht  weniger 
als  6U  Manuskripte  harren  noch  der  Veröffentlichung.  Bereits  Ambros 
schätzte  das  Werk  Rubins  sehr  hoch  und  nahm  es  s.  Z.  eigens  nach 
Kom  mit,  um  es  dem  Leiter  des  dortigen  rühmlichst  bekannten  Tempel- 
chores zu  übergeben.  Diese  auch  über  Euroi)a  hinaus  stark  ver- 
breiteten Tempelgesänge  (Rubin  hat  hier  namentlich  der  richtigen 
Akzentuierung  des  Hebräischen  die  nötige  Aufmerksamkeit  geschenkt, 
die  aufgenommenen  traditionellen  Melodien  und  Rezitative  in  ihrer 
Einfachheit  wiederhergestellt   und  sie  teils  rhythmisiert,  teils  hanno- 


14  !•  Altertum. 

Auch    die  Hebräer    nannten    außer    anderen    Saiteninstru- 
menten (Psalter,    Lyra,    Laute)  vor  allem  die  Harfe  (K  i  n  n  ö  r) 

n    ,  ihr    eigen. ^)     Mit    ihr    wurden    die    herrlichen    Psalmen    be- 

Psalmen.  °         ' 

gleitet,  diese  „erhabenste  und  glühendste  religiöse  Lyrik  aller 
Zeiten"  (Brodbeck),  mit  der  die  lyrische  Poesie  der  Hebräer 
selbst    ihren  Höhepunkt    erreicht  (1000  v.   Chr.).      Der  könig- 

König  liehe  Dichter-Komponist  der  Psalmen,  David  selber,  begleitete 
zur  Harfe  seine  Lieder.  Durchaus  den  Hebräern  eigentümlich  ist 
das  Schofar,  ein  stark  gewundenes  Widderhorn,  das  beute  noch 
beim  Ausspruch  des  Bannes  geblasen  wird.  (Sein  gewaltiger  Schall 
zertrümmerte  die  Mauern  Jerichos !)  2)  Ein  ähnliches  autochthones 
Blasinstrument  ist  das  Keren.  Trompeten  und  Flöten  groß  und 
klein,  Handpauken,  Zimbeln  (eine  Art  Becken)  und  Rasselzeug  ägyp- 
tischen Ursprungs  vervollständigen  ein  ansehnliches  „Orchester".  Auch 
hier  aber  ist  an  eine  Mehrstimmigkeit  in  unserem  Sinne  kaum  zu  denken. 
Die  hebräische  Musik  stand  vor  allem  im  Dienste  der 
Gottheit,  der  Religion,  des  Tempels.  Hier  im  Tempel  war  sie, 
seit  der  Ueberführung  der  Bundeslade  dahin,  in  den  Händen  der 
Leviten.  „Diese  schlugen  das  Kinnor  und  Nebel  (Psalter),  während 
die  Priester  selbst  vor  der  Bundeslade  stehend  in  das  Schofar  und 
Keren  stießen."     (Riemann.) 

Die  denkbar  engste  Beziehung  aber  verknüpft  die  Schwestern 
Musik  und  Poesie.  Davon  zeugen  Inder  religiösen  Lyrik 
außer  jenen  Psalmen  das  Lied  Deborahs,  Mirjams  Sieges- 
gesaug,  wohl  der  älteste  Gesang  mit  Instrumentenbegleitung  (hier  wie 
öfter  bei  David  gesellt  sich  zu  Musik  und  Poesie  auch  der  Tanzi, 
und  die  Klagelieder  Jereraias'  (588  v.  Chr.);  in  der  welt- 
und^welt-  liehen  Lyrik  das  Hochzeitslied  des  45.  Psalms  und  vor  allem 
liehe  Lyrik,  das  Hohe  Lied,  das  Lied  der  Lieder  (9.  Jahrhundert  v.  Chr.). 

Ein    eigenartiges    gitarreähnliches     Instrument ,     das     der 

Indien.  Musikgott  Nareda  um  die  Schulter  trägt,  erzählt  uns  von  der 
Musikkultur  der  alten  Inder  (2000  v.  Ch.).  Es  ist  die  Vi  na  ; 
ein  Saiteninstrument  mit  Griffbrett,  gebildet  durch  19  über  einem 
Holzrohr  bewegliche,  in  der  Höhe  anwachsende  Stege  (Bünde),  mit 
7  Metallsaiteu  überspannt.  Das  auf  zwei  hohlen  Kürbissen  ruhende 
Tonwerkzeug  wird  mit  einer  Art  Piektrum  gespielt.     Es  ist  das  be- 


nisiert)  bieten  mit  ihrem  meisterhaften  Satze  einen  dem  Choralstudium 
ähnlichen  Genuß.  Als  Reformator  des  jüdischen  Kultusgeaanges  galt 
der  Wiener  Oberkantor  Salomon  Sulz  er  (1804 — 90)  mit  seinem 
jüdischen  Gesangbuch  „Schir  Zion". 

^)  Vgl.  Anmerkung  1  S.  11. 

-)  Durch  den  Schall  der  Widderhörner ,  jöbel  (S:r,  Widder), 
wurde  das  Jubeljahr,  d.  i.  also  eigentlich  Halljahr,  verkündet.  Daher 
das  neulateinische  Jubilaeum  hebräischen  Ursprungs.  Vgl.  Adelung, 
Wcirterbuch  (1808)  und  Duden,  Orthogr.  Wörterb.  (1900). 


Inder.  15 

liebteste,  das  National-Instrument   der  Inder.      Auch  bei  diesem 
Volke  sind  wir  mehr-weniger  auf  die  Kenntnis  einzelner  Klangwerzeuge 
als    musikalische  Bildungsmesser   beschränkt.     Die    Sanskritforschung 
hat  uns   zwar   noch    nicht  die   entschieden  vorhandenen  Reste   altin- 
discher Musik   näher   gebracht.     Auch   keine  Komponistennamen  sind 
uns  überliefert.    Aber  wir  blicken  auf  jene,  zwei  Oktaven  chromatischer        j,,^ 
Skala  umfaßende  sog.  indische  Lyra,  auf  die  ausnehmend  leicht  an-  sti umente. 
sprechenden  Flöten  (mit  der  Nase  anzublaseni  und  das  untei'schiedliche 
Schlagwerk,  doch  nicht  so  ganz  ohne  Antwort  auf  die  Frage,  wie  mit 
all  dem  musiziert  wurde.    Aus  den  alten  musiktheoretischen  und  -philo-  xonsystcm 
sophischen  Sanskrit-Schriften  der  Inder  ist  bisher  festgestellt:  das  Ton-       und 
System  umfaßt  3  Oktaven,  die  Ilaupttonleiter  zählt  7,  nach  Göttinnen  Tonstlirift. 
benannte  Stufen   (daher  Septaka  genannt).     Durch   Erhöhung   oder 
Erniedrigung  dieser  Ilaupttöne,    wie   durch   verschiedene  Stimmungen 
innerhalb  der  (später  in  22  Dritteltöne  geteilten)  Oktave  eröffnet  sich 
ein  „Meer  der  Tonarten".')     Die  Töne  wurden  mit  den  Anfangsbuch- 
staben   ihrer   Namen,    ihre    Dauer    und    Art    des    Vortrags    mit    ver- 
schiedenen Linien  notiert. 

Schon   in  der  Urzeit  musizierte    und  sanu  man  vor  allem 
zu    Ehren    der    Götter    und    Könige.      Die    1020    Hymnen    des      \'ier" 
Rigweda,  (die  älteste  Sammlung  der  das  mythologische  Epos    R'P^eJa. 
der    Inder    enthaltenden  Wedas,    d.   i.    die    heilige    Schrift    dei- 
Brahminen  und  älteste  indische  Literatur  überhaupt,)  die  vielfach 
an    die    einfache   Erhabenheit    der   indischen   Tempel   gemahnen, 
bezeugen  die  Verbindung  von  Musik   und  einer  oft  leidenschaft- 
lichen Poesie  bereits  seit  dem   18.  Jahrhundert  v.   Chr.     Tanz    vereini- 
und  Gesang  vereinen    sich    mit  der  Dichtkunst  beim  Drama,  '^^ifsik"" 
das  m*»hr  lyrischer  Natur  und  unabhängig  von  der  Gotteslehre  erst  Poesie  und 

,     ,  ,  ,  ,  ,'      ,  •   1  'Ol         1    1    4' \         •  Tanz  zum 

im   2.  Jahrhundert  n.Chr.   in  Ka  1  ida  sa  („Sakuntala  ")  seinen     Dranw. 
Hauptvertreter  findet,   dem  hervorragendsten   indischen  Lyriker 
(Liedercyklus    „Versammlung   der  Jahreszeiten").      Gebete    und 
die  Zauberformeln  desAtharvaweda  wurden  gesungen.     Die    ^^I'^"[a"'*' 
Priester    waren    zugleich  Dichter    und  Sänger,    ihre  Preisliedor 
begleitete   Saitenspiel.     Im  Kriege    taten  Bläser  und  Trommel- 
schläger ihre  Schuldigkeit.      Bei  den  Indern  spielt  der  Zauber 
der    Musik    eine    große    Rolle ,     im    Leben     wie     in    Mythus ; 
der  Glaube   belebt    das  Jenseits   mit  himmlischen  Sängerinnen  (Apsa- 
rascu)  die   von  Saitenspielern    (Gbandarven)   begleitet   den   Erdenent-    Musik  als 
rückten  tanzend  und  niinnend  begrüßen.     Sirenen  ähnlich  vereinen  sie   ^''f*^','^""^' 
die  Macht  der  Musik  imd  der  Schönheit.') 


h  So  der  Titel  eines  jener  Sanskritbücher. 

2)  ^Ueber  d.  Musik  der  Inder"  schrieb  J o  n  e  s  -  Dalberg,  1802. 
Der  englische  Forscher  und  Komponist  Ouseley  (1825—89,  Doktor 
und  Professor  der  Musik   zu  O.xford)   bemerkt,   daß  viele  indische 


Japan. 


\Q  I    Altertum. 

Bemerkenswerter  Weise  gab   es  bei    den    alten  Indern    ganze 
Sänge rfamilien  (durch   sie  wurden  die  Rigveda-Hyninen  vor  der 
ersten   Aufzeichnung   durch    mündliche   Ueberlieferung   erhalten)   und 
Sänger  Innungen. 
China  und  Recht  ratlos  stehen  wir  der  Musik  der  Chinesen  gegen- 

über. Und  gerade  hinsichtlich  der  Tonkunst  in  diesem  uralten 
Kulturstaate  (Gründung  2200  v.  Chr.)  sind  wir  noch  am  besten 
unterrichtet.  Ist  es  doch  der  einzige  der  Staaten  der  Geschichte, 
der  seit  seiner  Gründung  (2200  v.  Chr.)  fortbesteht.  Gleich  den 
Indern  und  Japanern  bezitzen  die  Chinesen  eine  ausgebreitete 
Literatur.  In  mechanischen  Dingen  stehen  uns  diese  Nationen 
gleich,  waren  uns  da  in  manchem  voran  (man  denke  z.  B.  an  die 
Porzellanherstellung  in  China  von  alters  her),  und  übertreffen  uns 
zum  Teil.  Bei  den  Chinesen  ist  seit  2000  Jahren  die  Musik  zwar 
als  Wissenschaft  hochgehalten.  Die  kaiserliche  Bibliothek  zählt 
über  500  verschiedene  Werke  über  Musik.  Man  kennt  dort 
die  Lehre  vom  Quintenzirkel,  die  12  Halbtöne  der  Oktave, 
die  2  Halbtöne  der  Skala  usw.  Aber  in  der  praktischen  Musik 
tobt  man  mit  Lärmbecken  (Tamtam),  Trommeln  und  ähnlichen 
Instrumenten,  als  würde  der  Zweck  der  Musik  durch  bloßen 
Lärm  erreicht, 
artigkeit  Der  Wirrwarr  der  neueren  chinesischen  Instrumentalmusik 

Musfk      ^^^  ^^^^  unverständlich.  1) 

Die  Musik  war  zuerst,  wie  wir  sahen,  die  Sprache  der  Völker 
mit  den  Göttern.  Sie  ist  es  auch  in  China  —  aber  eine  für  unsere 
abendländischen  Begriffe  sehr  unartikulierte  Sprache.  Auch  der  relativ 
melodiöse  Einzelsang  ist  nicht  ohne  krause  Einfälle  (vgl.  Anhang, 
Beilage  2).  Das  gesungene  Wort  ist  meist  wertvoller  als  die  Melodie. 
Eine  Liedersammlung  von  ähnlicher  Bedeutung,  wie  sie 
Lieder-  den  Psalmen  der  Hebräer  und  den  indischen  Rigveda-Hymnen 
des  "  eignet,  besitzen  die  Chinesen  im  Schi-King,  das  K  o  n  g  - 
fu-tse  483  V.  Chr.  anlegte.-)  Zu  denken  gibt  der  Ausspruch 
dieses  Philosophen:  „Wollt  ihr  wissen,  ob  ein  Land  wohl  regiert 
und  gut  gesittet  ist?     Hört  seine  Musik!" 

Volksgesänge  die  schöne,  elegisch-klagende  Einfachheit  schotti- 
scher und  irischer  Melodien,  manche  einen  unbeschreiblichen 
zarten,  andere  einen  wilden  phantastischen  und  originellen  Gang  auf- 
weisen. Vgl.  das  über  die  Versuche  G.  Capellens  in  einer  späteren 
Anmerkung  Gesagte. 

1)  Vgl.  die  wenig  erbauliche  Schilderung,  die  uns  G.  K  r  e  i  t  n  e  r 
in  seinem  Buche  „Im  fernen  Osten"  (Wien  1881)  von  den  Leistungen 
eines  chinesischen  Orchesters  in  Shanghai  gibt. 

•-■)  S.  Svobodas  „111.  Mus.-Gesch.",  S.  36  ff. 


Schi-Kinf 


Chinesen  und  Japaner.  17 


Den  chinesischen  Geschmack  kennzeichnet  Dr.  Marons  Mitteilung  ^) 
man  habe  in  Peking  über  ein  von  ihm  vorgetragenes  Lied  von  Franz 
Schubert  laut  aufgelacht.  Charakteristisch  ist  denn  auch  die  Anekdote 
von  jenem  Chinesen,  dem  in  der  Londoner  Oper  am  besten  die  erste 
Nummer  gefiel  —  das  Einstimmen  der  Instrumente  nämlich  .  .  . 

Der  nüchterne,  zopfige  Charakter  des  Volkes  spielt  auch  in  seine 
Musik  hinüber.    Als  Prinz  Tsay-Yu  beiläufig   1500  v.  Chr.   die  *^^?i*ii  ""** 
ursprünglich  fünfstufige,  der  Halbtonschritte  entbehrende  Skala  -) :    tonieiter. 


I 


zur  siebenstufigen  erweiterte,  hatte  er.  wie  es  heißt,  alle  Musiker 
gegen  sich.  Nicht  ohne  Grund.  Die  Fünftonleiter  ist  die 
ürskala.  Nach  Riemann  nachweisbar  nicht  nur  im  äußersten  Osten 
(China,  Japan,  Polynesien)  und  Westen  (bei  den  Kelten),  sondern 
auch  bei  den  afrikanischen  Naturvölkern  und  selbst  in  der  ältesten 
Epoche  der  griechischen  Musikkultur.  Auch  einzelne  der  ältesten 
Melodien  des  gregorianischen  Gesanges  weisen  dahin.  Fohi,  der 
Gründer  der  altchinesischen  Philosophie  (iKKX)  v.  Chr.i  galt  auch 
als  Erfinder  der  Musik.  Er  brachte  die  Fünftonleiter  in  allerhand 
mystische  Beziehungen  zum  Weltkörper,  vor  allem  zur  Fünfzahl  der 
Elemente:  Erde,  W' asser,  Luft,  Feuer,  Wind.  Er  deutete  die  Fünf 
als  Weltzahl  und  Sinnbild  der  „Harmonie  der  Sphären". 
(Vgl.  die  verwandte  Lehre  des  Pythagoras  in  der  Musik  der  Griechen.) 
Daher  wohl  der  Widerstand  gegen  eine  Erweiterung  dieser  „gehei- 
ligten" Skala. 

Für  eine  raschere  Entwickeluug  des  durch  Tsay-Yu  angebahnten 
Systems  spricht  dennoch  das  uralte,  angesehene  King:  aus  ver- 
schieden gestimmten  hängenden  Steinplatten,  -')  die  mit  einem  Hammer 
geschlagen  werden,  bestehend,  verfügt  dieses  Instrument  bereits  über 
die  volle  Zwölftonleiter.  Auf  Grund  derselben  wuchs  die  Zahl  der 
Tonarten  auf  8t. ^) 

Innerhalb  der  fünf  stufigen  Skala  bewegen  sich  die  über- 
lieferten ältesten  Tempelmelodieen  sehr  würdevoll.  So 
der    zur    Ehre    der    Ahnen    in    Gegenwart    des    Kaisers    gesungene 


')  Bericht  über  eine  Reise  nach  Japan. 

2)  Später  auch  Holz-  oder  Kupferplatten  (Fang-hiang  oder 
Yün-lo). 

^)  S.  Riemann,  „Ueber  japanische  Musik",  Mus.  Wochenbl. 
1902.  Ferner  die  gründfiche  Abhandlung  Dr.  Wageners  „Ueber 
die  Theorie  der  chinesischen  Musik  und  deren  Zusammenhang  mit  der 
Philosophie"  in  den  „Mitteilungen  d.  deutsch.  Gesellsch.  f.  Natur-  u. 
Völkerkunde  Ostasiens",  1877.  Daselbst  im  6.  Heft  auch  ein  Aufsatz 
über  japanische  Musik  von  Dr.  Müller.  Vgl.  Svoboda  cit.  Die 
Fünftonleiter  benützte  neuerer  Zeit  Carl  Maria  v.  Weber  in  seiner 
Musik  zu  Turandot. 

Küthe-Prüehazka,  Abriß  J.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.     2 


18 


I.  Altertum. 


Alte  und 
moderne 
Melodien. 


In- 
strumente. 

Ein  Vor- 
fahre des 
Harmo- 
niums. 

Das  fort- 
schrittliche 
Japan. 


Geisbas. 


In- 
strumente. 


Hymnus.  Ebensolche  uralte  Melodieen  in  anhemitonischer  Pen- 
tatonik,  d.  i.  der  halbtonlosen  Fünfstuögkeit  mit  kleiner  Terz, 
finden  sich  in  dem  jüngeren  Japan  (gegr.  im  7.  Jahrhdt.  v.  Chr.j. 
Die  modernen  japanischen  Melodieen  hingegen  fußen  teils  auf  der 
diatonischen  Siebentonleiter,  teils  auf  ditonischer  Pentatonik,  d.  i. 
fünfstufiger  Melodik  mit  Halbtönen  und  großer  Terz  (griech.  „ditonus", 
s.  darüber  später  unter  „Griechen"). 

Nach  dem  fünfstufigen  Tonsystem  sind  übiigens  in  beiden  Ländern 
auch  die  höherstehenden  Inatrumente  gebaut  und  gestimmt.  Im  alten 
China  begegnen  wir,  vom  King,  dann  verschiedenen  Glocken  und 
Glockenspielen,  allerhand  Pauken  (Riesenpauke  K  u),  großen  und  kleinen 
Trommeln  und  andern  reich  entwickelten  Lärmwerken  abgesehen,  einer 
Art  Panflöte  (S  i  a  o)  und  zwei  zitherähnlichen,  vielsaitigen  Instrumenten 
ohne  Griffbrett  (Kin  und  Tsche).  Dazu  kamen  später  noch  gerade 
und  Querflöten  (Yo  und  Tsche),  trompeten-  und  oboeartige  Blech- 
blasinstrumente imd  vor  allem  das  T seh  eng,  gewissermaßen  ein 
Vorfahre  unseres  Harmoniums:  12  bis  24  Bambusröhren  mit  durch- 
schlagenden Zungen  und  Grifflöchern,  sind  in  einen  hohlen  Kürbis 
eingesetzt,  der  als  Windlade  mittels  einer  Seitenröhre  angeblasen 
wird.     Etwas  ähnliches  ist  die  japanische  Scho.') 

Im  Lande  der  Mikado,  das  die  letzten  politischen 
Ereignisse  im  Osten  unserem  Interesse  beträchtlich  näher  rückten, 
hat  man  auch  in  der  Musik  den  Nachbar  mit  dem  Zopfe  ent- 
schieden überholt.  Orchester  und  Chöre  (insbesondere  die 
Mädchenorchester  in  den  Teehäusern  und  Theatern  der  großen 
Städte)  berühren  den  Fremden  weit  weniger  unangenehm.  Nur 
das  Tongewirre  alt  japanischer  Musik  bleibt  europäischem 
Ohre  unverständlich. 

Außerhalb  des  Tempels  und  der  Vei'gnügungsorte  spielen  Musik 
und  Gesang  insbesondere  bei  der  poesievoUen  Allerseelenfeier  auf 
den  Friedhöfen  eine  Rolle. 

Die  Musiker  besitzen  ein  ausgebreitetes  Zunft-  und  Klassen- 
wesen. 

Unter  den  japanischen  Instrumenten  bemerken  wir  außer  dem 
Schlagzeug  Quei-flöte,  Hörn,  Geige  und  Saiteninstrumente,  so  die  sehr 
beliebte  japanische  Gitarre  Samiseng  und  das  siebeusaitige 
zitherartige  Koto.  Als  Reliquie  wird  in  Kioto  eine  tausend  Jahre 
alte  Nor  mal  Stimmgabel  aufbewahrt.  Vor  dem  Tempel  zu  Jedo 
befindet  sich  die  größte  Glocke  der  Welt  (über  72  Fuß  hoch 
und  1700000  engl.  Pfund  schwer).  Sie  dient,  mit  einem  Riesen- 
schlägel geschlagen,  zum  Anrufe  des  Gottes  Kwannon.-) 


^)  Vgl.  „China.  Imperial  Maritime  Customs  II.  Spezial  series 
Nr.  6  Chinese  m US ic"  by  J.  A.  Van  Aalst,  Shanghai-London 
18S4.  IV.  84  S.  gr.  8,  mit  trefflichen  Illustrationen  i^Instrumenten- 
abbildvmgen)  und  Notenbeispielen. 

*)  Vgl.  Piggot ,  The  music  and  musical  ins^ruments  of  Japan",  1893. 


Griechen.  19 

Inwieweit  diu-ch  die  exotische  Musik,  durch  Verwendung 
der  uns  fremdartigen  Melodien ,  eine  Befruchtung  unseres  Musik- 
schatfens  möglich  ist,  bleibt  abzuwarten.  Bemerkenswert  sind  die 
neuesten  Versuche  von  Ludwig  Riemann  und  namentlich  Georg 
Cap  eilen. ^j 


2.   Hellas  und  Rom.  —  Die  ersten  Christen.     Byzanz. 

Griechen:    Die  Musik  als  Erziehungsmittel;   das  Dorische 
System:    Pythagoras;   llochstand  und  Verfall  der  griechi- 
schen Tonkunst,   ihre  Denkmäler.   —   Kömer.   —   Alt  christ- 
liche und  byzantinische  .Musik. 

Musikalische  Höhenluft  weht  uns  aus  dem  Lande  der  (^riechen. 
Griechen  entgegen  (historische  Zeit  seit  dem  Anfang  der 
olympischen  Spiele  und  der  ersten  Olympiade,  776).  Hier 
schließt  sich  der  Ring  unserer  Umschau  über  das  tonkünstle- 
rische Leben  der  großen  und  kleinen  Kulturvölker  des  Alter- 
tums, die  wir  von  Aegypten  her  gehalten.  Es  beißt  sich,  wie 
<ler  bildliche  Ausdruck  lautet,  die  iSchlange  in  den  Schwanz. 
Von  Aegypten  her  kam  so  manches  musikalische  Samenkorn 
nach  Griechenland  geweht,  um  hier  auf  dem  Boden  freigeistigen 
Empfindens  und  Gestaltens  erst  ordentlich  aufzugehen.  Eine 
reiche,  schöne,  uns  wohlvertraute  Götter-  und  Sagenwelt,  aus 
der  die  Gestalten  Orpheus",  der  Sirenen  und  Arions  als  Sym- 
bole der  hochgehaltenen  musikalischen  Macht  hervorragen,-)  Erziehuns« 
leitet    anmutig    hinüber    in    die    reale    ^Velt    der    griechischen      ">'"ei. 


^)  Vgl.  dessen  „Japanische  Volksmelodien  des  Isawa  Shuji,  als 
•Charakterstücke  für  Klavier  bearbeitet,  Nr.  1  die  japanische  National- 
hymne: dann  desselben  „Exotische  Mollmusik  für  Klavier",  Leipzig, 
Breitkopf  &  Härtel ;  s.  auch  den  bez.  Aufsatz  nebst  Notenbeilage  in 
„Das  Harmonium",  Nr.  8,  190H  und  ,,Ein  neuer  Musikstil".  An  Noten- 
beispielen nachgewiesen  von  G.  Capellen.  190G.  Stuttgart,  Grüninger. 
Dagegen  wendet  sich  nur  Hugo  Riemann,  als  ob  derartigen 
exotischen  Melodien  mit  europäischer  Harmonisierung  beizukommen 
wäre.  Vgl.  den  Aufsatz  „Exotische  Musik"  von  Hugo  Riemann  in 
Hesses  Deutsch.  Mus.- Kalender,  1906. 

'^)  Die  Sage  vom  göttlichen  Ursprung  der  Musik  geht  auch  durch 
Griechenland.  Wie  bei  den  Indern  Nareda  mit  der  Vina  über  der 
Schulter  als  der  göttliche  Urheber  der  Tonkunst  galt,  bei  den  Aegyptern 
O  s  i  r  i  8  (nach  Plutarch  Honis  i  mit  der  von  ihm  erfundenen  Flöte, 
so  tritt  uns  hier  der  schöne  Apollo n  mit  der  Lyra  im  Arm  entgegen 
—  Gestalten,  die  uns,   so   verschieden  sie   auch   in  ihrem  Charakter 

2* 


2Q  I.  Altertum. 

Tonkunst.  Erst  hier  schreiben  wir  dieses  Wort  ohne  Zagen 
nieder.  Erst  bei  den  Griechen  sehen  wir  die  Musik  als  Kunst, 
um  ihrer  selbst  willen,  nicht  nur  ad  majorem  dei  gloriam 
betrieben;  vor  allem  aber  in  ihrer  Bedeutung  als  Ethikum 
erkannt,  geschätzt  und  gepflegt,  als  ein  Erz  iehungs  mittel 
vom  Staate  selbst  gefördert. i) 

Der  große  griechische  Philosoph  P I  a  t  o ,  der  die  Musik  als 
Mittel  und  Zweck  der  harmonischen  Seelenbildung  imd  der  Besänfti- 
gung der  Affekte  betrachtete,  sprach  das  Wort  aus:  „Der  Verfall  der 
Musik  führt  den  Verfall  der  guten  Sitten  und  des  gauzen  Staates 
herbei."  (Staat  IV.)  Ist  dieser  Ausspruch  —  ein  ähnlich  bedeut- 
sames Wort  hörten  wir  schon  von  Konfuzius  (vgl.  S.  16)  —  in  seiner 
Allgemeinheit  auch  nicht  ganz  zutreftend,  weil  er  zu  viel  behauptet, 
so  bii'gt  er  doch  einen  richtigen  Kern  und  zeigt,  wie  man  schon  im 
Altertume  den  großen  Einfluß  der  Musik  auf  die  Kultur  des  Volkes 
zu  würdigen  verstand. 

Unser  Wissen  von  der  Musikübung  der  alten  Griechen 
stützt  sich  nicht  allein  auf  zahlreich  erhaltene  theoretische 
Schriften  und  die  Kenntnis  der  Instrumente,  sondern  auch  auf 
die  namentlich  jüngster  Zeit  entdeckten  relativ  immerhin  an- 
sehnlichen Reste   althellenischer  Musikwerke. 

Freihch,  sowenig  als  etwa  die  landläuflge,  iu  unseren  Gymnasien 
gelehrte ,  oder  in  gelehrten  Sonderwerken  behandelte  und  immer 
Avieder  neu  versuchte  Erklärung  der  Chöre  der  griechischen  Tragödie 
Anspruch  auf  Unfehlbarkeit  erheben  darf,  ebensowenig  abgeschlossen 
ist,  von  aller  bisher  geleisteter  bewunderungswürdiger  Arbeit  abge- 
sehen, die  ununterbrochen  rege  Forschung  über  das  griechische  Musik- 
system.^)  Von  diesem  sei  das  Feststehende,  Wissenswerteste  hier 
klargelegt. 


sein  mögen,  das  Wort  eines  griechischen  Schriftstellers  verkörpern: 
„Im  höchsten  Grade  verehrungswürdig  ist  die  Musik,  da  sie  eine  Er- 
flndung  der  Götter  ist." 

M  Vgl.  Dr.  Hermann  Abert  (geb.  1871  zu  Stuttgart  als  Sohn 
<les  Komponisten  der  „Astorga",  Musikforscher  i,  „Die  Lehi'e  vom 
Ethos  in  der  griechischen  Musik",  1899  (sehr  wertvoll). 

-)  Ein  Hauptverdienst  erwarb  sich  in  erster  Linie  Fried  r. 
Bellermann  (geb.  1795  zu  Erfurt  [als  Sohn  Joh.  Joachim  Beller- 
nianns,  der  den  Gesangunterricht  au  den  preußischen  Schulen  Avieder 
einführte],  gest.  1X74  als  Gymnasialdirektor  in  Berlin).  S.  seine  be- 
deutsame Schrift  ,.Die  Tonleiter  und  Musiknoten  der  Griechen",  1847. 
Gleichzeitig  mit  dieser  und  in  den  Forschungsergebnissen  fast  über- 
einstimmend erschien  die  nicht  minder  ausgezeichnete  Schrift  ,,Da8 
nnisikalische  System  der  Griechen  iu  seiner  Urgestalt"  von  Karl 
Fortlage  (1806— 81,  Aesthetiker  und  Prof.  der  Philosophie  zu  Jena). 
Aufsehen  erregte  dann  Kud.  Westphal  (1826—92)  mit  der  in  zahl- 
reichen Sonderwerken  aufgestellten,  jedocli  unhaltbaren  Behauptung^ 


Griechen.  21 

Grundsätzlich  verschieden  von  unserer  Musiktheorie,  die 
auf  den  Gesetzen  der  Harmonie  beruht,  fußte  die  Musiklehre  Mnsikiehre. 
der  Griechen  auf  der  Melodie.  Der  Begriff  einer  Harmonie 
in  unserem  Sinne  ist  ihr  fremd.  Wo  von  einer  solchen  in  den 
Schriften  die  Rede  ist,  wird  darunter  die  regelrechte  Folge  der 
Töne  bei  der  Melodie  verstanden,  die  Tonleiter  also. 

Zur    natürlichen  Grundlage    des  Tonsystems    wurde    denn 
auch    eine    absteigende  Folge    von    vier  Tönen,    bestehend    aus 

zwei    ganzen    und    einem  Halbton,    a  g  f  e,     d.    i.    das    sog. 
•dorische  Tetrachor d.      Der  Name  führt  auf  die  ursprünglich  Tetrachord. 
bloü   viersaitige  Lyra    (s.    darüber   späteri   zurück   und   bedeutet   ein 
System  von  vier  (tetrai  Saiten  ichorde». 

Die  Verbindung  zweier  dorischer  Tetrachorde 
im  Ganztonabstand  ergibt  das  normale  Oktochord^)  oder 
die  Oktave  (das  Diapason)  e'  —  e,  d.  i.  die  dorische 
Tonleiter.  Durch  weiteren  Anschluß  je  eines  gleichen 
Tetrachordes  oben  und  unten  derart,  daß  Schluß-  und  An- 
fangston je  beider  „verbundener  Tetrachorde"  in  einen  ge- 
meinsamen Ton  (Synaphc)  zusammenfallen,  endlich  durch 
Hinzufügen  eines  weiteren  Tones  in  der  Tiefe  als  Grundton 
(Proslambanömenos,  d.  i.  der  Hinzugenommene),  ersteht  eine 
diatonische  Skala  von  zwei  Oktaven  —  das  sog. 
vollkommene  System  (Systema  teleion),  in  dessen  Das  voii- 
Mitte,  dort,  wo  sich  die  Trennung  (Diäzeuxis)  der  beiden  ko"iniene 
mittleren  Tetrachorde  befindet,  der  Halbton  b  für  Modulations-    Svsiem. 


daß  die  griechische  Musik  auch  polyphon  gewesen  sei.  Mit  West- 
phal  steht  und  fällt  auch,  im  AnschlulJ  an  ihn  die  griechische  Musik 
behandelnd,  Gevaert  („Geschichte  und  Theorie  der  alten  Musik-* 
[französisch],  1875—81)  und  die  Umarbeitung  des  ersten  Bandes  von 
Ambros'  Musikgeschichte  durch  Sokolovsky  (1887).  Eine  Revi- 
sion der  Westphalschen  bezw.  Gevaertschen  Lehre  unternahm  R  i  e  - 
mann  i„)I^ie  Musik  des  klassischen  Altertums",  19()4). 

Von  weittragender  Bedeutung  ist  schließlich  die  neue  kritische 
Gesamtausgabe  griechischer  Musikschriftsteller  (Musici  scriptoresgraeci) 
durch  den  Philologen  Karl  v.  Jan  (f  1899),  dem  wir  auch  zahlreiche 
(leider  in  Zeitschriften  verstreutei  Essays  von  Wert  und  selbst  neue 
Aufschlüsse  über  altgriechische  Musik  verdanken. 

Eine  unseren  Gegenstand  im  allgemeinen  recht  anschaulich  zu- 
sammenfassende Broschüre  über  „Die  Musik  der  Griechen"  veröffent- 
lichte 190t»  Dr.  Batka. 

i|  Die  Erweiterung  des  dorischen  Tetrachordes  bloß  um  einen 
Ganzton  nach  der  Tiefe  (e'  d'  c'  ha)  ergibt  das  normale  Penta- 
cho r  d  (t'ünftonsystera). 


22 


I.  Altertum. 


Vollkommenes 

a)  unveränderlich         System  : 
(Syßtema  teleion  ametobolon) 


b)  veränderlich  (Systema  teleion  metabolon) 


H     H 


(  f^ 


an; 


»       <x 
-■      B 


Synaphe 

(gemeinsamer 
Ton) 

&    arq 
5'     " 


i     I  ^ 

•LJ_L     Nete  =  höchster 

Paranete  =  zweithöchster 

Trite  =  dritter 

x    Nete  =  höchster 

Paranete  =  zweithöchster 

Trite  =  dritter 


Diaseuxis         ^—^ 
(Trennung  im       3^' 
Ganztonabstand) 


3     3 


Synaphe 

(gemeinsamer 
Ton) 


ans 


Ton  der 
hohen  Stufen 
(hyperbolaion) 


Ton  der  ge- 

trennten Stufen 
(diezeugmenonj 

Xete  = 
höchster 

'3 

Paranete 
=  zweit- 
höchster 

c 

3 

Paramese 

=:  der  neben 

dem 

Mittelton 

stehende 

cq 

(b  Trite  = 
der  dritte) 

[f 


J)iaze%ixis 


'Protlamhanomrnos    J> — |^ 


% — Mese  =  mittelster  Ton 
•f- — Lichanos  :=Zeigetinger- 
•1_  Parhypate  =  vorletzter 
>  Hypate  =  letzter 
Lichanos  =  Zeigetinger- 
Parhypate  =  vorletzter 
Hypate  =  letzter 


Ton  der 
^  mittleren  Stufen 
(mesbn) 


Ton  der 

tiefen  Stufen 

(hypatön) 


Proslambanonienos  =  hinzugenommener  Ton 


Griechen.  23 

zwecke  eingeschoben  erscheint.  Dadurch  ergab  sich  neben 
den  , getrennten  mittleren  Tetrachorden"'  noch  ein  beson- 
deres Tetrachord  der  , verbundenen  Tonstufen"  (Tetrachordon 
s y  n e mm e  n  ö n).  Je  nachdem  das  System  mit  oder  ohne 
jenen  chromatischen  Ton  benutzt  wurde,  nannte  man  es 
das  veränderliche,  weil  modulationsfähige  (Systema  metabolon) 
oder  unveränderliche  (Systema  ametabolon).  Die  nebenstehende 
Tabelle  veranschaulicht  dieses  vollkommene  Tonsytem  der 
Griechen.  Es  ist  darum  von  besonderer  Wichtigkeit,  weil  es 
samt  seinen  unterschiedlichen  Zweignamen  auch  der  mittel- 
alterlichen Musiktheorie  und  Notenschrift  zugrunde  liegt,  des- 
gleichen auch  den  ältesten  Kirchengesängen.  Aus  dem  Schema 
sind  auch  die  einzelnen  Tonbenennungen  ersichtlich.  Die  Tonnamen, 
wie  Proslambanomenus,  Hypate  usw.,  entsprechen  unseren  Intervall- 
namen :  Grundton,  Sekunde,  Terz  usw. 

Durch  verschiedene  0  k  t  a  v  e  n  a  u  s  s  c  h  n  i  1 1  e  aus  der  dia- 
tonischen Skala  des  unveränderlichen  Systems  (also  ohne  die 
Trite  synemmenon)  erhielt  man  mehrere  Tonarten  im  Sinne  Tonarten 
von  Oktavengattungen.  Sie  unterschieden  sich  von  ein-  (Skalen) 
ander  durch  die  Lage  der  Halbtonstufen,  und  bestanden  immer 
aus  je  zwei  gleichgebauten  Tetrachorden,  wie  wir  es  bereits  oben 
bei  der  dorischen  Acht-Tonreihe  bemerkten.  Es  waren  in  der 
Hauptsache  sieben  solcher  Tonarten  üblich,  und  zwar  die 
drei  Haupttonarten:  Dorisch  (e — e'),  Phrygisch  (d — d'), 
Lydisch  (c — c'),  und  vier  abgeleitete:  Hyperdorisch  oder 
Mixolydisch  (H — h),  Hypodorisch  oder  Aeolisch  (A — a), 
Hypophrygisch  oder  lastisch  (G — g),  und  H  y  p  o  1  y  - 
d  i  s  c  h  (F — f).  Zwei  Nebenformen  :  Hyperphrygisch  und  Hyper- 
lydisch  (Transpositionsskalen  von  Hypodorisch  bezw.  Hypophrygisch) 
waren  ebenso  selten  als  die  Bezeiclmimgen  lastisch,  Aeolisch  und 
Lokrisch.  Die  Zusätze  h  y  p  o  rmd  h  y  p  e  r  deuten  auf  die  Lage  der 
Diazeuxis  je  nach  unten  und  oben.  Bei  den  Hauptformen  liegt 
die  Diazeuxis  in  der  Mitte. 

Dorisch 


^^^i-^ 


Hyperdorisch  (Mixolydisch)  Hypodorisch  (Aeolisch) 


24 


I.   Altertum. 


Phrygisch 


P 


•y^: 


ess 


*^<j 


Hyperphr.  (^Lokrisch,  s.  Hypodorisch)  Hypophr.  (Jastisch) 

Lydisch 


1       '  ■•"Ä-  *-iii»J, 


Hyperlydisch  (s.  Hypophrj^gisch) 


Hypolydisch 


Entgegen  unserer  Praxis  werden  diese  Tonleitern  mehr 
oder  minder  im  M  o  1 1 1  o  n  aufgefaßt,  und  wie  ersichtlich  stets 
von  oben  nach  unten  gezählt.  Als  „Kirchentöne"  tauchen 
sie  später  in  der  altchristlichen  Musik,  wie  wir  sehen  werden, 
wenn  auch  anders  benannt  und  geordnet,  wieder  auf.  Zweien 
begegnen  wir  noch  in  unserer  Musik:  der  Hypodorischen  und 
der  Lydischen  —  unser  Moll  und  Dur. 

Die  Namen  der  Tonleitern  sind  charakteristisch  gewählt, 
auf  den  nationalen  Ursprung  (von  den  einzelnen  Provinzen  in 
Die  Grund-  Kleinasien  her)  deutend.  Daß  just  die  dorische  Ton- 
leiter zum  Fundament  des  ganzen  Systems  wurde ? 
Sie  allein  wurde  für  männlich-würdevoll  und  ernst  erachtet, 
in  ihr  sollte  sich  das  strenge  Wesen  ebenso  spiegeln,  wie  in 
der  Baukunst  der  Dorer,  eines  der  vier  Hauptstämme  der 
Griechen.  So  ist,  nach  diesen  benannt,  jene  in  jeder  Richtung 
hin  bevorzugte  Grund-Skala^)  gewissermaßen  die  dorische 
Säule  der  Musik.  (Unser  Dur  behauptet  heute  einen  ähnlichen 
Rang.)  Den  andern  Tonarten  sagte  man  minder  gutes  nach:  die 
lydische  sei  weichlich,  die  phrygische  aufregend,  die  mixolj-dische 
klagend.    Ritterlichkeit  erkannte  man  dem  Aeolisch  zu  .  .  . 


Skala. 


^)  S.  Riemann  gegenüber  Bellermann  und  Fortlage  (vgl.  oben 
Anm.  S.  20),  die  die  hypolydische  Tonart  als  Grundskala  ange- 
nommen hatten. 


Griechen.  25 

Je  nach  der  Stellung  eines  Tones  in  der  Grundskala  (also 
der  absoluten  Höhe  nach  oder  aber  nach  seiner  relativen;  Funktion 
in  einer  Transpositionsskala  unterscheidet  man  die  Begriffe  T  h  e  s  i  s 
(Stellung)  oder  Dynamis  (^Geltung). 

Die  griechische  Musik  bewegte  sich  jedoch  keineswegs 
nur  in  den  Fesseln  des  bisher  besprochenen,  auch  sogenannten 
dorischen  Systems,  und  seiner  diatonischen  Skala  A — a. 
Auch  die  zwischenliegenden  cliromatischen,  wie  auch  höhere 
und  tiefere  Töne  wurden  später  (etwa  4.  Jahrhdt.  v.  Chr.) 
benutzt    und    zum    Ausgangspunkt    einer    Reihe    von    Trans-     '''rans- 

...  ,       ,  o       o    I  positions- 

positionsskalen     genommen.       Diese     Iranspositionen    des     Skalen, 
dorischen    Systems    (bis    15    an    der    Zahl)    stellen    eigentliche 
Moll-Tonarten    in    unserem    Sinne    vor.       Sieben    der 
ältesten  davon  trugen  die  Namen  der  sieben  Oktavongattungen.  •) 

Dem  gegenseitigen  Verhältnis  der  Tonstufen  eines  Tetrachords 
endlich  entsprangen  drei  sog.  Klanggeschlechter  (eine  sciiieHiter 
Unterscheidung  also  wieder  nur  vom  Melos,  nicht  wie  bei 
unserem  Dur  und  Moll  hauptsächlich  von  der  Harmonie  aus), 
u.Z.:  das  diatonische,  wie  es  das  normale  dorische  Tetrachord 
aufweist,  zwei  ganze  und  einen  Halbton  (e'  d'  c'  h)  umfassend ; 
das  chromatische  mit  zwei  Halbtonschiitten  und  kleiner 
Terz  (e'  eis  c  h)  und  das  enharmonische  mit  der  Spaltung 
des  Halbtons  in  zwei  Viertel  töne  (e  c  *  h). 

Die  praktische  Verwendung  derartiger  enger  Intervalle  (P  y  k  n  ;l) 
vermögen  wir  uns  nur  im  Sinne  reichlicher  Melismen  (nach  Art  etwa 
unserer  Wechsel-  oder  Durchgangsnoten)  bei  der  Begleitung  des  Ge- 
sanges zu  erklären.     (Vgl.  unten  „Heterophonie".) 

Das  diatonische  Tongeschlecht  war  indessen  nicht  das  älteste. 
Die  ursprüngliche,  bereits  der  Tradition  nach  aus  zwei  gleicligebauten 
Tetrachorden  bestehende  Sieben-Tonleiter  vor  Terpander  is.  unten  i 
lautete:   d  .  e  .  .  g  .  a  .  h  .  .  d'  .  e',   also   übereinstimmend   mit   der 

uns  schon  von  den  Chinesen  her  bekannten  halbtonloseu  fünfstufigen 
Melodik  (an  liemi  t  o  n  i  seh  en  Pentatonik).  Auf  obiger  Skala 
fußte  nicht  nur  zuerst  die  Stimmung  der  Kythara,  sondern  auch  der 
altertümliche  Tempelgesang  zur  Zeit  des  Ulympos  (ca.  700  v.  Chr., 
8.  unten).  Durch  Verschiebung  jener  Skala  um  eine  Stufe  innerhalb 
der  inzwischen  ausgefüllten  diatonischen  Siebentonleiter  ergab  sich  die 
ditonische   Pentatonik:   e.f..a.h.c'..e'f'   (mit  Halbtönen 


^)  S.  Arabros.  Näheren  Einblick  in  das  hier  sozusagen  nur  aus 
der  Vogelperspektive  Geschaute  gewährt  Riemanu  in  seinem  ,, Hand- 
buch der  Muö.-Geschichte'',  I.,  1.  Geschichte  der  Musik  des  Alter- 
tums, 1904. 


26  I.   Altertum. 

lind  großer  Terz,  dem  Ditonus  (vgl.  oben  S.  18).  Riemann  erklärt 
das  chromatische  Tongeschlecht  aus  einer  Verquiekung  der  beiden 
pentatonischen  Fonnen : 

ef...a  hc..,e  (diton.  Pentatonik) 
6  fis  .  .  a  h  eis  .  .  e  (anhemiton.  Pent.) 
effis.  .  a    hccis.  .  e  (Chromatik). 

Tonsehrift.  Zur    Tonschrift     dienten     vorzugsweise     die    griechischen 

Buchstaben.  Sie  wurden  in  den  verschiedensten  Stellungen  und 
Richtungen,  oft  auch  zerteilt  angewendet.  Die  Notenzeichen  für  den 
(iesang  waren  verschieden  von  jenen  für  die  Instrumentalmusik. 
Insgesamt  sind  es  etwa  90  an  der  Zahl. 

Den  Takt  in  unserem  Sinne  kannten  die  Griechen  eben- 
sowenig, als  die  Harmonie.  Die  Gesangsmelodie  und  die  der 
begleitenden  Instrumente  schlössen  sich  genau  der  Deklamation 
dem  Metrum  des  Textes,  also  der  Quantität  der  Silben  an. 

Die  Begleitung  war,  wie  wir  noch  näher  sehen  werden,  ein- 
stimmig. So  lag  kein  Bedürfnis  vor,  die  Quantität  der  Töne  gegen- 
seitig abzumessen,  wie  solches  bei  unserer  mehrstimmigen  Mensural- 
musik (vgl.  dort)  erforderlich  ist.  Der  Rhythmus  bestand  in  Arsis 
und  Thesis  (Hebung  und  Senkung),  und  diese  wurden  durch  die  ver- 
Metnim.    schiedenen  Versfüße  genau  bestimmt.    Es  gehören  hierher:  der  Spon- 

deus ,    Anapäst  ^  ^  — ,    Daktylus  _  ^  ^,    Jambus ,    Trochäus 

_~_,  Tribrachys  ^-_^,   Molossus ,   Amphibrachys  ^  — ^  usw., 

aus  denen  sich  wieder  die  verschiedeneu  Metra,  z.  B.  der  Hexameter 


zusammensetzten.  Diese  Metra  gaben  Ei'satz  für  die  fehlende  perio- 
dische Form  der  Melodie.  Unsere  periodische  Melodiebildung  setzt 
die  Harmonie  voraus ,  denn  sie  besteht  wesentlich  aus  dem  Fort- 
schritt der  Tonika-Harmonie  zur  Dominanten-Harmonie  und  aus  dem 
Rückgange  dieser  zur  ersten. 

Der  Harmoniebegriff  aber  fehlte,  wie  wir  schon  zur  Ge- 
nüge wissen,  den  Griechen  völlig. 

Nach  der  von  Pythagoras,  dem  berühmten  Philosophen 
(geb.  582  V.  Chr.),  aufgestellten  Theorie  galt  die  Terz  als 
^'^und*'"^  Dissonanz.  Nur  Oktave,  Quinte  und  Quarte  wurden 
Konsonanz,  als  Konsonanzen  angesehen.  Die  Griechen  hatten  also 
keinen  Dreiklang  und  begleiteten  daher  ihre  Gesänge  nur 
im  Einklänge  oder  in  der  Oktave,  wie  es  heute  noch  im 
Morgenlande  üblich  ist.^) 


')  Vgl.  das  weiter  unten   über  „Heterophonie"  Gesagte,   sowie 
später  xmter  „Arabische  Musik". 


Griechen.  27 

Pythägoras  und  die  von  ihm,  dem  Vater  der  Mathematik, 
gegründete  religiös-politische  Geheimschule  der  Pythagoräer  beurteilte 
die  Musikverhältuisse  vom  streng  mathematischen  Standpunkte.  Ihre 
Lehren  standen  in  enger  Beziehung  zu  jenen  der  ägyptischen  Priester, 
in  deren  Schule  Pythägoras  selbst  gegangen  war.  Gegen  diese  mathe- 
matische Auffassung  des  Musiksystems,  die  beispielsweise  die  Konsonanz 
aus  den  Längen  Verhältnissen  der  Saiten  erklärte,  wendete  sich  Aristo- 
X  e  n  o  8  von  Tarent,  einer  der  ältesten  und  bedeutendsten  griechischen 
Musikschriftsteller  i^Schüler  des  Aristoteles,  geb.  um  3.Ö4).  Von  seinen 
Schriften  existieren  ,, Elemente  der  Hamionik"  und  (fragmentarisch) 
„Elemente  der  Rhythmik".  (Vgl.  R.  Westphal,  Aristoxenus  von 
Tarent;  Metrik  und  Rhythmik  des  klassischen  Hellenentums.  2  Bde. 
1883—93.)  Aus  der  pythagoräischen  Schule  seien  hier  genannt  die 
Mathematiker  Erat  öst  h  enes  (27h— 195  v.  Chr.,  Aufzeichnungen 
über  die  Musik  und  Instrumente  der  Griechen),  Euklid  (um  300 
V.  Chr.  in  Alexaudrieni  und  namentlich  Claudius  Ptolemäos  (um 
140  n.  Chr.  in  Alexandrien)  mit  einem  für  die  Forschung  sehr  wich- 
tigen Werke  über  die  Musik  („Harmonika"*,  das  noch  der  einwand- 
freien Neuausgabe  harrt  (vgl.  Riemann,  Gesch.  d.  M.  d.  klass.  Altert.). 
Er  überlieferte  des  Eratöstheues  tetrachordisches  System.  Zur 
aristoxenischen  Schule  gehört  u.  a  Kleoneides  (2.  .lahrh.  v.  Chr., 
Verfasser  der  irrig  dem  Euklid  zugeschriebenen  ,,Introduktiü  harmo- 
nika").  Man  nannte  die  Pythagoreer  auch  Kanoniker,  da  sie  ihre 
Musikbetraclitung  auf  das  der  mathematischen  Intervallbestimmung 
dienende  M  on  o  ch  i)rd  ,  griechisch  ,,Kanon"  (d.  i.  Maüstab',  grün- 
deten. Die  Anhänger  des  Aristoxenos,  als  Gegner  der  „Mathematik 
in  der  Musik",  die  sich  der  Intervalle  bloü  der  Empfindung  nach  be- 
dienten, nannte  man  dagegen  die  ,,H  armo  n  i  ker". 

Interessant  sind  die  auf  das  alte  Aegypten  hinweisenden 
Beziehungen    zwischen    Musik    und    Astrononomie.      Sie        der 

•    r  1       ■        1  u      u  ••  ^^  u  Sphären. 

gipfeln  in  der  sog.    „bpharenmusik   . 

Unter  dem  Einflüsse  der  ägyptischen  Tempelphilosophie  stellte 
Pythägoras  seine  Theorie  der  allerdings  nur  von  ihm  vernommenen) 
,.Harmünie_  der  Sphären"  auf.  Nach  ihr  erklingen  die  (nach 
damaliger  Weltanschauung  i  um  die  Erde  kreisenden  Himmelskörper 
in   wunderbaren   Tönen. 'j     Und    wie   die   alten   Aegypter   die   sieben 


Ilannonie 


')  S.  Jan  über  die  „Harmonie  der  Sphären",  Philologus,  Bd.  52. 
Noch  im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  unserer  Zeitrechnung  beginnt 
Philipp  V.  Vitry  in  seiner  ,,Ars  nova"  mit  dem  Satze :  „Musicae  tria 
sunt  genera:  mundanum,  humanuni,  et  instrumentale."  Ja  noch 
im  17.  Jahrhundert  schrieb  Kircher  (Musurgia  II.  Bd.  [über  ihn  und 
Vitry  s.  weiter  unten])  eine  spitzfindige  Abhandlung  darüber.  Nach 
ihm  sollen  alle  Körper,  auch  Steine  und  Pflanzen,  musizieren.  Vgl. 
hierzu  die  berühmte  Stelle  aus  Shakespeares  „Kaufmann  von 
Venedig",  V.  Akt,  1.  Sz. :  ,,Sieh,  wie  die  Himmelsflur  ist  eingelegt  mit 
Scheiben  lichten  Goldes  I  Auch  nicht  der  kleinste  Kreis,  den  du  da 
siehst,  der  nicht  im  Schwünge  wie  ein  Engel  singt  zum  Chor  der 
hellgeaugten  Cherubim.     So  voller  Harmonie  sind  ewge  Geister;   nur 


28  I-  Altertum. 

Töne  ihrer  Tonleiter  mit  der  Siebenzahl  der  ihnen  heiUgen  Planeten 
und  der  Wochentage  in  symbolistische  Beziehung  brachten,^)  so  ver- 
teilt wiederum  die  pythagoräische  Theorie  die  Töne  der  dorischen 
Tonleiter,  entsprechend  der  siebensaitigen  Lyra,  an  Sonne,  Mond  und 
Sterne : 

Mond,  Merkur,  Venus,  Sonne,  Mars,  Jupiter,  Saturn, 
e  f  g  a  h  c  d 

^    '""  ^  Es  bedarf  kaum  mehr  der  Betonung,  daß  unter  den  Klang- 

strumente. *'  '^ 

Lyra,  Averkzeugen  der  Griechen  die  Saiteninstrumente  den  ersten 
Kithara.    ß^ng  behaupten.      Vor  allem  Lyra  und  Kithära. 

Jene , ';  mehr  zierlich  gebaut  und  mit  gewölbtem ,  diese  mit 
flachem,  mehr  viereckigem  Schallkörper.  Zwei  Arme  ragen  daraus, 
dort  schön  geschwungen,  hier  säulenartig,  hervor;  oben  durch  ein 
Querholz  verbunden,  das  die  Wirbel  trägt.  Dahin  laufen  über  den 
Steg  auf  dem  Resonanzkörper,  an  dessen  unterstem  Ende  festge- 
halten, die  Darmsaiten.  Sie  sind  den  Tonarten  gemäß  gestimmt  und 
werden  entweder  mit  den  Fingern  oder  mittelst  eines  Metallstäbchens 
(Plektron)  zum  Klingen  gebracht.  Ihre  Zahl  wuchs  nach  und  nach 
auf  18. 

Die  Lyra,  von  Homer  Phorminx  genannt,  war  das  Lieb- 
lingsinstrument der  Griechen.  Sie  imd  die  klangkräftigere  Kithara 
waren  zuerst  allein  bei  den  Wettkämpfen  der  delphischen  und  olym- 
pischen Festspiele  zugelassen.  Mit  dem  lyraähnlichen,  noch  schlanker 
gebauten  Barbyton  begleiteten  Alkäos,  Sappho  und  Anakreon  s. 
unt.)  ihre  Gesänge.  Weniger  beliebt  waren  die  reicher  besaiteten, 
mehr  harfenartigen  (dreieckigen)  Instrumente,  so  die  zwanzigsaitige, 
in  Oktaven  gespielte  Magadis.  Daneben  gab  es  noch  lautenartige 
Instrumente  (so  die  ägpytische  Nabla)  mit  nur  zwei  oder  drei  Saiten. 
Lediglich  akustischen  Zwecken,  zur  Tonmessung,  diente  das  einsaitige 
Monochord  mit  beweglichem  Steg  (s.  oben  S.  26  und  Kap.  VIII). 

Der  Kunstmusik  diente  neben  dem  Schwesternpaar  Lyra 
und  Kithara  der  Aulos,  eine  Art  Schalmei  mit  doppeltem  Rohr- 
blatt, in  verschiedenen  Größen  (Stimmungen) ,  oft  sehr  kunstreich 
gebaut  und  prächtig  ausgestattet.^)    Lediglich  ein  Hirteninstniment  war 


Aulos. 


wir,  weil  dies  hinfällige  Kleid  von  Staub  uns  grob  umhüllt,  wir  können 
sie  nicht  hören."  Ein  Hinweis  auf  unsern  durch  den  .Vlltag  unter- 
drückten sechsten  9'\ai  .  .  . 

1)  Vgl.  auch  die  verwandte  musik-philosophische  Lehre  von  der 
Bedeutung  der  Fünfzahl  im  alten  China  (oben  S.  17). 

'-)  Der  Sage  nach  bestand  die  Lyra  in  ihrer  Urgestalt  aus  dem 
Gehäuse  einer  Seemuschel  als  Schallkörper,  aus  zwei  Widderhörnern 
und  Darmsaiten. 

^)  Den  Aulos  als  Flöte  anzusehen  und  zu  bezeichnen  wie  es 
bisher  in  den  Lehrbüchern  geschah,  ist  ein  Irrtum.  Am  richtigsten 
wäre  der  Ausdruck  „Pfeife"   am  Platze.     Vgl.   auch  das  später  über 


Griechen.  29 

die  Syrinx  oder  Pansflöte  —  sie  ist  uus  aus  Mozarts  „Zauber- 
flüte*'  wohlbekannt :  eine  abgestufte  Keihe  verschieden  gestimmter 
Kohre  ohne  Tonlöcher.  Syrinx  und  Sackpfeit'e  verbinden  sich  im 
3.  Jahrhundert  v.  Chr.  zur  ersten  primitiv  gebauten  Orgel  —  der 
sog.  Wasser  org  el ,  denn  Wasserdruck  trieb  die  Luft  durch  den 
Windkasten  in  die  Pfeifen.  (Erfinder  war  K  t  e  s  i  b  i  o  s ,  ein  Mathe- 
matiker und  Mechaniker  zu  Alexandria.  Vgl.  darüber  später  Kap.  VI.) 
Außer  dem  Aulos  hatte  nur  noch  die  Salpinx,  eine  metallene 
Tromj)ete  Bedeutung.  Ursprünglich  nur  als  Kufinstrument  gebraucht, 
wurde  sie  gelegentlich  sogar  konzerttahig. 

In  steter  organischer  Verbindung  mit  der  Poesie  und  Musik  und 
lediglich  berufen,  deren  Ausdruck  und  Wirkung  zu  erhöhen,  °^*  *' 
entwickelt  sich  die  griechische  Musik  aus  dem  ursprünglich 
hymnischen  Kultus  der  Götter  und  Helden.  Unter  den  tonfreund- 
lichen Göttern  Griechenlands  macht  dem  edlen  Apoll  der  sinnliche, 
lusttrunkene  Dionj'sos  Konkurrenz  —  wenn  auch  nur  im  Volke.  Es 
ist  ein  ewiges  Ringen  der  apollinischen  Kunst  mit  der  dionj-- 
si sehen,  zweier  feindlicher  Klangwelten,  dort  der  zarten,  besänf- 
tigenden Lyra,  des  Symbols  vornehmen,  idealen  Fühlens,  hier  des 
gellenden,  aufreizenden  Aulos,  des  Sinnbilds  demokratisch-realistischer 
EmpHndung. 

Epos,   Lyrik   und  Drama  führen  Poesie  und  Musik  zu  ge- 
meinsamen Höhepunkten. 

Zuerst  (10.  Jahrhdt.  v.  Chr.)  pflegen  VVandersänger,  die  Rhap- 
soden, das  nationale  homerische^  Epos  (Illias  und  Odysse).  Epos. 
Daneben  blüht  das  tiefwurzelnde  Volkslied  in  mannigfacher  Ge- 
stalt. Neben  altüberkommenen  Arbeits-,  Wiegen-,  Hirten-  und  anderen  ^  ol^slied. 
Liedern  begegnen  uns  namentlich  die  Totenklagen  (Linosklage 
um  den  Tod  eines  göttlichen  Knaben),  der  Hochzeitsgesang  (^Hyme- 
uäos),  das  Siegeslied  (Päam  u.  a. 

Um  die  Kunstmusik  bemühen  sich  zuerst  Ulympos  und    uiympos 
Terpander  (7./6.  Jahrh.  v.  Chr.),  jener  das  Aulos-,  dieser  das  xernander 
Saitenspiel     mit    seiner    bereits    siebensaitigen    Lyra    fördernd 
(Auletik,   Ki  t  har  i  st  i  k).     Wir  unterscheiden  nun  Kitharodie 
und  Aulodie,  je  nachdem  es  sich  um  die  Begleitung  des  Gesanges 
mit  S.iiten-  oder  Blasinstrumenten  handelt. 

Die    komponierten    W^eisen    aber    heißen    Nomos,    d.    i. 
Gesetz.     Sie  erhalten  verschiedene  Sondernamen,  just  wie  später  die 
Weisen  der  Meistersinger.    Fortschrittlichere  Nomoi,  lebhafter  im 
Tempo    und    mit    verzierter    Instrumentalbegleitung ,     brachte     ^.rchi- 
Avchilochos  (650).  lochos. 

Diese  Verzierungen  in  der  begleitenden  Instruraentalstimrae,  be- 
deuten ein  Abweichen  vom   strengen   Unisono.     Später  (4.  Jahrhdt. 


den  Ausdruck  „Diaulia"  gesagte,  und  die  bezüglichen  Untersuchungen 
Eiemanns  in  dessen  „Mus.  d.  klass.  Altert." 


30  I-   Altertum. 

Hetero-     V.  Chr.)  Avurde  auch  die  Gesangsmelodie  durch  eingestreute  Ziernoteu 
phonie.     ausgeschmückt.     Piaton  nannte  das  Heterophonie.^) 

Die  schönen  Künste  spielen  eine  immer  größere  Rolle  im 

lischeWett- öffentlichen    Leben.      Insbesondere    die    Tonkunst.      Musika- 

kampfe.    lische  Wettkämpfe,    die  Agone,    sei    es    im  begleiteten 

Gesänge,  sei  es  im  virtuosen  Solospiele  auf  Kithara  und  Aulos, 

werden    zum   wesentlichen  Bestandteil    der    zahlreichen    natio- 

^'X"\P'®^^®  nalen  Festspiele.  Die  olympischen  Spiele  (seit  776  regelmäßig 
iedes  vieiie  Jahr  zu  Ol^'mpia  vor  „ganz  Hellas"  abgehalten),  gelten 
zwar  in  erster  Reihe  der  körperlichen  Gewandtheit.  Die  Musik  und 
die  schönen  Künste  übei'haupt  geben  mehr  oder  minder  nur  den 
goldenen  Rahmen  ab  für  die  Feierlichkeiten  der  Opfer,  Umzüge  und 
schließlich  der  Krönung  der  Sieger.     Rein    musische    Wettkämpfe, 

^Spiefe*^  mit  der  Tonkunst  im  Mittelpunkt,  sind  die  pythischen 
Spiele,    abgehalten  seit  586  Jedes  dritte  Olympiadenjahr  zu  Delphi 

ApoUonien.  am  Fuße  des  Pai'nas,  zu  Apollons  Ehren.  Die  Sieger  wurden  be- 
kränzt und  hochgeehrt.  In  diesen  Spielen  erst  errang  sich  der  Aulos, 
dank  der  Bemühungen  des  berühmten  nachterpanderschen  Nomos- 
Kompouisten  Sakadas  (aus  Argos)  die  Gleichberechtigung  mit  Lj-ra 
und  Kithara  beim  Agon. 

Dion  Sien  Einen  Gegensatz  bilden  die  D  i  o  n  y  s  i  e  n  ,  ursprünglich  Weiu- 

lesefeste,  mit  ihren  bacchantischen  Umzügen,  Gelagen  und  dithy- 
rambischen Chor  tanzen  —  wie  wir  sehen  werden,  der  Keim 
des  Dramas.  Ein  Förderer  der  Chorlyrik  war  Tisias,  genannt 
S  t  e  s  i  c  h  o  r  0  s ,  d.  i.  Choraufsteller.  Er  führte  die  dreigliedrige 
Form :  Strophe  —  Gegenstrophe  —  Nachgesang  ( Epodos)  ein.  Der 
Schöpfer  des  chorischen  Dithyrambus  war  Arion  (um  600)  in 
Korinth.  Vorher  wurde  das  Preislied  auf  Dionysos  einstimmig  ge- 
sungen. Die  Reform  vervollkommneten  später  L  a  s  o  s  von  Hermione, 
Simonides  aus  Keos  (um  500)  u.  a.  Auch  all  die  übrigen  zahlreichen 
Feste :  Panathenäen  (das  größte  Jahresfest  der  Stadt  Athen,  Eleusinien, 
dann  die  nemeischen  und  isthraischen  Spiele  ziehen  die  Musik  nach 
und  nach  in  ihren  Kreis. 
Lyrik.  Die    Lyrik,    d.    i.   der    mit   der  Lyra    begleitete   Gesang, 

treibt  (0.   Jahrh.)    ihre  höchste  Blüte    in    zweierlei  Stilen ;    im 
heiteren,    äolisch-lesbischen    durch   Alkäos,    die  Dichterinnen 
Sappho.     S  a  p  p  h  0  (erotisch)  und  K  o  r  i  n  n  a ,  und  den  Rosen,  Wein  und 

Anakreon.  Liebe    besingenden    Anäkreon;     im    ernsten    dorischen    Stil 
Pindiir.     namentlich    durch    Pindar    (521 — 441)',    dem    bedeutendsten 


^)  Vgl.  oben  S  25.  Beispiele  solcher  verzierter  Melodien-Beglei- 
tung in  der  Musik  in  Ostasien,  die  sich  ähnlich  wie  die  griechische 
entwickelte,  gibt  A.  Dechevrens :  „Sur  le  Systeme  musical  chinois"  im 
Sammelband  II,  4  der  Intern.  Musikgesellschaft.  S.  Riemann,  H.  d. 
MG.  L  L 


Griechen.  3 1 

griechischen  Lyriker.  Von  ihm  sind  45  wundervolle  Siegeshymnen 
(Epinikien,  Oden)  auf  die  Wettkärapfe  bei  den  griechischen  (olym- 
pischen, pythischen,  isthmischen,  und  nemeischen)  Nationalspielen  er- 
halten.M  (Siehe  später  unter  den  erhaltenen  Denkmälern  altgriechischer 
Tonkunst.» 

Den    Gipfel    der    Entwickelung     erreicht     die    griechische  ^"^Musik."'' 
Musik    als    lyrische    Chormusik    und    rezitativischer 
Dialog    im    Drama.       Ihre    Bestimmung    war    zuerst,     das 
Dichterwort  zu  begleiten,  durch  Gesang  zu  heben.    Entsprossen 
dem    Dionysoskultus   und   seinen    Dithyramben,    mit   denen 
ein  Chor,    als    bockfiißige  Satyre   verkleidet,    tanzend    um    den 
Altar  des  Dionysos  die  Leiden  und  Freuden  des  Gottes  besang,     Vereini- 
ast    das    griechische    Drama,    die    Iragodie-)    wie    die  schwestei- 
Komödie,  eine  Vereinigung  von  Dichtkunst,  Musik     kiiuste. 
und  Mimik. 

Zuerst   bringt   Thespis     (i.  Jahrhdt.    v.    Chr.)    den   dithyram-     Thespis. 
bischen  Chor  und   seinen  Führer  (Koryphaios'   in   dramatischen  Ver- 
kehr mit  dem  Schauspieler. 

Die    Teile    der   Tragödie    waren :    der   Prolog    (vor    dem    Auf-  Sehicksals- 
treten   des  Chores  i,  der   Parf)dos     Auftritt    des   Chores  i,    das  Epeiso-    tragödie. 
deion  (Wiederauftreten  der  Schauspieler)  und  der  Exodos  (nach  dem 
Schluüchor).    Die  zwischendurch  gesungenen  Chöre  hießen  Stasima 
(Standlieder  I. 

Entwickelungsgang  und  Blüte  der  Schicksalstragö- 
die samt  Satyr  spiel,  das  man  ihr  als  scherzhaftes  Nach- 
spiel zur  Beruhigung  der  aufgeregten  Nerven  anhängt,  kenn- 
zeichnen die  Namen  Aischylos,  Sophokles,  Euripides.  Aischylos. 
Aischylos  (525 — 456)  verkörpert  den  einfach  erhabenen  Stil. 
Er  ist  Dichter  und  Komponist  seiner  Dramen  in  einer  Person. 
Fast  alle  an  der  Handlung  rege  beteiligten  Chöre  werden  bei 
ihm  in  gemessenem  Tanzschritt  gesungen.  Das  Wie  ist  heute 
noch  eine  Frage.  In  Sophokles  (495  bis  405)  edel  schöner,  noch  ^°^S^^^ 
mehr  aber  iu  des  Euripides  (4H0— 406)  romantisch-leidenschaft-  Euripides. 
lieber  Tragödie  verliert  der  Chor,  dessen  Komposition  einem  Fach- 
rausiker  überlassen  bleibt ,  bereits  an  Bedeutung.  Er  wird  zum 
idealen  Teilnehmer  der  Handlung,  deren  Ergebnis  er  betrachtend  zu- 
sammenfaßt. Von  den  zahlreichen  Werken  der  drei  Tragödien- 
dichter sind  nur  die  wenigsten  ganz  erhalten  und  auch  diese  nur  von 
einem   kleinen  Reste   (s.  u.)   abgesehen,   ohne  die  zugehörige  Musik. 


i|  Deutsch  von  Donner,  1860.  Vgl.  zu  diesen  wie  allen  späteren 
mit  ins  Literaturgebiet  hinüberspielenden  Ausführungen  die  ausge- 
zeichnete tabellarische  Uebersicht  „Die  Poesie  aller  Völker"  von  Dr. 
Adolf  Brodbeck,  Esslingen,  bei  Ad.  Lung  1890. 

■-)  Tragodiä  (von  Tragos,  Bock)  =  Bocksgesang. 


32 


I.  Altertum. 


Komijdie 
Aristo- 
phanes. 


Der  Charakter  derselben  ist  also  vorläufig  uns  unbekannt;  Rück- 
schlüsse von  der  Dichtung  aus  lassen  lediglich  Vermutungen  zu.  Hier 
ist  nur  zu  bemerken,  daß  auch  viele  Monologe  komponiert  waren.  Es 
wurden  ferner  nicht  nur  Chöre  und  Soli  vom  Aulosbläser  begleitet, 
sondern  dazwischen  auch  gesprochene  Verse  vom  Kitharaschläger. 
Dieser  melodramatische  Vortrag  ist  die  sog.  Parakataloge. 
Ueberdies  gab  es  auch  auletische  Solo  vortrage,  den  Gesang  unter- 
brechende, rein  instrumentale  Zwischenspiele:  Diäulia.*)  Es  waren 
zu  jenen  Zwecken  jedenfalls  mehrere,  verschieden  gestimmte  Auloi 
in  Gebrauch. 

Von  den  Werken  der  drei  großen  Tragiker  seien  hier  ge- 
nannt :  des  Aischylos  grandiose  „0  r  e  s  t  i  e" ,  bestehend  aus  den 
drei  zusammengehörigen  Dramen  (Trilogie)  „Agamemnon" ,  „Die 
Choephoren  (Das  Totenopfer)"  und  „Die  Eumeniden" -) ;  von  Sopho- 
kles „König  Oedipus"  und  „Antigene",^)  von  Euripides  die 
beiden  Iphigenien. 

Der  Hauptrepräsentant  der  attischen  Komödie  mit  ihrer 
scharfen  Satire  gegen  Staat  und  Würdenträger  ist  Aristo- 
phanes  (um  444 — 380  in  Athen).  Der  gleichfalls  gesungene 
Chor  trägt  den  Humor  in  die  Musik.  Mehr  davon  wissen  wir 
nicht. 

Mit  dem  Ende  dieser  klassischen  Periode  beginnt 
der  Verfall    der  Musik."^)     Immer    mehr  wird   sie  aus  dem 


^)  Irrtümlich  wurde  früher  der  Name  Diaulos  als  Bezeichnung 
für  ein  Aulospaar  angesehen,  da  diese  Instrumente  (s.  oben  S.  28) 
auch  paarweise  benützt  wurden:  eines  für  das  Melodie-,  das  andere 
für  das  Zwischenspiel. 

')  Neuester  Zeit  wurde  vielfach  eine  Wiedei'erweckung  dieses 
packenden  Dramas,  literarisch  wie  musikalisch  versucht.  S.  die  Be- 
arbeitung von  Ulrich  v.  Wi lamowitz-Mo eilen dor ff  mit  einer 
Musik  von  Schillings  (Berlin,  1900)  und  die  musikalisch-dramatische 
Trilogie  „Orestes"  von  F.  v.  Weingar tner  (Leipzig,  1902 1  u.  a. 

^)  Siehe  Mendelssohns  prächtige  Musik  zu  diesem  „edelsten 
Meisterwerke  des  Altertums  (Antigone  hat  gegen  Kreons  Verbot  ihren 
geächteten  Bruder  begraben  und  wird  selbst  lebend  begraben ;  Heimon, 
Sohn  Kreons  und  Antigenes  Verlobter,  tötet  sich  aus  Verzweiflung." 
(Brodbeck.)  „Oedipus"  regt  modernste  Tonsetzer  verschiedener  Natio- 
nalität an,  s.  Schillings,  Stanford,  Musoi'gski  u.  a.  Heinr.  Beller- 
mann (Sohn  von  Friedr.  B.,  Musikforscher  und  Komponist  in  Berlin 
[1832 — 1908J)  hat  „Chöre,  Melodramen  und  Sologesänge  zu  Sophokles' 
,, König  Oedipus",  ,,Ajax",  „Oedipus  auf  Kolonos"  mit  Orchester  oder 
Klavier,  mit  griechischem  und  deutschem  Text,  insbesondere  für  den 
Gebrauch  in  Gymnasien  komponiert  und  eingerichtet.  (Berlin, 
Schlesinger.) 

*)  Um  dieselbe  Zeit  erreicht  auf  anderer  Seite  die  Malerei  unter 
Zeuxis  (420 — 380)  imd  Apelles  (dem  größten  altgriechischen  Maler, 
3.Ö6 — 308)  ihre  höchste  Blüte.  Sie  hatte  im  5.  Jahrhdt.  v.  Chr.  erst 
begonnen,  als  die  dramatische  Kunst  bereits  ihren  Höhepunkt  gefunden. 


Griechen.  33 

Drama,  dem  Musentempel  überhaupt  hinausgedrängt.  Und  sie 
flüchtet  nun  im  wahren  Sinne  des  Wortes  in  den  Konzert- 
saal. Hatte  doch  schon  Per  i  kies,  der  berühmte  Staats- 
mann (493 — 429)  zu  Athen,  das  er  zum  Sammelpunkte  des 
schöngeistigen  und  künstlerischen  Lebens  gestaltet  (,.Perikleisches 
Zeitalter"),  das  Odeon,  eine  Sing-  und  Spielhalle  für  musi- 
kalischen Wettstreit  erbaut !  Es  bemächtigt  sich  nun  das 
Virtuosentum  des  vom  Drama  gänzlich  losgelösten  Dithy-  virtiiosen- 
rambus  zu  harmonischer  Ueberkünstelung  und  allerhand  instru-  '""'• 
mentalen  Effekten.  Nicht  nur  die  konservativen  Theoretiker 
erblicken  darin  den  Verfall  der  Tonkunst. 

Der  griechische  Schriftsteller  Plutarch  (50 — 120  n,  Chr.)  be- Verfall ider 
merkt  in  seiner  Beschreibung  der  alten  Geschichte  der  griechischen  Mnsik  Musik. 
(De  musica,  deutsch  und  kommentiert  von  Weil  und  Keinach,  lydOj, 
die  epochemachenden  Dichterkomponisten  dieser  Zeit  des  Niederganges 
der  Älusik  seien  absichtlich  auf  Neuerungen  ausgegangen  imd 
hätten ,  um  der  Menge  zu  gefallen ,  die  Virtuosität  um  deren 
selbst  willen  gepflegt.  So  mußten  dann  die  Beschränkung  aut 
wenige  Tonstufen  und  Ernst  und  Einfachheit  der  Musik  veralten  (vgl. 
Kiemaon,  Gesch.  d.  Mus.  d.  klass.  Altert.).  Den  Reigen  der  „musik- 
verderbenden" Gesangs-  und  Instrumentalvirtuosen  jener  Tage  er- 
öffnete Phrynis  von  Mitylene  (um  430).  Aus  der  Reihe  der  ihm 
nachfolgenden  Reformer  seien  hier  namentlich  genannt  M  e  I  a  n  n  i  p  - 
pides  von  Melos  (f  412),  Kinesias  (in  den  ,, Vögeln"  und  ., Wolken" 
von  Aristophanes  ob  seines  Schwulstes  verspottet),  der  vielaufgefiihrte 
und  angesehene  Philoxenos  von  Kytiiera  (t  880)  und  als  berühm- 
tester T  i  m  o  t  h  e  o  s  von  Milet  (f  357).  Ein  mit  drauf  Iob  reformierender 
Zeitgenosse  war  Kre.xos.  Die  Ueberkünstelung  trieb  endlich  Poly- 
eidos  auf  die  Spitze.  Plutarch  redet  da  direkt  von  Flickschusterei 
und  Zerbröckelung  der  Melodien.  Die  Poesie  war  nun  zur  Sklavin 
musikalischer  Willkür  herabgesunken.  Daü  gleichwohl  die  „gute  alte 
Zeit"  nicht  ohne  einen  Nachhall  blieb,  davon  sprechen  übrigens  einige 
der  unten  angeführten  erhaltenen  Tonkunstdenkmäler  der  letzten  Epoche. 

Umsonst  eifern  Piaton  (427 — 347)  und  sein  Schüler  Piaton. 
Aristoteles  (383 — 320)  nicht  nur  gegen  die  konzertierenden 
Kitharavirtuosen.  Auch  gegen  die  dionysischen  Lieder  mit  ihrer 
gellenden,  den  Sinnestaumel  raiterregenden  Aulosmusik  (hier  war's,  wo 
bei  diesem  orgiastischen  Kult,  selbst  die  Griechen  der  Knimmhörner 
und  Schlaginstrumente  als  da  sind  Zymbeln,  Schellen,  Handpauken,  die 
kastagnettenartigen  Krotalen  usw.  nicht  entbehren  konnten  i  endlich  auch 
gegen  den  schwelgerischen  Harfenklang.  Sie  alle  hielt  Piaton  für 
staatsgetahrlich.  Auch  keine  andere  Tonart  wollte  er  in  seinem  Ideal- 
staate dulden,  als  die  edle  dorische  (vgl.  oben  S.  24). 

Und    als    ob    das  Wort    des    grossen  Philosophen  sich  er- 
füllte —    daß   der  Verfall    der   Musik    auch  jenen  des  Staates 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Mutikgeschicbte.    S.  Aufl.        3 


xeiios. 


34  I.   Altertnm. 

nach    sich    ziehe,    verlor    Griechenland    mit    der    Schlacht    von 
•Chäronea  (338)  seine  Freiheit   .   .  '. 

-  In  diesen  Tagen  lagt  nur  die  edle  Gestalt  des  bedeutendsten 
Aristo-  Musikschriftstellers  seiner  Zeit  hervor:  Aristoxenos  vonTarent 
(vgl  ob.  S.  26).  Selbst  noch,  gleich  Aischylos  und  Pindar  als 
Meister  des  griechischen  Melos  gerühmt,  beklagt  er  doppelt  jenen 
Niedergang  der  Tonkunst,  die  in  der  nun  folgenden  makedonisch- 
hellenistischen Epoche  in  Alexandria,  dem  neuen  C'apua  der  griechi- 
schen Geister,  nur  mehr  theoretische  Verfechter  findet  (Euklid,  Ptole- 
mäos;  vergl.  ob.  citJ. 
Ton-  Als    Denkmale  r    alt  griechischer   Tonkunst    sind 

uns  erhalten,  beziehungsweise  bis  heute  bekannt  : 

1.  Drei  Hymnen  des  Mesomedes:  An  die  Muse,  An 
Helios,  An  Nemesis.  Aufgefunden  und  zuerst  (1581)  veröffentlicht 
von  Vincenzo  Galilei.^)  Sie  entstammen  dem  2.  oder  4.  Jahrhundert 
n.  Chr.  Alle  drei  sind  stilverwandt,  diatonisch  und  in  der  lydischen 
Tonart  gesetzt. 

2.  Der  Anfang  der  ersten  pythischen  Ode  Pindar  s 
(s.  xVuliang,  Beilage  1).  Zuerst  veröttentlicht  von  dem  gelehrten 
Jesuiten  Athauasius  Kircher'-)  in  seinem  Werke  „Musurgia  universalis" 
(v.  J.  1650)  Bd.  I  pag.  541,  der  sie  in  der  Bibliothek  des  Klosters 
S.  Salvadore  bei  Messina  aufgefunden  haben  will.  Da  zu  Anfang  des 
vorigen  Jahrhunderts  ein  Teil  der  Manuskripte  nach  Rom  in  die  vati- 
kanische Bibliothek  gebracht  wurde,  war  es  trotz  aller  Bemühungen 
bis  jetzt  nicht  möglich,  das  fragliche  Manuskript  zu  entdecken.  Auf 
Grund  dieser  Tatsache  glaubte  Fr.  Bellermaun  die  Echtheit  der  Melo- 
die einstweilen  bezweifeln  zu  dürfen.  Andere  Autoritäten  haben  in- 
zAvischen  die  Melodie  für  echt  anerkannt.  . 

3.  Die  Grab  Schrift  des  Seikilos.  Eingegraben  auf 
einer  Säule  in  Trälles  (Kleinasien).  1883  entdeckt.  Das  einzige  be- 
kannte  Stück    alter   Notierung   in   einer  B-Tonart.     Man   begrüßt   in 


1)  Sie  sind  in  Forkels  Musikgeschichte  (I.  Band  178«  S.  422  tf.) 
vollständig  enthalten.  Neuerer  Zeit  hat  Fr.  Bellennann  darüber  eine 
wertvolle  kritische  Schrift  veröffentlicht:  „Die  Hj-ranen  des  Dionysius 
und  Mesomedes,  Text  und  Melodien.  Berlin,  1840."  Wichtige  Ab- 
drucke finden  sich  bei  Gevaert,  „Histoii'e  et  theorie"  und  „Mclopee 
antique",  dann  bei  Jan,  „Script."  —  Vgl.  im  übrigen  die  Ueber- 
tragungen  der  griech.  Tonkimstdenkmäler  in  Riemanns  „Die  Musik 
des  klass.  Altertums".  „Konzertbearbeitungen"  der  alten  Stücke  ver- 
suchten neuerer  Zeit  Thierfelder  (1899  bei  Breitkopf  &  Härtel)  und 
0.  Fleischei*.  .:.._■ 

-)  Kircher,  geb.  1602  in  Geisa,  war  Professor  der  Naturwissen^ 
schatten  an  der  Würzburger  Universität.  Starb  1680  zu  Rom.  Seine 
zahlreichen  von  der  Musik  und  besonders  der  Akustik  handelnden 
Werke  sind  für  beide  Gebiete  bedeutsam,  wenngleich  mit  seltsamen 
Details  untermischt.     Vgl.  Riemann,  Lex. 


Griechen,  ;^5 

diesohi  kleinen,  naiven  Klagelied  auf  die  Vergänglichkeit  des  Lebens 
«ine  Perle  des  alt<>riechischen  Melos'.  Vgl.  „Vierteljahrsschr.  f. 
3Iu8.  Wissensch."  IsO-t.  i 

4.  Zwei  Apoll  oh  yninen  aus  dem  2.  Jahrh.  v.  Chr. 
Sie  wurden  in  Stein  gemeil3elt  an  den  Wänden  der  athenischen  Schatz- 
kammer zu  Delphi  1893  entdeckt.  Trotz  zahlreicher  Lücken  die 
bedeutendsten  aller  dieser  Tondenkniale.  Der  zweite  Hymnus  ist 
jgleich  dem   zweiten  Teile  des  I'indarschen  Bruchstücks   mit  Instru- 

■mentalnoten  notiert. \) 

5.  Fragment  des  ersten  8t  asimon  aus  dem  „Orestes" 
des  E  u  r  i p  i des.  1892  aufgefunden  im  Pap\  rus  Erzherzog  Rainer.-') 
Es  steht  in  der  Irdischen  Tonart  und  erscheint  stilverwandt  mit  der 
Pindarscheu  Ode."     Vgl.  Riemann,  Gesch.  d.  M.  d.  kl.  Altert.  S.  144  if.) 


Es  muH  schlieClich  interessieren,   die  widersprechenden  Gesamt-  Urteile  über 
Tirteile   bedeutender  Musikschriftsteller    und  Forscher  über   die  Wirk-     .  *|j*:.  . 
uugen  und  den  Kultiirwert  der  altgriechischen  Musik  zu  hören.    Vor-  ^''^J^islk';  * 
erst   die  griechischen   Musikschriftsteller    selbst.      Sie    sind   voll   des 
höchsten  Lobes. 

Der  Sage  nach  sollen  Orpheus  und  Amphiou  durch  ihren 
Oesang  die  tote  Natur  belebt  und  wilde  Tiere  gezähmt  haben.  Von 
Ter  p  an  der  s.  oben)  wird  erzählt,  er  habe  durch  Musik  einen 
A  ufstand  unter  den  Lacedämonieru  gestillt;  von  Tyrtäos  (7.  Jahr- 
hundert V.  Chr.),  daü  er  die  bereits  geschlagenen  Spartaner  durch 
«eine  glühenden  Schlaclitlieder  zu  wiederholtem  Augriff  und  zum  Siege 
über  die  Messenier  begeisterte:  Pythagoras  habe  durch  eine  spon- 
deische  Melodie  auf  der  Flöte  die  Tollheit  eines  betrunkenen  Jüng- 
lings, der  das  Haus  seines  Nebenbuhlers  in  Brand  stecken  wollte,  be- 
seitigt. Rechnet  man  hiezu  noch  die  Berichte  über  Heilung  von 
Krankheiten  und  Unterdrückung  aller  Leidenschaften,  so  muU  man 
gestehen,  daü  nicht  wenig  behauptet  wird. 

Anderer  Meinung  sind  neuere  Schriftsteller.  J.  N.  Forkel 
schreibt  in  seiner  Geschichte  der  Musik  I.  Bd.  pag.  442:  „Alle  Be- 
gebenheiten, welche  man  so  oft  zum  Lobe  der  alten  Musik  angeführt 
hat,  sie  mögen  nun  wahr  oder  erdichtet  sein,  sind  auf  keine  Weise 
hinreichend,  uns  zu  beweisen,  daU  sie  vollkommener  und  vortreff- 
licher als  die  unsrige  gewesen  sei.  Vielmehr  führt  uns  alles,  was  die 
Theoretiker  von  der  Beschaffenheit  derselben  sagen,  die  Ueberein- 
stimmung  ihrer  Lehrsätze   mit  den   noch  vorhandenen  Ueberbleibseln 

^)  Erste  Publikation  durch  Weil  und  Reinach  in  dem  Bulletin  de 
•Correspondance  helleuique  1893  94. 

-)  Erzherzog  Rainer  von  Oesterreich  (geb.  1827),  seit  1862 
Kurator  der  kais.  Akademie  d.  Wissenschatten  zu  Wien,  kaufte  1884 
die  von  Theod.  Graf  in  Aegypten  aufgefundene  Handschriftensammlung 
(Papyrusrollen)  an.  Daher  der  Name.  Dais  Fragment  veröffentlichte 
Dr.  Wessely. 

3* 


36  !•  Altertum. 


und  eine  richtige  Kenntnis  von  der  Natur  und  dem  wahren  Wesen 
<ler  Kunst  dahin,  sie  für  sehr  unvollkommen  zu  halten. - 

R.  G.  Kiesewesser  urteilt^;:  „Sehr  lange  wurden  die  Aussprüche 
der  griechischen  Schriftsteller  als  die  Quelle  der  musikalischen  Theorie 
angesehen.  Die  Wahrheit  aber  ist,  daß  die  neuere  Musik  nur  in  dem 
Maße  gedieh,  als  sie  sich  von  den  ihr  aufgedrungenen  griechischen 
Systemen  zu  entfernen  anfing,  und  daß  sie  einen  bedeutenden  Grad 
von  Vollkommenheit  erst  damals  erreichte,  als  es  ihr  gelang,  sich 
auch  der  letzten  Ueberbleibsel  altgriechischer  Musik  vollends  zu  ent- 
ledigen.-) Mit  dieser  hatte  sie  schon  sehr  lange,  ich  möchte  sagen 
von  jeher,  kaum  mehr  als  das  Substrat  —  Ton  und  Klang  —  gemein. 
Aus  der  altgriechischen  Musik  wäre,  wenn  Alt-Hellas  im- 
gestört  noch  durch  zwei  Jahrtausende  fortgeblüht  hätte,  eine  Mu- 
sik, der  uns  r  igen  ähnlich,  nimmermehr  hervorge- 
gangen: in  den  Systemen,  in  welchen  sie  dort  durch  die  Autorität 
seiner  Weltweisen,  durch  das  Herkommen,  ja  selbst  durch  bürgerliche 
Gesetze,  im  eigentlichen  Sinne  festgebannt  war,  lag  das  unübersteig- 
liche  Hindernis  ihres  Wachstums  .  .  .  Die  altgriechische  Musik  starb 
in  ihrer  Kindheit:  ein  liebenswürdiges  Kind,  aber  unfähig,  je  zur  Reife 
zu  gelangen.     Für   die  Menschheit  war   ihr  Untergang   kein  Verlust."- 

Bezeichnend  spricht  sich  A.  W.  Ambro s  in  seiner  „Geschichte 
der  Musik"  aus:  „Die  griechische  Musik  war  für  die  Dichtung,, 
was  die  Polychromie  (Farbenmischung)  für  den  griechischen  Tempel 
war.  Wie  diese  in  kluger  und  bescheidener  Unterordnung  die  Bau- 
glieder mit  leichter  Nachhilfe  belebt,  so  sollte  die  Musik  nicht  das- 
Wort  des  Dichters  eigensüchtig  verschlingen  oder  sich  eigensüchtig- 
vordrängen,  sondern  das  Wort  erst  recht  hell  und  klar  ertöneii 
lassen." 

Wie  erklären  sich  nun  diese  Widersprüche? 

Zunächst  ist  zu  erwägen,  daß  die  griechischen  Berichte  vielfach 
übertrieben  und  in  das  Reich  der  Sage  zu  verweisen  sind.  Dann  ist 
es  Tatsache,  daß  die  Griechen  nichts  Besseres  kannten  und  darum 
das  Vorhandene  für  das  Beste  halten  konnten  und  mußten ,  denn 
Aehnliches  tritt  uns  in  allen  Kunstperioden  entgegen.  Außerdem  ist 
anzunehmen ,  daß  die  griechischen  Sänger  sich  durch  richtige» 
•Sprechen  und  Deklamieren,  durch  schöne  Tonbildung  und 
Tonfärbung   auszeichneten   und   durch    diese   Eigenschaften   bei 


^)  Geschichte  der  europäisch- abendländ.  Musik.  Leipzig,  1834^ 
2.  Aufl.  1846. 

-)  Kiesewetter  hat  vorzugsweise  das  Werk  von  Boetius  „de 
Musica"  im  Auge,  das  die  griechische  Musik  in  philosophischer  und. 
mathematischer  Rücksicht  behandelt  und  den  Theoretikern  des  Mittel- 
alters als  unumstößliche  Autorität  galt.  Boetius  war  römischer  Staats- 
mann (Konsul)  und  Ratgeber  des  Gotenkönigs  Theodorich,  wurde- 
später verbannt  und  wegen  angeblichen  Hochverrates  524  enthauptet. 
(Vgl.  „Des  Anicius  Manlius  Severinus  Boetius  fünf  Bücher  über  die- 
Musik".  Uebersetzt  und  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  griechi- 
schen Harmonik  sachlich  erklärt  von  0.  Paul.    Leipzig  1872,  Leuckart.V 


Griechen.  37 

einem  zweifellos  kunstsinnigen  Publikum  große  Erfolge  erzielten. 
Hat  doch  z.  15  in  neuerer  Zeit  die  berühmte  Catalani  in  Eng- 
land mit  virtuoser  Anwendung  jener  Kunstmitte!  ungeheuren  Beifall 
bei  dem  Vorti-age  des  einfachen  Liedes  „God  save  the  kiug" 
iMclodie  des  .Heil  dir  im  Siegerkranz"]  errungen.  Ebenso  be- 
kannt ist  die  Tatsache,  daß  die  geniale  Schauspielerin  Rachel  durch 
den  Vortrag  der  Marseillaise  [Das  Marseiller  Lied:  „Allons,  enfants 
de  la  patrie"  ist  ein  französisches  Nationallied  aus  der  Revolutious- 
zeit  (I71t2),  von  Rouget  de  Lisle  gedichtet  und  komponiert.  Die 
Melodie  soll  nach  Wilhelm  Tappert  („Wandernde  Melodien".  Herlin, 
1890)  später  lu  einer  Messe  verwandt  worden  sein,  nicht  umgekehrt, 
wie  Hamma  meldet  I]  die  Pariser  jedesmal  zu  wilder  Begeisterung  ent- 
flammte. In  beiden  Fällen  kam  allerdings  noch  ein  politisches  Moment 
hinzu,  denn  England  war  von  Eifersucht  und  Haß  gegen  Napoleon  I. 
erfüllt,  in  Paris  brannte  das  Revolutionsfeuer  unter  der  Asche,  und 
so  erhielten  diese  Leidenschaften  durch  jene  Lieder  ihren  Ausdruck. 
Sie  wirkten  daher  ebenso  zündend  wie  im  Jahre  1870  „Die  Wacht 
am  Rhein'*.  Die  griech  iscli  en  Sänger  priesen  aber  zumeist  die 
Helden  ihres  Volkes  und  konuten  daher  des  Beifalls  sicher  sein, 
Avoil  die  Herzen  der  Hörer  ihnen  auf  halbem  Wege  entgegen  kamen. 

Eine.s  läÜt  sich  aus  dem  lebhaften  Interesse,  das  das  Volk  Resume. 
an  den  öfifeut  liehen  Schauspielen  und  an  den  Wettkämpfen  der 
Sänger  und  Virtuosen  nahm,  mit  Recht  schließen :  daß  das 
Ohr  und  der  Kunstsinn  der  Griechen  in  hohem  Grade  ent- 
wickelt waren,  und  daß  somit  der  Musikunterricht  auf 
Schulen,  mit  dem  stets  D  ek  1  amat  ion  ,  Mimik  und  Tanz 
verbunilen  wurden,   sich  als  fruchtbringend  erwies. i) 


')  S.  Platu,  Staat,  II,  17.  Kap.  Die  Frage:  „Solleu  unsere 
Kinder  Musikunterricht  erhalten?"  wurde  1905  erst  von 
einem  Berliner  Blatte  an  viele  namhafte  Männer  gestellt,  und  u.  a. 
von  Carl  (ioldmark  in  l)emerkeuswerter  Weise  beantwortet.  Der 
greise  Künstler  befürwortet  entschieden  die  Erteilung  des  Musik- 
unterrichts an  alle,  die  nicht  ganz  unbegabt  sind :  sie  sollen  zum 
verständigen  Kimstgeuießen  erzogen  werden.  Der  Meister  schreibt: 
„Ich  nehme  an,  daß  die  Frage  so  im  allgemeinen,  ob  Musik  über- 
haupt zu  lehren  sei,  bei  der  Bedeutung,  die  sie  in  luiserem  Leben 
hat,  hier  gar  nicht  in  Betracht  kommt:  die  Bejahung  ist  hier  ganz 
selbstverständlich.  Es  kann  sich  also  nur  darum  handeln,  welche 
Kinder  man  musikalisch  erziehen  soll  —  und  welche  nicht. 

Als  vornehmsten  Zweck  musikalischer  Erziehung  erachte  ich  es, 
daß  die  Kinder  zum  verständnisvollen  Genuß  hoher  Kunstwerke  — 
nebst  praktischer  Ausübung  —  einzogen  werden.  Es  gibt,  musikalisch 
betrachtet,  drei  Gattungen  Menschen:  Hochbegabte,  Minderbegabte 
und  ganz  Unbegabte. 

Auf  die  ei-sten  bezieht  sich  die  Frage  überhaupt  nicht;  mu»ika- 


3g ,t  I.  Altertlun. 

Modern  resümiert  Riemanu  (Die  Musik  des  klassischen  Alter- 
tums, 1904):  „Die  Tendenz,  die  Künste  ihren  vergoldenden  Schein 
über  die  ganze  bürgerliche  Existenz  ausbreiten  zu  lassen,  das  ganze  ^ 
Menschendasein  mit  Harmonie  und.  Eurhythmie  zu  durchtränken,  ist 
unverkennbar  .  ,  .Der  Anteil  der  Musik  an  dieser  künstlerischen 
Gestaltung  des  Lebens  ist  tin  sehr  großei-,  nicht  nur  in  dem  allge- 
meinen Sinne,  in  welchem  die  Griechen  unter  einem  „aner  musikus" 
einen  gebildeten,  d.  h.  mit  seinem  ganzen  Denken  und  Empfinden  auf 
einer  höheren  Stufe  stehenden  Menschen  verstanden  imd  unter  einem 
„aner  ämüsos"   einen  gemein  und  niedrig  denkenden, ^j   sondern  auch 


lische  Erziehung  ist  hier  geboten.     Sie  werden  reproduzierend  oder 
schaffend  Hervorragendes  leisten. 

Die  gänzUch  Unbegabten,  das  sind  die  Antimusikalischorganisierten,^ 
denen  die  Organe  für  Musik  gänzlich  fehlen,  für  die  Musik  nur  Geräusch, 
nur  Belästigung  ist;  die  sowohl,  wie  ihre  Lehrer  werden  bald  die 
gänzliche  Erfolglosigkeit,  die  vergebliche  Mühe  erkennen  und  —  aus- 
scheiden. 

Es  bleiben  also  mir  die  Minderbegabten,  auf  die  sich  die  Frage 
musikalischer  Erziehung  beziehen  kann  —  und  hier  ist  die  Frage 
unter  allen  Umständen  zu  bejahen.  Unter  diesen  Minderbegabten  be- 
greife ich  alle  jene,  die  starkes  musikalisches  Bedürfnis  haben  (Kinder 
haben  es  noch  selten),  für  die  der  Genuß  hoher  musikaiischer  Werke 
Erholung  bedeutet,  die  aber  aus  gewissen  Schwächen,  sei  es  im  Gehör, 
im  Rhythmus,  in  technischer  Veranlagung  oder  wegen  sonstiger  Mängel 
nicht  zu  praktischer  Betätigung,  zu  selbsteigener  Kunstübung  gelangen, 
aber  doch  durch  fortgesetzte  Kunstpflege  zum  verständnisvollen 
Kunstgenießen  erzogen  werden  können. 

Diese  gx-oße  Mehrheit  bildet  später  den  eigentlichen  Stamm  eines 
gebildeten,  genießenden  und  dankbaren  Publikums.  Dieser  Teil  bedarf 
der  Nachhilfe,  der  Unterstützung  und  Aneiterung.  Kinder  mühen 
sich  nicht  gerne ;  es  ist  daher  Pflicht  der  Eltern,  ihnen  die  Musik, 
eine  Wohltat  fürs  ganze  Leben,  zu  erschließen.  Auch  zeigt  es  sich 
oft,  daß  scheinbare  Mängel  im  Laufe  des  Unterrichts  bei  zunehmender 
Reife  sich  vermindern  oder  ganz  verschwinden.  —  Die  Hochbegabten 
kommen  schon  selbst  ans  Ziel." 

Auf  dem  Kunsterziehungstage  19Ü5  zu  Hamburg  wurden  u.  tU' 
die  Themen  „Musik"  und  „Gymnastik"  erörtert.  Der  durch- 
seine  Reigen-Aufführungen  bekannt  gewordene  Schweizer  Komponist 
E.  Jacqiies-Dalcroze  („Rhythmische  Gymnastik"*  [deutsch],  Neu- 
chatel,  1907)  tritt  für  eine  enge  Wechselwirkung  von  Singen  und 
Tanzen  ein.  (Vgl.  die  kunstpädagogische  Zeitschr.  „Khid  und 
Kunst"  November  1905.) 

^)  S.  den  Nachklang  bei  Shakespeare  in  dessen  „Kaufmann 
von  Venedig":  „Der  Mann,  der  nicht  Musik  hat  in  sich  selbst,  den 
nicht  der  Einklang  süßer  Töne  rührt,  taugt  zu  Verrat,  zu  Räuberei 
und  Tücken  ....  Trau  keinem  solchen  .  .  ."*  Vgl.  übrigens  den  Auf- 
satz „Shakespeare  und  die  Musik  in  seinen  Dramen"  von  C.  Witting, 
„Neue  Mus.-Ztg.",  Nr.  9  10,  190.5. 


■  Römei-.    .  3y. 

in    dem    speziellen    Sinne    der   Pflege    der   Miis4k    als  Sonder- 
ktinst."!) 

Davon  ist    nun    bei    den  Römern  weder  vor    noch    nach     Römer, 
der  Einkehr    griechischer  Sitten    eine    Spur    zu    finden.      Wohl 
gehört    auch    in  Rom  von  Anbeginn  die  ]Musik    zum  Kultus 
(Götterdienst,  Leichenbestattungen),  aber  nicht  —  zum  Unter- 
richt wie  bei  den  Griechen. 

Von  diesen  später  lediglich  in  der  Eigenschaft  als  Reizmittel 
übernommen,  sinkt  die  Tonkunst  zur  Sklavin  an  der  Tafel  der  Ueppig- 
keit  herab.  Sie  wird,  nie  um  ihrer  selbst,  nie  um  des  innewohnenden 
Gehaltes  willen  gepflegt ,  zum  Luxusgegenstand  im  schlimmsten 
Sinne.  Weit  mehr  als  ehedem  in  Babylon  und  Niuive  ist  sie  zum 
bIol3eo  Sinnenkitzel  da.  Bei  den  Bacchanalien  gilt  „Musik  als  Länn". 
Gewiß  hat  sich  auch  in  Rom  eine  Art  Musikleben,  wenn  man  es  so 
nennen  will,  entfaltet,')  aber  es  ruhte  mehr  minder  in  den  Händen 
griechischer  Sklaven.  Und  daß  schließlich  ein  Kaiser  Nero  auf  Knnst- 
reisen  ötfentlich  ,. konzertiert'",  ihm  selbst  und  der  Musik  zum  Ge- 
spött, ist  ein  fatales  (harakteristikon  römischer  Musikübung. 

Die   Zeit    der    römischen  Weltlierrschaft  (184  v.  Chr.  bis  y6o  Abhungig- 
n.  Chr.)  ist  nicht  auch  eine  Zeit  der  Heri schaff   über  die  Ton-  Griecben- 
kunst.     Diese   wird    aus    Griechenland    gleich    einer  Ware    im-       '*"''• 
portiert. 

„Griechische  Schauspielertruppen  und  griechische  Auleten  und 
Kitharisten  erschienen  in  Rom,  und  wie  die  ganze  Bildung  der  Römer 
nur  einen  griechischen  Anstrich  annahm,  so  ging  vor  allem  die  Musik- 
übnng  ganz  und  gar  in  die  Hände  von  (Triechen  über.  Um  die  An- 
fänge einer  römischen  Musikliteratur,  so  gering  dieselben  auch  ge- 
wesen sein  mr»gen,  war  es  damit  geschehen,  und  fortan  ist  Rom  wie 
Alexandria  nur  eine  Stätte,  wo  die  Denkmäler  der  klassischen  Zeit 
des  Griechentums  bewundert,  bewahrt  und  nachgebildet  werden" 
'Riemann,  cit.).  Verwunderlich  allerdings,  wenn  wir  an  die  frucht- 
bare Aufnahme  und  Umgestaltung  der  griechischen  Stilgattungen,  an 
deren  pi-unkvollc  Verschmelzung  in  der  römischen  bildenden  Kunst 
denken.    Welch'  pompöse  Wirkung  der  römischen  Architektonik ! 

Die  Tonkunst  entwickelte  sich  hier  vor  allem 
niclit  Hand  in  Hand  mit  der  Poesie.  Die  Römer 
haben    keinen   Vergil,    keinen   Horaz   in  der  Musik. 


^)  Vgl.  schließlich  auch  R.  G.  Ki  ese  wet  t  er,  Ueber  die  Musik 
der  neueren  Griechen  nebst  freien  Gedanken  über  altägyptische  und 
altgriechische  Musik.     !Mit  s  lithogr.  Tafeln.     1838. 

*)  S.  das  reichliche  Älaterial,  das  Svoboda  in  seiner  -Gesch.  d. 
Musik"*  (L,  S.  -201 — 2H3)  sehr  unterhaltsam  zusammengetragen  hat. 
Nur  die  Behauptimg  fS.  270),  die  Musik  habe  bei  den  großen  römischen 
Volksfesten  (circensischen  Spielen)  eine  „größere  Rolle  als  bei  den 
hellenischen"*  gespielt,  ist  entschieden  ein  Lapsus. 


40  I-   Altertum. 


Quintus  Horatius  Flaccus,  der  die  Hauptblüte  römischer  Lyrik 
verkörpert  (65—8  v.  Chr ),  klagt  darüber,  daß  mehr  gelärmt,  als 
musizieii:  werde.  Das  ist  unter  Augustus,  im  goldenen  Zeitalter 
der  römischen  Literatur !    Auch  das  chorische  Element  im  Drama  ^} 

—  die  prosaischen  Römer  liebten  die  Tragödie  nicht  sehr  — 
spielt  keine  besondere  Rolle.  Von  irgend  einem  selbständigen 
Tonsystem  kann  nach  all  dem  keine  Rede  sein.  Als  Noten- 
zeichen dienten  auch  den  Römern  die  Hauptbuchstaben. 

In-  Einfuhrware  sind  so  ziemlich   auch  die  meisten  Instrumente  ge- 

Btruinente.  wesen.  Lyra  und  Kithara  der  Griechen,  das  Nebel  der  Hebräer 
grüßen  uns  zuerst  als  alte  Bekannte.  Die  T  i  b  i  a  ist  eine  Verwandte 
des  Aulos.  Der  Hirte  bläst  die  Fistula.  Eigentümlich  sind  den 
Römern  allein  die  volltönenden  militärischen  Rufinstrumente  aus 
Metall,  so  Tuba  (gerade  Trompeten),  Lituus  (gekrümmte  Zinken), 
und  der  Vorfahr  unserer  Posaune  (Busaun),  die  Buccina  (in  der 
gewundenen  Form  und  im  Ton  dem  Helikon  ähnlich).  Diese  Gruppe 
mag   uns  an   ein   Hauptmoment  des  römischen  Charakters   erinnern, 

—  die  kriegerische  Größe  .  .  . 


Von  der  griechischen  Etappe  aus  macht  nun  die  Ton- 
kunst sozusagen  einen  Sprung  über  die  Römer  hinweg  zu  den 
^'hrfaT^^"  ersten  Christen.  Die  Macht  des  Gesanges  wirkte  schon 
bei  ihrem  Gottesdienste.  Der  Apostel  Paulus  schreibt  2) :  ,, Er- 
bauet einander  mit  Psalmen,  Hymnen  und  geistlichen  Liedern." 
Welcher  Art  dieser  Gesang  der  ersten  Christen  gewesen  sei, 
wissen  wir  nicht  mit  Bestimmtheit ;  doch  ist  anzunehmen,  daß 
die  Juden -Christen  den  im  Tempel  gebräuchlichen 
Psalmengesang  mit  hebräischen  Melodien  zur  Anwendung 
brachten , ^)  dagegen  die  Griechen-Christen  bei  ihrem 
Absehen  vor  allem  Heidnischen  von  der  griechischen  Musik 
wohl  Ton  und  Regel,  aber  nicht  den  Geist,  nicht  die 
Melodie  entlehnten,    vielmehr  diese  Musik   mit  neuem  I  n  - 


1)  Livius  Andronikus  (um  240  v.  Chr.)  führte  das  griechische 
Drama  ein.  Die  Volkskoraödie  fand  in  Plautus  (254 — 184)  ihren 
Hauptvertreter. 

2)  An  die  Kolosser  3,  16.     (Lehrtätigkeit  Pauli  38—58.) 

^)  Daß  unsere  heutigen  Psalmtöne  (musikalische  Fonnelu, 
nach  denen  die  Psalmen  gesungen  werden ;  es  gibt  deren  nach  der 
Zahl  der  Tonarten  8  und  einen  sog  fremden  oder  Hirten-Ton  [tonua 
peregrinus]  zu  dem  Psalme:  In  exitu  Israel  de  Aegypto)  aus  jener 
Zeit  stammen,  somit  bis  in  das  Salomonische  Zeitalter  zurückgeführt 
werden  könnten,  ist  eine  unerwiesene  Vennutung.  Erinnert  sei  hier, 
wie  Christus  selbst  nach  dem  hl.  Abendmahl  mit  seinen  Jüngern  einen 
Lobi^esang  anstimmte  (Matth.  26,  30). 


Die  ersten  Cbristen.  41 

halte  ausstatteten  und  sich  auf  das  diatonische  Ton- 
geschlecht  beschränkten,  weil  ihnen  das  chromatische 
und  enharmonische  zu  leidenschaftlich   erschien. 

Bestimmt  wissen  wir,  daß  die  ersten  Christen 
keine  Instrumente  bei  dem  Gottesdienste  ge- 
brauchten. 

Der  jüngere  PliniusV)  schreibt  an  Kaiser  Trajan,  „daß  sie  an 
gewissen  Tagen  vor  Sonnenaufgang  zusamraeukommen  und  Christo, 
gleichwie  einem  Gotte,  einen  Wechselgesang  singen".  Chryso-  Wechsei- 
st omus  (347—407)  bemerkt  zum  15U.  Psalm:  „David  brauchte  die  sosana;, 
Zither  mit  leblosen  Saiten,  die  Kirche  aber  braucht  eine  Zither,  deren 
Saiten  lebendig  sind;  unsere  Zungen  siud  die  Saiten."  Der  Kirchen- 
vater Clemens  von  Alexandria,  der  älteste  christliche  Dichter 
(t  220),  aber  äuüe.rt  sich:  ,,Wir  gebrauchen  ein  einziges  Instrument: 
das  Wort  des  Friedens,  mit  dem  wir  Gott  verehren,  nicht  aber  das 
alte  Psalteriuni,  die  Pauken,  Trompeten  und  Flöten."  iPaedag.  2,  4.) 
Und  er  verbietet  seiner  Gemeinde,  sich  beim  Kircheugesange  chroma- 
tischer Tonfolgen  zu  bedienen  (s.  ob. '. 

So  entsproß  dem  Boden  altgriechischer  Tonkunst  der  Ge-  ByzanU- 
sang  der  griechisch-katholischen  Kirche,  die  byzantinische  ^^^^ 
Musik.  In  diesen  Gesängen  lebt  das  griechische  Musiksystem  wieder 
auf,  wenngleich  nur  in  einfachster  Diatonik.-i  Der  griechische  Kirchen- 
vater Bischof  Basiiius  d.  Gr.  (f  ;379)  und  Athanasius,  Bischof 
von  Alexandria  (f  373),  hoben  den  griechischen  Kirchengesang,  der 
seine  Fortentwickelung  in  der  abendländischen  Kirche  nehmen  sollte. 
Eine  W  e  i  t  e  r  e  n  t  w  i  e  k  e  I  u  n  g  d  e  i-  byzantinischen  Musik 
als  solcher  gab  es  nicht.  Als  Ordner  der  griechisch-katholischen 
Liturgie  und  Reformator  der  byzantinischen  Notenschrift  (vgl.  später 
unter  Neumen)  gilt  der  hl  Johannes  Damasccnus  (um  700— TUO», 
der  älteste  Dogmatiker  der  griechischen  Kirche. 

Gesungen  wurde  teils  von  Einzelnen,  teils  vom  ganzen 
Volke. 

Der  Schriftsteller  Eusebius,  der  „Vater  der  Kirchengeschichte" 
(t  340)  berichtet  ,.wie  sich  einer  aus  der  Mitte  erhebt  und  einen 
Psalm  in  sittsamer  Manier  singt,  und  wie  dem  Vorsäuger  eiues  Verses 
die  ganze  Menge  antwortet".    In  ähnlicher  Weise  schreiben  die  „aposto- 


*)  S.  die  „Epistolae"  dieses  römischen  Schriftstellers  (62  bis  ca. 
110)  10,  H3.     (Deutsch  von  Klußmann  und  Binder,  1869.) 

-)  Mit  der  Entzifferung  der  byzantinischen  Notenschrift  befaßt 
sich  0.  Fleischer  in  seinen  Neumenstudien,  III.  Teil  (1904).  S.  Rieraaun, 
Lex.  Vgl.  ferner  Reimann,  „Zur  Gesch.  u.  Theorie  d.  byzantin.  Musik" 
(1889,  Leipzig),  Gaisser,  „Le  Systeme  musical  de  l'eglise  greque" 
(1901).  dann  Widor,  „La  musique  grecque  et  les  chants  de  l'eglise 
latine"  (Re\nie  de  Deux  Mondes,  1895)  und  P.  Aubry,  Le  rythme 
tonique  dana  la  poesie  liturgique  et  dans  le  chant  des  eglises  chretiennes 
au  raoyen-äge  (1903). 


42  !•  Altertum. 

lischen  Konstitutionen"  iS..  ^ahrh.)  vor,  daß  das  Volk:  sowohl  beim 
beil.  Meßopfer  als  auch  beim  Officium  der  Laudes  und  Vesper,  nachr 
dem  ein  Sänger  einen  Psalm  gesungen,  am  Ende  in  den  Gesang  ein- 
falle und  auf  das  vom  Diakon  Gesprochene  (Rezitierte)  mit  Kyrie' 
eleison  antworte. 

Papst  Sylvester  (314  —  335)  hat  diesea  Brauch  sowohl  für 
Griechische  fjig  Meßliturgie  als  das  kanonische  Stundengebet,  aus  dem 
römische  Griechischen,  oder  besser  gesagt,  aus  dem  während  der 
drei  ersten  Jahrliunderte  auf  dem  ganzen  Erdenrund  glfeich-' 
mäßig  beobachteten  Ritüß  der  Gesamt kirche  in  den 
römischen  herübergenommen. ^) 

Das  Konzil  von  Laodicea  (367)  verbot  den  Gemeindegesang. 
Um  die  Normen  des  Kirchengesanges  der  Nachwelt  zu  überliefern 
und    Kirchensänger   heranzubilden,    errichteten   Papst   Sylvester   und 


Kirche. 


')  Aus  den  ersten  Zeiten  datiert  bereits  das  Singen  des  S  a  n  c  - 
tus  (Isaias  6,  3:  Apoc.  4,  8),  denn  Papst  Sixtus  I.  :c.  116  —  125)  be- 
stätigte diesen  Gebrauch.  Sein  Nachfolger,  Telesphorns  (c.  125  bis 
136)  ordnete  an,  daß  der  Hymnus  angelicus  „Gloria  in  excelsis  Deo" 
(Luc.  2,  14),  bei  den  Griechen  die  große  Doxologie  genannt, 
auch  in  der  Christnacht  gesungen  werden  solle  (Liber  pontificalis). 
Die  apostolischen  Konstitutionen  enthalten  (lib.  VIT,  cap.  48 1  einen 
Hymnus  im  Morgengebet,  der  mit  dem  Gloria  vielfach  aufs  Wort 
übereinstimmt.  Man  vermutet,  der  heil.  Hilarius  von  Poitiers  (C.  320 
bis  3G6),  Kirchenvater  und  Kirchenlehrer,  habe  diesen  Hymnus  in 
seinem  Exil  kennen  gelernt  und  ihn  nach  seiner  Rückkehr  aus  dem- 
selben (360 1  nach  Gallien  mitgebracht.  Um  ihn  dort  einzuführen, 
habe  er  das  griechische  Oi'iginal  frei  ins  Lateinische  übersetzt.  Das 
Credo  wurde  um  das  Jahr  490  zur  Meßfeier  gesungen  Der  Gebrauch 
ging  von  da  nach  Spanien  und  ins  Frankenland  über.  Seine  definitive 
Aufnahme  in  die  römische  Liturgie  erfolgte  im  Jahre  1014.  Bruno 
von  Reichenau  (f  ICHS)  erzählt  als  Augenzeuge,  daß  Kaiser  Hein- 
rich IL  (1002—1024)  den  Papst  Benedikt  VHL  (1012—1024)  hierzu 
bewogen  habe  (J.  P.  Migne,  Patrol.  ser.  lat.  t.  CXLII,  p.  1060).  Das 
letzte  Glied  des  „Ordinarium  Missae",  das  Agnus  Dei,  (Job.  I,  29), 
wurde  vom  Papste  Sergius  I.  (687 — 701)  in  die  römische  Meßliturgie 
eingeführt  mit  der  Bestimmung,  daß  es  vom  Klerus  und  Volke  zu 
singen  sei  (Lib.  pontif.).  Da  aber  der  Gebrauch  des  Agnus  Dei  be- 
leits  in  den  Rubriken  des  gregorianischen  Sakramentars  vorge- 
schrieben war,  so  vermutet  mau,  es  sei  damals  nur  vom  Klerus,  d.  h. 
von  der  schola  cantorum  gesungen  worden,  wie  es  auch  nach  Sergius 
wiedenim  üblich  wurde  (Ord.  Rom.  1,  n.  19:  2,  n.  13:  3,  n.  16).  Der 
ambrosianische  Ritus  hat  das  Agnus  Dei  nur  in  den  Seelenmessen. 
Seit  dem  11.  Jahrhundert  lautet  die  dritte  Bitte:  „dona  nobis  pacem", 
wahrscheinlich  aus  Anlaß  von  Kriegsunruhen,  oder  um  dem  Agnus 
Dei  eine  nähere  Beziehung  zum  Friedenskuß,  mit  dessen  Erteilung  es 
wohl  zusammenfiel,  zu  geben. 


Die  eisten  Christen.  43 


sein  Nachfolger  Hilarins  die  ersten  S  ingschulen.    Jener  die  Die  erster* 
Schola  cantoruniM  zu  Rom.  ^'",^' 

Und  nun  erst  tritt  die  Musik  als  Tonkunst  in  un- 
serem Sinne  aus  ihrer  Kindheit  heraus,  vorerst  noch  unter 
dem  Schutze  der  Kirche.-) 


^)  Der  Name  erhielt  sich  noch  bis  ins  15,  Jahrhundert.  Die 
gegenwärtig  zu  Paris  bestehende  Scola  cantorum  (begründet 
1894  durch  Bordes,  d'Indy  und  Guilmant)  ist  eine  Musikhochschule, 
an  der  sich  alle  Inatruraentalisten,  Sänger  und  Theoretiker  am  grego-.- 
rianischen  Gesänge  (s.  Abschnitt  3)  beteiligen  müssen.  Sie  war  ur- 
sprünglich unter  dem  Titel  „Ecole  de  chant  liturgicjue  et  de  Musique 
religieuse"  als  Schule  des  liturgischen  Gesanges  gedacht. 

-')  Vgl.  den  Essay  .,L'art  (iregorien,  les  nrigines  i)remicres"  von 
A.  Gast  o  u  6  in  den  von  der  Pariser  Scola  cantorum  veröffentlichten 
..Mcmoires  de  Musicologie  Sacrre",  Paris,  IftdO;  ferner  ,,rrsi)ruug  und 
Entwickeluug  der  liturgischen  (Jesan^^'sformeu  bis  zum  Ausgange  des 
Mittelalters",  2.  Aufl.  lüoi,  des  I.  Teils  der  ,, Einführung  in  die 
gregorianischen  .Melodien",  1895,  von  Peter  Wagner  (s.  Anni.  .'5. 
S.  57). 


11.  Mittelalter.  Von  Ambrosius  zu  Palestrina. 

4. — 16.  Jahrhundert. 
3.   Ambrosius  und  Gregor  der  GroBe. 

(Der  Gregorianische  Choral.  —  Neumeu.  — Kircheutöue.) 

Foitwirkeu  Wohl  ist  es  richtig :   während  die  Werke  der  griechischen 

chischeii  Und  römischen  Dichter,  Geschichtsschreiber,  Rechts- 
kuitu'r  lehr  er  und  Philosophen  noch  heute  auf  unseren  Gymnasien 
und  Universitäten  den  Geist  der  studierenden  Jugend  nähren 
und  schärfen ;  während  ferner  die  Werke  der  griechischen 
und  römischen  Skulptur,  Architektur  und  Gemmen- 
schneidekunst  fortgesetzt  Bewunderung  erregen  und  Nach- 
ahmung finden:  ist  uns  von  griechischer  und  römischer  Musik 
fast  nichts  erhalten,  und  das  Wenige,  das  wir  besitzen,  hält 
keinen  Vergleich  aus  mit  den  Emanationen  der  übrigen  Künste 
und  Wissenschaften  des  klassischen  Altertums.  Indessen,  eben- 
sowenig als  der  alles  mit  sich  reißende  Strom  der  wandernden 
Völkerscharen  (375  n.  Chr.)  über  die  Errungenschaften  der 
griechischen  Kultur  ganz  hinwegzustürmen  vermochte,  ^)  so 
wenig  konnte  sich  auch  das  junge  Christentum,  selbst  nach 
seiner  Einführung  als  Staatsreligion  durch  Kaiser  Constantin 
d.   Gr.  (333  n.   Chr.),    der    innerlich    fortwirkenden  Macht  der 


^)  Aus  der  Zeit  der  Völkei'flut  ragt  der  Name  des  kunstver- 
ständigen Herrschers  der  Goten,  Theodor  ich  (f  520  n.  Chr.)  auch 
in  die  Musikgeschichte  hinein.  Ihn  bat  der  Frankeukönig  Chlodwig 
um  Entsendung  eines  Kitharöden,  damit  dieser  die  italienische  Ge- 
sangskunst in  sein  Land  einführe.  An  Theodorichs  Hofe  lebten  die 
Musikschriftsteller  Cassiodorus  (f  um  580)  und  Boetius  (f  524, 
seiner  wurde  bereits  oben  gedacht),  die  dem  Mittelalter  die  antike 
Musiktheorie  in  erster  Linie  vennittelten. 


Ambrosius.  45 


griechischen  Musikkultur    wie    der    griechischen  Bildung  über- 
haupt entziehen. 

Treffend  weist  da  Langhans ')  auf  das  Widerepiel  hin :  „wie  sich 
Griechenland  im  Kindheitsstadium  seiner  künstlerischen  Entwickelung 
aufs  engste  an  Aegypten  angeschlossen,  so  lehnt  sich  jetzt  die  früh- 
christliche Kultur  an  die  der  Griechen  an.  Auch  in  dieser  Epoche 
ist  es  die  bildende  Kunst,  die  uns  den  sicheren  Beweis  für  die  Ab- 
hängigkeit des  Jüngeren  vom  älteren  Kulturvolke  liefert.  Die  Malereien 
der  römischen  Katakomben,  in  denen  die  ersten  Christen  sich  zu 
gottesdienstlichen  Zwecken  versammelten,  zeigen  durchweg  die  be- 
kannten Figuren  und  Situationen  der  antiken  Mythologie  und  Sage 
zur  Darstellung  biblischer  Vorgänge  verwendet".^) 

Der  innige  Zusaninieuhang  beider  Musikkulturen  aber  tritt 
nun  im  weiteren   Verlaufe   der  Entwickelun«!  immer  klarer  zu- 
tage.    Der  Kirchengesang,   wie   wir   ihn   bereits   kennen   lernten, 
nimmt    einen     bedeutenden    Aufschwung    durch    Ambrosius,  .\mbro8iu8. 
Kischof  von   Mailand. 

Dieser  berühmte  Kirchenlehrer  (geb.  um  840)  studierte  in  Rom, 
zeichnete  sich  als  Redner  und  Philosoph  aus  und  wurde  später  .Statt- 
halter mehrerer  Provinzen  Als  solcher  kam  er  nach  Mailand,  um 
dort  einen  bei  der  Hischofswahl  infolge  von  arianischen  Agitationen 
ausgebrocheneu  Aufruhr  zu  dämpfen.  Hier  wurde  er  vom  Volke 
einstimmig  zum  Bischof  ausgerufen.  Dem  großen  Talente  und  der 
unausgesetzten  Tätigkeit  dieses  auüerordentlichen  Mannes  hat  auch 
die  kirchliche  Tonkunst  vieles  zu  danken. 

Er  war  es ,  der  aus  der  byzantinischen  Kirche  in  die 
abendländische  den  Halleluja-  und  den  Antiphonien-Ge- 
sang  (abwechselnder  Gesang  zwischen  zwei  Chören)  einführte. 
Auch  dichtete  er  viele  Hymnen.  Von  diesen  werden  noch  heute 
gesungen:  „Splendor  paternae  gloriae"  und  „0  lux  beata  triuitas". 
Sein  Ruhm  als  Hymnendichter  war  so  groß,  daß  man  ihm  viele 
andere  Hymnen,  die  mit  den  seinigen  gleiches  Versmaß  hatten,  zu- 
schrieb. Der  sogenannte  „A  mbr  o  siani  sehe  Lobgesang"  (Te 
Daum  laudamus)  ist  nicht  von  ihm  verfaßt.')    Eine  rührende  Legende 


')  „Die  Musikgeschichte  iu  12  Vorträgen."  2.  Aufl.  Leipzig, 
F.  E.  C.  Leuckarts  Verlag.     1879. 

-j  „Orpheus,  die  wilden  Tiere  zähmend,  wird  hier  durch  geringe 
Modifizierung  zum  Daniel  in  der  Löwengnibe;  der  bocktragende 
Heimes  zum  guten  Hirten,  der  das  verlorene  Lamm  heimträgt ;  Jonas, 
und  der  Wallfisch  sind  kaum  von  Arion  und  dem  Delphin  zu  unter- 
scheiden."    (cit.) 

•^)  Vgl.  Heinr.  Bone,  Das  Te  Deum.  Frankfurt  a.  M.  1H8L 
Peter  Busch,  Theologische  und  historische  Betrachtung  des  Te  Deum 
laudamus  oder  uralten  Lobgesangs  der  Kirchen :  Hen*  Gott  dich  loben 
wir.  Hannover,  1735  (Dr.  W.  Bäumker,  Das  katholische  deutsche 
Kirchenlied   in   seinen    Singweisen.     Freiburg,   L   Bd.    1886.     S.  41  „ 


46  II.  Mittelalter. 


läßt  diesen  Gesang  in  der  Osternacht  o87  entstehen,  in  welcher  der 
heil.  Augustinus  getauft  wurde.  Wie  auf  Eingebung  des  heil.  Geistes, 
erzählt  sie,  habe  Ambrosius  diesen  Gesang  nach  der  Taufe  angestimmt 
und  Augustinus  ihn  fortgesetzt.  Und  so  sangen  sie  Vers  um  Vers 
bis  zum  Ende  dieser  erhabenen  Improvisation  .  .  .  Wem  wir  den  Hymnus 
zu  verdanken  haben,  ist  unerwiesen.  Lauge  Zeit  hießen  alle  kirch- 
lichen Hymnen  pambrosianische  Lieder".  Die  ambrosianische  Sanges- 
weise erfreute  sich  großen  Beifalls  und  verbreitete  sich  durch  viele 
Länder.  Sie  ist  es  auch,  von  welcher  der  heil.  Augustinus 
in  seinen  ,, Bekenntnissen"  sagt:  „Wie  viel  habe  ich  geweint  bei 
•deinen  Hymnen  und  Liedern !  Wie  wai-d  ich  gerührt,  wenn  deine 
Kirche  von  lieblichem  Gesang  erschallte !  Jene  Töne  träufelten  in 
meine  Ohren  und  mit  ihnen  ward  deine  Wahrheit  in  mein  Herz  ge- 
gossen, also  daß  die  Glut  der  Andacht  in  ihm  aufloderte  und  meine 
Zähren  flössen,  und  es  ward  mir  wohl  dabei."  (Confess.  üb.  IX. 
<;ap.  6.) 

Ueber  den  ambrusianischen-mailändischen  Gesang  war  früher 
wenig  bekannt.  Seit  P.  Kienle  0.  S.  B.  (s.  unten)  die  Melodien  einer 
älteren  Handschrift  als  m  a  i  1  ä  n  d  i  s  c  h  e  n  C  h  o  r  a  1  erkannte,  besitzen 
wir  ein  klares  Bild  über  dessen  Eigenart  und  sein  Verhältnis  zum 
■sog.  gregorianischen  Choral.  Er  stimmt  mit  diesem  im  wesentlichen 
überein,  hält  sich  aber  oft  einfacher,  oft  wiederum  reicher  als  die 
gregorianischen  Melodien.  Beide  gehen  auf  eine  ältere  gemeinsame 
Quelle  zurück,  wenn  nicht  der  ambrosianische,  der  altrömische  und 
der  gregorianische  nur  eine  Bearbeitung  des  ursprünglichen  Chorals 
war.  In  Mailand,  wo  heute  noch  die  Liturgie  nach  ambrosiaui- 
schem  Ritus  gefeiert  Avird,  wird  auch  noch  der  ambrosianische 
•Choral  gesungen  —  daß  mau  schon  zu  Ambrosius  Zeiten  reiche 
Melodien  besaß,  unterliegt  kaum  mehr  einem  Zweifel.  *) 

Einen  großen  Einfluß  auf  den  Kirchengesang  gewann 
der   kunstsinnige    Papst   Gregor   der   Große-)  (590 — 604). 


Nr.  39,  zitiert  daselbst  von  beiden  Abhandlungen  unrichtige  Titel. 
Die  andere  dort  genannte  Schrift  erschien  in  Wolfenbüttel  1735. 
:„  Ausführliche  Historie  und  Verteidigung  des  allgemeinen  evangelischen 
Kirchenliedes  , Erhalt  uns  Herr  bei  deinem  Wort."").  (K.  Walter.)  — 
Dr.  H.  A.  Daniel.  Thesaurus  hymnologicus  II.  276— 3(X>,  Lipsiae 
1844.  III.  292,  Lipsiae  1846.  —  Katholische  Kirchenzeitung,  Salz- 
hnrg  1897,  Nr.  19.     (K.  Walter.) 

^)  Nach  persönlichen  Mitteilungen  von  P.  Raph.    Molitor. 

■-)  Unsere  Angaben  bezüglich  der  musikalischen  Tätigkeit  Gregors 
•des  Großen  fußen  auf  der  Lebensbeschreibung  dieses  Papstes  von 
•dem  Beuediktinerraönche  Johannes  Diaconus  (um  882.  Sie 
wurden  seit  1000  Jahren  für  wahr  gehalten  und  linden  sich  daher  in 
allen  Handbüchern  der  Musikgeschichte.  Neuerdings  hat  der  berühmte 
Direktor  des  Konservatoriums  zu  Brüssel,  F r.  Aug.  G e v a e r t , 
in  einer  Broschüre  („Der  Ursprung  des  Römischen  Kirchengesanges'', 
deutsch  von  Dr.  Hugo  Riemann,  Breitkopf  &  Härtel,  1891)  die  Sache 
bestritten.     Er   hält   den  Johannes   Diaconus   für   unzuverlässig, 


Giegop  dei'-'Große.  47 

Er  wai-  (geb.  540i  der  Sobn  einer  reichen  Senatorenfamlie  in  Gregor  i. 
Rom  und  bekleidete  bereits  das  Amt  eines  Prätors,  als  er  plötzlich 
mit  der  Welt  brach,  seine  Güter  verkaufte,  den  Erlös  unter  die 
Armen  verteilte  und  sich  in  ein  Kloster  zurückzog,  wo  er  dem 
Studium  oblag.  Auch  seine  spätere  Stellung  als  päpstlicher  Legat 
bei  dem  Kaiser  zu  Konstantinopel  zog  ihn  nicht  von  diesen  Be- 
schäftigungen ab.  Zurückgekehrt,  ging  er  als  Missionar  nach  dem 
heidnischen  England  ab.  Allein  das  römische  Volk,  dessen  LiebUng 
Gregor  war,  nötigte  den  Papst,  ihn  wieder  zurückzurufen.  Im  Jahre 
590  wurde  Gregor  von  den  Priestern  und  dem  Volke  einstimmig  zum 
Papste  gewählt. 

Was  die.:;er  Riesengeist  für  die  Kirche  gewirkt,  gehört 
nicht  zum  geringsten  Teile  dem  lituvgiseh-musikaliseheTi  Ge- 
biete an.  Er  Tinterwarf  die  römische  Liturgie  einer  Neu- 
ordnung,') die  im  wesentlichen  heute  noch  besteht.  Daran 
knüpfte  sich  naturgemäß  eine  durchgreifende  Revision  der 
liturgischen  Gesänge.  Zu  diesem  Zwecke  sammelte 
und  verbesserte  er  das  Vorhandene  und  mehrte  es  wohl 
durch  neue  Arbeiten.  •    ■'.  "  '^     ' 

Dies   gesammelte  Material    trug   >r    in   'fein  Buch,   A  n  t  i  -  Antiphonar. 


weil  ihm  mehrere  Irrtümer,  die  allerdings  nicht  die  strittige  Frage 
betreffen,  nachzuweisen  sind,  und  meint,  daß  der  Abschluß  des  Kirchen- 
gesanges nicht  durch  (Jregor  1  ,  sondern  erst  um  700  unter  besonderer 
Mitwirkung  syrischer,  von  den  Mohammedanern  vertriebener  Mönche, 
etwa  unter  Papst  Gregor  III.  stattgefunden  habe. 

Gegenüber  den  von  Gevaert  ins  Treffen  geführten  Tatsachen 
(vgl.  deren  Aufzählung  in  der  ^■origen  Auflage  dieses  Buches)  führt 
der  Benediktiner  D.  H  Morin  0.  S.  B.  den  Traditionsbeweis  in  ebenso 
ruhiger  als  gründlicher  Weise  in  seiner  Schrift:  „Der  Ursprung  des 
gregorianischen  Gesanges.  Eine  Antwort  auf  Gervaerts  Abhandlung'*. 
Paderborn,  1)^92.  —  W.  Brambach :  „Gregorianisch.  Bibliographische 
Lösung  der  Streitfrage  über  den  Ursprung  des  gregorianischen  Ge- 
sanges." Leipzig  1895.  Ferner  den  S.  43,  Anm.  2  zitierten  Essay 
von  Gastoue,  „L'art  Gregorien.     Ses  origines  premieres"  (19rK3). 

Uebrigens  hatte  im  Jahre  172H  Georg  von  Eckhard  schon 
Papst  Gregor  II.  als  Schöpfer  des  Kirchengesanges  hingestellt.  Die 
neueren  Forschungen  haben  sich  jedoch  alle  für  Gregor  I.  entschieden, 
zumal  für  ihn  nicht  nur  die  gesamte  mittelalterliche  Traditon,  sondern 
auch  sehr  alte  positive  Zeugnisse  aus  England,  wohin  Gregor 
seine  Mönche  mit  einem  Meß-  und  Gesangbuch  entsendet  hatte,  und 
Italien  einstimmig  eintreten.  Gevaerts  Ansicht  muß  darum  als  ver- 
altet gelten.  Vgl.  P.  Johner,  „Neue  Schule  des  gregorianischen 
Chorals'-,  G.  Gietmann,  ,, Die  Wahrheit  in  der  Gregorianischen  Frage'", 
1904,  und  ,.St.  Gregory  and  the  Gregoriari  Music"  by  E.  G.  P.  Wyatt. 
1904,  London.  -      ■ 

')  Vergl.  hier  noch  Cap.  X.  • 


48 


II.  Mittelalter. 


!Neuinen. 


plionarium,  zusammen  und  legte  es,  wie  die  Legende  er- 
zählt, an  einer  Kette  befestigt  am  Altare  des  heil.  Petrus 
nieder,  damit  es  als  Norm  für  alle  Zeiten  dienen  sollte. 
Welchen  Wert  Gregor  I.  auf  den  Gesang  legte,  geht  aus  zwei 
Tatsachen  hervor :  er  gründete  eine  Sänger  schule,  über- 
wies ihr  reiche  Einkünfte  und  unterrichtete  darin  selbst, 
oft  vom  Krankenbette  aus.  Einem  gewissen  Johannes  versagte  er  die 
Priesterweihe,  weil  er  des  Gesanges  nicht  mächtig  war. 

Ob  Gregor  die  Töne  mit  Buchstaben  benannte,  ist  uner- 
wiesen; er  schrieb  sie  höchst  wahrscheinlich  mit  Neumen:  das 
sind  Punkte,  Häkchen,  Striche  und  ähnliche  Figuren,  die  bald 
einzelne  Töne,  bald  ganze  Tongruppen  bezeichneten  und  etwa 
unserer  stenographischen  Schrift  ähneln,  i) 

Da  die  Sänger  damals  die  Gesänge  auswendig  lernten,  so  dienten 
jene  Neumen  nur  dazu,  dem  Gedächtnisse  einen  Anhalt  zu  geben,  in- 
dem sie  andeuteten,  ob  die  Figur  auf-  oder  abwärts  gehen  solle  usw. 

Ueber  die  Neumen  sind  seit  etwa  1850  eingehende  Studien  be- 
trieben worden  (von  Fetis,  Nisard,  Raillard,  Larabillotte,  Henners- 
dorf,  Schlecht,  Pothier,  Mocquereau,  Wagner,  Fleischer,  Houdard). 
Fast  allgemein  ist  man  mit  Coussemaker  der  Ansicht,  daß  sie  aus 
den  lateinischen  Akzenten  abgeleitete  Zeichen  sind.  Sie  waren  bis  in 
das  16.  Jahrhundert  in  Gebrauch,  in  manchen  Handschriften  sogar 
ohne  Linien,  selbst  nachdem  diese  längst  ausgebildet  waren  Früh 
schon  schrieb  man  in  manchen  Gegenden  die  sog.  Punktneumen, 
d.  h.  einfache  Punkte,  die  neben-,  nach  und  übereinander  zu  stehen 
kamen.  In  Deutschland  gestalteten  sich  die  ursprünglichen  Akzent- 
neumen  zur  gotischen  Choralnotenschrift,  Hufnagel- 
Hotnagel-  schrift  genannt,  um.  Das  (*  ist  eines  ihrer  Hauptzeichen.  Dem- 
gegenüber steht  die  quadratische  Gestalt  der  italienischen  (römischen) 
Choralnote  ■  (uota  quadrata,  vgl.  Anhang,  Beilage  4). 

Besondere  Aufmerksamkeit  erheischen  die  sog.  Kirchen- 
töne. Nach  Ansicht  späterer  Autoren  fügte  Gregor  den  vier 
bisherigen  Tonarten,  die  man  die  authentischen  (ursprüng- 
lichen) nannte,    vier  plagale  (Seitentöne)  hinzu.      Diese  An- 


schrift. 


Kirchen 
töne. 


^)  Vergl.  Anhang,  Zeil.  3  und  4.  In  Faksunile  findet  mau  diese 
Zeichen  vortrefflich  dargestellt  in:  „Die  Sängerschule  St.  Gallens" 
von  A.  Schubiger.  Einsiedeln,  1858.  Daselbst  und  bei  Ambros  (II.  Bd. 
der  Musikgeschichte)  findet  man  ferner  die  Namen  dieser  Zeichen 
genau  angegeben  und  durch  Uebertragung  in  unsere  heutige  Noten- 
schrift verdeutlicht.  Des  Raumes  wegen  mußte  hier  Abstand  davon 
genommen  werden.  Das  Wort  „Neuma"  stammt  aus  dem  Griechischen 
und  bedeutet  soviel  als  Wink  (Zeichen). 

Ausführliches  bei  Pothier,  Melodies  gregoriennes,  deutsch  von 
Kienle;  in  Peter  Wagners,  Neumenkimde,  und  am  besten  in  der 
Paleographie  musicale  (s.  u.\ 


Neumen.    Kirchentöne.  49 


nähme  ist  jedoch  gänzlich  haltlos.  Möglicherweise  gehört  die 
theoretische  Aufstellung  und  Unterscheidung  der  acht  Kirchen- 
tonarten einer  späteren  Periode  an,  doch  besaß  das  Antiphonar 
Gregors  unzweifelhaft  Melodien  aller  acht  Tonarten.  Die 
Grundtonarten  nun  bezeichnet  die  Theorie  als  authentische, 
die  Nebentonarten  als  plagale.  Diese  wurden  dadurch  ge- 
bildet, daß  man  die  vorhandenen  Tonleitern  in  eine  Quinte 
und  Quarte  zerlegte  und  letztere  unter  dem  Grundtone  bei- 
fügte, so  daß  sich  also  die  plagale  Tonleiter  vom  Grundtone 
aus  nach  oben  bis  zur  Quinte,  nach  unten  bis  zur  Quarte 
bewegte. 

Ein  Beispiel :  Die  authentische  Tonart  auf  D  zerlegte  mau  in  die 
(Ininie  D  E  F  G  A  und  in  die  Quarte -rl  i/ (^'i>.  Diese  fügte  man  unter 
dem  Grundtone  fJ  an,  so  daß  also  Gesänge  in  dieser  plagalen  Tonart 
von  A — a  sich  bewegten. 

Zur  Charakterisierung  der  beiden  Tonarten  diene  folgendes. 
Der  Grund-  und  Schluüton  bildet  gleichsam  den  Schwerpunkt,  dem 
alle  übrigen  Töne  zustreben,  auf  den  sich  alle  beziehen.  Da  nun  die 
authentische  und  die  plagale  Tonart  denselben  Finalton  haben,  ergibt 
sich  naturgemäß,  daß  beide  miteinander  verwandt  sind.  Beachtet 
mau  ferner,  daß  die  authentische  Tonart  vom  Grundton  bis  zu  dessen 
Oktave  steigt,  während  die  plagale  sich  um  den  Grundton  als  wie  um 
eine  Achse  nach  oben  und  unten  bewegt,  ergibt  sich  ebenso  folge- 
richtig, daß  jene  etwas  Festes  und  Bestimmtes,  diese  dagegen  etwas 
Bewegliches  als  eigentümliches  Unterscheidungsmerkmal  an   sich   hat. 

Im  Grunde  waren  diese  plagalen  Tonarten  schon  zur  Zeit 
des  hl.  Ambrosius  vorhanden,  nur  wurden  sie,  wie  oben  bemerkt, 
nicht  gezählt.  Das  tat  erst  Gregor.  Notker  (vgl.  unt.)  erwähnt 
nämlich  in  „De  octo  tonis''  (Gerbert,  .Scriptores  I,  97),  daß  bei  Am- 
brosius jede  Skala  oben  bis  zur  None,  unten  aber  bis  zur  Quinte 
sich  erstreckte,  also  den  Umfang  einer  authentischen  und  plagalen 
Skala  noch  überstieg. 

Durch  Hinzufügung  der  4  Seitentöne  ergaben  sich  nun 
folgende  8  Tonreihen  oder  K  i  r  c  h  e  n  t  ö  n  e  (Modi): 

D  E~F  G  A  iTc  D  Tonus  I.         (dorisch)') 

A  H  C  D  E  F  G  A  Tonus  II.       (hypo-dorisch) 

E~F  G  A  iTc  D  E  Tonus  III.      (phrygischj 


^)  Diese  Bezeichnungen  wurden  erst  später  von  Notker  (830  bis 
912)  und  Hucbald  ff  um  840)  gebraucht,  stimmen  aber  bezüglich  der 
Reihenfolge  mit  den  griechischen  wie  ersichtlich  nicht  überein.  Vgl. 
S.  28.  Auch  die  ältere  byzantinische  Kirche  unterschied  acht  Kirchen- 
tonarten, wenngleich  in  anderer  Reihenfolge  (von  oben  nach  unten 
zählend,  G — g'  umfassend). 

Kothe-Prochiizka,  Abriß  (1.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.  4 


50 


II.  Mittelalter. 


Charakte- 
ristik. 


H  C  D  E  F  G  A  H 

F  G  A  H  C  D  E~F 
CDEFGAHC 

G  A  H^  D  E  F  G 
D  e"f  G  A  H  C  D 


Tonus  IV. 
Tonus  V. 
Tonus  VI. 
Tonus  VII. 


(hypo-phrygisch) 
(lydisch) 
(hypo-lydisch) 
(mixolydisch) 


Tonus  VIII.  (hypo-mixolydisch). 


Es  waren  somit  die   1.,   3.,  5.   und  7.  Tonart  authentisch, 

die    2.,    4.,    6.    und    8.    plagal.  Die    beiden    ersten    Tonarten 

hatten  als  Grundton   D,    die    3.  und    4.   E,    die    5.   und  6    F 
und  die  7.  und  8.    6r. 

Aelinlich  wie  seinerzeit  bei  den  griechischen  Tonarten  tinden  wir 
auch  hier  ein  Bestreben,  die  einzelnen  Kirchentöne  zu  charakterisieren. 
So  suchte  u.  a.  der  gelehrte  Mönch  Adam  von  Fulda,  dem  wir 
später  noch  begegnen,  und  nach  ihm  Kardinal  Bona  die  Eigen- 
schaften der  acht  Kirchentonarten  zu  erklären:  es  galten  der  1.  Ton 
als  ernst,  Avürdevoll,  der  2.  dumpf,  klagend,  der  o.  voll  Effekt  und 
Festigkeit,  der  4.  ruhig,  fromm-klagend,  der  5.  Jubelnd,  der  6.  voll 
Andacht  und  Trauer,  der  7.  erhaben,  der  8.  ernst,  erzählend. 

Adam  v.  Fulda  charakterisiert  die  einzelnen  Toni  in  dem  Verse 
(nach  Uebersetzung  aus  dem  Lateinischen): 

„Jeglichem  gilt  der  erste,  nur  Traurigen  diene  der  zweite. 
Heftig  wirke  der  dritte,  einnehmend,  erhebend  der  vierte. 
Fröhlichen  biete  den  fünften,  den  sechsten  in  Sanfmut  Bewähi-ten, 
Laß  den  siebten  der  Jugend,  den  letzten  aber  —  den  Weisen."  ^) 

Daraus  mögen  denn  auch  Beziehungen  zwischen  Inhalt  und 
Tonart  einzelner  Choräle  und  Kirchenlieder  resultieren. 

Hier  seien  einige  von  Max  Springer  ausgewählte  Choralsätze 
und  Kirchenlieder  angeführt,  die  die  Eigenart  und  charakteristischen 
Melodiegänge  der  einzelnen  Kirchentonarten  in  besonderer  "Weise 
erkennen  lassen  und  fast  in  allen  Gesangbüchern  zu  finden  sind : 

I.  Ton:  1.  „Veni  sancte  spiritus",  eine  allgemein  bekannte Pfingst- 
sequenz  (Codex  v.  St.  Gallen),  13.  Jahrhundert.  2.  „Christ  ist  er- 
standen", eines  der  schönsten  und  ältesten  deutschen  Kirchenlieder, 
in  ganz  Deutschland  verbreitet,  12.  Jahrhundert.  —  II.  Ton: 
1.  Introitus  „Terribilis  est",  gregorianische  Melodie,  Solesmenser 
Graduale  S.  69.  2.  „Der  Heiden  Heiland  komm  herzu."  Mainzer 
Kantual  1627. —  III.  Ton:  1.  „Pangue  lingua",  Hymnus  von  Thomas 
V.  Aquin,  Melodie  vermutlich  aus  dem  13.  Jahrhundert.  2.  „Aus 
hartem  Weh  die  Menschheit  klagt."  16.  Jahrhund.  —  IV.  Ton: 
1.  „Media  vita  in  morte  sumus."  Eines  der  berühmtesten  lateinischen 
Lieder  von  Notker  Balbulus  gegen  Ende   des  9.  Jahrhunderts   (vgl. 


M  Vgl.  U.  L.  Kirnbergers  Lehr-   und  Uebungsbuch  des  Gregor. 

r'horalgesanges.  Freising,  1878. 


fACULTY  OF  NIUSIC 
UNIVERSITY  OF  TORONTO 


Kirchentöne.  5 1 


Abschnitt  4)  gedichtet  und  komponiert.  Schlachten-  und  Bußlied. 
2.  „0  Haupt  voll  Blut  und  Wunden."  Eine  der  ergi-eifendsten,  innigsten 
Melodien  aus  dem  12.  Jahrhundert.  Joh.  Seb.  Bach  bringt  das  Lied 
in  mannigfacher  Wiederholung  und  wundervoller  Hannonisierung  in 
der  Matthäuspassion.  —  V.  T  o  n  :  (Rein  lydische  deutsche  Kirchen- 
lieder bestehen  nicht :  selten  sind  auch  rein  hypolydische  lateinische 
Gesänge.  Der  Ton  h  ist  entweder  vermieden  oder  in  b  alteriert.; 
1.  „Herr  Jesus  Christ,  Marias  Sohn."  Aus  dem  „Seraph.  Lustgarten" 
16."»5.    2.  Introitus  „Loquebar",  Gregor.  Melodie.    Solesm.  Grad.  S.  49. 

—  VLTon:  1.  „Recpiiera  aeternam."  Introitus  aus  der  Totenmesse. 
Solesm.  Grad.  S.  130.    2.  „Nun  bitten  wir  den  heil.  Geist."    16.  Jahrh. 

—  VH.  Ton:  1.  „Asperges  rae."  Greg.  Melodie.  Solesm.  Grad. 
S.  1.  2.  „Kreu  dich  du  ganze  Chi-istenheit."  15.  Jahrh.  —  VIIL 
Ton:  1.  „Veni  creator  spiritus."  Hymnus  a.  d.  7.  Jahrh.  2.  „Gelobet 
seist  d«,  Jesus  Christ."  14.  Jahrh.  —  Beispiele  für  den  Tonus 
mixtus:  1.  und  II.  Ton:  „Victimac  paschali  laudes",  Ostersequenz. 
in.  — 11.  Jahrh..  von  großer  Bedeutung  tür  den  deutschen  Volksgesang 
wie    für    die    kirchendramatischen    Spiele.     Solesm.  Grad.   S.  217.    — 

—  HI.  und  IV.  Ton:  „Te  Deum  laudamus."  Eine  der  ältesten  Choral- 
nielodien.  Solesm.  (irad.  GU.  —  VIT.  und  VIII.  Ton:  „Lauda  Sion 
salvatorem."  Fronleichnamssequenz.  Komponiert  von  Adam  v.  St. 
Victor.     12.  Jahrh.     Solesm.  Grad    2S,S. 

Zu  diesen  acht  Kirchentönen  traten  später  noch  die 
authentischen  und  plagalen  auf  A  und  C : 

A  H  C  D  E  F  G  A  Tonus  IX.    (äolisch) 

E  F  G  A  H  C  D  E  Tonus  X.     (hypo-äolisch) 

C  D  E  F  G  A  H  C  Tonus  XI.    (ionisch) 
GAHCDEFG  Tonus  XII.  (hypo-ionisch). 

Diese  Kirchentöne  wurden  bei  dem  Choräle  nicht  allgemein 
gezählt:  alter  angewendet,  indem  man  die  äolische  Tonart  auf  L> 
und  die  ionische  Tonart  auf  F  transponierte.  Hierbei  benützte  man 
ein  wesentliches  b,  um  die  Lage  der  halben  Töne  zu  regeln.  Die 
transponierte  äolische  Tonart  lautete  demnach: 

D  e'f  G  a"b  C  D. 

Diese  beiden  Tonarten  sind  bedeutsam  für  die 
ni  0  d  e  r  n  e  ]SI  u  s  i  k  :  sie  entsprechen  u  n  s  e  r  e  n  m  o  d  e  r  n  e  n 
Dur  und  Moll. 

Manche  nehmen  vierzehn  Kircheutöne  an,  indem  sie  die  beiden 
Keihen  auf  H  mitzählen.  Die  meisten  Theoretiker  sehen  jedoch  davon 
ab,  weil  der  Ton  über  A  veränderlich  war. 

Um  Mißverständnissen  vorzubeugen,  sei  hier  ausdrücklich  be- 
merkt, daß  man  früher  unser  heutiges  H  nicht  H,  sondern  B  nannte, 
■weil  man  für  die  tiefste  Tonleiter,  die  hypodorische  {A—a),  die  ersten 
sieben  Buchstaben  des  Alphabets  benutzte.  Der  über  A  liegende  Ton 
wurde  aber  bald  als  Ganzton,   bald   als  Halbton  gebraucht  und  dann 


52  II-  Mittelalter. 


mit  B  quadratum  (j—i  durum,  durch  flüchtiges  Schreiben  später  zu 
j;,  ö  geworden)  oder  mit  B  rotundum  [V  moUe)  bezeichnet.  [Zuerst 
bei  dem  Musikschriftsteller  0  d  o  v.  C 1  u  g  n  y  (f  942,  Abt),  bei  dem 
auch  zuerst  das  Igriechische  F  i^Gamma,  unser  G)  als  Bezeich- 
nung für  das  große  6',  den  tiefsten  Ton  des  Kirchenton- 
systems  (unter  Ä) ,  erscheint,  um  den  das  griechische  System 
bereichert  wurde.  Da  dieser  Ton  bis  nach  1400  die  unterste  Grenze 
der  Skala  blieb,  wurde  diese  (bis  e")  nach  ihm  benannt.  Die  Fran- 
zosen nennen  daher  auch  heute  die  Tonleiter  gamme.]  Späterer  Zeit 
ließ  man  diese  Bezeichnung  fallen,  nannte  den  Halbton  B,  und  wählte 
für  den  Ganzton  den  8.  Buchstaben  des  Alphabets,  also  i/.')  Wir 
glauben  aber  in  umstehender  Tonreihe  unsere  heutige  Bezeichnung 
anwenden  zu  müssen,  um  weniger  eingeweihten  Lesern  die  Sache  klar 
zu  machen. 

Nur  die  Theorie  bediente  sich  der  Buchstabentonschrift. 
Die  Praxis  hingegen  hielt  sich  beim  Kirchengesange  an  die  N  e  u  m  e  n- 
notierung. 

Unsere  heutigen  Tonarten  (Dur  und  Moll)  erkennen  wir 
bald  an  der  Vor  Zeichnung,  am  Anfangs-  und  Schluß- 
akkorde,  wie  an  dem  ganzen  Fortschritte  der  Melodie. 
Woran  aber  soll  man  die  alten  Tonarten  erkennen  ?  Da  gibt 
es  in  der  Regel  keine  Vorzeichnung,  der  Schlußton  überdies 
kann  zwei  Tonarten  angehören  und  ist  zuweilen  sogar  unregel- 
Er-  mäßig.  Als  Erkennungszeichen  dienen  hier : 
\Sef.*'  1-    Der  Final-    oder  Schluß  ton.      Er    ist,    wie  bereits 

erwähnt,  bei  der  1.  und  2.  Tonart  D,  bei  der  3.  und  4.  E, 
bei  der  5.  und  6.  F^  bei  der  7.  und  8.  (r.  —  Einen  un- 
regelmäßigen Schluß  auf  der  Quinte  der  Tonart  nennt  man 
Conf  i  nal-Ton. 

2.   Die  Lage  der  halben  Töne  im  Verhältnis  zum  Schlußton. 
Dominante.  3.   Die  Dominante  oder  der  herrschende  Ton.      Das  ist 

jener  Ton,  der  am  häufigsten  gebraucht  wird,  um  den  sich 
die  übrigen  Töne  gruppieren  und  über  dem  der  Text  des 
Psalmengesanges  rezitiert  wird.  Als  Regel  gilt,  daß  bei  den 
authentischen  Tonarten  die  Quinte,  bei  plagalen  aber  die  Terz 
unter  der  gedachten  Quinte  die  Dominante  bildet.  Da  jedoch 
das  B  bald  als  i-quadratum  (A),  bald  als  i-rotundum  if)  ge- 
braucht wurde,  also  veränderlich  war,  so  nahm  man  statt 
seiner    die   höhere  Stufe   C,    und    die  Dominante    der    plagalen 


')  Das  ist  gewiß  etwas  inkonsequent,  und  darum  der  Vorschlag 
Ferd.  Hillers:  den  Ganzton  B  und  den  Halbton  Bes  zu  nennen,  be- 
achtenswert. 


Kirchentöne.  53 


Tonart  richtete  sich  danach;  sie  war  also  z.  B.  in  der  4.  Ton- 
art nicht  o,  sondern  a.  Die  Dominanten  der  8  Kirchenton- 
arten sind  demnach  :  I.  Ton,  Dominante  A ;  II.  Ton,  Dom.  F\ 
III.  Ton,  Dom.  C;  lY.  Ton,  Dom.  A;  Y.  Ton,  Dom.  C; 
VI.  Ton,  Dom.   A,  YII.   Ton,  Dom.  D,  YIII.  Ton,  Dom.    C. 

Unter  gemeinschaftlicher  Dominante  versteht  man 
einen  Ton  (meist  a  oder  6),  auf  den,  weil  er  sowohl  vom  Baß 
als  vom  Tenor  bequem  gesungen  werden  kann,  bei  Ausführung 
der  Gesänge  alle  Dominanten  transponiert  werden  können. 
Nimmt  man  als  Dominante  z.  B.  a.  dann  bleibt  die  1.  Tonart 
unverändert,  weil  die  Dominante  ohnehin  a  ist:  die  2.  Tonart, 
deren  Dominante  /  ist,  wurde  um  eine  große  Terz  höher  an- 
gestimmt:  in  gleicher  Weise  wurde  die  3.,  5.  und  8.  Tonart 
um  eine  kleine  Terz,  die  7.  Tonart  um  eine  Quarte  tiefer 
transponiert,  weil  die  Dominante  im  ersten  Falle  c,  im  zweiten 
Falle  (/  ist. 

4.  DerAmbitus  oder  Umfang.     Reichte  die  Melodie  vom    Amintiw. 
Grundton   bi.'^  zu  dessen  Oktave,  nannte  man  den  Ton  „perfekt'' 
(vollständig);    erreichte    sie    die    Oktave    nicht,    hieß    sie    ,im- 
perfekt"   (unvollständig) ;   überstieg  sie  die  Oktave  nach  unten 

oder  oben  um  einen  Ton,  erhielt  sie  die  Bezeichnung  „ Plus- 
quamperfekt *■  (übervollständig).  Zuweilen,  beispielsweise  im 
„Dies  irae",  ist  die  authentische  Tonart  mit  der  plagalen  ver- 
bunden, d.  h.  die  Melodie  reicht  von  D — d  und  unter  D  abwärts 
bis  A\  man  bezeichnete  das  mit  „tonus  mixtus"  (gemischter 
Ton;  s.  S.  51).  Es  ist  [leicht  einzusehen,  dass  durch  den 
Umfang  der  Melodie,  durch  die  Dominante  und  den  Schlußton 
die  Tonart  eines  Tonstückes  bestimmt  werden  kann.  Da  jedoch  der 
Bau  der  Melodie  zuweilen  unregelmäßig  ist,  hat  man  endlich  auch 

5.  stereotype  Tonverbindungen,  Reperkussionen  _Reper- 
(Wiederschläge)  genannt,  zu  beachten.  Sie  bestehen  vorzugs- 
weise aus  gewissen  Verbindungen  des  Grundtons  mit  der 
Dominante  des  Haupt-  und  Seitentons;  in  der  1.  Tonart  also 
aus  der  Verbindung  von  d — fl,  d — /';  in  der  2.  Tonart  von 
d — f  und  d — a  usw. 

Versuchen  wir,  die  Tunart  der  beiden  folgenden  Choralmelodien, 
die  wir  zuerst  in  der  charakteristischen  Choralnotenschrift 
wiedergeben,  zu  bestimmen. 


kussion. 


54 

II.  Mittelalter. 

c 

1.  Solesmenser  Antiphonalt  S.  370. 

■                  ■■■■"''"      '"■■■*' 

_5  _  _    -        '                                  ■ 

C- 

-    -  -    r« 

Glö  -  ri  -  a      ti  -  bi  Tri  -  ni-tas  aequälis,            u  -  na    De  -  i  -  tas 

^1 1 

b      1      ■                                                                                              1 

"'""     ~    '"■"     -    i    ,_■"■___     _■_ 

et    an   -   te  öm  -ni  -  a  säe  -  cu  -  la,    et  nunc  et    in  per-pe-tu-um. 


2.   Aus  der  Messe  IV  {Cunctipotens  Genitor  Deus).     Kyriale  der  neu 

erschienenen  Editio  Vaticana. 

c_. —X-M^-^ 


*^ 5~i 


San  -   -   -  ctus,        san  -  ctus,      san  -  -  ctus       Dö  -  mi  -  nus 


i=^^^il 


De  -  US  Sä  -  ba  -  oth. 


-~~  i  ■■  J ^^s ^^^— I 1- 


D6  -  i  -  tas        et      an 


te    öm  -  ni  -  a     säe  -  cu  -  la, 


+-ä — I — 


i:^=^ 


^— *-^*-i^V-^- 


J — \ N S — 


et      nunc    et      in     per   -    pe  -  tu  -  um. 


Kirchentöne.  55 


San        -        -      ctus  San     -        -        ctns  San        -        -       ctus 


t +—^m +- 


■•--'—•—* 

Dö  -  mi  -  niis  Dens       Sä       -      ba  -  oth. 

Die  erste  Melodie  hat  zum  l'inaltone  L>,  gehört  also  zur  ersten 
oder  zweiten  Tonart.  Sie  bewegt  sich  vom  unteren  IJ  bis  zum  oberen 
D,  während  unter  D  sich  nur  der  Ton  C  vorfindet.  Es  ist  mithin 
der  übervüllständige  Ambitus  der  ersten  oder  dorischen  Tonart.  Zu 
gleichem  Resultate  gelangen  wir,  wenn  die  Dominante  in  Betiacht 
gezogen  wird.  Der  Ton,  der  am  häutigsten  vorkommt,  um  den  sich 
die  anderen  Töne  gruppieren,  ist  A,  also  die  Dominante  der  ersten 
Tonart. 

Die  zweite  Melodie  hat  (•  zimi  Finaltone,  gehört  also  der  7. 
oder  8.  Tonart  an.  Sie  bewegt  sich  nach  oben  von  U—D,  nach 
unten  ebenfalls  von  G—D\  es  ist  also  der  perfekte  Ambitus  der 
plagalen  8.  oder  der  hypo-mi.\olydischen  Tonart.  C  ist  offenbar  der 
am  häufigsten  vorkommende  Ton,  also  die  Dominante,  welche  dem 
s.  Tone  eignet.  Ebenso  spricht  für  den  S.  Ton  die  Tonverbindung 
(Reperkussion)  G—C  am  Anfange  der  Melodie. 

In  der  byzantinischen  Notenschrift  galten  als  Erkenn- 
ungszeichen für  die  Tonart  eines  Kirchengesanges  die  sog.  .Martyrien, 
die  den  Tonbuchstaben  beigefügt  wurden :  A  ^=:  dorisch,  /.  =  lydisch 
usw.  (vgl.  Riemann,  ,,Die  Martyriai  der  byzantinischen  litiirgischen 
Notation"  im  Sitzungsber.  der  Münch.  Akad.  d.  Wiss.  181S2,  II.  1). 

Man  unterscheidet  bei  den  liturgischen  Gesängen  zwei 
Gattungen:  Accentus  und  Concentus.  Zum  Accentus  ^c^ent^ig^ 
rechnet  man  den  Epistel-,  Evangelien-  und  Kapitelton.  das 
Pater  noster,  die  Präfation  und  die  Psalmtöne.  Das  Charakte- 
ristische des  Accentus  ist,  daß  seine  Gesängo  sich  auf  wenige 
Töne  beschränken,  meist  auf  einem  Ton  rezitiert  werden  und 
nur  am  Schlüsse  oder  bei  den  Interpunktionszeichen  eine 
kleine  Beugung  der  Melodie  haben.  Der  Concentus  begreift 
alle  Gesänge  in  sich,  die  einen  größeren  Stimmumfang  und  eine 
reich  entwickelte  Melodie  haben.  Hierher  gehören  die  Hymnen  ( Lob- 
gesänge schlichterer  Faktur)  und  die  ihnen  verwandten  Sequenzen 


Concentus. 


^)  In  die  moderne  Notation  übertragen   und  mit   rhythmischen 
Vortragszeichen  versehen  von  Max  Springer. 


5|6  II.  Mittelalter. 


(s.  darüber  Cap.  X),  das  Hallelujah  (der  aus  dem  hebräischen  Tempel- 
gesang herübergenommene,  die  Lobpsalmen  beschließende  Jubelruf, 
bedeutend  „Lobet  den  Hen-n")  mit  seinen  Jubilationen  (langen 
melodischen  Tonreihen)  auf  der  Schlußsilbe.  Diese  Jubilationen,  so  am 
Schlüsse  des  Hallelujah  bei  dem  Graduale  und  bei  dem  Deo  gratias 
nannte  man  auch  „Neumen",  welcher  Ausdruck  wohl  zu  unterscheiden 
ist  von  dem  gleichlautenden  bei  der  alten  Notenschrift.  (Dem 
Antiphonar  im  Sinne  der  Sammlung  der  antiphonen  Gesänge 
der  Messe  [lutroitus,  Offertorium,  Communio]  stand,  nebenbei  bemerkt, 
das  Graduale  oder  Responsoriale  gegenüber,  die  solistischen  Re- 
sponsorialgesänge,  Hallelujah  und  Traktus  enthaltend.) 

Man    uennt   auch  wohl  den  Priestergesang  Accentus,    den 
Chorgesang  Concentus. 

Diese  Gesänge    führen    noch    verschiedene    andere   Namen. 

örego-  Zunächst  nennt  man  sie  gregorianische  Choräle:  doch 
"ch'!'su^*  begreift  man  darunter  im  weiteren  Sinne  selbst  solche  litur- 
gischen Gesänge,  die  nachweislich  nach  Gregors  Zeitalter  ent- 
standen. Cantus  Romanus  heißen  sie,  weil  die  römischen 
Päpste  und  Sänger  sich  um  ihre  Ausbreitung  verdient  machten 
und  weil  der  gregorianische  Choral  seit  jeher  als  ein  Teil  der 
römischen  Liturgie  angesehen  wurde.  Cantus  firmus  (fester 
Gesang)  wurden  sie  genannt,  als  man  anfing,  sie  kontra- 
punktisch mit  anderen  Stimmen  zu  umwehen ;  etwa  so,  wie  es 
heute    mit   den  deutschen  Melodien  bei  den  Choralfigurationen 

Cantus     für  Orgel  geschieht.     Der  Ausdruck  Cantus  planus,  franz. 

planus,  piain-chant  (ebenmäßiger  Gesang)  schreibt  sich  nach 
R.  Schlecht^)  ebenfalls  aus  jener  Zeit  her,  indem  bei  den 
kontrapunktischen  Arbeiten  der  Choral  jedesmal  in  gleichlangen 
Noten  erscheint.  Dieser  Umstand  hat  zu  dem  Mißverständnisse 
Anlaß  gegeben,  als  wäre  der  gregorianische  Choral  seitdem  in 
gleichlangen  Tönen  vorgetragen  worden.  Das  widerspricht 
jedoch  aller  Tradition  und  der  gegenwärtigen  Praxis.  Er  be- 
steht im  Gegenteil  aus  langen  und  kurzen  Tönen,  indessen 
die  Noten,  abstrakt  als  Zeichen  betrachtet,  unter- 
einander keine  Verschiedenheit  der  Zeitdauer  aufweisen.  Fern 
aller  Monotonie  fußt  der  Rhythmus  des  Choralgesanges  auf 
der  tadellosen  Deklamation  des  lateinischen  Textes.  Dessen 
Metrum  bestimmt  den  Wert .  der  Noten  und  bringt  Leben  und 
Bewegung  in  den  Vortrag. 

Der   gregorianische  Gesang  ist  die  eigentlich 


^^  Geschichte  der  Kirchenmusik.    Regensburg  1871,  Coppenrath. 


Chorals. 


Der  Gregorianische  Choral.  57 

lituigische    Musik    der    katholischen    Kirche.      Für  ^„^'^^"II'!? 

"  ^  des  srrego- 

seinen  Wert  zeugt  schon  der  Umstand,  daß  er  sich  über  tausend  rianischen 
Jahre  erhalten  konnte,  „denn  was  in  dieser  Weise  die  Zeiten 
überdauert,  muß  einen  unvergänglichen  Wert  in  sich  haben",  ^j 
Der  gregorianische  Choral  ist  in  der  Tat  ein  in  sich  abge- 
schlossenf'S  Ganze,  das  dem  Palestrinastile  und  der  modernen 
Musik  ebenbürtig  zur  Seite  steht.-)  Er  wird  auch  nie  seine 
Wirkung  verfehlen,  wenn  man  ihn  mit  richtiger  Sprach - 
und  T  0  n  b  i  1  d  u  n  g  ,  mit  guter  Betonung  und  mit  warmem 
Gefühle,    d.    h.    künstlerisch    vorträgt. 3)      Es    offenbart 


'j  Forkel,  in  seiner  Geschichte. 

2)  P  i  u  8  X.  hat  in  seinem  Aufsehen  erregenden  „Motu  proprio" 
lerflossen  am  Cäcilentage  1903.  s.  die  Uebersetzung  in  der  „Grego- 
rianischen Rundschau"),  betreffend  die  schon  von  seinen  Vorgängern 
und  von  allen  interessierten  Kreisen  erstrebte  notwendige  Kefonn  der 
Kirchenmusik,  nachdrücklich  betont,  daß  der  gregorianische 
Choral  die  einzig  wahre  und  authentische  Musik  der 
katholischen  Kirche  sei,  die  sich  Hand  in  Hand  mit  der  Liturgie 
selbst  entwickelte,  und  die  in  ihrer  ursprünglichen  Reinheit  wieder- 
herzustellen allentliallten  zu  pHegen  ist.  Die  nächste  Bedeutung  für 
die  Liturgie  spricht  der  Papst  dem  Palest rinastil,  dem  polyphonen 
a-capella-Stil  des  Iti.  Jahrhunderts  zu.  Da  die  Kirche  jedoch  immer 
auch  den  Fortschritt  der  Künste  anerkannt  und  gefördert  habe,  wenn 
auch  immer  innerhalb  der  Grenzen  der  I>iturgie,  erklärt  Pius  X. 
auch  jene  Werke  der  modernen  Musik  in  der  Kirche  für 
zulässig,  „die  an  Güte.  Ernst  und  Würde  nichts  ver- 
missen lassen,  und  in  keinem  Stücke  gegen  den  Geist 
der  liturgischen  Feier  verstoßen".  Ausgeschlossen  wird 
nur  die  Musik  theatralischen  und  virtuosen  Stils,  ebenso  jedes  nicht 
in  den  erhabenen  Rahmen  passende  Instrument  i  Klavier,  Trommel, 
Becken,  Glockenspiel).  Auch  das  Heranziehen  von  Frauenstimmen 
bei  der  liturgischen  Musik  ist  verboten.  Dies  vielleicht  der  einzige 
Punkt  jenes  von  hoher  künstlerischer  Einsicht  zeugenden  „motu 
proprio",  über  den  sich  streiten  läßt.  Vgl.  die  treffliche  Abhandlung 
„Das  ,motu  proprio'  Pius  X."  von  Anton  Seydler,  im  Musikbach 
aus  Oesterreich,  1905. 

^)  S.  die  C  h  0  r  a  1  s  c  h  u  1  e  u  von  Dr.  Fr.  Xav.  H  a  b  e  r  1  („Magister 
choralis",  theoret.  prakt.  Anweisung  z.  Verständnis  u.  Vortrag  des 
gi'egor.  Choralgesanges,  12.  Auf! .  vielfach  übersetzt],  Dom  Joseph 
Po t hier  lein  hervorragender  Forscher  auf  diesem  Gebiete,  geb. 
1835,  seit  1898  Abt  des  Benediktinerklosters  St.  Vandrille,  veröffent- 
lichte u.  a.  Les  melodies  Gregoriennes,  Deutsch  [Der  gregor.  Choral] 
von  Kieule.  1881,  und  Methode  du  chant  Gregorien,  1902  ,  P.  Ambro- 
sius  Kienle,  0.  S.  B.  Choralschule  3.  Aufl.  1899 1.  Ferner  vgl.  die 
„Einführung  i.  d.  gi-egorianischen  Melodien"  von  Peter  Wagner 
("geb.  1865,   ordentl.   Professor  f.  Musikgeschichte  u.  Kirchenmusik  a. 


58  n.  Mittelalter. 


sich  dann  in  ihm  eine  Tonsprache,  „in  Avelcher  die  Andacht 
des  Herzens,  die  Macht  des  Glaubens,  die  Tiefe  der  Empfindung 
sich  durch  Töne  ausspricht,  von  der  man  zu  Gregors  Zeiten 
allgemein  glaubte,  der  heilige  Mann  habe  sie  in  einer  höheren 
geistigen  Welt  vernommen,  und  das  Vermögen,  solchen  Gesang 
herzustellen,  sei  ihm  auf  außergewöhnliche  Weise  von  oben 
verliehen". 

Da  der  Choral  vielfach  verkannt,  unterschätzt  und  darum 
vernachlässigt  wird,  mögen  hier  noch  einige  Aussprüche  von 
musikalischen  Autoritäten  folgen  und  —  zum  heilsamen  Choral- 
studium selbst  aneifern.  Es  kann  auch  dem  weltlichen  Musiker 
nicht  dringend  genug  empfohlen  werden  I 

Mozart  äußerte  sich,  er  gäbe  seinen  ganzen  Ruhm  darum, 
wäre  er  der  Komponist  der  Präfation.i)  Jean  Jacques 
Rousseau  sagt:  „Man  muß  durchaus  keinen  Geschmack  be- 
sitzen, will  man  in  den  Kirchen  der  Musik  vor  dem  Choral- 
gesang den  Vorzug  geben."  Halevy  wirft  die  Frage  auf: 
-Wie  können  die  katholischen  Priester,  die  in  dem  gregoriani- 
schen Kirchengesange  die  schönste  religiöse  Melodie  besitzen, 
die  existiert,  in  ihren  Kirchen  die  Armut  der  modernen  Musik 
zulassen  ?" 

Ambros  endlich  bemerkt  (Gesch.  d.  Musik  II,  67): 
..daß  sich  kaum  eine  allen  Anforderungen  besser  entsprechende, 
zweck-  und  sachgemäßere  Singart  für  den  Ritus  denken  läßt. 
Die  Kunstgeschichte  hat  von  ihrem  Standpunkte  aus  bloß  auf 
die  hohe  Würde,  die  großartige  Einfachheit  und  die 
eindringliche     Kraft     hinzuweisen.       Die     innere     Lebenskraft 


d,  Universität  Freibm-g  i.  d.  Schweiz,  woselbst  er  1901  eine  höhere 
Schule  für  wissenschaftl.  u,  praktische  f'horalstudien,  die  „Gregorianische 
Akademie"  gründete),  2  Teile,  Freiburg,  Schweiz,  1904,  19U5. 
P.  Johner,  0.  S.  B.  „Schule  des  gregor.  Choralgesauges'',  Pustet 
1906.  Vgl.  weiter  P.  Birkle,  „Katechismus  d.  gregor.  Chorals",  Graz, 
Styria  1904  und  „D.  gregor.  Ch.  das  Ideal  d.  kathol.  Kirchenmusik", 
ebd.  1905.  Hinsichtlich  der  neueren  Diskussionen  über  den  Rhythmus 
u.  Vortrag  des  g.  Ch.  insbesondere  vgl.  Houdard,  Le  rythme  du 
chant  dit  Gregorien  (1898),  P.  D  e  c  he  v  r  e  n  s ,  Du  rythme  dans  Ihymno- 
graphie  latine  (1895)  und  Etudes  de  science  musicale  I— III,  Paris 
1898  (Kirchenmusikal.  Jahrb.  1899  u.  1900),  endlich  Max  Springer, 
„Die  Kunst  der  Choralbegleitung",  Coppenrath,  Kegeusburg,  1907. 

M  Der  Gebethymnus  vor  dem  Kanon  in  der  Messe.  Mozart, 
wie  Mehul,  Mendelssohn,  Berlioz,  Liszt,  Wider.  Rheinberger,  Dvoiäk 
u.  a.  benutzten  Choralmutive  zu  ihren  grüßten  Werken. 


Die  Sängerschule  zu  St.  Gallen.  59 

dieser  Gesänge  ist  so  groß,  daß  sie  auch  ohne  alle  Harmonisierung 
sich  auf  das  Intensivste  geltend  machen  .  .  .  Die  Musik 
ist  an  der  gewaltigen  Lebenskraft  der  gregoria- 
nischen Gesänge  erstarkt  und  herangebildet." 

Von  hoher  Bedeutung  sind  endlich  die  einschlägigen  Forscher- 
arbeiten des  Dom  Mocquereau  igeb.  1849,  Prior  der  Benediktiner- 
Abtei  Solesmes,  gegenwärtig  nach  Ausweisung  der  Orden  aus  Frank- 
reich 1903  auf  der  Insel  Whight  in  der  von  ihm  1889  ins  Leben  gerufenen 
monumentalen  Publikation  der  Benediktiner  zu  Solesmes: 
Paleographie  muscioale,  die  fortlaufend  phototypierte  Repro- 
duktionen alter  Handschriften  neben  deren  Icbertragung,  von  ein- 
läUlichen  Studien  begleitet,  bringt.  Die  genannte  Benediktinerkougre- 
gation  wurde  von  Papst  Pius  X.  1904  offiziell  mit  der  Xeuredaktion 
der  liturgischen  Gesänge  betraut.  Sie  soll  sich  hierbei  nicht  mehr 
der  ("horalnoten  wie  bisher,  sondern  der  gebräuchlichen  Notenschrift 
bedienen  (K  d  i  z  i  o  n  e  V  a  t  i  c  a  u  a). 

Um  die  wissenschaftliche  ChoraHbrschung  haben  sich  die  Bene- 
diktiner (insbesondere  die  B  e  u  r  u  n  e  )•  M  o  n  c  h  e ,  in  deren  Kirchen 
man  den  gregorianischen  Choral  mustergiltig  ^•ortrageü  hört)  überhaupt 
höchst  verdient  gemacht.  Vgl.  hierzu  das  vorzügliche  Werk  „Die 
Nach-Tridentinische  Choral-Reform  zu  Rom,  ein  Beitrag  zur  Musik- 
geschichte des  Itj.  und  17.  Jahrhunderts",  2  Bde.,  Leipzig  1902, 
Leuckart,  von  P.  Raphael  Molitor  U.  S.  B.  (geb.  187.5,  Prior  der 
Abtei  S.  Josef  i.  Westfalen).  Hierher  gehören  auch  des  Letztgenannten 
„Der  gregor.  Choral  als  Liturgie  u.  Kunst"  und  „Unsere  Lage",  1904  ; 
„Reformchoral",  1901,  Herder,  Freiburg. 

Vgl.  auch  die  Anmerkungen  S.  43,  ferner  die  Essays  „Les 
raisons  historiques  du  Rythme  oratoire"  von  P.  A  u  b  r  y  und 
,, Recherche  et  etude  de  fragments  de  manuscrits  de  plain-chant"  von 
Abbee  Villetard  in  den  oben  cit.  „Memoires"  1900. 


4.   Die  Sängerschule  zu  St.  Gallen.     Guido  von  Arezzo 
und  sein  System. 

Ausbreitung  des  Chorals.     Notation  und  Solmisation. 

Die  Gesänge  Gregors  waren  so  schwierig,  daß  sie  nicht 
vom  Volke,  sondern  nur  von  geschulten  Sängern  aus- 
geführt werden  konnten.  Zur  Heranbildung  solcher  Sänger 
hatte  bereits  Gregor,  wie  wir  wissen,  eine  Gesangschule  zu 
Rom  errichtet.  Die  hier  gebildeten  Sänger  trugen  nun  die 
Musikbildung  nach  Frankreich,  Deutschland  und  Eng- 


60  li-  Mittelalter. 


land,  dahin  durch  Bischöfe  und  Fürsten  berufen.  In  Deutsch- 
land stiftete  namentlich  der  Apostel  der  Deutschen,  Bonifaciiis 
(Winfried  f  755),  an  den  Bischofssitzen,  Abteien  und  Schulen,  wo 
neben  den  Wissenschaften  auch  Gesang  gelehrt  wurde,  so  zu  Fulda, 
später  zu  Eichstätt  und  Würzburg.^;  Die  Berichte  der  römischen 
Sänger  über  die  Fortschritte  der  Deutschen  sind  jedoch  nicht  sehr 
schmeichelhaft.  So  äußert  sich  Johannes  Diaeonus,  der  Biograph 
Gregors,  „ihre  rohen,  wie  Donner  brüllenden  Stimmen  seien  keiner 
sanften  Modulation  fähig,  weil  ihre  an  Trunk  gewöhnten  heiseren 
Kehlen  jene  Biegungen,  die  eine  zarte  Melodie  erfordert,  gar  nicht 
hei'gegeben  hätten,  so  zwar,  daß  ihre  Abscheu  en-egenden  Stimmen 
nur  Töne  hervorbrächten,  die  dem  Gepolter  eines  von  einer  Höhe 
herunterrollenden  Lastwagens  ähnlich  gewesen  seien."  -) 

Einer    der    eifrigsten    Förderer    des    gregorianischen    Ge- 

Kaii  d.  Gr.  sanges  war  Kaiser  Karl  der  Große  (742 — 814).  In  seiner 
Hofschule  wurden  die  Knaben  im  Gesänge  unterrichtet.  Auch 
an  seinem  Hofe  hielt  er  und  leitete  selbst  Gesangübungen. 
In  Metz  und  Soissons  gründete  er  zwei  Hauptgesangschulen 
und  stellte  sie  unter  die  Leitung  römischer  oder  in  Rom  aus- 
gebildeter Sänger;  denn  er  wollte  in  seinem  Reiche  nur  eine 
Liturgie  und  einen  Gesang  haben  In  diesen  Schulen  wurden 
nun  jene  Sänger  ausgebildet,  die  an  den  einzelnen  Kirchen  als 
Gesanglehrer  wirken  sollten.      Ein    von    ihm   berufener  Sänger, 

Romanus.  Romanus,  kam,  wie  eine  ältere  Ueberlieferung  erzählt,  durch 
ein    Fiebar    zurückgehalten,    nur    bis    zum    Benediktinerkloster 

St.  Gallen,  ^t.  Gallen  und  stiftete  hier  eine  Jahrhunderte  hindurch 
berühmte  G  e  s  a  n  g  s  c  h  u  1  e.  Ein  reiches  geistiges  Leben  entfaltete 
sich  darauf  in  jenem  Kloster.  Es  wurde  zu  einer  erstklassigen  Pflege- 
stätte der  Künste  und  Wissenschaften.  Auf  dem  Gebiete  der  Musik 
glänzen  die  Namen  der  Mönche  Notker  Labeo  und  N o t k e r 
Balbulus  (t  912).  Jener  ist  der  Autor  des  ältesten  Traktates  über 
Musik  in  althochdeutscher  Sprache,  diesem  begegnen  wir  später  noch 
als  dem  Schöpfer  einer  neuen  Kunstform:  der  Sequenzen.  In 
diese  Zeit  spielen  die  erstenAnfänge  des  deutschenKirchen- 
liedes  (s.  Kap.  X).  Als  Meister  und  Lehrer  des  Instrumentenspiels 
wird  der  Mönch  T  u  t  i  1  o  genannt.  Die  Sängerschule  aber  war  für 
Deutschland  geradezu  mustergültig.    Ihr  Ruhm  reichte,  wie  Ekkehart  ^) 


^)  Die  Schulen  zerfielen  damals  in  2  Abteilungen,  in  das  Trivium 
(Dreiweg)  und  das  Quadrivium  (Vierweg).  In  der  1.  Abteilung  lehrte 
man  Grammatik,  Rhetorik  und  Dialektik,  in  der  2.  Abteilung:  Musik. 
Arithmetik,  Geometrie  und  Astronomie.    Dazu  kam  noch  die  Theologie. 

-j  Joannes  Diaeonus  in  Vita  St.  Gregorii  lib.  II.  cap.  7.  M.  Gerbert, 
De  cantu  et  musica  sacra.  Typis  San-Blasianis  1774.  t.  I,  p.  27fi 
not.  a. 

^)  Einer  der  Chronisten  des  Klosters,  der  vierte  dieses  Namens. 


Die  Sängerschule  zu  St.  Gallen.  61 

sagt,  „von  Meer  zu  Meer-*.')  Auch  andere  Klöster  zeichneten  sich 
durch  die  Pflege  des  Kirchengesanges  in  ähnlicher  Weise  aus,  so  jene 
zu  Metz,  Fulda,  Reichenau  (^Schweiz).-) 

Die  von  Romanus  nach  St.  Gallen  mitgebrachte  authen- 
tische Antiphonar-Abschrift  befindet  sich  noch  heute  als  seltenes  Antipiionar. 
und  kostbares  Eigentum  in  der  Stiftsbibliothek.  Sie  wurde  18.^1, 
faksimiliert  und  in  die  Choralnotenschrift  übertragen ,  durch  den 
Jesuiten  Lambillotte  zu  Brüssel  verötfentlicht. ^)  Das  näclist- 
älteste  erhaltene  Antiphonar,  das  wie  das  St.  Gallcuer  mit  dem  nicht 
mehr  voi'handenen  Gregors  als  Quelle  in  unmittelbarer  Beziehung 
steht,  ist  das  berühmte  A  n  t  i  j)  h  o  n  a  r  (in  der  Bibliothek  der  medizi- 
nischen Fakuhäti  von  Montpellier,  Ks  ist  mit  Neumen  und 
Buchstaben  (sog.  Notation  Boeticnne,  die  sich  der  Buch- 
staben A  bis  P  bediente  i  geschrieben.  Der  Entdecker  war  1847 
Jean  Louis  Felix  Danjou  Organist  und  Musikschriftsteller,  in  Paris 
1812  geboren,  in  Montpellier  1S66  gest.,  vgl.  Kap.  \',  der  die  Keform 
des  gregorianischen  Kirchengesanges  anlegte. 

Da  die  Noumenschrift,  ganz  abgesehen  von  ungenauen  ^  ^'jf"|'  *'*^* 
Abschriften,  nicht  bestimmt  genug  war,'*)  und  der  Gesang  sich  <;esiiiige8. 
durch  Tradition  fortpflanzte,  waren  verschiedene  Abweichungen 
durch  veränderte  Intervallforfschreitungen,  durch  Zusätze  und 
Weglassungen  unausbleiblich.  Recht  anschaulich  schildert  Cotton 
(Cottonius),  ein  englischer  Musikschriftsteller  um  die  Wende 
des  11.  und  12.  Jahrhunderts,  diese  Verhältnisse,  die  den 
Verfall     des     gregorianischen     Gesanges     bedeuten. 


Seine  Mitteilungen  dienten  Viktor  Scheffel  als  Quelle  für  seinen  be- 
kannten köstlichen  Roman. 

*)  Vgl.  das  erwähnte  treft'liclie  Buch:  „Die  Sängerschulc  St. 
Gallens"  von  A.  Schubiger.  Einsiedeln  1858,  Benziger.  Ferner 
„Die  Pflege  der  Musik,  Dichtkunst  u.  Wissenschaften  in  der  Kloster- 
schule zu  St.  Gallen. "^  Von  Prof.  Dr.  Jos.  N  e  u  w  i  r  t  h :  im  13.  Jahresber. 
üb.  d.  Deutsche  Staatsgymn.  in  Prag-Altstadt  f.  d.  SchulJ.  1884—85. 
Prag  1885,  A.  Ilaase.  Selbstverlag.  Ausgezeichnete  Abhandlung  mit 
wertvollen  Quellennachweisen.  —  Hier  sei  die  nicht  uninteressante 
Nebenbemerkung  gestattet,  daß  der  älteste  uns  erhaltene  Bauriß 
der  für  den  Neubau  des  Klosters  St.  Gallen  um  820  entworfene 
Plan  ist.    Vgl.  Alw.  Schultz,  Kunst  und  Kunstgeschichte    1884),  I.  51. 

2)  W.  Brambach,  Die  Musikliteratur  des  Mittelalters  bis  zur 
Blüte  der  Reichenauer  Sängerschule  (500—1050).     1888. 

^)  Eine  photographische  Reproduktion  enthält  die  Paleographie 
musicale. 

*)  Vgl.  zu  dem  oben  S.  48  über  die  Neumen  Gesagten  aus  der 
erwähnten  Literatur  über  die  Neumenschrift  insbesondere  0.  Fleischers 
Neumenstudium  (Leipzig,  L  1895,  II.  1897)  und  Dr.  Riemauns  Studien 
z.  Gesch.  der  Notenschrift  (Leipzig  1878). 


62  II-  Mittelalter. 


„Daher  geschieht  es,  daß  jeder  diese  Neiimen  nach  seinem  Ermessen 
erhöht  oder  herabsetzt  imd  die  große  Tei'z  und  Quinte  singt, 
wo  du  die  kleine  Terz  und  Quinte  nimmst;  und  daß,  wenn  ein  dritter 
hinzukommt,  er  von  euch  beiden  abweicht.  Wenn  nun  aber  der  eine 
sagt :  So  hat  mich  mein  Meister  Trudo  es  gelehrt,  so  versetzt  der 
andere :  Ich  aber  habe  es  so  von  Meister  Albinus  gelernt,  darauf  der 
dritte:  Gewiß,  Meister  Salomon  singt  es  ganz  anders.  Und  um  dich 
nicht  mit  langen  Umschweifen  aufzuhalten :  selten  k  o  m  m  e  n  d  r  e  i 
in  einem  Gesänge  überein,  viel  weniger  tausend;  weil,  wenn  jeder 
seinen  Lehrer  vorzieht,  ebensoviel  Singweisen  entstehen,  als  es  in  der 
Welt  Lehrer  gibt.i) 

Diese  Mißstände  zu  beseitigen,  erdachte  der  Scharfsinn 
der  Gelehrten  verschiedene  Schreibweisen  (vgL  Anhang,  Beilagen 
Nr.  .3,  4  und  S\  Man  zog  zuerst  über  dem  Texte  neben 
zwei  ungefärbten  zwei  b  u  n  t  g  e  f  ä  r  b  t  e  H  a  u  p  1 1  i  n  i  e  n , 
auf   die    man    die    Töne    J^'   und    C   schrieb    —    der    Ursprung 

Reform-    unseres    F-    und    C-Schlüssels.      Das    genügte    nicht.      Darauf 
bestre-  \ 

billigen,    zogen    andere    sechs,    Hucbald  (s.  unt.)   sogar  acht  Linien  und 

schrieben  die  Silben  des  Textes  auf-  und  absteigend  zwischen 

Linien-     dieselben.      Das    war    wenig    übersichtlich    und   für    die    Augen 

System.  »  c 

ermüdend.  Diesem  Hin-  und  Her  seh  wanken  machte  ein  genialer 
Oiiido  Mann,  Guido  von  Arezzo  (Aretinus),  ein  Ende,  indem  er 
die  Neumen  auf  und  zwischen  ein  Vierliniensystem  schrieb. 
Erst  so  war  es  möglich ,  jede  m  Tone  eine  bestimmte 
Stellung  anzuw^eisen  und  doch  das  Liniensystem  leicht  zu 
überblicken.  Diese  Ertindung  des  noch  jetzt  üblichen  Gebrauches 
der  Noteulinien  erscheint  uns  heute  sehr  einfach ;  dennoch  brauchte 
man  Jahrhunderte,  um  dahin  zu  gelangen.  AVer  erinnert  sich  dabei 
nicht  unwillkürlich  an  das  Ei  des  Columbus?  Vgl.  Anhang,  Beil.  5. 
Auch  die  vorige  Auflage  dieses  Buches  stellte  noch  den  von 
vielen  Musikhistorikern  angezweifelten  Satz  hin:  ,.Man  zog  zuerst 
über  dem  Texte  zwei  meist  buntgefärbte  Linien  ivgl.  dagegen  oben), 
auf  die  man  die  Töne  F  und  C  schrieb."  K.  Walter  (s.  Kap.  Xi 
macht  dazu  in  seiner  Kritik  jener  Buchauflage  in  Haberls  Kirchen- 
musikal.  Jahrbuch  für  1901  folgende  wertvolle  Bemerkungen:  Seit 
P.  Giamb.  Martini  (1706 — 1784)  seine  „Storia  della  musica"  (Bologna, 

^)  M.  Gerbert,  Scriptores  ecclesiastici.  t.  II.  p.  258.  Der  hier 
oft  zitierte  Jlartin  Gerb  er  t  (von  Hornau)  war  1720  geboren,  seit 
1764  Fürstabt  des  Benediktinerklosters  St.  Blasien,  wo  er  179o  starb. 
Seine  auf  reicher  Durchforschung,  namentlich  der  Klosterbibliotheken, 
fußenden  Hauptwerke  De  cantu  et  musica  sacra  a  prima  ecclesiae 
aetate  usque  ad  praesens  tempus  (1774)  und  Scriptores  ecclesiastici 
de  musica  sacra  (1784)  sind,  insbesondei'e  das  zweite  dreibändige 
Quellen  werk  (neuerdings  von  Coussemaker  fortgesetzt\  von  größter 
Bedeutung  für  das  Studium  der  mittelalterlichen  Musikgeschichte. 


Guido  von  Arezzo.  63 


tora.  I.  1757,  tora.  II.  1770,  tora.  III.  1781)  veröffentlicht  hat,  findet 
man  in  unzähligen  Schriften  und  Büchern,  die  dem  genannten  Werke 
(I.  184)  entnommenen  Beispiele,  welche  Neumeu  auf  einer  (roten) 
Linie  und  auf  zwei  Linien  (einer  roten  und  einer  gelben)  enthalten. 
P.  Anselm  Schubiger  (1810—1888)  erklärte  schon  im  Jahre  1869, 
wie  diese  irrtümlichen  Exempel  entstanden  sein  könnten.  In  den 
„Monatsheften  für  IMusikgeschichte"  (1869,  S.  133)  schreibt  der  ge- 
lehrte Ordensmann:  „Mit  der  Anweudimg  von  einer  oder  zwei 
gefärbten  Schlüssellinien  war  gleichzeitig  auch  die  Beifügung  von 
zwei,  drei  und  hie  und  da  selbst  \on  vier  farblosen  —  ins  Pergament 
mit  Eisenstift  eingeritzten  verbunden :  oder  noch  deutlicher  und  be- 
stimmter bezeichnet :  man  zog  zuerst  die  farblosen  Linien,  schrieb  die 
Neumen  dann  an  die  ihnen  zukommende  Stelle,  und  erst  zuletzt  trug 
man  aus  freier  Hand  die  farbigen  Linien  den  eingeritzten  entlang  aut". 
In  dieser  Weise  sind  auch  die  Ausdrücke  Guidos  vom  „Pärben  der 
Linien"  und  vom  „Beifügen  der  Farben"  (adjuuctio  colorum)  zu 
deuten.  In  der  Tat  enthalten  auch  alle  mit  solchen  gefärbten  Linien 
versehenen  Handschriften  des  11.  bis  12.  Jahrhunderts,  welche  uns 
bisher  zu  Gesicht  kamen,  ohne  Ausnahme  zugleich  die  ungefärbten, 
nur  dalj  letztere  manchmal  durch  den  vieljährigen  Gebrauch  der 
Manuskripte  nicht  mehr  so  deutlich  erkennbar  sind.  Hieraus  läßt  sich 
auch  das  Entstehen  des  Irrtums  bezüglich  eines  frühem  Gebrauchs 
von  bloß  einer  oder  zwei  gefärbten  Linien  ganz  deutlich  erklären. 
Man  beobachtete  nänilich  die  beigefügten  imgefärbten  Linien  nicht, 
was  besonders  bei  jenen  Kopisten  der  Fall  war,  welche  Facsimilies 
von  derartigen  Originalien  abzeichneten  und  beim  Durchzeichnen  jene 
Linien ,  die  ihnen  bei  diesem  Verfahren  ganz  unsichtbar  wurden, 
vollends  wegheßen" ;  und  einige  Zeilen  weiter  schreibt  Schubiger: 
„Auch  die  Bemerkung,  daß  Guido  sich  zu  der  roten  und  gelben  noch 
einer  schwarzen  Linie  bedient  habe,  ist  irrtümlich,  denn  diese  ist  erst 
spätem  Ursprungs  und  stanunt  aus  jener  Zeitperiode,  wo  man  die 
Neumenzeichen  schon  dicker  und  hervorstechender  zu  schreiben  be- 
gann, indem  die  äußerst  zarten  und  feinen  Zeichen  aus  (iuidos  Zeiten 
die  schwarze  Linie  darum  nicht  gestatteten,  weil  die  ersteren  mit  der 
Schwärze  der  letzteren  allzusehr  vermischt  und  dadurch  undeutlich 
geworden  wären."  Ganz  dieselbe  Ansicht  vertritt  auch  Willi. 
Tap])ert,  indem  er  1885  schreibt:  „Man  ging  von  der  Linien- 
losigkeit  sofort  zu  einem  Vieri  i  n  iensy  st  era  über.  Zur 
Orientierung  für  das  Auge  des  Sängers  wurden  die  beiden  Ilaupt- 
linien  gefäi-bt,  die  beiden  Nebenlinien  nur  mit  einem  Griftel  in  das 
Pergament  gerissen.  Die  rote  Linie  bezeichnete  den  Platz  für  das 
kleine  /,  die  gelbe  fixierte  das  eingestrichene  '•.  Diese  beiden  Linien 
entsprachen  also  unseren  heutigen  Baß-  und  Sopran-  (Alt-  oder  Tenor) 
Schlüsseln.  Waren  die  Blätter  durch  langen  Gebrauch  stark  abgenutzt, 
dann  konnte  es  wohl  vorkommen,  daß  nur  die  zwei  bunten  Linien 
noch  deutlich  zu  sehen  waren.  Daher  die  irrige  Meinung,  als  habe 
man  erst  eine,  dann  zwei  Linien  gebraucht.  Mir  ist  übrigens  noch 
kein  Manuskript  zu  Gesicht  gekommen,  mochte  es  auch  noch  so  alt 
sein,  in  welchem  die  gerissenen  Linien  nicht  zu  erkennen  gewesen 
wären  I    Später  wurden  schwarze  Notenlinien  verwendet,  auch  grüne 


64  U-  Mittelalter. 


sind  nicht  selten.  In  zwei  prächtigen  Handschriften  der  Königlichen 
Bibliothek  (aus  dem  Besitz  des  Quedlinburger  Gymnasiums  stammend) 
bezeichnet  die  grüne  Farbe  das  eingestrichene  c,  die  gelbe  dagegen 
das  kleine  c  Je  nach  dem  Geschmacke  des  Schreibers  variieren  die 
Färbungen ;  und  wenn  einem  das  Gelb  oder  Rot  momentan  fehlte, 
verschob  er  das  Kolorieren  bis  auf  spätere  Zeit,  so  daß  ziemlich  früh 
vereinzelte  Fälle  von  gleichfarbigen  Liniensystemen  vorkommen.  Die 
Gleichfarbigkeit,  rot  oder  schwarz,  bildet  von  einem  gewissen  Zeit- 
punkte an  die  Kegel.  Am  längsten  blieben  die  Deutschen  den  bimten 
Linien  treu.  Klebers  (s.  Kap.  X)  Manuskript  von  1524,  Stücke  tür 
die  Orgel  enthaltend ,  zeigt  noch  die  rote  /"-Linie  inmitten  eines 
schwarzen  Fünfliniensystems !"  Dr.  Hugo  ßiemann  (Notenschrift 
und  Notendruck.  Bibliogr.  typographische  Studie.  Leipzig  1896. 
S.  34)  berichtet  kurz:  „Besonders  seit  die  Neumen  auf  Linien  gesetzt 
waren  (im  11.  Jahrhundert),  wurden  die  bunten  Notenlinien  ein  Schmuck 
der  Manuskripte;  zunächst  wurde  durch  etwa  2  Jabrhimderte  die 
F- Linie  immer  mit  Zinnoberrot  und  die  C-Linie  mit  Krokusgelb  über- 
malt, später  wurde  es  allgemein  gebräuchlich,  zur  besseren  Unter- 
scheidung von  den  Richtungslinien  des  Textes  die  Notenlinien 
sämtlich  zinnoberrot  zu  malen,  so  daß  sich  die  tief  schwarzen 
Notenkörper  noch  deutlicher  abhoben." 

Guido  von  Arezzo  (ungetahr  905 — 1050),  so  genannt,  weil  er 
durch  seine  Tätigkeit  in  Arezzo  seinen  Weltruhm  erworben,  war  aus 
Frankreich  (der  Gegend  von  Paris)  gebürtig.  Er  erhielt  seine  Aus- 
bildung im  Kloster  St.  Maur  des  fosses  bei  Paris,  daher  begegnet 
man  ihm  auch  öfteis  unter  dem  Namen  G.  de  Sancto  Mauro.^)  Zuerst 
im  Kloster  zu  Pomposa  bei  Ravenna,  später  zu  Arezzo  lebend,  zeich- 
nete er  sich  durch  Gelehrsamkeit  und  vorzügliche  Lehrmethode  aus. 
Er  hatte  das  merkwürdige  Schicksal,  daß  man  ihm  früherer  Zeit  alle 
Erfindungen,  die  vor  und  nach  ihm  gemacht  wui'den,  zuschrieb,  — 
was  jedenfalls  auf  eine  außerordentliche  Persönlichkeit  schließen  läßt, 
—  indessen  man  ihm  jetzt  womöglich  alles  absprechen  möchte. 
Selbstverständlich  können  wir  uns  hier  nicht  auf  eine  kritische  Unter- 
suchung einlassen.  Der  englische  Musikhistoriker  Burney  (1726  bis 
1814,  Doktor  der  Musik  der  Univei'sität  Oxford,  auch  Komponist 
[Klavier,  Triosonaten  u.  a.]  veröffentlichte  die  Ergebnisse  weiter 
Forschungsreisen  in  zwei  musikalischen  Keisetagebüchern  [1771  und 
1773,  auch  in  deutscher  Uebersetzung],  1776 — 1789  publizierte  er  seine 
4  bändige  General  history  of  music)  sagt  in  dieser  Beziehung :  „Guido 
ist  einer  jener  begünstigten  Namen,  für  welche  die  Freigebigkeit  der 
Nachwelt  keine  Grenzen  kennt.  Er  war  jahrhundertelang  angesehen 
als  der  Oberherr  im  Reiche  der  Tonkunst,  dem  alle  herrenlosen  Sachen 
zufielen,  und  nicht  bloß  solche,  die  ihm  als  Nachwuchs  dienen  könnten, 
sondern  auch  solche,  die  ü-gendwo  der  Zufall  sonst  noch  seinen  Ver- 
ehrern in   die  Hände  gespielt  hatte.-' 

Guidos  Erfindung  war,  nebenbemerkt,  so  durchschlagend,  daß 
sie  eine  andere,  ihrer  Art  nicht  minder  verdienstliche  völlig  in  Schatten 

^)  Vgl.  Kiesewetter,  „Guido  von  Arezzo,  sein  Leben  und 
Wirken",  1840. 


Guido  von  Arezzo.  65 


stellte :  die  Notation  des  H  e  r  m  a  n  u  u  s  C  o  n  t  r  a  c  t  u  s  (Hermann  Graf 
V,  Veseningen,  genannt  Hennann  der  Lahme,  weil  er  von  Kindheit  an 
gelähmt,  geb.  1013,  erzogen  zu  St.  Gallen,  Benediktiner  in  Reichenau, 
gest.  1054),  des  Verfassers  einer  auch  musikgeschichtlich  wertvollen 
Chronik.  Seine  Notierung  ermöglichte  die  (der  Neumenschrift  man- 
gelnde) Bezeichnung  der  Intervalle  der  Tonhöhenveränderung. 

Guidos  Hauptverdienst  besteht  zweifellos  darin,  daß  er 
nicht  nur  das  Liniensystem  vervollkommnete ,  sondern  auch 
darin,  daß  er  die  Lehrmethode  verbesserte.  Er  war  es,  dei'  „^^fj^^J^g 
das  „Treffen"  der  Töne  lehrte,  während  bis  dahin  der  Gesang 
nach  dem  Gehöre  und  mit  Hilfe  der  Neumen  erlernt  wurde. 
Sein  Streben  war  mit  bewuüter  Absicht  vorzugsweise  auf  das  Prak- 
tische gerichtet.  „Der  Weg  der  Philosophie,"'  schrieb  er,  „ist  nicht 
der  meine,  ich  kümmere  mich  nur  um  dasjenige,  was  der  Kirche  nützt 
und  unsere  Kleinen  (die  Schüler)  vorwärts  bringt."* 

Zur  leichteren  Berechnung  und  Einübung  der  Intervalle 
benutzte  er  zunächst  das  Monochord  und  dann  die  Melodie 
eines  Hymnus  zu  Ehren  des  heil.  Johannes  des  Täufers  (Schutz- 
patron  der  Sänger),   dessen   erste   Strophe   lautet  : 

Ut  queant  laxis         Famuli  tuorum 
Resonare  fibris  Solve  polluti 

Mira  gestorum  Labii  reatura 

Sancte  Joannes. 

Die  Melodie  dieses  Hymnus  war  so  komponiert,  daß  jede 
der  ersten  sechs  Verszeilen  mit  einem  höheren  Tone  begann.^) 
Ueber  die  Art  des  Gebrauches  schreibt  Guido:  , Dieser  Gesang 
fängt,  wie  du  wohl  siehst,  in  seinen  sechs  Teilen  mit  sechs 
verschiedenen  Tönen  an.  "Wer  es  nun  durch  üebung  dahin 
bringt ,  daß  er  sich  den  Anfang  dieser  sechs  Absätze  gut 
merkt,  um  jeden  Absatz,  den  er  eben  will,  mit  Sicherheit 
angeben  zu  können,  wird  imstande  sein,  dieselben  sechs  Töne, 
wo  sie  ihm  sonst  vorkommen  mögen,  leicht  anzuschlagen." 
Es  war  dies  also  ein  Hilfsmittel,  dem  Gedächtnisse  der  Sänger 
im  Treffen  der  Tonintervalle  nachzuhelfen  —  ganz  ähnlich  wie 
bei  uns  jetzt  die  Tonleiter  — ,  aber  nicht  die  Solmisation.  Soimi- 
Diese  entwickelte  sich  vielmehr  erst  bei  Guidos  Schülern  aus 
jener  Sechs  tonreihe,  dem  Hexachord.  Es  geschah  fol- 
gendermaßen: man  teilte  die  damals  gebräuchlichen  20  Töne 
in    7    Hexachorde    und    unterlegte    jedem    derselben    die    (sog. 


1)  S.  Beilagen  Nr.  6. 

Kothe-Prochiizka,  Abriß  d.  M«8ikgeschichte.    8.  Aufl. 


66 


II.  Mittelalter. 


Aretiuische 
Silben. 


Guido- 
nische 
Hand. 


aretinischen)  Silben  ut,  re,  mi,  fa,  sol,  la  (die  Anfangs- 
silben des  obigen  Hymnus)  so,  daß  stets  auf  den  Halbton  die 
Silben  „mi  fa"  zu  stehen  kamen.  Das  Hexachord  auf  C 
nannte  man  Hexachordum  naturale  (den  natürlichen  Sechs- 
1 0  n),  das  auf  G  Hex.  durum  (den  harten  Sechston,  wegen  des 
harten  b  oder  h),  das  auf  F  Hex.  molle  (den  weichen  Sechs- 
ton). Außerdem  bezeichnete  man  die  Lage  der  Hexachorde 
mit  den  Ausdrücken  grave  (tief),  acutum  (hoch,  scharf),  super- 
acutum  (sehr  hoch).  Das  tiefe  G  (T,  Gamma)  wurde  hinzu- 
gefügt, damit  man  gleich  mit  einem  Sechston  beginnen  könne. 
Mit  der  folgenden  üebersicht  vergleiche  man  das  „vollkommene 
System"    der  Griechen  pag.   22. i) 


ee 
dd 

CO 

bb 
aa 

S 

i 

e 

d 

c 

b 

a 

G 

F 

E 

D 

C 

B 

A 


la  1 

la 

sol 

sol 

fa 

fa 

mi 

mi 

re 

re 

ut 

nt 

> 

Hexachordum  durum  superacutum. 
Hexachordum  molle  acutum. 


Hexachordum  naturale  acutum. 


la 

sol 

fa 
a  |rai 
sol  Ire 
fa  |ut 
mi 
re 
ut  I Hexachordum  durum  grave 


Hexachordum  durum  acutum. 
Hexachordum  molle  grave. 

Hexachordum  naturale  grave. 


Wie  aus  dem  Vorstehenden  ersichtlich,  kamen  auf  einzelne 
Töne  mehrere  Silben.  So  nannte  man  z.  B.  C  fa-ut,  G  sol-re-ut 
usw.  Um  das  System  zu  veranschaulichen,  gebrauchte  man  bei 
dem  Unterricht  die  guidonische  (oder  harmonische) 
Hand,  d.  h.  eine  gezeichnete  Hand,  auf  deren  Fingerspitzen 
und  Fingergelenken  die  Töne  nebst  den  zugehörenden  Silben 
notiert  waren.  Interessant  ist  diese  guidonische  Hand  insofern,  als 
sie  den  Beweis  liefert,  daß  schon  in  frühester  Zeit  der  heute  herr- 
schende Grundsatz:  „Unterrichte  anschaulich"  zm- Anwendung  gelangte. 


^)  Vgl.  auch  das  Kirchentonsystem  und  Anm.  S.  49. 


Guido  von  Arezzo. 


67 


Die  größten  Schwierigkeiten  erwuchsen  jedoch  beim  Ueber- 
gang  von  einem  Hexachord  zum  andern,  durch  die  sog.  Muta- 
tion (Transposition). 
Wurde  ein  Hexachord 
überschritten,  mußten 
die  Silben  so  ge- 
wechselt werden, 
daß  auf  den  nächsten 
Halbton  wieder  die 
Silben  „mi  fa"  zu 
stehen  kamen,   z.  B. : 

CDEFGAHC 

(la; 
ut  re  mi  fa  sol  re  mi  fa 

oder,  zur  Vermeidung 

des  übermäßigen 
Quartstandes  F-H  (das 
als  „Diabolus  in  mu- 
sica"  bezeichnete  mi 
contra  fa,  der  Tritonus 
=  drei  Töne -Inter- 
vall) : 

C  D  E  F   G   A  B  C 

(sol) 
ut  re  mi  fa  re  mi  fa  sol  pj^  „„ironische  Hand. 


Mutation. 


Das  System  der  Solmisation,  dieses  „Kreuz  der  armen 
Singknaben'",  wurde  durch  Jahrhunderte  beibehalten.  Erst 
im  16.  Jahrhundert  fügte  der  Belgier  Waelrant  (f  1595) 
für  den  7.  Ton  die  Silbe  „si*"  hinzu,  und  später  änderte 
man  die  Silbe  „ut*^  in  „do*".  Die  romanischen  Völker  bezeichnen 
noch  heute  die  Töne  der  Tonleiter  mit  den  Silben  do  re  mi  fa  sol  la  si. 
Wenn  wir  diese  Solmisation  beim  Gesänge  gebrauchen,  so  geschieht 
es  nur,  um  die  Aussprache  der  Vokale  zu  üben.  Neuerdings  benennen 
die  „ZiflFeristen"  die  Töne  wieder  mit  den  Solmisationssilben.  (Die 
Zitteristen  wollen,  namentlich  für  den  Volksgesangsunterricht,  unsere 
Notenschrift  durch  eine  Ziffern  t  o  nschrift  ersetzen,  wie  sie  der 
Franziskanermönch  Souhaitty  [spr.  ssu'äti]  im  17.  Jahrhundert  auf- 
brachte; Rousseau  und  neuester  Zeit  der  Pädagoge  N a t o r p  (1774 
bis  1846)  in  seinen  Volksschulgesangbüchern  folgten  seinem  Beispiele). 

5* 


68  II.  Mittelalter. 


Guido  erwarb  sich  noch  mehrfach  Verdienste  durch  zahl- 
reiche theoretische  Werke, ^)  durch  Anbahnung  der 
Mehrstimmigkeit  (s.  Abschnitt  5),  wie  endlich  dadurch, 
daß  er  das  Antiphonar  Gregors  auf  ein  ausreichendes  Linien- 
system übertrug.  Bei  dem  Bestreben  der  neueren  Zeit,  den  Choral 
in  der  ursprünglichen  Reinheit  wiederherzustellen,  sind  jene 
Manuskripte  von  der  größten  Wichtigkeit:  stand  ja  Guido  der  Tradition 
um  vieles  näher  als  wir,  namentlich  in  Bezug  auf  das  Lesen  der 
Neumenschrift. 


5.  Anfänge  der  Mehrstimmigkeit.     Mensuralmusil(. 

Hucbald,  Franco  von  Köln,  Johannes  de  Muris.  — 
Organum,  Discantus,  Kontrapunkt  und  Mensur.  —  Ent- 
wickelung  der  Notenschrift.  —  Die  Ars  nova  und  der  Falsa 

b  o  r  d  0  n  e. 

Den  ersten  Versuch  einer  Zweistimmigkeit  finden  wir 
Hucbald.  in  einem  Traktate  des  gelehrten  Benediktinermönches  Hucbald 
aus  St.  Amand  in  Flandern,  der  um  das  Jahr  840  geboren 
wurde  (f  932?),  ausführlich  dargestellt.-)  Hucbald  selbst  ist 
zwar  nicht  Erfinder  der  Mehrstimmigkeit,  denn  er  spricht  da- 
von als  von  einer  bekannten  Sache.  Die  erste  Anregung  ging 
vielmehr  von  Britannien  aus ;  dort  war  von  altersher  eine 
„naturwüchsige  Mehrstimmigkeit"  (Riemann)  im  Schwange  (vgl. 
unten).  Sie  fand  von  da  bei  den  Musiktheorikern  des  Kontinents 
Eingang.  Jedoch  gebührt  Hucbald  unstreitig  das  Verdienst, 
als  Erster  zum  genauen  Veranschaulichen  des  Steigens  und 
Fallens    der    Tonhöhe    übereinandergestellte    Linien    anorewandt 


^)  Eine  interessante  Inhaltsangabe  derselben  ist  bei  Forkel,. 
II.  Bd.  pag.  25  b  if.  nachzulesen.  Die  Uebersetzung  seines  ,.Micro- 
logus  de  disciplina  artis  musicae''  findet  man  in  Eitners  „Monats- 
heften", V.  Jahrg.  pag.  135. 

')  Die  Verdienste  Hucbalds  wurden  durch  Dr.  Hans  Müller 
in  Leipzig  („Hucbalds  echte  und  unechte  Schriften  über  Musik." 
1884)  in  Frage  gestellt.  Danach  sollte  nicht  diesem,  sondern  einem 
ein  Jahrhundert  später  lebenden  Hucbald  (auch  Pseudo-Hucbald  genannt) 
die  Ehre  zukommen.  Die  Zweifel  hat  jedoch  H.  Riemanns  „Geschichte 
der  Musiktheorie"  (1898)  zerstreut.  Von  Hucbalds  Abhandlungen  iab- 
gedruckt  bei  Gerbert,  Script.  1)  seien  hier  genannt:  De  harraonica. 
institutione;  Musica  enchiriadis  [der  obengemeinte  Traktat). 


Anfänge  der  Mehrstimmigkeit.     Organum.     Discantus.  69 

zu  haben.  Deren  Abstände  waren  nach  Ganz-  und  Halbtönen 
zu  Anfang  angezeigt.  Es  stand  dort  „s"  ^=  seniitonium,  oder 
„t"  =  tonus.  Auch  finden  wir  zuerst  bei  Hucbald  die  ersten 
Buchstaben  des  lateinischen  Alphabets  zur  Tonschrift  benützt. 
(Vgl.  Anni.  S.  49.)  Dem  Studium  der  griechischen  Musik- 
theorie ergeben,  ließ  Hucbald  nur  Oktaven,  Quinten  und 
Quarten  als  Konsonanzen  gelten.  Er  kam  auf  den  Ge- 
danken, zwei  oder  mehrere  Stimmen  in  den  genannten  Konsonanzen 
fortschreiten  zu  lassen  und  nannte  die  organische  Verbindung 
der  Stimmen  zu  einem  Ganzen  Organum  oder  Diaphonia.  Organum. 
Die  vorerst  primitive  Mehrstimmigkeit  wurde  später  (seit  dem 
12.  Jahrhundert)  Dis-Cantus  (Gesang  mehrerer  in  Gegen-  Discantm. 
beweg  ung  befindlicher,  ausein  ander  tretender 
Stimmen)  genannt.  Hucbald  teilt  in  seinem  Traktate  zwei 
Arten  des  „Organum"  mit.  Die  eine  Art,  „Par  alle  1- 0  rga - 
num",  bewegt  sich  nur  in  Quarten  oder  Quinten  und  Oktaven; 
die  zweite  dagegen  beginnt  im  Einklänge,  die  obere  Stimme 
berührt  darauf  im  Durchgange  die  Sekunde  und  Terz,  bewegt 
sich  dann  parallel  in  Quarten  und  macht  zuletzt  eine  Wendung 
zum  Einklänge  zurück.  (Vgl.  Anhang,  Beilage  7,  8).  Eine 
Eigentümlichkeit  sind  lange  Haltetöne  der  Unterstimme 
(„Orgelpunkte'').  Die  erste  Gattung  war  mehr  theoretischer 
Natur  und  für  die  Entwickeluiig  der  Kunst  ohne  Bedeutung, 
weil  die  Stimmführung  jeder  Selbständigkeit  entbehrte.  Die 
zweite  Gattung  hingegen,  das  schweifende  Organum, 
führte  in  der  Tat  zu  jener  Schreibart,  die  sich  im  14.  und 
15.  Jahrhundert  au.-<bildete  und  unter  dem  Namen  „Kontra-  •Kontra- 
punkt" (F'unkt  gegen  Punkt,  d.  i.  Note  gegen  Note)  bekannt  ^'"° 
ist.  Das  Wesen  dieses  Stils,  der  ars  nova,  bestand  darin, 
daß  nicht  Akkorde  aneinander  gereiht,  sondern  Stimmen  (Melo- 
dien] miteinander  nach  bestimmten  und  strengen  Regeln  ver- 
bunden wurden.  Eine  Harmonielehre  in  unserem  heutigen 
Sinne,  also  die  Lehre  über  die  Akkordverbindungen,  begründete 
erst  Rameau  1722.1)  Verborgen  allerdings  tritt  der  neuesten 
Forschung   nach   eine   solche  Hannonielehre  schon  zu  Beginn  des  15. 


^)  Hier  sei  nur  kurz  gesagt,  dali  alle  wahre  Komposition  aui 
dem  Kontrapunkt  und  nicht  auf  der  Harmonielehre  beruht,  d.  h.  mit 
anderen  Worten,  es  werden  bei  jeder  gediegenen  Komposition  Stimmen 
kunstgerecht  übereinandergeführt  und  zu  harmonischem  Ganzen  ver- 
bunden, nicht  aber  Akkorde  aneinandergeleimt. 


70  n.  Mittelalter. 


Jahrhunderts  in  den  Tonsätzeu  der  britischen  Komponistenschule  auf.') 
(Vgl.  den  8.  Abschnitt.) 

Es  wurde  viel  darüber  gestritten,  ob  das  erstgedachte  „Organum'' 
in  der  Praxis  wirklich  ausgeführt  worden  sei  oder  nicht.  Hucbald 
selbst  war  davon  so  entzückt,  daß  er  ausruft:  „Siehe  den  lieblichen 
Zusammenklang,  der  solcher  Stimraeuverbindung  entspringt  I-*  Manche 
sahen  es  nur  für  einen  theoretischen  Versuch  auf  dem  Papiere  an, 
gegen  dessen  Ausführung  wohl  das  Gehör  Protest  erhoben  hätte 
(Kiesewetter).  Andere  meinten  (Oskar  Paul),  jene  Quinteufolgen  seien 
nicht  gleichzeitig,  sondern  nacheinander  (wie  bei  der  Fuge  oder  bei 
den  Antiphonen)  gesungen  Avorden.  Wohl  kaum.  „Nachdem  ich 
jüngst  in  einer  Dorfkirche  neben  einem  Sänger  saß,  der  die  Melodie 
eines  ohne  Orgel  gesungenen  Liedes  fünf  Strophen  hindurch  mit  der 
Unter-Quinte  begleitete  und  nur  hin  und  wieder  bei  Sprüngen  der 
Melodie  eine  Quarten-Parallele  zum  besten  gab,  —  glaube  ich  an  die 
Möglichkeit  der  praktischen  Ausführung  jenes  Organums"  bemerkt 
Kothe  hinzu.  Eine  dritte  Frage  ist  heute,  ob  diese  Ausdrucks- 
formen  mittelalterlicher  Musiker  bisher  überhaupt 
richtig  verstanden  werden! 

Ein  Ueberrest  des  „Organums"  ist  wohl  auch  der  sonderbare 
Brauch  in  der  päpstlichen  Kapelle,  gewisse  Choräle  in  fortlaufenden 
Terzen-  und  Oktaven-Parallelen  zu  singen ,  desgleichen  der  Falso 
bordone  (s.  unt.).  Hierher  zählt  ferner  noch  die  Mixtur  unserer  Orgel, 
bei  welchem  Register  bekanntlich  Grundton,  Quinte  und  Oktave  zu 
gleicher  Zeit  erklingen. 

Gleiche    Richtung    wie    Hucbald    verfolgte    im    11.    Jahr- 
Guido      hundert  Guido  von  Arezzo ;    aber  er  verwarf  bedeutsamerweise 
das  Quinten-Organum  und  stellte  neue  Regeln  für  den  Stimmen- 
lauf am  Schlüsse  fest.      Er  lehrte    bereits    auch    die  Stimmen- 
kreuzung.     (Siehe  Anhang,  Beilage  9.) 

Im  12.  Jahrhundert  wurden  jene  Versuche  als  Discantus 
(ursprünglich  zweistimmig)  fortgesetzt.-)  Man  fing  an,  sich 
von  der  griechischen  Musiktheorie  in  der  Praxis  loszusagen, 
versuchte  wohl  auch  Tonsätze,  wo  einem  Tone  in  der  zweiten 
Stimme  mehrere  Töne  gegenübertraten.  Eine  Aufzeichnung 
aber  gab  es  nicht,  die  Sänger  improvisierten  diesen 
punto  aiia  Kontrapunkt,  daher  genannt  contrapunto  alla  mente 
mente.  (j^j  improviso).  Um  hierbei  Mißklänge  zu  vermeiden,  war  es 
geboten,  die  Länge  der  Töne  gegenseitig  abzumessen,  was  bei 
dem    Chorale    nicht    nötig    war,    da    bei    diesem    die    Tonlänge 

^)  V.  Lederer,  „Ueber  Heimat  und  Ursprung  der  mehrstimmigen 
Tonkunst",  I,  257  ff. 

-)  Den  Uebergang  vom  Organum  zum  Discantus  behandelt  der 
Engländer  C  0 1 1  o  n  (s.  S.  62)  in  seinem  Traktate  „Epistola  ad  Fulgen- 
tium"  (Gerbert,  Script.  11). 


Konta-apunkt.     Mensur.  ^  1 


von  der  Betonung  der  einzelnen  Silben  abhing.  Aus  diesem  Mensurai- 
Bedürfnis  heraus  entstanden  die  Notengattungen :  ■  Longa, 
■  Brevis,  ♦  Semibrevis,  ^  Maxiina  (Duplex  longa).  Hierzu 
kamen  gegen  1300  noch  kleinere  Werte  auf:  |  Minima  und 
1^  Semiminima.  An  Stelle  dieser  schwarzen  Noten  treten  um 
die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  die  weißen:  man  ließ,  um 
rascher  schreiben  zu  können,  die  Ausfüllung  einfach  weg ;  nur 
für  die  kleinsten  Notenwerte  Avird  die  Schwärzung  angewendet 
(die  größeren  Notenwerte  werden  nur  ausnahmsweise,  wie  wir 
noch  sehen  werden,  behufs  Kennzeichnung  besonderer  Geltungs- 
dauer geschwärzt  oder  koloriert).  Die  Notenzeichen  erscheinen 
nun  folgendermaßen:  Duplex  longa  oder  Maxim a  '— ^; 
Longa  (lange  Note)  '-H;  Brevis  (kurze  Note)  ^;  Semi- 
brevis ♦  ;  Minima  ^ ;  Semiminima  |  (^) ;  F  u  s  a  i^  und 
S  e  m  i  f  u  s  a  j^. 

Die  ersten  vier  Arten  sind  noch  heute  beim  gregorianischen 
Gesänge  in  Gebrauch,  jedoch  ohne  bestimmten  Zeitwert.  Es 
ist  leicht  einzusehen,  wie  durch  Abrundunj^  dieser  Zeichen  unsere 
heutigen  Noten  entstanden.     iVgi.  Anh.,  Beil.  10,  11.) 

Für  die  Pausen  dienten  l'oigeude  Zeichen:  1.  für  die  perfekte 
Longa  ein  Strich  durch  drei  Zwischenräume,  2.  für  ilie  iraperfekte 
Longa  ein  Strich  durch  zwei  Zwischenräume ,  3.  für  die  Bi-evis 
ein  Strich  durch  einen  Zwischenraum ,  4.  für  die  kleineren  Noten- 
gattungeu  ein  Strich  durch  zwei  Drittel  oder  ein  Drittel  eines 
Zwischenraumes.  Das  Zeichen  für  die  Schlußpause  war  ein  Strich 
durch  alle  Linien. 


=I=E 


-J.  ^^^^j. 

12  3  4  5  6 

Das  gegenseitige  Abmessen  der  Töne,    wozu  die  Brevis 
und    später    die    Semibrevis    den    Maß.stab    gab,    nannte    man 
Mensur  und  derartig  abgemessene  Musik  M  e  n  s  u  r  a  1  -  M  u  s  i  k.     Mensur. 
Der  Choralnotenschrift  tritt  nun  die  Mensuralnotenschrift 
gegenüber,  mit  ihren  Tonzeichen  von  bestimmter  Zeitdauer. 

Die  Lehre  von  der  Mensur  ist  recht  verwickelt  und 
schwierig,  weil  die  Noten  keinen  absoluten,  sondern  nur  einen 
relativen  Wert  hatten.  Da  eine  genaue  Kenntnis  der  Mensural- 
theorie nur  lur  jene  notwendig  ist,  die  alte  Drucke  oder  Manu- 
skripte in  unsere  heutige  Notenschrift  übertragen  wollen,  genügt  hier 


72  II.  Mittelalter. 


wohl  eine  Mitteilung  des  Wichtigsten,  um  wenigstens  eine  allgemeine 
Vorstellung  zu  vermitteln.^) 

Takt.  Wie  wir  heute  den  Takt   in  verschiedenen  Notengattungen 

ausdrücken  können,  z.  B.  in  der  doppelten  Taktnote  (|s=|,  -/j 
oder  großer  Alla-breve-Takt),  oder  in  der  ganzen  Note  (o, 
-/2  oder  */4  Takt),  so  war  dies  auch  bei  den  Alten  der  Fall. 
Für  gewöhnlich  nahmen  sie  aber  die  Brevis  (unsere  doppelte 
Taktnote)  als  Einheit  des  Taktes  an  und  nannten  sie  die 
Tempus.    Mensura  temporis,   oder  kürzer  das  Tempus. 

Eine  jede  Mensur  ist  nach  dem  vorgeschriebenen  Takt- 
zeichen  entweder  perfekt  (vollkommen)  oder  Imperfekt  (un- 
vollkommen), d.  h.,  sie  ist  entweder  dreizeitig  oder  zwei- 
zeitig. Unter  Tempus  perfectum  haben  wir  also  den  ^^ 
Takt,  unter  Tempus  im  perfectum  den  -/j  oder  ^12  (unseren 
großen  Alla-breve-Takt)  zu  verstehen.  Perfekt  aber  wurde  die 
dreizeitige  Taktart  genannt,  weil  die  Drei  die  vollkommenste 
unter  allen  Zahlen  sei  und  von  der  göttlichen  Dreieinigkeit, 
der  wahren  und  höchsten  Vollkommenheit,  den  Namen  führte. 
Das  Zeichen  für  das  vollkommene  Tempus  ist  ein  geschlossener 
Kreis  Q»  für  das  unvollkommene  ein  Halbkreis  C  (unser 
heutiges  Zeichen  des  ^/^  Taktes).  Im  Tempus  perfectum  ent- 
hielt demnach  jede  Note  drei  Noten  der  nächstkleineren  Wert- 
gattung ;  also  eine  Longa  drei  Breves,  die  Brevis  drei  Semi- 
breven  usw. ;  im  Tempus  imperfectum  dagegen  die  Brevis  zwei 
Semibreven,   die  Semibrevis  zwei  Minima  usw. 

Wird  das  Taktzeichen  durchstrichen  {Q^  (^)  oder  der 
Halbkreis  mit  der  Oeffnung  nach  links  gerichtet  (])),  so  verlieren 


^)  Wer  sich  darüber  genauer  unterrichten  will,  lese  Heinr.  B  e  1 1  e  r  - 
mann  (s.  Amn.  3,  S.  32\  „Die  Mensuralnoten  und  Taktzeichen  des 
15.  und  16.  Jahrhunderts".  (Berlin  1858,  Reimer.)  Nach  dieser  wertvollen 
Schrift  geben  wir  das  Folgende.  Vgl.  des  weitei-en  auch  G.  Jakobs- 
thal, „Die  Mensuralnotenschrift  des  12  u.  18.  Jhrhdts."  (Berlin  1871), 
und  H.  Kiemann,  „Studien  z.  Geschichte  der  Notenschrift"  (Leipzig 
1878).  Aus  neuester  Zeit  s.  insbesondere  die  i-eichillustrierte,  hervor- 
ragende „Geschichte  der  Mensuralnotation  von  1250—1460  nach  den 
theoretischen  und  praktischen  Quellen"  (3  Teile,  1905)  von  Johannes 
Wolf  (geb.  1869,  seit  1902  Dozent  der  Musikwissenschaft  an  der 
Berliner  Universität),  und  das  die  ganze  Materie  zusammenfassende 
Handbuch  der  Geschichte  der  Notenschrift  „Storia  della 
semigrafia  musicale"  von  Guido  Gasparini  (geb.  1865  in  Florenz, 
seit  1902  Bibliothekar  des  Konservatoriums  zu  Parma)  1906. 


Mensuralmusik.  73 


die  Noten  die  Hälfte  ihres  Wertes,  werden  also  doppelt  rasch 
genommen.  Steht  eine  Bruchzahl  bei  dem  Zeichen,  so  verlieren 
die  Noten  gleichfalls  an  Wert;  O^/i  bezeichnet  z.  B.,  daß  jede 
Note  zwei  Teile  ihres  Wertes  verliert.  Oft  schrieb  man  auch 
statt  der  Brüche  ganze  Zahlen  hin.  Durch  genannte  Zeichen 
wurde  daher  das,  was  wir  heute  das  Tempo  nennen,  angedeutet. 

Auch   die  Art   der  Zusammenstellung   bewirkte   eine  Aenderung 
der  Notendauer.     So   gilt   eine  Longa   für   dreizeitig,   d.  i.   voll   oder 
,perfekt",  wenn  ihr  wieder  eine  Longa  folgt  (Perfektion);  hinsagen  pg^fg^jj^^^ 
verliert  sie  ein  Drittel  des  Wertes,  wird  „impertizierf,  wenn  ihr  eine 
Brevis  folgt,  da  sie  mit  dieser  zusammengerechnet  wird  (Imperfizie-  imperfizie- 
rung  oder  Imperfektion).    Zwei  Breves  zwischen  zwei  Longae  gelten      run^. 
gleich  einer  Longa,  wobei  die  zweite  Brevis  „alteriert"  wird,  d.  h.  sie 
gilt  doppelt  so  viel  als  die  erste  (Alteration».  Alteration 

Neben  den  veränderlichen  Mensnnorzeiohen  taucht  zu  Beginn 
des  14.  Jahrhtmderts  noch  ein  anderes  Kennzeichen  für  die  Geltungs- 
dauer der  Noten  werte  auf:  derColor,  die  Farbe.  Dort  nämlich,  wo 
trotz  vorgezeichneter  perfekter  Mensur  einzelne  Noten  oder  Noten-  t'olor. 
gTuppen  als  imperfekt  zu  gelten  haben,  malte  man  dieselben  nicht 
schwarz,  sondern  auffallend  rot  (notula  rubra).  Als  man  es  dann, 
wie  oben  erwähnt,  bequemer  fand,  die  Noten  einfach  hohl  zu  zeichnen, 
unausgefüllt  zu  lassen  (notula  cavata,  alba),  wiu-de  die  schwarze 
Farbe  in  gleichem  Sinne  angewendet  wie  früher  die  rote.  Daher 
nannte  man  dann  auch  die  einfache  Schwärzung  Color.  Diese  ge- 
schwärzten, gefüllten  Noten  heißen  H  e  ra  i  o  1  i  a  (aus  dem  griechischen 
hemiölios  =r  3:2,  weil  eine  solche  geschwärzte  Note  nur  ein  Drittel  Hcmiolia. 
des  Wertes  der  gleichgeforniten  weiUen  besitztV 

Hatte  das  Taktzeichen  einen  Punkt  im  Innern  0,  so  nannte 
man  dies  Pro  lat  i  o.  Ihr  Wesen  bestand  darin,  daß  die  Semi- 
brevis  als  Takteinheit  genommen  und  in  drei  Minimae  geteilt  proiatio. 
wurde.  (Unser  -^  .>  Takt.)  Das  war  die  proiatio  major. 
Fehlte  der  Punkt  im  Innern  des  Tenipuszeichens,  dann  galt  die  Zwei- 
teiligkeit der  Brevis.     Das  war  die  proiatio  minor. 

Neben  der  oben  erwähnten  besonderen  Bedeutung  hat  der  Aus- 
druck proiatio  noch  die  allgemeine  der  relativen  W  e  r  t  b  e  - 
stimmmung  der  Noten.  Es  gab  in  der  Hauptsache  4  Prolationen, 
d.  h.  Taktarten,  erstaufgestellt  durch  M  archettus  fs.  S.  77):  1.  Brevis 
und  Semibrevis  dreiteilig  =::  unser  %  Takt:  2.  Brevis  drei-,  Semibrevis 
zweiteilig  :=  unser  ^/4  Takt ;  3.  Brevis  zwei-,  Semibrevis  dreiteilig  = 
nnser  ^/g  Takt:  4.  Brevis  und  Semibrevis  zweiteilig  =^  */i  Takt. 

Zusammenhängende  Gruppen  von  Noten,  deren  rhythmische 
Geltung  nicht  durch  die  Gestalt,  sondern  durch  die  Lage  ge- 
kennzeichnet   wird,     heißen    Ligaturen    (i — — '    z.    B.    oder  Ligatureu. 

i—L--^    ohne  Strich    nach    unten    bezeichnet    die  Anfangsnote 


74 


II.  Mittelalter. 


Takt- 
striche. 


Punktum 
perfec- 
tionis. 


als  Brevis, 


^ 


fP 


□     .      r^ 


oder  \__\       mit  Strich  nach  unten  als  Longa, 


lll 


mit    Strich    nach    oben   kennzeichnet    beide  erste  Noten 


als  Semibreves  usw.)  ^) 

Unter  T  a  c  t  u  s  verstand  man  jene  Zeitdauer,  die  zu 
einem  ruhigen  und  mäßigen  Niederschlagen  und  Erheben  der 
Hand  erforderlich  war.  Diese  so  bestimmte  Zeitdauer  war  das 
Regelnde  für  alle  Taktzeichen;  alle  geben  uns  an,  in  welchem 
Verhältnis  die  Noten  zu  diesem  Tactus  stehen;  ob  wir  ein, 
zwei  oder  mehr  von  dieser  oder  jener  Notengattung  auf  einen 
Tactus  zu  singen  haben  oder  umgekehrt,  ob  ein  oder  mehrere 
Tactus  auf  diese  oder  jene  Notengattung  zu  geben  sind.  Es 
kamen  demnach  auf  eine  Brevis  perfecta  drei,  auf  eine  Brevis 
imperfecta  zwei  solcher  Tactus.  Der  Begriff  des  Wortes  Tactus 
ist  also  von  dem  unsrigen  verschieden.  Taktstriche  kannte 
man  damals  nicht.  Dafür  waren  bei  perfekter  Mensur  den  Noten 
Punkte  beigegeben  und  zwar  endweder  das  Punkt  um  perfec- 
t  i  0  n  i  s  ,  wenn  es  sich  um  einen  dreiteiligen  Notenwert  handelte ; 
oder  das  Punktum  divisionis,  das  die  Grenze  der  Perfektion 
anzeigte,  die  Notengruppen  trennte.  Diese  Punktarten  hatten  also  die 
Bedeutung  unseres  heutigen  Taktstriches ,  der  sich  tatsächlich  — 
freilich  erst  nach  Jahrhunderten  —  aus  jenem  punktum  perfectionis 
bezw.  divisionis  entwickelt  hat.  Uebrigens  singen  die  päpst- 
lichen Sänger  heute  noch  nach  Noten  ohne  Taktstrich, 
und  wer  Musik  im  Palestrinastil  eingeübt  hat,  wh-d  gefunden  haben, 
daß  diese  Taktsti'iche  und  der  damit  verbunden  gedachte  Rhythmus 
den  Sängern  in  bezug  auf  die  richtige  Betonung  des  Textes  und 
auf  den  notwendigen  Fhili  der  Stimmen  oft  große  Schwierig- 
keiten bereiten.  Auch  bei  dem  Vortrage  moderner  Musik  machen 
sich  ja  die  Taktstriche  insofern  unangenehm  geltend ,  als  sie  die 
Gesangschüler  verleiten,  bei  ihnen  Atem  zu  schöpfen,  selbst  wenn 
dadurch  die  Silben  eines  Wortes  getrennt  würden.  Mit  diesem 
Fehler  haben  bekanntlich  Gesanglehrer  immer  zu  kämpfen,  auch  wenn 
die  Schüler  die  Regel  genau  kennen.  Es  scheint,  als  wenn  durch 
diese  Taktstriche  der  Faden  der  Melodie  auseinandergeschnitten  würde, 
so  stark  wirkt  das  sichtbare  Zeichen  auf  das  Auge  und  den  Geist. 
Um  einen  Begriff  von  dieser  Schreibart  zu  geben,  folgen  im  Anhange 
Beispiele  in  Urschrift  und  Uebersetzung. 

