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Full text of "Blätter für Gefängniskunde Bd 19.1885"

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(xustav Kkert. 


Neunzehnter Band, 5. Heft. * 


Heidelberg. 

Verlagshandlung von G. VVeiss. 

Druck von Pr. Wagner in Preiburg i. B. 

1885. 






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THE LIBRARY 

OF THE 



CLASS 33905 

BOOK ]555 



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Blätter 

1 

für 



lies yereitts der deotsclien Mutaltsbiek 


Redigirt 

von 

Gr^ustav Ekert. 


Neunzehnter Band. 


Heidelberg. 


(^IBUOTraE^ 


J erlagshandlung von G. Weiss. 

Druck von Pr. Wagner in Freiburg i. B. 


L'iav.cr WlKK.LllSKAin ^ , 

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Inhalt 

des 

XIX. Bandes. 


S^ite 

1. Verhandlungen der Versammlung des Vereins der deutschen Straf¬ 
anstaltsbeamten in "Wien 17.—21. Sept. 1883. 1. u. 2. Heft. 

I. Vorbericht.V 

II. Erste Sitzung, 20. September.1 

1. Begrüssung der Versammlung durch Se. Excellenz den 

Justizminister Dr. Freiherr v. Prazak. . . . 1 

2. Wahl des Büreaus.2.3 

3. Vortrag des Geh. Justizraths Wirth Ober die Entwick¬ 
lung des Gefängnisswesens Deutschlands u. Oesterreichs 3 

4. Geschäftsbericht ........ 50 

5. Verhandlungen über die Fürsorge für geistesgestörte Ver¬ 
brecher .20 

6. Desgl. über den Bau von Zellengefängnissen . , . 44 

7. Desgl. über Aenderung der Satzungen .... 49 

8. Desgl. über die Extragenüsse etc. an Gefangene . • 54 

III. Zweite Sitzung, 21. September.80 

9. Verhandlungen über die Arbeitsbelohnungen ... 80 

10. Desgl. über das Schutzwesen für entlassene Gefangene . 118 

11. Wahl des Ausschusses.138 

IV. Beilagen: 

1. Programm der Versammlung.141 

2. Verzeichniss der Theilnehmer.145 

3. Büreau der Versammlung.147 

4. Verzeichniss der Beschlüsse ...... 148 

o 

y 2. Die Bevölkerung der Hamburgischen Gefängnisse im Jahre 1883. 

*.T ^ ätreng. 3. u. 4. Heft.155 

Erbauung einer Strafanstalt in Bosnien. Mit 4 lith. Tafeln. 

3. u. 4. Heft. . . 166 

lieber die Geständnisse der Gefangenen. Von Krauss. 3.u.4.Heft. 186 

5. Die Strafanstalt Wehlheiden b. Cassel. VonKaldewey. 3. u. 4.Heft. 2ll 


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583975 


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IV 


Seite 


6. Die englischen Reformatories und Industrieschulen. 3. u. 4. Heft 242 

7. Die lieber Verdienstgelder der Gefangenen und Entlassenen. Von 



Richter. 5. Heft. 



301 

8. 

Internationaler Gefängnisscongress. 3. u. 4. Heft 

. 

• • 

230 


5. Heft 

• 


391 

9. 

Mittheilungen aus der Praxis. 3. u. 4. Heft 


• 

260 

10. 

Correspondenz. 8. Heft. 

. 


329 


Insbesondere: 





Gefangenenzahl in Preussen .... 



330 


Mittheilungen über d. GefängnissVerwaltung in EIsass-Lothringen 

343 

11. 

Vermischtes. 5. Heft. 

, 

, 

346 


Insbesondere: 





Desinfection durch Torfmull .... 



359 

12. 

Literatur. 3. u. 4. Heft. 



268 

13. 

Nachrichten aus Strafanstalten. 3. u. 4. Heft 

. 


270 


5. Heft 



389 

14. 

Schutzwesen. 3. u. 4. Heft. 



271 


5. Heft. 



369 

15. 

Personalnachrichten. 3. u. 4. Heft 



293 


5. Heft . • . • 



396 

16. 

Vereinsangelegenheiten. 3. u. 4. Heft . 



296 


5. Heft .... 

, 

, , 

397 


17. Preisausschreiben (Handbuch für Gefängnissaufseher). 3. u. 4. Heft 297 

18. Erklärung von Kr ohne (S. 1—8), mit Bd. 18 Heft 3 und von 

Chuchul (S. 1—8), mit Bd. 18 Heft 4 erschienen, gehören 
zum 19. Band. 


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Ad 


den Änssclinss and die Mitglieder des Vereins der 
deutschen Strafanstalts-Beamten! 


Der Verein hat mir zu meinem 25jährigen Jubiläum als 
Strafanstaltsvorstand, das ich am 11. dieses Monats begieng, 
durch seinen Ausschuss eine künstlerisch ausgestattete Glück¬ 
wunschadresse, in der meiner seitherigen Wirksamkeit auf dem 
Gebiete des Gefilngnisswesens und der zwanzigjährigen Thätig- 
keit als Leiter des Vereins aufs ehrenvollste gedacht ist, nebst 
einem Geschenke, bestehend in einem werthvollen silbernen 
Tafelaufsatz, überreichen lassen. Hiefür sage ich meinen auf¬ 
richtigen, warm und tief gefühlten Dank. 

Wenn uns in der durch Widerwärtigkeiten, Enttäuschungen 
und Uebermüdungen reich gewürzten Thätigkeit das Zeugniss 
wird, dass dieselbe keine fruchtlose war, dass wir noch Gönner, 
Freunde und Collegen besitzen, die uns eine treue, gute Ge¬ 
sinnung bewahren, so sind solche Lichtpunkte die Leitsterne 
und die Aufrichtung im fernem Wirken, die Kräftigung im 
Ausharren bei der guten Sache. 

Diese Aufmunterung, sie ist mir von allen Seiten im 
reichsten Maasse geworden. 

Möge Gott unser Zusammenwirken, dem ich allein den 
Erfolg verdanke, auch ferner äegnen und noch lange erhalten! 

Freiburg, 28. Jenner 1884. 

Der Yorsttzende des Yerelnsausschosses 
Ekert, 

Gebeimerath und Gefängnissdirector. 


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Blätter 


für 




aisikaad 




Redigirt 

▼on 

Grustav Ekert. 


Neunzehnter Band, 1. u. 2. Heft. 


* 


Heidelberg. 

Verlagshandlung von G. Wciss. 

Druck von Fr. Wagner in Freiburg i. B. 

1884. 

e 


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Versammlung 

des 


in 

Wien« 


17. —21. September 1883. 


Nach den stenegraphisehen Aufzeichnungen. 


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Vorberichi 


Die nöthigen Angaben über die Entwickelung des 
Vereins, seine. Thätigkeit, Mitgliederzahl, Ein¬ 
nahmen und Ausgaben etc. sind in der Versammlung mit- 
getheilt worden und auf S. 50 ff. dieses Heftes zu ersehen. 

Die Vereinsrechnungen für 1880—83 sind in Gemäss- 
heit des Beschlusses der Wiener Versammlung durch Herrn 
Director Wirth geprüft und richtig befunden worden; es 
wurde hierauf Decharge ertheilt und die Anerkennung für die 
sorgfältige und sparsame Rechnungsführung ausgesprochen. 

Die Einladungen zu der 18836r Versammlung in Wien sind 
in üblicher Weise erfolgt. Die Versammlung war zahlreicher, 
als man nach den Verhältnissen, besonders auch der Lage des 
Orts erwarten konnte, besucht und ist in befriedigender Weise 
verlaufen. Der Gang derselben ist aus dem vorliegenden Hefte 
und insbesondere aus den Beilagen zu ersehen. 

Auch diesmal sind die zu behandelnden Stoffe durch vor- 
ausgegangene Berathung des Ausschusses vorbereitet worden. 
Der Ausschuss versammelte sich deshalb programmmässig schon 
am 17. September in Wien. Den Sitzungen wohnten auf be¬ 
sondere Einladung die Herren Ministerialräthe v. Pichs und 
V. Feiner aus Wien und Geh. Ober-Regierungsrath Illing aus 
Berlin, sodann die Ausschussmitglieder Bracker, Ekert, Krohne, 
Langreuter, Lütgen, Marcard, Miglitz, Strosser und Wirth bei; 
ebenso waren als Referenten die Herren Staatsanwalt Zatschek 
aus Pilsen, Director Tauffer aus Lepoglava, Pfarrer Krauss 
aus Bruchsal und Decan Götzinger aus Langenbrücken an- 


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VI — 


wesend. Den Vorsitz führte Director Ekert, das Protokoll 
Pfarrer Krauss. 

Die Ausschusssitzungen begannen am 17. September Abends 
und wurden am 18. und 19. fortgesetzt. Zur Discussion darin 
kam u. A. auch der Gedanke einer näheren Verbindung des 
Vereins mit den andern Gefangnissvereinen Deutschlands. Eine 
Frucht der Berathung war der Vorschlag des Ausschusses, 
betr. Aenderung der Satzungen, über welchen Director Krohne 
(S. 49 der Verhandlungen) referirte. 

Im Uebrigen war das Resultat der Berathung die Fest¬ 
stellungen der weiteren Thesen, die den beiden Hauptversamm¬ 
lungen zur Beschlussfassung vorgelegt und fast ohne Aende- 
rungen angenommen wurden. (Beil. 4 d. Heftes.) 

Die Berathungen des Ausschusses spiegeln sich in den 
Referaten und den Discussionen der Hauptversammlung wieder. 

Man einigte sich auch bezüglich des Vorschlags eines 
Präsidenten für die Versammlung auf Herrn k. k. Hofrath und 
Oberstaatsanwalt Dr. von Hattingberg, der nachmals das 
Präsidium auch annahm. 

Am 21. September trat der Ausschuss nochmals zusammen, 
um zu beschliessen, welche Herren als Mitglieder des Aus¬ 
schusses vorzuschlagen seien. Das Resultat ist S. 138 der Ver¬ 
handlungen angegeben. 

Die Ausschusssitzungen wurden in einem schönen und 
elegant eingerichteten Saale des prachtvollen neuen Justiz¬ 
palastes abgehalten, in welch letzterem sich auch der Sitzungs¬ 
saal für die Hauptversammlung befand. 

An den Hauptversammlungen betheiligten sich ausser Sr. 
Excellenz dem Herrn Justizminister und den Herren Mini- 
sterialräthen v. Feiner und v. Pichs aus Wien als Gäste noch 
die Herren Excellenz Oberlandesgerichtspräsident v. Streit, 
die Sectionschefs im k. k. Justizministerium Frhr. v. Sacken 
und Giuliani, Oberlandesgerichts - Vicepräsident Arthur 
V. Keller, Justizministerialrath Dr. Krall, Sectionsrath im 
Justizministerium Starr. Ministerialsecretär in dems. Minist. 
Dr. Kaser er, Strafgerichtspräsident Schwaiger, Vicepräsi¬ 
dent der Advocatenkammer Dr. Frantz. 

Was die Commission für den Bau von Zellengefängnissea 


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VII 


anlangt (s. S. 48 dieses Heftes), so wurde solche gebildet aus 
den Herren: 

Geh. Ober-Reg.-Rath Illing in Berlin, 

Director Kr oh ne daselbst, 

Ministerialrath v. Pichs in Wien, 

Director Streng in Hamburg, 

Geh. Justizrath Wirth in Berlin, 

Staatsanwalt Zatschek in Pilsen, 

Geh. Rath Ekert in Freiburg. 

Zu ihrem Vorsitzenden ernannte diese Commission Herrn 
Director Kr oh ne. 

lieber den Ort der nächsten Versammlung hat man sich 
zunächst nicht definitiv geeinigt, jedoch eine Stadt in Süd¬ 
westdeutschland oder Mitteldeutschland in Aussicht genommen. 

Zum Vorsitzenden des Ausschusses wurde der Unterzeich¬ 
nete wieder gewählt. 

Wie der geschäftliche, so verlief auch der nichtgeschäft¬ 
liche Theil der Versammlung in gelungenster Weise. 

Die an den Ausschussberathungen Betheiligten hatten die 
ganz besonders hohe Ehre, im Verein mit mehreren höheren 
Staatsbeamten Wiens am Mittwoch den 19. September von 
Sr. Excellenz dem Minister der Justiz Dr. Freiherrn v. Prazak 
zum Diner geladen zu sein. 

Der Begrüssungs-Abend fand am Mittwoch den 19. Sep¬ 
tember unter zahlreicher Betheiligung und regem Verkehr in 
besonderen Räumen des Caf6 Ronacher statt, wobei durch die 
Liebenswürdigkeit des Eigenthümers noch einige mit fürstlicher 
Pracht ausgestattete Privatzimmer zur Verfügung gestellt waren. 

Am 20. September vereinigte sich die Mehrzahl der Theil- 
nehiner zu einem gemeinsamen Diner im Caf4 Ronacher. 

Die Fahrt nach dem Kahlenberg und die dort stattgefun¬ 
dene gesellige Vereinigung bei einem Gouter, veranstaltet durch 
die k. k. Oesterreichische Regierung, woran eine Anzahl hoher 
Staatsbeamten von Wien Theil nahm, verlief höchst gelungen. 
War auch das Wetter nicht günstig und die schöne Aussicht 
nur während des Hinwegs zu schauen, während es nach der 
Ankunft oben regnete, so that dies der Geselligkeit keinen 
Eintrag, erhöhte vielmehr die Genüsse des Festes. Bei 


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vin 


diesem Anlass toastirte Herr Ministerialrath von Pichs auf 
den Vereins Vorstand, Geh. Rath Ekert auf die k. k. Staats¬ 
regierung, hier vertreten durch die Herren Ministerialräthe 
V. Feiner und v. Pichs, sodann Hr. Staatsanwalt v. Pelser 
auf die Frauen. In animirter Stimmung verlief dieses letzte Zu¬ 
sammensein und ein ungetrübter, gesunder Humor würzte bis 
zum Ende das schöne Fest. 

Die äusseren Veranstaltungen für das Ganze besorgten 
die Herren Ministerialräthe von Feiner und von Pichs in 
gelungenster Weise. Die k. k. österreichische Regierung über¬ 
nahm die sämmtlichen Kosten der Versammlung. 

Man bekam überhaupt die Ueberzeugung, dass die Wirk¬ 
samkeit des Vereines in Oesterreich, wo man für Hebung des 
GefängnissWesens besonders durch Einführung der Einzelhaft 
unablässig und mit Erfolg bemüht ist, hochgeschätzt sei. 

Diesen Eindruck erhielt der Unterzeichnete auch vor Allem 
als ihm am 20. September die Gnade zu Theil ward, von 
Sr. k. k. apostolischen Majestät dem Kaiser in Audienz em¬ 
pfangen zu werden, um sich für die Verleihung des Komthur- 
kreuzes des Franz-Josefs-Ordens zu bedanken. Se. Majestät 
gedachte hiebei nicht nur des Vereins und seiner Bestrebungen 
im Allgemeinen, sondern sprach auch Höchstseine Freude 
darüber aus, dass der Verein in Wien tage, zeigte sich über 
die Verhandlungsgegenstände vollständig informirt, betonte die 
Wichtigkeit derselben und sprach sich noch weiter über das 
Gefängniss wesen aus. In huldvollster Weise erfolgte wie der 
Empfang so auch die Entlassung. 

Das freundlichste Entgegenkommen zeigte auch speciell 
Se. Excellenz der Herr Justizminister von Prazak; von ihm 
wurde Alles aufgeboten, was die Zwecke der Versammlung 
und die Annehmlichkeit des Aufenthalts fördern konnte. 

In Ausführung dieser Gesinnung waren auch die Herren 
Ministerialräthe von Feiner und von Pichs unermüdlich in 
Aufmerksamkeiten gegen die Gäste. 

Solche Ereignisse, dabei die Grossartigkeit und Pracht 
der österreichischen Kaiserstadt, alles das Viele, was sie bietet, 
namentlich auch durch den gemüthlichen Ton im geselligen 
Verkehr, der in den Herzen aller Theilnehmer wiederklang, 


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IX 


— Alles das war wohl geeignet, unauslöschlichen Eindruck zu 
machen. 

Es geschieht daher nicht sowohl im Gefühle der Pflicht 
und gemäss der Uebung, sondern — und gewiss in lieber- 
einstimmung mit allen Theilnebmern — aus innerem Herzens¬ 
drang, wenn ich hiemit Namens des Vereins und der Ver¬ 
sammlung für alles Gebotene den aufrichtigsten und wärmsten 
Dank sage. 

Freiburg, im Januar 1884. 


Für den Vereinsausschuss 

dessen Vorsitzender: 

Ekert, 

Geheimerath und Gefüngnissdirector. 




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VII. Versammlung 

des 


in 

"VV^ien. 


Erste Sitzung den 20. September 1883. 

Der Vereinsvorstand Geheimerath Ekert eröfftiet die Ver¬ 
sammlung um 9 Uhr mit folgenden Worten: 

Indem ich die Versammlung des Vereines der deutschen 
Strafanstaltsbeamten für eröffnet erkläre, habe ich zunächst 
mitzutheilen, dass Se. Excelleiiz der Herr Justizminister Dr. 
Freiherr von Prazak uns die hohe Ehre erweisen will, die 
Versammlung zu begrüssen. 

Justizminister Dr. Freiherr von Prazak: Ich habe die 
Ehre, die verehrten Mitglieder und Theilnehmer der Haupt¬ 
versammlung des Vereines der deutschen Strafanstaltsbeamten 
bei dem Beginne ihrer Berathungen freundlichst zu begrüssen. 
Der Beschluss des Vereines, die diesjährigen Versammlungen 
in Wien abzuhalten, hat uns freudig berührt. 

Fruchtbare Anregungen auf dem Gebiete der Gefangniss- 
reform sind aus der Mitte des Vereines hervorgegangen und 
seine Thätigkeit hat wesentlich dazu beigetragen, dieGefängniss- 
kunde zu einem wichtigen Zweige der Strafrechtswissenschaft 
zu gestalten. 

In richtiger Erkenntniss ihres schwierigen Berufes, fassen 
ihn die Strafanstaltsbeamten immer fnehr von höheren Gesichts- 

Blätter für Qefängnisskunde. XIX. 1 


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punkten auf. Nicht als blosse Organe zur Beaufsichtigung der 
Verurtheilten dürfen sie sich ansehen; denn sie werden ihre 
dienstlichen Aufgaben in dem Maasse gelöst haben, als es 
ihnen gelungen ist, den die Strafe Verbüssenden am Ende der 
Haft gebessert und als ein nützliches Mitglied der mensch¬ 
lichen Gesellschaft wieder zu geben. 

Indem ich den Verein zu der unausgesetzten Verfolgung 
seiner edlen Zwecke beglückwünsche, füge ich noch den 
Wunsch bei, dass unsere verehrten Gäste sich während ihres 
Aufenthaltes in Wien, in unserer Kaiserstadt, so heimisch 
fühlen mögen, als wir sie hier auf das herzlichste willkommen 
heissen. (Beifall.) 

Geh. Rath Ekert: Im Namen des Ausschusses schlage 
ich Ihnen vor, Se. Excellenz den Herrn Jiistizminister Dr. 
Freiherr von Prazak zum Ehrenpräsidenten der Versamm¬ 
lung mit Acclamation zu ernennen. (Allgemeine Zustimmung 
und Bravo!) 

Ferner schlägt Ihnen der Ausschuss vor, zum Vorsitzenden 
der Versammlung zu ernennen den k. k. Hofrath und Ober¬ 
staatsanwalt in Wien Herrn Dr. von Hattingberg. (Allge¬ 
meine Zustimmung.) Da die Versammlung ihre Zustimmung 
kundgegeben, ersuche ich Herrn Hofrath und Oberstaatsanwalt 
von Hattingberg, wenn er ein willigt, das Präsidium der¬ 
selben zu übernehmen. 

Oberstaatsanwalt von Hattingberg (den Vorsitz über¬ 
nehmend): Es ist mir eine grosse Ehre, die Leitung Ihrer 
Verhandlungen zu führen; nehmen Sie für das mir geschenkte 
Vertrauen meinen wärmsten Dank. Erlauben Sie mir zugleich 
die Bitte um Ihre gütige Unterstützung und freundliche Nachsicht. 

Vor Allem kann ich in diesem Augenblicke und an dieser 
Stelle nicht unterlassen, jenes um die Rechtswissenschaft nicht 
minder als um die Strafrechtspflege und speciell auch um diesen 
Vereili hochverdienten Mannes zu gedenken, welcher während 
einer Reihe von Jahren Ihre Verhandlungen geleitet hat. Ich 
kann es nicht unterlassen, mein tiefes Bedauern darüber auszu¬ 
drücken, dass dieser Mann, Generalstaatsanwalt v. Schwärze, 
diesmal nicht in unserer Mitte ist, dass Sie nicht in der Lage 
waren, ihm auch diesmal die Leitung der Verhandlungen zu 


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übertragen. Ich bin Ihrer Zustimmung versichert, wenn ich 
den Herrn Präsidenten des Vereines bitte, im Namen der hier 
tagenden Versammlung an den Herrn General-Staatsanwalt 
von Schwarze Mittheilung zu machen von der Kundgebung 
ihres Bedauerns über den Anlass seines Ausbleibens und zu¬ 
gleich den lebhaften Wunsch uuszudrücken, es möge seine 
Genesung rasch und vollkommen fortschreiten. (Beifall.) 

Zunächst obliegt mir statutenmässig zur Bildung des 
Bureaus zu schreiten. Ich erlaube mir, den Herrn Geh. Ober- 
Justizrath Starke aus Berlin, den k. k. Hofrath und Univer¬ 
sitäts-Professor Dr. Wahlberg aus Wien, den Geh. Ober- 
Regierungsrath Illing aus Berlin und den Herrn Ober¬ 
staatsanwalt Köstlin aus Stuttgart zu bitten, die Ehre des 
Präsidiums mit mir zu theilen. 

Das Schriftführeramt ersuche ich die Herren Staatsanwalt 
Scheitz (aus Korneuburg) und Pfarrer Krauss (aus Frei¬ 
burg) zu übernehmen. 

Wir übergehen zur Tagesordnung. Es ist nothwendig ge¬ 
worden, einige Aenderungen in derselben eintreten zu lassen. 
Als ersten Gegenstand der Verhandlung setze ich den Vortrag 
des Herrn Geh. Justizraths Wirth über die 

Entwicklung des Gefängnisswesens Deutschlands und Oester¬ 
reichs in Theorie und Praxis in der neueren Zeit. 

Ich ersuche denselben das Wort zu ergreifen. 

Geheimer Justizrath Wirth (Plötzensee-Berlin): Meine 
Herren I Als vor einigen Monaten in unserem Ausschüsse dar¬ 
über verhandelt wurde, dass in diesem Jahre hier zu Wien 
die Vereinsversammlung abgehalten werden solle, stellte ich 
an unseren Herrn Präsidenten den Antrag, er möge eine 
berufene Kraft veranlassen, uns bei dieser Gelegenheit einen 
Vortrag über die Entwicklung des Gefängnisswesens in Deutsch¬ 
land und Oesterreich zu halten. Ich erachtete es für angenehm 
und nützlich zugleich, im gegenwärtigen Augenblicke, wo wir 
uns hier versammelt haben, um einige weitere Punkte für den 
Culturplan unseres gemeinsamen Arbeitsfeldes, des Gefängniss¬ 
wesens, festzustellen, einen kurzen Bericht über die Bestre¬ 
bungen zu vernehmen, welche in dieser Culturfrage seither 


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von unserer und anderer Seite zu Tage getreten sind und über 
die Erfolge, welche diese Bestrebungen begleitet haben. Mein 
Antrag fand bei dem Herrn Präsidenten und dem Ausschüsse 
lebhafte Zustimmung, und der Vortrag wurde auf die Tages¬ 
ordnung gesetzt. Der Herr Präsident fand aber nicht die 
berufene Kraft für die Erstattung des Vortrages und bestimmte 
kurz entschlossen mich, den Antragsteller, für die Ausführung. 
Als alter Gefängnissbeamter an Gehorsam gewöhnt, wollte ich 
den Auftrag nicht ablehnen; ich übernahm denselben, trotz¬ 
dem ich die Schwierigkeit der Aufgabe sehr wohl kannte und 
trotzdem es mir zur Lösung derselben neben vielen anderen 
Dingen hauptsächlich an Zeit fehlte, die bei meinem über¬ 
grossen Amte diesem mühsam abgerungen werden musste. Ich 
darf demnach wohl sicher auf Ihre freundliche Nachsicht 
rechnen, wenn ich Ihnen heute statt des erwünschten, in sich 
abgeschlossenen und abgerundeten Bildes von dem Gegen¬ 
stände unserer Betrachtung nur einzelne, rasch entworfene 
Skizzen etwa in Form einer Plauderei vorführen kann. 

In erster Linie drängte sich mir die Frage auf, bis auf 
welchen Zeitpunkt soll ich bei meinem Rückblick zurück¬ 
greifen? Es erschien sehr verlockend, auf die Zeit Ende des 
vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts zurückzugehen, die 
Zeit, in welcher die Fragen des Gefängnisswesens überhaupt 
in die Oeffentlichkeit traten und anfiengen, wissenschaftlich 
behandelt zu werden. Es hätten sich dabei auch recht dra¬ 
stische Bilder und Beschreibungen schaffen lassen; allein bei 
näherem Eingehen auf die Sache kam ich zu der Ueberzeu- 
gung, dass mein Vortrag dadurch eine ungebührliche Länge 
erhalten müsste. So fand ich es denn für unsere Verhältnisse 
angemessen, wenn ich mich bei meinem Rückblick auf die 
Entwicklung des Gefängnisswesens' in Deutschland und Oester¬ 
reich beschränkte, welche dasselbe seit der Zeit des Bestehens 
unseres Vereines genommen hat, der heute auf eine 20jährige Ge¬ 
schichte zurückblicken kann. 

Im Jahre 1863 fanden sich auf Einladung unseres Herrn 
Vereinspräsidenten, der damals Director des Zellengefängnisses 
in Bruchsal war, eine Anzahl süddeutscher Strafanstaltsbeamten 
in Stuttgart zusammen in der Absicht, einen Verein süddeutscher 


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5 


Strafanstaltsbeamten zu gründen, der durch periodisch wieder¬ 
kehrende Versammlungen seiner Mitglieder gemeinsame Normen 
auf dem Gebiete des Strafvollzuges zunächst in Süddeutsch¬ 
land erstreben sollte. Der Gedanke wurde von allen Theil- 
nehmern an der Stuttgarter Versammlung freudigst begrüsst, 
das lebhafteste Bedürfniss nach einer solchen Vereinigung 
constatirt und für das Jahr 1864 eine erste Versammlung in 
Bruchsal, dem Mekka aller Gefängnissbeamten, beschlossen. 
Bei den süddeutschen Regierungen fand der Verein ebenfalls 
die günstigste Aufnahme und so wurde die Versammlung zu 
Bruchsal im Mai 1864 von einer überraschend grossen Anzahl 
von Beamten der Strafanstalten und deren Aufsichtsbehörden 
aus Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Nassau besucht; 
ja es fanden sich auch schon einzelne Deputirte aus Preussen 
und der Schweiz dazu ein. Ich brauche Sie nicht daran zu 
erinnern, dass damals jedes deutsche Land und Ländchen sein 
eigenes Strafgesetz hatte, dessen Bestimmungen häufig sehr 
wesentlich von einander verschieden waren, dass der Straf¬ 
vollzug nach Organisation, System und in seinen Einzelheiten 
die grössten Verschiedenheiten in den einzelnen Ländern zeigte 
und fast überall in der Hauptsache nur im Verordnungswege 
geregelt war; einige Ländchen, die nicht so viele Sträflinge 
hatten, dass sich die Wirthschaft in eigenen Gefängnissen 
rentirte, Hessen die von ihren Gerichten erkannten Strafen bei 
einem freundlichen Nachbar vollstreckcn. Durch den ausser¬ 
ordentlich regen Verkehr, der zwischen den Bewohnern der 
einzelnen Bundesstaaten stattfand, machten sich diese Ver¬ 
schiedenheiten auffallend fühlbar. Die Idee der Gerechtigkeit, 
verwirklicht in der Gleichheit vor dem Gesetz, rang nach An¬ 
erkennung und da an eine Aenderung der Strafgesetze nach 
der Seite ihrer Uebereinstimmung vorerst nicht zu denken war, 
so strebte man, bewusst oder unbewusst, einstweilen nach dem 
Erreichbaren: nach Gleichheit auf dem Gebiete der Strafvoll¬ 
streckung, die unabhängig von den Strafgesetzen bis zu einem 
gewissen Grade möglich schien und die, war sie erst zur That- 
sache gew'orden, die Aenderung und Gleichmachung der Straf¬ 
gesetze begünstigen musste. Selten war die Gründung eines 
Vereines so zeitgemäss, selten entsprach sie so sehr dem Be- 


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— 6 — 

dürfnisse, wie dies bei unserem Verein der Fall war. Die 
von allen Seiten her kundgegebene Zustimmung hatte gleich 
in der ersten Sitzung der ersten Versammlung den Erfolg, dass 
aus dem Vereine der süddeutschen Strafanstaltsbeamten ein 
Verein der deutschen Strafanstaltsbeamten wurde; und kaum 
war der Verein durch die Bruchsaler Versammlung lebendig 
und bekannt geworden, so beeilten sich auch die Collegen aus 
Oesterreich, sich dem Verein anzuschliessen, und sie sind uns 
treue Vereinsgenossen geblieben, so dass wir heute die Ehre 
und die Freude haben können, mit unserer Versammlung in 
der schönen Kaiserstadt Wien zu tagen. (Bravo I Bravo!) Der 
junge Verein äusserte nun bald eine lebhafte Thätigkeit und 
wurde darin in glücklichster Weise von hervorragenden Männern 
der Wissenschaft, einem Mittermaier, von Holtzendorff, Wahl¬ 
berg, Berner unterstützt; ausw^ärtige Vereine traten mit ihm in 
Verbindung, die Verhandlungen und die Beschlüsse seiner Ver¬ 
sammlungen fanden bei den Regierungen und den Landes¬ 
vertretungen die erwünschteste Beachtung, und es wird kaum 
zu viel gesagt sein, wenn ich behaupte, dass unser Verein von 
jetst ab eine treibende Kraft für die Entwicklung des Ge- 
fängnisswesens in Deutschland und Oesterreicli geworden und 
geblieben ist. Ein vorzügliches Mittel dazu hatte der Verein 
in seinem gedruckten Organ: „Blätter für Gefängnisskunde“ 
geschaffen, das uns heute in 17 Bänden vorliegt. Durch die 
Redaction und die Herausgabe derselben hat sich unser Vereins¬ 
präsident Geh. Rath Ekert ein unvergängliches Verdienst um 
die Gefängnisssache erworben. Wollen wir nie vergessen, zu 
welch’ grossem Dank wir ihm dafür verpflichtet sind. In 
diesen Blättern ist eine Summe von Thatsachen, ein Vorrath 
von guten Gründen und Vorschlägen für die Verbesserung 
unseres Gcfängnisswesens aufgespeichert, der bei dem Tempo 
des Ganges, den die Gefängnissreform immer gehabt hat und 
noch hat, in einem halben Jahrhundert noch nicht erschöpft 
sein^wird. 

Die Freiheitsstrafen, welche unser heutiges Gefängniss- 
wesen kennt, sind an die Stelle von Leibes- und Lebensstrafen 
getreten, die zu ihrer Zeit über den Verbrecher den Menschen 
vergassen und ihn für Nichts achteten. Mit der Anerkennung 


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7 


der Menschenrechte, mit dem Wegfall der Standesvorrechto, 
mit der Verallgemeinerung der politischen und bürgerlichen 
Rechte und Freiheiten für alle Glieder der staatlichen Gemein¬ 
schaft wuchs die Erkenntniss von dem Werthe der Persönlich¬ 
keit des einzelnen Staatsbürgers derart, dass die Staatsgewalt 
nicht mehr in der Vernichtung des Verbrechers die angemessene 
Strafe für seine Uebelthaten finden durfte, sondern sich in 
Ausübung ihrer Strafgewalt auf die Entziehung der persön¬ 
lichen Freiheit und der bürgerlichen Ehrenrechte beschränken 
konnte. Nach der Natur der Dinge erfolgte der Uebergang 
von den Leibesstrafen zu den heutigen Freiheitsstrafen nur 
allmählich. Man glaubte lange Zeit dem Verbrecher neben der 
Entziehung der Freiheit und der sonstigen bürgerlichen Rechte 
einige Peinigung angedeihen lassen zu müssen, damit er die 
Strafe auch fühle; er wurde beim Eintritt in das Strafhaus 
mit einer Tracht Prügel empfangen und mit einer solchen aus 
derselben entlassen; für alle Vergehen gegen die Hausordnung 
gab es wiederum Prügel; Ketten und Kugeln wurden ihm an 
den Leib geschmiedet, die er während seiner Strafzeit mit sich 
herumschleppen musste; zu bestimmten Zeiten des Jahres wurde 
er durch Dunkelarrest und Hungerkost an seine Strafthat er¬ 
innert. Die Justiz kümmerte sich wenig um das Wo und Wie 
die von ihr erkannten Freiheitsstrafen vollstreckt wurden. Sie 
hielt ihre Aufgabe mit Fällung des Strafurtheiles für beendigt; 
die Strafvollstreckung überliess sie der Polizei, ganz abwei¬ 
chend von den Leibes- und Lebensstrafen, deren Execution 
sie mit einer erschütternden Genauigkeit nicht blos vorge¬ 
schrieben, sondern sogar bildlich illustrirt hatte. Die Justiz¬ 
verwaltung, welche die Strafgesetze mit den neuen Freiheits¬ 
strafen schuf, hätte die Pflicht gehabt, auch für die Anstalten 
zum Vollzug der Strafen zu sorgen. Hätte sie sich dieser 
Pflicht nicht entzogen, so würde sie sicherlich Anstalten ein¬ 
gerichtet haben, welche der Absicht des Gesetzgebers bei 
Normirung der Freiheitsstrafen entsprechen; sie hätte nicht 
Anstalten mit unbeschränkter Gemeinschaftshaft zur Voll¬ 
streckung von Strafen einrichten können, w^enn sie nicht einem 
Vater gleichen wollte, der, indem er seinen ungezogenen Jungen 
strafen will, ihn zu noch ungezogeneren Jungen in die schwarze 


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8 


Kammer steckt. Die Polizei machte aus der Noth eine Tugend; 
sie benützte ihre Verwahranstalten zur Strafvollstreckung und 
wandelte sie erst allmälig, da Seitens der Gesetzgebung und 
der Justizverwaltung nichts geschah, nach ihrer Wohlmeinung 
zu Strafanstalten um. Diese Verkennung ihrer Aufgabe Seitens 
der Justizverwaltung hatte die schlimmsten Folgen für die 
Wirksamkeit des Strafgesetzes und des Strafvollzuges: Beide 
wurden dadurch in Misscredit gebracht; da man versäumt 
hatte, der Strafvollstreckung eine Wohnung zu bereiten, musste 
sie schliesslich um ein Obdach froh sein; jedes Lokal hielt 
man für genügend und passend zur Strafvollstreckung, beson¬ 
ders als mit der immer steigenden Anwendung der Freiheits¬ 
strafen für Vergehen jeder Art die Zahl der Bestraften in 
beängstigender Weise wuchs und zuweilen Nothstände hervor¬ 
rief, die fast einen Justizstillstand bedingten, da war man froh, 
wenn die Strafen überhaupt noch vollstreckt werden konnten; 
das „Wie“ war Nebensache. Die Einsicht von der Unhaltbar¬ 
keit solcher Zustände konnte nicht ausbleiben; sie wurde ge¬ 
fordert durch das mächtige und zwingende Beispiel des Aus¬ 
landes, besonders von Amerika, England, Schweden, Däne¬ 
mark, Belgien, Frankreich, wo die Frage der Gefängnissreform 
in den Parlamenten, in der Literatur und in zahlreichen Ver¬ 
einen nicht von der Tagesordnung kam, in Deutschland und 
Oesterreich durch die Vorkämpfer für Gefängnissreform Julius, 
Teilkampf, Wiehern, Mittermaier, Boeder, Jagemann, Noellner, 
Temme, Varrentrapp, v. Holtzendorff, Dietz, Füsslin, v. Würth, 
Wahlberg u. v. A., am meisten durch das Interesse, welches 
König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen persönlich an der 
Einführung des Strafvollzuges in Einzelhaft nahm. Diese Ein¬ 
sicht musste hervortreten, als nach dem Jahr 1848 die staats¬ 
bürgerlichen Rechte jedes einzelnen Individuums nochmals 
eine bedeutende Vermehrung erfuhren, und damit die persön¬ 
liche Freiheit einen weiter gesteigerten Werth erhielt. Auch 
die Verhandlungen auf den internationalen Wohlthätigkeits- 
congressen zu Frankfurt a. M. und zu Brüssel trugen zur Ver- 
urtheilung des herrschenden Gefängnissregimes in der öflFent- 
lichen Meinung bei. So wurde denn allerwärts an einer Reform 
des GefangnissWesens an Haupt und Gliedern gearbeitet} 


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9 


namentlich ging die badische Regierung allen anderen ener¬ 
gisch mit gutem Beispiel voran. Dort wurden die Prügel schon 
1831 abgeschafft; die Justizverwaltung nahm Leitung und Ver¬ 
waltung des Gefängnisswesens in die Hand; es wurde das 
Zellengefängniss Bruchsal gebaut und der Strafvollzug in dem¬ 
selben durch Gesetz geregelt. Auch in anderen Staaten, in 
Oldenburg, Braunschweig, Würtemberg, Mecklenburg. Han¬ 
nover, Oesterreich und zuletzt in Bayern erachtete es die Justiz¬ 
verwaltung als ihre Aufgabe, die Strafvollstreckung selbst zu 
übernehmen. Ketten und Kugeln fielen; im Jahre 1861 wur¬ 
den in Bayern, im Jahr 1867 in Oesterreich Tausenden von 
Sträflingen die auf den Leib geschmiedeten Ketten in Folge 
Gesetzes abgenommen; die Strafverschärfungen verschwanden 
mehr und mehr aus den Gesetzbüchern und die Strafvoll¬ 
streckung in Einzelhaft trat allenthalben in ihr natürliches 
Recht, wenn auch vorerst nur in geringem Umfange und ängst¬ 
lich in Verwirklichung. Es entstanden Zellengefängnisse in 
Vechta, Dreibergen, Moabit, Münster, Ratibor, Köln, Breslau, 
Hameln, Stuttgart, Zwickau, Nürnberg u. s. w. Wir treffen 
also bei Gründung unseres Vereines im Jahr 1864 die Ge- 
fängnissreform in vollem Gange. Die Art und Weise ihrer 
Durchführung war theoretisch nach allen Seiten der Möglich¬ 
keit und der Unmöglichkeit mehr als zur Genüge discutirt. 
Ich möchte hier auf einen nicht allgemein bekannten, in allem 
Ernst gemeinten Vorschlag des weimar’schen Obermedicinal- 
rathes und Directors der preussischen Akademie gemeinnütziger 
Wissenschaften zu Erfurt von Froriep aufmerksam machen: 
„Ueber die Isolirung der Sinne als Basis eines neuen Systems 
der Isolirung der Strafgefangenen.“ Weimar 1846. Es bedurfte 
jetzt nur noch der Männer, die mit nicht ermüdender Ausdauer 
und unerschrockenem Muthe dem für Recht und Gut Erkannten, 
der so nothwendigen Reform zu weiterem Leben und Gedeihen 
verhalfen. Dass hiezu in erster Reihe die Männer der Praxis, 
die Strafvollzugsbeamten berufen waren, liegt nahe. Weil aber 
bei dem grossen Umfange der Aufgabe die Leistung des Ein¬ 
zelnen zu wenig zur Geltung kommen konnte, so mussten sich 
die Strafanstaltsbeamten zu einem Vereine zusammenschliessen, 
der fortan anfing auf die Entwicklung des Gefängnisswesens 


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10 


in Deutschland und Oesterreich einen bedeutsamen Einfluss zu 
gewinnen. Ein erfreulicher Erfolg der Thätigkeit des Vereines 
war auch darin zu erkennen, dass die Theoretiker, welche 
immer mehr einsaheii, es seien die Probleme des Strafrechtes 
nimmermehr ohne die Zuhilfenahme der nach wissenschaftlichen 
Grundsätzen festgestellten Erfahrung des Praktikers zu lösen, 
sich in immer grösserer Anzahl und in ihren ausgezeichnetsten 
Persönlichkeiten dem Vereine der deutschen Strafanstalts¬ 
beamten anschlossen und, indem sie damit der Thätigkeit des 
Vereines öffentlich ihre Anerkennung zollten, den Zornesaus¬ 
brüchen des Dr. Mittelstaedt, welche dieser in seiner Schrift 
statt „gegen die Freiheitsstrafegegen die deutschen Straf¬ 
anstaltsbeamten schleuderte, ein tröstliches Paroli boten. 

Die ungetheilteste Uebereinstimmung bei Theoretikern und 
Praktikern fand sich in der Verurtheilung der unbeschränkten 
Gemeinschaftshaft, welche noch bei der Vollstreckung der 
überwiegenden Mehrzahl der in Deutschland und Oesterreich 
erkannten Freiheitsstrafen stattfindet. Die Beseitigung dieses 
Todfeindes der Wirksamkeit unserer Strafrechtspflege bietet 
kolossale Schwierigkeit, besonders in finanzieller Hinsicht. Die 
Aufgabe steht so riesenhaft vor uns, weil die Justiz % Jahr¬ 
hunderte lang versäumt hat, sie zu lösen. Sie muss und wird 
aber gelöst werden, die Wissenschaft und die Erfahrung ver¬ 
langt es gebieterisch und die Anklagen von Hunderttausenden 
entlassener Strafgefangener, die im Laufe der Jahre immer 
wieder aus den Gefängnissen in unsere gesellschaftlichen Kreise 
zurückkehren und die sagen, dass sie erst in der gemeinsamen 
Haft recht schlecht und Verbrecher von Profession geworden 
wären, können uns nicht ruhen lassen, bis wir dieser unbe¬ 
schränkten Gemeinschaftshaft ein Ende gemacht haben. In 
allen Staaten Deutschlands und Oesterreichs wird mit mehr 
oder weniger Energie an dieser Aufgabe gearbeitet, besonders 
seitdem das deutsche Strafgesetzbuch die Einzelhaft bis zur 
Dauer von 3 Jahren für zulässig erklärt und das österreichische 
Gesetz vom 1. April 1872 Strafvollzug in Einzelhaft angeordnet 
hat, ausserdem aber dieser Modus der Strafvollstreckung in 
dem Entwürfe des österreichischen Strafgesetzes noch eine 
erweiterte Anwendbarkeit erfährt. Die Zellengefängnisse in 


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11 


Plötzensee, Berlin, Kassel, Herford, Heilbronn, Freiburg i. B,, 
Wolfenbüttel, Ichtershausen, Oslebshausen, Fuhlsbüttel, Dres¬ 
den, Leipzig, Stein, Kartbaus, Karlau, Pilsen, Stanislau, Mar 
bürg, Prag sind seitdem entstanden. Allen Neubauten von 
Gefängnissen und Strafanstalten wird das System der Einzel¬ 
haft zu Grunde gelegt; im Prinzipe herrscht Einigkeit, wenn 
man auch in der Ausführung des Systems noch Abweichungen 
der Ansichten, namentlich hinsichtlich der Nothwendigkeit der 
Durchführung der Trennung in Kirche, Schule und Spazierhof 
findet. Wo man noch nicht m.it der Erbauung vollständiger 
Zellengefängnisse vergehen konnte, da hat man dem Bedürfniss 
der Trennung der Sträflinge durch Herstellung von Isolirschlaf- 
zellen in verschiedenen Formen Rechnung getragen, so dass 
ein Theil der Sträflinge wenigstens für die Nacht von einander 
getrennt ist. Während in Oesterreich 1875 nur 1190 Sträf¬ 
linge durchschnittlich je 184 Tage in Einzelhaft gelialten wer¬ 
den konnten, fand 1881 an 2149 Sträflingen auf durchschnitt¬ 
lich je 166 Tage die Strafvollstreckung in Einzelhaft statt. In 
Preussen konnten in den Gefängnissen, die zum Ressort des 
Ministeriums des Innern gehörten, 1881/82 überhaupt isolirt 
werden: 11682 Personen = 8% der Gesammtbevölkerung, 
darunter befanden sich 6206 Zuchthaussträflinge. Von diesen 
waren durchschnittlich im Jahre 2981 = 15% der Gesammt- 
zahl isolirt. Die Zahl der Zellen zur Isolirung bei Tag und Nacht 
beträgt 4266, die der Isolirschlafzellen 3621. In Bayern wur¬ 
den schon in Folge des Gesetzes von 1861 bei allen grösseren 
Strafanstalten Zellentrakte eingerichtet, auch die Zahl der Zellen 
bei den gerichtlichen Gefängnissen durch Neubauten und Adap- 
tirungen ganz bedeutend vermehrt; ebenso wächst die Zahl der 
Isolirzellen bei den gerichtlichen Gefängnissen in Oesterreich, 
womit in Folge des Gesetzes vom 15. November 1867 begonnen 
wurde, auf Grund des späteren Gesetzes vom 1. April 1872 
von Jahr zu Jahr. Beleben solche Thatsachen unsere Hoff¬ 
nung auf’s Besserwerden, so kann uns gleichwohl das Tempo 
des Ganges, in welchem die Gefängnissreform vorwärts schreitet, 
Angesichts des ungeheueren Nothstandes noch nicht befriedigen. 
Das Unheil, welches der gemeinsamen Haft entspringt, wächst 
mit jedem Tage. Der Umstand, dass die Einzelhaft bei der 


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12 


Strafvollstreckung immer noch die Ausnahme, die gemeinsame 
Haft die Regel bildet, schadet der Wirksamkeit der Einzel¬ 
haft um so mehr, als man wenigstens in Deutschland der ein¬ 
samen und gemeinsamen Haft dureh das Gesetz gleichen Werth 
beigelegt hat, was der Wahrheit nicht entspricht. In Oester¬ 
reich werden nach 3 monatlicher Einzelhaft von der ferner in 
Einzelhaft verbüssten Strafzeit 2 Tage gleich 3 Tage gemein¬ 
samer Haft gerechnet. Bekommen wir auch in Deutschland ein 
Gesetz über den Strafvollzug, so wird sich ja bei dieser Ge¬ 
legenheit die Frage regeln lassen, und ich möchte wünschen, 
dass sie im Sinne Oesterreichs auch bei uns geregelt würde, 
wie es früher schon in Baden und Bayern der Fall war. Von 
keiner Seite, wo Einzelhaft besteht, wird über dieselbe Klage 
geführt; die Urtheile über die grossen Vortheile, welche die¬ 
selbe für die Verwirklichung des Strafzweckes bietet, lauten 
übereinstimmend sehr günstig. Die Regierungen sollten daher 
weniger zaghaft mit Erbauung von Zellengefängnissen Vor¬ 
gehen. Der Kostenpunkt verdient nicht die grosse Rücksicht, 
welche man ihm beilegt; denn die Gefangnissreform hinsicht¬ 
lich der Abschaffung der gemeinsamen Haft ist eine Noth- 
wendigkeit, und für nothwendige Dinge hat jeder Staat die 
Mittel. Ich wüsste auch nicht, dass die Regierungen aus dem 
Verhalten der Landesvertretungen gegenüber ihrer Forderung 
für Zellengefängnissbauten Anlass hätten, mit Reserve aufzu¬ 
treten. Ueberall werden die Mittel bereitwilligst gewährt. Ob 
sich an den Baukosten nicht sparen lässt, ist eine andere, jedoch 
gewiss sehr wichtige Frage, und wir finden sie darum auf der 
Tagesordnung unserer gegenwärtigen Versammlung. 

Verfolgen wir, was Alles schon in Bezug auf die Trennung 
der Gefangenen geschehen ist, so wurden sie zuerst von den 
Irren und Waisenkindern, von den Bettlern, Landstreichern und 
liederlichen Dirnen getrennt; dann die Männer von den Wei¬ 
bern, die Untersuchungs- von den Strafgefangenen, die Er¬ 
wachsenen von der Jugend. Dann wurden sie getrennt nach 
den verschiedenen Strafarten; es wurde der Versuch gemacht, 
sie zu classificiren und sie nach ihren Vergehen oder nach dem 
Stande ihrer moralischen Qualität zu trennen; auch nach dem 
Religionsbekenntniss hat man sie getrennt, dann symbolisch 


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13 


durch Auferlegen von Stillschweigen in der Gemeinsamkeit; 
dann blos bei der Nacht und endlich für Tag und Nacht. Ich 
wünschte sehr, wir wären einmal mit der Trennung fertig und 
könnten darüber verhandeln, welche Gefangene wir in gemein¬ 
samer Haft halten dürfen. Die hieher bezüglichen Resolutionen 
unseres Vereines lauten von der Dresdener Versammlung 1867: 

„Der Zustand der Gefängnisse für Untersuchungs- und 
kurzzeitige Strafgefangene und die Behandlung dieser Gefan¬ 
genen ist von wesentlichem Einfluss auf die Wirksamkeit der 
eigentlichen Strafanstalten.“ 

„Der gegenwärtige Zustand dieser Gefängnisse ist grössten- 
theils mangelhaft.“ 

„Die absolute Trennung der Untersuchungsgefangenen von 
den Strafgefangenen ist die erste Bedingung der Reform.“ 
„Die Strafgefängnisse sind nach gleichem Prinzipe einzu¬ 
richten und zu verwalten, wie die Strafanstalten.“ 

„Isolirhaft für Untersuchungs- und kurzzeitige Straf¬ 
gefangene ist der einzig richtige Haftmodus.“ 

Von der Stuttgarter Versammlung 1877: 

„In Uebereinstimmung mit dem Deutschen Juristentage 
erklärt die Versammlung der deutschen Strafanstaltsbearaten: 

„„Die Einzelhaft soll die regelmässige Art des Vollzuges 
der Zuchthaus- und Gefängnissstrafen sein, die gemeinsame 
Haft die Ausnahme von dieser Regel.““ 

„„Auch Haftstrafen können in Einzelhaft vollstreckt 
werden.““ 

„„Die Einführung der Einzelhaft muss durch Gesetz sicher 
gestellt und in diesem bestimmt werden. Neubauten und Um¬ 
bauten dürfen nach keinem anderen Systeme gemacht werden.““ 
Nach meiner Ansicht kann und muss unser Verein die 
erwähnte Resolution noch heute Wort für Wort aufrecht er¬ 
halten. 

Eine weitere Forderung nach Reform auf dem Gebiete des 
GefängnissWesens verlangt die gesetzliche Regelung des Straf¬ 
vollzuges. Dieser Forderung ist in Oesterreich bezüglich des 
Vollzuges der Strafen in Einzelhaft entsprochen, wie es früher 
auch in deutschen Ländern mit Einzelhaft, in Baden, Bayern, 
Württemberg der Fall war. Durch den Entwurf des Straf- 


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gesetzbuches ist in Oesterreich auch ein Gesetz über den Voll¬ 
zug der Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt. — In Preussen 
wurde seiner Zeit die Einzelhaft ohne Gesetz auf dem Ver¬ 
ordnungswege eingeführt und es entbrannte darob der Streit: 
Gesetz oder Verwaltungsmaxime? Es blieb gleichwohl beim 
Alten. Nun ist durch das deutsche Strafgesetzbuch die Frage 
für alle deutschen Buhdesstaaten wieder eine offene geworden. 
Schon bei Berathung des Strafgesetzes verlangte der Reichstag 
die Vorlage eines Strafvollzugsgesetzes. Die Natur der Sache 
verlangte ja auch, dass man, wenn man Strafen festsetzte, 
wissen musste, was unter solcher Strafe zu verstehen sei. Die 
ganze Misere unserer Gefängnisszustände haben wir ja nur 
dem Umstande zu danken, dass dies seiner Zeit versäumt wor¬ 
den ist. Im Reichs-Justizamt wurde auch der Entwurf zu 
einem Strafvollzugsgesetze fertig gestellt und dem Bundesrathe 
in Vorlage gebracht; er wurde aber dort für unausführbar er¬ 
klärt und wartet seiner Wiedergeburt. Da man über todt- 
geborene Kinder nicht gerne spricht, so darf ich seinen Inhalt 
wohl auch hier übergehen; der Entwurf ist in unserem Vereins¬ 
organe zu Ihrer Kenntniss gebracht und vom Collegen Tauffer 
im Gerichtssaal vom Standpunkte des Anhängers des pro¬ 
gressiven Strafvollzuges besprochen. Die deutschen Regierungen 
haben sich inzwischen unter Berücksichtigung der wenigen 
gesetzlichen Bestimmungen über die Strafe im Strafgesetzbuch 
selbst und im Strafprocessgesetze für den Vollzug ihrer Strafen 
mit ihren alten Bestimmungen und Einrichtungen beholfen, so 
gut es gieng. Die stets drohende Aussicht, ein Strafvollzugs¬ 
gesetz vom Reichstage zu erhalten, macht diese Reserve er¬ 
klärlich und entschuldbar. Auf eigene Faust hat sich Baden 
und Württemberg auf dem Verordnungswege geholfen. Den 
Vollzug der Gefängniss- und Haftstrafen, wie der Unter¬ 
suchungshaft hat in Preussen der Justizminister durch ein Ge- 
fängnissreglement vom 16. März 1881 sicher gestellt und ein¬ 
heitlich geordnet. Es ist grundlegend und hebt alle früheren 
Verordnungen über die Verwaltung der gerichtlichen Gefäng¬ 
nisse auf. Es schliesst sich natürlich genau dem Strafgesetze, 
dem Strafprocessgesetze und dem Gerichtsverfassungsgesetze 
an und sucht deren Bestimmungen und Zwecke in Ausführung 


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zu bringen; insbesondere werden die Unterschiede des Unter¬ 
suchungsgefangenen und Gefängniss-, Haft- und qualificirten 
Haftsträflings betont und eine dem Gesetze entsprechende ver¬ 
schiedene Behandlung dieser Gefangenenkategorien angestrebt. 
In Uebereinstimmung mit Beschlüssen unseres Vereines wurde 
dem Gefangnisssträfling die Selbstbeköstigung absolut entzogen, 
die Anwendung der Einzelhaft bei Haftstrafe gestattet. Das 
Reglement bedeutet einen mächtigen Fortschritt in unserem 
Gefängnisswesen; es wird in deutschen Landen vielfach zum 
Muster für Ordnung des Gefängnisswesens dienen. Zu bedauern 
ist nur, dass ein Theil der preussischen Gefangenen, welcher 
in Anstalten verwahrt ist, die dem Minister des Innern unter¬ 
stehen, der planmässigen Behandlung, welche das Reglement 
dem Gefangenen in den Justizgefängnissen angedeiheii lässt, 
nicht theilhaftig werden kann. Darum bei aller Achtung vor 
dem Reglement des preussischen Justizministers: gesetzliche 
Regelung des Strafvollzuges, wie sie auch unser Verein bei 
der Versammlung in Berlin 1874 zwar nicht mit Einhelligkeit, 
aber doch mit grosser Majorität verlangt hat. Diese Forderung 
schliesst eine andere in sich, ohne die an einen gedeihlichen 
Abschluss der Gefängnissreform nicht zu denken ist: „einheit¬ 
liche Leitung des Gefängnisswesens und Einheit der Grund¬ 
sätze bei derselben in der Hand der Justizverwaltung“. Warum 
müssen wir eine solche Forderung erst noch aufstellen? Es 
liegt doch in der Natur der Sache, dass wie jeder Zw^eig der 
Staatsverwaltung, so erst recht die schwierige Materie der Ge- 
fängnissverwaltung einer einheitlichen Leitung bedarf. Ueberall 
in der ganzen Welt finden wir denn auch die Leitung des 
Gefängnisswesens eines Landes in einer Hand; nur der grosse 
Staat Preussen macht hierin eine unbegreifliche Ausnahme. 
Seit mehr denn 70 Jahren werden wegen Beseitigung des 
unglückseligen Dualismus in der Gefängnissleitung in Preussen 
Unterhandlungen zwischen dem Ministerium des Innern und 
der Justiz gepflogen; sie haben bis heute noch zu keinem 
Ende geführt. Noch heute stehen alle Zuchthäuser, die rheini¬ 
schen Gefängnisse, in den übrigen Provinzen einzelne Gefäng¬ 
nisse aus rein zufälliger Veranlassung unter dem Minister des 
Innern, während die sämmtlichen gerichtlichen Gefängnisse dem 


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Iß 


Minister der Justiz unterstehen. Die thatsächliche Folge dieses 
Verhältnisses ist und muss sein: Ungleichheit im Strafvollzug. 
Der Minister des Innern lässt sich natürlich vom Justizminister 
nichts vorschreiben und so kommt es, dass der Gefangene in 
Plötzensee in Bezug auf Kleidung, Bettung, Beköstigung, Ar¬ 
beit, Verdienstantheil etc. anders behandelt wird, als der Gefan¬ 
gene in Saarbrücken oder Hameln. Dies verstösst doch gegen 
die einfachsten Grundsätze des Rechtes. Der Zustand besteht 
aber fort, trotzdem seine Beseitigung von dem Landtage wieder¬ 
holt verlangt und auch von unserem Vereine durch die Be¬ 
schlüsse auf der Versammlung in Dresden und München ge¬ 
wünscht worden ist. In allen anderen deutschen Ländern und 
in Oesterreich besonders liegt die Leitung der GefängnissVer¬ 
waltung in einer Hand und zwar in der Hand der Justiz¬ 
verwaltung. Welche Auffassung unter Umständen die Polizei 
vom Strafvollzüge hat, dafür lieferte das Ministerium Bach in 
Oesterreich einen allerdings einzig dastehenden Beweis. Es 
übergab im Jahr 1853 den ganzen Strafvollzug auch in Männer¬ 
anstalten inclusive der Verwahrung, der Beköstigung, Beschäfti¬ 
gung und auch der Disciplin der Gefangenen geistlichen Ordens¬ 
schwestern. — Die wirklich staunenswerthen Verbesserungen, 
welche das Gefängnisswesen Oesterreichs in der verhältniss- 
mäßsig kurzen Zeit seit 1865 erfahren hat, seit es wieder der 
Justizverwaltung zurückgegeben ist, liefern den besten Beweis, 
wie zweckmässig es ist, wenn die Leitung der Gefängniss- 
verwaltung in einer Hand liegt. Aber auch darüber sollte billig 
kein Streit mehr sein können, ob das Gefängnisswesen zum 
Ressort des Justizministers oder Polizeiministers gehört. In 
Oesterreich und in den meisten deutschen Staaten hat der 
Justizminister allein die Leitung des Gefängnisswesens. Abge¬ 
sehen von Preussen hat nur noch in Sachsen der Minister des 
Innern das Gefängnisswesen zu leiten; der Justizminister sichert 
sich dort nur eine eingehende Controle. Die Strafvollstreckung 
ist ein Rechtsact, den nur der Justizminister anordnen und 
ausfuhren lassen darf; dass ihn auch der Minister des Innern 
ausführen kann, wird nicht bezweifelt, es ist dies aber doch 
kein Grund, um unzweifelhafte Zuständigkeiten des Justiz¬ 
ministers dem Minister des Innern zu übertragen oder wenn 


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17 


er sie seither zu Unrecht gehabt hat, sie ihm zu lassen. Mich 
berührt es immer wie eine Beleidigung des Justizministers, 
wenn man ihm seine Zuständigkeit in einer so wichtigen Sache 
vorenthält, etwa gar mit dem Hintergedanken, er sei mit seinen 
Beamten nicht im Stande, die Gefängnissverwaltung erspriess- 
lich zu führen. Ich glaube es noch zu erleben, dass diese 
Ressortfrage verschwindet und dass entweder gesetzlich be¬ 
stimmt oder aus Rechtsgründen angeordnet wird, dass die Ge- 
fangnissverwaltung jedes Landes Sache des Justizministers sein 
muss. Zu den tausend Gründen für diese Einrichtung tritt 
noch die durch das deutsche Strafgesetz eingeführte Institution 
der vorläufigen Entlassung, über welche der Justizminister zu 
entscheiden hat. Die Erfahrungen, welche in Deutschland mit 
der vorläufigen Entlassung gemacht wurden, sind der erfreu¬ 
lichsten Art. Widerrufe der vorläufigen Entlassung und wieder¬ 
holte Verurtheilung von Personen, welche vorläufig entlassen 
wurden, kommen nur ganz vereinzelt vor; sie bestätigen voll¬ 
auf die Erwartungen, welche die Theoretiker Mittermaier, 
V. HoltzendorflF, Wahlberg, Berner dieser Institution in Aussicht 
gestellt haben; sie wird allgemein als eine zweckmässige Er¬ 
gänzung zu dem Systeme des Strafvollzuges in Einzelhaft an¬ 
gesehen. Ueberall, wo die Gefängnissverwaltung dem Justiz¬ 
minister untersteht, wird auch von dieser Institution ein ziem¬ 
lich weitgehender Gebrauch gemacht. Und wenn besonders 
in Preussen früher darüber geklagt wurde, dass die Anträge 
der Gefangnissverwaltungen auf vorläufige Entlassung so wenig 
Erhörung fanden, so wird man diese Thatsache wohl mit auf 
den Umstand zurückführen dürfen, dass die Gefängnissverwal- 
tungen zu dem Justizminister und seinen Organen in keiner 
organischen Verbindung stehen. Es ist doch nur natürlich, 
dass der Justizminister die Urtheile von Beamten, deren Person 
und Wirksamkeit ihm fremd ist, mit grosser Reserve aufnimmt. 
In allen andern deutschen Staaten, wo die Gefängnissverwaltung 
in der Hand des Justizministers liegt, wird von der vorläufigen 
Entlassung ein recht ausgiebiger Gebrauch gemacht; in Oester¬ 
reich hat sie in dem Entwürfe des neuen Strafgesetzes eine sehr 
bedeutsame Stelle gefunden. Auch unser Verein hat sich bei 
der Münchener Versammlung 1871 dahin ausgesprochen: 

Blätter für Gefängnisekimde. XIX, 2 


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18 


„Ein wohlgeordneter Strafvollzug findet in jedem Staate in 
der vorläufigen Entlassung, wenn für diese zweckmässige Ein¬ 
richtungen vorhanden sind, einen gedeihlichen Abschluss.^ 

Eine grosse Bedeutung für die Entwicklung des Gefängniss- 
wesens hat ferner die Statistik. Die Gefängnissverwaltung muss 
ihre Massnahmen vorzugsweise auf Erfahrungen gründen; die 
Resultate der Erfahrung in verwendbarer Form kann ihr nur 
die Statistik bieten. In dieser Erkenntniss war es eine der 
ersten Arbeiten Ihres Vereinsausschusses, eine Normalstatistik 
für Gefangnisswesen vorzuschlagen. Dieselbe fand die gün¬ 
stigste Aufnahme, denn sie befriedigte ein allgemein gefühltes 
Bedürfniss. Die seither in fieissigster und dankenswerthester 
Weise hergestellten und veröflentlichten Gefängnissstatistiken 
von Oesterreich, Preussen, Bayern, Baden und Sachsen haben 
für ihre Erhebungen die gleichen Ausgangspunkte genommen, 
wie unsere Normalstatistik. Es ist als ein ungeheuerer Gewinn 
für die Wissenschaft und die Praxis anzusehen, dass die 
frühere Geheimnisskrämerei mit den Gefängnisszuständen auf¬ 
gehört hat, und dass dieselben durch die Statistiken der öffent¬ 
lichen Kritik unterstellt werden. Immerhin bedürfen diese 
Statistiken, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, noch einer 
sorgfältigen Ausbildung und Vervollständigung. Ihren eigent¬ 
lichen Nutzen werden sie uns erst gewähren, wenn sie uns 
über Grund und Ursache der Verbrechen und der Rückfalle 
in das Verbrechen Aufschluss geben; erst damit kann sie uns 
die Mittel und Wege zeigen, wie wir den Verbrechen und 
dem Rückfall auf dem Gebiete der Gefangnissverw^altung Vor¬ 
beugen und abhelfen können. Den rechten Weg nach dieser 
Richtung scheint die neue Criminalstatistik des preussischen 
Justizministeriums und des Reichsjustizamtes einzuschlagen. 
Die Ergebnisse derselben worden uns die interessantesten und 
überraschendsten Aufklärungen geben. Konnten uns die Be¬ 
richte über die fortwährende Steigerung der Zahl der Gefan¬ 
genen, über die Ueberfüllung der Gefängnisse und die Ver¬ 
wilderung der Jugend, für welche die grosse Zahl der jugend¬ 
lichen Sträflinge Beweis sein sollte, beängstigen, so können 
wir uns wohl wieder einigermassen beruhigen, wenn wir aus 
der Criminalstatistik erfahren, dass nur 5% aller Strafen auf 


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Zuchthaus lauten, die Zahl der schweren Verbrechen also nicht 
bedeutend ist; dass von allen erkannten Gefangnissstrafen 87% 
in ihrer Dauer unter 3 Monaten bleiben, also nur leichte Ver¬ 
gehen zur Voraussetzung haben und dass über 50% der jugend¬ 
lichen Sträflinge im Alter von 16—18 Jahren standen, also in 
einem Alter, in dem sie vor Einführung des deutschen Straf¬ 
gesetzes nicht zu der Jugend gerechnet worden wären. 

Ich kann nun meine Betrachtung nicht schliessen, ohne 
auch noch die hohe Bedeutung erwähnt zu liaben, welche die 
Fürsorge für die entlassenen Gefangenen in Bezug auf die Wirk¬ 
samkeit der Freiheitsstrafe hat. Die Anhänger aller Strafen¬ 
systeme, Theoretiker und Praktiker, sind darin einig, dass sie 
dieser Hilfe zu einer erspriesslichen Wirkung ihres Strafver¬ 
fahrens nicht entbehren können. Diese Hilfe wird aber auch 
überall, wo sie verlangt wird, mit immer neuen Kräften in 
unermüdlicher Ausdauer, Geduld und Liebe geleistet. Aller 
.Orten im Deutschen Reiche bestehen Vereine zur Fürsorge für 
entlassene Gefangene; Kaiser und Könige verschmähen es nicht, 
das Patronat über solche Vereine zu übernehmen, und ihr 
hochherziges Beispiel wirkt mächtig auf das Volk zurück. 
Welch’ segensreiche Wirksamkeit solche Vereine entfalten 
können, davon zeugen die 54 Jahresberichte der rheinisch- 
westphälischen Gefangnissgesellschaft, die sich neben der Für¬ 
sorge für die Entlassenen die Verbesserung der Gefängnisse, 
damit die Besserung der Gefangenen und damit die Erleichte¬ 
rung der Fürsorge für die Entlassenen zur Aufgabe gestellt 
hat. Die Thätigkeit dieses Vereines ist von hoher Bedeutung 
für die Entwicklung unseres Gefangnisswesens: man kann ihm 
bezeugen, dass er allen Fortschritt in unserem Gefängnisswesen 
angebahnt oder doch kräftig unterstützt bat. Können wir die 
Fürsorgevereine auch bei den besten Gefängnisseinrichtungen 
nicht entbehren, so brauchen wir sie natürlich erst recht bei 
unseren noch so mangelhaften Gefangnisszuständen; wir brau¬ 
chen sie zur Pflege und Ausbildung des Institutes der vor¬ 
läufigen Entlassung; sie müssen einen Schutzdamm bilden gegen 
das Unglück und das Unheil, welches sich mit den Entlassenen 
Tag für Tag aus den Gefängnissen über die bürgerliche Ge¬ 
sellschaft ergiesst. 

2 ♦ 


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Vön den Schutzvereinen in Oesterreich ist mir nur die 
Thätigkeit des hier in Wien bestehenden Vereines bekannt 
geworden. Derselbe dehnt in höchst beachtenswerther Weise 
seine Fürsorge auch auf die Familien der Untersuchungs¬ 
und Strafgefangenen aus und sucht damit die Härte einiger- 
massen auszugleichen, welche bei der Unvollkommenheit unserer 
menschlichen Einrichtungen darin liegt, dass unter der Strafe 
des schuldigen Verbrechers die Familie des Bestraften zu¬ 
weilen noch mehr leidet als der Bestrafte. Von recht grosser 
Bedeutung scheint mir der Umstand zu sein, dass an der 
Thätigkeit solcher Vereine sich auch unsere Frauen betheiligen 
können, und wenn diese Thätigkeit selbst in die Mode kommen 
sollte, so werden wir gegen diese einmal nichts zu erinnern haben. 

Haben wir nun bei Betrachtung und Entwicklung des Ge- 
fängnisswesens in Deutschland und Oesterreich als erstrebens- 
werthe Ziele gefunden: 

1. immer grössere Ausdehnung und Anwendung derEinzelr 
haft und Pflege des Institutes der vorläufigen Entlassung, 

2. gesetzliche Regelung des Strafvollzuges, 

8. einheitliche Leitung des Gefangnisswesens in der Hand 
der Justizverwaltung, 

4. Herstellung einer gründlichen und wahren Gefängniss- 
statistik, 

5. unablässige Förderung der Fürsorge für die entlassenen 
Gefangenen, 

so wollen wir auch diese Ziele unentwegt im Auge behalten 
und uns Angesichts derselben in dem Rufe an die Regierungen 
und die Landesvertretungen vereinigen, den diese gewiss nicht 
ungehört verhallen lassen werden: Vorwärts! (Beifall.) 

(Eine Discussion fand hier gemäss einem Beschlüsse des 
Ausschusses nicht statt.) 

Präsident: Als zweiten Gegenstand der Tagesordnung 
erlaube ich mir die Verhandlung über folgende Frage anzusetzen: 

„Wie soll nach neuestem Stande der Wissenschaft und 
Praxis für die geistesgestörten Verbrecher gesorgt werden? 
Sind eigene Anstaiten oder Annexe von Straf- oder aber von 
Irrenanstaiten vorzuziehen? Wie wären soiche einzurichten?“ 


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21 


Das Referat Uber die vom Ausschüsse über diese Frage 
festgestellte These wird Herr Sanitätsrath Dr. Marcard die 
Güte haben zu erstatten. 

Sanitätsrath Dr. Marcard (Celle): Meine Herren! Ich 
bin berufen, Ihnen ein Referat zu erstatten über die Frage: 
Wie soll nach neuestem Stande der Wissenschaft und Praxis 
für die geistesgestörten Verbrecher gesorgt werden? Sind 
eigene Anstalten oder Annexe von Strafanstalten oder aber 
von Irrenanstalten vorzuziehen? Wie wären solche einzurichten? 

Geschichtliche Entwickelung der Angelegen¬ 
heit in Deutschland. In den 60er Jahren wurde die Frage 
ausführlich von Delbrück begutachtet. Das Gutachten em¬ 
pfahl Irrenstationen bei grösseren Strafanstalten. 1865 wurde 
die Hilfsstrafanstalt Bruchsal eingerichtet zur Bewah¬ 
rung seelengestörter und invalider Verbrecher, in der wegen 
geminderter Zurechnungsfähigkeit ein gemilderter Strafvollzug 
neben den Heilzwecken erstrebt wurde. Anfang der 70er Jahre 
beschäftigte sich mit der Frage die psychiatrische Section 
des Naturforscher-Vereins in Speyer und kam zu dem 
Beschluss: „dass für geisteskranke Strafgefangene besondere 
„Einrichtungen getroffen, dieselben nicht in den gewöhnlichen 
„Irrenanstalten aufgenommen werden sollten und dass die Straf- 
„häuser nicht ungeeignet seien, solche Einrichtungen mit sich 
„zu verbinden.“ 1873 veranlasste der südwestdeutsche 
psychiatrische Verein die Erstattung eines Gutachtens 
von Gutsch, dessen zu demselben Resultate gelangenden 
Ausführungen die Versammlung vom 26. Mai zustimmte. 1874 
berieth die Versammlung der deutschen Strafanstalts¬ 
beamten zu Berlin die Frage und gelangte auf Grund der 
Gutachten von Delbrück, Gutsch und Baer zu dem 
Schlüsse: „dass es nothwendig und ausführbar sei, dass bei 
„den grösseren Strafanstalten Abtheilungen für irre Verbrecher 
„geschaffen werden, in denen sie als Irre behandelt, bezw. 
„geheilt werden können“. 1875 verhandelte der Verein der 
deutschen Irrenärzte zu München die Frage. Es wurde 
„die Nothwendigkeit von wohleingerichteten Irrenabtheilungen 
„in Verbindung mit Strafanstalten und deren Ausführbarkeit 


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22 


„als Annexe einzelner grösserer Strafanstalten ausgesprochen.“ 
1876 wurde die Irrenstation bei der Strafanstalt Wald heim 
in Sachsen errichtet. Am 15. Juli 1876 richtete der Vor¬ 
stand des Vereins der deutschen Irrenärzte eine Vor¬ 
stellung an das Reichskanzleramt und formulirte seine Wünsche 
dahin: „es möge in das in Vorbereitung begriffene Strafvoll- 
„zugsgesetz die Bestimmung aufgenommen werden, dass die- 
„jenigen Gefangenen, bei welchen während ihrer Strafzeit eine 
„krankhafte Störung der Geistesthätigkeit festgestellt wird, 
„soweit erforderlich in Anstalten untergebracht werden, welche 
„mit Strafanstalten in unmittelbarer Verbindung und unter 
„sachverständiger ärztlicher Leitung stehen“. 1877 erklärte im 
Anschluss hieran die Versammlung der deutschen Straf¬ 
anstalts-Beamten in Stuttgart einstimmig: „die Fest- 
„stellung der Grundsätze, nach welchen mit geisteskranken 
„Gefangenen zu verfahren, bildet eine der dringendsten Auf- 
„gaben der gesetzlichen Regelung des Strafvollzugs.“ 1880 
erklärte die Versammlung der deutschen Strafanstalts- 
Beamten zu Bremen einstimmig: „die Errichtung von An¬ 
stalten zur Bewahrung geisteskranker Verbrecher ist eine Noth- 
wendigkeit“. 1881 haben sich die vereinigten preussi- 
schen Landesdirectoren im Anschluss an die gleichartigen 
Bestrebungen namhaftester Irrenärzte und Strafanstaltsvorständc 
mit dem Wunsche an die Regierung gewendet, es möchten die 
Provinzial - Irrenanstalten von der Aufnahme geisteskranker 
Strafgefangenen entlastet und letztere in eigenen vom Staate 
anzulegenden Irrenstationen untergebracht werden. 1882 hat 
der Verein der deutschen Irrenärzte in seiner Jahres¬ 
versammlung diese Frage abermals auf die Tagesordnung ge¬ 
setzt und auf den Antrag des Referenten Zinn einstimmig 
beschlossen, sich gleichzeitig „an die Regierungen der deutschen 
^Bundesstaaten und an den Reichskanzler zu wenden, damit 
„in dem in Vorbereitung begriffenen Strafvollzugsgesetze die 
„Fürsorge für die geisteskranken Strafgefangenen in einer den 
„Anforderungen der öffentlichen Sicherheit, sowie der öffent- 
„lichen Irrenpflege entsprechenden Weise geregelt und einst- 
„weilen Vorsorge getroffen werde, dass die an acut auftretenden 
„und rasch verlaufenden Formen von Geistesstörung erkrankten 


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23 


„Straf- und Untersuchungs-Gefangenen in den Strafanstalten 
„und Gefängnissen eine angemessene psychiatrische Behand- 
„lung und Pflege finden, und dass wenigstens alle gemein- 
„gefährlichen geisteskranken Verbrecher den öffentlichen Irren- 
„anstalten fern gehalten werden.“ Auf die Schlusssätze des 
Zinn^schen Referates werde ich später noch zurückkommen. 

Practische Lösungen der Frage in England und 
Deutschland. Die gegenwärtige Praxis in England ist die 
Frucht der Arbeit von zwei Generationen und es verlohnt sich 
sehr wohl der Mühe, einen Blick dahin zu werfen, ehe man 
bei uns nun endlich und wirklich an die practische Lösung der 
Frage geht. Mit einer eingehenden Schilderung jedoch der 
dortigen Verhältnisse möchte ich diese Versammlung nicht 
beschweren. Ich beschränke mich darauf, zu bemerken, dass 
man während des Zeitraums von 1816—1862 die während der 
Strafzeit geisteskrank gewordenen Verbrecher beiderlei Ge¬ 
schlechts gesetzmässig in Annexen zu den öffentlichen Irren¬ 
anstalten (Bedlam und Fisherton - House) bewahrte. 1857 
wurde durch Parlamentsbeschluss die Errichtung einer Staats¬ 
anstalt für alle Arten von irren Verbrechern (also sowohl für 
die irre gewordenen Sträflinge, als für die zur Zeit der That 
oder der Untersuchung geisteskrank befundenen) in Aussicht 
genommen. Die Anstalt Broadmoor (Berkshire) (ca. 600) 
wurde 1863 eröffnet. Um den sich ergebenden Uebelständen 
(Ueberfüllung, Vermengung Verurtheilter mit Nichtverurtheilten) 
abzuhelfen, wurde im Jahre 1875 ein Flügel des Zuchthauses 
für invalide Männer in Woking (Surrey) zur Aufnahme irre 
gewordener Sträflinge bestimmt. Eine zweite Anstalt dieser 
Art ist in Parkburst (Wight) errichtet. Beide sind Invaliden¬ 
gefängnisse mit Irrenstation. Soviel über England und dessen 
Art, sich mit der schwierigen Frage practisch abzufinden. 

Die im Jahre 1865 in Bruchsal errichtete Hülfsanstalt 
war diesen Invalidengefangnissen mit Irrenstation der Eng¬ 
länder fast gleich. Was in England das Resultat der Arbeit 
von mehr als 50 Jahren war, hatte man nach diesem Beispiel 
in Baden sofort ergriffen. Nicht so glücklich, wie es scheint, 
war man in Sachsen vorgegangen. Die mit der Strafanstalt 
Waldbeim verbundene und daselbst im Jahre 1876 eröffnete 


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Irrenstation ist bestimmt zur Aufnahme und Beobachtung, bezw. 
Heilung und Verwahrung: 1. irre gewordener Sträflinge (auch 
zweifelhaften Gemüthszustandes), 2. irrer und zweifelhafter 
Untersuchungs-Gefangenen, 3. von Personen mit verbrecheri¬ 
schem Vorleben, übelberüchtigten Individuen, deren Aufnahme 
in einer andern Irrenanstalt aus Rücksichten der Sicherheit, 
öffentlichen Wohlfahrt und der Sittenpolizei bedenklich ist. 
Sie sehen, meine Herren! man hat Verurtheilte mit Nichtver- 
urtheilten zusammengebracht, eine Massnahme, welche mit 
Recht Bedenken erweckt. „Was vor Allem bei dieser Ein- 
„richtung auffällt“, sagt Gutsch, „ist die Vereinigung der 
„schlimmsten Elemente crimineller Irren, die regulativmässig 
„hier zur Entlastung der öffentlichen Irrenanstalten stattfinden 
„soll und die ja bei der räumlichen Beschränkung zu ganz 
„unhaltbaren Zuständen führen müsste, wenn nicht, wie Knecht 
„mittheilt, und aus der Versetzung von über der Hälfte aller 
„Erkrankten in Irrenanstalten auch hervorgeht, der Anhäufung 
„schwer zu leitender Kranken durch Evacuationen in die Irren- 
„anstalten begegnet würde. Es dürfte diese L'renstation also 
„gleich von vornherein nicht allein statutarisch in ihren Zwecken 
„verfehlt erscheinen, sondern sie stellt auch in ihren räumlichen 
„Verhältnissen eigentlich nichts anderes dar, als ein mit psy- 
„chiatrischen Einrichtungen und psychiatrischer Firma ver- 
„sehenes Strafanstaltslazareth, das weder die Strafanstalten 
„noch die Irrenanstalten von unpassenden Elementen aus- 
„reichend zu entlasten geeignet ist, und das auch, wie Knecht 
„mit Recht beklagt, den psychiatrischen Anforderungen in 
„Bezug auf die Nothwendigkeit ganz neuer Umgebung und 
„Eindrücke, Gruppirung der Kranken, Wechsel der Arbeit etc. 
„nur ungenügend entsprechen kann.“ 

Gutachten von Finder. Das Pinder’sche Gutachten 
gelangt zu folgenden Schlüssen: Die Zahl der geisteskranken 
Verbrecher, um die es sich handelt, ist wohl vor Allem mass¬ 
gebend für die zu treffende Entscheidung. „Etliche wenige 
lassen sich wohl in Irrenanstalten unterbringen“, für eine 
grössere Zahl (Preussen 1300, Oesterreich ungefähr die gleiche 
Zahl) geht das nicht. Um selbstständige und grössere An¬ 
stalten errichten zu können, giebt es daher in Oesterreich wie 


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26 


in Preussen hinlänglich viel geisteskranke Sträflinge. Die 
Unterbringung in Annexen zu Strafanstalten hat die folgen¬ 
den, bereits von Delbrück zusammengestellten Vortheile: 
1. die Möglichkeit rechtzeitiger Versetzung in die Irrenstation 
und damit die Aussicht auf bessere Heilerfolge; 2. die Mög¬ 
lichkeit für geminderte Zurechnungsfähigkeit einen gemilderten 
Strafvollzug zu gewähren; 3. die grössere Sicherheit der Be¬ 
wahrung (ein Punkt, der doch nur im Vergleich zu den öflfent- 
lichen Irrenanstalten geltend gemacht werden kann); 4. die 
rechtzeitige und gründliche Erleichterung der Strafanstalten. 
Den Kostenpunkt betreffend, so wird eine grosse Anstalt billi¬ 
ger sein, als mehrere kleinere. Als Annexe jedoch gebaut, 
müssen nach Pinder’s Ueberschlag die Anlage- und Unter¬ 
haltungskosten der kleineren Anstalten bedeutend billiger sein. 
Pinder bedauert, dass Mittheilungen hierüber aus Waldheim 
fehlen. 

Endresultate: 1. Wo der Bedarf vorliegt, ist mit Er¬ 
richtung selbstständiger Anstalten vorzugehen. 2. Annexe zu 
Strafanstalten werden stets Palliativmittel sein. 3. Annexen zu 
Irrenanstalten werden in den meisten Fällen unüberwindliche 
Verwaltungsrücksichten entgegenstehen. 

Gutachten von Knecht. Knecht, vordem Arzt der 
Strafanstalt Waldheim, gegenwärtig Arzt der Irrenanstalt 
Colditz, ist der Meinung, dass jetzt in Deutschland in den 
Strafanstalten ein „subjectives“ Bedürfniss nach einer Fürsorge 
für irre Verbrecher nicht besteht. Gegen die Errichtung von 
Irrenstationen als Annexen zu Strafanstalten sprechen: 1. ihre 
Kleinheit, „da es an der Vielseitigkeit der Gruppirung, welche 
„für die Behandlung der in Betracht kommenden Individuen 
„nothwendig ist“, gänzlich fehle; 2. der Charakter des „An¬ 
hängsels“, das als solches nicht die Berücksichtigung finden 
könne, deren es zur gedeihlichen Entwickelung bedürfe. Nach 
Knecht sind Invalidenstationen mit Irrenabtheilung (Woking, 
Parkhurst) zu erstreben. Solche Einrichtungen aber, die in 
England das Product einer 50jährigen Entwickelung dieses 
Zweigs der Irrenfdrsorge und eines wesentlichen anderen Straf¬ 
vollzuges als in Deutschland seien, können, nach Ansicht des 
Herrn Gutachters, nicht „plötzlich“ und „unvorbereitet“ in’s 


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Leben gerufen werden. Zunächst „müsse sich in den Straf- 
„anstalten das Bedürfiiiss fühlbar machen^ und dann 
„ärztlichen Urtheilen in irrenärztlichen Fragen die Geltung 
„eingeräumt werden, die auf anderen Gebieten dem sachver- 
„ständigen Gutachten gegenüber längst für selbstverständlich 
„gelte.“ Das Gutachten empfiehlt, da gegenwärtig an „Inva- 
liden-Stationen mit Irrenabtheilung“ nicht zu denken sei: die 
Einrichtung besonderer selbstständiger Anstalten (für Preussen 
z. B. zwei zu 160 Kranken, Bayern würde eine besondere An¬ 
stalt nöthig haben, die kleineren Staaten würden sich zur Er¬ 
richtung einer gemeinsamen Anstalt zu verbinden haben). Das 
Gutachten Knecht’s spricht sich entschieden gegen die Ver¬ 
bindung dieser Anstalten mit öffentlichen Irrenanstalten aus. 

Endresultate: 1 . Irren-Abtheilungen bei Invaliden- 
Gefängnissen (Hülfsstrafanstalt im Sinne Gutsch) sind als das 
Endziel der prophylaktischen und curativen Fürsorge für irre 
Verbrecher zu betrachten. Da dergleichen gegenwärtig nicht 
zu erreichen sei, empfiehlt das Gutachten 2. die Errichtung 
selbstständiger, unter ausschliesslich ärztlicher Leitung stehen¬ 
der, von Strafanstalten räumlich getrennter Centralanstalten für 
irre Verbrecher. Die Kategorien von Irren, für welclie diese An¬ 
stalten in^s Auge zu fassen sind, sind: a) Sträflinge, die während 
ihrer Strafzeit psychisch erkranken 5 b) Irre, welche wiederholt 
criminell bestraft sind; c) in Beobachtung befindliche, flucht- 
verdächtige Untersuchungsgefangene. 

Gutachten von Gutsch. Dasselbe weist zunächst auf 
die psychiatrischen, strafrechtlichen und ethischen Anforde¬ 
rungen hin, welche bei Behandlung der Frage sich gleich- 
zeitig geltend machen und die Sache compliciren. Es treten 
ausserdem Schwierigkeiten principieller Natur hervor. So ist 
die ablehnende Antwort, welche auf das an das Reichskanzler- 
Amt im Juli 1876 gerichtete Gesuch der deutschen Irrenärzte 
erfolgte, damit motivirt: „dass weder die Unterbringung ver- 
„brecherischer Irren in das Gebiet des Strafvollzugs gehöre, 
„noch auch die Unterbringung verurtheilter, geisteskrank ge- 
„wordener Verbrecher, indem begriffsmässig an Geisteskran- 
„ken eine Freiheitsstrafe nicht vollzogen werden könne.“ 
Im Weiteren erklärt sich das Gutachten ^gegen die kleinen 


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^annexeii Strafanstalts-Irrenstationen, da sie zu viele Beschrän- 
„kungen enthalten, um sie zur Lösung der Frage im Allge- 
„meinen empfehlen zu können.“ Aber auch den Annexen von 
Irrenanstalten vermag Gutsch nicht das Wort zu reden, „da 
„auch in ihnen die Vorzüge und Hülfsmittel der ganzen grössern 
„Anstalt den Rücksichten der Abschliessung von den übrigen 
„unbestraften Insassen der Irrenanstalt und den berechtigten 
„Anforderungen sicherer Verwahrung, welche die gewöhnlichen 
„Einrichtungen und Zwecke der Irrenanstalten nicht gewähr- 
„leisten, zum Opfer fallen müssten.“ Die richtigste Lösung 
der ganzen Aufgabe wird zu finden sein in selbstständigen 
grösseren Anstalten, die eine Verbindung von Straf- und Irren¬ 
anstalt darstellen, wie solches von Gutsch bereits im Referat 
vom Jahre 1873 dargelegt ist. „Um aber diese Verbindung 
„sowohl strafrechtlich als psychiatrisch gerechtfertigt erscheinen 
„zu lassen und über entgegenstehende Bedenklichkeiten hinweg 
„zu kommen, sind zwei Voraussetzungen unerlässlich, die nicht 
„ausdrücklich genug betont werden können, da sie immer wic- 
„der vom einseitigen Standpunkte misskannt oder missdeutet 
„und in der prinzipiellen und practischen Behandlung dieser 
„Frage aus dem Auge verloren werden, nämlich: 1. dass 
„unter allen Umständen eine strenge Sonderung Verurtheilter 
„und Nichtverurtheilter, irrer Verbrecher und gefährlicher Irrer 
„festzuhalten ist, indem nur damit sowohl eine begriifsmässig 
„richtige und logisch consequente, als auch in der Ausführung 
„erleichterte Verbrecher-Irrenfursorge zu erreichen ist; 2. dass 
„man sich diese Verbindung nur unter der Voraussetzung des 
„ganzen Heil- und Pflegeapparates der heutigen Irrenfürsorge 
„mit der alleinigen Modification sicherer Verwahrung, welche 
„die Verbrecherqualität erheischt, zu denken hat.“ Was den 
ersten Punkt anlangt, „so würde unser deutscher Strafvollzugs- 
„gesetzentwurf die ihm vorgclegte Frage schon jetzt lösbarer 
„gefunden haben, wenn er sich vor Allem von dieser Ver- 
„mengung frei gehalten und lediglich mit der ihm vorgeschla- 
„genen Unterkunft der Sträflinge befasst hätte“. Unter der 
Voraussetzung einer®vollkommen leistungsfähigen und zweck¬ 
entsprechenden Strafanstalts-Irrenfürsorge „wird die Unterkunft 
„aller Verurtheilten in der vorgeschlagenen Combination von 


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„Straf- und Irrenanstalt auch gegen die „begriffsmässige Un- 
„zulässigkeit des Vollzuges von Freiheitsstrafen an Geistes- 
„kranken“ ebenso gut bestehen können als in der gewöhn- 
„lichen Irrenanstalt, indem in beiden der Strafvollzug ja nur 
„ein formeller ist; und wenn die juristische Logik und die 
,^Humanität auch hieran noch Anstoss nehmen sollte, so müsste 
„durch Nichteinrechnung der Strafzeit in die Dauer der Krank- 
„heit das Princip hochgehalten werden.“ Der Vorzug, der in 
der Entlastung sowohl der Strafanstalten wie der Irrenanstalten 
von allen störenden und zweifelhaften Elementen besteht, die¬ 
ser grosse Vorzug lässt die proponirte Combination beider so 
überaus zweckmässig erscheinen. Was die practische Lösung 
der Frage im Weiteren betrifft, so fuhrt zunächst das überaus 
häufige Vorkommen auch von acuten Formen der Geistes¬ 
störung unter den Sträflingen darauf hin, „in jeder Strafanstalt 
„Einrichtungen zu treflPen, die den ersten und dringendsten 
„Bedürfnissen der Irrenbehandlung genügen.*^ ,)Für kleinere 
„Verhältnisse und in kleineren Staaten, die eine selbstständige 
„Sträflings-Irrenanstalt, selbst mit Einschluss der körperlich 
„Invaliden, nicht zu bevölkern vermögen, wird ein psychiatrisch 
„eingerichtetes und geleitetes Strafanstalts-Lazareth als Irren- 
„station für die meisten Fälle genügen. Vereinzelte Fälle, die 
y^eine Entfernung aus der bisherigen Umgebung im Interesse 
„der Heilwirkung wünschenswerth machen, können dann wohl 
„auch in der öfiPentlichen Irrenanstalt, getrennt von den übrigen 
„Insassen derselben, untergebracht werden.‘‘ ^jFür grössere 
„Staaten und als beste Lösung der Frage kann nur die Be- 
„stimmung einzelner selbstständiger Strafanstalten zu den 
„Zwecken der Irrenfürsorge empfohlen werden, in welchen 
„alle zum regelmässigen Strafvollzug wegen körperlicher oder 
„geistiger Defecte nicht taugliche Verbrecher unterzubringen 
„und unter Berücksichtigung ihrer Gebrechen und Leidens- 
„zustände bis zu ihrem Strafende oder Begnadigung zu ver- 
„pflegen wären. Den Bedürfnissen besonderer Verpflegung 
„und Heilverfahrens müsste ein abgesondertes, mit allen Ein- 
„richtungen zur Irrenbehandlung ausgesfhttetes Lazareth als 
„eigentliche Irrenstation entsprechen, und nicht nur hier, son- 
„dern in der ganzen Anstalt das Regime und die sichere Ver- 


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„Wahrung in die Hände eines Arztes als Vorstand der Anstalt 
„gelegt sein. Ausser den Vorkehrungen für die Sicherheit müsste 
„zur unausgesetzten Ueberwachung ein geschultes Wärter- 
„personal und zur Isolirung eine genügende Anzahl von Zellen 
„vorhanden sein. Im Uebrigen würden die Eindrücke der Ge- 
„fangenschaft thunlichst zu mildern sein, und zu den verschie- 
„denen Abstufungen der Rücksichtnahme, Beschäftigung in 
„Gewerben, Hausarbeiten, Gärten und Höfen die selbstständige 
„Verfügung über die ganze Anstalt dem Arzte geboten sein.“ 

Referat von Zinn. (Jahresversammlung des Vereins 
deutscher Irrenärzte 1882.) Dasselbe gelangt zu folgenden 
Schlüssen: 1. Die sichere Bewachung von Verbrechern lässt 
sich mit den Zwecken der Irrenanstalt nicht vereinigen, und 
ist unbedingt von dieser abzulehnen. 2. Acut auftretende und 
voraussichtlich rasch verlaufende Geisteskrankheiten bei Ge¬ 
fangenen sind in den Strafanstalten selbst, also in den Straf- 
anstalts-Lazarethen zu behandeln. 3. Alle anderen Fälle sind 
in den Irrenabtheilungen besonders zu errichtender Invaliden¬ 
gefängnisse, ähnlich der in England bestehenden, unterzubringen 
und so lange zu behalten, bis sie entweder in die Freiheit ent¬ 
lassen oder ohne Gefahr für die öffentliche Sicherheit und ohne 
empfindliche Störung der Irrenanstaltsordnung und Zwecke in 
eine Irrenanstalt aufgenommen werden können. 

Resum^ Die Beantwortung der vorgelegten Frage ge¬ 
staltet sich hiernach folgendermassen: 1. Annexe zu Irren¬ 

anstalten sind von keinem der drei Gutachter, auch nicht vom 
Referenten Zinn empfohlen. 2. Für die Errichtung selbst¬ 
ständiger Anstalten sprechen sich Finder und Knecht aus, 
Ersterer für den Fall des Bedarfs (also in grossen Ländern 
und bei beträchtlicher Anzahl von Irren), Letzterer, weil der¬ 
malen „mehr“ nicht zu erlangen sei. 3. Das „Mehr“, das 
vorzugsweise Begehrenswerthe, ist für ihn sowohl wie für 
Gutsch die Errichtung von Irrenstationen mit oder bei Inva¬ 
lidengefängnissen, nach dem Vorgänge von England, welches, 
wie es scheint, die uns beschäftigende Frage endgiltig in dieser 
Weise gelöst hat. Die chronischen und unheilbaren Fälle will 
auch Zinn dahin gebracht haben. 4. In zweiter Linie ent¬ 
scheiden sich Finder, Knecht und Gutsch für Annexe zu 


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Strafanstalten, Annexe, die mit dem psychiatrischen Heilapparat 
in vollständigster Weise ausgerüstet sind. Dahin gehören auch 
nach Zinn alle acut auftretenden und voraussichtlich rasch 
verlaufenden Geisteskrankheiten. Zinnes Forderung geht mit¬ 
hin am Weitesten. Er will Invalidengefangnisse mit Irren¬ 
station und psychiatrische Einrichtungen mit Irrenfürsorge in 
den Strafanstalts-Lazarethen. 

Die uns von der Wissenschaft und Praxis enthüllte Ant¬ 
wort lautet demnach folgendermassen: 

These; Durch die Errichtung einzelner Anstalten 
nach Art der englischen Invaliden-Gefängnisse wird 
für die geistesgestörten Verbrecher am besten gesorgt 
werden. 

Der Ausschuss hat sich diese These nicht zu eigen ge¬ 
macht. Er schlägt Ihnen vielmehr die folgende These zur 
Discussion und Annahme vor: 

These des Ausschusses: Sträflinge, welche in 
Geistesstörung verfallen, sind möglichst bald einem Heil¬ 
verfahren zu unterziehen. Die Errichtung eigener An¬ 
stalten zu diesem Behufe ist nicht ausführbar. Geistes¬ 
kranke leichteren Grades und Schwachsinnige können 
in den Lazarethen der Strafanstalten bewahrt werden, 
die zu diesem Zwecke mit den erforderlichen Vorkeh¬ 
rungen zur Sicherung pnd Heilung zu versehen sind. 

Präsident: Ich eröffne hiemit die Debatte, muss jedoch 
bemerken, dass unsere Zeit sehr kurz bemessen und es daher 
nothwendig ist, dass sich die HH. Redner der möglichsten 
Kürze befleissen. 

Wünscht Jemand zu der in Verhandlung stehenden These 
das Wort? (Geh. Ober-Regierungsrath Illing meldet sich.) 
Der Herr Geh. Ober-Regierungsrath Illing hat das Wort. 

Geh. Ober-Regierungsrath Illing (Berlin): Meine Herren! 
Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung. 

Die Erörterung der vorliegenden Frage, die namentlich 
für Preussen von hervorragender Bedeutung ist, war ursprüng¬ 
lich für die morgende Tagesordnung bestimmt. Sie ist in¬ 
zwischen, ohne dass ich davon Kenntniss erhielt, auf die 


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heutige Tagesordnung gesetzt worden und ich bin hiernach, 
da ich von der Aenderung soeben erst Kenntniss erhalten 
habe, in der Lage, den Beschluss des Ausschusses ohne irgend¬ 
welche Vorbereitung besprechen zu müssen. Ich darf unter 
diesen Umständen auf die Nachsicht der geehrten Versamm¬ 
lung rechnen, wenn mein Vortrag nicht so geordnet ist, wie 
ich selbst gewünscht hätte. 

Der Ausschuss hat Ihnen eine These zur Annahme em¬ 
pfohlen, die von den früheren Beschlüssen der Versammlungen 
unseres Vereines sehr wesentlich abweicht. Sie gestatten mir, 
die Gründe vorzutragen, welche hiebei für den Ausschuss 
massgebend gewesen sind. 

Darüber, dass Geisteskranke nicht zu einer Strafe ver- 
urtheilt werden können und dass, wenn sie nach der Ver- 
urtheilung in Geisteskrankheit verfallen, die Strafe gegen sie 
nicht vollstreckt werden kann, besteht allseitiges Einverständniss. 
Die Ansichten gehen aber sehr weit auseinander, wenn es sich 
darum handelt, zu entscheiden, mit welchem Stadium und in 
welchen Fällen der Geisteskrankheit die Zulässigkeit der Straf¬ 
vollstreckung aufhört und welche Massregeln wir in Betreff 
derjenigen Verbrecher zu treffen haben, die nicht von einer 
acuten Geisteskrankheit befallen, sondern nur geschwächten 
Geistes sind oder an einer krankhaften Störung der Geistes- 
thätigkeit leiden. Ich werde mir erlauben, zunächst die Gut¬ 
achten, welche durch unseren Verein von Irren- und von Straf¬ 
anstaltsärzten über diese Frage eingezogen worden sind, ihrem 
Wortlaute nach vorzutragen. 

Der Strafanstaltsarzt Sanitätsrath Dr. Delbrück in Halle, 
der sehr häufig zur Begutachtung des Geisteszustandes von 
Angeklagten und Verurtheilten zugezogen wird, erklärt in 
seinem Gutachten^): 

„Die Uebergänge von der absoluten Geistesgesundheit in 
absolute Geisteskrankheit, also von völliger Zurechnungsfähig¬ 
keit in absolute Unzurechnungsfähigkeit sind ebenso mannig¬ 
faltige und allmälige, wie die Uebergänge von Gesundheit in 


*) Blätter für Gefängnisskunde. Organ des Vereins der deutschen 
Strafanstaltsbeamten. Band IX. Seite 47. 


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32 


Krankheit, von Arbeitsfähigkeit in absolute Arbeitsunfähigkeit, 
deshalb ist eine bestimmte Grenze zwischen Geistesgesunden 
und Geisteskranken, zwischen Zurechnungsfähigen und Unzu¬ 
rechnungsfähigen überhaupt nicht zu ziehen.“ 

Dieser Erklärung fugt er an einer andern Stelle^) seines 
Gutachtens die Bemerkung hinzu: „Es ist oft nur ein reines 
Würfelspiel, ob ein Verbrecher für zurechnungsfähig und straf¬ 
bar oder unzurechnungsfähig und straflos erklärt wird.“ 

Der Sanitätsrath Dr. Baer, seit Jahren Arzt am Gefäng- 
niss Plötzensee bei Berlin, und gewiss unter den anw^esenden 
Herren durch seine Schriften über die Gesundheitspflege etc. 
in Gefängnissen bekannt, spricht sich folgendermasseii aus:2) 

„Eine Strafe kann nur dann vollstreckt und weiter ge¬ 
führt werden, wenn der Bestrafte volle Einsicht in das Wesen 
der Strafe hat. Wenn er in der Freiheitsentziehung und in 
den die Strafausführung bildenden Einzelheiten das sühnende 
Princip, das züchtigend ihn bessern will, zu erkennen ver¬ 
mag.“ 

Der Dr. Knecht, früher Arzt der Irrenstation bei der 
Strafanstalt Waldheim, also ein Mann, dem eine reiche Er¬ 
fahrung auf dem vorliegenden Gebiet zur Seite steht, verlangt 
Irrenabtheilungen bei Invalidengefangnissen nach Art der in 
Woking und Parkhurst bestehenden englischen Invaliden¬ 
gefängnisse für Geisteskranke leichteren Grades, für Schwach¬ 
sinnige, Epileptiker, Lungen- und Herzkranke. 

Der Vorstand des Vereins der deutschen Irrenärzte hat 
an das Reichskanzleramt im Jahre 1876 eine Eingabe ge¬ 
richtet,^) in welcher er darauf anträgt, dass „diejenigen Ge¬ 
fangenen, bei welchen während ihrer Strafzeit eine krankhafte 
Störung der Geistesthätigkeit festgestellt wird, soweit erforder¬ 
lich in Anstalten untergebracht werden, welche mit Straf¬ 
anstalten in unmittelbarer Verbindung und unter sachverstän¬ 
diger ärztlicher Leitung stehen“. 


A. a. O. Seite 137. 

»J A. a. O. Bd. IX. S. 146. 

») A. a. O. Bd. XVII. S. 145 und 158. 
A. a. O. Bd. XI. S. 319. 


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Aehnlich spricht auch der Medicinalrath Dr. Gutsch sich 
in seinem Gutachten^) aus: 

Den psychiatrischen, ethischen und legalen Anforderungen 
lässt sich nur genügen „durch Anstalten, die formell den Cha¬ 
rakter von Strafanstalten behalten, weil sie Verbrecher ver¬ 
wahren, die dem Wesen nach aber Krankenanstalten und dem¬ 
gemäss eingerichtet und verwaltet sind, Anstalten, die Ge- 
fängniss und Irrenanstalt zugleich repräsentiren. Die Behand¬ 
lung der geisteskranken Sträflinge wird dadurch, dass alle 
wegen irgend welcher Anomalien gleich bei der Ein¬ 
lieferung oder während der Straferstehung auffällig Ge¬ 
wordenen solchen Anstalten zugewiesen werden, schon in 
den frühesten Stadien der Entwickelung möglich und es kann 
hiedurch nicht allein manche wirkliche Krankheit verhütet, 
sondern auch manches in der Verurtheilung oder Straferstehung 

liegende Unrecht ausgeglichen werden.“.„Es müssten 

Strafanstalten eingerichtet und ihnen die Bestimmung gegeben 
werden, invalide, zum regelmässigen Strafvollzüge ungeeignete 
Sträflinge aufzunehmen und mit solchen Strafanstalten sind 
Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke zu verbinden, die 
allen neueren Anforderungen an die Irrenpflege entsprechen.“ 

Der Sanitätsrath Dr. Delbrück äussert sich ähnlich in 
Betreff der nach seiner Ansicht mit einzelnen grösseren Straf¬ 
anstalten zu verbindenden Irrenstationen. „Nach meiner Idee 
(sagt er) würde jeder Verbrecher, welcher auch nur den 
leisesten Zweifel in Betreff seines geistigen Zu¬ 
standes und seiner Zurechnungsfähigkeit in^ der Unter¬ 
suchungshaft und auf der Anklagebank erregt hat, seine Strafe 
in einer solchen mit einer Irrenstation verbundenen Strafanstalt 
zu verbüssen haben. Jeder Sträfling ferner, welcher bereits in 
der einen oder andern Anstalt der Provinz seine Strafe verbüsst 
und während Verbüssung derselben in Irrsinn verfällt oder 
überhaupt Zweifel in Betreff seines Seelenzustandes erregt, 
würde sofort einer solchen combinirten Anstalt zu überliefern 
sein, um dort seine Strafe weiter zu verbüssen.“ 

Dr. Baer spricht sich gegen die Unterbringung geistes- 

0 A. a. O. Bd. IX. Seite 42 u. 43. . 

*) A. a. O. Bd. IX. S. 132. 

Blätter für Gefäognisskunde. XIX. 3 


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34 


kranker Verbrecher in Irrenanstalten aus; er hält die Einrich¬ 
tung von combinirten Verbrecher-Irrenanstalten für zweck¬ 
mässiger und besser durchzuführen. „In diesen Anstalten“, 
sagt er,^) „kann neben der Abtheilung für gesunde Sträflinge 
und neben dem eigentlichen Irren-Asyle eine dritte Abtheilung 
vorhanden sein, in welcher neben angemessener Beschäftigung 
die Disciplin milder, die Behandlung mehr schonend und nach¬ 
sichtiger sein muss, und in diese sollen alle jene Gefangenen 
aus anderen Strafanstalten geliefert werden, die wir aus pro¬ 
phylaktischen Gründen der strengen Gefängnisszucht ent-, 
ziehen wollen.“ 

Die von mir vorgetragenen ärztlichen Gutachten kommen 
im Wesentlichen darauf hinaus^ dass die Strafanstaltsverwal¬ 
tung für Anstalten zu sorgen habe, in denen nicht blos die in 
Folge von Geisteskrankheit völlig unzurechnungsfähigen, 
sondern auch solche Sträflinge unterzubringen seien, bei denen 
krankhafte Störung d er G eistesthätigkeit festgestellt 
ist, Imbecille, Schwachsinnige und alle durch irgendwelche 
Disposition oder beginnende Krankheitsentwicklung Gefährdete, 
selbst Sträflinge, die irgend einen Zweifel in Betreff ihres 
geistigen Zustandes erregen. 

Ueber die Art der Unterbringung der geisteskranken Ver¬ 
brecher sind die Herren Gutachter sehr verschiedener Ansicht. 
Sanitätsrath Dr. Delbrück^) und Medicinalrath Dr.Gutsch^) 
erklären sich für die Unterbringung in Irrenstationen, die unter 
der Direction von Aerzten stehen müssten und mit einzelnen 
Strafanstalten in ähnlicher Weise zu combiniren seien wie die 
Lazaretbe derselben; Sanitätsrath Dr.Baer^) ist für eigens ein¬ 
gerichtete und besonders geleitete Asyle, die mit einer Straf- 
oder Irrenstation im engsten Zusammenhänge stehen; Dr. 
Knecht^) empfiehlt die Einrichtung selbstständiger Central¬ 
anstalten tür irre Verbrecher und ebenso Dr. Finder®), der 
letztere mit dem Bemerken, dass die Einrichtungen von Annexen 
zu Strafanstalten nur ein Palliativmittel sei, während der Er¬ 
richtung von Annexen zu Irrenanstalten in den meisten P^ällen 

0 A. a. O. Band IX. S. 179. *) A. a. O. Bd. IX. S. 133. ») Ebend. 
Bd. rx. S. 47 u. Bd. XVII. S. 201. Ebend. Bd. IX. S. 189/70. ®) Ebend. 
Bd. XVII. S. 168. Ebend. Bd. XVII. S. 171. 


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35 


unüberwindliche Schwierigkeiten entgensteheii würden. Sanitäts¬ 
rath Dr. Delbrück erklärt sich ausdrücklich^) gegen die Er¬ 
richtung von Centralanstalten nach englischem Vorbilde und 
ebenso gegen die Errichtung von Annexen zu Irrenanstalten. 
Unser Herr Referent ist, wie Sie aus seinem Vortrage ersehen 
haben, für die Errichtung eigener Anstalten nach Art der 
englischen Invalidengefängnisse. 

Die Zahl der Gefangenen, für welche die Herren Gutachter 
besondere Anstalten verlangen, ist keine geringe. 

Der Sanitätsrath Dr. Delbrück nimmt auf Grund der 
von ihm angestellten statistischen Erhebungen an, 2) „dass 
5 Procent der Zuchthaussträflinge an Seelenstörungen im wei¬ 
testen Sinne des Wortes leiden, also „irre Verbrecher sind“, 
welche dauernd oder zeitweise einer exceptionellen Behandlung 
bedürfen. In dieser Zahl seien auch die Imbecillen, die Schwach¬ 
sinnigen und die andern Uebergangsformen mitinbegrilBFen, weil 
gerade diese einer besonderen Fürsorge vorzugsweise bedürfen.“ 
Viele von ihnen würden (während ihrer freien Perioden) sehr 
gut in gewöhnlichen Strafanstalten bleiben können und „kaum 
3 Procent den durchschnittlichen Bestand der besonderen An¬ 
stalten „für irre Verbrecher“ bilden.“ Der Medicinalrath Dr. 
Gut sch ^) giebt die Zahl der von ihm unter den Gefangenen 
beobachteten Irren auf 3 Procent an; Sanitätsrath Dr. Baer 
ist der Ansicht,^) dass 5 Procent der Insassen unserer Straf¬ 
anstalten aus psychischen Momenten nicht Gegenstand einer 
Strafvollstreckung oder wenigstens nicht eines Strafvollzuges 
sein dürfen, wie er in unseren Strafhäusern ausgeführt werde^ 
vielmehr als mehr oder minder geisteskrank einer andern Art 
der Unterbringung und der Behandlung bedürfen. Der Vor¬ 
stand des Vereines der deutschen Irrenärzte®) berechnet die 
Zahl der vollständig entwickelten Geisteskrankheiten in den 
Strafanstalten auf 2 Procent, woneben noch anderweite 3 Pro¬ 
cent als Geisteskrankheiten im weitesten Sinne aufzufassen seien, 

Es würde sich hienach in Preussen bei einer durchschnitt-» 
liehen Tageszahl von rund 20000 Zuchthaussträflingen um die 


0 Ebend. Bd. IX. Seite 133 und 135. *) A. a. O. Bd. IX. Seite 128. 

»3 Bd. XL S. 98. Ebendaselbst. A. a. O. Bd. XL S. 310. 

3 ^ 


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36 


Beschaffung besonderer Asyle für etwa 600 bis 800 Verbrecher 
handeln. 

Ich lasse den Kostenpunkt vorläufig auf sich beruhen, um 
zunächst die Bedenken hervorzuheben, welche im Interesse der 
Strafrechtspflege dagegen sprechen, dass wir für die Behand¬ 
lung der Sträflinge, die an Seelenstörungen „im weitesten Sinne 
des Wortes^* leiden, die von den Herren GutÄchtern empfoh¬ 
lenen Grundsätze annehmen. 

Wir wissen Alle, dass sich unter den Insassen unserer 
Strafanstalten eine nicht geringe Zahl von Personen befindet, 
deren Geisteszustand kein normaler ist. Es gehören dahin die 
Schwach- und Stumpfsinnigen und die vielen Verurtheilten, 
welche, durch Armuth und Elend, durch ein ungeregeltes Leben 
vor ihrer Einlieferung, durch Trunksucht und durch Ausschwei¬ 
fungen aller Art körperlich und geistig verkommen, an der 
Grenze der Zurechnungsfähigkeit stehen. 

Dass an dergleichen geistesschwachen und verkommenen 
Subjecten die Strafe nicht mit der ganzen Strenge vollzogen 
werden kann und dass ihnen sowohl bei dem Arbeitsbetriebe 
wie bei Handhabung der Disciplin gewisse Rücksichten ge¬ 
währt werden müssen, ist selbstverständlich. Es würde aber 
eine zu weit gehende Milde sein, wenn für Verbrecher, welche 
der Strafrichter als zurechnungsfähig anerkannt hat, eine voll¬ 
ständig andere Behandlung eingeführt werden sollte als für 
Verbrecher, deren Geisteszustand ein vollständig normaler ist. 
Medicinalrath l)r. Gutsch verlangt^) „für alle durch irgend 
welche Disposition oder beginnende Krankheitsentwicklung 
Gefährdeten besondere Einrichtungen^^, sowie eine „Pflege 
und Behandlung, die von weiterem Strafvollzüge nichts übrig 
lässt, als die Anwesenheit am Straforte.Sanitätsrath Dr. 
Delbrück verlangt*) Irrenstationen für alle Verbrecher, „die 
auch nur den leisesten Zweifel in Betreff ihres geistigen 
Zustandes in der Untersuchungshaft und auf der Anklagebank 
erregt haben‘‘, Sanitätsrath Dr. Baer*) desgleichen für solche 
Gefangene, „die wir aus prophylaktischen Gründen der 
strengen Gefängnisszucht entziehen wollen.^ 

0 A. a. O. Bd. IX. S. 31/32. *) Ebend. S. 132. «) Ebend. S. 179. 


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M. H., wenn wir besondere Stationen für die oben ge¬ 
nannten, von den Herren Gutachtern bezeichneten Sträflings¬ 
kategorien errichten, so würde es nicht ausbleiben, dass die 
Anstaltsdirectoren die erwünschte Gelegenheit benutzen, um 
sich nach Möglichkeit der Subjecte zu entledigen, welche durch 
ihre Verkehrtheiten die Ordnung in der Anstalt stören; es 
würde nicht an Simulanten fehlen, welche es verstehen, die 
in der Erkenntniss der Psychosen nicht geübten Anstaltsärzte 
zu täuschen, um sich aus der Zucht der Strafanstalt in eine 
weniger unbequeme Umgebung versetzen zu lassen und die 
Stationen für Geisteskranke und Geistesschwache würden über 
kurz oder lang Aufbewahrungs- und Pflegeanstalten werden, 
in denen die Invaliden des Verbrecherthums eine Existenz 
führen, die mit dem Ernst des Strafvollzuges in directem 
Widerspruch steht. 

Im Hinblick auf derartige Eventualitäten können wir nicht 
vorsichtig genug verfahren. 

Sanitätsrath Dr. B a e r spricht in dem Ihnen von mir 
bereits vorgetragenen Gutachten die Ansicht aus, dass „eine 
Strafe nur dann weiter fortgeführt werden kann, wenn der 
Bestrafte die volle Einsicht in das Wesen der Strafe hat, wenn 
er in der Freiheitsentziehung und in den die Strafausführung 
bildenden Einzelheiten das sühnende Princip, das züchtigend 
ihn bessern will, zu erkennen in der Lage ist“. Zu einer 
solchen Einsicht und Erkenntniss gelangt nach meinen Erfah¬ 
rungen wohl nur ein geringer Theil der Verurtheilten, und es 
könnte doch zu sehr bedenklichen Consequenzen führen, wenn 
hinsichtlich aller Sträflinge, denen diese Einsicht abgeht, die 
Weiterführung der Strafe eingestellt werden sollte. 

„Leichtere Formen des Irrseins,“ sagt Dr. Delbrück in 
seinem Gutachten, „allgemeiner Schwachsinn und andere 
geistige Schwächezustände können oft sehr lange, oft ein ganzes 
Leben bestehen, ohne dass die Zurechnungsfähigkeit, wenn 
auch in verschieden hohem Grade beschränkt, ganz aufgehoben 
wird. Hieraus ergiebt sich, dass nur eine kleine Zahl der¬ 
jenigen Personen, um die es sich handelt, dauernd und voll- 


») Bd. IX. S. 146/7. 2) Bd. IX. S. 118. 


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38 


ständig unzurechnungsfähig sind und bleiben. Bei den meisten 
besteht noch immer ein gewisser Grad von Zurechnungsfähig¬ 
keit, so dass es nicht nur gerechtfertigt, sondern in den mei¬ 
sten Fällen sogar entschieden geboten erscheint, die Strafvoll¬ 
streckung noch fortzusetzen und sie zunächst nicht aus dem 
Strafanstalts-Verband zu entlassen.“ Aehnlich lautet das Gut¬ 
achten des Irrenarztes K n e c h t: ^) „Leichtere und rasch ver¬ 
laufende Psychosen genesen in dem Strafanstalts - Lazareth 
ebenso leicht und schnell wie in der Irrenstation.“ 

Diesen beiden Gutachten entsprechend haben wir meines 
Erachtens zwei Kategorien streng zu unterscheiden. 

Sträflinge, die in eine Geisteskrankheit ver¬ 
fallen, hören auf, ein Gegenstand des Strafvoll¬ 
zuges zu sein, aber nur dann, wenn die Geistes¬ 
krankheit eine ausgesprochene, eine acute ist. 
Tritt der Fall einer solchen acuten Geisteskrankheit ein, so 
hat die Strafanstaltsverwaltung sofort für eine rationelle pj^y- 
chiatrische Behandlung zu sorgen. Bleibt der Heilungsversuch 
ohne Erfolg, so haben zunächst die Gerichte zu entscheiden. 
Erklären dieselben auf Grund der ärztlichen Untersuchung den 
Kranken für unheilbar und für dauernd unzurechnungsfähig 
im eigentlichen Sinne des Wortes, so hört damit die Straf¬ 
vollstreckung auf, denn an Geisteskranken kann eine Strafe 
nicht vollzogen werden und die Pflicht der Fürsorge geht auf 
die zuständige bürgerliche Behörde über, die anstatt der straf- 
vollstreckenden Behörde für die anderweite Unterbringung des 
Geisteskranken, soweit solche im Interesse der öffentlichen 
Sicherheit geboten erscheint, zu sorgen hat. 

Verbrecher mit verminderter Zurechnungs¬ 
fähigkeit — die zweite Kategorie der geistig Defecten — 
sind in den Strafanstalten zu belassen und die Frage, wie mit 
ihnen zu verfahren sei, beantwortet sich dahin, dass die Straf¬ 
anstaltsverwaltung gegen die Schwachen am Geiste in gleicher 
Weise, wie gegen die Schwachen am Körper, die Rücksichten 
zu üben hat, welche der Zustand derselben erfordert. 

Dies von mir beschriebene Verfahren findet in Preussen 

A. a. O. Bd. XV. S, 214. 


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39 


und, soviel ich weiss, auch in den meisten übrigen deutschen 
Bundesstaaten statt Meines Erachtens entspricht dasselbe 
allen Anforderungen, die an die Strafanstaltsverwaltung gestellt 
werden können und die weiter gehenden Massregeln der Für¬ 
sorge, welche einige der Herren Gutachter uns vorschlagen, 
würden schliesslich dahin führen, dass irre Verbrecher besser 
bedacht werden als Irre, die kein Verbrechen begangen haben; 
die Errichtung besonderer Irren- oder, richtiger gesagt, Inva¬ 
lidenstationen nach Art der englischen Invaliden-Getangnisse 
für Sträflinge, welche nur geschwächten Geistes sind, wäre in 
meinen Augen ein Vergehen gegen die armen Steuerzahler, 
von deren sauerem Schweiss jene Invalidenstationen für emeri- 
tirte Verbrecher unterhalten werden müssten. 

Unser Verein hat sich früher im Sinne der uns vorliegen¬ 
den Gutachten geäussert, so namentlich bei Gelegenheit der 
Berliner Versammlung von 1874, wo er sich mit dem Antrag 
einverstanden erklärte,^) ,,e8 sei nothwendig und ausführbar, 
dass bei den grossen Strafanstalten Abtheilungen für irre Ver¬ 
brecher geschaffen werden, in denen sie als Irre behandelt 
beziehentlich geheilt werden können‘‘; ähnlich in Stuttgart 
1877 und 1880 auf der Bremer Versammlung, wo „die Er¬ 
richtung von Anstalten zur Bewahrung geisteskranker Ver¬ 
brecher als eine Nothwendigkeit"^^) bezeichnet wurde. 

Die Sachlage ist in der Zwischenzeit einer wiederholten 
eingehenden Prüfung unterzogen worden und der Ausschuss 
ist auf Grund dieser Prüfung zu der Ueberzeugung gelangt, 
dass es sich nicht empfiehlt, besondere Irrenabtheilungen zu 
errichten, um darin auch geisteskranke Verbrecher „im weitesten 
Sinne des Wortes^' unterzubringen und dass die Errichtung 
eigener Anstalten oder Irrenstationen zur Unterbringung von 
Sträflingen, die in acute Geisteskrankheit verfallen, im Hin¬ 
blick auf die obwaltenden Umstände weder ausführbar noch 
nothwendig ist. 

In Betreff dieses letzteren Punktes gestatte ich mir einige 
erläuternde Bemerkungen. 

Die Mehrzahl der ärztlichen Autoritäten hat zur Unter- 


0 A. a. O. Bd. X. S. 29. *) A. a. O. Bd. XV. S. 145. 


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— 40 ~ 

bringung der irren Verbrecher die Herstellung besonderer Ein¬ 
richtungen bei einzelnen Strafanstalten als Annexe zu den¬ 
selben empfohlen.!) Zur Ausführung dieser Massregel würde 
es aber im Wesentlichen wohl desselben Apparates bedürfen 
wie für die vollständig eingerichteten, unter einem psychiatrisch 
ausgebildeten Arzte stehenden öffentlichen Irrenanstalten. Da¬ 
neben beruht es in der Unmöglichkeit, dass eine Irrenstation, 
in der von acuten Geisteskrankheiten befallene Verbrecher 
untergebracht sind, sich unter demselben Dache oder auch nur 
innerhalb derselben Ringmauer mit einer Strafanstalt befinde; 
ihre Einrichtung als Annex zu dieser letzteren würde also im 
Wesen darauf hinauskommen, dass man eine Irrenanstalt neben 
einer Strafanstalt erbaut und beide unter dieselbe Direction 
stellt. Ob das für die Verwaltung von besonderem Vortheil 
sein würde, ist mehr als zweifelhaft, da die Anforderungen an 
eine Strafanstaltsverwaltung sehr verschieden sind von denen 
an eine Irrenhausverwaltung und Collisionen bei einer Combi- 
nirung beider nicht zu vermeiden sein würden. Eine Ersparniss 
an den sehr bedeutenden Kosten, welche mit der Verwaltung 
einer Irrenanstalt verbunden sind, würden wir von der uns 
empfohlenen Einrichtung wohl keinenfalls zu erwarten haben. 

In meinem Vaterlande Preussen mit seiner weit ausge¬ 
dehnten Lage, wo die östlichste Strafanstalt von der west¬ 
lichsten 180 deutsche Meilen entfernt liegt, die nördlichste von 
der südlichsten 120 Meilen und wo noch der erschwerende 
Umstand hinzukommt, dass in einzelnen Provinzen zweierlei 
Sprachen im Gebrauche sind, w ürden drei Irrenstationen kaum 
hinreichend sein. Die Zahl der in den preussischen Straf¬ 
anstalten vorkommenden acuten Geisteserkrankungen beläuft 
sich jährlich auf etwa 75. Wie ich schon erwähnt habe, 
scheiden die gerichtlich als unheilbar Anerkannten, weil sie 
nicht mehr Gegenstand des Strafvollzuges sind, aus der Für¬ 
sorge der Strafanstaltsverwaltung aus und da die Konstatirung 
der Unheilbarkeit beziehungsweise die Uebergabe der Unheil¬ 
baren an die Gemeinden, welche zur fernerweiten Fürsorge 
verpflichtet sind, meisthin binnen verhältnissmässig kurzer 


0 A. a. O. Bd. IX. S. 29. 


i 


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— 41 — 

Zeit erfolgt, so reducirt sich die Zahl der gleichzeitig in ärzt¬ 
licher Behandlung befindlichen irren Verbrecher, für deren 
Unterbringung die Strafanstaltsverwaltung zu sorgen hat, sehr 
bedeutend. Im November vorigen Jahres befanden sich im 
Ganzen nur 17 aus preussischen Strafanstalten eingelieferte 
Verbrecher in öffentlichen Irrenanstalten. Dass für eine so 
geringe Zahl nicht eigene Anstalten hergestellt werden können, 
bedarf keiner Auseinandersetzung. 

In Oesterreich-Ungarn ist die Zahl der Geisteserkrankungen 
unter den Sträflingen geringer als in Preussen und die Errich¬ 
tung besonderer Irrenstationen für dieselben würde noch dadurch 
erschwert werden, dass die Bevölkerung sechs verschiedene 
Sprachen spricht. 

Hienach kann unter Umständen, wie sie in Oesterreich, 
in Preussen, in den übrigen deutschen Bundesstaaten statt¬ 
finden, von Errichtung eigener Anstalten für die geringe Zahl 
der inen Verbrecher, die von acuter Geisteskrankheit befallen 
werden, meines Erachtens nicht wohl die Rede sein und wir 
werden uns zur Unterbringung derselben nach wie vor der 
öflfentlichen Irrenanstalten zu bedienen haben. Die Directionen 
derselben haben gegen ein solches Verfahren wiederholt Ein¬ 
spruch erhoben. Sie berufen sich namentlich darauf, dass die 
Vermengung der irren sittlich verderbten Verbrecher mit den 
kranken sittlich unbescholtenen Bewohnern der Irrenanstalten 
eine Vertilgung des sittlichen Gefühls sei, die den unbeschol¬ 
tenen Kranken häufig sehr empfindlich werde und einen nach¬ 
theiligen Einfluss auf ihre Heilung ausübe; auch störe der 
verbrecherische, zu Gewaltthätigkeiten hinneigende Charakter 
der irren Verbrecher nicht selten die Ordnung in den Irren¬ 
anstalten und mache aussergewöhnliche Sicherheitsmassregeln 
erforderlich. 

Die uns vorliegenden Gutachten sind nicht geeignet, diese 
Gründe zu unterstützen. So erklärt namentlich Dr. Binder:^) 
„Die Bestimmungen der Zahl der geisteskranken Sträflinge 
ist für die Frage ihrer Unterbringung wohl vor Allem mass¬ 
gebend. Etliche wenige lassen sich wohl in Irrenanstalten 


0 A. a. O. Bd.XVII. S.164. 


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42 


unterbringen, ohne besonders störend einzuwirken.“ .... „Die 
geisteskranken Sträflinge in einer Irrenanstalt sind wohl die 
unbeliebtesten, nicht aber die gefährlichsten Irren; der ver¬ 
brecherische Irre ist meist gewaltthätiger."*^) 

Medicinalrath Dr. Gutscb spricht in seinem Gutachten 2) 
von der häufig gemachten „Erfahrung, dass die wenigen irren 
Verbrecher, die sich in unseren immer zahlreicher werdenden 
Irrenanstalten zerstreut finden, unter den übrigen Kranken sich 
verlieren und einen so schlimmen moralischen Einfluss nicht 
erkennen lassen, als vorausgesetzt zu werden pflegt.“ 

Der Strafanstalts- und Irrenarzt Dr. Knecht bekundet 
in seinem Gutachten, ,.dass das Verhalten der irren Ver¬ 
brecher sich in der Majorität nicht von dem der freien Irren 
unterscheide, ja dass man an ihnen eine gewisse Ordnung und 
Disciplin rühmen könne, die sie aus der Strafanstalt mitbringen. 
Bekanntlich fehle es ja auch in den öffentlichen Irrenanstalten 
nicht an solchen Elementen, die durch ihre Unbändigkeit und 
Rohheit zeitweilig eine Plage für die Anstalt werden.“ 

In Betreff der öffentlichen Meinung, die sich für eine 
prinzipielle Trennung der bestraften und nicht bestraften Irren 
ausspricht, bemerkt Dr. Knecht^) noch: „Diese öffentliche 
Meinung scheint mir übrigens überwiegend von den Irren¬ 
anstal ts-Dir ectionen getragen zu w^erden. Ich wenigstens habe 
weder früher bei den Kranken einer öffentlichen Irrenanstalt 
noch jetzt bei dem Publikum, aus welchem sich die dritte 
Klasse der Irrenanstalten rekrutirt, eine so tiefe Abneigung 
gegen gewesene Sträflinge bemerken können.“ 

Die von mir vorgetragenen Gutachten rühren von Aerzten 
her, denen eine reiche Erfahrung auf dem Gebiete der Psy¬ 
chiatrie zur Seite steht. Wir dürfen ihren Angaben und ihrem 
Urtheil wohl das gleiche Gewicht beimessen, wie dem der 
Directoren der öffentlichen Irrenanstalten, die sich der irren 
Verbrecher zu entledigen wünschen und ich möchte hienach 
eine Aenderungen in dem bisherigen Verfahren um so weniger 
für geboten erachten, als die aus den Strafanstalten eingelie- 


A. a. O. Bd. XVII. S. 170. A. a. O. Bd.IX. S. 29. ®) A.a.O. 
Bd. XV. S. 210. *) A. a. O. Bd. XV. S. 212 Anm. 

a 


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43 


ferten Verbrecher sich in so kleinen Zahlen auf die einzelnen 
Irrenanstalten vertheilen, dass diesen letzteren wesentliche Stö¬ 
rungen aus ihrer Aufnahme nicht wohl erwachsen können. 

Meine Herren! Ich erlaube mir, den Inhalt meines Vor¬ 
trages kurz zusammenzufassen. 

Die Thesen, welche der Ausschuss Ihnen zur Prüfung und 
Beschlussfassung vorgelegt hat, entsprechen meines Erachtens 
allen Anforderungen, welche an die Strafanstaltsverwaltung zu 
stellen sind. Ich achte und ehre den humanen Sinn, der sich 
in den uns eingereichten ärztlichen Gutachten kundgiebt — es 
ist der hochachtbare Beruf des Arztes, in dem Kranken und 
Schwachen, auch wenn er dem Strafgesetz verfallen ist, vor 
Allem den Unglücklichen zu erblicken, dessen Leiden er nach 
Möglichkeit zu lindern hat. Die Aufgabe der Strafvollzugs¬ 
behörde ist eine wesentlich andere. Sie hat dem Gefangenen 
zu gewähren, was zu des Lebens Nothdurft gehört, sie hat für 
die Erhaltung und im Falle der Erkrankung für die Wieder¬ 
herstellung seiner Gesundheit zu sorgen, sie hat auf seine 
moralische Hebung und Besserung hinzuwirken, indem sie ihn 
durch eine humane Behandlung auf den rechten Weg zu leiten 
versucht, aber sie darf nie ausser Acht lassen, dass sie vor 
Allem berufen ist, Strafen zu vollstrecken. Die Strafanstalten 
sollen nicht, wie in früheren Zeiten, nur Orte des Schreckens 
sein, wo man die Gefangenen geistig und körperlich verkom¬ 
men Hess, aber sie sollen ebensowenig zu Aufbewahrungs¬ 
anstalten werden, wo für den Verbrecher, wenn er schwach 
am Körper oder am Geiste ist, von der Strafe nichts weiter 
übrig bleibt als „die Anwesenheit am Straforte^^ Die in den 
ärztlichen Gutachten enthaltenen Vorschläge gehen zu einem 
grossen Theil über das hinaus, was wir gewähren dürfen, ohne 
den Charakter der Strafe in bedenklicher Weise abzuschwächen. 
Der Ausschuss hat den richtigen Weg gewählt, indem er ein 
verschiedenes Verfahren vorschlägt für die von acuter Geistes¬ 
krankheit befallenen Verbrecher einerseits sowie für die nur 
schwachsinnigen oder an psychischen Abnormitäten leidenden 
Sträflinge andererseits und indem er dabei auch, im Interesse 
der Steuerzahler, die bedeutenden Mehrkosten nicht ausser 
Betracht lässt, die mit der Errichtung eigener Anstalten oder 


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44 


Stationen für irre Verbrecher verbunden sein würden. Ich 
glaube der geehrten Versammlung die Annahme der Thesen 
des Ausschusses aus voller Ueberzeugung empfehlen zu dürfen. 

Präsident: Wünscht noch Jemand zu dieser These das 
Wort? (Niemand meldet sich.) Da es nicht der Fall ist, 
schreite ich zur Abstimmung über den Ausschussantrag. Der¬ 
selbe lautet: (wiederholt denselben). Ich bitte jene Herren, 
welche diese vom Ausschüsse aufgestellte These über Punkt V. 
„Fürsorge für geistesgestörte Verbrechern^ annehmen wollen, 
die Hand zu erheben. (Geschieht.) Derselbe ist ange¬ 
nommen. 

Wir schreiten zum dritten Punkte der Tagesordnung: 

„Bau von Zellengefängnissen“. 

Hierüber wird Herr Director Kr oh ne das Referat erstatten. 

Director Krohne (Berlin): Ich habe mir erlaubt, Ihnen 
die wesentlichsten Punkte der vorliegenden Frage in einer 
besonderen Schrift zur Kenntniss zu bringen und kann mich 
deshalb hier auf das Aeusserste beschränken. 

Es sind nun 55 Jahre her, seit das erste Zellengefängniss 
in Amerika erbaut wurdej es war allerdings etwas verunglückt*, 
aber als 10 Jahre darauf das zweite in England gebaut wurde, 
war die Anlage eine derartige, dass sie bis heute für den Bau 
von Zellengefängnissen massgebend geblieben ist. Die Durch¬ 
führung der Einzelhaft begann denn in den verschiedensten 
europäischen und aussereuropäischen Staaten einen verhältniss- 
mässig guten Fortgang zu nehmen; es sind im Laufe dieser 
40 Jahre eine ganze Reihe von Zellengefängnissen, grosse wie 
kleine, entstanden; die Zahl derselben wird sich auf etwa 100 
belaufen und das dafür aufgewandte Geld auf mehrere Hundert 
Millionen Mark. Und wenn wir nun heute nach 40jähriger 
Arbeit, nachdem so viele Zellengefängnisse erbaut wurden, in 
unseren Kreisen die Frage ventiliren, nach welchen Normalien 
sollen Zellengefängnisse gebaut werden, so ist dies, wie ich 
glaube, tief beschämend. Wir kommen über diese Thatsache 
auch nicht dadurch hinweg, dass der internationale Gcfangniss- 
Congress diese Frage gleichfalls auf seine Tagesordnung gestellt 



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45 


hat. Die Ursache für diese Thatsache ist unschwer zu erkennen; 
ein Zellengefängniss ist nach seiner ganzen baulichen Anlatje 
ein complicirtes Ding; man hätte nun erwarten sollen, dass bei 
der weiteren Durchführung der Einzelhaft man sich bemüht 
haben würde, die baulichen Anlagen immer einfacher zu ge¬ 
stalten, aber das gerade Gegentheil war der Fall, in dem Be¬ 
streben, das System immer consequenter auszubilden, wurden 
die baulichen Anlagen immer complicirter. Andererseits um 
die Einzelhaft gegen die von allen Seiten erhobenen Vorwürfe 
der Härte, Inhumanität und Gefährlichkeit für leibliche und 
geistige Gesundheit zu schützen, wurden die Zellengefängnisse 
mit einem luxuriösen Comfort und sanitärem Raffinement ein¬ 
gerichtet, die auch nicht gerade zur Vereinfachung beitrugen. 
Dass dieser Weg eingeschlagen und bis heute fortgesetzt 
wurde, daran sind wir Strafanstaltsbeamte in erster Linie 
schuld; wir konnten unsere Anstalten nicht elegant und schön 
genug bekommen; schuld sind die Architekten, die nicht vor¬ 
nehm genug bauen konnten und in ihren Bauten die neuesten, 
raÖinirtesten Einrichtungen für Heizung, Ventilation, Wasser¬ 
versorgung etc. anbringen mussten; schuld sind die Aerzte, 
denn sie steigerten die sanitären Ansprüche bis in^s ungemessene. 
So haben jene Anstalten, welche dazu dienen, an Leuten, die 
einen Rechtsbruch begangen haben, die Strafe zu vollziehen, 
das Anselien von Palästen oder vornehmen Hotels bekommen. 
Die Baukosten sind demgemäss so hoch gestiegen, dass der 
Gefangene eine höhere Summe verwohnt, als überhaupt sein 
ganzer Unterhalt kostet. Finanzminister und Volksvertretungen 
haben ihr energisches Veto dagegen eingelegt und gesagt, dass 
wenn in dieser Weise fortgefahren würde, die Einzelhaft über¬ 
haupt nicht durchgeführt werden könne, da sie den Steuer¬ 
zahlern die Tragung solcher Lasten nicht zumuthen könnten. 
Aus diesen Gründen habe ich meine Aufgabe nicht sowohl 
dahin aufgefasst. Ihnen zu sagen, nach welchen Normalien 
sollen Zellengefängnisse gebaut werden — dies steht ohnehin 
fest — sondern dahin, wie wir dahin kommen können, dass 
die Kosten für den Bau von Zellengefängnissen so weit herab¬ 
gemindert werden können, dass, ohne die wesentlichsten Grund¬ 
sätze des Systems der Einzelhaft zu verletzen, die Durch- 


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46 


fuhrung desselben mit den vorhandenen finanziellen Mitteln 
möglich ist. 

Ich habe mir erlaubt, Ihnen ein Heftchen zugehen zu 
lassen, in welchem die Kosten verschiedener Zellengefängnisse 
unter Beifügung einiger Pläne zusammengestellt sind.*) Sie 
werden daraus ersehen, welche seltsame Verhältnisszahlen sich 
ergeben. Sie finden dort eine Strafanstalt angeführt, in'^der 
sich die Gesammtkosten per Kopf auf 6000 tAL belaufen. Sehen 
wir uns einen einzelnen Zellenflügel an, der hundert und einige 
Zellen enthält, und berechnen, was eine einzelne Zelle daselbst 
kostet, so finden wir einen Kostenbetrag von etwas über 
4000 tAL sind also nahezu für alles das aufgewendet, was ge- 
wissermassen die Zugabe zu dem eigentlichen Zellengefängnisse 
bildet. Das kann uns schon einen Fingerzeig geben, worauf 
wir vorzugsweise unser Augenmerk zu richten haben, um die 
Kosten der Zellengefängnisse herabzumindern. Ich habe in 
meinem gedruckten Referate Normalien für den Neubau von 
Zellengefangnissen aufgestellt, es würde, glaube ich, ungebühr¬ 
lich viel Zeit in Anspruch nehmen, wollte ich jetzt alle die 
einzelnen Punkte derselben noch einmal mündlich erörtern. In 
der Discussion bin ich bereit, über jeden einzelnen Satz der 
Normalien Red und Antwort zu stehen. 

Üm aber etwas Bleibendes zu schaffen, ist Ihr Ausschuss 
der Meinung gewesen, dass das schon vorhandene Material 
betreffend den Bau von Zelleiigefängnissen, sowie die Resultate 
unserer Discussion zusammengestellt und im Vereinsorgane 
veröffentlicht werden sollen. Zu diesem Zwecke empfiehlt 
Ihnen der Ausschuss, eine Commission von 7 Mitgliedern zu 
ernennen, welcher für die Vollendung ihrer Arbeit ein Termin 
von einem Jahre gestellt wird. Der Verein ist auch nach An¬ 
gabe seines Vorstandes in der Lage, die für die Veröffent¬ 
lichung des Werkes nöthigen Kosten aus eigenen Mitteln zu 
bestreiten. 

Ich empfehle Ihnen daher die Annahme des Ausschuss¬ 
antrages. weil ich der Meinung bin, dass wir hiermit etwas 
schaffen, was für die Weiterentwicklung und Durchführung 

*) Abgedruckt in Band XVII. zu S. 362. 


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der Einzelhaft in dem Gebiete, welches unser Verein umfasst, 
von wesentlicher Bedeutung sein wird. 

Präsident: Wünscht Jemand zu diesem Gegenstand zu 
sprechen? (Geh. Ober-Regierungsrath Illing meldet sich.) 
Der Herr Geh. Ober-Regierungsrath Illing hat das Wort. 

Geh. Ober-Regierungsrath Illing: Meine Herren! Der 
Einführung der Einzelhaft, deren Vorzüge wir Alle anerkennen, 
stehen in erster Linie die grossen Kosten entgegen, welche der 
Bau der Zellengefängnisse erfordert; für Preussen würden sich 
dieselben, wenn das System der Einzelhaft vollständig durch¬ 
geführt werden soll, nach einer im Jahre 1878 angelegten 
Berechnung auf mehr als 80 Millionen Mark stellen. So be¬ 
deutende Kostenbeträge sind selbstverständlich ein gewichtiges 
Argument gegen die Durchführung des Einzelhaft-Systems; 
wollen wir dasselbe fordern, so haben wir zunächst und vor 
Allem auf Verminderung der Kosten Bedacht zu nehmen. Herr 
Director Krohne hat sich der daiikenswerthen Aufgabe unter¬ 
zogen, zu diesem Behufe Vorschläge zu machen, die anschei¬ 
nend zum Ziele führen können und ich gestatte mir deshalb, 
die von dem Ausschüsse beantragte Einsetzung einer Commission 
im Sinne des Krohne’schen Vorschlages auf das Dringendste 
zu befürworten. 

Wenn es, wie ich hoffe, gelingt, einen Plan zur billigeren 
Herstellung von Zellengefangnissen zu vermitteln, so werden 
wir damit einen grossen Fortschritt im Sinn eines rationellen 
und humanen Strafvollzuges zu verzeichnen haben. 

(Director Krohne meldet sich zum Wort.) 

Präsident: Herr Director Krohne hat sich zum Worte 
gemeldet; ich ertheile ihm dasselbe. 

Director Krohne: Gestatten Sie mir, m. H., zur Illustra¬ 
tion ein Beispiel anzuführen. Der Herr Vorredner hat an¬ 
gedeutet, dass es wirklich möglich sein wird, die Kosten der 
Zellengefängnisse herabzumindern. Wir haben das bei uns 
erfahren. In den letzten Jahren wurden bei uns drei grosse 
Anstalten gebaut, eine neue ist geplant und soll demnächst 
ausgeführt werden. Die erste Anstalt war nach dem gemischten 


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System gebaut, halb Einzel- halb gemeinsame Haft; den Plan 
finden Sie in dem citirten Heftchen. Dieselbe kostete rund 
3 Millionen Mark und ist für rot. 500 Köpfe berechnet. Die 
zweite Anstalt war in Kassel lediglich nach dem Einzelhaft¬ 
system gleichfalls für 500 Köpfe erbaut worden und kostete 
etwas weniger, aber die DiflPerenz war nicht erheblich. Die 
dritte in Herford, ebenso gross, ein reines Zellengefängniss, 
erforderte einen Aufwand von etwa 1700000 bis 1 800000 ./Ä, 
und das neu geplante Zellengefängniss in Gross-Strehlitz wird, 
wenn die Anschläge nicht überschritten werden — und das 
pflegt ja bei uns nicht der Fall zu sein — 1300000 bis 
1400000 JL kosten. Sie sehen also, dass es durch Verein¬ 
fachung der Anlage und Verzicht auf alles nicht absolut Noth- 
wendige möglich ist, die Kosten der Zellengefängnisse ungefähr 
auf die Hälfte herabzumindern. — Ganz die gleiche Erschei¬ 
nung tritt uns entgegen, wenn wir die Kosten einzelner Zellen¬ 
flügel, wo solche gebaut wurden, vergleichen. Sie finden auch 
hier zwischen den einzelnen Bauten so enorme Preisdifferenzen, 
dass es ganz klar hervortritt, wie es bei umsichtiger und ge¬ 
nauer Prüfung aller einschlägigen Verhältnisse möglich sein 
wird, die Kosten für Zellengetängnisse so herabzumindern, dass 
dieselben nicht mehr vor der Durchführung des Einzelhaft¬ 
systems abschrecken werden. 

Präsident: Wünscht noch Jemand zu diesem Gegen¬ 
stände das Wort? (Niemand meldet sich.) Es ist nicht der 
Fall und ich kann daher zur Abstimmung schreiten. 

Der Antrag des Ausschusses zu „III. Bau von Zellen- 
gefängnissen^‘ lautet (liest): 

„Einsetzung einer Commission von 7 Personen zur Fest¬ 
stellung der Normalbedingungen, nach welchen Zellengefäng¬ 
nisse zu bauen und einzurichten sind. Die Commission hat 
ihre Arbeiten binnen Jahresfrist zu vollenden und wird die¬ 
selbe im Organ zur Veröffentlichung bringen 

Ich ersuche jene Herren, welche diesen Antrag annehmen 
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Derselbe ist an¬ 
genommen. 


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Den nächsten Gegenstand der Verhandlung bildet These I. 

,,Aenderung der Satzungen“ 

lautend (liest): 

,,Der § 4 der Vereinsstatuten soll dahin erweitert werden, 
dass nach den Worten „an den deutschen Universitäten^^ einzu¬ 
schalten ist: „und die Vorstandsmitglieder der Landes- bezw. 
Provinzialvereine für Gefangniss- und Schutzwesen.“ 

Ich ertheile das Wort dem Herrn Referenten Director 
Kr ohne. 

Referent Director Kr ohne: Meine Herren! Der Aus- 
• Schuss glaubte die Thatsache, dass das Interesse am Gefäng- 
nisswesen in den weitesten Kreisen wächst und namentlich 
auch darin seinen Ausdruck findet, dass neben unserem Vereine 
andere Vereine, welche entweder das Gefängnisswesen als 
solches oder einzelne in dasselbe einschlagende Zweige culti- 
viren, in grösserer Anzahl entstanden sind und solche Local¬ 
vereine sich wieder zu grösseren Provinzialvereinen zusammen- 
gethan haben, ernstlich in’s Auge fassen und daran die Frage 
knüpfen zu müssen, ob nicht diese Thatsache sowohl für uns 
als für jene Vereine fruchtbringend gemacht werden könnte. 
Der Ausschuss hat geglaubt, dass dies am besten dadurch 
geschehe, dass wir mit diesen Vereinen Fühlung durch deren 
Vorstände bekämen, indem wir den Vorstandsmitgliedern der 
grösseren Vereine gestatten, Mitglieder des Vereines der deut¬ 
schen Strafanstaltsbeamten zu werden. Einzelne waren dies 
bereits, in den meisten Fällen allerdings nicht auf Grund ihrer 
Qualification als Vorstandsmitglieder jener Vereine, sondern 
weil sie die sonstigen Erfordernisse des § 4 erfüllten. Wir 
wollten aber einen rechtlichen Boden für den Eintritt dieser 
Vereinsvorstände schaffen und deshalb schlagen wir Ihnen vor, 
den § 4 der Statuten dahin zu erweitern, dass die Vorstands¬ 
mitglieder der Landes- bezw. Provinzialvereine für Gefängniss¬ 
und Schutz wesen Mitglieder unseres Vereines werden können. 
Ich glaube, meine Herren, dass der Antrag keiner weiteren 
Begründung bedarf; es kann nur Segensreiches daraus hervor¬ 
gehen und es wäre nur zu wünschen, dass derartige Vereine 
sich immer in grösserer Zahl bildeten und dass die Vorstände 

fil&tter für Oefingnisskunde. XIX. 4 


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der Vereine thunlichst zahlreich Mitglieder unseres Vereines 
würden, um sowolil in unserem Organe die Erfahrungen, welche 
sie auf ihrem Gebiete machen, niederzulegen, als vor Allem 
auch in unseren Versammlungen zu erscheinen, um sich an 
der Debatte auf das Lebhafteste zu betheiligen. 

Präsident: Wünscht Jemand das Wort? (Niemand 
meldet sich.) Es ist nicht der Fall; ich ersuche sohin jene 
Herren, welche die These I., wie sie gedruckt vorliegt, an¬ 
nehmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) These 1. ist 
angenommen. 

Wir schreiten nunmehr, nachdem der Hr. Präsident unseres 
Vereines wieder in unserer Mitte ist, zur Erstattung dos Ge¬ 
schäftsberichtes und ertheile ich dem Herrn Präsidenten hiezu 
das Wort. 

Vereinsvorstand Geheimerath Ekert; Ich habe zunächst 
mitzutheilen, dass die dem Ausschüsse vorgelegten Vereins¬ 
rechnungen für 1880, 1881 und 1882 so wie in früheren Ver¬ 
sammlungen dem Hrn. Geh. Justizrath Wirth zur Prüfung zu¬ 
gestellt wurden. Die Rechnungsergebnisse sind im Allgemeinen 
nicht ungünstig. Das schon längst als Grundstock behandelte 
Vermögen betrug 2000 1 /^; indessen beläuft sich das beim Ab¬ 
schluss im Januar d. J. (Band XVII. Heft 1 u. 2 Seite 191) 
nachgewiesene Reinvermögen auf 8636 «/^. 57^. Davon sind 
aber noch theils verfallene, theils weiter entstehende Druck¬ 
kosten abzuziehen. In der That hat sich auch der damals sehr 
bedeutende Kassenstand rasch vermindert. Grössere Summen 
bleiben überhaupt in der Regel nicht in der Kasse, sondern 
werden zinsbar angelegt. Was den Stand des Vereines im 
Allgemeinen anbelangt, so ist die Mitgliederzahl, jedoch nur 
gegen das Vorjahr, um etwas Weniges und zwar vorzugs¬ 
weise in Preussen und Oesterreich zurückgegangen und zwar 
um etwa 20; allein das ist eine Schwankung, die wohl leicht 
Vorkommen kann. Wir haben jetzt immer noch fast 700 Mit¬ 
glieder (gegen 650 vor drei Jahren). Die Zahl 700 dürfte 
überhaupt kaum mehr überschritten werden, wenn die Bethei- 
ligung aus Oesterreich nicht grösser wird; die Zahl der Mit¬ 
glieder aus Oesterreich betrug früher 200. 


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51 


Die Verhältnisse sind sich auch sonst ziemlich gleich ge¬ 
blieben. Wir haben die Beziehungen zu den einzelnen Regie¬ 
rungen erhalten, thunlichst Correspondenz gepflogen mit aus¬ 
wärts wohnenden Männern der Praxis und Wissenschaft, und 
es hat sich ausserdem die Redaction des Vereinsorgans bemüht, 
das letztere regelmässig erscheinen zu lassen. Die verehrten 
Mitglieder bemerkten, dass das Vereinsorgan etwas im Rück¬ 
stände war; immerhin erschien von Zeit zu Zeit ein Heft oder 
auch ein Doppelheft, allein alle die Collegen, welche in der 
Praxis stehen, werden wissen, dass es schwer fällt, wenn man 
so recht durch den Dienst in Anspruch genommen ist, auch 
gleichzeitig Redacteur zu sein und um so schwerer, wenn die 
Betheiligung von Seite der Mitglieder gerade keine zu rege 
ist. Ich mache Niemandem einen Vorwurf; es sind verschiedene 
Mitglieder, die sich immer bemüht haben, nach Kräften am 
Vereinsorgan mitzuwirken, aber es sind natürlich noch viele 
Andere, die in dieser Beziehung nichts gethan haben. Ich bitte 
Sie, wie auch früher, recht dringend, die Redaction besser zu 
unterstützen. Auch ich bedürfte manchmal einer Anregung 
von Aussen her, und kann sie nicht immer allein nach Aussen 
geben. Doch haben Sie bemerkt, dass in der letzten Zeit 
mehr Hefte des Vereinsorganes ausgegeben wurden. Wir sind 
soweit im Laufenden, dass wir den Schluss des Jahrganges 
1883 nahezu noch in diesem Jahre herausgeben und mit den 
Verhandlungen der hiesigen Versammlung den 1884er Band 
beginnen können. Was die Versammlung selbst anbelangt, 
so hat sie, wie Sie sehen, verhältnissmässig eine sehr zahlreiche 
Betheiligung erfahren. Die Einladungen zur Versammlung sind 
von Seite des Ausschusses wie früher ergangen; es wurde auch 
wieder eine Anzahl Programme an die Ausschussmitglieder zur 
Vertheilung rosp. Weiterbeförderung in den resp. Ländern ge¬ 
sendet; man hat ferner alle die verschiedenen Männer der 
Wissenschaft, die Strafrechtslehrer der Universitäten einge¬ 
laden und ausserdem an die Vereine in Deutschland und 
Oesterreich und an die Vereine und Redactionen der Zeit¬ 
schriften des Auslandes Einladungen verschickt. 

Ich habe ferner noch mitzutheilen, dass Herr Director 
Eichrodt in Bruchsal im Laufe dieses Jahres sein 25jährige»* 

4 # 


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Dienstjubiläum als Strafanstaltsvorstand gefeiert und dass der 
Ausschuss ein entsprechendes Gratulationsschreiben an ihn ab¬ 
gesendet hat. 

Es ist ferner an mich als Vereinsvorstand eine Einladung 
seitens der Commission der internationalen Ausstellung in 
Amsterdam zu den bei dieser Gelegenheit abgehaltenen wissen¬ 
schaftlichen Sitzungen für den 18. bis 25. Septbr. ergangen. 
Abgesehen aber von anderen Umständen konnte ich, weil ich 
um die gleiche Zeit hier sein muss, mich dort nicht betheiligen. 
Immerhin entnehmen Sie, m. H., aus dem Vorgang die Be¬ 
achtung, welche unserem Vereine durch die Einladung zu 
Theil wurde. 

Was weiter die Betheiligung an unserer Versammlung an¬ 
belangt, so haben Sie bereits vernommen, dass der Hr. General¬ 
staatsanwalt V. Schwarze wegen Krankheit nicht erscheinen 
konnte. Auf die Einladung hat auch Hr. Ferd. Desportes, 
Generalsecretär der französischen Gefängnissgesellschaft be¬ 
dauert, dass von Paris sich an der Versammlung Niemand 
betheiligen könne; er machte dabei die Mittheilung, dass er 
unsere Verhandlungen in den Bulletins der französ. Gesellschaft 
mit Vergnügen bringen werde. Derselbe hat der hier statt¬ 
findenden Versammlung auch bereits in einem Hefte des Bulletin 
gedacht. Von anderen Mitgliedern haben sich entschuldigt: 
Geh. Reg.-Rath d’Alinge in Zwickau, Geh. Justizrath Anton 
in Dresden, Geh. Justizrath Professor Dr. Berner in Berlin, 
Ministerial-Assessor Breitling in Stuttgart, Strafanstalts- 
director D r a g i c in Laibach , Oberlandesgerichts - Präsident 
V. Edelmann in Brünn, Strafanstaltsdirector Eichrodt in 
Bruchsal, Landesgerichtsdirector Föbring in Hamburg, Ge- 
neralprocurator Dr. Glaser hier, Dr. Guillaume, Straf¬ 
anstaltsdirector in Neuchatel (Schweiz), Geh. Hofrath Dr. 
Gutsch in Karlsruhe, Geh. Regierungsrath Jäppelt, Ab¬ 
theilungschef im Ministerium des Innern zu Dresden, Mini- 
sterialrath Dr. v. Jagemann in Karlsruhe, S. Läszlö, Sec- 
tionschef im Justizministerium zu Budapest, Strafanstaltsdirector 
Löhlein in Bruchsal, Ritter v. Nalepa, Hofrath und Ober¬ 
staatsanwalt in Krakau, Minist. - Assessor Reissenbach in 
München, Stadtpfarrer Scheffer in Boppard, Streng, Di- 


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53 


rector der Gefängnissanstalt in Hamburg, Ober-Justizrath 
Wullen in Gotteszell. Alle diese Herren haben ihre Grüsse 
mit dem Wunsche auf gedeihlichen Erfolg der Versammlung 
eingesendet. 

Eine schliesslicbe kleinere Mittheilung ist die, dass von 
dem im neuesten Hefte erschienenen Aufsatze von Desportes 
über das Gefängnisswesen in Schweden, übersetzt von Bader, 
Separatabdrücke erschienen, welche in der Verlagsbuchhandlung 
Weiss in Heidelberg zu haben sind. 

Ich schliesse meinen Vortrag und bitte um Nachsicht, 
wenn er kurz ausgefallen ist. Das Weitere finden Sie jeder¬ 
zeit in unserem Vereinsorgan. 

Präsident: Es ist ein Schreiben des Herrn Landgerichts- 
rathes Fulda eingelangt, welcher sein lebhaftes Bedauern dar¬ 
über ausspricht, dass er verhindert ist, an der Versammlung 
theilzunehmen, und der die herzlichsten Wünsche und seine 
innige Theilnahme zum Ausdruck bringt, welche er für das 
Gedeihen, Waclisen und Fortschreiten unseres Vereines hegt^ 
und zugleich als Beweis dauernden Interesses für das erfolg¬ 
reiche Bestreben des Vereines seine neueste Schrift „Das Ver¬ 
brecherthum“ einsendet. Indem ich dieses Werk dem Herrn 
Präsidenten zur Einverleibung in die Bibliothek übergeben 
werde, glaube ich den Dank der Versammlung zu Protokoll 
nehmen zu können. (Zustimmung.) 

Vereinsvorstand Geheimerath Ekert: Ich erlaube mir 
noch eine kurze Mittheilung. Der Herr Director der Straf¬ 
anstalt in Zürich, Weg mann, Ehrenmitglied uflseres Vereines, 
hat am 1. Januar d. J. sein 25jähriges Jubiläum gefeiert. Der 
Ausschuss bezw. ich war nicht in der Lage, vorher hievon 
Kenntniss zu erhalten und eine einfache, nachträgliche Gratu¬ 
lation meiner Person und des Ausschusses schien in diesem 
Falle doch etwas zu mager. Es hat von diesem Jubiläum, wie 
es scheint, in Deutschland Niemand erfahren. In Zürich wurde 
die Feier auf den Abend vor Neujahr veranstaltet. Die Herren 
der Regierung kamen zu ihm, überreichten ihm Geschenke, 
beglückwünschten ihn und hatten gleichzeitig ein Souper ver¬ 
anstaltet; ich werde die nähere Schilderung des Jubiläums in 
einem der nächsten Hefte bringen. 


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- 54 — 

Wer Wegmann einigermassen kennt, weiss, dass er 
sich durch seine Wirksamkeit hochverdient gemacht hat. Er 
hat die alte Strafanstalt in Zürich im Laufe der Zeit voll¬ 
ständig umgestaltet und sie zweckmässig eingerichtet. Er hat 
aber vor allen Dingen von Anfang an ein solches Interesse an 
unserem Vereine bekundet, dass dieser sich deshalb veranlasst 
sah, ihn zum Ehrenmitgliede zu ernennen. Bis in die neueste 
Zeit hat sein Interesse angedauert und nur besondere Gesund¬ 
heitsverhältnisse sind schuld, dass er zu dieser Versammlung 
nicht gekommen ist; er war aber bei den früheren in Bruchsal 
und in München zugegen. Der Ausschuss schlägt Ihnen aus 
diesen Gründen vor, Herrn Director Wegmann durch Be¬ 
schluss der Versammlung nachträglich zu seinem Jubiläum 
zu gratuliren und hierüber ein Schreiben des Präsidiums aus¬ 
zufertigen. (Beifall.) 

Präsident; Ich kann wohl annehmen, dass die Ver¬ 
sammlung mit diesem Anträge einverstanden ist und werde 
das Schreiben ablassen. (Zustimmung.) 

Den nächsten Gegenstand der Verhandlung bildet die 
These V., lautend (liest); 

„Soll die Verabfolgung von Extragenüssen (Lebensmittel, 
Schnupftabak u. dgi.), das Halten von Vögeln, Blumen u.s.w. 
an Gefangene gestattet werden? 

Referent ist Herr Director Miglitz; ich ertheile ihm 
das Wort. 

Referent Director Miglitz (Carlau-Gratz); Die Frage, 
ob die Verabreichung von Extragenüssen an Gefangene zu 
gestatten sei, ist durch die Praxis längst in bejahendem Sinne 
entschieden, indem in den meisten Staaten den Sträflingen die 
Befugniss eingeräumt ist, sich aus ihrem Arbeitsverdienste 
Nebengenüsse zu verschaffen. In analoger Weise ist diese Be¬ 
stimmung auch in den Entwurf des deutschen Strafvollzugs¬ 
gesetzes aufgenommen. 

Es könnte demnach bei dem ersten Anblicke scheinen, als 
ob es überflüssig wäre, dass dieser Gegenstand noch heute auf 
der Tagesordnung steht. 

Diese Voraussetzung wäre jedoch unrichtig, weil wir als 



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die eigentlichen Mitarbeiter am practischen Theile der Straf¬ 
rechtspflege berufen sind, in allen das Gefängnisswesen be¬ 
rührenden Fragen unsere Meinung und unsere Erfahrungen an 
dieser Stelle kundzugeben, und weil andererseits auch Stimmen 
vorgekommen sind, welche sich gegen die Gestattung solcher 
Nebengenüsse aussprechen. Dass jeder Staat, welcher Frei¬ 
heitsstrafen in seinen Strafcodex aufgenommen hat, auch die 
Verpflichtung hat, die Gefangenen so zu verköstigen, dass ihre 
Gesundheit darunter nicht leidet, steht wohl ausser Frage. 
Wie schwierig es jedoch ist, dieser Pflicht nachzukommen, 
ohne die Gerechtigkeit und Humanität zu verletzen, ergibt sich 
schon aus der grossen Verschiedenheit der Individualität der 
Gefangenen nach Alter, Herkunft, Lebensstellung u. s.w. Die 
Kost soll einfach und wohlfeil und andererseits doch so be¬ 
schaffen sein, dass sie dem Sträflinge zuträglich, ihn zu er¬ 
nähren im Stande und so geeignet sei, zu verhüten, dass nicht 
etwa die Freiheitsstrafe zur Leibes- oder Lebensstrafe werde. 

Man kann unseren Regierungen das Zeugniss gewiss nicht 
versagen, dass dieselben in den letzten Decennien insbesondere 
diesem Zweige der Gefängnissverwaltung unausgesetzte Auf¬ 
merksamkeit zugewendet und mancherlei Einrichtungen ge¬ 
troffen haben, welche als zur Hebung des Kräfte- und Ernäh¬ 
rungszustandes der Gefangenen dienlich erkannt wurden. 

Wenn man aber an der Hand der Statistik die Gesund¬ 
heitsverhältnisse und das Sterblichkeitspercent in den ver¬ 
schiedenen Strafanstalten betrachtet, so gelangt man zur Wahr¬ 
nehmung, dass auf diesem Gebiete, wo es sich um das kost¬ 
barste Gut des Menschen, um seine Gesundheit, um sein Leben 
handelt, noch sehr viel zu thun übrig bleibt, ehe die Forde- 
derungen der Wissenschaft und der Empirie in das Stadium 
ihrer Verwirklichung eingetreten sein werden. 

Es ist nun freilich richtig, dass der Grund zu den mit¬ 
unter noch recht ungünstigen Gesundheitsverhältnissen in den 
Strafanstalten nicht allein in dem vielleicht nicht entsprechen¬ 
den Beköstigungsmodus zu suchen ist; es machen sich in der 
Gefangenschaft eben noch viele andere Einflüsse geltend, die 
sich nicht beseitigen lassen, nachdem dieselben mit dem Be¬ 
griffe und Wesen der Freiheitsstrafe in untrennbarem Zusam- 


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menhange stehen; allein wenn auch das schwierige Problem, 
welches die zweckmässigste Kosteinrichtung einer Strafanstalt 
wäre, in idealer Weise gelöst und in’s Practische übersetzt 
würde, so wird die Individualisirung jedes Einzelnen doch nie 
möglich sein. Schon v. Holtzendorff sagt: „Die Individua¬ 
lisirung im Strafvollzüge kann nie so weit ausgedehnt werden, 
dass die Entbehrungen, welche durch die Freiheitsstrafe ver¬ 
mittelt werden, den Bedingungen der socialen Lebensstellung 
jedes einzelnen Verbrechers zu entsprechen hätten.^‘ Ebenso 
wird es auch unmöglich sein, alle Schädlichkeiten für die Sträf¬ 
linge hintanzuhalten, als die mannigfaltigen Eindrücke, denen 
die physische und psychische Natur derselben durch die Haft 
unvermeidlich ausgesetzt ist, nachdem Begriff und W^esen der 
Strafe mit derselben in untrennbarem Zusammenhänge stehen. 
Sowie aber jede Strafe ein gewisses Maass von Leid in sich 
schliessen muss, so muss andererseits bei Zufügung desselben 
Alles vermieden werden, was über das Maass desselben hinaus¬ 
geht. Beim Vollzug der Freiheitsstrafe verfolgt man doch nur 
den Zweck, den Verbrecher nach überstandener Strafe so der 
Gesellschaft zurückzugeben, dass er im Stande sei, sich selbst 
durch redliche Arbeit sein Fortkommen zu suchen und zu 
finden. Schon daraus ergibt sich die ernste Forderung an jede 
Strafvollstreckung, dass diese alle Mittel anwende, welche die 
Gefahr einer Gesundheitsschädigung zu verhüten oder minde¬ 
stens zu verringern geeignet sind, insoferne nur diese Mittel 
nicht mit dem Strafzwecke selbst im Widerstreit stehen. Als 
ein solches taugliches Mittel halte ich die Gestattung von 
Extragenüssen, welche, wenn sie dem Sträfling auch nie das 
bietet und bieten darf, woran er etwa in seinem früheren fri¬ 
volen Leben gewöhnt war, ihn wenigstens in die Möglichkeit 
versetzt, aus einer gewissen durch die Anstaltsleitung festge¬ 
setzten Reihe von Nahrungsmitteln solche auszusuchen und 
seinem Körper zuzuführen, welche er seiner Natur für zuträg¬ 
lich hält, als solche wohl auch schon erprobt hat. 

Schon der Umstand allein, dass die Wahl dieser Genüsse 
innerhalb gewisser Grenzen dem Sträfling selbst überlassen 
wird, kann einen wohlthätigen Einfluss zu üben nicht ver¬ 
fehlen; denn die damit in’s Werk gesetzte, wiewohl geringe 


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57 


Erweiterung des Selbstbestimmungsrechtes bewirkt eine freudige 
Erregung, welche in erster Linie allerdings nur dem Seelen¬ 
leben zu gute kommt, in diesem eine gewisse Befriedigung her¬ 
vorruft und den Sträfling mit seinem sonstigen traurigen Schick¬ 
sale einigermassen aussöhnt. Bei der innigen Wechselwirkung 
aber, welche zwischen Geist und Körper vorzugsweise bei Ge¬ 
fangenen wahrzunehmen ist, wird ein solcher selbstgewählter 
Genuss auch die sinnliche Natur des Gefangenen weit eher 
befriedigen und ihr zu Statten kommen, als es ein weit reich¬ 
licherer Genuss zu bewirken vermag, den er sich im Bewusst¬ 
sein der Zwangslage zufiihrt und gegen den ihn schon deshalb 
nicht selten Widerwille und Ekel ergreift. Es ist ja eine be¬ 
kannte Thatsache, dass die Monotie der Lebens- und Ernäh¬ 
rungsweise im Leben des Gefangenen nachtheilig auf dessen 
Organismus ein wirkt, einer Auffrischung von Zeit zu Zeit 
bedarf, um einer Erschlaffiung vorzubeugen, welche schliess¬ 
lich die Widerstandsfähigkeit aufhebt und das Hoffen sowie 
den Lebensmuth in einer Weise untergräbt, dass Gefangene, 
die darunter leiden, in Erkrankungsfällen alle Hilfsmittel der 
Kunst zu nichte machen. 

Empfehlen sich daher schon aus sanitären Rücksichten 
derartige Extragenüsse, so glaube ich für deren Zulassung 
umsomehr eintreten zu sollen, als bei jedem Strafvollzug, 
welcher sich den Besserungszweck vor Augen hält, es doch 
wesentlich darauf ankommt, den Charakter und das Gemüth 
des Gefangenen zu veredeln und ihn zu jenen Tugenden hin¬ 
zuführen, welche ihm nach der Entlassung zur Wohlthat wer¬ 
den können. Zu diesen Tugenden gehört unbestritten die Ent¬ 
haltsamkeit, deren auch in der Freiheit ein geordneter Lebens¬ 
wandel nicht entrathen kann. Diese Enthaltsamkeit zu erziehen, 
kann durch die Gestattung der Extragenüsse jedenfalls geför¬ 
dert werden, denn da die Beschaffung der Extragenüsse in 
der freien Wahl gelegen ist, bei deren Ausübung der Sträfling 
einsieht, wie auch geringe Mittel und Geldbeträge grosse Be¬ 
deutung haben und geeignet sind, Genüsse zu verschaffen und 
zur Erheiterung des Lebens beizutragen, gelangt er bei dieser 
Betrachtung auch zur Erkenntniss der Vortheile eines arbeit¬ 
samen und sparsamen Lebens, w’elche Erkenntniss, längere Zeit 


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geübt, allinählig zur Gewohnheit wird. Der Wille ist eine 
Kraft im Menschen, welche erzogen werden muss. Nun wird 
aber gerade im Leben des Gefangenen oft der kleinste Um¬ 
stand zur grössten Bedeutung und während man ihm die Er- 
laubniss ertheilt, sich für die Wahl eines oder des anderen 
Lebensartikels innerhalb eines gewissen Zeitraumes zu ent- 
schliessen, also eine Selbstbestimmung, einen Willen auszuüben, 
löst man ihn von den Fesseln des Zwanges los, durch die er 
sonst unausgesetzt eingeengt ist. Im menschlichen Leben über¬ 
haupt, insbesondere aber im Leben der Gefangenen ist es gewiss 
nothwendig, die Willenskraft zu beleben und zu stärken und 
wie gefährlich es ist, denselben zu verkümmern, dafür spricht 
wohl schon der alte Satz: „Man kann den Einzelnen ebenso¬ 
wenig wie ganze Völker durch den Druck zur Freiheit erziehen.“ 
Man missgönne daher den Gefangenen dieses Minimum an 
freiem Willen nicht, welches in der Beschaffung von Extra¬ 
genüssen gelegen ist und bedenke, dass der Gefangene für das 
künftige Leben und nicht für das Gefängniss erzogen werden 
soll. Auch wird der Gestattung einer derartigen Erleichterung 
des Strafzwanges immer und überall ein tadelloses Verhalten 
des Sträflings als conditio sine qua non vorauszugehen haben 
und demnach eine derartige Begünstigung auch gewiss zur 
Förderung der Disciplin beitragen. Die Gründe, welche für 
die Gewährung von Arbeitsbelohnungen an Gefangene ange¬ 
führt werden, finden, was das erziehliche Moment anbelangt, 
dieselbe Anwendung bei der Frage der Extragenüsse, und ver¬ 
suchte man, die Arbeitsbelohnungen von der Befugniss, einen 
Theil davon zu Extragenüssen zu verwenden, loszulösen, so 
würde man alsbald finden, dass sich hiedurch der Werth der 
Arbeitsbelohnungen selbst und die guten Wirkungen, die damit 
erzielt werden sollen, unzweifelhaft vermindern. Die sinnliche 
Natur des Menschen lässt sich nun einmal auch beim Sträf¬ 
ling nicht wegdecretiren und vermöge derselben hängt jeder 
Mensch, sei er auch noch so niedrig, so sehr am Leben und 
seinen Genüssen, dass jede Verfügung, welche ihm diesen an¬ 
geborenen Trieb nehmen oder verkümmern wollte, nur zu 
Hass und Verbitterung führen würde, während gerade die Be¬ 
rücksichtigung dieser Eigenart mit geringen Ausnahmen der 


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Dankbarkeit im Herzen des Sträflings versichert sein kann. 
Man könnte vielleicht einwenden: wozu denn den Sträf¬ 
lingen noch Extrageniisse gestatten, wenn ohnehin der Staat 
die Pflicht und den ernsten Willen hat, für ihre ausreichende 
Verköstigung zu sorgen; wozu den Sträflingen Gelegenheit 
geben, ihrer Gefrässigkeit oder Gourinandise zu fröhnen, wo 
sie es ohnehin im Strafhause, wie es oft heisst, so gut haben, 
dass fast nichts mehr zu wünschen übri«: bleibt und dass es 
daher nicht zu wundern ist, dass so viele Rückfällige Vor¬ 
kommen und man gebe sich einer Selbsttäuschung hin, wenn 
man glaubt, dass mit einer derartigen Einrichtung Enthaltsam¬ 
keit zu erziehen wäre, indem solche im Vorkommensfalle nur 
ein Act der Heuchelei sein wird. Ihnen, m. H., brauche ich 
wohl nicht den Beweis zu erbringen, wie unberechtigt der¬ 
artige Anwürfe sind, und dass es nicht die Kost der Straf¬ 
anstalten sei, welche so viele, die davon genossen, wieder zu 
derselben zurückkehren lässt. Und was den Punkt, nämlich 
die Gefahr betrifft, dass mit der Gestattung der Extragenüsse 
der Heuchelei Vorschub geleistet würde, so möchte ich auch 
dies negiren und zwar aus dem Grunde, weil der Sträfling 
dabei, wo es sich um die Entsagung von sinnlichen Genüssen 
handelt, auf eine zu schwierige Probe gestellt wird, die er, 
wenn sein Entschluss nicht aus dem eigensten, freiesten Willen 
hervorgienge, kaum je bestehen würde. 

Selbstverständlich kann es auch mir nicht beikommen, 
indem ich für die Gestattung von Extragenüssen plaidire, die¬ 
selbe in Form von Luxusartikeln zu empfehlen, für welche 
die Pforten der Strafanstalt unter allen Umständen verschlossen 
bleiben müssen, für deren Beiseitelassung übrigens auch schon 
durch das Ausmaass der Mittel, aus denen sie bestritten wer¬ 
den dürfen, vorgesorgt ist. Diese Mittel sollen ja in der Regel 
keine anderen sein, als ein Theil des durch eigene Handarbeit 
und eigenen Fleiss der Sträflinge sich errungenen Arbeits¬ 
geschenks, welches doch nie so hoch sein kann, dass sich 
hieraus die Gefahr, als könne hiemit der Gefrässigkeit oder 
der Gourmandise gehuldigt werden, besorgen lässt. Desgleichen 
bleibt eine solche Gefahr auch für den vom Vereinsausschusse 
zu Gunsten der Reconvalescenten oder Siechen in die These V. 


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— 60 — 


aufgenommenen Ausnahmsfall schon dadurch ausgeschlossen, 
dass die Inanspruchnahme anderer Mittel als des Arbeits¬ 
geschenks nie bis zu einer Bevorzugung dieser dürftigen Sträf¬ 
linge vor ihren arbeitsfähigen Kameraden führen und über¬ 
haupt nur dann stattfinden soll, wenn für die in Reconvalcscenz 
oder Siechthum befindlichen Sträflingen nicht ohnehin vom 
Staate fürgesorgt ist. 

Bei der Wahl der Extragenüsse wird stets an dem Grund¬ 
sätze festzuhalten sein, dass sie nur aus solchen Artikeln be¬ 
stehen dürfen, welche als wirkliche Nahrungsmittel erkannt 
oder solche Genussmittel sind, die durch ihren Reiz auf die 
Geschmacksnerven, durch den günstigen Einfluss auf die Ver¬ 
dauung, mit einem Worte die Ernährung des Sträflings zu 
fördern geeignet sind und in diesem Sinne von ärztlicher Seite 
empfohlen werden. 

Dass dabei auch nationalen Eigenthümlichkeiten und son¬ 
stigen Verschiedenheiten je nach der Lage der Anstalt, den 
Marktpreisen des Ortes, der Leichtigkeit der Beschaffung Rech¬ 
nung zu tragen sei, ist in der Natur des Gegenstandes be¬ 
gründet. 

Zu einer speciellen Frage, wie es mit dem Schnupftabak, 
diesem in den Strafanstalten so beliebten Genussmittel zu halten 
sei, hat sich Ihr Ausschuss dafür entschieden, Tabak in jeder 
Form aus den Strafanstalten zu entfernen. Es ist wohl durch 
die Erfahrung erwiesen, dass Schnupftabak in den Strafan¬ 
stalten nicht allein von jenen Gefangenen gesucht wird, die 
denselben schon früher gewohnt waren, sondern dass auch 
andere, selbst jüngere Leute sich denselben alsbald angewöhnen 
und mit dieser, schon vermöge ihrer Unreinlichkeit allein 
schlechten Gewöhnung ausgerüstet auch in die Freiheit zu¬ 
rückkehren. 

In dieser und in fernerer Erwägung, als der kleine ver¬ 
zehrbare Antheil am Arbeitsgeschenke, welcher die Möglichkeit 
einer besseren Ernährung zu fördern bestimmt ist, überwiegend 
zur Anschaffung dieses Genussmittels verwendet wurde, und 
die Strafanstalt nicht die Schule für eine die Reinlichkeit in 
empfindlicher Weise schädigende Angewöhnung sein soll, die 
dem Sträfling noch nach seiner Entlassung anhaftet und ihn 


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zu unnothwendigen, oft schwer erschwinglichen Auslagen ver¬ 
leitet, hat sich die oberste Gefängnissbehörde in Oesterreich 
veranlasst gesehen, in den Strafanstalten den Schnupftabak 
aus der Reihe der Nebengenussartikel zu eliminiren und dafür 
hat sich jetzt auch der Vereinsausschuss entschieden und die¬ 
sem Verbot des Schnupftabaks zugleich die Unzulässigkeit von 
Tabak als Rauch- oder Kautabak beigefügt, nachdem die 
Gründe, welche für die Unzulässigkeit des Schnupftabaks 
sprechen, allenthalben auch bei Rauch- und Kautabak zutreflTen. 

Die vom Ausschüsse für das Stadium des Strafvollzuges 
in der Zwischenanstalt beim irischen System vorgesehene Aus¬ 
nahme vom Verbote des Tabakrauchens findet ihre Begründung 
in der Eigenthümlichkeit dieses Strafsystems, bei welchem mit 
dem Eintritt des Sträflings in das erwähnte Stadium des Straf¬ 
vollzuges seine persönliche Thätigkeit durch ein grösseres Maass 
von Freiheit und äusseren Erleichterungen angeregt und er des 
physischen Disciplinarzwanges möglichst enthoben werden soll. 

Betreffs der Frage, in welchem Umfange den Sträflingen 
Extragenüsse zu gewähren seien, glaube ich mich in keine 
weiteren Ausführungen einlassen zu müssen und mich nur auf 
das vom Herrn Collegen Sic hart am Schlüsse seines im 
Band IX. Heft 4 der Blätter für Gefangnisskunde abgedruckten 
Gutachtens Gesagte berufen zu dürfen, dessen Inhalt sich kurz 
dahin resumiren lässt, dass die Anschaffung dieser Extragenüsse 
in der Regel nur aus jenem Theil des Arbeitsgeschenkes zu 
geschehen habe, worüber dem Sträfling die Dispositionsbefugniss 
während der Haft eingeräumt ist, dass ein gutes Verhalten des 
Sträflings vorliege, dass der Zeitpunkt, mit welchem er dieses 
Bestimmungsrecht ausüben darf, in der Regel nicht gleich bei 
dem Eintritte in die Strafanstalt, sondern erst nach einiger 
Zeit und nur, wenn er während derselben gute Führung gezeigt 
hat, eintreten soll und dass endlich neben der individuellen 
Beschaffenheit und Würdigkeit des Sträflings die kürzere oder 
längere Strafzeit und seine Vermögenslage in Betracht zu ziehen 
sei, damit auf diese Weise der Zweck des Arbeitsgeschenkes, 
welcher in der Fürsorge, dem entlassenen Sträfling sein Fort¬ 
kommen zu erleichtern, gipfelt, nicht vereitelt werde. 

Es wäre nun noch die von Sichart angeregte Frage zu 


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erörtern, ob den Gefangenen das Halten eines Vogels oder 
von Blufnen zu gestatten sei, welche Frage er mit der Be¬ 
gründung bejaht, dass das Verlangen nach derartigen Genüssen 
aus dem Triebe nach Geselligkeit, aus dem Gefallen am Schönen 
entspringt, dass Pflege und Ausbildung des sich in ihnen be¬ 
kundeten Gemüthes zu den dankbarsten Aufgaben der Er¬ 
ziehung gehören, dass durch die Abwechslung, welche diese 
beiden Liebhabereien in die Eintönigkeit des Zellenlebens 
bringen, eine günstige Einwirkung auf die psychische und 
physische Gesundheit ausgeübt wird, dass die Empfänglichkeit 
des Sträflings für edlere Gefühle ganz besondere Beachtung 
verdient und dass dies der Punkt sei, wo der Besserungshebel 
die meiste Aussicht auf Erfolg verspricht. 

Ich kann dem hier Gesagten nur vollkommen beipflichten 
mit dem, dass diese Begünstigungen wohl nur den Gefangenen 
in Einzelhaft zu gewähren sein dürften, da mir das von 
Sichart hinsichtlich der gemeinsamen Haft hervorgehobene 
Bedenken, dass diese bezweckte Wohlthat durch die Bosheit, 
den Neid und die Missgunst der Mitgefangenen bald zu einer 
Quelle bitteren Leides werden könnte, ganz gegründet er¬ 
scheint. 

Das Zugeständniss zum Halten eines Vogels oder von Blu¬ 
men in der Einzelhaft kann ich aber umsomehr befürworten, 
als dasselbe gewiss dazu angethan ist, in das sorgenvolle und 
düstere Amt eines Strafanstaltsvorstandes auch eine Lichtseite 
hineinzubringen und ihn so auf seinem schwierigen Berufs¬ 
pfade zu beleben und mit neuem Muthe auszurüsten. 

Somit schliesse ich, indem ich der hochgeehrten Versamm¬ 
lung die vom Ausschüsse aufgestellten Thesen zur Annahme 
empfehle. Dieselben lauten (liest): 

I. Den Sträflingen kann bei Wohl verhalten mit Bewilligung 
des Anstalts-Vorstandes die Anschaffung von Extra¬ 
genüssen gestattet werden. 

II. Als solche Extragenüsse sind allgemein gangbare, die 
Gesundheit und Ernährung fördernde Artikel zu ver¬ 
abreichen. 

HI. Tabak in jeder Form darf nur in Folge ärztlicher Ver¬ 
ordnung verabreicht werden. Doch bezieht sich das Ver- 


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bot des Tabakraucbens nicht auch auf das Stadium des 
Strafvollzuges in der Zwischenanstalt bei dem irischen 
Systeme. 

IV. Bei Strafvollstreckung in Einzelhaft kann das Halten 
eines Vogels oder von Blumen gestattet werden. 

V. Eine Beschaffung der Extragenüsse aus anderen Mitteln 
als der Arbeitsbelohnung ist unzulässig. Eine Ausnahme 
hievon darf nur in denjenigen Strafanstalten stattfinden, 
wo die Beköstigungs-Ordnung die Verabfolgung von 
Speisenzulagen oder einer besseren Kost an Reconvales- 
centen oder Sieche nicht gestattet. 

Pfarrer Köstlin: Nach den Worten des hochverehrten 
Herrn Vorredners, welche uns eine so schöne psychologische 
Begründung zur Verwilligung von Extragenüssen an Gefangene 
gegeben haben, erscheint es sehr überflüssig, dass noch Jemand 
zu diesem Gegenstand das Wort ergreift. Gestatten Sie mir 
aber doch, meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass 
auch auf diesem Boden die Geistlichen der Strafanstalten sich 
zusammenfinden mit der Ansicht und dem Verfahren der HH. 
Directoren. Die HH. Directoren müssen die strengen Voll¬ 
strecker der einmal gegebenen strengen Hausordnung sein. 
Allein da jede Hausordnung einer Strafanstalt für die grosse 
Mehrzahl der normal beschaffenen Gefangenen zugeschnitten 
ist, namentlich der gesunden, wie wir das bei der Erörterung 
über die irren Verbrecher gesehen haben, ergeben sich noth- 
wendig Ausnahmen, besonders in solchen Anstalten, wo die 
Gefangenen viele Jahre verweilen, allmälig von Kräften kom¬ 
men, in’s höhere Alter gelangen, ohne darum im Anstaltsspital 
bleibende Aufnahme finden zu können, während sie doch gegen 
die ihnen früher Genuss bereitende Gesundenkost bis auf wenige 
Speisen abgestumpft sind. 

Unter der vorliegenden These scheinen freilich sehr dis¬ 
parate Gegenstände begriffen zu sein, dieselben sollen aber 
wohl nur zur Exemplification dienen, und der Sinn des ganzen 
Antrags ist offenbar der, dass den Herren Directoren neben 
der strengen Handhabung der Hausordnung im zukünftigen 
Gesetze über den Strafvollzug ein gewisses Dispositionsrecht 


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eingeräumt werden solle, damit sie neben der Generalisirung 
auch das Individualisiren in’s Auge fassen können. Kurz ge¬ 
sagt: der Paragraph, den wir jetzt verhandeln, ist der eigent¬ 
liche Directors-Paragraph. Ich bin aber der Ansicht, dass in 
einem Gesetze für so verschiedene Ländergebierte und für so 
lange Jahre die ausnahmsweisen Extra-Verwilligungen an ein¬ 
zelne Gefangene nicht, wie in der vorliegenden These, aufzu- 
führen wären. Wenn man exemplificiren würde, würde man 
überdies in Weitläufigkeiten hineingerathen. 

Weil aber in dieser Versammlung von Fachmännern natür¬ 
lich exemplificirt wird, möchte ich darauf hinweisen, dass 
einzelne meiner Beobachtung und Führung unterstellten Ge¬ 
fangene mehr noch als z. B. Blumen und Thiere — ich setze 
voraus in Zellen — die Bilder ihrer Lieben um sich haben 
wollen. Ich erlaube aber noch einen von mir längst gehegten 
Wunsch den anwesenden Herren Ministerialräthen und Anstalts- 
directoren an’s Herz zu legen, nämlich diesen, ob nicht, so wie 
in unsern Anstalten die Geburtstage unserer allerhöchsten Mon¬ 
archen mit Freilassung von der Arbeit, mit Gottesdienst, mit 
verbessertem Essen begangen werden, in der Weihnachtszeit, 
wo Alles sich freut, wo allerwärts andern Gefallenen, jungen 
und alten, in öflfentlichen Anstalten eine Christfreude bereitet 
wird, den Gefangenen eine den Verhältnissen der Strafanstalten 
entsprechende, die bescheidenen Genüsse des ehrbaren Armen 
draussen ja nicht übersteigende Freude bereitet werden könnte 
und sollte. Man kann gewiss auf solche Menschen, wie Straf¬ 
gefangene, nicht mit blos idealen Mitteln einwirken, und wenn 
wir, die wir die höchsten Ideale verfolgen, uns ja zuweilen 
materielle Genüsse gestatten, warum sollten wir nicht auch auf 
jene Menschen, ausser mit idealen Mitteln, in einzelnen Fällen 
mit materiellen Mitteln einzuwirken versuchen? Ich würde es 
darum nicht für hinreichend halten, den Leuten nur christliche 
Traktate etc. unter dem Christbaum darzureichen, sondern mich 
freuen, wenn es mit der Hausordnung vereinbar wäre, dass in 
der heiligen Christzeit — natürlich allen Gefangenen einmal 
ein Genuss gewährt würde, sei es durch die Brosamen von der 
reichen Herren Tischen, d. h. durch den Ertrag einer jährlichen 
Collecte, sei es zur Sicherung der Einrichtung auf Rechnung 


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der Anstaltsverwaltung. Meine Herren I Ich bitte Sie, erfreuen 
Sie wenigstens auf Einen Tag des Jahres die elenden, traurigen 
Strafgefangenen und geben Sie der trägen Masse unter den¬ 
selben einen neuen Impuls. Als im vorigen Jahre unser in 
Ehrfurcht geliebter König Karl von Württemberg an seinem 
Geburtstage den 6. März verschiedene Gefangene begnadigte, 
da hat ein sonst unheimlicher Gefangener zum ersten Mal mich 
menschlich anblickend gesagt: „Herr Pfarrer! Das gibt einen 
ganz andern Humor in die Anstalt 1^^ Meine hochverehrten 
Herren! Versuchen wir auch herzhaft nicht nur unbeschadet 
der strengen Gleichheit in der Behandlung Aller auf Einzelne 
durch individuelle Anpassung und Berücksichtigung, gesetzliche 
Zulässigkeit und persönliche Würdigkeit vorausgesetzt, einzu¬ 
wirken, sondern auch einmal wenigstens, in der Freudenzeit 
der Christenheit, durch eine kleine Freude und doch eine grosse 
Wohlthat für Strafgefangene, die wir Allen erzeigen, die gegen 
Gott und Menschen oft so misstrauischen, trotzigen Gefangenen 
zu beschämen. 

Director Kr oh ne: Es heisst in der These 11. (liest): 

„Als solche Extragenüsse sind allgemeine gangbare, die 
Gesundheit und Ernährung fördernde Artikel zu verabreichen.“ 

Ich hätte auch lieber gesehen, wenn diesem Satze ein Zu¬ 
satz angefügt worden wäre, dass aus dem Verdienstantheil, 
den der Gefangene hat, auch ein gutes Buch oder ein Schreib¬ 
heft oder sonst etwas angeschafft werden könnte, was mehr 
dem geistigen als dem leiblichen Genüsse dient, ich habe aber 
angenommen, dass dies selbstverständlich sei und es jeder 
Strafanstaltsdirector nur mit Freude begrüssen werde, wenn 
von Seite des Gefangenen der Wunsch herantritt, sich aus 
seinem Verdienstantheil einen derartigen geistigen Genuss zu 
verschaffen und deshalb ist diese Frage auch in der Commission 
nicht weiter zur Erörterung gekommen. 

Was den Umstand anbelangt, dass für die Gefangenen 
auch einmal ein Tag der Freude kommen müsse, so glaube 
ich, dass es an unseren Anstalten Sitte ist, an hohen und hei¬ 
ligen Tagen des kirchlichen und auch politischen Lebens dies 
den Gefangenen zum Bewusstsein zu bringen sowohl in Gestalt 

Blätter für Gefängnieskunde. XIX. 6 


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einer geistigen Anregung durch einen Gottesdienst als auch 
durch eine leibliche Anregung, indem ihnen eine bessere Ver¬ 
pflegung gegeben wird. Ich glaube also, dass nach dieser 
Richtung hin den Wünschen des Herrn Vorredners Rechnung 
getragen ist. 

Die dritte These, deren erster Satz lautet (liest): „Tabak 
in jeder Form darf nur in Folge ärztlicher Verordnung verab¬ 
reicht werden^“ anlangend, so ist damit zum erstenmal ein 
Grundsatz ausgesprochen, der bis dahin auf sehr viel Wider¬ 
stand gestossen ist. Ich begrüsse es mit ganz besonderer Freude, 
dass wir endlich einmal dahin gekommen sind, diesen Satz aus¬ 
zusprechen, den ich aber noch etwas schärfer fassen möchte, 
da ich fürchte, dass wir den Tabak durch eine Hinterthür 
wieder hineinbekommen. Es ist in den Ausschusssitzungen dar¬ 
auf hingewiesen worden, dass es gewisse geistige Depressionen 
geben könne, bei welchen die Verabreichung einer Prise Schnupf¬ 
tabak günstig einwirkt, weshalb man es offen Hess, dass der 
Arzt Tabak verordnen könne. Ich mache auf das sehr Bedenk¬ 
liche aufmerksam, welches dadurch für unsere Disciplin ent¬ 
steht. In der Einzelhaft geht es allenfalls; dort wird es mög¬ 
lich sein, Durchstechereien zu verhüten. Allein wie an Anstalten 
mit gemeinsamer Haft? Wenn der Arzt dem Einen Schnupf¬ 
tabak verordnet, so wird es nicht ausbleiben, dass die Dose 
sehr bald auf der Station herumwandert, es wird auch nicht 
ausbleiben, dass dadurch der ungebührlichen Einschleppung 
des Tabakes Thür und Thor geöffnet wird und die Recherchen 
erschwert werden, weil sich Jeder ausredet, wenn Tabak ge¬ 
funden wird; Ich habe ihn von dem Gefangenen so und so 
bekommen. Meine Herren! Brechen Sie damit, streichen Sie 
auch diesen Satz und fassen wir die These folgendermassen, 
wie ich sie beantrage (liest): 

„Beschaffung von Tabak ist ausgeschlossen.“ 

Glaubt der Arzt, dass der Gefangene wegen geistiger oder 
leiblicher Depression den Genuss von Tabak haben muss, nun 
gut: dann kann er ihm Tabak verordnen, ebenso wie er einem 
im höchsten Fieber liegenden eine halbe Hasche Champagner 
verordnet. 

Und dann noch ein Anderes! Verwirren wir nicht die 


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Grenzen zwischen den Befugnissen des Arztes und Directors, 
bei Annahme meines Vorschlages bleibt der Arzt Herr in 
seinem Lazarethe und der Director Herr auf dem Gebiete der 
Disciplin und je schärfer derartige Competenzen geschieden 
sind, desto friedlicher lebt es sich. Die folgenden Worte der 
These würden .folgende Fassung erhalten (liest): „Doch bezieht 
sich dieses Verbot nicht auch auf das Stadium des Strafvoll¬ 
zuges in der Zwischenanstalt nach dem irischen Systeme.“ 
College Tauffer, auf dessen Wunsch dieser zweite Satz 
hineingekommen ist, hat sich damit einverstanden erklärt, dass 
er allgemeiner gefasst werde. Er sagt allerdings: es kommen 
Schnupfen und Kauen des Tabakes auf diesem Stadium nicht 
vor, aber er sieht kein Uebel darin, wenn es in der Hand des 
Directors liegt, Schnupf- und Kautabak zu gestatten. 

Geh. Ober-Justizrath Starke (Berlin): Meine Herren! 
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich die Discussion unter¬ 
breche. Ich habe aber geglaubt, dass es meine Pflicht ist, 
wenn ich für das grosse Vertrauen danke, welches Sie mir 
erwiesen, indem Sie mich zum ersten Vicepräsidenten gewählt 
haben. Ich weiss nicht, ob ich in der Lage sein werde, den 
mir hieraus erwachsenden Pflichten zu genügen, weil ich mit 
den hier im Lande üblichen parlamentarischen J^ormen nicht 
bekannt bin, ich würde daher dringend bitten, Nachsicht zu 
üben, falls ich in die Lage käme, an Stelle des hochverehrten 
Herrn Präsidenten fungiren zu müssen. Hoffentlich wird dieser 
Fall nicht eintreten. (Beifall.) 

Geh. Justizrath Wirth: Meine Herren! Damit wir die 
Discussion nicht unnöthig erweitern, wollen wir uns von vorne- 
herein darüber einigen, dass unter den Extragenüssen hier nur 
sinnliche Genüsse verstanden sind und nicht Bücher, Lectüre, 
Weihnachtsfreuden u. s.w. Es sind hier nur sinnliche Genüsse 
gemeint, Genüsse für den Gaumen, die Zunge, den Magen, die 
Nase. Ich bin mit den Thesen, die der Ausschuss vorgeschla¬ 
gen hat, vollkommen einverstanden bis auf die These 3. Diese 
ist von so ungeheurer Strenge, dass ich Ihnen vorschlagen 
möchte, dieser These Ihre Zustimmung zu versagen. Wenn 
wir hier in unserer Versammlung einen Beschluss fassen, so- 

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haben wir natürlich damit die Intention, für ein zukünftiges 
Strafvollzugsgesetz oder vielleicht nur für die Schöpfung einer 
Hausordnung zu prätendiren, dass dieser Beschluss in das Gesetz, 
in die Hausordnung aufgenommen werde. Es würde also nicht 
etwa, wie sich Mancher vorstellen könnte, blos ein frommer 
Wunsch sein, dass der Tabak aus den Gefängnissen ver¬ 
schwinden müsse, sondern wenn die Versammlung dies hier 
beschliesst — und die Regierungen geben auf das Gutachten 
der Versammlung der Strafanstaltsbeamten etwas — so können 
wir den Tag erleben, wo die Bestimmung getroffen wird: von 
morgen ab schnupft kein Gefangener mehr eine Prise Tabak, 
von morgen an darf keiner mehr eine Cigarre rauchen, keiner 
mehr einen Priem kauen. Das wäre etwas ganz Anderes, als 
wenn sonst allgemeine Verordnungen von tiefster Bedeutung 
für das Gefängnisswesen gegeben wurden, die aber stets Er¬ 
leichterungen der Haft mit sich brachten. So waren seinerzeit 
überall grosse Bedenken aufgetaucht, als es hiess: den Ge¬ 
fangenen sollen die Ketten abgenommen werden. Da gab es 
manchen Director, der sagte: ja, aber doch nicht Allen 
an Einem Tagei der Uebergang ist zu plötzlich; die Leute 
schlagen uns am Ende die Kugeln selbst an den Kopf! Die 
Ketten sind aber doch gefallen und die Gefangenen haben mit 
grossem Danke demüthig und zum Theile auch wehmüthig 
diese grosse Erleichterung ihres Zustandes aufgenommen. Wenn 
wir aber mit der Bestimmung kommen; „von morgen an keine 
Prise Tabak mehr‘‘, so greifen wir damit in das Gefangenen¬ 
leben auf das Allerempfindlichste ein. Ich glaube, dass wenn 
wir den Gefangenen vor die Wahl stellen würden: Willst Du 
Dir Deine Ketten wieder anschlagen lassen -oder nicht mehr 
schnupfen, so wird er sagen: „Schlagt mir in Gottes Namen 
meine Ketten wieder an, wenn ich nur meine Prise behalte.“ 
Das Tabakschnupfen, das Tabakkauen ist eben bei Vielen 
zu einem Bedürfniss geworden, welches wirklich noch das Be- 
dürfniss nach Nahrung übersteigt. Ich habe wenigstens die 
Erfahrung gemacht, dass Menschen an der Entbehrung des 
Schnupftabaks geradezu verkümmerten, gerade so als wenn sie 
nichts mehr zu essen bekommen hätten. Die sinnliche Natur 
des Menschen lässt sich nicht aus der Welt schaffen und auch 


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der Gefangene wird von ihr mächtig beherrscht. Es sind ihm 
ja alle anderen Genüsse entzogen, also lasst ihm diese Kleinig¬ 
keit. Wollen wir in dieser Frage überhaupt etwas thun, so 
könnten wir das nur so, dass wir den Gefangenen das Schnupfen, 
Rauchen, Kauen etc. allmählig abgewöhnen; wir könnten 
nur darauf hinarbeiten, dass der. Tabakgenuss allmählig abge- 
schafft wird; aber um zu sagen: von morgen ab keinen 
Tabak mehr, darin finde ich eine zu grosse Härte gegen 
die Gefangenen und deswegen lege ich Ihnen an’s Herz; lehnen 
Sie diese These ab. (Beifall.) 

Inspector Reich (Zwickau): Meine Herren! Die vor¬ 
liegende These gibt mir Anlass zu bemerken, dass man in 
Sachsen die Anschauungen des Herrn Referenten nicht theilt. 
Der Herr Referent hat von einer „Befugniss“ der Gefan¬ 
genen gesprochen und auch in den verschiedenen Gutachten, 
beziehentlich in den betr. Paragraphen des Entwurfes zu einem 
Reichsgesetze über den deutschen Strafvollzug heisst es: der 
Gefangene „kann‘‘ mit Bewilligung des Anstaltsvorstandes 
über einen bestimmten Theil des Arbeitserwerbes „verfügend 
Meine Herren! Ich glaube, der Gefangene „kann^^ nichts und 
hat nichts zu können. Es liegt das meines Erachtens im Wesen 
der Freiheitsentziehung. Nur der Anstaltsvorstand „kann“ 
hier richtiger Weise. Es ist dies nicht ein formeller, sondern 
vielmehr ein prinzipieller Unterschied, Ich will das gleich aus 
der Praxis erläutern. Als bei uns in Sachsen die Gefangenen 
in gedachter Beziehung noch „verfügen konnten^, ver¬ 
fügte auch der weitaus grösste Theil der dazu hausordnungs¬ 
gemäss Berechtigten und der Anstaltsvorstand versagte die 
Bewilligung auch nur dann, wenn ganz besondere Gründe da¬ 
gegen Vorlagen, denn die Entziehung der Disposition 
über den Arbeitserwerb war ja Disciplinarsträfe! Es 
ergriff also früher jeder junge Bursche, der vielleicht erst in 
Folge Genusssucht in das Straf haus gekommen war, sofern 
er sich dort sonst gut geführt, natürlich gerne die Gelegenheit, 
sich den dargebotenen Gaumenkitzel an Käse, Bier, Butter, 
Häring, Semmel u. s. w. zu leisten und so seiner Genusssucht 
weiter zu fröhnen. Wie überall, war auch, für ein Prieschen 


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Schnupftabak gesorgt — ja, es gab Orte, wo 3 bis 4 ver¬ 
schiedene Sorten Schnupftabak, je nach Geschmack der deti- 
nirten Nasen, vorräthig gehalten wurden und es gewöhnte sich 
in Folge dessen eine ganze Anzahl dieser Leute erst ein Uebel 
an, das sie vorher noch nicht gekannt hatten. Aber das ist 
noch nicht die ernsteste Seite. Ausser jenen jungen Burschen 
waren es auch viele Familienväter, welche dadurch in 
Versuchung geführt wurden und ihr nicht widerstehen konnten. 
Die Frauen jammerten brieflich über die Noth der Familie, die 
zu Hause kaum das Salz zum Brod hätte, und der Gatte strich 
sich im Strafhause das Butterbrod unter dem Vorwände, dass 
er dies zur Erhaltung seiner Körperkräfte nothwendig hätte. 
Bei der Entlassung wurde das dann oft genug, leider zu spät, 
bedauert. Meine Herren! Es ist ja wohl das Schwerste, im 
Strafhause freiwillig sich Entbehrungen auferlegen zu 
sollen und die Anforderungen an die Willenskraft des Einzelnen 
sind dann doch zu gross, wenn wir das verlangen wollten. In 
der Erkenntniss dieser Zustände hat man nun in Sachsen den 
Victualienerkauf, wie er sonst überall noch besteht, seit An- 
4^ang dieses Jahres vollständig aufgehoben und der Anstalts¬ 
vorstand kann nur noch auf. motivirten ärztlichen Antrag, be¬ 
ziehentlich in ganz besonderen Fällen als ausnahmsweise 
Belohnung dem Gefangenen einen Extragenuss, der jetzt 
nur noch auf Butter oder Fett, Bier oder Milch beschränkt 
ist, gestatten. Seit dieser Zeit ist der Victualienverbrauch in 
unseren Anstalten fast auf Null gegen früher herabgegangen, 
ohne dass mit dem Eintreten dieser Bestimmung ein einziger 
Gefangener es gewagt hätte, gegen die Disciplin dieserhalb zu 
verstossen. Dieses Bedenken kann also der geehrte Herr Vor¬ 
redner ruhig fallen lassen. Wir betrachten den Arbeitserwerb 
lediglich als ein Geschenk, über das der Gefangene, vor 
dessen Aushändigung bei der Entlassung, in keiner Weise 
„verfügen^^ kann, sondern von dem nur der Anstaltsvorstand 
ausnahmsweise etwas schon während der Strafzeit voraus¬ 
gewähren kann. 