Beispiel  10  zeigt   einen  zweistimmigen  Satz,   da  singt  die  Ober- 


^)  Vgl.  darüber  W.  Niemaun,  „Ueber  die  abweichende  Bedeutung 
der  Ligaturen  i.  d.  Mensuraltheorie  der  Zeit  vor  J.  de  Garlandia", 
1901,  und  die  oben  angeführten  Sunderwerke. 


Mensuralmusik.  75 


Traiis- 
position. 

Schlüssel. 


stimme  die  Noten  im  impeifekten ,  die  Unterstimme  im  perfekten 
Tempus.  Beispiel  11:  ein  zweistimmiger  Satz,  worin  die  Unterstimme 
denselben  Satz  im  verkürzten  Tempus  singt.  Beispiel  12  ist  ein 
Doppel-Kanon  zwischen  Sopran  und  Alt,  Tenor  uud  Baß :  der  Sopran 
singt  imperfekt,  der  Alt  perfekt ;  bei  Tenor  und  Baß  tritt  ferner  noch 
die  prolatio  hinzu. 

Unsere  Säuger  schrecken  in  der  Kegel  zurück  vor  den  poly- 
phonen Kompositionen  des  16.  Jahrhunderts,  obgleich  sie  ihncu  in 
heutiger  Notenschrift  geboten  werden.  Wie  würden  sie  erst  mit  den 
vorstcheud  angedeuteteu,  aber  lange  nicht  erschöpfteu  Schwierigkeiten 
der  Mensural-Notenschrift,  bestünde  sie  noch  zu  Kecht,  kämpfen  müssen! 

Es  mag  hier  noch  zweier  Schwierigkeiten  gedacht  werden,  mit 
denen  unsere  heutigen  Säuger  bei  dem  Vortrage  alter  Kompositionen 
zu  rechnen  haben  :  der  T  r  a  n  s  p  o  s  i  t  i  o  u  und  der  damit  in  Verbindung 
stehenden  verschiedenen  Arten  der  Schlüssel.  Man  schrieb  vor 
uud  nach  Palestrina  die  Tonstücke  entweder  ohne  Vorzeichnung,  also 
in  deu  Tonarten  auf  A  E,  F  usw.,  oder  man  transponierte  sie  in 
die  Ober-C^uarte  mit  Vorzeichuung  eines  wesentlichen  b  (Cantus 
transpositus).  Dorisch  lautete  demnach :  G  A  B  C  D  E  F  G.  Un- 
transponierte  Tonstücke  nannte  man  das  „D  ur  s y  st  em"*,  transponierte 
das  „M  o  1 1  sy  s  t  em"*,  weil  dort  B  durum  (//,  ;;  oder  »f ,  hier  B  molle  (j?) 
angewendet  wurde.  (Man  sieht,  diese  Benennungen  bedeuteten  damals 
etwas  ganz  anderes  als  heute.  Vgl.  ob.  S.  52. 1  Mit  ?  oder  ^  (Jl) 
versetzte  Töne  bezeichnete  man  als  ,, eingebildete",  ,,t'alsche" :  daher 
musica  ficta  oder  falsa,  eine  kirchentonfremde  Musik.  Es  war  Musici* 
ferner  Kegel,  keine  Nebenlinien  zu  benützen :  so  kaui  man  bei  dem  falsa, 
liöher  liegenden  Mollsystcni  in  Verlegenheit  und  wendete  darum  gauz 
verschiedene  Schlüsselgattungeu  an.  Beim  „Dursystem""  gebrauchte 
man  deu  C-Schlüssel  auf  der  1.,  3.  und  4.  Linie  für  Sopran,  Alt  und  Tenor 
und  den  F-Schlüssel  auf  der  4.  Linie  für  den  Baß.  Dagegen  wurde  im 
.,Mollsystem''  der  Violinschlüssel  für  Supran,  der  C-Schlüssel  auf  der 
2.  Linie  (Mezzosoprauschlüssel/  für  Alt,  der  C-Schlüssel  auf  der  3.  Linie 
für  Tenor  uud  der  F-Schlüssel  auf  der  o.  Linie  (Baritunschlüssel  1  für 
den  Baß  angewendet.  Diese  hohen  Schlüssel  nannte  man  Chiavette  Chiavette 
■  Schlüsselchen,  versetzte  Schlüssel.  Nun  werden  aber  heute  Jene 
Kompositionen,  damit  sie  deu  Stiuaraen  bequem  liegen,  bald  eine  Terz 
oder  Sekunde  liöher,  bald  niediger  augestimmt,  was  leicht  ausführbar 
ist,  wenn  man  die  Schlüssel  wechselt.  Darum  müssen  die  Sänger  mit 
allen  genannten  Schlüsseln  und  mit  der  Lage  der  halben  Töne,  sowie 
mit  den  damit  in  Verbinduug  steheudeu  Vorzeichnungen  genau  bekannt 
sein,  um  die  geforderte  Trausposition  korrekt  und  augenblicklich  aus- 
führen zu  können.  —  In  manchen  neuen  Ausgaben  alter  Werke 
werden  jedoch  diese  Transpositionen  bereits  vom  Herausgeber  aus- 
geführt, d.  h.  die  Stimmen  sind  in  jener  Tonhöhe  geschrieben,  in  der 
sie  zu  singen  sind  —  für  die  Sänger  gewiß  eine  große  Erleichterung, 
doch  auch  vom  allgemeinen  modernen  Standpunkt  aus  eine  lebhaft  zu 
begrüßende  Neuerung. 

Nebenbei  bemerkt,  gab  es  in  jener  Zeit  bei  den  Tonstücken  auch 
keine  Vortragszeiclien.    Domenico  Mazzochi  (aus  der  Römi- 


76  II-  Mittelalter. 


sehen  Schule,  s.  dort)  erklärt  in  der  Vorrede  zu  seinen  5 stimmigen 
Madrigalen  i.  J.  1640  als  Erster  die  Zeichen  <  >  für  crescendo  und 
decrescendo.  Vorher  schon,  1615,  hatte  der  päpstliche  Kapellsänger 
Franzesco  Severi  in  seinen  Salmi  passaggiati  sopra  i  falsibordoni  das 
p  (tano)  und  /{orte)  benutzt.  Das  Verdienst  der  Einführung  der  Dynamik 
wird  also  mit  Unrecht  den  „Mannheimern'*  (s.  dort)  zugeschrieben. 

In  der  Geschichte  der  Mensuralinusik  spielt  der  berühmte 
Franko.  Franco  von  Köln  (Wende  des  12. /13.  Jahrhunderts,  näheres 
über  seine  Person  ist  nicht  bekannt)  eine  Rolle.  Er  ist  der 
Verfasser  eines  mit  „Ego  Franco  de  Colonia"  beginnenden 
Compendium  discantus, ^)  darin  er  schon  die  kleine  und  große 
Terz  zu  den  Konsonanzen  (Concor da nzen,  wie  er  sie 
bezeichnet),  wenn  auch  nur  zu  den  unvollkommenen,  zählt, 
dagegen  nicht  die  Sexte. 

Um  auf  den  Discantus  (franz.  Dechant)  zurückzu- 
kommen :  man  unterschied  mehrfache  Formen  der  Komposition, 
die  sich  nach  und  nach  auch  in  drei  und  vier  Stimmen 
(Triplum,  Quadruplum)  bewegte.  Der  Hauptinhalt  (Tenor,  mit 
der  Betonung  der  1.  Silbe)  wurde  gewöhnlich  der  hohen  Männer- 
stimme übergeben.  Daraus  entstand  unsere  heutige  Bezeich- 
nung Tenor.  Andere,  z.  B.  Kornmüller,  meinen,  Tenor  bedeute 
nicht  Hauptinhalt,  sondern  sei  abgeleitet  von  ,, teuere",  halten;  er  war 
die  dem  gregorianischen  Gesänge  entnommene  Hauptstimme,  von  der 
die  anderen  Stimmen  gehalten  wurden,  an  die  sie  sich  anlehnten. 
(Cantus  fii-mus.)  Die  hohe  Gegenstimme  zu  dieser  uomialen  Mittel- 
stimme war  eben  der  Discantus.  Harmonieergänzend  trat  dann  der 
Gegentenor  hinzu,  teils  über,  teils  unter  dem  Tenor  sich  bewegend : 
Contratenor  bassus,  bezw.  altus.  Der  Diskant  wurde  so  der 
höchste:  Supremus,  Soprano.  Daher  die  Namen  unserer  Stimm- 
gattungen: Sopran  oder  Discant,  Alt,  Tenor,  Baß. 

Die  einzelneu  Kompositionsforraen  waren:  das  (reine)  Organum 
(über  einem  cantus  planus  mit  langen,  verschieden  mensurierten  Noten), 
der  Rondell  US  (Rondeau,  mit  wiederkehrender  Melodie  in  den  ein- 
zelnen Stimmen),  Conductus  (mit  drei  bis  vier  vom  Komponisten 
selbständig  erfundenen  Stimmen),  die  Copula  (verziert  und  rasch 
bewegt),  der  Motetus  (dreistimmig  mit  einem  gregorianischen  Choral- 
motiv oder  einem  Volkslied  im  Tenor),  endlich  der  Hoquetus 
(Ochetus,  mit  drei,  abwechselnd  pausierenden  Stimmen'. 

^)  Abgedruckt  bei  Coussemaker  Script.  I.  Dieser  Franko  ist 
nicht  zu  verwechseln  mit  Franko  von  Paris,  einem  um  die  Ent- 
wickelung  der  Mensuralrausik  nicht  minder  verdienten  Musiker,  Ver- 
fasser der  ,,Ars  cantus  mensurabilis"  (abgedruckt  bei  Gerbert,  Script. 
III).  S.  auch  Peter  Bohn,  Magistri  Frankonis  ars  cantus  mensiu-abilis: 
d.  i.  des  Lehrers  Franko  Kunst  des  Mensuralgesanges,  übersetzt  und 
erklärt.  Trier  1880.  Vgl.  über  die  beiden  Franko  und  deren  häufige 
X'ciwechslung  Riemanns  Gesch.  d.  Musiktheorie  114  ff. 


Ars 


(  ( 


Der  Dechant  fand  namentlich  in  Frankreich  seine  Pflege- 
stätte, insbesondere  an  der  Notre  Dame -Kirche  zu  Paris. 
Er  gehörte  übrigens  ebenso  der  kirchlichen  wie  der  weltlichen  Musik 
au,  und  erschien  teils  mit,  teils  ohne  Text. 

Mit  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  sehen  wir  die  Kunst 
der  Mehrstimmigkeit  im  Tonsatze  schon  sehr  entfaltet ;  sowohl 
nach  Seiten  der  Rhythmik  hin,  wie  des  chromatischen 
Elementes,  dem  der  Musiktheoretiker  Mar  ch  et  tu  s  v.  Padua 
(1274)  die  Bahn  gebrochen.  Aus  dem  Discantus  ist  die  Ars 
nova,  Kontrapunkt  genannt,  hervorgegangen.  Die  älteste 
bekannte  Schrift,  die  sich  dieses  Ausdruckes  bedient,  ist  der 
Traktat  „Optima  introductio  in  contrapunctum"  (Beste  Ein- 
fährung in  den  Kontrapunkt)  de  Garlandias,  eines  Schrift-  uariandia. 
stellers  des  13. — 14.  Jahrhunderts.  ^)  Der  erste  berühmte 
Meister  des  Kontrapunkts  war  Philipp  de  Vitry,  f  1361  Vitry 
als  Bischof  von  Meaux.  Er  vermannigfachte  die  Mensural- 
bestimmungen und  führte  den  Gebrauch  kleinerer  Notenwerte 
ein.  Seine  fortschrittlichen  Ideen,  wie  die  Ars  nova  überhaupt, 
fanden  einen  tatkräftigen  Anwalt  in  Johannes  de  Muris,  Muris. 
dem  1350  gewählten  Rektor  der  Sorbonne  zu  Paris.  Dieser, 
mit  Vitry  befreundet,  lehrte  nicht  nur  als  der  Erste  die  Sexte 
zu  den  Konsonanzen  zählen.  Er  stellte  auch  in  seinen  zahl- 
reichen Schriften"-)  in  bezug  auf  den  Diskantus  bereits  Regeln  auf, 
die  heute  noch  gelten,  z.  B. :  soll  der  Diskantus  mit  einer 
vollkommenen  Konsonanz  beginnen  und  schließen  ^) ;   zwei  voll- 

*)  Abgedruckt  bei  Cousseraaker,  Script.  III.  Dieser  Garlandia 
ist  nicht  zu  verwechseln  mit  Johannes  de  Garlandia,  dem 
ältesten  Mensuralschriftsteller  (noch  vor  Franko),  der  1229  Magister  an 
der  neuen  Universität  Toulouse  war.  Sein  Traktat  ,,De  musica 
mensurabili"  abgedruckt  bei  (oussemaker,  Script.  I. 

■)  Sämtlich  bei  Gerbert  Script.  III  bezw.  ("oussemaker  desgl.  ab- 
gedruckt, wir  erwähnen  nur  ,,De  discantu  et  consonantiis",  insbesondere 
aber  die  ,,Ars  contrapuncti  secundum  J.  de  Muris".  Johannes  de  Muris 
aus  Frankreich  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  seinem  englischen  Namens- 
vetter, dem  Magister  der  Mathematik  aus  Oxford,  der  u.  a.  das  gründ- 
lichste musiktheoretische  Werk  des  ganzen  Mittelalters,  das  sieben- 
büchrige  Speculum  musicae  verfaßte,  als  streng  konservativer 
Musiker  aber  seinem  fortschrittlichen  Zeit-  und  Namensgeuossen  aus 
Paris  entgegentrat.  Die  Unterscheidung  der  beiden  Namensträger  er- 
folgte zuerst  durch  Kob.  Hirschfelds  Dissertation  ,,J.  de  M."  1884. 

^1  Da  die  Terz  nicht  als  vollkommene  Konsonanz  galt,  so 
pflegte  man  bis  ins  17.  Jahrhundert  den  Schluß-Akkord  ohne  Terz  zu  geben. 
Eine  Nachwirkung  dieser  Kegel  ist  auch  der  Gebrauch,  Stücke  in  der  dori- 
schen, äolischen  und  phrygischen  Tonart  mit  großer  Terz  abzuschließen. 


78 


IL  Mittelalter. 


Falso 
bonlone. 


kommene  Konsonanzen  (Oktaven,  Quinten)  sollen  nicht  in  ge- 
rader Bewegung  aufeinander  folgen  ;  die  Dissonanz  kommt  nur 
im  Durchgange  vor  und  löst  sich  wieder  in  eine  Konsonanz 
auf;  zwei  Dissonanzen  dürfen  nicht  aufeinander  folgen ;  Gegen- 
bewegung der  Stimmen  ist  womöglich  vorzuziehen  usw. 

In  Frankreich  wurde  der  Kleriker  und  Dichter-Musiker  Guillanme 
de  Machault  (c.  1284— 1372;  seit  1314  am  Hofe  des  blinden  Böhraeu- 
königs  Johann  von  Luxembui-g)  der  Hauptvertreter  der  Tonkunst 
des  14.  Jahrhunderts.  Seine  zur  Krönung  Kaiser  Karls  V.  13G4 
komponierte  Messe  ist  das  älteste  Beispiel  4 stimmiger  Kirchenmusik. 
In  Italien  behauptet  der  Orgelvirtuose  und  Komponist  Francesco 
Landino  zu  Florenz  (f  1397,  vgl.  Kap.  VI)  ähnlichen  Rang.^)  Um 
diese  Zeit  feiert  die  welsche  Dichtkunst  und  Prosa  bereits  ihren 
höchsten,  die  abendländische  Welt  umspannenden  Triumph  in  Dante 
(t  1321),  Petrarca  (f  1374)  und  Boccaccio  (t  1375). 

Neueste  Forschungen  deuten  zweifellos  auf  England, 
als  auf  die  Geburtsstätte  der  Neuen  Kunst;  die  ars  nova  er- 
scheint als  eine  Renaissance  der  Bardenkunst.  In  Eng- 
land hatte  sich  bereits  seit  dem  11.  12.  Jahrhundert,  auf  Grund 
der  schon  längst,  wie  früher  erwähnt,  naturwüchsig  betriebenen 
Mehrstimmigkeit,  eine  eigentümliche  Art,  die  Psalmen  zu 
singen,  entwickelt.  Man  begleitete  nämlich  den  in  der 
Oberstimme  liegenden  P  s  a  1  m  t  o  n  vorzugsweise  mit  der  Unter- 
Quarte  und  Sexte,  also  in  Sext- Akk  orden.  Da  nun  hier 
statt  des  Grundtones  stets  die  Terz  im  Basse  lag,  nannte  man 
diese  dann  auch  in  Frankreich  auftretende  Form  des  Psalmo- 
dierens  „Falso  bordone"  (falscher  Baß),  französisch  Fa ux- 
Bourdon  (Faulx-Bourdon).  Als  der  päpstliche  Hof  1377  von 
Avignon  nach  Rom  zurückkehrte,  wurde  diese  Gesangsart  auch 
dahin  verpflanzt. 

Als  Beispiel  eines  solchen  Falso  bordone  teilt  der  Mailänder 
Theoretiker  Franchinus  Gafor  (f   1522)  das  folgende  mit: 

Cantus. 


Tenor 


^)  S.  die  Beschreibung  der  Musikhandschriften  des  14.  Jahrhdts. 
in  Joh.  Wolfs  obenerwähnter  „Gesch.  d.  Mensuralnotation", 


Faulxbourdon.  79 


Eine  ausführliche  Besprechung  des  Faulxbourdon  gibt  um  1450 
ein  Traktat  des  Mensuralschrittstellers  G  u  i  1  e  1  ra  u  s  M  o  u  a  c  h  u  s ,  der  Ouilelmus 
jenen  Diskant  als  etwas  in  England  allgemein  bekanntes  -^ouachus. 
hinstellt.  Er  spricht  auch  von  einer  Abart,  genannt  Gymel  icantus  Gj-mel. 
gern  ellu  s  =  Z  wi  llingsgesang).  Dr.  Viktor  Lederer  ergänzt  in 
seinem  Buche  ..Ueber  Heimat  und  Ursprung  der  mehrstimmigen  Tonkunst" 
(I.,  265  ff.)  die  bisherigen  Forschungen  ')  wesentlich  und  deutet  die  Defini- 
tion des  Faulxbourdon  diuch  den  Mönch  Wilhelm  in  folgendem  Sinne : 
,,Fau  Ixbo  urd  on  ist  die  Harmonisierung  einer  Sopran- 
melodie, der  zufolge  der  Baß  nicht  wirklich  die  ,Bürde'  der  andern 
Stimmen  auf  sich  nimmt  (bürden,  das  deutsche  , Bürde'  heißt  noch 
heute  im  Englischen  ,Baß'),  sondern  lediglich  mit  harmonischer 
Funktion  (also  als  ein  .falscher  Bürdentniger')  sich  den  andern 
Stimmen  beigesellt,  just  wie  der  alte  Grundbaß,  pumhart,  Bordunus  (unsere 
,Baßquinten'  oder  , Bauernquinten',  vgl.  S.  8!)l.  Denn  bei  dieser  Kom- 
positionsart ist  eben  das  Fundament  der  Komposition  nicht  eine  ein- 
zelne Stimme,  sondern  —  die  Harmonie." 

Später  entwickelte  sich  noch  eine  andere  Art  des  Psalnio- 
dierens,  heute  noch  angewendet  und  ebenfalls  Falso  bordone 
genannt,  obw^ohl  sie  streng  genommen  diesen  Namen  nicht  ver- 
dient, weil  die  Voraussetzung  des  „falschen  Basses"  nicht  zu- 
trifft. Es  werden  nämlicb  die  Psalmen  von  zwei  Chören  so  vor- 
get ragen,  da B  immer  abwechselnd  ein  Vers  einstimmig 
im  gewöhnliilien  Psahntone,  der  zweite  aber  in  mehr- 
stimmigem Satze  gesungen  wird.  Dieser  mehrstimmige  Satz 
enthält  entweder  den  Psalmton  als  Cantus  firmus  im  Tenor,  oder 
er  ist  frei,  d.  h.  ohne  EinHechtung  des  Psalmtoues  erfunden.  Ver- 
gleiche Anhang,  Beilagen  13  und  14.  (Eine  reiche  Auswahl  solcher 
Falsibordoni  bringt  die  „Musica  divina'"  von  Dr.  Proske  3.  Band.) 

Unter  den  Kirchenliedern  aus  der  hier  zuletzt  betrachteten 
Zeit  1I2.  13.  Jahrhdt.)  finden  wir  auch  das  älteste  Denkmal  der 
Musik  in  Böhmen,  das  St.  A  d  a  1  b  e  r  t  s  1  i  e  d  ,,Hospodyne  pomilu  j 
ny"  (Herr,  erbaniie  dich  unser).  Diesem  ersten  geistlichen  Volkslied 
Böhmens,  das  bis  heute  als  tschechisches  Nationallied  fortlebt,  gesellte 
sich  gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  das  nicht  minder  populär  ge- 
wordene ,, Wenzelslied''  hinzu.'-) 


^)  Vgl.  namentlich  Dr.  Guido  Adlers  den  Faulxbourdon  nach 
jenem  Traktate  behandelnde  „Studie  zur  Geschichte  der  Harmonie", 
1881,  mit  ihrer  These,  daß  Kontrapunkt  und  Harmonie  im  Volks- 
gesange  der  nordischen  Völker  Westeuropas  w  urzeln  und  sich  längere 
Zeit  parallel  entwickelten.  Ferner  H.  Riemanns  „Gesch.  d.  Musik 
theorie". 

2)  Vgl.  Batka,  Gesch.  der  Musik  i.  Böhmen,  I.,  Prag  1906. 


80 


II.  Mittelalter. 


6.   Die  außerkirchliche  Laienmusik. 

Barden.     J'  r  o  n  b  a  d  o  u  r  s.     M  i  n  u  e  -  und  M  e  i  s  t  e  r  s  ä  n  g  e  r. 
Fahrende  Spielleute.     Zunftwesen.    Instrumente.     Anfänge 
des   musikalischen   Dramas.     Volkslied    und    weltliches 

Kunstlied. 


Ein  eigentümlicher  Zug  frischer  Romantik  beherrschte  das 
12.  und  13.  Jahrhundert.  Siehe  die  Kreuzzüge,  das  Ritter- 
wesen, aber  auch  das  Erscheinen  der  Troubadours  und 
Minnesänger. 

Daß  wir  es  hier  mit  einem  kulturhistorisch  äußerst  inter- 
essanten Nachhall  der  romantisch-heldischen  Lebensauffassung 
der  alten  Britannier  zu  tun  haben,  hat  erst  in  allerjüngster 
Zeit  der  junge  Gelehrte  Dr.  Viktor  Lederer  in  seinem  bereits 
erwähnten  aufsehenerregenden  Werke  ..lieber  Heimat  und  Ur- 
sprung der  mehrstimmigen  Tonkunst"  aufgezeigt.  Hier  wird 
erstmals  nachgewiesen,  daß  auch  die  „fahrenden  Sänger  und 
Musikanten,  die  vagierenden  Kunstträger  und  Kulturgründer 
des  Mittelalters,  auf  die  eigentlich  alles  zurückgeht,  was  das 
Mittelalter  an  Geistesprodukten  hervorgebracht'",  daß  auch  sie 

Barden,  einst  eine  Heimat  hatten  :  Britannien,  mit  seinen  Barden  , 
den  geheiligten  Sänger-Dichtern  der  alten  Kelten  mit  dem  aus- 
gesprochenen Wandertrieb!  Dort  im  alten  Wales,  das  wir 
nunmehr  als  Heimatland  der  Polyphonie  erkennen  sollen,  dort 
blühte  der  mehrstimmige  Volksgesang,  dort  sangen  die  Barden 

Chrotta.  ihre  Lieder  kunstgerecht  zur  C  h  r  o  1 1  a  ,  einem  der  ältesten 
Streichinstrumente,  das  wir  kennen. 

Schon  der  Dichter  Venance  Fortunat,  Bischet  von  Poitiers 
(t  609),  erwähnt  es,  indem  er  schreibt:  „Der  Römer  lobt  dich  auf  der 
Leier,  der  Barbar  singt  dir  mit  der  Hai'i'e,  der  Grieche  mit  der  Zither, 
der  Britannier  mit  dem  Crouth."  Die  älteste  Form  hatte  nur 
drei  Saiten;  der  Steg  stand  mit  einem  Fuße  auf  der  Unterdecke,  so 
daß  er  den  Stimmstock  bildete.  Später  hatte  das  Instrument  sechs 
Saiten,  wovon  vier  auf  dem  Griffbrett  und  zwei  neben  demselben 
waren,  weil  sie  von  dem  Daumen  der  linken  Hand  gerissen  wurden. 
Fig.  5  dieses  Abschnittes  ist  eine  Abbildung  des  Instrumentes  des 
Barden  Morgan.     (Bibliothek  zu  Dresden.) 

Als  „Erben,  Nachfolger  und  Volksgenossen"  der  alten 
Barden  lehrt  uns  der  genannte  Forscher  nun  all  die  wandernden 
Sänger,  Spielleute,  Jongleure,  Menestrels  usw.  betrachten,  die 
die  britannischen  Artussagen  und  Minnelieder  auf  dem  Kontinent 
verbreiteten  und  die  zugleich  die  eigentlichen  „Lehrmeister  aller 


Die  außerkirchliche  Laienmusik.    Bardeu.    Troubadoure.       81 

mittelalterlichen  Dichter  und  Komponisten,  Troubadoure,  Trou- 
veres,  Minne-  und  Meistersinger"  wurden,  denen  wir  nunmehr 
hier  begegnen  sollei>.. 

Im  südlichen  Frankreich  und  in  Spanien  waren  es  ins- 
besondere die  Höfe  der  Grafen  von  Toulouse,  der  Provence, 
Navarra  und  Barcelona,  wo  Poesie  und  Gesang  geliebt 
und  gepflegt  wurden.  An  diesen  Musen-Höfen  traten  nun 
ritterliche  und  fürstliche  Personen  auf,  die  ihre 
dem  Preise  der  Frauen  gewidmeten  Dichtungen  in  Form  von 
Liedern  in  der  Regel  durch  Spielleute  vortragen 
ließen  und  (in  der  Provence)  Troubadours  oder  (in  Nord-  Troui.a- 
frankreich )  Trouveres  (von  trouver,  [erjfinden,  abgeleitet)  * """' 
genannt  wurden.  Jene  Spielleute,  handwerksmäßige  Musiker 
von  untergeordneter  Lebensstellung,  hießen  „Jongleurs" 
(^entstanden  aus  joculator,  Spaßmacher)  oder  englisch  ,.Min- 
strels**  (abgeleitet  von  Minister,  Gehilfe).  Als  Begleitiustru- 
mente  dienten  Drehleicr,  Viole  oder  die  Kotta  und  andere  harfenartige 
Instrumente  (s.  S.  87  fT.i.  Die  Troubadours  waren  nicht  gelehrte 
Theoretiker,  sondern  Naturalisten  und  begabte  Improvisatoren. 
Ihre  Melodien,  einem  überwallenden  Gefühle  entsprossen,  hatten 
nicht  jene  .strenge  und  starre  Form  wie  die  der  eigentlichen 
Fachmusiker,  sondern  ähnelten  mehr  dem  Volksliede.  Beilage 
Nr.  15  des  Anhangs  bringt  eine  solche  Melodie  von  Chätelain 
(Kastellan)  Regnault  de  Coucy. 

Unter  den  verschiedenen  Können  der  Troubadourgesänge  (Chan- 
sons, Rondels  ^Kundgesänge^  u.  a. '  tritt  die  verbreitete  (les  Lais  (engl. 
Lay,  spr.  le)  charakteristisch  hervor.  Der  Name  bezeichnet  ursprünglich 
die  (xesänge  der  bretonschen  Harther,  später  eine  Art  Ballade.  Aus 
diesen  altfranzösischen  Lais  gingen  die  Leiche  der  Minne-  und  Meister- 
sänger  hervor.^)  Ein  reicher  Schatz  solch  küstlicher  weltlicher  Melodien 
ist  uns  erhalten  und  neuerer  Zeit  durch  die  Publikationen  der  Soci^te 
des  anciens  toxtes  tran(;ais  zugänglich  gemacht.- 1 

Als    einer    der    berühmtesten  Troubadours  gilt  Adam  de      Adam 
la    Häle   (Halle    [c.    1240—1287]).      Dieser   war    in    genialer «^^  •»  "^'e- 

')  Ferd.  Wolf,   Ueber  die  Lais,   Sequenzen  und  Leiche.     1841. 

-)  Unterschiedliche  Balladen,  Kondos,  Motetten  und  Lais  tinden 
sich  in  dem  Roman  de  Fauvel  aus  den  Jahren  1310  bis  14,  eine 
Satire  gegen  die  Gesellschaft;  Fauvel  ist  der  Name  eines  Pt'erdes.  das 
die  menschliche  Eitelkeit  sjTnholisiert).  Das  bisher  unveröflfentlichte 
Manuskript  aus  der  Pariser  Nationalbibliothek  ist  durch  PieiTC  Aubrj- 
1907  bei  P.  Geuthner.  Paris  erschienen.  —  Melodien  provencalischer 
imd  altfranzösischer  Lieder  bringt  die  Faksimilausgabe  des  Chansonnier 
de  St.  Germain  von  Mayer  und  Raynaud,  1892. 

K  oth  e-Proehäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.  6 


82  II.  Mittelalter. 


Weise  nicht  bloß  Erfinder  der  Lieder,  sondern  auch  aus- 
übender Musiker.  Von  ihm  rührt  das  erste  dramatisch- 
musikalische  Werk,  das  Liederspiel  „Robin  und 
Marion"  her,  das  1182  am  Hofe  Roberts  IE.  von  Artois  zu 
Neapel  zuerst  zur  Aufführung  kam.  Dasselbe  schildert  in  naiver 
und  treffender  Weise  eine  ländliche  Liebesintrigue.^)  Der  Autor 
wird  mit  Recht  als  der  Begründer  der  französischen 
komischen  Oper  angesehen.  Seine  W^erke  sind  von  un- 
schätzbarer Bedeutung  für  die  Musik  jener  Zeit.") 

Ein  berühmter  Troubadour  ist  ferner  König  Thibaut  IV. 
von  Navarra  (1201 — 1253);  einige  seiner  Lieder  werden 
noch  mitunter  in  historischen  Konzerten  gehört.^) 

Vielfach  fußen  die  Lieder  der  Trouveres  auf  dem  schon  im 
13.  Jahrhundert  blühenden  französischen  Volkslied,  auf  dessen 
Motive  dann  auch  die  Kontrapunktiker  des  15.  und  16.  Jahrhunderts 
ihre  Werke  bauten.  Wir  nennen  nur  die  Volkslieder:  ,.L'homme  arme" 
(englischen  Ursprungs !    Led.  I,  234  ff.)  und  „Dieu  quel  mariage".*) 

Im  südlichen  Deutschland  äußerte  sich  der  romantische 
o'^'^^ol"     Zug   der    Zeit   im    M  i  n  n  e  g  e  s  a  n  g  e.      Die    Minnesänger 

sanger.  &  o  o  o 

unterschieden  sich  von  den  Troubadours  dadurch,  daß  sie  stets 
ihre  Gesänge  selbst  vortrugen  und  sich  gewöhnlich  mit 
einer  kleinen  dreieckigen  Harfe  (Spitzharfe,  Psalter)  be- 
gleiteten, wie  solche  auf  Handschriften  vielfach  abgebildet 
sind  (z.  B.  auf  der  in  der  Münchener  Hofbibliothek  befind- 
lichen Handschrift  von  Gottfried  von  Straßburgs  „Tristan  und 
Isolde").  Inhalt  der  Gesänge  war  auch  hier  das  Lob  der 
Frauen,  dann  Preis  der  Natur  und  Schilderung  politischer  Er- 
eignisse.    Während  aber  in  Frankreich  bei  dem  Lob  der  Frauen 


^)  1822  wieder  aufgefunden  und  nach  dem  Original  ediert,  1896 
bearbeitet  und  aufgeführt  durch  den  Pariser  Komponisten  und  Musik- 
schriftsteller J.  Tier  so  t  (geb.  1857  .  Zwei  Lieder  aus  „Robin  und 
Marion",  von  W.  Tappert  bearbeitet,   erschienen  bei  Challier,   Berlin. 

')  Eine  Gesaratausgabe  der  Werke  des  Adam  de  la  Haie  ver- 
öffentlichte Charles  Edmund  Henri  de  Coussemaker  1872  in  Paris 
unter  dem  Titel  „Oeuvres  completes  du  trouvere  Adam  de  la  Halle 
Po6sies  et  Musique".  Vgl.  H.  Guj-,  Essav  sur  la  vie  et  les  oeuvres 
litteraires  d'Adam  de  la  Haie,  1898. 

^)  Vgl.  Diez,  „Die  Poesie  der  Troubadours"  (1882).  Her\-or- 
ragend  betätigt  sich  auf  diesem  Gebiete  der  Pariser  Musikgelehrte 
Pierre  Aubry  (geb.  1874).  Siehe  desselben  „Les  jongleiu's  dans 
l'histoire"  in  den  S.  43  erwähnten  „Memoires''  1900. 

*)  Vgl.  J.  Tiersot.  Histone  de  la  chanson  populaire  en  France, 
1889,  u.  a. 


Minnesänger.     Meistersinger.  83 

mehr  das  sinnliche  Element,  die  Galanterie,  die  Oberhand  ge- 
winnt, zeichnen  sieh  die  Deutschen  durch  Gemütstiefe  und 
Sittenreiiiheit  aus  —  ein  Abglanz  des  Marienkultus.  Ganz 
merklich  beeinflußt  auch  der  gregorianische  Choral  die 
Gestaltung  dieser  Gesangweisen.  Berühmt  ist  der  Sängerkrieg 
auf  der  Wartburg:  in  Gegenwart  der  heil.  Elisabeth,  Land- 
gräfin von  Thüringen  (geb.  1207),  ringen  um  die  Palme: 
Wolfram  von  Eschenbach,  Walther  von  derVogel-^. ^*vo® ^i. 
weide,  der  Hauptvertreter  der  mittelalterlichen  Lyrik  zur  weide. 
Hohenstaufenzeit,  Heinrich  von  Of terdingen  u.  a.^)  Als 
letzte  Ausläufer  gelten  Heinrich  Frauenlob  von  Meißen 
(14.  Jahrh.)  und  Oswald  von  Wolkenstein  aus  Tirol 
(15.   Jahrh.). 

Wir   besitzen   auch   von   den   Minnesängern   eine   grolie    Anzahl 
Dichtungen  mit  Melodien    in   den  mittelalterlichen  Liederhand-      ^^'^^^' 
Schriften,   so   beispielsweise   in   der   ,.J  e  n  ae  r  Han  dschr  i  f  t".-)    sci,"",en. 
Beilage  Nr.  16   bringt  eine  Probe  des  deutschen  Minnegesanges. 

Die  Notienmg  der  weltlichen  Lieder  des  Mittelalters  erfolgte 
gleich  wie  Jene  der  kirchlichen  Gesänge  mittels  der  Choralnotenschrift. 

Als  ältestes  Denkmal  deutscher  Musik  a  u  s  B  ü  h  m  e  n 
(imter  Wenzel  L  weilten  deutsche  Minnesänger,  u.  a.  Frauenlob,  auch 
am  Prager  Hofe  existieren  die  Lieder  des  Minnesängers  M  ü  1  i  c  h 
von  Prag    c.  13(X»).3, 

Musikalische  Bildung  gehörte  damals,  mehr  als  Lesen  und 
Schreiben,  zur  guten  Erzifhuni,'.  In  Gottfried  von  Straßburgs 
romantischem  Epos  „Tristan  und  Isolde'"  rühmt  sich  der  Held,  ,.Fiedel, 
Symphonie  (eine  Art  Drehleyer),  Harfe,  Rotte  (Geigeninstrument,  vgl. 


1)  R.  Wagner  benutzte  diesen  Sängerkampf  als  Vorwurf  zu 
seinem  , Tannhäuser".  —  Ausführliches  über  die  Minnesänger  und 
jenen  Kampf  bringt  F.  H.  von  der  Hagen  im  4.  Bd.  seines  Werkes: 
„Die  Minnesänger"  (1838 — 56). 

-I  Neuausgabe  von  Holz,  Saran  und  Bernoulli  1902.  Vgl.  auch 
F.  Runges  Publikation  „Die  Sangesweisen  der  Colmarer  Hand- 
schrift und  die  Liederhandschrift  Donaueschingen",  Leipzig  1896, 
desselben  „Die  Lieder  des  Hugo  von  Montfort  mit  den  Melodien  des 
Bm-k  Mangolt",  1906.  Heinr.  K  i  e  t  s  c  h  s  Veröffentlichung  der  „M  o  n  d  - 
see- Wiener  Li  ed  er  han  d  sehr  ift"  1896,  und  Oswald  Kollers 
Ausgabe  der  Lieder  Oswalds  v.  Wolkenstein  i Denkmäler  d. 
Tonk.  i.  Oesterr.,  IX,  1.  1902\  Während  die  beiden  letzten  Historiker 
<iie  Melodien  im  mensuralen  Sinne  deuten,  leiten  P.  Runge  und  H.  Riemann 
(„Die  Melodik  der  Minnesänger",  Mus.  Wochenbl.  1897),  neue  Gesichts- 
punkte für  die  Lesung  der  Troubadour-  und  Minnesängernotierungen  ent- 
wickelnd, die  Rhythmik  der  Melodie  aus  dem  Metrum  des  Gedichtes  ab. 

3)  Nach  der  Colmarer  Handschrift  kritisch  herausgegeben  von 
R.  Batka,  Prag  19i>5.     Vgl.  desselben  Gesch.  d.  Mus.  i.  B.  19(:>6. 

6* 


84  II-  Mittelalter. 


Meister- 
singer. 


unt.)  und  auch  Leyei"*  gelernt  zu  haben.  Der  Reinichronist  Ottokar 
erzählt  von  einer  Dame,  daß  sie  „fiedeln  und  singen''  könne.  — 
Der  Minnegesang  ist  die  geistige  Unterhaltung  der  Vornehmen. 

Im  14.  Jahrhundert  geht  diese  Kunst  auf  die  Bürger 
reicher  Städte,  wie  Nürnberg,  Mainz,  Straßburg,  München,  Colmar, 
Regensburg,  Prag  usw.  über.  Es  bilden  sich  unter  strengen 
Satzungen  (Tabulatur)  förmliche  Gilden,  Meistersinger 
genannt.  Erst  im  Jahre  1839  fand  dieser  Meistergesang  ein  völliges 
Ende,  als  die  letzten  vier  Mitglieder  der  Gilde  zu  Ulm  ihr  Innungs- 
zeicheu,  ihre  Bücher,  Fahnen  usw.  dem  dortigen  „Liederkranze"  mit 
einer  förmlichen  Urkunde  übergaben.  Man  unterschied  Meister, 
Dichter,  Singer,  Schulfreunde  und  Schüler.  Meister 
wurde,  wer  einen  neuen  Ton  erfand,  d.  h.  wer  selbsterfundene  Ge- 
dichte nach  eigenen  Melodien  vortrug ;  Dichter  war,  wer  eigene 
Gedichte  nach  fremden  Weisen  sang;  Singer  kannten  die  gebräuch- 
lichen Melodien  auswendig ;  Schulfreunde  besaßen  genügende  Kenntnis 
der  Gesetze.  Die  Schüler  hatten  erst  die  Tabulatur,  d.  i.  die  vor- 
geschriebenen Gesangregeln  zu  lernen. 

Ein  Meisterlied  hieß  ,,Bar'' ;  es  bestand  aus  „Gesätzen"  (Strophen), 
jedes  Gesätz  aus  zwei  „Stollen"  von  gleichem  Ton,  und  einem  „Ab- 
gesang"  mit  anderem  Versmaß  und  anderer  Melodie.  Von  Zeit  zu 
Zeit  wurden  Wettgesänge  ausgeschrieben,  die  man  ,, Schule"  nannte. 
Die  Gesänge  selbst  nmßten  frei  und  ohne  Anstoß  vorgetragen  werden. 
Von  vier  Merkern  achtete  je  einer  auf  die  Melodie,  auf  den  Versbau, 
auf  die  Reime  und  einer  darauf,  daß  der  Inhalt  der  Gedichte  nicht 
der  heil.  Schrift  —  ihr  waren  die  Stoffe  meist  entnommen  —  wider- 
spreche. Fehler  wurden  auf  der  Merkertafel  angekreidet  und  durch 
festgesetzte  Strafen  gesühnt.  Zum  Schlüsse  verteilte  man  die  Preise.  Wer 
solch  einen  Preis  errungen,  durfte  Schüler  zur  Ausbildung  annehmen. 

Die  Meistersingerei  war  zuletzt  jeder  Poesie  bar  und  zum 
reinen  mechanischen  Handwerk  herabgesunken.^)  Den  (mit 
der  Mensuralnotenschrift  aufgezeichneten)  Melodien  gab  man ,  wie 
schon  die  Minnesänger  getan,  verschiedene  wunderliche  Namen.  So 
kannte  man  den  „abgespitzten",  den  ,, grünen",  den  „vergessenen" 
Ton,  den  „Muskatblüte-Ton",  die  „abgeschiedene  Vielfraßweis", 
„Schwarzriinten-Weis",  ,, kurze  AfTenweis"  usw.  Die  Weisen  sind  uns 
nicht  so  zahh-eich  erhalten,  wie  die  Dichtungen  selbst. 

Man  mag  dem  Streben  und  der  Gesinnung  der  Meister- 
singer noch  so  große  Anerkennung  zollen  und  namentlich  zu- 
gestehen, daß  sie  die  Liebe  zu  Musik  und  Poesie  in  bürger- 
lichen Kreisen  geweckt  und  gepflegt  haben,  Tatsache  ist,  daß 
sie    zur   Förderung    der  Tonkunst,    wenigstens    in    den    letzten 

1)  R.  Wagner  hat  in  seiner  Lustspiel-Oper  „Die  Meistersinger 
von  Nürnberg"  eine  ergötzliche,  zugleich  kulturhistorische  Schilderung 
dieser  Verhältnisse  gegeben. 


Meistersinger.  85 


Jahrhunderten,  so  gut  wie  nichts  beigetragen  haben.  Der 
Geist  ist  es,  der  lebendig  macht,  nicht  aber  totes, 
handwerksmäßiges  Formelwesen.  —  Berühmte  Meistersinger 
waren  die  Nürnberger  Hans  Rosenblüt.  Hans  Folz  und 
namentlich  Hans  Sachs,  Schuhmacher  zu  Nürnberg  im  An- Hans  Sachs, 
fange  des   16.   Jahrhunderts.^) 

Außer  den  Jongleurs,  die  die  Troubadours  begleiteten,  gab 
es  norh  viele  „fahrende"  Spielleute,  Fiedler  und  Pfeifer.  Ip'^Sfieute. 
Nach  dem  Schwaben-  und  Sachsenspiegel  ehr-  und  rechtlos 
und  von  der  Kirchengemeinschaft  ausgeschlossen,  erfreuten  sie 
sich  doch  beim  Volke  großer  Beliebtheit :  führten  sie  ja  bei 
allen  Festlichkeiten  die  Musik  aus,  die  aus  Tänzen  und  mit 
Instrumenten  begleiteten  Liedern  bestand.  Ein  Fiedler  oder 
Pfeifer  mindestens  begleitete  die  alten,  stets  gesungenen 
Tanzlieder.-)  Außerdem  trieben  sie  Gaukelspiel  und  Possen- 
reißerei  (vgl.  oben  „joculator").  Es  war  ein  lustiges  Völkchen, 
leichtsinnig  wohl,  doch  auch  gutherzig.  Der  bessere  Kern 
dieser  „Fahrenden"  schloß  sich  endlich  zu  eigenen  Gilden, 
sog.  Brüderschaften,  zusammen  und  stellte  sich  unter  schaften. 
den  Schutz  eines  mächtigen  Herrn.  Als  älteste  Gilde  wird 
die  von  AVien  ^1288)  genannt.  Ihr  Schirmherr  hieß  „Spiel- 
graf*, und  ein  „Spielgrafenamt",  das  bis  1782  bestand,  sorgte 
für  Aufrechterhaltung  der  Statuten.  Im  Elsaß  und  in  Frank- 
reich hieß  der  vom  König  ernannte  Vorsteher  „Geigerkönig".  ^^jf^lfj!" 
Dessen  Stellvertreter  und  eigentliche  Leiter  der  Zunft  war  der 
„Pf  eif  e  r  kö  n  ig".^)     Die  Wiener  „Niicolaibrüdersehaft'"  hatte  den 


')  „Hans  Sachs  nnd  die  Meistersinger  in  Nürnberg''  von  Friedr. 
Scliulteis,  Nürnberg  ISTi.  Ferner  Schnorr  von  Carolsfeld, 
„Zur  Gesch.  des  deutsch.  Meistergesanges",  1^72.  Kurt  Mey,  „Der 
Meistergesang  in  Geschichte  und  Knnst",  lixil.  Vgl.  hinsichtlich  der 
Notierung  auch  Ranges  oben  genannte  Publikationen. 

-')  Sie  bestanden  aus  dem  Reigen  (Ihiuptteil  im  geraden  Tanz) 
imd  dem  Nacht  an  z  (angeschlossener  S[mngtanz  im  dreiteiligen  Takt». 
In  die  deutsche  Minnesängerzeit  verweist  man  das  Entstehen  des 
„Walzens",  daraus  gegen  Ende  des  14.  Jahrhdts.  der  Walzer  wurde 
(als  Fackeltanz  bei  Hof  imd  Adeb.  Dem  Reigen  entspricht  im 
16.  Jahrhundert  die  allgemein  verbreitete  langsame  Pavane  (Paduana, 
aus  Padua  herstammend'  und  dem  Nachtanz  (ital.  Saltarello  oder 
Romanesca)  die  rasche  Gaillarde. 

^)  Vgl,  Ernst  Barre,  „Die  Brüderschaft  der  Pfeifer  im  Elsaß", 
1873.  Zur  500jährigen  Jubelfeier  wurde  1890  zu  Straßhnrg  ein  von 
Dr.  Ernst  Jahn  verfaßtes  volkstümliches  und  historisches  Stück  „Die 


gg  IL  Mittelalter. 


Erbkäuimerer  Peter  von  Ebers torff,  die  StraUburger  „Brüderschaft 
der  Kronen"  die  Herreu  von  Rappoltstein  zu  Protektoren.  Jähr- 
lich hielt  man  „Pfei t'erger ichte"  ab.  Da  wurden  Streitigkeiten  ge- 
schlichtet und  Strafen  verhängt.  Die  „Geigerköuige"  in  Frankreich 
forderten  sogar,  daß  auch  die  Organisten  und  sonstigen  Künstler  unter 
ihre  Jurisdiktion  gehören  sollten.  Couperin  u.  a.  opponierten  aber 
heftig  und  führten  einen  ihnen  günstigen  Parlamentsbeschluß  herbei. 
Diese  Gilden  wandelten  sich  später  (seit  dem  15.  Jahrhundert) 
in  das  Institut  der  „Stadtpfeifer"  (einem  Stadtmusikus  unter- 
pfeifer.  stehend)  um ;  sie  reichten  bis  in  die  neuere  Zeit  herein  ^j  und 
erzielten  unzweifelhaft  günstige  Erfolge.  Unbemittelte  Musik- 
schüler wurden  vom  „Stadtpfeifer"  unentgeltlich  unterrichtet 
und  mußten,  ehe  sie  „frei"  wurden,  etwas  Tüchtiges  lernen; 
durch  das  Privilegium,  einzig  und  allein  die  Musiken  liefern 
zu  dürfen,  fanden  die  Mitglieder  ihr  Auskommen.  Nicht  zuletzt 
wurde  auf  die  Sittlichkeit    der  Zunftgenossen  eingewirkt.-)  — 


Das  seit  1200  in  Deutschland  aufgekommene  Zunftwesen 
mit  seinen  Innungen  lenkt  unseren  Blick  naturgemäß  auch  auf 
=♦  „J?I„.^  die  Gilde  der  I  n  s  t  r  u  m  e  n  t  e  n  m  a  c  h  e  r  und  damit  auf  die 
Gruppen  der  im  Mittelalter  gebräuchlichen  Tonwerkzeuge 
selbst.  Wie  der  Verlauf  unserer  Darstellung  lehrte,  steht  die 
weltliche  Musikübung  dieser  Zeit  im  strengen  Gegensatze  zur 
kirchlichen  auch  in  bezug  auf  die  angewendeten  Mittel.  Die 
Kirche  pflegt  fast  nur  das  vokale  Element.  Neben  den  Ge- 
sängen des  wie  uns  bekannt  in  besonderen  Singschulen  dafür 
Orgel,  ausgebildeten  Klerus  behauptet  sich  allein  die  Orgel.  Alle 
anderen  Instrumente    wurden    aus   der  Kirche,    in    die  sie  sich 


Pfeiferbrüder"  mit  großem  Beifall  aufgeführt.  S.  auch  das  Musik- 
drama „Der  Pfeifertag"  von  M.  Schillings. 

^ )  Ein  Ueberbleibsel  ist  die  allerdings  ueuorganisierte  „Musicians' 
Company  of  the  city  of  London"  aus  dem  Jahre  1472. 

2)  Vgl.  A.  Schubiger,  ,, Musikalische  Spizilegien"  („Die  außer- 
liturgischen Lieder"  und  „Zur  mittelalterlichen  Instrumentalmusik"), 
1876;  auch  Wasielewski,  „Gesch.  d.  Instrumentalmusik  i.  16. 
Jahrhdt.",  1878  und  J.  Sittard,  „Jongleurs  und  Menestrels",  1885 
i.  d.  Vierteljahrsschr.  f.  M.  W.  —  H.  M.  Schletterers  „Geschichte  der 
Spielmannszunft  in  Frankreich  und  der  Pariser  Geigenkönige"  (Berlin 
1884  bei  Damköhler)  bildet  den  2.  Teil  seiner  „Studien  zur  Gesch. 
d.  französischen  Musik",  die  lediglich  eine  Ueber Setzung  des 
Buches  „Chapelle-Musique  des  Rois  de  France',  Paris,  Paulin,  1832, 
von  dem  Pariser  Musikschriftsteller  Fr.  Henri  Castil-Blaze  (1784 
bis  1857)  sind.  S.  Hob.  Hirschfelds  abfällige  Kritik  darüber  in  der 
„Neuen  Zeitschr.  f.  Mus.",  1884,  Nr.  35  36. 


Fahrendes  Volk.     Zünite.     Inslrumeute. 


87 


allerdings  früher  mehr  oder  minder  Eingang  verschafft,  im 
13.  Jahrhundert  verwiesen,  weil  —  sie  in  den  Händen  der 
geächteten  Fahrenden  Spielleute  .mißbraucht"  wurden. M  Von 
der  Orgel,  dem  Mono-  und  Klavichord  soll  noch  später  im  be- 
sonderen die  Rede  sein  s.  Kap.  VI,  VIII),  ebenso  von  der  Familie 
der  Lauten.  Hierher  gehören  außer  den  kleinen,  frühmittel- 
alterlichen Harfen:  dem  dreieckigen  Psalter  und  der  vier- 
eckigen Rot  ta,-)  die  unterschiedlichen  St  reich-  und  Blas- 
instrumente. 

Eine  wichtige  (Quelle  tiu-  die  Kenntnis  einzelner  alter  Instru- 
mente, soweit  solche  überhaupt  nicht  mehr  vorhanden,  bieten  die  er- 
haltenen Meisterwerke  der  bildenden  Kunst.  Plastik  und 
Malerei  nehmen  lebhaften  Anteil  an  der  Tonkunst  ihrer  Tage.  Sie 
erfassen  die  Musik  in  erster  Linie  als  charakteristisch  als  Ausdruck 
himmlischer  Seligkeiten.  Man  denke  nur  an  die  Madonnen-  und 
Engelsgestalten  eines  A  Ib  rec  li  t  D  ür  er  Ü471  — Lö82  zu  Nürnberg),^) 
an  die  singenden  und  musizierenden  Engel  des  Gründers  der  alt- 
tlandrischen  Malerschule  Van  Eyk  (1366 — 1426  ,  an  die  Darstellungen 
der  christlichen  Schutzfrau  der  Tonkunst,  der  hl.  Cäcilia  durch  Meister 
wie  Rubens  (1577—1040),  Raffael  (1483—1520,  und  v.  a.  Nicht 
minder  an  die  unterschiedlichen  Skulpturen  Konsoltiguren,  Kapitäl- 
reliefs  usw.)  an  den  kirdilichen  Dauwerken,  den  Domen  zu  Köln  und 
Aachen,  den  Kathedralen  zu  Rheims  oder  BeverlcN'  (England);  ein 
ReUef  der  St.  Georgkirche  zu  Hocherville  aus  dem  12.  Jahrhdt.  zeigt 
uns  ein  mittelalterliches  „Orchester'. 

lieber  die  Entwickelung  der  Bauait  der  Bogeninstrumente 
herrschte  bis  zum  Anfange  des  ItJ.  Jahrhunderts  noch  grosses  Dunkel, 
weil  die  Schriftsteller  darüber  wohl  einzelne  Notizen,  aber  keine  aus- 
führlichen Beschreibungen  gaben.  Erst  mit  Sebastian  Vir  düng 
.Musical511,  s.  unt.  ,  Martin  Agric  ol  a  (Musica  Instrumentalis,  1528) 
und  Hans  Gerle  (.Musica  und  Tabulatur,  L540)  tliessen  die  Nachrichten 
reichlicher.  Da  die  Genannten  aber  dieselben  Instrumente  nicht  selten 
mit  verschiedenen  Namen  bezeiehnen,  fehlt  es  auch  jetzt  nicht  au  Un- 
klarheiten. 

Im  allgemeinen  stellt  sich  der  Entwickelungsgang  in  fol- 
genden Instrumenten  dar:  (.'harotta  (Crouth),  Rebek, 
Trumscheit,  Radleier,  Fidel,  Viele  und  Violine. 
Die  Streichinstrumente  sind  eine  Errungenschaft 
des  Mittelalters.     Ursprung  und  Entwickelung  weisen  un- 


Klavtcliord. 

Lauten. 
H  arfen. 


')  „Propter  abusum  histriommi"  d.  i.  „der  Gaukler'*!  berichtet 
der  gelehrte  Benediktinerabt  Engelbert  von  Admont  if  1331)  in  seinem 
für  die  Musikgeschichte  des  Mittelalters  nicht  unwichtigen  Traktate 
De  musica  (abgedruckt  bei  Gerbert,  Script.  II). 

-)  Vgl.  Wewertem,  -Zwei  veraltete  Musikinstrumente"*,  Monats- 
hefte f.  M.  W.     1881. 

^j  Sein  Zeilgenosse  ist  Lucas  ("ran ach  (1472 — 1553). 


Streich- 
instru- 
mente. 


88 


II.  Mittelalter. 


Chrotta. 


Rebek 


liVra. 


verkennbar  wieder  auf  das  alte  Britannien  hin.  So  haben  wir 
die  originelle  Chrotta  der  Barden  bereits 
näher  kennen  gelernt.  Sie  wird  schon  um  das 
Jahr  609  als  ein  spezifisch  britannisches  Instrument 
genannt.  Mit  dieser  Urform  der  Streich- 
instrumente verwandt  erscheint  das  Rebek 
(arab.  [der  angeblich  orientalische  Ursprung  ist  nicht 
erwiesen!]  Rebab,  Rebeb):  ein  hölzerner  Rahmen,  der 


Fig.  1.    Das  Rebek 
nach  Zammlner.i) 


Lyra  nach  Gcrbert. 


die  Seitenwände  bildete,  oben  und  nuten  mit  Perga- 
mentstreifen bespannt.  Das  Instrument  is.  Fig.  1) 
hatte  nur  zwei,  später  drei  Saiten.  Es  diente  zur 
Begleitung  des  Gesanges.  Gerbert  gibt  in  „De  cantu" 
aus  einem  Manuskript  des  8.  oder  9.  Jahrhunderts  die 
Abbildung  einer  einsaitigen  Lyra  (Fig.  2).  Die  Form 
ist  augenscheinlich  weit  vollkommener  als  die  ursprüng- 


g^.53 


1)   „Die  Musik   u.    d.   musikal.    Instrumente   in  °=^«  Trumschoit. 
ihrer  Beziehung  zu  den  Gesetzen  der  Akustik '',  1855, 
ein   vortreffliches  Werk.     Zamminer   starb   als   Professor   der  Phvsik 
zu  Gießen  1856. 


S  treichinstrurnente. 


89 


liehe  des  Rebeks.  Das  T  r  u  m  [b]  s  c  h  e  i  t  (Trorapetengeige)  hatte  über  Trumscheit, 
einen  langen  Schallkörper  eine  starke  Saite,  wie  das  D  unseres  Violüus, 
gespannt  (Fig.  3).  Wurde  diese  mit  dem  Finger  leise  berührt  und  mit  dem 
Bogen  schwach  angestrichen,  gab  es  einen  tlageolettartigen  Ton.  bei 
starkem  Strich  dagegen  einen  trompetenähnlichen.  Das  Instrument  diente 
in  Frauenklüstern  zu  den  Intraden  und  bei  der  englischen  Marine  zu 
Signalen  (daher  auch  „Trompet  marine")  genannt).  Oft'enbar  ist  das 
Trumsclieit  ein  vergrößertes  Kebek  oder  Monochord.  Stark  beliebt  war 
im  10.— 12.  Jahrhundert  die  Kadieier  (Dreh-  oder  Bettlerleier,  Radieier. 
Organistrum,   Vielle   (»der   Chirt'onie   d.    i.    ,. Symphonie").     Wir   sehen 


Die  Radleier 


Fig.  5.   C'lirottJi  uJerCrouth. 


das  sonderbare  Instrument  (Fig.  4  noch  heute  bei  den  Savoyarden- 
knaben.  Von  vier  über  den  Schallkörper  gespannten  Saiten  sind  zwei 
mit  einer  Art  Klaviatur  (eine  Oktave  umfassend)  verbunden,  die 
die  Saiten  mittels  Bünden  verkürzt;  die  beiden  anderen,  zu  beiden 
Seiten  des  Griffbretts  freiliegend  —  sie  heißen  Bordune  (bourdons) 
—  geben,  wie  beim  Dudelsack  (s  unten)  stets  dieselben  Töne  an 
(Tonica  und  Dominante,  Ba  ßq  uin  ten).  Ein  durch  eine  Kurbel  be- 
wegliches, mit  Harz  bestrichenes  Kad  bringt  stets  sämtliche  Saiten 
zum  Erklingen.  Die  gelehrten  Schriftsteller  erwähnen  des  Instrumentes 
immer  mit  Geringschätzung.  Es  feierte  im  18.  Jahrhundert  gleich- 
zeitig mit  dem  Dudelsack  namentlich  in  Frankreich  eine  Renaissance, 


90 


IL  Mittelalter. 


indem  sich  vorübergehend  Instriimentenmacher  und  Virtuosen,  Kompo- 
nisten und  Schriftsteller  seiner  begeistert  annahmen. 
Fidel.  Fiedel  (Fidulaj  lautet  die  Bezeichnung  für  die  Streich- 

instrumente vom  8. — 14.  Jahrhundert.  Ihr  Schallkörper  war 
von  gewölbter,  birnenartiger  Gestalt.  Die  Franzosen  verflachten 
sie  mehr  und  nannten  sie  spottweise  Gi  gue  (Schinken),  hier- 


Fis.  6.    Kleine  (ieiire  nacii  Virdunf! 


Vig.  S.     üroß-Geige  nach  Virdun» 


Geige. 


nach  die  Italiener  Giga,  die  Deutschen  Geige.^)  Man  unter- 
schied „Klein-Geigen"  (Fig.  6,  7)  und  „Groß-Geigen"  (Fig.  8). 
Jene  hatten  nur  drei,  in  Quinten  gestimmte  Saiten,   diese  vier 

1)  Die  Fiedel  war  ein  Lieblingsinstrument  der  Böhmen  (vgl. 
Batka,  Gesch.  d.  M.  i.  B.,  L,  77  fF.) ;  ihre  Bezeichnung  ho u sie,  wohl 
sprachverwandt  mit  dem  serbischen  gusia  und  dem  russischen  gusli, 
lenkt  die  Aufmerksamkeit  auf  eine  der  verschiedenen  Deutungen  des 
Ursprungs  dieses  Instruments;  sie  ist  heute  ziemlich  vergessen,  und 
finde  hier  nach  Adelung  Platz:  „Die  erste  Geige  ward  vielleicht  aus 
dem  Brustbeine  der  Gans  (vulgo  der  Hüpfauf)  gemacht,  worüber  man 
etliche  Saiten  spannte.  Wenigstens  ist  sie  bei  den  Lausitzer  Wenden 
noch  jetzt  (1808)  in  dieser  Gestalt  üblich :  daher  die  Geige  auch  im 
Slavonischen  hausle,  hussly  heil3t,  von  hus,  eine  Gans."* 


Slreichinstrumente. 


91 


bis  sechs,  in  der  Regel  in  Quarten  und  einer  Terz  gestimmt. 
Die  „Groß-Geigen"  existierten  in  vit-r  verschiedenen  Größen  für 
Diskant,  Alt,  Tenor  und  Baß. 

Da  die  „Groß-Geige''  keinen  Steg  besaß  und  ihre  Decke  augen- 
scheinlich   keine    Wölbung,    war    die    Behandlung   gewiss    schwierig. 
Erst    zu  Anfang   des  16.  Jahrhunderts 
erhalten    die    Geigen    die   gewölbte 
Decke  und  den  Steg. 

Die  Viole,  Ende  des  15. 
Jahrhunderts  zuerst  auftretend, 
ist  ein  von  unserer  „Bratschf" 
ganz  verschiedenes  Instrument.  Der 
Schallkörper  endet  nach  dem  Halse 
zu  beinahe  spitz ;  der  obere  Teil 
ist  also  schmäler  als  der  untere ; 
das  Grittbrett  hat  Bünde  wie 
unsere  Gitarre;  die  Zargen  sind 
höher,  die  Schall löcher  sichelförmig, 
die  Decke  ist  ganz  tiach,  der  Steg 
nur  wenig  gewölbt,  die  Zahl  der 
Saiten  sechs.  Nur  in  Frankreich 
bezog  man  die  Diskantviole  mit  5  Saiten 
iQuiüton  oder  Quinte  .  Abarten  der 
Viole  mit  grölterer  Saiienzahl  (teils  auf, 
teils  neben  dem  Griffbrett  als  Bordune, 
teils  auch  unter  dem  Griffbrett  als  mit- 
tönende, klangverstärkende  Kesonanz- 
saiten ,  mit  den  Griffsaiten  übeiein 
gestimmt)  sind  die  Lyren,  die  Viola 
bastarda  (eine  größere  Gambe,  engl. 
Violet)  und  die  verwandte  Viola 
d '  a  ra  o  r  e  (Viole  damour,  in  Bratschen- 
größei.  Fig.  9  zeigt  einen  Violen-Baß 
ohne  Steg,  dagegen  bringen  andere 
Zeichnungen  aus  dem  IH.  Jahrhundert 
solche  Instrumente  mit  Steg. 

Man  unterschied  zwei  Haupt- 
gattungen der  Violen :  solche,  die 
man  mit  dem  Arme  und  solche,  die 
man  zwischen  den  Knien  hielt,  Arm- 

und  Kniegeigen,  jene,  weil  am  Kinn  angesetzt,  ital.  Viole  da 
braccio  (d.  i.  Kinn,  daher  unser  „Bratsche"'),  diese  Viole  da 
gamba  genannt. 


Violen. 


Kig.  9.     Violen-BaU 
nach  Hans  Gerle. 


(Tainbe. 


92 


II.  Mittelalter. 


Die  Stimmung  war: 
bei  der  Diskant- Viole  (Violetta) 


M= 


bei  der  Alt-  und  Tenor- Viole 

-Gl 


» 


bei  der  Baß-Viole  (Gamba,  Kniegeige) 


^: 


IST 

G>- 


Blasinstiu- 
mente. 

Flöten. 


Schalmei. 
Bomhart. 


Der  Violone  (Kontrabaß)  stand  eine  Oktave  tiefer. 

Aus  dieser  Viole  entstand,  dank  der  Kunst  der 
Tiroler  und  Cremoneser  Meister,  unsere  Violine  und  zwar 
durch  Verkleineru^ng  und  Verschönerung  der  Form ,  durch 
Verringerung  der  Saitenzahl  und  Entfernen  der  Bünde.  Ihrem 
Vorbilde  nach  gerieten  dann  Bratsche,  Cello  und  Kontrabaß  (vgl.  des 
weiteren  Kap.  VII). 

Unter  den  Blasinstrumenten  treffen  wir  zuerst  gute 
Bekannte  vom  alten  Aegypten  her ,  die  Flöten:  gerade 
(Schnabel-)  wie  Querflöten  („Schweitzerpfeilf '),  jene  mit  Mundstück, 
diese  nur  mit  einem  Anblaseloch. i) 

Eine  nach  unten  zu  etwas  verengte  Pfeife  geringen  Tonumfangs 
war  der  Schwegel,  eine  andere  kleine  die  Rausch  pfeife. 
Von  Blasinstrumenten  mit  Rohrblattmundstück  taucht 
zuerst  die  Schalmei  (aus  dem  französischen  Chaleraelle)  auf: 
die  größte  Art  ist  der  Bomhart  (Pommer,  franz.  Bombarde. 
ital.  Bombardo).  Ursprünglich  so  unförmig  groß,  daß  das  Instrument  dem 
Spieler  vorangetrageu  werden  mußte,  wurde  später  die  über  acht  Fuß 
lange  Röhre  des  B  a  ß  p  o  m  m  e  r  (s.  unt.)  geknickt  und  wie  ein  Bündel 
(Fagottü)  zusammengelegt  —  es  entstand  so  das  Fagott.  Die 
Schalmei  nannte  man  später  allenthalben  niirraehr  französisch  Hautbois 
(Hochholz,  deutsch  Hoboe,  ital.  Oboe,  engl.  Hautboy).  Von  Schalmei 
und  Pommer   unterschieden  sich  rein    äußerlich  die  Krumm - 


^)  Altfranzösische  Gedichte  erwähnen  die  böhmische  Flöte 
als  ein  besonderes  Instrument  (Ambros,  Gesch.  d.  M.  II,  54(3).  Böh- 
mische Flötenspieler  hatten  einen  über  die  Landesgrenzen  reichenden 
Ruf  (vgl.  Batka,  Gesch.  d.  M.  i.  B.,  I,  78.) 


Blas-  und    Schlaginstrumente.    Stimm  werke.  93 

hörn  er.     Sie  waren  das  Instrument  der  Türmer.    Von  alter.sher 
eingebürgert  ist  die  der  Radleier  verwandte  Sackpfeif  e ,  der 
D  u  d  e  1  s  a  c  k  (franz.  Musette:  in  Deutschland  heiüt  die  größte  Form  Dudelsack. 
,, Großer  Bock'M ;    das  Instrument   zählt   seinem  aus  Assyrien  uns  be- 
kannten Vorfahr  gegenüber  mehr  Pfeifen. 

Instrumente    mit    K  e  s  s  e  1  m  u  n  d  s  t  ü  c  k    waren    die 
hölzernen  großen  und  kleinen  Zinken,  jene  gekrümmt,  diese    Zinken, 
gerade  (ital.  Cornetto,  lat.  Lituns),  und  die  metallenen  Trom-  Trompeten, 
peten  und  Posaunen.      Den  Zink  benutzten   noch  bis   ins   18.  Posaunen. 
Jahrhundert  die  Stadtpfeifer  (daher  auch  „Zinkenisten"  genannt).    Die 
Trompeten  ( Ciaring,   oder   Tromba,   deutsch   Trummet)   waren  zuerst 
wie  im  Altertum  gerade  gestreckt,  später  gewunden  wie  die  mit  dem 
Zuge  eingerichtete  Posaune  lital.  Trombone  =  große  tromba). 

Das  aus  Holzdauben  verfertigte  A 1  p e n h o r n ,  das  Stierhorn, 
und  die  Hifthörner  zählen  in  ihrer  Primitivität  nicht  als  Kunst- 
instrumente. 

An  der  Spitze  der  Schlaginstrumente  stehen  die 
Pauken,  der  halbrunden  Gestalt  wegen,  sowie  zum  Unterschiede  Pauken, 
von  den  ehedem  gleichfalls  als  „Pauke"  bezeichneten  großen  und 
kleinen  Trommeln,  gerne  Kesselpauken  genannt.  Heer  pau- 
ken, sofern  sie  namentlich  im  Kriege  gebraucht  wurden  (daher  der 
„Heerpauker",  nach  Adelung,  ,.der  sie  zierlich  zu  schlagen  weiß"). 

Was  die  Glocken  betrifft,  liebten  es  im  10.  bis  12.  Jahrhundert 
die  Mönche,  kleine  skalamäßig  abgestimmte  Glöckchen  (tintinnabula, 
cymbala)  zu  gießen  und  als  Glockenspiel  (mit  dem  Hammer  zu 
schlagen)  im  Kirchturm  anzubringen. •)  Auch  die  Strohfiedel,  be-  f'iocken- 
stehend  aus  dünnen,  abgestimmten  Holzstäben,  auf  gebimdenem  Stroh  *'*'®  ^' 
ruhend  und  mit  kleinen  Hämmern  geschlagen ■•^),  nennt  bereits  l.")ll  der 
Baseler  Priester  und  Organist  Seb.  Virdung,  der  mit  seinem  oben- 
genannten Werke  „Musica"  1511  eine  Art  Instrumentations- 
lehre herausgab.'')  Es  war  eine  Anleitung,  „um  alles  Gesang  aus 
den  Noten  in  die  Tabulaturen  der  Orgeln,  Lauten  und  Flöten  trans- 
ferieren zu  lernen". 

Mit  der  Entwickelung  der  polyphonen  Musik  kam  nämlich 
mehr  und  mehr  die  Gewohnheit  auf,  beim  Vortrage  mehrstimmiger 
Tonwerke  die  Singstimmen  durch  Instrumente  einer  u  n  d  d  e  r  - 
selben  Klangfarbe  zu  verstärken  oder  überhaupt  zu  er- 
setzen. Eine  natürliche  Folge  davon  war  der  für  die  spät 
mittelalterliche    Musikübung    so    charakteristische,    entschieden 


^)  Ein  Nachklang  ist  das  alte  Glockenspiel  bei  St.  Loretto  auf 
dem  Hradschin  in  Prag. 

'^)  Das  Xylophon  (Holzhannonika,  lat.  Psalterium  ligneum)  hat 
Saint-Saens  in  seinem  „Totentanz"  künstlerisch  wirksam  angewendet. 

3)  1882  durch  die  Gesellsch.  f.  Musikforschung  bei  Breitkopf  & 
Härtel  neu  herausgegeben. 


94 


II.  Mittelalter. 


feinsinnige  chorische  Ausbau  der  einzelnen  Instru- 
mente. Fast  alle  wurden  den  vier  Stinimgattungen  ent- 
sprechend in  verschiedenen  Größen  gebaut,  wie  wir  es  bereits 
bei  den  „Großgeigen"  bemerkten.  Jede  solche  Instrumenten- 
gruppe bildete  dann  sozusagen  eine  Familie  (Chor,  Stimm- 
werk). So  gab  es  denn  auch  Diskant- ,  Alt-  (Tenor)  und 
stimmweik.  Baßflöten  neben  einer  flüte-d'amour.  einen  Tenor-,  Alt-,  Baß- 
und  Kontrabaß-Bomhart,  eine  Oboe  d'amour  und  da  caccia 
(heute  Englisch  Hörn)  usf.  Ein  orchestrales  Zusammenspiel 
der  verschiedenen  Instrumentengruppen  im  heutigen  Sinne 
kannte  man  allerdings  noch  nicht. 

Die  Instrumentenmacher  vermochten  es  nicht  so 
instru-  leicht  und  bald  wie  die  Spielleute  zu  einem  geordneten  Zunft- 
"ba°uer!'  wesen  zu  bringen.  Sie  mußten  vorerst  gar  manchen  Streit 
mit  verschiedenen  Innungen  bestehen,  denen  sie  scheinbar  ,,ins 
Handwerk  pfuschten".  So  hatten  es  die  Böttcher  und  Kunsttischler 
scharf  auf  die  Verfertiger  der  Holzblasinstrumente  und  auf  die  Lanten- 
und  Geig-enmacher  abgesehen,  die  Kupferachmiede  Avieder  auf  die 
Blechinstrumentenbauer.  Selbst  die  Goldarbeiter  und  Fäcberraaler 
erhoben  Einspruch  ^)  wegen  der  in  ihr  Fach  einschlagenden  Verzierung 
der  Instrumente.  So  traten  1297  die  Trorapetenraacher  in  Paris 
lieber  gleich  der  Zunft  der  Kupferschmiede  bei,  die  belgischen  Instru- 
mentenbauer wiederum  1557  dem  Verbände  der  Bildhauer  und  Maler 
(Lukasbrüderschaft).  1599  erreichten  die  Pariser  ihre  eigene  Rechts- 
fähigkeit, in  deren  Besitze  sie  bis  zum  Ende  der  Innungen  (1791) 
verblieben. 

Die  Notenschrift  für  die  Orgel  und  andere  Musik- 
instrumente der  damaligen  Zeit  war  ganz  eigentümlich  gestaltet 
und  wurde  die  Or  geltabulat  ur  (von  tabula,  Tafel)  genannt. 
Diese  sog.  deutsche  Tabulatur  bestand  darin,  daß  man 
die  verschiedenen  Stimmen  in  Buchstaben  über  einander 
schrieb,  jedoch  —  den  Melodiepart  mitunter  ausgenommen  — 
keine  Notenlinien  anwandte.  Hingegen  wurde  bereits  der 
Taktstrich  angewendet,  der  in  der  Monsuralnotenschrift  erst 
um  1600  aus  dem  Punctum  divisionis  hervorging.  Die  Höhe 
der  Töne  bezeichnete  man  durch  das  große  und  kleine  Alphabet 
und  durch  Striche,  die  quer  über  die  kleinen  Buchstaben  gemacht 


Orgcl- 
tabulatiir. 


1)  Wachten  doch  damals  die  Handwerkszünfte  eifersüchtig  über 
ihre  Sonderrechte,  daß  z.  B.  die  Kunst  der  Plastik  dreigeteilt  war: 
den  Steinmetzen  war  das  Ausführen  von  Gebäuden  und  Steiuskulp- 
turen  gestattet,  den  Malern  das  Malen  und  Schnitzen  von  Holzfiguren. 
den  Rotgießern  allein  das  Herstellen  der  Kunstwerke  in  Erzgnß. 


Instrumentengewerbe.    Instrumental-Notenschrift.  95 

wurden.  Von  dieser  Tabulatur  achreibt  sich  unser  Gebrauch  her, 
die  verschiedenen  Oktaven  als  große,  kleine,  eingestrichene,  zwei- 
gestrichene usw.  zu  bezeichnen.  Nur  besteht  der  Unterschied,  daß 
wir  die  Oktaven  von  C— c  zählen,  während  man  damals  in  der  Regel 
von  A— a,  auch  wohl  von  H— h  oder  von  F  — f  zählte;  wobei  wahr- 
scheinlich der  Umfang  der  Instrumente  bestimmend  war.  Erhöhte 
Töne  wurden  durch  ein  dem  Buchstaben  angehängtes  Häkchen  be- 
zeichnet;  „des"  und  „es"  schrieb  man  als  eis  und  dis  usw.  Um  die 
Zeitdauer  zu  bestimmen,  setzte  man  folgende  Zeichen  über  die 
Buchstaben  der  einzelnen  Stimmen: 

=  f=;;    i  =  ♦;     T  =  t;     P=  =  T;     ^  =  *^;     1  =  *^. 

Anstatt  der  Zeichen    ^     ^    findet   man   wohl   auch   \      |.      Kamen 

I      r*  1    I  _ 

naehrere  Viertel,  Achtel  usw.  hintereinander,  so  verband  man  die 
obigen  Zeichen  auf  ähnliche  Weise,  wie  es  heute  geschieht.  (Vgl. 
Beilage  18.)  H.  Bellermann  gibt  in  der  I.  Beilage  zu  seinem  „Kontra- 
punkt" eine  faksimilierte  Phantasie  von  Sweelinck.  die  ein  recht  an- 
schauliches Bild  von  der  Orgeltabulatur  bietet.  Die  beschriebene,  in 
Deutschland,  England  und  Skandinavien  allgemeine  übliche  Notation 
war  umständlich,  aber  nicht  so  schwer  wie  die  damalige  Mensural- 
notenschrift. Diese  benutzte  man  bisweilen  auch  bei  der  Orgeltabulatur 
für  die  Oberstimme.     (Vgl.  Bellei-manns  „Kontrapunkt",  Beilage  2.) 

In  Italien  war  nur  die  Mensuralnotierung  üblich.   Die  spanische 
Orgeltabulatur  wieder  erscheint  mit  Ziffern  notiert. 


In  diese  Zeit  spielen  auch  die  Anfänge  des  musi- 
kalischen Dramas  charakteristisch  herein.  Den  Aus- 
gangspunkt bildet  die  Liturgie.  Die  Zeremonien  der  katho- 
lischen Kirche  bergen  an  sich  schon  ein  dramatisches  Element  in 
idealer  Form.  Man  denke  nur  beispielsweise  an  das  allmähliche 
Enthüllen  des  Kreuzes  am  Karfreitage,  während  dessen  der  Priester 
dreimal  mit  jedesmal  erhöhter  Stimme  singt:  „Ecce  lignum  crucis  in 
quo  Salus  mundi  dependit",  und  der  Chor  in  gleicher  Weise  antwortet : 
„Venite,  adoremus" ;  sowie  an  die  sich  anschließende  Verehrung  des 
heil.  Kreuzes,  während  vom  Chore  das  ,,Popule  mens"  in  der  Kom- 
position von  Palestrina,  Vittoria  oder  Hernabei  erklingt.  Welch  tief- 
ergreifende, dramatische  Szene  !  Dieses  musikahsch-dramatische  Element 
tritt  noch  deutlicher  hervor  beim  Absingen  der  Passion.  Ein  Priester 
rezitiert  im  Choraltone  die  Erzählung  des  Evangelisten,  ein  anderer 
die  Reden  des  Heilands,  ein  dritter  die  der  übrigen  Personen,  während 
der  Chor  die  Repräsentation  des  Volkes  übernimmt,  wobei  die  von 
Vittoria  oder  Gallus  komponierten  kurzen  Cborsätze  sich  als  sehr 
wirksam  erweisen. 

Schon  im  Mittelalter  erkannte  man,  daß  szenische  Dar- 
stellungen biblischer  Vorgänge,  also  geistliche  Schauspiele  dem 
Volke  Belehrung  und  Erbauung  gewähren  und  führte  solche  in 


96  II-  Mittelalter. 


der  Kirche  auf.  Spuren  lassen  sich  bereits  im  8.  Jahrhundert 
nachweisen.  1)  Den  Stoff  boten  das  Leben  Jesu,  insbesondere 
seine  Geburt,  sein  Leiden  und  Sterben,  das  Leben  Maria  und 
der  Apostel,  die  Parabel  von  den  törichten  Jungfrauen  usw. 
So  stellte  man  in  St.  Gallen  im  Rahmen  der  Liturgie  insbesondere  die 
„Auferstehung"  dem  Volke  melodramatisch  dar.  Diese  von  Geist- 
lichen in  Kirchen  und  im  engen  Anschlüsse  an  den  Kultus 
ausgeführten  Volks-Schauspiele,  bei  denen  Musik, 
vor  allem  Gesang  eine  Rolle  spielen,  nennt  man  insbesondere 
LUurgische  ^liturgische  Dramen"."J  Diese  Stücke  waren  anfangs  latei- 
nisch, später  mit  Beimischung  der  Landessprache  geschrieben.  Auch 
das  Volk  beteiligte  sich  mit  deutschen  Gesängen  wie  „Christus  ist 
erstanden"  und  „Also  beilig  ist  der  Tag".^) 

Von    diesen    liturgischen    Dramen    unterscheiden    sich    die 
Mysterien.  ^Mysterien"  :  religiöse  Schauspiele,  außerhalb  derKirche 
auf  besonderen  Bühnen  und  von  Laien  ausgeführt.^)    Name 
und  Charakter  dieser  Schauspiele  weisen  übrigens  auf  die  dramatisch 
bewegten   Kultusakte   nicht   nur   der   alten   Griechen   und   Kelten, 
sondern  weiter  der   alten  Aegypter   und  Babylonier  zurück.     Be- 
sondere  Arten   der  Mysterien   —   zu  ihrer  Ausführung   bildeten   sich 
vom  13.  Jahrhundert   an   eigene  Gesellschaften   in  den  verschiedenen 
Marien-     Ländern     —     waren     in     Deutschiana     die    Marien  Schauspiele 
klagen.     (Marienklagen)  und  in  Paris,  wo  die  geistlichen  Schauspiele  (miracles) 
Mor^-      besonders   gediehen,   die  Morali täten   (allegorische  Darstellungen), 
litäten.     Ein   Ueberbleibsel    ist   das    zufolge    eines   Gelübdes    alle    zehn   Jahre 
stattfindende   Passionsspiel   zu    Ober -Ammergau   in    Bayern, 
dann  Jenes   zu  Höritz   in  Böhmeu.S)     Nach   und   nach   verloren   die 
„Mysterien"    durch    Beimischung    von    weltlichen    Volksliedern,    von 
derbkomischen  und  satirischen  Szenen  (durch  den  stereotypen  „Hans- 
wurst") ihren  religiösen  Charakter.    Aus  dem  ursprünglich  belehrenden 
und  erbauenden  Zwecke  wurde   ein  bloß  unterhaltender.     Das  Genre 
artete   insbesondere   in   Frankreich    (in  den  berüchtigten  Esels-  und 
Narrenfesten)  zu  oi'giastischen  Volksbelustigungen  aus.    Hierher  zählen 


^)  Mone,  Schauspiele  im  Mittelalter.    Karlsruhe  1846. 

2)  Davon  haben  A.  Schubiger  (in  „Musikal.-Spicilegien",  1876) 
8  und  E.  von  Coussemakcr  (in  „Drames  liturgiques",  Rennes,  1860) 
22  mit  Text  und  Melodie  veröftentlicht. 

^)  Das  Einflechten  von  Chorälen  in  die  Passionen  von  Bach, 
in  die  Oratorien  von  Mendelssohn  u.  a.  beruht  offenbar  auf  diesem 
Vorgange. 

*)  S.  Ed.  Devrients  Geschichte  der  Schauspielkunst.  5  Bde. 
Leipzig,  1848—1874. 

'')  Vgl.  K.  Trautmann:  Oberammergau  und  sein  Passionsspiel. 
Bamberg  1890.  Ferd.  Feldigl:  Oberammergau  und  sein  Passionsspiel 
in  Vergangenheit  und  Gegenwart.     Partenkirchen  1900. 


Volkslied.    Weltliches  Kunstlied.  97 

auch  die  sehr  populären  Darstellungen  des  Todes  in  öflFentlichen  Um- 
zügen —  deutsche  mittelalterliche  Maler  (Holbein  d.  J.,  f  1543)  hielten 
sie  in  den  „Totentänzen"  mit  dem  Pinsel  fest.i) 

Dem  frühesten  rein  weltlichen  Schauspiel  mit  Musik  begegneten  wir 
in  delaHäles  Liederspiel  „Robin  etMarion".  (Vgl.desweiterenAbschn.il.) 

Neben  dem  Minne-  und  Meistergesang  entwickelt  sich  frei 
und  unabhängig  im  Mittelalter  auch  das  deutsche  Volkslied  Volkslied, 
und  das  weltliche  Kunstlied  zu  herrlicher  Blüte.  Unter  Kunstlied. 
Volksliedern  im  strengen  Sinne  des  Wortes  begreift  man 
(nach  John  Meyers  gegenwärtig  allgemein  angenommener  wissen- 
.schaftlicher  Erklärung  dieses  Begriffes)  jene  Lieder,  „die  vom 
Volke,  d.  h.  in  dessen  unteren  und  mittleren  Schichten  (meist 
im  Chor)  auswendig  (nicht  nach  Noten)  gesungen  werden  oder 
doch  in  früherer  Zeit  gesungen  wurden".  Der  fördernde  Einfluß 
des  deutschen  Volkliedes  auf  die  Entwickelung  der  Tonkunst  ist 
zweifellos.  Es  war  eine  Fundgrube  schon  für  die  deutschen  Kom- 
ponisten des  15.  und  l»i.  Jahrhunderts,  die  ihre  mehrstimmigen  Tou- 
sätze  daraus  schufen.  Unter  die  Volksweisen  zählen  neben  den  unter- 
schiedlichen Tanzliedern,  den  Liebes-,  Spott-,  Kinderliedern  usf.  u.  a. 
die  vierstimmigen  ,.R  e  u  1 1  e  r  1  i  e  d  1  i  n''  und  ,,L  a  n  d  s  k  n  e  c  h  1 1  i  e  d  1  i  n", 
wie  solche  Christian  Egenolff,  einer  der  ersten  deutschen  Noten- 
drucker zu  Frankfurt  a.  M.,  neben  den  „Gassenha wer lin"  1535 
herausgab.  (Auf  französischer  Seite  stehen  die  Chansons,  auf  ita- 
lienischer Villotte,  Villanelle,  Frottola  |^8.  dort]  gegenüber.;  Auch  die 
vom  Volke  nachgesungenen  merkwürdigen  Lieder  der  Flagellanten 
(Geißelbrüder  1  zählen  hierher.^,  (Vgl.  Abschn.  8,  Kap.  V  und  X.) 
Ein  wichtiges  Dokument  für  das  Aufblühen  des  deutschen  Kunst- 
liedes ist  das  aus  dem  Jahre  1450  stammende  sog.  „Lochamer  Lochamer 
Liederbuch".      Dieses    (neu   herausgegeben   von  Bellermann- 


1)  Hier  sei  bemerkt,  daü  sich  kirchliche  Tänze  noch  bis 
heute  in  Spanien  erhalten  haben.  Zur  Zeit  des  heiligen  Thomas 
von  Villanuova,  des  Bischofs  von  Valencia,  war  es  Sitte,  vor  den 
heiligen  Reliquien  in  den  Kirchen  von  Sevilla,  Toledo  und  Valencia 
zu  tanzen.  In  Catalonien  und  Roussillon,  der  spanischsten  aller  spani- 
schen Provinzen,  dauerten  diese  Tänze  noch  bis  in  das  17.  Jahrhundert 
hinein.  Ein  Ueberbleibsel  ist  der  Tanz  der  Chorsänger  in  der  Kathe- 
drale von  Sevilla.  Er  wird  in  Begleitung  von  Kastagnetten  in  der 
Tracht  des  16.  Jahrhimderts  zwischen  Hochaltar  und  Chor  ausgeführt. 

2)  S.  Paul  Rimges  Ausgabe  der  „Gesänge  der  Geißler  des  Pest- 
jahres 1349",  1899,  mit  den  Melodien  nach  Aufzeichnung  des  Hugo 
V.Reutlingen.  Vgl.  zu  diesem  Kapitel:  R.  G.  Kiesewetter,  Schick- 
sale und  Beschaffenheit  des  weltlichen  Gesanges  vom  frühen  Mittelalter 
bis  zu  der  Erfindung  des  dramatischen  Stiles  und  den  Anfangen  der 
Oper,  1841,  und  die  Sammlungen  von  F.  M.  Böhme,  F.  H.  von  der 
Hagen  u.  a. 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.        7 


98  II-  Mittelalter. 


Arnold-Chrysander)  ^j  enthält  44  ein-,  zwei-  und  dreistimmige 
Lieder.  Ihre  Melodien  sind  darum  so  merkwürdig,  weil  sie  den 
Inhalt  des  Textes  treu  wiederspiegeln.  Rhythmus  und  Harmonie 
sind  für  jene  Zeit  gleichfalls  überraschend  ausgebildet.  Die 
ganze  Faktur  der  mehrstimmigen  Lieder,  insbesondere  der 
Sätze  Nr.  15,  17  und  18,  macht,  wie  Arnold  bemerkt,  auf  uns 
den  Eindruck,  „als  müßte  eine  durch  Jahrhunderte  stetig  ent- 
wickelte Kunstübung  vorangegangen  sein,  bevor  man  zu  einer 
solchen  Sicherheit  und  Abrundung  gelangen  konnte."  Wir 
kennen  jene  Kunstübung  bereits  —  es  ist  jene  der  Barden 
des  keltischen  Britanniens.  Lederer  (I,  292  f.)  weist  direkt 
britische  Einflüsse  im  Lochamer  wie  im  Münchener 
Liederbuch  nach.  Die  Fessel  der  alten  Monodie,  des  ein- 
stimmigen, höchstens  unisono  begleiteten  Gesanges,  in  der  sich 
Musik  und  Musiker  des  Altertums  und  Frühmittelalters,  ja 
selbst  noch  Trouveres  und  Minnesänger  bewegen,  ist  nun  ge- 
sprengt.    Die  Bahn  ist  frei  für  eine  kunstvolle  Mehrstimmigkeit. 


7.  Die  Morgenländer. 

Araber  und  Perser.  —  Türken.  —  Zigeuner. 

Unmittelbar  vor  Eintritt  in  das  glänzende  Reich  des  kunst- 
vollen Kontrapunkts  fällt  unser  Blick  noch  auf  eine  exotische 
Blüte  der  Musikkultur,  deren  Duft  nur  selten  auch  in  den 
abendländischen  Gärten  der  Tonkunst  aufsteigt.  Es  ist  jene 
Araber,  Arabiens.  Nach  der  Eroberung  Fersiens  und  seiner  Kultur 
durch  die  Araber  im  7.  Jahrhundert,  sehen  wir  bei  diesen  ein 
Tonsysteni.  ganz  eigenartiges  Tonsystem  ausgebildet :  siebzehnstufig,  mit  ab- 
solut reinen,  als  Konsonanzen  geltenden  Terzen.  Es  kennt  zwölf 
Haupttonarten,  Makamat  genannt.  Die  aus  jenem  System  ge- 
wonnenen ,  meist  siebenstufigen  Tonleitern  unterscheiden  sich 
vielfach  ähnlich  wie  die  griechischen  und  kirchlichen  durch  die 
Lage  der  Halbtöne  und  unterlegte  Charaktereigenschaften.  Das 
die  Oktave  in  17  Dritteltöne  teilende  System  gestattet  ein  reich- 
liches,   heterophonisches  Ausschmücken    der  Melodie.-)     Die 


')  In  Chrysanders  „Jahrbücher  für  musik.  Wissenschaft".  Leipzig. 
Die  Herkunft  der  Sammlung  und  ihres  Namens  ist  unbestimmt. 

2)  \g\.  ob.  S.  25  f.  und  30  Auni.  Ferner  „De  la  musique  arabe'" 
in  Dechevrens'  ,.Etudes  de  science  musicale",  Paris,  1898. 


Araber  und  Perser.  99 

nach    ihren    Erfindern   benannte    „Arabeske"    in   der    bildenden 
Kunst   findet  hier  ihr  Gegenstück. 

Umsonst  versuchte  der  bedeutendste  arabische  Musiktheuretiker, 
der  weise  El  Farabi  Alfarabi,  f  c.  95(»i,  dieses  Tonsystem  durch  El  FiirabL 
das  griechische  zu  verdrängen.  Erst  seit  dem  14.  Jahrhundert  rang 
sich  das  abendländische  System  der  7  Stamm-  und  5  Zwischentöne  in 
<ler  Praxis  durch.  Die  arabisch-persischen  Theoretiker  (so  Mahmud 
Schirasi,  f  1315i^)  verharrten  bei  ihrer  „Messel"  (arab.  s.  v.  w.  Messel. 
jMaß)  genannten  Art  der  lutervallbestimmung  mittels  der  Saitenlänge 
als  Malieinheit:  die  Saiteulänge  (d.  i.  das  Messel)  des  tieferen  Tons 
wird  durch  die  des  höheren  dividiert ;  der  tiefere  Ton  eines  Intervalles 
erscheint  so  der  Saitenlänge  nach  als  ein  Vielfaches  des  höheren  (der 
Ausdruck  der  Oktave  z.  B.  ist  2  Messel,  d.  h.  der  tiefere  Ton  umfaßt 
zwei  Saitenlängen  des  höheren). 

Diese  altarabische  Messeltheorie  behandelt  neben  Oktave, 
Quint  und  »Quarte  auch  schon  die  große  und  kleine  Terz,  wie  die 
Sexte  als  Konsonanzen. 

Der  belebende  Einfluß,  den  das  altarabische  Volk  seit  der 
Rf-form  durch  Muhamed  (t  632  n.  Chr.)  über  die  Heimat  hinaus 
auf  die  Kulturentwickelun«;  des  Mittelalters  übte,  erstreckt  sich 
trotz  allem  nicht  auf  das  Gebiet  der  Tonkunst.  Während  von 
Bagdad  und  Damaskus,  dann  auf  dem  eroberten  spanischen 
Boden  von  Cordova,  der  Hauptstadt  des  Kalifenreiches  aus,  die 
Sonne  orientalischer  Bildung  und  Gesittung  das  Abendland  be- 
leuchtet, und  Bauwerke  wunderbarer  Eigenart  wie  die  Moschee 
zu  Cordova  oder  die  mauri-sche  Königsburg  Alhambra  bei  Granada 
Bewunderung  erregen  und  zur  Nachahmung  reizen  -),  bleibt  der 
Euf  von  Mekka  und  Medina  als  Sitze  berühmter 
Musik-  b  e  z  w.  G  e  s  a  n  g  s  c  h  u  1  e  n  nur  von  örtlicher  Bedeutung. 
Den  großen  persischen  Dichtern  Firdusi,  der  das  Epos  (lOOU 
n.  Chr.),  und  Hafis,  der  die  Lyrik  (1350  n.  Chr.)  zur  Blüte 
brachte,  stehen  keine  kongenialen  Tondichter  gegenüber.     Und 


^)  Die  persische  Schule  der  Musiktheoretiker  wurde  im  14.  Jahr- 
hundert durch  einen  Araber,  Ssaffi  eddin,  gegründet.  Vgl.  über 
ihn  und  sein  arabisch  geschriebenes  Hauptwerk,  die  ,,Schereftije" : 
Safi  Eddin.  —  Carra  de  Vau  x.  Le  traite  des  rapports  musicaux 
ou  l'epitre  ä  Scharaf  Ed-din  par  Safi  ed-din  abd  el  Mumin  Albaghdädi, 
in-8  (Extrait)  1891. 

-  Der  mohamedanische,  arabische  oder  maurische  Stil  hat  gleich 
<lem  armenischen  und  russischen  seinen  Ursprung  in  der  byzantinischen 
Architektur.  Der  byzantinische  Baustil  fand  da  seine  Fortsetzung, 
nicht  so,  wie  wir  wissen,  die  byzantinische  Musik.  AehnUch  verhält 
es  sich  mit  den  Wirkungen  deV  Architektur  und  Musik  der  Araber 
bezw.  Mauren. 

7* 


100  I^-  Mittelalter. 


wie  berühmt  und  verbreitet  wurden  die  arabischen  Märchen  aus 
„Tausend  und  einer  Nacht",  die  gleich  der  ältesten  arabischen 
Volksliedersammlung  „Hamasa"  aus  dem  9.  Jahrhundert  stammen^ 
Stil.  wie  wenig  bekannt  hingegen  die  alten,  meist  in  Moll  sich  be- 
wegenden Volksweisen  und  Tanzlieder  der  Araber. ^j  Erst 
die  Neuzeit  reagiert  hin  und  wieder  auf  den  Reiz  arabischer 
Melodik.  Er  liegt  für  das  europäische  Ohr  weniger  in  jenem 
üppigen  Tongerank  an  sich  ^),  als  in  dessen  Details,  vornehmlich 
in  der  anmutigen  Verwendung  der  übermäßigen  Sekunde. 
Ein  Tonschritt,  dem  wir  auch  in  indischen  Volksliedern 
wie  in  den  diesen  stammverwandten  Zigeunerweisen  (s.  unten) 
begegnen. 

Hervorragende  Tonmeister  der  Neuzeit  und  Gegenwart  haberb 
sich  so  manches  charakteristischen,  stimmungerzeugenden  Mo- 
mentes dieser  Musik  mit  Erfolg  bemächtigt. 2) 

Das  Phantastische,  Zerfließende  jener  Tonarabesken  erscheint 
auch  in  der  liturgischen  Musik.  Hierher  zählen  die  stimmungsvollen 
Rufe  der  Muezzin,  die  singend  von  den  schlanken  Minarets  der 
Moscheen  herab  die  Moslems  zum  Gebet  auffordern.*;  Ihnen  entgegen- 
gesetzt klingen  die  wilden  Tanzlieder  der  Derwische.^j 


1)  Vgl.  das  Repertoire  de  Musique  Arabe  et  Maure,  Collectioii 
de  Melodies,  Ouvertures,  Noubat,  Chansons,  Preludes,  Danses,  von  Jules- 
Rouanet  in  der  Collection  Yafil,  Algier,  1905  Eine  interessante 
Sammlung  von  Tänzen,  Volks-  und  Liebesliedern,  Vorspielen  usw.  der 
alten  Araber  imd  Spanischen  Mohren  aus  dem  8. — 15.  Jahrhundert,, 
dann  der  heutigen  einheimischen  Bevölkerung:  für  Klavier,  in  unsere 
europäische  Tonschrift  übertragen.  Ferner  die  Collection  de  chants- 
orientaux,  Paris,  Leroux,  1899. 

2j  Nach  Fetis  bedarf  das  orientalische  Ohr  gleich  ganzer  rasch- 
bewegter Tongi'uppen  als  Musiksinnerreger.  Allen  semitischen  Völkern- 
eigne  dieser  Zug. 

^)  So  begegnen  ims  später  mit  echt  arabischen  Weisen  Weber 
(„Oberon")  und  David,  der  in  seiner  großen  Symphonie-Ode  „Die- 
Wüste"  namentlich  die  eigenartigen  Lieder,  Tanz-  und  Marsch- 
weisen der  Beduinen  wiedergab  (vgl.  hier  die  Proben  beduinischer 
Musik  bei  Dalman,  „Palästinischer  Divan",  Leipzig,  1901:  und  An- 
raerk.  1  S.  10  oben).  Ueber  weitere  Einflüsse  s.  unten  Anmerkung 
S.  104.  Hierher  gehören  auch  Cherubinis  ,,Ali  Baba'',  Boiel- 
d i e u s  „Kalif  von  Bagdad",  „Sanison  und  Dalila"  von  Saint-Saeus^ 
dessen  „Suite  algerienne"  u.  a. 

*)  Reizvoll  hat  Peter  Cornelius  den  Muezzinruf  in  seinem 
„Barbier  von  Bagdad"  nachgebildet. 

*)  Vgl.  den  Tanz  der  Derwische  iu  Beethovens  „Ruinen  voa 
Athen". 


Araber  und  Perser. 


101 


Schon  die  ältesteu,  etwa  in  das  12.  Jahrhundert  v.  Chr.  zurück- 
reichenden Hymnen  des  Avesta,  d.  i.  der  heil.  Schrift  des  Zend- 
volkes,  wurden  zu  Ehren  Ahuramazdas,  des  obersten  Gottes  im  alten 
Persien  gesungen.^)  Die  Upferpriester  (Magier)  waren  zugleich  Hymnen- 
-sänger.  Der  Zendavesta,  die  überlieferte,  später  vom  Islam  verdrängte 
Lehre  Zoroasters  (Zarathustras,  5.  Jahrhundert  v.  Chr.),  des  Keligions- 
xeformators  der  Parsen,  enthält  Gebete  und  Hymnen,  darunter  auch 
Schlachtlieder,  dann  Anrufungen  und  Litaneien.  Aber  auch 
«inzelue  der  114  Suren  (Abschnitte)  des  Koran,  der  arabischen  Bibel, 
wurden  und  werden  psalmtonartig  gesungen  (rezitiert). 

Gleichwie  der  Zendavesta  mit  den  Wedas  verwandt  ist,  zeigen  die 
persisch-arabischen  Musik  verhältnisse  eine  zweifellose  Verwandtschaft  mit 
jenen  des  alten  China  und  Indien.  Gleich  diesen  muten  sie  uns  fremd  an, 
und  noch  einmal  zeigt  sich  hier  der  ursächliche  Zusammenhang  unserer 
Musikkultur  mit  jener  der  Griechen.  ,,In  der  Ausarbeitung  durch  die 
Griechen",  bemerkt  Dr.  Max  Graf-),  ,,ist  das  Tonmaterial  in  unsere 
Hände  übergegangen.  Ihr  klarer,  jjlastischer  Sinn  vertrug  weder  das 
Phantastisch-Barocke  noch  das  Schwankend-Willkürliclie  der  orienta- 
lischen Musik.  Wie  sich  der  griechische  Tempel  mit  der  blühenden 
Einfachheit  seines  Steiuleibes  und  seinem  harmonischen  Gliederbau  zu 
Jen  ungeheuerlich  ausschweifenden,  indischen  Pagoden,  chinesischen 
Tempeln,  wie  sich  die  griechische  Landschaft  mit  dem  schönen  Schwünge 
ihrer  Bergkuppen,  ihren  Meeresbuchten  und  Wäldern  zu  der  maßlos 
üppigen  indischen  Landschaft  verhält,  so  verhält  sich  auch  das  schlank 
gegliederte  Tonmaterial  der  Griechen,  das  der  Diatonik  zum  Sieg  über 
die  künstlicheren  Tongeschlechter  der  enharmonischen  und  chroma- 
tischen Skalen  verhilft,  zu  der  indischen,  arabischen,  chinesischen 
jVIusik." 

Gesang  und  Saitenspiel  pflegten  vornehmlich  Arabiens 
schöne  Frauen.  Gefeierte  Tonkünstlerinnen  und  Sänger,  in 
Mekka  ausgebildet,  standen  insbesondere  am  Hofe  des  Kalifen 
hoch  in  Ehren  und  Sold.  Nicht  minder  wie  bei  den  Omejaden, 
wo  auch  fürstliche  Frauen  zur  Laute  sangen,  waren  vordem 
am  Hofe  der  alten  Perserkönige  Musik  und  Musikerinnen  sehr 
beliebt. 

Musik  und  Gesang  bilden  auch  heute  im  Orient  eine  Quelle  des 
Lebensgenusses  für  den  Muselmann.  Zum  Ohrenschmaus  gesellt  sich 
die  Augenweide  des  Tanzes.  Die  orientalischen  Tänzerinnen  und 
Sängerinnen  (A  1  m  e  h  ,  Ghawäzi)  üben  ihre  Kunst  als  Gewerbe.  Ihre 
■Glanzleistung  ist  der  Bauch-  oder  Bienen  tan  z.^j 


Litur- 
gische 
Musik. 


Alraeh. 


')  S.  Leop.  V.  Schröder:  „Indiens  Literatur  und  Kultur  in  histo- 
rischer Entwickeluug",  Leipzig  1887  und  Wilh.  Geiger:  „Ostiranische 
Kultur  im  Altertum",  Erlangen  1S82. 

^)  „Aufgaben  u.  Methode  der  Musikästhetik",  Neue  Mus.  Ztg.. 
Nr.  1,  1904. 

3)  Modern  musikdraraatisch  verwertet  in  Rieh.  Straußens  „Sa- 
lome". 


102  II-  Mittelalter. 


i**-  ,  Das   arabische  Lieblingsinstrument  ist  die  von  den  Persern 

Btruin6ntc* 

*  übernommene  Laute  (arab.  el  Ud,  d.  1.  Schale).  Wir  verfolgen  ihren 
Ursprung  bis  ins  alte  Aegypten.  Durch  die  Araber  nach  Spanien  und 
Unteritalien  gebracht,  nimmt  im  14.  Jahrhundert  die  Laute  von  da 
ihren  Weg  durch  ganz  Europa,  um  in  der  Hausmusik  des  IG.— 18  Jahr- 
hunderts, wie  wir  sehen  werden,  noch  zu  hoher  Bedeutung  zu  gelangen. 
Die  Laute  tritt,  gleich  vielen  der  anderen  arabischen  Tonwerkzeuge,^ 
in  zahlreichen  Abarten  (32)  auf.  In  den  Händen  der  Araber  sehen 
wir  noch  unterschiedliche  Zither-  und  Streichinstrumente  (von  diesen 
neben  dem  geigenartigen  Kemantsche  das  uns  schon  bekannte  Rebab)^ 
dann  Flöten  und  Pfeifen,  Hörner  und  Trompeten,  Avie  allerhand  Schlag 
werk.  Eine  eigentliche  Listrumentalmusik  in  unserem  Sinne 
Tonfornien.  hat  sich  gleichwohl  nicht  herausgebildet.  Ausgenommen  viel- 
leicht ein  suiteartiges  Zusammenfassen  kleinerer  Tonstücke  (teils 
gesungen,  teils  instrumental)  ^)  zu  einem  Ganzen,  kennt  die 
arabische,  wie  die  orientalische  Musik  überhaupt  im  allgemeinen 
keine  größeren  Formen;  durch  mündliche  Tradition  sich  er- 
haltend ,  besitzt  sie ,  nebenbei  bemerkt,  keine  Notenzeichen. 
Ihr  Charakter  ist  lyrisch,  ihre  Hauptform  also  jene  des  mehr- 
niinder  zartbegleiteten  Liedes.  Wie  seinerzeit  im  alten  Griechen- 
land, bewegt  sich  heute  noch  im  Morgenlande  die  durch  das 
Schlagwerk  meist  streng  rhythmisch  gebundene  Begleitung  der 
Gesänge  nur  im  Einklang  oder  der  Oktave  (vgl.  oben  S.  26). 
A.  W.  Ambros  teilt  hierüber  (Musikgeschichte  I.  Bd.)  interessante 
Tatsachen  mit.  Ein  Araber,  dem  ein  Franzose  die  Marseillaise  auf 
dem  Piano  vorspielte,  faßte  die  linke  Hand  des  Spielers  mit  den 
Worten:  „Nein,  erst  j  ene  Melodie,  dann  kannst  du  mir  d i e s e  andere 
auch  spielen !" 
Charakte-  Das  was  als  Instinimentalrausik  auftritt,    erinnert   uns   allenfalls 

ristik.      an   die  Worte  jenes  Mannes,   der  meinte,   ihm   sei   unter  allen  Arten 
von  Lärm  die  Musik  am  unangenehmsten.-)    Die  musikalische  Meinung 


^)  Vgl.  das  oben  Anm.  1  S.  100  genannte  „Repertoire". 

^j  Vgl.  R.  G.  Kiese wett er.  Die  Musik  der  Araber,  nach 
Originalquellen  dargestellt.  Mit  einem  Vorwort  von  Frhrn.  v.  Hammor- 
Purgstall.  Mit  Abbildungen  und  Noten-Beilagen.  Leipzig  1842.  Hierzu 
als  Korrektur  Riemanns  Studien  z.  Gesch.  d.  Notenschrift  S.  77 
bis  8G.  Ferner;  Mikhail  Meshäkah,  of  Damascus.  A  treatise 
on  Arab  music,  chiefly  from  a  work  bytranslated  from  the  Arabic 
by  E.  Smith,  Planche,  1847.  C  a  u  s  s  i  n  de  P  e  r  c  e  v  a  1  {A.)  Notices 
anecdotiques  sur  les  priucipaux  musiciens  arabes  des  trois  premiers 
siecles  de  rislamisme,  1873.  Barbier  de  Meyn  ard.  Oompte-rendu 
sur  la  Musique  Arabe,  ses  rapports  avec  la  nuisique  grecque  et  le 
chant  grt'gorien  par  Daniel,  1S6.^.  Daniel  Salvador  ;t  1871, 
einige  Zeit  Musiklehrer  an  der  arabischen  Schule  in  Algier\  La 
niusique   arabe,   ses   rapports   avec   la   musique  grecque   et   le  chant 


Araber  und  Perser.  —  Tiü-ken.    Zigeuner.  103 

des  Abend-  und  des  Morgenlandes  beruht  übrigens  auf  ergötzlicher 
Gegenseitigkeit.  Der  Orientreisende  Niebuhr  (f  1815)  spielte  mit  einigeu 
Freunden  in  Kairo  europäische  Musik.  Auf  der  Gasse  begegneten 
sie  beim  Heimgehen  einem  Sänger  und  einem  Fiötenbläser,  und  der 
die  Reisenden  begleitende  arabische  Diener  konnte  sich  nicht  ent- 
halten, diesen  zuzurufen:  „Maschallah,  das  ist  schön,  Gott  segne  euch!'' 
Als  nun  Niebuhr  fragte,  wie  ihm  europäische  Musik  gefallen,  meinte 
der  Araber:  „Eure  Musik  ist  ein  wildes,  unangenehmes  Geschx'ei,  woran 
kein  ernsthafter  Mann  Vergnügen  finden  kann." 

Der  geistvolle  Graf  Schack  knüpft  in  seinen  Keiseschilderuugen  ') 
eine  interessante  Bemerkung  au  die  Beschreibung  der  Instrumental- 
musik des  Orients,  die  er  „ohrbetäubeud  und  voll  gräßlicher  Disso- 
nanzen" nennt.  „Einem  solchen  Konzert  oft  zuhören  zu  müssen", 
schreibt  er,  „könnte  mich  wahnsinnig  macheu."  Sicher  sei,  daß  die 
Orientalen  für  diese  Musik  schwärmen,  dagegen  für  die  herrlichsten 
Kompositionen  unserer  Tousetzer  keinen  Sinn  hätten.  „Ein  höherer 
türkischer  Offizier  von  ungewiihnlichei  Bildung,  der  in  Paris  erzogen 
worden  war,  sagte  mir  einmal :  gewiß  ständen  wir  Abendlän<ler  in 
vielen  Punkten,  besonders  an  wissenschaftlichen  Kenntnissen  hoch  über 
seinen  Landsleuten:  allein  div  Musik  der  Türken,  Aegypter,  Araber 
sei  unendlich  vorzüglicher,  als  die  unsrige.  Dieselbe  Behauptung  habe 
ich  noch  mehrfach  aus  dem  Munde  der  Orientalen  veruiunmen,  und 
so  lächerlich  sie  uns  erscheint,  sollten  wir  doch  dabei  bedenken,  daß 
uns  vielleicht  der  Schlüssel  fehlt,  luu  die  morgenländische  Tonkunst 
zu  verstehen,  und  daß  uns  auch  die  der  alten  Helleneu  vielleicht  nicht 
mehr  anmuten  würde,  als  es  bei  mir  der  Fall  war,  als  mir  die  Drusen 
von  den  Meisterschöpfungen  ihrer  großen  Komponisten  zum  besten 
gaben.  Auch  für  die  Auffassung  unserer  Musik  muß  der  Sinn  erst 
gebildet  werden ;  wer  versäumt  hat,  ein  solches  zu  tun,  oder  wem 
das  Ohr  dafür  fehlt,  der  wird  selbst  in  den  Schöpfungen  eines  Bach 
und  Beethoven  nur  ein  wüstes  Gewirr  von  Tönen  vernehmen."-) 

Mit  einem   gewis55Pn   Humor    schlägt  hier  die   türki-sche     Türken. 
Musik  ein,    als  verkümmerter  Zweig    der  arabiscli-persischen. 
Ihr  besonderes  Kennzeichen   ist  die  vollgriffige,    doch  wechsel- 
arrue    und    meist    lärmende    Akkordbegleitung    einer    Melodie.^) 
Auch   dieses  mohammedanische  Volk   besitzt   keine   seinen   Literaten 


gregorien,  quelques  airs  notes  (1863),  1879.  Huart  (C).  Etüde 
biographitjue  sur  trois  musiciennes  arabes  fMahboübeh,  Obaida,  Ba^-ba^-), 
1884. 

^)  „Ein  halbes  .Jahrhundert.*'  Erinnerungen  und  Aufzeichnungen, 
n.,  231.     Stuttgart,  1n!>4. 

-)  Um  die  Wiederherstellung  arabischer  Musik  bemüht  sich  A. 
Laffage:  „La  musique  arabe,  ses  Instruments  et  ses  chants."  Eine 
sorgfältige,  vornehm  ausgestattete  Publikation  bisher  unbekaimter  ara- 
bischer Lieder  mit  wertvollen  Abbildungen  und  Beschreibungen  ara- 
bischer Instrumente  (bendir,  darbouka,  zonkra.  Paris  liin.5. 

3)  Daher  ,,alla  turca",  d.  i.  auf  türkische  Art.  In  klassischer 
Verwendung    durch    Mozart,    im    Finale    seiner   A-dur    Sonate    für 


104 


II.  Mittelalter. 


Jaait- 

scharen- 

inusik. 


Zigeuner 

(Ungarn). 


geistesverwandten  Musiker.  Originellen  Ruf  gewann  die  wilde,  form- 
lose „Janit scharen musik".  Im  Mittelalter  ausgesprochene  Feld- 
musik, fand  sie  später  (18.  Jahrhundert)  mittels  wohlorganisierter 
Banden  auch  im  Abendlande  Eingang.  Sie  vereinigte  alle  kräftigen 
Blas-  und  Schlaginstrumente.  Der  Name  hat  sich  bis  heute  für  der- 
artig zusammengestellte,  namentlich  Militär-Orchester  erhalten. 

Elemente  arabischer,  vielleicht  auch  altgriechischer  Musik 
finden  wir  in  der  Musik  der  Zigeuner.  Die  hohe  musi- 
kalische Veranlagung  dieses  von  Indien  aus  über  die  alte  Welt  ver- 
streuten Wandervolkes  gewann  in  Persien,  namentlich  aber  in  Un- 
garn Bedeutung  imd  Ansehen.  Die  Zigeuner  gaben  der  sogen, 
„u ngarischen  Musik"  das  Gepräge  mit  ihren  eigenartigen,  im 
Mischton  von  Dur  und  Moll  und  unter  scheinbar  zügellosen,  vielge- 
staltigen Rhythmen  anmutig  sich  bewegenden  Melodien,  die  aufs 
reichste  verziert  gleich  einem  Schmetterling  über  losen  Begleitstimmen 
flattern.^)  Als  Begleitinstrument  spielt  in  den  Zigeunerkapellen  das 
Czymbal,  ein  Vorfahr  des  Klaviers  (s.  Kap.  VIII),  eine  Rolle. 
Die  sog.  ungarische  oder  Zigeuner-Skala  in  Moll  mit  charak- 
teristischem Leitton  zur  Quinte  läßt  uns  allenfalls  die  Bedeutung 
und  Vielgestalt  morgenländischer  Tonleitern  begreifen,  die  sämt- 
lich auf  das  Prinzip  der  prädominierenden  Melodie, 
d.  i.  einer  solistischen  Stimme  hin,  der  alle  andern  nur  be- 
gleitend Untertan  sind,  gebaut  erscheinen. 

Auch  die  Zigeunermusik  hat  sich,  wie  die  der  Orientalen 
überhaupt,  zu  keiner  regelrechten  Mehrstimmigkeit  entwickelt. 
Diese  sollte  allein  der  Tonkunst  des  Abendlandes,  in  das  wir 
nunmehr  zurückkehren,  vorbehalten  sein.-) 


Klavier.  Ein  Gegenstück  ist  der  türkische  Marsch  in  Beethovens 
„Ruinen  von  Athen".  Weber  verwendet  im  „Oberon"  außer  den 
reizvoll  das  orientalische  Lokalkolorit  erzeugenden  arabischen  Weisen 
(s.  oben  Anm.  3  S.  100)  im  letzten  Finale  einen  originalen  türkischen 
Tanz,  den  Laborde  in  seinem  „Essay  sur  la  musique  ancienne  et 
moderne"  (Paris  1780)  mitgeteilt  hat.  Effektvoll,  wenn  auch  noch 
nicht  so  sicher  im  Lokalfarbenton  ist  der  türkische  Marsch  in  Webers 
früherer  Oper  „Abu  Hassan".  Es  zählen  hier  noch  mit:  die  Türken- 
oper „La  caravane  du  Caire"  ron  Grötry  (1784),  Mozarts  „L'oca 
del  Cairo"  u.  a. 

^)  Durch  Schubert,  Brahms  und  L i s z t  vor  allem  wurden 
die  Eigentümlichkeiten  der  ungarischen  Musik  vornehm  tonkünstlerisch 
verwertet.  Franz  L  i  s  z  t  stellte  sie  überdies  schriftlich  dar  in  :  „Les 
Bohfemiens  en  Hongrie",  deutsch  (1861)  von  Peter  Cornelius  unter  dem 
Titel  ,,Die  Zigeuner  und  ihre  Musik  in  Ungarn". 

^)  Vgl.  zum  Schlüsse  noch  den  „Essay  d'application  de  melodies 
orientales  ä  des  chants  d'eglise"  von  Dom  J.  Parisot  in  den  oben 
S.  43  erwähnten  „Memoiree",  Paris  19(X»,  und  Dom  Pothier,  „Hymne 
du  rit  mozarabe",  Revue  du  Chant  Gregorien,  1897,  p.  121. 


Das  Wiegeoland  der  mehrstimmigen  Tonkimst.  105 


8.  Die  Musikreformation  im  15.  Jahrhundert. 

John  of  Dunstable,  der  Neugründer  unserer  Tonkunst,  und 

die  Niederländer. 

Ursprung  und  Entwickelung  derPolyphonie  in  Britan- 
nien. Reformation  der  Kirchenmusik  durchHeinrichV. 
—  Dunstable  und  die  britische  Tonsetzerschule  des 
15.  Jahrhunderts.  Ausbildung  der  kunstvollen  Mehr- 
stimmigkeit. Messe  und  Motette.  —  Binchois,  Du  Fay, 
Ockenheim,  Depres  und  die  niederländische  Schule. 
Der  Kanon,  —  Willaert  und  die  venetianische  Schule. 
Das  Madrigal.  —  Deutsche   Meister.   Kantoreien. 

Eine  üeberlieferung  schreibt  bezeichnenderweise  just  einem 
englischen  Mönch,  dem  hl.  D  uns  tan,  der  am  19.  Mai  988 
als  Erzbischof  von  Canterbury  starb  und  einer  der  gelehrtesten 
Männer  seiner  Zeit  war,  die  erste  vielstimmige  Komposition  zu. 
Wir  kennen  bereits  Britannien,  insbesondere  das  alte  Wales 
von  dem  die  großen  mittelalterlichen  Sagenkreise  ausgegangen,  Ursprung,' 
als  das  Wiegenland  der  mehrstimmigen  Tonkunst.^)  In  frühen  ,ier  Poiy- 
Jahrhunderten  schon  wird  sie  dort,  als  auf  einem  Mutterboden  phome. 
der  Kultur  sondergleichen,  durch  den  geheiligten  Sängerstand 
der  Barden  eifrig  gepflegt  und  gelangt,  im  Volksgesange  selber 
wurzelnd,  auf  durchaus  natürlichem  Wege  zu  staunenswerter 
Höhe  des  Ausdrucks  bereits  zu  einer  Zeit ,  da  wir  auf  dem 
Kontinent  die  Mönche  und  dann  die  Pariser  Musikgelehrten 
erst  noch  in  harten  theoretischen  Kämpfen  um  das  kontra- 
punktische Prinzip  erblicken.  Der  Waliser  Giraldus  (Cambrensis) 
nennt  schon  im  13.  Jahrhundert  die  von  den  Barden  unter- 
wiesenen walisischen  und  irischen  Kelten  das  erste  Musik- 
volk der  Welt. 

Ein    reizvoller    sechsstimmiger    Doppelkanon,     „Sumer    is 
icomen    in"    (Kukuks-    oder   Sommerkanon)  2),    den    der   Mönch    sommer- 
John    Fornsette    zu    Reading    c.     1226    niederschrieb,    gibt      kanon. 
ein    vielbewundertes   Zeugnis    von    der    hochstehenden    kontra- 
punktischen  Praxis    der    englischen   Gesangskunst    jener   Zeit, 
wie    von    der   Blüte    des    mehrstimmigen    Volksgesanges.  ^) 


1)  Vgl.  ob.  S.  68,  78  f.,  80,  98. 

2)  Mit  deutschem  Text  in  Riemanns  „Illustrationen  zur  Mus. 
Gesch.";  ferner  zum  Artikel  „Das  Volkslied  der  Briten"  in  Nr.  14 
der  „Neuen  Mus.-Ztg."  1904  veröffentlicht. 

^)  Obzwar  aufgrund   solcher  Zeugnisse  von  den  Musikgelehrten 


106  I^-  Mittelalter. 


Dieser    ist    ein    Stück    der    Herrlichkeit    altkeltischer    Barden- 
kultur. 1) 

Auch  einer  der  bedeutendsten  älteren  Mensuralschriftsteller  lenkt 

Odington.   ^■^^^.  ^-^^  Aufmerksamkeit  auf  sich,  Walter  Odington,  Benediktiner- 

mönch  zu  Evesham.    Er  weist  zuerst  (in  seinem  Traktat  De  specu- 

latione   musicae)   c.    1290   auf  die  Konsonanz   des  Drciklangs 

mit  Oktavenverdoppelung. 


längst  erwogen,  fand  die  Frage  des  britannischen  Ursprungs  der  Poly- 
phonie  erst  jüngst  ihre  Lösung,  nachdem  sie  infolge  einer  seit  Kiese- 
wetters Publikation  über  „Die  Verdienste  der  Niederländer  um  die 
Tonkunst"  (1829)  platzgreifenden  Ueberschätzung  der  „Niederländer" 
als  vermeintlicher  Urheber  der  mehrstimmigen  Tonkunst,  bisher  in  allen 
Musikgeschichten  ganz  in  den  Hintergrund  gedrängt  war.  Fetis, 
( '  o  u  s  s  e  m  a  k e  r  und  A  m  b  r  o  s  (der  Kiesewetters  Parole  „Niederlande  — 
Heimat  der  Musik!"  nur  zum  Teil  mit  ausgab)  erörterten  gewissen- 
hafter das  Problem,  bis  aufgrund  inzwischen  erfolgter  Publikationen, 
wie  beispielsweise  des  oben  (S.  79)  erwähnten  Traktates  des  Mönches 
Wilhelm,  naraenthch  Chrysander  und  Gu.  Adler,  Haberl  und 
Riemann  („Gesch.  d.  Musiktheorie"  1898)  der  Wahrheit  endgihig 
eine  Gasse  bahnten.  Den  Gedanken  des  biitannischen  Ursprungs  der 
insbesondere  bai-dischen  Polyphonie,  wie  ihn  auch  bereits  der  berühmte 
Literarhistoriker  G.  G.  Gervinus  in  seinem  Chrysander  gewidmeten 
Werke  „Händel  und  Shakespeare.  Zur  Aesthetik  der  Tonkunst",  1868 
ausgesprochen,  nahm  zuletzt  Dr.  V.  Leder  er  (geb.  1880  in  Prag)  auf, 
seine  Beweise  auf  neuer  großer  Basis  aufbauend.  Ihm  war  es  vorbe- 
halten ,  in  seinem  bereits  mehrfach  herangezogenen  Werke  („Ueber 
Heimat  und  Ursprung  der  mehrstimmigen  Tonkunst",  Leipzig,  C.  F.  W. 
.Siegel,  1906,  L  Bd.,  nebst  separater  Vorrede  „Keltische  Renais- 
sance") ebenso  scharfgeistig  wie  intuitiv  die  Wichtigkeit  der  Kultur  im 
alten  Wales  und  der  Kunst  der  keltischen  Barden  für  die  Einführung  des 
mehrstimmigen  Gesanges  im  besonderen,  wie  für  die  Musik-  und  Kul- 
turgeschichte des  Abendlandes  im  allgemeinen  aufzudecken.  Unsere 
bezügliche  Darstellung  hält  sich  im  wesentlichen  an  diese  gegenwärtig 
im  Vordergrunde  des  musikhistorischen  Interesses  stehende,  epoche- 
machende Forscherarbeit,  bei  der  Shakespeare  als  Leitstern  diente ! 
S.  auch  die  „Tatsächliche  Berichtigung"  Lederers  in  den  ,, Sammelbänden 
der  Internat.  M.  G."  S.  491  tf.  1907.  Des  weiteren  vgl.  Kiemanns 
im  Anschlüsse  an  Lederer  1907  unter  dem  Titel  „I)as  Zeitalter 
der  Renaissance"  erschienenen  II.  Band  des  ,,Handb.  d.  M.  G." 
')  Einem  Nachklang  der  alten,  keltisch-britannischen  Kultur  und 
Musik  begegnen  wir  bei  den  größten  Tonmeistern  der  Neuzeit:  Händel 
äußert  sich  begeistert,  er  gäbe  gern  seine  besten,  größten  Werke  hin 
für  den  Ruhm,  der  Schöpfer  einer  einzigen  original-keltischen  Melodie 
zu  sein.  Haydn  bearbeitet  walisische  und  schottische  Melodien;  die 
„Musik  eines  tief  unglücklichen  Heldenvolkes",  tönte  ihm  daraus  ent- 
gegen. Walisische,  schottische  und  irische  Weisen  erklingen  auch 
durch   Beethoven,    der   überdies   den    „Bardengeist"   betont.     Im 


Reforai  der  Kirchenmusik  in  England.  107 

Einen  gewaltigen  Aufschwung  aber  nimmt  die  junge  poly- 
phone Tonkunst  in  England ,  als  der  musikkundige  König 
Heinrich  Y.  im  Jahre  1416  den  walisischen  Barden-  Heinrich  v 
c h 0  r  in  den  Dienst  der  Liturgie  stellt,  aus  der  die 
geregelte  mehrstimmige  Musik  der  älteren  Pariser  Schule  kraft  einer 
Bulle  Johanns  XXII.  (1322)  verbannt  war.  Nur  die  so  bevor- 
zugte ,  durch  das  Gesetz  geschützte  Stelhing  der  allgemein  ver- 
ehrten Barden  ermöglichte  deren  tonkünstlerische  Mitwirkung  beim 
Gottesdienste  auf  engh'schem  Boden  —  im  schrofleu  Gegensatz 
zur  Ausschließung  des  rechtlosen  Spielmanns  aus  der  Kirchenge- 
meinschaft  in  Deutschland. ')  Mit  dem  Bardenchor  fanden  auch,  wie 
wir  sehen  werden,  die  Instrumente  der  Barden  und  Minstrels  Eingang 
in   die  Kirche. 

Dieser  itolvphone  begleitete  K  i  r  ch  e  n  gesang 
bricht  nun  die  Herrschaft  der  einstimmigen  gre- 
gorianischen Weisen,  die  immer  mehr  veralten  und  er- 
starren. Er  erregt  Aufsehen  und  Bewunderung.  So  gleich 
bei  Herzog  Johann  von  Burgund  und  bei  dem  deutschen 
König,  nachmals  Kaiser  Sigismund,  die  in  eben  jenem 
kirchen musikalischen  Reforniationsjahre  1416  bei 
König  Heinrich  zu  Gaste  sind.  Sigismund  faßt  sein  Entzücken 
in   die   bedeutungsvollen   Abschiedsworte  : 


,. Tristan"  nähert  sich  Wagner,  der  Neuschöpfer  der  G  r aissage, 
dem  bardischen  Original  dieses  Koniaus.  Weitere  Bezielnmgeu 
finden  wir  bei  Bruch  „Schottische  Lieder",  ,.Schottlauds  Tränen"). 
B  er  lioz  ..Irische  Lieder",  ,, Fee  Mab").  Ossian,  der  keUisclieu  Barde 
(3.  Jahrhundert),  Sohn  König  Fingais,  regt  mit  seineu  Liedern  Gade 
(„Nachklänge  aus  0."),  Le  Suer  („Les  Bardes"',  die  Lichlingsoper 
Napoleons  L),  u.  a.  an.  Nicht  zuletzt  bewundert  Mendelssohn 
(,,llebri(len",  ,,Fingalshöhlc",  ,, Schottische  Scmate")  die  keltischen 
Kuhurroste  iu  Britannien.  Vgl.  Lederer,  „Keltische  Kenaissance"  24  t'. 
1)  Aehnliche  l'evorzugung  wie  der  Sängerstand  der  Barden  ge- 
nossen überhaupt  nur  noch  die  nationalen  Dichter-Sänger  der  Skandi- 
navier im  !•. — 1ö.  Jahrhundert,  die  Skalden.  —  Iu  den  Barden  wohnte 
ein  religiöser,  echt  cluistlicher  Geist.  Ihre  religiöse  Poesie  läßt  mit- 
unter Vorbilder  kirchlicher  Hymnen  erkennen.  Vgl.  die  Probe  eines 
solchen  Bardengesauges  bei  Lederer,  I,  K».'),  der  die  von  Forkel  und 
Ambros  Aveiterverbreitete  Fabel  von  der  Ausrottung  der  Barden  i.  J. 
12f!4  zerstcirt.  Ihre  Kunst  ist  heute  noch  in  einer  fast  zwcitausend- 
jährigen  Ueberlieferung  lebendig!  Ehedem  ein  Zeichen  der  Macht  der 
Musik  als  befeuerndes  Element  im  Kriege  (der  Rhythmus  allein  tut  es 
da  nicht  I)  übten  die  Bardengesänge  später  den  höber  zu  bewertenden 
EiuHuß  auf  das  Gemüt.  In  der  Erhebung  des  Herzens  aber  off(;übart 
sich  das  der  Musik  innewohnende  sittliche  Moment. 


108  II-  Mittelalter. 


Leb  wohl,  du  Land,  dem  Ruhm  und  Sieg  verlieh'n, 

Gesegnet'  England,  voll  von  Melodien! 

Du  magst  genannt  sein  nach  den  Engelschören, 

In  welchen  deine  Sänger  Gott  verehren. 

Doch  unser  Sang  soll  fortan  deinem  gleichen 

Und  deine  Kunst  soll  nie  bei  uns  entweichen.^) 

Ars  nora.  U^d  ^^m  Worte  folgt  sogleich  die  Tat.  Beide  Fürsten,  von 
walisischen  Sängern  auf  der  Heimfahrt  gefolgt,  propagieren  die 
„Neue  Kunst"  des  Kirchengesanges  mit  den  in  Messe  und  Offizium 
eingeführten  weit  ausgebauten  mehrstimmigen  Chorsätzen.  '^) 
Sigismund  führt  den  in  doppeltem  Sinne  „englischen"  Gesang 
dem  eben  versammelten  Konzil  zu  Konstanz  vor,  und  von  da 
bringt  der  neugewählte  Papst  mit  einer  Schar  englischer  Sänger 
diese  kirchliche  ars  nova  mit  nach  R  o  m.  Johann  von  Burgund 
wiederum  ebnet  ihr  die  Wege  in  Paris,  dann  auf  nieder- 
ländischem und  burgunder  Boden  und  der  französische 
Kirchenfürst  Pierre  d'Ailly,  der  Führer  der  Reformpartei  auf 
dem  Konzil,  bringt  sie  nach  seinem  Bischofssitze  C  a  m  b  r  a  i. 
Dergestalt  verbreitet  sie  sich  von  Konstanz  aus  über  ganz 
Mitteleuropa.  Die  mehrstimmige  Tonkunst  wurde  und  blieb 
seither  das  „erste  Wahrzeichen  der  europäischen  Kultur"  (Led. 
I.  101).  So  wurde  im  Schooß  der  Kirche  an  der 
Tonkunst  die  „Reformation"  vollzogen,  nachder 
es  zu  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  auf  allen  Ge- 
bieten drängte. 

Nach  Heinrich  V.  Tode  (1422)  aber  vertreiben  die  Unruhen 
des  Krieges  mit  Frankreich  die  englischen  Sänger  aus  der  Heimat. 
Unzählige  von  ihnen,  darunter  auch  der  erste  Meister,  in 
dessen  Persönlichkeit  sich  die  musikalischen  Ele- 
mente seiner  Heimat  ton  künstlerisch  verdichten: 
John  Dunstable,  wandern  nach  dem  Kontinent,  um  namentlich 
in  den  seit  c.  1100  mit  England  in  regster  Wechselbeziehung 
stehenden  Niederlanden  eifrige  Schüler  zu  finden. 


^)  Nach  Lederer,  cit.  I,  64,  der  zuerst  den  Terminus  „Refor- 
mation der  Tonkunst"  gebraucht. 

2)  Die  „neue  Kunst"  des  15.  Jahrhunderts  ist  von  der  des  be- 
ginnenden 14.  Jahrhunderts  (s.  S.  G9,  77  f.)  wohl  zu  unterscheiden! 
Diese  war  eine  neue  Theorie,  jene  eine  neue  Praxis;  dort  ächtete, 
hier  approbierte  die  Kirche  die  nova  ars.  Hatte  sich  auch  die  „neue 
Kunst"  an  sich  nur  entwickelt  (ohne  ihr  Prinzip  zu  ändern),  so  schlag 
doch  die  Stellung  der  Machthaber  zu  dieser  Kunst  ins  direkte  Gegen- 
teil um.  Darin  liegt  die  Bedeutung  des  im  15.  Jahrhundert  vollzogenen 
Umschwungs.    Vgl.  Led.  I,  254. 


Johannes  Dunsteble.  109 


Dort  waren  an  den  Höfen  schon  seit  langem  und  in  großer  Zahl 
englische  M  i  n  s  t  r  e  1  s  ansässig,  deren  nationale  Eigenart  im  mehr- 
stimmigen Gesänge  lag.  Sie  waren  nicht  etwa  geächtete  Gaukler, 
sondern  geachtete  Musiker  im  Diensteder  Kirche;  „ganz  Belgien" 
war  mit  ihnen  „durchsetzt'"  (Lederer)  und  so  der  Boden  günstig  vor-  Zeelamüa. 
bereitet.  Dort  begegnen  wir  auch  um  14(X>  schon  einem  der  ersten 
niederländischen  Kontrapunktisten  und  Theoretiker,  Henricus  de 
Zeelandia,  mit  seinem  Traktate  „De  musica"  (kaiserl.  Bibliothek 
Prag,  vgl.  Ambros  11)  auf  J.  de  Muris  aus  Frankreich  gestützt.  Ins- 
besondere der  Hof  des  kunstsinnigen  Herzogs  von  Burgund  aber 
wurde  „zum  Sammelpunkt  der  britischen  Musiker  und  zum  Ausgangs-  xinctoris 
punkt  ihres  Ruhmes  in  den  französischen  Ländern.'      i  Lederer  I,  111.) 

Bereit.s  der  berühmte  belgische  Theoretiker  und  Komponist 
Job.  Tinctoris  (um  1475  am  Hofe  Ferdinands  v.  Aragonien 
zu  Neapel,  f  1511),  der  Verfasser  des  ältesten  uns  bekannten 
Musiklexikons,  bezeichnet  (in  den  Traktaten  seiner  großen  Kom- 
positionslehre, Cousseniaker ,  Script.  IV)  als  den  Vaterdes 
eigentlichen  Kontrai)unktes  Johannes  Dunstable 
(John  of  Dunstaple,  spr.  Dönnstepl),  der  am  Weihnachts- 
abend 1453  starb  und  in  der  Stephanskirche  zu  Walbrook- 
London  bestattet  wurde  weitere  biographische  Daten  sind  bisher 
unbekannt ,  wie  denn  überhaupt  unser  Wissen  vom  rein  persön- 
lichen Leben  und  Wirken  der  Schöpfer  der  erhaltenen  Meister- 
werke des  14.— 15.  Jahrhunderts  recht  mangelhaft  ist'.  „Dieser 
Mann,  o  Musik,  wardein  Fürst,  dein  Ruhm,  deine  Leuchte ; 
Kl-,  der  zuerst  in  der  Welt  als  schöne  Kunst  dich  verbreitet." 
So  lautet  es  bezeichnend  in  Dunstables  Grabschrift.  Dunstable 
erscheint  uns  dank  der  neuesten  Forschung  mehr  noch  als  der 
Begründer  unserer,  d.  i.  der  europäischen  Ton- 
kunst, indem  wir  in  ihm  das  hervorragende  Haupt 
jener  altenglischen  Komponistenschule  erblicken, 
die  zuerst  die  beengenden  dogmatischen  Fesseln  derKirchen- 
töne  abgestreift,  das  natürliche  Dur  und  Moll,  in  dem 
das  Volk  seine  Weisen  erfindet  und  empfindet,  in  die  Kunstmusik 
getragen  und  diese  auf  die  Dreiklangsharmonie  gegründet 
hat  (vgl.  oben  S.  69  f.).  In  letzter  Beziehung  interessiert  uns 
die    verbürgte    Nachricht,    daß    die    britischen    Tonsetzer    des 

Ch&rftktcr 

15.  Jahrhunderts  unübertreffliche  Harfner  waren.     Aus  den  der  Reform, 
akkordischen  Harmonien  der  polyphonen,   24  saitigen  Harfe,  des 
völkischen  Lieblingsinstrumentes  der  Walen  heraus,^)  das  auch 


^j  Neueste  Forschungen  ergeben :  Der  Ursprung  der  eigentlichen 
Harfe  (Dreieckharfe)  ist  auf  den  britischen  Inseln  zu  suchen.  Die  Vor- 
geschichte und  vermutliche  Verbindung  mit   der   antiken  Kultur  sind 


IIQ  II.  Mittelalter. 


die  Erinnerung  an  die  saitenreiche  Chrotta  der  Barden  wach- 
ruft, wurden  jene  „engelgleichen  Melodien^)  geboren,  die 
das  Gebäude  der  britischen  Kompositionstechnik  krönen,  und 
der  „neuen  Kunst"  Dunstables  und  seiner  Genossen  das  Gepräge 
verleihen.  Diese  Melodien  waren  in  der  Kirche  neu,  denn  sie 
unterschieden  sich  im  Tonschritt  wie  im  ganzen  Ausdruck  auf- 
fallend von  den  früheren,  d.  i.  von  den  Melodien  des  gregorianischen 
Chorals.   An  die  Stelle  der  strengen  Diatonik  tritt  im  15.  Jahr- 

chromatik.  hundert  bereits  eine  theoretisch  wie  praktisch  hochausgebildete 
Chromatik,  bis  zu  je  5  f?  und  ^i.  Man  schreibt  diese  Ver- 
setzungszeichen nicht  vor,  sondern  über  die  Noten  und  nennt  sie 

Aceiden-  Accidenzien  (zufällig  Hinzugekommenes).  Ihren  Ursprung 
aber  hatte  diese  nova  ars,  die  den  Diabolus  in  musica  selbst 
im    Kirchengesange    nicht    mehr    fürchtet    (s.    ob.    8.    67),    im 

Volkslied.  Volkslied,   das  nunmehr  in  die  Kirche  aufgenommen  wird. 

Über  den  cantus  firmus  (vgl.  oben  S.  76),  den  nicht  nur 

Choräle  und  Hymnen,  sondern  vor  allem  weltliche  Volksweisen 

bieten,    bauen    sich  bald  immer  entwickelter    die  Hauptformen 

Messe  und  der  Tonkunst  jener  Zeit,  die  mehrstimmigen  Messen  und 
Motetten  auf.  Hierbei  spielt  nicht  mehr  wie  früher  der 
Tenor,  sondern  der  Diskant  die  melodieführende  Rolle  im 
Stimmengewebe.-)  Die  Messe  erscheint  als  ein  in  allen  ihren 
Teilen:  dem  Kyrie,  Gloria  (Doxologie,  vgl.  ob.  S.  42  Anm.),  Credo 
(Glaubensbekenntnis),  Sanktus-Benediktus  und  Agnus  einheitlich  gear- 
beitetes Werk  von  immer  mehr  imponierender  GrölJe.  Die  Messen 
der  Folgezeit  erhalten  stets  einen  Namen  und  zwar,  je  nach  den  Au- 
fangsworten  des  als  cantus  tlrmus  zugrunde  liegenden  Liedes  oder 
Hymnus.  Namentlich  über  das  französische  Soldatenlied,  L'h  o  m  ra  e 
arme'  (s.  oben  S.  82)  haben  fast  alle  niederländischen  Meister  von  Du 
Fay  an  Messen  komponiert.  Die  Motette,  deren  Vorgänger  wir  im 
Motetus  (S.  76)  bereits  kennen  lernten,  ist  ein  mehrstimmiger  kirch- 
licher Gesang  mäßigern  Umfangs,  über  einen  biblischen  (^raeist  lateinisch 
abgefaßten)  Text. 

Die  Motettenkompositiou  war  und  blieb  in  der  Regel  a  capella, 

noch  unerforscht.  S.  Horteuse  Panum  (dänische  Musikforscherin,  geb. 
1856):  Harfe  und  Lyra  im  alten  Nordeuropa.  IMG.  VII,  1,  1905.  Diese 
Harfe  dat.  citharai  ist  im  Anfang  des  Iti.  Jahrhunderts  auf  dem  Wege 
über  das  Clavicytherium  und  Clavicord  in  das  Virginal  übergegangen. 
Vgl.  Abschn.  10  und  Kap.  VIII. 

^)  So  heißt  es  in  einem  Gedichte  des  französischen  Pueten  Martin 
le  Franc,  Probstes  zu  Lausanne  (f  1460),  der  noch  vor  Tinctoris 
Dunstables  Schule  als  den  Ursprung  des  tonkünstlerischen  Auf- 
schwunges in  Frankreich  preist. 

•-)  Vgl.  Riemaim,  Handb.  d.  M.  G.  II,  1,  S.  110. 


Messe  und  Motette.    Englische  Schule.  m 

trotz  späterer  vielfacher  Versuche,  Motetten  tur  eine  oder  mehrere 
Stimmen  mit  Insti-umentalbegleitung  zu  schreiben.  Später  benutzte 
man  zu  Messen  als  cantus  firmus  Motive  aus  Motetten,  die  man  weiter 
und  tiefer  ausführte.  (So  schrieb  Arcadelt  eine  Messe  über  eine 
Motette  von  Mouton  und  nannte  sie  „Missa  Noe,  Noe" ;  in  gleicher 
Weise  schrieben  Palestrina  die  Messe  „Hodie  Christus  natus  est", 
und  Ilasler  seine  Missa  „Dixit  Maria"  über  Motetten  gleichen 
Namens).  In  neuester  Zeit  haben  einige  Komponisten  diesen  alten 
Brauch  wieder  aufgenommen.  Er  hat  den  Vorteil ,  daß  die  MeLl- 
kompositionen  etwas  Einheitliches,  Konzentriertes  und  Kräftiges  er- 
halten. Allerdings  gehört  viel  kontrapunktisches  Geschick  und 
große  Ertindimgsgabe  dazu,  um  die  Werke  nicht  monoton  erscheinen 
zu  lassen. 

Die  theoretischen  Grundlagen  der  Polyphonie  lernten  wir  früher 
bereits   im  Faulx-Hourdon    und  Gymel  kennen  (s.  ob.  S.  78  f.). 

Theorie  und  Pra.vis  der  englischen  Schule  deuten  vielfach  auf 
die  Keltenskala  d.  i.  die  halbtoulose  F  ü  n  f  t  o  n  1  e  i  t  e  r  hin,  die  wir 
seinerzeit  als  Urskala  erkannten. >) 

Die  harmoni.-^cho  Grundlage  für  den  Tonsatz  der  „englischen 
Schule"  mit  seinen  besonders  im  Hauptthenia  beliebten  zer- 
legten Dreiklängen  (x\kkorden) -)  geht  auf  instrumentalen  lustrmiien- 
Ursprung  zurück.  Zur  Erkenntnis  der  Dreiklangsharmonie,  deren  tiusse. 
Wohlklang  man  schon  in  der  Instrumentalpraxis  des  11.  Jahrhunders 
begrifl",  fiUirte  die  Tonleiter  der  Naturinstrumeute,  der  Hörner  und 
Trompeten.  Diese  fanden  nachweislich  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
Eingang  in  die  Kunst  und  Kirchenmusik.  Beim  K  i  r  c  h  e  n  g  e  s  a  n  g  e 
wurden  überhaupt  Blas-  und  Saiteninstrumente  oft 
reich  Hell  verwendet,  so  daß  z.  B.  der  Zeuge  einer  Kirchen- 
einweihung zu  Florenz  i.  J.  1436  über  den  Eindruck  einer  geradezu 
göttlichen  iind  paradischen  Instrumental-  und  Vokalmusik 
berichtet.')  Hiernach  erscheint  die  nova  ars  als  der 
mit  I  n  .s  t  ru  m  e  n  t  e  n  begleitete  V  o  k  a  1  s  t  i  1.  Seine  Urheber 
sind  nach  Tinctoris  die  ,, Engländer"  mit  Dunstable  an  der  Spitze, 
sie  sind  der  Ursprung  eines  wunderbaren  Aufschwunges  der  Musik. 
Das  hohe  Ansehen  der  briti-schen  Tonsetzer,  die,  wie  erwähnt, 
auch  ganz  vortreffliche  Harfenkünstler  waren,  befreite  also  auch 
die  Instrumentalmusik  vollends  aus  ihrem  sozialen  Acht  und 
Bann  und  gewann  deren  Sondermittel  für  den  allgemein  ton- 
künstlerischen   Zweck.     Der    bereits    (Abschn.    6)    geschilderte 


h  S.  S.  17.    Vgl.  Lederer  I,  348,  Riemann,  a.  a.  0.  II,  2,  117. 

-)  Der  Terminus  ,Akkord'  ist  zur  Zeit  Dunstables  bereits  längst 
bekannt.    Vgl.  das  oben  S.  69,  70  und  79,  über  „Harmonie"  gesagte. 

^)  S.  Lederer,  I,  278  tf,  und  im  Anschlüsse  Riemann,  a.  a.  0. 
II,  1,  44. 


]^12  II-  Mittelalter. 


außerordentliche  Reichtum  an  Musikinstrumenten 
im    13. — 16.  Jahrhundert  spielt  hier  seine  Rolle  mit. 

Die  sog.  Volkslieder  aber,  die  der  Kompositionstechnik  der 
„englischen  Schule"  zugrunde  liegen,  sind  nach  Lederers  feinsinnig 
(i,  251)  motivierter  Ansicht  „das  Erbe  einer  vergangenen  Kunstepoche, 
der  tönende  Zeuge  längst  vergessener  Künstler."  Ihre  Schöpfer  waren 
die  „Vorarbeiter  unserer  Tonkunst"  in  einer  ims  noch  un- 
bekannten, unerforschten  Epoche  wahrer  Kunstmusik  im  Frühmittel- 
alter, die  mit  der  „kirchlichen  Schulmusik"  jener  Tage  nichts  gemein 
hat.^)  Die  durch  die  englische  Schule  inaugurierte  Reform  bedeutet 
so  einen  „Sieg  der  blühenden  Praxis  über  die  welke  Theorie" 
(cit.  I,  116). 
"^s^hT^*  Aus  der  langen  Reihe  der  Komponistennamen  der  britischen 

Schule  des  15.  Jahrh.  (1416 — c.  1450,  nach  Lederer  die 
Reformationsperiode  der  Tonkunst),  seien  hier  neben 
Dunstable  und  seinem  auch  selbstschöpferisch  tätigen  König 
Heinrich  V.,  dem  eigentlichen  Begründer  der  besprochenen 
Musikreformation  (ars  nova),  hauptsächlich  genannt:  Leonel 
Power  (nach  Lederer  I,  34  f.,  der  bürgerliche  Namen  Dun- 
stables !),  Fair  fax.  Forest,  John  Hambois,  Symon  le 
Breton,  John  Hothby  u.  a.^)  (j  1487  auch  Theoretiker, 
Tonsystem  von   17   Stufen  innerhalb  der  Oktave!)^) 

Die  Werke  Dunstables,  des  nachweislich  ältesten 
Meisters  der  Figuralmusik,  d.  i.  des  ausgebildeten  un- 
gleichen Kontrapunktes,  waren  Jahrhunderte  lang  verschollen. 
Die  erste  Komposition  Dunstables ,  die  die  Neuzeit  an  das 
Tageslicht  der  Forschung  förderte,  war  das  weltliche  3  stimmige 
Lied:  „0  rosa  bella."*)  Hier  seien  noch  zwei  „Veni  sancte 
Spiritus"  des  Meisters  genannt  (ausführlich  analysiert  bei  Rie- 
mann  a.  a.   0.). 

Eine  große  Anzahl  polyphoner  Kompositionen  englischer  und 
anderer  Meister  des  15.  Jahrhunderts  fand  sich  in  der  von  Fr.  X. 
Haberl  entdeckten,  und  zuerst  in  seinen  ,,Du  Fay"  (s.  u.)  beschriebenen 


^)  Unbeschadet  dessen  pflichten  wir  Kade-Lederers  Schlußfolgenmg, 
das  Volkslied  sei  „das  unzweifelhafte  Produkt  künstlerischer  Tätigkeit, 
das  Ergebnis  des  mehrstimmigen  Tonsatzes",  nicht  bedingungslos  bei. 

-)  S.  die  vollständige  Aufzählung  bei  Lederer,  I,  128  ff. 

^)  Eine  derartige  enharmonisch-chromatische  Skala  entwickelte 
bereits  um  1410  Prosdocimus  de  Beldomandis  aus  Padua, 
Professor  der  Philosophie  dortselbst,  ein  bedeutender  Mensuralschrift- 
steller.    Vgl.  Riemann,    Gesch.  d.  Musiktheorie,   266  &.;    Led.  I,  349. 

*)  Vgl.  die  glänzende  musikkritische  Untersuchung  dieses  Werkes 
bei  Lederer  a.  a  0.    Die  ersten  Verdienste  um  die  Dunstable-Forschung 


Dunstable,  Binchois  und  Du  Fay. 


113 


Sammlung  der  sechs  Trieuter  Codices  (aus  der  Bibliothek  der  Trienter 
Domkapelle  zu  Trient  1891  von  der  oesterreichiachen  Regierung  für  ^°^^'^^^- 
die  Wiener  Hofbibliothek  erworben).^) 

Eine  der  ältesten  und  wichtigsten  uns  erhaltenen  Handschriften- 
sammlungen der  Musik  des  15.  Jahrhunderts  ist  das  0  1  d  -  H  a  1 1  - 
Manuskript.  Es  zeigt  größtenteils  gefüllte  schwarze,  daneben  rote 
und  auch  blaue  Noten  (diese  stehen  auch  im  , Sommerkanon').  Die 
meisten  erhaltenen  Manuskripte  stammen  aus  der  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts und  weisen  bereits  Hohlnoten  mit  schwarzen  Hemiolen 
(s.  oben  S.  73)   auf.     Das  F  ü  n  f  1  i  n  i  e  n  s  y  s  t  e  m   ist   vorherrschend. 


Noten- 
schrift. 


Ehe  wir  uns  den  unmittelbaren  Erben  Dunstables  zu- 
wenden ,  gilt  es ,  sich  noch  kurz  mit  einer  Haupteigentüm- 
lichkeit des  Konipositionsstils  der  neuen  Epoche  bekannt  zu 
machen,  mit  der  Form  der  Nachahmung  oder  Imitation. 
Die  Schreibart  der  Engländer,  insbesondere  später  der 
Niederländer  war  streng  polyphon  oder  kontrapunk- 
tisch, d.  h.  man  schrieb  über  und  unter  einem  im  Tenor 
liegenden  Cantus  firmus  nach  genau  festgestellten  Regeln  völlig 
selbständige  Stimmen,  die  sich  gegenseitig  nachahmten  (imi-  Imitation, 
tierten)  und  schließlich  zu  höherer  Einheit  harmonisch  verbanden. 

Von  da  nimmt  nicht  nur  die  kunstvolle  Ausbildung  des  Kauons 
und  der  Fuge  ihren  Weg,  die  Nachahmungstechnik  Dunstables  er- 
scheint vielmehr  im  Vereine  uiit  gewissen  rhythmischen  Eigentümlich- 
keiten vorbildlich  für  die  Meister  späterer  Tage  bis  zu  der  Neuzeit 
herauf. '-) 

Dunstable  folgen  auf  der  eingeschlagenen  Bahn  unmittel- 
bar die  Niederländer  Egid  Binchois  [spr.  binschoaj  (1452  Binchois. 
am  Hofe  Philipp  des  Guten  von  Hurgund,  f  1460  in  Lille) 
und  Wilhelm  Du  Fay  [spr.  düffä-')]  (1428  jüngstes  Mitglied 
der  päpstlichen  Kapelle  zu  Rom,  f  27.  Nov.  1474  als  Kano- 
nikus zu  Cambray).  *)    Dunstable,    Binchois,    du  Fay   sind  die 

erwarben  sich  der  Kirchenmusikkenner  Morelot,  Dekan  der  juristischen 
Fakultät  in  Dijon  f  1899;  und  Dr.  Fr.  X.  Haberl  mit  seiner  unten 
erwähnten  Du  Fay-Studie.  A.:  „DM.  in  Oesterr."  7.  Bd.  1900,  und 
IMG.  H.  Jahrg  1900.   Lederer  setzt  Dunstables  Geburtsjahr  um  1375  an. 

1)  Auswahl  in  „DM.  i.  Oesterr."  VII  u.  XI  [Gu.  Adler  u.  0.  Koller]. 

2)  S.  Lederer,  I,  313  ff. 

3)  Nach  einem  in  den  Trienter  Codices  erhaltenen  Gedichte  Comperes 
(s.  S.  118),  „Sängergebet",  wäre  dem  Reime  nach  allerdings  du  Fa-i 
zu  sprechen;  doch  ist  die  oben  angegebene  Aussprache  gebräuchlich. 

*)  Irrige  Angaben  Bainis  (s.  Abschn.  10)  bezüglich  des  Geburts- 
und Sterbejahres  zeitigten  mannigfache  Widersprüche,  die  Fr.  X.  Haberl 
in  dem  bedeutsamen  Werke:  „Bausteine  für  Musikgeschichte.  I.  Wil- 
helm du  Fay.-*     Leipzig  1885,  endgiltig  loste. 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.        8 


Du  Fay. 
Erste 
niederlän- 
dische 
Schule. 


j][4  I^-  Mittelalter. 


drei  Hauptpräsentanten  der  ersten  Epoche  des 
ausgebildeten  Kontrapunkts  (Figuralgesanges). 
Dieser  tritt  nun  in  seine  Blüte.  Von  Binchois'  Werken  ist 
bis  heute  nicht  viel  bekannt,  i)  Hier  interessiert  vor  allem 
die  schöpferische  Tätigkeit  du  Fays.  Unter  seinen  150  von 
Haberl  namhaft  genannten  Kompositionen  befinden  sich  mehrere 
Messen,  viele  Hymnen,  Sequenzen  und  Motetten.  In  vrelchem 
Ansehen  er  bei  seinen  Zeitgenossen  stand,  geht  aus  dem  „Sänger- 
gebete" von  Compere  (s.  unt.)  hervor,  woselbst  Dufay  „Mond 
der  ganzen  Musik  und  Licht  der  Sänger"  genannt 
Kanon,  wird.  Insbesondere  der  Kanon  erfährt  durch  du  Fay  seine 
Ausbildung.  Unter  Kanon  versteht  man  ein  zwei-  oder  mehr- 
stimmiges Musikstück,  darin  sich  die  Stimmen  vom  Anfang 
bis  zum  Ende,  Ton  für  Ton  ununterbrochen  nachahmen.  Je 
nachdem  sich  die  Melodie  in  der  Oktave,  Quinte,  usw.  wiederholt, 
unterscheidet  man  Kanons  der  Oktave,  der  Quinte,  Sekunde  usw. 
Den  Kanon  nannte  man  damals  Fuge,  vom  lateinischen  „fuga" 
(Flucht),  weil  eine  Stimme  vor  der  andern  gleichsam  zu  fliehen  scheint, 
oder  auch  caccia,  d.  i.  Jagd.  2) 

Auffallend  sind  die  großen,  damals  an  den  Scharfsinn  der  Sänger 
gestellten  Anforderungen,  indem  man  mehrere  Stimmen,  die  zu  ver- 
schiedener Zeit  eintraten,  oder  bei  gleichzeitigem  Eintritt  sich  ver- 
schieden bewegten,  auf  eine  Notenzeile  schrieb  (vei*gleiche  Beilagen 
Nr.  10  bis  12).  Es  gab,  um  nur  einzelne  Absonderlichkeiten  anzu- 
führen ,  sogenannte  Ilätselkanons,  bei  denen  weder  Tonhöhe 
noch  Eintrittszeit  der  nachahmenden  Stimme  angegeben  waren ;  beides 
mußte  der  Sänger  herausfinden.  Beim  Krebskanon  (Spiegelkanon) 
wurde  die  Notierung  von  rückwärts  gelesen.  Ferner  gab  es  eine 
Messe,   die   statt  der  Schlüssel  Fragezeichen  hatte.     Auch  hier  mußte 


^)  Neuerer  Zeit  veröffentlichten  Dr.  Hugo  Riemann:  sechs 
bisher  nicht  gedruckte  Chansons  [für  Tenor,  Diskant  und  Kontratenor] 
von  Gilles  Binchois  [c.  1425],  aus  dem  Codex  Mus.  Ms.  3192  der 
Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  in  moderne  Notierung  über- 
tragen. Wiesbaden  1892.  Illustrationen  zur  Musikgeschichte.  I.  Welt- 
licher mehrstimmiger  Gesang  im  13. — 16.  Jahrhundert.  (Wiesbaden 
1893.)  und  John  Stainer:  Dufay  and  bis  contemporaries  fifty  compo- 
sitions.  London  1898  (aus  dem  Cod.  Canonici  misc.  213  der  Bod- 
leianischen  Bibliothek  zu  Oxford  in  moderne  Partitur  nebst  Klavier- 
auszug übertragen).     S.  ferner:  DM.  i.  Oesterr.  VII  u.  XI. 

2)  Daher  der  englische  Name  Catch  (spr.  Kättsch,  „Haschen") 
im  14.  Jahrhundert  künstlich  imitierend  gearbeitete  Stücke  bezeichnend, 
heute  eine  in  England  beliebte  kanonische  Kompositionsform  mit  derb 
komischem,  oft  auf  verschiedene  Stimmen  zerteilten  Text,  schwierig 
zu  singen.     Zu   ihrer  Pflege   in  London   seit  1761  ein  „Catsch  Klub". 


Dnnstable,  Binchois  und  Du  Fay.  115 

der  Sänger  die  Tonhöhe  erst  suchen.  Zu  diesen  Kmüositäten  zählt 
auch  ein  Stück,  wo  die  eine  Stimme  das  „Ave  regina",  die  andere 
das  „Regina  coeli",  wieder  andere  das  „Alma  mater"  und  „luviolata" 
zu  singen  hatten^).  Dali  dabei  der  Text  nicht  verstanden  werden 
konnte,  ist  einleuchtend,  war  ja  schon  ohnehin  bei  der  polophonen 
Musik  das  Verständnis  durch  die  kontrapunktische  VerschUngung  der 
Stimmen  erschwert.  Dazu  kam  die  Manier,  beliebte  Volkslieder  als 
Cantus  firmus  zu  benutzen  und  die  Messen  danach  zu  benennen.  So 
gab  es  denn  Messen  unter  den  Namen :  ,,Die  rote  Nas",  „Der  bewaffnete 
Mann''  (L'homme  armej^)  usw.  Bis  auf  den  unpassenden  Namen  war 
jedoch  die  Sache  nicht  gar  so  schUmm,  denn  jene  Volkslieder  waren 
im  „Tenor"  so  lang  gedehnt,  so  mit  umrankenden  Stimmen  verdeckt, 
daß  sie  vom  Volke  kaum  herauszuhören  waren ;  auch  würden  sie  manchem 
unserer  heutigen  Kirchenrausiker  viel  zu  ernst  erscheinen ^j. 

Der  Satz  du  Fays  ist  rein,  aber  herb  und  trocken.  Die 
Dissonanzen  erscheinen  im  Durchgange  und  auf 
schlechter  Taktzeit,  auch  wohl  als  Quarte-Vorhalte. 
Dagegen  wird  bei  Dufay  und  seinen  Nachfolgern  der  Text  der 
Messen-  und  Motetten-Komposition  zu  Gunsten  der  kunstvollen 
Stinimenführung  arg  vernachlässigt.  Man  schrieb  bei  Messen 
nur  die  Aufangsworte,  z.  B.  „Kyrie,  Gloria",  hin  und  überließ,  die  Kennt- 
nis des  Textes  voraussetzend,  die  Unterlegung  desselben  dem  Sänger. 
Dadurch  wurden  natürlich  arge  Verstöße  herbeigeführt,  indem  die 
Worte  zu  Solmisations-Silben  herabsanken.  Während  bei  den  Griechen 
der  Ton  sklavisch  an  den  Te.\t  gebunden  war,  herrschte  jetzt  die 
Musik  zügellos  über  den  Text.  Auch  hier  liegt  die  Wahrheit  in 
der  Mitte. 

Sein  Recht  findet  der  Text  nur  auf  dem  Gebiete  der  welt- 
lichen,   volktüm liehen  Musik,    in  den    zahlreichen,    Schule 
machenden  französischen  Chansons  der  älteren  Niederländer ;    Chanson. 
ein  Gegenstück  sind  die  italienischen  Frottole. 

Die    Chanson   (spr.    schangsong)*)  ist   ein   mehr-minder   schlicht 


'i  Aehnliches  kam  übrigens  auch  neuerer  Zeit  vor.  So  läßt 
z.  B.  ,1.  Preindl  beim  Credo  seiner  Esdur-Messe  jede  Stimme  einen 
anderen  Teil  des  Glaubensbekenntnisses  singen :  in  R.  Schumanns 
Faustmusik  (III.  Teil  singen  die  drei  Büßerinnen  gleichzeitig  ver- 
schiedene Textworte.  Ein  Verständnis  des  Textes  ist  natürlich  in 
solchen  Fällen  unmöglich. 

-)  Dieses  Lied  hatte  sehr  dankbare  Motive,  z.  B.  g g  cha g,  und 
wurde  daher,  wie  schon  oben  (S.  110)  bemerkt,  von  fast  allen  Kom- 
ponisten jener  Zeit  benutzt,  ganz  ähnlich  wie  in  neuerer  Zeit  gewisse 
Fugenihemata  Eberlin,  Händl,  Haydn  und  Mozart  zur  Bearbeitung 
dienten. 

3)  Vgl.  Arabros,  II.  Bd.  pag.  517,  521. 

*)  Bei  der  Aussprache  ist  hier  wie  in  allen  ähnlichen  Fällen,  das 
•dem  nasalen  n  angefügte  g  zu  unterdrücken. 

8* 


116 


II.  Mittelalter. 


gesetzter  mehrstimmiger  Gesang,  meist  erotischen  Inhalts ;  sie  wurzelt 
im  Tanzlied  (vgl.  ob.  S.  81).  Der  Name  deutet  auf  die  ita- 
lienische C  a  n  z  o  n  e  (Canzonetta )  deren  Abart  uns  noch  in  den  Villoten 
und  Villanellen  begegnen  wird  (vgl.  oben  S.  97).  Die  kunstgerechte 
Faktur  der  chansons  beginnt  bereits  mit  Dunstable  und  nimmt  von 
da  ab  ihren  Anteil  an  der  immer  strengeren  Polyphonie.  Hingegen 
Frottola.  bewegt  sich  die  Frottola  (s.  v.  w.  „Früchtchen"),  d.  i.  ein  mehr- 
strophiges  Lied  über  poetisch  eingekleidete  Worte  schlüpfrigen  oder 
scherzhaften  Inhalts,  einfach  akkordisch  und  fern  den  strengen  Gesetzen 
der  Stimmführung.  Die  Frottola  ^)  steht  dabei  immerhin  noch  höher 
als  Villanella  und  Villotta  (s.  unten).  Beliebte  F'rottolisten  des  15.  bis 
16.  Jahrhunderts  waren  Bartolomeo  Tromboncino  [spr.  -tschino] 
aus  Verona  und  Marco  C  a  r  a  zu  Mantua.  Eine  besondere  Liedform 
einfachster  Faktur  ist  das  Strambotto. 

Unter  den  ähnlichen  Formen  der  mehrstimmigen  weltlichen 
Liedkomposition ,  die  gleich  der  kirchlichen  stets  h  a  1  b  i  n  - 
strumentalen  Charakter  zeigt,  begegnen  wir  in  dieser 
Rondeau.  Epoche  dem  uns  schon  von  früher  her  bekannten  Rondeau 
(Rondel,  deutsch  Radel,  vgl.  oben  S.  76,  81)  wieder,  dessen 
sonettartige  Dichtung  den  Anfang  nach  einzelnen  Versen  immer 
wiederholt  (Refrain).  Dem  Rondeau  nahe  steht  die  in  Italien 
Ballade,  beliebtere  Ballade  (ital.  Ball  ata,  von  ballo,  d.  i.  Tanz,  ursprüng- 
lich also  s.  V.  w.  Tanzlied,  vgl.  auch  Balletto).  Sie  wetteiferte  dort 
im  14.  Jahrhundert  mit  dem  Madrigal  (s.  unten)  und  herrscht  im  15. 
Jahrhundert  in  der  spanischen  Liedkomposiotion;  diese  be- 
wegt sich  auf  gleicher  Höhe  mit  der  französischen,  wie  aus  dem 
„Cancionero  musical",  einer  spanischen  Liederhandschrift  aus  jener 
Zeit  —  als  bedeutender  Theoretiker  ragt  dort  Bartolomeo  Ramos 
hervor  —  zu  ersehen  ist.  2) 

Die  Melodien  der  durch  Binchois  und  Du  Fay  begründeten» 
in  Dunstable  wurzelnden  ersten  niederländischen  (bel- 
gischen) Schule  (c.  1450  —  75)  waren  nicht  wie  die  unsrigen 
liedmäßig,  deklamatorisch,  sondern  kontrapunktisch  gedacht. 
Die  Erfindung  einer  Melodie,  die  sich  zu  allen  Künsten  des  Kontra- 
punktes eignete  und  trotzdem  fließend,  abgerundet  und  kernig  klang» 
war  sehr  schwer. 

Mit  der  ersten  niederländischen  Schule  er- 
scheinen vor  allem  die  Regeln  des  musikalischen 
Satzes  endgiltig  festgesetzt. 

Rieraann  spricht  in  seinem  hauptsächlich  die  Entwickelung  der 


1)  Vgl.  die  Studie  von  Prof.  Dr.  Rud.  Schwartz  (Bibliothekar  d. 
Musikbibliothek  Peters),  Viertel)  ahrsschr.  f.  M.  W.  II,  1886. 

2)  Proben  solcher  „Hausmusik  aus  alter  Zeit"  findet  man  in  Hugo 
Riemanns  gleichnamiger  Publikation  intimer  Gesänge  mit  Instrumental- 
begleitung a.  d.  IL— 15.  Jahrb.,  1906  ff. 


Die  Niederländer.     Ockenheim  und  Depres.  117 

Tonformen  und  Stilprinzipien  darlegenden  Handbuch  der  Musikge- 
schichte II.  Bd.  2,  Leipzig  1907,  einer  Florentiner  ars  nova  zur 
Zeit  Dantes  und  Petrarcas  als  der  eigentlichen  Bahnbrecherin  der 
modernen  Tonkunst  das  Wort;  einer  ars  nova,  deren  Meister  —  imter 
ihnen  der  blinde  Landin o  (s.  ob.  S.  78  und  Kap.  VI.)  —  bereits 
über  die  Elemente  des  Stils  der  Du  Fay -Epoche  verfügen,  während 
„die  englischen  imd  niederländischen  Meister  der  Folgezeit  nur  persön- 
liche Größe,  Genie  hinzubringen  und  dadurch  zu  Repräsentanten  der 
Epoche  werden"  —  Dunstable  als  „repräsentativer  Schöpfer  des 
kunstvoll  bearbeiteten  Kirchenliedes"  an  der  Spitze  ivgl.  cit.  111). 
Zielbewußt  erfolgt  allerdings  dieses  Uebertragen  des  reichen  tiguricrten 
Wesens  vom  weltlichen  auf  das  geistliche  Lied  erst  durch  Dimstable. 
Nach  Riemann  (der  nebenbei  bemerkt  in  diesem  als  Register  unschätz- 
baren dritten  Teil  seiner  ,, Geschichte  der  Musik''  den  zweiten  stellen- 
weise selbst  widerlegt)  entspringt  die  Liedkunst  der  Du  Fay-Epoche 
der  Kunst  der  Florentiner  Treeentisten,  d.  i.  der  Künstler  des  14.  Jahr- 
hunderts, die  in  Messenteilen  bereits  den  begleiteten  Vokalstil  auf  die 
Kiichenmusik  zu  übertragen  versuchten.  Vokal-  und  Instrumental- 
musik waren  aber  schon  längst,  wie  wir  beobachten  konnten,  durch 
Jongleurs  und  Spielleute  vereinigt.  Auch  Riemann  betont  (cit.  196) 
wiederholt  die  Eintiüsse  alt-englischer  Musikübung  auf  die 
werdende  Florentiner  ars  nova,  vennittclt  durch  die  bretonischen  Spiel- 
leute  und  schließt  sich  nicht  nur  im  Grundgedanken  des  ganzen 
Werkes  —  die  Ueberlegenheit  der  weltlichen  Musik  —  den  Ergebnissen 
von  Lederers  Untersuchungen  an.^) 

Aus  dem  Schülerkreise  der  Binchois-Du  Fay,  in  dem  wir 
u.  a.  die  Kontrapunktisten  Anton  Busnois  [spr.  bünoa]  (1467 
Kapellsänger  Karls   d.  Kühnen  zu  Burgund,    f  1492),  Philipp 
Caron,    Faugues    [spr.   Fog],    Barbireau  Ispr.  barbiröj  (f  1491), 
Regis,    vor  allem  aber  die   großen  Meister    Jakob    Hobrecht 
(Obrecht,    1492    Kapellmeister   an   Notre  Dame  zu  Antwerpen, 
t   1505  in  Ferrara)  und  Johann  Okeghera  (0 c k e n h e i m ,  Ockenheim. 
1454  erster  Kapellsänger  am  Hofe  Karl  VH.    von  Frankreich, 
t   1495   in  Tours)  erblicken,    löst    sich  die  Gestalt    des    letzt- 
genannten in  monumentaler  Weise  los.  -)     Er  wird  das  Haupt 
einer    neuen ,    der    zweiten    niederländischen    Schule  fä,J^gc^g' 
(1475  — 1525),  die  den  imitatorischen  Stil  zur  üppigsten  Blüte    Schule, 
bringt.     Wir  kennen  von  diesem  Altmeister  17  Messen,  7  Motetten, 

^)  pag.  31  allerdings  heißt  es,  Martin  le  Franc  nenne  die  Fran- 
zosen Tapissier,  Caron  und  Cesaris  v  o  r  Dunstable  usw.  Das  ist  ein 
In-tum.  Le  Franc  sagt  im  Gegenteil,  daß  jene  Drei  gerade  darum 
einen  großen  Aufschwung  der  französischen  Kirnst  bedeuten,  weil  sie 
sich  der  englischen  Fassung  (Kompositionsart)  bedienten!  (,,Car 
ilz  ont  prins  .  .  .  la  contenance  angloise."  S.  Led.  I,  23  u.  111 
„Tu  as  bien  .  .  .  j  a  m  a  i  s  I  .  .  .) 

-)  Vgl.  d.  Biographien  v.  Michel  Brenet,  Paris  1893,  u.  De  Maiy,  1895. 


IIQ  II.  Mittelalter. 


ein  36  stimmiges  Deo  gratia  (9  fach  kanonisch  gehalten !)  19  Chansons, 
darunter  das  wunderschöne  Se  vostre  coeur,  und  verschiedene 
Kanons.     Vgl.  Nr.  12  der  Beilage. 

Ockenheim  ist  berühmt  als  Tonsetzer  und  Lehrer  ausge- 
zeichneter Schüler,  von  denen  hier  nur  die  hervorragendsten  : 
Josquin  de  Pres  (s.  u.),  Pierre  de  La  Rue  (1492  —  1510  Kapell- 
sänger am  burgundischen  Hofe)  Loyset  Compere  (f  1518)  und 
Anton  Brumel  (1505  am  Hofe  zu  Ferrara)  genannt  werden 
sollen.  Unter  ihm  entwickelte  sich  der  künstliche  Kontrapunkt 
durch  Verlängerung,  Verkürzung,  Umkehrung  und 
Nachahmung  des  Themas ,  durch  Rätsel-Kanons  , 
Fugen  u.  dergl.  Er  war  es  aber  auch,  der  die  eigentüm- 
lichen Satzkünsteleien  der  niederländischen  Schule  auf  die 
Spitze  trieb  und  hier  namentlich  in  de  La  Rue  (Messen,  ein 
5  stimmiges  Stabat  mater,  mehrere  Salve  regina,  Chansons 
u.  a.)  einen  bedeutsamen  Nachfolger  fand. 

Die  Tonkunst  wird  so  eine  Art  Privileg,  ein  Geheimnis;  die 
Musiker  reden,  wie  die  Gelehrten  des  Mittelalters,  eine  dem  Laien  un- 
verständliche Sprache.  Bemerkenswert  bei  den  Kompositionen  jener 
Zeit  —  ihr  Kunstreichtum  gemahnt  förmlich  an  die  berühmte  flandrische 
Teppichweberei  des  14. — 15.  Jahrhunderts!  —  ist  die  gleiche  motivische 
Führung  der  nach  einander  mit  denselben  Textworten  einsetzenden 
Stimmen  (zuerst  bei  Ockenheim) ;  ferner  die  tiefe  Lage  des  Soprans 
und  Alts.  Sie  erklärt  sich  daraus,  daß  diese  Stimmen  durch  Männer 
mit  hohem  Tenor  und  gut  ausgebildetem  Falsett  (Falsettisten, 
tenorini,  später  vom  16.  Jahrhundert  ab  durch  Kastraten!,  ausgeführt 
wurden.  Weibliche  Personen  waren  nach  dem  Worte  des 
heil.  Paulus:  „Frauen  sollen  schweigen  in  der  Gemeinde"  (1.  Chor. 
14,  34)  vom  Chor  ausgeschlossen  (und  sind  es  eigentlich 
auch  heute  noch);  Knaben  erlernten  aber  in  der  Regel  die  äußerst 
schwierige  Mensural-Theoi'ie  bis  zu  ihrer  Mutation  (Stimmwechsel) 
nicht  vollständig.  Darum  beschränkte  man  sich  auf  männliche  Sänger, 
die  in  der  Tat  Musikgelehrte  Avaren,  und  richtete  nach  deren  Ton- 
umfang die  Lage  der  Stimmen  ein. 

Die  Niederländer  beherrschen  von  nun  an  fast  100  Jahre 
hindurch  die  musikalische  Welt;  sie  werden  überall  gesucht, 
mit  Geld  und  Ehren  überhäuft  und  verpflanzen  so  die  musi- 
kalische Bildung  in  alle  Länder.  Ockenheim  wurde  darum 
„Patriarch  der  Musiker"  genannt.  Eine  gewaltige  Förderung 
des  tonkünstlerischen  Schaffens  dieser  Zeit  beginnt  mit  der  E  r  - 
findung  des  Notentypend rucks,  die  für  sich  (Abschn.  9")  noch 
des  näheren  geAvürdigt  sei. 

"^"pr^s"  ^^  '^^^"^  berühmtesten  der  niederländischen  Meister  wurde  Ocken- 

heims  Schüler  Josquin  de  Pres  (Depres,  spr.  joskin  deprä),  geb. 


Willaert  und  die  Venetianer.    Madrigal.  119 

c.  1450  im  Hennegau,  1484  —  94  Sänger  der  päpstlichen  Kapelle 
zu  Rom,  zuletzt  nach  vielfachem  Wirken  an  verschiedenen  Orten 
Dompropst  des  Kapitels  von  Conde.  Er  starb  1521.  Josquin 
war  ein  genialer  Musiker.  Von  ihm  schreibt  Ambros  (Mus.  Gesch. 
III.  232):  pSein  Stil  gestaltete  sich  reich,  energisch,  alle  Einzelheiten 
individuell  belebend,  aber  ohne  phantastisch,  spitztindig  oder  überladen 
zu  werden,  da  vielmehr  Mali  und  lichtvolle  Klarheit  diesen  festen 
musikalischen  Gestaltungen  etwas  eigentümUch  Edles  und  Bedeutendes 
gibt."  In  welchem  Ansehen  der  Meister  bei  seinen  Zeitgenossen, 
die  ihn  einen  „Fürsten  der  Musik"  nannten,  stand,  geht  aus 
Luthers  Worten  hervor:  _ Josquin  ist  ein  Meister  der  Noten: 
diese  haben  tun  müssen,  wie  er  gewollt :  andere  Komponisten 
müssen  tun,  wie  die  Noten  wollen."  Er  bezeichnet  ferner 
seine  Kompositionen  als  .frei  wie  der  Finken  Gesang".  Ob 
zwar  der  erste  der  niederländischen  Meister,  dem  der  Kontra- 
punkt nicht  eitel  Selbstzweck  war,  erscheint  Josquin  doch 
nicht  frei  von  der  bereits  erwähnten  Schattenseite  der  nieder- 
ländischen Schule ;  den  Komponisten  des  Stammbaumes  Christi,  den 
er  sogar  zweimal  —  nach  dem  Evangelium  Matthäus  imd  Lukas  — 
in  Musik  setzte,  der  neueren  Zeit  zuzuzählen,  hälr  schwer. 

Unter  Josquins  zahlreichen  kirchlichen  Werken  behaupten  eine 
L'horame  arme-Messe  und  die  '2i  stimmige  Motette  „Qui  habitat"  als 
Meisterstücke  kontrapunktischer  Künste  den  höchsten  Kang.  Deprös 
schrieb  u.  a.  das  erste  Stabat  mater.^) 

Aehnlich  wie  Depres  scheint  sein  Schüler  Jean  M  o  u  t  o  n  [spr.  Mouton. 
mutong]  t  1522,  gleichfalls  ein  Meister  der  verwickeltesten  Kontra- 
punktik, ohne  mit  ihr  nur  prunken  zu  wollen.  Seine  Motette  Nesciens 
mater  ist  ein  überaus  wohlklingender  Quadrupelkanon.  Von  anderen 
Schülern  Josquins  ist  neben  Benedict  D  u  c  i  s  (1510  Vorsteher  der 
Antwerpener  Älusikergildei  und  Nicolas  Gombert  (1530 — 34  Knaben- 
meister der  Brüsseler  Hofkapelle,  ein  ebenso  bedeutender  als  frucht- 
barer Meister),  beide  aus  Brügge,  namentlich  Clement  Jannequin  jannequin. 
[spr.  schann'käng]  zu  nennen.  Seine  155^»  zu  Paris  erschienenen 
4 — 5  stimmigen  Chansons  („Inventions  musicales"'),  die  ihn  direkt  zum 
P  r  0  g  r  a  m  m  -  M  u  s  i  k  e  r  d  e  s  16.  Jahrhunderts  stempeln,  erregten 
Sensation.  Die  berühmtesten  dieser  ( "hansons  sind  betitelt  „La  bataille", 
„Le  caquet  des  femmes"  („Weiberklatsch"')  „La  Jalousie"  („Eifersucht"), 
„La  chasse  de  lievre"  („Hasenjagd")  „Le  rossignol"  u.  a. 


Auf   die  Zeit    der  Überkünstelung    folgt  nun  eine  Epoche 
der  Reaktion,   des  Durchbruchs    einer  schlichteren  Faktur,    bis 


^)  Eine  der  wenigen  noch  in  der  katholischen  Kirche  übhchen 
Sequenzen  (vgl.  Kap.  X).  Berühmte  Kompositionen  dieses  Textes 
(von  Jacoponus,  f  1306)  schufen  noch  Palestrina,  Astorga,  Pergoleso, 
Rossini.    Vgl.  Bitter:  Studie  zum  Stabat  mater  (1883). 


120 


II.  Mittelalter. 


Venetian. 
Schule. 


Willaert. 


Madrigal. 


die  Kunst  der  Niederländer  in  Italien,  wo  sich  neue  Schulen 
bilden,  ihre  glorreiche  Wiedergeburt  feiert  (venetianische  und 
römische  Schule,  1525 — 1600).  Die  Pforte  aber,  durch  die 
die  Tonkvmst  aus  dem  hohen  Norden  unter  den  südlichen 
Himmel  triumphiernd  einzieht ,  um  aus  einer  ursprünglich 
wälischen  eine  wä Ische  (dies  Wort  allerdings  nicht  im 
heutigen  Sinne  !)  zu  werden,  ist  Venedig. 

Der  fruchtbare  Musikboden  Italiens  war  durch  Männer 
wie  Landino,  Franchino  Gafori  i)  u.  a.  genügend  vorbereitet, 
daß  es  nur  der  glücklichen  Hand  bedurfte,  um  das  Samen- 
korn der  Neuen  Kunst  aus  englischen  und  niederländischen 
Boden  auch  in  die  italienische  Erde  mit  besonderem  Erfolge  zu 
verpflanzen.  Dies  gelang  dem  Gründer  der  berühmten 
venetianischen  Schule,  Adrian  Willaert.-)  Ein 
Niederländer  von  Geburt,  Schüler  von  Mouton  und  Depres,  kam  er 
1527  als  Kapellmeister  an  die  Markuskirche  zu  Venedig,  wo  er  bis  zu 
seinem  Tode  (7.  Dezember  1562)  bahnbrechend  und  wahrhaft  Schule 
bildend  wirkte.  Willaert  ist  der  Schöpfer  der  d o p p e  1  - 
chörigen  Komposition.  Angeregt  durch  die  Möglichkeit, 
seine  Chorsänger  auf  den  beiden,  je  mit  einer  Orgel  versehenen 
Galerien  der  Markuskirche  ^)  zu  verteilen,  schrieb  er  als  Erster 
Stücke  für  eine  größere  Anzahl  Stimmen  in  2 — 3  Chöre  geteilt. 
Dadurch  wurden  nicht  allein  die  Sänger  Aveniger  angestrengt,  indem 
häutig  Pausen  eintraten;  durch  das  Einzelauftreteu  und  Zusammen- 
wirken der  Chöre  bei  verschiedener  Besetzung  derselben  wurden  vor 
allem  schöne  und  große  Eifekte  erzielt.  Schon  damals  galt  als  Grund- 
satz, daß  jeder  Chor  für  sich  ein  Ganzes  mit  selbständiger  Harmonie 
bilden  müsse,  imd  bei  dem  Vortrage  mußte  behufs  Unterscheidung 
der  1.  Chor  stets  sanft  aufhören,  während  der  folgende  be- 
stimmt einsetzte.  Diese  Mehrchörigkeit  war  eine  Art  Wieder- 
belebung des  uralten,  bereits  von  Ambrosius  augewandten  antiphoni- 
schen Prinzips. 

Durch  Willaert  wurde  aber  auch  die  Kunstform  des  Madri- 
gals,   deren  Ursprung    bis    ins   13.  Jahrhundert  zurückreicht, 


^)  S.  ob.  S.  78.  Vgl.  Prätorius  (Ernst),  Die  Mensuraltheorie 
des  Franchinus  Gafurius  und  der  folgenden  Zeit  bis  zur  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts      I.  Teil.  Diss.  1905.     8».  br. 

2)  Ausgesprochen:  Willart,  weil  das  e  nur  Dehnungszeichen  ist, 
ähnlich  wie  bei  Gevaert  und  Saint-Saeus. 

^)  Vgl.  über  diese  für  die  Musikgeschichte  hochbedeutsame 
Wirkungsstätte  vieler  hochberühmter  Kapellmeister  und  Organisten 
die  Monographie  des  venetianischen  Musikschriftstellers  ¥.  C  a  f  f  i 
(t  1874):  Storia  della  musica  sacra  nella  cappella  di  Sau  Marco  in 
Venezia  dal  1318  al  1797  (1854-  55). 


Die  Venetianer. 


121 


außerordentlich  gepHegt  und  beliebt;  mit  ihr  sollte  Willaerts 
bedeutsamer  Landsmann  und  Zeitgenosse  Jakob  Arcadelt  (f  c. 
1560  zu  Paris)  1539  so  großes  Aufsehen  erregen,  daß  dessen  erstes 
Buch  Madrigale  bis  1654  31  Ausgaben  erlebte.  Das  waren 
einstrophige  Gesangstücke  (ursprünglich  Schäferlieder,  vom  ital.  mandra, 
Herde  und  gal,  Lied)  für  3—5,  mitunter  auch  6  Stimmen,  deren  Texte 
die  Liebe  und  Szenen  aus  dem  Landleben  behandelten.  Die  Madrigale 
spielte  man  aber  auch  auf  Instrumenten,  oder  man  sang  sie  einstimmig  mit 
instrumentaler  Begleitung  der  übrigen  Stimmen :  so  wurde  durch  sie 
die  begleitete  Monodie  und  die  Kammermusik  angebahnt.  ^)  Einer 
der  ersten  Madrigalisten  war  der  hervorragende  belgische  Kontrapunktist 
Philippe  Verdelot  (um  1510  zu  Florenz,  später  in  Venedig). 

In  der  Form  des  Madrigals .  das  neben  der  gleichfalls 
erotischen  Chanson  das  feinere  Kunstlied  jener  Zeit 
repräsentiert,  gelangt  um  1550  die  künstlerische  Faktur  der 
kirchlichen  Musik  auch  in  der  weltlichen  Tonkunst  zu  ihrem 
Rechte ;  allerdings  wechselt  sie  hier  mehr  mit  schlicht  akkordischen 
Stellen.  Dem  durchkomponierten  Madrigal  gegenüber  steht  unter  dem 
allgemeinen  Namen  C  a  n  z  o  n  e  (Canzonetta)  das  einfache  strophische 
Volks-  bzw.  Tanzlied,  meist  dreistimmig  in  verschiedenen  Arten: 
die  venezianische  Villota  mit  sehr  linfacheu,  aut  den  Text  nicht  villota. 
weiter  eingehenden  Melodien,-)  die  homophon  gesetzte  Villanella  Viiiauella. 
(Canzone  villanesca,  Straßenlied,  entsprechend  dem  franz.  Vaudeville 
und  dem  deutschen  ,,GassenhawerIin"i,  derb-komischeu  oft  lasziven 
Ton  anschlagend  (vgl.  ob.  S.  112)  und  das  Balletto. 

Zu  Willaerts  unmittelbaren  Schülern  zählen  namentlich 
Andrea  Gabrieli,  Cyprian  de  R o  r e ,  Joseffo  Z a  r  1  i  n o , 
Nicola  Vicentino  und  Fra  Constanzo  Porta. 

Andrea  Gabrieli,  der  Lehrer  Ha.slers,  j  1586  als  Organist 
an  der  Markuskirche,  ist  ein  hochbedeutender  Komponist  zahl- 
reicher Kirchengesänge,  6 — 16  stimmiger  Messen  und  3-  bis 
6  stimmiger  Madrigale  und  Orgelstücke.  Er  und  sein  Neffe  Johannes 
(s.  u.)  gebrauchten  als  erste  die  Bezeichnung  Kirchenkonzerte 
(Concerti  ecclesiastici)  für  kirchliche  Vokalsätze  mit 
Instrumentalbegleitung.  Somit  tritt  uns  hier  zum  ersten  Male 
der  Name  Konzert,  d.  i.  „Z  u  s  a  m  m  e  n  s  p  i  e  1"  (concerto,  vom  lat. 
conserere  ^  ),  entgegen.  Die  Form  der  Kirchenkonzerte  gelangt  dann  über 
Banchieri  und  Viadana  (s.  dort)  in  S.  Bachs  Kantaten  zum  Höhepunkt. 

1)  Vgl.  C.  F.  Becker:  „Die  Hausmusik  im  16— 18.  Jahrhundert". 
Leipzig,  1840. 

2)  S.  K.  Somborn:  Das  venezian.  Volkslied,  die  Vilotta,  1901. 
^)  Also  nicht,  wie  bisher  venneint,  vom  lat.  concerto  abstammend ; 

den  heutigen  Konzertbegriff  des  „Wettstreitens"  trug  man  erst  um  1700 
in  das  Wort.  Vgl.  H.  Daffner:  D.  Entwickelung  d.  Klavier-Konzerts 
bis  Mozart,  IMG.  Beihefte,  neue  Folge,  Heft  4. 


-Vndrea 
(iabrieli. 


Kirchen- 
Konzerte. 


122 


II.  Mittelalter. 


de  Rore. 
Vicentino. 


Zarlino. 


Porta. 


Ricerear 

und 
Toccata. 


Fantasia. 
Canzone. 


Claudio 
Merulo. 


Cyprian  de  Rore  aus  Mecheln  (f  1565)  ist  nament- 
lich berühmt  als  Komponist  chromatischer  Madrigale.  Er  folgte 
hierin  glücklicher  seinem  Mitschüler,  dem  Theoretiker  Vicentino 
(geb.  1511),  dessen  Versuche,  die  antiken  Tongeschlechter,  das  chro- 
matische und  eiiharmonische,  Wiederaufleben  zu  lassen  (vgl.  unter 
Venosa),  fehlschlugen.^)  Einen  prachtvollen  Kodex  seiner  Motetten 
besitzt  die  Münchener  Bibliothek.  Gioseffo  Zarlino  von  Chiog- 
gia  (f  1590)  der  größte  musikalische  Schriftsteller  jener  Zeit  und 
noch  heute  als  geistreicher,  tiefsinniger  Gelehrter  anerkannt  und 
geschätzt,  gilt  als  Schöpfer  der  Harmonielehre  (vgl.  ob.  S.  69,  108). 
Zarlino  nennt  bereits  den  Dur-  und  Mollakkord  die  beiden  einzigen 
Grundlagen  der  harmonischen  Auffassung.  Er  war  es,  der  zuerst 
neben  dem  großen  Ganzton  c :  d  =  8 : 9  den  kleinen  Gauzton  d :  e  =  9 :  10 
annahm,  wodurch  das  bis  dahin  angenommene  und  für  das  Ohr  schwer 
auffassbare  Verhältnis  der  großen  Terz  64 :  80  in  das  leicht  verständ- 
liche Verhältnis  64  :  81  oder  4  :  5  verwandelt  wurde.  Durch  Besei- 
tigung dieser  Differenz  (das  s^^ntonische  Komma  80  :  81)  wurde  die 
große  Terz,  welche  früher  als  Dissonanz  galt,  zur  Konsonanz.  F  r  a 
Constanzo  Porta  aus  Cremona  (j  1601)  machte  sich  be- 
rühmt durch  seine  sechsstimmigen  Motetten,  die  Ambros  „Kunst- 
werke edelster  Art"  nennt.  Seine  Eigentümlichkeit  bestand  darin, 
daß  er  den  gregorianischen  Choral  als  Cantus  firmus  in  den  Baß  legte. 
Porta,  der  Minoritenmönch,  schrieb  auch  ausgezeichnete  Madrigale. 

In  die  Epoche  der  Venetianer  fällt  auch  die  Entwickelung 
und  Pflege  der  ersten  Formen  reiner  (selbständiger)  In- 
strumentalmusik, des  Ricerear  für  Laute  und  Orgel, 
und  der  Toccata  für  Orgel.  Das  Ricerear  (spr.  ritscherkar, 
das  Wort  bedeutet:  immer  wieder  [das  Thema]  aufsuchen)  ist  eine 
Nachbildung  der  Motette  Es  führt  immer  neue  Motive  imitierend 
durch  die  Stimmen  und  bildet  eine  Art  Uebergang  von  der  Fuga  (caccia) 
zur  späteren  Fuge.  Man  begegnet  dafür  auch  den  Namen  Fantasia 
und  Canzone.  Die  Toccata  setzt  mit  vollen  Harmonien  ein  und 
mit  Passagen  und  fugierten  Sätzchen  fort.  Der  erste  Meister  dieser 
Form  ist  der  berühmte  Organist  Claudio  Merulo  da  [aus]  Corregio, 
1566 — 86  Vorgänger  Giov.  Gabrielis  bei  St.  Marco.  ^) 

Um  jene  Zeit  blühten  noch:  in  Rom  neben  Jacob  Arcadelt 
die  päpstlichen  Sänger  Costanzo  Festa  (f  1545),  der  erste  italienische 
Kontrapunktiker  von  Bedeutung,   ein  Vorläufer  Palestrinas  in 


*)  Vgl.  Th.  Kroyer  (Musikgelehrter  und  Komponist,  Professor 
der  Musikwissensch.  a.  d.  Universität  München,  geb.  1873):  D.  Anfänge 
der  Chromatik  im  Italien.  Madrigal  d.  16.  Jahrh.     IMG.  1902. 

2)  Vgl.  über  diese  Formen  und  ihre  Meister  auch  Kap.  VI; 
ferner  die  in  bequem  lesbarer  Form  in  Riemanns  „Handb.  d.  M.  G."  II,  1 
zahlreich  mitgeteilten  vollständigen  Messensätze,  Motetten,  Kirchen- 
lieder, Rondeaus,  Balladen,  Madrigale  usw. 


Die  ersten  Instruinentalfonnen.    Deutsche  Meister.  123 

der  Vereinigung  niederländischer  Kontrapunktik  mit  italischem  Wohl- 
laut (sein  4 stimmiges  Tedeum  singt  man  noch  heute  bei  großen  Fest- 
lichkeiten  im  Vatikan),    und   der   Spanier   Christoforo  M  orales,    Arcadelt. 
gest.    In53    (berühmt   durch   seine   Motette:    „Laraentabatur  Jacob"  i;    Morales. 
ferner    in    Frankreich    Claudius    Goudimel    aus    Besan^^on,    als  (•oudimel 
Hugenott   in   der  Nacht   zum   28.  August   zu  Lyon  ermordet.  ^)     Von 
seinen  Kompositionen    erschienen   nur    die    von   Marot    und   de   Bi'za 
ins   Französische    übersetzten   Psalmen.     Der   Ansicht,    er    habe    der 
reformierten  Kirche  einen  vierstimmigen  Kirchengesang  geben  wollen, 
widerspricht   er   z^\■ar   selbst   in   der  ^'orrede,   worin  er  die  Gesänge 
für   den   Privatgebrauch   bestimmt.     Und   tatsächlich    wurden   sie   am 
französischen  Hofe  mit  Vorliebe  gesungen.    N'iele  seiner  Melodien  sind 
indessen  noch  heute  in  der  reformierten  Kirche  in  Gebrauch  (Walter). 

Einer  der  bedeutenstcn  Komponisten  der  venetianischen  Schule 
war  Giovanni  Croce  [spr.  krotsche]  f  IGO!)  zu  Venedig,  Schüler  Croce. 
Zarlinos.  Unter  seinen  zahlreich  auf  uns  gekommenen  kirchlichen  und 
weltlichen  Werken  befindet  sich  auch  ein  humoristisches,  die  „Musi- 
kalische Arznei",  4  —  7  stimmige  Gesänge  (capricci)  darunter:  Wett- 
streit von  Kukuk  und  Nachtigall  mit  dem  Papagei  als  Schiedsrichter. 

Hier    darf    endlich    nicht    ungenannt   bleiben   der   Niederländer 
Jakob  Clemens   genannt   Clemens    n  o  n   P  a  p  a    VI.  ^  nicht  der    Clemens 
Papst",  c.  t  1558),   dessen  kiichenmusikalische   Werke   zum  Teil   be-  "on  Papa, 
reits  an  Palestrina  hiuanreichen. 

Ein  erlesener  Kreis  deutscher  Meister  und  Zeitge- 
nossen der  Niederländer  -)  schart  sich  um  diese,  vornehmlich 
das  mehrstimmige  deutsche  Lied  und  die  Motette  pflegend  ;  die 
hervorragendsten  sind:  aus  der  Epoche  Okeghem  Adam  von 
Fulda.  Alexander  Agricola,  Heinr.  Finck,  Heinr.  Isaak 
und  Thomas  Stoltzer  (f  1526  als  Kgl.  ungarischer 
Kapellmeister  zu  Ofen);  aus  der  Josquin-Epoche  Paul  Hof- 
haimer  aus  Salzburg  -  Radstadt ;  aus  der  Willaert- Epoche 
Ludw.  Senfl,  Leonhardt  Paminger  (Oberösterreich),  Bal- 
thasar H  a  r  t  z  e  r  (Deutsch-Böhmen). 

Das    charakteristische    Merkmal    der    kunstvoll    mehrstim- 
migen Tonsätze  Adam  von  Fuldas  (fc.  1495)  ist  die  Ver-  "^F^uTda"" 
legung  eines  Cantus  firmus  in  den  Diskant  und  eine  auffallend 
bewegliche  Baßführung  bei  satter  Harmonie.     Aehnlich  verfährt 
Heinr.    Finck  (f  1518    als  Hofkapellmeister   in    Stuttgart)   in   seinen     Finck. 
uns  erhaltenen  Motetten  imd   deutschen  Liedern,  ^i     Wie  man,  neben- 


^)  S.  den  Essai  Bio-Bibliographique  von  M.  B  r  e  n  e  t ,  Besannen  1898, 

-"i  Einen   Ueberblick    über    die    Tätigkeit    der   niederländischen 

Schule  gewährt  Fr.  Commers  großartiges  Sammelwerk :  Collectio  operum 

musicorum    Batavorum    saeculi    XVI.     1849.     Vgl.    auch    0.    Kade, 

Mattheus  Le  Maistre,  Niederländischer  Tonsetzer.     1862. 

2)  Vgl.  Kieraann  a.  a.  0.  H,  1,  133  ft,  269,  278  f. 


124  II-  Mittelalter. 


bei  bemerkt  bereits  im  15.  Jahrbimdeil  über  die  Tonkünstelei 
dachte,  beweist  Adam  von  Fuldas  Eingeständnis  iGerbert  III,  354), 
er  habe  sich  früher  mit  Propoitionen  und  Rätselkanons  befaßt,  damit 
aber  mehr  Unverstand  als  Künstlerschaft  bewiesen ! 

isaak.  Heinrich  Isaak  (niederländischer  Abkunft  i),  f   1517), 

ob  seiner  gemütstiefen  Lieder  genannt  der  deutsche  Or- 
pheus, war  längere  Zeit  in  Innsbruck  Mitglied  der  Kapelle 
und  Hofkomponist  Kaiser  Maximilians.  Er  setzte  u.  a.  das 
Volkslied :  „Innsbruck,  ich  muß  dich  lassen",  dessen  Sopran 
noch  heute  bei  dem  Kirchenliede :  „Nun  ruhen  alle  Wälder" 
benutzt  wird.  Isaak,  der  auch  in  der  Hausmusik  seiner  Tage 
eine  Rolle  spielt  (vgl.  S.  150  ff.),  schloß  sich  in  seinen  kirch- 
lichen "Werken  und  weltlichen  Liedern  der  niederländischen 
Technik  an.-) 

Beilage  Nr.  17  birgt  einen  kunstvoll  und  fließend  geschriebenen 
Satz  dieses  Meisters.  H.  Bellermann  gibt  davon  in  seinem  ,, Kontra- 
punkt" (Beilage  3)  ein  höchst  interessantes  Faksimile,  das  zugleich 
einen  Einblick  in  die  damalige  Art  des  Partiturenschreibens  gewährt. 
Jene  Partitur  besteht  aus  10  ziemlich  weit  von  einander  entfernten 
Linien,  auf  denen  5  Schlüssel  {F,  *):.  !|^|,  g,  d)  stehen  und  zwar  auf 
der  1.,  4.,  6.,  S  und  10.  Linie.  Der  Tenor  ist  schwarz,  der  Alt  gi'ün. 
Sopran  und  Baß  sind  rot  geschrieben  (eine  Art  Vorläufer  des  Bunt- 
drucks! s.  u.);  dieser  mit  runden,  jener  mit  eckigen  Noten. 

Gleichfalls  in  Diensten  und  in  hoher  Gunst  beim  „letzten  Ritter" 

.         Kaiser  Maximilian  I.   stand   (1480— lölQ^i   der   Liederkomponist  Hof- 

Hofhaimer.  haimer«)  (t  vor  1539  in  Salzburg).     Hochangesehen  und  allbekannt 

Agricola    ^^^  Messen-,  Motetten-  und  Liederkomponist  war  Alexander  Agricola 

(d.  i.  Ackermann,  f  1506,  seit  1491  im  Dienste  Phil.  d.  Schönen  zuBurgund). 

Senfi.  Isaaks  Schüler  und  Erbe  Ludwig  Senfl,  Kapellmeister 

Ludwigs  von  Bayern  (f  c.  1555  in  München),  benutzte  mit  Vorliebe 
deutsche  Kirchenlieder  zu  motettenartiger  Behandlung.  Ueber 
diese  „feinen  lieblichen  Muteten"  sagt  Luther:  „Eine  solche 
Muteten  vermöchte  ich  nicht  zu  machen,  wenn  ich  mich  auch  zu- 
reißen  sollt".  Er  setzte  auch  gleich  Hofhaimer  „einer  eigenartigen 
reaktionären  Strömung  auf  dem  Gebiete  der  Vokalkomposition  (Unter- 
ordnung der  Musik   unter   die  halbverstandenen  Gesetze  antiker  Pro- 


^)  Nicht  böhmischer,  wie  Ambros  aus  dem  traditionellen  Beinamen 
„Isaac  von  Prag"  folgerte. 

2)  Vgl.  Franz  Waldner:  Heinr.  Isaak,  1904.  Weltliche  Werke 
(Lieder,  Instrumentalsätze,  Orgel-  und  Lautentabulaturen  usw.)  Dr. 
Job.  Wolf]  in  DM.  i.  Oesterr.  XIV,  1,  1907;  Choralis  Constantinus 
[E.  Bezecny  u.  Dr.  W.  Rabl],  ebendort,  V,  1,  1898. 

^)  Vgl.  Franz  Waldner :  Nachrichten  über  d.  Musikpflege  am  Hofe 
zu  Innsbruck  I.     Unter  Kaiser  Maximilian.  1898. 


Stilwandlung.  125 


sodie"  [Rieraann]  folgend,  die  Oden  von  Horaz  in  Musik.  Viele  seiner 
Volkslieder  befinden  sich  in  den  Sammlungen  der  Nürnberger  Verleger 
Forster  (1539)  und  Ott  (1544)i). 

Kirchenlieder  bzw.  Responsorien -)  für  das  ganze  Kirchen- 
jahr komponierten  die  beiden  protestantischen  Meister  Leonhardt 
Paminger  (f  1567  als  Schulrektor  in  Passau)  3)  und  Bai-  Pan»nffer. 
thasar  Hartz  er  (Resinarius,  1543  Pastor  in  Böhmisch  Leipa), 
ein  Isaakschüler,  der  sich  namentlich  um  die  Hebung  des  Chor- 
gesanges verdient  machte.  Hartzers  „Responsorien"  sind 
das  älteste  im  Druck  (1544  bei  Rhau  iu  Wittenberg)  erschie- 
nene Denkmal  deutscher  Musik  in  Böhmen,*)  wo  auch  die 
Wogen  der  Reformation  in  der  Tonkunst  hoch  gingen.  Unter  den 
tschechischen  Komponisten  des  16.  Jahrhunderts  erweist 
sich  Christof  Harant  von  Polzic  (1564—1^21)  als  ein  Meister  des 
polyphonen  Satzes  (Motette  „qui  contidunt",  G stimmig^)).  Neben  ihm 
steht  Jan  Trajan  Turnovsky  (um  1570). 

Die  Entwickelung  des  deutschen  Kirchenliedes  in  Deutsches 
dieser  Periode  ist  von  so  großer  Bedeutung,  daß  ihr  am  Schlüsse 
dieses  Buches  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet  werden  soll. 
Nur  die  mächtige  Förderung  der  Reformation  durch  das  deutsche 
Kirchenlied,  das  die  ins  Deutsche  übertragenen  Weisen  der 
böhmischen  und  mährischen  Brüder  (Hussiten) 
wesentlich  bereicherten,    sei  gleich  hier  betont. 

Eine  charakteristische  Pflege  erfuhr  der  kunstgemäße 
Kirchengesang  in  Deutschland  durch  die  bedeutsame  Institution 
der  Kirchenchöre  und  Kantoreien.  Die  Kantoreien **)  waren  Kantoreien, 
statutenmäßige  Sängervereinigimgen  von  Bürgern  und  Schülern ;  sie 
entwickelten  sich  noch  vor  der  Reformation,  namentlich  in  Mittel- 
deutschland, aus  den  sog.  Kalandsbrüderschaften,  jenen 
mittelalterlichen  Gesellschaften   von  Priestern  und  Laien  zum  Arnien- 


1)  Senfls  Werke.  Herausgeg.  v.  Theodor  Kroyer.  Nebst  einer 
Abhandlung  über  Sentls  Geburtsort  u.  Herkunft  v.  Adolf  Thürlings. 
Teil  I.  Magnificat  nnd  Motetten.  Denkmal  d.  Tonk.  i.  Bayern  (Leipzig). 
Vgl.  R.  V.  Liliencron,  „Die  Horazischeu  Metren  i.  d.  deutschen  Kompo- 
sitionen d.  XVI.  Jahrb.".     Vierteljahrschr.  f.  M.  W.  1887,  L 

2)  Reich  verzierte,  liturgische  Gesänge  für  den  Einzelvortrag. 

^)  Vgl.  K.  Weinmann,  Leonh.  Paminger,  Kirchenmusik.  Jahrb.  1907. 

*)  Die  Neuherausgabe  dieses  wertvollen  Dokuments  deutschböh- 
mischer Geisteskultur  erfolgt  durch  Dr.  Batka  und  Dr.  Rychnovsky  in 
„Denkmäler  deutscher  Musik  in  Böhmen'*. 

5)  N.  [Prof.  Stecker]  bei  F.  A.  Urbanek-Prag. 

^)  Bereits  im  alten  England  war  die  Institution  bekannt ;  in  einem 
Dorfe  bei  Dunstable  hatten  die  Bewohner  von  Alters  her  für  die 
Kantorei  eigene  Ländereien  gewidmet,  wie  Lederer  nachweist. 


126  II-  Mittelalter. 


begi'äbnis,   die  sich  allmonatlich  an  den  Kaleuden  (daher  der  Name) 
versammelten,  ^j 

Literaten-  Aehnliche    Bedeutung    hatten    die    sog.    Literatenchöre   in 

Chöre  Böhmen  für  die  Kirchenmusik  dieses  Landes.  An  sie,  die  Stamm- 
halter der  böhmischen  Musik  im  16.— 17.  Jahrhundert  überhaupt  ^j,  er- 
innern heute  nur  noch  die  außer  einzelnen  Gruppenbildern  (Leitmeritz, 
Prachatitz)  handschriftlich  erhalten  gebliebenen,  künstlerisch  prächtig  aus- 

Kanzionale.  gestatteten  Gesangbücher  (Kanzionale).  Die  kostbarsten  sind  Jene  zu 
Prag  (St.  Veit),  Leitmeritz,  Tschaslau,  Luditz.  ^j  Unter  den  Literaten 
befanden  sich  meist  die  angesehendsten  Bürger  der  Stadt. 

Die  Kantoreien  (ebenso  die  Literatenchöre)  und  die  an  größeren 
Kirchen  Deutschlands  unterhaltenen  Chöre  standen  unter  Leitung  eines 
Kantors  ([Vor-]Säugers),  insbesondere  dort,  wo  neben  der  Kirche 
eine  Schule  nebst  Alumnat  für  den  Sängerchor  bestand.  Eine  ange- 
sehene Stellung  behauptete  das  K  a  n  t  o  r  a  t  an  der  Thomasschule 
zu  Leipzig.  Unter  den  bedeutenden  Leipziger  Thomaskantoren,  die 
uns  im  Verlaufe  der  Darstellung  begegnen,  ragt  J.  S.  Bach  hervor, 
der  die  Mehrzahl  seiner  Kautaten  für  die  Sonn-  und  Festtagskirchen- 
musik der  Thomaskirche  schrieb.  "*) 

Kantorate.  Verwandt  mit  der  Kantorei  war  das  „Collegium  musicum". 

Unter  diesem  Namen  bildeten  sich  in  den  größeren  deutschen  Städten 


^)  S.  Arno  Werner,  Geschichte  der  Kantoreigesellschaften.  Bei- 
heft der  IMG.  IX,  1902,  S.  10  ff.  Vgl.  auch  „Die  musikalische  Gilde 
in  Friedland".  IMG.  I.  S.  142  ff.  —  Ernst  Rychnovsky,  Ein  deutsches 
Musikkollegium  in  Prag  i.  J.  1616.  Zeitschr.  d.  IMG.  VI,  1.  Hierzu 
als  Korrektur  IMG.  VII,  2,  1906.  Ferner  Rautenstrauch,  Johannes, 
Luther  und  die  Pflege  der  kirchlichen  Musik  in  Sachsen  (14^19.  Jahr- 
hundert). Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  katholischen  Brüderschaften, 
der  vor-  und  nachreformatorischen  Kurrenden,  Schulchöre  und  Kan- 
toreien Sachsens.     Leipzig,  1907. 

2)  Vgl.  Rieger,  Materialien  z.  Gesch.  Böhmens. 

^)  Vgl.  Nr.  12  des  Kataloges  der  Reichenberger  Musikausstellung 
1906  von  F.  Moissl,  der  über  das  Luditzer  Kanzionale  berichtet:  Zu 
den  wertvollsten  und  schönsten  seiner  Art  zählend,  bildete  es  ehedem 
den  musikalischen  Hauptschatz  des  1546  in  Luditz  gegründeten  Lite- 
ratenchores, nachdem  die  Stadt  längst  von  den  Ilussitten  zerstört 
worden  war  und  der  religiöse  Kultus  tschechisches  Gepräge  ange- 
nommen hatte.  Wie  aus  den  Abbildungen  ersichtlich,  wurde  das  kost- 
bare Buch  hauptsächlich  von  den  Zünften  gestiftet.  Margarethe  von 
Plauen  und  ihre  Schwiegertochter  Dorothea  Katharina  Markgräfin 
von  Brandenburg  haben  die  Ilauptauslagen  bestritten.  Aus  den 
Aufzeichnungen  des  Stadtschreibers  Vitus  geht  hervor,  daß  zur  Her- 
stellung des  Buches  249V2  Häute  benötigt  wurden,  die  Niederschrift 
der  Noten  des  Textes  139  Schock  17  Groschen  und  das  künstlerische 
Ausmalen  der  Blätter  119  Schock  20  Groschen  kostete.  Die  Bilder 
und  Initialen  sind  prachtvoll,  reich  mit  Goldplatten  \erziert  und  bilden 
das  Entzücken  des  Kenners  ebenso  wie  des  Laien. 

*)  Ernst  Prätorius,  Mitteilungen  über  Kantoren,  Organisten,  Orgel- 
bauer u.  Stadtmusiker  alt.  Zeit  bis  ungefähr  1800.    IMG.,  VIT,  2,  1906. 


Stilwandlung. 


127 


bereits  im   16.  Jahrhundert   weltliche  Musikgesellschaften   zur  Pflege 
der  Hausmusik. 

Unter  den  Theoretikern  dieses  Zeitraumes  ragt  neben  der  Trias 
Tinctoris,  Gafor,  Zarlino  besonders  G 1  a  r  e  a  n  (eigentlich  Heinrich  Loris) 
aus  Glarus  (f  1563)  hervor,  der  1512  durch  Kaiser  Maximilian  I.  zum 
Dichter  gekrönt  (poeta  laureatus)  wurde.  Er  trug  mit  bei  zur  Ent- 
wickelung  der  Lehre  von  der  Hannonie,  deren  Begriff  zuerst  Gafurius 
fixiert  hatte,  und  stellte  in  seinem  Hauptwerk  Dodekachordon  (1547) 
als  erster  statt  der  S  (kirchlichen)  Tonarten  deren  12  theoretisch 
fest.  Praktisch  waren  sie  ja  schon  durch  die  Engländer  längst  ver- 
wertet. 1) 

In  15.  Jahrhundert  nimmt  die  Instrumentalmusik,  vordem 
nui'  in  den  Händen  der  Stadtpfeifer  und  Türmer,  nicht  nur  auf 
dem  Gebiete  des  Orgelspiels  einen  heute  noch  kaum  begriffenen 
Aufschwung.  -)  Schon  im  16.  Jahrhundert  vermischt  sich  der 
vokale  und  der  instrumentale  Stil  immer  mehr,  so  daß  mehr- 
stimmige, weltliche  wie  kirchliche  Kompositionen  in  beliebiger 
Besetzung  aufgeführt  werden  können,  sei  es  nur  mit  Instrumenten, 
oder  nur  a  capella,  sei  es  unter  Mischung  oder  Wechsel  bei- 
der Arten.  Erst  der  hohe  Aufschwung  der  Gesangskunst  in 
den  Sängerkapellen,  die  an  allen  geistlichen  und  weltlichen 
Fürstenhöfen  wie  an  allen  bedeutenden  Kirchen,  vornehmlich 
zu  Rom,  seit  dem  15.  Jahrhundert  zu  blühen  begannen,  ver- 
drängt allmählich  die  Instrumentalmusik  wieder  aus  der  Kirche 
und  führt  schließlich  zur  Alleinherrschaft  des  a  capella 
Stils,  d.  i.  der  mehrstimmigen  Vokalmusik  ohne  Be- 
gleitung. 3)  Er  bedarf  freilich  vorerst  noch  der  Säuberung  von 
allen  ihm  anhaftenden  Melismen  instrumentalen  Charakters.  Diese 
Klärung  vollzieht  sich  in  der  Epoche  Palestrinas.  Es 
folgt  dem  Zeitalter  eines  sich  namentlich  im  Prin- 
zip der  .,Nachahmung"  äußerndem  Realismus  in  der 
Tonkunst,  eine  Epoche  des  Idealismus.*) 


1)  S.  Lederer  I,  326. 

-)  Vgl.  Lederer,  a.  a.  0.  I,  57,  Anm. 

3)  Vgl.  Riemann,  a.  a.  0.  II,  1,  S.  109  und  211. 

*)  Zu  den  bereits  angeführten  praktischen  Lehrbehelfen  vgl. 
hier  neben  den  Veröff"entlichungen  der  „Denkmäler  der  Tonk.  in 
Oesterr."  (V.  1898  Isaac  insbesondere  die  Publikation  älterer 
praktischer  u.  theoretischer  Musikwerke,  vorzugsweise 
des  15.  u.  16.  Jahrh.  Herausgegeben  v.  d.  Gesellsch.  f.  Musikforschung. 
Berlin,  Liepmaunssohn :  a)  115  Lieder  zu  4—6  Stimmen  im 
Jahre  1544  von  Joh.  Ott  gesammelt  u.  herausgegeben.  Neue  Partitur- 
ausgabe  nebst  Klavierauszug  von  ß.  Eitner,  Ludw.  Erk  und   Otto 


Glarean. 


Sänper- 
kapelleii. 


128  II-  Mittelalter. 


9.  Die  Erfindung  des  Notendrucks. 

Was  für  die  Schrift  die  Erfindung  des  Buchdruckes,  für 
die  bildende  Kunst  jene  des  Kunstdrucks,  ^)  wurde  für  die 
Musik,  für  die  Förderung  und  Verbreitung  tonkünstlerischen 
Schaffens,  die  Erfindung  des  Notendruckes.  Sie  reiht  sich  der 
kulturhistorischen  Bedeutung  jener  beiden  andern  bedeutsam 
an.  Als  man  bald  nach  der  Erfindung  des  Buchdruckes  (1440) 
versuchte,  auch  den  Notendruck  herzustellen,  geschah  es 
auf  verschiedene  Art :  entweder  durch  den  vielfach  unschönen 
druck.      Holzplattend  ruck,  oder  durch  Typendruck. 

Ein  ausgibiger  Gebrauch  des  Stempeldruckes  ist  bis  heute  nicht 
zu  erweisen.  Ebensowenig  findet  man  einen  Noten-Holzplattendruck 
der  älter  wäre,  als  der  Typendruck.  Dieser  findet  sich  erstmals,  wie 
P.  Raphael  Molitor  (in  „Die  nachtridentinische  Choralreform",  s.  ob. 
S.  59)  nachweist,  im  Missale  Romanum,  das  ein  Deutscher,  Ulrich 
Ulrich  Han.  H  a  n  (Hahn,  Gallus)  aus  Ingolstadt,  1476  in  Rom  druckte.  ^) 


Kade.  Originaltitel  faksimiliert  nebst  Ludwig  Senfls  Porträt. 
b)  Job.  Otts  Liederbuch  von  1544.  Einleitung,  Biographien,  Texte 
u.  Melodien ,  letztere  in  allen  bekannten  Lesarten  in  Original-  und 
modernen  Darstellungen,  c)  Anselm  Schubiger s  „Musikalische 
Spicilegien  üb.  d.  liturgische  Drama,  Orgelbau  u.  Orgelspiel,  das  außer- 
Hturgische  Lied  u.  d.  Insti'umeutalmusik  d.  Mittelalters".  Mit  vielen 
Musikbeilagen,  d)  Josquin  de  Pres,  Sammlung  ausgewählter  Kompo- 
sitionen zu  4,  5  und  6  Stimmen  (1  Messe,  Motetten,  Psalmen  und  Chansons) 
in  Partitur  gesetzt  u.  mit  einem  Klavierauszuge  versehen  unter  Mit- 
wirkung V.  R.  Schlecht  u.  R.  Eitner  veröffentlicht  von  Fr.  Commer. 
Mit  Porträt  v.  Josquin  de  Pres.  —  Ferner :  Ausgewählte  Madrigale  und 
mehrstimmige  Gesänge  berühmter  Meister  des  IG. — 17.  Jahrh.  In  Par- 
titur gebracht  u.  mit  Vortragszeichen  versehen  von  W.  Barcley  Squire. 
—  W.  B  ä  u  m  k  e  r  :  Niederländische  und  geistliche  Lieder  nebst  ihren 
Singweisen  aus  Handschriften  des  15.  Jahrh.  1888.  F.  M.  Böhme: 
Altdeutsches  Liederbuch.  12. — 17.  Jahrhundert.  1877.  R.  Eitner: 
Verzeichnis  neuer  Ausgaben  alter  Musikwerke  a.  d.  frühesten  Zeit  bis 
z.  J.  1800.  1871 ;  Bibfiographie  d.  Musiksammelwerke  des  16. — 17. 
Jahrh.  1877 ;  Biographisch-bibliographisches  Quellen-Lexikon  der  Musiker 
und  Musikgelehrten  d.  christl.  Zeitrechnung  bis  zur  Mitte  des  19.  Jahrh. 
1.  Bd.  1900.  Leipzig.  C.  F.  Becker:  D.  Tonwerke  des  16.— 17. 
Jahrh.  oder  systematisch-chronologische  Zusammenstelhmg  der  in  diesen 
zwei  Jahrhunderten  gedruckten  Musikalien.     1847. 

')  Im  14.  Jahrhundert  erschienen  die  ersten  Holzschnitte. 

'-)  Ein  Exemplar  befindet  sich  auf  der  Bibliothek  Magliabecchiana 
zu  Florenz  (Armad.  dei  rari  Nr.  4\  Da  Ulrich  Han  lUdalricus  Gallus) 
im  Kolophon  ausdrücklich  betont  („unaeu  cantu:  quod  nunc  factum 
extitit"),  daß  seine  Leistung  „etwas  vordem  nie  dagewesenes"  sei,  so 
wird  wohl  damit  die  Frage  der  Ei-findung  des  Musiknoten-Typendruckes 


Ei-findung  des  Notendrucks.  129 

Eine  weitere  Art  die  Noten  zu  drucken,  bestand  darin,  daß  man 

in  Missalien  (Meßbücher)  die  roten  Linien  vordruckte  und  darauf  die 
Noten  schrieb.  1481  gab  der  Buchdrucker  Jörg  Keyser  in  Würz-  Rtyser. 
bürg  zuei  Messallen  heraus,  deren  Musiknoten  gleichfalls  mit  beweg- 
lichen Typen  gedruckt  waren.  Hierzu  waren  zwei  Rahmen  und 
zwei  Drucke  notwendig.  In  dem  einen  Kahmen  befanden  sich 
die  Linien,  in  dem  anderen  die  Notentypen,  so  daß  zuerst  jene,  dann 
diese  darauf  gedruckt  wurden.  Es  folgte  bald  eine  ganze  Reihe 
deutscher  Meister  mit  prächtigen  Arbeiten  in  Eichstädt,  Regensburg, 
Augsburg,  Bamberg,  Venedig  usw. 

Am  Ende  des  1 5.  Jahrhundorts  druckte  Ottavio  dei 
Petrucci,  geb.  1466  zu  Fossombrone  bei  Ancona,  ebenfalls  Petrucci. 
mit  beweglichen  Typen.  Seine  ersten  bekannt  gewordenen  Werke 
erschienen  1501  und  enthielten  vornehmlich  Kompositionen  der 
Niederländer.  Diese  sehr  selten  gewordenen  ersten  Drucke 
(Incunablen,  d.  i.  Wiegendrucke)^)  sind  von  überraschender  ^Y''^^w°' 
Schönheit  und  Korrektheit.  Ein  Mangel  lag  darin,  daß  die  Werke 
in  gegenüberstehenden  Stimmen  (Chorbüchcrn  >,  oder  in  Stiramheften, 
aber  nicht  in  Partitur  gedruckt  wurden. ->  Giug  eine  Stimme  verloren, 
so  war  das  ganze  Werk  unbrauchbar.  Auch  die  zwei  Drucke  waren 
ein  Uebclstand,  dem  man  aber  dadurch  abhalf,  daß  den  Noteutypen 
zugleich  die  Linien  beigegeben  wurdeu,  wie  es  noch  heute  geschieht. 

Neben  dem  Typendruck  entwickelte  sich  später  der  N  o  t  e  n  -  Notenstich, 
stich.  Der  erste,  der  Noten  in  Kupfer  stach,  war  Simone 
Verovio  (1586).  Die  Engländer  Clu er  und  Wal sh  erfanden 
1730  den  „Stempel",  ein  Instrument,  womit  man  in  dünne 
Zinnplatten  die  Notenköpfe  einschlägt  und  so  das  Gravieren 
spart.  Die  Linien  werden  durch  ein  scharfes  Instrument  eingeritzt. 
Verbesserungen  nimmt  man  vor,  indem  man  die  Rückseite  wieder 
ebnet  und  die  Vorderseite  glättet.  Diese  vertieften  Noten  pflegt  man 
in  neuerer  Zeit  auf  einen  mit  einer  weichen  Masse  übeizogenen  Stein 
zu  übertragen,  wo  sie  schließlich  erhaben  erscheinen:  von  diesem  Steine 
wird  dann  später  nach  erfolgter  Trocknung  gedruckt. 

Alois  Senefelder  (geb.  1771  zu  Prag, 3)  f  1834  zu  Mün- 
chen) erfand  am  Ende  des  Jahrhunderts  die  Lithographie;  auch 

endgiltig  gelöst  sein  (K.  Walter).  Vgl.  auch:  Dr.  Jos.  Mantuani: 
lieber  den  Beginn  des  Notendrucks.  Wien  1901;  L.  Herrmann  :  Zur 
Urgeschichte  des  Notendrucks  (Archiv  für  Buchgewerbe  1900).  Rie- 
mann:  Notenschrift  und  Notendruck.  Festschrift  für  C.  G.  Röder.  1896. 

1)  Vgl.  Raphael  Molitor:  Deutsche  Choralwiegendrucke,  1904; 
Hermann  Springer:  Zur  Musiktypogi-aphie  der  Inkunabelzeit,  1903. 

-)  Das  Umschreiben  der  nur  in  Stimmen  erhaltenen,  älteren  Kom- 
positionen in  moderne  Partitur  heißt  Spartieren  (vom  Italienischen 
spartire  =  in  Partitur  (Italien,  spartitoj  setzen. 

2)  Das  Gebiutshaus,  das  eine  Gedenktafel  mit  Senefelders  Re- 
liefportrait  trug,  stand  an  der  Stelle  der  neuen  Altstädter  Markthalle. 

Kothe-Prochiizka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.  9 


230  ^I-  Mittelalter. 


diese  wurde  zum  Notendruck  benutzt.  —  Das  Problem,  den  Typen- 
druck bei  Orgel-  und  Klavierstücken  anzuwenden,  überhaupt 
mehrere  Stimmen  auf  ein  Liniensystem  zu  bringen,  löste  Gott- 
lob Immanuel  Breitkopf,  einer  der  Mitbegründer  der  Firma 
Breitkopf  &  Härtel  zu  Leipzig,  und  zwar  mittels  zerleg- 
barer Typen,  so  daU  z.  B.  eine  Achtelnote  aus  drei  Teilen  (Kopf,. 
Seitenstrich  und  Fähnchen)  besteht.  Der  Satz  mit  diesen  Typen  ist 
sehr  mühselig  und  darum  kostspielig.  Um  die  Kosten  des  Satzes  bei 
neuen  Auflagen  zu  sparen,  wendet  mau  die  Stereotypie  an:  man 
fertigt  von  dem  in  gewöhnlicher  Weise  hergestellten  Satze  einen  ver- 
tieften Abdruck  in  einer  weichen  und  feuchten  Masse  (Gyps  oder 
Papiermache),  läßt  diese  trocknen  und  gießt  darüber  eine  Mischung 
von  Blei,  Antimonium  und  Zinn,  so  daß  eine  Platte  mit  erhabenen 
Noten  hergestellt  wird,  die  zahlreiche  Abdrücke  ermöglicht.  Nur  auf  diesem 
Wege  sind  die  heutigen  spottbilligen  Schulausgaben  denkbar. 

Neuester  Zeit  versuchte  man  auch  den  Noten-Buntdruck,  um 
—  namentlich  bei  der  Fugenkoraposition  —  Themen-  und  Stimmführung 
anschaulich  zu  machen.^) 

Die  Erfindung  des  Notendrucks  bedeutet  nicht  zuletzt  die 
Ersparnis  jener  unsäglichen  zeitraubenden  Mühen,  mit  denen 
vorher  die  Notenkopien  auf  Pergament  meist  prächtig,  mit  kunst- 
reichen farbigen  Initialen  ausgestattet,  hergestellt  wurden.  Mit 
dem  Aufkommen  des  Druckverfahrens  verfällt  überhaupt  die  bis 
zum  Ausgange  des  Mittelalters  zur  Zier  kostbarer  Handschriften 
verwendete  Miniatur-Malerei.  -) 


10.   Palestrina  und  Orlando  Lasso.     Die  europäische  Ton- 
kunst in  der  zweiten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts. 

Der  erhabene  (Palestrina-)  Stil  unddierömischeSchule. 
Reform  der  katholischen  Kirchen musrk.  Die  päptliche 
Kapelle  (Sixtina).  —  Fortblüte  der  venezianischen 
Schule.  Gabrieli  und  die  Uebergangsepoehe  zur  Neu- 
zeit (Instrumentalmusik).  —  Spanische  Meister.  —  Lassus, 
der  letzte  Niederländer.  Die  Musik  in  Deutschland^ 
Frankreich,  England,     Haus-  und  Lautenmusik. 

Wir    sahen,    wie    die  Niederländer    die    kontrapunktischea 
Künste    nicht    selten    als  Endzweck  betrachteten,    in  Künstelei 


^)  S.  Boekelraan  (Bernard.),  4  Fugen  aus  Bachs  Wohltemp. 
Klavier  durch  Farben  analyt.  dargestellt,  mit  beigefugt,  härm.  Struktur. 
4  Hefte.     Kopenhagen  1890. 

-)  Für  Büchfreunde  wurden  allerdings  noch  im  16.  Jahrb.  Pracht- 
werke  geschrieben  und  von  Künstlerhand  kostbar  geschmückt.    S.  die- 


Palestrina.  131 

ausarten  ließen,  so  daß  der  liturgische  Text  nicht  den  adäquaten 
Ausdruck  in  der  musikalischen  Komposition  erhielt;  diese  ge- 
währte mehr  dem  Auge  und  Verstände  als  dem  Ohre  und  Ge- 
müte  Befriedigung.  Wir  erinnern  uns  der  argen  Vernach- 
lässigung jenes  Textes  bei  den  unterschiedlichen  Absonderlich- 
keiten, Spitzfindigkeiten  in  der  Komposition  und  Niederschrift, 
nicht  zuletzt  der  unpas"senden  Art,  wie  man  die  Messen  nach 
den  als  Cantus  firmus  benützten  Volksliedern  taufte  (vgl.  S.  115). 
Als  nun  naturgemäß  die  Reaktion  eintrat,  glaubte  das  Konzil  Tridentiner 
zu  Trident  (1545 — 63)  sich  auch  mit  der  Musikfrage  be-  °""' 
schäftigen  zu  sollen.  Man  verschloß  sich  auch  katholischer- 
seits  nicht  der  auffälligen  Wirkung  des  Lutherschen  Gemeinde- 
gesanges, seiner  religionsfördernden  Macht.  Schrieben  doch 
viele  den  Erfolg  der  Reform  Luthers  eher  jenem  durch  ihn  ein- 
geführten Gesänge,  als  seiner  Lehre  zu ! 

Den  11.  September  1562  vor  der  22.  Sitzung  wollten 
einige  Väter  für  die  gänzliche  Ausschließung  der  figurierten 
(ungleich  kontrapunktischen)  Kirchenmusik  und  alleinige  Bei- 
behaltung des  Chorals  stimmen.  Die  Mehrzahl  einigte  sich 
jedoch  zu  dem  Beschlüsse :  .,Jede  Musik  aber,  der  ent- 
weder in  Melodie  oder  Text  etwas  Schlüpf rig es 
oder  Unreines  beigemengt  wird,  soll  aus  der  Kirche 
verwiesen  werden." 

Nun  handelte  es  sich  darum,  was  denn  unter  „lasciv" 
(unrein)  zu  verstehen  sei?  Man  wollte  daher  in  der  24.  Sitzung 
die  Musikfrage  nochmals  auf  die  Tagesordnung  setzen.  Die 
dritte  Proposition  sollte  das  direkt  auszusprechende  Verbot  einer 
allzu  weichlichen  Musik  enthalten.  Kaiser  Ferdinand  L  aber, 
dem  dieses  durch  seinen  Legaten  mitgeteilt  wurde,  antwortete 
unterm  10.  August  1563  darauf:  ,daß  doch  die  Figuralmusik  Reform, 
nicht  ausgeschlossen  werden  möge,  weil  sie  so  oft  den  Geist 
der  Frömmigkeit  weckt. "  Infolge  dieser  bedeutsamen  Fürsprache 
einigte  man  sich  zu  dem  Beschlüsse,  daß  die  öfter  zusammen- 
tretenden Provinzialsynoden  auf  Mißbräuche  in  der  Musik  achten 
und  sie  abstellen  sollen. 

Gleichzeitig  aber  lenkte  sich  die  Aufmerksamkeit  der  be- 
teiligten Kreise  auf  einen  Tonmeister,  der  wie  auserwählt  erschien, 


Miniaturen   Hans  Mielichs   (1515—72)  für  Albrecht  V.  v,  Bayern  zu 
Orlando  Lassos  7  Bußpsalmen  (Münchener  Hof-  u.  Staatsbibliothek). 

9* 


132 


II.  Mittelalter. 


die  brennende  Lebensfrage  der  Kirchenmusik  zu  lösen.  Es  war 
dies  Giovanni  Pierluigi,  nach  seinem  Geburtsorte  (dem 
Paiestrina  alten  Praeneste)  kurz  Pa  1  es tr in a  genannt,  wahrscheinlich  1514^; 
(1514—94).  ggi^oi-ßQ^  fj^i-  Sohn  eines  wohlhabenden  Bürgers,  Sante  Pierluigi.  (Ueber 
die  Jugendjahre  fehlt  jede  Nachricht.)  1544  wurde  er  Organist  in  der 
Kathedrale  seiner  Vaterstadt,  1551  Kapellmeister  an  der  Basilika  von 

St.   Peter   zu 
Rom.       Sein 
erstes  ge- 
drucktes 
Werk,  ein 
Band     vier- 
und  fünf- 
stimmiger 
Messen 
(1554), 
Papst  Julius 
III.  zugeeig- 
net,bewirkte 
seine  Auf- 
nahme in  das 

päpstliche 
Sängerkolle- 
gium der 
Sixtinischen 
Kapelle  (s.  u. 
S.  135).    Da 
diesemKolle- 
gium  nach 
den  Statuten 
aber    nur    unverheiratete    Personen    angehören    durften,    mußte 
Paiestrina,    der    Gatte   und    Vater   war,    unter    dem    strengeren 


£^0'n^p^  fh^ßf/t 


1)  Die  Angaben  über  das  Geburtsjahr  Palestrinas  schwanken 
zwischen  1514,  1515,  1524  und  1529.  Sonderbarerweise  haben  Baiui. 
Fetis  u.  a.  die  Notiz  des  Hyginus  Paiestrina  in  der  Widmung  des 
7.  Buches  der  Messen  seines  Vaters  (1594):  „70  fere  vitae  suae  annos 
in  de!  laudibus  componendis  consuraens"  so  ausgelegt,  daß  Paiestrina 
nur  70  Jahre  alt  geworden  sei,  während  sie  doch  deutlich  besagt, 
daß  er  fast  70  Jahre  komponiert  habe.  Hiernach  spricht  wohl  die 
größte  Wahrscheinlichkeit  für  das  Geburtsjahr  1514.  Dr.  Haberl  kommt, 
gestützt  auf  eigene  Forschungen  an  Ort  und  Stelle,  zu  der  Jahreszahl 
1526.     (Siehe  Kirchenmusikalisches  Jahrbuch  1886.) 


Palestrina.    Die  sixtinische  Kapelle.  133 

Paul  IV.  1555  wieder  ausscheiden,  mit  6  Scudi  monatlicher 
Pension !  Er  nahm  hierauf  nach  Ueberwinduug  einer  durch  ähnliche 
schwere  Schicksalsschläge  hervorgerufenen  Krankheit  die  Kapellmeister- 
stelle an  der  Kirche  St.  Giovanni  im  Lateran  und  als  mau  ihm  die 
mit  Rücksicht  auf  seine  Familie  erbetene  Erhöhung  des  schmalen  Ge- 
haltes verweigerte,  15G1  — 1571  jene  bei  St.  Maria  Maggiore  an.  1571, 
nach  dem  Tode  Animuccias,  seines  Nachfolgers  als  Kapellmeister  der 
Peterskirche,  griff  Palestrina  diesen  Posten  wieder  auf,  um  ihn  fortan 
bis  zu  seinem  Ableben  zu  bekleiden. 

Palestrina  verfolgt  in  seinen  ersten  Kompositionen  die  Wege 
seiner  Vorgänger,  wie  sich  dies  bei  allen  großen  Meistern 
nachweisen  läßt.  Es  ist  darum  falsch,  ihn  von  seinen  Vor- 
gängern, zu  denen  vor  allem  Animuccia,  C.  Festa  und 
Morales  (s.  S.  122  f.  u.  138)  zählen,  losgelöst  zu  denken  und 
als  den  alleinigen  Schöpfer  des  Kirchenmusikstils  hinzustellen. 
Er  brachte  durch  sein  Genie  die  vorangegangene  Ent- 
wickelung    der    niederländischen    Schule    zum    Abschluß. 

Sein  erstes  epochemachendes  Werk  waren  die    „Im-     impro- 
^  "  perien. 

properien"  (d.  i.  „Vorwürfe",  mit  dem  Textanfang:  „Was 
tat  ich  dir,  mein  Volk?  Antworte  mir!  .  .";  erste  Aufführung 
1560).  Diese  Komposition  war  im  höchsten  Grade  ein- 
fach, aber  von  so  edlem  Geiste  beseelt,  daß  sie  eine  außer- 
ordentliche Wirkung  erzielte  und  Papst  Pius  IV.  sich  eine 
Abschrift  erbat.  Dieses  Werk,  seit  jener  Zeit  von  der  päpst- 
lichen Kapelle  alljährlich  am  Karfreitage  zur  Aufführung  ge- 
bracht'), führte  auch  die  eingesetzte  Kommission  von  acht  Kar- 
dinälen und  ebensoviel  päpstlichen  Sängern  auf  den  Gedanken, 
Palestrina  zu  beauftragen,  eine  mustergiltige  Messe  zu  schreiben.-) 
Palestrina  unterzog  sich  dieser  Arbeit  und  schrieb  —  drei 
Messen.  Sie  wurden  am  28.  April  1565  im  Palaste  des  Kardinals 
Vitellozzi  aufgeführt.  Die  beiden  ersten  erhielten  Beifall, 
die  dritte  aber  riß  alle  zur  Begeisterung  hin.  Diese  6  stimmige 
Messe  (für  Sopran,  Alt,  zwei  Tenöre  und  zwei  Bässe)  und  unter 
dem  Namen  „Missa  Papae  Marcelli"'  (dieser  Papst  war  papa'e 
ein  Gönner  Palestrinas)  berühmt,  erregt  noch  heute  die  all-  Marcelli. 
gemeinste  Bewunderung.      W.   Bäumker    sagt  darüber^):     „Das 


^)  Mendelssohn  gedenkt  in  seinen  „Reiaebriefen"  dieser  Kompo- 
sition mit  Begeisterung. 

2)  S.  Dr.  Haberl:  Die  Kardinalkoramission  von  1564  und  Palestrinas 
Missa  Papae  Marcelli,  Kirchenmus.  Jahrb.  I)s92,  S.  82  ff. 

')  Biographie  Palestrinas,  Freiburg,  Herder  1877.     S.  34. 


j^34  ^^-  Mittelalter. 


Verdienst,  welches  P.  sich  durch  die  Komposition  dieser  Messe 
um  die  Kirchenmusik  erwarb,  besteht  hauptsächlich  darin,  daß 
er  die  kunstvollen  Formen  des  polyphonen  Kirchen- 
gesanges dem  Zwecke,  dem  derselbe  zu  dienen  hatte, 
unterordnete.  P.  bediente  sich  der  überlieferten  Kunst- 
mittel, aber  nur  dann  und  soweit,  als  sie  ihm  geeignet  er- 
schienen, die  Worte  des  Textes  zum  adäquaten  musikalischen 
Ausdruck  zu  bringen.  Die  heilige  Handlung  war  ihm  die  Haupt- 
sache. Deshalb  mußte  das  dramatische  Wort  der  heiligen  Handlung 
durchaus  verständlich  werden ;  die  Musik  mußte  das  ausdrücken, 
was  der  kirchliche  Text  lehrte.  Und  weil  das  nun  bei  dieser 
Messe  in  erhöhtem  Maße  der  Fall  ist,  unterscheidet  sich  diese  Messe 
auch  so  vorteilhaft  von  allen  früheren  durch  ihre  Einf  a  chheit  und 
den  ruhigen  maßvollen  Stil.  Sie  zeichnet  sich  aus  durch  die 
sorgfältige  Deklamation  des  Textes,  die  stellenweise  sehr 
markiert  hervortritt.  In  allen  textreichen  Sätzen  finden  wir  den  gleichen 
Kontrapunkt  öfters  angewandt,  so  daß  die  Worte  gut  verständlich 
bleiben  und  doch  der  Inhalt  derselben  zum  lebendig  schönen  Ausdruck 
gelaugt.  P.  hat  es  also  verstanden,  in  dieser  Messe  den  höchsten 
Anforderungen  der  Kirche  und  der  Kunst  zu  genügen"  ^).  Papst 
Pius  IV.  erhöhte  zum  Dank  Palestrinas  Pension  auf  9  Scudi 
und  ernannte  ihn  zum  Komponisten  (Maestro  compositore)  der 
päpstlichen  Kapelle  —  eine  Ehrenstellung,  die  nach  ihm  nur 
noch  Feiice  Anerio  inne  hatte.  Auch  in  dieser  Stellung  aber  litt 
Palestrina  sehr  unter  der  Mißgunst  der  Kapellsänger. 

Gleichwie  zu  Venedig  San  Marco,  war  in  Rom  die  p  ä  p  s  t 
liehe  Kapelle,  die  älteste  von  allen,  ein  Hort  der  katholishen 
Kirchenmusik,  ja  sie  wurde  und  blieb  deren  Mittelpunkt.  Ihre 
Aufführungen  in  der  von  Sixtus  IV.  (1471 — 84)  erbauten,  durch 
die  Kunst  eines  Michelangelo  und  Raffael  im  Jahre  1512 
Sixtina.     verherrlichten  Kapelle  (Sixtina)-)  waren  nicht  nur  vielbewun- 


1)  A.  1876  bei  Pustet  (billig).    Vgl.  die  Neudrucke  S.  152  ff. 

2)  Vgl.  ob.  S.  6  und  Schultz  a.  a.  0.  II,  143,5.  Michelango 
Buonarotti  (f  1564)  und  Raffael-Santi ,  der  ähnlich  wie  Mozart  in 
jungen  Jahren  (1520)  starb,  unterordneten  die  Architektur  der  Malerei. 
Jener  schuf  die  Deckengemälde  der  Sixtina,  dieser  u.  a.  Teppiche 
zur  Ausschmückung,  die  entfernt  und  aufbewahrt  wurden.  Aus  dieser 
auf  die  Formen  des  römischen  Altertums  unter  Ausschließung  alt- 
nordischer Elemente  zurückgreifenden  Epoche  der  Renaissance 
(d.  i.  Wiedergeburt  der  altrömischen  Kunst  und  Fortsetzung  ihrer 
Üeberlieferung  in  der  italienischen  bildenden  Kunst)  ragt  Leonordo 
da  Vinci  (f  1519)  hervor.  Dieser  allseitig  gebildete  Künstler  und 
Mann  der  Wissenschaft  war  Maler,  Bildhauer,  Baumeister,  Physiker, 
Ingenieur,  Anatom,   aber  auch  Musiker  (als  solcher  erfand  er  ein 


Reform  der  katholischen  Kirchenmusik.  135 

derte  Meisterleistungen  des  hier  rein  gepflegten  a  capella-Gesanges 
—  in  der  Sixtina  gab  es  keine  OrgeP)  —  ;sie  übten  auch 
durch  jene  Umgebung  einen  eigenartigen,  geheimnisvollen  Zauber, 
der  heute  noch  die  in  der  Karwoche  Rom  besuchenden  Fremden 
aller  Nationen  gleich  stark  gefangen  nimmt. 

In  der  päpstlichen  Kapelle  (capella  pontifica)^)  wirkten  seit  Rück- 
kehr des  Hofes  aus  Avignon  viele  Niederländer,  Franzosen  und  Spanier. 
Wie  schon  erwähnt,  wurden  mit  vorübergehender  Ausnahme  (vgl. 
S.  132)  nur  unverheiratete  Sänger  aufgenommen,  die  zudem  die  niederen 
Weihen  empfangen  haben  mußten.  Den  Sopran  bildeten  zuerst  Knaben-, 
dann  natürliche  männliche  Hochstimmen,  zuletzt  (mit  Beginn  des  17.  Jahr- 
hunderts) Kastraten  (vgl.  Kap.  IXi.  In  Rom  bestand  noch  eine  zweite 
Sängerkapelle,  die  Kapelle  G  i  u  1  i  a  zu  St.  Peter,  eine  Art  Vorschule 
zur  Sixtina  ■'). 

Ueber  Palestrina  sind  alle  Schriftsteller  des  Lobes  voll. 
Thibaut'*)  sagt:  „Palestrina,  in  aller  Hinsicht  würdig  mit 
Homer  verglichen  zu  werden,  ist  in  seiner  Art  unübertreff- 
lich, und  daher  denn  auch  der  vollendete  Kirchenstil 
(a  capella)  von  ihm  den  Namen  „Palestrina-Stil'*  erhalten 
hat."  Messen  und  andere  Kirchen-Kompositionen  über  einen 
weltlichen  Tenor  wurden    nun  nicht  mehr  zugelassen    und  der 


neues  Griffbrett  für  die  Viola),  Dichter  und  Improvisator.  An  jene 
Früh -Renaissance  (bis  löCM»)  schlieüt  sich  die  Hoch -Renaissance 
(bis  lö.'SO)  mit  Buonarotti,  an  diese  der  Barockstil  mit  Bernini 
(1590 — 1680)  als  hervorragendsten  Meister  an.  Diesen  drei  Epochen 
entsprechen  in  der  Musik  jene  der  Niederländer,  Palestrinas  und  des 
17.  18.  Jahrhunderts  (Rokoko). 

^)  a  capella  heißt  im  Kapellstil,  d.  i.  nur  für  Singstimmen  ohne 
Begleitung,  wie  man  eben  die  älteren  Kirchenkompositionen  schrieb. 
Der  Name  Capella  ging  von  dem  Räume,  wo  sich  der  Sängerchor 
aufstellte,  auf  diesen  selbst  über;  später  dann  auch  allerdings  auf  die 
begleitenden  Instrumentalisten. 

-)  Ähnliche  Institute  mit  besoldeten  Kapellsängern  sind  u.  a.  der 
Berliner  Domchor,  die  Ilofkapellen  zu  München  und  Wien  (nicht  zu 
verwechseln  mit  den  heute  gleichbenannten  Orchestervereinigungen !), 
Chapel  Royal  in  London,  seinerzeit  die  Sainte  Chapelle  zu  Paris. 

2)  Mit  Burneys  Herausgabe  (1771)  der  Karwöchentlichen  Ge- 
sänge in  der  Sixtina  begann  die  Neubelebung  der  Tonwerke  aus  der 
Palestrinaepoche.  Vgl.  Dr.  Haberl:  Die  röm.  „schola  cantorum"  [s. 
S.  43,  Anm.  11  u.  d.  päpstl.  Kapellsänger  bis  z.  Mitte  d.  16.  Jahrb. 
Leipzig  1887. 

^)  Thibaut  [spr.  tibo],  Professor  der  Jurisprudenz  zu  Heidelberg, 
t  1840,  in  seinem  die  Romantik  in  der  Musik  ablehnenden  Werke 
-Ueber  Reinheit  der  Tonkunst".    Billige  Ausgabe  1876  bei  Pustet, 


136  II-  Mittelalter. 


Palestrinastil  fand  seine  offizielle  Anerkennung  als  Reform  der 
Kirchenmusik  ^). 

Palestrina  war  ungemein  fruchtbar;  er  hinterließ  36  Bände 
Kompositionen  verschiedenster  Art  -).  Von  seinen  Werken  sind 
noch  besonders  berühmt:  das  „Stabat  mater"  (neuerdings 
herausgegeben  von  R.  Wagner),  das  „Hohe  Lied",  die  Messe 
„Assumpta  est  Maria"  und  die  „Lamentationen".  Von  dem 
Stabat  mater  sagt  Baini  in  seiner  überschwänglichen  Biographie 
des  Meisters'*):  „Hätte  P.  nichts  geschrieben  als  dieses,  so  hätte  dieses 
einzige  Stück  hingereicht,  ihm  die  Anerkennung  der  ganzen  Welt  zu 
sichern." 

Ueber  die  Missa  „Assurapta  est",  die  hervorragendste  der  Messen 
Palestrinas  nach  jener  Papae  Marcelli,  äußert  sich  Proske :  es  liege 
in  ihr  eine  Hoheit,  Anmut  und  Begeisterung,  daß  man  sich  unwillkürlich 
zu  einer  Vergleichung  mit  Raphaels  Sixtinischer  Madonna,  ihrem  wür- 
digsten idealen  Gegenbilde,  hingerissen  fühle.  Nicht  minder  treffend 
imd  eine  prinzipielle  Frage  berührend  meint  Josef  Auer^i:  ,,Was 
würden  wohl  neun  Zehntel  unserer  Kirchenkompouisten 
sich  denken,  wenn  sie  diese  Messe  gewissenhaft  und  gründlich  studieren 
wollten  ?  Was  würden  sie  von  ihren  Werken  halten,  wenn  sie  die  Mittel, 
welche  Palestrina  verwendet,  mit  denjenigen  verglichen,  deren  sie  sich 
bedienen,  und  wenn  sie  dann  die  Wirkung  der  Missa  „Assumpta  est" 
dem  Resultate  ihrer  Arbeiten  gegenüber  stellten?  Vielleicht  Avürde  doch 
mancher  die  Feder  weglegen  und  erst  dann  wieder  zu  „kompo- 
nieren" beginnen,  wenn  er  in  der  Schule  der  „Alten"  sich  den  Be- 
rechtigungsschein zur  Mitarbeit  am  heiligen  Tempel  der  Kirchenmusik 
erholt  hätte."  —  —  — 
Revision  Im    Auftrage   Papst   Gregors  XHI.   hatten  Palestrina    und 

^ßg'g^'j^f"^'- Annibale  Zoilo  (1570 — 81  päpstlicher  Kapellsänger)  die  grego- 
rianischen Gesänge  zu  revidieren  ohne  jedoch  ihr  Bemühen  von 
Erfolg  gekrönt  zu  sehen. 

Der  Erlaß,  womit  die  beiden  Musiker  diesen  Auftrag  erhielten, 
wurde  neuestens  mit  einer  Reihe  hochinteressanter  Akten  über  den 
Verlauf  der  geplanten  Reform   wieder  aufgefunden.    Es  geht  daraus 


^)  Vgl.  ob.  S.  57,  Anm.  2,  und  Kirchenmusik.  Jahrb.  1892,  S.  82  L 

2)  GA.  bei  Breitkopf  &  Härtel,  33  Bde.  [de  Witt,  F.  Espagne, 
F.  Commer,  Franz  Xaver  Haberl].  1907  vollendet.  S.  ferner:  DM. 
(Augener  &  Co.,  London).  1.  Bd.  Motetten  von  Palestrina  [H.  Beller- 
mann].   Vgl.  insbesondere  unten  S.  154  Bäuerles  Ausgaben. 

^)  Baini  (Kapellmeister  der  Si.\tinischen  Kapelle,  komponierte 
streng  im  Palestrinastil  [s.  unt.  S.  139],  f  1844),  „Ueber  das  Leben 
imd  die  Werke  Palestrinas".  1828.  Uebersetzt  von  F.  S.  Kandier. 
Leipzig,  1834.  Vgl.  hierzu  die  kritischen  Bemerkungen  in  K.  v.  Winter- 
felds „Johannes  Pierluigi  von  Palestrina".     1832. 

*)  „Die  16.  Generalversamml.  d.  Allg.  Cäeilien-Ver.",  Kirchen- 
mus. Jahrb.  1901. 


Refoi-m  der  katholischen  Kirchenmusik.  137 


hervor  daß  der  Papst  den  alten  Choral  erhalten  wissen  wollte.  Als 
er  später  durch  König  Philipp  II.  von  Spanien  über  die  wahren  Ab- 
sichten der  Reformer  aufmerksam  wurde,  unterblieb  der  Druck  des 
schon  nahezu  vollendeten  Manuskriptes,  Palestrina  indessen  vermehrte 
seine  Arbeit  und  suchte  sie  kurz  vor  seinem  Tode  fertigzustellen ; 
Krankheit  und  das  rasch  eintretende  Ende  des  Meisters  vereitelten 
diese  Absicht.  Nach  Palestrinas  Tode  entspann  sich  ein  langer  Prozeß 
über  den  Besitz  jeuer  reformatorischen  Choralhandschrift.  Ob  sie  161-i 
bei  Herausgabe  der  in  unseren  Tagen  durch  eine  offizielle  Neuausgabe 
(Regensburg  1870)  so  berühmt  gewordenen  Editio  Medicea  von 
Anerio  und  Soriano  (s.  unt.),  die  in  allen  Aktenstücken  sich  als  Heraus- 
geber und  Bearbeiter  der  Medicea  bezeichnen,  mitbenutzt  wurde,  läßt 
sich  nicht  nachweisen.  Palestrina  s  e  1  b  s  t '  ^  s  t  a  u  d  dem  grego- 
rianischen Choral  anscheinend  zu  ferne  und  war  als  prak- 
tischer Musiker  den  notwendigen  historisch-kritischen  Vorarbeiten  nicht 
gewachsen.  Es  wäre  töricht,  im  Mißerfolge  der  Palestrinaschen  Be- 
mühungen auf  dem  Gebiete  der  Choralforschung  und  Choralpflege  eine 
Entehrung  oder  Herabsetzung  der  künstlerischen  Größe  des  Meisters 
erblicken  zu  wollen.  (Molitor.  Ein  römischer  Benefiziat,  der  mit 
Palestrina  persönlich  bekannte  Johannes  G  u  i  d  e  1 1  i  veröft'entlichte  lfiS2 
das  „Directorium  chori",  158t3  den  „ Passionsgang "  nach  den  vier  Evan- 
gelisten, 1587  die  Gesänge  der  Karwoche,  1588  die  Präfationen. 

Das  „Graduale"  von  1G14  und  1615,  lange  Zeit  Palestrina  zu- 
geschrieben, war  als  private  Ausgabe  in  Rom  erschienen,  ohne 
große  Bedeutung  zu  erlangen.  Es  hatte  den  traurigen  Ruhm  eine  der 
ersten  Reformausgaben  zu  sein,  die  den  alten  gregorianischen  Choral 
„reformieren"  d.  h.  in  ihrem  Sinne  „kürzen  und  modernisieren,"  also 
in  seiner  Eigenart  ruinieren  wollten.  Der  offizielle  Charakter  der  dem 
Buche  in  seiner  2.  Auflage  187U  von  der  Ritenkongregation  beigelegt 
wurde  und  in  den  letzten  Dezennien  des  19.  Jahrhunderts  zu  groüer 
Verbreitung  verhalf,  wurde  ihm  1W4  durch  Pius  X.  wieder  entzogen. 
Seitdem  hat  Pius  X.  eine  Restauration  der  alten  Melodien  angeordnet 
(vgl.  ob.  S.  h9\  Bis  jetzt  erschien  das  Kyriale  mit  den  gewöhnlichen 
Meßgesängen  (Kyrie,  Gloria  usw.)  nach  der  Version  der  Handschriften. 
(Nach  Molltor.)  ' 

Am  2.  Februar  1594,  nachdem  er  durch  seinen  Freund 
und  geistlichen  Führer,  den  heiHgen  Philippus  Nerius ,  zur 
Ewigkeit  vorbereitet  war,  vollendete  Palestrina  sein  ruhmreiches 
Leben.  In  seinen  Sarg  legten  sie  eine  Bleitafel  mit  der  In- 
schrift: „Joannes  Petroaloysius  Praenestinus  — 
Musicae  Princeps"  (Fürst  der  Musik) 2).  Seine  Kom- 
positionen machen  auch  heute  noch  tiefen  Eindruck,  wenn  sie 
von    gutgeschulten    Sängern    und   im    rechten    Geiste, 


^)  Ausführliches  siehe  in  dem  bereits  S.  59  erwähnten  Werke 
„Nachtridentinische  Choralreform "  von  P.  Raphael  Molitor,  dem 
wir  obige  Darstellung  verdanken. 

•)  Vergleiche  diesen  und  ähnliche  Titel  bei  den  Niederländern. 


138 


II.  Mittelalter. 


Komische 
Schule. 


Vittoria. 


Nanino. 


zumal  in  der  Kirche  aufgeführt  werden.  Strebsame  Musiker 
werden  daher  nicht  unterlassen,  Musteraufführungen  zu  besuchen, 
wozu  die  Generalversammlungen  des  Cäcilien-Vereins  vielfache  Ge- 
legenheit bieten.  Außerdem  sei  hingewiesen  auf  die  Leistungen  des 
Berliner  Domchors,  auf  die  Domchöre  zu  Regensburg,  Köln, 
Münster,  Mainz,  Aachen,  Brixen,  Bamberg,  Passau  und  Breslau,  die 
Hofkapelle  zu  München,  die  Singakademien  zu  Berlin,  Wien  und  Breslau, 
den  Riedeischen  Gesangverein  zu  Leipzig. 


Palestrina  —  nebenbei  bemerkt  der  Gründer  des  ältesten 
Cäcilienvereins  i)  —  erscheint  als  das  Haupt,  der  Höhepunkt 
der  durch  seinen  Schüler  Giovanni  Nanini  (s.  unt.)  be- 
gründeten sog.  Römischen  Schule:  eine  Kette  von  Lehrern 
und  Schülern,  die  sich  von  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 
bis  in  das  19.  hin  erstreckt  und  deren  ursprüngliches  Charak- 
teristikum die,  mit  ein  Merkmal  des  sog.  Palestrinastiles  bildende 
„Unterordnung  der  Kontrapunktischen  Künste  unter  die  Schön- 
heit der  Klangwirkung  und  Wahrheit  des  Ausdrucks"  war. 
(Riemann);  erst  später  nach  der  Florentiner  Reform  (im  Sinne  unserer 
Darstellung  also  mit  dem  Beginne  der  neuzeitlichen  Epoche  der  Musik- 
geschichte, vgl.  S.  154)  wird  diese  Schule  zur  Vertreterin  des  klassischen, 
insbesonder  a  capella  Stils  (stile  osservato)  im  Gegensatze  zur  be- 
gleiteten Monodie  und  den  konzertierenden  Kirchenstil. 

Zugleich  mit  Palestrina,  zum  Teil  mit  ihm  persönlich  be- 
freundet, wirkten  in  Rom : 

Ludovico  da  Vittoria  (Victoria,  gebürtig  aus  Alt- 
kastilien,  f  1613  als  kgl.  Kapellmeister  zu  Madrid),  berühmt 
durch  sein  „Popule  mens"  und  seine  Chöre  zu  den  Passionen, 
einer  der  hervorragendsten  spanischen  Kirchenkomponisten, 
dessen  Schöpfungen  -)  jenen  Palestrinas  oft  völlig  im  Stile  gleichen 
(ähnliches  trifft  bei  Marc  Antonio  Ingegneri  [spr.  indschenjeri^, 
t  1592  als  Domkapellmeister  in  Cremona,  zu);  die  Madrigalisten 
Johannes  Animuccia  (t  1569  vgl  ob.  S.  133,  auch  Kirchenkora- 
pouist)  und  LucaMarenzio  (f  1599  als  Organist  der  päpstUchen 
Kapelle);  namentlich  aber  der  Palestrinaschüler  Giovanni  Maria 
Nanini    (Nanino,    c.    1540 — 1607),    einflußreich    durch    seine 


^)  Eine  Art  päpstlich  privilegierter  Orden,  wurde  dieser  Verein 
durch  Pius  IX.  in  eine  Akademie  umgewandelt,  die  sich  um  die 
Kirchenmusik  sebr  verdient  macht  (vgl.  Kap.  V). 

-j  GA.  [Philipp  Pedrell]  Leipzig.  Bd.  I  Motetten,  Bd.  II  Messen. 
—  Ausgewählte  vierstimmige  Werke  in  moderner  Notation  (Zwei- 
liniensystem  mit  Vortragszeichen).  Erste  modernisierte,  Uturgisch-prak- 
tische  und  textkritisch-koiTekte  Ausgabe  [Dr.  Herrn.  BäuerleJ,  Regensburg. 


Die  römische  Schule.    Andrea  Gabrieli.  139 


Schule  (s.  ob.  S.  138),  an  der  auch  Palestrina  als  Lehrer  selbst 
tätigen  Anteil  nahm. 

Aus  dieser  Schule  gingen  hervor: 

Feiice  Anerio  (f  16.30  in  Konr,  einziger  Nachfolger  Pale- 
strinas  als  Tonsetzer  der  päpstlichen  Kapelle;  voll  Reiz  ist  sein  „Salve 
regina",  nach  Jos.  Auer  der  Typus  echter  Marienminne :  „so  kräftig 
und  solid  wie  die  dogmatischen  Fundamente  des  Marienkultus,  so  rein 
und  kindlich  zart,  wie  die  Andacht  eines  nnentweihten  Herzens ;  absolut 
nichts  von  der  Seichtheit  und  Sentimentalität,  die  gerade  auf  diesem 
Gebiete  sich  auch  heutzutage  in  der  Musik  noch  immer  so  vielfach 
breitmacht";  Gregorio  Allegri  TLöSl — 1G52  zu  Rom),  der  AUesri. 
Komponist  des  berühmten  9 stimmigen  (doppelchörigen)  M  ise-  Miserere, 
rere^),  das  karwöchentlich  in  der  Sixtinischen  Kapelle  — 
abwechselnd  mit  zwei  anderen,  nicht  minder  berühmten  Mise- 
reres von  Baini  (s.  ob.  S.  13ß)  und  Tommaso  Baj  (päpstl. 
Kapellmeister,  f  1714)  —  vorgetragen  wird,  dessen  Veröffent- 
lichung verboten  war,  und  das  der  14jährige  Mozart  nach 
dem  Gedächtnisse  nieder^<chr^eb:  Francesco  Siiriano  (Soriano), 
geb.  15l!i  zu  Rom,  gest.  daselbst  1G20  als  Kai)cllnioistor.  Von  diesem 
bedeutenden  Komponisten  erschienen  gedruckt  zahlreiche  Messen,  Mo- 
tetten, Madrigale  und  Vi!lanellcn.-i 

Der  Schule  des  Giovanni  Bernardino  Nanini,  Neffen  und 
Schülers  des  Giovanni  Maria  (t  1623),  entstammten  "\'incenzo  Ugolini 
(t  1626),  dessen  Schüler  Orazio  Bencvoli  in  Rom  (f  1672),  ein 
hervorragender  Koiitrapunktist  (er  schrieb  z.  B.  zur  Einweiliuug  des 
Siilzliurger  Domes  l*i28  eine  Festmesse  nebst  Dymnus  iTir  12  Chöre 
und  53  Stimmen-^);  die  Bibliothek  des  „Mozarteums"  zu  Salzburg  be- 
sitzt die  Partitur  einer  Messe  für  drei  Gesang-Chöre  und  drei  Orchester.) 
und  dessen  Schüler  Giuseppe  Kreole  Bernabei,  gest.  1687 
als  Kapellmeister  des  Kurfürsten  von  Bayern-);  ferner  Paolo  Ago- 
stini  (Schwiegers(jhn  B.  Naninis,  f  1629,  ausgezeichnete  Kirchen- 
komjiositionen  bis  zu  48  Stimmen). 

')  Miserere  mei  deus  (Gott  sei  mir  gnädig)  I  ist  der  Anfang  des 
in  der  Liturgie  vielfach  verwendeten  51.  (bezw.  nach  katholischer 
Zählung  50.)  Psalms,  überaus  oft  kunstvoll  mehrstimmig  bearbeitet. 
Die  Aufführung  der  drei  oben  genannten  Kompositionen  (die  sich  von 
12  ursprünglich  dafür  auserlesenen  allein  behaupteten)  in  der  Sixtina 
erfolgt  mit  besonderer  Feierlichkeit.  Berühmte  Misereres  schrieben 
noch  Leo  und  Jomelli. 

-)  Vgl.  am  Schlüsse  die  Publikationen  von  Proske ;  ferner  Haberls 
„Repertorium  musicae  sacrae"  (Kirchl.  Meisterwerke  d.  16. — 17.  Jahrb.: 
Anerio,  Viadana,  Croce,  Lasso,  Nanino  J.  M.,  Palestrina,  Suriano, 
Mareuzio),  Regensburg,  Pustet. 

^)  NA.:  DM.  i.  Oesterr.  X,  1  [Dr.  Guido  Adler]. 

*)  Ihm  folgte  in  dieser  Stellung  sein  Sohn  Johann  Anton  (f  17ö2j, 
Opern-  und  Kirchenkomponist  (vgl.  Beil.  13). 


140 


II.  Mittelalter. 


Johannes 
Gabrieli. 


Ins  17.  Jahrhundert  hinein  ragen  noch  Pier  Franz.  Valentini 
(t  1654  in  Rom,  Kirchen-Kanonische-  und  Bühnenstücke  [sog.  Favole]) 
und  der  Kirchenkomponist  Landi  (Musikdrama  „Sanf  Alessio",  1634). 
Römer  und  Die    römische    Schule    unterschied    sich    von 

der  um  diese  Zeit  erfreulich  fortblühenden  venezianischen 
durch  den  Ernst  und  die  Strenge  des  Stils  und  durch  das 
Festhalten  am  A  capella  Gesänge.  Dagegen  übernahm 
sie  von  den  Venezianern,  die  seit  Giovanni  Gabrieli  (s.  unt.) 
den  begleiteten  Gesang  und  die  freieren  Formen  kulti- 
vierten die  Komposition  zu  acht  und  mehr  Stimmen,  und  suchte 
so  im  Reichtum  der  Stimmenzahl  (bis  zu  96!)  einen 
Ersatz  für  den  Verzicht  auf  alle  imitatorischen  Satzkünsteleien 
—  als  ob  diese  Verkünstelung  alle  niederländischen  nicht  über- 
träfe ! 

Aus  der  Schule  Willaerts  zu  Venedig  ging  in  dieser 
Periode  Andrea  Gabrielis  Neffe  Johannes  hervor.  Die 
beiden  Gabrieli  standen  vielfach  mit  Deutschland  in  Verbindung, 
wie  wir  später  sehen  werden  ^) ;  beide  waren  Organisten  an  der 
S.  Marcus-Kirche.  Johannes,  der  bedeutendere  von  beiden 
(1557 — 1612),  gilt  als  der  Schöpfer  der  reinen  Or- 
chester m  u  s  i  k.  Aus  seiner  Feder  erschienen  bereits  selb- 
ständige Instrumentalsachen:  Canzoni  et  Sonate, 
3 — 22  stimmig  (mehrchörig),  und  Orgelkompositionen  nebst  mehr- 
stimmigen Werken  für  Singstimmen  oder  Instrumente  (Sym- 
phoniae  sacrae)  und  die  bereits  oben  bei  Andrea  erwähnten 
Concerti  ecclesiastici.  Er  stellt  bei  seinen  Gesangwerken  aus- 
drücklich die  vokale  oder  instrumentale  Ausführung 
frei.  Johannes  Gabrieli,  der  Lehrer  von  Heinr. 
Schütz,  leitet  mit  seinen  zuerst  aufgebrachten 
Instrumentalensembles  (Gabrielis  Sonate  für  3  Vio- 
linen wurde  noch  ein  halbes  Jahrhundert  nach  seinem  Tode 
zum  Vorbild  !)  unmittelbar  hinüber  in  die  neue 
Zeit  der  Geschichte  der  Musik.  Andreas  ge- 
brauchte zuerst  den  Ausdruck  „Sonate".  Das  Wort  Sonata 
(„Klangstück",  von  sonare,  klingen)  ist  eine  Abkürzung  für  Canzone 
da  sonar  und  bezeichnet  im  Gegensatze  zur  Cantata  („Singstück") 
ganz  allgemein  ein  Instrumentalstück ,  wofür  auch  der  Terminus 
C  a  n  z  o  n  (Francese)  und  8  i  n  f  o  n  i  a  gebräuchlich  wurde.    Jene  Sonaten 


Sonate. 


^)  Vgl.  C.  V.  Winterfeld:  Johannes  Gabrieli  und  sein   Zeit- 
alter.   3  Bände.    Berlin  1834,  Schlesinger  (sehr  wertvoll.'). 


Meister  d.  Uebergangsepoche.     Vorläufer  v.  Oper  u.  Oratorium.   141 


und  Sinfonien  haben  aber  nicht  das  geringste  mit  den  später  ent- 
wiclcelten  neuzeitlichen  Formen  dieses  Namens  gemein. 

Beilage  20  bringt  die  Partitur  einer  „Sinfonia"  von  Giovanni 
Gabrieli,  um  zu  zeigen,  in  welcher  Art  man  damals  für  Orchester 
schrieb.  Es  dürfte  dabei  auffallen,  daß  nicht  die  Streichinstrimiente 
(Violen),  sondern  die  Cornetti  melodieführend  sind  —  eine  Folge  der  Un- 
voUkommenheit  der  damaligen  Streichinstrumente.  (Vergl.  Violinbau, 
Kap.  VII.) 

In  ähnlichem  Sinne  begegnen  uns  aus  der  venezianischen  Schule 
noch  drei  bedeutsame  Meister  der  Uebergangsepoche:  Adriauo  Bau- 
ch i  c  r  i ,  Orazio  V  e  c  c  h  i  und  Alessaudro  de  Gran  d  i.  Der  erste,  ein 
vorzüglicher  Organist,  Theoretiker  und  Komptmist  aus  Bologna  (f  lGo4) 
zählt  mit  seinen  „Canzoni  alla  francese  a  4  voci  per  sonar"  (lö9ü)  nicht 
nur  zu  den  Mitbegründern  der  Sonatenkomposition;  als  Verfasser 
dramatischer  Szenen,  deren  Text  von  einem  4— .ö stimmigen 
Chor  im  Madrigalstil  gesungen  wird,  gchüi-t  Banchieri  mit  dem 
herzog!.  .Modenaschen  Hofkapellmeister  und  Madrigalisten  .Vecclii  (f  1(505) 
als  dem  Autor  des  gleichfalls  madrigalistisch  „gesungenen  Lustspiels", 
jAmtiparnasso'  („Zweigipfliger  FarnaU'*,  l.öP-l)  zu  den  Vorläufern 
auf  dem  Felde  der  Opernmusik.  Bei  den  weltlichen  insbesondere 
an  den  italienischen  Fürstenhöfen  gejitlegten  Schauspielen  mit  Musik 
(namentlich  allegorische  oder  mythische  Maskenspiele  waren 
beliebt)  ist  diese  aus  Madrigalen  zusammengesetzte  Musik  (vokal  oder 
nstrumentalj  meist  in  die  Zwischenakte  verlegt.  Es  waren  dies  die 
iog.  Intermedien  (Intermezzi,  also  Zwischenaktsmusiken).  Sie 
sollten  später,  wie  wir  sehen  werden  i  vgl.  Logroscino)  in  der  Entwicke- 
sung  der  Oper  eine  Rolle  spielen. 

Von  den  sich  immerhin  noch  erhaltenden  geistlichen  Schauspielen 
laus  drängt  nun  die  darstellende  Kichtung  einerseits  über  jene  Inter- 
medien zum  Musik dr am a,  andererseits  über  die  aufblühende  Fonn 
der  P  a  s  s  i  o  n  zum  Oratorium.  Die  Passion,  wie  sie  uns  bei  den 
Meistern  dieser  Epoche  entgegentritt  (Vittoria,  Gallus) ')  erscheint  als 
eine  teils  solistische  teils  chorische  Vertonung  der  Leidensgeschichte 
Christi  in  einlacher  Form.  Die  Wurzel  dieser  Tonform  ist  im  grego- 
rianischen Choralvortrage  der  Passiim  in  der  Karwoche  zu  suchen. 

Der  dritte  im  Bunde,  G  r  a  n  d  i ,  ein  bedeutender  Kirchenkompo- 
nist imd  persönlicher  Schüler  J.  Gabrielis  (f  lö.SO  zu  Bergamo  als 
Kirchenkapellmeister)  gebraucht  zum  ersten  Male  für  mehrteilige  Solo- 
gesänge die  Bezeichnung  C  an  täte,  als  Gegenstück  zur  instrumen- 
talen Sonate  (Canzon  da  s  o  n  a  r). 

Andere  bedeutende  italienische  Meister  der  Palestrinazeit 
waren  der  Fürst  Gesualdo  von  Veno  sa  (f  1614)  zu  Neapel,  nach 
Riemann  (a.  a.  0.  II,  1,  S.  o25)  der  kühnste,  genialste  Hannoniker 
des  16.  Jahrhunderts,  der  in  seinen  1613  auch  in  Partitur  er- 
schieneneu 5  stimmigen  Madrigalen  Vicentinos  Chromatik-Versuche  in 
wahren  Effekt  umsetzte ;  der  Kirchenkomponist  Johannes  G  a  s  t  o  1  d  i 


Banchieri. 
Vocchi. 


Inter- 
medien. 


Passion. 


(Jrancli. 


Gesualdo. 


G.iätoldi. 


1)  Eine  Sammlung  älterer  Passionsmusiken   (vor  Schütz)  edierte 
Dr.  Otto  Kade  1893. 


142  I^-  Mittelalter. 


zu  Mantua  (f  1622),  namentlich  berühmt  durch  seine  5  stimmigen 
Balletti  „zum  Singen,  Spielen  und  Tanzen-*  (auch  Madrigalist). 
Spanier.  In  Spanien  vertreten  den  Palestrinastil  vornehmlich  die  Kathe- 
dralkapellmeister, so  Guerrero,  Morales'  Erbe,  (f  1599)  in 
Sevilla,  Ginez  Perez  (f  1612)  in  Valencia,  Lobo  (f  1613,  103  Jahre 
alt)  in  Lissabon,  de  Cotes  (f  1603)  in  Valencia  bezw.  Sevilla  u.  a. 
Von  dem  Karraelitermönch  Juan  Flecha  (f  1553)  erschienen  Madri- 
gale, ein  Buch  Motetten  und  Psalmen  1581  in  Prag,  dann  sog.  Ensaladas 
(Quodlibets),  i) 

Lassus  ^^^  ebenbürtige  Zeitgenosse  Palestrinas   und  letzte  große 

(1532—94,1.  Meister  der  niederländischen  Schule  war  Orlandus  de  Lassus 
(Orlando  di  Lasso,  eigentlich  Roland  de  Lattre).^)  Geboren  1532  zu 
Mons  (Bergen)  im  Hennegau,  trat  er,  wie  viele  bedeutende  Komponisten 
jener  Zeit,  mit  8  Jahren  in  die  Reihe  der  Chorknaben 3)  ein.  Seiner 
herrlichen  Stimme  und  musikalischen  Anlagen  wegen  wurde  er  dreimal 
entführt.  Zweimal  gelang  es,  ihn  wieder  zu  bekommen,  beim  dritten 
Male  gaben  die  Eltern  die  Einwilligung,  daß  er  in  St.  Didie  beim 
General  von  Gonzaga  bleiben  konnte.  Mit  diesem  ging  er  später  nach 
Mailand  und  Sicilien  und  betrieb  dort  eifrig  musikalische  Studien. 
Er  besuchte  England,  Frankreich,  weilte  in  Antwerpen  (dort 
seine  ersten  Madrigale  veröffentlichend)  und  kam,  von  Fugger 
MUnchener  empfohlen,  1557  nach  München,  wo  er  1562  Oberkapellmeister 
Hofkapelle,  (jgg  Herzogs  Albert  V.  wurde.  Die  Münchener  Kapelle  (vgl.  ob. 
S.  135,  Anm.  2)  war  damals  die  bedeutendste  in  Europa,  denn 
sie  zählte  12  Bassisten,  15  Tenoristen,  13  Altisten,  16  Knaben 
für  Sopran,  6  Kastraten  und  30  Instrumentalisten.  Unter  so 
günstigen  Verhältnissen  entwickelte  Lasso  sein  großes  Genie 
und  schuf  in  der  kirchlichen  wie  weltlichen  Musik  gleich  Aus- 
gezeichnetes —  in  dieser  umfassenden  Souveränität  der  Meister- 
schaft Palestrina  überstrahlend!  In  den  Jahren  1559  und 
psahneii.  l^^O  komponierte  er  die  7  Bußpsalmen  (Davids),  mit 
deren  Vollendung  er  sich  ein  ähnliches  Denkmal 
setzte  wie  Palestrina  mit  seiner  „Missa  papae 
Marcelli".  Die  Komposition  gliedert  sich  in  schönster  Mannig- 
faltigkeit nach  den  einzelnen  2— 5-stimmigen  Psalmversen.  Der  Schluß- 
satz ist  jedesmal  sechsstimmig.  Bäumker  sagt  in  seiner  Lasso-Biograpie 


^)  NA.  (Morales,  Guerrero,  Cabezon,  Perez,  Vittoria  u.  a.)  in 
„Denkmäler  spanischer  Tonkunst"  [F.  Pedrell,  vgl.  Kap.  IV,  b]. 

2)  Vgl.:  Heinrich  Delmotte,  biographische  Notiz  über  Roland  de 
Lattre,  übersetzt  u.  mit  Anmerkungen  von  S.  W.  Dehn.    BerUn  1837. 

^)  Kapellknaben  (franz.  enfants  de  choeur) :  die  in  einer  Vokal- 
kapelle (s.  ob.  S.  135)  unter  gründlicher  musikalischer  Ausbildung 
(meist  bei  freier  Station)  mitwirkten. 


Italienische  und  spanische  Komponisten.    Orlando  Lasso.     14.3 

über  das  Werk^):  „Seine  Melodie  ist  flieiiend,  seine  Harmonie  zeigt 
Fülle  und  Kraft.  .  .  .  Orlandus  hat  sich  in  den  Text  vollkommen  ver- 
tieft; er  versteht  es,  bis  ins  tiefste  Mark  zu  erschüttern,  aber  auch  zu 
erheben  und  zu  trösten."* 

Die  Produktivität  Lassos  ist  ohne  gleichen. 
Er  schrieb  über  2000  Kompositionen:  auf  der  einen 
Seite  Messen,  Motetten  (ca.  1200),  Magnificats  (100),-)  Offizien 
und  die  Passion  nach  Matthäus  (bei  der  jedoch  die  Worte 
Christi  und  des  Evangelisten  im  Choraltone  gesungen  wurden), 
anderseits  zahllose  Madrigals ,  Chansons  ^) ,  Vilanellen  und 
charakteristische,  oft  derbkomische  deutsche  Lieder.  Zahl- 
reiche Manuskripte  besitzt  die  Mttnchener  Bibliothek.*)  Be- 
sonderer Meister  war  er  in  der  Motette. 

Der  berühmte  Kunstkenner  Kanonikus  Dr.  Freske  urteilt:  „Orlandus  ,,^"*^"*' 
de  Lassus  ist  ein  universeller  Geist.    Keiner  seiner  Zeitgenossen  besal3    ,["[j  ^^"' 
eine   solche   Klarheit   des  Willens,   übte   eine   solche  Herrschaft   über  Universa- 
alle  Intentionen  der  Kunst,   daü   er   stets   mit   sicherer  Hand   erfaßte,       '''»**• 
was  er  für  sein  Tongemälde  bedurfte.     Von  dem  Kontemplativen  der 
Kirche   bis   zum   heitersten  Wechsel  profaner  Gesangweise  fehlte  ihm 
nie  Zeit,   Stimmung   und   Erfolg.     Groli   im   Lyrischen   und   Epischeu 
würde  er  am  grüßten  im  Dramatischeu  geworden  sein,  wenn  seine  Zeit 
diese  Musikgattung  besessen  hätte.    Groß  in  der  Kirche  und  der 
Welt  hatte  Lassus  das  Nationale  aller  damaligem  euro- 
päischen Musik   dergestalt  in   sich   aufgenommen,   daß 
es  als  ein  charakteristisches  Ganzes  in  ihm  ausgeprägt 

^)  N.  in  moderner  Partitur  [Bäuerlel:  (Septem  Psalmi  poe- 
uitentiales)  1.  Psalm  „Domine,  ne  in  furore  tuo".  2.  „Beati,  quorum 
remissae  sunt  iniquitates."  3.  „Domine,  ue  in  furore  tuo  .  .  quoniam." 
4.  „Miserere  raei  Dens."  5.  „Domine,  exaudi  .  .  .  non  avertas." 
6.  „De  profundis.''  7.  „Domine  exaudi  .  .  .  auribus  percipe."  —  Daß 
die  Bußpsalmeu  für  König  Karl  IX.  geschrieben  seien,  ist  erfunden. 
Vgl.  S.  130,  Anm.  2. 

2j  „Magniticat  anima  mea  dominum",  „Meine  Seele  erhebet  den 
Herrn",  Marias  Lobgesaug  im  Hause  des  Zacharias.  einer  der  3  evan- 
gelischen Lobgesänge  (Cantica  maJora\  der  in  der  katholischen  Kirche 
während  der  Vesper  besonders  feierlich  gesungen  wird  und  gleich  den 
Psalmen  Melodien  in  allen  S  Kirchentönen  hat  (s.  ob.  S.  40,  Anm.  3) ; 
von  den  Kirchenkomponisten  vielfach  mehrstimmig  bearbeitet  (vgl. 
J.  S.  Bach). 

"*)  Ueber  das  Wesen  der  Lassoschen  Chansons  s.  A.  Sandberger, 
Roland  Lassus  Beziehungen  zu  Frankreich.     IMG.  VHI,  3,  1907. 

*)  GA.  bei  Breitkopf  &  Härtel  (bisher  17  Bde.)  [F.  X.  Haberl  u. 
Ad.  Sandberger.].  Viele  Werke  Lassos  —  sie  ließen  sich,  wie  Thibaut 
meinte,  vielleicht  in  60  Folianten  nicht  zusammendrucken !  —  enthält 
die  „Musica  divina"*,  Regensburg,  Pustet.  Desgleichen  veröflFentlichte 
Fr.  Commer  vieles  in  seiner  Musica  sacra.  S.  auch  die  Sammelwerke 
von  C.  F.  Becker,  Schöberlein  und  Rochlitz. 


144 


IL  Mittelalter. 


lag ,  uud  man  das  speziell  Italische,  Niederländische,  Deutsche  oder 
Französische  nicht  mehr  nachzuweisen  vermochte."  A ähnlich  nni- 
■\'  c  r  s  e  1 1  war  Mozart. 

Ein  treffendes  Wortspiel  auf  den  Meister  lautete:  Hie  ille  est 
L  a  s  s  u  s ,  1  a  s  s  u  m  qui  recreat  orbem  —  Dieser  hier  ist  der  Müde, 
die  müde  Erde  erquickend.  Der  große  Lassus  verfiel  zuletzt  iu- 
folaje  geistiger  Ueberanstrengung  in  tiefe  Melancholie  und  starb 


Die  Musik  in  Deutschland.  145 


am  14.  Juni  1594  —  vier  Monate  nach  Palestrina.  Er  wurde 
auf  dem  Franziskanerkirchhofe  zu  München  bcjjrabeu. 

Uriandus  war  im  Leben  und  im  Tode  hoch  geehrt.  Kaiser 
Maximilian  erhob  ihn  in  den  Adelsstand  (1570 1  und  verlieh  ihm  im 
Wappen  ein  j;  J  [?  als  Wahrzeichen :  Papst  Gregor  XIII.  ernannte  ihn 
1574  zum  Ritter  des  goldenen  Sporns:  König  Karl  IX.  von  Frankreich 
gab  ihm  reiche  Geschenke  ;  seine  Frau  widmete  ihm  ein  kostbares 
Denkmal  (jetzt  im  Nationalmuseum)  und  der  kunstsinnige  König  Lud- 
wig I.  errichtete  ihm  in  München  ein  ehernes  Monument. 

Der  Meister  hinterlieU  auch  zwei  musikbegabte  Söhne :  die  Motetten- 
koraponisten  Ferdinand  (f  1609;  und  Rudolph  de  Lassus  1  f  lti25), 
iener  Hofkapellmeister,  dieser  Organist  der  Hofkapelle  in  München. 


Rudolph  II. 


Außer  Lassus  wirkten  in  Deutschland  zu  jener  Zeit  noch 
andere     ganz    hervorragende     Meister.       Bezeichnender    Weise 
begegnen    wir    den    bedeutendsten    unter    ihnen    zeitweilig    in 
Prag.      Als.  Kaisersitz   Rudolf  II.   (1576  — 1612),   eines  großen      Prag. 
Freundes    und    Förderers    der    Tonkunst,    und    Standort    seiner 
berühmten  Hofkapelle  wurde  die  damals   schon  musikberühmte*. 
Haupt.stadt    Böhmens    der    Anziehungs-    und    Sammelpunkt    in-  Ht^fkiipeiie. 
und  ausländischer  Musiker  von  Ruf.     Zu  ähnlichen  Sammelplätzen 
wurden  außer  München  nur  noch  die  Hof  kapeilen  zu  Wien  oder 
Innsbruck    und  jene   des  Fuggerhauses   in   Augsburg.     So 
finden    wir    in    Prag    vor    allem,     den     .deutschen    Palestrina" 
Jacob  Gallus,  und  sehen  insbesondere  am  Rudolphinischen 
Hofe  die  beiden  Hasler,  die  Niederländer  Regnard,  Luy- 
thon  und  de  Monte.      Jacob  Gallus  (Hand'l,  Hän'l  eigent-     (iaiius. 
lieh  Petelin,  geb.  in  Krain  1550.  zuerst  Kapellmeister  des  Bischofs 
von  Olraütz,  f  1591  als  Kantor  der  Johanneskirche  zu  Prag»,  war  hoch- 
geehrt und   steht   den   italienischen    Meister    würdig    zur   Seite. 
Am   bekanntesten   ist  wohl  seine   berühmte   4  stimmige  Motette : 
„Ecce  quomodo  moritur  justus"  ';.    Hans  Leo  (von)  Hasler,     Ha?ier. 
geb.   1564  zu  Nürnberg,  einer  der  bedeutendsten,  angesehensten 
Meister  seiner  Zeit ,    und  der  erste  deutsche ,   der  nach  Italien 


h  Die  Musica  divina  Bd.  11  enthält  viele  Motetten  von  Gallus. 
NA.  des  „Opus  musicum"*,  Motettenwerk  für  d.  ganze  Kirchenjahr, 
3  Teile  [Prof.  Emil  Bezecny  (k  k.  Musikprofessor  in  Prag,  geb. 
18G8)  und  Dr.  Jos.  Mantuani  (Musikhistoriker,  Amanuensis  der 
Wiener  Hofbibl.,  geb.  Laibach.  1860) |,  in  DM.  i.  Oesterr.  1899,  1905 
u.  19(»7,  mit  Bio-  und  Bibliographie  sämtlicher  Werke  von  Gallus  nebst 
dessen  Bildnis  und  reproduziertem  Originaltitel  des  Werkes.  Vgl. 
ferner:  Jakob  Handl,  Ausgewählte  Motetten  für  den  heutigen  Chor- 
gebrauch [J.  Mitterer]  in :  „Meisterwerke  deutscher  Tonkunst." 

Kothe-ProchÄzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.     10 


146 


II.  Mittelalter. 


in  die  Schule  ging,  war  ein  Sohn  des  nach  Nürnberg  ausgewanderten 
trefflichen  Musikers  Isaak  Hasler  aus  Joachimsthal  in  Böhmen. 
Er  studierte  zu  Venedig  unter  Andrea  GabrieH,  schlol3  dort  innige 
Freundschaft  mit  Johann  Gabrieli,  kam  dann  als  Organist  in  die  Kapelle 
des  Grafen  Fugger  zu  Augsburg,  später  an  den  Hof  Kudolfs  II.  zu 
Prag    (hier   geadelt)    und    starb    auf   der   Reise    zu    Frankfurt    1612. 


Haus  Leo  Hasler. 


Seine  zahlreichen  Kompositionen,  durch  Liebreiz  und  deutsche 
Innigkeit  ausgezeichnet,  sind  durch  Dr.  Proskes  „Musica  divina" 
in  neuerer  Zeit  sehr  bekannt  geworden  und  werden  überall 
gern  gesungen  und  gehört.  Hasler  galt  auch  als  der  beste 
Organist  seiner  Zeit.  In  dieser  Eigenschaft  fand  er  in 
dem  Leipziger  Valerius  Otto  (1607  Organist  an  der  lutherischen 
Kirche  zu  Prag,  auch  Komponist  trelt'licher  Tanzstücke'i  einen  eben- 
bürtigen Genossen  am  Platze.     Er  schrieb  außer  Kirchensachen  noch 


Deutsche  Meister. 


147 


Kanzonette,  Madrigale,  Tanzstücke  und  Intraden ;  für  die  Protestanten : 
,. Kirchengesänge,  Psalmen  und  geistliche  Lieder,  vierstimmig  simpliciter 
gesetzt."  Desgleichen  „Psalmen  und  christliche  Gesänge"  4 stimmig, 
auf  die  Melodien  „fugenweise"  komponiert.  Nürnberg,  1H07  gedruckt 
(vgl.  Kap.  X  über  die  Melodien  der  Kirchenlieder).  Auch  die  Brüder 
des  Meisters,  Jakob  und  Kaspar  Hasler,  waren  tüchtige  Organisten 
und  Komponisten '\ 

Philippe  de  Monte,  geb.   1521  zu  Mecheln.  f  1603  zu  W i e n  ,  De  Monte, 
ist    als    Kirchenkomponist    wie    als    weltlicher    Tonsetzer   (Kanzonen, 
Madrigale,    Chansons)    ein   so    würdiger    Zeitgenosse    der   Lasso   und 
Palestrina,  daß   seine   bisher   nur   schwach   versuchte   Neubelebung-) 
größeres    Augenmerk    verdient.     Von    den    zahlreichen  Werken-^)    des 
Jakob  Ivegnard  iSi)r.  ränjar    (geb.  Lö4U,  Vizekapellmeisterin  Präge.    Resnard. 
1579,  dann  in  Innsbruck)  waren    viel  deutsche  Lieder  stark  ver- 
breitet (in  Prag  selbst  15SU  bei  N  igri  n  i  erschienen).    Der  Hoforganist 
Karl  Luvt  hon  (t  Prag.  Iti2ü)  war   als  Meister   des  Orgelspiels  und 
der    Kirchenkouiposition   berühmt.     Noch   ein    Kapellgenosse   der  Ge- 
nannten  interessiert  uns,  der  Italiener  Alessandro  U  ro  logio:  er  kora-    Orologio. 
ponierte   (15i*7)   u.  a.   6 stimmige    Intraden    —    so   nannte   man   im 
16.  17.   Jahrh.   glanzvoll   gesetzte   Krötfnungsstücke   für   Blas-    später 
auch  Streichinstrumente. 

Böhmen  selber  sandte  übrigens  in  die  Reihen  berühmter  Zeit- 
genossen Lassos  und  Palestrinas  einen  vornehmen  deutschen  Meister,  De,„^,„ius. 
Christ  o  1»  h  o  r  u  a  D  e  m  a  n  t  i  u  s  ,  geb.  1567  zu  K  e  i  c  h  e  n  b  e  r  g  i.  B., 
t  1643  als  Kantor  zu  Freiberg  i.  S.  Ein  wahrer  Meister  des  a  capella- 
Stils,  hat  er  in  seiner  ti  stimmigen  „deutschen  Passion"  luach  .bihannes; 
Freiberg  1631  i'j  ein  klassisches,  der  Neuherausgabe  würdiges  Werk 
geschalten.  Viele  von  Demants  in  der  bischöflichen  Bibliothek 
Regensburg  belindlicheu  Kompositionen  (kirchlicher  und  weltlicher 
Art),  erforscht  und  erstmals  wieder  gewürdigt  von  Dr.  Kade  (Vater 
und  Sohn),  gehören  zu  den  P  e  r  1  e  u  des  ra  e  h  r  s  t  i  m  m  i  g  e  u  V  o  k  a  1  - 
Stils   im    16. /I7.   Jahrhundert'').     Wir   nennen  hier  insbesondere 


1  NA.  [II.  Gehrmann,  Auer,  Rud.  Schwartz  und  E.  v.  Werra] : 
in  „Denkmäler  deutsch.  Tonk."  Vgl.  Ad.  Sandberger:  Beiträge  z. 
Biogr.  H.  L.  Haslers  u  seiner  Brüder  sowie  z.  Mus.  Gesch.  d.  Städte 
Nürnberg  u.  Augsburg  i.  16.  u.  Anf.  d.  17.  Jahrh.  If«i5,  DM.  i.  Bay.  V,  1. 

-)  Spärliche  Neudrucke  bis  Jetzt  nur  bei  John  Hawkins  (Lon- 
doner Musikhistoriker.  1719—1789)  in  dessen  berühmter,  auch  von 
Burney  benutzter  Musikgeschichte  (General  history  of  the  science  and 
practice  of  music,  Neuausgabe  1853,  3  Bde.',  in  Maldeghems  i bel- 
gischer Musiker,  t  l>>i*o)  Klaviersammelwerk  Tresor  musical,  in  Dehns 
„Sammlung  älterer  Musik  a.  d.  16.  u.  17.  Jahrh."  und  in  Commers 
Collectio.     Vgl.   die  Monographie    „Ph.  de  M."    von  G.  van  Dorslaer. 

•^)  Vollständig  aufgezählt  in  den  Monatsh.  f.  M.  G.  XII,  97. 

*i  Partitur  in  Abschrift,  nach  den  Stimmbüchern  in  Pirna  und 
Freiberg  in  den  Jahren  1858—1^85  angefertigt  von  Prof.  Dr.  Otto 
Kade,  großherzogl.  Musikdirektor  in  Schwerin  (t  1900). 

ö)  Die  bis  in  die  Jüngsten  Tage  bestandenen  Zweifel  über  des 
Demantius   Reich  enb  erger  A  b  st  amni  ung   gaben   dem  Reichen. 

10* 


148  n.  Mittelalter. 


„Threnodiae"  (auserlesene  trostreiche  Begräbnisgesäuge,  Freiberg  1620) 
und  ^77  neue  auserlesene  liebliche  zierliche  polnischer  und  deutscher 
Art  Tänze"  (Nürnberg  1601).     Er  verfaßte   auch  theoretische  Werke. 

Fuggerschu  In  der  Fuggerschen  Kapelle  zu  Augsburg  wirkten  u.  a.  der  Orga- 

Kapeile.    nist  Gregor  Aichinger  (f  1628   als  Domherr   zu  Augsburg)   und 

Aichinger.  Johannes  Eccard.  „Aichinger  und  Hasler, "  sagt  Proske,  „bildeten 
die  schönste  Zier  dieses  kunstsinnigen  Hofes.  Ueberragte  ihn  Hasler 
gleich  an  Geist  und  Originalität,  so  hatten  beide  Meister  doch  dieses 
gemein :  die  Gediegenheit  deutscher  Kunstelemente  mit  den  veredelten 
Formen  italischen  Geistes  und  Geschmackes,  dessen  herrlichste  Blüte 
sich  damals  in  Rom  und  Venedig  entfaltet  hatte,  in  sich  vereinigt  und 
namentlich  eine  freiere  Melodik  und  fließende  Harmonik  in  ihren  Werken 
Eeeard.  ausgeprägt  zu  haben."  i)  Johannes  Eccard  (geb.  1553  zu  Mühl- 
hausen in  Thüringen,  f  als  Kapellmeister  zu  Königsberg  1611)  ist 
berühmt  durch  seine  klassischen  Bearbeitungen  deutscher 
Kirchenlieder  (vgl.  Kap.  X),  die  noch  heute  von  unseren  Sing- 
akademien als  wahre  Perlen  der  Gesangsliteratur  geschätzt  und  auf- 
geführt werden. -j  Während  Aichinger  seine  Ausbildung  in  Italien 
genoß,  war  Eccard  ein  persönlicher  Schüler  Lassos:  sein  Mitschüler 
war  der  Kirchenkomponist  Jakob  Reiner  (f  1606  aus  Württemberg i.^) 
Auf  dam  Felde  der  Motettenkomposition  a  capella  zeichnete  sich  da- 
mals Philippus  Dulichius  (Deulich,  f  Stettin,  1631)  aus.*) 

In  der  Uebergangsepoche  zum  neuen  begleiteten 
Musikstil  ragt  als  dessen  Förderer  deutscherseits 

Praetoriiis.  Michael  Praetorius  (Schulz,  geb.  1571  zu  Kreuzberg  in  Thüringen, 
seit  1604  Kapellmeister  am  braunschweigischeu  Hofe,  f  1621  zu  Wolfen- 
büttel) hervor.  Mit  Praetorius  beginnt  der  Höhenzug  deutscher 
Tonkunst  hinauf  über  Heinr.  Schütz  zu  Bach  und  Händel. 
Als  Musiker  —  nebenbei  bemerkt  einer  der  leider  so  seltenen,  die 
andern  Talenten  hilfreich  beistehen  (er  ließ  selbst  fremde  Ton  werke 
auf  eigene  Kosten  drucken !)  machte  er  sich  verdient  durch  Sammlung 
und  Bearbeitung  von  mehr  als  2000  Kirchenliedern  und  Kirchenmusiken. 


berger  Musikschriftsteller  F.  M  o  i  ß  1  (geb.  1869,  Neuhammer  bei  Karls- 
bad) Gelegenheit  zur  Veröffentlichung  einschlägiger,  jene  Zweifel 
lösender  Arbeiten:  Beiträge  zur  Demantius- Forschung  „Deutsche 
Ai-beit",  Prag  1906,  Juniheft;  Beiträge  ziu- Bio-  und  Bibhographie  des 
Demantius.  Jahresbericht  der  k.  k.  Lehrerbildungsanstalt  in  Reichen- 
berg, 1906,  und  „Mitteilungen  d.  Vereins  f.  Heimatkunde",  Reichen- 
berg 1907;  vgl.  ferner  die  Biographie  des  Demantius  in  der  Viertel- 
jahrsschr.  f.  Mus.  Wissensch.,  VI.,  1890,  Heft  4,  von  Dr.  Reinhard 
Kade,   und   den   Katalog   der   Reichenberger  Musikausstellung  1906. 

1)  Verschiedene  Werke  finden  sich  in  „Musica  divina". 

2)  NA.  [G.  W.  Teschner]  Berlin,  Schlesinger:  „Geistliche  Lieder 
auf  den  Choral  mit  fünf  Stimmen"  (1860),  4  Weihuachtslieder  und 
„Preußische   Festlieder"    (1858).     (Vgl.    Neue  Mus.  Ztg.  190.3,  S.  470.) 

3)  Vgl.  Neue  Mus.  Ztg.  1906,  S.  531. 

*)  NA.  [Rud.  Schwanz]  in  „Deukm.  deutsch.  Tonk."  1907. 


Polnische  u.  französische  Komponisten.     Englische  Meister.   149 

Weltruhm  aber  erwarb  ihm  sein  theoretisches  Werk:  „Syn- 
tagnia  musicum"  ,  das  in  geschichtlicher  Beziehung  nament- 
lich für  die  Instrumentenkunde  des  17.  Jahrhunderts 
sehr  wichtig  ist.  ^)  Der  1.  Teil  (1614)  ist  eine  historische  Abhand- 
lung in  lateinischer  Sprache:  der  2.  Teil  (De  organograpbia  1614),  zu 
dem  die  erst  1620  gedruckten  Abbildungen  der  Instrumente  („Theatrum 
instrumentorum  s,  u  Sciagraphia")  gehören,  ist  von  allergrößtem  Inter- 
esse; der  3.  Teil  il619)  enthält  die  Musiktheorie. 

Als  einer  der  ersten  Musikschriftsteller  seiner  Zeit  erweist  sich 
auch  Hermann  Finck  durch  sein  selten  gewordenes  Werk  „Practica 
musica"    1556).     Er  war  ein  Großnefle  von  Heinrich  Finck. 

Interessant  ist  in  dieser  Zeit  noch  das  Auftauchen  der  ersten 
polnischen  Komponisten,  vor  allem  in  Krakau  —  die  Saat  Polen, 
eines  Heinrich  Finck,  der  1402  bis  15' '6  am  polnischen  Königshofe 
wirkte  (s.  S.  12H),  war  otlenbar  auf  fruchtbaren  Boden  gefallen.  Als 
beachtenswerte  Tonsetzer,  und  zwar  nur  auf  dem  Felde  der  Kirchen- 
musik sich  bewegend,  treten  uns  entgegen :  Sebastian  von  Felsstein, 
Musikdirektor  in  Krakau  um  1522  ,  Borek  [f  1557),  Wenzel  Samt  er 
(t  1572),  Szadek  (um  1570  Kapellsänger  in  Krakau),  Martin  von 
Lemberg  (Hofurganist  zu  Krakau,  f  1572)  und  Ziele  uski  (um 
16(X)  erzbischöflicher  Organist  zu  Gnesen.-  15so  edierte  Xikolaja 
Gomölka  zu  Krakau  einen  polnischen  Psalter  mit  Melodien. 

1574  taucht  am  polnischen  Königshofe  der  unvergleichlich  ritter- 
liche Promenade-Tanz,  die  Polonaise  aut  (ähnlich  der  früheren  Polonaise. 
Pavane).  Aelter  ist  der  heiter-graziöse  Krakowiak  („Krakauer" 
2/4  Takt)  und  der  chvalereske  polnische  Nationaltanz,  die  Mazurka 
{^li  Takt).  Charakteristikum  dieser  wie  der  böhmischen  und  unga- 
rischen Tänze  ist  die  synkopische  Betonung  leichter  Taktteile. 

Unter  den  französischen  Meistern  tritt  Claudin  Lejeune  Franzosen. 
(t  lfio2)  markanter  hervor,  einerseits  als  Nachfolger  Janne(iuins  in  der 
Chansonkomposition,  dann  als  bedeutender  hugenottischer  Tonsetzer 
(nächst  Goudirael);  neben  ihm  sind  Rogier  Michael  (1587  Hofkapell- 
meister zu  Dresden,  Bearbeiter  protestantischer  Choräle)  und 
Pevernage  [j  1591)  zu  beachten. 

Auch  in  England,  wo  schon  zu  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
die  nationale  Tonkunst  nach  geraumem  Stillstand  von  neuem 
erwacht  war  ^),  blüht  die  Musik  aus  den  Händen  bedeutender 
Kontrapunktiker.     Es  wirken  da  —  unter  Elisabeth,  ungefähr 


^  Aehnliche  Bedeutung  hat  noch  die  „Pratica  di  musica"  des 
Augustinerraönches  Ludovico  Zaccoui  aus  Pesaro  (vorübergehend 
Mitglied  der  Wiener  und  Münchner  Hofkapelle). 

-)  NA.  dieser  Komponisten  in  S  u  r  z  y  n  s  k  i  s  Monumenta  musicae 
sacrae  in  Polonia,  1887. 

^)  S.  Lederer,  a.  a.  0.  I,  57.  Nach  Shakespeare  galten  noch  im 
16.  Jahrhundert  die  keltischen  Bewohner  von  Wales  als  das  eigent- 
liche Musikvolk  des  Inselreiches! 


150 


II.  Mittelalter. 


Tallis. 

Byrd. 

Morley. 

Dowland. 


in  derselben  Zeit,  da  Shakespeare,  nicht  nur  Englands  größter 
Dramatiker  (f  1616),  den  Gipfelpunkt  seines  genialen  Schaffens 
erreicht  i)  —  besonders  ehrenvoll  die  Kirchenkomponisten  T  h  o  - 
mas  Tallis  (t  1585,  berühmt  durch  eine  40 stimmige  Motette 
für  8  5  stimmige  Chöre,  „Spem  aliam  non  habui" -j  und  sein 
Schüler  William  Byrd  (f  1623);  ferner  dessen  Schüler 
Thomas  Morley  (f  um  1602)  und  John  Dowland  (t  1626) 
als  Hauptvertreter  der  Madrigalkomposition. 

Ueber  deren  durch  J.  J.  Maier  bei  F.  E.  C.  Leuckart-Leipzig 
neuerdings  veröffentlichte  Madrigale  sagt  Ambros:  ,,E3  gibt  nichts 
Anmutigeres  als  gewisse  Stücke  von  Dowland  und  Morley.  Sie  sind 
zugleich  naiv- volkstümlich  und  vornehm."  ^j  Die  Königin  selbst,  eine 
eifrige  Klavieristin,  förderte  die  Pflege  edler  Musik  so  sehr,  daß  es 
als  Mangel  an  Erziehung  galt,  in  der  Gesellschaft  nicht  an  der  Impro- 
visation eines  mehrstimmigen  Gesanges  teilnehmen  zu  können.  Also 
eine  wirkliche  Kenaissance  der  altenglischen  Tonkunst! 

Die  englischen  Kirchenkomponisten  dieser  Epoche  pflegen  bereits 
dasAnthem  [spr.  äntsera]*).  motettähnliche  Gesangstücke  über  bibli- 
schen Text  (für  Chor,  Soli,  Ensembles,  mitunter  orchesterbegleitet :,  deren 
Form  später  durch  Purcell  und  Händel  besonders  bekannt  werden  sollte. 

Eine  berühmte  Sammlung  englischer  kirchenmusikalischer  "Werke 
des  16. — 18.  Jahrhunderts  ist  die  von  W.  Boyce  1760 — 72  heraus- 
gegebene C  a  t  h  e  d  r  a  1  -  M  u  s  i  c.  °) 

Einen  besonderen  Rang  aber  behauptet  England  in  der 
reinen  Instrumental-  bezw.  Klavierkomposition,  einem  wesent- 
lichen Element  des  häuslichen  Musikgenusses  jener  Tage.  Zu- 
erst in  Deutschland,  dann  allenthalben  im  Spätmittelalter  ge- 
Hausmusik, pflegt,  bildet  die  Hausmusik  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
eine  der  breitesten  Brücken,  hinüberführend  von  der  mittel- 
alterlichen Epoche  absoluter  Mehrstimmigkeit  zum  Zeitalter  des 
neuen  Stils,  zur  harmonisch  begleiteten  Melodie. 

Wir   erinnern   uns   dei'  Bedeutung   der  unterschiedlichen  Instru- 


Anthem. 


^)  Ueber  ihn  imd  sein  Verhältnis  zur  Musik  (s.  ob.  S.  27,  Anm.) 
vgl.  Lederer  a.  a.  0.  I,  Kap.  2,  ferner  Witting:  „Sh.  u.  d.  Musik", 
„N.  Mus.  Ztg."  1905,  Nr.  9,  10. 

2)  NA.  1888  [Dr.  A.  H.  Manu]. 

^)  Vgl.  0.  Becker,  D.  engl.  Madrigalisten  Byrd,  Morley  und  Dow- 
land. 1901.  S.  Euterpe,  Veröffentlichungen  der  Oriana  Madrigal 
Societv.  Sammlung  engl.  Madrigale  u.  a.  Gesangswerke  a.  d.  16.  u. 
17.  Jahrb.     [Ch.  Kennedy  Scott]  1908. 

*)  Von  Antiphona,  Antihymne  hergeleitet.  Eine  Art  Gegenstück 
sind  die  spanischen  V  i  1 1  a  n  c  i  c  o  s  (Vilhancico),  Kirchenfestlieder,  mit 
einem  Chorsatz  (Estribillo't  beginnend  und  schließend.  Die  zwischen- 
liegenden Soli  (Coplas)  entsprechen  den  „Verses"  des  Anthems. 

5)  NA.  1814—19  bei  Novello-London. 


Haus-  und  Lautenuiusik. 


151 


Melodie. 


mentenfamilien  (s.  ob.  S.  93 f.)  und  wissen,  daß  viele  Gesangwerke  Henor- 
des  IG.  Jahrhunderts  unter  ausdrücklicher  Freistellung  der  vokalen  ^^^'JJ^^iff^ 
oder  instrumentalen  Aus- 
führung erschienen.  Mehr- 
stimmige Lieder  wurden, 
wie  die  Titelblätter  oft 
besagen,  -auf  allerlei  In- 
strumenten ganz  lieblich" 
begleitet.  Und  siehe 
da :  die  Melodie  begann 
allmählich  ihre  bestrik- 
kenden  Zauber  zu  ent- 
falten ;  siegreich  trat  die 
Oberstimme  hervor,  von 
den  übrigen  wie  von 
Dienerinnen  umgeben,  bis 
man  endlich  begreifen  sollte : 
„daß  eine  schöne  Melodie, 
einheitlich  verständlich  in 
schlichter  Veri)indung  mit 
dem  Wort  und  nicht  gestört 
durch  aufdringliche  Imita- 
tionen rmd  häuti^'^es  Durch- 
kreuzen der  Stimmen  das 
Herz  am  stärksten  rühre" 
(Rieraann).  M  Schon  lö09 
druckte  Petrucci  7(»  Frot- 
tole,  arrangiert  für  G e - 
s  a  n  g  ( Sopran  i  und  Laute 
(Tenor  und  Haß',  auf  der 
sich  bald  akkordische  Zier- 
figuren   und    Läufe    unter- 


Fij?.  10.     I-iiute  von  Fijj.  U.    Tlieorbe 

Leonardo  Tiefenbrucker-  vun.Ioh  Chr.  Iloffmann- 
Padua    (16    Jalirli.i,    von       Leipzig-,  IS.  .lalirli. 

Edlinger-Pra},'  1732  [de  Wit.  Kat.  Xr.  118.] 
wiederlierg-estellt. 
[de  Wit,  Kat.  Xr.  129.] 


^)  Katechismus  d.  Mus. 
Gesch.  n,  62  tf.  Uebrigens 
wirft  bereits  Glarean  (s. 
ob.  S.  126)  die  seither  immer 
wieder  ventilierte  Frage  auf, 
wer  höher  zu  schätzen  sei, 
ob     der    Komponist    einer 

schönen  Melodie  (Phonascus)  oder  der  Meister  des  vielstimmigen 
Satzes  ,  S  y  m  p  h  o  n  e  t  a) !  V  Tatsache  ist,  daß  man  im  15.  16.  Jahrhundert 
die  <  »riginalität  der  Erfindung  weniger  hoch  bewertete,  als  die  Aus- 
arbeitung. Die  Folgezeit  beobachtete  das  Gegenteil.  Seit  der  Mitte 
des  IH.  Jahrhunderts  tritt  abermals  ein  Umschwung  (s.  die  Variationen- 
form) ein.     Vgl    Kietsch,  Ueber  Nachahmung  i.  d,  Tonkunst. 


152 


II.  Jlittelalter. 


Laute. 


schiedlicher  Art  herausbilden,  um  die  langgehaltenen  Töne  zu  ersetzen 
(„Koloratur",  vgl.  unt.). 

Die  Laute,  orientalischer  Herkunft  wie  wir  sahen  (ob.  S.  102), 
wird  vornehmlich  das  Modeinstrument  in  der  Hausmuik  ;  sie  spielt 
in  den  Händen  der  Dilettanten  während  des  15.  bis  17.  Jahr- 
hunderts eine  ähnliche  Rolle  wie  heute  das  Klavier  ;  die  Lauten- 
arrangements bedeuten  für  jene,  was  für  uns  etwa  die  Klavierauszüge. 
Später  kam  sie  auch  ins  Orchester. 

Die  Laute  hat  keine  Zargen,  ist  unten  zugewölbt  (gleich  der  heutigen 
Mandoline) ;  ihre  zahlreichen  Saiten  (5  Paar  und  eine  einzelne  [für  die 
Melodie]  über  das  Griffbrett,  über  „Bünde",  die  andern  [Baßchorden, 
Leersaiten]  daneben  laufend)  werden  mit  den  Fingern  gerissen.  Die 
Zahl  wurde  durch  Doppelsaiten  im  Einklang  und  der  Oktave  (,, Chöre") 
vermehrt.  Das  Instrument  mußte  je  nach  der  Tonart  des  Stückes 
umgestimmt  wei'den  Die  sich  daraus  leicht  ergebende  „Verstimmung" 
war  ein  entschiedener  Nachteil. ^j  Im  17. — 18.  Jahrhundert  liebte  man 
ein  verschiedenartig  von  der  Regel  abweichendes  Stimmen  der  Lauten  und 
Streichinstrumente,  die  sog.  Scordatura  (vgl.  Biber).  Auf  der  um  die 
Wende  des  18.  Jahrhunderts  als  Hausinstrumeut  überaus  beliebten,  in 
Gitarre,  jüngster  Zeit  wieder  ein  wenig  in  Mode  kommenden  Gitarre  (Quinterne), 
einer  der  Abarten  der  Laute  mit  flachem  Schallkasteu-),  können  die  Saiten 
{E  A  d g  h  e' ,  Notation  eine  Oktave  höher  im  Violinschlüssel)  durch  Ver- 
kürzung mittels  des  sog.  Kapodaster  („Hauptbund",  ital.  Capo- 
tasto)  um  einen  Halbton  höher  gestimmt  werden.  Weitere  Arten 
Theorbe.  (Jer  Laute  sind:  die  als  Baßiustrument  tiefer  gestimmte  Theorbe 
Mandoline.  (mit  doppeltem  Wirbelkasten)  und  die  .M  a  n  d  o  1  i  n  e ,  heute  noch  in 
Italien,  namentlich  in  Neapel  als  Melodieiustrument  beliebt  und  mit  der 
Gitarre  begleitet.  Die  besondere  Notenschrift  für  diese  Instrumente. 
pLauten-^  die  sog.  L  a  u  t  e  n  t  a  b  u  1  a  t  u  r ,  bezeichnete  die  Zeitwerte  ebenso  wie  die 
Orgeltabulatur  ( s.  ob.  S.  94  f.).  Buchstaben  oder  Zitfern  —  man  unter- 
schied hier  die  deutsche,  italienische  und  französische  Lauteutabulatur, 


Tabulatur. 


^)  „Wenn  ein  Lautenist  80  Jahre  alt  wird,  hat  er  60  Jahre  ge- 
stimmt", sagte  Matthison  über  die  Schwierigkeit  des  Stimmens:  die 
des  Spielens  überhaupt  charakterisiert  das  alte  Sprichwort :  Er  schickt 
sich  an  wie  der  Esel  zum  Lautenschlagen  .  .  . 

^)  Vgl.  „Die  Gitarre  seit  dem  HL  Jahrtausend  vor  Christus", 
musik-  u.  kulturgeschichtl.  Darstellung  mit  genauer  Quellenangabe  von 
Ernst  Biernath,  Berlin  1907.  —  Unter  jenen,  die  letzter  Zeit  für  eine 
Renaissance  des  Volksliedgesanges  zur  Laute  eintraten,  hatte  neben 
dem  schwedischen  Lautensänger  Sven  Scholandcr  namentlich  der 
Deutsche  Robert  K  o  t  h  e  mit  seiner  eigens  konstruierten  Lauten- 
Gitarre,  als  Begleiterin  des  einfachen,  doch  fein  pointierten  Liedes, 
meisten  Erfolg  (die  nach  Art  der  alten  Lautenmusik  mitunter  relativ 
reich  gesetzte  Begleitung  von  Heinr.  S eher r er,  Kammermusiker  in 
München.  Vgl.  desselben  ,,Die  Kunst  des  Gitarrespiels  auf  Grundlage 
der  Spielweise  der  alten  Lautenschläger",  nebst  dazu  gehöriger  PubH- 
kation  wertvoller  alter  deutscher  Volkslieder  f.  Gesang  mit  Gitarrebe- 
gleitung, ^München,  1906). 


Anfange  der  Instrumeutalmusik.  153 

die  beiden  letzten  bedienten  sich  der  Linien  —  zeigten  die  Griffe, 
nicht  die  Tonhöhe,  an.  Daher  sind  diese  Tabuiaturen,  die  über  den 
Gebrauch  der  Accideuzien  genau  aufklären,  sehr  wichtig  tür  die  Ge- 
schichte der  Harmonie;  sie  sind  es  übrigens  auch,  wie  Tajipert 
betont,  für  die  Geschichte  der  musikalischen  Ornamentik.  Von 
den  Lautenisten  übernahmen  Klavieristen  und  Organisten  die 
,, Manieren"  (Verzierungen,  vgl.  S.  15-1). 

Die  Lauten-Tabulaturbücher  des  16.  17.  Jahrhunderts  bilden 
eine  starke  Literatur,  zuerst  von  Arrangements  einzelner  Gesänge  für 
eine  Sir.gstinune  mit  Laute,  dann  Originalkompositionen  für  das  In- 
strument. Den  Beginn  machten  der  Italiener  Spinaccino  (löOT), 
die  Deutschen  Arnold  Schlick  (1512),  Hans  Juden  kunig  („Kunst- 
liche Underweisung  autT  der  Lautten  und  Geygen",   1523)  u.  a.  *) 

Dieses  alte  \vohlklin<iende  Instrument,  das  wir  heute  nur 
mehr  aus  alten  l'oesien  und  Bildern  -)  kennen,  und  das  der 
böhmische  Graf  Legi  ein  Lautenist  ersten  Ranges  (f  1711)  i-ogi. 
vervollkommnete,  kam  erst  Ende  des  18.  Jahrhunderts  aus  der 
Mode,  vom  immer  mehr  der  Vollendung  zustrebenden  Klavier 
verdrängt.  Ein  berühmter  Laiitenvirtiiose  war  noch  Silvio  Weiss, 
der  ITöO  zu  Dresden  als  Kammervirtuose  starb,  und  noch  J.  S.  Bach 
war  kundig  des  Lautenspiels,  in  dem  er  sogar  unterrichtete.  ■^) 


')  S.  Ausgewählte  Lauten.itiicke  bei  Wasielewski :  (iesch.  d. 
Instrumentalmus.  i.  16.  Jahrh. :  Chilesotti:  Lauteuspieler  d  16.  Jahrhdts., 
1891.  Eine  sehr  wertvolle  Sammlung  alt- spanischer  Lauten-  uud 
Gesangmusik,  Pavanen,  Romanzen,  Villancicos  usw.  von  Milan  (15o6), 
Narvaez  (1528),  Valderabano  (15.)6)  u.  a.,  gab  1902  Graf  Morphy 
heraus:  „Die  spanischen  Lautenmeister  d.  16.  Jahrh." 

2)  Vgl  z.  B.  den  „Lautenschläger"  des  niederländischen  Portrait- 
malers  Hals  (f  1666),  die  „Lautenschlägerin"  von  Caravaggio 
(t  16119,  als  wildleidcnscliaftliches  Haupt  der  ,, Naturalisten") :  ferner 
Franz  Hals,  „Der  [iVIusik-] NaiT"  (Lautenspieler j,  und  Laueret, 
„Die  Musik"  (17.  18.  Jahrh.).  Auf  einem  Marienbilde  Dürers  sehen 
wir  zu  beiden  Seiten  der  hl.  Jungfrau  Je  eine  Engelsgestalt,  die  Laute 
bezw.  den  Psalter  spielend.  In  die  Kreise  der  Hausmusik  führt  uns 
namentlich  Terborch  (1681),  ,,Ein  Konzert"  (bemerkenswert  die 
eigentümliche  Haltung  des  Cellobogeus)  und  ,, Besuch  eines  Kavaliers". 
(S.  die  Heproduktion  in  Schultz,  Kunstgeschichte  II,  bezw.  in  der 
„Neuen  Mus.  Ztg."  1905,6,  daselbst  auch  die  Illustrationen  „Musik- 
unterhaltung" und  „Klavierunterricht"  >  17.  Jahrh  ).  S.  auch  Caravaggios 
„Musizierende  Bürger  i.  16.  Jahrh."  Vgl.:  Oskar  Bie,  „Intime  Musik" 
(Berlin  190-1,  Sammlung  „Die  Musik"),  wo  übrigens  der  Autor,  ein 
geistvoller  Kulturhistoriker,  mit  Unrecht  (wie  aus  obigem  ersichtlich) 
die  Aeußerungen  intimer  Musikübung  erst  von  Bach  gezählt  wissen  will. 

^)  J.  S.  Bach  wendete  die  Laute  nicht  nur  mehrmals  im  Orchester 
an  (^^Johannespassion,  Trauerode),  er  schrieb  auch  Solostücke  für  das 
Instrument.  S.  W.  T  a  p  p  e  r  t ,  Seb.  Bachs  Kompositionen  f.  d.  Laute, 
Berlin  1901. 


154  I^-  Mittelalter, 


Berühmte  Lautenmacher  waren  in  Deutschland  Helt  15.  Jahrh.), 
Konrad  und  Hans  Gerle  (Nürnberg,  16.  Jahrh.  ,  Joh.  Christ.  Hottmann 
(Leipzig),  Edlinger  (Prag,  18.  Jahrh.  i  ^) 

Eine  1509  erschienene  Sammlung  von  Tänzen  und  Tanzliedern  für 
Orgel,  Klavicimbal  oder  Laute  zum  Hausgebrauch,  verrät  uns 
die  beiden  Konkurrenten  der  Laute  in  der  alten  Hausmusik.  Während 
die  Orgel  erst  im  15.  Jahrhundert  ihre  Ausgestaltung  als  eigentliches 
Gebrauchsinstrument  erfährt  (s.  Kap.  VI),  taucht  bereits  in  der  2.  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts  das  Klavier  (Clavichord,  Spinett,  vgl.  S.  109, 
Anm.  und  Kap.  VIH)  auf.  Neben  der  kleinen,  meist  sehr  hübsch 
Haus-  und  ^j^^j  (reschmackvoll  ausgestatteten  Hausorsrel  (Regal,  Positiv, 

Virginal-  c  *^  ovo'» 

Musik.  Portati v)war  namentlich  das  Spinett,  in  England  Virginal 
genannt,  beliebt.  Orgelstücke,  auch  aufandernT  asten  Instru- 
menten zu  spielen,  waren  nichts  seltenes.  - ) 

Die  ältesten  auf  uns  gekommenen  Orgelsachen  stammen  von 
K  o  n  r  a  d  P  a  u  m  a  n  n  ^j  aus  Nürnberg,  gest.  1473  zu  München.  Er 
war  blind  geboren,  spielte  außer  der  Orgel  auch  Zither,  Laute,  Geige, 
Flöte  und  Krummhorn  und  war  ein  geschickter  Kontrapunktist.  (Da 
er  alle  Kircheugesänge  auswendig  wußte,  so  konnte  er  trotz  seiner 
Blindheit  den  Orgeldienst  versehen.)  Weitere  Werke  erschienen  1512 
von  Arnold  Schlick  dem  Jüngeren,  von  dem  niederländischen 
Organisten  Jacob  Buus  1 547  und  um  dieselbe  Zeit  von  W i  1 1  a  e r t 
und  C y p r i a n  de  R o r e.  Diese  und  ihre  nächsten  Nachfolger  nannten 
ihre  Orgelstücke:  Ricercari,  Contrapunti,  Toccati,  Praeam- 
bula  oder  Priamel  und  Intonation i  (Vorspiele),  Canzoni  (vgl. 
über  diese  Formen  S.  122)  —  das  waren  denn,  wie  Swoboda  bemerkt, 
die  e  r  s  t  e  n  ,,L  i  e  d  e  r  o  h  n  e  W  o  r  t  e"  :  ursprünglich  nämlich  Gesang- 
stücke, auf  die  Orgel  übertragen,  aber  reichlich  verziert  und  ausge- 
schmückt (koloriert  und  diminuiert:  über  dieses  Auflösen  gehal- 
tener Töne,  die  auf  der  massiven  Orgel  damals  ebensowenig  möglich 
waren,  wie  auf  den  anderen  Tasteninstrumenten,  vgl.  S.  152).*) 


1)  Mit  dem  Lautenbau  befaßten  sich  seinerzeit  alle  bedeutenden 
Instrumentenbauer,  daher  diese  in  Frankreich  noch  heute  luthiers 
[spr.  lütje],  Lautenmacher,  heißen.  Vgl.  W.  L.  v.  Lüttgendorff:  Die 
Geigen-  u.  Lautenmacher  vom  Mittelalter  bis  z.  Gegenwart,  1W4. 

2j  S.  Sang  und  Klang  aus  alter  Zeit.  100  Musikstücke  aus 
Tabulaturen  d.  16. /18.  Jahrh.  Gesammelt  u.  übersetzt  von  Wilhelm 
Tappert.  Berlin,  Liepmannsohn.  Mit  dem  Bildnis  des  letzten  Laute- 
nisten Christ.  Gottl.  Scheidler  (1789)  und  faksimilierten  Tabulaturen 
für  folgende  Instrumente :  Laute,  Viguela  (ein  vergessenes,  gitarren- 
artiges Instrument  der  Spanier),  Gambe,  Klavier  und  Orgel,  Zither  (vier- 
chörig),  Violine,  Gitarre,  Flageolet  und  endlich  Angelica,  Cithrinchen, 
Mandora,  drei  gänzlich  verschollene  Saiten-Instrumente.  Angelica  und 
Mandora  wuiden  gezupft,  das  5  saitige  Cithrinchen  mit  einem  Plectrum 
geschlagen. 

^)  NA.  (F.  W.  Arnold]  in  Chrysanders  Jahrbüchern,  1867. 

*)  In  R.  Schlecht s  „Geschichte  der  Kirchenmusik"  (Kegens- 
burg,  1871)  ist  dies  nachgewiesen,  indem  in  Beispiel  63  der  Gesangs- 


Neudrucke.    Anbruch^der  Neuzeit.  155 

Mit  Koloraturen  versehene  Orgelstücke  für  Dilettanten,  „auf  jedem 
anderen  Tasteninstrumente"  spielbar,  gab  der  treffliche  Ammerbach, 
Organist  der  Leipziger  Thomaskirche  (f  1597;,  heraus  (vgl.  des  weiteren 
Kap.  VI.). 

Wie  fruchtbar  sich  insbesondere  die  englischen  Tonsetzer  —  wir 
nennen  hier  noch  die  Organisten  Orlando  (t  i  b  b  o  n  s  [spr.  Gibbens] 
t  1625,  und  John  Bull  f  1628  —  auf  dem  Gebiete  der  Klavier-  bezw. 
Virginalkomposition  bewegten,  bezeugen  die  unter  dem  Namen  Vir-  virsinal- 
ginal-Boock  [spr.  wirdschinelbük,  d.  i.  Klavierbuch]  erhaltenen  Book. 
.Sammlungen  altenglischer  Tanzstücke,  Variationen  (Grounds)  Fantasien, 
Praeludien  und  bearbeiteten  Gesaugstiicken.  Die  interessanteste  der- 
artige Sammlung  ist  das  Fitzwilliam  V  irgin  al -Boo  k. '; 

Die  erste  gedruckte  Sammlung  englischer  Klaviermusik  er- 
schien 1611  unter  dem  Namen  ,.Parthenia". 

Die  Werke  der  bedeutendsten  in  diesem  Abschnitt  genannten 
Komponisten  sind  neuerer  Zeit  gröütenteils  im  Neudruck  erschienen.  Neudracke 
Um  diese  Herausgabe  machten  sich  hervorragend  verdient :  Karl 
Proske,  Franz  Com  m  er  und  Franz  Xaver  Haberl,  heute  wohl 
der  bedeutendste  lebende  Schriftsteller  über  kathohsche  Kirchen- 
musik. '■^) 


komposition  die  Bearbeitung  derselben  für  die  Orgel  beigefügt  wird. 
Das  Werk  enthält  in  seinen  Beilagen  auch  Originalstücke  von  Buus, 
Merulo,  Frescobaldi  u.  a. 

')  Ausgewählte  Stücke  daraus  herausgegeben  von  J.  A.  Fuller- 
Maitland  und  William  Barclay  Squire.  2  Hefte.  Vgl.  Seiffert,  Gesch. 
d.  Klaviermusik.  I,  54  ff. 

*)  Karl  Proske,  ausgezeichneter  Arzt,  1826  zum  Priester  ge- 
weiht, starb  18tJl  als  Kanonikus  in  Regensburg.  Seine  geniale  musi- 
kalische Begabung,  verbunden  mit  rastlosem  Sammelfleili,  brachte  eine 
kostbare  Bibliothek  von  Werken  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  zu- 
sammen (im  Besitze  des  bischöflichen  Alumnats  zu  Kegensburg).  Ihm 
verdanken  wir  insbesondere  die  Wiederbelebung  des  Pale- 
st rinastils  und  eine  Keihe  musterhafter  Neudrucke.  Hierher 
gehören:  Die  ,,Missa  Papae  Marcelli'"  in  dreifacher  Bearbeitung, 
a)  Original  zu  6  Stimmen,  b)  Bearbeitung  zu  8  Stimmen  von  Suriano, 
c)  Bearbeitung  zu  4  Stimmen  von  Anerio;  terner  das  berühmte 
Werk  „Musica  divina".  1.  Bd.  Messen  (lM53i,  2.  Bd.  Motetten 
(1855),  y.  Bd.  Psalmen,  Hymnen,  Magniticats  (1859),  4.  Bd.  Vespern 
(1864),  nach  seinem  Tode  herausgegeben  von  Wesselak.  Vertreten 
sind  in  der  Sammlung  Palestrina  (41 1,  Vittoria  (44),  Lasso  (35),  Anerio 
(26),  Marenzio  (20),  Viadana  (18)  usw.  Endlich  erschien:  „Selectus 
novus  missarum",  in  2  Bänden,  enthaltend  16  Messen  von  Palestrina, 
Anerio,  Vittoria,  Lasso,  A.  Gabriel!,  Ilasler,  Vechi  und  Suriano.  —  Franz 
Co  mm  er,  f  1887,  veröffentlichte  die  Sammelwerke:  a)  CoUectio 
operum  musicorum  Bavatorum  saeculi  XVI.  (12  Bände i;  b)  Musica 
Sacra  XVI  ,  XVII.  saeculorum  (26  Bände);  c)  CoUection  de  compositions 


156 


II.  Mittelalter. 


Grenzen  Wir  haben  im  Laufe  der  letzten  Betrachtungen  die  Grenz- 

Muteiaiter  steine  zwischen  Mittelalter  und  Neuzeit  in  der  Tonkunst  bereits 

""^  vielfach  unversehens 

~  überschritten.     Eine 

Linie  hier  zu  ziehen, 
wird  kaum  sicher  ge- 
lingen und  es  wird 
mehr-minder  Sache 
der  persönlichen  An- 
sicht bleiben ,  den 
Eintritt  der  Neuzeit 
sozusagen  auf  Jahr 
und  Tag  zu  fixieren. 
Viktor  Lederer  datiert 
vom  14.  September 
1416,  als  dem  entschei- 
denden Tage  jenes 
kirchenmusikalischen 
Reformationsjahres  (s. 
ob.  S.  107),  da  Sigis- 
mund  der  neuen,  eng- 
lischen Tonkunst 
Treue  und  Sieg  gelobt, 
und  die  Blütezeit  der  polyphonen  Kirchenmusik  anbricht.  Rie- 
raann     will     neuestens     (Handb.     d.     Mus.     Geschichte     II,     1)     das 


F.  X.  Haberl. 


pour  l'orgue  des  XVI.,  XVII.,  XVIII.  siecles  (6  Lieferungen);  d)  Cantica 
sacra  (2  Bände).  Er  war  u.  a.  Regens  chori  bei  der  katholischen 
lledwigskirche  zu  Berlin,  königl.  Professor  und  Mitglied  des  Senats 
der  Kunstakademie,  auch  Mitbegründer  und  Vorsitzender  der  Gesell- 
schaft für  Musikforschung.  Commer  selbst  komponierte  Messen,  Chor- 
werke und  die  Musiken  zu  den  „Fröschen"  des  Aristophanes  und  der 
„Elektra"  des  Sophokles.  —  Franz  Xaver  Haberl,  geb.  12.  April 
1840  zu  Oberellenbach,  Kreis  Niederbaj^eru,  erhielt  1862  die  Priester- 
weihe, wirkte  zu  Passau  als  Musikpräfekt  am  bischöflichen  Seminar, 
1867 — 70  zu  Rom  als  Organist  bei  der  deutschen  Nationaikirche,  1870 
bis  71  als  Stiftsvikar  und  1871 — 82  als  Domkapellmeister  zu  Regens- 
burg. Nach  freiwilliger  Resignation  auf  diese  Stelle  übernahm  er  die 
Leitung  der  Musikschule  zu  Regensburg  imd  widmete  sich  schrift- 
stellerischen Arbeiten ;  wir  nennen :  „Magister  choralis",  ,, Gesamtaus- 
gabe von  Palestrinas  Werken",  10.  bis  32.  Bd.;  Fortsetzung  des 
Sammelwerks  ,,Musica  divina",  ,, Bausteine  der  Musikgeschichte",  Werke 
von  Frescobaldi,  „Kirchenmusikalisches  Jahrbuch",  Redaktion  der 
kirchenmusikalischen  Zeitschrift  ,,Musica  sacra"  und  der  ,, Fliegenden 
Blätter  f.  kathol.  Kirchenmusik"  („Cäcilienvereinsorgan").  Fortsetzung 
und  Neuauflage  der  Musica  sacra  von  Dr.  Proske,    „Kleines  Gradual- 


Anbruch  der  Neuzeit.  157 


musikalische  Mittelalter  bereits  mit  1300  abgeschlossen  wissen,  um 
einer  der  florentiner  Tonkunst  zur  Zeit  Dantes  und  Petrarcas  beige- 
messenen Bedeutung  willen.  Wenn  wir  an  dieser  Stelle  der  frü- 
heren Gepflogenheit  ^)  treu  bleiben,  und  die  Neuzeit  mit  der 
florentiner  Reformbewegung  um  1600  ansetzen,  ge- 
schieht es  angesichts  des  unverkennbaren  Abschlusses  und 
ersten  Höhepunktes,  den  die  vorhergehende  Epoche  der 
Tonsetzkunst  hier  erreicht  hat,  hier  erst  gewisse  mittelalterliche 
Züge   endgiltig  überwindend. 

Während  sich  in  der  Retrospektive  bisher,  je  weiter  wir  zurück-  Rückschau, 
blickten,  ganze  Völkerschaften  gleichsam  nur  als  Punkte  der  Ent- 
Wickelung  unserer  Geschichte  zeigten,  innerhalb  deren  das  mit  am 
Werke  gestandene  Individuum  oft  völlig  verschwand,  lösen  sich,  je 
weiter  wir  vorw/irts  schritten,  immer  mehr  imd  deutlicher  einzelne 
Gruppen  —  Engländer,  Niederländer,  Römer,  Venetianer  —  dann  be- 
reits einzelne  überragende  Persönlichkeiten  —  Lasso,  Palestrina  —  los 
als  Hauptträger  eines  gewaltigen  Fortschrittes  jener  Entwickelung.  2) 
Wir  sahen  Gregors  Riescngeiat  die  Epoche  des  liturgischen  Chorals 
zum  Abschluß  bringen.  Der  Kontrapunkt,  der  unter  Ilucbald  und 
Guido  den  ersten  Schritten  eines  Kindes  glich  und  durch  die  Eng- 
länder und  Niederländer  zur  vollen  Reife  gebracht,  aber  oft  bis  zu 
seelenloser  Künstelei  übertrieben  wurde,  gelangt  im  „Palestrina-Stil" 
zu  wundersamer  Klärung.  Und  —  „aus  der  Spielmusik  entstanden, 
leitet  der  a  capella  Gesang  durch  die  Instrumentalbegleitung  wieder 
zur  Spielmusik  zurück"  (Gervinusl 

Nun  aber  öffnet  sich  plötzlich,  unter  den   immer  volh'ren  Ausblick 
Klängen  des  Orchesters,  der  Vorhang  zur  großen  drama- 
tischen   Szene    und   wir  erblicken   bereits   im   Hintergrunde, 
überragend    neue,    markante    Gruppen    von    Meistern    der    auf- 


nnd  Meßbuch",  Regensburg  1892.  „Magnum  opus  musicum"  von 
Orlando  di  Lasso,  Leipzig  1S94— 1897,  Bd.  I— V.  —  1S7J)  wurde  Haberl 
vom  Papst  zum  Ehrenkanonikus  der  Kathedrale  Palestrina,  1H89  von 
der  Universität  Wüizburg  zum  Dr.  theol    hon.  c.  ernannt. 

Außerdem  sind  zu  erwähnen  die  Ausgaben  von  Rochlitz.  de  Witt, 
St.  Lück,  S.  W.  Dehn,  C.  Ferd  Becker,  Dr.  Otto  Kade,  Rob.  Eitner, 
L.  Schöberlein  Von  eminenter  Bedeutung  sind  die  ersten  prakti- 
schen Neuausgaben  Palestrinas,  Lassos  und  V i 1 1 o r i a s  in 
moderner  Partitur  (Zweiliniensysteui,  keine  C-Schlüssel)  von  Hermann 
Bäuerle  (geb.  18G9.  Hofkaplan  in  Regensburg.  Die  von  ihm  seit  19<»3 
redigierte  ,, Bibliothek  altklassischer  Kirchenmusik"   wird   fortgesetzt). 

^)  Vgl.  auch  Riemanns  Periodisierung  noch  in  der  letzten  Auf- 
lage seines  vorzüglichen  Musik-Lexikons,  Leipzig,  Max  Hesse,  1905; 
Pro  ßnitz,  Kompendium  d.  Mus.  Gesch.,  Wien  1889  (2.  Aufl.  1905)  u.  a. 

-)  Herm.  Bäuerle  bemerkt  richtig:  Die  Kenntnis  Palestrinas 
und  Lassos  ist  heutzutage  für  den  Musikus  so  notwendig  als  die 
von  Bach  und  Beethoven. 


158  II-  Mittelalter. 


blühenden  Opern-  und  Instrumentalmusik,  die  Riesengestalten 
der  Bach,  Händel  und  Mozart,  Beethoven  und 
Wagner  —  jede  für  sich  geschaffen,  in  einem  einzigen 
Menschenleben  die  zeugende  Kraft  eines  ganzen  Volkes  und 
vieler  Generationen  zu  vereinen.  Riesengestalten ,  die  mit 
Riesenschritten  die  Tonkunst  vorwärts  tragen  bis  in  unsere 
unmittelbare  Gegenwart. i) 


^)  Vgl.  zu  diesem  Abschnitt  noch :  Ausgewählte  Tonwerke  d.  be- 
rühmtesten Meister  d.  15. /l 6.  Jahrb.,  Bd.  5  von  Ambros'  Mus.-Gesch. 
fO.  Kade] ;  Klaviermusik  aus  alt.  Zeit  [Köhler],  Kollektion  Litolflf; 
Alte  Klaviermusik  [Pauer],  Leipzig,  Senff.  Der  Vollständigkeit  halber 
seien  hier  noch  angeführt  E.  de  C  o  u  s  s  e  m  a  k  e  r :  Memoire  sur  Hucbald. 
1841.  L'art  harmonique  aux  XII.  et  XIII.  siecles.  1865  und  Scriptores  de 
musicamediiaevi.  4Bde.  1864— 1876;  ferner  H.  M.  Schletterer,  Gesch. 
d.  geistl.  Dichtung  u.  kirchl.  Tonkunst.  1869.  K.  v.  Winter  fei  d.  Zur 
Gesch.  heiliger  Tonkunst.  2  Bde.  1850—52.  K.  C.  F.  Krause,  Darstel- 
lungen a.  d.  Gesch.  d.  Musik.  1827.  W.  Bäum  k  er.  Zur  Gesch.  d. 
Tonkunst  i.  Deutschland  von  den  ersten  Anfängen  bis  zur  Reformation. 
1881.  Friedrich  Sannemann,  Die  Musik  als  Unterrichtsgegenstand 
in  d.  evangel.  Lateinschulen  d.  16.  Jahrb.,  Leipzig  1906.  C.  F.  Becker, 
D.  Tonwerke  d.  16.  u.  17.  Jahrh.  oder  sj'stematisch-chronologische 
Zusammenstellung  der  in  diesen  zwei  Jahrhunderten  gedruckten  Musi- 
kalien. 1847.  A.  Einstein,  Zur  deutsch.  Literatur  für  Viola  da 
Gamba  i.  16.  u.  17.  Jahrh.  1905  Beibeft  II.  1  der  IMG.  Eudhch  sei 
auf  den  Katalog  des  M  u  s  i  k  h  i  s  t  o  r  i  s  c  h  e  n  Museums  von 
Paul  d  e  W  i  t  (Leipzig  1904j  als  auf  ein  unentbehrliches  Hülfsmittel 
zur  Instrumentenkunde  vergangener  Zeiten  aufmerksam  gemacht. 


III.  Neuzeit.    Von  den  Florentinern  bis  auf 
Ricliard  Wagner. 

Schluß  des   16.   bis  Ende  des   19.  Jahrhunderts. 

„Das  erste.  vorzÜKlichste  in  der  Musik,  welches 
mit  wunderbarer  Zauberkraft  das  menscliliclie 
Gemüt  ergreift,  ist  die  .Melodie." 

K.  T.    \.  IIotTmann. 

11.  Die  Entwickelung  des  europäischen  Tondramas  und  der 
Instrumentalmusik   bis  zum  Auftreten  von  Gluck,   Bach  und 

Händel. 

Der  monodische  Stil.  Florenz,  die  Wiege  der  Oper.  —  Die 
Kantate  als  Kirchenkonzert.  Das  Oratorium.  Heinr.  Schütz 
und  Monte  verde,  die  größten  Kom})o  nisten  des  17.  Jahr- 
hunderts. —  Die  Ausbildung  der  Oper  in  Italien.  Opera 
buffa.  —  Die  Oper  in  Deutschland,  Frankreicli,  England. 
Melodrama.  —  Partie,  Suite  und  Sonate.  Kammermusik. — 
AbschluU  des  modernen  Harmoniesystems.  Kammerton 
und  Temperatur  der  Instrumente. 

Während  bisher  fast  alle  Musik  im  Dienste  der  Kirche 
stand  und  vorzu<j;sweist'  um  das  Meßopfer  und  den  Meßtext 
als  Mittel-  und  Schwerpunkt  sich  gruppierte,  schlägt  von  nun 
an  die  Tonkunst  außerhalb  der  Kirche  zwei  verschiedene  Wege 
ein:  der  eine  führt  zum  Orat  er  iura ,  der  andere  zur  Oper. 
Das  war  eine  natürliche  Folge  der  Zeitströniung.  Bis  ins  16. 
Jahrhundert  herrschte  das  Prinzip  der  Gemeinschaftlich- 
keit: das  Individuum  trat  als  solches  zurück  und  ging  auf 
in  der  Familie,  der  Gemeinde,  der  Kirche,  der  Gilde  oder 
Bruderschaft  und  im  Staate.  Und  dem  entsprach  der  bis 
dahin  herrschende  Chorgesang.  Nun  wollte  sich  aber  auch 
der  Einzelne  Geltung  verschaffen,  und  so  erwuchs  auf  Seiten 
der  Tonkunst  der  Einzelgesang  und  das  in  der  kirchlichen 
Liturgie  und  den  geistlichen  Schauspielen  des  Mittelalters 
wurzelnde  musikalische  Drama. 


1QQ  III.  Neuzeit. 

Die  kulturfördernden  Bewegungen,  die  wir  gewöhnlich  unter  den 
Schlagwörtern  Reformation,  Humanismus,  Renaissance  begreifen,  ins- 
besondere die  beiden  letzten :  das  Streben  nach  allgemein  menschlicher 
Bildung  und  die  wiedererwachte  Teilnahme  für  das  klassische  Alter- 
tum, hatten  sicherlich  den  bereits  beobachteten  Aufschwung  der  Ton- 
kunst in  Deutschland  und  Italien  gewaltig,  wenn  auch  bedeutend  später 
als  jenen  der  Poesie  und  der  bildenden  Künste  beeinflußt.  Schon  der 
Protestantismus  betonte  zudem,  im  Gegensatze  zum  Katholizismus,  die 
geistige  Selbständigkeit  des  Individuums. 

Immerhin  gewinnen  jene  Prinzipien  auch  für  eine  Wiedergeburt 
der  Tonkunst  erst  jetzt  ihre  Bedeutung.  Einstimmig  hatte  man  zwar 
schon  früher  gesungen,  siehe,  vom  Choral  abgesehen,  den  Minnegesang, 
war  doch  der  fahrende  Sänger  auch  jene  Ausnahmsgestalt  des  Mittel- 
alters, die  sich  der  Allgemeinheit  nicht  fügte  —  ein  Vorkämpfer  des 
anbrechenden  Fortschritts  in  den  meinungsfreiheitlichen  Tagen  der 
Monoiiii-.  Renaissance.  Neu  war  nur,  daß  sich  jetzt  mit  der  Monodie,  d.  i. 
dem  mit  Instrumenten  begleiteten  Einzelgesange, 
Künstler  und  Theoretiker  beschäftigten,  während  bis 
zum  Ende  des  16.  Jahrhunderts  ihre  ganze  Kraft  dem  mehr- 
stimmigen Gesänge  zugewendet  war. 

Hatte  die  Musik  auch  in  jener  neuen  Richtung  hin  noch  große 
Fortschritte  zu  machen,  —  der  Weg  war  angebahnt,  und  die  ganze 
Richtung  der  Zeit  drängte  zu  diesem  Ziele,  zur  Entfesselung  des 
Individuums. 

Die  Monodie  war  für  die  fernere  Ausbildung  der  Musik  von 
größter  Wichtigkeit,  denn  Oper,  Oratorium  und  Kan- 
tate, Orgel-  und  Klavier  spiel  und  die  reine  Instru- 
mentalmusik hängen  mit  jener  zusammen. 

Im  schönen  Florenz  wars,  dort,  wo  die  Tonkunst  schon 
im  14.  Jahrhundert  ihre  Knospen  trieb,  wo  sie  dann  später 
vom  Hofe  Cosimos  von  Medici  eifrig  gepflegt  ward,  dort  hatten 
im  Cinquecento  ^)  die  Bestrebungen  der  Humanisten,  bei  allen 
Ständen  besondere  Teilnahme  findend  einen  fruchtbaren  Boden 
geschaffen  für  die  Wiedergeburt  der  Musik  im  Sinne  eines 
durch  Altertumsstudien  geläuterten  Geschmacks.  Dort  stand 
am  Schlüsse  des  16.  Jahrhunderts  die  Wiege  der  Oper; 
inmitten  einer  starkgeistigen  Reformbewegung,  doppelt  inter- 
essierend durch  die  Persönlichkeit  ihrer  Urheber  wie  durch  die 
Art  der  Auffindung  eines  neuen  Musikstils.-) 


Florenz. 


^)  So  nennen  die  Italiener  kurz  das  Jahrhundert  der  Renaissance, 
anstatt  Mille  Cinquecento  [spr.  tschinquetschento],  1500. 

2)  Stil  ist  jene  markante  Eigenart  der  Faktur  (Mache\  bezw. 
jene  Schreibweise,  die  (objektiv)  für  eine  bestimmte  Kompositions- 
gattung,  bezw.   bestimmte  Insti'umente   erforderlich  (hergebracht)   ist, 


Entwickelung  des  musikalischen  Dramas.     Die  Monodie.      161 


Bardi 

und  sein 

Kreis. 


In  hohem  Grade  interessant  sind  vor  allem  die  Begleitumstände, 
unter  denen  dieser  neue  Musikstil  gleichzeitig  von  drei  Seiten 
her  auftaucht  (eine  Art  „Duplizität  der  Fälle'',  d.  i.  gleichzeitiger  und 
ähnlicher  Vorkommnisse  an  verschiedenen  Orten),  so  daß  es  schwer 
wird,  welchem  der  ,, Erfinder"  die  Krone  zu  reichen :  wir  sehen  plötz- 
lich, zu  gleicher  Zeit  Oper,  Oratorium  und  Kantate  vor  unseren  Augen 
erstehen.  Die  erste  Oper  (Daphne)  aber  erscheint  in  eben  jenem 
Jahre,  da  Lasso  und  Palestrina,  die  Vollender  des  alten  Stils,  ihre 
müden  Augen  schließen  .  .  . 

Im  Hause  des  Grafen  Bardi  zu  Florenz  versammelte  sich 
um  1580  ein  erlesener  Kreis  von  Gelehrten  und  hochge- 
bildeten Musikern ,  um  Kunstinteressen  zu  beraten.  Unter 
ihnen:  Vincenzo  Galilei,  Vater  des  berühmten  Astro- 
nomen, ein  vorzüglicher  Lauten-  und  Violinspieler  i);  der  Dichter 
Üttavio  Rinuccini,  Jacopo  Corsi,  ein  florentiner 
Edelmann  und  begabter  Komponist,  in  dessen  Hause  man  sich 
gleichfalls  öfter  zusammenfand,  und  endlich  drei  Fachmusiker. 
EmiliodeCavalieri(t  1602)  -)  J  a  c  o  p  o  P  e  r  i  (f  1633), 
und  Giulio  Caccini  (f  1618).  Als.  Ideal  ihrer  Reform-  Caccini 
bestrebungen  schwebte  ihnen  das  mit  Musik  verbundene,  recitierte 
altgriechische  Drama  vor,  von  dessen  Wirkungen  so  Außer- 
ordentliches berichtet  worden  war.  Das  Unternehmen  war  um 
so  schwieriger,  als  es  ja  hier  keine  Vorbilder,  wie  bei  der 
Baukunst  und  Skulptur,  gab.  Caccini  bespricht  die  leiten- 
den Grundsätze  der  neuen  Richtung,  die  vor  allem  eine  energische 
Kriegserklärung  gegen  den  Kontrapunkt  bedeutet,  in  der  Vor- 
rede seiner  1602  erschienenen  „Nuove  musiche"  —  eine 
Sammlung  monodischer  Stücke  (Madrigale)  für  eine  Stimme 
mit  Basso  continuo  (s.  u.).  Caccini  schießt  offenbar  über  das  Ziel 
hinaus,  indem  er  dort  sagt:  „Zu  der  Zeit,  als  in  Florenz  die  treff- 
liche Gesellschaft  des  Herrn  Giovanni  de  Bardi,  Grafen  von  Vernio, 
blühte,  habe  ich  —  mit  Wahrheit  darf  ich  es  behaupten  —  aus  ihren 
gebildeten  Gesprächen  mehr  gelernt  als  durch  dreißigjährige  Beschäftigung 
mit  dem  Konti-apunkt.     Denn  jene  verständigen  Herren   ermunterten 


Nuove 
musiche. 


oder  (subjektiv)  für  einen  bestimmten  Meister  charakteristisch  wird. 
In  letzter  Beziehung  wird  eine  gewisse  Vorliebe  für  bestimmte,  bald 
abgebrauchte  Wendungen  oder  Fassungen  (deren  stereotj'pe  Wieder- 
kehr an  Interesse  verliert)  leicht  zur  Manier.  —  Je  nachdem  sich 
ferner  eine  Schreibweise  an  eine  bestimmte  Zahl  selbständiger  (lebendei-) 
Stimmen  (im  Sinne  der  Vokalmusik)  bindet  oder  nicht,  unterscheidet 
man  einen  strengen  und  einen  freien  („galanten")  Stil. 

^)  Vgl.  seine  Entdeckung  der  Hymnen  des  Mesomedes,  S.  34. 

^)  Vgl.  Gandolfi  'Komponist  und  Musikhistoriker  in  Florenz) 
„Appunti".     Firenze  1893. 

K  0  t  h  e  -  P  r  0  c  li  a  z  Is  a  ,  Abriß  (1.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.        H 


162  III-  Neuzeit. 


mich  allezeit  und  überzeugten  mich  durch  die  einleuchtendsten  Gründe, 
dergleichen  Musik  gering  zu  achten,  welche  die  Worte  nicht  gehörig 
vernehmen  lasse,  Sinn  und  Versmaß  verderbe,  die  Silben  bald 
dehnend  bald  verkürzend,  um  sie  dem  Kontrapunkt,  jenem 
Zerstörer  der  Poesie,  anzupassen :  sondern  mich  der  Weise  an- 
zuschließen, die  von  Plato  und  anderen  Philosophen  so  sehr  gelobt 
werde,  indem  sie  bekräftigen :  dreierlei  sei  in  der  Musik,  zuerst  die 
K  e  d  e ,  sodann  der  Rhythmus,  zuletzt  der  Ton,  und  nicht  um- 
gekehrt; einer  solchen  Ansicht  beizustimmen,  wenn  ich  wolle,  daß 
die  Tonkunst  in  der  Hörer  Gemüt  dringe  und  jene  w  u  n  d  e  r  w  ü  r  d  i  g  e  n 
Wirkungen  erzeuge,  die  die  Schriftsteller  preisen,  und  die  sie 
bei  den  Neueren  dui-ch  den  Kontrapunkt  herbeizuführen  außer 
Stande  sei.  —  Da  ich  mich  nun  überzeugte,  daß  Hervorbringungen 
im  Sinne  unserer  Tage  kein  anderes  Vergnügen  bewirken  als  jenes, 
das  durch  die  Harmonie  dem  Ohre  allein  gewährt  wird,  daß  ohne  das 
Verständnis  der  Worte  das  Gemüt  nicht  gerührt  werden  könne, 
kam  mir  der  Gedanke,  eine  Art  Gesang,  gewissermaßen  einem  har- 
monischen Reden  gleich,  einzuführen ,  wobei  ich  eine  gewisse 
edle  Verachtung  des  G  e  s  a  n  g  e  s  an  den  Tag  legte,  hin  und  wieder 
einige  Mißklänge  berührte,  den  Baß  aber  ruhen  ließ,  ausgenommen  da, 
wo  ich  mich,  dem  gemeinen  Gebrauche  zufolge,  seiner  mit  den  Tönen 
der  durch  Instrumente  ausgeführten  Mittelstimmen  bedienen  wollte, 
irgend  einen  Affekt  auszudrücken,  vvozu  sie  allein  brauchbar  sind." 
Es  handelt  sich  hier  also  im  Grunde  mit  um  eine  Reaktion,  wie 
sie  schließlich  bereits  bei  Depres,  namentlich  aber  Lasso  und  Palestrina 
auf  natürlichem  Wege  durchgeführt  wurde,  ohne  solche  Revolution. 
Man  versuchte  sich  zuerst  mit  einzelnen  Szenen :  so  ver- 
tonte als  Erster  Galilei  Szenen  aus  Dantes  „Hölle"  und 
Galilei,  erfand  dazu  eine  „neue  Musik"  —  eben  jene  Monodie.  Galilei, 
wurde  so  der  Erfinder  des  rezitativischen  Stils  und 
der  0  p  e  r.  1)  1590  trat  C  a  v  a  1  i  e  r  i  mit  einem  vollständig 
in  Musik  gesetzten  Schauspiele  hervor,  das  aber  keinen  Beifall 
fand,  weil  diese  Musik  noch  im  bisher  gewohnten  Madrigal- 
stile geschrieben  war  —  er  sollte  sich  den  Lorbeer  dafür  als 
Schöpfer  des  ersten  im  monodischen  Stil  gehaltenen  Oratoriums 
Peri.  (Anima  e  corpo  s.  u.)  holen.  Von  Peri  wurde  dagegen  1594  die 
von  Rinuccini  gedichtete  ers  te  wirkliche  Oper  „Daphne" 
mit  großem  Beifalle  aufgeführt.  Dadurch  ermuntert,  schrieb 
er  zur  Vermählungsfeier  der  Maria  Medici  mit  Heinrich  IV. 
von  Frankreich  (1600)  „Euridice"  ein  relativ  kurzes,  in  einem 
Akt  sich  abspielendes  Werk,  dem  ein  gesungener    Prolog 


')  Das  italienische  „opera"  (in  musica),  ursprünglich  nur  ein 
Musikwerk  (opus)  im  allgemeinen  bezeichnend,  wurde  erst  später  der 
Sonderausdruck  für  musikalische  Bühnenstücke  im  Sinne  von  Melo- 
drararaa,  Dramma  per  musica. 


Die  Florentiner.  163 


voranging.  Peri  darf  somit  nächst  Galilei  als  Schöpfer  der 
Oper  oder  wie  man  es  damals  nannte,  des  „Stile  rappresen-  Stile 
tativo"  (d.  i.  des  für  die  Darstellung  geeigneten,  mehr  rezi- "^^^aHvo!"" 
tierenden  als  singenden  Stils)  gelten,  obwohl  auch  andere,  sich 
Verdienste  um  die  Ausbildung  des  dramatischen  Stils  erwarben. 
Oaccini,  auf  Peri  neidisch,  war  sofort  mit  der  Komposition  einer 
zweiten  Emidice  (auf  denselben  Text)  bei  der  Hand.^)  1608  erschien 
eine  zweite  ..Daphue"  über  Rinuccinis  Text,  komponiert  von  Marco 
da  Gagliano  (t  1642  zu  Florenz),  einem  der  bemerkenswerten 
Tonsetzer  im  neuen  Biibnenstil.  Eine  ausführliche  Beschreibung  der 
„Euridice"  Peris  betont  das  zu  Gunsten  der  musikalischen  Deklamation 
starke  Zurücktreten  des  melodischen  Elements,  bei  den  ariosen  Stellen 
wie  in  den  ungelenken  Chören:  die  übergroße  Einfachheit  der  Modu- 
lation und  der  instrumentalen,  den  Gesang  nur  dürftig  harmonisch 
unterstützenden  Begleitung.  Diese  wurde,  gewissermaßen  als  Neben- 
sache, in  den  Partituren  jener  Tage  unter  spärlicher  Baßbeziffe- 
rung  nur  angedeutet  und  dann  in  Stimmen  ausgeschrieben.-) 

Peri  selbst  teilt  mit,  daß  die  Begl  eit  ung ,  die  hinter 
der  Szene  gespielt  wurde  (also  bereits  der  Gedanke  des 
j, unsichtbaren  Orchesters  "  I) ,  aus  einem  Klavicembalo  ,  einer 
Zither,  einer  Violine,  Lyra  und  Laute  bestand. 

Daß  diese  uns  primitiv  erscheinende  Art  von  Musik  bei  den 
Zeitgenossen  großen  Beifall  fand,  erklärt  sich  durch  die  Neuheit  der 
Sache,  durch  die  prachtvolle  Ausstattung,  das  Zusammenwirken  von 
Poesie,  Musik.  Schauspielkunst  und  Tanzkunst,  endlich  dadurch,  daß 
man  sich  der  Täuschung  hingab,  das  Ideal  der  Gelehrten,  die  griechisch- 
dramatische  Musik,  wieder  erreicht  zu  haben.  Für  dieses  spricht 
ziemlich  deutlich  die  Tatsache,  daß  die  berühmten  Komponisten  jener 
Zeit  sich  vorerst  fernhielten,  und  die  ganze  Richtung  mehr  von  ge- 
lehrten Dilettanten  gefördert  wurde. 

Der  eigentliche  Kern  des  Stile  rappresentativo  ist  das 
Rezitativ  (ital.  recitativo,  vom  lat.  recitare,  erzählen):  eine  Rezitativ. 
Art  Sprechgesang,  der  alles  rein  musikalische  (Melodie, 
Rhythmus)  der  natürlichen  Textaussprache  unterordnet.  C  a  c  c  i  n  i 
selbst  erklärte  sich  zwar  als  der  Erfinder  dieses  Stile  recitativo 
und  als  einen  ,, Verächter  des  Gesanges*',  war  indessen  im  Gegenteil 
einer  der  ersten  Komponisten  im  ariosen,  d.  i.  melodischen  Stil,  der 
den  „schönen  Gesang"  (bei  c a n t o)  anbahnte.  Seine  Vorrede  zu  den  Bei  eanto. 
Nuove  musiche  —  dieser  Name  wurde  bezeichnend  für  die  neue  Kimst- 
richtung  —  ist  förmlich  die  älteste  Schule  des  Gesanges. 


1)  NA.  1881  [R.  Eitner].    Vgl.  S.  175,  Anra.  2. 

')  S.  F  r.  R  0  c  h  1  i  t  z ,  Für  Freunde  der  Tonkunst,  4  Bde.,  3.  Aufl., 
1868,  nebst  illustrierender  „Sammig.  vorzügl.  Gesangstücke"  (1838—40), 
2.  Bd.  Caccini  bis  Marcello  u.  J.  J.  Fux. 

11* 


164  lil-  Neuzeit. 


In  kurzer  Zeit  tauchten  auch  anderwärts  Komponisten  im 
monodischen  Stil  auf:    der   Deutsche  J.   H.    v.   Kaps  berger, 
der  in  Venedig  (1604)  und  Rom  lebte  und  die  Hymnen  Papst 
Urbans  VIII.  einstimmig  komponierte,  und  der  Priester  L  u  d  o  - 
vico  Viadana  (genannt  nach  seinem  Geburtsorte ;  der  Familien- 
name   war  Grossi,    1564 — 1627),    Kapellmeister   in    Mantua. 
Dieser  wurde  fast  gleichzeitig  mit  den  Florentinern  seinerseits 
der    Erfinder    des    konzertierenden    Kirchengesanges. 
Schon  früher  kam  man  durch  den  Umstand,  daß  öfter  die 
Viadana     ausführenden    Kräfte    fehlten,    auf   den   Gedanken,    drei-,    z-wei- 
"ßass"    ^^^  einstimmige  Stücke  zu  schreiben  und  die  fehlende  Harmonie 
continuo.    durch  die  Orgel  zu  ersetzen,  zu  welchem  Zwecke  auch  Viadana 
einen  fortlaufenden  Orgelbaß  (Basso  continuo)  unterlegte. 
Dies  gab  Veranlassung,   Viadana  als  Erfinder  des  Generalbasses 
anzusehen,  was  um  so  irriger  ist,  als  darunter  die  schon  seit 
Ende    des   16.   Jahrhunderts    in  Italien  übliche  Bezifferung 
des   Basses   verstanden   wird.      Das    erhellt    aus    der    Tatsache, 
daß    seine    1602    unter    dem    Titel    „Geistliche    Konzerte"    er- 
schienenen Stücke  für  eine  bis  zu  4  Singstimmen  mit  Orgel- 
baß   keine    Bezifferung    enthalten ,    während    diese    zwei    Jahre 
früher    bei    der    Oper   „Euridice"    von  Peri    (und    in  Cavalieris 
„Anima   e   corpo)    auftritt.     Viadanas  Erfindung   bestand   viel- 
mehr darin,  daß  er  der  Orgel  eine  von  den  Singstimmen  ver- 
schiedene, also  selbständige  und  obligate  (konzertierende) 
Stimme  gab,  wodurch  die  Harmonie  ergänzt  wurde.     Das  älteste 
bekannte  Werk   mit  Bezifferung  hingegen  waren  die   1595   er- 
Banchieri.  schienenen  .,Concerti  ecclesiastici"  Banchieris  (s.  S.  121  u.  Ml). 
General-  Der    Generalbaß    ersparte    einerseits    dem    Begleiter   (Orgel,, 

baß.  Cembalo)  das  mühsame  Zusammensuchen  der  den  Chor  stützenden 
oder  ergänzenden  Harmonien  (Partituren  gab  es  damals  wie  erwähnt 
noch  nicht)');  dann  aber  diente  er  auch  dem  Komponisten  zur  An- 
deutung der  Begleitung  für  die  neuen  1  stimmigen  Gesänge.  Der  Autor 
notierte  also  nur  zweistimmig,  wälirend  der  Generalbaßspieler  als 
Begleiter  (maestro  al  cembalo)  aufgrund  genauester  musikalischer 
Satzkenntnis   seine  Stimme   nicht   etwa   nur  akkordisch,    sondern   mit 


^)  Eine  Folge  ihrer  förmlichen  Geheimhaltung  durch  die  alten 
Kontrapunktisten,  die  ihre  „Triks"  nicht  so  leicht  verraten  wollten 
(ähnlich  verschanzten  sich  die  alten  Gelehrten  hinter  ihr  Latein)  —  ein 
echt  mittelalterlicher  Zug!  An  ihn  erinnert  heute  noch  das  starre 
Festhalten  vieler  Musiker  an  dem  alten  Schlüsselwesen,  der  Kampf 
gegen  die  sich  immer  mehr  Geltung  verschaffende  „Laienpartitur"  (mit, 
einheitlichem  Schlüssel). 


Der  konzertierende  Kirchenstil.     Viadana.  165 

koutrapunktischer,  selbstschöpferischer  Gewandtheit  auszuge- 
stalten hatte.  Bei  der  wachsenden  Größe  des  Ensembles  gewann  mit 
der  Zeit  der  Akkompagnist  immer  mehr  Bedeutung  als  Dirigent 
des  Ganzen. 

Das  Generalbaßspiel  kam  mit  Ende  des  18.  Jahrhunderts  außer 
Gebrauch,   als  die  Komponisten  ihre  Partituren  vollständig  setzten.  ^) 

Einer  der  Ersten,  der  über  die  mit  der  Fortentwickelung  des 
neuen  Stils  immer  schwierigere  Kunst  des  Generalbaßspiels  Anweisungen 
gab,  war  der  angesehene  Kirchenkomponist  Agostino  Agazzari, 
ein  Schüler  Viadanas,  t  H)40  zu  Siena. 

Bemerkenswert  ist  die  um  jene  Zeit  schon  allgemein  erfolgte  An- 
wendung des  Taktstrichs. 

Während  Viadaiia-)    zu  Rom  in  geschildeter  Weise  die 
geistliche    Kantate    zum    sog.    Kirchenkonzert,    entwickelt,    Kirehen- 
treibt    in    der    .ewigen  Stadt"    der   monodische  Stil    die  dritte 
seiner  wie  mit  einem  Schlage  aufbrechenden  Blüten  —  es  ent- 
steht die  Kunstform  des  Oratoriums.^) 

Um  für  die  geistlichen  Schauspiele  einen  Ersatz  zu  schaffen, 
hatte  der  hl.  F  ilippo  Neri  (latinisiert  Nerius ,  f  1595,  der  Neri. 
Stifter  der  Kongregation  der  Oratorianer  zur  Erziehung  armer, 
verlassener  Knaben)  im  Oratorium  d.  i.  im  Betsaale  des  Klosters  Oratorium. 
S.  Girolamo,  dann  in  Sta.  Maria  in  Valicella  zu  Rom  Erbauungs- 
stunden in  Verbindung  mit  Musik  veranstaltet.  Sie  bestanden 
in  Vorträgen ,  geistlichen  Lesungen  und  dramatischen ,  oft 
allegorisierenden  Darstellungen.  Die  schönsten  Episoden  aus  der 
Bibel,  z.  B.  Moses,  Esther,  Aaron,  David  usw.  kamen  hier  in  der  Zeit 
von  .\llerhciligen  bis  Palmsonntag  an  allen  Sonn-  und  Festtagen  in 
Natioualkostümen  zur  AuflTihrung.  Die  Musiken,  die  Animuccia 
und  si)äter  Palestrina  lieferten,  bestanden  aus  ein-  und  mehr- 
stimmigen Gesängen  über  biblische  Texte  (1550  und  1570  erschienen 
zwei  Sammlungen  unter  dem  Titel  ,.Laudi  spirituali"  in  Rom;. 
Man  nannte  jene  Erbauungsstunden  nach  ihrem  Abhaltungsorte 
„Oratorien".  Dies  der  Ursprung  jener  so  genannten  Musik- 
gattung, die  im  Grunde  eine  geistliche  Oper  war. 


')  Bei  der  Wiederbelebung  (Neiiausgabe  und  Auftuhrung)  der 
Meisterwerke  mit  Generalbaß  spielt  dessen  stilgerechte  Ausarbeitung 
für  das  Akkompagnement  eine  wichtige  Rolle.  Vgl.  die  „Bearbeitungs- 
fragc"  bei  Bach  und  Händel. 

2)  S.  die  Ausgabe  von  Proske,  ob.  S.  155. 

3)  Vgl.  A.  Schering,  Neue  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Italien.  Ora- 
toriums i.  17.  Jahrb.,  IMG.  VIII,  I,  06;  ferner  die  Geschichten  des 
Oratoriums  von  C.  H.  Bitter,  1872;  F.  M.  Böhme,  2.  Aufl.,  1887; 
0.  Wangemann,  1880. 


IQß  III.  Neuzeit. 


Das  erste  derartige ,  monodisch  gehaltene  Werk  war 
Cavaiieri.  Cavalieris  in  jenem  Oratorio  1600  aufgeführte  „Rappresen- 
tazione  di  anima  e  di  corpo",  eine  Art  Mysterium  oder  Moralität, 
Begriffe  (Seele,  Körper  usw.)  allegorisierend.  Die  weitere  Aus- 
bildung des  Oratoriums  erfolgte  insbesondere  durch  C  a  r  i  s  - 
simi,  Legrenzi  und  namentlich  H.  Schütz.  Vor  allem 
entfiel  bald  die  szenische  Darstellung.  Dafür  erfolgt  die  Ein- 
führung des  „Erzählers"  (historicus)  und  zwar  zuerst  durch 
Carissimi.  Giacomo  Carissimi(in  Rom  ausgebildet,  mit  20  Jahren 
Kapellmeister  zu  Assisi;  von  1628  in  Rom  bis  an  sein  Lebensende, 
1G74,  Kapellmeister  an  der  St.  ApoUinaris- Kirche  des  germanischen 
Kollegs).  Sein  Hauptverdienst  war,  daß  er  den  monodischen  Stil 
vervollkommnete,  zugleich  die  Instrumentalbegleitung  reizvoller 
gestaltend.  Indem  er  insbesondere  das  Rezitativ  mit  ariosem 
Gesang  abwechseln  ließ ,  trug  er  bei  zur  Ausbildung  der 
Kantate.  Er  verstand  seine  Stimmen  mit  großer  Gewandtheit  so 
zu  schreiben,  daß  sie  sehr  leicht  ausfuhrbar  waren.  Lobte  man  das, 
so  pflegte  er  zu  sagen:  „0  wie  schwer  ist  es,  so  leicht  zu  sein."  Von 
seinen  Oratorien  wurden  bis  jetzt  in  den  „Denkmälern  der  Tonkunst" 
die  Oratorien  Salomo,  Belsazar,  Jonas  und  Jephta  in  der  Original- 
gestalt verötfentlicht.  ^)  Carissimi  zählte  zu  seineu  persönlichen  Schülern 
Alessandro  S  c  a  r  1  a  1 1  i,  dessen  melodischen  Stü  er  wesentlich  voi-bereitete, 
J.  K.  Kerll  und  M.  A.  Charpentier  (f  1704  Paris),  der  das  Ora- 
torium vergeblich  auf  französischen  Boden  verpflanzte.  Carissimis  be- 
deutendster Nachfolger  als  Oratorienkomponist  war  der  Neapolitaner 
Alessandro  Stradella  (1681  zu  Genua  aus  Eifersucht  ermordet),  zu- 
gleich ein  berühmter  Sänger  und  Violinist.^) 
Legrenzi.  Giovanni  Legrenzi  f  1690  als  Kapellmeister  von  St.  Marco 

Arie.  zu  Venedig,  gab  namentlich  der  Arie  eine  bestimmtere  lied- 
artige Form,  so  daß  sie  sich  als  Sologesangstück  durch  die 
melodische  Linienführung  wesentlich  von  dem  Rezitativ  unter- 
schied. ^)  Sein  Orchester  in  St.  Marco  vergrößerte  er  auf  8  Violinen, 
11  kleine  Violen,  2  Tenorviolen ,  3  Gamben  und  Kontrabaßviolen, 
4  Theorben,  2  Kornette,  1  Fagott  und  3  Posaunen.  Legrenzis  Be- 
deutung liegt  nicht  nur  in  seinen  dramatischen  Werken,  sondern 


1)  Ein  Verdienst  erwarb  sich  Carl  Riedel  in  Leipzig  it  1888) 
durch  Aufführung  u.  a.  der  , .Jephta"  mit  deutscher  Uebersetzung  v. 
Gugler,  bearbeitet  v.  Im.  Faißt.  Vgl.  H.  Quittard,  „G.  Carissimi  et  le 
XVIIe-  siecle  Italien"  in  den  „Memoires"  (s.  S.  43). 

2)  Vgl.  Flotows  Oper  „Stradella"  und  Hess:  D.  Opern  A.  Stra- 
dellas,  IMG.,  Beihefte,  1907. 

^)  Homophone,  liedartige  Instnimeutalstücke  mit  in  der  Ober- 
stimme geführter  Melodie  nannte  man  Aria  francese  (engl.  Ayres). 


1)  Carl  Riedel  hat  daraus  mit  feinem  Takte  die  wirksamsten 
Teile  ausgewählt  und  zu  einem  Werke  (erschienen  bei  Fritzsch- 
Leipzig)  vereinigt.  Er  erwarb  sich  um  Schütz  ein  ähnliches  Verdienst, 
wie  Mendelssohn  und  Franz  um  Seb.  Bach  und  Händel.  Vgl.  auch 
Riedels  NA.  der  „7  Worte"  (Leipzig,  Fritzsch). 

2)  GA.  [Ph.  Spitta],  Leipzig:  L  Die  evang.  Historien  u,  die  7  Worte, 
n.,  HL  Mehrchör.  Psalmen  mit  Instr.  IV.  Cantiones  sacrae  f.  4  Singstimm, 
u.  Gen. -Baß.  V.  Symphoniae  sacrae  (Ges.-Mus.  mit  Instr.).  VI.  Kl.  geistl. 
Konz.  VII.  Sinf.  sacrae.  VIII.  Geistl.  Ch.-Mus.  IX.  Ital.  Madrigale.  X., 
XI.  Sinf.  sacrae.  XII.  bis  XV.  Gesammelte  Motetten,  Konz.,  Madrigale 
u.  Arien.  XVI.  Psalmen  Davids.  B. :  Ph.  Spitta  in  der  Allg.  deutsch.  Bio- 
graphie und  in  den  „Musikgeschichtl.  Aufsätzen"  Spittas.  Berlin  1894. 
L. :  Friedr.  Spitta,  Die  Passionen  v.  Schütz  u.  ihre  Wiederbelebung,  Jahrb. 
d.  Musikbibl.  Peters  1906.  Andre  Pirro,  Les  formes  de  l'expression  dans 
la  musique  de  Heinrich  Schütz,  in  den  „Memoires"  is.  S.  43). 


t  1672. 


Das  Oratorium.    Carissimi,  Legrenzi,  Schütz.  167 

auch  in  seinen  Instrumentalkompositionen  (Kirchen-  und  Karamer- 
souateni.    Er  war  der  Lehrer  von  Caldara  und  Lotti. 

Als  Vermittler  des  neuen  Stils  in  Deutschland  und  selb- 
ständiger Schöpfer  neuer  Formen  gelangte  zu  hoher  Bedeutung 
Heinrich  Schütz  (nach  der  Sitte  jener  Zeit  Sagittarius  Schutz, 
genannt).  1585  zu  Köstritz  bei  Gera  geboren,  kam  er  als  Singknabe 
in  die  Hof  kapeile  des  Landgrafen  von  Hessen -Kassel  und  bezog 
1607  die  Universität  Marburg,  um  die  Rechte  zu  studieren.  1609 
schickte  ihn  der  Landgraf  nach  Venedig  zu  Johannes  Gabrieli,  1615 
erfolgte  seine  Anstellung  als  Hotkapellmeister  zu  Dresden ,  die  er 
(wenn  auch  infolge  der  Kriegsereignisse  eine  Zeitlaug  in  Kopenhagen 
wirkend)  bis  zu  seinem  1672  erfolgten  Tode  bekleidete.  Er  ver- 
pflanzte zuerst  das  musikalische  Drama  (Oper)  nach  Deutsch- 
land. Von  seiner  „Daphne",  der  ersten  deutschen 
Oper,  hören  wir  noch.  Außer  vielen  Kirchensachen  schrieb 
er:  „Die  sieben  Worte,"  „Vier  Passionen"  ')  und  die  „Auf- 
erstehung". In  diesen  religiösen  Werken  stark  drama- 
tischen Einschlags  finden  wir  nicht  nur  den  Entwicke- 
lungsweg  der  Passion  (ohne  Begleitung,  s.  ob.  S.  141),  auf 
dem  dem  Meister  unmittelbar  der  Italiener  Antonio  Scandell i 
(1568  Hofkapellmeister  zu  Dresden)  voranging,  beträchtlich  in 
die  Höhe  geführt,  sondern  auch  bereits  die  Grundform 
unseres  heutigen  Oratoriums  festgelegt.  Schütz,  der 
größte  deutsche  Meister  des  17.  Jahrhunderts,  ist  (mit  Gesius 
und  Hammer  Schmidt)  der  bedeutendste  Vorläufer  von  Händel 
und  Bach.      Eine  wahrhaft   edle  Künstlergestalt. 

Das   nachfolgende  Beispiel   aus   einer  der   Passionen   Schützens 
zeigt  die  Art  seines  Stils,  die  schon  auf  Job.  Seb.  Bach  hinweist-). 


168 


III.  Neuzeit. 


Die  Jünger. 


Arie. 
Duett. 


Arioso. 


Monte- 
■verde, 
t  1643. 


Canto. 


Alto. 


Tenor. 


Bassus. 


Herr,      bin  ich's  ?  Herr,  bin  ich's  V 


^m-^^^^^^=^ 


bin     ich's? 


bin  ich's? 


Herr, 


bin  ich's?        bin  ich's? 


l  ir5==l^^^l^^^ili3 


HeiT,  bin  ich's?  bin  ich's? 


Bemerkten  wir  namentlicli  zuletzt  eine  mit  dem  Aufblühen 
der  Oper  zusammenhängende  dramatische  Behandlung  des  geist- 
lichen Tonsatzes,  so  blieb  die  Entwickelung  des  monodischen 
Kirchenstils  durch  Viadana,  Banchieri,  Agazzari,  Carissimi  u.  a. 
wiederum  auf  die  Oper  nicht  ohne  Einfluß.  Neue  Formen 
wurden  ihr  zugeführt,  wie  die  Arie  und  das  Duett,  das  uns, 
imitierend  durchgeführt,  schon  in  Viadanas  Kirchenkonzerten 
als  „kirchliches  Duett"  begegnet.  Zwischen  der  zuerst  in 
Kirche  und  „Kammer"  ^)  ausgebildeten  Arie  und  dem  Rezitativ 
steht  vermittelnd  das  Arioso,  ein  melodischer  doch  nicht 
thematisch  gegliederter  Satz. 

Zur  Ausbildung  der  Oper  trug  zunächst  der  berühmte 
Claudio  Monteverdi  (Monteverde),  geb.  zu  Cremona  1567. 
gest.  1643  zu  Venedig  wesentlich  neuschaffend  bei.  Zuerst 
Violinspieler  im  Dienst  der  Herzöge  Gonzaga  zu  Mantua,  war  er  seit 
1613  imter  besonders  auszeichnenden  materiellen  Bedingungen  Kapell- 
meister an  der  Markuskirche   zu   Venedig.      In    seinen    Madrigalen 


^)  Diese  Bezeichnung  für  die  fürstlichen  Hofverwaltungen  wurde 
auf  die  höfische  d.  i.  weltliche  Musikübung  übertragen,  um  sie  mm- 
mehr  als  Kammer-  von  der  Kirchen-  und  Opernmusik  zu  unterscheiden. 
Heute  bezeichnet ,, Kammermusik"  nurraehr  den  Gegensatz  von  Orchester- 
und  Chormusik.  Vgl.  auch  Koch,  Musikal.  Lexikon,  bearb.  v.  Domraer. 
S.  467 :  „Dem  ursprünglichen  Wortsinn  nach  ist  die  Kammermusik 
eine  an  Höfen  und  Palästen  der  Großen,  u.  zw.  in  Sälen  und  Zimmern 
veranstaltete  Privatmusik,  zu  der  ohne  besondere  Erlaubnis  niemand 
Zutritt  hatte;  in  älteren  Zeiten  gehörte  neben  den  Stücken  für  Solo- 
instrumente auch  die  vollbesetzte  Orchestermusik  in  die  Kammer." 


Die  Ausbildung  der  Oper  in  Italien. 


169 


und  Opern    strebte    er    nach    scharfem    Ausdruck    der   Gefühle. 
Zur    Darstellung    starker    Leidenschaften,    hierin    von    keinem 


Heinrich  Schütz. 


Vorgänger   und  Mitlebenden   überflügelt,    benutzte   er  frei  ein- 
geführte Dissonanzen  und  verwandte    sie    zu   kühnen  Ton- 


170  J^I-  Neuzeit. 

Verbindungen  die  unserer  heutigen  Harmonik  nahestehen.  Sein 
Orchester.  Orchester,  bereits  weit  stärker  als  das  von  Peri,  benutzte  er 
nicht  bloß  als  reine  Begleitung,  d.  h.  als  Verdoppelung  der 
arioser  geführten  Gesangstimmen ;  er  bahnte  schon  dessen  Selbst- 
ständigkeit an,  als  Erster  bereits  die  Individualität  der  einzelnen 
Instrumentenstimmen  beobachtend.  So  schrieb  er  zu  seinem  „Orfeo" 
(1607,  gedruckt  1609)  ^)  statt  des  bei  Peri  gesungenen  Prologs  eine 
Instrumental-Einleitung  (Toccata)  von  9  Takten,  die  dreimal 
wiederholt  wurde,  streute  Tänze  ein,  ließ  den  Gesangstückeu  kurze 
Syrapho-  Instrumcntalsätze ,  „Symphonien"  (s.  ob.  S.  140  f.),  vora^igehen  und 
nien.  Ritornelle  folgen.  Hier  ist  der  Stil  jedoch  noch  immer  Nachahmung 
des  Gesanges.  Der  Klagegesang  der  Ariadne  (Lamento  d'Arianua) 
aus  der  1608  aufgeführton  ,,Arianna"  diente  fast  durch  ein  Jahrhundert 
für  Gesänge  ähnlichen  Ausdruckes  als  Muster.  1624  wagt  Monte- 
verdi  einen  weiteren  Schritt :  er  komponiert  aus  Tassos  be- 
freitem Jerusalem  die  Szene,  die  vom  Kampfe  des  Tankred 
mit  Chlorinda  handelt,  und  verteilt  die  Gesangspartie  unter 
drei  Personen,  die  beiden  Kämpfenden  und  einen  Erzähler.  Das 
Kampfbild  selbst  sucht  er  durch  4  Geigen  inst  r  um  ente  zu 
zeichnen,  die  hier  zum  erstenmal  in  dieser  eigentümlichen  Weise 
gebraucht  werden,  um  das  Heraussprengen  der  Rosse,  die  Schwert- 
hiebe, das  Rasseln  der  Helme,  das  Ringen  und  endliche  Er- 
müden der  Kämpfenden,  den  Tod  der  Unterliegenden  usw.  zu 
schildern.  Das  Neue  und  Ueberraschende  dieses  wohl  überhaupt 
ersten  Tongemäldes  machte  natürlich  Sensation.  In  dieser 
Komposition  wird  auch  zum  erstenmal  das  Geigentremolo 
angewendet  (Beilage  Nr.  21).  Monteverdi  wurde  so  der  Schöpfer 
des  neuzeitlichen  Orchesters  überhaupt,  wie  dann  später  im  be- 
sonderen Joseph  Haydn  Schöpfer  des  klassischen  Symphonie- Orchesters. 
Monteverdis  Orchester  v/eist  bereits  einen  Reichtum  an  Saiten- 
und  Blasinstrumenten  auf,  der  an  Fülle  und  eigenartigem  Wohlklang 
kaum  etwas  zu  wünschen  übrig  läßt:  Violen  und  Geigen,  Lauten, 
Gitarren  und  Theorben,  Harfen,  mehrere  Klaviere,  zwei  Positive, 
ein  Regal,  Flautino  (Flageolet),  Clarino  (Diskanttrompete),  drei  ge- 
dämpfte Trompeten,  zwei  Kornetti  (Zinken),  4  Posaunen.  Bezeich- 
nenderweise wird  der  Saitenchor,  gegenüber  den  Singstimme  und 
Text  zu  sehr  deckenden  Bläsern,  bevorzugt. 

In  den  Reigen  der  Instrumente  aber  tritt  seit  Peri  (s.  ob. 
S.  163)  immer  selbstbewußter  und  siegreicher  die  aus  der  Familie 

viiiiinc.     der  Violen  hervorgegangene  Violine.    Schon  blühte  die  italienische 
Geigenbaukunst,  der  ein  Wälschtiroler  die  Bahn  gebrochen:  Kaspar 

Tierteii-     T  i  e  f  f  e  u  b  r  u  c  k  e  r ,  in  Italien  G  a  s  p  a r  o  D  u  i  f  f  o  p  r  u  g g  a  r  genannt. 

1)  NA.  1881  [Eitner],  Publikat.  d.  Gesellsch.  f.  Mns.  Forsch.  10.  Bd. 


Monteverde.  171 


Er  war  um  1514  iu  Freisiug  geboren,  ließ  sich  zuerst  in  Bologna 
nieder,  zog  gegen  1553  nach  Lyon,  wo  er  als  berühmter  Meister  im 
Bau  von  Lauten,  Violen  und  Bässen  1570  starb  ^). 

Die  scliwach  und  dumpf  klingenden  Violen  werden  nun 
allmählich  durch  die  glänzenden  Eigenschaften  der  Violinen  ver- 
drängt, der  Bedarf  war  ein  großer  und  der  Geigenbau  gelangte 
zu  hoher  Blüte. 

In  den  Tagen  Monteverdis  war,  von  seinem  Geburtsort  aus,  der 
Ruhm  der  ersten  Cremoneser  Meisterschule  tur  Geigenbau  in  alle  Welt 
gedrungen,  die  Familie  Amati  begann  tum  1590)  bereits  der  Violine      Amati. 
ihre  höchste  VoUkommeuheit  und  bestrickenden  Klaugzauber  zu  geben 
(8.  S.  92  und  des  weiteren  Kap.  VIL. 

Wenn  Monteverde  aus  dem  Banne  der  Kirchentöne,  deren  strenge 
Diatonik  mit  einer  mehr  chromatischen  vertauschend,  vielfach  heraus 
in  den  Kreis  der  modernen  Tonarten  tritt,  so  überrascht  uns  das  nicht 
mehr,  die  wir  an  der  Hand  neuester  Forschung  das  Wirken  und 
Nach  wirken  der  Engländer  bis  auf  unseren  deutschen  Altmeister  ver- 
folgten. Auch  hatten  ja  diesem  Zug  der  Zeit  in  Italien  selbst  schon 
Vicentino,  Cyprian  de  Köre  und  besonders  Fürst  Gesualdo 
von  Venosa  energisch  vorgearbeitet.  Als  diese  auf  dem  Wege  der 
Altertumsforschung  dazu  kamen,  die  Chromatik  und  Euharmonik  der 
Griechen  neu  aufleben  lassen  zu  wollen,  dachten  auch  sie  an  ein  Be- 
freien der  Musik  aus  den  Fesseln  des  entarteten  Kontrapunktes  und 
legten  so  mit  die  Wurzel  zum  monodischen  Stil.  Trotz  seiner  Vor- 
läufer wurde  gerade  Monteverdi,  der  seine  Bahnen  mit  seltener  Kühn- 
heit weiter  verfolgte,  als  „revolutionärer  Neuerer'  von  den  Anhängern 
des  Alten  in  der  Musik  scharf  bekämpft,  besonders  von  dem  Kanonikus 
G.  M.  Artusi  in  Bologna  (f  1H13)  in  einer  Aufsehen  enegenden 
Schrift:  „L'Artusi,  ovvero  delle  imperfettioni  della  moderna  musica" 
(1600-03,  2  Teile).  Monteverdi'-)  entfaltete  seine  Haupttätig- 
keit in  Venedig,  wo  1637  das  erste  Operntheater  eröffnet 
worden  war,  und  schrieb  daselbst  auch  noch  vier  Opern.  Er 
kann  so  der  Begründer  der  zweiten  venezianischen  Schule  venetiani- 
genannt  werden  und  deren  Richtung :  der  ersten  wirklich  drania-  oper. 
tisch- effektvollen  Oper.  (Die  erste  venezianische  Schule  be- 
zieht sich  auf  die  Begründung  des  kontrapunktischen  Doppel- 
chores in  der  Kirchenmusik  durch  WiUaert.     Vgl.   S.    120.) 

Monteverdis  wichtigste  Nachfolger  als  auf  echt  dramatischen 
Effekt  ausgehende  Opernkomponisten  sind:  der  hochangesehene  Fran- 
cesco Cavalli,   f  167G,   die   einzelnen  Gesangsnummern  der  Oper     cavaiu. 

*)  Vgl.  Henry  Coutagne  „Gaspard  Duiffoproucart  et  les  luthiers 
Ivonnais  du  XVIe  siecle".    Paris  1893. 

2)  Ygi  E.  Vogels  Monographie,  Viertel.)  ahrsschr.  f.  M.  W.  1899, 
und  Hugo  Goldschmidt,  Studien  zur  Geschichte  der  italienischen  Oper 
im  17.  Jahrhundert.  11.  Band.  Leipzig  1904.  Enthaltend  die  Partitur 
der  bedeutendsten  Oper  Monteverdis :  Incoronazione  di  Poppea. 


172 


III.  Neuzeit. 


Cesti. 


Keapol. 
Schule. 


Bei  canto. 


Scaiiatti, 
t  1725. 


Seeco. 


Aeciim- 
pagiiiito. 


Sinfonia. 

Da  eapo- 
Arie. 


Monteverdi  gegenüber  räumlich  erweiternd  und  wärmer  beseelend, 
ohne  aber  diesen  an  Kühnheit  zu  erreichen;  dann  Marc  Antonio 
Cesti  (spr.  tschesti,  f  1669,  die  letzten  3  Jahre  Vizekapellmeister 
Kaiser  Leopolds  in  Wien),  der  Schöpfer  der  ersten  in  Wien  aufge- 
führten italienischen  Opern.  Das  erfolgreichste  dieser  Werke,  in  denen 
Cesti  Carissimis  Kantatenstil  auf  die  Bühne  übertrug,  war  das  166G 
zur  Vermählung  des  Kaisers  geschriebene,  verschwenderisch  inszenierte 
Bühnenfestspiel  II  pomo  d'oro  (Prolog  und  5  Akte).i) 

In  dieser,  noch  mehr  aber  in  der  nun  folgenden  Epoche 
der  durch  Alessandro  Scarlatti  begründeten  neapoli- 
tanischen Schule  vollzieht  sich  ein  völliger  Umschwung 
gegenüber  dem  Florentiner  Opernideal :  Chöre  und  dramatisches 
Element  verschwinden  immer  mehr  vor  den  melodischen  Zaubern 
des  Solos,  der  Arie.  Die  Zeit  des  bei  canto  (vgl.  S.  163)  bricht  an 
—  um  dann  wieder  den  Tagen  der  Reaktion  (Lully,  Gluck),  der  Reform 
Platz  zu  machen.  Das  musikalische  Drama  bietet  uns  fortab  immer 
wieder  das  Schauspiel  solcher  Wellenbewegung. 

Scarlatti  (1659  zu  Trapani  [Sizilien]  geboren,  f  1725  zu  Neapel, 
Schüler  Carissimis)  schrieb  eine  große  Zahl  Motetten,  Psalmen 
und  geistliche  Konzerte,  200  Messen,  7  Oratorien,  1  Passion, 
106  Opern  und  etwa  500  Kantaten,  außerdem  Tokkaten  für 
Orgel  oder  Klavier  usw.  Seine  Produktivität  grenzt  an  das 
Unglaubliche.  Während  er  sich  in  der  Kirchenkomposition 
mehr  der  römischen  Schule,  also  dem  „erhabenen  Stile"  an- 
schloß, bahnte  er  in  den  weltlichen  Stücken  den  (ob  seines  melo- 
dischen Reizes  so  genannten)  „schönen  Stil"  an,  der  sich 
dann  unter  Haydn,  Mozart  und  Beethoven  so  herrlich  entfalten 
sollte.  In  seiner  für  Rom  geschriebenen  Oper  „Teodora" 
hat  Scarlatti  zuerst  das  Da  capo  der  „großen  Arie"  (also 
deren  Dreiteiligkeit)  eingeführt  und  das  „Secco"  (d.  i.  das 
„trockene"  ,  bloß  mit  Generalbaß  die  Stimmen  harmonisch 
stützende  Rezitativ)  durch  das  „Accompagnato"  (d.  i.  das 
reicher  musikalisch  begleitende,  durchkomponierte  Rezitativ) 
ersetzt.  (Beide  Arten  erhielten  sich  bis  in  die  Gegenwart.)  Er  war 
auch  der  erste,  der  der  Oper  eine  „Sinfonia"  für  Orchester, 
diesem  größere  Selbständigkeit  gebend,  vorangehen  ließ.  Die 
bedeutsame,  feststehende  Kunstform  der  Da  capo-Arie  besteht  aus 
zwei  mit  einander  kontrastierenden  Hauptteilen :  der  erste  lebhaft,  mit 
reichlicher  Textwiederholung,  dem  Sänger  Gelegenheit  zur  Entfaltung 
der  Kehlfertigkeit  bietend ;   der  zweite  ruhiger,  mehr  harmonisch  und 

1)  NA.  [G.  Adler]  DM.  i.  Oest.,  III,  2  und  IV,  2,  mit  interessanten 
Szenenbildern.  Vgl.  H.  Kretzschmar:  Die  venetian.  Oper  u.  d.  Werke 
Cavallis  u.  Cestis,  Viertel jahrsschr.  f.  M.  W.  1892. 


Alessandro  Scarlatti.  173 


kontrapunktierend  gehalten:  der  dritte  Teil  ist  das  Da  capo,  die  ver- 
zierte Wiederholung  des  ersten.    Dem  Ganzen  geht,  die  Hauptmelodie 
enthaltend,  ein  Instrumental-Ritornell  voran.     Die  große  Arie 
entwickelt   sich   später,   unter  den  wachsenden  Anforderungen  an  die 
Sängervirtuosität,    zum    Hauptraoment    der    italienischen    Oper,    zur 
Koloratur- (Bravour) Arie.')    Die  Form  der  italienischen  Sinfo-  Koioratur- 
nia  war  dreiteilig;   der  Anfangs-   und  Schlußsatz  lebhaft,   der  Mittel-       ""^* 
satz  langsam.     Sie  ist   das  Urbild   unserer  Sonate   und  Sym- 
phonie.   Ihr  Gegenbild  war  die  ausdrucksvollere  und  gediegener  ge- 
arbeitete   französische    Ouvertüre  Lullys    (s.    dort):    zwischen  Ouvertüre, 
zwei  langsamen  Sätzen  ein  fugiertes  Allegro. 

„Alessandro  Scarlatti  war  unstreitig  einer  der  größten 
Meister  aller  Zeiten;  gleich  groß  in  den  Künsten  des  höheren 
Kontrapunktes  wie  in  der  dramatischen  Rezitation,  in  Erfindung 
von  Melodien  des  edelsten  und  großartigsten,  zugleich  treffendsten 
Ausdruckes  und  einer  freien ,  immer  sinnigen  Begleitung  von 
Instrumenten.  In  jeder  dieser  Gattungen  Reformator ,  kann  man 
von  ihm  sagen,  daß  er  sein  Zeitalter  um  ein  Jahrhundert  über- 
flügelt hat."      (Kiesewetter.) 

Die    Bestrebungen    des    Meisters    setzten    dessen    Schüler 
Francesco  Durante    (f   1755),    Leonardo  Leo    (f   1744)    und 
Niccolö  Logroscino  (1700  — 1763)  in  hervorragender  Weise 
fort.     Eine  Ausnahmestellung  nimmt  Durante  ein,  insofern  er  nicht    Durante. 
wie   die  übrigen  hier  genannten  Neapolitaner  für  die  Bühne,   sondern 
fast   nur  Kirchenwerke   schrieb,   die   neapolitanische  Melodiosität  mit 
der  gediegenen  Kontrapunktik   der  römischen  Schule  vereinen.     Sein 
4  stimmiges  Magnificat  heben  wir  hervor.-)    Eine  Perle  vielstimmigen 
a  capella-Stils   ist   das   8 stimmige  Miserere  Leos^i,   eines  der  Mitbe-        Leo. 
gründer   und    hervorragendsten    Lehrer    der    neapolitanischen    Schule, 
des  Schöpfers  zahlreicher  Opern-,  Kirchen-  und  Instrumentalwerke  (er 
verschied  plötzlich  am  Klavier).      Logroscino    schuf  als  Erster  Logroscino. 
die  Opera  buffa(buffo,  Italien.,  ^  komisch),  indem  er  Inter-      Opera 
medien  (Intermezzi ,  s.  ob.  S.  141)  zwischen  die  einzelnen  Akte      i'"*''*- 


^)  Das  Undramatische  der  großen  sich  bis  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts haltenden  Arie  einsehend,  gab  man  das  Da  capo  auf  und 
führt  bis  heute  die  Arie  textgerecht,  in  freieren  Formen  (lied-  oder 
ritornellartig),  doch  thematisch  durch.  Das  Ereifern  gegen  das  bei 
canto-Prinzip  verführt  indessen  zu  einer  heute  allgemeinen  Unterschätzung 
der  von  den  Neapolitanern  und  den  italienisch  schreibenden  Meistern 
geschaffenen  Arien  und  Solokantaten  —  unbedingt  eigenartigen 
Formen  tonkünstlerischer  Schilderung  des  Seelenlebens! 

2)  NA.  [Hob.  Franz]  Leipzig,  Leuckart. 

^1  Veröffentlicht  b.  Commer,  Musica  sacra,  8;  separat  b.  Schlesinger- 
Berlin.  Vgl.  Francesco  Piovano,  A  propos  d'une  recente  biographie 
de  Leonard  Leo.     IMG.  VIII,  1,  06. 


174 


III.  Neuzeit. 


Finale 


Intermezzi,  einer  ernsten  Oper  (o  p  e  r  a  s  e  r  i  a)  einschob  :  parodistisch  und 
im  neapolitanischen  Dialekt  gehaltene  Stücke,  die  man  später 
selbständig  aufführte ;  sie  enthalten  zuerst  das  sog.  Finale 
in  Form  eines  ausgeführten  Ensembles  zum  Abschluß  der  Akte. 

Durch  sein  1733  zuerst  aufgeführtes,  veredeltes  Intermezzo 
„La  serva  padrona",  das  ungeheueres  Aufsehen  erregte,  wurde 
Pergoiesi.  Giovanni  Pergolese  (f  1736  im  Alter  von  26  Jahren)  zum 
Mitbegründer  der  italienischen  Opera  buffa,  an  die 
später  die  französische  anknüpfte,  i)  Fergolesis  letztes  und  be- 
rühmtestes Werk  ist  das  ,.Stabat  mater",  ein  kirchliches 
Duett  für  zwei  Frauenstimmen  und  Streichquartett. 

Ein  interessanter  Mitschüler  Pergolesis  am  Konservatorio  dei 
poveri  zu  Neapel^)  unter  Durante,  Feo  und  Greco  (hier  im  Lehramt 
Vinci.  Nachfolger  Scarlattis)  war  Leonardo  Vinci  (f  1732,  nicht  zu  ver- 
wechseln mit  dem  berühmten  Maler-Musiker  (S.  134,  Anm.  2),  erfolg- 
reich als  Opern-  und  Kirchenkomponist. 

Zu  den  Neapolitanern ,  deren  Stil  nun  wie  früher  der 
niederländische  die  musikalische  Welt  beherrschte,  zählen  neben 
den  Genannten  noch  Nicola  Porpora  (f  1766),  Emanuele 
d'Astorga  (f  1736),  Francesco  F  e  o  (f  1752),  Nicola  Jo- 
melli  (t  1774),  Antonio  Sacchini  (j  1786)  und  Nicola 
Astoiga.  Piccini  (Piccinni  [spr.  pittsch-],  1728 — 1800).  Unter  Astorgas 
anmutigen,  ebenso  warm  empfundenen  als  selbständig  erfundenen 
Werken  ragt  ein  4 stimmiges  Stabat  mater  mit  Instrumentalbe- 
gleitung hervor.^)  Der  Komponist  verbrachte  die  letzte  Zeit  eines 
romantisch-bewegten  Lebens*)  in  einem  Prager  Kloster  und  starb  auf 
.Jomel  1.  ßinem  Schlosse  des  Fürsten  Lobkowitz  in  Böhmen.  Jomelli  war,  eine 
Zeit  lang  Hofkapellmeister  in  Stuttgart,  mit  deutscher  Musik  vertraut  ge- 
worden, die  die  seine  vertiefte;  von  ihm  stammt  ein  berühmtes  Miserere 
für  2  Soprane  und  Orchester.  Seine  letzten  Opern  waren  ,. Armida" 
(1770)  und  Ifigeuia  in  Aulide  (1773)  —  Sterne,  von  den  lichteren 
Sacchini.  Glucks  verdunkelt/')  Sacchini  [spr.  sakkinij,  ein  Schüler  Durantes, 
reicht   mit   seinen   Opern   (die   bedeutendste   „Oedipus   auf  Kolonos" 

1)  Anstelle  des  Intermezzo  im  Drama  tritt  später  das  Ballet- 
divertissement.  Heute  bestehen  Intermezzi  nur  in  Form  eingelegter 
Ballete,  Zwischenaktsmusiken  (ev.  bei  offener  Szene,  Mascagni  „Caval- 
leria").  Ohne  Rücksicht  auf  den  Sinn  des  Wortes  benennen  Schumann, 
Heller,  Brahms  u.  a.  einzelne  Klavierstücke  ,, Intermezzo''. 

2)  Eine  der  ältesten  der  vier  im  IG.  Jahrhundert  in  Neapel  zu- 
erst gegründeten  größeren  Musikschulen.  Conservatorio  bedeutet  „eine 
Bewahranstalt",  Waisenbaus,  wo  die  begabten  Zöglinge  Musikunterricht 
genossen.  In  Venedig  hießen  die  ältesten  Musikschulen  Ospidale  (Hospital). 

^)  NA.  [Rob.  Franz]  Leuckart-Leipzig. 

*)  Vgl.  J.  J.  Aberts  Oper  „Astorga". 

^)  NA.  von  „Fetonte",  Dramma  per  musica  [Dr.  H.  Abert]  1908. 


Die  Oper  in  Deutschland.  175 


1786),  Kirchen-  und  Kammerwerken  schon  nahe  an  die  Klassiker  heran. i) 
Piccini,  der  berühmte  Rivale  Glucks,  erweiterte  das  Finale  piccini 
zu  einem  aus  mehreren  Szenen  bestehenden  Ganzen  und  be- 
reicherte auch  die  Form  des  Duetts.  Sein  erfolgreichstes  Werk 
war  die  in  drei  Wochen  geschriebene,  1760  in  Rom,  dann  in  ganz 
Europa  aufgeführte  komische  Oper  ,,La  Cecchina".^) 

Unter  den  Textdichtern  jener  Zeit  war  M e t a s t a s i o  (*  Rom 
1698,  t  Wien  1782)  der  berühmteste  und  fruchtbarste.  An  seine  zahl- 
reichen, mehrfach  komponierten  Werke  ^)  knüpfen  sich  die  bedeutendsten 
Namen  der  damaligen  Opernproduktion  ItaUens  und  Deutschlands. 


Auf  seinem  Siegeszuge  kam  das  musikalische  Drama  zuerst 
nach  Deutschland.  Dort  wurde  die  erste  Oper  durch  Heinrich 
Schütz  eingeführt.  Es  war  die  von  Martin  Opitz  nach  Rinuccini  schiuz. 
übersetzte  und  von  Schütz  komponierte  „Daphne",  KJ27  auf 
SchloU  Hai-tenfels  bei  Torgau  zur  VeiTnählung  der  Prinzessin  Sophie 
von  Sachsen  mit  Georg  II.  von  Hessen-Darmstadt  aufgeführt.  Nur 
der  Te.xt  ist  erhalten.*) 

Die  älteste  erhaltene  deutsche  Oper  ist  „Seelewig",  von  dem 
Stadtpfeifer  imd  Organisten  der  Lorenzkirche  zu  Nürnberg  Sigmund 
Staden  (.IGÜö — 1655,  sein  Vater  Johann,  f  1634,  war  neben  Prätorius,  staden. 
Schütz,  Schein  u.a.  einer  der  Vorkämi)fer  des  stile  nuovo  "^  \  1644  in 
der  Sammlung  der  Harsdörfferschen  ,, Gesprächsspiele"  herausgegeben.^) 
Das  „Seelewig"-Orchester  ist  besetzt  mit:  3  Geigen.  3  Flöten,  3  Schal- 
meyen  und  1  grobem  Hörn,  wäbrend  den  „Grund"  (continuo)  „eine 
Theorba  durch-  und  durchführet".  Vgl.  Straussens  „Salome"-()rchester! ! 

Die  in  Deut.schland,  namentlich  zu  Wien,  Berlin,  Dresden 
und  München  gegebenen  Opern  jener  Zeit  waren  sämtlich 
italienisch").  Am  Wiener  Hofe  wurde  die  neue  wälsche  Kunst  schon  Hofopi-r  in 
seit  1660  —  siehe  Cesti  —  unter  Leopold  I.,  dem  deutschen  Kaiser  Wien. 
(1658—1705),  gar  eifrig  gepflegt.  Der  Kaiser  selbst  komponierte 
fleißig  Kirchensachen,  Arien  und  andere  Opemstücke''),  hierin  mit 
seinem  Vorgänger  Ferdinand  III.  (1637— 1657j  wetteifernd,  der  der 
italienischen  Oper  in  Wien  die  erste  Heimat  geschaffen  hatte. ^) 

')  Vgl.  den  hochinteressanten  Aufsatz  ,,Ueber  einen  Ausspruch 
Sacchinis  u.  üb.  d.  sog.  Effekt  i.  d.  Musik"  (auch  heute  aktuell!)  von 
E.  T.  A.  Hoffmann,  Musikal.  Schriften  [H.  vom  Ende],  Köln  1890. 

-)  Neuausgaben  von  Peri,  Caccini  u.  a. :  ,, Denkmäler  Italien.  Ton- 
kunst" (d.  wichtigst,  italien.  Musikwerke  des  14.-18.  Jahrb.)  [L.  Torchi]. 

3)  GA.  Padua,  1810—12,  17  Bde. 

■•)  Vgl.  0.  Taubert :  ,Daphne',  das  erste  deutsche  Operntextbuch.  1878. 

^)  NA.  [Sandberger] :  DM.  i.  Bay.  VIII,  1,  1908. 

^)  NA,:  Monatshefte  für  Musikgeschichte  XIII. 

')  Vgl.  E.  0.  Lindner,  „Zur  Tonkunst".    Berlin  1864,  Guttentag. 

**)  Eine  Auswahl  der  musikalischen  Werke  dieser  beiden  Kaiser 
sowie  Josefs  I.  edierte  G.  Adler  1892 — 93,  eine  solche  Leopolds  I. 
Dr.  Max  Dietz  (*  1857  Wien,  dort  Univ.Privatdoz.  f.  Mus.  Wissensch.). 


176  11^-  Neuzeit. 

Der  30jährige  Krieg  (1618 — 48)  hatte  die  deutsche 
Tonkunst  einigermaßen  lahm  gelegt.  Die  Sirenenklänge  der 
italienischen  Oper  schlugen  um  so  leichter  alles  in  ihren  Bann ; 
sie  nachzuahmen  sahen  sich  nun  selbst  die  talentvollsten  deutschen 
Tonkünstler  gezwungen,  wollten  sie  überhaupt  beachtet  werden. 
Namentlich  die  sächsischen  Meister  machten  da  ihr  Glück.  Die 
namhaftesten  deutschen  Komponisten  italienischer  Opern  sind 
der  Oesterreicher  Fux,  der  Hamburger  Hasse,  die  Sachsen 
Graun  und  Naumann. 
*""x.  Johann  Joseph  Fux  (aus  Steiermark,  durch  40  Jahre  Kapeli- 

meister  zu  Wien,  f  1741)  ist  berühmt  durch  sein  mehrfach  übersetztes 
Werk  ,,Gradus  ad  Parnassum",  worin  er  den  älteren  Kontrapunkt 
lehrt.i)  Er  schuf  außerdem  Oratorien,  zahlreiche  andere  kirchliche  Werke 
und  18  Opern.  Als  ausgezeichneter  Kirchenkomponist  fseiue  Missa 
cauonica  ist  ein  kontrapunktisches  Prunkstück)  wird  er  auch  der 
,, österreichische"   oder   ,, steierische  Palestrina"  genannt.^)     Der  hoch- 

Hasse.  gefeierte  Johann  Adolph  Hasse  (f  1783,  Schüler  A.  Scarlattis, 
Hofkapellmeister  zu  Dresden)  schrieb  über  70  glänzende  Opern  im 
neapolitanischen  Stile,  die  Uauptpartien  für  seine  Frau,  die  berühmte 
Primadonna^)  Faustina,  geborene  Bordoni  (f  1781).  Hasses 
Oratorium  La  conyersione  di  S.  Agostino  ist  nach  Schering  (s.  unt. 
Anra.)  der  Typus  des  italienischen  Oratoriums  des  18.  Jahrhunderts, 
ein  Gegenstück  zu  j  enem  H  ä  n  d  e  1  s.  Eines  seiner  schönsten  Werke 
ist  ein  Miserere   für  4  Frauenstimmen  und  Streichorchester.  *)     Carl 

Graun.  Heinrich  Graun  (f  1759  als  Kapellmeister  zu  Berlin  unter  Fried- 
rich d.  Gr.)  verfaßte  neben  vielen  Opern  das  heute  noch  aufgeführte 
Passions-Oratorium  ,,Der  Tod  Jesu".  Hasse  und  Graun  wurden  von 
ihren  Zeitgenossen  höher  geschätzt  als  Sebastian  Bach  und  Händel 
und  beherrschten  eine  Zeit  lang  mit  ihren  Opern  allein  die  Berliner 
Oper.  Das  Meisterwerk  von  Johann  Gottlieb  Naumann  (f  1801 
als  Oberkapellmeister  in  Dresden)  ist  die  Komposition  des  ,, Vater 
Unser"  von  Klopstock.^) 


^)  Als  neue  Bearbeitung  desselben  ist  H.  Bellermanns  „Kontra- 
punkt" (Berlin  18G2)  anzusehen.  Unter  dem  Titel  „Gradus  a.  P." 
begegnen  uns  später  noch  instruktive  Klavierwerke  (Clementi,  Krause). 

2)  B.  nebst  themat.  Werkeverzeichnis  von  L.  v.  Köchel,  1872. 
NA.  Kirchen-  u.  Instruraeutalwerke  [Habert,  Bäuerle,  Gloßner  u.  G. 
Adler]:  DM.  i.  Oesterr."  I  1,  H  1,  IX  2.     S.  auch  ob.  S.  163  Anm.  2. 

^)  Prima  donna,  prirao  uomo,  noch  heute  übliche  italienische  Be- 
zeichnung (,, erste  Dame",  „erster  Mann")  für  die  jeweils  ersten  Solisten 
eines  Opernnnternehmens,  denen  seit  der  Zeit  des  bei  cantn  die 
schönsten  und  schwierigsten  Stücke  der  italieu.  Oper  sozusagen  auf 
den  Leib  geschrieben  wurden. 

*)  NA.:  „Musik  am  sächs.  Hofe"  [0.  Schmid]  u.  „Denkm.  deutsch. 
Tonk."  [Schering] 

^)  Neuausgaben  b.  Breitkopf  &  Härtel. 


Die  Oper  in  Deutschland.  177 

Jenen  italienischen  Hofopern  in  Deutschland  gegenüber 
.war  es  Hamburg  vorbehalten,  eine  Heimstätte  der  deutschen  Hamburg. 
Originaloper  zu  werden,  und  zwar  von  1678  ab  während 
eines  Zeitraumes  von  60  Jahren.  Die  Eröönung  derselben  ge- 
schah mit  dem  Singspiel  „Adam  und  Eva"  von  Job.  T heile  (f  1724). 
Hier  war  es  namentlich  Reinhard  Keiser  (|  1739),  dessen  Keiser. 
naturwüchsiges,  fruchtbares  Talent  der  Oper  zu  großem  Glänze 
verhalf.  „Was  er  setzte,"  urteilt  Mattheson,  „das  sang  alles  auf  das 
anmutigste,  gleichsam  von  sich  selbst  und  fiel  so  melodisch,  reich  und 
leicht  ins  Gehör,  daß  man's  eher  lieben  als  rühmen  mochte."  Dem 
Hamburger  Theater-Unternehmen  gebrach  es  aber  an  sittlichem 
Ernst,  und  darum  kam  es  nach  kurzer  Blüte  in  Rückgang. 
Keiser  komponierte  die  in  Italien  üblichen  mjtliologischen  Stoffe; 
auch  populäre  der  Zeit  (zum  Teil  sehr  zotig),  z.  B.  die  „Leipziger 
Messe",  der  „Hamburger  Jahrmarkt",  die  ,, Hamburger  Schlachtzeit". 
Im  Jahre  17(KI  errichtete  er  Winterkonzerte  mit  einem  ausgezeich- 
neten Orchester  und  berühmten  Sängern,  wobei  neben  den  geistigen 
auch  liir  leibliche  Genüsse  durch  luxuriöse  Abendessen  gesorgt  war. 
Neben  Keiser,  der  für  Hamburg  116  Opern  schrieb,  wirkten 
noch  als  Komponisten  Mattheson,  Tele  mann  und  Georg 
Friedrich   Händel   (siehe  S.  194). i) 

.Johann  Mattheson,  aus  Hamburg,  f  daselbst  1764,  studierte  MiUtheson. 
die  Rechte,  sprach  fertig  italienisch,  französisch  und  englisch,  lernte 
das  Singen  und  fast  alle  Orchesterinstruniente  spielen.  1697  trat  er 
als  Tenorist  in  Keisers  Oper  zu  Hamburg  ein,  für  die  er  dann  auch 
komponierte.  17U.Ö  Erzieher  beim  englischen  Gesandten,  1706  Lega- 
tionssekretär, später  interimistischer  Resident,  wurde  er  1715  Musik- 
direktor und  Kanonikus  am  Hamburger  Dom,  mußte  aber  wegen  ein- 
tretender Taul)heit  das  Direktorat  abgeben.  Er  schrieb  Opern,  Ora- 
torien und  Kantaten,  eine  Passion  u.  a.,  namentlich  aber  theoretische 
Werke  (darunter  „Der  vollkommene  Kapellmeister"  und  ,, Musikalische 
Ehrenpforte"),  die  zur  Erforschung  der  Zeitgeschichte  von  großem 
Werte  sind.  M.,  ein  eitler,  leicht  verletzbarer  Mann,  hätte  in  einem 
Duell  mit  (t.  F.  Händel  diesen  beinahe  ums  Leben  gebracht ')  —  Georg 
Philipp  Telemann,  ein  Magdeburger  (f  1767  zu  Hamburg:,  kompo-  Telemann. 
nierte  mehr  handwerks-,  beinahe  fabriksmäßig  eine  so  erstaunlich  große 
Menge  Musik  jeglicher  Gattung,  daß  er  selbst  sich  später  nicht  mehr 
an  alles,  was  er  geschrieben,  erinnern  konnte.    Ein  Zeitgenosse  Bachs, 

1)  Vgl.  Lindner:  Die  erste  stehende  deutsche  Oper,  1855;  Leichten- 
tritt: R.  Keiser  in  seinen  Opern,  1901.  Lederer  (,, Keltische  Renaissance", 
24,  und  „.Maifestspiele  i.  alt.  Bardenlaud"  Neue  Mus.  Ztg.  Nr.  18,  1906) 
weist  auf  die  „notorische  Tatsache,  daß  der  Ursprung  insbesondere 
des  deutschen  Theaters  auf  herumziehende  englische  Komö- 
diant e  n  t  r  u  p  p  e  n   zurückgeht". 

')  Vgl.  ,,Joh.  Mattheson,  ein  Förderer  der  deutschen  Tonkunst 
im  Lichte  seiner  Werke".     Von  Dr.  H.  Schmidt.     Leipzig,  1898. 

Kothe-ProchÄzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.      12 


178 


III.  Neuzeit. 


war  er  bei  Lebzeiten  gefeierter  und  bekannter  als  dieser.^)  Er  war 
der  Schwiegersohn  Daniel  E  b  e  r  1  i  n  s ,  eines  trefflichen  Geigers  und 
Kontrapunktisten  (f  1692). 

Im  Anschlüsse  an  diese  Bewegung  erscheint  nicht  zuletzt 

Hiller.  Johann  Adam  Hiller  (geb.  1728  in  der  Lausitz,  f  1804 
als  Kantor  an  der  Thoraasschule  und  erster  Kapellmeister  der 
1781  gegründeten  „Gewandhauskonzerte"  [nach  dem  Gebäude 
genannt]  zu  Leipzig),  der  als  Nachahmung  der  italienischen 
Opera  buffa  zu  Paris  das  deutsche  „Singspiel"  (Operette) 
schuf  und  einbürgerte.  Seine  zahlreichen  Stücke,  in  denen 
Gesang  und  gesprochener  Dialog  wechseln,  erfreuten  sich  großer 
Beliebtheit;  besonders  „Die  Jagd".  Auf  dem  von  Hiller  einge- 
schlagenem Wege  begegnen  uns  später  Dittersdorf,  Schenk,  Weigl 
und  —  der  Vollender  des  deutschen  Singspiels  —  Mozart. 

Bald  wurde  die  deutsche  Oper  auch  in  Braunschweig  (vgl.  StefFani), 

Leipzig,   Prag   u.   a.   Orten   heimisch.     Für   Leipzig   komponierte   der 

Strnngk.    ßraunschweiger  Strungk  („Alceste"  1693  u.  a.),  für  Prag  der  1714 

Stölzel.  ^,13  j7  (Jqj.^  weilende  Gottfr.  Heinr.  Stolz el,  ein  gebürtiger  Sachse 
(„Venus  und  Adonis",  „Acis  und  Galathea",  „Das  durch  die  Liebe 
besiegte  Glück" ;  vgl.  Absch.  12).     Auch  Ph.  Krieger  sei  genannt. 


Auf  französischem  Boden  faßte  das  musikalische  Drama 
rasch  Wurzel,  als  Mazarin  1645  eine  italienische  Operntruppe 
nach  Paris  berief.  Die  Oper  „Orfeo"  des  Neapolitaners  Luigi 
Rossi  (Musiker  des  Kardinals  Barberini  zu  Rom)  hatte  da  1647 
besonderen  Erfolg  -)  —  er  regte  die  Schöpfung  autochthoner 
Werke  und  schließlich  einer  Nationaloper  (Academie  royal 
de  musique,  so  hieß  die  Große  Oper  bis  zur  Neuzeit)  an,  die 
„Abbe"  Perrin  auf  Grund  eines  königlichen  Privilegs  mit  der 
ersten  wirklichen  französischen  Oper  „Pomone"  von  Robert 
Cambert.  Cambert  (tl677)  eröffnete.  Die  Komponisten,  die  der  fran- 
zösischen Oper  ihre  eigentliche  Richtung  gaben,  indem  sie  im 
Gegensatze  zu  den  Italienern  —  die  erste  neue  Reaktion !  — 
das  Hauptgewicht  auf  Text  und  Deklamation  legten,  waren 
Lully,  Rameau  und  Gretry.     Die  beiden  ersten  waren  die 


^)  Vgl.  Telemanns  Selbstbiographie  in  Matthesons  „Ehrenpforte". 

2)  Vgl.  R.  Rolland  ([spr.  -ang],  vorzüglicher  Musikhistoriker  zu 
Paris,  der  den  ersten  internationalen  Kongreß  für  Musikgeschichte  zu 
Paris  1900  organisierte,  geb.  1868):  Les  musiciens  Italiens  en  France 
sous  Mazarin  et  l'Orfeo  de  L.  Rossi  (1901)  xmd  Les  origines  da  drama 
lyrique  moderne  (1895). 


Die  Oper  in  Frankreich.  179 

Begründer    der  französischen  großen  Oper,    der  dritte  wurde 
der  Vollender  der  nationalen  komischen  Oper. 

Giovanni  Battista  Lully  [spr.  lülli],  1633  zu  Florenz  Lniiy. 
geboren,  kam  mit  zwölf  Jahren  nach  Paris  und  schwang  sich  vom  Küchen- 
jungen der  Herzogin  von  Orleans  zum  eigentlichen  Schöpfer  und 
Alleinherrscher  der  Pariser  Oper  empor,  nachdem  er  Perrins  Patent 
an  sich  gebracht.  Seine  mit  einer  Ouvertüre  (s.  ob.  S.  173)  Ouvertüre, 
eingeleiteten  Opern  unterscheiden  sich  von  den  gleichzeitigen 
italienischen  dadurch,  daß  er  das  Hauptgewicht  auf  die  Dekla- 
mation und  das  dramatische  Pathos  legte,  während  die  Ita- 
liener, insbesondere  die  neapolitanische  Schule,  von  dem  ur- 
sprünglichen Prinzipe,  dem  Peri,  Caccini  und  Monteverde  gehuldigt, 
längst  im  Interesse  der  Musik  und  der  Gesangskunst  (richtiger 
der  Gesangskünstler)  abgewichen  waren.  Durch  streng  rhyth- 
mische Vertonung  des  französischen  Textes  scluif  Lully  einen  echt 
nationalen  Stil.  Da  er  mit  genauer  Bühnenkenntnis  die  Energie  und 
Gescliicklichkeit  verband,  das  als  richtig  Erkannte  durchzuführen,  so 
kamen  seine  Opern  zu  musterhafter  Darstellung  imd  errangen  sich, 
durch  eingelegte  zur  Handlung  gehörige  Charaktertänze  (instrumental) 
noch  gewinnend,  grol3en  Beifall.  Selbst  nach  seinem  Tode  (1687) 
waren  sie  noch  lange  tonangebend.*) 

Jean  Philippe  Rameau  (geb.  1683  zu  Dijon),  reicher  Rameau. 
begabt  als  Lully,  zeichnete  sich  bald  als  Klavierspieler, 
Organist  und  Theoretiker  aus,  in  letzter  Eigenschaft  als 
Begründer  der  eigentlichen  Harmonielehre,  d.  i.  der 
„Lehre  von  der  Verwandtschaft  der  Klänge  und  ihrer  naturgemäßen 
Verbindung".-)  Erst  1732,  im  Alter  von  50  Jahren,  wandte  er  sich 
der  Oper  zu  und  schuf  bis  zu  seinem  Tode  (1764)  noch  2'2  größere 
Werke.  Er  verfolgt  im  ganzen  die  Richtung  Lullys ;  doch  ist  seine 
Rhythmik  noch  straffer,  .seine  Deklamation  und  Rhetorik  noch 
ausgeprägter.  In  melodischer  Beziehung  neigt  er  aber  mehr 
der  italienischen  Richtung  zu.  Obwohl  von  den  Anhängern  Lullys 
heftig  angefeindet,  errang  er  sich  dennoch  die  Anerkennung,  der  erste 
dramatische   Komponist    seiner   Zeit    zu   sein.     Durch   seine   Klavier- 


1)  NA.  in:  Chefs  d'oeuvre  classiqne  de  l'opera  fran^ais,  Lpz. 
B.  &  H.  u.  Bd.  14  Publik,  d.  Gesellsch.  f.  .Mus.  Forsch.  [Eitner]. 

2)  Vgl.  S.  122  (über  Zarlino,  dessen  duale  Begründung  der 
Harmonie  Rameau  zuletzt  übernahm  und  ausbaute)  u.  S.  127;  Fetis' 
kritisch  zusammenfassenden  Traite  de  I'harmonie  (1844)  und  R  i  e  m  a  n  n  , 
der  (,, Gesch.  d.  Musiktheorie",  ,,Vereinfaciite  Harmonielehre"  1893  u.  a.) 
die  Grundgedanken  der  Genannten  neu  formuliert.  Einen  neuen  Weg 
betritt  der  Brixener  .Musikschriftsteller  Rob.  Mayrhofer  in  seinem  Buche 
^Psychologie  d.  Klanges  u.  d.  daraus  hervorgehende  theoretisch-prakt. 
Harmonielehre",  Lpz.  07. 

12* 


180 


III.  Neuzeit. 


Gr6try. 


Opera 
comique 


Kompositionen  und  sein  theoretisches  Werk  „Traite  d'harmonie"  1722 
(worin  er  die  große  Zahl  möglicher  Akkorde  auf  einige  wenige  Grund- 
formen zurückführt)  erwarb  er  sich  nicht  zuletzt  Verdienste  und  Ruhm.^) 
Andre  Ernest  Modeste  Gretry  (*  zu  Lüttich  1741, 
t  1813  zu  Montmorency  bei  Paris)  hatte,  ohne  ein  bedeutender 
Kontrapunktist  zu  sein,  großes  Talent  für  naturwahre  Charakterzeich- 
nung. Als  echter  Franzose  war  er  lebhaft  und  geistreicli  in 
der  Deklamation  und  verband  damit  eine  angenehme  und  populäre 
Melodik.  Er  ist  es,  der  nach  Jahn  (Mozart  II,  208)  der  in  Nach- 
ahmung der  Opera  buffa  entstandenen  französischen  komischen 
Oper  (Opera  bouffon  oder  comique,  s.  Pergolesi)  „die  Voll- 
endung gab,  wodurch  sie  noch  heute  die  echte  Repräsentantin 
des  nationalen  Charakters  der  Franzosen  auf  dem  Gebiete  der 
dramatischen  Musik  ist".  Von  seinen  52  Opern 2),  die  er  von  176.5 
bis  1S03  zur  Aufführung  brachte,  waren  besonders  beliebt:  „Zeraire 
et  Azor",  „  Anacreon",  „Die  beiden  Geizigen"  und  „Richard  coeur  de  lion". 
(Vgl.  S.  103,  Anm.  3).  Gretrys  Erben  sind  Isouard,  Boildieu,  Auber, 
Adam. 

Vorläufer   Gretrys    waren:   der   berühmte   Philosoph  J.  J. 

Rousseau.  Rousseau  (f  1778),  der,  angeregt  durch  die  ein  lebhaftes  Für  und 
Wider  erregenden  Pariser  Aufführungen  italienischer  Intermezzi  (Pergo- 
lese),  zum  eifrigsten  Wortführer  der  „Buflfonisten"  (Gegenpartei :  Anti- 
buffonisten,  Anhänger  der  Nationaloper)  und  mit  seinem  erfolgreichen 
„Dorf- Wahrsager"  der  Begründer  des  französischen  Singspiels  wurde. 
(Ueber  seinen  1773  erstmalig  zu  Paris  aufgeführten  „Pygmalion"  s.  unter 
„Melodrama");  ferner  Romoaldo  Duui  (f  1775),  der  sich  der 
französischen  Richtunganschloß  (Lafille  mal  gardee),  endlich  A.  D  a  n  i  c  a  n  - 

Monsigny.  Philidor  (f  1795)  und   P.  A.  Mo  n  sign y  (f  1817)  (Le  Deserteur). 


Purcell. 


Nur  kurze  Zeit  blühte  auch  in  England  eine  nationale 
Oper.  Ihr  Schöpfer  war  Henry  Purcell  [spr.  pörss-],  nächst 
Dunstable  der  größte  englische  Komponist  (1658—1695  zu  West- 
minster-London,  seit  1680  Organist  der  Westminster-Abtei).  Er  schrieb 
außer  seinen  epochemachenden  Opern  (die  bedeutendste  King 
Arthur,  1691)  unterschiedliche  Bühnenmusiken  (zu  Shakespeare, 
Dryden,  Lees  u.  a.),  Kammer-  und  Instrumentalsachen  (Triosonaten, 
Sonaten   für  2  Violinen,   Cello  und  Continuo,   darunter   die   berühmte 

^)  GA.  [St.  Saens  imd  Malherbe  (Archivar  der  Großen  Oper)],. 
Paris.  NA.  von  „Indes  galantes"  [P.  Dukas],  Paris.  Chor  a.  „Die 
beiden  Geizigen",  Leipzig,  Leuckart. 

2)  GA.  i.  Auftrage  d.  belg.  Regierung  [Gevaert,  Radoux,  Fetis, 
Wotqueune,  Woutersj,  B.  &  H.  Vgl.  als  wertvollen  Beitrag  zu  diesem 
Kapitel  M.  Dietz,  Gesch.  d.  musikal.  Dramas  i  Frankr.  während 
der  Revolution  bis  z.  Direktorium  (1787—95),  in  künstlerischer,  sitt- 
licher und  politischer  Beziehung.    2.  A.    Lpz. 


Die  Oper  in  England.     Das  Melodrama.  181 

neunte,  die  „Goldene  Sonate"^))  und  übte  namentlich  durch  seine 
hochstehenden  kirchlichen  Werke  (Tedeum  und  Jubilate,  Anthems 
u.  a.)  starken  Einfluß  auf  Händeis  Londoner  Schaffen. 

Mit  Purcell  starlo  auch  die  junge  Blüte  der  englischen 
Nationaloper  ab.  Die  Italiener  bezogen  siegreich  das  Londoner 
Feld,  aus  dem  sie  auch  Händel  nicht  zu  schlagen  vermochte 
und  auf  dem  sie  sich  bis  heute  behaupten. 

Nach  Piireell  tritt  nur  noch  der  Londoner  Thomas  Arne  [spr. 
arn],  f  1778,  der  Komponist  des  Knie  Britannia,  hervor,  weniger  mit 
seinen  dramatischen,  als  mit  seinen  Vokal-  und  Instrumentahverken. 
Er  schuf  das  künstlerisch  vollendete  ,,Glee"  [spr.  glil,  d.  i.  das  eng- 
lische Lied  tur  3  und  mehr  Solostimmen  a  capella.^) 


Am  Schlüsse  des  hier  betrachteten  Zeitraumes  taucht  ziem- 
lich vereinzelt  eine  besondere  Kunstform  auf:  das  Melodrama.  Melodrama. 
Eine  vielgescholtene  und  doch  immer  wieder  namhafte  Kompo- 
nisten seltsam  verführerisch  lockende  Zwittergattung  von  ge- 
sprochenem und  gesungenem  Drama,  mit  einer  von  Musik  be- 
gleiteten oder  unterbrochenen  (durchsetzten)  Deklamation.  Das 
erste  aufsehenerregende  Werk  dieser  Art  war  „Ariadne  auf 
Naxos"  von  Georg  Benda,  dem  Mitglied  einer  weitverzweigten  Benda. 
böhmischen  Mn&ikerfamilie  (geb.  1722  zu  Altbenatek  i.  B. ,  zuerst 
Kammermusikus  in  Berlin,    1750  Ilofkapellmeister  in  Gotha,    f  1795). 

Irrtümlicherweise  wird  Rousseau  als  Erfinder  des  Melodramas  Rousseau 
bezeichnet,  da  in  seiner  , .lyrischen  Szene''  „Pygmalion"  (Lyon  1770) 
unbegleitete  Rede  mit  musikalisch  illustrierten  Pantomimen  abwechseln. 
Wie  Dr.  Edgar  IsteP)  nachweist,  beabsichtigte  Rousseau  ursprünglich 
nur  „eine  Verbesserung  des  obligaten  Rezitativs  der  französischen 
Oper",  eine  Steigerung  desselben  in  Momenten  der  Leidenschaft  ,,mit 
Hilfe  eindrucksvoller  Geberdensprache"  zu  einer  Ausdrucksfähigkeit, 
wie  sie  selbst  Lully  und  Rameau  nicht  erreichten.  Befangen  aber  in 
dem  sonderbaren  Vorurteil,  die  französische  Sprache  eigne  sich  nicht 
für  den  Gesang  i!),  kam  er  auf  den  Gedanken,  Worte  und  ausdrucks- 
volle Instrumentalmusik  einander  folgen  zu  lassen.  Rousseaus  Ideal 
sollte  von  Gluck,  der  das  Vorurteil  gegen  die  französische  Sprache 
besiegte,  verwirklicht  werden. 

Trotz  der  Aufmerksamkeit,  der  Bendas  Melodramen  (der  1781 
auch  zu  Paris  aufgeführten  „Ariadne"  folgten  „Medea"  u.  a.)  ihrer 
Zeit   allenthalben   begegneten,   fand   diese  Form   für  ganze  Bühnen- 


^)  NA.  Augener,  London.     GA.  durch  die  „Purcell-Gesellschaft". 

2)  1787—1857   bestand  zu  London  ein  Glee-Klub.     Vgl.  Catch. 

^)  „J.  J.  Rousseau  als  Komponist  seiner  lyrischen  Szene  ,Pygma- 
lion'",  Leipzig  Ol,  eine  wertvolle,  auch  das  Wesen  des  musikalischen 
Dramas  im  18.  Jahrh.  beleuchtende  Monographie.  Vgl,  auch  Isteis  „D. 
Entstehung  d.  dtschn.  Melodrams"  Brl.,  Schuster  &  Löffler. 


182 


III.  Neuzeit. 


werke  bis  auf  die  neueste  Zeit  (Schumann,  Liszt,  Fibich,  Humpei'dinck) 
keine  nennenswerte  Anwendung ;  wohl  aber  offenbarte  sie,  des  ötteren 
mit  Bedacht  und  Maß  für  einzelne  Szenen  (wie  in  Beethovens 
„Fidelio"  [Kerkerszene]  und  „Egmont";  Marschners  „Hans  Helling" 
u.  a.),  mitunter  auch  zur  Illustrierung  von  Balladen  usw.  heran- 
gezogen i),  bisher  stets  allen  Bedenken  zum  Trotz  eine  packende,  echt 
dramatische  Wirkung,  die  beweist,  daß  in  dieser  Richtung  noch  lange 
nicht  das  letzte  Wort  gesprochen  ist.^j  Die  Vorwürfe,  die  gegen  jene 
Kunstrichtung  erhoben  werden,  beziehen  sich  auf  den  „Widerspruch 
zwischen  den  Sprechtönen  und  der  [begleitenden]  Musik"  (Riemann), 
dann  auch  auf  den  „unangenehmen  Kontrast  zwischen  dem  nüchternen 
Wortlaut  [?]  und  dem  Idealklang  des  Orchesters"  (Istel).  Die  Frage 
gehört  auf  das  Gebiet  der  Musikästhetik;  sie  zu  lösen  ist  einzig  der 
künstlerische  Geschmack  berufen. 


instru-  Je  mehr  sich  die  Instrumentalmusik  aus  den  Banden   der 

mnsik.  früher  herrschenden  Vokalmusik  befreite,  je  mehr  die  Instrumente 
an  selbständiger  Beweglichkeit  und  Leistungskraft  gewannen,  um 
so  günstiger  entwickelten  sich  die  meist  mehrsätzigen,  zyklischen 
Formen  der  absoluten  Musik.  Unter  ihnen  an  erster  Stelle  die 
Partie,  aus  mehreren  Tanzstücken  gleicher  Tonart  bestehende  Partie 
(Italien.  Partita) ;  sie  hat  ihren  Ursprung  im  einst  beliebten 
zyklischen  Vortrage  einer  Reihe  von  Tanzweisen  durch  die  Spiel- 
leute (Stadtpfeifer).  Die  Partie  veredelt  sich  in  Deutschland 
Suite,  nach  und  nach  zur  Suite,  um  als  solche  durch  J.  S.  Bach 
ihre  höchste  Vollkommenheit  zu  erlangen.  Die  Suite  ist  in  der 
2.  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  (6-  und  mehrstimmig)  eine  Reihe  Tänze 
in  idealer  Form;  die  „Alle  man  de"  macht  den  Anfang,  die  anderen 
Tänze  sind  gleichsam  ihr  Gefolge  (Suite).  Hierher  gehörten  in  der 
Regel  die  C o u r a n t e ,  Sarabande  und  Gigue.  Als  Intermezzos 
wurden  zwischen  den  beiden  letzten  Stücken  zuweilen  noch  eingeschoben : 
Gavotten,  Menuette,  Passepieds,  Bourees  usw.,  ja  selbst 
Arien.  Die  Allemande,  im  VrTakt,  mäßigem  Tempo,  ist  nach  Matthe- 
son  „das  Bild  eines  zufriedenen  oder  vergnügten  Gemüts,  das  sich  an 
guter  Ordnung  und  Ruhe  er^-^ötzet".  DieCourante  erhält  durch  den 
Tripeltakt  einen  belebteren  Charakter.  Sie  beginnt,  wie  die  Allemande, 
mit  dem  Auftakt  und  drückt  nach  Mattheson  „die  Hoffnung"  aus. 
Beide  Stücke  gehören  zusammen,  wie  die  Einleitung  zum  Allegro  der 
Sonate  oder  Symphonie.  Die  Sarabande  nimmt  in  der  Suite  dieselbe 
Stellung  ein,  wie  das  Adagio  in  der  Sonate.  Aus  ihrer  Bewegung 
spricht  die  spanische  Grandezza.  Sie  steht  im  ungeraden  Takte,  beginnt 
mit  dem  1.  Taktteile  und  liebt  die  Betonung  und  Verlängerung  des 
2.  Taktteiles.    Die  abschließende  Gigue  ([spr.  schig]  Giga,  vgl.  S.  90) 


^)  Vgl.  die  Parakataloge  im  griech.  Drama  S.  32. 
2)  Vgl.  Istel,  „Studien  z.  Gesch.  d.  Melodramas"  (1, 1901\  W.  Kienzl, 
„Die  musikal.  Deklamation"  (1880),  Batka,  „Musikal.  Streifzüge",  1899. 


Die  Instrumentalmusik.  183 

entspricht  dem  letzten  Sonatensatze  und  gibt  ein  frisch  bewegtes  und 
heiteres  Bild  im  zwölf-,  sechs-  und  dreiteiligen  Takte.  (Bei  Bach  ist 
sie  fast  durchgängig  fugiert  mit  Umkehrung  des  Themas  im  zweiten 
Teile.) 

In  Deutschland  bot  die  Suite  Gelegenheit  zur  Kunst  der  Vari- 
ierung, indem  man  für  die  einander  folgenden  Tänze  ein  Thema 
beibehielt.  Diese  „deutsche  Variationensuite"  kultivierten 
ihr  Schöpfer  Peurl  1I6II),  J.  H.  Schein  (s.  Abschn.  12)  u.  aJ)  pgyj.j 
Neben  der  Tanzsuite  behauptete  sich  auch  eine  Partie ,  die  keine  gdiei^ 
Tänze,  dafür  mehrere  zweteilige  Bruchstücke  verschiedenen  Taktes 
und  Tempos  (ähnlich  der  italienischen  Kanzone)  aufweist. 

Ueber  die  Bedeutung  der  schließlich  (1720 — 50)  in  die  Sonate 
aufgehenden  .Suitenform  sagt  Spitta  (Seb.  Bach,  I,  pag.  700):  „Ver- 
gleichen wir  die  Suiten-  und  Sonatenform  in  Hinsicht  auf  ihren  all- 
gemeinen Wert,  so  scheint  eine  Bevorzugung  der  letzteren  nicht  gerecht- 
fertigt, man  wird  beide  als  gleich  vollkommen  nebeneinander  belassen 
müssen.  In  der  Sonate  ist  der  innere  Zusammenhang  insofern  enger, 
als  durch  einen  in  fremder  Tonart  stehenden  Satz  ein  Element  des 
Widerspruchs  eingemischt  wird,  von  dessen  Ausgleichung  die  ganze 
Existenz  des  Kunstwerks  abhängt.  Mit  der  Unerbittlichkeit  des  Kausal- 
nexus drängt  diese  Form  vorwärts;  ihr  Charakter  ist  die  Bewegung, 
das  Pathos.  Die  Suite  hat  nichts  Widersprechendes  in  sich  zu  über- 
winden, sie  stellt  auf  dem  Boden  einer  uud  derselben  Tonart  eine 
einträchtige,  vernünftig  gegliederte  Mannigfaltigkeit  dar;  ihr  Charakter 
ist  Ruhe,  das  Ethos.  Die  von  Bachs  Zeiten  anwachsende  Vorliebe 
für  die  Sonate  entspricht  dem  in  der  deutschen  Instrumentalmusik 
nunmehr  stärker  hervortretenden  Zuge  nach  subjektivem  und  leiden- 
schaftlichem Ausdruck,  der  entschiedeneren  Hinneigung  zum  Poetischen, 
während  in  der  Suite  eine  naivere,  rein  musikalische  Kunstanschauung 
sich  äußert.  Demgemäß  sind  die  Bestandteile  der  Sonate  von  Künstlern 
erfunden,  die  der  Suite  aus  der  Xaturkraft  der  Nationen  herausgeboren. 
Die  Suite  ist  trotz  der  Vielheit  ihrer  Sätze  dennoch  der  Sonate  gegen- 
über das  Einfache ;  sie  ist  nur  ein  in  vielen  Facetten  geschliffener 
Stein,  die  Sonate  ein  aus  mehreren  .Steinen  bestehender  Ring.  So 
konnten  die  Suitensätze  auch  niemals  eine  solche  Ausdehnung  ge- 
winnen wie  die  der  Sonate ;  eine  Entwickelung,  wie  sie  von  hier  aus 
zur  Symphonie  stattfand,  war  dort  unmöglich."  2) 

Nach  und  nach  tritt  als  Vorspiel  (erster  Satz)  der 
Suite  eine  italienische  Sinfonia  [Scarlatti]  oder  Sonata  (Kanzone), 
namentlich  aber  die  Form  der  französischen  Ouvertüre  [Lully] 
auf.  5 — 8  sätzige  Tanzsuiten  mit  sinfonischem  Vorspiel  schrieb 
namentlich  Joh.  Rosenmüller  (t  1684  in  Wolfenbüttel  als  Hof-  ^»«en- 
kapellmeister) ;  einer  der  bedeutendsten  Instrumentalkomponisten  jener 

^)  Vgl.  H.  Riemann,  Z.  Gesch.  der  deutschen  Suite.  IMG.  VI, 
4,  190h  \  auch  desselben  .,Haudb.  d.  M.  G.",  II,  113,  über  eine  er- 
staunliche ähnlich  freie  Form  der  Variierung  bereits  bei  Dunstable ! 
—  Ferner  Tobias  Norlind,  Zur  Geschichte  der  Suite.  IMG.,  VII,  2,  1906. 

2)  Vgl.  0.  Klau  well,   Geschichte  der  Sonate,   Lpz.,  Leuckart. 


j^84  ni.  Neuzeit. 


Zeit,  der  nach  Scheibe  i)  „fast  ganz  Italien  beschämte"  und  neben 
Lull}''  gestellt  ward.  5  stimmige,  mit  französischer  Ouvertüre  be- 
ginnende Streich-Orchestersuiten  mit  Continuo  besitzen  wir  in 
Muffat.  den  „Florilegien"  von  Georg  Muffat  aus  Schlettstadt,  (Schüler 
Lullys  zu  Paria,  f  1704  als  Dorakapellmeister  zu  Passau).-)  In  Italien 
Sonata,  erhält  diese  Tanzsuite  den  Namen  Sonata  da  camer a  (oder  di 
balleti),  zum  Unterschiede  von  der  älteren  fugierten  Sonate 
(Kanzone),  der  Sonata  da  chiesa.  Kirchen-  und  Kammer- 
sonate gehen  schließlich  in  einander  auf. 

Die  Formen  der  späteren  Sonate  und  Symphonie  wurden 
angebahnt,  indem  man  die  dreiteilige  Form  der  italienischen 
Ouvertüre^)  für  den  Koiizertvortrag  ihren  Sätzen  nach  trennte, 
diese  erweiternd  und  inhaltlich  bereichernd,  bis  schließlich  im 
18.  Jahrhundert  durch  Uebernahme  noch  dos  Menuetts  aus  der 
Suite  das  Urbild  der  modernen  viersätzigen  Sonate  bezw.  Sym- 
phonie dasteht.  Deutsche  Komponisten  bildeten  die  Ouvertüre  Lullys 
bald  zu  so  großen  Formen  aus,  daß  man  mit  jenem  Namen  ganz  all- 
gemein mehrsätzige  Orchesterwerke  bezeichnete.  Auch  wurde  diese 
Form  in  ihrem  Hauptteil  zum  Ausgangspunkte  der  wirklichen  Fuge. 
Die  Orchestersuite  mit  vorangestellter  französischer  Ouvertüre  domi- 
nierte als  Konzertmusik  bis  um  1750,  wo  auch  die  italienische  Opern- 
sinfonie ihren  konzertanten  Ausbau  findet.  Vor  Bach  und  Händel 
ragen  in  der  zwiefachen  Kompositionsart  von  Orchestersniten  sym- 
phonischen Charakters  noch  hervor  auf  der  einen  Seite  Fux,  Telemann, 
Fasch,  auf  der  andern  J.  G.  Graun,  G.  Benda  u.  a.  (Ueber  die  Um- 
formung dieser  älteren,  die  Fuge  wieder  ausscheidenden  Symphonie 
in  die  moderne  s.  Stamilz.) 

Auf  dem  Wege  dieser  Entwickelung  spielen  die  nach  1600 
auftretenden  Meister  der  Geige  eine  große  Rolle. 

Eine  kaum  übersehbare  Reihe  hervorragender  Künstler  machte 
sich  von  nun  ab  die  Behandlung  dieses  seelenvollsten  aller  Instrumente 
zur  Lebensaufgabe.*)  Durch  ihr  Spiel  entzückten  sie  ihre  Zeitgenossen; 
wir  finden  sie  teils  an  den  Höfen  der  Großen,  teils  auf  weiten  Kunst- 
reisen oder  an  der  Spitze  von  Musikschulen.  Fast  alle  waren  zu- 
gleich Meister  der  Komposition  und  zwar  auf  den  verschie- 
densten Gebieten ;  nicht  wenige  übten  dadurch  entschiedenen  Einfluß 
auf  die  gesarate  Musikentwickelung   und   hinterließen   im  besonderen 

^)  Berühmter  Musikschriftsteller  u.  Komponist  aus  Leipzig,  f  1776 
als  kön.  Kapellmeister  in  Kopenhagen,  bekannt  durch  seine  Angriffe 
auf  S.  Bach  i.  d.  Zeitschr.  „Der  kritische  Musikus".  Er  bemerkte 
vielleicht  als  Erster  den  nordischen  Ursprung  der  Polvphonie. 

'-')  NA.  [Rietsch]  DM  in  Oest.  1,  2,  u.  II,  2:  Klav.-Ausz.  nebst 
wertvollen  Untersuchungen  zur  älteren  Instrumentalmusik 

^)  Mozarts  Ouvertüre  zur  „Entführung"  zeigt   noch  diese  Form. 

*)  S.  Wasielewskis  „Die  Violine  und  ihre  Meister".    Leipzig  1893. 


Die  Instrumentalmusik. 


185 


Werke,  die  Fundamente  für  die  solide  Ausbildung  im  Violinspiel  ge- 
blieben sind.  Mit  der  Komposition  für  ihr  Instrument  aber  kamen 
sie  dem  monodischen  Zuge  der  Zeit  entgegen. 

Seit  dem  Auftreten  der  Monodie  verringerte  sich  zusehends 
die  Stimmenzahl  der  schon  von  Gabrieli  (s.  ob.)  angebahnten 
Sonatenkoniposition  mit  Basse  continuo,  bis  entsprechend  dem 
Sologesänge  die  Sonate  für  Solovioline  mit  Baß  ent- 
steht. Mit  ihr  nimmt  eine  reiche  Kammermusik  mit  General- 
baß ihren  Anfang.  Die  älteste  Soloviolinsonate  veröffentlichte  1617 
Marini  aus  Brescia.  Von  den  schaffenden  Violinvirtuosen, 
•die  zur  Entwickelung  der  Sonatenform  beitrugen ,  sind  die 
berühmtesten  die  Italiener  Arcangelo  C  0  r  e  1 1  i ,  f  1713,  Giuseppe 
Torelli,  f  1708,  und  Antonio  Vivaldi,  f  1743,  ferner  der 
deutschböhmische  Meister  Heinr.  J.  F.  Biber  aus  Wartenberg, 
t  1704.  (.Vgl.  hier  des  näheren  Kap.  VII  und  Tartini.)  Corelli.dem 
als  hervorragende  Förderer  der  .Sonatenkomposition  sein  Lehrer  Giov. 
Battista  Bassani  (f  ITKj,  DK.M.  zu  Forrara)  und  Giov  Battista  V  i  t  a  1  i 
{aus  Creraona,  f  1(392  als  V'izekapellmeister  des  Herzogs  v.Modena)  vor- 
angingen, bildete  die  mehr  sätzige  Violinsolosonate  aus;  epoche- 
machend aber  wurde  er  als  Schöpfer  des  Concerto  grosso,  d.  i. 
■ein  Instrumentalkonzert  für  drei  konzertierende  Instrumente  [di  con- 
certino]  und  verstärktes  Orchester  [concerto  grosso]  M,  eine  Form,  die 
Torelli,  der  Schöpfer  des  Solo- Violinkonzerts,  übernahm 
(vgl.  Händel  und  Karl  Stamitz.)  Dieses  Solokonzert,  in  dem  nicht  ein 
kleines  Ensemble,  sondern  nur  ein  einziges  Instrument  dem  Orchester 
rivalisierend  gegenübertritt,  wurde  durch  Vivaldi  zu  d  r  e  i  s  ä  t  z  i  g  e  r 
Form  ausgebaut  (vgl.  S.  201).  In  Nachahmung  dieser  bereits  zykli- 
schen Form  des  Solokonzertes  für  Violine  mit  Orchester  schufen  dann 
Telemann  und  S.  Bach  i, Italienisches  Konzert")  ihr  Klavier- 
konzert, das  iMuster  der  modernen  Sonatenform.      (N'gl.  S.  217.1 

Mit  dem  Uebertragen  der  mehrsätzigen  Kammersouate  für  Streich- 
instrumente auf  das  Klavier  —  um  die  Ausbildung  des  Klavierspiels 
hatte  sich  zuerst  die  französische  Familie  Couperin  (Wende  des 
17/18.  Jahrhunderts)  verdient  gemacht  —  begann  Johann  Kuhnau, 
i"  1722,  S.  Bachs  Vorgänger,  der  in  seinen  Sonaten  bereits  Progamm- 
musik treibt  (s.  des  näheren  Kap.  VIII t;  ihm  folgte  Matthesou. 
Domenico  Scarlatti  (Sohn  Alessandros,    f  1757)   schrieb  wieder 


^)  Bei  den  Instrumentalkonzerteu  unterscheidet  man  die  Prinzipal- 
d.  i.  Solo-  und  die  Ripien-  d.  i.  die  „vollen''  Tutti  Stimmen  (der  be- 
gleitenden, mehrfach  besetzten  Instrumente  [ripieno,  Italien.,  bedeutet 
„voll",  Gegensatz  ist  „Solo"]).  Vgl.  Arnold  Schering,  Gesch.  des 
Instrumentalkonzerts.  Leipzig  19U5.  Hierzu:  Denkmäler  deutscher 
Tonkunst.  I.  [Musikgeschichtl.  Kommission  unter  Leitung  d.  Wirkl. 
Geh.  Rates  Dr.  theol.  u.  phil.  Frhrn.  v.  Liliencron.]  Instnnnental- 
konzerte  deutscher  Meister  [J.  G.  Pisendel,  Hasse,  Ph.  E.  Bach, 
Stolze  1,   Graupner,  Telemann,  Hurlebusch)  [Schering].     1907. 


Violin- 
sonate. 


Biber. 
Corelli. 


Concerto 
grosso 


Torelli. 


Vivaldi. 


Klavier- 
souate. 


Kuhuau. 


Dom. 
Scarlatti. 


186 


III.  Neuzeit. 


Fresco- 
baldL 


Scheidt. 
Pachelbl. 


fuge. 


Orchester- 
soiiate. 

Konzert- 

und 
Kammer- 
musik. 


Kammer- 
stil. 


einsätzige  Sonaten,  die  mit  jenen  Durantes  den  „freien  Stil" 
vorbereiten.  Interessant  sind  auch  die  Klaviersonaten  von  B.  G  a  1  u  p  p  i 
aus  Venedig  (f  1785),  dem  Schöpfer  vielaufgeführter  origineller  komischer 
Opern.  Eine  neue  Aera  für  die  Sonate  beginnt  mit  Stamitz  und  Ph. 
Em.  B  a  c  h  ,  die  diese  Form  gleich  der  symphonischen  den  großen  Wiener 
Klassikern  zur  endlichen  Vollendung  übermitteln  (s.  dort). 

Zwischendurch  bilden  die  Meister  auf  der  Orgel,  vor 
allem  der  Italiener  Frescobaldi,  f  1644,  und  der  Nieder- 
länder Sweelingk,  f  1621,  dann  die  mitteldeutschen  Qrga- 
nisten  Scheidt,  f  1645,  Froberger,tl695,  und  Fach  el  bei, 
t  1706  (vgl.  über  diese  Meister  des  näheren  Kap.  VI)  die  Fuge 
aus,  deren  Weg  vom  Kanon  über  das  Ricercar  und  die  mehr- 
stimmigen Sonaten  der  Italiener  und  die  französische  Ouvertüre 
bis  her  führte,  um  bald  in  S.  Bach  (instrumental)  und  Händel 
(vokal)  seinen  Gipfelpunkt  zu  erreichen. 

Andere  bedeutende  Organisten  und  Mitschöpfer  der  jungen,  in 
unseren  Tagen  wiederbelebten  Instrumentalmusik  waren  Massimiliauo 
Neri  (1664  Hoforganist  in  Köln)  und  B.  Pasquini,  f  1710. 

Neben  dem  Concerto  grosso  tritt,  gleichfalls  als  „Konzert", 
die  ohne  irgend  ein  solistisches  Hervortreten  gleichmäßig  vollstimmig 
gesetzte  Orchestersonate  (Konzertsjmphonie,  s.  unt.)  auf.  Konzert- 
und  Kammermusik  werden  nun  scharf  unterschieden.  Dem  auf  das 
instrumentale  Gebiet  übertragenen  Kirchenkonzert  (concerto  da 
chiesa)  steht  das  instrumentale  Kammerkonzert  (concerto  da 
Camera)  gegenüber ;  ihm  ist  das  vokale  Kammerkonzert  (zuerst  1635  bei 
G.  Arrigöni,  Organist  der  Wiener  Hofkapelle)  vorangegangen.  Auch 
die  Kammersymphouie  (siufonia  da  camera,  meist  für  2  Violinen 
mit  Basso  continuo)  hebt  sich  ab.^)  Es  entwickelt  sich  gegenüber 
dem  konzertanten  der  besondere  Kammerstil.  Dieser  unter- 
scheidet sich  namentlich  vom  Kirchenstil  von  vornherein  als  weltlicher, 
dann  aber  ,.vom  dramatischen,  der  seinem  Wesen  nach  die  Leiden- 
schaften mit  großen,  kräftigen  Zügen  darstellt,  auch,  dem  größeren 
Zuhörerkreise  entsprechend,  auf  Einfachheit  und  Verständlichkeit  aus- 
geht, durch  eine  weit  mehr  ins  Einzelne  gehende  kunst- 
volle Ausarbeitung  und  Durchführung  des  musikali- 
schen Gedankens.  Eine  sorgfältige  Detailarbeit  ist  bei  ihm  umso 
weniger  zu  entbehren,  als  hier  die  Aufmerksamkeit  weder  durch  äußere 
Darstellung,  wie  bei  der  dramatischen  iMusik,  noch  durch  religiöse  Zere- 
monien, wie  bei  der  Kirchenmusik,  mit  in  Anspruch  genommen  wird, 
sich  also  durchaus  auf  das  Tonwerk  konzentriert;  ferner,  weil  in  der 
Kammermusik  jede  Stimme  nur  einen  Spieler  hat,  und  sie  daher  auf 
die  der  Orchestermusik  zu  Gebote  stehenden  Schallmassen,  dynamischen 
Wirkungen  und  Farbenschattierungen  verzichten  muß"  (Langhans). 


Vgl.  das  ob.  S.  168  über  die  „Kammer"  Gesagte. 


Die  Instrumentalmusik.  187 


Auch  die  unterschiedlichen  Formen  des  Vokalsatzes  mit 
Instrumentenbegleitung  wurden  weiter  gepflegt  und  ausgebildet, 
so  neben  dem  Kirchenkonzert  die  Solo- (Kammer-)  Kantate 
und  das  dem  kirchlichen  verwandte  Kammerduett.  Von  ^^"VV"' 
dieser  später  naraentlicb  durch  Händel  gepflegten  Gattung  sagt  Mattheson 
(„Kern  melodischer  Wissenschaft"  S.  09),  nachdem  er  den  einfachen 
zweistimmigen  Gesang,  die  sog.  französischen  Airs  ä  deux  besprochen 
und  deren  klaren,  leichtfaßlichen  Tonsatz  hervorgehoben,  ,,daß  ihnen 
(d.  i.  den  Kammerduetten  I  zwar  viel  von  den  guten  Eiu'cuschaften  der 
ersteren  abgehe,  durch  das  fugicrte,  gekünstelte  und  in  einander  ge- 
flochtene Wesen ;  sie  erfordern  aber  einen  ganzen  Mann,  und  sind  so- 
wohl in  der  Kammer,  als  Kirche  den  gelehrten  Ohren  eine  große  Lust, 
wenn  sich  fertige,  sattelfeste  Sänger  dazu  finden".  Als  Komponist 
von  Kammerduetten  war  der  von  Händel  hochgeehrte  Abbe  Agostino 
Steffani  (1685  als  Ilofkapellmeister  nach  Hannover  berufen,  dann  steffani. 
hervorragender  Diplomati  berühmt.')  Er  hat,  nächst  Carissimi,  um 
die  Ausbildung  des  reinen  Kammerstils  besonderes  Verdienst. 

Eine  Sonderstellung  behaupten  seit  etwa  1650  die  sog.  Trio-  Triosonate. 
Sonaten  (Sonata  a  3),  Kompositionen  für  3  konzertierende 
Instrumente,  zumeist  2  Violinen  und  Baß  (Cello)  nebst  die  Baß- 
stimme verdoppelndem  und  nach  der  Bezifferung  die  Harmonie 
ergänzendem  Continuo  (Klavier  oder  Orgel,  Theorbe  usw.)  als 
viertem,  nicht  mitgerechneten  Instrument. -j  Sie  ließen  oft  mehr- 
fache Besetzung  zu  —  daher  auch  Orchestersonate,  Orchestertrio  oder 
Symphonie  [so  heißen  überhuujjt  bis  um  1750  die  mehr  als  2  stimmigen 
Sonaten]  genannt  —  und  wurden  die  Vorläufer  der  modernen  Symphonie 
und  des  Streichquartetts.  In  dieser  reichen,  mit  Schluß  des  18.  Jahr- 
hunderts in  die  moderne  Kammermusik  hinüberleitenden  Literatsr 
zeigt  sich  deutlich  der  Uebergang  von  der  streng  feierlichen  Schreib- 
weise der  klassischen  italienischen  Violinmeister  zum  ,, schönen  Stil" 
des  freien  Wiener  Klassikertums.  Die  Reihe  der  hier  in  Betracht 
kommenden  Meister  beginnt  Corelli  und  schließt  Job.  Stamitz 
(Abschn.  15). 

Bedeutende  Kammerkomponisten  dieser  Zeit  waren  noch: 
der  Edle  Tarquinio  Merula  (1624  am  polnischen  Hofe  organista  di 
chiesa  e  di  camera)  mit  Werken  humoristischen  Einschlags ,  Giov. 
Maria  Bononcini  (f  1678)  und  dessen  Sohn  Giov.  Battista  (s.  Z. 
berühmt  als  Opernkomponist,  um  1691  Violoncellist  der  Wiener  Hof- 
kapelle), Antonio  V er acini  (Florenz,  Ende  des  17.  Jahrb.),  Legreuzi, 
Pergolesi,  Porpora  (besonders  glänzend  und  virtuos),  Sacchini,  Purcell 
imd  Arne,  der  Gambenvirtuose  K.  Marais  [spr.  marä],  f  1728,  und 
der   Violinist    Leclair,    f    1764,    Telemann^j,    Job.    Gottl.    Graun 


1)  Auswahl  in   ,,DM.  i.  Bayern",   1906  [Einstein  u.  Sandberger]. 

^j  Später  (z.  B.  bei  Telemann)  heißen  auch  Sonaten  für  2  stimmig 
gesetztes  Klavier  und  ein  weiteres  Instrument  (Gambe,  Geige  usw.) 
„Trio".     NA.  alter  Triosonaten  im  „Collegium  musicum"  [Riemann]. 

^)  S.  die  schöne  Triosonate  Es  dur  im  „Collegium  musicum". 


]^88  III.  Neuzeit. 


(t  1771,  Konzertmeister  zu  Berlin,  älterer  Bruder  des  Karl  Heinr.  G.), 
Franz  Ben  da  (f  1786,  der  älteste  der  Brüder  dieses  Namens,  vgl. 
Kap.  VII)  u.  a.^)  Als  besonders  typisch  für  die  Eigenart  der  italieni- 
schen Kammermusik  ragen  die  Werke  des  Veronesers  F.  Feiice  dall' 
Abaco.  Abaco  (t  1742  zu  München  als  Kammerkonzertmeister)  der  Form 
wie  dem  Ausdrucke  nach  hervor.  2) 


Tonsystem-  Diese  Periode  der  Musikareschichte  ist  noch  dadurch  merk- 

Uebergang.  ^ 

würdig,  daß  sich  in  ihr  der  Uebergang  vom  alten  Tonsysterae 
zu  unserem  heutigen  anbahnte  und  zum  Teil  vollzog. 

Der  gregorianische  Gesang  war,  wie  wir  wissen,  auf  den  8  resp. 
12  Kirchentonarten  aufgebaut  und  bewegte  sich  rein  diatonisch;  nur 
wenn  /  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  A  erschien,  sang  man  nicht 
b  durum  [h),  sondern  6  molle.  Die  dorische  Tonart  kannte  also  keinen 
Leitton  eis,  sowie  die  mixolydische  und  äolische  kein  ßs  und  gis.  Als 
man  aber  die  Harmonie  ausbildete,  brauchte  man  jene  Leittöne  zu  be- 
friedigenden Schlüssen  und  wendete  sie,  wie  bereits  erwähnt,  in  der 
Harmonie,  nicht  aber  in  der  Melodie  an. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  17.  und  in  der  ersten  Hälfte  des 
18.  Jahihundei-ts  fanden  diese  Halbtöne  Eingang  in  die  Melodie;  man 
verließ  auch  nach  und  nach  die  frühere,  jeder  Tonart  eigentümliche 
Modulationsweise ;  so  entstand  freilich  ein  Schaukelsystem  zwischen 
den  alten  und  neuen  Tonarten,  wovon  noch  vereinzelte  Spuren  in  den 
Werken  von  Bach  und  Händel  anzutreffen  sind.  Nach  dieser  Zeit, 
namentlich  mit  Beginn  der  Periode  Haydn  und  Mozart,  wird  das  alte 
System  vollständig  beseitigt,   (s.  S.  190). 

Ob  man  noch  heute,  wie  einige  verlangen,  die  alten  Tonarten 
bei  Kircheukompositionen  anwenden  solle,  bleibe  hier  unerörtert ;  schade 
nur,  daß  uns  die  großartig-schöne  phrygische  Tonart  verloren  ging. 
Jedenfalls  müssen  die  Choräle  in  den  alten  Kirchentonarten  streng 
jenem  Systeme  gemäß  bearbeitet  werden. 


Zwei  wichtige  Neuerungen  geben  schließlich  der  eben  be- 
trachteten Epoche  ihre  Signatur :  die  folgenreiche  Einführung 
der  gleichschwebenden  Temperatur  für  die  Tasten-,  und 
die  versuchte  Regelung  des  sog.  K  a  m  m  e  r  t  o  n  e  s  d.  i.  der 
Norraaltonhöhe  für  die  Streich-  und  Blasinstrumente. 

Diese  Regelung  hängt  enge  mit  der  Entwickelung  der 
Kammermusik  zusammen.   Letztere  erforderte  alsbald  für  ihre  In- 


^)  S.  Riemanns  „Alte  Kammermusik"  (4  Bde.,  Augener)  und  die 
weiteren  Sammlungen  von  Corrette,  Cartlcr,  Alard,  David,  G.  Jensen 
(klassische  Violinmusik),  Torchi,  ferner  Bd.  3  u.  7  (Corelli,  Sonaten) 
,,Denkm.  d.  Tonk.",  Augener. 

2)  Auswahl  nebst  Biographie  [Sandberger]  in  „DM.  i.  Bayern" 
(1900);  NA.  einer  Triosonate  [Riemann]  bei  Augener,  1895. 


Temperatur  und  Kammerton,  189 

strumente  eine  eigene  Normalhöhe,   die  als  sog.   Kammerton      ' ton! 
von  jener  der    Orgeln,    nach    der    der    Chor    sang,   d.    i.    dem 
Chor  ton,  unterschieden  wurde. 

Anfangs  war  auch  die  Höhe  der  Orgelstimmen  sehr  verschieden 
und  diflerierte  manchmal  um  eine  Quarte.  Endlich  einigte  man  sich 
über  eine  bestimmte  Tonhöhe  und  nannte  sie  eben  Chor  ton.  Dieser 
war  um  1  — 1'/2  Ton  tiefer  als  der  bei  Hoffesten  von  den  lustrumen- 
talisten  gebrauchte  sog.  Kammerton,  i)  Später  verwechselte  man 
diese  Bezeichnungen  und  nannte  die  hohe  Stimmung  Chorton  und 
die  tiefere  Kammerton.  Praetorius  sagt  in  seiner  Organographie: 
„Es  ist  aber  der  Chorton  bei  den  alten  anfangs  um  einen  Ton  niedriger 
gewesen  als  jetzo,  welches  denn  von  den  alten  Orgeln  und  anderen 
blasenden  Instrumenten  noch  zu  befinden,  und  nachher  von  Jahren 
zu  Jahren  so  weit  erhöhet  worden,  als  er  jetzt  in  Italien  und  England, 
auch  in  den  fürstlichen  Kapellen  Deutschlands  im  Gebrauche  ist." 
In  J.  Adlungs  ,,Mu8ica  mechanica  organoedi"  (1768jheil3t  es:  „Man 
stimmt  die  Orgeln  im  Chorton,  wie  mau  es  jetzt  nennt,  welcher  1  oder 
l';2  Töne  höher  ist  als  dtr  Kammerton.  Sonst  hat  man  es  umgekehrt, 
und  ist  Kammerton  höher  gewesen  als  Chorton  und  hat  man  die 
Orgel  im  Kammerton  gestimmt,  welcher  also  geheißen,  weil  man  ihn 
bei  der  Tafel  in  Zimmern  zur  Fröhlichkeit  gebraucht,  daü  man  die 
Vokalisten  schonen  können.  Wie  hoch  aber  unser  Chorton  sei,  ist 
wegen  der  Varietät  nicht  zu  melden  und  wird  auch  hierin  wohl 
schwerlich  eine  Einigkeit  zu  hoften  sein"  -)  (vgl.  Kap,  VI). 

Von  weittragendster  Bedeutung  über  die  Stimmung  der 
Tasteninstrumente  hinaus  wurde  die  Neuregelung  ihrer  „Tempe- 
ratur". Deren  Wesen  uud  Wirkung  erklärt  lichtvoll  A.  G.  Ritter^): 
„Wenn  die  12  Quinten,  die  aus  den  im  Bereiche  einer  Oktave 
liegenden  12  chromatischen  Tönen,  eine  sich  an  die  andere  an- 
schließend, gebildet  werden  können,  vollkommen  rein,  d.  i.  nach 
dem  natürlichen  Verhältnisse  von  2  :  3  gestimmt  werden,  so 
trifft  die  letzte  Quinte  nicht  genau  mit  der  Oktave  des  Aus- 
gangstones zusammen,  sondern  geht  um  das  sog.  Komma  darüber 
hinaus.  Um  die  reine  Oktave  zu  gewinnen,  mit  der  aus  guten 
Gründen  unsere  Tonleiter  abgeschlossen  wird,  muß  dieser  Ueber- 
schuß  durch  Erniedrigung  anderer  Töne  beseitigt,  es  muß  „tempe- 
riert" werden.  Dies  Temperieren  geschah  bis  gegen  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  so,    daß   nur  einige  der  Quinten  soweit,    als 


1)  Er  war  um  einen  Ton  höher  als  unser  Kammerton.  Noch 
höher  war  der  Kornett-Ton,  d.  i.  die  Stimmung  der  Stadtpfeifer. 

2)  Dem  Schwanken  machte  erst  die  Aufstellung  des  Diapason 
normal  durch  die  Pariser  Akademie  1858  (Feststellung  des  Kammer- 
tones für  ä  auf  870  einfache  oder  435  Doppelschwingungen  in  der 
Sekunde)  ein  Ende. 

^)  „Zur  Geschichte  d,  Orgelspiels",  I.     Leipzig  1884. 


J90  ^^^-   Neuzeit. 


zur  Herstellung  der  Oktave  nötig  war,  vertieft,  die  übrigen 
Gleich-  Q^Qj,  vollkommen  rein  gestimmt  wurden.  Eine  derart  gestimmte 
bende  Orgel  stand  in  ungleich  schwebender  Temperatur.  Sie  bot 
Temperatur  ^jj^-gg  Xonarten  tadellos  rein,  die  übrigen  dagegen  bis  zur  Un- 
brauchbarkeit  unrein.  Noch  vor  Abschluß  des  17.  Jahrhunderts 
^Yt'V  (1691)  machte  der  halberstädtische  Organist  AndreasWerck- 
m  e  i  s  t  e  r  ein  Temperierverfahren  bekannt,  wonach  der  Ueber- 
schuß  auf  alle  Töne  verteilt,  jede  Tonart  also  etwas  unrein 
wurde.  Nach  dieser  „gleichschwebenden"  Temperatur 
in  Tonverhältnissen,  deren  geringe  Trübung  das  Ohr  durchaus 
nicht  empfindet,  werden  jetzt  alle  unsere  Tasteninstrumente 
gestimmt.  Sie  bieten  nunmehr  dem  Spieler  das  volle,  unbe- 
grenzte Reich  der  Harmonie." 

Der  in  der  2.  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  erfolgende  Ab- 
schluß des  modernen  Harmoniesystems  -)  und  die  nun  gewonnene 
Möglichkeit  seiner  freien,  ungekürzten  Benutzung  durch  den 
schaffenden  Künstler,  wie  seiner  Darstellung  auf  der  Orgel  und 
den  andern  Tasteninstrumenten,  machte  dem  Schwanken  zwischen 
dem  alten  und  neuen  System  ein  Ende. 

Werckmeisters  geniale  Erfindung  —  ihm  gebührte  ein  Denkmal!  — 
fand  den  Beifall  der  namhaftesten  Zeitgenossen;  um  ihre  weitere  Ein- 
führung machten  sich  Praetorius,  Adlung,  Marpiirg,  Kirnberger, 
J.  S.  Bach,  Telemann,  Mattheson,  Sorge,  Rameau  u.  a.  verdient.  Doch 
auch  an  Gegnern  fehlte  es  (natürlich!)  selbst  hier  nicht.  Die  beste 
unschätzbarste  Anerkennung  freilich  war  —  Bachs  „Wohltemperiertes 
Klavier". 

Eine  reich  ausgestreute  Saat  reifte  nun  der  Ernte  entgegen. 
Sie  bedurfte  nur  der  Sonne  des  Genius.  Dieser  erschien  in 
der  Doppelgestalt  Bach-Händel. 


2)  Andreas  Werckmeister  spricht  1698  zuerst  von  unserem  Dur 
und  Moll  in :  „Die  notwendigsten  Anmerkungen  und  Regeln,  wie  der 
Bassus  continuus  oder  Generalbaß  wohl  könne  traktiert  werden." 


Die  Kirchenmusik  des  17.  bezw.  18.  Jahrhhunderts.  191 


12.  Die  Kirchenmusik  während  des   17.  und  zu  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts. 

Die  letzten  Venetianer.     Deutsche  und  böhmische 
Meister.     Vor  lauf  er  tum. 

Die  Kirchenmusik,  die  mit  Palestrina  und  seinen  Zeitgenossen 
in  Italien  und  Deutschland  einen  gewaltigen  Höhepunkt  erreicht 
hatte,  kam  im  17.  und  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  bereits 
in  Rückgang  und  zwar  in  dem  Grade,  wie  die  Oper  Fortschritte 
machte.  Wohl  hielten  Meister  wie  Scarlatti,  Durante  u.  a.  bei 
ihren  Kirchenkompositionen  am  Palestrinastile  fest;  nach  und 
nach  aber  verließ  man  diese  Richtung,  benutzte  zur  Begleitung 
des  Gesanges  außer  der  Orgel  verschiedene  andere  Instrumente 
und  führte  schließlich  alle  Neuerungen,  die  in  der  Oper  durch 
den  Reiz  der  Neuheit  so  sehr  wirkten,  auch  bei  der  Kirchen- 
musik ein.  Mit  einem  Worte:  Wie  früher  die  weltliche 
Musik  Form  und  vielfach  auch  den  Inhalt  von  der 
Kirchenmusik  entlehnte,  so  ging  jetzt  dieOpern- 
musik  in  die  Kirchenmusik  über.  Dies  war  um  so  natür- 
licher, als  ja  die  meisten  Opornkomponisten  auch  für  die  Kirche  schrieben. 
Oft  mag  Jenes  unbewußt  geschehen  sein,  oft  aber  auch  bona  fide  ab- 
sichtlich. „Da  in  der  Oper,"  so  schloß  man,  „als  dem  galantesten 
Stücke  der  Poesie,  die  göttliche  Musik  ihre  Vortrefflichkeit  am  besten 
sehen  lasse,  so  wäre  doch  um  so  mehr  Veranlassung,  der  direkt  zu 
Gottes  Ehre  und  Verherrlichung  bestimmten  Kirchenmusik  eine  ähn- 
liche Vortrefflichkeit  angedeihen  zu  lasaen"  (Mattheson). 

Ob  der  dramatische  Stil,  insbesondere  die  Kantatenform,  in  der 
Kirche  zulässig  sei  oder  nicht,  darüber  entspann  sich  1726  zwischen 
Meyer,  Doktor  der  Rechte  und  Professor  der  Musik  zu  Göttingen, 
der  die  Frage  verneinte,  und  .Alattheson,  der  sie  bejahte,  ein  heftiger 
Streit,  der  wie  gewöhnlich  in  derbe  Persönlichkeiten  ausartete  und 
auch  andere  Musiker  zur  Mitbeteiligung  reiztet.  —  Charakteristisch 
für  jene  Zeit  ist  auch  die  Stellung,  die  ihr  Wortführer,  Mattheson  dem 
protestantischen  Chorale  gegenüber  einnimmt.  Er  schreibt:  „Wie 
sollen  wir  den  Messias  rühmen?  ChoraliterV  Mit  faulen,  kalten, 
schläfrigen   Noten?     Nein,   herrlich    soll  es  zugehen,   das  ist, 


^)  Derlei  Streitigkeiten,  bei  den  Theoretikern  des  Mittelalters  an 
der  Tagesordnung,  erscheinen  umso  abgeschmackter,  je  persönlicher 
auch  Musiker,  die  Vertreter  der  „Harmonie"  (!),  daran  teilnehmen. 
Ein  unerquickliches  Kapitel  in  der  Geschichte  der  Tonkunst,  auf  deren 
Fortgang  schließlich  derlei  gegenwärtig  leider  sehr  beliebte  Hahnen- 
kämpfe nicht  den  geringsten  Einfluß  nehmen.  Der  schöpferische  Genius 
allein  befiehlt. 


192 


III.  Neuzeit. 


auf  das  höchste.  Ich  will  hoffen,  es  sei  figural."  Und  an  anderer 
Stelle:  „Oden  sind  bei  heutigem  ehrbarem  Figuralstil  nicht  mehr  de 
tempore....  Oden  sind  bei  mir  gar  nicht  musikalisch,  Kirchen- 
lieder, insoweit  sie  von  der  Gemeinde  gesungen  werden,  noch  viel 
weniger." 

Dennoch  huldigt  eine  ansehnliche  Reihe  bedeutender  Musiker 
dem  edlen  Kirchenstile  auch  während  dieser  Zeit.  Vor  allem 
leuchtet  uns  ein  herrliches  Dreigestirn  am  venetianischen  Himmel 
entgegen :  Lotti,  Caldara  und  M a r  c e  1 1  o  ,  die  letzten  Meister 
der  Schule  von  Venedig. 
Lotti.  Antonio   Lotti  (f  1740   als  Kapellmeister   an  St.  Markus   zu 

Venedig,  ein  Schüler  Legrenzis)  ist  berühmt  durch  sein  6-  und  8  stimmiges 
„Crucifixus".  Diesem  steht  ein  16  stimmiges  „Crucitixus"  von  Antonio 
Caldara.  Caldara  (f  1736  als  Kapellmeister  zu  Wien)  i)  ebenbürtig  zur  Seite. 
Als  Psalmenkomponist  schuf  sich  ein  vornehmer  Dilettant ;  der  vene- 
Marcello  tianische  Nobile  Benedetto  Marcello  (nebenbei  ein  origineller  Denker 
und  Dichter  f  1739)  einen  glänzenden  Namen.  Bei  der  Komposition 
seiner  50  Psalmen  Davids  verwendete  er  in  interessanter  Weise  hebrä- 
ische Tempelgesänge,  die  ihm  spanische  und  deutsche  Juden  mitgeteilt.  2) 

Aus  der  römischen  Schule  ragt  Ottavio  Pitoni  (f  1743  als 
Kapellmeister  an  der  Peterskirche  zu  Rom)  hervor.  Sein  16  stimmiges 
Dixit  für  4  Chöi-e  singt  man  karwöchentlich  in  der  Peterskirche.  Nicht 
Martini,  als  letzter  zählt  hier  Padre  Giambattista  Martini  aus  Bologna  (f  da- 
selbst 1784,  bekannt  durch  sein  Freundschaftsverhältnis  zu  Mozart), 
der  größte  Musikgelehrte  seiner  Zeit;  er  steht  unter  den  ersten,  die 
eine  auf  gründlichsten  Quellenstudien  fußende  Geschichte  der 
Musik  verfaßten  („Storia  della  musica",  3  Bde.,  1757— 81). 3) 

In  Deutschland  wirkten :  der  Sachse  Job  Hermann 
Schein.  Schein  (einer  der  drei  mitteldeutschen  einsilbigen  Meisternamen  von 
Ruf:  Schütz,  Schein,  Scheidt;*),  als  Kantor  der  Thomasschule  zu  Leipzig 
ein  würdiger  Vorgänger  Bachs  (f  lt)30,  vgl.  Kap.  X\  Rosenmüller 
Albert  (s.  S.  183)  und  Heinrich  Albert  (f  1651,  Organist  zu  Königsberg), 
Neffe  und  Schüler  von  Heinrich  Schütz,  Dichter  und  Komponist  geist- 
licher Lieder.     Wir  begegnen  ihm  noch  im  Kreise  des  Liedes. 

Besonders  Böhmen,  wo  Adel  und  Jesuiten  die  geistliche 
Tonkunst  fördern,  stellt  hier  seine  Meister:   den  von  Bach  ge- 
schätzten, mitunter  nationale  Töne  anschlagenden  Johann  Dis- 
Zelenka.    nias  Zelenka,  einen  Freund  von  Fux  und  Lottii^f  1745  als  Mitglied 

^)  NA.  Kirchenwerke  [Dr.  Eusebius  Mandyczewski,  *  Czernowitz 
1857,  Musikgelehrter  in  Wien]:  DM,  i.  Oesterr.  XIII,  1,  1906. 

2)  Vgl.  S.  163,  Anm.  2. 

^)  Von  den  hier  angeführten  Komponisten  findet  man  zahlreiche 
Werke  in  „Musica  divina"  und  ähnlichen  Sammelwerken.  Den  deutschen 
Komponisten   begegnen  wir  häutig  in  protestantischen  Choralbüchern. 

*)  GA.  [Dr.  A.  Prüfer],  I.  Venuskränzlein  u.  Banchetto  Musicale. 
II.  Musica  boscareccia  oder  Waldliederlein  und  weltliche  Gelegeuheits- 
Kompositioueu  Lpz.  B.  &  H. 


Weiterentwickelung  der  Kunst. 


193 


der  Hofkapelle  zu  Dresden)  und  namentlich  Andreas  Hammer-  Hammer. 
schmidt,  geb.  1612  zu  Brüx  (Deutsch-Böhmen),  f  als  Organist  zu  ^''''"''''*- 
Zittau  1675.  Er  schrieb  u.  a.  „Gespräche  (Dialogi)  zwischen 
Gott  und  einer  gläubigen  Seele."  In  diesem  Werke '),  bei 
welchem  die  Bibelsprüche  so  einander  gegenübergestellt  sind, 
daß  sie  Gespräche  bilden,  wurzeln  zum  Teil  bereits  das 
Oratorium  Händeis  und  die  Passion  J.   S.   Bachs. 