Ich erlaube mir daher im Sinne des von mir Gesagten 
die These 1 in folgender Fassung zu beantragen (liest): 

„Den Sträflingen kann auf motivirten ärztlichen 


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71 


Antrag mit Bewilligung des Anstaltsvorstandes die 
AnschaflTung von Extragenüssen gestattet werden/^ 

In Bezug darauf, wie weit diese Gestattung gehen dürfe, 
will ich mich eines Antrages enthalten, allein ich glaube, dass 
unter Anderem auch die Gewährung von Blumen und Vögeln 
in Wegfall kommen könne. 

Director Strosser (Münster): Der Ausschuss beantragt 
im Allgemeinen die Beseitigung des Tabaks in den Gefäng¬ 
nissen und Strafanstalten, und seine Zulassung nur nach Ver¬ 
ordnung des Arztes in einzelnen ganz bestimmt motivirten 
Fällen. Sie haben vom Collegen Kr ohne gehört, wie er den 
Tabak auch in dieser Form hinausgeschafft haben will, weil 
dann nur eine ganze Reihe von Schmuggeleien und Unord¬ 
nungen sicher vermieden werden können. Sie haben von dem 
letzten Herrn Redner vernommen, dass in Sachsen die Mass¬ 
nahme der Beseitigung des Tabakes seit längerer Zeit durch¬ 
geführt ist. Diesen Ausführungen gegenüber kommt nun College 
Wirth mit einer schneidenden Lobrede auf den Tabak und 
verlangt Beibehaltung desselben in den Gefängnissen nach den 
bisherigen Normen. Wenn nun auch ein Theil der Anwesenden 
ihm am Schlüsse seiner Rede mit Bravo lohnte, so hoffe ich 
doch, dass die Majorität der Versammlung auf Grund der vor¬ 
liegenden Gründe sich dem Anträge des Ausschusses an- 
schliesscn wird. 

Ich will das, was ich zu sagen habe, im Anschlüsse an 
die Momente thun, welche Herr Director Wirth Ihnen vor¬ 
geführt hat. Er hält uns zunächst entgegen, ob wir uns denn 
etwa der Meinung hingeben, dass die Staatsregierungen bei 
der künftigen Regelung des Strafvollzuges eine solche Bestim¬ 
mung, wie wir sie vorschlagen, mitaufnehmen könnten. Ja, 
ich glaube im Kreise aller der hier Versammelten sitzt Nie¬ 
mand, der in gleich eifrigem Maasse anstrebt, dass das, w^as 
hier beschlossen wird, auch von den betreffenden Staatsregie¬ 
rungen in die Praxis und in’s Leben umgesetzt werde, wie 
gerade Director Wirth. Wer sich erinnert, wie derselbe Herr 
Redner am Anfänge unserer Versammlung gesprochen, wie er 
begeistert lobte, einen wie bedeutenden Einfluss diese Ver- 


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Sammlungen und ihre Beschlüsse auf die Entwickelung der 
Strafvollzugsgesetze gehabt habe, der wird sich ganz einfach 
sagen: Was in der Vergangenheit erstrebt und erreicht wor¬ 
den ist, das wollen wir auch in der heutigen Versammlung. 
Wir wollen heute nicht blos oratorische Vorträge halten, son¬ 
dern aus der Praxis des Lebens an die Staatsregierungen 
herantreten mit der Bitte, das recht ernstlich zu erwägen und 
zu prüfen, was hier beschlossen wird, und wenn sie es für gut 
befinden, auch in’s practische Leben der Gefängnisse einzu¬ 
führen. Er sagt, es würde ein bedenklicher Zustand eintreten 
durch die Gewährung unseres Antrages, und malt uns mit 
gewandter Phantasie eine Reihe von Schreckgestalten aller¬ 
schlimmster Art vor, wenn die Staatsregierungen es sich bei¬ 
kommen Hessen, mit einem Male zu befehlen, der Tabak soll 
verschwinden aus den Strafanstalten und Gefängnissen. Er 
sieht dabei prophetisch eine ganze Reihe von Menschen in 
ihrem Gesundheitszustände heruntergekommen und dem Ver¬ 
derben nahe. Ja, m. H., die Frage ist aber in Sachsen gelöst, 
und soweit wir von den anwesenden Mitgliedern aus Sachsen 
gehört haben, ist kein einziges von ihnen diesem in Folge der 
Entziehung des Tabakes abgemagerten Gerippe des Collegen 
Wirth begegnet. Er will die Entziehung mindestens erst all- 
mählig eingefuhrt haben, damit die Leute durch langsame Ge¬ 
wöhnung vor dem befürchteten verderblichen Ausgange bewahrt 
bleiben. Er übersieht aber, dass wenn dieser neue Usus 
allmählig eingeführt wird, ich will beispielsweise sagen bis 
20. September 1884, also heut über ein Jahr, dann die Leute, 
die vom 21. September 1884 in die Gefängnisse kommen, auch 
von da ab mit einem Male sich dieses Genusses enthalten 
müssen, dass also dann die vielen Hunderttausende, die künftig 
in die Gefängnisse kommen werden, diesem Verkrüppelungs¬ 
system wegen plötzlicher Entziehung des Tabakes jedenfalls 
verfallen'werden. 

Er übersieht aber ferner auch eine zweite Thatsache ähn¬ 
licher Art. Man hat viel mehr als vom Tabak, der ein höchst 
entbehrliches Genussmittel ist, vom Branntwein gesagt, dass 
die plötzliche Entziehung desselben für den Menschen, der 
daran gewöhnt ist, die allerbedenklichsten Folgen für Körper 


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und Geist habe, und doch hat man bisher überall auch den 
ärgsten Trinkern den Branntwein von dem Momente an ent¬ 
zogen, wo sie in die Strafanstalten kamen. Von den angeb¬ 
lichen traurigen Folgen dieser plötzlichen Entziehung habe ich 
bislang nichts gehört, sondern im Gegentheil sehr gesegnete 
Folgen eintreten gesehen, wenn der sofortige Gebrauch des 
Branntweins aufhörte. 

Welches sind nun die Gründe, welche den Ausschuss zur 
Aufstellung dieser These, den Tabak betreffend, bewogen? 
College Miglitz hat sie in seiner eingehenden Arbeit dargelegt 
und ich will sie deshalb nur kurz anfiihren. 

Tabak ist in den Strafanstalten und Gefängnissen, das 
weiss Jeder, der practisch in diesen zu thun hat, das gewöhn¬ 
lichste Mittel zu Schmuggeleien, Tabak ist ein Object, welches 
in ganz besonderem Maass die Unreinlichkeit fördert und 
man braucht nur die Schnupftücher in den Strafanstalten an¬ 
zusehen, die sauber und rein hineinkommen und schliesslich 
wie Schmutztücher aussehen, so dass es den Nachfolger jedes¬ 
mal ekelt, wenn er von dem abgegangenen Vorgänger dessen 
Schnupftuch überkommt. 

Es hat der Hr. Vorredner in drastischer Weise darauf 
hingewiesen, dass wenn man heute den Gefangenen fragen 
würde, ob er lieber wieder Kette und Kugel tragen oder den 
Tabak entbehren möchte, er sich für das Erstere entscheiden 
würde. Ich gebe zu, dass dies bei einzelnen Menschen, die 
an solchen Genüssen hängen, wohl der Fall sein könnte; wenn 
diese aber eine Zeit lang Kette und Kugel geschleppt hätten, 
würden sie doch den Tabak fahren lassen. Auf die Anschau¬ 
ungen der Gefangenen in solchen Punkten haben wir aber 
überhaupt in erster Linie nicht zu sehen, sondern auf das, 
was zur sittlichen Erziehung der Leute selbst gut und heilsam 
ist. Dabei darf man sich nicht verhehlen, dass namentlich bei 
jugendlichen Gefangenen die überwiegend grösste Zahl, min¬ 
destens die Hälfte in das Gefängniss hineinkommt, ohne an 
Schnupftabak gewöhnt zu sein, denselben sich erst im Ge¬ 
fängniss angewöhnen und mit dieser schlechten Gewohnheit 
in’s Leben zurück treten, während wir unsere Aufmerksamkeit 
darauf richten sollen, den Gefangenen möglichst als Herrn 


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seiner kleinen und grossem Leidenschaften in das bürgerliche 
Leben zurück zu senden. 

Ich will mich kurz fassen, um so mehr als der Herr Prä¬ 
sident die starke Neigung hat, Reden, die über 10 Minuten 
dauern, abzuschneiden (Heiterkeit) und ich kann Sie darum 
nur bitten, möglichst einstimmig den Antrag des Ausschusses 
anzunehmen. 

Geh.Ober-Regierungsrath Illing (Berlin): Meine Herren! 
Es wird die Heiterkeit des grossen Publikums erregen, wenn 
man erfährt, dass wir fast eine Stunde lang über eine Prise 
Tabak discutirt haben. Die vorliegende Frage ist aber für 
die Strafverwaltung nicht ohne Belang, wie Sie aus dem Vor¬ 
trage des Geh. Raths Wirth ersehen haben, der Ihnen die 
Folgen geschildert hat, welche eintreten könnten, wenn wir 
den Sträflingen den Tabak versagen. 

Ich bin früher für die Zulassung des Schnupftabaks in 
den Strafanstalten gewesen, nach langjährigen Erfahrungen 
kann ich aber nicht umhin, seinen Gegnern Recht zu geben. 
Für Personen, die sich an das Tabakschnupfen oder Rauchen 
gewöhnt haben, kann es zu einer förmlichen Penitenz werden, 
wenn sie darauf verzichten sollen; ich habe das an meiner 
eigenen Person erfahren, als mir bei einer Magenkrankheit das 
Rauchen für eine Zeit lang untersagt wurde. Es soll Fälle 
geben, in denen der Schnupftabak als Arznei wirkt, so bei¬ 
spielsweise bei gewissen Augenkrankheiten. Ich will das nicht 
bestreiten, aber abgesehen von solchen — jedenfalls nur 
seltenen — Ausnahmefällen, über die der Arzt entscheiden 
mag, ist der Tabak lediglich ein Genussmittel, an das ein 
grosser Th eil der Sträflinge sich erst im Gefängniss gewöhnt. 
Man hegt im Publikum die Besorgniss, dass die Milde in un¬ 
seren Strafanstalten bisweilen zu weit getrieben werde und 
dass die Freiheitsstrafen, insbesondere den Gewohnheitsver¬ 
brechern gegenüber, häufig nur noch in geringem Grade ab¬ 
schreckend wirken. Diese Besorgniss ist nach den Wahr¬ 
nehmungen, die wir täglich machen, leider nicht ganz unbe¬ 
gründet und ich halte es deshalb nicht für bedenklich, sondern 
eher für nothwendig, dass wir aus unseren Strafanstalten Alles 


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beseitigen, was dazu beiträgt, die Wirkung der Freiheitsstrafen 
abzuschwächen. Von diesem Gesichtspunkte aus empfehle ich 
der geehrten Versammlung die Annahme der These des Aus¬ 
schusses, der den Genuss des Schnupftabaks auf die Fälle 
beschränkt sehen will, in denen seine Verabreichung durch 
den Anstaltsarzt für nöthig erachtet wird. 

Geheimerath Ekert; Es kommt bei dieser Frage, wie 
fast überall, vorzugsweise auf eine richtige Anwendung der 
einschlägigen Bestimmungen an. Ich habe die Befugniss, in 
meinem Gefängniss Schnupftabak und eine ganze Reihe von 
einzelnen Vegetabilien als Vergünstigung zu verabreichen; 
allein ausser Tabak und der meist vom Arzte als wünschens- 
werth erklärten Milch bekommen die Leute sehr wenig. Ich 
glaube nicht, dass in unseren Rechnungen für die Gefangenen 
dasjenige, was Tür Extragenüsse ausser für Tabak und Milch 
aufgewendet wird, den Betrag von 20 JL im Jahre bei einem 
Stande von 400 bis 500 Gefangenen erreicht. Ich kann keinerlei 
Gefahr darin erblicken, wenn man die These 1 annimmt, vor¬ 
ausgesetzt, dass der Director eine vernünftige und zweck¬ 
mässige Anwendung von der Sache macht. Darunter fallt auch 
die These 2. 

Was die Abschaffung der Extragenüsse in Sachsen anbe¬ 
langt, so scheint fast, als ob dort früher zu viel gegeben wurde; 
das führt immer zu Repressivmassregeln. Lassen Sie sich solche 
Befugnisse geben und machen Sie recht sparsamen Gebrauch 
davon, dann wird kein Missstand daraus hervorgehen. 

Es ist auch die Rede davon gewesen, dass man den Leuten 
die schlechten Gewohnheiten des Tabakschnupfens und -Rauens 
schon wegen ihrer Unreinlichkeit abgewöhnen muss. Bei uns 
in Baden bekommt jeder Gefangene, der schnupft, zwei 
Sacktücher und auf diese W^eise wird der Unreinlichkeit 
vorgebeugt. Im Uebrigen ist es eine starke Anschuldigung, 
wenn man alle Leute, die schnupfen, für unreinlich erklärt. 
Ich glaube, dass darin ein Anstand gegen die Bewilligung 
des Tabakes nicht zu finden ist. Ueber Kau- und Rauchtabak 
haben wir in Baden] keine Erfahrung. Es handelt sich bei 
uns nur um Schnupftabak, der in den badischen Anstalten viel- 


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fach gegeben wird. Das Erste dabei ist freilich, dass man den 
Leuten den Tabak nicht in der Strafanstalt angewöhnt. Das 
wäre sehr verkehrt, wenn der Director nicht prüft: Hast Du 
früher geschnupft oder nicht? Junge Leute und Rückfällige 
schliesst man gewöhnlich aus und sonst wird in der Regel nur 
dem der Schnupftabak gestattet, der früher schnupfte und dies 
durch die mitgebrachten Gegenstände oder sonst glaublich macht. 

Was den Eindruck anbelangt, welchen das Nichtbewilligen 
des Tabakes hervorbringt, so habe ich in einer Ausschuss¬ 
sitzung ein Beispiel aus Bruchsal angeführt. Ein Zellen¬ 
gefangener sagte: „Wenn ich keinen Tabak bekomme, hänge 
ich morgen dort am Webstuhl.“ Er bekam keinen Tabak, am 
andern Tag hing er dort und war todt. 

Es ist das übrigens trotzdem kein Grund, dass wir den 
Tabak bewilligen müssen, denn nur derjenige, der den Muth 
und die moralische Verkommenheit hat, sich um’s Leben zu 
bringen, wird es thun; allein welchen tiefen Eindruck das Ver¬ 
bot machen kann, finden Sie an diesem Beispiele demonstrirt. 

Ich kann nach meiner Erfahrung in der Gestattung des 
Schnupftabakes bei vernünftiger Anwendung keinen Anstand 
finden. Bereits in einer Ausschusssitzung aber habe ich mich 
dahin ausgesprochen, dass man sich pure für oder wider ent¬ 
scheiden sollte, denn ich halte den Schnupftabak für kein 
Medicament. Ich enthalte mich indess der Stellung eines wei¬ 
teren Antrags. 

Director Tauffer (Lepoglava in Kroatien): Ich will über 
diese Frage keine grosse Rede halten; sie ist genügend er¬ 
örtert, und jeder College hat sich seine Meinung gebildet. Ich 
will nur ganz kurz aus der Praxis ein Beispiel anführen und 
in Folge der Aufforderung meiner Collegen aus Ungarn er¬ 
wähnen, dass in den Strafanstalten des genannten Königreichs 
das Rauchen, Schnupfen und der Kautabak bis vor 3 Jahren 
zulässig war. Die Regierung hat aber nach Anhörung der 
Strafanstaltsbeamten entschieden, dass die Gestattung dieser 
Extragenüsse aufzuhören habe. Die Verabreichung von Tabak 
wurde alsogleich eingestellt und wir haben dennoch keine 
Tumulte, keine besonders zahlreichen Disciplinüberschreitungen 


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in den ungarischen Strafanstalten zu verzeichnen gehabt. Es 
wurde auch nie bemerkt, dass die Entziehung des Tabakes 
der Gesundheit schädlich gewesen wäre; ja selbst Gefangene 
erkannten dies und sagten, dass sie froh seien, von der Unart 
des Schnupfens sich abgewöhnt zu haben. Ich glaube also, 
dass wir keine Befürchtungen zu hegen brauchen und mit 
Buhe den Thesen in jener Form unsere Zustimmung geben 
können, dass der Genuss des Tabakes in der Einzelhaft und 
im L und II. Stadium des progressiven Strafvollzuges absolut 
verboten werde. 

Oberstaatsanwalt v. Köstlin (Stuttgart): Ich wollte nur, 
was die Einrichtungen in Württemberg betrifft, die Mitthei¬ 
lung machen, dass wir unterscheiden zwischen Zuchthäusern 
und Gefängnissen. In den Zuchthäusern ist der Tabak, in 
welcher Form er immer genommen würde, absolut verboten, 
auch für lebenslängliche Zuchthausgefangene. Es haben, als 
diese Bestimmung eingeführt wurde, zuvor Erörterungen in 
ärztlicher Hinsicht stattgefunden. Es wurde damals von ärzt¬ 
licher Seite geltend gemacht, dass es für die Gesundheit der 
Gefangenen keine nachtheiligen Folgen haben werde, wenn 
ihnen der Schnupftabak genommen wird und es haben sich 
auch seither keine nachtheiligen Folgen bemerklich gemacht. 
Bei den Gefangnissgefangenen kann Schnupftabak zugelassen 
werden und ebenso bei den verhältnissmässig wenigen Zucht¬ 
hausgefangenen, welche in unserem Zellengefängnisse in Heil- 
bronii untergebracht sind. Rauchtabak ist in keiner Straf¬ 
anstalt gestattet; Kautabak kommt nicht vor. 

Director Leffler (Kaiserslautern): Ich verkenne die 
Schwierigkeiten nicht, die sich in Anstalten mit gemeinschaft¬ 
licher Haft daraus ergeben, wenn der Schnupftabak abgeschafft 
werden sollte, zumal da hiemit ein sehr wirksames Disciplinar- 
mittel wegfiele. Der Vorstand hat ja bekanntlich die Befugniss, 
derartige Genussmittel bei schlechtem Verhalten zu entziehen, 
beziehungsweise vorzuenthalten. Ich muss aber andererseits 
bemerken, dass es nicht so schwer sein kann, den Tabak 
allmälig zu beseitigen. In der einen der beiden Anstalten, 
denen ich vorstehe, wird nie Tabak gegeben. Es ist dies das 


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Arbeitshaus in Kaiserslautern, welches im Jahre 1862 errichtet 
wurde und wo bis zum heutigen Tage noch kein Detent 
Schnupftabak erhalten hat 

Präsident: Wünscht noch Jemand das Wort? (Nie¬ 
mand meldet sich.) Es ist nicht der Fall. Wir schreiten 
daher zur Abstimmung. Zu These 1 hat Herr Inspector 
Reich folgenden Antrag gestellt (liest): 

„Den Sträflingen kann auf motivirten ärztlichen An¬ 
trag mit Bewilligung des Anstaltsvorstandes die An¬ 
schaffung von Extragenüssen gestattet werden. 

Ich ersuche jene Herren, welche diesen Antrag annehmen 
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Der Antrag ist 
abgelehnt. 

Ich ersuche nunmehr jene Herren, welche These 1 in der 
Fassung des Ausschusses, lautend: (wiederholt dieselbe), an¬ 
nehmen wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) These 1 
ist conform dem Ausschussantrage angenommen. 

These 2 lautet: (wiederholt dieselbe). Ich ersuche jene 
Herren, welche diesen Antrag des Ausschusses annehmen 
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) These 2 ist an¬ 
genommen. 

Zu These 3 hat Herr Director Kr oh ne einen Abände¬ 
rungsantrag gestellt, den ich nach seinen beiden Absätzen 
getrennt zur Abstimmung bringe. 

Ich ersuche sohin jene Herren, welche den ersten Absatz, 
lautend (liest): 

„Die Beschaffung von Tabak ist ausgeschlossen^^ 
annehmen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) -Dieser Antrag 
ist angenommen. 

Der zweite Absatz lautet (liest): 

„Doch bezieht sich dieses Verbot nicht auch auf das 
Stadium des Strafvollzuges in der Zwischenanstalt nach 
dem irischen Systeme.^^ 

Ich ersuche jene Herren, welche diesen Antrag annehmen 
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Ich bitte um die 
Gegenprobe. (Dieselbe erfolgt.) Auch dieser Absatz ist an¬ 
genommen, These 3 sohin erledigt. 


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These 4 lautet (liest): 

„Bei Strafvollstreckung in Einzelhaft kann das Halten 
eines Vogels oder von Blumen gestattet werden/^ 

Pastor Mahn; Ich erlaube mir die Bitte über die Worte 
„oder von Blumen‘^ getrennt abzustimmen, da darüber ver¬ 
schiedene Ansichten bestehen. 

Präsident: Ich werde diesem Wunsche Rechnung tra¬ 
gen und- bitte jene Herren, welche die These 4 mit Auslassung 
der Worte „oder von Blumen‘‘ annehmen wollen, die Hand zu 
erheben. (Geschieht.) Angenommen. Ich ersuche nunmehr 
jene Herren, welche die Worte „oder von Blumen‘‘ ebenfalls 
annehmen wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Ist 
ebenfalls angenommen, mithin These 4 in der Fassung des 
Ausschusses genehmigt. 

These 5 lautet: (wiederholt dieselbe). Ich ersuche jene 
Herren, welche diesen Antrag annehmen wollen, die Hand zu 
erheben. (Geschieht.) These 5 ist angenommen. 

Wir sind am Schlüsse der heutigen Tagesordnung ange¬ 
langt. Ich habe die Mittheilung zu machen, dass jene Herren, 
welche sich an der Besichtigung des Landesgerichtes in Straf¬ 
sachen betheiligen wollen, sich pünktlich um 4 Uhr am Ein¬ 
gang des Landesgerichtes in der Alserstrasse einfinden mögen; 
ferner dass die Abfahrt zum Ausflug auf den Kahlenberg um 
2 Uhr 25 Min. stattfindet und nicht um 2 Uhr 55 Min., wie 
früher bekannt gegeben wurde und dass die rothen Legitima¬ 
tionskarten als Legitimation zut freien Fahrt gelten. 

Ferner habe ich den Ausschussmitgliedern bekannt zu 
geben, dass die Sitzung des Ausschusses morgen um 8 Uhr 
stattfindet. Die Vollversammlung beginnt um 9 Uhr. 

Die Sitzung ist geschlossen. 

(Schluss der Sitzung 1 Uhr 15 Minuten.) 


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Zweite Sitzung den 21. September 1883. 


Präsident: Oberstaatsanwalt Hofrath v. Hattingberg. 

(Beginn der Versammlung 9 Uhr 15 Min.) 

Präsident: Ich erkläre die Sitzung für eröffnet. 

Vor Allem habe ich die Mittheilung zu machen, dass 
mir gestern ein Telegramm des Herrn Generalstaatsanwaltes 
V. Schwarze aus Dresden zugekommen ist, in welchem er 
seinen innigsten Dank ausspricht, den herzlichsten Gruss sendet 
und das schmerzlichste Bedauern erwiedert, an der gegen¬ 
wärtigen Versammlung nicht theilnehmen zu können. (Leb¬ 
hafter Beifall.) 

Der erste Gegenstand der heutigen Verhandlung sind 
die Thesen: 

„II, lieber die Arbeitsbelohnungen für Gefangene''. 

(Geheimer Justizrath und Director Wirth meldet sich 
zum Worte.) 

Herr Geh. Justizrath Wirth hat das Wort. 

Geh. Justizrath und Director Wirth: Ich möchte mir einen 
Antrag zur Tagesordnung zu stellen erlauben. 

Meine Herren, es ist uns hier sub I. die These zur Be¬ 
schlussfassung vorgeschlagen: ^Der Ertrag der Arbeit jener 


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Gefangenen, die zu einer mit Verpflichtung zur Arbeit ver¬ 
bundenen Strafe verurtheilt sind, fliesst zur Staatscasse.“ 

Die Thesen, die hier aufgestellt werden, sollen Beant¬ 
wortungen der vorgelegten Fragen sein. 

Die Frage lautet nun: „Nach welchen Grundsätzen sollen 
die Arbeitsbelohnungen an Gefangene gewährt werden u.s.w^ 
These L gibt aber auf diese Frage keine Antwort; These 1. 
ist überhaupt, so viel ich weiss, nicht zweifelhaft, und ich 
beantrage daher, sie von der Tagesordnung abzusetzen und 
keine Discussion darüber zu eröffnen. 

Referent Director Tauffer: Ich glaube, dass diese Frage 
unbedingt zur Tagesordnung gehört und von unseren Verhand¬ 
lungen — nach meiner besten Ueberzeugung — nicht ausge¬ 
schlossen werden kann. Sie ist, wie ich später die Ehre haben 
werde auszuführen, eine prinzipielle Frage, in welcher Gründe 
ad meritura für und wider vorgebracht werden sollen. 

Präsident: Ich werde den Antrag des Herrn Geheimen 
Justizrathes Wirth zur Abstimmung bringen. Derselbe geht 
dahin, die These I. als mit der Programmfrage nicht im Zu¬ 
sammenhänge stehend, von der Tagesordnung abzusetzen. 

Jene Herren, welche diesem Anträge zustimmen, wollen 
die Hand erheben. (Geschieht.) Derselbe ist ab gelehnt. 

Ich ersuche nun Herrn Director Tauffer, sein Referat 
zu erstatten. 

Referent Director Tauffer: Geehrte Herren! Hochgeehrte 
Collegen! Die erste Frage, die in der heutigen Versammlung 
unseres Vereines zur Discussion und zur gedeihlichen Lösung 
gebracht werden soll, lautet (liest): 

„Nach welchem Grundsätze sollen die Arbeits¬ 
belohnungen an Gefangene gewährt werden, ins¬ 
besondere auch in welcher Höhe, und soll dabei 
eine Rücksichtnahme auch auf das Verhalten des 
Gefangenen am Straforte stattfinden? Soll eine 
ganze oder theilweise Entziehung des Arbeitsgut¬ 
habens stattfinden können?‘‘ 

Die verschiedenen Seiten der aufgeworfenen Fragen wur- 

Blätter für Gefängnisskunde. XIX. Ü 


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den in neuester Zeit durch die ausgezeichneten Gutachten des 
Geh. Regierungsrathes Lütgen, des Geh. Justizrath es Wirt h, 
des Directors Miglitz, in früheren Jahren aber auch von dem 
Director Ernst Sichart so gründlich erörtert, dass es uns nun 
ein Leichtes ist, den richtigen Faden zu finden. 

Der Ausschuss unseres Vereines überprüfte die vorge¬ 
legten Gutachten, discutirte die Fragen in ihren einzelnen 
Details und übertrug meiner Wenigkeit die ehrenvolle Auf¬ 
gabe, der Interpret jener Thesen zu sein, die Ihnen, meine 
geehrten Herren, zur gefälligen weiteren Discussion und Ge¬ 
nehmigung hiemit vorgelegt werden. 

Die Thesen lauten (liest); 

L Der pecuniäre Ertrag der Arbeit jener Gefangenen, 
die zu einer mit Verpflichtung zur Arbeit verbun¬ 
denen Freiheitsstrafe verurtheilt sind, fliesst zur 
Staatskasse. 

n. Die Arbeitsbelohnungen sind nach Massgabe der Ar¬ 
beitsleistungen und des dabei angewendeten Fleisses 
des Gefangenen am Straforte zu bestimmen. Es ist 
aber zulässig, für Vergehen des Gefangenen als 
selbstständige Strafe oder Straffolge, sowie auch 
für schlechtes Benehmen das Guthaben an Arbeits¬ 
belohnungen ganz oder theilweise einzuziehen oder 
auch solche für eine bestimmte Zeit nicht zu ge¬ 
währen. 

III. Die Arbeitsbelohnungen für Gefangene eines und 
desselben Landes sollen thunlichst gleichmässig be¬ 
messen werden. 

Bevor ich zur speciellen Motivirung der soeben verlesenen, 
wie gesagt, Ihrem Ausschüsse entstammenden Thesen über¬ 
gehe, erlaube die hochgeehrte Versammlung die Bitte, mir 
zu gestatten, dass ich eine ganz kurze, die heutige Situation 
beleuchtende Vorrede halte. 

Die Frage der Arbeitsbelohnung wurde in jener Textirung, 
wie sie im Programme der heutigen Versammlung auf die 
Tagesordnung gesetzt wurde, betreffs ihrer Ausbreitung und 
ihres Umfanges von allen Referenten, ja auch von mir und 
endlich, wie ich meine, auch von den meisten Theilnehmern 


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an der heutigen Zusammenkunft gründlich missverstanden. 
Die Thesen, auf die ich eben im Aufträge Ihres Ausschusses 
hingedeutet, bezeugen in genügender Weise dieses Factum. 

Sie werden, meine Herren, die Lösung vieler zu diesem 
Thema gehörenden prinzipiellen Fragen erhofft haben und 
finden jetzt Ihre Erwartungen nur theilweise befriedigt. Die 
einzelnen Gutachten unserer Collegen erstrecken sich nämlich 
auf die Besprechung aller jener Verhältnisse, welche sich bei 
der Institution der Arbeitsbelohnung aus dem klargestellten 
Grundprincipe ergeben, so z. B.: 

1) ob der Gefangene während der Strafzeit auf die ihm 
zu Gute geschriebenen Arbeitsbelohnungen ein Eigenthums¬ 
recht erwirbt oder nicht? 

2) ob und unter welchen Beschränkungen der Gefangene 
über sein Guthaben unter Lebenden, sowie auch für den Todes¬ 
fall verfügen darf? 

3) ob den Arbeitspächtern auch in Zukunft gestattet 
werden könnte, dass sie eine Extrabelohnung an die Gefan¬ 
genen vertheilen? 

4) welchen Theil des erworbenen Guthabens die Gefan¬ 
genen zur Anschaffung der erlaubten Genussmittel verwenden 
dürfen? 

5) inwieweit die Arbeitsgeschenke zur Tilgung von Ersatz¬ 
verbindlichkeiten herangezogen und mit Beschlag belegt wer¬ 
den können? 

6) wie die in das Verdienen gebrachten Arbeitsguthabungen 
während der Strafdauer des Gefangenen angelegt und fructi- 
ficirt werden sollen? 

7) zu welchem Zwecke die derart gewonnenen Zinsen ver¬ 
wendet werden können? 

Die meisten dieser Fragen waren theils schon bei der 
Versammlung in Stuttgart in Erwägung gezogen, theils finden 
wir ihre Besprechung in den abgegebenen Gutachten, die in 
den letzteren Heften des Vereinsorgans iin Drucke erschienen 
sind. Ich glaube also, dass eine grosse Anzahl der geehrten 
Collegen in der Erwartung nach Wien kam, dass diese Fragen 
hier endlich erörtert werden. Ihr Ausschuss beschloss aber 
nach reiflicher Erwägung, dass dies nicht geschehen solle und 

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zwar aus folgenden Gründen. Der Ausschuss erachtet, dass 
der Modus der Textirung der auf der Tagesordnung stehenden 
Fragen eine Ausdehnung der Discussion selbst auf die wich¬ 
tigsten Verhältnisse der Arbeitsbelohnungen nicht gestattet, und 
dass die Referenten, die es dennoch thaten, in ihren Gutachten 
mit löblichem Eifer mehr leisteten, als von ihnen verlangt wurde. 

Da nun diese Fragen speciell als im Programme stehend 
nicht angeführt wurden, sollen sie auch nicht zur Discussion 
gelangen, und zwar um so weniger, weil uns factisch die noth- 
wendigste Zeit zur gründlichen Erörterung derart wichtiger 
Principien und Streitfragen mangelt. 

Dies ist, wie gesagt, der Standpunkt, den Ihr Ausschuss 
‘einnimmt. Es gibt aber sehr viele der Collegen, die eine 
andere Meinung vertreten und etwa in folgender Weise argu- 
mentiren; Man kann nicht sagen, dass die Textirung der auf 
der Tagesordnung stehenden Fragen die Besprechung der Con- 
Sequenzen ausschliesse; Beweis dessen, dass alle Gutachten 
ihre Erörterungen auch auf jene Fragen ausdehnten, ja formu- 
lirte Thesen aufstellten. Es kann also von dem Referenten 
— also von meiner Wenigkeit — erwartet werden, dass er auf 
alle diese Thesen reflectire und der geehrten Versammlung 
concrete Vorschläge erstatte. 

Betreffs der Kürze der Zeit sagt diese Partei, es wäre ;i 

besser, wenigstens eine Frage erschöpfend zu behandeln, als | 

ex Omnibus aliquid, ex toto nihil; sie begnügt sich nicht mit i 

dem schönen Spruche: magna voluisse sat est, sondern wollte, j 

dass unsere Verhandlung ein tüchtiges, ja ein practisches Er- .! 

gebniss habe, und zwar um so mehr, weil das Thema der l 

Arbeitsbelohnungen nun zum zweiten Male auf der Tages- .! 

Ordnung unserer Versammlungen erscheint und es höchst j 

ennuyant wäre, eine Frage, die uns schon Allen genügend be- ! 

kannt ist, auch noch ein drittes Mal auf die Tagesordnung zu 
setzen. 

So sprechen die Collegen, die einen weiteren Rahmen für 
die Verhandlungen wünschen, als es der Ausschuss beantragt. 

Ich wollte meiner Pflicht als Referent genügen, indem ich 
Sie, meine geehrte Herren, von diesen Differenzen der Auf¬ 
fassung benachrichtige. Die geehrte Versammlung wird Ge- 




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legenheit finden, im Falle der Antrag auf Behandlung auch 
der weiteren schon früher erwähnten Fragen gestellt w^erden 
sollte, hierüber nach weiser Einsicht zu beschliessen. Ich 
meinerseits stelle mich auch betreffs aller soeben skizzirten 
Fragen als Referent zu Ihrer Verfügung. 

Ich übergehe nun auf die Motivirung der von dem Aus¬ 
schüsse beantragten Thesen. 

Ad These Nr. L These Nr. I. enthält ein allgemein 
und überall anerkanntes Prinzip. Ist es wohl nöthig, dies aus¬ 
zusprechen ? Ja wohl, — es kennzeichnet unseren Standpunkt. 
Wir wollen damit jener Auffassung widersprechen, welche dem 
Gefangenen ein Dispositionsrecht auf den pecuniären Ertrag 
seiner Arbeit einräumt, sowie auch jener Auffassung, die bei 
den Strafgefangenen wünschen würde, dass sie nur jene Ali¬ 
mentation und sonstige Verpflegung vom Staate erhalten, deren 
Unkosten sie durch ihre Arbeit dem Staate verdienen, und 
dass der Staat nur bei den Arbeitsunfähigen diese Kosten allein 
übernehme. Wir können also sagen: der Staat anticipirt alle 
Unkosten des Strafvollzuges und dem entgegen gebührt dem 
Staate der ganze Ertrag der Arbeit. 

Dieses Princip bezieht sich aber nur auf jene Strafgefan¬ 
genen, die zu einer mit Verpflichtung zur Arbeit verbundenen 
Freiheitsstrafe verurtheilt sind;^es bezieht sich also nicht auch 
auf die anderen Arten der Freiheitsstrafe, z. B. auf die Festungs¬ 
strafe, die bekanntlich eine custodia honesta ist; sie bezieht 
sich nicht auf die einfache Arreststrafe. 

Bei Berathung dieser These kam in den Verhandlungen 
Ihres Ausschusses auch die Frage zur Erwägung, ob die heute 
übliche und in den meisten Staaten auf dem Gesetze basirende 
Einbringung der Strafvollzugskosten aus dem Vermögen des 
Sträflings ohne Rücksicht darauf, ob der Gefangene durch den 
pecuniären Werth seiner Arbeit die Unkosten seiner Erhaltung 
gedeckt hat oder nicht, den Anforderungen der justitia distri- 
butiva entspricht oder nicht, ob wir hier nicht etwa gegen den 
Grundsatz „ne bis in idem“ sündigen und von einem Fuchse 
zwei Bälge ziehen; und wenn dies der Fall wäre, ob w’ir dann 
nicht die schöne Bestimmung des neuen holländischen Straf¬ 
gesetzes, welches besagt: „tous les frais d’emprisonnemcnt de 


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d^tention ou d'envoi k un Etablissement public de travail sont 
ä la Charge de l’etat“ annehmen und in dieser These zur Sanc- 
tion proponiren sollten. Der Ausschilss konnte es sich nicht 
versagen, diesem schönen Principe seine volle Sympathie ent¬ 
gegenzubringen; doch konnte er sich nicht entschliessen, den 
beantragten imd eben citirten Satz des holländischen Straf¬ 
gesetzes in die These aufzunehmen, und zwar erstens aus dem 
formellen Grunde, weil diese Frage in dem auf die Tages¬ 
ordnung gestellten Thema nicht enthalten ist, mithin auch die 
Sache nicht genügend vorbereitet wurde, somit für heute und 
in dieser Versammlung nicht spruchreif ist, und zweitens aus 
dem Grunde, weil eine derartige Resolution uns mit vielen der 
bestehenden Gesetze in argen Conflict bringen würde. Es wird 
also anerkannt, dass diese Frage einer weiteren Besprechung 
bei einer anderen Gelegenheit würdig ist, und dass sie aus 
dem Gesichtspunkte de lege ferenda eine vorzügliche Beach¬ 
tung verdient; doch meint der Ausschuss, diesmal über den 
Rahmen der beantragten These nicht hinausgehen zu dürfen, 
und für diese Auffassung erbittet er sich die Genehmigung 
der sehr geehrten Versammlung. 

Ad These Nr. 11. In dieser These finden Sie, m. H., 
die entsprechende Lösung mehrerer Prinzipien. Sie begegnen 
hier zuerst dem Worte „Arbeitsbelohnung“. Wir sprechen 
nicht von einem Arbeitsverdienste, sondern von einer Beloh¬ 
nung, von einem Geschenke. Herr Collega Geh. Justizrath 
Wirth lieferte uns mit unzähligen Gründen der Theorie und 
der Praxis den Beweis, dass zwischen dem Gefangenen und 
der Gefängnissverwaltung ein Vertragsverhältniss auf der Basis 
facio ut des nicht bestehen kann. Alle Gutachten, die wir in 
dieser Frage erhielten, sind mit dieser Auffassung einverstanden. 
Die Anhaltung zur Arbeit ist in dem modernen Strafvollzüge 
ebenso wie z. B. die Anhaltung zum Besuche des Gottes¬ 
dienstes, des Unterrichtes, oder wie die Anhaltung zur Ord¬ 
nung, zur körperlichen Reinlichkeit, zum unbedingten Gehorsam 
ein Mittel zur Erreichung der Strafzwecke, wofür kein Entgelt 
gebührt. Was gegeben wird, wird gegeben zur Anspornung 
des Arbeitsfleisses und vorzüglich mit Rücksicht auf die Zeit 
der Entlassung. Es ist dies ein freiwilliges Geschenk. 


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Weiters werden Sie, meine Herren, bei Prüfung des Wort¬ 
lautes dieser These finden, dass darin das Wort „Pensum“ 
sorgfältig vermieden wird. Es ist nämlich allbekannt, dass 
über die Möglichkeit und Nützlichkeit des „Pensums“ schon 
seit langen Jahren ein lebhafter Streit entbrannte, der auch 
nie geschlichtet werden kann, weil die ganze Frage davon ab¬ 
hängig ist, welche Organisirung der Arbeitsbetrieb in den 
einzelnen Strafanstalten erhält. Dies variirt aber nach den 
Verhältnissen und Bedürfnissen der einzelnen Länder. Es ist 
nun zu bemerken, dass es erwünscht ist, unseren Resolutionen 
eine solche Fassung zu geben, dass sie das Prinzip wohl er¬ 
schöpfen, sich aber in kleinliche Details nicht verlieren. In 
den Details mag eine jede Strafanstalt nach ihrer eigenen 
Fajon selig werden! 

Höchst wichtig ist aber nun die Frage, an welche Bedin¬ 
gungen die Ertheilung eines Arbeitsgeschenkes gebunden wer¬ 
den soll, ob nämlich die Gewährung des Arbeitsgeschenkes 
von dem Verhalten des Gefangenen abhängig zu machen ist. 

Die Gutachten der Collegen beantworten diese Frage in 
verschiedener Weise. Die Ansicht des Herrn Directors Miglitz 
gipfelt in dem Satze, „dass der Arbeitsbelohnung lediglich die 
wirkliche Arbeitsleistung zu Grunde gelegt werden kann.“ 
Herr Geheimer Regierungsrath Lütgen wollte in seinem ersten 
Referate die Arbeitsbelohnung in der Regel nicht von dem 
sonstigen Verhalten des Gefangenen abhängig machen. End¬ 
lich meinte der Geheime Justizrath Wirth, „dass wir bei 
Gewährung der Arbeitsbelohnung auf die Würdigung des Ver¬ 
haltens nicht verzichten sollen, weil wir damit einen moralischen 
Zügel mehr besitzen, womit wir den Gefangenen in den Schran- 
,ken der Ordnung halten können.“ 

Bei derart getheilten Meinungen wurde die Frage im 
Kreise Ihres Ausschusses einer äusserst intensiven Besprechung 
unterzogen, und alle Meinungen einigten sich schliesslich in der 
Auffassung, dass das Betragen des Gefangenen am Straforte 
bei der Gewährung der Arbeitsbelohnung gewiss in Betracht 
gezogen werden müsse. 

Nun ergab sich aber die weitere Frage: welches Kriterium 
soll bei Beurtheilung dieses Benehmens der Gefangenen in Bezug 


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auf die Zuerkennung einer Arbeitsbelohnung massgebend sein? 
Eine präcise Antwort ist fast unmöglich. Wir mussten der 
Auffassung unseres Collegen Miglitz Recht geben, dass man 
sich bei Zuerkennung der Arbeitsgeschenke auf die Beurthei- 
lung des moralischen oder religiösen Zustandes der Gefangenen 
nicht einlassen darf; hier könnte man, wie es Miglitz besorgt, 
„bei der unendlichen Verstellungskunst und Heuchelei der Ge¬ 
fangenen zu sehr grossen Missgriffen gelangen.“ Darum — sagte 
Miglitz weiter — mögen wir diesbezüglich auf dem Terrain 
des Arbeitsfleisses und bei der Constatirung jener Disciplinar- 
fälle bleiben, die sich speciell auf die Verrichtung der auf¬ 
gelegten Arbeit beziehen, und dies sind: Fleiss, guter Wille, 
Sorgfalt, Ausdauer. 

Doch auch dieser Vorschlag hat seine schwachen Punkte. 
Eine schlechte Moralität kann sich auch in äusseren, wahr¬ 
nehmbaren Handlungen documentiren, wo wir also nicht erst 
die Herzen und Nieren zu prüfen brauchen, weil sich die 
moralische Niedertracht schon in Thaten oder Worten äussert. 
Es ist nun ganz unmöglich, ein solches Individuum, mag es 
auch der beste Arbeiter sein, mit der höchsten Arbeitsprämie 
zu belohnen. Wir würden auch bei allen gutgesinnten Ge¬ 
fangenen dadurch eine moralische Entrüstung provociren und 
selbst die Hand dazu bieten, dass Ehre und Recht, Gottes¬ 
furcht und irdische Zucht selbst in der Strafanstalt als.un¬ 
wesentliche Dinge betrachtet werden mögen. Dazu aber dürfen 
wir nie und nimmer die Hand bieten. 

In welcher Form sollen wir nun aber dieser Ueberzeugung 
in der vorliegenden These einen greifbaren Ausdruck geben? 
Ihr Ausschuss berathschlagte hierüber mehrere Stunden, und 
man konnte eine allgemeine passende Textirung nicht finden. 
Schliesslich einigte man sich auf der Basis der durch den 
Geheimen Regierungsrath Lütgen vorgeschlagenen, aber auch 
durch ihn selbst modificirten These dahin, dass man von der 
Specificirung der verschiedenen Arten und Möglichkeiten der 
schlechten Führung absehe, die Beurtheilung des Falles bei 
seiner jeweiligen Ereignung der weisen Einsicht der Straf¬ 
hausleitungen überlasse, dem entgegen aber ausspreche, es sei 
zulässig, für Vergehen des Gefangenen als selbstständige Strafe 


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oder Straffolge, sowie auch für schlechtes Benehmen das Gut¬ 
haben an Arbeitshelolmungen ganz oder tbeilweise einzuziehen 
oder auch solche für eine bestimmte Zeit nicht zu gewähren. 

Ad These Nr. III. Ich glaube, dass die letzte These 
an und für sich einer längeren Motivirung nicht bedarf, da es 
die Interessen der Strafpolitik erfordern, dass eine und die¬ 
selbe Freiheitsstrafe in einem und demselben Lande eine 
gleiche Schwere, eine gleiche Intensivität besitze, dass somit 
auch betreffs der Höhe der Arbeitsbelohnungen „thunlichst“ 
eine Gleichmässigkeit herrsche. 

Wir gebrauchen mit Wohlbedacht den Ausdruck „thun- 
lichst“, eine absolute Gleichheit in der Höhe der Arbeits¬ 
belohnungen ist kaum zu erzielen. 

Bei Berathung dieser These wurde durch die Mitglieder 
des Ausschusses in Erwägung gezogen, ob cs etwa nicht ge- 
rathen wäre, über die ziflFermässigo Höhe der Arbeitsbeloh¬ 
nungen oder betreffs des Minimums und Maximums der ge¬ 
ehrten Versammlung eine allgemeine Directive in Vorschlag 
zu bringen. Es musste von beiden Vorschlägen Abstand 
genommen w^erden. Es stellte sich nämlich heraus, dass in 
den einzelnen Staaten und Ländern die Arbeitsbelohnungen 
nach den verschiedensten Prinzipien bemessen w^erden, und 
zwar bald nach dem Pensum, bald nach dem Taglohne, bald 
nach einem Percentsatze des durch die Arbeit erzielten oder 
präliminirten Nutzens derart, dass wir eine einheitliche Basis 
absolut nicht finden können. 

Eine allgemeine Formel, z. B. die Formel, die uns Allen 
bekannt ist: „Die Arbeitsbelohnung der Sträflinge möge jenen 
Verdienst nicht überschreiten, den ein gewöhnlicher Arbeiter 
nach Deckung seiner Bedürfnisse sich ersparen kann“, wurde 
auch nicht für zutreffend befunden. Die Verhältnisse der Ar¬ 
beiter, ihre Lohnsätze, ihre Bedürfnisse etc. sind grundver¬ 
schieden. Diese Formel könnte zu den mannigfachsten Inter¬ 
pretationen Anlass geben, und man könnte am Ende auch zu 
der Deutung gelangen, dass in einer Strafanstalt, die in einer 
solchen Gegend liegt, wo die Bevölkerung sehr arm ist, wo 
die Lohnsätze der Feld- oder Fabriksarbeitcr äusserst niedrige 
sind, und wo sich der Arbeiter nichts ersparen kann, in 


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folgerichtiger Weise die Sträflinge auch nichts bekommen 
sollen. 

Endlich stellte sich als ein unüberwindliches Hinderniss 
betreffs der zifTermässigen Bestimmung der Höhe der Arbeits¬ 
belohnungen Ihrem Ausschüsse der Umstand entgegen, dass 
die Basis der Geldwerthzeichen selbst in den einzelnen Staaten 
des europäischen Continentes eine überaus mannigfaltige und 
weiters der Tauschwerth des Geldes je nach der Münzeinheit 
— Franc, Gulden, Krone, Mark u. s.w. — ein besonders viel¬ 
fältiger ist. 

Aus diesen Gründen musste sich Ihr Ausschuss, m. H., mit 
der möglichst einfachen Fassung der These begnügen, damit 
er sich der Hoffnung hingeben könne, dass seine sorgfältig 
vorbereiteten Thesen Ihre freundliche Zustimmung Anden 
werden. (Beifall und Händeklatschen.) 

Präsident: Es hat sich Herr Geh. Justizrath Wirth 
zum Worte gemeldet; ich ertheile ihm dasselbe. 

Geheimer Justizrath Wirth: Ich kann mich mit der Be¬ 
antwortung der Frage, betreffend die Arbeitsbelohnungen, wie 
sie der Ausschuss in den vorliegenden Thesen niedergelegt hat, 
nicht einverstanden erklären. Die in den Thesen liegende 
Antwort umgeht die Frage zum grössten Theile; die Beant¬ 
wortung ist nur sehr unvollständig, wir Anden darin insbesondere 
keine Grundsätze aufgestellt, nach welchen die Arbeitsbeloh¬ 
nungen an Gefangene ertheilt werden sollen, und gerade nach 
diesen Grundsätzen ist gefragt. Ich vermisse eine grundsätz¬ 
liche Beantwortung der Frage: hat der Gefangene ein Recht 
auf Arbeitsbelohnung? 

Referent Director Tau ff er: Diese Antwort ist implicite 
gegeben, sobald wir von Arbeitsgeschenken sprechen. 

Präsident: Der Herr Referent wird im Schlussworte 
Gelegenheit zur Erwiderung haben; ich bitte ihn, jetzt den 
Herrn Redner nicht zu unterbrechen. Herr Geh. Justizrath, 
ich bitte fortzufahren. 

Geheimer Justizrath Wirth: Der Ausdruck „Arbeits¬ 
geschenk“ kann jedenfalls den Gedanken nicht ausschliessen. 


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dass der Gefangene ein Recht auf dieses hat, denn thatsäch- 
lich hat der Gefangene seit Jahren, trotzdem wir immer nur 
von Arbeitsgeschenken sprechen, ein Recht auf dasselbe ge¬ 
habt. Es soll also ausgesprochen werden, ob der Gefangene 
ein Recht auf die Belohnung oder auf ein Geschenk für seine 
Arbeit hat, oder ob er blos aus gefängniss-politischen Rück¬ 
sichten , wenn ich mich so ausdrücken darf, eine Arbeits¬ 
belohnung erhalten soll. Das muss Angesichts der uns vor¬ 
liegenden Frage hier grundsätzlich ausgesprochen werden. 

Einen weiteren Mangel in der Beantwortung finde ich 
darin, dass gar nichts darüber gesagt ist, ob denn — was 
eigentlich bei unserer Fragestellung der Cardinalpunkt war — 
der Ertrag der Arbeit des Gefangenen für die Staatskasse, 
dasjenige, was die Arbeit des Gefangenen der Staatskasse ein¬ 
bringt, der alleinige ausschliessliche oder hauptsächliche Maass¬ 
stab für die Höhe der Arbeitsbelohnung, die dem einzelnen 
Gefangenen zugetheilt wird, sein soll. Dieser Grundsatz ist 
nämlich thatsächlich gegenwärtig in Uebung; je mehr der Ge¬ 
fangene der Anstalt, der Staatskasse verdient, desto mehr be¬ 
kommt er Arbeitsbelohnung. Warum er diesen höheren Ver¬ 
dienst erwirbt, wird nicht berücksichtigt. Er verdient den 
höheren Lohn nicht selten deshalb, weil er vielleicht das zehnte 
Mal rückfällig ist und sich in der betreffenden Arbeit solche 
Gewandtheit erworben hat, dass sie ihm eine reine Spielerei 
ist, dass er nicht allein das höchste Pensum, sondern das zwei- 
oder dreifache zu leisten vermag. Ueber die Richtigkeit oder 
Unrichtigkeit dieses Grundsatzes geben die Thesen keine Aus¬ 
kunft. 

Deswegen sage ich; die vorgeschlagenen Thesen, mit 
denen ich im Uebrigen einverstanden bin, geben keine genü¬ 
gende Antwort auf die uns vorgelegte Frage. Ich erlaube mir 
daher. Ihnen als Antwort auf die Frage zwei weitere Thesen 
zur Gutheissung vorzuschlagen. Die Motivirung derselben 
finden Sie in meinem Gutachten, das Ihnen gedruckt vorliegt, 
vollständig und meiner Ansicht nach ausführlich genug. Ich 
möchte Ihnen daher blos die Thesen vorlesen, und Sie bitten, 
den darin ausgesprochenen Grundsätzen Ihre Zustimmung zu 
geben. Die beiden Thesen lauten (liest): 


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„1. Der Gefangene hat kein Recht auf Belohnung seiner 
Arbeit; er soll aber aus gefangniss-politischen Rück¬ 
sichten^ — man kann den Ausdruck auch ändern — 
„überall eine Arbeitsbelohnung erhalten.“ 

„2. Der Ertrag der Arbeit des Gefangenen für die Staats¬ 
kasse darf für die Höhe der Arbeitsbelohnung an den 
einzelnen Gefangenen nicht ausschliesslich massgebend 
sein.“ (Beifall.) 

Präsident: Herr Professor Wahlberg hat das Wort. 

K. k. Hofrath Professor Dr. Wahlberg (Wien): Ver¬ 
ehrte Herren! Ich stimme in einer Richtung dem geehrten 
Herrn Vorredner bei, in dem Punkte nämlich, dass es sich 
wesentlich darum handelt, dass die verehrte Versammlung dem 
Grundsätze klaren und unzweifelhaften Ausdruck gebe, ob 
der Arbeitsvergütung der Charakter einer rechtlichen 
Arbeite entlohnung, oder blos der Charakter eines Arbeits¬ 
geschenkes zuzuerkennen sei. — Die Forderung, in dieser Frage 
einen unzweifelhaften Grundsatz auszusprechen, liegt in dem 
Bedürfnisse, dieser Einrichtung des Arbeitsbetricbes in den 
Gefängnissen eine rechtliche Grundlage zu geben. Die recht¬ 
liche Grundlage dieser sog. Arbeitsbelohnung muss über allen 
Zweifel erhaben sein. Nun habe ich vergebens in den Gut¬ 
achten und Berichten gesucht, das Rechtsprinzip kennen zu 
lernen, aus welchem die Berechtigung zur Confiscation 
aller Arbeitskraft der zur Arbeit verpflichteten Sträflinge 
abgeleitet werden will. Die traditionelle Auffassung der sog. 
Arbeitsbelühnung der Sträflinge ist ein Rest des auf Ab¬ 
schreckungstendenzen beruhenden Confiscationsfiebers der alten 
peinlichen Justiz und gehört gewissermassen auch zur Patho¬ 
logie des Strafvollzuges. Es wird die ganze Arbeitskraft der 
Sträflinge confiscirt, ja noch mehr, selbst das Guthaben soll 
nach Thesis II. bei schlechtem Verhalten ganz confiscirt wer¬ 
den. Nun ist das eine Sache, die nicht nur ein grosses theo¬ 
retisches Interesse hat; es ist auch von practischem Interesse, 
dass das System der Arbeitscntlohnung auf klaren Grundlagen 
beruhe, von Einseitigkeit und Willkür losgeschält erscheine. 

Sie erlauben mir nun, meine Herren, den Gegensatz 


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zu begründen, in dem ich gerade in Bezug auf diese Frage 
zu dem ausgezeichneten Gutachten und zu dem Berichte des 
Herrn Referenten stehe. Der Sträfling von heute ist nicht 
mehr Arbeitssclave; wenn Sie seine Arbeitskraft ganz 
voll und unbedingt confisciren, auch nach Ersatz seiner Ver¬ 
pflegungskosten, so ist er es, in der Consequenz Ihrer An¬ 
sicht; er darf es aber nicht sein, nach den anerkannten 
modernen Rechtsprincipien! Der Sträfling ist vor dem Gesetze 
ein rechtlich reducirtes Subject, und gilt in dem Staate und 
in dem Strafhause auch als ein Subject mit allerdings durch 
seine strafgerichtliche Verurtheilung reducirter Rechtssphäre; 
der Sträfling ist also Subject mit verminderter Rechts¬ 
fähigkeit; der Sträfling hat nicht blos moralisch die Kette 
harter Verpflichtungen in der Strafanstalt zu schleppen, er hat 
auch ein gewisses Maass von Rechten, — das ist der 
Satz, den ich vom rechtlichen Standpunkte aus nachzu¬ 
weisen habe. 

Es wäre aber einseitig, die Frage lediglich vom Rechts¬ 
standpunkte aus zu prüfen. Zur Lösung dieser Frage ist auch 
die Heranziehung von volkswirthschaftlichen und strafpolitischen 
Gründen unerlässlich. Jeder Mensch unterliegt einer ökono¬ 
mischen Werthschätzung; auch der Sträfling hat seinen Kosten- 
und Gebrauchswerth und wir haben bei der Arbeit intra 
et extra muros gleichfalls eine Lohnbestimmung, die in der 
Gebrauchs- und Kostenwerthsberechnung wurzelt, in Betracht 
zu ziehen. Auf dieser Basis wird sich die Frage beantworten 
lassen: hat der Sträfling, obgleich und insoweit er zur Arbeit 
verpflichtet ist, bei dem ihm obliegenden Arbeitszwange dennoch 
einen Anspruch auf einen Theil seiner Arbeitsfrüchte, soweit 
der Arbeitsertrag nicht aufgebraucht und abgerechnet wird 
zur schuldigen Deckung der durch seine Strafhaft dem Staate 
verursachten Kosten ? Die Entschädigungspflicht für diese von 
dein einzelnen Sträfling verursachten Kosten ist ausser Zweifel. 

Betrachten wir nun ganz kurz das Verhältniss der Arbeits¬ 
verpflichtung und des Arbeitsrechtes der Sträflinge; der zur 
Arbeit verpflichtete Sträfling im Zuchthause ist nach dem 
deutschen Strafgesetze zu einer im § 15 vorgeschriebenen Ar¬ 
beit anzuhalten; hingegen ist jeder Kerkersträfling nach öster- 


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reichischem Rechte, 5m Deutschen Reiche leider nur der Ge- 
fängnisssträfling, dem Prinzipe der Individualisirung gemäss, 
mit Rücksicht auf seine Bildungsstufe und bisherige Beschäfti¬ 
gungsweise thunlichst zu beschäftigen. Nach dem Wortlaute 
des deutschen Strafrechtes ist der Zuchthaussträfling ohne 
weitere ausdrückliche Betonung der Individualisirung zu den 
in der Anstalt eingeführten Arbeiten anzuhalten. In dieser 
Beziehung ist das deutsche Strafrecht nach meiner Meinung 
dem in der Gerechtigkeit gegründeten Gebote der Individua¬ 
lisirung in der Beschäftigung des Sträflings nicht gerecht 
geworden. Der Gefängnisssträfling kann nach deutschem 
Rechte zur Arbeit angehalten werden; wenn er aber Arbeit 
verlangt, muss ihm eine angemessene Beschäftigung gewährt 
werden! Eine Beschäftigung ausserhalb der Anstalt ist nur 
mit seiner Zustimmung zulässig. — Hat hiernach der zur 
Gefängnissstrafe Verurtheilte kein Recht auf eine angemessene 
Beschäftigung? Ist sein Verlangen einer solchen — etwa 
für die GefängnissVerwaltung nicht obligatorisch? Kann ein 
solcher Sträfling in Bezug auf Beschäftigung und Arbeits¬ 
verdienst als ein Rechtloser mit Grund bezeichnet werden? 

Das, meine Herren, ist nun ein Punkt, der in der venti- 
lirten vitalen Frage, ich möchte sagen, gleichsam den juristi¬ 
schen Puls deutlich fühlen lässt. Was folgt daraus? Dass der 
Arbeitspflicht des mit dem Arbeitszwange belegten Sträflings 
— die Verpflichtung des Staates, beziehungsweise der 
Strafhausverwaltung entspricht, demselben die gesetzlich be¬ 
stimmte Arbeit zu gewähren. Der Sträfling, der urtheilsmässig 
dem Arbeitszwange unterworfen ist, hat hiernach ein gesetz¬ 
lich begründetes Recht auf stetige zulässige Beschäftigung 
während der ganzen Strafzeit. Nicht nur der arbeite- 
pflichtige Sträfling muss während der Strafverbüssung 
arbeiten, auch die Strafhausverwaltung muss demselben nach 
besten Kräften die gesetzlich als obligatorisch bezeichnete Be¬ 
schäftigung verschaffen. Das mag zuweilen sehr schwierig und 
unbequem sein, allein der Rechtsfrage muss dabei Rechnung 
getragen werden. So stellt sich das Verhältniss in Bezug auf 
Recht und Pflicht in dieser Frage. 

In den vorliegenden Gutachten der Fachmänner finde ich 


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einen Trugschluss. Es wird nämlich gesagt: Freiheitsstrafen, 
die mit einem Arheitszwange verbunden sind, enthalten die 
Freiheitsentziehung, das ist der eine Theil der Strafe — und 
den Arbeitszwang, das ist der andere Theil der Strafe. Für 
eine Strafarbeit könne kein Lohn verlangt werden. Kann für 
die Abbüssung einer Strafe, so wird weiter argumentirt, keine 
Entlohnung, kein Arbeitsverdienstantheil beansprucht werden, 
so steht auch die sog. Arbeitsbelohnung in keinem recht¬ 
lichen Zusammenhang mit der Strafarbeit, und ist diese 
nichts anderes als ein freiwilliges Geschenk zur Aufmun¬ 
terung des Fleisses u.s.w., unabhängig von dem Arbeitserträge, 
bei schlechtem Verhalten widerruflich und confiscirbar. 

Nun möchte ich Sie, meine Herren, ersuchen, sich einmal 
den Standpunkt der strengen Interpretation des bestehenden 
Gesetzes gegenwärtig zu halten. Die rechtliche Grundlage des 
Strafvollzuges und der Strafe ist unstreitig in erster Linie das 
Strafgesetz selbst. Das deutsche Strafgesetz bestimmt: der 
Zuchthaussträfling ist zu den in den Strafanstalten eingefdhrten 
Arbeiten anzuhalten; das österreichische Strafgesetz schreibt 
im § 18 vor. dass mit der Kerkerstrafe eine angemessene Arbeit 
zu verknüpfen ist. Nun frage ich: folgt aus der Verpflich¬ 
tung des Kerker- oder Zuchthaussträflings, zu arbeiten, folgt 
aus dem Arbeitszwange, der allein im Gesetze Ausdruck 
gefunden hat, auch die weitere Verpflichtung, unentgelt¬ 
lich zu arbeiten, oder ohne Weiteres, auch bei Mehrarbeit, 
unbezahlte Arbeit zu liefern? Das ist der erschlichene 
Schluss. Das Gesetz spricht nicht von der Verpflichtung 
des Sträflings, unentgeltlich zu arbeiten; Hausordnun¬ 
gen, verwaltungsrechtliche Vorschriften enthalten 
diese Bestimmung. Das allgemeinverbindliche Gesetz spricht 
nur von der Verpflichtung zur Arbeit. Keineswegs aber wer¬ 
den Sie mir einwenden können: Zwangsarbeit ist wesentlich 
immer eine unentgeltliche Arbeitsleistung. Sehen Sie auf 
die sog. Zwangsarbeitsanstalten: die Zwangsarbeit wird, wenn 
auch nur gering, doch entlohnt; sehen Sie auf die Zwangs¬ 
dienste allerlei Art, selbst auf den Militärdienst der unfreiwillig 
dienenden Mannschaft: sie finden einige Löhnung; also sind 
Zwangsarbeit und unentgeltliche Arbeitsleistung nicht immer 


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identisch und das allgemeine Strafgesetz des Staates 
spricht nicht von unentgeltlichem Arheitszwange! 

Für diese gesetzliche Regelung des Strafvollzuges 
will nun der verehrte Verein deutscher Strafanstaltsbeamten 
Grundsätze feststellen. Es wäre eine petitio principii, wenn 
man lediglich die Bestimmungen der bisherigen Hausordnungen 
einer Revision unterziehen würde. Massgebend ist hier das 
allgemeine Gesetz für das deutsche Reich, welchem eine Ver¬ 
pflichtung zur unentgeltlichen Arbeitsleistung fremd ist. Ich 
gehe noch weiter: wenn Arbeitszwang nicht identisch ist, nicht 
zusammenfällt mit unentgeltlicher Arbeitsleistung, so ist juristisch 
de lege ferenda auch nicht im Geringsten der in der Thesis 
ausgesprochene Satz zu rechtfertigen: aller Arbeitsertrag 
ohne Einschränkung fliesst der Staatskasse zu. Das ist nach 
meiner Meinung eine ungerechtfertigte Confiscation aller Arbeits¬ 
kraft und zugleich auch jeder freiwilligen Mehrarbeit 
der Sträflinge. — Nun bedeutet der Arbeitszwang, als Theil 
gewisser Strafformen, eine strafmässige Beschränkung in der 
Freiheit der Beschäftigung, in der Wahl der Arbeit, eine Be¬ 
stimmung der Zeit und des Arbeits-Ausmaasses, eine Nöthi- 
gung zur Leistung des Arbeits-Pensums, der Sträfling mag 
arbeiten wollen oder nicht; nicht aber bedeutet die Freiheits¬ 
entziehung nach dem allgemeinen Strafgesetze eine Nöthigung 
des Zuchthaussträflings zur unentgeltlichen Arbeit, ohne Maass 
und Entgelt, und ebensowenig eine Nöthigung zu einer über 
das vorgeschriebene Tagwerk oder Pensum hinausgehenden 
Mehrarbeit. Nun fragt es sich: darf denn der arbeitsame 
Sträfling, der vollkommen den Anforderungen entspricht, welche 
die Strafhausverwaltung an ihn stellt, ausgeschlossen werden 
von der in der ganzen Welt anerkannten Lohn- und Werth¬ 
gesetzen begehrter brauchbarer Arbeit? fällt die Wahrheit, die 
der Volksmund ausspricht: „Jede Arbeit ist ihres Lohnes werth‘‘, 
vor den Pforten der Strafanstalt todt zu Boden? Beherrschen 
Lohn- und Werthbegriffe nicht unsere ganze ökonomische Exi¬ 
stenz? Mit welchem Rechte machen wir von dem wirthschaft- 
lichen Standpunkte aus gerade hier eine Ausnahme? Eine gut 
geleistete, genügende Sträflingsarbeit, wenn auch nicht ganz 
fehlerfrei, ist werth eines Lohnes. Wirthschaftlich steht dem 


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Arbeiter ein Antheil an den Arbeitsfrüchten zu; juristisch ist 
diese Consequenz, wie ich früher gezeigt habe, reichsgesetz¬ 
lich nicht ausgeschlossen, ja in den §§ 15, 27 Code Pönal 
bereits gezogen. 

Noch weiter: der Staat, indem er die mehrfachen Zweck¬ 
bestimmungen der staatlichen Strafe und nicht blos einseitig 
das juristische Moment berücksichtigen muss, ist zu einer Ent¬ 
lohnung der genügenden Strafarbeit ja geradezu aufgefordert, 
zumal er die sog. Arbeitsbelohnung für ein besseres Gefangniss- 
wesen gar nicht zu entbehren vermag; Beweis dessen, dass 
selbst von dem hier bekämpften Standpunkte der Confiscation 
aller Arbeit der Zuchthaussträflinge Belohnungen für Tagwerke 
und Mehrarbeiten allerorten in verschiedenen Formen thatsäch- 
lich verabreicht werden und zwar nach dem Vorgänge der 
Zucht- und Arbeitshäuser des vorigen Jahrhunderts. In dieser 
praktisch geübten Theorie von Arbeitsbelohnungen steckt einige 
begriflFliche Unklarheit. Durch Arbeitszwang strafen und die 
gelungene Zwangsarbeit belohnen — welche Unklarheit! Der 
Mehrarbeit des fleissigen Sträflings einen Anspruch auf Ent¬ 
lohnung entziehen — welche Ungerechtigkeit! — Die Gerech¬ 
tigkeit fordert: suum cuique, Jedem das Seine, — dem fleissigen 
Arbeiter im Strafhause aber wird jeder rechtliche Anspruch 
an seinen Arbeitsfrüchten, selbst der Mehrarbeit, abgesprochen, 
und jene Forderung der Gerechtigkeit wird in der Strafpolitik 
so interpretirt: jedem Sträflinge nimm etwas von dem Seinen; 
wenn er hübsch brav arbeitet, schenke ihm dann wieder etwas 
von dem ihm entzogenen Seinen. Ist etwa die freiwillige 
Mehrarbeit des Sträflings nicht seine Arbeitsfrucht? 

Ich halte diese Arbeitsbelohnungstheorie der Praktiker und 
der Hausordnungen für widerspruchsvoll und schliesse mich 
nur nach der einen Richtung hin dem Geh. Justizrath Wirth 
an, wenn er richtig bemerkt: Bemessung der Arbeitsbelohnung 
nach dem Arbeitserträge heisst in die Consequenzen des 
Satzes fallen: der Sträfling hat ein Recht auf Arbeitslohn. — 
Auf diese Consequenz kommt es eben an. 

Ferner bitte ich zu erwägen: der Strafzwang ist nur mit 
der schwersten Form der Freiheitsstrafe verknüpft, soll also 
ein erschwerendes Moment der Freiheitsstrafe sein. Anderer-^ 

Blatter fär Gefängnisskunde. XIX. 7 


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seits wird der Arbeitszwang vom Standpunkte der bessernden 
Gefängnisszucht aus als Wohlthat bezeichnet. Nun erlaube ich 
mir an Sie die Frage zu stellen: ist eine solche Theorie nicht 
ein Kind der Halbheit? Schärfere, strengere Strafform vom 
Standpunkte der Abschreckung, und die schwerere Strafarbeit 
wiederum als Wohlthat und Correctivmittel für den Sträfling; 
sind dies keine Widersprüche? Diese Lehrmeinung ist ein 
Bastard aus einer unerlaubten Verbindung zwischen Ab- 
schreckungs- und Besserungstheorie und krankt an ihren halben 
Consequenzen. Was strafmehrendes Moment der schweren Strafe 
sein soll, kann nicht zugleich W^ohlthat sein; was als eine 
grössere Summe von Uebeln abschrecken soll, kann nicht zu¬ 
gleich als eine Wohlthat in Betracht gezogen werden. Das sind 
meines Erachtens Halbheiten, von welchen sich die modernen 
Gesetzgebungen freihalten sollten. 

Ich sage aber noch weiter: der Staat kann ohne einige 
Arbeitsvergütung der Sträflinge, die zur Arbeit verpflichtet 
sind, gar nicht ein geordnetes und fruchtbringendes Geföngniss- 
wesen zur Geltung bringen. Diese Erfahrung bestätigen uns 
schon die Geßlngnisspraktiker des vorigen Jahrhunderts. Ist 
ein Pensum vorgeschrieben, so ist eben schon dadurch zu 
erkennen gegeben, dass die Gefängnissverwaltung des Staates 
nur insoweit auf die Arbeitskräfte des Züchtlings Anspruch 
macht, als er dieses Tagwerk zu leisten verpflichtet ist. Auf 
die Mehrarbeit und deren Ueberverdienst kann de lege ferenda 
rechtlich dem Sträfling ein Anspruch nicht vorenthalten werden. 
Diesen Satz haben die Gegner der hier vertretenen Ansicht 
vorerst zu widerlegen. 

Darf der Sträfling bei gesteigerter Anstrengung überhaupt 
nicht für sich arbeiten und etwas verdienen, so wird er 
nur so viel arbeiten, als er dies zur Vollendung seines Pensums 
thun muss. Eine Mehrarbeit ist ohne Aussicht auf einen Ver- 
dienstantheil, für die Dauer, nicht zu erwarten. Würde das 
Pensum zu hoch gegriflFen, so wäre es regelmässig auch für 
den Staat um den Verdienstantheil an der Mehrarbeit geschehen. 
Auf diese Weise würden Staat und Gefangene Nachtheile er¬ 
leiden , wenn die Gefangenenarbeit unbezahlt und unbelohnt 
bliebe! Wenn die Mehrarbeit nicht entlohnt wird, wenn der 


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stetig fleissige Arbeiter nicht das ihn in seiner gedrückten^ 
schweren Lage erhebende Gefühl, den moralischen Factor in 
seiner Empfindung hat: ich kann mir durch fleissige Arbeit 
nicht blos ein Arbeitsgeschenk, sondern sogar einen rechtlichen 
Anspruch auf einen gewissen Antheil an meinen Arbeitsfrüchten 
erwerben, so fehlt der im blossen Verwaltungscorps geregelten 
Einrichtung der sog. Arbeitsbelohnung der Charakter einer all¬ 
gemein verbindlichen gesetzlichen Institution und dem Arbeits¬ 
geschenke der Charakter eines rechtmässigen Ge¬ 
winnes aus ehrlicher Mehrarbeit. So lange der Staat diese 
Frage nicht von dem hier vertretenen Standpunkte aus be¬ 
trachtet und regelt, wird er sich einfach sagen müssen: ist 
der Sträfling, der zur Arbeit verpflichtet ist, nicht berechtigt 
zu einem gewissen Ansprüche auf die Arbeitsfrüchte seines 
über das erforderliche Pensum hinausgreifenden Fleisses, so ist 
er eigentlich heute noch Arbeitssklave mit total confiscirter 
Arbeitskraft, und was ihm als Arbeitsprämie gegeben wurd, ist 
Gnade, Geschenk u.s. w., nichts weniger als ein rechtlich er¬ 
worbener Verdienstantheil. Damit geräth jedoch der Rechts¬ 
staat mit den eigenen Rechts- und Wirthschaftsprinzipien in 
Widerspruch, da selbst der Sträfling rechtliche Ansprüche hat, 
der Rechtsschutz des Arbeitslohnes inner der Grenzen der Straf¬ 
hausordnung auch diesen nicht entzogen werden soll und heute 
im Staate überhaupt ein Rechtloser gar nicht existent werden 
kann. 

Diesen Standpunkt hat in Oesterreich die neuere Justiz¬ 
gesetzgebung und GefängnissVerwaltung wenigstens annähe¬ 
rungsweise eingenommen. Ich berufe mich hier auf den noch 
zu wenig gewürdigten Erlass des österreichischen Justizmini¬ 
steriums vom 14. Februar 1866, § 21, in welchem ausdrücklich 
von Arbeitslohn und Arbeitsentlohnung der Sträflinge 
die Rede ist. — Es scheint zwar eine Silbenstecher ei zu sein, 
in die Worte „Arbeitsbelohnung“ und „Arbeitslohn“ einen tief 
gehenden Gegensatz hineinzulegen; allein in dem Worte „Ar¬ 
beitsbelohnung“ steckt maskirt die Entscheidung des recht¬ 
lich unhaltbaren Prinzipes: der arbeitspflichtige Sträfling hat 
schlechthin keinen rechtlichen Anspruch auf einen Arbeitsver¬ 
dienst; er ist als schwerer Freiheitssträfling zur Sklavenarbeit 

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für den Staat verurtheilt. — Diese Ansicht, die hier so beredte 
Vertheidiger gefunden hat, habe ich auf das Entschiedenste zu 
bestreiten. Allerdings kämen wir im Resultate im Wesentlichen 
insoweit überein, als nach dem Prinzipe eines rechtlichen An¬ 
spruches des arbeitspflichtigen Sträflinges auf einen Verdienst- 
antheil der sog. Ueberverdienst für die meisten Sträflinge kaum 
grösser ausfallen würde, zumal für die zu kürzeren Strafzeiten 
Verurtheilten. Man kann sagen: ob man es Arbeiteentlohnung 
oder Arbeite b e lohnung nennt, in beiden Fällen bekommt der 
fleissige Arbeiter für seine Arbeit eine gewisse Vergütung. Ich 
möchte aber auf den grossen Unterschied aufmerksam machen, 
der darin besteht, ob man ein Entgelt für die Arbeit als eine 
Gnadengabe oder aus einem Rechtsansprüche begehren kann. 

Nun ganz kurz möchte ich nur noch Eines bemerken. Ge¬ 
fangener und Staat haben auf das Arbeitserträgniss nach 
meiner Ueberzeugung Ansprüche; der Staat und der Gefangene, 
der zur Arbeit verpflichtet ist, müssen jedoch ihren An¬ 
spruch auf den Arbeitsertrag nach dem Imperativ einer ge¬ 
sunden Strafpolitik ermässigen. Wie die Sträflingsarbeiten 
nach denStrafzwecken betrieben werden sollen, so haben 
auch die Arbeitserträgnisse mit Rücksicht auf diese Strafzwecke 
und die Realisirung derselben die angemessene Vertheilung zu 
finden. Selbstverständlich ist, dass der Sträfling durch seine 
Arbeitsfrüchte zunächst dasjenige ersetzen muss, was er durch 
seine Gefangenhaltung oder durch Schädigung des Arbeits- 
stoflFes u. s. w. dem Staate an Aufwand persönlich verursacht 
hat; das entzieht sich jeder Discussion. Aber der Staat hat 
doch auch von seinen berechtigten Ansprüchen auf den Arbeits¬ 
ertrag Einiges zu ermässigen, und zwar darum, weil es ihm 
wesentlich darauf ankommen muss, auch die Früchte der Ge- 
fängnisszucht in Ansehung des legalen Verhaltens, der Gesund¬ 
heit, der Erhaltung der Arbeitskraft und Erwerbsfähigkeit der 
Sträflinge zu sichern. Wenn aber der Sträfling kein Peculium 
besitzt, wenn er nicht für die gefährlichste, das ist für die 
kritische Zeit nach der Entlassung, für die ersten Wochen ge¬ 
deckt ist, falls er einen ehrlichen Erwerb nicht sofort findet, 
so ist das für den Staat ein riesiger Nachtheil, denn die Gefahr 
der Rückfälligkeit ist dann gesteigert und dadurch steigern sich 


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101 


in der Zukunft auch die Kosten der Gefängnissverwaltung für 
die rückfälligen Verbrecher. Es ist daher geradezu eine durch 
das eigene Interesse gebotene Verpflichtung für die Staatsver¬ 
waltung, einen gewissen Theil des Arbeitsertrages des Sträf¬ 
lings demselben gutzuschreiben und zukommen zu lassen. 

Ich besorge, dass ich mit dieser meiner Ansicht hier ziem¬ 
lich isolirt stehen dürfte, dass ich mich damit im entschiedenen 
Gegensätze zu den geehrten Collegen befinde; allein ich glaube, 
dass meine Worte bei einer gründlichen Discussion, doch nicht 
blos als die Stimme des Rufenden in der Wüste bezeichnet 
werden können. Es wäre schon etwas damit gewonnen, wenn 
es gelingt, das lebendige Bewusstsein einer von der alten Con- 
fiscationstheorie freien Auffassung zu erwecken, welche auf 
einer rechtlichen Grundlage für eine angemessene Entlohnung 
der pflichtmässigen Gefangenenarbeit beruht. Das dürfte in 
einer Zeit, wo die Lohnfrage die ganze Welt beherrscht^ 
auch auf unserem Gebiete ein Umstand sein, der nicht ganz 
ohne Wichtigkeit ist! (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)*) 

Präsident: Herr Director Strosser hat das Wort. 

Director Strosser: Meine Herren! Das lebhafte Hände¬ 
klatschen und Bravo, das soeben aus Ihrer Mitte erschollen 
ist, scheint zwar darauf hinzudeuten, als ob ein grosser Theil 
von Ihnen mit den prinzipiellen Anschauungen des geehrten 
Herrn Vorredners in vollem Einklänge sich befände; und doch 
glaube ich, dass wenn man hier, wie bei allen menschlichen 
Dingen, nach dem Revers auch den Avers sich ansieht, das 
Schlusslied und das Schlussresultat dann doch wohl wahrschein¬ 
lich anders klingen würden, als das Zusammenklappen der 
Hände und das Bravo anzudeuten scheinen. Ich glaubte im 
Anfänge oder vielmehr bei sieben Achteln der Rede des Herrn 
Vorredners, vor dessen wissenschaftlicher Autorität, ohne dass 
ich es lange zu versichern brauche, ich den höchsten Respect 
habe, dass ich mich fast gegen alle seine Ausführungen vom 


*) lieber diese Rede bringen die Wiener Fachzeitschriften Mitthei¬ 
lungen: Juristische Blätter, 1883 Nr. 40. Allgemeine Juristen-Zeitung, 
1883 Nr. 38. 


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Standpunkte des bestehenden Rechtes und der Praxis aus 
auf das Allerschärfste erklären müsste. Der Herr Redner 
hat aber am Schlüsse seiner Rede selbst gesagt: vielleicht ist 
aber trotz dem Gegensätze, der zwischen mir und den Herren 
Referenten, deren Gutachten den hiesigen Thesen zu Grunde 
gelegt ist, zwischen mir und einem grossen Theile der Praktiker 
besteht, die Brücke leicht zu schlagen, die Verständigung leicht 
möglich. Gewiss, mit einem der letzten Sätze, die er vorge¬ 
tragen hat, macht sich die Verständigung nämlich nahe von 
selbst. 

Wenn der Herr Vorredner sagt, es verstehe sich ganz von 
selbst, dass der Sträfling zuerst Alles das dem Staate zu er¬ 
setzen habe, was seine Haft kostet, und dann erst von Arbeits¬ 
belohnung die Rede sein könne, dann bekommt der Gefangene 
auf Grund dieses Universalsatzes der Schlussrede regelmässig 
gar nichts. Ich frage Sie Alle, die Sie Strafanstalten vor¬ 
stehen, ich frage Alle, die mit dem Rechnungswesen jener An¬ 
stalten zu thun haben: wo gibt es in ganz Europa eine einzige 
Anstalt — und ich beschäftige mich seit langen Jahren auch 
ernstlich damit, mich über das gesammte europäische Gefängniss- 
wesen zu orientiren — wo gibt es eine Anstalt, wo die Sträf¬ 
linge auch nur die Kosten ihrer gesammten Verpflegung, ge¬ 
schweige denn die Kosten der Bewachung, die Kosten der 
kostspieligen Bauten, die für sie hergestellt werden, aufbringen ? 
(Ruf: Die Strafanstalt zu Stein!) Die Baukosten mit einge¬ 
rechnet? (Ja wohl!) Ich freue mich, dies von dieser Anstalt 
zu hören. Die Sache ist mir wohl zweifelhaft, doch soll es 
mich freuen, wenn ich in unseren Fachblättern demnächst die 
diesfälligen Ziffern angeführt finde. In Amerika finden wir bei 
den dortigen eigenthümlichen Verhältnissen einzelne solche ihre 
Gesammtkosten aufbringende Anstalten. (Ruf: Und hinten- 
nach der Bankerott!) Also auch dort das Ende der Bankerott. 

Wenn der bezeichnete Grundsatz festgehalten wird, Hesse 
sich über die übrigen Sätze des Herrn Vorredners vielleicht 
sprechen; ich habe aber doch auch, abgesehen von dem That- 
sächlichen, einige ernste Bedenken prinzipieller Art gegen seine 
Anschauungen. Die Herren, die auf den Lehrstühlen der 
Wissenschaft sitzen und berufen sind, alle Fragen des ÖflPent- 


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103 


liehen Lebens, hier also Fragen des Strafvollzugs, möglichst 
scharf und präcise nach ihrer prinzipiellen Richtung zum Aus¬ 
trage zu bringen, sind sehr leicht geneigt, auch die letzten 
Consequenzen ihrer theoretischen Annahmen zu ziehen und sehr 
häufig über das praktisch Mögliche und Erreichbare hinüber 
zu schiessen. Darum liegt ja ein so hoher Werth in der Er¬ 
scheinung, dass in einer solchen Versammlung, wie die heutige 
es ist, Theorie und Praxis einander begegnen und ein Aus¬ 
tausch der Gedanken, Anschauungen und Grundsätze stattfindet, 
um das wirklich Erreichbare, das Mögliche, das auch dem Be¬ 
wusstsein unseres Volkes Entsprechende zu Tage zu fördern. 
Und ich hoffe, wie wir uns freuen, den verehrten Herrn Vor¬ 
redner an unserem Rednertische stehen gesehen zu haben, ihn 
in unserer Mitte zu wissen, ebenso wird es den Herrn Vor¬ 
redner freuen, dass er nun auch Männer der Praxis in ihren 
Anschauungen über seine Forderungen sich aussprechen hört. 

Wenn von ihm gesagt wurde, es sei eine Confiscation des 
Arbeitsertrages, was jetzt bei uns eingefiihrt sei, dann ent¬ 
gegne ich; dies Wort schiesst weit über das Ziel hinaus und 
triflFt absolut die Wahrheit nicht. Der Herr Vorredner beruft 
sich auf dasjenige Recht, was in der ganzen weiten Welt auf 
dem gesammten Gebiete des freien Arbeitsmarktes gilt, auf den 
Satz nämlich, dass der Ertrag der Arbeit demjenigen gehört, 
der die Arbeit leistet, andernfalls sei der Betreffende ein Ar- 
beitssclave. Ja, der Eingang seines Satzes ist ganz richtig, 
bei dem freien Manne ganz selbstverständlich! Den freien 
Mann ernährt nicht der Staat, ihm gibt er nicht des Morgens 
eine gute Suppe, Mittags und Abends ein reichliches Essen, 
ihm gibt er nicht ein schönes Bett, nicht ein hübsches Zimmer, 
ein viel besseres, als oft der freie Mann bewohnen kann. Aber 
wenn der Staat aus der Nothwendigkeit des Strafvollzuges alles 
dies für den Gefangenen leisten muss, dann versteht es sich 
von selbst, dass der Gefangene in Bezug auf das allgemeine 
Lohngesetz der Arbeit auf Erden auch nicht entfernt mit dem 
freien Manne in Vergleich gezogen werden kann; das wäre ein 
starker Irrthum. Weil der Staat alle jene Fürsorge übernimmt, 
darum hat er ein Recht auf den Arbeitsertrag des Gefangenen, 
mindestens bis zur vollen Deckung aller seiner Unkosten. 


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Es kommt hiebei noch eine zweite hochwichtige Frage in 
Betracht, die man vom Standpunkte strenger Gerechtigkeit sich 
klar halten muss. Es ist sehr leicht, in lauter Humanität für 
die Gefangenen ihnen alle möglichen Rechte zuweisen zu w^ollen; 
aber das arbeit ende Volk, das verbrecherlose Volk, die 
ehrenhaften Männer im Lande müssen die Kosten für jene 
Verbrecher aufbringen, und darum hat in erster Linie der Ge¬ 
fangene zu arbeiten, auf dass er die Kosten decke, die er ver¬ 
ursacht, sie wenigstens soweit decke, als er kann, und der 
brave, ehrliche Mann, der im Schweisse seines Angesichtes 
sich und seine Familie mühsam ernährt, erst dann zur Hilfe¬ 
leistung herangezogen werde, wenn der Sträfling seine ganze 
Arbeitskraft aufgewendet hat. 

Es ist mitgetheilt w’orden, dass die österreichische Straf¬ 
anstalt Stein mehr liefere, als sie den Staat kostet. Es wurde 
mir aber auch erzählt — ich glaube von demselben Herrn, 
welcher mich mit seinem Zwischenruf unterbrach — wie die 
Leute in der Nachbarschaft jener Anstalt leben, wie ärmlich 
sie sich im Gebirge fortbringen, und wie gar kein Vergleich 
sei zwischen dem, was die Gefangenen zu essen bekommen, 
und dem, was die freien Leute in der benachbarten Bevölke¬ 
rung geniessen. Alle diese Leute, die von Wasser und Brod 
leben und nur einmal in der Woche Fleisch essen, sollen also 
auch noch die möglichst hoch normirten Arbeitsprämien als 
ein Recht des Gefangenen aufbringen, selbst wenn der Ge¬ 
fangene nicht die Kosten seiner Verhaftung, Verpflegung und 
Bewachung gedeckt hat? Nein, meine Herren! Der Sträfling 
hat kein solches Recht. Das hat er auf Grund unserer be¬ 
stehenden Gesetze nicht; von einem solchen Rechte kann man 
auf diesem Gebiete selbst vom allgemeinen Naturgesetze aus 
nicht sprechen! Durch sein Verbrechen hat sich der Sträfling 
der Freiheit beraubt, die Kosten fallen dem Staate zur Last, 
er muss sie im vollen Umfange tragen. Deshalb erkennt auch 
kaum eine europäische Gesetzgebung ein wirkliches Recht des 
Sträflings auf den Arbeitsertrag an. Es ist mir nicht genau 
bekannt, wie es damit in allen einzelnen Gesetzgebungen 
Europas steht; aber auf dem Stockholmer Congresse ist eine 
solche Anerkennung wohl kaum von irgend einer Seite ausge- 


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105 


sprochen worden. Wohl aber findet der zweite Gesichtspunkt 
Anerkennung, den der Herr Vorredner nebenbei erwähnt hat. 
Aus diesem Gesichtspunkte gibt der Staat dem Gefangenen 
als eine Art Belohnung die Prämie, trotzdem, wie gesagt, in 
fast allen Staaten durch den Arbeitsertrag die Kosten des 
Strafvollzuges nicht gedeckt werden. Es ist der auch für den 
freien Arbeitsmarkt geltende Gesichtspunkt, dass in der Be¬ 
lohnung der Arbeit ein gewaltiger Sporn zur Arbeit selbst liegt 
und dass der blosse Zwang zur Arbeit auch in Gefängnissen 
und Strafanstalten nicht weiter reicht, als dass der Gefangene 
eben nothdürftig schafft, was er für den Tag als Pensum 
— oder wie man es sonst nennt — schaffen soll und muss. 
Für den Staat und für den Gefangenen — darin trete ich dem 
Herrn Vorredner bei — stehen hier die Interessen einander 
durchaus nicht entgegen; für Staat und Gefangene liegen die 
Interessen auf ganz gleicher Linie. Wenn der Gefangene in 
der Arbeitsprämie einen Anreiz zu fleissiger Arbeit hat und, 
je mehr er leistet, die Prämie dann auch um so höher normirt 
wird, dann strengt er wirklich seine volle Kraft an, um Tüch¬ 
tiges und viel zu leisten, um während der Haft auch möglichst 
viel zu erwerben, sei es für die eigene Zukunft, sei es zur Er¬ 
langung von Extraconsumtibilien u. s. w. Durch dieses Be¬ 
streben gewinnt aber selbstverständlich auch der Staat in dem, 
was ihm vom Arbeitslöhne verbleibt, einen weit höheren Er¬ 
trag, als wenn er dem Manne nichts geben und dieser dann 
auch nichts weiter leisten würde, als was er absolut leisten 
muss. 

Es liegt darin aber auch eine grosse pädagogische und 
erziehliche Seite. Die meisten unserer Sträflinge kommen in 
das Gefängniss wegen verbummelten Lebens, Müssigganges 
und Arbeitsscheu, die neben anderen schlechten Eigenschaften 
sie auf die Bahn des Verbrechens geführt haben. Wer, wie 
wir in Preussen, jedes Mal bei der Einlieferung eines Gefan¬ 
genen an die Heimathsgemeinde schreiben muss: „Geben Sie 
uns gütigst die Gründe an, warum der Mann wohl auf den 
Weg des Verbrechens gerathen ist“, wer, wie wir, bezüglich 
eines ungeheuer grossen Bruchtheiles der Gefangenen auf diesem 
Wege als Gründe für das Versinken in das Verbrecherthum 


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V 


— 106 


erfahrt: Branntweingenuss, Müssiggang, Landstreioherei, Ar¬ 
beitsscheu u. 8. w., der weiss, wie schwer es hält, diese Leute^ 
die durch ihre Jugenderziehung, durch ihren Umgang und die 
Wirthshäuser in die Gefängnisse gelangt sind, zum Fleisse und 
zu angestrengter Arbeit anzuspornen und zu erziehen. 

Die. Anspornung der Kräfte eines Gefangenen in der Ge¬ 
wöhnung zur Arbeit ist indessen für den Mann und für den 
Staat nicht blos während der Haft des ersteren von Vortheil 
und Segen, es übt das auch seinen Einfluss auf das spätere 
Leben des Gefangenen aus. Er hat in der Strafanstalt arbeiten 
gelernt, arbeiten mit ganzer Kraft, was er früher nicht geübt, 
und das geht mit ihm in das Leben hinaus, wenn nicht bei 
Allen, so doch bei einem grossen Theile. 

Also Staat und Gefangener haben in der Gewährung einer 
Arbeitsprämie gleiches Interesse daran, dass der Mann in der 
Strafanstalt tüchtig arbeite und so befähigt werde, nach seiner 
Entlassung durch ehrlichen Erwerb sich seinen Lebensunter¬ 
halt selbstständig zu schaffen. 

In dieser Beziehung freue ich mich mit dem geehrten Herrn 
Vorredner in gleicher Anschauung zusammen zu treffen. Nun 
sagte derselbe aber weiterhin in seiner Rede, das Strafgesetz 
spreche nicht von einer Entschädigung des Gefangenen für die 
Arbeit, und weil es davon nicht spreche — interpretirt der 
Herr Redner in sehr eigenmächtiger Weise — sei der Staat 
verpflichtet, dem Gefangenen einen bestimmten Antheil zu 
geben, denn Zwangsarbeit und unentgeltliche Arbeit seien 
keineswegs identisch. Ganz mit demselben Rechte kann aber 
aus dem Umstande, weil das Gesetz über diese Frage nichts 
bestimmt, jede Regierung herausinterpretiren: da das Gesetz 
nichts hierüber festsetzt, fällt die Regelung der Angelegenheit 
in unser Verwaltungsrecht und wir bestimmen, dass der Sträf¬ 
ling keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Arbeitsprämie hat. 
So steht denn auch jetzt in fast allen europäischen Staaten 
diese Angelegenheit gesetzlich und thatsächlich. Jedenfalls hat 
die Interpretation der betheiligten Regierungen principiell und 
sachlich genau dieselbe Berechtigung, wie die entgegengesetzte 
des Herrn Vorredners. 

Herr Professor Wahlberg sagte uns ferner, das Princip 


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der Avbeitsbelohnung, wie es heutzutage gelte, sei wider¬ 
spruchsvoll und unhaltbar, ein Kind der Halbheit. Ich habe 
mit ihm auch in meinem Leben stets die Neigung getheilt, 
mich von jeder Halbheit ferne zu halten, mich überall auf 
einen prinzipiell klaren und festen Standpunkt zu stellen, um 
unbeirrt von schwankenden Tagesmeinungen meinen Weg durch 
das Leben hindurch zu gehen. Aber in der Praxis unserer 
Arbeitsprämien erkenne ich absolut keine Halbheit. Das Gesetz 
spricht, wie gesagt, keine Verpflichtung des Staates zur Lei¬ 
stung von Arbeitsprämien aus, der Staat hat nur im eigenen 
wie im Interesse des Gefangenen und um einer ganzen Reihe 
sonstiger Gründe willen es für billig und recht gehalten — 
oder ich sage lieber: für billig und gut, um nicht durch den 
Ausdruck „recht“ auf den Weg des Herrn Vorredners zu 
gerathen — dem Gefangenen, trotzdem er nicht die Gesammt- 
kosten seiner Haft aufbringt, eine Arbeitsbelohnung zu ge¬ 
währen. Es ist dies ein Vorgang, der, möchte ich beinahe 
sagen, an das Schriftwort von dem Gärtner im Weinberge 
erinnert, wo der Erste und Letzte gleichviel bekommen und 
der Herr des Weinberges fragte: siehst Du darum so scheel, 
weil ich so gütig bin? Der Staat ist gütig gewesen dem 
Verbrecher gegenüber, und das ist auch eine seiner grossen 
und schönen Aufgaben neben der Wahrung des starren Rechtes. 
Das unbeugsame Recht kommt nur dann zu seinem vollen 
Ausdruck im Segen, wenn zu rechter Zeit auch Güte und 
Freundlichkeit daneben einhergehen. Es ist also die Uebung 
von Freundlichkeit und Güte Seitens des Staates,'wenn er dem 
Gefangenen eine Arbeitsprämie gewährt, und wir wollen uns 
freuen, dass wir noch Staaten haben, die gütig und freundlich 
sind auch gegen die schwersten Verbrecher. 

Der geehrte Herr Vorredner sagt endlich noch: ohne 
gesetzliche Arbeitsbelohnung kann der Staat keinen geord¬ 
neten Strafvollzug ausführen. Ich wüsste nicht, warum nicht; 
es ist bis jetzt durch Jahrhunderte gegangen, wir sind auf 
diesem Wege vorwärts gekommen in wohlgeordnetem Straf¬ 
vollzug und werden fernerhin auch noch weiter vorwärts 
kommen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass einmal im 
Laufe der Zeiten vielleicht auch der Auffassung des Herrn 


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Vorredners Rechnung getragen wird, wenn die Ergebnisse der 
Arbeitsleistung der Sträflinge darnach angetlian oder andere 
Gründe^ und Verhältnisse dafür massgebend sein werden. Vor¬ 
läufig aber stehe ich auf dem Standpunkte; Der Sträfling hat 
zur Zeit kein gesetzliches Recht auf Gewährung der Arbeits¬ 
prämie und das sprach Herr Geh. Justizrath Wirth in den von 
ihm gegebenen Thesen mit voller Schärfe aus. Dieser Grund¬ 
satz muss anerkannt werden, so lange der Strafvollzug jene 
Wege geht, die er bisher eingeschlagen hat. Daneben haben 
aber, wie gesagt, fast alle Staaten mit^ wenigen Ausnahmen 
aus den angeführten Motiven den Grundsatz aufgestcllt: Den 
Gefangenen sollen Prämien gewährt werden, und daraus er¬ 
klären sich dann auch, weil kein absolutes Recht darauf an¬ 
erkannt ist, die anderen Bestimmungen, wie sie in den weiteren 
Thesen des Ausschusses vorliegen. Der Herr Referent hat in 
seinem meisterhaften Vortrage, über den ich mich umsomehr 
aus innerster Seele gefreut habe, weil er mit ungemeiner Ruhe 
entwickelt worden ist, während ich den Herrn bei der Erörte¬ 
rung des Themas im Ausschüsse in einer viel erregteren Stim¬ 
mung gesehen habe, nach allen Seiten klargelegt, wie diese 
Thesen sich rechtfertigen. Man kann dabei, wie er im Ein¬ 
gänge seiner Rede andeutet, noch eine ganze Reihe anderer 
Gesichtspunkte mit diesen Fragen und Thesen verknüpfen. Der 
Ausschuss hat jedoch — dies will ich am Schlüsse noch sagen — 
bei der grossen Zahl der Thematas, die jeder solchen Versamm¬ 
lung naturgemäss für die Berathung unterbreitet werden müssen, 
weil immer die Möglichkeit vorliegt, dass wegen Verhinderung 
des Referenten der eine oder andere Gegenstand ausfallen kann, 
sich gesagt; wir müssen bei der Behandlung des Stoffes Alles 
ausscheiden, was nicht absolut in dem Wortlaute der zur De¬ 
batte gestellten Fragen enthalten ist, sonst verliert sich ‘die 
Discussion in andere, vielleicht viel bestrittene Punkte, so dass 
wir absolut in der kurzen Frist unseres Beisammenseins damit 
nicht fertig werden können. Darum bitte ich recht herzlich; 
begnügen Sie sich mit dem, was der Ausschuss Ihnen ge¬ 
bracht hat; wer mehr will, komme auf eine unserer späteren 
Versammlungen und sein Hunger soll vollständig befriedigt 
werden. Schliessen Sie sich, meine Herren, den wohlmotivirten. 