Eine  bedeutende  Erscheinung  ist  auch  der  deutsch-böhmische 
Meister  Franz  Johann  Hab  ermann  aus  Königswart  (1706 — 83),  der 
in  jungen  Jahren  in  Spanien,  Frankreich  und  Italien  zu  Ehren  und 
Ansehen  kam  und  hochbetagt  an  der  Egerer  Dekanalkirclie  wirkte. 
In  Prag  schrieb  er  viele  geistliche  Opern,  Oratorien  und  Messen,  aus 
denen  ganze  Tongedaokenreihen  in  Händeis  Werke  übergingen. 

In  und  für  Prag  schuf  endlich  der  uns  schon  bekannte  sächsische 
Meister  G.  H.  Stölzel  (f  1749,  s.  S.  178),  dessen  „überaus  klare, 
gemütliche  und  kunstreiche  Fugengesänge"  sehr  gerühmt  wurden  auch 
oratorische  und  andere  geistliche  Werke. 


Es  wäre  durchaus  irrig,  anzunehmen,  daß  epochemachende 
Künstler  gleichsam  riesengroß  aus  der  Erde  hervorwachsen. 
Vielmehr  verhält  es  sich  so,  daß  diese  gottbegnadeten  Genies 
das  durch  den  Bienenfleiß  talentvoller  Vorgänger  erworbene 
Wissen  und  Können  in  sich  aufnehmen,  verarbeiten,  geistig 
verklären  und  durch  kühne  Wagnisse  weiterführen.  Die  Ent- 
wickelung  der  Kunst  erfolgt  stufenweise ;  jede  Generation 
tritt  das  Erbe  der  vorangegangenen  an,  erhält  dadurch  einen 
weiteren  Gesichtskreis  und  glaubt  den  Gipfel  der  Kunst  erreicht 
zu  haben.  Nun  aber  erstehen  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zwei 
Titanen,  um  das  bis  jetzt  aufgehäufte  Material  zu  Kunstwerken 
zu  verarbeiten,  die  noch  lange  Zeit  nicht  allein  für  die  orato- 
rische Komposition  maßgebend  sein  werden.  Und  der  Tag  ist 
nicht  fern,  da  Oper,  Quartett  und  Symphonie  ihre  Vollender 
beziehungsweise  ihre  Schöpfer  finden.  2) 

^)  NA.  [Dr.  A.  W.  Schmidt]:  DM.  i.  Oesterr.  VIII,  1. 

")  S.  zu  den  beiden  letzten  Abschnitten  die  Sammlung  „Bei  canto" 
Arien,  Cantaten  u.  Canzonen  a.  d.  18.  Jahrh.  mit  Klav.  Begl.  [A.  Fuchs] 
CoU.  LitolflF. 


Haber- 
mann. 


StülzeL 


Kothe-Prochazka.  Abriß  d.  Musikfi^eschichte.    8.  Aufl. 


13 


194  III-  Neuzeit. 


13.   Die  Altklassiker  Händel  und  Bach.     Oratorium  und 
Passion  in  ihrer  Vollendung. 

Handels  Oratorienmusik.  Vorbild  und  Plagiat.  Bach 
als  Urquell  der  Musik.  Des  Meisters  Söhne.  Die  Be- 
arbeitungsfrage. Nochmals  das  Vorgängertum.  Die 
Meisterschulen  Böhmens.     Ein  Wiegenland   der  Musik. 

Jene  beiden  großen  Künstler,  meist  immer  zusammen  genannt, 
haben  einander  nie  gesehen,  sie,  die  im  selben  Jahre  und  Lande 
geboren,  ja  sogar  einst  in  derselben  Stadt  geweilt.  Geistes- 
richtung und  Lebensschicksale  der  Beiden  waren  ganz  verschieden. 
Händeis  Geist,  geschult  durch  die  Kenntnis  und  den  Einfluß 
dreier  Nationen,  war  hauptsächlich  auf  das  Dramatische,  auf 
das  Leben  mit  und  in  der  großen  Welt  gerichtet.  Bach  hin- 
gegen, der  sein  Vaterland  nie  verließ,  war  ein  Deutscher  durch 
und  durch,  mag  er  auch  in  seinen  Klavierkompositionen  zu- 
weilen französischen  Vorbildern  folgen.  Er,  der  schlichte,  fromme 
Mann,  fühlte  sich  am  wohlsten,  wenn  er  sich  in  seinem  Zimmer 
oder  auf  seiner  Orgel  in  die  Mysterien  der  Kunst  versenken  konnte. 
Händel  ist  vorzugsweise  Vokal-,  Bach  Instrumental-Komponist. 
In  beiden  aber  verehren  wir  echte  deutsche  Künstler  höchsten 
Ranges. 
Händel  Georg    Friedrich    Händel,    *   23.  Februar    1685    zu 

Halle  a.  d.  S.  als  der  Sohn  eines  Wi,indarztes,  sollte  eigentlich 
Rechtsgelehrter  werden;  jede  musikalische  Uebung  war  ihm  anfangs 
verboten.  Allein  die  später  dem  Meister  eigene  Energie  verriet  sich 
bereits.  Der  Knabe  weiß  sich  ein  Klavichord  zu  verschaffen,  auf  dem 
er  des  Nachts  in  einer  Dachkammer  übt.  Später  gestattet  der  Vater 
den  Musikunterricht  seines  Sohnes  bei  dem  tüchtigen,  auch  in  der 
Komposition  wohlbewanderten  Organisten  Fried.  Wilh.  Zachau  (Zachow, 
1 1712)  ^),  während  der  Knabe  gleichzeitig  die  lateinische  Schule  besucht. 
1702  bezieht  H.  die  Universität  Halle  zum  Studium  der  Hechte  und  wird 
gleichzeitig  als  Schloß-  und  Domorganist  angestellt.  Im  folgenden 
Jahre  faßt  er  den  Entschluß,  sich  ganz  der  Musik  zu  widmen  und  tritt 
zu  Hamburg  als  zweiter  Geiger  in  die  Kapelle  des  in  voller  Blüte 
stehenden  ersten  deutschen  Opern-Theaters  unter  R  ein  hard  K  eis  er 
(s.  S.  177)  ein.  Bald  erhält  er  den  Platz  am  Klavier,  und  schon  1705 
führt  er  seine  erste  Oper  „Almira"  mit  Beifall  auf,  der  kurz  daraut 
die  Oper  „Nero"  folgt.  Zur  weiteren  Ausbildung  weilt  er  von  Ende 
1706  bis  1710  in  Italien,  insbesondere  zu  Florenz,  Venedig,  Rom 
und  Neapel,  wo  er  mit  Lotti,  Corelli,  den  beiden  S c  a r  1  a  1 1 i  imd 
in   den   gebildeten   vornehmen   Kreisen  verkehrt.     Zahlreiche   drania- 


1685—1759. 


1)  GA.  [Dr.  Seiffert]  2  Bde.     Leipzig. 


Georg  Friedrich  Händel. 


195 


tische  Werke   sind   die  Frucht  seines  Aufenthaltes.     In  Venedig  lernt 
er  auch  den  berühmten  Abbe  Steffani   (s.  S.  186)  kennen,   der  ihn 
zu   seinem  Nachfolger   in   der   Kapelle   zu  Hannover   empfiehlt.     Der 
Kurfürst     er- 
nennt   H.    zu 
seinem       Ka- 
pellmeister, 
ei'teilt   ihm 
aber  auch  zu- 
gleich Urlaub 
zu  einer  Reise 

nach  Lon- 
don, wo  eben 
die  italieni- 
sche Oper 
blühte   (vgl. 
S.  180).    Dort 
eintreffend , 
findet    IL    im 
Spätherbst 
1710   eine 
glänzende 
Aufnahme    u. 
schreibt  in  14 
Tagen  die  mit 
großem      Er- 
folg im  Febr. 
1711       aufge- 
führte     Oper 
„R  i  n  a  1  d  o". 
Berühmt      ist 
die     viel    ge- 
sungene   Alt- 
Arie    daraus : 
„Lascia    ch'io 

pianga"  ^). 
Zwar  geht  er 
nach     Ablauf 
seinesUrlauhs 

wieder  nach  Hannover  zurück,  weilt  aber  aufs  neue  (1712 — 16)  in 
England,  dessen  Urmusik  ihn  begeistert.-)  Mit  dem  zur  Friedens- 
feier komponierten  ,, Utrechter  Tedeum"  (1713)  gewinnt  er,  „ein  neuer 
Purcell",  aller  Sympathien.  1714  komponiert  er  anläßlich  der  Krönung 
Georgs  I.  zur  glänzenden  Themsefahrt  die  vielgenannte  „Wasser- 
musik".   1717  siedelt  er  ganz  über  und  tritt  zunächst  bis  1720  in  die 


London. 


')  Diese  größtenteils  aus  Stücken  der  „Almira"  bestehende  Oper 
hat  Kapellm.  J.  N.  Fuchs  1878  für  eine  Neuinszenierung  bearbeitet 
und  mit  Beifall  in  Wien  aufgeführt. 

2)  Vgl.  S.  106,  Anm.  1. 

13* 


196 


III.  Neuzeit. 


Dienste     des    Herzogs    von     Chandos.    Auf   dessen   Schloß   Cannons 
Anthems     schreibt  er  seine  berühmten  12  Anthems   (vgl.  S.   150)  und  das 
Oratorium  „Esther". 

Mittlerweile  war  der  Adel  zusammen  getreten,  um  durch  Sub- 
skription eine  Opernakademie  zu  gründen,  an  deren  Spitze  H. 
gestellt  wurde.  Für  dieses  Unternehmen,  bei  dem  die  vorzüglichsten 
Opern.  Säuger  Italiens  mitwirkten,  schreibt  er  eine  Reihe  italienischer  Opern. 
Infolge  eines  Streites  zwischen  H.  und  dem  Sänger  Senesino  wird  1728 
eine  zweite  Opernakademie  gegründet,  für  die  der  Adel  aus  Opposition 
gegen  den  Hof  leidenschaftlich  Partei  nimmt.  Daraus  erwachsen  für 
H.  große  Mißstände.  Er  verliert  in  dem  Kampfe  sein  ganzes  Ver- 
mögen, auch  seine  Gesundheit  wird  stark  angegriffen,  so  daß  er  Heilung 
in  den  Bädern  von  Aachen  suchen  muß. 
Oratorien.  Diese  Katastrophe   bestimmt   ihn,   sich   ganz   dem  Oratorium 

zu  widmen,  zu  welcher  Kunstgattung  sein  Genie  besonders  neigte. 
Seine  Hauptwerke,  durch  die  er  Form  und  Art  des  Oratoriums 
endgiltig  feststellte,  sind:  „Israel  in  Aegypten"  (1738), 
„Messias"  (1741,  in  24  Tagen  geschrieben!),  „Samson"  (1742), 
„Josua"  (1747),  „Judas  Makkabäus"  (1747),.  Außerdem  schrieb 
er,  der  Gattung  neben  religiösen  auch  weltliche  Stoffe 
zuführend,  „Deborah"  (das  erste  wirklich  bedeutende  Chor - 
Oratorium),  „Athalia",  „Saul",  „Das  Alexanderf est" 
(auch  „Timotheus",  „Die  Macht  der  Tonkunst",  „Die  große 
Cäcilienode"  ^)  genannt)  —  diese  4  Werke,  wie  auch  , Israel 
in  Egypten",  sind  noch  in  der  Zeit  der  Opern-Akademie  ge- 
schaffen; ferner  „Joseph",  „Jephta",  „Herakles",  „Belsazar",  „Susanna", 
„Salomon",  „L'  Allegro,  il  Pensieroso  ed  il  Moderato",  das  schon  er- 
wähnte Utiechter  und  das  Dettinger  „Te  Deum",  das  „Jubilate" 
(100.  Psalm),  Kammerduette  (nach  Steffanis  Art)  usw.  Als  Instru- 
instrumen- mentalkomponist  schuf  H.  viele  Violin-  (oder  Flöten-)  Sonaten,  mit 
talwerkc.  Generalbaß,  Triosonaten,  Concerti  grossi  (sog.  Oboenkonzerte, 
hier  an  Corelli  und  Torelli  anknüpfend,  s.  S.  185),  Konzerte  für  Orgel, 
für  Streichinstrumente,  schließlich  Klavier-  und  Orgel-Suiten,  -Phantasien 
und  P\igen.  Anfangs  wurden  seine  Leistungen  auch  auf  dem  Gebiete 
des  Oratoriums  nicht  gehörig  gewürdigt.  So  erzählt  man,  daß  bei  der 
zweiten  Aufführung  des  Messias  nur  der  König  und  seiue  Umgebung 
zugegen  waren,  was  H.  zu  der  Aeusserung:  „desto  besser  wird  es 
klingen"  veranlaßte.  Wie  anders  jetzt!  Heute  beherrscht  H.  die 
musikalische  Welt,  uud  insbesondere  England  läßt  ihm  die  größte  Ver- 
ehrung und  seinen  Werken  die  großartigsten  Aufführungen  zu  teil 
werden. 2)    Sein  letztes  oratorisches  Werk  „Jephta"   komponierte 


^)  Unter  dieser  Bezeichnung  schrieben  noch  andere  bedeutende 
Komponisten  (Purcell,  Clark)  besondere  Kirchenmusiken  zur  Gedächtnis- 
feier der  Schutzheiligen  der  (Kirchen- iMusik  (22.  Nov.). 

2)  So  wurden  z.  B.  1859  zur  Feier  seines  100jährigen  Todestages 
an  drei  Tagen  hintereinander  der  „Messias",  „Israel  in  Aegypten"  und 


Geoi'g  Friedrich  Händel.  197 

er  1751  als  ein  schon  fast  ganz  Erblindeter,  acht  Jahre  vor 
seinem  am  13.  April  1759  erfolgten  Tode.  Er  ruht  in  der  West- 
minsterabtei  unter  den  Großen  der  Nation.  Die  Vatei'stadt  Halle  er- 
richtete ihm  1859  ein  prächtiges  Standbild  (von  Heidel). 

H.s  Hauptwerk  ist  der  ,  M  e  s  s  i  a  s " .  Es  zerfallt  in  drei  Messias. 
Teile.  Der  erste  behandelt  die  Geburt  des  Herrn  und  sein  Wirken 
auf  Erden;  der  zweite  schildert  seine  Leiden,  seine  Auferstehung  und 
die  Ausbreitung  seiner  Lehre :  der  dritte  endlich  redet  von  den  letzten 
Dingen.  Die  großartige  Musik  ist  populär  im  besten  Sinne  des  Wortes. 
Wer  kennt  nicht  den  Schlußchor  des  zweiten  Teils :  das  berühmte 
Halleluja  —   freilich   just  nicht  das  größte,   beste  Stück  des  Ganzen! 

H.s  Oratorien-Musik  konnte  sich,  losgelöst  von  den  Ein- 
schränkungen, die  ihm  sonst  die  szenische  Darstellung  auferlegte, 
mehr  vertiefen  und  ausbreiten.  Den  Schwerpunkt  verlegte  H. 
in  die  Chöre,  die  großartig  entworfen  und  zahlreich  vorhanden 
sind.  „Im  Chore  liegt",  wie  A.  von  Dommer  sagt  i\  „ähnlich  wie  im 
Chore  der  griechischen  Tragödie,  die  Summe  der  sittlichen  und  i-eligiösen 
Ideen  des  Werkes;  er  ist  der  Boden,  auf  welchem  die  einzelnen  Per- 
sonen sich  bewegen  ...  Im  Oratorienchore  ist  die  hohe  Bedeutung 
des  griechischen  Chores  weit  mehr  zur  Wirklichkeit  geworden,  als  es 
im  Opernchore  je  geschehen  mag."  Händeis  Chöre  sind  ebenso 
glanzvoll  und  wirksam,  wie  charakteristisch  und  dramatisch 
belebt;  ihre  Motive  scheinen  wie  aus  Stein  gemeißelt,  so  ent- 
schieden ausgeprägt  und  die  Situation  bezeichnend  sind  sie. 
Die  Arien  dagegen,  in  denen  er  dem  virtuosen  Gesänge,  also  dem 
Zeitgeschmacke,  Konzessionen  machte,  sind  zum  Teil  veraltet. 

L'nter  den  Meistern,  die  IL  zum  Vorbilde  dienten,  steht  A.  S Car- 
la tti,  dessen  Opern  er  nicht  minder  eifrig  studierte,  wie  die  Kirchen-  ^ '^"■'^''^•ß'^- 
und  Kammerwerke,  obenan.  Was  viele  andere  „Muster"  betriflft,  er- 
geben allerdings  neuere  und  neueste  Forschungen  die  befremdende 
Tatsache,  daß  H.  oft  ganze  Werkteile  aus  fremden  Partituren  in  die 
eigenen  skruppellos  hinübernahm  (vgl.  oben  S.  192  Habei-mann  und  Plagiate, 
unt.  das  Supplement  derGA.i-);  was  vielleicht  auch  die  verblüffende 
Raschheit  seines  Schaffens  erklärt.    Indessen  —  just  bei  H.s  berühm- 


das  Dettinger  „Te  Deum"  im  Krystallpalaste  zu  London  vor  26  000  Zu- 
hörern aufgeführt:  STOO  Sänger,  242  Violinen,  120  Violoncells  und 
Bässe,  100  Blasinstrumente  und  eine  Riesenorgel,  deren  Bälge  mit 
Dampf  getrieben  wurden,  waren  aufgeboten.  Die  Kosten  beliefen  sich 
auf  18000  Pfd.  Sterl. ;  der  Reinertrag  ergab  dieselbe  Summe.  —  Die 
„Neue  Händel-Gesellschaft"  in  London  bezweckt  die  Aufführung  der 
Oratorien  H.s  in  Chr-^' sanders  Bearbeitung  (s.  u.).  In  Boston  besteht 
größtes  amerikanisches  Konzertunternehmen  (für  Oratorienkonzerte 
und  Musikfeste)   seit   1815  die   „Händel-   und   Haydngesellschaft". 

^)  Vgl.  Kochs  musik.  Lexikon,  bearbeitet  von  Dommer. 

2)  GA.:  [Fr.  Chrysander]  bisher  97  Bde.  Instr.-Mus.  2,  21,  27, 
28,  30,  47,  48.    Kamm.-Mus.  f.  Ges.  Nr.  32,  50,  51,  52  a,  52  b.    Kirch.- 


198  m«   Neuzeit. 


testen  Werken  sind  derlei  Plagiate  nicht  nachgewiesen;  wir  können 
also  getrost  das  Wort  Mozarts  gegenüber  Kozeluch  über  Haydn  variieren : 
Und  wenn  man  alle  Muffat,  Keiser  und  Habermann  zu- 
sammenschmilzt, wird  noch  lange  kein  Händel  daraus  . .  .^) 


In  der  Reihe  der  Leipziger  Thomaskantoren  begegnet  uns  einer, 
der  „als  Philologe  und  Musiker  weit  berühmt  und  angesehen"  war: 
Sebastian  Knüpfer  aus  Asch  i.  Böhmen  (f  1676),  Sohn  und  Schüler 
eines  dortigen  trefflichen  Kantors  und  Organisten.  ,,Ein  Musiker",  so 
heißt  es  in  der  Leichenrede  über  ihn  ^j,  „wie  ihn  Leipzig  vorher  nicht 
gesehen  hat  und  vermutlich  nicht  wieder  sehen  wird".  Nun  —  es 
sollte  bald  noch  ein  weit  größerer  Sebastian  kommen,  einer  aus  der 
thüringischen  Familie  Bach,  dieses  einzig  dastehenden  musikalischen 
Riesenstammbaumes  aus  dem  17.  und  18.  Jahrhundert.  Am  Fuße 
der  Wartburg  erhebt  sich   das   1884  in  Erz  gegossene  Denkmal  von 

Mus.  Nr.  11,  14,  25,  31,  34  bis  inkl.  38.  Opern  Nr.  55  bis  inkl.  94. 
Oratorien  Nr.  1,  3  bis  inkl.  10,  12,  13,  15  bis  inkl.  20,  22,  23,  24,  26, 
29,  33,  39  bis  inkl.  46  b,  53,  54,  97  (Autogr.  Nachb.  v.  „Jephta"), 
98  (Autogr.  Nachb.  v.  „Messias").  Supplement  (Werke,  von  Händel 
benutzt)  I.  Magnificat  v.  Erba.  IL  Tedeum  v.  Urio.  III.  Serenata  v. 
Stradella.    IV.  Duette  v.  Clari.    V.  Muffat.    VI.  Octavia  (Op.  v.  Keiser). 

NA.:  [Rob.  Franz,  vgl.  unt.]  Jubilate,  L'Allegro  (F.  E.  C. 
Leuckart-Leipzig),  Messias,  Arien  a.  Opern  u.  Kammerduetten,  Antho- 
logie a.  Opern  u.  Oratorien,  Kammerduett  „Che  vai  pensando",  sämtlich 
mit  ausgeführtem  Akkompagnement  (Kistner -Leipzig).  —  [Seiffert] 
Concerti  grossi.     [Stradal]  3  Streichorchester-Konzerte,  Schuberth. 

B. :  Fried r.  Chrysander,  Leipzig  1858 — 67.  Die  2.  Hälfte 
des  3.  (Schluß-)  Bandes  steht  aus.  Schrader,  Leipzig,  Reclam  *. 
F.  Volbach.  Berlin,  „Harmonie-'  1898  (ill.).  V.  Schölcher,  „The  life  of 
Handel".  1.  Bd.  1857.  Leipzig.  L  :  Försteraann,  „G.  F.  Händeis 
Stammbaum".  1844.  G.  G.  Gervinus,  „Händel  und  Shakespeare". 
Leipzig  1868.  —  D.  s.  S.  197. 

1)  Der  Engländer  Sedley  Taylor  stellt  in :  The  Indebtedness 
of  Händel  to  Works  of  other  Composers  (Cambridge  University  Press, 
1907)  die  Originale  mit  Händeis  Plagiaten  zusammen.  Daß  schon  zu 
Händeis  Zeit  literarischer  Diebstahl  als  unehrenhaft  galt,  beweist  die 
Affäre  des  damals  hochberühmten  Opernkomponisten  und  Londoner 
Rivalen  Händeis,  Giovanni  Battista  Buononcini,  der  London  schimpflich 
verlassen  mußte,  als  man  erfuhr,  daß  er  ein  Lottisches  Madrigal  für 
sein  Werk  ausgegeben  hatte !  Vgl.  auch  Vetter  Th. :  „  J.  J.  Heidegger, 
ein  Mitarbeiter  Händeis"  Fäsi  u.  Beer,  Zürich. 

2)  S.  Monatshefte  f.  Musikgesch.  [Rob.  Eitner],  1901,  S.  205  ff.  „Zwei 
Funeralprogramme  auf  die  Thomaskantoren  Seb.  Knüpfer  u.  Joh. 
Schelle".  Von  Beruh.  Friedr.  Richter.  ,,Dem  einstigen  löbl.  Gebrauche 
der  Leipz.  Universität,  zu  den  Begräbnissen  ihrer  Bürger  durch  ein 
Programm  einzuladen,  verdanken  wir  ausführliche  und  authent.  Nach- 
richten über  eine  Anzahl  Leipziger  Musiker.  Die  Kantoren  u.  Orga- 
nisten Leipzigs  im  17. — 18.  Jahrh.  waren  akademisch  gebildete  Leute; 
sie  blieben  mit  der  Universität  als  cives  academic:  zeitlebens  verbunden." 


Job.  Sebastian  Bacb. 


199 


Johann    Sebastian  Bach,    *  21.   März   1685    zu  Eisenach -^-f- ^*^^ 

'  16So — 1 I 50. 

als  Sohn  des  Hof-  und  Stadtmusikus  Johann  Ambrosius  Bach. 
Schon  im  10.  Jahre  verwaist ,  ward  er  von  seinem  älteren 
Bruder  Johann  Christoph  zu  Ohrdruff  (f  1703),  einem 
Schüler  Pachelbels,  angenommen  und  in  der  Musik  unterrichtet. 
Außerdem  besuchte  er  das  Lyceum.  So  groß  war  sein  Lerneifer,  daß 
er  sich  Klavier-  und  Orgelstücke  von  Froberger,  Kerll  und  Pacbelbel, 
die  ihm  sein  Bruder  der  zu  großen  Schwierigkeit  wegen  versagte, 
heimlich  in  mondhellen  Nächten  abschrieb.  Ostern  1100  tritt  Sebastian 
als  Mettenschüler  in  den  Chor  der  Michaelis-Schule  zu  Lüneburg  ein. 
Eine  reiche  Bibliothek,  viel  praktische  Uebung  und  Selbststudium,  ver- 
bunden mit  dem  jedem  Genie  innewohnenden  Triebe  zur  Fortbildung, 
heben  ihn  von  Stufe  zu  Stufe.  Von  günstigem  Einflüsse  waren  auch 
der  Organist  Ueorg  Böhm  zu  Lüneburg  und  der  Orgelmeister  Johann 
Adam  R  e  i  n  k  e  n  zu 
Hamburg,  wohin  Seba- 
stian Fußwanderungen 
unternahm.  17();5  finden 
wir  ihn  als  Hofmusikus 
(Violinist)  des  Herzogs 
Ernst  zu  Weimar,  in 
der  Privatkapelle  des 
Prinzen  Johann  Ernst 
von  Sachsen  und  im 
selben  Jahre  noch  als 
Organist  in  Arnstadt. 
Wie  groß  ist  auch  hier 
sein  Lerneifer!  1705 
bis  06  wandert  er 
zu  Fuß  nach  Lübeck, 
um    die    berühmten 

„  Abendmusiken  "■ 

eines  Dietrich 
Buxtehude  (vgl. 
Kap.  VI)  zu  hören, 
und  verweilt  dort  ein 
Vierteljahr,  um  von 
dem  greisen  Orgel- 
meister zu  lernen. 
Solche  Züge  sind 
leuchtende  Beispiele 
dafür,  daß  selbst  bei 

genialer  Begabung  nur  fortgesetztes  eifriges  Studium  etwas  Tüch- 
tiges erzielt.  1707  wirkt  Bach  als  Organist  zu  Mühlhausen  in  Thüringen, 
1708 — 1717    als   Hoforganist  zu   Weimaa*.     Von   hier   aus   besucht   er 


4^  /  ^<uf » 


Buxte- 
hude. 


200  ^^I-   Neuzeit. 

1717  Dresden  und  fordert  den  dort  weilenden  französischen  Püavier- 
und  Orgelspieler  Louis  Marchand  zu  einem  musiicalischen  Wett- 
kampfe auf.  Marchand  (1669—1732),  keiueswegs  der  Charlatan.  als 
welcher  er  zuweilen  dargestellt  wird,  sondern  der  berühmteste  Organist 
des  damaligen  Frankreich ,  und  selbst  von  Bach  hochgeehrt ,  entfloh 
jedoch.  Bach  spielt  nun  allein  und  zur  Ehi-e  der  deutschen  Kunst  in 
großartigster,  alles  begeisternder  Weise.  Von  Dresden  ging  er  nach 
Weimar  zurück,  von  dort  aber  noch  in  demselben  Jahre  als  Kapell- 
meister und  Kammermusikdirektor  des  Fürsten  Leopold  von  Anhalt 
nach  Köthen.  1723  kam  er  nach  Leipzig,  wo  er  bis  zum 
28.  Juli  1750,  dem  Tage  seines  Todes,  als  Kantor  und  Musik- 
direktor an  der  Thomasschule  wirkte. 

Es  war  ein  ziemlich  einförmiges  Leben,  nur  allein  der 
Kunst  gewidmet.  Ein  Lichtblick  in  seinem  einsamen  Dasein  war  es, 
als  B.  1747  von  Friedrich  d.  Gr. i)  nach  Berlin  eingeladen  und  dort 
mit  Ehren  überhäuft  wurde.  Der  König  führte  ihn  zu  seinen  Silber- 
mannschen  Flügeln,  auf  denen  der  Meister  über  ein  gegebenes  Thema 
frei  präludieren  mußte.  Nach  einer  sechsstimmigen  Fuge  rief  der  nicht 
leicht  zum  Enthusiasmus  geneigte  Monarch :  „Nur  ein  Bach,  nur  ein 
Bach!"  Aus  Dankbarkeit  übersandte  B.  später  dem  Könige  die  Kom- 
position: „Musikalisches  Opfer,  Sr.  Majestät  gewidmet,"  worin  das 
von  diesem  gegebene  Thema  in  zwölf  Sätzen  dargestellt  wird.  — 
Wie  Händel,  so  erblindete  (infolge  der  Versuche  seine  Werke 
selbst    zu  stechen)    auch  Bach,    ohne    aufzuhören    zu    schaffen. 

B.  war  ungemein  fruchtbar.  Zu  dem  Kostbarsten,  was 
musik.'  ®^  geschaffen,  gehören ;  An  Vokalwerken  die  Matthäus- 
Passion,^)  ein  Riesenwerk  von  überwältigender  Wirkung, 
die  Johannis-Passion,  die  Kirchenkantaten,  die  eine 
Vollendung  der  durch  Buxtehude ,  A.  Gabrieli  und  Viadana 
fortentwickelten  Form  (s.  S.  121,  165)  bedeuten  und  deren 
er  fünf  Jahrgänge  für  alle  Sonn-  und  Festtage  schrieb  (sie 
gingen  zum  Teil  verloren),  die  Hohe  Messe  in  iETmoll 
—  das  non  plus  ultra  kontrapunktischer  Kunst  und  gedank- 
licher Größe !  —  und  das  5  stimmige  Magnificat,  ferner 
das  Weihnachts-,  Ostern-  und  Himmelfahrts-Oratorium.  Als 
Vorläufer  Bachs  auf  oratorischem  Gebiete  lernten  wir  Schütz 
und  Hammerschmidt  schon  kennen;  als  weiteres  Binde- 
glied   treten    hier    noch    die    Passionsmusiken    des    deutschen 


1)  Vgl.  Thouret:  Friedr.  d.  Gr.  Verhältnis  zur  Musik,  1895. 
A.  der  Kompositionen  des  Königs,  der  bekanntlich  auch  ein  eifriger 
Flötenspieler  war,  bei  Breitkopf  &  Ilärtel  [Spitta]. 

2)  J.  Th.  Mosewius,  Bachs  Matthäus- Passion,  musikalisch' 
ästhetisch  dargestellt.    Berlin  1852. 


Job.  Sebastian  Bach.  201 


Kirchenkomponisten  Johann  Sebastiani  (f  1683),  und  des  Kantors 
Bartholomäus    Gesius    (f   1613    zu   Frankfurt    a.   0.)    hervor. 

An  Klavier-  und  Orgel  werken :  Die  englischen  und  \'!f/,[",'^jk" 
französischen  Suiten  (s.  S.  182),  6  Partiten,  vor  allem 
aber  das  bedeutendste  Klavierwerk  Sebastian  Bachs,  „Das  wohl- 
temperierte Klavier",  48  Präludien  und  Fugen,  je  2  in  \^/ävfer^' 
jeder  Dur-  und  Moll-Tonart.  ')  Es  ist  die  Bibel  des  Mu- 
sikers. Der  Titel  besagt,  daß  diese  in  allen  Tonarten  auf- 
tretenden Tonstücke  auf  einem  gleichschwebend  temperierten 
Klaviere  (vgl.  S.  189)  ausgeführt  werden  sollten;  ferner:  die 
Kunst  der  Fuge  (15  Fugen  und  4  Kanons  über  dasselbe 
Thema),  Inventionen  (Symphonien),  die  Goldbergschen 
Variationen,  die  großartige  „Chromatische  Phantasie 
mit  Fuge",  zahlreiche  Konzerte  (s.  S.  185),  Fugen,  So- 
naten, Choralfigurationen,  Toccaten,  die  berühmte 
Passacaglia  in    Cm  oll  usw.-) 

Bach  vollendete  die  durch  Sweelingck  (s.  Kap.  VI.)  ge- 
schaffene Form  der  Orgelfuge:  sie  baut  sich  auf  einem  Fuge. 
Hauptthema  auf,  zu  dem  nach  und  nach  mehrere  Gegenthemen 
hinzutreten,  um  nach  immer  innigerer  Verflechtung  zum  Höhe- 
punkt und  Abschluß  zu  gelangen  (vgl.  Kap.  VI).  Gewissen 
jüngsten  Versuchen  gegenüber,  die  Bachsche  Fuge  als  „einfaches" 
Rechenexempel  zu  erklären,  sei  hier  bemerkt:  wenn  irgend  ein  lindiger 
Kopf  jene  Fugen  nocli  so  schon  und  verblüffend  in  mathematische 
Formeln  aufzulösen  vermöchte,  nach  denen  jeder  Konservatorist  der- 
gleichen   zu    Dutzenden   würde    aus    dem   Aermcl   schütteln    können 

—  es   würden    doch    keine    Bach-Fugen   daraus :   der   Geist   allein 
bildet  und  erfüllt  die  Form. 

Für  die  Violine  allein:  3  Partien  und  3  Sonaten, 
Werke,  die  ihresgleichen  nicht  haben;  allein  die  große  Chaconne 
aus  der  -Dmoll-Partie  gibt  einen  Begriff  von  Bachs  immensem 
Können.  Von  ihm  stammen  auch  die  ersten  Violinsonaten  mit 
ausgearbeitetem  Klavierpart,  ferner  Arrangememcnts  Vivaldi- 
scher  Violinkonzerte.  Nicht  zu  übersehen  und  genußreichem 
Studien  dringend  zu  empfehlen  sind  Bachs  herrliche  Choräle 

—  „denn    sie    enthalten    das    ganze    musikalische 
Evangelium"   sagt  Rob.  Franz.     (Vgl.  auch  S.  153  Anm.  3.) 

1)  Akad.  NA.  [Germer]  Coli.  Litolff;  A.  [d' Albert]  Cotta.  —  Karl 
Debrois  van  Bruyck,  ,, Technische  u.  ästhetische  Analysen  d.  wohl- 
temp  Klaviers".  Leipzig  1889.  S.  Jadassohn,  Erläuterungen  zu 
ausgewählten  Fugen  aus  Bachs  wohltemp.  Klavier.    Leipzig,  Leuckart. 

*>  Akadem.  NA.  ausgew.  Klavierwerke  [Germer]    Coli.  Litolff. 


202  III-  Neuzeit. 


Seine  charakteristische  Eigentümlichkeit  bei  den  Vokal- 
kompositionen besteht  darin,  daß  er  jeder  Stimme  einen  selb- 
ständigen Gesang  gibt  und  dabei  mit  einer  genialen  Kühnheit 
verfährt,  die  bis  zu  den  äußersten  Grenzen  führt  und  vor  ihm 
von  keinem  gewagt  wurde.  „Der  Meister  der  Orgel"  sagt  C.  v. 
Wintei-feld,  „waltete  bei  unserem  Sebastian  vor  über  dem  Meister  des 
Gesanges.  Die  einzelnen  Stimmen  seiner  Gesang  werke  sind 
Gesang;  freilich  nicht  ein  solcher,  dessen  auch  eine  halbgebildete  Kehle 
mächtig  werden  könnte.  Sie  erfordern  vollkommen,  allseitig  ausgebildete 
Sänger,  damit  ihnen  Gerechtigkeit  widerfahre,  und  auch  solchen  bieten  sie 
oft  schwer  lösbare  Aufgaben."  Mit  Recht  vergleicht  man  das  reiche, 
doch  durchsichtige  Tonrankenwerk  bei  Bach,  in  das  sich  die  Harmonien 
auflösen,  und  das  in  den  Kolorier-  und  Diminuiermanieren  der  Lauten 
und  Orgelvirtuosen  wurzelt,  der  Gotik. 
Poiyphonie.  Bachs  Musik  ist  vermöge  ihrer  bewundernswürdigen  Viel- 

stimmigkeit nicht  leicht  verständlich  und  auf  den  unbefangenen 
Zuhörer  nicht  so  unmittelbar  wirksam,  als  die  Hand  eis,  die 
man  wahrhaft  populär  nennen  kann.  Hieraus  läßt  sich  viel- 
leicht die  Tatsache  erklären,  daß  Bachs  Matthäus-Passion  so 
gut  wie  verschollen  war,  als  Mendelssohn,  kaum  dem  Jüng- 
lingsalter entwachsen,  sie  dem  Staube  entzog  und  in  der  Berliner 
Singakademie  zur  Aufführung  brachte;  seitdieser  Zeit  erst  suchen 
alle  Kunstinstitute   eine  Ehre  darin,  das  erhabene  Werk  aufzuführen. 

C.  v.  Winterfeld  ^)  hält  übrigens  dieses  Werk  (vgl.  Ev.  Kirchen- 
gesang III,  pag.  410  ff.)  nicht  für  kirchlich,  1.  weil  es  nur  für 
Kundige  geschrieben  sei  und  somit  dem  protest.  Gemeindeprinzipe 
widerspreche ;  2.  weil  es  zu  dramatisch  gehalten  sei,  3.  weil  es  den 
Geist  des  Hörers  für  sich  allein  als  Kunstwerk  in  Anspruch  nehme. 
„Eben  seine  außerordentliche  Einwirkung  auf  das  Gemüt  der  Hörer, 
eben  die  Mittel,  wodurch  er  diese  erreicht,  schließen  dieses  wunder- 
würdige Werk  von  der  Kirche,  von  der  Stätte  der  Anbetung  aus."  — 
Sollte  dieses  Wort  nicht  auch  bei  Beethovens  „Missa  solemnis"  zu- 
treffend sein  V 

Eine  feine  Linie  zieht  sich,  wie  eine  geistvolle  Feder  schreibt, 
von  dem  neun  Jahre  früher  geborenen  geistlichen  Liederdichter 
Paul  Gerhardt  hin  zu  S.  Bach.  Dessen  vielfach  poeti- 
s  i  e  r  e  n  d  e  Musik  erfüllt  gewissermaßen  ,  was  des  Dichters 
Wort  verheißen,  sie  ist  eine  Versöhnung  mit  der  Reformation. 
Beiden  galt  die  läuternde  Kraft  des  Schmerzes  und  das  betende 
Vertrauen  als  Leitfaden  ihrer  Schöpfungen.  Der  umfassende 
Bach  weihte  seine  ganze  Kunst  den  symbolischen  Leiden  des 
Sieges  (Johannes-Matthäus-Passion),    und   dieselbe  Gemütsrich- 

^)  Bedeutender  Musikforscher,  Geh.  Obertribunalrat  in  Berlin, 
t  1852. 


Joh.  Sebastian  Bach. 


203 


tung,  nur  in  anderen  Formen,  verfolgte  vor  ihm  Gerhardt. 
Bach  greift  auch  tief  in  die  Geschichte  des  deutschen 
Dramas  ein,  denn  in  seinen  dramatisch  kraftvollen  Oratorien 
und  Passionen  gipfeln  die  mittelalterlichen  Mysterien. 

Hören  wir  einige  Urteile  berühmter  Männer  über  Bach,  diesen  Charakte- 
Urquell  der  Musik:  Zelter  schreibt:  „Dieser  Leipziger  "s**"*^"- 
Kantor  ist  eine  unbegreifliche  Erscheinung  der  Gottheit."  R. 
Schumann  nennt  Bachs  Werke  „ein  Kapital  für  alle  Zeiten." 
J.  N.  Forkel  meint:  „Die  Erhaltung  des  Andenkens  an  diesen 
großen  Mann  ist  nicht  bloß  Kunstangelegenheit,  sie  ist  National- 
angelegenheit." J.  von  Radowitz,  der  preußische  Staats- 
mann und  Vertraute  Friedr.  Wilh.  IV.  urteilt  in  seinen  „Frag- 
menten" (1853):  „Bach  ist  eine  Gattung  für  sich.  Dieser 
Tiefsinn,  dieser  Reichtum,  diese  wunderbare  Kraft  und  Höhe 
ist  nicht  zu  Ende  zu  loben.  Das  Zarteste  und  Lieblichste,  das 
Tiefste  und  Erhabenste,  alles  ist  beisammen ;  es  ist  ein  Ab- 
grund von  Erfindung  und  Fülle."  Ant.  Rubinstein  ^)  stellt 
Bach  ungleich  höher,  weil  ernster,  gemütvoller,  tiefer,  erfinde- 
rischer, inkommensurabler  als  Händel.  Es  gibt  Musik,  die 
zu  einem  kommt,  und  andere  zu  der  man  gehen  müsse.  Eine  solche 
sei  die  oft  grundfalsch  beurteilte  Bachs,  von  ihm  könne  man  angesichts 
der  Fülle  seiner  Werke  wie  von  Homer  sagen :  das  hat  nicht  einer, 
das  haben  mehrere  geschrieben.  .  .  .  ^) 

J.  S.  Bach  hatte  aus  zwei  Ehen  20  Kinder  (11  Söhne  und  9  Töchter), 
von  denen  ihn  6  Söhne  imd  4  Töchter  überlebten.    Seine  musikalisch      winf ' 
bedeutendsten    Söhne    sind:    Wilhelm  Friede  mann    (genannt     Friedc- 
der  Hallische  Bach),  *  1710  in  Weimar,  f  1784  in  Berlin,  der  genialste, 


^)  „Die  Musik  u.  ihre  Meister."    Eine  Unten-edung.    Leipzig  1891. 

2)  GA.  (46  Bde.)  durch  die  IS.öO  von  den  Brüdern  Dr.  Hermann  und 
Raymund  Härtel,  C.  F.  Becker,  M.  Hauptmann,  0.  Jahn  und  Kob. 
Schumann   in  Leipzig   gegründete  Bach-Gesellschaft   (1900   vollendet). 

NA.  [Rob.  Franz:]  Matthäuspassion,  Suite  in  c-moll,  Sonate 
a.  d.  „Musikal.  Opfer",  Kantate  „Bleib  bei  uns",  ^Das  wohltemperierte 
Klavier"  (Breitkopf  &  Ilärtel);  Magniticat,  Weihnachts  -  Oratorium, 
Kantaten  (Totenfest),  Actus  tragicus,  Arien  und  Duette,  Suite  in 
h-moll,  20  geistliche  Lieder  für  1  Singst,  mit  Pianoforte  n.  a. 
(Leuckart),  Trauerode  (Kistner) ;  [Stradal :]  Orgelfugen,  Schuberth. 

B. :  J.  N.  Forkel,  Lpzg.  1802.  C.  H.  Bitter,  4  Bde.  Brln.  1881, 
W.  Weber.  Ph.  Spitta,  2  Bde.  Lpzg.  1873—80.  Barth,  02,  R.  Batka, 
Leipzig,  Reclam*.  Ph.  Wolfrum.  Bd.  13-14  „D.  Musik"  Brl.  —  L.: 
„Le  rausicien-poete"  par  Albert  Schweitzer,  Lpz.  Desselben  deutsches 
B.-Buch,  B.  &  H.  08.  Bach-Hefte  D.  M.  V.  1,  2  u.  X.  M.  Z.  07, 18.  —  D. : 
Eisenach  (s.  S.  199),  Lpzg.,  Brl. 


204 


III.  Neuzeit. 


Phil. 
Etnanuel. 


Joh. 
Christian. 


auf  den  der  Vater  seine  ganze  Hoffnung  setzte ,  aber  durch  einen 
zügellosen,  vagierenden  Lebenswandel  ganz  aus  der  Art  geschlagen;^) 
Karl  Philipp  Emanuel  (der  „Berliner"  oder  „Hamburger" 
Bach,  vgl.  Abschn.  15  und  Kap.  VIII)  *  1714  zu  Weimar,  f  1788 
als  Kirchenmusikdirektor  zu  Hamburg ,  der  vielfach  schon  die  mo- 
derne Note  anschlägt  (D  dur  Symphonie;  sein  Oratorium  ,Petrus'  ist 
ein  Bindeglied  zwischen  J.  8.  Bach  und  Mendelssohn.  Bei  Ph.  Em. 
Bach  finden  wir  bereits  auch  jene  charakteristische  Nachbildung  des 
Rezitativs  in  der  Instrumentalmusik,  die  seit  Beethoven  (op.  31  IT, 
1.  Satz)  in  der  modernen  Musik  eine  nicht  zu  unterschätzende  Rolle 
als  tonkünstlerisches  Ausdrucksmittel  spielt^));  endlich  Joh.  Christian 
(der  „Mailändische"  oder  „englische"  Bach),  *  1735  in  Leipzig, 
1760  Domorganist  in  Mailand,  1762  in  London,  wo  seine  erste  Oper 
Erfolg  hatte,  daselbst  f  1782.  Er  war  wie  Friedemann  hochbegabt, 
und  bei  den  Zeitgenossen  berühmter  als  der  Vater  imd  Philipp  Emanuel; 
heute  ist  er  mit  Unrecht  fast  ganz  vergessen.  Joh.  Christ.  Bach 
neigte  leichterer  Schreibart  zu  und  leitete  mit  seinem  Bruder 
Emanuel  „galant"  hinüber  in  den  Stil,  als  dessen  Repräsen- 
tanten wir  Haydn  und  Mozart  verehren.  Seine  Verdienste  wurden, 
wie  Rieraann  bemerkt,  im  Hinblick  auf  die  freilich  anders  geartete 
Kunst  des  Vaters  arg  verkannt.  „Zweifellos  hat  er  Anspruch  auf 
eine  ehrenvolle  Stellung  unter  den  ersten  Fortbildnern  des  durch 
Stamitz  (s.  Abschn.  15)  aufgebrachtenneuen  Stils  und  Mozart  er- 
kannte dankbar  an,  viel  von  ihm  gelernt  zu  haben."  ^)  Dieser  Christian 
Bach  war  es,  dessen  Bewunderung  der  siebenjährige  Mozart  1763  in 
London  so  sehr  erregte.*) 


Bearbei- 
tungen. 


Die  Schöpfungen  Händeis  und  Bachs  gleichen  wohl  den 
Fresken  der  großen  Maler ;  ihre  Schönheit  trotzt  den  Jahrhun- 
derten. "Wichtig  aber  für  das  Gelingen  einer  Vorführung  jener 
"Werke  wie  der  der  anderen  Meister  dieser  Epoche  ist  die  Frage  der 
Ausgestaltung  ihrer  Partituren;  diese  Avurden  zu  jener  Zeit  wie 
wir  bereits  wissen  (s.  S.  164  f.)  nur  mehr  oder  weniger  skizziert.  Man 
schrieb  wohl  die  Vokal-  und  Instrumentalstimmen  aus,  den  wichtigen 
0  r  g  e  1  p  a  r  t  jedoch,  den  bei  der  Aufführung  meist  der  Komponist  selber 


^)  NA.  [lliemann],  Auswahl,  Leipzig.  Das  großartige  Orgelkonzert 
in  D  moll  hat  der  "Wiener  Pianist  August  Stradal  zum  Konzertvortrag 
modern  effektvoll  für  Klavier  bearbeitet. 

2)  Im  Übertragen  des  freilich  aus  dem  Worte  geborenen  Rezi- 
tativs auf  das  rein  Instrumentale  eine  „Verirrung"  und  speziell  in  jenem 
Beethovensatze  einen  „unorganischen  Bestandteil"  (Riemann)  zu  er- 
blicken,  vermögen  wir  vom   rein  künstlerischen  Standpunkte  nicht. 

^)  Vgl.  die  Studie  von  Max  Schwarz,  IMG.,  II,  3. 

*)  NA.  der  Klavierkonzerte  [Riemann]  Leipzig. 


Die  Bearbeitungsfrage.  205 


spielte,  hatte  dieser  nur  leicht  durch  bezifferten  Baß  angedeutet.  Ge- 
rade die  Orgelbegleitung  aber  ist  z.  B.  bei  Seb.  Bach  mangels  aus- 
reichender ürchesterbesetzung  —  jener  Zeit:  Streichorchester  mit 
Oboen,  Fagotten,  auch  Flöten  u.  a.  obligaten  Instrumenten  (Pauken), 
namentlich  aber  Cembalo,  ev.  verstärkt  durch  Harfen  und  Lauten  — 
zur  Hauptstütze  des  Werkes  gestaltet.  Hierzu  kommen  durch- 
greifende Veränderungen  im  Gebrauch  der  einzelnen  Klangwerkzeuge, 
infolge  der  Entwickelung  der  Instrumentalmusik.  Gar  manche  Stelle 
der  alten  Partituren  kann  mit  den  jetzt  gebräuchlichen  Instrumenten, 
wenn  überhaupt,  nur  schwer  gebracht  werden.  Man  stand  ziemlich 
bald  vor  der  ebenso  heiklen  wie  dankbaren  Aufgabe  der  Wieder- 
herstellung jener  alten  Partituren  im  Geiste  der  Meister. 

Schon  Mo  zart,  nach  ihm  Mendelssohn  bemühten  sicli  um  Mozart, 
eine  derartige  „Bearbeitung"  der  Werke  Bachs  und  Händeis.  Auf  söhn, 
demselben  Wege  schritt  namentlich  R ob.  Franz  (s.  Abschn.  17)  Franz. 
mit  ebensolcher  Willenskraft  als  Kongenialität  weiter.  Seine 
Wiederbelebung  zahlreicher  Werke  der  beiden  Großmeister  Bach 
und  Händel  geschah  nach  Anibros  Urteil  im  Sinne  „stilgerechter 
und  notwiMidigcr  Ergänzungen".  Trotz  der  vollendeten  Meister- 
schaft und  Feinfühligkeit,  die  Franzens  zum  Teil  Neuschöpfungen 
gleiclikoumiende  Arbeiten  verraten,  entfesselten  diese  einen  harten 
Kampf  der  (von  Chrysander  [f  1901  in  Bergedorf  b.  Hamburg]  und  Chrysander. 
Ph.  Spitta  [t  1894,  l'niv.-Professor  für  Musikgeschichte  in  Berlin, 
1885— 1H94  mit  Chrysander  und  Adler  Herausgeber  der  „Viertel- 
jahrsschrift für  Musikwissenschaft"],  den  verdienstvoUeu  Händel-  und 
Bach-Biograplien,  angeführten)  Zunftgelehrten,  die  sich  aui  einen 
ablehnenden  „philologisch-historischen",  dabei  unmusikalischen 
Standpunkt  stellten  —  gegen  einen  Künstler  und  sein  lebendiges  Kunst- 
werk. Diesem  freilich  gaben  Männer  wie  Liszt,  Nikisch,  Kichter, 
Mottl,  in  freudiger  Bewunderung  den  Vorzug,  i)  Es  gilt  hier  ähnlich 
wie  in  der  bildenden  Kunst-)  derlei  Denkmäler  —  um  mit  Alwin 
Schultz  zu  reden  —  „sowohl  vor  der  Zerstörung  durch  Feinde,  als  wie 
vor  Verunstaltung  unberufener  Freunde  zu  schützen  ...  Alle  Ge- 
lehrsamkeit macht  noch  lange  nicht  zum  Künstler". 


Es   ist   lehrreich   und   bisher  nur  wenig  versucht,   den  unmittel-  Einflüsse. 
baren  Einflüssen  auf  die  Kunst  eines  Bach  und  Händel  auch  außerhalb 


M  Vgl.  zu  den  oben  angeführten  Bearbeitungen  von  Rob.  Franz 
dessen  „offenen  Brief  an  Ed.  Hanslick"  und  „Mitteilungen  über  J.  S. 
Bachs  ,Magniticat"',  sowie  die  mit  schlagenden  Notenbeispielen  durch- 
setzten, die  ganze  Bearbeitungsfrage  erschöpfenden  Broschüren  von 
Jul.  Schäffer,  sämtlich  bei  Leuckart.  S.  des  näheren  Prochäzkas 
Franzbiographie  (Keclam),  S.  77  ff. 

2)  Hier  sei  bemerkt,  wie  lückenhaft  die  Geschichte  der  bildenden 
Künste,  insbesondere  Deutschlands,  im  17.  u.  18.  Jahrb.  gegenüber 
der  Musikgeschichte  dieser  Periode  ist. 


206 


III.  Neuzeit. 


Fischer. 


des  oratorischen  Gebietes  uachzuforschen.  Max  Seiffert')  bezeichnet 
in  seiner  äußerst  wertvollen  „Geschichte  der  Klaviermusik"  Pachelbel 

Pachelbel.  (Vgl.  Kap.  VI)  als  einen  der  wichtigsten  Vorläufer  Bachs,  insbesondere 
hinsichtlich  der  pi-aktischen  Benützung  der  gleichschwebenden  Tempe- 
ratur. (S.  196  f.  cit.)  Neben  Pachelbel  und  Buxtehude  (S.  ob.)  hat 
aber  namentlich  Joh.  Kasp.  Ferdinand  Fischer  Bach  vielfach  in- 
spiriert (S.  231  cit.).  Dieser  lebte  ungefähr  1656 — 1740.  Geburtsort 
und  -jähr  gehören  noch  ins  Reich  der  Vermutungen,  vieles  aber  weist 
auf  Böhmen  als  Heimatsland.  2)  Verötfentlichte  er  doch  seine  Werke 
—  sein  bestes  darunter  ist  „Ariadne  Musica'"  für  Orgelspieler  (S.  229 
cit.)  —  zuerst  in  Schlackenwerth  i.  B.  und  verlegte  nur  ihren 
Vertrieb  der  weiteren  Verbreitung  wegen  nach  Augsburg,  wo  der 
Markgraf  Ludw.  v.  Baden,  dessen  Kapellmeister  F.  gewesen,  residierte 
(225  cit.).  Auch  Händel  erscheint  von  Fischer  beeinflußt,  der,  nach 
Gerber  einer  der  „s  t  ä  r  k  s  t  e  n  K 1  a  v  i  e  r  s  p  i  e  1  e  r  seinerzeit," 
das  Verdienst  hatte,  „die  Bezeichnung  der  Manieren 
sowie  den  er uten  Vortrag  überhaupt  auf  diesem  Instru- 
mente in  Deutschland  verbreitet  und  bekannt  gemacht 
zu  haben."  Aehnlich  wie  die  Suiten  Fischers  bilden  jene  des  vor- 
züglichen Lüneburger  Organisten  Georg  Böhm  (*  Goldach  b.  Gotha) 
die  „Vorstufe  zu  den  Bachscheu"  (Spitta,  und  258  cit.).  Beeinflussungen 
Bachs  und  Händeis  in  stilistischer  Hinsicht,  sogar  bis  zu  thematischen 
Entlehnungen,  fanden  ferner  auch  durch  Kuhn  au  (s.  ob.)  statt  (254  cit). 
Zu  Bachs  ,, Wohltemperiertem  Klavier"  gab  wiederum  mehr  noch  als 
Pachelbel  und  Fischer  Beruh.  Christ.  Weber,  Organist  zu  Tennstedt 
unmittelbaren  Anstoß,  indem  er  ein  gleiches  Werk  mit  völlig  identischem 
Titel  um  1689  herausgab  (;388  cit.).  Ueberhaupt  hat  Bach  im  „Wohl- 
temperiertem Klavier"  durchaus  nicht  immer  aus  eigenem  geschöpft. 
Es  finden  sich  thematische  Beziehungen  bei  ihm  wie  bei  Händel  außer 
zu  obengenannten  Meistemi  auch  z.  B.  zu  Kerll  (1680  —  92  Hoforganist 
zu  Wien  vgl.  Kap.  VI)  statt  (cit.  389).  So  ist  dessen  „Capriccio  Kuku"^) 
das  Modell  für  das  erste  AUegro  eines  Häudelschen  Orgelkonzertes ! 
(cit.  188).  Derartige  Beweise  wie  die  größten  Meister,  bis  auf  Wagner 
herauf  fest  auf  den  oft  unsichtbaren  Schultern  ihrer  Vorgänger  stehen, 
wiederholen  sich  in  der  Musikgeschichte  immer  von  neuem.    Wie  be- 

Eiiiflüsse.   eintlussen  Bach   und  Händel   in   der  neuesten  Zeit  wieder  die  Meister 


B.  Christ. 
Weber. 


Kerll. 


^)  Ausgezeichneter  Musikf'orscher  zu  Berlin,  *  1868.  Sein  oben- 
genanntes Werk  ist  die  3.  vollst,  umgearb.  u.  erweiterte  Ausgabe  v. 
C.  F.  Weitzmanns  Gesch.  d.  Klaviersp.  u.  d.  Klavierliteratur.  I.  Bd. 
(Die  ältere  Gesch.  bis  um  1750.     Leipzig  1899.) 

-)  A.  [E.  V.  Werra]  B.  &  H.  Ol  u.  in  „DM.  i.  Preußen",  Leipzig  02. 
Vgl.  E.  V.  Werras  Fischei-biographie  im  ,, Deutsch.  Musikb.  a.  Böhm." 
und  die  eingehende  Würdig,  v.  Fischers  KL-  u.  Org.werken  u.  deren 
Verhältnis  zu  jenen  der  Bach  und  Händel  von  Dr.  Hohenemser  in 
„Monatsheft,  f." Mus.  Gesch."  Nr.  9—11,  02. 

^)  Das  Autograph  in  der  Berliner  kgl.  Bibliothek  trägt  die  Unter- 
schrift: A.  M.  S.  g.  S  Alexii  Honorem.  Pragae  anno  1679  die  17  Julij. 
Kerll  weilte  1679  in  Prag. 


Einflüsse  und  Nachwirken.    Bedeutung  Böhmens. 


207 


von  den  Wienei-  Klassikern  angefangen  bis  auf  die  Kheinberger  und 
Draeseke,  Brahras  und  Brückner,  Liszt  und  Wagner,  Strauß  und  Keger!  ^) 
Während  es  aber  nur  den  großen  Genies  vorbehalten  war,  die  künst- 
lerischen Werte  ihrer  Zeit  und  Zeitgenossen  voll  auszunützen  und  so 
zu  Repräsentanten  ihrer  Zeit  zu  werden,  veilielen  die  kleinen 
Helfershelfer,  denen  nur  zu  säen,  nicht  auch  zu  ernten  bestimmt  war, 
tragisch  dem  Untergange.  Erst  die  neueste  Zeit  mit  ihrer  kräftigen 
Renaissancebewegung  bringt  hier  manche  Rettung  aus  unverdienter 
Vergessenheit. 


Czenio- 
liorsky. 


Einer  der  vorzüglichsten  Tonsetzer  aus  der  Epoche  Seb.  Bachs,  Fasch. 
und  von  diesem  selbst  hochgeschätzt,  war  Joh.  Friedr.  Fasch  (au 
verschiedenen  Höfen  tätig,  1721  Kapellmeister  und  Komponist  des 
Grafen  Morzin  in  Lukavec  i.  B.  [vgl.  Haydn],  f  1758  als  llofkapell- 
meister  in  Zerbst),  dessen  französische  Ouvertüren  (Orchestersuiten) 
oft  überraschend  kühn  konzipiert  erscheinen.  In  seinen  Triosonaten  2) 
erscheint  er  als  Vorläufer  Stamitz'  und  der  Wiener  Klassiker. 

Mit  dem  Geburtsjahre  Händeis  und  Bachs  fällt  nahezu  Böhmen, 
jenes  eines  böhmischen  Großmeisters  zusammen,  des  Ahnherrn 
einer  Reihe  berühmter  altböhmischer  Musikschulen :  Bohuslav 
Czernohorsky  [spr.  tscherno-].  Dieser  Minoritenmönch  (*  Nimburg 
16.  Februar  Itib-i,  f  auf  der  Reise  nach  Italien  1740)  lehrte  um  1715 
in  Italien,  als  Organist  im  Franziskanerkloster  zu  Assissi  —  dort  padre 
boemo  genannt  —  einen  Tartini,  und  um  1735  in  Böhmen,  als 
Musikleiter  an  der  Prager  St.  Jakobskirche,  den  Jungen  Gluck. 
Seine  ausgezeichneten  Kirclienkompositionen  (darunter  die  Motette 
,.Laudetur  Jesus"")  behandeln  nach  Ambros  „alle  Geheimnisse  des 
doppelten  Kontrapunktes  in  kühnster  und  geistvollster  Weise".  Im 
vollen  Glänze  zeigen  den  „böhmischen  Bacli-  die  Orgeltoccata  in  C 
und  die  beiden  Orgelfugen  in  c-  und  a-moU.-^)  Czernohorskys  hervor- 
ragendste Schüler  böhmischer  Abkunft  waren  Johann  Zach,  Franz 
Tuma  und  —  der  eigentliche  geistige  Erbe  des  Meisters  und  Gründer 
einer  neuen,  weitverzweigten  Schule,  deren  letzte  Ausläufer  (Sechter 
und  Proksch)  bis  in  die  neueste  Zeit  hereinragen*)  —  Josef  Segert. 

V)  Vgl.  Friedr.  Aug.  Lünemann  (der  Komponist  der  Symphonia 
arcbitectonica) :  Eine  durch  Bachstudien  gewonnene  kompositionstech- 
nische Erfindung  auf  sinfonischem  Gebiete ,  niedergelegt  in  einem 
kontrapunktisch  orchestralen  Riesenwerke.  An  alle  Tonkünstler  und 
Kunstfreunde  gerichtete  diesbezügliche  Darlegungen  eines  deutschen 
Komponisten  beim  Beginne  der  Konzertsaison  1907  08.    Crimmitschau. 

'^)  NA.  nebst  einem  Quatour  in  Riemanns  „Collegium  musicum". 

*)  NA.  [0.  Schmid]  in  ,, Orgelwerke  altböhm.  Meister",  Schlesinger. 

*)  L. :  „Die  böhm.  Musikschulen"  (1700—1850)  in  Kud.  Frhr. 
Prochäzkas  „Arpeggien"  (2.  Aufl.  „Musikal.  Streiflichter",  Dresden, 
Damm) ;  0.  Schmid  (Musikschriftsteller  in  Dresden,  *  1858,  als  Heraus- 
geber älterer  Meisterwerke  besonders  verdient',  ,, Musik  u.  Weltan- 
schauung", Ol ;  J.  B  r  a  n  b  e  r  g  e  r ,  „Z.  Gesch.  d.  Kirchenmusik  i.  Böhm." 
(tschechisch),  Prag,  05;   Batka,  ,,D.  Musik  in  Böhmen".    Berlin,  06. 


208  ni.  Neuzeit. 


ruma.  Unter  den  Messen  T  u  ra  a  s  (f  1774,  von  den  Zeitgenossen  ein  „Deutscher 
von  echtem  Schrot  und  Korn"  genannt)  3)  enthält  jene  in  G  ein  „Qui 
toUis"  von  geradezu  AUegrischer  Schönheit;  ganz  modern  wirkt  das 
C-moll-Requiem  für  je  2  Oboen,  Hörner,  Trompeten,  Geigen,  Viola, 

Zach.  Baß,  Orgel,  4 stimmigen  Chor  und  Soloquartett  von  Zach  (f  1773). 
Mit  der  chromatischen  Pracht  seiner  Harmonien,  den  tragischen  Tönen 
des  auch  instrumental  hervorragenden  „Dies  irae"  ist  es  heute  ein 
neueutdecktes  Glied  in  der  Kette  berühmter  Totenmessen.  Während 
uns  Habermanns,  des  „böhmischen  Händel",  Kyries  und  Glorias  mit 
melodischem  Ruf  sozusagen  in  eine  heiter-sonnige  ,, Kirche  im  Freien" 
laden,  führen  uns  Zach  und  Tuma  in  einen  romanischen  Dom,  in  den 
das  Licht  durch  bunte  Scheiben  mystisch  hereinbricht.    Von  den  Werken 

Segert.  Segerts  (f  1782  in  Prag),  eines  ausgezeichneten  Orgelvirtuosen,  hatte 
der  Hallesche  Musikdirektor  Dan.  Türk  (vgl.  Kap.  VI)  8  Tokkaten 
und  Fugen  für  die  Orgel  bei  Breitkopf  veröffentlicht,  „damit  durch 
sie  der  sinkende  Geschmack  in  Deutschland  gehoben 
werde".  Meiatgefeiert  als  Kirchenkomponist  wurde  indessen  der  mit 
kunstreichem  Satze  Feuer ,  Wohlklang  und  Melodie  verbindende 
Fr  Brixi  (f  1771,  DKM.  in  Prag),  nach  Ambros  ein  Vorläuff 
Mozarts 

Die  böhmische  Tonkunst  hatte  sich  in  früheren  Jahrhun- 
derten fast  nur  im  Innern  des  Landes  selbst  entwickelt,  teils 
beeinflußt  durch  den  Zuzug  fremder  Tonkünstler  —  siehe  die 
Musik  am  Prager  Königshofe,  vor  allem  unter  Rudolph  II., 
teils  infolge  sozialer  odei  politischer  Verhältnisse  —  siehe  die 
Hussiten-  und  Literatenchöre,  die  Weisen  der  böhmischen  und 
mährischen  Brüder ;  dort  wiederum,  wo  sie  in  Gestalt  des  Volks- 
liedes, der  Harfenisten  und  Petschauer  Musikbanden  die  Landesgrenzen 
überschritt,  haftete  ihr  doch  der  Charakter  mehr  des  angeborenen 
Musiksinnes  als  des  anerzogenen  Künstlertums  an  Zu  Anfang  des 
18  Jahrhunderts  aber  hebt  eine  auffallende  Bewegung  im  musi- 
kalischen Leben  Böhmens  an,  die  den  Ruhm  heimischer,  mit 
wahrem  Können  gepaarter  Talente  in  alle  Lande  trägt.  Nur  die 
Größe  jener  Bewegung,  von  der  man  sich  erst  jüngster  Zeit 
wieder  eine  Vorstellung  macht,  vermag  die  auch  jetzt  noch 
allgemeine  Hochschätzung  böhmischer  Künstlerschaft  zu  er- 
klären. Bald  kennt  das  18.  Jahrhundert  in  Europa  keine  Hof- 
kapelle, kein  größeres  Theaterorchester  mehr,  wo  nicht  böhmische 
Musiker,  seien  es  schaffende  Künstler  oder  Virtuosen,  gesucht, 
mit  offenen  Armen  empfangen  und  in  Ehren  hochgehalten  werden. 
„Böhmen,    das  Konservatorium  Europas"    sagte  man 


')  NA.    [0.    Schmidt]    ausgewählter   Chöre,    Passionsgesänge   u 
Klaviersachen. 


Reformation  der  italienischen  Oper. 


209 


damals.  Und  es  ist  kein  Zufall,  daß  gerade  in  den  Beginn  dieser 
Bewegung  auch  die  Wirksamkeit  jener  ersten  böhmischen  Musikschule 
Czemohorskys  fällt.  Daneben  spielen  aber  auch  die  Landschulen 
eine  Rolle,  die  Burney  so  rühmend  erwähnt  und  deren  jedes  Dorf  in 
Böhmen  eine  besaß;  alhvo  der  einfache  Lehrer  die  Kinder  im  Singen 
und  Spielen  schlecht  und  recht  unterrichtete  und  denen  gleichwohl 
nicht  selten  ein  Genie  entsprang,  das  gleich  einem  Stamitz  die  Mit- 
welt in  Bewunderung  versetzen  sollte.  Die  erste  Ausbildung  bei  den 
Dorfschulmeistern  genossen  auch  die  oft  hervorragenden  Musiker  jener 
bedeutsamen  Uauskapellen  der  hohen  Adelshäuser  Böhmens,  die 
die  eigentlichen  Stammhalter  des  Musiklebens  im  Lande  und  in  seiner 
Hauptstadt  bis  über  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  hinaus  waren. ^) 
Der  Verfall  dieser  adeligen  Hauskapellen,  wie  der  musikalischen  Land- 
schulen, bedeutete  einen  Niedergang  nicht  nur  der  kirchlichen  Musik 
in  Böhmen,  die  erst  seit  den  Tagen  Mozarts  wieder  zu  neuem  Leben 
erwachen  sollte.  Überschauen  wir  aber  die  Reihen  ruhmvoller  Namen 
böhmischer  Musiker,  die  auf  die  Entwickeluug  ihrer  Kunst  und  deren 
Großmeister  einen  dank  der  neuesten  Forschungen  immer  mehr  her- 
vorstechenden Einfluß  genommen,  dann  erscheint  uns  Böhmen,  die 
Heimat  der  Biber  und  Benda,  der  Hammerschmidt  und  Stamitz  als 
ein  Wiegenland  der  modernen  Tonkunst,  ähnlich  bedeutsam  wie  das 
alte  England  und  Italien. 


Dorf- 
schulen. 


Adels- 
kapellen. 


14.   Der  Ritter  von  Gluck   als  Reformator  der  italienischen 
Opera  seria. 

Die  Eitelkeit  der  Sänger  und  die  Denkträgheit  des  Publikums     Ueber- 
hatten  an  den  verführerischen  Reizen  der  italienischen  Arien  (vgl.    ,i^"\rie. 
S.  172  f.)  immer  mehr  Gefallen  gefunden  und  zwangen  nachgerade 
die  Komponisten  zum  Schreiben  derartiger  Stücke.    Eine  Reaktion  Reaktion, 
war  unausbleiblich.     Die  Form  der  Arie  an  sich  schon  war  zu 
gedehnt  und  hemmte  demnach  den  Fortgang  der  dramatischen 
Handlung.      Wie    erst    die    beliebt  gewordene  Aria  di  bravura, 
von    sinnlosen    Schnörkeln    und    Passagen    überladen ,    um    den 
Sängern  Gelegenheit    zu  geben,    ihre    allerdings    staunenswerte 
Kehlfertigkeit  bewundern  zu  lassen !   (vgl.  Kap.  IX.)    Der  Uebel 
größtes  aber  bestand  in  der  Versteinerung  der  Manier, 
die  jede  Kunst  zu  Grabe  trägt. 

Als    energischer    Retter    in    der    Not    erschien    Christoph 
Wilibald  Gluck,   der  Schöpfer  des  deutschen  Musikdramas  und 


1)  Vgl.  „Jahrb.  d.  Tonk.  v.  Wien  u.  Prag"  1796,  und  Anm.  2,  S.  208. 
Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.      14 


210 


III.  Neuzeit. 


Gluck 

1714—87. 


Ahnherr  Richard  Wagners.    *  2.  Juli  1714  auf  der  fürstlich  Lobkowitz- 
schen  Herrschaft  Weideuwang  an  der  böhmischen  Grenze  ^),  erhielt  er  seine 

wissenschaft- 
liche und  erste 
musikalische 
Bildung  zu- 
nächst in  Leipa 
(wo  sein  erstes 
Liedchen     ent- 
stand) und  Ko- 
motau  i.  Böhm., 
hierauf  in  Prag 
bei  Czeruo- 
horsky;  sein 
höheres     musi- 
kalisches   Wis- 
sen dagegen  zu 
Mailand  (^bei 
dem  damals  be- 
liebten Kompo- 
nisten Giov. 
Batt.Sammar- 
tini,   t  1774), 
wo  er  auch  1741 
seine  erste  Oper 
„Artaserse"  zur 

Auftuhruug 
brachte.  Später 
lebte   er   kurze 
Zeit  in  London, 
dann ,     bis    zu 
seinem   am   15. 
Nov.    1787    er- 
folgten Ab- 
leben in  Wien, 
daselbst  von 
1754—64  als 
Oberkapell- 
meister wir- 
kend.    1756 
hatte    ihn    der 
Papst  zum  Ritter  vom  goldenen  Sporn  ernannt. 

Wohl   wandelte   G.    in    seinen    ersten  Opern   zunächst   die 
Pfade    der    neapolitanischen  Schule    (A.  Scarlatti,  Feo).     Doch 


^H^ 


^)  Die  gelegentliche  Schreibweise  Gluckh  oder  Klnck  darf  nicht, 
wie   es   in  jüngster  Zeit   geschah,   zum  Gedanken  an  eine  böhmische 


Abstammung  verleiten.     Am  Namen 
ernst  Goethe  an  Herder. 


soll   man   nicht   deuteln,   schrieb 


Christoph  WUibald  Gluck. 


211 


konnte  dieser  Stil  mit  seinen  oben  gerüoften  Fehlern  auf  die 
Dauer  dem  denkenden,  kräftigen  und  großsinnigen  Geiste  Glucks 
nicht  genügen.  Die  Musik  Händeis  und  Rameaus  übte  ihre 
gewaltige  Wirkung ! 

In  den  zu  Wien  urauf geführten  Opern  „Orpheus"  (1762), 
,Alceste"  (1767)  und  „Paris  undHelena"  (1700)  betrat  G. 
zuerst  den  Weg  der  Reform.  Diese  bespricht  er  selbst  in  der  Vorrede 
zu  seiner  vvunderherrlichen  „Alceste"  (1769):  „Als  ich  es  unter- 
nahm, diese  Oper  in  Musik  zu  setzen,  war  es  meine  Absicht,  die  Musik 
von  all  den  MilJbräucheu  zu  reinigren,  die  sich  infolge  der  Eitelkeit 
der  Sänger  und  der  übergroßen  Nachgiebigkeit  derTonsetzer  in  die 
italienische  Oper  eingeschlichen  haben  und  aus  dem  prächtigsten  und 
schönsten  aller  Schauspiele  das  lächerlichste  und  langweiligste  machen. 
Ich  versuchte  deshalb  die  Musik  zu  ihrer  wahren  Bestimmung  zu- 
rückzuführen ,  nämlich  der  Dichtung  zu  dienen,  indem  sie  den 
Ausdruck  der  Empfindungen  und  den  Reiz  der  Situationen  verstärke, 
ohne  die  Handlung  zu  unterbrechen  oder  durch  überflüssige  Zieraten 
abzuschwächen;  denn  ich  meine,  daß  die  Dichtung  von  der 
Tonkunst  in  .  derselben  Weise  unterstützt  und  gehoben 
werden  muß,  wie  die  korrekte  Zeichnung  eines  Gemäldes  durch 
den  Glanz  der  Farben  und  durch  die  richtige  Verteilung  von 
Licht  und  Schatten,  welche  die  Figuren  beleben, 
risse  zu  beeinträchtigen.  Ich  vermied  es  daher, 
im  Feuer  des  Dialoges  zu  unterbrechen ,  um  ihn 
Ritornell  abwarten  zu  lassen,  oder  um  ihn  mitten 
bei  einem  günstigen  Vokale  aufzuhalten,  damit  er  die  Geläufigkeit 
seiner  schönen  Stimme  in  einer  langen  Passage  oft'enbare,  oder  warte, 
daß  ihm  das  Orchester  Zeit  gäbe,  um  Atem  zu  schöpfen  für  eine 
Kadenz.  Ich  glaubte  nicht  über  den  zweiten  Teil  einer  Arie  rasch  hinweg- 
eilen zu  diirfen,  wenn  dieser  zweite  Teil  der  leidenschaftlichere  und 
wichtigere  ist,  nur  um  wie  üblich  die  Worte  des  ersten  viermal  zu 
wiederholen  und  die  Arie  da  zu  endigen,  wo  vielleicht  der  Sinn  noch 
nicht  zu  Ende  ist,  um  den  Sänger  zeigen  zu  lassen,  daß  er  nach  Be- 
lieben und  auf  mannigfache  Art  eine  Passage  variieren  könne.  Kurz, 
ich  wollte  alle  jene  Mißbräuche  verbannen,  gegen  die  schon  lange  der 
gute  Geschmack  und  der  gesunde  Verstand  sich  empören.  Ich  bin 
der  Ansicht,  daß  die  Sinfonia  (^Ouvertüre)  die  Zuschauer  auf  den 
Charakter  der  Handlung  vorzubereiten,  gleichsam  den 
Inhalt  derselben  anzudeuten  habe  .  .  .  Ich  glaubte  ferner,  mein  größtes 
Bestreben  auf  eine  schöne  Einfachheit  richten  zu  müssen, 
imd  ich  vermied  es,  auf  Kosten  der  Klarheit  mit  Schwierigkeiten  zu 
prunken.  Ich  legte  keinen  Wert  auf  die  Erfindung  einer  neuen  Wendung, 
außer  da,  wo  sie  auf  natürliche  Weise  durch  die  Situation  und  durch 
den  Ausdruck  herbeigeführt  wurde,  und  es  gibt  keine  geheiligte  Regel, 
die  ich  nicht  aus  freien  Stücken  zu  Gunsten  der  Wirkimg  opfern  zu 
dürfen  geglaubt  hätte." 

Jene   drei  Reform-Opern   fanden  in  Wien   nur  geteilten  Beifall; 


Reform- 
Opern. 


Wesen  der 
Reform 


ohne    ihre    Um- 

den   Schauspieler 

ein   langweiliges 

in   einem   Worte 


Einfach- 
heit. 


212  m.  Neuzeit. 


namentlich  die  norddeutsche  Kritik  urteilte  darüber  abfällig.  So  schrieb 
Agrikola  in  der  „Allgemeinen  deutschen  Bibliothek"  über  Alceste, 
„diese  Komposition  sei,  als  eine  bloße  notierte  Deklamation  betrachtet, 
immer  noch  zu  viel  Musik,  imd  als  musikalisches  Kunstwerk  betrachet, 
viel  zu  wenig  Musik". 

1773  durch  den  Einfluß  seiner  früheren  Schülerin,  Marie 
Paris.  Antoinette,  nach  Paris  berufen,  fand  G.  daselbst  einen  für  seine 
Reformpläne  günstigen  Boden  vor :  es  hatten,  wie  wir  wissen, 
Lully,  Rameau  und  Gretry  in  der  französischen  Oper  im  Gegen- 
satze zur  italienischen  bereits  das  Hauptgewicht  auf  den  Text 
und  dessen  Deklamation  gelegt. 

G.,  der  sein  Werk  so  vorbereitet  sah,  brachte  zunächst 
1774  „Iphigenie  in  Aulis"  —  die  erste  Oper  mit  motivisch 
durchgeführter  Ouvertüre !  —  und  darauf  die  bereits  in  Wien 
komponierten,  aber  für  Paris  umgearbeiteten  Opern  „Orpheus" 
und  „Alceste"  zur  Aufführung.  Nun  aber  G.  die  Oper  „Roland" 
komponieren  wollte,  setzte  die  italienische  Gegenpartei  es  durch, 
Piccini.  daß  der  gleiche  Text  auch  von  Nicolo  Piccini  (s.  S.  174  f.) 
bearbeitet  werde.  Hierüber  ergrimmt,  verbrannte  G.  seine 
Roland-Skizzen  und  komponierte  „Armida".  Die  beiden  Kon- 
kurrenz-Werke kamen  nach  einander  zur  Aufführung ;  Armida 
1777  anfangs  nur  mit  geringem  Erfolge,  Roland  1778  dagegen 
mit  stürmischem  Beifall.  Ganz  Paris  teilte  sich  in  zwei  Parteien, 
die  Gluckisten  und  Piccinisten,  die  sich  auf  das  heftigste  be- 
fehdeten. Der  Meister  schrieb  nun  seine  letzte  große  Oper: 
„Iphigenie  aufTauris"  und  deren  großartiger  Eindruck 
beendete  (1779)  den  musikalischen  Krieg  zu  seinen  Gunsten. 
Piccinis  Komposition  desselben  Textes  wurde  1781  kühl  auf- 
genommen und  G.  als  erster  Meister  der  dramatischen  Musik 
gefeiert.  1) 

Er  war  in  der  Tat  der  Reformator  der  ernsten  italieni- 
schen Oper  geworden,  denn  er  gab  seinen  Opern  Einheit  der 
dramatischen  Handlung  und  wußte  die  Leidenschaften  wahr  zu 
schildern,  die  Charaktere  trefflich  zu  zeichnen.  Der  Inhalt 
seiner  Musik  war  immer  groß  und  edel,  in  knappen  Formen 
gehalten.  Daß  er  das  Recitativ  mit  besonderer  Aufmerksam- 
keit behandelt,  liegt  schon  in  seiner  ganzen  Richtung.  Die 
opera  buffa,  die  unter  keinem  widersinnigen  Schnörkel wesen 


^)  Vgl.  Alb.  Jansen  „J.  J.  Rousseau    als    Musiker".    Brl.   1884. 
S.  351—400.  —  NA.  der  „Iphigenie  a.  T."  [R.  Strauß]. 


Christoph  Wilibald  Gluck.  213 

litt  und  ihrerseits  schon  eine  Art  Regeneration  der  Schablonen- 
oper bedeutet,  blieb  unberührt  von  seiner  Reform. 

Mit  zur  Gluckschen  Opernreforra  gehört  auch  der  Bruch  mit 
der  landläufigen  Librettistik  eines  Metastasio  (s.  S.  175);  in  dieser 
Richtung  hatte  bereits  Joraelli  vorgearbeitet,  den  einzelne  Zeitgenossen 
als  den  ,. italienischen  Gluck"  bezeichnen. i)  Der  verdienstvolle  Text- 
dichter Glucks  und  seiner  Refonnopern    war  Calzabigi   (f  1795).^) 

Kiesewetter  urteilt  ^) :  „Glucks  Genie  hat,  bei  aller  Sorgfalt  für  die  Resume. 
Poesie,  die  Selbständigkeit  sowie  die  Schönheit  seiner  Musik  zu  behaupten 
gewußt ;  Glucks  Melodien  entzücken  in  Verbindung  mit  den  Worten  durch 
die  Wahrheit  des  musikalischen  Ausdrucks;  sie  würden  aber 
auch,  von  den  Worten  entkleidet,  an  und  für  sich  noch  für  schön  und 
bedeutsam  gelten.  Und  wenn  zwar  seine  Gesänge  ihre  ganze  Wirkung 
nur  im  Zusammenhange  der  Szenen  gewähren,  darum,  aus  dem  Zu- 
sammenhange gerissen,  zu  Produktionen  im  Konzerte  sich  wenig  eignen, 
so  sind  sie  doch  keineswegs  formlos,  und  ihre  Motive  treten  in  ihrer 
Anmut  deutlich  genug  hervor,  um  sie  nach  dem  Anhören  seiner  Opern 
ebenso  gern  und  ebenso  leicht  aus  dem  Gemüte  zu  wiederholen,  wie 
wenn  man  irgend  einmal  aus  einem  Opernhause  Italiens  trat."  Die 

Daß  Gluck    die    Arie    selbst    nicht    verwarf,    sondern    sie  tJiucksche 

'  Ane. 

vielmehr  stilvoll  neu  gestaltend  mit  als  integrierenden  Bestand- 
teil der  Oper  in  seiner  Weise  verwendete,  spricht  für  die  Be- 
rechtigung der  Arienform  an  sich.*)  Bemerkenswert  äußert  sich 
hier  Dr.  Max  Arend:  ^Das  Wagnersche  Musikdrama  verwirft  be- 
kanntlich die  geschlossenen  musikalischen  Formen,  abgesehen  von 
Ausnahmefällen,  die  durch  das  Drama  selbst  bedingt  sind,  und  setzt 
an  ihre  Stelle  den  großartigen  symphonischen  Aufbau  ganzer  Szenen 
oder  Akte.  Diese  ,, unendliche"  Melodie  erschien  Wagner  als  dem 
Wesen  des  Dramas  allein  entsprechend.  So  weit  ist  Gluck  nicht  ge- 
gangen, und  gerade  hier  liegt  der  Unterscheidungspunkt  für  die  beiden 
großen  Dramatiker.  In  allem  übrigen:  Wahrheit  des  musikalischen 
Ausdrucks,  Charakterzeichnung,  Vorschieben  des  Dramatischen  gegen- 
über dem  MusikaUschen  wandeln  sie  gleiche  Wege.  Von  höchstem 
Interesse  und  noch  nicht  genügend  beachtet  ist  nun  das  Verhalten 
Glucks  der  Arie  gegenüber.  Besehen  wir  zunächst  die  Stelle, 
wo  die  Glucksche  Arie  steht,  so  finden  wir,  daß  sie  etwa  die  Rolle 
des  Chors,  der  antiken  Tragödie  spielt.  Hier  wie  dort  werden 
wir  gleichsam  über  die  Handlung  gestellt,  wird  uns  von  einer 
höheren  Warte  herab  die  Bedeutung  der  Handlung  gezeigt.  Hier  hat 
die  Musik  —  die  Kunst,  die  dem  Urgrund  alles  Seins  am  nächsten 
kommen,  die  Seele  selbst  bloßlegen  kann  —  ungehindert  das  Wort.   D  i  e 


^)  Vgl.  Dr.  Aberts  Ausführungen  zur  „Fetonte"- Ausgabe  (S.  174, 
Anm.  5)  und  Schiedermair,  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Oper  um  d.  Wende 
des  18.  Jahrb.;  1907. 

2)  S.  Welti,  G.  u.  Calzabigi,  Viertel.)" ahrschr.  f.  M.  W.  1891. 

3)  Geschichte  der  Musik,  Leipzig  1834,  pag.  93. 
*)  Vgl.  S.  173,  Anm.  1. 


214 


III.  Neuzeit. 


Glucksche  Arie  ist  damit  die  feinste  Effloreszenz  der 
dramatischen  Handlung,  und  es  muß  als  unwissende  Barbarei 
bezeichnet  werden,  wenn  man  sie  streicht,  um  den  Fortgang  der 
äußeren  Handlung  zu  beschleunigen.  Denn  man  streicht  damit 
die  innere  Handlung". 

Außerhalb  der  Bühnenmusik  (darunter  vieles  für  das  Schön- 
brunner  Schloßtheater,  u.  a.  auch  die  Bearbeitung  eines  franzö- 
sischen Rokoko-Schäferspiels  „Die  Maikönigin")  schrieb  Gluck  u.  a. 
Symphonien,  Triosonaten  ^),  ein  schönes  De  profundis  für  Chor  und 
Orchester,  den  8.  Psalm  a  capella.^) 

Nachfolge.  In  Gluckschem  Geiste,    der    auch  Mozarts  Schaffen   be- 

fruchten   sollte,    komponierte    später,    vom  Meister  selbst  dazu 
M6hui.     ermuntert,    zu  Paris  Etienne  Mehul  (1763 — 1817),    dessen 
„Joseph  und  seine  Brüder",  in  einfachem  und  edlem  Stile  (1807) 
geschrieben,  uns  heute  noch  erfreut  ^) ;  in  gewissem  Sinne  dann 

Cherubini.  auch  Luigi  Cherubini,  der  aus  dem  Streite  der  Gluckisten 
und  Piccinisten,  wie  wir  noch  hören  werden,  seinen  künstle- 
rischen Nutzen  zog.  Mozart  und  Beethoven  bilden  nunmehr 
die  weiteren  Etappen  der  Oper. 


15.  Der  neue  instrumentalstil.    Johann  Stamitz  und  die 
Mannheimer  Symphoniker. 

Die  Mannheimer  (pfalzbayrische)  Tonschule  als  Bahn- 
brecher in  des  modernen  Stils.  Wesen  der  Stil re form. 
Der  Schöpfer  der  Symphonie.  Die  neu  e  Sonatenform. 
Ph.  Em.  Bach  und  der  galante  Stil.  Die  Brücke  zum 
freien  Wiener  Kl  assikertum. 


Mann-  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  gaben  sich  zu  Mann- 

Schufe  ^^^^  eingewanderte  böhmische  Musiker  ersten  Ranges  ein  be- 
deutsames Stelldichein.  Ihr  geistiges  Haupt  war  Johann 
Stamitz,  der  zum  Reformator  des  symphonischen  Stils  werden 

1)  NA.:  im  „Collegium  musicum"  [Riemann]. 

2)  Kritische  Pracht-A.  der  Hauptopern  [Frl  Pelletan,  Damcke, 
Saint-Saens,  Tiersot]  1873—96,  Lpz.  B.:  A.  Schmid,  Lpz.  1854; 
Welti,  Lpz.  Reclam*.  —  L.:  A.  B.  Marx,  Gluck  u.  d.  Oper.  2  Bde. 
Brl.  1863.  Wotquenne,  Themat.  Werkverzeichnis,  Lpz.  04.  —  D. : 
Weidenwang,  München. 

3)  B.:  A.  Pougin,  1889.  NA.  des  „Joseph"  Collect.  LitolfF. 
Rezitative  zu  dieser  Oper  schrieb  Max  Z  eng  er  (Lehrer  a.  d.  Musik- 
schule in  München,  [Oratorium  „Kain"  u.  a.]. 


Stilreform.    Job.  Stamitz. 


215 


t  1757. 


sollte :  eine  Individualität  sondergleichen,  voll  elementarer  Be- 
weglichkeit, Tiefe  und  Originalität.  Merkwürdig  genug,  daß  erst 
in  jüngster  Zeit  der  nimmermüde  Riemann  kommen  mußte,  um  den 
„eigentlichen  Bahnbrecher  des  modernen  Stils"  entdeckend  zu  dekre- 
tieren ^),  was  vor  mehr  denn  lüO  Jahren  schon  ein  großer  Musik- 
historiker klipp  imd  klar  ausgesprochen  hat.  Das  berühmte  „Tage- 
buch  seiner  musikalischen  Reisen"  Carl  Burneys  a.  d.  J.  1772  ist 
voll  der  Lobeserhebungen  über  Stamitz.  So  heißt  es  an  einer  Stelle 
über  den  kurz  vorher  zu  Mannheim  verstorbenen  Meister  ausdrücklich, 
daß  „von  dessen  Feuer  und  Genie  sich  in  großem  Maße 
der  gegenwärtige  Symphoniestil  her  seh  reibt,  der  so 
voller  Licht  und  Schatten  ist.  Hier  eben  war's,  wo  Stamitz  zuerst 
über  die  Grenzen  der  gewöhnlichen  Opernouverture 
hinwegschritt  .  .  .  Hier  ist  der  Geburtsort  des  Crescendo  und 
Diminuendo,  hier  war  es,  wo  man  merkte,  daß  das  piano  (vorher 
hauptsächlich  nur  als  ein  Echo  gebraucht  und  gewöhnlich  gleich- 
bedeutend genommen)  sowohl  als  das  forte  musikalische  Farben  sind, 
die  so  gut  ihre  Schattierungen  haben,  als  Rot  und  Blau  in  der  Malerei."  ^j 

Joh.  Stamitz,  gleich  berühmt  als  Geiger  wie  als  Komponist,  war  ^**™^''* 
der  Sohn  des  Kantors  an  der  Stadtkirche  zu  Deutschbrod  i.  B.,  dort- 
selbst  1717  geboren;  er  starb  1757  als  Konzertmeister  am  pfälzischen 
Hofe  Karl  Theodors  und  Direktor  der  Instrumentalkaramerniusik  zu 
Mannheim,  wo  er  die  kurfürstliche  Kapelle  zu  hohem  Ansehen  ge- 
bracht hatte.  St.  wurde,  wie  Burney  berichtet,  „in  der  gemeinen  Stadt- 
schule unter  Knaben  von  gewöhnlichen  Talenten  erzogen ,  die  un- 
bekannt lebten  nnd  starben.  Er  aber  brach  wie  ein  zweiter  Shakespeare 
durch  alle  Schwierigkeiten  und  Hindernisse  hindurch  .  .  .  Sein  Genie 
war  sehr  original,  kraftvoll  und  kühn.  Erfindung,  Feuer,  Kontrast 
in  den  geschwinden  Sätzen,  eine  zärtliche,  reizende  Melodie  in  den 
langsamen,  verbunden  mit  Scharfsinn  und  Reichtum  in  der  Begleitung 
charakterisieren  seine  Werke;  .  .  .  alle  sind  voll  starken  Ausdrucks." 

In  der  Einführung  des  elementaren  Kontrastes,  eines  im 
Wesen  der  Natur  selbst  begründeten,  hervorragenden  Kunst- 
mittels, im  jähen  Wechsel  der  Stimmung  und  ihres  Ausdruckes, 
sehen  wir  das  Hauptmoment  jener  durch  Stamitz  bewirkten  Stil- 
reform, die  sensationell  einschlug  und  (trotz  heftigen  Wider- 
spruchs) allenthalben  zur  Nachahmung  reizte.  Insbesondere  in 
London  und  Paris,  den  Mittelpunkten  des  Konzertlebens  jener  Zeit,  Orchester, 
fiel  die  Neuerung  auf  fruchtbaren  Boden.  Sie  erstreckte  sich  zudem 
auch  auf  die  Instrumentation.    In  seinen  Symphonien  verwendet 


Stilreform. 


1)  Vgl.  Riemann,  „Ein  vergessener  Großmeister",  Hesses  Mus, 
Kai.  1903  und  „Die  Entwickelung  d.  modern.  Inslruraentalstils  um 
1750",  Neue  Mus.-Ztg.  190708  Nr.  1,  2  (s.  auch  S.  217,  Anm.  1); 
Mennicke :  „D.  Mannheimer  Schule",  N.  Ztschr.  f.  Mus.,  1905,  Nr.  29—33. 

^)  Vgl.  S.  76  Mazzochi  und  Severi. 


216  III-  Neuzeit. 


Stamitz  bereits  Hörner  und  Klai'inetten  ^),  mit  diesen  namentlich  ein 
Hauptinstrument  dem  Orchester  zuführend.  Durch  Stamitz'  Ein- 
wirkung endlich  löst  sich  die  gegen  1750  immer  häufiger  auf- 
tretende, durch  J.  G.  Graun,  Ph.  Em.  Bach,  G.  Benda  u.  a. 
symü^'cmfe  g^pfl^gte  Konzertsymphonie  als  selbständige  Gattung 
endgiltig  los  von  der  Opernsymphonie  (Ouvertüre,  s.  S.  184),  deren 
Gehalt  eben  erst  Händel,  Hasse,  K.  H.  Graun,  Galuppi,  Jomelli,  Gluck 
Um-       u.  a.  vertieft  hatten.     Durch  Ausscheiden   der  Fuge   aus   dem   ersten 

formung.  Satze  xmterschied  sich  die  Symphonie  bis  dahin  schon  wesentlich  von 
der  3  sätzigen   französischen  Ouvertüre ;  nun  erweiterte  Stamitz 

Menuett,  die  Form,  indem  er  das  Menuett  aus  der  Suite  herüber  nahm, 
diese  altfranzösische  Tanzform  (Tripeltakt,  gemäßigt)  nebst 
kontrastierendem  Trio  im  Ausdruck  vertiefend  (sozusagen 
verdeutschend)  als  vierten  Satz  einfügte,  und  gleichzeitig 
dem  ersten  die  vollentwickelte  Sonatenform  (s.  unten)  ver- 
lieh. So  überlieferte  Stamitz  die  voll  ausgeprägte 
symphonische  Form  der  Instrumentalmusik  einem 
Haydn  und  Mozart,  aus  deren  Händen  sie  wieder  Beet- 
hoven empfing,  um  sie  bis  an  die  Grenzen  der  Entwickelung 
zu  führen. 

Diese  mit  der  Zahl  und  Anordnung  der  einzelnen  Sätze 
(Allegro,  Andante,  Menuett,  Presto)  für  die  klassische  Symphonie 
und    das  Quartett    vorbildliche   neue  Form  hatte  St.   gleich  in 

Orchester-  seinem  aufsehenerregenden  op.  1,  den  genialen  6  Orchester- 
trios, niedergelegt,  und  dann  selbst  auf  größere  Ensembles 
übertragen.  In  jenen  lebenssprüheuden,  auch  heute  ihrer  Wirkung 
sicheren,  anmutreichen  und  wohllautsatten  Trios  (für  einfache 
oder  orchestrale  Besetzung),  die  mit  der  Corellischen  Stim- 
mungsstarrheit brachen  und  mit  Mozartscher  Grazie  unserer 
modernen  Kammernuisik  das  Tor  öffneten ,  steckt  echt 
böhmisches  Musikantenblut;  mit  ihnen,  wie  mit  seinen  in  der 
Faktur  gleich  meisterhaften  Symphonien  schlägt  St.  die  bis 
vor  wenigen  Jahren  noch  unsichtbare  Brücke  vom  strengen 
Bach  zu  den  freien  Wiener  Klassikern.  Ein  charakteristisches 
Wertmoraent  jener  Werke  liegt,  von  der  freien  und  doch  meister- 
lichen Kontrapunktik  abgesehen,  in  der  kraftvoll  kühnen  Baßführung 
und   in   einer  gewissen    pausierenden   (intermittierenden)   Stimm- 


^)  Bereits  1748  wurden  auf  Stamitz'  Rat  hin  die  Höi'ner  in  das 
Pariser  Orchester  eingeführt.  Die  Klarinette  erfand  1700  Joh.  Chi-ist. 
Denner  in  Nürnberg. 


Die  moderne  Symphonie.     Die  „Mannheimer"  u.  ihr  Ki-eis.   217 

fuhrung  die  (später  von  Beethoven  [s.  op.  110]  besonders  genützt)  an 
das  U  r  w  e  s  e  n  der  Musik  rührt. 

Neben  St.  steht  F.  X.  Richter  (*  1709  zu  Holleschau  in  Richter. 
Mähren,  1747 — 1769  Kamraerkomponist  in  Mannheim,  f  1789  als 
Kapellmeister  am  Münster  zu  Straßburg)  als  Mitscböpfer  der 
Symphonie.  In  seinen  gesangreichen  Allegros  hören  wir 
schon  einen  Vorklang  Mozarts  (dessen  von  Staraitz  und  seiner 
Schule  übernommene  Schreibart  des  „singenden  Allegro"  übrigens  weit 
zurück  auf  Pergolesi  weist).  Seine  zahlreichen  Orchester-  und  Kammer- 
werke (Streichquartette,  Flöten[Violin]sonaten)  überraschen  besonders 
durch  allerhand  harmonische  Feinheiten.  K.  stand  auch  als  Kirchen- 
komponist in  hohem  Ansehen.  Der  dritte  Hauptrepräsentant  der 
Mannheimer  Tonschule,  der  aber  seinem  Lehrmeister  Stamitz  in  tech- 
nischer Beziehung  nachsteht,  ist  der  Böhme  Ant.  Filt  z  (f  1760,  kaum  '" 
30  Jahre  alt,  erster  Cellist  des  Mannheimer  Orchesters).  Seine  wie 
der  übrigen  „Mannheimer"  Werke  •)  erschienen  rasch  zu  Paris,  London 
und  Amsterdam  in  Druck  und  Nachdruck. 

Mit  der  zahlreichen  Nachahmung  verflachte  bald  der  Mann- 
heimer Stil  zur  Manier ;  erst  das  Genie  der  drei  großen  Wiener 
Klassiker  brachte  jenen  Stil  (der,  samt  gewissen  „Manieren", 
namentlich  Mozart  beeinflußt)  zur  Vollendung,  und  trug  den 
Sieg  über  Stamitz  selbst  und  seine  Epigonen  davon.  Unter 
diesen  ragen  Luigi  Boccherini  aus  Lucca  (1743 — 1805),  dessen  heute  i^occhenm. 
mit  Unrecht  vergessene  Kammermusik  einst  stark  in  Mode  war,  und 
der  als  Instrumentalkoniponist  durch  Ilaydn  rasch  überholte  Wiener 
C  a  r  1  D  i  1 1  e  r  s  V  0  n  D  i  1 1  e  r  s  d  o  r  f  1 739-^99 j  hervor.  Dessen  6  Sym-  Diitersdorf. 
phonien  über  die  Metamorphosen  des  Ovid,  wie  auch  ein  Divertimento 
,,Der  Streit  der  menschlichen  Eigenschaften"  stempeln  ihn  zu  einem 
liebenswürdig-naiven  Vertreter  der  Programmmusik.  -')  Von  seinen  6 
Streichquartetten  wird  besonders  das  in  Esdur  noch  heute  gern  gespielt. 
Außer  diesen  beiden  zählen  hier  J o h.  Chr.  Bach  (S.  203), 
Gossec,  Pierre  van  Maid  er  (aus  Brüssel,  f  1768),  die  Böhmen 
Mysliweczek  und  Georg  Benda  (S.  181),  dann  Leopold 
Mozart  u.  a.  mit.  Der  Belgier  Frangois  Jos.  Gossec  (f  1829 
zu  Paris),  mit  Unrecht  der  „Vater  der  Symphonie"  genannt,  kam 
namentlich  als  Opernkompouist  in  Frankreich  zu  Ansehen  und  Be- 
deutung, ähnlich  wie  in  Italien  der  dort  Jl  Boemo  (auch  Vena- 
torini)  genannte  My  sli weczek  (f  1781  zu  Rom),  ein  Schüler  Haber- 
manns und  Freund  Mozarts. 

Unmittelbare  Schüler  von  Stamitz,   dem   sich   der  Wiener  Ignaz  Holzbauer. 
Holzbauer    (f    1783,   HKM.   in   Mannheim)   in   seinen   von   Mozart 
geschätzten    Werken    anschloß,     waren     Karl    Stamitz,    Johanns     stamiti' 
ältester  Sohn    (f  1801   nach  einem  unruhigen  Wanderleben   zu  Jena),     *öune. 
ein  Virtuose  auf   der  Bratsche  und  Viola  d'amour,   der   erste    Haupt- 


1)  NA,  [Riemann]  DM.  i.  Bay.  III,  1  u.  Colleg.  music. 

2)  NA.  1899,  Lpz.  Reinecke.    Vgl.  K.  Krebs,  Dittersdortiana,  00. 


218 


III.  Neuzeit. 


komponist  dei-  das  Concerto  grosso  (S.  185)  ablösenden  „Konzer- 
tanten Symphonie"  (d.  i.  ein  Orchesterwerk  mit  mehreren 
virtuos  gesetzten  Soloinstrumenten  meist  Violine  und  Bratsche,  vgl. 
Brahms),  und  sein  Bruder  Anton,  dann  die  Mannheimer  Christ. 
Cannabich  (f  1798,  der  Amtsnachfolger  Meister  Johanns,  dessen 
Orchester  und  Stilform  rein  äußerlich  erweiternd),  Franz  Beck,  Ernst 
Eichner  (hervon-agender  Fagottist),  Wilh.  Gramer,  der  Italiener  C. 
Toeschi  u.  a. 

Joh.   Stamitz    und  Fr.  X.  Richter   behaupten  jedoch  auch 

Sonate,  jjj  ^qj.  Entwickelung  der  Sonatenform,  als  der  in  der  Folge 
maßgebenden  für  Instrumentalwerke  aller  Art,  ihren  hervor- 
stechenden Rang.  Unmittelbar  voran  auf  dem  Wege  der  Ent- 
wickelung   der   Triosonate    gingen    Pergolesi,    Abaco,    Caldara, 

Aiberti.  Domenico  Alberti  (aus  Venedig,  *  c.  1717)1),  Telemann, 
L  cateiii  Händel,  Bach  (S.  185),  Fasch,  Graun,  Porpora,  Loca- 
telli  (bedeutender  Violinist,  Corelli-Schüler,  f  1764  zu  Amster- 
dam) und  der  lange  mit  Unrecht  als  Vater  des  Haydn- 
stils  angesehenen  Sammartini  (S.  209);  neben  und  nach  den 
Mannheimern  die  Söhne  Bachs,  Gluck ,  Gossec ,  Boccherini, 
Sacchini,  Mysliweczek,  Haydn,  Mozart  und  Clementi.^)  Sie  er- 
weiterten nach  und  nach  die  für  den  ersten  Satz  der  Symphonie 
(unter  Fallenlassen  der  Fuge,  s.  ob.  S.  184)  angenommene  zweitei- 
lige Liedform  zur  dreiteiligen :  sie  führten  das  charakteristische 
Gegenthema  ein  und  schufen,  anstatt  die  Themen  in  anderen 
Tonarten  zu  wiederholen,  eine  neue  Art  ihrer  Durchführung 
(durch  elementarische  Zerlegung).  Fortab  bewegen  sich  die 
ersten  Allegros  zyklischer  Werke  in  dieser  ausgeprägten  „So- 
natenform". Um  ihren  Ausbau  (inbegriffen  die  Einführung 
und  thematische  Arbeit  des  sog.  Durchführungssatzes) 
hat  nun  Joh.  Stamitz  unter  all  den  genannten  Meistern  das 
größte  Verdienst,  und  die  Gloriole,  so  die  Musikgeschichte  bis 
vor  kurzem  noch  um  das  Haupt  Ph.  Em.  Bachs  (s.  S.  202) 
und  Haydns  gewoben ,  ist  heute  auf  Stamitz  übergegangen. 
Der  Schöpfer  der  modernen  Symphonie  ist  zugleich 
der  Begründer  der  neuen,  vor  allem  auch  den  Quartetten 
und  Symphonien  zugrunde  liegenden  Sonatenform,  die  Haydn, 
dann  Mozart  und  Beethoven  zur  Vollendung  übernahmen. 


^)  Nach  ihm  heißen  im  Klaviersatz  fortgesetzt  gleiche  Akkord- 
brechungen als  Melodiebegleitung  der  linken  Hand  Albertische  Bässe. 

2)  S.  hierzu  außer  den  schon  erwähnten  Denkmäler-Publikationen : 
Riemanns  „Alte  Kammermusik'',  Gust.  Jansens  „Samml.  Klass.  Violin- 
musik", den  Musikband  zu  Wasielewskis  „D.  Violine  im  17.  Jahrh." 


Die  mod.  Sonate.    Ph.  Em.  Bach  u.  der  neue  Klavierstil.    219 

Sie  gliedert  sich  seit  der  neuen  Aera  folgendermaßen :  Das 
erste  Stück,  insbesondere  „Sonaten form"  genannt,  ist  Form, 
ein  A 1 1  e  g  r  0  (meist  ^/^-Takt) ;  es  besteht  aus  drei  Teilen.  Der  erste, 
äußerlich  abgegrenzt  durch  das  Wiederholungszeichen ,  enthält  ein 
Hauptthema,  einen  Seiten-  und  einen  Schlußsatz,  die  in  der  Regel 
durch  gangartige  Figuren  miteinander  verbunden  sind.  Der  Seiten- 
satz bildet  den  Gegensatz  zum  Hauptthema  und  steht  bei  Durtonarten 
in  der  Dominante,  bei  Molltonarten  in  der  Paralleltonart.  Ebenso  der 
Schlußsatz  Der  zweite  Teil  enthält  die  Durchführung  irgend  eines 
Motivs  aus  dem  ersten  Teile  und  schließt  nach  reicher  Modulation  in 
der  Regel  mit  einem  Orgelpunkte  auf  der  Dominante.  Der  dritte  Teil 
ist  eine  Wiederholung  des  ersten  Teiles,  nur  daß  der  Seiten-  und 
Schlußsatz  in  der  Haupttonart  steht.  Zuweilen  ist  noch  ein  Anhang 
(Coda)  hinzugefügt.  Das  zweite  Stück,  Andante  oder  Ada- 
gio, zeigt  Lied-  oder  Variationenform;  es  ist  so  recht  ein  Probier- 
stein für  das  Genie  des  Komponisten  und  für  den  Geschmack  des 
Spieles.  Das  dritte  Stück  ist  in  der  Tanzform  des  Menuetts 
gehalten.  H  a  y  d  n  beschleunigte  dann  einigermaßen  das  Tempo  und 
erweiterte  diese  durch  Stamitz  (s.  S.  216)  festgeprägte  Form;  ihren 
deutsch-österreichischen  Typus  bewahrten  Mozart  und  Boccherini,  bis 
endlich  Beethoven  sie  zum  Scherzo  umbildet,  in  dem  der  Humor 
frei  schaltet.  Das  v  iert  e  Stück  ,  Finale,  hat  meist  Rondoform,  die 
einem  Rundgesange  ähnelt.  Dem  Hauptthema  folgt  ein  zweites,  drittes  oder 
viertes  Seitenthema,  während  zwischendurch  immer  wieder  das  Haupt- 
thema wiederholt  wird.  Die  Seitensätze  stehen  in  der  Dominante, 
Subdominante  oder  Unterraediante.  Während  der  erste  Sonatensatz 
in  der  Regel  einen  ernsten,  feurigen ,  großartigen  Charakter  auf- 
weist, wird  der  vierte  mehr  durch  geistvolle  Heiterkeit  charakterisiert. 

Diese  Skizze  der  Sonatenform  ist  nicht  so  zu  verstehen,  als  wären 
die  betreffenden  Werke  danach  wie  nach  einer  Schablone  gearbeitet; 
im  Gegenteil  finden  sich  häufig  Abweichungen,  durch  die  Zwecke 
der  Komponisten  und  den  Charakter  der  Komposition  motiviert. 
Beethovens  Sonaten  sind  nach  Form  und  Inhalt  die  unerreichten 
Muster  ihrer  Gattung.     (Vgl.  S.  183.) 

Erscheinen  nun  die  Verdienste  eines  Ph.  Em.  Bach  hin-  Bach.' 
sichtlich  der  Formenschöpfung  in  obenerwähnter  Weise  einiger- 
maßen geschmälert,  so  bleibt  sein  Einfluß  auf  die  Entwickelung 
des  neuen  Stils  im  allgemeinen  und  der  Klavierkomposi- 
tion und  ihrer  Technik  im  besonderen  bestehen.  In  Frank- 
reich hatte  sich  aus  der  Lautenmusik  ein  gewisser,  nicht  an 
eine  bestimmte  Stimmenzahl  gebundener  „ Rokoko-Klavierstil " 
herausgebildet ;  aus  den  Händen  der  Couperin  und  Rameau 
(s.  S.  186  und  Kap.  VIII)  übernahm  nun  Ph.  Em.  Bach,  wie 
auch  sein  Bruder  Joh.  Christian  an  der  Spitze  der  deutschen 
Komponisten  jener  Zeit  jene  sog.  „galante  Schreibweise"  ^'^'^^j*|*°'^® 
(vgl.  S.  160,  Anm.  2,  und  202),  die  nicht  nur  eine  Reaktion 
gegen    den    streng  polyphonen  Satz  der  Bach  und  Händel  be- 


220  III-  Neuzeit. 


deutet.  Dieser  galante  Stil  wird  unter  den  Händen  der  Mozart, 
Wandlung.  Clementi  und  Haydn  ein  modern  „freier";  vereint  mit  den 
Errungenschaften  eines  Stamitz  aber  wird  er  über  das  Gebiet 
der  Klaviermusik  hinaus  einfach  zu  dem  alle  Vorzüge  ver- 
einigenden „schönen  Stil"  der  klassischen,  von  Mannheim 
aus  vorbereiteten  Wiener  Epoche  der  Tonkunst.  Und  in  den 
Tagen,  da  Stamitz  seine  letzte  Symphonie  vollendet,  legt  ein 
Haydn  an  diese  übernommene  Kunstform  die  erste  Hand. 


Klassi- 


16.  Die  großen  Wiener  Klassiker:  Haydn,  Mozart,  Beethoven. 

Der   schöne  Stil.     Quartett,    Symphonie  und  (komische) 

Oper  in  der  Vollendung.    Nebenmänner  und  Gefolgeder 

Klassiker.    Die  modernen  Instrumente. 

Der  neue  Instrumentalstil  war  so  recht  en  vogue,  als  jenes 
blendende  Wiener  Dreigestirn  am  Musikhimmel  auftauchte,  vor 
dessen  Glanz  die  Mannheimer  Sterne  bald  verblassen  sollten. 
Die  Prophezeiungen  der  Stamitz  und  Ph.  Em.  Bach  erfüllten 
sich  durch  jene  drei  großen  Meister,  denen  die  Weiterbildung 
und  Vollendung  des  neuen  Stils  in  einer  Weise  vorbehalten 
zismus  war,  die  wir  als  eminent  klassisch  bezeichnen.  Wir  be- 
Komantik  g^^^if^^i  unter  diesem  Ausdruck  vor  allem  das  in  seiner  Über- 
einstimmung von  Inhalt  und  Form  für  alle  Zeiten  Mustergültige, 
die  Zeiten  Ueberdauernde ;  im  weiteren  Sinne  das  Abgeklärte, 
Abgeschlossene,  im  Gegensatz  zum  gärenden  Element  der  Gegen- 
wart, im  besondern  zu  dem  als  „Romantisch"  bezeichneten 
Suchen  nach  Neuem,  dem  unbekümmert  (um  alte  Formen  und 
Gesetze)  freien  Schaffen  in  der  Kunst.  (Hier  fesselt  vorerst  der 
Inhalt  mehr  als  die  Form  und  scheint  diese  zu  sprengen,  oder  in 
zweite  Linie  zu  rücken.  Allmählig  aber  wird  uns  die  individuelle 
Neulormung  vertrauter.  Und,  während  immer  wieder  andere  Neuver- 
suche hinzukommen  und  uns  befremden,  erscheinen  ihnen  gegenüber 
die  früheren  mehr-  minder  formvollendet  —  d.  h.,  wir  erkennen  im 
Fortschritt,  daß  auch  dort  schon  sich  Inhalt  imd  Form,  diese 
durch  jenen  bestimmt,  deckten.  In  diesem  weiteren  Sinne  ist  z.  B. 
heute  Rieh.  Wagner  bereits  „Klassiker",^)  wie  anderseits  alle  wahren 

^)  Der  Ursprung  des  Namens  gebt  auf  das  alte  Rom  zurück, 
wo  die  Bürger  der  ersten  Vermögensklasse  ,,Classici"  hieUen ;  später 
nannte  man  so  insbesondere  die  griechischen  und  römischen  Schrift- 
steller ersten  Ranges.    Daher  auch  „klassische  Sprachen". 


Die  klassische  Zeit.    Jos.  Haydn. 


221 


Klassiker  im  engeren  Sinne  (d.  s.  jene,  deren  vollgiltiges  Schaffen 
der  Zeit  und  dem  Geschraacke  trotzt)  ihrer  Zeit  als  Romantiker,  d.  i. 
Neuformer,  erschienen.  In  diesem  engeren  Sinne  gibt  es  auch  keine 
lebenden  Klassiker,  sondern  nur  sog.  Klassizisten  der  Gegenwart 
als  Wahrer  und  Vervollkoramner  bestehender  Formen. 

Der  erste 
„Großmeister 

des    neuen 

Stils"    [Rie- 

mann]    war 
Joseph 
Haydn , 
(Hayden     [ver- 
mutlich    slavo- 

nischer    Her- 
kunft,   auf  die 
auch  H.8  Melo- 
dik deutet])    * 
31.    März    1723 

zu  Rohrau, 
einem  Markt- 
flecken Nieder- 
östen-eichs,  der 

Sohn   eines 
Wagners.     Bei 
dem    tüchtigen 

Schulrektor 

Frankh    im 
nahen  Hainburg 
lernte    er     die 
Anfangsgründe 
im  Gesänge  und 

Instrumenten- 
spiel :  „Ich  ver- 
danke es  diesem 
Manne  noch  im 
Grabe,   daß    er 

mich  zu  so 
vielerlei     ange- 
halten, wenn  ich 

gleich  dabei  mehr  Prügel  als  zu  essen  bekam,"  äußerte  sich  H.  noch  im 
hohen  Alter.  1740 — 50  war  er  Sängerknabe  der  Stephanskirche  in  Wien. 
Dann  sehen  wir  ihn  mit  der  Sorge  um  das  tägliche  Brot  kämpfen,  j^ehrjahre 
in  Orchestern  und  auf  Kirchenchören  mitwirken  und  Klavierunterricht 
erteilen.  Er  schreibt  um  jene  Zeit  bereits  Orchester-Serenaden,  Klavier- 
stücke für  seine  Schüler  und  1751  die  komische  Oper  „Der  krumme 
Teufel".  Es  folgen  harte  Lehrjahre  bei  dem  berühmten  Gesanglehrer 
und  Komponisten  Nicolö  Porpora  (s.  S.  174  und  Kap.  IX)  und  ein- 


222 


III.  Neuzelt. 


dringliche  Studien  von  Fux'  „Gradus  ad  Parnassum",  Matthesons 
„Vollkommener  Kapellmeister",  Ph.  E.  Bachs  „Klaviersonaten"  und 
„Versuch  über  die  wahre  Art,  das  Klavier  zu  spielen".  Trotz  aller 
rohen  Behandlung  seitens  des  Lehrers,  Arbeit  und  Not  verlor  er  nicht 
jene  Heiterkeit  seiner  Seele,  die  den  Gruudzug  seines  Schaffens  bildet 
und  die  er  sich  auch  durch  die  Leiden  einer  unglücklichen  Ehe  hin- 
durch bewahrte.  „Wenn  ich  an  meinem  alten,  von  Würmern  zer- 
fresseneu Klaviere  saß,  beneidete  ich  keinen  König  um  sein  Glück."  ^) 
Sein  erstes  Quartett  (B  dur)  komponierte  H.  1 755 ,  vier 
Jahre  später,  als  Musikdirektor  der  Privatkapelle  des  Grafen  Morzin 
in  Lukavec  bei  Pilsen  (vgl.  S.  207  [Fasch]  u.  f  )sowie  in  Prag  seine 
ersten  Symphonien,  die  mit  der  Volksmusik  Böhmens  in  eigen- 
Esterhazy,  artiger  Wechselwirkung  stehen.  1761  berief  ihn  Fürst  Esterhäzy 
als  Kapellmeister  nach  Eisenstadt.  Hier  fanden  neben  den 
stellenden  Konzert-  und  Kirchenmusiken  auch  dramatische  Auf- 
führungen statt  und  es  eröffnete  sich  für  H.  ein  weites  Feld 
der  Tätigkeit.  Dort  lauschte  er  auch  den  verschiedenen  In- 
strumenten ihre  Charaktereigenschaften  ab,  lernte  sie  zu  indi= 
vidualisieren  und  zum  selbständigen  Sprechen  zu  bringen. 
Das  Prinzip  der  „redenden  Stimmen"  als  Träger  der  Gefühle 
und  Stimmungen  wurde  für  Quartett  und  Symphonie  von 
immer  größerer  Bedeutung.  In  Eisenstadt  und  später  zu 
Esterhäz  schrieb  H.  die  meisten  seiner  Symphonien  und  Quar- 
tette, das  Oratorium  „Tobias",  „Die  sieben  Worte  am  Kreuze"  (ur- 
spi-ünglich  eine  Reihe  von  Instrumental-Adagios,  bestimmt  für  eine 
Kirchenaufführung  in  Cadix  in  Spanien,  später  von  Michael  H.  als 
Oratorium  bearbeitet),  viele  Kirchensachen,  Konzerte,  Sonaten,  wie 
eine  Reihe  kleinerer  Opern.  2)  Insbesondere  seit  Mozarts  Auf- 
treten entwickelte  sich  H.s  Schaffenskraft  zu  einer  Größe, 
die  unmittelbar   zu  Beethoven  führt. 

Nach    Auflösung    der  Esterhazyschen  Kapelle   pensioniert, 

ließ  sich  H.  durch  den  Geiger  und  Konzertunternehmer  Salomon 

London,    bestimmen,  London  zu  besuchen^).     Am  2.  Januar  1791  ward 

er  dort  glänzend  empfangen.   Die  12  unter  dem  Namen  :  „die  Lon- 


^)  Wir  beschränken  uns  hier  stets  auf  das  Wichtigste  der  Lebens- 
daten, und  empfehlen  die  Heißige  Lektüre  der  ausführlichen,  in  billigen 
Ausgaben  leicht  zugänglichen  Meisterbiographien  (insbesondere  der 
Klassiker)  als  überaus  Ichi--  und  genußreich,  nicht  nur  demKunstjiinger. 

^)  Davon  „Lo  speziale"  neu  bearbeitet  und  in  deutscher  Ueber- 
setzung  („Der  Apotheker"  [Rob.  Hirschfeld] )  beifällig  wieder  aufgeführt. 

^)  Die  Salomonkonzerte  verdrängten  die  bis  dahin  erstklassigen 
von  W.  Gramer  dirigierten  Professional-  (d.  i.  Berufsmusiker-)  Kon- 
zerte, die  ihrerseits  Avieder  nach  J.  Chr.  Bachs  Tode  die  „Bach-Abel- 
Konzerte"  abgelöst  hatten. 


Die  klassische  Zeit.    Jos.  Haydn.  223 

doner "  bekannten  Symphonien  fanden  enthusiastische  Aufnahme. 
Die  Universität  Oxford  verlieh  dem  Meister  die  Doktorwürde.  Eine  zweite 
Reise  nach  London  verlief  1804  ebenso  glänzend.  Beide  Reisen  hatten 
H.  großen  materiellen  Gewinn  und  viele  Ehrenbezeugungen  eingetragen. 

Zurückgekehrt,  schrieb  er  in  Wien  seine  großen  Oratorien  ^Vien. 
„Die  Schöpfung"  (ü.  privatim  29.  April  1798  im  Palais  »eWung 
Schwarzenberg,  öffentlich  19.  März  1799  im  ßurgtheater  zu  Jahres- 
"Wien)  und  „Die  Jahreszeiten"  (Wien  24.  April  1801), 
die  noch  heute  jedes  Ohr  und  Herz  erfreuen.')  Es  sind  dies, 
wie  W.  H.  Riehl  (,,Allg.  Deutsche  Biogr.")  sagt,  nicht  geistliche  Dramen 
wie  jene  Händeis,  sondern  epische  Kantaten  lyrischen  Einschlags. 
H.  starb  an  Altersschwäche  zu  Wien"')  den  31.  Mai  1809, 
als  die  Stadt  von  den  Franzosen  erobert  und  besetzt  war.  In  der 
Bergkirche  zu  Eisenstadt  setzte  man  ihn  bei.  Er  hinterließ  125  Sym-  Nachlaß, 
phonien  (darunter  zählen  auch  die  sog.  „Divertimenti",  eine  instru- 
mentale Mittelgattung  zwischen  Partite  und  Streichquartett,  die  ,, Kassa- 
tionen" [Italien.  Cassazione,  VL-rabschiedung],  ständcheuartige  ,, Frei- 
luft"- und  Abendmusiken,  gleichfalls  raehrsätzig,  für  einfach  besetztes 
Instrumental-Ensemble,  und  Serenaden'*)  selbst),  83  Streichquartette  — 
die  ersten  Standwerke  ihrer  Gattung  unter  ihnen,  wie  das  beseligende 
op.  77  G  dur,  mit  seinem  herrlichen  Adagio  — ,  35  Klaviertrios,  30 
Trios  für  Streichinstrumente  und  andere  Kombinationen,  175  Stücke 
für  das  Barytou  \e\n  heute  veraltetes  gambenähnliches  Streichinstrument, 
der  Baß  der  Viola  d'amour»,  24  meist  kleinere  Opern,  4  Oratorien, 
15   Messen,   44    Klaviersonaten,   Lieder   \.vgl.    S.   lOG,   Anm.    1 )   usw. 

Von  den  Symphonien  sind  außer  der  großen  in  B  dur  unter  nue'n'und 
besonderem  Titel  bekannt:  jene  in  G  „mit  dem  Paukenschlage", '^"*'^'®"*^ 


^)  Vgl.  „Aesthetische  Betrachtungen  über  D.  Jahreszeiten  u.  Die 
Schöpfung  von  J.  Haydn",  zwei  wertvolle  Abhandlungen  des  Schweizer 
Komponisten,  Dichters  und  Pädagogen  Sehn  yd  er  von  Warten- 
see (1786—1868).  (S.  die  Biographie  „Xaver  Schnyder  v.  W."  im 
59.  Neujahrsstück  der  Allg.  Mus.-Gesellch.  in  Zürich.  Ebd.  1871, 
Orell  &  Füßli.) 

2)  Jetzt  Haydngasse  19.  Das  Sterbehaus,  seit  1793  dem  Meister 
gehörig,  zugleich  die  Geburtsstätte  der  ,, Schöpfung",  ,, Jahreszeiten" 
und  ., Volkshymne",  wurde  von  der  Gemeinde  für  das  in  des  Meisters 
Wohnung  befindliche  H.-Museum  angekauft.  Wien  verdankt  den  Auf- 
fühnmgen  jener  Oratorien  reiche  Einnahmen  für  die  Pensionskasse 
der  Musiker-Witwen  und  Waisen. 

3)  Spanisch  Serenada,  Abendmusik,  Ständchen,  auch  vokal. 
Im  Gegensatz  zu  dieser  fürs  Freie  berechneten  älteren  Serenadenform  mit 
konzertierenden  Blasinstrumenten  bildete  sich  die  neuere  Streicher- 
serenade für  den  Konzertsaal.  Die  S.  unterscheidet  sich  von  Suite, 
Sonate  und  Symphonie  durch  die  größere  Sätzezahl  und  leichtere 
Faktur.  —  Wohl  zu  unterscheiden  von  Serenata  ',ital.),  einer  Art 
dramatischen  Kantate. 


224  III.  Neuzeit. 


die  Militärsymphonie,  die  Oxford-Symphonie,  die  ihm  den  Doktor- 
titel einbrachte,  und  die  „Abschiedssymphonie",  die  1772  den 
Fürsten  Esterhazy  bewog,  seinen  Musikern  den  verweigerten 
Urlaub  zu  gestatten.  Von  den  Quartetten  wurde  namentlich 
das  „K aiser quartett"  in  C  berühmt,  dessen  zweiter  Satz  (in 
G)    als  Variationsthema    die    von  H.    komponierte    österrei- 

Kaiseriied.  ch  i  sehe  Volkshymne  bringt.  Mit  dem  bekannten  Text  von 
Haschka:  „Gott  erhalte  Franz  den  Kaiser"  wurde  dieses  wahrhaft 
klassische  Volkslied  1797  zuerst  öffentlich  gesungen,  i) 

Seiner  ganzen  Natur  nach  war  Haydn  mehr  zum  Heiteren 
und  Gemütvollen  als  zum  Großartigen  und  Heroischen  angelegt, 
wofür  alle  seine  Kompositionen  Zeugnis  ablegen.-)  Er  wollte 
vor  allem  zur  Freude,  Erheiterung  und  Zerstreuung  der  Mensch- 
heit schaffen.      Den  neuen  Stil  auch  in  die  Kirchenmusik  ein- 

Messen  führend  und  die  einzelnen  Sätze  der  Messe  (wir  er^vähnen 
bloß  die  „Nelson "-Messe)  neu  formend,  folgte  H.  dem  Zuge  der 
Zeit,  die  in  Aufklärung  und  Sinnlichkeit  wurzelte.  Ambros  („Kultur- 
historische Bilder")  sagt  von  H.s  Kirchenmusik :  „sie  mahnt  an  süddeutsche 
und  italienische  Kii'chenfeste,  die  zugleich  Volksfeste  sind,  wo  das  Leben 
seine  bunteste  Fülle  in  Freude  und  Jubel  ausbreitet.  Es  hat  dies 
schon  zu  Haydns  Zeiten  (Fürstbischof  Graf  v.  Hohenwart  verbot  deren 
Aufführung  in  Wien)  Anstoß  erregt.  Die  Antwort  des  frommen  Greises 
an  den  Mailänder  Hofpoeten  Carpani :  „Wenn  er  an  seinen  Gott  denke, 
so  hüpfe  ihm  das  Herz  vor  Freude,  und  da  hüpfe  denn  seine  Musik 
mit"  —  ist  freilich  geeignet,  den  Strengsten,  wenn  nicht  mit  dem 
Werke,  so  doch  mit  dem  Komponisten  zu  versöhnen.  Die  Subjek- 
tivität des  Komponisten  und  die  Zurückschiebung  des  Textes  ist 
nirdends  stärker  hervorgetreten  als  bei  Haydn.     Wie  objektiv-gottes- 


^)  Vgl.  A.  Schmid,  J.  Haydn  u,  Niccolo  Zingarelli.  Beweisführg., 
daß  J.  Haydn  der  Tonsetzer  des  österr.  Volksgesanges  sei.  Wien 
1847;  J.  Thienel,  Geschichtliches  u.  Musikalisches  zur  österr.  Volks- 
hymne. Aussig  07.  Haydns  Melodie,  vielfach  als  Kirchenlied  ver- 
wendet, wird  auch  zu  IIofFmann  v.  Fallersleben  „Deutschland  über 
alles"  gesungen  (s.  auch  Lubrich). 

2)  GA.  [Adler,  Mandyczewski  u.  a.]  seit  1907  in  Vorbereitung. 
NA:  u.  a.  10  beliebteste  Sonaten  [Gl.  Schultze],  Coli.  Litolff.  S.  auch 
die  geistvollen  Uebertragungen  H. scher  Quartettsätze  v.  Seiß. 

B. :  A.  C.  Dies,  Wien,  1810.  G.  A.  Gi'iesinger,  Notizen  über 
J.  Haydn.  Lpz.  1812.  C.  F.  Pohl  (Bibliothekar  d.  Gesellsch.  d. 
Musikfrde.,  Wien,  f  1887),  Lpz.,  2  Bde.,  1875  und  1882.  Leop. 
Schmidt,  Brl.     „Harmonie"  (ill.),  L.  Nohl,  Lpz.  Reclani.* 

L. :  Guiseppe  Carpani,  Le  Haydine,  Mailand,  1812;  Ad.  Sand- 
berger:  Z.  Gesch.  d.  Haydnscheu  Streichquartetts,  Altbayr.  Monatschr.  00. 

D.:  Wien  1887  (Natter);  Rohrau  [Büste]  1794. 


Die  klassische  Zeit.    Jos.  Haydn.  225 

dienstlich  ist  dagegen  die  Musik  Palestrinas !"  Sehr  richtig.  Ist 
aber  die  katholische  Figuralraiisik  —  die  Klassiker  schrieben  ihre 
Messen  tür  den  katholischen  Kultus  —  nicht  als  eine  Reaktion  ge- 
genüber  der  Aszetik   der  liturgischen  Gesänge  zu  betrachten? 

H.  persönlich  war  wahrhaft  kindlich  fromm.  „Nie  war  ich  so 
fromm,  als  in  der  Zeit,  wo  ich  an  meiner  ,, Schöpfung"  arbeitete; 
täglich  fiel  ich  auf  meine  Knie  nieder  und  bat  Gott,  daß  er  mir  Kraft 
zur  glücklichen  Ausführung  dieses  Werkes  verleihen  möchte."  Und 
als  er  wenige  Jahre  vor  seinem  Tode  der  Aufführung  dieses  Werkes 
beiwohnte ,  tiel  er  bei  der  tiefergreifenden  und  glanzvollen  Stelle : 
„Und  es  ward  Licht"  (die  berühmte  Modulation  nach  C!)  überwältigt 
zusammen  und  rief  mit  ausgestreckten  Armen:  „Nicht  von  mir,  von 
dort  oben  kommt  alles !" 

Auf  dem  Felde  der  Kirchenkomposition  wirkte  hervorragend  Michael 
des  Meisters  Bruder  Michael  Haydn,  einer  der  Mitbegründer 
der  Wiener  klassischen  Schule  (1737— 1806 1,  Stiftsorganist  zu  St. 
Peter  in  Salzburg  (Tenebrae,  d  raoll-Litanei.  Hier  liegt  vor  deiner 
Majestät  u.  a.)  Unter  seinen  zum  eisernen  Bestände  der  katho- 
lischen Kirchenmusik  gehörenden  Messen  die  sog.  „Missa  hispanica", 
ein  Riesenwerk  für  Doppelchor  und  großes  Orchester.  Michael  II. 
kommt  neuerer  Zeit  auch  als  Instrumentalkomponist  mehr  zur  Geltung.^)  . 
Ohne  sich  mit  seinem  ertindungsreicheren  Bruder  Joseph  vergleichen 
zu  können,  schrieb  er  doch  manche  noch  heute  interessierende  Sy  m- 
phonie;  so  jene  in  C,  die  in  Leipzig  und  Wien,  besonders  durch 
ihre  Wechselbeziehungen  zur  i  später  geschriebenen)  Jupiter-Symphonie 
Mozarts  Aufsehen  erregte. ^i     Mozart  kannte  sie  offenbar  genau. 

Weg  endlich  mit  der  lächerlichen,  immer  wieder  gehörten  Phrase 
vom  „Papa  Ilaydn" !  Wie  schlecht  paßt  das  Wort  auf  diesen  ewig 
jungen  Meister,  der  just  in  den  staunenswerten  Schöpfungen  seiner 
Alterstage  feuriger,  elastischer  erscheint,  denn  so  mancher  kritische 
Spötter  aus  unserer  Zeit  der  „jungen  Greise". 

,,H.s  Tod  war  nicht  nur  das  Scheiden  eines  Künstlers, 
wie  wenige  seines  gleichen  waren,  sondern  bedeutet  auch  einen 
Wendepunkt  in  der  Geschichte  der  Musik.  Neue  Strömungen 
traten  im  Zusammenhang  mit  der  romantischen  Dichtung  auf" 
(Gu.  Adler  ^).  Vorerst  aber  verkörpert  einen  weiteren  Fort- 
schritt, und  zwar  auf  allen  Gebieten  tonkünstlerischen 
Schaffens,  der  unvergleichliche  Meister,  in  dem  die  Musik 
förmlich  Fleisch  geworden,  der  aus  einem  angestaunten  Wunder- 
kinde zum  wahren  Wundermann  wurde  und  dem  sich  alles, 
Empfindungen    und  Gedanken,    unmittelbar    in  Töne  umsetzte : 


1)  NA.  der  Instrumentalwerke  [L.  H.  Pergerl  DM.  i.  Oest.  XIV  2,  07. 

2)  NA.  [0.  Schmid]  1«95,  B.  &H.;  daselbst  auch  Klavierwerke  und 
Passionsgesänge  f.  gem.  Chor. 

3)  Protokoll  üb.  d.  Vorbereitung  d.  H.-Zentenarfeier  1909,  Wien  07. 

Kothe-Prochäzka,  Abrifl  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.        15 


226  m«  Neuzeit. 


Mozart  Wolfgang  AmadeMozart,  *27.  Januar  1756  zu  Salz 

1756—91.  })^J.g,  Sohn  des  fürst-erzbischöflichen  Vize-Kapellmeisters  Leo- 
pold Mozart  (s.  Kap.  VII),  von  diesem  streng  methodisch 
unterrichtet.  Seine,  sich  ausnehmend  früh  zeigende  Begabung,  erregte 
allgemeine  Aufmerksamkeit.  Der  Vater  besuchte  1762  mit  „Wolferl" 
und  dessen  eliQ ähriger  Schwester,  dem  Nannerl,  einer  fertigen  Klaviervir- 
tuosin,  die  Höfe  von  München  und  Wien,  wo  sie  großes  Staunen  und 

Jugend  und  Bewunderung  erregten.  In  Wien  verkehrte  Wolfgang  viel  mit  den  jungen 
Erzherzoginnen,  besonders  mit  Marie  Antoinette.  Dadui-ch  ermutigt, 
reiste  der  Vater  im  folgenden  Jahre  mit  ihm  nach  Paris,  wo  die  ersten 
gedruckten  Kompositionen  Mozarts,  4  Violinsonaten,  erschienen.    Von 

Fruhwerke.  p^ris  ging  es  nach  London.  Hier  löste  der  Wunderknabe  prächtig 
allerhand  vom  Hofkapellmeister  Joh.  Christ.  Bach  ihm  gestellte 
schwierige  Aufgaben  (Improvisationen,  Transpositionen,  Begleitung 
aus  dem  Stegreife).  Nach  dreijähriger  Abwesenheit  begannen  1766 
wieder  in  Salzbnrg  strenge  Studien  —  und  zugleich  unglaubliche  Ränke- 
spiele gegen  Vater  und  Sohn.  1777  schrieb  der  elfjährige  Knabe  auf 
Befehl  des  Kaisers  in  Wien  die  Oper:  „La  finta  semplice"  und  dirigierte 
1768  zum  erstenmale,  nämlich  seine  Festmesse  zur  Einweihung  der 
Waisenhauskirche.  Bei  der  Rückkehr  nach  Salzburg  wurde  Wolfgang 
erzbischöflicher  Konzertmeister.  Eine  1 769  unternommene  italienische 
Reise  glich  einem  Triumphzuge.  Die  Kirchen ,  in  denen  er  Orgel 
spielte,  die  Theater,  in  denen  er  konzertierte,  waren  überfüllt  und 
die  strengen  Prüfungen,  die  Sammartini  in  Mailand,  Padre Martini 
in  Bologna  und  Vallotti,  ein  angesehener  Organist,  Komponist 
und  Theoretiker^)  in  Padua  (f  1780),  mit  ihm  anstellten,  fielen  glän- 
zend aus.  In  Mailand  wurde  die  bei  ihm  bestellte  Oper  „Mitridate" 
1770  zwanzigmal  mit  großem  Beifalle  gegeben;  der  Papst  verlieh  M. 
(wie  seinerzeit  Gluck)  das  Ritterkreuz  zum  goldenen  Sporn;  in  Bo- 
logna ward  er  nach  bestandenem  Klausur-Examen  Mitglied  der  „Aca- 
demia  dei  Filarmonici". 

Nach  Salzburg  zurückgekehrt,  schrieb  er  verschiedene  Opern  für 
Mailand,  ferner  Messen,  Symphonien,  Quartette  etc.  Um  eine  aus- 
kömmliche Stellung  zu  erreichen,  machte  der  21jährige  eine  Reise 
nach  München,  Mannheim  und  Paris,  jedoch  ohne  Erfolg.  1781 
ließ  er  sich  dauernd  in  Wien  nieder.  Dort  lebte  er,  das  harte 
Gnadenbrot  des  musikfeindlichen  Erzbischof-Nachfolgers  Colloredo 
und  die  von  diesem  erlittene  unwürdige  Behandhing  zurückweisend 
von  Unterrichtsstunden,  Konzerten  und  dem  dürftigen  Ertrage  seiner 

Emanzipa-  Kompositionen.  Er  war  der  erste  Musiker,  der  das  bis  dahin 
allen  seines  Standes  auferlegte  Joch  des  Fürstendieners 
(Bach  nannte  sich  „alleruntertänigster  Knecht"  des  Rates  der  Stadt 
Leipzig,  Haydns  Stellung  war  nicht  viel  mehr  als  die  eines  Kammer- 
dieners) energisch  abschüttelte !    Nach  ihm  von  Beethoven  zu  Liszt 


1)  Als  solcher  vielfach  mit  Rameau  und  Zarlino  übereinstimmend. 
Sein  System,  um  die  Lehre  von  den  Akkord-Umkehrungen  gruppiert, 
übernahm  L.  A.  Sabbatini,  zu  Padua  Basilikakapellmeister,  f  1809. 


Die  klassische  Zeit.    W.  A.  Mozart. 


227 


und  Wagner  —  welcher  soziale  Aufstieg  im  Musikerstande !  .  .  Erst 
1789  wurde  M.  kaiserlicher  Kararaerkomponist  —  mit  800  fl.  Gehalt! 
„Zu  wenig  zum  Leben,  zu  viel  zum  Sterben." 

1790  besucht  er  Berlin.    Der  kunstsinnige  König  Friedrich 
Wilhelm  II.   will    ihn    mit  einem  Gehalte  von   3000  Talern  zu 


seinem    Kapellmeister    machen ;     aus  Liebe     zur    Heimat     aber  Vaterlands- 
lehnte   Mozart  dieses  glänzende  Anerbieten  ab  und  kehrt  nach      liebe. 
"Wien,  zu  seinem  Kaiser  zurück,  um  dort  in  überaus  bedrängten 
Verhältnissen  —  was    man    darüber    in    den  Briefen  und  Bio- 
graphien des  gottbegnadeten  Meisters  liest,    schnürt  das  Herz 
zusammen!  —  kaum  36  Jahre  alt,    am  5.  Dezember   1791   zu 

15* 


Armut 


Tod. 


228 


III.  Neuzeit. 


sterben.  Sie  begruben  ihn  auf  dem  St.  Marxerfriedhof  —  in  einem 
Massengrabe  —  wo,  wußte  bald  selbst  die  Witwe  Konstanze  (geb. 
Weber  aus  Mannheim,  eine  gute  Frau,  aber  schlechte  Wirtschafterin; 
sie  heiratete  später  noch  den  Staatsrat  v.  Nissen)  nicht  zu  sagen.  ^) 
Für  Wien  bleibt  das  Kapitel  Mozart  eine  unsühnbare  Schuld,  die 
auch  der  beste  „Tilgner"  nimmer  beseitigen  kann  .  .  . 

M.,  dessen  immense  Fruchtbarkeit  und  Leichtigkeit  im 
Schaffen  (vgl.  S.  241)  bei  kurzer  Lebensdauer  nur  noch  in 
Schubert  und  Mendelssohn  ein  Spiegelbild  findet,  war  „ein 
herrlicher,  makelloser  und  unendlich  guter  Mensch  .  .  Die 
Charakter.  Reinheit  seiner  Seele  war  absolut.  Er  kannte  keinen  Neid,  keine 
Rachsucht,  keine  Mißgunst.  Ich  glaube,  das  alles  klingt  auch  aus  seiner 
Musik  heraus,  deren  Eigenschaft  es  ist,  die  Menschen  zu  versöhnen, 
zu  erleuchten,  zu  liebkosen"  (Tschaikowsky  ^) ).  Umsomehr  hatte  er 
selbst  unter  Neid,  Mißgunst  und  Nebenbuhlerschaft  zeitlebens 
zu  leiden.  Vorbildlich  wie  herzerquickcLd  ist  das  Verhältnis  zwischen 
Mozart  und  Haydn.  Jeder  ehrte  die  Verdienste  des  anderen  und 
strebte  seine  Vorzüge  nachzuahmen,  ohne  die  eigene  Selbständigkeit 
zu  opfern.  Haydn  äußerte  zu  Mozarts  Vater:  ,,Ich  sage  Ihnen  vor 
Gott,  als  ein  ehrlicher  Mann,  Ihr  Sohn  ist  der  größte  Komponist,  den 
ich  von  Person  und  dem  Namen  nach  kenne;  er  hat  Geschmack  und 
überdies  die  größte  Kompositionswissenschaft."  Und  noch  im  Alter 
versicherte  er  mit  Tränen  in  den  Augen,  Mozarts  Klavierspiel  könne 
er  in  seinem  Leben  nicht  vergessen,  ,,da8  ging  ans  Herz".  M. 
wiederum  sagte  über  die  Widmung  seiner  ersten  sechs  Streichquartette 
an  Haydn:  „Das  war  meine  Schuldigkeit,  denn  von  Haydn  habe  ich 
gelernt,  wie  man  Quartette  setzen  müsse ;"  und  ein  andermal :  „Keiner 
kann  alles ,  schäkern  und  erschüttern ,  Lachen  erregen  und  tiefe 
Rührung,  und  alles  gleich  gut  als  Haydn."  Dem  an  Haydns  Quar- 
tetten mäkelnden  böhmischen  Musiker  Leopold  Kozeluch  erwiderte 
M.  einmal:  „Herr,  und  wenn  man  uns  beide  zusammenschmilzt,  wird 
noch  lange  kein  Haydn  daraus."  Und  er  hatte  einen  Feind  mehr  .  .  . 
Wenn  Mozart  auch  auf  allen  Gebieten  das  Außerordent- 
lichste leistete  und  ein  Universalgenie  als  Musiker  (ähnlich 
wie  Goethe  als  Dichter  und  Denker)  war,  so  besteht  doch  sein 
Hauptverdienst  darin,  daß  er  der  Oper,  vornehmlich  der 
komischen,  auf  die  er  Glucks  Prinzipien  anwandte,  klassi- 
sche Form  und  Inhalt,  sowie  scharfe  Charakter- 
zeichnung gab.  Hierher  gehören  mit  Ausschluß  seiner 
Jugendarbeiten  (vergl.   S.    103,  Anm.   3):    „Idomeneo",  Ur- 


Univer- 
salität. 


Opern. 


^)  Die  Echtheit  von  „Mozarts  Schädel",  der,  angeblich  wieder  aus- 
gegraben, in  den  Besitz  des  Anatomen  Hyrtl,  und  von  da  in  das 
Salzburger  Mozarteum  kam,  ist  trotz  aller  „Beweise"  unbeglaubigt. 

2)  S.  dessen  B.  [M.  Tschaikowsky],  deutsch  von  Jürgensen,  Moskau. 


Die  klassische  Zeit.     W.  A.  Mozart. 


229 


Figaro. 


Don  Juan. 


Zauber- 
flöte. 


aufführung  München  1781;  „Belmonte  und  Constanze 
oder  die  Entführung  aus  dem  Serail",  "Wien  12.  Juli 
1782  (vergl.  S.  184  Anm.  3);  „Figaros  Hochzeit",  Wien 
1.  Mai  1786  —  die  Oper  fiel  bei  den  Wiener  ab,  gefiel  aber 
umso  besser  den  Pragern;  für  sie  schrieb  M.  hierauf  den  ,, Don 
Giovanni"  („Don  Juan",  Text  von  Abbate  Da  Ponte; 
die  ,,Don  Juan"-Ouverture  schrieb  M.  binnen  einer  kurzen  Nacht 
nieder  —  an  sich  schon,  als  Ergebnis  höchster  spielender  Be- 
herrschung des  gesamten  tontechnischen  Apparates,  eine  Wunder- 
leistung!) Prag,  29.  Oktober  1787;  die  Oper  wurde  in  der 
Villa  ,,Bertramka"  bei  Prag,  wo  M.  bei  den  befreundeten  Ehe- 
paar Duschek  —  er  ein  vorzüglicher  Klaviermeister,  sie  eine 
berühmte  Sängerin  —  wohnte,  vollendet.^)  Es  folgten  dann 
„  C  0  si  fan  tut  t  e  ",  Wien  1790;  die  Krönungsoper  „  Titus  ", 
Prag  1791und  die  „Zauberflöte"  (für  den  Librettisten  und 
Theaterdirektor  Schikaneder,  dessen  unbedingt  wirksamer  Text  trotz 
aller  Banalitäten  mit  Unrecht  heraljf;;esetzt  wii'd  und  Goetben  [der  in 
Mozart  einen  idealen  Faust  Komponisten  sah']  zu  seiner  leider  un- 
vollendeten Fortsetzung  verlockte)  Wien  1791.  Als  die  voll- 
endetsten gelten  das  nur  noch  durch  Rossinis  ,, Barbier',  erreichte 
musikalische  Meisterlustspiel  Figaros  Hochzeit,  Don 
Juan,  die  ,,Oper  der  Opern"  "'^)  und  Die  Zauberflöte, 
eine  musikalische  Apotheose  des  Freimaurertums.*) 

Von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung  für  Mozart  als 

-.     ,,  ,  ,  1,1  <-,-  1  T       ^  r,r,r.  Vollendung 

Vollender  des  deutschen  Singspiels  war  die  1778  d.  deutsch, 
durch  Kaiser  Josef  H.  erfolgte  Errichtung  eines  National-  ^'^s^p'^'s- 
Singspiels  in  Wien,  wo  mau  neben  deutschen  auch  italienische 
und  französische  komische  Upern  gab.  Deren  Komponisten  ebneten 
Mozart  wesentlich  den  Pfad,  so  deutscherseits  nach  Hiller  (S.  178) 
Dittersdorf,  dessen  ,, Doktor  und  Apotheker"  1786  sogar  erfolg- 
reicher als  Mozarts  „Entführung"'  war;  Joh.  Schenk  („Der  Dorf- 
barbier" 17S6),  und  mit  allbeliebten  und  gefeierten  Werken  Kauer 
(„Donauweibchen"  1795),  Jos.  Weigl  f  181G  („Die  Schweizerfamilie" 
[„Emmeüne"  1809] ;  italienischerseits  die  beiden  Rivalen  Giovanni 
Paesiello  (Paisiello  1741  —  1816,  zuletzt  KD.  zu  Neapel,  Lehrer  von 
Bellini,  Donizetti  und  Mercadante),  von  dessen  mehr  als  106  Opern 
"Der  Barbier  von  Sevilla"   und  „Die   schöne  Müllerin"  (La  molinara) 


1)  S.    Frhr.    Prochäzka,    Mozart   i.    Prag.     Prag,   2.  A.  1899;  u. 
desselben  „Arpeggien"  (s.  S   207*)). 

2)  Die  erste  Faustoper  über  Goethes  Dichtung  schrieb  der  Böhme 
Ignaz  Walter,  ein  berühmter  Singspielkomponist  (f  1822  Regensburg). 

^)  Vgl.  Gounod,  Mozarts  Don  Juan,  deutsch  [Klages],  Lpz.,  1891. 
*)  Vgl.  Gust.  Schubert,  Mozart  u.  d.  Freimaurerei,  Berlin. 


230  m-  Neuzeit. 


riesig  gefielen,   und  Domencio  Cimarosa  (1749 — 1801),  Komponist 
der  komischen  Oper  „Die  heimliche  Ehe". 

Diese  Singspiele  sind  wohl  zu  unterscheiden  von  dem  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  namentlich  zu  Wien  und  London  beliebten,  derb- 
komischen Genre  der  Zauber-  und  Märchenposse;  sie  fand 
namentlich  in  Wenzel  Müller  aus  Mähren  („Die  Schwestern  von 
Prag"  1794,  —  die  köstlich-stimmungsvolle  Ständchen-Prügel-  und 
Nachtwächterszene  übernahm  Rieh,  Wagner  in  sein  Meistersinger- 
libretto! —  „Alpenkönig",  „Teufelsmühle"  1799)  einen  echten  „Volks- 
komponisten".   Ihr  Erbe  trat  die  „Operette"  des  19.  Jahrhunderts  an. 

Dramatik.  Ueber    M.s    dramatische    Muse     sagt     A.     von    Dommer : 

(Gesch.  d.  Mus.  p.  551)  :  „Keiner  hat  die  höchste  Energie 
und  klarste  Bestimmtheit  des  Ausdrucks  in  vollkommenerem 
Maße  als  M.  mit  der  reichsten  und  blühendsten  Melodik 
zu  vereinigen  vermocht.  Seine  Charaktere  sind  unmittelbar 
musikalisch  erzeugt,  sie  fühlen,  denken  u.nd  handeln  in  Tönen, 
die  Musik  ist  ihnen  natürliches  Organ  und  angeborene  Sprache; 
jede  seiner  Personen  tritt  uns  mit  merkwürdiger  Lebenswahr- 
heit entgegen  und  behauptet  ihre  Individualität  in  allen  Lagen, 
Situationen  und  in  allem  Wechsel  der  Leidenschaft,  immer  sie 
selbst  und  sich  treu  bleibend.  Auch  in  den  kompliziertesten  Ver- 
flechtungen der  Stimmen  behaupten  seine  Charaktere  ihre  individu- 
ellen Eigentümlichkeiten  mit  wunderbarer  Konsequenz ;  Stimmen, 
welche  bloß  harmonische  Füllungen  sind,  kennt  M.  in  seinen  Opern- 
Ensembles  nicht.  Darum  sind  sie  überall  wahre  Lebensbilder." 
M.  weiß  als  Dramatiker  Wort  und  Ton  zu  einem  Or- 
ganismus zu  verschmelzen,  die  beiden  intuitiv  stets  so  mischend, 
daß  bald  das  Wort,  bald  die  Musik  die  Oberhand  behält,  je  nachdem 
der  Text  an  sich,  oder  die  Situation  selbst  als  Träger  der  Szene  er- 
scheinen: Den  Instrumenten  des  Orchesters,  die  Haydn  sprechen 
gelehrt,  gab  Mozart  ihre  Seele.      Nicht  zu  übersehen  ist  eines: 

Instrumeu-  SO  riesige  Fortschritte  auch  seither  die  Instrumeutierungskunst 
tierung.  gemacht,  in  der  Mischung  der  Klangfar  b  en ,  just  oft  der  hete- 
rogensten Instrumente  zu  organischen  Klangwirkungen  zeigt  M., 
an  sich  ein  Meister  der  Orchestrierung,  eine  einzig  dastehende, 
wohl  mit  dem  exorbitanten  Gehörsinn  innig  zusammenhängende 
Meisterschaft;  insbesondere  in  der  Verwendung  der  Bläser  [Klari- 
netten). ^]  Wie  in  so  vielem  hat  auch  darin  noch  keiner  Mozart  er- 
reicht.    Er  ist  und  bleibt  die  inkarnierte  Musik! 


^)  Man  höre  z.  B.  die  beiden  berühmten  Klariuettenquintette  von 
Mozart  und  Brahms,  wie  wunderbar  dort  der  Klariuettenton  organisch 
zu  einem  Klangzauber  mit  dem  Streicherchor  verschmilzt,  indessen 
er  hier  immer  wie  ein  fremdes  Element  erscheint !  —  Vgl.  Dr.  E.  v. 
Komorzynski  (MS.  Wien,  *  1878) :  Mozarts  Kunst  der  Instrumentation,  07. 


Die  klassische  Zeit.     W.  A.  Mozart. 


231 


SjTupho- 
"nien. 


Klarier- 
werke. 


Unter  seinen  Kirchenkompositionen  behauptet  Mozarts  Requiem 
Schwanengesang:  das  Requiem,  die  erste  Stelle  (vollendet 
durch  seinen  Schüler  Franz  Süßmayer,  von  dem  die  Instrumen- 
tation des  ,,Dies  irae",  das  „Sanctus",  „Benedictus"  und  „Agnus" 
herrührt).  In  Mozarts  Messen,  meist  vor  dem  20.  Jahre  geschrieben, 
findet  man  Stellen  von  erhabener  Schönheit  neben  solchen,  in  denen 
er  dem  Zeitgeschmack  folgt.     ("Vgl.  Brixi.  S.  208.) 

Mit  seinen  Symphonien  (deren  Instrumentierung  für 
kleine  Räume  berechnet  ist)  schlägt  M.  eine  herrliche  Brücke 
zwischen  Haydn  und  Beethoven.  Am  berühmtesten  sind  die 
6r  moll-,  -E"«  dur-  und  Cdur- (die  sog.  Jupiter-)  Symphonie  mit 
der  Schlußfuge .  diese  ein  Wunderwerk  polyphoner  wie  an- 
mutreicher Kunst.  Von  seinen  Klavier  sachen  sind  viele 
der  Zeit  zum  Opfer  gefallen.  Zu  den  hervorragendsten 
zählen  die  Phantasie  und  Sonate  in  CmolH),  die  große  vier- 
händige Sonate  in  /'^dur  (Mozart  ist  überhaupt  der  Schöpfer 
der  4  händigen  Sonate),  das  Rondo  in  ^  moll  und  be- 
sonders die  Klavier-Konzerte,-)  die  seit  M.  Sonaten-(bezw. 
Symphonie)-form  zeigen.  (Vgl.  auch  S.  103,  Anm.  3  und  Kap.  VIII). 

Mozarts  Streichquartette  gehören  zu  dem  Kostbarsten,  Quartette 
was  wir  besitzen.  Haydn  selbst  urteilte:  „Hätte  M.  auch 
nichts  anderes  geschrieben  als  seine  Violionquartette  und  sein 
Requiem,  er  würde  allein  dadurch  schon  un.sterblich  sein."^) 
Zu  den  genußreichen  und  arg  vernachlässigten  Werken  des  Meisters 
zählen  die  Violin-Sonaten  und  Kouzerte,  die  Bläserserenaden  u.  v.  a. 

Der  Inhalt  der  Mozartschen  Muse  ist  warme ,  edle  und 
massvolle  Empfindung,  gepaart  mit  unnachahmlicher 
Grazie.     Diese  durchweht  namentlich    auch 

wir 
das,    was    die    italienische,    deutsche   und    französische    Schule 
einzeln    ausgebildet  hatten:   Wohllaut,   Deklamation  und 
Geistestiefe    in  seinem  universellen  Geiste    zur  Einheit  zu 
verknüpfen  und  bei  seinen  Schöpfungen   zu  verwerten.*)     Wie 


die  Lieder  des  inhait  und 

Bedeutung 

Meisters,    auf    die  wir    noch   zurückkommen.     Er  verstand  es,  der  Werke. 


^)  Die  von  Grieg  ,, hinzukomponierte"  2.  Klavierstimme  zu  Mozarts 
Sonaten  verdient  bei  aller  Verehrung  für  den  nordischen  Meister  keine 
Empfehlung. 

2)  Vorzügliche  4  händige  A.  [Hugo  Ulrich  (hochbegabter  Sym- 
phoniker, t  1872  Berlini]  Leuckart,  Lpz.  A.  des  D-moU  Konzerts 
(mit  der  himmlisch  schönen  Romanze)  f.  2  Klaviere  [Kullak]. 

3)  A.  der  Quintette  f.  Kl.  z.  4  Hdn.    [Rob.  Franz],  Leuckart. 
*)  Auffallenderweise  ist  Mozart   trotz   seiner   engen   Verbindung 

mit  der  italienischen  Kunst   in  Italien  selbst  wenig  bekannt  und 


232 


III.  Neuzeit. 


Ernst  und 
Heiterkeit. 


Ewigkeits 
werte. 


meint  aber  der  geistreiche  Camille  Bellaigue  in  seinen  „Sil- 
houetten" ?  „Um  Mozart  zu  hören,  wie  er  gehört  werden  sollte, 
dazu  ist  unser  Ohr  nicht  fein  genug ,  unsere  Finger  sind  zu  schwer, 
ihn  zu  spielen,  unsere  Sprache  zu  arm,  um  von  ihm  zu  reden." 
Doch  der  tiefe  Ernst  sei  M.  fremd  —  behauptet  man. 
Hören  denn  so  wenige  nur  den  düster-leidenschaftlichen  Aus- 
bruch tiefsten  seelischen  Schmerzes,  der  nach  Befreiung  ringt 
und  diese  sich  endlich  auch  siegreich  erkämpft,  oder  ist  er 
so  selten  in  "Werken  des  Meisters,  vom  wunderherrlichen  G-moll- 
Quintett,  der  G-moll-Sinfonie  angefangen  bis  zu  den  überirdischen 
leidlösenden  Klängen  der   „Zauberflöte"   und  des  Requiems? 

Da  mußte  erst  Felix  Mottl  kommen  und  beim  Salzburger  Musik- 
fest (1904)  seine  berühmte  Mozartpredigt  halten.  „Mozart  ist  für  uns 
Musiker  das  Heiligste,  was  wir  uns  denken  können.  Ich  habe  nie 
recht  verstanden,  wenn  man  bei  Mozart  nur  von  Heiterkeit  und  einer 
gewissen  Schönheit  spricht  ...  Es  gibt  eine  Wehmut  in  der  Heiter- 
keit, es  gibt  einen  Schmerz  in  der  Freude,  der  die  Menschen  in  Höhen 
führt,  von  denen  herab  nur  die  Göttlichsten  zu  uns  armen  Menschen 
sprechen  können.     Auf  dieser  Höhe  hat  Mozart  gestanden  .  .  ." 

Unter  den  Musikern  erinnert  uns  nur  noch  Rob.  Franz,  unter 
den  deutschen  Poeten  erinnern  uns  Goethe  und  namentlich  Heine  an 
diesen  Standpunkt.  Darin  erkennen  wir  auch  jenes  so  seltsam  wohl- 
tuende, überaus  trostreiche  Element,  das  vor  allem  Mozarts  Musik 
unvergänglich  erhalten  muß  für  alle  Zeiten,  das  diesen  ,, Licht-  und 
Liebesgenius  der  deutschen  Musik",  wie  Wagner  Mozart 
nennt,  immer  von  neuem  anbetungswürdig  erscheinen  lassen  wird. 
„Wir  dürfen  also  nicht  nur  von  Heiterkeit  und  von  absolut  Musikalisch- 
Schönem  sprechen,  sondern  wir  müssen  von  himmlisch  unbegreiilichem, 
großartig  Schönem  sprechen,  wenn  wir  von  Mozart  reden,  der  flir 
alle  Zeiten  ein  Gegenstand  der  Verehrung  und  der  Anbetung  für  jeden 
Künstler  war."  (Mottl.)  — 

Demutsvoll  beugte,  wir  wissen  es,  der  stolze  Richard  Wagner 
sein  Knie  vor  Mozart ;  voll  Begeisterung  und  echt  künstlerischen  Mit- 
und  Nachempfindens  schrieb  ein  Gounod  sein  leider  viel  zu  wenig 
gewürdigtes  Buch  über  „Don  Juan";  geradezu  vorbildlich  leuchtet 
aus  den  Briefen  Tschaikowskys  eine  unbegrenzte  Verehrung  für  den 
einzigen  Mozart,  den  Menschen  wie  den  Künstler,  hervor,  entzückt 
spricht  Rubinstein  von  ihm  und  Rieh.  Strauß  gesteht,  M.  allen  Groß- 
meistern vorzuziehen  —  diese  wenigen  Beispiele  genügen,  um  zu  be- 
weisen, daß  Mozarts  Bild  auch  den  Geistern  der  neuen  Zeit  gegen- 
wärtig ist,   mag   auch  die  große  Menge  mehr  oder  minder  acht-  und 


beliebt.  Er  teilt  dies'  Schicksal  allerdings  mit  Beethoven,  Weber, 
Marschner,  Lortzing,  Gluck  und  allen  anderen  BeheiTschern  der  älteren 
deutschen  Opernbühne. 


Die  klassische  Zeit.    W.  A.  Mozart.  233 

verständnislos  an  ihm  durch  kräftigere  Reize  angezogen,  vorbeifluten.  ^) 
Allein  es  bedarf  wahrlich  keiner  Prophetengabe ,  um  es  auszu- 
sprechen,  das  Mozarts  Werke  ^),   wenn  unsere  Zeit  der  Wirrsale  und 

^)  Dem  widerspricht  nicht  die  Tatsache,  daß  die  Mozartjubiläen : 
1856  (100.  Geburtstag),  1887  („Don  Juan"-Feier),  Ol  (100.  Todestag) 
und  06  (150.  Geburtstag)  allenthalben  festlich  begangen  wurden.  Ins- 
besondere im  Jäner  06  stand  die  gebildete  Welt  vollends  im  Zeichen 
Mozarts,  in  ihm  bewegten  sich  Theater  und  Konzert,  Presse  und  Buch- 
handel. Es  regnete  Gedenkschriften  und  Artikel  und  aus  dem  durch- 
tränkten Boden  schössen  auch  pilzartig  die  „Mozartheuchler"  hervor. 
Auf  sie  hatte  es  eine  aufsehenerregende  Broschüre  „Mozartheuchelei*' 
abgesehen  —  schade  nur,  daü  der  Autor  sich  als  Musikunwissender 
entpuppte.  —  Aus  der  Flut  der  Festartikel  ragt  jener  von  Dr.  Georg 
Göhier  (*  1874,  Zwickau,  Dirigent  des  Riedel- Ver.,  z.  Z.  HKM. 
Karlsruhe),  in  der  „Zukunft''  hervor. 

2)  GA.  bei  Breitkopf  &  Härtel :  [Brahms,  Espagne,  Goldschmidt, 
Joachim,  v.  Küchel,  Nottebohm,  Keinecke,  Rietz,  Rudorflf,  Spitta,  Graf 
Waldersee].  I.  Messen,  II.  Litaneien,  Vespern.  III.  KI.  geistl.  Ges.- 
Wke.  IV.  Kant.,  Orat.,  V.  Opern  (21(.  VI.  Arien  u.  dgl.  VII.  Lieder, 
Canons.  VIII.  Sinf.  IX.  Kassationen,  Serenaden,  Divertimenti.  X. 
Märsche  u.  kl.  Stücke  f.  Orch.  XI.  Tänze  f.  Orch.  XII.  Vi.-  u.  Bläs.- 
Konz.  XIII.,  XIV.  XV.  K.-Mus.  XVI.  Klav.-Konz.  XVII.  Klav.-.Quint. 
und  -Quart.  Klav.- Trios.  XVIII.  Son.  f.  Klav.  u.  VI.  XIX.  Pianof. 
4händ.  XX.  Son.  u.  Pliautas.  f.  Pianof.  XXI.  Variat  f.  Pianof  XXII. 
Kl.  Stücke  f.  Pianof.  XXIII.  Orgelson.  XXIV.  Supplement  (Requiem 
u.  a.).  NA.  von  Figaro,  Don  Juan  u.  Zaubertlöte  (Klavierausz.),  Coli. 
LitolflF.  S.  auch  S.  Sol')^)-  —  „W.  A.  M.s  Gesammelte  Poesien"  [Dr. 
Batka],  Prag  06,  Dürerverlag. 

B. :  Niemet  schek  (aus  Sadska,  Univ.-Prof.  in  Prag,  später 
Wien,  die  lauterste  Quelle  der  M.  L.,  als  Ergebnis  persönlicher  Er- 
innerung wie  der  Berichte  von  M.s  Frau  und  Freunden  der  Grund- 
stock für  alle  späteren  B.n).  Prag  1708,  NA.  [Dr.  Rychnovsky], 
Prag  05.  G.  A.  van  Nissen,  1828.  A.  Ulibisc*eff,  1847.  Otto  Jahn 
(hochangesehener  Archäologe  u.  Kunstrichter,  1813—69,  Göttingen; 
sein  Buch  ist  die  erste  musikgeschichtliche  Arbeit  nach  philologisch- 
kritischer Methode,  mustergiltig  für  alle  späteren  Biographien.)  4.  A. 
[H.  Deiters]  2  Bde.  B.  &  H.  05.  0.  Fleischer,  Brl.  E.  Hoflfmann  &  Co.  00; 
mit  wertvoller  Bibliographie  der  Mozartliteratur.    Nohl,  Lpz.  Reclam.* 

L. :  Franz  Lorenz,  M.  als  Klavier-Komponist,  Lpz.  Leuckart. 
Ms  Briefe  [L.  Nohl],  Salzburg,  Mayr.  1877;  [Dr.  C.  Storck]  Greiner 
und  Pfeiffer.  L.  v.  Koch  eis  (Wiener  Jurist  und  Naturwissenschaftler, 
t  1877)  chronologisch-thematisches  Verzeichnis  sämtl.  Tonwerke  Ms. 
—  K.  F.  Pohl,  M.  und  Haydn  in  London.  2  Bde.  Wien,  Gerold. 
G.  Nottebohm,  Mozartiana.  1880.  L.  Mirow,  M.  u.  d.  neuere  Mozart- 
literatur, Ilildesheim,  1898.  S.  ferner  S.  2-29^)^)*).  Vgl.  auch:  „M.nd. 
erste  Harmoniumkomponist"  in  „D.Harmonium",  Juni  Ö5.  M.  Nr.  der 
NMZ.  06,  8,  9. 

D.:  Salzburg  1841  (Schwanthaler),  Wien,  1896  (Tilgner)  Prag, 
1908  (Metzner)  u.  a.  Mozartmuseum  im  Geburtshause  zu  Salzburg. 


234  in.  Neuzeit. 


Zerklüftung  verrauscht  sein  wird,  von  neuem  die  Welt  zur  Be- 
wunderung zwingen  werden;  denn  das  wahrhaft  Schöne  und  Edle 
verliert  wohl  zeitweise,  aber  nicht  für  immer  die  Gewalt  über  das 
Menschenherz. ^) 

Von  den  beiden  Söhnen  Ms.  zeigte  nur  der  jüngere  Wolfgang 
Amadeus  (f  1844)  als  Dirigent  des  von  ihm  begründeten  Cäcilien- 
vereins  in  Lemberg,  wie  als  Komponist  musikalische  Begabung.  Aber 
die  Wucht  des  väterlichen  Namens  ließ  ihn  zu  keiner  Bedeutung 
kommen. 

vüät^und  -^^^    unmittelbarer    Ausdruck    der    persönlichen    Seelenbe- 

Objekti-  wegung,  des  Subjektes,  des  eigenen  Ich  oder  eines  fremden 
nachempfundenen  (wie  in  den  Operngestalten),  erhebt  sich  die 
Musik  bei  Mozart  zuerst  mächtig  über  das  bis  dahin ,  sei  es 
nun  lieblich  oder  noch  so  gewaltig  getriebene  Spiel  der  Har- 
monien und  Tonfolgen.  Sie  erhebt  sich,  ähnlich  wie  bei  Bach, 
zu  einer  Art  Naturphilosophie,  wenn  auch  noch  innerhalb  der 
Grenzen  jener  Subjektivität.  Die  Erweiterung  zum  Objektivis- 
mus, zur  „Weltphilosophie  in  Tönen",  war  dem  größten  Meister 
der  Instrumentalmusik  des  19.  Jahrhunderts  vorbehalten,  ihm, 
der  auch  als  der  Erste    vom   „Dichten  in    Tönen"   sprach: 

S-m"  Ludwig    van    Beethoven.       Am    16.  Dezember    1770 

zu  Bonn  geboren ,  wo  sein  Vater  in  der  Kapelle  des  meist  in  Bonn 
residierenden  Kurfürsten  von  Köln  als  Tenorist  angestellt  war,  ver- 
lebte B.  an  der  Seite  der  kränkelnden,  früh  verstorbenen  Mutter 
Jugend,  freudlos  seine  Jugendzeit.  Mit  ein  Grund  zu  seinem  später  so 
verschlossenen  und  düsteren  Charakter,  zu  jener  imbefriedigt  ge- 
bliebenen Sehnsucht  nach  idealen  Verhältnissen.  Einen  Lichtpunkt 
bildete  der  Verkehr  mit  der  liebenswürdigen  und  gebildeten  Familie 
V.  Breuning,  mit  der  B.  auch  später  enge  Beziehungen  unterhielt.  — 
Den  ersten  musikalischen  Unterricht  erhielt  er  bei  dem  Oboisten 
Pfeiffer,  dem  Organisten  van  der  Eden  imd  Gott  lieb  Neefe, 
unter  dessen  Leitung  der  zehnjährige  Knabe  seine  erste  Sonate 
Wien,  schrieb.  Unwiderstehlich  zog  es  ihn  bald  nach  Wien  —  da- 
mals in  musikalischer  Beziehung  die  tonangebende  Stadt.  Beim 
ersten  Aufenthalte  daselbst  (1787)  hatte  B.  das  Glück,  Mozarts 
Aufmerksamkeit  zu  erregen,  der  bei  seinem  Spiel  prophetisch 
ausrief:  „Dieser  Jüngling  wird  noch  viel  von  sich  reden  machen." 
1792    siedelte    er    ganz    nach    Wien    über   imd  kam  durch  Emp- 


^)  Zu  den  zahlreichen  M.  zugeschriebenen,  doch  nicht  nachweis- 
lich von  ihm  herrührenden  Werken  kommen  neuester  Zeit  die  große 
CmoU-Messe  [1900,  Aloj's  Schnitt  (Pianist  u.  Komp.,  Dirigent  des 
durch  ihn  zu  hoher  Blüte  gebrachten  Dresdner  M.-Vereins,  f  02)]  und 
ein  7.  Violinkonzert  [A.  Kopfermann]  (B.  &  H.,  07). 


Die  klassische  Zeit.     L.  v.  Beethoven. 


235 


fehlung  seines  Kurfürsten   in   die  höchsten  Adelskreise ;   insbesondere 

die    kunstsinnigen   Fürsten    Lobkowitz   und   Lichnowsky,    die 

Grafen  Ester  häzj'  und  K  inskj^  nahmen  sich  seiner  an.   Im  Hause  van 

Swietens   (eines  Sohnes  des  berühmten  Leibarztes  Maria  Theresias) 

ward  er  mit  den  Werken  Bachs  und  Händeis  bekannt.    Sein  Lehrer    Lehrzeit. 

wurde  Joseph  Haydn.     Als   dieser  von  seiner  ersten  Londoner 

Reise  1792   ruhragekrönt   auch  nach  Bonn  kam ,   hatte  man  ihm  dort 


den  jungen  vielversprechenden  B.  vorgestellt,  der  dem  Meister  zwei 
Kantaten  seiner  Komposition  vorlegte.  Auf  Haydns  wohlwollendes 
Urteil  hin  empfahlen  ihm  B.s  Gönner  (besonders  ein  Deutsch-Ordens- 
ritter Graf  Waldstein,  dem  er  später  die  Klaviersonate  op.  53  ge- 
widmet) den  jungen  Mann  als  Schüler.  Haydn  aber  nahm  den  Unter- 
richt  etwas  lax,    und   B.s   eigentlicher  musikalischer   Berater   wurde 


236  I^I-  Neuzeit. 


Johann  Schenk  (s.  S.  229).  Als  Haydn  im  Januar  1794  abermals  nach 
London  ging,  genoß  B.  bei  dem  Hof  Organisten  und  DKM.  Albrechts- 
b erger,  einem  hochangesehenen  Theoretiker  und  Komponisten  zahl- 
reicher Kirchen-,  Kammer-  und  Orchesterwerke  (f  1809)  und  bei 
Schaffen.  Antonio  S  a  1  i  e  r  i  (s.  S.  256)  Unterricht.  Sein  erstes  Werk,  drei  Trios, 
erschien  1795;  das  zweite,   drei  Klavier- Sonaten,    widmete  er  Haydn. 

I.Periode  Die    erste  Periode    in  B.s  künstlerischem    Schaffen  — 

—  drei  solcher  Epochen  lassen  sich  hier  deutlich  unterscheiden 

—  in  der  er  sich  den  Meistern  Haydn  und  Mozart  anschloß, 
reicht  von  1786  — 1803.  Sie  umfaßt  die  1.  und  2.  Symphonie, 
die  ersten  Trios,  Klavier-  und  Violin-Sonaten  bis  op.  30,  das 
Septett,  die  Musik  zum  Ballett  „Die  Geschöpfe  des  Prome- 
theus"  und  das  Oratorium   „Christus  am  Ölberge". 

2.  Periode  Die  zweite  Periode,   etwa  von  1803  — 1815,  durch  die 

°^'  '3.   Symphonie,   die    .,Eroica"    eingeleitet,   enthüllt  Beethovens 

ganze  Eigentümlichkeit.  Hieher  rechnen:  1804  — 05  „Fidelio", 
1806 — 08  die  Symphonien  in -ß,  Cmoll  und  die  „Pastorale", 
1813  die  ^  dur-,  1815  die  7'"'dur-Symphonie ;  die  Klavier- 
Sonaten  bis  op.  57,  die  sog.  Kreutzer-S  onate  op.  47  für 
Klavier  und  Violine,  das  Quartett  op.  95  und  das  Trio  op.  97 
in  JB  dur. 

Aus  diesen  Epochen  ragen  noch  als  besonders  schön  hervor:  die 
Klavier-Sonaten  op.  13  (pathetique),  op.  27  Nr.  2  Cis  moU  (Mondschein- 
Sonate),  op.  31  Nr.  2  in  D  moll,  op.  53,  op.  57  (appassionata),  op.  81 
(Les  Adieux)   und   op.    106;    das   Streichquartett   op.  59   Nr.  3  in  C 

—  diese  3  Quartette  dem  Besteller  Grafen  Rasumowky  gewidmet,  der 
die  russischen  Themen  dazu  gab  —  ;  das  Quintett  op.  29. 

Erioca.  B.  war  und  blieb  trotz  seines  aristokratischen  Umganges  Repu- 

blikaner. Siehe  die  Geschichte  der  ,,Eroica."  Um  sein  politisches 
Ideal,  Napoleon  Bonaparte,  zu  verherrlichen,  schrieb  er  jene  heroische 
Symphonie;  sie  ihm  widmend.  Als  sich  aber  1804  Napoleon  die 
Kaiserkrone  aufsetzte,  zerriß  er  den  Titel  der  Partitur. 

Großen  Instrumentalvirtuosen  seinei  Tage  zollte  B.  lebhaft  An- 
erkennung, wiederholt  selbst  durch  Zueignung  eines  Werkes;  so  der 
obengenannte  Violinsonate  und  der  Violinromanze  op.  50  an  die  be- 
rühmten Geiger  Rudolph  Kreutzer  und  P.  Rode  (vgl.  Kap.  VII),  der 
Hornsonate  op.  17  an  den  Hornvirtuosen  (und  -Komponisten)  Punto 
(recte  Wenzel  Stich  aus  Tschaslau  i.  Böhm,  [f  1803,  Prag]). 

1809  berief  ihn  Jeröme,  König  von  Westfalen,  nach  Kassel. 
Um  B.  Wien  zu  erhalten,  setzten  ihm  reiche  Gönner  (Graf  Kinsky, 
Fürst  Lobkowitz  und  sein  Schüler  Erzherzog  Rudolf)  eine  jähr- 
liche Besoldung  von  4000  Gulden  aus.  Die  großmütige  Tat  wurde 
allerdings  zum  Teil  illusorisch,  indem  der  Geldwert  durch  den  da- 
maligen Staatsbankrott  bedeutend  sank, 
höhe^*  Während    des  Wiener  Kongresses    (1814)    hatte  B.  durch 


Die  klassische  Zeit.    L.  v.  Beethoven.  237 

Aufführung  der  5.  und  7.  Symphonie,  des  symphonischen  Ton- 
gemäldes ,,Die  Schlacht  bei  Vittoria"  und  der  Oper  „Fidelio" 
die  Höhe  seines  Ruhms  erstiegen.  Er  ließ  sich  auch  von  den 
gekrönten  Häuptern  nach  eigener  Aussage  den  Hof  machen. 
,,F  i  d  e  1  i  o"  —  ein  musikdramatisches  Werk,  das  wie  kein  zweites  Fideho. 
die  Einheit  der  Zeit  wahrt  —  hatte  bei  den  ersten  Auf- 
führungen, 1805  und  1806  in  Wien,  dann  auch  in  Prag 
keinen  Erfolg ;  B.  fehlte  zudem  die  Bühnenkenntnis ;  erst  nach 
der  Umarbeitung  (als  ,,Leonore"  1814)  wurde  der  unvergäng- 
liche Wert  dieser,  in  jeder  Hinsicht ., einzigen"  Beethovenoper,  zu 
der  der  Meister  nicht  weniger  als  4  Ouvertüren  (eine  davon  1807 
für  Prag)  schrieb,  erkannt.^)  Ein  geistreicher  Franzose  nannte  zwar 
auch  diese  Umarbeitung  „eine  symphonische  Kantate".  Richard  Wagner 
(Ges.  Schrift.  VIT,  129)  sagt:  „Vergleicht  man  die  breit  und  reich  ent- 
wickelten Uonnen  einer  Symphonie  Beethovens  mit  den  Musikstücken 
seiner  Oper  Fidelio,  so  merkt  mau  sogleich,  wie  der  Meister  sich 
hier  beengt  und  behindert  fühlte  und  zu  der  eigentlichen  Entfaltung 
seiner  Macht  fast  gar  nie  gelangen  konnte,  weshalb  er,  wie  um 
sich  doch  einmal  in  seiner  ganzen  Fülle  zu  ergehen ,  mit  gleichsam 
verzweitlungsvoller  Wucht  sich  auf  die  Ouvertüre  warf,  in  ihr  ein 
Musikstück  von  bis  dahin  unbekannter  Breite  und  Bedeutung  ent- 
werfend". Das  war  die  (1806  geschriebene)  sogen.  ,, große 
Leonoren-Ouverture  Nr.  3"  —  ein  Vorklang  der  „Symphonischen  0"verture. 
Dichtung".  Sie  wird  am  wirksamsten  während  der  Verwandlung 
des  2.  Aktes  der  Oper  gespielt,  zu  deren  Einleitung  die  kleinere 
1.  Ouvertüre  e-moll)  paßt.  Eine  starke  Vertiefung  der  Gattung  zeigen 
insbesondere  auch  des  Meisters  herrliche  Ouvertüren  zu  „Egmont" 
und  .,Coriolan"  (vergl.  auch  S.  103,  Anm.  3).  Nach  jener  Zeit  des 
Fidelio-Erfolges  verdrängte  ihn  Rossini  durch  die  heute  fast  vergessenen 
Opern  „Tancred",  „Die  diebische  Elster",  „Othello"  u.  a.,  wenigstens 
beim  gi"oßen  Publikum. 

Die    dritte    Periode,    der    sog.   „letzte  B."  (beeinflußt ^3- P^j^^^^^^gß 
von  Händel  und  Bach),  faßt  besonders  :  die  ,,Missa  solemnis" 
(1818),    die    5  großen    Streich-Quartette    op.   127,    130,    131, 
132  (mit  dem  Dankgesang)  und  135    (die  berühmten  ,, Letzten", 
der  erste  Vorklang  künftiger    „Vierteltonmusik"  !)  die  Klavier- 
Sonaten    op.    101    bis   lll,   die   Ouvertüren  op.    115  und   124 
und  die  neunte  Symphonie  mit  Chor  (Schillers   ,, Hymne      ^Die 
an  die  Freude"),  deren  Schönheitswert  noch  bis  in  die  neueste  " 
Zeit  hinein  die  Musiker    zu  lebhaftem  Für  und  Wider  erregte. 
Ihr   stimmungsverwandt   ist    die   wenig   gekannte,    mozartisch    ange- 
hauchte Chorphantasie  op.  80. 

1)  NA.  Klav.-Ausz.  Coli.  Litolff.    Vgl.   auch  S.  182  oben,   und 
Simon:  D.  4  Ouvertüren  zu  Fidelio,  NMZ.  1889,  18. 


238 


III.  Neuzeit. 


Sympho- 
nien. 


Hier   eine  Uebersicht   über  Entstehungs-   und  Uraufführungszeit 
dieser  9  unerreichten  symphonischen  Meisterwerke: 


Letzte 
Quartette. 


Missa 
solemnis. 


Nr. 
I 

II 
III 

IV 

V 

VI 

VII 

VIII 

IX 


Tonart: 
C  dur 
D  dur 
Es  dur  (Eroica) 
B  dur 
C  moll 
F  dur  (pastorale) 

A  dur 

F  dur 

D  moll 


Opus: 
21 
36 
55 
60 
67 
68 
92 
93 

125 


Koinpositionszeit: 

1799 

1802 

1803-4 

1806—7 
vollendet  1807\ 

1808         / 

1813 

1812 
vollendet  1824 


Uraufführung  (Wien)  " 

1800 

1803 

1805 

1807 

22./12.  1808  (Theater 

a.  d.  Wien) 

18131) 

18142) 
7/5.  1824  B.s  be- 


rühmte Akademie  im  Kärtnertheater. 
Die  letzten  Quartette  scheinen  ., nebst  einigen  Chören 
und  Orgelsachen  von  Seb.  Bach  die  äußersten  Grenzen,  die  mensch- 
liche Kunst  und  Phantasie  bis  jetzt  erreicht;  Auslegung  und 
Erklärung  durch  Worte  scheitern  hier  ..."  Diese  Schumann- 
schen  Worte  gelten  noch  heute. 

In  der  Vokalkomposition  zwar  weniger  glücklich, 
—  er  mutet,  wie  Seb.  Bach,  Gesangsstimmen  manchmal  zu,  was 
sonst  nur  Instrumente  leisten  —  steht  B.  gleichwohl  mit  dem 
dramatisch  packenden  ,,Fidelio",  der  Neunten  und  der  Hohen 
Messe  auf  gleicher  Höhe,  wie  als  Instrumentalkomponist  (vgl. 
auch  S.  106,  Anm.  1).  Das  Oratorium  ,, Christus  am  Oel- 
berge"  erreicht  die  Werke  von  Händel,  Bach  und  Haydn  nicht, 
und  B.s  erste  Messe  in  C  steht  mit  jenen  von  Haydn  auf 
gleicher  Linie.  Dagegen  entspringt  diesen  Formen  riesengroß 
seine  ,, Missa  solemnis",^)  das  größte  Werk  der  neueren 
Zeit;  allerdings  über  den  liturgischen  Rahmen  weit  hinausragend, 
wohl  geistliche,  aber  keine  kirchliche  Musik.  Im  Konzertsaale  ist  sie 
von  größter  Wirkung.  Fr.  Witt  sagt  über  das  Gloria  dieser  Messe*): 
„Dasselbe  macht  ganz  besonders  aus  dem  Grunde  so  ungeheuren  Ein- 
durck,  weil  das  gigantische  Walten  freier  Rythmen  gar  nicht  den 
Eindruck  aufkommen  läßt ,  als  ob  sich  diese  ungestümen  Meerwogen 


1)  Zugleich  mit  der  ,, Schlacht  b.  Vittoria",  (der  quasi  X.  Sjin- 
phonie)  in  einer  patriot.  Akademie  zum  Besten  der  Hinterbliebenen 
der  bei  Hanau  verwundeten  österr.  u.  bayrischen  Krieger,  am  8.  Dezem- 
ber in  der  Wiener  kais.  Reitschule. 

2)  Infolge  der  Kriegsereignisse  wenig  beachtet ;  der  Konzertzettel 
befand  sich  i.  d.  Wiener  Mus  -  u.  Theaterausstellung  1892. 

3)  U.  1824  Petersburg ;  1830  folgte  das  kleine  Warnsdorf  i.  Böhm, 
(vgl.  F.  Moissl  i.  d.  „Reichenb.  Ztg."  04),  erst  später  Wien! 

*)  Vgl.  Stehle,  Chor-Photographien.    Regensburg  1873,  Pustet. 


Die  klassische  Zeit.     L.  v.  Beethoven.  239 

der  Tonmassen  im  Schubahmen  des  Taktes  abwickeln;  es  tritt  das 
machtvolle  Gebilde  fessellos  heraus  aus  den  kleinen  Grenzen  des  Ge- 
wöhnlichen, und  vor  dem  staunenden,  tief  ergriftenen  Hörer  steht  in 
seiner  hohen  Majestät  das  Schrankenlose,  Unbegrenzte,  Ewige!  Das  ist 
aber  das  Göttliche!"^) 

Beim  ,, letzten  B."  herrscht  die  Variation  (d.  i.  die 
,, Veränderung"  eines  prägnanten,  immer  wieder  erkenntlich  Variation 
durchschimmernden  Themas  durch  Verwandlung  einzelner  seiner 
Elemente,  bereits  durch  Haydn  und  Mozart  modern  kontra- 
stierend entwickelt -J,  und  die  Fuge  in  freier  Form  vor. 
Siehe  dort,  abgesehen  vom  2.  Satz  der  Appassionata  namentlich  die 
Sonate  op.  111,  hier  die  Sonate  op.  109. 

In  B.s  Klaviersonaten,    die    mit  ihrem  Bachschen  An- 
hauch allein  eine  ganze  Gedankenwelt  bergen,  ruhen  nebenbeige-    Klavier- 
sagt die  Keime  des  Stiles  aller  großen  modernen  Komponisten.     ^°"*  *^°- 
Einzelne   Funken,   die   B.s  Genius   oft   nur   so  nebenbei   sprühte,  ent- 
zündeten  die    Flammen   fremder  Herde.     Oder,  was   dort  gelegentlich 
wie  ein  Span  vom  Hobel  abfiel,    wird  von   andern  aufgenommen  imd 
zu  einem  selbständigen    Neubau  verwendet.    Wir  finden  so  bei  B.  den 
Vorklang  von  Schumann  (s.  z.  B.  das  Scherzo  in  Beethovens  op.  106, 
„Sonate  f.  d.  Hammerklavier"),  Mendelssohn  (VII.  Symph.),  Cho- 
pin (Scherzo  des  F-Dur-Quai-tetts  [direkt  Chopins  Mazurka],  und  das  Vorklänge, 
herrlichste  aller  Adagios    [Fis  moU !]    in    der    B  Dur    Sonate    106),  R. 
Wagne  r(IX.  Symph.  3.  Satz  [Lohengrins  Ankunft,  Adur!]^)  Brahms, 
ja  selbst  —  Joh.  StrauU  mit  seinem  Wiener  Walzerrhythmus. 

In  der  Entwickelung    der    Programm -Musik    endlich, 
d.    i.    der    tonkünstlerischen    Darstellung    bestimmter    äußerer  „ 

°  Programm- 

oder seelischer  Vorgänge   —  ihr  Gegensatz  ist  die  absolute     musik. 

(positive) ,  d.  i.  die  durch  keinerlei  Vorstellung  gebundene 
Musik  an  sich  —  bedeutet  B.  eine  bedeutsame  "Wandlung 
von  der  bisher  geübten  bloß  äußerlichen  Naturnachahmung  im 
materiellen  Sinne  (Tongemälde  [-maierei],  vgl.  die  Nieder- 
länder   Jannequin    und    Hermann    [,, Schlacht    vor    Pavia''  , 

1  1  o  1  Tonmalerei 

1549    eine    Vorläuferin    der     Schlacht    b.    Vittoria!j    Kuhnau,  u.  Dichtung. 
Frohberger,  Seb.  Bach,  Händel  [Froschplage  in  ,, Israel"],  Haydn 
[Schöpfung],  Dittersdorf,  Abt  Vogler;   S.  119,   185  u.  Kap.  VI, 


1)  Vgl.  Dr.  Rieh.  Sternfeld  „B.s  Missa  sol  "  Brl.  „Harmonie". 

2)  Die  Erstformen  der  in  der  alten  Tanzsuite  wurzelnden  V.  sind 
die  Doubles  der  französischen  Klavier-,  die  Divisions  der  engl.  Violin- 
und  die  Diflferenacias  der  span.  Lautenmusik,  denen  sich  auch  Händel 
anschließt.  Meister  der  V.  nach  Beethoven :  Schubert,  Mendelssohn, 
Brahms,  Saint- Sains,  Reger. 

3)  Vgl.  Kystler:  B.  als  Harmoniker,  NMZ.  1896,  7. 


240  ni.  Neuzeit. 


VIII)  zum  ideellen  Ausdruck  des  Empfindens  und  der  Stimmung 
(Tondichtung,  vgl.  S.  234),  wie  dies  zahlreiche  Werküber- 
schriften des  Meisters  [vgl.  besonders  die  Inschriften  der  „Pastorale"] 
andeuten.^)     Von  hier  führt  der  Weg  zu  Berlioz,  Liszt,  ßich.  Strauß. 

Taubheit.  Schon    1802    litt  B.    an  Schwerhörigkeit,    die    später  zur 

völligen  Taubheit  führte,  so  daß  er  sich  nur  schriftlich  mit 
seiner  Umgebung  verständigen  konnte  und  den  Verkehr  mit 
der  Außenwelt  immer  mehr  einschränkte.  Dagegen  streifte  er 
gern  im  Freien  umher,  seine  musikalischen  Gedanken  in  Skizzen- 
bücher einschreibend.  Eine  Frucht  dieser  Streifzüge  war  u.  a.  die 
„Pastoral-Symphonie".  Jene  Taubheit, ^j  der  Mangel  einer  behaglichen 
Häuslichkeit  (er  lebte  immer  auf  Kriegsfuße  mit  seinen  Wirten  und 
Haushälterinnen,  so  daß  er  manchmal  zwei  bis  drei  Wohnungen  zu 
gleicher  Zeit  hatte),  trübe  Erfahrungen  die  er  an  seinen  Brüdern  und 
an  seinem  Ziehneffen  machte,  verdüsterten  sein  Leben  immer  mehr, 
und  diese  Stimmung  spiegeln  seine  späteren  Werke  nur  zu  deutlich 
ende.  wieder.  Er  starb  zu  Wien  am  26.  März  1827  an  der  Wasser- 
sucht. 2)  Seine  Gebeine  ruhen  jetzt  in  einem  der  „Ehrengräber"  des 
Wiener  Zentralfriedhofes,  den  die  Gemeinde  auch  andern  Tondichtern 
Wiens  dort  pietätvoll  eingeräumt*)  —  für  Mozart  allein  zu  spät,  dessen 
Ruhestätte  ein  Grabdenkmal  markiert  .  .  . 

Charakter.  ß^   einer  stürmischen,    leidenschaftlichen    Natur,    galt  als 

Grundsatz:  „Musik  muß  dem  Manne  Feuer  aus  der  Seele 
schlagen,  Rührung  geziemt  nur  den  Weibern."  Damit  wendet 
er  sich  klipp  und  klar  gegen  jene,  die  in  der  Musik,  nicht 
viel  mehr  als  ein  Vergnügen,  einen  Sinnkitzel  erblicken. 


^)  Vgl.  „Z.  Gesch.  d.  Prograrammusik"  v.  Dr.  Max  Vancsa 
(Historiker  u.  MS.,  Wien,  *  1866X  Zeitschr.  „D.  Musik"  03  Heft  23  u. 
24.  Wilh.  Klatte  „Gesch.  d  Programmmusik"  Bd.  7,  „D.  Musik^ 
Brl. ;  Riemann  ,,Wie  hören  wir  Musik"  Lpz.  Hesse  1888.  Weiteres 
gehört  in  die  Mus.  Aesthetik. 

^)  Gounod  meint,  es  sei  leichter  zu  ertragen,  taub  als  blind  zu 
sein.  „Der  taube  Beethoven  schrieb  Meisterwerke.  Da  mußte  er  sie 
in  seinem  Innern  vernommen  haben.  Man  hört  in  der  Tat  die 
Musik,  auch  wenn  man  sie  nur  liest.  Die  Taubheit  unterdrückt  also 
nicht  vollständig  das  Ergötzen  an  der  Musik.  Uebrigens  befindet  sich 
jeder  Musiker  beim  Niederschreiben  seiner  Gedanken  in  derselben 
Lage  wie  ein  Tauber.  Sein  Geist  allein  empfängt,  was  er  schreibt. 
Aber  die  Blindheit!  Wie  viele  Entbehrungen  legt  sie  auf!  .  .  ." 

^)  Das  Haus,  Schwarzspanierstr.  15,  ließen  die  Wiener  1903  ruhig 
(neben  anderen  ,, Beethovenhäusern")  demolieren  —  anstatt  selig  den 
Besitz  des  Raumes  zu  wahren,  wo  der  größte  Tonheros  seine  Seele 
ausgehaucht !  Unfaßbar. 

*)  Brahms,  Gluck,  Herbeck,  Lanner,  Millöcker,  Müller  sen.,  Preyer, 
Schubert,  Sechter,  J.  Strauß  Vater  u.  Sohn,  Suppe,  Wolf. 


Die  klassische  Zeit.     L.  v.  Beethoven.  241 

B.  hat  als  Instrumentalkomponist  im  19.  Jahrh. 
das  Höchste  geleistet.  Ausgehend  vom  Klavier,  dem  er  seine 
liebsten  Gedanken  anvertraute,  schritt  er  zur  Symphonie 
fort,  die  er  gleich  der  Sonate  (vgl.  S.  219)  zu  wahren 
Seelengemälden  vertiefte.  In  ihnen  (z.  B.  in  der  j» Achten"),  J^^fJ^j 
namentlich  aber  in  dem  von  ihm  (erstmals  in  der  Eroica) 
eingeführten  Scherzo  spielt,  sich  in  den  schrofiFsten  Gegen- 
sätzen ergehend,  der  Humor  eine  große  Rolle.  Hierin  unterscheidet  Huoior. 
B.  sich  von  Mozart,  der  immer  in  idealer  Höhe  vorbleibt.  Auch  darin, 
daO  Mozart  —  dem  die  Melodien,  nach  eigener  Aussage  strom- 
weise von  selber  kamen,  daß  er  sie  ebenso  wie  si)äter  Schubert 
nicht  zti  ersinnen,  sondern  nur  festzuhalten  brauchte  —  seine  Motive 
verschwenderisch  ausstreut,  während  B.  sie,  wie  seine  Skizzenbüchter 
lehrreich  verraten  (wir  werden  da  an  die  Skizzen  Katt'aeis  erinnert), 
in  skrupulöser  Weise  wendet  und  dreht,  bis  sie  in  der  Gestaltung  dem 
Idealbilde  seiner  Phantasie  möglichst  entsprechen. ^)  Daher  die  Voll- 
kommenheit seiner  Themen,  der  logische  Autbau  seiner  symphoni- 
schen Werke.  Interessant  ist,  daß  B.  in  seiner  9.  Symphonie  wieder 
zum  Chore  zurückgreift,  nachdem  er  sich  zuvor  vom  gesungenen  Worte 
emanzipiert  hatte.  Den  sog.  I)  u  r  c  h  f  (ihr  ung  s  t  e  i  1  der  Sonate  Sonate. 
endlich  erweiterte  B.  nach  der  Tiefe  und  Breite  hin  in  einem 
solchen  Maße  scharfgeistiger  Durcharbeitung  und  Durchbildung 
der  Gedanken  und  Motive,  wie  es  weder  vor  noch  nach  ihm 
erreicht  wurde. 

Das  Verdienst,  auf  B.s  hohe  Bedeutung  bereits  frühzeitig  hinge- 
wiesen zu  haben,  da  sie  noch  nicht  recht  erkannt  wurde,  —  die  Ber- 
liner Kritik  sprach  von  der  sonnigen  D-dur-Symphonie  nur  als  von 
„dreiviertel  Stuuden  lang  ausgeführten  Schwierigkeiten",  die  Wiener 
zogen  1S()5  eine  Symphonie  Eberls  der  „P^roica",  „einer  äußerst  langen 
Komposition  mit  wilder,  ins  Regellose  sich  verlierender  Phantasie"* 
vor!  —  gebührt  dem  Leipziger  Romancier  und  Musikschriftsteller 
Joh.  Friedr.  Rochlitz  (f  1842 1,  Redakteur  bezw.  Mitarbeiter  der 
1798  begründeten  ,,Allg.  musikal.  Zeitung",  dem  tonangebenden  Fach- 
blatte in  der  Beethovenepoche. 

Tief  und  großzügig   wie   in  seiner  immer  mehr   welterobernden    Gemuts- 
Musik^)  ist  B.  auch   in  seinen  Briefen  3)  und   anderen   Niederschriften       ti*^f«: 
(z.  B.    dem    ,, Heiligenstädter   Testament"!.      Alles    zeugt    von    einei 
unendlich  gemütstiefen  Künstlernatur,  der  nichts  was  Menschenherzen 


^)  Anziehendes  darüber  im  ,, Wissen  f.  Alle"',  1905. 

2)  Vgl.  z.  B.  über  B.s  Einfluß  u.  Verbreitung  in  Frankreich  N. 
Mus.  Ztg.     1905,  S.  381. 

3)  A.:  L.  Nohl,  Briefe  Beethovens.  2  Bde.  1865  und  1867. 
L.  v.  Köchel,  Briefe  an  den  Erzherzog  Rudolf.  1865.  A.Schöne, 
Briefe  an  die  Grätiu  Erdödv  und  Mag.  Brauchle.  1867.  GA.  [Dr. 
Prelinger]    Wien  07,    C.  W.  Stern.  4  Bde.;  [Dr.  Kalischer],  Berlin,  07 

Kothe-Prochazka,  Abriß  cL  Musikgeschichte.    8.  Aufi        16 


242  ^^^-  Neuzeit. 


bewegt,  fremd  blieb.  Charakteristisch  wie  bedeutsam  sind  des  Meisters 
Worte  zu  Bettina  v.  Arnim:  „Keinen  Freund  hab  ich,  ich  muß  mit 
mir  allein  leben :  ich  weiß  aber  wohl,  daß  Gott  mir  näher  ist,  wie 
den  andern  in  meiner  Kunst,  ich  gehe  ohne  Furcht  mit  ihm  um,  ich 
hab'  ihn  jedesmal  erkannt  und  verstanden,  mir  ist  auch  gar  nicht 
bange  um  meine  Musik,  die  kann  kein  bös  Schicksal  haben:  wem  sie 
sich  verständlich  macht,  der  muß  frei  werden  von  all  dem  Elend, 
womit  sich  die  andern  schleppen."  i) 


Ueberbiick.  Mit    innerer    Naturnotwendigkeit   hat    sich    der    herrliche 

Dreiklang  Haydn-Mozart-Beethoven  auf  dem  Boden  des  Musik- 


Schuster  und  Loeffler.  Auswahl  [Dr.  C.  Storck],  Greiner  &  Pfeiffer,  04. 
Vgl.  ,,B.  als  Briefschreiber"  u.  „Die  neuesten  B.funde  in  ,,D.  Zeit" 
vom  25.  u.  29.  Dez.  07. 

1)  GA.  b.  Breitkopf  &  Härtel  [Nottebohra.  C.  Reinecke.  E.  F. 
Richter,  J.  Rietz.]  —  Ser.  I.  Sinf.  II.  Versch.  Orch.-Wke.  III.  Ouvert., 
IV.  Für  VI.  u.  Orch.  V.  Für  5  und  mehr  Instr.  VI.,  VII.,  VIII.,  Kam- 
mermusik f.  Str.  u.  Bl,  IX.  Pianof.  u.  Orch.  X.  Pianof.-Quint.  und 
-Quart.  XI.  Pianof.-Trios.  XII.  Pianof.  u.  Viol.  XIII.  Pianof.  u.  Cello. 
XIV.  Pianof.  u.  Blas.  XV.  Pianof.  4händ.  XVI.  XVII.  Pianof.  Sonaten. 
XVIII  Kl.  Stücke  f.  Pianof.  XIX.  Kirchenmusik.  XX.  Dramat.  Musik. 
XXI.  Kantaten.  XXII.  Gesänge  mit  Orch.  XXIII.,  XXIV.  Lieder. 
XXV.  Supplement.  (Ges.  u,  Instr.  Mus.)  Akad.  NA.  der  Kl.  Sonaten, 
[Germer]  (mit  vorzügl.  Hinweisen  auf  Vortrag  u.  Satzbau)  CL.  Klaviei*- 
Arrangements  versch.  Werke  [Winkler]  ebda.      A. :  EP.,  UE. 

B.:  A.  Schindler,  2  Bde.  NA.  [Kalischer]  Brl.  08.  A.  B.  Marx, 
2  Bde.  W.  V.  Lenz,  NA.  [Kalischer]  08.  A.  W.  Thayer  (f  1897 
Triest)  5  Bde. ;  deutsch  und  fortgesetzt  durch  Deiters :  ergänzt  durch 
Riemann,  Lpg.  B.  &  H.  08.  G.  Mensch,  Lpz.  Leuckart.  Ferd.  Hiller, 
Lpz.  Leuckart.  Nohl,  Lpz.  Reclam.*  Dr.  v.  Frimmel,  Brl.  ,, Harmonie" 
(ill.).  Göllerich,  Brl.  „D.  Musik".  Storck,  Stuttg.  Greiner  &  Pfeiffer. 
Wegeier  u    Ries,  Biogr.  Notizen,  NA.  [Kalischer]  08. 

L. :  G.  V.  Breuning,  Aus  d.  Schwarzspanierhaus.  NA.  [Kalischer] 
08.  J.  V.  Seyfried,  B.s  Studien  im  Generalbass.  1832.  NA.  [G.  Notte- 
bohm].  1873.  G.  Nottebohm,  Ein  Skizzenbuch  von  B.  1865.  —  Beet- 
hoveniana.  2  Bde.  1872  und  1887.  —  Thematisches  Verzeichnis  d. 
Werke  B.s.  1868.  —  Ernst  v.  Eiterlein,  B.s  Symphonien.  Dresden, 
Brauer.  —  B.s  Klaviersonaten.  Ebenda.  —  Dr.  Theod.  Helm,  B.s  Streich- 
quartette. Versuch  einer  technischen  Analyse  dieser  Werke  im  Zu- 
sammenhang mit  ihrem  geistigen  Gehalt.  Lpz.  Siegel.  —  C.  R.  Hennig. 
B.s  9.  Symph.  Analyse.  Lpz.,  Leuckart.  —  G.  Grove,  B.  u.  s.  9  Sym- 
phonien, Novello,  London.  —  0.  Jahn,  Ges.  Aufsätze  über  Musik  (darin: 
„Leonore  oder  FideHo?"  ,,B.  u.  d.  neue  Ausgabe  seiner  Werke.")  186G. 
L.  Nohl,  B.s  Brevier,  Brl.  ,, Harmonie".  Volkmann,  Neues  üb.  B., 
Lpz.,  Seemanns  Nachf.  —  B.  im  eigenen  Wort  (Aussprüche  [Kerst]) 
07.  Brl.  —  In  Vorbereitung:  Dr.  Kalischer,  B.  u.  s.  Zeitgenossen, 
4  Bde.  Brl.  Schuster  &  Loeffler.  —  Viele  Broschüren  über  B.  er- 
schienen gelegentlich  d.  lOOjähr.  Geburtstages  1870,   u.  a.  von  Rieh. 


Die  klassische  Zeit.    Kleinmeister.  243 

reiches  und  seiner  Geschichte  aufgebaut.  Keiner  mehr  ohne 
den  Genius  des  andern  denkbar,  unzertrennlich  verbunden  durch 
die  Grundelemente  des  Wesens  ihrer  Musik,  unterscheiden  sibh 
die  drei  Großmeister  des  Tonklassikertums  durch  individuelle 
Charakterzüge.  Die  Streichquartette  Haydn  op.  33  Nr.  1, 
Mozart  op.  11  Nr.  2  und  Beethoven  op.  131  geben  vielleicht 
hier  das  getreueste  Abbild  jener  drei  scharfgeschnittenen  Klas- 
sikerprofile. ^) 

Aus  dieser  f^poebe   tritt    uns  noch   eine   Reihe  von  Neben-  und  Xeben-  und 
'Gefolgraännern  der  Klassiker  entgegen,  Komponisten  zweiten  und  dritten     <'efolg- 
Orades.  oft  von  ganz  erstaunlicher  Fruchtbarkeit,  einst  gefeiert  —  heute     '"""°^''- 
zum  großen   Teil    vergessen   oder    längst  verblal3t   vor  den    Unsterb- 
lichen,  mit   denen   sie  bei  Lebzeiten  mehr-minder  rivalisiert.     So    in 
Wien    selbst    der    Haydnschüler    und   -Rivale   Pleyel    (f  1831),   ein 
Komponist    „türs   Publikum",   fruchtbar,  ubertlächlich   und  —  beliebt, 
zuletzt    mehr    Geschäftsmann    als    Künstler    i  Musikalienhandlung    und 
Pianoforte-Fabrik  zu    Paris,   die   beiden   mit  Mozart    und  Haydn   be- 
freundeten   Kirchenkoniponisten    Max.    Stadler     Abt,    i    1833)    und 
HKM.    V.  Eybler  (t  l.s4ij  ,   die  Symphoniker  Ant.  Eberl,    zu  Leb- 
zeiten Beethovens  angesehener  als  dieser  (t   18'i7)-)  und  DKM.  Leop.      Eberl. 
Hof  fman  n  (t  17it3,  sehr  melodisch,  in  Mannheimer  Stil) :  der  Salzburger 
Sigism.    Neu  komm.    Ha3-dns    Lieblingsschülai-,    Pianist    Talleyrands 
(t  1808,   sein   bester  Schüler   war  L.  C.  Seydler,   der  Komponist  des 
Dachsteinliedes i:  die  Böhmen  HK.M.  Adalb.  Gy ro  wet z  aus  Budweis 
(das  packende  Singspiel  ..D.Augenarzt"   c.  1817  ,  Leop.  Kozeluch, 
Mozarts  Neider  und  Nachfolger   als   Kammer-Komponist   f  1818,  eine 
Art  Pleyel    (s.  ob.  S.  228:  sein    Lehrer   und  Vetter  Joh.  Ant.,  DKM. 
zu  Prag,  war  ein  angesehener  Kirchen-Komponist).  Wanhal  (f  I8I81 
dessen  zahlreiche  wie  Hache  Symphonien  und  Kammerwerke  man  neben     ßeicha. 
die  klassischen  Schöpfungen  stellte,  Ant.  Reicha  aus  Prag,  in  Wien 
freundschaftlich  mit  Beethoven,  Haydn,  Albrechtsberger  und  Salieri  ver- 
kehrend, besonders  vorzüglich   als   Theoretiker   \t  1836   zu  Paris  als 
KP.  u.  Nachfolg.  Boieldieus  in  der  Akademie;,  endlich  der  Deutschböhme 


Wagner,  Lpz.  Siegel:  La  Mara,  Lpz.  Schmidt  &  Günther:  Franz  Wagner, 
Lpz.  Leuckart.  S.  ferner  die  geistvollen  Analvsen  B. scher  Werke 
bei  E    Th.  A.  Hoftmann.     B.-Nr.  NMZ.  1^96,  7:  07,  19,  u.  D.M. 

D. :  Bonn  (Hähnel)  1845,  Wien  (Zumbusch)  1880,  Leipzig  Max 
Klinger,  antikisierend!  19M1,  Brooklyn— Newyork  1891.  Berlin  [Haydn- 
Mozart-Beethoven]  iSiemering). 

^)  Vgl.  zu  diesem  Abschnitt  noch  die  vorzüglichen  Sonderartikel 
in  der  „Allgem.  Deutsch  Biographie:  ferner:  F.  W.  Riehl,  Kultur- 
historiker, t  1897  München^  Musikalische  Charakterköpfe.  2  Bde.  6. 
Aufl.  1879.  0.  Gumprecht,  Unsere  klassischen  Meister.  Musikal.  Lebens- 
«.  Charakterbilder.  2  Bde.     188o/s5. 

-<  Vgl.  das  über  Wien  1803  ersch.  Buch  des  Reiseschriftstellers 
Jul.  Wilh.  Fischer  (NMZ.  07  S.  425). 

16^ 


244 


III.  Neuzeit. 


Schn'ider. 


Wiener 
Klavier- 
schule. 


Florian  Gassmann  aus  Brüx,  f  1774  als  HKM.  zu  Wien,  wo  er 
die  „Tonkünstler-  (jetzt  Haydn-)  Sozietät"  gründete;  dann  die  Nord- 
deutschen :  Friedr.  Ernst  F  e  s  c  a  , 
Konzertmeister  in  Karlsruhe  ( f  1826, 
vornehmlich  Kammermusik ;  sein 
Sohn,  Pianist  Alexander  F.,  f  1849, 
wurde  der  Komponist  vielgesunge- 
ner Lieder) ,  Andr.  R  o  m  b  e  r  g  , 
HKM.  in  Gotha  (f  1821,  Chorwerk 
„Die  Glocke"  [Schiller]),  Peter  v. 
Winter  aus  Mannheim,  HKM.  in 
München  („D.  unterbrochene  Opfer- 
fest''  1796,  seine  berühmteste  Oper), 
iler  Hymnen-  und  Psalmenkomponist 
Beruh.  Klein  aus  Köln  (f  1832 
Berlin),  der  berühmte  Lehrer  und 
Komponist  des  Oratoriums  „Das 
Weltgericht"  Fried  S  c  h  n  e  i  d  e  r  in 
Dessau  (f  1853),  nicht  zuletzt  Eman. 
Alois  Förster  aus  österr.  Schlesien 
(t  1823  Wien)  mit  gediegenen  In- 
strumentalsachen. 

Als  Kirchenkomponisten  für 
den  katholischen  Kultus  schlössen 
sich  den  Wiener  Klassikern  insbe- 
sondere die  Breslauer  DKM.  Jos. 
Jgn.  Schnabel  (f  1831),  Beruh. 
Hahn  (t  1852)  und  Moritz  Brosigi) 
(t  1887),  und  in  Böhmen  W.  E. 
Horak  (f  1871  Prag)  an. 

Einen  bedeutsamen  Einfluß  ge- 
wannen einzelne  Kleinmeister  der 
klassischen  ,, Wiener  Schule"  auf  die 
Entwickelung  des  Klavierspiels.  Hier 
begegnen  uns  vor  allem  Hässler, 
Clementi,  Dussek ,  Hummel, 
Czerny,  Kalkbrenner,  Moscbe- 
1  e  s  u.  a.  (s.  Kap.  VIII). 


Orchester 
der  Neuzeit. 


Fig.  12.    Harfe  im  Stile  Louis  XVI. 

(ohne  Pedale)  1776. 

[de  Wit,  Kat.  Nr.  112.] 


Mit  unserem  durch  die  letzten 
Betrachtungen  vollzogenen  Eintritt 
ins  19.  Jahrhundert,  das  im  Zeichen 
Beethovens  beginnend  und  in  jenem 
Kich.  Wagners  schließend  eine  ge- 
waltige Steigerung  der  Orches- 
tertechnik mit  sich  bringt,  lohnt 
sich  ein  rascher  Blick  auf  die  neu- 
zeitliche  Eutwikelung    des    Instru- 


1)  Auswahl  b.  Leuckart. 


Die  lustrumente  der  Neuzeit. 


245 


mentalapparates.  Unter  den  Streichinstruraenten  bleiben  die  Violine 
und  ihre  größeren,  tiefer  gestimmten  Xachbikluugeu :  Viola  (Bratsche), 
Violoncell  und  Kontrabaß,  die  Alleinheri scher.  Aeltere  Ab- 
arten verschwinden  bis  auf  die  Viola  d'amour  und  das  Baryton  iS.  "223) 
ganz.  Das  pizzicato  der  Streicher  ersetzt  im  Orchester  den  Klang  der 
alten  Zupfinstrumente,  von  denen  nur  mehr  Harfe,  Mandoline  und 
Gitarre  übrig  bleiben.  Die  Harfe  gewinnt  an  wachsender  Be- 
deutung im  Reigen  der  Instrumente  durch  Einführung  der  Pedale  zum 
Umstimmen  (letzte  Vervollkommnung  1820  durch  Erard,  Paris,  als  Dop- 
pelpedalharfe, die  ein  Höherstimmen  um  1  bis  2  Halbtöne  ermöglicht). 
Außerhalb  des  Orchesters,  in  der  Hausmusik  namentlich  der  Alpen- 
länder), ertönt  der  sentimentale  Klang  der  Zither,  deren  Urahnen 
wir  in  Kin,  Vina,  Nebel  kennen  gelernt.  Auch  die  Blasinstrumente 
zeigen  Veränderungen  in  den  einzelnen  „Familieu"  (S.  94):  Mitglieder 
sind  abgestorben,  neue  hinzugekommen.  Von  Flöten  hören  wir 
nurmehr  Quer-  und  Oktav-  (Piccolo  Flöten.  Als  Rohrblattinstrumente 
erklingen:  Oboe,  Klarinette,  Baßklariuette  und  (^nur  noch  bei  .Mozart 
und  .Mendelssohn,  ueustens  wieder  bei  R.  Strauß)  das  Bassethorn 
[Alt-Klarinette],  Englisch  Hörn,  Fagott  und  Kontrafagott :  als  Kessel- 
muudstückinstrimiente:  Hörner,  Tnjmpeten,  Kornette,  Posaunen  (u.  z. 
verschwinden  die  in  der  klassischen  Zeit  allein  gebrauchten  Natur- 
instrumente  Waldhorn  und  Naturtrompete  nebst  der  Zugposaune 
seit  der  .Mitte  des  li).  Jahrhunderts  immer  mehr  vor  den  mit  Ven- 
tilen [letzte  Erfindung  von  Ad  Sax]  behufs  chromatischen  Ausbaues 
der  lükenhaften  Naturskala  versehenen  Instrumenten),  Tuba,  Bombar- 
don u.  a.  Unter  dem  Schlagwerk  behaupten  die  Pauken  mehr  als 
früher  den  ersten  Rang  durch  ihre  maschinell  rasch  zu  bewerkstelligende 
Abstimmung  Maschinenpauken)  :  im  übrigen  gibt  es  Trommeln,  Glocken- 
spiele und  anderes  Schlagzeug  vielfach  orientalischer  Herkunft:  tür- 
kische Becken  oder  Tschinellen,  die  türkische  (große)  Trommel,  oder 
gran  cassa,)  die  türkische  Triangel,  das  chinesische  Tamtam,  die  kleine 
baskische  Handtrouimel  mit  Schellen  Tamburin  i.  Durch  Stamitz, 
Haydn,  Mozart  und  Beethoven  erfolgte  stufenweise  die  Erweiterung 
des  auf  das  Cembalo  verzichtenden  Orchesterapparates  (vgl.  S.  205), 
um  neuester  Zeit  wie  wir  sehen  sollen  durch  I5erlioz,  Liszt,  Wagner 
und  R.  Strauß  einer  immer  staunenswerteren  Behandlung  und  Ver- 
vollkommnung zugeführt  zu  werden.  Immer  größer  wird  der  Gegen- 
satz zwischen  dem  „kleinen"  Orchester  der  Klassiker  iStreicher, 
je  2  Flöten,  Oboen,  Klarinetten,  Fagotte,  Hörner,  Trompeten,  Pauken 
und  mitunter  Posaunen)  und  dem  „großen"  Orchester  der  Modernen 
(s.  Abschn.  18,  19). 

Die  neuzeitliche  Entwickelung  des  Klaviers  und  der  Orgel  ver- 
folgen wir  noch  im  Besondern  (Kap.  VI,  VIII)  Anfangs  des  19,  Jahr- 
hunderts ertindet  der  deutsche  Eschenbach  das  Harmonium, 
(zuerst  Aeoline  genannt,  dann  Expressivorgel,  Physharmonika,  Aeolo- 
dikou  usw. ;  seine  Vorläufer  waren  des  berühmten  Franklin  (Glas-) 
Harmonika  und  Kaufmanns  Harmonicord).  Dieses  neuestcns  in  seiner 
immer  vollkommeneren,  viele  Register  aufweisenden  Bauart  für  die 
Hausmusik   nicht   ohne   Glück   propagierte,   orgelartige   Tasteninstru- 


Streicher. 


Harfe. 


Bläser 
Holz). 


Blech). 


Schläger, 


Klavier. 

Orgel. 
Ilariiio- 

liium. 


246  m-   Neuzeit. 


inent ')  bringt  freischwingende  Zungen,  durch  Ausstoßen  oder  (wie  bei 
den  sog.  „amerikanischen  Orgeln")  Einsaugen  der  vom  Spieler  mittelst 
Tretbälgen  aus  dem  Windkasten  zugeführten  Luft,  zum  Tönen  (an- 
und  abschwellbar).  Als  taugliches  Versuchsobjekt  für  akustische  Un- 
tersuchungen, besonders  die  Chromatik  (s.  S.  7  Anm.  3)  gewinnt  da» 
H.  noch  an  Bedeutung.-) 

Mechan.  Ein  letzter  Blick  endlich  noch  auf  die  mechanischen  Musikwerke. 

^"*ke  ^^  ^^^^  ^^^^^  „Spieluhren",  wo  eine  meist  durch  Uhrwerk  getriebene 
mit  Stiften  besetzte  Walze  kleine  Metallstäbe  zum  Schwingen  bringt, 
teils  orgelartige  Instrumente:  Orch  estrion^),  wenn  ein  künstliches 
Triebwerk;  Drehorgel,  wenn  eine  Handkurbel  die  Walze  dreht,  deren 
Stifte  die  Pfeifenventile  öftneu.  Von  berühmten  Orchestrions  sei  hier 
Pater  Siugers  „Pansymphonikon"  (1839)  zu  Salzburg  genannt.  Aller- 
neuester Zeit  zählen  hier  auch  die  mechanisch  spielenden  Klaviere 
(Pianola,  Phonola  u.  a.)  mit.*) 


17.   Die  Meister  der  Romantik.     Fortschreiten  der  Oper 
und  Instrumentalmusik. 

Die  nach  klassische  Zeit.  Schubert,  der  Schöpfer  des 
deutschen  Kunstliedes.  Klassizisten.  —  Die  Meister 
der  Oper  in  Italien  und  Franki-eich:  Cherubini,  Spon- 
tini,  Rossini;  dessen  Vorgänger  und  Nachfolger.  Die 
französische  komische  Oper.  —  Die  deutsche  romanti- 
sche Oper:  Spohr,  Weber,  Mar  sehn  er.  —  Meyerbeer.  — 
Spieloper.  Mendelssohn,  Schumann,  Chopin  und  ihr 
Kreis.  —  Tanzmusik.  —  Rob.  Franz  und  das  vollendete 
Lied.  —  Populäre  Salon musik.  —  Berlioz  und  die  „Re- 
volution in  der  Musik".     1848. 

Händel,  Bach,  Haydn,  Mozart  und  Beethoven  hatten  nun 
die  Formen  der  Musik  festgestellt,  in  allen  Zweigen  großartige 
und  tiefdurchgeistigte  Werke  geschaffen.     Die  Nachfolger  kamen 


1)  Vgl.  Riehm:  „Das  H.,  sein  Bau  u.  s.  Behandlung,  3  A.  1897, 
und  die  seit  lOCK)  erscheinende  Zeitschrift.  „Das  Harmonium"  red.  v. 
Lückhoflf.     S.  233  2). 

2)  Ein  Konzertharmonium  baute  Schiedmayer  nach  Angabe  von 
W.  Hlawatscli  (*  1849  Ledetsch  i.  Böhm.,  Dirigent,  Musikinspektor 
u.  Hoforganist  in  St.  Petersburg). 

'^)  Nicht  zu  verwechseln  mit  den  ebenso  genannten  orchester- 
nachahmenden Tasteninstrumenten,  die  Abt  Vogler  (1785)  und  A.  Kunz 
(Prag  1791)  erfanden. 

*)  Vgl.  R.  Hofraann,  „D.  Musikinstrumente,  ihre  Beschreibung  u. 
Verwendung.     Lpz.  Weber. 


Romantik.     Die  Nacbklassiker.     F.  Schubert. 


247 


Roman- 
tiker. 


in  eine  schwierige  Lage.  Sie  konnten  einerseits  nicht  mehr 
aus  dem  Vollen  schöpfen,  überall  fanden  sie  bereits  Muster- 
gültiges vor;  andererseits  hatte  die  Kritik  bei  Beurteilung 
ihrer  Werke  nur  zu  schnell  Vergleiche  bei  der  Hand,  um  ab- 
sprechende Urteile  zu  fällen.  Man  muß  diese  Gesicht.spunkte 
im  Auge  behalten,  um  zu  erkennen,  wie  sehr  die  uns  nun  be- 
gegnenden Epigonen  der  großen  Wiener  Schule  ihren  Vorgängern 
in  mancher  Hinsicht  wenigstens  nahe  kommen,  sie  in  anderer 
sogar  übertreffen,  indem  sie  das  (in  den  bildenden  Künsten 
und  in  der  Literatur  bereits  herrschende)  romantische 
Element  in  die  Tonkunst  trugen  (vgl.  S.  225  unt.)  und 
wirklich  Neues  schufen. 

Die  Nachklassiker  Schubert ,  Weber ,  Mendelssohn  und 
Schumann,  dann  Chopin  und  Berlioz  bilden  die  Höhepunkte 
dieser  mit  reichbegabten  Talenten  gesegneten  Epoche  der 
Romanti  k,  die  dann  zur  sog.  neudeutschen  (neuromantischen) 
Schule  mit  ihren  Häuptern  Liszt  und  Wagner,  als  vorläufig 
letzten  Gipfel  des  tonkünstlerischen  Schaffens  führt.  Neben 
der  Instrumental  Komposition  aber  geht  bis  dahin 
auch  das  europäische  Tondrama  interessante,  viel  ver- 
zweigte Wege. 

Der  erste  bedeutende  Instrumentalkomponist  dieser  nach- 
klassischen Zeit  und  zugleich  der  unsterbliche  Schöpfer  des 
modernen  Liedes  wurde  Franz  Schubert,  *  31.  Jan.  1797, 
Sohn  eines  Elomentarlehrers  zu  Lichtenthai  bei  Wien.  Er  lernte 
als  Hotkapellknabe  unter  Leitung  von  Rucziczka  und  S alier i  die 
Musikwerke  der  Wiener  Schule  kennen  und  lieben,  insbesondere  Beet- 
hoven enthusiastisch  verehren.  Bereits  mit  lo  Jahren  hatte  er  sich 
in  allen  Stilgattungen  versucht. 

1813 — IB,  als  Schulgehilfe  bei  seinem  Vater,  schuf  er 
durch  Arbeit  und  Nahrungssorgen  hindurch  100  Lieder,  mehrere  ^{^j^^^^^J^" 
Symphonien,  4  Messen,  Klavier-  und  Kammermusik  und  einige 
Singspiele.  Mehrere  geniale  Gesänge  aber,  besonders  „Erl- 
könig", .,Gretchen  am  Spinnrade"  (1815)  .,An  Schwager  Kronos" 
und  „Der  Wanderer"  (1816)  erwarben  ihm  teilnehmende  und 
werktätige  Freunde,  besonders:  Franz  v.  Schober,  später  Lega- 
tionsrat ider  Librettist  seiner  groUen  Oper  ^Alfonso  und  Estrella"), 
Dichter  M  a  y  r  h  o  f  e  r ,  Maler  Moritz  v.  Schwind,  Baron  Schünstein, 
der  Jurist  L.  v.  Sonnleithner  der  Sch.s  op.  1.  den  „Erlkönig"  ver- 
öffentlichte), Anselm  Hüttenbrenner  (aus  Graz,  fruchtbarer,  von 
S.  sehr  geschätzter  Komponist,  f  1808,  seine  an  1000  Werke  heute 
vergessen!)  Franz  La  ebner  is.  d.)  J.  v.  Spann,  der  spätere  HKM. 


Schubert 

1797  —  1828. 


Lieder. 


Freunde. 


248 


III.  Neuzeit. 


B.  Ran  dharting  er  (f  1893,  Oper  „König  Enzio"  u.  a.)  und  vor 
allen  Michael  Vogl,  ein  Mann  von  wissenschaftlicher  Bil- 
dung und  bedeutender  Tenorist,  wie  geschaffen,  S.  durch  den 
Vortrag  seiner  Lieder  in  weiteren  Kreisen  bekannt  zu  machen. 
Seit  1817  lebte  S.  ausschließlich  der  Komposition  und  —  der  Armut.^j 
Sein  zweimaliges    Bewerben   um   einen   Kapellmeisterposten   blieb   er- 


folglos. Nur  1818  und  1824,  einige  Sommermonate  hindurch,  wirkte 
er  als  Musiklehrer  beim  Grafen  Job.  Esterhazy  auf  dem  Schlosse 
Charakter.  Z616  in  Ungarn.  Der  liebenswürdige  und  bescheidene  S.  ver- 
stand es  aber  nicht,  sich  geltend  zu  machen.  Den  Tag  über 
emsig  arbeitend,  verbrachte  er  den   Abend  meist  im  Kreise   seiner 


M  Und  1907  erzielte  in  Paris  bei  einer  Autographenversteigerung 
ein  kleines  Schubertlied  (eine  Seite  Manuskript)  1300  Frksl 


Romantik.     Franz  Schubert.  249 


Freunde.  Man  hat  ihm  vielfach  den  Vorwurf  leichtfertigen  Lebens- 
wandels gemaclit.  Die  Grundlosigkeit  dessen  erwiesen  neuere  For- 
schungen, namentlich  Max  Friedländers,  längst.  Fast  unbekannt  und 
unter  oft  drückenden  äußeren  Verhältnissen  lebte  er  dahin  und 
starb  am  19.  November  1828  —  im  32.  Lebensjahre.  Nun 
ruht  er  in  Beethovens  Nähe  auf  dem  Zentralfriedhof  in  Wien  '^s.  S.  240). 

Merkwürdig :  beide  Meister,  auf  dem  Gottesacker  so  nahe  ge- 
bettet, blieben  im  Leben  einander  fern,  obwohl  S.  in  seiner  glühenden 
Verehrung  für  Beethoven  ihm  ein  lieft  Variationen  (Op.  10)  widmete. 
Beethoven  erkannte  erst  in  seiner  letzten  Krankheit  den  Wert 
S.s;  in  dessen  letzten  Liedern  zur  Zerstreuung  blätternd,  rief 
er  überrascht  aus:  „Wahrlich,  in  Schubert  wohnt  ein  göttlicher 
Funke." 

Und  mit  welcher  Leichtigkeit  S.  seine  Werke  schuf!  Genialität. 
18  jährig  schreibt  er  den  ,. Erlkönig"  in  einem  Zuge  nieder  und  das 
entzückende  Ständchen  „Hurch,  horch,  die  Lerch'  im  Aetherblau"  bei 
einem  Nachtmahl  im  Freien  während  einer  Viertelstunde!  „Wo  er  hin- 
fühlte, quoll  Musik  hervor,"  sagt  bezeichnend  Robert  Schu- 
mann. War  aber  das  Werk  vollendet,  verlor  es  für  ihn  an  Interesse ; 
von  jener  Selbstkritik  und  skrupulösen  Ausarbeitung,  die  bei  Beet- 
hoven eine  so  groüe  Kolle  spielte,  war  bei  ihm  keine  Rede.  Daher 
stehen  manche  seiner  Instrumental- Werke  formell  gegen  die  der 
Klassiker  zurück. 

In  seinen  Kirchenkonipositionen  —  die  große  Es  dur-Messe    '^,\\^g^i^"" 
ist  neben  der  in  G  musikalisch  von  hoher  Bedeutung,  —  schloß 
er  sich,  dem  Geiste  seiner  Zeit  gemäß,  der  Haydnschen  Richtung 
an.     Seine  Werke    sind   von   großer  Klangschönheit,    und  herrlich  in 
der  Stimmung,  wenn  auch  mitunter  zu  weich  und  eben  zu  --  romantisch. M 

In  der  dramatischen  Musik  war  S.,  der  geborene  Lyriker,-) 
nicht  glücklich;  ihm  fehlten  zunächst  dankbare  Opernstoffe,  dann  wohl 
auch  die  notwendigen  Bühnenkenntuisse  und  eine  gewisse  Energie. 
Hingegen  feierte  seine  wundervolle  Melodik  gepaart  mit  kühner 
Harmonik  —  Schumann  und  Liszt  wurzeln  hier  —  in  der 
reinen  Instrumentalmusik  ihre  Triumphe  —  siehe  namentlich  die  ,Ji"^,|[ai. 
Cdur-Symphonie,  wo  (trotz  der   „himmlischen  Länge")  das     werke. 


^)  Vgl.  Dr.  v.  Koniorzynski:  „S.s  Messen",  NMZ.  05,  22. 

2)  Je  nachdem  sich  der  Dichter  entweder  in  streng  subjektiver 
Gefühlsart  (schlicht  an  sich  empfindend  im  Liede,  erhabener  in  Ode, 
Hymne,  Dithyrambe)  offenbart,  oder  in  einer  fortlaufenden  Erzählung, 
einer  Begebenheit  Idyll,  Ballade,  Romanze,  Legende  u.  s.  f ),  oder  aber 
in  geschlossener,  strat^er  (Bühnen-)IIandlung,  unterscheiden  wir  die 
3  Hauptgattungen  der  Dicht-  bzw.  Tonkunst:  Lyrik,  Epik,  Dra- 
matik. 


250  11^-  Neuzeit. 

Orchester  in  einem  Meere  von  Wohllaut  und  Süßigkeit  schwelgt, 
und  die  unvollendete  in  ^moll;  die  Streichquartette  in 
A  moll,  G  dur,  Es  dur  und  D  moll  (mit  den  herrlichen  Variationen 
über  sein  Lied  „Der  Tod  und  das  Mädchen")  i),  das  Streichquintett 
in  Cdur  und  das  sog.  „Forellenquintett"  für  Klavier  und  Streich- 
instrumente (in  dessen  langsamem  Satz  S.  das  Thema  seines  Liedes 
„Die  Forelle"  benutzt),  3  ungemein  reizvolle  Geigensonatinen  (echt 
wienerisch  anmutend) ;  die  beiden  Klavier  trios;  von  den  K  1  a  - 
vier  werken  Sonaten  (A  moll  und  B  dur  insbesondere) 
und  die  Phantasie  op.  15;  von  den  famosen  vierhändigen  Kom- 
positionen die  Variationen  op.  35,  das  „ungarische  Divertissement" 
(Vgl.  S.  104,  Anm.)  op.  54,  die  prächtige  F  moll  Phantasie  op.  103, 
das  Duo  op.  140,  ,, Lebensstürme"  op.  144,  die  Märsche  op.  40  und  121. 
Das  Lied.  Freilich  noch  größer  als  in  den  genannten  Werken  ist  S. 

im  L  i  e  d  e  ,  dem  gesungenen  lyrischen  Gedicht.      Hier  ward  er 
in  der  Tat  der  Neu  schöpf  er  einer  Kunstgattung,  deren  An 
fange  gar  weit  zurückliegen.      Die   Eingesänge   der   alten   Kultur- 
völker, insbesondere  die  hochstehende  griechische  Lyrik,  die  altchrist- 
lichen Hymnen  und  Sequenzen,  die  Lieder  der  Barden  uud  fahrenden 

Vor-        Sänger,   Troubadours  und  Minnesänger,   die  Bearbeitungen  der  mehr- 

geschichte.  stimmigen,  eine  Zeitlang  das  einfache  Lied  verdrängenden  Kunstlieder 

des   15. — 16.   Jahrhunderts   für   Einzelgesang   zur  Laute,   endlich   die 

Monodie  nach  florentiner  Reform  —  das   sind   die   ersten  Phasen  der 

Ent-       Entwickelung  des  einstimmigen  Kunstliedes,  bis  um  die  Mitte  des  17. 

Wickelung.  Jahrhunderts    zuerst  jene  lyrische  Wort-  uud  Tonblüte  aufbricht,  die 

der  Deutsche  ganz  und  nur  sein  eigen  nenut.-i     Das  geschah  1645 

in  der  Königsberger  ,,K  ürbshütte",  einer  Sammlung  ein-  und  mehr- 

Albert.  stimmiger  Gesänge^)  von  Hein.  Albert  s.  S.  192),  dem  eigentlichen 
Vater  des  deutschen  Liedes  (zu  seinem  Kreise  zählte  u.  a. 
Simon  Dach).  Einer  der  ersten  die  dann  das  gereifte  Samenkorn 
des  Liedes  in  die  fruchtbare  musikalische  Erde  Deutschlands  senkten 

Hiller.  war  Joh.  Ad.  Hiller.  In  seinen  Singspielen  (s.  S.  178i  ließ  er  die 
Standespersonen  arios,   das  Volk   aber  nur  schlicht  Uedmäßig  singen. 

Goethe,  t'öd  diese  Lieder  zeitigten  Goethes  Lyrik.  (Neben  Albert  ragen 
noch  die  Sachsen  Ad.  und  Joh.  Krieger,  neben  Hiller  Joh.  Ernst  Bach, 
Val.  Herbing  und  Neefe  [s.  S.  234]  hervor.)  Zwischendurch  förderten 
auch  zahlreiche  Oden-Sammlungen  mit  Musik  (Sperontes,  „Die  singende 
Muse  an  der  Pleiße",'')  Gräfe  u.  a.),  wie  die  tonangebenden  ,,Lieder 

Schulz,  im  V  0  1  k  s  1 0  n"  von  J.  A.  P.  Schulz  (hervorragender  Theoretiker 
und  Komponist  auch  angesehener  Klavier-  imd  Bühnenwerke,  und 
musikalischer   Mitarbeiter   von    Sulzers  Theorie    der  schönen  Künste, 


1)  A    f.  Kl.  z.  4  Hdn.  [Rob.  Franz]  Lpz.  Lkt. 
-)  Auch    die  Franzosen   nennen   das   neue   höhere  Kunstlied  be- 
zeichnender Weise  „lied". 

^)  NA.  in  „Denkmäler  deutscher  Tonk." 

*)  NA.  [Dr   Buhle]  in  „Denkm.  dtsch.  Tonk."  08. 


Romantik.     F.  Schubert.     Das  Lied.  251 

t  1800)  mächtig  die  zu  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  stark  stockende 
Liedbewegung.     Einen  weiteren  Schritt   taten  der  Miisikverleger  Joh. 
Andre  in  Offenbach  f  1799  (Claudius  „Rheinweinlied"),  der  Schöpfer 
der  Balladen  Komposition  J.  Rud.  Zumsteeg  (f  1802  Stutt-  Zumsteeg 
gart)  *)    und  die  ersten  Vertoner  Goethes:  Joh.  Friedr.  Reichardt,  Reichardt. 
KM.    Friedr.    d.    Gr.  (1757  —  1814),    der     mit    Goethe*    das    Lieder- 
spiel   schuf  (Bühnenstücke  mit   einzelnen    liedmäßigen,    einfach    be- 
gleiteten Gesangnummern,  eine  Abart  des  Singspiels,  überwiegend  rezi- 
tierend* und  der  Direktor  der  Berliner  Singakademie  C.  Friedr.  Zelter     Zelter. 
(1758—1832),  der  musikalische  Freund  und  Berater  des  Dichterfürsten 2). 

Nicht  ohne  Bedeutung  für  die  Entwickeliuig  der  jungen  Lied- 
kunst war  der  G  o  1 1  i  ng  e  r  D  i  c  h  t  e  r  b  ii  n  d  „Hain'',  zu  dem  namhafte 
Komponisten  wie  Gluck,  Ph.  Em.  Bach.  Ililler,  Benda,  Reichardt,  der 
Liederkomponist  Ernst  Wilh.  Wolf  (HKM.  in  Weimar)  u.  a.  in  sym- 
pathische Beziehungen  traten.  Im  ,.fLiin''  selbst  wirkte  ein  (in  keinem 
Musiklexikon  erwähnter)  origineller  Musiker:  Friedr.  Wilh.  Weiss, 
der  so  manches  Lied  der  Göttinger  (wer  kennt  nicht  Strophen  wie 
Höltys  „Ueb  immer  Treu  und  Redlichkeit"  u.  a. !)  durch  seine  volks- 
tümlichen Weisen  populär  machte."^'  In  Oesterreich  begann  der  Böhme 
Joh.  Ant.  Steffan,  ein  angesehener  Lehrer  und  Tonsetzer  in  Wien,  mit 
seiner  „Sammlung  deutscher  Lieder'  177s  anmutig  den  Reigen. 

Vorübergehend  nur  erwärmten  sich  auch  Mozart,  dem  wir  die     Mozart, 
ersten   echten  Liederperlen   („Das  Veilchen")    verdanken    und  B  eet- Beethoven, 
hoven  („Adelaide")  am  stillen  Herdfeiier  des  Liedes,  das  freilich  seitab 
von  ihren  aufs  Höchste  gerichteten  Zielen  lag  und  dessen  erste  helle  Glut 
anzufachen  F.  Schubert  vorbehalten  blieb.    Er  prägte  die  Lied-   Schttbert. 
form  (Hauptsatz,  Mittelsatz  und  Wiederholung  des  ersten)  bis  Liedform. 
zur  reichsten  Entfaltung  und  schuf  mit  ihr  überdies  das  rein 
instrumentale  (wortlose)   Lied:  denn  alle  die  später  zahlreich 
komponierten  Miniaturen,  Charakterstücke  usw.  für  Klavier  (vor  allem 
Mendelssohns,     Schumanns  i    oder     selbst    Orchester    wurzeln    in    S.s 
„Moments  musicaux"  und  ..Impromptus"  für  Klavier. 

Kunst-  und  Volkslied'*)    unterscheiden    sich    nun  wesent- \9"'®" ,""? 
'  Kunstlied. 

lieh.     Dieses    ist  vor    allem    stets    ,,Str ophenlied",    d.   h. 


1)  B.  u.  A.  [v.  Landshot^]  Brl.  1902. 

-)  Vgl.:  „Goethe  und  Zelter".  Briefwechsel  1799—1832.  Lpz. 
Reclam  Zu  Beethoven  und  Schuberts  Musik  vermochte  Goethe  bekannt- 
lich keine  Distanz  zu  gewinnen.  Wie  sehr  aber  dieser  allumfassende 
Geist  selbstforschend  in  das  Wesen  der  Tonkunst  eindrang  (s.  auch 
seinen  „Entwurf  einer  allg.  Tonlehre"  t,  zeigten  neuerer  Zeit  erst  F  v. 
Hiller  („Goethes  musikal.  Leben"  1883,  Herrn.  Ritter  („Aesthet.  d. 
Tonk."  1886)  Friedläuder,  Th.  v.  Frimmel  u.  a.  Des  Dichters  Enkel 
Walter  v.  G.  war  Komponist  (f  1885). 

3)  Vgl.  N.  M.  Ztg.  1905,  S.  475. 