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aus der Praxis des Lebens gezogenen Thesen des Aus¬ 
schusses an. 

Präsident: Herr Geh. Rath Illing hat das Wort. 

Geheimer Ober - Regierungsrath Illing (Berlin): Meine 
Herren! Es ist für mich ein gewagtes Beginnen, einem der 
gewiegtesten Strafrechtslehrer Deutschlands entgegen zu treten. 
Die Frage, um die es sich handelt, ist aber für die Organi¬ 
sation des Strafvollzuges eine so wichtige, dass auch ich mich 
gedrungen fühle, gegen die Ausführungen des Herrn Hofraths 
Wahlberg, obgleich ein grosser Theil der geehrten Versamm¬ 
lung dieselben mit lautem Beifall aufgenommen hat, einen 
ebenso entschiedenen Protest einzulegen, wie der Herr Vor¬ 
redner. 

Herr Hofrath Wahlberg sagt uns: der Sträfling ist kein 
Arbeitssklave, er hat ein gewisses Maass von Rechten. Er ist 
zur Arbeit verpflichtet, aber er hat auch ein Recht auf Ueber- 
weisung von Arbeit und es existirt kein Gesetz, es gibt kein 
Recht, welches ihn zu unentgeltlicher Arbeit verpflichtet, zu 
einer Arbeit, für die er keine Entlohnung erhält. 

Ein solches Gesetz und ein solches Recht existiren aller¬ 
dings nicht, wenigstens nicht ein geschriebenes. Aber es gibt 
Dinge, die sich als nothwendige Consequenz aus der Natur der 
Sache und aus den vorhandenen Gesetzen ergeben. So viel 
mir bekannt, bezeichnen die Strafgesetze aller Nationen die 
Zwangsarbeit als einen integrirenden Theil der Zuchthaus- und 
meisthin auch der Gefängnissstrafe. Nun ist allerdings in 
keinem deutschen Strafgesetzbuch und meines Wissens auch 
in keiner deutschen Strafrechtstheorie der Satz ausgesprochen 
worden, dass der Zuchthaussträfling ohne Entgelt zu arbeiten 
habe. Sollen wir aus dem Nichtvorhandensein eines solchen 
Satzes eben die Folgerung ziehen, dass der Sträfling ein 
Recht hat auf Bezahlung für die Arbeit, zu der ihn das 
Gesetz verurtheilt? 

Meine Herren! Wir haben auch keine gesetzliche Vor¬ 
schrift, dass der Staat die Zuchthaussträflinge unentgeltlich zu 
verpflegen habe und doch wird es Niemandem einfallen, dass 
wir, weil es an einer solchen Vorschrift fehlt, die Sträflinge 


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hungern lassen dürfen, wenn sie ihre Verpflegung im Zucht¬ 
hause nicht bezahlen können. Der Staat hat sie zu verpflegen, 
weil er ihnen mit der Freiheit zugleich die Möglichkeit ent¬ 
zieht, sich selbst zü ernähren; daraus folgt aber keineswegs, 
dass er ohne Weiteres lediglich in den Säckel der Steuer¬ 
zahler zu greifen hat, um die Kosten der Verpflegung für Ver¬ 
brecher zu berichtigen, die im Interesse der öffentlichen Sicher¬ 
heit und Ordnung unter Schloss und Riegel genommen wer¬ 
den müssen. 

Es ist ein anerkannter Rechtsgrundsatz, dass Jedermann 
für die Folgen der von ihm begangenen Delicte aufzukommen 
hat und dem entsprechend sind auch die Sträflinge für die 
Kosten, welche durch ihre Detention verursacht werden, dem 
Staate haftbar, wenn und soweit sie Vermögen besitzen. Die 
Mehrzahl von ihnen ist, wie bekannt, ohne Vermögen; ein 
nutzbares Vermögensstück aber besitzen Alle, mit Ausnahme 
der Invaliden, und das ist ihre Arbeitskraft. Herr Hofrath 
Wahlberg nennt es eine Confiscation, wenn wir den Ertrag 
der Sträflingsarbeit für die Staatskasse in Anspruch nehmen. 
Ich für meine Person vermag nicht abzusehen, weshalb wir 
darauf verzichten sollen, das einzige Vermögensobject, welches 
die meisten Sträflinge besitzen, ihre Arbeitskraft zur Deckung 
der durch ihre Detention verursachten Kosten zu verwerthen 
Es hat das meines Erachtens ebenso wenig Bedenken wie die 
Vollstreckung einer Pfändung oder Execution wegen einer 
liquiden Forderung der Staatskasse — von einer vollständigen 
Deckung der Detentionskosten wird ohnehin, selbst wenn wir 
den Ertrag der Sträflingsarbeit für die Staatskasse in Beschlag 
nehmen, wohl nur in äusserst seltenen Ausnabmefällen die Rede 
sein können. 

Herr Hofrath Wahlberg hat sich unter Anderem auch 
darauf berufen, dass alle Regierungen den Sträflingen gewisse 
Prämien oder Belohnungen für ihre Arbeit zuerkennen. Es 
geschieht das allerdings, aber in dieser Einrichtung liegt keines¬ 
wegs, wie Herr Hofrath Wahlberg anzunehmen scheint, die 
Anerkennung eines Rechtes der Sträflinge auf den Ertrag 
ihrer Arbeit. In den Strafanstalten wird gearbeitet, weil das 
Gesetz die Arbeit vorschreibt, weil die Ordnung in den Straf- 


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anstalten nicht aufrecht zu erhalten sein würde ohne Beschäf¬ 
tigung der Gefangenen, weil die Sträflinge ohne Arbeit physisch 
und moralisch verkommen würden und weil wir sie, so weit 
möglich, zu Arbeiten anleiten wollen, von denen sie sich nach 
ihrer Entlassung ehrlich ernähren können. Wir gewähren ihnen 
hiebei in der Form von Prämien einen Antheil von dem Er¬ 
trage ihrer Arbeit, um sie zum Fleiss anzuspornen und um sie 
auch für die Folgezeit zur Arbeit willig zu machen — die 
Arbeitsbelohnungen werden mithin keineswegs als ein Recht 
gewährt, sondern lediglich aus Gründen der Zweckmässigkeit. 

Die von mir vertretene Ansicht entspricht meines Wissens 
dem Rechtsbewusstsein in allen Klassen der bürgerlichen Ge¬ 
sellschaft, und ich für meine Person möchte den Sturm der 
gerechten Entrüstung nicht über mich nehmen, der zweifels¬ 
ohne ausbrechen würde, wenn wir die Sträflinge in unseren 
Gefängnissen auf Kosten der armen Steuerzahler frei verpflegen 
und ihnen dann noch den Ertrag ihrer Arbeit zur Ansammlung 
eines kleinen Kapitals überlassen. 

Meine Herren, ich empfehle Ihnen auf Grund einer mehr 
als 20jährigen Erfahrung die Annahme der These des Aus¬ 
schusses, die ebenso der Gerechtigkeit entspricht wie den An¬ 
forderungen des Strafvollzuges. (Beifall.) 

Präsident; Herr Geheimer Justizrath Wirth hat das 
Wort. 

Geheimer Justizrath Director Wirth: Ich komme nur auf 
die Aeusserung des Herrn Professors Dr. Wahlberg zurück, 
dass unsere Gutachten etwas Wesentliches, nämlich den Um¬ 
stand übersehen hätten, dass in dem Strafgesetze nichts davon 
gesagt sei, dass der Gefangene unentgeltlich zu arbeiten habe. 
Wenn wir angenommen hätten, der Gefangene habe nicht un¬ 
entgeltlich zu arbeiten, so wäre die Frage, ob derselbe eine 
Arbeitsbelohnung bekommen soll, für uns hinfällig und mit der 
Frage der Arbeitsbelohnung hätten wir uns dann hier nicht 
zu beschäftigen, denn diese Frage beschäftigt uns hier nur 
ganz hauptsächlich aus dem Grunde, weil wir von der Ansicht 
ausgehen; der Gefangene hat kein.Recht auf Arbeitsbelohnung, 
kein Recht, für seine Arbeit etwas zu empfangen. Würde man, 


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wie Herr Professor Wahlberg, daraus, dass sich das Gesetz 
darüber ausschweigt, ob der Gefangene für seine Arbeit etwas 
zu bekommen hat oder nicht, interpretiren wollen, dass der 
Gefangene wie jeder andere Mensch für seine Arbeit bezahlt 
werden müsse, dann hätten wir von der Arbeitsbelohnung nicht 
mehr zu sprechen, sondern dann würden wir dem Gefangenen 
einfach den ganzen Ertrag seiner Arbeit bezahlen müssen, 
nicht aber einen Antheil oder eine Kleinigkeit, ein Geschenk, 
wie es hier bestimmt werden will. 

Wir sprechen bei unseren Vorschlägen auch de lege 
ferenda; es soll erst eine Bestimmung getroffen werden, nach 
welchen Grundsätzen man dem Gefangenen den Arbeitslohn 
geben soll. Es ist uns vom Herrn Professor gesagt worden, 
der Gefangene brauche nicht unentgeltlich zu arbeiten, weil 
das Gesetz dies nicht ausdrücklich verlange, sondern nur, dass 
derselbe arbeiten müsse. Wenn wir aber alle Vollzugsbestim¬ 
mungen so genau im Gesetze haben müssten, wie es Herr 
Professor Dr. Wahlberg für die Arbeitsbelohnung fordert, so 
wäre unser ganzer Strafvollzug am Ende, die Hände wären 
uns überall gebunden. 

Wenn ich auf die ausführlichen Darlegungen des Herrn 
Professors Dr. Wahlberg weiter nichts bemerke, so geht dar¬ 
aus natürlich nicht hervor und ich bitte auch nicht daraus zu 
schliessen, dass ich mit seinen übrigen Ausführungen einver¬ 
standen wäre. Ich wollte nur über diesen einen Punkt in 
meiner Eigenschaft als Erstatter eines Gutachtens sprechen, 
vielleicht gefällt es noch einem oder dem andern Herrn, die 
aufgestellte Theorie von der practischen Seite zu beleuchten. 

Präsident: Herr Professor Dr. Wahlberg hat das 
Wort. 

Hofrath Professor Dr. Wahlberg: Die Zeit ist bereits so 
vorgerückt, dass es ganz ungerechtfertigt wäre, hier auf eine 
Polemik einzugehen. Die geehrten Herren Gegner haben eine 
unhaltbare Verwirklichungstheorie vertreten: der Sträf¬ 
ling, der zur Freiheitsstrafe mit Arbeitszwang verurtheilt ist, 
sei in Ansehung des Erwerbes rechtlos; das ist des Pudels 
Kern! Nun sagte ich: der Sträfling habe ein gewisses Maass 


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113 


von Rechten und Verpflichtungen und zu den Rechten gehöre 
auch der Anspruch auf jenes Maass der Arbeitsfrüchte, welches 
nach Abzug der nicht etwa durch den Strafvollzug über¬ 
haupt, sondern, wie ich ausdrücklich betont habe, der 
durch die Anhaltung des betreffenden Sträflings persönlich 
verursachten Kosten erübrigt. Nun habe ich, obwohl ich mei¬ 
nem Berufe nach Theoretiker bin, seit 20 Jahren insoferne 
einige practische Kenntniss des Gefängnisswesens erlangt, als 
ich wiederholt zahlreiche Gefängnisse studirt, gesehen und 
ausführlich beschrieben habe. Diese Erfahrungen werden Jahr 
aus Jahr ein durch die sehr beachtenswerthe Statistik der 
k. k. Strafanstalten unterstützt, welche die Ausweise über den 
Staatsantheil und den Sträflingsantheil an dem Ar¬ 
beitsverdienste der Sträflinge rubricirt. Es ist eine alte Er¬ 
fahrung, dass die Strafanstalten mehr kosten als sie einbringen, 
allein es lässt sich ziffermässig darthun, dass nicht wenige 
Sträflinge, in langer Strafzeit bei einem einträglichen Arbeits¬ 
zweige beschäftigt, mehr verdienen, als sie durch ihre Ver¬ 
pflegung kosten. Schon diese Thatsache widerlegt die Be¬ 
hauptung, dass nach der durch mich vertretenen Ansicht die 
Sträflinge überhaupt nichts bekommen würden, abgesehen von 
der Frage, ob und inwieweit der Staat auf die Eintreibung 
seiner Ersatzansprüche aus dem Ueberverdienste gewisser >^träf- 
lingsklassen nicht theilweise zu verzichten habe im Dienste 
wichtigerer Strafzwecke. 

Ich kann hervorheben, dass es einzelne Sträflinge gibt, 
die nach Deckung ihrer Verpflegungskosten einen Betrag von 
60, 60, 160 und mehr Gulden als Peculium bei der Entlassung 
aus einer österreichischen Strafanstalt mitnehmen. Es sind dies 
hauptsächlich Sträflinge mit langer Strafzeit, die allerdings 
häufig Rückfällige waren, welche bekanntlich zu den profita¬ 
belsten Arbeitern gezählt zu werden pflegen. 

Es ist also nicht richtig, dass Sträflinge nach der von mir 
vertretenen Ansicht absolut nichts bekommen, wenn sie ledig¬ 
lich die zu ihrer Gefangenhaltung proportional und ermässigt 
berechneten Verpflegungskosten zu decken haben. Bei dieser 
Berechnung wird es wohl Niemandem ernstlich einfallen können, 
dem einzelnen Sträfling die Kosten des Bauaufwandes, des 

Blitter für Gefängnisskunde. XIX. 8 


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Urttörrichteö, der ärztlichen Pflege, der Bewachung etc. in Ein¬ 
rechnung zu bringen. Nur die durch den einzelnen Gefan¬ 
genen verursachten Kosten ist er verpflichtet dem Staate zu 
ersetzen, und diesen Ersatz wird ein tüchtiger, fleissiger Ar¬ 
beiter, der während einer längeren Strafzeit einträglichere 
Arbeiten zugewiesen erhält, abzustossen in der Lage sein und 
auch zuweilen ein nettes Peculium als Sparpfennig, als Retter 
in der Noth bei der Entlassung gewinnen. Würde die gegen- 
theilige Ansicht des Herrn Vorredners, dass jeder Häftling 
alle proportional auf ihn entfallene Kosten der Strafanstalts¬ 
verwaltung zu decken habe, als richtig angenommen, so würde 
sie auf einer juristisch ganz unhaltbaren Fiction be¬ 
ruhen, nämlich auf der Annahme einer Solidarverpflich- 
tung aller Häftlinge. Diese vermeintliche Solidarhaftung lässt 
sich in keiner Weise rechtfertigen. 

Das, was der einzelne Sträfling dem Staate durch seine 
Gefangenhaltung und Verpflegungskosten an Aufwand ver¬ 
ursacht hat, das hat er nach Kräften zu ersetzen. Dagegen 
hat er auf einen Antheil an dem Ueberschuss der Arbeits¬ 
früchte einen wohl begründeten Anspruch, und ich bitte Sie, 
indem ich an Ihr Gedächtniss appellire, sich gegenwärtig zu 
halten, dass ich gesagt habe: „Gefangener und Staat 
haben Ansprüche an den Arbeitsertrag, beide aber haben je 
nach der Stellung, die sie einnehmen, ihre Ansprüche zu er- 
mässigen. Der Staat hat in Bezug auf arbeitsunfähige oder 
piinder geschickte Sträflinge seine Ansprüche zu ermässigen, 
um ihnen die Möglichkeit einzuräumen, beim Austritte aus der 
Strafanstalt mit einem Sparpfennig in die Welt zu treten, die 
in der Regel bei der leider noch geringen Verbreitung der 
Vereine für entlassene Sträflinge, namentlich am Lande, mit 
Härte schonungslos behandelt werden. Aber auch der Sträfling 
hat seinen Anspruch auf den Ueberverdienst zu ermässigen 
und sich erkenntlich mit einem geringeren Lohnantheil zu be¬ 
gnügen, da er in der Strafanstalt nicht nur verpflegt und 
beschäftigt wird, sondern auch intellectuelle und moralische 
Wohlthaten des Unterrichts und der inneren Aufrichtung 
geniesst. 

Eine zweite Bemerkung ist folgende. Was bisher in den 


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115 


verschiedenen Hausordnungen und partikularistischen Vorschrif¬ 
ten über die Arbeiisbelohnungen oder Gratiflcationen festzu¬ 
setzen für opportun erachtet wurde, kann uns allein nicht 
massgebend sein. Es handelt sich hier nicht darum fest¬ 
zuhalten, was bisher im Wege des partikularen Verwaltungs¬ 
rechtes als zweckdienlich oder bequem geregelt wurde; hier 
handelt es sich um die erspriessliche gesetzliche Regelung 
desjenigen Theiles des Arbeitslohnes, welcher dem arbeits¬ 
pflichtigen Sträflinge zuzufallen hat; — also um die recht¬ 
liche Grundlage des Arbeitsverdienstantheiles der Sträf¬ 
linge, im Wege eines Strafvollzugsgesetzes, welches 
Herr Justizrath Wirth auch zu den Forderungen der Justiz¬ 
reform gezählt hat. 

Vicepräsident Geh. Ober-Justizrath Starke (den Vorsitz 
übernehmend): Gestatten Sie mir Ihnen mitzutheilen, dass von 
den Herren Geh. Ober-Reg.-Rath Illing und Geheime Rath 
Ekert ein Schlussantrag eingebracht worden ist. Die Ge¬ 
schäftsordnung bestimmt, dass eine Unterstützung eines Schluss¬ 
antrages nicht nöthig ist. Es sind noch eingetragen: Consi- 
storialrath Richter, Director Krohne, Director Strosser, 
Regierungsassessor Lotichius aus Dresden. 

Ich ersuche jene Herren, welche den Schluss der Debatte 
annehmen wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Schluss 
der Debatte ist angenommen. Ich ertheile dem Herrn Re¬ 
ferenten das Schlusswort. 

Referent Director Ta uff er: Das Redeturnier, dessen auf¬ 
merksamer Zuhörer ich war, bezog sich auf die prinzipielle 
Entscheidung der Frage, ob wir ein Arbeitsgeschenk geben 
können und sollen, oder ob wir unter gewissen Bedingungen 
auch eine Arbeitsbelohnung geben müssen? Es handelt sich 
also um „Geschenk“ resp. „Belohnung“ oder „Verdienst“. Ich 
glaube, dass man über diese Frage nach dem Allem, was wir 
gehört, einfach mit „Ja“ und „Nein“ entscheiden kann. Fällt 
die Bestimmung „Geschenk“, so fallen alle Thesen; dann ist 
die ganze Frage von der heutigen Tagesordnung einfach ab¬ 
gesetzt. Ich meine die Gesinnung der Herren Collegen der¬ 
art zu kennen, dass ich annehmen kann, sie werden eich dahia 

8 * 


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116 


entscheiden, dass diese Thesen aufrecht erhalten bleiben. In 
dieser Voraussetzung wollte ich nur zwei ganz kurze Bemer¬ 
kungen machen. Der Herr College Wirth beantragt, dass das 
Wort „Arbeitsbelohnung“ modificirt werde. Ich würde nun 
bitten, das Wort „Arbeitsbelohnung“ durch „Arbeitsgeschenk“ 
zu ersetzen. Dann ist kein Zweifel möglich, wie die Frage 
verstanden werden soll. 

Er fragt auch, ob auf die Höhe der Belohnung der er¬ 
zielte Nutzen einen Einfluss nehmen soll? Ich glaube, die 
These antwortet darauf ganz präcise, indem sie betont: „nach 
Maassgabe der Arbeitsleistung und des dabei angewendeten 
Fleisses“. Es ist also gar nicht zweifelhaft, dass wir die 
Höhe des Arbeitsgeschenkes nicht nur durch den Nutzen be¬ 
stimmen lassen, sondern auch das Maass des angewendeten 
Fleisses in Erwägung gezogen haben wollen. 

Das dritte Kriterium: das Verhalten des Gefangenen 
wird wieder durch einen zweiten Satz der These präcisirt. 
Eine Irrung oder eine zweifache Deutung der Resolution ist 
mithin ganz unmöglich. Auf Grund dieser Erinnerungen bitte 
ich die Versammlung, die Thesen des Ausschusses mit der 
soeben beantragten Modification anzunehmen. 

Vicepräsident Starke: Die Discussion ist geschlossen^ 
ich schreite zur Abstimmung. (Director Strosser meldet sich 
zum Wort.) Herr Director Strosser hat das Wort. 

Director Strosser: Ich möchte mir an den Hrn. Colle- 
gen Wirth die Anfrage erlauben, ob er mit der Annahme 
seiner Thesen jene des Ausschusses als beseitigt betrachtet 
oder sie nur als einen Zusatzantrag erklärt wissen will, so 
dass daneben die Thesen des Ausschusses bestehen bleiben. 

Geheimer Justizrath Wirth: Ich habe vorhin erklärt, 
dass ich die Thesen des Ausschusses annehme und dass mein 
Antrag blos als Zusatzantrag zu betrachten ist. 

Vicepräsident Starke: Herr Professor Wahlberg hat 
mir einen Antrag überreicht, und ich glaube die Herren wer¬ 
den ein formales Bedenken darin nicht finden, dass derselbe 
mir erst nach Schluss der Discussion zugegangen ist. 


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117 


Director Strossen Ich halte es doch für bedenklich, 
inmitten der Abstimmung einen neuen Antrag einzubringen. 
Das hiesse die Debatte wieder eröffnen, denn wir können über 
einen Antrag nicht abstimmen, der noch nicht in Discussion 
gewesen ist. 

Professor Hofrath Wahlberg: Es handelt sich nicht 
um einen eingeworfenen Antrag, sondern nur um die Schluss- 
formulirung dessen, was ich vertreten habe. Der Antrag selbst 
lautet: „Der Ertrag der für die Zwecke der Strafanstalt durch 
den Gefangenen genügend geleisteteten Arbeit fliesst zur Staats¬ 
kasse; doch haben die Gefangenen einen Anspruch auf einen 
Verdienstantheil.“ 

Vicepr äs ident Starke: Gestatten Sie mir meine An¬ 
sicht dahin auszusprechen, dass wir in eine sehr schlimme Lage 
hineingerathen würden, wenn wir eine geschäftsordnungsmässige 
Discussion eintreten Hessen, da unsere Geschäftsordnung über 
diesen Punkt überhaupt keine Vorschriften enthält. Wir wer¬ 
den ja so streng parlamentarisch auf diesem Gebiete nicht sein 
und es kann sich höchstens darum drehen, ob die Versamm¬ 
lung diesen Antrag zulassen will oder nicht. Ich glaube auch, 
dass der Antrag nichts anderes ist, als der Ausdruck dessen, 
was Herr Hofrath Wahlberg gesprochen hat. Uebrigens werde 
ich die Vörsammlung zur Entscheidung aufrufen, und ersuche 
also jene Herren, welche es zulassen wollen, dass der Antrag 
des Herrn Hofrath Wahlberg zur Abstimmung kommt, die 
Hand zu erheben. (Geschieht.) Es ist die Minorität; der An¬ 
trag des Herrn Hofrath Wahlberg gelangt daher nicht zur 
Abstimm ung. 

Der Herr Geh. Justizrath Wirth hat folgenden Antrag 
gestellt: (wiederholt denselben). Ich ersuche nunmehr jene 
Herren, welche diesen Antrag annehmen wollen, die Hand zu 
erheben. (Geschieht.) Dieser Antrag ist abgelehnt. 

Ich ersuche jene Herren, welche die These 1 conform der 
Fassung des Ausschusses annehmen wollen, die Hand zu er¬ 
heben. (Geschieht.) These 1 ist angenommen. 

Bei These 2, gegenwärtig lautend: (wiederholt dieselbe)^ 
beantragt der Referent statt des Wortes „Arbeitsbelohnung** 


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118 


— Arbeitsgeschenk“ zu setzen. Ich ersuche jene Herren, 
welche zunächst dieses Amendement annehmen wollen, die 
Hand zu erheben, (Geschieht.) Dasselbe ist angenommen. 

Ich bitte nunmehr jene Herren, welche den Ausschuss¬ 
antrag mit diesem Amendement genehmigen wollen, 
die Hand zu erheben. (Geschieht.) Ich bitte um die Gegen¬ 
probe, da es mir nicht als ausgemacht erscheint, ob die Majo¬ 
rität vorhanden ist. (Die Gegenprobe erfolgt.) These 2 ist 
mit dem erwähnten Amendement angenommen. 

Director Strosser: Ich erlaube mir, zur Abstimmung an¬ 
zuregen, dass im Kreise unserer heutigen Versammlung eine 
Anzahl gern gesehener Gäste sitzt, die aber nicht Mitglieder 
des Vereines sind. Ich würde mir nunmehr die Frage er¬ 
lauben, ob bei Abstimmungen nicht vielleicht, wenn diese 
zweifelhaft sind, unsere Gäste gebeten würden, für den Moment 
der Abstimmung nach irgend einer Seite des Saales sich be¬ 
geben zu wollen, um diese unzweifelhaft zu machen. 

Vicepräsident Starke: Ich erlaube mir, den Modus 
vorzuschlagen, dass jene Herren, welche kein Stimmrecht be¬ 
sitzen, sowohl dann, wenn es sich um die Abstimmung „für“ 
als um die Abstimmung „gegen“ handelt, sitzen bleiben, so 
dass aus dem Gegeneinanderhalten derjenigen, welche bei 
beiden Abstimmungen aufgestanden sind, sich das richtige 
Stimmenverhältniss ergibt. 

These 3 lautet: (wiederholt dieselbe). Ich ersuche jene 
Herren, welche diese These annehmen wollen, sich zu erheben. 
(Geschieht.) Ich bitte um die Gegenprobe. (Dieselbe erfolgt.) 
These 3 ist angenommen. 

(Präsident v. Hattingberg übernimmt den Vorsitz.) 

Den nächsten Gegenstand der Verhandlung bildet die 
Discussion über: 

„Das Schutzwesen für entlassene Gefangene“. 

Referent ist Herr Pfarrer Krauss. Ich ersuche ihn, 
seinen Bericht zu erstatten. 

Referent Pfarrer Krauss: Meine Herren! Der letzte 
Gegenstand, mit welchem diese Versammlung sich berathend 


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119 


und beschliessend befassen soll, betrifft das Schutzwesen 
für entlassene Gefangene. Das gegebene Thema lautet: 
„Auf welche Art sollen die Schutz vereine für Straf¬ 
gefangene eingerichtet sein; soll insbesondere die 
Unterstützung auch auf die Angehörigen des Ge¬ 
fangenen während der Strafhaft sich beziehen; 
und was ist zu thun, um die Vereinsthätigkeit für 
die Bezirke wach zu halten, wo solche seltener be¬ 
gehrt wirdy‘‘ 

Indem ich zunächst auf mein im Vereinsorgan erschienenes 
schriftliches Gutachten verweise, erachte ich doch diese hoch¬ 
wichtige Angelegenheit auch einer möglichst eingehenden 
mündlichen Besprechung für sehr würdig. Die Zeit ist 
zwar vorgerückt, indessen können wir uns doch füglich noch 
eine gute Weile mit meinem Thema befassen, ehe die Stunde 
schlägt, die uns das Vergnügen gewähren soll, welches durch 
die Munificenz und Gastfreundschaft der hohen kaiserlichen 
Regierung in Aussicht gestellt ist. 

M. H., wir haben bisher Gegenstände besprochen, worüber 
die Anschauungen und Wünsche mitunter recht weit aus¬ 
einander gegangen sind, jetzt aber liegt uns eine Sache vor, 
in deren Weii-hschätzung wir gewiss Alle einig sind. Gestern 
beschäftigte uns die Fürsorge für geisteskranke Gefangene 
und wir haben gehört, dass selbst bei gutem Willen die 
geeignetste und wirksamste Art dieser Fürsorge auf Schwierig¬ 
keiten stösst, welche dieselbe leider unausführbar erscheinen 
lassen. Nun wenden wir aber unser Augenmerk auf eine 
andere Kategorie von unglücklichen Gefangenen, nämlich auf 
diejenigen, welche nach erstandener Strafe fremder Hilfe drin¬ 
gend bedürfen, wofern sie für die Dauer auf guten Wegen er¬ 
halten und nicht, der äussersten Verlassenheit preisgegeben, 
abermals durch Verbrechen sich selbst zu helfen gezwungen 
werden sollen. Hier stehen leicht ausführbare Mittel und Wege 
genug zu Gebote; das Einzige, was häufig fehlt, ist der gute 
Wille. 

M. H.! Ueber die Nothwendigkeit und Bedeutung 
der Schutzfürsorge im Allgemeinen ist schon Vieles weit besser 
gesprochen und geschrieben worden, als ich es vermag. Alle 


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Culturstaaten wetteifern mit rühmlichen Erfolgen auf diesem 
Felde miteinander, die Frage ist eine internationale geworden; 
denn die allgemeine Menschenliebe hat sie aufgeworfen und 
ihre Lösung verlangt; die Liebe aber kennt keine Grenzpfähle, 
sie erstreckt sich auf alle Menschen und Nationen ohne Unter*- 
schied. Gestern erfreute uns Herr Director Wirth in seinem 
ausgezeichneten Vortrage über die Entwickelung des Gefangniss- 
Wesens auch mit einem Ueberblick über das, was auf dem 
Gebiete des Schutzwesens in Deutschland und Oesterreich- 
Ungarn in den letzten Jahren gethan wurde, und der erfahrene 
Strafvollzugsbeamte erklärte geradezu, dass wir dieser 
Schutzthätigkeit in der modernen Strafrechts¬ 
pflege absolut nicht mehr entbehren können. Nicht 
minder haben manche, in dieser Versammlung anwesende 
Herren sich bereits grosse Verdienste erworben um die För¬ 
derung des Schutzwesens für entlassene Gefangene, für das sie 
mit Wort und Schrift, mit Rath und That in wärmster Hin¬ 
gabe aufgetreten sind. Es sei ihnen Allen hier ein Denkmal 
vollster Anerkennung gesetzt! 

M. H., ich halte es deshalb nach dem Gesagten für 
unnöthig. Ihnen eine nähere Belehrung über die grosse Wich¬ 
tigkeit unseres Gegenstandes ertheilen zu sollen. Ist es doch 
gerade die Erkenntniss dieser Wichtigkeit, die unsere Vereins¬ 
versammlung zu diesen Berathungen und Beschlüssen veranlasst 
hat. Keinen Gefängnissbeamten dürfte es geben, der hierüber 
noch sich unklar wäre. Allein, wie in öffentlichen Parlaments¬ 
verhandlungen nicht selten weniger zu den Anwesenden, als 
zum Fenster hinaus, zu der Gesammtheit gesprochen wird, so 
halte auch ich es für sehr angezeigt, dass aus der Mitte dieser 
Versammlung, ebenfalls zum Fenster hinaus, ein Wort an das 
freie Publikum gerichtet werde, um sein Verständniss und 
seine Empfänglichkeit für die Erfüllung einer menschlichen, 
bürgerlichen und christlichen Pflicht anzuregen, wie dieselbe 
in der Fürsorge für die armen entlassenen Gefangenen an es 
herantritt. Was hier gesprochen wird, findet durch unser 
Vereinsorgan den Weg in die Oeffentlichkeit und da begegnen 
wir, wie Sie Alle wissen, noch so vielen Vorurtheilen und 
Missverständnissen, ja förmlicher Abneigung gegen diese unsere 


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121 


Bestrebungen, dass ich die Mühe nicht scheue, unter Anrufung 
Ihrer geneigten Geduld hier ähnliche Worte vorzutragen, deren 
ich einmal bei der Gründung eines Schutzvereines mich be¬ 
dient habe. 

M. H.! Es ist eine unleugbare Thatsache und die Statistik 
weist es mit erschreckenden Zahlen alljährlich nach, dass die 
Untersuchungen und Verurtheilungen wegen Uebertretungen, 
Vergehen und Verbrechen in sehr bedenklicher Zunahme be¬ 
griffen sind und zwar nicht blos bei uns, sondern allerwärts^ 
nicht blos unter den Erwachsenen, sondern auch unter der 
Jugend. Wir dürfen nun zwar hieraus meines Erachtens noch 
keineswegs die Berechtigung herleiten, unserm Zeitalter im 
Vergleich mit den früheren Jahrhunderten den Stempel be¬ 
sonderer sittlicher Erkrankung und Verkommenheit aufzu¬ 
drücken. Die bisweilen mit recht durchsichtiger Absichtlichkeit 
besungenen „guten alten Zeiten“ bieten bekanntlich perioden¬ 
weise ein so abstossendes Bild der Moralität in verschiedenen 
Ländern dar, dass unsere viel geschmähte jetzige Generation 
selbst die Namen für einzelne Laster verloren hat, die damals 
geübt worden sind, und überdies sind die Klagen über die 
Verdorbenheit der Menschen so alt als es Menschen gibt und 
werden auch nur mit der Menschheit aufhören. 

Immerhin aber kommen heutzutage die Verbrechen häufi¬ 
ger an’s Tageslicht und vor die Gerichte und das gereicht 
unsern Staatseinrichtungen gewiss nicht zur Unehre. Die gesetz¬ 
lichen Folgen der Missethaten gelangen deshalb auch mehr zur 
Wahrnehmung, die Gefängnisse und Zuchthäuser vermehren 
sich und namentlich aber ist statistisch nachgewiesen die in 
der That abnorme Zunahme der Bestrafungen von rückfällig 
gewordenen Verbrechern. Es sind der Insassen der Central¬ 
strafanstalten Rückfällige. Unwillkürlich fragt man nach den 
Ursachen dieser beklagenswerthen Erscheinung. Für die Zu¬ 
nahme der Rückfälle ist man sehr gerne bereit, die angeblich 
zu grosse Milde des Strafgesetzes sowie die übertriebene Hu¬ 
manität im Strafvollzug verantwortlich zu machen. Dieser 
doppelte Vorwurf ist indessen in den Augen eines jeden 
Kenners gänzlich ungerechtfertigt; dagegen will ich jetzt eine 
Hauptursache der immer häufiger vorkommenden Rückfälle 


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122 — 


anführen und beleuchten und das ist keine andere als der 
Mangel an Fürsorge für die bereits gestraften und 
nach geleisteter schwerer Sühne wieder in die 
Freiheit entlassenen Verbrecher. 

Ja, meine Herren, fragen wir: wie benimmt sich das freie 
Publikum gegen diese Classe von Unglücklichen? Wie jener 
Priester und jener Levit im Gleichniss vom barmherzigen 
Samariter, die an dem Manne, der unter die Räuber gefallen, 
von ihnen ausgeplündert und halbtodt liegen gelassen worden 
war, kalt vorübergingen, ohne zu helfen, die vielleicht einige 
wohlfeile Worte des Bedauerns ihm, gespendet oder gar den 
heftigen Vorwurf gemacht haben mögen, dass er so leichtsinnig 
gehandelt und sich von Jerusalem nach dem gefährlichen Jericho 
gewagt habe, — warum sei er nicht zu Hause geblieben, — 
er solle nun auch die Folgen tragen. So haben auch heutzu¬ 
tage Viele aus dem freien Publikum Worte des Bedauerns oder 
der Entrüstung genug über den sittlichen Verfall unseres Volkes 
und man ruft wieder recht laut nach Verschärfung der Strafe 
und Strafvollstreckung, nach dem Polizeistock und dem lieben 
Prügel, nach Henker und Schaffet — aber in werkthätiger 
Nächstenliebe dem gefallenen Mitmenschen Samariterdienste 
leisten und dadurch zur Abhilfe und zur Minderung des 
moralischen und socialen Uebels beitragen: — das will man 
nicht. Man ereifert sich über das Anwachsen des Verbrecher- 
tbums, übersieht aber im heiligen Eifer, dass die freie Bevöl¬ 
kerung durch ihr abstossendes, liebeloses Verhalten gegen ehe¬ 
malige Verbrecher dieselben gar häufig wieder selbst zu neuen 
Verbrechern macht, zum Rückfall förmlich nöthigt und dadurch 
ihrerseits sehr viel zur Vermehrung der Verbrechen beiträgt. 
Wer kennt sie nicht, die Vorurtheile und die Abneigung gegen 
die aus dem Zuchthaus oder Gefängniss Entlassenen. „Es gibt 
ehrliche Arme genügt, so hört man oft sagen, „welche der 
Unterstützung auch würdig sind; wozu daher noch an solche 
Leute Almosen verschwenden, welche ihre missliche Lage selbst 
verschuldet haben und ohnedies wegen ihrer Schlechtigkeit 
fremde Hilfe gar nicht verdienen?“ Man bedenkt nicht, dass 
es sich hier darum handelt, Menschen, die eine Gefahr für 
die Gesellschaft bilden, eben durch diese Hilfe unschädlich 


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zu machen. „Aber/ hält man mir weiter entgegen, „Spitzbube 
bleibt Spitzbube.“ Viele Leute glauben in der That nicht ein* 
mal an die Besserungsfähigkeit, geschweige denn an die 
wirkliche Besserung eines Verbrechers und denken nicht 
daran, dass dieses Misstrauen auch einmal gegen sie selbst 
sich kehren könnte. Hochmüthig und selbstgerecht, wie jener 
Pharisäer, schaut man auf den entlassenen Zuchthäusler herab; 
der Umstand, dass einer einmal im Zuchthaus war, ist gar 
Vielen ein hinreichender Grund, um ihn als für immer ge¬ 
brandmarkt zu erklären und jegliches Vertrauen ihm zu ent¬ 
ziehen. — Meine Herren! Das ist unchristlich und unvernünftig 
gedacht und geurtheilt. „Wer steht, sehe zu, dass er nicht 
falle“ 5 j)Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein 
auf sie“; und das andere Wort: homo sum et nil humani a me 
alienum esse puto — scheint in Vergessenheit gerathen zu sein. 
Wir Alle tragen in unserer menschlichen Natur, in dem „nitimur 
in vetitum“, die Keime zu allem Bösen in uns herum und 
wenn diese sich nicht aus der Potentialität zur verbrecherischen 
Actualität entwickelt haben, so wollen wir es, nächst der ver¬ 
edelnden und schützenden Gnade von Oben, der Erziehung 
und anderen glücklichen Verhältnissen danken, dagegen mit 
allen Jenen herzliches Mitleid haben, die oft weniger aus 
eigenem verkehrten Willen, als in Folge schlechter Erziehung 
und böser Gesellschaft, durch Verführung und lockendes Bei¬ 
spiel, im Andrang der Leidenschaft oder in äusserster Noth 
und Verzweiflung dem Verbrechen in die Arme getrieben wur¬ 
den. Mit Recht frug schon der grosse Reformator auf dem 
Gebiete des Gefängnisswesens, John Howard: „Wer kann 
sagen, wie viel die Gesellschaft, wie viel äussere Verhältnisse 
an dem Verbrecher verschuldet haben, um ihn zu dem zu 
machen, was er geworden ist?“ Und, meine Herren, die näm¬ 
lichen Ursachen, aus denen das erste Verbrechen entstanden 
ist, bringen auch die Rückfälle hervor. Glauben Sie ja 
nicht, es sei keiner unter denjenigen, die rückfilllig geworden, 
durch die vorausgegangene Strafe gebessert worden, weil sie, 
wenn sie gebessert worden wären, nicht abermals hätten fehlen 
können. Die Unrichtigkeit dieses Schlusses leuchtet von selbst 
ein und wird bestätigt durch die Erfahrung, die jeder fehler- 


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124 


hafte Mensch, wenn auch in unwichtigeren Dingen, an sich 
selbst machen kann. Sollten Sie aber doch dieser landläufigen 
Ansicht huldigen, so hoffe ich Sie durch das weiter Vorzu¬ 
tragende noch davon abbringen zu können. 

Meine Herren! Ich rede nicht von den unverbesser¬ 
lichen Gewohnheitsdieben, die absolut schlecht bleiben 
und daher auch keiner Unterstützung und keines Schutzes 
würdig sind; für sie hat der Schutzverein keine Aufgabe zu 
lösen, da muss der Staat eintreten mit Errichtung von Zwangs¬ 
arbeitsanstalten, in welchen die Unheilbaren sofort nach er¬ 
standener Strafe und zwar eventuell für immer unterzubringen 
sind. Ich rede auch nicht von den Bemittelten und in gün¬ 
stigen Familienverhältnissen Lebenden; denn ihnen ist 
keine Hilfe nöthig; vielmehr haben wir diejenigen in’s Auge zu 
fassen, welche, nachdem sie in der Strafanstalt lang und schwer, 
bisweilen selbst über Gebühr und Verschuldung gebüsst hatten 
und in der Einsamkeit des Kerkers zur Einsicht und inneren 
Umkehr gelangt sind, von den besten Vorsätzen beseelt den 
Boden der Freiheit wieder betreten. Es fehlt ihnen aber da 
an Freunden und Bekannten, an Familienangehörigen und Ver¬ 
wandten, die oft von ihnen gar nichts mehr wissen wollen, es 
fehlt ihnen, wenn sie verheirathet sind, an Arbeit und Kund¬ 
schaft, oft am nothwendigsten Handwerkszeug, um Brod und 
Kleidung für Weib und Kind zu verdienen; es fehlt ihnen, 
wenn sie noch jung, ja halbe Knaben sind, an der nöthigen 
Aufsicht und Leitung, an einem braven Meister und Lehr¬ 
herrn, hilflos und verlassen stehen sie auf der Strasse, allen 
Gefahren und Versuchungen preisgegeben; kurz es fehlt an 
Allem, was ihnen zum Anhalt und zur Stütze dienen könnte. 
Sie klopfen da und dort an, aber kaum hat man auf die Frage: 
woher? die Antwort vernommen, so weist man ihnen die Thüre. 
Ich kann solche Leute nicht brauchen in meinem bisher unbe¬ 
scholtenen Hause; es könnte ja sonst in Misskredit kommen! 
Oder: Ich habe ja schon einmal mit einem entlassenen Sträf¬ 
ling einen Versuch gemacht, aber traurige Erfahrungen be¬ 
nahmen mir für immer die Lust, es nochmals zu probiren! 
Oder ein Anderer verweigert die Aufnahme mit dem Bemer¬ 
ken, es würden ihm alle seine übrigen Arbeiter künden, wenn 


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Bie erführen, dass ein entlassener Zuchthäusler in ihrer Mitte 
sei. Und gelingt es einem Entlassenen doch, durch eine Noth- 
lüge, durch Verschweigen seines bisherigen Aufenthaltes, bei 
einem Arbeitgeber oder Meister anzukommen, so dauert es 
nicht lange und — die löbliche Polizei ist ihm auf die Spur 
gekommen. Sie erscheint im Hause, um sich in „rührender^ 
Theilnahme nach dem ehemaligen Sträfling zu erkundigen, 
— das Ende ist selbstverständlich: Weiterziehen unter Schand’ 
und Spott. 

Meine Herren! Wie hemmend die Polizeiaufsicht — um 
auch davon Einiges zu sagen — auf die Rehabilitirung des 
entlassenen Gefangenen einwirkt, ist und kann fortwährend 
durch viele, mitunter ganz eklatante Beispiele aus der täglichen 
Erfahrung erwiesen werden. Bei dieser sogenannten Sicher- 
heits- oder Präventivmassregel stehen Theorie und Praxis, wie 
auch in anderen Dingen im grellsten Widerspruch zu einander 
und wie ich schon auf der Versammlung in Bremen, wenn 
auch nur durch eine einzige weitere Stimme unterstützt, gegen 
den dort gefassten Beschluss über die Polizeiaufsicht mich er¬ 
klärt habe, so spreche ich es auch hier öffentlich aus, dass 
ich aus guten Gründen ein entschiedener Gegner der Polizei¬ 
aufsicht in ihrer derzeitigen Einrichtung und Ausübung wie 
in der zu Bremen beschlossenen Fassung bin. Durch die bei 
uns gehandhabte Polizeiaufsicht wird erfahrungsgemäss weder 
der Observat an der Verübung neuer Verbrechen verhindert, 
noch das Publikum gegen seine Angriffe geschützt, dagegen 
sehr oft die Wiedergewinnung einer ehrbaren Existenz dem 
Betreffenden wesentlich erschwert, wenn nicht geradezu unmög¬ 
lich gemacht. (Dieses sage ich im Hinblick auf die kleineren 
Städte und die Landorte. Dass in den Centren des mensch¬ 
lichen Verkehres, in den grossen Städten, wo auch das 
Verbrecherthum die reichste Ernte zu finden hofft und 
deshalb am liebsten sich aufhält, die Polizeigewalt alle Wach¬ 
samkeit auf dasselbe zu richten hat, versteht sich von selbst.) 

Meine Herren, wir haben gehört, welche Hindernisse dem 
entlassenen Gefangenen in den Weg treten: — was muss nun 
die nothwendige Folge von all’ dem Gesagten sein? Meine 
Herren, selbst einem Menschen von grosser sittlicher Willens- 


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126 


stärke würde iiian eine Niederlage im Kampf mit solchen feind* 
liehen Gewalten verzeihen müssen: was wollen und dürfen wir 
aber dann an Widerstandsfähigkeit von solchen Menschen er¬ 
warten, w^elche oft allen moralischen Halt, allen religiösen 
Sinn, alles sittliche und bürgerliche Pflichtgefühl verloren 
hatten und in der Strafanstalt unter dem Eindrücke des em* 
pfindlichen Strafübels, sowie der auf Besserung abzielenden 
Strafvollstreckungsmittel kaum ein bischen zu sich selbst ge¬ 
kommen sind und erst einen schwachen Anlauf zum Besseren 
genommen haben? Das Zuchthaus, mit seinen Einrichtungen 
und Beamten kann keine Wunder wirken, keine Todten lebendig 
machen. Wir haben weder die Zeit noch die Mittel zur Ver¬ 
fügung, um einen tief gesunkenen, nicht selten gänzlich ver¬ 
wilderten Menschen in einen Tugendhelden umzuwandeln, 
höchstens vermögen wir eine Wendung, einen Anfang zum 
Guten herbeizuführen und müssen so die meisten Sträflinge 
entlassen im Zustande von Reconvalescenten, welche noch um¬ 
sichtiger Pflege bedürfen, um nicht rückfällig zu werden. Das 
zarte Pflänzchen des neu geweckten sittlichen Strebens und 
Lebens ist sorgfältig gegen Sturm und Frost zu schützen, 
wenn es nicht sofort wieder zerstört werden soll. So erscheint 
die Fürsorge für entlassene Sträflinge als die nothwendige 
Ergänzung des Strafvollzugs oder der Thätigkeit 
der Strafvollzugs beamten. Was diese gepflanzt, soll 
nach der Entlassung weiter gepflegt, begossen, dem Lichte 
und der Wärme ausgesetzt, von wilden Schossen beschnitten^ 
— kurz auf dem in der Strafanstalt gelegten Grund soll 
draussen weiter gebaut werden. Dazu bedarf es aber der 
ganzen Liebe und Aufopferung seitens der freien. Gesellschaft 
bezw. edler Menschenfreunde. Und leider finden die entlassenen 
Sträflinge diese Liebe, dieses Erbarmen so selten, wie ich 
bereits dargethan habe. Nirgends streckt sich ihnen eine Hand 
entgegen, um sie aufzurichten, dagegen sind hundert Hände 
bereit, sie niederzustossen, — sie finden keine Milde, nur 
unnachsichtige Härte, kein Vergeben und kein Vergessen, nur 
Hohn und Spott, keine Theilnahme, nur schnöde Verachtung. 
Das bischen Geld, welches sie im Gefängniss mühsam ver¬ 
dient haben, ist bald verzehrt, es bleibt nichts übrig als das 


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Betteln und Umherziehen von Ort zu Ort, und schliesslich 
zwingen Missmuth, Hoffnunngslosigkeit, Verzweiflung, Entbeh¬ 
rung, Hunger und Durst, Frost und Erschöpfung, zwingt der 
physische, moralische und somatische Bankerott die Aermsten 
zur Selbstvernichtung, zum Selbstmord oder — soll der Kampf 
ums Dasein weiter geführt werden — zu erneuten Verbrechen. 
Ja, meine Herren, wenn die ehrbare Welt den Entlassenen 
zurückstösst, so treibt ihn die Noth dahin zu gehen, wo man 
ihn mit offenen Armen aufnimmt, in die Schlupfwinkel des 
Lasters und Verbrechens, zu bösen Menschen, die er schon 
früher oder während seines Aufenthaltes in der Strafanstalt, 
in der leider auch bei uns noch theilweise bestehenden Ge- 
meinschaftshaft kennen gelernt hat und die ihm schon damals 
prophezeit hatten, dass die Wiederaufnahme eines einmal Ge¬ 
fallenen in der herzlosen und egoistischen Gesellschaft unmög¬ 
lich sei. So wird der Rückfall nothwendig erfolgen. — Bei 
der Wiedereinlieferung in die Strafanstalt zeigt der Rückfällige 
mitunter noch ein bischen Schamröthe auf der Stirne, meistens 
aber einen tiefen Groll gegen Gott und die Welt, einen Hass 
gegen die herzlose Menschheit, die ihn mit Gewalt wieder in^s 
Verbrechen getrieben habe; sein Herz verkrustet sich immer 
mehr und aller Zuspruch prallt wirkungslos wie an einem 
harten Felsen ab. Und die zweite längere Gefangniss- oder 
Zuchthausstrafe geht herum. Er macht vielleicht auf Zureden 
seines Geistlichen noch einmal einen Versuch, in der Freiheit 
aufzukommen, aber die alte Geschichte repetirt sich und führt 
den zweiten Rückfall herbei. So gebt es weiter, — je häufiger 
der Fall, desto schwieriger wird das Aufstehen und die letzte 
Stufe abwärts ist — der vollendete Verbrecher — der 
Verbrecher „aus verlorner Ehre“, der Verbrecher aus Noth 
und schliesslich der Verbrecher aus Neigung und Gewohnheit. 

Meine Herren I Sollte man, um mit den Worten eines für 
unsere Sache begeisterten Mannes (Föhring) zu reden, sollte 
man es für möglich halten, dass inmitten des Reichsthums und 
Wohllebens so vieler Privaten, inmitten so zahlreicher sonsti¬ 
ger Wohlthätigkeitsbestrebungen und Wohlthätigkeitsvereine, 
sowie Rettungsanstalten, inmitten der anerkannten Verpflich¬ 
tung des Staates zur Hilfeleistung in der Noth, inmitten einer 


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Beligion, welche die Nächstenliebe als die kostbarste aller 
Tugenden preist, ich sage, ist es möglich, dass man trotz alP 
dem Hunderte von Menschen, von Mitmenschen physisch und 
moralisch jämmerlich zu Grunde gehen lässt? Sollten und 
müssen da nicht die Nächstenliebe des Christen, die Humanität 
des Philosophen und das lautmahnende Gewissen der bürger¬ 
lichen Gesellschaft Mittel und Wege finden und ergreifen, um 
solch’ ungeheurem Elende vorzubeugen? 

Die Fürsorge für entlassene Gefangene ist aber nicht 
allein ein Gebot der Menschenliebe, sie liegt auch im eigen¬ 
sten Interesse der freien bürgerlichen Gesellschaft 
selbst. Nichts kann für diese gefährlicher werden, als durch 
Unthätigkeit auf diesem Felde charitativen Wirkens das Heran¬ 
wachsen des Verbrecherthums zu befördern. Wo immer in 
einem bürgerlichen Gemeinwesen diese Fürsorge für entlassene 
Sträflinge mit Verständniss und Eifer geübt wird, da zeigen 
sich für die Gesammtheit die erfreulichsten Resultate, da trägt 
jedes Schutzvereinsmitglied das Seinige bei zur Sicherung der 
Rechtsordnung und des Privatbesitzes, da bringt man es all- 
mählig zu Stande, dass Hunderte von Dieben und Betrügern 
in ebenso viele ehrliche Leute umgewandelt werden, die anstatt 
von Schaden Anderer zu leben, durch redliche Arbeit ihr Fort¬ 
kommen suchen und finden. Gewiss! Das Publikum fügt sich 
selbst den Schaden zu, wenn es die Schutzthätigkeit an ent¬ 
lassenen ehemaligen Verbrechern aus Mangel an Einsicht und 
gutem Willen unterlässt. 

Hiemit schliesse ich meine allgemeinen Ausführungen und 
gehe, da die Zeit drängt, unverweilt über zu den Thesen, die 
ich Ihnen zur Annahme empfehlen möchte. Dieselben lauten 
wie folgt (liest): 

I. Die Schutzfürsorge für entlassene Gefangene erscheint 
als eine dringende sociale Aufgabe. Ihre Nothwendig- 
keit ist im Interesse des Staates wie der gesammten 
freien Bevölkerung begründet. 

Die Versammlung der deutschen Strafanstaltsbeam¬ 
ten begrüsst daher mit Freude alle Bestrebungen und 
Erfolge auf diesem Gebiete charitativen Wirkens, wie 
dieselben zu Tage treten in der Errichtung von Asylen 


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für Obdachlose, Arbeiter-Colonien, Besserungsanstalten 
für verkommene Jugendliche, Zufluchtsstätten für ge¬ 
fallene Frauenspersonen, Herbergen, Vereine gegen 
Bettel und Vagabondage u. dgl.m. 

Als weiteres, sehr wirksames Mittel zur Fürsorge 
für entlassene Gefangene betrachtet sie aber auch die 
Gründung von Schutz vereinen. 

II. Die Schutzvereine haben den Zweck, solchen ent¬ 
lassenen Gefangenen, welche würdig und gewillt sind, 
ein ehrbares Fortkommen zu suchen, den Wiedereintritt 
in die bürgerliche Gesellschaft durch materielle und 
moralische Unterstützung zu ermöglichen. Zugleich ist 
es wünschenswerth, dass sich die Fürsorge auch auf 
die Angehörigen der Gefangenen während der Straf¬ 
zeit ausdehne. 

III. Die Schutzvereine, als Zweig der freiwilligen öflFent- 
lichen Wohlthätigkeitspflege, üben ihre Thätigkeit unter 
Mitwirkung und Beihilfe des Staates, der Kirche und 
des freien BUrgerthumes aus. 

Die Vereine müssen einen steten, unmittelbaren 
Verkehr mit den Strafvollzugsbehörden (AnstaltsVer¬ 
waltungen) unterhalten, von welchen ihnen in der Regel 
die Objecte der Fürsorge jnit zweckdienlichen Anträgen 
überwiesen werden. 

Es ist wünschenswerth, dass das Arbeitsgut¬ 
haben eines jeden Gefangenen, der sich dem Schutze 
eines Vereines unterstellt, bei seiner Entlassung an 
letzteren zur entsprechenden Verwendung für den 
Schützling übersendet wird. 

IV. Es empfiehlt sich, zur Erhaltung eines regen Vereins¬ 
lebens und gleichartigen Verfahrens das Schutz wesen 
in den einzelnen Provinzen bezw. Ländern möglichst 
zu centralisiren. 

Der Absatz 1 der ersten These berührt eigentlich das 
gegebene Thema nicht; dasselbe befasst sich mehr mit spe- 
ciellen Fragen. Ich glaubte aber dennoch diese allgemein ge¬ 
haltene These aufstellen zu sollen, weil es doch von Wichtig¬ 
keit ist, wenn von einer solchen illustren Versammlung noch. 

Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 9 


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feierlich betont wird, dass der Schutz fiir entlassene Gefangene 
eine dringende sociale Aufgabe und im Interesse des Staates 
begründet sei. Nun bitte ich aber auch in’s Auge zu fassen, 
dass die Frage über die Schutzvereine losgeschält werden 
muss von anderen Fragen, die mit dem Schutzwesen verbunden 
und verwandt sind. Schutzfürsorge und Scbutzvereine sind 
nicht identisch; die Schutzvereine sind blos eines von den 
vielen Mitteln zur Schutzfürsorge. Da wir aber im Allgemeinen 
die Schutzfürsorge empfehlen wollen, so glaubte auch der Aus*- 
schuss diese These vorschlagen zu müssen, wodurch wir alle 
Bestrebungen auf diesem Gebiete mit Freuden begrüssen. 

Bezüglich der zweiten These berufe ich mich auf mein 
schriftliches Gutachten, wo ich nachgewiesen habe, dass die 
Fürsorge für die Angehörigen der Gefangenen, abgesehen 
von anderen Wirkungen, zugleich eine Vorbeugung gegen die 
Entstehung neuer Verbrechen sei. Die Rücksichtnahme auf 
die hilflosen Familien der Inhaftirten begegnete überhaupt 
schon vielfach den wärmsten Sympathien. Hier in Wien z. B. 
erblickt der Schutzverein in diesem Zweig der Fürsorge eine 
seiner dankbarsten Aufgaben. Ich bitte Sie dringend, diesen 
Punkt nicht fallen zu lassen. 

Die dritte These enthält die Organisation der Vereine, 
wie sie ihre Thätigkeit ausüben sollen mit Beihilfe des Staates, 
der Kirche und des freien Bürgerthums. — Der zweite Satz 
empfiehlt sich von selbst. 

Eine Discussion könnte sich vielleicht entspinnen über 
Absatz 3, das Arbeitsguthaben betreffend. Ich habe nämlich 
bei der Beratbung im Ausschüsse gehört, dass das Verlangen, 
das Arbeitsguthaben der entlassenen Gefangenen jeweils an 
die einzelnen Vereine zu übersenden, nicht geradezu ausge¬ 
sprochen werden könne. Deswegen erhielt die These die 
Fassung: „Es ist wünschenswerth“ u.s. w. 

Der Herr Director Strosser hat in den Ausschuss¬ 
berathungen gesagt, dass es eine sehr unangenehme Last sei, 
wenn die Vereine diese Gelder zur Verwaltung zugeschickt 
erhielten. Ich habe aber schon damals entgegnet, dass wir 
mit der ganzen Schutzthätigkeit nichts als Unannehmlichkeiten 
zu gewärtigen hätten. Wir müssen auf wenig Dank, auf wenig 


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Anerkennung, selbst auf wenige Erfolge gefasst sein. Wir 
werden sehr viele Täuschungen erfahren, selbst Verdriesslich- 
keiten aller Art; allein die Rücksicht darauf, ob es uns ange¬ 
nehm oder unangenehm ist, kann in keiner Weise entscheidend 
sein. Wir müssen eben thun, was unseren Zwecken am meisten 
dienlich ist. 

Die vierte These endlich gibt Antwort auf den dritten 
Theil des Themas, nämlich die Frage, was zu thun ist, um 
die Vereine in ihrer Thätigkeit wach zu erhalten. 

Meine Herren! Ich sehe, ich muss schliessen. Ich empfehle 
Ihnen diese Thesen zur Annahme. (Beifall.) 

Pastor Mahn (Waldheim): Es ist gewiss sehr dankens- 
werth, dass der Ausschuss des Vereines der deutschen Straf¬ 
anstaltsbeamten gerade diese Frage in der hiesigen Versamm¬ 
lung zur Sprache gebracht hat. Es ist das eine Frage von 
eminent practischer Bedeutung. Sie gestatten mir vielleicht 
daher, dass ich einige Mittheilungen über die Einrichtungen 
und Erfahrungen mache, die in Sachsen bei der Fürsorge für 
entlassene Gefangene hervorgetreten sind. 

Von Seiten des Ausschusses ist obenan die Frage aufge¬ 
stellt, auf welche Art sollen Schutzvereine für Strafgefangene 
eingerichtet sein? 

In Sachsen waren die früheren Vereine auf Anregung^ 
unseres in Gott ruhenden Königs Johann gegründet worden. 
Er hatte zu diesem Zwecke als Prinz Reisen in das Land 
unternommen und zwar in circa 20 Städte, um die Vereine 
selbst in’s Leben zu rufen und sich mit den betreffenden Per¬ 
sönlichkeiten in’s Einvernehmen zu setzen. Diese Vereine 
— über 50 hatten sich gebildet — sind nach und nach ein¬ 
gegangen, weil fast ausschliesslich abrigkeitliche Personen die 
Pflege in die Hand genommen hatten und weniger Leute aue 
allen Ständen des Volkes. Die betreffenden obrigkeitlichen 
Personen kommen leicht aus den Orten fort, andere Personen 
starben oder traten aus, neue Mitglieder wurden nicht gesam¬ 
melt, kurz, das Interesse erlahmte. Infolge dessen haben wir 
uns seit dem Jahre 1872 an kirchliche Organe gewendet^' 
nämlich an die Kirchenvorsteher, wie wir sie nennen, an die^ 

9 * 


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132 — 


Kirchengemeinderäthe, wie sie in Preussen genannt werden, 
unter welchen Geistliche und Laien aller Stände und unter 
den Laien wieder Vertrauensleute aus den Gemeindevertre¬ 
tungen sind. Das hat sich bei uns durchaus bewährt. Wir 
haben die sogenannten Diöcesanversammlungen, in Preussen 
die Synoden, gebeten, die Fürsorge für entlassene Gefangene 
in die Hand zu nehmen. Sobald sich eine derartige Synode 
oder eine Diöcesanversammlung zur Pflege bereit erklärte, 
waren sofort Vertreter in den einzelnen Parochien des Synodal¬ 
bezirkes gewonnen. Auch hatten wir den Vortheil, dass diese 
Herren immer wieder ersetzt wurden, wenn einer ausschied. 
Und was die Hauptsache ist, diese Kirchenvorsteher sind Ver¬ 
trauensleute der Gemeinde, christlich gesinnte Männer, die 
vielfältig ein warmes Herz für die Sache mitbringen. Ich 
kann nur empfehlen, dass man auch anderwärts in ähnlicher 
Weise vorgehe. Es ist das bereits geschehen in Schlesien, 
Brandenburg, Pommern, Thüringen und Hannover. . 

Wir haben jetzt in Sachsen 38 Vereine zur Fürsorge für 
Entlassene; es fehlt nur noch ein einziger Bezirk, der aber 
bald nachfolgen wird. Freilich muss ich hinzufügen, dass in 
den grossen Städten die Organisation eine andere wird sein 
müssen. Wir können dort nicht die Kirchenvorsteher allein 
herbeiziehen, so gewiss wir uns auch da an die Kirchenvor¬ 
steher anlehnen können, wie das in unserem Chemnitz ge¬ 
schehen ist. Die Vereine werden bei uns geleitet vom Central- 
ausschusse, der seinen Sitz in Dresden hat und unter dem 
Protectorate Seiner Majestät des Königs steht. Dass als Pfleger 
besonders Geistliche herbeigezogen werden sollen, möchte ich 
auch befolgt haben. Diese müssen immer wieder auf den 
Dörfern neben den weltlichen Kirchen Vorstehern das treibende 
Element sein und Anregungen geben. Weiter würde es nöthig 
sein, um das Interesse für Jie Vereinssachen lebendig zu er¬ 
halten, — und hier komme ich zu der andern vom Ausschüsse 
gestellten Frage — Jahresversammlungen abzuhalten. Bei die¬ 
sen Jahresversammlungen, zu denen in Sachsen Anstaltsvor¬ 
stände, Amtshauptleute und Amtsrichter des Bezirks beigezogen 
werden, werden die Erfahrungen ausgetauscht, und ausserdem 
sendete bei uns der Centralausschuss einen Secretär zu diesen 


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133 


Versammlungen, der über die anderwärts gemachten Erfah¬ 
rungen Auskunft gibt und den Verkehr zwischen den einzelnen 
Vereinen und dem Centralausschusse vermittelt. Gerade ein 
solcher persönlicher Träger der Arbeit im Lande ist nach 
unseren Erfahrungen von grosser Bedeutung für die Belebung 
der Vereinsthätigkeit. Schliesslich muss betont werden, dass 
auch die Presse herbeigezogen werden soll, wie es bei uns in 
Sachsen geschehen, um die vorhandenen Vorurtheile gegen die 
Pflege der Entlassenen zu überwinden. 

Die Erfolge, die wir gehabt haben, sind recht günstige. 
An Geld hat es uns niemals gefehlt; das wird bei uns zu¬ 
sammengebracht aus dem Kirchenvermögen. Die Erfahrungen, 
die wir gemacht haben, stehen etwa so, dass ein Drittel der 
Leute sich gut gehalten hat, ein Drittel rückfällig wurde und 
ein Drittel zweifelhaft geblieben ist. 

Pfarrer Köstlin: Nachdem zwei Geistliche gesprochen 
haben, könnten weitere Auseinandersetzungen von mir leicht 
als eine Variation namentlich dessen, was der Herr Vorredner 
soeben mitgetheilt hat, erscheinen. Warum ich dennoch den 
Muth habe, noch einige Worte zu reden, das hat folgenden 
Grund. Die Frage an die Mitglieder des Vereins lautete 
ursprünglich: Was ist zu thun, um die Vereinsthätigkeit für 
die Bezirke wach zu halten, wo solche seltener begehrt wird? 
Da habe ich mir nun daheim schon die Frage vorgelegt: Was 
hat die Geistlichkeit zu thun, was insbesondere wir Hausgeist¬ 
lichen? Das Hauptgeschäft bei der Entlassung der Straf¬ 
gefangenen hat die Direction zu besorgen, die Inhaberin aller 
Personalien etc., welche den Ort der ersten Niederlassung der 
Gefangenen weiss oder selber bestimmt. Die Hausgeistlichen 
geben den zu entlassenden Gefangenen ihre letzte Ermahnung 
und unterstützen sie durch die Empfehlung derselben in der 
Heimath oder dem neuen Niederlassungsorte bei den betreffen¬ 
den Geistlichen mittelst eingehender Charakteristik der ein¬ 
zelnen Entlassenen. Allein die Hausgeistlichen könnten sicher¬ 
lich noch erfolgreicher und umfassender wirken, wenn sie 
nicht blos den Gefangenen hinter verschlossenen Thüren zu 
predigen hätten, sondern hie und da auch zum Fenster hinaus 


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reden und im Lande herum — vertreten in der Strafanstalt 
durch andere Geistliche und die Hauslehrer — namentlich in 
Bezirken, welche gegen die Fürsorge für entlassene Straf¬ 
gefangene sich gleichgültiger verhalten, diese Angelegenheit 
theils in gelegentlichen Unterhaltungen, theils in förmlichen 
Vorträgen besprechen würden, entweder in philanthropischen 
und christlichen Vereinen oder, wo der herrschende kirchliche 
Sinn derartige Mittheilungen und Urtheile von der Kanzel 
herab erwartet, mittelst der Predigt vor der Gemeinde, wo¬ 
durch am wirksamsten die Barmherzigkeit Aller gegen die 
Gefallenen und Reumüthigen geweckt würde, und namentlich 
die zur Verzeihung am wenigsten geneigten fremden Beleidigten 
und eigenen Verwandten der Entlassenen vielleicht umgestimmt 
und die rechten Männer und Frauen für die geregelte Vereins- 
thätigkeit herangezogen würden und für die persönliche Auf¬ 
opferung im einzelnen Falle. Wie die Vorträge von gedienten 
Heiden-Missionären, so würden gewiss auch massvolle An¬ 
sprachen von im Gefängnissdienste stehenden oder gestandenen 
Geistlichen mitten aus dem Elend der Strafgefangenen heraus 
und der Arbeit der geistlichen und weltlichen Angestellten an 
denselben ihren Eindruck bei Festen der innern oder äussern 
Mission nicht verfehlen. Ein Austausch der Berichte unter 
den Vereinen in den verschiedenen Ländern, dessen wir uns 
in unserem württembergischen Centralausschusse des Vereins 
zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene längst zu erfreuen 
kaben, und Mittbeilungen aus ungekünstelten Berichten in Zei¬ 
tungen und christlichen Blättern wären gewiss ebenfalls von 
grossem Werthe. Bekanntlich wird man oft erst durch Be¬ 
richte über Vorkommnisse und Bestrebungen in andern Ländern 
auf Dinge aufmerksam, welche Einem selber so nahe liegen. 
So las ich neulich, dass zufolge eines Vortrags eines Grossh. 
badischen Amtsrichters über die Schutzaufsicht für entlassene 
Strafgefangene, in welchem er unter Anderem Mittheilungen 
über unsern mehr als 50jährigen württembergischen Verein 
mit seinem Centralausschuss in der Hauptstadt, seinen Bezirks- 
Hilfsvereinen in den Oberamtssitzen und seinen Ortsorganen, 
den geistlichen und weltlichen Vorstehern der einzelnen Ge¬ 
meinden machte, in Waldshut gegen 100 Mitglieder auf einmal 


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135 


sich eingezeichnet haben. — Ich möchte aber noch in Bezug 
auf die kurzen Andeutungen der These von der Mitwirkung 
und Beihilfe der Kirche und des freien Bürgerthums mich 
aussprechen. Wenn irgendwo die einheitliche Gestaltung des 
Vereins noch so vollkommen ist, wenn die für einen sichern 
Gang der Vereinsgeschäfte nothwendigen besten Cadres überall 
in den Landes- und Bezirks - Ausschüssen vorhanden sind, 
tüchtige Beamte, priesterliche Geistliche, einflussreiche Bürger, 
so können sie doch allein nicht durchdringen, w^enn nicht aller- 
wärts die Bürgerschaft sich mitbetheiligt, sei es aus religiösem 
Interesse, so dass Einer, wenn er eben eine Täuschung er- 
^ fahren hat, gerade wieder eines Entlassenen sich erinnert, oder 
wenigstens in der klugen Erwägung der Nützlichkeit, ja Noth- 
wendigkeit des Vereins für das äussere gemeinsame Wohl der 
Bürger. Ich schliesse mit der Behauptung: Es kann kein noch 
so hochstehender Beamter, es kann kein noch so geschätzter 
Pfarrer als Amtsperson einen Gefallenen wieder in die Gesell¬ 
schaft einführen, nur der Bürger kann den gefallenen Bürger 
wieder in die bürgerliche Gesellschaft zurückführen! 

Director Strossen Meine Herren! Ich will über die 
Sache selbst kein Wort verlieren, ich glaube, dass die Frage 
in zahlreichen Schriften, Versammlungen und Vereinen bereits 
so eingehend erörtert wurde, dass wir uns im Grossen und 
Ganzen der genauesten Kenntniss derselben zu erfreuen haben. 
Ich empfehle die en bloc-Annahme der Thesen und wollte nur 
eine persönliche Bemerkung abmachen. 

Der Herr Referent hat meinen Namen angeführt bezüglich 
einer Aeusserung, die ich inmitten des Ausschusses gethan 
hätte; er hat sie leider mit einem Irrthum angeführt. Er sagte, 
ich hätte im Ausschüsse darauf hingewiesen, wie bedenklich, 
unangenehm und widerwärtig es sei, wenn das Arbeitsguthaben 
der entlassenen Gefangenen, wie hier vom Ausschüsse proponirt 
sei, den betreffenden Vereinen zugewiesen werde. Das ist mir 
gar nicht eingefallen! Ich habe im Ausschüsse ausdrücklich 
gesagt, es trage seine schweren Bedenken, wenn das Guthaben 
aller zu entlassenen Gefangenen, auch derjenigen, die sich 
den Vereinen gar nicht unterwerfen wollen, dem betheiligten 


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136 


Vereine oder, wie in Schlesien, den dortigen Kirchenvorständen 
zugesendet werde. Dann wird das für die Betheiligten, die 
dieses Guthaben annehmen und auszahlen sollen, oft eine 
ausserordentlich schwierige Last, und das ist namentlich in 
Schlesien in zahlreichen Fällen erwiesen. Dagegen verstand 
es sich von selbst, dass das Guthaben derjenigen Gefangenen, 
welche sich dem Vereine unterwerfen und dessen Fürsorge in An¬ 
spruch nehmen wollen, diesem letzteren auch zugesendet werde. 

Consistorialrath Richter: Die Thesen, die ich dringend 
zur Annahme empfehle, enthalten nichts als die allgemeinen 
Grundgedanken der Fürsorge. Und dies ist für unsere Ver¬ 
sammlung genügend. Ich warne davor, dass wir irgendwie 
schablonenmässig diese Fürsorge zu organisiren trachten; hüten 
wir uns, geehrte Freunde, davor, dass wir auch die erprobten 
Einrichtungen irgend einer Provinz oder eines Landes eo ipso 
auch auf alle anderen übertragen wollen. „Eines schickt sich 
nicht für Alle.^ Ich müsste sonst theilweise in Polemik treten 
zu dem, was von dem Herrn Vorredner für Sachsen gesagt 
worden ist. So erprobt gewisse Einrichtungen für Sachen sein 
mögen, hüten wir uns davor, sie zu schablonisiren. Ich bin 
in der Hauptsache derselben Ansicht wie der Herr Pfarrer 
Köstlin. Nicht Vereine, die oft nur auf dem Papiere stehen, 
sind die Hauptsache. Wenn Sie an die kleinen Gemeinden 
auf dem Lande denken, was sollen da Vereine? Wir haben 
ohnedies viel zu viel Vereinswesen, und ich sage daher mit 
dem HeiTn Pfarrer Köstlin; Nicht Vereine, nicht Statuten, 
sondern thun, thun und zum dritten Male thun! — Die 
Hauptsache ist — und das haben wir, Gott sei Dank, in 
Schlesien erreicht, — dass in jeder, auch in der kleinsten Ge¬ 
meinde eine Hand vorhanden ist, in die der entlassene Gefan¬ 
gene übergeht. Dort in Schlesien ist es der Gemeindekirchen¬ 
rath oder Kirchenvorstand, in dessen Hand der Gefangene 
übergeht, nota bene wenn und so weit er will. 

Was das Arbeitsguthaben anbelangt, so hat der Herr Vor¬ 
redner ganz richtig hervorgehoben, dass in Schlesien die Ueber- 
weisung des Arbeitsguthabens an den Kirchenvorstand obliga¬ 
torisch ist. Wir haben darin eine Handhabe, dass der Mann 


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137 


kommen und sich stellen muss, um wenigstens noch eine An¬ 
knüpfung zur Möglichkeit der Fürsorge zu erhalten. Wir 
haben aber in Schlesien zum Theil nicht günstige Erfahrungen 
mit dieser obligatorischen Ueberweisung der Sträflinge 
und des Arbeitsguthabens gemacht. Wenn der Arm der Liebe 
so umstrickend ist, dann ist er auch leicht erdrückend. Wohl- 
thaten dürfen nicht aufgezwungen werden, und wer die Für¬ 
sorge, die ihm freundlich angeboten wird, nicht annehmen will, 
der mag seine Haut zu Markte tragen. Für diejenigen aber, 
die sich helfen lassen wollen, muss in jeder, auch in der 
kleinsten Gemeinde Fürsorge auf die gedachte Weise getroffen 
sein. — Nehmen Sie die Resolutionen an. 

Präsident; Es ist die en bloc - Annahme der Resolution 
beantragt. Ich ersuche jene Herren, welche für die Annahme 
der Resolutionen en bloc sind, sich zu erheben. (Geschieht.) 
Die Resolutionen sind en bloc angenommen. 

Es restirt nunmehr noch die Berichterstattung über die 
Kassengebahrung des Vereines. 

Ich ersuche Herrn Justizrath Wirth, Bericht zu er¬ 
statten. 

Geheimer Justizrath Wirth: Ihr Ausschuss hat mich 
beauftragt, die Rechnungen des Vereines für die Jahre 1880 
bis 1882 zu prüfen. Ich habe mich dieser Aufgabe unter¬ 
zogen, habe die Rechnungen revidirt und richtig befunden. 
Ich muss zugleich constatiren, dass die Kassenverwaltung nicht 
blos sorgsam, sondern auch sehr sparsam ist. Das ist der 
Grund, warum wir in der Rechnung pro 1883 einen Kassen¬ 
rest von 1191 JL nachweisen können. Ich beantrage daher, 
dem Ausschüsse das Absoluterium zu ertheilen. 

Präsident: Ich ersuche jene Herren, welche diesen 
Antrag annehmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Dieser 
Antrag ist angenommen. 

Vereinsvorstand Geheimer Rath Ekert: Ich habe ausser 
dem Vorschlag auf Ernennung der Ausschussmitglieder noch 
eine kleinere Mittheilung zu machen. 

Der Separatabdruck des Aufsatzes von Desportes über 


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— 138 — 

das Gefängnisswesen in Schweden, übersetzt von Bader, ist 
hier in der Manz’schen Buchhandlung, Kohlmarkt 7, zu haben. 

Was nun den Ausschuss anbelangt, so haben einige Herren 
gebeten, sie von ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Aus¬ 
schusses zu entheben; so insbesondere hat Herr Geheime Hof¬ 
rath Dr. Gutsch, der früher in Bruchsal war, sich aber jetzt 
pensioniren liess und in Karlsruhe lebt, den Wunsch ausge¬ 
sprochen, nachdem er aus der Strafanstaltspraxis ausgetreten, 
von der Stelle eines Ausschussmitgliedes enthoben zu werden. 
Ferner wünschte seine Enthebung Herr Oberjustizrath Wullen 
in Gotteszell wegen vorgerückten Alters und weil er künftig 
einer Versammlung wohl nicht mehr anwohnen könne. Endlich 
zeigte seinen Austritt an der in Pensionsstand gesetzte Herr 
Strafanstaltsdirector Dragic in Laibach. Demnach wären drei 
Mitglieder zu ernennen und der Ausschuss schlägt als Ersatz 
vor die Herren Staatsanwalt Zatschek in Pilsen, Director 
Köstlin in Heilbronn und Pfarrer Krauss in Freiburg. 
Demnach würde der Vorschlag auf Ernennung der Ausschuss¬ 
mitglieder folgendermassen lauten (liest): 

Geh. Regierungsrath Director d’Alinge (Zwickau), Di¬ 
rector Bracker (Plassenburg), Director Eichrodt (Bruchsal), 
Geh. Rath Director Ekert (Freiburg), Director Köstlin 
(Heilbronn), Pfarrer Krauss (Freiburg), Director Krohne 
(Berlin), Director Langreuter (Vechta), Geh. Regierungs¬ 
rath Lütgen (Hannover), Sanitätsrath Dr. Marcard (Celle), 
Director Miglitz (Karlau bei Graz), Pfarrer Scheffer 
(Boppard), General-Staatsanwalt von Schwarze (Dresden), 
Pfarrer Spengler (Bruchsal), Director Streng (Hamburg), 
Director Strosser (Münster), Geh. Justizrath Director Wirth 
(Berlin) und Staatsanwalt Zatschek (Pilsen). 

Präsident: Wenn kein Einspruch erhoben wird, nehme 
ich an, dass die Versammlung dem eben verlesenen Vorschlag 
ihre Zustimmung ertheilt. (Niemand meldet sich.) 

Ich erkläre somit nun die Verhandlung für geschlossen 
und ertheile auf dessen Ansuchen dem Herrn Vicepräsidenten 
Geh. Ober-Justizrath Starke das Wort. 

Vicepräsident Geheimer Ober-Justizrath Starke: Meine 


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139 


Herren! Die geschäftlichen Erörterungen unserer Versammlung 
sind beendet und in wenigen Stunden werden diejenigen, die 
von auswärts hieher gekommen sind, wohl nach allen Wind¬ 
richtungen auseinander gehen. Allein es drängt mich, noch 
ein Wort an Sie zu richten ohne Mandat und doch, wie ich 
glaube, aus dem Herzen Aller heraus. 

Unter dem segensreichen Scepter seiner k. k. ap. Majestät 
.des Kaisers Franz Joseph I. (die Versammlung erhebt sich) 
ist, um der Justizverwaltung eine wahrhaft würdige Stätte zu 
schaflFen, der prächtige Palast entstanden, in dem wir getagt 
haben. Uns ist die hohe Auszeichnung zu Theil geworden, 
xins hier zu versammeln an der Stätte, welche bestimmt ist, 
das Recht zu fördern, und was wir im Gebiete des Strafvoll¬ 
zugs thun, ist ja recht eigentlich Rechtspflege. Aber nicht 
blos, dass wir uns hier in diesem Gebäude versammeln durften, 
nein! unsere Versammlung war in diesen Saal berufen, der 
seinen festlichen Charakter dadurch erkennen lässt, dass als 
ein edler, künstlicher Schmuck die Bildnisse des hohen Herr¬ 
scherpaares in ihm prangen! 

Als mir gestern die Ehre zutheil wurde, vor Sr. Majestät 
erscheinen zu dürfen, war es wahrhaft wohlthuend und herz¬ 
erquickend, aus seinem Munde zu hören, welch’ warmes Ge¬ 
fühl er auch denjenigen, welche die Verbrecherlaufbahn be¬ 
treten haben, zuwendet, mit welchem Interesse er die hiesige 
Versammlung dieses Vereines begleitet! 

Meine Herren! Ich darf mich jedes weiteren Wortes ent¬ 
halten, aber es drängt mich zu der Aufforderung, mit mir zu 
rufen: Seine k. k. ap. Majestät Kaiser Franz Joseph I., er 
lebe hoch, hoch, hoch! (Die Versammlung bringt ein drei¬ 
maliges begeistertes Hoch aus.) 

Und nun, meine Herren, noch ein hieran sich unmittelbar 
anschliessendes Wort. Wir sind lediglich Mitglieder eines 
Privatvereins, nicht Delegirte von Regierungen, wir haben 
nichts mit politischen Dingen zu thun und ebenso wenig haben 
wir in amtlicher Eigenschaft hier fungirt: und dennoch ist uns 
die Auszeichnung der Gönnerschaft zu Theil geworden, welche 
der Chef der Justizverwaltung dieses Landes unserer Ver¬ 
sammlung entgegengetragen hat, die er bethätigt hat, indem 


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140 


persönlich in unseren Versammlungen erschien und um auch 
dessen nicht zu vergessen, die Gastlichkeit dieses schönen 
Landes für uns walten Hess, eine Gastlichkeit, die wir noch 
geniessen sollten bis auf den Kahlenberg hinauf. Auch ihm 
wollen wir unseren ehrerbietigen Dank spenden. (Die Ver¬ 
sammlung stimmt bei.) 

Director Krohne: Gestatten Sie einem homo ex plebe, 
dass ich in Ihrer aller Namen unserem hochverehrten Präsi¬ 
denten und denjenigen, welche ihn unterstützt haben in seinem 
schweren Amte, unseren verbindlichsten und aufrichtigsten Dank 
sage. Wir haben uns unter Ihrem Scepter, Herr Präsident, 
sehr wohl gefühlt. Sie haben es nicht zu scharf über uns ge¬ 
schwungen, und wenn unsere Versammlungen so glatt und, 
wie ich glaube, erfolgreich verlaufen sind, so haben wir das 
zum guten Theil Ihrer freundlichen Leitung und gütigen Nach¬ 
sicht zu danken. (Die Versammlung stimmt bei.) 

Präsident: Meine Herren! Es war mir eine grosse 
Befriedigung, an Ihren Verhandlungen mitwirken zu können. 
Sie haben mir meine Aufgabe sehr leicht gemacht, und ich 
danke für die von mir vielfach in Anspruch genommene und 
von Ihnen in liebenswürdigster Weise geübte Nachsicht. Ich 
bin der Ueberzeugung, dass die hier gesprochenen Worte das 
in unserem Lande noch häufig fehlende Interesse für das Ge- 
fängnisswesen vielfach anregen werden, dass sie beitragen 
werden, so manche irrige Anschauung über die Art des Voll¬ 
zuges der Freiheitsstrafen zu berichtigen und namentlich über 
den vermeintlichen Hyperhumanismus, welcher in den Straf¬ 
anstalten getrieben werden soll. Ich bin der Ueberzeugung, dass 
sie beitragen werden, die Erkenntniss zu verbreiten von der 
hohen Wichtigkeit und zugleich Schwierigkeit des Gefangniss- 
dienstes, von der Nothwendigkeit der möglichsten Ausdehnung 
der Einzelhaft, aber auch von der Unerlässlichkeit der möglichst 
zahlreichen Organisirung von Schutz vereinen für Entlassene. 

In dieser Ueberzeugung und mit dem Wunsche, dass wir 
uns bei der nächsten Versammlung Alle wohl und wohlgemuth 
Wiedersehen, erkläre ich die Versammlung für geschlossen. 

(Schluss der Versammlung 12 Uhr 15 Minuten.) 


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Beilage i. 


Programm 

zugleich als 

Einladung 

zur 

YersannDlnng des Vereins der dentschen Strafanstaltsbeamten 

in 

Wien 

17. bis 21. September 1883. 

X 

-- 

Montag, den 17. September, 

Nachmittags 4- Uhr: 

Sitzung des Ausschusses im Justizpalast (Amalien¬ 
strasse 7). 

Tagesordnung: 1. Summarischer Geschäftsbericht, erstattet 
von Director Ekert. 2. RechnungsVorlage. 3. Berathung und 
Beschlussfassung über etwaige Anträge auf Aenderung der 
Vereinssatzungen. 4. Berathung über den Vorschlag eines Vor¬ 
sitzenden für die Versammlung. 5. Berathung und Festsetzung 
der, der Versammlung vorzuschlagenden Thesen. 6. Feststellung 
der Sitzungszeit zur Fortberathung am 18. und 19. September. 

Donnerstag, den 20. September, 

Vormittags 9 Uhr: 

Erste Hauptversammlung im Justizpalast (Amalien¬ 
strasse 7). 

Tagesordnung: 1 . Begrüssung der Versammlung. 2. Wahl 
eines Vorsitzenden und Ernennung seiner Stellvertreter 
und der Schriftführer. 3. Summarischer Geschäfts¬ 
bericht, erstattet von Director Ekert. 4. Kechnungs- 
vorlage. 5. Vortrag des Geheimen Justizraths Wirth über 


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142 




die Entwicklung des Gefängnisswesens Deutschlands 
und Oesterreichs in Theorie und Praxis in der neuern Zeit. 
6. Berathung und Beschlussfassung über die vom Ausschuss 
vorzuschlagenden Thesen. 

Freitag, den 21. September, 

Vormittags 8 Uhr: 

Versammlung des Ausschusses mit dem Vorsitzenden 
im Justizpalast zur Feststellung des Vorschlags der Aus¬ 
schussmitglieder. 

Vormittags 9 Uhr: 

Zweite Hauptversammlung. 

Tagesordnung: 1 . Berathung und Beschlussfassung über 
die vom Ausschuss vorzuscblagenden Thesen. 2. Wahl des 
Ausschusses. 


Verhandlnngsgegenstände 

für die beiden Hauptversammlung^en. 

1 . 

Nach welchen Grundsätzen sollen die Arbeitsbeloh¬ 
nungen an Gefangene gewährt werden, insbesondere auch in 
welcher Höhe, und soll dabei eine Rücksichtnahme auch auf 
das Verhalten des Gefangenen am Strafort stattfinden? Soll 
eine ganze oder theilweise Einziehung des Arbeitsguthabens 
stattfinden können? 

(Gutachten vom Geh.Regierungsrath Lütgen XVII. S.82, 
vom Geh. Justizrath Wirth S. 108, von Director Miglitz 
S. 123. Frühere Gutachten von Lütgen IX. 4. S. 337, 
von Miglitz IX. 2. S. 212, von Sichart XI. 1.2. S. 1. 
— vgl. auch Leutritz XVII. 3. S. 233 und XI. 1. 2. 
S. 27.) Referenten: Geh. Regierungsrath Lütgen und 
Director T a u ff e r. 

II. 

Nach welchen Normalbedingungen soll der Bau von 
Zellengefängnissen stattfinden? 

(Gutachten von Staatsanwalt Zatschek XVII. 1.2. S. 89, 
von Director Kr oh ne XVII. 4. S.297, vgl. noch X VH. 1.2. 
S. 1 u. XIV. 1.2. S. 107.) Referent: Director Krohne. 


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143 


m. 

Wie soll nach neuestem Stande der Wissenschaft und Praxis 
für die geistesgestörten Verbrecher gesorgt werden? 
Sind eigene Anstalten oder Annexe von Straf- oder aber 
von Irrenanstalten vorzuziehen? Wie wären solche einzu¬ 
richten ? 

(Gutachten vonDr. Knecht XVIL 1.2. S. 142, Dr. Find er 
S. 159, von Geh. Hofrath Dr. Gutsch XVIL 3. S. 193. 
Frühere Gutachten von Geh. Hofrath Dr. Gutsch IX. 1, 
S. 23, Geh. Sanitätsrath Dr. Delbrück IX. 2. S. 113, 
Sanitätsrath Dr. Bär IX. 2. S. 145, sodann Mitheilung 
von Dr. Knecht XV. S. 206, ferner XI. S. 94. 98. 309. 
Berliner Versammlung X. S. 5.) Referent: Geh. Hofrath 
Dr. Gutsch. 

IV. 

Auf welche Art sollen die Schutz vereine für Straf¬ 
gefangene eingerichtet sein; soll sich insbesondere die Unter¬ 
stützung auch auf die Angehörigen der Gefangenen während 
der Strafhaft beziehen, und was ist zu thun, um die Vereins- 
thätigkeit für die Bezirke wach zu halten, wo solche seltener 
begehrt wird? 

(Gutachten von Pfarrer Krauss XVIL S. 172; vgl. 
XV. S. 272. 286. 306.) Referenten: Decan und Pfarrer 
Götzinger und Pfarrer Krauss. 


V. 

Soll die Verabfolgung von Extragenüssen (Lebens¬ 
mittel, Schnupftabak u. dgl.), das Halten von Vögeln, Blumen 
u. s.w. an Gefangene gestattet werden? 

(Gutachten von Director Sic hart IX. 4. S. 383.) Refe¬ 
renten Pastor Scheffer und Director Miglitz. 


Mittwoch, den 19. September, 

Abends: 

Zwanglose Zusammenkunft zur gegenseitigen Be- 
grüssung im Caß Ronacher, Schottenbastei 3. 


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144 


Donnerstag, den 20. September, 

Nachmittags: 

Besichtigung des Landesgerichts für Strafsachen nebst 
Schwurgerichtslocalitäten. 

Freitag, den 21. September, 

Nachmittags 3 Uhr: 

Fahrt mit Separatzug auf den Kahlenberg. — Goüter 
dortselbst. _ 

Der Besuch der k.k. Strafanstalten wird den Mit¬ 
gliedern ermöglicht werden; ebenso die Besichtigung der 
monumentalen Bauten, der historischen und electrischen Aus¬ 
stellung U.8.W. in Wien. 

Das Nähere bezüglich der Versammlungslocale u. s. w. 
wird noch bekannt gegeben. 

Der Ausschuss versammelt sich zur Vorberathung schon 
am 17. September. Seine Mitglieder sind eingeladen, Wohnung 
im Hdtel de France, Schottenring S, zu nehmen. 

Das Anmelde- und Auskunftsbureau befindet sich 
im Justizpalast und ist zunächst am 18. und 19. Septbr., Vor¬ 
mittags 10—12 Uhr geöffnet. Die Theilnehmer werden gebeten, 
sich dort möglichst zeitig einzuschreiben. Für Bestreitung 
allgemeiner Kosten ist hierbei der Betrag von 3 ^ (1V 2 A*) 
gegen Aushändigung der Mitgliedskarte zu entrichten. 

Zu Wohnungen werden empfohlen: Hdtel Meissl-Schaden, 
Kärtnerstrasse, Hdtel Klomser, Herrengasse 19, Hdtel König von 
Ungarn, Schulerstrasse 10, diese 3 höheren Ranges; Hdtel Hötter, 
Burggasse 2, Hdtel de France, Schottenring 3, Hdtel Schlössl, 
Schlösslgasse 3 und Florianigasse. 

Zu gemeinsamer Zusammenkunft, insbesondere Mit¬ 
tags, Restauration Ronacher, Schottenbastei 3. 

Freiburg i. Br., im August 1883. 

Der Vereinsausschuss. 

Ekert, 

Geheimerath und Gefängnissdirector. 


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Beilage H. 


Yerzeichniss der Theilnehmer 

an der 

Yersanunlimg des Vereins der dentschen Strafanstältsbeamten 

zu Wien 

am SO. und Sl. September 1883. 

-H—H- 

Bässler, Inspector der Strafanstalt in Nossen. 

Bes81er, Pastor und Dirigent der Weiberstrafanstalt Voigtsberg. 
Bettelheim, Dr., Hausarzt der kgl. ung. Strafanstalt LipotvAr (Ungarn). 
Bracker, Director am Zuchthause Plussenburg. 

Breidler, Dirigent der k. k. Strafanstalt in Suben. 

Brinzinger, Kaplan, kath. Hausgeistlicher des Zuchthauses Stuttgart. 
Burkhardt, Gefängniss-Director in Dresden. 

Cermak, k. k. Strafanstalts-Director in Karthaus. 

Gruse, Strafanstaltsdirector in Wolfenbüttel. 

Dil ln er, Geistlicher des Zuchthauses Hoheneck. 

Khrensberger, Regierungs-Rath und Gefängniss-Director in Rebdorf. 
Eign, Verwalter des Zellengefängnisses Nürnberg. 

Ekert, Geheimerath und Landesgefängniss-Director in Freiburg. 

Feiner, Ministerial-Rath im k. k. Justiz-Ministerium in Wien. 

Franke, Strafanstalts-Director in Coswig. 

Födransperg, k. k. Oberstaatsanwalts-Stellvertreter in Wien. 

Gennat, Ober-Inspector des Strafgefängnisses Plötzensee bei Berlin. 
Giuliani, Sections-Ghef im k. k. Justiz-Ministerium in Wien. 
Gleispach, k. k. Oberstaatsanwalt in Graz. 

Götzinger, Strafanstalts-Geistlicher in Langenbrücken. 
Grinzenberger, k. k. Landesgerichtsrath in Wien. 

Hattingberg, k. k. Hofrath und Ober-Staatsanwalt in Wien. 
Hierling, L.-R.-Assessor a.D., Director der Gefängpissanst Ichtershausen. 
Hohlfeld, Anstalts-Dirigent in Grünhain. 

Illing, Geh. Ober-Regierungs-Rath in Berlin. 

Jung, Pfarrer am Strafgefängnisse zu Plötzensee bei Berlin. 

Kallina, Strafanstalts-Director in Gross-Salze. 

Blätter für Qefängnieekunde. XIX. IQ 


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146 


KiiiEl, erster Seelsorger der k. k. Strafanstalt Stein a. d. Donau. 

Környei, Adrocat in Budapest. 

Köstlin, Adolf, Pfarrer und ev. Geistlicher des Zuchthauses Stuttgart. 
Köstlin, Karl, Strafanstalts-Direotor in Heilhronn. 

Köstlin, Theodor, Oberstaatsanwalt und Director des Strafanstalten- 
CoUegiums in Stuttgart. 

Knapp, Dr., Strafanstalts-Arst in Ludwigshurg. 

Krau pal, Strafanstalts-Director in Müran. 

Kraues, Pfarrer und Strafanstalts-Geistlicher in Freiburg. 

Kr ohne, Strafanstalts-Director in Berlin. 

Kukula, Dr., k. k. Strafanstalts-Arzt in Karthaus. 

Langreuter, Strafanstalts-Director in Vechta. 

Leffler, Strafanstalts-Director in Kaiserslautern. 

Lindner, Gefangenanstalts-Verwalter in Amberg. 

Lotichius, Regierungs-Assessor in Dresden. 

Lütgen, Geh. Regierungs-Rath in Hannover. 

Mahn, Anstalts-Geistlicher des Zuchthauses in Waldheim. 

Marcard, Dr., Strafanstalts-Arzt in Gelle. 

Maresch, Strafanstalts-Geistlicher in Gollnow. 

Matz, Ober-Inspector am Untersuchungs-Gefängniss Berlin. 

Mekiska, k. k. Strafanstalts-Director in Stein a.d. Donau» 

Miglitz, k. k. Strafanstalts-Director in Graz. 

Morgenstern, Dr., Hausarzt der nied.-Öst. Landes-Zwangsarheitsanstalt 
in Weinbaus hei Wien. 

P eis er, k. k. Staatsanwalt in Wien. 

Pf aller, Lehrer des Arbeitshauses in Rebdorf. 

Pichs, Ministerialrath im k. k. Justiz-Ministerium in Wien. 

Pinder, Dr., Hausarzt der k. k. Strafanstalt Garlau bei Graz. 

Powalatz, Adjunct der k. k. Strafanstalt Stein a. d. Donau. 

Pracht, Lehrer des Zellengefängnisses Nürnberg. 

Rabel, Hof- und Gerichts-Advocat in Wien. 

Reche, k. k. Strafanstalts-Director in Garsten. 

Reich, Inspector der Strafanstalt Zwickau. 

Richter, Gonsistorialrath und Militär-Oberpfarrer, Delegirter des Ge- 
fängnissvereins für Schlesien und Posen in Breslau. 

Rosenbaum, Director der nied.-öst. Landes - Zwangsarbeitsanstalt in 
Weinbaus bei Wien. 

Sahljaok, Official der Strafanstalt Lepoglava. 

Sacken, Sections-Ghef im k. k. Justiz-Ministerium in Wien. 

Scheitz, k. k« Staatsanwalt in Komeuburg. 

Schnabl, Director der k. k. Männer-Strafanstalt in Pilsen. 

Schnepel. Director der Strafanstalt Oslebshausen. 

Schwaiger, k. k. Landesgerichts-Präsident in Wien. 

Seeberger, Hausgeistlicher des Arbeitshauses Rebdorf. 

Seydel, k. k. Staatsanwalts-^Substitut in Komeuburg. 


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147 


Sorg, kath. Pfarrer am Zuchthause zu Plassenhurg. 

Starke, Geh. Ober-Justizrath in Berlin. 

Strebei, ev. Pfarrer, Geistlicher des Landesgefängnisses Schwäb. Hall. 
Strosser, Director der Strafanstalt Münster. 

Szabo, Landesstrafanstalts-Director in Lipotv4r a. d. Waag. 

Ta uff er, Strafanstalts-Director in Lepoglava. 

Teisler, Inspector des Landesgerichts-Gefängnisses Wiesbaden. 

Thal 1er, Dr., Gefangenanstalts-Arzt in Niederschönfeld bei Hain. 

U11 mann, Regierungsrath und Professor in Innsbruck. 

Varga, Strafhaus-Director in Väcz (Ungarn). 

Vulmahn, Ober-Inspector des Zellengefängnisses in Hannover. 
Wahlberg, k.k. Hofrath und ord. österr. Universitäts-Professor in Wien. 
Wirth, Geh. Justizrath und Director des Strafgefängnisses in Plötzensee 
bei Berlin. 

Zatschek, k. k. Staatsanwalt in Pilsen. 

Zdarsky, Lehrer der k.k. Strafanstalt Stein a. d. Donau. 

Zieglauer, Zuchthaus-Director in Wasserburg am Inn. 

Ziem, Strafanstalts-Inspector in Gollnow. 


BUreau 

der 

1883er Versammlung in Wien. 

-Ä- 

Ehrenpräsident: Minister und Leiter des Justiz-Ministeriums 
Dr. Frhr. von Prazak, Excellenz, Wien. 

Präsident: Oberstaatsanwalt Hofrath v. Hattingberg, Wien. 
Vicepräsidenten: Geh. Ober-Justizrath Dr. Starke aus Berlin. 

K.k. Hofrath u. Prof. Dr. v. Wahlberg aus Wien. 
Geheimer Ober-Regierungsrath Illing aus Berlin. 
Oberstaatsanwalt Köstlin aus Stuttgart. 
Schriftführer: Staatsanwalt Scheitz aus Korneuburg. 

Pfarrer Krauss aus Freiburg i. Br. 


10 * 


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Beilage 4. 


Zusammenstellung 

der 

Beschlüsse der 1883er Versammlung 

in Wien. 

-h-4- 

a. Vom 20. September: 

I. Fürsorge für geistesgestörte Verbrecher betr. 

Sträflinge, welche in Geistesstörung verfallen, sind mög¬ 
lichst bald einem Heilverfahren zu unterziehen. Die Errichtung 
eigener Anstalten zu diesem Behufe ist nicht ausführbar. 
Geisteskranke leichteren Grades und Schwachsinnige können 
in den Lazarethen der Strafanstalten bewahrt werden, die zu 
diesem Zwecke mit den erforderlichen Vorkehrungen zur 
Sicherung und Heilung zu versehen sind. 

II. Bau von Zellengefängnissen betr. 

Es wird eine Commission von 7 Personen zur Feststellung 
der Normalbedingungen, nach welchen Zellengefängnisse zu 
bauen und einzurichten sind, eingesetzt. Die Commission hat 
ihre Arbeiten binnen Jahresfrist zu vollenden und werden die¬ 
selben im Vereinsorgan zur Veröflfentlichung gelangen. 

III. Aenderung der Satzungen betr. 

Der § 4 der Vereinsstatuten soll dahin erweitert werden, 
dass nach den Worten „an den deutschen Universitäten“ ein¬ 
zuschalten ist; „und die Vorstandsmitglieder der Landes- bezw. 
Provinzialvereine für Gefängniss- und Schutzwesen.“ 


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iV. lieber die Extragenüsee für Gefangene. 