^)  Vgl.  S.  97.  u.  Kap  V.  Das  Volk  sang  zwischendurch  meist 
einstimmig  seine  Lieder  weiter  180.S  erschien  Brentano- Arnims  be- 
rühmte   Sammlung   „Des    Knaben    Wunderhorn".    —    Allezeit    wirkte 


252  I^I-   Neuzeit. 


dieselbe  Melodie  wird  zu  allen  Strophen  gesungen.  Derge- 
stalt hält  es  wohl  die  allgemeine  Grundstimmung  des  Textes 
fest,  nicht  aber  die  verschiedenen  Gefühls- Wandlungen,  die  im 
Laufe  des  Gedichtes,  und  vor  allem  erst  durch  einen  eigenen, 
feinst  abgestuften  Vortrag  (s.  Scherrer,  S.  152)  zum  Aus- 
druck gelangen.  Das  Kunstlied  aber  ist  entweder  ganz 
durchkomponiert,  d.  h.  jede  Strophe  erhält  ihr  eigenes 
Tonkleid;  oder  ein  Strophenlied,  eventuell  mit  Unterscheidung 
einzelner  Details  in  Melodie  und  Harmonie  ^)  (variiertes  Stro- 
phenlied), so  daß  die  verschiedenen  Gefühle  entsprechend  aus- 
gedrückt werden.  Das  Volkslied  beschränkt  sich  ferner  in  der 
Harmonie,  bezw.  in  seiner  eventuellen,  die  Melodie  ver- 
stärkenden Begleitung,  auf  die  einfachsten  Akkorde,  wie  sie 
etwa  der  Laute,  Gitarre,  Zither  und  Harmonika  eignen.  Höch- 
stens wird  durch  das  Brechen  der  Akkorde  (Arpeggio)  die  Be- 
wegung lebhafter.  Beim  Kunstliede  dagegen  tritt  die  Be- 
gleitung selbständig  auf,  ja  die  Harmonie  wird  mit 
ihren  Stimmen  seit  Schubert  immer  mehr  ein  gleichbe- 
rechtigter Faktor  neben  der  Hauptstimme.  Sie  dient  we- 
sentlich dazu,  die  Stimnuuig  schärfer  zu  charakterisieren  (Tonmalerei) 
und  Gegensätze  zwischen  den  einzelnen  Strophen  zu  vermitteln,  kann 
also  nicht  von  der  Melodie  getrennt  werden,  ohne  das  Lied  als  Kunst- 
werk zu  schädigen.  Dementsprechend  weist  auch  das  Kunstlied 
erweitere  Formen  und  reichere  Modulation  im  Ge- 
gensatze zu  dem  auch  in  dieser  Hinsicht  höchst  einfach  ge- 
haltenen Volkslied  auf.  Alles  in  Allem :  das  Kunstlied  ist  das 
V o  1  k  1  i e d  in  idealer  Form. 

Bei  einem  zarten,  fast  weiblichen  Gefühlsleben  standen 
S.  jederzeit  eine  wunderbare  Sicherheit  im  Treffen  des  richtigen 
Ton-Kolorits  und  ein  unerschöpflicher  Reichtum  von  Melodien 
—  sie  kamen  wie  bei  Mozart  „ström weise"  — ,  edel  wie 
populär  im  besten  Sinne  des  Wortes,  zu  Gebote.  Mochten 
auch  nach  ihm  insbesondere  Schumann,  Franz,  Cornelius,  Brahms 
und  Wolf  viel  Treffliches  schaffen,   in  der  w-eiteren  Vollendung 


imd  wirkt  das  Volkslied  als  Urkraft  befruchtend  auf  die  Phantasie 
des  Dichters  und  Musikers,  wie  das  Studium  dfer  Natur  auf  den 
Künstler  überhaupt.  —  Vgl.  hierzu  G.  Winter:  D.  deutsche  Volkslied, 
Lpz.  Hesse  06. 

1)  Hier  sei  bemerkt:  jede  echte  Melodie  trägt  ihre  Hai-monle 
gewissermaßen  verborgen  in  sich,  beide  stehen  zu  einander  in  ge- 
heimer Wechselwirkung. 


Komantik,     F.  Schubert.    Das  Lied.  253 

der  Form  S.  sogar  übertreffen  —  an  Fruchtbarkeit,  Vielseitig- 
keit und  N  a  i  V  e  t  ä  t  kommen  sie  ihm  nicht  gleich.  S.s  Frucht- 
barkeit auf  diesem  Gebiete  alleiu  schon  ist  erstaunlich,  Avenn  man  be- 
denkt, daß  er  gegen  800  Lieder  schrieb;  die  Vielseitigkeit  aber  ge- 
radezu wunderbar,  wenn  man  erwägt,  wie  er  die  ganze  Skala  der  Ge- 
fühle, vom  Heiteren  bis  zum  Düsteren,  in  Töne  kleidet,  wie  er  die  Form 
vom  einfachen  Stropheuliede  bis  zur  künstlichsten  Gliederung  meistert,  Lje^gr- 
wie  er  namentlich  in  seinen  Liedercyklen  ,,Müllcrlieder"  (manche  da-  zyklen. 
von,  wie  bei  Haydn,  Mozart  und  Weber,  auch  zur  Gitarre')  kom- 
poniert!), „Winterreise",  ,.(>ssian"  und  „Gesänge  des  Harfners"  eine 
und  dieselbe  Grnndstiuimuug  in  so  verschiedener  Abstufung  darstellt. 
Kein  Wunder  schließlich,  wenn  da  auch  Minderwertiges  mit  unterlief. 
Das  „Leiso  tiehen"  wurde  zum  Ausgangspunkte  der  seichten  „Salon- 
lied"-Literatur  der  Abt,  Kücken  usw.  Andererseits  führen  S.s  Ge- 
sänge, insbesondere  des  Nachlasses  (s.  z.  B.  .,Totengräbers  Heimwehe"', 
unmittelbar  herauf  zum  moderusten  Liede,  zur  „lyrischen  Szene".  — 
Um  die  Würdigung  und  Verbreitung  der  Schubertschen  Werke,^) 
unter  denen  wir  nicht  zuletzt  auch  prächtige  Chorgesänge  ('„Mirjams 
Siegesgesang",  „Gesang  der  Geister  über  den  Wassern"  8  stimmig) 
finden,  machten  sich  vor  allem  verdient:  Rob.  Schumann,  nach  ihm  Liszt, 


1)  In  Wien  lebte  zu  Anfang  des  1!».  Jahrh.  der  gefeierte  Gitarre- 
Virtuose  und  Komponist  Mauro  Giuliani  aus  Bologna. 

2)  GA.  [Brahms,  Brüll,  Door,  Jul.  Epstein,  J.  N.  Fuchs,  Gäns- 
bacher, J.  Hellnicsberger ,  Mandyczewski.]  Lpz.  B  &  H. :  L  Siuf 
n.  Ouvert.  u.  a.  Orch-Wke.  HI.  Oktette  IV.,  V.,  VI.  Wke.  f.  Str.- 
Inst.  VII.  Kl.  Quint.-,  Quart.-  u.  Trios  VIII.  Für  Kl.  u.  1  Instr. 
IX.  Kl.  4  händig.  X.  Pianof.  Son  XI.  Pliantas.  Impromt.  u.  dgl. 
XII.  Tänze.  XIII  Messen.  XIV.  Kl.  Kirch.  Mus -Wke.  XV.  Dramat. 
Mus.  XVI.  Für  M.  Ch.  XVII.  Für  gem.  Ch.  XVIII.  Für  Frauen- 
stimmen. XIX.  Terzette  XX.  Lieder  u.  Gesänge.  XXI.  Suppl.  Vgl. 
die  Schubert-Albums,  ferner  die  GA.  der  Klavierwerke,  C'L,  6  Bde. 
[Köhler.    H.  Germer,    Gl.  Schnitze];    EP.;  ES.,  UE. 

B.:  H.  Kreissie  von  Hellborn,  Wien,  18G5  (unkritisch, 
doch  grundlegend-;  Aug.  Ke  issmann,  3  A.  1879.  —  K.  Heuberger, 
Brl.  „Harmonie"  (ill.i,  A.  Niggli  Jurist  u.  MS.  in  Aarau,  *  1813)  Lpz. 
Redam,  W.  Klatte,  Brl    „D.  Musik"  07. 

L. :  Risse,  Fr.  Seh.  u.  s.  Lieder.  G  Xottebohm,  themati- 
sches Verzeichnis  der  Werke  S.s,  Wien,  1874;  ferner  Friedländer,  D. 
deutsche  Lied  i.  18.  Jahrh,  02,  2  Bde.;  „Brevier"  von  0  E.  Deutsch, 
Brl  Schuster  &  Löffler;  S.  und  seine  Verleger  von  M.  Vancsa,  Wien, 
Sallmeyer;  H.  Bischoft",  „D.  deutsche  Lied",  Bd  Iti— 17  „D.  Musik", 
Brl. ;  in  Vorbereitung:  Herm.  Kretzschmar  ♦  1848,  Dirigent  und  Musik- 
forscher, Professor  f.  Mus.  a.  d.  Leipziger,  seit  1904  a.  d.  Berliner 
Univ.),  Gesch.  d.  dtschn.  SoloUedes  von  Heinr.  Alberts  Arien  bis  z. 
Gegenw.  2  Bde.  [Vgl.  auch  die  hübschen  „Schubertuummern"  derNMZ. 
1889,  12  u.  05,  18.],  und  Ludw.  Scheibler,  S.s  1  stimm.  Lieder  nach 
österr.  Dichtern  (trotz  einseitiger  Urteile  wertvoll),  Musikb.  a.  Oesterr.  08. 

D. :  Wien  [Kundmann]  1872. 


254  ni.  Neuzeit. 


der  Wiener  ,, Männergesangverein"  und  dessen  Dirigenten  Joh.  Her- 
beck und  Eduard  Kremser,  sowie  der  Wiener  „Schubertbund";  in 
neuester  Zeit  die  Schubertforscher  Eusebius  Maudyczewski  iWien), 
Max  Friedländer  (vorzüglicher  Konzertsänger,  *  lö52,  Professor 
der  Musik  an  der  Berliner  Universität),  der  Engländer  George  Grove 
[spr.  Grow]  (Herausgeber  eines  wertvollen  Musiklexikons  [Dic- 
tionary  of  music  and  musicians,  5  Bde.,  2.  A.  02],  Direktor  des  1882 
errichteten  Royal  College  of  music,  f  00,  London);  endlich  auch  der 
ausgezeichnete  Liedersänger  Gust.  Walter,  ein  Deutschböhme  [*  1834 
Bilin  [Gedenktafel  am  Geburtshause  seit  1905],  Kammersänger  und 
Gesangmeister  in  Wien) 

Unter  den  obengenannten  Freunden  S.s  sehen  wir  einen 
ebenso  hervorragenden  wie  eigenartigen  Komponisten :  Franz 
F.  Lachner.  Lachner,  *  1803  zu  Rain  (Oberbayern),  f  20.  Jan.  1900  zu  München 
(1822  Organist  an  der  protestantischen  I^irche  in  Wien,  1826  KM.  am 
Kärntnerthor-Theater,  1836—68  HKM.  in  München,  wo  er  dem  Wagner- 
kultus zum  Opfer  fiel.  1852 GMD.).  Seine  7  Orchester-Suiten, 
die  Vornehmheit  der  Erfindung  mit  meisterhafter  kontrapunk- 
tischer Kunst  vereinen,  bedeuten  eine  Art  Renaissance  der  Händel- 
Bachschen  Instrumentaltechnik  ;  sie  regten  zu  ähnlich  interessanten 
Touwerken  Raff,  Esser,  Grimm,  Bargiel  u.  a.  an.  L.  schrieb  zahlreiche, 
klassisch  angehauchte  Symphonien  (,,Apassionata'  von  der  Wiener 
„Gesellschaft  der  Musikfreunde"  preisgekrönt),  Opern  („Catharina  Cor- 
naro"),  geistliche  Chorwerke  (Requiem)  und  Kammermusikwerke,  die 
viel  Schönes  und  Interessantes  bieten.  Das  größere  PubUkum  ge- 
wann L.  hauptsächlich  durch  seine  Chorgesänge  und  einstimmigen 
Lieder.^)  Auch  seine  Brüder  Ignaz  (f  1895)  und  Vincenz  L. 
(t  1893)  waren  vortrefflich  schaffende  Musiker. 

Aehnlich  abgesondert  wie  F.  Lachner  behaupten  dann 
ihren  individuellen  Rang  als  vornehmlich  klassizistische,  vielfach 
streng  in  Bach-Händel,  teils  auch  im  altniederländischen  und  alt- 
italienischen a  capella-Stil  wurzelnde  Meister  des  Kontrapunkts : 
Grell.  die  Norddeutschen  Eduard  Grell  (1800-86),  Zelters  Schüler  und 
Nachfolger  an  der  Berliner  Singakademie  —  ein  gründlicher  Kenner  imd 
großer  Verehrer  der  altitalienischen  Schule,  wie  seine  große  16-stim- 
mige  Vokalmesse  beweist  (er  bevorzugte  einseitig  die  Vokalmusik 
und  sah  in  der  neueren  Instrumentalmusik  nur  einen  Verfall  der  reinen 
Kiel.  Kunst 2)  —  und  Friedr.  Kiel  (1821—85,  Professor  für  Komposition 
an  der  Königl.  Hochschule  und  Mitglied  des  Senats  der  Akademie  der 
Künste  zu  Berfin)  —  dessen  Hauptwerke,  darunter  2  Requiems,  das 
Oratorium  Christus,  eine  Missa  solemnis  u.  a.,  bekunden  eine  Meister- 
schaft in  den  strengen  Formen,  eine  Vertrautheit  sowohl  mit  Bach 
und    Beethoven,     wie   mit    den    besten    Vorbildern     überhaupt,    daß 


^)  B. :  Dr.  Kronseder,  Lpz.  B.  &  H.;  nebst  Werkeverzeichnis. 
2)  Vgl.  auch   seine  ,, Aufsätze  u.  Gutachten"  [Bellermann],   1887. 


Romantik.     Klassizisten.  —  Loewe.  255 

sie  zu  den  bedeutensten  Erzeugnissen  der  neueren  Literatur  gehören  —  ; 
Josef  Rheinberger,  aus  Vaduz  in  Lichtenstein,  Professor  und     ^^^^"^^ 
Inspektor   an   der   königl.  Musikschule   und  1877  HKM.  und  Dirigent 
der  köngl.  Vokalkapelle  zu  München  (f  litül),  der  auf  allen  Gebieten, 
besonders  hervorragendes  aber  auf  dem  der  Orgelkomposition  schuft) 
(zahlreiche   Schüler:   Humperdinck,   Thuille   u.  a.) ;   der   Oesterreicher 
Heinrich   v.   Herzogen  barg   aus   Graz    (Schüler   des   Wiener  Herzogen- 
Konservatoriums,    Kiels  Nachfolger  an   d?r  Hochschule   für  Musik   in        '®'"^' 
Berlin:  f  !•"•*•  iu    Wiesbaden-):  Oratorien  „Die  Geburt  Christi'',  „Die 
Passion",  Requiem,  Messe  und  Psalmen,  ,, Deutsches  Liederspiel".)    Wir 
begegnen  den  beiden  letzten  Meistern  noch  innerhalb  der  Gruppe,  die 
in  Brahms  ihren  Leitstern  findet  und  zu  Reger  herauf  führt.  — 

In  einer  hierher  gehörigen  Xebengruppe  bemerken  wir  den  Prager 
Wenzel  Kalliwoda  (1«23— 53  KM.  des  Fürsten  von  Fürstenberg 
zu  Donaueschingen,  j  Karlsruhe  1866:  neben  Symphonien,  Ouvertüren 
u.  a.  der  populäre  Männerchor  „Das  deutsche  Lied"),  den  Ptälzer  ^ 'eri'ns- 
Georg  Vierling  (*  1820,  seit  1853  in  Berlin  —  seine  Hauptwerke, 
die  vielaufgeführten  weltlichen  Oratorien:  „Der  Raub  der  Sabinerinnen" 
(1876),  „Alarich"  und  „Constantin",  sind  reife  Produkte  einer  bedeu- 
tenden Schaftenskraft ,  ausgezeichnet  durch  Klarheit  der  Form  und 
meisterhafte  Beherrschung  der  Orchester-  und  Chormittel.  Die  Pflege 
der  Hausmusik  förderte  V.  durch  vorzügliche  Bearbeitungen  Haydnscher 
Symphonien  und  Quartette,  sowie  Mozartscher  Quintette  als  l)ii()S  für 
Klavier  und  Violine  uml  I>eethovenscher  Trios  für  Klavier  und  Cello  — ), 
den  Mecklenburger  Martin  Blumner  (ein  (irellschüler,  fOl,  Direktor 
der  Berliner  Singakademie:  Oratorien  „Abraham"  [1859],  „Der  Fall 
Jerusalems"  [1874],  achtatimmiges  Tedeum)  und  den  Livländer  Jul. 
Otto  Grimm  (f  03,  MD.  der  Akademie  zu  Münster  [Westfalen]: 
Symphonie,  3  Suiten  [1  und  2  in  Kanouform]  für  Streichorchester, 
idavierstücke  und  Lieder).^) 

In  eigenartiger  Mittelstellung  endlich ,  zwischen  der 
klassischen  und  romantischen  Liederliteratur,  bewegt  sich  Carl  Loewe. 
Loewe,  der  unübertroffene  Balladenkomponist  (*  1796  zu  Löbe- 
jün  bei  Köthen,  ursprünglich  Theologe  in  Halle,  Schüler  von  Türk, 
1820—66  Organist,  Gymnasialmusiklehrer  und  städtischer  MD.  in 
Stettin,  t  1869  in  Kiel'.  Seine  zahlreichen  Oratorien  und  Kantaten, 
Orchester-  und  Klavierkompositionen,  vermochten  sich,  trotz  vieler 
und  großer  Schönheiten  im  einzelnen,  nicht  zu  behaupten.  Der 
Schwerpunkt  seiner  Bedeutung  liegt  in  seinen  für  eine  Sing- Die  Ballade, 
stimme  mit  Klavierbegleitung  gesetzten  Balladen  und  Legenden, 
deren  musikalische  Grundform,  —  eine  Verbindung  des  Epi- 
schen ,    Lyrischen    und   Dramatischen    unter    Festhaltung    eines 


1)  Vgl.  P.  Raph.  Molitor:    Rh.  u.  s.  Kompositionen  f.  Orgel,  03, 
Lpz.     Messen-A.  bei  Leuckart,  Lpz. 

2)  B. :  Altmann  Dr.  Wilh.,  Lpz.  J.  Rieter-Biederraann. 

3)  B.:  C.  Hunnius  (Dichter  u.  MS.  *  1856  Narva),  Reval,  Kluge  05. 


256  I^^-  ^eii^eit. 

scharfgeprägten  Hauptmotivs  bei  detaillierter  Charakteristik 
im  übrigen  —  er  feststellte.  Zu  den  am  meisten  volkstümlich 
gewordenen  gehören:  ,, Erlkönig",  „Ohif",  „Heinrich  d.  Vogler",  ,, Hoch- 
zeitslied", ,,Pilgrim  vor  St.  Just",  „Der  Wirtin  Töchterlein",  „Frlede- 
ricus  Rex",  „Prinz  Eugen",  „Tom  der  Reimer",  „Archibald  Douglas", 
„Der  Nöck"  u.  a.^) 

Neben  jenen  Loewes  zeichnen  sich  die  im  Volkst<jn  gehaltenen 
,,B a II a d e n  und  Romanzen  seines  Zeitgenossen  Clu-.  Friedi*.  Grim- 
mer (1798—1850)  ebenso  durch  Knappheit  der  Fassung  wie  durch 
treffsichere  Auffassung  des  Textes  ans-j.  Der  Schöpfer  der  Ballade 
war,  wie  wir  wissen,  Zunisteeg. 


Das  Urbild  musikalischer  Romantik  erscheint  uns  in 
Schuberts  engerem  Zeitgenossen,  dem  genialen  Freischütz-Kom- 
ponisten Carl  Maria  v.  Weber.  Ihm  war  es  vorbehalten, 
den  Lorbeer  zu  pflücken ,  nach  dem  Schubert,  wie  nachher 
auch  Mendelssohn  and  Schumann  vergeblich  gestrebt:  das  Werk 
der  deutschen  romantischen  Oper.  Bedeutsame  Vor- 
gänger hatten  auch  hier  den  Pfad  geebnet,  und  das  gesungene 
Drama  überhaupt  bewegte  sich  seit  Gluck  und  Mozart  auf  in- 
teressanten, vielverzweigten  Pfaden  weiter. 

Neben  Beethoven  schlugen  vor  allen  zw^ei  Italiener  neue, 
ernste  Töne  in  der  Oper  an:  Cherubini  und  Spontini.  Luigi 
Cherubim  Cherubini,  *  1760  zu  Florenz,  f  1842  zu  Paris,  lernte  bei  dem 
großen  KontrapunktistenSarti  in  Bologna  (f  1802)  die  vollkommene 
Beherrschung  des  polyphonen  Stils.  Nachdem  er  für  Italien  und  Eng- 
land mehrere  Opern  im  neapolitanischen  Stile  geschrieben,  ließ  er  sich  1788 
in  Paris  nieder.  Der  Einfluß  Glucks  und  der  deutschen  Musik  über- 
haupt ließ  ihn  die  leicht  beflügelte  Weise  der  Italiener  verlassen  und 
im  ernsteren  Stile  komponieren.  Unter  seinen  so  geschaffenen 
Opern  (vgl.  Anm.  3  S.  100)  ist  „Medea"  (1797)  die  großartigste. 


^)  GA.  der  Balladen,  Legenden,  Lieder  u  Gesänge  [i  Auftr.  d. 
Loeweschen  Familie  v.  Dr.  M.  Runze,  B.  &  H.  I.  Lieder  a.  d  Jugend- 
zeit u.  Kinderlieder.  H.  Bisher  unveröffent.  u.  vergessene  Lieder,  Ges., 
Romanzen  u.  Balldn.  III.  Ball,  nation.  Gepräges.  IV.  Dtsche  Kaiser- 
Ball.  V.  Hohenzollern-Gesänge  u  vaterländ.  Lieder.  VI.  Franz.,  span. 
u.  oriental.  Ball.  VII.  Poln.  Ball.  VIII.  Geister-Ball.  u.  Gesichte 
IX.  Sagen,  Märchen,  Fabeln.  X.  Romant.  Ball.  XI.,  XII.  Goethe  u. 
Loewe.  XIII ,  XIV.  Legenden.  XV.  Lyr.  Phantasien,  Allegorien  etc. 
A.  (Loewe-Albums)  CL.,  EP.,  UE.,  Edit.  Schlesinger  auch  Einzelausg. 

B.:  Selbst-B.  [Bitter]  1870;  Dr.  Max  Runze,  Lpz.  Reclam;  Dr. 
H.  BTilthaupt,  Br!.  „Harmonie"  1898,  u.  a.  —  L. :  Ambros,  kulturhist. 
Bilder    —  D.:  Löbejün  [Schaper]  1896,  Stettin  [Glüiner[  1897. 

2)  NA.  [Rob.  Fianzi  Lpz.  B.  &  H. 


Die  Meister  der  Oper  in  Italien  und  Frankreich.  257 


der  „Wasserträger"  (1800)  die  edelste  und  zugleich  populärste, 
noch  heute  mit  Beifall  gegeben.  Seine  Ouvertüren  zu  Lodoiska, 
Anacreon,  Abenceragen,  Wasserträger  und  Medea  sind  glänzende 
Orchesterstücke.  —  Nach  der  Rückkehr  der  Bourbonen  leitete  er 
die  Musik  in  der  Schloßkirche.  Berühmt  sind  Ch.s  Messen  in  D 
und  A,  sein  Requiem  und  sein  im  streng  kirchlichen  Stile 
geschriebenes  8  stimmiges  Credo,  i) 

Ihn  übertraf  noch  an  dramatischer  Kraft  G  a  s  p  a  r  o 
Spontini  (1774 — 1851),  einer  der  bedeutendsten  Nachfolger  Spontini. 
Glucks  und  der  musikalische  Repräsentant  des  Napoleonischen 
Kaiserreiches.  Er  wirkte  von  1803  ab  in  Paris  und  von  1820 
bis  1841  in  Berlin  als  Hofkomponist  und  GMD.-)  Die  erste 
seiner  Hauptopern  in  französischer  Sprache,  ,,Die  Vestalin", 
griff  1807  zu  Paris  mächtig  durch;  ihr  folgten :  „Ferdinand 
Cortez"  (1809),  „01>^npia"  (1819)  und  für  Berlin  die  deutsche 
Oper  „Agnes  von  Hohenstaufen"  (1827).  Wie  Cherubini  das 
düstre  Pathos,  so  führte  S.,  der  sich  in  Berlin  schließlich  durch 
seine  Anmaßung  unmöglich  machte,  Pomp,  Effekt  und  Raftinement 
in  das  Tondrama  ein  und  begründete  so  mit  Cherubini  die  in 
Meyerbeer  und  Halevy  gipfelnde  französische  heroische 
„Große  Oper".'"^)  In  Italien  selbst  aber  blühte  die  Belcanto- 
Oper  von  neuem  auf :  der  italienische  Mozart  Gioacchino 
Rossini,  *  1792  zu  Pesaro  (daher  ,, Der  Schwan  von  Pesaro"  Rossini, 
genannt),  f  1868,  war  der  genialste  Vertreter  dieser  neueren 
italienischen  Schule,  Er  bezauberte  nicht  nur  das  große  Publi- 
kum durch  seinen  unerschöpflichen  Quell  süßer,  berückender 
Melodien  ;  ernster  Denkende  tadelten  die  leichtfertige  Art  und 
Weise,  wie  er  seine  reichen  Gaben  verschwendete.  Seine  Musik 
ist  wohl  eine  vorwiegend  äußerliche,  mehr  sinnliche  als  seelische. 
,,Der  Barbier  von  Sevilla"*^)  (1816),  das  bewundernswerte 
Gegenstück    zu    Mozarts    ,, Figaro",    ist    aber    und    bleibt    das 


^)  B. :  Wittmann,  Lpz.  Reclam.  —  Ch.s  „Theorie  d.  Kontra- 
punktes u.  d.  Fuge",  NA.  deutsch  [Jensen]  Lpz.  Lkt.,  ist  von  — 
Halevy. 

2)  B. :  C.  Robert  1883.  —  Morgenhymne  a.  d.  „Vestalin",  Lkt. 

^)  Der  Name  der  beiden  Operngattungen :  „Große  Oper"  (durch- 
wegs gesungen)  und  ,, Komische  Oper"  (mit  gesprochenem  Dialog) 
übertrug  sich  auch  auf  die  beiden  hervorragendsten  Opernhäuser  zu 
Paris,  ihrem  Repertoire  nach :  die  heute  1533  Personen  beschäftigende 
Grand  opera,  oder  einfach  Opera,  und  die  Opera-Comique  (vgl.  S.  178  f.). 

*)  NA.  (Klav.-Ausz.)  OL.,  EP.,  UE.  (Brüll). 

Kothe-Prochäzka,  Abrifi  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.      1 7 


258  I^I-  Neuzeit. 


klassische  Meisterstück  der  italienischen  komischen  Oper ; 
einen  neuen  Weg  u.  z.  den  Cherubinis  und  Spontinis,  ging 
R. ,  der  sich  mittlerweile  in  Paris  niedergelassen ,  in  der 
Großen  Oper  ,, Wilhelm  Teil",  seiner  besten  französischen 
Oper  ernsten  Stils.  ,,Tell",  sein  letztes  Bühnenwerk  imd  der  ,, Bar- 
bier" üben  heute  noch  ihre  ungeschwächte  Zugkraft  im  Bühnenspiel- 
plan. Von  Rossinis  übrigen  Werken  behauptete  sich  noch  das  be- 
rühmte (völlig  opernhafte)  „Stabat  mater".  Seit  1830  lebte  R. 
größtenteils  zu  Paris  einem  wahren  dolce  far  niente  (vgl.  S.  237).^) 

Vorläufer.  In  einseitig   italienischer   Richtung  waren   dem  Meister  vorange- 

gangen: Salieri,  HKM.  in  Wien  (f  182.5),  Mozarts  Nebenbuhler; 
Vincenzo  Righini  (f  1812),  zuletzt  HKM  in  Berlin;  Fernando 
Paer  (f  1839),  zuletzt  HKM.  in  Paris  (seine  Oper  „Eleuora"  behandelt 
denselben  Stoff  wie,  ,Fidelio') ;  Giovanni  Paesiello  (Paisiello 
t  1816,  KD.  zu  Neapel  und  Lehrer  von  Bellini,  Donizetti  und  Merca- 
dante),  der  Komponist  von  ,,La  molinara"  („D.  schöne  Müllerin")  und 
des  ersten,  durch  Rossini  in  Schatten  gestellten  „Barbier  v.  Sevilla; 
Doraenico  Cimarosa  (f  1801),  Komponist  der  komischen  Oper 
„Die  heimliche  Ehe"  (Wien  1792).  Ein  heute  vergessener  Rivale  der 
Genannten,  Martin  y  Soler,  ein  Spanier,  erregte  in  Wien  1786  mit 
,La  cosa  rara'  selbst  Mozarts  Bewunderung,  der  eine  Melodie 
aus  jener  populären  Oper  in  seinen  Don  Juan  (2.  Finale)  hinüber 
nahm,  wie  er  ja  überhaupt  au  die  italienische  komische  Oper  an- 
knüpfte. Noch  sei  hier  G.  Giordani  (f  1798)  genannt,  dessen 
schöne  Arie  ,,Caro  mio  ben"  uns  noch  heute  erfreut. 

Nachfolger  Rossinis  bedeutendste  Nachfolger  waren  die  beiden  Konkur- 

renten Vincenzo  Bellini  (1801 — 1835):  ,, Die  Nachtwandlerin", 
Beiiini,  „Romeo  Und  Julie",  „Norma"  *  (1831,  von  dieser  Oper  sagte 
Wagner,    daß    sie    „neben    reichster    Melodiefülle    die    innerste 

Douizetti.  Glut  mit  tiefer  Wahrheit  vereint")-)  und  Gaetano  Donizetti 
aus  Bergamo  (1797  —  1848);  dessen  namhafte  italienische 
Opern  ernsten  Stils  sind:  „Lucia  di  Lammermoor"  (1885), 
„Lucrezia  Borgia"  ;  im  komischen  Stil :  L'elisire  d'amore",  der 
prächtige  „Dom  Pasquale";  seine  bedeutendsten  fran- 
zösischen Opern  im  ernsten  Stil:  ,,La  favorite";  ,,Dom 
Sebastien"  ;  im  komischen  Stil:  ,,Die  Regimentstochter". 
Auch  er  wurde  später  sozusagen  ,, Franzose".^)  Als  Rivale  Bel- 
linis  und  Donizettis  einst  viel  gefeiert  war  der  Neapolitaner 
^antr  Saverio  Mercadante  (1797—1870),  ein  Schüler  Zingarellis (des  Nach- 
folgers Paisiellos  am  Neapler  Konservatorium) ;  er  schrieb  außer  zahl- 
reichen Opern  (für  Rom,  Venedig,  Madrid,  Paris,  Wien  u.  a.  Städte, 


^)  B.:  Kohut,  Lpz.  Reclam. 

2)  B. :  Voss,  Lpz.  Reclam. 

«)  NA.  Dom  Pasquale  [Kleeteld].  B. :  Cicconetti  (1864),  Verzino (1896). 


Die  Meistei*  der  Oper  in  Italien  und  Frankreich. 


259 


wie  alle  italienischen  Komponisten  jeweils  in  der  betreffenden  Stadt 
sich  aufhaltendi  auch  Instrumental-  und  Kirchenwerke. 

Interessant  ist  schließlich,  daß  ein  geborener  Bayer,  Simon 
May  r,  der  nach  Italien  unter  die  dortigen  gefeierten  Opernkomponisteu 
ging  (t  1845  zu  Bergamo),  auf  die  Entwickelung  der  italienischen 
und  französischen  Oper  jener  Zeit  (insbesondere  was  die  reichere 
Behandlung  von  Chor  und  Orchester  betrift't)  Einfluß  nahm.^) 

Für  eine  neue  Blüte  der  bodenständigen  französischen 
komischen  Oper  sorgten  Gretrys  Erben,  die  Schöpfer  der  komisch- 
romantischen  Oper  der  Franzosen,  u.  z.  I  s  o  u  a  r  d  [spr.  isuärj 
1 1818):  „C'endrillon"  (Aschenbrödel),  „Jeannot  et  Colin"  und  „Joconde"; 
dessen  Rivale  Adrien  Fran^-oisBoieldieu  [spr.  —  diö]  (1775 
bis  1834):  „Kalif  von  Bagdad"  (vgl.  Anm.  S.  100),  „Johann  von  Paris" 
und  „Die  weiße  Dame"*  (1825)-);  Daniel  Fran9ois  Esprit 
Auber  [spr.  ob.ir]  (1782—1871),  dessen  stürmische,  wahrhaft 
„große"  Revolutionsoper  „Die  Stumme  von  Port  i  ci  "*  (1828) 
—  ein  Werk  von  ungeahntem  dramatischen  Schwung ,  voll 
Drastik  und  Spannung ,  Feuer  und  Leidenschaft,  zusammen 
mit  Rossinis  „Teil"  und  Meyerbeers  ,, Robert"  einen  völligen 
Umschwung  des  Repertoires  der  Großen  Oper  zeitigte  (mit 
seinem  der  gärenden  Zeitstimmung  verwandten  Charakter  gab  es 
sogar  zu  Brüssel  1830  das  Signal  zur  Revolution  !)  —  wäh- 
rend A.s  (er  führt  nicht  umsonst  den  Vornamen  Esprit,  d.  i. 
Geist,  Witz!)  komische  Opern:  ,,Fra  Diavolo",*  „Der 
schwarze  Domino",  ,, Teufels  Anteil",  ,, Maurer  und  Schlosser"* 
(1825),''^)  erstklassige  Werke  ihrer  Gattung  bleiben^);  L.  J.  Ferd. 
Herold  (1791  — 1833):  „Zampa",*  „Marie",  „Le  pre  aux  clercs" 
(„Der  Zweikampf",  1871  in  Paris  bereits  die  10(X)ste  Aufführung). 
Endlich  Boieldieus  Schüler  Adolphe  Adam  (1803—56):  „Der 
Postillon  von  Lonjumeau"*  (1836),  „Die  Nürnberger  Puppe"  u.a. 

Zweifellos  spielt  in  vielen  der  ebengenannten  Werke  der 
Einfluß  Mozarts  und  der  eigentlich  bereits  mit  ,Don  Juan'  be- 
ginnenden Romantik  in  Deutschland  mit.  Hier  erstand  in 
Ludwig  Spohr,  dem  berühmten  Violinvirtuosen,  ein  Mittler 
zwischen  Klassizismus  und  Romantik,  dessen  Werke 
formell    auf    Mozart    fußten,    inhaltlich    aber    bereits  program- 


Mayr. 


Die 

Franzosen 
Isouard 

Boieldieu 


Auber 


Hurold 


Adam. 


Deutseh- 
land. 


Spohr. 


Gesch.    d.  Op.   um  d. 
1834)  1875. 


1)  B. :  Ludw.  Schiedei-maier,   Beiträge    z 
Wende  des  18./19.  Jahrhdts.,  I.  Bd.,  07.  Lpz. 

2)  B. :  Arth.  Pougin  [spr.  puschäng]  (M.  S.  zu  Paris, 
^)  B. :  Kohut,  Lpz.  Reclam. 
*)  NA.  der  oben  mit   einem  *  versehenen   Opernwerke  (Klavier 

aiiszug):  CL.  (mit  Dialog  u.  szenischen  Bemerkungen):  EP.;  UE. 

17* 


260  III-  Neuzeit. 

matisch,  vor  allem  zum  ersten  Male  deutsche  Sage  und 
Dichtung  in  den  Kreis  der  Oper  ziehen. 

Ludwig  Spohr  (*  1784  zu  Braunschweig,  f  1859  als  GMD. 
in  Kassel),  heute  leider  arg  vernachlässigt,  hat  fast  auf  allen 
Gebieten  der  Musik  Bedeutendes  geschaffen .  Seine  besondere  Stellung 
in  der  Geschichte  des  Geigenspiels  würdigen  wir  noch  (Kap.  VII.). 
Hier  sind  außer  33  Streichquartetten,  4  Doppelquartetten,  7  Streich- 
quintetten, einem  Streichsextett,  5  Klaviertrios,  Sonaten  für  Geige  und 
Harfe  usw.  seine  Opern  zu  nennen ,  insbesondere :  „F  a  u  s  t" 
(Prag,  1816,  der  Text  hat  mit  Goethe  nichts  gemein),  „Jessonda" 
(1823)  und  „Der  Berggeist"  (nach  der  Rübezahlsage);  dann  unter 
den  Oratorien :  „Die  letzten  Dinge",  „Des  Heilands  letzte  Stunden" ; 
ferner  von  9  Symphonien  die  in  C  moll  und  F  dur  (,,  Weihe  der 
Töne").  Für  Männerstimmen  schrieb  er  außer  15  kleineren  Chören 
ein  1838  in  Frankfurt  a.  M.  mit  großem  Erfolge  aufgeführtes  „Vater- 
imser"  für  zwei  Chöre  mit  Instrumentalbegleitung.^) 

Spohrs  Musik  charakterisiert  einerseits  eine  großartige 
Konzeption,  andererseits  eine  gewisse  Weichlichkeit  infolge 
reichlichen  chromatischen  Einschlags. 

Den  mit  Spohrs  ,, Faust"  neu  eröffneten  Weg  der  deutsch- 
nationalen Oper  beschritt  nun  erfolgreichst  der  am  18. 
Dez.  1786  zu  Eutin  (Oldenburg)  geborene  Freiherr  Carl  Maria  v. 
Weber  Weber.  Sein  Vater,  ein  Vetter  von  Konstanze  Mozart,  unstäten 
1786—1826.  Charakters,  war  nacheinander  Offizier,  Beamter,  Kapellmeister  und 
Schauspieldirektor,  als  solcher  an  der  Spitze  einer  Schauspielertruppe 
die  mittleren  Städte  Süddeutschlands  bereisend.  Unser  Karl,  der  ge- 
wissermaßen hinter  den  Kulissen  aufwuchs,  und  so  die  Bühne,  später 
das  eigentliche  Feld  seiner  Tätigkeit  von  Jugend  auf  kennen  lernte, 
genoß  seinen  Musikunterricht  namentlich  bei  Michael  Haydn  in  Salz- 
burg, (die  Frucht  seiner  wiederholten  Studien  dort  war  u.  a.  ein 
Heft  „Fughetten"  und  die  Oper  „Peter  Schmoll")  ^}  später,  gleichfalls  wie- 
Abt  Vogler,  derholt,  bei  Abbe  Georg  Josef  Vogler.  Ueber  Vogler,  *  1749  zu 
Würzburg,  Schüler  des  Padre  Martini  und  Vallotti,  sagt  Otto  Jahn  (Mozart- 
Biographie)  :  ,, Vogler  war  ohne  Zweifel  eine  ungewöhnliche  und  be- 
deutende Natur;  er  besaß  musikalisches  Talent,  Verstand  und  Scharf- 
sinn und  verband  mit  vielseitiger  Beweglichkeit  Energie  des  Willens, 
so  daß  er  in  Kunst  und  Wissenschaft  Erhebliches  leistete."  Nach 
einem  reich  bewegten  Leben  starb  er  1814  als  Kapellmeister  zu  Darm- 

^)  GA.  der  Männerchöre  [Schletterer]  bei  Leuckart,  Lpz.  Vgl.  die 
letzte  Notenbeilage.  —  Symphonien  u.  Ouvertüren  b.  Schlesinger,  Brl. 
—  B.:  neben  der  wertvollen  Selbst-B.  (2  Bde.  1860/1)  Nohl,  Lpz. 
Reclam*.  —  L. :  Ueber  S.s  Beziehungen  zu  R.  Wagner  berichtet 
E.  Schmitz,  N.  Zeitschr.  f.  M.,  05,  Nr.  42.  —  D.:  Kassel,  1885. 

2)  Der  junge  W.  spielt  auch  in  der  Geschichte  der  Lithographie 
eine  Rolle;  er  verbesserte  Senefelders  Verfahren  und  gab  sein  op.  2 
(Klavier-Variationen)  1800  selbst  lithographiert  heraus. 


Die  deutsche  romantische  Oper.     Spohr.     C.  M.  v.  Weber.   261 

Stadt.  Er  war  Priester  nnd  fiihrte  als  solcher  den  Titel  „Kämmerer 
des  apostolischen  Palastes,  bayrischer  Hof  kaplan  und  hessischer  geist- 
licher Rat".  Bekannt  ist  Mozarts  geringschätziges  Urteil  über  Vogler ; 
es  muß  zugegeben  werden,  daß  seine  Tätigkeit  (z.  B.  seine  Programme 
zu  Orgelkonzerten  Kap.  VI)  zuweilen  an  Charlatanerie  streifte.  Webers 
Mitschüler  in  Darmstadt,   wo  auch  die  komische  Oper  „Abu  Hassan" 


entstand,  waren  Gottfr.  Weber,  bekannt  durch  seine  theoretischen 
Schriften  und  durch  die  Redaktion  der  Zeitschrift  „Cäcilia",  Joh, 
Gänsbacher  aus  Sterzing  in  Tirol,  begeisterter  Freiheitskämpfer,  später 
DKM.  zu  Wien  (f  1844)  und  —  Meyerbeer. 

Vogler  urteilte  über  diese  Schüler:  „Gottfried  weiß  am  meisten, 
Meyer  tut  am  meisten,  Carl  Maria  kann  am  meisten,  Johann  trifft 
am  meisten"  —  Gänsbacher  war  nämlich  ein  vortrefflicher  Schütze.^) 

*)  Mitteilung  von  Webers  Sohne  in  der  ,, Gartenlaube". 


262 


III.  Neuzeit. 


Prag. 


Dresden. 


Klavier- 
werke. 


Weber  wurde  sodann  auf  Voglers  Empfehlung  1804  Kapellmeister 
am  Breslauer  Stadttheater,  1806  von  dem  musikliebenden  Prinzen 
Eugen  von  Württemberg  bei  dessen  Kapelle  als  Dirigent  angestellt, 
1807  Sekretär  des  Herzogs  Ludwig  von  Württemberg  in  Stuttgart. 
Aus  einem  arg  bewegten  Lebenswandel  dort,  inmitten  dessen  die  erste 
große  Oper  „Silvana",^)  die  Polonaise  in  Es  ^  Six  Pieces  op.  10 
u.  a.  Werke  entstanden,  führte  eine  Katastrophe  —  infolge  einer  Un- 
besonnenheit seines  bei  ihm  lebenden  Vaters,  wurden  beide  des  Landes 
verwiesen  —  ihn    zur  Besserung  und  Einkehr  in  sich  selbst. 

Von  1813—16  dirigierte  W.  die  Oper  zu  Prag  —  von  hier  aus, 
nebenbei  bemerkt,  den  1801  durch  Landgraf  Ludw.  v.  Hessen  bei  der 
Darmstädter  Hof  kapeile  eingeführten  Taktstock  2)  in  Mode  bringend! 
—  und  von  1817  bis  zu  seinem  am  5.  Juni  1826  zu  London  erfolgten 
Tode  die  neu  errichtete,  durch  ihn  organisierte  Deutsche  Oper 
(bis  dahin  italienisch  !j  zu  D  r  e  s  d  e  n  ,  wo  er  gleichzeitig  auch  die 
Musik  in  der  Hofkirche  zu  leiten  hatte. 

Webers  Stellung  in  der  Musikgeschichte  ist  doppelt  be- 
gründet. Seine  Klavierkompositionen  sind  so  glanzvoll  und  edel 
gehalten  —  der  Tonsatz  verrät  die  außergewöhnlich  spannfähige 
Hand  Webers,  eines  der  ersten  Klavierspieler  seiner  Zeit  — , 
daß  sie  noch  heute  sich  überaus  wirksam  erweisen;  so  nament- 
lich das  „Konzertstück"  in  i^moll,  ein  oft  und  gern  gehörtes 
Repertoirestück  der  hervorragendsten  Pianisten,  die  As  dur- 
Sonate,  die  Aufforderung  zum  Tanz,  Momento  capriccioso  und 
die  Polonaisen  in  E  und  Es. 

Auf  tondramatischem  Gebiete  aber  ward  er  der  eigentliche 
Schöpfer  der  spezifisch  deutschen  Oper,  der  in  der 
Verwertung  des  romantischen  Elements  ,, packender  als 
Spohr  das  Dämonische  musikalisch  zu  illustrieren  und  zu- 
gleich den  echten  Volkston  in  seinen  Melodien  zu  treffen 
wußte"  [Riemann].  Allerdings  hatte  Mozart  in  seiner  „Zaubei-flöte" 
und  in  der  „Entführung"  bereits  mustergültige  Werke  für  die  deutsche 


1)  NB.  [Ernst  Pasque  u.  Ferd.  Langer  (HKM.  in  Mannheim,  von 
dessen  Opern  besonders  „Dornröschen"  und  ,,Murillo"  erwähnenswert)]. 
1885  und  später  oft  mit  Beifall  aufgeführt. 

2)  Die  Griechen  (Lasos)  und  Römer  traten  den  Takt  (wie  es 
u.  a.  im  Eifer  noch  Mozart  einmal  so  heftig  in  Leipzig  tat,  daß  ihm 
eine  silberne  Schuhschnalle  sprang),  die  Orientalen  gaben  ihn  mit  der 
Hand  (daher  Neuma  =  Wink),  mittelalterliche  Musiker  pochten  ihn  mit 
einem  Holzstäbchen  oder  einer  Papierrolle  ans  Pult,  Lully  schlug  ihn 
mit  einem  langen  Stabe  auf  den  Boden  (er  verwundete  sich  schheßlich 
hiebei  lebensgefährlich  am  Fuße!).  Später  dirigierte  man  (wie  heute 
noch  bei  der  Tanzmusik  und  kleinerem  Ensemble)  vom  Klavier  oder 
vom  ersten  Violinpult  aus.  Vgl.  Fleischers  „Nenmenstudien"  u.  E.  Vogel : 
Zur  Geschichte  d.  Taktschiagens,  Jahrb   Peters  1898. 


Romantik.    C.  M.  v.  Weber. 


263 


Der  Frei- 
schutz. 


Deutsch- 
nationale 


Oper  geschaffen,  doch  seine  Tonsprache  war  universell.  Noch  weniger 
gab  es  eine  spezifisch  deutsche  V  o  1  k  s  o  p  e  r.  Diese  musikalische 
Tat  Webers  war  ,,Der  Freischütz"  (das  vorzügliche 
Libretto  ^)  des  Dresdener  Dichters  Kind  nach  einer  Novelle 
von  Apel).  Zuerst  in  Berlin  1821  aufgeführt,  ist  diese  Oper  noch 
jetzt  eine  der  beliebtesten  und  populärsten  Deutschlands.  Sie 
ist  die  erste  musikalische  Verklärung  deutscher  Waldes- 
poesie und  freien  Jägerlebens.  In  ihr  ist  alles  der  Seele,  dem  Elemente. 
Leben  des  Volkes  abgelauscht  und  musikalisch  wirklich  hinreis- 
send idealisiert.  Echt  deutsch  sind  die  kleinen  ländlichen  Verhältnisse 
und  der  rauschende  Eichenwald  —  dieser  Weberpartitur  entsprolj  das 
„Wald  weben"  Wagners  und  anderer  Komponisten !  — ,  der  biedere 
Förster,  der  schwämierische  Jägerbursche  Max,  die  fromme  Agathe  und 
das  haiTnlos- heitere  Aennchen  —  alle  Charaktere  meisterhaft  ge- 
zeichnet. Dazu  noch  die  echt  romantische  Sage  von  den  Freikugeln 
und  der  wilden  Jagd  I  -) 

Die  unmittelbare  Vorgängerin  des  , Freischütz'  war  jjUndine", 
die  romantische  Uper  des  genial-phantastischen  Dichter-Musikers  E. 
Th.  A.  H  0  f  f  m  a  n  n  ,  deren  Musik  anläßlich  der  Berliner  Aufführung 
1817  W.^)  selbst  als  „ungemein  charakteristisch,  geistreich,  ja  oft  frap- 
pant und  durchaus  effektvoll"  nennt.^)  Hoffmanns  Einfluß  läßt  sich 
über  Weber  und  Lortzing  bis  zu  R.  Wagner  verfolgen.^) 

Im  Jahre  is2(t  entstand  auch  die  Musik  zu  Wolffs  Schauspiel 
„Preziosa".  Eine  derb-komische  Oper  „Die  drei  Piutos"  blieb  zum 
Teil  Skizze.«  I 

Bei  seinem  zweiten  Hauptwerke:  ,,Eury anthe",  1822  Euryanthe, 
bis  1823  für  Wien  geschrieben,  steckte  sich  Weber  höhere  Ziele; 
die  Musik  ist  großartig,  ,,eine  Kette  glänzender  Juwelen  vom 
Anfang  bis  zum  Schluß"  [Schümann];  das  verfehlte  Textbuch  aber 
(in  dieser  Beziehung  hatte  W.  überhaupt  selten  Glück)  verhinderte 
einen  dauernden  Bübuenerfolg.  (Neuestens  glückte  ein  Versuch  [des 
Thorner  Mus.  Vereins,  19U7],  diese  Oper  als  weltUches  Oratorium  in 
den  Konzertsaal  zu  verpflanzen.)  Musikgeschichtlich  wichtig  bleibt 
Euryanthe  als  die  erste  völlig  durchkomponierte 
deutsche  Oper;  sie  enthält  im  Gegensatz  zu  Freischütz 
und  Oberon  keine  Zeile  blos  gesprochener  Prosa  oder  des  sog. 


^)  A.  (vollständige  [Wittmann]  nebst Klavierausz.)  Lpz.  Reclam.* 

2)  Das  Vorbild  zur  „ Wolfsschlucht "  fand  W.  in  der  Stolpich- 
schlucht  im  Isergebirge  i.  Böhmen,  die  er  von  Bad  Liebwerda 
b.  Friedland  aus,  dort  am  Freischütz  arbeitend,  besuchte. 

3)  S.  W.s.  Ausgew.  Schriften,  Reclam.  S.  117. 
*)  NA  (Klav.  Ausz.  [H.  Pfitzner]  Lpz.,  Peters. 
5)  Vgl.  darüber  Thiessen,  NMZ.  07,  23. 

^)  Neuerer  Zeit  arbeitete  Webers  Enkel,  Hauptmann  Karl  v.  Weber, 
das  Textbuch  von  Hell  um,  G.  Mahler  vollendete  das  Werk. 


264 


III.  Neuzeit. 


Oberou. 


Ouver- 
türen. 


Charakte- 
ristik. 


Secco-Reoitatives.  Ihre  Musik  wirkte  auf  Marschner  (Templer 
und  Jüdin),  Meyerbeer  und  Wagner  (besonders  Lohengrin)  be- 
deutsam ein.  Wie  im  Freischütz  die  hörnerklangdurchrauschte 
Waldesromantik,   so  siegt  in  Euryanthe  die  Ritterromantik. 

Sein  letztes  Werk:  ,,Oberon,  König  der  Elfen",  schrieb 
der  Meister  auf  einen  ursprünglich  englischen  Text  (von  Planche) 
1826,  bereits  totkrank,  für  London  und  brachte  es  dort  zur 
Aufführung.  Die  Darstellung  des  Phantastischen  dieser  Elfen- 
sage regte  neuere  Musiker  vielfach  an,  so  Mendelssohn  (,, Som- 
mernachtstraum", )Gade  (,, Erlkönigs  Tochter",  ,,Comala"),  Nikolai 
(,, Lustige  Weiber")  bis  herauf  zu  Wagners  ,, Rheingold"  u.  a., 
wie  denn  unsere  heutige  romantische  Musik  in  Weber  wurzelt.^) 

W.s  Ouvertüren  mangelt  zwar  der  thematische  Aufbau,  das 
Entkeimen  aus  einem  Motive,  somit  die  Einheit,  die  musikalisch-logische 
Entwickelung.  Während  Gluck  (s.  S.  212),  Mozart  und  Beethoven 
entweder  nur  Hauptmotive  der  Oper  benutzten  und  einheitlich  ver- 
arbeiteten, oder  ein  selbständiges  Stimmungsbild  schufen  (die  Figaro-, 
Coriolan-  und  Egmont-Ouvertüre  sind  unübertroffene  Muster),  ver- 
wandte W.  die  prägnantesten  Stellen  seiner  Opern  in  ausgiebigster 
Weise.  Wenn  sie  trotzdem  „einschlagen",  so  ist  dies  in  den  reizenden 
Melodien,  wie  in  der  höchst  wirkungsvollen  Instrumentation  (s.  unt.) 
begründet.  Eine  seiner  besten  Ouvertüren, .  auch  heute  noch  stets 
zündend,  ist  die  J  u  b  e  I  -  0  u  v  e  r  t  ü  r  e  (zu  einer  patriotischen  Feier  in 
Dresden  geschrieben). 

Wilden  Rosen  gleich,  einfach  zart  und  duftig,  sind  W.s  Lieder, 
zu  denen  er  sich  oft  unter  Freunden  auf  der  Gitarre  meisterlich  be- 
gleitete (vgl.  S.  252). 

F.  W.  Jahns  faßt  sein  Urteil  über  Weber,  der  als  Ton- 
setzer zugleich  einer  der  ersten  Kritiker  und  Musikschrift- 
steller und  damit  ein  Vorläufer  Schumanns  war-),  in  folgenden 
Worten  zusammen  :  ,,0  r  i  g  i  n  a  1  i  t  ä  t ,  verbunden  mit  tiefer 
Empfindung  und  seltener  Phantasie,  bezeichnet  sein 
Wesen.  Durch  sie  gewann  er  für  Wahrheit  des  Ausdrucks 
in  seiner  reichen  Melodik,  in  der  Kühnheit  seiner  Harmonik 
durchaus  neue  Formen.     In  seiner  Instrumentation  brach 


1)  Vgl.  d.  Anm.  S.  17,  100,  104.  Franz  Wülhier  ersetzte  später 
die  gesprochenen  Prosastellen  im  Oberon  durch  sorgfältig  durch- 
komponierte Recitative  mit  Leitmotiven  ä  la  Wagner.  Die  letzte  Neu- 
bearbeitung unternahm  G.  Mahle  r.  —  Ein  weit  früher  von  dem 
Haydnschüler  Paul  Wranitzkj'  aus  Mähren  (f  1808  in  Wien)  kompo- 
nierter „Oberon"  war,  wie  der  Herausgeber  einem  älteren  Manuskript 
entnimmt,  lange  hindurch  eine  Lieblingsoper  der  Deutschen,  bei  der 
Frankfurter Konigskrönung  1790  allein  binnen G  Wochen  24mal  aufgeführt. 

2)  Vgl.  W.s.  „Ausgew.  Schriften"  [Kleinecke]  Lpz.  Reclara. 


Romantik.      C.  M.  v.  Weber.    H.  Marschner.  265 

er  bisher  unbetretene  Bahnen,  und  in  der  Einzelwelt  fast  jeden 
Instruments  [sein  Liebling  war  die  Klarinette]  herrschte  er  als 
Meister.  Seine  Rhythmen  waren  stets  ebenso  frisch  als  edel. 
Mit  allen  diesen  Eigenschaften  begründete  er  eine  neue  Epoche, 
namentlich  im  musikalischen  Drama."  ^)  Weber  erkannte  zu- 
erst die  Urteilsfähigkeit  des  großen  ,, Publikums"  und  prägte 
den  charakteristischen  Satz :  ,,Der  einzelne  ist  ein  Esel,  und 
das  Ganze  doch  —  Gottes  Stimme". 


Auf  dem  so  gediehenen  Felde  der  deutschen  romantischen 
Oper  folgte  Weber,  von  diesem  selbst  noch  überaus  freundlich 
gefördert,  Heinrich  Marschner,  *  16.  August  1795  in  ^^^'^^J^"««"- 
Zittau  (Sachsen).-)  Er  hatte,  wie  so  viele  Musiker,  das  Studium  der 
Rechte  mit  dem  der  Musik  vertauscht,  und  brachte  es  zuletzt,  nach 
mehrjähriger  Kapellnieistertätigkeit  in  Dresden  und  Leipzig  bis  zum 
HKM.  und  GMD.  in  Hannover,  wo  er  hochverehrt  am  14.  Dez.  1861 
starb.  Mit  seinen  1828  und  1829  in  Leipzig  geschriebenen 
Opern  „Der  Vampyr"  und  ,, Templer  und  Jüdin",  namentlich 
aber  mit  seinem  noch  heute  lebensfrischen  ,,Hans  Heiling" 
(Hannover  1833,  Text  von  H.  Devrient,  vgl.  S.  182  ob.) 
feierte  er  Triumphe  von  nachhaltiger  Wirkung.  Rieh.  Wagner 
fand  für  seinen  „fliegenden  Holländer"  ein  Vorbild  in  ,Hans 
Heiling',  wie  für  „Lohengrin'"  in  Webers  „Euryanthe".  Noch 
lebt  M.  in  seinen  prächtigen  Lied-  und  Chorwerken  (darunter  der 
Männercbor  „Zigeunerleben");  mit  seiner  nicht  minder  bedeutsamen 
Klavier-  und  Kaiumenuusik  aber  (Sonaten,  Trios,  Klavierquartett  op. 
36  u.  a.)  ist  er  unverdient  ganz  und  gar  vergessen. 

*)  Beliebteste  Klav.-Werke,  akad.  NA  [Germer]  und  NA.  von 
,Freischütz'  imd  .Oberon'  ( Klav.  Ausz.)  GL. ;  A. :  EP.,  UE.  —  Opern 
(außer   den  früher  genannten)   u.  Orcbesterwerke   b.  .Schlesinger,  Brl. 

B. :  M.  M.  von  Weber  (des  Meisters  Sohn)  3  Bde.  (Der  3.  ent- 
hält C.  M.  V.  Webers  Schriften.)  Lpz.  1867,  Ernst  Keil ;  F.  W.  J  ä  h  n  s , 
Lpz.  Grunow  5  vgl.  ferner  desselben  chronol.-themat.  Verzeichnis  von 
W.s  Werken,  Brl.  1871,  Schlesinger;  Aug.  R  e  i  13  m  a  n  n  ,  Lpz., 
List  &  Francke;  Dr.  J.  Gehrmann  (*  1861,  MS.  in  Frankfurt  a.  M.) 
Brl.  „Harmonie"  (ill.);  Nohl,  Lpz.  Reclam.*  —  Briefe  W.s  an  H.  Lichten- 
stein [E.  Rudorflf)  00;  Reisebriefe  von  C.  M.  v.  W.  an  seine  Gattin 
Carolina  [von  seinem  Enkel]  Lpz.  1886.  A.  Dürr.  S.  auch  die  früheren 
Noten.  —  L. :  Friedländer,  „Weberiana",  Peters  Jahrb.  02. 

D.:  Dresden  [Rietschel)  1860. 

2)  B. :  G.  Miinzer  (*  1866  Breslau,  MS.  Berlin,  f  08),  Brl.  „Harmonie" 
Ol  ill.) ;  Wittmann,  Lpz.  Reclam.*  —  Briefe  M.s  an  seine  vierte 
Frau,  die  Sängerin  Thei*.  J  a  n  d  a ,  in  La  Mara,  Klassisches  u.  Ro- 
mantisches a.  d.  Tonwelt.  —  D. :  Hannover  (Hartzer]  1877. 


266  ni.  Neuzeit. 

In  Spohr,  Weber  und  Marschner  erkennen  wir  nun  die 
Marksteine  auf  dem  romantischen  Wege  der  deutschen  Oper 
zum  gewaltigen  Musikdrama  Ricli.  Wagners.    Noch  ein   Vierter 

—  einst  hochgefeiert ,  dann  vielgeschmäht  —  war  freilich 
berufen  hier  mitzuwirken ,  wenn  auch  sein  Einfluß  auf  den 
großen  Bayreuther  nur  mehr  oder  weniger  äußerlich  —  ähn- 
lich etwa  jenem  Mendelssohns  auf  Wagner  i)  bleiben  konnte, 
denn  er  zog,  obzwar  ein  Deutscher,  mit  fliegenden  Fahnen 
in  die  Pariser  Große  Oper  ein:  Webers  Mitschüler  bei  Abt 
Vogler ,  Jakob  Beer ,  (als  Erbe  eines  reichen  Verwandten 
Namens    Meyer   unter  Italienisierung    des  Vornamens)    genannt 

^^^y^^Jf  «"■'  G  i  a  c  0  m  0  Meyer  beer.  Geboren  5.  Sept.  1791  als  der  Sohn 
eines  reichen  Bankiers  in  Berlin,  zählte  er  zu  seinen  Lehrern  Fr. 
Lauska,  Clementi,  dann  Zelter,  Bernh.  Anselra  Weber  (KM.  und 
Opernkoraponist ,  Nachahmer  Glucks,  f  1821  in  Berlin)  und  Abt 
Vogler.  Da  seine  Erstlingsopern  in  Deutschland  keinen  Erfolg  hatten, 
wandte  sich  M.  —  er  hatte    bisher   nur  als  Pianist  Beifall   gefunden ! 

—  1815  nach  Italien,  wo  er  unter  Rossinis  Einfluß  eine  ganze 
Reihe  längst  vergessener  Opern  schrieb.  Nach  lOjährigem  „Italiener- 
tum"  nahm  M.  1826  seinen  Wohnsitz  in  Paris,  fand  dort  in  Scribe 
einen  Textdichter,  wie    er   ihn    brauchte,    und    wurde  —  „Franzose". 

Robert.  Seine  erste  französische  Oper:  „Robert  der  Teufel"  (1831) 
machte  ihn  mit  einem  Schlage  zum  berühmten  Manne.      1836 

no"fen.  errangen  „Die  Hugenotten"  gleich  glänzenden  und  nach- 
haltigen Erfolg.  M.  verstand  es,  sich  den  ganzen  Apparat  der 
Großen  Oper,  diese  zur  höchsten  Blüte  treibend,  dienstbar  zu 
machen  und  gewann  durch  seine  melodie-  und  effektreiche, 
dramatisches  Feuer  und  Leben  atmende,  vielfach  großartige 
Musik  den  Beifall  der  Menge.  In  Berlin,  wo  er  seit  1842, 
von  Friedrich  Wilhelm  IV.  zum  GMD.  ernannt,  wieder  lebte, 
schrieb  er  1844  die  spezifisch  preußische,  militärisch-patrio- 
tische Oper  ,,Ein  Feldlager  in  Schlesien"  (in  Wien  als  ,,Vielka" 
gegeben,  die  Musik  später  einem  neuen  Pariser  Operntexte : 
,,Der  Nordstern"  angepaßt  und  1854  in  der  Pariser  Komi- 
schen Oper  aufgeführt).  In  Berlin  schuf  M.  u.  a.  die  Ouver- 
türe und  Zwischenaktsmusik  zu  der  Tragödie  ,,Struensee" 
seines  Bruders  Michael  Beer  —  ein  hervorragendes,  nahezu  klassi- 
sches Werk  mit  förmlich  Beethovenschen  Zügen,  das  der  Kom- 
ponist selbst  mit  Recht  besonders  hochhielt;  ferner  die  Chöre 


^)  Vgl.   z.  B.    den  Beginn   der  Mendelssohnschen  Ouvertüre  zur 
„Schönen  Melusine"  mit  Wagners  Rheinflutenmotiv. 


Meyeibeei-.  267 

zu  Aeschylos"  ,,Eumeniden".  In  Paris  gingen  dann  die  letzten 
drei  Sensationsopern  M.s  erstmals  in  Szene:  1849  „Der 
Prophet",  1859  „Dinorah",  und  erst  nach  M.s  Tode,  der 
unerwartet  am  2.  Mai  1864  zu  Paris  eintrat,  ,,Die  Afri- 
kaner in"  (April   1865). 

M  schrieb  noch  Kantaten  („Der  Genius  der  Musik  an  Beethovens 
Grabe"),  Hymnen,  Klopstocksche  Oden  für  Soloquartett,  doppelchörige 
Psalmen  usw  ,  ferner  eine  Reihe  glänzender  Gelegenheitsnuisiken  für 
Hoffestlichkeiten:  Fackeltänze,  Hochzeitsmusiken,  Kröuungs-  und 
Festmärsche  usw.,  endlich  eine  Anzahl  ihrer  Zeit  viel  gesungener 
Lieder.  Seinen  Weltruhm  aber  und  seine  bisher  trotz  aller  Gegen- 
reden unvergängliche  musikgeschichtliche  Bedeutung  verdankt  M. 
vor  allem  den  beiden  Opern  Robert  der  Teufel  und  Huge- 
notten,^) die  mit  ihrer  hochragenden  Arbeit  den  deutschen 
Meister  verratend,  bisher  nichts  von  ihrer  Anziehungskraft 
eingebüßt  haben  und  sich  auch  nach  Wagner  noch  heute 
überall  auf  der  Bühne  behaupten.  Der  „Effekt"  allein  vermöchte 
das  nicht,  wäre  er,  wie  die  Gegner  sagen,  bei  M.  unkünstlerischer 
Selbstzweck  anstatt  ein  künstlerisches  .Mittel  zum  Zweck.  Und  mit 
dem  Vorwurf  des  lärmenden  und  falschen  Pathos,  den  man  gegen 
M.s  Opern  wie  gegen  gewisse  Kirchenbilder  des  17.  und  18.  Jahr- 
hunderts erhebt,  paart  sich  schiecht  die  unbedingte  Anerkennung  für 
M.s  eminentes  Genie  und  seine  ,,hohe  Meisterschaft  in  der  Beherrschung 
der  Formen  und  der  Mittel  der  Darstellung"  [Kiemann].  Vor  einem 
Meister,  der,  man  mag  über  ihn  denken  wie  man  will.  Beweise 
eines  so  immensen  Talentes  und  Könnens  gab,  wie  nur  wenige, 
gilt  es  tief  den  Hut  ziehen.  „Viele  Musiker,  die  gegen  sprechen, 
wären  wohl  froh,  wenn  sie  es  ihm  nachmachen  könnten"  (Rubin- 
stein). Und  was  wären  noch  für  ,, Effekte"  aus  jenen  Opera  heraus- 
zuholen, ließen  unsere  Kapellmeister  und  Regisseure  mehr  Sorg- 
falt als  gewöhnlich  bei  der  Inszenierung  walten.  .  . 

Der  beliebten  Vorlästerung  M.s  gegenüber  ziemt  es  nicht  zuletzt 
der  edlen  Charakterzüge  des  Meisters  zu  gedenken,  der  „hilfreich  und 
gut"  gar  vielen  Jüngeren  Talenten  zur  Stellung  oder  zur  Auffuhrung  (u. 
a.  Wagners  „Fliegendem  Holländer"  zu  Berlin)  verhalf,  und  schließ- 
lich ein  hochherziges  Legat  (30000  Mark,  die  M  ey  erbeer-Sti  ftung) 
für  talentvolle  junge  deutsche  Komponisten  testierte.^) 

In  gewissem  Abstände  von  Meyerbeer,  doch  immerhin  in 
der  ersten  Reihe  der  Komponisten  der  Großen  Oper  erblicken 
wir    den    Cherubini-Schüler    J.   Fromental  Halevy    (1799    bis     Haiövy 


1)  Klavierauszug  A  :  B.  &  H.,  OL.,  EP. 

1)  B.:  Lassalle;  Pougin  (1864) :  H.Mendel:  J.  Schucht  1869;  Kohut 
Lpz.  Reclam.*  —  L, :  „M. -Studien"  von  Dr.  Cornel.  Preiß  (i.  Vorher.) 


268 


III.  Neuzeit. 


1862)  mit  seinem  von  glänzendem  Erfolge  begleiteten,  melodisch 
und  dramatisch  gehaltvollem  Hauptwerk  „Die  Jüdin"  (1835) 
dem  er  eine  entzückend  vornehme  komische  Oper  ,,Der  Blitz" 
zur  Seite  stellte,  i) 


Deutsche  Konnte  sich  unter  den  Nachzüglern  der  Spohr-Weberschen 

pi  oper.  ß|(.jj^^^j^g  jj^j^.  Konradin  Kreutzer,  der  Komponist  schöner,  volks- 
reutzer.  j^ymüch  gewordener  Männerchöre  („Die  Kapelle",  „Der  Tag  des  Herrn"), 
eine  zeitlaug  HKM.  in  Stuttgart  und  Wien,  f  1849,  mit  seinem  me- 
lodienreichen ,, Nachtlager  von  Granada"*  und  der  Musik  zu 
Raimunds  ,, Verschwender"  behaupten,  so  gelang  es  dafür  einer 
Gruppe  überaus  sympathischer  Tonsetzer,  das  deutsche  Sing- 
spiel zur  romantisch-komischen  Spieloper  in 
Deutschland  auszugestalten.  Das  Haupt  dieser  Gruppe  ist 
der  Berliner  Albert  Lortzing-)  (1803 — 51).  Aus  einem 
sorgen-  und  kummervollen  Kapellmeisterleben  heraus  schuf  er, 
Textdichter  und  Komponist  in  einer  Person,  humorvolle  Werke 
von  echt  deutscher  Innigkeit  und  Anmut  wie:  ,,Zar  und  Zim- 
mermann" (1837)*,  „Der  Wildschütz"  (1842)*,  „ündine"* 
und  ,,Der  Waffenschmied"*.^)  Nach  ihm  wurde  Otto  Nicolai 
aus  Königsberg  berühmt  als  Komponist  der  köstlichen  Oper 
„Die  lustigen  Weiber  von  Windsor"  (1849),  deren  in  Wagners 
„Meistersingern"  nachklingende  Eigenart  Humor  und  Romantik 
atmet.  N.  war  HKM.  in  Wien,  wo  er  die  philharmonischen  Konzerte 
gründete,  u.  Berlin,  f  1849.*)  Erfolgreich  bis  zur  Popularität  endlich  wurden 
„Stradella"  und  „Martha"  (1847),  die  beide  heute  noch  frischen, 
von  französischer  Grazie  und  Pikauterie  angehauchten  Hauptopern 
des  Freiherrn  Friedr.  v.  Flotow  (f  IBSS).^) 


Lortzing. 


Nicolai. 


Flotow. 


Abseits  vom  geräuschvollen  Opernplatz  ragt  um  Hauptes- 
länge nächst  Schubert  und  Weber    aus  den  Reihen  der  Nach- 


1)  B. :  Leon  Halevy  (der  Bruder)  1862,  Pougin  (1865).  Vgl.  S.  257.M 

-)  B. :  Düringer,  1851;  Wittraann,  Lpz.  Reclara;*  Kruse,  Brl. 
„Harmonie"  (ill.).  —  L.s  Briefe  [Kruse]  02.  —  D. :  Pyrmont  (Uphues)  Ol; 
Berlin  (Eberlein);  Detmold  (Hölbe)  04. 

^)  NA.  der  oben  mit  einem  *  versehenen  Opernwerke  (Klavier- 
auszug) GL.,  EP.,  UE. 

*)  B.:   H.  Mendel,  ISfiS.  —  N.s  Tagebücher  [B.  Schröder]  1892. 

5)  B.  [F.s  Witwe]  1892.  —  Vgl.  Dr.  E.  Istel:  „D.  kom.  Op.". 
histor.-ästh.  Studie,  06,  Stuttgart.  Grüninger:  K.  M.  Klob,  D.  kom.  Op. 
nach  Lortzing,  Brl.  „Harmonie". 


Die  deutsche  Spieloper.     F.  Mendelssohn-Bartholdy.  269 


klassiker  das  Dioskurenpaar  Mendel  ssohn  und  Schumann 
hervor. 

Selten  wurde  ein  Tonkünstler  gleich  zu  Beginn  seiner 
Laufbahn  so  gefeiert  und  dann  in  verhältnismäßig  jungen  Jahren 
so  reich  ausgezeichnet  wie  der  ungewöhnlich  früh  begabte 
Felix  Mendelssohn-Bartholdy,  der  am  3.  Febr.  1809 
in  Hamburg  geborene  Enkel  des  Philosophen  Moses  und  Sohn  ^^endeis- 
des  Bankiers  Abraham  M.  Im  Schooße  einer  reichen  imd  gebildeten  t  i847. 
Familie  erhielt  er  in  Berlin,  wohin  der  Vater  übersiedelte,  die  aus- 
gezeichnetste wissenschaftliche  und  musikalische  Ausbildung:  in  der 
Theorie  bei  Zelter,  im  Klavierspiel  bei  Ludw.  Berg  er  und 
Moscheies,  im  Violin-  und  Orgelspiel  bei  Henning  und  A.  W. 
Bach.  Schon  im  15.  Lebensjahre  konnte  er  seine  vierte  kleine  Oper  Jugend. 
„Die  beiden  Neffen"  daheim  zur  Aufführung  bringen.  Aber  die  Wahl 
der  Musik  zum  künftigen  Lebensberufe  billigte  der  verständige  Vater 
erst,  nachdem  1825  zu  Paris  C  h  e  r  u  b  i  n  i  sein  freudig-anerkennendes 
Urteil  abgegeben.  Ein  wiederholter  Besuch  bei  Goethe  in  Weimar 
errang  ihm  des  Dichters  herzliche  Teilnahme  —  M.  blieb  fortan  in 
anregendem  und  fruchtbringendem  Verkehr  mit  ihm.*)  1827  bezog  er, 
mit  klassischer  Bildung  ausgestattet,  die  Universität  zu  Berlin.  Aber 
auch  in  körperlichen  Uebungen :  im  Turnen,  Fechten  und  Schwimmen, 
sowie  im  Zeichnen  ward  er  Meister. 

1826  schuf  er,  17  Jahre  alt,  die  unsterbliche  Ouvertüre 
zum  „Sommernachtstraum",  1825 — 28  weiter  eine  Reihe  seiner 
bekanntesten  Werke :  das  Oktett,  das  A  moll-Quartett,  seine 
erste  und  letzte  Oper  ,,Die  Hochzeit  des  Gamacho",  die  Ouver- 
türe ,, Meeresstille  und  glückliche  Fahrt''  und  das  £'sdur- 
Quartett  op.  12.  1829  verzeichnet  er  eine  bedeutungsvolle 
Tat:  die  Aufführung  von  Bachs  Matthäus-Passion,  die  erste 
seit  Bachs  Tode.  Mendelssohns  unvergleichliches  Direktions- 
talent trat  schon  hier  zu  Tage. 

Reife  Früchte  trugen  bald  große  Reisen  nach  England  Reisejahre, 
(das  Naturwunder  der  Fingalshöhle  auf  Schottland  gab  ihm 
Anregung  zur  Hebriden- Ouvertüre  und  der  sog.  schot- 
tischen Sy mphonie-^  moU),  dann  —  über  München,  Wien 
(wo  er  das  schöne  ,,Ave  Maria"  komponierte)  —  nach  Jtalien 
(,, italienische"  Symphonie  A  dur).  In  Rom  entstanden  die  Mo- 
tetten op.  39  und  die  ,, Walpurgisnacht".  Zurückgekehrt,  wandte 
er  Berlin  bald  wieder  den  Rücken  —  arg  verstimmt,  weil  man  seine 
Bewerbung  um  den  erledigten  Direktorposten  bei  der  Singakademie 
zurückwies.     Während   eines   zweijährigen  Wirkens  in  Düsseldorf 


1)  Vgl.  Dr.  K.  Mendelssohn-Bartholdy,  Goethe  und  F.  M.  B. 
Mit  M.s  Portrait  aus  dessen  12.  Lebensjahre.     Lpz.  1871. 


270 


III.    Neuzeit. 


als  städtischer  Musikdirektor  —  1833  leitete  er  zu  Düsseldorf  das 
niederrheinische  Musikfest  und  gab  glänzende  Beweise  seines  Direktions- 
talentes —  schrieb  er:  Capricen  (op.  33  No.  1  und  2),  Lieder  ohne 
Worte,  Fugen,  Rondo  in  Jts  (op.  29)  für  Pianoforte,  einstimmige  und 


die  ersten  vierstimmigen  Lieder,  sowie  Teile  des  „Paulus".  1835  berief 
Leipzig,  man  M.  nach  Leipzig  zur  Direktion  der  Gewandhauskonzerte, 
die  durch  ihn  zu  europäischer  Berühmtheit  gelaugten.  Der  kunst- 
sinnige König  von  Preußen  Friedrich  Wilhelm  IV.,  ein  warmer  Ver- 
ehrer M.s,  suchte  ihn  unter  besonderen  Auszeichnungen  wiederholt  an 
Berlin  zu  fesseln,  allein  M.  fühlte  sich  in  der  für  ihn  vielfach  mißlichen 


Romantik.    F.  Mendelssohn-Bartholdy.  271 

Berliner  musikalischen  Sphäre  —  dort  stand  Me}'- erbeer  an  der  Spitze 
der  Oper,  Kungenhagen  leitete  die  Singakademie,  X e i t h a r d t  den 
Domchor,  und  so  blieb  für  M.  eigentlich  kein  Raum  übrig  —  nicht 
heimisch  und  kehrte  immer  wieder  nach  seinem  geliebten  Leipzig 
zurück,  hier  1843  das  bald  blühende  imd  berühmte  Konser-  Konserva- 
vatorium  (unter  den  Lehrkräften  u.  a.  Moritz  Hauptmann,  Rob.  torium. 
Schumann,  David!)  gründend. 

Auf  Anregung  Friedrich  "Wilhelms  IV.  entstanden  die  prächtigen 
Musiken  zu  Sophokles'  „Antigone"  und  „Oedipus  auf  Kolonos",  zu 
Racines  ,,Athalia",  zu  Shakespeares  ,, Sommernachtstraum",  wie  mehrere 
liturgische  Chöre  für  den  Berliner  Domchor. 

M.s  rastlose  Tätigkeit  hatte  sein  auUerordentlich  feines  Nerven- 
system erschöpft,  seine  Körperkräfte  vorzeitig  aufgerieben.  Als  er  bald 
nach  den  ruhmreichen  selbstgeleiteten  Festaufführungen  seines  , Elias" 
in  England  (Birmingham  1846,  London  1847)  die  erschütternde  Nachricht 
vom  jähen  Tode  seiner  ihm  über  alles  teuren  Schwester  Fanny  erhielt, 
war  sein  Lebensmut  dahin.  Aus  der  letzten  Lebenszeit  stammen 
die  3  Motetten  op.  69,  das  /'^moll-Quartett  op.  80  und  eine 
Anzahl  Lieder  (,, Vergangen  ist  der  lichte  Tag"  u.  a.).  Am 
4.  November  1847   erlag  er  einem  Schlagfiusse  —  38  Jahre  alt. 

Zu  Lebzeiten  hervorragend  ausgezeichnet  er  wurde  u.  a.  1830 
Doktor  h.  c.  der  Universität  Leipzig,  1841  Sächsischer  IIKM.,  1842 
Königl.  Preuß.  GMD.,  1843  Ehrenbürger  der  Stadt  Leipzig)  und  viel- 
leicht manchmal  überschätzt,  wird  M.  heute  entschieden  unterschätzt. 

DieKlavier-Literatur  bereicherte  er  durch  die  „Lieder  ohne     'ohn" 
Worte"  (vgl.  Schubert,  S.  251  unt.):  anmutige,  tiefempfundene     Worte. 
Stimmungsbilder    unterschiedlichen  Charakters    in   künstlerisch 
vollendeter  Form.^)     Sie  fanden  sehr  viele  Nachahmungen.     Es 
ragen  unter  den  anderen  Klavierkompositionen  besonders  hervor: 
Capriccio    in   .Fis  moll,    Rondo    capriccioso,    die  Präludien    und 
Fugen  und  die  Variations  serieuses;  mit  Orchester:  das  ^"aiw"rke. 
(?  moll-Konzert,    das  -C«  dur-Rondo    und   das  //^moll-Capriccio, 
—  sie  haben  alle  von  ihrer  glänzenden  Wirkung  im  Konzert- 
saale noch  nichts  eingebüßt;  —  unter  den  Kammermusikwerken 
neben  dem  Oktett  die  beiden  Klaviertrios,  die  Streichquartette, 
das  Quintett  op.  87.     Die  Orgel-Literatur   verdankt    ihm  Prä- 
ludien, Fugen  und  Sonaten. 

In  der  Instrumentalmusik  stellte  M.  das  Phantastische 
glänzend  dar.  Ist  er  hier  einerseits  von  Weber ,  den  er 
schwärmerisch  verehrte,  beeinflußt,  so  zeitigte  seine  originelle 
Elfenmusik  wiederum  viele  ähnliche  echt  romantische  Schöp- 
fungen   (z.    B.    Nikolais    ,,Lust.    Weiber").      „In    der   Treue    der 


1)  NA.:  CL.  (instr.);  EP..  ES.,  UE. 


272 


III.  Neuzeit. 


Sympho- 
nien. 
Ouver- 
türen. 


Violin- 
konzert. 


Paulus. 
Elias. 


Lieder. 


Naturschilderung  durch  Töne  konnte  er  nicht  allein  Beethoven,  sondern 
auch  Weber  übertreffen,  wie  z.  B.  in  seiner  Ouvertüre  ,Meeresstille 
und  glückliche  Fahrt';  und  es  sogar  unternehmen,  landschaftliche 
Bilder  lediglich  mit  Hilfe  orchestraler  Mittel  zur  Anschauung  zu 
bringen,  wie  in  der  Ouvertüre  ,Die  Hebi'iden'  und  den  Symphonien  in 
A  dur  und  A  moll,  die  ihre  Beinamen  der  ,italienischen'  und  , schotti- 
schen' mit  doppeltem  Rechte  tragen,  weil  sie  außer  dem  nationalen 
auch  den  landschaftlichen  Charakter  dieser  Länder  in  ihrer  Musik 
wiederspiegeln"  (Langhans).  Die  obgenannten  Konzertouver- 
turen  —  einsätzige  Orchesterwerke  in  Sonatenform  —  sind  mit 
ihrem  programmatischen  Inhalt  eine  Art  Vorläufer  der  symphonischen 
Dichtung.  Obenan  unter  M.s  Schöpfungen  stellt  sein  Violin- 
konzert, nach  dem  freilich  weit  gewaltigeren  Beethovenschen 
unbedingt  das  schönste  und  vollkommenste  der  Gattung.  David 
stand  ihm  Pathe.  i) 

In  seinen  beiden  großen  Oratorien  , Paulus'  (1836)  und 
, Elias'  (1846),  den  bedeutsamsten  Werken  dieser  Gattung  seit 
Haydn,  knüpft  er  an  Bach  und  Händel  an,  während  seine  Zeit- 
genossen Friedrich  Schneider  und  Spohr  sich  der  Wiener  Schule  an- 
schlössen. Ein  drittes  Oratorium  „Christus"  blieb  (ebenso  wie  ein 
Opernversuch,  Geibels  „Loreley")  unvollendet.  Von  Kirchenstücken 
nennen  wir  den  genialen  114.  Psalm  mit  Orchester  „Da  Israel  aus 
Aegypten  zog". 

Viele  seiner  Lieder  2)  wurden  volkstümlich  im  edelsten 
Sinne  des  Wortes,  so :  ,,Es  ist  bestimmt  in  Gottes  Rat",  die 
herrlichen  Männerchöre :  ,,Wer  hat  dich,  du  schöner  Wald", 
,,0  Täler  weit,  o  Höhen"  (mit  dem  Dichter  Frhrn.  v.  Eichendorff 
war  M.  eng  befreundet),  ,,Wem  Gott  will  rechte  Gunst  er- 
weisen", und  die  Frauenduette.  Seine  Quartette  für  gemischte 
Stimmen  —  ,,im  Freien  zu  singen"  —  enthalten  in  den  ersten 
drei  Heften  das  Kostbarste  dieser  Gattung  überhaupt.  —  Bülow 
sagte  einmal  von  M.  ^) :  er  mutete  sich  nie  mehr  zu,  als  er  leisten 
konnte,  aber  er  schreibt  tür  Klavier,  wie  es  für  Klavier  paßt,  ebenso 
für  Orchester,    ebenso    für  Gesang  —  er  ist  ein  klassischer  Meister.*) 


1)  Vgl.  J.  Eckardt,  Ferd.  David  u.  d.  Familie  M.-B.  Lpz.  1888. 

2)  NA.:  CL.,  EP.,  ES.,  UE. 

3)  Pfeiffer,  Studien  b.  H.  v.  Bülow,  Lpz. 

*)  G.  A.  [J.  Rietz]  I.  Sinf.  II.  Ouvert.  III.  Marsch  f  Orch.  IV. 
VI.  Konz.  V.,  VL  K.-Mus.  VII.  Für  Blas  Instr.  VIII.  f.  Kl.  u.  Orch. 
IX.  Kl.  u.  Saiteninstr.  X.  Kl.  4hdg.  XI.  Kl.  solo.  XII.  Orgel.  XIII.  Orat. 
XIV.  Geistl.  Ges.-Wke.  XV.  Gr.  weltl.  Ges.-Wke.  XVI.  Lieder  f.  gem. 
Stimmen.  XVIL  f.  M.-Ch.  XVIII.  Lieder  f.  2  Stimmen  u.  Kl.  XIX. 
Lieder  f.  1  Singst,  u.  Kl.  Lpz.  B.  &  H.     Vgl.  die  früheren  Noten. 

B, :  W.  A.  L  am  päd  ins.  Mit  Porträt  und  einem  faksimilierten 
Briefe  Ms  (an  Rob.  Franz).     Lpz.  1886,  Leuckart.  —   Schrader,  Lpz. 


Romantik.     Robert  Schumann.  273 

Und  nun  von  Mendelssohn,  dem  klassizistischen 
Meister  der  Romantik,  zur  Verkörperung  echt  deutscher,  ro- 
mantischer Tonpoesie:  Robert  Schumann!  Am  8.  Juni  Schumann, 
1810  wurde  er  als  der  jüngste  Sohn  des  auch  schriftstellerisch  tätigen  "*"  ^^^^' 
Buchhändlers  August  Schumann  zu  Zwickau  geboren.  Sein  erster 
Klavierlehrer  schon,  Organist  Baccalaureus  J.  G.  K  u  n  t  s  c  h  ,  erkannte 
des  7jährigen  Knaben  „herrliches  Musiktalent-,  seine  „lebhafte  Phan- 
tasie" und  -glühende  Liebe  zur  Tunkunsf,  die  sich  bald  auch  in  Kom- 
positionsversuchen äußerten.  Den  ersten  tiefen  Kunsteindruck  empfing 
S.  1819  zu  Karlsbad  i.  Böhm,  durch  das  Spiel  des  berühmten  Klavier- 
virtuosen Moscheies.  Dem  17jährigen  aber  erschlossen  die  ersten 
Lieder  von  Schubert  eine  neue  Welt,  und  eine  schwärmerische  Ver- 
ehrung für  Jean  Paul  gewann  neben  der  Phantastik  eines  E.  T.  A. 
Hoffmann  Einfluß  auf  seine  Anschauungen  und  Stimmungen  wie  atit 
die  eigenen  dichterischen  Produktionen.  1828  bezog  S.  die  Uni- Studienzeit, 
versitäten  Leipzig  und  Heidelberg  —  auf  den  Wunsch  seiner 
inzwischen  verwitweten  Mutter,  aber  gegen  seine  eigene  Neigung. 
Neben  dem  trockenen  Jus  vertiefte  er  sich  in  die  Klavierwerke 
Schuberts  und  Bachs.  Jener  Zeit  entstammen  die  Variationen 
über  den  Namen  „Abegg",^)  die  Toccata  und  mehrere  Stücke 
aus  den  P  a  p  i  1 1  o  n  s  —  Werke,  in  denen  S.,  bis  dahin  Autodidakt, 
als  Komponisten-Iudividualität  bereits  völlig  fertig  vor  uns  steht. 
1830  endigte  S.  seinen  jahrelangen  „Kampf  zwischen  Poesie  und  Prosa, 
zwischen  Kunst  und  Jus",  um  sich  in  Leipzig  zum  Klaviervirtuosen 
auszubilden;  zuerst  beiFr.  Wieck,  dem  angeschenen  Pädagogen  und  wieck. 
Lehrmeister  seiner  Töchter  Clara  und  Marie  if  1873  zu  Loschwitz  b. 


Reclam*.  Dr.  E.  Wolff,  Brl.  „Harmonie"  ill.  —  Vgl.  auch  G.  Groves 
Dictionary  of  Music.     London. 

L.  (Briefe):  Karl  Voigt  (an  Frau  Henriette  Voigt).  Lpz.  1871, 
Grunow ;  Ferd.  Hiller,  F.  Mendelssohn.  Briefe,  Erinnerungen.  Köln 
1874,  [Du  Mont-Schauberg] ;  F.  Moscheies  (an  Ignaz  und  Charlotte 
Moscheies),  Lpz.  1888;  J.  Schubring,  Briefwechsel  zw.  F.  M.  u.  J. 
Schubring,  Lpz.  1892;  Seb.  Hensel,  Die  Familie  Mendelssohn.  1729  bis 
1847:  nach  Briefen  [und  Tagebüchern,  8.  A.  2  Bde.  1895;  Paul  und 
Carl  Mendelssohn  Bartholdv,  Briefe  v.  F.  M.  Bd.  I.  Reisebriefe  aus 
1830—1832.  Bd.  H  Briefe' aus  1830—1847;  nebst  einem  Verzeich- 
nis sämtlicher  Kompositionen  M.s  (J.  Rietz).  Lpz.  H.  Men- 
delssohn ;  Ed.  Devrient,  Meine  Erinnerungen  an  M.  u.  s.  Briefe  an 
mich,  Lpz.  1869 ;  EUse  Polko,  Erinnerungen  a.  M.  Lpz.  Brockhaus.  — 
Vgl.  noch  G.  Höcker :  Drei  große  Tondichter :  Weber,  Schubert,  Men- 
delssohn, Flemming,  Glogau. 

D.:  London  1860,  Leipzig  1892. 

1)  Dieser  sowie  der  Name  der  böhmischen  Grenzstadt  ASCH, 
über  dem  S.  seinen  , Karneval'  aufgebaut,  verraten  die  Beziehungen 
zu  einer  Jugendliebe.  Vgl.  ,Ernestine  v.  Fricken,  S.s  erste  Braut'  in 
Frhr.  Prochäzkas  „Arpeggien"  n.  d.  Briefe  des  Tondichters. 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.  18 


274 


III.  Neuzeit. 


Dresden) ') ,  dann  bei  Hummel.  Den  Plan  zur  Virtuosenlaufbalm 
vereitelte  jedoch  eine  Lähmung  der  rechten  Hand,  die  S.  sich  durch 
eine  selbstersonnene ,  recht  bedenkliche  Fingergymnastik  zugezogen 
hatte.  Nunmehr  wandte  sich  S.  ausschließlich  der  Komposition  zu. 
Nur  wenige  Monate  theoretischen  Unterrichts  bei  dem  Theater-Kapell- 


meister Heinrich  Dorn  (dem  hochgeschätzten  Tonsetzer  zahlreicher 
Opern  [„Die  Rolandsknappen"]  wie  vielgesungener,  humorvoller  Lieder, 
und  Schriftsteller  2),  f  1892)  gingen  voran. 


1)  S.  Dr.  V.  Joß   (MS.   und  Kunstkritiker  Prag,   *  1869   ebda.) : 
F.  W.  u.  s.  Familie,  Dresd.,  Damm  02. 

2)  S.  „Aus  meinem  Leben".  7.  Teile,   Brl.  1870—86.    D.  bildete 
u.  a.   auch  die  Sängerin  Marie  Seebach-Nieniann,   ferner  zu  tüchtigen 


Romantik.     Robert  Schumann. 


275 


Lieder- 
frUhling. 


Zunächst  schrieb  S.  fast  nur  Klavier  werke,  die  —  ins-  ^1^^"^' 
besondere  gegenüber  dem  strengen  Formalismus  Mendelssohns  — 
teilweise  nicht  frei  von  Sonderbarkeiten  und  formellen  Mängeln, 
von  einem  Ideenreichtum  überquellen,  wie  er  in  seinen  späteren 
Werken  nur  selten  wieder  zutage  tritt.  So  die  drei  Sonaten, 
die  Phantasiestücke,  die  Symphonischen  Etüden,  Kreis- 
ler ia  na  (op.  16,  angeregt  durch  E.  T.  A.  Hoffmanns  Selbst- 
porträt, den  „Kapellmeister  Johannes  Kreisler"),  Kinder- 
szenen, Novelletten,  Romanzen,  den  Carnaval,  die  Fantasie 
op.  17,  Humoreske  und  den  Faschingsschwank  —  treue  Wieder- 
spiegelungen eines  bewegten  Seelenlebens.  Anfang  1840  warf 
sich  S.,  nachdem  er  das  von  Schubert  und  Mendelssohn  ein- 
geführte Miniatur  stück  für  Klavier  voll  ausgeprägt,  auf 
die  Liederkomposition  und  schuf  innerhalb  eines  Jahres 
eine  wahrhaft  staunenswerte  Zahl  der  herrlichsten  Gesänge  — 
die  „Myrthen",  die  Liederkreise  von  Heine  (op.  24  und  48 
„Dichterliebe"),  Kerner,  Reinick,  Rückert,  Eichendorff  (op.  39), 
Chamisso  (op.  42,  „Frauenliebe  un  d  -Leben"),  Balladen 
und  Romanzen  usw.^)  In  seinen  Liedern,  die  gleich  den  meisten 
andern  Werken  Gemütstiefe  mit  starker  Leidenschaftlichkeit 
paaren,  ging  S.  nicht  als  Musiker,  wohl  aber  als  Poet- 
Musiker  über  Schubert,  den  Neuschöpfer  der  Gattung  hinaus, 
diese  weiter  entwickelnd.  Indem  er  die  Vorherrschaft  der  Melodie 
brach,  und  ihr  die  Begleitung  als  ebenbürtigen,  an  der  Charakteristik 
lebhaften  mitbeteiligten  Faktor  zugesellte,  kam  er  mit  der  Musik  den 
dichterischen  Intentionen  noch  schärfer  bei.  Die  Ansprüche  der  Lyrik 
selbst  waren  inzwischen  gewachsen,  neben  Goethe  hatten  Heine,  Cha- 
misso, Burns,  Lenau,  Geibei  eine  wesentlich  geläuterte  Poesie  ge- 
schaffen, der  nun  das  Schumannsche  Lied  durch  überaus  feine  Detail- 
arbeit gerecht  wurde.  Inabesondere  Heine  übte  immer  größeren 
Einfluß. 

Noch  1840  erwarb  S.  die  philosophische  Doktorwürde  von 
der  Universität  Jena  und  vermählte  sich  trotz  des  Widerspruchs 
des  Vaters  mit  Clara  Wieck.^j  Das  tiefe  Glücksgefühl  ^^"1/;^^^°°'^ 
zeitigte  eine  mächtige  Steigerung  seines  künstlerischen  Ver- 
mögens. Es  entstanden  2  Symphonien:  die  in  B  (,,Früh- 
lingssyraphonie")    und    D  moll    (,,Symphonistische  Phantasie"), 


Kammer- 
musik. 


Komponisten  seine  beiden  Söhne  Alexander  (f  Ol)  und  Otto  (^MS. 
Wiesbaden;  Opern,  Lieder)  aus. 

*)  Vgl.  Max  Friedländer  in  Peters'  Jahrb.  1897. 

2)  Vgl   Joß:  F.  W.  u.  s.  Verhältnis  z.  R.  Seh.,  Dresd.,  00. 

18* 


276  m«  Neuzeit. 


nebst  der  dreisätzigen  ,,Sinfonetta" :  Ouvertüre,  Scherzo  und 
Finale ;  dann  die  drei  Streichquartette,  das  Klavier- 
quintett und  das  Klavierquartett,  —  Werke  vom  Schönsten, 
was  die  nachbeethovensche  Zeit  in  dieser  Gattung  aufzuweisen 
hat;  namentlich  das  populär  gewordene  Quintett  steht  in  der 
Kammermusik-Literatur  einzig  da. 

Chorwerke  1843  folgen  die  köstlichen  Variationen  für  zwei  Klaviere 

u.  a,  °  /-,  1 

und  sein  schönstes  und  populärstes  Chorwerk:  ,,Das  Paradies 

und  die  Per i";  es  ist,  obgleich  wirksamer  Kontraste  ent- 
behrend, mit  Mendelssohns  ,Walpurgisnacht'  ein  klassisches  Bei- 
spiel der  modernen,  chorischen  Konzertkantate.  Nach  kurzer 
Lehrtätigkeit  am  neubegründeten  Konservatorium  (s.  S.  271) 
siedelte  S.  Ende  1844  nach  Dresden  über,  wo  er  sich  haupt- 
sächlich kontrapunktischen  Studien  hingab,  deren  Frucht  die 
Fugen  op.  60  (über  B-a-c-h)  und  op.  72,  sowie  die  kanonischen 
Studien  (op.  56)  und  Skizzen  (op.  58)  für  Pedalflügel  waren. 
Von  Werken  in  größeren  Formen  schuf  er  dort:  das  Klavier- 
konzert in  ^moll  op.  54  —  das  bedeutendste  nach  Beet- 
hoven —  die  3.,  Cdur- Symphonie,  die  Klaviertrios  in  -Dmoll  und 
FduY,  die  Musik  zu  Byrons  ,,Manfred"  (deren  Ouvertüre  zu 
S.s  vollendetsten  Orchesterwerken  zählt,  vgl.  S.  182)  und  zur 
Schlußszene  des  Faust;  ferner  die  Oper  ,,Genoveva",  mit 
diesem  undramatischen  Werke  das  Schicksal  Schuberts  und 
Mendelssohns  als  Opernkomponisten  teilend. 

Nur  in  einem  Pimkte  zeigt  unser  Meister  eine  auffallende  Schwächet 
in  der  Instrumentation.  „S.s  Orchesterwerke  klingen  nicht",  be- 
merkt einmal  Bülow ;  „es  sind  Klavierstücke,  schlecht  für  Orchester 
gesetzt.  Das  schönste  Orchesterstück  von  Schumann  ist  der  4.  Satz 
seiner  4.  Sinfonie  (Rheinische),  wo  er  die  Gothik  des  Cölner  Domes 
musikalisch  ilhistriert."  Umso  größere  Anforderungen  stellen  diese 
Orchesterwerke  an  den  Dirigenten  im  Hervorheben  der  Linienführung. 
Diese  tritt  in  der  Klavierübertragung  klarer  imd  genußreicher  hervor,, 
als  in  der  dickflüssigen  Instrumentierung. 
Schaffen  1850   wurde    S.    städtischer  Musikdirektor    in  Düsseldorf. 

Seine  Werke  aus  dieser  Periode  zeigen  ein  Nachlassen  der  schöpfe- 
rischen Phantasie :  gleichwohl  sind  einige  von  ihnen  den  schönsten 
Gaben  seines  Genius  würdig  an  die  Seite  zu  stellen.  Es  entstanden  die 
4.,  Es  dur-Symphonie,  die  Ouvertüren  zur  „Braut  von  Messina",  zu  „Julius 
Cäsar",  vielerlei  Kammermusikwerke,  die  Chorwerke :  „Der  Rose 
Pilgerfahrt",  „Vom  Pagen  und  der  Königstochter",  die  Messe  und 
das  Requiem,  die  Balladen  für  Männerchor:  „Königssohn",  „Sängers 
Fluch",  „Das  Glück  von  Edenhall". 

Schon    früher    hervorgetretene   Anfälle    nervöser   Ueberreizung 
wiederholten  sich  in  verstärktem  Maße,  bis  endhch  am  27.  Februar  1854 


Romantik.    Robert  Schumann.  277 

jene  erschütternde  Katastrophe  eintrat  —  Schumann  stürzte  sich  in 
den  Rhein.  In  der  Irrenanstalt  zu  Endenich  bei  Bonn  erlöste 
ihn  der  Tod  am  29.   Juli   1856. 

S.  beeinflußte  doppelt  nachhaltig  seine  Epoche :  als  Kom- 
ponist, wie  als  Schriftsteller.  Die  von  ihm  1834  mit 
J.  Knorr,  L.  Schunke,  F.  Wieck  begründete  und  10  Jahre 
hindurch  geleitete  „Neue  Zeitschrift  für  Musik"^,  ^6"  zeUslihrift. 
kämpfte  energisch  die  Verflachung  im  damaligen  Kunstleben 
und  die  ,, schreckhaft  überhand  nehmende  Mittelmäßigkeit"  in  der  Pro- 
duktion, das  Virtuosenunwesen,  Zopf  und  Perrücke,  sowie  das  matt- 
herzige Kunstphilistertuni  in  der  Kritik  (namentlich  der  Finkschen 
Allgem.  Musikzeitung'  —  alles,  um  „die  Poesie  der  Musik  wieder 
zu  Ehren  zu  bringen'".  Mit  Begeisterung  wurden  neue  Genien  wie 
Chopin  oder  der  verketzerte  Herlioz  begrüßt,  und  wenn  da  und 
dort  Ueber-  und  L'n  t  er  Schätzungen  siehe  dort  Mendelssohn  und 
Brahms ,  hier  Wagner)  seitens  des  Musikpropheten  mit  unterliefen, 
schmälert  das  nicht  die  Bedeutung  der  „Zeitschrift"  als  Organ  des 
musikalischen  Fortschritts.  Dabei  verwies  sie  nicht  minder  be- 
harrlich auf  die  unvergänglichen  Leistungen  früherer  Meister,  vor  allem 
Bachs,  als  unerschöpfliche  Quelle  tüchtiger  Belehrung  für  den  höher 
strebenden  Künstler.  Der  in  der  Zeitschrift '  auftretende  „Davids-  Davida- 
b  u  n  d"  war  eine  humoristische  Idee  des  Poeten  Schumann :  er  erfand  ''""^ 
gegensätzliche  Charaktere,  die  verschiedene  Kuustanschauungen  zur 
Aussprache  brachten  —  meist  in  absichtlich  einseitiger  Uebertreibimg.^) 
Die  bedeutendsten  dieser  „Davidsbüudler"  waren  der  sinnige,  schwär- 
merische Eusebius  und  der  stümiische,  hitzköpfige  Florestan, 
zwischen  denen  vermittelnd  und  ausgleichend  „Meister  Raro"  stand. 
Sie  sind  gewissermaßen  eine  Verkörperung  von  S.s  eigenem  aus  mancher- 
lei scheinbaren  Widersprüchen  zusammengesetzten  Temperament^). 

S.s  Beiträge,  1854  als  ,, Gesammelte  Schriften  über  Musik  Schriften, 
und  Musiker"  in  4  Bänden  erschienen,*)  sind  eine  der  be- 
deutendsten Erscheinungen  unserer  Musikliteratur.  Jedem  Künst- 
ler, jedem  ernsteren  Kunstfreunde  sollten  sie  wie  eine  Hauspostille 
zur  Erquickung  und  Erhebung  immer  zur  Hand  sein.  „Sie  geben," 
sagt  Spitta,!)   „Zeugnis   von  einem  Reichtum  an  Beobachtungen   des 


^)  Um  1890  kam  sie  durch  Unfähigkeit  der  Leiter  gänzlich  bergab, 
und  ging  1906  nach  kurzem  Aufschwung  ein.     Vgl.  Kap.  V. 

^)  Vgl.  z.  B.  die  vier  Artikel  S.s  über  das  Beethoven-Monument 
(Ges.  Schriften,  4.  A.,  I,  251),  über  Humraels  Studien  (I,  61)  usw. 

^)  S.  Jansen :  D.  Davidsbündler,  Lpz.  B.  &  H.,  und  hiezu  Wasie- 
lewski  ,,8chumanniana"  1884.  Der  letzte  der  Prager  „Davidsbündler"- 
Runde,  namens  ,, Benjamin",  der  Klavierpädagoge  Emil  Hock,  lebt 
noch  in  Prag;  er  war  ein  Tomaschekschüler  und  mit  Ambros  (,. Flamin"), 
Hanslick  („Renatus"),  Brahms  u.  a.  befreundet. 

*)  A.:  4.  A.  [G.  Jansen]  2  Bde.,  Lpz.  1891,  B.  &  H.;  [Dr.  H. 
Simon]  Lpz.  Reclam*. 


278  m*  Neuzeit. 


Seelenlebens,  einem  Tiefblick  in  die  Vorgänge  inneren  künstlerischen 
Werdens,  einem  Hochflug  der  Gedanken,  die  erstaunlich  sind  .... 
Es  gibt  kein  Buch,  das  gerade  für  den  Musiker  so  reich  an 
Anregungen  wäre  zum  Weiterspinnen  der  Gedanken,  und  keines, 
das  ihm  die  Freude  inniger  Zustimmung  häufiger  bereitete. 
Denn  das  Talent,  musikalische  Totaleindrücke  hervorzurufen,  tritt  hier 
mit  einer  Kraft  auf,  die  alles  weit  hinter  sich  läßt,  was  vor  und  neben 
Schumann  in  dieser  Art  versucht  worden  ist  .  .  Die  Aufgabe 
älterer  Musikschriftstellerei  war,  durch  Zergliederung  zu  lehren. 
S.  hat  in  vollendeter  Weise  gezeigt,  wie  sich  durch  dichterisches 
Nachschaffen  ein  musikalischer  Eindruck  bewirken  läßt,  den  nur 
das  künstlerische  Ganze  gewährt  .  ."  S.s  Schriften  zeigen, 
wie  eigentlich  nur  ein  vornehmer  Künstler  dem  Künstler  wiederum 
gerecht  zu  werden  vermag. 
Klara  Klara  S.,  die  berufenste  Interpretin  ihres  Gatten,  hervorragend 

Schumann,  j^^  Vortrage  Beethovens  und  Chopins,  trat  auch  als  Komponistin 
(Lieder,  Klavierstücke)  auf;  sie  starb,  nach  mehrjähriger  Lehrtätigkeit 
am  Hochschen  Konservatorium,  zu  Frankfurt  a.  M.  1896.-) 

Echt  künstlerisch  neid-  und  vorurteilslos  half  Robert 
Schumann^)  in  seiner  „Zeitschrift"  so  manche  Komponistenlauf- 
bahn ebnen  und  lenkte  zuerst  den  Blick  auf  eben  auftauchende 
Gestirne.  Vier  von  ihnen  sollten  bald  mit  besonderem  Glänze 
den  Musikhimmel  neu  erhellen  :  Chopin,  Franz,  Berlioz,  Brahms. 

Ganz  eigenartig  ist  die  Stellung  Chopins,  dessen  tiefere 


1)  „Musikgeschichtliche  Aufsätze."     S.  383.     Berlin  1894. 

2)  B. :  Berth.  Litzmann,  Lpz.  B.  &  H. ;  Dr.  V.  Joß,  Lpz.,  Spamer,  05. 

3)  GA.  (Musikwerke)  [Clara  Schumann]  L  Sinf.  IL  Ouvert.  III.  Konz. 
IV.  Str.-Quart.  V.,  VI.,  VII.  Pianof.-Mus.  VIII.  Org.  IX.  Ges.-Mus  mit 
Orch.  od.  mehr,  Instr.  (Manfred,  Messe,  Faust).  X.  Mehrstim.  Ges.-Wke. 
mit  Orch.  XL  M.-Ch.  ohne  Begl.  XII.  Gem.  Ch.  ohne  Begl.  XIII.  Für 
1  Singst,  u.  Pianof.  XIV.  Supplem.  [Brahms]. 

A.  der  4  Symph.  f.  Kl.  4  hdg.  [F.  G.  Jansen],  B.  &  H.  —  GA. 
der  Klavierwerke  [Kühner]    und  Lieder,   CL. ;   A. :   EP.  (Albnm\   UE. 

B.:  W.  J.  V.  Wasielewski,  4.  A.  07;  A.  Reißmann,  1865; 
Phil.  Spitta,  1882,  B.  &  H.;  H.  Abert,  Brl.  Harmonie:  R.  Batka, 
Lpz.  Reclam*;  L.  Schneider  u.  N.  Mareschal  (Paris,  Charpentier. 
R.  Schumanns  Briefe.  1.  Band  („Jugendbriefe")  [Clara  Schumann] 
1885.  —  2.  Band,  [F.  Gust.  Jansen  (*  1831,  Kön.  MD.  u.  Domorganist 
in  Verden,  z.  Z.  Hannover,  der  verdienstvolle  Bearbeiter  der  7.  Aufl. 
von  Kothes  Mus. Gesch. ")]  3.  A.  04. 

L. :  S. -Brevier  von  F.  Kerst.  (Bei-lin,  Schuster  &  Löffler.)  S.,  son 
oeuvre  pour  piano ,  par  Marguerite  d'Albert.  (Paris,  Fischbacher.) 
P.  J.  Möbins:  Ueber  R.  S.s  Krankheit,  Lpz.  06  (^eine  nicht  zweifellose 
Beweisführung,  daß  es  sich  hier  um  erbliche  Belastung  handelte).  — 
Schumann-Nr.  NMZ.  06,  19.  —    D. :  Bonn,  Kirchhof  [Donndorf]  1880. 


Romantik.    Frederic  Chopin. 


279 


Bedeutung  heute  noch  selbst  manch  ernster  Musiker  nicht  recht 
begreift ;  ein  Meister,  dessen  Werke  Schumann  gar  originell  und 
treffend  „unter  Blumen   eingesenkte  Kanonen"    nennt. 

Frederic  Fran^ois  Chopin  [spr.  schöpäng],  *  zu  Zelazowa     Chopin 
Wola  bei  Warschau  am  22.  November  1810  ^)  als  der  Sohn  eines  ein-     t  i849. 
gewanderten 
Franzosen, 
machte   seine 
ersten  Kla- 
vierstudien 
bei  Adalbert 
Zywny,  einem 
Böhmen, seine 
thoretischen 

bei  Jos. 
Eisner,  einem 
Schlesier;    er 
lebte  seit  l8ol 
mit  wenigen 

Unter- 
brechungen in 
Paris ,   wo  er 
einem  lang- 
jährigen 
Brustleiden 
am  17.  Oktob. 

1849  erlag. 
Durch     seine 
auch  tech- 
nisch ganz 
und  gar  eigen- 
artigen,  bald 

elegischen, 

bald  hochleidenschaftlichen,  in  jedem  tfinne  ^neuen"*  Klavier-Kompo- 
sitionen zog  er  sofort  die  Anfnierksamkeit  der  Pariser  Kunstwelt  auf 
sich.  Ueber  sein  erstes  öffentlich  gespieltes  Werk,  das  Emoll-Konzert,  *-'"^'"*' *'' 
schrieb  Fetis:  „Hier  haben  wir  einen  jungen  Mann,  der  sich  seinen  komponist. 
natürlichen  Impulsen  hingibt  und,  ohne  sich  jemanden  zum  Muster  zu 
nehmen,  etwas  völlig  Neues  gefunden  hat,  oder  doch  einen  Teil  dessen, 
was  man  lange  vergebens  gesucht,  nämlich  eine  Fülle  origineller  Ge- 
danken, deren  Ursprung  nirgends  nachzuweisen  ist  [vgl.  indessen  (tb. 
S.  288]  ...  Es  ist  Seele  in  diesen  Melodien,  Phantasie  in  diesen 
Passagen  und  Originalität  überall."  Von  seinem  wunderbar  bezauberndem 
Klavierspiel  hören  wir  noch  (Kap.  VIIIj. 

R.  Schumann  hat  nicht  nur  zuerst  und  am  eindringlichsten 
für  die  Anerkennung  Chopins  gewirkt,  sondern  ihn  selbst  hie 
und    da    in    kleinen    Stücken    nachgeahmt.     Insbesondere    aber 


Angabe  d.  Pfarramtes.    Vgl.  Eggelings  Lex.,  Quedlinburg. 


280 


III.   Neuzeit. 


durch  Liszt,  der  neben  Berlioz,  Heine,  Balzac,  Meyerbeer  zum 
Pariser  Freundeskreise  Ch.s  zählte,  fand  dann  der  völlig  neue 
Klavierstil  des  Meisters  Aufnahme  und  Verbreitung,  ohne  frei- 
lich, bei  seiner  reichen  Vollendung,  durch  Ch.  selbst,  noch 
eine  Weiterbildung  erfahren  zu  können.  Ch.  komponierte 
fast  ausschließlich  für  Klavier :  Konzerte  in  E  moll  und 
Fmoll  (die  Mittelsätze  von  Herrn,  Schultz  trefflich  bearbeitet), 
4  Balladen,  4  Scherzos,  27  Etüden  (die  bedeutendsten  und 
inhaltreichsten  der  gesamten  neueren  Klavierliteratur),  Sonaten 
in  Cmoll,  Bmoll  und  Hmoll,  Impromptus,  Praeludien  und  Varia- 
tionen, Berceuse,  Tarantelle,  Barcarole,  ein  Trauermarsch  usw. 
Eine  besondere  Ausbildung  erfuhren  durch  Ch.  die  Formen  des 
bereits  durch  Field  (vgl.  Kap.  VIII)  gepflegten  Notturno  (franz. 
Nocturne.  Nocturne,  d.  i.  Nachtstück)  —  ursprünglich  eine  Instrumental- 
serenade, nunmehr  ein  Klavierstück  träumerisch-schwärmerischen 
Charakters  —  und  der  veredelten  modernen  Tänze:  Polonaise, 
Mazurka,  i) 

Vor  Ch.  adelten  bereits  die  Wiener  Klassiker,  dann  Schubert  imd 
Tanzmusik.  Weber,  die  Formen  der  Tanzmusik,  deren  geschichtliche  Entwieke- 
lung  mit  jener  der  Instrumentalmusik,  wie  wir  wissen,  Hand  in  Hand 
ging  und  deren  kulturhistorisches  Moment  stets  die  besten  Musik- 
schriftsteller, Schumann  obenan,  hervorhoben.    Nachdem  das  graziöse 
Rokoko  des  Menuetts  die  steife,  schnörkelige  Gemessenheit  der  Sara- 
banden, Gavotten  usw.  abgelöst,  beherrschten  den  deutschen  Tanzboden 
Ländler,    die  Allemande,  der  Ländler  (im  sog.  „Laudel",  Oesterr.  ob.  d.  Ems), 
der    behäbige    „Deutsche".      Daraus     entwickelte    sich    der    heutige 
Walzer.     „Walzer",  der  zuerst  1787  aus  Martins  „Cosa  rara"  (s.  S.  258)  von 
der  Bühne  in  den  vornehmen  Tauzsaal  überging.    Haydn,  Mozart, 
Beethoven  verfeinerten  die  höfischen  Tanzformen,  Schubert  den 
„Deutschen".    Weber,  der  noch  im  „Freischütz"  der  ältesten  Walzer- 
form  gehuldigt,    schlug   plötzlich   mit  der  „Aufforderung"  neue  Töne 
an,   das  „Pathos   der  Liebe"  2)   in   diesen  Tanz   einführend.    Mit  dem 


1)  GA. :  I.  bis  inkl.  IX.  Klav.-Wke,  X.  Versch.  Werke.  XI.  Trio 
u.  Duos.  XH.  Orch.-Wke.  XIII.  Nachlaß.  XIV.  Lied.  u.  Ges.  A.  der 
Klavierwerke:  [Herrn.  Scholtz]  (sorgfältige  Textrevision,  vorzüglicher 
Fingersatz)  Ed.  Peters;  [Kai'l  Mikuli,  namhafter  Komponist  von  Liedern, 
Chören  u.  Klavierwerken  polnischen  Charakters,  Bearbeiter  rumänischer 
Zigeunermelodien,  *  Czernowitz,  Direktor  des  Lemberger  Mus.  Ver., 
t  1897]  (nach  eigenhänd.  Bemerkungen  Ch.s),  Kistner,  Lpz. 

B. :  Fr.  N  i  e  c  k  s  (deutsch  v.  Dr.  W.  Langhans),  2  Bde.,  Lpz. 
Leuckart  1890 ;  Dr.  H.  Leichtentritt,  Brl.  Harmonie  (ill.) ;  Ferd.  Hoesick 
(polnisch")  Warschau  03. 

D.:  Zelazowa  Wola  1894.  Paris,  Luxemburg  (du  Bois  u.  Petit>  00. 

2)  S.  Riehl  „Musikal.  Charakterköpfe",  IL''299.     Vgl.  ,.Karneval 


Romantik.     Frederic  Chopin.  281 

deutschen  Element  kam   dann  durch  Schubert  wie  durch  die  Wiener 

Schöpfer  des  eigentlichen  Tanzwalzers :  Josef  Lann er  i)  (f  I843i  nnd  ^^^^''j^^^^ß""*^ 

Joh.   Strauß   Vater   (t  1849)    und    Sohn   (f  1899)  ^j    das   spezifisch 

österreichische   im  Tanz  zu  Worte.     Rob.  Schumann  preist  den 

älteren  Strauß,  an  dessen  Tanzweisen  sich  auch  Schubert  oft  erquickte, 

als  einen  Meister,  der  ..in  seiner  Weise  einen  höchsten  Ausdruck  seiner 

Zeit"    bedeute.     Beliebte  Tanzkomponisten    wurden    noch  Jos.  Strauß 

(Bruder)^)  der  Deutschböhrae  Labitzky  (f  1881\  der  Straßburger  Emil 

Waldteufel*),  und  der  Franzose  Olivier  Metra. 

Nichts    verfehlter    aber,    als   Ch.    etwa    bloß    nach    diesen     Chopins 
'  Beueutung 

an  sich  genialen  Tanzstücken  beurteilen,   ihn  nach  Art  einzelner 

Kritiker    bloß    als    hervorragenden    .,Salon''-Komponisten    (vgl. 

unten  S.  287)  bewerten  zu  wollen,   ohne  die  großen,  tiefernsten 

Werke  des  polnisch-französischen  Meisters  gründlich  zu  kennen. 

So  ist  namentlich  Ch.s  Hraoll-Sonate   eines    der    groß-     ö"™°»i' 

o  Sonate. 

artigsten  Tonwerke,  die  je  geschaffen  wurden,  so 
recht  geeignet,  jene  zu  belehren,  die,  um  mit  Schumann  zu 
reden,  nur  die  ., Blumen"  sehen,  die  ,, Kanonen"  aber  nicht  hören. ^) 

Welch  beispielswürdig  hohen ,  selbstkritischen  Standpunkt  Ch.  Charakter, 
in  eigener  Sache  einnahm  beweist,  daß  er  kurz  vor  seinem  Tode  ver- 
langte, daß  die  hinterlassenen  skizzierten  Kompositionen  vernichtet 
werden:  „Denn  ich  habe  vor  dem  Publikum  eine  große  Achtung  ge- 
habt und  meine  Versuche  sind  so  gut  ausgeführt,  als  ich  es  nur  ver- 
mochte ;  ich  wünsche  nicht,  daß  unter  meinem  Namen  Werke  heraus- 
gegeben werden,  die  der  Hörer  nicht  wert  sind  .  .  ."^) 


Mendelssohn,  Schumann  und  Chopin  übten  auf  die  weitere 
Entwickelung  der  Musik  den  größten  Einfluß.  Eine  ganze  Reihe 
tatentvoller  und  hochachtbarer  Künstler  schloß  sich  ihnen  an  — 
die    weit    über  Deutschland    hinaus   verbreitete  sog.   ,,roman-    d^„„„ 

o      "  Roman- 

tische Schule".      Gruppenweise   begegnen  sie  uns,   entweder      tische 

ausgesprochen    in    einer    Richtung    (Mendelssohnianer,    Schu- 


und   Tanz   i.   alt.    Zeit"   in  Ambros"  „Bunte  Blätter",   Lpz.  Leuckart; 
0.  Bie,  Tanzmusik.     Bd.  6  ,.d.  Musik".  Brl. 

1)  G.A..  (Klavier):  'Kremser  B.  &  H.    B, :  Lange,  Wien,  Gerold. 

2)  B.  Frhr.  Prochäzka,  Brl.  Harmonie.  GA.  (^Klavier):  ^Strauß 
Sohn]  B.  &  H.  und  CL. 

3)  A. :  (Auswahl)  B.  &  H. 

*)  A.:  Waldteufel-Album  f.  Klavier,  CL. 

^)  Aehnlich  treffend  wie  Balestrieri  seinen  ., Beethoven"  diu-ch 
die  Malerei  charakterisiert,  so  Pilichowski-Paris  seinen  , Chopin',  —  ein 
schönes  Bild,  das  zugleich  dem  modernen  Flügel  die  poetische  Seite 
abzugewinnen  weiß,  wie  frühere  Meister  der  Laute  und  dem  Spinett. 

^)  S.  die  ergreifende  Schilderung  der  letzten  Stunden  Ch.s  in 
einem  Briefe  des  Grafen  Grzymala,  ,, Daily  Telegraph",  Dez.  07. 


282  m-  Neuzeit. 


mann. 
Hiller, 


mannianer)  sich  bewegend,  oder  suchend,  die  Wege  ihrer  Vor- 
bilder zu  vereinigen. 

Im  Bannkreis  Mendelssohns  stehen  u.  a. :  Der  hervorragende 
Haupt-  Theoretiker  und  Geiger  Moritz  Hauptmann  (vgl.  Kap.  VII),  vor- 
nehmlich Komponist  geistlicher  Chorwerke ;  Ferdinand  Hiller, 
*  1811  zu  Frankfurt  a.  M.,  f  1885  zu  Köln,  dort  KD.  und  Dirigent 
der  Gürzenichkonzerte,  gleich  ausgezeichnet  als  Pianist  wie  als  Dirigent 
und  Lehrer,  auch  geistvoller  Musikschriftsteller, ^)  s.  Z.  die  ge 
feierteste  Musikberühmtheit  Westdeutschlands  (unter  seinen  zahl- 
reichen Werken  aller  Formen  das  Oratorium  „Die  Zerstörung  Jeru- 
salems" und  elegante  wie  dankbare  Klavier-  und  Kammermusiksachen) ; 
Bennet  der  Engländer  Baronet  W.  Sterndale  Bennett,  t  1875  zu 
London ,  Musikprofessor  an  der  Universität  Cambridge ,  dort  zum 
„Master  of  arts",  in  Oxford  zum  Ehrendoktor  ernannt.  (Hauptwerke : 
Symphonie  GmoW,  Ouvertüren  „Die  Najaden"),  die  Kantate  „Mai- 
königin". Er  gilt  für  den  Begründer  einer  ,, englischen  Schule", 
Gade.  sowie  Niels  W.  Gade(*  1817  zu  Kopenhagen,  f  daselbst  als HKM. 
und  KD.  1890;  ging  1841,  auf  Grund  seiner  preisgekrönten  Ouvertüre 
„Nachklänge  aus  Ossian"  ein  königliches  Reise-Stipendium  erhaltend, 
nach  Leipzig,  wo  er  1844—47  die  Gewandhauskonzerte  leitete,  als 
Begründer  der  nordischen  Schule,  obwohl  der  Skandi- 
navismus,  der  namentlich  seiner  ersten  Symphonie  (Cmoll), 
der  Ossian-  und  der  Hochland-Ouvertüre  das  eigentümliche  Ge- 
präge gab,  sich  später  mehr  und  mehr  verlor.  In  seinen  (8)  Sym- 
phonien (die  in  ßdur  am  populärsten)  und  Ouvertüren  zeigt  er  sich 
als  Meister  der  Instrumentation.  Von  seinen  Chorwerken  sind  „Erl- 
königs Tochter"  und  „Die  Kreuzfahrer",  von  den  Kammerstücken  die 
Trio-Novelletten  und  die  zweite  Violinsonate  (i>moll)  am  meisten  be- 
kannt und  beliebt.  Hierher  zählen  noch :  Friedrich  Gernsheim 
(*  1839  in  Worms,  Senatsmitglied  der  kgl.  Akademie  der  Künste  zu 
Berlin),  auf  dem  Gebiete  der  Klavier-  und  Kammermusik  insbeson- 
dere mit  Ehren  zu  nennen,  und  Karl  Reinthaler  aus  Erfurt, 
MD.  und  Domorganist  in  Bremen,  f  1896.  Oratorium  „Jephta", 
Oper  „Käthchen  von  Heilbronn"  [preisgeki-önt]  •,  Männerchöre  [preis- 
gekrönte Bismarck-Hymne]  und  Lieder);  der  berühmte  Musiktheo- 
Marx,  retiker  und  Schriftsteller  Adolf  Bernhard  Marx  (aus  Halle, 
1832  Professor  und  UMD.  in  Berlin,  dort  1850  mit  Kullak  und  Stern 
Rietz.  das  Sternsche  Konservatorium  für  Musik  gründend);  Julius  Rietz 
(aus  Berlin,  f  1877,  ausgezeichneter  Cellist  und  hervorragender  Diri- 
gent, 1847—60  Leiter  der  Gewandhauskonzerte  in  Leipzig,  dann  KD. 
imd  GMD.  zu  Dresden ;  unter  seinen  Orchestersachen  am  bekanntesten 

1)  „D.  Musik  u.  d.  Publikum"  (1864),  „Aus  d.  Tonleben  unserer 
Zeit",  2  Bde.  (1868,  neue  Folge  1871),  „Erinnerungen",  „Musikalisches 
u.  Persönliches"  (1876),  „Briefe  an  eine  Ungenannte"  (1877),  „Künstler- 
leben", „Wie  hören  wir  Musik?"  (1880),  „Erinnerungsblätter"  (1884). 


Die  romantische  Schule.  283 

die  Konzertouvertüre  in  Ä  dur  op.  7  und  Lustspielouvertüre  op.  18 ;  die 
Kammermusik-Komponisten  Eduard  Franck,  Heinrich  Stiehl  und 
Bernhard  Scholz,  (geb.  1835  zu  Mainz,  seit  1883  Direktor  des  »choii. 
Hochschen  Konservatoriums  zu  Frankfurt  a.  M.,  Symphonien,  Ouver- 
türen, Chorwerke  [preisgekröntes  Klavierquartett]  u.  a. ;  publizierte 
uach  die  „Lehre  vom  Kontrapunkt,  dem  Kanon  und  der  Fuge",  nach 
Siegfr.  Dehn,  einem  der  angesehensten  Theorielehrer  [„Theoret.- 
prakt.-IIarmonielehre"  2  A.  18601  jener  Zeit);  Theodore  Gouvy 
(t  1898,  Leipzig").  Richard  Wüerst  1 1824 — 81  ausgezeichneter 
Musiklehrer  und  Kritiker  in  Berlin) ;  endlich  der  vortreffliche  Wenzel 
Heinr.  Veit,  ein  Deutschbühnie  it  1861  als  Regierungsbeamter  iu 
Leitmeritz),  ein  feinsinniger  Kammer-  und  Kirchen-Komponist  ^) :  der 
Holländer  Johannes  Jos.  Herm.  Verhulst  (1816—01,  Hof-MD. 
im  Haag:  Symphonien,  Streichquartette,  Kirchenwerke,  Chorlieder) 
und  der  Deutsch-Russe  Nicolai  von  Wilm  (*  1834  zu  Riga:  Lieder, 
Chorwerke,  denen  u.  a.  H.  Kretzschmar  klassische  Reinheit  nachrühmt, 
Kammermusik.  C4roßer  Verbreitung  erfreuen  sich  seine  zahlreichen, 
durch  Wohllaut  und  Grazie  ausgezeichneten,  meist  auch  beim  Untei- 
richt  verwendbaren  Klaviersachen  zu  zwei  und  vier  Händen.). 

Im  Geiste  Schumanns   sehnt' vor  allem    Robert    Yolkmann  yoi^^^'^nn 
(*  1815   zu  Loiumatzsch  (Sachsen,   f  1883   in  Pest,    wo  er  sich  1858     f  isss. 
dauernd  niedergelassen),  einer  der  bedeutendsten  Orchester-Kom- 
ponisten   der    neueren  Zeit:    Symphonien  {DmoW    und  Bdxxr), 
Ouvertüren    (No.    2    zu    Richard  IIL),    Serenaden    für    Streich- 
orchester,  Kammermusiken  und  zahlreiche  interessante  Klavier- 
kompositionen,    Chorwerke    und    Lieder.-)      Neben    ihm    steht, 
leider  mit  Unrecht  vergessen,    Woldemar    Bargiel,    t   Berlin     BargieL 
1897  (Stiefbruder  von  Klara  Wieck):    seine  Orchester-,  Kammer-  und 
Klavierwerke  sind  vorwiegend  ernst,  kraftvoll,  manchmal  herb. 

Als  ausgesprochene  Meister  der  musikalischen  Miniaturen,     ,^\e'°ej. 
jener  feinen,  herzinnigen,  poesievollen  Genrestücke  für  Klavier, 
deren  vollendete  Muster  wir  Schumann  verdanken,  folgten  ihm 
und    Chopin    der    feinsinnige ,    geistvolle    Stephen    Heller     Heller. 
(aus  Pest,  t  1888  zu  Paris)  mit  seinen  ,, Blumen-,  Frucht-  und  Dornen- 
stücken", „Im  Walde"  u.  V.  a.,  und  Theodor  Kirchner,   (*  1823  Kirchner, 
zu  Neukirchen   bei  Chemnitz,    f  03   zu  Hamburg),   dessen  Geistesver- 
wandtschaft   mit    Schumann    selbst    schon    einige   Werk-Titel    („Neue 
Davidsbündlertänze"  op.  17,  „Florestan  und  Eusebius"  op.  53,  „Neue 
Kinderszenen"  op.  55)  andeuten ;    seine   Kleinmalereien    suchen    in 
der  Knappheit    ihrer  Form,    in  der  sicheren  Beherrschung  der 
Ausdrucksraittel  ihres  Gleichen.^)    Neben  diesen  Beiden  sind  Karl 
Grädener    aus    Rostock    (t    1883    zu    Hamburg,     sein    gleichfalls 


^)  B.:  Alois  John,  03.  —  Kirchenstücke  bei  Lkt. 

2)  B.:  Beruh.  Vogel,  1875,  Dr.  Hans  Volkmann  (Großneffe),  02. 

3)  B. :  A.  NiggU,  1880.    Werkeverzeichnis  in  Riemanns  Lex. 


284 


III.   Neuzeit. 


Jensen 

t  1879. 


schöpferisch  begabter  Sohn  Hermann  wirkt  in  Wien)  und  die  beiden 
Prager  (Deutschböhmen)  Hans  Hampel  (f  1884),  ein  höchst  origi- 
neller Kopf  und  Hans  S  e  e  1  i  n  g  (f  1862),  der  poesievolle  Nachdichter 
der  Lenauschen  ,,Schilf  lieder"  am  Klavier  (vgl.  Franz),  auf  jenem 
Miniaturgebiete  nicht  zu  übersehen.^) 

Ein  Teilerbe  des  Lieder  koraponisten  Schumann  ist  der 
vielgesungene  und  -gespielte  Adolf  Jensen  aus  Königsberg 
(lebte  als  Lehrer  und  Dirigent  in  Königsberg,  Posen,  Kopenhagen, 
Dresden  und  Graz,  f  1879  Baden-Baden),  einer  der  phantasievollsten 
und  feinsinnigsten  Klavier-  und  Liederkomponisten  der  neueren 
Zeit.  Von  seinen  Klavierwerken  sind  besonders  „Innere  Stimmen", 
„Wanderbilder",  „Idyllen",  ,,Erotikon",  Sonate  op.  25,  Suite  op.  36, 
die  vierhändige  ,,Ho  chzeitsmusik"  und  ,,Ab  endmus  ik"  :  von 
seinen  Liedern :  „Dolorosa",  „Gaudeamus",  Lieder  aus  dem  „Spanischen 
Liederbuch"  von  Geibel  und  Heyse,  Romauzen  und  Balladen  op.  41 
stark  verbreitet  -)  Stimmungsverwandt  ist  Jensens  Freund,  der  reich- 
talentierte, frühverstorbene  Liederkomponist  Hugo  Brü ekler  (f  1871: 
,, Trompeterlieder"). 

Hierher  gehören  endlich  auch  der  Schlesier  HKM.  Rob.  Radecke, 
*  1830,  einer  der  angesehensten  Dirigenten  Berlins  (von  seinen  Lie- 
dernwurde  das  innige  „Aus  der  Jugendzeit"  populär);  der  Deutsch- 
böhrae  Jos.  Ab  ert  (aus  Kochowitz  i.  B.,  1867—88  HKM.  in  Stuttgart"), 
der  Komponist  der  s.  Z.  vielgegebenen  Oper  „Astorga"  (1866)  u.  a. 
Bühnen-  und  Orchesterwerke;  der  mehr  kritisch-schriftstellerisch  als 
schöpferisch  beanlagte  Ludwig  Meinardus  (aus  Oldenburg,  f  1896; 
Oratorien  [„Luther  in  Worms"]);  Alb.  Dietrich  (Mitglied  der  kgl. 
Akademie  der  Künste  in  Berlin,  *  1829,  gew.  HKM.  in  Olden- 
burg [Ouvertüre  „Normannenfahrt",  Violin- und  Cellokonzert,  Oper ,, Robin 
Hood"]);  Franz  Ries,  *  1846  in  Berlin  [feinsinnige  Kammermusiken, 
Suiten  für  Violine  und  Klavier,  Lieder);  der  Wiener  Jul.  Zell- 
u  e  r  (t  00 ;  Orchester-  und  Kammerwerke ;  Karl  Mangold  aus  Darm- 
stadt (t  1889:  allbekannte  schwungreiche  Männerquartette t;  Fr.  v. 
Holstein  (tl878:  Oper  „Der  Haideschacht) ;  E.  Rudorff  (*  Berlin: 
Orchester-  u.  Klavierwerke). 

Mendelssohn-Schumannsche  Züge  vereinigen  schließlich  Karl 
ßeinecke.  Reinecke,  *  1824  zu  Altona,  1860—95  Leiter  der  Gewandhaus- 
konzerte in  Leipzig,  dort  heute  noch  die  erste  Musiknotabilität), 
trefflich  als  Dirigent,  überaus  fruchtbar  als  Komponist  jeglicher 
Gattung,  glänzend  als  Klavier-  insbesondere  Mozartspieler, 
auch  MS.  (u.  a.  „Zur  Wiederbelebung  der  Mozartschen  Klavierkonzerte" 
1891)^)  und  der  namentlich  als  Chorkomponist  [u.  a.  „Frithjof", 
„Schön  Ellen",  „Salamis",  „Normannenzug",  „Das  Lied  von  der  Glocke" 
Bruch.     „0  d  y  s  s  e  u  s"]     bedeutende    Max    Bruch   (*  1838  zu  Köln ,   sei 


*)  Vgl.  Frhr.  Prochäzka  „Musikal.  Streifzüge",  p.  75  ff. 

2)  B.:  A.  Niggli,  Brl.  Harm,  (ill.^;  A.:  „Jensen- Album"  Lkt. 

^)  B. :  Eng.  Segnitz,  Brl.  Harmonie. 


Die  romantische  Scbiile. 


Rüb,  Franz. 


285 


1891  Professor  und  Direktor  einer  Meisterschule  für  Komposition  an 
der  Berliner  Akademie,  Mitglied  des  Senats,  Dr.  mus.  hon.  c.  der 
Universität  Cambridge,  Dr.  phil.  hon.  c.  der  Universität  Breslau; ; 
besonders  berühmt  ist  sein  erstes  Violinkonzert  (G'moll, 
op.   26),  ein  Repertoirestück  aller  Violinisten. 

Der  Haupterbe  Schuberts    und  Schumanns    im  L  i  e  d  e  ist 
Robert  Franz,  dem  wir  als  genialen  wie  pietätvollen  Wieder- ^'^jgj^^'g^"^ 
erwecker   altklassischer  Musik  bereits  begegnet  sind,   —   ,,ein"^ 
Fixstern    der    deutschen    Lyrik,"    wie    Liszt    bemerkte, 

F.,   *  28.  Juni  1815  zu  

Halle,  t  daselbst  24.  Ok- 
tober 1892,  ein  Schüler 
von  Friedrich  Schneider, 
war  im  Grunde  Autodi- 
dakt und  bildete  sich 
hauptsächlich  an  Händel 
und  Bach,  Schubert  und 
dem  von  ihm  hochverehr- 
ten Schumann  heran.  Er 
wurde  Organist  an  der 
Ulrichskirche  zu  Halle, 
Dirigent  der  Singaka- 
demie, dann  UMD.  (ISGl 

Ehrendoktor),  mußte 
aber  seine  Aemter  wegen 
zunehmender  Schwer- 
hörigkeit   1868    nieder- 
legen.    1843  erschienen 

seine  ersten  Lieder. 
Durch  seine  glänzende 
Kritik  derselben  lenkte 
Schumann  in  der  Neuen 
Zeitschrift  für  Musik  die 
allgemeine  Aufmerksam- 
keit   auf    den    jungen 

Tonmeister.  Gade, 
Mendelssohn,  Richard  Wagner,  den  die  Frauzsche  Muse  vielfach  an- 
geregt, vor  allem  aber  Franz  Liszt,  folgten  mit  größter  Teilnahme 
seinem  immer  reicher  sich  entfaltenden,  wenngleich  mit  der  Selbst- 
beschränkung des  wahren  Künstlers  fast  ausschließlich  auf  dem  Felde 
der  Liedkomposition  sich  bewegenden  Schaffen.  Vgl.  Chopin,  Heller 
in  der  Klaviermusik.)  Neben  den  fast  300  Liedern  und  Gesängen 
stehen  —  von  den  schon  früher  erwähnten  „Bearbeitungen"  der  Bach, 
Händel,  Astorga  u.  a.  abgesehen  ^')  (S.  205)  —  ein  Kyrie  nnd  ein  zwei- 


^)  Ein  großes  Verdienst  um  die  Herausgabe  dieser  Bearbeitungen 
hatte  der  Hauptverleger  Franzens,  der  mit  diesem  befreundete  Con- 
stantin  Sander  (f  1905)  als  Inhaber  des  Verlages  F.E.  C.  Leuckart. 


286  II^'  Neuzeit. 


chöriger  Psalm  a  capella,  eine  Liturgie,  ein  kleines  Albumblatt  für 
Klavier  und  einige  Männer-  und  gemischte  Chöre  vereinzelt  da. 

Franzens  tonkünstlerische  Gestaltungskraft  bedeutet  ideell 
und  formell  die  Spitze  des  Ausdrucks  der  Liedform.  Schubert 
ist  der  geniale,  unvergleichliche  Schöpfer  der  modernen  Lyrik, 
er  hat  sozusagen  aus  nichts  etwas  hervorgebracht  und  verstand 
als  erster  das  Lied  zu  individualisieren.  Als  Vollender  des 
Baues,  zu  dem  Schubert  kühn  die  Fundamente  gelegt,  erscheinen 
Schumann  und  Franz ;  jener  erhebt  das  Lied  zum  charakteristi- 
Bedeutung  sehen,  plastischen  Bilde;  dieser,  gleich  Schumann  als  Dich- 
ais  Lieder- |-gj._]yj^g^jjgj.    Schubert     überragend,     erfaßt     die     sorgsamst 

Komponist.  Ol  o 

ausgewählten,  inhaltsreichen  Poesien  (zumeist  Burns, 
Eichendorff,  Lenau,  Heine,  Osterwald  und  Volkslieder)  mit  seiner 
Musik  bis  in  ihr  innerstes  Wesen  hinein  und  verleiht  seiner 
künstlerischen  Darstellung  durchschnittlich  eine  größere  Ein- 
heit der  Stimmung.  Mit  der  deklamatorischen  Behandlung  der 
Singstimme,  der  Innerlichkeit  der  Ausführung,  eröffnet  F.  die  Reihe 
der  modernsten  Meister. 

Das  Eigentümliche  der  mit  ihrem  Texte  aufs  engste  ver- 
schmolzenen Franzschen  Melodien  besteht,  wie  Saran  nachweist, 
in  ihrer  Verwandschaft  mit  dem  alten  Volks-  und  somit  auch 
mit  dem  alten  Kirchenliede.  Seine  Formen  sind  knapp,  seine 
Begleitungen  reich,  voll  feiner  Details  und  oft  von  wahrhaft 
Charakte-  Bachscher  Kontrapunktik.  Franz'  Stärke  liegt  nicht  im  Anmutigen, 
"®  Lebensfreudigen,   sondern   im  Leidenschaftlichen,   in   der  Schilderung 

tiefer  Seelenerschütterung,  ohne  dass  das  innewohnende  dramatische 
Element  die  im  Liederstiele  gegebenen  Grenzen  überschreitet  —  ohne 
das  Lied  wie  es  modernste  Meister  zuweilen  lieben,  zur  lyrischen 
Szene  zu  gestalten ;  daher  auch  seine  Gesänge  selten  durchkomponiert 
sind.  Die  strophische  Liedform  herrscht  vor,  nicht  die  be- 
quemere durchkomponierte,  wie  denn  ein  großer  Teil  der  Franz- 
g'esänge  im  Grunde  nichts  ist,  als  das  mit  den  Mitteln  moderner 
Kunst  bereicherte  und  idealisierte  Volkslied  (Saran).  Zu  seinen 
wertvollsten  Gesangsheften  gehören  op.  1,  2  (Schilf lieder),  3,  4 
und  5;  am  bekanntesten  und  beliebtesten  sind:  ,,Nun  die  Schatten 
dunkeln",  „Die  Heide  ist  braun",  „Gewitternacht",  „Aus  meinen 
großen  Schmerzen",  ,, Bitte",  „Auf  dem  Meere",  „Stille  Sicher- 
h.eit",  „Willkommen  mein  Wald",  „Widmung",  „Es  hat 
die  Rose  sich  beklagt",  „Norwegische  Frühlingsnacht", 
„Herziges  Schätzte  du"  usw.) 

Der  Amerikaner  Apthorp  bewundert  in  den,  ein  wundersam 
wohltuendes,  trostreiches  Element  (vgl.  Mozart !)  bergenden  Liedern 
F.s  die  „Reinheit  und  Schönheit,  die  wir  in  den  englischen  Liebes- 
gedichten aus  der  Zeit  Elisabeths  finden  —  kein  Liebender  kann  genug 


Populäre  Salonmusik.  —  Stilwandlung. 


287 


leidenschaftlich  sein",  um  sie  zu  singen,  kein  Mädchen  zu  rein,  um  sie 
zu  hören".  Und  —  „man  findet  kein  Ende,  immer  neue,  feine  Züge 
an  ihnen  zu  entdecken",  meinte  Rob.  Schumann.  F.  ^),  ein  streng  recht- 
licher, edler  Charakter,  führte  gelegentlich  auch  eine  gewandte,  stil- 
kräftige Feder,  mit  ihr  seinen  Kunstanschauungen  wirksam  Nachdruck 
verleihend  (vgl.  S.  205,  Anm.  1). 

Neben  der  aufsteigenden  Linie  der  Liederfiirsten  Schubert  — 
Schumann  —  Franz  von  der  später  die  Brahms  und  Rubinstein,  Strauss, 
Wolf  und  Reger  abzweigen,  bewegt  sich  eine  andere  „populäre"  ab- 
wärts und  zeitigt  das  leichte  und  oft  seichte  „Salonlied""^)  (vgl. 
ob.  S.  253);  sie  beginnt  mit  Karl  Gottl.  Reissiger  (f  1859  als 
HKM.  zu  Dresden,  man  nennt  noch  seine  Oper  „Die  Felsenraühle") ;  ihm 
folgten  Heinr.  Proch  (f  1878,  HKM.  Wien;  sein  verbreitetes  „Von 
der  Alpe  tönt  das  Hörn"  ist  ein  Muster  der  Gattung  seicht-sentimentaler 
Lieder),  Friedr.  Kücken  ff  1882,  HKM.  Karlsruhe),  Frz.  Abt  (f  1885, 
HKM.  in  Braunschweig),  von  dessen  Hieüend  melodischen  Liedern  einzelne 
(,,Wenn  d.  Schwalben  heimwärts  ziehu")  förmlich  Volkslieder  wurden, 
Ferd.  Gumbert  (t  18%,  Berlin  i  und  etwas  höher  stehend  der  Ber- 
liner K.  Fr.  C  Urse  hm  an  n  (t  1841)  —  alle  einst  hoch  gefeiert,  heute 
mehr-minder  vergessen.  Der  gegenwärtige  Vertreter  der  Richtung  ist 
E.  Meyer-Hellmund. 

Welch  artige  Blüten  übrigens  auch  dieses  Genre  treiben  kann 
(sog.  , (bessere  [feinere]  Salonmusik"),  beweisen  die  anmutigen,  be- 
liebten Lieder  („Wie  berührt  mich  wundersam")  und  Klavierstücke 
des  Deutschböhmen  Franz  Bendel  (ans  Schönlinde,  t  1874  Berlin). 
Zu  beliebten  Liederkomponisten  besserer  Art  zählten  u.  a.  auch  der 
Prager  Des  sau  er  (t  1876i,  die  HKM.  Karl  Eckert  und  Wilh.  Taubert 
(Berlin)  und  Peter  v.  Lindpaintner  (f  1856),  HKM.  Stuttgart  [die 
vielgesungene  ,, Fahnen  wacht"].  Volkstümlich  im  besten  Sinne  wurden 
einige  Lieder  des  Pastors  Justus  Wilh.  Lyra  if  1882:  „Der  SJiai 
ist  gekommen",  „Zwisch.  Frankreich  u.  d.  Böhmerwald"). 


Salonlied 

und 
-Musik. 


Während    sich    nun    die    Musik    der    Genies    und    Talente  wand'iüng. 
dieser    nachklassischen    Zeit    noch    auf    romantischen ,    doch 

1)  A.:  Franz-Albums  s.  EP.,  Lkt.,  B.  &  H.  u.  a. 

B. :  Frhr.  Prochazka ,  Lpz.  Reciam  u.  i.  d.  „Allg.  dtschn. 
Biogr."  —  L. :  Aug.  Saran,  ,.R.  F.  u.  d.  dtsche.  Volks-  u.  Kirchenlied". 
Lpz.  Leuckart.  Daselbst  auch  weitere  Broschüren  über  R.  F.  von 
Liszt,  Ambros,  Dr.  H.  M.  Schuster  u.  Jul.  Schäffer  (s.  S.  205).  Brief- 
wechsel R.  F.  u.  Frhr.  v.  Senft  [GoltherJ,  Brl.  07,  Duncker.  GA.  der 
Briefe  [Prochazka]  in  Vorbereitung.  —  D. :  Halle  [Schaper]  03. 

2)  „Salonmusik":  jene,  die  tiefern  Gehaltes  entbehrend,  nur  der 
oberflächlichen  Unterhaltung  dient,  das  Steckenpferd  der  ,, Dilettanten" 
im  schlechten  Sinne  des  Wortes,  d.  i.  der  mehr-minder  talentierten,  doch 
ungenügend  unterrichteten  Kunstpfuscher,  die  die  Kunst  nur  zum  „Ver- 
gnügen" (ital.  diletto)  ti-eiben.  Dilettanten  im  ursprüngUch  guten 
Wortsinne,  d.  i.  gebildete  Nichtberufsmusiker  und  Freunde  der  Kunst 
leisteten  derselben  mitunter  oft  schon  grössere  Dienste  als  so  mancher 
Berufs-!  Brot-Künstler). 


288 


III.   Neuzeit. 


klassizistisch  geebneten  Pfaden  bewegt,  ersteht  in  Frankreich 
ein  Feuergeist,  der,  von  Schumann  selbst  enthusiastisch  be- 
grüsst,  den  Anbruch  einer  neuen  Epoche  der  Tonkunst  —  der 
letzten,  die  bis  nun  abgeschlossen  vor  uns  liegt,  bahnbrechend 
,^;?j"°/a'  verkündet:  Hector  Berlioz,  *  11.  Dez.  1803  zu  C(3te-St.- Andre (Dep. 
als  Neuerer.  Isere).     Lr   ging   vom   .Studium   der   Medizin   zur  Musik  über,  wurde 

Schüler  von  Lesueur  und  Reicha 
in  Paris,  verließ  das  Konservato- 
rium bald  wieder,  schrieb  sofort 
als  Neuererauftretend,  die 
Ouvertüren  zu  „Waverley",  die 
„Vehmrichter"  und  die  „Phan- 
tastische Symphonie"  (Epi- 
sode de  la  vie  d'un  artiste),  ^)  trat 
abermals  ins  Konservatorium  ein 
und  errang  1830  mit  einer  Kantate 
„Sardanapale"  den  Römerpreis  2), 
der  ihm  einen  Studien-Aufenthalt 
in  Italien  ei-möglichte.  Hier  ent- 
stand die  Ouvertüre  zu  „König 
Lear"  (1831)  und  „Le  retour  äla 
vie"  (1832),  eine  Fortsetzung  der 
^^  _     ,  phantastischen     Symphonie.       In 

Werke.       ^jT^P^ISSf    ^^''^S^r!^,      ///J   *>'   Paris  schrieb  Berlioz  seine  Haupt- 
werke: die  Symphonie  „Harold 
in  Italien"  (1834),  die  Kantate 
„Le   cinq   Mai"    (1835),   das  Re- 
quiem (1837),   die  Oper  „Ben- 
venuto    Cellini"    (1838),    die 
dramatische  Symphonie  mit  Chören 
„Romeo   und  Julie"    (mit   dem   berühmten  Scherzo  „Fee  Mab",   1839, 
vgl.  S.  107,  Anm.),  die  „Symphonie  funebre  et  triomphale"  (1840),  die 
Ouvertüre  „Der  römische  Karnaval"  (1844),   die  dramatische  Legende 
„F  a  u  s  t  s  Verdammnis"  (^1845),  Te  Deum  für  3  Chöre,  Orchester  und 
Orgel  (1849),    „Die   Flucht   nach  Egypten"    (1852,    später   der  2.  TeU 
der  biblischen  Trilogie  ,,Die  Kindheit   des  Herrn"  1854)  die  zwei  zu- 
sammenhängenden Opern:  „Der  Fall  Trojas"  und  die  „Die  Trojaner 
in  Karthago"  (Berlioz'  grossartigst  intentioniertes,  wenn  auch  nicht 
erfolgreichstes  Werk,  1858)  endlich  die  komische  Oper  „Beatrice  und 
Benedict"  (nach  Shakespeares  „Viel  Lärm  um  nichts"  1862). 


döteny  üc^M 


") 


^)  Klavierbearbeitung  von  F.  Liszt,  Leuckart,  Lpz.  Daselbst  auch 
weitere  Übertragungen  B. scher  Werke  [Singer]  für  2  Klaviere  z.  4  Hdn. 

-)  Großer  Staatspreis  für  Kompositionsschüler  des  Pariser  Kon- 
servatoriums;  er  gewährt  einen  3jährigen  Studienaufenthalt  in  Italien. 
Der  Sieger  wird  nach  Aufführung  des  Preiswerkes  im  Opernhause  als 
„Laureat"  ausgerufen  und  feierlich  lorbeergeschmückt. 


Stil  Wandlung.  289 


Der  wahrhaft  geniale  Berlioz  war  eine  excentrische,  vulkanische 
Natur.  Seine  Werke  —  ähnlich  wie  später  Liszts  mächtige  Berg- 
symphonie vielfach  der  Wiederschein  der  grandiosen  Naturbetrachtungen 
eines  Viktor  Hugo  —  erwarben  ihm  begeisterte  Anhänger,  aber  auch 
erbitterte  Gegner.  Bezeichnend  für  seine  Auffassung  über  Wesen  unr 
Aufgabe  der  Kunst  ist  ein  an  Beethoven  (vgl.  S.  240)  gemahnended 
Ausruf  des  jungen  B. :  „Glauben  Sie,  Hen-,  daß  ich  Musik  zu 
meinem  Vergnügen  höre?  Ich  will,  daß  sie  mich  in  Fieber  ver-  Charakter, 
setzt,  daß  sie  meine  Nerven  erschüttert."  Einmal  schreibt  er :  „Die 
vorherrschenden  Eigenschaften  meiner  Musik  sind  der  leidenschaftliche 
Ausdruck,  das  innere  Feuer,  der  rhythmische  Zug,  das  Ungewöhnliche, 
Überraschende."  Sein  gedankenreicher  Stil  —  wenn  von  einem 
solchen  bei  B.  überhaupt  gesprochen  werden  kann  —  war  demgemäß 
pikant,  geistreich,  packend,  aber  nicht  selten  auch  formlos  bizarr, 
wie  echt  französisch  raffiniert. 

Die  bereits  durch  Bach,  Beethoven  u.  a.  angebahnte  P r  o g r  a  m  m- Programm 
musik(s.  S.  239)erhobB.  mit  seiner  „Phantastischen  Symphonie"  "^"ä**^- 
und  der  Symphonie  „Harald  in  Italien"  zum  Leitstern,  zum  neuen  Stil- 
prinzip des  allein  der  dichterischen  Idee  folgenden,  an  keine  Form- 
gebote sich  haltenden  Schaffens,  diese.^  neue  Prinzip  auch  als  geist- 
und  temperamentvoller  Schriftsteller  verfechtend.  Sein  Hauptverdienst 
aber  war  die  Ausbildung  der  modernen  Instrumentationskunst,  instrumen 
Zur  Auffühnmg  seiner  Werke  fordert  er  —  die  Kette  der  Instrumen-  künst. 
tatoren  Liszt-Wagner-Strauss-Malüer  beginnend  —  ein  wahrhaft  riesiges 
Orchester.*)  So  z.  B.  für  das  „Fest  bei  Capulet" :  15  I.  und  Orchester. 
15  II.  Violinen,  10  Bratschen,  6  I.  und  8  IT.  Violoncells,  9  Kontra- 
bässe, hierzu  2  I.  und  2  II.  Harfen  im  Minimum ;  2  grosse  Flöten 
und  Piccolo,  2  Hoboen,  2  Klarinetten  in  B,  4  Fagotts,  2  Hörner 
in  F,  je  1  Hörn  in  D  und  in  C,  2  Trompeten  in  F,  2  Kornetts 
ä,  Piston  in  G  und  3  Bassposaunen;  an  Schlägern  2  Paar  Pauken 
(in  C  und  ^,  A  und  E)  1  Paar  Becken,  1  grosse  Trommel,  2  Triangel 
und  2  Tambourins.  —  Bei  der  „Svmphonie  hmebre  et  triomphale" : 
6  kleine  Fl.  in  Es,  6  Terzflöten  in'  F,  28  Klar,  in  Es  imd  B,  8  Hob,, 
24  Hörner  in  C,  G  und  Z>,  19  Tromp.  in  F  und  B,  10  Kornetts  in  G, 
12  Alt-  und  Tenorpos.,  6  Basspos.,  1  Solopos.,  16  Fag.,  14  Ophi- 
kleiden  in  B  und  C,  6  Wirbeltrommeln,  12  gewöhnliche  Trommeln 
mit  Überzug,  6  große  Trommeln,  10  Paar  Becken,  4  Schellenbäume, 
2  Tamtams!  —  Im  Dies  irae  (einer  „an  Michel  Angelo  gemahnenden 
Tonmalerei"  [Niggli])  seines  großartigen  Requiems:  16  Hörner,  12  Tromp., 
20  Pos,  und  Tuben,  8  Paar  Pauken,  2  große  Trommeln,  3  Paar  Becken 
und  ein  Tamtam!  Von  der  Natur  mit  feinem  Sinn  für  das  Dynamische 
beanlagt,  und  durch   eifriges   Studium   der   Partituren   Glucks,   Beet- 

*)  Der  Name  (griech.  „Orchestra",  d.  i.  der  Chortanzplatz  vor 
der  Bühne,  s.  S.  81)  bezeichnet  den  Raum  für  die  Instrumentalisten 
zwischen  Bühne  u.  Parkett,  dann  die  Kapelle  selbst,  schließlich  die 
Gesamtheit    der   Instrumente. 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl,       19 


290  ^11'  Neuzeit. 


hovens,  Webers  und  Spontinis  bildete  er  sich  zuni  „Virtuosen  auf 
dem  Orchester"  [Schumann]  aus.  Er  selbst  sagt:  „Das  aufmerksame 
Vergleichen  der  hervorgebrachten  Wirkimg  und  des  angewandten 
Mittels  ließ  mich  das  geheime  Band  finden,  das  den  musikalischen 
Ausdruck  mit  der  besonderen  Kunst  der  Instrumentation  verbindet, 
aber  niemand  hatte  mich  auf  diesen  Weg  gewiesen."  Die  Resultate 
seiner  Studien  und  Erfahrungen  legte  er  in  seiner  ,,Instrumen- 
tationslehre"  („Traite  de  Finstrumentation  et  de  rorchestration 
moderne.  Suivi  de  la  theorie  du  chef  d'orchestre")  ^)  nieder,  —  worin 
er  sich  als  genialster  Meister  der  Instrumentation  der  neueren  Zeit 
dokumentiert,  aber  doch  kaum  eine  Erklärung  der  ihm  ureigenen  neuen 
Klangeffekte  gibt.  B.  erscheint  da  vielfach  anders  im  Wort  und  in 
der  Tat. 

B.  erwarb  sich  leider  nicht  durch  seine  Kompositionen  die 
Teilnahme  und  Anerkennung  seiner  Landsleute,  sondern  durch 
seine  geistvollen  Kritiken  und  Feuilletons  in  der  „Gazette  musi- 
cale  de  Paris"  (seit  1834)  imd  im  „Journal  des  Debats"  (1834 — 64). 
In  hohem  Grade  verdienstlich  war  seine  Tätigkeit  um  die  Ein- 
führung und  das  Verständnis  des  von  ihm  über  alles  verehrten 
Beethoven ;  auch  Gluck,  Spontini  und  Weber  fanden  in  ihm  einen 
begeisterten  Interpreten 2)  —  Ein  festes  Amt  bekleidete  B.  nicht;  nur 
als  eine  Art  Sinekure  die  Bibliothekarstelle  am  Konservatorium.  Am 
Ziel  seiner  persönlichen  Wünsche  sah  er  sich,  als  er  endlich  1856  zum 
Mitglied  der  franz.  Akademie  der  schönen  Künste  gewählt  wurde. 
B.,  der  seine  Werke  interpretierend  Italien,  Deutschland,  Öster- 
reich, Rußland,  England  erfolgreich  bereist  hatte,  starb  nach 
jahrelangem  Leiden  am  8.  März   1869  in  Paris.  ^) 


1)  Deutsch  [A.  Dörflfel]  3.  A.  Lpz.  EP. ;  NA.  auf  moderner  Grund- 
lage [Frhr.  v.  Schwerin]  Ol ;  und  [Rieh.  Strauß]  Lpz.,  EP.  „Supplement" 
von  Widor:  ,,D.  Technik  d.  mod.  Orchesters"  05,  deutsch  v.  Riemann. 

2)  S.  seine  Orchesterbearbeitung  von  Webers  „Aufforderung  zum 
Tanz",  Schlesinger,  Brl. 

3)  GA.  1.)  Musikal.  Werke  [Ch.  Malherbe  u.  F.  Weingartnerl. 
Bisher  18  Bde.  2.)  Liter.  Werke  (Voyage  musicale  en  Allemagne 
et  en  Italic.  2  Vol.  1845.  Soirees  d  orchestre.  2  Vol.  1853.  Grotesques 
de  la  musique.  1859.  A  travers  chants;  Memoiren,  mit  Beschreibimg 
der  Reisen  (deutsch  v.  Elles) ;  Lpz.  B.  &  H.  —  Gesammelte  Schriften 
[Übers.  R.  Pohl]  4  Bde.  2.  A.  Lpz.  1876,  Lkt.  —  S.  ferner  D.  Bernard, 
Correspondance  inedite  avec  une  notice  biographique  1879.  Lettres 
intimes,  avec  une  preface  par  Ch.  Gounod.  1882.  Briefe  a.  d.  Fürstin 
Wittgenstein  [La  Mara]  03. 

B.:  Ad.  Jullien,  Paris  1888.  Louise  Pohl,  Lpz.  00.  Leu- 
ckart.  Proud'homme,  Lpz.,  Dtsche.  Verl.-Akt.-Ges.  —  Max  Graf,  Bd. 
10,  ,d.  Musik"  Brl.  —  R.  Louis,  Lpz.  04. 

L. :  A.  Boschot,  La  Jeunesse  d'un  Romantique  (Paris,  Plon- 
Nourrit).  T  i  e  r  s  o  t :  H.  B.  et  la  societe  de  son  temps  04,  Berlioziana  u.  a. 
—  B.  Nr.  NMZ.  03, 4.  —  D.:  Paris  1886,  Cote  St.  Andre  1890,  Grenoble  03. 


1848.     Die  Revolution  in  der  Musik. 


291 


B.s  unmittelbarer  Vorgänger  als  leidenschaftlicher  Programm- 
Musiker  und  auch  Verteidiger  der  eigenen  Grundsätze  in  Wort  und 
Schrift  war  des  Meisters  Lehrer  Jean  Franc^ois  Le  Sueur  [spr.  Le  Sueur. 
lössüör],  t  1837  zu  Paris,  1804  nach  Paisiello  HKM.  Napoleons  (vgl. 
S.  107  Anm.) ;  er  ist  der  Ahnherr  der  Linie  Berlioz-Liszt- Wagner ;  B.s 
Nachfolger  unter  seinen  Landsleuten  war  F  e  1  i  c  i  e  n  David,  seit  f.  David. 
1869  Bibliothekar  am  Konservatorium  und  Mitglied  der  Akademie  in 
Paris,  t  1876  in  St.  Germain  en  Laye.  Als  eifriger  Apostel  der  sozia- 
listisch religiösen  Sekte  des  Saint-Simonismus  bereiste  er  den  Orient, 
sich  dort  eingehend  mit  der  Musik  der  orientalischen  Völker  be- 
schäftigend und  sie  dann  in  seiner  berühmten  Ode-Sj'mphonie  ^Die 
Wüste"  (1844)  verwertend.  Er  wurde  so  der  Schöpfer  einer  neuen 
Gattung,  der  „exotischen  Musik",  indessen  ein  anderer  bedeuten- 
der Landsmann  und  Zeitgenosse  der  Beiden,  N.  H.  Reber  [spr.  rebähr] 
als  Instrumentalkoniponist  dem  Geiste  der  deutschen  Klassiker  treu 
blieb. 

Der  eigentliche  Erbe  B.s  als  Träger  und  Entwickler  des 
Gedankens  der  Programmmusik  wurde  F.  Liszt.  So  begründet 
B.  eine  neue  Epoche:  die  ,.neuromantisch  e"  oder  „neu- 
deutsche"  Schule  zieht,  just  in  den  Tagen  der  Revolution 
nach  Befreiung  aus  hergebrachten  Formen  ringend,  die  Herr- 
schaft an  sich.  Die  Neuromantiker  zerbrechen  vollends 
die  symphonische  Form  auf  dem  Instrumental-  und  die  Arien- 
form auf  dem  Operngebiet,  sie  befreien  sich  von  den  Fesseln 
der  Tonleiter  und  huldigen  dem  modernen  „Tonalitätsbegriff"  ^) 
im  Sinne  neuer,  in  den  musikphilosophischen  Vorträgen  von 
Fetis   1832  ausgesprochener  Ideen. 

So  spiegelt  auch  die  Tonkunst  jener  Zeit  förmlich  all  die 
grossen  Freiheitsbestrebungen  ihrer  Tage  wieder ,  und  das 
Umsturzjahr  1848  bedeutet  auch  den  Beginn  unserer  modernen 
Aera  der  Musik.  Ihre  Revolutionäre  heissen  Franz  Liszt  und 
Rieh.  Wagner;  sie  erst  geben  ihr  die  neueste,  in  Berlioz' 
Zügen  angedeutete  Physiognomie,  den  Stil.  ') 


Neu- 
roman- 
tische 
Schule. 


M  Tonalität:   Bedeutung   der   Akkorde   im   Verhältnis   zu  einem 
Hauptklang  (Tonika).  '^)  Vgl.  hier  noch :  La  Mara  (Lipsius,  MSin.. 

Leipzig,   *  1837) :   Musikerbriefe  aus   b  Jahrhunderten.     2  Bde.  1886 
und  Klassisches  und  Romantisches  aus  der  Tonwelt.    1892. 


19^ 


292 


III.  Neuzeit. 


Zukunfts- 
musik. 


Liszt, 

t  1886. 


Lebens- 
gang. 


18.     Die  moderne  Epoche  (1848—1900).    Liszt,  Wagner 
und  ilir  Kreis.    Ausidang  des  XIX.  Jahrhunderts. 

„Zukunftsmusik".  Der  moderne  Instrumentalstil.  Sym- 
phonische Dichtung  und  Musikdrama.  Die  Oper  nach 
Wagner.  Operette.  Nationale  Strömungen.  Brahms, 
Brückner,  Verdi,  Rubinstein,  Tschaikowski,  Dvorak, 
Grieg  —  die  letzten  Großen  des  19.  Jahrhunderts. 

„Zukunftsmusik!"  So  nannte  man  spöttisch*)  die  neue 
Richtung,  deren  Vertreter  den  Sieg  ihrer  im  Verneinen  eines 
beengenden  Formelwesens  und  dem  Streben  nach  Charakteristik 
wurzelnden  Reformideen  erst  in  der  Zukunft  erhofften.  Diese 
ist  nun  längst  Gegenwart  geworden,  fast  schon  Vergangenheit 
und  um  die  „Zukunftsmusiker"  von  damals  beginnt  sich  heute 
bereits  der  Glorienschein  der  Klassizität  zu  weben.  Berlioz' 
Bahn  auf  dem  neuerschlossenen  Felde  der  Programmsym- 
phonie, wie  in  der  gewandten  musikschriftstellerischen  Ver- 
fechtung der  mit  Begeisterung  erfaßten  neuromantischen  Ideale, 
verfolgte  Franz  Liszt,  *  22.  Oktober  1811  in  Raiding  bei 
Ödenburg  in  Ungarn,  f  1-  August  1886  in  Bayreuth,  neben 
Berlioz  jedenfalls  der  bedeutendste  Repräsentant  der  orchestralen 
Programmmusik  des   19.   Jahrhunderts. 

L.,  der  größte  Klavierkünstler  der  neueren  Zeit  (vgl.  Kap.  VIII), 
ein  Schüler  von  Czerny  und  Salieri  in  Wien,  von  Paer  und  Reicha  in 
Paris,  gab  1823  zu  Wien  sein  erstes  Konzert,  Beethoven  hat  ihn  da- 
mals umarmt  und  geküßt.  1823—24  finden  wir  ihn  in  Paris  und 
London.  In  Paris  schloß  er  sich  namentlich  Chopin,  Hiller  und  Berlioz 
enger  an.  Dieser  besonders  wirkte  durch  seine  Orchestermusik  mächtig 
auf  ihn  ein.  Zu  Liszts  ersten  Arbeiten  gehörten  die  Übertragimgen 
der  Symphonien  und  Ouvertüren  von  Berlioz  und  Beethoven,  wobei 
er  auf  eine  bis  dahin  ungekannte  Art  die  Orchestereffekte  auf  dem 
Klaviere  wiederzugeben  wußte. 

Zunächst  zog  sich  der  zur  religiösen  Schwärmerei  neigende 
Jüngling  ganz  vom  öffentlichen  Leben  zurück  und  trat  erst  1836, 
mit  glänzenden  Kunstmitteln  ausgerüstet,  in  die  musikalische 
Arena  zurück,  um  den  Beifall  der  Welt  im  Sturme  zu  erobern 
und  beispiellosen  Enthusiasmus  zu  erregen.  Es  war  nicht  bloß 
seine  neue  und    unvergleichliche  Technik,    es  war  seine  ganze 


1)  Das  erstmals  in  Nr.  1  der  „Signale"  1856  uns  begegnende 
Spitz-  und  Schlagwort  prägte  1853  der  konservative  Kritiker  und 
Redakteiu-  der  Rhein.  Mus.  Ztg.  L.  Fr.  Chr.  Bisch  off,  anspielend 
auf  Wagners  „Kunstwerk  der  Zukunft". 


Neuromantiker.    Franz  Liszt. 


293 


Persönlichkeit,   sein  feuriger  und  genialer  Geist,  der  so  fabel- 
hafte Erfolge  erzielte.     Die  Virtuosenlaufbabn,  die  ihm  die  größten 
Auszeichnungen  (Doktor-  und  Adelsdiplom,  Ehrensäbel  und  die  höchsten 
Orden)   eintrug,   beschloß    er    1848   und   ward   zu  Weimar  Hotkapell- 
meister, später  Kammerherr.      In  Weimar,    wo    er    bis    1861    an- 
sässig war,  begann  seine  Kompositionstätigkeit  in  „neudeutscher* 
Richtung,    hier   entstanden    vor    allem    seine    epochemachenden 
„Symphonischen  Dichtungen"  (s.  u.).  Später  ging  L.  auf  längere  Zeit 
nach  Kom,  trat 
dort  in  den  geist- 
lichen Stand  (em- 
pfing aber  nur  '  '-^B^'/f  i 
die  niederen  Wei-  ■:^m  ^ 
hen,  wurde  Abbe)                     .^P'                                -iijr 
und  lebte  dann                     i'-Aiis                               -'"'^ 
teils  in  Pest,  teils 
in  Weimar  und 
Rom  oder  auf 
Reisen. 

L.s  hervor- 
ragendste 

Tonwerke  — 
ebenso  wie  seine 

deutschen  und 

französischen 

Schriftwerke 

zugleich  der 

Ausfluß  einer 
hohen  allgemei- 
nenBildungund 
Literaturkennt- 
nis —  sind :  die 
12  einer  echten, 

starken  Ton- 
dichterindivi- 
dualität entsprungenen  „Symphonischen  Dichtungen"  — 
einsätzig  gewissermaßen  durchkomponierte  Gesänge  ohne  Worte 
im  großen  neuen  Instrumentalstil,  die  Muster  einer  trotz  Berlioz 
völlig  neuen  schulemachenden  Gattung  —  (darunter  besonders 
„Tasso",  „Les  Preludes",  ,, Orpheus",  ,, Festklänge",  ,,Die 
Ideale"),  die  dreiteilige  ,, Faust-Symphonie"  mit  ihrem  er- 
greifenden   Schlüsse  (über    die    letzten  Verse  des    Goetheschen 


Werke. 


Symph. 
Dich- 
tungen. 


294 


III.  Neuzeit. 


„Faust")  *)  und  die  ,,Dante-Symplionie"  ;  unter  den  nicht  minder 
bedeutsamen  Chorwerken  (die,  wie  alle  Lisztschen  Werke  erst 
in  der  neuesten  Zeit  volles  Verständnis  und  Anerkennung 
für  die  innewohnende  Größe  fanden  —  ,,Ich  kann  warten !" 
sagte  stolz-bescheiden  der  Meister  selbst)  die  erhaben  schöne 
Oratorien  ,, Graner" -)  und  die  „Ungarische"  Festmesse,  die  Oratorien 
,,Christus"  ^)  ,,Stanislaus"  und  die  überaus  holde  .,Le  gen  de 
von  der  heil.  Elisabeth"  (auch  szenisch).  Außerdem 
schrieb  er  Psalmen,^)  Kantaten  und  kleinere  kirchliche  Ge- 
sänge für  Chor,  ferner  eine  Anzahl  bedeutsamer  Lieder  für  eine 
Singstimme  ^)  und  für  Männerchor;  unter  den  Originalkomposi- 
tionen für  Klavier  namentlich  zwei  Konzerte. 

Legion  ist  die  Zahl  der  überaus  geist-  und  effektvollen  Para- 
phrasen über  alle  möglichen  Opernmotive,  wie  denn  überhaupt  die 
Schaflfenskraft  des  Meisters  eine  ganz  erstaunliche  war.  Über 
L.s  „Rhapsodien" 6)  für  Klavier  sagt  D'Albert.^)  „Welche  Fülle 
von  Geist,  welch  zauberhafter  Fantasiereichtum  blickt  einem  aus  diesen 
Werken  entgegen!  L.  hat  in  diesen  Rhapsodien  jene  oft  ermüdend 
wirkenden  Weisen  der  Magyaren  in  interessanter  und  anziehender  Form 
wiedergegeben,  und  damit  wie  kein  anderer  Stil  und  Grundton  der 
Nationalmusik   der  Ungarn  getroffen"  (vgl.  S.  104^). 

Liszts  hehre  Künstlergestalt  ^)  gewährte  in  dem  leidenschaft- 
lichen Parteitreiben  (s.  unt.)  ein  erfreuliches  und  wohltuendes  Licht- 
bild. Frei  von  dem  landläufigen  Egoismus,  eine  hochherzige, 
wahrhaft    noble  Künstlernatur,  interessierte  er    sich    für    alles, 


Rhapso- 
dien. 


Charakter. 


^)  Über  die  zahlreichen  Faustmusiken  (dramatisch  oder 
orchestral  vgl.  Kienzls  „Aus  Kunst  und  Leben"  und  den  Artikel  Kurt 
Heys  NMZ.,  05,  2L  Unter  den  Faustkomponisten  begegnen  uns 
neben  Schumann,  Berlioz,  Liszt  und  Wagner  (S.  300)  mit  Teilmusiken 
Fürst  Radziwill  (f  1833),  Ed.  Lassen,  Brahms,  Weingartner,  Schillings 
u.  a.,mit  ganzen  Tondramen  Gounod,  Boito,  H.  Zöllner,  Kistler.  2)  Vgl. 
die  „Einführung"  von  A.  Göllerich,  1897.  ^)  Vgl.  Ramann,  L.s  Christus, 
1880.  *)  Vgl  Ramann,  L.  als  Psalmensäuger,  1866.  ß)  Vgl.  Ed.  Reuß, 
,,L.s  Lieder"  06.  ^)  Ursprünglich  die  Dichtungen  der  Rhapsoden  (S.  S.  29), 
jetzt  über  Volksmelodien  komponierte  Instrumentalphantasien,  s.  Lalo, 
Raflf,  Dvoiäk,  aber  auch  Brahms.  ^)  Vorwort  seiner  A.  der  Rhapsodien, 
Leipzig,  Sentf. 

®)  GA.  der  musik.  Wke.  [Franz  Liszt  Stiftung]  in  Vorbereitung, 
B.  &  H.  —  Ausgew.  Klav.  Werke,  J.  Schubert  &  Co.  —  Ges.  Schrif- 
ten, [L.  Ramann]  6  Bde.  1880—83.  Briefe,  [La  Mara],  Bfe.  an  eine 
Freundin.  1894,  Bfe.  hervorragender  Zeitgenossen  an  Liszt.  3  Bde. 
1897.  Briefwechsel  zw.  L.  und  H.  v.  Bülow.  1898.  Lpz.  B.  &  H. 
(8  Bde.);  zwischen  L.  und  Wagner  1887,  2  Bde.  Bfe.  an  Gille,  B  &  H. 
03.     [Ad.  Stern.]  [M.  D.  Calvocoressi]  Paris,  H.  Laurens. 

B. :   LinaRamann  (pädagog.  u.  MS.  in  München),  3  Bde.  1880 


Xeiiromantiker.    Franz  Liszt. 


295 


förderte  neidlos  wie  munifizent,  ein  „Genie  der  Großmut",  alles, 
was  ihm  dessen  wert  erschien,  und  wußte  durch  den  unsagbaren 
Zauber  seiner  einzig  dastehenden  Persönlichkeit  und  echte  Be- 
scheidenheit alles  um  sich  her  zu  faszinieren,  durch  seinen 
eminenten  Geist  alle  Kreise,  die  er  betrat,  zu  beherrschen. 

In  Weimar  thronte  Franz  L.  als  wahrer  Fürst  seiner  Kunst  Weimar, 
und  Aristokrat  in  Person  —  er  saß  ebenbürtig  neben  den  Vor- 
nehmsten und  zerriß  endgiltig  das  noch  immer  zwischen  dem 
Künstler  und  der  „Gesellschaft"  gespannte  Seil  —  umringt 
von  den  ihm  überall  hin  folgenden  Schaaren  begeisterter  Schüler, 
Anhänger  und  Verehrer,  umgeben  von  einer  über  alle  Gegner- 
schaften triumphierenden  Liebe  und  Verehrung  —  Goethe 
redivivus.  Weimar  wurde  durch  ihn  die  Hochburg  der  neu- 
deutschen Schule,  der  Sammel-  und  Ausgangspunkt  ihrer  her- 
vorragendsten Talente  und  Vorkämpfer.  ^)  Uns  begegnen  dort 
vor  allem  die  großen  Pianisten  Hans  v.  Bülow  —  er  ehelichte 
Cosima,  die  Tochter  Liszts  (aus  dessen  Verbindung  mit  der 
Gräfin  d"  Agoult),  später  zweite  Gattin  Rieh.  Wagners  —  und 
Carl  Tausig  (vgl.  Kap.  VIII),  Brendel,  die  Tonsetzer  Joachim 
Raff,  Felix  Draeseke,  Peter  Cornelius  (s.  u.)  und 
der  1849  zu  ihm  flüchtende  „Revolutionär"  —  Richard 
Wagner.  Von  nachhaltigster  Bedeutung  wurde  fortan  L.s  EinfluB. 
Einfluß  auf  den  durch  ihn  in  jeder  Beziehung  selbstlos  und 
mächtig  geförderten  Reformator  der  großen  Oper  und  Schöpfer 
des  deutsch-nationalen  Musikdramas.  Am  28.  August  1850  er- 
lebte Weimar  die  denkwürdige  Urauftührung  des  „Lohengrin"  unter 
Liszt,  der  mit  Wort  und  Schrift  fortab  für  Wagner  eintrat  und 
die  Seele  der  nun  gewaltig  einsetzenden  Wagnerbewegung  in  Deutsch- 
land wurde. 


bis  1894:  R.  Pohl  1.^83;  Aug.  Göllerich  .*  18.Ö9  zu  Linz,  das.  MD.) 
Bd.  8  „D.  Musik"  Brl.  und  Lpz.  Reclam  II*:  Nohl,  Reclam  I*.  Ed. 
Reuß,  1898  (als  besonders  zuverlässig  gerühmt) :  R.  Louis,  04.  — Ver- 
zeichn.  d.  gedruckten  Werke  [Güllerich]  N.  Z.  f.  M.  1888/89. 

L. :  Raraann :  „Liszt-Pädagoginm".  Mirus  A. :  „Das  Liszt-Museum 
in  Weimar",  B,  &  H.,  Lpz.  Janka  Wohl,  Erinnerungen,  Jena  1887. 
Vgl.  auch  die  früheren  Noten. 

D. :  Weimar  (Hahn)  02.  Leipzig  Gewandhaus  (Klinger)  00,  Stutt- 
gart 03.  —  Liszt-Museum  in  Weimar  (gestiftet  von  L.s  Freimdin 
Fürstin  Wittgenstein  und  deren  Tochter  Fürstin  Hohenlohe).  [Kustos 
Dr.  Aloys  Obrist^;  L.  Stiftung  .^Schenkung  der  vorgenannten  Fürstin 
zm-  Unterstützimg  begabter  Tonsetzer  und  Pianisten. 

^)  La  Mara,  Aus  d.  Glanzzeit  d.  Weimarer  Altenburg,  Lpz.  B.  &  H. 


296 


III.  Neuzeit. 


isf^ls'  Richard  Wagner,    der    geniale  Wort-  und  Tondichter 

in  einer  Person,  wurde   am  22.  Mai   1813  zu  Leipzig  geboren. 

Zur  Musik  fühlte  er 
sich  in  der  Jugend 
wenig  hingezogen, 
mußte  auch  das  Kla- 
vierspiel aufgeben, 
weil  ihm  die  Ueber- 
windung  der  techni- 
schen Schwierigkeit 
das  Interesse  daran 
beeinträchtigte ,  im 
GegeDsatze    zu   den 

Komponisten  der 
neueren  Zeit,  die  fast 
alle  Meister  dieses 
Instrumentes  sind. 
Desto  eifriger  be- 
schäftigte    ihn     die 

Dichtkunst.  Erst 
Webers  ,Freischütz', 
Beethovens  Sympho- 
nien imd  Egmont- 
Musik  brachten  ihn 
zu  dem  EntschlulJ, 
sich  ganz  der  Musik 
zu  widmen.  Als  Stu- 
dent der  Philosophie 
machte  er  kontra- 
punktische Studien 
bei  dem  Thomaskan- 
tor Weiulig  in  Leip- 
zig, und  zwar  mit 
"  solchem  Erfolge, 

1.  Periode,  daß   er   bereits   1833   mit    einer   Symphonie   imd   einer   Ouvertüre  in 

einem  Gewandhaus-Konzerte  auftreten  konnte.  1834  wurde  er  Theater- 
Musikdirektor  in  Magdebui-g,  wo  er  1836  seine  Oper  „Das  Liebes- 
verbot" (nach  Shakespeares  „Maß  für  Maß")  aufführte.  Nach  kurzer 
Tätigkeit  am  Königsberger  Stadttheater  lebte  W.  (inzwischen  mit 
der  Schauspielerin  Minna  Planer  verehelicht)  von  1837—39  in  Riga 
als  Kapellmeister  an  dem  von  Holtey  geleiteten  Theater.  Den  in 
Eienzi.  Riga  begonnenen  „Rienzi"  beendete  er  während  eines  an 
Sorgen  und  Arbeit,   aber    auch  an    den    tiefen  Eindrücken  der 

2.  Periode.  Großen  Oper  reichen  Aufenthalts  in  Paris  (1839 — 42),  wo 

er  auch  den  „Fliegenden  Holländer"  (nach  Heine)  schrieb;  in 
jenem  Werke  noch  von  Meyerbeer  stark  beeinflußt,  in  diesem, 
trotz  der  Anlehnung  an  Marschner,  schon    als  „Neuerer'"   auf- 


Neuromantiker.    Rieh.  Wagner. 


297 


fliegende  Holländer. 
Bald  . 


tretend  (s.  u.).      April    1842    kehrte    er  nach    Dresden    zurück, 
wo    „Cola   Rienzi-     am     20.    Okt.     1842,     „Der 
Holländer",  am  2.  Jan.  1843  die  Uraufführung  erlebten, 
darauf  wurde  Wagner  als  Hofkapellmeister  angestellt. 

Hätte  er  sich  entschließen  können ,  in  dem  bisherigen 
Gleise  fortzuarbeiten  und  den  bestehenden  Verhältnissen  Rech- 
nung zu  tragen,  wäre  nun  seine  äußere  Existenz  gesichert  ge- 
wesen. Allein  er  wollte  die  erkannten  Mißstände,  den  Schlendrian 
bei  der  Oper  beseitigen;  so  kam  es,  daß  sein  „Tannhäuser"  hä^g-j 
(1845)  heftige  Opposition  hervorrief  und  sein  „Lohengrin"  Lohengria. 
vorerst  (1848)  keine  Annahme  fand  (s.  S.  295).  Verbitterter 
Stimmung,  auch  darob,  daß  sein  dem  Kultusminister  eingereichter 
„Entwurf  zur  Organisation  eines  deutschen  Nationaltheaters 
für  das  Königreich  Sachsen"  abgelehnt  worden,  schloß  W.  sich 
der  Bewegungspartei  an,  mußte  nach  der  Niederwerfung  des 
Aufstandes  im  Mai  1849  flüchten  (vgl.  S.  295),  wurde  steck- 
brieflich verfolgt  und  ließ  sich  in  Zürich  nieder,  ^)  wo  er  die 
Schriften  „Die  Kunst  und  die  Revolution"  (1849),  „Das 
Kunstwerk  der  Zukunft"  (1850,  dem  radikalen  Philosophen 
Ludw.  Feuerbach  gewidmet)  auch  den  Pseudonymen,  gegen 
Mendelssohn  und  Meyerbeer  (der  den  „Fliegenden  Holländer" 
in  Berlin  empfohlen  hatte!)  gerichteten  Artikel  „Das  Juden- 
tum in  der  Musik"  (N.  Z.  f.  M.) -)  und  „Oper  und  Drama" 
(1851)  verfaßte.  In  diesen  Schriften  geht  er  von  der  Ansicht 
aus.  daß  die  bisherige  Oper  ein  Irrtum  sei,  da  sie  die  Musik 
als  Zweck  und  nicht  als  Ausdrucksmittel  betrachte  und  be- 
nutze. Nur  die  Einheit  der  Poesie  und  der  Musik 
könne  das  Musikdrama  zur  Vollendung  führen ;  sowohl  die 
Musik  als  auch  die  Poesie  müsse  im  Interesse  des  Ganzen 
etwas  von  ihrer  Eigenart  opfern.  Diese  Grundsätze  von  der 
„Vereinigung  der  Schwester künste"  waren,  wie  wir 
bereits  wissen,  keineswegs  neu  (vergl.  Caccini  und  Gluck), 
traten  aber  hier  weit  schärfer  und  einschneidender  hervor. 
Auch  bezüglich  des  unsichtbaren  Orchesters  griff  W.  später 
auf  die  Florentiner,  ja  bis  auf  Vecchi  zurück  und  schloß  nur 


Zürich. 

Reform- 

schrifteu. 


1)  Steiner  A.:  „R.  W.  in  Zürich".    3  T.    Zürich.    Gebr.  Hug. 

-')  Neuestens  wurde  die  jüdische  Abstammung  W.s  selbst  be- 
hauptet, wonach  er  der  Sohn,  nicht  Stiefsohn  des  Universalkünstlers 
Geyer  war,  dessen  Nameo  er  auch  bis  zum  14.  Lebensjahre  führte. 


298 


III.  Neuzeit. 


Tristan. 


Unendliche 
Melodie. 


den  Ring  der  Entwickelung  des  musikalischen  Dramas.  ^)  In- 
dem   er    aber   gleichzeitig    die   bestehende    Opernmißwirtschaft, 

3.  PeriodCi  vor  allem  das  „falsche  Pathos"  der  „großen"  Oper  —  auf  diese 
bezog  sich  die  Reform ;  die  komische  Oper  blieb  wie  bei  Gluck 
unberührt,  desgleichen  die  Oper  mehr  lyrischen  Einschlags  — 
schonungslos  bloßlegte,  erwarben  ihm  diese  Arbeiten  viele 
Feinde.  Die  Gegnerschaft  übertrug  sich  nun  auch  auf  die 
Oper  ,,Tristan  und  Isolde"  (1859),  in  der  der  Bruch 
mit  der  bisherigen  Opernform  vollzogen,  die  eigenartige, 
von  dem  noch  in  Webers  Bahnen  wandelnden  „  Tannhäuser " 
und  „Lohengrin"  durchaus  abweichende  Wort-  und  Tonsprache 
—  die  „unendliche  Melodie"  und  die  Verlegung  des 
Schwerpunktes  der  Themenbildung  ins  Orchester  —  konsequent 
durchgeführt  ist.  Bereits  seit  dem  „Fliegenden  Holländer"  hatte 
W.  die  „geschlossenen  Nummern"  der  Oper  (Arie,  Duett  usw.)  ver- 
mieden und   als  Mittel  zur   einheitlichen  Gestaltung   des  Werkes   das 

Leitmotiv,  schon  durch  Weber  und  Loewe  verwendete  Leitmotiv,  d.  i.  ein 
kurzes,  eine  bestimmte  Person  oder  Situation  charakterisierendes 
Thema,  immer  mehr  zum  gestaltenden  Prinzip  erhoben.  Nun  setzte 
er  an  Stelle  der  geschlossenen  Melodie  vollends  die  vornehmlich  ins 
Orchester  verlegte  „unendliche"  mit  dem  sog.  „Sprachgesang" 
auf  der  Bühne,  —  ein  höheres,  reich  begleitendes  Rezitativ.  2)  Lediglich 
Ausnahmen  von  der  Regel  sind  später  das  ,, Preislied"  und  das  Quintett 
in  den  „Meistersingern"  oder  das  Liebeslied  in  der  ,, Walküre"  — 
wahre  Perlen  geschlossener  Melodiebildung.  1864  berief  ihn 
König  Ludwig  II.  —  ein  Genie  auf  dem  Thron,  zeitlebens  W.s 
hingebungsvoller,  opferki'äftiger  Freund  —  nach  München,  wo 
am  10.  Juni  1865  die  Uraufführung  von  ,, Tristan  und  Isolde" 
stattfand.  W.  verließ  jedoch  München  schon  Ende  1865  undsiedelte 
sich  in  Triebschen  bei  Luzern  an,  dort  die  komische  Oper  ,,Die 
Meistersinger  von  Nürnberg"  vollendend,  die,  Wagners 
deutschen  Genius  am  herrlichsten  offenbarend,  am  21.  Juni  1868  in 

Bayreuth.  München  zur  Uraufführung  kam. 3)  187 1  ließ  W.  sich  in  Bayreuth 


Sprach- 
gesang. 


Meister- 
singer. 


^)  lieber  das  Vorgängertum  s. :  „D.  dtsche.  Oper",  ,.Pasticcio". 
Zwei   Aufsätze  v.  R.  Wagner.     WEM.  03,  31.  ^)  Dieser   Sprach- 

gesang und  sein  „natürliches"  Deklamieren  wird  gegenwärtig  wieder 
auf  Kosten  der  melodischen  Linie  übertrieben.  „So  wenig  als  der 
logische  Zusammenhang  durch  den  Sänger  zerrissen  werden  soll,  darf 
auch  der  melodische  gestört  werden"  (Dr.  Kienzl  „D.  musikal.  Dekla- 
mation" 1880).  Das  Zukunftsheil  unserer  Oper  beruht  auch  nur  auf 
einer  gesunden  Ehe  zwischen  bei  canto  und  Sprechgesang. 

•^)  Vgl.  S.  84  Anm.  u.  S.  229  [Wenzel  Müller];  hier  verwendet  W. 
auch  den  altnürnbergschen  Nachtwächterruf,  dessen  Antange  ein  Jüngst 


Neuromantiker.    Rieh.  Wagner. 


299 


nieder,  wo  durch  seine  rastlose  Energie  und  unter  tätiger  Beihülfe 
Ludw.  II.  wie  der  „Wagnervereine"  das  großartige  Festspiel- 
haus erstand,  in  dem  sich  W.s  Lebenstraum  erfüllte  :  dort  fanden 
vom  13. — 20.  August  1876  die  ersten  drei  Aufführungen  der  als 
Festspiel  gedachten ,  auf  der  nordischen  Göttersage  auf- 
gebauten Tetralogie  „Der  Ring  des  Nibelungen"  („Wal- 
küre", ,, Siegfried",  ,, Götterdämmerung'"  und  Vorspiel  ,, Rhein- 
gold" —  dieses,  begonnen  1853,  hatte  schon  am  22.  Sept.  1869 
in  München  eine  erstmalige  Vorführung  erlebt  —  statt.  Der 
Wagner  vor  allem  als  Symphoniker  schätzt,  Tschaikowsky, 
nennt  die  Trilogie  trotz  mannigfacher  Einwendungen  ,,ein 
welterschütterndes  Ereignis,  ein  epochemachendes  Kunstwerk". 
Im  „Ring"  mit  seinen  grandiosen  musikalischen  Naturschilderungen 
erweist  sich  vor  allem  die  Darstell  ungskraft  derMusik  gnißer, 
als  alle  Versinnlichung  durch  das  phantasieverderbende,  gegenwärtig 
überwuchernde  Ausstattnngswesen  i  vgl.  den  „Feuerzaubei-"  und  ,, Wal- 
kürenritt" die  alle  Inscenierungskunst  i)  hinter  sich  lassen.  W.s 
letztes,  erhabenes  wie  wohllautsattes  Werk,  eine  Apotheose 
des  Glaubens,  das  von  ihm  ausdrücklich  für  Bayreuth  vor- 
behaltene Bühnenweihfestspiel  (wie  eres  nannte)  ,,Parsifal" 
(vgl.  S.  107  Anm.)  wurde  zuerst  am  26.  Juli  1882  in  Bayreuth 
mit  wahrhaft  erhebender  Wirkung  aufgeführt.  Wagner  starb 
am  13.  Februar  1883  im  Palazzo  Vendramin  zu  Venedig ;  seine 
Leiche  wurde  nach  Bayreuth  übertragen  und  dort  im  Garten 
seiner  Villa  ,, Wahnfried"    beigesetzt.  -) 

Zu  Wagners  gedruckten  Werken  gehören  noch :  Eine  Sonate 
(op.  1),  eine  Polonaise  (op.  2)  und  eine  Fis-moU  Phantasie  für  Klavier 
(charakteristischer  Weise  lassen  die  ersten  Jugendarbeiten  mit  ihrer 
oft  dilettantischen  Faktur  nicht  im  mindesten  die  erstklassige  Schöpfer- 
kraft des  späteren  Meisters  erkennen) ;  4  Konzertouverturen  (die  pom- 
pöse „Polonia",  „Rule  Britannia"):  ,.  An  Webers  Grabe"  (zur  Beisetzung 
der  von  London  nach  Dresden  1H44  überführten  Leiche  Webers  und 
.,Das  „Liebesmahl  der  Apostel''  für  ^Männcrchor;  eine  „Faust-Ouver. 
türe",  „Huldigungsmarsch"  (an  König  Ludwig  IT.),  „Kaisermarsch" 
(Wilhelm  I.)    und    „Festmarsch"    1876   für   Philadelphia,    sowie    das 


Festspiel- 
haus. 


Ring  des 
Nibe- 
lungen. 


ParsifaL 


von  Otto  Richter-Halle  aufgefundenes  ostim.  „Nürnberger  Quodlibet" 
a.  d.  J.  1G50  zeigt.  ^)  Vgl.  hier  Appia,  d.  Musik  u.  d.  Inscenierung, 
München,  Bruckmann  06,  der  das  Prinzip  der  Lichtwirkung  vertritt. 
2)  Man  bemerkte  die  Rolle  der  Zahl  13  im  Leben  W.s:  1813  geboren, 
am  13.  gestorben,  13  Buchstaben  im  Namen,  13  Opern  (mit  dem 
Mozart- Weber  durchtränkten  Jugendwerk  „Die  Feen"),  Vollendung 
imd  Urauftührung  des  Tannhäuser  an  einem  13. 


300  m*   Neuzeit. 


„Siegfriedidyll"  für  Orchester  (zur  Geburt  seines  Sohnes  Siegfried, 
*  1869  [Opernversuche  „Der  Bärenhäuter"  u.  a.]*)  ferner  drei  „AJbum- 
blätter"  für  Pianoforte  und  einige  Lieder.^) 
Charakter.  W..    einer   der    wenigen   Tondramatiker,    deren    Werke    in 

stets  aufsteigender  Linie,  und  darum  auch  jedes  bei 
seinem  Erscheinen  von  tiefgehender  Teil-  und  Parteinahme  be- 
gleitet ,    sich  bewegten ,    ist  ebenso  kühn    als  Harmoniker    wie 


1)  B. :  L.  Karpath,  Brl.  „Harm."  (überschwänglich.) 

2)  A. :  Musikdramat.  Werke  durch  die  Originalverleger  Schott 
und  Fürstner  (Part.  u.  Klav.  Ausz.);  einzelne  Original -Kompos.  b. 
u.  a.  Siegel-Lpz.,  B.  &  H.  Ges.  Schriften  u.  Dichtungen.  10  Bde. 
4.  A.,  Siegel,  Lpz.  07.  Briefwechsel  Wagner-Liszt.  2  Bde.  1887. 
Briefe  an:  Th.  Uhlig,  W.  Fischer  u.  F.  Heine,  1888;  A.  Röckel, 
1894;  E.  Wille,  1898;  E.  Heckel,  Lpz.  B.  &  H. ;  0.  Wesendouck; 
Mathilde  Wesendonck  [Golther] ;  u.  Familienbriefe  [Glasenapp]  07,  Brl. 
Duncker;  Minna,  Brl.    Schuster  &  Löffler  08. 

B.:  C.  F.  Glasenapp,  5  Bde.  (der  6.  in  Vorher.)  4.  A.  07. 
B.  &  H.  (stark  polemisch) ;  H.  St.  Chamberlain,  3.  A.  München ;  Nohl, 
Lpz.  Reclam.*  G.  Levy,  R.  W.s  Lebensgang  i.  tabellar.  Darstellung, 
„Harm.",  Berlin  04.  —  W.  Kienzl.  04;  Max  Koch,  3  Bde.  (rein 
wissenschaftlich,  mit  Bibliographie)  1  Bd.  Nr.  55/6  der  Samml.  „Geistes- 
helden" Brl.,  B.  Hofmann  &  Co.  Rieh.  Bürkner,  Jena,  Costenoble,  07 
(besonders  empfehlenswert). 

L.:  Oesterlein,  Katalog  einer  W.-Bibliothek,  1882—95  4  Bde. 
(10181  Nummern!).  H.  S.  Chamberlain,  Das  Drama  R.  W.s  1892. 
E.  Naumann,  Musikdrama  oder  Oper.  1896.  H.  Hüffer,  R,  W.  u.  d. 
Musik  d.  Zukunft.  1877.  L.  Nohl,  Beethoven -Liszt- Wagner,  1874. 
Jgn.  Schmied,  R.  W.  u.  d.  Kunstwerk  d.  Zuk.  —  Hans  Frhr.  v.  Wol- 
zogen  (bedeutender  W.-Schriftsteller  u.  Verfechter  des  Reformwerkes, 
*  1848  Potsdam,  seit  1877  in  Bayreuth,  Red.  der  „Bayreuth.  Blätter'-) : 
Erinnerungen  an  R.  W..  Lpz.  Reclam ;  E.  A.  T.  Hoffmann  u.  R.  W., 
Brl.  07;  W.-Brevier,  3  Bd.  „D.  Musik",  Brl.  —  „Themat.  Leitfäden" 
u.  a.  —  M.  Chops  Analysen  d.  „Flieg.  HolL".  „Ring"  u.  „Parsifal", 
Lpz.  Reclam.  Dr.  G.  Münzer,  R.  W.s  „Ring",  (popul.  Einführg.)  Brl. 
„Harm."  V.  d.  Pfordten,  Handlung  u.  Dichtung  d.  Bühnenwke  R.  W.s 
3.  A.  Trowitsch  u.  Sohn,  Brl.  —  Röckel  Seb.:  „Ludwig  II.  u.  R.  W. 
1864/65".  C.  H.  Beck,  München.  Scliemann  L. :  „Meine  Erinnerungen 
a.  R.  W.".  Fr.  Fromann  (E.  Hauff)  Stuttgart.  Schilling  A. :  „Aus  R. 
W.s  Jugendzeit",  Globig,  Brl.  Steger  H.  Dr. :  „W.  Bfe."  (Veröffentl. 
in  einem  Aufs,  über  Fr.  Materna.)  Wien,  „N.  Fr.  Pr."  5..  8.,  14.  Okt.  02. 
Sternfeld  R.  Dr. :  „R.  W.  u.  d.  Juli-Sinf.  v.  H.  Berlioz",  D.  M.,  II,  4. 
—  Schwabe  Fr. :  „D.  Frauengestalten  R.  W.s",  Bruckmann,  Münch.  — 
A.  Seidl,  Wagneriana  3  Bde.  02.  —  G.  A.Kietz,  Erinnerungen,  Dresd.  05 
(überschwänglich).  Kohut,  D.  Meister  v.  Bayreuth.  Neues  und  Intimes 
a.  d.  Leb.  u.  Schaffen  R.  W.s,  (Schröder',  Brl.  05.)  —  Wagner-Hft. 
D.  M.,  V.   19.   —   R.  W.-Jahrb.  [Frankenstein]  Lpz.  I.  06  II.  07.  — 


Neuromantiker.    Rieh.  Wagner.  301 

trotz  aller  Einflüsse  von  Beethoven  (s.  dort),  Weber,  Mendels- 
sohn, ^)  Meyerbeer,  Liszt  u.  a.,  originell  und  in  seinen  Bann 
zwingend  als  Melodiker.  Als  Instrumentator  ersten  Ranges, 
der  das  Klangwerkzeug  nahezu  erschöpfte ,  malt  er  ebenso 
sinnberückend  duftig  zart,  wie  —  namentlich  im  „Ring"  — 
al  fresco,  für  den  weitesten  Raum  berechnet  (Nibelungen- 
Orchester:  stark  besetzter  Streicherchor,  Picc,  3  Fl.,  3  Ob., 
Engl.  Hörn,  3  Klar.,  Baßklar.,  3  Fag.,  8  Hörn.,  4  Tuben,  3  Tromp., 
1  Baßtromp.,  3  Pos.,  1  Kontrabaßpos.,  6  Harf.,  4  Pauk.,  Schlag- 
werk). Seiner  Musik  mangelt  nur  zweierlei:  der  Humor,  den  selbst 
in  den  „Meistersingern"  nur  köstliche  Frische  ersetzt,  und  (der  Linie 
Berlioz  —  Liszt  —  Wagner  überhaupt)  —  Naivetät.  Wagners  persön- 
liche, vielfach  mißverstandene  Vorliebe  für  äußeren  Prunk  und  Luxus 
kommt  auch  in  dieser  Musik  zum  Ausdruck,  die  indessen  ihre  große 
äußere  Prachtentfaltung  mit  einer  echt  deutschen  Gründlichkeit  und 
Tiefe  sondergleichen  paart.  War  doch  das  Empfinden  Wagners,  einer 
in  Not  und  Arbeit  und  Verfolgung  erstarkten  , Herrennatur',  ein  so 
echtes ,  tiefes ,  wie  ihm  eben  nur  eine  ,Tristan'musik  entspringen 
konnte.  Uebrigens  hat  W.,  „der  so  viel  Schopenhauersche  Philosophie 
in  seinen  ,Tristan'  hineingearbeitet,  trotzdem  das  hohe  Lied  trunkener 
Sinnenlust  nie  mit  berauschenderen  Tönen  gesungen,  als  gerade  dort" 
(Wolzogen).^) 

W.s  künstlerische  Schöpfungen,  die  wie  ein  roter  Faden 
das  Erlös ungsmotiv  durchzieht,  bedeuten  nicht  zuletzt  eine  werte, 
grandiose  Illustrierung  der  ganzen  germanischen  Literaturge- 
schichte. Sie  sind  aber  vor  allem  ,, Kulturerscheinungen  erster 
Ordnung.  W.  gehört,  wie  Nietzsche  sagt,  zu  den  Kultur- 
gewalten.   Wie  jedes  Genie,  sei  es,  daß  es  sich  in  einer  Kunst 


Erinnerungen  des  Dessauer  Choreographen  R.  Fricke,  06.  —  Er.  Kloß, 
W. -Anekdoten,  Brl.  Schuster  &  Lölfler,  08.  —  Angelo  Neumann  iher- 
voiTagender  Bühnenleiter  *  1838  Wien,  erwarb  sich  1882  durch  sein 
wanderndes  ,, Wagnertheater"  wesentliche  Verdienste,  seit  1886  in 
Prag  erfolgreich  wirkend  i  Erinnerungen  an  R.  W.  Lpz.,  Staakmann, 
07.  —  L.  Pohl,  Rieh.  Wiegand  (Schlüsselroman)  04.  Vgl.  auch  die 
übrigen  Noten. 

D. :  Berlin  [Eberlein]  06.  —  W.  —  Museum  [Oesterlein]  Eisenach 
(mit  W.-Bibliothek). 

1)  Vgl.  z.  B.  das  „Waldweben"  im  Siegfried,  das  den  großen 
Naturkenner  verrät,  mit  einer  gewissen  „Freischütz "-Orchesterstelle 
(Part.  p.  91,  EP.),  oder  das  Rheinflutenraotiv  mit  dem  Beginn  der 
Melusinen- Ouvertüre.  -)  Vgl.  F.  v.  Hausegger,    W.   u.   Schopen- 

hauer, 2.  A.  1892;  Gtiggenheimer,  Novalis'  Hymnen  a.  d.  Nacht  u. 
R.  W.s  Tristan,  NMZ.  05,  19 ;  ferner  ob.  S.  107  Anm. ;  Lederer,  Kelt. 
Renaissance  24  f. 


302  m-  Neuzeit. 

betätigt,  sei  es ,  daß  es  mehrere  Künste  beherrscht,  so  ist 
Wagners  Gesamterscheinung  als  Dichter,  Musiker,  als  Drama- 
tiker, Denker,  Organisator,  als  geistiger  Führer  in  der  Leitung 
und  Ausführung  von  Werken  der  Tonkunst  von  imponierender 
Machtfülle  .  .  .  lieber  dieBeetho venische  Kunst  hinaus  geht 
W.  in  den  musikalischen  Mitteln  und  ihrer  Anwendung  —  bezüglich 
der  Selbständigkeit  der  Musik  stehen  die  Werke  W.s  zurück.  Die 
Bühnenwelt  ist  im  „Fidelio"  mit  Aug  und  Ohr  des  reinen  Musikers 
erschaut.  Die  Operngestalten  sind  in  Beethovens  Tonwelt  hinein-,  im 
Wagnerschen  Kunstwerke  sind  sie  aus  dem  Geiste  der  Musik  heraus- 
gewachsen. Bei  W.  ist  die  Musik  ein  Bestandteil  des  Dramas,  das, 
wie  er  sagt,  ein  schöpferischer  Bund  der  Gebärden-,  Ton-  und  Wort- 
sprache ist."i) 

Zweifellos  verkörperte  sich  in  dem  zielbewußten  Refor- 
mator eine  bewunderungswürdige  Tatkraft,  eiserne  Konsequenz 
und  epochemachende  Begabung.  Tatsache  ist,  daß  gegenwärtig 
seine  Werke  die  Bühne  beherrschen ,  wie  daß  auch  seine 
Bayreuther  Schöpfung  in  den  jedes  zweite  Jahr  inszenierten 
,, Festspielen"  fortbesteht  —  ob  im  ursprünglich  idealen  oder  nm- 
mehr  im  Geschäftssinne  von  W.s  Witwe  und  Sohn  geleitet,  bleibe  hier 
imerörtert.  ^) 
Einfluß.  In    einzig    dastehender    Weise    aber    beeinflußte    W.s  Stil 

ausgenommen  einzelne  markante  Individualitäten,  das  ge- 
samte künstlerische  Schaffen  des  In-  und  Auslandes.  Aller- 
dings mehr- minder  in  technischer  Hinsicht,  so  daß  von  einer 
Wagnerschen  Schule  oder  Nachfolge  nicht  eigentlich  gesprochen 
werden  kann.  ^)  Jene  Stileinheit  oder  Stilreinheit,  vor  allem 
jene  Einheit  der  Stimmung  die  W.  zum  Prinzip  erhob 
und  in  jedem  seiner  Werke  in  immer  anderer  Art  meisterlich 
und  konsequent  durchführte,  ist  —  etwa  bis  auf  Straußens 
„Salome"  —  nicht  wieder  erreicht  worden  und  vollends  verun- 
glücken muß,  anderseits  der  Versuch,  fremdnationale  Werke  nicht  in 
dem  ihnen  eigenen  Stil,  sondern  in  den  spezifisch  Wagnerischen, 
d.  i.  dem  rausikdramatisch-deklamatorischen  wiederzugeben. 

^)  „R.  Wagner".  Vorträge  gehalten  an  der  Wiener  Universität 
von  Dr.  Guido  Adler  (o.  ö.  Univ.-Prof.  d.  Musik  zu  Wien,  vorher  in 
Prag,  *  1855  in  Eibenschütz  i.  Mähr. ,  bedeutender  Musikgelehrter 
(vgl.  S.  205),  seit  1894  die  Herausgabe  der  „DM.  i.  Oest."  leitend) 
B.  &  H.  05.  2j  Vgl.  (pro):   Wolzogen,   Bayreuth,   Brl.    Bd.  5  „D. 

Musik".  Bayreuther  Nummern  der  NMZ.  Ol,  15,  18.  „Bayreutherbeft" 
„D.  M."  02,  20,  21.  —  Hageraaun  C:  „Bayreuther  Inszenierungskunst". 
„Bühne  u.  Welt"  02,  Nr.  4;  (contra)  u.  a.  Weingartners  „Bayreuth 
(1876—96)."  3)  Ygi  übrigens   Dr.   Seidl:    hat  R.  W.  eine  Schule 

hinterlassen?     1892. 


Neiiromantiker. 


303 


Vor  allem  in  der  „Tristan"-Musik  aber  wurzeln  unsere  Modernsten, 

die  Jungdeutschen,  wie  die  Jungfranzoseu  und  Jungitaliener  —  unbe- 
schadet der  weiterwirkenden  Haupteinüüsse  der  Meyerbeer  und  Gounod. 


Das  heftige,  bereits  seit  dem  „Fliegenden  Holländer"  begonnene     Kampf- 
Für  und  Wider  zeitigte  namentlich  seit  der  Bayreuther  ,RiQgauffiihrung"      »teratiir 
eine  ganze  Wagnerliteratur,   zahlreiche  ^lusikschriftsteller  fanden  und 
finden  heute  noch   hier  Gelegenheit,     sich   einen  Namen   zu    schaffen. 
Zwei  besonders  markante  Köpfe  tauchen    aus    der   Flut  des    Pro  und 
Contra')  hervor,  beide   ebenso    geistvoll    und    angesehen    als  Kritiker, 
und   glänzende   Stilisten:   Dort   Wilhelm  Tappert,   der   begeistertste 
und  vielvermögendste  Vorkämpfer    (f  1907  zu  Berlin), 2)    hier  Eduard 
Hanslick    aus    Prag    (f    1904    als    Univ.-Professor    zu    Wien),    der   Hanslick. 
schneidigste   Gegner,   dessen  Ruf   übrigens   bereits  die  vielverbreitete, 
die  neuere  Musikästhetik  einleitende  Schrift  „Vom  Musikalisch-Schönen" 
(1854,  10.  A.  02  !)  begründet  hatte.  ») 

Hanslick  war  nicht  umsonst  aus  der  letzten  der  berühmten 
böhmischen  Musikschulen  hervorgegangen,  deren  Haupt  Wenzel 
Job.  Tomaschek  als  Theoretiker  und  Komponist  [Requiem, 
Krönimgsmesse,  Ballade  ..Leonore" ;  Eklogen  imd  andere  die  Lite- 
ratur der  Lieder  ohne  Worte  förmlich  antizipierende  Klavierstücke]*) 
weit  über  die  Landesgrenzen  hinaus  Ansehen  genoss.  Tomaschek 
(1774—1850)  s.  Z.  der  „Musikpapst"  von  Prag,  den  kaum  ein  aus- 
ländischer Künstler  versäumte  aufzusuchen,  beschloß  die  ältere  Epoche 
der  böhmischen  Musikgeschichte,  aus  der  in  diese  Zeit  noch  der  be- 
rühmte Kontrapunktist  Simon  Sechter  (aus  Friedberg)  t  1867,  KP. 
und  Hoforganist  in  Wien  [Orgel-  Kirchen-  imd  Kammermusik,  Grund- 
Sätze  d.  musik.  Komposition  1854,  3  Bde.]  und  der  blinde  Klavier- 
pädagoge Jos.  Proksch  aus  Reichenberg ^)  (f  1864  Prag)  liervor- 
ragen.  Während  Tomaschek  mit  dem  ersten  Direktor  des  Prager  Prag. 
Konservatoriums  Friedrich  Dionys  Weber  (f  1842)  und  dem  Koze- 
luchschüler  J.  pf.  Witasek  (f  1839:  Requiem)  mit  einem  Teile 
seiner    Schule     das     reaktionäre,     nicht  |über    Mozart     und    den 


1)  Beides  in  einer  Person  verkörperte  der  geniale  'Philosoph 
Nietzsche  (f  00)  zuerst  leidenschaftlicher  Anhänger  W.s  („D.  Ge- 
burt der  Tragödie  a.  d.  Geiste  der  Musik"  u.  „R.  W.  in  Bayreuth") 
zuletzt  Gegner  („D.  Fall  [recte  Abfall  von]  Wagner,"  1888).  Ein 
Gegenbild  war  der  Violinist  Uhlig  (f  1853).  2)  Musikal.  Studien  1868 
„Wagner  Lexikon"  (enthaltend  alle  beleidigenden  Ausdrücke  der 
Wagnerfeinde)  2.  A.  03  ;  „Wandernde  Melodien"  1890.  S.  auch  S.  1532) 
und  1542).  3)  Weitere  Scliriften :  Gesch.  d.  Konzertwesens  in  Wien. 
2  Bde.  1869  u.  70.  Aus  d.  Konzertsaal.  2.  A.  1897.  Die  moderne 
Oper.  8  Bde.  Suite,  Aufsätze  über  Musik  u.  Musiker,  Wien 
u.  Teschen.  Konzerte,  Komponisten  u.  Virtuosen  der  letzten  15 
Jahre.  1870-  85.    4.  A.  1896.    Aus  meinem  Leben.    2  Bde.    3.  A.  1894. 

*}  A.:  J.  Hoffmanns  Wwe.,  Prag.   —  Auto-B.   „Libussa",    1849. 

^)  Vergl.  J.  P.,  hinterlass.  Tagebuchblätter  (wertvoll !  [R. 
Müller]),  Reicbenberg  1874. 


304 


III.   Neuzeit. 


Paris. 


ersten  Beethoven  hinausgehende  Element  verkörperte,  rührten  bereits 
junge  Fortschrittler,  an  der  Spitze  der  mit  Wagner  befreundete 
Tomaschekschüler  Job.  Fried.  Kittl,  D.  Webers  Nachfolger  als  KD. 
(t  1868,  der  Text  seiner  Oper  „Die  Franzosen  vor  Nizza"  war  von 
R.  Wagner!),')  der  geistvolle  Ambro s  (s.  Absch.  V)  u.  a.  (vgl. 
auch  Harapel,  Dessauer)  für  die  Meister  der  Romantik  und  bald  er- 
schiener Schumann,  Mendelssohn,  Chopin,  Berlioz,  Liszt  und  Rieh. 
Wagner  in  ihren  Werken  wie  in  persona  in  Prag,  einer  der  ersten 
Pflegestätten  des  musikalischen  Fortschritts.  ^) 

In  London,  Brüssel,  Paris,  Petersburg  glänzte  zwar  W.,  seine 
Werke  persönlich  propagierend,  als  Dirigent,  scheiterte  jedoch  viel- 
fach materiell  und  erlebte  u.  a.  1861  eine  lärmende  Ablehnung  der 
kaiserlich  anbefohlenen  Tannhäuser-Auffühnmg  in  der  Pariser  großen 
Oper. 


Neu- 
deutsche 
Schule. 


In  den  Reihen  der  neudeutschen  Schule  erblicken  wir  nicht  wenige 
markante  Tondichterprofile;  insbesondere  im  engeren  Liszt- Waguerkreise 
als  Vor-  und  Mitkämpfer  neben  Joach.  Raff  (f  1882  als  Direktor 
des  Hochschen  Konservatoriums  in  Frankfurt  a.  M.),  von  dessen  zahl- 
reichen formgewandten  Werken  heute  nunmehr  die  Symphonie  „Im 
Walde",  einzelne  Klaväersachen,  und  die  Geigen-Cavatine  leben,  vor 
Cornelius,  allem  den  liebenswürdigen  Dichter-Komponisten  Peter  Cornelius, 
(*  1824  zu  Mainz,  f  das.  1874,  seit  1852  in  Weimar  (in  Wien  trat  er 
Wagner  näher  und  folgte  diesem  1865  nach  München,  dort  an  der 
kgl.  Musikschule  angestellt),  dessen  geistreiche  komische  Oper  „Der 
Barbier  von  Bagdad"  (1858)  erst  spät  und  schwer  ihren  Weg  machte 
(eine  zweite  Oper  „Cid"  (1865)  vermochte  nicht  durchzudi-ingen) :  in- 
dessen seine  tief  und  herrlich  empfundenen  Lieder  („Brautlieder", 
„Weihnachtslieder"),  Duette,  Männer-  und  gemischte  Chöre,  deren 
Texte  er  meistenteils  selbst  verfasste,  immer  melir  Verbreitung  ge- 
winnen und  verdienen 3);  Felix  Dräseke  (Hofrat,  KP.  zu  Dresden, 
geb.  1835  zu  Koburg  —  seine  ersten  Kompositionen  gehören  der  ex- 
tremen Lisztschen  Richtimg  an,  die  späteren,  in  denen  die  theoretische 
Meisterschaft  vielfach  die  Phantasie  überwuchert,  zeigen  eine  Umkehr 
zum  klassischen  Stile,  und  der  einstige  Stürmer  und  Dränger  sclüeuderte 
in  unsere  Gegenwart  das  Schlagwort  von  der  „Konfusion  in  der 
Musik"!  —  (Sinfonia  tragica,  Orat.  Christus  u.  a.  vornehme  Vokalwerke, 
unter  den   theoretischen  Schriften    eine    unterhaltsame  Harmonielehre 


1)  B.:  Dr.  E.  Rychnovsky  (*  1879,  MS.    Prag).  2  Bde.  05. 

2)  Vgl.  auch:  A.  John,  R.  W.s  Bezieluuigen  zu  Böhmen  (wo 
z.  T.  einzelne  Werke  [so  „Liebesverbot"  und  „Tannhäuser"  in  Teplitz] 
entstanden),  Leipa  06 ;  Batka,  R.W.  i.  Prag,  ..Prag.  Tgbl."  07,  Nr.  76— 206. 

3)  GA.  der  musikal.  [Max  Hasse]  und  literar.  Werke  07,  B.  und 
H.:  A.  der  Lieder  CL.  (Album);  Gedichte  2  A.  [Ad.  Stern]  1890; 
Briefe  Ol.  —  B.:  Dr.  E.  Istel,  Lpz.  Reclam.  L.:  Max  Hasse:  PC.  u.  s. 
„Barbier  v.  B."  03.  Dr.  Weigl,  P.C.'  Lied-  u.  Chorwerke,  WKM.  05,  14. 


Die  Neudeutsche  Schule. 


305 


in  Versen);  Alexander  Ritter  aus  Nai-va  (Russland i  f  1896  zu  Ritter 
München,  eine  tiefangelegte  ganz  nach  innen  gekehrte  Künstlernatur: 
seine  symphonischen  Dichtungen  [,. Seraphische  Phantasie",  „Erotische 
Legende"  usw.]  und  Lieder  hatten  ebenso  wenig  Glück,  als  die  gar 
intimen  humoristischen  Opern  ,.Der  faule  Hans"  und  „Wem  die 
Krone?"  '):  endUch  Hans  von  Bronsart  (geb.  1830,  Pianist,  General- 
intendant Weimar)  mit  Kammer-  und  symphonischen  Werken.  Die 
Extreme  der  Liszt-Wagnerschen  Richtung  verfolgte  der  originelle 
Jos.  Huber  ft  1886)  namentlich  in  seinen  beiden  Musikdramen  „Die 
Rose  vom  Libanon"  und  „Irene"  (Dichtungen  von  Peter  Lohmann). 
Zu  Hubers  Sonderbarkeiten  gehörte  das  Weglassen  der  Tonartvorzeich- 
nungen, so  daß  alles  wie  in  C  oder  a  gesciirieben  erschien. 

Neben  Corneliu.s  schuf  der  zu  früh  dahingegangene  Her- 
mann Götz,  *  1840  zu  Königsberg  i.  Fr.,  f  1876,  in  seiner  «ötz. 
komischen  Oper  ,,Der  Widerspenstigen  Zähmung", 
eins  der  besten  Bühnenwerke  der  neueren  Zeit,  überall  mit 
großem  Beifall  aufgeführt.  (Die  unvollendet  hinterlassene  Oper  „Fran- 
cesca  da  Rimiiii"  wurde  von  E.  Frank  fortig  instrumentiert.  Sym- 
phonie Fdur,  Frühlingsouvertüre,  Chorwerke  [Nänie  „Auch  das  Schöne 
muß  sterben"].  Violin-  und  Klavierkonzert,'  Kamraermusikwerke, 
Klavierstücke  und  Lieder,  i  —  In  der  ersten  Reihe  dieser  Vorkämpfer 
stehen,  nicht  zu  vergessen,  die  bedeutenden  Wagner-Dirigenten  und  Wa>?ner- 
HKM.  Hans  Richter  (*  \x4n  zu  Raab  i.  UngarnX  Herm.  Levi  (f  02  '''"«enten. 
München),  Mottl,  *  185tj  zu  St.  Veit  b.  Wien  (Opern:  „Agnes 
Bernauer",  Festspiel  „Ebei stein")  Zumpe  (f  03,  GMD.  München: 
Optte.  „Farinelli"),  Ant  Seidl  (f  1898),  Sucher  (f  08  Berlin), 
E.  V  Schuch  (GMD.  Dresden),  Steinbach,  GMD.  in  Köln  (Kammer- 
werke, Lieder»,  Armbruster- London  *  1846);  ferner  der  Prager 
H.  Porges  (D.  seines  Gesangvereins  in  München,  t  Ol:  Lieder). 

Cornelius  und  Götz  bahnten  sich  mit  der  Uebernahme 
der  Wagnerschen  Reform  bezw.  des  ,, großen  Instrumentalstils" 
(wie  wir  jenen  der  Liszt-Wagnerepoche  nennen  können)  auf 
das  Gebiet  der  musikalischen  Komödie  mit  Glück  einen 
neuen  Weg,  den  später  namentlich  Humper  dinck,  der 
elegant  bewegliche  Wiener  E.  N.  v.  Reznicek  (*  1861 :  „Donna 
Diana"  1 894,  Volksoper  „Till  Eulenspiegel",  Orchesterwerke).  H.  Wolf 
und  d"  Albert  (s.  d.)  erfolgreich  betreten  konnten.  Auch  in 
der  symphonischen  und  in  der  Lipdmusik  fanden  bald  jener  Stil 
bezw.  das  strengdeklamatorische  Prinzip  die.  Neu-  und  Nutz- 
anwendung (Brückner,  Wolfl.  Geradezu  ungewöhnlichen  Beifall 
errang  Engelbert  Humperdinck  (geb.  1854  zu  Siegburg  a.  Rh., 
00  als  Professor  an  die  Akademische  Meisterschuie  nach  Berlin  be- 
rufen :  Chorballaden  „Das  Glück  von  Edenhall",  ,. Wallfahrt  nach  Kev- 


llumper- 
dinck. 


')  B.:  S.  v.  Hausegger,  Brl.     Marquardt  i  Co.,  07. 
Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.        2< ' 


306  ni-  Neuzeit. 


laar,  Bühnenmusiken  zu  Shakespeares  „Wintermärchen"  und  „Sturm", 
06,  „Maurische  Rhapsodie"  für  Orchester)  mit  dem  die  Mode  des  ita- 
lienischen Verismo  (s.  Mascagni)  brechenden  und  einige  Versuche  auf 
dem  Gebiete  der  Volksoper  zeitigenden  Märchenspiel  „Hansel 
und  Grethel"  [1893],  wenn  man  auch  daran  aussetzen  muß,  daß 
„eine  Musik  wie  für  eine  Götterdämmerung"  der  harmlosen  Handlung 
vielfach  widerspreche;  weniger  wirkten  die  „Heirat  wider  willen", 
die  Melodramen  „Die  sieben  Geislein"  und  „Die  Königskinder".  — 
Hingegen  verführte  das  überragende ,  seine  Werte  voll  aus- 
schöpfende Genie  Wagners  auf  dem  Felde  der  musikalischen 
Tragödie  zunächst  so  manche  mehr-  minder  bedeutende 
Talente  der  deutschen  Gefolgschaft  zu  erfolgloser  Nachahmung. 
Ihr  ergaben  sich  u.  a.  Phil.  Rufer  'Lehrer  am  Scharwenka-K. 
Kistler.  in  Berlin  [Opern  „Merlin",  Ingo"],  der  echt  deutsche  Cyr.  Kistler, 
ein  Meister  des  volkstümHchen  Melos  und  feiner  Harpaonik  f  07 
[Baldurs  Tod,  Kunihild,  Musikdrama  , Faust'],  in  der  Gegenwart  selbst 
noch  Weingartner,  Schillings  u.  Rieh.  Strauß,  der  erst  mit  ,Salome' 
den  Bann  brechen  sollte.  Fruchtloser  noch  blieben  Versuche,  mit 
dem  Tetralogen  Wagner  wetteifern  oder  ihn  gar  übertrumpfen  zu 
wollen  —  siehe  das  dreiteilige  allegorische  „Weltdrama"  ,Gäa'  des 
feinsinnigen  Adalb.  v.  Goldschmidt  (aus  Wien,  f  06,  Orat.  „Die 
7  Todsünden",  Op.  ,Helianthus'  u.  a.),  und  die  Tetralogie  „Homerische 
Welt"  [1898  bis  04]  von  Aug.  Bungert  (*  1846  Mühlheim  a.  d.  Ruhr: 
Symph.  Dichtngn.  „Auf  der  Wartburg",  „Tasso";  Klavierquartett 
op.  18,  Lieder  [„Lieder  einer  Königin"]).^) 

Trotz   Wagner  und  seines  Einflusses  gingen  selbständiger 

vor    und    erzielten    bedeutende   Erfolge    der    Sachse    Edmund 

Kretseh-    Kretschmer  (geb.  1830  Hoforganist  und  Professor  in  Dresden) ; 

""*'■       mit  seinen  Meyerbeer  zugeneigten  Opern:  „Die  Folkunger  [1874], 

„Heinrich  der  Löwe"  [1877],    und  die  Oesterreicher  Goldmark, 

Brüll  und  Kienzl. 

Goldmark.  Carl   Goldmark,   *  1830  zu  Keszthely  in  Ungarn,  in  Wien 

lebend,  verdankt  seine  Ausbildung  weniger  einem  geregelten  Unter- 
richte als  dem  eigenen  rastlosen  Fleiße.  Zunächst  lenkten  die  Ouver- 
türe „Sakuntala"  und  ein  Orchesterscherzo  die  Aufmersamkeit  aui 
ihn;  die  Oper:  ,,Die  Königin  vonSaba"  (1875)  jedoch,  mit  ihrem 
prachtvollen,  sinnberückenden  Kolorit  seinerzeit  Sensation  erregend, 
begründete  seinen  Weltruf.  Es  folgten :  „Merlin"  (1886),  „Das  Heimchen 
am  Herd"  (1886),  „Die  Kriegsgefangene"  (1899),  „Götz"  (02),  „Ein 
Winterm.ärchen"  (08).  Von  seinen  sonstigen  Werken  sind  hervor- 
zuheben: 2  Symphonien  (No.  1  „Ländliche  Hochzeit"),  4  Konzert- 
Ouvertüren,  ein  Violinkonzert;  ferner  Kammer-,  Klavier-  und  Chor- 
werke (darunter  besonders  ,, Frühlingsnetz"  für  Männerchor).^) 


1)  B.:  Chop,   Brl.    .Harm.' 

-)  B. :  Keller,  ebda,  (objektiv). 


Die  Neudeutsche  Schule. 


307 


Der  auf  Mozart  und  Schubert  fußende  Ignaz  Brüll,  (*  1846  Brüll, 
zu  Prossnitz  i.  Mähr,,  f  U7  zu  Wien,  Pianist),  der  Komponist  der 
vielgegelienen  Spieloper  ,,Das  goldene  Kreuz",  schuf  gleichfalls 
feinsinnige  Orchester-  und  Kammermusikwerke.  Fest  im  Spielplan 
der  Bühnen  steht,  auch  eine  starke  humoristische  Ader  aufzeigend, 
Dr.  Wilhelm  Kienzl  (*  1857  zu  Waitzenkirchen,  MS.,  lebt  in  Graz)  Kienzl. 
mit  seinem  volkstümliche  Züge  trai;enilen  ..Evauaelimann"  [1895, 
08  die  100.  Aufführung  in  Berlin]. 'f 

Im  weiteren  Umkreise  der  Neuromantiker  begegnen  uns  Ed.  Lassen 
aus  Kopenhagen  (1861  —  95  HKM.  in  Weimar:  populäre  Lieder, 
Musiken _  zu  Goethes  .,Fausf,  Hebbels  ..Nibelungen"  und  Sophokles' 
.,Oedipus  auf  Kolonos'').  der  ausgezeichnete  Liederkomponist  Hans 
Sommer,  *  1837  zu  Braunschweig  [Opern  „Loreley".  „Saint  Sommer 
Foix"',  u.  a.].2|  Heinr.  Schulz  (-Beuthen,  *  1838  lebt  in  Dresden: 
..Reformations  -  Symphonie"  mit  Orgel,  symph.  Dichtungen  („Die 
Toteninsel'*J :  Szenen  a.  Goethes  „Faust"].  Ouvertüren,  kom.  Op. 
„Es  ist  nicht  gut,  dass  der  Mensch  allein  sei":  Re(|uiem, 
Psalmen  und  Chorwerke  mit  Orchester:  Klavier-Kompositionen  [„Sym- 
phon.  Konzert".  ..Heroische  Sonate"]  und  Lieder:  Georg  Heu  seh  el 
(*  1850  Breslau.  Konzertsänger:  Re(|uieni.  „^lorgenhymne".  Lieder), 
Arnold  Mendelssohn  l*  1855,  Prof.  und  Kirchen-JID.  Darmstadt: 
Op.  ,.D.  Bärenhäuter"  [vor  Siegfr.  Wagner I]  Kantaten):  der  Baseler 
Alb.  Fuchs  (*  1858,  MD.  Dresden:  Kammer-  und  Chorwerke);  die 
Tiroler  Jos.  Pembaur  I*  18-48,  L'MD.  Innsbruck:  Symph.  „In  Tirol", 
7  Messen,  Stabat  mater,  Reciuieml,  Sylvio  Lazarri  (*  1858,  lebt  in 
Paris:  Musikdr.  .,Arinor',  Kammer-,  Orchester-  und  Vokalwerke)  und 
Ludw.  T  h  u  i  1 1  e ,  t  07  als  Professor  an  der  Kgl.  Musikschule  zu  Thulile. 
München  (Bühnenspiel  „Lob  e  t  a  n z",  ^Eänner-  und  Frauenchöre),  ein  her- 
vorragender Lehrmeister  (vgl.  Kap.  IV) ;'^)  Bog.  Zepler  (*  1858:  Opern, 
Lieder):  Paul  Geis  1er  (*  1856:  neben  Opern  [..Ingeborg".  „Hertha"]  die 
von  Liszt  warm  begrüssten  symph.  Dichtungen  ..Der  Rattenfänger 
von  Hameln".  ..Till  Eulenspiegel"):  der  Komponist  stark  beliebter 
Lieder  und  Chöre  Reinhold  Becker  (*  1842.  Prof.  in  Dresden); 
Dr.  Philipp  Wolfrum  (*  1855,  fMD.  Heidelberg,  Chorwerke: 
„Halleluja",  „Weihnac  ht  smyster  ium",  usw.),  Franz  Curti 
(t  1898  in  Dresden.  Opern:  ., Hertha",  .,LiIi  T-see";  Männerchöre). 
Heinr.  Zöllner  (*  1854  Leipzig,  KM.  der  neuen  vläm.  Oper  zu  'Zöllner. 
Antwerpen :  Opern  ., Faust".  „Die  versunkene  Glocke" :  Chorwerke 
u.  Orat.  [„Columbus",  „Luther",  .,B  onifazius"],  Opern,  Lieder),  der 
Wiener  Ad.  Wallnöfer  u.  a.  Den  Reigen  der  Jungdeutschen  der 
Gegenwart    eröffnet   Jean    Louis    N  i  c  o  d  e    i*    1853    zu  Jerczilf   Nicode. 


')  Liter.  Werke:  „Im  Konzert"  (Kritikern,  Berl.   08;   N.  A.  von 
Brendels  Musikgesch. ;   siehe  auch  ob,  S,  298.  ■)  A.  der  Lieder- 

[Album]  CL. 

^  Vgl,  Die  moderne  ,, Harmonielehre"  von  Rud.  Louis  u.  L,  T,, 
Stuttg,     Grüninger.     07. 

20* 


308 


in.  Neuzeit. 


(Posen),  ausgezeichneter  Pianist  in  Dresden:  sympli.  Dichtungen 
„Maria  Stuart",  „Die  Jagd  nach  dem  Glück":  symph.  Variationen, 
2  Orchestersuiten,  die  stimmungsreiche  Chorsymphonie  mit  Orgel 
„Das  Meer",  das  kolossale  sjmiph.  Sturm-  u.  Sonnenlied  .Gloria', 
heldenhaftes  Ringen  und  Siegen  eines  Höchststrebenden  schildernd).  ^) 
Eine  formell  klassizistische  Neigung  zeigen:  Alb.  Becker. 
Dirigent  des  Berliner  Domchors,  f  1899  (Preisgekrönte  Symphonie, 
-Bmoll-Messe,  Reformationskantate,  Oratorium  „Selig  aus  Gnade", 
Motetten,  Psalmen,  Orgelstücke  und  Lieder);  Arn.  Krug  aus  Ham- 
burg (t  04  symph.  Prolog  zu  Othello",  „Romanische  Tänze"  für 
Jadassohn.  Orchester) ;  Sal.  Jadassohn  (*  1831  Breslau,  KP.  Leipzig,  f  02; 
dessen  kanonische  Orchester-  und  Klavierserenaden,  kanonische  Gesangs- 
duette u.  a.  Kompositionen  zeichnen  sich  durch  grosse  Formgewandt- 
heit aus,  seine  Lehrbücher  über  Harmonielehre,  Kontrapunkt,  Kanon 
und    Fuge,    Instrumentation    usw.    durch    Klarheit    und    anschauliche 

Hofmann.  Darstellung);  Heinr.  Hof  mann  aus  Berlin  (f  02.  Seine  Kompositionen 
fesseln  weniger  durcli  originelle  Erfindung  als  durch  ausserordent- 
lichen Wohlklang  und  schöne  Melodiebildung  [„L^ngar.  Suite",  „Frith- 
jof-Symphonie",  Suite  „Im  Schlosshof",  ,, Schöne  Melusine"]) ;  Gust. 
Schreck  (*  1849  Thomas-Kantor  und  KJP.  zu  Leipzig:  Orat.  „Chris- 
tus", geistl.  und  weltl.  Chorwerke  gediegenster  Faktur),  Aug.  Klug- 
hardt  (*  1847  HKM.  in  Dessau,  f  02:  Symphonien  [,,Leonore", 
„Waldleben"],  Oratorien  [„Die  Zerstörung  Jerusalems"].  Wilh. 
Berger  (*  1861  in  Boston,  HKM.  in  Meiuingen:  Symphonien,  Kammer- 
werke, gemischte,  Männer-  und  Frauenchöre,  Männerchor  mit  Orchester 
[„Meine  Göttin"],  vielverbreitete  Lieder),  C.  Ad.  Lorentz  (*  1837, 
Orat.  „Das  Licht"):  mit  grösseren  Chorwerken  Ernst  Seyffardt 
(*1859  KP.  zu  Stuttgart:  ,. Thusnelda",  „Trauerfeier  für  eine  Ent- 
schlafene", „Aus  Deutschlands  grosser  Zeit"),  Jul.  Spengel  (*  1853, 
MD.  Hamburg)  u.  a. 

Formgewandt,  doch  nicht  geistesverwandt,  versuchte  der  Frank- 

ürspruch.  furter  Ant.  L"r Spruch  (f  07)  in  „Das  Unmöglichste  von  Allem"  den 
Ensemble-Stil  von  Mozarts  ,Figaro'  wieder  aufzunehmen  und  in  seinen 
Chorwerken  au  den  letzten  Beetlioven  anzuknüpfen.  Zwischendurch 
aber  schwamm  einige  Zeit  an  der  Oberfläche  des  Erfolges  Victor 
Nessler  (f  1890  in  Strassburg)  mit  seinen  ganz  aus  der  Art  ge- 
schlagenen, seicht-sentimentalen  Opern  ,.DerRattenfänoer  von  Hameln" 
(1879)  und  „Der  Trompeter  von  Säkkingen"  (1884). 

Reformierend  endlich  auf  dem  Gebiete  des  Männerchor- 
Hegar.  gesanges  (vgl.  Kap.  V.)  schuf  Friedrich  Hegar  (*  1841  zu 
'Basel,  bis  06  in  Zürich,  D.  des  Touhallenorchesters  und  der  Musik- 
schule) neben  dem  Oratorium  „Manasse"  eigenartige  wirkungsvolle 
Männerchöre  [,,To  tenv  olk",  „Schlafwandel".  .,Rudolfv.  „Werden- 
berg", „D.  Herz  v.  Douglas"]  mit  Orchester.  In  der  deutschen  Schweiz 
schließen  sich  an:  Attenhofer  (der  populärste  der  dortigen  [Chor] 
Komponisten  *  1837),  Angerer  (*  1855,  M.  Ch.  Balladen  [Sigurds  Braut- 


ij  B.:  Schäfer,  Berl.  „Harm."  08. 


Job.  Brahms. 


309 


fahrt]),  Gast.  Weber  (f  1887  :  symph.  Dichtung  „Zur  Hiade",  „Kainmer- 
und  Chorwerke  [„Skolionj),  Lothar  Kempter  (*  1844,  Nachfolger 
Webers  als  Leiter  der  Tonhalle-Konzerte:  Opern,  Chorwerke  [„Maho- 
raets  Gesang"  u.a.]),  Karl  Munzinger  (*  1842,  MD.  Bern:  Kantate 
.,Murtenschlacht"  u.  a.),  Karl  Isenmann  (f  1889 :  Männerchöre), 
Hans  H  u  b  e  r  (*  1852,  Direktor  der  Musikschule  Basel,  Ehrendoktor  gchwefzer. 
der  dortigen  Universität:  „Teil-"  u.  „Böcklin"-Symphonie",  Serenade 
,, Sommernächte",  Carnaval,  Ouvertüren,  ein  Violin-  und  ein  Klavier- 
konzert, Opern  [„Weltfrühling",  „Kudrun"]  u.  Kammersachen,  Sonaten 
[zu  Mörikes  „Maler  Nolten",  Sonata  giocosa]). 

Während  in  Deutschland  noch  der  Streit  um  den  großen 
Reformator  der  Oper  tobte,  schritt  abseits  ein  Meister  von  ernster 
Größe  auf  altklassischen  Wegen  zur  Höhe  der  Moderne  empor  :  der 
von  Schumann  überschwänglich  (s.  unt.)  ,, geweißsagte"  Jo- 
hannes Brahms  —  eine  Art  trotziger  Widerpart  Richard 
Wagners,  von  den  Antiwagnerianern  (Hanslick  obenan)  förmlich  als 
Gegenpapst  ausgerufen.')  B.,  der  bedeutendste  Vertreter  der  Schu- 
mannschen  Richtung  (*  7.  Mai  1833  zu  Hamburg,  zuerst  von 
seinem  Vater,  der  Kontrabassist  am  Stadttheater  war,  dann  von 
E.  Marxsen-Altona  unterrichtet),  besiegte  die  Zweifel  der  musika- 
kalischen  Welt  an  Schumanns  Prophezeihung  („Wenn  er  seinen 
Zauberstab  dahin  senken  wird ,  wo  ihm  die  Mächte  der  Massen,  im 
Chor  und  Orchester,  ihre  Kräfte  leihen,  so  stehen  uns  noch  wunder- 
barere Blicke  in  die  Geheimnisse  der  Geisterwelt  bevor")  erst  1868 
durch  sein  dem  Andenken  der  Mutter  gewidmetes  „Deutsches 
Requiem".  Er  schuf  außer  diesem  Wahrzeichen  seines  musi- 
kalischen Geistes  eine  große  Zahl  bedeutender  Werke:  4  Sym- 
phonien, 2  Serenaden,  2  Konzert- Ouvertüren,  und  Varia- 
tionen für  Orchester  (s.  unt.) ;    geistliche    und    welt- 


^)  A. :  N.  Simrock-Berliu  fder  Hanptverleger  imd  Förderer  B.' 
[Themat.  Werkeverz.  1897])  u.a.  B. :  M.  Kalbeck  (*  1850  Breslau, 
Dichter  u.  MS.  von  Ruf  in  Wien  [„Opernabende"  1898  u.  a.]  2  Bde., 
Berl.  08;  Dr.  Reimaun,  Brl.  „Harm."  (ill.  i;  A.  Steiner  -  Schweizer, 
Bd.  19,  „D.  Musik",  Brl.  Dr.  W.  Pauli  Nr.  213  d.  Samml.  „Moderne 
Geister"  Brl.  07.  Rieh.  v.  Perger  (*  1854  Wien,  das.  MS.  u.  Komp., 
bis  07  KD.),  Lpz.  Reclam  08.  *  —  L.:  E.  Krause,  B.  i.  seinen  Werken, 
Hmbrg.  1892.  R.  v.  den  Leyen,  B.  als  Mensch  u.  Freund,  Düsseid. 
u.  Lpz.  Gustav  Jenner,  B.  als  Mensch,  Lehrer  u.  Künstler,  Marburg. 
W.  Thomas,  B.  Eine  musikpsychol.  Studie  in  fünf  Variationen,  Sti-aß- 
burg.  Hugues  Imbert.  B.  sa  vie  et  son  oeuvre  (Paris  Fischbacher). 
Brahmsbilderbuch,  [Viktor  v.  Müller  zu  Eichholz,  Text  von  M.  Kalbeck] 
Wien,  R.  Lechner.  Vgl.  auch  Wochenschr.  f.  K.  u.  M.  03,  17  u.  05,  12  ; 
B.-Nr.  der  NMZ.  07,  13.  —  D. :  Meiningen  ;  Wien  [Weyr]  08.  B.-Ge- 
sellsch.  i.  Brl.  u.  Wien.  B.'  Wohn-  und  Sterbehaus  in  Wien,  Karlsg.  4 
fiel  der  Wiener  Demolieningswut  zum  Opfer. 


Brahms, 

t  1897. 


Werke. 


310 


III.  Neuzeit. 


Ungar. 
Tänze. 


Sympho- 
nien. 
Kammer- 
musik. 


ließe  Kantaten  und  Chorgesänge  [Rhapsodie  mit  Altsolo, 
,, Schicksalslied",  ,, Triumphlied",  ,,Nänie"  u.a.];  ebenfalls  mit 
Orchester:  2  Konzerte  für  Klavier,  1  für  Violine,  1  Doppel- 
konzert für  Violine  und  Violoncell  (ein  Ausläufer  der  Konzer- 
tante, S.  218i.  An 
Kammermusik: 
2  Sextette,  3  Quin- 
tette (eines  mit  Klari- 
nette), 3  Quartette  für 
Streichinstrumente ; 
mit  Klavier :  1  Quin- 
tett, 3  Quartette,  4 
Trios  (eines  mit  Hörn, 
eines  mit  Klarinette), 
2  Cello-,  3  Violin-, 
2  Klarinetten-Sonaten. 
Die  Klaviermusik 
bereicherte  B.  durch 
Sonaten,  Variationen, 
Balladen ,  Capricen, 
Intermezzos ,  Fanta- 
sien, Rhapsodien,  Stu- 
dien usw.,  vierhändige 
Variationen ,  Walzer 
und     die     berühmten 

Ungarischen 
Tänze. 

In  seinen  größeren 
Werken  erscheint  B. 
der  Einzige,  dem  es 
bis  jetzt  nach  Beethoven  gelang,  die  überkommenen  Formen  der 
Symphonie  und  Kammermusik,  ohne  sie  zu  durch- 
brechen, und  ohne  „Programm'",  noch  eindrucksvoller,  sagen 
wir  moderner,  nach  den  Seiten  der  Harmonik  und  Rhythmik 
hin  auszugestalten  und  so  Bedeutungsvolles,  über  das  Gewöhn- 
liche Hinausragendes  zu  schaffen  :  freiUeb,  bei  aller  Größe,  aller 
Meisterschaft,  die  jenen  Werken  innewohnt,  die  eigentlichen,  er- 
warteten Offenbarungen  einer  neuen  Welt  sind  sie,  soweit  der  Hörer 
nicht  zu  den  „Brahminen"  (wie  man  des  Meisters  Anhänger  scherzhaft 
nannte)  zählt,  so  gut  wie  schuldig  geblieben.  Dazu  kommt,  dal3  die 
weitaus  größte  Zahl  der  Brahms'schen  Werke  mit  ihrem  hier  törmlich 


Job.  Brahms.  —  Brückner. 


311 


Varia- 
tionen. 


Lieder. 


Leben. 


auf  die  Potenz  erhobenen  specifisch  Schumann'schen  Zuge  der  Grübelei 
und  Reflexion,  die  oft  an  Stelle  eines  hohen^  kühnen  Gedankenfluges 
auftritt,  nicht  leicht  den  Genul3  an  all  der  rein  musikalischen  Schön- 
heit und  HeiTÜchkeit  aufkommen  lassen,  die  ihnen  innewohnt.  Zu 
genußreichster,  bewunderungswürdiger  Meisterschaft  erhebt  sich 
B.'  Schöpferkraft  Beethoven-ähnlich  in  den  Variationen  über 
Themen  von  Paganini,  Schumann,  Händel  und  Haydn.  Ge- 
wissermaßen eine  Befreiung  aus  sich  selbst  aber  findet  B.  als 
Liederkomponist,  also  dort,  wo  nach  einem  Franzschen 
Ausspruche  das  Wort  im  Ton  zur  vollsten  Blüte  aufbrechen  soll. 
Bezeichnenderweise  wird  B.  hier  ein  völlig  Anderer,  wir  erkennen  in 
seinen  zu  den  ersten  der  Gattung  zählenden,  oft  so  farbensatten  Liedern 
(s.  die  prachtvolle  ,.Sapphische  (>de"i  die  Physiognomie  des  gern  grau 
in  grau  malenden,  mehr  Zeichnung  als  Kolorit  gebenden  Symphonikers 
kaum  in  einem  Zuge  wieder.  Der  Instrumentalist  B.  gemahnt 
an  jene  Meister  der  bildenden  Kunst,  die  die  sinnlich  reizende 
Farbenwirkung  verschmähten  —  ob  mit  Absicht  oder  aus  Mangel 
an  Farben(klang)sinn,  bleibe  dahingestellt. 

B.'  Leben  spielte  sich  in  ziemlich  engen  Grenzen  ab.  Seine  per- 
sönliche Freiheit  ungern  opfernd,  übernahm  er  nur  vorübergehend  ein 
festes  Amt.  Zu  Anfang  seiner  Laut  bahn  einige  Jahre  Chordirigent 
und  Musiklehrer  beim  Fürsten  von  Lippe-Detmold,  leitete  er  in  den 
60er  und  TOer  Jahren  zuerst  die  Singakademie,  dann  die  Konzerte 
der  „Gesellschaft  der  Musikfreunde"*  in  Wien.  Hier  privatisierte 
B.,  dem  es  an  äußeren  Ehren  und  Auszeichnungen  nicht  fehlte 
(u.  a.  Doktorat  der  Universitäten  Cambridge  und  Breslau)  von 
1878  an  bis  zu  seinem  am  3.  April  1897  erfolgten  Tode.  Er, 
auf  den  neben  Bach,  Beethoven  und  Schumann  die  Chormusik 
des  15.  16.  Jahrh.  großen  Einfluß  genommen,  (vgl.  S.  254f.),  war 
eigentlich  der  letzte  Klassiker  des  19.  Jahrhunderts  und  — 
neben  dem  gewaltig  überragenden,  genialen  Brückner  —  der  Bedeutung, 
bedeutendste  absolute  Musiker  nach  Beethoven.  Vieler  Schaffen 
zog  und  zieht  er  noch  heute  in  seinen  Bannki-eis,  der  mit  jenem  der 
Neudeutschen  kaum  sich  berührt.  Von  älteren  Musikern  sehen  wh* 
Rheinberger,  Draeseke,  Herzogenberg,  dann  u.  a.  Rieh.  Metzdorff 
(*  1844  zu  Danzig.  lebt  in  Hannover:  Symphonien,  Klavierstücke, 
Lieder)  und  den  Kammerkomponisten  F.  Thieriot  Brahmsens  Ein- 
wirkung vielfach  unterlegen  (s..  S.  255) :  sein  Verhältnis  zu  Wagner 
aber  findet  in  der  Gegenwart  ein  Gegenbild  in  jenem  von  Reger  zu 
Rieh.  Strauß. 

Groß  und  originell  zugleich  wuchs  gegenüber  Brahms  auf 
dem  Boden  der  Wiener  Tonmeisterschule  Anton  Brückner, 
ein  Neuromantiker  von  echtem  Schrot  und  Korn,  empor.  *  4.  Sept. 
1824  zu  Ansfelden  lOberöstereich),  und  vom  Vater,   einem  Dorfschul- 


Bruckner, 
t  1896. 


312 


III.  Neuzeit. 


lehrer,  zuerst  in  der  Musik  unterrichtet,  kam  er  mit  zwölf  Jahren  ver- 
waist, in  das  Stift  St.  Florian.  Unter  außerordentlich  dürftigen  Ver- 
hältnissen, später  als  Lehrer  und  provisorischer  Stiftsorganist  in 
St.  Florian,  bildete  B.  sich  in  der  Hauptsache  autodidaktisch  zu  einem 
so  ausgezeichneten  Kontrapunktisten  und  Organisten  aus,  daß  er  1855 
bei  der  Konkurrenz   um  die   Domorgauistenstelle    in   Linz  glänzend 


Leben  und  siegte.  Wiederholt  reiste  Brückner  nach  Wien,  um  Sechters  Unter- 
Schaften.  ^icht  im  Kontrapunkt  zu  genießen.  Von  1S61 — 63  Kompositionsschüler 
des  tüchtigen  MD.  0.  Kitzler  in  Linz,  ward  er  1867  Sechtei's  Nach- 
folger als  Hoforganist  in  Wien,  zugleich  Professor  für  Orgelspiel, 
Kontrapunkt  und  Komposition  am  Konservatorium,  1875  Lektor  für 
Musik  an  der  Wiener  Universität,  die  ihn  1891  zum  Dr.  phil.  hon.  c. 
ernannte.  Große  Erfolge  erzielte  B.  als  C»rgelspieler  auf  Kunstreisen 
im  Auslande,  so  186i)  in  Nancy  und  Paris,  1871 'in  London.     Die  erste 


Brückner. 


313 


Vorstellung  von  „Tristan  und  Isolde"  (München  1865 1  machte  ihn  zum 
begeisterten  Verehrer  Wagners.  Dessen  Orchesterstil  gewann  immer 
größeren  Einfluß  auf  B.s  Schaffen,  das  Wagner  im  Sommer  1873  bei 
Durchsicht  der  ihm  gewidmeten  3.  Sj-mphonie  ip  moU)  mit  warmen 
Lobsprüchen  bedachte.  Unter  dem  Eindruck  des  nahen  Todes  Wagners 
entstand  das  erhabene  Trauer- Adagio  der  -£"  dur-Symphonie ;  ihr  großer 
Erfolg  in  Leipzig  (1884)  und  München  (1885^  brachte  B.s  —  Dank 
der  Machinationen  der  Antiwagnerclique  im  Inlande  nur  wenig,  im 
Auslande  fast  gar  nicht  bekannten  Namen  —  in  Aller  Mund. 

B.  hat  als  Symphoniker  die  festgehaltene  viersätzige  Form 
ausserordentlich  erweitert  (seine  Symphonien  sind  die  längsten, 
die  —  vor  Nicode  und  Mahler,  einem  Erben  B.s,  wenn  man 
will  —  existieren)  und  Elemente  darin  aufgenommen,  die  teils 
dem  höheren  Kirchenstile  angehören  (Choräle,  lange  Orgelpunkte), 
teils  dem  großen  Instrumentalstil  (s.  S.  305).  Seinem  Naturell 
nach  neigt  B.  von  Haus  aus  fast  mehr  zu  Schubert  als  zu  Wagner ; 
mit  jenem  teilt  er  besonders  auch  die  Neigung  zu  volkstümlicher 
Gestaltung  —  siehe  die  reizenden  Ländler-Trios  einiger  seiner 
Symphonie-Scherzos,  z.  B.  in  No.  1  (hier  mehr  verhüllt),  deut- 
licher in  No.  2,  3,  am  liebenswürdigsten  in  No.  4.  Von  B.s  9 
Symphonien,  sind  die  3.  (Jj  moll),  4.  {Es  dur)  und  7. 
[E  dur)  am  meisten  verbreitet.  Die  großartigste  Schluß- 
steigerung bietet  das  Finale  der  5.  Symphonie  ( ß  dur).  Von 
des  Meisters  9.  Symphonie  (Z>  moll)  liegen  nur  die  3  ersten  Sätze  u.  z. 
in  der  Reihenfolge  AUegro,  Scherzo,  Adagio  vollständig  vor  und  B. 
wünschte  an  Steile  des  fehlenden  Finale,  an  dessen  Komposition  ihn 
die  schweren  physischen  Leiden  seiner  letzten  Lebensjahre  ver- 
hinderten, sein  bedeutsames  Tedeum  —  gleichsam  als  eine  Art 
Chorfinale  —  aufgeführt,  obzwar  dieser  Abschluß  nicht  unbedingt 
notwendig  erscheint.  Das  im  Manuskript  das  Werk  abschließende, 
transzendental  verklärte  Adagio  .C  dur),  ein  wahrer  „Abschied  vom 
Leben",  wie  B.  das  Stück  selbst  nannte,  entließ  ja  schon  wiederholt 
bei  Aufführungen  des  Werkes  die  Hörer  in  tiefster  Ergriffenheit,  die 
gar  kein  Bedürfnis  nach  einem  noch  folgenden  „obligaten  Finale"  auf- 
kommen ließ.  Die  Uraufführung  dieser  nachgelassenen  „Neunten": 
(^Wien,  11.  Febr.  1903  unter  Ferd.  Löwe)  wirkte  geradezu  sensationell. 

Der  tiefreligiöse  B.  schuf  noch  drei  Messen  (deren  ge- 
waltige Dritte  neben  dem  150.  Psalm  und  mehreren  kürzeren 
Kirchenmusik-Stücke  wahrhaft  monumental  und  —  unbekannt !) ; 
an  weltlichen  Chorwerken:  die  Männerchöre  ., Germanenzug" 
(preisgekrönt)  und  „Helgoland"  nebst  verschiedenen  kleineren 
Chören;  endlich  das  Streich  quintett  in  i^  dur  mit  dem 
berühmten,  so  überaus  weihevollen  Adagio  (Ges  dur).  Unge- 
druckt  ist  u.  a.   ein  Requiem.   —  Brückner  starb  am  11.  Okt. 


Riesen- 
sym- 
phonien. 


9.  Sym- 
phonie. 


Kirchen- 
musik. 


314 


III.  Neuzeit. 


1896  zu  Wien,  wo  ihm  der  Kaiser  das  kleine  Gartenhaus  im 
Belvedere  eingeräumt  hatte.  Man  bestattete  ihn  in  einem 
besonderen  Ehrengrab  unter  der  großen  Orgel  des  Chorherrn- 
stiftes St.   Florian  bei  Linz,  neben  den  Stiftsäbten. 

Um  die  gerechte  Würdigung  und  endliche  Anerkennung  B.s  ^) 
die  dieser  erst  als  Greis  erleben  durfte,  machte  sich  der  geistvolle 
Dr.  Theodor  Helm,  einer  der  vornehmsten  Musikkritiker  Wiens 
(*  das.  1843;  vgl.  a.  a.  0.)  überaus  verdient,  indem  er  nicht  müde 
wurde,  auf  die  Bedeutung  und  erhabene  Schönheit  der  Werke  des 
Adagio,    gi'ößten  Meisters  des  , Adagio'  nach  Beethoven  hinzuweisen. 

Was  den  B.  wie  einst  Beethoven  vorgeworfenen  Mangel 
an  einheitlicher,  übersichtlicher  Architektonik  betrifft :  Auge 
und  Ohr  müssen  sich  eben  erst  an  neue  Dimensionen  gewöhnen. 
Im  übrigen  dürfte  wohl  der  Bau  solcher  , Riesensymphonien'  durch 
B.,  Nicode  und  Mahler  wie  jener  der  mehrstündigen  Musikdramen 
durch  Wagner  abgeschlossen  sein  —  unsere  vorwärtshastende  Zeit 
fordert  gebieterisch  den  Stempel  der  Kürze  auch  im  Kunstleben. 

Koloßartig  ragt  B.s  Gestalt  aus  dem  Lager  der  Wiener  Neu- 
romantiker empor,  wo  wir  außer  Goldmark  und  Brüll  noch  erblicken: 
KP.  Hob.  Fuchs  (*  1847  zu  Frauent^l,  Steiermark),  berühmt  durch 
seine  Serenaden  für  Streichorchester;  Rieh.  Heuberger 
(s.  u.)  und  Ed.  Schutt  (*  1856  Petersbui-g,  D.  des  akad.  Wagner- Verems 
[Klavier-Konzert,  Variationen  für  2  Klaviere,  Lieder]). 

Unmittelbar  neben  Brückner  rang  sich  in  der  Wagner- 
Das  nachfolge  noch  ein  wenngleich  bescheidenerer  Genius  zu  hoher 
'^^Lied^^  Bedeutung  durch :  dem  blütenreichen  Nachfrühling  des  vom 
deutschen  Musikdrama  (ähnlich  wie  einst  in  Alberts  Tagen 
durch  die  italienische  Oper,  s.  S.  250)  befruchteten  Liedes  — 
H"go^ Wolf, Lig2t,  Ritter,  Cornelius,'  Sommer  —  ließ  Hugo  Wolf  in  Wien 
(geb.  1860  zu  Windischgrätz,  Steiermark,  kurze  Zeit  Kom- 
positionsschüler des  Wiener  Konservatoriums  [Rob.  Fuchs], 
dann  ausschließlich  Autodidakt)  reichen  Erntesegen  folgen. 
Er  hat  durch  seine  kühnen,  eigenartigen  Lieder,  in  denen  er 
vielfach  an  den  letzten  Schubert  anknüpft  und  das  Lied 
sozusagen  zur  lyrischen  Szene  zurück  bildet,  Aufsehen 
erregt  und  viele  begeisterte  Verehrer  gewonnen.  („Goethe- 
Lieder"  [51],  „Mörike-Lieder"  [53],  „Spanisches  Liederbuch".  „Ita- 
lienisches Liederbuch".    Außerdem  die  komische  Oper  „Der  Corregidor", 


^)  A. :  Bei  Schlesinger;  der  Symph.  f.  Kl.  2hdg.  [Stradal]  und 
4hdg.  [J.  Schalk  u.  F.  Löwe]  UE.  —  B. :  Franz  Brunner,  1895.  R. 
Louis,  München,  G.  Müller.  S.  namentlich  die  Würdigung  in  Dr. 
Grunskys  „Musikgesch.  d.  19.  Jahrh."  No.  164/5  Samml.  Göschen.  — 
L. :  B.-Nr.  D.  M.  07.  —  D. :  Wien  (Tilgner)  1899. 


H.  Wolf.  —  Wiener  Tanzmusik  u.  Operette.  315 

Musik  zu  Ibsens  „Fest  auf  Solhaug",  eine  symphonische  Dichtung 
„Penthesilea",  ein  Streicht [uartett  und  Chorwerke  mit  und  ohne  Orchester. 
Eine  zweite  Oper  „Manuel  Venegas''  blieb  unvollendet.)  Betrübend 
nur,  daß  sich  ein  so  eminentes  Talent  —  man  höre  bloß  die  tief  er- 
greifenden Michel  Angelo  Gesänge  I  —  erst  Dank  einer  fast  unerhörten 
Reklame  eigene  H.W.- Vereine  in  Wien,  Berlin,  Stuttgart :  einzelne 
Kritiker  erzwangen  zuerst  förmlich  die  Aufführung  der  Lieder  I)  durch- 
zusetzen vermochte  —  leider  zu  spät  für  den  unglücklichen  Tondichter 
selbst,  dessen  junges  Leben  1903  im  Irrenhause  endete.  *) 

Aehnlich  wie  Wolf  seine  Lieder  als  ein  moderner  Schubert,  schuf 
Martin   Plüdderaann    aus  Kolberg,   t  l'~!97     seine   Balladen   als     ^,|ja*nif 
ein  moderner  Loewe.-     Ein  Ehrenplatz  gebührt  hier  auch  dem  deutsch- 
böhmischen Liederkomponisten  Ant.  Rückauf  (aus  Prag,  1855—03,   ßuckauf. 
lebte   zu  Wien  [Minnelieder  Walt.  v.  d.  Vogelweide,    Zigennerliederj). 

Zwischendurch    hatte    aber    auch    die  moderne  Tanzmusik  t,^^'^"^*"., 

Tanimusik 

von    Wien    aus  Triumphe  gefeiert       Dort    erklangen    die    kost-       und 
liehen  Weisen   des    ,. Walzerkönigs"    Joh.   Strauß  jun.     (1825      ''^"^^ 
bis  99,  vgl.  S.  2si ;  „An  der  schönen  blauen  Donau"  wurde  fast  zur  Joh.^Sjauß 
Oesterreicher  Volksmelodie  i,  und  ihnen    lauschten  —   wie  einst  jenen 
des   Vaters   Schubert   und   Schumann  —  aufrichtig   Beifall    spendend 
Wagner  und  Brahms.    Auf  seinen  welterobernden  Walzern  aber, 
die  alles  ähnliche  überragen   „was  Anmut,  Feinheit  und  wirk- 
lich musikalischen  Gehalt  betrifft"  (Wagner),  baut  Joh.  Strauß, 
von  Offenbach  (s.  u. )  dazu  angeregt,  das  lustige,  luftige  Gebäude 
der  W^iener  Operette  auf  (vgl.  S.  230),  mit  einigen  Werken,  wieder 
nahezu  klassisch  gewordenen  „Fledermaus''  1874,    dem  ,, Zigeuner- 
baron" 1885,    , .Ritter  Pasmann"  1892   das  Gebiet   des  feinen  musika- 
lischen Lustspiels   bzw.  der   komischen  Oper   streifend.-^      Neben   und 
nach  ihm  schufen  mit  Humor  die  teils  gebürtigen,  teils  akklimatisierten 
Wiener:  Rieh.  Gent'e(t  1895,  zugleich  Textdichter.  „Seekadet",  „Nanon"), 
Franz  von  S  u  p  p  e  1895,  ,, Schöne  Galathea",  ..Fatinitza",  ,, Boccaccio"      Suppe, 
doch  auch  ernste  Werke  und  populäre  Ouvertüren) ^i,  Max  von  Wein- 
zierl  (t  1898,   „Fioretta''   u.a.),   Karl  Millöcker  (t  1899  „Bettel-  Miliöcker. 
Student",   „Gasparone'',    ., Vizeadmiral",  Volksoper  ,.D.  7  Schwaben"), 
Karl  Zell  er  („Vogelhändler",  „Obersteiger")  u.  a.,  bis  der  feinsinnige, 
im    Grimde    tiefernste    Rieh.   Heuberger    (*  1850  Graz,  sympho- Heuberger. 


1)  B.:  E.  Decsey  (MS.  in  Graz),  4  Bde.,  Brl.  03/4  ill.).  Dr.  E. 
Schmitz,  Lpz.  Recl.  *  L. :  Haberlandt  M.  TLauterbach  u.  Kuhn,  Lpz.), 
Hellmer  E. :  „H.  W.s  Brfe.  an  E.  Kaufmann  (S.  Fischer,  Brl,,  Müller 
P.:  „Erinnerungen  a.  H.  W.,  „D.  M.",  IL,  13,  S.  29.  —  Batka:  „Hugo 
Wolfs  Penthesilea''  (Lpz.  Lauterb.  &  Kuhn).  „Brfe.  an  H.  Faißt."  ;  Haber- 
landt] Stuttg.  Dtsche.  Verlagsanst.  Müller  P. :  „H.  W."  (Gose  &  Tetz- 
laff  —  Wchschr.   f.  KM.,   U3,   21.    04,    32.   33   (kritisch).  ^)  Vgl. 

Batka,  M.P.  u.  s.  Balladen.    Prag,  189tJ.  ^)  B. :   Frhr.  Prochäzka, 

Brl.  „HaiTu".     1899  (mit  Werkeverz.j  *)  Vgl.  Otto  Keller,  Suppe 

Fr.  v.,  d.  Schöpfer  der  dtschn.  Operette. 


316 


III.  Neuzeit. 


National 
Musik. 


nische  und  Opernwerke  [„Abenteuer  einer  Neujahrsnacht",  „Manuel 
Vegas",  „Mirjam"])  mit  dem  durchschlagenden  „Opernball"  (1898) 
einen  höheren,  neuromantischen  Ton  in  die  Operette  bringt. 

Während  Wagners  zwingende  Größe  in  Deutschland  — 
Oesterreich  inbegriffen  —  selbst  Meistern  vom  Range  der 
Brahms  und  Brückner  bei  Ausbreitung  ihrer  Werke  (trotz 
Ausland,  eines  weitverzweigten  Kliquenwesens)  hindernd  in  den  Weg 
trat  und  eigentlich  nur  die  leichtbeschwingten  Weisen  eines« 
Joh.  Strauß  so  recht  die  ganze  Musikwelt  sich  eroberten,  ge- 
lang dieses  umso  siegreicher  einer  Reihe  wahrhaft  begnadeter 
Talente  vom  A  u  s  1  a  n  d  e  her.  Vokal-  wie  Instrumentalmusik 
erhielten  von  dort  reichliche  Zuflüsse,  die  in  dem  Maße  be- 
deutsamer werden,  als  zwischendurch  die  geweckte  nationale 
Tonkunst  die  Schätze  überlieferter  Volkslieder  und  -tanze  aus- 
zunützen beginnt.  Romantik  und  Neuromantik,  jüngste  Vergangen- 
heit und  unmittelbare  Gegenwart  spielen  nunmehr  in  einander  und 
die  musikgeschichtliche  Betrachtung  hält  sich  von  da  ab  der  Ueber- 
sicbtlichkeit  wegen  nicht  mit  Unrecht  an  die  einzelnen  völkischen 
Gruppen.  Als  Träger  eines  Namens  von  Weltruf  ragen  hervor 
die  Franzosen  Gounod,  Bizet,  Saint-Saens,  der  Italiener 
Verdi,  die  Russen  Rubinstein  und  Tschaikowsky,  der 
Tscheche  Dvorak,  der  Norwege  Grieg. 

Unter  den  Franzosen  wurde  vor  allem  Charles  Francois 
Gounod  ([spr.  güno]  1818 — 93)  berühmt.  Seine  an  Schön- 
heiten überreiche  , lyrische' Oper  ,, Faust  und  Margarethe" 
(1859  frei  nach  Goethe)  weist,  trotz  aller  Pikanterien,  mehr 
deutsches  Empfinden  auf  (Gounod  hat  sich  nicht  umsonst 
auch  an  Schumann  gebildet !),  als  ihre  nur  die  „Süßlich- 
keiten" schmeckenden  Geringschätzer  sehen;  sie  schlug  auch  tat- 
sächlich noch  alle  andern,  auch  die  deutschesten  ,raust'-Komponisten 
aus  dem  Felde.  Ihr  am  nächsten  kommt,  zumal  im  herrlichen  ,Vor- 
spiel'  die  etwas  Wagnerisch  angehauchte  Oper  „Romeo  und  Julie" 
(1867) ;  G.s  bekannte  Oratorien  „The  redemption"  und  „Mors  et  vita" 
zeigen  des  edlen  Meisters  ernste  Größe  und  Empfindung.-)  Zu  Tode 
gespielt  wurde  die  ,, Meditation"  i^Ave  Maria)  über  Bachs  erstes  Prä- 
ludium aus  dem  „Wohltemp.  Klavier",  i) 

Es  reüssierten  auch  auswärts  Ambroise  Thomas  (f  1896, 
KD.  zu  Paris:  „Mignon"  [bereits  über  1000  mal  gegeben]  „Hamlet") 
und  Aime  Maillard  (tl871:  „Les  dragons  de  Villars",  in  Deutsch- 
land als  „Das  Glöckchen  des  Eremiten"  bekannt  und  beliebti. 


Gounod. 


Thomas. 


1)  Vgl.  S.  2293)  u.  232.  B.:  P.  Voss,  1895;  Imbert  ([spr.  ängbähr] 
MS.  zu  Paris,  *  1842,  Förderer  deutscher  Musik)  1897;  Hillemacher, 
Paris,  Laurens. 


Nationale  Tonkunst  —  Frankreich. 


317 


Bizet. 


Gleich  diesen  beiden  vorwiegend  lyrisch-gi-aziös  angelegt,  erhebt 
sich  gelegentlich  zu  kühnerem  Fluge  Louis  Lacombe  (ausgezeich- 
neter Pianist  in  Paris,  f  1884  :  Dramatische  Symphonien  mit  Chören 
„Manfred"  und  „Arva" ;  Oper  ,, Winkelried",  „Sappho",  Melodram  mit 
Chören,  Preis-Kantate  zur  Weltausstellung  1.S78,  Schrift:  „Philosophie 
et  musique".)  Neben  ihm  zählen  Ed.  Lalo  (Kap.  VII)  und  Ernest 
Reyer  (*  1823)  mit  seinen  großen  Opern  Sigurd  und  Salammbo  (1900) 
zu  den  angesehensten  Romantikern  der  Bühne. 

Nächst  Gounod  eroberte  sich  die  „Bretter,  die  die  Welt 
bedeuten"  Georges  Bizet  [spr.  bisä]  (1838  —  75)  mit  seiner 
Leben  und  Leidenschaft  sprühenden ,  heute  beispiellos  sieg- 
reichen „Carmen",  der  Mutter  des  jungitalienischeu  „Verismo", 
den  Konzertsaal  mit  „L"  Arlesienne"  (keine  Oper,  sondern  eine  Musik 
zu  A.  Daudets  gleichnamigem  Drama,  die  B.  zu  einer  sehr  beliebten 
Orchestersuite  zusammenstellte  i  und  einem  reizenden  Orchester-Scherzo. 
Bizet,  „ein  moderner,  poetischer  Mensch  mit  klassischen 
Idealen"  ^),  verrät  den  Einfluß  des  neudeutschen  Musikdramas, 
ebenso  der  geistvolle  AI.  Eman.  Chabrier  (f  1894:  ,,Le  roi  malgre 
lui",  gi-oUe  Opern  „Gwendoline"  und  „Bris eis",  auch  interessante 
Klaviermusik!),  Jules  Massenet  *  1842,  Kl\  Paris:  „König  Massenet 
von  Labore",  ,,Manou",  „Wert her",  Orchester-Suiten  etc.)  und 
dessen  Schüler  Alfr.  Bruneau  ([spr.  brünoh]  Opern  auf  Texte  von 
Zola:  Le  reve  u.  a.),  während  der  auch  als  Essayist  geistvolle 
Camille  Saint- Saens,  ([spr.  säng-sahngs]  *  1835  in  Paris,  ein 
ausgezeichneter  Pianist  und  Organist),  der  berühmteste  der  neueren 
französischen  Komponisten,  mit  seinen  viel  aufgeführten  Kammer-, 
Chor-  und  Orchesterwerken  [symphonische  Dichtungen  „Phä- 
eton",  „Le  rouet  d'Omphale",  ,,La  jeunesse  d'Hercule", 
,,Danse  macabre"  und  eine  als  Monument  der  französischen 
Symphoniedichtung  gepriesene,  Liszt  zugeeignete  C-moll  Sym- 
phonie für  Klavier,  Orgel  und  Orchester,  3  Violin-,  5  Klavier- 
konzerte (besonders  g,  c.  f'),  Oratorien,  weltliche  Kantaten],  so- 
wie den  auch  in  Deutschland  geschätzten  Opern  ,,Samson  et 
Dalila",  ,, Henri  VIEI.",  noch  klassizistischen  Charakter  trägt-) 
—  eine  Art  französischer  Brahms,  allerdings  mit  farbenreicherer 
Palette.  S.-S.,  der  in  Wort  und  Ton  auf  die  befruchtenden  Elemente 
der  orientalischen  Musik  und  ihrer  mannigfachen  Tonarten  hinweist, 
sagte  gelegentlich  von  Bizet  und  sich  selbst:  „Er  suchte  vor  allem 
nach    Leben    und  Leidenschaft,   ich   nach   chimärischer  Reinheit   des 


Saint- 
Saens. 


1)  B.:  Voß.  Reclam  Lpz.*  A.  Weißmann,  Bd.  20  „D.  Musik", 
Brl.  —  A.  „Carmen"  Klav.  Ausz.  [Max  Schulze],  mit  erzählender  Dar- 
stellung der  Handlung,  CL.  -)  Themat.  Werkeverz.  Paris,  1897. 
B. :  0.  Neitzel,  Bri.  „Harm."  1898  (ill.j.  Schriften:  Harmonie  und 
Melodie  [dtsch.  v.  Kleefeld  03],  Portraits  et  souveniers,  03. 


318 


III.  Neuzeit. 


Cesar 
Franck. 


S1^    pl 


Stils  und  Vollkommenheit  der  Form."  Anschließend  an  diese  fran- 
Litolff.  zösischen  Neuromantiker  sei  der  Elsässer  Henry  Litolff  (f  1891 
zu  Paris,  Schüler  von  Moscheies)  genannt,  der  sich  in  dreifacher 
Richtung  berühmt  machte,  als  Pianist,  Komponist  (Konzert-Symphonie 
für  Klavier  und  Orchester;  große  Oper  „Die  Templer"  [1886J  Konzert- 
Ouvertüren  ^Kobespieii-e",  ^Die  Girondisten";  Orat.  „Ruth";  Klavier- 
trios; Salonstücke  für  Klavier  |  Spinnlied]  und  Lieder),  nicht  zuletzt 
als  Gründer  der  weltbekannten  Braunschweiger  Verlagsfirma  seines 
Namens  (vgl.  Kap.  V) 

Epochemachend    als    Begründer    der    jung    französischen, 
vornehmlich    den    reinen     Instrumentalstils    pflegenden    Schule 

wurde     Cesar 
Frank  (*  1822 
zu   Lüttich ,   KP. 
zu  Paris,  f  1890. 
Unter     den    erst 
nach  seinem  Tode 
mehr    und    mehr 
bekannt  werden- 
den Werken :  die 
Symphonie   in  D 
u.   symph.   Dich- 
tungen ,,Les 
Eolides",      „Der 
wilde  Jäger", 
„Les  Djinns" 
[Klavier    und 
Orchester],  „Psy- 
che"   [Chor   und 
Orchester] :    Ora- 
torien      „Ruth", 

,,Redemption", 
„Die  Selig- 
preisunge  n", 
ein  poesiereiches 
Werk,  eigenartig 
fesselnd  mit    sei- 
ner   Harmonik.  ^) 
Ihm  folgt  in  ausgesprochen  neudeutscher  bzw.  Liszt-Wag- 
nerschen  Richtung  außer  dem  Okkultisten    Jon ci  eres  (t   03: 
„Symph.    romantique",    Chorsymph.    „La   mer") ,  Widor   (Kap.  VI), 
Benjamin  Godard  (f  1895:  "^,Gothische    Symphonie'"    „Orientalische 
Symphonie",  „Symphonie  legendaire  [mit  Chören],  „Tasso")  u.  a.  vor 
d'lndy.     allem  Vincent  d"Indy  ([spr.    dängdi]    *   1851    zu    Paris,    Schüler 
und  Nachfolger  Franks  als  Vorsitzender  der  Societe  nationale  de  musi- 
que    [vgl.  auch  S.  43 'j:    Symph.  „Walleustein",    Variationen   „Istar", 


f-  ■  ^ 


Camllle  Saint-Saens. 


1)  B.:  V.  dTndy,  Paris,  Alcau. 


Pariser  Operette.  —  Belgien,  Holland.  319 

dramatische  Legende  „Le  chant  de  la  cloche",  Op.  „Fervaal";  Kammer- 
musiken, Klavierstücke  und  Gesänge),  der  zur  extrem  neuroman- 
tischen   Schule    des    gegenwärtigen  Frankreich  führt,  i) 

Neben  der  ernsten  brach  sich  auch  die  leichtgeschürzte  Muse 
von  Frankreich  bezw.  von  Paris  aus  während  der  60  er  Jahre  des 
19.  Jahrhunderts  Bahn.  Dort  schuf  zuerst  Herve  (f  1892  „Der  5pe"etfe 
kleine  Faust",  Mam'zelle  Nitouche  1883 1,  jene  graziöskokette  dra-  Herve. 
matische  Miniaturmusik  nach  Pougin  „musiquettes")  zu  kleinen 
Singspielen  scherz  oder  possenhaften,  auch  sarkastischen  Inhalts,  die 
der  geniale  Jacques  Offenbach  (*  Köln  1811»,  t  1880  Paris)  zur  Offenbach, 
pathetischen  Karikaturoper,  d.  i.  der  modernen  Operette  aus- 
gestaltete. Unter  seinen  102  Bühnenwerken  —  vielfach  wohl  frivol, 
doch  als  Schilderungen  des  Pariser  Lebens  während  des  zweiten 
Kaiserreichs  kulturhistorisch  von  Bedeutung  und  reich  an  rein  musi- 
kalischen Werten,  —  sind  die  bekanntesten :  „Die  Verlobung  bei  der  La- 
terne", „Orpheus  in  der  Unterwelt",  „Blaubart",  „Pariser  Leben", 
„Fortunios  Lied",  „Die  schöne  Helena"  und  die  posthume  komische 
Oper  „Hoffmanns  Erzählungen",  ein  weltberühmtes,  edel  ge- 
haltenes, eigenartig  reizvolles  Werk,  in  dem  0.  förmlich  Verzeihung 
für  seine  Sünden  erbittet. 

Seine  Nachfolger  in  edlerem  Sinne  sind  Leo  De  Hb  es  (1836—91, 
„Lakme",  „Le  roi  la  dif,  Ballette  .Coppelia",  „Sylvia"),  ein  treff- 
licher Musiker,  über  viel  Grazie  und  Pikanterie  in  der  reichmelodischen 
Erfindung  und  Orchesterbehandlung  gebietend;  Alex.  Charles  Lecocq  '-'^^"''•i- 
([spr.  lökök]  *  1832,  „M  a  m  s  e  1 1  A  n  g  o  t",  „GiroHe-Giroria"  usw.),  Vik- 
tor Masse  (t  l.'-!84,  Oper  „Paul  et  Virginie"  und  der  beliebte  Ein- 
akter ,,Jannettens  Hochzeit"),  Edm.  Au  dran  (spr.  i^drang  f  Ol, 
„Mascotte",  „D.  Puppe),  Plan  q  nette  ([spr.  Plangkett]  f  03,  „D. 
Glocken  v.  Corneville"  u.a.).  Andre  M  es  sager  ([spr.  asche]  *  1853,  ^essager. 
„D.  Schreiberkönig"  La  basoche],  Oper  ,,Fortunio"  07)  und  —  Joh. 
Strauß  (s.  0.),  der  auf  Kontertänzen  1  Quadrille'  aufgebauten  Pariser 
Operette  die  Wiener  mit  ihren  Favoritwalzern  entgegensetzend. 


Delibes. 


In  Belgien,  wo  aus  dem  romantischen  Tondichterkreise 
der  berühmte  Musikhistoriker  Fr.  Aug.  Gevaert  (*  1.S28  zu  Gevaert. 
zu  Huysse  bei  Oudenaarde,  HKM.  und  KD.  Brüssel'  noch  in  die  Gegen- 
wart herein  ragt,  [Messe,  Motetten  und  Kantaten  für  Männerchor 
mit  und  ohne  Orchester  usw.,  Opern],  - 1  kam  das  national-vlämische 
Element  weniger  mit  dem  edel-vornehmen,  eigentlich  deutsch 
empfindenden    Peter  Benoit  (1834— Ol,  KD.  zu  Brüssel:  Kirchen-     Benoit. 


^)  Vgl.  hier  Alfr.  Bruneau,  Gesch.  d.  französ.  Mus.,  Bd.  4  „D. 
Musik",  Brl.  —  Rolland,  Paris  als  Musikstadt,  Bd.  11  cit. 

-)  Schriften :  Lehrbücher  des  Gregorian,  Gesanges ,  der  Instru- 
mentation;    D.  Urspnmg  d.  röm.  Kirchengesanges:   s.  S.  21,  46,  120. 


320  m«  Neuzeit. 


werke,  vläraische  Oratorien  [„Lucifer",  „Drama  Christi"] ,  die  groß- 
artige „Rubens-Kantate"  und  Opern ) ,  als  durch  Benoits  Schüler  und 
Tinei.  Nachfolger  Jean  Blocks  (,, Herbergprinzeß")  und  Edgar  Tinel 
(geb.  1854  zu  Sinay  Flandern  KD.  zu  Brüssel:  Oratorium  ,,Fran- 
ciscus",  Kirchen-  und  Chorwerke  mit  Orchester,  Musikdrama 
„Godoleva")  zum  Durchbruch. 

In  Holland  begegnen  ims  Ed.  de  Hartog  (*  1828:  Orchester- 
werke, Streichquartette  [Suite  op.  46],  Opern,  Psalmen),  Orgelvirtuose 
Sam.  de  Lange  Orat.  „Moses",  Orgelsonaten  u.  a.j,  der  Chor-  und 
Opernkomponist  Will,  de  Haan,  Pianist  und  Kammerkomponist  Jul. 
Köntgen  u.  a. 


In  Italien  erzielten  nach  Rossini  die  Opernkomponisten 
Giovanni  Paccini  [pattsch-]  (f  1867)  und  LauroRossi  (KD.  zu 
Mailand  und  Neapel  f  1885:  ,.Die  Falschmünzer"  und  „La  contessa 
di  Mona" :  Elegien  auf  den  Tod  Bellinis  und  Mercadantes,  Chöre  zu 
Plautus'  „Gefangenen",  Fugen  für  Quartett,  u.a.)  große  Erfolge.  Der 
gelehrteste  Kontrapunktiker  war  Platania  (KD.  zu  Neapel, 
yerdi,  -f  07).  Weltruhm  aber  schuf  sich  Giuseppe  Verdi,  der  be- 
deutendste italienische  Opernkomponist  nach  Rossini,  und  nach 
Wagners  Tode  im  Ausklange  des  19.  Jahrhunderts  der  größte 
lebende  Tondichter  überhaupt,  *  1813  in  Roncole  bei  Parma, 
t  Ol  zu  Mailand.  Seine  Hauptopern  sind:  ,,Ernani",  ,,Don 
Carlos",  „Macbeth",  „Rigoletto",  ,,D.  Maskenball",  „II 
Trovatore",  ,,La  Traviata",  ,,Aida"  [zur  Eröffnung  der 
neuen  italienischen  Oper  in  Kairo  1871],  ,,Othello",  ,,Fal- 
staff"  [1893,  die  einzige  namhafte  komische  Oper  Verdis]; 
der  geborene  Opernkomponist  verleugnet  sein  Naturell  auch 
nicht  in  dem  Requiem  [1873,  für  A.  Manzoni],  dem.  geist- 
vollen Streichquartett  (e)  und  den  ,,4  geistl.   Stücken". 

Um  Verdis  (den  Italienern  zuerst  schwer  verständliche !)  Werke 
schimmert  bereits  die  Gloriole  der  Klassizität.  Wie  ein  Zauber  wirkt 
schon  der  Name  des  edlen  Meisters.  Was  bedeuten  die  Trivialitäten 
des  „Troubadour"  oder  der  „Traviata"  gegenüber  all  der  inneren, 
wahren  dramatischen  Größe  und  Kraft  jener  meist  vornehmen  Musik, 
deren  Strom  sich  schlackendurchsetzt,  doch  elementar,  heißer  Lava 
gleich,  ergießt;  einer  bis  in  die  mißverstandenen  Koloraturen  hinein 
eminent  dramatischen  Musik,  die  auch  in  den  ersten  populären  Opern 
dieses  Meisters  —  man  muß  sie  nur  von  Italienern  dargestellt  hören! 
—  stets  mit  geheimnisvoller  Kraft  die  Stimmung  der  Szene  zu  er- 
fassen, den  Hörer  unwiderstehlich  zu  packen  weiß. 

Mit  seiner  ,Aida'  verneigte  sich  der  greise  Meister  vor 
Wagner,    ohne  jedoch  seine  individuelle  Haltung  preiszugeben, 


Italien. 


321 


und  schuf  mit  „Othello"  und  ,,Falstaff"  die  bedeutendsten 
Opernwerke  nach  dem  Bayreuther.  ^)  Ihre  Texte  schrieb  Arrigo 
Boito  (*  1.S42  zu  Padua),  aucii  in  Deutschland  bekannt  durch  seine 
Oper  ^Metistüfele'". 

In  unsere  unmittelbare  Gegenwart  herüber  führen  der 
Klaviervirtuose  und  Liszt  -  Schüler  Giovanni  S  g  a  m  b  a  t  i  Sgambati. 
(*  184;5  zu  Rom),  wohl  der  bedeutendste  lebende  Instrumental- 
komponist der  Italiener,  denen  er  erfolgreich  die  neue  deutsche 
Musik  erschloß  (2  Symphonien,  K  amni  er  wer  ke:  ein  Klavier- 
konzert, sowie  interessante,  schwere  Klavierstücke) :  der  l)rahms- 
beeinflußte  G.  Martucci  (*  1856,  KD.  Bologna)  und.  als  eine 
Art  Bindeglied  zwi- 
schen der  Vt'rdischen 
und  der  Jungitalie- 
nischen Oper ,  An- 
tonio S  m  a  r^e  g  1  i  a 
(*  18Ö4  zu  Pola)  mit 
seinen      durch      musik- 

dramatisclu^  (iröiic 
immer  mehr  imponie- 
renden Opern  ,.D.  Vasall 
V.  Szigeth",  „Cornelius 
Schutt",  „Istrianische 
Hochzeit",  „La  Falena"', 
„Oceana" ;  auch  eine 
symph  Dichtung  ..Leo- 
nore'"  und  Lieder.     Des 

weiteren    zählen    die 

Opernkomponisten 
Ponchielli    [f   188(J, 
„Gioconda")  und  Baron 
Alberto     F  r  a  n  c  h  e  1 1  i 

(.*   1860   zu  Turin: 
„Asraele",  „Christoforo 
Colorabo")  hier  mit. 

Unter    den  Russen  sehen 
Romantiker  nur  Anton    R  u 


Verdi. 


Russen: 


wir    im   Gefolge    der    deutschen 
.  i  n  s  t  e  i  n  ,    *  28.  Nov.   1830  ^";'*\",*9**;"' 
zu  Wechwotinetz,  einen  der  eminente.'^ten  Klaviervirtuosen  und 
namhaftesten  Komponisten  der  Neuzeit    (^1862—67  und  1887— 9« ' 


1)  B.:  Dr.  C.  Perinello.  BrI.  „Harm."  00.  Dr.  A'olbach.  Lpz. 
Seemann.  Monaldi  (deutsch  von  Ilolthof;  1898.  —  L. :  Pizzi,  Kicordi 
Verdiani  Ol;  vgl.  die  Verdi-Nr.  NMZ.  .ö.  Ol.  —  D. :  das  von  V.  zum 
Andenken  an  seine  Gattin,  die  hochangesehene  Sängerin  Giusippina 
Strepponi  (f  1897)  gestiftete  Altersheim  fi'ir  (100)  Musiker  zu  Mailand. 

Kotlie-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.      21 


322 


III.  Neuzeit. 


KD.  in  Petersburg,  f  als  kaiserlich  russischer  Staatsrat  und  Ritter  des 
preußischen  Ordens  pour  le  raerite  20.  Nov.  1894  zu  Peterhof  bei  Peters- 
burg). Seine  Produktivität  war  außerordentlich.  Er  schrieb: 
6  Symphonien  [„Ocean"],  Charakterbilder  [„Faust",  „Iwan  IV", 
„Don  Quichote"],  eine  Suite,  Konzert-Ouvertüren,  Klavier-,  Yiolin- 
und  Violoncellkonzerte  mit  Orchester;  eine  Reihe  russischer  und 
deutscher  Opern  [„D.  Kinder  der  Haide",  „Feramors"  i daraus 
Ballettmusik),    „D.   Dämon",    „D.  Makkabäer",    „Nero",    „Sulamith"] ; 

ferner  Oratorien 
(geistliche  Opern):  „Der 
Turm  zu  Babel",    „Das 

verlorne    Paradies", 
, Moses",      ,, Christus") ; 
zahlreiche     Kammer- 
m  u  s  i  k  Av  e  r  k  e    (10 
Streichquartette,   ein 
-Quintett;  Klavier-Quin- 
tette. -Quartett.  5  Trios, 
6  Duos) ;  für  Klavier 
allein:    Sonaten.   Varia- 
tionen, Präludien ,  Fugen , 

Etüden,  Serenaden, 
Barkarolen,  Tänze  usw. ; 
außerdem  viele  Lieder 
(darunter   einzelne,  wie 
„Es    blinkt    der    Tau", 

„Der  Asra",  „Gelb 
rollt  mir  zu  Füßen" 
,, Frühlingslieder",  ,,Mor- 
gens",  mit  Recht  viel- 
fach entzückten),  Duette 
und  Chöre.  R.s  Kom- 
positionen sind  leider, 
trotz  ihrer  großen, 
packenden  Züge  und  des  mitunter  Beethovenschen  Stils,  sehr 
ungleich  an  Wert.  Bei  seinem  ruhelosen  Produzieren  und  dem 
Mangel  an  strenger  Selbstkritik  konnte  er  Schönes  und  Unschönes  in 
einem  Atemzuge  schreiben,  von  den  genialsten  Eingebungen  in  die 
ödesten  Plattheiten  geraten. 

Auch  als  scharfzüngiger  Schriftsteller  zog  R.  die  Aufmerksam- 
keit aut  sich:  „Die  Kunst  und  ihre  Meister"  (1892),  „Erinnerungen 
aus  50  Jahren"  (2.  A.  185I5)  und  „Gedankenkorb"  (1897,  nachgelassen) 
enthalten  eine  Fülle  origineller  Avie  lehrreicher  Gedanken.^) 

^)  S.  auch  „Meister  des  Klaviers",  Vorträge  über  Klavierkom- 
positionen V.  A.  R.  Brl.  „Harm."  —  B.:  Zabel  1892;  Soubies  1895. 
L.:  Sandra  Droucker,  Erinnerungen  an  A.  R.  Lpz.  Senff,  04;  A. 
Kippius,  Was  R.  in  den  Stunden  sagte.  Drsd.  Tittmann.  —  D.  R.- 
Museum am  Konservatorium  Petersburg. 


Anton  Rubiusteiu. 


Rußland. 


323 


Hervorragend  als  Klavierpädagoge  war  Antons  Bruder  Nicolaus 
Rubinstein,  der  Begründer  der  Russischen  Musikgesellschaft  (1859) 
und  KD.  (1866)  zu  Moskau,  f  l!^Sl  zu  Paris. 

Die  ersten  nationalen  Töne  schlug  der  „russische  Berlioz" 
Mich.  Glinka.  HKM.  in  Petersburg  (t  1857  Berlin),  der 
Schöpfer  der  national-russischen  Oper,  an.  Seine  beiden  Opern 
„D.  Leben  fiir  den  Zar"  (1886)  und  „Russlan  und  Ludmilla"  (1842) 
sind  noch  heute  Repertoirestücke  der  russischen  Theater.  Er  schrieb 
auUerdem  Werke  tlir  Orchester  die  originelle,  vorbildliche  Tanzlied- 
Phantasie  ,,Kamarinskaja"'l  und  Kammermusik,  Romanzen  und  Lieder, 
und  verfaßte  auch  seine  Memoiren.^)  Sein  Vorgäuger  war  der  aus- 
gezeichnete Violinist  und  Komponist  der  russischen  National- 
hymne il8o8  .Alexis  L  wo  ff  aus  Reval,  General  und  Flügeladjutant 
Nicolaus  L,  D.  der  kaiserl.  Kirchenkapelien  zu  Petersburg  (zuletzt  ganz 
taub,  t  1870:  Opern  ,,Undine'",  ,,Der  Dorfschulze",  ein  Violinkonzert, 
weltl.  und  geistl.  Chorgesänge  . 

Glinkas  Nachfolger  wurden:  Alex.  Dargomyschsky 
(t  1869:  Instrumentalwerke:  ,, Finnische  Phantasie'',  „Kosakentanz", 
„Phantasie-Scherzo";  Lieder  und  Duette)  —  seine  erste  Oper  .,Es- 
meralda"  [is39]  ist  herkömmlich  im  Stil,  die  zweite  „Russalka"  1855] 
bevorzugt  schon  mehr  das  Recitativ :  der  unvollendet  hinterlassene 
,, Steinerne  Gast'  outriert  die  Wagnerschen  Grundsätze  so,  dass  gar 
keine  Einzelnummern  vorkommen  — :  Alex.  Seroff  (j  1871,  trat  als 
MS.  namentlich  tür  Wagners  Opernreform  ein :  <  »pern  ,, Judith", 
..Rogneda",  „Des  Feindes  Macht",  mit  selbst  verfaßten  Texten  u.  a ) ; 
Alex.  Borodin  (1834—87,  ord.  Prof.  d.  medici »chirurgischen  Aka- 
demie, Vors.  d.  Ver.  d.  Musikfreunde  zu  Petersburg;  einer  der 
Haiiptvertreter  der  jungrussischen  fortschrittlichen  Richtung, 
gehörte  er  mit  Cui,  Balakirew,  Moussorgsky  und  Rimsky- 
Korsakow  zum  Kreise  der  s.  g.  ,,fünf  Novatoren",  die  den 
Bahnen  Schumanns,  Berlioz".  Liszts  '  und  Wagners  folgten 
'Symphonien,  symph.  Dicht.  ,, Steppenskizze  aus  Mittelasien"  ;  Kammer- 
und  Klavierwerke:  National-  Op.  ., Fürst  Igor'j;  Cesar  Cui  (*  1835 
Wilna,  Prof.  der  Ingenieurakademie  Petersburg:  Opern  „Der  Ge- 
fangene im  Kaukasus".  ,. William  Ratcliff'.  .,D.  Flibustier";  ..kleine 
Suiten",  Scherzos  und  Tarantelie  für  Orchester;  Suite  für  Klavier  und 
Violine:  zahlreiche  Lieder):  Mily  Balakireff  *  1836  Nishnij- 
Nowgorod,  Pianist:  symph.  Dichtungen,  (»uvertüren  über  russische, 
tschechische  und  spanische  Themen:  bedeutsam  als  Sammler  und 
Herausgeber  russischer  Volkslieder),  Modest  M  u  s  s  o  r  g  s  k  y 
(1839—81,  Op.  , .Boris  Godunoff",  höchst  eigenartige  Klavier-  und 
Gesangstücke)  ein  kühner  Naturalist :  endlich ,  in  unser  Jahr- 
hundert hineinragend,  Nie.  Rimsky-Korssakow  i. 


(ilinka. 


Iiie  .i  Xeu- 
tüner: 
Horodin. 


Ciii. 


Halakireff. 


.Mu.«- 
sorgsky. 


Riraskv- 


1844   KP.,  Korssakow 

t  o.s. 


1)  B.:  Findeisen  1895;  Weimarn  1892.  —  D.:  Petersburg  1899. 

21* 


324  m^-  Neuzeit. 

Musikinspektor  der  russischen  Flotte,  D.  der  „Musik-Freischule"  in 
Petersburg,  f  08).  eine  feinfühlige,  edle  Künstlernatur,  ein  glänzender 
Kolorist  und  origineller  Harnioniker,  ein  Meister  im  Verwerten 
russischer  Volksweisen.  Mit  der  Orchesterphantasie  „Sadko*^  schuf 
er    die    erste    russische    ,, symphonische   Dichtung."     Außerdem 

Orchesterwerke:  Svm- 
üfÄg.  .^      ^"'  ' '  Phonien  [„Antar"], 

Suiten  [Sheherazade'"; 
„MIada'],  Ouvertüren 
und  Phantasien   über 
russische,  serbische 
Opern.  ^LteK-  ^^  ""*^     spanische    The- 

men ;  Opern  unter- 
schiedlichen Stils  [,,D. 
Mädchen  v.  Pskoff"'. 
„Schneewittchen"  (po- 
pulär; ,  „Die  Weih- 
nacht", ,,Sadko-'i  po- 
pulär) ,  .,Die  Zaren- 
braut" (klassizistisch); 
,, Mozart    u.     Salieri" 

(mit   symmetrisch- 
melodischen     Rezita- 
tiven),  „Salt an"  (00, 
arios),   ..Der  unsterb- 
liche Koschtschei" 
(02,  kühn  u.  original), 
„Unhold     Ohneseele" 
05  Märchenoper,   ro- 
mant.-exotisch) :   Vio- 
linkonzert ,     Klavier- 
konzert [„A  la  mem- 
oire de  Fr.  Liszt"j,  Kla- 
vierstücke :    Chöre. 
Lieder.  ^) 

Vielfach    noch 

im  Fahrwasser   der 

Romantik,  und  nicht 

Tschai.     nur    von    der   „allmächtigen   Schaar'"   jener  Novatoren  viel   be- 

kowsky,    kämpft,   begegnet  uns   Pet.  T  s  ch  a  ik  o  wsky  (*  1840  Wofkinski. 

"*"  ^^'^^'      Gouvernement  Wiätka:   zuerst  Jurist,    1866—77   KP.   zu  Petersburg, 

t  1893),   durch    Begabung    und  Bildung    der    ausgezeichnetste 

unter  den  neueren  russischen  Komponisten:    seine  Werke  sind 

blühend  in   ihrer  oft  ergreifenden  Melodik,  wohllautsatt,    doch 

1)  B.:  Stassow,  Nord.  Bote,  1890,  12. 


^/^^wrU 


Polen.     Böhmen.  325 


ungleich  an  Wert  und  voll  widersprechendster  Eigenschaften : 
bald  eine  weibliche  Zartheit  und  Sinnigkeit,  dann  wieder  eine 
halbasiatische  Wildheit.  Voran  stehen  die  drei  letzten  seiner 
6  Symphonien,  darunter  die  VI.,  „ Symphonie  pathetique",  ^^™JJ|^°" 
T.'s  bedeutendstes  Orchesterwerk  und  eines  der  hervorragendsten 
Werke  seiner  Gattung  nach  Beethoven  überhaupt ;  daneben 
Suiten,  eine  Serenade  für  Streichorchester;  Ouvertüren  r„18l2'']; 
syniph.  Dichtungen  [„D.  Sturm"*,  „Francesca  da  Rimini"*,  „Manfred", 
„Romeo  und  Julie"*,  „Hamlet"].  Neben  „Eugen  Onegin",  der 
auch  außerhalb  Rußland  verbreitetsten  Oper  T.s ,  der  mehr 
Lyriker  als  Dramatiker  ist,  stehen  die  eigenartig-reizvolle,  opem. 
mozartisch  graziöse  „Pique  Dame",  „Mazeppa",  „Yolanthe", 
mehrere  Ballette;  weiter  ragen  hervor:  ein  Violinkonzert; 
2  Klavierkonzerte  [in  B  und  y\  und  eine  Phantasie  mit  Orchester 
und  zahlreiche  Solostückf  für  Klavier :  2  Messen  und  Krönungs- 
kantate ;  viele  tiff  empfundene  L  i  ed  er.  T.  schrieb  auch  „Musi- 
kalische   Erinnerungen    und  Feuilletons."     [Uebers.  von  H.  Stümcke.] 

Naben  Tschaikowsky  ^)  sind  zu  nennen  Alex.  Famin  zin 
(f  1896:  Opern  „Sardanapal"  iind  „Uriel  Acosta" ;  Rhapsodie  für 
Violine  und  Orchester:  MS.  und  Übersetzer  deutscher  Musikschriften); 
Solo  wie  w,  dessen  Oper  „(^ordelia"  188.5)  auch  außerhalb  Ruß- 
lands interessierte,  Ant.  Step.  Arensky  (ISfil— (»6)  mit  seinen 
Kammerwerken  und  Opern  („Ein  Traum  auf  der  Wolga",  „Raphael", 
„Nal  und  Damajanti' I,  namentlich  aber  Sergei  Tanejew  (*  1856),  Tanejew. 
einer  der  bedeutendsten  modernen  Meister  des  Kontrapunktes  -) 
(neben  Symphonien,  Kammerwerken  u.  (  hören  die  Trilogie  ,,( iresteia"). 

Zu  den  „Jungrussen"  der  Gegenwart  herüber  führen  A.  LJadow 
(•  1855,  chopiuartige  Klaviermusiki,  dessen  Schüler  Catoir  (♦  1861, 
symph.  Dicht.  „Mzyri",  Violinsouaten)  und  der  Symphoniker  Ljapou- 
now  I*  1859)  ').  —  Als  tonkünstlerischer  Verarbeiter  national-rus- 
sischer Volksweisen  zählt  hierher  auch  Iwan  Knorr  (*  1853  Mewe, 
Westpreußen ,  KD.  in  Frankfurt)  mit  seinen  (»rchestervariationen, 
Ukrainischen  Liebesliedern  und  der  Oper  .Dunja',  sowie  der  rus- 
siüzierte  IJöhme  Naprawnik  (*  1839  zu  Königgrätz  Opern,  symph. 
Gedichte  u.  a.). 

Bei  den  Polen  spielt  das  romantische  Element  noch  weit     Polen. 
in  die   neuere  Zeit    herein,    indessen    anderseits    das    nationale 
weit   früher  als  anderswo  durchschhiw.      Schrieben   doch  schon 


1)  A.  beliebtester  Klavierstücke:  Lkt.;  T.-Album  CL.  —  B. :  K. 
Hruby,  Brl.  „Harm."*  (objektiv):  J.  Knorr,  Brl.  „Harm",  (ill.) ;  s. 
auch  S.  2-28  ').    —   Briefe  04.  —  Vgl.   auch   S.  232  unt.  '")  Vgl. 

seine    Abhandlung   „Üb.    d.    imitierenden    Kontrajjunkt"    2    Bde.    — 
^)  Vgl.  hiezu  Alfr.  Bruneau,  D.  russ.  Musik,  „D.  Musik"  Brl. 


g26  ^^^-  Neuzeit» 


der  Ungar  Math.   Kamienski  in  den  Jahren   1775 — 79,  und 
Kurpinski    1811 — 26    eine  Reihe    polnischer  Opern   für  das 
Warschauer  Nationaltheater!     Wir  erblicken  vorerst  noch  im  Um- 
kreise Chopins,  auf  dem  Felde  der  Klavierkomposition  und  Virtuo- 
sität  insbesondei-e :    Jos.  Nowakowski   (f  1865   Warschau),    Felix 
Dobrzyuski  (f  1867 :  Symphonie,  Kammerwerke,  Op.  „Monbar  oder 
die  Flibustier"),  Ant.  v.  Kontski  aus  Krakau  (f  1899:  unter  seinen 
Salonstücken  das  allbekannte    „Le  reveil  du  lion".     Sein  Bruder  war 
Kontski,     der  Violinvirtuose  Apollinary  v.  Kontski  KD.  zu  Warschau,  f  1879  : 
Konzertstücke   für  Violine);    Mich.   Bergson   (f  1898    bei   London: 
Mazurken,   Etüden  usw.);   Jos.   Wieniawski  (*  1837  Lublin.     Lebt 
in  Warschau:  Brillante  Klavierkompositionen    Berühmter  wurde  dessen 
Wieni-     Bruder  Henri  Wieniawski,  als  Violinvirtuose  j  1880  in  Moskau: 
awski.      2  Konzerte  und  andere  vielgespielte  Bravourstücke  für  Violine,  Streich- 
quartett  in  a,    op.  32;    s.  Kap.  VII);    Alex.    Zarzycki    [sarschitzki] 
aus  Lemberg  (f  1895,  KD.  zu  Warschau :  Klavierkonzert).    Vgl.  auch 
Mikuli  S.  280  i). 
National  •  j)  j^,  Nationaloper  hob  vor  allem  Stanislaus  Moniuszko, 

Moimmko.  *  1820  ZU  Ubil  (Litthauen),  seit  1858  ()pern-KM.,  später  KP.  in  War- 
schau, t  1872:  13  nationale  Opern,  darunter  „Halka",  „Die  Gräfin'-, 
„Der  Paria";  Musik  zu  Hamlet;  lustrumentalphantasie  „Das"  Winter- 
märchen"; Messen,  Kantaten;  Klavierstücke  [durch  Chopin  beeinflußt], 
Lieder;  sein  Vorgänger  war  Dobrzynski  (s.  ob.),  seine  Nachfolger 
Zeienski.  sind  Lad.  Z  e  1  e  n  s  k  i  (*  1837  Grodkowice,  KD.  Krakau,  Pianist : 
„Conrad  Wallenrod"  tmd  „Goplana*' ;  Klavierkompositionen ;  Ouver- 
türe „Wald klänge",  Kammermusik  ;  geistl.  und  weltl.  Mäunerchöre)  und 
Noskowski.  Sigism.  Noskowski,  (*  1846  Warschau,  dort  Dirigent  der  Musik- 
gesellschatt  und  KP.:  Symphonien,  Ouvertüre  „Das  Meerauge":  Op. 
„L  i  v  i  a  Q  u  i  n  t  i  11  a" ;  Kant.  „Die  Wassernymphe"  ;  Kammermusik ; 
Chöre,  Klavierstücke). 

Die  neuromantische  bezw.  neudeutsche  Schule  verkörpert  sich 
nur  schwach  in  Jan  Gall  (*  1859  Warschau,  Gesanglehrer  in  Lem- 
berg: Lieder  [,, Mädchen  mit  dem  roten  Mündchen"],  Männerchöre). 
Pade-  Ignaz  Paderewski,  dem  vorzüglichen  Pianisten  (*  1859  Podolien: 
rewski.  Lieder,  Klaviersachen,  Oper  ,, Mannt")  und  dem  Klavier-  und  Kammer- 
komponisten Statkowski  (*  1860).  (Irrtümlich  zu  den  Polen  ge- 
rechnet werden  Moszkowski  und  die  Brüder  Scharwenka ;  s.  Kap.  VIII. 
Hingegen  ist  der  fruchtbare  deutsche  Lieder-Komponist  A.  v.  Fielitz 
(*  1860)  polnischer  Abstammung). 

Böhmen.  In  Böhmen  tritt  anfangs  der  60  er  Jahre  eine  Spaltung 

des    gesamten    Musiklebens    zutage.       Friedr.    Smetana,     der 

Begründer     der    tschechischen  National- Oper  und 

Nationale  -Musik  Überhaupt,   setzte  dem  bestehenden  Utraquismus  auch 

Scheidung,  j,^  Prager   Konzertleben   ein   Ziel.     Die   ,, reinliche   Scheidung" 

zeigt  seitdem  zwei   immer  schärfer  getrennte  Lager  und  immer 


Böhmen. 


327 


deutlicher  sondern  sich  nicht  allein  die  vorher  mehr-minder 
beiden  Volksstämmen  des  Landes  gemeinsamen  musikalischen 
Interessen,  sondern  auch  die  deutsch-böhmischen  Kom- 
ponisten auf  der  einen,  und  die  tschechisch-nationale 
Schule  auf  der  andern  Seite  ab.  Diese,  gipfelnd  in  den 
beiden  Häuptern  S  m  e  t  a  n  a  und  D  v  o  f  ä  k ,  erhält  eben  durch 
das  nationale  Element  ihren  besonderen  Charakter,  unbeschadet 
des  unverkennbaren  Einflusses  der  deutschen  Musik  (Wagner- 
Liszt  bei  Smetana,  Beethoven-Brahms  bei  Dvofäk).  Das  gegen- 
über diesen  beiden  musikalischen  Kraftnaturen  vorerst  sehr  zahme 
Scharten  auf  deutschböhmischer  Seite  entbehrt  zwar  jenes  charaktei*i- 
stischen  nationalen  Einschlags  —  der  Schatz  des  deutschböh- 
mischen Volksliedes  harrt  noch  der  Umwertung  I  (vgl.  S.  332^)  — 
stellt  sich  jedoch  als  ein  noch  in  Entwicklung  begrirteuer  Zweig  des 
großen  deutschen  Musikstamnibaumes  dar,  kräftig  genug,  um  —  siehe 
nur  z.  B.  die  Persönlichkeit  Mahlers  —  neue  uud  eigenartige  Blüten  zu 
treiben.  ^) 

Friedrich  Smetana,  *  1824  zu  Leitomischl,  ein  vor- 
züglicher Klavier -Schüler  von  Proksch  und  Liszt,  nach  mehr- 
jähriger Dirigententätigkeit  in  Gotenburg  von  1866 — 74  KM.  am 
tschechischen  Nationaltheater  in  Prag,  schuf  in  seiner  von  Mo- 
zartscher Grazie  angehauchten  ,, Verkauften  Braut"  (1866)  das 
Muster  einer  melodischen  slavischen  Volksoper.  Von 
seinen  weiteren  <  »pern  erschienen  auf  deutschen  Bühnen  i  übersetzt) 
noch:  ,,D  alibor".  ,,Das  Geheimnis",  ,, Der  Kuli".  Bemerkenswert  ist 
das  Vorspiel  ziu-  Festoper  ..Libuscha",  dessen  glänzend  erfundenes 
Fanfarenmotiv  mit  seiner  kanonischen  Vorherbestimmung  und  Ge- 
staltung fast  einzig  in  der  Literatur  dasteht.  Von  Bedeutung  sind 
weiter  die  symphonischen  Dichtungen  in  Berlioz-Liszt- 
schem Geiste:  ,,Wallensteins  Lager'', ., Richard III.",  ,,Hakon  Jarl", 
, .Prager  Karnaval",  die  ,, Triumphsymphonie'"  und  das  zyklische 
Hauptwerk:    ,,Mein  Vaterland",    1874  bis   79    komponiert: 


Tschechen 

uud 
Deutsch- 
bühmen. 


Tschechen 
Smetana, 

t  1884. 


National- 
opern. 


Symph. 
Dichtung. 


^)  Vgl.  hiezu  Rieh.  Batkas  kleine  „Gesch.  d.  Böhm.  Musik" 
Brl.  „D.  Musik"  06.  —  Chväla,  Ein  Vierteljahrhdt.  böhm.  Musik, 
Prag,  1887.  —  Dr.  E.  Pazaurek,  Beiträge  zu  e.  Gesch.  d.  Mus.  i. 
Böhm.,  Prag  1893.  —  Katalog  d.  Deutsch-Böhm.  Musikausstellung 
Reichenberg  Oß  [Moissl].  —  Ale.\.  ('.  Mackenzie,  The  Bohemian 
School  of  Music  (Smetana,  Fibich,  Dvorak  i.  \.  M.  G.,  VII,  2,  06.  — 
Tschechisch:  Gesch.  d.  böhm.  Mus.  von  Dr.  Zd.  N'ejedly,  Prag 
03,  (wertvoll,  doch  nicht  bloß  national  einseitig)  u.  Dr.  Jar.  Borecky, 
Prag  06.  Dr.  Branberger,  Katecliisni.  d.  allg.  Mus.  Gesch',  Prag 
05.  Leider  fast  alle  ohne  Quellenangaben  bzw.  Register.  Eine  zu- 
sammenfassende Würdigung  des  deutschböhm.  Musiklebens  erfolgt  im 
,,Dt8chn.  Musikbuch  a.  Böhm."  durch  F.  Moissl-Reichenberg. 


328  lil-  Neuzeit. 

Wyschehrad ,  Moldau  [VltavaJ,  Scharka,  Aus  Böhmens  Hain 
und  Flur,  Tabor,  Blanik  —  prächtige  Schilderungen  reichster 
Invention ,  unter  ihnen  die  beiden  ersten  am  verbreitetsten. 
Von  S.s  Kamniermusikwerken  ist  das  auch  in  Deutschland 
häufig  gehörte  Streichquartett  iu  e,  „Aus  meinem  Leben",  das  be- 
deutendste. Der  Schluß  des  Finales  enthält  eine  ergreifende  An- 
spielung auf  des  Künstlers  Ertaubung;  diese  bewirkte  eine  solche 
Geistesverdüsterung  S.s,  daß  er  zuletzt  im  Wahnsinn  starb  —  1884.  V, 
AehnUch  Avie  Chopiu  die  Mazurka,  idealisierte  S.  in  seiner  Klavier- 
Polka,  musik  den  tschechischen  Volkstanz,  die  Polka  (1830  von  einer  Magd 
erfunden;  die  erste  Polka  schrieb  Schullehrer  Neruda,  Vater  des 
Cellisten).  S.s  Erscheinung  ist  über  das  Böhmerland  hinaus  umso 
interessanter  und  bedeutungsvoller,    als    sie  manche   auffallend 

El'emente^  gleichlaufende  Linien  in  der  Tonkunstentwickelung  Böhmens 
und  Skandinaviens  erklärt.  „Er  hat  gewiß  manche  slavischen 
Elemente  nach  dem  Norden,  weit  mehr  aber  noch  skandina- 
vische Elemente  in  die  slavische  Musik  gebracht.  Insbesondere 
der  Ausdruck  des  Erhabenen  in  den  Werken  Smetanas  (z.  B. 
Libuscha,  Vyschehrad  u.  a.  m.)  weist  unverkennbar  nach  dem 
Norden,  dessen  Einflüsse  auf  S.  ebenso  direkt  gewirkt  haben 
wie  auf  Richard  Wagner."      (Dr.   Lederer). 

Auch  S.  hatte  seine  Vorläufer:  in  der  Oper  Franz  Skraup 
(t  1862,  KM.  in  Prag  und  Rotterdam)  den  Komponisten  des  ersten 
tschechischen  Singspiels  („Der  Drahtbinder)  1825  und  des  Nalional- 
liedes  „Kde  doraov  niuj"  (Wo  ist  mein  Heim),  den  bedeutenden  Theo- 
ritiker  Sku  her  s  ky  („Vladimir"  1863)  und  den  Meyerbeerianer  Karl 
Sehe  bor  (f  03,  „D.  Templer  i.  Mähren"  und  „Drahomira"  1867);  in 
der  Chorkomposition  Paul  Ivrizovsky  (f  1885). 

In  die  allererste  Reihe  der  Tonmeister  unserer  Tage  aber 
gelangte  mit  seinem  urmächtigen  Talente  trotz  oder  wegen 
seiner  klassizistischen  Tendenzen  Smetanas  Gegenbild  Anton 
Dvorak.  Dvofak,  ([dwörschak]  f  1-  Mai  04),  den  die  tschechische 
Nation  als  ihren  zweiten  Tonheros  neben  Smetana  verehrt,  der 
aber  nicht  gleich  diesem  in  erster  Linie  seinem  Volke,   sondern 

Bedeiitiin"-.  ^^^'  ganzen  musikalischen  Welt  gehört.  D.s  bleibende  Bedeutung 
liegt  in  seiner  Kammermusik  mit  all  ihrer  reichen,  nach- 
klassischen Blüte,  in  seinen  berühmten,  von  slawischem  Element 
durchdrungenen  Klavierwerken  (Slawische  Tänze,  Legen- 
den),  in  seinen   Symphonien   und   manchen  Kon  ze  rten  für 


'-)  B.:  Wellek,  Prag  00.  Krejci,  Brl.  07,  „Harm."  —  L.:  Prof. 
Dr.  Ernst  Kraus,  S.  i.  Göteborg  (tschech.  07,  mit  deutsch  geschrieb. 
Briefen  des  Meisters)    —  D.:  Hoiitz  i.  B.  03. 


Böhmen. 


329 


Soloinstrumente.  Sein  glänzendes  Ce  llo  konzert  z.  B.,  eine  mo- 
derne, sich  oft  zu  herrlichen  Zwiegesängen  von  reinstem  Wohllaut 
erhebende  Kouzertsymphonie  für  Violincello  und  Orchester,  behauptet 
ähnlich  vorbildlichen  Rang  wie  Beethovens  oder  Mendelssohns  Violin- 
konzert. Ephemere  Be- 
deutung   kommt   seinen 

symphonischen  Dich- 
tungen, relative  —  nur 
vom  Standpunkte  der 
absoluten  Musik  — 
seinen  (»pern  zu.  Und 
gerade  die  Lorbeeren 
dieser  Gattung  reizten 
den  Meister  in  den  letzten 

Lebensjahren  immer 
mehr  imd  ausschließlich : 
er  hätte  all  seine  blühen- 
den Kammermusiken 
und  Symphonien  für  eine 
einzige  siegreiche  <  »per 
gegeben.  Es  fehlte  aber 
der  dramatische  Puls  in 
seinen  Adern. 

D.,  1841  zu  Mühl- 
hausen bei  Praggeboren,  Lebens- 
Sohn    eines    Gastwirts,                                                                                      Schicksale, 
sollte  ursprünglich  Metz- 
ger werden.     Aber  mit                             Anton  Dvoiäk. 
16     Jahren     betrat     er 

mutij;  die  dornenvolle  Lautbahn  des  schaffenden  Musikers,  um  zuletzt 
die  Krone  zu  erringen.  An  der  Prager  Orgelschule  genoü  er  die  erste 
musikalische  Ausbildung.  .Man  bezweifelte  dort  seine  schöpferische 
Kraft!  Dann  als  Urchesterspieler  und  Organist  sich  kümmerlich  durch- 
fristend, lenkte  er  durch  eine  Hymne  für  Chor  und  Orchester  und 
sein  Stabat  mater  als  Komponist  die  Aufmerksamkeit  auf  sich.  Ein 
Staatsstipendium  erlöst  ihn.  Man  interessiert  sich  in  Wien  für  ihn,  der 
bald  lieber  als  alles  andere  vom  Gesundbrunnen  des  Volksliedes^)  Volkslied, 
trank  und  sich  instinktiv  vom  Banne  des  Bayreuthers  befreite.  B  r  a  h  m  s 
und  Hanslick  werden  seine  Protektoren.  Er  findet  durch  sie  den 
Weg  zu  Simrock,  dem  reichen  Berliner  Verleger,  und  D.s  Glück  ist 
gemacht.  Hans  Richter  führt  ihn  nach  England,  Amerika. 
Dort  in  New  York  wird  er  1892  Direktor  des  Nationalkonservato- 
riums, kehrt  nach  drei  Jahren  in  die  Heimat  zurück  und  wird  am 
Prager  Konservatorium,  wo  er  früher  schon  als  Lehi-er  gewirkt, 
artistischer  Direktor.  Auszeichnungen  aller  Art  werden  ihm  zuteil, 
die  Universitäten   von  Cambridge    und  Prag-   ernennen   ihn   zu   ihrem 


^)  Eine    klassische    Ausgabe   von    über  800    tschechischer 
Volkslieder  erschien  durch  den  Dichter  Jaromir  Erben  1842—52. 


330 


III.  Neuzeit. 


Werke. 


Ehrendoktor,  Kaiser  Franz  Josef  I.  zeichnet  ihn  mit  dem  Ehren- 
zeichen für  Kunst  und  Wissenschaft  und  mit  der  Ernennung  zum 
lebenslänglichen  Mitgliede  des  Herrenhauses  aus  usw.  Aber  D.  bleibt 
äußerlich  und  innerlich  der  bescheidene  Mensch.  Er  war  auch  kein 
Chauvinist;  seine  nationale  Gesinnung  hat  er  in  seinen  Werken  nieder- 
gelegt. Manchmal  bricht  sie  dort  roh  durch  die  klassische  Form  her- 
vor. Des  Meisters  äußeres  Wesen  war  ziemlich  rauh,  sein  Charakter 
aber  im  Grunde  gutmütig.  Daheim  weder  so  populär  im  eigent- 
C'harakter.  liehen  Sinne  des  Wortes,  noch  auch  so  angefeindet  wie  seiner- 
zeit Smetana,  dafür  berühmt  in  der  ganzen  Welt,  durfte  D.  sich 
doch  im  Glänze  der  Bewunderung  und  Anerkennung  seines  Volkes 
sonnen,  noch  größere  Befriegung  aber  in  dem  Bewußtsein  finden, 
daß  die  Fäden  der  musikalischen  Welt  auch  durch  seine  schaf- 
fende Hand  gingen.  Seiner  Verstandesbildung  waren  gewiß 
Grenzen  gesetzt.  Aber  ein  warmes  Herz  lebt  in  den  Tönen, 
die  er  rief,  und  darum  werden  sie  nicht  verklingen. 

Die  Hauptstärke  der  D. 'sehen  Werke  liegt  von  dem  Er- 
findungsreichtum abgesehen  in  der  kraftvollen,  originellen 
Rhythmik.  Es  seien  hier  neben  schönen  Liedern  [„Ach  wie  so 
weit!"]  und  Klavierstücken  sowie  den  zahlreichen  Kammermusikwerken. 
Trios,  Quartetten,  Quintetten,  Sextetten,  Serenaden,  neben  den  Violin- 
und  Cellokonzerten,  Sonaten,  Suiten,  Notturnos  für  Orchester,  an 
größeren  Werken  noch  angeführt:  die  Ouvertüren  zu  „Mein  Heim", 
„Hussitzka",  „Karneval",  „Othello",  „In  der  Natur" ;  4  farbenreiche, 
die  einschlägige  Literatur  wahrhaft  bereichernde  Symphonien 
(D  dur,  d  moll,  F  dur,  G  dur  und  ,,Aus  der  neuen  Welt"),  an 
Stelle  des  Andantes  und  Scherzos  die  tschechische  Dumka 
(ursprünglich  eine  kleinrussische  Familienballade,  meist  in  Moll) 
und  den  wilden  Nationaltanz,  Furiant  einführend;  die  (mehr 
der  Mode  als  dem  eigenen  Wesen  abgelauschten)  symphonischen 
Dichtungen :  „Der  Wassermann",  „Die  Mittagshexe",  „Das  golde  Spinn- 
rad" ;  weiter  ein  großstiliges,  auch  inscenierbares  Oratorium  ,,St. 
Ludmilla",  eine  Kantate  „Die  Geisterbraut",  das  Stabat  mater.  ein 
Tedeum,  Psalm  149  Seine  tschechischen  Opern  führen  die  Titel: 
„Der  König  und  der  Köhler",  „Wanda",  „Der  Bauer  ein  Schelm", 
„Der  Dickschädel",  „Jakobin",  „Der  Teufel  und  die  wilde  Käthe", 
„Russalka"  und  „Armida".  ^) 

Mit  Smetana  und  Dvonik  zählt  Zdenko  Fibich  zum 
Dreigestirn  der  Begründer  der  tschechisch-nationalen  Tonkunst. 
Sein  Stern  zwar  leuchtet  nicht  so  deutlich  und  intensiv  wie  die  beiden 
a,ndern  und  sticht  auch  weniger  durch  nationale  Färbung  hervor. 
Auf  seinen  Werdegang  —  1850   zu   Scheborschitz   b.    Tschaslau   ge- 

i)B.:  Zubatky,  1886.  —  F.  V.  Krejci  (mit  vollständigem 
Werkeverzeichnis),  Musikbuch  a.  Oesterr.  05. 


Sym- 
phonien. 


Furiant. 


Fibich. 


Böhmen.  331 

boren,  bildete  sich  F.  am  Leipziger  Konservatorium  und  in  Mannheim  * 
unter  V.  Lachner  als  Komponist,  in  Paris  als  Pianist  aus  und  kehrte 
1870  nach  Böhmen  zurück,  um  sich  in  Prag,  daselbst  eine  Zeit  KM. 
am  Nationaltheater,  unter  die  fortschrittliche  Musikflagge  Smetanas  zu 
stellen  —  nahm  die  moderne  deutsche  Tonkunst  einen  Einfluß,  der 
stärker  als  F.s  völkische  Eigenart  sein  sollte.  In  der  Zeichnung 
drückt  Schumann,  im  Kolorit  Wagner  seinen  zahlreichen,  fast  alle 
Gebiete  der  Tonsetzkunst  beherrschenden  Werken  den  Stempel  auf. 
Nicht  so  ursprünglich  und  ertindungskräftig  wie  Smetana  und 
Dvorak,  steht  F.  doch  den  beiden  als  Meister  in  der  musi- 
kalischen Technik  ebenbürtig  zur  Seite  ;  seine  Souveränität  in 
formaler  Beziehung  war  ebenso  bedeutend  als  sein  Lehrgeschick. 
F.s  hauptsächliches  Streben  und  Schaffen  ging  nach  der 
Lösung  des  m  e  1  o  d  r  a  m  a  t  i  s  c  h  e  n  P  r  o  b  1  e  m  s  ,  die  ihm  t rotz  ,,^',f,n^ 
der  musikalischen  Bedeutung  seiner  Versuche,  namentlich  der 
Trilogie  „H  ippodam  ia",  infolge  der  maßlosen  Anwendung 
des  melodramatischen  Prinzips  (vgl.  S.  182)  nicht  gelang. 
Der  Tod  ereilte  den  Meister   auf  der  Höhe  seines  Schaffens  (IJKX)).  ^) 

Aehnlich  wie  Smetana  und  gegensätzlich  zu  Dvordk,  der 
sich  am  wohlsten  in  der  älteren  symphonischen  Form  befand, 
zeigt  F.  seine  hohe  Begabung  und  seine  tonkünstlerische 
Kraft  poetische  Stimmungen  auszulösen  in  der  symplio- 
nischen  Dichtung  („Othello",  „Toman  und  die  Nymphe".  „Früh-  ^J^^^^ 
ling"  [„Vesna"],  „Zaboj  und  Slavoj",  „Vigiliae"',  „Am  Abend"), 
dann  in  den  Ouvertüren  zu:  „Prager  Jude",  ,, Sturm",  „Nacht  auf 
Karlstein",  „Comenius",  „Oldiich  und  Bozena").  Ephemere  Erfolge 
hatten  F.s  czechische  Upern :  „Blanik",  „Die  Braut  von  Messina". 
„Der  Sturm",  „Heddy",  ..Scharka",  „Arkonas  Fall".  F.  schrieb  außer- 
dem 3  Symphonien,  die  Suite  „Im  Freien",  Kammermusikwerke, 
Klavierstücke  „Stimmungen,  Eindrücke  und  Erinnerungen"],  ein-  und 
mehrstimmige  Lieder. 

Der  tschechisch-nationalen  Schule  entwuchsen  teils,    teils  Kachfolge: 
schlössen    sich    ihr    an:     Flötist    Blodek   mit    seiner   Hebens-     Biodek. 
würdigen  komischen  Oper  ,,Im  Brunnen"   (1867),    der  feinsin- 
nige  Karl   Bendl     (f  1897,   KM.  in  Brüssel,  Amsterdam,  Prag)  mit      Bendl. 
Nationalopern  [„Lejla",  „Karl  Skreta"  u.  a.],  Chor-  und  Kammerwerken, 
J.  Mahlt  (♦  1843)  und  Ludw.  Prochäzka  (t  1888)  mit  [Volks-'Liedern 
und  Duetten,  Jos. Rieh.  Rozkoschny  (*  1843  Prag)  dessen  „Moldau-        Roz- 
nixe"  und  ,, Aschenbrödel"  (1885)  populär  wurden,  der  Chorkomponist     ^^'^  "^' 
Nesvadba  (t  1876,  HKM.  Darmstadt).  Jos.  Nesvera  (*  1S42.  DKM. 
Olmütz:  Kom.  Opern.  Kirchensachen,  Lieder),  Harfenvirtuose  Trnecek 
(KP  Prag),  Violinist  Miroslaw  Weber  if  06  München:  Kammerwerke), 
der  ausgezeichnete  Kritiker  Em.  C  h  v  ä  1  a  (*  185U,  Orchester-,  Kammer-,     Chväla. 


')  B.:  Richter,  Prag  1899. 


332 


III.  Neuzeit. 


Kaan. 


Foerster. 


Deutseh- 
Böhinen: 

Abert. 
Ruckauf. 

Labor. 


Habert. 


Keiiiy. 


Ulli. 
Rie. 


Klavierwerke,  Lieder  [„Wie  schön  du  bist!"],  Op.  Slavoj  und  Zavoj") 
die  Theoretiker  Karl  K  n  i  1 1 1  (f  07  als  KD.  zu  Prag)  und  K.  S  t  e  c  k  e  r 
(*  1861,  KP.  Prag),  endlich  Heinr.  v.  Kaän-Albest  (*  1852  zu 
Tarnopol,  Nachfolger  Dvoiäks,  den  er  1884  nach  London  begleitete 
nnd  Knittls  als  KD.  zu  Prag,  hervorragender  Klavierpädagoge) ; 
dieser  schuf  neben  vielen  frisch  empfundenen ,  vornehm  faktu- 
rierten Vokal-  und  Instrumentalwerken  (symph.  Dicht.  „Sakutala", 
Frühlingseklogen,  Klavierkonzert)  in  seiner  mit  Delibesscher  Anmut 
komponierten  ,,Bajaja"  das  erste  große  tschechische 
Ballet  (1897)  und  strebt  in  der  Pantomime  „Olim"  (1904)  refor- 
matorisch jene  Gattung  aut  ein  ernstkünstlerisches  Niveau  zu  heben 
sowie  erstmals  bei  solchen  Schaustücken  historische  Treue  in  Text 
und  Musik  auf  die  Bühne  zu  bringen.  Mit  seiner  letzten  modern- 
realistischen Oper  „Germinal"  (08)  fußt  K.  in  der  unmittelbaren 
Gegenwart.  Auf  der  Brücke,  die  zu  den  Jungtschechen  führt,  stehen 
ohne  nationalen  Zug  Jos.  B.  F  o  e  r  s  t  e  r  in  Wien  {*  1850  Prag, 
Sohn  des  f  Theoretikers  und  Kirchenkomponisten  Jos,  F.)  mit  mehr 
deutsch-romantisch  empfundenen ,  an  lyrisch-poetischen  Momenten 
reichen  Werken :  Sinf.  „Das  Leben",  Streichquartette,  Lieder,  Klavier- 
musik, Opern  (Deborah,  Eva,  Jessica),  und  K.  Kovarovic  (*  1862)  mit 
den  wirkungsvollen  Opern  „Die  HundsköpHer"  und  „Auf  der  alten 
Bleiche").  Mit  seiner  auf  ein  deutsches  Libretto  komponierten  Oper 
„Der  polnische  Jude"  eroberte  sich  Karl  Weiss  (1901 )  die  deutschen 
Bühnen.     S.   auch  Klicka,    Ondiicek,  Sevcik;  Kap    VI,  VII). 

Auf  deutsch -böhmischer  Seite  begegnen  uns  außer  den 
schon  erwähnten  Abert  und  Rückauf,  zumeist  in  hoch- 
angesehener Stellung  fern  der  Heimat :  Ludw.  Grünberger 
(tl896  :  Lied-  U.Instrumentalmusik),  die  Kirclienkomponisten  Labor 
(*  1842  Hoiowitz,  berühmter  blinder  Orgelvirtuose  und  KP.  zu  Wien, 
Freund  König  Georgs  V.  v.  Hannover)  und  Joh.  Ev.  Habert 
aus  Oberplan  (Anticäcilianer  f  1896,  Gmunden)  —  ihm  ge- 
bührt nach  Ansicht  der  Nicht-Cäcilianer  das  „Verdienst,  der 
kirchlichen  Tonkunst  die  reine  Gothik  ihrer  Cho- 
rälen Blütezeit,  die  mit  Ende  des  18.  Jahrh.  für  immer 
untergegangen  schien,  wiedergegeben  zu  haben"  —  i), 
W.  A.  Mayer-Remy  aus  Prag  (Lehrer  von  Busoni,  Kienzl,  Wein- 
gartner,  f  1898  Graz:  Symphonien,  symph.  Dicht.  „Helene",  Konzertop. 
„Waldfräulein",  Ouvert.  ,,Sardanapal  u.  a.),  Viktor  Gluth  aus  Pilsen 
(*  1852,  Prof.  a.  d.  Akad.  d.  Tonk.  München:  Opern  „Der  Trenta- 
jäger",  „Horand  und  Hilde"  u.  a.),  Ed.  Uhl  (*  1852  Prag,  KP.  Wies- 
baden: Op.  ,Jadwiga' ,  Instrumental-  und  Vokalmusiken),  Bern.  Rie 
aus  Prag  (KP.  Paris :  Klavier-  und  pädagog.  Werke),  F.  J.  S  c  h  ü  t  k  y 
aus  Kratzau  (f  als  Kammersänger  Stuttgart :   Lieder,   Chöre,  Kirchen- 


1)  GA.:  B.  &  H.  Lpz.  —  B. :  H.  Kirsch,  Wien  (K.t.  —  L. :  Wot- 
tava.  im  „Linzer  Volkbl."'  05. 


Ungarn.  333 

sacheni,  der  Klassizist  Jos.  Lugert  (KP.  Prag:  symph.  Werke),  der 
ideal-forschrittlich  gesinnte  Henn.  T  e  i  b  1  e  r  aus  Oberleutensdorf  (f  06 
als  angesehener  MS.  München:  Klaviersachen,  Bearbeitungen!,  Alfr. 
Oelschlegel  aus  Auscha  (*  1847,  Leipzig:  Operetten,  beliebte  Trios 
für  (ie'ige,  Cello,  Harfe),  Max  v.  Weinzierl  aus  Bergstadtl  (t  ISHS 
Mödling .  D.  der  Wiener  Singakademie :  <  »peretten  [Don  Quixnte, 
Fioretta.  Page  Fritz],  Chöre),  Em.  Bezecny  (vgl.  S.  14.t'):  Lieder 
und  Balladen,  Kammerwerke),  Fr.  Mohaupt  (*  1854:  Kammermusik, 
das  frischzügige  „Lied  der  Pappenheimer  Heiter"  f.  Chor  und  Orch. 
u.  a.,  populär  gehaltene  Männerchöre  a  capella),  der  Brucknerschüler 
Franz  Marschner  (*  ls55  Leitmeritz,  hervorragender  Musikästhetiker  Marschner 
zu  Wien:  Chor-.  Kammer-  und  Orgelwerke),  nicht  zuletzt  der  erfolg- 
reiche Operettenkomponist  Rud.  Delliiiger  (*  1857  Graslitz,  KM.  Dellinsrer. 
Hamburg:  ,,Don  Cäsar'  u.a.)')    Vgl.  auch  Grünfeld,  Popper;  Kaj).  V. 


In  l'ngarn,  wo  die  Volksmusik  zuerst  durch  den  Wandergeiger 
Markus  Rözsa  völg y  i  it  1848  tonkünstlerische  l'mwertimg  erfuhr, 
trat  die  überragende  Gestalt  Liszts  noch  mitten  unter  die  alten 
Romantiker:  Franz  Krkel  l*  1810  zu  Gyula,  1838  75  erster  KM.  am  Erkel. 
Pester  Nationaltheater,  187.T  s9  D.  d.  Lande.smusikakademie,  Begründer 
der  Pester  Phiihann.  Gesellsch.,  t  18I»o,  ein  ausgezeichneter  Pianist, 
der  berühmteste  und  i)opiilärste  ungarische  Nationalkomponist:  Opern 
[„llunyady  L;'iszl(>-  ls44,  ,.Bankb;'in''  I8t;i  Musik  zum  Ilynmus  Kölcseys. 
der  National-llymne,  /.aliireiche  Lieder  und  (Tcsänge  ,  Mich.  Mosonyi  .Mosonyi 
(eigentlich  Brandt,  nahm  erst  1859  den  ungarischen  Namen  an,  t  1870: 
symph.  Dicht.  „Triumph  und  Trauer  des  Honved",  Ouvertüre  mit  dem 
Nationallied  ,.Szozat"  ;  Opern  [„Die schöne  Ilka",,  Klavierstücke  |., Studien 
zur  Vervollkommnung  der  ungarischen  Musik"',  Chöre,  Balladen  und 
Lieder),  Karl  Thern,  der,  zuerst  bekannt  geworden  durch  seine 
Musik  zu  dem  ijopiilären  Volksstück  ,,Der  Notar  von  Paleska",  auf  dem 
Gebiete  der  Klavierliteratur  Bleibendes  geschaffen  (f  188fi  in  Wien,  wo 
seine  Söhne  Willi  und  Louis,  ausgezeichnete  Pianisten,  sich  nament- 
lich durch  ihr  vollendetes  Zusammenspiel  auf  zwei  Klavieren  hervorge- 
tan), Keler-Bela  Alb.  v.  Keeler,  f  1882  in  Wiesbaden:  Lustspiel- 
Ouvertüre),  Cornel  Abranyi,  f  03,  der  Begründer  der  ersten  unga- 
rischen Musikzeitung,  Ladisl.  Zimay  (KP.  Budapest,  f  1899.  Lieder, 
Chöre,  meist  patriotischen  Inhaltes  ;  Klavierkomijositionen  und  viel  ver- 
breitete Studienwerke),  Jul.  v.  B  el  i  c  z  ay  (f  1893,  Budapest :  <)rchester-, 
Kammer-  und  Kirchenmusik  [Messe  in  F,  Marianische  Antiphonien"] 
Klavierstücke  ungarischen  Stils),  Jul.  KAldy,  der  verdiente  Her- 
ausgeber der  ,, Schätze  der  alten  ungarischen  Musik  (1672—1838). 
Weisen  und  Lieder  aus  den  Zeiten  von  Thököly  und  K;ik<)czy"  (2 
starke  Bände   mit   historischen   Erklärungen),   die  Brüder  Franz   imd 


')  Um  die  Hebung  der  deutsch-böhraischenVolkslieder- 
schätze  machten  sich  verdient  J  Czerny  i^Egerländer  Lieder  i,  Ant. 
Günther  (Erzgebirge  ,  Pommer  u.  a.    Vgl.  Moissls  Katalog  ob.  S.  326 'j 


334 


III.  Neuzeit. 


Karl  Doppler  aus  Lemberg  (f  1883  bezw.  00,  als  Flötenvirtuosen 
wie  als  Komponisten  ungarischer  Opern  gleich  bekannt. 

Unter  den  Neuromantikern  begegnen  u-is:  Der  Pianist 
Mihalovich,  Edm.  V.  Mihalovich  (*  1843  zu  Fericzuncze,  seit  1886  D.  der  Landes- 
Musikakaderaie  zu  Budapest:  Orchester-  und  Kamraersachen,  Musik- 
dramen „Wieland  der  Schmied",  „Eliane",  „Toldis  Liebe),  Alph. 
C  z  i  b  u  1  k  a ,  Militär-KM.  in  Wien,  f  1894  :  Zahlreiche  Tänze  u.  Märsche ; 
Operetten  „Der  Bajazzo",  „Pfingsten  in  Florenz"),  Joh.  Leop.  Bella 
(*  1843,  MD.  in  Hermannstadt,  Siebenbürgen :  Kammer-  und  geistl.  Chor- 
musik, Alex.  Erkel  (Sohn  von  Franz  E.i,  f  1900  als  GMD.,  der  be- 
deutendste ungarisvihe  Dirigent:  Operetten  [„Tempeföi"],  der  berühmte 
Zichy.  einarmige  Klaviervirtuose  Exzellenz  Geza  Graf  Zichy  (geb.  1849  in 
Sztära,  Präsident  des  Pester  National -Konservatoriums:  Orchester-, 
Chor-  und  Klaviervverke,  Opern  [„Alar"  „Meister  Roland"],  der  aus- 
gezeichnete Pianist  K äl m  ä  n  C  h  o  v  ä  n  (*  1852 :  Kammer-  und  Klavier- 
werke, [ungarische  Tänze],  die  Orchester-  und  Kammerkomponisten 
Vict.  V.  Herzfeld  (*  1856  zu  Preßburg,  Professor  für  Kompositions- 
lehre an  der  Landesmusik- Akademie  zu  Budapest),  Moritz  Vavrinecz 
(*  1858,  Oratorium  .,Christus",  Requiem,  Messen,  Kantate  „Der  Toten- 
Major,  see"),  imd  Jul.  J.  Major  (*  1859  Kaschau,  lebt  in  Budapest,  wo  er  1896 
eine  eigene  Musik-Akademie  gründete).      Vgl.  auch  Hubay,  Kap.  VII. 


Skan- 
dinavier: 

Gries, 
t  1907. 


Den  letzten  großen,  ins  20.  Jahrhundert  hinüberlebenden 
Tonmeister  entsendete  der  hohe  Norden  in  Edvard  Grieg, 
*'1843  zu  Bergen  (Norwegen),  f  das.  1907,  der  das  reich- 
norwegische Volksmelos  zuerst  in  tonkünstlerischer  Umwertung 
auch  dem  übrigen  Europa  erschloß.  G.s  kühnes,  national-reforma- 
torisches Schäften  datiert  seit  seiner  Begegnung  mit  Rikard  Nord- 
raak,  einem  Jungen,  leider  früh  (1866)  dahingeschiedenen  norwe- 
gischen Tondichter.  „Erst  durch  ihn  lernte  ich  die  nordischen  Volks- 
weisen und  meine  eigene  Natur  kennen.  Wir  verschworen  uns  gegen 
den  Gadeschen,  mit  Mendelssohn  vermischten  Skandinavismus  und 
schlugen  mit  Begeisterung  den  neuen  Weg  ein,  auf  welchem  die  nor- 
dische Schule  sich  jetzt  befindet".  —  G.  lebte  stets  innig  mit  der  Natur 
vereint.  „Mit  Ole  Bull,  dem  berühmten  norwegischen  Geiger,  konnte 
er  sagen:  Meine  tüchtigsten  Lehrer  waren  die  norwegischen  Gebirge. 
Von  ihnen  holte  er  seinen  Reichtum,  sie  standen  im  Einklang  mit  seiner 
Musik,  sie  gaben  ihm  die  Farben  seiner  Töne.^)  Wer  kennt  nicht  ,.Solveigs- 
Lied"  oder  sein  tief  wehmütiges  Schwanenlied  V  Es  liegt  in  dieser 
Musik  die  ganze  Natur,  das  lyrische  Herz  des  norwegischen  Volkes."  -) 


1)  In  der  Malerei  gaben  zuerst  Dahl  f  1851  imd  Leu  f  1897 
die  norwegischen  Landschaftsreize,  der  letzte  besonders  die  eigene 
Stimmung  der  nordischen  Fjords  poetisch-künstlerisch  wieder. 

2)  Agga  Frich,  Erinnerungen  an  E.  G.  —  B. :  Henry  T.  Finck 
(deutsch  von  Laser,)  nebst  System.  Werkeverzeichnis,  Grüninger,  Stutt- 
gart, 08  (überschwänglich) ;  Schjeldernp,  03. 


Skandinavien. 


335 


Originalität  und  Poesie,  eine  wunderbar  konzentrierte 
Stimmung  leuchten  aus  G.s  Werken:  Ouvertüre  „Im  Herbst", 
Orcbestersuiten  ^Peer  Gynt",  „Sigurd  Jörsalfar"  [ursprünglich  tür 
Pianoforte   zu  4  Hän-  .-*«-n 

den] ;     fi'ir    Streichor- 
chester:    „Aus    Hol- 
bergs Zeit"  und  „Ele- 
gische Melodien'' ;  Vio- 
linkonzert, Klavier- 
konzert, Kauimer- 
musikwerke,  zahl- 
reiche farbenprächtige 
Klavierkompositionen 
u.  Lieder    („Ich  liebe 
Dich'"\        Chorwerke 
[„Vor  der  Kloster- 
pforte",  „Landken- 
nnng"],  u.  a. 

Neben  G.  ragen 
nächst    dem  Klassi- 
zisten        K  j  e  r  u  1  f 
(t     1868)     in     der 
national-  nordischeTi 
Richtung   noch   her- 
vor    die     Norweger 
Joh.     Svendsen 
(*     184U     Christian  ia, 
Violinvirtiios,  seit  18S;> 
HKM.  in  Kopenhagen : 
2  Symphonien,  Ouver- 
türen zu  „Romeo  und 
Julie",   Björnsons 
„Sigurd  Slembe" ; 
4  „Norwegische  Rhap- 
sodien". Orchesterlegende  „Zorohayde**,  Kammermusik,  Violinkonzert, 
Cellokonzert,  Lieder  i,  der  extrem,  fortschrittliche  Joh.  S  e  1  m  e  r  (*  1844,     Selmer. 
Werke  für  Orchester    Nordischer  Festzug;   und  Chor),  und  Christ. 
Sinding  (*  I8f)>j  Kongberg,  lebt  in  Christiania:  Symphonie,  Violin-     sinding. 
konzert,  Klavierkonzert,   Kammermusiken,  KJavierqiüntett ;  zwei-  und 
vierhändige  Klavierstücke,  Suiten). 

In  Schweden  ^)  begründete  noch  im  Zeichen  der  Romantik 
J.  Hallström  ff  Ol)  die  Nationaloper  (, Bergkönig"),    während  Halistrüm. 
Ludw.  Norman  (HKM.  Stockholm,  t  1885)  als  feinsinniger  Instrumen-  Normann. 


»vendsen. 


A^^^^ä^^-^' 


1)  Vgl.   Dr.  Tob.   Nordlins    „Schwed.   Mus.   Gesch.",   H.   Möller, 
Lund,  05.  —  Volkslieder  —  A.  durch  J.  N.  Ahlström  (Opernkorap.,  f  1887). 


336  I^^-   Neuzeit. 

Hallen.      tal-Komponist  hervorstach.    Die  neudeutsche  Schule  lassen  A.  Hallen 
(*  1846)   in   der   nationalen   Oper   und  —  gegenwärtig   wohl   der  be- 
Sjögieii.     deutendste  —  E.  Sjögren  (*  1853)  in  der  Instrumentalmusik  erkennen. 
Erst  neuester  Zeit  tritt  auch  Finnland  hervor  (Kap.  IV.') 

Mehr  romantische  als  neuromantische,  ja  zum  Teil  klassi- 
zistische Züge  tragen  die  dänischen  Meister  nach  (iade:    Joh. 

Hartmann.  Pet.  Emil  Hartmann  (*  1805  Kopenhagen,  daselbst  KD.,  f  IJ^'OÖ: 
er  schrieb  mit  leicliter  Anlehnung  an  die  nordische  Volksmusik  u.  a. 
die  Oper  „Klein  Christine"  charakteristische  Männerchöre  mit  Orchester: 
von  seinen  4  stimmigen  Gesängen  gingen  „Flieg',  Vogel,  flieg'",  „Bald 
ist  die  Xacht  entschwunden"  und  „Schlumm're  süß  in  Schleswigs  Erde" 
in  den  Volksmund  über);  Emil  Hartma  nn  (Sohn  des  Vorigen,  f  Kopen- 
hagen 1898 :  3  Symphonien  [No.  2  „Aus  der  Ritterzeit"],  Suite  ^Skan- 
dinavische Volksmusik",  „Nordische  Volkstänze",  „Lieder  und  Weisen 
im  nordischen  Volkston",  Ouvert.  „Nordische  Heerfahrt":  ferner  die 
Orchester-  und  Kararaerkomponisten  Gotfred  Matthison -Hansen, 
{*  1832:  Konzertstücke  für  Klavier  [u.  a.  Ballade  „Frode  Fredegod"! 
und  Orgel),  Aug.  Win  ding,  (KD.  Kopenhagen,  f  00;i,  Otto  Valde- 
mar  Mailing  C*  1848  Kopenhagen,   das.  KP.'    „Reveil"  für  4  Solo- 

Hamerik.  stimmen  mit  Streichorchester],  Asger  H  am  er  i  k  (*  1843  Kopenhagen  : 
„Nordische  Suiten" ;  Opern  [auf  selbstverfaßte  Texte] ,  Chorwerke 
„Christliche  Trilogie",  „Jüdische  Trilogie"),  Schytte  (*  1848),  L  an  ge- 
Müll er  (*  1850).  Am  bekanntesten  aber  wurde  der  Opernkomponist 
Aug.  Enna(*  1860)  mit  seinem  edlen  wie  wirkungsvollen  Werke 
„Die  Hexe".  

Engländer:  England  kam  über  die  Versuche  einer  Nationaloper  nicht' 

re^ht  heraus.     Es  waren  meist  Werke  neuitalienischen  Stils,  die  ihr 

Glück  machten,    so    ,,D.  Zigeuuermädchen",    ,,D.  vier  Heimonskinder" 

Balfe       ries    liebenswürdigen    Melodikers    William   Balte    (f    1870)    und    die 

Waiiace.    feinzügige    „Maritana"    von   Wallace  (f   186.5),    „Robin   Hood"  von 

Macfarren.  Macfarren    (t  1887).     Dagegen    zeigten    auf    dem  Gebiete    der 

Operette    und    in    der    Instrumentalmusik  Moderne    und   Eigen- 

Suiiivan.    art :    der   Londoner   Arth.   Sullivan   (t  00),  dessen  „Mikado" 

Mackenzie.  den    außerordentlichsten    Erfolg  hatte,   Alex.    Macken zie  (*1847 

Edinburg,  D.  der  Royal  Akademy  of  Musik  in  London:   Schottische 

Rhapsodien    für    Orchester    |„Burns"|,    Oratorien,    Kantaten,    Opern 

„Colomba",    „Der   Troubadour",    Optte.    „His    Majesty" :     Ch.    Vill. 

Stanford.    Stanford  (*  1852,  „Savonarola"),   der  unter  skandinavischem  Ein. 

Cowen.     flusse  stehende  Frederic   Co  wen  (*  1852  Kingston   auf  Jamaica.  D. 


1)  Vgl.  Dr.  W.  Niemann  „D.  Musik  Skandinaviens"  Lpz.  B.  u.  H. 
06  (das  erste  deutsch-sprachige  Werk  über  nordische  Musik  i.  —  Schwed. 
u.  norweg.  Volkslieder  [A.  J.  Boruttau]  in  der  ..Hausmusik".  Kuust- 
wartverlag,  08. 


England.     Spanien.    Amerika.  337 

der  Musik-Akademie  Edinburg^:  ^Skandinavische  Symphonie",  Kantaten 
und  Oratorien,  Opern  und  Operetten,  Kammermusik),  endlich  Sidney 
Jones  (spr.  dschr>hns,  *  1861,  „D.  Geisha").  Zur  Gegenwart  führen 
erfolgi-eich  Edw.  Elgar  (*  1-S57,  Organist  zu  Worcester:  Oratorien  Elgar. 
[,.Traura  des  Gerontius",  Orchester-  und  Orgelsachen,  vielfach  schon 
impressionistisch)')  und  der  Londoner  Kammerkomponist  Alg.  Ashton  Ashton. 
([spr.  äschtn]  *  1859  .  

Auch  in  Spanien  blühte  zuerst  die  nationale  Operette, Zarzuela    Spanier: 
genannt,    ohne   daß    jedoch   Proben    zu    uns    gedrungen   wären.     Als 
Opernkomponist  erscheint  neben  P  e  d  r  e  1 1  ( *  1 841 '  namentlich  0  h  a  p  i  e     ^?^^      " 
(*  1851 )  daheim   sehr  gefeiert,    während  man  in  Deutschland  nur  Th.     Chapie. 
Breton  (*  1S46:  „Die  Liebenden  von  Teruel")  und  Albeniz  (*  1861: 
^Pepita  Jimenez")  erhörte. 

Auf  amerikanischem  Boden  endlich  erregte  bloß  Mac  Do  well  Amenkan.: 
([mäkdaueP  f  08,  schottisch-irischer  Abkunft)  namentlich  mit  seiner  ^■'*"^'^"'^"- 
modernen ,  viel  neuartiges ,  fesselndes  enthaltenden  Orchestermusik 
(2.  [Jndianische]  Suite)  Aufsehen.  Vor  ihm  huldigten  mit  Instrumental- 
und  Vokalwerken  Dayas  [dehs]  f  03),  Peine  ^penj  *  1839,  Kelley  *  1857 
und  Chadwick  (tschädduikl  *  1S54  mehr  klassisch,  romantischen  Ten- 
denzen. Etwas  gewollt  roh-nationales  zeigen  die  populären  ameri- 
kanischen Tänze  und  Märsche  Sousas  (*  1854)  u.  a. -) 


Es  wäre  ungerecht,  schließlich  nicht  auch  des  tonschöpferischen  „'s^'/pj^^,, 
Anteils  einzelner  Frauen  unterschiedlicher  Nationalität  an  der  modernen 
Entwickelung  der  Tonkunst  zu  gedenken :  eines  .\nteils,  um  so  be- 
merkenswerter, als  ja  das  weibliche  Geschlecht  just  in  der  Musik  im 
Allgemeinen  mehr  reproduktiv  als  produktiv  veranlagt  erscheint.  Ernst 
Avie  erfolgreich  traten  hier  u.  a.  in  die  Schranken  Komponistinnen  wie 
die  Engländerin  Smith  (i^smiss^  f  1884 :  ( 'moll-Symph.,  Kammerwerke, 
Klarinettenkonzert,  Chorwerke  mit  Orchester),  die  französische  Vikom- 
tesse  de  Grand  val-K  ei  set  (iresc'j  *  1830:  Opern,  Kirchen-  und 
symph.  Werke),  die  deutsche  Pianistin  Ingeboig  v.  Bronsart  (*  1840, 
Gattin  Hans  v.  B. :  Klavierwerke,  Opern  „Hiarne",  „Manfred"]),  die 
norwegische  Pianistin  Bac  k  er  -  Gr  önd  a  hl  (f  07:  meisterliehe 
Genrebilder  [Suite  S,  die  Pariserin  Cecile  Cham  in  ade  (*  1861:  pikante 
Orchester-  imd  Klavierminiaturen,  Bühnen-  und  Kammermusiken  ,  die  Hol- 
länderin Cornelia  van  Usterzee  (*  1863:  symph.  und  Kammerwerke).^) 

.\uch  die  gekrönten  Häupter   seien    nicht  vergessen,    denen  das  ,  .     ..  , 
Tonscharten  mehr  als  schlecht-dilettantischer  Zeitvertreib  wurde,  siehe  Tousetzeif 


1)  Vgl.    die    Studie   v.   M.   Hehemann   NZ.  f.  M.  05,  Nr.  40. 

-)  Vgl.  auch  Hopkinson  Francis,  The  tirst  American  Poet-Com- 
poser  by  Sonneck  <».  G.  (Washington  D.  C.  Mc.  Queen).  —  Die 
amerikanische  Volksmusik  (Negermelodien,  „Nigger-Songs")  geht  auf 
alte  irische,  schottische  und  englische  Volksweisen  zurück. 

^)  Biograph.  Komponistinnen-Lexikon  [Mary  Wunn]  in  Sicht. 

Kothe-Prochazka,  Abriü  »l.  .Musikgeschichte.    8.  Aufl.         22 


338  III-  Neuzeit. 

—  von  Herzog  Ernst  II.  Koburg-Gotha  (f  1893),  der  fast  alle  Gebiete 
der  Tonkunst  bebaute,  abgesehen  —  die  Messen  des  Prinzen  Albert 
V.  Sach  sen-Kob  u  rg-  Gotha  (f  1861),  die  vSyrapbonien  und  Kammer- 
musiken des  Fürsten  Heinrich  XXIV.  ßeuss-Köstritz  (*  1855, 
Schüler  seines  Vaters  und  Herzogenbergs),  oder  die  anmutigen  Lieder- 
zyklen des  Diplomaten  Philipp  Fürst  zu  Eulen  bürg  (*  1847). 

Unter  den  eifrigen  Vorkämpfern  der  neudeutschen  Schule  er- 
blicken wir  den  Liederkomponisten  Fürst  Friedr.  Wilhelm  Konst.  zu 
HohenzoUern-Hechingen  (f  1869) ,  der  seine  Hofkapelle  zu  stolzer 
Höhe  brachte. 

^lands^  Wie  wir  im  Laufe  der  Betrachtungen  sahen,  gewann  Deutsch- 

Hegemonie,  land  in  der  2.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  vollends  die  Ober- 
herrschaft im  Reiche  der  Musik,  um  sie  bis  heute  noch  zweifel- 
los zu  behaupten.  Zwar  spiegelt  sich  der  Universalcharakter 
des  Deutschen  auch  in  seiner  Musik.  Trotz  der  allgemeinen 
völkischen  Erhebung  seit  1871  kennt  er  keine  Nationalmusik 
im  strengen  Sinn  des  Wortes.  Aber  nicht  umsonst  lesen  wir 
bei  Viktor  Hugo  („Shakespeare"  I,  2  Bd.  1864):  „Musik  ist 
das  Losungswort  für  Deutschland  .  .  .  Gesang  ist  für  Deutsch- 
land die  Lebensluft,  es  lebt  und  webt  im  Liede.  Wie  der 
Ton  als  Ausdrucksmittel  einer  primären  Universalsprache  zu 
uns  redet,  so  teilt  Deutschland  seine  Gedanken  und  Empfin- 
dungen der  Welt  auf  der  harmonischen  Grundlage  der  wunder- 
baren Klangphänomene  mit.  Aus  den  Wolken  quillt  der  Regen, 
der  die  Erde  befruchtet;  aus  der  Musik  quellen  die  deutschen 
Empfindungen,  die  die  Weltseele  ergreifen."  Und  an  diese 
Worte  knüpft  Saint-Saens  („Harmonie  und  Melodie")  die  Be- 
merkung: „So  bietet  uns  die  deutsche  Musik  nicht  nur  Musik, 
sie  bietet  uns  das  deutsche  Empfinden,  die  deutsche 
Seele." 


IV.  Die  Ge2:eiiwart. 


„Ich  fand  es  neu, 
(loch  nicht  verwirrt." 
R.  Wagner. 


19.   Musik  und  Musiker  unserer  Tage. 

Unsere  musikalische  Gegenwart  ist  eine  überaus  interessante 
Periode  der  Gährung.  Auf  der  einen  Seite  ringt  der  Klassizis- 
mus um  sein  Leben,  wirksam  unterstüzt  von  einer  kräftigen 
Renaissancebewegung,  die  ununterbrochen  die  alten,  vergrabenen 
Schätze  der  Tonkunst  zutage  fördert.  Auf  der  andern  Seite 
ein  vielfach  stürmisches,  sieghaftes  Vorwärtsdringen  der  „Neu- 
töner"  in  verschiedenen  Landen,  vor  allem  in  Deutschland, 
Rußland,  Frankreich.  Jeder  Tag  kann  Ueberraschungen,  kann 
die  Entdeckung  des  ersehnten  musikalischen  Neulands  bringen 
(vgl.  S.  7  f.  über  das  Chroma.  ferner  Reger,  Busoni,  auch 
oben  Saint-Saens).  Ein  charakteristisches  Moment  der  Moder- 
nen ist  die  Kreuzung  der  Gattungen :  jNIischformen  treten  auf, 
wie  das  symphonische  Drama  (Strauß),  die  theatralische  Sym-  gaulmgen. 
phonie  (Mahler,  Klose);  ihre  Meister  sind  vor  allem  Koloristen, 
Herrscher  über  den  Farbenzauber.  Der  sog.  Impressionis- 
mus, die  Wiedergabe  der  Augenblicksstimmung  (Debussy)  reizt,  .^'"?g);^®yg°' 
ähnlich  wie  vordem  in  der  Malerei ;  die  Sezession  ist  ins  Tonrt^ich  Sezession, 
eingezogen  (Reger),  und  allenthalben  zeigt  sich  eine  Vorliebe 
für  das  Exotische,  Bizarre.  Auch  die  Poesie  des  Häßlichen 
erhält  in  dieser  Epoche  des  Naturalismus  ihr  Recht  (s. 
die  „ Schaueroper "  nicht  nur  der  -Veristen").  Es  ist  auf  den 
ersten  Blick  ein  verworrenes  Bild,  das  einem  einstigen  Radikalen 
selbst  das  heißumstrittene  Schlagwort  von  der  .Konfusion  in 
der  Musik"  (s.  S.  304)  entlockte:  seine  Gestalten  heben  sich 
indessen  doch  von  einem  lichten,  verheißungsvollen  Grunde  ab : 
diese  moderne  Musik  samt  allen  Auswüchsen  —  mag  auch 
vieles  darunter  Luxusmusik  sein,  Tonkunst  um  ihrer  selbst, 
nicht  um  anderer,  höherer  Güter  willen  —  erscheint  als  ein 
Kulturfaklor  ersten  Ranges,  als  ein  Träger  der  modernen  Stim-  ^^"1'"'^ 
mungsgewalten ,    als  Künder    unserer    Seelenprozesse ,    als    ein 

22* 


340 


IV.  Gegenwart. 


Deutsches 

Reich: 

Rieh. 

Strauß, 

*  18(j4. 


Spiegelbild  unserer  ganzeii  stark  bewegten  Zeit.  Nur  in  tiüchtigen 
Zügen  sei  hier  zur  Orientierung  eine  Ueberschau  über  das  Musikleben 
der  Gegenwart  gehalten,  die  sich  ja  den  betrachtenden  Zielen  der  Musik- 
geschichte  eigentlich  entzieht. 

Der  Hauptrepräsentant  der  modernen,  insbesondere  der 
deutschen  Musik,  der  erste  zeitgenössische  Tonsetzer  überhaupt 
ist  Richard  Strauß,  *  1864  in  München,  Schüler  von 
W.  Meyer  daselbst,  HKM.  in  Berlin,   der  genialste  und  kühnste 

Fortpflanzer       der 

neudeutschen 
Schule.  Von  der 
klassischen  Rich- 
tung, der  s.  g.  ab- 
soluten Musik  aus- 
gehend (Streich- 
quartett, Serenade 

für  Blasinstru- 
,,  mente,    Cmoll- 
Ouvertüre,  F  moll- 
Symphonie   u.  a.), 
wandte  er  sich  der 

Programm- 
m  u  s  i  k     zu  ,      ihr 

manchmal  Auf- 
gaben und  Stoffe 
aufzwingend .  die 
noch  weit  über 
Berlioz  und  Liszt 
hinausgehen.  Diese 
Werke ,  die  mit 
ihrer  aufs  höchste 
gesteigerten  Or- 
chestertechnik —  die  Resultante  der  Instrumentierungskunst  von 
Berlioz,  Liszt,  Wagner  —  verblüffen  und  auf  der  Wagnerschen 
Polyphonie  fußend,  die  erstaunlichsten  harmonischen  Licenzen 
neben  berückendsten  Schönheiten  aufweisen,  sind:  die  syniph. 
Phantasie  „Aus  Italien",  die  Tondichtungen  ,,Don  Juan",  „Tod  und 
Verklärung",  „Macbeth",  „Till  E  u  len  sp  iegels  lustige  Streiche" 
(wegen  des  liebenswürdigen  Humors  besonders  beliebt"),  ,,Al80  sprach 
Zarathustra"  (nach  Nitzsche :  das  am  meisten  gepriesene,  aber  auch  am 
meisten  angefochtene.  Jedenfalls  am  kühnsten  angelegte  seiner  Orches- 


Ic^flc^  A^*-^^ 


Charakteristische  Momente.     Deutsche.  —  Rieh.  SStrauß.       34 1 

terstücke),  ,,Don  Quixote",  ,Ein  Heldenleben''  — vielleicht  sein 
persönlichstes  Werk ,  in  dem  S.'  Interpreten  nicht  mit  Unrecht  die 
Schilderung  des  eigenen  künstlerischen  Lebenslaufes  erblicken :  siehe 
auch  die  Reminiszenzen  an  eigene  Werke  (im  1.  Teil  „Des  Helden 
Friedenswerke")  -  und  die  gemütvolle  ,,Sinfonia  domestica"  (häus- 
liche Symphonie),  ein  Bild  des  uns  umgebenden  Lebens,  in  der 
Malerei  an  Uhde  gemahnend.  S.s  erste  Opernwerke  „Guntram"  und 
„Feuersnot"  drangen  wenig  durch ;  hin  gegen  schiütt  seine  sym- 
phonisch gehaltene  ,,Salome"  (nach  (>.  Wilde,  05,  vgl.  S.  302) 
wahrhaft  sensationell  über  die  Bühnen.  Ihr  folgt  09  „Electra" 
(nach  Hofmannsthal).  Den  Konzertsaal  beherrscht  S.  durch  inte- 
ressante Kammermusikwerke,  zahlreiche  geistvolle  Lieder  von 
leuchtendem  Kolorit,  und  einige  Mänuerchöre  [,,Liod  d  Freundschaft"]. 
Das  Chorwerk  (Soli  u.  Orch.)  „Taillefer"  (nach  Uhlandi  ist  des 
Künstlers  Dank  an  die  Heidelberger  Universität  für  die  Ernennung 
zum  Dr.  phil.  h.  c.  04.  ^) 

In  seinen  letzten  Schöpfungen  zeigt  sich  S.  so  recht  als 
der  musikalische  Sprecher  seiner  Zeit,  all  ihrer  gewaltigen 
Empfindungen,  Sehnsuchten  und  Leidenschaften;  ein  Sprecher, 
den  man  hören  muLi,  ob  man  will  oder  nicht.  —  Die  Ansprüche, 
die  S.  als  Orchestertechniker  stellt,  der  den  riesigen  Apparat  noch 
durch  neue  Instrumente  zu  bereichern  sucht,  zeigt  die  Besetzung 
der  „Solome" :  Piccolo,  3  gr.  FL,  3  Hob.,  Engl.  Hörn,  „Heckelphon" 
(neu!),  5  Klar.,  Baßklar.,  3  Fag.,  Kontrafag.,  H  Iliirner,  4  Tronip., 
4  Pos.,  Tuba,  Pauken,  Tamtam,  starkbesetztes  Streichciuintett.  (Vgl. 
S.  17.5  das  Seelewig-*  »rchester!)  Nicht  immer  freilich  steht  der  immense 
Instrumentalapparat  im  rechten  \'erhältnis  zum  Ktlekt  ~  eine  Schwäche 
der  Modernen  übei'haupt  —  und  oft  gemahnt  eine  gewisse  Scheinpoly- 
phonie  (die  mehr  auf  dem  Papiere,  auf  das  Auge  des  Musikers  wirkt) 
an  die  meisterlich  gemalte  Scheinarchitektur  in   der   bildenden  Kunst. 

Einer  nur  macht  R.  Straußen  den  Rang  streitig;  der  ge- 
waltige Kontrapunktiker  Max  Reger,  *  1873  zu  Brand  i.  Bay.  ^^5^73' 
(lebte  in  München,  seit  07  l'MD.  und  KP.  in  Leipzig).  In  seinen 
überaus  fruchtbaren,  auf  den  Gebieten  der  Orchester-,  Kammer-, 
Orgel-,  Klavier-,  Chor-  und  Liedmusik  sich  bewegenden  Schaffen 
(bereits  über  100  große  bezw.  mehrfach  geteilte  Werke)  setzt 
er  den  Bach-.  Beethoven-,  Brahmsweg  fort,  individuell  erfindungs- 
und  gestaltungskräftig ,  aber  auch  überschäumend  wie  kein 
zweiter  Meister  der  Gegenwert.  Klavier-  und  Orgelspieler,  wie 
Orchesterdirigenten  erhalten  durch  R.  die  schwersten  Aufgaben. 
Bachsche  Art  schlägt  namentlich  in  Rs.  Kammerwerken  (Violin-  [darunter 


1)  B.:  G.  Brecher,  00,  Brl.  „Harm."  R.  Batka,  08,  Charlotten- 
burg, Virgilverlag.  —  L. :  Rösch  u.  König,  Analyse  des  ,, Heldenl- 
eben", Lpz.  Lkt.  Studien  v.  Dr,  Leop.  Schmidt  u.  R.  Wanderer,  NZ. 
f.  M.  05,  Nr.  40.  —  Werkeverz.  NMZ.  07,  19. 


342 


IV.  Gegenwart. 


Pfitzner. 


4  Solojsonaten,  Cellosonaten,  Trios,  Quartette  und  Quintette)  durch. 
Neben  geistlichen  und  weltlichen  Chorwerken  lauch  a  capella)  stechen 
namentlich  kolossale  Orgelstücke  (Sonate,  Monologe,  Phantasien 
lind  Fugen    [über  BACH.   op.  46],    Orchesterwerke   [Variationen   und 

Fuge  über  ein  Hiller- 
sches  Thema  op.  100], 
ein  Violinkonzert,  dann 
Uebertragungen  und  Be- 
arbeitungen von  Bach, 
Chopin ,  Wolf  hervor. 
K.s Bach-Variationen  für 
Klavier  sind  unserer 
Zeit  das  bedeutendste 
Werk  dieser  Gattung. 
R.s  eminente  Kunst  wirkt 
wie  eine  Vorahnung  des 
Chromas.i)  Vornehm- 
lich Meister  der  abso- 
luten Musik,  ist  R.  in 
der  Vokalkomposition 
weniger  glücklich,  zumal 
er  das  durch  Wagner  und 
Wolf  teuer  erkaufte  De- 
klamationsgesetz igno- 
riert. P^xtrem  sezessio- 
nistisch  erscheint  R.  in 
vielen   seiner   „Lieder". 

[„Schlichte  Weisen"]. 
Das  Wort  scheint  seine 

Phantasie  zu  unter- 
binden, doch  Herzens- 
töne schlagen  auch  hier 
durch.  Aus  manch  dräu- 
endem Gewölke  bricht 
bei  Strauß  und  Reger  nach  langem  wieder  die  Sonne  des  Humors, 
des  musikalischen  Witzes  hervor. 

Der  dritte  im  deutschen  Bundeist  Hans  Pfitzner  (*  1869 
zu  Moskau,  seit  08  KD.  in  Straßburg),  der  genialste  vielleicht 
als  Pfadfinder  auf  harmonischem  Gebiet  in  seinen  schönheits- 
reichen,  doch  tiefernsten  Musikdramen.  „Der  arme  Heinrich",  „Die 
Rose  vom  Liebesgarten"  gehören  zu  den  wenigen  markanter  aus  der 
Wagnernachfolge  hervortretenden  Opern.  (Auch  Orchester-,  Kamraer- 
und  Gesangwerke. )^)  Inmitten  eines  Münchener  Komponisten-Ringes  sehen 


1)  Vgl.  Rieh.  Braungarts  Essay  „M.  R."  im  Dtsch.  Volksbl.  Dez.  05; 
Thiessen,  M.  R.  u.  s.  Kanmierwerke.  NMZ.  05,  22  und  die  Studien  von 
Müller-Reuter,  Leichteutritt.  Niemaun  u.  Hehemann,  NZ.  f.  M  05.  Nr.  44. 

^)  B. :  Cossmanu,  Zeitgemälde  Frankfurter  Broschüren. 


Deutsche.  —  Reger.    Pfitzner.  343 

wir  den  vornehmeu  Max  Schillings  (*  1868  Düren,  seit  08  HKM.  Schillings. 
Stuttgart),  der  Wagners  hohe  Kothurne  sozusagen  offiziell  aus  dem 
Hause  Walinfried  übernahm:  Opern  ,,Ingwelde",  ,, Der  Pfeifertag", 
„Moloch";  symph.  Fantasien  ,, Meergruß",  ,, Seemorgen" ;  Lieder,  eine 
wirkungsreiche,  melodramatische  Musik  zu  Wildenbruchs  „Hexenlied", 
die  hymnische  Rhapsodie  „Dem  Verklärten"  [Schiller])  und  die  Jung- 
deutschen Ad.  Sandberger  (*  1864:  Op.  Ludw.  d.  Springer,  Oi-chester-, 
Chor-  und  Kammersachen),  Ernst  B  o  e  h  e  (*  1880 :  das  4  teilige  Or- 
chesterwerk „Odysseus"),  Herrn.  P>ischotf  (*  1868:  Symph.  in  E, 
Walt.  Courvoisier  (*  1875:  Orchesterwerke,  Lieder),  R.  Louis  (symph. 
Phant.  Proteus,  v.  Kaskel  (*  1866:  (tpern  [„Bettlerin  v.  Pont  des 
Arts"],  symph.  Suite\  die  Chorkomponisten  E.  Istel  i*lS80\  v.  WolflF 
u.  a.  Dieser  in  Thiiille  (S.  307)  wurzelnden  Münchener  Schule  ge- 
hörte auch  der  hochbegabte,  frühverstorbene  Fritz  Neff  (t  04:  „Chor 
der  Toten",  „Schmid  Schmerz",  ., Weihe  der  Nacht")  an.  In  München 
wirkt  endlich  der  treffliche  Frierlr.  Klo.se  (*  1862:  Messe,  Elfen-  Klose, 
reigen  für  Orch  ,  symph.  Dicht.  „Ein  Traum"  [mit  Chorschluß],  dramat. 
Symph.  ,, Ilsebill").  Zu  den  bedeutend.sten  Jununiei-stern  aber  ge- 
hören die  beiden  hervorragenden  Fiani.sten  Eugen  d'Albert  DAlbert. 
(*  1864  Glasgow),  der  sich  vornehmlich  als  Opernkomponist 
(„Kaiu",  „Die  Abreise"  [ein  entzückendes  musikalisches  Lustspiel  im 
Stil  Aubers],  „Tiefland",  „Izeyl"  u.  a.),  das  Terrain  immer  mehr  er- 
obert, und  der  Scblesier  Konrad  Ansorge  (*  1862)  der  „Maeter-  Ansorffe. 
linck  der  Musik",  dessen  höchst  eigenartige,  traumhaft  ,, hell- 
dunkle" Lieder  (über  modernste  Texte  von  Dohmel, Stefan  George, 
Evers.  Mombert,  Nietzsche  u.  a.)  ,, einen  abgeklärten  Gipfel- 
punkt in  der  musikalischen  Sezession  bilden"  (Schrader).  Unter 
klassizistischem  wie  neudeutschem  Einflüsse  wirken  (in  Berlin) 
die  Symphoniker  bezw.  Chor-  und  Kammerkomponisten  Georg 
Schumann  (*  1866  ausgezeichneter  D.  der  Singakademie:  Klavier-  Sclminaini. 
Trio  op.  25,  Chorwerke  [„To  t  enkl  age",  ,, Sehnsucht"],  Orat.  „Ruth", 
Variat.  u.  Doppelfiige  über  ein  lustiges  Thema  u.  a.  für  Orch.,  sämt- 
lich geistvoll',  der  formgewandte  R  o  b.  Kahn  i*  1865:  „Mahomets  Kahn. 
Gesang"  f.  Ch.  u.  Orch.,  interessante  Liederkreise  [,, Sommerabend"]  und 
Klaviersachen),  G.Lazarus  (*  1861 :  Op.  „Mandanika",  Russ.  Lieder- 
spiel ,,Von  Don  und  Wolga"),  Friedr.  Koch  i*1862:  „symph.  Fuge" 
Orat.  ,,D.  Tageszeiten"  u.  a.),  Hugo  Kaun  (*  1863:  Symph.  „An  m.  Kann. 
Vaterland");  A.  Könne  mann  (*  1861  Baden-Baden,  MD.  in  Mähr- 
Ostrau:  Opern  [„D.  tolle  Eberstein]  und  Orchesterwerke),  die  Klavier- 
komponisten Jos.  Weiß  (*  1864),  G.  Jenner  (*  1865 1. 

Auf    dem    Opernfelde    streiften    einige    Komponisten    den 
hohen  Wagner-Kothurn  ab  um  sich  „ volksmäßiger "    zu  ergehen, 
oder  das  „Märchen"  aufzusuchen,  so  neben  Siegfr.  Wagner  (s.  S.  3(X)) 
mit  besonderem  Glück  der  Humperdinkschüler  Leo   Blech  (*  1871      Blech. 
Aachen,  HKM.  in  Berlin,  vorzüglicher  Klavier-  [Mozart-]  Spieler:  „Das 


344 


IV.  Gegenwart. 


Platz- 
becker. 


Othe- 
graven. 
Buek. 


Fried. 
Gleitu. 


Sekles. 
Xoren. 


Lubrich. 


Das 

deutsche 
Lied. 


Oesterr.- 
Uuffarn  : 


war  ich",  „Alpenkönig  U.Menschenfeind'';  auch  symph.  Gedichte)^), 
dann  W.  v  Baussnern  (*  1866:  „Volksopern"  [Dürer  i.  Venedig, 
D.  Bundschuh]),  M.  Burckhardt  (*  1871:  „König  Drosselbart" 
[eine  gleichnamige  Op.  auch  von  Knien  kämpft']).  —  Eine  richtige 
modern-deutsche  Volksoper  steht  indessen  noch  aus.  Ebenso  die 
moderne  musikalische  Parodie-Travestie.  Im  Operettenlager  begegnet 
uns  vornehm  gi-aziös  und  humorvoll  J.  A.  Platzbecker  (*  1860, 
MS.  zu  Dresden :  ,,D.  W  a  h  r  h  e  i  t  s  m  u  n  d"  u.  a. ;  auch  Lieder,  Chöre). 
Vornehmlich  auf  dem  Gebiete  des  Chorgesanges  bemerkbar 
sind  noch :  der  von  der  altdeutschen  Chormusik  [„Madrigal"]  beein- 
flußte A.  V,  Othegraven  (*  1864  Köln,  dort  KP. :  „Milchbrunnen", 
„Meine  Göttin",  Volkslieder-Bearbeitungen  f.  Männerchor),  Rud.  Buek 
(*  1866),  der  in  seinen  kraftvollen,  kühne  Harmonik  und  Modulation 
zeigenden  Chören  [„Gothenzug",  die  charakteristische  „Wilde  Jagd"] 
auf  die  Veredelung  des  Männergesanges  beherzt  hinzielt  (s.  Kap.  V) ; 
Pet.  Faßbänder;  0.  Fried  (*  1871,  Berlin:  „D.  trunkene  Lied"  aus 
„Zarathustra" ;  ^)  auf  dem  Felde  der  Instrumentalmusik :  Karl 
Gleit z  (*  1862:  symph.  Dicht.  ,Ahasver",  „Fata  morgana"  u.  a., 
Kammerwerke,  Lieder;  polemische  Schrift  „Künstlers  Erdwallen"); 
P.  Ertel  (*  1865  Posen:  symph.  Dicht.  „Maria  Stuart",  „Pompeji"), 
Franz  Mikorey  (*  1873  München,  HKM.  in  Dessau:  „Tragische 
Symph.",  Lieder),  Bernh.  Sekles  (KP.  in  Frankfurt  a.  M. :  die  stil- 
volle Serenade  für  11  Soloinstrumente  op.  14),  H.  G.  Noren  (Berlin: 
Orchestervariationen  „Kaleidoskop"),  der  Leipziger  Hans  Hermann 
(Berlin),  der  Freiburger  Jul.  Weißmann  (*  1879,  Symph.),  Walter 
Lampe  (*  1872  Leipzig:  Serenade  für  15  Blasinstrumente),  Cyrill 
Scott  u.  a.  Vgl.  auch  die  Versuche  von  R.  H.  Stein,  S.  8,  Note.  Den 
neuzeitlichen  Bestrebungen ,  die  Pflege  der  evangelischen  Kirchen- 
musik idealen  Anschauungen  zuzuführen,  huldigt  vornehmlich  Fritz 
Lubrich  (*  1862,  Kgl.  MD.  in  Sagan) ,  der  Schöpfer  einer  neuen 
eigenen  Weise  zu  „Deutschland  über  alles''  imd  anderer  schwung- 
voller, insbesondere  patriotischer  Chöre  u.  Lieder  (vgl.  a.  a.  0.). 

Als  Liederkomponisten  insbesondere  sehen  wir  außer 
R.  Strauß,  Reger,  Ansorge,  Pfitzner,  d'Albert, 
Schillings,  Kahn,  Kaun,  Istel:  van  Eyken,  Schein- 
pflug (*  1875:  „Worpswede"),  dann  mit  schlesischen  Dialektge- 
sängen Paul  Mittmann  (*  1868  Habelschwerdt,  Organist  und 
MS.  zu  Breslau) ;  ihnen  gegenüber  stehen  die  hier  vorweg  zu  nennenden 
Deutschösterreicher:  G.Mahl  er,  v.  W  eingar  tn  er.  Hau  segger, 
Streicher,  Hörn,  Pfohl,  v.  Prochäzka. 

An  der  Spitze  der  österreichischen  Komponisten,  wie  in 
der  vordersten  Reihe  der  zeitgenössischen  Tonsetzer  überhaupt 
steht,    als    letzter    Ausläufer   der   großen  Wiener    Schule,    der 

1)  B. :  Dr.  Rychnovsky,  Prag,  Dürerverlag.  — -}  B. :  P.  Bekker, 
Brl.  „Harm.". 


Üesterreich-Ungarn.  —  Mahler. 


345 


Deutschböhme  Gustav  M  ah  1er  .  *  7.  Juli  1860  Kalischt,  1897  (J 
bis  Ol  riKM.  nnd  Hofoperndirektor  in  Wien,  seither  als  ausgezeichneter, 
begeisternder  Dirigent,  auf  Reisen.  In  seinen  8  Symphonien 
(Nr.  iCnioil.  mit  Chor  und  Soli  [  Auferstehungs- Syiuph.|,  manchmal 
an  Brückner  und  Wagner  erinnernd,  Nr.  5  d  moU  ;,, Kiesensymphonien'*, 
abendfüllende  Kolossahverkel,  neben  denen  noch  „Humoresken"  für 
Orchester,  das  Märchenspiel  „Rübezahl",  „D.  klagende  Lied"  f.  ("h. 
und  Urch.,  dann  Ge- 
sänge (zum  Teil  plas- 
tisch orchesterbe- 
gleitet Kindertoten- 
lieder,  Lieder  eines 
fahrenden  Gesellen  ) 
hervorstechen, erweist 
sichM.  ')  neben  Rieh 
Strauß  als  der  be- 
deutendste, rafhnier- 
teste  Orchester- 
techniker der 
Gegenwart.  Treffend 
charakterisiert  Dr.  Th. 
Helm    den    Gegensatz 

der   musikalischen 
Ziele  u.  Zwecke  beider 
Meister:   „wie  Mahler 

mehr  al  fresco  ins 
Groüe  arbeitet,  Straul3 
als  feinster  Zeichner 
und  Kolorist  viel  mehr 
ins  Detail  geht :  jener 
vor  Allem  leidenschaft- 
lich-pathetischer Aus- 
drucksmusiker, dieser 

exzentrisch-kühner  Prograrammusiker  ist,  dem  aber  dabei  (seit  seinem 
,, Eulenspiegel'  unverkennbar  fast  überall !  i  ein  gewisses  Lächeln  über- 
legenen Humors  um  die  Lippen  si)ielt.  Bei  beiden  Meistern  ist  es  die 
ganz  auüerordentliche  Willens-  und  Gestaltungskraft  die  einen  packt, 
häutig  geradezu  überwältigt,  man  mag  wollen  oder  nichf. 

Umgekehrt  wie  R.  Strauß  als  Schöpfer  der  Symphonischen 
Oper,  kann  M.  als  Schöpfer  der  Theatralischen  Sym- 
phonie bezeichnet  werden;  nicht  nur  äußerliche  Momente,  wie 
die  Trompetenverwendung  ,, hinter  der  Szene"  und  das  bei  Ms  späteren 
Symphonien  hinzutretende  vokale  Element  verraten  die  Mischung  von 


Mabler, 

>■  1860. 


Gustav  Mahler. 


1)  B. :  Specht,   BrI.,    Gose   u.   Tetzlatf,   0-5 ;    Schiedermayr,   Brl., 
,Harm."  —  L. :  Lieder-Studie  v.  Dr.  A.  Schering,  NZ.  f.  M.  05,  Nr.  40. 


346  IV^'  Gegenwart. 

symphonischem  und  Bühnenstil,  i)  In  der  verblüffenden  Verwen- 
dung der  Kontraste,  des  jähen  Wechsels  von  Stimmung  und 
Ausdruck,  als  eines  im  Wesen  der  Natur  begründeten  Kunst- 
mittels, ist  M.  insbesondere  Meister  —  ein  neuer  Staraitz,  wenn- 
gleich ohne  Naivetät.  Auch  M.,  der  Fortsetzer  der  Linie  Beethoven, 
Berlioz-Liszt-Bruckner,  ist  innerhalb  der  erweiterten  Kunstform  der 
modernen  Symphonie  Programm-Musiker,  wenn  er  auch  selbst 
jegliches  Programm  verwirft.  Der  Widerstreit  der  Meinungen  hat  wie 
Strauß'  und  Regers,  so  auch  M.s  Werken  das  allgemeine  Interesse 
zugewendet. 

Neben  dem  spezifisch  Wiener  schlägt  mitunter  auch  ein  sla- 
visch  gefärbter  Ton  bei  M.  durch,  welch  letzterer  wie  schon  bemerkt 

böhmen :  ^lur  engeren  Gruppe  der  deutschböhmischen  Komponisten 
gehört.  Zu  diesen  (vgl.  S.  327,  332  f.)  zählen,  teils  in  der 
Heimat,  teils  im  Auslande  wirkend :   in  Prag  selbst  der  Epiker  Dr. 

Kietseh.  Heinr.  Ri  e  t  s  c  h  (*  1860,  Univ.  Prof.  d.  Musik  und  MS.  [vgl.  a.  a.  0.] : 
Chöre  imd  Lieder,  die  frische  ,,Tauferer-S"er  enad  e"  für  Orch. 
op.  25,  auch  Kammerwerke  u.  Bearbeitungen  [Thuille,  Wolf]i  u.  der 
Prochiizka,  Lyriker  Rud.  Freih.  Prochäzka  (*  1864,  MS.  [vgl.  a.  a.  0.] : 
Tonmärchen  [allegor.  Op.]  „Das  Glück",  geistl.  Melodrama  „Christus"; 
Werke  für  Orch.  [„Symph.  Lieder"],  Ch.,  Klavier;  Lieder);  in  Wien 
Hörn,  der  Reichenberger  Camillo  Hörn  (*  1860  MS.:  Symph.,  Konzertouv. 
Sonate,  Klavier-  und  Chorsachen,  Gesangsszenen  [„Thusnelda",  „Wal- 

stradal  lada"],  Lieder),  Pianist  Aug.  Stradal  (*  1860,  auch  bahnbrechende 
Bearbeitungen  von  Bach,  Liszt,  Brückner  u.  a.);  in  Hamburg  Ferd. 
Pfohl.  pfohl  (*  1863,  MS.  [D.  moderne  Oper  u.  a.] :  Orchest.-  und  Vokal- 
werke [,.T  ur  m  b  a  Ha d  en",  Chorwerk  ,,Twardowsky"] ;  in  Reichenberg 
Chorkomponist  Moissl  (s.  d.),  die  Kammerkomponisten  F.  Gerhardt 
u.  Kögler;  unter  den  Jüngsten  die  Schöpfer  svmphon.  Dichtungen 
Dr. V.  R  e  i  f  n  e  r  (*  1878 :  „F  r  ü  h  1  i  n  g",  Balletmusik,"Gesänge) ;  B  r  e  c  h  e  r 
(*  1879,  KM.  Hamburg:  ,,Rosmersholm"  nach  Ibsen),  Willner  (Leiter 
d.  Stern-K.  Berlin:  ,, Sehnsucht"  nach  Schiller),  J.  Stransky  TvM. 
Hamburg,  ,,Hagar");  Chorkomponist  Renger,  die  Liederdichter  Ernst 
Ludwig  (KP.  Wien),  R.  S  c  h  ü  1 1  er  (Dessau),  R.  Robitschek  (Leiter  des 
Klindworth-ScharwenkaK.  Berlin)  u.  Operettenkomponist  Dr.  A.  Götzl 
(Prag:  „Zierpuppen").^)  Dieser  Gruppe  gegenüber  steht  jene  der  na- 
Ts.'heojien ;  t  i  0  n  a  1  e  n  Komponisten  [Jungtschechen],  der  Erbfolger  Smetanas 


1)  Als  Kuriosum  hier  des  alten  Adelung  (Wörterbuch,  1808) 
Bemerkung  über  den  ,,Theater-Styl  in  der  Musik,  welcher  feurig,  aus- 
drückend und  in  manchen  Stellen  mahlerisch  (!)  ist.  aber  dagegen  weniger 
gebunden  seyn  und  weniger  Kunst  der  Harmonie  anwenden  darf;  zum 
Unterschiede  von  dem  Kirchen-  u.  Kammer-Style". 

^)  Vgl.  hier:  Katalog  d.  Mus.  Ausstellg.  Reichenberg,  06. 


Oesterreich-Ungarn. 


347 


und  Dvoriiks,  angeführt  von  Vitezslav  Noväk  (*  1870,  Prag), 
dessen  motiviert-polyphone,  innerlich  erlebte  Musik  durch  einen  wal- 
lachisch-slovakischen  Volkston  jjefärbt  erscheint  —  im  Gegensätze  zu 
Smetana  und  Dvorak,  von  denen  jener  die  tschechisch-nationale  Musik, 
wie  wir  wissen ,  überhaupt  begründet ,  dieser  in  sie  das  allgemein 
slavische  Element  eingeführt  hat.  Den  Anregungen  wiederholten 
Aufenthaltes  in  Mähren  und  der  Ungarischen  Slowakei  entsprossen 
u.  a.  das  symph.  Gedicht  „Auf  der  hohen  Tatra",  die  „Slowakische 
Suite";  daneben  Kammer-,  Klavier-  [Sonata  eroica],  Vokalwerke  und 
impressionistische  Lieder.  Mit  Noväk  konkurriert,  gleichfalls  slowa- 
kische Tonzüge  aufweisend,  der  Schwiegersohn  Dvoräks,  Jos.  Siik 
(*  1874)  mit  eigenartig  rhythmisierten  Kammer-  und  Bühnenmusiken, 
Klavier-  und  Orchesterwerken  (symph.  l)icht.  „Prag",  Symph  „Asrael", 
ein  farbeuglühendes  „Phantast.  Scherzo"  op.  25] :  ein  eminent  ge- 
sund-musikalisches Talent  zeigt  der  famose  Orchesterdirigent O.  Nedbal 
*  1)S74,  MD.  der  Wiener  Volksoper)  in  elegant  stilisierten  kleineren 
Instruraentahverken  [„A.  d.  Kinderleben"  f.  Klavier]  und  der  Musik- 
Pantomime  „D.  faule  Hans".  Unter  den  Jüngsten:  Celansky 
(halbmelodramatische  Op.  „Kaunlla"  fselbstverfasster  Te.xtj,  Musik  zu 
Zeyers  ,,D.  Brüder"),  Ott.  Ost  r  eil  [Musikdrama  „Wlastas  Ende"j, 
Loschtäk  [Rispetti  f.  kl.  Orchester],  der  Hymnenkomponist  Hrazdira, 
die  Instrumentalkomponisten  L.  Prokop,  Karl  Moor  jOp.  Hjördis], 
Bautzky,  die  Kirchenkompouisten  Sjxhra  und  V.  Picka  u.  a. 

GruLitenteils  deut.schöst  er  reichischen  Ländern  - — 
sie  bilden  mit  Deutschböhmen  sozusa<zen  eine  geistige  Provinz 
des  Deutschen  Reiches  —  bezw.  Wien  entstammen :  Felix 
Weingartner  Edler  von  Münzberg  (*  18*j3  Zara,  hervorragender 
Dirigent,  MS.  ^i,  preuss.  HKM.,  seit  08  Nachfolger  Mahlers  in  Wien), 
der  in  seinen  Musikdramen  [„Sakuntala",  „Malawika",  „Genesius", 
,,Die  (»restie",  „Golgatha",  Musik  zu  ,, Faust"],  Symphonien,  symph. 
Dichtungen  [„König  Lear",  „D.  Gefilde  der  Seligen"],  Kammer-, 
Klavierwerken  und  Liedern  nach  und  nach  die  ursprünglich  ein- 
geschlagene übermoderne  Bahn  verläßt:  Siegm.  v.  Hausegger 
(*  1872,  Graz,  Sohn  des  verdienten  Musikaestheten  Friedr.  v.  H.  [f  1899: 
„Vom  Jenseits  d.  Künstlers"  u.  a.]:  Op.  „Zinnober",  symph.  Dichtungen 
[„B  arbaross  a"] ,  „Dionys.  Phantasie"  ,  Liedei') ,  Jos.  Reiter 
(*  1862,  D.  des  ,, Mozarteums"  Salzburg:  Op.  „D.  Bundschuh";  Requiem, 
8 stimmige  Chöre  und  Kammerwerke) '^t;  Fei.  v.  Woyrsch  (*  1^60 
Troppau,  lebt  in  Altona:  Symph.,  Violinkonzert  ,,Skald.  Rhapsodie", 
das  in  Holbeinstimmung  getauchte  Mysterium  „Totentanz"  f.  Soli, 
Chor,  Orch.  u.  Orgel  op.  51,  Pa  s  s  ionsor  a  torium,  „Sapphische 
Ode  an  Aphrodite");  Theod.   Streicher    (*   1874   Wien,    Urenkel 


Xovak. 


Siik. 


Nedbal. 


Ostrcil. 


Picka 

Deutsch- 

Oester- 

reicher: 


Wein- 
ffartner. 


Haiisegger 

Reiter. 
^Voy^sch. 

•Streicher. 


^1  „Die  Lehre  von  der  Wiedergeburt  u.  d.  Musikalische  Drama"; 
„Üb.  d.  Dirigieren" :  „Bayreuth  1876-96"  ;  „D.  Symph.  nach  Beethoven". 
-)  B. :  M.  Morold,  Wien,  Fromme. 


348  IV.  Gegenwart. 


des  Andreas  St. :  Lieder  [„A.  d.  Knaben  Wunderhorn"]  in  der  ur- 
wüchsigen Holzschnittmanier  altdeutscher  Volksweisen,  Chorwerk  „Mig- 
nons  Exequien");  die  Kammerkomponisten  Walt.  Rabl  (*  1873  Wien, 

Schönberg.  KM,  Düsseldorf)  und  Arn.  Schönberg  (*  1874  Wien:  stark  sezessio- 

Zemlinsky. nistisches  Streichsextett,  Kammersymph.) ;A.  v  Zemlinsky(*  1872 
Wien:  Opern  [„Sarema"],  Kammerwerke);  der  Oratorien-und  Kirchen- 
komponist P.  v.  Hartman  n  (*  1863  Salurn,  lebt  zu  Rom):  Rod.  v. 
Mjo  j  s  i  8  o  V  i  CS  (*  1877  Graz,  lebt  in  Leipzig :  Romant.  Orgelphant.,  In- 
strumental- und  Vokalsachen);  Pianist  Gu.  Peters  (*  1856  Graz,  KP. 
Wien :  2  symph.  Kammerstücke ;  seine  Devise :  Jedes  Werk  sei  der 
Neue  Ausdruck  inneren  Erlebnisses);  MD.  Mart.  Spörr  in  Wien  (Symph.) 
Wiener    u.  a.^)    In  Wien  schattt  bemerkenswert  der  Holländer  B rand t-Bu ys 

Operette:  (Kammerwerke,  Op.  „Veilchenfest").    Unter  den  lachenden  Erben  von 

Lehär.     Job.  Strauß  hatten  im  Operettenkönigreich  neben  Weinberger,  Eysler, 

Stiaus.     Reinhardt   besonderes    Glück  der   Deutsch-Ungar  Fr.  Lehär  (*  1870 

Komorn:  die  beispiellos  erfolgreiche  „Lustige  Witwe"  u.  a.)  und  Osk. 

Straus  (*  1870  Wien:  „D.  lustigen  Nibelungen",  „Walzertraura"). 

Ungarn:  jj^  Ungarn  bemerken  wir  den  Pianisten  E.  v.  Dohnänyi 

Dohnanyi.  ,-*  jgyy  Preßburg,  bedeutend  als  Symphoniker,  Kammer-  und  Klavier- 
komponist [die  großartig  angelegte  Passacaglia  op.  fi],  Klavier-Quint.) 
und  den  Lieder-  und  Chorkomponisten  E.  Lanyi  (*  1862,  MD.  Miskolcz). 
Ein  rumänischer  Komponist  ist  G.  Dina  iCäntäri  funebrale,  Be- 
arbeitungen von  Volksliedern  und  Tänzen  [Nationaltanz  ,,Hora"]). 

Italiener.  Bei  den  Jung  Italienern  brach  sich  naturalistisch  die 

Veristen:  Schule  des  „Verismo",  des  Realismus  und  der  literarischen 
Volkstümlichkeit    Bahn    und    schuf     die     „Wirklichkeitsoper". 

Mascagni.  Über  Nacht  kam  und  verging  der  Ruhm  von  Pietro  M  a  s  - 
cagni  (*  1S63  Livorno)  und  seiner  „Cavalleria  rusticana''  (1890). 
Sensationell  wirkte  bei  den  allenthalben  förmlich  weihevoll  inszene- 
gesetzten  Erstaufführungen,  von  aller  Reklame  abgesehen,  vor  allem 
die  in  einem  Akte  und  sozusagen  Atemzuge  straff  geführte,  realis- 
tisch packende  Handlung  mit  ihrer  unleugbar  leidenschaftlich 
aufflammenden  Musik ;  es  war  ein  wohltuend  empfundener  Gegensatz 
zu  den  ermüdenden  Stundenlängen  des  deutschen  Musikdramas.  AVie 
die  Pilze  schössen  nun  die  einaktigen  „veristischen"  Stimden-  imd 
Mordopei'n  auch  im  deutschen  Opernwald  hervor,  ohne  —  mit  ge- 
ringer Ausnahme  („Mara"  von  P^erd.  Hummel,  *  Berlin  1855,  Harfen- 
virtuose) —  auch  nur  ähnlichen  Erfolg  zu  haben.  (Vgl.  Humperdinck 
S.  805.)  Die  Geschichte  vom  glücklichen  „Ersten",  dem  ein  Wurf 
gelingt  und  das  „Wenn  zwei  das  gleiche  tun  ..."  ließ  auch  hier 
die  zahlreichen  Nachahmer  eine  bebedauernswerte  Rolle  spielen. 
Während  Mascagni  selbst  mit  keinem  späteren  Werke  („Freund 
Fritz",    „Ratcliff"  u.  a.)     mehr     seinen    Ruhm     zu    erhalten    ver- 


^)  Vgl.  hier:  „Oesterr.  Komponisten -Lexikon"  im  Musikb.  a. 
Oesterr."  08  u.  „Deutsch-österr.  Künstler-  u.  Schriftstellerlex."  Wien, 
06.  Lechner. 


Ausland. 


349 


Pnecini 


mochte  und  nur  noch  der  Einakter  „A  basso  porto"  von 
S"p  i  n  e  1  1  i  (*  1865)  über  die  Bühnen  ging,  gelang  es 
Ruggiero  Leoncavallo  (*  1858  Neapel)  gleich  hinterher  mit  cavaiio. 
dem  Zweiakter  ,,J  Pagliacci"  („Der  Bajazzo")  einen  star- 
ken Konkurrenztrumpf  auszuspielen.  Die  uugleich  feinere,  edlere 
Musik  verhalf  diesem 
Werke  auch  zu  bestän- 
digerem Erfolg  und  An- 
sehen, wenngleich  auch 
Leoncavallo  mit  keiner 
weiteren  Oper  mehr 
Glück  machte.  Seine 
,,B  o  h  e  m  e''  insbeson- 
dere wurde  durch  die 
gleichnamige  Oper  von 
Giacomo  P  u  c  c  i  n  i 
(*  1858  Lucca)  be- 
siegt, d^m  anfangs 
nicht  beachteten 
eigentlichen  Be- 
gründer der 
jungitalienischen 
Richtung  (Op.  „Le 
Villi"  1884).  Den 
Wagnerstil  mit  dem 
Verismo  verschmel- 
zend, schuf  sich  F. 
insbesondere  durch  die 

raffiniert  glänzend  gesetzte  ,,Mordoper""  .To^jca'  den  ersten  Platz 
unter  den  .Tungitalienern.  Bezeichnend  Muüert  sich  P.  selbst  über 
die  Opernkunst  seiner  Heimat,  die  ., echte  Menschendramen"  verlange: 
„Ich  habe  die  Ueberzeugung,  daß  wir  Italiener  stets  unserem  Tempe- 
rament entsprechend  komponieren  sollen.  Für  uns  gibt  es  nur  den  Ausdruck 
der  Leidenschaft,  wir  schreiben  mit  dem  Herzen,  und  nur  lebendige  Men- 
schen können  wir  unserer  Veranlagung  entsprechend  schatten."  (Weitere 
Werke  ,,Mauon",  Madame  Buttertly'  [Japanisches  Sujet]).  Hier  zählen 
noch  mit  die  Opernkomponisten:  Samara  (*  1861  Corfu:  ,, Flora  mira- 
bilis''),  Em.  Pizzi  [*  1SG2  Verona  :  „Messa  solenne"  im  Stile  Ch.  Gounods), 
Cilea:  „Adrienne  Lecouvreur"  02,  und  Urab.  Giordano  (*  ]8ö8  <^Jiordauo. 
Neapel:  „Mala  vita".  „Andrea  Chenier"  u.  a.  Ackere  gute  Pfade 
wandelt  Cesare  Kossi  aus  Mantua  i*  1864,  MD.  Trient :  „Nadeja"). 

Unter     den    Instrumentalkomponisten    stehen     den    schon 
(S.   321)  genannten   Maestri    Sgambati   und  Martucci  zunächst 


G.  Puccini. 


350 


IV.  Gegenwart. 


Bossi. 


Biisoni 


Perosi. 


AVolf- 
Ferrari. 


Sinigaglia. 


Franzosen. 
Impressio- 

uisten : 
Debussv. 


der  erste  Orgelspieler  Italiens  M.  Enrico  Bossi  (*  1861  in  Salo 
am  Gardasee,  KD.  Bologna :  Kammer-,  Orgel-  und  geistl.  Vokalmusik 
(Violin-Sonaten,  Sonate  in  D  für  Orch.  und  Orgel;  Orgelkonzerte, 
„D.  verlor.  Paradies" ;  kirchl.  Chorwerk  „Das  Ho  he  Lied"  op.  120, 
Op.  „D.  Prophet"  07) i)  und  Ferruccio  Busoni  (*  1866),  ein 
genialer  Tonkünstler,  Pianist  und  Improvisator  (Orchester-, 
Kammer-  u.  Klavierwerke  [Var.  u.  Fuge  op.  22]).  Busoni,  tritt  in 
seinem  kürzlich  erschieneneu  hochinteressanten  ..Entwurf  einer  neuen 
Aesthetik  der  Tonkunst"  gleich  für  die  D  r  i  1 1  e  1 1  ö  n  e  ein,  die  dem  dafür 
geschärften  Ohre  einen  ausgeprägten  Charakter  otfenbarten.  Busoni 
macht  auf  die  Beschränktheit  des  12  Halbtonsystems  aufmerksam  und 
stellt  ihm  gegenüber  als  Möglichkeiten  der  weiter  abzustufenden 
Siebentonfolge  (durch  Intervallerhöhung  und -Erniedrigung)  113  ver- 
schiedene Skalen  fest,  z.  B.  c  des  es  fes  ges  as  b  c,  mit  ab- 
wechselnder harmonischer  Unterlage  des  «-moll,  is-dur  und  C-dur- 
Dreiklanges.  Bemerkenswert  meint  B.  u.  a.:  „Was  in  unserer  heutigen 
Tonkunst  ihrem  Urwcseu  am  nächsten  rückt,  sind  die  Pause  und 
die  Fermate."  Neben  A.  Longo  (*  1864,  Kammer-,  Klaviersachen) 
und  dem  teils  von  Wagner,  teils  von  Palestrina  Bach  angehauchten 
Kirchenkomponisten  Abbate  Perosi  (*  1872,  Dirigent  der  Sixtina: 
Oratorien[-Trilogie :  Marcuspassion,  Christi  Verklärung,  Lazarus'  Auf- 
erweckung],  Requiem,  „Suites"  [10  röra.  Städtebilder]  f.  Orch.]  u.  a.) 
macht  E.  Wolf- Ferrari  aus  Venedig,  dort  (*  1876)  KD.,  insbe- 
sondere als  Kammer-  und  Opernkomponist  Aufsehen  (Kammer-Symph. 
op.  8,  Op.  „D.  neugierigen  Frauen",  das  eindrucksvolle  Orat.  „La 
vita  nuova").  Als  Kammerkomponist  tritt  L.  Sinigaglia  (*  1868 
Turin:  Piemontesische  Rhaps.  i.  Viol.  u.  Orch.,  Piemontes.  Tänze  f. 
Orch.)  auf. 

Wie  Rieh.  Strauß  in  Deutschland,  ist  Claude  Debussy 
(*  1862  St.  Germain)  der  Führer  der  Moderne  in  Frank- 
reich, zu  Paris  lebend,  vom  Meinungskampf  nicht  wenig  um- 
stritten. Seine  Musik  bezweckt  unter  eigenartiger  Bereiche- 
rung der  Harmonie  (vgl.  Riemann)  die  allerfeinste  Wiedergabe 
der  Augenblicksstimmung,  insbesondere  mit  Hilfe  des  Orchesters, 
wie  in  dem  Musikdrama:  „PeUeas  u.  Melisande"  (nach  Maeter- 
linck, im  rezitierenden  Deklamationsstil)  und  den  hochinteressanten 
symph.  Skizzen  („Nachmittag  eines  Faun",  „D.  Meer",  Nokturucn 
f.  Orch.  u.  Frauenchor.-)  Suggestive  Stimmung,  immer  \\'ieder  nur 
Stinmumg,  hinweg  über  Satz  und  Regeln  (deren  Beherrschung  hier 
allerdings  Vorbedingung),  ist  das  A  uud  Z  der  modernen  franzö- 
sischen Impressionistenschuie,  deren  nicht  recht  greifbare  Tonsprache 
auch  in  der  Klavierkleinkunst  mit  neuen  Klängen  imd  virtuosen  Mal- 
techniken   überrascht.     Die   Gruppe   dieser   extremen   Neuromantiker 


1)  Vgl.  die  Studie  v.  Prof.  W.  Weber  N.  Z.  f.  M.  05,  Nr.  40. 

2)  Vgl.  Laureucin :  Notes  sur  l'art  de  D.,  Courier  musical  04,  5  ^.  - 
Studie  v.  Gaston  Knosp,  N.  Z.  f  M.  05,  Nr.  40. 


Ausland.  351 

—  es  treten  neben  Debussy  noch  hervor    P.   Dukas   ([düka]  *  1865     Dukas. 
Paris,  MS. :  symph.  Ged.  „D.  Zauberlehrling"  -tVoioll-Sonate),  Rhene- 
Baton  (*  1079),  Ravel,  Koparts  (*  1864j,   und  über  die  Grenze  sozu-      Havel, 
sagen,  der  Spanier  Albeuiz  (s.  S.  337)   —  schmälert  förmlich  die  Er- 
folge der  anderen  Jungfrauzosen,  wie  eines  G.  C  b  a  r  p  e  nli  e  r  ([schar-    ^''j'^g'^'*'"" 
pangtjeh]*  18G0,  dessen  Festoper  „D.  Krönung  der  Muse"  oder  „Louise" 
auch  in  Deutschland  getiel  [Orchestersuite  „Impressions  d'Italie",  Sym- 
phoniedraraa    „Des  Dichters  Leben"  f.  Soli,  L'hor  u.  Orch.]  i),  der 
Opernkomponisten  Lambert  (*  18H1:  „D.  Spahi"),  E.  Missa,  C.  Erlanger,      yj^.^, 
X.    Leroux,   P.   A.    Vidal,    Reg.    Hahn,    Pierne    [*    1863   Metz:     pj^,,,; 
„Vendee",  Chorwerk  „Kin  der  kreuz  zug",  u.  a.) 

In  Belgien    gipfelt   die     national-vlämische     Schule    in     Paul    Belgier: 
Gilson  [*  186.")  zu  Brüssel,    MD.    zu  Löwen:  Orchesterwerke  [„Das      Wilson. 
Meer",  ..Phantasie  über  cauadische  Volksweisen"],  Opein,  Chorwerke) 
neben  dem   sich  eine  Keilie  von  J  ung  w  a  Hon  en:  Kyelandt,  Kasse, 
Vreuls,    Dupuis    bemerkbar    macht;    au    der   Spitze    der  in   Nieder-    t^rj^D^üg. 
meyer  (f  1861,  Chorwerke)  wurzelnden  fr  anz  ö  sisch-sch  we  ize- Schweizer: 
rischen  Schule  stehen  Barblan  (*  1S6():  Orgelwerke)  und  Jaques-    Barblan. 
Dalcroze  ([schakdalkrohs),    *  18*^5    Wien,    KP.  Genf:    Chorwerke,   Dalcroze. 
Opern,  eine  kurzweilige  Serenade  f.  Streichquartett ;    vgl.  auch  S.  38 
Note).     In    der  deutschen  Schweiz    folgen    dem    reichsdeutschen    Deutsch- 
Zuge:    V.  Andre ae    (,*  1879  Bern,    MD.    Zürich:    symph.  Phantasie  ^';'"^''"'"= 
u.    a.  Werke    für   Orch.,    Ch.    [„Das  Göttliche"]    u.     Kammer)    J.    v.    -^"<*''e*e. 
Gleuck  i*  1883  Zürich,  KM.  Metz:  Op.  „D.  Frühlingsfest",  Orchester-     Glenck. 
Sachen,  Lieder),  Kob.  Herr  manu  (*18Gi»Bern:  symphou.  und  Kammer-  Herrmauu. 
werke  individueller  Prägung i,    llerm.  Suter  (Chöre  [„Unsre  Berge"],      Suter. 
Kammermusik  ,  Othm.  Sohoek  (herzhafte  Lieder). 

Mit  den  Jun<ideutsthen  und  Jung;franzosen  bilden  die 
von  beiden  zum  Teil  beeinHuLiten  Jungrussen  den  mächtigen  Küssen: 
Dreibund  in  der  modernen  Musik.  Ihr  Stil  entspringt  einer 
freien  chromatischen  Tonalität.  Insbesondere  die  in  Virtuosen- 
glanz getauchte  Kammer-  und  Klaviermusik  erregt  hier  unsere 
Aufmerk.samkeit :  teils  russisch-national  (Volkslied),-)  teils  roman- 
tische, wie  neudeutsche  Einflüsse  (Chopin,  Liszt)  verratend,  immer 
voll  Temperament  und  sinnlicher  Melodik,  den  Atisblick  in  ein 
Neuland  der  Harmonie  eröffnend.  Fußend  auf  den  Traditionen  der 
„Novatoren"  (S.  323)  führt  etwas  akademisch  Alex.  Glasuno  w,  Giazounow 
*  1865  zu  Petersburg,  dort  lebend  (6  Symphonien,  Serenaden, 
Suiten ,  2  Ouvertüren  über  griechische  Themen :  symph.  Dicht. 
„D.  Meer",  ,, Karneval",  „D.  Wald",  „Frühling",  ,,Le  Kremlin",  ,,Stenka 
Razine":  „Oriental.  Khapsodie"  usw..  Novelietten  u.  Suite  i.  Streich- 
orch. ;    Kammerwerke ;    Krönungskant,    für    Chor  und    Orch. ;    Ballett 


1)  Ch.  und  Widor  führten  ins  Orchester  als  neues  Instrument 
die  Celesta,  ein  glockeuklingende.-i  Stimmgabel-Klavier  [Mustel- 
Paris]  ein.  —  ^j  Auswahl  russ.  Volkslieder  [Eugenie  Linew]  07. 


352 


IV.  Gegenwart. 


Rebikow. 

Scriäbin. 

Rachma- 

ninow. 

Gliere. 
Kalllnikow. 


Juon. 

Blumenfeld 
Balten: 
Wihtol. 

Keiißler. 
Tobias. 

Kalning. 


Polen : 
Stojowski. 


Nowo- 
wiejski. 

Karlowlcz. 


Skandi- 
navier: 
Nielsen. 
Henriques. 

Schjelde- 
rui). 


„Raymonda":  Klaviei'stücke)  den  Reigen  der  Neurussen  an,  iu  dem 
wir  Rebikow  (*  1867,  Begründer  d.  Gesellsch.  d.  russ.  Komponisten, 
ein  Impressionist  A  la  Debiissy  [u.  a.  melomimische  Szenen  ohne  Worte, 
bloß  Musik  imd  Mimik]),  Sapellnikow,  den  zukunftsi-eichen  Scriabin 
(*  1871,  etwas  dekadent ),  i)  R  a  c  h  m  a  n  i  n  o  w  (*  1872  :  Klavier- 
konzert), Zolotarew  (*  1873),  Gliere  (*  1875),  Gretschaninow  (Lieder), 
Lowtzky,  Kalafati,  Tiniakow,  Karpow,  Tscherepnin  (*  1873;  Ballettsuite, 
Chorsachen),  Pogoiew  u.  a.  erblicken,  und  dem  auch  Kallinikow 
(t  Ol:  symph.  Dicht.  ,, Zeder  u.  Palme"  [Heine])  angehörte.  Zwei 
N  e  b  e  n  g  r  up  p  e  n  zweigen  ab  :  eine  deutsch-russische  mit  dem  Kammer- 
komponisten AI.  W  i  n  k  1  e  r  (*  1865 ,  KP.  Petersburg)  und  dem 
brahmsiscli  angehauchten  P.  Juon  (*  1872  Moskau,  in  Berlin  lebend: 
„symph.  Skizzen",  Kammer-  u.  Klavierwerke,  Lieder):  und  eine  „süd- 
russisch-levantinische  unter  Einfluß  orientalischer  und  italienischer 
Musik"  [Xiemann]  mit  Fei.  Blumenfeld  (*  1863,  HKM.  Petersburg: 
vornehmlich  wohllautende  Klaviermusik)  an  der  Spitze.-)  Zu  den  bal- 
tischen Tondichtern  gehören  die  Livländer  (Letten)  Wihtol  *  1863, 
KP.  Petersburg:  Chorballaden,  Lieder,  bearbeitete  lettische  Volks- 
weisen [sehr  schön!],  Klavierwerke),  Jurjan,  Kalning,  Dr.  Gerb.  v. 
Keußler  (*  1874,  seit  06  MD.  Prag:  „Auferstehung  und  jüngstes 
Gericht",  Fresko  f.  Orch.  u.  szen.  Rezitation:  auch  MS.  [,,D.  Grenzen 
der  Aesthetik]);  der  Esthe  Rud.  To  bias  (Kirchenraus.,  Orat.  „Jonas". 
Kant.  ,,Joh.  Damascenus",  42.  Psalm  f.  Chor,  Orch.,  Org.),  die  Lieder- 
komponisten Arth.  WulfTius,  C.  Hunnius  (s.  255"),  Hans  Schmidt,  W. 
Sacks.  —  Neuartig  in  Melodie,  Rhythmik  und  Harmonik  erscheint  der 
Lette  Kalning,  der  die  alten  strengen  russischen  Kirchentöne  an- 
schlägt (Ganztonschritte,  originelle  Intervalle,  terzlose  Schlüsse) :  seine 
aparten  Lieder,  Klavier-  und  Violinstücke  weisen  mit  ihren  Klängen 
der  Melancholie  und  Einsamkeit  auf  litauische  Volksliederquelleu. 

Unter  den  Polen,  namentlich  bei  den  Pianisten  Henric  Melcer 
(*  1869,  z.  Z.  in  Wien:  Klavierkonzerte  u.  a.)  und  S.  Stojowski 
(*  1870;  unter  neufranzösischem  Einfluß  in  harmonischer  und  instru- 
mentaler Beziehung,  sonst  chopinartig :  Suite  t.  Orch. :  Symphonie. 
Klaviermusik),  bei  Roman  Statkowski  (*  1860:  Klaviersachen, 
Op.  „Filenis"),  Fei.  No  w  o  wie  js  ki  (*  1875:  Symphonien,  Orato- 
rien[  „Quo  vadis"  nach  Sienkiewicz],  M.  Karlowicz  (bedeutendes  Violin- 
konzert D-dur),  tritt  das  nationale  Element  ähnlich  vornehm 
wie  bei  Chopin  hervor,  der  ihnen  die  Richtung  gab. 

Aus  dem  hohen  Norden  begegnen  uns  in  Dänemark:  der 
Dramatiker  Carl  Nielsen  [*  1865,  bibl.  Op.  „Saul  u.  David*,  Kammer- 
musik) und  die  Instrumentalkomponisten  Glaß  (*  1864),  Henriques 
(*  1867,  Klaviermusik),  Ludw.  Nielsen  rl876);  in  Norwegen:  der 
Dramatiker     G.   Schjelderup   (*  1859,   MS.,   zu  Dresden   lebend: 

1)  Vgl.  Dr.  W.  Niemanns  Studie,  N.  Z.  f.  JI.  05,  Nr.  40. 
-)  Vgl.  Dr.  M.  Dietz :  D.  Jungrussen  u.  d.  neueste  Klaviermusik, 
WKM.  04,  48  f. 


Ausland.  353 

Op.  „Norweg.  Hochzeit",  Musik  zu  Gjellerups  „Opferfeuer"  u.  a.,  Orches- 
terwerke   [Sommernacht  a.  d.   Fjord"'])   und   die   Instrumental-   bezw.  ^^,^.^^3^^ 
Klavierkomponisten  Halvorsen(*  1865),  Melling,  A  1  n  a  e  s  (*  1872\     Alnaes. 
Cleve  (*  1879);   in  Schweden:    Die  nationalen  Opernkomponisten      C'eve. 
Peter  so  n-B  erger   (*  1867:   Musikdrama  „Ran"  03,   Märchenspiel,     ßerje"' 
„Das  Glück"  02)   und  W.  Stenhammar  (*  1871  „Fest  auf  Solhaug",       Sten- 
„Tirfing"),  beide  neben  Alf  en  (•  1872)  u.  a.  unter  neudeutschem  Ein-    "*'"™*''- 
fluß  auch  Instrumentalmusik  pflegend.    Eine  interessante   nationale 
Schule  erwuchs  in  Finnland;  ihren  ersten  Repräsentanten  Wege-     Finnen : 
lins  (*  1846  Helsingfors,  das.  KD.:  Klavier-  und  Vokalmusik)  und  Rob.   Wegelius. 
Kajanus  (*  1858  Helsingfors.  MD.:  „Rliai)sodie",  symph.  Dichtungen    Kajanus. 
[„Al[no")u.  a.)folgt  als  Hauptvertreter  Jea  n  Sibelius  (*    1865   Ta-    Sibeüus. 
wastehus,    KP.  Helsingfors)    mit    den    auch    bei    uns    bekannten    sint. 
Dichtungen  „D.  Schwan  v.  Tuonela"  mach  dem  Volksepos  „Kalevala"), 
„Finlandia",    ,,Leminka'inen    zieht  heimwärts"  u.  a.    Orchesterwerken, 
einer  Musik  zu  Pauls  ,, König  Christ.  II.",  Liedern,  finnischen  Volksweisen 
f.  Klavier,  einem  Violinkonzert  u.  a.    Neben  ihm  tritt  E.    A.   Järnefelt  Jämefelt. 
(*  1869,   eine    Zeitlang   in    Deutschland    wirkend)   als    symphonischer 
Dichter  [„Korsholm"  |  und  Liederkomponist  an  der  Spitze  der  Jüngeren 
iMelartin  *  1S75,  Merikanto  u.  a.)  hervor. '1 

Mit    fremder   markanter    Zunge    reden    uns    schließlich   an :    der 
spanische  Pianist   Granado.s  y  Campina  (*  1867:  siuf.  Dichtungen,  Granados. 
Lieder,   span.  Tänze   u.   a.   f.  Klavierj ;   der  in  Berlin    lebende  portu- 
giesische Pianist   Jose  Vianna  da  Motta  (*    186S    auf  St.   Thomas:      Motta. 
Portugies.  Szenen    u.   Rhapsodien   f.  Klavier,   auch  MS. ;  s.  a.  a.  0) ; 
die  Holländer  Wagen  aar  (*  1S62  Utrecht,  dort  Domorganist :  „Frit- wagenaar. 
jofs  Meerfahrt",  Ouvert.  „Cyrano"  u.  a.)  und  Schäfer  (*  1874,  Kammer- 
u.  Klaviersachen);   der  Engländer  Granville  B  a  ntoc  k  ([bän]  *  1868    Bantock. 
London,    zu  Birmingham   wirkend:    Opern,    dramat.  Kantaten,  symph. 
Ouvertüre,  „Saul",    eine    (liorsymphonie    in    24    Teilen   1!)  ,,Kehama" 
u.  a.)2):    die    Amerikaner  (N'euyorker)  F.  van    der  Stucken  (*  18.58 
Texas:  Orchester-  u.  Chormusik)  und  Limbert  (*  1866,  KP.  Düssel- 
dorf :    Kammer-,    Klavier-    und    Vokalwerke) :    nicht    zuletzt    der    von 
deutschen    Eltern    in    England    zu    Bradford    1863    geborene   Friedr. 
D  e  1  iu  s   (in  Paris),  ein  origineller  Ilarmoniker,  der  aut  einsamen  Orange-     Delius. 
Pflanzungen  Floridas  abgelauschte  Naturklänge  in  seiner  symph.  Dicht. 
Sea- Drift   ,, Meerestreiben",  für  Solo.  Chor  u.  Orch.)  echt  impressionis- 
tisch wiedergibt  und  auch  in  einem  Musikdrama  „Romeo  u.  Julia  auf 
dem  Dorfe"    [nach  Keller],   der  Negeroper  ,,Koanga",   dem  Chorwerk 
„Lebensmesse"    [Nietzsche]  ,    riesigen    „ettmographischen"    Orchester- 
Variationen    mit    Chor   .,Appalachia",    einem    Klavierkonzert,    Liedern 
usw.,  wohl  die  allermodernste,  tonpoetische  Sprache  spricht.'^) 

1)  Vgl.  B.  Weigels  Studie  z.  Gesch.  finnischer  Mus.,  NMZ.  08,  12. 
-}  Eine    britische  Nationaloper   steht  noch  aus.     In   einer  Preis- 
konkurrenz 07  siegte  Mavlor  mit  seinen  „Angelus". 
')  B.:  Chop,  „Harm.-'  Brl.  08. 
Kothe-Prochä/.  ka.  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.  23 


354  IV.  Gegenwart. 

Kesumö.  Flüchtig  nur    ist  das  Bild    der  Musik  unserer  Tage    hier 

skizziert;  und  doch  —  welche  Fülle  an  markanten,  vielfach 
interessanten  Erscheinungen  ^)  und  deren  reger,  modern-tonkünst- 
lerischer Bewegung.  Was  immer  man  auch  gegen  gewisse  Aus- 
wüchse dieser  Bewegung,  insbesondere  gegen  einzelne  Persönlich- 
keiten, die  Reger  und  R.  Strauß  ins  Treffen  führen  mag  —  wir,  die 
gegenwärtig  Lebenden,  dürfen  und  sollen  es  froh  empfinden,  eine 
Reihe  solch  „erstklassiger  Musikmenschen"  unter  uns  zu  wissen  und 
Zeugen  ihres  Ringens  zu  sein.  Erst  die  spätere  Geschichte  ist 
berufen,  über  sie  zu  richten. 


1)  Außer  den  markantesten  Erscheinungen  der  Moderne  konnten 
nur  die  Schöpfer  größerer  Werke  bzw.  nur  solche,  die  auch  über  die 
Landesgrenze  schritten,  Beachtung  finden.  Von  Verlagsangaben  wurde 
hier  als  von  den  Tagesaufgaben  des  Musikhandels  abgesehen.  S.  die 
Gratiskataloge  der  großen  Musikverlagsfirmen  —  Vgl  hier  noch: 
„Musik  u.  Musiker  d  19.  Jahrhdts.  bis  z.  Gegenw.  in  20  färb.  Tafeln" 
—  eine  originelle,  im  großen  ganzen  zuverlässige  Stammtafel  der 
modernen  Tonkunst  —  von  Dr.  Walt.  Niemann  (einer  unserer 
berufensten  Musikforscher,  Komp.,  *  1»76  Hamburg  [Sohn  von  Rud.  N.)j, 
ferner:  Groves  Lexikon  (s.  S.  254  ob.);  Dr.  Karl  Storck  (Kunst-  u.  MS., 
Berlin,  *  i873),  Gesch  d.  Mus.  Stuttg.  05.  Hans  Merian,  Gesch.  d.  Mus. 
i.  19.  Jahrb.,  2.  A.  [Smolian],  Lpz.  Spamer;  Kiemann,  Opernhandbuch, 
Lpz.  I8ö7;  Batka,  D  moderne  Oper,  Prag  02  Riemann,  Gesch. 
d.  Mus.  seit  Beethoven,  00;  Bellaigue,  Un  siecle,  00;  Grunsky, 
D.  Mus.  d.  19.  Jahrh  ,  02;  H.  Bulthaupt,  Dramaturgie  der  Oper. 
2  Bde.    1887.   C.  F.  Becker,  Die  Tonkünstler  des  19.  Jahrh.    1849. 


V.  Die  iiioderiie  Miisikpflege. 

20.   Virtuosen,  Konzerte.  Vereine:  Unterrichts-  und 
Schriftwesen. 

Von  weitgehendstem  Einfluß  erscheinen  die  Haupträger  der  virtuosen. 
Virtuosität,   sofern   sie   —  wie:   die  Pianisten  Liszt  f,   Bülow  f,     Klavier. 
Clara  Schumann  f,  Saint-Saens,  Ale.x.  Dreyscliock  f,  Ant.  Rubinstein  f, 
Leschetizky,  .Annette  Essipott'.  dWIbert,  Edouard   Hisler,  Keisenauer  f, 
Busoui,    l^iif^no,  Pieriet,    Friedmann,  .\nsorge,    Alfr.  (irünfeld    (*  1852 
Praji:,  Kammervirtuose  und  Kumponist  Wien:    feine  Salonmusiki;    die      i^eige. 
Geiger  Joachim  f,  VVilhelmj  t.    Sarasate  t,  Auer,  Sauret.  Hnrmester,       '^ello. 
Hubermann,    Marteaii.    Ysaye.    Ondiicck;    die    Cellisten:    Davidoif  f, 
Popper    (der    „Cellokönig",    *    1JS43    Prag,    KP.  Pest    [..Requiem"  für 
3  Celli  u.  a.j),  Griitzmacher  sen    f  und  Jun.,  Jul.  Klengei,  Hausmann,  *^"^'"*ette. 
Hugo  Becker,  Heinr.  Grünfeld,  llekking;  die  Quartettspieler:  Joachim  f, 
Halir    und  HoUaeuder  in  Berlin,    Hugo  Heermann  in  Frankfurt  a.  M., 
Prill   und  Rose    in  Wien,  Lewinger   und  Petri  in   Dresden,  Waldemar 
Meyer,    Zajic,    die    .Bölimen"*    Hortmann  -  Suk  -  Nedbal    [jetzt    Herold]- 
Wihan  neben  dem  ^Sevrik-Quartetf'.  die  „Brüsseler"  iSchörg],  „Hollän- 
der"   und    „Pariser"'):    die   Triovereinigungen  'Hekking,-    Russisches- 
[Vera  Maurina  Press],  Holländisches  Trio),  Klarinettist  Mühiteld  f  (für     <^*^8aug. 
ihn  schrieb  Brahms  sein  op.  114.  11.^,  120):  ')  die  Meistersänger  [Hoch- 
stimmen:] Ben  Davies,  K.  zur  Mühlen,  Felix  Senilis,  .Marcella  Sembrich, 
Lilli  Lehmann,  Marcella  Pre^;!;  [Tiefstimmen:]  Jul  Stockluausen  f,  Eug. 
Gura  t,  Georg  Henschel,  .Messchaert,  Sistermans,  Dr.  L.  Wüllner,  Alice 
Barbi,  Julia  Culp,  Camilla  Landi,  Lula  MyszGmeiner,  l-^rnestine  Srhu- 
mann-Heink,  Feli.x  u.  .Adrienne  v.  Kraiis-Osborne.  Carl  Perron,  Scheide- 
mantel u   a.  (^s.  die  folgenden  Kap.)  —  die  Fertigkeit  nicht  als  End- 

•)  Weltberühmt  war  s.  z  das  „Florentiner  Quartett"  1866-80: 
Jean  Becker  aus  xMannheim  (seit  1866  Florenz,  f  1884),  Masi  (f  1894 
in  Rom  als  Ministerialsekretär),  Chiostri,  Hilpert.  ^)  Das  Konzertreisen 
anderer  InstrumentaUirtuosen  hat  gegen  früher  fast  aufgehört;  wir 
nennen  u.  a.  den  Bratschisten  H.  Ritter  (*  1849,  erfand  die  Altviola), 
die  Kontrabassisten  Dragonetti  if  1846),  Läska  i*  1847  Prag,  Kammer- 
virtuose Schwerin  .  Slädek  if  Ol  KP.  Prag',  Simandl  i*  1840  Blatna 
i.  Böhm.,  Hofmusiker  Wien).  Die  Flötisten  Andersen  und  Winkler 
(Weimar  f),  die  Hornvirtuosen  Strauß  (f  Vater  von  Richard  S.)  und 
Gumpert ,  den  Trompetisten  Eichborn ,  die  Harfner  Pai  ish-Alvars 
(t  184^),  Übertlnir  (t  1895',  gegenwärtig  Zelenka-Lerando  aus  Prag 
—  alle  meist  auch  Komponisten  und  Pädagogen. 

23* 


356  V-  I^'^  moderne  Musikpflege. 

zweck  betrachten,  sondern  sie  verwenden,  um  Meisterwerke  in 
vollkommenster  Form  vorzutragen  —  also  nicht  die  „eitle 
Musik  der  Konzerte"  (Goethe)  zu  machen.  Ihre  Programme  ent- 
halten die  Namen  aller  großen  Meister,  unterliegen  nur  der  Gefahr 
der  Schablone. 

Chore.  Gleichen  Ruhm  erwerben  sich  die  großen  Ghor-Gesang- 

institute  (an  der  Spitze  der  Berliner  Philharmonische  Chor 
[Prof.   Siegfr.   Ochs,    der  Matador  unter  den  Chorleitern] :    vgl. 

Opern,  g  ^3g  Qjj^^  Opernhäuser  (Wien,  Dresden,  München,  Berlin, 
Frankfurt,  Hamburg,  Prag  [deutsch  und  tschech,],  Budapest)  und 
Orchester.  Orchester-Vereine  (vor  allen:  Hofkapellen  bezw.  Philhar- 
monien Wien,  Dresden,  Berlin,  Meiningen,  Hamburg ;  Gürzenich- 
Köln,  Gewandhaus-Leipzig,  Museum  und  „ Palmengarten "  [M. 
Kaempfert,  *  1871  :  Opern,  Orchester-  u.  Kammerwerke]-Frank- 
furt  a.  M.,  Kaim-München,  Lamoureux  und  Colonne  in  Paris 
[Brennpunkte  des  französischen  Musiklebens] ;  auch  die  Kur- 
kapellen der  Weltbadeorte  [Karlsbad  usw.]  spielen  hier  mit) 
deren  Beispiele  die  Vereine  kleinerer  Städte  mehr  oder  weniger  folgen. 
Eine  eigentümliche  Erscheinung  der  neueren  Zeit  sind  die 
Musikfeste.  Musik-  und  Gesangfeste.  Besonders  zeichnen  sifh  die  1817 
gegründeten  niederrheinischen  Musikfeste  durch  Glanz  und  Gediegen- 
heit aus.  Zu  diesen  Festen  (gewöhnlich  drei  Tage :  Aufführung  eines 
größeren  klassischen  Chorwerkes,  ein  Orchester-  und  ein  Künstlerkon- 
Dirigenten,  zei-t)  werden  die  bedeutendsten  Dirigenten  —  neben  den  S.  305  ge- 
nannten namentlich  gefeiert:  Nikisch  (*  1855  Ungarn),  Mahlei-,  Wein- 
gartner,  Busoui,  Ferd.  Löwe,  Safonow  (*  1852^  —  und  Solisten  be- 
rufen. Nach  diesem  Muster  tiuden  auch  in  Schleswig- Holstein,  Mecklen- 
burg und  Schlesien  (Breslau  und  Görlitz)  Musikfeste  statt.  Glanzvoll 
sind  ferner  die  Aufführungen  der  Tonkünstler- Versammlung  des  „All- 
gemeinen Deutschen  Musikvereins",  1859  durch  Liszt  inauguriert,  wo- 
bei hauptsächlich  die  Werke  tortschrittlicher  Komponisten  berücksichtigt 
werden.  (Änliche  Zwecke  verfolgt  in  England  die  ,, Musical  League".) 
Leider  spielen  oft  persönliche  Beziehungen  und  das  wuchernde  Kliquen- 
unwesen  mit.  An  die  Förderung  der  zeitgenössischen  Produktion 
wendet  sich  ein  richtiges  Wort  Lederers:  daß  alle  Tonsetzer,  die  mit 
Ernst  und  aus  dem  Innersten  schöpfend  ihre  Innenwelt  der  Kunst 
der  Töne  anvertrauen,  ein  gleiches  Kecht  haben,  gehört  zu  werden ; 
daß  kein  Mensch  befugt  ist,  diese  oder  jene  Richtung  a  priori  gering 
Kamm"r-  ^"  Schätzen.     Erhöhte  Pflege  erfahren  Haus-  i^vgl.  S.  152  2,  245)  und 

musik.  Kammermusik  (das  Bestreben,  den  Ton  werken  intensive  Wirkung 
Konzert-  abzugewinnen ,  zeitigt  verschiedene  ästhetische  Retbrmversuche  im 
reformen.  Konzertsaal  —  z.  B.  dessen  Verdunkelung  [nach  Dr.  Marsop]'):  auf 
der  Tonkünstler- Versammlung  1903  Heidelberg  machte  Wolfrums  ver- 
schieden  verstell-   und  beleuchtbare  Konzertbühne- Aufsehen  — ,   Pro- 


*)  Studienblätter  eines  Musikers.     Brl.  Schuster  &  Löffler. 


Virtuosen.     Konzerte.     Vereinigungen. 


357 


grammstil  usw.),  sowie  das  auch  staatlicberseits  ob  seines  erziehlichen 
Wertes  geförderte  V  o  1  k  s  1  i  e  d.^) 

Ein  weiterer  Faktor  der  Musikbestrebungen  unserer  Zeit 
sind  die  Männergesangvereine  und  ihre  Feste.  Der 
eiste  Männergesangverein  war  die  1809  von  Zelter  gestiftete  Ber- 
liner „Liedertafel"  ;  sie  zählte  nur  Dichter  und  Komponisten  zu  Mit- 
gliedern. Bei  frugalem  Abendbrot  wurden  die  verfaßten  Lieder  vor- 
getragen. Zelters  rnternehmen  fand  Nachahmung ;  zunächst  rief  in 
Zürich  Hans  Georg  Nägel i  l8l(»  eine  Liedertafel,  aber  mehr  aus 
dem  Volk  heraus,  ins  Leben  und  wurde  der  Begründer  des  volks- 
tümlichen, insbesondere  des  schweizerischen  Männergesanges.  Ihm 
schlössen  sich  zuerst  die  Vereine  Süddeutschlands  an.  1824  wurde 
der  Stuttgarter  „Liederkranz''  durch  Zumsteeg  gegründet,  1827 
zu  Plochingen  das  erste  deutsche  Liederfest  gefeiert.  Es  entstanden 
Liedertafeln  in  Leipzig,  Frankfurt,  Königsberg,  Breslau  (Mosewius), 
Dessau  (Fr.  Schneiden,  1843  der  Wiener  (Aug.  Schmidt),  1845  der 
Reichenberger  (die  zweitgeborene  Liedertafel  in  Österreich,  die  erste 
in  Böhmen ;  die  ältesten  Singvereine  sind  wohl  der  zu  Mies  i.  B. 
[1808]  und  der  Wiener  evangelische,  1818  von  Andr.  Streicher  ge- 
gründet), der  „Kölner  Männergesangverein",  der  Leipziger  „Tauliner- 
G.V  "  u.  a.,  die  sich  eines  vorzüglichen  Rufes  erfreuen.  Eine  gröiJere 
Anzahl  Liedertafeln  bilden  Sängerbunde  (Schwäbischer,  Pfälzischer, 
Schlesischer,  Badischer,  Norddeutscher  usw.  Sängerbund,  oder  nach 
Persönlichkeiten:  Zöllner-,  Julius  Otto-  [f  1877,  D.  d.  Dresdner 
Liedertafel)-,  Schuberf-Bimd  usw.),  die  ihre  regelmässigen  „Liederfeste" 
abhielten.  Aus  diesen  Sängerbunden  bildete  sich  der  „Allgemeine 
deutsche  Sängerbund",  der  sein  erstes  großes  Fest  1S65  in  Dresden 
mit  2(>(.>0(>  Sängern-),  sein  siebentes  in  Breslau  1907  mit  einem  Mit- 
gliederbestand von  120000  Sängern  beging.  Der  deutsche  Sänger- 
bund i.  Böhmen  (verdienstvolle  Leiter:  Friedr.  Heßler  [*  1838  Prag, 
Komp. :  Symph.,  Klavierwerke,  Lieder,  Männerchor  „Trostspruch  der 
Deutschen  in  Oesterr."]  und  Hans  Schneider  [UMD.  Prag:  Chorlieder]) 
zählt  allein  10  Gaue  mit  212  Vereinen  und  ."ilöO  Sängern! 

Es  gibt  heute  wohl  kein  Städtchen,  kaum  ein  Dorf,  das  nicht 
eine  Liedertafel  —  bei  der  leider  beliebten  Zersplitterung  auch  mehr  — 
hätte.     Nicht  selten  jedoch  zu  beklagen  sind :    schlecliter,  weichlicher 


Volkslied 


Männer- 
gesang. 


')  S.  das  neue  Deutsche  Volksliederbuch  (auf  Anregung  und 
Befehl  Kaiser  Wilhelms  I..  unter  Beteiligung  von  R.  v.  TJüencron, 
Friedläuder,  Rieh.  Strauß,  Humperdinck,  Bruch,  Hegar,  Kremser,  Kirchl, 
Koschat),  die  staatliche  Publikation  ,,D  Volksl.  i.  Österr."  (Arbeits- 
ausschüsse in  allen  Ländern».  Vgl.  Pommers  Zeitschrift  „D.  dtsche. 
Volksl.";  Landau:  „Vom  dtschn.  Volksl."  WKM.  05,  25;  M.  Arpad 
„D.  rumän.  Volkslied",  Internat.  Lit.  u.  Mus. -Berichte  03,  9.  Aubry: 
Esquisse  d'une  Bibliographie  de  la  chanson  populaire  en  Europe, 
Paris,  05.  —  S.  S.  97,  152-,  251  f.  —  Volksl.  Nr.  NMZ.  08,  17.  —  „Haus- 
musik des  Kunstwart"  [Batka]. 

^)  Vgl.  0.  Eiben  „  D.  volkstüml,  dtsche.  Männergesang".  2.  A. 
1887.  —  Scheumann,  .,Jul.  Otto,  s.  Leb.  u.  Wirken"  Dresd.  04. 


Sänger- 
blinde. 


Reform 


358  V.  die  moderne  Musikpflege. 

Geschmack,  zu  großes  Wertlegen  auf  bloße  Äußerlichkeiten  und  ge- 
ringer Eifer  zu  ernstem  Üben.  „Nirgend  haben  sich",  bemerkt  Rud. 
Bück  (s.  S.  347),  „Süßlichkeit  und  Maniriertheit  der  Empfindung  so 
breit  gemacht,  nirgends  hat  eine  so  fade,  charakterlose,  ja  lächerHche 
Virtuosität  solches  Unheil  gestiftet.  Nichts  ist  unkünstlerischer  als 
die  landläufige  , Tonmalerei'  in  der  Männerchormusik,  nichts  klein- 
licher. Von  dem  Augenblick,  da  die  Männerchor-Komponisten  an- 
fingen in  dem  gedachten  Sinne  mit  Tönen  zu  malen,  hörten  sie  auf, 
Musik  zu  machen".  In  neuester  Zeit  macht  sich  nun  ein  lebhaft  zu 
begrüßendes  Streben  nach  neuer,  ernsthafter  Neugestaltung  des  Männer- 
chorsatzes  geltend.  Verschiedene  tüchtige  Komponisten  inaugui'ieren 
eine  Reform  desselben ,  stellen  aber  mit  der  aus  der  Wahl  des 
bedeutenderen  textlichen  Vorwurfes  Hand  in  Hand  gehenden  Ver- 
tiefung und  Bereicherung  der  [im  Männerchorsatze  an  sich  recht  be- 
schränkten] Ausdrucksmittel  bisher  ganz  ungewohnte  Anforderungen 
an  die  Ausführenden.  Ganz  richtig  meint  Bück:  ,,wo  Außerordent- 
liches durch  den  Vorwurf  der  Komposition  verlangt  werde,  müsse 
man  auch  außerordentliche  Darstellungsraittel  wagen.  Nur  dürfen 
wir  über  der  Verwegenheit  die  Austührungsmoglichkeit  nicht  aus 
dem  Auge  verlieren  und  keine  Musik  gegen  den  Chor  schreiben. 
Männer  wie  Friedr.  Hegar  sind  mit  gutem  Beispiel  vorangegangen 
und  man  braucht  nur  an  die  farbenfrohen,  eigenartigen  Chöre  des 
Finnen  Jean  S  i  b  e  1  i  u  s  zu  denken  um  zur  Überzeugung  zu  kommen, 
daß  wir  mit  den  Möglichkeiten  noch  lange  nicht  am  Ende  sind,  daß 
sich  mit  dem  eigenen  Ausdruck  auch  die  eigene  Satztechnik  immer 
wieder  von  selbst  einstellen  wird.  Los  von  der  Manier,  jeder  singe, 
wie  ihm  der  Schnabel  gewachsen  ist!  Unsere  Männerchöre  haben  sich 
nun  so  lange  mit  den  Monstrositäten  einer  entarteten  schablonenhaften 
Kunst  beschäftigt,  daß  sie  allein  die  Zufuhr  frischen  Blutes  vor  voll- 
ständiger Degeneration  bewahren  kann.  Die  Tonsetzer  aber  sollten 
sich  mehr  einer  Musikgattung  annehmen,  bei  deren  Pflege  viele  Tausende 
ihre  einzige  musikalische  Anregung  finden."  Man  beseitige  diese 
Klagen,  wähle  insbesondere  gediegene  Werke  (B.  Klein,  Grell,  K. 
Kreutzer,  Schubert,  Spohr,  Weber,  Mendelssohn,  Haupt- 
mann, Jul.  Otto,  Carl  Zöllner,  H.  Marschner,  R.  Schumann, 
F.  Hiller,  Rietz,  Gade,  Veit,  Vierling,  Franz  WüUner,  Möhring  [t  1887], 
Brambach,  Mangold,  Rob.  Franz,  Brahras,  Liszt,  Cornelius, 
J.  Dürrner  [f  1859],  Franz  und  Vinzenz  Lachner,  Reinh.  Becker, 
Bruch,  Filke,  Gernsheim,  Grieg,  Hutter  [*  1848:  „Im  Lager  der 
Bauei'n",  „Ablösung"],  F.  G.  Jansen,  Arn.  Krug,  Rheinberger,  Rieh. 
Strauß,  Reger  [op.  83!],  Jos.  Reiter,  Attenhofer,  Hegar,  Bück, 
Hausegger,  Othegraven,  Thuille,  Woyrsch,  Heinr.  Zöllner,  Engels- 
berg, G  0 1  d  m  a  r  k  ,  Heuberger ;  der  Chormeister  Ad.  Kirchl,  Burg- 
staller  [*  1857,  MD.  Pilsen:  „Sommernacht"],  Hans  Wagner,  Thomas 
Koschat  [*  1845  Klagenfurt,  Wiener  Hofkapellsänger:  populäre  Chor- 
lieder im  typischen  Kärntner  Volkston,  Liederspiel  „Am  Wörthersee"]  ^) 


1)  Vgl.  Marold  „D.  Kärntner  Volkslied  u.  Th.  K."  1895.  —  Neben 
Koschat  beweisen   u.  a.   auch   der  Pariser  G.  L.  Cottrau   ([Kötroh] 


Männergesang. 


359 


Kremser,  Franz  Mair,  Rud.  Weinwurra,  M.  v.  Weinzierl  u.  a.),  schenke 
namentlich  auch  dem  Volksliede  (treffliche  Sammlnugen  von  Sucher 
und  Erk)  besondere  Pflege:  dann  werden  diese  Vereine  musikalische 
Bildung  in  Kreise  hineintragen,  in  die  jene  gröüeren  Institute  mit 
ihrem  Einfluß  nicht  dringen  können.^) 

Außer  den  erwähnten  Vereinen  wirkt  bedeutsam  noch  der 
„AUg.  deutsche  Cäcilien- Verein"  1^67  durch  Franz  Witt 
(183i — 88,  Priester  und  Choraliehrer;  Vokalmessen)  zu  liegensburg 
gegründet  über  ganz  Deutschland,  einen  Teil  der  Schweiz  und  Öster- 
reich und  in  Deutsch- Amerika  verbreitet.  Sein  Zweck  ist,  die  würdige 
Reformation  der  katholischen  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  in 
Verfall  geratenen  Kirchenmusik,  so  daß  sie  sowohl  den  Anforde- 
rungen der  Kunst  als  auch  der  Kirche  entspricht.  (Vereinsorgan: 
„Fliegende  Blätter  f.  kathol.  Kirchenmusik"  und  „Musica  sacra" ;  be- 
lehrende Vorträge  und  Musteraufführimgen  bei  den  Diözesan,-  Bezirks,- 
und  (Teneralvcrsammlungcn  I  Seine  Sorgfalt  widmet  der  Verein  (dem 
es  auch  nicht  an  Gegnern  —  Anti-Cäcilianer  —  fehlt)  dem  gregoriani- 
schen Chorale,  der  polyphonen  Gesangsmusilk  älterer  und  neuerer 
Zeit,  dem  Kirchenliede  in  der  Volkssprache,  dem  Urgelspiele  und  der 
kirchlichen  Instrumentalmusik.'-/  Ahnlich  bildeten  sich  auch  in  der 
protestantischen  Kirche  die  deutsch-evangelischen  Kirchenchor- 
Verbände  in  Mecklenburg,  Schlesien,  Brandenburg,  Sachsen,  Bayern, 
Württemberg,  Baden,  Hessen,  ElsassLotluiugen,  der  Schweiz  usw. 
(mit  dem  ,,Niedersächs.  Chorverband"  [Hannover,  Braunschweig,  Olden- 
burg, beide  Lippe  und  Bremen]  zum  „Deutschen  evang.  Kirchen-Ges.- 
Ver."  vereinigt).     Vgl.  S.  I3S. 

Die  methodische  Behandlung  des  Musikunterrichts 
findet  in  allen  Zweigen  emsige  und  tüchtige  Bearbeiter,  und 
die  Literatur  ist  gerade  auf  diesem  Felde  sehr  reich. ^)  Bemerkens 
wert  pflegen  in  Deutschland   die   Schulbehörden   das  geistliche  und 


t  1874  Neapel)  und  dessen  Söhne  Teodoro  (f  1879  Komponist  von 
Santa  Lucia  und  Addio  mia  bella  Napoli)  und  Giulio,  daß  heute  noch 
Volkslieder  geschaffen  werden. 

^)  Vgl.  Lubrich:  Chorgesangschule  f.  Männergesangvereine 
3.  A.  —  A.  König,  ,,D.  dtsche.  Männerchor,  Lpz.  Lckt. ;  den  Dirigen- 
ten  empfohlen  I    Desgl.   Jos.  Perabaur   „Üb.   d.  Dirigieren",   ebda  07. 

2)  Der  Nestor  unserer  kirchlichen  Vokalkomponisten  ist  Mich. 
Hai  1er  [*  1840)  Kirchen  KM.  und  Kanonikus  Regensburg,  auch 
Theoretiker  [Kompositionslehre  f.  d.  polyphon.  KirchengesangJ). 

■')  Vgl.  (neben  den  einschlägigen  Angaben  im  II.  Teil  dieses  Buches) 
in  der  Kompositionslehre:  die  Werke  von  A.  B.  Marx,  A  Andre, 
S.  W.  Dehn,  Hauptmann,  Weitzmann,  Sechter,  F.  W.  Franke,  E.  F. 
Richter,  H  Bellermaun,  P.  Piel,  M.  Haller,  Reger,  Rud.  Schütz 
(„Musikal.  Grundformen"  OS),  E.  W.  Deg  ner-Weimar  (modern-päda- 
gogisch); in  der  Ästhetik  vgl.  zu  S.  5  Note  noch:  Hanslick,  S. 
303  und  Ambros,  S.  362-) ;  Ehrlich,  „Die  Musik-Ästhetik  in  ihrer  Ent- 
wickelung";  Dr.  Arth.  Seidl  (*  1863,  Hoftheaterdramaturg  Dessau, 
MS.)  „Vom  Musikalisch-Erhabenen.  Prolegomena  zur  Ästhet,  d.  Tonk. 


Cäcilien- 
Verein.. 


Verbände 


Musik- 
Unterricht 


360  V.  Die  moderne  Musikpflege. 

weltliche  Volkslied  in  den  Schulen.  Gleiche  Sorgfalt  beweist  die  Be- 
stimmung des  preussischen  Ministeriums,  dass  in  den  Lehrerseminarien 
auch  Musikgeschichte  gelehrt  werden  soll.  Deren  Kenntnis  ist 
durchaus  notwendig,  um  den  Zusammenhang  der  Tatsachen  begreifen 
und  unsere  heutige  Musik  schätzen  zu  lernen.^)  Als  musikalische 
vatorien.  Fachschulen  wirken  die  Konservatorien  zu  Leipzig,  Wien 
[Bopp],  Prag  (seit  1811  [v.  Käan])'-),  Köln  [Steinbach,  Klauwell],  Dresden, 
Hamburg,  Bonn,  Frankfurt  a.  M ,  Wiesbaden,  Stuttgart  [M.  Pauer], 
München,  Würzburg,  Königsberg  [Kuhns],  Augsburg  und  Sonders- 
hausen [HKM.  Traugott  Ochs ;  ,, Lohkonzerte"]:  in  Berlin  insbesondere 
die  „Hochschule"  [J.  Joachim  f],  die  ,, Akademie"  [Bruch,  Humper- 
dinck,  Gernsheim],  das  ,, Kirchenmusikinstitut"  [Kretzschmar],  ferner 
das  Sternsche  [Hollaender]  und  das  Klindworth  -  Scharwenka-Konser- 
vatorium,  1855 — 90  die  Akademie  von  Franz  KuUak  u.  v.  a.  Privat- 
anstalten.^]  An  der  Spitze  freilich  steht  Paris.  Es  folgen  im  Aus- 
lande namentlich:  Basel,  Genf,  Brüssel,  Petersburg,  London,  jüngster 
Zeit  Tokio.      Vgl.    auch    Dalcroze's   Bestrebungen*)   und   die   Musik- 


1887.  Dr.  Alfr.  S  c  h  ü  z  (MS.  u.  Komp.  Stuttgart ;  s.  a.  a.  0.)  „Zur  Ästhe- 
tik d.  Musik",  Metzler,  Stuttg. —  Beiträge  zur  allg.  Musiklehre  u.  Ästhetik 
liefert  u.  a  H.  Rietsch  (Genet.  Darstellg.  d.  musikal.  Elemente  u. 
Mus.  als  Ton-  spräche  in  „D.  Grundlagen  der  Tonk.,"  Lpz.  07  Teubner), 
der  überdies  zum  ersten  Mal  eine  Systematik  der  modernen  techni- 
schen Errungenschaften  lieferte  (in  „D.  Miis.  i.  d.  2.  Hälfte  d.  19. 
Jhrhdts "  Lpz.  2.  A.  06,  seither  vielfach  nachgeahmt  und  benützt). 
Vgl.  auch  die  ,, Handbücher  d.  Musiklehre  [X.  Scharwenka]  und  Batkas 
Schriften.  In  Bezug  auf  Wesen  und  Bildung  der  Töne  neben 
Helmholtz'  ,,Die  Lehre  von  den  Tonemptindungen",  Zamminer  „Die 
Musik  und  Musik-Instrumente"  (Giessen,  Ricker),  Starke  „Physikal- 
Musiklehre"  Lpz.  08.  Die  moderne  Wissenschaft  beschäftigt  sich 
auch  mit  den  geheimnisvollen  von  der  Romantik  längst  geahnten  Ver- 
bindungen zwischen  verschiedenen  Sinnesreizen :  Tönen,  Farben, 
Düften,  Geschmacks-  und  Tastempfindungen  (z.  B.  dem  Tönesehen, 
Farbenhören,  Geschmackshören  einzelner  Personen  (Synästhesie,  Syn- 
opse;  vgl.  Herm.  Schröder  „Ton  u.  Farbe"  und  ,, Naturharmonien" 
(über  Kombinatioustöne)  Brl.  06.):  auch  die  „getauzte  Musik"  [Isidora 
Duncans  Beethoven  Chopin-TanzenJ  zählt  hier  mit. 

^)  Vgl.  Prof  E.  Krauses  ,, Anleitung  z.  Stud.  d.  Mus.-Gesch.  beim 
Unterr.",  Hamburg  06  und  die  kleinen  Handbücher  der  Mus.-Gesch. 
von  Steuer,  Bei-1.  Ol,  Rieh.  Fuchs,  Wuthmann  u.  a. 

2)  Vgl.  Ambros'  Denkschrift  „D  Konserv.  i.  Prag"  Prag  1858. 
Außerdem  wirkt  in  Böhmen  hervorragend  die  deutsche  Musikschule 
in  Pe tschau.     S.  darüber  Rychnovsky,  Koppmauu  u.  a. 

^)  Zum  Lehrbefähigungsnachweis  für  den  Musikunterricht  an 
Mittelschulen  und  Pädagogien  bestehen  in  Österreich  staatliche  Prü- 
fungskommisionen  zu  Wien,  Prag,  Lemberg.  Vgl.  „Vorschriften  f.  d. 
Mus.  Staatsprüfg.  i.  Prag",  das.  06,  Hoffmanns  Wwe.  *)  S.  S.  38  u. 

Keil :  Dalcroze  u.  d.  musik.  „Pädagogik  d.  Zukunft"  Mus.  Wochenbl.07, 
10.  M.  Lussy:  d.  Kunst  d.  musik.  Vortrags.  Lpz.  Lckt. 


Unterricht.    Schriftwesen.  361 


pädagogischen  Konjrresse  (Hamburg  05,  Berlin  06).  Allerdings  gibt 
es  da  noch  viel  zu  reformieren.  Dr.  W.  A.  Thomas,  der  einer  Erziehung 
der  technisch  unbegabten  Kinder,  anstatt  zur  qualbereitenden  Instrumen- 
taltechnik, zum  kunstverständigen  Zuhören  das  Wort  spricht,  be- 
merkt ^j  hinsichtlich  des  an  unseren  Mittelschulen  irrationell  be- 
triebenen Musikunterrichtes :  ,, Schulen  und  Privatlehrer  müssen  vor 
allem  mit  der  Musikgeschichte  vertraut  machen,  und  dabei  be- 
sonders auch  die  Beziehungen  zur  Kulturgeschichte  klarlegen,  das 
Milieu  in  geistiger  und  wirtschaftlicher  Beziehung  schildern.  In  ganz 
unbilliger  Weise  wird  bis  jetzt  die  T  e  i  1  n  a  h  ui  e  d  e  r  h  e  r  v  o  r  r  a  g  e  n- 
den  Komponisten  an  Zeitideen  und  Geistesrichtungen, 
und  umgekehrt,  der  bedeutende  Einfluß  der  großen  Künstler  auf 
die  Geistes-  und  sogar  Wirtschaftsgeschichte  einfach 
ignoriert". 

Von  hoher  Bedeutung  für  das  musikwissenschaftliche 
Studium  sind  die  Lehrkanzeln  (Professuren)  für  Musik  an  be--  kanzeln, 
rühmten  Universitäten  (Vgl.  S.  7  ^) :  Prag  (Kietsch  [deutsch] 
und  Hostinsky  [tschech.j),  Wien  (Dr.  Gu.  Adler,  vgl.  a.  a.  0.), 
Berlin  ( Kretzschmar)  -  > :  0  x  f  o  r  d,  C  a  m  b  r  i  d  g  e  [Stanford],  E  d  i  n  g- 
burg  [Niecksl.  Dublin  [Proutl.  Ferner  die  öffentlichen  Musik- 
bibliotheken 1  Hi)f,-Universitäts,-Laudes,-  und  Stadt-B.  ;  namentlich  die 
von  Peters-Leipzig')  und  die  musikal.  Volksbibliotheken  zu 
Wien  und  Münclion  seien  genannt. 

Am   Werke  arbeiten   verschiedene    Zeitschriften   rüstig       ^^}}' 

°     schritten, 
mit,  vornehmlich :     „Signale"    Berlin    [Red.    Spanuth],    „Die    Musik" 

Berlin  |KM.  Schuster]),  „AUg.  Musikzeitung"  [Schwers],  ,,D.  Klavier- 
lehrer", musikpädagogisch  (Berlin  [Anna  Morsch]»,  ,,Ncue  Musik. - 
Z."  (Stuttgart,  10.  Kühn]),  „Schweizerische  Musik -Z."  (Zürich,  [Dr. 
NefJ),  „Bayreuther  Blätter".  [H  v.  Wolzogeni,  ,, Rheinische  Musik-  und 
Theater. -Z."  (Köln  (Dr.  Tischer)),  ,, Deutsche  Musiker. -Z."  (Berlin 
[Schaub]),  „D.  Lyra"  von  A.  A.  Naafi"  (Wien),  „Neue  Musikal.  Presse" 
(Wien), ,, Wiener  Zeitschr.  f.  Mus  "  iSpeclit],  ,, Dalibor"  (Prag,  tschechisch 
[Rektorys]),  ferner  der  von  Dr.  R.  Batka  in  Wien^)  redigierte  musi- 
kalische Teil  des  „Kunstwart"  (München  i ;  speziell  für  katholische 


^)  „Glossen  z.  musik.  Kultur",  Signale  l!rt07,  Nr.  58. 

-)  S.  Maurice  Emanuel  ,,La  musique  dans  les  universites  alle- 
mandes"  Paris  18'J8  Besondere  musikalische  Fakultäten  und  Doktorate 
bestehen  nur  in  England ;  in  Deutschland  erfolgt  die  Promotion  durch 
die  Philosophische  Fakultät.  Den  Titel  „Musikdirektor"  oder  „Pro- 
fessor" verleiht  in  Deutschland  der  Kultusminister  an  hervori'agende 
Leiter,  Lehrer  und  andere  Musiker  (Virtuosen,  Komponisten,  Musik- 
schriftsteller) von  allgemeiner  wissenschaftlicher  und  besonderer  musi- 
kalischer Bildung  und  Bedeutung.  In  Österreich  werden  nur  hervor- 
ragende öffentliche  Musiklehrer  durch  den  Professoiiitel  ausgezeichnet. 

3)  S.  Dr.  Schmidkunz:  „Mus.  Bibliotheken",  NMZ.  06,  23. 

*)  *  1868  Prag,  MS.  und  Kritiker  glänzenden  Stils,  vornehmlich 
Ästhetiker.    Über  die  W^erke  („A.  d.  Opernwelt"  07  u.  a.)  vgl.  a.  a.  0. 


362 


V.  Die  moderne  Musikpflege. 


Klassiker- 
Ausgaben. 


Geschichts- 
forschung. 

Forkel. 
Thibaut. 

Kiese- 
wetter. 


Cousse- 
maker. 


HansHek. 

BeUer- 

mann. 

Gevaert. 

Eitner. 


Kirchenmusik:  „Musica  sacra"  [Haberl]  und  „Flieg.  Blätter"  [Fr. 
Schmidt]  (Regensburg),  „Gregoriusblatt"  und  „Gregoriusbote"  (Düssel- 
dorf [Bornewasser]),  ,,Cäcilia"  (Breslau  [Gloger]  und  Straßburg  [Dr. 
Mathias],  „D.  Kirchenchor"  (Bregenz  [Reichart]),  „D.  Chorwächter" 
(Schweiz  [Walther),  Solothurn) ;  ferner  für  evangelische  Kirchen- 
musik :  „Urania"  (Weimar  [Gottschalg]),  „Monatsschrift  f  Gottesdienst 
u.  kirchl,  Kunst"  ( Strasburg  [F.  Spitta  u.  Smend] ),  „Correspondenzblatt 
d.  evang  Kirch.-Ges.-Ver.  f.  Deutschi."  (Leipzig  [Sonne]),  „Fliegend. 
Blätter  d.  evang.  Kirchenmusik- Ver.  i.  Schles."  (Sagan  [Fritz  Lubrich]). 
Für  die  Interessen  der  Männergesangvereine  wirken:  .,D.  Sänger- 
halle" (Lpz.  [Wohlgerauth]),  „Chorgesang"  (Lpz.).    (Vgl.  auch  S.  277.) 

Außerordentlich  billige,  dabei  meist  sehr  sorgfältig  redi- 
gierte Klassiker- Ausgaben  (zugleich  mit  handlicherem  Format,  durch 
den  hierin  bahnbrechenden  Braunschweiger  Verlag  Litolf  ferst  ein- 
geführt; dieser  berühmten  „CoUection  Litoiff"  folgten  weiter  populari- 
.sierend  die  Editionen  C.  F.  Peters-Leipzig,  Augener-London,  Breit- 
kopf &  Härtel-Leipzig  [Volksausgabe],  Steingräber,  Cniversal-Edition- 
Wien)  verbreiten  musikalische  Kenntnisse  in  immer  weiteren  Ki'eisen, 
so  daß  die  Musik  heute  auf  breitester  Grundlage  ruht,  während  sie 
früher  nur  von  wenigen  Bevorzugten  gepflegt  wurde.  Siehe  auch  den 
Bruch  mit  dem  mitteralterlichen  Schlüsselwesen,  der  zopfigen  trans- 
ponierenden Aufzeichnung  einzelner  Instrumenten  (Ausgabe  in  „Laien-(!) 
Partitur^  S.  Ufi). 

Hohen  Aufschwung  nahm  die  Geschichtsforschung. 
Nachdem  J.  N.  Forkel  in  zwei  Quartbänden  (1788  und  1801)  die 
Musikgeschichte  bis  ins  15.  Jahrhundert  fortgeführt  und  Thibaut 
(s.  S.  135*)  beredt  auf  die  Wichtigkeit  des  Studiums  der  Geschichte 
hingewiesen,  erschien  1834  Kiese wetters  Musikgeschichte.  Daran 
schloß  sich  eine  Reihe  Editionen,  die  die  musikalischen  Werke  der 
Vorzeit  jedem  zugänglich  machten  (u.  a.  die  Ausgaben  von  Rochlitz, 
Proske,  de  Witt,  Commer,  Dehn,  Becker,  Kade,  Coussemaker,  Rie- 
mann).  Daneben  schrieben  über  einzelne  Zweige  der  Kunstge- 
schichte :  V.  Winterfeld,  H.  A.  Hoifmann ,  Ph.  Wackernagel ,  Koch, 
Gottfr.  Döring ,  Meister ,  Bäumker ,  Zahn ,  Otto  Kade  u.  a.  über  das 
deutsche  Kirchenlied;  Schubiger  über  St.  Gallen;  Lindner  und  Ed. 
Hanalick  über  die  Oper;  H.  Bellermann  über  die  Mensuralnoten,  Fr. 
Bellermann,  Gevaert,  Westphal  über  griechische  Musik,  Reißmann, 
Friedländer  über  das  Lied,  Lederer  über  den  Ursprung  der  Polyphonie, 
die  Pariser  Musikgelehrten  Aubry  über  mittelalterliche,  Imbert  (f  05) 
über  moderne  Musik.  Besondere  Zeitschritten  („Monatshefte  f.  Musik- 
gesch."  [Robert  Eitner],  „Vierteljahrsschrift  f.  Musikwissensch,"  (vgl. 
S.  205),  das  Jahrbuch  der  Musikbibliothek  Peters  (Leipzig,  bis  1907 
XIV  Jahrgänge  [Dr.  Rud.  Schwartz],  mit  seinem  einzig  dastehenden 
„Verzeichnis  der  in  allen  Kulturländern  erschienenen  Bücher  und 
Schriften  über  Musik" ,  gegenwärtig  eines  der  unentbehrlichsten 
Handbücher),  Haberls  „Kirchenmusikal.  Jahi'b.")  verfolgen  gleiche 
Zwecke.  Ebenso  die  „Internationale  Musikgesellschatf,  eine  „Ver- 
einigung von  Forschern,  Künstlern  und  Freunden  der  Musik  als  Kunst 
und  Wissenschaft,  die  diesen  beiden  eng  verbundenen  SchaÖ'ens-  und 


Schriftwesen.  363 


Arbeitsgebieten  ihre  Tätigkeit  widmet  und  in  Publikationen '),  Vorträgen 
mit  Diskussionen  und  in  Aufführungen  reich  entfaltet.  Sie  erstreckt 
sich  über  alle  Kulturländer"  [Gu.  Adlerj.  Wichtige  Bausteine  sind  auch 
die  Biographien  über  Händel  (Chrysander),  Mozart  (Jahn),  Haydn  (Pohl),  Biographen. 
Beethoven  (Thayer),  Bach  (Spitta),  Weber  (Jahns),  Liszt,  Wagner, 
Palestrina  und  Orlandus  (Bäumker),  Du  F'ay  (Haberl).-')  Alle  Einzel- 
bestrebungen suchte  auüer  dem  hochberühniten  belgischen  Musikgelehr- 
ten F.  J.  Fetis  (1784— I.hTI,  KD.  u.  HKM.  Brüssel,  Komponist:  Bio- 
graphie universelle  des  luusiciens  et  bibliographie  generale  de  la  musique. 
8  Bde.  2.  A.  1860  —  65.  Supplement  von  A  Po  ug  in.  2.  Bde.  1<^78— SO, 
und  „Histoire  generale  de  la  musi(|ue"'.  5  Bde.  1869)  Kiesewetters 
Neflfe  A.  W.  Ambros  (*  Mauth  b.  Pilsen  1H16,  f  Wien,  zuerst  Staats-  -Vmbros. 
anwalt,  l'niv.-Prof.  d.  Musik  und  KP.  Prag,  dann  Ministerialbeamter 
und  KP.  Wien,  auch  Komponist  Schumaunscher  Richtung,  vgl.  S.  277^])^) 
in  seiner  grolJartig  angelegten ,  glänzend  stilisierten ,  leider  un- 
vollendet gebliebenen  „Geschichte  der  Musik"  (Lpz.,  Lckt.) 
als  Ganzes  zusammenzufassen.  Willi  Laughans  (^11892)  füllte  die 
Lücke  durch  seine  „Geschichte  der  Musik  des  17.,  18.  und  10.  Jahr- 
hunderts", 2  Bde.,  aus.  AuLierdem  fügte  Utto  Kade  dem  Ambrosschen  Kade. 
Werke  einen  V.  Bd.  hinzu,  mit  einer  ansehnlichen  Reihe  wertvoller, 
bisher  meist  ungedruckter,  in  den  Bibliotheken  Deutschlands.  Frank- 
reichs und  Italiens  größtenteils  als  Unica  aufbewahrter  musikalischer 
Kunstdenkmäler  des  15.  und  16.  Jahrhunderts.  Franz  Brendel  (f  18fi8) 
brachte  in  seiner  Geschichte  (7.  A.  [KienzI]  1888)  die  Musik  in  Ver- 
bindung mit  den  neudeutschen  Zeitideen.  Es  schlössen  sich  in  der 
allgemeinen  Musikgeschichtsschreibung  an:  Em.  Naumann  (2  Bde.,  Naiunann. 
unnötig  verlästert,  NA.  [Dr.  Schmitz: i:  A.  Svoboda  (2  Bde.,  der 
erste  besonders  wertvoll  durch  seine  Hinweise  auf  Musik  und  Poesie, 
der  zu  mosaikartige  zweite  anfechtbar)  [ill.],  A.  v.  Dommer,  Köstlin,  Dommer. 
Prosa  itz  (•  1<S2;»  Prag,  KP.  Wien),  Dr.  Hugo  Hiemann  (*  1849,  Riemann. 
Univ.-MP.  Leipzig,  erstaunlich  fruchtbar  als  Musikgelehrter  [reformie- 
rend auf  dem  Gebiet  der  Methodik  des  Musikunterrichtes,  vgl.  a.  a.  0.], 
Komponist  [Kammerwerke  u.  a.j  und  Herausgeber  älterer  Musikwerke), 
Batka.  Storck,  Keller  [ill.];  das  19.  Jahrh.  beleuchten  Riemann, 
Merlan,  Kietsch,  Seidl,  Grunsky,  Niemann  u.  a.  (vgl.  a.  a.  0.)*)  Zum  neuesten 


1)  Sammelbände  der  LMG.  [1899—04  0.  Fleischer," seither  M.  Seiflfert]. 

'^)  S.  a.  a.  0.  Mußten  wir  da  und  dort  das  Wort  „überschwänglich" 
beifügen  (der  Vorwurf  trifl't  nach  Ansicht  vieler  auch  des  Verfassers 
Franz  Biographie),  so  sei  an  Hebbels  Ausspruch  erinnert:  „Biographie 
soll  keine  Rezension  sein,  darum  muß  die  Liebe  sie  schreiben." 

^)  Weitere  Schriften:  „D.  Grenzen  d.  Poesie  u.  Mus."  2  A.  1872 
[Entgegnung  auf  Hanslicks  „V.  Musikal -Schönen"],  „Kulturhist.  Bilder 
a.  d.  Musikleb.  d.  Gegenw."  2.  A.  1865,  „Bunte  Blätter"  2.  A.  1896, 
„Kl.  Schriften  a.  d  Nachlaß":  „Abriß  d.  Mus.  Gesch.",  „Vorlesungen 
f.  Kronprinz  Rudolf  v.  Österr." 

*)  Hierhergehören  auch  die  Musiklexika,  neben  Fetis,  Grove 
(s.  ob..  aus  neuester  Zeit  vornehmlich  von  Riemann ,  6.  A.  05;  R. 
Eitner  (s.  S.  128,  Note),  Bremer-Schrader,  Lpz.  Reclam,  05*. 
Ferner  F.  Pazdireka  Universal-Handb.  d.  Musikliter,  aller  Völker. 


364 


V.  Die  moderne  Musikpflege. 


Denkmäler, 


Histor. 
Konzerte. 


Kritik. 


rechnen  die  „Handbücher  der  Musikgeschichte",  4  Bde.  08  (Geschichte 
der  einzelnen  Formen  nach  Gattungen)  von  Herm.  Kretzschmar 
(*  1848,  Univ.-P.  f.  Mua.  Berlin,  bekannt  durch  seinen  ^.Führer  durch 
d.  Konzertsaal",  3  Bde.  1887  fi".).  Tschechisch  schrieben  Stecker  und 
Branberger. 

Hand  in  Hand  mit  den  uns  bereits  bekannt  gewordenen 
Neu-Publikationen  alter  Meisterwerke  (Paleographie  musicale, 
„Denkmäler")  gehen  die  immer  zahlreicher  veranstalteten  histo- 
rischen Aufführungen  ;  so  besonders  Riemanns  Collegium  musicum  in 
Leipzig,  die  aufsehenerregenden  „100  historischen  Konzerte" 
des  Musikforschei-s  Dr.  E.  B  o  h  n  (*  1839)  zu  Breslau.  Eigene  Künstler- 
gesellschaften, so  die  „Deutsche  Vereinigung  für  alte  Musik"  in  München, 
die  Pariser  „Societe  de  concerts  d'  Instruments  anciens"  führen  allent- 
halben Werke  früherer  Zeit  anmutend-stilgemäß  mit  den  alten  Instru- 
menten auf.    Schädigend  wirkt  nur   ein   ungeschicktes   Modernisieren. 

Wesentlich  fördernden  Anteil  nimmt  auch  die  Kritik 
der  P"'ach-  und  Tagespresse,  sofern  sie  ihre  verantwortungsreiche  Auf- 
gabe —  die  kunstgerechte  Beurteilung  der  Werke  und  Leistungen  — 
sachlich,  mit  sittlichem  Ernst  und  reinen  Händen  erfüllt,  nicht  einseitig 
auf  eine  Eichtung  schwört  oder  das  „Verreißen  um  jeden  Preis"  an 
die  Stelle  der  Achtung  vor  dem  Kunstarbeiter  setzt.  Leider  hört  man 
oft  „von  Kritiker-Erscheinungen  unserer  Tage,  deren  Auftreten  niu* 
pathologisch  zu  erklären  ist,  bei  denen  Anfälle  von  Größenwahn  offen- 
bar Überlegung,  Vernunft,  Verantwortlichkeitsgefühl,  anständige  Ge- 
sinnung erstickt  haben".  Dr.  Batka  meint:  „Nichts  hat  der  richtigen 
Erkenntnis  von  Menschen  und  Dingen  mehr  geschadet,  als  der  Wille 
zur  Geistreichigkeit  J^inem  klingenden  Apercu,  einem  witzigen  Wort- 
spiel zu  Liebe  sind  Meisterwerke  verurteilt,  sind  Stümper  gelobt  worden. 
Geist  wird  leicht  zum  Widersacher  der  Sachlichkeit."  Zu  den  Aus- 
wüchsen gehört  die  sog.  „Nachtkritik";  sie  „degradiert  den  Kritiker  zum 
Reporter.  Ein  Künstler,  der  nach  jahrelanger  Arbeit  und  Entsagung 
sich  in  einem  Konzert  dem  Publikum  präsentiert  und  an  dieses  die 
Lebensfrage  seiner  Qualifikation  stellt,  ein  Komponist,  der  seines  Geistes 
und  Herzens  Kind  der  Öffentlichkeit  schenkt,  um  von  ihr  zu  erfahren, 
ob  sie  das  Dargebotene  akzeptiert,  —  sie  sind  Missionäre  der  Kultur. 
Eine  Kulturäußerung  aber  bewertet  man  nicht  nach  reichlichem  Tage- 
werk auf  den  ersten  Eindruck  hin  Nachts  zwischen  11  und  1  Uhr  mit 
dem  Schlaf  in  den  Augen,  mit  ungeklärtem  Hirn  und  Herzen."  ^) 

Rieh.  StranU  wünscht  Gerechtigkeit  und  Liebe  auch  für  die  ge- 
diegenen Schöpfungen  der  „Meister  zweiten  Ranges",  und  daß  „weniger 
die  Praxis  befolgt  würde,  Unzulänglichkeiten  aufzuweisen,  als  vielmehr 
das  reichlich  vorhandene  Wertvolle  und  Echte  klar  hervorzuheben  und 
dem  Publikum  mundgerecht  zu  machen."  Alles  in  Allem  muß  anerkannt 
werden,  daß  die  Gegenwart  die  Beziehungen  der  Tonkunst  zum  Geistes- 
leben   ihre  Bedeutung  als  Kulturmacht   zu   würdigen  weiß,   ihre  Auf- 


')  S.  „Harmonie-Kalender"  auf  1908,  S.  22.  —  Vgl.  Dr.  Altmann: 
,Kritik   ein  P'ach  des   musikalischen  Unterrichts?"  N. Z.  f.  M.  04,  6  — 


überschau  und  Ausblick.  365 

gäbe  begreift  und  mit  Ernst  zu  erfüllen  sucht. ')  Für  die  materiellen 
Interessen  der  Musiker  sorgen  —  allerdings  noch  zu  wenig  —  Ver- 
bände und  Genossenschaften.  Überschau. 

Die  Entwickelungsperioden  der  Musikueschichte  überschau- 
end, erblicken  wir  als  Marksteine :  Gregor  den  Großen  für 
den  liturgischen  Choral,  Palestrina  und  Lasso  für  die 
Kirchenmusik,  Händel  und  Bach  für  Kantate,  Ora- 
torium und  Fuge,  Stamitz-Haydn- Mozart-Beethoven 
und  Berlioz-Liszt-Wagner  für  Instrumentalmusik 
und  Oper.  Aus  der  Epoche  des  Realismus  (Nachahmung,  Nieder- 
länder) gelangten  wir  in  die  des  Ideali  snius  (Palestrina,  Klassiker, 
Klassizisten)  und  stehen  nun  mitten  in  jener  des  Naturalismus 
(Neuromantik\  die  nach  immer  schärferer  Betätigung  des  Naturgefühles 
strebt.  Ob  das  einen  „Verfall"  (Deoadence)  bedeutet?  Ob  jetzt  noch  purtschritt. 
ein  Fortschritt  möglich  sei?  Zweitellos  besteht  er  schon  in 
technischer  Beziehung,  in  der  Behandlung  der  Instrumente, 
insbesondere  des  Pianoforte,  und  in  der  Kunst  des  Ins trumentierens. 
(Vgl.  Rietsch  :  „D.  Mus.  i.  d.  2.  Hälfte  d.  l!t.  Jahrh."  i  Erwägt  muß  werden : 
verhältnismäljig  selten  erscheinen  epochemachende  Genies,  beherrschen 
dann  aber  die  Nachwelt  auf  lange  Zeit ;  die  Bestrebungen  der  Talente 
gehen  nicht  für  die  Kunst  verloren,  sie  bearbeiten  gleichsam  das  Acker- 
feld, in  das  ein  GrülJerer  das  Samenkorn  der  neuen  Zeit  legt.  So  er- 
scheint obige  Frage  unmotiviert.  Der  Blick  auf  den  Stand  und 
die  Pflege  der  Kunst  von  heute  genügt.  Kein  Bangen  um  ihre  Ausblick. 
Zukunft,  wo  so  viel  neue,  tüchtige  Männer  an  der  Arbeit  sind 
und  musikalisches  Neuland  (exotische,  Vierteltonrausik,  vgl.  Ein- 
leitung j  in   Sicht  ist.  ") 


*)  Vgl.  hier  A.  vSchüz'  oben  (S.  ^60)  genanntes  übera\is  wertvolles 
Buch.  —  Bemerkenswert  sind  u.  a  auch  die  neuesten  Versuche,  die 
Musik  in  Arbeitshäusern  und  Krankenanstalten,  dort  als  Antrieb-,  hier 
als  Heilmittel  (Musiknarkose  u.  a.)  heranzuziehen  —  allerdings  nur  dort, 
wo  nicht  eine  krankhafte  Abneigung  gegeu  Musik  vorliegt. 

-)  Vgl.  noch  schließlich:  Dr.  0.  Fleischer,  D.  Bedoutg.  d.  inter- 
national. Mus.-  u.  Theater-Ausstellg  i  Wien  f.  Kunst  u.  Wissensch.  d. 
Mus.  (ill.),  Lpz.,  Eckt.;  dazu  den  Fachkatalog  [Dr.  Gu.  Adler],  Wien, 
1892  sehr  wertvoll).  —  Dr.  A.  Reißmann  „D.  Mus.  als  Hilfsmittel  d. 
Erziehung"  1887.  —  Dr.  W.  Thomas:  „Musik  als  Mittel  z.  Willenser- 
ziehung". Rhein  Theat.  u.  Mus.  Ztg.  0«.  10.  Dr.  Olga  Stieglitz:  D. 
sprachl.  Hilfsmittel  für  Verständnis  u.  Wiedergabe  von  Tonwerken,  06. 
H.  Ehrlich,  Aus  allen  Tonarten,  b'tudien  über  Musik.  1888;  30  Jahre 
Künstlerleben.  1893 :  Schlaglichter  und  Schlagschatten  aus  der  Musik- 
welt 1872.  Ph.  Spitta,  Zur  Musik.  16  Aufsätze.  1892.  Carl 
G.  P.  Graden  er.  Gesammelte  Aufsätze  über  Kunst,  vorzugsweise 
Musik.  1872.  L.  Ehlert,  Aus  der  Tonwelt.  2  Bde.  1877  und  1884. 
Fr.  Kuliak:   D.  Vortrag  i.  d.  Mus.  am  Ende  d.  19.  Jahrb.,   Lpz.  Lkt. 


Zinken. 


Krummhörner. 


Nr.  353—4  des  de  Wit-Kataloges. 
Vgl.  S.  92  t. 


Zweiter,  besonderer  Teil. 