1. Den Sträflingen kann bei Wohlverhalten mit Bewilligung 
des Anstalts-Vorstandes die Anschaffung von Extra¬ 
genüssen gestattet werden. 

2. Als solche Extragenüsse sind allgemein gangbare, die 
Gesundheit und Ernährung fördernde Artikel zu verab¬ 
reichen. 

8. Tabak in jeder Form ist ausgeschlossen. Doch bezieht 
sich das Verbot des Tabakrauchens nicht auch auf das 
Stadium des Strafvollzuges in der Zwischenanstalt bei 
dem irischen Systeme. 

4. Bei Strafvollstreckung in Einzelhaft kann das Halten 
eines Vogels oder von Blumen gestattet werden. 

5. Eine Beschaffung der Extragenüsse aus anderen Mitteln 
als der Arbeitsbelohnung ist unzulässig. Eine Ausnahme 
hievon darf nur in denjenigen Strafanstalten stattfinden, 
wo die Beköstigungs-Ordnung die Verabfolgung von 
Speisenzulagen oder einer besseren Kost an Reconvales- 
centen oder Sieche nicht gestattet. 

b. Vom 2i, September: 

V. lieber die Arbeitsbelohnungen für Gefangene. 

1. Der Ertrag der Arbeit jener Gefangenen, die zu einer 
mit Verpflichtung zur Arbeit verbundenen Strafe ver- 
urtheilt sind, fliesst zur Staatskasse. 

2. Die Arbeitsgeschenke sind nach Massgabe der Arbeits¬ 
leistungen und des dabei angewendeten Fleisses des Ge¬ 
fangenen am Straforte zu bestimmen. Es ist aber zu¬ 
lässig, für Vergehen des Gefangenen als selbstständige 
Strafe oder Straffolge, sowie auch für schlechtes Beneh¬ 
men das Guthaben der Arbeitsgeschenke ganz oder theil- 
weise einzuziehen oder auch solche für eine bestimmte 
Zeit nicht zu gewähren. 

3. Die Arbeitsgeschenke für Gefangene eines und desselben 
Landes sollen thunlichst gleichmässig bemessen werden. 


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Vi. Das Schutzwesen für entlassene Gefangene betr. 

1. Die Schutzfiirsorge für entlassene Gefangene erscheint als 
eine dringende sociale Aufgabe. Ihre Nothwendigkeit ist 
im Interesse des Staates wie der gesammten freien Be¬ 
völkerung begründet. 

Die Versammlung der deutschen Strafanstaltsbeamten 
begrüsst daher mit Freude alle Bestrebungen und Er¬ 
folge auf diesem Gebiete charitativen Wirkens, wie die¬ 
selben zu Tage treten in der Errichtung von Asylen für 
Obdachlose, Arbeiter-Colonien, Besserungs-Anstalten für 
verkommene Jugendliche, Zufluchtsstätten für gefallene 
Frauenspersonen, Herbergen, Vereine gegen Bettel und 
Vagabundage u. dgl. m. 

Als weiteres, sehr wirksames Mittel zur Fürsorge für 
entlassene Gefangene betrachtet sie aber auch diejjrün- 
dung von Schutz verein en. 

2. Die Schutzvereine haben den Zweck, solchen entlassenen 
Gefangenen, welche würdig und gewillt sind, ein ehrbares 
Fortkommen zu suchen, den Wiedereintritt in die bürger¬ 
liche Gesellschaft durch materielle und moralische Unter¬ 
stützung zu ermöglichen. Zugleich ist es wünschens- 
werth, dass sich die Fürsorge auch auf die An¬ 
gehörigen der Gefangenen während der Strafzeit 
ausdehne. 

3. Die Schutz vereine, als Zweig der freiwilligen öffentlichen 
Wohlthätigkeitspflege, üben ihre Thätigkeit unter Mit¬ 
wirkung und Beihilfe des Staates, der Kirche und des 
freien Bürgerthumes aus. 

Die Vereine müssen einen steten, unmittelbaren Ver¬ 
kehr mit den Strafvollzugsbehörden (Anstaltsverwaltungen) 
unterhalten, von welchen ihnen in der Regel die Objecte 
der Fürsorge mit zweckdienlichen Anträgen überwiesen 
werden. 

Es ist wünschenswerth, dass das Arbeitsguthaben 
eines jeden Gefangenen, der sich dem Schutze eines Ver¬ 
eines unterstellt, bei seiner Entlassung an letzteren zur 


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151 


entsprechenden Verwendung für den Schützling über¬ 
sendet wird. 

4. Es empfiehlt sich, zur Erhaltung eines regen Vereins¬ 
lebens und gleichartigen Verfahrens das Schutz wesen in 
den einzelnen Provinzen bezw. Ländern möglichst zu 
centralisiren. 


Vli. Den Ausschuss betr. 

Die Versammlung ernennt zu Mitgliedern des Ausschusses 
die Herren: 

d’Alinge, Geheimer Regierungs-Rath, Director der Straf¬ 
anstalt Zwickau. 

Bracker, Director des Zuchthauses Plassenburg. 

Eichrodt, Director des Männerzuchthauses Bruchsal. 

Ekert, Geheimerath und Director des Landesgef. Freiburg. 
Köstlin, Director des Zellengefangnisses Heilbronn. 

Krauss, Pfarrer, kath. Geistlicher des Landesgef. Freiburg. 
Kr ohne, Director der Strafanstalt Moabit (Berlin). 
Langreuter, Director der Strafanstalt Vechta. 

Lütgen, Geh. Regierungs-Rath im Oberpräsidium Hannover. 
Marcard, Dr., Sanitätsrath, Arzt der Strafanstalt Celle. 
Miglitz, Director der Strafanstalt Carlau bei Gratz. 
Scheffer, Pfarrer in Boppard a.Rh. 

Schwarze, Dr. von, Generalstaatsanwalt in Dresden. 
Spengler, Pfarrer, ev. Geistlicher der Strafanstalten Bruchsal. 
Streng, Director der Gefängniss-Anstalten Hamburg. 
Strosser, Director der Strafanstalt Münster. 

Wirth, Geh. Justizrath, Director des Strafgefangn. Plötzensee 
bei Berlin N.W. 

Zatachek, Staatsanwalt in Pilsen. 


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Inhalt. 


Yerhandlungen der Versammlung des Vereins der deutschen Straf¬ 
anstaltsbeamten in Wien 17.—21. Sept. 1883: 

I. Vorbericht. 

n. Erste Sitzung, 20. September . 

1. Begrüssung der Versammlung durch Se. Excellens den 
Justisminister Dr. Freiherr v. Prazak . 

2. Wahl des Bflreaus. 

3. Vortrag des Geh. Justizraths Wirth über die Entwick- 

' lung des Gefängniss^vesens Deutschlands u. Oesterreichs 

4. Geschäftsbericht. 

5. Verhandlungen über die Fürsorge für geistesgestörte Ver¬ 
brecher . 

6. Desgl. über den Bau von Zellongefängnissen • 

7. Desgl. über Aenderung der Satzungen .... 

8. DesgL über die Extragenüsse etc. an Gefangene 

III. Zweite Sitzung, 21. September. 

9. Verhandlungen über die Arbeitsbelohnnngen 

10. Desgl. über das Schutzwesen für entlassene Gefangene . 

11. Wahl des Ausschusses. 

IV. Beilagen: 

1. Programm der Versammlung. 

2. Verzeichniss der Theilnehmer. 

3. Büreau der Versammlung. 

4. Verzeichniss der Beschlüsse . * • r . . 


Seite 


V 

1 

1 

2.3 

3 

ÖO 

20 

44 

49 

54 

80 

80 

118 

138 

141 

145 

147 

148 


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im Jahre 1883. 


Von Director Streng. 


An das Gefängniss stellt unsere Zeit grosse Anforderungen. 
Der Polizei so unentbehrlich wie der Justiz, ist seine Aufgabe 
unter beiden Gewalten verschieden. Der individualisirende 
Strafvollzug im Zellengefängniss verfolgt andere Zwecke als 
die für den Augenblick berechnete Verwahrung im Polizei- 
gefängniss, das mitunter aus Verlegenheiten zu helfen und 
Jeden aufzunehmen hat, den man sonst nicht gut unterzubrin¬ 
gen weiss. Seit Justiz und Verwaltung getrennt ihre eigenen 
Wege gehen, ist der Ueberblick über die gesammte Aufgabe 
des Gefängnisses erschwert. Die moderne Disciplin der Ge- 
fängnisskunde beschäftigt sich vorzugsweise mit dem Straf- 
gefängniss, die in unserer Zeit so fruchtbare Statistik nicht 
minder, das Polizeigetangniss bleibt augenscheinlich publici- 
stisch vernachlässigt und mit Unrecht; es hat auch seine inter¬ 
essanten Seiten und bietet ausgiebigen Stoff für sociale Stu¬ 
dien; der hohe Gefangenenstand der Strafgefangnisse bleibt, 
was die Kopfzahl anlangt, weit unter dem Polizeigefängniss, 
das seine massenhaften Zugänge nur durch ebenso massen¬ 
hafte wie rasche Entleerung bewältigen kann. 

Die Verwaltung der Gefängnisse liegt in Hamburg in 
einer Hand. Die Strafgefängnisse, das Untersuchungsgefängniss, 
die Correctionsanstalt und die zur Aufnahme der polizeilichen 
Arrestanten dienenden Gefängnisse sind alle der Gefängniss- 

Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 11 


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156 



direction unterstellt Die Arbeitstheilung, welche den öffent¬ 
lichen Dienst so gut wie die Industrie beherrscht, ist in kleinen 
Staaten weniger nothwendig. Der geringe Umfang der ein¬ 
zelnen Dienstzweige gestattet Zusammenlegung verschiedener 
nicht zusammengehöriger, aber verwandter Aufgaben. Ver¬ 
brechen und Selbstmord stehen mit Armuth und Noth in 
innerem Zusammenhang. Es ist deshalb keine ganz willkür¬ 
liche Verbindung von Geschäften, wenn der Gefängnissdirection 
in Hamburg auch die Verwaltung eines mit einem Gefängnisse 
räumlich verbundenen Lazareths unterstellt ist, welches zur 
Aufnahme von Personen dient, die, in besonderer Nothlage 
befindlich, von der Polizei rasch unterzubringen sind. An¬ 
hängsel dieses Lazareths bilden die Morgue zur Aufnahme 
der Leichen von Selbstmördern und verunglückten Personen, 
sowie die Reinigungsanstalt, in welcher alle von der Polizei 
aufgegriffenen als unrein verdächtigen Personen vor der Vor¬ 
führung gereinigt werden und so selbst im Falle sofortiger 
Wiederentlassung reiner, wenn auch nur äusserlich gereinigt, 
in die Gesellschaft zurücktreten. 

Hamburg ist zugleich Kleinstaat und Grossstadt. Sociale 
Verhältnisse, die sich nur in grossen Staaten entwickeln können, 
gestalten sich hier auf eng begrenztem Gebiet übersichtlicher 
und klarer. Dies gilt nicht allein von der eigentlichen Auf¬ 
gabe der Gefangnissverwaltung, sondern auch von ihrem Zu¬ 
sammenhang mit andern Zweigen der öffentlichen Verwaltung. 
Die oberste Leitung der Gefängnissverwaltung liegt in Händen 
der Gefängnissdeputation, eines nach dem Prinzip der Selbst¬ 
verwaltung aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft 
zusammengesetzten Collegiums, dem auch die Verwaltung des 
Werk- und Armenhauses unterstellt ist. Das Werk- und 
Armenhaus beherbergt bei einer durchschnittlichen Bevölkerung 
von beiläufig 1500 Köpfen neben altersschwachen, kranken, 
siechen und arbeitsunfähigen Personen eine nicht unerhebliche 
Zahl freiwilliger Corrigenden, Personen, die auf Antrag ihrer 
Eltern und Vormünder auf bestimmte Zeit dort untergebracht, 
durch strenge Zucht von einem arbeitsscheuen, liederlichen 
Leben auf geordnete Lebenswege zurückgeführt werden sollen. 
Das Werk- und Armenhaus dient sonach nicht ausschliessüch 


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•V 


— 157 — 

der Wohltliätigkeit, es ist auch Präventivanstalt, die in vielen 
Fällen mit Erfolg den Weg in die Gefängnisse verlegt. In 
höherem Sinne gilt dies von der früher mit dem Werk- und 
Armenhause verbundenen Schule für verwahrloste Kinder. Die 
Schule wurde in jüngster Zeit in einen Neubau in Ohlsdorf 
verlegt und als staatliche Erziehungs- und Besserungsanstalt 
für 150 der Verwahrlosung ausgesetzte Kinder eröflFnet. Ge¬ 
trennt von der Gefängnissdeputation ist die Verwaltung der 
öffentlichen Armenpflege. Die Armenpflege steht in zu naher 
Wechselwirkung mit Zu- und Abnahme der Gefängnissbevöl- 
kerung, um hier übergangen werden zu können. Die öffent¬ 
liche Armenpflege Hamburgs geniesst seit langer Zeit einen 
wohlverdienten Ruf und erst in jüngster Zeit wurde ihr in 
einem durch die Zeitungen veröffentlichten Berichte eines eng¬ 
lischen Arbeiters das ehrende Lob zu Theil, dass Aergerniss 
erregende Erscheinungen von Armuth und Elend, wie sie in 
englischen Städten so häufig, in Hamburg unbekannt seien 
— ein Zeugniss, das jeder aufmerksame Beobachter bestätigen 
wird. Bei einer Seelenzahl des hamburgischen Staates von 
450,000 Einwohnern beträgt das Budget der öffentlichen Ar¬ 
menpflege IY 2 Millionen Mark. Die Zahl der auf Kosten der 
Armenpflege in den benachbarten Landdistricten, namentlich 
im Hannöverischen zur Pflege und Erziehung untergebrachten 
Kinder belief sich im verflossenen Jahre auf ca. 1400. Neben 
dieser grossartig angelegten Armenpflege besteht hier eine 
ungezählte Reihe voji Wohlthätigkeitsstiftungen und Anstalten 
theils unter öffentlicher Verwaltung, theils unter privater Lei¬ 
tung, von denen neben dem Waisenhause nur die vorzugs¬ 
weise der Erziehung verwahrloster Jugend dienenden Anstalten 
des rauhen Hauses und Pestalozzistiftes, sowie die Alsterdorfer 
Anstalten zur Unterbringung und Erziehung von Idioten er¬ 
wähnt werden sollen. 

Wo Armuth so reich unterstützt wird, ist der innere Zu¬ 
sammenhang zwischen Armuth und Verbrechen weniger be¬ 
merkbar. Der Reichthum der aufblühenden See- und Handels¬ 
stadt begünstigt eine eigenartige Entwicklung der Criminalität. 
Hamburg übertrifft an Zahl der Schenkwirthschaften alle deut¬ 
schen Städte, und in vielen Wirthschaften ist es nicht der 

11 ♦ 


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Alkohol allein, der sinnberauscbend wirkt. Deliranten sind in 
den Gefängnissen nicht selten und zeigen wie ein Theil der 
wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung 
und Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit erfolgen¬ 
den Verurtheilungen deutlich die verderblichen Wirkungen des 
Alkohols. Das genuss- und vergnügungssüchtige Leben der 
Grossstadt ist überall und auch hier ein schlüpfriger und ge¬ 
fährlicher Boden für jugendlichen Leichtsinn, der die eigent¬ 
lichen Jugendjahre mitunter bis zum redlich erreichten Schwa¬ 
benalter überdauert und auf der Jagd nach dem Vergnügen 
die Schranken der Sittlichkeit und zuletzt die des Strafgesetzes 
überspringt. Eine magnetische Anziehungskraft übt die reiche 
dicht bevölkerte Stadt auf gewohnheitsmässige Betrüger und 
Einbrecher, die in enger Verbindung mit Hehlern und Kupplern 
die Wachsamkeit und Findigkeit der Polizei in raffinirter Weise 
auf die Probe stellen. Unter den Verbrechen und Vergehen 
überwiegen in Hamburg Angriffe auf fremdes Eigenthum in 
aussergewöhnlichem Maasse. 

Inhaltlich der Protokolle der Gefängnissdeputation betrug 
die Durchschnittszahl der in den Gefängnissen vorhandenen 
Gefangenen im Jahre 1818: 230; der tägliche Durchschnitt ist 
inzwischen auf 1280 im Jahre 1879, 1725 im Jahre 1882 und 
1699 im Jahre 1883 angewachsen, d. i. von 1879 bis 1883 
eine Steigerung von 32%, während der Zuwachs der freien 
Bevölkerung nur etwas über 3% jährlich beträgt. Die Kopf¬ 
zahl der gesammten im Laufe des Jahres von den Gefäng¬ 
nissen aufgenommenen Personen lässt sich nicht genau fest¬ 
stellen, da eine und dieselbe Person wegen einer und derselben 
strafbaren Handlung als Polizei-, Untersuchungs-, Strafgefan¬ 
gener (als solcher mehrfach) und als Corrigend durch die Ge- 
fängnissanstalten gehen kann, mit jeder Verwandlung in den 
Listen unter neuer Nummer vorgetragen und bei Feststellung 
der Gesammtzahl neu gezählt werden muss. 

Der Gefangenenstand und Bewegung desselben im Jahre 
1883 zeigt folgende Zusammenstellung; 


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159 


Der Gefangenenstand betrug 

am 31. 

Dezember 

1882: 


Männer 

Weiher 

Zusammen 

Züchtlinge. 

292 

44 

336 

Gefängnisssträflinge 

387 

80 

467 

Haft- und qnalificirte Haftgefangene 

168 

33 

201 

Festungshaftgefangene 

— 

— 

— 

Untersuchungsgefangene • 

164 

33 

197 

Corrigenden . . . 

235 

58 

293 

Polizeigefangene .... 

138 

13 

151 

Civilgefangene. 

— 

— 

— 


1384 

261 

1645 

Zugang während des Jahres 1883: 



Männer 

Weiber 

Zusammen 

Züchtlinge. 

156 

25 

180 

Gefängnisssträflinge 

2177 

444 

2621 

Haft- und qualificirte Haftgefangene 

4616 

1923 

6539 

Festungshaftgefangene 

2 

— 

2 

Untersuchungsgefangene . 

2904 

381 

3285 

Corrigenden. 

644 

85 

729 

Polizeigefangene .... 

11966 

1303 

13269 

Civilgefangene. 

23 

1 

24 


22487 

4162 

26649 

Hiezu der Bestand vom 31. Dec. 1882 

1384 

261 

1645 

Im Laufe des Jahres 1883 waren detinirt 

23871 

4423 

28294 

Abgang während des Jahres 1883: 



Männer 

Weiher 

Zusammen 

Züchtlinge. 

122 

20 

142 

Gefängnisssträflinge 

2094 

440 

2534 

Haft- und qualificirte Haftgefangene 

4563 

1937 

6500 

Festungshaftgefangene 

2 

— 

2 

Untersuchungsgefangene . 

2796 

381 

3177 

Corrigenden. 

649 

83 

732 

Polizeigefangene .... 

11990 

1303 

13293 

Civilgefangene. 

23 

1 

24 


22239 

4165 

26404 


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160 


Bestand am 31. Dezember 1883: 


Züchtlinge. 

Männer 

325 

Weiher 

49 

Zusammen 

374 

Geföngnisssträflinge 

470 

84 

554 

Haft- und qualificirte Haftgefangene 

221 

19 

240 

Feetungshaftgefangene 

— 


— 

Untersuchungsgefangene . 

272 

33 

305 

Corrigenden. 

230 

60 

290 

Poliseigefangene .... 

114 

13 

127 

Givilgefangene. 

— 

— 

— 


1632 

268 

1890 


Von dem sich hienach berechnenden Gesammtgefangenen- 
stände von 28294 Köpfen entfallen auf Züchtlinge 1,8 ®/o, Ge- 
fangnisssträfllnge 10,9, Haft- und qualificirte Haftgefangene 
23,8, Untersuchungsgefangene 12,3, Corrigenden 3,4 und 
Polizeigefangene 47,8%. 

Von den am 31. Dezember 1883 vorhandenen 374 Zücht¬ 
lingen (325 Männer, 49 Weiber) waren 297 = 80% wegen Ver¬ 
brechen wider das Eigenthum, 10 wegen Meineids, 39 wegen 
Verbrechen wider die Sittlichkeit, 11 wegen Verbrechen wider 
das Leben (2 wegen Mordes, 3 wegen Tödtschlags, 2 wegen 
Kindsmordes, 4 wegen Abtreibung der Leibesfrucht), 6 wegen 
Verbrechen der Körperverletzung, 3 wegen Verbrechen im 
Amte, die übrigen wegen verschiedener Verbrechen verurtheilt; 
56 waren bei der Einlieferung ohne Vorstrafen, während ab¬ 
gesehen von leichteren Vorstrafen 74 früher schon eine, 36 
zwei, 26 drei und 13 vier und mehr Zuchthausstrafen ver- 
büsst hatten. Dem Lebensalter nach standen 28 im Alter von 
18—20 Jahren, 259 im Alter von 21—39 Jahren, 52 im Alter 
von 40—49, 19 im Alter von 50—59, 6 im Alter von 60 Jah¬ 
ren und darüber. Anlangend die Dauer der verhängten Strafe 
so haben 139 Strafen bis zu 2 Jahren, 175 von 2—5 Jahren 
und 60 Strafen von 5 Jahren und mehr, darunter 2 auf Lebens¬ 
zeit zu verbüssen. Von den am 31. Dezember 1883 vorhan¬ 
denen Züchtlingen sind 180 = 48% im Laufe des Jahres 
1883, die übrigen vor dieser Zeit eingeliefert. 

Von den am 31. Dezember 1883 vorhandenen Gefangniss- 
sträflingen waren 94% im Laufe dieses Jahres zugegangen, 


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161 


während nur 6% Zugänge aus früheren Jahren entfallen. 
Von 3088 Gefängnisssträflingen waren 7 ®/o wegen Widerstands 
gegen die Staatsgewalt, 3% wegen Verbrechen und Vergehen 
wider die Sittlichkeit, 9% wegen Körperverletzung, 60% 
wegen Verbrechen und Vergehen wider das Eigenthum, der 
Rest wegen verschiedener Reate verurtheilt. 35 % ^Ätten 
Strafen von 1—14 Tagen und 7% Strafen von über einem 
Jahre zu verbüssen. Bei der Einlieferung waren wegen Ver¬ 
brechen und Vergehen noch nicht bestraft 1603, während 26 
früher schon Zuchthausstrafen erstanden hatten. Unter den 
Gefängnisssträflingen befanden sich 435 = 14% Jugendliche 
im Sinne des Strafgesetzbuches, darunter 55 (50 Knaben und 
5 Mädchen) im Alter von 12—14 Jahren. Rechnet man hiezu 
noch 20 Knaben und 1 Mädchen, gleichfalls im Alter von 12 
bis 14 Jahren, welche mit Haft bestraft in den Gefängniss- 
anstalten untergebracht waren, so befanden sich im Ganzen 
76 Kinder in Strafhaft. Die criminelle Behandlung der Kind¬ 
heit bildet wohl den schwächsten Theil der Strafrechtspflege. 
Ein Kind, das stiehlt, wegen Diebstahls auf Grund des Straf¬ 
gesetzes zu bestrafen und die Strafe in einer Strafanstalt, 
wenngleich in gesonderter Abtheilung, zu vollstrecken, ist ein 
Widerspruch, der an dem Straforte am grellsten hervortritt, 
wo Hausordnung und Disciplinarvorschriften zwischen Erwach¬ 
senen und Jugendlichen oft in sehr wesentlichen Punkten nicht 
unterscheiden. Kinder gehören nicht in Sträflingskleider, wie 
sie Erwachsene tragen. Die Verschiedenheit der körperlichen 
und geistigen Entwicklung äussert sich auch in dem Bewusst¬ 
sein der Rechtswidrigkeit der That. Kinder von 12—14 Jahren, 
die stehlen oder andere Uebertretungen des Strafgesetzbuches 
sich zu Schulden kommen lassen, wissen zwar in der Regel, 
dass sie etwas Verbotenes thun; es fehlt ihnen aber der Ueber- 
blick über die Tragweite ihrer Handlung. Der bleibende Makel 
einer Criminalstrafe verschliesst ihnen Lebenswege, bevor sie 
für das Leben reif und einer selbstständigen Entschliessung 
fähig geworden sind. Uebertretungen der Strafgesetze an Kin¬ 
dern zu ahnden, sollte zunächst der häuslichen Zucht über¬ 
lassen werden. Fehlt die nothwendige Voraussetzung häus¬ 
licher Zucht oder ist die Verfehlung äusserlich so schwer, dass 


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im Interesse der öflFentlichen Ordnung von Staatswegen einge¬ 
schritten werden muss, so ist für Kinder, wenn sie sich noch 
so schlimm und gefährlich zeigen, Verwahrung in einer öffent¬ 
lichen Erziehungs- und Besserungsanstalt die ihrem Verschulden 
allein entsprechende Strafe. Hier kann der Versuch einer nach¬ 
träglichen Erziehung besser unternommen werden als im Straf¬ 
haus, das in Lösung erziehlicher Aufgaben nach verschiedenen 
Richtungen auf eigenthümliche Schwierigkeiten stösst. Man¬ 
gelnde Erziehung ist bei Kindern gewöhnlich die Ursache der 
Verfehlungen gegen das Strafgesetz. Der Versuch nachträg¬ 
licher Erziehung, deren Mangel dem Kinde zur Entschuldigung 
und nicht zur Belastung dienen muss, liegt hier näher als vor¬ 
zeitige Criminalstrafen, die unter der meist ganz willkürlichen 
Annahme genügender geistiger Reife und Zurechnungsfähigkeit 
nur ein weiteres Unrecht zu dem Unrecht fügen, das durch 
die verwahrloste Erziehung dem Kinde widerfahren ist. 

Unter den Haft- und qualificirten Haftgefangenen befanden 
sich 8,8 ®/o Jugendliche im Sinne des Strafgesetzbuches. Von 
den Erwachsenen standen 4,5% im Alter von 50 Jahren und 
darüber, 80% batten Strafen bis zu 14 Tagen; auf Grund des 
§ 361 Abs. 1—5 des Strafgesetzbuches waren verurtheilt wegen 
Betteins, Landstreich er ei etc. 3522 = 52%; die Zahl dieser 
Verurtheilungen ist im Vergleich mit dem Jahre 1879, wo sie 
4111 betrug, etwas zurückgegangen. 

Im Jahre 1883 sind an Strafgefangenen neu zugegangen 
180 Züchtlinge (darunter 25 Weiber), 2621 Gefängnisssträf- 
linge (444 Weiber) und 6539 mit Haft und qualificirter Haft 
bestrafte Gefangene (1923 Weiber). Entlassen wurden 142 
Züchtlinge (20 Weiber), 2534 Gefängnisssträflinge (440 Wei¬ 
ber) und 6500 mit Haft und qualificirter Haft bestrafte Ge¬ 
fangene (1937 Weiber). Unter den Entlassenen befanden sich 
7, welchen im Wege der Gnade der Rest der Strafe erlassen 
und 17, die auf Grund des § 23 des Strafgesetzbuches vor¬ 
läufig entlassen wurden. Ein Widerruf der vorläufigen Ent¬ 
lassung hat nicht stattgefunden. Die Zahl der mit Tod ab¬ 
gegangenen Strafgefangenen beträgt 24, darunter 12 Zücht¬ 
linge, 6 Gefängnisssträflinge und 6 Haft- und qualificirte Haft¬ 
gefangene. Entweichungen kamen unter den Strafgefangenen 


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163 


nicht vor. Selbstmorde sind unter dem Strafgefangenen gleich¬ 
falls nicht, im Untersuchungsgefajigniss 5 und in den städti¬ 
schen Gefängnissen 1 (polizeilich Festgenommener) zu ver¬ 
zeichnen. In die Irrenanstalt wurden 6 Züchtlinge und 3 Ge- 
fängnisssträflinge versetzt. Der Procentsatz der Todesfälle 
zum täglichen Durchschnitt sämmtlicher Gefangenen beträgt 
1,82; im Centralgefangniss 2,30; bei den Züchtlingen 3,88; in 
den städtischen Gefängnissen 1,55; im Untersuchungsgefängniss 
0,89. Der Procentsatz der Geisteskranken betrug für den 
Durchschnittsstand im Centralgefängniss 4,43, in den städtischen 
Gefängnissen 1,72, im Untersuchungsgefängniss 3,10. 

An die Strafgefangenen reihen sich am besten die Corri- 
genden an, da dieselben ausnahmslos auf Grund Beschlusses 
der Polizeibehörde in Correctionsnachhaft versetzte Straf¬ 
gefangene sind. Die Gesammtzahl der mit Correctionsnach¬ 
haft belegten Personen betrug im verflossenen Jahre 1022 
(darunter 143 Weiber), von welchen 75 % Correctionsnachhaft 
bis zu 6 Monaten zu verbüssen hatten. Unter den Corrigen- 
den befanden sich 5 % Jugendliche im Sinne des Strafgesetz¬ 
buches, welche die Correctionsnachhaft in den für jugendliche 
Strafgefangene bestimmten Räumen somit meist in Einzelhaft 
verbüssten; 10% standen im Alter von 50 Jahren und dar¬ 
über, 46 % der Corrigenden waren früher mit Correctionsnach¬ 
haft, darunter 60 schon 4—6 mal bestraft. Die Zahl der 
körperlich defekten und in der Arbeitsfähigkeit beschränkten 
Individuen ist unter den Corrigenden sehr bedeutend und in 
steter Zunahme, während die in letzter Zeit auffallende Ab¬ 
nahme körperlich kräftiger und arbeitstüchtiger Corrigenden 
unverkennbar mit der Eröffnung der Arbeitscolonien zusammen¬ 
hängt, die auch in dieser Richtung ihren wohlthätigen Einfluss 
äussern. An Zahl der zur Aufnahme von Corrigenden in den 
Anstalten verfügbaren Plätze wird Hamburg mit 14 auf 10000 
Seelen zur Zeit nur von Lübeck mit 17 übertroffen und wird 
auch diesen Vorsprung bald überholen, da Erweiterung der 
Correctionsanstalten um 200 Köpfe inzwischen nahezu voll¬ 
endet ist. 

Die grosse Zahl der Polizeigefangenen bietet bei näherer 
Betrachtung eine sehr bunte Mischung. Die vorläufige Fest- 


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164 


Dahme kann zur Ueberführung in das Untersuchungsgefängnisse 
oder zur alsbaldigen Wiederentlassung sei es mit oder ohne 
nachfolgende gerichtliche Verhandlung führen; nicht selten folgt 
ihre Einschaffung in das Lazareth oder die Irrenanstalt, mit¬ 
unter ist die polizeiliche Festnahme nur ein Akt der Fürsorge 
in besonderen Nothfällen, in welchen das Gefängniss zugleich 
naheliegendes Asyl ist. Unter den im verflossenen Jahre ein- 
gebrachten Polizeigefangenen befanden sich 1238 wegen hoch¬ 
gradiger Trunkenheit (darunter 118 Weiber) und 1338 (122 
W^eiber) wegen Obdachlosigkeit festgenommene Personen. Das 
Geld, das diese Räusche kosteten, für die Obdachlosen ver¬ 
wendet, würde viel Elend gemildert haben und die bamburgi- 
schen Gefängnisse hätten im verflossenen Jahre über 2500 
Insassen weniger zu verzeichnen. Rechnet man hie^u noch 
über 400 meist in Begleitung ihrer Mütter in polizeiliche Ver¬ 
wahrung genommene Kinder, so entziffert sich ein Contingent 
von 3000 Personen, welche aus vorwiegend polizeilichen Grün¬ 
den vorübergehend Aufnahme in den Gefängnissen gefunden 
haben, ohne mit der StraQustiz in Berührung zu kommen. 

Unter den Polizeigefangenen befanden sich 2508 == 18% 
Hamburger (dem Geburtsorte nach) und 645 = 4 % Ausländer, 
der Rest (78%) sind nach ihrem Geburtsorte Angehörige deut¬ 
scher Bundesstaaten. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei 
den Strafgefangenen, von welchen 80% dem Geburtsorte nach 
Angehörige deutscher Bundesstaaten sind. Von diesen mögen 
freilich viele den Unterstützungswohnsitz in Hamburg erlangt 
haben, immerhin lässt sich aus diesen Ziffern entnehmen, 
welche Last Hamburg Jahr aus Jahr ein an den in seinen 
Gefängnissen befindlichen Angehörigen deutscher Bundes¬ 
staaten zu tragen hat. Die mächtige Anziehungskraft, welche 
Hamburg als See- und Handelsstadt auf das Binnenland aus¬ 
übt, führt viele Arbeitskräfte hieher, die zum Theil in ihrer 
Hoffnung auf lohnende Arbeit enttäuscht, durch Mangel an 
Arbeit dem Bettel und den Gerichten verfallen. Dazu kommen 
Müssiggänger und Landstreicher und in nicht geringer Zahl, 
junge unreife Menschen, die ein etwas abenteuerlicher Sinn 
in die Welt treibt, bis sie sich, von den nothwendigsten Mit¬ 
teln entblösst, hinter Schloss und Riegel aus dem Reich der 


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165 


Phantasie sehr rasch in die nüchterne Wirklichkeit versetzt 
finden. 

Verfolgt das Polizeigefängniss auch nicht die gleichen 
Zwecke wie das Strafgefängniss, so theilt es doch mit dem¬ 
selben gemeinsame Aufgaben. Sichere Verwahrung gefähr¬ 
licher Verbrecher, die in der buntgemischten Bevölkerung nicht 
fehlen, Pflege der Gesundheit, die in oft überfüllten Bäumen 
auch ein kurzer Aufenthalt gefährdet, Vorsicht bei Unter¬ 
bringung jugendlicher Zugänge, für welche auch nur eine 
Nacht in liederlicher Umgebung nach mehr als einer Richtung 
verderblich wirken kann. Bei so massenhaften Zugängen fehlt 
es nicht an Gelegenheit zu der Obsorge für Entlassene und 
Ausübung der der Gefängnissverwaltung in erster Reihe ob¬ 
liegenden Pflicht, bei dem Uebertritt aus den Gefängnissmauern 
in das bürgerliche Leben Schwierigkeiten zu beseitigen, die 
dem nach kurzer polizeilicher Haft Entlassenen oft nicht min¬ 
der hemmend in den Weg treten wie dem Gefangenen nach 
langer Strafzeit. Neben dem Interesse, das ein Blick auf die 
Bevölkerung des Polizeigefängnisses erweckt, mag der Ueber- 
blick über die gesammte Aufgabe des Gefängnisses dazu 
beitragen, die einzelnen Aufgaben der Gefängnissverwaltung in 
das richtige Licht zu stellen und bei Lösung derselben Ein¬ 
seitigkeiten fern zu halten. 


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Entwurf von Director Tauffer in Lepoglava. 


Die nachstehenden Mittheilungen bilden einen interessan¬ 
ten Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Gefangnisswesens 
in Europa. Sie sind dem Referenten durch den ihm be¬ 
freundeten Herrn Strafanstaltsdirector Tauffer in 
Lepoglava in einem umfangreichen Manuscript zugegangen, 
aus welchem ein übersichtlicher Auszug nicht nur von den 
Lesern dieser Blätter in Oesterreich-Ungarn gerne gesehen 
werden, sondern auch in weiteren Kreisen Beachtung finden 
dürfte und zwar aus dem zweifachen Grunde, weil sie erstens 
daraus entnehmen können, wie die Civilisation eines zurück¬ 
gebliebenen Landes heutzutage auf allen Gebieten zugleich 
möglichst rasche und gründliche Arbeit zu machen bestrebt 
ist und weiterhin, weil der ausgezeichnete kroatische Fach¬ 
mann uns hier einen Plan zum denkbar billigsten Bau einer 
Strafanstalt nach den Forderungen des irischen Systemes dar¬ 
bietet. 

Der k. k. österreichisch-ungarische Reichsfinanzminister 
Benjamin v. Källay ertheilte durch den Banus von Kroatien dem 
Herrn Director Tauflfer den sehr ehrenvollen Auftrag, über die 
Verhältnisse in Bosnien durch eigene Anschauung sich zu in- 
formiren und alsdann über zwei bereits vorliegende Projecte 
zum Bau einer bosnischen Strafanstalt sein fachmännisches 
Gutachten abzugeben, event. einen neuen Vorschlag zu machen. 


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167 


Herr Tauffer verweilte denn auch, wie er schreibt, während 
des ganzen Monates August „zwischen den grünen Bergen 
Neu-Oesterreichs“ und lernte daselbst ganz ungeahnte primitive 
Verhältnisse kennen. Die Verkehrswege fand er im schlechte¬ 
sten Zustand und musste doch auf denselben herumfahren in 
Wägen mit vieleckigen Rädern, die eine Wagenschmiere nie¬ 
mals gesehen haben, so dass Leib und Seele aufs Grausamste 
durchschüttelt wurden. Die einzige Stadt, wo ein Europäer 
noch anständig leben könne, sei Sarajevo, sonst aber und 
zwar selbst in den grösseren Kreisstädten müsse man sich in 
den sog. Hotels mit Stuben als Herbergen begnügen, deren 
rohe Lehmziegelwände einen furchtbar öden Anblick gewähren 
und deren Fenster zu schliessen völlig überflüssig, weil — 
keine Scheiben darin seien. In Anbetracht dieser Umstände 
habe ich mich für den armen Freund TauflTer doch wenigstens 
darüber gefreut, dass Ziegenfleisch und schwarzer Kaffee überall 
in Hülle und Fülle vorhanden waren. 

Als Frucht seiner vierwöchentlichen Beobachtungen und 
Untersuchungen übersandte nun Tauffer einen ausführlichen 
Bericht, d. d. Lepoglava, den 3. September 1884, an Se. Exc. 
den Reichsfinanzminister und führen wir daraus Folgendes an: 

Zunächst wird gutächtlich besprochen das 

1. Project eines Gefängnisses in Tesanj. 

In einer Entfernung von 19,50 Kilometer von der Station 
Doboj der Bosna-Bahn liegt der kleine unansehnliche Markt¬ 
flecken Tesanj, bewohnt von gutmüthigen, friedliebenden und 
bisher stets loyalen Türken. Die Zahl der ansässigen Serben 
ist eine relativ sehr geringe. Früher eine lebhafte Handels¬ 
stadt, verlor Tesanj durch den Bau der Bosna-Bahn die ehe¬ 
malige Bedeutung. Handel und Verkehr nahmen eine andere 
kürzere Richtung und selbst eine geplante Bahnverbindung 
mit Doboj bietet wenig Aussicht, dass Tesanj jemals der 
Knotenpunkt des Handels für die unteren Bezirke werde. 

Zur Belohnung für die loyale Haltung der Einwohnerschaft 
sowie zur Hebung des Feldbaues durch Zuführung eines 
grösseren Consumenten gedachte nun die Landesregierung, in 
einem ehemaligen Kastelle dieses Marktfleckens einen Detentions- 


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168 


ort für 300 Sträflinge zu schaffen, wozu das in den Ruinen 
des Kastells nutzlos herumliegende Baumaterial hätte verwen¬ 
det werden können. Ein System im Vollzüge der Strafe, die 
Möglichkeit einer weiteren Ausdehnung des Belagraumes für 
die in den nächsten Jahren naturgemäss anwachsende Zahl 
der Sträflinge, wie auch die w^enigstens theilweise Einbringung 
der Strafvollzugskosten durch rationelle Verwerthung der Ar¬ 
beitskraft der Gefangenen wurde bei Fassung des Projectes 
nicht in’s Auge gefasst. 

Sehr viele Gründe Hessen ein so enge gezogenes Programm 
in den ersten Jahren nach der vollzogenen Occupation des 
Landes wohlmotivirt erscheinen. Man musste sich eben mit 
dem dringenden Gedanken befassen, einen Ort auszufinden, 
wo 300 Sträflinge hinter Schloss und Riegel verbracht werden.1 
könnten. Und dies ist auch heute noch eine brennende Frage 
und zwar aus zwei Gründen: Bosnien hat momentan ca. 27(>j 
Sträflinge in den Strafanstalten Kroatiens und in den Kase-j 
matten von Brod und Gradisca untergebracht. Die grösste] 
Zahl aber findet in Lepoglava eine provisorische Herberge und] 
werden dort jährlich auch in Zukunft wenigstens 50 Mann^ 
— über 3 Jahre verurtheilte Individuen — geschickt werden^ 
müssen. Ihre Enthaftung hält keinen gleichen Schritt mit deml 
Zuwachse, da die Mehrzahl zu 8—20 Jahren verurtheilt ist,] 
Lepoglava ist schon einer bedenklichen Ueberfüllüng nahe undj| 
wird in nicht ferner Zeit seine Thore gegen weiteren Zugang^ 
aus Bosnien sperren müssen. Spätestens bis dahin muss also! 
für ein Unterkommen im eigenen Lande gesorgt werden. 

Der zweite Grund für die beschleunigte Herstellung einer 
bosnischen Strafanstalt liegt in der pecuniären Seite der Frage. 
Vor dem Umbau der Strafanstalt zu Lepoglava musste Kroa¬ 
tien einen grossen Theil seiner Delinquenten in den ungarischen 
Anstalten unterbringen und zahlte dort per Kopf und Verpfle¬ 
gungstag eine Pauschalsumme von 42 kr. Derselbe Betrag ist 
nun auch aus bosnischen Landesmitteln an Kroatien zu ver¬ 
güten. Die Alimentation der Gefangenen in Lepoglava kostet 
per Tag und Kopf durchschnittlich I 4 V 2 hr., die gesammte 
Regie 9 V 2 kr., zusammen 24 kr. Das Plus von 24 kr. bis 
42 kr. ergibt bei dem heutigen Stande der auswärts befind- 


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169 


liehen Sträflinge jährlich die Summe von 17 739 fl. und ent¬ 
fallt auf Auslagen der Administration und für Zwecke der 
Amortisation jener Summe, die Kroatien für die Reorganisation 
seiner Strafanstalt verausgabte. Bosnien participirt also jähr¬ 
lich mit einem namhaften Betrage an der finanziellen Tilgung 
derartiger Ameliorationen, die für ständig nur dem Königreich 
Kroatien zu Gute kommen. Diese Summe könnte für das 
Wohl des eigenen Landes verwendet werden und ebenso sollten 
die heute sehr hohen Gefangenen-Transportkosten nach Kroa¬ 
tien erspart werden. 

Nun unterzieht Herr TauflPer das Project für Tesanj einer 
sachverständigen 5 ausserordentlich detailirten und überzeugen¬ 
den Kritik. Die für dasselbe bereits ausgearbeiteten Baupläne 
sowie eingehendes Studium der örtlichen Verhältnisse, wobei 
Herr Ingenieur Johann Kellner sehr erspriessliche Beihilfe 
leistete, bilden die Basis des Gutachtens. Wir wollen hier nur 
das Schlussraisonnement anfuhren, das ungefähr dahin lautet: 
Die Ausführung des Projectes ist nach der örtlichen Lage und 
Beschafienheit des Kastelles um den Voranschlag von 87824 fl. 
absolut unmöglich; vielmehr müssten unbedingt noch weitere, 
näher bezeichnete und motivirte Herstellungen in den Voran¬ 
schlag äufgenommen werden im Kostenbeträge von 64 681 fl. 
Die erforderliche Hauptsumme wäre also 87 824 -|~ 64681 = 
152 505 fl. Es ist aber absolut undurchführbar, auf dem nur 
10000 Qm betragenden Territorium des Kastellberges alle die 
nothwendigen Baulichkeiten zu placiren. Und wäre es gleich¬ 
wohl möglich, dann hätte man eine Strafanstalt geschaffen, die 
an sehr vielen wesentlichen Baugebrechen litte, die eine Ver- 
grösserung des Belagraumes nicht zuliesse, wo ein systemati¬ 
scher Strafvollzug a priori ausgeschlossen wäre, wo an den 
Unterricht, an eine Beschäftigung der Sträflinge, an eine 
blühende Industrie, an einen, wenn auch nur theilweisen Er¬ 
satz der Strafvollziigskosten nicht gedacht werden könnte. In 
Berücksichtigung aller dieser Umstände ist also eine dahin 
gehende Wohlmeinung abzugeben, dass das Project eines Ge¬ 
fängnisses zwischen den Ruinen des Kastelles zu Tesanj gänz¬ 
lich fallen gelassen werde. 


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Herr Tauffer hatte in der Folge sein weiteres Gutachten 
zu geben über 

IL Das Project einer Strafanstalt im Kastelle des 
Ortes Gradacac. 

59,37 Kilometer von der Station Doboj der Bosna-Bahn, 
von der Dampfschiflffahrts-Station Samac an der Save aber 
nur 21 Kilometer entfernt, liegt der Marktflecken Gradacac. 
Er zählt 2600 Einwohner, darunter 2200 Mohamedaner. In 
der Mitte des Städtchens liegen auf einem sanft ansteigenden 
Hügel die weit zerstreuten Ruinen des ehemaligen Kastelles. 

Baupläne für dieses Project liegen nicht vor und der Sach¬ 
verständige beschränkt sein Urtheil daher lediglich auf allge¬ 
meine Gesichtspunkte und auf die Beschreibung der örtlichen 
Verhältnisse. Da es uns hauptsächlich darum zu thun ist, 
TauflFer’s eigenes Project näher kennen zu lernen, so mag auch 
hier das Endergebniss der angestellten Untersuchungen ange¬ 
führt werden, das bei Erwägung der Vortheile und der Nach¬ 
theile und in Berücksichtigung dessen, dass in Bosnien sich 
noch weit günstigere Anlagepunkte für eine Landesstrafanstalt 
finden dürften, zu einem entschieden ablehnenden Gut¬ 
achten führen musste. 

Nun kommen wir an TauflTer’s eigene 

IIL Positive Vorschläge. 

Der Herr Sachverständige ist auf Grund seiner Walir- 
nehmungen und Erhebungen von der Herstellung eines mit 
grossen Unkosten verbundenen und dabei stets unzweck¬ 
mässigen Flickwerkes gänzlich abgekommen und hat sich da¬ 
gegen mit der Idee eines Neubaues befreundet, wofür er 
die massgebenden Principien in folgenden Punkten präcisirt. 

Die neue Strafanstalt muss die Adoptirung und consequente 
Durchführung eines modernen Strafvollzugs-Systemes ermög¬ 
lichen und hierdurch die Erreichung der Strafzwecke, als: die 
Abschreckung, die Besserung, die Verhütung der moralischen 
Ansteckung, die Sicherung der Gesellschaft in Aussicht stellen. 
Sie soll bei völligem Ausbau eine Aufnahmsfähigkeit für ca. 
600 Mann haben. Sie soll eine derartige Bauführung gestatten. 


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171 


dass für den Beginn nur jene Objecte fertiggestellt werden, 
die für allsogleiche Aufnahme von 200 Mann genügen, die 
aber ungesäumt den regelrechten Stadien des acceptirten Sy- 
stemes unterworfen werden können. Sie soll allen hygienischen 
Anforderungen entsprechen. Sie soll die Bedingnisse für die 
Etablirung einer regen Industrie und intensiven Cultivirung 
einer — in Bosnien besonders gebotenen — Feld- und Garten- 
wirthschaft wie auch der Obstbaumzucht bieten. Endlich soll 
sie eine, den schwachen finanziellen Mitteln des Landes ent¬ 
sprechende Rechnung tragende, möglichst bescheidene Geld¬ 
summe kosten. Es soll also in Allem und Jedem auf die 
einfachste Bauart und auf die Herstellung nur der noth- 
wendigsten Bauobjecte gesehen werden. 

Um diesen allgemeinen Anforderungen gerecht werden zu 
können, wird die Annahme des sog. Progressiv-Systems 
empfohlen. Herr Tauffer schildert nun das Wesen dieses Sy- 
stemes in Kürze folgendermassen, und wir halten die wört¬ 
liche Wiedergabe keineswegs für eine überflüssige Wieder¬ 
holung, nachdem die „Blätter f. Gef.^ bereits im 3. Heft des 
XVIII. Bandes Seite 209 ff. die practischen Erfolge des frag¬ 
lichen Systems an der Strafanstalt zu Lepoglava demonstrirt 
haben. Je länger die Erfahrung, desto klarer wird man in 
der Anschauung, im Urtheil wie im Ausdruck. So auch Herr 
Tauffer. Also: 

Bei Beginn der Strafzeit wird ein jeder Sträfling der 
Einzelhaft (I. Stadium) unterworfen, zu dem Zwecke, dass 
der Mann den grellen Unterschied zwischen hVeiheit und Ge¬ 
fangenschaft in empfindlicher Weise fiihle, dass also die Strafe 
abschreckend wirke, und fernerhin dass den Beamten Ge¬ 
legenheit geboten sei, sich mit den Verhältnissen und Eigen¬ 
schaften des Mannes vertraut zu machen, damit sie sich ein 
Programm über die weitere Behandlung des Individuums fest¬ 
stellen können. In welchem Zeitraum diese Ziele erreicht 
werden, hängt von der Individualität des Sträflings ab. 
Darum vertritt der Antragsteller den Grundsatz, dass die 
Zeitdauer der Einzelhaft schon a priori nicht festgesetzt wer¬ 
den kann und darf. Die Einzelhaft ist keine absolute. Sie 
wird unterbrochen und gemildert durch Kirchenbesuch, durch 

Blätter für Qefängnisekunde. XIX. 12 


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172 


Ergehen im Freien, sowie durch regelmässige Arbeit in 
der Zelle. 

Nach Erreichung der vorgesteckten Ziele wird der Ge¬ 
fangene in das zweite Stadium des Systemes: gemein¬ 
same Arbeit, mit Isolirung bei Nacht und in der 
arbeitsfreien Zeit, übersetzt. Gearbeitet wird innerhalb 
der Ringmauern, in grösseren Baracken. Bei der Zutheilung 
zur Arbeit wird der eigene Wunsch und die individuelle 
Vereigenschaftung des Mannes innerhalb der Grenzen 
der Möglichkeit berücksichtigt. Nur jene Gespräche, die 
durch die Arbeit bedingt werden, sind zulässig. Der Schwer¬ 
punkt des Erfolges gewerblicher Thätigkeit liegt in der 
glücklic hen Auswahl gebildeter und tüchtiger 
Meister. Schwache Kräfte, Pfuscher, Säufer können in der 
Strafanstalt nicht gebraucht werden. Die Meister müssen dem¬ 
nach eine güte Bezahlung erhalten, die sie dann reichlich ein- 
bringen. Für eine Strafanstalt, die von der Ötadt entlegen 
ist, wo die Meister keine Ressourcen finden, wo sie ihre Kin¬ 
der nicht erziehen lassen können, sind ständige Werkführer 
kaum zu gewinnen. Das Prinzip, die Werkführer aus der 
Zahl der Sträflinge zu nehmen, ist unter allen Umständen ver¬ 
werflich und finanziell schädlich. — Die Isolirung der Sträf¬ 
linge während der Nacht und in der arbeitsfreien 
Zeit wird durch eiserne Zellen bewerkstelligt, die in 
grossen Sälen der Reihe nach aufgestellt werden. Die Idee 
der Construirung und die erste konsequente Durchführung der 
Isolation durch eiserne Zellen ist dem Generaldirector der 
irländischen Convict prisons, Sir Walter Crofton zu verdanken 
(1857). Schweden, theilweise Belgien, St. Gallen verwenden 
zur nächtlichen Isolirung gemauerte Zellen. Doch dieses 
Mittel ist für Bosnien unerschwinglich theuer. Frankreich 
reformirt seine alten und moralisch schlechten maisons centrales 
durch Einführung der eisernen Zellen. Die Etablirung der¬ 
selben wurde 1883 auch in Norwegen beschlossen. Selbst in 
den belgischen Strafhausspitälern finden wir die eiserne Zelle. 
Sie bewähren sich auch in der Strafanstalt zu Plötzensee, in 
einem Trakte der Strafanstalt zu Pilsen, wie auch — nach 
Tauflter’s eigener Erfahrung — in derjenigen zu Lepoglava, 


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173 


wo deren Beschaffung pro Stück 70 fl. kostete. In der eisernen 
Zelle herrscht unbedingtes Schweiggebot und wird selbes 
durch einen Aufseher, der in jedem Saal postirt ist, strenge 
überwacht. 

Nachdem die Sträflinge in der Einzel- und Gemeinschafts- 
Haft (I. und II. Stadium) zwei Viertel der Strafzeit 
verbüsst und durch gute Aufführung und Fleiss Besserung 
bewiesen haben und insoweit auch kein Fluchtverdacht vor¬ 
liegt, können sie in die Zwischenanstalt (III. Stadium) 
versetzt werden, in welcher sie entweder den Rest der Strafe 
abbüssen oder von dort der bedingten Freilassung 
(IV. Stadium) theilhaftig werden. 

Die Zwischenanstalt liegt ausserhalb der Ringmauern der 
Strafanstalt, am zweckmässigsten in einer Distanz von 300 
bis 400 Meter und zwar — wie in Irland und Lepoglava — 
inmitten einer grünen Flur von Wiesen und Ackerfeld. 

Diese Anstalt fasst zwei Gebäude, eines für Feldarbeiter, 
das andere für Handwerker. Jedes Gebäude hat die Form 
eines langen Viereckes und ist mit einem, die ganze Front des 
Hauses entlang laufenden, durch hölzerne Säulen getragenen 
Corridor versehen. Gitter, Schlösser und sonstige Sicherheits- 
massregeln sind weder an den Thüren noch an den Fenstern 
angebracht. — Beide Häuser müssen die höchste Einfachheit 
der Bauart an sich tragen. 

Der Zweck der Versetzung in die Zwischenanstalt be¬ 
steht darin, dass die Sträflinge Gelegenheit erhalten, das 
wahre Vorhandensein der bisher nur supponirten Besserung 
sowie ihre Erwerbsfähigkeit auch beim Mangel jeglichen 
Zwanges und bei freier Bewegung, trotz der an sie etwa 
herantretenden Versuchung, männiglich zu bezeugen. Sträf¬ 
linge, die in der Zwischenanstalt ein Disciplinarvergehen sich 
zu Schulden kommen liessen, werden in die strenge Haft zu¬ 
rückversetzt. 

Irland und Lepoglava können die schönsten Erfolge mit 
der Institution der Zwischenanstalt aufweisen (siehe „Bl. f. Gef.“ 
1 . c. S. 278 ff.). Sie gewinnt auch in der Literatur täglich mehr 
und mehr an Popularität und jüngstens erklärte der berühmte 
Criminalist und Codificator, der kgl. sächsische Generalstaats- 

12 * 


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174 


anwalt von Schwarze: „Ich bin auf Grund langjähriger 
Erfahrungen zur Ueberzeugung gelangt, dass eine Reform des 
Strafvollzuges mit Erfolg nur unter Einführung der Zwischen¬ 
anstalt bewirkt werden kann.^^ (Siehe die Recension des 
TaufiFer’schen Buches „Der kroatische Strafgesetz - Entwurf, 
Wien, 1883“ im „Gerichtssaal“ Band XXXL Heft 8.) In 
Ungarn geht der Bau der ersten Zwischenanstalt in Kis- 
Earta soeben der Vollendung entgegen; der Bau der zweiten 
Zwischenanstalt in der Nähe der Strafanstalt zu Waitzen 
»oll nächstens in Angriff genommen werden. 

Das vierte Stadium des progressiven Strafvollzuges 
lässt sich dahin definiren, dass die Regierung die zu einer 
längeren Freiheitsstrafe verurtheilten und in die Zwischen¬ 
anstalt verbrachten Sträflinge, die in letzterer sowie in der 
„strengen Haft“ (L und H. Stadium) einen bedeutenderen Theil, 
wenigstens aber drei Viertheile (nach dem ungarischen Straf¬ 
gesetz ebensoviel, nach dem des Cantons Aargau 2/3? «ach 
dem holländischen %, dem italienischen ebenso, nach dem 
österreichischen %) der Strafzeit verbüsst haben, im Falle 
ihre Aufführung die Hoffnung auf nachhaltige Besserung be¬ 
festigt hat, unter Vorbehalt des Widerrufes dieser Begünsti¬ 
gung, aus der Strafanstalt entlassen kann. 

Die Institution der bedingten Freilassung ist unstreitig eine 
der schönsten und segensreichsten Errungenschaften der Neu¬ 
zeit. Es gibt kein Land in Europa, wo die Einführung der¬ 
selben nicht wenigstens geplant wäre. Factisch ist sie in den 
meisten Rechtsstaaten eingeführt. 

Es besteht nun kein Hinderniss, dass diese vorläufige 
Entlassung nicht auch in Bosnien erprobt werden könnte. 
Selbst der Mangel eines diesbezüglichen Gesetzes stellt dem 
nichts in den Weg. In Sachsen wurde das Institut durch 
lange Jahre in der Form einer, unter gewissen Bedingungen 
ertheilten königlichen Gnade ausgeübt. In dieser Art wurde 
es 1868 auch schon in Ungarn versucht. Ein ähnliches Vor¬ 
gehen wäre also auch in Bosnien nachzuahmen. 

Dies ist der Rahmen des Strafvollzugssystems, dessen 
Ausführung die neue Strafanstalt verwirklichen mag. 

Sehen wir nun, wie die Idee zu verkörpern, dem Geiste 


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175 


die greifbare Gestalt zu geben wäre und zwar bei lang¬ 
samer, je nach Vorhandensein der finanziellen 
Mittel thunlichst fortschreitender Bealisirung. 

Herr Taufifer versuchte diese Aufgabe zu lösen in 8 von 
ihm entworfenen und durch den Ingenieur Kellner sehr sauber 
und sorgfältig gezeichneten Plänen, unter gleichzeitiger genauer 
Berechnung des Kostenpunktes. 

Die Redaction lässt als kostbare Beilage zu diesem Ela¬ 
borate einige dieser Pläne nach kleinerem Maassstabe mit¬ 
erscheinen und zwar zunächst den Situationsplan (Plan 1), 
der ein annähernd deutliches Bild vom Ganzen bietet, dann 
den Plan zum Hauptgebäude (Plan 2), zur Zwischen¬ 
anstalt (Plan 3) und zum Spi.tal (Plan 4). — In gedrängter 
Zusammeitfassung sei zur näheren Erklärung der wichtigeren 
Gebäulichkeiten folgendes herausgehoben; 

1 . Links unten auf dem Situationsplan (1) sehen wir das 
Zellengebäude, ein längliches Viereck, das bei vollstän¬ 
digem Ausbau auf 62 Mann, also 10% des gesammten prä- 
sumirten Sträflingsstandes berechnet ist. Das Gebäude kann 
bei vorhandenen Mitteln leicht verlängert oder besser mit 
einem zweiten Stockwerk versehen werden. Jede Zelle fasst 
ebenerdig 29,91 cbm, im Stockwerk aber 32,1 cbm. Luftraum 
und hat einen Flächenraum von 9,59 □ m. Sie entspricht 
somit allen hygienischen Anforderungen und den Zwecken des 
Arbeitsbetriebes. — Der vollständig aufgebaute Zellentract 
kostet (723,51 Dm ä 60 fl.) 43,410 fl. Will man den Belag¬ 
raum der Strafanstalt anfangs nur auf 200 Mann beschränken, 
so baut man nur die Parterre-Zellen sammt Dach, das sich 
später heben lässt, und dann kostet es nur 28,940 fl. 

2 . In der Mitte befindet sich das Hauptgebäude (siehe 
Plan 1 u. 2) für die Detention im II. Stadium des Systems. Das¬ 
selbe gestattet in seiner Planung die verschiedensten Baucom- 
binationen. Vollständig ausgebaut, also drei Flügel mit je einem 
Stockwerk, beherbergt es 300 Mann und bietet jedem Insassen 
bei einer exakt fungirenden Luftheizung und Ventilation (nach 
dem System Heckmann & Zehender in Mainz) ebenerdig 20,74, 
im Stockwerk 21,5 cbm Luftraum, welche Quantität bei Leuten, 
die auswärts beschäftigt sind, vollständig genügt. — Tauffer 


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176 



berechnet nun für dieses Hauptgebäude die Baukosten nach 
einer vierfachen Baucombination, je nachdem man anfangs nur 
den Mitteltract nebst Stiegenhaus und Souterrain sowie einen 
Flügel für 100 oder zwei Flügel für 200 oder alle drei für 
300 Mann bauen oder später auf alle drei Flügel je ein zweites 
Stockwerk aufsetzen will. In letzterem Fall würde Raum für 
450 Mann beschafft werden und die Gesammtkosten beliefen 
sich auf 132680 fl., während nach der ersten Combination 
(vorderhand nur ein Flügel) nur [38 540 fl. erforderlich wären. 

8 . Die Zwischenanstalt (siehe Plan 3) ist nach den 
Mustern von Lepoglava projectirt. In Lusk (Irland) stehen 
wohl für die Wohnräume aus Eisenblech construirte Barracken 
in Verwendung, doch findet dies seine geschichtliche Erklärung 
darin, dass man in Irland s. Z. mit der Zwischenanstalt nur 
eine Probe machen wollte und auf eine eventuelle lieber- 
siedelung oder Auflösung der Farm vorbereitet sein musste. 
Die beiden Gebäude der Zwischenanstalt fassen normalmässig 
58 Mann, also bei einem Stand von 600 Köpfen ca. 10%. 
Für die ersten Jahre ist dies genügend; indessen die Erfah¬ 
rung lehrt, dass sich auch bei der strengsten Beurtheilung 
der nöthigen Qualification 15—18% würdig erweisen, in die 
Zwischenanstalt versetzt zu werden. Sollte daher ein drittes 
Wohnhaus nöthig werden, so wäre dasselbe billig zu erstellen. 
Für den Anfang, wo ev. nur auf 200 Mann gerechnet wird, 
würde es genügen, vorerst nur das Gebäude für Feld arbeiter 
zu errichten, damit die aus Lepoglava zurückgebrachten Sträf¬ 
linge, die sich dort in der Zwischenanstalt befinden, dieser 
Vergünstigung hier nicht verlustig gingen. Ein Luftraum von 
15—16 cbm ist für Leute, die das Schlafzimmer nur für die 
Nachtstunden benützen und sonst im Freien sich bewegen, 
vollständig genügend. Erkrankungen kommen in der Zwischen¬ 
anstalt sehr selten vor, ja die früher kränklichen Sträflinge 
erholen sich darin. 

4. Das projectirte Spitalgebäude (siehe Plan 4) 
entspricht dem Streben, die vorkommenden Krankheitsarten 
wenigstens nach den grösseren Gruppen, als: chirurgische Fälle, 
Phthisis, Blutkrankheiten und innere Krankheiten, in verschie¬ 
dene, auch örtlich getrennte Localitäten unterbringen zu können. 


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177 


Einige kleinere Zimmer sollen zur Isolirung der an anstecken¬ 
den Krankheiten leidenden Personen sowie zur Beobachtung 
etwaiger Geistesstörungen dienen. Aus diesem Grunde ist das 
Spital im Parterre und Stockwerk durch vier durchlaufende 
geschlossene Corridore in fünf Abtheilungen geschieden. Baum 
ist hinlänglich vorhanden. — Will man das Spital sofort ganz 
ausbauen, so kostet es nach dem Ueberschlag des Bericht¬ 
erstatters 34,645 fl. Will man die Strafanstalt anfänglich nur 
für 200 Mann einrichten, so baut man nur die Localitäten des 
Parterre und verwendet provisorisch die für Apotheke, Magazin 
und Theeküche bestimmten Zimmer ebenfalls zur Unterbrin¬ 
gung von Patienten. In diesem Falle könnten 36 Kranke 
normalmässig aufgehoben werden und der Bau kostete sammt 
Dach nur 22430 fl. 

5. Der Situationsplan (siehe Plan 1) zeigt uns ausser 
den genannten, zum Strafvollzüge vorzugsweise bestimmten 
Gebäulichkeiten noch eine Anzahl anderer, deren nähere Be¬ 
schreibung unterbleiben mag. Das Schul- und Kirchen¬ 
gebäude fasst im Parterre zwei Schulstuben für 80 Mann, 
welche zugleich als Kirchenlocal für die Anhänger der griech.- 
kath. Religion dienen. Der Saal des Stockwerkes, wozu aussen 
eine Stiege führt, fasst 200 □ m und ist als Djamia für 100 
Mohamedaner projectirt. — Das Gebäude könnte später noch 
ein zweites Stockwerk erhalten zu einer zweiten Djamia. Einst¬ 
weilen müssen andere vorhandene Räume als Betsaal für die 
Türken dienen und das Gebäude wäre vorerst nur im Parterre 
mit Bedachung auszuführen und kostete so 6975 fl. 

Das Oeconomiegebäude soll die Küche, die Bäckerei, 
Wäscherei, Badezimmer und Magazine für Victualien und 
allerlei Inventarstücke enthalten. Vorerst genügen die Loca¬ 
litäten des Parterre. Zum Kochen und Waschen wird Dampf 
verwendetN Die Speisen für das Spital wie die Menage für 
die Aufseher werden anfangs und späterhin nicht mit Dampf, 
sondern auf einem zweitheiligen grossen Sparherd zubereitet. 
— Hinter dem Oeconomiegebäude ist das Kesselhaus sammt 
Kohlenschopf verzfeichnet. Beide Objecte sind bei einem 
vorläufigen Stand von 200 Mann nicht nöthig. — Zu den in 
letzter Linie herzustellenden Bauobjecten gehört die Tischler- 


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178 


werksätte und Maschinenhalle mit Circularsäge, Band¬ 
säge, Bohr- und Hebelmaschine etc., die sämmtlich mit Dampf 
betrieben würden. Endlich sehen wir noch Eiskeller, Todten- 
kammer, Bretterschupfe und eine Doppel-Arbeitsbaracke, 
letztere auf jeder Seite 50 m lang und zusammen 14 m breit, 
bestimmt für 350 Arbeiter, mit einem Flächenraum von 700Gm. 

Den Eingang zum Ganzen bildet das Administrations- 
imd Kasernengebäude, welches die nach strengster Be¬ 
rechnung nothwendigen Kanzleilocale und Magazine enthält 
und vorerst nur im Parterre ausgebaut werden könnte. Aus 
Rücksicht der Sparsamkeit sind auch die Wachmannschafts¬ 
kasernen hierher verlegt worden, ebenso die Piecen des Wach- 
commandanten (Kerkermeisters), der innerhalb der Ringmauer 
wohnen muss. Letztere ist in einer Höhe von 4,50 m und in^ 
einer Dicke von 0,45 m geplant, beträgt 679 laufende Meter, 
entspricht den Anforderungen der Sicherheit zur Genüge und 
kostet nur 13750 fl. 

Das ganze Territorium umfasst 6 Joch = 324 ar. 

Wir geben noch die übersichtliche Darstellung der Bau¬ 
unkosten. 



Belftgsraum 

für 

bei vollstän¬ 
digem Ausbau 

bei partiel¬ 
lem Ausbau 

Belagsraum 

für 

1. Zellengebäude. 

62 Mann 

43410 fl. 

289406. 

31 Mann 

2. Hauptgebäude. 

460 „ 

132640 „ 

38540 „ 

100 „ 

3. Zwiacbenanstalt *• 

a) Wohnhaus f. Handwerker 

20 „ 

4 256 „ 


_ 

b) „ „ Feldarbeiter 

28 „ 

3349 „ 

3349 

28 „ 

4. Spital. 

66 „ 

34 645 „ 

22430,, 

36 „ 

5. Administrations- u.Kasernen¬ 
gebäude (751 □ m ä 60 fl.) . 

_ 

45060 „ 

22530 „ 

_ 

6 . Oeconomiegebäude . . . 

— 

26000 „ 

16250 „ 


7. Kesselhaus mit Schupfen, 
Schornstein, 2Dampfke8sel ca. 


5 800 „ 

_ 


8. Schulgebäude. 

— 

12 600 „ 

6975 „ 

— 

9. Arbeitsbaracke: 

a) gan* ausgebaut (700 □ m 
ä 20fl.). 


14000 „ 



b) zum dritten Theil . . 

— 

— 

4666 „ 

— 

10. Todtenkammer (25Gmk20fl.) 

— 

500 „ 

500 „ 

— 

Uebertrag 

626 Mann 

322 260 fl. 

144180 fl. 

195 Mann 


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179 



Belagsraum 

für 

bei vollständi¬ 
gem Ausbau 

bei parlial¬ 
lem Ausbau 

Belagsraum 

für 

Uebertrag 
11. Amerikaoischer Eis- 

626 Mann 

322 260 fl. 

144180 fl. 

195 Mann 

keller. 

— 

800 „ 

— 


12. Bretterschupfen . . 

13. Ringmauer (1376 cbm 

— 

1000 „ 

— 

— 

k 10 fl.) ... . 

— 

13750 „ 

13 750 „ 

— 

= 

626 Mann 

337 810 fl. 

157930 fl. 

195 oder 
rund 200 M. 


Die Unkosten bei partiellem Ausbau kämen also nur 
um 5425 fl. höher zu stehen als das Project für Tesanj und 
würde dabei der Vortheil bestehen, dass der ganze Bau einer 
successiven und systematischen Entwickelung fähig wäre. 

Monumentale, die grössten Bequemlichkeiten bietende und 
luxuriös ausgestattete Gefängnissbauten werden wohl die in 
diesem Vorschlag geplanten Objecte nicht sein. Bosnien kann 
aus Landesmitteln an ähnliche Bauten gar nicht denken, wie 
selbe für den Strafvollzug in Einzelhaft z. B. in Rendsburg 
mit einem Kostenaufwand von 2748 158 Mark (für 450 Mann) 
oder in Pilsen mit einem solchen von 1310000 Gulden (für 
915 Mann) oder in Freiburg i. B. mit einem solchen von 
1890 000 Mark (für 448 Mann) errichtet worden sind. In¬ 
dessen wird auch die Strafanstalt in Bosnien jenen Zwecken 
sicherlich entsprechen, die wir bei solchen Etablissements er¬ 
reichen wollen: den Zwecken eines ernsten, fühlbaren und 
bessernden Strafvollzuges. 

Zum Schlüsse seines Gutachtens äussert sich Herr Director 
Tauffer noch über die Frage: Wohin soll die geplante 
neue Strafanstalt verlegt werden? Als allgemeine 
Grundsätze bei der Wahl des Ortes werden angeführt: 

1 . Die geologischen und hydrographischen Boden¬ 
verhältnisse müssen vor Allem entsprechen. Der Baugrund 
soll möglichst durchlässig sein, am besten Kalkstein, Schotter 
oder Sand. Genaue Untersuchungen müssen ergeben haben, 
dass gutes und ausreichendes Wasser vorhanden ist. Der 
Bauplatz muss so hoch über dem tiefsten Punkte des anliegen¬ 
den Terrains gelegen sein, dass die Beseitigung der Abwässer 


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180 


leicht und ohne kostspielige Canalisation erfolgen kann. 
Sumpfige und fiebererzeugende Gegenden sind zu meiden. 
(Vgl. „Bl. f. Gef.“ 17. Band 1.Heft Krohne’s Aufsatz über 
die Normalien für Zellengefängnisse.) 

2 . Rücksichten der polizeilichen Sicherheit. 
Diese verlangen, dass ausser der gewöhnlichen, den täglichen 
Dienst verrichtenden und gut bewaffneten Mannschaft nöthi- 
genfalls auch eine stärkere Militärhilfe leicht und schnell zur 
Stelle berufen werden kann. Post- und Telegraphenstation 
müssen nahe sein. 

3. Das Progressiv-System bedingt, dass an die Straf¬ 
anstalt angrenzend zum intensiven Betrieb einer Gartencultur, 
zur Pflege einer Obstbaumschule, zu einer rationellen Feld- 
wirthschaft wenigstens 60—100 Joch Ländereien zur Ver¬ 
fügung stehen. 

4. Die Interessen des Gewerbebetriebs verlangen, 
dass die Strafanstalt in der Nähe einer frequenten Handels¬ 
stadt, nicht weiter als 1 — 3 Kilometer von derselben liege, 
damit die Stadt selbst die Möglichkeit der Anschaffung von 
den tausenderlei Kleinigkeiten biete, die nicht alle im Grossen 
angekauft werden können; dass die Eisenbahn, diese Pulsader 
des wirthschaftlichen Lebens, die Unkosten des Waarentrans- 
portes vermindere, wie auch promptes Ein- und Abgehen der 
bestellten Waaren zu jeder Jahreszeit ermögliche; dass die 
Eisenbahn eine Ersparniss bei den beträchtlichen Auslagen 
für Sträflingstransporte in sichere Aussicht stelle; endlich in 
Bosnien, wo kein grosses Anlagekapital für die Erbauung 
einer Strafanstalt zur Verfügung steht, dass die Wohnungen 
der Beamten, Werkführer und Aufseher, resp. für die Familien 
dieser lesztgenannten Bediensteten, in der nahe liegenden Stadt 
erworben werden können. Ist dies nicht zu ermöglichen, so 
kostet die Anlage der Strafanstalt bei der nothwendigen Be¬ 
schaffung einer so grossen Zahl von Naturalwohnungen wenig¬ 
stens 100000 fl. mehr und trotzdem wird das Personal kein 
bleibendes sein, da weder die Werkführer, noch auch die 
Aufseher, die aus der Zahl der gedienten Unteroffiziere genom¬ 
men werden sollten, sich lebendig vergraben und ihre Kinder 
ohne elementaren Unterricht heranwachsen lassen wollen. 


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181 


5. Die Preise der Lebensmittel. Aus diesem Grunde 
wird man ceteris paribus eine billige Stadt einer theuern 
gewiss vorziehen. 

Es wurden bisher zur Situirung einer Strafanstalt in 
Bosnien verschiedene Städte in Vorschlag gebracht. Ueber 
Gradacac wurde schon oben gesprochen, ebenso über Tesanj. 
Etwa 8 Kilometer von letzterem Städtchen entfernt wäre ein 
sanft ansteigendes Hügelland, das sich bis an die Ufer des 
ziemlich grossen Flusses Uzora erstreckt und das Ried Kriz 
genannt wird, mit einem Flächenraum von ca. 400 Joch, von 
der Gemeinde unentgeltlich zu haben. Der Boden ist 
Lehm und Brunnen liessen sich mit einer Tiefe von ca. 20 m 
graben. Sand findet sich am Flusse. Mithin könnten die 
Bauverhältnisse dortselbst als ganz günstige betrachtet werden, 
um so mehr da auch die in den Punkten 1, 3 u. 5 angegebenen 
Erfordernisse so ziemlich vorhanden sind. 

Nun drängen sich aber dem Fachmann sehr schwere Be¬ 
denken auf. Die grosse Entfernung von der Stadt, von der 
Post, Eisenbahn und dem Telegraph, von einer Militär-Garnison 
würde die Anstalt bezüglich der polizeilichen Sicherheit zu 
einem verlorenen, stets gefährdeten Posten machen. Die In¬ 
dustrie würde hier gewiss an ewigem Siechthum leiden, da ihr 
alle sub 4 specificirten Bedingungen der Prosperität, wie auch 
ebene fahrbare Strassen mangeln. Endlich wären in Tesanj 
alle Dienstwohnungen gleichzeitig mit der Strafanstalt aus 
ärarischen Mitteln zu erbauen. Deshalb kann Tauffer die 
Acceptirung des angebotenen Baugrundes daselbst nicht 
empfehlen. 

Weit günstigere Verhältnisse lägen in Zenica, Bahn¬ 
station an dem Bosna-Plusse, vor. Dort wäre das Ried Pogice, 
das sich nach Bedürfniss durch Ankauf weiterer Gelände ver- 
grössern Hesse, ein vortrefflicher Baugrund und ein hart vorbei 
fliessender Gebirgsbach könnte vorzügliches Trink- und Nutz¬ 
wasser liefern, ja selbst als Triebkraft zu Industriezwecken 
ausgenützt werden. — Genannter Baugrund ist im Besitze von 
mehreren Privateigenthümern, die den Werth des Feldes per 
Joch auf 300 — 350 fl. schätzen. Die Gemeinde Zenica selbst 
hat keinen Grundbesitz. Die Bevölkerung ist aber von den 


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beträchtlichen Vortheilen, die ihnen eine grosse Strafanstalt 
bieten würde, sehr genau unterrichtet; auch weiss sie sehr 
wohl, dass sich auch andere Gemeinden um die Anlegung der 
Strafanstalt auf ihrer Gemarkung verwenden und mithin die 
Regierung nicht gewillt sein kann, nur für den Bauplatz ein 
besonders grosses Kapital auszugeben. Es ist daher eine Be¬ 
wegung im Zuge, die den Gedanken verwirklichen will, dass 
die Gemeinde als solche das für Strafhauszwecke nöthige Terri¬ 
torium von den einzelnen Besitzern erwerbe und dasselbe dann 
zu bedeutend ermässigtem Preise der Regierung abtrete. (Ander¬ 
wärts hat man sich nicht so um die Ehre, ein Zuchthaus zu 
besitzen, gerissen!) Auch will die Gemeinde für Dienstwoh¬ 
nungen besorgt sein. Wenn alP das geschieht und die Ver¬ 
handlungen in befriedigender Weise geschlossen werden können, 
so liätte Tauffer gegen die Idee, die Strafanstalt in Zenica zu 
erbauen, nichts einzuwenden, indem dann hier alle in den 
Punkten 1—5 besprochenen Vorbedingungen zusammenträfen. 

Auf Wunsch der k. k. Landesregierung wurde von Tauffer 
auch die Gemarkung des ebenfalls an der Bosna-Bahn gele¬ 
genen Ortes Zepce besichtigt. Die Bezirksvorsteher, die Ge¬ 
meindebehörde und die angesehensten Bürger dieses Ortes 
wetteiferten in dem Bestreben, den besten Bauplatz für die 
event. bei ihnen zu errichtende Strafanstalt ausfindig zu machen. 
Tauffer besichtigte und untersuchte mehrere Grundflächen, die 
theils billig zu kaufen, theils umsonst zu haben wären, kann 
sich aber nur für das Ried Biluhoje erklären. Es ist dies ein 
erhöht liegendes ebenes Plateau, von der Stadt 500 ni, vom 
Bahnhof 700 m entfernt und umfasst ca. 40 Joch guter Aecker. 
Auch stünden türkische Häuser zur Unterbringung der Beamten 
und Bediensteten zu Gebote. Die Bürger würden sich jedoch 
auch hier zur Herstellung von Häusern k la Franka verbindlich 
machen. Wenn auch Zenica jedenfalls der Vorzug vor Zepce 
gebührt, so kann letzterer Ort doch nicht von vornherein ab¬ 
gelehnt werden, da die Punkte 1 — 5 auch da, wenngleich in 
minderem Maasse, zutreffen. 

Endlich fragt Tauffer, warum denn die Strafanstalt nicht 
in der Hauptstadt, in Sarajevo erbaut werden sollte? 
Ganz nahe bei der Stadt, in einem Thale, einige Schritte 


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183 


ausserhalb der Mauth, wäre ein vorzüglicher Bauplatz an den 
Ufern des wasserreichen Baches zu finden. Etwas weiter auf 
der Strasse nach links ist der 60 Joch betragende Besitz des 
Türken Rizvan-begonic und an diesen anstossend der kleinere 
Besitz einer türkischen Wittwe soeben sehr billig zu ver¬ 
kaufen. (Gütige Information des Erzbischofes Stadler.) Hier 
oder an anderen Stellen wären nahe zur Stadt gelegene Terri¬ 
torien gewiss zu beschaflfen. Im Baupreise würde kein Unter¬ 
schied wahrnehmbar werden. Die von Ingenieur Kellner auf¬ 
gestellte Berechnung basirt auf Mittelpreisen, die auf dem 
Lande sich nicht erniedrigen, vielmehr eher erhöhen würden, 
weil die Bauaccordanten auf dem Lande grössere Unkosten 
haben mit der Gewinnung und Erhaltung des Arbeits- und 
Handwerkspersonals. 

Die Nähe der Hauptstadt würde belebend auf die In¬ 
dustrie der Strafanstalt einwirken, die ohnehin ihren Absatz, 
wo immer im Lande sie auch errichtet werden mag, jedenfalls 
bei den Grosshändlern Sarajevo’s suchen müsste. Eine zahl¬ 
reiche feste und geschulte Arbeitskraft ist in Sarajevo nicht 
vorhanden, der Bedarf aber gross. Dort repräsentirt sie einen 
Werth, auf dem Lande aber nicht. Was dieser Unterschied 
im Gelderlös ausmacht, ist aus der Thatsache zu erkennen, 
dass z. B. die ungarische Strafanstalt zu Waitzen, die an 
der Donau und an der Bahn zwischen den Hauptstädten Wien 
und Pesth, also im Mittelpunkte des kaufmännischen Verkehres 
liegt^ aus ihrer Industrie jährlich einen Nutzen von ca. 40,000 fl. 
zieht, während die, obgleich an der Bahn, aber abseits liegen¬ 
den Strafanstalten zu Leopoldstadt, Illava, Munkes etc. kaum 
24, 17, 12 Tausend Gulden erzielen. 

Ebenso ist es mit den Erträgnissen der Garten- 
wirthschaft. Das Gemüse ist in Sarajevo sehr theuer und 
es ginge nichts zu Grunde, weil das vom Markte übrig blei¬ 
bende Obst und Grünzeug jeweils über die Mittagsstunden zu 
Hause in kühlen Räumen aufbewahrt werden könnte. In 
Zenica oder Zepee wäre die Gartenwirthschaft nicht lucrativ 
zu gestalten und ein Gemüsehandel von dort nach Sarajevo 
aus verschiedenen Ursachen nicht lohnend. 

Man sagt aber, in Sarajevo wäre sehr theuer zu leben. 


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So z. B. kostet daselbst ein Kilo Rindfleisch 44 kr., in Zenica 
nur 35 kr. Infolgedessen würde auch die Verpflegung der 
Sträfling sehr hoch zu stehen kommen. Wohl wahr! In Fa¬ 
milien stimmt dies zu. Nicht so bei einer rationell geleiteten 
Strafanstalt, die ihre Bedürfnisse aus erster Hand, aufs ganze 
Jahr oder doch vierteljährig, unter Abwartung der erfahrungs- 
gemäss niedrigsten Preise, en gros ankauft. Die Soldaten be¬ 
zahlen auch in Sarajevo gegenwärtig das Kilo Rindfleisch mit 
35 kr. Mehl und Colonialwaaren sind in Waggonladungen 
von Grossisten ebenfalls unvergleichlich billiger zu beziehen 
als vom Detaillisten. Berichterstatter behauptet, dass eine 
Strafanstalt zu Sarajevo zu denselben Preisen verpflegt werden 
kann, wie in der billigen Strafanstalt zu Lepoglava. Eine 
Differenz würde sich durch die enormen Frachtspesen der 
Bosna-Bahn ergeben und diese wären auszugleichen, sobald 
das hohe Ministerium sich veranlasst fände zu bestimmen, dass 
die für die Strafanstalten bezogenen Alimentations-Artikel, 
ebenso wie für das Militär, zu den militärischen Tarifsätzen 
(also von Brod bis Sarajevo pro 100 Kilo 40 kr.) zu be¬ 
rechnen sind. 

Dem letzten Argumente, dass durch die hohen Detail¬ 
preise der Lebensbedürfnisse in Sarajevo wenigstens die 
Beamten und Angestellten der Strafanstalt leiden würden, 
wäre mit dem Vorschlag zu begegnen, dass für dieselben ein 
Consumverein unter Leitung der Direction zu bilden ist, wie 
dies auch anderwärts geschieht. 

Ob nun gegen die Idee, dass die Landesstrafanstalt für 
Bosnien in der Gemarkung der Hauptstadt gebaut werde, 
irgend welche auf politischen Motiven oder strategischen Grün¬ 
den basirende Bedenken obwalten, darüber ist Berichterstatter 
nicht genügend informirt, will sich auch in solchen fremden 
Fragen kein massgebendes Urtheil erlauben. Abgesehen also 
hievon und nur die Prosperität der Strafanstalt vor die Augen 
haltend, geht TauffeFs Wohlmeinung dahin, dass die gün¬ 
stigste Anlage für eine Strafanstalt in der Nähe 
der Hauptstadt geboten ist. In zweiter Linie bringt er 
das Ried „Pogice“ in Zenica und in dritter das Ried „Biluhoje^^ 
in Zepee in Vorschlag. 


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185 


Mit diesen Ausführungen schliesst Herr Tauffer sein gewiss 
sehr interessantes und klares gutachtliches Referat und wir 
können aus einem Privatbrief die Ergänzung beifügen, dass 
Tauflfer’s Vorschläge auch den Beifall des Reichsfinanzministers 
V. Källay gefunden haben, welcher dahin entschied, dass die 
Strafanstalt allsogleich auf 626 Mann gebaut und 
mit der Ausführung schon im Frühlinge 1885 be¬ 
gonnen werden solle. 

Freund Tauffer schreibt mir bezüglich der Wahl des Sy¬ 
stems : „Nur auf 14 Tage wollte ich Sie nach Bosnien schicken 
und trotzdem dass Sie ein eingefleischter „Einzelhaftler“ sind, 
würden Sie gewiss dieses Arcanum nicht auch für die dorti¬ 
gen Verhältnisse empfehlen. Bosnien und der ganze Süden 

Europa’s ist ein Terrain, wo das Isolirsystem noch durch ein 
volles Jahrhundert nicht Posto fassen kann. Das Progressiv¬ 
system wird sich aber behaupten und das ist gewiss ein Sieg 
der Humanität, ein Fortschritt der Civilisation.“ Ein „Isolator“ 
(um auch ein neues Wort zu erfinden) sans phrase bin ich 
nun nicht, und so kann ich nur die Provinz Bosnien beglück¬ 
wünschen zu einer Errungenschaft, um welche sich Herr 
Director Tauffer so verdient gemacht hat, wie im Land Kroa¬ 
tien um die Hebung des dortigen Gefängnisswesens. 

Kranss. 


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Bin Pnaforalaofsntz, den aneh die Laien leaen dflrfen. 


Von Pfarrer Krausa am LandesgefängniBS in Freiburg. 


Unter den alljährlich in die Strafanstalten eingelieferten 
Gefangenen befindet sich regelmässig eine namhafte Anzahl 
solcher, die vor dem untersuchenden wie aburtheilenden Richter 
ihre Schuld in Abrede gestellt hatten. In den weitaus meisten 
Fällen entspringt aber diese Ungeständigkeit keineswegs dem 
wirklich vorhandenen Bewusstsein der Schuldlosigkeit, sondern 
vielmehr der Furcht vor der drohenden Strafe und dem Be¬ 
mühen, derselben zu entgehen. Bisweilen gesellt sich zu dieser 
Furcht noch Verstocktheit und frecher Hohn. Indessen sind 
auch Fälle zu verzeichnen, wo wirkliche „Unschuld“ (im straf¬ 
rechtlichen Sinne des Wortes) vorliegt, indem selbst die schein¬ 
bar gravirendsten Indicien, die glaubwürdigsten Zeugenaus¬ 
sagen auf zufälliger oder gar absichtlicher Täuschung und 
Unwahrheit beruhten. Ja, welcher erfahrene Gefängnissbeamte 
kennt nicht Fälle, wo sogar das dem Angeklagten vor seiner 
Verurtheilung abgenötbigte Geständniss keineswegs der Aus¬ 
druck thatsächlichen Schuldgefühles gewesen ist? 

Es gibt somit Gefangene, die sich uns gegenüber blos 
für „unschuldig“ ausgeben und solche, die wirklich 
„unschuldig“ sind. Ueber die Behandlung beider Kategorien 
möchte ich vom seelsorgerlichen Standpunkte aus hier in diesen 
von Praktikern für Praktiker zu schreibenden „Blättern“ mich 


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näher aussprechen. In erster Reihe sind es meine Herren 
Amtsbrüder, deren Anfmerksamkeit ich für diese Abhandlung 
in Anspruch nehmen möchte, obwohl auch andere Gefangniss- 
beamte dieselbe einiger Beachtung würdigen dürften. 

Ueber die Nothwendigkeit der Geständnisse gehen 
bekanntlich die Ansichten der Richter wie der Strafvollzugs¬ 
beamten sehr auseinander. Meine nachstehenden Ausführungen 
dürften zur Genüge darthun, auf welcher Seite ich aus vollster 
Ueberzeugung stehe. 

L 

Fassen wir zuerst die Gefangenen in’s Auge, deren that- 
sächliche strafrechtliche Schuld keinen Zweifel zulässt, während 
sie selbst bei der Einlieferung in die Strafanstalt sich für 
„unschuldig“ ausgeben. In Bezug auf diese beantworte ich 
die Fragen: 

1. Wie muss ein beachtenswerthes Geständniss beschaf¬ 
fen sein? 

2. Welcher Werth ist ihm beizulegen? 

3. Wie ist es vom Gefangnissgeistlichen in foro externo 
zu behandeln? 

1 . 

Einen der schönsten Triumphe, den die Pastoration über 
die Gefangenen feiern kann, bilden die reumüthigen Ge¬ 
ständnisse derselben. Ich sage die „reumüthigen“; denn 
nicht jedes Geständniss befriedigt und erfüllt mich mit Freude, 
sondern nur ein solches, das materiell und formell, d. i. dem 
Inhalte und den Beweggründen nach vollständig ist und 
zur inneren Beschaffenheit des Verbrechers sich verhält wie 
die Frucht zum Baum, die sittliche Wirkung zur sittlichen 
Ursache. 

Ohne Bekenntniss keine Erkenntniss! Wo aber diese 
fehlt, wo und so lange der Mensch sich und seinen sittlichen 
inneren Zustand nicht erkennt, da kann von einer Umkehr, 
einer Besserung keine Rede sein. „Erkenne dich selbst“ 
— wurde als erste und höchste Pflicht schon vom delphischen 
Orakel verkündigt. Nur die in ihrer ganzen Verwerflichkeit 
und Verderblichkeit erkannte Sünde und Missethat wird 

Blätter für Qefängnisskunde. XIX. 13 


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188 


auch ernstlich bereut, gehasst und verabscheut. Ohne Er- 
kenntniss also keine Reue, ohne Reue aber keine Abwendung 
des Willens vom bisher geübten und geliebten Bösen, kein 
Vorsatz, ein anderer Mensch zu werden. Wird ferner der 
Verbrecher von mächtigem Reueschmerz erfasst, dann kommt 
auch das äussere Bekenntniss von selbst, dann drängt es 
ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, „peccavi“ zu sagen. Das 
Bekenntniss des Mundes ist dann nichts Anderes als der 
naturnothwendige Ausdruck der Reue des Herzens und der 
Umkehr des Willens. Daher beruht das Geständniss eines 
Verbrechers ganz auf demselben psychologischen Gesetze wie 
das Beichtgebot der katholischen Kirche. Wo eine wahre 
Reue, d. h. Hass der Sünde, da ist das Bekenntniss nur der 
letzte Akt dieser Lossagung von der Sünde und ihrer Aus¬ 
scheidung aus dem Innern des Menschen. Die Beicht ist in 
der Tiefe der menschlichen Natur begründet. Alles, was uns 
wahrhaft innerlich erfasst und bewegt, das muss auch im 
Aeussern sich darsiellen, Freude oder Schmerz, Liebe oder 
Hass. Dieses psychologische Gesetz macht sich tausendfältig 
an jedem Sterblichen geltend und so ist auch das Geständniss 
des begangenen Unrechtes, worüber das Herz von Reue zer¬ 
rissen wird, ein unausbleiblicher psychologischer Vorgang. 
Das haben auch bereits die grössten Denker des Alterthums 
erkannt und ausgesprochen. Im Gorgias des Plato lautet 
eine Stelle: „Beging Jemand ein Unrecht, dann muss er frei¬ 
willig selbst dahin geben, wo er büssen wird, zum 
Richter und bemüht sein, dass nicht die eingewurzelte Krank¬ 
heit der Ungerechtigkeit die Seele unheilbar mache. Vor 

Allem muss man sich an klagen und die Missethat nicht ver¬ 
heimlichen, sondern an den Tag bringen, damit er (der Feh¬ 
lende) büsse und zur Genesung gelange; — hat Einer ein 
Unrecht begangen, das Schläge verdient, so muss er sich 
schlagen, oder die Fessel, sich fesseln lassen, oder Geld¬ 
strafe, sie entrichten, oder Verbannung, dahin wandern, 
oder den Tod, ihn erleiden, indem man als der erste An¬ 
kläger seiner selbst auftritt.“ Und Seneca sagt im 
53. Brief: „Quare sua vitia nemo confitetur? quia in illis 
etiamnum est. Vitia sua confiteri sanitatis indicium 


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189 


est.^^ Von den ebenso frommen wie gelehrten Vätern der 
Kirche will ich nur Einen hier anfiihren, den grossen 
Origen es, der sich über die NothWendigkeit des Sünden¬ 
bekenntnisses also ausdrückt (Hom. 2 in Ps. 37)*: „Siehe also, 
was die göttliche Schrift uns lehrt, dass man seine Sünden im 
Herzen nicht verbergen soll.... Wenn die Sünder die Ver¬ 
gehen verbergen und zurückbehalten, so werden sie von dem 
Wüste derselben im Herzen gequält und fast erstickt. Wenn 
aber der Sünder sein eigener Ankläger wird, so wirft er da¬ 
durch, dass er sich selbst anklagt und bekennt, zugleich die 
Sünde aus und entledigt sich des ganzen Krankheitsstoffes.^ 
Und unter den Neueren erwähne ich noch den berühmten 
Grafen de Maistre, der im 3. Hauptstück des 3. Buches 
seines Werkes „Vom Papste“ Folgendes schreibt: „Was ist 
dem Menschen natürlicher, als jene Bewegung eines Herzens, 
welches sich zu einem andern hinneiget, um ihm ein Geheim- 
niss anzuvertrauen? Der Unglückliche, von Kummer und 
Gewissensbissen zerrissen, bedarf eines Freundes, eines Ver¬ 
trauten, der ihn anhöre, ihn tröste und zuweilen ihn leite. 
Der Magen, der ein Gift in sich fühlet und von selbst in 
Zuckungen geräth, um es wieder auszuwerfen, ist das natür¬ 
liche Bild eines Herzens, in welchem das Laster sein Gift 
ausgegossen hat. Es leidet, es ist in Unruhe, es zieht sich 
zusammen, bis es das Ohr der Freundschaft oder wenigstens 
das des Wohlwollens gefunden hat. Gehen wir aber vom 
Vertrauen zur „Beicht“ über und legen vor der rechtmässi¬ 
gen Behörde ein Geständniss ab, so erkennet das allgemeine 
Urtheil in diesem freiwilligen Bekenntniss eine sühnende Kraft 
und einen Anspruch auf Gnade: über diesen Punkt ist nur 
Ein Gefühl von der Mutter, welche ihr Kind über eine zer¬ 
brochene Tasse oder über genaschtes Zuckerwerk befragt, bis 
zu dem Richter, der von der Höhe seines Richterstuhles herab 
den Räuber und Mörder verhört.“ Ja, das Bedürfiiiss nach 
Bekenntniss einer das Gewissen zentnerschwer belastenden 
Schuld ist nicht selten stärker als der Selbsterhaltungstrieb; 
es verschmäht die Straflosigkeit, die ihm das Stillschweigen 
verheisst, es fürchtet keine Strafe, selbst den Tod nicht mehr, 
es ruft, wo keine Zeugen ihre Stimme erheben können, keine 

13 ^ 


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190 


Folterqual eine Aussage erpresst, es ruft, von einer geheim- 
nissvollen Macht getrieben: Strafet mich, ich biii’s, ich hab’s 
gethan. In dieser Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines 
vorhergegangenen Geständnisses als eines unerlässlichen Kri¬ 
teriums der Reue und Besserung pflegt man deshalb auch 
keinen Straferlass, keine Gnade einem ungeständigen Ver¬ 
brecher widerfahren zu lassen. Immer hat auch in diesem 
Punkt die hl. Schrift Recht und Giltigkeit, wenn es z. B. im 
Buch der Sprüche 28, 13 heisst: „Wer seine Missethaten ver¬ 
heimlicht, dem wird’s nicht Wohlergehen; wer sie aber be¬ 
kennet und unterlässt, der wird Barmherzigkeit erlangen.^ Und: 
„Schäme Dich nicht. Deine Sünden zu bekennen“, mahnt schon 
Jesus Sirach (c. 4, 31). — Der Missethäter, der hartnäckig 
leugnet, wo doch seine Schuld sonnenklar erwiesen ist, muss 
also nach all’ dem Angeführten als verstockter Sünder, als 
total ungebessert oder besserungsunfähig betrachtet werden 
und im Allgemeinen dürfte die Maxime feststehen: Ohne Ge- 
ständniss keine Besserung, ohne Besserung keine Gnade! 

Obwohl nun aber ein richtiges, werthzuschätzendes Ge- 
ständniss freiwillig, von innen heraus erfolgen muss, so 
gibt es doch der Wege und Mittel gar viele, um dasselbe 
herbeizuführen. Es kommen da aber wiederum psycho¬ 
logische Gesetze zur Geltung. Das äussere Bekenntniss ist, 
wie oben ausgeführt wurde, die natürlichste Kundgebung der 
gewonnenen besseren Erkenntniss, der wahren Herzensreue 
und der vollzogenen Willensänderung. Desshalb ist es zur Er¬ 
reichung des Besserungszweckes der Strafe unumgänglich, dass, 
wo diese Vorbedingungen fehlen, dieselben durch den Straf¬ 
vollzug, insbesondere durch die zur Pflege des Geistes und 
Herzens von der Religion und Moral ihm gebotenen Mittel, im 
Individuum geweckt und zur Bethätigung angeregt werden. 
Diese Aufgabe hat aber vor Allen der Gefängnissseelsorger zu 
lösen. Sie ist oft schwierig und erfordert eigene Kenntniss 
des menschlichen Herzens, Liebe zu den unsterblichen Seelen, 
Klugheit und Vorsicht, Geduld mit dem Unverstand, mit dem 
Eigensinn und mit all’ den Hindernissen, die dem Eindringen 
des guten Samens in das Erdreich der Seele entgegensteben. 
Dem Verblendeten sind die Augen zu öffnen, damit er 


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erkenne, „dass er nackt sei^, ein armseliger Sünder, der 
„jeglichen Ruhmes entbehret vor Gott“, der sich selbst und 
Anderen zum Verderben geworden ist und unrettbar verloren 
geht, wenn er die schlimmen Wege nicht verlassen will. Sein 
Herz ist in den empfindlichsten Fasern zu ergreifen und der 
Art zu bewegen, dass es vom anfänglichen Schmerz über die 
natürlichen Folgen der Sünde, über zeitlichen Verlust und 
leibliches Weh’ zum heilsamen übernatürlichen Reue¬ 
schmerz über die Sünde selbst sich emporhebt. Und 
seinem Willen sind solide Fundamente in Form von klar 
erläuterten Grundsätzen und Lebensregeln zu unterlegen und 
dass er nicht mehr in die alten Sünden und Laster zurück¬ 
zufallen fest entschlossen sei, dessen zum Zeichen muss er 
sich von der begangenen Missethat mit Herz und Mund los¬ 
sagen, auch — durch aufrichtiges Geständniss! Der 
Vater im Evangelium- hat dem verlorenen Sohn erst dann sein 
Vertrauen und mit diesem seine Liebe wieder geschenkt, als 
derselbe vor ihm niedergesunken war und ohne Selbstbeschö¬ 
nigung, ohne Entschuldigung und ohne Rückhalt sein ganzes 
gottloses und liederliches Leben enthüllt und die Selbst- 
erkenntniss, die ihn zur Reue und zur Heimkehr angetrieben, 
in dem Bekenntniss ausgesprochen hatte, er sei gar nicht mehr 
werth, der Sohn seines guten Vaters zu heissen. 

Im Besonderen aber sollten zur Herbeiführung von 
Geständnissen nur ehrenhafte, sittlich erlaubte Mittel 
in Anwendung gebracht werden. Der Geistliche hüte sich, 
dem Gefangenen moralische Daumenschrauben anzulegen oder 
zu Kunstgriffen seine Zuflucht zu nehmen, die dann und wann 
von übereifrigen Gendarmen, von pfiffigen Gefangenwärtern, 
mitunter selbst von Untersuchungsrichtern beliebt werden, um 
den Inquirenden zu „fangen“, durch Ueberlistung zu einem 
Geständniss zu bringen. Dem Gefängnissseelsorger steht ja 
eine Anzahl von ganz geraden Wegen zu Gebote, auf denen 
er dem Sträfling beikommen, Eingang in sein Herz finden 
kann. Ich nenne hier in erster Linie: 

a) Das Wort Gottes, das, wie der Apostel an die 
Hebräer (4, 12) schreibt, „lebendig ist und wirksam und 
schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringet, 


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bis dass es Seele und Geist, Mark und Bein scheidet und ein 
Richter ist der Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“ 
Durch aufmerksames Lesen des Wortes Gottes, wie es nieder¬ 
gelegt ist in der hl. Schrift, durch Lesen in der Legende 
der Heiligen, deren tugendreiches Leben die herrlichen Früchte 
des Gotteswortes darstellt, mit Selbstbeschämung erfüllt und 
zur Nachahmung anmuthet, durch Lesen in anderen erbau¬ 
lichen Büchern ist schon manches verhärtete Herz erweicht, 
manche Blindheit geheilt, manches offene Geständniss erzielt 
worden. Die Lectüre der Gefangenen hat aber in allen An¬ 
stalten vorsugsweise der Geistliche zu bestimmen und zu 
überwachen. — Noch mehr als das gelesene macht das ge¬ 
sprochene lebendige Wort einen guten Eindruck auf die 
Zuhörer. Wie manches Geständniss erfolgte schon unmittelbar 
nach einer einschneidenden Predigt, nach einem von Oben 
gesegneten Wort im Religionsunterricht, nach einem 
ernsten und eindringlichen Zwiegespräch auf der Zelle! 
Und da ist es nicht allein der Geistliche, sondern jeder 
Beamte des Hauses, der als Prediger auf den Sträfling ein¬ 
wirken kann. Wie nothwendig ist es also, dass jeder Beamte 
selbst von religiösem Geiste erfüllt ist, dass insbesondere nur 
gottelsfürchtige Aufseher mit den Gefangenen in Berüh¬ 
rung kommen sollten! Was nützt es, wenn der Geistliche 
dem Worte Gottes Zutritt und Gehör beim Gefangenen zu 
verschaffen sich abmüht, wenn dieser aus Anderer Munde 
Aeusserungen vernehmen muss, die wie der Frost die keimende 
Frühlingssaat vernichten? — Ausserdem wird den Gefangenen 
nicht selten auch von aussen her gepredigt und an’s Ge¬ 
wissen geredet durch Angehörige, Freunde und ehe¬ 
malige Vorgesetzte, die in brieflichen Verkehr mit ihnen 
treten. Wahrhaft herzergreifend ist oft die Sprache, in wel¬ 
cher ein bekümmerter Vater oder eine gebeugte Mutter zu 
ihrem entarteten Sohne redet und ihn beschwört, er möge doch 
in sich gehen und die auferlegte Strafe als wohlverdiente im 
christlichen Bussgeiste ertragen! Solche Ermahnungen haben 
häufig den besten Erfolg, erwecken im gefangenen Leser gute 
Gedanken und Vorsätze, und er bekennt vorbehaltlos sein Ver¬ 
gehen und die Wege, die ihn dazu geführt haben. 


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b) Wo aber das Wort nichts fruchtet, da greift der liebe 
Gott selbst mitunter ein und schickt dem verstockten Sünder 
eine Krankheit, die ihm, wie die bittere Fischgalle dem 
Vater Tobias, die Augen öffnet, das Gewissen weckt, das 
Herz und den Mund erschliesst. Die Schrecken der Ewigkeit 
leuchten wie Blitzesstrahlen in seine Seele, und nachdem er 
vielleicht viele Jahre am Straforte unempfänglich für bessernde 
Einflüsse sich gezeigt und hartnäckig geleugnet hatte, entringt 
sich dem im Tode erblassenden Munde noch ein reuerolles 
Geständniss, in Verbindung mit einem bangen, halbverzweifelten, 
oder aber hoffnungsfreudigen „Herr sei mir armen Sünder 
gnädig“. Mir ist ein Raubmörder bekannt, der 12 Jahre im 
Zuchthaus gesessen war und Unschuldsbetheuerungen unter 
den grässlichsten Selbstverwünschungen unablässig vorbrachte 
und siehe, zwei Tage vor seinem Tode bekannte er die so 
lange zurückbehaltene schwere Blutschuld. Bisweilen bedarf 
es aber gar nicht einer tödtlichen Krankheit, sondern blos 
eines länger dauernden Unwohlseins, wodurch dem Sträfling 
ernstere Gedanken an die Hinfälligkeit des Leibes, das ewige 
Schicksal der Seele u. dgl. in den Sinn geführt werden, so 
dass mit dem Geständniss der Anfang der Besserung erzielt 
ist. — Oder aber es kommt eine Hiobspost von der Heimath 
an und verkündigt ihm den Tod theucrer Angehörigen, viel¬ 
leicht eines Vaters, einer Mutter, einer Gattin, und es wird 
ihm zugleich gemeldet oder er selbst muss sich^s sagen, dass 
er das nun erstarrte Herz gebrochen, dass er der Todten- 
gräber des Verstorbenen gewesen. Das Weitere ist der ver¬ 
zehrendste Trauerschmerz, der in Verbindung mit der erschüt¬ 
ternden Busspredigt, die der Tod ihm hält, die Eiskruste des 
Herzens zum Schmelzen bringt, den Stein vom Grabe des Ge¬ 
wissens wälzt und die Lossagung von der lange festgehaltenen 
und verheimlichten Sünde bewirkt. 

c) Auch die Einrichtungen der Strafanstalt sind dazu 
angethan, hartgesottene und verblendete Missethäter auf bessere 
Wege zu bringen. Auf scharfe Disciplinarstrafen erfol¬ 
gen nicht selten Geständnisse und williges Fügen in die be¬ 
stehende Ordnung, nachdem durch sie der Trotz und Starr¬ 
sinn gebrochen worden war. So gestand z. B. ein junger 


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194 


Mansch, wogen Mords zu lebenslänglicher Strafe eingeliefert, 
aber lange Zeit ungeständig und unbändig, nachdem er eines 
Tages sechs Stunden im Zwangsstuhl gesessen. — Ausser der 
Disciplin ist es überhaupt das streng durchgeführte Isoli- 
rungssystem, das für unsere vorwürfige Frage beinahe von 
einzigem Belange ist. Nur die Zelle führt zur Einsicht, 
bringt Er- und Bekenntniss hervor. Im Umgang mit Anderen 
dagegen findet der Leichtsinn und das Leugnen stets neue 
Aufmunterung. Wer will das bestreiten? 

d) Noch ein Moment möchte ich anführen, das für die 
geeignete Behandlung des Gefangenen nicht genug beachtet 
werden kann, leider aber in seiner Bedeutung von Manchen 
übersehen wird, nämlich die NothWendigkeit genauer Per- 
sonalkenntniss des neu eingelieferten Sträflings, 
bevor man in Verkehr mit ihm tritt. Da wird Einer 
wegen dieses oder jenes Verbrechens zu längerer Strafe in 
die Anstalt verbracht. Der Geistliche hat ihn sofort aufzu¬ 
suchen, über seine religiös-sittliche Bildungsstufe zu prüfen, 
die ersten Ermahnungen ihm zu ertheilen. Weder dem Geist¬ 
lichen noch der Anstaltsverwaltung sind aber ausser den 
lückenhaften Einlieferungspapieren irgend nähere Aufschlüsse 
über den neuen Gast mitgetbeilt, keine Entscheidungsgründe 
für das Urtheil, keine Anklageschrift, keine Untersuchungs¬ 
acten. Man ist also über den Eingelieferten völlig im Unge¬ 
wissen, kann nicht sicher und fest vor ihn hintreten, ist auf 
ihn selbst als Auskunftsquelle angewiesen. Allein der Beamte 
gibt sich schon dann eine Blösse, wenn der Gefangene merkt, 
dass jenem sein Vorleben unbekannt ist. Versucht man ihn 
auszufragen, so riskirt man den „blauesten Dunst“ und der 
Mann lacht sich hintenher in^s Fäustchen, dass er sogar am 
Straforte seine „Bären“ aufbinden konnte. Das trifiPb allerdings 
nicht immer, aber erfahrungsgemäss auch nicht selten zu und 
alle meine Collegen werden sicherlich gleich mir sich schon 
recht erregt haben, wenn sie nachträglich aus den Acten oder 
sonstwie über einen Gefangenen Aufschlüsse bekamen, die mit 
dem von ihm selbst anfänglich uns vorgemalten Schuldbild in 
keinem Zuge übereinstimmten. „Hat der Bursche aber mich 
angeflunkert!“ — Der Geistliche speciell ist ausser Stande, 


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auf einen Sträfling systematisch einzuwirken, wenn ihm nichts 
Näheres über dessen Antecedentien und Strafthat bekannt ge¬ 
geben wird. Ganz anders vermag man dagegen dem Neu¬ 
angekommenen entgegenzutreten, wenn man im Voraus schon 
möglichst genau über die erwähnten Punkte sich hat informiren 
können und in Bezug auf die üngeständigen könnte ich 
eine Reihe von Fällen anführen, wo ich ihnen mit meinem 
detailirten Vorwissen ihres Verbrechens und Vorlebens gleich 
beim ersten Begegnen dermassen imponirte, dass sie auf jeden 
Versuch des Leugnens und Flunkerns sofort verzichteten und 
Alles zugestanden, was sie noch kurz vorher dem Richter 
abgeleugnet hatten. Ich kann deshalb auch bis heute nicht 
einsehen, warum man selbst an massgebender und sachver¬ 
ständiger Stelle es mitunter für überflüssig erachten will, 
dass die Voracten, Entscheidungsgründe u. dgl. den Straf¬ 
anstaltsbeamten rechtzeitig zur Einsicht mitgetheilt werden. 

e) Endlich aber besitzt speciell der katholische Ge- 
fängnissseelsorger noch ein Mittel, um Sünde und Verbrechen 
in der tiefsten Wurzel zu fassen und auszurotten: es ist die 
sacramentale Beicht. Wie sehr dieses psychologisch 
ebenso begründete, wie pädagogisch äusserst fruchtbare und 
segenbringende, seit den ältesten Zeiten in der christlichen 
Kirche nachweisbar bestandene Institut geeignet ist, den Pöni¬ 
tenten auch zum äusserlichen Schuldbekenntniss zu 
bewegen, ist meinen kath. Amtsgenossen aus Schule und Praxis 
sattsam bekannt. Weiter unten werde ich die delicate Frage, 
wie der Gefärignissgeistliche ein innerhalb der Beicht selbst 
(in foro interne) ihm abgelegtes Geständniss eines strafrecht¬ 
lichen Delictes ausserhalb derselben (in foro externe) zu 
behandeln habe, näherhin besprechen. Hier, wo von den Mit¬ 
teln, ein Geständniss herbeizuführen, die Rede ist, sei 
nur Folgendes bemerkt: Der Sieg über den Widerstand der 
Verstocktheit ist oft nur schwer zu erringen. Wie mancher 
Verbrecher ergeht sich Monate und Jahre hindurch in den 
heiligsten Betheuerungen, er sei „unschuldig“ verurtheilt wor¬ 
den. „O Herr Pfarrer, ich bin so unschuldig an der Sache, 
wie ein Kind im Mutterleib“; — „unser Herrgott im Himmel 
weiss es“; — „ich will gleich sterben, wenn ich das gethan 


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habe"; — ^Meineide haben mich daher gebracht, feindselige, 
rachsüchtige, schadenfrohe, bestochene Zeugen“; — „ich bin 
unschuldig, aber ich will mich in Gottes Namen d’rein schicken, 
da unser Heiland auch unschuldig gelitten hat“ — u. s. w. 
Und fort und fort das nämliche Betheuern und Verschwören 
und Verwünschen, selbst Thränen in reichlichem Maasse! Der 
Besuch eines solchen „unschuldigen Lammes“ wird dem Seel¬ 
sorger zur Qual. Jedes Wort scheint fruchtlos gesprochen zu 
sein. Da kommt die Beichtzeit; der Aufseher fragt, wer sich 
betheiligen will und „Er“ meldet sich auch — zur Verwunde¬ 
rung, aber auch nicht geringen Verlegenheit des Beichtvaters. 
In diesem Falle verfahre ich so: Ich gehe zu ihm hinein in 
die Zelle, die nun auch zum Beichtstuhl geworden ist, und 
höre ihn an. — Eventuell sage ich dann ihm ernst und ruhig: 
Lieber Freund, Ihr habet bisher stets Euer Verbrechen ge¬ 
leugnet, obwohl Ihr doch so überführt worden seid, dass kein 
vernünftiger Mensch an Eurer Schuld mehr zweifeln kann. 
Bisher habet Ihr mich als gewöhnlichen Menschen angelogen, 
jetzt, im hl. Bussgericht, bin ich der Stellvertreter des Herrn, 
von dem ich Euch Verzeihung Eurer Sünden ankündigen soll. 
Gott ist aber nur barmherzig und gnädig gegen reumüthige 
Sünder. Ihr aber habet leider immer noch keine Reue über 
Eure Sünde und Missethat; denn sonst würdet Ihr von selbst 
dieselbe auch offen und aufrichtig bekennen. Ihr leugnet aber 
sogar. noch in der Beicht, Ihr lüget vor Gottes heiligem An¬ 
gesicht. Als Beichtvater ist es mir deshalb strengstens unter¬ 
sagt, Euch die Absolution zu ertheilen, und wenn ich sie auch 
über Euch ausspräche, so würde sie doch keinen Werth haben, 
keinen Widerhall finden im Himmel. Ihr habet vielmehr durch 
Missbrauch und Entheiligung des hl. Busssacramentes eine neue 
schwere Sünde, ein Sacrilegium auf Euch geladen. Glaubet 
ja nicht, Ihr könntet mich täuschen; ich bin von Eurer Schuld 
und Eurer Verstocktheit so fest überzeugt, dass es mich im 
Innersten der Seele empört, wie Ihr es wagen könnet, durch 
Euer sacrilegisches Beichten mich zu hintergehen.“ Nun muss 
er entweder bekennen oder er beharrt auf seiner Lüge. In 
letzterem Falle verlasse ich ihn, alle und jegliche Verantwor¬ 
tung auf seine Seele wälzend. Bisweilen aber höre ich noch 


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unter der Thüre ein leises: „Herr Pfarrer, kommen Sie noch 
einmal herein“ — das Geständniss erfolgt. 

Selbstverständlich — und ich betone das nachdrucksamst 

— trete ich in dieser Weise nur auf, wenn ich von der Schuld 
des Betreffenden mit beinahe mathematischer Gewissheit 
überzeugt bin. Dann aber ist bekanntlich unter eigener schwerer 
Versündigung jeder Beichtvater zur Verweigerung der Los¬ 
sprechung strikte verpflichtet. Soll doch selbst bei begrün¬ 
detem Zweifel an der erforderlichen Disposition (Reue) des 
Pönitenten die Absolution mindestens verschoben werden, bis 
untrügliche Zeichen der Reue zu Tage treten; ja, treten diese 
nicht ein, so darf der Priester nur in „extrema necessitate“, 
nur in der letzten Stunde nach Lehre der Casuisten einem 
zweifelhaft disponirt gebliebenen (dubie disposito) Pönitenten 
die Lossprechung und dann nur bedingungsweise ertheilen 

— seine Würdigkeit dem Urtheile des einzig allwissenden 
Gottes anheimstellend. So musste ich meines Erinnerns gegen 
einen wegen schweren Verbrechens wider das Leben zu lang¬ 
jähriger Strafe Verurtheilten verfahren, dessen Mitschuldige 
vor ihm starb und noch auf dem Todbett in Gegenwart 
von Zeugen seine Theilnahme an der That behauptet hatte. 
Er aber spielte den „Unschuldigen“, den Heuchler und Frömmler 
mehr als zehn Jahre hindurch. Ich wies ihn stets von der 
Beichte zurück, bis eine Krankheit ihn darnieder warf und der 
Tod ihm im Gesichte geschrieben stand. — Von der Beicht, 
wie von allen Sacramenten, gilt eben auch das Wort des Herrn: 
„Gebet das Heilige nicht den Hunden und werfet eure Perlen 
nicht vor die Schweine hin, damit sie selbe nicht etwa mit 
ihren Füssen zertreten.“ (Matth. 7, 6.) 

Die Verweigerung der Absolution wird aber als 
ein mächtig packendes Mittel zu unserm Zweck (Erzielung 
eines Geständnisses) nur bei Solchen wirken, die in ihrem 
Kirchenglauben noch nicht erschüttert sind. Zuweilen wirkt 
das Mittel nicht sofort und der Geistliche muss ohne Erfolg 
die Zelle verlassen, aber den Stachel im Gewissen hat er zu¬ 
rückgelassen; der Gedanke, der sacramentalen Lossprechung 
unwürdig zu sein, nagt wie ein Wurm im Innern und der 
Mund öffnet sich doch noch zum Bekenntniss der verborgenen 


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Schuld bei irgend einem Anlasse. Eine Thatsache kann ich 
hier konstatiren: Nach jeder gegebenen Beichtgelegenheit halte 
ich ein Erntefest hinsichtlich erzielter Geständnisse. Es ist über¬ 
haupt kaum zu bestreiten, dass der gläubige Katholik, von Kind¬ 
heit an zum speciellen Sündenbekenntniss (d. i. zur „Ohren¬ 
beicht“) im Gewissen sich verpflichtet haltend, auch vor dem 
Richter und Gefängnissbeamten eher zu einem Geständniss 
sich herbeilässt, als ein Andersgläubiger, der über alle seine 
Sünden nur „seinem Gotte“ Rechenschaft ablegen zu müssen 
und zu dürfen glaubt. 


2 . 

Solche Geständnisse nun, die einem inneren Drange, der 
gewonnenen besseren Einsicht, quälender Gewissenspein und 
wahrer Herzensreue entspringen, abgelegt ohne Rücksichten, 
ohne Vorbehalt, ohne Beschönigung, als voller Ausdruck des 
Schuldgefühles, haben ihren grossen Werth nach verschie¬ 
denen Seiten hin; 

a) für den Gefangenen selbst. Hat er einmal bekannt, 
so kehrt Erleichterung, Ruhe und Friede in seinem Innern ein, 
er schaut wieder frei zu Gott empor und den Menschen in’s 
Angesicht j er kann nun vertrauensvoll bßten und die lange 
verschobene Bekehrung gründlich und tiefgehend bewerk¬ 
stelligen. Anderseits hat sein Geständniss, wie oben bereits 
ausgeführt wurde, an und für sich schon eine versöhnende und 
sühnende Kraft, verleiht das Anrecht auf Begnadigung, da er 
gezeigt hat, dass er sein Verbrechen einsieht, bereut, gut zu 
machen und nicht mehr zu begehen entschlossen ist. Hat 
doch in dieser Hinsicht, wie die Bibel erzählt, Gott selbst 
uns Menschen zur Nachahmung einen Fingerzeig gegeben, in¬ 
dem Er, der Allwissende und Allsehende, dem alles mensch¬ 
liche Denken und Handeln bekannt wird, bevor man es ihm 
eingesteht, gleichwohl das erste Menschenpaar und den Bruder¬ 
mörder Kain zur nachträglichen Beicht, zum Geständniss ihrer 
Missethat angehalten hat, w^ohl einzig in der weisen Absicht, 
um die Bezeugung seiner Barmherzigkeit den Frevlern gegen¬ 
über mehr als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. 

b) Werthvoll ist ein solches Geständniss auch für den 


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Richter oder den Gerichtshof, der das Urtheil gefällt 
hat. Auch die Herren Strafrichter sind sterbliche Menschen, 
können also irren und haben schon oft geirrt, und mir hat 
einmal ein sehr ernster und gewiegter Jurist offen bekannt, 
dass er fast jedes Mal eine gewisse Unruhe verspüre, so oft 
er lediglich auf Grund von Inzichten und fremden Aussagen 
sein Votum zur Feststellung des Strafurtheiles abzugeben habe. 
Die Möglichkeit eines Justizmordes ist in häufigen Fällen, selbst 
wenn der Verdacht zur grössten Gewissheit sich gesteigert 
haben mag, gleichwohl nicht völlig ausgeschlossen^ namentlich 
bei Anklagen wegen Brandstiftung, Meineids und Missbrauch 
von Kindern, sowie bei Verhandlung der Anklagen durch die 
lobsamen — Schwurgerichte. In solchen Fällen nun 
muss das, nach der Verurtheilung abgelegte Geständniss 
jedem Richter zur Beruhigung und Befriedigung gereichen, 
während beharrliches, auch am Straforte fortgesetztes Leugnen 
und Unschuldsbetheuern eine Verdächtigung, wenn nicht eine 
förmliche Beleidigung des erkennenden Tribunals in sich 
schliesst. 

c) Nicht minder hat ferner auch das freie Publikum 
ein Interesse daran, dass Schuld und Strafe jeweils sich mög¬ 
lichst decken, und es ist ihm deshalb nicht Einerlei, ob der 
Angeklagte die ihm zur Last gelegte That eingeräumt hat oder 
nicht. Man darf da nur in Gesellschaften oft Aeusserungen 
über Gerichtsfälle vernehmen, die in der Presse besprochen 
werden, um dieser meiner Behauptung ohne Widerrede beizu¬ 
pflichten. Und bei unsern öffentlichen Gerichtsverhand¬ 
lungen zeigt das anwesende Publikum nicht selten eine grosse 
Neigung zur Kritik des Verfahrens, bildet sich seine eigene 
Ansicht über die Schuldfrage und würde manchmal ganz 
anders entscheiden als die Schöffen und Geschworenen, ganz 
anders (milder oder strenger) bestrafen als der Gerichtshof. — 
Ebenso kommt es vor, dass die Heimathsgenossen und 
Angehörigen des Inculpaten in Ungewissheit und ängstlicher 
Sorge darüber schweben, ob derselbe, der doch so „unschuldige^ 
sein will, wirklich die verhängte Strafe verdient habe oder 
nicht. \Diese Zweifel sprechen sie bisweilen selbst in an die 
Strafanstaltsbeamten gerichteten Briefen aus. Es ist nun klar, 


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200 


welchen Eindruck nach beiden erwähnten Seiten hin es machen 
muss, wenn es bekannt wird, dass der Betreffende in der Straf¬ 
anstalt ein reumütbiges Qeständniss abgelegt habe. Dadurch 
wird das Vertrauen zu und die Achtung vor dem Richterstand 
unter allen Umständen erhöht und befestigt, wie anderseits den 
Angehörigen ein Trost gespendet. — Endlich 

d) bat der Gefängnissseelsorger durch das erfolgte 
Geständniss die erste und nothwendigste Voraussetzung für 
eine erspriessliche religiös-sittliche Behandlung des Betreffenden 
gewonnen. Einem Gefangenen gegenüber, der in den Mantel 
der Unschuld sich hüllt, ist der Geistliche stets in einer be¬ 
klemmenden Situation, selbst dann, wenn er völlig von dessen 
Schuld überzeugt ist. Welche Rolle soll ich Individuen gegen¬ 
über spielen, die mit der ruhigsten Miene von der Welt vor 
mir stehen als „Opfer ungerechter Verurtheilung^^? Sie leugnen 
und doch steht ihre Schuld nicht nur in den Acten, nein, mit 
deutlichen Buchstaben auch in ihrem Gesichte geschrieben, die 
Thatsache ist durch die glaubwürdigsten Zeugen bewiesen, 
von Mitschuldigen längst zugestanden, — sie aber leugnen. 
Was soll ich mit ihnen anfangen? Sie zur Busse mahnen? 
Aber sie sind ja so „himmelschreiend ungerecht^ bestraft, so 
unschuldig, rechtschaffen und vollkommen, dass sie keiner 
Busse bedürfen, ja sie gerathen in Entrüstung und beginnen 
zu schimpfen, wenn man es wagt, sie zur Busse und Sühne 
aufzufordern, an ihrer „Unschuld“ einen gelinden Zweifel zu 
äussern. Oder soll ich solche Gutedel trösten und beruhi¬ 
gen? Aber sie sind ja so unglücklich und bedauernswerth, 
dass sie keinen andern Trost wollen ausser einem solchen, der 
sie mit einem ägyptischen Josef oder einem Täufer Johannes 
im Kerker oder gar mit dem Heiland am Kreuze vergleicht, 
keine andere Beruhigung als eine solche, die sie in ihrer Ver¬ 
stocktheit, Verblendung und Selbsttäuschung bestärken oder 
aber ihren geheimen Hohn über meine Leichtgläubigkeit heraus¬ 
fordern würde. Gewiss finde ich viele Amtsgenossen, die gleich 
mir derartige Subjecte als das schwerste Kreuz ihres Berufes 
betrachten und nur mit einer gewissen Selbstüberwindung in 
speciellen Verkehr mit ihnen treten. 

Erfreulich also und von grossem Werthe sind die Ge- 


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ständnisse, welche die geschilderten Eigenschaften besitzen 
und doch wird häufig so geringer Werth darauf gelegt! 

Der Vollständigkeit halber muss ich aber noch anfuhren, 
dass mitunter das Geständniss eines wirklich Schuldigen 
keinerlei moralischen Werth besitzt und keine Berück¬ 
sichtigung verdient, wenn nämlich es erst erfolgt, nachdem 
der BetrefiPende sich gründlich vergewissert hat, dass auf 
keinem andern Wege Gnade oder Straferlass zu erreichen ist. 
Solche „Geständnisse“ gehen aus dem berechnenden Ver¬ 
stand e, nicht aus dem bussfertigen Herzen und gebesserten 
Willen hervor. „Ich habe jetzt bald drei Viertel meiner Strafe 
ei*standen; werde ich nicht vorläufig entlassen?“ „Ich bin nun 
schon über die Hälfte hier; gibt es für mich keine Gnade?“ 
„„Nein, Ihr seid ja unschuldig und nur Schuldige können be¬ 
gnadigt werden.““ „Ja nun, wenn’s absolut nicht anders geht, 
dann will ich meine Sache auch eingestehen.“ — Natürlich 
bewirkt ein solches „Geständniss“ gerade das Gegentheil von 
dem, was damit bezweckt werden wollte; es ist nichts Anderes 
als die endliche Entlarvung der langjährigen Lüge, Heuchelei 
und Verstellung. 

3. 

Wie hat aber der Geistliche die ihm gemachten 
Geständnisse zu behandeln? Als leitender Grundsatz 
gilt hier: das Vertrauen muss auch dem Verbrecher 
gewahrt werden. Ein an vertrautes Geh eimniss zu bewahren, 
ist für Jedermann eine natürliche Pflicht und dass es bewahrt 
werde, zu verlangen, hat auch der Gefangene ein natürliches 
Recht. Deshalb gibt es schon für, im gewöhnlichen Ge¬ 
spräch unter ausdrücklicher Bedingung des Stillschweigens 
gemachte Eröffnungen eine, jedem Ehrenmann selbstverständ¬ 
liche Discretion, die unter der Voraussetzung und so lange 
heilig zu halten ist, als dadurch nicht Rechte Dritter schwer 
verletzt werden oder Anderen oder der bürgerlichen Gesell¬ 
schaft nicht grosse Gefahren und Schädigungen daraus er¬ 
wachsen. Diese Verfahrungsweise hat auch der Gefängniss- 
geistliche einzuhalten. Gerade er muss ängstlich Alles meiden, 
was das unbedingte Vertrauen der Gefangenen zu ihm ab¬ 
schwächen könnte. Eben darum, weil die katholischen Ge- 


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202 


fangenen wissen, dass sie ihrem Seelsorger und Beichtvater 
rückhaltlos vertrauen dürfen, erschliessen sie ihm auch die 
geheimsten Falten ihrer Seele und offenbaren ihm, was kein 
Richter und kein anderer Gefangnissbeamter jemals aus ihrem 
Munde zu vernehmen bekommt. 

Weit mehr aber und vom Willen des kath. Priesters gar 
nicht mehr abhängig, weil strengstens unter schwerster Kirchen¬ 
strafe geboten und pflichtgemäss, ist das sog. SigiUum con- 
fessionale, das Beichtsiegel, unter allen Umständen und 
gegen Jedermann unverletzt zu bewahren. Der kath. Priester 
ist ausserhalb der Beicht für alles darin Vernommene als 
mortuus, als todt zu betrachten. Durch keine Miene, keinen 
Blick, keine Unterlassung und keine Handlung, durch nichts 
darf er zu erkennen und auch nur zu errathen geben, was er 
aus der Beicht weiss. In seiner Brust verschlossen trägt er, 
wie in einem Grabe, eine Menge von Bekenntnissen aller Art, 
daher auch die Geständnisse hinsichtlich der strafrecht¬ 
lichen Schuldfrage und muss somit nicht selten schwei¬ 
gend zuhören, wenn dieser oder jener Sträfling von anderen 
Beamten als ungeständig hingestellt wird, während ihm (dem 
Geistlichen) sub sigillo doch das Gegentheil feststeht. Das 
Beichtinstitut darf nicht mit der staatlichen Strafvollstreckung, 
mit der weltlichen Strafrechtspflege verquickt werden, damit 
es frei bleibe von dem Odium eines „Polizeiinstitutes“. 

Diese Grundsätze der katholischen Beichtpraxis schliessen 
indessen nicht aus, dass der Gefängnissgeistliche den Sträfling 
mit religiös-moralischen Motiven ernst und liebevoll ermahnen 
darf und soll, die Wahrheit auch vor der weltlichen Be¬ 
hörde zu sagen. Ja, ich erachte es sogar für einen un¬ 
erlässlichen Theil der zum Busssacrament gehörenden Genug- 
thuung oder der eigentlichen „Busse“ (im dogmatischen engeren 
Sinne des Wortes), dass der Verbrecher auch äusserlich 
seine Strafe als eine verdiente anerkenne durch Ablegung 
eines offenen Geständnisses vor dem Gefängnissdirector, der 
dasselbe protocollarisch aufzunehmen und dem betreffenden 
Gerichte zur Kenntniss zu bringen hat. Oder man wird doch 
das Unstatthafte der Ansicht einsehen, es sei hinreichend, dass 
der Gefangene in confessionali gestehe, extra confessionale 


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203 


dagegen brauche er nicht zu gestehen, dürfe er also weiter¬ 
hin — lügen und heucheln! Und dennoch habe ich einen Amts¬ 
bruder kennen lernen müssen, der damit vollständig befriedigt ist, 
wenn seine Gefangenen vor ihm, dem Priester, „confiteor“ sagen. 
Ich aber beharre darauf, dass kein Sträfling für einen wahren 
Büsser gehalten werden kann, wenn er nicht Jedem, der ihn 
zu fragen berechtigt ist, die ungeschminkte Wahrheit ein¬ 
gesteht. Will er dazu sich nicht entschliesscn, so zeigt er, 
dass er sich überhaupt noch nicht bekehrt hat; denn die 
Bekehrung besteht in der Abwendung des Willens von allem 
Bösen, also auch von der Lüge. Und wer wahrhaft buss¬ 
fertig ist, der scheut sich nicht. Jedem zu sagen: Ja, ich habe 
diese Strafe wohl verdient, denn ich habe das und das ver¬ 
brochen. 

Man hat zwar bisweilen mit manchen Bedenken und Be¬ 
fürchtungen zu rechnen, wodurch die Gefangenen abgehalten 
werden, ein Geständniss auch vor der staatlichen Behörde ab¬ 
zulegen. Diese Bedenken zu heben, ist also vor Allem nöthig. 
Man erkläre ihnen, dass und warum ein solches Geständniss 
ihnen nur von Nutzen sein könne, dass es keine Straf¬ 
erhöhung bewirke, keine Schande, sondern eine Ehre für sie 
sei. Sündigen sei schändlich, bekennen ehrenvoll. Uebrigens 
wo es sich darum handeln würde, dass durch das Geständniss 
ein anderer unschuldig Angeklagter oder Verurtheilter be¬ 
freit werden könnte oder dass Mitschuldige von Verbre¬ 
chen zu entdecken wären, die dem Staate oder der Kirche 
oder einer Privatperson zu grossem Schaden gereichen, z. B. 
Falschmünzerei, Verschwörungen, Diebstähle, Veruntreuungen 
u. dgl., dann ist dem beichtenden Sträfling zu bedeuten, 
dass ihm sogar die Absolution verweigert werden 
müsse, wofern er ein derartiges Geständniss vor der staat¬ 
lichen Behörde nicht ablegen wolle. In diesen statuirten zwei 
Fällen ist das Geständniss coram judice externo eine un¬ 
erlässliche Pflicht, in andern Fällen mindestens ein nütz¬ 
licher Rath. ^ 

In der Regel bittet der beichtende Gefangene den Beicht¬ 
vater, er möge dafür sorgen, dass er vor der Verwaltung zu 
Protokoll vernommen werde, oder er sagt etwa: Herr Pfarrer, 

BUtter für Oeföngnisskunde. XIX. 14 


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204 


ich erlaube Ihnen, dass Sie zu meinen Gunsten von meinem 
ständniss beliebigen Gebrauch machen dürfen, z. B. wenn 
mir ein Zeugniss aussteilen, ein Gutachten über meine 
gnadigung abgeben müssen. Nun kommt aber die oben sehe 
angekündigte delicate Frage: Wenn der Pönitent auch in for 
externo ein Schuldbekenntniss ablegen will, darf der Beicht 
vater selbst dazu mitwirken, darf er von dem in dei 
Beicht ihm Anvertrauten Gebrauch machen, wem 
der Pönitent ihn ausdrücklich darum bittet oder 
ihm die Erlaubniss dazu gibt? Die Antwort auf diese 
casuistische Frage gebe ich am klarsten an einem concreten 
Fall. Also: 

Ein Mann — mag er Sempronius heissen — wurde nebst| 
der mitschuldigen Tochter wegen Blutschande zu mehrjährige! 
Zuchthausstrafe verurtheilt. Beide waren bei der Gerichtsver-I 
handlung nach offenbar vorhergegangener Verabredung unge-! 
ständig, beide leugneten auch in der Strafanstalt. Nach etwa| 
einem halben Jahre meldete sich Sempronius zur Beicht. Einige 
Tage nach derselben fing er noch einmal beim gewöhn¬ 
lichen Zellenbesuch mit mir über die Beicbtmaterie zu 
reden an und bat mich (also sogar extra confessionem!), ich 
möchte doch, wie er mich bereits in der Beicht ersucht habe, 
ihn beim Director zur Abgabe eines Protocolles melden. Dies 
that ich und Sempronius gestand vor dem Vorsteher der An¬ 
stalt, er habe seine Tochter geschwängert. Nachher schrieb 
er seiner Tochter, offenbar um auch sie zu einem Gestäudniss 
zu bewegen, wörtlich: „Herr Pfarrer hat mich sogleich 
beim Director gemeldet, dieser hat es zu Protocoll genom¬ 
men und an das Amtsgericht abgeschickt." Dtesen Brief liess 
ich im Bewusstsein, recht gehandelt zu haben, unbeanstandet 
an die Anstalt abgeben, in welcher seine Tochter inhaftirt 
war; der dortige Geistliche aber hielt ihn zurück und zwar 
wegen der angeführten Stelle. In dieser sah nämlich mein 
College eine mit seinen Anschauungen über das Beicht-, 
geheimniss nicht übereinstimmende meinerseitige Verfahrungs-" 
weise und befürchtete, die Tochter des Sempronius könnte 
vielleicht eine Verletzung des Beicbtsiegels aus jenen Worten 
herauslesen und daran grosses Aergerniss nehmen. Es ent- 


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205 


spann sich nun zwischen meinen) Collegen und mir eine 
academische Controverse, die schliesslich vor einem compe- 
tenten höheren Schiedsgericht zum Austrag gebracht wurde. 
Ich wurde von letzterem dahin belehrt, dass es für den 
Beichtvater absolut unstatthaft sei, vom Pönitenten in con- 
fessione die Erlaubniss sich zu erbeten, in seinem Inter¬ 
esse von den gemachten Enthüllungen der Behörde gegen¬ 
über Gebrauch machen zu dürfen. Die Gefahr, das Ansehen 
des Beichtinstitutes zu schädigen, liege zu nahe. Man solle 
zwar dem Verbrecher zusprechen, dass er auch in foro ex¬ 
terne die Wahrheit eingestehe, aber der Beichtvater solle die 
Vermittlungsrolle entschieden ablehnen. Der Gefangene könne 
durch andere Hausbeamte sich zu Protocoll melden lassen. 
„Ueberhaupt, so lautet wörtlich die erste schiedsgerichtliche 
Entscheidung, besteht die Aufgabe des Geistlichen lediglich 
darin, durch Belehrung, durch den Gottesdienst, durch Gebet 
und Spendung der hl. Sacramente an der Besserung der Ge¬ 
fangenen zu arbeiten, in schonender Weise ihr Schuldgefühl 
zu wecken und sie zur Erkenntniss ihres Zustandes und zur 
Sinnesänderung zu führen. Wenn der Verurtheilte seinem 
Seelsorger in der Beichte seine Schuld bekennt, so kann 
das Geständniss vor der weltlichen Behörde als 
etwas Untergeordnetes angesehen und dessen Ab¬ 
legung den Umständen überlassen werden.(?)... . 
Der Beichtvater kann den Gefangenen keine weitere Verpflich¬ 
tung auferlegen, als dass sie dem Beamten gegenüber das 
begangene Verbrechen nicht auf unwahre Weise (?) in 
Abrede stellen, dass sie also, wenn sie in durchaus recht¬ 
mässiger Weise und Form gefragt bezw. gehört werden, 
nicht weiter mehr leugnen. So aber der Geistliche den 
(weltlichen) Beamten irgendwie zu einer solchen Befragung 
veranlassen würde, müsste dies als ganz verwerflich 
beurtheilt und als mindestens indirecte Verletzung des Beicht¬ 
geheimnisses behandelt werden. Der Geistliche soll die 
Gefangenen, welche in der Beicht ihre Schuld ge- 
offenbart, in keiner Weise beunruhigen, wenn sie 
die Ablegung des Geständnisses vor dem Anstalts¬ 
vorstand aus irgend einem Grunde verweigern. 

14 « 


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206 


Nur in höchst seltenen ausserordentlichen Fällen dürfte 
es ausnahmsweise geschehen, dass er in sie dränge mit 
der Aufforderung, ihre Schuld vor dem Verwaltungsbeamten 
protocollarisch einzuräumen. Ebenso wird es nur selten und 
ausnahmsweise statthaft sein, sich die Erlaub hiss, bei der 
Behörde von den ihm gemachten Enthüllungen Gebrauch zu 
machen, ertheilen zu lassen oder eine solche Erlaubniss anzu¬ 
nehmen .Für Herbeiführung von Geständnissen soll der 

Geistliche ausser in der Beicht so wenig als möglich thätig sein.^ 

Es wäre mir nun sehr erwünscht gewesen, Wenn die 
„seltenen und ausserordentlichen“ Fälle näher bezeichnet wor¬ 
den wären, in denen „ausnahmsweise“ der Geistliche mit Er¬ 
laubniss des Gefangenen von seinen Enthüllungen in foro 
externo Gebrauch machen oder ihn selbst zu einem Geständ- 
niss vor der Behörde auffordern dürfe. Das Schiedsgericht 
hat mein angeführtes Verfahren im Falle des Sempronius als 
„bedenklich“ und „gefährlich“ und „in seiner Anwendung das 
Beichtinstitut schädigend“ bezeichnet. 

In einer wiederholten Vorstellung betonte ich, dass Sem¬ 
pronius ja ausserhalb der Beicht die in derselben vorge¬ 
tragene Bitte, ihn beim Director zu melden, wiederholt an 
mich gerichtet habe, dass ich also nicht einzusehen vermöchte, 
wie mein Verfahren die Ehrfurcht vor der Beicht irgendwie 
beeinträchtigen könne. Allein auch der zweite Bescheid hielt 
obige Grundsätze aufrecht. 

Zur Rechtfertigung meines Verfahrens berief ich mich, wie 
ich es auch hier zum Schlüsse thue, auf einen Gewährsmann 
von solcher Autorität, dass nach einer päpstlichen Declaration 
Niemand fehl geht, der nach seinen Moralforderungen han¬ 
delt, auf den hl. Kirchenlehrer Alfons von Liguori. In 
seinem Werke: „Homo apostolicus“, tractatus XVI. cap. 8 
n. 156 sagt er wörtlich: „Non oritur fractio sigilli, si mani- 
festat (confessarius) aliquid ex licentia poenitentis, quod 
certe licitum est, ut docent multi cum S. Thoma contra 
pauciores, qui dicunt, non posse poenitentes darc hanc 
licentiam; sed nos dicimus cum communi, quod^) tale 

Ich bitte die classische Latinität, an diesem und dem folgenden 
quod sich nicht stossen zu wollen. 


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sigillum, sicut tantum in favorem poenitcntium inipositum 
est, ita ipsi possunt re movere. Advertendum tarnen, quctd, 
ut confessarius uti possit tali licentia, debet esse 1. expressa 
2. omnino spontanea 3. non revocata.“ 

Die von Sempronius mir ertheilte Licentia hatte, weil in 
Form wiederholter Bitte gegeben, doch gewiss diese drei 
Eigenschaften. Allein der höhere mir gewordene zweite Ent¬ 
scheid besagt: „Selbst wenn die Licenz vom Pönitenten voll¬ 
kommen spontan gegeben wird, ist es rathsam, einem 
solchen Ersuchen nicht zu entsprechen.“ Indessen lässt dieser 
zweite Erlass, in nachgiebigerem Geiste gehalten, doch die 
Praxis zu, dass der Beichtvater nach oder ausser der Beicht 
fragliche ^rlaubniss sich vom Pönitenten geben lassen dürfe. 

Aus dem Vorgetragenen ist ersichtlich, dass der Beicht¬ 
vater in Gefängnissen ebenso ängstlich Alles vermeiden muss, 
was die Beicht verdächtigen oder odiös machen könnte, wie 
er anderseits mit Takt und Klugheit dieses Institut füglich 
auch für den staatlich vorgeschriebenen und angestrebten 
Strafvollzug fruchtbar machen darf. Ich selbst wenigstens 
bin noch keinen Augenblick in meinem subjectiven und amt¬ 
lichen Gewissen über meine, dem Sempronius wie schon einer 
Anzahl anderer Gefangenen gegenüber geübte Praxis beun¬ 
ruhigt worden. 


n. 

Im zweiten, weit kürzeren Theile dieser Abhandlung habe 
ich es noch mit den thatsächlich unschuldig Ver- 
urtheilten zu thun. Aber solche gibt’s ja gar nicht in einer 
Strafanstalt? Freilich gibt es und zwar sind deren wenige 
schon — sehr viele! Es sind namentlich einige Kategorien 
von Anklagesachen, ich habe sie oben bereits bezeichnet, in 
denen erfahrungsgemäss die meisten solcher Fälle und zwar 
aus leicht erklärbaren Gründen Vorkommen. Ja, ich sage es 
selbst auf die Gefahr hin, mitleidig belächelt zu werden: es 
kommt vor, dass Einer sich einer strafbaren Handlung für 
schuldig bekennt, obwohl er an dieselbe nicht einmal gedacht, 
geschweige denn sie wirklich begangen hatte. Mehrere ecla- 
tante Fälle könnte ich zur Erhärtung der Richtigkeit dieser 


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Behauptung hier des Näheren schildern, will aber davon 
sehen und zum Schlüsse eilen. Verlockende Vorspiegelungen, 
bethörende Ueberlistung, verwirrende Drohung, selbst brutale 
Misshandlung haben schon bei manchem Angeklagten zu solchen 
„Schuldbekenntnissen“ die traurigen beklagenswerthen Dienste 
der Folter leisten müssen.^) Ein Fall aus der Gegen¬ 
wart meiner Gefängniss-Praxis beweist mir, dass sogar eitle 
Prahlerei einen Bauernburschen reizen konnte, sich als 
Theilnehmer an einer „ländlichen“ Schlägerei, in der die 
scheusslichsten Rohheiten verübt worden waren, zu bekennen 
und jetzt, zu mehrjähriger Strafe mit zwei Anderen verurtheilt, 
verwünscht und verflucht er sein prahlerisches Lügenmaul. 
Es half ihm nichts, dass er bei der Hauptverhandlung sich 
vor allen Anwesenden selbst als einen verlogenen Prahlhans 
hinstellte. Seiner belastenden Lüge wurde mehr Glauben 
geschenkt, als dem nachträglichen Widerruf derselben. 

Solche Unglückliche nun, die für „unschuldig“ zu halten 
ich triftige Gründe habe, besitzen jeweils mein vollstes Mit¬ 
leiden. Mit ihnen umzugehen, ist eine peinliche Aufgabe, so 
peinlich, dass Einem oft die Zunge gelähmt wird und man 
gewaltsam an sich halten muss, um nicht noch ihren miserenden 
Zustand durch unvorsichtige, vom Herzen dictirte Aeusse- 
rungen zu verschlimmern. Man wird dies leicht begreifen und 
verstehen. Der Seelsorger wird ihnen zwar niemals in’s Ge¬ 
sicht einräumen, dass er sie für unschuldig hält, das darf 
er als Gefängnissbeamter durante et vigente judicio gar nicht. 
Er wird sie durch Hinweis auf Gottes unerforschliche Rath¬ 
schlüsse, Fügungen und Zulassungen mit ihrem Schicksal zu 
versöhnen, wird ihnen sogar hin und wieder den Trost zu 
spenden suchen, dass es schliesslich, im wahren Lichte be¬ 
trachtet, dem Menschen besser sei, unschuldig zu leiden als 
unter dem doppelten Drucke schwerer Schuld. Der Seelsorger 
wird ihnen gegenüber stets bereit sein, durch warme Für¬ 
sprachen und Empfehlungen bei den Behörden ihnen Vergün- 

*) Was ich hier schreibe, ist ganz allgemein aufzufassen, da ich 
weit entfernt bin, auf bestimmte Persönlichkeiten anspielen zu wollen. Es 
handelt sich um Erfahrungen, die allerwärts gemacht werden können, 
sowie um den Ausdruck meiner lediglich moralischen Ueberzeugung. 


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209 


stigungen und Erleichterungen zu verschaffen, wird häufiger 
sie aufsuchen und durch freundliche, erheiternde Gespräche, 
unverfängliche Mittheilungen von der Aussenwelt sie zerstreuen, 
unterhalten, aufheitern. Immerhin bleiben diese Aermsten der 
Gegenstand steter seelsorgerlicher Bekümmerniss, da man ihnen 
meistens die einzig gewünschte und ersehnte Hilfe, die Be¬ 
freiung, nicht zu erwirken vermag. Die Urtheilssprüche sind 
nämlich in allen Fällen formell richtig, unanfechtbar und 
unumstösslich, anderseits neue durchschlagende Beweise der 
Unschuld nicht oder nur sehr schwer zu erbringen, so dass 
mir bis jetzt noch kein einziger Fall bekannt wurde, wo ein 
Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens irgend welchen 
Erfolg gehabt hätte. — Noch ein anderer Weg steht endlich 
dem Geistlichen offen und ich habe ihn schon wiederholt 
betreten, um einem Unschuldigen die Erlösung zu bringen, 
nämlich: in Uebereinstimmung mit dem Strafanstalts-Vorsteher, 
der das Urtheil des Geistlichen gewiss respectiren wird, weil 
dieser die Leute besser kennen zu lernen vermag als er, an 
die höchste Behörde gutächtlich berichten! Wo keine 
Schuld vorhanden ist, kann die Begnadigung von einem vor¬ 
ausgegangenen Geständniss nicht abhängig gemacht werden 
und es wäre unmoralisch, durch Erweckung solcher Hoff¬ 
nungen den Unschuldigen zu einem unwahren „Geständniss“, 
zu einer Lüge zu verleiten. Ein wahrhaft Unschuldiger ver¬ 
steht sich denn auch niemals zu einem derartigen Hilfsmittel 
und duldet eher weiter, als dass er „ja“ sagte, wo sein Ge¬ 
wissen ihm lediglich das „nein“ befiehlt. Da sollte nun die 
oberste Behörde dem Urtheil der Anstaltsbeamten, ins¬ 
besondere des Geistlichen, unbedingtes Vertrauen schenken. 
Dürfte man sich doch dessen fest versichert halten, dass er¬ 
fahrene, mit gesundem Blick begabte Gefängnissbeamte nicht 
leicht sich dupiren lassen, dass sie ächte und simulirte Un¬ 
schuld wohl zu unterscheiden verstehen. Wer Jahre lang 
mit Verbrechern verkehrt, der weiss gar wohl, wie wahre 
und wie geheuchelte „Unschuld“ sich geberdet. Misstrauen 
und Skepsis setzt sich, je länger man Gefängnissbeamter ist, 
desto tiefer in Einem fest. Die Leichtgläubigkeit wird durch 
Erfahrung bald curirt, und ich für meine Person kann be- 


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theuern, dass ich mich bezüglich der Schuld frage noch kaum 
an Einem Sträfling getäuscht habe. 

Hiemit schliesse ich meine Ausführungen, für welche 
ich die geehrten Leser um wohlwollende Aufnahme bitte. 
Sie machen durchaus nicht den Anspruch auf absolute Rich¬ 
tigkeit, wohl aber auf denjenigen der tendenziösesten Un¬ 
befangenheit. Es würde mich sehr freuen, wenn aus der 
Mitte meiner Collegen ein freundlicher Versuch der Be¬ 
richtigung gemacht würde. Die Sache ist unstreitig einer 
allseitigen Beleuchtung würdig. 


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Die Mmetall Weleii liel Cassel. 

Von Director Kaldewey. 


1. Allgemeines. 

Die Strafanstalt Wehlheiden liegt südwestlich von der 
Stadt Cassel, eine halbe Meile vom Innern derselben entfernt, 
auf einem Hochplateau in einer an landschaftlichen Schön¬ 
heiten reichen Gegend. Sie bildet mit den Beamtenwohn¬ 
häusern eine eigene Colonie und hat mit dem 20 Minuten von 
ihr entfernten Dorfe Wehlheiden nur den Namen gemein. 

Wenn die Lage der Anstalt auch als eine gesunde be¬ 
zeichnet werden muss, so ist letztere doch allen Stürmen aus¬ 
gesetzt, die sich namentlich während des Herbstes in nicht 
angenehmer Weise bemerkbar machen. Der Umstand, dass 
die Anstalt auf einem unbewirthschafteten, abgelegenen Terrain 
ohne praktikable Zuführungswege und ohne geniessbares Brun¬ 
nenwasser, sowie ohne Anschluss an eine bestehende Canali- 
sation erbaut worden ist, hat den Bah zu einem schwierigen 
und kostspieligen gemacht. 

Um Trinkwasser zu erhalten, musste eine Wasserleitung 
vom Habichtswalde bis zur Anstalt geführt, es mussten Ab¬ 
zugscanäle und Drainage angelegt und Rieselterrain geschaffen 
werden. 

Das Abwasser aus der Anstalt und den Beamtenwohn¬ 
häusern wird durch Canäle in ein Sammelbassin geleitet und 
von hier aus auf das Terrain gepumpt, wo es zum Berieseln 


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der Wiesen und Aecker Verwendung findet. Das Drainwasser 
wird theils durch offene Abflussgräben, theils durch Böhren 
zu dem ziemlich entfernten Fuldafluss geleitet. 

Die Grösse des von der Ringmauer umschlossenen Terrains 
beträgt 360 Ar, das ausserhalb der Anstalt liegende, als Riesel¬ 
terrain benutzte Land rund 400 Ar. 


II. Grandriss-Anordnang. 

Die Ringmauer bildet ein unregelmässiges Sechseck. Die 
längste Seite derselben ist die Frontseite, von welcher recht¬ 
winkelig zwei Mauern von gleicher Länge ausgehen, an welche 
unter Winkeln von 150® zwei gleich lange Mauern stossen, 
die durch eine mit der Front parallel laufende Mauer ver¬ 
bunden sind. 

Inmitten dieses umschlossenen Raumes liegt die eigent¬ 
liche Anstalt, aus 5 um eine Centralhalle gruppirten Flügeln, 
einem Verwaltungsflügel und 4 Zellenflügeln bestehend. 

Senkrecht zur Hauptfront steht der Verwaltungsflügel, an 
welchen 2 Zellenflügel unter rechten Winkeln anstossen, also 
eine gerade Linie bilden, während die beiden anderen Flügel 
unter Winkeln von 60® mit den in gerader Linie liegenden 
zusammenstossen. Da, wo sich die 5 Flügel treffen, befindet 
sich die Centralhalle. 

Zwischen den beiden in gerader Linie liegenden Flügeln 
und den nach der Front zu liegenden Theilen der Ringmauer 
sind 4 Höfe eingeschachtelt, welche derartig unter sich und 
mit den 3 zunächst liegenden Flügeln verbunden sind, dass sie 
in ihrer Mitte einen fünften Hof (den Vorhof) und da ihre 
Mauern 6 Meter von der Ringmauer abgerückt sind, einen 
Rondengang bilden. 

Der Hof vor dem links liegenden Zellenflügel ist Wäsche¬ 
trockenplatz und enthält das Wirthschaftsgebäude. Der vor 
diesem liegende Hof ist der Oeconomiehof. Der vor dem 
rechts liegenden Zellenflügel befindliche Hof ist der Lazareth- 
hof mit dem Lazareth, und der vor diesem liegende der Hof 
für Arbeitsmaterialien. 

Durch diese Grundrissanordnung ist die Möglichkeit gc- 


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geben, alle Geräthe und Utensilien von der Umwährungs¬ 
mauer fern zu halten und der Anstalt einen hohen Grad von 
Sicherheit zu gewähren. {Stevens „La construction des pri- 
sons cellulaires“.) 

Das Etablissement wird durch folgende Baulichkeiten ge¬ 
bildet: a) Thorbau, b) Verwaltungsflügel mit Kirche, c) Central¬ 
bau, d) vier Zellenflügel, e) zwei Schulgebäude, f) Lazareth, 
g) Wirthschaftsgebäude, h) Stallgebäude, i) Schuppen, k) 
Pumpenhaus, 1) Ringmauer, m) Abschlussmauer, n) Beamten¬ 
wohnhäuser. ^ 

a) Der Thorbau 

besteht aus einem von 4 achteckigen, mit Zinnen gekrönten 
Thürmen flankirten Mittelbau und zwei Seitenflügeln. 

Der Mittelbau springt vorne und hinten vor; in ihm liegt 
das Thor, welches den einzigen Zugang zur Anstalt bildet. 

Der rechte Flügelbau ist unterkellert, er enthält im Erd¬ 
geschoss die Pförtnerstube und einen Theil der Pförtnerwoh¬ 
nung, während ein Theil der letzteren sich in der ersten Etage 
befindet. 

Der linke Flügelbau enthält die Militärwachtstube. 

Die erste Etage des Mittel- und linken Flügelbaues ent¬ 
hält Magazine. 

Rechts und links vom Thorgebäude befinden sich kleine 
abgeschlossene Höfe; der links liegende Hof enthält die Be- 
dürfnissanstalt für die Militärwache, der rechts liegende gehört 
zur Pförtnerwohnung. 

b) Der Verwaltungsflügel, 

ein kirchenartiges Gebäude, enthält: 

im Souterrain links: 1 Abort für Oberbeamte, 1 Reini¬ 
gungszelle, 2 Badezimmer für Beamte, 1 Aufnahmezelle, 1 
Raum für die Mitteldruckheizung; rechts: 2 Räume für Luft¬ 
heizung, 4 Aufnahmezellen; 

im Erdgeschoss: links: 1 Amtszimmer des katholischen 
Geistlichen, 1 Werkmeisterzimmer, 1 Zimmer des Arbeits- und 
Oeconomie-Inspectors, 1 Conferenzzimmcr, 1 Zimmer des Di- 
rectors, 1 Besuchszimmer; rechts: Kasse, Secretariat, 1 Zim¬ 
mer des evangelischen Geistlichen, 1 Zimmer des Hausvaters; 


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im zweiten Stockwerk: die Sakristei und die Kirche mit 
385 abgeschlossenen .Einzelsitzplätzen (stalls), welche amphi¬ 
theatralisch ansteigen und im höchsten Theile von der Orgel 
überragt werden. Der Orgel gegenüber befindet sich eine 
Empore mit Altar, Kanzel und Sitzplätzen für die Beamten. 
Unter der Kanzel im SchiflT der Kirche befindet sich ein 
zweiter Altar, welcher beim Spenden des heiligen Abend¬ 
mahls benutzt wird. 

Die Kirche ist durch 12 grosse Fenster mit Sandstein¬ 
einfassung hell beleuchtet. 

c) Centralhalle 

bildet im Grundriss ein unregelmässiges Achteck. Fünf Seiten 
grenzen an die Zellenflügel und drei bilden die mit mächtigen 
Fenstern versehenen Zwischenräume zwischen je zwei Flügeln. 
Die die Flügel mit der Centralhalle verbindenden Hälse sind 
in jeder Etage mit 8 eisernen Fenstern versehen. Der Raum 
zwischen zwei Hälsen ist bis zur Höhe des ersten Stockes 
ausgebaut, wodurch im Souterrain ein grosser Lagerraum, im 
Erdgeschoss ein geräumiger Arbeitsraum geschaffen ist. 

d) Die vier Zellenflttgel. 

Von denselben enthalten; 

Zellen fl ügel A: im Souterrain links: 1 Heizerzelle, 

1 Raum für die Heizung, 1 Tischlerwerkstatt, 3 Magazin¬ 
räume; rechts: 1 Glaser- und Anstreicherwerkstatt, 1 Raum 
für die Heizung, 1 Heizerzelle, 4 Magazinräume. 

Zellenflügel B: im Souterrain links: 1 Raum für die 
Heizung, 5 Magazine, 1 Heizerzelle; rechts: 1 Raum für die 
Heizung, 1 Kohlenraum, 1 Schmiede, 2 Magazine, 1 Heizer¬ 
zelle ; 

Zellen fl ügel C: im Souterrain links; 1 Klempnerwerk- 
statt, 3 Badezellen für Gefangene, 1 Schmiede und Schlosserei, 
1 Heizerzelle, 1 Raum für die Heizung; rechts: 5 Badczellen 
für Gefangene, 1 Raum für die Heizung, 1 Raum zur Erwär¬ 
mung des Badewassers, 1 Magazin; am Ende des Flügels; 2 
Arbeitsräume für 20 bis 25 Gefangene; 

Zellen fl ügel D: im Souterrain links: 5 Strafzellen, 


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1 Heis^erzelle, 1 Raum für die Heizung; rechts: 3 Strafzellen, 

1 Geräthraum, 1 Heizerzelle, 1 Raum für die Heizung; am 
Ende des Flügels: 1 Waschraum für Gefangene, 1 Raum mit 
90 Schlafboxes. 

Im Erdgeschoss, im ersten und zweiten Stockwerk sämmt- 
licher vier Zellenflügel ist die Eintheilung gleich. Jedes Stock¬ 
werk enthält: 1 Aufseherzelle, 1 Spülzelle und 34 Isolirzellen; 
mithin enthalten die vier Flügel: 12 Aufseherzellen, 12 Spül¬ 
zellen, 408 Isolirzellen. 

e) Die beiden Schulgebäude 

liegen in der Verlängerung derjenigen beiden Zellenflügel, 
welche un^er Winkeln von 60® auf die Centrale stossen. Sie 
sind mit den Flügeln durch eine bedeckte Halle verbunden. 
Jede Schule enthält 40 abgeschlossene Einzelsitzplätze (stalls), 
welche amphitheatralisch ansteigen. 

O Das Lazareth 

enthält im Kellergeschoss: 1 Leichenkammer, 1 Sectionszim- 
mer, 3 Kellerräume; im Erdgeschoss: 1 Zimmer für den Arzt, 
dasselbe ist zugleich Apotheke, 1 Badezimmer, 1 Zimmer für 
den Aufseher, dasselbe ist zugleich Theeküche, 1 Kranken¬ 
zelle, 2 Krankenzimmer, 1 Spülzelle; im ersten Stockwerk: 

2 Krankenzellen, 3 Krankenzimmer, 1 Spülzelle. 

g) Das Wirthschaftsgebäude 

enthält im Souterrain: 7 Kellerräume, 1 Pumpenraum; im 
Erdgeschoss: 1 Gemüseputzstube, 1 Küchenraum, 1 Brod- 
schneidestube, 1 Aufbewahrungsraum für Küchenbedürfnisse, 
1 Waschküchenraum, 1 Aufbewahrungsraum für Seife und 
Soda, 1 Mehlkammer, 2 Backstuben, 1 Brodkammer; im 
Dachgeschoss: 1 Wäschetrockenkammer, 1 Aufbewahrungs¬ 
raum für die eigenen Kleider der Gefangenen, l Wäsche- 
sortirraum. 

h) Das Stallgebäude 

enthält im Souterrain: 1 Kühlkammer; im Erdgeschoss: 1 Stall 
für 10 Kühe, 1 Stall für 4 Pferde, 5 Schweineställe, 1 Mol¬ 
kerei, 1 Aufseherzimmer, 1 Raum für den Pferdeknecht. 


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216 


i) Die Schuppen 

enthalten: 2 Wagenschuppen, 1 Schuppen für die Feuerspritze, 
1 Kohlenschuppen, 4 Holzschuppen. 

k) Das Pumpenhaus 

steht ausserhalb der Ringmauer. In ihm befindet sich das 
Sammelbassin für das Abwasser und über diesem die Pumpe, 
vermittelst welcher das Abwasser auf das Rieselterrain ge¬ 
pumpt wird. 

1) Die Ringmauer 

ist incl. Thorgebäude 730 m lang und 5,52 m hoch. Sie be¬ 
steht aus 155 gewölbten Bogen, die mit Bruchsteinen aus- 
gemauert sind. Pfeiler und Bogen sind aus rothem Sandstein. 
Die Ringmauer ist mit dachartig behauenen Sandsteinen ge¬ 
krönt, welche nach beiden Seiten abfallen. Ausser den Thor¬ 
thürmen sind noch acht Thürme in der Mauer angebracht, die 
der ganzen Anlage ein festungsartiges Ansehen geben. 

m) Die Abschlussmauer. 

Die Mauern der eingeschachtelten Höfe sind aus Ziegel¬ 
steinen erbaut, sie sind 5,52 m hoch und mit halbrunden Sand¬ 
steinen gekrönt. 

n) Die Beamten Wohnhäuser. 

Es sind an Beamtenwohnungen vorhanden: 1 Gebäude, 
die Wohnung des evangelischen Geistlichen und des Directors 
enthaltend; 1 Gebäude, die Wohnung für zwei Lehrer und 
zwei Oberaufseher enthaltend; 2 Wohnhäuser von gleicher 
Construction, in dem einen wohnen zwei Inspectoren, in dem 
anderen der katholische Geistliche und ein Inspectionsassistent; 
7 Wohnhäuser für Aufsichtsbeamte, jedes 4 Wohnungen ent¬ 
haltend. 

Sämratliche Beamten Wohnhäuser liegen in Gruppen der 
Anstaltsfront gegenüber derartig, dass sie derselben eine 
Giebelseite zuwenden und zwischen den Häusern und der An¬ 
stalt eine Strasse bleibt. Jedes Haus liegt vom anderen ab¬ 
gesondert und ist mit Anlagen umgeben. In den Wohnungen 
der Oberbeamten sind die Zimmerwände mit Tapeten bekleidet, 
in den Wohnungen der Aufseher in Leimfarbe gehalten. Die 


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Fussböden in sämmtlichen Wohnungen sind mit Oelfarbe ge¬ 
strichen. Jedem Beamten ist eine Gartenparzelle überwiesen. 

UL Einrichtung der Gebäude. 

Sämmtliche Gebäude, mit Ausnahme der aus Holz errich¬ 
teten Schuppen und des bereits erwähnten Thorgebäudes, sind 
aus Ziegelsteinen erbaut und unverputzt. Die Wände im In¬ 
nern der Anstalt sind, mit Ausnahme der Waschküche, welche 
einen Oelfarbenanstrich besitzt, in Leimfarbe gehalten, jedoch 
ist in den Corridoren, sowie in der Kochküche ein Sockel in 
Oelfarbe gestrichen. Auch über dem Abort in den Zellen ist 
eine bestimmte Wandfläche mit einem Oelfarbenanstrich ver¬ 
sehen. Die Galerien in den Zellenflügeln und die Verbindungs¬ 
brücken zwischen denselben bestehen aus Trägern aus Walz¬ 
eisen, die bei den Galerien auf gusseisernen Consolen ruhen. 
Der Belag besteht aus eichenen Bohlenstücken. Das Geländer 
ist aus Schmiedeeisen mit einer hölzernen Wulst als Handhabe. 
Die vor den Flügeln liegenden, nach den Höfen führenden 
Treppen, die Treppen im Verwaltungsflügel, im Lazareth, im 
Wirthschafts- und Thorgebäude, sowie die aus den Zellen¬ 
flügeln in das Souterrain führenden Treppen sind aus Stein. 

In den Corridoren der Zellenflügel sind zwei Arten Trep¬ 
pen vorhanden, solche, die in gerader Flucht vom Erdgeschoss 
bis in die zweite Etage führen und solche, an den betreffenden 
Hälsen angebracht, die zwei Galerien mit einander verbinden. 
Erstere Art besteht aus Trägern von Walzeisen, auf welche 
die gusseisernen, dreieckigen Träger der Trittbretter aufge¬ 
schraubt und bei denen an Stelle der Stossbretter gusseiserne 
durchbrochene Platten eingesetzt sind. Bei der zweiten Art, 
welche im oberen Theile in eine Wendeltreppe übergeht, ist 
jedes Stufengestell aus Gusseisen und die einzelnen Stufen- 
theile sind mit einander verschraubt. Bei beiden Arten sind 
die Geländer von Schmiedeeisen und tragen oben einen höl¬ 
zernen Wulst als Handhabe. Die Trittbretter sind bei beiden 
Treppen von Holz. 

Die Dachstühle sind aus Holz. 

Das Souterrain der Centrale ist auf eisernen Schienen, 


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welche theils auf gusseisernen Säulen, theils im Mauerwerk 
ruhen, eingewölbt. Die Gewölbe der Hälse ruhen auf eisernen 
Schienen. Die Zcllenfliigel sind durch Sonnengewölbe ge¬ 
schlossen. Die Centrale trägt eine Decke von Wellblech. 

Als Daclibedeckung ist beim Thorgebäude Schiefer, bei 
den Schulen und den -Schuppen Pappe zur Anwendung ge¬ 
langt, während alle anderen Gebäude mit Falzziegeln ein¬ 
gedeckt sind. 

Die Anstalt selbst, das Thorgebäude und das Lazareth 
sind mit Blitzableitern versehen. 

Die Fensterrahmen in den Bureaus und Zellen sind aus 
Eichenholz. Die Fenster der Kirche, der Schulen, der Cen¬ 
trale, der Hälse und der Giebelseiten der Zellenflügel sind 
aus Eisen. 

Die Feiisterbrüstungen sind aus weissem Sandstein, die 
Fenstereinfassung an der Aussenseite ist aus glasirten Ziegeln 
hergestellt. 

Sämmtliche Fenster mit hölzernen Rahmen sind mit 
schmiedeeisernen Gittern versehen, welche bei den Zellen¬ 
fenstern aus Rundeisenstäben von 23 mm Durchmesser, die 
140 mm Entfernung im Lichten haben und durch 60 mm breite 
und 12 mm dicke Flacheisenstäbe gehen, gebildet sind. 

Die Fenster in den Bureaus können vollständig, die eisernen 
Fenster in der Anstalt nur zum Theil geöffnet werden. Die 
Zellenfenster von 1 □ m Grösse können im oberen Drittel 
nach innen zu geöffnet werden. Dieses Oeffnen, sowie das 
Schliessen wird von den Gefangenen selbst besorgt. Den Ver¬ 
schluss des Fensters bildet ein Federschloss. Zieht der Gefan¬ 
gene an einer am Schloss angebrachten eisernen Stange in 
seitlicher Richtung, so zieht er vermittelst einer Feder eine 
hinter einen Haken greifende Zunge zurück und das Fenster 
fällt auf zwei Winkelbleche, auf welchen es im ganz geöffneten 
Zustande, unter einem Winkel von 75®, ruht. Zum Schliessen 
genügt ein einfaches Zuschlägen. Im feststehenden Theil des 
Fensters befindet sich noch eine Luftklappe, welche indess 
nur vom Aufseher geöffnet und geschlossen werden kann. Die 
Verglasung der Fenster ist bei der Kirche theilweise mit 
buntem, theilweise mit gewöhnlichem, beim feststehenden Theil 


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des Zellenfensters und beim unteren Theil der Fenster des 
Lazareths mit gereifeltem, bei allen anderen Fenstern mit ge¬ 
wöhnlichem Glase erfolgt. 

Das Haupteingangsthor ist von Eichenholz. Dasselbe be¬ 
steht aus zwei Flügeln; in einem befindet sich eine Pforte 
für Fussgänger. Die nach dem Vorhofe zu belegene Oeffnung 
des Thorgewölbes wird während der Dunkelheit durch ein 
eisernes Thor geschlossen. Rechts und links vom Thorgebäude 
führen zwei eiserne stets verschlossene Thore in die Ronden¬ 
gänge. 

Die Thore zwischen Vorhof und Einzelhöfe, sämmtliche 
Haus- und Zellenthüren sind aus Eichenholz, die Thüren des 
Bureaus aus Tannenholz. 

Länge der Zellen 3,95 m, Breite 2,30 m, Höhe bis zum 
Gewölbe 2,53 m. Die Thürnische befindet sich in der Zelle. 
Höhe der Thürnische 2 m, Tiefe 0,48 m, Breite 0,95 m. Grund¬ 
fläche der Zellen 9,5 Dm und Inhalt derselben 25 cbm. 

Der Fussboden ist von Holz mit Leinöl getränkt. Die 
Zellen wände sind mit Kalkputz versehen, dessen Weisse durch 
einen geringen Zusatz von grüner Farbe gebrochen ist. Die 
Decke ist weiss. Die Thürzarge ist von rothem Sandstein. 
Die Thürhaken sind von innen nach aussen durch die Thür- 
zarge gelassen und aussen vermittelst Muttern festgeschraubt. 

Die Thüre ist 48mm stark, in Naturfarbe gehalten. In 
den Thüren befinden sich Speiseklappen. Die Breite der Klap¬ 
pen beträgt 23 cm, die Höhe 22 cm, die Höhe der Klappe 
vom Fussboden 1,11 m. An der Innenseite der Thüre ist ein 
eiserner Knopf angebracht, der zum Oeffnen der Thüre dient. 

Die Breite der Thüre beträgt 74 cm, die Höhe 2,5 m. 

Die Observationseinrichtung besteht aus einem eisernen 
Trichter, der so in die Thüre eingelassen ist, dass die kleinere 
Oelfnung nach aussen, die grössere aber nach innen geht. Die 
Thüröffnung ist durch eine kleine Glasscheibe geschlossen. 
Vorne hängen zwei eiserne kreisförmige Scheiben, welche sich 
um einen Stift drehen, von denen die untere ein kleines Loch 
Tür geheime Observirung enthält, während die obere ohne 
Oeffnung ist und das Loch verdeckt. 

Die Thürangeln bilden in ihrer Fortsetzung zwei starke 

Blätter für Qefängnieskunde. XIX. 15 


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Eisenschienen, welche an der Aussenseite einen starken Thür¬ 
beschlag bilden. 

Die Speiseklappo ist von innen durch eiserne Streifen ein- j 
gefasst. Die Thüren sind in der Mehrzahl innerhalb am Rande ’ 
mit eisernen Winkeleisen beschlagen, in der Minderzahl mit 
einer Eisenhaut überzogen. Zwei Krallen greifen bei geschlos¬ 
sener Thür in die Thürzargen. Das Thürschloss ist eintourig, 
es kann nur vom Corridor aus mittelst des Schlüssels geöffnet 
werden. Zum Verschliessen dient ein am Schlosse befindlicher 
Griff; eine Viertelumdrehung desselben verschliesst die Zelle. 
Die Thüre schlägt links nach innen auf. 

Der Abort befindet sich theils in der linken, theils in der 
rechten Ecke. Er wird gebildet durch einen aus Stein ge¬ 
mauerten, mit Cementschichten durchsetzten Sockel, 24 cm hoch, 
auf welchem eine Schieferplatte ruht. An beiden Wänden 
befinden sich, senkrecht auf der horizontal liegenden, zwei 
Schieferplatten, auf welchen eine mit Brillenloch versehene 
Schieferplatte angebracht ist. Zwischen die horizontal liegen¬ 
den beiden Platten wird das aus Steingut bestehende Gefäss 
mit Wasserverschluss geschoben. Der Zwischenraum zwischen 
den beiden Schieferplatten beträgt im Lichten 19 cm. Stärke 
der Schieferplatten 8 cm. Länge der Schieferplatten, an der 
Wand gemessen, 45 cm. 

Es sind zwei Arten Bettstellen im Gebrauch; in drei Flü¬ 
geln Klappbettstellen, in einem table-lits. Die Klappbettstellen 
haben einen Rahmen von Bandeisen, die table-lits von Gurten. 

Die Matratzen sind dreitheilig mit Indiafaser, das Kopf¬ 
polster ist mit gleichem Material gestopft. Betttuch von weissem 
Leinen. Decken und Kopfpolster-Bezug von blau und weiss 
gestreiftem Stoff. Zwei wollene Decken. 

Die Ventilationsöffnung liegt über dem Abtrittsgefass und 
führt in einer für jede Zelle besonderen Röhre in der Corridor- 
wand hinauf bis zum Dachgeschoss. Sie ist 25 cm hoch und 
12 cm breit und mit einem Drahtgitter versehen. Ueber der 
Zellenthüre ist eine zweite Oeffnung von 12 cm Quadrat, welche 
die Zellenluft mit der Luft des Corridors in Verbindung bringt. 
Auch diese Oeffnung ist mit einem Drahtgitter versehen. 

Der Zellenschrank ist in vier Abtheilungen getheilt; eine 


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221 


Abtheilung ist zur Aufnahme des Essnapfes, des Wasserglases 
und des Löflfels bestimmt, die zweite für Bücher und Schreib¬ 
zeug, die dritte für Bürsten etc., die vierte für Brod und Salz. 
Unter dem Schraitke befinden sich vier Pflöcke zum Aufhängen 
der Kleider. Der Tisch ist ein sogenannter Klapptisch, der 
vermittelst zweier Cliarniere an der Wand befestigt ist. An 
einer Seite des Schrankes hängt der Thermometer und das 
Inventarienverzeichniss. An einem Wandriegel hängen: Klopf¬ 
stock, Cylinderreinigungsbürste, Borstfeger, Müllschaufel und 
Pensa-Tabelle. An sonstigem Inventar ist in der Zelle vor¬ 
handen: ein transportabler Schemel, ein Wasserkrug, ein Wasch¬ 
becken aus Zinkblech, ein Eimer für Schmutzwasser aus Zink¬ 
blech, ein Spucknapf aus Holz. 

Die Aufseherzelle befindet sich am Anfang jeder Station, 
sie ist -ungefähr doppelt so gross als eine Isolirzelle und ist 
nach aussen vorgebaut, um die ganze Front des Zellenflügels 
übersehen zu können. Jede Station hat eine Spülzelle in 
doppelter Isolirzellengrösse mit Asphaltboden. In dieser dient 
zur Entleerung der Closetgefässe ein eisernes, weiss emaillirtes 
Ausgussbecken, aus welchem die eingeschütteten Stoffe durch 
Röhren in den Abfuhrwagen gelangen. Zu beiden Seiten des 
Entleerungsbeckens befinden sich zwei Spülbecken, ebenfalls 
von Eisen und emaillirt, von etwas kleineren Dimensionen als 
das Entleerungsbecken. In diesen Spülbecken werden die 
Closetgefässe mit reinem Wasser ausgespült; das Spülwasser 
gelangt durch Röhren in den Canal. 

IV. Electrische Apparate. 

Die Bureaus sind mit dem Stand des Oberaufsehers in 
der Centrale durch Fernsprecheinrichtungen verbunden. Von 
zwei verschiedenen Punkten des Souterrains aus kann durch 
Druck auf angebrachte Knöpfe die Glocke in der Centrale in 
Bewegung gesetzt werden. Von der Centrale aus geht eine 
electrische Alarravorrichtung in die Wohnung des Pförtners. 
Auch können die beiden Militärposten in den Rondengängen 
durch Druck auf Knöpfe die Signalglocke auf der Wachtstube 
in Bewegung setzen. 

15 *^ 


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Im Innern einer jeden Zelle befindet sich neben der Thtire 
ein Knopf an einer durch die Wand gehenden Druckstange, 
welche in einem vor der Zelle auf dem Corridor befindlichen 
Kästchen endet. Drückt der Gefangene auf den Knopf, so 
schlägt die Glocke der betreffenden Station an und gleich¬ 
zeitig fallt aus dem Kästchen eine Blechplatte nieder, welche 
eine horizontale Lage annimmt und diejenige Zelle markirt, 
von welcher aus das Signal gegeben ist. In der . Centrale be¬ 
finden sich vier Nummerkasten, vor jedem Zellenflügel einer, 
an welchen durch Herabfallen einer Nummer diejenige Station 
bezeichnet wird, in welcher die Signalglocke in Bewegung 
gesetzt worden ist. Der Oberaufseher kann nun sofort sehen, 
ob der Stationsaufseher sich zu demjenigen Gefangenen ver¬ 
fügt, von welchem das Signal ausgegangen ist. 

y. Lazareth. 

Die Krankenzellen sind 48 cbm gross, die Krankenzimmer 
enthalten 40 cbm pro Kopf. Die Fussböden der Gorridore, 
der Spülzellen und der Badezelle sind asphaltirt, die Fuss- 
boden der Krankenzimmer und Zellen sind von Holz. Die 
Heizung wird durch Oefen erzielt, welche zugleich zur Venti¬ 
lation benutzt werden. Der Ofen in der Badezelle dient zu¬ 
gleich zur Erwärmung des Bade wassere. Die Oefen werden 
vom Corridor aus geheizt. Die Absaugung der schlechten Luft 
geschieht in jedem Zimmer durch eine am Fussböden und eine 
unter der Decke befindliche Oeffnung, welche durch Röhren 
mit einem, Winter tind Sommer erwärmten Aspirationsschlot 
in Verbindung stehen. Die Röhren können gereinigt werden. 
In jedem Krankenzimmer befindet sich ein portatives Abtritts- 
gefass aus Steingut mit Wasserverschluss. 

Die Bettstellen sind von Eisen mit Drahtmatratze. In der 
Badezelle sind Einrichtungen für Vollbäder, Brausen und 
Strahldouchen. 

VI. Koch- and Waschküche. 

In der Speiseküche ist der Senking’sche Militär-Menage- 
Herd, den Verhältnissen der Anstalt angepasst, in Anwendung. 
Durch diesen Herd soll erreicht werden: die Verhütung des 


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Anbrennens der Speisen, eine Erspamiss an Brennmaterial und 
die Verhinderung des Verdampfens werthvoller Substanzen, 
wie Bouillon etc. 

Ersteres wird erreicht durch Kochen der Hülsenfrüchte, 
Gemüse, Kartoffeln etc. im Wasserbade, das Zweite durch 
Begulirung des Feuers vermittelst des Bauchschiebers und 
das Dritte durch Aufschrauben der Deckel auf die Kessel. 

Es sind 2 Kessel k 600, 2 k 500 und 1 k 270 Liter vor¬ 
handen, ausserdem ein Herd mit Kochlöchern und einem klei¬ 
neren Kessel zur Bereitung der Krankenkost. 

Der einzelne Kochherd besteht aus einem eisernen Mantel, 
in welchem die Züge für die Feuerung mit Chamotstcinen aus¬ 
gemauert sind und welcher mit Ofen- und Aschenthüre ver¬ 
sehen ist. Der Mantel hat oben eine ringförmige Platte, welche 
den eisernen Kessel trägt. In dem Kessel wird ein aus ver¬ 
zinntem Eisenblech mit Löchern und losem Einsatzboden ver¬ 
sehener Kocheinsatz von solchen Dimensionen eingesetzt, dass 
zwischen ihm und dem Kessel ein leerer Raum bleibt. Die zu 
kochenden Gegenstände werden in den Kocheinsatz geschüttet 
und mit Wasser bedeckt; dasselbe dringt durch die Löcher 
des letzteren bis an die Kesselwand, während erstere im Koch¬ 
einsatz bleiben und mit der Kesselwand während des Kochens 
nicht in Berührung kommen. Die Kessel werden während des 
Kochens hermetisch verschlossen. Die Deckel sind mit einem 
Gummiring versehen und schliessen fest auf die Kessel. Eine 
Anzahl Schrauben pressen Kessel und Deckel fest aufeinander. 
Im oberen Theil befindet sich das Ventil, welches durch 
Drehen eines Kegels den Grad des Kochens anzeigt. Der 
Wrasen wird durch ein Rohr in einen an der Wand befind¬ 
lichen eisernen Behälter geleitet. 

Koch- und Waschküche sind ohne Verbindung mit ein¬ 
ander. Kochkesselfeuerungen und Dampfkesselfeuerung liegen 
um einen in ihrer Mitte befindlichen Schornstein, dessen Um¬ 
mantelung zugleich als Aspirationsschlot dient. In der Tren¬ 
nungswand beider Küchen befindet sich ein nicht zu öffnendes 
Fenster, um von einer Küche aus die andere übersehen zu 
können, was nöthig wird, wenn einer der beiden Aufseher 
durch den anderen vertreten werden muss. 


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Im Erdgeschoss der Waschküche befinden sich: 1 Dampf¬ 
kessel, 2 Einweichbottiche von Holz, 2 Bückgefässe von Eisen, 
1 kupferner Waschkessel, 1 Spülmaschine, die nöthigen Wasch¬ 
fässer, 1 Centrifugal-Trockenmaschine, 1 Condensationstopf, 
1 Speisereservoir mit Speisepumpe. 

In der Bodenetage befinden sich: 1 Kaltwasserreservoir, 
1 Warmwasserreservoir, 1 Schnelltrockenapparat, 1 Drehrolle. 

Ein Aufzug verbindet Waschküche und Trockenboden. 

Die erzeugten Dämpfe werden verwendet: zur Erwärmung 
des Schnelltrockenapparats, des Wassers in den Bückgefässen, 
dem Waschkessel und dem Warm Wasserreservoir. 

Heiznng. 

Lazareth, Gemüsestube, Badezellen und Strafzellen haben 
Localheizung, die Kirche Luftheizung, die Centrale, die Flügel 
mit den Zellen und die Bureaus Centralheizung und zwar 
Heisswasserheizung. (Beschreibung derselben Band XVII. Heft 
1 u. 2, Seite 18.) Die hiesige Anlage unterscheidet sich von 
der Freiburger hauptsächlich dadurch, dass eine Luftzuführung 
mit derselben verbunden ist. Die erwärmte Luft dringt durch 
in den Flügeln angebrachte durchbrochene Eisenplatten in die 
Corridore und verstärkt die den Heisswasserröhren aus¬ 
strömende Wärme. 

Mit den Heizsystemen ist ferner eine Luftaufsaugung ver¬ 
bunden und eine Feuerstelle in jedem Flügel dient zur Er¬ 
wärmung der Röhren im Aspirationsschlot. 

Beleuchtung. 

Petroleum. 

Wasserleitung. 

Die Wasserversorgung geschieht durch eine für die An¬ 
stalt eigens angelegte Wasserleitung, welche eine Länge von 
V 2 Meile besitzt. In drei thalartigen Schluchten des Habichts¬ 
waldes sind eine Anzahl Quellen aufgesucht, aus denen reines 
frisches Quellwasser von vorzüglicher Güte durch Röhren in 
Quell- und Sammelbrunnen geleitet wird, aus welchen es 
durch ein Hauptrohr dem Wasserreservoir zuströmt. Letzteres 


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225 


kann 120 cbm Wasser aufnehmen und ist mit Ueberlauf- und 
Entleerungsvor^htungen versehen. Aus dem Hauptreservoir 
strömt das Wasser nun direct der Anstalt zu. Die Röhren 
sind theils aus Thon, theils aus Eisen. Luftventile und Ent¬ 
leerungsvorrichtungen sind in genügender Weise in der Rohr¬ 
leitung angebracht. Vor der Mündung des Hauptrohres in 
der Anstalt ist der Wassermesser. Für den Fall des Ver¬ 
sagens der Leitung befinden sich auf den Böden der Anstalt 
Reservoire, welche aus einem in der Anstalt befindlichen 
Brunnen gespeist werden können. Es sind Vorrichtungen 
vorhanden, welche ein Absperren des Wassers überhaupt, wie 
auch in jedem einzelnen Gebäudetheil ermöglichen. In jeder 
Etage der Anstalt sind zwei Wasserhähne mit Ausgussbecken 
vorhanden. Die Wohnungen der Oberbeamten haben directen 
Wasserzufluss, während die Unterbeamten ihren Wasserbedarf 
aus in den Strassen angebrachten Pumpenstöcken beziehen 
können. 

Vorsichtsmassregeln gegen Fenersgefahr. 

Das vorzugsweise zur Verwendung gelangte Baumaterial, 
Stein und Eisen, gibt der Anstalt einen ziemlich hohen Grad 
von Sicherheit gegen Feuersgefahr. Nur die Kirche mit dem 
hölzernen Gestühle und der Holzdecke ist als ein gefährdeter 
Gebäudetheil zu betrachten. 

Als Schutzmittel gegen Feuersgefahr sind vorhanden: 
a) die Blitzableiter, b) zwei Feuerspritzen, c) 30 Feuerhähne 
mit Schläuchen und Strahlrohr in der Hauptgebäudeanlage, 

d) 3 Feuerhähne im Lazareth und 2 im Wirthschaftsgebäude, 

e) 10 Hydranten (3 in den Strassen zwischen den Beamten¬ 
wohnhäusern, 1 im Vorhof, 1 im Wirthschaftshof, 1 im Oeco- 
nomiehof, 3 zwischen den Zellenflügeln und 1 im Lazarethhof). 

Hofanlagen. 

Ausser den bereits genannten, besonders eingefriedeten 
Höfen befinden sich zwischen vier Flügeln die offenen Spazier¬ 
höfe für die Gefangenen. Als Spazierweg ist die Kreisform 
gewählt. Jeder Kreis hat einen inneren Durchmesser von 
37 m. Die Wege sind mit einer Kiesschüttung versehen, die 


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Flächen dienen zur Gewinnung von Gemüsen und Viehfutter. 
Der Lazarethhof ist mit Gartenanlagen geziert. Auf dem 
Trockenplatz und dem Arheitshofe befinden sich Rasenflächen. 
Der Oeconomiehofvist gepflastert. 

Die Correspondenz der Gefangenen wird durch Aufsicht 
verhindert. Zu diesem Zwecke öflfnet der Stationsaufseher 
eine Zelle und lässt den Gefangenen heraus; erst wenn dieser 
10 Schritte entfernt ist, wird der nächste Gefangene herausge¬ 
lassen u. s. f. bis der letzte Gefangene die Station verlassen hat. 

Der Ausmarsch wird von den Aufsehern der benachbarten 
Stationen und vom Oberaufseher in der Centrale überwacht. 

In der zum Hofe führenden Thüre steht ein Aufseher, 
der die Gefangenen an sich vorbeipassiren lässt und sie bis 
zum EintreflTen auf dem Spazierhofe überwacht. Wenn der 
letzte Gefangene die Thüre passirt hat, schliesst dieser Auf¬ 
seher die Thüre und nimmt an der äusseren Peripherie des 
Spazierhofes Aufstellung. Im Centrum steht ein zweiter Auf¬ 
seher; beide üben während des Spazierganges die Aufsicht 
aus. Die Gefangenen marschiren mit Intervallen von 10 Schritt. 
Nach beendetem Spaziergang wird der Rückmarsch in der¬ 
selben Weise angetreten. 

Beamtenpersonal. 

Es sind vorhanden: 1 Director, 2 Inspectoren, 2 Inspec- 
tions-Assistenten, 2 Kanzlisten, 2 Geistliche, 1 Arzt, 2 Lehrer, 
1 Hausvater, 2 Oberaufseher, 1 Werkmeister, 26 Aufseher, 1 
Maschinist, 1 Rieselmeister, 1 Fuhrmann. 

Belegnngsfähigkeit. 

Die Anstalt vermag aufzunehmen: 

in Einzelzellen.408 

„ Heizerzellen.9 

„ Lampenreinigungszellen ... 2 

„ einer Zelle für den Pferdeknecht . 1 

„ Schlafboxes.90 

im Lazareth . . • . . . , 20 

Sa. 630 Köpfe. 


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227 


Kosten der Anlage. 

Die Gesammtkosten betragen . . . 2 876 000 «/Ät 


Darunter: 


für 

die Ringmauer 

149000.^ 


das Thorgebäude . 

98000 „ 


den Verwaltungsflügel 

196000 „ 


die Centralhalle 

143000 „ 


die vier Zellenflügel 

978000 „ 


die Schulen 

19000 „ 


das Wirthschaftsgebäude 

90000 „ 


die Beamtenwohnungen . 

367000 „ 


die Wasserleitung . 

107000 „ 


Drainage, Canalisation nnd Rieselung. 

Die bebauten Flächen, Strassen und Gärten der Beamten 
sind drainirt und geben das Wasser in ein Hauptrohr ab, 
dessen anderer Zweck unten erläutert werden soll. Dieses 
Rohr endet in einem oflFenen Abflussgraben, der das Wasser 
bis an einen in der Nähe der Anstalt belegenen Park führt. 
Durch den Park dringt das Wasser in Röhren weiter und 
fliesst am Ende des Parkes wieder in einem oflFenen Graben, 
der es der Fulda zuführt. Das Drainwasser der Aecker, welche 
selbstständige Drainage haben, nimmt denselben Weg und ver¬ 
einigt sich am Ende des Anstaltsterrains mit dem Drainwasser 
der Gebäudedrainage. 

Von den Beamtenwohnhäusern führen vier Kanalstränge in 
einen in der Mitte der Hauptzuführungsstrasse liegenden Canal, 
der mit dem Canal unter den Anstaltsgebäuden in Verbindung 
steht. Das ganze Canalsystem führt mit einem Arm in das 
Sammelbassin, von welchem aus das Wasser durch Menschen¬ 
hand in zwei auf den Anstaltsäckern angebrachte Reservoire 
gepumpt wird. Die Anstaltsäcker sind terrassenförmig ange¬ 
legt. Das Reservoir auf dem höchsten Tlieil der Aecker er¬ 
hält Sammelwasser zugeführt, während das Wasser im unteren 
Reservoir Sammelwasser aufnimmt, das durch zugepumpte Jauche 
vermischt wird. Von den beiden Reservoiren aus werden die 
Flüssigkeiten durch Rieselgräben über die Aecker geleitet. 


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Da es nun, namentlich im Winter, verkommen wird, dass 
das vorhandene Abwasser nicht verrieselt werden kann, so 
musste für Abfluss desselben gesorgt werden. Dies ist in fol¬ 
gender Weise geschehen. In der Nähe des Pumpenhauses 
befinden sich zwei Klärbassins, in welche das nicht zu ver¬ 
wendende Abwasser gepumpt werden kann. Auf dem Boden 
dieser Bassins ist ein Filter von Kies und Sand angebracht. 
Das eingepumpte Wasser sickert durch den Filter und gelangt 
in filtrirtem Zustande in das vorhin genannte Rohr, welches 
das Wasser aus der Gebäude-Drainage aufniramt, vereinigt 
sich mit demselben und wird auf dem beschriebenen Wege 
der Fulda zugefdhrt. 

Bespeisang. 

Die Bespeisung der Gefangenen erfolgt nach einem vom 
Director Kr ohne nach den vom Professor Voit (Die Kost in 
den öffentlichen Anstalten. München, Oldenbourg, 1876) dar¬ 
gelegten Grundsätzen entworfenen Speisetarif. Das Nähere 
hierüber ist aus Band XVIII. Heft 3 Seite 231 zu ersehen. 

Schloss. 



Die Strafvollstreckung erfolgt nach einem besonderen 
Reglement, welches jedem Gefangenen in die Hand gegeben 
wird und welches er bis zu seiner Entlassung behält. Jeder 
Gefangene kann somit seine Rechte und Pflichten ablesen. 

Eine segensreiche Einrichtung ist beim Bezüge der Anstalt 
ins Leben getreten, der Ausschluss der Gefangenen vom Schreib¬ 
werk. Wer die Unzuträglichkeiten kennt, welche durch die 
Verwendung von Gefangenen als Schreiber entstehen, der 
muss darin einstimmen, dass hier ein ernster Schritt zur Ver¬ 
besserung des Verwaltungsmechanismus gethan ist. Da für die 
Anstalt keine höhere Besoldungsquote für Oberbeamte gewährt 
werden konnte, als sie bei anderen Anstalten üblich ist, so 
wurde von Anstellung eines dritten Inspectors und eines 
Secretärsjabgesehen und an deren Stelle zwei remuneratorisch 
beschäftigte Inspections-Assistenten und zwei remuneratorisch 
beschäftigte Kanzlisten angenommen. Es gibt daher einen 


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Inspector, welcher die Kasse und das Secretariat leitet und 
einen Inspector als Leiter des Arbeitsbetriebes und der 
Oeconomie. 

Jedem Inspector ist ein Inspections-Assistent und ein 
Kanzlist beigeordnet. Die Inspections-Assistenten werden aus 
den Aspiranten entnommen, welche das Qualificationsattest für 
den Strafanstalts-Oberbeamtendienst erlangt haben. Gelangen 
diese Assistenten zur definitiven Anstellung, so scheiden sie 
von der Anstalt Wehlheiden aus und machen zwei neuen Aspi¬ 
ranten Platz. Durch diese Einrichtung gelangen mit der Zeit 
an viele Anstalten Beamte, welche nach beendeter Probezeit 
einen zweijährigen Cursus an der Anstalt Wehlheiden durch¬ 
gemacht haben. 

Von Beifügung einer Skizze der Anstalt musste abgesehen 
werden, was um so leichter geschehen konnte, als die Statistik 
pro 1882/83 eine solche gebracht hat. 


Anm, der Red. Einen Plan der Strafanstalt dürften die Be¬ 
schlüsse der Commission für die Einzelhaft-Bauten bringen. 
Eventuell würden wir denselben noch gesondert fertigen lassen 
und später beigeben. 


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230 



Nachstehend geben wir in deutscher Uebersetzung die 
neuerlich erschienenen Actenstücke. 


Rom und Kenchatel, den 6. August 1884. 

Circular an die Mitglieder der internationalen Gefängniss- 

conunission. 

Sehr geehrter Herr KoUegal 

Wir beeilen uns, Ihnen in der Folge das soeben von Sr. 
Durchlaucht dem Herzoge LeopoldTorlonia, Vorsitzenden 
des Local-Comitfe vom Rom-Congresse, an Herrn Beltrani 
Scalia gerichtete Schreiben ergebenst mitzutheilen: 


Rom, den 1. August 1884. 


An den 

Herrn Vorsitzenden der internationalen Gefängnisscommission. 

Wie Ew. Hochwohlgeboren recht wohl wissen, hat der 
internationale Gefangnisscongress zu Stockholm als Ort seiner 
nächsten Versammlung Rom bezeichnet, und ist diese Versamm¬ 
lung auf October dieses Jahres anberaumt worden. 

Das Central-Comit4 hatte seiner Seits, damit diese Ver¬ 
sammlung in bezeichnetem Zeiträume stattiinden könne, alle 
Vorbereitungen getroffen, und hatte die italienische Regierung 
sogar zur leichteren Erreichung dieses edlen Zweckes in der 
Kammer einen Gesetzesvorschlag in Betreff des nöthigen Kosten¬ 
aufwandes eingebracht. 


... j 


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231 


Aber ^ie hygienischen Besorgnisse Europas und die aus 
denselben resultirenden Verkehrschwierigkeiten zwischen den 
verschiedenen Ländern haben es (nach dem Gebote der Klug¬ 
heit und aus Höflichkeitsrüeksichten gegen unsere Gäste) rath- 
sam erscheinen lassen, den Zusammentritt des Congresses zu 
Rom auf October 1885 zu vertagen. 

Dieser Verzug wird, weit entfernt zu schaden, uns viel¬ 
mehr in Stand setzen, mit den fremden Verwaltungen die An¬ 
ordnungen und Massnahmen zu verabreden und zu beschliessen, 
welche zur besseren Entfaltung des Congress-Programmes die¬ 
nen und demselben die nöthige Ausdehnung geben können, 
damit unsern Arbeiten als wesentliches Ziel die weitgehendste 
practische Wirksamkeit gesichert werde. 

In dieser Absicht sind designirt worden: 

Herr Comm. T. Canonico, Senator des Königreiches, 
Rath am Cassationshofe etc. etc., und 
Herr Baron F. DeRenzis, Parlamentsmitglied etc. etc. 

Genehmigen Sie, Herr Präsident, die Versicherung meiner 
ausgezeichnetsten Hochachtung. 

• Der Präsident des Comit^s: 
(gez.) L, Torlonia. 

Die Gründe, welche die Vertagung des Congresses moti- 
virt haben, begreifen wir; unser lebhaftes Bedauern aber wird 
aufgewogen durch die unumstössliche Gewissheit, dass die Re¬ 
gierung Sr. Majestät des Königs von Italien mit Sehnsucht 
wünscht, es möchte der nächste Congress zu Rom stattfinden, 
und dass dieselbe behufs eines diesbezüglichen sicheren Er¬ 
folges alle Vorkehrungen getroffen hat. 

Zum Beweise dessen dient uns die Ernennung der beiden 
officiellen Delegirten, welche gemäss ihrer Weisung zu den 
Regierungen der verschiedenen europäischen Staaten sich be¬ 
geben und es nicht versäumen werden, diejenigen unter den¬ 
selben, welche dem Reglement noch nicht gefolgt sind, zur 
Fassung eines diesbezüglichen Beschlusses — und zwar in 
günstigem Sinne — zu bewegen. 

Nach den uns zugegangenen Informationen wird Herr 
Canonico im Laufe des Monats October Russland, Schweden, 


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232 


Norwegen, Preussen, Hamburg, Lübeck, Bremen, Bayern und 
andere Staaten des Deutschen Reiches, Belgien und die Schweiz 
besuchen. 

Herr v. Renzis wird im September den Niederlanden, 
England, Frankreich, Dänemark, Oesterreich, Spanien und 
Portugal einen Besuch abstatten. 

Das Bureau wird Ihnen bei seinem demnächst stattfin¬ 
denden Zusammentreten die getroffenen Entschliessungen zur 
Kenntnissnahme bringen. 

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Kollega! die Ver¬ 
sicherung unserer ^vollkommenen Hochachtung. 

Namens des internationalen Gefängnisscommissions-Bureaus: 

Der Secretär: Der Präsident: 

Dr. GoUlaame. M. Beltrani Scalia. 


Der internationale Gefängnisscongress zn Rom pro 1885. 

Die italienische Regierung sendet in französischer Sprache 
durch ihren Vertreter, Herrn Senator Tancrfede Canonico, 
an die verschiedenen Regierungen bezw. an deren Strafanstalts- 
Respicienten folgendes Circular sammt zwei Beilagen: 

Ew, Hochwohlgeboren I 

Ausser der Wichtigkeit, welche den internationalen Ge- 
fangnisscongressen die Entsendung officieller Delegirter von 
Seiten der Regierungen der verschiedenen Staaten verleiht, 
hat dieselbe noch einen besonderen practischen Nutzen und 
zwar seit der Einsetzung einer permanenten internationalen 
Gefängnisscommission, deren Aufgabe ist, die auf Prävention 
und Repression der Verbrechen — auf den Strafvollzug — 
bezüglichen Documente und Mittheilungen zu sammeln und den 
Regierungen über generelle, zur Verhütung und zur sicheren 
Repression der Verbrechen geeignete Massnahmen, wobei 
jedoch keineswegs die Besserung der Schuldigen ausgeschlossen 
ist, Winke zu geben. 


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233 


Diese Commission hat das Programm vorbereitet über die 
beim nächsten in Rom stattfindenden Congresse zur Verhand¬ 
lung kommenden Fragen bezüglich der drei Gliederungen: 
Strafgesetzgebung, Strafvollzug und Präventiv- 
massregeln. 