Notizen  zur  Geschichte  des  Orgel-,  Violin-,  Klavierspiels 
und  des  Gesanges,  wie  des  deutschen  Kirchenliedes. 


Positiv 
im  RoJcokostil. 

Inschrift : 
Dieses  Werk  Hat  Ver- 
fertiget Adalbert  Beer, 
seiner  Kunst  Mignatiir- 

Mahler  und 
Orgelmaclier  Aldstadt 
Prag  in  der  Jesuiter- 
gassen  den   17.  April 
1757. 


1 ~Tll 

/'!£' 

Nr.  91  des  de  Wit-Katalogcs. 


VI.  Zur  Geschichte  des  Orgelspiels. 

21.  Die  Orgel,  ihr  Bau  und  ihre  Meister. 

Die  Erfindung  der  Orgel  (lat.  organum;  dieser  Ausdruck  bedeutet 
—  von  der  uns  bekannten  Musikform  gleichen  Namens  abgesehen  — 
ursprünglich,  so  auch  in  den  Psalmen  Davi<ls  ein  Musikinstrument  über- 
haupt] ^)  ist  in  tiefes  Dunkel  gehüllt.  Sie  entwickelte  sich  erst  während  ^„,;i„^e_ 
eines  Zeitraumes  von  fast  2000  Jahren  zur  „Königin  der  Instrumente" 
[Mozart',  die  einzig  über  den  ganzen  für  die  praktische  Musik  möglichen 
Tonumfang  von  8  (»ktaven  (Co— c^)  gebietet.  Sie  hat  eine  sehr  plebe- 
jische Abstammung:  von  Hirtenflöte-)  und  Dudelsack  (s.  S.  K^,  29. 
Im  2.  .Jahrhundert  v.  Chr.  bereits  taucht  neben  der  heiklen  und  teueren 
Wasser orgel  (s.  S.  29;  sie  war  ein  Liebingsinstrument  des  Kaisers  Wasser- 
Nero)  schon  die  Windorgel  mit  Bälgen  und  einer  Art  Klaviatur  auf.  ^vindoro-el 

Die  erste  0.  in  Deutschland  war  ein  Geschenk  des  Kaisers  (  on- 
stantin  Kopronymus  an  den  Majordomus  Pippin  den  Kurzen.  Sie  hatte 
bleierne  Pfeifen.  Auch  unter  Karl  d.  Gr.  kamen  griechische  <).n  in  das 
Abendland  und  wurden  hier  nachgeahmt.  SSO  lielj  Papst  Johann  VIII. 
aus  Deutschland  eine  0.  und  einen  Urgelspieler  kommen:  Deutschlands 
Orgelbauer  hatten  also  bereits  Ruf.  Nun  kam  die  0.  in  den  Kirchen  Bau. 
nach  und  nach  in  Gebrauch,  fand  jedoch  bei  ihrer  Unvollkommenheit 
Gegner,  und  einige  Kirchen,  z.  B.  die  Sixtina  (s.  dort)  und  die  refor- 
mierten der  Schweiz  besitzen  noch  heute  keine.  Fanatische  Bilder- 
stürmer zerstörten  wohl  auch  die  Orgeln. 

Zu  diesem  gewöhnlich  sehr  stiefmütterlich  behandelten,  und  doch 
überaus  wertvollen  Kapitel  der  Musikwissenschaft  steuert  Karl  Walter 
folgende  Tatsachen  bei:^)  ,,Die  Abneigung  besonders  Zwingli's  nicht 
nur  gegen  die  Orgel,  sondern  auch  gegen  jedweden  Gesang  in  den 
Kirchen  ist  ja  bekannt.  Im  Jahre  1527  am  8.  Dezember  wurde  die 
Orgel  im  Großmünster  zu  Z  ü  r  i  c  h  ,  welche  1.507  neu  angeschafft  worden 
war,  glatt  abgebrochen,  nachdem  der  Rat  bereits  im  Juni  1524  ihren 
Gebrauch  verboten  hatte.  Der  Gesang  in  der  Kirche  verstummte  völlig. 
Erst  159S  öffnete  die  Kirche  zu  Zürich  sich  dem  Gemeindegesange."  *) 
Am  28.  November  1528  wurde  die  große  Orgel  aus  dem  St.  Vincenz- 
Münster  in  Bern,  ein  berühmtes  Kunstwerk  mit  32  Registern,  das 
man   auf  15000  Gulden   schätzte,    von  den   Ratsherren   dem  Meister 


')  Der  Prophet  Daniel  erwähnt  ein  Teinpelinstrument  „Maschrokita"  die  eine 
Art  Doppel-  oder  Pansfiöte  gewesen  sein  soll.  —  Tahnudisten  fabeln  von  einer 
eine  Elle  breiten  tragbaren  Orgel  „Magrepha-,  die  im  Tempel  aufgestellt  und 
10000  Schritte  im  Umkreise  von  Jerusalem  zu  hören  gewesen  sei.  Forkel  gibt 
(Gesch.  d.  M.  S.  137)  eine  Beschreibung  und  Abbildung  der  Magrepha.  Xach 
dem  Urteil  neuerer  Forscher  war  das  Instrument  eine  —  Pauke. 

*)  Die  hl.  Cäcilia  wird  häufig  mit  dieser  Pansfiöte  abgebildet. 

•)  KMJ.  Ol,  8.  168  flf.  *)  G.  Rietschel:   D.  Aufgabe  der  O.  im  Gottes- 

dienste bis  i.  d.  18.  Jahrh.  Lpz.  1893,  S.  17. 

Kothe-Prochazka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.         24 


370  V^-  Zur  Geschichte  des  Orgelspiels.  > 

Kaspar  Kolmar,  Organist  in  Sitten,  um  130  Kronen  verkault.  Ein  Teil 
der  Bilder  wurde,  „nachdem  man  zuvor  alles  Gold  daran  abgeschaben," 
in  die  Aar  geworfen,  oder  auf  dem  Kirchhofe  verscharrt.  Zu  den 
vom  Rate  noch  ferner  weggenommenen  Kunstschätzen  gehörten :  „Eine 
Orgel  mit  9  Registern  zu  dem  Chor-Altar,  kostet  2000  Pfund.  Noch 
eine  Orgel  von  12  Registern  zu  U.  L.  Frauen-Altar  gehörig,  war  auf 
die  1200  Gulden  wert."  i)  Der  Organist  Moriz  Kröul,  kaum  ein  Jahr 
am  Münster  angestellt,  blieb  in  der  Stadt  und  lebte  kümmerlich  seit 
1532  als  Pfründner  im  dortigen  oberen  Spital.  Bis  z.  J.  1567  ver- 
zeichnen die  Akten  eine  lange  Reihe  Unterstützungen  an  ihn,  teils  in 
Geld,  teils  in  Naturalien.  Am  10.  März  1528  wurde  zu  Konstanz 
der  katholische  Glaube  durch  Ratsdekret  gänzlich  unterdrückt.  Die 
Altäre  wurden  abgebrochen,  weil  der  Heiland  beim  letzten  Abendmahle 
mit  seinen  Jüngern  nicht  an  einem  Altare,  sondern  ,,zu  Tische"  ge- 
wesen sei.  Die  Orgeln  entfernte  man  als  Götzenwerk.  April  1531 
berief  der  Rat  der  Stadt  U  1  m  die  Prediger  Butzer,  Blawer  und  Öco- 
lampadius  zur  Vornahme  der  Reformation.  Mitte  Juni  wurde,  wie  ein 
Anhänger  der  neuen  Lehre  sich  ausdrückt,  ,,dem  schönen  herrlichen 
Münstergebäu  ein  solcher  Schandfleck  angeklekert,  der  in  Ewigkeit 
davon  nicht  wird  ausgewischt  werden."  Alle  Altäre,  über  50  an  der 
Zahl,  alle  Bildnisse  wurden  ,,in  Grund  zerrissen  und  zerbrochen",  sogai- 
die  zwei  herrlichen  Orgeln  der  Kirche  als  ,, Teufelswerk"  zertrümmert. 
,,Sie  haben,"  sagte  der  Superintendent  Dietrich,  „die  zwo  schönen 
Orgeln  über  einen  Haufen  heruutergestürmt,  und  als  sie  das  Korpus 
mit  den  Pfeifen  in  der  großen  Orgel  nicht  füglich  abheben  können, 
Seilen  und  Ketten  darum  gebunden,  an  selbige  nachmals  Pferde  ge- 
spannt und  durch  deren  Gewalt  auf  einmal  herunterreißen  und  über 
einen  Haufen  stürzen  lassen."  Von  Ulm  reisten  Butzer,  Blawer  und 
Öcolampadius  nach  Biber  ach,  um  auf  Einladung  des  Rates  auch 
dort  „den  Antichrist"  zu  zerstören.  Am  29.  Juni  1531  fand  unmittel- 
bar nach  einer  Predigt  der  Bildersturm  und  Kirchenraub  statt.  „Von 
18  Altären  in  der  Pfarrkirche  blieb  nur  ein  einziger  stehen.  Die  Orgel 
wurde  zerschlagen.  Götzen  und  Meß  sind  abgetan,"  meldete  Butzer 
in  heiterster  Stimmung  aus  Biberach.  Eine  Notiz  aus  dem  ehemaligen 
Herzogtume  Nassau,  der  Heimat  des  Referenten  (Walter),  mag  diese 
traurigen  und  jeden  Kunstfreund  tiefbetrübenden  Mitteilungen  einstweilen 
abschließen.  ,,Seit  Graf  Johann  der  Ältere  1581  auf  Entfernung  der 
Orgeln  aus  den  Kirchen  gedrungen  hatte,  ,, nicht  aus  Verachtung,  sondern 
weil  Lehren  und  Beten  die  fürnehmsten  Stücke  des  Gottesdienstes  seien," 
war  in  Herborn  erst  1637  wieder  auf  Betreiben  des  Professors  der 
'J'lieologie  Irten  eine  Orgel  angekauft,  nicht  ohne  Widerspruch  des 
Magistrats  und  noch  1786  wurde  bei  schwerer  Strafe  den  Kirchspielen 
untersagt,  sich  eigenmächtig  Orgeln  anzuschaffen.  In  der  Inspektion 
Dillenburg  waren  im  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  Orgeln  nur  in 
Haiger,  Ebersbach,  Emmerichenhain  und  Liebenscheid,  in  der  Inspek- 
tion Diez  dagegen  in  allen  13  Kirchspielen." 

1)  Vgl.  auch:  Rob.  Frenzel,  „D.  O.  u.  ihre  Meister".    2.  A.  Dresd.  1S94,  S.  23. 

-  t'ber  die  in  Enfflaiid  unter  der  Refrierunfj   der  Königin   Elisabeth  (l.^.'iS— 1C03) 

..ijetroft'enen  neuen  gottesdienstlichcn  Einrichtungen  von  durchaus  puritanischer, 

kunstfeindlicher  Art"  berichtet  ganz  kurz:  A.  (4.  Ritter,  yZ.  Gesch.  d  Orgelspiels". 

1.  Bd.  L|iz.  1884.     .S    45. 


Orgelbau. 


371 


Orgel- 
sehlagen. 


Mixtur. 

14.— 15. 
Jahrh. 
Pfeifen. 


Die  Orgelbauer  jener  Zeit  waren  meist  Mönche.  Man  baute 
kleine,  tragbare  O.n  (Portativ  e )  und  feststehende  größere  (Positive). 
Eine  0.,  962  für  Winchester  gebaut,  hatte  bereits  2  Handklaviaturen 
zu  je  10  Tasten,  26  plumpe  (Schmiede )  Bälge,  die  von  70  Männern 
,,im  Schweiße  ihres  Angesichts"  niedergedrückt  wurden,  und  4W  Pfeifen. 
40  Pfeifen  kamen  auf  eine  Taste,  so  daß  ihr  Ton  mit  dem  Donner 
verglichen  wurde.  Dieses  „Kiesenwerk"  ^)  wurde  vou  zwei  Organisten 
„gespielt",  da  die  Tasten  eine  Elle  lang  und  .'5—7  Zoll  breit  und  1  Fuß 
tief  waren,  so  daß  jede  Hand  nur  immer  einen  Ton  angeben  konnte. 
Von  einem  Spielen  im  heutigen  Sinne  konnte  nicht  die  Rede  sein. 
Man  mußte  die  Tasten  mit  der  Faust  hinabschlagen  (daher  „Orgel- 
schlagen'') oder  mit  dem  Ellenbogen  hinabdrücken.  Man  konnte  nur 
den  Sängern  den  ersten  Ton  angeben  oder  die  Choral-Melodie  mit- 
spielen. Als  das  „Organum"  aufkam,  konnte  nur  mit  beiden  Händen  Organum. 
Grundton  und  Quinte  angegeben  werden ;  für  die  Oktave  war  ein 
zweiter  Spieler  notwendig,  l'm  das  ,. Organum"  von  einem  Spieler 
ausführen  zu  lassen,  erfand  man  das  Quinten-  und  Oktaven-Register 
und  die  Mi.xtur  is.  S.  70)  und  unt. i. 

Die  Pfeifen  (aus  Kupfer,  Blei,  Zinn,  Silber,  Glas,  Elfenbein  und 
aus  verschiedenen  Holzarten;  man  fand  aber  bald,  daß  Zinn  und  Holz 
sich  am  besten  eignen)  waren  den  alten  Kirchentonarten  entsprei-hend 
rein  diatonisch  geordnet,  so  daß  die  Oktave  nur  drei  halbe  Töne 
€-/,  a-6  und  h-c  enthielt.  Nach  und  nach  vermehrte  man  den  l'mfang 
der  Orgel  durch  c  hrom  a  tisch  e  Töne;  das  bedingte  eine  Verkleine- 
rung der  Tasten.  Erst  von  da  ab  konnte  von  einem  kunstmäßigen 
Spiele  die  Rede  sein.  So  baifte  1361  der  Priester  N  ico lau  s  Faber 
die  große  0.  für  den  Dom  zu  Halber  Stadt  mit  14  diatonischen  und 
8  chromatischen  Tiinen  von  // — u,  mit  3  Klavieren  und  20  Falten- 
bälgeu.  Die  nach  Struktur  und  Klangcharakter  zusammengehörigen 
Pfeifengruppen  wurden  R  e  g  i  s  t  e  r  (Stimmern,  die  nach  der  Pfeifen- 
länge verschiedenen  Tonhöhen  der  einzelneu  Oktaven  F  u  ß  t  o  n  ( Fuß- 
ton- jetzt  Metertonmaß)  genannt. 

.Mit  der  Entwickelung  und  Größe  der  0  stieg  auch  die  Zahl  der 
Handklaviaturen  (Manuale),  in  der  Neuzeit  bis  zu  5  (Haupt-,  Ober- 
und  Unterwerk,  Soloklavier  und  Echowerk). 

Die  Erfindung  des  Pedals  i Fußklaviatur  ,  einem  Organisten  zu 
Venedig,  Meister  B  e  r  n  h  a  r  d  i  mit  dem  Beinamen  der  Deutsche  1 470), 
zugeschrieben  erfolgte  bereits  Anfangs  des  14.  Jahrhundert  in  Deutsch- 
land. Anfangs  von  einfachster  Struktur  (an  den  breiten  Orgeltasten 
Seilschlingen,  die  man  mit  dem  Füßen  hineintretend  anzog)  erhielt  es 
später  eigene  Tasten  und  Pfeifen,  mehr  Töne  und  eine  eigene  "Wind- 
lade. Das  Pedal  verlieh  der  0.  eine  besondere  Gravität,  und  diesen 
Vorzug  würdigend,  baute  man  fortan  alle  größeren  Werke  mit  Pedal, 


Register. 
Kuüton. 

Manual. 
Pedal. 


1)  Wie  der  Maßstab  für  „Riesenwerke"  sich  ändert,  erkennt  man  aus  einer 
Vergleiehung  der  obigen  Orgel  mit  der  in  neuester  Zeit  in  der  Albert-Halle  zu 
London  erbauten  Diese  hat  bei  vier  Manualen  und  Pedal  ill  klingende  Stim- 
men, 9000  Pfeifen  und  erhält  den  Wind  durch  die  Kraft  zweier  Dampfmaschinen. 
Die  Riesenorgel  auf  der  Weltausstellung  St.  Louis  [Fleming]  hatte  ö  Manuale, 
1-10  Registerzüge  10059  Pfeifen:  in  den  zwei  grüßten  hatten  zwei  Männer  oder 
ein  Pony  Platz.  Zwei  Elektromotoren,  je  10  Pferdekräfte,  versorgten  das 
Gebläse. 

24* 


372'  VI.  Zur  Geschichte  des  Orgelspiels. 

so  von  1475  —  99  die  O.n  in  der  Bariüßerkirche  zu  Nürnberg  und 
^werk'  ^"  *^^°  Kathedralen  zu  Bamberg  und  Erfurt.  Manual  und  Pedal, 
die  Registerknöpfe  (sämtlich  im  „Spieltisch"  enthalten)  und  der  beim 
Tastenniederdruck  die  Pfeifenventile  öffnende  Mechanismus  bilden  das 
Regierwerk  (Traktatur). 

Bis  in  das  14.  Jahrhundert  war  man  nicht  imstande,  die  einzelnen 

Windwerk  Register  gesondert  ertönen  zu  lassen,  es  erklangen  alle  zu  einer 
Taste  gehörenden  Pfeifen  immer  gleichzeitig.  Zur  Beseitigung  dieses 
Übelstandes    erfand    man     am    Schlüsse    des     14.    Jahrhunderts     die 

Springlade.  S  p  r  i  n  g  1  a  d  e.  Sie  hatte  nach  J.  H.  Töpfer  („Lehrbuch  d.  Orgelbau- 
kunst" IL,  972)  Kanz eilen  (Kammern)  und  Kanzellen ventile, 
wie  unsere  Schleiflade  (s.  u.) ;  unter  jedem  Pfeifenloche  aber  ein 
kleines  Ventil,  das  den  Wind  nach  der  Pfeife  hin  absperrt  oder  zu- 
läßt. „Zu  jeder  Stimme  gehören  also  so  viel  Ventile,  als  dieselbe 
Pfeifen  hat,  wenn  es  nämlich  eine  einfache  Stimme  ist,  oder  auch  so 
viel  Ventile,  als  dieselbe  Chöre  hat,  wenn  es  eine  gemischte  Stimme 
ist.  Beim  Anzüge  eines  Registers  wurden  die  sämmtlichen  zu  der  be- 
treffenden Stimme  gehörigen  Ventile  niedergedrückt,  d.  h.  von  den 
Pfeifenlöchern  entfernt."  Wurde  das  Register  hineingestoßen ,  so 
sprangen  jene  Ventile  vermöge  der  darunter  befindlichen  Messing- 
federn wieder  zu  —  daher  der  Name  „S  p  r  i  n  g  1  a  d  e"  — ,  was  zahlreiche 
Stockungen  und  Reparaturen  veranlaßte.     Diese  Cbelstände  beseitigte 

Schleiflade.  (Jie  weit  einfachere  Schleiflade,  bei  der  der  Wind  mittelst  einer 
verschiebbaren  Schleife  zu  den  Pfeifen  eines  Registers  Zutritt  erhielt 
oder  davon  abgesperrt  wurde. 

Satt  der  Spring-  und  Schleifladen  gebrauchte  man  wohl  auch 
Kegeiinde.  Kegelladen.  Die  ältesten  in  Deutschland  baute  Hausdörfer  (um 
1750  Orgelbauer  in  Tübingen).  Bei  der  Kegellade  wird  statt  des 
Ventils  ein  Kegel  benutzt ,  um  den  Windzutritt  zu  jeder  einzelnen 
Kanzelle  zu  regeln.  Da  heute  Walcker,  W.  Sauer,  Schlag  u.  a.  aus- 
schließlich Kegelladen  bauen,  während  andere  Orgelbauer  der  Schleif- 
lade den  Vorzug  geben,  so  ist  ein  näheres  Eingehen  geboten.  Die 
Verfechter  der  Kegelladen  führen  als  deren  Vorzüge  an:  1.  Der  Ton 
des  vollen  Werkes  ist  frischer  und  kräftiger,  weil  jedes  Register  seinen 
besonderen  Windkasten  hat,  während  bei  der  Schleiflade  alle  auf  ihr 
stehenden  Stimmen  nur  einen  Windkasten  haben,  und  alle  gleich- 
namigen Pfeifen  der  verschiedenen  Stimmen  aus  derselben  Kanzelle 
gespeist  werden,  wodurch  sich  der  Wind  notwendigerweise  verdünnt, 
und  der  Ton  weniger  frisch  und  kräftig  erscheint.  "2.  Die  Spielart  ist 
leichter,  weil  die  Kraft  der  bei  Schleifladen  vorkommenden  Haupt- 
ventilfeder nicht  zu  überwinden  ist.  3.  Das  Brechen  und  Erlahmen 
dieser  Federn  ist  nicht  zu  befürchten.  4.  Das  Durchstechen  der  Töne 
ist  unmöglich.  5.  Die  Intonation  ist  besser,  und  es  lassen  sich  die 
neueren  Erfindungen  leichter  anbringen.  Dagegen  bezweifeln  die 
Gegner  die  Haltbarkeit  der  Kegelladen.  Die  Neuzeit  bevorzugt  aber 
dieses  System. 

Die  größten  nicht  auf  der  Windlade  selbst  Platz  findenden  Pfeifen 

Kondukten,  werden  durch  Zinnröhi-en  (Kondukten)  gespeist. 
16.  Jahrh.  Nach  der  Erfindung  der  Spring-  und  Schleiflade  konnte  man  erst 

die   \erschiedenen   Orgelstimmen  ausbilden.     Diese  Arbeit  war  dem 


Orgelbau. 


373 


16.  Jahrhuudert  vorbehalten^).  Man  fing  an,  gewisse  Register  zu 
decken,  d.  h.  die  Labial-  (.Lippen-,  Hüten)  Pfeifen  oben  durch 
Holz  oder  Metall  zu  verschließen,  wodurch  der  Ton  um  eine  Oktave 
tiefer  wurde  (Gedackte);  man  ersparte  so  Raum  und  Material  und 
erzielte  überdies  einen  eigentümlichen  weichen  Klang.  Auch  die  größere 
oder  die  geringere  Weite  i^M  e  n  s  u  r)  der  Pfeifen  benutzte  man  zur 
Herstellung  verschiedener  Klangfarben  (Prinzipal,  Gamba,  Flöte,  Hohl- 
riöte),  denn  enge  Pfeifen  geben  einen  scharfen,  weite  einen  weichen 
Ton.  Ferner  wandte  man  auch  Zungen- (Rohr-)  Pfeif en  (Schnarr- 
oder Rohrwerke)  an  und  förderte  die  Ansprache  (Intonation)  durch 
Anbringen  von  sog.  Barten  au  den  Seiten  der  Aufschnittkanten 
I Labien).  Ein  weiterer  Fortschritt  war  die  Erfindung  der  S pa nu- 
ll äl>?e  durch  Hans  Lobsinger  in  Nürnberg  (1510  —  1570). 

Hinsichtlich  der  Höhe  der  Orgelstimmon  (^Chorton)  vgl.  S.  1S9. 

Zu  den  wichtigsten  Verbesserungen  des  17.  Jahrhunderts  gehören : 
1.  die  Wind  wage  [Erfinder  Christ.  Förner  in  Wettin  b.  Halle  um 
l»5H7i  die  (neuerer  Zeit  durch  J.  G.  Töpfer  verbessert  es  erst  er- 
möglichte, die  Windstärke  eines  jeden  Balges  zu  bestimmen  und  erfor- 
derlichenfalls durch  größere  Belastung  auszugleichen.  2.  Die  Einfüh- 
rung der  gleichschwebenden  Temperatur  durch  Werk- 
meister (.s.  S.  190i;  V)is  dahin  waren  die  O.n  ungleichschwebend,  so 
(laß  einzelne  Tonarten  rein  (d.  h.  reiner  als  jetzt,  andere  dagegen, 
z.  B.  die  mit  vielen  Vorzeichnungen,  ganz  unbrauchbar  waren.  3. 
Die  durch  die  Gebrüder  Wagn  er  erfundene  Einrichtun«?,  den  Haupt- 
kanal so  zu  teilen,  daß  jede  Windlade  ihren  eigenen  Wind  bekam. 

Das  Äußere  der  ().,  die  Vorderseite  (Prospekt)  des  sie 
umschlingenden  G  e  h  ä  u  s  e  s,  suchte  man  reich  auszuschmücken,  ver- 
fiel aber  dabei  auf  sonderbare  Spielereien  (Engelsfiguren,  die  mit  be- 
weglichen Armen  Trompeten  ansetzten,  Pauken  schlugen,  den  (  ymbel- 
stern  mit  seinen  Glöckchen  zum  Tönen  brachten ;  wandelnde  Sonnen 
und  Monde,  Kukuks-  und  Nachtigallengesang  usw.  Abgeschmackt  war 
auch  der  Tremulant,  ein  Register  zimi  Nachahmen  des  Weinens 
und  Schluchzens,  in  der  Karwoche  und  bei  Begräbnissen  gebraucht). 
Zum  wahren  Schmuck  des  Prospektes  aber  wurden  die  symetrisch 
angeordneten,  hellblinkend  jiolierten  Zinnpfeifen.    (Vgl.  S.  368.) 

Im  IS.  Jahrhundert  forderte  vorzüglich  Gottfried  Silber- 
raann  (1683—1753)  den  Orgelbau  bedeutend.'-)  Sind  auch  heute 
seine  Mechanik  und  Gesamteinrichtung  (Disposition)  bereits  über- 
troften,  so  doch  nicht  die  außerordentliche  Tonschönheit  seiner 
Werke.  Berühmt  ist  namentlich  die  0.  der  Hofkirche  zu  Dresden. 
Ferner  sind  rühmlichst  zu  nennen :  Patroklus  Möller  (Domorgel 
.Münster  1752—55,  3  Klaviere  u.  Pedal,  54  Register),  Zacharias 
Theußner  (Orgel  im  Dom  zu  Merseburg  1702,  5  Man.  68  Stimmen), 
Michael  Engler  (0.  der  St.  Elisabethkirche  Breslau  1760),  Eugenio 
Caspar  in  i  [eigentl.  Caspar]  [0.  der  Peter-Pauls-Kirche  Görlitz  1703), 
Heinrich  Herbst  (0.  im  Dom  zu  Straßburg  1716,  3  Kl.  74  klingende 
St.),    Michael   Röder   (0.   der   evang.   Kreuzkirche   Hirschberg  1727, 


Register- 
Deckung. 


Mensur. 


H  ohrwerk. 


Chorton. 
17.  Jahrh. 
Wind  wage 

(ileich- 
schwebende 
Tem- 
peratur. 


Prospekt. 
Gehäuse. 


18.  .lahrh. 
Silbermann. 

Dispositon. 


Baumeister. 


1)  Über   den   Bau   der   O.   im    IG.  .Jahrb.  s.   „Arnold   Schlicks   Spiegel   der 
Orgelmacher  u.  Organisten.    Heidelberg  löll"  [R,  Eitner,  MM.  1869,  5.  u.  6.  Heft]. 
«)  B.:  L.  Moser,  18.^,7. 


374 


VI.  Zur  Geschichte  des  Orgelspiels. 


Literatur. 


Adluuij 


4.  Kl.  63  St.),  Job.  Scheibe  (0.  der  Paulinerkirche  Leipzig  1715, 
3  Kl.  54  St.),  M.  Gabler  (0.  der  Abtei  Weingarten,  Württemberg 
1750,  4  Manuale,  76  Register  mit  6666  Pfeifen). 

Das  unangenehme  Prasseln  der  Rohrwerke,  infolge  des  Auf- 
schlagens  der  Metallzungen  an  die  Rinne,  wurde  beseitigt  durch  die 
von  dem  Orgelbauer  Kratzen  stein  zu  Petersburg  erfundenen  fr  e  i- 
schwingenden  Zungen. 

Im  18.  Jahrhundert  entstand  schon  eine  reiche  Literatur,  die  sich 
oft  ausschließlich  mit  Orgelbau  beschäftigt.  Die  wichtigsten  Schrift- 
steller sind:  Joh.  Gotti'r.  Walther  (Organist  Weimar  f  1748: 
Musikal.  Lexikon  [das  erste  deutsche  !|  oder  Musikal.  Bibliothek  1732: 
Choralvorspiele  u.  a.), ')   Jakob  Adlung   (Professor  am   Gymnasium 


Nr.  89 
de  Wit 
K.ataloii 


Marpur^ 


Gerber. 


Werck- 
meister. 


u.  Organist  zu  Erfurt 
Gründlicher  Unterricht 
der  0."  [L.  Albrecht 
Fr.   W.   Marpurg    (f 


t  1762:  ,,Musica  nieciianica  organa'di  d.  i. 
von  der  Struktur,  Gebrauch  und  Erhaltung 
1768]  Wertvolles  Werk  für  Orgelgeschichte\ 
1795,    Lotterie  -  Direktor   Berlin:    „Krit.   Ein- 


leitung i.  d.  Gesch.  u.  Lehrsätze  d.  alt.  u.  neuen  Musik."  1759),  Dom 
Bedos  de  Celles  (Benediktiner  -  Mönch  f  1779  zu  Toulouse):  „L'art 
du  facteur  d'Orgues"  (1766—78,  4  ßde  ,  das  bedeutendste  Orgelbau- 
werk  seiner  Zeit),  Ernst  Lud.  Gerber  (Hofsekretär  Sondershausen 
t  1819:  „Histor.-biograph- Lexikon  d.  Tonkünstler."  2  Bde.  1791-92. 
Eine  Erweiterung  des  Walterschen  Lexikon),  Andr.  Werckmeister 
(1645—1706:  „Orgelprobe,  oder  kurze  Beschreibung,  wie  man  die  Orgel- 
werke von  d.  Orgelmachern  annehmen  könne."  1681,  2.  A.  ,, Erweiterte 
Orgelprobe".     1689.    Musikal.  Temperatur,  oder  deutlicher  und  wahrer 


»)  A.:  [Dr.  M.  Seitl'ert]  Denkiniiler  dtschr.  Tonk.  07. 


Orirelbau. 


375 


in.  Jahrh. 
Sinipli- 
tikation. 


Er- 
tiiulungen. 


mathematischer  Unterricht,  wie  mau  durch  Anweisung  des  Monochoi'dis 
ein  Klavier,  sonderlich  die  Orgelwerke,  Positive,  Regale,  Spinetteu, 
u.  dgl.  wohltemperiert  stimmen  könne'',  1691;  die  erste  Schrift  über 
diesen  Gegenstand^  Georg  Andr.  Sorge  (Hoforganist  Lobenstein 
t  1778:  „Gespräch  von  der  Prätorianischcn,  Printzischen,  Werck- 
meisterischen,  Neidhardtischen,  Niedtischen  und  Silbermannischen 
Temperatur,  wie  auch  vom  neuen  System  Telemanns."  174N;  mehrere 
Schriften  über  die  gleichschwebende  Temperatur.  „Der  in  der  Kecheu- 
iind  Maßkunst  wohlerfahrene  ürgelbaumeister'".  1773,  Joh.  Ulr. 
Sponsel    (Superintendent    Burgbernheini    t    1788:    „<  »rgelhistorie"i. 

Anfangs  des  19.  Jahrhunders  machte  Abbe  Vogler  mit  seinem 
„S  i  m  p  1  i  f  i  k  a  t  i  o  n  s  -  S  y  s  t  e  m'-  Aufsehen,  indem  er  die  Struktur  ver- 
einfachte, die  Pfeifen  auf  einen  engen  Raum  beschränkte  in  chroma- 
tischer Folge  auf  die  Windlade  stellte  und  in  Schränke  einschloß, 
wodurch  die  teuren  Prospektpfeifen  erspart  wurden.  Er  verwarf  die 
Mi.xturen,  suchte  aus  zwei  Stimmen  mittelst  der  klingenden  Töne  eine 
dritte  zu  bilden  usw.  Nach  diesem  System  ließ  er  mehrere  Orgeln 
umbauen,  z.  B.  die  der  Marienkirche  zu  Berlin ;  es  wurde  viel  an- 
gefochten und  drang  nicht  durch,  wirkte  Jedoch  auf  einen  rationelleren 
Orgelbau  vorteilhaft  ein. 

Als  wichtigste  Erfindungen  des  19.  Jahrhunderts  sind  zu 
registrieren : 

1 .  Der  K  o  m  p  r  e  s  s  i  o  n  s  -  B  a  1  g  [Ertin<ler  Mechanikus  Eriedrich 
Kaufmann -Dresdenl  ermöglicht  bei  freischwingenden  Zungen  (z.  B. 
im  Harmonium)  ein  schönes  crescendo  und  decrescendo,  (üoi  Labial- 
pfeifen gelangen  derartige  Versuche  nicht,  weil  bei  stärkerem  Anblasen 
der  Pfeife  der  Ton  luiher  wird.  Um  einigen  Ersatz  zu  bieten,  erfand  man 
das  Echowerk  und  den  Rollschweller:  (s.  unt.)  2.  EinUihrung  der  Leit- 
drähte in  der  Windlade  nicht  durch  Windsäkchen  (Pulpeten).  sondern 
durch  Stahlplatten  (Reparaturenersiiarnis).  '6.  Der  pneumatische 
Hebel  Ch.  S.  Barker,  englischer  Orgelbauer  (l.s3-2  zuerst  angewandt 
in  Frankreich]  erleichtert  das  Spiel  des  vollen,  als«»  gekoppelten 
Werkes:  mittelst  kleiner  Bälge  „Hebel"  werden  die  Hauptventile 
geöffnet:  der  Organist  hat  also  mit  seiner  Kraft  nur  das  Ventil  des 
kleinen,  etwa  einer  Zigarrenkiste  ähnlichen  Balges  zu  öffnen,  während 
dieser  die  Hauptarbeit  übernimmt,  so  daß  sich  eine  solche  (>.  leicht 
wie  ein  Klavier  spielt.  Ein  berühmtes  Werk  mit  pneumatischen  Hebeln 
ist  die  große  0.  der  Kirche  St.  Sulpice  zu  Paris  (1864  von  Aristide 
CavailK'-Coll,  Paris:  1000  Pfeifen  in  der  Länge  von  32'  bis  zu 
5  Millimeter,  welche  in  sieben  Stockwerken  in  der  Höhe  von  72'  auf- 
gebaut sind:  5  Manuale,  1(K)  Register  und  20  kombinierte  Züge  (163(t(»U 
Franks).  4.  Die  Kasten-  und  Z  y  1  i  n  d  e  r  b  ä  1  g  e  [M  a  r  c  u  s  s  e  n  -  Apen-  .Marcussen. 
rade,  erstangewandt  von  J.  F.  S  c  hu  Iz  e- Paulinzelle]  gestalten  den 
Wind  am  gleichmäßigsten  und  ersparen  zugleich  die  Belederung  (wird 
statt  des  zweiten  Kastens  nur  ein  Stöpsel  aufwärts  gezogen ,  so 
heißt  dieser  Balg  ,,P  istongebläs  e").  ö.  Das  D  o  u  b  1  e  1 1  e  n  s  y  s  t  e  m 
[M  e  h  m  e  1  -  Stralsund]  bildet  aus  einer  Stimme  auf  dem  zweiten  Kla- 
viere eine  zweite,  eine  Oktave  höher  stehende,  jedoch  ohne  Koppel- 
Anwendung.  6.  Stimmschlitzen  und  verschiebbare  Stimmplättchen 
[Marcussen!  zum  bequemeren  Stimmen  der  Pfeifen.    7.  Der  Mi  kr  o- 


Barker. 


C  a  >'  a  i  1 1  e  • 
Coli. 


376  V^'  2"*^'  Geschichte  des  Orgelspiels. 

meter  [Mechaniker  Still -Bern],  um  den  Abstand  des  Kerns  vom 
Unterlabium  leicht  und  genau  zu  messen.  8.  Der  Magazinbalg 
[Cavaille-CoU,  verbessert  durch  Schulze  und  Fr.  Ladegast]: 
mehrere  übereinander  liegende  Bälge  [Magazine]  werden  durch  einen 
besonderen  Schöpfbalg  oder  durch  gewöhnliche  Bälge  gespeist. 
Sie  sind  durch  biegsame  Röhren  miteinander  verbunden,  so  daß  der 
Wind,  selbst  bei  ungleichem  Verbrauche,  niemals  fehlen  kann  (diese 
Magazinbälge  ermöglichen  auch ,  den  verschiedenen  Manualen  ver- 
schiedengradigen  Wind  zuzuführen,  was  durch  stärkere  oder  geringere 
Belastung  der  Decken  herbeiführt  wird.  So  gibt  Cavaille  dem  Reservoir, 
aus  welchem  die  Pedalwindlade  gespeist  wird.  Wind  von  34^,  dem 
Magazin  des  Hauptmanuals  Wind  von  32'',  dem  zweiten  und  dritten 
Manuale  dagegen  Wind  von  30 o  und  20 ^).  9.  Das  Kombinations- 
Sauer.  pedal  [W.  Sau  er- Frankfurt  a.  0.].  10.  Verschiedene  aeu  konstru- 
ierte Laden,  wie  die  „Hahnenlade"  von  Randebrock,  die  „Kolben- 
lade" von  Sonrec  und  die  „Präzisionslade"  von  Mehmel  müssen 
erst  ihre  Brauchbarkeit  erweisen.  Desgleichen  die  sog.  „Zwillings- 
manualorgel",  bei  der  die  Manualregister  so  auf  der  („Zwillings-")  Wind- 
lade stehen,  daß  sie  von  jedem  Manual  aus  spielbar  sind.  IL  Die 
Weigle.  elektro-magnetische  Orgel  [K.  G.  Weigl  e  -  Stuttgart] :  das 
Regierwerk  wird  durch  einen  Elektro-Magneten  ersetzt,  indem  das 
Ventil  durch  den  Anker  niedergezogen  wird,  der  von  jenem  angezogen 
und  abgestoßen  wird,  je  nachdem  der  von  der  Batterie  ausgehende  gal- 
vanische Strom  durch  den  Druck  auf  die  Taste  hergestellt  oder  durch  das 
Heben  des  Fingers  unterbrochen  wird.  Den  Übelstand  bei  dieser  Mecha- 
nik, daß  bei  langgehaltenen  Tönen  der  Anker  selbst  elektrisch 
wurde,  sodaß  das  Anziehen  und  Abstoßen  desselben  und  somit  die  prompte 
Ansprache  selbst  unsicher  war,  beseitigte  der  Deutsch-Amerikaner 
H.  S  c  h  m  ö  1  e  durch  Benutzung  des  pneumatischen  Hebels,  so  daß 
eine  geringere  Kraft  erforderlich  wird  und  die  Batterie  demgemäß 
auch  schwächer  hergestellt  werden  kann.  Die  erste  Kirchenorgel 
nach  diesem  Systeme  baute  Voit  &  Söhne  zu  Forst  in  Baden.  Auch 
die  von  Schlag  gebaute  Konzertorgel  in  Berlin  ist  eine  elektrische. 
—  In  Amerika  benutzt  man  diese  Erfindung  mit  Erfolg  bei  Feru- 
werken ;  selbst  zum  Bälgetreten  verwendet  man  den  elektrischen 
Strom,  den  man  der  Straßenleitung  entnimmt.  12.  Die  pneumatische 
Röhrenlade  [namentlich  zwei  Systeme:  von  W  e  i  g  1  e  -  Stuttgart 
und  E.  Rö  ver-Hausneindorf;  beide  patentiert]  ersetzt  das  Regie r- 
Pneuniatik.  w  e  r  k  durch  Röhren.')  13.  Die  Anwendung  der  Pneumatik  und 
Elektropneumatik  ermöglichte  in  neuester  Zeit  eine  Reihe  von  Er- 
Konzert- findungen  und  Verbesserungen  an  der  Orgel,  die  sie  zu  einem  Konzert- 
orgel. Instrument  ersten  Ranges  ausbilden.  Die  allerwichtigsten  dieser  Er- 
findungen seien  hier  nach  Springer  angeführt. 

A.  Hinsichtlich  der  Orgelstimmen  und  ihr  es  Charakter  s. 

Die  zu  hoher  Vollendung  gebrachte  Kunst  des  Pfeifenbaues  und 

der  Intonation  geben  der  Orgel  ganz  neue  Klangfarben.    Die  einzelnen 

Register  vom  zartesten  Hauche  der  Aeolsharfe  oder  den  Engelstimmen 


Den  Fachmann  näher  interessierenJes  in  der  7.  Aufl.  dieses  Buohes. 


Orgelbau.  377 

der  Vox  coelestis  und  Unda  raaris  bis  zum  mächtig  erschallenden  Herolds- 
ruf der  Posaunen  vereinigen  sich  in  größter  Mannigfaltigkeit  in  Ciiaraktcr 
und  Tonstärke  zu  einem  harmonischen  Ganzen  von  idealer  Schönheit. 

Bei  der  Hochdruck-Labial  pfeife  [Weigle  1893]  kann  durch 
Steigerung  des  Luftdrucks  (bis  zu  300  mm  Wassersäule  i  ein  gewaltiger 
Ton  erzeugt  werden.  Je  nach  Stärke  des  Windes  ist  die  doppelte, 
zehn-  und  mehrfache  Tonstärke  der  gewöhnlichen  Labialpfeife  crzielbar. 

Die  Seraphonstimmen  [vom  gleichen  Meister],  den  Hoch- 
druckstimmen  .ähnlich,  geben  schon  bei  gewöhnlicher  Windstärke  einen 
äußorst  kräftigen  Ton. 

Die  —  ea  klingt  streng  genommen  paradox  —  L  a  b  i  a  1  z  u  n  g  e  n 
[Weigle]  bezwecken  einen  vollwertigen  Ersatz  der  Zungenstimmen  durch 
Labialpfeifen.  Für  die  Stimmung  der  Orgel  wäre  die  Ertindung  von 
größter  Bedeutung,  da  selbst  bei  geringen  Temperaturschwankungen 
die  Tonhöhen  der  Labial-  und  Zungenpfeifen  unangenehm  differieren. 
Weigle  stellt  bis  jetzt  Labial- Oboen  (von  großer  Schönheit,  die 
Klangfarbe  von  einer  Orchesteroboe  kaum  oder  gar  nicht  zu  unter- 
scheiden), -Klarinetten  und  -Englischhorn  her. 

B.  Hinsichtlich  der  Nebeuregister    mechanische) 
Einrichtungen. 

a)  Koppeln.  Diese  wurden  erweitert  und  vermehrt,  so  daß 
sowohl  die  einzelnen  Manuale  unter  sich  als  auch  jedes  Manual  ge- 
sondert mit  dem  Pedal  verbunden  werden  kann.  Eine  viermanualige 
Orgel  würde  demnach  sechs  Mannalkopi)eln  und  vier  Pedalkoppeln 
aufweisen.  Von  neuen  Koppeln  bewirken :  die  S  u  p  e  r  o  k  t  a  v  k  o  ))  p  e  1 
das  gleichzeitige  Mitklingen  der  nächst  höheren  Oktave,  die  Sub- 
o  ktav  koppel  jenes  der  nächst  tieferen  Oktave,  die  S  ub-S  uper- 
oktavkoppel  jenes  der  nächst  tieferen  und  nächst  höheren  Oktave. 

Diese  Koppeln  werden  auch  derart  hergestellt,  daß  sich  die 
Wirkung  auf  v  e  r  s  c  h  i  e  d  e  n  e  M  a  n  u  a  1  e  erstreckt,  so  daß  die  Stimmen 
auf  sämtlichen  Manualen  in  der  Ober-  oder  Unteroktav  spielbar  werden. 
Dies  bewirkt  eine  dreifache  Steigerung  der  Tonfülle  und  eniiögliciit 
Tonschattierungen  von  fast  unbegrenzter  Reihe.  Es  kann  demnach 
ein  Register  bald  in  seiner  Normallage,  bald  im  4-Fußton,  bald  im 
16-Fußton  verwendet  werden.  Die  Melodiekoppel  bewirkt  das 
gleichzeitige  Mitklingen  der  höheren  Oktave  der  obersten  Stimme 
(^seltener  der  tieferen  Oktave  des  Baßtones);  die  Gen  er  al  k  oppel 
vereinigt  die  Wirkung  aller  Kojipeln.  Mittels  der  Transmission 
endlich  kann  eine  Stimme  einer  Klaviatur  unabhängig  auch  auf  einer 
anderen  gespielt   werden    (besonders   für  kleinere  Orgeln  vorteilhaft). 

b)  Ausschaltungs  Vorrichtungen.  Die  K  o  p  p  e  1  a  u  s  - 
Schaltung  hebt  die  Wirkung  sämtlicher  Koppeln  plötzlich  auf:  die 
Rohr  Werksausschaltung  ermöglicht  das  plötzliche  Verstummen 
aller  Zungenstimmen:  die  Mixtur enaus Schaltung  jenes  der  ge- 
mischten Stimmen ;  die  Crescendoausschaltung  hebt  momentan 
die  Wirkung  des  RoUschwpllers  auf;  die  Kombinat  ions  aus- 
schal tu  ng  jene  aller  festen  Kombinationen. 

c)  K  0  m  b  i  n  a  t  i  o  n  e  n.  Diese  machen  die  Orgel  zum  erstklassigen 


378  VI.  Zur  Geschichte  de»  Orgelspiels. 

Konzertinstrument.  Es  gibt:  feste  Kombination  en ,  die  das  Ein- 
schalten bestimmter  zusammengesetzter  Registermischungen  ermöglichen 
(hinsichtlich  der  dynamischen  Wirkung  unterscheidet  man  Registerzüge 
pp,  p,  raf,  f,  ff,  Tutti ;  hinsichtlich  der  Klangfarbe  Züge,  welche  das 
plötzliche  Erklingen  des  Prinzipalchores,  des  Flotenchores, 
des  Gambenchores,  des  Z  u  n  g  e  n  c  h  o  r  e  s  ,  des  Gedacktchores 
bewirken);  freie  Kombinationen,  die  den  Organisten  von  den 
vom  Orgelbauer  bestimmten  und  festgelegten  Registermischungen  un- 
abhängig machen.  (Mittels  der  freien  Komb,  können  beliebige  Klangfarben 
vor  oder  während  des  Spieles  eingestellt  wei-den.  Im  gewünschten 
Moment  tritt  durch  einen  Druck  auf  einen  Knopf  die  vorbereitete  P'arbe 
ein ,  während  im  gleichen  Augenblicke  die  gezogene  Registrierung 
wirkungslos  gemacht  wird.  Solcher  freier  Kombinationen  findet  man 
in  beliebiger  Anzahl  bis  zu  10  ausgeführt,  so  daß  die  Klangfarben 
für  das  größte  Konzert  vorbereitet  werden  können  und  der  Künstler 
während  des  Spielens  nichts  zu  tun  hat,  als  die  Einstellung  der  ge- 
wählten Klangfarbe  durch  Niederdrücken  des  betreffenden  Kombi- 
nationsknopfes  zu  bewerkstelligen.  Die  Kombinationsknöpfe  sind  in  der 
Regel  am  Spieltisch  so  angebracht,  daß  sie  vom  Spieler  mit  dem 
Daumen  erreicht  werden  können,  ohne  daß  er  die  Hände  von  der  Kla- 
viatur zu  entfernen  braucht.  Durch  einen  Auslöseknopf  wird  die 
frühere  Hauptregistratur  wieder  hergestellt.) 

d)  Das  P  r  o  1  o  n  g  e  m  e  n  t.  Es  gestattet  das  beliebig  lange  Fest- 
halten einer  Registermischung,  einzelner  Töne  oder  Akkorde  ohne  Be- 
hinderung des  Organisten  im  sonstigen  Registrieren  oder  im  Spielen 
auf  einem  anderen  Manuale.  Da  dieser  Vorgang  beliebig  oft  und  rasch 
erfolgen  kann,  ergibt  sich  eine  Art  ,, endloser"  freier  Kombination. 

e)  Der  Rollsch  we  Her  ermöglicht  im  allgemeinen  durch  eine 
Fußbewegung  während  des  Spieles  ein  allmähliges  Zunehmen  der  Ton- 
stärke vom  leisesten  kaum  hörbaren  Pianissimo  bis  zum  gewaltigen 
Fortissimo  und  umgekehrt  ein  Abschwellen  vom  Tutti  bis  zum  Pianissimo. 

f)  Das  Piano-Pedal.  Dieses  läßt  beim  Übergang  von  einem 
stärkereu  zum  schwächeren  Manual  die  unmittelbare  Ausschaltung 
der  stärkeren  Pedale  zu,  so  daß  zwischen  Pedal  und  Manual  ein  richtiges 
Tonstärke-Verhältnis  hergestellt  wird.  Zuweilen  tritt  diese  Funktion 
automatisch  schon  durch  bloße  Berührung  einer  Taste  des  schwächeren 
Manuales  ein. 

g)  Das  Fer  n(Ech  0-)  werk  ist  eine  kleine  Orgel  für  sich  auf 
dem  Dachboden  der  Kirche  oder  des  Konzertsaales  in  einem  durch 
Jalousieschweller  verschlossenen  Räume  aufgestellt,  pneumatisch  oder 
elektropneumatisch  mit  dem  Hauptwerke  in  Verbindung,  in  der  Regel 
vom  schwächsten  Manual  spielbar.  Die  Töne  werden  durch  einen  be- 
liebig langen  Schallkanal  zu  einer  Öffnung  (am  Besten  in  Form  einer 
Rosette)  im  Gewölbe  geleitet  und  scheinen  so  wie  aus  einer  anderen 
Welt  herniederzuschweben.     Der  Effekt  ist  unbeschreiblich. 

h)  Tremulant  (nicht  zu  verwechseln  mit  dem  oben  S.  373  er- 
wähnten) bewirkt  durcli  ein  federndes  Ventil  oder  durch  ein  von  der 
Luft  in  Umdrehung  versetztes  Flügelrad  eine  zitternde,  schwebende 
Tonbewegung,  die  zuweilen,  namentlich  bei  getragenem  Spiel,  reizende 
Wirkungen  erzeugt  (nur  für  den  Konzertsaal  passend!): 


Orgelbau. 


379 


i)  die  T r a n s  p  o n i e r  V 0 r  r  i c h  t  u u g ,  bis  jetzt  serhältnismäßig 
selten  gebraucht ,  um  ein  Tonstück  bis  zu  vier  halben  Tönen  auf- 
oder  al)wärts  zu  transponieren. 


C.   I  ra   (t  e  b  1  ä  s  e  b  e  t  r  i  e  b. 


wo  immer  tunlich 
,  Gas-  oderElektro- 
Vorrang :   Motore, 


Dieser  geschieht  bei  gröUeren  Orgelwerken 
mit ,, motorischer  Kraft"  (Wasser-,  Benzin-,  Petroleum 
motor).  Zur  Zeit  streiten  zwei  Systeme  um  den 
die  entweder  mittels  einer  ,, Kurbelwelle'"  die  Schöpt'bälge  bewegen 
oder  einen  „Ventilator"  treiben,  der  direkt  (d.  h.  ohne  Vermittlung 
der  Schöpfen  die  Windmagazine  der  Orgel  füllt.  Bei  beiden  Systemen 
finden  sich  praktische  Vorrichtungen   zur  Kegulierung  der  Windfülle. 

Es  wäre  noch  eine  ansehnliche  Zahl  kleiner  Verbesserungen  von 
M  a  r  c  u  8  s  e  n  ,  F.  Fabian-  Bromberg,  Schulze,  Winzer-  Wismar. 
Friedrich  Haas- Kloster  Muri  (Schweiz',  Fr.  Ladegast- Weilienfels  usw. 
anzuführen,  wenn  es  der  Raum  dieser  Blätter  erlaubte.') 

Zu  den  bedeutendsten  <  »i  gclbaumeistern  neuerer  Zeit  zählen  noch  Baumeister. 
Müller  senior- Breslau,  Erbauer  der  ausgezeichneten  Domorgel  da-  Muiler. 
selbst,  IWI :  J.  F.  S  ch  ulze-Paulinzelle  :  <  >.n  zu  Lübeck  und  Bremen; 
Eberhard  Friedrich  Wale  kcr- Ludwigsburg,  Erbauer  der  gröüten  o. 
Deutschlands  im  Ulm  er  Dome  und  jener  für  das  neue  Konzerthaus  in 
Leipzig;  Friedr.  Ladegas  t- Weißenfels  :  o.n  zu  Merseburg,  Schwerin, 
Leipzig,  Schulpforta  :  Wilh.  S  a  ue  r- Frankfurt  a  0. :  vorzügliche  0.  in 
Magdeburg,  Leipzig,  Moskau,  Prag  usw. :  SchlagiSöhne-  Schweid- 
nitz:  Elisabethkirche  Breslau,  Konzertorgel  (Philharmonie)  Berlin :  Ge- 
brüder Riege  r- Jägerndorf ,  österr.  Schlesien:  Rover:  die  groß- 
artig disponierte  Domorgel  in  Magdeburg  (ICX»  kling.  Stimmen, 
5929  Pfeifen;  Elektromotor  von  4  Pferdekräftenl :  S  ch  i  ff  ner-Prag- 
Smichow:  Monumental-0.  in  der  Prälaturkirche  Krumau  i.  B.  19(i8 
(55  klingende  St.,  36CK)Pf.):  .Mauracher- Salzburg-Graz.    Vgl.  S.  375  f. 

Hier  sei  nur  noch  die  Disposition  der  Konzertorgel  in  der  Stadt- 
halle zu  Heidelberg,  erbaut  19Üo  von  H.  Voit  u.  Söhne  in  Durlach- 
Karlsruhe  (64  Register)  angeführt.  Diese  Orgel  besitzt  einen  nach 
Voit'schem  System  (D.  R.  P.  Nr.  2171 16 1  gebauten  fahrbaren 
Spieltisch,  den  ein  3(»  m  langes  Kabel  mit  dem  Werk  verbindet.  Es 
ist  so   die  Orgel  von  jeder  beliebigen  Stelle  des  Saales  aus  spielbar. 


W:ilcktr 


Rover. 


Voit 


Prinzipal  16'. 
Fagott  16'. 
Prinzipal  8'. 
Doppelffedackt  >'. 
Tibia  »'. 
Viola  di  Gamba  b'. 


L  Manual  C— a^. 

Geinshorn  ö'. 
Spitztlöte  b'. 
Tuba  8'. 
Oktave  4'. 
Rohrflöte  4'. 
Flauto  amabile  4'. 


Klarine  4'. 
Oktave  2'. 
Kornett  S'  5  fach. 
Mixtur  2'  4  fach. 
Scharf  1'  3  fach. 


'i  Vgl.  K.  II.  Haberl:  „Üb.  Orgelbau  i.  18.  u.  20.  Jahrb.",  KMJ.  Ol.  — 
Eine  Heißige  Beschreibung  der  Orgeln  Deutschlands  u.  Oesterreichs  gibt  „Opera 
Josephi  Klaus,  Organophili-  182?. 


380 


VI.  Zur  Geschichte  des  Orgelspiels. 


Bordun  Iß'. 
Salicional  16'. 
Geigenprinzijial  8'. 
Dulciana  8'. 
Lieblich  Geilackt  8', 


Quintatön  16'. 
Flötenprinzipal 
.Salicional  8'. 
Zartflöte  s'. 


Gedackttlöte  16'. 

Viola  S'. 

Vox  humana  8'. 


Unter.satz  32'. 
Bombarde  32'. 
Prinzipalbafl  16'. 
Violonbaß  16'. 


II.  Manual  C— a'. 

Quintatün  8'. 
Konzertflöte  S'. 
Trompete  8'. 
Kleinprinzipal  4'. 
Hohlflöte  4'. 

III.  Manual  C--a^. 
Unda  Maris  H'. 
Klarinette  8'. 

Äoline  8'. 

Vüx  coelestis  »'. 

IV.  Manual  C— a^. 

Bordun  8'. 

Vox  angelica  8'. 

Dolee  4'. 

Pedal  C-fi. 

Subbaü  16'. 
Oedacktbaü  16'. 
Posaune  16'. 
Trompete  8'. 


Flauto  dolce  4'. 
Oboe  4'. 
Piccolo  2'. 
Kornett  8'  3— 5  fach. 
Cymbal  2*3  3  fach, 


Violine  4'. 
Traversflöte  4'. 
Flautino  2'.  [3  fach. 

Harm.       aetherea       2*/, 


Flageolet  2'. 
Glockenspiel. 


Oktavbaö  8'. 
Violoncello  8'. 
Flötenbaß  8'. 
Superoktavbaß  4'. 


Manual  III  zu  Manual  I. 


II 

III 

IV 

I 

II 

III 


Pedal. 


I. 

II. 

III. 


Neben  register. 

a)  Koppelungen. 

Manual  IV  zu  Pedal. 
Generalkoppel  (1—7). 
Pedal  zum  I.  Manual. 
Pedaloktavkoppel. 
Superoktavkoppel  Man.  I. 
Suboktavkoppel  Man.  II  zu  I. 


b)  Xebenzlige. 


Generaltutti. 

Tutti  ohne  Zungen. 

Rohrwerktutti. 

Pianopedal  zum  III.  Manual. 

V    n. 

I.  freie  Kombination. 

n.  ,. 

Auslöser  Walze  ab. 

„        Handregister  ab. 


Generalschweller  (Walze)  für  die 

ganze  Orgel. 
.Jalousieschweiler  für  d.  ganze  Orgel. 
^  n      Manual  III. 

IV. 
Anzeiger  für  die  Walze. 

„  „    den  Jalousieschweiler. 

ri  n     <l'G  Eelktrizität. 

„  „    den  Windstand, 


Orgelspiel 
Landino. 

Paumanii. 


16.  Jahrb. 
Kleber 


Als  Urahn  der  Organisten  nennt  die  Geschichte  den  blinden 
Francesco  Landino  zu  Florenz  (1364  zu  Venedig  als  Dichter  und 
Orgelspieler  gekrönt;  vgl.  ob.  S.  S.  78,  117)  und  nach  ihm  den  schon 
(S.  371)  erwähnten  Bernhard  zu  Venedig.  Auch  Konr.  Paumann, 
dem  Autor  des  ältesten  Orgelbuches  (Fundamentum  organisandi)  be- 
gegneten wir  bereits  (S.  154)  und  kennen  die  Rolle,  die  im  Mittel- 
alterlichen Musizieren  die  Orgeltabulatur  (S.  94  f )  und  Orgelkomposi- 
tion (S.  S.  122,  154  f.)  spielen.  Unter  den  Orgelkomponisten  des  16. 
Jahrh.  ragen  noch  hervor,  Bernh.  Kleber  (f  1556,  geschätzter  Lehrer)  ^), 


')  Vgl.  H.  Löwenfeld:  B.  K.  u.  s.  Orgeltabulaturbuch  als  Beitrag  z.  Gesch. 
•1.  O.-musik  im  beg.  XVI.  Jahrb.,  BrI.  1897. 


Konzertorffe 


thalle  zu  Heidelberg. 


Orgelspieler  und  -Komponisten.  381 

Bernh.  Schmidt  m  Strasburg,  Jakob  P  a  i  x  zu  Lauingen,  die  Organisten 
der  Markuskirche  zu  Venedig :  P  a  r  a  b  o  s  c  o  (t  1587),  Claudio  M  e  r  u  1  o  Merulo. 
(S.  122)  und  die  beiden  Gabrieli,  in  Spanien  Cabezon  (f  1566).  «^Hbrieli. 
Als  den  besten  Organisten  dieser  Zeit  lernten  wir  H.  L.  Hasler 
kennen  (  S.  145  ff.),  neben  dem  in  Böhmen  als  treffliche  Organisten 
V.  Otto  und  Wenzel  Kychnowsky  wirkten.  Wertvolle  Anweisungen 
für  die  damalige  Spieltechnik  der  Tasteninstrumente  nebst  einer  Samm- 
lung von  Orgelsätzen  berühmter  Meister  veröftentlichte  Merulos  Schüler 
D  i  r  u  t  a. 

Den  größten  Ruhm  und  den  Titel  „Vater  des  wahren  Orgelspiels" 
erwarb   sich   Girolamo   Frescobaldi   (*  1583  Ferrara,   in  Flandern  i'r«^sL-obaldi 
ausgebildet,  1608—43  Organist  der  Peterskirche  zu  Korn  r  1644).    Er     ■*■  '^**- 
führte  eine    neue  Spielmanier    ein.     Seine    zahlreichen   Kompositionen 
sind    kontrapunktische    Stücke   nach    Art   der   Motetten    der    nieder- 
ländischen Schule  ').     Auch  auf  Deutschland  erstreckte  sich  sein  Ein-      Kerli. 
fluß:    er    lehrte   Caspar  Kerll    (S.    2(i6)-)    und  Jakob    Fro  b  erger  tiohberser. 
(Hotorganist  in  Wien,   t  1667   auf  Schloß  Hericourt  b.  Montböliart)^). 

Die  bedeutenden  Orgelkomponisten   des   17.  Jahrhunderts   sind:    '"  .'alnh. 
Der  Niederländer  Job.  Pet.  Sweelingck  (t  1621,   Schüler  Zarlinos     .'^^y®!" 
und    Andrea    Gabrielis    seit    1580    Organist    an    der    alten    Kirche  zu      '"^'"^  ' 
Amsterdam)   der   Schöpfer   der    Orgel-Fuge   (vgl.    S.    186),   der   nam- 
hafteste  Orgplmeister   seiner   Zeit    (in    Deutschland    der    „Organisteu- 
raacher"   genannt)'),   Lehrer  der  vier   nächstgenannten  Jacob   Prae- 
tor ins    (Organist    der    Petrikirche     Hamburg,    f    1651),      Heinrich 
Scheidemann  (f  1663,  Organist  der  Katharinenkirche  Hamburg,  dessen 
Nachfolger   Jan    Adams    Keinken   t    1722   (vgl.  S.  19D)   u.   Samuel    Rtinken. 
Seh  ei  dt  f  1654,  Organist  der  Moritzkirche  Halle,  der  Schöpfer  der     i^'heidt. 
ersten  kunst-   und  orgelmäßigen  Bearbeitungen     des    protestantischen 
Chorals:  Hauptwerk    „Tabulatura    nova",    außer    variierten    Chorälen 
usw.  auch  Fugen  und  Toccaten  enthaltend  ■').    Joh.  P a c h  e  1  b  e  1  f  1706,   Paihelbci. 
1605  Organist  der  Sebalduskirche  Nürnberg'').    Fr.  X.  Ant.  Mursch- 
hauser  (Schüler  Kerlls,  Organist   der  Domkirche  München,  t  1724), 
Dietrich  Buxtehude  i*  1637    Helsingör,   Organist  der  Marienkirche  Buxtehuiie. 
Lübeck,    t  1707   (vgl.  S.  199  f.) 7).    Georg  Muffat   (s.    S.   184   und     Muffat 
Kap.  VIH.),  John  Bull  (t  1628'.     Vgl.  auch  S.  2068). 

Viele  Werke   dieser  Meister   zeigen    eine    gewisse  Spielseligkeit, 
d.  h.  viel  aufgebauschtes  Figurenwerk.     Auch   ist  zuweilen  doppeltes 
Pedal   angewandt).     Über   die   Couper  ins,   deren   Frauen   gleich  Couperin. 
vortreffliche  Organisten  waren,  s.  Kap.  VIH. 


1)  A.  (Ausw.):  Dr.  Haberl.  Lpz.  B.  &  H.  1889.  »)  Vgl.  H.  Botstieber, 

ein  Beitrag  zu  C.  Kerlls   Biographie.    IMG.  VII,  1,  0<;.  ';  GA.  [Adler,  Nie- 

niannl:  DM,  i.  ()sterr.  —  B. :  Beier,  1884.  *)  GA.:  lü  Bde.  („Verein,  f.  nord- 

niederländ.  Mus  gesch."  [Seiffert])  B.  &  H.  Vgl.  auch  I.  P.  Ss.  Kompositions- 
regeln.    GA.   Bd.  XIL  [Gehrmann].  =■)  NA.   fM.   Seiffert,  Niemann]:  Denk- 

mäler dtschr.  Tonk.  I-i,  1892  *)  A.  (Auswahl)  in  Commers  „Musica  saera"-, 

I.  u.  DM.  i.  Bav.  u.  Österr.  ')  NA.  [SpittaJ  2  Bde.  B.  &  H. 

»)  S.  Wiener  Klavier-  u.  Orgelwerke  a.  d.  2...Hälfte  d.  17.  Jahrh.  Alessandro 
Poglietti,  Ferd.  Tobias  Richter,  Georg  Reuter  d.  Ä.  [Dr.  Hugo  Botstiber]. 

')  Die  Anforderungen  an  Organisten  von  damals  verrät  ein  von  Mattheson 
mitgeteiltes  Programm  zu  einer  OrganistenprUfung  (Hamburg  1727):  a)  Aus 
freiem  Sinne  ganz  kurz  zu  präludieren,  im  minore  B.  anzufangen  und  im  modo 
majore  aufzuhören.  3—4  Minuten,    b)  Ein  leichtes  Fugenthema  so  auszuführen. 


382 


VI.  Zur  Geschichte  des  Orgelspiels. 


18.  Jahrli. 
Bach. 

Händel. 


Mitzier. 

Krebs. 
Homilius. 

Dole.s. 

Kirnberger, 

Goldberj^. 
Kittel. 

Weinlig. 
Tlirk. 
Rinck. 

Sesjert. 


In  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  glänzen  in  der  Orgelkunst 
zwei  Sterne  erster  Größe,  Sebastian  B a c h  und  Händel  (s.  d.).  Die 
Familie  Bach  war  recht  eigentlich  eine  Organistenfamilie,  denn  fast 
sechs  Generationen  hindurch  zeichnen  sich  Glieder  derselben  aus, 
wenn  auch  keins  die  Höhe  Johann  Sebastians  erreichte.  Händel 
hinterließ  nur  wenig  Orgelstücke  M,  desto  mehr  Bach,  dessen  Werke 
(neuerer  Zeit  in  prachtvollen  Ausgaben  erschienen)  den  Gipfelpunkt  der 
klassischen  Orgelliteratur  bilden.  (Selbstredend  eignen  nicht  alle  Orgel- 
sachen sich  zu  kirchlichem  Gebrauche,  sondern  sind  großenteils  für 
Orgelkonzerte  bestimmt).  ,,Am  herrlichsten,  am  kühnsten  in  seinem 
Urelemente  erscheint  Bach  nun  ein-  für  allemal  an  seiner  Orgel.  Hier 
kennt  er  weder  Maß  noch  Ziel  und  arbeitet  auf  Jahrhunderte  hinaas. 
.  .  .  Die  meisten  der  Bachseben  Fugen  sind  Charakterstücke  höchster 
Art,  zum  Teil  wahrhaft  poetische  Gebilde"  (Schumann). 

Bach  lehrte  außer  seinen  beiden  Söhnen  Friedemann  und  Philipp 
Emanuel  und  seinem  Neffen  Bernhard  u.  a.:  Lor.  Chr.  Mizler  (Mathe- 
matiker und  Philosoph,  zuletzt  am  Hofe  zu  Warschau  Leibarzt,  heraus- 
geber  der  ersten  Musikzeitschriften) ;  Joh.  Ludw.  Krebs  aus  Butt- 
städt  (t  1780),  Gottfr.  Aug.  Homilius  aus  Sachsen  (f  1785),  Kantor 
der  Kreuzschule  - )  MD.  an  den  drei  Hauptkirchen  zu  Dresden ;  Joh. 
Friedr.  Doles  (1756—89  Thomas-Kantor  Leipzig;  wollte  die  Fuge 
aus  der  Kirchenmusik  verbannen);  Joh.  Friedr.  Agricola  (t  1774, 
HKM.  Berlin);  Joh.  Phil.  Kirnberger  (f  1783,  Hofmusikus,  Cem- 
balist und  Lehrer  der  Prinzessin  Amalie  v.  Preußen,  Schwester  Friedr. 
d.  Gr.  in  Berlin),  ein  bedeutender  Theoretiker  [„D.  Kunst  des  reinen 
Satzes"  „Grundsätze  d.  Generalbasses"].  Karl  Friedr.  Abel  f  1787 
zu  London;  Garabenvirtuos ;  Joh.  Theoph  Goldberg  (geb.  um  1730 
zu  Königsberg,  bedeutender  Klavier-  und  Orgelvirtuos,  angestellt  in 
der  gräfl.  Brühischen  Kapelle  zu  Dresden:  für  ihn  schrieb  Bach  die 
„Goldbergschen"  Variationen);  Joh.  Christian  Kittel  aus  Erfurt  (f  1809). 
Den  Genannten  schließen  sich  an:  Joh.  Ernst  Eberle  (f  1762,  erz- 
bischöfl.  KM.  Salzburg;  von  seinen  Fugen  galt  eine  lang  als  Bachisch); 
Christ.  Ehregott  Weinlig  (f  1813,  Organist  der  Frauenkirche,  Kantor 
der  Kreuzschule  Dresden),  Dan  Gottl.  Türk  in  Halle  (f  1813).  Joh. 
Chr.  Heinr.  K  i  n  c  k  i  f  1846,  Hoforganist  Darmstadt),  Mich.  Gotth. 
Fischer  (f  1829,  Organist  und  Seminarlehrer  Erfurt)  und  der  Böhme 
Segert  (s.  S.  208). 


daß  die  Mittelstimmen  auch  ihr  Teil  davon  nehmen,  wobei  nachdrücklich  zu  er- 
innern: aa)  daß  die  acht  Anfangsnoten  des  Chorals  im  Thema  enthalten  sind; 
bb)  daß  ein  chromatischer  Gegensatz  füglich  eingeführt  u.  also  die  Fuge  ver- 
doppelt werden  kann;  cc)  daß  sich  der  Hauptsatz  auf  zweierlei  Art  verkehren 
läßt;  dd)  daß  rectum  u.  contrariuni  allhier  zusammengebracht  werden  u.  harmo- 
nieren können;  ee)  daß  sich  auch  sonst  verschiedene  nette  Kinflftchtungen  mit 
dem  Duce  et  Comite  ganz  nahe  an  einander  vornehmen  lassen,  c)  Kin  bekannter 
Choral  soll  figuriert  u.  mit  Variationen  als  Trio  ausgeführt  werden.  11— 12  Min. 
d)  Eine  Singarie,  die  vorgelegt  wird,  soll  nach  dem  vorgezeichneten  Generalbaß 
richtig  begleitet  werden,  e)  Aus  dem  Subjecto  (Thema)  dieser  Arie  soll  ein 
Postludium  gebildet  werden,  etwa  in  der  Form  einer  Ciaccone  oder  einer  freien 
Phantasie.  10—11  Min  —  Vgl.  T.  Nordland,  „Was  ein  Organist  i.  17.  .Tahrh. 
wissen  mußte".    IMG.  VII,  4,  Oß.  •)  NA.:  6  Fusen  [Palme],  Lpz.  Hesse. 

'-)  Das  Dresdner   Kreuzkantorat,  bestehend    seit   dem    i.s.  Jahrb.,  war  und 
ist  eine  wichtige  Pfiegestätte  für  den  deutschen  Kirchengesang.    Vgl.  S.  126. 


Orgelspieler  und  -Komponisten. 


383 


Am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  riß  eine  fast  unglaubliche  Verwelt- 
lichiing  u.  Verwilderung  ein  ;  es  war  nichts  seltenes,  auf  der  ( »rgel  Opern- 
arien, Märsche  und  Tänze  zu  hören.  ,, Unreines  und  Gemeines",  klagt 
Häuser  f*  1803.  „Musik-Lex.",  Gesch  d.  christl.  Kirchenges.),  „kam  in 
die  Kirche  als  Vorspiel  und  als  Nachspiel.  Mit  einer  Ouvertüre  kamen 
die  Leute  zur  Kirche,  mit  einem  Marsche  marschierten  oder  mit  einem 
Walzer  tanzten  sie  zum  Tempel  hinaus".  Nach  Türk  (.,lMe  wichtigsten 
rflichten  eines  Organisten")  spielte  ein  Organist  bei  den  Worten  „Am 
Kreuz  gestorben"  mit  kreuz  weis  über  einander  geschlagenen 
Händen ;  ein  anderer  nach  einer  Predigt  über  die  Mäßigkeit  das 
bekannte  Lied  von  Wenzel  Müller:  „Wer  niemals  einen  Rausch 
gehabt". 

Noch  im  19.  Jahrhundert  wurde  die  Kirche  manchmal  durch 
die  unwürdigste  Orgelspielerei  entweiht.  Zuccalmaglio ')  hört  in  der 
katholischen  Kirche  zu  Lemberg  an  einem  hohen  Feste  Rossinis  Ouver- 
türe zur  diebischen  Elster,  von  mehreren  Arien  gefolgt,  autluhren, 
1843  wurde  in  einer  Kölnischen  I'farrkirche  während  des  geheimnis- 
vollsten Teiles  des  Messe,  der  Wandlung,  (urschraanns  Lied:  ,,Dein 
ist  mein  Herz  und  soll  es  ewig  bleiben"  von  hoher  Orgel  herab  zum 
Besten  gegeben ;  wenige  Wochen  vorher  durchzog  eine  große  kirch- 
liche Prozession  mit  Gesängen  aus  Bellinis  Norma  die  StraUen -).  — 
Auch  boten  die  Orgelkonzerte  unglaubliche  (icschmacklosigkeiten 
Abt  Vogler,  der  größte  Orgelvirtuos  seiner  Zeit  (s.  S.  2t)0,  375',  führte 
ganze  Programmmusiken  auf,  z.  B.  ,,Das  jüngste  Gericht",  den  „Ein- 
sturz der  Mauern  von  Jericho". -^j 

Heute  ist  es  mit  dem  kirchlichen  Orgelspiel  bei  uns,  im  allge- 
meinen wenigstens,  besser  geworden,  allein  es  wird  immer  noch  zu 
sehr  klaviermäßig,  weichlich  und  chromatisch,  zu  wenig  logisch  ge- 
gliedert und  thematisch  gespielt,  wie  denn  auch  der  Inhalt  der  freien 
Präludien  oft  trivial  und  inhaltsleer  ist.  Wem  eigene  kernhafte  Ge- 
danken fehlen,  der  lerne  doch  sich  bescheiden  und  spiele  nach  guten 
Vorlagen.     Das  kann  nicht  oft  genug  wiederholt  werden. 

Hervorragende  Orgelspieler  und  -Komponisten  (letztere  im  folgen- 
den mit  einem  *  bezeichnet)  der  neueren  und  neuesten  Zeit  sind: 

Fried.  Schneider,  Simon  Sech  t  er  (s.  a.  a.  0.),  .loh.  Gottlob 
Töpfer  (t  1870),  Stadtorganist  iu  Weimar,  Joh.  und  Gottl.  Schnei- 
der t  1861  bzw.  185G,  Brüder  von  Friedr.  Seh.,  Ad.  Hesse*  (f  1863, 
Breslau),*)  Karl  Aug.  Haupt  it  1891  ,  Aug.  Gottfr.  Ritter  (f  1885, 
Magdeburg :  Sonaten),  Wilh.  V  o  1  c  k  m  a  r  (v  1887),  B  ro  s  i  g  *,  s.  S.  244, 
Dav.  Herm.  Engel  (f  1877,  Merseburg,  Joh.  Georg  Herzog  lUMD. 
München,  t  02),  Georg  KrejM  (KD.  Prag,  f  1881)  und  dessen  Nach- 
folger als   D.    der   Prager   ( »rgelschule  S  k  u  h  e  r  s  k  y  (S.  327 1.     Leop. 


Ver- 
i  minoren. 


Vogler. 


1!'.  Jahrh. 

Sechter. 
Töpfer. 
Hesse. 
Kitter. 
Brosig. 
Herzog. 
Krejci 
Sknherskv 


1)  N.  Z.  f    M.   l.->3tJ,   IV,  205.  «;  ebenila    1843.    IXX.    108.  'j  1785 

schildert  er  auf  iler  kolossalen  Orgel  in  der  Danziger  St  Marienkirche  „Die 
Belagerung  von  Gibraltar",  ferner,  den  heldenmütigen  Opfertod  des  Prinzen  Leo- 
lioUl  von  Braunsclnveig  bei  der  Überschwemmung  der  Oder  —  alles  bis  in  die 
kleinsten  Details  hinein,  1792  in  der  Hamburger  Jakobikirche  eine -Seeschlacht. 
Der  Konzertzettel  besagte  wörtlich;  „Zum  Schluß  folgt  eine  Jagd-Musik,  worin 
verschiedene  Echos  von  Flöten.  Oboen,  Waldhörnern  und  Fagotts  ferner  die  all- 
mähliche Annäherung  und  Entfernung  von  Wind,  Regen  und  Donner  abwecliselnd 
nachgeahmt  .sind.-  *;  A.  (Auswahl,  Album  [Gottschalg])  Lpz.  Lkt:  CL. 


384 


VI.  Zur  (ieschichte  des  Orgelspiels. 


Best. 
GottschalL 


Fischer. 
Habert. 


Labor. 

Franck. 

Guilmant. 


Widor. 


Rhein- 
berger. 
Brückner. 

Liszt. 
Brahms. 
Reger. 


Alex.  Zellner  (f  1894,  berühmter  Harmoniumvirtuos  in  Wien), 
Imman.  Faisst  (f  1894),  KD.  Stuttgart,  William  Thom.  Best  (f  1897, 
Liverpool,  bedeutende  Unterrichtswerke),  Alex.  Wilh.  Gottschalg 
(t  08,  Intimus  Liszts,  Hoforganist  Weimar),  Gust.  Merkel*  (f  1885, 
Dresden);  Karl  Aug.  Fischer*  (f  1892,  Dresden,  von  Liszt  „Orgel- 
könig" getauft:  4  O.-Symphonien  3  Konzerte),  Matthisson-Hansen 
(s.  S.  335),  Rudolf  Bibl  HKM.  Wien,  Joh.  Ev.  Habert*  (s.  S.  331). 
Peter  Fiel  (f  04.  wertvolle  „Harmonielehre"),  Ed.  Stehle*  (*  1839, 
DKM.  St.  Gallen),  Samuel  deLange*  (*  1840  Rotterdam,  KP.  Stutt- 
gart), JOsk.  Wermann,  Kreuz-Kantor  Dresden,  f  07,  Karl  Piutti, 
Leipzig,  t  02*,  Paul  Homeyer  (f  08,  KP.  Leipzig),  Jos  Labor 
(S.  331),  die  Franzosen  (es.  Franck*  (s.  d.),  Alex.  Guilmant* 
([gilmant]  *  1837,  KP.  Paris),  der  in  seinen  bedeutenden  modern-konzer- 
tanten Orgelstücken  neue  Spielarten  und  Klangwirkungen  schuf,  gleich 
ausgezeichnet  auch  als  Virtuose  seines  Instruments  wie  als  Bearbeiter 
und  Herausgeber  alter  Orgelmusik  fArchives  des  maitres  de  I'orgue. 
und  Ecole  classiqüe  d'orgue],  Charles  Widor*  (*  1S45,  KP.  Paris: 
auch  Bühnen-,  Chor-  und  Orchesterwei'ke),  Eng.  Gigout*  (*  1844  >. 

An  der  Spitze  der  deutschen  Orgelkomponisten  stehen  Mendels- 
sohn (Sonaten),  Schumann,  Rhein  berger  (16  Sonaten,  Charakter- 
stücke, Konzert),  (S.  255),  Brückner,  Liszt  und  Brahms  [11 
Choralvorspiele]. 

Der  Triumph  der  modernen  Orgelkomposition  heißt  Max  R  e  g  e  r 
(S.  340  f.).  Aus  der  unmittelbaren  Gegenwart  verzeichnen  wir  noch 
von  Orgelspielern  bezw.  Komponisten:  Theod.  Forchhammer* 
(*  1847,  Domorganist  und  Kön.  M.  D.  Magdeburg),  Carl  Ludw.  Werner 
(*  1862,  Organist,  Baden-Baden),  Karl  Wo  1fr  um*  (*  1856,  Seminar-Musik- 
u.  Oberlehrer,  Altdorf  b.  Nürnberg),  Wilhelm  Rudnick*  (*  1850,  MD. 
Liegnitz),  Uso  Seifert  (*  1852,  KP.  Dresden  (Klavier -Unterrichts- 
werke, verbreitet),  Max  G  u  1  b  i  n  s  *  (*  1862,  MD.  Elbing,  Jos.  Renner 
jun.*,  F.  Lubrich  (S.  343),  K.  Straube  (*  1872,  Thomas-Organist, 
Leipzig  [Bearbeitungen],  Alfr.  Sittard*  (*  1871,  Sohn  des  03  t  MS. 
Jos.  S.,  Kreuz-  Organist-Dresden);  Friedr.  Wilh.  Franke*  (*  1862, 
KP.  Köln,  s.  Note);  Paul  Gerhardt*  (*  1867,  Organist  Zwickau), 
Karl  Walter  (*  1862,  Diözesan-,  Orgel-  und  Glockenbau-Inspektor, 
Limburg  a.  L  ),  Reinh.  Lichey  (*  1879,  Königsberg);  Alban  Schach- 
lei ter  0.  S.  B.,  Abt  von  Eraaus,  Max  Springer*  (s.  a.  a.  0 ),  Jos. 
Kliüka*  (*  1855,  KP.  Prag)  in  Prag;  0.  Burkert  in  Brunn.  Im 
Auslande  E.  Bossi  (S.  348),  Wihtol  (S.  350),  Alb.  Schweitzer, 
Organist  d.  Bach-Kouzerte  des  St.  Wilhelmchors  Straßburg  (vgl.  S. 
203  2),  Karl  Attrupp*  (*  1848,  KP.  Kopenhagen)  u.  a. 

Einen  Ehrenplatz  als  Orgeltheoretiker  verdient  hier  Bernhard 
Kothe,  der  Urheber  dieses  Buches  (f  1897,  Seminarmusiklehrer  zu 
Breslau) '). 


L.:  a)  Werke  Über  Geschichte,  Bau,  Behandlung  und  Pflege  derO.:  J.  Aii- 
tony,  1832;  G.  C.  Fr.  Schlimbach,  3.  A.  [C.  F.  Becker]  Lpz.,  B.  &  IL:  J.  J. 
Seidel,  4.  A.  [B.  Kothe],  Lpz.  1887,  Lkt.;  hierzu  Anhang  [Dr.  IL  Schmidt]; 
Skuhersky   1882;  J.  (J.  Töpfer,  1856,    4  Bde.  2.    A.  („Theorie    u.   Pra.\is   des 


1)  Vgl.  Zentralbl.  f.  Instrumentalmus.  liS97,  25. 


Orgelspieler  und  -Komponisten. 


385 


O.baus")  [M.  Allihn])  1888.  Eine  verbesserte  Übersetzung  von  L'art  du  facteur 
<rOrgues  (3  Bde..  Paris  1766 — 78),  des  Benediktineruiunches  Dom  Jean  FranQ., 
Bedos  de  Celles  (170C— 79)!  K.Locher,  189«:  B.  M  et  te  n  leite  r,  1870;  .1.  G. 
Heinrieh,  is6l;  H.  Sattler,  5.  A.  Langensalza:  D.  H.  Engel,  1855;  F.  G. 
Fischer,  Glogan:  b.  Kothe.  4.  A.  LeobschUtz,  C.  Kothe:  A.  G.Ritter, 
(_Z.  Gesch.  des  O.spiels''  im  14.— is.  Jahrb.  1884 1:  E.  G.  Fischer,  C.  F. 
B  e  c  k  e  r ,  1S28 :  F.  L.  S  e  h  u  b  e  r  t ,  O.  W.  W  a  n  g  e  ni  a  n  n ,  3.  A.  1887  -.Schweitzer 
(üb.  französ.  O.-Bau):  Heinr.  Sc  h  mi  dt  (Lehrbehelf)  07:  Max  Richter,  Moderne 
Orgelsjiielanlagen,  Lpz.  07;  E.  v.  Werra:  Erstes  Orgelbuch.  Regensburg,  2.  A. 
1894.  Zweites  Orgelbuch.  1893:  Orgelkatechismen  von  E.  F.  Richter,  4.  A. 
1890  und  H.  Riemanu,  Lpz.  Hesse. 

b)  praktische  ^Verke:  H.  Pauli,  D.  prakt  O.spiel  u.  d.  Behandlung  der 
O.,  1893.  —  Praktische  Orgelschulen  von:  J.  Chr.  H.  H.  Rinck,  [Volckmar]  C.  L, 
Fr.  Schneider,  Wilh.  Volckmar,  Job.  (ieorg  Herzog,  Skuhersky,  1882; 
Franke,  _D.  O.-jpiel,"  Lehrgang  f.  polyphone  O-kunst.  —  Ko th e- JForch- 
faammer:  FUhrer  durch  d.  O.-Literatur,  2.  A.  [O.  Burkert]  09  kritisch,  wertvoll). 
—  Vgl.  den  ^.Lehrg.ing  u.  -Plan  iles  Konservatoriums  Prag"*. 

A.:  Vgl.  die  Kataloge  CL..  EP.,  ES.,  UE.,  B  &  H.  Lkt.  Den  Interessen 
der  O.  gewidmete  Zeitschriften:  -L'rania-  [^Gottschalg],  „D.  Orgel"  [Lubrich].  Vgl. 
auch  S.  245  f.  über  das  Harmonium. 


Virginal  als  Nähkästchen;  17.  Jahrh. 
(Nr.  14  de  Wit-Katalog.) 


Kothe-Proehazka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl. 


25 


VII.  Zur  Gescliichle  des  Yioliiispiels. 

22.  Die  Violine,  ihr  Bau  und  ihre  Meister. 

Wir  kennen  bereits  die  Entstehung  der  Geige,  ihre  erste  Ent- 
wickelung  und  hohe  Kangstellung  innerhalb  des  Orchesters  "wie  als 
Soloinstrument  und  erinnern  uns  genau  der  Führerrolle,  die  ihre  Meister 

*^schu°en""  '°  ^^^'  aufblühenden  Instrumentalmusik  spielten  (S.  92,  170  f.,  184  f.).  i) 
Es  erübrigt  hier  vorerst  ein  Blick  auf  die  unterschiedliche  Eigenart 
der  italienischen  Meisterschulen  im  Geigenbau,  die  dem  Bahnbrecher 
brucker  T  i  e  ff  e  n  b  r  u  c  k  e  r  (s.  dort)  folgten.  ^)  Auf  dessen  Prinzip  weiterbauend 
Bresciä.  sehen  wir  zuerst  die  Schule  von  Brescia  (1520 — 1620).  Hauptver- 
treter: Gasparo  da  Salo  aus  Salu  am  Gardasee  (ca.  1542 — 1609)^). 
Zu  dieser  Schule  gehören  auchMaggini,  Mariani,  Venturini  usw.  Eigen- 
tümlichkeiten :  etwas  großes  Format,  starke  Wölbung,  dunkler  Firnis, 
F-Löcher  groß. 

Cremona.  Hauptvertreter  der  Schule  von  Cremona  (1550— 1760) sind:  1. 

Amati.  die  Familie  Amati,  u.  z.  der  Begründer  der  Schule,  Andrea  (c.  1535 
bis  1611),  dessen  Söhne  Antonio  und  Hieronymus  und  des 
letzteren  Sohn  zweiter  Ehe  Niccolo  (1596—1684),  der  bedeutendste 
[Eigenart:  bei  hoclagewölbter  Oberdecke  und  sehr  haltbarem,  hellbraunem 
Firnis  ein   leise   verschleierter  Silberton,   doch   ohne  Kraft  —  es  sind 

Stradivaii.  ausgezeichnete  Geigen  für's  Zimmer] ;  2.  Antonio  Str  adi  vari  (1644  bis 
1736),  der,  Schüler  Niccolö  Amatis,  den  Violinbau  zur  Vollendung 
brachte  [namentlich  die  1700—1725  entstandenen  Instrumente  unüber- 
troffen. Sein  Ideal  war:  Vereinigung  der  Kral't  der  Brescianer  mit 
dem  lieblichhellen  Tone  der  Amati.  Zur  Decke  verarbeitete  er  nur 
sehr  schönes,  klarjähriges  Holz ;  Wölbung  sehr  gering,  Lack  von  bester 
Qualität.  Über  1000  Instrumente  (darunter  die  berühmte  „Toscana",  1690), 
heute  mit  fabelhaften  Summen  (30  000  M.  und  höher)  bezahlt;  sie  sind 
die  geeignetsten  Konzertgeigen,  kräftig  und  glänzend  im  Ton.  Seine 
beiden  Söhne,  Francesco  und  Omobone,  arbeiteten  in  seinem  Geiste 
fort,  ohne  jedoch  den  Vater  zu  erreichen;  zu  größerer  Bedeutung  ge- 
langten Stradivaris  Schüler  Carlo  Bergonzi  (wirkte  1712 — 50), 
der  nach  des  Meisters  Tode  dessen  Haus  und  Werkstatt  mietete, 
und  Lorenzo  Guadaguini  (wirkte  1695— 1742)  mit  seinem  Sohne 
Joannes  Battista  Guadaguini  (dessen  Violinen,  durch  großen 
und  edlen  Ton  ausgezeichnet,  von  ausübenden  Künstlern  sehr  gesucht)] ; 
Guariieri.  3.  die  Familie  G  u  a  r  n  e  r  i  (Andrea  ca.  1630—95,  Joseph  1666  bis  c.  1739 ; 
dessen  Bruder  Pietro  1695 — 1725  ließ  sich  in  Mantua  nieder.  Das 
berühmteste  Mitglied  war  Guiseppe  del  Gesü  1687 — 1745,   dessen  lu- 


1)  Vgl.  auch  Kieniann,  Ilandb.  d.  Miis.  Gesch.  II,  1.  S.  473. 

*)  Vgl.  Scheliek,  d.  (Teigeiibau  in  Jtal.  u.  s.  deutsvh.  Urspr.  1874. 

B.:  Gio  Livi,  Niiova  Antologia  vol.  34.  —  London,  W.  E.  Hill  &  Sons,  1896. 


Violinbau. 


387 


Strumente    mit    jenen    Stradivaris    rivalisieren.      Sie    kamen    in    Auf- 
nahme durch  Paganinis  ,, Wundergeige")-  ^) 

Weitere   Hauptschulen:   Die   Neapolitanische   (1680—1800:     Neapel, 
die  Meister  von  Neapel  und  Mailand,  die  Familien  Gagliano,  Gran- 
cino,  Testore  usw.),  die  Florentiner  (1680— 1760:   die  Meister    Florenz. 
Roms  und  Bolognas,  wie  Gabrielli,  Anselmo,  Florentus  usw.), 
die  Venetianische   (1690—1764:   u.  a.   Domenico  Montagnana    Venedig. 
17o0 — 50  und  Santo  Seraphino   1730—45),    endlich    die   Tiroler      Tirol. 
(1640  bis  96):  Jakob  Stainer,  die  Familien  Klotz  und  Albani. 

Jakob  Stainer,  *  Juli  1621  ?.u  Absam,  Schüler  von  Niccolö  stainer. 
Amati,  lebte,  obwohl  äußerlich  geehrt  (wurde  ,, Hofgeigenmacher"),  mit 
seiner  starken  Familie  (1  Sohn  und  8  Töchter)  in  beständiger  Not, 
verfiel  in  Wahnsinn  und  f  1683.  Seine  Geigen,  die  mitunter  ein  drittes 
Schallloch  in  Sternform  unter  dem  Griffbrett  eingeschnitten  haben,  sind 
der  technischen  Ausführung  und  des  schönen  Tones  wegen  berühmt. 
(Er  wählte  zu  den  Violindecken  die  Haseltichte  und  rundgemaserte 
Ahornhölzer  zu  Boden  und  Zargen.  Decke  höher  modelliert  als  Boden, 
P'-Löcher  kurz ,  in  zirkelrunde  Öffnungen  auslaufend.  Der  Hals 
trägt  oft  anstatt  der  Schnecke  einen  schön  geschnittenen  Löwenkopf. 
Schnecken  weiter  beschweift  als  gewöhnlich.  Der  gelbrote  Lack  un- 
übertrefflich schön.  Signatur:  Jacobus  Stainer  in  Absam  prope  Oeni- 
pontum.) 

Der  beste  Schüler  Jakob  Stainers  war  Aegidius  Klotz  aus 
Mittenwald.  Sein  Sohn  Matthias  (1653—1743)  gründete  die  heute  Klotz, 
noch  bestehende  Geigenfabrik  in  Mittenwald.  (Dort  war  Jahr-  ^'ittenwald 
hunderte  hindurch  eine  einträgliche  Warenniederlage  der  Kaufleute  zu 
Venedig.  Als  aber  der  Handel  andere  Wege  einschlug,  verarmten  die 
Einwohner.  Matthias  Klotz  erschien  wie  ein  rettender  Engel  mit  seiner 
Geigenfabrik,  für  die  alle  Einwohner  arbeiteten,  ähnlich  wie  dies  in 
Über-Ammergau  mit  der  Holzschnitzerei  der  Fall  ist  —  König  Max 
von  Bayern  gründete  in  neuerer  Zeit  daselbst  eine  Geigenmacherschule.) 

Eine  nicht  unbedeutende  Konkurrenz  erwuchs  Mittenwald  durch 
die  beiden  sächsischen  Städte  K  1  i  n  g  e  n  t  h  a  1  und  Markneukirchen, 
sowie  durch  Schönbach  und  Graslitz  i.  Böhm,  wo  der  Instrunien- 
tenbau  ebent'alls  fabrikmässig  betrieben  wird.'j  Es  handelt  sich  dabei 
aber  nur  um  ,.ln(lu5trie'',  nicht  um  ,.Kunst''.  —  Bei  den  Geigen  von 
Matthias  Albani  (^zu  Bozen,  ■{•  1673,  Schüler  von  Stainer)  ist  die 
Wölbung  höher  als  bei  Stainer,  die  Form  schwerfälliger.  Die  beiden  Albani. 
oberen  Saiten  klingen  hell,  die  beiden  unteren  näselnd.  (Ausser  diesem 
Matthias  noch  5  Geigeuniacher  gleichen  Namens.) 

In  Frankreich  trat  Nicola  Lupot  (aus  Stuttgart,  f  Paris  1824) 
das  Erbe  der  Italiener  an,  neuerer  Zeit   Gand  und  Jean  Baptiste,- 

,r     .,,  r.     •  *^  r  ranzosen. 

V  uillaume  zu  Paris. 

Rühmliches  leisteten  auch   in  Prag:  Edlinger   (Mitte   des  18. 


1)  Gegenwärtig:  im  Museum  zu  Genua  zu  —  sehen.  Kiehts  einfältiger,  als 
derlei  Aufbewahrung  kostbarer  Instrumente  ,,unter  Glas",  wo  sie  schweigen  und 
verderben  niUssen,  anstatt  unter  den  Ilandeii  eines  Künstlers  (deren  viele  oft 
ver;;ebüch  danach  trachten)  aufs  neue  ihren  Klangzauber  üben  zu  können 

*)  S.  Schebek:  D.  Erwerbsverhältnisse  im  böhm.  Erzgebirge:  Prag,  1862, 
Mercy.   —  In  Graslitz  und  Schonbach  bestehen  seit  l?77  k.  k.  Fachschulen. 


388 


VII.  Zur  Geschichte  des  Violinspiels. 


Präger 
Schule. 


Bogenbaii. 


Jahrb.),  Eberle  (Joannes  Udalricus  Eber II,  1740—80,  deutschen 
und  italienischen  [Amati]  Einschlag  vereinend),  deren  Schule  sich 
in  Hellmer,  Caspar  Strnad  (f  1820),  A.  Sitt,  Willer,  Em.  Homolka 
fortsetzte."^)     (Vgl.  hierzu  S.  154  über  Lautenbau). 

Der  Violinbogen  nahm  je  nach  dem  Stande  des  Violinspiels 
verschiedene  Formen  an  (8).  Die  besten  Bogen  arbeitete  Franc  ois  T  o  u  r  t  e 
1747—1835,  Paris.  (Die  Stangen,  aus  Brasilienholz,  sind  leicht,  schmieg- 
sam, elastisch  und  fest;  ebenso  gesucht  wie  die  „Cremoneser"  Geigen.) 

Das  Geheimnis  der  „Geigenbaukunst"  ist  noch  unergründet.  In 
Italien  sank  diese  Kunst  zum  dürftigen  Handwerk  herab.  Deutsch- 
Struktur,  land  und  Frankreich  nahmen  sie  ernster.  Man  zerlegte  die  „Cremo- 
neser", nahm  genaues  Maß  von  der  Größe  und  Stärke  aller  Teile, 
untersuchte  Holz  und  Lack ;  Savart-Paris  wollte  die  Frage  durch 
physikalische  Experimente  lösen ;  man  gab  der  Violine  andere  Formen, 
anderes  Material  (Cedern-  Ebenholz,  Schildpatt,  Silber,  Kupfer,  Messing, 
neuestens  sogar  Thon),  trocknete  oder  präparierte  das  Holz  künstlich 
usw.,  —  aber  trotz  aller  Versuche  gelang  es  nicht  Instrumente  von 
gleichem  Werte  zu  schaffen.  In  neuester  Zeit  trachtet  man  mittels  Über- 
einstimmung der  Tonhöhe  der  beiden  Decken")  Klangschönheit  bei  neuen 
Violinen  zu  erreichen  und  glaubt,  sich  dem  Geheimnisse  der  alten 
Meister  genähert  zu  haben. 

Auch  die  Zubereitung  des  italienischen  Lacks,  durch  den  die 
Geige  an  Dauerhaftigkeit  und  ihr  Ton  an  Schönheit  gewinnt, 
blieb  ein  Geheimnis.  Man  nimmt  an,  daß  er  aus  dem  Harze  der  ge- 
genwärtig eingegangenen  Balsamfichte  (pinus  balsamea)  hergestellt 
wurde.  Dieser  Lack  macht  es  allerdings  nicht  allein,  vennutlich  aber 
in  Verbindung  mit  der  Auswahl  des  Holzes  (damals  auf  dem  Wasser- 
wege, also  gleichsam  imprägniert  bezogen)  und  mit  der  Konstruktion 
der  Instrumente. 

Als  Erfinder  neuer  Geigenabarten  —  V  i  o  1  o  1 1  a  ,  zwischen 
Bratsche  und  Cello;  und  Cellone,  zwischen  Cello  und  Kontrabaß 
stehend  —  machte  Dr.  Alfr.  S  t  e  1  z  n  e  r  in  Dresden  (f  06,  auch  Opern- 
kompouist)  Aufsehen. 

Interessant  sind  die  niedlichen,  oft  reichgeschmückten  dreisaitigen 
Taschengeigen  der  früheren  Tanzmeister  (franz.  pochette). 


Lack. 


Taschen 
geigen. 


Biber. 
Italien. 
Schulen. 
Corelli. 


Unter  den  ersten  auch  selbstschöpferisch  tätigen  Meistern  des 
Geigenspiels  begegneten  uns  schon  bedeutsam  Heinr.  Ignaz  Franz 
B  i  b  e  r  3),  KM.  in  Salzburg,  von  Kaiser  Leopold  I.  geadelt  (er  machte 
starken  Gebrauch  von  der  S  c  o  r  d  a  t  u  r  a ,  s.  S.  152  185) ,  Corelli,'') 
Torelli,  Vivaldi  (S.  185)  und  Locatelli  (S.  218)   [röm.  Schule]; 


1)  Vgl.  Hajdecki,  Beiträge  z.  Geseh.  d.  nachitalien.  Geigenbaukuust,  Ztschr. 
f.  Instrumentenbau  1882,  .s— 16.  ')  Durch  das  Stimmen  der  Ober-  und  Unter- 

decke auf  den  gleichen  Ton.  ')  Vgl.  Moissl :  Hervorragende  deutsch-böhm. 

Musiker;  Mitteilgen.  d.  Ver.  f.  Heimatkunde,  Reichenberg  07,  1.  —  N.M.  Z.  07.  17.  — 
Ferd.  Davids  „Hohe  Schule  des  Violinspiels"  (B.  &  H.)  enthalt  in  ihren  20  Heften 
auch  Sonaten  von  Biber;  außerdem  Werke  von  Bach,  Benda,  Corelli,  Händel, 
Tartini  usw.  *)  Die  „Denkmäler  der  Tonkunst"  bringen  in  der  3.  und  7.  Ab- 

teilung Sonaten  von  Corelli;  dieser  zeichnete  sich  durch  sein  vollendetes  zwei- 
und  dreistimmiges  Spiel  aus,  wie  durch  seinen  edlen  Vertrag  trotz  der  Be- 
schränkung auf  die  ersten  3  Lagen  (in  Neapel  bereitete  ihm  bei  einer  Searlatti- 
Oper  das  Spiel  in  der  5  Lage  Verlegenheit!). 


VII.  Zur  Geschichte  des  Violinspiels. 


389 


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390 


VII.  Zur  Geschichte  des  Violinspiels. 


Tartinl. 


Paduaii. 
Schule. 


Veracini. 
Nardini. 


Leop. 
Mozart. 

Geminiani 


L  eclair. 
Viotti. 


Kreutzer. 
Rode. 
Pixis. 


Paganini 
t  1840. 


Giuseppe  Tartini  (1692—1770),  der  Entdecker  der  Kombina- 
tionstöne  (d.  s.  tiefe  Untertöne,  durch  gleichzeitiges  Erklingen 
zweier  Töne  verschiedener  Höhe  hervorgerufen)  ^),  die  er  zur  Er- 
reichung reiner  Intonation  auch  praktisch  zu  verwerten  wußte,  en-ichtete 
1728  in  Padua  eine  hohe  Schule  des  Violinspiels,  dessen  Technik 
weiter  entwickelnd  (höhere  Lagen,  Triller).  Aus  seinen  zahlreichen  als 
klassisch  geltenden  Kompositionen  zählt  die  sogenannte  Teufels- 
Sonate  (Trille  du  diable)  noch  heute  zu  den  bevorzugtesten  Ke- 
pertoirestücken  unserer  Virtuosen.-)  Seine  „Kunst  der  Bogen- 
führung"  ist  ein  Muster  für  alle  Zeiten.  Hier  nahm  er  sich  die 
Bogenbehandlung  eines  seiner  glücklichsten  Rivalen,  des  Fr.  Maria 
Veracini  (um  1722—30  in  Prag,  f  1750)  zum  Muster. 

Tartinis  Schule  entstammen  sein  Lieblingsschüler  Pietro  Nar- 
dini (t  1793),  von  Mozarts  Vater  (Leopold  Mozart,  *  1719,  f  1787 
in  Salzburg,  selbst  ausgezeichneter  Geiger  und  Verfasser  einer  Violin- 
schule —  nächst  jener  Geminianis  [1740]  der  ersten  und  angesehensten 
— )  wegen  der  seltenen  Reinheit  und  Gesangraässigkeit  des  Tons  be- 
sonders bewundert;-^)  Manfred! ;  der  in  Wien  1749  hochgefeierte  Ferrari 
(Flageolettöne  und  Oktavenspiel  einführend)  und  Meneghini. 

Wir  kennen  weiter  bereits:  Sammartini  (S.  210,  218),  Franz 
Ben  da  a.  Böhm.*),  der  ebenso  wie  seine  Brüder  Johann  (f  1752)  und 
Josef  (t  1804,  alle  Konzertmeister  in  Berlin  bzw.  Potsdam)  viele  Schüler 
bildete  ;  Stamitz,  Richter,  und  andere  ,.Mannheimer"  (Franzi  Vater  und 
Sohn,  Gramer),  Leclair^)  (S.  187  f.)  und  Bo  ccherini  (S.  217).  Lec- 
lair  entstammt  der  von  Rebel,  Francoeur,  Anet  u.  a.  begründeten 
fr  an  zösischen  Schule.  Zu  den  Italienern  zählt  auch  F.  Fi  o  rill  o 
(t  c.  1825 :  Kapricen). 

Der  Vater  des  modernen  Violinspiels  ist  Giov.  Viotti 
(1755 — 1824),  ein  vollendeter  Geiger  (Schüler  von  Pugnani  [Piemon- 
tesische  Schule])  und,  obwohl  Autodidakt,  auch  als  Komponist  hoch- 
bedeutend. Auf  ihn,  der  eine  Zeitlang  auch  Direktor  der  großen  Oper 
und  —  Weinhändler  (!)  war,  lassen  sich  jene  drei  großen  Schulen  — 
die  französisch-belgische,  die  Wiener  und  die  Prager 
Schule  (s.  unt.)  —  zurückführen,  aus  denen  bis  in  die  neueste  Zeit 
die  Mehrzahl   der  Meister   und  Virtuosen   der  Geige   hervorgegangen. 

Zu  Viottis  unmittelbaren  Schülern  zählen:  Rud.  Kreutzer 
t  1831  (s.  S.  236),  Bai  Hot  f  1842,  Pierre  Rode  f  1830,  Fr.  W. 
Pixis  t  1842.  Während  der  letzte  dem  Prager  Konservatorium 
durch  mehrere  Dezennien  zur  Blüte  verhalf,  wirkten  die  drei  ersten 
teils  nacheinander,  teils  gleichzeitig  am  Konservatorium  in  Paris,  für 
das  sie  zusammen  das  offizielle  Schulwerk  „Methode  du  Violon" 
verfaßten.  Außerdem  machte  sich  jeder  besonders  berühmt:  Kreutzer 
durch  seine  „42  Etudes",  Baillot  durch  seine  „L'art  du  Violon", 
Rode  durch  seine  „Caprices"  und  „Etudes". 

Den  Gipfel  der  Virtuosität  erklomm  Niccolö  Paganini  (*  1782 

•)  Dagegen  Ober-  (Aliquot-  Partial-  oder  Teil-)  Töne,  die  neben  einem 
angegebenen  Tone  leise  mitklingen,  für  Klangfarbe  und  Harmonie  von  EinfluD. 

»)  NA.  G-moU  Sonate  LRob.  Franz]  Lckt.  —  D  :  Pirano.  »)  NA.  Sonaten 
[Alard,  Ferd.  David,  Zellner],  Konzert  (1760)  [Miska  Hauser,  sensationeller 
Wiener  Geiger  (t  1S87:  „Wanderbuch  eines  österr.  Virtuosen")]  Lckt.  Lp». 

*)  NA.  /l-moU  Sonate  [Jensen],  Augener-Lontion ;  Sarabande  [P.  Klengel), 
Lpz.  Lckt.  *)  NA.  einer  schönen  Sonate  |David]. 


Die  Meister  der  Geige.    Paganini. 


391 


Oenua,  f  1840  Nizza).')  Sein  dämonisches  Wesen,  seine  originelle, 
von  Leidenschaft  durchglühte  Vortragsweise  und  eine  bis  dahin  un- 
•erhörte  Technik  wirkten  geradezu  berauschend  auf  die  gesamte  musi- 
kalische Welt.  (Vgl.  Liszt,  Kap.  VIII.)  1828—34  nach  Österreich, 
Deutschland ,  Frankreich  und  England  unternommene  Kunstreisen 
wurden  für  ihn  zu  wahren  Triumphzügen.  P.s  Kompositionen  (24  Ka- 
pricen [rein  musikalisch  wertvoll  I]  Etüden,  Konzerte  [A-moll,  Z>-dur  \Verke. 
maßgebend  für  die  Konzertform !j,  ,, Hexentanz";  Instrumentalquartette 
mit  obligater  Gitarre!),  vielfach  auch  von  Liszt  und  Schumann  für 
Klavier  bearbeitet,  bergen  „so  viel  demanthaltiges"  und  ,, genialisches 
an  poetischer  Idee"  (Schumann  ,  daß  nur  Vorurteil  infolge  Unkenntnis 
die  vielfache  Geringschätzung  jener  ,,Vii'tuosenwerke"  verursachen 
konnten.  Schumann  hält  ')  die  zweite  der  „C  a  p  r  i  c  e  n"  ,, allein  für 
hinreichend,  P.  eine  erste  Stelle  unter  den  neueren  italienischen  Kom- 
ponisten zu  sichern "  Florestan  nennt  ihn  hier  „einen  italienischen 
Strom,  der  sich  auf  deutschen  Hoden  mündet".  Hier  gilt  die  Pietät, 
„die  so  ein  mächtiger  verehrter  (ieist  gebietet."  P.  ist  das  Vorbild 
•des  modernen  Virtuosentums.    Sein  Sciiüler  ist  Camillo  Si  vori  f  1804. 

Teilweise  Zeitgenossen  und  Rivalen  P.s  sind  Jos.  May  seder- 
Wien  t  lN(i3  und  Carl  Jos.  Lipinski  j  ISßl  [„Militär-Konzert"!. 

Ferner  ragen  hervor :  L.  W.  Maurer  f  187s  [„Quadrupel  Kon- 
zert"], W.  B.  Molique  in  Stuttgart  t  1869,  und  Antonio  Bazzini 
t  ISy?  (KD.  Mailand,  vielseitiger  Komponist  deutschgediegener  Fak- 
tur); vor  allen  Louis  Spohr  (S.  25'.t  f ),  der  würdigste  Repräsentant 
der  deutschen  Schule.  Sein  Instrument  mit  universeller  Meister- 
schaft behen'schend,  verband  er  in  seinem  großstilisierten  Vortrage 
tiefe  Auffassung  mit  Jenem  romantischen  Zauber,  der  auch  vielen 
seiner  zahlreichen  Kompositionen  eignet.  Neben  seinen  15  Violin- 
Konzerten  (namentlich  Nr.  S  in  A-moU  [.,in  Form  einer  Gesangszene"] 
und  Nr.  9  in  Z>-moll  geschätzt)   schrieb   er   eine   große  Violinschule,  'i  Hauptmann. 

Zu  seinen  zahlreichen  Schülern  gehören :  Moritz  Hauptmann 
t  1868  (als  Thomas-Kantor  in  Leipzig,  Gelehrter  [„Natur  der  Harmonik 
und  Metrik"]  und  Komponist  [Kirchenmusik,  gemischte  Chöre,  Violin- 
Sonaten]  i;*)  Karl  Müller  f  1873,  bildete  in  Braunschweig  mit  seinen 
Brüdern  das  weltberühmte  Streichquartett  „Gebrüder  Slüller",  das 
seine  vier  Söhne  als  Hofquartett  des  Herzogs  von  Meinigen  fortsetzten). 
Hubert  Ries  in  Berlin  t  I88tj  [Violinschule]  und  Moritz  Schoen 
aus  Krönau  i.  Mähr.,  t  1885  Breslau  [Prakt.  Lehrgang] ;  beide  durch 
ihre  zahlreichen  instruktiven  Werke  um  die  Pädagogik  des  Violin- 
spiels hochverdient ;  vor  allen  aber  gewann  Ferd.  David,  in  Leipzig  navid. 
t  1873,  als  Freund  Mendelssohns  und  Lehrer  am  Konserva- 
torium großen  Einfluß.  Aus  der  großen  Schülerzahl  ragen  hervor: 
Arno  Hilf,  KP.  Leipzig,  ♦1858,  Henri  Sc  hr  adieck  -  Philadelphia 
(Stndienwerke)  *  184G  und  August  Wilhelmj,  1845—08,  ein  Geiger 
ersten  Ranges  [„Große  Violinschule"].'') 


Bazzini. 

Spohr. 

Dentsche 

Schule. 


1)  B.:  Xiggli:  A.  der  Werke  [David  u.  ä.]  B.  &  H.      «)  Ges.  Sehr.  II,  11  ff., 
Reclam.  «j  A. :  Schlesinger-Brl.  (mit  Bildnis).    Xg\.  zu  S.  261'  nocii  Scbletterer 

„L.  S.",  B.  &  H.  *)  (tA.:  GeSHiiorwerke;  nebst  3  Violin-Sonaten,    Lpz.,  B.  &  H. 

—  Briefe  an   Fr.  Hauser  [A.  Schöne],  2  Bde.  iHll:    an   L.  Spohr  u.  a.   [F.  Hillerj 
1876.  ')  Originalkomp.  u.  Bearbtgn.  Schlesinger-BrL 


392 


VII.  Zur  Geschichte  des  Vionlinspiels. 


Namhafte   Schüler   Spohrs   sind   noch:    Jean  Jos.   Bott    f  1895, 


Franz.-belg. 
Schule : 


Mazas. 


Beriot 
Vieux- 
temps. 
Pruine. 


Zu   den    Hauptvertretern    der    erwähnten 
Schule   gehören    u.  a. :     Fr.    A.    Habeneck 


Sarasate 


Marteau. 


Präger 
Schule. 


Viole  (Quinton) 

A'on  J.  ü.  Eberle,  Prag,  1749.  (Nr.  2J0 
de  Wit-Katalog.), 


französisch-belgischen 
1849,  unter  dessen 
Direktion  die  Konzerte  des  Pariser 
Konservatoriums  ihren  Weltruf  er- 
langten: Mazas  t  1849;  Ole  Bull 
tl880,')  Hubert  Leonard  f  1890; 
Alard  f  1888,  Nachfolger  Baillots, 
und  dessen  Schüler  Meerts  f  1863^ 
und  Charles  D  a  n  c  1  a  f  07  :  Charles 
de  Beriotf  1870  und  dessen  Schüler 
Teresa  Milanollo  ,  Henri  V  i  e  u  x  - 
temps  (1820  —  81)  und  Prume 
t  1849  [„Melancholie",  Etüden];  Lam- 
bert Jos.  Massart  f  1892. 

Folgende  neuere  Meister  gingea 
aus  dieser  Schule  hervor:  die  Polen 
Henri  Wieniawski  t  1880  und 
Isidor  Lotto,  die  Spanier  Pablo 
de  Sarasate,  f  08,  und  Joan  Manen 
(*  1883 :  Op.  „Acte'-,  Symph.  „Kata- 
lonia"),  der  Franzose  Emil  Sauret, 
die  Belgier  M  a  r  s  i  c  k ,  Cesar  T  h  o  m  - 
sonund  Eugene  Ysaye;  der  Tscheche 
Franz  0  n  d  i-  i  c  e  k ,  *  1857,  der  Ungar 
Jenö  Hubay  [Konzert,  Opern  „d. 
Geigenmacher  v.  Cremona,,  u.  a.]  und 
die  Deutschen  Jean  Becker,  (Begrün- 
der des  Florentiner  Quartetts,  s.  S. 
35.5),  Hugo  H  e  e  r  m  a  n  n ,  Jos  L  a  u- 
L  e  r  b  a  c  h  ,  Henri  Marteau,  *  1874. 
Nachfolger  Joachims  zu  Berlin.  Fritz 
K  reissler. 

Als  vorzüglicher  Geiger  und 
Komponist  erscheint  hier  auch  Edou- 
ard Lalo-1'aris,  t  1892  (Oper  „Le 
roi  d'Ys",  Ballett  [auch  als  Orchester- 
suite] ,,Namouna" ;  „Rhapsodie  nor- 
vegienne"  f.  Orchester,  2  Violinkon- 
zerte [Nr.  2  „Symphonie  espagnole"]. 

Der  P  r  a  g  e  r  Schule  von 
Pixis  (s.  ob.)  und  Moritz  Mildner 
(t  1865)  entstammen  u.  a. :  J.  W. 
Kalliwoda  (S.  255),  Jos.  Slavik, 
der  ,, böhmische  Paganini"  (1806 — 33; 
Chopin  schrieb,  nichts  ähnliches  ge- 
hört zu  haben:  „im  Stakkato  nimmt 


»)  B.:  S.  Bull-Ottmann,  .Stuttgart  1886. 


Die  drei  großen  Schulen. 


393 


Kubelik. 
Methode. 


er  96  Noten   auf  einen  Bogen!"  [2  Konzerte  n.«-moll,   a-moll],*)  Ferd. 

Laub  t  1875,  Job.  11  lim aly  und  sein  Scbüler  I'etschnikow,  Em- 

Wirtb,  Frau  Wilma  Neru da- Norm  an  (Sobülerin  von  Leop.  .Tansa 

t  1875),  der  vorber  von  Mayseder  unterricbtete  Heinr.  de  Ab  na;  der 

Deutscbbübme  Ant.  Renne  witz  (1882—91,  KD.  zu  Prag)  und  dessen 

Scbüler :  Hans  S  itt ,  KP.  Leipzig  (zwei  bedeutende  Konzerte],  E.  Kübns 

(KD.  Königsberg),   Florian  Zajic,   Karl   Hoffmann  (Primarius  des 

böhm.    Streichquartetts)-!    und  Ot.  Sevtik  [Spr.  scbeftscbik]  *  ls52     sevcik. 

Horazdowitz   i.  Böbm,   1892— Ü7  KP.  in  Prag,   der  Begründer  einer ^'euePrager 

neuen  Prager  Schule  von  Weltruf,   den  der  tschechische  Geiger     ^'^"w  e. 

.Jan  Kubelik  (*  188* ii  begründet. 

Die  Methode  S.s  betrachtet  keineswegs,  wie  Gegner  behaupten 
die  Technik  als  Selbstzweck,  geht  vielmehr  vom  einzig  richtigen 
Grundsatze  aus :  denkbarst  mögliche  Beherrschung  des  rein  Techni- 
schen ist  ein  unerläUliches  Haupterfordernis  zur  vollendeten  künstleri- 
schen Wiedergabe  eines  Meisterwerkes,  u.  z.  nicht  etwa  nur  im  Solo-, 
sondern  auch  im  Ensemble-  (Kammer-  und  Orchester-) Spiel.  So  wird 
diese  in  vielen  Details  völlig  neuartige  Methode')  —  zu  ihren  Vor- 
zügen zählt  u.  a.  die  makellose  Intonation  (eine  Folge  des  Zer- 
legens  schwieriger  Passagen  beim  Üben  eventuell  bis  in  die  kleinsten 
Teile)  und  Gedächtnisschärfung  —  von  immensem  Werte  für  die 
Hebung  des  Orchester niveaus.  Tüchtige  Konzertmeister  aber 
und  ( irchestergeiger  überhaupt  (die  neue  Methode  ist  ja  naturgemäß 
auf  a  1 1  e  Streicher,  in  manchen  Details  sogar  auch  andere  Instrumente 
anwendbar)  sind  mehr  wert  als  reisende  Virtuosen.  An  der  Spitze 
der  aus  aller  Herren  Länder  stammenden  Sevcikschüler  —  viele 
bekleiden  angesehene  Lehrposten  —  stehen  neben  Kubelik:  Kocian 
und  Colbertson.  —  Violinschulen  in  tschechischer  Sprache  schrieben 
der  ausgezeichnete  Pädagog  Ed.  Wittich,   r  1890,   Malat  und  Bartak. 

In  Wien  blühte  das  Geigenspiel  unter  Ign.  Schuppanzigh, 
t  ISoO,  der  zuerst  Beethovens  (^lartette  spielte,  Mayseder  und  .los. 
Böhm,  t  187(J,  einem  Schüler  Kodes.  Zu  Böhms  hervorragendsten 
Zöglingen  gehören:  Heinr.  Wilh.  Ernst  aus  Brunn,  r  18G5  [„Elegie" 
Konzert  ./T.«;,  .lak.  ürün  'KP.  Wien),  Georg  Jos.  He  llmes  berger 
t  1873  und  dessen  Söhne  (ieorg  und  Josef,  t  1883,  KD.  Wien,  Edm. 


Wiener 
Schule. 


»)  NA.:  [Ondricek]:  B.:  Dr.  J.  Pohl,  Praff,  06.  •)  Vgl.  8.  36,->. 

•)  Sevciks  Violinschule  unterscheidet  sich  von  anderen  grundsätzlich. 
Diese  nehmen  das  diatonische  Tonleitersystem  zur  (irundlage.  Sie  lassen  hiebet 
die  Halbtöne  auf  jeder  Saite  mit  andern  Fingern  bilden.  Jene  („Violinschule 
fUr  Anfänger")  beruht  auf  dem  Halbton  system.  Auf  allen  Saiten  werden  die 
Halbtöne  mit  denselben  zwei  Fingern  gebihlet  und  alle  Griffe  bleiben  gleich. 
Diese  Einfachheit  der  Griffbildung  aber  gibt  schon  dem  talentierten  Anfänger 
die  Möglichkeit,  seine  Finger  so  gelenkig,  den  Fingerschlag  so  kräftig  zu  ge- 
stalten, daß  er  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  jede  technische  Schwierigkeit 
leicht  zu  Überwinden  vermag.  Unabhängig  von  der  Ausbildung  der  Linken  geht 
jene  des  rechten  Arms  in  den  Bogenstrichiibnngen  vor  sich,  und  zwar  vom  ersten 
Anfange  bis  zur  letzten  Ausbildung.  Ein  wesentlicher,  ins  Gehör  springender 
Vorzug  der  Schule  ist  ferner  der  „große  Ton".  Um  ihn  recht  voll  und  glänzend 
aus  dem  Instrument  zu  holen,  wird  oft  recht  verschwenderisch  mit  dem  Bogen 
umgegangen.  („Schule  d.  Bogentechnik".)  Hand  in  Hand  damit  aber  geht  die 
tadelloseste  Verbindung  des  Auf-  und  Abstrichs,  die  beim  Legato  dem  Ohre 
einen  Strichwechsel  kaum  merken  läßt.  Das  feine  Spinnen  des  Tons  war  schon 
ein  besonderer  Vorzug  der  Benn  e  witz-Schule. 


394 


VII.  Zur  Geschichte  des  Violinspiels. 


Singer,  Ed.  R a p p o  1  d i ,  Moritz  Mildner,  L.  Strauss  und  .Josef 
Joachim  Joachim  *  1831  in  Ungarn,  f  07  als  artist. Direktor  der  Hochschule 
für  Musik  in  Berlin,  der  Vertreter  des  klassischen  Violinspiels,  ebenso 
als  Solo-  wie  als  Quartettspieler.')  [„Konzert  in  ungar.  Weise"  u.  a  ]. 
Zu  dessen  namhaftesten  Schülern  gehören :  Gust.  Hollaender, 
P  e  t  r  i ,  P  r  i  1 1 ,  B  u  r  ra  e  s  t  e  r ,  H  a  1  i  r ,  Waldemar  Meyer,  B.  H  u  b  e  r- 
mann,  Gabriele  Wietrowetz,  Marie  S  o  Idat- Roger,  W.  Hess  imd 
Joh.  Kruse.  Als  Lehrer  teilte  Joachim  das  hohe  Ansehen  mit  dem 
Dont  echt  deutschen  Jac.  Dont,  KP.  in  Wien,  181.5 — 88,  dessen  wahrhaft 
ausgezeichnete  Studienwerke  (Etüden  Gradus  ad  Parnassumin 
allen  Konservatorien  und  höheren  Musikschulen  der  Weltstädte  ein- 
geführt; theoretisch -praktische  Beiträge)  zu  immer  allgemeinerer 
Würdigung  gelangten.  Zu  Donts  Schülern  —  nach  Joachim  „die 
besten,  die  wir  besitzen" !  —  zählen  u.  a.  Leop.  v.  A  u  e  r  aus  Un- 
garn,  KP.  Petersburg,  Ad.  Brodsky.     (Vgl.  ob.  S.  355.) 

Zum  Schlüsse  noch  ein  Blick  auf  die  Violinwerke  von  Bach 
(S.  20i),  Mozart  (6  Konzerte-)  Sonaten],  Beethoven  [Konzertop. 
61,  Sonaten  (S.  236),  Romanzen  (in  G  und  F)],  Schubert  (S.  25U), 
Mendelssohn  (S.  272),  Bruch  (S.  285),  Brahms  (S.  310),  Tschai- 
kowsky  (S.  324).  Vgl.  auch  die  Violinkonzerte  von  Goetz,  Gold- 
mark, Grieg,  Svendsen,  Sinding,  Lalo,  Sitt,  Karlowicz  und  Sibelius 
(s.  a.  a.  0.).  Zum  neuesten  zählen  die  Konzerte  von  Reger  {Ä-dur) 
und  Hugo  Rückbeil  (B-dur).  Bedeutsame  Violin  soll  in  Opern 
schrieben  u.  a.  Herold  [Zweikamptj,  Kreutzer  [Nachtlager],  Nicolai  [Lust. 
Weiber],  Gounod  [Faust]. ^) 

L.:  Hyacinth  Abele,  D.  Violine,  ihre  Geschichte  u.  ihr  Bau,  1864;  Giov.de 
Piceolellis,  Liutai  antichi  e  moderni.  Firenze  1885.  A^giunte  1886;  L.  A.  Vi  dal, 
Les  instruments  a  l'archet.  3  Vol.  1876—78;  L.  Fr.  Conte  Valdrigi,  Ricerche  sulla 
liuteria  et  violineria  modenese  anfica  e  moderna.  1878;  Edw.  Allen,  Violin 
making  as  it  was  and  i.st.  London  1884;  A.  Ehrlich,  BerUhmte  Geiger.  Lpz. 
1893;  K.  RU  hl  mann,  Gesch.  d.  Bogeninstrumente.  2  Bde.  1882;  J.  W.  von  Wa- 
sielewski,  Die  Violine  i.  17.  Jahrh.  u.  d.  Anfänge  d.  Instrumentalkoraposition 
1874;  Ders.,  Gesch.  d.  Instrumentalmus.  i.  16.  Jahrh.  1878.  Vgl.  S.  184*; 
Paul  Stoeving,  Von  der  Violine,  Brl.,  Vieweg,  06  (empfehlenswert):  Dr.  Stein- 
häuser, Physiologie  d  Bogenfiihrung,  Lpz.  03;  V.  K.  Urbanek:  Tabellarische 
Übersieht  IIb.  d.  Geigenschulen.     Prag,  F.  A.  Urbanek.  — 

Zu  den  prakt.  Violinschulen  —  der  Lehrer  darf  sich  beim  Unterrichte 
nicht  mit  einer  allein  ebgnügen!  —  vgl.  noch  die  NA.  verschiedener  Unterrichts- 
weike  durch  Karl  Nowotny  (nach  Dontscher  Methode)  [NIoritz  Schoens  Lehrgang, 
Etüden  von  Jos.  von  Blumenthal,  Fiorillo,  Kreutzer,  Rovelli  usw.];  Tottmann, 
Fuhrer  durch  d.  Violinunterricht  (ein  kritisches,  progressiv  geordnetes  Reper- 
torium  der  instruktiven,  sowie  der  Solo-  und  Ensemble-Werke  fUr  Violine), 
Lpz.  1874;     ferner   den  „Lehrgang  und  Plan  des  Konservatoriums  in  Prag". 

A.:  s.  die  Kataloge  GL.,  EP.,  ES.,  UE.,  B  &  H.,  Schlesinger. 


1)  B.:  A.  Moser,  Brl.  1898;  Dr.  K.  Storck,  Lpz.  H.  Seemann  Nf. 
-)  Ein  siebentes  [07  Kopfermann,  B.  &  H.]  apokryph. 


VIIT.  Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 

23.  Das  Klavier,  sein  Bau  und  seine  Meister. 

Das  Klavier,  heute  das  bevorzugteste,  aber  in  Anbetracht  der  „„ijvönjuge 
Summe  technischer  Anforderungen  auch  das  sc  liwierigste  aller  In-  des 
Strumente,  hat  große  Mängel  —  Kraft  und  Dauer  seines  Tones  sind  Klaviers, 
geiinger  als  bei  den  meisten  Blas-  oder  Streichinstrumenten;  ihn  gleich 
stark  zu  halten,  an-  und  abzuschwellen  ist  nicht  möglich  — ,  wie  auch 
seine  Vorzüge:  es  besitzt  (abgesehen  von  der  Orgel)  den  größten  Ton- 
umfang; es  ist,  da  alle  Tonverbindungen  ausführbar,  vorzüglich  ge- 
eignet, das  harmonische  Element,  das  in  der  neueren  Musik  eine  so 
große  Rolle  spielt,  zur  Darstellung  zu  bringen :  vor  allem  aber  ist  es 
der  Vermittler  aller  für  Orchester,  Quartett  oder  Gesang  geschriebenen 
Kompositionen  (mittelst  Arrangements,  ähnlich  wie  dies  bei  der 
bildenden  Kunst  durch  Lithographie,  Ilcjlzschnitt  oder  Stahlstich  ge- 
schieht). Die  Bedeutsamkeit  gerade  dieses  Umstandes  springt  in  die 
Augen.  So  wurden  z.  B.  Schuberts  Lieder  erst  durch  die  Listzschen 
Transskriptionen  populär,  wie  auch  die  Bekanntschaft  mit  den  Quar- 
tetten oder  Orchesterwerken  unserer  Meister  in  vielen  Fällen  durch 
Bearbeitungen  für  Klavier,  das  auch  über  Klangfarben  verfügt'*, 
vermittelt  wird.  Der  Spieler  kann  so  tiefer  in  ihren  Geist  eindringen 
und  hat  dann  nach  dem  Hören  der  Originale  doppelten  Genuß  und 
Gewinn.     (Vorher  verdirbt  es  eher  die  Vorstellung. "l 

Fast  alle  hervorragenden  Komponisten  seit  Seb.  Bach  haben  das 
Klavier  mit  reichen  Gaben  bedacht.     Sein  Erfinder  ist  unbekannt.    Die  Klavierbau. 
Keime   des   schon   im  14.  Jahrhundert   auftauchenden  Klaviers',   das 
nach  Ansicht  einiger^»  aus  Harfe  und  Psalter  hervorging  (s.  ob.  S.  109',    Anfängp. 
vgl.  auch  S.  S9  das  Organistrum,  ferner  S.  154),  wurzeln  ohne  Zweifel 
im  Monochord*),   das   schon   die   alten  Griechen  zur  Tonmessung  Monot-hord. 
und  Tonangabe  benutzten  (S.  27  f.) :  über  einem  länglichen  Kasten  war 
eine  Saite   gespannt,   unter   ihr   ein   beweglicher  Steg;   durch  dessen 
Verschiebung,   somit   durch   größere   oder  geringere  Verkürzung  der 
Saite  wurde  die  Höhe  der  Töne  hervorgebracht. 


•)  8.  bei  Liszt  die  Ausdrucke  „quasi  flaute,  oboi,  corni,  organo''.  nicht  nur 
bei  Orchesterbearbeitungen,  auch  bei  Werken  die  absolut  nicht  orchestral  ge- 
dacht sind  (z.  B.  Etüden  nach  Paganinis  Capricen).  *)  Vgl-  Oscar  Paul 
„Gesch.  des  Klaviers",  1868:  Jul.  BlUthner  u.  H.  Gretschel  „Lehrbuch  d.  Piano- 
fortebaues".  1875.  »)  S.  Lederer  a.  a.  O.  Vorrede  22  u.  I,  57.  *)  Guido 
empfiehlt  in  seinem  „Micrologus",  „die  Hand  im  Gebrauche  des  Monochords 
lu  üben". 


396 


VIII.  Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 


Jahrh. 


Um  das  lästige  Verschieben  des  Steges  zu  vermeiden,  spannte 
man  mehrere  Saiten  über  den  Kasten  [Resonanzboden]  und  brachte 
sie  durch  Messingstitte  [Tangenten]  (am  hinteren  Ende  eines  Hebels 
[Taste]  befestigt)  —  diese  Tastenhebel  entlehnte  man  der  bereits  be- 
kannten pneumatischen  Orgel  —  zum  Ertönen.  Ein  so  vergrößertes 
.Alonochord,  dessen  Saiten  (chordaei  mit  Stiften  (claves)  angeschlagen 
Clavichord,  wurden,  nannte  man  Clavichord.  (Die  Seiten  hatten  gleiche  Länge 
—  daher  die  rechteckige  Form  des  Ganzen  —  und  Stimmung.)  Es 
gab  zuerst  (14.— 16.  Jahrh.)  nur  zwanzig  Tasten,  in  jeder  Oktave  nur 

drei  halbe  Töne  (e— /j 
a — b,  h — c),  so  daß 
die  Tonreihe  GAB 
H cd  efg  <i  bhc  d efg 
a  b  dargestellt  wer- 
den konnte.  Erst 
Zarlino  (s.  dort) 
stellte  die  chroma- 
tische Tonleiter  her. 
Oft  hatten  3— 4  Töne 
nur  eine  Saite,  denn 
die  verschiedene 
Tonhöhe  wurde 
durch  Verkürzung 
derselben  mittelst  so- 
genannter „Bünde" 
(breite  Metallstifte 
oder  Stege )  bewirkt, 
ähnlich  wie  früher 
beimMonochord  oder 
heute  beim  Gitarre- 
Spiel  und  bei  dem 
Greifen  auf  Streich- 
instrumenten, 
des  Klaviers  —  dies  Instrument  hatte  damals 


Virginal  als  Nähkästchen;   17 
(Nr.  15,  de  Wit-Kataloj;:.) 


Jahrb. 


Clavi- 
cymbal. 
Spinett. 

Virginal. 


Eine   andei-e  Art 

noch  keine  Füße,  der  kleine  Kasten  wurde  auf  den  Tisch  gestellt 
I „Schachbrett"]  —  war  das  bundfreie  C  lavic  ymb  alum  (ital.  Clavi- 
cembalo),  auch  Spinett  (nach  dem  Klavierbauer  Job.  Spinetus,  um 
1503  zu  Venedig),  in  England  Virginal  (Jungfrauen-Klavier)  ge- 
nannt. Die  Saiten,  die  hier  ungleich  laug  waren  —  daher  das 
Ganze  trapez-(harfen)förmig  — ,  riß  man  mit  Rabenkielfedern, 
ähnlich  wie  bei  der  Harfe  (daher  engl.  „Harpsicord" ).  Teils  in  Tafel-j 
teils  in  geschweifter  Form  gebaut,  hießen  im  letzteren  Falle  diese,  oft 
sehr  kunstreich  konstruierten  Instrumente  *)  größerer  Dimension,  wegen 


')  Man  konnte  z.  B.  auf  ilinen  die  enharnionischen  Töne  {Jis — es,  eis — des 
usw.),  die  sieh  bekanntlich  in  der  Tonhöhe  unterscheiden,  darstellen  (z.  B.auf  Vieen- 
tinos  ,,Archicynibalum").  Der  schwierigen  Spielart  und  des  noch  schwierigeren 
Stimniens  wegen  wurde  diese  P^inrichtung  wieder  beseitigt.  Neuester  Zeit  ver- 
suchten französische  Instrunientenbauer  die  enharnionischen  Töne  wieder  darzu- 
stellen, aber  gleiche  Ursachen  hatten  auch  hier  gleiche  Wirkungen  und  ließen 
den  Versuch  scheitern.  Unsere  Tasteninstrumente  sind  seit  Sebastian  Bachs 
Zeit  „gleichseh webend"  gestimmt  (s.  S    373). 


Klavierbau.    Ursprung.     Entwickelung. 


397 


der  Ähnlichkeit  der  Form  „Flügel"  (Kiel f  lüge  1,  Cembalo,  Clavecin) 

oder  auch  wohl  „Schweinskopf"*.     Eine  Mittelstellung  zwischen  Clavi-      ciavi- 

cord  und  Virginal  nahmen  das  C  l  a  v  i  c  y  t  h  e  r  i  u  m  (mit  nach  Art  des   ^ytherum. 

heutigen  Pianinoa  vertikal  aufrecht  gezogene  Saiten  [später  „Girafl'en- 

flügel"]    und    das    C 1  a  v  i  o  r  g  a  n  u  m    (mit    doppelter,   verkoppelbarer   Organum. 

Klaviatur,  die  zweite  eine  Oktave  höher'  ein. 


Kieltiügel  (Clavicembalo)  de  Wit-Katalog  Nr.  23. 

Berühmte  Klavierbauer  älterer  Zeit  waren  u.  a.  R  u  c  k  e  r  s  -  Ant- 
werpen im  17.,  Taskin-Paris  im  18.  Jahrb.  (Ein  modern  rekonstruiertes 
Clavicembalo  liefert  heute  der  Duisburger  Job.  Kehbock.) 

Beim  Clavichord  konnte  man  den  Ton  durch  den  Druck  bezw. 
ein  leichtes  Wiegen  des  Fingers  auf  der  Taste  verschieden  stark  er- 
klingen lassen  (Effekt  der  „Bebung")  und  ein  legato  ermöglichen, 
beim  Clavicymbalura  dagegen  nicht.  Der  Ton  war  aber  dort  zu 
schwächlich,  hier  zu  grell  und  metallisch,  um  als  schön  gelten  zu 
können.  Diese  Mängel  beseitigte  die  Erfindung  des  Hammer- 
werkes. 

Die  erste  Anregung  dazu  gab  wohl  das  sogenannte  ,, Hackebrett"   is-  Jahrh. 
(Cembalo,  das  Czymbal   der  Zigeuener j :   ein  vielsaitiges,   mit  Stäben  Hackebrett. 


398 


VIH.  Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 


Hebenstreit 


Pantalon. 


Cristofori. 


Hammer- 
klavier. 


Silbermjiiin, 


ly.  Jahrli. 


Hammer- 
werli. 

Mechanik. 

Deutsch. 


oder  Klöppeln  geschlagenes  Monochord.  Dieses  Instrument  vervoll- 
kommnete Pantaleon  Hebenstreit,  1714 — 50  zu  Dresden  Kammer- 
musiker, durch  doppelten  Resonanzboden  und  doppelte  Saiten  (Metall- 
und  übersponnene  Darmsaiten).  Durch  Anwendung  auch  doppelter 
Schlägel  (mit  und  ohne  Baumwollenhülle)  wurden  an  diesem  Instru- 
mente (nach  dem  Erfinder  „Pantaleon"  oder  „Pantalon"  genannt)  ver- 
schiedene Stärkegrade  und  Klangfarben  erzielt. 

Unser  Klavierhammer  ist  nur  eine  Nachahmung  des  oben  ge- 
nannten umwickelten  Hammers.  Der  erste  Erfinder  ist  der  Paduaner 
Bartolommeo  Cristofori,  der  um  1710  den  Anschlag  durch  be- 
lederte, wie  bei  der  modernen  „englischen  Mechanik"  auf  be- 
sonderer Leiste  befindliche  Hämmer  bewirkte  und  eine  ,, Dämpfung" 
hinzufügte,  wodurch  die  Dauer  des  Tones  beendet  wird,  wenn  der 
Finger  die  Taste  losläßt.  (1721  brachte  der  Organist  Christ.  Gottl. 
Schröter  aus  Nordhausen  das  Modell  eines  Hammerwerkes  [Hämmer 
mit  weichem  Leder  überzogen,  Dämpfung  durch  Sammet  und  Plüsch 
bewirkt)].  In  Deutschland  „H  a  ra  m  e  r  k  1  a  v  i  e  r"  genannt  (Beethoven 
bedient  sich  des  Namens  bei  op.  100),  hieß  dieses  neukonstruierte 
leise  und  stark  spielbare  Instrument  in  Italien  anfänglich  „Piano  e 
forte"  („Pianoforte"). 

Die  ersten  berühmten  Fortepianobauer  waren  Gottfr.  Silber- 
mann zu  Freiberg  i.  S.  (Cristoforis  Mechanik  vervollkommnend), 
dessen  Neffe  Johann  Heinr.  Silbermann  zu  Straßburg  und  Joh. 
Andr.  Stein  zu  Augsburg  (besonders  von  Mozart  geschätzt). —  Bei- 
läufig erwähnt  seien  hier  einige  Ab-  bezw.  Unarten  früherer  Klaviere: 
mit  schwarzen  Unter-  und  weißen  Obertasten,  allerhand  Pedalen 
(türk.  Musik  u.  a.). 

Zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  waren  namentlich  die  Fabriken 
von  Broad wood-London,  Erard  (vgl.  S.  245),  Henri  Herz  und 
ganz  besonders  P 1  e  j^  e  1  zu  Paris  und  Andreas  Streicher')  zu 
Wien  bestrebt,  durch  Verbesserungen  in  der  Mechanik  den  Tonklang- 
reich, singend  und  poetisch  zu  gestalten.  Die  bedeutendsten  und  be- 
rühmtesten Firmen  sind  heute  außer  den  genannten:  C.  Bechstein- 
Berlin,  Jul.  Blüthner- Leipzig,  Friedr.  Ehrbar  und  L.  Bösen- 
dorf er- Wien,  Schiedmayer-Stuttgart,  Ibach-Barmen,  Kaps-Dresden, 
Proksch  und  Petrof  i.  Böhm.,  S  tein  way-New-York;  speziell  für 
den  Bau  von  Pianinos  u.  a. :  Biese  und  Duysen-Berlin,  Jul.  Feurich  Leipzig. 

Auf  jene  Verbesserungen  im  einzelnen  einzugehen,  gestattet  hier 
der  Raum  nicht,  nur  soll  im  allgemeinen  bemerkt  werden,  daß  sie  sich 
bezogen  auf:  Zahl,  Stärke,  richtige  Proportion  und  Stoff  der  Saiten; 
Tonumfang;  Konstruktion  und  Umkleidung  der  Hämmer;  richtigen  An- 
schlagsort; Konstruktion  des  Resonanzbodens  und  Festigkeit  des 
Stimmstockes. 

In  Bezug  auf  das  Hammerwerk  bildeten  sich  zwei  wesentlich 
verschiedene  Systeme  aus :  die  durch  J.  A.  Stein  ausgebildete 
„deutsche"  („Wiener")  Mechanik  —  der  Hammer  sitzt  am  hinteren 

')  Freund  und  Mitschüler  Schillers  auf  der  Karlsschule  und  Begleiter  auf 
der  Flucht  nach  Mannheim.  Seine  Frau  Nanette  (Tochter  von  Joh.  Andr.  Stein), 
eine  vorzügliche  Klavierspielerin,  war  die  treue  und  hilfreiche  Freundin  Beet- 
hovens. 


Der  moderne  Klavierbau.  399 

Tastenende  und  bewegt  sich  in  einer  Kapsel;  der  Anschlag  wird  be- 
wirkt, indem  das  hintere  Ende  des  Hammers  an  den  Auslöser  stößt ;  Eu^lisch. 
er  ist  also  kein  direkter  — ,  und  die  „englische"  durch  Broadwood 
ausgebildeten  Christofori-Silberniannsche  Mechanik  —  der  Hammer,  auf 
besonderer  Leiste  befestigt,  wird  durch  einen  am  Klares  befindlichen 
Stecher  zum  Anschlag  gebracht :  der  Anschlag  ist  also  direkt  und 
darum  wirksamer.  —  Äußerlich  erkennt  man  die  deutsche  und  eng- 
lische Mechanik  daran,  daß  der  Hammer  dort  bcledert  imd  gegen  die 
Klaviatur,  hier  befilzt  und  gegen  die  Spitze  des  Klaviers  gerichtet 
ist.  Instrumente  deutscher  Mechanik  haben  einen  prononcierten  Ton 
und  schwerere  Spielart ;  die  englischer  Mechanik  dagegen  bei 
tieferem  Tastenfall  leichtere,  ausgeglichenere  Spielart  und  einen  sehr 
weichen,  intensiven,  weittragenden  und  gesangreichen  Ton  (sie  werden 
darum  meist  in  Konzerten  benutzt).  Englische  Konstruktion  des  Korpus 
ist  außerdem  sehr  kompakt  (schwere  Gußeisenplatten,  um  die  {Saiten- 
spannung auszuhalten;  darum  werden  gute  Instrumente  mit  SldO  bis 
30(X)  Mark  bezahlt;  deutsche  sind  fast  um  die  Hälfte  bjlliger).  Dauer- 
hafter wiederum  ist  die  Wiener  Mechanik,  der  vom  Übungsstand- 
punkt mehr  zugemutet  werden  kann.  Neueste 

Die  Reihe   der   neuesten  Erfindungen  eröffnete  Seb.  Erard  1823       Ver- 
mit    seiner    Kepetitionsmechanik,   die   den    Hammer   beim  An-  besserungn. 
schlag  wiederholt  an  die  Saiten  schnellende  doppelte  Auslösung  (double 
echapperaent).  —  Um  die  Töne  der  oberen  Hälfte  des  Pianofortes,  den 
sog,  Diskant,  klangreicher  zu  machen,  erfand  B  liithner  das  ,,Aliquot- 
System"   und   Kaps   den    „Resonator".     (Heim   A  1  itj  u  o  t- Sy  s  t  em     ■flug"e'i* 
klingt  über  jedem  Saiten-Chore  [dreifacher  Bezug]  der  oberen  Oktaven 
nocli    eine    dimnere    und    kürzere,   acht   Töne    höher   gestimmte  Saite 
leise   mit.     Dadurch    wird    nach  Ansicht   einzelner    der  Ton  verstärkt 
und   veredelt.     Der  „Resonator"   ist   ein   über   dem   gewölmlichen  Resonator. 
Resonanzboden    in    den     oberen    <  iktaven    angebrachter    besonderer 
Schallkasten,  dessen  innerer  Raum  ist  durch  Rippen  in  kleine  Kanäle 
geteilt,  durch  die  die  Saiten-Chöre  stellenweise  geführt  werden.    Auch 
befinden    sich    in    dem    Schallkasten,    genau    unter    dem    betreffenden 
Saiten-Chore,  kleine  Schallöcher.     Hier  werden  also  schwingende  und 
tönende  Luftsäulen   benutzt,   um  die  Töne  der  oberen  Saiten  zu  ver- 
stärken   und    zu    veredeln).      Blüthner    versuchte    auch    durch    sog, 
,, symmetrische"   (nach  Art   der  Geigeninstrumente  beiderseitig  gleich- 
geschweifte) Klaviere   und  die  dadurch  bedingte  Kreuzsaitigkeit 
(diese   seit   etwa  30  Jahren    allgemein)    den  Ton   größer  zu  gestalten. 
Joh.    Rehbock- Duisburg    verwendet    einen    freischwebenden 
Resonanzboden   und  -Kasten  (,,Ton  k  ör  per")  zur  Verbesserung  und 
größeren  Tragfähigkeit  des  Tons.     Steinways  „Prolongemen t"     genient. 
(Ton Verlängerung)   endlich   ermöglicht   durch   ein    drittes   Pedal*) 


1)  Gegenwärtig  sonst  2  Pedale;  rechts  der  „Dämpfer'  [ital.  sordino,  bei 
den  Geigeninstrumenten  ein  kleiner  auf  den  Steg  aufzu.setzeuder  Ilolzkanim,  bei 
den  Blechiustrunienten  ein  in  den  Sehalltrichter  eingeführter  Holzkegel,  der  den 
Ton  abschwächt],  der  durch  Niedertreten  des  Pedals  gehoben  wird  [con  Sordino 
d.  i.  ohne  Pedal!]:  links  die  sog.  una  corda  —  der  Name  stammt  aus  früherer 
Zeit,  wo  das  Klavier  nur  zweichöris  war,  jetzt  richtiger  dure  corde  — :  Verschiebung 
der  Klaviatur  nach  rechts,  so  daß  die  Hämmer  nur  auf  2  Saiten  —  früher  auf 
eine  —  anschlagen,  daher  der  Ton  schwächer  wird. 


400 


VIII.    Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 


Gabel- 
klavier. 


Jankö. 


ein  beliebig  langes  Weiterklingen  einzelner  Töne  (z.  B.  bei  Orgel- 
punklen  [Schumanns  „Papillons",  Liszts  Transkription  von  Berlioz' 
Sylphentanz]).  Ähnliche  Tonverlängerung  bewirkt  das  ,Ai-monipiano' 
von  Ricordi,  Fanzi  und  Hlawatsch.  —  Zu  erwähnen  ist  noch  die 
„Neu- Klaviatur",  die  die  Oktave  in  6  Ober-  und  6  Untertasten 
teilt.i) 

Eine  andere  Erfindung,  das  ,,Adiaphon  oder  Gabelklavier" 
von  Wilh.  Fischer-Leipzig,  verwendet  statt  der  Saiten  Stimmgabeln. 
(Vgl.  Celesta.)  Der  Vorzug  ist  absolute  Stimmbarkeit  und 
Unverstimmbarkeit.  Auch  wird  ihm  nachgerühmt,  daß  der  Ton 
sich  mannigfach  modifizieren  lasse,  geradezu  bezaubernd  wirke,  ferner 
sich  mit  der  menschlichen  Stimme  auf  das  Trefflichste  verbinde,  während 
er  zugleich  von  ihr  absticht. 

Schließlich  sei  noch  des  bisher  nicht  durchgedrungenen  J  a  n  k  u - 
Klaviers  gedacht.  Auf  drei  terassen förmig  hintei'einanderliegenden 
Klaviaturen  sind  sämtliche  Töne  der  alten  Klaviatur  dreimal  vor- 
handen und  zwar  immer  mittelst  desselben  Tastenhebels  an  3  ver- 
schiedenen Stellen  anschlagbar.  Dem  Vorteil  immenser  technischer 
Erleichterung  steht  der  Mangel  an  Tonschönheit  gegenüber.  Fruchtlos 
blieben  auch  Versuche  einer  Verbindung  von  Harmonium  und 
Klavier. 

Eine  Klaviatur  mit  verringerter  Tastenbreite  (von  22,5  auf  20  mm 
„Jugendklavier"  entsprechend  den  ^/.j  Geigen)  konstruierte  Zablu- 
dowski-Berlin. 

Dr.  Richard  Eisenmann,  Rechtsanwalt  zu  Berlin,  erfand  das 
„elektrophonische  Klavier"  bei  dem  durch  den  elektrischen  Strom 
die  Töne  beliebig  lang  gehalten  werden  können.  Hier  wird  die  Elek- 
trizität zur  Tonerzeugung  benutzt  und  nicht,  wie  bei  der  elektrischen 
Orgel,  als  Ersatz  für  das  Regierwerk.  (Abstrakten  und  Wellen.)  Über 
die  mechanischen  Klavierinstrumente  s.  S.  216."^) 


Klavier- 
spiel: 
14.  Jahrh. 


16.  .Jahrh. 


Wie  im  Anfange  der  Klavierbau  in  den  Känden  der  Orgelbauer 
war,  so  wurde  das  Klavierspiel  auch  zuerst  von  Organisten  gepflegt 
und  ausgebildet,  siehe  insbesondere  Willaert  und  seine  Schüler.  Be- 
fördert wurde  das  Orgel-  und  Klavierspiel,  seit  man  anfing,  die  Ge- 
sangskompositionen nicht  mehr  a  capella,  sondern  mit  einem  Basso 
continuo  begleitet  (vgl.  Viadana)  vorzutragen.  Früh  schon  drang  das 
Klaviei'spiel  in  Dilettantenkreise  ein.  Namentlich  junge  Mädchen  aus 
reichen  Familien  liebten  das  Instrument  („Virginal"),  und  erhielten  in 
Klosterpensionaten  auch  Gesang-  und  Klavierunterricht.  Dieser  be- 
gegnete aber  zuerst  starkem  Vorurteil.  (Der  Gelehrte  Bembo  schreibt 
1529   seiner  Tochter  u.  a. :   daß   sich   das  Spielen   nur   für   eitle   und 


1)  Vgl.  S.  7^.  u.  Heinr.  Jos.  Vincent  ,,Die  Neuklaviatur''.    1874. 

')  An  die  „Überorgel"  (S.  371)  erinnert  ein  in  Chicago  07  erbautes  „l'ber- 
klavier"  —  Höhe  40,  Länge  60  Fuß.  Die  Saiten  dicke  Kupferdrahtkabel: 
Hämmer  aus  Stahl  dreifach  mit  Rhinozeroshaut  überzogen  (Perkussionskraft 
von  200  Pfund  pro  Quadratzoll).  Ein  mit  liUssiger  Luft  getriebener  Motor 
liefert  zur  Ausführung  des  Repertoirs  [fünfzig  Stücke,  deren  Noten  auf  einem 
15  Fuü  breiten  und  2000  Fuß  langen  „Streifen"  zu  finden  sind]  die  Kraft. 


Anfange  des  Klavierspiels.  401 

leichtfertige  Frauen  schickt  .  .  .  begnüge  dich  mit  den  Wissenschaften 
lind  Handarbeiten.) 

Die  Spielart  des  Klaviers  war  anfangs  merkwürdig  ungelenk 
und  blieb  es  auch  fast  bis  auf  Seb.  Bachs  Tage.  Man  spielte  nicht 
wie  heute  mit  gebogenen,  sondern  mit  gestreckten  Fingern;  wußte 
mit  dem  zu  kurzen  Daumen  nichts  anzufangen  und  gebrauchte  ihn 
entweder  gar  nicht,  oder  nur  ausnahmsweise.  So  gibt  Animerbach 
1571  folgenden  Fingersatz  (Applicatur)  (von  Liszt  nachher  bei 
gewissen  raschen  Passagen  zur  Kegel  erhoben  [z.  B.  Faustwalzer,  Les 
patineurs]) : 

2      3        2   3    2   .'t 2      3      4      3 2   3    2   3 


4      3"  4 

Seb.  Bach  stellte  zwar  die  Grundregel  auf,  der  Daumen  der 
rechten  Hand  ujü^se  im  Aufsteigen  nach  den  beiden  Halbtöuen  der 
Tonleiter,  im  Absteigen  vor  denselben  eingesetzt  werden;  ohne  jedoch 
auf  die  frühere  Technik  vollständig  zu  verzichten. 

Um   die  Ausbildung   des  Klavierspiels   machten   sich    zuerst  die  Aitfranzös. 
Franzosen,  vor  allen  die  Organisten-Familie  Couperin  verdient,  und     ''^'"';  = 
zwar  die  drei  Brüder  Louis    f  16t>5),  Franz  und  Karl.    Ein  Sohn  des    *-^ ''"P «■■"»• 
letzteren,  Franz,  der  Große  (le  Grand,  f  173.'}),  das  bedeutendste  Mit- 
glied der  an  St.  Gervais  zu  Paris  wirkenden  Familie,  war  kön.  Kammer- 
klavecinist.     Man    rühmte   seinen    „anjfent'hmen  und    rührenden  Vor- 
trag" —  er  ist  der  Vater  des  modernen  tempo  rubato,  der  Vortrags- 
bezeichnungen— ;  seine  Werke  —  Pieces  de  clavecin,  4  Bde.'\  „L'art 
de  toucher  le  clavecin"  u.  a.  — ,  deren  edle,  reich  verzierte  Melodi»-n 
bezeichnend    für   den   aus   dem   Lautenspiel   keimenden   älteren   fran- 
zösischen Klavierstil  sind  (vgl.  S.  152  If. ;  schon  der  Lehrer  der  älteren 
Couperius,   J.  Cliampion  de  Chambonnieres  [schangbonnjehr]  be-  bonul^res 
vorzugt  in  seinen  2  Büchern  Pieces  de  clavecin  Verzierungen,  um  den 
harten  Ton  des  Instruments  zu  mildern)  -  ,  wurden  von  Bacli  hochge- 
schätzt und  mit  Nutzen  studiert.     Ein  Hauptverdienst   der  Franzosen, 
unter   denen    noch    Chambonnieres    Scliülor  d'.Anglt'bert  [Klavierstück 
1689  mit  wichtigem,    die  dauialige  Praxis  aufklärenden   Vor\v(»rt]  und 
Le  Begue  t  1702,  dannRameau  (erste  Transkriptionen:  Ühertragimg    Rameau. 
von  Balletten)  und  Marchaud  (s.  S.  179,  200)  hervorragen,  war.  daß  Marchand 
sie   den  Rhythmus  scharf  herausarbeiteten,    im  Gegensatz  zu  den  ihn 
freier    behandelnden    Italienern.     In     Deutschland    glänzten   als    Deutsch- 
Klavierspieler  außer  dem  Programm-Musiker  Joh.  Jakob  Froberger       '""d. 
—   nach    neuester   Forschung    der   erste   große    Meister  Froberger. 
der   deutschen  Klavierkomposition   bezw.  Klaviersuite  vor 


>)N.-\.:    [Brahms],    Augener-London.  *)  Unter    diesen    Verzierui  gen 

(agrements)  spielen  namentlich  eine  Rolle  die  Aspiration,  ähnlich  der  .,t'licH" 
in  der  Neunien-  und  Mf nsuralnotierung  ein  Anschleifen  des  Nachliartons,  und 
die  S  US  p  ens  i  o  n,  ein  kurzes  Verzögern  des  Kiusatzes.  Übt-r  diese  „Manieren'' 
und  andere  „willkürliche  Auszierungen"  älterer  wie  neuerer  Tonwerke  s.  Ad. 
Beyschlag,  d.  Ornamentik  der  Musik,  Lpz.  08.    Vgl.  ob.  Froberger 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d   Musikgeschichte.    8.  Aufl.      26 


402 


VIII.    Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 


Mufifat. 

Altwiener 

Schule. 


Händel. 
Bach. 


Kuhnau. 


Bach  —  '),  Gott  lieb  Muffat  flTTOi  Sohn  von  GeorgM.  und  Schüler 
von  J.  J.  Fax ;  Hoforganist  zu  Wien  [„Componimenti  musicali"  für 
Klavier  nebst  einer  Abhandlung  über  Verzierungen]) 2)  und  Fischer 
(S.  206)-^)  insbesondere  Händel  und  Seb.  Bach.*) 

Über  die  Kompositionsformen  jener  Zeit  sind  wir  bereits  im 
allgemeinen  unterrichtet,  ebenso  über  die  Entwicklung  der  Sonate 
(s.  S.  S.  182—188,  218  ff. ,  241).^)  Des  näheren  interessieren  hier 
Kuhnau  s  (s.  S.  185)*^)  „Frische  Klavierfrüchte  oder  7  Suonaten  von 
guter  Iiivention  und  Manier,  auf  dem  Klaviere  zu  spielen"  [1696]  — 
Sonaten  voll  „Energie,  Keckheit  und  frischer  Anmut'',  in  4 — 5  Sätzen 
ruhigen  oder  bewegten  Charakters,  vorherrschend  polyphon  —  und 
„Musikalische  Vorstellungen  einiger  biblischen  Historien  in  6  Sonaten" 
[1700],  voll  köstlichen  Humors  und  ergötzlichen  Inhalts:  „Der  Streit 
zwischen  David  und  Goliath" ;  „Der  von  David  mittelst  der  Musik 
kurierte  Saul" ;  usw.  „Also  präsentiere  ich",  sagt  K.  in  der  Vorrede, 
„in  der  I.  Sonate  das  Schnarchen  und  Pochen  des  Goliath  durch  das 
tiefe,  und  wegen  der  Punkte  trotzig  klingende  Thema  und  übrige  Ge- 
polter ;  die  Flucht  der  Philister  und  das  Nacheilen  durch  eine  Fuga  mit 
geschwinden  Noten"  usw.  (Vgl.  S.  239  unt.)  [Kuhnau  stand  mit  dieser 
Programmmusik  nicht  allein :  Froberger  schildert  in  einer  Klavier- 
Suite  die  Abenteuer  einer  Rheinfahrt,  und  Seb.  Bach  schrieb  ein 
Capriccio  über  die  Abreise  seines  Bruders  „lüit  der  Vorstellung  unter- 
schiedlicher Casuum,  die  in  der  Fremde  vorfallen".]  —  Des  weiteren 
Mattheson  veröffentlichte  Mattheson  171.S  eine  Sonate  „dödiee  ä  qui  la  jouera 
le  mieux".  Interessant  ist  der  Wettkampf  [1709]  zwischen  dem  frucht- 
baren Domenico  Scarlatti  (s.  S.  185;  er  schrieb  gegen  400  Stücke 
für  Orgel  und  Klavier  [die  berühmte  „Katzeafuge"],  dai-unter  über 
100  Sonaten)  und  Händel :  auf  dem  Klavier  blieb  der  Sieg  unentschieden, 
auf  der  Orgel  ward  er  dem  Deutschen.  Scarlattis  einsätzige  Sonaten  ') 
sind  ohne  Tiefe,  doch  lieblich,  heiter,  gelstreich;  sie  sind  meist  zwei- 
stimmig, der  zweite  oder  „Durchführungssatz"  fehlt.  Das  Kreuzen 
und  Überschlagen  der  Hände  wird  mit  Vorliebe  angewandt,  wir  finden 
modernes  Passagenwerk,  Repetition  auf  einer  Taste  usw.  Manches 
darunter  ist  heute  noch  eine  glänzende  Aufgabe  für  Klavierspieler. 
Auch  Francesco  Dur  ante  schrieb  Sonaten  für  Klavier,  die  neben 
Scarlatti  den  freien  Stil  vorbereiteten.'*) 


Dom. 

Scarlatti. 


>)  GA.:  [Adler,  W.  Niemann]  DM.  i.  Ost.;  NA.  (Auswahl,  Klavier  u.  Orgel) 
„Frobergeriana"(Senflf_)  u.  ,,Frol)erger-Album"B  &I1.[W.  Nieniann];  einzelne  Suiten 
in  Niemanns  „.»Mte  Meister  d.  Klavierspieis"  (EP.)  u.  in  H.  Leichtentritts  „Hausmus. 
aus  4  Jahrhunderten",  Brl.  »)  NA.:  [Adler]  DM.  i.  Ost.  111,  3.    Einzelnes  in 

Pauers  „Alte  Klaviermusik,  und  [Nicinann]  in  „Meisterwke.  dtschr.  Tonk."  Lpz.  — 
Vgl.  auch  S.  381*.  •'')  Auch  Forkel  rechnet  Fischer  zu  den  allerersten  Klavier- 

komponisten s.  Z.  —  A.  G.  Ritter  („Zur  Gesell,  d.  Orgelspiels".  I,  145)  sagt:  ,,F. 
war  ein  guter  Kopf,  ein  Musiker  v.  allgeni.  Bildung;  wo  es  sich  um  die  Orgel 
handelt,  versteht  er  den  Klavierspieler,  als  der  er  berilhmt  war,  vollkomiren  zu 
vergessen".  *)  Vgl.  zu  S.  20li  noch  die  ausgezeichneten  Bearbeitungen  des 

„Wohltemp.  Kl."  von  ßob.  Franz  (Lpz.,  B.  &  H.)  und  Busoni  (mit  Anweisung  f. 
d.  Klavierbearbeitung  v.  Orgelwerken,  ebda.).  An  Bachs  Fugen  wird,  als  einem 
Lehrmittel,  viel  gesündigt;  sind  sie  doch  nichts  weniger  denn  trocken  (vgl.  201, 
:^i-2).  *)  Vgl.  noch   S.  Bagge,  D.  geschichtl.  Entwicklung  d.  Sonate.  (Samml. 

musikal.  Vortrüge.)  Lpz.,  B.  &  H.  Prof.  Dr.  Klauwell,  D.  Formen  d.  Instrumental- 
musik, Lpz.  Lkt.  ")  NA.:  [Niemann]  Denkm.  dtschr.  Tonk.  1,  4.  ')  NA.: 
[Köhler,  Billow,  Taussig]  B.  &  H.  »)  S.  hier  noch  „Klaviermusik  a.  alt. 
Zeit",  GL.  und  „Alte  Klaviermusik"  fPaueri,  Lpz.  Senff. 


Schulen.  403 

Neben   Stamitz  (S.  216  ff.)   steht   Ph.  Em.  Bach»)  (3.  S.  186,    ^Bafh.'" 
218  ff.)  mit  seinem  Hauptwerk:  „Sonaten  für  Kenner  und  Liebhaber"  2) 
und  dem  berühmten  „Versuch  über  die  wahre  Art  das  Kla-    (j^°Jche 
vier  zu  spielen".     Der  I.  Teil   (1753,   2.  A.    1780  bei  Schwickei't-     schule 
Leipzig!  enthält  in  drei  Hauptstückeu   Belehrung  über  Fingersetzung, 
Manieren  (.Vorschläge,  Triller,   Doppelvorschläge,    Schleifer,    Schneller 
nsw.)  und  Vortrag:  d.  II.  Teil  (1780)  eine  Generalbasschule  nebst  An- 
leitung zum  freien  Phantasieren. 

Hand  in  Hand  mit  der  Vorbesserung  des  Klavierbaues,  um  die 
Wende  des  18.  und  19.  Jahrhunderts,  ging,  von  einer  Reihe  von 
Schulen  aus,  die  Vervollkommnung  der  Klaviertechnik.  Neben 
der  Fertigkeit  wurde  namentlich  das  gesang volle  Spiel  ausgebildet. 
In  erster  Linie  wirken  hier  die  Schulen  von  Mozart  und  Muzio 
Clementi.  Dieser  (*  1752  Korn,  t  l'^32  bei  London)  erzielte  Clementi. 
1780  auf  seinen  Kunstreisen  nach  Frankreich  und  Deutschland  durch 
sein  gediegenes,  glänzendes  Spiel  groüe  Erfolge.  In  Wien  vom  Kaiser 
Joseph  II.  zu  einem  Wettkampfe  mit  Mozart  aufgefordei't,  spielte  Mozart. 
er  seine  5dur-Sonate  (deren  zwei  ersten  Takte  später  in  die  Ouver- 
türe zur  „Zauberflöte"  übergingen\  Mozart  trug  Variationen  vor,  und 
beide  imi)rovisierten  endlich  über  ein  vom  Kaiser  gegebenes  Thema. 
Über  Mozarts  Spiel  sagte  Clementi:  „Ich  hatte  bis  dahin  niemand 
so  geist-  und  anmutsvoll  vortragen  gehört.  Vorzugsweise  überraschte 
mich  ein  Adagio  und  mehrere  seiner  extemporierten  Variationen,  wozu 
der  Kaiser  das  Thema  wählte,  das  wir,  wechselweise  einander  accom- 
pagnierond,  variieren  miiüten".  Dittersdorf  urteilte  über  diese  beiden 
größten  Spieler  ihrer  Zeit:  „In  Clementis  Spiel  herrscht  bloß  Kunst, 
in  Mozarts  aber  Kunst  und  Geschmack."  Bei  Mozart  ist  alles 
Charakteristik,  auch  die  Passagen  singen,  sind  Melodie,  nie  Selbst- 
zweck wie  später  bei  Herz.  Wagner  meint  einmal,  es  sei  ein  anderes, 
ob  Herz  oder  Beethoven  eine  Tonleiter  schreibe.  .  H.  v.  Bülow ') 
behandelte  Mozart  beim  Klavierunterricht  mit  ehrfurchtsvollem  Ernst. 
Aus  der  seinen  Sonaten  gewidmeten  Sorgfallt  spricht  eine  Empfindung 
für  Mozarts  Größe,  die  alle  Jene  beschämen  muß,  die  da  meinen,  der 
Meister  tauge  nur  für  Kinder  und  Schüler.  Dieser  albernen  Meinung 
widerspricht  Bülow  ausdrücklich :  „Mozart  ist  verflucht  schwer",  sagt 
er  und  prophezeit,  daß  man  ,, vielleicht  sehr  bald"  im  Konzertsaal  eine 
Mozartsche  Sonate  der  Kigolettophantasie  von  Liszt  vorziehen  wird. 
Passend  wird  dies  illustriert  durch  das  Andante  aus  der  großen  /''-dur- 
Sonate  (EP.  No.  1),  dessen  harmonische  und  modulatorische  Kühn- 
heiten in  Vorhalten  und  Qiierständen  als  eine  vom  Meister  beabsich- 
tigte Tortur  zur  Erregung  brennenden  Durstes  nach  der  harmonischen 
Auflösung  bezeichnet  werden.  In  der  Tat  ist  dies  Stück  so  herb  und 
hart  und  groß,   daß   die   landläufige  Phrase  vom  „lieblichen"  Mozart 


« )  Themat.  Werkeverz.  von  VVotquenne.  Lpz.  05,  B.  &  H. 

')  NA.:  E.  F.  Baumgartl  in  der  Originalsestalt,  6  Hefte,  Lckt. ;  Hans  von 
BUlow  bearbeitete  setbs  Sonaten  daraus  zum  Konzertgebrauch.  —  L. :  H. Schenker: 
Ein  Beitrag  zur  Ornamentik.  Als  Einführung  zu  Ph.  E.  B.s  Klavierwerken, 
Wien,  l'E.  02. 

')  S.  .,Musikalisches  und  Nationales"  von  Dr.  H.  Schuster  in  Beil.  z.  Allg. 
Ztg.,  1895  Nr.  81,  Über  die  „Studien  bei  Hans  v.  BUlow"  von  Theod.  Pfeiffer  (i. 
A.,  BrU  Luckhardt,  1894). 

26* 


404 


Vin.  Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 


Londoner 
Schule. 
Gramer 


Field. 


Berger. 


Klengel. 


Klassische 
Wiener 
Schule: 
Hummel. 


hier  als  leeres  Geschwätz  erscheint.  Interessant  ist  auch  Bülows 
Analyse  der  Z>-dur-Sonate  (EP.  13),  sie  mag  jeden  überzeugen,  daß 
es  sich  bei  Mozart  um  wirkliche  Schwierigkeiten  handelt  5  die  kanoni- 
schen Führungen  im  1.  Satz  gehören  zu  den  heikelsten,  riskantesten 
Aufgaben  des  Klavierspiels. ^) 

Den  hohen  Grad  der  damaligen  Spielfertigkeit  bezeugen 
Mozarts  Klavierkonzerte  (eigentlich  Symphonien  mit  Klavier, 
namentlich  "Krönungs  Konzert"  rf-moll,  s.  S.  121^,  231)  u.  Clementis  be- 
rühmtes Studienwerk  „Gradus  ad  Parnassum''  (vgl.  Fux,  Donat 
und  E.  Krause),  das  auch  heute  kein  gediegener  Spieler  ganz  um- 
gehen kann.  Clementis  zahlreiche  Sonaten  und  Sonatinen,  vorzügliche 
Untei'richtswerke,  sind  freundlich,  glatt,  zierlich  —  jitalienischer  Geist 
in  deutschem  Gewände.  Sein  Klavierstil  und  seine  Technik  waren 
von  bestimmendem  Einfluß  auf  die  Klaviermusik  seiner  Zeitgenossen 
(unter  ihnen  der  treffliche  Franz  Lauska  aus  Brunn,  f  1825  Berlin), 
auch  auf  jene  Beethovens. 

Clementis  bedeutendste  Schüler  sind:  Joh.  Bapt.  Gramer  (*  1771 
Mannheim,  lebte  größtenteils  zu  London,  das  f  1^58)  —  berühmt  sind 
seine  klassischen  84  Etüden,  gleich  jenen  Chopins  wahrhaft  ausge- 
zeichnet !  „Ob  allerdings  dem  hohen  musikalischen  Werte,  der  nicht 
genug  betont  werden  kann,  der  praktische  Nutzen  entspricht, 
bleibe  dahingestellt"  (v.  Käan)  — ;  John  Field  (*  1782  Dublin, 
t  Moskau  1837;  mit  seinen  berühmten  überaus  zarten  und  seelen- 
vollen Nocturnes  ein  Vorläufer  Chopins  (Schüler  Fields  waren  u.  a. 
die  von  Goethe  bewunderte  Maria  Szymanowska  f  1831  und 
Charles  Mayer  f  1862:  Etüden  op.  168,  vorzüglich  für  die  Finger- 
gelenkigkeit!); Ludw.  Berger  (*  1777  Berlin,  f  1839),  ein  ausge- 
zeichneter Lehrer  und  geistvoller  Komponist  (musikalisch  wertvolle 
Etüden :  dessen  vorzüglichste  Schüler :  F.  Mendelssohn,  H. 
Dorn,  W.  Taubert,  Fanny  Hensel,  Alb.  Loeschhorn  [Etü- 
den!] und  Karl  Eckert);  Aug.  Alex.  Kien  gel  (f  1852,  Hoforganist 
in  Dresden),  ein  ausgezeichneter  Kontrapunktiker.  Sein  Hauptwerk 
48  Canons  und  Fugen,  ist  ein  modernes  Gegenstück  zu  Seb. 
Bachs  „Wohltemp.  Klavier".  Auch  J.  Moscheies  und  F.  Kalk- 
brenner waren  kurze  Zeit  Clementis  Schüler. 

Die  Mozart  sehe  Schule  setzte  sich  fort  in  Joh.  Nep.  Hummel 
(*  1778  Preßburg,  HKM  Stuttgart,  f  Weimar  1837)  einem  berühmten 
Virtuosen  und  Improvisator  am  Klavier.  Seine  Kompositionen  -  zu 
den  bedeutendsten  gehören:  i/-moli-Konzert  (namentlich  von  Liszt 
gern  gespielt,  im  letzten  Satz  auffäüigerweise  Dvorak  antizipierend !) 
ifes-dur-Rondo,  op.  56,  Septett  op.  74,  /Vs-moll  Sonate,  Phantasie  op. 
18  und  die  vierhändige  Sonate  in  As  —  vereinen  Formgewandtheit,  echt 
klaviermäßigen  Satz  und  glänzende  Ornamentik  mit  Wärme  der  Emp- 
findung, die  sich  aber  kaum  zur  Leidenschaft  steigert.  Er  war  ein 
Gegner  des  Pedalgebrauches.  Hummels  vorzüglichste  Schüler  sind: 
Ferd.  Hiller,  Jul    Benedict ,  Rud.  Willmers  und  Ad.  Henselt. 

Die  Klavier-Komposition  verflachte  dann  durch  Dan.  Steibelt 
t  1823,  Pleyel,  Wölfl,  Wanhal,  Kozeluch  (s.  S  243),  Kalkbrenner  u.  a. 


»)  Vgl,  Franz  Lorenz,  Mozart  als  Klavierkomponist.    Lpz.  Lckt. 


Schulen. 


405 


Mit  Achtung  sind  dagegen  zu  nennen:  Der  Böhme  Job.  Lad.  Dussek 
[Dussik]  t  1812,  Aug.  Eberh  Müller  f  1817  (zum  1.  Male  „Capricen"; 
vgl.  „Scherzo") ,  Job  Wilh.  H  ä  s  s  1  e  r  t  1822,  der  Däne  Friedr. 
K  u  b  1  a  n  f  1832  (geschätzte  Sonatinenl,  Aloys  Schmitt  f  1 866, 
Georg  Onslo  w  1852  (1842  Nachfolger  Cherubinis  in  der  Pariser  Aka- 
demie, hochangesehener  und  fruchtbarer  Kammerkomponist,  dessen 
Quintette  noch  jetzt  ernste  Musikfreunde  erfreuen:  auch  Symphonien, 
Opern  \ 

Nach  Haydn  (von  seinem  vielschreibenden  Schüler  Diabelli 
t  1858  hielten  sich  bis  jetzt  einige  instruktive  Werke '),  Clementi  und 
Mozart  über  Beethoven  den  größten  Einfluß  auf  die  Entwickelung 
der  Klavier-Komposition  und  des  Klavierspiels  Er  erweiterte,  wie 
wir  wissen  die  Sonatenform  (auch  in  den  Quartetten^  in  ungeahnter 
Weise  i schon  in  op.  10  D,  zwei  Seitensätze I)  und  schuf  in  ihr  alle 
möglichen  Klaviertechniken  (vgl.  S.  239).  Die  berühmten  Tech- 
niker (Liszt,  Bülow,  d'Albert  i  beschäftigte  die  Ausgabe  namentlich  der 
„letzten"  Sonaten.  Als  Spieler  glänzte  er  wenitjer  durch  Fertigkeit 
(wurde  hierin  sogar  von  seinem  Rivalen  Wölfl,  der  heute  ganz  ver- 
gessen, übertrotTen),  als  durch  Feuer  und  Geist.  Seine  einzigen  Schüler 
waren  der  produktive  Ferd.  Ries  t  1838  und  Erzherzog  Rudolf 
von  Österreich.  Weiterhin  wirkten  fördernd  F>anz  Schubert  und 
C.  M.  v.  Weber,  durcli  neuartige  Elemente  die  Technik  bereichernd. 
Schubert  rangiert  als  Komponist  4  händiger  Originalsachen  gleich  nach 
Mozart.  Zu  den  durch  ihn  aufgebrachten  Miniaturen  (S.  251)  zählen 
neben  den  Moments  niusicaux  und  Impromptus  die  Sammlung  kleiner 
Walzer,  Polonaisen,  Ecossaisen,-)  4  händigen  Märschen. 

In  der  Folge  herrschten  zwei  Richtungen:  der  brillante  und 
der  romantische  Stil.  Vertreter  des  ersten  sind  einerseits:  Karl 
Czerny  in  Wien  (f  1857)  als  Fortsetzer  der  Wiener  Schule,  „dessen 
zahllose  Etüden  hinsichtlich  des  Nutzens  für  die  Entwickelung  der 
Fingertechnik  bis  heute  unerreicht  sind"  (Käan^  —  Liszt,  dessen 
Virtuosität  auf  diesen  Etüden  fußte,  ermahnte  seine  Schüler :  „Spielt 
fleißig  Czerny!"^);  —  und  anderseits  die  an  Rameau  anknüpfende 
neu  französische  Schule  mit  Bert  in  i,  Dussek,  Steibelt,  Fr. 
Kalkbrenner  (f  1849)  und  Henry  Herz  (t  1888)  in  Paris,  wo 
das  1784  gegründete  Con  ser  vat  oire  de  musique  (das  älteste 
außeritalienische !)  lebhaftesten  Anteil  nahm.  Sie  strebten  vor  allem 
kavier  mäßig,  glänzend  und  dankbar  zu  schreiben,  vernach- 
läßigten  aber  den  Inhalt  so  sehr,  daß  heute  nur  noch  ihre  Etüden- 
werke  —  großenteils  von  pädagogischem  Wert  —  in  Betracht 
kommen.  Sie  alle  überragt  an  musikalischem  Gehalt  Henri  Bertini 
t  1876  (Etüden  op.  29,  32,  100).  Czemys  vorzüglichste  Klavierschüler 
wurden:  Liszt,  dessen  Konkurrent  Siegism.  Thalberg  (f  1871  Spe- 
zialität :  Melodie  in  der  Mittellage,  von  Arpeggien  umrankt),  Th.  Dö  h  ler 
t  1856,  Egghard  (Graf  Hardegg  t  1867),  L.  v.  Meyer  f  1883, 
Th.  Kullak  f  1882   und  A.  Ja  eil  f  1882.  —  Als  Virtuose  in  der 


Beethoven. 


1)  Vffl.   Rietsch:    „85   Variationen   [verschiedener   Komponisten]  Über  D.s 

Walzer',  Beethoven-Jahrb.,   MUnchen-MUller.               ')    [spr.    ekossäs] ;  lebhafter 

Kontertanz  im  »/i  Takt:  urspr.  s.   v.  w.  „Schottisch"  (Polka- Art).  ')  NA.: 
CL.,  UE. 


Schubert. 
Weber. 


Czerny. 


Pariser 
Schule. 
Bertini. 

Kalk- 
brenner. 

Herz. 


Geläutig- 

keits- 
Tendenz. 


406 


VIII.   Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 


Haberbier. 


Prager 

Schule: 

D.  Weber. 

Tomaschek. 

Proksch. 


Moscheies. 


Litolff. 
Logier. 


Komant. 
Schule : 


Chopin. 


Henselt. 


Passagenverteilung  an  beide  Hände  glänzte  Ernst  Haberbier(t  1869 
während  eines  Konzertes  am  Klavier:  seine  Etudes  poesies  op.  53 
sind  eine  ausgezeichnete  Vorbereitung  auf  Chopins  Etüden.) 

Zu  hoher  Bedeutung  wuchs  neben  der  Wiener  die  Prager 
Schule  mit  Dionis  Weber  und  seinen  Schülern  Moscheies  (s.  u.), 
Tomaschek  (Schöpfer  der  „Eklogen",  „Rhapsodien"  und  „Dithy- 
ramben"; Schüler:  Schulhotf,  Dreyschock  u.  a.)  und  Proksch  in 
Prag  (s.  S.  2ü3);  des  letzten  Schülerin  C  laus  s- Szarvady,  *  1834 
Prag,  wurde  eine  klassische  Interpretin.  [Ausläufer  dieser  Schule 
waren  Zvonai-,  Smetana,  Dvoiäk,  Fibich  (tschech.  „Klavierschule"  mit 
Malat)]  Ein  Mittler  zwischen  der  klassischen  und  romantischen  Schule 
erstand  in  Ignaz  Mo  scheles  (*  1794  Prag,  f  1870  zu  Leipzig).  Er 
wirkte  in  Wien,  London  und  Leipzig  als  Virtuos,  Komponist  und 
Lehrer  mit  ausgezeichnetem  Erfolg.  Die  bedeutendsten  seiner  Werke 
sind :  Klavierkonzert  in  g,  Sonate  nielancolique,  4  händige  Sonate  in 
is,  zweiklavierige  Duos  „Hommage  ä  Händel",  Variationen  über  den 
Preciosa -  Marsch  (mit  Mendelssohn),  namentlich  aber  die  ausge- 
zeichneten Studien  op.  70  und  95.')  M.  begann  damit,  die  Etüden 
mit  charakteristischen  Titeln  zii  versehen  und  mitunter  auch  durch 
Poesieen  angeregt  zu  verfassen  („Erwartung"  nach  Schiller).  Zu  seinen 
besten  Schülern  zählte  Litolff  (s.  S.  317j. 

Zwischendurch  erfand  der  Kasseler  Logier  ([spr  lödscher  oder 
loschjeh]  t  1846  London)  den  „Chiroplast"  zur  Regelung  der 
Handhaltung,  der  trotz  allen  Aufsehens  und  aller  Nachahmungen  wie 
Verbesserungen  schließlich  wieder  verschwinden  mußte:  denn  besser 
als  alle  Apparate  ist  —  ein  guter  Lehrer.  Noch  berühmter  wurde 
L.s  Methode  des  gleichzeitigen  Unterrichtes  an  mehreren  Klavieren. 

Die  romantische  Schule,  begründet  durch  Chopin,  Men- 
delssohn, Schumann,  Henselt  und  Liszt,  erstrebte  sowohl 
charakteristischen  und  poetischen  Inhalt,  als  auch  originellen  Ausdruck 
und  neue  Klangfarben  Sie  gestaltete  Beethovens  Technik,  in  der  sich 
inzwischen  die  Klavierspieler  zurechtfanden,  weil  sie  an  seinen  Werken 
nicht  vorübergehen  durften,  individuell  weiter  aus. 

Chopin,  der  als  Komponist  seiner  Zeit  vorauseilte  (.fT-moU 
Sonate  [Wagner!],  s.  S.  261),  gab  als  Pianist  nur  sich,  in  solcher 
Abgeschlossenheit,  daß  jede  Erinnerung  an  irgend  etwas  Gehörtes 
wegfiel.  So  hatte  niemand  die  Tasten  eines  Flügels  be- 
rührt, in  so  zahllosen  Modifikationen  niemand  demselben  Töne  zu 
entlocken  gewußt.  Rhythmische  Bestimmheit  gesellte  sich  einer  Freiheit 
im  Vortrag  seiner  Melodien,  daß  diese  im  Moment  zu  erstehen  schienen. 
Es  war  wie  das  Leuchten  eines  wunderbaren  Meteors,  das  uns  doppelt 
entzückt  in  seiner  geheimnisvollen  Unbegreiflichkeit."  (Hiller,  „Briefe 
an  eine  Ungenannte").  Moscheies  nennt  ihn  „ein  Unikum  in  der  Kla- 
vierspielerwelt". 

Ad.  Henselt  (aus  Schwabach  i.  Bayern,  Kaiserl.  Musik-Inspek- 
tor zu  Petersburg,  f  1889  Wanubrunn)  war  eine  lyrische  Natur.  Sie 
spricht  aus  all  seinen  Kompositionen,   die  edel,  gesangvoll   und  von 


>)  L.:  Aus  J.  Moscheies'  Leben.  Nach  Briefen  u.  Tagebüchern.  2  Bde. 
1872/73.  M.  redigierte  auch  die  Haltbergersche  Prachtausgabe  der  Klassiker- 
•onaten. 


Liszt. 


407 


Heller. 


Schar- 
wenka. 


.Mosz- 
kowski. 


berückendem  Wohllaut  sind  ;  so  namentlich  12  charakteristische  Etüden 
op.  2  ^darunter  die  „Vöglein-Etüde")  die  zu  großen,  leider  nicht  er- 
füllten Erwartungen  berechtigten,  Variationen  in  E,  Salonetüden  op.  5, 
„Poeme  d'amour"  und  das  FmoU-Konzert  op.  16,  nebst  verschiedenen 
Transskriptionen  Vgl.  hierüber  die  musikalischen  Kl  ein  maier, 
unter  denen  Stefen  Heller  originell  in  der  Form  und  auücrordent- 
lich  spielbar  hervorragt,  S.  283  f.  (Seeling  nähert  sich  Henselts  Stile). 
An  dieser  Stelle  sind  zu  erwähnen:  Phil.  Schar  wen  ka  in  Berlin  (*  1847 
Samter  i.  Posen:  Orchester,  Chor-  und  Kammerwerke  (Klaviertrio 
Cis- moll],  Klavierstücke,  Lieder),  dessen  Bruder  Xaver  Scharwenka 
*  1850,  k.  k.  Hofpianist  in  Berlin,  Gründer  eines  eigenen  Konserva- 
toriums daselbst  (Klavierkonzerte  in  b  [neben  Brahnis  das  vei-- 
breiteste  nach  Schumann]  und  e,  Kammerwerke,  Solostücke  für 
Klavier;  Op.  „Mataswintha")  und  Moritz  Moszkowski,  *  lh!54 
Breslau ,  hervorragender  Pianist ,  Mitglied  der  Kgl.  Akademie  der 
Künste  in  Berlin  (lebt  in  Paris:  2  Orchestersuiten,  symph.  Dicht. 
„Jeanne  d' Are',  Op.  „B  o  a  b  d  i  1"  ;  Violinkonzert,  Klavierkonzert,  Klavier- 
stücke eleganter  und  geschmackvoller  Fassung). 

Einem  Kob  Schumann  galt  der  Inhalt  der  Komposition  Schumann. 
immer  als  das  Wesentliche,  dem  äußeren  Klaviereffekte  machte  er 
keine  Konzessionen.  „Seine  nur  ihm  eigene  Klaviertechnik  (so  das 
Ineinandergreifen  der  Finger!)  drängte  den  eigentlichen  Vorzug  des' 
Klaviertechnischen,  das  glanzvolle  Passagenwerk  (ausgenommen  die 
Abegg- Variationen)  in  den  Hintergrund"  (v.  Käan).  S.  S.  273  ff.  An 
dieser  Stelle  seien  auch  die  Sonaten  von  Norb.  Burgmüller  hervor- 
gehoben. Franz  Liszt  endlich,  der  beglaubigte  Beethoven-  und  Chopin- 
interpret, schuf  eine  völlig  neue  Spieltechnik.  Während  man  an- 
fangs, wie  schon  erwähnt,  mit  ausgestreckten  Fingern,  herabhängendem 
Daumen  und  unter  der  Klaviatur  liegendem  Ellbogen  spielte  (während 
die  Clementi  Hummelsche  Schule  den  Oberarm  sanft  herunterfallen 
ließ,  dem  Unterarme  aber  mit  dem  oberen  Teile  der  Hand  und  dem 
ersten  Gliede  der  Finger  eine  fast  horizontale  Lage  gab,  so  daß  ein 
auf  die  Hand  gelegtes  Geldst  ücknicht  herabfallen  durfte),  hielt  L.  das 
Handgelenk  so  hoch,  daß  die  bis  zu  dessen  Höhe  erhobenen  Finger  beim 
Niederfalle  eine  bedeutende  Kraft  entwickeln  konnten.  Er  benutzte 
aber  auch  die  horizontale  Handhaltung,  um  zarte,  flötenartige  Töne 
hervorzubringen.  Mit  dem  Fingersatze  verfuhr  er  ebenso  kühn. 
Während  man  in  der  ersten  Zeit  fast  nur  den  dritten  und  vierten 
Finger  gebrauchte  und  seit  Ph.  Em.  Bach  als  Regel  annahm,  daß  der 
kleine  Finger  die  Obertasten  nur  selten,  der  Daumen  sie  nur  im  Not- 
falle berühren  solle,  daß  der  Daumen  nach  dem  fünften  Finger 
niemals  untergesetzt,  der  fünfte  Finger  nach  dem  Daumen  niemals 
übergesetzt  werde,  Heß  L.  nicht  diese  Kegeln,  sondern  nur  das  Zweck- 
dienliche, zum  Ziele  führende  gelten.  Bald  benutzte  er  den  früheren 
Fingersatz,  bald  ging  er  kühn  darüber  hinaus,  wenn  es  die  Figuren 
erforderten.  (L.s  Fingersatzordnung  ist  in  seinen  Werken  fast 
immer  angedeutet.)  Insbesondere  sei  erwähnt,  daß  er  manche 
hervortretende  Tongruppe  mit  einem  und  demselben  Finger 
(dem  zweiten  oder  dritten)  spielte;  daß  er  hinter  dem  fünften  den 
ersten  Finger  untersetzte,  nach  dem   ersten  den  fünften  Finger  über- 


Liszt. 


408  VIII.    Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 

setzte;  starke  Oktavengänge  spielte  er  mit  dem  ersten  und  dritten 
oder  vierten  Finger,  auch  wohl  in  der  Art,  daß  bei  chromatischen 
Oktavengängen  die  rechte  Hand  die  Untertasten,  die  linke  die  Ober- 
tasten übernahm;  bei  Trillern  nahm  er  nicht  die  nebeneinander  liegen- 
den Finger,  sondern  entfernt  liegende,  z.  B.  1  und  3,  2  und  4,  auch 
wohl  1,  4,  2,  3 :  starke  Terzen-  und  Sexten-,  überhaupt  Akkord-Triller 
verteilte  er  unter  beide  Hände,  so  daß  die  rechte  Hand  die  Neben-, 
die  linke  Hand  die  Haupttöne  erhielt.  Einen  besonderen  Triller-Eflfekt 
erzielte  L.  auch  durch  ein  unter  beide  Hände  verteiltes  weitgriffiges 
Tremolo.  Er  schrieb  auch  sehr  vollgriffig  und  gab  einer  Hand  oft 
fünf  bis  sieben  Töne  anzuschlagen,  was  durch  ein  sehr  schnelles 
Brechen  der  Akkorde  bewerkstelligt  wurde.  Die  Töne  dieser  Akkorde 
legte  er  sehr  weit  auseinander,  dadurch  eine  außerordentliche  Volltönig- 
keit  erzielend.  Die  Melodie  ließ  er  manchmal  in  mehrfach  verdoppelten 
Oktaven  erscheinen ,  dazu  eine  die  ganze  Klaviatur  einnehmende 
brillante  Begleitung  ertönen.  Der  Gebrauch  des  Pedals  und  der  Ver- 
schiebung wurde  in  ergiebigster  Weise  ausgenutzt.  Ebenso  beutete 
er  die  Chromatik  und  kühne  Akkordverbindungen  zu  blendenden  und 
überraschenden  Effekten  aus.  Wie  Paganini,  der  auf  L.  größten 
Einfluß  übte,  durch  ungewöhnliche,  unerhörte  Mittel  elektrisierte,  so 
suchte  auch  L.  seinem  Instrumente  ähnliche  Wirkungen  abzugewinnen, 
wie  erstmals  in  den  Etüden  über  Paganinis  Capricen. 

Einen  i  ichtigen  Begriff  von  L.s  Spiel  erhielt  man  überhaupt  nicht 
durch  Beschreibung,  sondern  nur  durch  eigenes  Hören,  denn  „das 
Instrument  glüht  und  sprüht  unter  seinem  Meister;  —  es  ist  nicht 
mehr  Klavierspiel  dieser  oder  jener  Art,  sondern  Aussprache  eines 
kühnen  Charakters  überhaupt,  dem  zu  herrschen,  zu  siegen  das  Ge- 
schick einmal  statt  gefährlichen  Werzeugs  das  friedliche  der  Kunst 
zugeteilt"  (Schumann). 

Nicht  alles,  was  L.  wagte,  läßt  sich  theoretisch  rechtfertigen; 
doch  —  „Der  Meister  kann  die  Form  zerbrechen  —  Mit  weiser  Hand 
zur  rechten  Zeit." ') 

Zuletzt  sei  auf  die  noch  ungehobenen  Schätze  Lisztscher  Vortrags- 
werke hingewiesen :  „Harnionies  poetiques  et  religieuses",  „Annees  de 
prelerinage",  3  Bd.  „Liebesträunie",  Notturnos  —  Stücke  erhabensten, 
oft  auch  herben  Charakters,  edelsten  Wohlklanges. 

Den  Schülern  empfehlen  wir,  zunächst  durch  das  Studium  der 
klassischen  Richtung  eine  solide  Grundlage  zu  gewinnen  und  erst 
dann  zur  romantischen  Schule  überzugehen.  Borniertes  Zopftum  aber 
ist  es,  wenn  manche  Lehrer  mit  vornehmem  Achselzucken  über  mo- 
derne Kompositionen  den  Stab  brechen.') 

Liszt  zunächst  stand,  insbesondere  hinsichtlich  der  Veredlung  der 

Rubinstein.  Tanzformen  Chopin  verwandt,  Ant   Rubin  stein  (s.  S.  321),  dessen 

Klavierwerke  (insbesondere  Valse  caprice,  Klavierkonzert  in  d,  Etüden 

op.  23)  heute  ungebührlich  vernachläßigt  werden.    Unvergessen  bleiben 


1)  Vffl.  V.  da  Motta.  Gedanken  über  L. 

*)  Eins  der  nntUrlichsten  und  dennoch  oft  grenug  gröblich  außer  Acht  ge- 
lassenen Haupterfordernisse  erfolgreichen,  methodischen  Musikunterrichtes  ist 
—  peinlich  saubere  Stimmung  des  Instruments.  Ein  Lehrer,  der  an  einem 
verstimmten  Klarier  unterrichtet,  stellt  sich  selbst  das  schlechteste  Zeugnis  aus. 


Taussig.    Rubinstein.    Bülow. 


409 


Billow. 


Liszt- 
schUler. 
Tauaig. 


seine  titanenhaften  Leistungen,  z.  B.  die  7  historischen  Konzerte  in 
Wien  (jedes  nachher  immer  für  die  Konservatoi'isten  unentgeltlich 
wiederholt!).  Das  Gegenbild  zu  R.s  dämonisch -hinreißender,  ur- 
wüchsiger Kraft  und  leidenschaftlich  -  stürmischer  Subjektivität')  war 
das  objektiv  und  scharf  analysierende,  peinlich  saubere,  akademisch 
abgeklärte  Spiel  eines  Hans  v.  Bülow  [spr.  bülo],  unter  dessen  Händen 
sich  alle  Schwierigkeiten  wie  Kinderspiel  lösten.-')  Nicht  ohne  geniale 
Züge,  zeigte  B.,  dessen  kolossale  Programme  nur  noch  Rubinstein  über- 
trumpfte, ein  unerhörtes  Gedächtnis.  Unter  seinen  Schülern  ragt  Dr. 
Karl  Fuchs  (*  1838)  genial  als  Pianist,  mit  „phrasiertem"  Vortrag, 
geistvoll  als  MS.  [„Virtuos  u.  Dilettant",  Ideen  zum  Klavieruntericht, 
u.  a.  a.  0.]  hervor.  Aus  der  Schule  L.s  gingen  auüer  Bülow,  Raff, 
Cornelius  (s.  S.  304  f.),  Franz  Bendel  (S.  287)  und  dem  genialen  Karl 
T  a  u  8  i  g  (aus  Warschau,  f  1871,  vorzüglicher  Lehrer,  Komponist  [„Tägl. 
Studien",  die  originellen  ,, Zigeunerweisen"]  und  Bearbeiter  [Bachs 
Wohltemp.  Klavier,  Clementis  Gradus,  Klavierauszug  der  „Meister- 
singer"] :  führte  in  seinen  Wiener  Konzerten  zuerst  Wagnerfragmente 
auf!  vgl.  S.  29ä)  folgende  Pianisten  hervor:  K.  K  lin  d  w  o  r  t  h,  E. 
d'Albert  (S.  343),  A.  Friedheim,  Bertr.  Roth  (*  1855,  Mitgrüuder 
des  Frankfurter  Raff-K.s,  z.  Z.  Dresden  [verdienstreiche  Aultuhrungen 
zeitgenössischer  Werke]),  B.  Stavenhagen,  A.  Reisenauer 
t  07,  A.  Siloti,  Conrad  An  sorge,  William  Dayas,  Ingeborg  Stark 
(v.  Bronsart),  H.  v.  Bronsart,  Anna  Mehlig,  Sophie  Ment er- 
Popper, Pauline  ?^ichtner- Erdmannsdörtfer,  Sara  Magnus-Heinze , 
Laura   R  a  p  p  o  1  d  i ,  Martha  R  e  m  m  e  r  t. 

Als  Klavierkomponisten  der  romantischen  Schule  sind  noch  her- 
vorzuheben: Jos.  Christ.  Kessler  (t  1872,  Chopinsche  Richtung, 
originelle  Etüden  op.  100,  20)  Clara  Schumann  (s.  S.  278),  Carl 
Eschmann  (f  1882,  Mendelssohn-Schumannsche  Richtung),  D eurer, 
A.  Moszowski,  Aug.  Sa  ran,  Nicolai  v.  Wilm  (S.  283),  Herm. 
S  c  h  o  1 1  z  (Schumann  -  Chopinsche  Richtung) ;  dem  Salongenre  ge- 
hören Th.  Kullak  t  1882,  Jul.  Schulhoff  t  1898  und  Fritz 
Spindler  an. 

Zu  den  bedeutensten  Virtuosen  der  Gegenwart  gehören  neben 
den  schon  früher  (S.  355)  Genannten:  Moritz  Rosen thal,  .1.  Pade-  i'H'iagogen 
rewski  (Chopinspieler),  Emil  Sauer,  Fr.  Lamond,  Teresa 
Garen 0,  Clotilde  Kl  eeberg,  E.  v.  Dohnanyi  (S.  348),  Telemaque 
Lambrino,  v.  Pachmann,  Leop.  Godowsky  (*  1870,  KP  Wien: 
kombinierte  Chopin-Etüden),  Üssip  Gabrliowitsch  u.  a. 

Als  Mozart-  und  Weber-Intei'pret  glänzte  Isidor  Seiss  f  05  (KP. 
Köln).  Vgl.  C.  Rein  ecke  (S.  284)  und  L.  Blech  (S.  342).»)  Zu 
den  angesehensten  Klavierpädagogen  zählen:  in  Wien  Leschetitzky, 
D  0  o  r  und  Jul.  E  p  s  t  e  i  n  ;  in  Prag  H.  v.  K  ä  a  n  (S.  331)  und  H  o  1  f  e  1  d : 
in  Dresden  K.  H.  Döring   *  1834.     Zu   den   hervorragenden   Unter- 


Moderne 

N'irtuoseii 

and 


1)  Während  R.  im  alten  Saal  der  Harmonie  zu  Brüssel  spielte  erschien 
(bei  allen  3  Konzerten)  eine  ungeheuere  Spinne  auf  dem  Flügel,  um  wenn  er 
scbloS,  während  des  Applauses  wieder  zu  verschwinden.  Einer  der  Beweise  für 
das  Musikempfinden  der  Tiere? 

«)  Vgl.  Th.  PfeiflFer  und  J.  V.  da  Motta,  Studien  bei  B.  —  B.8  Briefe  und 
Schriften,  Lpz.  07. 


410  VIII.    Zur  Geschichte  des  Klavierspiels. 

richtswerken  gesellt  sich  der   moderne  „Gradus  ad  Parnassum" 
von  Prof.  Emil  Krause  (*  1840  Hamburg,  das.  KP.,  MS.  und  Kom- 
ponist [Chor,-  Orchester,-  Kammer,-  Klaviersachen,  Bearbeitungen  von 
Händel  und  Corelli]. 
Klavier-  Die  hervorragensten   Klavierkonzerte^)   schrieben  seit  der 

konzerte.  ßachschen  Aera,  also  im  modernen  Sinne :  Mozart,  Beethoven,  Weber, 
Hummel,  Moscheies,  Schumann,  Mendelssohn,  Henselt,  Chopin,  Grieg, 
Brahms,  Reinecke,  Scharwenka,  Liszt  {Es  und  A),  Rubinstein  (5), 
Tschaikowsky,  Saint-Saens.  —  Stücke  für  die  linke  Hand  allein: 
Vilmers,  Dreyschock,  Seeling,  Zichy,  Rubinstein,  Reger. 

L.:  Studienwerke:  von  Fr.  Wieck,  A.  liullack,  L.  Köhler,  Julius  Knorr, 
H.  Ehrlich,  üso  Seifert  usw.  —  J.  Fischhof,  Versuch  einer  Gesch.  d. Klavierbaus. 
1853.  Welcker  von  Gontershausen,  D.  Klavierbau  u.  s.  Theorie,  Technik 
und  Geschichte.  4.  A.  1870.  E.  Eitz,  D.  mathematisch-reine  Tonsysteni.  Gemein- 
verständlich dargestellt.  Lpz.  B.  &  H.  H.  M.  S  chletterer,  D.  Ahnen  moderner 
Musikinstrumente.  (Samml.  musikal.  Vorträge)  Lpz.  B.  &  H.  Ad.  Ruthardt, 
D.  Klavier.  Geschieht!.  Abriss  des  Ursprungs,  des  Entwickelung  des  Stils 
u.  d.  Technick  dieses  Instruments.  Lpz.  Gebr.  Hug  &  Co.  SeifFert-  Weitz- 
mann,  s.  S.  206 1.  Ad.  Prosniz,  KlaHandb.  d.  vier-Literatur  von  1450  bis  1904 
2  Bde.  Historischkritische  Übersicht;  Wien.  I.  C.  Eschmann  Wegweiser  durch 
d.  KlavierLiteratur.  5.  A.  [A  Ruthardt]  Lpz.  00.  K.  E.  S chn ei  der,  Musik, 
Klavier  und  Klavierspiel.  Kleine  musik-ästhetische  Vorträge.  Lpz.  1874,  Lckt. 
Oscar  Bie,  D.  Klavier  n.  seine  Meister.  MUnchen,  F.  Bruckmann,  W.  Nie- 
mann,  D  Klavierbuch,  Kurze  Gesch.  d.  Klaviermusik  u  ihrer  Meister,  des 
Klavierbaues  u.  der  K.-Literatur.  MUnchen,  Callwey  07  C.  van  Bruyck,  D. 
Entwickelung  d.  Klaviermusik  von  Seb.  Bach  bis  R.  Schumann.  (Samml.  musi- 
kal. Vorträge.)  Lpz.  B.  &  H.  A.  Werkentliin,  D.  Lehre  vom  Klavierspiel, 
Lehrstoff  u.  Methode,  3  Bde.  2.  A.  Brl.  1897.  Ad.  Kullak,  D.  Ästhetik  des 
Klavierspiels.  2.  A.  [Dr.  H.  Bischoff]  Brl.  1876.  Amy  Fay,  Musikstudien  in 
Deutschland  (sehr  fesselnd!).  —  Vgl.  auch  die  früheren  Noten.  Hinsichtlich  der 
Unterrichtsstufen  vgl.  den  „Lehrgang  und  -Plan  des  Konserv.  f.  Mus.  in  Prag". 
S.  ferner   die   Kataloge   von  B.  &  H.   und    der  GL.,  EP.,  ES.,  UE. 


1)  VgL  S.  121»  und  J.  V.  da  Motta:  D.  Entwickelung  des  Klavierkonzertes. 
A.  (namentlich  Bach,  Mozart)  für  2  Klaviere  ES. 


IX.  Zur  Geschichte  der  Gesangskuust. 

„lu  der  Lichtwelt  der  Kunst  bleibt  ewig 
das  Wesenllichste  und  Bildendste  das  in  schöner 
Tonform  gesungene  Wort". 

N  ii  g  e  1  i. 

24.    Die  menschliche  Stimme,  ihr  Wesen  und  ihre  Meister. 

Von  jedem  rechtschaffenen  Instnimentalisten  wird  verlangt,   daß 
er  sein  Touwerkzeug  nicht  minder  in-  und  auswendig  kenne,  als  wie  We  stimme 
der  Arbeiter  sein  Haudwerkzeug,  und  daß  er  es  mit  Sorgfalt  behandle  Instrument, 
und   pflege.     Just   unter   den  Sängern   aber,   die   das    kostbarste  und 
heikelste    der   Instrumente,    die    „goldene   Kehle"    besitzen,   begegnet 
man   ihrer  genug,    die  von  jener  Förderung  nichts  wissen  und  hören 
wollen    und    ihren    Leichtsinn    nicht    selten    mit    dem    Verluste    ihrer 
Stimme  büßen  müssen.     Aber  selbst  „Gesanglehrer"  findet  man,  leider 
allerorten,  die  „Geschmacksunterricht"  erteilend,  in  krasser  Unkenntnis 
der  Stimmorgane  imd  ihrer  Behandlung,  von  Stimmbildung  und  Ton- 
studium,   frisch   drauf  los   um    billiges   oder  teueres  Geld  das  anver- 
traute Stimm-Material  —  womöglich  gleich  mit  „Partien-  und  Lieder- 
studium"  beginnend !  —  ohne  Gewissensbisse  verbilden  und  verderben. 
Die  Anatomie  des  Kehlkopfes,  des  gesamten  Stimmwerkzeugs       mus.'^' 
gilt   es   vor   allem   sich   zu   eigen  zu  machen.     Es  sei  gleich  hier  auf 
das     eingehende    Studium     der    L'nterrichtswerke    von    Sieber, 
Iffert    und    Goldschniidt    verwiesen.')     Der   knorpelige   Kehl-   Kdilkopf. 
köpf,  oben  an  der  vorderen  Halsseite  —  beim  Manne  mehr  —  vor- 
springend (Adamsapfel),  spielt  beim  Organismus  der  Stimme  die  Haupt- 
rolle.    Er   ist  eine  Art  Orgel-Zungenpfeife,   höhlenförmig  gebildet  aus 
je  zwei  Gießbeckenknorpeln  und  beweglichen  Schildplatten,  zwischen 
denen  sich,  einander  horizontal  gegenüber,  zwei  Schleimhautfalten,  die     stimm- 
Stimrabänder    (gleichsam    „Zungen")    mit    Muskelhilfe   mehr    oder     bänder. 
weniger  spannen  und  den  freigelassenen  Spalt  die  Stimmritze  (Glottis^  Stimmritze, 
mehr    oder   weniger   erweitern.     Die    in    den   Lungen   angesammelte 
Luft,  durch  die,  (Lungen  und  Kehlkopf  verbindende)  Luftröhre  getrieben 
(Atem),   bringt  jenes   Instrument   zum   Tönen,   indem   sie   die  Stimm- 
bänder in  Schwingung  versetzt.    Lungen  und  Luftröhre  arbeiten  blase- 
balgartig.    Schlund,   Nasen-   und   Mundhöhlung   bilden   die  Schallver- 
stärkung   (Resonanz),    das    mitklingende,    tonfärbende    (Ansatz-)Rohr.  Resonanz. 
Zunge,   Gaumen,   Zähne,   Lippen  ändern   den  Ton  ab.     Richtigkeit  in 
Ansatz  (Beginn   des   angegebenen  Tons:  mit   oder   ohne  Vorhauch,     Ans.itz. 
„gedeckt"  oder  „offen",   d.  i.  dunkel  oder  grell  bei  hellen  Vokalen  in 
der  Hochlage;  „flach"  [vorne  an  den  Zähnen]  oder  „gequetscht"  [hinten 


1)  S.  auch  den  kurzen  Leitfaden  von  Math.  Winter-Bertelli:  Der  Mechanis- 
mus der  Stimme  und  die  Grundlehren  fllr  korrekten  Gesang.  Prag  07*  —  Einen 
Apparat  zur  „Plastischen  Darstellung  der  Lautbil  lung  in  den  menschlichen  Stimm- 
und   Sprachorganen".    Konstruierte  die  Gesanglehrerin  Böhme-Köhler,  Lpz. 


412 


IX.   Zur  Geschichte  der  Gesangskunst. 


Respiration. 


Resrister. 


Kunst  des 
Gesanges. 


Beginn. 
Caccini. 
bei  canto. 


Durante. 

Oper  und 
Musik- 
drama. 


Vorzug  der 
Gesangs- 
musik. 


Kehlfertig- 
keit. 

Italienische 
Meister. 

Schulen. 

Bologna. 

Neapel. 


am  GauraenJ)  und  Atmung  (Respiration,  neben  dem  richtigen 
Nasen-  bezw.  Kopfansatz  ein  Hauptmoment!).  Üben  im  Festhalten 
und  Schwellen  (tenuta  und  messa  di  voce)  sowie  Biegen  > Kolo- 
rieren) der  Stimme,  Ausgleich  ihrer  Lagen  (Klangfarben,  Register), 
Erweitern  ihres  Umfangs,  Schulen  des  Gehörs,  der  Aussprache 
und  des  sinngemäßen  Vortrags  —  sind  die  Aufgaben  der  Stimm- 
bildung, der  Lehre  der  Gesangskunst.')  Deren  Entwicklungsgang 
verfolgten  wir  schon  im  allgemeinen  auf  den  Wegen  der  Oper  und 
Liedform  (vgl.  namentlich  S.  250  und  Kap.  X). 

Die  Ära  der  eigentlichen  Gesangs kun  st  beginnt  erst  mit  dem 
Auftreten  des  monodischen  Stils,  insbesondere  Caccinis  und  der 
anschließenden  Periode  des  bei  canto  (vgl.  S.  153  unten),  d.  i.  eben 
des  Kunstgesanges.  Die  älteste  bisher  aufgefundene  Gesangsmethode 
stammt  von  C.  Maffei  (Neapel  1562).^)  Eine  an  Caccini  sich  an- 
schließende Erläuterung  über  „wahre  Gesangskunst"  veröffentlichte 
mit  einigen  Arien  im  neuen  ariosen  Stil  Ottavio  Durante  (1608).^) 
Es  wird  öfter  behauptet,  die  ganze  Oper  wäre  ein  Unsinn,  da  man 
im  Leben  seine  Gedanken  nicht,  wenigstens  nicht  ununterbrochen 
singe,  sondern  sage.  Mit  demselben  Rechte  könnte  man  sieh  gegen 
das  rezitierte  Drama  wenden,  ohne  zu  bedenken,  daß  es  sich  hier 
um  eine  künstlerisch  stilisierte  Darstellung,  ebenbürtig  jener  der 
anderen  Künste  handle,  die  durch  das  Hinzutreten  der  Musik  sozu- 
sagen im  Affekte  auf  ganz  natürliche  Weise  potenziert  wird.*) 
Warum  singt  schließlich  die  erregte  Menge  revolutionäre  Lieder, 
warum  deklamiert  sie  nicht?  Das  Singen  an  sich  ist  eben 
der  Ausdruck  erhöhten  Empfindens.  Die  Gesangmusik  ist  dem 
Menschen  ureigen,  „denn  sie  ist  nicht  bloß  wie  alle  Kunst  Er- 
zeugnis seines  Geistes,  sondern  auch  in  der  Ausführung  —  folglich 
im  vorempfindenden  Sinne  des  Künstlers  gleichermaßen  —  unmittel- 
bare und  reine,  durch  keine  Einmischung  fremder  äußerer  Werkzeuge 
zerstreute  und  getrübte  Äußerung  des  Lebensorganismus  selber". 
(Marx,  Kompositionslehre  3,  S.  343.)  Jemehr  sich  nun  aber  das  Ver- 
hältnis des  Tondramas  als  „Oper"  zum  rezitierten  verschob,  die 
Kehlfertigkeit  nicht  als  Mittel  zum  Zweck,  sondern  als  Selbst- 
herrliches Element  in  den  Vordergrund  trat  (S.  172  ff.),  um  so  bedeut- 
samer wurde  das  Wirken  und  der  Einfluß  berühmter  Gesangs- 
meister, vornehmlich  in  Italien,  der  Heimat  der  Gesangskunst. 
Im  17.  und  18.  Jahrhundert  gelangte  die  Gesangskunst  durch  ausge- 
zeichnete Lehrer,  wie  Fr.  A.  Pistocchi,  P.  S.  Tosi,  A.  Ber- 
nacchi,    Bertalotti    zu   Bologna    und   P 6 r p o r a   in   Neapel    zu 


« )  Vgl.  U.  Kaudeler  „Elemente  der  Tonbildung",  Brl.  G.  Reimer.  K o f  1  e r 
„D.  Kunst  d.  Atmens".  Lpz.  B.  &  H.  P.  Merkel,  „Aussprache  u.  Deklamation", 
Lpz.  Siegel.  Ernst  Otto  Nodnagel,  „Stimmbildung",  Darmstadt,  Roether. 
Scharf  enorth,  „Elemente  u.  Technik  d.  Kunstgesanges",  Brl.  Jonasson-Ecker- 
mann.    S.  die  übrigen  Noten. 

«)  S.  B.  Ulrich:  „D.  älteste  Anleitung  z.  Kunstgesang"  in  „D.  Stimme",  Okt.  08. 

>)  Deutsch  in  (ioldsehmidts  „D.  itaüen.  GesauRSinethode  d.  17.  ,Jahrh." 
1890  (auch  Über  die  verzierte  Ausführung  der  Vokalwerke  des  16.  Jahrb.). 

*)  „Der  Schritt  zum  wirklichen  Gesangstone  ist  ein  natürlicher:  er  gibt 
sich  von  selbst  und  führt  zum  sog.  Zugesaug,  Adcantus.  jener  Mittelstufe  von 
sprachlicher  Rezitation  und  Gesang,  die  alle  Kulturvölker  des  Altertums  ge- 
kannt haben"  (Goldschmidt,  Gesangspädagogik,  1). 


Entwickelung.  413 


außerordentlicher  Ausbildung.    Manche   dieser   Meister,   wie  Pistocchi 
und  Bernacchi,  Pörpora,  Leonardo  Leo,  Franc  Feo  u.  a.,  hüteten 
ihre  Methode  des  bei  canto  als  strenges  Geheimnis.     Dagegen  hinter- 
ließen uns  Tosi  („Opinioni  de  cantori  antichi  e  nioderni"  1723,  deutsch       Tosi. 
von  Agricola,  NA.  04),  Giamb.  Man  ein i  (über  den  Koleraturgesang     Mancinl. 
1774)  und  J.  A.  Hiller  („Anweisungen  zum  musikalisch  richtigen  bezw.      Hiller. 
zierlichen  Gesänge",  1774,  1780,  vgl.  S.  178)  drei  für  unsere  Kenntnis 
der   Gesangskunst  jener   Zeit    ausschlaggebende   Werke.     Die   Lehr- 
methode  baute   sich   seit  Caocini   angelehnt  an  das  Hexachordsystem   Methoden. 
Guidos  auf,  indem  man  für  die  tägliche  Übung  jeder  Stimme  eine  Folge 
von  Ö  Tönen  zuwies;  Solfeggieren,  d.  i.  Übiingssingen  ohne  Text  auf 
die  Solmisationssilben  oder  Vokale  (Vokalisieren,  daher  die  betreffen- 
den Übungsstücke  SoU'eggien  und  Vokalisen  heißem,  Mutation  (s.  S.  65ff.) 
und  Vokaliaation  waren    die    ersten  Ziele;    weniger  die  Konsonanten- 
aussprache, übzwar  schon  Hiller  sagte:    ,,gut  gesprochen  ist  halb  ge- 
sungen".    Auf    das   tenuta    und    mcssa    di    voceM  wie   auf  die 
(Respiration)   wurde  Gewicht  gelegt.     Wertvolles  Übungsmaterial 
hinterließ  Bertalotti  (50  2  stimmige  Solfeggien). 2) 

Im  Gegensätze  zu  dieser  italienischen  legte  die  französische    Französ. 
Schule  im  Anschhisse  an  das  nationale  Tondiama  (s.  LuUy,    Kameau,     Schule 
S.    178ff.i     auf    Aussprache     und    Wortsinn     größte     Sorgfalt,     wie 
Bacilly's    gesan^rtheoretisches    Werk    („Remarques    curieu.ses    sur     BHcilly. 
l'art   de    bien    chanter,    Paris  1H79)    bezeugt.     Man  erkannte  auch  die 
Instrumentalbegleitung  beim  Unterrichte  als  Hindernis  für  die  Kontrolle 
der    Tonbildung,     Aussprache     und    Reinheit    der    I  n  t  o  n  a  t  i  o  n  Intonation, 
(d.i.  der  To  ngebung,  des  Tonansatzes;  gegenwärtig  mit  Recht  be- 
sonders [lutonatiosschulen]  gepflegt).')     Dem  Entstehen  der  komischen 
Oper   ((iretry,    S.    180)    und    Einwirken    der   italienischen   Musik    trug 
dann    Börards    (Tesangschule    (1755)    Rechnung,    ohne    aber   au    die     Bi-rard«. 
französischen  (Tpundprinzipien    zu    rühren.     Datur  zog  sie  die  wissen- 
schaltlich  physiologischen  F\)rschungsergebiii8se  (der  Pariser  Gelehrten 
hinsichtlich    der  .-Vnatomie   des    Kehlkopfes    und    der    Physiologie    der 
Sprache    wie    des    Gesanges)    erstmals    in    ihr    Bereich.     Die    Atem- 
ökoiiomie,    eines    der    ersten    und    schwierigsten    Kapitel    in    der  Respiration. 
Gesangskunst    überhaupt    (vgl.    unten    Peru^iuo) ,    erfuhr    sorgfältige 
Beaclitnng.      Angesehen,    doch    zweifelhaften    Wertes    war    die    auf 
italienischer  Grundlage  fußende  Gesanglehre  des  Pariser  Musikkonser- 
vatoriums,   Dank   bezw.   trotz   der   berühmten   Mitautoren   Cherubini, 
Gossec,  .Mehiil  (ca.  KHö).*) 

Den  erhöhten  Anforderungen  Rossinis  an  die  „instrumentale" 
Kehlfertigkeit  wurde  insbesondere  Garaude  (Methode  complete  du  <Jaraud6. 
chant,  Paris,  Vaillant  18'2f))  gerecht,  jedoch  eifrig  bestrebt,  auch  dem 
verlassenen  älteren  „breiten  ."^til"  wieder  zum  Recht  zu  verhelfen,  wie 
es  später  auch  der  berühmte  Pariser  Operntenor  und  KP.  Duprez 
(L'art  du  chant,  1847i  versuchte. 


M  Wohl  zu  unterscheiden  von  mezza  voce  (m.  v.),  d.  i.  ,.niit  halber  Stimme'*; 
Franz.  voix  mixt  , 

■>)  N  V    [K.  X.  Haberl]  2.  A.  1888. 

'    Ü.MS  Getrenteil  der  reinen  1    ist  die  unreine,  das  Detonieren 

*)  Eine  Übersetzuntf  erschien  u.  a  in  Prag  bei  Marco  Berra  (jetzt  J. 
HoflTmanns  Wwe). 


414 


IX.  Zur  Geschichte  der  Gesangskunst. 


I'.  V.  Winter, 


Eeformator 
Qarcia. 


Register. 


Sieber. 
Hauser. 

Viardot. 
Malibraii. 


Marchesi 

Fort- 
schritte. 

Schmitt. 


Lainperti. 


Ein  bedeutsames  gesang-pädagogisches  Werk  von  deutschem 
Geist  erfüllt  ist  die  „Vollständige  Singschule"  von  Peter  v.  Winter 
(1824,  auch  französisch  und  italienisch');  vgl.  S.  244),  die  frühzeitig 
auf  die  Verbindung  von  Wort  und  Ton  hinzielt. 

Neben  der  neuitalienischen  Koloraturoper  stellte  aber  auch  die 
große  historische  (Spontini,  Meyerbeer,  Auber,  s.  d.)  ihre  Forderungen 
an  die  Stimme,  verlangte  neben  der  Kehlfertigkeit  auch  den  großen 
Ton.  Da  trat  als  Reformator  der  Gesangspädagogik  der  Spanier 
Manuel  Garcia  [gärssia]  *  1805  (Sohn  des  berühmten  Tenoristen 
Manuel  G.),  KP.  zu  Paris,  seit  1885  in  London  Gesangslehrer  der 
Royalacademy  of  music ;  f  06)  auf,  nicht  minder  auf  dem  Felde  der 
Wissenschaft  von  bleibender  Berühmtheit  und  Bedeutung  als  Er- 
finder des  Kehlkopfspiegels  (Laryngoscop ,  1855 '),  dafür 
von  der  Universität  Königsberg  zum  Dr.  med.  h.  c.  ernannt).  Er  ließ 
seiner  ,, Memoire  sur  la  voix  huraaine"  (1840)  sein  Hauptwerk :  ,,Traite 
coniplet  du  chant"  (1847)  folgen.')  G.  stellte  zuerst  3  Register: 
Brust-,  Mittel(Falsett')  *)  und  Kopfstimme  fest,  den  Klangunterschied 
der  beiden  letzten  wohl  trennend  (während  man  früher  nur  2  Register, 
d.  i.  im  Klangcharakter  abweichende  Stimmlagen  (Falsett  und  Brust- 
stimme) unterschied.^)  Ihre  ,, Ausgleichung"  gehört  zu  den  Hauptauf- 
aufgaben des  Pädagogen.  G.  steuerte  so  manchem  Umfug,  so  dem 
vorzeitigen  Üben  des  messa  di  voce,  oder  dem  sinnlosen  Vokalisieren 
auf  a.  Im  Sinne  G.s  lehrten  dann  namentlich  Ferd.  S  i  e  b  e  r  (f  1895 : 
Lehrbuch  für  Lehrer  und  Schüler,  3.  A.  1878;  Katechismus  12.  A.  03) 
und  der  an  Bildung  überragende  Franz  H  a  u  s  e  r  aus  Kralowitz  in 
Böhm.,  der  Organisator  des  Münchener  Konservatoriums  (f  1870: 
vorzügliche  ,, Gesanglehre  für  Lehrende  und  Lernende",  1866).  Das 
Übungsraaterial  bereicherten  u.  a.  Frau  V  i  a  r  d  o  t  -  G  a  r  c  i  a ,  Schwester 
Manuels,  die  erste  „Fides"  in  Meyerbeers  „Prophet",  zu  Paris  [üne 
heure  d'etude]  (deren  Schwester  Malibran-G.,  in  zweiter  Ehe  mit 
Beriot  vermählt,  war  eine  berühmte  Kontra-Altistin;  die  Tochter  Luise, 
verm.  Heritte  ist  eine  geschätzte  Gesanglehrerin  in  Berlin),  Garcias 
Gattin  Eugenie  (f  1880),  Mathide  M  ar  che  si- Graumann  in  Paris 
[L'art  du  chant;  Exercices  und  Vocalises]  u.  a.  Fortschrittlich  über 
Garcia  hinaus  und  mit  Wagner  gleichzeitig  reformierend  bewegt  sich 
Friedr.  S  c  h  m  i  1 1  •*)  (f  1884)  in  seiner  „Großen  Gesangschule  für 
Deutsche"  (München  1854)  dem  Endziel  der  Wort-  und  Tonver- 
schmelzung zu.  Rückschreitend  zur  italienischen  Schule  sehen  wir 
Francesco  Lamperti  (KP.  Mailand,  f  1892)"),  dessen  Gesangschule 
,,als  ein  trauriges  Zeichen  für  die  Dekadenz  der  modernen  italienischen 
Gesangskunst"  erscheint  [Goldschmidt].  Die  moderne,  mit  den  neu- 
zeitlichen  Forschungsergebnissen   auf  dem  Gebiete   der  Akustik   und 


t)  NA.  (unvollständig  EP.) 

■)  Vgl.  die  physiologi.schen  Untersuchungen  wie  Merkls  „Anthropopho- 
nik",  1857.  ')  Deutsch  von  Wirth;  Volbach  [„Garcia-Schule"  l8!n»J. 

*)  D.  i.  „falsch"  oder  „unnatilrlich";  bezog  sich  frlllier  nur  auf  das  Hoch- 
register der  Männerstimmen,  die  Anwendung  auf  Fr:iuenstinin\en  ist  irrig 
(8.  unP).  '')  Sie   kommen   allerdings  fllr   die  Männerstimme,  drei  dagegen 

nur  für  die  Frauenstimme  in  Iletracht. 

")  Nicht  Schmidt,  wie  bei  (loldschmidt  zu  lesen. 

'i  Nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Gesanglehrer  M(tB.  Lamperti  zu  Dresden. 


Entwickelung. 


415 


Physiologie  (vgl.  Helmholtz)  in  Einklang  stehende  Pädagogik  beginnt 
mit  Jul.  S  t  o  c  k  h  a  u  s  e  n  i  t  06  Frankfurt  a.  M. :  Methode,  2  Bde.  1887), 
Garcias  epochemachendem  Schüler,  und  Jul.  Hey  in  Berlin  (*  1832: 
„Deutscher  Gesangsunterricht"  4  Bde.  1886). 

Unter  den  Tonmeistern,  die  auf  das  von  allem  Anfang  an  immer 
■wieder  in  den  Vordergrund  tretende  Verhältnis  von  Wort  und  Ton, 
Syllabik  (silbengemäße  Textierung)  und  Melismatik  (Verzierungswesen) 
bestimmenden  Einfluß  nahmen  und  den  Kern  des  dramatischen  Wesens 
trafen,  stehen  in  aufsteigender  Reihenfolge  nächst  den  mehr  oder  minder 
theoretisierenden  Caccini,  Lully  und  Rameau:  Gluck,  der  unfehlbare 
Mozart,  der  Dramatik  und  Ziergesang  so  einzig  zu  verbinden  wußte, 
Schubert  und  Loewe  im  Rahmen  der  Lyrik  und  Epik,  endlich 
Rieh.  Wagner. 

Auch  über  den  Niederstand  der  deutschen  Gesangskunst  werden 
Klagen  laut.  Im  deutschen  „Sprachgesang"  mit  seiner  gesteigerten 
Deklamation  (s.  S.  298)  soll  nun  eine  deutschnationale  Gesangskunst 
erstehen.  Das  spezifisch  „Gesangliche"  darin,  das  international 
ist,  herauszufinden,  bemühen  sich  Lilli  Lehmann  und  die  Anhänger 
des  „primären  Tons"  Müller-Brunow  in  Dresden,  Dr.  Paul  Bruns- 
Molar  in  Berlin  u.  a.  Diese  fordern  den  strengsten  Ausgleich  aller 
Register,  „als  Ideal  und  Endziel  aller  Tonbildung:  das  Ein  regist  er"'). 
Bis  auf  diese  und  andere  neueste  praktisch  noch  zu  erprobende  Me- 
thoden^), erscheint  das  „Handijuch  der  deutschen  Gesangspädagogik" 
(2  Bde.  1896  f.)  von  Dr.  Hugo  Goldschmidt  (*  1859,  Inhaber  des 
Konservatoriums  Klindworth-Scharwenka  Berlin,  Schüler  Stockliausens) 
als  das  zuletzt  maßgebliche,  die  Vorzüge  und  Fehler  aller  unterschied- 
lichen „Methoden"  wertende  bezw.  umwertende  Werk.  Ihm  sind  wir 
auch  in  unseren  Ausführungen  hauptsächlich  gefolgt,  ohne  unsern 
früher  im  Einzelnen  eingenommenen  Standpunkt  (vgl,  z.  B.  Mozart, 
Meyerbeer,  gegenüber  Goldschmidt  cit.  I,  ö  f.)  aufzugeben.^)  Auch 
Karl  Hennigs  (*  1845,  kgl.  MD.  Posen)  „Deutsche  Gesangschule" 
(2.  A.  03)  sei  empfohlen. 

Die  einzelnen  Stimmcharaktere  betrachtend,  unterscheiden 
wir  neben  den  4  Hauptgattungen  (s.  S.  76)  einzelne  markante  Neben- 
gattungen. So  bei  der  Frauen-  (bezw.  Kinder^stimme  neben  oder 
innerhalt)  des  „hellblonden"  Soprans  (c'— a^  und  höher)  den  wenig 
umfangreichen,  dafür  in  der  Mittellage  volltönenden  Mezzosopran 
(zwischen  Sopran  und  Alt,  korrespondierend  mit  dem  Bariton),  neben 
dem  Alt  (a— e^  t^  oder  höher)  den  seltenen,  üppig-dunklen  Kontra- 
a  1 1  (abwärts  bis  f,  e,  selbst  d) ;  bei  der  Männerstimme  innerhalb  von 


Stock- 

hansen. 

Hey. 

Einfluß   der 
Tonmeister. 


Mozart. 

Schubert. 

Wagner. 

Deutsche 

(iesang.s- 

kunst. 

Sprach- 
gesang. 
Neue 
Schule. 
Primärton. 


Gold- 
schmidt. 


Stimm- 
rattangen. 


•  )  Über  die  neueste  Lehre  vom  (im  Klangphänomen  der  Obertöne  beruhen- 
den) primären  „registeransgleichenden  Ton  als  Produkt  sämtlicher  Resonanz- 
faktoren des  Gesangskörjiers,  den  wir  gemeinhin  mit  , Stimme'  bezeichnen"',  an 
Stelle  der  Zwei-  und  Dreiregister,  s.  Dr.  Bruns:  D.  Registerfrage  in  neuerer 
Forschung.  AUg.  Sänger-Kalender  07.  Ferner  desselben  Aufsätze  in  den  Fach- 
eeitschriften,,  D.  Kunstgesang"  18!»5— 99  und  „Dtsche.  Gesaneskunst"  00 — 02.  — 
MUller-Brunow.    „Tonbildung    oder    Gesangsunterricht?-'    Lpz.    Merseburger. 

*)  Vgl.  z.  B.  Wagen  mann,  Lilli  Lehmanns  Geheimnis  d.  Stimmbänder. 
Brl.,  07.  Rade. 

»)  Vgl.  auch  Goldschmidts:  „Der  Vokalismus  des  neuhochdeutsch.  Kunst- 
sanges u.  der  Buhnensprache",  1892;  „Studien  z.  Gesch.  d.  Italien.  Oper  i.  17. 
Jahrh."  Ol.    Vgl.  auch  Cavalli;  und  ob.  S.  412'. 


416  IX,  Zur  Geschichte  der  Gesangskunst. 

Tenor  (c— g^)  bezw.  Baß  (F — e')  den  Bar y ton  (d.  i.  Tieftöner, 
A-fis^)  mit  den  Untergattungen  des  Tenor-  und  Baßbarytons,  je 
nach  Vorherrschen  der  Höhe  oder  Tiefe ,  bezw.  der  den  Haupt- 
gattungen zukommenden  Klangfärbung,  endlich  den  hohen  und  den 
tiefen  Baß  (basso  cantante  und  profondo).  In  der  Oper  gelten 
noch  weitere  Unterschiede:  Dramatischer-  und  Koloratur- 
sopran (seit  Meyerbeer,  je  nach  Vorwiegen  des  leidenschaftlichen 
Ausdrucks  oder  der  Bravour  —  erstklassige  Sängerinnen  (Prevosti, 
Bellincioni,  Bariton  Padilla  verbinden  beides,  die  voluminöse  und 
biegsame  Stimme!),  Ij^rischer-  und  Heldentenor  (dieser  kleinen 
Umfangs  [c— b^],  kräftig  in  der  Mittellage,  baritonartig  [d.  i.  meist 
Tenorbariton,  bezw.  ein  nach  oben  besonders  ausgebildeter  Bariton], 
jener  Sopran  hell,  glänzend,  siegreich  in  der  oft  phänomenalen  Höhe 
( — c^  eis'),  schwächer  in  der  Tiefe;  endlich  seriöser  und  Buffo 
[komischer]- B  a  ß ,  jener  edel,  groß  und  mächtig,  dieser  mehr  grell 
aber  beweglich. 

Zur  Sopran-  und  Altgattung  gehörten  im  17. /18.  Jahrh.  auch  die 

Kastraten.  Stimmen  der  Kastraten  (d.  i.  Entmannten,  Verschnittenen)  deren 
konservierte  Knabenstimme  den  Klang  der  Frauenstimmen  an  Glanz, 
Wohllaut  und  Stärke  übertraf.  Diese  virtuosen  Sopran-  und  Altsänger 
als  Repräsentanten  der  höchsten  Blüte  des  bei  cante  hörte  man  nament- 
lich in  der  Sixtina  (s.  S.  135)  und  anderen  kirchlichen  Kapellen.  Dort 
sangen  übrigens  den  Sopran  und  Alt  im  15.— 17.  Jahrhundert  sog. 
FalsettistenFalsettisten  (Tenorini,  Alti  natural!,  s.  S.  118).  Auf  das  Kastraten- 
tum  bezieht  sich  auch  in  der  älteren  dramatischen  Musik  die  Besetzung 
männlicher   Hauptrollen   mit   Frauenstimmen    (vgl.  Glucks   ,, Orpheus") 

18  ''jahrh  ^^^   berühmte  Kunstsängerwelt   betrachtend,    erblicken    wir  von 

Cafarelli.    StradcUa   (S.  166)   abgesehen   vorerst   die   Kastraten:   Cafarelli 

t    1783,    Farinelli    f    1782    (eigentlich    Carlo    Broschi),    Perugino, 

Crescentini.  Senesino,  Cre8centini(t  1846,  einer  der  letzten,  namhaftesten,  dessen 

Kunst  vollendete  Virtuosität  mit  höchstem  Wohllaut  und  dramatischer 

Wärme   paarte  [Vokalisen   nebst   einleitenden  Bemerkungen   über  die 

Perugino.  Gesangskunst].  Von  Perugino  erzählt  Rousseau ,  daß  er  in  einem 
Atem  die  chromatische  Skala  durch  2  Oktaven  hinauf  und  hinab,  mit 
einem  Triller  auf  jedem  Tone,  sang  und  zwar  mit  vollkommen  reiner 
Intonation.     Die   Einnahmen   dieser  Sänger   waren   die   glänzendsten. 

Farinelli.  So  erhielt  Farinelli  —  er  besiegte  in  einem  Wettkampfe  durch  die 
Kraft  und  Beweglichkeit  seines  Organs  einen  Trompeter  —  vom 
Könige  von  Spanien  jährlich  50000  Franken,  imd  Caffarelli  konnte 
sich  am  Ende  seiner  Laufbahn  ein  Herzogtum  kaufen,  das  jährlich 
45  000  Franken  Ertrag  gab.  Der  letzte  Kastrat  war  Velluti  f  1861. 
Im  18.  Jahrhundert  ragen  weiter  hervor:  die  Tenoristen  Ant. 
Raaff  t  1797  (er  begleitete  1778  Mozart  nach  Paris,  der  für  ihn  den 
„Idomeneo"  und  die  Arie  ,,Se  al  labro  mio"  schrieb)  und  der  schöne 
Rauzzini  f  1810  (auch  Komponist);  die  Sängerinnen  Agujari  („la 
Bastardella")  f  1783,  die  das  c*  erreichte  und  noch  auf  dem  f^  trillern 
Hasse,      konnte,   Cuzzoni   f   1770,   Bo  rd  on  i-Hasse   (s.  S.   176)   und   deren 

Mingotti.    Rivalin  Mingotti,  Tesi-Tramontini  (f  1778,  Alt),  Gertr.  Elis.  Mara 
TodL*      (Gattin  des  liederlichen  Cellisten  f  1749)  und  deren  Rivalin  Todi  in 

Schröter.   Paris  (Todisten   und  Maratisten)   f  1833,   endlich  Corona  Schröter 


Die  Sängerwelt.  417 


t   1802  *)   (unter  Goethe  das  bewunderteste  Mitglied  der  Weimarer 
Bühne)  [25  Gesänge  -)]. 

Im  19.  Jahrb.  begegnen  uns  die  dramat.  Soprane:  Carvalho  19-  Jahrh. 
t  1895,  Catalani  f  1849,  Dustmann-Meier  f  1899,  Giulia  Grisi  t  1869  ^^P^»"«- 
eine  der  größten  dramat.  Virtuosinnen,  Therese  Grünbaum  aus  Wien, 
t  1876,  Klafski  f  1896,  Krebs-Michalesi  aus  Prag,  f  04,  Mezzo-S., 
Milder-Hauptmann  f  1S38  (für  sie  schrieb  Beethoven  den 
„Fidelio"),  Pasta  f  1865,  Schröder-Devrient  f  1860,  Henriette 
Sonntag  f  1854,  Titjens  t  1877,  Trebelli  Gilbert  f  1892,  Mezzo-S., 
V.  Voggenhuber  f  1888,  Johanna  Wagner  (Nichte  Rieh.  W.s),  Maria 
Wilt  aus  Wien,  f  1891,  Nilson;  die  Altistinen:  Alboni  f  1894,  Alte. 
Grassini  f  1850,  Amalie  Joachim-Weiß  t  1899;  die  Koloratursänge- 
rinnen: Carlotta  Patti  (f  1889)  und  Adelina  Patti,  Peschka-Leutner 
aus  Wien,  f  1890,  Tuczek-Hen-enburg  aus  Wien,  i  1883;  ferner:  Nissen 
i  1879,  (Bühnen-  und  Konzerts. ;  Gesangschule\  Karol.  Pruckner  aus 
Wien,  t  08,  Gesangschule  [V],  Schick  f  1809,  gefeierte  Glucksängeriu, 
Aug.  Götze  t  1840,  Gesanglehrerin  [„Üb.  d.  Verfall  d.  Gesangs- 
kunst]; die  Tenore:  Ander  aus  Böhm,,  f  1864,  Donzelli  f  1873,  Tenore. 
Helden-T.),  Em.  Götze  f  Ol,  Labatt  f  1897,  Nachbaur  f  02,  Nourit 
t  1839,  Schuttky  (s.  S.  332',  Ta magno  f  05,  Helden-T,,  zuletzt  seine 
Kunst  nur  zu  wohltätigen  Zwecken  übend,  und  ihnen  einen  großen  Teil 
seines  Vermögens  widmend,  Tamberiick  f  1880,  Templeton  f  1886, 
Vogl  (S.  248),  Theod.  Wachtel  f  1893,  Gust.  Walter  (S.  254); 
die  Baritone :  Betz  f  60,  Bulß  f  02  (Bühnen-  und  Konzertsänger),  der  Baritone. 
Deutschböhme  Eugen  Gura  f  06,  ausgezeichneter  Balladensänger 
[Loewe]*),  Theod.  Bertram  f  07,  Hill  t  1893;  die  Bassisten:  Bassisten. 
Fischer  f  1825  [D-a'],  Lablache  f  1858,  Levasseur  t  1871, 
Tamburini  f  1876;  ferner:  (."oncone  f  1861  (geschätzte  Solfeggien- 
schule),  Graben-Hotfmann  i  populäre  Lieder  [5000C>0  Teufel],  pädagog. 
Schriften),  Gust.  Hölzl  f  1883,  beliebte  Lieder  [„Mein  Liebster  ist 
im  Dorf  der  Schmied"],  Mancini  f  1800  (Über  Koloraturgesang),  Joh. 
AI.  Miksch  (aus  Georgental  i.  Böhm.,  f  1845,  bedeutender  Lehrer), 
die  Lehrer  Vaccai  f  1849,  Tosti  (London,  beliebte  Lieder)und  Frhr. 
V.  Rokitanky  f  06.  Weltberühmte  Vertreter  des  allmählich  aus- 
sterbenden Bassistengeschlechtes  insbesondere  waren  Karl  Formes 
t  1889,  Joh.  Staudigl  (aus  Wölleradorf)  f  1861,  Emil  Scaria 
t  1886. 

Dieser  gehörte  auch  vorzugsweise  zu  den  stilvollen  Darstellern  "^»gner- 
Wagnerscher  Gestalten,  ähnlich  wie  Alb.  Niemann  (Helden-T.},  ^'^^eei. 
Schnorr  v.  Carolsfeld  f  1865  (erster  Tristan),  Diener  f  1879, 
Hedwig  Reicher- Kindermann  (Tochter  des  berühmten  Baritons),  Hans 
Feod.  V.  Milde  f  1899  (erster  Telramund,  seine  Gattin  Rosa  die 
erste  „Elsa"),  Mitterwurzer  (f  1872,  Baß),  Tichatschek  aus  Wekels- 
dorf  i.  Böhm,  f  1886  (erster  Rienzi,  Tannhäuser),  Winkelmann 
(erster  „Parsifal"),   Theod.  Reichmann  f  03,  (Bar.1,  G.  Unger  f  1887, 


1)  B.:  Keil  1875;  Pasig,  Goethe  u.  C.  Seh.  02. 
*)  NA.  [Dr.  L.  Schmidt[  Lpz.  07,  Inselverlag. 

»)  8elbst-B.  „A.  mein.  Leb.",  05.  B.  &  H.  —  L.:  Dr.  K.  Stradal,  Erinnernngen 
an  E.G.,  Tepiitz,  06;  Bayreuther  Briefe  E.G.s,  Teplitz  08. 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  Musikgeschichte.    8.  Aufl.        27 


418  IX.  Zur  Geschichte  der  Gesangskunst. 

Heinr.  Vogl  f  00,  Marianne  Brandt  (Alt,  erste  Kundry),  Alvary 
(s.  u.).  Heute  gibt  es  bald  keine  erstklassigen  „Wagnersänger"  mehr, 
■wie  längst  keine  „Mozartsänger".     Der  „Stil"  ging  verloren. 

Viele    der    obengenannten    berühmten    Gesangsraeister    bildeten 

Jenny  Lind,  wieder  namhafte  Kräfte  aus,  so  Garcia:  Jenny  Lind  f  1887: 
Lamberti:  die  Albani  *  1850,  Sopr.,  und  Sembrich  (recte  Kocharska, 
*  1858  Galizien,  Kolor.-S.);  Viardot:  Desiree  Artot  de  Padilla, 
Gattin  des  glänzenden  spanischen  Baritons  Padilla  (dramat.  S) 
beide  f  07,  Schröder-Hanf stängl  *  1848,  Bühnens.  [„Meine 
Lehrweise  der  Gesangskunst  02],  Pauline  Lucca  f  07,  (S.),  Marianne 
Brandt  (aus  Wien,  *  1842,  s.  ob.),  Aglaja  Orgenj  i  (Gesangsmeisterin 
zu  Dresden),  Bianca  Bianchi  (recte  Schwarz,  S.);  Marchesi:  die 
dram.  Sopranistin  Melba  (recte  Armstrong)  *  1859;  Stockhausen: 
Alvary  (recte  Achenbach,  Helden-T.),  die  Altistin  [Brahmssängerin] 
Spies  t  1893. 

Gegenwart.  In   der  Gegenwart  hören   wir   außer   den  schon  früher  (S.  355) 

genannten  die  Soprane:  Arnoldson,  Bellincioni,  Bricht- Pylle- 
manu  (Wien),  Calve,  Destinn,  Farrar,  Hei.  Staegemann,  Gul- 
branson,  Herzog,  Selma  Kurz;  die  Mezzosoprane  bezw.  Alte : 
Metzger-Froitzheim,  Koenen,  Behr,  Walker;  die  Tenors 
Bonci,  Caruso,  Naval,  van  Dyk,  Burrian,  Schraedes, 
Slezak,  Jean  de  Reszke,  Dr.  Wüllner  (insbesondere  Vortrags- 
raeister);  die  Baritone:  d'.Andrade,  Demuth,  van  Eweyk, 
van  Roy, Scheidemantel  [„Stimmbildung",  07,  B.  u.  H.]  i),  S  o  o  m  e  r , 
Fe  in  hals;  endlich  die  Bassisten  Arimon  di ,  Schaljapin,  Ed. 
de  Reszke.  (Die  Namen  der  Bühnensänger  sind  hier  gespeiTt 
gedruckt.) 


Anwendung  Wohl  sind  die  meisten  besseren  Gesanglehrer  der  Gegenwart  be- 
M  üf'd  rauht,  bereits  bewährte  Methoden  gewissenhaft  anzuwenden  bezw.  wie 
03  sich  gehört,  das  Beste  daraus  auf  Grund  eigener  Erfahrung  und 
Anschauung  praktisch  weiter  auszuarbeiten  und  zu  verwerten  und 
mitunter  selbst  erfolgreich  eigene  Wege  zu  gehen.  Maßgebend  bleibt 
zuletzt  die  richtige  Erkenntnis  und  Behandlung  der  Individualität 
des  Materials  einschließlich  der  Mund-,  Zungenbildung  usw.*)  Sehr 
Mißgriffe,  ^^^gj  vermerkt  muß  es  werden,  daß  so  manche  „Stimmbildner"  Jedes, 
auch  das  von  Natur  aus  „tief"  angelegte  Organ  gewaltsam  „in  die 
Höhe"  treiben  imd  zum  glänzend  kräftigen  Sopran  ,, erziehen"  wollen. 
Hier  liegt  nicht  zum  geringsten  die  Schuld  am  auffallenden  Mangel 
echter,  schöner  Tiefstimraen  und  an  der  so  häufig  „gequälten"  Tou- 
gebung.  Die  glücklich  zu  glänzenden  Tenören  entwickelten  Baritone 
sind  nur  Ausnahmen  von  der  Regel.  „Ein  Gesangunterricht  für  höhere 
Zwecke  besteht  nicht  im  Notensingen  und  Schönsingen,  sondern  in 
der   Lehre    der   richtigen   Luftf unktion".     (^MüUer-Brunow.)     Hier 


1)  Nebst.  Prof.  Th.  Siebs'  „Deutsche  Buhnenaussprache". 
')  Schon    Bacilly    bemerkt,    daß    eine   nur  gute    Stimme,   wenn   sie    einer 
geistig  regen  Natur  angehört,  einer  lediglich  schönen  Stimme  vorzuziehen  sei. 


Die  Sängerwelt.  419 


aber  spielt  die  Pflege  des  Organs  durch  eine  entsprechende  Lebens-    Hygiene, 
weise  eine  Hauptrolle.') 

Beim  Schulunterrichte,  der  noch  an  krassen  Mängeln  leidet,  Schulunter- 
soUte  aus  oben  angeführten  Gründen  an  Stelle  des  selbst  an  Seminarlen  "'^^^' 
noch  üblichen  Klassenunterrichtes  die  Unterweisung  in  kleineren 
Gruppen  treten  und  auch  dem  Einzelgesange  Rechnung  getragen 
werden.  iVgl.  auch  S.  429.)  Von  größter  Bedeutung  aber  ist  die  meist 
außer  Acht  gelassene  Schonung  des  Stimmtons  während  der  Periode 
der  Mutier ung    des  Bruches  und  Wechsels).*)  Mutierung. 

Zum  Schlüsse  noch  ein  Wort  über  die  vielfach  angefeindete, 
weit  mißverstandene  Koloratur.  Die  Zeiten  des  Ziergesanges  sind  Koloratur- 
vorüber,  sagt  man.  Die  ihm  das  Totenlied  singen,  haben  recht,  sofern  Kesang. 
es  sich  um  die  Koloratur  als  Selbstzweck  und  Konzession  der  Kompo- 
nisten und  Virtuosen  an  einen  überwundenen  Zeitgeschmack  handelt ; 
nicht  aber,  sofern  sie  ein  Mittel  zum  Zweck  in  der  Gesangskunst,  in 
Oper  und  Konzert  darstellt.  (Vgl.  S.  173.)  Da  muß  und  wird  ihre  Pflege 
und  ihr  Genießen  weiterleben  —  schon  darum,  weil  ihr  fleißiges  Studium 
die  B  e  w  eg  1  i  c  h  k  e  i  t  d  e  r  S  t  i  m  m  e  f  ö  r  d  e  r  t ,  sie  geschmeidiger  und  Nutzen 
befälligt  macht,  auch  die  einfachste  melodische  Linie  mit  genußreicher  "'"^  Wert. 
Reinheit  und  Sicherheit  nachzuziehen.  Umsonst  sind  die  schönste 
Stimme  und  Begabung,  die  jenes  Studium  vermissen  lassen  und  über 
jeden  Mordent  oder  Doppelschlag,  sei  es  im  Kunstlied  oder  in  der 
schlichten  Arie,  stolpern,  oder  nichts  Rechtes  mit  ihm  anzufangen 
wissen.  Dann  aber  wird  die  Koloratur  weiterleben,  weil  es  immer 
Meister  geben  wird,  die  sie  gleich  einem  Bach  und  Händel,  Mozart, 
Verdi  und  auch  Wagner  —  von  den  deutlichen  Fällen  des  bloßen 
Zugeständnisses  in  früheren  Zeiten  abgesehen  —  an  richtiger  Stelle 
und  mit  Maß  um  so  wirksamer  mit  zimi  Zwecke  des  individuellen 
musikalischen  Ausdruckes  benützen  werden.  Kein  Zweifel :  auch  im 
Ziergesange  kann  Seele  liegen  und  gefunden  werden  — jene 
Meister  der  Komposition  und  moderne  reproduzierende  Gesangskünstler 
beweisen  es.  So  neuester  Zeit  z.  B.  Caruso,  der  in  mancher  ge- 
schmähten Koloratur  Verdis  den  Schatz  echter  Empfindung  und  den 
geheimen  Zusammenhang  einzelner,  scheinbar  oberflächlich  hinge- 
worfener Melismen  mit  der  dramatischen  Szene  hervorzuheben  weiß.'') 


>)  Vgl.  Bottermund,  D.  Singst,  n.  ilire  krankhaften  Störungen,  Lpz.  1896. 
Dr.  Imhofer,  „D.  Krankheiten  der  Singst,"  ßrl.  04;  ferner  die  Arbeiten  von  H. 
Krause  1898,  Ephraim  189!»,  Gasten,  Garno,  O.  Körner,  .\lbr.  Krtlger,  Mund,  Gutt- 
mann  02.  ')  Vgl.  Hennig,  Methodik  d.  Schulgesangunterrichtes  u.  NMZ.  03, 

53  [Anna  Morsch  Über  d.  Ergebnis  des  II.  musikpädag.  Kongresses  Berlin].  VgL 
auch  Eitz'  „Tonwortmethode"  beim  Schulgesangnnterricht  (Lpz.  B.  &  H.),  die 
jedem  Ton  eine  gangbare,  ihn  charakterisierende  Silbe  gibt  Fr.  Will  In  er, 
■Chor Übungen,  4  Teile,  Milnchen  1873. 

')  Vgl.  zu  den  Übrigen  Noten  noch  den  Lehrgang  und  -Plan  des  Prager 
Konservatoriums,  die  Kataloge  GL.,  EP.,  ES.,  UE.,  B.  &  H.;fernerMax  Battke, 
„Primavista",  Brl.  A.  Stahl.  Dr.  Fiat  au,  „Tntonationsstörungen  u  Stimmver- 
lust", Brl.  Stahl.  A.  Schott,  „Hie  Weif,  hie  Waibling!"  Streitfragen  auf  d. 
Gebiete  d.  Gesanges,  Brl.  04  Goldscheidt.  Anna  Lankow,  „Die  Wissenschaft  des 
Kunstgesanges",  mit  praktischem  bungsmaterial  von  .Anna  Lankow  und  Manuel 
Oarcia.  Beachtenswerte  .Angaben,  .Vufsiitze  und  Winke  im  „AUgem.  Sänger- 
Kalender  u.  Jahrbuch  d.  dtschn.  Vokalkunst",  1907,  1.  Jahrg.  ZUrich,  Örell  4  FüDli. 
„D.  Stimme",  Zentralbl.  f.  Stimm-  u.  Tonbildung  [Flatau,  Gast,  Gusinde],  Brl. 

27* 


X.  Zur  Geschichte   des  deutschen  Kirchen- 
liedes. 

25.  Der  deutsche  Chor-  und  Gemeindegesang.    Seine  Anfänge 
und  Entwicicelung. 

Als  sich  das  Christentum  im  Abendlande  mehr  ausbreitete,  be- 
gann man,  an  Stelle  der  bis  dahin  in  den  großen  Städten  geläufigen 
griechischen  Sprache,^)  die  lateinische  zu  benutzen,  die  Ambrosins 
t  397,  Augustinus  f  430  und  Hieronymus  f  420,  zur  Kirchen- 
sprache in  liturgischer  und  dogmatischer  Hinsicht  ausbildeten.  Gregors 
Verdienste  um  die  römische  Liturgie  kennen  wir  bereits.  Als  dann 
in  Deutschland  das  Christentum  durch  Bonifacius  1755  eingeführt 
wurde,  kam  auch  dort  der  lateinische  Ritus  und  der  gregorianische 
Gesang  zur  Herrschaft.  P  i  p  i  n  der  Kleine  f  814  und  die  Klöster  zu 
Fulda,  St.  Gallen,  Regensburg  usw.  machten  sich  hier  be- 
sonders verdient.  Latein  war  damals  die  Sprache  der  Wissenschaft, 
der  Gelehrten,  und  nahm  zur  deutschen  Sprache  etwa  dieselbe  Stellung 
ein,  wie  heute  das  Hochdeutsche  zum  Plattdeutschen. 

Obzwar  die  katholische  Kirche  später  und  bis  heute  die  lateinische 
Sprache  als  Kirchensprache  aus  ti-iftigen,  hier  nicht  zu  erörternden 
Gründen  beibehielt,  trug  sie  doch  auch  den  nationalen  Gesängen 
Rechnung,  sie  bei  den  Mysterien,  zwischen  den  Strophen  der  Sequenzen, 
bei  Wallfahrten,  Prozessionen,  vor  und  nach  der  Predigt,  nach  der 
Wandlung  und  dem  Segen,  bei  Abendandachten,  Stillmessen  u.  dgl. 
gestattend.  Das  will  aber  nur  sagen,  daß  die  Kirche  dem  deutschen 
Kirchenliede  nicht  die  gleiche  Sorgfalt  angedeihen  ließ  wie  dem  gre- 
gorianischen Gesänge. 

Die  Hauptquelle,  aus  der  sich  das  deutsche  Kirchenlied  ent- 
wickelte, war  der  lateinische  Hymnengesang:  übersetzte  lateinische 
Hymnen  mit  den  dazu  gehörigen  gregorianischen  Melodien,  entweder 
original  oder  vereinfacht  (wie  z.  B.  „Komm,  Geist  und  Schöpfer" 
[„Veni  Creator  spiritus"],  vgl.  Beil.  Anhang,  19);  oder  mit  neuen 
Melodien  nach  dem  Muster  der  gregorianischen.  Dieser  Gesang  be- 
währte also  auch  hier  seine  bildende  Kraft  und  kulturhistorische  Be- 
deutung. Daneben  gab  es  noch  andere  Quellen:  Man  benutzte  zu 
Übersetzungen  geistlicher  Lieder  profane  Melodien;  s.  z.  B.  das 
Lied:  „0  Haupt  voll  Blut  und  Wunden",  Text  eine  von  Paul  Gerhardt, 


')  Viele  Wörter  daraus  ging:cn  in  die  lateinische  Liturgie  über,  z.B.  Agios- 
o  theos  (Heiliger  Gott),  Kyrie  eleison,  evangelium,  baptisma,  eucharistia,  para- 
cletus,  angelus,  diabolus,  epipbania,  clerus,  episcopus,  presbyter,  diaconus,  ecclesia,. 
biblia  usw. 


Die  Anfänge  des  deutschen  Kirchenliedes. 


421 


dem  bedeutendsten  geistlichen  Liederdichter  des  17,  Jahrh.  (s.  S.  202)  ^) 
verfaüte  Übersetzung  des  Hymnus:  „Salve  caput  cruentatura"  vom 
hl.  Bernard  (Abt  von  Clairvaux,  f  1153),  Melodie  von  H.  L.  Hasler, 
ursprünglich  zu  einem  weltlichen  Madrigale  („Mein  Gemüt  ist  mir  ver- 
wirret"). Wenn  diese  Melodie  trotzdem  heute  zu  den  schönsten  kirch- 
lichen gezählt  wird  und  einen  Glanzpunkt  in  Bachs  Passion  bildet, 
so  erklärt  sich  dies  daraus,  daß  früher  die  weltliche  Musik  von  der 
kirchlichen  wenig  unterschieden  war,  indem  die  jüngere  Schwester 
von  der  älteren  Form  und  Inhalt  lieh.  Wollte  man  daraus  den  Schluß 
ziehen,  daß  auch  heute  kirchliche  und  weltliche  Musik  einander  gleichen 
können,  so  wäre  dies  ein  Irrtum  und  obiges  Lied  kein  Beweis  dafür. 
Text  und  Melodie  müssen  sich  entsprechen,  müssen  adäquat 
sein.  Haslers  Melodie  paßte  nicht  zu  dem  weltlichen  Te.xte  und  darum 
kam  das  Madrigal  außer  Gebrauch,  das  forderte  die  gesunde  Vernunft 
und  der  geläuterte  Geschmack.  Die  Vermengung  des  Kirchlichen  und 
AVeltlichen  ist  ein  Fehler,  der  vennieden  werden  muß. 

Man  benutzte  auch  vielfach  weltliche  Volksmelodien  zu 
geistlichen  Texten.  „Von  Gott  will  ich  nicht  lassen"  z.  B.  sang  man 
nach  der  Melodie:  „Ich  ging  einmal  spazieren".  Neue  Texte  ent- 
standen ferner  durch  Umarbeitung  weltlicher  Volkslieder. 
„Den  liebsten  Bulen,  den  ich  han"  (ein  Weinlied)  änderte  man  z.  B. 
in:  ,,Den  liebsten  Herren,  den  ich  han"  um.  Manche  Melodien  ent- 
standen wohl  auch  so,  daß  wie  C.  S.  Meister  nachweist,  unberufene 
Sammler  den  Sopran  einer  vierstimmigen  Bearbeitung  für  die  eig- 
entliche Melodie  ansahen,  während  diese  doch  nach  der  Sitte  der  Kon- 
trapunktisten  des  16.  Jahrhunderts  als  Cantus  lirmus  im  Tenor  lag. 
So  geschah  es  mit  dem  Sopran  des  von  H.  Isaak  bearbeiteten  Volks- 
liedes „Inspruck,  ich  muß  dich  lassen",  nach  welchem  ein  Lied  zu  St. 
Annen  gesungen  wurde.  Die  I'rotestanten  singen  nach  dieser  Melodie: 
„Nun  ruhen  alle  Wälder".  Endlich  wurden  sowohl  Texte  als  Melodien 
neu  geschaffen. 

Man  führt  die  ersten  Anfänge  des  deutschen  Kirchenliedes  zu- 
rück auf  den  vom  Volke  vielfach  wiederholten  Ruf  „Kyrie  eleison" 
woher  sich  auch  (nach  Hoftmann  von  Fallersieben)  der  frühere  Name 
„Kirleis,  Leise,  Leich"  [böhmisch  Krlei]  herschreibt,  und  nimmt  an, 
daß  die  ersten  Lieder  ähnlich  entstanden  wie  die  Sequenzen.  Wie 
Notker  Balbulus  („der  Stammler",  Mönch  in  St.  Gallen,  s.S.  6U) 
„die  sog.  Neumen  oder  .Jubilationen,  diese  textlosen  Jubeltöne  (s.  S. 
56)  mit  beziehungsreichen  Texten  versah^),  so  dachte  man  zu  gleicher 


1)  S.  Mergner.  P.  G.s  peistl.  Lieder  in  neuen  Weisen.  30  ausgew.  Lieder, 
NA.  [Karl  Schmidt]  Lpz.  A.  Deichen  Xachf.  (Geor^  Böhmej  07.  Vgl.  auch  Max 
Regers  meisterhafte  Choralkantaten  Über  „O  Haupf*  und  „Meinen  Jesum  laß  ich 
nicht"  für  Chor,  Soli,  Org.,  Viel.'  und  Bratsche;  und  den  stillvollen  „Geistl.  Dialog, 
Kreuz  und  Trosf  von  F.  Lubrich.    Ferner  „Kunstwart",  2.  Märzb.  07. 

')  S.  R.  Schlecht,  „Gesch  d.  Kirchenmusik",  Beil.  10.  Der  Reichtum  an 
Se(iueuzen  war  Übrigens  sehr  groß  (Mone  fuhrt  in  seinem  Werke:  Hymni  latini 
medi  aevi,  18.=)3.  allein  420  auf  und  Notker  selbst  schrieb  deren  78);  nach  der 
Revision  des  Missale  1570  durch  Pius  V.  wurden  aber  nur  ö  beibehalten,  nämlich: 
Victimae  paschali  (vouWigo  v.  Burgund  t  c.  1050,  s.  S.  51);  Veni  sancte  Spiritus 
(von  Robert,  König  v.  Frankr.  f  1031,  8.  S.  50);  Lauda  Sion  (s.  S.  51);  Stabat 
mater:  Dies  irae  (vgl.  unt).  —  Sequeuzen,d.  i.  Folgegesänge,  weil  sie  demAlleluja 
nach  dem  Gradaale  folgen. 


Anfänge. 
!».— 10. 
.Jahrh. 


422 


X.  Zur  Geschichte  des  deutschen  Kirchenliedes. 


10.— 12. 
Jahrh. 


13.  Jahrh. 

Minne- 
sänger. 


14.  Jahrh. 


Flagel- 
lanten. 


Zeit  (nach  der  Mitte  des  9.  .Jahrhunderts)  daran,  die  Kyrie  eleison 
ebenfalls  mit  neuen  geistlichen  deutscheu  Worten  zu  bekleiden  und 
sie  so  bedeutungsvoll  und  gleichsam  lebendig  zu  machen". 

Wenn  aber  Hoffmann  v.  F.  sich  mißbilligend  darüber  äußert, 
daß  das  Volk  lange  Zeit  auf  diesen  Ruf  beschränkt  blieb,  so  über- 
sieht er  gänzlich,  daß  viele  Lieder  noch  heute  dem  Volke  schwer 
fallen ;  um  wieviel  mehr  mußte  das  bei  den  Deutschen  in  dem  Zeit- 
räume von  800—1000,  von  dem  Job.  Diaconus  (vgl.  S.  60)  ein  so 
wenig  schmeichelhaftes  Bild  entwarf,  der  Fall  seinV  — 

Im  12.  Jahrh.  aber  singt  das  deusche  Volk  schon  das  pracht- 
volle Osterlied :  „Christ  ist  erstanden",  (früher  bei  den  Oster- 
spielen und  zwischen  den  einzelnen  Teilen  der  Ostersequenz  in  der 
Kirche  gebraucht).  „Aller  Lieder  singt  man  sich  mit  der  Zeit  müde, 
aber  das  , Christ  ist  erstanden'  muß  man  alle  Tage  singen."  (Luther, 
Tischreden),  dann  das  Pfingstlied :  „Nun  bittenwirdenhl.  Geis  t".') 

Das  romanische  Volk  hatte  keine  eigenen  Lieder 
nach  Art  der  Deutschen.'-)  Viel  verdankt  die  Ausbildung  des 
Kirchenliedes  im  Mittelalter  den  Minnesängern,  die  insbesondere 
das  Lob  der  Frauen  singend,  Maria  als  das  Ideal  der  Frauen  ver- 
herrlichten. Zu  ihnen  gehören  außer  den  schon  früher  (S.  8S)  ge- 
nannten :  Keinmar  von  Zweter,  Konr.  v.  Würzburg  i  f  1287),  von  dem 
Eichendorff  sagt,  daß  seine  Dichtungen  „geradezu  in  Duft  und  Blüten 
aufgehen"  (vgl.  ,,Die  goldene  Schmiede",  ein  Loblied  auf  Maria), 
Bartel  Regenbogen  u.  a.  Insbesondere  ihre  Marienlieder  drangen 
in  weite  Kreise.  „Es  sungen  drei  Engel  ein  süssen 
Gesang"  wurde  nach  der  Chronik  Ottokars  über  die  Schlacht  am 
Marchfelde  (26.  August  1278  zwischen  Ottokar  v.  Böhmen  und  Kaiser 
Rudolf)  auf  dem  Schlachtfelde,  dann  auch  von  den  deutschen  Kreuz- 
fahrern vor  der  unglücklichen  Schlacht  bei  Accon  1291,  wie  später 
von  den  Flagellanten  gesungen:  „In  dulci  jubilo,  nu  singet  u. 
seid  fro",  ist  wohl  die  älteste  Art  eines  geistlichen,  später  vielfach 
nachgeahmten  Mischliedes  (s.  unt.). 

Im  14.  Jahrhundert  war  die  Blütezeit  des  weltlichen  und  geist. 
liehen  Volksgesanges.  „Es  war  eine  merkwürdige  Zeit,  eine  Zeit,  wo 
der  Volksgeist  in  strotzendet  Jugendfrische  erstand".  (Arnold,  s.  S. 
98).  Den  geistlichen  Volksgesang  förderten  namentlich  die  in  Auf- 
schwung kommenden  Weihnachts- ,  Passions-  und  Osterspiele,  dann 
die  Geiß  1er- oder  Flagellanten-Fahrten,  die  zwar  1261  inItalien  auf- 
tauchten, aber  erst  1349  in  Deutschland  zu  einer  Art  ansteckender 
Schwärmerei  wurden,  nachdem  durch  langwierige  Kriege,  durch  Erd- 
beben, Heuschrecken,  Pest  (schwarzer  Tod)  und  Mißwachs  namenloses 
Elend  über  die  Menschheit  gekommen  war.  (s.  S.  97.)  Die  Geißler 
gingen  paarweise,  voran  der  Meister  mit  einer  rotseidenen  Fahne, 
worauf  die  Geißelung  Christi  gezeichnet  war;  jeder  trug  auf  dem 
Kopfe  einen  weißen  Hut  mit  rotem  Kreuz,  in  der  Rechten  eine  Geißel. 
So  zogen  sie  singend,  betend  und  geißelnd  von  Stadt  zu  Stadt. 

Nur  Fragmente  ihrer  Lieder  sind  auf  uns  gekommen. 

1)  Vgl.  Predigten  des  Berth.  v.  Regensburg  (1272),  herausg.  %-on  Kling, 
Brl,  1834.    NA.  Pfeiffer  &  Strobel.  *)  Vgl,  event.  die    näheren    Ausfuhrungen 

Kothes   in   der  frliheien    Aufl.  dieses  Buches. 


Mittelalter.  423 

Aus  dieser  Periode  stammen  die  Übersetz  iinafen  von :  Lauda 
Sion,  Fange  lingiia  und  Adoro  te  (als  im  Jahre  1264  das  Fronleich- 
namfest neu  eingeführt  wurde,  bekam  der  hl.  Thoraas  v.  Aquino 
t  1274,  einer  der  größten  Gelehrten  des  Mittelalters,  den  Auftrag, 
das  Offizium  des  Festes,  d.  h.  das  Messformular,  die  Vespern  usw., 
anzufertigen.  Zu  diesem  Zw^ecke  dichtete  er  zu  schon  vorhandenen 
Melodien  die  Sequenz  „Lauda  Sion"  (s.  S.  51)  und  die  beiden  Hymnen 
„Fange  lingua"  und  „Adoro  te",  die  zu  dem  Besten  gehören,  was  wir 
besitzen.  Von  ihm  stammt  auch  das  Lied  „Omni  die  die  Mariae"); 
Christi  Mutter  stund  mit  Schmerzen  (Stabat  mater,  vgl.  S  119;  „seine 
Strophen  haben  bloß  als  stammelnde  Seufzer  eines  einfältig-redlichen 
Mönches  eine  Wahrheit,  eine  Wärme  und  ein  Sublimes,  wobei  jeder 
nicht  gefühllose  Zuhörer  des  schlechten  Lateins  gern  vergißt"  [Wie- 
land]);*) Inmitten  wir  im  Leben  sind,  (Media  vita.  Dichter 
und  Komponist  dieses  schönen,  ursprünglich  lateinischen  Gesanges  ist 
Notker  Balbulus.  Veranlassung  gab  ihm  der  Anblick  einiger  in  Todes- 
gefahr schwebenden  Bauleute);  Dies  irae,  eine  herrliche  Sequenz 
von  Thomas  von  Celano  (^Franziskanermönch,  f  1250).  „Mit  den 
schlichtesten,  einfachsten  Worten  schildert  sie  auf  ergreifende,  er- 
schütternde Weise  Gottes  Weltgericht  am  jüngsten  Tage,  und  die 
ernsten  Töne  der  Melodie  ziehen  schauerlich  wie  ein  Leichenzug  an 
uns  vorüber".  [BoUens] -) 

Zweifellos  ist,  daß  das  Volk  seine  Lieder  nicht  bloß  außerhalb 
der  Kirche,  wie  einige  meinen,  sang,  und  daß  dieser  Gebrauch  nicht 
nur  am  Rhein,  sondern  auch  in  Schlesien  üblich  war. 

In  jene  Zeiten  fallen  forner  die  Übersetzungen  lateinischer  Hymnen 
durch  den  Mönch  Johannes  von  Salzburg  f  1369.  (Vgl.  Hoflf- 
mann, S.  239—245.) 

In  der  Folge  dichtete  Heinr.  v.  Loufenberg,  Priester  zu  15,  jn^jj^ 
Freiburg  im  Breisgau  t  1460,  viele  Lieder,  darunter  das  bekannte: 
„Ein  kind  geborn  ze  Bethlehem".  Um  die  oft  anstößigen 
weltlichen  Texte  zu  beseitigen  und  die  ihnen  anhaftenden  Melodien 
dem  Volke  zu  retten,  pflegte  Loufenberg  seine  geistlichen  Dichtungen 
mit  weltlichen  Volksmelodien  zu  schmücken  und  weltliche  Te.vte  in 
geistliche  umzudichten,  was  später  protestantischerseits  Nachahmung 
fand.  Auch  Luther  konnte  nicht  begreifen,  „warum  der  Teufel  alle 
schönen  Melodien  für  sich  allein  haben  sollte'. 

Ins  15.  Jahrh.  fällt  ferner  das  herrliche,  unter  dem  Titel  „das 
alt  catholisch  Triersch-Christlfedlein"  bekannte:  „Es  ist  ein  Ros'  ent- 
sprungen" und  das  überaus  sinnige  Meistersingerlied :  „Maria  zart  von 
edler  Art"  dann  das  Fassionslied  „Da  Jhesus  an  dem  creutze 
stuond".^} 


»)  Vgl.  F.  Jos.  Antony,  „Archäologisch-liturgisches  Gesangbuch  d.  Grego- 
rianischen Kircbengesangs''.    MUnster  1829.  j)  Vgl.  KMJ.  1895,  36—46. 

»)  K.  Walter  schreibt:  Die  bis  jetzt  bekannte  älteste  Quelle  für  den  Text 
und  die  Melodie  des  qu.  Liedes  ist  eine  Handschrift  (Cod.  3027)  der  K.  K.  Hof- 
bibliothek in  Wien.  Dieses  kostbare  Mannskript  stammt  aus  dem  Stifte  Monsee 
und  enthält  auf  BI.  297  b— 298  a  „dy  siben  wordt  XI  am  krewtz",  geschrieben 
etwa  1491—1500.    Im  Jahre  1891  habe  ich  mir   nach  dem  Original  eine  sehr  ge- 


424  X-  Zur  Geschichte  des  deutschen  Kirchenliedes. 

Hier  zählen  auch  die  sog.  „Kindelwiegelieder"  mit,  für 
die  zu  den  geistlichen  Schauspielen  gehörenden  Weihnachtsspiele 
(s.  S.  96.)  geschaffen,  wie  die  die  noch  heute  beliebten:  „Ein  Kind 
geboren  zu  Bethlehem";  „Joseph,  lieber  Neffe  mein";  „0  Jesulein 
zart"  usw. 

Drei  besondere  Arten  von  Liedern  waren,  die  deutschen 
Glosse nlieder,  (lateinische  Lieder  mit  einer  gereimten  Erklärung. 
z.  B.  das  Ave  maris  Stella  von  Loufenberg),  die  Mischlieder  bestehend 
aus  lateinischen  und  deutschen  Worten,  wie  das  bereits  angeführte 
In  dulci  jubilo,  und  die  sog.  Contra  facta  oder  geistlichen 
Parodien:  geistliche  Lieder,  aus  weltlichen  entstanden  durch  üm- 
wechselung  einzelner  Wörtei*,  z.  B.  ist  von: 

Inspruck,  ich  muß  dich  lassen, 

ich  far  dahin  mein  Strassen 

in  fremde  Land  dahin, 
das  Contrafactum: 

0  Welt,  ich  muas  dich  lassen, 

ich  far  dahin  mein  Strassen 

ins  Ewig  Vaterland. 
Umgekehrt  wurde  aber  auch  aus  dem  schönen  kirchlichen  Liede : 
„Wie  schön  leuchtet  der  Morgenstern"  von  Nicolai  ein  weltliches  ge- 
bildet: „Wie  schön  leuchten  die  Äugelein".    Von  1470  an  erschienen 
viele  Lieder  gedruckt.') 
Gesang-  Von  Gesangbüchern  (d.  i.  Kirchliedersararalungen  zum  gottes- 

bUcher.  dienstlichen  Gebrauch) 2)  seien  insbesondere  aufgeführt:  „Das  büchlein 
Halt  jun  von  erst  die  siben  zyten"  .  .  .  192  Bl.  8.  um  1470.  „Der 
Psalter  Maria  d.  h.  Passionslieder  in  Herzog  Ernsts  Ton  von  Meister 
Sixt  Buchsbaura".  1493.  „Ortulus  Anime"  .  .  .  Straßburg  1503.  „Salus 
Anime"  .  ,  .  Nüriraberg  1503. 

Aus  dem  Vorausgegangenen,  so  lückenhaft  es  auch  der  gebotenen 
Kürze  wegen  gegeben  werden  mußte,  geht  unwiderleglich  hervor, 
daß  die  kath.  Kirche  schon  lange  vor  der  Reformation  zahlreiche 
Kirchenlieder  —  Wackernagel  führt  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
1057  an  —  besaß,  und  daß  mithin  die  oft  aufgestellte  Behauptung, 
der  deutsche  Kirchengesang  sei  erst  durch  die  Reformatoren 
eingeführt  worden,  auf  einem   Irrtum   beruht.     Luther   selbst^;  wie 


naue  Abschrift  dieses  Liedes  anjsrefertitjt.  Der  älteste,  bis  jetzt  nachweisbare 
Druck  stammt  aus  dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts.  Es  ist  ein  oflTenes  Blatt 
4».  Exemplar  auf  der  Kgl.  Bibliothek  in  Berlin,  Lib.  impr.  rar.  Fol.  IIG;  ein 
anderes  befindet  sich  auf  der  Heidelberger  Universitäts-Bibliothek,  Handschriften- 
band 7!)3,  Bl.  123.  Auf  keinen  Kall  ist  der  Orientalist  Joh.  Böschenstein,  geb.  147a 
zu  Efilingen,  der  Dichter  des  Liedes. 

1)  S.  Meister  (S.  36—40)  und  Ph.  Wackernagels  Bibliographie. 

')  Das  älteste  überhaupt  ist  die  von  Huss  in  den  böhm.  Brüdergemeinden 
eingeführte  Sammlung  böhm.  Kirchenlieder  (vgl.  8.  125),  von  Mich.  Weiß  deutsch 
übersetzt.  (Vgl.  unt.  Walther.)  In  der  „Statistik  v  Böhmen"  VII,  137  lesen  wir: 
„Von  dem  Kirchengesange  der  Hussiten,  böhm.  u.  mähr.  Brüder  u.  a.  bezeugen 
verschiedene  Ausländer,  daß  sie  darin  ihre  Glaubensgenossen  in  anderen  Ländern 
übertroffeu  haben".  S.  Voigts  Abhandlung  vom  Kirchengesange  I  Bd.  d.  Ab- 
handl.  d.  böhm.  Privatgesellsch.  S.  200,  deutsch  Ubers.  aus  Gerberts  de  cantu  et 
musika  S.  T.  IL,  L.  IV,  C.  V. 

•)  Geistl.  Lieder,  Wittenberg  1535.  Ferner  in  der  Vorrede  zu  den  „Christ- 
lichen Gesängen  lateinisch  und  deutsch  zum  Begräbniß",  Wittenberg  1548. 


Luther  und  der  Choral.  425 

auch  Melanchthon   in    der  Apologie   der   Augsburgischen  Konfession 
bezeugt  das. 

Es  muß  aber  zugestanden   werden,   daß   der  deutsche  Choralge-      Refor- 
sang  durch  die  Reformation  einen  bedeutenden  Auf  seh  w  uug  nahm     'i';'tion. 
und  rückwirkend    d.  i.   seinerseits   wieder   die   Reformation   fördernd 
(8.  S.  125)  ^)  auch  die  Katholiken  veranlagte,  das  Vorhandene  zu 
sammeln   und   Neues   zu   schaffen.     Durch   Luther   wurde  das 
deutsche  Kirchenlied,  der  Choral  allmählich  zum  offiziellen 
liturgischen  Gesänge   der   protestantischen   Kirche  er- 
hoben, während  es  von  Katholiken   deren  eigentlicher  Choral  der     Choral, 
gregorianische  Gesang  iconcentus,  s.  S.  56)  ist  und  bleibt,  nur 
gelegentlich  und  ausnahmsweise,  wie   schon   erwähnt,   benutzt   wurde 
und  wird.     Klagten  doch  während   des   Kampfes   um   den  Kirchenge- 
sang in  der  Volkssprache  die  Katholiken  die  Protestanten  an,  daß  sie 
Gott  in  Melodien  der  „Gassenhauer,   ehrlichen  Landsknechtsbrummer, 
buhlerischen  Leibstücklein  tmd  Kunkelstubentriller"'  ansingen. 

Luther  (1483—1546)  behielt  zunächst  das  lateinische  Messfor-  Luther, 
mular  bei,  gestattete  aber,  einzelne  deutsche  Lieder  einzulegen.  1524  t  i546- 
erschien  dagegen :  ,,Deusche  Messe  und  Ordnung  des  Gottesdienstes". 
Um  die  nötigen  Lieder  herbeizuschaffen,  rege  er  nicht  bloß  andere 
zum  Dichten  neuer  Lieder  an,  sondern  war  selbst  tätig,  indem  er  die 
vorhandenen  seinem  LehrbegriflFe  gemäß  umarbeitete  (,, christlich  kor- 
rigierte", wie  es  damals  hieß  i  und  neue  dichtete.  Ihrer  Entstehungs- 
weise nach  sind  Luthers  deutsche  Kirchenlieder')  entweder  Über- 
setzungen und  Umarbeitungen  von  zuvor  schon  über- 
setzten Gesängen  (z.  B. :  Komm  heiliger  Geist:  Wir  glauben  alt 
an  einen  Gott;  Herr  Gott,  dich  loben  wir;  Mitten  wir  im  Leben  sind), 
oder  Überarbeitungen  deutscher  geistlicher  Volks- 
lieder (Christ  lag  in  Todesbandeu;  Nun  bitten  wir  den  heil'gen 
Geist),  oder  Bearbeitungen  lateinischer  Psalmen:  (Ein' 
feste  Burg  ist  unser  Gott;')  Aus  tiefer  Not  schrei  ich  zu  dir), 
oder  Bearbeitungen  einzelner  Bibelstellen  (Vom  Himmel 
hoch  da  komm  ich  her;  Mit  Fried'  uud  Freud'  fahr  ich  dahinj,  oder 
endlich  Frei  gedichtete  Lieder  (u.  z.:  Nun  freut  euch  liebe 
Christen ;  Ein  neues  Lied  wir  heben  an ;  Jesus  Christus  unser  Heiland ; 
Vom  Himmel  kam  der  Engel  Schar;  Ei-halt  uns,  Herr,  bei  deinem 
Wort.) 

Luther,  der  ehemalige  Kurrende-Sänger*),  war  im  Gesänge  wohl 
bewandert;  er  liebte  ihn  nicht  bloß  persönlich,  sondern  suchte  ihn 
auch  nach  Kräften  zu  verbreiten  darum  verband  er  sich,  wie  bereits 
erwähnt,  mit  den  Kapellmeistern  Walt  her  und  Senfl.  (S.  124). 
Ob  Luther  auch  selber  Melodien  erfand?  Kein  Zeitgenosse  des  Re- 
formators hat  sich  unzweideutig  darüber  ausgesprochen,  und  er  selbst 

')  Vgl.  hier  auch  K.  Riedels  Samml.  „Alt-  böbm.  Uussiteu-  und  Weih- 
nachtslieder". *)  Prachtausgaben  von  v.  Winterfeld  (als  Festschrift  zur 
vierten  Jubelfeier  der  Erfindung  der  Buchdruckerkunst)  Lpz.  1840  und  von 
Ph.  Wackernagel,  Stuttgart  18.56.  •)  Melodie  dem  gregorian.  Gesang  entlehnt. 
Vgl.  Bäumker,    MM.    1880  S.  155  u.   1887  S.  73,  und  „D.  kath.  Kirchenlied",  I.  27  ff. 

*)  Kurrende  :  Schulerchöre,  auf  der  Straße  von  Haus  zu  Haus  gegen  ge- 
ringes Entgelt  singend,  bis  vor  kurzem  noch  in  Sachsen  und  Thüringen.  Vgl. 
Schaarschmidt,  Gesch.  der  K.  1807. 


426 


X.  Zur  Geschichte  des  deutschen  Kirchenliedes. 


I.  Weise, 
bis  1586. 


Walther. 


Finck. 


hat  weder  in  einem  seiner  vielen  Briefe  noch  in  einer  seiner  Vorreden 
zu  den  Gesangbüchern  sich  als  Ei-finder  irgend  einer  Melodie  bekannt. 
(Dommer ) ') 

Hinsichtlich  der  Komponisten  der  Liedweisen  insbesondere  der 
des  16.  Jahrhunderts,  herrscht  große  Unsicherheit,  weil  man  damals 
die  Sänger  (d.  h.  die  Komponisten)  und  die  Tonsetzer  unter- 
schied und  letztere  höher  stellte  als  erstere.  Die  Bearbeiter  unter- 
ließen nicht,  jedesmal  ihre  Namen  beizusetzen,  dagegen  fehlen  die 
Angaben  betreffs  der  Melodien.  Soviel  steht  jedoch  fest,  daß  die 
Melodien  vielfach  entlehnt  waren,  entweder  dem  Schatze  der  kath. 
Kirehe  oder  dem  weltlichen  Volksliede.  Obwohl  die  Benutzung  welt- 
licher Volksmelodien  der  früheren  Zeit  nicht  fremd  war  (vgl.  die 
Niederländer!),  so  geschah  dies  doch  im  16.  Jahrh.  häufiger  als  ehe- 
dem, und  darin  liegt  auch  der  Grund,  weshalb  das  prot.  Kirchenlied 
im  Volke  große  Sympathien  fand  und  zur  schnellen  Verbreitung  der 
Reformation  tatsächlich  viel  beitrug.  Während  früher  der  grego- 
rianische Choral  als  Cantus  firmus  benutzt  wurde  und  den  befruchten- 
den Keim  zur  Fortbildung  der  Musik  in  sich  trug,  so  war  es  von 
nun  an  das  religiöse  Volkslied,  das  die  Musik  neuen  Zielen 
und  Aufgaben  zuführte.  Dieses  wichtige  Moment  der  Musikgeschichte 
darf  nicht  übersehen  und  unterschätzt  werden. 2)  In  welcher  Art  und 
Weise  der  Kirchengesang  ins  Leben  trat,  und  sich  im  Laufe  der  Zeit 
entwickelte,  sei  hier  kurz  skizziert. 

Der  in  dieser  Zeit  für  den  geistlichen  Gesang  herrschende  Mo- 
tettenstil wird  auch  für  den  mehrstimmigen  Satz  des  evangelischen 
Kirchengesanges  angewendet.  Die  Melodie  liegt  m^ist,  ähnlich  wie 
der  gregorianische  Gesang  bei  der  niederländischen  Schule,  im  Tenor, 
die  übrigen  Stimmen  bewegen  sich  figuraliter  um  sie,  fugenweise 
eintretend.  Das  erste  mehrstimmige  Gesangbuch  gab  der  sächsische 
KM.  Jos.  Walter  mit  einer  Vorrede  von  Luther  152-i  heraus  (43 
Nummern,  darunter  5  lateinische ;  es  erschien  in  fünf  Stimmheften  tür 
Sopran,  Alt,  Tenor,  Vagans  [zweiter  Tenor]  und  Baß).*)  Die  vor- 
nehmsten Setzer  dieser  Periode  sind:  Senfl,  Heinr.  Finck  (1536: 
„Schöne  auserlesene  Lieder"),  Georg  R  h  a  u  (Rhaw  MS.  f  1548,  Kantor  zu 
Leipzig,  später  Buchdrucker  zu  Wittenberg),*)  Martin  Agricola 
(t  1556,  Kantor  zu  Magdeburg),  Resinarius,  (s.  S.  123  ft')  Du  eis 
(S.  119),  Sc  an  dein  (S.  167),  Jac.  Meiland  t  1577,  und  leMaistre 
(1554  Nachfolger  von  Job.  Walther  zu  Dresden,  s.  S.  123'-). 

Beispiele  der  Schreibweise  der  genannten  Tonsetzer  findet  man 
in  Winterfelds  „evangelischem  Kirchengesang"  Bd.  I.  Daß  diese  Sätze 
bestimmt  waren,  den  Gemeindegesang  zu  begleiten,  ist  wohl  nicht 
zu  bezweifeln.  Die  Lage  der  Melodie  im  Tenor  imd  die  Verhüllung 
desselben  durch  mehr  oder  weniger  künstliche  Figuralstimmeu  er- 
schwerte aber  das  Mitsingen  der  Gemeinde,  ja  machte  es  oft  ganz 
unmöglich.    Eine  Reform  wurde  Bedürfnis.     Sie  wurde  vorbereitet 


I )  Vffl.  J.  Köstlin,  „M.  L."  5.  A.  03.    2  Bde. 

')  Näheres  Über  die  Komponisten  der  prot.  Kirchenlieder  in  Gottfr.  Dörings 
„Choralkunde"  (Danzig  18()5).  Vgl.  ferner  (i.  Berlit,  M.  Luther,  Thom.  Murner  u. 
d.  dtsche.  Kirchenl.  Lpz.  Göschen,  A.  Fischer,  d.  evang.  dtsche.  Kirchenl.  d.  17. 
Jahrh.  [TUnipel],  Gütersloh  06.  ')  NA.  [Dr.  O.  Kade].  Partitur. 

*)  NA.  [Dr.  Joh.  Wolf]  in  Denkm.  dtsch.  Tonk. 


Liederweisen. 


427 


Oslander. 


Prätorius. 


durch  Goudimels  französische  Psalmen.  (S.  123)  Die  Melodie  liegt 
zwar  auch  hier  noch  im  Tenor,  aber  die  übrigen  Stimmen  sind  im 
einfachen  Kontrapunkte  gehalten.  Jene  Psalmen  gelangten,  von  Arabr. 
Lobwasser,  Professor  der  Rechte  zu  Königsberg,  übersetzt,  auch 
in  Deutschland  zu  großer  Verbreitung.^)  Goudimels  Nachfolger  in 
Bearbeitung  der  Psalmen  waren  Claudin  Lejeue  (f  1564)  und 
Sam.  Marschall  (Organist  zu  Basel).  Bei  diesem  liegt  die  Melodie 
bereits  in  der  Oberstimme. 

Lucas  Oslander,  protestantischer  Abt  in  Württemberg,  gab  ii-  Weise. 
158G  fünfzig  ,, geistliche  Lieder  und  Psalmen  mit  4  Stimmen  auf  kon-  '^"  ' 
trapunktische  Weise"  heraus,  „also  gesetzet,  daß  eine  christliche  Ge- 
meinde durchaus  mitsingen  kann''.  Die  Melodie  liegt  in  der  Ober- 
stimme, die  übrigen  Stimmen  schließen  sich  ihr  im  einfachen  Kon- 
trapunkte an,  beginnen  mit  ihr  und  schließen  alle  Fermaten  mit  ihr 
ab.  Diese  Weise  fand  zahlreiche  Befolger,  so  namentlich  Ilasler 
(vierstimmige  Gesänge  ,,simpliciter''  gesetzt,  1608,  s.  S.  146).  Außer 
ihm  gaben  Sethus  ("alvisius  (Thomas-Kantor),  Gesiu  s  (s.  S.  176, 
201),  Hieronymus,  Jakob  und  Michael  Praetorius  (s.  S. 
148  f ;  die  beiden  ersten  Organisten  zu  Hamburg),  Melchior  F'ranck 
(t  1639,  zu  Nürnberg  und  Koburg)  ')  u.  a.  ähnliche,  mehrstimmige 
Singbüciier  herausgegeben,  ,,aIso  eingerichtet,  daß  ein  jeder  Christ  mit 
einstimmen  kann".  Dabei  ist  zu  bemerken,  daß  die  Gemeinde  mit  dem 
("höre  sang;  die  Orgel  hatte  nur  die  Stimmen  des  Chors  mitzu 
spielen,  wie  die  Orgel-Tabulaturen  aus  jener  Zeit  beweisen. 

Die  Konsequenz  dieser  Weise  —  auch  Cornelius  Freu  n  d  t  ') 
ist  hier  zu  nennen  —  hätte  zur  Auflösung  des  Kunstgesanges  geführt. 
Derselbe  wurde  in  modifizierter  Art  hergestellt,  durch  Johannes 
Eccard  (s.  S.  148.)  Sein  Hauptwerk  war:  Zwei  Bände  fünfstimmiger 
Tonsätze  über  die  Melodien  der  gebräuchUchsten  Kirchenlieder.  In 
der  Vorrede  sagt  er:  die  Melo-  dien  habe  er  in  der  Oberstimme 
behalten,  in  stetem,  durch  keine  Unterbrechung  gehemmten  Fort- 
schritte, damit  die  Gemeinde  sie  ,,aus  dem  Discantu  wohl  und  ver- 
8tän<llich  hören  und  bei  sicii  selbst  nach  ihrer  Andacht  singende 
imitieren  könne",  in  der  Behandlung  der  übrigen  Stimmen  (denen 
er  nach  Art  des  Motettenstils  eine  selbständige  Führung  gibt)  hoffe  er 
den  Beifall  erfahrener  Künstler  zu  gewinnen.  Eccard  erreichte  da- 
durch, daß  dem  Gemeindeprinzip  und  den  Kunstanforderungen 
in  gleicher  Weise  gerecht  wurde,  eine  Bedeutxmg  für  den  evangeli- 
schen Kirchengesang,  wie  Palestrina  für  den  katholischen.  Ihm 
folgten  die  drei  Praetorins,  Joachim  v.  Burgk  (o.  1546  — 161U, 
Organist  zu  Mühlhausen),  Melchior  F  r  a  n  c  k ,  Christ.  Thom.  W  a  1 1  i  s  e  r 
(1568  —  1648,  MD.  am  Münster  zu  Straßburg)  u.  a. ;  doch  gingen  von 
nun  an  die  II.  und  III.  Weise  neben  einander  fort.  Hauptver- 
treter der  II.  Weise  in  dieser  Zeit  sind  Joh.  Krüger  (f  1662,  Kantor 
und     Gymnasiallehrer     zum    gi-auen     Kloster    zu    Berlin \     Moritz, 


III.  Weise. 


Eccard. 


I)  Bearbeitung  für  die  Böhmischen  Brüdergemeinden  im  tschech.  Kauzional 
des  Daniel  Karl  v.   Karlsperk    1618.  »)    B.:    Obrist,    1892,  ')  Vgl. 

Riemann,  Handb.  d.  Mus.  Gesch.  II,  1,  338  und  die  NA.  des  „Weihnachtslieder- 
buch" [Göhler]. 


428 


X.  Zur  Geschichte  des  deutschen  Kirchenliedes. 


Schein, 
Stobäus. 


IV.  Weise 
Arleufonii, 

Ahle. 

V.  Weise. 
Konzert- 
form. 

Schutz. 
Hammer- 
schinidt. 

VI.  Weise. 


Evangel. 
Choral- 
bllcher. 


Landgraf  von  Hessen  (1612)  und  Herrn.  Schein  (s.  S.  192). 
Eccard  kultivierte  in  seinen  Festliedera  seine  Weise  in  freien 
Schöpfungen,  ebenso  sein  Schüler  Joh.  Stobäus  (f  1646,  Kantor  zu 
Königsberg).  (Unter  den  tschechischen  Komponisten  bemerken  wir 
in  dieser  Periode  neben,  Rovensky,  Adam  Michna  v.  Otradovic,  1647). 

Joh.  Rud.  Ahle,  ersterer  f  1673,  Kantor  und  Bürgermeister 
in  seiner  Vaterstadt  Mühlhausen  in  Thüringen  und  dessen  Sohn  Joh. 
Georg,  ferner  Briegel  HKM.,  Darmstadt,  schrieben  sog.  geistliche 
Arien:  mehrstimmige,  oft  mit  Instrumentabelbegleitung  und 
symphonischen  Einleitungen  versehene  Sätze. 

Das  Aufblühen  der  Oper  und  die  bald  nach  dem  Beginne  des 
17.  Jahrhunderts  von  Italien  her  in  Deutschland  eingebürgerte  neue 
Art  geistlichen  Tonsatzes  führte  zu  einer  mehr  dramatischen  Behandlung 
der  Kirchengesänge,  die  nun  „Gespräch  e"  und  „Konzerte"  heißen. 
Hauptvertreter  Schütz  (S.  169),  besonders  Hammer schmidt 
(S.  193).  Diese  Konzeilform  erreichte  ihre  Vollendung  erst  im  folgen- 
den Jahrhundert  in  den  Kantaten  Seb.  Bachs  u.  a. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  tritt  ein  allmählicher 
Verfall  des  Gemeindegesanges  ein ;  dagegen  herrscht  der  Kunstgesang 
vor.  Die  Gesangbücher  enthalten  meist  nur  noch  die  Melodien  mit 
Unterlegung  des  Generalbasses  (wie  z.  B.  bei  Johann  S  c  h  o  p  p  und 
Peter  Sohr).  An  Stelle  des  leitenden  Chors  tritt  das  Orgelspiel. 
Die  Folge  war  Verwischen  des  lebendigen  Rhythmus  und  all- 
mähliches Verwandeln  desselben  in  den  gleichmäßigen  Gesang,  den  die 
Melodien  heutzutage  aufweisen.  Das  Darmstädter  Kantional 
(1678)  bezeugt  diese  Tatsache  zuerst. 

Nach  Begründung  des  Pietismus  durch  Spener  (1686)  erfolgte 
ein  neuer  Aufschwung  oder  vielmehr  ein  letztes  Aufflammen  des  Ge- 
meindegesanges Das  berühmte  Werk  dieser  Richtung  ist  das  Gesang- 
buch von  Joh.  Anast.  Frey linghausen  (1704  imd  1714),  das  aber 
teilweise  den  Einfluß  der  Opernmusik  verrät.  G  e  1 1  e  r  t  s  Lieder  gaben 
eine  kurze  Nachblüte,  vertont  durch  Joh.  Friedr.  Doles  (f  1797, 
Schüler  Seb.  Bachs,  Thomaskantor),  Ph.  Em.  Bach  imd  Joh.  Adam 
Hiller  (s.  dort). 

Schon  seit  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  sind  Gesang-  und 
Choral-  (Orgal-)  Bücher  überall  getrennt  (Choralbuch  von  Com. 
Heinr.  Dretzel,  Nürnberg  1731  und  von  Joh.  Christ.  Kühn  au, 
Berlin  1786  u.  1790).  Die  hervorragendsten  Choralbearbeitungen  der 
neueren  Zeit  sind:  1815  J.  Chr.  H.  Rinck  (für  Hessen-Darrastadt) ; 
1819  Joh.  Gottfr.  Schicht  (Thomas  Kantor,  f  1823,  Orat.  „D.  Ende 
d.  Gerechten",  Kirchenmus.,  Großes  Choralbuch);  1821  Mich.  Gotth. 
Fischer,  (mit  Vor-  und  Nachspielen);  1828  Kocher,  Silcher, 
Frech  (4stimmig);  1831  A.  W.  Bach;  1840  F.  Henschel  (mit 
Zwischenspielen);  1840  Ad.  Hesse;  1844  J.  G.  Töpfer  (mit  Zwischen- 
spielen); 1858  C.  F.  Becker;  A.  G.  Ritter;  1863  Ludw.  Erk  (4 
stimmig);  1869  0.  Kade  (für  Mecklenburg-Schwerin);  1873  F.  A.  L. 
Jakob  und  Ernst  Richter  (Reformiertes  Choralbuch) ;  1876  J.  Faisst; 
1880  Jul.  Schaffe r  (UMD.  u.  Singakaderaie-D.  Breslau  f  02, 
Jugendfreund  und  musikalischer  Anwalt  von  Rob.  Franz  [s.  dort] : 
4  stimmiges     Choralbuch,    Breslau;     1887    Choralbuch     für    die    Pro- 


Gesangbücher. 


429 


vinz  Sachsen  [mit  Rob.  Franz!]);  1898  Gast.  Merk  (insbesondere 
für  die  Provinz  Schlesien  und  das  deutsche  Heer,  mit  Vorspielen, 
Zwischenspielen  und  Schlüssen.) 

Neuerer  Zeit  herrscht  Streit  über  die  Auswahl  der  Liedertexte 
für  die  Gesangbücher,  indem  eine  Richtung  die  Lieder  in  alter,  die 
andere  sie  aber  in  moderner  Form  verlangt.  Eigentliche  Ursache 
dieses  Streites  ist  die  beständige  Umbildung  der  Sprache ')  und  der 
Fortschritt  des  Rationalismus  in  religiöser  Beziehung.  —  Ein  anderer 
Streitpunkt,  der  viele  Federn  in  Bewegung  setzte  und  bis  jetzt  nicht 
ausgetragen  ist,  betrifft  die  Melodie.  Die  Frage  ist,  ob  sie  in  un- 
gleichen Notenlängen,  d.  h.  rhythmisch,  oder  in  gleichlangen  (als 
Cantus  planus)  genommen  werden  soll,  offenbar  ist  der  rhy- 
thmische Choral  schwunghafter,  lebendiger  und  wirksamer  als 
der  in  gleichlangen  Tönen  vorgetragene,  der  sich  dagegen  durch  seine 
leichtere  Ausführbarkeit  empfiehlt.  — 

Nachdem  wir  den  protestantischen  Choral  bis  zur  Neuzeit  verfolgt 
haben'-)  kehren  wir  zu  dem  katholischen  Kirchengosange  zurück. 
Die  wichtigsten  katholischen  Gesangbücher  sind:  Mich.  Vehe  (Probst 
der  Stiftskirche  zu  Halle :  „Ein  New  gesangsbüchlein  geystlicher  Lieder" 
„Leipzigk"  1537  —  das  erste  mit  Noten  versehene  Gesangbuch  der 
Katholiken,  enthaltend  44  Lieder  mit  Melodien,  in  einem  Anhange  noch 
5  ohne  Melodie.  Die  Lieder  sind  teils  alte,  teils  neue  von  Caspar  Quer- 
hammer, Seb.  Brant  und  G.  Wicel);  Joh.  Leisentrit  („Thumdechant 
zu  Budissin",  geb.  (Hmütz  1527,  f  Bautzen  158fi:  ,, Geistliche  Lieder 
und  Psalmen"  „auch  bei  dem  Ampt  der  Heyligen  Mess"  zu  singen. 
Wichtig  ist  auch  die  Weisung  „und  soche  Gesänge  sollen  die 
Schulmeister  ihre  Schüler  in  der  Schul  lehren,  also 
dann  in  der  Kirche  singen,  auf  daß  auch  das  gemeine 
Volk  solche  begreifen  und  mitsingen  könne".  Es  ist  dies 
die  erste  geistliche  Bestimmung,  die  dem  deutschen  Kirchenliede  eine 
Stellung  in  der  Volksschule  einräumt.  Ein  Auszug  daraus  erschien 
1575  und  76  zu  Dillingen  auf  Anordnung  des  Bischofs  von  Bamberg. 
Das  war  das  erste  Diözesangesangbuch;  Caspar  U  1  e  n  b  e  r  g 
(t  1617  „Die  Psalmen  Davids",  Köln  1582);  das  Münchener  Gesang- 
buch 158t;.  Das  Dillinger  Gesangbuch  1589;  das  Gesangbuch  von 
Nie.  Beuttner  1602;  das  Mainzer  Kantual  1605;  1608  das  Ander- 
nacher; 1599  Köln-Speyerer;  1600  das  Konstanzer  Gesangbuch ;  Kate- 
chismus für  Kirchen  und  Schulen  Vogler,  Würzburg  1625  (es  ist 
das  erste  Mal,  daß  das  Kirchenlied  mit  der  Schule  in  Beziehung  ge- 
bracht wird,  und  daß  der  auch  von  der  modernen  Pädagogik  accep- 
tierte  Grundsatz  zur  Anwendung  kommt,  wonach  der  Gesang  sich 
nicht  auf  die  eigentliche  Gesangstunde  beschränken,  sondern  den  ge- 
sammten  Unterricht  poetisch  verklären  soll.  Von  den 
speziellen  Katechismusliedern  läßt  sich  leider  nicht  behaupten,  daß  sie 
von  poetischem  Werte  sind);  das  Gesangbuch  von  Gregorius 
Corner  (Abt  des  Benediktiner-Klosters  Göttweih  in  Österreich;  1625 


Kathol 

(iesanff- 

btlcher. 


Kirche  u. 
Schule. 


1)  Ph.  Wackernagels  Vorschlag,  Luthers  Sprache  als  Kirchensprache  fest- 
zuhalten, dürfte  schwerlich  allgemeine  Zustimmung  finden. 

*)  Vgl.  Wolfrum,  D.  Entstehung  n.  erste  Entwickelung  d.  dtschn.  evangel. 
Kirchenliedes  in  musikal.  Beziehung,  1890. 


430  X-  Zur  Geschichte  des  deutschen  Kirchenliedes. 

erschienen,  422  Lieder  teilweise  Leisentrit,  Ulenberg  u.  a.  entlehnt, 
enthaltend.  Einzelne  Lieder,  sog.  „Rufe",  sammelte  er  auch  aus  dem 
Volksraunde.  Das  Buch  war  das  umfangreichste  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts, die  Hauptquelle  der  späteren  Gesangbücher,  und  auch  darum 
merkwürdig,  weil  es  Lieder  enthält,  die  von  Protestanten  gebraucht 
wurden.  Es  wollte ,  „sonderlich  denen ,  welche  sich  unlängst  von 
den  Sektischen  Irrtümern  zu  der  allein  Seligmachenden  Katholischen 
Religion  begeben  gehabt,  und  zuvor  des  verführerischen  Singens  ge- 
wohnt gewest,  die  alte  Religion  nicht  wieder  verleiden".  Diese  Kon- 
zession war  geboten  in  einer  Zeit,  wo  infolge  des  unglückseligen 
Grundsatzes  ,,Cuius  regio,  eins  religio"  ganze  Gemeinden  und  Pro- 
vinzen heute  katholisch,  über  Jahr  und  Tag  protestantisch  und  in 
kurzer  Zeit  wieder  katholisch  waren  oder  gemacht  wurden  und  zwar 
von   Regierungs  wegen);    Bamberger    Gesangbuch,    1628,    das 

Spee.  erste  in  vierstimmiger  Bearbeitung ;  Fr.  v.  S  p  e  e :  ,, Trutz  Nachtigal, 
oder  GeistHchs-Poetisch  Lust- Waldlein".  Köln  1649.  (Der  Jesuit  Graf 
von  Spee  f  1635,  ist  eine  herzgewinnende  Poetengestalt.  Er  war  es 
übrigens  auch,  der  1631  einer  fanatischen  Zeitrichtung  gegenüber  sein 
Werk  gegen  die  Hexenprozesse  herausgab.  ,,Bei  dem  Jubel,  den  er 
über  Gottes  Größe  anstimmt,  bleibt  seine  Sprache  so  kindlich,  dem 
Herzen  des  Volkes  so  verständlich  und  zusagend,  daß  wir  uns  nicht 
zu  wundern  brauchen,  wenn  seine  Lieder  wegen  ihres  volksmäßigen 
Tones  und  wegen  ihrer  großen  Annäherung  an  die  Volkslieder  früherer 
Zeiten  recht  gern  vom  deutschen  Volke  gesungen  wurden".  [Dr.  Beck]. 
Mit  der  „Harfe  Davids  mit  deutschen  Saiten  bespannt". 
Augsburg  1659,  schon  viele  verweltlichte  Melodien  enthaltend,  be- 
ginnt der  Niedergang  des  deutschen  Kirchenliedes  (gestehen  die 
Herausgeber  in  der  Vorrede  doch  zu,  daß  sie  die  berühmtesten  Kom- 
ponisten aufgefordert  hätten,  „anziehende  und  angenehme" 
Melodien  für  ihr  Werk  zu  schreiben).  Es  folgt  noch  das  Choralbuch 
zum  katholischen  Gesangbuche  von  Ignaz  Frantz.  Breslau  1778. 
Im  18.  Jahrh.  ist  der  Name  des  sehr  fruchtbaren  Liederdichters 

Denis,  joh.  Mich.  Cosmus  Denis  (pseudonym  Sined  der  Barde;  zuerst  Jesuit, 
später  Lehrer  am  Theresianum  und  Kustos  der  Bibliothek  zu  Wien, 
t  1800;  dichtete  u.  a.  den  berühmten  Meßgesang:  ,.Hier  liegt  vor 
deiner  Majestät")  innig  verknüpft  mit  Kaiser  Josephs  U  Reformbe- 
strebungen zur  Einführung  deutscher  Lieder  bei  der  Liturgie. 

Mit  der  instrumentierten  Kirchenmusik  ging  im  18.  Jahrhundert 
auch  das  deutsche  Kirchenlied  dem  Verfall  entgegen,  so  daß  man 
den  Zustand  am  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  als  einen  ganz  trost- 
losen bezeichnen  kann.  Die  Reaktion  konnte  nicht  ausbleiben.  Und 
so  sehen  wir  in  neuerer  Zeit  eine  ganze  Reihe  vortrefflicher  Gesang- 
bücher und  Orgelbegleitungen  erscheinen,  die  uns  die  Schätze  der  Vor- 
zeit wieder  erschließen  ').  Über  die  modernen  Bestrebungen  vgl.  unter 
Lubrich,  S.  342  f. 


1)  In  Bezug  auf  den  Text:  Heinr.  Bone  „Cantate!  Kathol.  Gesangbuch 
nebst  Gebeten."  1847;  J.  F.  H.  Schlosser  „D.  Kirche  in  ihren  Liedern",  1851; 
P.  Dreves  „O  Christ,  hie  merk";  H.  Galle  „Erklärung  kathol.  Kirchenlieder". 
Ein  Hilfsbuch  fUr  Lehrer  u.  Seminaristen.  3.  A.  Breslau.  In  Bezug  auf  Melodie 
und  Harmonisierung  :  Michael  T  ö  p  1  e  r  „Alte  Choralmelodien  mit  ürgelbegleitung" 


Bedeutung,  43 1 

Bei  Beseitigung  der  gerügten  Übelstäude  hat  in  ei-ster  Linie  die 
Schule  mitzuwirken.  Es  wird  aber  nur  dann  gelingen,  wenn  mit 
Besonnenheit  und  Ausdauer  vorgegangen  wird,  denn  Überstürzung 
und  unangebrachter  Eifer  können  nur  schaden  und  den  Organisten 
in  Konflikt  mit  der  Gemeinde  bringen. 

iMan  bedenke  schließlich,  welch'  großen  Einfluß  das  Kirchenlied  '), 
die  Kirchenmusik  überhaupt,  auf  das  Volk  ausübt.  Die  Kirche 
ist  die  eigentlicheKunst schule  fürdengemeineuMauu. 
Wenn  nun  auch  niemand  den  wohltätigen  Einfluß  echter  Kunst  aut 
die  Kultur  bestreitet,  so  wird  doch  noch  viel  zu  wenig  bedacht,  wie 
schädlich  die  Afterkunst,  namentlich  süßlich  triviale  und  frivole  Musik, 
auf  die  Geistes-  und  Herzensbildung,  auf  Keligion  imd  Sitte  einwirkt. 
Mendelssohn  sprach  in  Bezug  auf  die  französische  Musik  (s.  Keise- 
briefe)  das  beherzigenswerte  Wort:  ,,Ein  Volk,  dem  man  fortwährend 
Gemeines  und  Niedriges  bietet,  muß  zugrunde  gehen".  Die  furchtbare 
Wahrheit  dieses  Ausspruches  wurde  in  den  Jahren  1870 — 71  in  wahr- 
haft erschreckender  Weise  offenbar.  Auch  der  Zusammensturz  des 
deutschen  Reiches  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  hängt  in  den 
letzten  Ursachen  mit  der  Frivolität  zusammen,  die  allgemein  im  Leben 
wie  in  der  Kirchenmusik  Platz  gegriffen  hatte.  Wer  seine  Kirche 
und  sein  Vaterland  warm  liebt,  wird  seine  ganze  Kraft 
einsetzen,  um  in  der  Kirche  in  Verbindung  mit  einer 
kunstgerechten  Chormusik  einen  edlen  Volksgesang 
z u  s c  h  a  f  f  e  n  ,  denn  es  g i  b  t  n i  c h  t  s  R  ü  li  r  e n  d  e  r  e  s  u  n  d  E r - 
habener  es,  als  eine  mit  andächtiger  Begeisterung 
sinkende  Gemeinde. 


1832  und  „  Alte  Choralmelodien  nebst  Texten  zum  kirchlichen  Gebrauche",  1836, 
ferner  desselben  „Laudate  Dominum"  1837,  5.  A.  1875;  P.  Stein  .,Kölni8chi'S  Ge- 
saufrliuch",  mit  Orgelbegleitung,  186U;  Mich  Hermesdorff  „Gesanp-  u.  Gebet- 
buch f.  d.  Diöcese  Trier"  1872;  Mohr  „Ciicilia,  kathol.  Gesanp-  u.  Gebetbuch" 
1873;  Mohr  ,,.Jubilate  Deo ',  vierstininiise  A.,  Regensburg  1877:  Fr.  Comnier 
„Gesangbuch  f.  d.  Bistum  Ermeland"  1877;  M.  B  rosig  „Melodien  zu  dem  kathol. 
Gesangbuche  für  Orgel",  3.  A.;  desseluen  „Gesangbuch  f.  ri.  kathol.  Gottesdienst", 
4.  A.;  B.  Kothe  „Oppelner  Gebet-  u.  Gesangbuch";  W.  Kothe  ,,Ge8angbuch  f. 
d.  Grafschaft  Glaiz";  Franz  Dirschke  „Breslauer  Diözesangesangbuch";  Magni- 
fikat  t'ilr  d.  Erzdiözese  Freiburg;  Benedicite  von  J.  B.  Molitor  (Pustet);  F.  Lub- 
rich,  D.  Kirchenchor  (f.  3stim.  gem.  Chor,  z.  (»ebrauche  an  Kirchen,  Scluilen, 
Vereinen,  Biinzlau,  Kreuschner  08;  desselben  Choralgesangb.  f.  4  stim.  Männer- 
chor, Lpz.  07  und  Cho  ralharf  e  (dreistimmig)  Bunzlau  08.  Zur  Herausgabe  eines 
neueu  Gesangbuches  fUr  die  Kirchenprovinz  Böhmens  besteht  eine  eigene  Kot- 
misson  [Text:  Prof.  X.  Dvorak.  F.  Zak;  Musik:  Prof.  D.  Orel,  Prof.  W.  Mtlller]. 
•  )  L.:  Dr.  B  Kölscher,  D.  dtsche  Kirchenlied  v.  d.  Reformation.  1848; 
Fr.  Bollens,  D.  dtsche.  Choralgesang  d.  katholischen  Kirche.  1851;  C.  S. 
Meister,  D.  dtsche.  Kirchenlied  in  seinen  Singweisen  v.  d.  frühesten  Zeiten 
bis  geg.  Ende  d.  17.  Jahrh.  1862.  Völlig  umgearb.  u.  fortgesetzt  von  Wilh. 
Bäumker.  2  u  3  Bd.  1883—1891.  Freiburg,  Herder.  (Vgl.  S.  45.):  Jos.  K  e  h  r  e  i  n, 
Kirchen- u.  religiöse  Lieder  a  d.  12.— 15.  Jahrh  Donauwörth  :  Hof  f'mann  v.  Fal- 
lersieben, Gesch.  d.  dtschn.  Kirchenliedes  bis  auf  Luthers  Zeit.  Hannover, 
3.  A.  1861;  Ph.  Wackernagel,  D.  dtsche  Kirchenlied  von  Luther  bis  auf  Nicolaus 
Hermann.  2.  Bde.  1841.  Wackernagel,  Bibliographie  d.  dtschn.  Kirchenliedes 
i.  16.  Jahrh.  1855;  C.  v.  Winterfeld,  D.  evaiig.  Kirchengesang  u.  s.  Verhältnis 
zur  Kunst  des  Tonsatzes.  3  Bde.  1843—47.  Lpz.,  B.  &  H.;  Dr.  Karl  Aug.  Bock, 
Gesch.  des  kathol.  Kirchenliedes  von  den  ersten  Anfängen  bis  auf  die  Gegen- 
wart. Köln.  Du  Mont-Sehauberg;  Dr.  Job.  Zahn,  D  Melodien  d  dtschn.  evang. 
Kirchenlieder.  6  Bde.  Gütersloh,  1889—93  (ein  Gegenstück  zu  Bäumkers  monu- 
mentaler Arbeit.)  U.  Komm  U  Her,  Lexikon  d.  kirchl.  Tonkunst  2.  A.  1891.  P. 
Ambr.  Kienle,  Kleines  kirehenmusik.  Handb.  1892. 


432 


Vergleichende  Jahrestabelle. 


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Berichtigungen  und  Nachtrtäge. 

[1  =  lies;  e  =  ergänze;  Z.  ==  Zeile.] 

S.  3,  8.  Z.  V.  unt.  1. :  Religionsbedürfnisses. 

S.  8,  „absolutes  Gehör",  vgl.  NMZ.  OS,  23/24. 

S.  11,  Note,  e. :  Charakteristischerweise  wollen  die  Annamiten 
(französischer  Schutzstaat,  Hinterindien)  die  Saiteninstrumente  den 
edlen  Kasten  vorbehalten  wi.ssen,  während  sich  die  niedrigen  Kasten 
mit  Trommeln  und  anderem  Schlagwerk  begnügen  sollen !  S.  Gaston 
Knosp,  Üb.  annamit.  Musik.     IMG.  VIII,  2,  07. 

S.  18,  4.  Z.  V.  ob.  e. :  37GO  ist  das  Jahr  der  Weltschöpfung 
nach  jüdischer  Zeitrechnung. 

S.  13  f.  „Jüdische  Musik",  e. :  L. :  Greßmann,  Mus.  und  Mus.- 
Instrumente  im  alten  Testament,  Gießen  03.  —  Brevis  de  Idiotismis 
sermonis  hebraei  commentarius  .  .  .  a  Jo.  Jac.  Breitingero  Tiguri  1737 
enthält  auf  dem  Vorderblatt  eine  Tonzeichentabelle  (Potestas  signorura 
distinctiorum.)  —  Vgl.  auch:  Versuch  üb.  d.  Metrik  d.  Hebräer  von 
Job.  Joach.  Bellermann,  Berlin  1813.  —  Die  Tonzeichen  iNeginoth) 
in  der  Thora  (Pentateuch),  an  die  Neumen  gemahnend,  werden  von 
rechts  nach  links  gelesen,  wie  die  hebr.  Schrift.  —  Nach  der  Rück- 
kehr aus  der  Gefangeuscliaft  verdrängte  die  babylonische  Harfe  für 
einige  Zeit  die  Flütenmusik  im  Tempel.  — 

S.  16,  Note  e. :  Vgl.  auch  Chrysander,  Üb.  d.  Molltonart  i.  Volks- 
gesängen, 1S53. 

S.  25,  ö.  Z.  V.  unt.  1. :  Kithara.  — 

S.  43,  7.  Z.  1. :  Schola.  — 

S.  48,  18.  Z.  V.  ob.  1.:  Hermesdorff.  — 

S.  .^0,  5.  Z.  V.  unt.  I. :  Pango.  — 

S.  56.  Zur  Frage  des  Choralrhythraus,  siehe  die  ausgezeichnete 
Lösung  dieses  Problems  bei  Riemann,  Uandb.  d.  M.  G.  I,  2.    Vgl.  S.  83^. 

S.  59,  8.  Z.  V.  ob.  1.:  Wight.  — 

S.  57^  e:  Ein  tschechisches  Handbuch  schrieb  Prof  Dobroslav 
Orel  [Prag],  2.  A.  06. 

S.  60ob.  e. :  Auch  die  Deutschen  hatten  früh  schon  ihre  Kriegs- 
lieder und  Lobgesänge ,  die  sie  mit  Blas-  und  harfenartigen ,  wie 
Lärminstrumenten  begleiteten.  Sie  fanden  sich  bald  in  den  mit  dem 
Christentum  eingeführten  lateinischen  Hymnengesaug.  Im  Instru- 
menten- ,  insbesondere  Orgelspiel  waren  sie  so  geschickt ,  daß  die 
Päpste  deutsche  Orgelspieler  nach  Italien  beriefen.  Als  einer  der 
ersten  tat  R  h  a  b  a  n  u  s  M  a  u  r  u  s ,  Abt  zu  Fulda  und  dann  Erzbischof 
von  Mainz  mit  seinem  Schüler,  dem  Mönche  Johannes,  viel  für  die 
Musik. 

S.  60,  3.  Z.  v.  ob.  1. :  an  den  Bischofssitzen  und  Abteien  Schulen, 
wo  ...  — 

S.  62,  4.  Z.  V.  unt.  und  S.  64,  10.  Z.  v.  ob.  1.:  (s.  Kap.  VI).  — 

Kothe-Prochäzka,  Abriß  d.  ilu.süigeschichte.    8.  Aufl.  28 


434  Berichtigungen  und  Nachträge. 

S.  76*.  Zu  Riemanns  „Gesch.  d.  Musiktheorie"  e. :  Hesse,  Lpz. 
1898;  der  Grundgedanke  des  bedeutenden  Werkes  —  nämlich  den 
Normannen  eine  große  Bedeutung  beizulegen  usw.  —  geht  auf  Felis 
zurück. 

S.  72,  2.  Abs.  unt.  1.:  Im  tempus  perfectum  enthielt  demnach 
die  Brevis  drei  Semibreven  .  .  ,  (Die  Worte  „jede  Note"  bis  „drei 
Breves"  entfallen).  — 

S.  73,  3.  Abs.  Anfang  1. :  Ein  Punkt  im  Innern  des  Taktzeichens 
kennzeichnete  die  Prolatio. 

S.  78,  9.  Z.  V.  ob.  1.:  Karl  IV.  — 

S.  78,  16.  Z.  V.  ob.  1.:  England,  das  mit  Frankreich  literarisch 
wie  musikalisch  verschwistert  war  .  .  .  ferner  3.  Z.  v.  unt.  e. :  Dahin 
verpflanzt  mitsamt  der  französischen  (Mensural)-Notenschrift,  die  die 
italienische  Notation  (vgl.  S    48)  verdrängte. 

S.  79,  1.  Z.  V.  ob.  1  :  1420.  — 

S.  81,  2.  Z.  V.  unt.  1. :  statt  Troubadours  Trouveres. 

S.  82,  4.  Z,  V.  ob.  1.:  1282. 

Zu  S.  83'-  e. :  Georg  M  ü  n  z  e  r  „Das  Singebuch  des  Adam  Pusch- 
mann",  1907.  Riemann  bricht  im  II.  Bd.  des  Handb.  d.  Mus. -Gesch. 
(1.  Teil  S  474  ff.  1907)  eine  Lanze  für  die  Meistersinger-Dichtungen 
und  namentlich  deren  Melodien  (insbesondere  im  Hinblick  auf 
H.  Sachs)  und  erklärt  die  letzteren  als  eine  nicht  zu  mißachtende 
Fortsetzung  der  Meiodieerfindung  der  Troubadourzeit.  S.  ferner :  Dr. 
Beck,  „D.  Melodien  des  Troubadours"  (modern  übertragen),  Straß- 
burg 08,  u.  hiezu  Riemann :  „D.  Erschließung  des  Melodienschatzes  der 
Troubadoure",  Hesses  Musiker-Kai.  09. 

Vgl.  weiter  P.  Runge  ,,Üb.  d.  Notation  des  Meistergesanges", 
Publikation  der  JMG.  1907;  G.  Münzer  „Üb.  d.  Notation  der  Meister- 
singer" (ebda  1907).  Die  Ablehnung  der  mensuralen  Deutung  jener 
Weisen  erfolgte  bereits  früher  durch  Fetis  und  Perne,  den  1832  t 
Pariser  Musikgelehrten,  dem  u.  a.  eine  wertvolle  Studie  über  die 
Lieder  des  Chätelain  de  Couc}^  in  Michels  Monographie  über  denselben 
(1830)  zu  danken  ist. 

S.  83^,  e  :  S.  Zd.  Nejedly:  Magister  Zävise  u.  s.  Schule.  Zur 
Musikgesch.  Böhmens  i.  14.  Jahrh.  JMG.  VII,  1,  05  (Ergebnis:  diese 
Schule  ist  der  Grundstein  zur  weiteren  böhm.  Musik). 

S.  85,  4.  Z.  v    ob.  1.:  Foltz. 

S.  85^  e.:  Mit  dem  Tanzlied  steht  die  (Volks-)  Ballad  e  (v.  ital. 
ballo,  Tanz)  in  ursächlichem  Zusammenhang.  Sie  unterscheidet  sich, 
als  Tondichtung  erzählenden  Charakters,  durch  einen  mystischen, 
düstern  Zug  von  der  mehr  oder  weniger  heiteren  Romanze.  Vgl. 
S.  251,  255  und  Batka,  D.  deutsche  Gesangs-Ballade,  NxMZ.  03,  1. 

S.  87'^  e. :  Vgl  H.  Leichtentritt,  Was  lehren  uns  die  Bildwerke  des 
14.— 17.  Jahrh.  üb.  d.  Instrumentalmusik  ihrer  Zeit?  JMG.  VII,  8,  1906. 

S.  98\  e. :  S.  Gnst.  Schreck,  Ausgew.  Stücke  a.  d.  Loch.  Liederb. 
f.  Männerchor,  Lpz.  Kistner. 

S.  102^,  e  :  E.  v.  Hornbostel,  Phonographierte  tunesische  Melodien. 
JMG.  VIII,  1,  06.  — 

S    1022  e  .  Bratter:  Marokkanische  Musik,  „Signale"  08,  40. 

S.  107,  3.  Zeile  der  Anm.,  vor  Bruch  e. :  Weber  (Schott.  Volks- 


Berichtigungen  und  Nachträge.  435 

lieder.)  —  Vgl.  hier  ferner  den  Bericht  Mi  Rasmussens  über  ihre 
Grönlandreise  OG:  ,,Wie  ein  Himmelsgruß  aber  klang  da  wunder- 
sam den  halb  Erfrorenen  durch  die  arktische  Winternacht  der  viel- 
stimmige Gesang  grönländischer  Psalmen  entgegen.  Nach  grön- 
ländischem Gebrauch  pHt'gt  man  nämlich  während  der  ganzen  Neu- 
jahrsnacht, von  Haus  zu  Haus  ziehend,  kirchliche  Lieder  zu 
singen  .  .  .  Dann  wurden  die  alten  Trommelgesänge  gesungen, 
deren  Refrains  die  Weiber  in  dumpfem ,  monotonem  Chor  wieder- 
holten." — 

S.  109  ff.  e. :  Zur  Kompositionstechnik  des  15.  Jahrh.  gehörten 
u.  a. :  die  terzcnlose  Kadenz;  die  sog.  Landinosche  Sext ;  Sprung  des 
Kontratenors  bei  der  Kadenz  in  die  höhere  Oktave-  — 

S.  llOtr.  vgl.  Huj;o  Leichtentritt,  Gesch.  der  Motette,  Lpz.  08.  — 

S.  112,  letzte  Z.  v.  unt.  1.:  „zuerst  in  seinem".  — 

S    116,  2.  Z.  V.  ob.  1.:  (vgl.  ob.  S.  85).  — 

S.  117,  e.:  Hobrecht  GA.  [Joh.  Wolf]  08,  B.  &  H. 

S    119,  2.  Z.  V.  unt.  1.:  Pergolese. 

S.  120,  e.:  Auüer  Venedig  ragen  unter  den  oberitalischen  Städten 
noch  Ferrara,  Bologna  und  Florenz  mu.'^ikgeschichtlich  hervor.  — 

S.  123,  6.  Z.  V.  ob.  1.:  28.  Aug.  1572. 

S.  124  f.  und  146  tf.,  e. :  S.  „Alte  teutsche  Liedlein",  mehrst. 
Lieder  alter  deutsch.  iMeister,  Part.-A.  [Leichtentritt],  Lpz.  ß.  &  H.  — 

S.  142,  23.  Z.  1.:  Albrecht  V. 

S.  lh\,  Anm.  4.  Z.  1.:  S.  127. 

S.  1522,  e. :  Vgl.  Rob.  Wohlfahrt,  Prakt.  Gitarrenschule,  Lpz. 
Hesse.  —  Dr.  A.  Koczirz:  Z.  Gesch.  d.  Gitarre  i.  Wien,  Musikb.  a. 
Österr.  07.   — 

S.  158S  e. :  E.  Michael.  Gesch.  d.  dtschn.  Volkes,  4.  Bd.  Deutsche 
Dichtg.  u  Mus.  i.  1.'5.  Jahrh.  Freiburg  i.  B..  Herder.  H.  Abert,  Die 
Musikanscbauungen  d.  Mittelalters,  Halle,  (»5.  Max  Graf  „D.  Mus.  i. 
Zeitalter  d.  Renaissance",  Bd.  \2  „Ü.  Musik",  Brl.  — 

S.  171,  „Venetian.  Oper"  e. :  Einer  ihrer  ersten  Komponisten 
war  Sacrati,  HKM.  Modena  f  1650. 

S.  172^  e. :  H.  Goldschmidt,  Cavalli  als  dramat.  Komponist, 
MM.  1893. 

S.  1733,  e.:  B  :  G.  Leo,  Neapel,  Melti  e  Ivele. 

S.  1751.  Hoflfmanns  Schriften  1.:  [Lkt.  Lpz.]. 

S.  178  Abs.  2,  e. :  Über  d.  dtsche.  Oper  in  Daimstadt  vgl.  NMZ. 
05,  388. 

S.  2032  L.,  e.:  Andre  Pirro:  L'estbötique  de  J.  S.  Bach,  Paris, 
Fischbacher,  07. 

S.  210,  1.  Z.  nach  „2.  Juli"  e. :  (nach  der  Inschrift  am  Geburts- 
hause und  Denkmal  zu  Weidcnwang  am  4.  Juli). 

S  216  e. :  Zu  den  Mitschöpfern  des  neuen  Stils  zählen  nach 
Gu.  Adlers  neuester  Forschung  (s.  ,, Wiener  Instrumentalmusik  vor 
u  um  1750"  [Dr.  Horwitz,  Dr.  K.  Riedel]  ju  DM.  i.  Österr.  XV,  08, 
30  Bd )  noch  einijie  bisher  nicht  beachtete  Wiener  Komponisten  als 
„Vorläufer  der  Wiener  Klassiker",  so  namentlich  G.  M.  Monn  f  1777 
(„ein  Bannerträger  der  neuen  Kunst"),  J.  A.  Reutter  jun.,  G.  Ghr. 
Wagenseil,  Schlöger,  Starzer. 

38* 


436  Berichtigungen  und  Nachträge. 

S.  219,  e.:  Scherzo  (ital.  [skerzo]  „Scherz"):  im  16.  bezw.  17. 
Jahrh.  gleich  dem  rhythmisch  pikanten,  mit  originellen  Wendungen 
überraschenden  Capriccio  (ital.  [-prittscho] ;  französ.  Caprice 
[-riss],  Laune,  Grille)  Name  für  Vokal-  bezw.  Instrumentalstücke; 
dann  ein  schnellbewegtes  Tonstück  ^/^  Takt,  Liedform  mit  Trio,  ent- 
weder heiter,  übermütig,  oder  phantastisch,  wild,  mitunter  auch  zart 
und  fein  gehalten.  Sowohl  selbständig,  als  ein  Teil  der  Symphonie- 
(Sonaten)form  (s.  d.). 

S.  224\  e.:  Moissls  Aufsatz  in  „Freie  Schulztg'-  1896,  16. 

S.  '231  ob.  vgl.:  Fr.  Lorenz,  Haydn,  Mozart  und  Beethovens 
Kirchenmus.  und  ihre  Gegner,  Lpz.  Lkt. 

S.  231-,  Ulrichs  A.  e. :  Über  diese  Bearbeitung  schrieb  Dr.  Theodor 
Helm  eine  ausführliche  und  lesenswerte  Abhandlung  in  Dr.  Pauls  „Ton- 
halle", IL  Jahrgang  1869. 

S.  2332,  12.  z.  1.  nach  Litollf:  A.:  EP.,  UE.;  Ende  der  4.  Z.  v. 
unt.  1.:  „M.,  d.  — 

S.  237.  Z.  7.  nach  „Aufführungen"  e. :  (als  „Leonore" ;  NA.  [Dr. 
Prieger  08]).     Dagegen  sind  in  der  9.  Z.  die  Worte  „als  Leonore"  zu 

S.  2371,  Q.  nach  Litolff:  EP.,  UE.  — 

S.  239S  e.:  Wilh.  Weber,  B.s  Missa  so).,  2.  A.  08,  Lpz.  Eckt. 

S.  240,  Beethovens  Charakter,  e. :  S.  „Medizin.  Klinik"  05,  Seiffers 
Besprechung  der  Lyoner  Dissertation  (Etat  mental  de  Beethoven)  von 
Vieille.  Resultat:  daß  B.  auf  der  Grundlage  eines  völlig  gesunden 
Geisteszustandes  sich  als  echtes  Genie  betätigt  hat;  er  war  wie  alle 
Genies  ein  Vorläufer,  Progenere,  und  nicht  ein  Degenere  (wie  Lombroso 
vermeint). 

S.  242\  L.  e.:  Dr.  v.  Frimmel,  Beethoven-Studien,  2  Bde.  München, 
G.  Müller  05. 

S.  2(38^  e.:  Klob,  „Beiträge  z.  Gesch.  d.  dtschen.  kom.  Op." 
[von  Hiller  bis  Lortzing],  Brl.  „Harm." ;  N.  d'Arienzo,  „D.  Entstehung 
d.  k.  Op.",  Lpz.  Seemanns  Nachf.  [bis  auf  Hiller]. 

S.  273  Anm.,  e. :  Briefe,  Auswahl  [E.  Wolff]  Brl.  07,  Behr. 

S.  277  3:  Hock  f  08. 

S.  280.  ob.  e. :  Barkarole  (v.  ital.  barca,  Gondel):  Schiffer- 
lied, ^/g  oder  3/^  Takt;  auch  rein  instrumental.     Gleich  der  Gondoliera. 

S.  285  ft".  e. :  Rob.  Franz  nicht  zu  verwechseln  mit  J.  H.  Franz, 
Pseudonym  des  Komponisten  Graf  Bolko  v.  Hochberg. 

S.  286,  16.  Z.  nach  „Stimmung."  e. :  Er  läi3t  diese  nicht  nur 
einer  einzigen  Melodie  entspringen,  läßt  die  Melodie  (Singstimme)  nicht 
mehr  gleich  einem  losen  Schmetterling  über  der  Begleitung  flattern, 
die,  meist  streng  4  stimmig  geführt,  noch  lebhafter  als  vordem  Anteil 
an  allen  inneren  und  äußeren  Vorgängen  nimmt. 

S.288,  e. :  „Fausts  Verdammnis"  wurde  neuestens  auch  der  Bühne 
mit  Glück  gewonnen.  S.  289,  4.  Z.  v.  imt.  1. :  seines  erschütternden 
Requiems.   Vgl.  ferner  Berlioz  betreffend  WKM.  05, 12  und  NMZ.  05,  392. 

S.  295  Note,  zu  B.  e.:  Göllerica,  Brl.  09.  Marquardt  &  Co. 

S.  306,  unt.  Kretschraer  f  08. 

S.  318  1.:  Cesar  Franck  (nicht  Frank). 

S.  328,  e.:   In   der  Literatur   mußte  Deutschland   das  Heft   aus 


Berichtigungen  und  Nachträge.  437 

der  Hand  geben,  und  drei  große  andere  Nationen  übernahmen  am 
Ende  des  19.  Jahrhunderts  die  Führung  als  Dichter  und  —  Prophe- 
ten: Zola,  Ibsen,  Tolstoi. 

S.  331,  unt.  e. :  Adalb.  Hilmaly  ([rschi-j  *  1842,  MD.  Czernowitz: 
Op.  „D.  verwunschene  Prinz"). 

S.  342.  Pfitzner,  e  :  Er  ist  der  einzige  Moderne,  der  in  seiner 
viel  zu  wenig  gewürdigten  Musik  zu  Ibsens  „Fest  auf  Solhaug" 
an  das  Problem  des  Melodramas  mit  der  richtigen  Hand  (vgl. 
S.  182)  rührt. 

S.  344,  unt.  van  Eyken,  f  08. 

S.  o4G^  e. :  Rietsch:  Deutsche  Tonkunst  Böhmens  184.S— 08, 
„Deutsche  Arbeit"  08  9  S.  160  It". 

S.  353,  2.  Abs.  e. :  Hier  sei  auch  noch  der  Maler-Musiker  Dösire 
Thomassin  (deutsch-französischer  Abkunft,  *  1858  Wien)  mit  seinen 
sehr  fesselnden  Kammerwerken  (Vioiinsonate  op.  72)  erwähnt. 

S.  360,  NoteZ.  8e.:  M.  P.attke,  Elementarlehre  d.  Mus.,  2.  A. 
Brl.  03;  desselben  „Erziehung  des  Tonsinns"  ebda.  05.  Vgl.  „Münch. 
Mediz.  Wochenschr.*"  März  07,  über  „Störungen  der  musikal.  Sprache" 
(Dysmusien) :  Musikblind-  oder  Taubheit  (Amusie),  Spiel-  oder  Kora- 
ponierzwang  (Hypermusie),  Tonfurcht  (Phonophobie),  Verfolgung  durch 
eine  Melodie  (melod.  Obsession\  Farbenhören,  Verbindung  von  Musik 
und  Erotik. 

S.  360^,  e. :  Prüfungskommissionen  zum  Nachweis  der  Befähigung 
zur  Erteilung  des  Gesangunterrichtes  an  höheren  Lehranstalten  be- 
stehen seit  Jüngster  Zeit  in  Deutschland  zu  Halle  und  Hamburg.  Vgl. 
NMZ.  08,  34.  Ein  Musiklehrcr-Seminar  eröffnete  Eccarius-Sieber  in 
Düsseldorf  nach  den  Grundsätzen  des  „Musikpädag.  Verbandes", 
behufs  Diplomierung. 

S.  361,  Zeitschriften,  e. :  .Hudebni  revue"  und  „lievue  musicale 
boherae",  Prag  [K.  Stecker  u.  K.  Hoftraeister  (Komponist,  MS.  u.  KP. 
Prag,  *  1868;  vgl.  Jungtschechen,  S.  346  f.)] 

S.  862,  ob.  e. :  „Gregorian.  Rundschau  (Graz  [P.  M.  Ilorn.]). 

S.  362,  2.  Abs.  e. :  Eulenburgs  und  Paynes  kleine  (Taschen-) 
Partitur- Ausgaben. 

S.  365',  e. :  Dr.  L.  Schmidt:  D.  Mus.  i.  Deutschld.,  „Signale", 
08,  23.  Karl  P'uchs:  „Präliminarien  z.  einer  Kritik  d.  Tonk."  (philo- 
sophische Analyse  «ies  Tonkuustgenusses  1870  und  ,,D.  Zukunft  des 
musikal.  Vortrages  1884." 

S.  365'.  Aus  der  musikalisch-belletristischen  Literatur  seien  er- 
wähnt Georg  Münzers  Romane  „Wunibald  Teinert*'  und  „D.  Märchen- 
kantor" 08. 

S.  405  11.  Z.  v.  ob.  1. :  übte  Beethoven. 

S.  4092  e.:  B.:  H.  Reimann,  L  09,  Brl.  „Harm."' 


438 


Untergeschobene  Werke. 


Nachstehende  Übersicht  der  Lebensalter  hervorragender 
Tonkünstler  dürfte  interessieren :  Schubert  31  J.  9  M.  18  T. ; 
Bellini  33  J.  10  M.  22  T.;  Mozart  35  J.  10  M.  8  T. ;  Mendelssohn 
38  J.  9  M.  1  T.;  Nikolai  38  J.  11  M.  2  T.;  C.  M.  v.  Weber  39  J. 
5  M.  18  T.;  Herold  41  J.  11  M.  21  T. :  Schumann  46  J.  21  T.;  Lort- 
zing  47  J.  2  M.  28  T. ;  Donizetti  49  J.  6  M.  14  T. ;  Adam  52  J.  9  M. 
9  T. ;  Tschaikowski  53  J.  6  M. ;  Mehul  54  J.  3  M.  24  T. ;  Beethoven 
56  J.  4  M.  11  T. ;  Halevy  62  J.  9  M.  12  T.;  Dvoiäk  62  J.  7  M.  22  T. ; 
Grieg  63  J.  2  M.  19  T. :  Brahms  63  J.  10  M.  27  T.;  Bach  65  J.  2  M' 
7  T. ;  Marschner  66  J.  3  M.  28  T. ;  Wagner  69  J.  8  M.  22  T. :  Brückner 
72  J.  1  M.  6  T.;  Spontini  72  J.  1  M.  20  T. ;  Meyerbeer  72  J.  7  M. 
27  T.;  Gluck  73  J.  4  M.  13  T. ;  Händel  74  J.  1  M.  21  T.;  Kubinstein 
75  J.;  Spohr  75  J.  6  M.  7  T. ;  Rossini  76  J.  8  M.  15  T. ;  Haydn  77  J. 
2  M. ;  Cherubini  81  J.  6  M.  7  T. ;  Auber  87  J. :  Verdi  87  J.  3  M.  18  T. 


Untergeschobene  Werke  (Apokryphen). 


Stück : 

zugeschrieben : 

Autor : 

„Willst  du  dein  Herz  mir 

J.  S.  Bach 

GiovannLni 

schenken" 

[„Die  Maienkönigin" 

Gluck 

s.  S.  214] 

Kirchenarie  „Se  i  miei   sospiri" 

Stradella 

Niedermeyer  f  1861 

Wiegenlied  „Schlafe  mein 

Mozart 

Bei-nh.  FUeß 

Prinzchen" 

Ständchen  „Liebes  Mädchen  hör 

J.  Haydn 

Mozart 

mir  zu" 

„Letzter  Gedanke" 

Weber 

Keissiger. 

Beilag'en. 

1.  Melodie  zu  einer  Ode  von  Piiidar. 
Chorus  vocalis. 

uu       ro        lu       ro      iure     IM 


487 


fr-~^-~m- 


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101     Miere      ruroiroi 


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Y     t  V   • 


riiorus  itistruraentalif^. 
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pp:r-ir-r^in^'ir^^ 


#'  F  ff 


Nvv    <nn     ui    n<    n      vn     zt     <<v 


WM'  rpf^r^p-^rirr^ri^'-'^ir-pg 


v<n<uvnN      ZN      v<       n<        n 


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;2.Eiii  Tsi-Tschoii^  der  Chinesen,  mitfi:ethei]t  von  Irvin, 


^r  J_p_^ 


^ 


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ßF    m      ß 


m — ■— # 


j_jrrQ^irrri-^^"i"^^^'"^^tf^^ 


^  r-^T'P 


^^^^ 


^#-g- 


l^iifr  L.rirf'^ 


ö 


etc. 


3. 


C  Dif  Linie  denke   man  sich  roth.) 


♦       ^ 


f- — ff^n 


J„— r-Jz. 


2.--^-^ 


1  i : 


P(*i^  t^ce  gref    lUi*  mcof    m<c     rattif    ttv  if 


Kothe  :Prochäzka,  Abriss  der  Musikgeschichte. 
StutundDroc):  von  C. O.Röder  G.m.bK,  Lelpsio, 

F.E.C.L. -"t": 


438 
4. 


(  I>ii>  dlirrt'  l/mie  dt-nk»'  man  ^i<•h  tfelb,rfi«^  tiefere  Li ni»'  reih.) 


^s*-^ ^ 


IMp  Entzifferung  Martinis  dazu  ist  foicendf.  verrauthüc-h  richtige  : 


JL_M! 


Po.pu  _  le      me  _     .      _     ns  quid      fe_ci        aut 

(Die  vieiie  Linie  denke  man  sieh  f;"riin,  die  zweite  roth.") 


K 


-n:7 


— —i, « m    ^  S — L    ^^       ^ ^ 


^^cr)%       mrfj^:^^rup 


6.  Hyiiums  von  Guido  von  Arezzo 


*£ 


jOlI 


Q   4rv> 


« — ö— *-» — O— — « O      i\     o 


33==X5=?teZ3X: 


rt    qiu'ant     la    _    xis       iv_  s<»_  iia.r»'    fi-bris     mi  _       -  vh 


-€»- 


C»     t^     ^'      CCIj^ 


V^  ^   *>    t^     O      ^^ 


:xi: 


^f  -    stumm     fa_mu_Ii     tii    _    o_rmn     s«j1  _    _  ve  p<il_|u_ti 


33l: 


-*^ 


-o      ^^     *^       v> 


la  _  bi  _  i       r»'  _  a   -      _  tum         saii  _     _  <'te    Jn  _  hau  _  lies. 

7.  Organum  von  Hiiebald. 

a.jün  Choralnotensohrift  übertragen.) 


Sit      pl'»-    -  ri  -  a         do  _  mi  -  ni        in      s.»«  _  cu  .  la.   eto. 


F.  K.r.L.  2477 


439 


F 

maris 

E 

mine               Bn_ 

D 

do                                di- 

C 

li                   maris            \        ni 

B^!) 

ooe'            mine               un_        so 

A 

Rex  OOP  li   do'                               di' 

ritortraeung  d<>s  Vorstohendon. 


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9.   Organum  von  (iuido  von  Arezzo. 


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Ve.iii     ;iH    d<i_  oMi -«liim        uns   vi  _  am  pi'u_d»'n.ti  _  jf . 


10. 


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F.E.C.L.li477 


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Josquin  d^  Pres. 


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Auflösung. 


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12.  Ex  Missa    pro!  ationiim   Johaimis  O^ekhem. 

(Seh.Heydeii,  deartf  canendi     ]>n^.  70.; 

Altus  ex  Discantu  in  unisono. 


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Bassus  ex  Tenore  in  unisono. 


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442 


13.  Falso  bordoiie  von  J.  Aiit.Hernabei.  (aus  \tus.div.) 
1.  Psalinton .  

Intonation.  Dominante.     Mediation.   ^  Termination. 


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Di_xit       Diunimis  Do.miiio  me.o 


,<ejle  a  dt'xtrisme  -  i*< . 


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14.  F"also  bordoiie  von  Fr. Witt,  (aus  Op..^.) 


Ten.  /,•  (^^^ 
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Miserer«'  mei    De.us  seenndum     ma-p,iiiim  mi 

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6.  r^almton. 


se  _   riec)r_Hiam       tu 


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Et    se  _  euiidiim  mnl. 


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titiidiiiem  miserati-o  _  iium  tn.a.rum:    d»'le  iniquLla_  tem  me-ain. 


15 .    Welse  des  Troubadours  Chatelaiii  de  Coney. 


^-fpr-^fJ^r-tj 


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F.F.r  I,.  ',»**7 


443 


16.  LiP(l  um  ilas  Jahr  12H7.    Von  (It^m.J'iivt^rzafijtenV 

i — m — * ß—T-^ — ♦- — • m  ^    \    ^ ■ ^ 


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Der    kiininc  RoJ«»lp  mynnet  Got    vnd       i>f    hu   trii-wfii 
DtT     kuninc  Rojlolp   riclürf  wul    vtid        h;(z_z»'f  v;iLs(li»« 


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sralidf'n  wol     vnr         sa  _ 
tu-^t-ii-Hrii    iiiivurt.  za  - 


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kii-iiin»'   Rn-dnlp         I»'t    sich   di  _  k»*  iii       ho  .  »-i)      ••  _    r«'n 

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^i;;«n  sitgHiidaz  h<irf  hfr^erneuiidc^f  yii  darumme    niVht. 
F.E.C.  L.2iA77 


444 

17.  Satz  von  Hpiiirich  Isaak. 


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18.   Tabulatur -Schrift. 


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Übertragung. 


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19.   Veiii  Creator  spiritiis 


Ve-ni    cre_«,_f<tr    spi  _  ri.tujj      menfes  tu_o  _  rum  >-i  -  si -ta, 


■i  j  ,1  jirrT-f+^^ 


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Komm  Geist  uiid  Sfhöpfer,  kehre  ein  und  lass  uns  ganz  dein  eigen  sein: 


im-ple  SU  _  per_na  graii_a,      quip  tu   rre  _  a_sti  peo  _  to.ra. 


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er_füllmit  Himmels_freudigkeit  die  Herzen.die  dein  Ha»«'h»'r-"»'Mt. 
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445 


ÄO .  Sinfonia  von  Giov.  Gabrieli. 


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447 


Sl.  Dill  Combattimento  di  Tancredi  e  Clorinda  di  Claudio 
Monteverde.('l624) 


I. 


II. 


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Basso 


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'e  corde  con  duoi  diti. 


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Qui  si  ripiglia  l'arco 


449 


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A.  Personeiiresfister. 


Bei  mehreren  Seitenzahlen  betrifft  die  vorangestellte  höchste  die  Hauptang'aben. 

Weitere  Namen,  insbesondere  ausübender  Künstler,  s.  auch  S.  S.  355,  358  f.,  361  ff., 

380—84,  388—94,  400-410,  416—18.*) 


Aalst  18. 

Abaco  188,  218. 

Abt  287,  253. 

Abert  Herrn.  20,  174,  213,  278,  435. 

—  J.  J.  284,  174. 
Abranyi  333. 

Adam  A.  2."i9,  180. 
Adam  v.  Fulda  50,  123  f. 

—  —  St.  Victor  51. 

Adler  Gu.  302,  79,  106,  113,  139, 
172,  175 f.,  205,  224f.,  361,  363, 
435. 

Adlung  189  f. 

Agostini   139. 

d'Agoult  295. 

Agricola  87,  123  f.,  212. 

Ahlström  335. 

Ahiiramazda  101. 

Aicbinger  148. 

Aischylos  31,  34,  267,  325. 

Alard  188. 

Albeniz  337,  351. 

Albert  192,  250.  253,  314. 

Albert,  Prinz  338. 

d'Albert  E.  343,  201,  294,  305, 
344. 

—  M.  278. 
Alberti  218. 
Albrecht  V.  v 
Albrechtsberger  236 
Alfarabi  99. 
Alftn  353. 


Bay.  131,  142. 


Alkäos  28,  30. 

AUcgri  139. 

Aluaes  353. 

Altmann  255,  364. 

Amati  171. 

Ambros  363,  12f.,.21,  25,  36,  48, 
58,  92,  102,  106  f.,  109,  115,  119, 
122,  124,  150.  205,  207,  224, 
256,  277,   281,  287,   303,  359  f. 

Anibrosius  44  f.,  49. 

Amphion  35. 

Ammerbach  155. 

Anakreon  28,  30. 

Andre  251,  359. 

Andreae  351. 

Aneriü  137,  139,  155. 

Angerer  308 

Animuccia  138,  165. 

Ansorge  343  f. 

Appelles  32. 

Appia  299. 

Apollo  19. 

Appun  7. 

Apsarasen  15. 

Apthorp  286 

Arcadelt  121  f.,  111. 

Archilochos  29. 

Arend  213. 

Arensky  325. 

Arion  19,  30,  45. 

Aristophanes  32  f.,  156. 

Aristoteles  33. 


*j  Diese  Register  umfassen  den  I.,  allgemeinen  Teil  des  Buches  vollständig', 

den  LI.,  besonderen   in  den  Hauptsachen,  nnd  soweit  nicht  im  Einzelfalle   schon 

früher  auf  diesen  II.  Teil  des  näheren  verwiesen  erscheint.    Auch  wurden  jene 

Namen  aus  dem  II.  Teil  nicht  autgenommen,  di»  vermöge  ihrer  Zugehörigkeit 

zu  jenen  Sonderkapiteln  dort  an  sich  leicht  aufzufinden  sind. 


456 


Personenregister. 


Aristoxenos  27,  34. 

Armbruster  305. 

Arne  181,  187. 

Arnold  98,  154. 

Arpad  357. 

Arrigoni  186. 

Artusi  171. 

Ashton  337. 

Astorga  119,  174,  285. 

Athanasius  41. 

Attenhofer  308. 

Auber  259,  180. 

Aubry  82,  41,  59,  81,  357,  362. 

Audran  319. 

Auer  Jos.  136,  189,  147. 

Augustinus,  hl.  46. 

Augustus,  Kaiser  40. 

Bacbac  103. 

Bach  A.  W.  269. 

Bach,  Familie  198  f.,  203  f. 

—  Job.  Chr.  204,  217  f.,  219, 
222,  226. 

—  J.  E.  250. 

—  J.  S.  194  fit.,  51,  96,  103, 
126,  130,  143,  148,  153,  157  f., 
167,  176,  182,  184  ff.,  188,  190, 
192  ff.,  218,  226,  235,  237  ff.,  246, 
254,  269,  272,  285  f.,  311,  316, 
342,  365. 

—  Ph.  E.  204,  186,  218  ff.,  222, 
251. 

—  W.  F.  203,  218. 
Backer-Gröndahl  337. 
Baini  136,  113,  132,  139. 
Baj  139. 

Balakireff  323. 

Balestrieri  281. 

Balfe  336. 

Balzac  280. 

Banchieri  164. 

Bantock  353. 

Barbier  de  Megnard  102. 

Barbireau  117. 

Barblan  S51. 

Barcley  Squire  128,  155. 

Bardi  161. 

Bargiel  283,  254. 

Barre  85. 

Bassani  185. 


Basilius  41. 

Batka  361,  21,  79,  83,  90,  92,  125, 
182,  203,  207,  233,  278,  304, 
315,  327,  341,  354,  357,  360, 
363  f.,  434. 

Battke  419,  437. 

Bäuerle  157,   136,   138,   143,  176. 

Bäumker  45,  128,  142,  158,  362  f. 

Baussnern  344. 

Bautzky  347. 

Bazzini  391. 

Beck  218. 

Becker  A.  308. 

—  C.  F.  121,  128,  143,  157  f., 
203,  354,  362. 

—  0.  150. 

—  E.  307. 
Beer  266. 

Beethoven  234  ff.,  6,  7,  100,  103  f., 
106, 157  f.,  172, 182, 202, 204, 214, 
216—9,  222,  226,  232,  244  fi.. 
249,  251,  254  f.,  264,  272,  276  ff'., 
280,  289  f.,  292,  296,  300  ff.,  304, 
308,  310  f.,  365,  436. 

Bekker  344. 

Beliczay  333. 

Bella  334. 

Bellaigue  232,  354. 

Bellermauu  20,  24,  32,  34,  72,  95, 
97,  124,  176,  254,  359,  362,  433. 

Bellini  258,  320. 

Benda  F.  188. 

—  G.  181,  184,  217. 
Bendel  F.  287. 

Bendl  K.  331. 
Benedikt  VIII.  42. 
Benett  282. 
Benevoli  139. 
Benoit  319  f. 
Berger  L.  404,  269. 

—      W.  308. 
Bergson  326. 
Berlioz  288  ff.,  58,  107,  240.  245, 

247,  277  f.,   280,   292  ff.,    300  f., 

304,  323,  365,  436. 
Bernabei  95,  139. 
Bernard  290. 
Bernini  135. 
BernouUi  83. 
Bezecnv  124,  145,  333. 


Personenregister. 


457 


Bie,  153,  281. 

Biernath  152. 

Binchois  113  f.,  116. 

Birkle  58. 

Biber  185. 

Bischofl"  H.  343,  253. 
—        L.  Fr.  Chr.  292. 

Bitter  119,  165,  203,  256. 

Bizct  316  f. 

Blech  343. 

Blocl^s  320. 

Blodek  331. 

Blimienfeld  352. 

Blurnner  255. 

l'.ocaccio  78. 

Büccherini  217  f.,  219. 

Boehe  343. 

Boekelmann  130. 

Boetius  36,  44. 

Böhm  G.  206,  199. 

Böhme  97,  128,  165. 

Bohn  Dr.  364. 

Bohn  76. 

du  Bois  280. 

Boieldieu  259,  KX),  ISO,  143. 

Boito  321,  294. 

Bona  50. 

Bone  45. 

Bonifazius  60. 

Bonoucini  187. 

Bopp  360. 

Bordes  43. 

Borecky  327. 

Bordoni  176. 

Borodin  323. 

Borek  149. 

Boruttau  336. 

Boschot  290. 

Bossi  350. 

Brambach  47,  61. 

Brahms  309  ff.,  104,  174,  207,  230, 
233,  239  f.,  252  f.,  255,  277  f., 
287,  294,  315  ff,  329,  355. 

Branberger  207,  327,  363. 

Brandt  Buys  348. 

Bratter  434. 

Brauchle  241. 

Braungart  342. 

Breitkopf  (&  Härtel)  130,  362. 

Brecher  346,  341. 


Bremer  363. 
Brendel  295,  307,  368. 
Brenet  117,  123. 
le  Breton  112. 
Breton  Th.  337. 
Breuning  234,  242. 
Brixi  208. 
Bronsart  H.  v.  305. 
—        J.  V.  337. 
Brosig  244. 

Bruch  284  f,  107,  357  f.,  360. 
Brückler  284. 

Brückner  311  ff'.,  207.  305,  316. 
Brüll  306  f.,  253,  257. 
Bruniel  118. 
Bruneau  317,  319,  325. 
Brunner  314. 
Bruno  v.  Reichenau  42. 
Bruyck  201. 
Bucher  4. 
Bück  344,  358. 
Buhle  250. 

Bülow  409,  272,  276,  294  f.,  403. 
Bull  155,  334. 
Bulthaupt  256,  354. 
Bungcrt  306. 
Buonarotti  134  f. 
Buononcini  198. 
Burckhardt  344. 
Burgstaller  358. 
Burk  Mangolt  83. 
Bürkner  300. 

Burney  64,  135,  147,  209,  215. 
Burns  275,  286. 
Busch  45. 
Busnois  117. 
Busoui  350. 
Buus  154. 

Buxtehude  199  f.,  206. 
Byrd  150. 
Byron  276. 

Cabczon  142. 

Caccini  161  ff.,  175,  179,  297. 

Cä<;ilia  hl.  87,  196,  369. 

Caffi  120. 

Caldara  192,  167,  218. 

Calvocoressi  294. 

Calzabigi  213. 

Cambert  178. 


458 


Personenregister. 


Cannabich  218. 
Capellen  16,  19. 
Cara  116. 
Caravaggio  153. 
Carissimi  166,  187. 
Caron  117. 
,  Carpani  224. 
Carra  de  Vaux  99. 
Cartier  188. 
Cassiodorus  44. 
Castil-BIaze  86. 
Catalani  37. 
Catoir  325. 
Cavalieri  161  f.,  166. 
Cavalli  171. 

Caussin  de  Perceval  102. 
Celansky  347. 
Cesaris  117. 
Cesti   172 
Chabrier  317. 
Chadwick  337. 
Chamberlain  300. 
€haminade  337. 
Chamisso  275. 
Chapie  337. 
Charpentier  G.  351. 
Charpentier  M.  A.  166. 
Cherubini  256  ff.,  100,  214.  269. 
^hilesotti  153. 
Chlodwig  44. 
Chop  300,  306,  353. 
Chopin    278  ff.,    239,    247,    277  f., 

292,  304,  342. 
Chovän  334. 
Christus  40. 
Chrysander  205,   98,   106,   197  f., 

363. 
Chväla  331  f.,  327. 
Cicconetti  258. 
Cilea  349. 
Cimarosa  258,  230. 
Clark  196. 
Clari  198. 
Clemens  v.  Alexandria  41. 

—        non  Papa  123. 
Cleraenti  176,  218,  220,  244,  266. 
Cleve  353. 
Cluer  129. 
Clugny  52. 
€oUoredo  226. 


Commer  155,  123,  128,  136,   143, 

147,  173,  362 
Compere  113  f,  118. 
Constantin  Kaiser  44. 
Corelli  185,  187  f.,  194,  216. 
Corrette  188. 
CorneUus    304  f.,    100,    104,    252. 

295 
Cor8i'l61. 

Coöimo  V.  Medici  160.         ^ 
Cossmann  342. 
Cotes  142. 
Cottrau  358. 
Coucy  81,  434. 
Couperin  219,  381,  401. 
Courvoisier  343. 
Coussemaker  48,  62,  76  f.,  82,  96, 

106,  158,  362. 
Coutägne  171. 
Cotton  61,  70. 
Couperin  86,  185. 
Cowen  336. 
Craraer  W.  218,  222. 
Cranach  87. 
Croce  123,  139. 
Cui  323. 

Curschmann  287. 
Curti  307. 
Czernohersky  207. 
Czerny  C.  405,  244,  292. 

j    333 

Czibulka  334. 

Dach  250. 
Daffner  121. 
Dahl  334. 
Dalberg  15. 
Dalman  100. 
Damcke  214. 
Danican  180. 
Daniel  46. 

—  Salvador  102. 
Danjou  61. 

Dante  6,  78,  117,  157,  162. 
Dargomyschky  323. 
Daudet  317. 
David  Felicien  291,  100. 

—  Ferd.  188,  271 1. 

—  König  14,  41,  142. 
Dayas  337. 


Personenregister. 


459 


Debussy  350. 

Dechevrens  30,  58,  98. 

Deceey  315. 

Deiner  359. 

Dehmel  343 

Dehn  283,  142,  147,  157,  359,  362. 

Deiters  '.^33,  242. 

Delibes  319. 

Delius  3.Ö3. 

Dellinger  333. 

Delmotte  142. 

De  Mary  117. 

Demanti^ius)  147  f. 

Denner  216. 

Dessauer  '^87. 

Deulich  148. 

Deutsch  253. 

Devrient  96,  265,  273. 

Dies  224. 

Dietrich  284. 

Dietz  175,  180,  352. 

Diez  82. 

Dina  34S. 

Dionysos  29. 

Dittersdorf  217,  17.s,  229,  239. 

Dobrzynski  326. 

Dohnanyi  348. 

Doramer  168,  197,  230,  363. 

Donizetti  258. 

Donndorf  278. 

Dont  394. 

Donner  31. 

Door  253. 

Doppler  334. 

Döring  G.  362. 

Dorn  274  f. 

Dorslaer  147. 

Düwell  337. 

Dowland  150. 

Draeseke  304,  207.  295,  311. 

Droucker  322. 

Dryden  180. 

Ducis  119. 

Du  Fay  113  ff,  110,  116. 

Duiffopruggar  170. 

Dukas  351,  180. 

Duiichius  148. 

Duncan  360. 

Duni  180. 

Dunstable  108  ff.,   111—117,   183. 


Dunstan  105. 
Dupuis  351. 
Durante  173,  186,  191. 
Dürer  87,  153. 
Düringer  268. 
Dürrner  358. 
Duschek  229. 
Dussek  244. 

Dvorak  327  ff.,  58,  294,316,  331, 
347,  406. 

Eber!  241,  243. 

Eberlein  268,  301. 

Eberlin  115,  178. 

Eborstorff  86. 

Eccard  148 

Eccarius-Sieber  437. 

Eckardt  272. 

Eckert  287 

Eckhard  47. 

Eden  v.  D.  234. 

Egenolff  97. 

Eggeling  279. 

Ehlert  365. 

Ehrlich  365. 

Eichendorff  272,  275,  286. 

Eichner  218. 

Einstein  158,  187. 

Eitner   68,   127  f,    157,    163,  170, 

179,  362  f. 
Ekkehart  60. 
Eiben  357. 
El  Farabi  99. 
Elgar  337. 

Elisabeth,  Kön.  149  t.,  286. 
Elle  290. 
Eisner  279. 
Eiterlein  242. 
Emmanuel  361. 
Enna  336. 

Engelbert  v.  Admont  87. 
Epstein  253. 
Erard  245. 
Eratostenes  27. 
Erba  198. 
Erben  329. 
Erdödy  Gräfin  241. 
Erk  127,  359. 
Erkel  333  f. 
Erlanger  351. 


460 


Personenregister. 


Ernst  II.  Herzog  338. 

Ertel  344. 

Eschenbach  245, 

Espagne  136,  233. 

Esser  254. 

Esterhäzy  222,  285,  248, 

Eugen  Prinz  v.  Würtemberg  262. 

Euklid  27,  34, 

Eulenburg  338. 

Euripides  31,  35. 

Eusebius  41. 

Evers  343. 

Eybler  243. 

Eyken  437. 

Eyk  van  87, 

Eysler  348. 

Fairfax  112. 
Faisst  H,  315. 
—     Im.  166. 
Faminzin  325. 
Fasch  207,  184,  218. 
Faugues  117. 
Feldigl  96. 
Felsstein  149. 
Feo  174,  210. 
Ferdinand  I.  131. 
—     III.  175, 
Fesca  244, 
Festa  122,  133. 
Fetis  361,  48,  100,  106,  132,  179  f., 

279,  291,  434. 
Feuerbach  L.  297. 
Fibich  330  f.,  182,  406. 
Field  280, 
Fielitz  326. 
Filtz  217. 
Finck  Heinr.  u.  Herrn.  123,  149. 

—  Henry  334. 
Findeisen  323. 
Fink  277, 
Firdusi  99. 

Fischer  J.  K.  F.  206. 
~       J.  W.  243. 

—  W.  300. 
Flecha  142. 

Fleischer  34,  41,  48,  61,  233,  262 f., 

365. 
Flotow  268,  166. 
Foerster  332. 


Fohi  8,  17. 

Foltz  85. 

Forest  112. 

Forkel  34  f.,  57,  08,  107,  203,  362. 

Fornsete  105. 

Forster  125. 

Förstemann  198. 

Förster  A.  244. 

Fortlage  20,  24. 

Franchetti  321. 

Franck  Cesar  318. 

—  Ed.  283. 
Fr  an CO  76. 
Frank  E.  305. 
Franke  359, 
Frankenstein  300. 
Franklin  245. 

Franz  Rob.  285  ff.,  7, 13, 167, 173  f., 
198,  203,  205,  231  f.,  250,  252. 
256;  272,  278,  390,  402,  428  f. 
—     J.  H.  436. 

Franz  Josef  I.  314,  330. 

Frescobaldi  186,  156. 

Fricke  301, 

Fricken  273. 

Fried  344. 

Friedlcänder  253  f.,  248,  251,  265, 
275,  357,  362. 

Friedr.  d.  Gr.  200,  176, 

—  Wilh.  II.  227, 

—  IV.  271, 
Frich  334. 

Frimmel  242,  251,  436. 
Froberger  186,  239. 
Fuchs  A.  307,  193, 

—  J.  N.  253. 

—  Karl  409.  437. 

—  Rieh.  360. 

—  Rob,  314. 
Fugger  142,  145  f.,  148. 
FuUer-Maitlahd  155. 
Fürstner  300, 

Fux  163,  176,  184,  192,  222. 

Gabrieli   121  f.,   140  f.,   146,   155 

167,  185. 
Gade  282,  107,  264,  285,  334,  336. 
Gagliano  163. 
Gatbr  120,  127, 
Gaisser  41. 


Personenregister. 


561 


Galilei  161  ff. 
Gall  326. 

Gallus  U5,  95,  128,  141. 
Galuppi  186,  216. 
Gandolti  161. 
Gärisbacher  Job.  261. 
—  Jos.  253. 

Garcia  414. 
Garlandia  74,  77. 
Gasparini  72. 
Gassmann  244. 
Gaatoldi  141. 
Gastoue  43,  47. 
Gebrraann  265,  147. 
Geibel  275. 
Geiger  101. 
Geißler  307. 
Genee  315. 
Gerber  374,  206. 
Gerbert  «2,  49,  60,  68,  77,  88. 
Gerhardt  F.  346. 

—        Paul  202. 
Gerle  87,  91. 

Germer  2(»1,  242,  253,  265. 
Gernsheim  282,  360. 
Gerstenkorn  8. 
Gervinus  106,  157,  198. 
Gesius  167,  201. 
Gesualdo  s.  Venosa. 
Gevaert   319,   21,   34,   46  f.,    120, 

180,  362. 
Geyer  297. 
Ghandarven  15. 
Gibbons  155. 
Gietraann  47. 
Gille  2iU. 
Gilson  351. 
Giordani  258. 
Giordano  349. 
Giraldus  Cambrensis  105. 
Giuliani  253. 
Glarean  127,  151. 
Glasenapp  300. 
Glasunow  351. 
Gleitz  344. 
Glenck  351. 
Gliere  352. 
Glinka  323. 
Glossner  176. 
Gluck  209  ff.,  172,  174,  181,  2U7, 


216,  218,  228,  232,  240,  251, 
256  f.,  264,  266,  289  f.,  297  f. 

Glümer  256. 

Gluth  332. 

Godard  318. 

Goethe  Walther  v.  251. 

—  Wolfg.  4,  7,  210,  2281., 
232,  250  f.,  269,  275,  293  ff"., 
306,  314,  316,  356,  404,  417. 

Göhler  233. 
Goldberg  382. 
Göllerich  294  f.,  242,  436. 
Golther  287,  300. 
Goldmark  306  f.,  37. 
Goldschmidt  A.  v.  306. 

—  H.  171,233,415,435. 

Gorabert  119. 
Gomolka  149. 
Gossec  217  f. 
Götz  305. 
Götzl  346. 
Goudimel  123,  149. 
Gounod  316,  229,   232,  240,  290, 

294. 
Grädener  283  f.,  365. 
Gouvy  283. 
Graben-Hoffmann  417. 
Graf  101,  290,  435. 
Gräfe  250. 
Granados  353. 
Grandi  141. 
Grandval-Reiset  337. 
Graun  176,  184,  187,  216,  218. 
Graupner  185. 
Greco  174. 
Gregor  d.  Gr.  46  ff.,  49,  60  f.,  157, 

365. 

—  II.  47. 

—  III.  47, 

—  XIII.  136,  145. 
Grell  254  f. 

Gretry  178  ff'.,  104,  259. 
Gretschaninow  352. 
Grieg  334  f.,  231,  316. 
Grimm  254  f. 
Grimmer  256. 
Griesinger  224. 
Grossi  164. 

Grove  254,  242,  273,  363. 
Grünberger  332. 


462 


Personenregister. 


Grünfeld  355,  333. 

Grunsky  314,  354,  363. 

Gruß  7. 

Grzymala  281. 

Guerrero  142. 

Giigler  166. 

Gu9fgenheimer  301. 

Gnidetti  137. 

Guido  v.Arezzo  64,62flf.,  70,  157. 

Guilelmus  s.  Wilhelm. 

Guilmant  384,  43. 

Gumbert  287. 

Gumprecht  243. 

Günther  333. 

Guy  8?. 

Gyrowetz  243. 

Haan  320. 

Haberl  155  ff.,  57, 106, 112  ff.,  132  f., 
135  f.,  139,  143,  362  f. 

Haberlandt  315. 

Haberraann  193,  197,  208,  217. 

Habert  332,  176. 

Hafis  99. 

Hagen  v.  d.  83,  97. 

Hahn  7,  244,  295  (Bildhauer). 
—     R.  351. 

Hähnel  243. 

Han  128. 

Haie  81,  97. 

Halevy  267  f.,  58,  257. 

Hallen  336. 

Haller  359. 

Hallström  335. 

Hals  153. 

Halvorsen  353. 

Hambois  112. 

Hamerik  336. 

Hamma  37. 

Hammerschmied  193,  167,  200. 

Hampel  284. 

Handl  145. 

Händel  194  ff.,  lOfi,  115,  148,  150, 
158,  167,  176  f.,  181,  1861'.,  188, 
190,  193,  202  f.,  206,  211,  216, 
218,  22;i,  235,  237  ff.,  246,.  254, 
272,  ^85,  311,  365. 

Hänl  145 

Hanslick  303,  205,  277,  309,  329, 
359,  362  f. 


Harant  v.  Polzic  125. 
Hartmann  Pater  348. 

—  Peter  336. 
Härtel  203. 
Hartog  320. 
Hartzer  123  ff.,  265. 
Hauptmann    M.     203,    271,    282, 

359. 
Hasler  145  ff.,  111,  121,  148,  155. 
Hasse  J.  A.  176,  185,  216. 

—  M    304. 
Hässler  244. 

Hausegger  347,  301.  305,  344. 

Hawkins  147. 

Haydn  J.  221  ff.,  106,  11.5,  170, 
172,  188,  198,  216,  218  f.,  220, 
226,  228,  233,  235  f.,  238  ff., 
243  ff.,  246,  253,  255,  272,  280, 
311,  365,  436. 
—      M.  225,  222,  260. 

Hebbel  306,  363. 

Heckel  300. 

Hegar  308,  357  f. 

Hehemann  337,  342. 

Heidegger  198. 

Heidei  197. 

Heine  F.  300. 

—  H.   7,   232,   275,   280,   286, 
296. 

Heinrich  IL  42. 

—  Fi-auenlob  83. 

—  V.  Ofterdingen  83. 

—  V.    V.  Enffl.  107  f.,    112. 

—  XXIV.  Fürst  338. 
Hell  263. 

Heller  283,  174. 
Hellmer  315. 
Hellmesberger  253. 
Helm  314,  242,  436. 
Helmholtz  360. 
Hennig  242. 
Henning  269. 
Henriques  352. 
Henschel  307, 
Hensel  273. 
Henselt  406. 
Herbeck  240,  254. 
Herbiug  '-^öO 
Hermann  Hans  344. 

—  Ma^h.  239. 


Personenregister. 


463. 


Hermannus  Contractus  65. 
Hennesdorf  48. 
Herold  259. 
Herrmann  L.  129. 
-        R,  351. 
Herv6  319. 
Herz  403. 
Herzfeld  334. 
Herzogenberg  255,  311. 
Heß  166. 
Heßler  357. 

Heuberger  314  ff.,  253. 
Hilarius  v  Poitiers  42. 
Hillemacher  316. 

Hiller   Ferd.    52,    242,    251,    273, 
282,  292. 

-       .J.  A.  178,  229,  250  f. 
Hirschfeld  77.  86,  222. 
Hlawatsch  246. 
Hobrecht  117. 
Hock  277,  436. 
Höcker  273. 
Hoesick  280. 
Hofhaimer  123  f. 
Hoffruann  A.  362. 

—  E.  T.  A.  263,  175,  243, 
273,  275,  300. 

—  L.  243. 
Hoffmeister  437. 
Hofmann  H.  30fi.  —  R.  246. 
Hofmannsthal  341. 
Hoheneraser  206. 
Hohenlohe  295. 
HohenzoUern,  Fürst  338. 
Hölbe  268. 

Holbein  97. 
Holstein  284. 
HoUaender  360,  394. 
Holthof  321. 
Holz  83. 
Holzbauer  217. 
Hölzl  417. 
Homer  203. 
Hopkinson  337. 
Horäk  244. 
Horaz  39  f.,  125. 
Hörn  346,  344. 
Hornbostel  434. 
Horus  19. 
Hostinskv  361.        m 


Hothbv  112. 
Houdard  48,  58, 
Hriraaly  437. 
Hruby  "325. 
Huart  103. 
Hubav  334. 
Huber  H.  309. 

—  J.  305. 

Hucbald  49,  62,  68 ff.,  157  f. 
Hüffer  300. 

Hugo  V.  Reutlingen  97. 
Hugo,  Viktor  289,  338. 
Hummel  F.  348. 

—       J.  404,  244,  274,  277. 
Humperdinck  305  f.,  182,  255,  357,. 

360. 
Hunnius  2.55,  352. 
Hurlebusch  185. 
Huss  425. 
Hüttenbrenner  247. 
Hutter  358. 

Ibsen  7,  315,  437. 
Imbert  316,  309,  362. 
d'Indy  318,  43. 
Ingegneri  138. 
Isaak  123  f.,  127. 
Isenmann  309. 
Isouasd  259,  180. 
Istel  343  f.,  181  f.,  268. 

Jacoponus  119. 

Jacques-Dalcroze  351,  37,  36C>. 
Jadassobn  308,  201. 
Jahn  Ernst  85. 

—     0.  233,  203,  242,  260,  363._ 
Jahns  264  f.,  363. 
Jakobstal  72. 
Jan  21,  27,  34. 
Janda  265. 

Jannequin  119.  149,  239. 
Jansen  212,  218,  277  f. 
Järnefeldt  352. 
Jean  Paul  273. 
Jenner  309,  343. 
Jensen  G.  188. 

—  A.  284. 
Jerome  236. 
Joachim  394,  233,  360. 
Job.  Damasc.  41. 


464 


Personenregister. 


Joh.  Diac.  46,  60. 

Joh.  V.  Luxemburg  78. 

Job.,  Möncb  433. 

Job.  XXII.  107. 

John  283,  304. 

Jomelli  139,  174,  213,  216. 

Jonciere  318. 

Josef  I.  227,  229. 

-   II.  175. 
Jobner  47,  58. 
Job.  V.  Burgund  107  f. 
Jones  15. 

g    gßY 

Joss  274  f.,  278. 
Judenkunig  153. 
Julius  III.  132. 
Jullien  290. 
Juon  352. 
Jurjan  352. 

Kaän  332,  360,  409. 

Kade    147,    112,    123,    127,    141, 

^- 148,  157  f.,  362  f. 

Kaempfert  356. 

Kabn  343  f. 

KaHdasa  15. 

Kalafati  352. 

Kalbeck  309. 

Käldey  333. 

Kalischer  241  f. 

Kallinikow  352. 

Kalkbrenner  244. 

Kalliwoda  255. 

Kalniug  352. 

Kamienski  326. 

Kajauus  353. 

Karpath  300. 

Karpow  352. 

Kaskerl  343. 

Kapsberger  164, 

Karl  d.  Gr.  60. 

—  IV.  78. 

—  d.  Kühne  117. 

—  VII.  117. 

—  IX.  143,  145. 
Karlüwicz  352 
Kaufmann  245. 
Kaufimann  315. 
Kauer  229. 

Kann  343  f. 


Keiser  177,  194,  198. 

Keler-Bela  333. 

Keller  306,  315,  363. 

Kelley  337. 

Kempter  309. 

Kerll  206,  166. 

Kerner  275. 

Kerst  242,  278. 

Keußler  352. 

Kiel  254  f. 

Kienle  46,  48,  57. 

Kienzl  306  f.,   182,  294,  298,  300, 
363. 

Kiesewetter   12,   36,   39,    64,    70, 
97,  102,  106,  173,  213  362  f 

Kietz  300. 

Kiuesias  33. 

Kind  263. 
Kinsky  235  f. 
Kippius  322. 
Kircher  34,  8,  27. 
Kirch!  357  f 
Kirchner  283. 
Kirnberger  50,  190. 
Kirsch  332. 
Kistler  306,  239,  294. 
Kittl  304. 
Kitzler  312. 
Kjerulf  335. 
Klatte  240,  253. 
Klauwell  183,  360. 
Kleefeld  258,  317. 
Kleber  64. 
Klein  244. 
Kleinecke  264. 
Kiengel  404. 
Kleonides  27. 
Klic-ka  332. 
Klindworth  360'. 
Klinger  243,  294. 
Klob  268,  436. 
Klopstock  267. 
Klose  343. 
Kloss  301. 
Klughardt  308. 
Knittl  332. 
Knosp  350,  433. 
Knorr  325,  277. 
Knüpfer  198. 
Koch  E.  E    362. 


Personenregister. 


465 


Koch  H.  C.  16H. 

—  Friedr.  343. 

—  Max  300. 
Köchel  233,  176,  2-il. 
Koczirz  435. 
Kögler  436. 

Köhler  158,  253. 
Kohut  258  f.,  267,  300. 
Koller  S3,  113. 
Koraorzynski  230,  249. 
Konfuciiis  16,  20. 
König  341,  359. 
Köunemann  343. 
Kontsky  326. 
Kopfermann  234. 
Kornmüller  76. 
Korinna  30. 
Koschat  357  f. 
Köstlin  363. 

Kothe  Bernh.  384  f ,  70. 
—       Rob.  152. 
Kovarovic  332. 
Kozeluch  243,  198,  228. 
Kraus  Dr.  E.  328. 
Ki-ause   E     176,    309,    360, 
409. 

—  K.  C.  F.  158. 
Krebs  217. 

Kreißle  253. 

Kreitner  16. 

Krejcy  F.  V.  328,  330. 

Kremser  254,  281,  357,  359. 

Kretschmer  306,  436. 

Kretzschmar  364.  172,    253, 

360  f. 
Kreutzer  K.  268. 
—        R.  236. 
Krexos  33. 
Krieger  178,  250. 
Krizovsky  328. 
Kronseder  254. 
Kroyer  122,  125. 
Krug  308 
Kruse  268. 
Ktesibios  29. 
Kücken,  287,  253. 
Kuhnau  185,  206,  239. 
Kühner  278. 
Kuhns  360,  393. 
Kulenkampff  344. 

Kothe-Prochiizka,  Abriß 


Kullak  231,  282,  360,  365. 
Kundmann  253. 
Kuntsch  278. 
Kunz  246. 
Kurpinski  326. 


Labitzky  281. 
Laborde  89,  104. 
Lachner  254,  247,  331. 
Lacombe  317. 
Laffage  103. 
Lalo  392,  294,  317. 
Lambert  351. 
Lambillotte  48,  61, 
Lampadius  272. 
Lampe  344. 
Laueret  153. 
Landau  357. 
Lauge  281. 

—     -Müller  336. 
de—     320. 
Langer  262. 

Langhans  45,  186,  272,  280,  363. 
Landi  140. 
404,       Landino  117,  120,  435. 
Landshoff  251. 
Launer  281,  240. 
Lanvi  348. 
La  kue  118. 
Lasalle  267. 
Laser  334. 
Lasos  30,  262. 
Lassen  307,  294. 
283,       Lasso  142—5,  131,  139,  148,  155, 

157,  161  f.,  365. 
Lattre  s.  Lasso. 
Laurencin  350. 
Lauska  404,  266. 
Lazarri  307. 
Lazarus  343. 
Leclair  187. 
Lecocq  319. 
Lederer  106,  7,  70,  79  flf.,  98, 107  flf., 

llltr.,  127,  149  f.,  156,  177,301, 

328,  356,  362. 
Lees  180. 

Legrenzi  166  f..  187,  192. 
Lehär  348. 

Leichtentritt  177,  280,  342,  434  f. 
Lejeune  149. 

d,  Musikgeschichte.    8.  Aufl.  29 


466 


Personenregister. 


Lemberg  149. 

Le  Maistre  123. 

Lenau  7,  275,  284,  286. 

Lenz  242. 

Leo  139,  173,  435. 

Leoucavallo  349. 

Leopold  L  172,  175. 

Leroiix  351. 

Lesueur  291,  107,  288. 

Leu  334. 

Levy  G.  300. 
—     H.  .305. 

Leyen  309. 

Lichnowsky  234. 

Lichtenstein  265. 

Lilleucron  R.  v.  125,  185,  357. 

Limbert  353. 

Lindner  175,  177,  362. 

Lindpaiutner  287. 

Lipsius  s.  la  Mara. 

Liszt  292  ff.,  58,  104,  182,  205,  207, 
226,  240,  245,  247,  249,  253, 
280,  28.5,  287  flf.,  291,  .300  f., 
304,  317,  323,  365,  395,  407  f, 
384. 

LitolfF  318,  362. 

Litzmanu  278. 

Livius  Andronlkus  40. 

Ljadow  325. 

Ljapiinow  325. 

Lob ko Witz  235  f. 

Lobo  142 

Locatelli  218. 

Loewe  255  f.,  298,  315. 

Logi  158. 

Logroscino  141,  173. 

Lohmann  305. 

Longo  350. 

Lorentz  308. 

Lorenz  F    233,  436. 

Loret  12. 

Lortzing  268,  232,  263. 

Lotti  192,  1(J7,  194,  198. 

Louis  343,  290,  295,  307,  314. 

Löwe  314. 

Lowtzky  352. 

Lubrich  344,  224,  359,  385,  362, 
384.  430  f. 

Lück  157. 

Lückhotf  246. 


Ludwig  V.  Bay.  124. 

—  V.  Hessen  262. 

—  I.  145. 

—  IL  298  ff. 

—  Ernst  346. 
Lugert  333. 

LuUy  178  ff.,  172  f.,  184,  262. 

Lünemann  207. 

Lussy  360. 

Luther  119,  124,  126,  131,  425. 

Lüttgendorf  154. 

Luythou  145. 

Lwoff  323. 

Lyra  287. 

Macfarren  336. 

Machault  78. 

Mackenzie  336,  327. 

Mahboübeh  103. 

Mahmud  Schirasi  99. 

Mahler  344  ff.,  7,  263  f.,  289,  BIS  f., 

327. 
Maier  150. 
Malat  331. 
Maldeghems  147. 
Makler  217. 
Malherbe  180,  290. 
Mailing  336. 

Mandyczewski  192,  224,  253  f. 
Manen  392. 
Mangold  284. 
Mann  150. 
Mantuani  129,  145. 
La  Mara  291,  243,  265,  290,  294  f. 
Marais  187. 
Marcello  192,  163. 
Marcellus  133. 
Marcliand  200. 
Marcbettus  73,  77. 
Marenzio  138  f.,  155. 
Maresehal  278. 
Marie  Antoinette  212,  226. 
Marini  185. 
Maron  17. 
Marpurg  190. 
Marschner  F.  333. 

—        H.  264  ff".,  182,232,  296. 
jMarsop  356. 
Martini  192,  6?,  226. 
Martin  le  Franc  110,  117. 


P  ersonenregister. 


467 


Martin  y  Soler  258,  280. 

Martucci  321. 

Marx  214,  242,  282,  359. 

Masca^i  .■j48. 

Masse  319. 

Massenet  317. 

Materua  30n. 

Mattbesou    177,    1«5,    187,    190  f., 

222. 
Matthissou  152. 
Matthison-Hansen  336. 
Maiirus,  Abt,  433. 
Maximilian  I.  124,  127. 

—  II.  145. 
Mayer  81. 
Mayer-Keray  332. 
Maylor  353. 
M.iyor  334. 
Mayr  259 

Mayrhoter  170,  247. 
Mazarin  178. 
Mazzochi  75. 
Mehul  214,  58. 
Meinardus  284. 
Meister  3<j2. 
Melannipides  33. 
Melcer  352. 
Melling  353. 
Mendel  2*57  f. 
Mendelssohn  A.  307. 

—  F.  269  ff.,  32,  58,96, 
107,  133,  167,  202,204  f.,  228, 
239,  247,  251,  264,  26G,  275  ff, 
281  f.,   285,  297,  300,  304,  334. 

Mennieke  215. 
Mensch  242. 
Mercadante  258,  320. 
Merian  354,  363. 
Merula  187. 
Merulo  122. 
Mesoraedes  34. 
Messager  319. 
Metastasio  213. 
Metra  281. 
Metzdorff  311. 
Metzner  233. 
Mey  3,  85,  294. 
Meyer  97,  191. 

Meyerbeer  266  ff.,   259,   261,  264, 
280,  296  f.,  300. 


Meyer-Hellmiind  287. 

Michael  149,  435. 

Michelangelo  6,  134,  289,  315 

Mielich  131. 

Mihalovich  334. 

Mikhail  Meshäkah  102. 

Mikorey  344. 

Mikiili  280. 

Milan  153. 

Millöcker  315,  240. 

Mirow  233.  • 

Minis  295. 

Missa  351. 

Mitterer  145. 

Mittmann  344. 

Mübiiis  278. 

Mocquereaii  48,  59. 

Mohaupt  333. 

Möhring  3.58. 

Mojsisovics  348. 

Moißl  148,  8,  126,  238,   327,  346, 
388,  436. 

Molique  391. 

Molitor  46,  .59,  128  f.,  137,  255. 

]\Ii)mbert  343. 

Monaldi  321. 

Moniuszko  326. 

Monn  435. 

Monsigny  180. 

de  Monte  145  ff. 

Monteverdi  168—71,  179. 

Moor  347. 

Morales  123,  133,  142. 

Morelot  113. 

Morgan  80. 

Mörike  309,  314. 

Morin  47.. 

Morley  150. 

Morold  347. 

Morpbv  153. 

Moscheies  406,  244,  269,  273,  318. 

Mosonyi  333. 

^loszkowski  407,  326. 

Motta  353,  408  f. 

Mottl  305,  205,  232. 

Mouton  111,  119  f. 

Mozart  Konstanze  228,  260. 
—       W.  A.   226  ff'.,    7,   29,   58, 
103  f.,    115,  139,  144,  158,  172, 
178,  181,  188,  198,  204  f.,   214, 

29* 


468 


Personeuregister. 


216-220,  222,  225,  234,  236, 
239,  241,  243  ff.,  246,  251  ft., 
255—59,  261  f.,  264,  280,  284, 
286,  299,  303,  308,  343,  365, 
436. 
Mozart  W.  A.  Sohn  234. 

—  Leop.  217,  226. 
Muffat  184,  198, 
Mubamed  99. 
Mühlfeld  355. 

Mülich  V.  Prag  83. 
Müller  Ad.  240. 

—  Dr.  17,  68 

—  -Eichholz  309. 

—  P.  315. 
MüUcr-Keuter  342. 
Müller  W.  230,  298. 
Münzer  265,  300,  434,  437. 
Munzinger  309. 

Muris  77,  109. 
Mussorgski  323,  32. 
Mysliweczek  217  f. 

Nägeli  357,  411. 

Nanini  138  f. 

Napoleon  107,  236,  291. 

Naprawnik  325. 

Nareda  14,  19. 

Naryanz  153. 

Naumann  Emil  12,  300,  363. 

—       I.  G.  176. 
Natorp  67. 
Natter  224. 
Nedbal  347. 
Neefe  234,  250. 
Neff  343. 
Neithart  271. 
Neitzel  317. 
Nejedly  327,  434. 
Neri  137,  165,  186. 
Nero  39. 
Neruda  328. 
Neßler  308. 
Nesvera  331. 
Neukomm  243. 
Neumaun  Angelo  301. 
Neuwirth  61. 
Nicüdö  307  f.,  313  f. 
Niebuhr  103. 
Niecks  280,  360. 


Nielsen  352. 

Niemann  354,  74,   336,   342,   352, 

363. 
Niemetschek  233. 
Nietzsche  303,  7,  343. 
Niggli  253,  283  f.,  289. 
Nigrini  147. 
Nikisch  205. 
Nikolai  268,  264,  271. 
Nisard  48. 
Nissen  228,  233. 
Nohl   224,   233,   241  f.,   265,   295, 

300. 
Nordraak  334. 
Noreu  344. 
Norliud  183,  335. 
Norniann  335. 
NoskoAvski  326. 
Notker  49  f.,  60. 
Nottebohm  233,  242,  253. 
Novalis  301. 
Noväk  347. 
Nowakowski  326. 
Nowowiejski  352. 


Obaida  103. 

Obrist  295. 

Ochs  356,  360. 

Ockenheim,  Okeghem  117  f. 

Odington  106. 

Oelschlegel  333. 

üesterlein  300  f. 

Offenbach  319,  315. 

Ondiicek  332. 

Oiislow  405. 

Opitz  175. 

Orologio  147. 

Orpheus  19,  35,  45. 

Osiria  19. 

Ossiau  107 

Osterwald  286. 

Osterzee  337. 

Ostrcil  347. 

Oswald  V.  Wolkensteiu^SS. 

Otliegraven  344. 

Ott  125.  127  f. 

Otto  Jul.  357. 

—     Valerius  146. 
Ouscley  15 


Personenregister. 


469 


Paccini  320. 

Pachelbel  186,  199,  205. 

Paderewski  326. 

Padre  boenao  207. 

Paer  258,  292. 

Paganini  390  f.,  311,  408. 

Paisiello  258,  229,  291. 

Palestrina  132—9,  H,  75,  95,  111, 

119,  122  f.,  127,  142,  145,  155  f., 

157,  161  f.,    165,  176,  191,  225, 

;565. 
Paminger  123  ff. 
Panum  110. 
Parisot  104. 
Pasqiic  262. 
Pasquini  186. 
Paiier  158,  360. 
Paul  IV.  133. 

—     0.  36,  70. 
Pauli  309. 
Paulus  Apostel  40. 
Paumann  154. 
Pazaurek  327. 
Pazdirek  363. 
Pedrell  138,  142,  337. 
Peine  337. 
Pelletan  214. 
Pembaur  307,  359. 
Perez  142. 
Perger  225,  309. 
Pergolese  119,  174,  187,  217  f. 
Peri  161  ff.,  170,  175,  179. 
Perikles  33. 
Perinello  321. 
Perne  434. 
Perosi  350. 
Perrin  178. 
Petelin  145. 
Peters  Gu.  348. 

—      Verlag  362. 
Peterson-Berger  353. 
Petit  280. 

Petrarka  78,  117,  157, 
Petrucci  129,  151. 
Peurl  183. 
Pevernage  149. 
Pfeiffer  234,  272. 
Pfitzuer  342,  7,  263,  344,  437. 
Pfohl  344. 
Pfordten  300. 


Philipp  d.  Schöne  124. 
Philipp  II.  137. 
Philoxenos  33. 
Phrynis  33. 
Piccini  212. 
Picka  847. 
Piel  359. 
Pierne  351. 
Pierre  d"  Ailly  108. 
Piesendel  185. 
Piggot  18. 
Pilichowski  281. 
Pindar  30,  34. 
Piovano  173. 
Pirro  167,  435. 
Pitoni  192. 
Piu8  IV.  133  f. 

—  IX.  138. 

—  X.  57,  137. 
Pizzi  349,  321. 
Planche  264. 

Planer  Minna  296,  300. 

Planquette  319. 

Platania  320. 

Plato  20,  33,  37. 

Platzbecker  344. 

Plautus  40,  320. 

l'leyel  243. 

Piinius  41. 

Plüddemann  315. 

Plutarch  33. 

Pogoiew  352. 

Pohl  224,  233,  290,  295,  301,  363. 

Polko  273. 

Polyeidoa  33. 

Pouimer  333,  357. 

Ponchielli  321. 

Popper  333,  355. 

Porges  305. 

Porpora  174,  187,  218,  221. 

Porta  122. 

Pothier  57,  48,  104. 

Pougin  259,  214,  267  f.,  319,  363. 

Power  112. 

Praetorius   Ernst  120,   126,   189  f. 

—        Mich.  148  f,  175. 
Preindl  115. 
Preiss  267. 
Prelinger  241. 
de  Pres  118  f.,  120,  128,  162. 


470 


Personenregister. 


Preyer  240. 
Prieger  436. 
Proch  287. 
Prochäzka  L.  381. 

—        R.  V.  346,  205,  207,  229, 

273,  281,  284,  287,  315,  344. 
Prokop  347. 
Proksch  303,  207. 
Prosdocimus  112. 
Proske  155  f.,   79,    136,    139    143, 

146,  165,  362. 
Prosnitz  363,  157. 
Proudhorame  290. 
Prout  361. 
Prüfer  192. 
Puccini  349. 
Puuto  236. 

Purcell  180,  150,  187,  195. 
Pythagoras  8,  12,  26  f.,  35. 
Ptolemäus  27,  34. 

Quittard  166. 

Rabl  348,  124. 

Kachel  37. 

Rachmaninow  352. 

Racine  271. 

Radecke  284. 

Radoux  180. 

Radowitz  203. 

Radziwill  294. 

Raff  304,  2.i4,  294  f. 

Raffael  6,  87,  134,  136,  241. 

Raillard  48. 

Rainer  Erzherzog  35. 

Ramaun  294. 

Rameau  178  ff.,  69,  190,  211,  219, 

226. 
Ramos  116. 
Raudhartiuger  248. 
Rappoltstein  86. 
Rasse  251. 
Rasumowsky  236. 
Rautenstrauch  126. 
Raynaud  81. 
Reber  291. 
Rebikow  352. 
Reger  341  f.,   207,  239,   255,  287, 

311,  344,  358  f.,  384. 
Regis  117. 


Regnard  145  ft". 

Reicha  243,  288,  292. 

Reichardt  251. 

Reifuer  346. 

Reimanu  41,  309,  437. 

Reinach  35. 

Reinecke  284,  233,  242. 

Reiner  148. 

Reinhardt  348. 

Reinick  275. 

Reinken  199. 

Reinthaler  282. 

Reissiger  287. 

Reissmaun  253,  265,  278,  362,  365. 

Reiter  347. 

Reuss  Ed.  294  f. 

—  Fürst  338. 
Reutter  435. 
Rcver  317. 
Reyser  129. 
Reznicek  305. 

Rheinberger  255,  58,  207,  311. 
Richter  B.  I.  198. 

—  E.  F.  242,  359. 

—  F.  X.  217. 

—  Hans  305,  205,  329. 

—  -Sulc  331. 
Rie  332. 

Riedel  138,  166  f. 

Rieger  126. 

Riehl  223,  243,  280. 

Riehm  246. 

Rieraann  Hugo  363  f.,  5,  12, 14.  17, 
19, 21, 24-27, 29  f.,  34f.,  38  f.,  41, 
55,  61,  61,  68,  72,  76,  79,  83,  102, 
105f..  Ulf.,  114,  116,  123,  127, 
129,  138,  141,  151,  156  f.,  179, 
182 f.,  204,  207,  215-8,  220, 
240,  242,  262,  267,  283,  354, 
362,  433  f. 
—         Ludw.  19. 

Ries  Ferd.  242. 
—    Franz  284. 

Rietsch  346,  83,    184,  360  t.,   363, 
365,  405. 

Rietschel  265. 

Rietz  282,  233,  242,  272  f. 

Righini  258. 

Rimsky-Korssatow  323. 

Riuuccini  161 1. 


Personenregister. 


471 


Kisse  253. 
Ritter  Alex.  305. 

-  A.  G.  189. 

—  H.  251. 
Robert  257. 
Rubitschek  346. 

Rochlitz  241,  143,   157,    163,  362. 
Röckcl  3ÜÜ. 
Rode  246. 
Rolland  178,  318. 
Roraanus  60. 
Romberg  244. 
de  Rore  122,  154,  171. 
Rösch  341. 
Rosenblüt  .S."). 
Rosenmüller  192,  183. 
Rossi  C.  349. 
—      L.  320. 

Rossini  2.57  ff.,  119,  237,  266,  32(». 
Rotli  409. 
Rouanet  100. 
Roiiget  de  1'  Isle  37. 
Rousseau  .58,  67,  l^iOf,,  212. 
Rozkoscliny  331. 
Rozsavülgyi  332. 
Rubens  87. 
Kubin  13. 
Rubinstein  Ant.  321  ff.,    203,  232, 

267,  287,  316. 
—         Nie.  321. 
Rückauf  315. 
Rüekbeil  394. 
Rückert  275. 
Rudolf  II    145  f. 

—      Erzherzog  236,  241. 
Rudorff  284,  233,  265. 
Rufer  306 

Runge  83,  85,  97,  434. 
Rungenhagen  271. 
Runze  256. 
Rychnovsky  304,  125  f.,  233,344, 

"360. 
Ryelandt  351. 


Sabbatini  226. 
Sacchini  174  f., 
Sachs  7,  85. 
Sacks  352. 
Sacrati  435. 
Sagittarius  167. 


187,  218. 


Saint-Saens  316  ff.,  93,   100,   120, 

180,  214,  239,  338. 
Salieri  258,  236,  247,  292. 
Salomon  222. 
Samara  349. 

Sammartini  210,  218,  226. 
Samter  149. 
Sandberger    343,    143,    147,    175, 

187  f.,  224. 
Sander  285. 
Sannemann  158. 
Sappho  28,  30. 
Saran  83.  286  f. 
Sarti  256. 
Sax  245. 
Scandelli  167. 
Scarlatti  166,  172,  1^5,  191,  194, 

197,  210. 
Schachleiter  384. 
Schack  103. 
Schäfer  428,  308,  353. 
Schäffer  428,  205,  287. 
Schalk  314. 
Schaper  256. 

Scharwenka  407,  326,  360. 
Schebor  328. 
Scheffel  61. 
Scheibe  184. 
Scheibler  253. 
Scheidler  154. 
Scheidt  186,  192,  381. 
Schein  175,  183,  192. 
Scheinptiug  344. 
Schelle  198. 
Schemann  300. 
Schenk  178,  229,  236. 
Schering  165,  185,  345. 
Scherrer  152,  252. 
Scheumann  357. 
Schiedermair  213,  345. 
Schiedermaier  259. 
Schiedmayer  246. 
Schikaneder  229. 
Schiller  7,  343. 
Schilling  300. 

Schillings  343  f.,  32,  86,  294,  306. 
Schindler  242. 
Schjelderup  352,  334. 
Schlecht  48,  56,  128,  154. 
Schletterer  86,  158,  260. 


472 


Personenregister. 


Schlick  153  f. 
Schlögcr  435. 
Schmid  A.  214,  224. 

—  A.  W.  193. 

—  H.  177. 

—  0.  207  f.,  225. 
Schraidkunz  361. 
Schmied  Ign.  300. 
Schmidt  H.  352. 

—  L,  224,  341,  437. 
Schmitt  234. 

Schmitz  260,  315,  363. 

Schnabel  244. 

Schneider  F.  244,  272,  285,  357. 

—  H.  357. 

—  L.  278. 
Schnorr  v.  Carolsfeld  85. 
Schnyder  223. 
Schober  247. 
Schöberlein  143,  157. 
Schoek  351. 
Scholauder  152. 
Schölcher  198. 

Scholtz  H.  280. 

Scholz  B.  283. 

Sehönberg  348. 

Schöne  241. 

Schopenhauer  7,  301. 

Schott  300. 

Schrader  198,  272,  343,  363. 

Schreck  308,  434. 

Schröder  B.  268. 

.     —        H.  360. 

—  L.  V.  101. 

Schubert  F.  246ff ,  7, 17, 104,  228, 
239  f.,  241,  256,  268,  273,  275  f., 
279  ff.,  285  f.,  314  f. 

—  G.  229. 

Schubiger  48,  61,  63,  86,  96,  128, 

362. 
Schubring  273. 
Schuch  305. 
Schacht  267. 
Schüller  346. 
Schulteis  85. 
Schultz  61. 
Schnitze  224,  253. 
Schulz  250. 
Schulz-Beuthen  307. 
Schulze  M.  317. 


Schumann  Clara  275,  278,  283. 

—  Georg  343. 

—  Rob.  273  ff.,  7, 115, 174, 
182,  203,  238  f.,  247,  249,  251, 
253, 256, 263  f.,  271,  280 f.,  283  ff.. 
288,  290,  294,  304,  309  f.,  315  f., 
323. 

Schunke  277. 

Schuster,  Dr.  287,  403. 

Schütky  332. 

Schutt  314. 

Schütz  H.  166  ft'.,  140  f.,  148.  175, 

192,  200. 

—      Rud.  359. 
Schüz  360,  3,  364. 
Schwabe  300. 
Schwanthaler  233. 
Schwartz  R.  116,  147  f.,  362. 
Schwarz  M.  204. 
Schweitzer  384,  203. 
Schwerin  290. 
Schwind  247. 
Schytte  336. 
Scott  Ch.  K.  150. 

—  W.  344. 
Scriabine  352. 
Scribe  266. 
Sebastiani  201. 

Sechter  303,  207,  240,  812,  359. 
Seebach-Niemann  274. 
Seeling  284. 
Segert  2071"., 
Segnitz  284. 
Seidl  Ant.  305. 

—  Dr.  359,  300,  302,  363. 
Seifert  384,  410. 

Seiffert  206,  155,  198,  363. 

Seiss  224. 

Sekles  344. 

Selmer  335. 

Senfl  123  ff.,  128. 

Senefelder  129. 

Senesino  196 

Sergius  I.  42. 

Sero  ff  323. 

Sevcik  332. 

Severi.  76. 

Sevdler  57,  243. 

Sevftardt  308. 

Seyfried  242. 


Personenregister. 


473 


Sgambati  321. 

Shakespeare  150,  149  f.,  180,  3,  7, 
27,  3S,  106,  271,  288,  296,  805. 
Sibeliiis  353,  358. 
Sieraering  243. 
Sigisraund  Kaiser  107,  156. 
Sucher  359. 
Simon  237,  277. 
Simonides  30. 
Simrock  309,  329. 
Sinding  335. 
Singer  0.  288 

—  Pater  246. 
Sinigaglia  350 
Sirenen  15,  19. 
Sittard  86,  384. 
SLxtus  I.  42. 

—  IV.  134. 
Sjögren  336. 
Skraup  328. 
Skuhersky  328. 
Smareglia  321. 

Sraetana  326  ff.,  330  f.,  346,  406. 

Smith  337. 

Sokolovsky  21. 

Solöwiew  325. 

Somborn  121. 

Sommer  307. 

Sonneck  837. 

Sonnleithncr  247. 

Sophokles  31,  156,  271,  306. 

Sorge  190. 

Soriano  137,  139,  155. 

Sonbies  322. 

Souhaitty  67. 

Souaa  337. 

Spann  247. 

Spencer  4. 

Specht  345. 

Spengel  308. 

Sperontes  250. 

Spinaccino  153. 

SpinelU  349. 

Spitta    205,    167,    183,    203,    233, 

278,  363,  365. 
Spohr  259  f.,  262,  266,  272. 
Spontini  256  ff.,  290. 
Spörr  348. 

Springer  M.  50,  55,  58,  384. 
H.  129. 


Ssaffiediu  99. 
Staden  175. 
Stadler  243. 
Stainer  Jac.  387. 

—  John  114. 
Stamitz  A    217. 

—  I.  214  ff.,  184,  186  f.,  2(14, 
207,  245,  365. 

—  K.  217. 
Stanford  336,  32,  361. 
Starke  360. 

Starzer  435. 

Stassow  324. 

Statkowski  352. 

Stecker  332,  125,  364,  437. 

Steffan  251. 

Steffani  187,  178,  195. 

Steger  300. 

Stehle  238. 

Stein  8,  344. 

Steinbach  305,  360. 

Steiner  297. 

—  -Schweizer  308. 
Stelzuer  388. 
Stenhammar  353. 
Stern  (Konserv.)  282. 
Sternfeld  239,  30(». 
Steuer  360. 

Stich  236. 

Stieglitz  365. 

Stiehl  283. 

Stojowski  352. 

Stülzel  G.  H.  178,  185,  193. 

Stolzer  123. 

Storck  354,  233,  242  f.,  363. 

Stradal  346,  198,  203 f,  314,  417. 

Stradella  166,  198. 

Stranskv  346. 

Straus  (J.  348. 

Strauß  Job.  315  f.,  281,  239  f.,  319. 

—  Josef  281. 

—  Rieh.  340  f.,  7,  101,  175, 
207,  212,  232,  240,  245,  287, 
289  f.,  302,  306,  311,  344  f.,  355, 
357  f.,  364. 

Streicher  346,  344,  357,  398. 
Strepponi  321. 
Strungk  178 
Stucken  353. 
Stümcke  325. 


474 


Personenregister. 


Sucher  305. 

Suk  347. 

Sullivan  336. 

Sulzer  14. 

Suppe  315,  240. 

Suriano  s    Sorlano. 

Surzynsky  149. 

Süßmayer  231. 

Suter  351. 

Svendsen  335. 

Svoboda  4,   10,    12,    16,    17,  39, 

154,  363. 
Sweelinck  186,  95,  201. 
Swieten  235. 
Sychra  347. 
Sylvester  Papst  42. 
Szadek  149. 

Tallia  150. 

Tanejew  325. 

Tapissier  117. 

Tappert  303,  37,  68,  82.  153  f. 

Tartini  185,  207. 

Taubert  0.  175. 

—  W.  287. 
Tausig  409,  295. 
Taylor  198. 
Teibler  333. 

Telemann  177  f.,    181  f.,    187,  190, 

218. 
Terborch  153. 
Terpander  25,  29,  35. 
Teschner  148. 
Thayer  242,  363. 
Theile  177. 

Theodorich  König  36,  44. 
Thern  333. 
Thespis  31. 
Thibaut  König  82. 

—  Prof.  135,  143,  362. 
Thienel  224 

Thierfelder  34. 
Thieriot  311. 
Thiessen  263,  342. 
Thomas  v.  Aquin  50. 
Thoraas  A.  316. 

-     W.  309,  361,  365. 
Thomassin  437. 
Thuille  307,  255,  343. 
Thürlings  125. 


I   Tieflfenbrucker  170  f. 
I   Tiersot  82,  214,  209. 
;   Tilgner  228,  233,  314. 
j   Timotheos  33. 

Tiactoris  109,  111. 

Tinel  320. 
I   Tiniakow  352. 
I  Tisias  30. 
I   Tobias  352. 

Toeschi  218. 
,   Tolstoi  437. 

Tomaschek  303 f..  277. 
:   Torchi  175,  188. 
!   Torelli  185. 
j   Trautmann  96. 
!   Trnecek  331. 
I   Tromboncino  116. 
'   Tsay-Yu  17. 

I   Tschaikowsky    324  f.,     228,     232, 
j       299,  316. 
I    Tscherepnin  352. 

Turaa  207  f. 
I   Türk  208,  255. 
I   Turnovsky  125. 
j   Tutilo  60. 

Tyrtäos  35. 

i   Ugolini  139. 
Uhl  332. 
Uhlig  300,  3U3. 
Uiibischeft'  233. 
Ulrich  231. 
Ulympos  25,  29. 
Uphues  268. 
Urban  VIII.  164. 
Urio  198, 
Urspruch  .308. 

Valderabano  153. 
Valentini  140. 
Valotti  226. 
Vancsa  240,  253. 
Vavrinecz  334. 
Vecchi  141,  155,  297. 
Veit  283. 

Venanco  Fortunat  80. 
Venosa  141,  171. 
Veracini  187. 
Verdelot  121. 
Verdi  320  ö.,  316. 


Personenregister. 


475 


Vergil  39. 

Verhulst  283. 

Veiuvlo  129 

Verzino  258. 

Vetter  198. 

Viadana  164  f.,  121,  139,  155. 

Vicentino  122,  171 

Vidal  351. 

Vieille  436. 

Vierling  255. 

Villetart  59. 

Villoteau  12. 

Vincent  7. 

Vinci  174. 

Virdung  93,  87,  90. 

Vitali  185 

Vitellozzi  133. 

Vittoria  95,  1.38,  141  f.,  155.   157. 

Vitry  8,  27,  77. 

Vivaldi  18ö. 

Vogel  171,  262,  283. 

Vogl  248. 

Vogler  Abt.  260  ft".,  239,  246. 

Voifft  273. 

Volbach  198,  321. 

Volkmann  H.  242,  283. 

—        Rob.  283. 
Voss  258,  316  f. 
Vreuls  351. 

Wackernagel  362. 
Waelrant  67. 
Wagenaar  353. 
Wagener  17. 
Wagenseil  435. 
Wagner  Cosima  295,  302. 

—  F.  243. 

—  H    358. 

—  Peter  57,  43,  48. 

—  Rieh.  296ff.,  6,  7,  83f.,  107, 
136,  1.Ö8,  206  f,  213,  220,  227, 
232,  237,  239,  243  ft',  247,  2.58, 
260,  263  ff.,  266  tt".,  277,  285, 
289,  291—304,  309,  311,  313, 
315,  320,  323,  3G5. 

—  Siegfried  300,   302,  306. 
Waldersee  233. 

Waldner  124. 
Waldstein  235. 
Waldteufel  281. 


Wallace  336. 
Wallaschek  8. 
Wallnöfer  307. 
Walsh  129. 
Walter  G.  254. 

—  J.  229. 

—  K.  384,  46,  62,  129. 
Walther  v.  d.  Vogehveide  83. 
Wanderer  341. 
Wangemann  165. 

Wanhal  24'.. 

Wasielewski    86,    153,    184,    218, 

277  f. 
Weber  B.  A.  266. 

—  B.  Chr.  206. 

—  CM  V.  260  ff.,  17,100,104, 
232,  247,  25.S,  256,  266,  268, 
272  f,  2S0,  290,  296,  298  f.,  434. 

—  C.  Jul    10. 

—  F.  Dionys  303  f. 

—  G.  261,  309. 

—  K.  V.  263. 

—  M.  331. 

—  M.  M.  265. 

—  W.  350,  436.- 
Wegeier  242. 
Wegelins  353. 
Weigl  B.  353. 

—  J.  178,  229. 

—  Dr.  304. 
Weil  35. 
Weimarn  323. 
Weinberger  348. 
Weingartner    347,    32,    290,    294, 

302,  o06,  344. 
Weinlig  296. 
Weinwurm  359. 
Weinzlerl  315,  333,  359. 
Weinmann  125. 
Weiß  F.  W.  251. 

—  K.  332. 

—  S.  153. 
Weißmann  317. 
Weitzmann  206,  359. 
Wellek  328. 

Welti  213  f. 
Werckmeister  190. 
Werner  126. 
Werra  147,  206. 
Wesendonk  300. 


476 


Personenregister. 


Wesselak  155. 

Wessely  35. 

Westphal  20,  27,  362. 

Wewertem  87. 

Wevr  309. 

Widor  384,  41,  58,  290,  31«. 

Wieck  273  ff,  277,  283. 

Wieniawski  326. 

Wibtol  352. 

Wilde  341. 

Wilhelm  79,  106. 

—  I.  Kaiser  299. 

—  IL  Kaiser  357. 
Willaert  120,  154,  171. 
Wille  300- 

Willner  346. 
Wilm  283. 
Winding  336. 
Winfried  60. 
Wiukler  352,  242. 
Winter-Bertelli  411. 

—  G.  252. 

—  P.  V.  244,  418. 
Winterfeld  202,  136,  140,  158,  362. 
de  Wit  158. 

Witasek  303. 

de  Witt  136,  157,  362. 

Witt  F.  X   359. 

Wittgenstein  290,  295. 

Witting  38,  150. 

Wittmann  257,  263,  265,  268. 

Wyatt  47. 

Wohl  295. 

Wohlfahrt  435. 

Wohlgemuth  361. 

Wolf  E.  W.  251. 

—  Ferd.    81. 

—  -Ferrari  350. 

—  Hugo   314  f,   240,   252,  287, 
305,  342. 

—  Job.  72,  78,  124,  435. 
Wolff  Dr.  273,  436. 

—  V.  343. 

Wolfram  v.  Eschenbach  83. 


Wolfram  203,  307,  356,  884,  429. 

Wolzogen  300  flf.,  361. 

Wotquenne  180,  214. 

Wottava  332. 

Woyrsch  347. 

Wouters  180. 

Wranitzky  264. 

Wuerst  283. 

Wulffius  352. 

WüUner  F.  264. 

Wurm  337. 

Wuthmaun  360. 

Zabel  322. 

Zacconi  149. 

Zach  207 f, 

Zachau  194. 

Zahn  362. 

Zamrainer  88,  360. 

Zarlino  122  f.,  179,  226. 

Zarzycki  326. 

Zeelandia  109. 

Zelenka  192. 

Zelenski  326. 

Zeller  315. 

Zellner  284. 

Zelter  251,  203,  254,  269,  357. 

Zemlinsky  348. 

Zenger  214. 

Zepler  307. 

Zeuxis  32. 

Zicby  334. 

Zielensky  149. 

Zimay  333. 

Zingarelli  258,  224. 

Zoilo  136. 

Zola  317,  332,  437. 

Zöllner  307,  294. 

Zolotarew  352. 

Zubatky  330. 

Zumbusch  243. 

Zumsteeg  251,  256,  357. 

Zvonar  406. 

Zywny  279. 


Sachregister. 


477 


B.  Sachregister. 


Abendmusik  223. 

Abgesang  84. 

Absolute  Musik  239,  182. 

Absolutes  Gehör  8. 

a  capella  (Stil)  127,  135,  138,  140, 

157. 
Accentus  55. 
Accidenzien  110,  153. 
Adagio  219,  314. 
Adiaphon  4fX). 
Aeolisch  23  f,  51. 
Aeoline,  Aeolodikon  245. 
Aesthetik  (der  Musik)  5,  101,  106. 

240,  303;  352,  359  f. 
Accompagnato  172. 
Agon  30. 
Airs  ä  deu.x  IST. 
Akkonipagnement  s.  Begleitung. 
Akkord  111. 
Akustik  88,  246,  360. 
Aliquotflügel  399. 
—     töne  390. 
Allegro  217  flf. 
Allegorie  96,  165  f. 
Allemaude  182,  280. 
Allg.  Deutsch.  Mus.  Ver.  356. 
Alpenhorn  93. 
Alt  76. 

Alteration  73. 
Altviola  355. 
Ambitus  53. 
Araerikan.  Orgel  246. 
Andante  219. 
Angelica  154. 
Anhemitonisch  18,  26. 
Anthem  150. 

Antiphonar  46,  49,  56,  61,  68. 
Antiphonie  45,  120. 
Arbeitslieder  4. 
Architektonik,  musikal.  314. 
Architektur  s.  Baukunst. 
Aretinische  Silben  66. 


Aria  francese  166. 

Arie  166,  168.  172  f.,  2u9ff.,  291,. 

428. 
Arios(o)  163,  168. 
Arrageige  91. 
Ars  nova    69,    77  f.,     108,    109  f., 

Ulf.,  117,  120. 
Arsis  26. 
Aöoiration  401. 
Auletik,  Aulodie  29,  32  f. 
Aulos  28  f.,  30,  32,  40. 
Ausgaben   musikal.  Werke  362  ff. 
Aussprache  115,  120. 
Ausstattungswesen  299. 
Authentisch  (Tonart)  49  f. 
Autographen  248. 
Avesta  101. 
Ayres  166. 

B  durum-quadratum,  molle-rotun- 

dum  52,  75. 
Ballade  434,  81,  116, 122, 182,  251, 

249    255  f. 
Banett(o)  116,  121,  142,  174,  332. 
Bar  84. 
Barbyton  28. 
Barkarole  436. 
Baryton  245,  223  (Instrumentj. 

—      416  f.    (Stimme). 
Baß  76,  79,  216,  218. 
Bassethorn  24'». 
BaÜklarinette  245. 
Basso  continuo  164,  185,  187, 
Bau  (Bauern)quinten  79,  89. 
Bauchtanz  101. 
Baukunst  6,  8,  12  f.,   24,   36,   39, 

44  f.,   61,   87,  94,   99,  101,  134, 

161,  202,  341. 
Bearbeitungen  204  f. 
Becken  14,  57,  245. 
Begleitung  26,  29  f.,  810".,  102—4, 

164  f.,    170,  252,  275,  286,  436. 


478 


Sachregister. 


Bei  canto  163,  172,  298. 

Bendir  103. 

Berufskünstler  287. 

Bettlerleier  89. 

Beuroner  59. 

Bezifferter  Baß  163  f. 

Bibliotheken  361. 

Bienentanz  101. 

Bildende  Künste  160,  205. 

Bildbauerkunst  s.  Plastik. 

Biographen,  Biographien  -363. 

Blasinstrumente  104, 170, 188,  245, 
399,  355. 

Bombarde,  Bomhart  92. 

Bombardon  245. 

Bordune  (Bourdons)  79,  89,  91. 

Bourree  182. 

Bratsche  (s.  a.  Viola)  91  f.,  355. 

Bravourarie  173. 

Buccina  40. 

Buch  Stab  entonschrift   s.  Noten- 
schrift. 

BuffoCOper)173f.,  178,  180,  212, 
228,  257,  298,  315,  436. 

Buffonisten  180. 

Bühnenstil  s.  dramat.-  u.  theatral.- 

Bünde  91,  152. 

Busaun  s.  Posaune. 

Byzantinische  Musik  41. 

Caccia  114. 

Cäcilianer  332  u.  359  (Anti-). 

Cäcilienverein  138,  359. 

Cantata  s.  Kantate. 

Cantica  majora  143. 

Cantus  lirmus  56,  110,  122  f. 

—  gemellus  111. 

—  planus  56,  70. 

—  romanus  56. 
Canzon(e[tta] )  116,  121  f.,  140  (da 

sonar:  Franceseif.,  154,  183. 
Capriccio,  Caprice  436. 
Catch  114. 
Celesta  351. 
Cello  s.  Violoncello. 
Celioue  388. 
Cembalo  s.  Klavi-. 
Chanson  81. 

—       115f.,  97.  119,  121,  143, 

149. 


Chiavctte  75. 

Chiffonie  89. 

Chiroplast  406. 

Chormusik)  riOff.,  94  (Instr.),  118, 

120,  125  f.,  152  [instr.\  159,168, 

172.  197.  218. 
Choral  46.  50  f.,  56  f.,  68,  70,  110, 

131,  137,    149,  157,  160,  191t, 

201,  313,  365. 
Choralnote  48,  53,  83. 
Chorbücher  129. 
Chorgesangvereine  356. 
Chorknaben  s.  Sing-. 
Chor- Phantasie  237. 
Chor  Symphonie  237,  288,  318. 
Chorton  189. 
Chromatik)    25 f.,     41,    77,    110, 

122,  141,  171,  237,  246,  339,  342. 
Cbrotta  8u,  87  f.,  110. 
Cithara  110. 
Cithrinchen  154. 
Clarmg  93. 

Collegium  musicum  126. 
Color  63  f  ,  71,  73. 
Commnnio  56. 
Concentus  55. 
Concerti  ecclestiastici  164. 
Concertino  185. 

Concerto  121,  186  (da  chiesa,  da 
Camera). 
—        grosso  185. 
Concordauz  76. 
Conductus  76. 
Confinalton  52. 

Contrapunto  (alla  mente)  70,  154. 
Continuo  s.  Basso. 
Contraacta  424. 
Coutraenor  76. 
Copla  1.^0. 
Copula  76. 
Courante  182. 
Cornetto  93,  141. 
Crouth  s.  Chrotta. 
Czymbal  104. 
CjTnbala  93. 

Da  capo  Arie  172. 
Dämpfer  399. 
Darbonka  103. 
Davidsbund  277. 


Sachregister. 


479 


Dechaut  76 

Deklamatiou  26,  36  f.,  56, 115, 134, 

1(51  r.,  179,  181,  211  f.,  286,298, 

3Ü5,  342. 
Denkmäler-Ausgabe  364. 
Deutscher  Tanz)  280. 
Diabolus  in  niusica  67,  110. 
Diapason  21,  189  (normal). 
Diaphonia  69. 
Diatonik  25,  41,  110,  171. 
DiauUa  29,  32. 
Diazeuxis  21. 
Dichtkunst    14  f.,   29,   31,   33,  39, 

81,  84,  160,  163,  211,275,297  0. 
Differenaeias  239. 
Dilettanten  287, 152, 155,  163,  400. 
Dirainuieren  154. 
Dirigent,  Dirigieren  165. 
Dirigenten  305,  356. 
Discantus  69  ff.,  76,  110,  123. 
Dissonanz  26,   78,    115,  122,  169. 
Ditonus  18,  25  f. 
Dithyramben  .30  f.,  249. 
Divertimento  223. 
Divisions  239. 
Doktor  der  Musik  361. 
Dominante  52. 
Dorisch  23  f,  49,  55. 
Doubles  239. 
Doxologie,  große  110. 
Drama  (vgl.  Oper)  15,  29—32,  40, 

51,  95  f.,  161,  203,  211. 
Dramatik  249,  255. 
Dramatische  Symphonie     s.  auch 

theatral.)  288,  317,  343. 
Drama  per  musica  162. 
Dramatischer  Stil  186,  346. 
Drehleier  81,  89. 

—  orgel  246. 
Druck  128  ff 

Dudelsack  13,  29,  89,  93. 
Duett  168  (kirchl.\  175. 
Dumka  330. 
Durchführung  218,  241. 
Dursystem  75. 

Dur  ton) 24 f., 52, 104, 109, 122, 190. 
Dynamik  76. 
Dynamis  25. 


Ecossaise  405. 

Editio  Medicea  137. 

Editionen  362. 

Ediziono  Vaticana  59. 

Einzelgesang  s.  Monodie. 

Entants  de  choeur  142. 

Englisch  Hörn  94,  245. 

Eüharmonik  25,  171. 

Enharmonium  8. 

Ensaladas  142. 

Epik  249,  255. 

Epistelton  55. 

Epodos  30. 

Epos  29  f. 

Estribillo  150. 

Evangelienton  55 

Exotische  Musik  19,  291,  317. 

Expressivorgel  245. 

Fackeltanz  85,  267. 

Fagott  92,  218,  245. 

Faktur  160. 

Falsett(isten)  118,  416. 

Falso  bnrdone  70,  111. 

Fang-hiang  17. 

Fantasia  122. 

Farbenhören  360. 

Fau(l)x-Bourdon  78. 

Favole  140. 

Fermate  3.50. 
I   Fiedel  83,  87,  90. 
I   Figural-Gesang.-Musik    112,    114, 
117,  131,  192,  225. 

Finale  174  f.,  219. 
i   Finalton  52. 
!  Fistula  40. 
'   Flageolet  154. 

Flöte  11,    13—15,  18 f.,   28 f.,  35, 
j       41,  92  f.,  94,  102,  245,  334,355 
!       (-Virtuosen;. 
j   Fliite  d'amour  94. 
I   Francese  166. 

Frauen  101  (arabische),  118  (i.  d. 
Kirche),  337  (schaffende). 
I   Frauenstimmen  57,  118. 

Freier  Stil  186,  220. 

Freiluftmusik  223. 

Frottola  115  f.,  97. 

Fuga,  Fuge  113  f.,  118,  122,  130, 
184,  186,  201,  218,  239,  365. 


480 


Sachregister. 


Fiiriant  330. 

Fürsten,  schaffende  175,  200,  337  f. 

Fußton  371. 

Gaillarde  85. 

Galanter  Stil  161,  204,  219. 

Gambe  91  f.,  154,  158. 

Gamma  52,  69. 

Gassenhawerlin  97,  121. 

Gavotte  182,  280. 

Gegentenor  76. 

Geige  386 ft",  18,  87,  92,  94  (Bau), 

102,  141,  153  f.,  163, 170  f.  (Bau), 

184  f. 
Geigenvirtuosen  355,  388—94. 
Geistl.  MusiJj  s.  Kirchen-. 

—  Oper  165. 
Generalbaß  5,  164  f.,  185. 
Gesang(skunst)    4,   38,  44  ff.,   48, 

65,  74  f.,    101,  114,  118,  151  ff., 
162  f,  170,  172  f.,  176,  179. 

—  -Feste  356. 

—  -Künstler  355,  416—18. 
Gesangschulen  99. 

—  -Unterricht  419,  429. 
Gesätze  84. 
Geschmackshören  360. 
Gewandhaus  178,   269,   282,  284, 

295  f 
Giga,  Gigue  90,  182. 
Gilde  s.  Zunft. 
Gitarre  18,  91,  152,  154,  245,  253, 

264. 
Glasharmonika  245. 
Glee  181. 

Glocken(-spiel)  11,  18,  57,  93,  245. 
Glossenlied  424. 
Gondoliera  436. 
Gotik  202,  276,  332. 
Graduale  56,  137. 
Gran  cassa  245. 
Gregorian.    Gesang    (Choral)    43. 

46  fi'.,  56,  59  ff.,  71,  83,  107,  110, 

122,  136  f.,  141,  319,  359. 
Griech    kathol.  Kirche  41. 
Große  Oper  257,  259,  266,  296  ff. 
Großer  Bock  93. 
Großgeige  90  f. 
Grundbaß  79. 
Guidonische  Hand  66. 


Gürzenich  282. 
Gymel  111. 

H.  s.  B. 

Halleluja  45,  55. 
Handschriften  83,  113,  116. 
Harfe(n8piel)    10  f.,    12  f.,    28,    33, 

80 f.,  82f.,  87,  109 f,  244  f.,  260, 

355  (-Virtuosen). 
Harmonicord  245. 
Harmonie  (lehre)  5,  21,  25,  26,  69, 

79,  98,  109,  111,  122,  127,  151, 

153, 158, 164,  179,  188,  226,  252. 
Harmonika  93. 
Harraoniker  27. 
Harmonische  Hand  66. 
Harmonium  8,  18.  233,  245  f. 
Hauskapelleu  209. 
Hausmusik    102,    116,    121,    124, 

127,  150,  153  f.,   245,  255,  356. 
Hautbois  92. 
Heerpauke  93. 
Helikon  40. 
Hemiolia  73. 

Heteropbonie  8,  25  f.,  30,  98. 
Hexachord  65  ff. 
Hifthorn  93. 
Hirtenflöte  28. 
Hirtenton  40. 
Historische  Konzerte  364. 
Hoboe  s.  Oboe. 
Hofkapellen  s.  Kapellen. 
Holzharmonika  93. 
Hoquetus  76. 
Hörn  4, 14, 18, 93, 102, 111, 141, 216. 

245,  355  (-Virtuosen"). 
Hufhagelschrift  48. 
Humor  in  der  Musik  32,  241,  301. 

342. 
Hj^menäos  29. 

Hymnen  40,  45,  55,  100,  110,  249. 
Hypate  23. 

Hyperdorisch  usw.  23. 
Hypodorisch  usw.  23  f.,  49  f.,  51, 55. 

Idealismus  i  d.  Tonkunst  127,  365. 
Idyll  249. 
Imitation  113,  117. 
Imperfekt(ion)  53,  72  f.,  75. 
Impressionismus  339,  350. 


Sachregister. 


481 


Incunablen  129. 
Inszenieriirifi:  -299. 
lustrumentalmiisik    102,  111,  117, 

121  f.,  127  f,    l-IOf.,   150  f.,  154, 

157  f.,  160,  170,  l»2ff.,  21611. 

241,  247,  254,  280,  31(3,  365. 
Instrumentalstil    ^roUer  298,    305. 
Instrumentation  163,  170,215,230, 

264,  276,  289  f.,  2Hl  flf.,  301,  311, 

319,  340  f.,  345,  365. 
Tnstrumentationslehre  290. 
Instrumenie  9  t.,  13  f.,    18,  41,  57, 

81,   86-04,    102 f.,    107,    Ulf., 

149-54,  15«,  163,   205,    245  f., 

289,  301,  341. 
Instrumentenraaclier   86,    94,  154. 

—  spiel  60. 

Intermedien  141,  173  f,  ISO. 
Intermezzo  141,  173  f.,  182. 
Internationale  Musikf^esellsch.  362. 
Intonation(e)  154,  413. 
Intraden  147,  88. 
Introitus  56. 
Irisch  106  f.,  337. 

Janitscharenmusik  104. 
Jastisch  23. 
Jobel  14. 
Jodler  4. 
Jonisch  51. 
Jubilationen  56. 

Kammerduett  187. 

—  kantate  187. 

—  konzert  186. 
Kammer(rausik)    121,    168,   185  f.. 

188,  216,  310,  356. 

—  Sonate  184  f. 

—  Stil  186  f.,  346. 

—  Symphonie  186. 

—  ton  188. 
Kanon(iker)   113  f.,   27,  75,  105, 

118  f.,  186. 
Kantate  140  f.,    160  f.,  165  f.,  172, 

187,  191,  200,  276,  365. 
Kautor(ei)  125  f., 
Kanzionale  125. 
Kapellen   (s.  auch  Sixtina)   1071, 

113,  117  tf.,  120,  123  f.,  127,  135, 

142,  145,  356. 


Kapellknaben  s.  Sing-. 

Kapiielton  55 

Kapodaster  152. 

Karikaturoper  319. 

Kassation  223. 

Kastagnetten  33,  97. 

Kastraten  118,  135,  416. 

Kathedralmusik  142,  150. 

Kemantsche  l02. 

Keren  14. 

Kesselpauke  93. 

Kin  18. 

King  17  f 

Kinnor  14. 

Kirchenchöre  125  f. 

Kirchenchorverbände,  evang.  359. 

Kirchen-Gesang(-Musik)  23,  41  f, 
45  ff,  47,  60  f,  78,  83,  86,  107, 
110  f.,  115,  121,  125  f.,  131,  134, 
136,  1.S8,  149  f.,  156,  164f,  168, 
188,  191  ff.,  202,  224,  231,  238, 
313,  319,  359  (kathol.  u.  protest), 
365,  436. 

Kirchenkonzert  121,  165,  186. 

—  Sonate  184, 

—  Stil  186,  346. 
Kirchenlied  420  ff ,  50  f ,  60,  79, 117, 

122ff ,  125.  148,  150,  286 f.,  362. 
Kirchentöne    24,    4k  ff..    98,    109, 

143,  171,  188. 
Kithara  25,  28,  30,  40,  80. 
Kitharistik,  Kitharodie  29, 32  f.,  44, 
Klanggeschlechter  25,  122. 
Klarinette  216,  230,  245,  265,  355. 

(-Virtuosen). 
Klassiker,    Klassisch,    Klassizität 

138,  220,  292,  311. 
—        -Ausgaben  362. 
Klassizisten,      Klassizismus     220, 

254,  273,  308,  317. 
Klavicembalo ,     Klavicimbal    154, 

163,  245. 
Klavichord  87,  1.54. 
Klavier  395  ff.,  57,  152  f.,  154,  160, 

170,  245. 

—  -konzert  121,  185. 

—  musik   150,  155,  158,  185. 
219,  231. 

Klavierspiel  185,   206,   400—410, 

—  -Virtuosen   355,   401—409. 


Kothe-Procbuzka,  Abriß  d,  Musikgeschichte.    8,  Aufl. 


30 


482 


Sachregister. 


Kleinmaler  283,  407. 

Ktiaheiiistiinmen)  s.  Singknaben. 

Kniegeige  91 

Koloratur  (Kolorieren  ;  vgl.  Color) 
15-2,  l.ö4f.,  173  (Arie),  320,  419. 

Komltiiiatioiistöne  390,  300. 

Komische  Üpe'r  s.  Biitfo  — 

Komödie,  miisikal.  3n5 

Komma  12"2  (sjiitonisches). 

Komposition(^slehre)  G9, 5, 164, 359, 
435. 

Kondukten  372. 

Kongresse,  pädagog.  361. 

Kontrahaß  92, 24.5, 355  (-Virtuosen). 

Kontrapunkt  5,  69  lt.,  77,  79,  98, 
112  ff.,  usf.,  131,  134,  138, 
157,  161  f,  171,  176,  216 

Konservatorium  174,  360  (Direk- 
toren), 405. 

Konsonanzen  26,  69,  76 ff.,  98 f, 
106,  122. 

Konzertante  (Symph.l  218,  310. 

Konzert(e)  121,  164  f.,  177,  185, 
231. 

Konzertmusik  186. 

—  -Saal  356. 

—  Ouvertüre  272. 

—  -Reformen  356. 
Konzertsyraphonie  186,  216. 
Koran  101. 

Kornett  245. 

Kornetton  189. 

Koto  18. 

Krakowiak  149. 

Krehskanon  114. 

Kritik  364,  264  f.,  277. 

Krotalen  33, 

Krummhorn  83,  92  f.,  366. 

Kriegsmusik  3,  93,  101,  103,  107. 

Ku  18. 

Kukukskanon  105,  113. 

Kunst,  Neue  s.  ars  nova. 

Kurrende  425,  126. 

Kyrie  137. 


Laienpartitur  164,  362. 
Lais  (Lay)  81. 
Ländler  280,  313. 
Landschulen  209. 


Landsknechtliedlin  97. 

Laureat  2^8. 

Laute^n-Musik)  11,  14,   87,   93  f. 

(Bau).    101  f.,  122,  151—4,  163, 

239 
Lauten-Gitarre  152. 
Legende  249,  255. 
Lehi  befähigung;  Lehrkanzeln  SGOf. 
Leich  81 
Leier  s    Lyra. 
Leitmotiv  298. 
Lihrettistik  213. 
Lied    (weltliches    Kunst-)     249  ff., 

81  ff.,  97  t.,  102,  116  f.,  123,  128, 

143,  285  f,  305,  311. 
-  form  218,  251,  2.59,  285. 
Liederfeste  357, 
Liederspiel  2.M. 

—     tafel  357. 
Lied   ohne   Worte  154,   271,  303. 
Ligatur  73. 
Linosklage  29. 
Literatenchor  125. 
Literatur  436. 

Literaturgeschichte,  german.  301. 
Lithographie  129. 
Liturgie  (Gesang)  46,  57,  95,  100, 

107,  22.i. 
Liturgische  Dramen  95,  128. 
Lituus  40,  93. 
Logik,  musikalische  241. 
Lokrisch  23. 

Lustspiel,  musikal.  315,  343. 
Luthier  154. 
Luxusmusik  339. 
Lydisch  23,  51. 
Lyra  11,    14 f.,    19,   21,   27,  28 f, 

30,  40,  80,  84,  88,  91,110,163. 
Lyrik  14,  29  f.,  102,  249,  275. 
Lyrische  Oper  298. 
Lyrische  Szene  253,  314. 

Mache  160. 

Madrigal    120  f.,     116,    122,    128, 

141,  150,  161. 
Maestro  al  cembalo  164. 
Magadis  28. 
Magnificat  143. 
Magrepha  369. 
Makamat  98. 


Sachregister. 


483 


Malerei  6,  8,  32,  36,  45,  87,  94, 
99,  130,  134,  204  334. 

Mandoline  13,  152,  245. 

Mandora  154. 

Manier  153,  161,  209,  401. 

Männerchor(-6esang)  308,  357  ff. 
—       gesangvcreine  357  ff. 

Mannheimer  Schule  76. 

Manual  371.      * 

Marienklagen(-schauspielei  96. 

Marienkultus  83,  139. 

Marseillaise  37,  102. 

Martyrien  55. 

Maschrokita  369. 

Maskenspiele  141. 

Mazurka  149,  2;;9,  280. 

Mechan.  Instrumente  246. 

Mehrstnuniig(keit)  68  ff,  77,  80  ff., 
104  ff..  113,  116,  184,  341. 

Meistersinger  29. 

Melisma  25,  29,  153,  401. 

Melodie,  Melodik  iMelosV21,  25  f, 
.30,  34  f.,  9.S,  100,  104,  110,  116, 
150  f.,  159,  163,  166,  172,  ISO, 
188,  213,  241,  252,  275,  286, 
298  (unendliche,  geschIossene\ 
436. 

Melodrama  32,  162,  181  f.,  331,  437. 

Mem  11. 

Mensur  71  f. 

Mensuralmusik  26,  71  ff.,  76,  95, 
106,  112,  120. 

Menuett  182,   184,   216,  219,  280. 

Messa  di  voce  413. 

Messe  110,42, 108, 115, 122, 133  ff., 
224,  231. 

Messel  99. 

Methodik  359,  363. 

Metrum  26,  56,  124  f. 

Mezza  voce  413. 

Militärorehester  104. 

Miniaturrausik  319. 

Miniaturstück  275,  283. 

Mischlied  424. 

Miserere  139. 

Missalien  129. 

Mixolydisch  23. 

Mixtur  70,  371. 

Moderne  Musik  57  f.,  74. 

Modus  49. 


Mollsystera  75. 

MolKton)  24  f.,  Ö2,  104,   109,  122, 
i       190. 
!  Monochord  27  f.,  65,  87,  89  f.,  395. 

Monodie  98,  121,  138,  148,  159  ff., 
164  ff.,  171,  185. 

Monolog  32. 

Moralitätcn  96. 
i   Motetus  110. 

Motette     110  f.,    Sl,    115,    122  ff., 
143,  148. 

Musette  93  (Instrument). 

Musica  falsa  vficta)  75. 

Musical  League  356. 

Musik     als  Antrieb  365. 
I       —       als  Darstellungskraft  299. 

—  als     Erziehungsmittel     19, 

37  f.,  115,  365 

—  als  Geheimkuust  118,  164. 
i       —       als  Heilmittel  365. 

—  als  Kulturwert  8,  20,  240. 
!       —       als  L.^rm  4,  10  f.,  102  f. 

I        —       als  Macht    3,    15,    20,   35, 

107,  162. 
'       —       als  Schwesterkunst  163. 

—  als    Vergnügen   240,   2S9. 

—  als  Urwesen  217. 
Musikbibliotheken  361. 

'       —  direktor,  -doktor  361. 
i       —  drama  s.  Oper. 

' feste  356. 

I       -  geschichte  5,  178,  192,  233, 
!       360  ff. 

—  ,  getanzte  360. 

—  lexica  109,  128,  363,  374. 

—  -Pathologie  437. 

—  Professor  361. 

—  Prüfung  360,  437. 

—  schriftstellerei  277  f.,  292, 303. 

—  schulen  99. 

—  verbände  36.5. 

—  -Vereine,  Vereinigungen  356, 
364. 

—  Wissenschaft  7. 

—  Unterricht  37  f ,  66  f.,  74, 158, 
359  f.,  .363,  419,  429  f. 

Musiquette  319. 
Mutation  67,  118. 
Mutierung  419. 
Mysterien  96,  203. 

30* 


484 


Sachregister. 


Nabla  11,  28. 
Nablum  11. 
NachahmuDg  113,  151. 
Nachtanz  85. 
Nachtwächterruf  298. 
Nationallieder  (-Hymnen)  37,    79, 
323,  3^8. 

—  musiii  316  flf. 

—  tanze  149. 
Naturalismus   i.  d.  Tonkunst  339, 

365. 
Naturharmonien  860. 

—  instruraente  111,  245. 

—  Schilderungen  i.  d.  Musik  289, 
299,  801. 

Nebel  11,  14,  40. 

Neudeutsche         (neuromantischc) 

Schule  247,  291  ff. 
Neuma,  Neuuieu  48,  52,  56,  61  ff., 

68,  262. 
Nigger-Songs  337. 
Nocturne  280. 
Nomos  29. 
Normalton  188. 
Notendruck  118,  124,  128  ff. 
Notenschrift  (s.  auch  Neiimen)  26, 

85,  40  f.,   48,  52,  55,  61  ff.,    67, 

69,  71,  73  f.,  75,  83  f.,  85,  94  f., 
102,  1131,  124,  130,  152,  362, 
438. 

Notenstich  129. 

Notturno  280. 

Novatoren  323. 

Nummern,  geschlossene  298. 

Oberstimme  (s.  a.  Discant,  Melodie, 

Sopran,  Tenor)  151. 
Obertöne  390. 
Oboe  18, 92,94  (d'amour,  da  caccia), 

245. 
Ochetus  76. 
Ode  249. 
Odeon  33. 
Offertorium  56. 
Officium  108. 
Oktave  21,  95. 
Oktochord  21. 
Oper  82,  95,   141,  157-163,  165, 

167—181,  186,  191,  209  ff,  228, 

247,  256  ff.,   291,  297  ff,   303  ff. 


Opera  257. 

Operette    178,  230,  315,  819,  337. 

Opernhäuser  856. 

Opus  162. 

Oratorium  96,  141,  159  ff.,  165  ff., 
176,  196  f.,  223,  365. 

Orchester  289  f.,  11,  14, 16,  18,  87, 
94,135,  141,  152  f,  157,  163 
u.  297  (unsichtbares),  166,  170, 
175,  204  f.,  230,  244  f,  (groß, 
klein),  298,  801,  341,  345  f., 
393,  395. 

Orchestermusik  (vgl.  Instrumental-) 
168,  292. 

—  Sonate  186  f. 

—  trio  187. 

—  -Vereine  356. 
Orchestrion  246. 
Orgauistrum  89. 
Organum  69  ff.,  76. 

Orgel  3ii9  ff.,  13,  28,  86  f.,  93  f.  (Ta- 
bulatur),    122,    126   (Bau),   128, 

;^;i35,   146  f.,   154,  160,  164,  186, 

^  189,  197,  204,  245,  380  ff.  (Kom- 
ponisten u.  Virtuosen). 

Orgelbaß  164. 

Orgelfuge  201. 
;    Orgelpunkt  69,  313. 
!       —     spiel  200,  380—84,  433. 

Ornamentik  401. 

Ospidale  174. 

Ouvertüre  173,  179,  183  f.,  186, 
211  f.,  215  f.,  237,  264. 


Päau  29. 

Pädagogik  360  f. 

Paduana  85. 

Paleographie  musicale  48,  59,  61. 

Palestrinastil    57,    74,    135,    138, 

155,  157, 
Panflöte  18,  28. 
Pange  lingua  50. 
Parakataloge  32. 
Partialtöue  390. 
Partie  (Partita)  182  f. 
Partitur  124, 129, 141, 163tt'.,204  f., 

362  (Laien-) 
Passepied  182. 
Passions(spiel)  96, 167, 194  ff ,  365 


Sachregister. 


485 


Paternoster  55. 

Pauke  11,131.  18,33,  41,93,245. 

Pause  216,  350. 

Pavane  85,  149. 

Pedal  371,  399,  404,  408. 

Pentachord  21. 

Pentatonik  18,  25- 

Pertect(ion)  53,  72  f.,  75. 

Pfeife  4,  92  f.,  102. 

Philosophie  (in  der  Musik)  5.  7,  8, 

17,  27,   36,   65,   234,    301,  317. 
Phonascus  151. 
Phonola  246. 
Phorminx  28. 
Phrygisch  23. 
Physharmonika  245. 
Piauoforte  398. 
Pianola  246. 
Plagal  (Tonart)  49  f. 
Plain-chant  5ü. 
Plastik  87,  94,  161. 
Piectrum  13  f.,  28,  154. 
Plica  4U9. 

Phisiiiiumperfekt  53. 
Pochette  o88. 
Poesie  s.  Dichtkunst. 
Polka  328. 
Polonaise  149,  280. 
Polyphon(ie)  s.  Mehrstiminig(keit). 
Pommer  92. 
Portativ  154,  371. 
Posaune  40,  93,  245. 
Positiv  154,  354,  868,  371. 
Positive  Musik  239. 
Praeambulum  154. 
Präfation  55,  58. 
Prlarael  154. 

Prima  donna,  primo  uomo  176. 
Professionalkouzerte  222. 
Professor   d.  Musik;    Professuren 

361. 
Programm-Musik  239  f.,   119,  185, 

217,  272,  289,  292  f.,    340,  346, 

383,  402. 
—        Symphonie  292. 
Prolatio  73. 
Prolog  162,  170. 
Proportion  124. 
Proslambanomenos  21. 
Prüfungs-Kommissionen  360,  437. 


Psalmen  14,  40,  52,  56,  78  f.,  143 

192,  294,  435. 
Psalmtöne  40,  55,  78  f,  101. 
Psalter  14,  41,  82,  87,  153. 
Psalterium  ligneum  93. 
Publikum  265. 
Pumhart  79. 
Punctum  74. 
Pykna  25. 

Quadruplum  76. 
Quinte,  Quinton  91,  392. 
Quinterne  152. 
Quodlibet  142. 

Radel  116. 

Radleier  87  flf. 

Rätselkanon  114,  118,  123. 

Rauschpfeife  92. 

Reaktion  172. 

Realismus  i.  d.  Tonkunst  127,  365. 

Kebek  (Rebab)  87  ff.,  102. 

Reform(ation)  105—110,  131,  137, 

156,  160tt".,  172f,    211,    297  ff., 

356,  358  (vgl.  Register  C). 
Refrain  116. 
Regal  154. 
Register   371,  373   (Orgel),  414  ff. 

(Stimm-) 
Reigen  85. 
Reperkussion  53  ff. 
Responoriale  56. 
Responsorien  125. 
Requiem  42,  208,    231,   257,  309, 

320. 
Reutterliedlin  97. 
Rezitativ  16.^,  166,  168,  172,181, 

204,  212,  264,  298. 
Rhapsodie  294. 
Rhythmik  (Rhythmus)    4,   26,  37, 

56  ff.,   77,   98,  113,    162  f.,   179, 

238. 
Ricercar  122,  154,  186. 
Rieseninstrumente  371,  400. 
Riesensymphonie  314,  345. 
Ripieno  185. 
Ritornell  170,  173. 
Romanesca  85. 
Romantik(er,  romantisch)  135,  220, 

247,  259  ff.,  281  ff. 


486 


Sachregister. 


Romant.  Schule  281  flf. 

Romanze  249,  256,  434. 

Römerpreis  288. 

Rom.  Schule  76. 

Rondeau  (Rondel[lus],  Rondo)  116, 

122,  219. 
Rotta  81,  83,  87. 
Rule  Britannia  181. 
Rundgesang  81. 

Sackpfeife  s.  Dudelsack. 
Saiteninstrumente  10  f„   13  ff.,  28, 

87  ff.,  1.54,  170  f. 
Salon-Lied,  -Musik  287,  258. 
Salpinx  29. 
Saltarello  85. 
Samiseng  18. 
Sängerbünde  357. 
Sängerschulen  48,  59  ff.,  125  f. 
Sarabande  182,  280. 
Satz  (-Kunst)  116,  118. 
Schalmei  28,  92. 
Schauspiel  geistl.  51,  95  ff.,  165. 

—  8.  auch  Drama,  Oper. 

—  Kunst  163. 
Schlagwerk  11,  14,  16,  18,  33,  93, 

102,  104,  245. 
Scherzo  436,  241. 
Schluß(,ton)  52,  77. 
Schlüssel  62  f.,  75. 
Scho  18. 
Schofar  14. 

Schola  cantorura  42  f.,  135. 
Schöner  Stil  172,  220. 
Schottisch  1061,  387,  405. 
Schulausgaben  130. 
Schule  8.  Musikunterricht. 
Schulen  112,  117,  120. 
Schwegel,  Schweitzerpfeiff  92. 
Scordatnra  152. 
Sebi  11. 
Secco  172. 
Sechston  66. 
Semitonium  69. 
Septaka  15. 

Sequenz  421,  50  f.,  55,  60,  81,  119. 
Serenade,  Serenata  223. 
Seriöse  Oper  174. 
Sezession  8,  32,  339. 
Siao  18. 


Sinfonia    (vgl.    auch    Symphonie) 
140  f  ,  172  f.,  183, 186  (da  camera). 
Singknaben  67,  118,  1.35,  142. 
Singschulen  43,  48. 
Singspiel  178,  229,  268. 
Sistrura  11. 

Sixtina  74,  108,  113,  132-5,  139. 
Skala  s.  Tonleiter. 
Skulptur  s.  Plastik. 
Solmisation  65,  115. 
Solo  172,  185 

—  konzert  185. 

—  kantante  187. 
Sommerkanon  105,  113. 

Sonate  da  camera,  di  balletti;  da 
chiesa  184. 

—  140  f.,    173,    183  ff.,    187. 
216  ff.,  2.39,  241. 

Sopran  76. 

Sordino  399. 

Soziale  Stellung  d.  Musiker  226  f., 

295. 
Sozialpolitik  361. 
Spartieren  129. 
Sphärenmusik  17,  27. 
Spiegelkanon  114. 
Spielmusik  157. 
oper  268. 

—  uhr  246. 
Spinett  154. 
Spitzharfe  11,  82. 
Sprachgesang,  Sprechgesang  163, 

298,  415. 
Stabat  mater  118  f. 
Ständchen  223. 
Stasima  31. 
Stempel  129. 
Stereotypie. 
Stierhorn  93. 
Stil  160  f.,  186,  .302,  418. 
— ,  schöner  187. 
Stile  osservato  138. 

—  rapressentativo  163. 
Stimme  411  ff 
Stimmgabel  18. 

—  gattungen  415. 

—  hefte  129. 

—  Wechsel   s.    Mutation. 

—  werk  94. 
Stollen  84. 


Sachregister. 


487 


Strarabotto  116. 
Streichinstrumente  87  flf.,  102,  141, 

185,  188,  245,  386  flf.,  399. 
Streichquartett  187,  216,  224,  228, 

355  (-Vereinigungen). 
Strohfidel  93. 
Stropbenlied  251  f.,  286. 
Suite  182  ff.,  239. 
Suspension  401. 
Symphoneta  151. 
Syrophonia  sacra  140. 
Symphonie  (8.  a.  Sinfonie)  83,  89 
'(Instrument),  140, 170, 173, 183f. , 

187,  214  ff.,  237,  241.  291,  310, 

313,  322,  325,  330,  345. 
Symphon.  Dichtung  237,  272,  293, 

327,  331. 
—        Drama  339. 
Synaphe  21. 

Synaesthesie,  Svnopse  360. 
Syrin.x  29, 
System  s.  Tonleiter  (-art). 


Tabulatur  84,  94,  152  f. 

Tactus  74. 

Takt  (strich)   26,  72,  74,  94,  165, 

289,  262. 
Taktstock  262. 
Tamburin  245. 
Tamtam  16,  245. 
Tanz( Kunst,  -Musik)  10,  14  f.,  30, 

37  f.,  8.5,  101,  149,  163,  170,  179, 

182  ff.,  280,  315  f.,  360. 
Tanzlied  85,  97,  lOO,  116,  121. 
Taschenausgabe  437. 

—     geige  388  f. 
Taubheit  240. 
Tebuni  11. 

Te  deum  45,  51,  123. 
Teiltöne  390. 

Tempelgesänge  13,  17,  25. 
Temperatur  188  f. 
Tempo  73. 
Tempus  72. 

Tenor  76,  110,  115,  118,  135. 
Tenorini  118,  135. 
Tetrachord  21  ff. 
Text  (und  Musik)  26, 115,  130,  134, 

143,  162,  286. 


Theatralische    S}Tnphonie    (s.    a. 

dramatische)  339,  345. 
Theatralischer  Stil  57,  346. 
Theorbe  152. 
Theorie  (der  Musik)  5,  21 ,  44,  68  ff., 

108,  112,  149,  251. 
Thesis  25  f. 
Tibia  40. 

Tiere,  ihr  Musikempfiaden  409. 
Tintinnabula  93. 
Toccata  122,  154,  170. 
Ton  84. 
Tonalität  291. 
Tonart  15,    17,  23,  3.3,  49  ff.,    77, 

98,  127,  171,  188  ff.,  317. 
Tonbildung  36  57. 
Tondichtung  240. 
Tonempfinden  360. 
Tönesehen  360. 
Tongemälde  170,  239,  272. 
Tongeschlecht  25,  122. 
Tonkunst  5. 
Tonkünstelei  124,  140. 
Tonleitern,  12,  15f.,  17,21—25, 

27,98,  104,  Ulf,  291.  317,350. 
Tonmalerei  239,  252,  272,  299. 
Tonschrift  8.  Notenschrift, 
tonus   40,    (peregrinus)   49  f.,   53, 

(mixtus),  69. 
Tragodia  31. 
Tragödie,  musikal.  306. 
Traktus  56. 

Transpositionsfskalen)  25,  67,  75. 
Tremolo  170. 
Triangel  245. 
Trio(sonate)  187,  216. 

—     -Vereinigungen  355. 
Triplum  76. 
Tritonus  67. 
Tromba,  Trombone  93. 
Trommel  11,  13,  15  f.,  18,  57,  93, 

245. 
Trompete  11,  13f.,  18,  40f.,  93 f., 

(Bau),  102,  111,  245,  355  (-Vir- 
tuosen). 
Trompetengeige. 
Trumet  93. 
Trumscheit  87  ff. 
Tsche,  Tscheng  18. 
Tschinellen  245. 


488 


Sacbres^ister. 


Tuba  40,  245. 

Türkische  Becken,  Triangel,  Trom- 
mel 245. 
Tiitti  185. 

Una  corda  399. 
Ungarische  Musik  104,  294. 
Universalität  144  f. 
Universitäten  7,  361. 
Unterricht  s.  Musik. 
Urskala  111. 

Variation  151,  183,  239. 

VaudevlUe  121. 

Ventllinstriimente  245. 

Verismus  317,  348. 

Verleger  362. 

Verschiebung  399,  408. 

Verses  150. 

Verzierungen  s.  MeHsma. 

Vielle  89 

Vierteltonmusik  s.  Cbroraa,  chro- 
matisch. 

Viguela  154. 

Villancico  150. 

Villanelle,  Vlllotta  116,  121. 

Viua  14,  19 

Viola  91,  (bastarda,  d'amore  da 
bracclo,  da  gamba),  135,  141, 
158,  171,  223,  245,  355  (-Vir- 
tuosen) 

VloIe(t[ta])  81,  87,  91  f.,  392. 

Violine  s.  Geige. 

Violoncello  92,  153,  245,  355 
(-Virtuosen). 

Violotta  388. 

Virglnal  154f,  (-Book)  385,  395. 

Virtuosentum  (-Stil)  33,  57,  236, 
277,  355. 

Vokalmusik  111,  117,  124,  127, 
141,  147,  151,  182,  254,  316. 

Volksliedfgesang)  4,  29,  51,  79  tt", 
82,  96  ff.,  100, 105  f.,  (engl.)  109  f., 
112, 115,  121,  124,  131,  152, 181, 


224,  251  f.,  (deutsch)  262  (-ton), 
286  f.,  327  (böhm.),  329,  (tschech.) 
333  (böhm.),  335  f.  (schwed.  u. 
norw.),  337  (amerik.),  348  u.  357 
(rumän.),  351  f.  (russ.),  357  ff. 
(kämt.),  421,  425  f. 

Volkshymne  37  (engl.),  224  (österr.), 
323  (russ ). 
—    oper  263,  305  f.,  327,  344. 

Vortrag(szeichen)    57,    74  f ,    215, 
360,  365,  437. 

Vorzeichen  75,  305. 

Waldhorn  245. 
WaUsisch  337. 
Walzer  85,  280,  .315,  319. 
Wasserorgel  29. 
Wechselgesang  41,  45. 
Weda  15,  101. 
Wettstreite  30,  33. 
Widderhorn  14,  28. 

Xylophon  93. 

Yo  18. 
Yün-lo  17. 

Zarzuela  337. 

Zauberposse  230. 

Zeitdauer  74,  95. 

Zeitschriften    (Musik-)    241,     277, 

361  f.  (Redakteure),  382. 
Zendavesta  101. 
Zimbeln  14,  33. 
Ziukeu(-isten)  40,  93,  366. 
Zlft'eristen  67. 
Zift'erschrlft  67,  95. 
Zither(instrumt'nte)  [s.  a.  Kithara)] 

13,  18,  101.  154,  163,  245. 
Zoukra  103. 
Zugposaune  245. 
Zukunftsmusik  292. 
Zunftwesen  16,  18,   94,   119,  126. 


Greogr.-hist.  Register. 


4Ö9 


C.  Geograpliisch-liistorisclies  Register. 


Aachen  128,  138. 

Afrika  17. 

Ägypter  9—12,    19,   27,  45,  96, 

102  f. 
Alexandria  39. 
Almeh  101. 
Amerika  337. 
Annamiten  433. 
Antwerpen  142. 
Araber  26,  98-104. 
Asch  273. 
Asien  30. 
Assyrer  12. 
Athen  33. 

Augsburg  147, 129, 145f.,  148f.,  20(J. 
Avignon  78,  135. 

Babylon,   Babylonier   12,   17,  96. 

Balten  352. 

Bamberg  138. 

Barcelona  81. 

Barden  10,  78,  80,  98, 105  flF.,  109. 

Bayern  139. 

Bayreuth  29Sflf.,  302. 

Beduinen  10,  100. 

Belgien  (s.  auch  Niederlande)  109, 

116,  319  f.,  351. 
Berlin  135,    138,  175  f..   241,  257, 

266,  268  ff.,  301,  382. 
Birmingham  271. 
Böhmen  79,  83,  90,  92,  96,  125  f., 

145  ff.,    153,  192,  206  ff.,   214  f., 

222,   263,  303  f.,    326  ff'.,  344  ff., 

357,  387. 
—      (Deutsch-)  123,  125,  193. 
Bologna  226,  412. 
Bonn  234  f.,  243,  277  f. 
Boston  197. 
Braunschweig  178. 
Breslau  138,  356  f.,  364. 
Bretagne  81. 
Brixen  138. 


Britannien  s.  England. 

Brüder,  böhm.  u.  mähr.  125,  424, 

427. 
Brüderschaften  85. 
Brüs.sel  119,  304. 
Brüx  244. 
Budapest  283,  293. 
Burgund  170  ff.,  117  f.,  124. 
Byzanz  41,  45,  49,  55,  99. 

Cambrai  108. 

Cambridge  282,  311. 

Catalonien  97. 

Chicago  400. 

Chinesen  16-18,  25,  28,  101. 

Christen  24,  40  ff.,  44  ff. 

Colmar  84. 

Crcmona  171. 

Darmstadt  262. 

Derwische  100. 

Detmold  268. 

Deutschböhmen  327,  332,  346. 

Deutschland  7,  59,  82,  95,  107, 
123-8,  140,  142—8,  158,  160, 
167,  175  ff.,  192  ff'.,  208,  250, 
259  ff".,  297  ff.,  338  ft'.,  356  f.,  361, 
433,  436,  401. 

Dresden  167  175  f.,  234,  262,  276, 
282,  297,  373,  382. 

Drusen  103. 

Düsseldorf  269,  276. 

Eichstätt  60. 

Eisenach  198  f.,  301, 

Eisenstadt  222. 

Elsaß  85. 

England  47,  59,  68,  70,  78 f.,  80  ff., 
87,  95,  98,  105—117,  125,  127, 
142,  149  f.,  155,  157,  177,  180, 
195  Ö\,  209,  269,  282,  336  f.,  3f3, 
356,  361. 


490 


Geogr.-hist.  Register. 


Engl.  Schule  112  f.,  171. 
EsterhAz  222. 
Europa  108  f.,  142  f. 

Fahrende  Leute  85,  160. 

Finnland  336,  353. 

Flagellanten  (lieder)  97. 

Flandern  118. 

Florentiner  Reform  138, 157, 160  f, 
172    297. 

Florenz  117,  128,  157,  160  f. 

Frankfurt  a.  M.  97,  146,  260,  264, 
282  f,  304. 

Frankreich  (Franzosen)  52, 59, 81  f., 
83,  85,  89  f,  91,  96,  108,  116, 
142  f.,  149,  178  IT.,  241,  250,  259, 
288  ff,,  303,  316  ff.,  339,  350  f. 

Freimaurer  229. 

Fulda  60  f. 

St.  Gallen  59  ff,  96. 

Geigerkönig  85  f. 

Geißler  97. 

Ghawäzi  101. 

Görlitz  356. 

Göttinger  Hainbund  251. 

Graslitz  387. 

Grenoble  290. 

Griechen  19  ff,  12,  10,  44  f.,  49  f, 
52,  70,  80,  96,  98  f.,  101  f,  103, 
161,  171,  197,  213,  262,  289. 

Grönland  435. 

Halle  197,  285  ff. 
Hamburg  177,  194,  309. 
Hannover  265. 
Hebräer  13  f.,  40,  56,  433. 
Heidelberg  356,  379. 
Holland  320. 
Höritz  96. 
Humanismus  IGO. 
Hussiten  125. 
Hyrtl  228. 

Inder  14,  100  f. 
Innsbruck  124,  145,  147. 
Irland  16,  106,  337. 
Italien(er)  95,  120-3,  129,  132  bis 

42,  160-175,  181,  184,  209,231. 

254,  256  ff,  303,   320  ff,   348  ff 


Japan  18. 
Jena  83. 

Jongleurs  80  ff,  117. 
Joachirastal  146. 

Kairo  103. 

Kalandsbrüder  125. 

Karlsbad  273. 

Kassel  260. 

Kelten  17,  96,  105,  111,  149. 

Kirche  107  ff".,  110. 

Klingenthal  387. 

Köln  138,  276. 

Komotau  210. 

Königsberg  148,  250,  296. 

Konstanz  108. 

Krakau  149. 

Leipa  125,  210. 

Leipzig   126,    138,   178,   198,  248, 

269  ff,  273,  284,  296,  374,  879, 

382,  391,  406. 
Leitmeritz  126. 
Lemberg  234. 
Liebwerda  263. 
Linz  311  ff. 

Lochamer  Liederbuch  97. 
London  86,  114,  135,  181,  195  ff, 

215ff.,  222, 271, 273,304, 371, 406. 
St.  Louis  371. 
Luditz  126. 
Lukavec  222." 
Luzern  298. 

Madrid  258. 

Magdeburg  296. 

Magier  101. 

Magyaren  s.  Ungarn. 

Mailand  45  f.,  210,  226,  321. 

Mainz  84,  188. 

Mannheim  214  ft\ 

Markneukirchen  387. 

Marokko  434. 

Mauren  99  f. 

Mediua  99. 

Meiiiingen  309. 

Meistersinger  81,  84  f.,  434. 

Mekka  99,  101. 

Metz  60  f. 


Geogr.-hist.  Register, 


491 


Menestrels  s    Ministreis. 

Minnesänj^er  8UflF,  93,  160,  422. 

Min(i)Strels  109,   10,  80 ff,  107. 

Mittenwr.id  387. 

Montpellier  61 

Morgenländer  12,  98  ff.,  262,  291, 

317. 
Muezzin  100. 
München    84,    98,    114,    122,    131, 

135,   138,  142  f,    145,  175,  298. 
Münster  138. 


Naturvölker  4,  10,  17. 

Navarra  81  f. 

Neapel  152,  174,  412. 

Neapolitanische  Schule   172—5. 

Neger  10,  337. 

New- York  243,  329. 

Niederländer  (Schule)  106,  108, 
113  ff.,  117  ff.,  129  ff,  133,  135, 
137,  142,  157,  239,  254. 

Ninive  13,  39. 

Nordländer  79. 

Nürnberg  147,  84  f.,  298 f. 


Oberammergau  96. 

Olmütz  145. 

Oraejaden  101. 

Orientalen  e.  Morgenländer. 

Österreich  123,  281,  344  ff.,  357. 

Oxford  7,  15,  64,  77,  114,  223. 


Padua  85. 

Paris  77,  105,  107  f.,  135,  178, 
212  21.5  ff.,  226,  257  f..  266  f., 
279  f.,  288  ff.,  296.  303,319,  356, 
360,  405. 

Passau  138. 

Perser  98,  104. 

Pesaro  257. 

Petersburg  238,  304,  322  f. 

Petschau  208,  360. 

Pfeifer-Gericht.-Könlg  85  f. 

Philadelphia  299. 

Polen  149,  325  f.,  352. 

Polynesien  17. 

Prachatitz  126. 


Prag  83f.,  93,  109,  124,  126,  142, 
145  ff.,  174,  178,  206.  210,  222, 
229,  236.  262,  303  f.,  329  ff,  360, 
368,  387,  392  f. 

Provence  81 

Pyrniont  268. 

Reformation  108,  125,  131,  1(50, 
202,  425  (vgl.  Register  B). 

Regensburg  84,  129,  138,  147,  156. 

Reichenau  (Schweiz)  61. 

Reichenberg  147  f.,  303. 

Renaissance  134,  160,  207. 

Rhapsoden  29. 

Riga  296. 

Rokoko  135. 

Römer,  Rom  39,  78,  HO,  108,  127, 
134  f.,    157,  258,  262,   269,  203. 

Römische  Schule  120,  138  ff.,  172. 

Roussillon  97. 

Russen  7,  321  ff.,  339,  351  f., 

Saint-Siraonismus  291. 

Salzburg  139,  226,  238. 

Schönbach  387. 

Schottland  16,  106,  269,  887. 

Schweiz  351. 

Semiten  100. 

Sevilla  97. 

Shangai  16. 

Skalden  10,  107. 

Skandinavien  95,  107,  282,  335  ff. 

352  f. 
Soissons  60. 
Spanien    81,    95,    97,    116,    138, 

142,  153  f.,  3.37. 
Spielleute  80  ff.,  107, 117, 157,  182. 

—  Graf  85. 
Stadtpfeifer  86,  93,  126  f.,  182, 189. 
Straßburg  84  f. 
Stuttgart  262. 
Syrien  47. 

Teplitz  304. 
Tirol  83. 
Tokio  360. 
Toledo  97. 
Toulouse  81. 
Trecentisten  117. 
Trienter  Codices  118. 


492 


Geogr.-hist.  Register. 


Tridentiner  Konzil  131. 
Troubadours  (Trouveres)  80  ff., 

434. 
Tschaslau  126,  236. 
Tsdjeehen  326  ff.,  34Cf. 
Tunis  434. 
Türken  103. 
Türmer  127. 


98, 


Ulm  379. 
Ungarn  104, 


123,  294,  333  f.,  348. 


Valencia  97. 

Venedig  1201,  134,  171,  258,  299. 

Venetianische  Schule    120,    140  f., 

157,  171,  191. 
Völkerwanderung  44. 


Wales  80,  105  ff.,  109,  149. 

Wandersänger  29,  80. 

Warnsdcirf  288. 

Weimar  29Sff. 

Wien  85,  113,  135,  138,  145,  147, 
172,  175,  210  ff.,  220  ff.,  234  ff., 
240  f.,  24;  f.,  258,  263,  269, 
29i,  303,  309  ff.,  314,  357,  393. 
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Lief.    1.    ABC  des  Violinspiels.    Vorschule  zur  gründlichen  Erlernung  dess.  Op.  32. 

Lief.  2. ^  Erster  Lehrmeister  für  den Tiolin-Unterriobt  in  stufenweise  (  Op.  2aueftl. 

Lief.   3.}  geordneten  Debungen  der  ersten  Position  durch  alle  Dur-  \  Op.  22    ,   H. 

Lief.   4.'  und  Moll-Tonarten.  '  Op.  27. 

Lief.  5.  SeohsnndTiertU  blelne  Debnn^cstüoke  für  die  Violine  mit  einer  begleiten- 
den zweiten  Violine.    (.Hierzu  Lief.  14—16.) 

Lief.  6.  Aohtzehn  kleine  und  moderne  Duette  für  zwei  Violinen  in  vei'schied.  Dur-  u. 
Mull-Tonarten  nebst  l'ünf  neue  Uebuugen.  Erste  Position.  Op.  13  Heft  l. 

Lief.  7.  Zehn  leichte  melodische  Daettinos  für  zwei  Violinen  in  verschiedenen  Dur- 
und  MoU-Tonaiten.   lErste  Position.)  Op.  13  Heft  11.  (Hierzu  Lief.  13.) 

Lief.  8.  Ornndllche  Anweisung  znr  Erlernung  der  Applikataren  nebst  Beispielen 
und  leichten  melodischen  Duettinos  für  zwei  Violinen  in  ver- 
schiedenen Dur-  und  Moll-Tonarten.    (Dritte  Position.)    Op.  19. 

Lief.  9.  Oröndllohe  Anweisung  zur  Erlernung  der  Applikaturen  etc.  etc.  (Zweite 
Position.)    Op.  ^i. 

Lief.  10.  Sechs  leichte  und  melodische  Duettinos  in  verschiedenen  Dur- und  Moll-Ton- 
arten. Für  Violine  und  Brat  sc  h  e    lErste  und  dritte  Position  )  Op.37. 

Lief.  11.  Ornndliobe  Anweisunfi,  Beispiele  und  Debnngsstücke  znr  Erlernung  der 
Applikaturen,    •  Vierte,  fünfte,  sechste  und  siebente  Position.)   Op.  3m. 

Lief.  12.    Zwölf  Debungen  fdr  die  Violine.    Op-  39. 

Ei'g-änzung^gsUefte. 

Lief.  13.  Zwölf  Lektionen  für  Anfänger  im  Violinspiel.  Leichte  melodische  Daettinos 
für  zwei  Violinen  Z.Gebrauch  f. Lehrer  U.Schüler    Op.  2ü.  (Zu  Lief.  7.) 

^  Schule    der    Gelänfl^belt.     Zweiundvierzig    instruktive  ( 
Lief.  14.1  Uebungsstücke  für  die  erste  Position  mit  genauer  I   Op.  47  Heft    I. 

Lief.  15. '  Bezeichnung  des  Fingersatzes,  sowie  der  verschie-  ^   Op.  47      „      II. 

Lief.  16.1  denen  Bogenstriche,   als  tägliche  Studien  für  die  I   Op.  47     „    III 

)  Violine.    (Zu  Lief.  5.)  \ 

j^j®[}^}  Zwölf  grosse  Etüden  für  die  Violine.    (T)ouze  Etudes )  {  ^P;  g  ^f^  j|; 

jVnlia.ng'. 

Instraktire  Daette  zur  Förderuug  des  musikalischen  Ausdrucks  und 

Taktgefühls,  für  zwei  Violinen. 
Lief.  19.\  Zwei    Elementar -Duette    (erste    Position)    von  I  Op.  25.    Nr.  1  in  Gdur. 
Lief.  20./  (.arl  Uering.  \  Op.  25.    Nr.  2  in  C  dur. 

Lief.23.'  >on  larl  Hering.  l   III.  Serenade  in  Amoll.  dp. 36. 

tDebungsstücke  für  zwei  VIo-  ( 
ilnen   nach   klassischen  I  Heft     I.  Zweite  und  dritte  Position, 
uici.  Äj. .  Kompositionen, bearbei- '  Heft   II.  Dritte,  vierte  und  fünfte  Position. 

Lief.  26. 1  tet  von  Bernhard  Kotbe.  I  Heft  III.  Dritte,  vierte  und  fünfte  Position. 

I  In  drei  Heften  I 

Lief.  27.)  Leichte  fortschreitende  (Heft     I.  Drei  Duette  (C  dur,  Amoll.  Gdur). 

Lief.28./  Daette  von  J.  Ton         w  Heft    H.  Drei  Duette  (D dur,  F dur.  Emoll). 

Lief.  29.'  Blunienthal.    Op.  61.     ^  Heft  III.   Drei  Duette  (C  dur,  D  moU,  Es  dur). 

Lief.  30.    Drei  Duos    ejsle  und  zweite  Position)  von  J.  tob  Blamenthal.    Op.  95. 
Lief.  31.    Acht  leichte  Debnngsstüoke  für  zwei  Violinen  in  den  gebräuchlichsten 
Tonarten    mit    genauer    Bezeichnung    des   Fingersatzes    und   der 
Bogenstriche  von  Moritz  Schoen.    Op.  73.    (Zu  Lief.  20.) 
Lief.  32.    Drei  leichte  Duette  in  Sonatenform  für  zwei  Violinen.    Erste  und  dritte 

Position  von  Moritz  Schoen.    Op.  56.    (Zu  Lief.  23.) 
Lief  33  und  34.    Zwei  Duette   lin  D  und  F)  für  zwei  Violinen  für  geübtere  Spieler 
von  Moritz  Schoen.     Op.  6. 

Mein  Verzeichnis  ifFUr  Geiger!"  enthaltend: 
Lehrstoff  für  den  Violin-Dnterriobt  von  den  ersten  Anfängen  bis  znr  Künstler- 

Schaft, 
Vortrags-  und  Unterbaltungsstücke  für  ein  and  mehrere  Violinen  mit  und 

ohne  Begleitungi 
Hans-  und  Kammermusik, 
Konzertstücke. 


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ßncher  Ober  9Insik  nnd  Jlnsiker 

aus  dem 

Verlage  yoii  F.  E.  C.  Leuckart  in  Leipzig. 


AmbrOS,  A.  W.,  ßunle  Blätter.  Skizzen  und  Studien  für  Freunde 
der  Musik  und  der  bildenden  Kunst.  2.  verbess.  Aufl.  in  einem 
Bande.  Herausgeg.  von  Emil  Vogel.  Mit  dem  wohlgetroffenen 
Portrait  des  Verfassers,  gestochen  von  Ad.  Neumann. 

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Ehrlich,  H.,  Die  Musik-Aesthetik  in  ihrer  Entwickelaiig  Yon 
Kaut  bis  auf  die  Gegenwart.    Ein  Grundriß. 

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Hoffmann,  E.  T>  A.,  Musikalische  Schriften.  Mit  Einschluli  der 
nicht  in  die  ges.  Werke  aufgenommenen  Aufsätze  üb.  Beethoven, 
Kirchenmusik  u.  s.  w.  Mit  zahlreichen  Notenbeispielen  und  mit 
einer  Biographie  versehen  von  H.  vom  Ende.  netto  JS  1.50. 

KJauwell,  0.,  Geschichte^'der  Sonate  von  ihren' Anfängen  bis 

zur  Gegenwart.  netto  J^  1,50. 

Kullak,  FranZf  Wer  Vortrag  in  der  Musik  am  Ende  des  19.  Jahr- 
hunderts.   Mit  zahlreichen  Notenbeispielen  und  zwei  Beilagen. 
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LampadiuS,  W.  A.,  Felix  Mendelssohn- Bartholdy.  Ein  Ge- 
samtbild seines  Lebens  und  Schaffens.  Mit  Portrait  und  einem 
faksimilierten  Briefe  Mendelssohns. 

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LuSSy,  Mafhis.,  Die  Kunst  des  musikalischen  Vortrags.  An- 
leitung zur  ausdrucksvollen  Betonung  und  Tempoführung  in  der 
Vokal-  und  Instrumentalmusik.  Nach  der  fünften  französischen 
und  ersten  englischen  Ausgabe  übersetzt  und  bearbeitet  von  Dr. 
Felix  Vogt.    Mit  515  Notenbeispielen. 

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Mensch,  G.,  Ludwig  von  Beethoven.  Ein  musikalisches  Charakter- 
bild.   Mit  dem  Portrait  Beethovens,  gestochen  von  A.  Krause. 

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NieckS,  f  riedr.,  Friedrich  Chopin  als  Mensch  und  als  Musiker. 

Vom  Verfasser  vermehrt  und  aus  dem  Englischen  übertragen  von 
Dr.  Wilhelm  Langhans.  Mit  mehreren  Portraits  und  faksimilierten 
Autographen.    Zwei  starke  Bände. 

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Pohl,  Louise,  Hector  Berlioz,  Leben  und  Werke.  Mit  Berlioz, 
Portrait  im  Lichtdruck  und  zwei  Faksimiles. 

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Weber,  Wilhelm,  Beethovens  Missa  solemnis.  Eine  Studie.  Neue, 
durch  einen  Anhang  erweiterte  Ausgabe,  mit  den  BUdem  Beet- 
hovens und  Erzherzogs  Rudolf  von  Oesterreich  sowie  zahlreichen 
Notenbeispielen  ausgestattet.  netto  ./l^  1,50. 

Wittin  j,  C,  Geschichte  des  Violinspiels.  Mit  zahlreichen  Noten- 
beispielen, netto  ./'  1,50. 

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A.  W.  AMBROS 

Geschichte  der  Musik. 

Mit  zahlreichen  Notenbeispielen  und 
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Erster  Band.  Dritte  gänzlich  Tims'carbeitete  Auflage.  Auch  unter 
dem  Titel :   Die  Musik  des   griechischen  Altertums  und   des  Orients 

nach   Rudolf  Westphals    und    F.  A.  Gevaerts   neuesten 

Forschungen  dargestellt  und  berichtigt  von  B.  v.  Sokolovsky. 

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Zweiter  Band.  Dritte  vermehrte  und  verbesserte  und  mit  Nach- 
trägen versehene  Auflage  von  Heinrich  Eeimaun.  Mit  drei 
Tafeln  Abbildungen. 

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Dritter  Band.  Dritte  verbesserte  Auflage,  herausgegeben  von  Otto 
Kade.  Broschiert  netto  Jl  12,—.  Gebuuden  netto  .Ä  14,—. 

Vierter  Band.    (Fraginent.)     Mit  einem  Vorworte  von  G.  Notte- 

bohm   und   einem   Nachworte  von  Eduard   Schelle.    Dritte 

durchgesehene,  nach   den    neuesten   Forschungen  ergänzte  und 

berichtigte  Auflage  von  Dr.  Hugo  Leichten  tritt.    (1909.  j 

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Fünfter  Band.  Auch  unter  dem  Titel:  Auserwählte  Tonwerke  der 
berühmtesten  Meister  des  15.  und  16.  Jahrhunderts.  Eine  Beispiel- 
sauunluiig  zu  dem  dritten  Bande  der  Musikgeschichte  von 
A.  W.  Ambros,  nach  dessen  unvollendet  hinterlasseuem  Noten- 
material mit  zahlreichen  Vermehrungen  herausgegeben  von  Otto 
Kade.    Zweite  Auflage. 

Broschiert  netto  Ji  15, — .  Gebunden  netto  Jt  17,—. 


lu  chronologischem  Anschlüsse  an  dieses  Mounmeutalwerk  ist 
zu  empfehlen : 

Wilhelm  Lanthans,  Gesctiiclite  der  Musil(  des  17.,  18. 

und  19.  JatirhundertS.     Zwei  starke  Bände. 

Broschiert  je  netto  Ji  10, — .  Gebunden  je  netto  Jv  12, — . 


)  Verlag  von  F.  E.  C.  LEUCKART  in  LEIPZIG.  \_ 


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Verlag  von  F.  E.  e.  Leudiart  in  Leipzig. 


::  Musikalische  belirbficlier :: 

BR0S16,  MORITZ,  Handbuch  der  Harmonielehre  u.  Modulation. 

Fänfte  Auflage.    Neu  bearbeitet  und  mit  Beiträgen  versehen  von 

Carl  Thiel.   Mit  zahlreichen  Notenbeispielen  und  Musikbeilagen. 

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gehende Organisten.  netto  ^  i ,-. 

CHERllBlHl,  L,  Theorie  des  Kontrapunktes  und  der  Fuge. 
In  neuer  Qberse^ung.  Bearbeitet,  mit  Nnmerhungen  und  einem 
Anhang  aber  die  alten  Kirdientonarten  versehen  von  Gustav 
Densen.         Brosdiiert  netto  .//  «,-.  Gebunden  netto  M  5,—. 

FRANKE,  P.W.,  Theorie  u.  Praxis  des  harmonisdien  Tonsa^es. 
Hand-  und  Lehrbuch  fär  den  Unterridit  und  das  Studium  der 
Theorie  der  Musik. 

Brosdiiert  netto  Ji  3,—.   Gebunden  netto  M  4,—. 

HILL6ENBER6,  RICHARD,  Leitfaden  für  den  ersten  theoreti- 
sdien  und  medianisdien  Elementar-Unterridit  des  Violin- 
sdiülers.  '      netto .«  1  — . 

JflPHSSOHN,  5.,  Erläuterungen  zu  ausgewählten  Fugen  aus 

3oh.  Seh.  Badis  iDohltemperierten  Klauier.   Supplement  zu 
des  Verfassers  behrbudi  des  Kanons  und  der  Fuge,   netto  >&  1,20. 

KLflUWELL,  0.,  Die  Formen  der  Instrumentalmusik  mit  vielen 
Notenbeispielen.  netto  Ji  1,50. 

PElYIBflllR,  JOSEF,  Über  das  Dirigieren.  Die  Aufgaben  des  Diri- 
genten beleuditet  vom  Standpunkte  der  versdiiedenen  Disziplinen 
der  Kompositionslehre.  netto  .ä  1,— . 

WjECK,  FRIEDRICH,  Klauier  und  Gesang. 

Didaktisches  und  Polemlsdies.    Dritte  vermehrte  Auflage. 

Brosdiiert  netto  .fi  3,—.  Gebunden  netto  Ji  4,—. 


HL  Öö6?35 

160    Kothe,  Nernhard 
K68      B. Kothe 's  Arbriss  der 
2_(^09   allgemeinem  musikgeschichte 
8.  aufl. 


HL 
160 
K68 
1909 


Kothe,   Bernhard 

B.  Kothe' s  Arbriss  der 
allgemeinem  rausikgeschichte 
8.   aufl.