Ausser den Vortheilen, welche vom Congressvotum über 
diese Fragen erfliessen können, wird das Executiv-Comit^ 
seinem Wunsche gemäss dem Congresse zu Rom sowohl in 
administrativer als auch in scientifischer Hinsicht die weit¬ 
gehendste practische Wirksamkeit dadurch verleihen, dass es 
für vergleichende Studien zahlreiches Material durch folgende 
Mittel liefert: 

1. durch eine doppelte Ausstellung, nämlich; 

a) von Zellen, welche nach den verschiedenen Systemen 
und den verschiedenen Kategorien von Gefangenen 
die verschiedenen Regierungen adoptirt haben; — 
von Baracken - Plänen für die Arbeiten der Gefan¬ 
genen im Freien, sowie von Plänen' der hauptsäch¬ 
lichsten (wirklich vorhandenen oder nur projectirten) 
Gefängniss-, Präventions- oder Correctionsräume; — 
von dem Ameublement, den Bodenbelägen und Ver¬ 
schluss-Systemen, der Ernährung und der Kleidung 
der Gefangenen, der Bewaffnung der Aufseher etc., 

b) von den Gefängnissarbeits-Erzeugnissen, welche be¬ 
rühren: Land wirthschaft und auf Gewinnung von Roh¬ 
stoffen gerichtete sowie Textil-Industrien, — Schuh- 
und Lederwaaren, — Metallwaaren, — Tischlerei, — 
graphische Künste, — Eisen- und Kurzwaaren etc.; 

2. durch eine doppelte Art von Public ation, nämlich durch: 

a) eine Gefängniss- und Criminal-Bibliographie — seit 
dem Anfänge des Jahrhunderts; 

b) einen geschichtlichen kurzen Ueberblick über die 
Gefängniss-Reform in jedem Lande — ebenfalls seit 
Anfang des Jahrhunderts. 

Dem sollte man noch beifügen eine Sammlung von Original¬ 
handschriften der auf diesem Gebiete hervorragendsten Schrift¬ 
steller, von denen jede eine Maxime oder einen practischen 
Gedanken über Gefängnissfragen enthält. 


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Um Ihnen aber von der doppelten Ausstellung, von wel¬ 
cher unter Nr. 1 die Rede ist, ein fasslicheres Bild zu machen, 
fuge ich Ihnen in zwei Anlagen bei, was man von Ihrer Re¬ 
gierung für die eine oder die andere Ausstellung wünschte, 
und bitte ich Sie ganz ergeben. Sie möchten gefl. neben jede 
Frage die Antwort, welche Ihre Regierung darauf zu geben 
gesonnen ist, setzen und mir hernach die so ausgefülltcn An¬ 
lagebogen zurücksenden. 

Wenn Ihre Regierung willens ist, sich an dieser Ausstel¬ 
lung zu betheiligen, so bitte ich Sie, vor Ende März 1885 der 
italienischen Regierung kund zu geben, welches die Fläche ist 
— auch ob gedeckt oder ungedeckt — welche Sie im Bereiche 
der Ausstellung zur Unterbringung der einzusendenden Gegen¬ 
stände nöthig haben werden. 

Ein besonderes Reglement wird Ihnen noch zukommen 
mit der Anzeige von allem dem, was auf die Absendung der 
Gegenstände und auf die Massnahmen, welche dieselbe er¬ 
leichtern können, Bezug hat. 

Von jetzt ab kann ich Ihnen schon versichern: 

1. Für den Transport der Gegenstände wird die italie¬ 
nische Regierung auf den Staatseisenbahnen eine Reduction 
bewilligen, die nicht unter 50% sein wird. 

2. Bekleidungs-, Zelleneinrichtungsgegenstände etc. sowie 
Industrieerzeugnisse, womit die Ausstellung beschickt wird, 
brauchen nicht mehr zurückzukehren, denn sie werden in 
Italien angekauft. 

3. Die officiellen Delegirten, welche etwa 14 Tagen vor 
dem Congresse nach Italien kommen wollen, geniessen seitens 
der italienischen Regierung alle Begünstigungen behufs Be¬ 
suches der auf ihrer Route befindlichen Gefängnissgebäulich- 
keiten sowie der Strafcolonien des toskanischen Archipels und 
Sardiniens. 

Genehmigen Sie die Versicherung der ausgezeichnetsten 
Hochachtung Hochwohlgeboren 

ganz Ergebener: 

Tancröde Canonlco, 

Senator des Königreichs, Delegirter der italienischen Regierung 
und des Executiv-Comitös für den Congress in Rom. 


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235 


Beilage I, 

Ansstellim^ toi Zelle» and des dlesbezipclien Gerätes 

and Materials. 


Haben Sie in Ihren Straf Häusern besondere Zellentypen: 


bei strenger 
Einzelhaft für 


Erwachsene 
Untersuchungs- \ Jugendliche 
gefangene ] Männer 
Weiber 

Erwachsene 
I Jugendliche 
Männer 
Weiber 


Abgeurtheilte 


bei nächtlicher 
Trennung für 


Erwachsene 
Untersuchungs- j Jugendliche 
gefangene j Männer 
Weiber 

Erwachsene 

Abgenrthellle ! JT”“' 
‘ Männer 

Weiber 


Schlafräume 
ausschliesslich zum 
Schlafen bestimmt 
für 


Blätter für Oefängnieskunde. XIX. 


Erwachsene 
Untersuchungs- \ Jugendliche 
gefangene j Männer 
Weiber 

Erwachsene 
Jugendliche 
Männer 
Weiber 

16 


Abgeurtheilte 


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236 


Könnten Sie uns von diesen Zellen und Schlafräumen vor 
Ende Februar 1885 nach Rom schicken, damit wir dieselben 
im natürlichen Maassstab aufstellen können: 

a) Einen Plan in einem nicht geringeren Maassstabe als 
1 : 50 mit allen Länge-, Breitemaassen und mit den 
Dimensionen der Thüre, des Fensters, der Dicke der 
Mauern? (NB. Wenn Quadersteine vorhanden sind, 
sollen dieselben durch eine besondere Farbe markirt 
werden.) 

b) Einen Querschnitt in dem Maassstabe von 1 : 50 mit 
den Maassen der Höben, der Dicke der Mauern, des 
Gewölbes, des Bodenbelages, der Höhe des Fensters, 
der Thüre etc.? 

c) Einen Längeschnitt in demselben Maassstabe sammt 
air den obigen Maassen? 

d) Die Details in dem Maassstabe von 1 : 10, um eine 
genaue Form und exakte Dimensionen des Gitters, 
des Maschengitters, des Fensters, der Thüre, der Ven¬ 
tilatoren, des Aborts etc. zu bekommen? 

e) Die Naturalmuster des vollständigen Mobiliars der Zelle 
und des Dormitors, des Eisenbeschlägs der Thüren, 
der Fenster, der Gitter, der Aborte, der Vorrichtung 
zum Herbeirufen der Aufseher und alle besonderen 
Theile, die nöthig sind, dies Alles zum Gebrauche 
fertig stellen zu können? 

(NB. In allen Zeichnungen soll man Bett, Tisch, Abort, 
Stuhl, Lavoir und Spülnapf, Apparat zum Herbeirufen des 
Aufsehers, endlich Alles, was Zelle und Dormitor complett 
macht, in der wahren Position und mit den respectiven Maassen 
entwerfen.) 

2 . 


Haben Sie besondere Räume: 

i inhaftirte 

abgeurtheilte 


Knaben 

Mädchen 

Knaben 

Mädchen 


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237 


! erwachsene 
jugendliche 


Männer 

Weiber 

Knaben 

Mädchen 


3. 

Haben Sie besondere Gebäulichkeiten oder Baracken für 
Abgeurtheilte, die im Freien arbeiten? 


4. 

Haben Sie in den Landwirthschafts-Anlagen Meiereien, 
Vorrathsgewölbe, Schmelz- oder Brennöfen, Käsereien, Wasser¬ 
leitungen und andere Gebäulichkeiten besonderer Art? 

Könnten Sie uns — Rücksendung Vorbehalten — Pläne 
und Reliefs der unter Nr. 2, 3 und 4 genannten sowie der 
übrigen hauptsächlichsten in Ihrem Lande wirklich vorhandenen 
oder nur projectirten Räume einsenden? 


5. 

Könnten Sie uns ausser dem niet- und nagelfesten Zellen- 
und Dormitorien-Material senden: 

a) Modelle des Fabrikationsmaterials in Backsteinen oder 
in Gement^ der Mauern, der Bodenbeläge, sowie solche 
von Dachbedeckungen? 

b) Eine Probe der zum persönlichen Gebrauche der Ge¬ 
fangenen bestimmten Effecten, nämlich: ein vollstän¬ 
diges Bett, — Wäsche und Kleider, — Fussbeklei- 
dung, — Quersack, — Kasten, — Napf, — Flasche, 
— Glas, — Besteck, — Kamm, — Bürste etc.? 

c) Ein Muster der Strafsesseln und anderer Besserungs¬ 
und Strafwerkzeuge, welche in den verschiedenen Räu¬ 
men und bei den verschiedenen Kategorien der in den¬ 
selben eingeschlossenen Gefangenen im Gebrauche sind? 

d) Veranschaulichungstabellen bezüglich der Kost der 
Gefangenen nach Jahreszeit, Kategorien, Alter, Ge¬ 
schlecht etc.? 

e) Die Zeichnung oder ein Muster von der Kleidung und 

16 ♦ 


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238 


der Ausrüstung der Aufseher (Werkmeister) und des 
übrigen männlichen und weiblichen Aufsichtspersonals ? 

f) Den möglichst besten Typus eines vollständigen Thür¬ 
verschlusses ? 

(NB. Bezeichnen Sie gefälligst die Preise eines jeden 
Gegenstandes, denn sie werden sämmtlich in Italien ange¬ 
kauft.) 

6 . 

Könnten Sie uns endlich die neuesten und wichtigsten in 
Ihrem Lande über Strafanstaltsbauten, Heizung und Ventilation 
der Gebäude, über Bauart von Beträten, Wasserabflüssen etc. 
gemachten Publikationen anzeigen? 


Beiiage IM, 

Änsstellimg der Gefängnissarbeitserzeagnisse. 

1, Gruppe. 

Landwirthschaft und auf Gewinnung von Rohstoffen 
gerichtete Industrien. 

a) Mehlichte und ölreiche Sämereien (Cerealien, Gemüse, 
Oliven, Sesamkräuter). 

b) Zwiebeln, Zedern, Orangen, Zitronen, Appretur- und Färbe¬ 
stoffe (Tannin, Safran, Grapp, Sunnach etc.). 

c) Seidenraupen-Gespinnst, Fasern zum Weben (Flachs, Hanf, 
Baumwolle, Esparte [spanisches Pfiiemengras], Pfriemen- 
kraut, Agave [Aloe-Hanf] etc.). 

d) Futterpflanzen, Tabaksblätter. 

e) Thierische Erzeugnisse (Käse, Butter, Wolle, Haare, Pferde¬ 
haare, Horn, Knochen, Leder etc.). 

f) Nahrungsstoffe (Mehl, Stärkemehl, Brodbereitung, Zwie¬ 
back etc.). 

g) Rebenerzeugnisse (Wein, Essig, Weingeist, Rosinen etc.). 


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239 


h) Forsterzeugnisse (Nutzholz, Holz für ganz feine oder be¬ 
sondere Arbeiten [Fournierholz], Dauben, Speichen, Kant¬ 
holz, Bretter, Pfähle, Rinden, Weberrinden, Stoffe, geeignet 
zur Bereitung von Leder, Färbestoffe, wohlriechende, har¬ 
zige Stoffe, Kohlen, Potasche etc.). 

i) Bienenerzeugnisse (Honig, Wachs etc.). 

k) Obst- und Gartenbau (frisches und gedörrtes Obst, Küchen¬ 
kräuter und diesbezügliche Sämereien). 

l) Auf Gewinnung von Rohstoffen gerichtete Industrien (Bau- 
und Decorationssteine, — Marmor, Kalk-, Lava-, Tuff-, 
Sandsteine etc., — Kalk, Gement, Gips, — feuerfeste Erde, 
Thonerde, Bimssteine, Erdfarben etc., — metallische Mi¬ 
neralien, Brennstoffe, — Meeressalz). 

m) Baumaterialien (Backsteine, Ziegel, viereckige Platten zum 
Pflastern, Röhren etc.) 

2. Gruppe. 

Textil-Industrie. 

a) Baumwolle (Watte, appretirte, einfache und gezwirnte 
Baumwolle, zum Weben und zum Nähen): Gewebe von 
reiner Baumwolle (rohe, glatte, gemodelte, gefärbte etc.). 

b) Gemischtes Gewebe, vorwiegend mit Baumwolle: Garn, 
einfaches oder gezwirntes, von Flachs, Hanf, Jute und 
anderen Webefasern (rohen, gebleichten und gefärbten). 

c) Seil-, Strick- und Tauwerke, Bindfäden, Netzgarn etc.: 
Pack-, Segel- und Hausleinwand, Gebild, damascirte Lein¬ 
wand, Zwilch, Feingewebe, gemischtes Leinengewebe. 

d) Kamm- und Halbkammgarn, kardätschtes Wollengarn, 
Kunstwollengarn: reines Wollengewebe (Tuche, Decken, 
Filze, Flanell, Multon, Teppiche etc.), — Kunstwollen¬ 
gewebe, gemischtes Wollen- und Baumwollengewebe etc. 

e) Formen für den Tuchdruckr 

f) Hüte. 

g) Verschiedenes Gewebe in Haaren, — Bänder, — Tressen etc. 

h) Seidenfäden und Seidengewebe. 

i) Strickerei, Häkelarbeiten, Spitzen, Stickereien etc. 

k) Schneider- und Nähterinnen-Arbeiten (Weisszeug, Cor- 
setten, Männer- und Frauenkleider etc.). 


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240 


3. Gruppe. 

Schuh- und Lederwaaren. 

a) Appretirtes und gegerbtes Leder. 

b) Schusterarbeiten. 

c) Sattler- und Kummetmacher-Arbeiten: Sättel, Pferde¬ 
geschirre, Reise- und Militär-Artikel. 

d) Borstenarbeiten: Bürsten, Pinsel etc. 

e) Handschuh- und andere Arbeiten. 

f) Haararbeiten. 

4. Gruppe. 

Metall- Arbeiten. 

a) Detailarbeiten von WaflFenschmieden, Grobschmieden und 
Schlossern etc. (Handwaffen, Schlösser, Messer). 

b) Arbeiten im Grossen (Guss- und Schmiedeeisen, Brust¬ 
harnische, Drahtzieherei-Erzeugnisse, Drahtgewebe, Ket¬ 
ten etc.). 

c) Maschinenbau, Werkzeuge, Geräthe für den Ackerbau 
und für verschiedene Industrien. 

d) Kupferschmied-, Zinngiesser- und Blechner-Arbeiten. 

e) Letterngiesserei für Buchdruck, Durchschusslinien etc. 

5. Gruppe. 

Holzwaaren. 

a) Tischler-, Küfer-, Zimmermanns-, Korbmacherarbeiten etc. 

b) Gewöhnliche Möbel und Luxusmöbel. 

c) Decorations- und Tapezierarbeiten. 

d) Kunsttischlerei und eingelegte Arbeiten etc. 

e) Arbeiten aus Stroh: Körbe, Flechten, Hüte etc. 

6. Gruppe. 

Graphische Künste. 

a) Papier, Pappendeckel etc. 

b) Erzeugnisse der Buchdruckerei, der Stereotypie, der Kalko- 
graphie, der Lithographie, der Oleographie. 

c) Zeichnungen, Malereien. 

d) Druckerschwärze und Schreibtinten. 

e) Gestreiftes Papier, Hüllen, Kanzleiartikel. 

f) Bücher-, Registereinbände etc. 


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241 


7. Gruppe. 

Eisen- und Kurzwaaren. 

a) Kurz- und Posament!erwaaren (Federn, künstliche Blu¬ 
men, Knöpfe, Fransen, Borten etc.). 

b) Galanteriewaaren (Stöcke, Regenschirme, Fächer, Spiel- 
waaren etc.). 

c) Papparbeiten, — Brieftaschen, — Schachteln etc. 

d) Kämme, Pfeifen etc. 

e) Arbeiten in Schmuckwaaren, Metallverzierungen, Juwelen. 

f) Arbeiten in Lava, Bernstein, Korallen, Bein, Elfenbein, 
Schildkröte, Perlmutter, harten Steinen, in Mosaik etc. 

8. Gruppe. 

Die ausser den oben genannten Erzeugnisse und Arbeiten. 


Uebersetzt von Maximilian Bader, katholischem Hausgeistlichen am 
Grossh. Männerzuchthause in Bruchsal. 


Karlsruhe, im Januar 1885. Das Grossh. Ministerium der 
Justiz, des Kultus und Unterrichts ist durch seinen Decernenten, 
Herrn Ministerialrath Dr. von Jagemann, wegen ofBcieller 
Betheiligung an dem internationalen Congress mit den Herren 
Senator Canonico und Generaldirector Beltrani-Scalia 
in Rom in Verbindung getreten und trifft z. Z. die nöthigen 
Vorbereitungen nach Maassgabe des oben mitgetheilten Rund¬ 
schreibens. 

Das Grossh. Ministerium gedenkt zu dem Congress in Rom 
den Herrn Ministerialrath Dr. von Jagemann als officiellen 
Delegirten und zu sonstiger Theilnahme den Strafanstalts- 
director Geh. Rath Ekert in Freiburg zu entsenden. 


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242 


Von dem Bulletin sind seit unserer Mittheilüng Band 18, 
S. 871 u. 372 weiter erschienen mit Gutachten^' ' 

Heft 18 zu in. 6 von William Tallack, Vörsfe der-Howard^ 
Gesellschaft in London. 

Heft 19 zu U. 4 von Henri Hardoüin, Ehrenrath am Ap¬ 
pellationshof in Douai, Batonnier der Anwälte in 
Quimper. 

(Dieses Heft enthält noch verschiedene weitere 
Mittheilungen.) 

Heft 20 zu I. 5 von Bernhard Getz, Professor der Rechte 
an der Universität Christiania. 

(Dieses Heft enthält noch zwei Aufsätze: „Handel 
mit geistigen Getränken in Schweden“ von Semmy 
Buhenson, Secretär der Regierung in Stockholm, 
und „Massregeln gegen den Missbrauch der Spiri¬ 
tuosen in Norwegen“ von Dr. Oscar Nissen in Chri¬ 
stiania.) 

Heft 21 zu II. 8 von M. Ammitzböll, Director des Zellen- 
gefangnisses in Vridslöselille (Dänemark), 
zu H. 7 von Peter Sölberg, Director der Straf¬ 
anstalt in Throndhjem (Norwegen). 

(Hiemit schliesst der I. Band des Bulletin.) 


Band H. 

Heft 22 zu II. 7 von Dobroslawine, Prof, der Hygiene und 
Inspector der Generalverwaltung der Gefängnisse 
in Russland. 

Heft 23 zu II. 6 von E. Tauffer, Gefängnissdirector in Lepo- 
glava (Croatien). 

Heft 24 zu II. 6 u. 7 von Illing, Geh. Oberregierungsrath 
in Berlin. 


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243 




.y- 



Die eeiDscliei Reromtories iil littleeclmlei. 


Der Bericht der Commission für Besserungsan¬ 
stalten und Arbeitsschulen (Reformatories and Industrial 
Schools), welcher soeben ausgegeben wurde, ist ein langes 
sorgfältig ausgearbeitetes Dokument, welches sich als eine 
vollkommene Fundgrube erweist, um sich über alle Einzel¬ 
heiten dieses Gegenstandes zu unterrichten. Die Zusammen¬ 
setzung der Commission, welche Namen enthält wie Lord 
Aberdare, Lord Norton, Sir Ughtred Kay-Shuttleworth, Mr. 
Glossop und Andere, welche gut bekannt sind durch ihre 
Arbeiten in diesem Zweige, ist eine Bürgschaft der fleissigsten 
und erschöpfenden Behandlung. Zum Vortheil für Diejenigen, 
welchen es an Zeit oder Gelegenheit gebricht, den ganzen 
Bericht zu studieren, bringen wir unten eine Zusammenfassung 
der Vorschläge (Empfehlungen), welche die Mitglieder der 
Commission gemacht haben, aus welchen Jene, die vertraut 
sind mit dem Gegenstände, erkennen, welches die allgemeine 
Absicht ihrer Vorschläge ist. Zur Zeit der Einsetzung der 
Commission waren in England und Wales 50 gesicherte Besse¬ 
rungsanstalten, 99 gesicherte Arbeitsschulen und 10 bestehende 
Arbeitstagschulen. Die Zahl in Schottland beträgt 12 der ersten 
Classe, 34 der zweiten und 1 der dritten. Die Zahl der In¬ 
sassen der gesicherten Besserungsanstalten erhielt seit 18G4 
keinen weitern Zuwachs. Aber die der Arbeitsschulen waren 
mehr als 10 mal so zahlreich im Jahre 1881 als im Jahre 1864. 


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244 


Der Erfolg des Systems der anerkannten Anstalten, welche 
durch eine Reihe von Parlamentsakten über jugendliche und 
erwachsene Verbrecher errichtet wurden, wird durch die Com¬ 
mission im Ganzen für genügend gehalten. Es ist natürlich 
ausnehmend schwer in der Behandlung der Statistik der Ver¬ 
brechen, die Besserung, die durch diese Anstalten erreicht 
wurde, zu trennen von derjenigen, die durch andere Umstände 
hervorgebracht wurde. Aber es ist ganz gewiss, dass die Reihen 
dieser Criminalklassen durch die Kinder von Verbrechern rekru- 
tirt werden oder von Personen, welche, obgleich nicht unter 
diese Kategorie fallend, ganz die elterliche Pflicht vernachlässigt 
oder ihre Nachkommen auf andere Weise verlassen haben. 

Es ist unmöglich zu zweifeln, dass ein System, welches 
diese Quellen der Verschlimmerung verstopft, indem es diesen 
Auswurf unter Disciplin bringt und indem es eine gesunde 
Elementarerziehung bewirkt und die Vortheile der Industrie 
lehrt, mächtig wirken muss, um die Zahl der jugendlichen 
Verbrecher zu vermindern. Wir sind jedoch nicht gänzlich 
von dem Einflüsse weder der statistischen noch der apriori- 
stischen Schlüsse abhängig. Die Knaben und Mädchen, welche 
in den Industrie- und Besserungsanstalten erzogen sind, gehen 
bei dem einstigen Verlassen derselben der Aufsicht nicht ver¬ 
loren. Im Gegentheil, ihre Laufbahn wird noch drei Jahre 
nach der Entlassung überwacht, so weit es thunlich ist, und 
die Rückkehr derer, welche sich nicht sehr geändert haben, 
seit das System zuerst in volle Thätigkeit kam, zeigt, dass 
von den Besserungsfällen über 75%, von den Arbeitsschul¬ 
fällen über 80% ausgefallen sind. 

Die Commission gibt zu, dass dieser Ausdruck zu dehnbar 
ist, und unter ihren zahlreichen Vorschlägen sind einige zur 
Versicherung von grösserer Bestimmtheit in dieser Beziehung. 
Noch haben wir — mag der Maassstab der Gebesserten auch 
gering sein — zu erinnern, dass wenn wir die Anstalten nicht 
hätten, die überwiegende Mehrheit der Kinder thatsächlich 
Uebles gethan hätten im vollen Sinne des Wortes. Es ist 
aber Etwas, dieselben vor dem Eintritt in die Classen der 
Gewohnheitsverbrecher und vor dem Untergang, in der Straf¬ 
dienstbarkeit (Zuchthaus) in einem Alter, wo Besserung that- 


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245 


sächlich unmöglich ist, gerettet zu haben. Die Einmischung 
und der üble Einfluss verbrecherischer Eltern sind jetzt 
ernstliche Nachtheile für das Wohlverhalten nach Beendi¬ 
gung der Schulzeit. Aber diese Kinder sind die Eltern der 
nächsten Generation und wir wollen hoffen, dass eben in 
diesen letzten vorliegenden Fällen ihr Einfluss nicht so ganz 
übel sein wird, als sie es in Bezug auf sich selbst erfahren 
haben. Wir sind ausser Stande mehr zu thun, als einige von 
den wichtigsten der zahlreichen und ins Einzelne gehenden 
Empfehlungen der Commission aufzuzählen. 

Das Erziehungswerk dieser Anstaltsschulen fühlt sich un¬ 
vollkommen hinsichtlich der Schwierigkeit, unter den gegen¬ 
wärtigen Bedingungen gute Lehrer zu erhalten, eine Schwierig¬ 
keit, welche theils den finanziellen Umständen, theils dem 
mangelhaften System der Beaufsichtigung zuzuschreiben ist. 
Als Besserungsanstalten müssen diese Schulen nicht der Juris¬ 
diction des Cultusministeriums (Home office) entzogen werden 
als Schulen, welche durch die Trennung ihrer Lehrer vom 
allgemeinen Lehrkörper leiden. Die Commission empfiehlt in 
Folge dessen, dass das existirende System der Inspection in 
jeder Beziehung aufrecht erhalten werde mit Ausnahme des 
Elementarunterrichts, dessen Inspection dem Erziehungsdepar¬ 
tement übertragen werden sollte. Sie urgirt mit grossem Nach¬ 
druck, dass unter passenden Bestimmungen Lehrer in diesen 
Schulen das Privilegium haben sollten, einen Antheil an der 
für Erziehung bewilligten Summe zu erwerben. Durch diese 
Mittel werden diese Anstalten nicht allein eine primäre Unter¬ 
stützung erhalten, aber sie werden nur unter der Bedingung 
erhalten, ein wirkliches Erziehungswerk zu leisten. Zugleich 
hofft die Commission dadurch, dass man die Lehrer an An¬ 
sehen, Belohnung und Aussicht auf den nämlichen Fuss wie 
ihre Brüder in den Elementarschulen setzt, eine besser quali- 
ficirte Classe von Männern zu sichern, als jetzt herbeigezogen 
werden kann, um das Werk zu unternehmen. Wir haben 
bereits die Aufmerksamkeit auf den Uebelstand gerichtet, der 
durch lasterhafte Eltern verursacht wird, wenn ihre Kinder 
die Besserungs- und Arbeitsschul-Anstalten verlassen. Das 
Alter von 16 Jahren, in welchem für sie die Aufsicht auf hört, 


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246 


ist ein kritisches für beide Geschlechter, insbesondere mehr 
vielleicht für Mädchen. Es ist beobachtet worden, dass Eltern, 
welche kein Interesse an ihren Kindern während ihrer De- 
tention nahmen, ein besonderes Interesse bekommen für die 
Möglichkeit, ihren Erwerb zu benützen, wenn sie die An¬ 
stalt verlassen. Die Commission läugnet mit Recht, dass eine 
besondere Unverletzbarkeit die elterliche Autorität in solchen 
Fällen angreifen könne und schlägt vor, dass die Controle der 
Anstaltsdirectoren diejenige der Eltern aufschieben und be¬ 
stimmt zwei Jahre nach Beendigung der Schulperiode oder 
wenn nach Verordnung die Zurückbehaltung erlöscht, fort- 
dauern solle. Mr. Grossop widerspricht in einer dem Berichte 
beigelegten Denkschrift diesem Vorschlag aus dem Grunde, 
weil es unwirksam sei, mit Hülfe von Gewalt einen Verbrecher 
in die Anstalt zurückzubringen. Ein Knabe, sagt er, empfängt 
mit einem Lehrschein die Befreiung bevor sein Schulziel ge¬ 
endigt ist, weil er eine gemässigte Freiheit einer fortgesetzten 
Zurückhaltung vorzieht. Aber wenn er wüsste, dass keine 
Gewalt da ist, eine schlechte Aufführung zu bestrafen, so 
würde es unmöglich sein, das Befreiungssystem mit einiger 
Wirkung über das Alter von 16 Jahren auszudehnen. Es 
scheint da ein grosser Theil von Wahrheit in diesem Argument 
zu sein. Aber die Commission, welche zweifellos diese Frage 
in all ihren Schwierigkeiten studirt hat, scheint zu wünschen, 
dass eine gewisse heilsame Autorität über die der Anstalt ent¬ 
lassenen Knaben ausgeübt werde, obgleich dies nicht die Macht 
ist, um sie zurückzubringen. Die Lehrschiffe bildeten immer 
einen wichtigen Theil des Gewerbs- und Besserungsanstalten¬ 
systems; aber die Commission findet, dass da Gelegenheit ist, 
sie vollständiger zu benützen. Knaben werden auf die Schiffe 
gesendet, welche zu diesem Besserungswerk ungeeignet sind, 
während andere am Lande Zurückbleiben, welche sich besser 
an Bord betragen würden. Die Commission empfiehlt mit Hin¬ 
zufügung einer grössern Sorge in Auswahl von allgemeinen 
Grundsätzen, dass keine Knaben unter 12 Jahren auf die 
Schiffe gesendet werden und dass in keiriem Fall solche auf 
Gewerbs- oder Besserungsschulschiffe gesendet werden, wenn 
sie nicht wenigstens wohl gewachsen und durch das Zeugniss 


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247 


einer competenten medicinischen !)^torität für das Seefahrer¬ 
leben geeignet sein würden und ohne Rücksicht schliesslich 
willig sind, zur See zu gehen. Die Commission beharrt auf 
dem Grundsatz, Knaben sobald als möglich zur See zu senden 
und dafür zu sorgen, geeignete Schiffe zu finden. Sie sagt, 
dass der grösstmögliche Unterschied bestehe zwischen Kna¬ 
ben, welche keine Hoffnung haben, zur See zu gehen bis ihre 
Erziehungsperiode abgelaufen ist, und solchen, welche wissen, 
dass je früher sie ihre Instruction durchmachen, sie um so 
eher ihre Entlassung erhalten. Diese Vorschläge, auf deren 
einem oder anderm die Commission besteht hinsichtlich der 
Wichtigkeit der helfenden Hand, wenn ein Knabe von der 
ersten Reise zurückkehrt, sind so klar von einer erleuchteten 
Menschenliebe eingegeben, dass kein Raum für Meinungsver¬ 
schiedenheiten übrig scheint. 

Die finanziellen Verhältnisse der Arbeite- und Besserungs¬ 
anstalten haben natürlich einen grossen Theil der Aufmerk¬ 
samkeit in Anspruch genommen und eine Menge von Aende- 
rungen wurden vorgeschlagen. Man hat berechnet, dass in 
Zukunft jedes Kind in einer Landschule 7 S. 61 P. und an 
Bord eines Schiffes 8 S. 6 P. per Woche kostet, wovon Alles 
mit Ausnahme der besondern Sechspens (Staatsbeitrag) aus 
öffentlichen Quellen fliessen muss. Die Commission schlägt 
vor: 4 S. 6 P. für die Woche im ersten Fall und 5 S. 6 P. 
im andern als gesetzmässigen Zuschuss vom Schatzamt (Staats¬ 
kasse). Oertliche Beiträge sollen auf 2 S. 6 P. für die Woche 
festgesetzt werden. Verschiedene Modificationen sind bei der 
Vertheilung der Verwilligungssumme vorgeschlagen; hinsichtlich 
der Einzelheiten verweisen wir unsere Leser auf den Bericht. 
Die Absicht ist: zu widerrathen die Aufnahme von kleinen 
Kindern in die Arbeitsschulen und von Knaben unter 12 Jahren 
in die Schiffsschulen; zu ermuthigen die Entlassung von Kna¬ 
ben, welche für 4 Jahre zurückgewiesen, das Alter von 15 
Jahren erreicht haben, und daher die Einsetzung passender 
Distrikte der Tagarbeits- für Kostarbeitsschulen. Grosse 
Schwierigkeit hat man bei der Einsammlung der elterlichen 
Beiträge für die Kosten der Unterhaltung ihrer Kinder gefun¬ 
den und in einigen Fällen ist es in Schottland Plan des Volkes, 


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'X 


— 248 n 

ihre Kinder in die Besserungsanstalten zu senden in der Vor¬ 
aussicht, sich von den Ausgaben und von der Mühe, sie zu 
beaufsichtigen, zu befreien. Die Mängel der Einrichtung be¬ 
stehen darin, dass die Centralbehörde statt der Localbehörden 
eiiisammelt und dass eine gesetztnässige Art von zwangsweiser 
Zahlung unausrührbar ist. Die Commission empfiehlt in Folge 
dessen, dass die Quartalsessionen, Stadt\ersammlungen und 
Scliulbehörden, w eiche jetzt die Localsammlungen machen, 
durch Vormundschaftsgerichte ersetzt werden sollen, welche 
zugleich die Pflicht der Einsammlung der elterlichen Zuschüsse 
dazu nehmen sollen, die jetzt auf die Centralschulbehörde ge¬ 
legt ist. Es wird vorgeschlagen, die Vormünder mit einer 
grössern Zahl besser wirkender Mittel auszurüsten, um die 
Zahlung beizutreiben, als jetzt vorhanden sind, und die Eltern 
zu verpflichten, die ganzen 8 Schillinge zu bezahlen, wenn sie 
dies im Stande sind. Mr. Broadhurst stimmt nicht mit diesem 
Vorschlag überein aus dem Grunde, weil ein Mann mit einem 
Weibe und 5 bis 6 Kindern, der nur 1 Pfund in der Woche 
verdient, ganz unfähig ist, 8 Schilling für ein ungerathenes 
Kind zu bezahlen. Die Antwort ist natürlich, dass kein Mann 
in solchem Falle würde angegangen werden, eine Summe zu 
bezahlen, welche den Rest der Familie der Gemeindearmen¬ 
pflege überliefern würde. Es ist von höchster Wichtigkeit, 
dass wir nicht die Meinung nähren, die immer nur allzu vor¬ 
herrschend ist, als ob jeder Mann ein unverletzliches Recht 
habe, mit Weib und 5 oder 6 Kindern bei der letzteren Ver¬ 
kommenheit alle Kosten ihrer Unterhaltung auf Andere zu 
werfen. Die immer gegenwärtige Gefahr eines solchen Systems 
von Entlastung und Besserung, wie wir discutirt haben, besteht 
darin, dass sie den Vorwurf der Unvorsichtigkeit und Selbst¬ 
nachsicht zu wecken pflegt und den Staat mit einer Bürde 
belastet, unter welcher die reichste Gemeinde schliesslich unter¬ 
liegen muss. 

Die Commission, eingesetzt zur Untersuchung der Grün¬ 
dung, Leitung, Controlirung, Beaufsichtigung, der Finanz¬ 
verhältnisse und Bedingungen der gesicherten Besserungs-, 


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249 


Arbeits- und Tagarbeitsschul-Anstalten im vereinigten König¬ 
reich und zum Bericht, welche Verbesserungen erforderlich 
sind, h^t soeben ihren Bericht ausgegeben. Die Mitglieder 
der Commission waren Lord Aberdare, Lord Dalhousie, 
Lord Norton, Mr. Edward Stanhope, M. P. Sir Michael 
Hicks-Beach, M. P. The O’Conor Don, Sir Ughtred Kay- 
Shuttleworth, Colonel Colthurst M. P., Mr. G. W. Hastings 
M. P., Mr. F. H. N. Glossop, Mr. C. Dalrymple, Mr. Broad- 
hurst M. P., Mr. Ewart M. P. und Mr. W. E. Hubbard, mit 
Mr. Adolph G. C. Liddell als Secretär. 

Der Bericht, lang und ins Einzelne gehend, umfasst mehr 
als 70 Seiten. Er enthält 100 Abtheilungen und der Gegen¬ 
stand ist unter den verschiedenen Capiteln behandelt über 
„Geschichte und Resultat^, „Leitung“, „Arbeitserziehung“, 
„Erziehung und Beaufsichtigung“, „Bedingungen der Zulassung“, 
„Controle und Strafen“, „Entlassungsverfügungen“, „Lehr- 
Schiffe“, „Schulen von kurzer Dauer“ und „Finanzielle Ein¬ 
richtungen“. Irland ist auch und zwar besonders behandelt. 
Lord Dalhousie, Lord Norton, Mr. Broadhurst und Mr. Glossop 
legen, indem sie mit der Mehrheit der Vorschläge der Com¬ 
mission übereinstimmen, noch Denkschriften hinzu, welche 
gewisse DiflPerenzpunkte bezeichnen. In der folgenden Inhalts¬ 
anzeige der Vorschläge, welche der Bericht enthält, wendet 
die Commission zum Zweck der Abkürzung das Wort Guardians 
für Vormundschaftsgericht oder schottische Gemeinde-Armen¬ 
pflege, Union für englische Union oder schottische Pfarrgemeinde, 
school boards für Schuldienst oder Schulbeaufsichtigungscomit^ 
und parent für Eltern oder Vormünder an. 

Leitung. 

I. Besserungsanstalten und Arbeitsschulen, später aner¬ 
kannt, sollen unter freiwilliger Leitung oder derjenigen des 
Friedensrichters stehen j aber Müssiggänger-Schulen und Tag- 
arbeits-Schulen sollen von Schulbehörden errichtet und ge¬ 
leitet werden. 

II. Der Inspector soll die Entziehung der Anerkennung 
verhängen, wenn die Leitung ungenügend ist und nicht nach 
seiner Vorschrift geändert wird. 


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250 


in. Die Anstellung von Frauen als Leiter und Aufseher 
insbesonders von Mädchen - Besserungs- und Arbeitsanstalten. 

IV. Der Inspector soll die Aufmerksamkeit der Leiter auf 
jeden Mangel der nöthigen Eigenschaften eines Aufsehers hin¬ 
lenken und wenn nöthig seine Entlassung verlangen. 

V. Besserungsanstalten und Arbeitsschulen sollen so ein¬ 
fach, als die Localumstände es erfordern, gehalten werden; 
wenn gross, so sollen sie in Sectionen getheilt werden. 

Arbeitsabrichtung. 

VI. Der Inspector soll Arbeitszweige abweisen, die ver- 
hältnissmässig für das spätere Leben unnütz sind. 

VII. Der Gewinn der Zöglingsarbeit soll erst in zweiter 
Linie in Betracht gezogen werden, und Prämien an die Ver¬ 
walter oder die Behörde auf den Gesammtertrag der Anstalt 
sollen verboten werden. 

Erziehung und Inspectioa 

Vin. Lehrersdienste sollen hinsichtlich des Avancements 
und der Belohnung mit denen in den öffentlichen Elementar¬ 
schulen gleich gestellt werden. 

IX. Massregeln sollen ergriffen werden, tim Unterricht zu 
ungehörigen Stunden zu verhindern und um den Lehrern eine 
vernünftige fi’eie Zeit zu sichern. 

X. Volle Schulzeit soll verlangt werden: 

a) für die Müssiggänger- und Tagarbeitsschulen, 

b) für die Arbeitsschüler bis zum 10. Jahr (leichte Ar¬ 
beitsbeschäftigung ausser den Schulstunden), 

c) in Besserungsanstalten und Arbeitsschulen, ausge¬ 
nommen in gewissen Fällen, bis der dritte Grad 
erreicht worden ist. 

XI. Singen nach Noten soll systematisch gelehrt werden. 

XII. In Tagarbeitsschulen sollen Frauen als Lehrerinnen 
so weit als möglich verwendet werden. 

XIII. Die Uebertragung der Erziehungs-Inspection an das 
Erziehungsdepartement und folgerichtige Ausdehnung der Be¬ 
willigungen von dem Erziehungsdepartement an die Besserungs-, 
Arbeits-, Tagarbeits- und Müssiggänger-Schulen. 

XIV. Die Handhabung der Inspection von Seiten der 


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251 


Centralerziehungsbehörde in jeder Hinsicht mit Ausnahme der 
Elementarerziehung. 

XV. Eine klare Bestimmung der Schulprovinz jedes De¬ 
partements und seiner Inspectoren. 

XVI. Die durchs die Entlastung von der Pflicht der Er- 
ziehungs-Inspection bestimmte freie Zeit soll durch den Home 
Office- (Centralbehörde-) Inspector zu öfterem Besuch, besonders 
zu Ueberraschungsbesuchen verwendet werden. 

Bedingungen der Aufnahme. 

XVIL Der Gerichtshof soll einen Specialbericht an den 
Home-Secretär machen über die Umstände, unter welchen ein 
Kind zugelassen wird: 

a) unter 10 Jahren zu einer Besserungsanstalt; oder solch 
ein niederes Alter, als für die Fälle der Aufnahme in 
eine Arbeitsschule für Jugendliche bestimmt werden 
möchte; 

b) unter 14 Jahren zu einer Besserungsanstalt; 

c) bei der ersten Ueberführung eines Verbrechens zu einer 
Besserungsanstalt. 

XVIII. Alle Gerichtshöfe sollten die Befugniss haben, 
Kinder unter 10 Jahren, belastet mit leichten Verbrechen, in 
eine Besserungsanstalt zu schicken. 

XIX. In die Besserungs-, Arbeits-, Tagarbeits- und 
Müssiggänger-Schulanstalten sollen die Aufnahmen nur für 
einen letzten Termin, der mit dem 16. Jahre endigt, in eine 
Besserungsanstalt nie für weniger als 3 Jahre, ausgenommen 
bei Kindern unter 11 Jahren nie für mehr als 5 Jahre er¬ 
folgen. 

XX. Einige von den bestehenden Arbeitsschulen sollten 
für jüngere Kinder bestimmt sein, um in einem Alter, das 11 
Jahre nicht überschreitet, einer ordentlichen Arbeitsanstalt 
überwiesen zu werden. 

XXL Schottische Schulbehörden sollen die Befugniss und 
Pflicht haben, an Schulbehörden in England nach der 11., 
12., 13. und 16. Section der Erziehungs-Acte von 1876 ihre 
Rechte zu übertragen. 

XXII. In allen Fällen, wo Kinder von weniger als 16 

Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 17 


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252 


Jahren vorgestellt werden, sollte der Gerichtshof die Macht 
haben, das Alter des Kindes zu bestimmen, welches dann das 
wahre Alter für alle Zwecke, die unter die Besserungs- und 
Arbeitsschulacte fallen, sein soll. 

XXIII. In Schottland sowie in England soll kein Kind 
zu einer Besserungs-, Tag- und Müssiggängerschule über¬ 
wiesen werden ausgenommen durch zwei Magistratspersonen 
oder vom besoldeten Magistrat oder von einem Scheriff im 
öffentlichen Amte. 

XXIV. Alle Fälle einer Woche sollen zur Untersuchung 
vor eine Localbehörde gebracht werden, welche die Macht hat, 
für zwei oder drei Wochen auszuschliessen. 

XXV. Der Gerichtshof soll die Gegenwart der Eltern 
erzwingen. 

XXVI. Der Gerichtshof soll die alternative Befugniss 
haben, 

a) die körperliche Züchtigung der Knaben anzuwenden, 

b) die Geldstrafe des Vaters oder seine Einsperrung zu 
verhängen, 

c) Bürgschaft zu nehmen von dem Vater für die gute 
Aufführung des Kindes, 

d) in schottischen Fällen, welche vor der Parochialbehörde 
klagbar sind, soll die Behörde die Wahl haben, sich 
der Aufnahme in Arbeitsanstalten zu widersetzen, und 
der Gerichtshof die Wahl haben, sie der Sorge der 
Parochialbehörde zu übergeben, um sie ausser dem 
Hause unterzubringen. 

XXVII. Alle Fälle der verweigerten Zulassung sollen dem 
Staatssecretär berichtet werden, welcher das Recht haben soll, 
auf der Zulassung zu bestehen: hinsichtlich der Protistuirten, 
welche, sofern möglich, einer Herberge überliefert werden 
sollen; hinsichtlich der Schwachen und Blödsinnigen, welche 
in eine barmherzige Anstalt gesendet werden sollen. 

XXVni. Die Ausfertigung eines Circulars an die Magi¬ 
strate, um ihre Aufmerksamkeit auf die Arbeitsschul-*Verbesse¬ 
rungs-Acte von 1880 zu lenken und zu der Pflicht ihr Wirkung 
zu geben in zutreffenden Fällen. 


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253 


XXIX. Die Zurücknahme der Section 16 der Arbeits- 
schul-Acte von 1860 zu erstreben. 

Controle. 

XXX. In dem Falle, wo Knaben vor der Besserungs¬ 
anstalt eingesperrt werden sollen, sollen die Behörden ermächtigt 
sein, körperliche Züchtigung zu verordnen. 

XXXI. Hinsichtlich der Mädchen soll die Einzelhaft vor 
der Besserungsanstalt nicht mehr als 7 Tage unter einem Alter 
von 12 Jahren betragen, andernfalls nicht mehr als 14 Tage 
und soll, sofern möglich, in Zellen in oder nahe bei den 
Besserungsanstalten verbüsst werden. 

XXXII. Die Verbringung von Arbeitsschulen in Besse¬ 
rungsanstalten soll ohne Gefängnissstrafe geschehen mit Aus¬ 
nahme von schweren Fällen. Die Verbringung von Besserungs¬ 
anstalten in Arbeitsschulen soll nur möglich sein durch eine 
Anordnung des Home-Secretärs. 

XXXIII. Für den Fall von Bestrafung soll: 

a) keine Bestrafung von einem Unterbeamten aufgelegt 
werden; 

b) keine Bestrafung durch einen Schulmeister verhängt 
werden, ausgenommen für Schul vergehen; 

c) der Zwischenraum einer Nacht allgemeine Regel sein 
zwischen Vergehen und Strafe; 

d) ein Bestrafungsbuch gehalten werden; 

e) die Bestrafungen quartaliter oder monatlich dem 
Inspector angezeigt werden; 

f) ein Plan für Bestrafungen später ausgearbeitet werden. 

XXXIV. Eine besondere Besserungsanstalt für Rückfällige 

soll unter freiwilliger Leitung eingerichtet werden. 

Entlassung 8-Verordnungen. 

XXXV. In allen Fällen, wo die gegenwärtige Befugniss, 
die Kinder in die Ijehre zu bringen, unanwendbar ist, sollen 
die Leiter gleichmässig volle Ermächtigung haben anzuordnen: 
sie in eine Herberge zu thun oder zur See oder zur Auswan¬ 
derung zu bringen. 

17 ^ 


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254 


XXXVL Die Marine- und Militärbehörden sollen durch 
Regulative autorisirt werden zur Anwerbung von Knaben der 
Besserungsanstalten, ohne die Zustimmung der Eltern zu suchen. 

XXXVIL Erlaubnissscheine sollen allgemeiner als jetzt 
und so früh als möglich gewährt werden, und der Inspector 
soll an den Home-Secretär jeden Fall berichten, in welchem 
ein Kind, das offenbar zur Lehrentlassung geeignet ist, un¬ 
billigerweise zurückgehalten wird. 

XXXVIIL Die Beaufsichtigung seitens der Leiter soll 
zwei Jahre lang nach Ablauf des Urtheils fortgesetzt werden 
in dem Fall, wo Zöglinge der Besserungsanstalten über 19 
Jahre alt sind; diese Beaufsichtigung soll mit dem 21. Jahre 
aufhören; und da die erste Zurückhaltung nicht über den 
Termin des Urtheils verlängert werden soll, so sollen die Er¬ 
laubnissscheine erneuerungsfahig sein bis zum Datum, wo die 
Controle aufhört mit Gewalt einer Zurückberufung, die nicht 
zu einer längeren Rückbehaltung tauglich ist, als nöthig sein 
mag, um einen neuen Anlauf zu nehmen. 

XXXIX. Eine Ausdehnung des Plans solcher freiwilliger 
Herbergen für Lehr- oder Entlassungsfälle, wie sie in Ver¬ 
bindung mit einigen Besserungs- und Arbeitsschulanstalten 
existiren. 

Bericht über die Resultate. 

XXXX. Grosse Sorge sollen die Leiter für die Vorbe¬ 
reitung der Zurückweisung tragen, wie für den nachherigen 
Lebensgang der Kinder und durch den Inspector bezeugt 
werden. 

Lehrschiffe. 

XXXXI. a) Kein Knabe soll auf ein Besserungs- oder 
Arbeitsschiff vor dem zwölften Jahre gesendet werden 
oder ohne ein ärztliches Zeugniss der Fähigkeit, noch 
gegen die eigene Zustimmung. 

b) Jedes Schiff soll mit einer Gruppe von Landschulen 
verbunden sein, um Knaben von ihnen aufzunehmen 
oder dieselben solchen Schulen zu überweisen. 

c) Die Schiffe sollen Agenten an den Häfen haben, um 
für die Unterkunft der Knaben zu sorgen und im 
Allgemeinen sie zu berathen und nach ihnen zu schauen. 


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Schulen von kurzer Dauer. 

XXXXII. Müssiggang und absichtliche Schul Versäumnisse 
aus andern Ursachen sollen durch kurze Einschliessung in 
Müssiggänger-Schulen oder Tag-Arbeitsschulen eher als durch 
lange Rückhaltung in Arbeitsschulen behandelt werden, wenig¬ 
stens nachdem ein voller Richterspruch für die erste Behandlung 
gefehlt hat. 

XXXXIII. In den jetzigen und künftigen Müssiggänger- 
schulen soll Einzelhaft nicht angewendet werden, am wenigsten 
als Versuch. 

XXXXIV. Vorkehrungen sollen getroffen werden zur 
Einrichtung römisch-katholischer Müssiggänger- oder Tag¬ 
arbeitsschulen oder für beide. 

. XLV. Die Gesetzgebung gibt Ermächtigung: 

a) die Beamten der Schulbehörden in Stand zu setzen, 
ein ungerathenes Kind durch einen Dienstbefehl auf¬ 
zunehmen ; 

b) Knaben in die Lehre zu geben oder von einer 
Müssiggänger - Schule zu einer Tagarbeitsschule zu 
übertragen; 

c) Kinder von einer Tagarbeitsschule zu einer andern 
zu versetzen ohne die gegenwärtigen Restrictionen; 

d) unter einem Magistratserlass das Schulgeld eines 
Kindes zurückzuerstatten, das eine Elementarschule 
besucht, mit einer Lehrscheinserlaubniss von einer 
Müssiggänger- zu einer Tagarbeitsschule; 

e) einigen Kindern die Erlaubniss zu geben, in die 
Tagarbeitschulen zurückzukehren zu den Mahlzeiten, 
zu Arbeits- oder Spielstunden' nach den von den 
Eltern zu erlangenden pflichtschuldigen Beiträgen. 

XLVI. Für Schottland die Ausdehnung der Sectionen 
11, 12, 14 u. 16 der Elementar-Erziehungsakte von 1876 und 
die Errichtung von Tagarbeitsschulen in Schottland und deren 
allgemeinen Gebrauch in England. 

XLVII. Die Gesetzgebung gibt der Municipalautorität die 
Macht, die specielle Anwendung auf Kinder zu reguliren, so 
dass sie Sorge tragen mögen für genügende Bestrafungen. 


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Finanzielle Einrichtungen. 

XLVIII. In dem Fall einer Arbeits-, Tagarbeits- und 
Müssiggänger-Schule: 

a) die Abschaffung der gegenwärtigen Zuschüsse durch 
Vierteljahrs-Sessionen und Stadtversammlungen und 
der directen Beiträge von Schulbehörden und Ersetzung 
der Zuschüsse von den Vormündern für jedes Kind 
nach folgender Wochenskala: 7 Sh. 6 P. für refractäre 
arme Kinder, die durch Vorstellung der Vormünder 
zugelassen sind; 2 Sh. 6 P. für Fälle der Zurückhal¬ 
tung in Arbeits- oder Müssiggängerschulen; 2 Sh. für 
Kinder in Tagarbeitsschulen; 

b) Sammlung und Aufbewahrung der elterlichen Zahlun¬ 
gen durch die Vormundschaftsbehörde als Ersparniss 
den obigen Zuschüssen gegenüber; 

c) die Zahlung an die Vormünder durch die Schulbehör¬ 
den zum Unterschied zwischen dem Betrag aus der 
Staatskasse und elterlichen Zuschüssen und dem nöthi- 
gen Beitrag zur Unterhaltung des Kindes. 

d) Die Vormünder haben das Recht der gelegenheitlichen 
Inspection. 

e) Der Gerichtshof soll zwei Anordnungen machen: die 
eine für die Vormünder für die Zeit der Aufnahme, 
die andere um die Höhe des elterlichen Beitrags zu 
bestimmen. 

f) Die Verpflichtung der Vormünder und Eltern für ihre 

' resp. Zahlungen sollen von dem Datum der Zulassung 

an beginnen. 

g) Der Gerichtshof soll die Macht haben, die Summe der 
elterlichen Beiträge zu erhöhen auf den Antrag der 
Pfleger und beim Beweis der Aenderung in den Ver¬ 
hältnissen der Eltern. 

h) Der Gerichtshof soll die Macht haben, zu verordnen, 
dass der Vater beim Beweis von genügenden Mitteln 
7 Sh. 6 P. in eine Arbeitsschule oder 3 Sh. in eine 
Tagarbeitsschule zahlen solle. 

i) In Schottland, wo die Gemeindebehörde jetzt ver¬ 
pflichtet ist, soll diese wie in andern Fällen die oben 


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257 


fixirte Zuschusssumme leisten und die Macht haben, 
von den Eltern Ersatz zu fordern. 

k) In Fällen des Wegzugs der Eltern sollen die Vor¬ 
münder das Recht haben, sich mit den Pflegern der 
Union, wo sie hingezogen sind, zu vereinbaren, um 
die Einsammlung der Beiträge zu ermöglichen, und 
der Gerichtshof soll die Macht haben, bei dem Beweis 
des sechsmonatlichen Aufenthalts der Eltern in einer 
andern Union ihren Erlass zu verbessern und die Ver¬ 
pflichtung des Zuschusses nach erhaltener Benach¬ 
richtigung auf die Vormundschaftsbehörde einer solchen 
Union zu übertragen. 

XLIX. In dem Fall von Verbesserungsanstalten: 

a) die Fortsetzung der Sammlung der elterlichen Beiträge 
durch das Schatzamt mit Bezug auf Befreiung; 

b) die Fortsetzung von Beiträgen von Quartalsessionen 
und Stadtversammlungen. 

c) Diese Einsammlungsbehörden sollten in Zukunft zu einer 
bestimmten Contribution von 2 Sh. in der Woche für 
jeden Fall verpflichtet sein mit Ermächtigung zu ge¬ 
legentlicher Inspection. 

d) Erzwingung gleichmässiger Bezahlung von Seiten der 
Eltern. 

e) Der Gerichtshof soll die Macht haben, bei Beweis von 
genügenden Mitteln zu verordnen, dass die Eltern 8 Sh. 
per Woche bezahlen. 

L. Der Antrag: durch die Londoner Polizeibehörde eine 
gleichmässige Praxis bei den Schulbehörden planmässig zu 
sichern. 

LI. Das Schatzamt soll )n Hinzufügung zu den oben em¬ 
pfohlenen Erziehungs - Verordnungen noch folgende Erlasse 
geben: t 

a) Im Fall von Arbeite- und Müssiggänger-Schulen 3 Sh. 
6 P. für ein Kind, das unter die Subsection 2 der 
Section 11 der Elementar-Krziehungs-»Acte von 1876 
fällt; 3 Sh. für Kinder zwischen 6 und 10 Jahren; 
3 Sh. für Kinder im Alter von 15 Jahren, welche 4 


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Jahre zurückbehalten sind; 2 Sh. 6 P. für Kinder, 
welche während des Tags auswärts arbeiten und mehr 
als 2 Sh. 6 P. verdienen; nichts für ein Kind aus der 
Besserungsanstalt, das aus dem Arbeitshause oder der 
Armenschule gesendet wird; nichts für Kinder unter 
6 Jahren; 5 Sh. 6 P. für Kinder von 12 Jahren und 
aufwärts in Industrie-Schulschiffen, ausgenommen 4 Sh. 
6 P. für Shaftesbury Schulbehörde-Schiff; 1 Sh. 6 P. 
für alle andern Fälle unter Zurückbehaltung. 

b) Für den Fall der Besserungsanstalten wie gegenwärtig 
1 Pfund für Kleidung, aber nur in den Fällen, wo die 
Lehrscheine mehr als 6 Monate vor dem Ablauf des 
Termins des Urtheils ausgestellt sind. Wo Zellen für 
die erste Bestrafung von Mädchen vorgesehen sind, 
soll ein obrigkeitlicher Erlass über die Kosten ihrer 
Errichtung gegeben werden. 

c) In beiden Fällen der Besserungs- und Arbeite-An¬ 
stalten 2 Sh. wöchentlich für 13 Wochen und 1 Sh. 
wöchentlich für die nächsten 26 Wochen für Befreiungs¬ 
falle. Die Hälfte der Ausgaben wird von den Leitern 
geleistet (mit Bewilligung des Inspectors) bei Gelegen¬ 
heit der Befreiung, der Entlassung, der Anordnung, 
Ausrüstung etc. nach genügenden Resultaten während 
der zwei folgenden Jahre; 

d) bei Tagarbeitsschulen 1 Sh. 6 P. während der Zurück¬ 
haltung in den ersten 6 Monaten, 1 Sh. nachher. 

Wir setzen voraus, dass die oben gemachten Empfehlun¬ 
gen im vereinigten Königreich angewendet werden, voraus¬ 
gesetzt hinsichtlich Irlands mit solchen Modiheationen als 
nötbig sind bei der Rücksicht auf die Verschiedenheit der Ge¬ 
setze und der Administration. 

Besondere Vorschläge für Irland. 

LII. Vorschriften für die Aufnahme von Kindern, welche 
nach den Bestimmungen der Arbeitfeschul-Acte zugelassen wer¬ 
den, sollen für Arbeitsschulen und für solche, welche derjeni¬ 
gen von Kilmore ähnlich sind, mit Rücksicht auf Kinder von 
verbrecherischem Charakter gemacht werden. 


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LIIL Die Erziehung in Besserungs- und Arbeitsschulen 
soll beurkundet werden durch die Inspectoren der National- 
Erziehungsbehörde. 

LIV. Kein Kind soll zu einer Arbeitsschule zugelassen 
werden ausgenommen durch die Ordre von zwei Magistraten, 
von denen einer möglichst ein Ortsmagistrat sein soll, oder 
durch die Amtshandlung einer Ortsbehörde allein. 

LV. Die Begründung des vorgeschlagenen Einhalts für 
eine ungeeignete Zulassung zur Arbeitsschule und die Aus¬ 
stellung von Certifikaten zu den Arbeitsschulen sollen nach 
den nämlichen Grundsätzen wie in England und Schottland 
gemacht werden. 

LVL Die Besserungs-Einrichtungen-Acte (Irland) 1881 
soll ausgedehnt werden auf die Arbeitsschulen unter den an¬ 
geführten Bedingungen. 

LVII. Bei passender Gelegenheit soll auf ein Lehrschiflf 
zu Queenstown für römisch-katholische Arbeitsschul-Knaben 
Bedacht genommen werden. 

XVIII. Mittel sollen ergriffen werden, um eine Ausschrei¬ 
tung der Zurückhaltung von Kindern in Untersuchungshaft zu 
verhüten. *) 

*) Vgl. über die hier fraglichen Anstalten den Aufsatz von Föhring 
in dem 14. Vereinsheft des Norddeutschen Vereins für Gefängnisswesen 
Seite 119. 


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MlHiiei all! Aar Praila. 


Allenthalben findet man Badewannen aus Zink, die ab¬ 
scheulich verbuckelt und verbogen, auch vielfach geflickt sind. 
Die Wannen gerathen meistentheils dadurch in diesen Zustand, 
dass bei Bereitung des Badewassers zuerst heisses Wasser in 
dieselben eingelassen wird und dann erst das erforderliche 
kalte Wasser. Durch das heisse Wasser wird aber das Zink 
so weich, dass es nicht dem geringsten Druck mehr Wider-* 
stand leisten kann, jede zufällige Berührung der Wannenwände 
gibt eine Beule, leicht auch einen Riss. Es ist daher streng 
darauf zu halten, dass bei Bereitung des Badewassers stets 
das kalte Wasser zuerst in die Wanne gelassen wird; die 
Wannen werden dann viel länger brauchbar bleiben. 

Die Einrichtung, dass sich das warme mit dem kalten 
Wasser schon vor dem Einlassen in die Wanne mischt, dürfte 
sich nur für grosse Anstalten empfehlen, wo ein continuirliches 
Bedürfniss für Anwendung von Bädern besteht. 

(Die rationelle Gewinnung von Speisefett aus 
den Knochen.) Der Civilingenieur Gustav Keim in Franken¬ 
thal (Rheinpfalz) hat zur rationellen Gewinnung von Speise¬ 
fett aus den Knochen des in der Haushaltung verwendeten 
Fleisches eine Knochensäge (Bandsäge mit Fussbetrieb, von 
einer Person bedient) construirt, welche nach den vorliegenden 
technischen Gutachten und nach den gewonnenen Erfahrungen 
für die Haushaltung grosser Anstalten sehr zweckmässig und 
geeignet ist, wesentliche Ersparungen herbeizuführen. 

Die Knochen werden wie gewöhnlich beim Tranchiren 
aus dem gesottenen Fleische herausgeschält und von diesen 
die Gelenkköpfe, sowie die sonstigen markhaltigen und porösen 
Knochenstücke mittelst der Knochensäge in dünne Scheiben 
geschnitten, während die von den Gelenkköpfen abgeschnittenen 


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261 


offenen Knochenröhren, deren Mark leicht herauszunehmen ist, 
ganz bleiben. Die Knochenscheiben werden alsdann in Wasser 
mit den entsprechenden Gewürzen in offenen oder geschlossenen 
Töpfen zu einer guten Fleischbrühe längere Zeit tüchtig 
gekocht, während die beträchtliche Menge des abgeschöpften 
überschüssigen Fetts als Schmalz verbraucht werden kann. 

Ingenieur Keim liefert eine Knochensägemaschine für 
270 tAL und es ist ihm zu glauben, dass in jeder grösseren 
Anstalt die Anschaffungskosten durch den Werth des jetzt 
gewonnenen, sonst in den Knochen verbliebenen Fetts schon 
in einem Jahre reichlich gedeckt werden. Hiebei ist freilich 
die Voraussetzung, dass vor Anwendung der Knochensäge die 
Knochen gar keiner wirthschaftlichen Ausnutzung unterworfen, 
sondern mit ihrem ganzen Eiweisse und Fettgehalt einfach 
an den Knochenhändler verkauft wurden. In Strafanstalten 
könnte übrigens ein finanzieller Vortheil aus dem Gewinn 
an Knochenfett durch Anwendung der Knochensäge nicht er¬ 
wachsen, denn das so gewonnene Fett müsste zweifellos zu 
den Speisen verwendet werden, zu welchen das Fleisch ge¬ 
hört, das die entfetteten Knochen geliefert hat. Aber ein 
grosser und beachtenswerther wirthschaftlicher Vortheil 
kann durch Anwendung der Knochensäge herbeigefuhrt wer¬ 
den, weil das mit ihrer Hilfe fast kostenlos gewonnene Knochen¬ 
fett, zu den für die Gefangenen zubereiteten Speisen verwen¬ 
det, diese fetter, verdaulicher und nahrhafter macht. 

In unserer Anstalt wird seit Jahren bei Ausnützung der 
Knochen ein Verfahren beobachtet, dem wir vor der von Keim 
vorgeschlagenen Methode entschieden den Vorzug geben. Dieses 
Verfahren erfordert allerdings die geschickte Hand eines ge¬ 
lernten Schlächtergesellen; ein solcher findet sich aber gewiss 
in jeder grösseren Strafanstalt, und für kleine Gefängnisse 
kommt weder unser Verfahren noch die Keim’sche Knochen¬ 
säge etc. in Frage. Wir lassen von einem geschickten Schlächter 
die Knochen aus dem rohen Fleische ausschälen. Die Knochen 
werden dann mit einem Beile in kleine Stücke zerschlagen, 
in ein Gefass gelegt, mit Salzwasser und einigen Tropfen 
chemisch reiner Salzsäure übergossen; so bleiben sie 10 bis 
12 Stunden stehen. Durch diese Manipulation wird das in und 


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an den Knochen vorhandene Eiweiss zum grössten Theil in 
dem Salzwasser gelöst, wir haben dadurch eine kalte (sog. 
Liebig’schc) Bouillon gewonnen. Diese Bouillon wird nun 
von den Knochen abgegossen und, wie weiter unten erwähnt, 
verwendet. Die Knochen selbst werden alsdann nach Beigabe 
von Gewürz bei einer Temperatur von mindestens 80® R. län¬ 
gere Zeit in Wasser ausgekocht, bis sich die in Mark und 
Knochen vorhandenen Fette, die leimhaltigen Substanzen und 
die Salze dem Wasser mitgetheilt und wir so eine schätzens- 
werthe Knochenbouillon mit Fett gewonnen haben. Jetzt 
werden die Knochen noch von den kleinen Fleischstückchen, die 
etwa bei dem Ausschälen an ihnen hängen geblieben sind, befreit, 
diese unter die Speisen gemengt, die vollständig ausgenützten 
Knochen aber gesammelt und an die Knochenmühle verkauft. 

Unser Verfahren gründet sich auf folgende Erwägung: 
Eiweiss gerinnt schon bei einer Temperatur von 62—65 ® R.; 
im geronnenen Zustande hat dasselbe viel von seinem sonst 
so hochgeschätzten Nährwerth und von seiner leichten Verdau¬ 
lichkeit (Assimilationsfähigkeit) verloren. Sollen Knochen mit 
Nutzen ausgekocht werden, so müssen sie einer Temperatur 
von mindestens 80 ®R. längere Zeit ausgesetzt bleiben. Hieraus 
folgt, dass ein dem menschlichen Körper nützliches, leicht lös¬ 
liches Eiweiss und eine gute Bouillon mit Fett aus Knochen 
nicht durch ein und dasselbe Verfahren gleichzeitig gewonnen 
werden kann. Deshalb wird hier die kalte Bouillon für sich 
allein hefgestellt. Dass diese grosse Mengen Eiweiss enthält, 
zeigt sich sofort, wenn man eine beliebige Quantität dieser 
Bouillon bis zu 80® R. erhitzt i. e. kocht — das Eiweiss 
coagulirt und fällt in grösseren graubraunen Flocken zu Boden. 
Gerade dieses Gerinnen des Eiweisses soll aber vermieden 
werden; die kalte Bouillon darf daher niemals gekocht, son¬ 
dern nur erwärmt und den Speisen erst zugefügt werden, 
wenn diese nahezu fertig gestellt sind. 

Der Minderwerth der mit dem Beil zerschlagenen Knochen 
gegenüber dem Werth der mit der Säge behandelten Knochen, 
welche noch für die Industrie Verwendung finden können, dürfte 
für unser Interesse kaum in Anschlag zu bringen sein. 


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263 


Literatiir. 


Vorbericht. 

Die Erscheinungen auf dem Gebiete der Gefangnissliteratur 
haben sich ganz besonders auch im Ausland letzte Jahre der¬ 
art gemehrt, dass wir in deren Besprechung nicht gleichen 
Schritt mit dem Erscheinen halten konnten. 

Was Frankreich anlangt, so besitzt dasselbe ein jetzt 
im siebenten Jahrgang erscheinendes Fachblatt, das Bulletin 
de la Soci4t4 g6n4rale des prisons, dessen wir schon früher 
Band 13 S. 324, Band 14 S. 247, 329 gedacht und aus dem 
wir die vorzügliche Arbeit seines Redacteurs, des rühmlich 
bekannten Generalsecretärs der Gesellschaft, Herrn Desportes 
in Uebersetzung gebracht haben. Das Blatt ist sehr reich¬ 
haltig von tüchtigen Correspondenten des In- und Auslandes 
bedient und mit besonderem Geschick redigirt. Das Bulletin 
ist gedruckt in Paris, Imprimerie et Librairie centrales des 
chemins de fer, Imprimerie Chaix, Rue Bergöre 20, und er¬ 
scheint jährlich in 8 Heften. 

Spanien hat ein Fachblatt in der jetzt im 7. Jahrgang 
monatlich 3 mal in Zeitungsform erscheinenden „La Reforma 
Penitenciaria“. Director-Proprietario F. Casteilote. Administra- 
cion Madrid, Infantas 4y6, segundo derecha. 

Das Blatt bringt, abgesehen von Aufsätzen allgemeiner Art 
aus dem Gebiete des Strafrechts und einem juristischen Theil, 
Aufsätze über Gefängnisse und Gefängnisswesen aus In- und 
Ausland, Gesetze und Verordnungen, Entschliessungen des 


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264 


Justizministeriums, Mittheilungen von der Oberleitung der Straf¬ 
anstalten etc. 

Neuerlich ist dem Blatte auch eine besonders gedruckte 
und zum Abschneiden gerichtete „Sammlung der gesetzlichen 
und sonstigen Vorschriften für die Gefängnisse“ beigegeben. 

Die Reichhaltigkeit und gute Auswahl des Stoffs machen 
das Blatt zu einem bedeutenden, seinem Zweck entsprechenden. 

Eine grosse Menge Literatur liegt uns aus England vor. 
Von dort erhalten wir, abgesehen von Anderem, regelmässig 
durch den verdienstvollen, unermüdlich thätigen Secretär der 
Howard-Gesellschaft, Tallack, nicht nur die Berichte der 
letztem, sondern noch viele grössere und kleinere Brochuren 
und Aufsätze, welche die Howard-Gesellschaft verbreitet, und 
Zeitungen, wie Times, Evening Standard, Pall Mall Gazette, 
Daily News, Scotsman, Manchester Courier, Daily Telegraph, 
Newcastle Daily Chronicle, Echo, Morning Post, Christian, 
London Figaro, The Sunday at Home, Evening News, in denen 
grössere und kleinere Fachartikel sich befinden. Einen inter¬ 
essanten Artikel über die „Reformatories and Industrial Schools“ 
haben wir oben in Uebersetzung gebracht. 

Wir werden nun künftig unter der Rubrik „Bibliographie“ 
stets die Inhaltsangabe der Zeitschriften, aber nicht nur des 
Aus- sondern auch des Inlands bringen und hiebei auch einen 
Theil der Zeitungen und kleineren Schriften des Auslands ein- 
beziehen. 


Het Gevangeniswezen in Baden, door Mr. D. Z. 
van Dnyl, Advokaat. Amsterdam, bei Johannes 
Müller. 1884. Abschnitt 1. „Een blik of het ver- 
leden.“ (Ein Blick auf die Vergangenheit.) kl. 8®. 
51 Seiten. 

Die Macht der Ideen bemisst sich nicht nach der Grösse 
des Staats, der sie erfasst und ausführt; ja, es ist eine ge¬ 
schichtliche Wahrheit, dass in den Aufgaben der Cultur oft¬ 
mals minder grosse Gemeinwesen, in welchen namentlich die 
finanzielle Tragweite von Neuerungen leichter ermesslich und 
eine geringere ist, bahnbrechend vorangeschritten sind. Diese 
Erkenntniss wohl hat der Geschichte des badischen Gefängniss- 


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265 


Wesens in der Person eines holländischen Rechtsgelehrten einen 
so fleissigen und umblickenden Bearbeiter zugeführt. Die vor¬ 
liegende Studie, welche die Zeit von der Entwickelung der 
Freiheitsstrafe überhaupt bis zum Jahre 1870 näher betrachtet, 
ist zwar zunächst für Niederländer geschrieben und daher nicht 
ohne Seitenblicke auf Geschichte und Ziele des dortigen Ge- 
fängnisswesens. Allein sie ist bei der nahen Verwandtschaft 
der Sprachen auch für Deutsche leicht lesbar und unter vielen 
Gesichtspunkten sehr interessant. Sie stellt in der Mittheilung 
einer 1570 von Philipp II. erlassenen Gefängnisshausordnung 
fest, dass in den Niederlanden zuerst Zuchthäuser errichtet 
wurden und dieses Beispiel sodann zunächst in Norddeutsch¬ 
land, besonders in Bremen und Hamburg, dann erst in den 
süddeutschen Ländern Nachahmung gefunden habe. Das von 
den Fürstbischöfen von Speyer in Bruchsal eingerichtete Ar¬ 
beitshaus (1776), welches noch benützt wird, findet namentlich 
Anerkennung. Im Uebrigen wird hervorgehoben, dass eine 
besonders rühmliche Entfaltung des badischen Gefängniss- 
wesens erst mit dem Markgrafen und spätem Grossherzog 
Carl Friedrich beginne, welcher die Scylla und die Charybdis, 
zwischen denen der Strafvollzug seinen Weg nehmen muss, 
bekanntlich dahin bestimmte, ebensowenig „die Frevler durch 
Nachsicht in ihrer Bosheit zu bestärken“ als „durch allzuharte 
Strafen die Fehlenden in ihr gänzliches Verderben gestürzt zu 
sehen.“ Die einzelnen Reformen dieses hochsinnigen Fürsten, 
die Beschränkung und spätere Abschaffung der Tortur, das 
Verbot unterirdischer Gefängnisse, die Classificirung der Ge¬ 
fangenen, die Begrenzung der Disciplinargewalt über dieselben 
werden gewürdigt und es folgt sodann, mit dem Jahre 1838 
beginnend, die Darstellung der literarisch mehr bekannten 
Vorbereitung und Durchführung der Einzelhaft, in genauerer 
Schilderung der einzelnen Stadien dieser Entwickelung. 

Die mit Kraft und Wärme geschriebene Schrift bildet nur 
die historische Einleitung zur Darstellung des jetzigen Zustands 
des badischen Gefängnisswesens und wir werden das Erscheinen 
der Fortsetzung um so mehr zu begrüssen haben, als eine zu¬ 
sammenfassende Bearbeitung dieser Art für Baden bis jetzt 
mangelt. v, /. 


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Handbuch der österreichischen Justizverwaltung. 

Mit Benützung amtlicher Quellen von Dr. Josef 

Kaser er, Sectionsrath im k. k. Justizministerium etc. 

IV. (Schlussband). Wien 1885. Holder. gr.Lex.-8®. 

443 Seiten. 

Mit diesem 4. Bande ist das bereits in Bd. XVIII. S. 416 
dieser Blätter angekündigte werthvolle Werk nunmehr voll¬ 
ständig. Der IV. Theil enthält die Vorschriften über die Ge¬ 
schäftsführung, zahlreiche Nachträge zu den früheren Bänden 
bis zum Schluss des Jahres 1883 und ein äusserst vollständiges 
Zeit- und Sachregister, dem gemäss früher gegebener Zusage 
eine ganz besondere Sorgfalt zugewendet ist. 


The State Penitentiary at Philadelphia. Kurze Be¬ 
schreibung seiner Entstehung und Geschichte von 
Richard Vauk, Präsidenten des Aufsichtsrathes. 
Philadelphia 1872. 

Diese Arbeit ist geschichtlich für die Entwicklung des 
Gefängnisswesens von grossem Werth und verdient eine aus¬ 
führlichere Besprechung, die, wenn auch verspätet, doch nicht 
zu spät kommt. — Der im Jahre 1787 gegründeten Phila¬ 
delphia Society for Alleviating the Miseries of Public Prisons 
gebührt das Verdienst der ersten Anregung der Reform des 
Strafvollzugs und Gefängnisswesens, jetzt eines Gemeingutes 
aller gebildeten Nationen. Welches Ziel die Männer der Stadt 
Penn’s dabei verfolgten und in welchem Sinne sie die Lösung 
ihrer Aufgabe unternahmen, zeigt folgender Auszug aus dem 
Gesellschafts-Statut: 

„Erwägen wir, dass die Gebote der Nächstenliebe, welche 
auf den Vorschriften und dem Beispiel des Stifters des Chri¬ 
stenthums beruhen, durch die Thorheiten und Verbrechen 
unserer Mitmenschen nicht mit Füssen getreten werden sollen, 
und betrachten wir das Elend, welches Mangel, Hunger, Kälte, 
unnöthige Strenge, ungesunde Räume und belastete Gewissen 
(das gewöhnliche Gefolge der Gefängnisse) mit sich bringen, 
so können wir unser Mitleid jenem Theil der Menschheit nicht 
versagen, der diesem Elend verfallen ist. Mit Menschlichkeit 


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0 . 


— 267 — 

lassen sich diese ungebührlichen und ungesetzlichen Leiden 
verhüten. Die Familienbande, welche die ganze Menschheit 
umschlingen, sollen unter allen Verhältnissen unverletzt er¬ 
halten und Strafen von einer Art und Weise erdacht und ein¬ 
geführt werden, welche statt lasterhafte Gewohnheiten fortzu¬ 
setzen, das Mittel bieten, unsere Mitmenschen zur Tugend und 
Glückseligkeit zurückzuführen.“ 

Die Gesellschaft wählte einen Präsidenten, zwei Vice- 
präsidenten, zwei Secretäre, einen Schatzmeister, vier Aerzte 
und zwei ständige Comit^s, Wahl- und Actions-Comit6. Der 
jährliche Beitrag der Mitglieder betrug 10 Schilling, später 
1 Dollar. Die Aufgabe des Actions-Comit^s bestand in dem 
wöchentlichen Besuche der Gefängnisse, Erkundigung nach den 
persönlichen Verhältnissen der Gefangenen, dem Bericht über 
Vorgefundene Missbrauche und Beobachtung der Einflüsse des 
Strafvollzugs-Systems auf die Gefangenen. 

Zwei Jahre später brachte die Gesellschaft ihre Reform¬ 
anträge, darunter den Antrag auf Einführung der Einzelhaft 
mit harter Arbeit — (die Legende von der anfänglichen Ein¬ 
führung strikter Einzelhaft mit der Bibel ohne Arbeit wird 
dadurch widerlegt) — an die gesetzgebende Gewalt. Mit 
Gesetz vom 5. April 1790 wurde im Hinblick auf die bei Ver¬ 
wendung von Verbrechern zu öffentlichen Arbeiten und bei 
dem ungestörten Verkehr der Sträflinge innerhalb der Gefäng¬ 
nisse erzielten unbefriedigenden Erfolge und in der Erwartung, 
dass ununterbrochene Einsamkeit in Verbindung mit nützlicher 
Beschäftigung (laborious employment) bessernd und abschreckend 
zugleich wirken werde, die Errichtung von 16 Zellen auf dem 
Gefängnisshofe beschlossen, welche bei einer Breite von 6 Fuss, 
Länge von 8 Fuss und Höhe von 9 Fuss aus Steinen und 
sicher gegen Feuersgefahr erbaut und von dem gemeinsamen 
Hofe durch Mauern von einer Luft und Licht nicht unnöthiger- 
weise beeinträchtigenden Höhe getrennt werden sollten. 

Der Versuch der Einführung der Einzelhaft hatte sich 
inhaltlich eines im Jahre 1781 an die Legislative gerichteten 
Memorandums bewährt, die Gesellschaft in ihrer Ueberzeugung 
bestärkt und andere Staaten zur Annahme dieses Systems be¬ 
stimmt. Im Jahre 1803 beantragte die Gesellschaft Erbauung 

Blätter für Gefängnisskunde. XIX. X8 


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268 


eines neuen Gefängnisses und wiederholte diesen Antrag bei 
verschiedenen Gelegenheiten, zuletzt in einem Memorandum 
vom Jahre 1821. Mit Gesetz vom 20. März 1821 wurde Er¬ 
bauung einer neuen Anstalt nach dem Isolirsysteme für 250 
Gefangene mit einem Kostenaufwande von 100000 Dollars 
beschlossen. Instructionen für die Inspectoren, den Verwalter, 
die Aufseher, den Arzt, den Religionslehrer, sowie detaillirte 
Vorschriften über Behandlung der Gefangenen und die Haus¬ 
ordnung wurden gleichfalls auf dem Wege der Gesetzgebung 
erlassen. Die Grundsteinlegung erfolgte am 22. Mai 1823, 
die Eröffnung am 25. October 1829. Die Baukosten berech¬ 
neten sich bis zur Eröffnung auf 332124 Dollars und steiger¬ 
ten sich bis zum Jahre 1835 auf 772 600 Dollars. 

Ein Muster für so viele später erbauten Strafanstalten hat 
das Strafgefängniss in Philadelphia die Bedeutung einer Muster¬ 
anstalt längst verloren. Eine Ringmauer massiv aus Granit in 
der übermässigen Stärke von 12 Fuss an der Sohle bei 35 Fuss 
Höhe, mit schweren zinnengekrönten Thürmen, von welchen 
der über dem Eingangsbau die stattliche Höhe von 80 Fuss 
erreicht, gewährt einen düsteren festungsartigen Eindruck und 
umschliesst im Viereck eine Fläche von 10 Acres, auf welcher 
die Anstalt mit einem Centralbau und 8 gleich den Speichen 
eines Rades davon auslaufenden Flügeln erbaut ist. Durch 
successive Erweiterung hat sich die Anzahl der Zellen auf 
616 vermehrt, welche sich in drei einstöckigen und vier zwei¬ 
stöckigen Flügeln befinden. Die ebenerdigen Zellen des ersten 
Stockes sind mit unmittelbar angebauten Höfen zur Bewegung 
im Freien versehen, welche bei einer Breite von 8 Fuss und 
Länge von 14 Fuss, von 11 Fuss hohen Mauern umschlossen, 
mit der in der Laterne des Centralbaues angebrachten Vor¬ 
richtung zur Beleuchtung durch 8 silberplatirte, das Gaslicht 
über die Höfe breitenden Reflectoren ein von dem modernen 
Gefängnissbau seltsam abstechendes Bild bieten. Die zuletzt 
1869—1870 erbauten Zellen sind 8 Fuss breit, 16 Fuss lang, 
12 Fuss hoch und haben Oberlichter von 5 Fuss Länge und 
12 Zoll Breite. Mit Ventilation, Dampfheizung, Gas und Wasser¬ 
closets versehen, werden sie als das Beste geschildert, was im 
Zellenbau bisher geleistet wurde. 


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269 


Unter den vielen Kritiken von berufener und unberufener 
Seite, welche im Laufe der Zeit über Werth und Wirkung 
des in Philadelphia zuerst eingeführten Systems der Einzelhaft 
gefällt, von dem Verfasser berührt werden, befindet sich auch 
die in den American Notes von Dickens im Jahre 1842 ver¬ 
öffentlichte Schilderung seiner Eindrücke beim Besuche eines 
Insassen dieses Gefängnisses: 

„In einer andern Zelle fand ich einen Deutschen, der 
wegen Betrugs zu fünf Jahren verurtheilt, zwei davon gerade 
erstanden hatte. Nie in meinem Leben sah ich ein solches 
Bild tiefster Niedergeschlagenheit und geistigen Schmerzes. 
Mein Herz blutete bei seinem Anblick und als er mit Thränen 
in den Augen und zitternder Hand einen meiner Begleiter auf 
die Seite nahm und nervös den Bock zerknitternd fragte, ob 
denn gar keine Hoffnung auf Milderung seiner harten Strafe 
bestehe, bot er ein Schauspiel, das für mich zu schmerzlich 
war, um es zu ertragen; niemals trat menschliches Elend 
erschütternder mir vor die Sonne als das Unglück dieses 
Mannes.“ 

Das Modell zu diesem nach dem Leben gezeichneten er<* 
schütternden Bilde menschlichen Elendes hat, wie der Ver¬ 
fasser mittheilt, seine weitere 3 Jahre nicht allein ohne Nach¬ 
theil ertragen, sondern kam nach seiner Entlassung fünfmal 
wieder, überlebte seinen berühmten Besucher lange und ist 
nach Zeitungsnachrichten erst in den letzten Jahren und zwar 
in demselben Gefängnisse gestorben, das wie in so manchen 
Fällen für ihn seine Schrecken verloren und sich für den alten 
Kunden hoch in den siebziger Jahren in ein Asyl verwandelt 
hatte. 

Die Strafanstalt Philadelphia ist jetzt das einzige Isolir- 
gefangniss in den vereinigten Staaten. Der eigenthümliche 
Charakter dieses Strafsystems ist, wie der Verfasser im Vor¬ 
wort bemerkt, noch zu wenig verstanden und die Entwicklung 
der Gefängnissdisciplin aus dem denkbar schlechtesten Zustand 
zu ihrer philosophischen Höhe so wenig bekannt, dass der 
Verfasser seine zunächst durch den Londoner internationalen 
Congress von 1872 veranlasste Arbeit Allen widmet, die sich 
mit dem Studium des Strafrechts und der Gefängnisskunde 

18 * 


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270 


befassen. Diese Widmung passt nicht für Deutschland, wo 
man den Werth der Einzelhaft erkannt und die ihrem reichen 
Inhalte nach hier nur kurz skizzirte Arbeit des Verfassers als 
einen hochinteressanten Beitrag zur Entwicklung der Gefängniss- 
reform gewiss zu schätzen wissen wdrd. 

Hamburg. St-g. 


Cassel, 1884. Die hiesige Anstalt, welche seit October 
1882 unter der Direction der neu errichteten Strafanstalt in 
Wehlheiden stand, ist vom April er. ab als selbstständige ab¬ 
gezweigt worden. 


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Ö71 


Scliilzfeüei. 


In welch’ naturgemässem und nothwendigem Zusammen¬ 
hang das Schutzwesen mit dem Gefängnisswesen steht, welche 
prophylaktische, unterstützende und ergänzende Bedeutung das¬ 
selbe für die Strafrechtspflege wie für den eigentlichen Straf¬ 
vollzug besitzt, ist, wie von jedem Sachkundigen, so auch 
speciell vom „Verein der deutschen Strafanstalts¬ 
beamten“ durch eingehende Behandlung des Gegenstandes 
auf dem letzten Congress erkannt und anerkannt worden. 
Unter dem Sammelwort „Schutzwesen“ möchten wir aber 
Alles verstanden wissen, was theils auf dem umfassenden und 
vielseitigen Gebiete der freiwilligen Liebesthätigkeit, theils von 
Seiten des Staates geschieht oder eingeführt wird zur Unter¬ 
stützung oder zum Schutze oder zur Rettung solcher Personen, 
welche durch eigene oder fremde Schuld in irgend einer Be¬ 
ziehung entartet, gesunken oder hilflos geworden und in Folge 
dessen ausser Stande sind, mit eigenen Mitteln oder aus eigener 
Kraft in der bürgerlichen Gesellschaft sich zu rehabilitiren, 
ihren Unterhalt zu verdienen oder moralisch sich zu heben 
und aufrecht zu erhalten. 

Um nun im Vereinsorgan weiter zu pflegen, was unter 
vielseitiger Anregung bereits im ganzen Gebiet unseres Vereines 
zum Segen der Gesammtheit im erfreulichen Wachsthum 
begriffen ist, wird die Redaction fortab nicht wie bisher 
zerstreut, sondern unter der besonderen Aufschrift oder Ru¬ 
brik: „Schutzwesen“ alle ihr zugehenden wichtigeren Mit¬ 
theilungen veröffentlichen über das Wirken der Gefängiiiss- 
gesellschaften, über die Schutz vereine für entlassene 


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272 


Gefangene, über die Anti-Bettelvereine, Arbeiter- 
colonien, Asyle, Magdalenenhäuser, Rettungs¬ 
anstalten für verwahrloste Kinder, überhaupt über alle 
verwandten Bestrebungen und Ereignisse. Jahresberichte, 
Broschüren, Abhandlungen, Vereinshefte u. dergL 
finden auszügliche Besprechung und sachbezügliche Corre¬ 
spondenzen werden der Redaction jederzeit willkommen sein. 
Wir hoffen durch dieses Verfahren ebenso anspornend wie 
belehrend auf das Schutzwesen einwirken zu können. Für 
heute haben wir folgende Einkünfte zu verzeichnen: 

1. Bericht über die Generalversammlung der 
Vereine zur Fürsorge für die aus den Straf- und 
Besserungsanstalten Entlassenen, abgehalten zu 
Dresden am 30. April 1884. 

Im Jahre 1886 werden es 50 Jahre, dass der f König 
Johann von Sachsen in höchsteigener Person die Gründung eines 
Centralauschusses zur Organisirung und Leitung des Schutz¬ 
fürsorgewesens im ganzen Königreich angeordnet, und es ist 
bekannt, wie vortrefflich die Sache sich gestaltet hat und sogar 
durch Gesetz geordnet worden ist. Sachsen ist in gewissem 
Sinne neben Württemberg das Musterland für das Schutz¬ 
wesen. — Der Centralausschuss steht unter dem Pro- 
tectorat des regierenden Königs und wird zusammengesetzt 
aus Männern, die Se. Majestät bestimmt. Gegenwärtig func- 
tionirt als Vorsitzender des Centralausschusses Geheimerath 
von Einsiedel und als Generalsecretär der sehr eifrige 
Strafanstaltsgeistliche Pastor Mahn in Waldheim. Der 
Centralausschuss erhält pro Jahr 810 Ji. als ständige Ein¬ 
nahme (von der Kammer verwilligt) aus der Staatscasse. Er 
betrachtet es aber nicht als s e i n e Aufgabe, Unterstützungen 
an Einzelne zu geben, überlässt dies vielmehr — mit weni¬ 
gen Ausnahmen — lediglich den Bezirks-Vereinen und Bezirks- 
Verbänden. Das ganze Vermögen des Centralausschusses be¬ 
steht (1884) aus ca. 7800 worunter ein allerneuestes Legat 
von 3000 tAL Letzteres hat man als Beitrag zu der auch in 
Sachsen zu gründenden Arbeitercolonie in Aussicht genommen. 

Pastor Mahn berichtet über das Vereinsleben während 
der verflossenen zwei Jahre. Es bestehen 37 Vereine im Lande, 


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273 


die jeweils grosse Bezirke umfassen und meistens unter regster 
Betheiligung der Geistlichen ihre Thätigkeit ausüben. Die 
wichtigste Aufgabe fällt den Pflegern zu, die sich häufig in 
Conferenzen zusammenfinden, um ihre Erfahrungen auszu¬ 
tauschen, Fragen zu beantworten, Bitten auszusprechen, Miss- 
vei*ständnis8e und Vorurtheile zu beseitigen, falsche Massnahmen 
zu corrigiren u. dgl. m. Durch diese Pflegerversammlungen, zu 
welchen Jedermann Zutritt hat, wird das Interesse am Vereine 
ungemein geweckt und gestärkt. — In Sachsen wendet das 
Schutzwesen seine Theilnahme auch ganz besonders den 
Familien Inhaftirter zu und es ist eine allgemeine Er¬ 
fahrung, dass nichts so lohnend ist wie dieser Zweig seiner 
Wirksamkeit. 

Nach einer Zusammenstellung des Herrn Generalsecretärs 
haben sich bei 30 Vereinen im Verlaufe eines Jahres 1952 
Entlassene angemeldet! — Die Arten der Fürsorge sind 
mannigfaltig und die Mittel hiezu in manchen Vereinen über¬ 
reichlich vorhanden, so dass wiederholt von der Einsammlung 
der Beiträge hat abgesehen werden können. Im Allgemeinen 
lehrt die Erfahrung, dass die besseren Elemente die Vereine 
weniger in Anspruch nehmen. — Die erzielten Erfolge 
betreffend, so berichten die Einzelvereine darüber verschieden, 
die einen haben mehr, die andern weniger Erfreuliches zu 
melden, alle aber stimmen darin überein, dass ihre Arbeit 
„nicht erfolglos“ gewesen sei. — Der Dresdener Verein 
verfügt über ein Asyl, worin er seine Schützlinge so lange 
verpflegt, bis sie Arbeit gefunden haben. 

Den Schluss der Generalversammlung bildete ein klarer 
und warmer Vortrag des Herrn Geheimen Regierungs¬ 
raths d’Alinge, Strafanstaltsdirector in Zwickau: „Ueber 
das Prinzip der Individualisirung, auch in der Für¬ 
sorge für entlassene Gefangene.“ „Wer im Strafhaus 
allein die Natur und das Wesen eines Menschen gründlich 
studiren zu können glaubt, kommt mir vor, wie Einer, der die 
Natur der Raubthiere im — zoologischen Garten stu¬ 
diren will. In der Freiheit erst kann man das Individuum 
in seiner Eigenart erkennen.“ Allerdings bleiben die meisten 
Entlassenen nicht so lange in der Vereinspflege, um eine Durch- 


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274 


führung des Individualisirungs-Prinzipes zu ermöglichen. Aber 
das Th unliebe sollte geschehen! Die Individualität des Pfleg¬ 
lings wie des Pflegers muss vor Allem zusammen passen. Der 
Eine bedarf einer energischen, der Andere einer milden Hand, 
um sich führen zu lassen. Auch die zu beschaffende Arbeit 
muss der Fähigkeit entsprechen und die Unterkunft den 
persönlichen Neigungen und Schwächen. Es ist oft schwer, 
hierin das Richtige zu treffen. Die schlechteste Fürsorge be¬ 
steht aber jedenfalls in der kurzen Abfertigung mit einer 
Summe Geldes. Man darf sich nicht scheuen, einen Weg zu 
gehen, ein gutes Wort einzulegen, mit bVaven Handwerkern 
und Hausvätern Rücksprache zu nehmen. Redner empfiehlt 
die bestraften Entlassenen als die geringsten unter den Brü¬ 
dern aufs Wärmste dem öffentlichen Mitleiden; denn „was 
Ihr einem der Geringsten unter ihnen gethan habet, 
das habet Ihr mir gethan.^ 

2. Erster Jahresbericht des Vereines zur Er¬ 
richtung von Asylen für Strafentlassene. Berlin 1884. 
Druck von Ad. Knickmayer. 

Dieser Verein hat sich im Mai 1883 gebildet und zählte 
nach vorliegendem ersten Jahresbericht nach Verlauf eines 
Jahres schon 411 beitragende Mitglieder. An der Spitze steht 
Strafanstaltsdirector Frhr. von Falkenstein. Der Zweck 
des Unternehmens geht dahin: „den Uebergang von der Zelle 
in das Leben und Treiben der Weltstadt mit den in ver¬ 
lockendster Form herantretenden Versuchungen für schwache 
und schwankende Charactere durch einen kaum merkbaren 
milden Zwang zu vermitteln und so die Kluft zu überbrücken.“ 
Dies sei aber nur durch ein Asyl zu erreichen, in welchem 
arbeitswillige gebesserte Strafentlassene Arbeit und Unterkunft 
fänden. Man bat ein solches kleines Asyl in der Adalbert¬ 
strasse gewonnen, worin die Leute mit Garnhaspeln beschäftigt 
wurden. Nunmehr hat aber der Vorsitzende mit Fabrikant 
Ranfft in Berlin ein Abkommen getroffen, wonach dieser 
contractlich sich verpflichtete, fleissige und geübte Arbeits¬ 
kräfte nach ihrer Entlassung sofort einzustellen und einen 
Wochenverdienst bis zu 18 JL zu ermöglichen. Wir wünschen 
weiteres Gedeihen. 


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275 


3. Zweiter Rechenschaftsbericht des Vereins 
zur Rettung und Erziehung minorenner Straf¬ 
entlassener Mädchen. Vom 1. April 1882 bis dahin 1884. 
Berlin, J. Windolff. 

Edle menschenfreundliche Damen leiten und bilden diesen 
Verein, dessen Nutzen schon der Name zur Genüge anzeigt. 
Er besitzt in Reinickendorf eine kleine Anstalt unter einer 
Hausmutter und einer Hilfslehrerin, wo die Mädchen in der 
Hauswirthschaft und weiblichen Handarbeiten, die verkäuflich 
sind, unterrichtet werden. 

4. Neunter Jahresbericht des Bernischen Schutz¬ 
aufsichts-Vereines für entlassene Sträflinge pro 
1883. Von G. Stauffer, Pfarrer, Secretär des Vereines. 
Bern, Stämpfli’sche Druckerei. 1884. 

Unsere benachbarte sprach- und stammverwandte Sch weiz 
leistet so Vieles und Rühmliches auf den Gebieten des Ge- 
fängniss- und Schutz Wesens, dass wir den freundlichen Zu¬ 
sendungen von dorther jeweils gerne Beachtung schenken. 
Beinahe jeder Canton hat seinen Fürsorgeverein; so auch 
Bern, mit einer Centralleitung in Bern. Freilich ist dessen 
Thätigkeit nur eine bescheidene. Seit 1879 wird eine Controle 
der Patronirten geführt, welche z. Zt. 98 Namen aufweist, mit 
der Bezeichnung „gut‘‘ 39, mit „schlecht“ 44, mit „unsicher“ 
11; gestorben sind 4. Im Berichtsjahr meldeten sich 34 beim 
Verein um Unterstützung; es konnten aber nur 17 berück¬ 
sichtigt werden. Der Bericht klagt über Mangel an Ver- 
ständniss und Theilnahme Seitens des Publikums, sowie über 
die Schwierigkeit, entsprechende Arbeit aufzufinden. Eine 
Agentur für Arbeitsnachweis wäre als Beihilfe dem Verein 
sehr erwünscht. Anderwärts auch! — Schliesslich wird be¬ 
merkt, dass im Canton eine einheitliche Leitung und Behand¬ 
lung des Schutzwesens bei der grossen Entfernung der Straf¬ 
anstalten von einander kaum möglich werde. Jede Strafanstalt 
solle deshalb getrennt für sich operiren; die Verwaltung solle 
die Sache in die Hand nehmen und die Würdigen zu placiren 
suchen. 

5. Die Arbeitercolonie. Correspondenzblatt für die 
Interessen der deutschen Arbeitercolonien und Naturalver- 


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pflegungsstationen. Herausgegeben von dem Centralvorstande 
deutscher Arbeitercolonien. Erster Jahrgang Nr. 1—7. Wustrau, 
Verlag und Expedition des Centralvorstandes für Arbeiter¬ 
colonien. 

Welcher Sache dieses Blatt, das monatlich IV 2 —2 Bogen 
stark erscheinen soll, dient, zeigt der Titel an. Es vertritt die 
Bestrebungen zur Bekämpfung des Vagabundenthums, mögen 
sie offensiver oder defensiver Natur sein, mögen sie von Be¬ 
hörden oder Privaten ausgehen. Ganz Deutschland soll mit 
einem Netze von Naturalverpflegungsstationen über¬ 
zogen werden, die den armen Wanderern das Aufsuchen von 
Arbeit ermöglichen und sie so des Betteins überheben. Als 
letztes Refugium sollen die Arbeitercolonien dienen, wo 
der vergeblich Arbeit Suchende längere Zeit verweilen, sich 
erholen und neu ausrüsten kann. Endlich will das Blatt auch 
das Wort leihen allen jenen öffentlichen Anstalten, worin 
Individuen Aufnahme finden, welche absolut nicht arbeiten 
wollen, also den eigentlichen Correctionsanstalten für Bettler 
und Vagabunden. — Die 7 vorliegenden Nummern zeugen von 
gewandter Redactionsfuhrung und sind eine laufende reich¬ 
haltige Chronik für die Sache der Colonien. Der sehr billige 
Jahres-Abonnementspreis von 1,50 (durch die Post bezogen) 
dürfte auch zur raschen und weiten Verbreitung des Blattes 
beitragen; 

6. Nordwestdeutscher Verein für Gefängniss- 
wesen. 14. Vereinsheft. Redigirt von Dr. Föbring. 
Hamburg, Hoffman n & Campe. 

Aus diesem Hefte erwähnen wir hier in erster Linie den 
Vortrag des Herrn Landgerichtsdirectors Dr. Föhring, ge¬ 
halten auf der 9. Jahresversammlung des Vereines zu Ham¬ 
burg am 15. Mai 1884 über die Frage; Welche Befugnisse 
sind dem Strafrichter in Bezug auf die Unterbrin¬ 
gung solcher jugendlichen Delinquenten in Er- 
ziehungs- und Besserungsanstalten zu ertheilen, 
die entweder wegen mangelnder Einsicht freige¬ 
sprochen oder zu einer Freiheitsstrafe verurtheilt 
worden sind? Dieses Thema, bemerkt der Vortragende, 
ist für die.Prävention von so grosser Bedeutung und ist 


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gesetzgeberisch leider vielfach noch so ungenügend behandelt, 
dass der Commission des s. Zt. in Rom zusammentretenden 
internationalen Congresses gewiss die höciiste Anerkennung 
dafür gebührt, dass sie dasselbe in ihr Programm aufgenom¬ 
men hat. Herr Föhring wurde mit einem Referat für diesen 
Congress hierüber betraut und es dürfte von allgemeinem In¬ 
teresse sein, jetzt schon seine Thesen kennen zu lernen, die 
durch Hinweis auf die bestehenden Gesetzgebungen der ver¬ 
schiedenen Staaten sachlich begründet w^erden. Sie lauten 
wörtlich: 

These 1. Der Strafrichter muss ermächtigt werden zu 
erkennen, dass der wegen mangelnder Einsicht zur Erkenntniss 
der Strafbarkeit seiner Handlungsw^eise freigesprochene 
Jugendliche in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt ver¬ 
setzt werde. Die Dauer des Aufenthaltes in derselben ist jedoch 
nicht durch den Richter zu bestimmen, sondern der Anstalts¬ 
behörde zu überlassen. Der Aufenthalt in der Anstalt kann 
durch vorläufige Entlassung, bei welcher der Entlassene unter 
Aufsicht der Anstaltsdirection verbleibt, abgekürzt werden. 

These 2. Der Strafrichter muss ermächtigt werden, zu 
erkennen, dass die gegen einen Jugendlichen er¬ 
kannte Freiheitsstrafe in einer Besserungs- oder Er¬ 
ziehungs-Anstalt vollstreckt werde. Diese Vollstreckung darf 
jedoch nur in Staatsanstalten stattfinden. 

These 3. Der Strafrichter muss ermächtigt werden zu 
erkennen, dass der verurtheilte Jugendliche nach Voll¬ 
endung der Strafe in eine Erziehungs- oder Besserungs¬ 
anstalt versetzt werde. Die Dauer des Aufenthaltes in der¬ 
selben ist jedoch nicht durch den Richter zu bestimmen, son¬ 
dern der der Anstalt Vorgesetzten Behörde zu überlassen. Der 
Aufenthalt in der Anstalt kann durch vorläufige Entlassung, 
bei welcher der Entlassene unter Aufsicht der Anstaltsdirection 
verbleibt, abgekürzt werden. 

Zusatz-Thesen: 

1. Die Staatsregierungen haben schleunigst die bis jetzt 
versäumte Pflicht nachzuholen, eine genügende Anzahl staat¬ 
licher Erziehungs- und Besserungsanstalten zu errichten. Die¬ 
selben sind in entsprechender Weise verschieden zu orga- 


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nisiren, je nachdem sie zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen 
oder zur Aufnahme freigesprochener Individuen dienen soll. 

2. Ein durch Richterspruch in eine Erziehungs- oder 
Besserungsanstalt verwiesener Jugendlicher darf nur in einer 
solchen Privat-Anstalt untergebracht werden, welche der 
staatlichen Aufsicht unterstellt ist. 

3. Die staatliche Aufsicht hat ^ sich namentlich auf die 
Prüfung der Statuten, des Lehr- und Erziehungs-Planes, der 
Hausordnung und der Handhabung derselben zu erstrecken, 
und ist durch Errichtung einer Central-Aufsichtsstelle, dürch 
periodisch wiederkehrende Visitationen, durch Einziehung von 
Jahresberichten, durch Ertheilung von Directiven u. s. w. aus¬ 
zuüben. 

Es ist nur zu wünschen, dass diese der practischen Er¬ 
fahrung wie der juristischen Erkenntniss entsprungenen Vor¬ 
schläge auf dem Congress Annahme finden und von den ein¬ 
zelnen Staaten zur Wirklichkeit gemacht werden. Viel noth- 
wendiger als „Arbeitercolonien^ u. dgl. erscheinen uns diese 
staatlichen Correctionshäuser für die werden den Verbrecher. 
Da muss der Hebel eingesetzt werden! 

Ein bekanntes und vielbesprochenes Thema behandelt in 
dem vorliegenden Vereinshefte des Nordwestdeutschen Ge- 
föngnissvereines Herr Dr. C. Harke, Amtsanwalt in Ham¬ 
burg, nämlich die soeben erwähnten „Arbeitercolonien 
und Natural-Verpflegungsstationen^. Neu war uns 
nur, die über diese Sache schon colossal angewachsene 
Literatur kennen zu lernen. Im lieben Deutschland schreibt 
und redet man eben gerne! Redner beleuchtet namentlich auch 
die Vermögens- und strafrechtliche Seite dieser Colonien 
und Stationen. 

Ein weiterer Aufsatz von Herrn H. Tonn, Director des 
des Pestalozzi-Stiftes zu Hamburg, äussert sich über „Fami¬ 
lien- und Anstalts-Erziehung“. Absichtlich heisst es; 
„F. und A.“, nicht „oder“, weil der Verfasser beide Er¬ 
ziehungsarten in ihrem Werthe neben einander gelten lässt, 
erstere für einen geringeren, die andere für einen hohen Grad 
der Verwahrlosung. 

Eine von grossem Fleisse zeugende Sammelarbeit ist end- 


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279 


lieh auch die vom Redacteur des Vereinsorganes der Nord¬ 
westdeutschen Gesellschaft, Herrn Dr. F ö h r i n g, verfasste 
Abhandlung über „Die Reforinatory und die Industrial 
Schools der vereinigten Königreiche Grossbritan¬ 
nien und Irland“, enthaltend eine chronologische Zusammen¬ 
stellung der betr. Gesetzgebung, deren Inhalt, die für beide 
Arten von Anstalten (für Jugendliche) erlassenen General¬ 
reglements, den Stand und Umfang des Zwangserziehungs¬ 
wesens in England nach den letzten Jahresberichten, die be¬ 
züglichen Commissionsberichte und endlich practische Winke 
zur Besichtigung der Anstalten in London und dessen Um¬ 
gebung. Das englische Zwangserziehungswesen basirt auf dem 
Grundsatz der Errichtung der Anstalten durch Private, der 
pecuniären Unterstützung, der Reglementirung und Controlirung 
derselben durch den Staat. 

7. Mittheilung des Dresdener Bezirksvereines 
gegen den Missbrauch geistiger Getränke. Heraus¬ 
gegeben vom Vereinsvorstand. Nr. 2 — 1884. Vereinsbureau: 
Dresden, Sporergasse 3. 

Diese Nummer des Vereinsblattes berichtet über die am 
14. Febr. d. J. zu Dresden abgehaltene sächsische Landes¬ 
versammlung gegen den Missbrauch geistiger Ge¬ 
tränke. In Sachsen, wo das öffentliche Interesse in so her¬ 
vorragender Weise der Abschaffung socialer Noth- und Miss¬ 
stände sich zuwendet, hat auch der vom Allgemeinen deutschen 
Verein gegen die Trunksucht s. Z. ausgegangene Aufruf warme 
Aufnahme gefunden und daselbst bereits eine grosse Mitglieder¬ 
zahl gewonnen. Der Dresdener Bezirksverein allein hatte am 
12. P^ebr. d. J. 900 Mitglieder mit über 3000.^ Jahresbeiträgen. 
Die Bedeutung dieser Bewegung ist unseren Lesern genugsam 
bekannt und werden wohl alle schon ihre Namen in die 
Vereinslisten eingetragen haben. Von Baden können auch wir 
selbst constatiren, dass die bezüglichen Bestrebungen allerwärts 
lebhaft begrüsst und unterstützt werden, obwohl in diesem 
Lande die Herrschaft des Alkohols gottlob noch keineswegs 
die Dimensionen des deutschen Nordens erreicht hat. 

Auf beregter Landesversammlung hielt u. A. Herr Geh. Rath 
d’Alinge aus Zwickau einen fesselnden und zündenden Vor- 


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trag über ^den Feind im eigenen Lager“, der etwas 
nähere Beachtung verdient. Der durch seine amtliche Stellung 
als Vorstand einer grossen Strafanstalt ganz besonders beinifene 
Redner, dessen Erfahrungen sich über ein ganzes Menschen- 
alter erstrecken, bezeichnet die Trunksucht als eine für das 
herrliche Deutschland überaus schädliche Gross macht — von 
Alters her! Heutzutage regiere aber namentlich der Schnaps. 
Dieser zerstöre die gesunde Lebensbasis des Staates, die Fa¬ 
milie, deren Verfall auch den des Staates unausbleiblich her¬ 
beiführe. In dem deutschen Kneipleben, das treffend geschil¬ 
dert wird, liege eine Hauptquelle öconomischen und morali- 
lischen Niederganges. Ein Lump sei aber ein Lump, ob er 
in Fetzen einher geht oder mit Glacehandschuhen. — In den 
Krankenhäusern sind jährlich ca. 6000 Deutsche an chronischem 
Alkoholismus zu verpflegen, 25% aller Irrsinnigen verdanken 
ihr trauriges Loos der Trunksucht, mindestens 50% der Ueber- 
tretungen, Vergehen und Verbrechen haben in der Trunken¬ 
heit ihre Ursache oder Veranlassung. Dass auch eine grosse 
Zahl der Bankerotte auf das gewohnheitsmässige Kneip¬ 
leben zurückzuführen sei, ist bekannt. d’Alinge empfiehlt als 
Mittel zur Bekämpfung dieses Lasters ausser der religiösen 
Beeinflussung und der Besteuerung der Schnapsproducenten, 
Schnapsverkäufer und Schnapsconsumenten noch einige Waffen, 
die jedes Vereinsmitglied mit Erfolg anwenden könne: eigenes 
Beispiel, Belehrung durch Wort und Schrift und War¬ 
nung unter Hinweis auf die schrecklichen Folgen. Er em¬ 
pfiehlt ferner die Anregung von Orts- und Bezirksvereinen in 
allen Theilen des Landes und Vorbereitung gemeinsamer 
Schritte zur Bekämpfung der Trunksucht. 

8. Bericht über das evangelische Magdalenen- 
Asyl Bethesda zu Boppard vom 1. Juli 1883 bis 
30. Juni 1 884. 

Der Vorstand dieser seit 30 Jahren bestehenden Rettungs¬ 
anstalt für gefallene Frauenspersonen, Herr Pfarrer Scheffer, 
hat mit obigem Berichte sich zugleich von seinem bisherigen 
Wirkungskreise verabschiedet. Durch seinen Weggang aus dem 
Bopparder Pfarramt ist zweifelsohne eine schmerzlich empfun- 
Lücke hervorgerufen worden, zu deren Ausfüllung so 


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viele christliche Liebe und so grosser Seeleneifer erfordert 
wird, wie Herr Scheffer sie bekundet bat. Zur Bekämpfung 
und Unterdrückung der Prostitution gibt es kein besseres 
Mittel als die Asyle. Im „protestantischen Deutschland“ exi- 
stiren zur Zeit 15 solcher Zufluchtsorte für jene Unglücklichen, 
deren Zahl eine so erschreckende Höhe erreicht hat. Im Be¬ 
richtsjahr waren im Bopparder Asyl zusammen 39 Pfleglinge 
untergebracht. Der Aufenthaltstermin ist auf zwei Jahre für 
jedes Frauenzimmer festgesetzt. Alsdann entlässt man sie in 
entsprechende Stellungen.. Innerhalb 30 Jahren hat fragliche 
Anstalt im Ganzen 305 Personen in Pflege gehabt. Ganz 
erfolglos ist solche Arbeit nicht, obgleich der Erfolg bei 
nüchternem Blick von vornherein auf das bescheidenste Maass 
zurückgeführt werden muss. Zaidenmässig lässt er sich über¬ 
haupt schwer constatiren. Es ist ein Arbeiten auf Hoffnung, 
oft genug wider alle Hoffnung. Viele Pfleglinge sind ehrbare 
Frauen geworden, viele halten sich brav und treu im Dienst; 
einige sind selbst in anderen Anstalten in christlicher Liebes- 
arbeit thätig und haben sich bewährt. Viele haben sich frei¬ 
lich auch im Strome der Welt verloren und man hat nichts 
mehr von ihnen gehört. — Herr Scheffer darf mit Genug- 
thuung auf sein 12jähriges Wirken in Boppard zurückblicken. 

Kr. 

Berlin, 10. Februar 1885. Der Localausschuss des Ver¬ 
eins zur Besserung entlassener Strafgefangener 
tagte gestern unter Vorsitz des Geheimen Ober-Justiz-Raths 
Starke im Präsidialsaal des Landgerichts in der Jüdenstrasse. 
Die Versammlung erörterte namentlich die Frage, wie man sich 
zu der evangelischen Vereinigung zu stellen habe, die sich 
behufs Pflege der Entlassenen gebildet hat. Die Nothwendig- 
keit einer grösseren seelsorgerischen Thätigkeit, namentlich den 
jugendlichen Strafentlassenen gegenüber, wurde allseitig an¬ 
erkannt, zugleich aber besonders von Pastor Torfstecher be¬ 
tont, dass die Geistlichen selbst, bei der Ueberhäufung mit 
Arbeit, der sie in Berlin ausgesetzt seien, wohl kaum sich 
noch diesem Zweige der Thätigkeit widmen könnten. Die 
neue evangelische Vereinigung, die, wie Oberinspector Homuth 
mittheilte, für jede Parochie einen Pfleger bestellen will, könne 


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282 


somit in der That eine grosse und segensreiche Wirksamkeit 
entfalten, wenn sie Hand in Hand mit dem Verein gehe; eine 
Zersplitterung der Kräfte müsse jedoch im Interesse der Sache 
unter allen Umständen vermieden werden. Gerade dem Ver¬ 
brecherthum gegenüber sei, wie der Vorsitzende hervorhob, 
eine einheitliche Operation nöthig, um einer Ausbeutung der 
Wohlthätigkeit vorzubeugen. Es gelte vor Allem, die von den 
verschiedenen Organen gesammelten Mittel einheitlich zu ver¬ 
wenden, und es empfehle sich das auch aus dem Grunde, weil 
die armen Gemeinden gerade die meisten, die reichen die wenig¬ 
sten Strafentlassenen in sich schlössen, die Strafentlassenen im 
Allgemeinen auch einen stark fluctuirenden Bevölkerungstheil 
bildeten. Oberinspector Homuth theilte hierauf mit, dass die 
evangelische Vereinigung in der That beabsichtige, aus den 
von den Kirchengemeinden aufgebrachten Mitteln den Verein 
zu subventioniren, und dass die Pfleger streng angewiesen 
werden sollen, ausser in Fällen allerdringendster Noth keine 
Unterstützungen zu bewilligen, ohne sich vorher mit dem 
Verein in Verbindung gesetzt zu haben. Diese Mittheilung 
wurde mit grösster Befriedigung aufgenommen und der Hoff¬ 
nung Ausdruck gegeben, dass das gemeinsame Wirken von 
immer gesegneterem Erfolg begleitet sein möge. Lehrer Brosche 
regte dann noch an, auch die Waisenräthe für die Beaufsichti¬ 
gung der Jugendlichen zu gewinnen. — Was die Thätigkeit 
des Vereins betrifft, so ist namentlich das Arbeitsnachweise- 
Bureaii wieder sehr in Anspruch genommen worden. Zumeist 
meldeten sich täglich über 100 Arbeitsuchende. Neu wurden 
in die Listen des Bureaus 402 Personen eingetragen; Arbeit 
konnte leider nur 206 nachgewiesen werden. Eine neue Arbeits¬ 
stätte hat sich dem Verein im Grunewald erschlossen; die Leute 
verdienen dort täglich etwas über 2 JL Von mehreren Seiten 
sind dem Verein alte Kleidungsstücke überwiesen worden, die 
er für seine Pfleglinge gerade jetzt sehr gut verwerthen kann. 
In die Abtheilung der Jugendlichen wurden 3 Entlassene neu 
aufgenommen; alle 3 waren vaterlos und nur in Folge mangeln¬ 
der Erziehung auf den Weg des Verbrechens geführt worden. 

Berlin, 30. Januar 1885. Unter der Protection der Frau 
Prinzessin Wilhelm und unter der Leitung eines Comitfe, dem 


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283 


u. A. angehören die Frau Fürstin Wittwe zu Carolath-Beuthen, 
Frau Gräfin Waldersee, Frau von Albedyll, Frau Minister 
von Böttichei-, Frau Minister von Gossler, Frau Professor 
Paül Meyerheim, Frau von Patow und Frau von Schelling, 
findet am 5., 6. und 7. Februar im grossen Saale der Kriegs¬ 
akademie ein Bazar statt, dessen Ertrag für den Bau eines 
Asyls zur Beschäftigung entlassener Gefangener bestimmt ist. 
In dem Asyl sollen Angehörige aller Provinzen Aufnahme 
finden. Es handelt sich bei diesem Werke der Nächstenliebe 
darum, den entlassenen Sträflingen, welche bei ihrer Rück¬ 
kehr in die bürgerliche Gesellschaft ohne Anhalt, ohne Fa¬ 
milienleben, ohne Arbeit, ohne Hilfe sind, ein erstes Unter¬ 
kommen und Beschäftigung zu verschaffen, um sie vor dem 
Rückfall in das Verbrechen zu bewahren. Gleich seiner hohen 
Gemahlin nimmt auch Prinz Wilhelm, der, getreu den Üeber- 
lieferungen des Hohenzollernhauses, neben seinen militärischen 
Studien und seinen Arbeiten auf dem Gebiete der Staatsver¬ 
waltung auch alle Bestrebungen zur Linderung der Noth der 
Armuth thatkräftig und verständnissvoll fördert, an dem Unter¬ 
nehmen den lebendigsten Antheil. Der Prinz hat u. A. für den 
Bazar mehrere von ihm selbst gemalte Oelbilder (Seestücke) 
zur Verfügung gestellt, auch werden Zeichnungen von seiner 
und der Frau Prinzessin Wilhelm Hand dort zum Verkaufe 
kommen. Auch sonst ist von vielen hiesigen wie auswärtigen 
Fürstlichkeiten sowie von allen Klassen der Berliner Gesell¬ 
schaft dem wohlthätigen Zweck ein reges Interesse entgegen¬ 
gebracht worden, so dass zu erwarten steht, dass die Räume 
der Kriegsakademie an den genannten Tagen sich von zahl¬ 
reichen Kauflustigen aller Stände füllen werden. Uebrigens 
sollen ausser dem Bazar für denselben wohlthätigen Zweck 
im Opernhaus-Saale lebende Bilder von Angehörigen der Hof¬ 
gesellschaft unter Leitung der ersten Künster gestellt werden. 

D^r Bezirksschntzverein für entlassene Gefangene 
zu Freiburg i. B. macht für das Jahr 1884 seinen Vereins¬ 
mitgliedern nachstehende Mittheilungen: 

Der Verein zählte auf 1. Januar 1884 im Ganzen 305 Mit¬ 
glieder. Ausgetreten ist im Laufe des Jahres 1. — An Bei- 

Blätter für Gefüngnisskunde. XIX. 19 


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trägen wurden bezahlt 50^ bis zu 50 «/A. Die Gesammt- 
einnahme beläuft sich pro 1884 auf 111 JL 70 Die Ver¬ 
waltungskosten (für Schreibmaterialien, Porti und Entlohnung 
des Vereinsdieners) berechnen sich auf 137 25 Für eigent¬ 
liche Vereinsthätigkeit wurden erforderlich Somit über¬ 

stiegen die Gesammtausgaben die Einnahmen um 39 Ji. 45 
Dieses Deficit konnte aus den Ueberschüssen des Vorjahres 
gedeckt werden. In der Sparkasse sind z. Z. noch 400 
angelegt. — Wir hofien, im laufenden Jahre wieder mit so 
reichlichen Mitteln bedacht zu werden, dass der kleine Reserve¬ 
fonds nicht mehr beizuziehen ist. 

Im Ganzen haben während des verflossenen Jahres 101 
Personen die Hilfe des Vereines angerufen. Es sind aber 16 
Gesuche abgelehnt worden, theils weil wir ausser Stande waren, 
die erbetene Fürsorge in entsprechender Weise zu gewähren, 
theils weil wir im Interesse des Publikums bedenkliche Indi¬ 
viduen von hier möglichst ferne halten wollen. 

Von den 85 Vereinspfleglingen erhielten die meisten ausser 
der für sie ermittelten Arbeitsgelegenheit auch noch Unter¬ 
stützung in Geld, Kleidungsstücken, Lebensmitteln, Werkzeug 
u. dgl. m. Für zwei gab man einen Beitrag zur Auswande¬ 
rung. In einer Anzahl von Fällen wurde die Gewährung von 
Reisegeld nöthig, um die Betreffenden aus der Stadt und 
anderwärts in Arbeit zu bringen. 

Mit den Erfolgen unserer Schutzthätigkeit können wir 
im Allgemeinen recht wohl zufrieden sein. Mehr als die Hälfte 
der Unterstützten erwies und erweist ihren Dank durch recht 
braves und rechtschaffenes Verhalten; von den übrigen ist uns 
über ihre Führung theils nichts Näheres bekannt geworden, 
theils haben sie auf die Vereinsfürsorge verzichtet, während 
etwa 10 bis 12 durch offenkundig schlechtes Betragen der 
Unterstützung sich unwürdig zeigten. Jedenfalls aber kann 
nicht bestritten werden, dass die Gesellschaft ihre Almosen 
nicht besser und fruchtbringender anzulegen vermag, als durch 
Beiträge für Vereine mit den Zwecken des unsrigen. An der 
Hausthüre sollte kein Pfennig verabreicht werden; denn 
ein derartiges, ohne Prüfung der massgebenden Verhältnisse 
gespendetes Almosen ist in der Regel zwecklos und befördert 


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285 


anstatt redlicher Arbeit den gewerbsmässigen Bettel. Wer 
dagegen in richtigem Verständniss und mit menschenfreund¬ 
licher Mildherzigkeit die Bestrebungen der Schutzvereine, der 
Frauenvereine, der Antibettelvereine und nunmehr auch der 
sog. Arbeiter-Colonien nach Kräften unterstützt, darf mit 
ruhigem Gewissen jeden Bettler von der Thüre weg und 
an jene Vereine weisen. Wohl werden bei unserem üppig 
blühenden sonstigen Vereinsleben immer häufigere Klagen laut 
über die allzugrosse finanzielle Belastung, welche die Mitglied¬ 
schaft in so vielen Vereinen mit sich bringt. Indessen gereicht 
es einem Volke gewiss zur Ehre, wenn nicht blos das Ver¬ 
langen nach Unterhaltung, Vergnügen und Genuss, nach 
materiellem und geistigem Gewinn, sondern auch der Hilferuf 
unserer unglücklichen armen Mitmenschen zur Gründung von 
Vereinen geführt hat, die sich die Aufgabe stellen, das 
hundertgestaltige sociale Eiend „mit vereinten Kräften" 
zu mildern und thunlichst zu beseitigen. Bei unserem Schutz¬ 
verein handelt es sich aber ausserdem noch darum, die bürger¬ 
liche Gesellschaft gegen Schädigungen zu schützen von Seiten 
Jener, die nicht die sittliche Kraft besitzen, um in Stunden bitterer 
Noth lieber mit ehrlichem Namen zu darben, als durch Un¬ 
ehrlichkeit und Verbrechen aller Art sich das Leben zu fristen. 

Allen Denen, welche uns in den einzelnen Fällen wie im 
Allgemeinen die so schwierige Aufgabe auf irgend eine Art 
(durch Geldbeiträge, durch Gewährung von Arbeit oder sonst¬ 
wie) erleichtert haben, bringen wir hiermit unsem wärmsten 
Dank dar. Auch dürfen sie Alle an dem herzlichen Vergeltes 
Gott participiren, das dem Verein und seinen Mitgliedern von 
so vielen Geretteten ausgesprochen wird. Mögen einzelne trübe 
Erfahrungen unserm Verein das Wohlwollen und das Vertrauen 
des Publikums nicht entziehen, das er zur Erreichung seiner 
Zwecke in so hohem Grade beanspruchen muss! Und wenn 
wir zum Schluss noch Bitten vortragen dürfen, so gehen die¬ 
selben dahin, dass erstens nicht nur jedes bisherige Mitglied 
auch fernerhin dem Vereine treu bleiben, sondern womöglich 
noch weitere Freunde demselben zuführen möge und zweitens, 
dass unter den verehrlichen Mitgliedern sich solche finden 
lassen möchten, welche dem so nothwendigen Amte eines 

19 ♦ 


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speciellen Pflegers oder Fürsorgers sich unterzögen. Daran 
fehlt es uns leider immer noch! — 

Der Vorsitzende: Der Schriftführer: 

Schäfer, Landgerichtsdirector. Erauss, Pfarrer. 

St. Gallen, im Dez. 1884. Strafanstaltsdirector Kühne 
hat an das Schutzaufsichts-Comit4 für entlassene Sträflinge des 
Cantons St. Gallen am 15« d. Mts. folgenden Bericht erstattet: 

Am 14. Juni 1881 wurde in Folge Ihrer lobenswerthen 
Initiative zu Zürich eine Delegirtenversammlung der schweize¬ 
rischen Schutzaufsichts-Vereine für entlassene Sträflinge ab¬ 
gehalten. Waren auch die positiven Ergebnisse dieser Con- 
ferenz nicht so eingreifend, als mancher Freund der Sache 
wünschen mochte, so waren sie doch erheblicher, als manch’ 
andere Betheiligte (der Unterzeichnete zählt zu ihnen) zu er¬ 
warten gewagt hatten. Man lernte sich kennen und befreun¬ 
den, man bot sich die Hand zu vereintem Wirken und 
fasste immerhin einige Beschlüsse, die nicht unterschätzt wer¬ 
den dürfen und die seither schon Früchte trugen. Damals 
schöpfte der ergebenst Unterzeichnete die HofiFnung, dass die 
Conferenz wiederholt werde: sei es mit fest in’s Auge gefasster 
Periodicität oder auf Veranlassung auftauchender brennender 
Fragen. Eine solche liegt nun vor, über die jetzt das Nähere 
zu reden ist. 

Die grosse Calamität dar Schutzaufsicht ist die Unter¬ 
bringung der Entlasslinge gleich bei Austritt aus der Straf¬ 
anstalt. Einer besitzt noch kein Werkzeug (z. B. Schuster), 
ein Zweiter hat nur einen Anzug, während er mindestens 
einen für den Werktag und einen für den Sonntag besitzen 
sollte, um anständiger Weise einen Platz antreten zu können; 
er muss sich noch besser einrichten. Ein Dritter möchte zu¬ 
nächst noch einige Besuche (bei Verwandten oder Befreundeten) 
machen, und da er zufällig zwei Professionen oder Berufe 
kennt, so bietet ihm diese Besuchszeit Müsse, sich umzusehen 
und für eine Beschäftigungsart definitiv zu entschliessen. Der 
Bauer will den in der Landwirthschaft erfahrenen Entlassling 
einstellen, muss aber warten, bis der Schnee vollends ver¬ 
gangen ist, um ihn beschäftigen zu können. Ein anderer Ar- 


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beitgeber hat Beschäftigung für den Empfohlenen, wünscht 
jedoch noch nähere Information über denselben zu erheben, 
als ihm der Schutzaufseher vorerst bieten kann; oder dann, 
dass er noch paar Probewochen (Uebergangsstation) durch- 
macbe, um mehr Zuversicht zu erlangen, dass der Arbeiter ein 
sittlich geordnetes Leben, wie unter der Autorität — welche 
die Verhaltsregeln aus dem bindenden Gesetze ableitet — 
so auch unter der Selbstregierung — welche die Verhaltsregeln 
aus dem Pflichtbewusstsein schöpft — fortzusetzen die 
Kraft habe. Bei einem Professionisten hat ein Geselle gekün- 
digt, „sobald er das Felleisen packt,^ will er den Klienten 
des Patrons einstellen. Oder er ist in aussichtsreicher Unter¬ 
handlung über einen Arbeitsakkord, muss aber warten, bis der 
Vertrag perfekt wird, dann ist er froh um den empfohlenen 
Arbeiter. Ausnahmsweise kommt es auch vor, dass der Patron 
gerade in den kritischen Tagen verhindert ist, persönliche 
Verwendung eintreten zu lassen. So stellen sich meistentheils 
einige Zwischenwochen ein, während denen der Entlassling 
sein kleines Handgeld aus der Strafanstalt — vielleicht noch 
einen Baarzuschuss vom Patron — aufbraucht. Und schlim¬ 
mer noch als dieses ist, dass der Klient von der im Strafhaus 
eingehaltenen Praxis anhaltender Arbeit abkommt. Wohl 
weist ihm der zeitliche Kostgeber etwa eine Beschäftigung an, 
zeigt aber keine Lust, ihn abzulöhnen, und sowie der Kost¬ 
gänger das heraus merkt, pressirt er sich auch nicht weiter 
mit der Arbeit. So wird der Unterstand christlichen Gut- 
meinens zur Brücke in die ehemalige Faulenzerei. 

Hiernach ist für solche Leute ein Asyl nöthig, wo sie die 
im Strafhaus angewöhnte Arbeit ungeschwächt fortsetzen und 
Kost und Logis ganz oder doch zum grössten Theil verdienen 
können. Man hat für solche Zufluchtshäuser den — wie mir 
scheint ganz zutreffenden — Namen „Uebergangsstation“ 
gewählt. Die Uebergangsstation bildet unsere brennende Frage. 

Es darf der Canton St. Gallen sich nicht mit der Meinung 
tragen, als hätte er heute noch die Initiative in der Sache. 
Schon die Thatsache, dass bei einer begrüssenswerthen Initia- 
tire im Schutzaufsichtswesen der deutschschweizerische Mutter¬ 
verein die Hand nicht hat, würde meinen Patriotismus als 


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dessen Mitglied streifen, ^venn ich nicht versichert sein könnte, 
Sie werden nach Klarlegung des Zweckes wirksam mithelfen 
wollen. Von „Wilhelmsdorf“ bei Bielefeld (Preussen) mag 
es mit der Nennung genug sein, da uns Schweizern die Mittel 
nicht zur Hand sind, eine so grossartige Schöpfung ins Leben 
zu rufen. Sie gewährt unverschuldet Arbeitslosen überhaupt 
Zuflucht, was sich wieder als aparte Frage darstelli Aber 
man ist so glücklich, in der Schweiz schon bemerkenswerthe 
Anfänge und Kundgebungen zu verzeichnen, wie namentlich 

Waadt. Zunächst begegnete mir die ebenso deutliche 
als werthvolle Bestimmung der Art im Waadtländischen Gesetz 
über Organisation der Gefängnisse vom 17. Mai 1875. Nach 
derselben können Sträflinge, die bei ihrer Freilassung nicht 
sogleich Arbeit finden, auf Beschluss der Regierung einst¬ 
weilen in einer landwirthschaftlichen Colonie untergebracht 
oder bei öffentlichen Arbeiten beschäftigt werden. Zu voll¬ 
ständigem Nachweis setze ich den einschlägigen Passus in 
Art. 5 nach Wortlaut hieher: „ . .. Toutefois, les d^tenus 
Iib4r48 qui, k Pexpiration de leur peine, ne trouvent pas de 
travail, peuvent, par d^cision du conseil d’Etat, sur leur 
demande ou celle de leur patron, ^tre admis momentan^ent 
dans une colonie agricole et industrielle ou 5tre employ^s k 
des travaux publics.“ 

Zürich. In diesem Canton hat der Grundgedanke, der 
hier zur Sprache gebracht wird, erfreulich Boden gefasst, und 
zwar nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in einigen 
Bezirken; schon sind verschiedene practische Versuche zu 
verzeichnen. Die evangelische Gesellschaft weist seit einiger 
Zeit bedrängten Arbeiterinnen Beschäftigung und zum Theil 
auch Herberge an. Sie ist im besten Zuge, die Institution in 
einem käuflich erworbenen Hause zu erweitern. Eine andere 
Frucht des einen und selben Prinzips bildet das, was einzelne 
Bezirke leisten, indem sie gewissen Reisenden zeitlich Arbeit 
und Unterhalt bieten. Auch die gemeinnützige Gesellschaft 
des Cantons beschäftigt sich ernstlich mit der Frage. Mit 
alP dem ist freilich das Ziel nicht erreicht, das die gegen¬ 
wärtige Eingabe insAuge fasst, nämlich die Miteinbeziehung 
der entlassenen Sträflinge — zum Mindesten mit Aus- 


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wähl. Sie haben, wenn sie Bürger oder Niedergelassene der 
Schweiz sind, bessern Anspruch auf die Wohlthat als die 
Reisenden, weil diese nach Umständen ausgewiesen werden 
können — die Schweizer dagegen nicht. RQcksichtlich der 
Reisenden kann also der öffentlichen Sicherheit ohne, rück¬ 
sichtlich der entlassenen Sträflige nur mit Arbeitsanweisung 
gedient werden. 

Bern empfindet sehr den Mangel einer solchen Arbeits¬ 
anstalt und erhebt den Nothruf für eine solche. Ich verweise 
auf den trefflichen, von Herrn Strafhauspfarrer Stauffer ver¬ 
fassten Jahresbericht des dortigen Schutzaufsichts-Vereins 1882 
(gedruckt 1883). 

Ausserrhoden. Herr Landstatthalter Nef, der viel¬ 
jährige und verdiente Präsident des Schutzaufsichts-Comitfe, 
hat sich so gründlich von dem Bedürfniss überzeugt, dass er 
zu diesem Zwecke eine grossmüthige Geldspende leistete. 

Vorstehende Aushebungen nur zum Beweise, dass die Lücke 
einer „Uebergangsstation“ vielseitig empfunden wird. St. Gallen 
hat übrigens seine eigenen Erfahrungen, die Ihnen wie mir 
bekannt sind imd die Sie in den zu fassenden Beschlüssen 
bestimmen dürften. 

Hiebei denke ich nicht von ferne daran, dass jeder ein¬ 
zelne Canton oder doch jeder der grossem eine Uebergangs- 
station einrichten soll. Um der freundlichen Aufnahme des 
Projekts im Volke nicht zu schaden, empfiehlt es sich, die 
Kosten möglichst zu beschränken. Die deutsche Schweiz 
könnte wahrscheinlich mit einer gemeinsamen Anstalt aus- 
kommen. Und dann wäre die Frage die: ob nicht Zürich 
mit dem, was schon besteht und allfällig etwelcher Erweite¬ 
rung, oder Bern mit einer neu zu bewerkstelligenden Anstalt 
den andern deutschen Cantonen aushelfen könnte, oder ob ein 
anderer Ausweg gesucht werden müsse. (Die romanische 
Schweiz würde mit einer ähnlichen Institution kaum lange 
zurück bleiben.) Je nach Qualität und Arbeitsfähigkeit des 
Kostgängers hätte der Schutzaufsichts-Verein des Heimath- 
cantons natürlich ein billiges Wochengeld zu leisten. Als 
Maximum des Aufenthaltes in der Uebergangsstation dürften 
zwei Monate bestimmt werden. Das Wochengeld könnte kaum 


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höher kommen, als die Interims-Unterstützung, welche Ihr 
Comit4 zu bieten je bereit ist und wirklich bietet. Und wie 
manche peinliche Verlegenheit der Patrone würde abgewendet, 
wie sehr wäre den moralischen Interessen der Entlasslinge 
gedient? 

Es ist dies eine Idee, an der man mehren und mindern 
hann. Erfolg in einer oder anderer Richtung darf man sich 
nur versprechen, wenn die Anregung in einer Delegirten-Con- 
ferenz von allen Seiten angeschaut, erörtert und beleuchtet 
wird und wenn Handbietung von mehreren Cantonen zu er¬ 
reichen ist. 

-Ä Aus Baden, im November 1884. Unser noch in der 
Entwickelung begriffenes Schutzwesen nimmt erfreulichen Auf¬ 
schwung. In jedem Gerichtsbezirk ist ein Verein gegründet; 
mit Württemberg und Hessen ein Uebereinkommen Sei¬ 
tens der Centralleitung getroffen, wonach sich die drei Nach¬ 
barländer in der Schutzfürsorge gegenseitig unterstützen. In 
Baden selbst war die Oberleitung des Landesverbandes dar¬ 
auf bedacht, ein reges Vereinsleben zu fördern durch die An¬ 
ordnung, dass die Bezirksvereine an die Centralleitung von 
jeweils vorhandener Arbeitsgelegenheit sofort Nachricht geben 
sollen, damit so eine Art von Central-Arbeitsnachweis¬ 
bureau gegründet werden könne, an welches die Strafanstalts¬ 
und Arbeitshaus-Verwaltungen zur Unterbringung von Straf¬ 
entlassenen jederzeit sich zu wenden in Stand gesetzt würden. 
Auf diese Weise bekommen auch solche Vereine Beschäfti¬ 
gung, bei welchen sonst Niemand sich anmeldet. — Aus der 
Centralkasse wurden 10000 JO- als unverzinsliches Dar¬ 
lehen, kündbar nach 10 Jahren, als Beitrag zur Gründung 
einer Arbeitercolonie verwilligt in der Voraussetzung, dass 
auch entlassene Gefangene darin Aufnahme finden können. Die 
Colonie soll, wie wir hören, in der Nähe von Villingen bereits 
angekauft sein. 

Karlsruhe, im Januar 1885. Die Sache der Arbeiter- 
colonien hat bei uns gute. Fortschritte gemacht. Für die 
Gründung einer solchen Colonie ist, nachdem die bisher hiefür 
in Aussicht genommenen verschiedenen Objecte sich als un- 


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geeignet erwiesen, nunmehr der zwischen Villingen und Donau- 
eschingen in der Baar gelegene Hof Ankenbuck, Gemeinde 
Klengen, käuflich erworben worden. Das Dorf Klengen zählt 
über 600 Seelen und ist Station der Schwarzwaldbahn. Die 
Colonie dürfte nun in nächster Zeit eröffnet werden. Man 
rechnet zunächst auf etwa 80 Colonisten. 

S.'K. H. der Grossherzog haben, entsprechend der Bitte 
des Yereinsausschusses, das Protectorat des Landesvereines 
für Arbeitercolonien im Grossherzogthum Baden übernommen. 

Arbeitsämter« Nach Mittheilungen der Blätter beabsich¬ 
tigt die Reichsregierung, Arbeitsämter zu errichten, d. h. 
Behörden, welche die Controle über Angebot von Arbeit und 
Nachfrage nach solcher in den einzelnen Industriezweigen führen 
und Arbeitgebern wie Arbeitsuchenden die ihnen wünschens- 
werthe Auskunft geben. Eine solche Einrichtung scheint uns 
wohl des Versuches werth. So gut wie die Post- und Tele- 
graphenämter den Verkehr vermitteln, die Gerichte für Auf¬ 
rechterhaltung der Ordnung in den gegenseitigen Beziehungen 
der Menschen sorgen, ebenso kann auch die Vermittlung von 
Arbeit durch öffentliche Ordnung erleichtert werden. 

Der Nutzen behördlich geleiteter Arbeitsnachweisungs- 
bureaus könnte folgender sein: 1. Es könnte manchen Arbeit¬ 
suchenden Zeit und Geld für Reisen an dritte Orte, an denen 
sie Arbeit zu finden hoffen, aber keine erhalten, erspart werden. 
2. Es würde sich rücksichtlich der „armen Reisenden^^ leichter 
erkennen lassen, welche von ihnen als ernstlich Arbeitsuchende 
und welche mehr als des Vagabondirens Verdächtige zu be¬ 
trachten sind. 3. Durch Veröffentlichung statistischer Zusam¬ 
menstellungen , wie viel Arbeiter in den einzelnen Arbeits¬ 
branchen im Laufe einer bestimmten Zeit, z. B. eines Jahres, 
durch die Arbeitsämter gesucht worden, und andererseits, wie 
viele sich als arbeitslos gemeldet, würde bekannt, in welchen 
Branchen voraussichtlich ein Mangel an Arbeitskräften oder in 
welchen eine Ueberfüllung an solchen stattfindet, und dadurch 
könnte jungen Männern ein Fingerzeig oder eine Warnung in 
Betreff der Wahl eines Berufes gegeben werden. 4« Die Uebel- 
stände, welche bei Privat-Nachweisungsbureaus, besonders für 


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weibliche Arbeit- oder Dienstsuchende bisweilen eintreten, z. B. 
die Rücksichten auf das finanzielle Interesse der Inhaber solcher 
Bureaus, würden wegfallen. 5. Die Kosten theurer, oft ganz 
wirkungsloser Inserate in den Tagesblättern könnten erspart 
werden. 

Zu wünschen ist nur, dass die Arbeitsämter ihre Wirk¬ 
samkeit nicht blos auf die gewöhnlichen bürgerlichen Ge¬ 
werbe oder Industriezweige beschränken, sondern auch auf 
andere Arbeitsgebiete (z. B. die der gebildeteren Privatbeamten, 
Privatlehrer oder Privatlehrerinnen, Gouvernanten, Kinder¬ 
wärterinnen, sowie auch des Gesindedienstes) ausdehnen. Am 
willkommensten würde eine solche Einrichtung Denen sein, 
welchen es in Folge von Bescheidenheit oder angeborenen 
Schüchternheit nicht gegeben ist, mündlich oder schriftlich 
bald an dieser, bald an jener Stelle um Arbeit oder Beschäf¬ 
tigung zu bitten. Das Betteln um Arbeit oder Beschäftigung 
fällt namentlich Vielen, welche den gebildeteren Kreisen an¬ 
gehören, selbst wenn eine Vergütung dafür nicht verlangt wird 
oder nur Nebenzweck ist, schwerer als dem Armen eine Bitte 
um Geldunterstützung. Ohne Zweifel müsste ein Pressorgan 
gegründet werden, in welchem die Arbeitsämter das Nähere 
über Angebot von und Nachfrage nach Arbeit in den einzelnen 
Branchen veröffentlichten. 

Sollte die Idee der Errichtung staatlicher Arbeitsämter 
nicht zur Ausführung kommen, so wäre doch die Errichtung 
von öffentlichen Arbeitsnachweisungsstellen durch die 
Gemeindebehörden der grösseren Städte, beziehungsweise der 
Bezirksverwaltungsbehörden in der Provinz recht wünschens- 
werth. Ein finanzielles Bedenken läge kaum vor, da der Auf¬ 
wand für einen zur Führung der erforderlichen Listen anzu¬ 
stellenden Beamten — oft würde es der Anstellung eines neuen 
gar nicht bedürfen — ein geringer wäre, geringer vielleicht 
als der Betrag, welcher von vergeblich Arbeitsuchenden im 
Bezirk zusammengebettelt würde. 

Wer den Grundsatz, dass „ein Recht auf Arbeit“ für Jeden 
bestehe, nicht gelten lassen will, sollte wenigsten jeden An¬ 
fang der Arbeitsvermittelung zu fördern suchen. 


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Fiiriioiiilnaclirlclita 


1. Veränderimgeii. 

a. Baden. 

Ströbe, Divisionspfarrer, wurde auf Ansuchen der Function des ev. Haus¬ 
geistlichen am Landesgefängniss Freiburg enthoben. 

Bauer, Stadtvicar, wurde zum ev. Hausgeistlicben ebenda ernannt. 

b. Bayern. 

Alwens, Director a. D. in Frankenthal, wurde zum Director der Straf¬ 
anstalt und des Arbeitshauses Kaiserslautern ernannt. 

Leff 1er, Director der Strafanstalt und des Zuchthauses Kaiserölautern, 
wurde zum Director des Zuchthauses München ernannt. 

0. Bremen. 

Kölle, Kassenbeamter der Strafanstalt Oslebshausen, wurde zum Inspector 
ernannt. 

Schumacher, Schreiber der Strafanstalt Oslebshausen, wurde zum 
prov. Kassenbeamten ernannt. 

d. Mecklenburg. 

Ganschow, Feldwebel des Jftger-Bataillons Nr. 14, wurde zum Haus¬ 
verwalter der Strafanstalt Dreibergen ernannt. 

Lindost&dt, Verwalter der Strafanstalt Dreibergen, wurde in Buhestand 
versetzt. 

V. Wiek, Prem.-Lieut. a.D. und commissarischer Polizei-Inspector in Drei¬ 
bergen, wurde zum Hauptmann befördert und definitiv angestellt. 

e« PrcusBcn. 

Präller, Inspector der Strafanstalt Cassel, wurde zum Vorsteher und 
Oberinspector dieser Strafanstalt ernannt. 

Riebel, Hauptmann a. D. und Vorsteher der Strafanstalt Elberfeld, wurde 
zum Director der Strafanstalt Lingen ernannt. 

V. d. Trenk, Polizei-Inspector der Strafanstalt Mewe, wurde unter Er¬ 
nennung zum Polizei- und Oeconomie-Inspector an die Strafanstalt 
Celle versetzt. 

Zimmermann, Secretär der Arrest- und Correctionsanstalt Köln, wurde 
unter Ernennung zum Inspector an die Strafanstalt Lüneburg versetzt. 

f. Sachsen. 

Dillner, Pfarrer und Oberbeamter bei der Strafanstalt Hoheneck, wurde 
zum Pfarrer in Nausslitz bei Meissen ernannt. 

Höckner, Inspector bei der Strafanstalt Waldheim, wurde in gleicher 
Eigenschaft an die Strafanstalt Zwickau versetzt. 

Lipffert, Pfarrer in Posseck, wurde zum Anstaltsgeistlichen und Ober¬ 
beamten der Strafanstalt Hoheneck ernannt. 

Wilde lau, Inspector bei der Strafanstalt Zwickau, wurde in gleicher 
Eigenschaft an die Strafanstalt Waldheim versetzt. 

g. Württemberg. 

H öl der, v., Dr. Med.-Rath, wurde auf Ansuchen der Stelle eines ausser¬ 
ordentlichen Mitgliedes des Strafanstalten-Collegiums enthoben und 

Pfeilsticker, Dr. Med.-Rath, an seine Stelle ernannt. 


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h. Oesterreich. 

Auman, Controlor der Strafanstalt Müran, wurde zum Verwalter ernannt. 

V. Auster, Adjunct der Strafanstalt in Garsten, zum Controlor ernannt. 

Bernhauer, Clemens, Adjunct der Strafan8t.Mttrau, zum Controlor ernannt. 

Bessauer, Controlor der Strafanstalt Garsten, wurde zum Verwalter ernannt. 

Findelar, Oherstlieutenant, Stellvertreter u. Leiter der Staatsanwaltschaft 
^ in Pilsen, zum Hanscommissär der dortigen Strafanstalt ernannt. 

Gleisbach, Graf, Oberstaatsanwalt in Graz, wurde zum Hofrath ernannt. 

Göbelt, Adjunct der Strafanstalt Prag, wurde zum Controlor ernannt. 

Hensel, Dr., Oberstaatsanwaltschafts-StellVertreter in Lemberg, wurde 
zum Staatsanwalt in Stanislau und zum Hauscommissär der Straf¬ 
anstalt daselbst ernannt. 

Hebenstreit, Staatsanwalts-Stellvertreter in Wien, wurde zum Staats¬ 
anwalt in Werneuburg und zum Hauscommissftr der Strafanstalt in 
Göllersdorf ernannt. 

Jezeh, Staatsanwalt in Jidin und Hauscommissür der Strafanstalt Eart- 
haus, wurde nach Prag versetzt und wurde ihm die Hauscommissär¬ 
stelle daselbst verliehen 

Markowich, Adjunct der Strafanstalt Prag, wurde zum Controlor der 
Strafanstalt in Laibach ernannt. 

Okenfus, Staatsanwalts-Stellvertreter in Prag, wurde zum Staatsanwalt 
in Jidin und zum Hauscommissär der Strafanstalt Karthaus ernannt. 

Piche, Ritter von, Referent für Gefängnisswesen im k.k. Justizministerium 
in Wien, wurde zum wirklichen Ministerialrath ernannt. 

Paulo, Staatsanwalt in Stanislau, wurde nach Brzezany versetzt. 

Powalatz, Adjunct der Strafanstalt Stein, wurde zum Controlor der 
Strafanstalt Göllersdorf ernannt. 

Rapp, Ritter von, Staatsanwalt in Prag, wurde zum Oberstaatsanwalt 
daselbst ernannt. 

Schaitz, Staatsanwalt in Komeuburg, wurde zum Landgerichtsrath in 
Wien ernannt. 

Schrott, Dr., Oberstaatsanwalt in Triest, wurde zum Hofrath ernannt. 

Zagletal, Oberstaatsanwalt in Brünn, wurde zum Hofrath ernannt. 

Zuma, Controlor der Strafanstalt Prag, wurde in Ruhestand versetzt. 

2. Todesfälle. 

a. Bayern. 

Meuth, Reg.-Rath in Kaiserslautern. 

b. Sacheen. 

Anton, Geheimer Justizrath im Justizministerium zu Dresden. 

3. Decorationen. 

/ 

a. PreuBsen. 

Peters, Strafanstaltsaufseher a. D. in Gollnow, erhielt das Allgemeine 
Ehrenzeichen. 

b. Württemberg. 

Pfeilsticker, Med.-Rath, erhielt das Ritterkreuz I. CI. des Friedrichordens. 

Walzer, Oberaufseher am Landesgefängniss Rottenburg, erhielt die sil¬ 
berne Verdienstmedaille. 

c. Oesterrelcb. 

Machöritsch, Director der Strafanstalt Capodistria. erhielt das Ritter¬ 
kreuz des Franz Joseph-Ordens. 


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295 


ytrelBsaiplemiilieltei. 


Eingetreten 

sind als neue Mitglieder: 

a. Baden. 

Bauer, Stadtvicar, ev. Hausgeistlicher des Landesgefftngnisses Freiburg. 

b. ElsaBB-Lotliiingren. 

Strassburg, Bezirksgefängniss. 

c. Mecklenburg. 

Karsten, Pastor, Geistlicher der Strafanstalt Dreibergen. 

d. Oldenburg. 

Burwinkel, Dr., Hausarzt der Strafanstalt Vechta. 

e. PreuBBen. 

Cassel, Strafanstalt. 

Glück Stadt, Gorrectionsanstalt. 

Münster, kgl. Regierung, Abtheilung des Innern. 

f. OeBterreioh. 

Blumenstock, Heinrich, Dr., Sectionsrath in Wien. 

g. Ungarn. 

Szegedin, kgl. ungar. Districtsgefängniss. 

Waitzen. Direction der kgl. ungar. Landesstrafanstalt. 

Ansgetreten sind: 

a. ElBaBB- Lothringen. 

Schott, Dr., Pfarrer, kath. Hausgeistlicher des Bezirks-Gefängnisses 
Strassburgi 

b. PreuBBen. 

Homuth, Inspector des Weibergefdngnisses Berlin. 

Johansen, Director der Gorrectionsanstalt Glückstadt. 

Moritz, ev. Hausgeistlicher der Strafanstalt Diez. 

Petras, Director in Ratibor. 

Rüster, Inspector der Strafanstalt Breslau. 

Schleiden, Geistlicher der Straf- und Gorrectionsanstalt Düsseldorf. 
Seiler, Inspector in Berlin. 

Tilsit, kgl. Staatsanwaltschaft. 

c. SachBcn. 

Giesemann, Director der Besserungsanstalt in Braunsdorf. 

d. Ungarn. 

Banffay, Gommitats-Oberfiscal in Fünfkirchen. 

Thebner, Official in Szamosujv&r. 


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Rechnnngs - Anszag. 

a. Nachwetoung über Einnahme and Ausgabe vom 
1. Januar 1884 bis dahin 1885. 


I. !E2iniiahrae: 

1. Gassa-Rest aus voriger RechnuDg . 

2. Beiträge der Mitglieder .... 

3. Abrechnung mit Weise in Heidelberg 

4. Zins aus ^pitalanlage . . . . 

5. Von der Sparkasse hier erhoben 

6. Verkauf früherer Hefte .... 

7. Beiträge der Mitglieder aus Oesterreich . 

8. Verkauf einer Kiste. 

9. Verkauf von 4 Streifbändern ä 3,.^ 


51. 09. 
3061. 54. 
533. 35. 
319. 93. 
^ 4390. 88. 
„ 148. 04. 
„ 528. -. 
„ 3. 50. 

. 12 . 


Summa der Einnahmen JL 9036. 45. 


JI. Ausgabe: 

1. Druck des Vereinsorgans . ... 

2. Buchbinderlöhne, Papier etc. 

8. Honorare. 

4. Für Bureau und Cassenführung .... 

5. Für Bedienung . . . . . 

6. Versendungskosten. 

7. Für Ankauf von Heften früherer Jahre . 

8. Ankauf von zinstragenden Effecten .... 

9. Für Literatur . . .. 

10. Jubiläumsgeschenk für den Präsidenten . 

11. Auslagen der Commission zur Feststellung von 

Normalien für Gefängnissbauten .... 

12. Nachträgliche Kosten der Wiener Versammlung 

Summa der Ausgaben 


^2857. 51 
„ 477. 32 
„ 1219. - 
„ 319. - 
„ 40. - 

„ 491. 39 
u 4. — 
„ 2047. ^0 
„ 34. 60 

„ 269. 50 


„ 1028. 34. 

_a_ 

JH, 8732. 63. 


Die Einnahme beträgt JL 9036. 46. 

„ Ausgabe „ . „ 8782. 66. 

Der Kassen-Rest beträgt . . JL 263. 89. 

b. Vennögens-Berechnung. 

1. Cassarest auf heute . ... 253. 89 

2. Rückständige Beiträge . ..„ 840. ~ 

3. Staats- und sonstige Effecten.„ 4444. 15 

4. Inventar. ^ 800. ■— 

Sa. «A 6888. 04 

Hievon ab die pro 1886, 86 u. 87 bezahlten Beiträge mit „ 100. — 

Bleibt Reinvermögen JL 6788. 04 

Freiburg, im Januar 1885. 

Der Vereinsausschuss. 


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297 


PreisausscHen fiir ein 



Drei Preise setzt der Ausschuss der Rheinisch-Westfälischen Ge- 
fängnissgesellschaft fUr die tüchtigsten Entwürfe zu einem Handbuche für 
Gefängniss-Aufseher aus: einen ersten Preis von 600 für die beste ver¬ 
wendbare Arbeit — für die beiden demnächst tüchtigsten, preiswerthen 
Arbeiten zusammen 400 JL^ welche je nach der Gediegenheit der beiden 
Arbeiten vertheilt werden sollen. 

Die preisgekrönten Schriften erwirbt der Ausschuss durch Zahlung 
der Preise zu seinem Eigenthum zur beliebigen Yerwerthung, ist aber auch 
berechtigt, aus andern eingeschickten Arbeiten Geeignetes zu verwenden. 

Das Handbuch muss den Aufseher zeichnen, wie er sein 
soll, seine Aufgabe schildern, die er zu lösen hat, ihn in 
allen Stücken in die Praxis seiner Berufsarbeit einführen, 
BO dass es ihm ein treuer Berather in der Erfüilung seiner Pflichten nach 
christlicher Lebensauffassung wird. Dabei muss die Instruction bezw. 
Hausordnung, welche den Dienst des Aufsehers bezw. Ober - Aufsehers 
äusserlich regelt, als bekannt vorausgesetzt werden. 

In einem besondern Kapitel ist der Dienst eines einzelnen Aufsehers 
an einem kleineren Gefängnisse darzustellen. Auch empfiehlt es sich, in 
besonderer Abtheilung auf den Dienst der Aufseherinnen bei weiblichen 
Gefangenen Rücksicht zu nehmen. 

Auf die Yerschiedenartigkeit der Dienstpflichten und des Yerhaltens 
der Aufseher, je nachdem sie Gefangene in Zellenhaft oder in gemein¬ 
samen Arbeits- und Schlafsälen oder bei der Aussenarbeit zu über¬ 
wachen haben, ist gebührend Bedacht zu nehmen. 

Ferner ist zu wünschen, dass so viel über Strafe und Strafvollzug 
sowie über die Geschichte derselben mitgetheilt wird, als zweckdienlich 
ist, um das Yerständniss des Aufsehers für seinen wichtigen Beruf 
zu fördern. 

Die Darstellung sei knapp und leicht verständlich, die Sprache dem 
Standpunkte der Durchschnittsbildung der Aufsichtsbeamten angepasst, 
einfach und klar; dabei scheint übersichtliche Anordnung und Abrundung 
des Stoffes in einzelnen Kapiteln am angemessensten. 

Die eingehenden Arbeiten sind mit einem Motto zu versehen, Name, 
Stand und Wohnort des Yerfassers in einem verschlossenen Briefe mit 
gleichem Motto als Aufschrift beizufügen. 

Die Einsendung muss spätestens bis zum 15. Juli 1885 an den 
Unterzeichneten Ausschuss erfolgen. Derselbe ernennt eine Commission 
von 5 Mitgliedern, welche die eingeschickten Arbeiten prüft. 

Die YerÖffentlichung der Gutachten bezw. der Ertheilung der Preise 
wird in der nächstjährigen Generalversammlung der Rheinisch-Westfälischen 
Gefängniss-Gesellschaft erfolgen. 

Düsseldorf, im November 1884. 

Der Ausschuss der Rheinisch-Westfälischen 
Gefängrniss - Gesellschaft. 


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298 


Zur Nachricht. 

Von einer Anzahl früherer Hefte des Yereinsorgans sind noch 
disponible Exemplare vorhanden, die nach Beschluss des Ausschusses an 
Mitglieder gratis abgegeben werden sollen. Gegen Einsendung von 2 JL 
zur Deckung der Yersendungskosten können daher diese Hefte (für die 
ersten Besteller bis zu 42 Expl.) von hier bezogen werden. 

Freiburg L B., im März 1885. 

Für den Vereinsauseohues 
Director Bkert, 
Johanniterstrasse 4. 


Inhalt. 


Saite 

1. Die Bevölkerung der Hamburgischen Gefängnisse im Jahre 1883. 

Von Streng .. . 155 

2. Die Erbauung einer Strafanstalt in Bosnien. Mit 4 lith. Tafeln 166 

3. lieber die Geständnisse der Gefangenen. Von Krauss . 186 

4. Die Strafanstalt Wehlheiden bei Cassel. Von Kaldewey 211 

5. Internationaler Gefängnisscongress.230 

6. Die englischen Reformatories und Industrieschulen . . 242 

7. Mittheilungen aus der Praxis.260 

8. Literatur.263 

9. Nachrichten über Strafanstalten.270 

10. Schutzwesen..271 

11. Personalnachrichten.293 

12. Vereinsangelegenheiten.296 

13. Preisausschreiben (Handbuch für Gefängnissaufseher) . . 297 


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Ort'uprWe F/äc/fe 3,3Fmfassunffsma//em fy 6/^ 



Entwurf einer Strafanstalt für Bosnien. 


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' -^ 


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J 





Plan. HI. 


Entwurf einer Strafanstalt für Bosnien 

2wi sclierian s lalt 

Skizze für ein Wohnhaus der Handwerker. 



2 )/<xö i/kWVi^Tt^ flott 00,75 “ ' 

Avrtii ^01 ?9 S%'J^x<xu^trv f ev'' cfrve^' 'Zä>iTvni^X«> oort 3^2*2 

c'i'YVtAxv ß^^etcu^ ^iv 20 OlXtVTVlV 'Cwt^xKi 1pf>ly »liopf ^Ccxo^^ii 

vtXHtn/ ^wriif 15,064 ^ Xu^Mvivm . 

SJte/ 10 x^tool ffctt ^<teo 

ZA.'nx/nvcAJ AA,55 S^toLcftctvxct W-rtv' wxU. \A7, 91 ..ßvi^ti/otavtiv', >4 k? t^vit pe*«. 


efWpf 4^455 ° ^ 3^fctohc-n 


^tict 1A,791 


Skizze tür ein Wohnhaus der Feldarbeiler. 



, Senkcfrriie 

y1. ffhA/izi/nmer des ITausmtfrs . 

B. Vorzimmer JVasc/tzimmer . 


3.ecleö Seftfo^x /t-vwi-vve^ 'fuott 66 ^ cTfä4^^^e. tvrvd ß-ev e\/roe.v 

£icfefo- 3,n"i^?tt., 219,n Xu^ftvcKt-m 

4,718 ^vorvi 16,65 .OufU<xxvnv. 


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Plan lY. 



Skizze für ein Spilal ( 62 Kranke ewärler) 
Verbaule Fläche 660:76''”^ 

Ebeiierili<J. 


w;oo -- f\so - ^ -- 



Aif^esrA/ftssner Corredor. ß Afaffazin Theekirehe MSfti^enkausi 

/i"(?r(//rtfi/^ief/f.^z/jfrer G. Vor^rfppe 


I.Stock 


J Kranker 30 ^^^Luft 



j 4. 3Kranke. B.GeisteskfnnkeiBeobachtttfifjszimfnerJ 
CKKeinen ha IC.s B.CoiTtdar. EMe.^hlossenerCorridon 


SoilleiTAUl 


Eni Wurf 

für eine 

Strafanstalt ?• 

in 

Bosnien 



Heiz u. Venidationssyslem 
Kedemann utekender 
Mainz. 


-r 


A. Kohiendepot H.Stiegenhaus C. Corridor JJ.Heizkammer K.FasselraunL 


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Dis nebmMielr der Mmn iil 
Eitaiei, 

vom ethischen Standpunkte beleuchtet 
von Dr. theol. Richter, 

Königl. Consistorialrath und Militär-Oberpfarrer zu Breslau. 


Vorbemerkung. Das Referat, welches Schreiber dieser 
Zeilen für die Generalversammlung des Geföngniss-Vereins für 
Schlesien und Posen am 6. November 1884 über den vor¬ 
stehenden Gegenstand zugesagt hatte, konnte leider damals nicht 
gegeben werden. Die nachfolgenden Ausführungen wollen diese 
Zusage wenigstens nachträglich einlösen, die auf jener Ver¬ 
sammlung ausgesprochenen Ansichten ergänzen und klären und 
auch über den Kreis der Vereinsmitglieder hinaus die wichtige 
Frage, um die es sich handelt, erneut anregen und zur befrie¬ 
digenden Lösung bringen helfen. 

Ist das Gefängniss nach dem Ausspruch des Moral¬ 
statistikers von Oettingen das Spiegelbild der Zeit, so ist 
auch der Strafvollzug ein solches. In ihm spiegelt sich die 
Gesammtanschauung des Volkes und der Zeit in rechtlicher, 
socialer und ethischer Beziehung wieder. Er ist der Nieder¬ 
schlag dieser Rechtsanschauungen gegenüber der Rechtsver¬ 
letzung, als dem Attentate des Einzelnen wider die Majestät 
des Gesetzes, durch welches die Gesammtheit: der Staat, die 
bürgerliche Gesellschaft sich ihren Bestand und ihr Wohl¬ 
befinden sichern. Er ist auch der Niederschlag der socialen 

Bltttter für Gefängnisekunde. XIX. 20 


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302 


Anschauungen des Volkes, seiner Würdigung der Einzelpersön- 
lichkeit gegenüber der Gesammtheit und umgekehrt, des Rechtes 
der Persönlichkeit und des Rechtes der Gemeinschaft. Er ist 
endlich auch der Niederschlag der ethischen Anschauungen 
des Volkes, die ja der Boden sind, auf dem seine Rechts¬ 
anschauungen und seine socialen Anschauungen erwachsen sind 
oder doch erwachsen und sich darnach normiren und corri- 
giren sollen, weil sie die Persönlichkeit sowohl des Einzelnen 
wie der Gesammtheit nicht blos unter den Gesichtspunkt zeit¬ 
licher sondern auch ewiger Zwecke stellen, denen alles Zeit¬ 
liche nur zu dienen und davon sich durchdringen zu lassen 
hat. Es leuchtet ein, wie die Systeme des Strafvollzugs von 
dem pennsylvanischen strengster Isolirung an bis hin zu dem 
irischen Progressiv-Systeme des allmählichen Fortschreitens 
von der Isolir- zur Gemeinschaftshaft und vorzeitigen Ent¬ 
lassung, solche hochinteressante Spiegelbilder nach diesen drei 
Beziehungen sind, gleich anziehend für den Staats- wie den 
Volksmann, für den Fachmann wie den Laien, für den Juristen 
wie den Theologen. Ist unser Volk jetzt bei der Riesenarbeit, 
ein allgemeines deutsches Recht als eines der stärksten Bänder 
seiner Einheit und Einigkeit für das gesammte Vaterland her¬ 
zustellen, und hat es den Anfang mit dem deutschen Strafrecht 
bereits gemacht, so ist die Herstellung auch eines allgemeinen 
Strafvollzugsgesetzes die einfache Consequenz davon 
und ein immer dringender empfundenes Bedürfniss der Zeit. 
Dass ein solches, von einheitlichen, nicht blos rechtlichen und 
socialen, sondern auch ethischen Gesichtspunkten aus redigirt, 
recht bald zu Stande komme, ist gegenüber den mancherlei 
Missständen des heutigen Strafvollzuges das immer lauter aus¬ 
gesprochene Verlangen Aller, die ein Herz und ein Verständniss 
für die Sache haben. 

Die folgenden Zeilen sollen dies an einem einzelnen Punkte, 
den sogenannten Ueberverdienstgeldern der Gefangenen, zeigen 
und mit Bezug auf denselben Material für das in Aussicht 
gestellte Gesetz bieten helfen. Schreiber dieses entnimmt seine 
Legitimation dazu nicht blos aus seinem früheren Amte als 
Gefängnissgeistlicher und seinem jetzigen, das ihn in lebendige 
Beziehung mit der Fürsorge für Gefangene und Entlassene in 


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303 


der Provinz setzt, sondern vor Allem aus dem lebhaften Inter¬ 
esse, das er seit Jahren dem Gefängnisswesen zugewandt, und 
das ihn durch viele Strafanstalten und Gefängnisse geführt 
hat. Zudem ist gerade die Frage der Verwendung der 
lieberverdienstgeldcr neuerlich wieder auf fachmänni¬ 
schen und kirchlichen Versammlungen, besonders in Schlesien, 
in Fluss gekommen und lebhaft ventilirt worden, so dass diese 
Zeilen auch einem augenblicklichen Bedürfnisse entgegenkom- 
men und zur Klärung der nicht unwichtigen Frage beitragen 
wollen. Dass die Entscheidung derselben vom ethischen 
Standpunkte aus versucht werden soll, möge nicht blos dem 
Theologen zu gut gehalten werden. Auch die rechtlichen Er¬ 
wägungen des Juristen und die Nützlichkeitserwägungen des 
Strafvollzugsbeamten, welche letztere besonders in dieser Frage 
bisher massgebend gewesen sind, werden sich als probehaltig 
nur dann erweisen können, wenn sie in ethischen Prinzipien 
wurzeln, zum Mindesten nicht wider dieselben sind. 

Wir wollen zunächst den gegenwärtigen Stand der 
üeberverdienstgelderfrage darstellen, dann eine Kritik der¬ 
selben versuchen, um so endlich zu positiven Vorschlägen 
zu gelangen. 

Die Frage der Ueberverdienstgelder oder, wie sie auch 
genannt werden, der Arbeitsbelohnungen, des Arbeitsverdienst- 
antheils der Gefangenen, ist auf den Versammlungen der Fach¬ 
männer, besonders im Verein der deutschen Strafanstaltsbeamten 
1874 und 1877 auf der Tagesordnung gewesen, und eingehen¬ 
der in der Versammlung zu Wien 1883, an der auch Referent 
theilnehinen durfte, behandelt worden, und sind eingehende 
Gutachten darüber von dem Geh. Regierungsrath Lütgen in 
Hannover, dem Director der Strafanstalt in Plötzensee, Geh. 
Justizrath Wirth, den Strafanstaltsdirectoren Sichart und 
Miglitz erstattet worden.*) Grundlegend ist auch hier das 
treffliche Buch von Bauer: „Der gewerbliche Betrieb in den 
Strafanstalten^, Karlsruhe 1861, gewesen. Alle die gedachten 
Gutachten, auch das von der Wiener Versammlung abge- 


*) Vgl. die „Blätter für Geränguisskunde“ von Gustav Ekert, 
XVII. Bd. S.82, 108, 123; XIX. Bd. S. 80 ff. 

20 * 


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304 


gebene, beschränken sich indess lediglich auf die Beantwor¬ 
tung der Frage: „Nach welchen Grundsätzen sollen die Arbeits¬ 
belohnungen an Gefangene gewährt werden, insbesondere auch 
in welcher Höhe, und soll dabei eine Rücksichtnahme auch 
auf das Verhalten des Gefangenen am Straforte stattfinden ? 
soll eine ganze oder theilweise Entziehung des Arbeitsgut¬ 
habens stattfinden können?“ Man hat sich also lediglich auf 
die Basis der vorhandenen Bestimmungen gestellt, nach wel¬ 
chen solche Belohnungen, ob auch in den verschiedenen deut¬ 
schen Ländern sehr verschieden, thatsächlich gezahlt und auch 
für das projectirte allgemeine deutsche Strafvollzugsgesetz in 
Aussicht genommen werden. Die prinzipiellen Fragen 
dagegen, ob der Gefangene auf die ihm während der 
Strafzeit gutgeschriebenen Ueberverdienstgelder 
ein Eigenthumsrecht erwirbt oder nicht? ob dies Eigen¬ 
thumsrecht zum Mindesten mit dem Verlassen der Strafanstalt 
in Kraft tritt? ja, ob es überhaupt nicht blos oppor¬ 
tun, sondern auch recht und vor Allem sittlich an¬ 
gemessen sei, Arbeitsbelohnungen zu gewähren? 
sind auch hier wie bisher umgangen oder doch ihre Beant¬ 
wortung verschoben worden „bis zu einer der nächsten Ver¬ 
sammlungen“, d. h. angesichts der Schwierigkeiten der ein¬ 
schlägigen Fragen vielleicht — ad calendas graecas. Der 
einzige Redner auf der Wiener Versammlung, der die Sache 
prinzipiell anfasste, war der Professor W a h 1 b e r g (Wien), 
der entschieden bestritt, dass die Verurtheilung zu einer Frei¬ 
heitsstrafe auch die „Confiscation der Arbeitskraft“ von selbst 
nach sich ziehe. Vielmehr sei „der Sträfling von heute nicht 
mehr Arbeitssklave “5 ihm komme daher rechtlich der An¬ 
spruch auf den Ertrag seiner Arbeit in der Strafanstalt zu, 
soweit derselbe nicht aufgebraucht worden zur schuldigen 
Deckung der durch seine Strafhaft dem Staate verursachten 
Kosten. — Dem gegenüber gehen die bestehenden Bestim¬ 
mungen offenbar von dem entgegengesetzten rechtlichen Prinzip 
aus, dass der Sträfling keinen Anspruch auf irgend ein Ver¬ 
dienst oder Belohnung hat, dass er vielmehr allerdings mit 
seiner ganzen Arbeitskraft dem Staate während seiner Straf¬ 
zeit verfallen sei, und dass es deshalb lediglich ein Geschenk, 


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306 


ein Wohlwollen des Staates, eine Opportunitätsfrage sei, ihm 
einen Antheil an dem Ertrage seiner Arbeit zu gewähren, um 
ihm gewisse Erleichterungen schon während der Strafzeit zu 
gewähren, vor Allem aber um ihm die Bückkehr in’s bürger¬ 
liche Leben nach seiner Entlassung möglichst zu erleichtern, 
weil letzteres nicht blos im Interesse des Entlassenen, sondern 
eben so sehr im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft liegt. 
Es ist klar, dass dies zwei diametral entgegengesetzte recht¬ 
liche Auffassungen der Sache sind, und dass die weitere Für¬ 
sorge für den Entlassenen gerade dadurch in ihrem Lebens¬ 
nerv gelähmt werden kann und thatsächlich vielfach gelähmt 
wird, dass die Pfleger, besonders wenn es, wie hier in Schle¬ 
sien, für die evangelischen Gefangenen die kirchlichen Ge¬ 
meindeorgane sind, nicht wissen, auf welcher rechtlichen Basis 
sie mit diesem Stück ihrer Fürsorge, der Verwaltung der 
Ueberverdienstgelder stehen. Hat der Entlassene ein Recht 
auf dieselben, dann dürfen sie ihm nicht vorenthalten werden, 
sobald er sie fordert. Sind sie aber und bleiben sie eine 
Wohlthat, dann hat er überhaupt kein Recht darauf, am aller¬ 
wenigsten ein Recht zu fordern! Ehe man darum in einem 
allgemeinen Strafvollzugsgesetz den Arbeitsüberverdienst der 
Gefangenen auch gesetzlich fixirt, während er bis jetzt nur 
durch Verordnungen und Reglements der Behörden besteht, 
wird man sich über diese wichtige prinzipielle Frage klar 
werden müssen, zumal sie in der That nicht nur juristisch, 
sondern auch social und ethisch von tiefgreifender Bedeu¬ 
tung ist. 

Was nun zunächst die gegenwärtigen Bestimmungen an¬ 
betrifft, so erweist schon ihre Vielgestaltigkeit und Bunt- 
scheckigkeit, dass über das Prinzip selbst Unklarheit herrscht. 
Schon die Verschiedenheit der Bezeichnung der Sache weist 
darauf hin.*) In dem Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes für 
das Deutsche Reich heisst sie „Arbeitsbelohnung“; in Preussen 
nennt sie für die Strafanstalten der Minister des Innern nach 
den im Jahre 1878 revidirten Grundsätzen „Arbeitsprämie“, 
der Justizminister in dem Reglement vom 16. März 1881 für 


*) Vgl. Wirth, Gutachen a. a. 0. XVII. Bd. S. 109. 


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306 


die Gerichtsgefangnisse ^ Arbeitsverdienst -Antheil^, während 
sich in den Ausführungsverfögnngen der weltlichen und kirch¬ 
lichen Behörden daneben die Bezeichnung „Ueberverdienst- 
gelder“ findet. In Bayern ist der Name „Arbeitsverdienst^^; 
in Sachsen: „Arbeitserwerb“, „Gratification*', „Verdienstan- 
theil“, „Arbeitsbelohnung“; in Württemberg: „Nebenverdienst“; 
in Baden: „Guthaben“; in Oldenburg: „Ueberverdienst“ und 
„Gratification“; in Bremen: „Arbeitsprämie“. Die Berechnung 
dieser Prämie erfordert eine ziemlich complicirte Manipulation, 
die gleichfalls in den verschiedenen Ländern nach ganz ver¬ 
schiedenen Grundsätzen erfolgt. In Preussen darf für sämmt- 
liche Gefangene einer und derselben Strafanstalt niemals 
mehr als der sechste Theil der Arbeitslöhne verwendet wer¬ 
den, welche im Laufe des Jahres eingehen. Ein jeder Sträfling 
muss das „Pensum“ abarbeiten, das je nach der Beschäftigungs¬ 
zeit mit der betreffenden Arbeit wiederum in mehreren Ab¬ 
stufungen festgesetzt wird, auch erhöht oder herabgesetzt wer¬ 
den kann. Für das volle Pensum wird eine einfache, für Lei¬ 
stungen über das volle Pensum eine erhöhte Prämie gewährt 
Ersterer Satz darf 5 Pf. nicht übersteigen, letzterer darf drei 
bis vier Mal höher sein; der gesammte Ueberverdienst jedoch 
höchstens 20 Pf. pro Tag betragen. Für Hausarbeit ist eine 
entsprechende Belohnung aus dem Gesammtverdienst der An¬ 
stalt zu zahlen. Die Prämien werden lediglich nach dem Ar¬ 
beitserträge, nicht nach dem sonstigen Verhalten des Sträflings 
bemessen; doch darf bei schlechtem Verhalten die Entziehung 
eines Theiles des Ueberverdienstes als disciplinare Massregel 
von der Direction verhängt werden. Ein Unterschied zwischen 
Rückfälligen und Erstbestraften wird bei Bemessung der Prä¬ 
mien nicht gemacht. — Die Gefangenen der Gerichts¬ 
gefängnisse dagegen erhalten ein Drittel des Ertrages ihrer 
Arbeit gutgeschricben. Sie sind zu angemessener Arbeit im 
Gefängniss anzuhalten, können aber wider ihren Willen zu 
Arbeiten ausserhalb des Gefängnisses nicht gezwungen werden. 
— In Bayern erhalten die erwachsenen Sträflinge einen Theil 
des Arbeitsertrages als Arbeitsverdienst, die jugendlichen Ge¬ 
fangenen dagegen keinen Arbeitsverdienst, sondern ein Geschenk. 
In Sachsen sind die Gefangenen in drei Disciplinarklassen ein- 


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307 


getheilt, und wird denen der dritten Klasse in den Zucht¬ 
häusern ein Drittel, in den Gefängnissen und Correctionshäusern 
ein Viertel abgezogen. Fast durchgehende wird der Ueber- 
verdienst lediglich von dem Arbeitserträge abhängig gemacht, 
hin und wieder von dem Arbeitserträge und dem hei der 
Arbeit bewiesenen Fleisse; sehr selten wie in Oldenburg und 
Bremen auch von dem guten Betragen in der Anstalt. Die 
Wiener Versammlung deutscher Strafanstaltsbeamten will die 
Arbeitsbelohnung nach Massgahe der Arbeitsleistung 
und des dabei angewendeten Fleisses bestimmt sehen 
und nur das schlechte Verhalten des Sträflings mit Ent¬ 
ziehung eines Theiles oder auch des ganzen Arbeitsverdienstes 
bestrafen. — Nimmt man nun weiter die grosse Verschie¬ 
denheit der Löhne hinzu, welche von den Arbeitgebern für 
diese oder jene Industrie, ja für denselben Industriezweig in 
verschiedenen Gegenden gezahlt werden, so kann man sich 
nicht wundern, dass der thatsächliche Arbeitsertrag und dar¬ 
nach auch der thatsächliche Verdienstantheil der Gefangenen 
ein sehr variirender, sogar in derselben Provinz ist. Der 
Netto-Arbeitsertrag eines Gefangenen betrug pro Kopf und 
Arbeitstag nach der amtlichen Statistik pro 1877/78 in den 
unter dem Ministerium des Innern stehenden Anstalten Schlesiens 
zwischen 30 und 72 Pf.*) Darnach variiren auch die Arbeits- 
verdienstantheile bedeutend, zwischen 4,88 und 10,63 Pf.**) 
pro Tag und Kopf. 

Wird weiter, wie in Preussen, kein Unterschied gemacht 
bei Bemessung des Ueberverdienstes zwischen Erstbestraften 
und Rückfälligen, so tritt die Differenz noch unliebsamer da¬ 
durch hervor, dass gerade der routinirte Zuchthäusler weitaus 
im Vortheil ist gegenüber seinen noch ungeschulten Genossen. 
Er ist mit dem ganzen Arbeitsbetrieb einer Anstalt und zumal 
derselben Anstalt, in die er zurückzukehren pflegt, und der- 


*) Breslau 30,84, Brieg 72,19, Strlegau 56,04, Janer 51,56, Görlitz 
66,73, Sagan 40,54, Ratibor 62,92 Pf. 

Breslau 5,04, Brieg 9,10, Striegau 7,35, Jauer 10,63, Görlitz 9,37, 
Sagan 4,88, Ratibor 7,14 Pf., wobei allerdings der Unterschied zwischen 
dem geringeren Ertrage der Frauenarbeit (Breslau-Filiale und Sagan) im 
Yerhältniss zur Männerarbeit nicht ausser Acht zu lassen ist. 


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selben Arbeit, bei der er wieder beschäftigt wird, so vertraut, 
dass ihm das volle Pensum gar keine Schwierigkeit macht, 
und dass gerade er ohne jede Ueberanstrengung es bis zum 
Höchstbetrage des Ueberverdienstes bringt. Er erwirbt so 
pro Jahr ohne allzu grosse Mühe 40, 50, auch mehr Mark, 
d. h. er erspart sie neben freier Verpflegung und Wohnung. 
Beides hat er in der Freiheit selten so gut wie in der Anstalt; 
daneben spart er noch ein Erkleckliches,*) was ihm draussen 
auch schwerlich passirt und — für Weib und Kind draussen 
mögen Andere sorgen! Ist er nicht viel besser und „sorgen¬ 
freier^ daran als der freie Arbeiter, der kleine Beamte, die 
im Schweisse des Angesichtes oft kaum ihre Familie erhalten 
und jedenfalls in den seltensten Fällen etwas erübrigen können? 
Denn das, was dem Anderen die Freiheit als köstliches Gut 
des Lebens ist, das achtet der Verbrecher mit dem Grade 
seiner Rückfälligkeit immer geringer. 

Dies sind alles ernste Erwägungen, die nicht blos gegen 
die jetzige schablonisirende und mechanisch berechnende Art 
der Vertheilung des Ueberverdienstes lediglich nach Massgabe 
des Arbeitsertrages der Einzelnen, sondern vor Allem gegen 
jeden Rechtsanspruch des Gefangenen auf den Ueberverdienst 
überhaupt sprechen. Diese vom Professor Wahlberg vertretene 
Auffassung ist unseres Erachtens überzeugend schon auf der 
Wiener Versammlung widerlegt worden. Wäre der Gefangene 
lediglich zur Freiheitsstrafe verurtheilt, nicht aber zur Confis- 
cation seiner Arbeitskraft, weil das Gesetz dies nicht ausdrück¬ 
lich über ihn verhängt, so würde daraus folgen, dass ihm das 
„Recht auf Arbeit“, ja mehr noch das Recht auf eine, seinen 
Gaben und seinem Berufe entsprechende und auch genügend 
lohnende Arbeit während der Haft zustehe und der Staat ver¬ 
pflichtet ist, diese Arbeit ihm zu schaffen, da der Gefangene 
durch die Freiheitsentziehung selbst dazu nicht in der Lage 
ist. Der Sträfling soll nach Wahlberg zwar für die Kosten 


*) Die Verdienstantheile der Zuchthausgefangenen betrugen pro 1877/78 
zusammen 369024«/^ Die einzelnen für diese Gefangenen bei den Ansialts- 
kassen verwalteten Massen betrugen bis zu 12203, — von 30—150«/^: 

4551, — von 150—300,/^: 378, — über JL: 53. (Amtliche Statistik 
S. 14, 30.) 


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309 


seiner Inhaftirung dem Staate aufkommen, aber auch nur 
seiner Inhaftirung. Also die kostspieligen Gefangnissbauten, 
das Aufsichtspersonal, Lazareth, Kirche, Schule, allgemeine 
Betriebskosten dürften darnach nicht den Gefangenen auf ihr 
Conto angerechnet werden, sondern nur das, was der Einzelne 
an Kost und Wohnung und Arbeitsmaterial braucht. Wird 
nicht die Strafanstalt so unversehens zum Hotel, wo man Logis, 
Service, Kost und baare Auslagen bezahlt, nur dass man nicht 
nach Belieben aus- und eingehen darf? Mit Recht hat Straf- 
anstaltsdirector Strosser in Wien darauf hingewiesen, dass, 
wenn der Sträfling bezahlen sollte, was der Strafvollzug über¬ 
haupt pro Kopf dem Staate kostet, wohl schwerlich selbst sein 
ganzer Arbeitsverdienst ausreichen würde.*) Es ist aber vor 
Allem, wie wir meinen, eine prinzipiell falsche ethische Auf¬ 
fassung der Strafe, die jenen Anschauungen zu Grunde liegt, 
nicht blos falsch, weil sie zu den ungeheuerlichsten Conse- 
quenzen führen würde, sondern auch weil sie gegen das Wesen 
der Strafe selbst ist, auch den wahren Werth der Arbeit ver¬ 
kennt. Die Strafe ist als Vergeltung, als Sühne der Rechts¬ 
verletzung keineswegs blos Freiheitsentziehung, sondern Frei¬ 
heitsentziehung mit all’ den Consequenzen, welche das 
sittlicl^e und bürgerliche Leben an die Freiheit 
knüpft. Wie der Gefangene nicht in der Lage ist, seine 
Ehe fortzusetzen, seinen häuslichen, beruflichen, communalen 
und politischen Pflichten während der Haft zu genügen, resp. 
die damit verbundenen Rechte auszuüben, weil dies Alles nur 
Blüthen und Früchte auf dem Baume der Freiheit, der 
persönlichen wie der bürgerlichen sind: so ist auch seine 
Stellung zur Arbeit während der Haft eine wesentlich ver¬ 
änderte. Man vergegenwärtige sich das System der Freiheits¬ 
strafen im geordneten Staatswesen, und man wird erkennen, 
dass nicht blos die Entziehung der Freiheit, sondern die sitt¬ 
lichen Consequenzen, die sich daran knüpfen, auch in Bezug 

*) Der Unterhaltungskostenzuschuss aus dem allgemeinen Staats¬ 
fonds betrug für das Jahr 1877/78 pro Kopf für die schlesischen Straf¬ 
anstalten zwischen 128 ^ (Ratibor) und 262 JL (Breslau), als auch im 
günstigsten Falle immer noch fast 40 Pf. pro Kopf tüglich. (Amtliche 
Statistik S. 229.) 


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auf die Arbeit, dem Grade der Sühne für die verschiedene 
Rechtsverletzung genau entsprechen. Stellen Haft, Gefängniss, 
Zuchthaus die Scala der Freiheitsstrafen dar, so sind frei¬ 
willige Beschäftigung in der Haft, angemessene Arbeit inner¬ 
halb des Gefängnisses, Arbeitszwang und Zwangsarbeit im 
Zucbthause die entsprechenden Correlate. Von einem Arbeits¬ 
verdienst-Anspruch des Inhaftirten kann da doch weder im 
Gefängniss, noch im Zuchthause die Rede sein, weil eben die 
Freiwilligkeit gegenüber der Arbeit auf hört, weil mit der Ab¬ 
erkennung der Freiheit auch die Freiheit und der freie Ver¬ 
dienst in Bezug auf die Arbeit von selbst aberkannt ist, 
während die Haft nur als Beschränkung der Freiheit er¬ 
scheint. Darum wird ein in Festungshaft Befindlicher auch 
in Bezug auf seine bürgerliche Ehre, auf seine politischen 
Rechte, auf seine ganze Lebensweise während der Strafzeit 
mit Recht prinzipiell anders behandelt, als ein Gefängniss- 
gefangener und zumal ein Zuchthausgefangener. 

Consequent steht also dem Sträfling überhaupt kein Ver¬ 
dienst und also auch kein Verdienst-Antheil, viel weniger 
ein Ueberverdienst für seine Arbeit zu, obwohl er oder auch 
gerade weil er dem Arbeitszwange unterworfen ist. Auch die 
Namen „Arbeits-Prämie^^, „Arbeits-Belohnung“ sind nur 
zu missverständlich; denn nicht Lohn, sondern Strafe hat der 
Sträfling verdient und abzubüssen. Er ist dem Staate ver¬ 
fallen mit seiner Freiheit und seiner gesammten darin wurzeln¬ 
den Existenz zur Sühne der verletzten Rechtsordnung. Das 
ist das ideelle und ethische Moment in der Strafe, das den 
reichen wie den armen Verbrecher schonungslos trifft; denn 
materiell ist er nicht und soll er nicht im Stande sein, sein 
Unrecht dadurch zu sühnen, dass er die „auf ihn gewandten 
Kosten des Strafvollzuges“ aus dem Ertrage seiner Arbeit oder 
gar seines Vermögens bezahlt. Sonst würde ja der wohl¬ 
habende Zuchthäusler viel besser daran sein als der arme. Er 
würde einfach die auf ihn fallenden Kosten des Strafvollzuges 
bezahlen und dann lediglich die Freiheitsentziehung zu tragen 
haben, zu der er verurtheilt ist, d. h. der Geldbeutel 
würde den Zuchthausgefangenen zum Haftgefan¬ 
genen machen können. — So müssen wir uns mit aller 


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311 


Entschiedenheit auf den Standpunkt stellen, den die mass¬ 
gebenden Bestimmungen des Strafvollzuges einnehmen, und 
den auch weitaus der grösste Theil der Strafvollzugsbeamten 
vertritt, dass die Gewährung des sogenannten Ueber- 
verdienstes nicht den Charakter des Lohnes, son¬ 
dern lediglich den der freien Wohlthat gegenüber 
all’ den Gefangenen hat, die sich nicht durch ihr 
schlechtes Verhalten auch selbst dieser Wohlthat 
unwürdig machen. 

Und trägt nicht, wie der Ueberverdienst, so die Arbeit 
selbst in hohem Maasse diesen Charakter einer Wohlthat 
für den Gefangenen an sich? Den Charakter der Strafe 
hat sie jedenfalls nur so weit, als der Zwang zur Arbeit vor¬ 
liegt und das Individuum diesen Zwang nicht als Wohlthat, 
sondern als Pein empfindet, wie es bei vielen arbeitsscheuen 
Individuen im Correctionshause, dem Arbeitshause quand mfeme, 
wirklich der Fall ist. Auch den Charakter der Sühne hat sie 
nur insofern, als der allgemeine Grundsatz: „Jeder Arbeiter 
ist seines Lohnes werth,^ für die Gefangenen nicht besteht, 
die vielmehr wegen der durch sie veranlassten physischen und 
moralischen Schädigung der Gesellschaft „ihren Lohn dahin- 
haben*^. Auch der opportunistische Charakter der Arbeit, 
dass sie aus Rücksicht der Gefängnissdisciplin unerlässlich sei, 
ist doch immer nur ein Nebenzweck, und wir können uns 
darum der Motivirung der Ueberverdienstgelder aus diesen 
Gesichtspunkten allein oder auch nur vorwiegend in keiner 
Weise anschliessen, wie sie bei Bauer a. a. O. S. 141 gegeben 
wird: ^Die Arbeitsgeschenke sind demnach für alle Straf¬ 
anstalten, insbesondere aber für die Einzelhaft unentbehrlich. 
Sie sind bei der bei den Gefangenen vorherrschenden Selbst- 
und Gewinnsucht — (Sir P. Lauris sagt: „Der Gefangene hat 
nur ein Motiv, das ist sein Ich“) — nicht nur die einzige 
Triebfeder zu angestrengter und guter Arbeit, sondern ersetzen 
auch in weitaus den meisten Fällen die Mittel, welche zur 
Verhütung von Schlendrian, Gemächlichkeit und Trägheit in 
der Arbeit sonst in Anwendung gebracht werden müssten.“ 
Heisst das nicht, die Ethik der Opportunität unterordnen? die 
in der Sünde und im Verbrechen offenbar gewordene Selbst- 


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sucht dadurch auszurotten suchen, dass man wiederum die 
Selbstsucht des Gefangenen möglichst anstachelt, um sie für 
staatliche Zwecke auszunutzen? Das ist ja selbstredend nicht 
die Absicht dieser Einrichtung — vielmehr das gerade Gegen- 
theil — aber vielfach der Erfolg. Zum Mindesten schillert 
die ganze Einrichtung so zwischen ethisch trefflichen und 
ethisch bedenklichen Motiven und namentlich Erfolgen, dass 
uns ihr Werth bei der jetzigen Einrichtung zweifelhaft dünkt. 
Denn das ist doch wohl keinem Zweifel unterworfen; der Ge¬ 
fangene, zumal bei seiner meist geringen moralischen und 
intellectuellen Bildung, fasst das Geld, das ihm wöchentlich 
oder monatlich nach so complicirten Manipulationen bei Be¬ 
rechnung seines Arbeitsertrages in seinem besonderen Conto- - 
buche gutgeschrieben und noch dazu „Ueberverdienst“, 
„Arbeitsverdienstantheil“ genannt wird, lediglich als sein gut 
erworbenes Recht, als sein Eigenthum, sein Verdienst 
auf. Er dankt dem Staate wirklich nicht dafür als für eine 
Wohlthat, die ihm ganz unverdient zu Theil wird, son¬ 
dern ist nur innerlich unzufrieden durüber, dass ihm nicht der 
ganze Arbeitslohn zufällt und beschwert sich auch wohl über 
„Verkürzung oder falsche Berechnung seines Arbeitsverdienstes“. 

Und weiter, wie die Festsetzung der Arbeitsbelohnung 
lediglich nach Massgabe des Arbeitsertrages und darum in 
sehr complicirter und durch ihre Auffassung bei den Gefan¬ 
genen sehr bedenklicher Weise muss auch die Verwendung 
derselben gegen die ganze Institution oder doch ihre gegen¬ 
wärtige Handhabung bedenklich machen. Bis zur Hälfte kann 
der Gefangene nach den bestehenden Bestimmungen über sein 
Arbeitsguthaben unter Genehmigung der Direction verfügen, 
um die Kosten der Correspondenz mit der Heimath, auch 
kleine Unterstützungen für die Seinen daraus zu bestreiten 
oder sich „Extragenüsse“ in der Anstalt: Kostverbesserung, 
Tabak, das Halten von Blumen oder auch eines Vogels, sofern 
es gestattet wird, dadurch zu ermöglichen. Das erste, das 
Band mit der Heimath, mit Weib und Kindern ist in der That 
einer der stärksten Hebel der sittlichen Einwirkung auf den 
Gefangenen, den wir durchaus nicht aufgeben wollen, ohne 
dass jedoch die Institution des Ueberverdienstes in ihrer jetzi- 


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gen Gestalt dazu in Anspruch genommen zu werden braucht 
Gegenüber dem Andern aber müssen wir uns abweisend ver¬ 
halten. Weder „Genüsse“ noch „Extragenüsse“ hat eine Straf¬ 
anstalt dafzubieten, sondern zu strafen.*) Wahrhaft erfreu¬ 
lich war es daher für uns, als auf der gedachten Wiener Ver¬ 
sammlung einem der Redner gegenüber, der sich bis zu der 
Behauptung verstieg, die Gefangenen würden lieber wieder 
Kette und Kugel sich anschmieden lassen, als auf den Tabak 
verzichten, ein österreichischer Strafanstaltsdirector bezeugte, 
dass in seiner Anstalt an einem Tage der Gebrauch des 
Tabaks gänzlich aufgehoben worden sei, ohne dass irgend 
welche nachtheiligen Folgen für Gesundheit oder gar das 
Leben der Inhaftirten hervorgetreten seien, und demzufolge 
auch die Versammlung mit grösserer Majorität beschloss: „Die 
Beschaffung von Tabak für die Gefangenen ist ausgeschlossen.“ 
Wir meinen, alle Extragenüsse seien für die Strafanstalt aus¬ 
geschlossen. Ist ein Nahrungsmittel für den Gefangenen um 
seiner Gesundheit willen nothwendig, so mag es ihm auf 
Anordnung des Arztes gerade so wie die Medicin unentgelt¬ 
lich gereicht werden. Nicht aber'soll der routinirte Zucht¬ 
häusler, der das meiste Arbeitsguthaben macht, dadurch in 
den Stand gesetzt werden, möglichst gut im Gefängniss zu 
leben, so wie es der Neuling und relativ Unverdorbene, der 
Kurzzeitige, der nur wenig Nebenverdienst hat, nicht vermag. 
Auch gegen Blumen oder Vögel in den Isolirzellen muss sich 
Referent kritisch verhalten. Es sind das Alles Beiträge zu 
der nicht unberechtigten Klage, dass der Strafvollzug durch 
alle solche Dinge an seinem Ernste und seiner nachdrücklichen 
Strenge, ohne die er illusorisch wird, leicht Einbusse leide 
und einer sogenannten Humanität, d. h. richtiger Sentimentalität 
Raum gebe, die zwar eine viel verbreitete Krankheit der Zeit 
ist, die aber überall eher angebracht ist als in Strafanstalten. 

Der wichtigste Zweck aber der UeberVerdienstgelder ist 

*) Von den Gefangenen wurden pro 1877/78 verausgabt zur eigenen 
bessern Verpflegung und sonstigen erlaubten Aufwendungen 237 857 JU 
(darunter 77 313 Liter Bier), dagegen zur Unterstützung für Angehörige 
nur 24077 also nur etwa der zehnte Theil von dem, was sie an sich 
selbst gewandt haben. (Amtl. Statist. S. 8, 32.) 


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endlich die Fürsorge für den Gefangenen nach seiner 
Entlassung. Gewiss ist dies eine hochwichtige Angelegen¬ 
heit; ist doch nur zu sehr bekannt, wie schwer dem Entlassenen 
der Wiedereintritt in’s bürgerliche Leben gemacht wird! Hat 
er auch seinerseits durch seiner Hände Arbeit während der 
Strafzeit dazu mitwirken können, dass eine Summe Geldes an¬ 
gesammelt worden, aus der Obdach und Nahrung, Kleidung 
und Handwerkszeug für die erste besonders schwere Zeit nach 
der Entlassung bestritten werden können, — sollte dies nicht 
von hohem, nicht blos socialem, sondern auch ethischem Werthe 
und ein mächtiger Hebel für die Besserung des Gefangenen, 
für seinen Fleiss und sein gutes Betragen in der Anstalt sein ? 
Wer sollte dies verkennen? Alles wird freilich darauf an¬ 
kommen, dass die Ueberverdienstgelder dem Entlassenen in 
verständiger und für sein Fortkommen wahrhaft dienlicher 
Weise ausgezahlt werden. Die Fälle werden die wenigsten 
sein, wo die Persönlichkeit des Entlassenen die volle Garantie 
dafür bietet, dass er selbst den besten Gebrauch von diesem 
Gelde, dessen Betrag bei Langjährigen hier und da bis über 
300 JL binausgeht, zu machen wissen wird, und dass man ihn 
deshalb am besten in stiller Verborgenheit sich selber retabliren 
lassen möge, ohne ihn zu nöthigen, vor Polizei oder Gemeinde- 
Kircbenrath zu erscheinen, um sich das Geld ratenweise aus¬ 
zahlen zu lassen. In den allermeisten f'ällen aber lässt sich 
ein guter Gebrauch der Freiheit und darum auch des Ueber- 
verdienstes bei den Entlassenen nicht voraussetzen oder vor¬ 
aussehen. Baüinirte Verbrecher betragen sich meist in der 
Strafanstalt ganz gut und eignen sich unschwer auch das 
Bischen „Zuchthausfrömmigkeit^ an, während sie mit dem Ver¬ 
lassen der Gefängnissmauern oft sofort wieder in. die Ver- 
brecberlaufbahn einlenken, wozu der gerade ihnen reichlich 
zugefallene Ueberverdienst auch noch die Mittel an die Hand 
giebt. Bessere Gefangene sind oft so sehr der Freiheit ent¬ 
wöhnt, dass die Luft draussen sie benimmt und berauscht, 
und sie, wie die Kinder, das Geld oft recht unnütz anwenden, 
ja vergeuden. Leichtsinnige Burschen verjubeln es in wenigen 
Tagen, um dann sofort wieder der Polizei in die Hände zu 
^ llen. Ein nach Marklissa entlassener Cigarrenarbeiter, der 


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ein Arbeitsguthaben von 100 JL erworben und dessen Aus¬ 
zahlung ertrotzt hatte, kaufte sich auf dem Markte Essvvaaren, 
wovon er allerlei Gesindel freihielt, nahm dann am dritten 
Tage eine Fuhre für hohen Lohn nach Lauban, wo er Wein 
trank, aus der Betrunkenheit gar nicht mehr herauskara und 
zuletzt das baare Geld öffentlich ausstreute. Am dritten Tage 
waren die 100 t4L verjubelt und ausserdem ein Theil seiner 
Kleidungsstücke wieder verkauft. Seitdem vagabundirt er. 
Und das ist nur ein Beispiel für viele! Freilich, der Miss¬ 
brauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf; solche Fälle 
zeigen aber, wie weise und nothwendig es ist, dass der Ueber- 
verdienst nicht an den Entlassenen selbst, sondern, wie es die 
Bestimmungen des Ministers des Innern und des Justizministers 
vorschreiben, an die Polizeibehörde des Heimaths- resp. des 
Ortes ausgezahlt wird, wohin der Gefangene entlassen zu wer¬ 
den beantragt, mit dem ausdrücklichen Hinzufügen, dass der¬ 
selbe so verwandt werden soll, wie es im Interesse des Ent¬ 
lassenen am dienlichsten scheint. Daraus folgt klar, dass nach 
den behördlichen Bestimmungen die auszahlende Stelle nicht 
nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Prüfung hat, wie 
im einzelnen Falle die Gelder zu verwenden, und ob sie in 
Raten resp. in welchen zu erheben sind. Dass dies den meisten 
Entlassenen als eine sehr unbequeme Beeinträchtigung ihres 
Verfügungsrechtes erscheint, und dass sie Alles thun, um durch 
Winkelzüge: Veränderung des Aufenthaltsortes, fingirte Be¬ 
schäftigung oder auch wirkliche Arbeit, die sie sofort wieder 
verlassen, sobald sie das Geld haben, das letztere möglichst 
bald herauszukriegen, ist offenkundig, sowie auch dass die 
Polizeibehörde oft gar nicht in der Lage ist, so eingehend 
und innerlich sich um das Fortkommen des einzelnen Ent¬ 
lassenen zu kümmern, als es namentlich in der ersten schweren 
Zeit dringend nothwendig ist, und dass so das Geld bei laxer 
Handhabung möglichst schnell oder bei zu strenger Hand¬ 
habung in so kleinen Raten ausgezahlt wird, dass der Ent¬ 
lassene wirklich nichts damit anfangen kann. Mit einem Worte: 
es handelt sich hier nicht so sehr um ein polizeiliches Geschäft, 
sondern um eine sehr mühsame und sehr verantwortungsreiche 
Function der suchenden und helfenden Liebe, die also viel 


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mehr der christlichen Gemeinde oder in deren Unterstützung 
der freien Liebesthätigkeit der Innern Mission zuzuweisen sein 
wird. In richtiger Würdigung dessen ist zuerst in Schlesien 
seit 1882 der Versuch gemacht worden, die Organe der evan¬ 
gelischen Kirchengemeinden, denen verfassungsmässig die Für¬ 
sorge auch für die Verwahrlosten obliegt, mit der Verwaltung 
der Ueberverdienstgelder zu betrauen. Auf den Antrag des 
Königl. Consistoriums haben der Oberpräsident der Provinz 
mit Genehmigung des Ministers des Innern zunächst versuchs¬ 
weise für die Strafanstalten und der Oberstaatsanwalt für die 
Gerichtsgefängnisse die Anordnung getroffen, dass diese Gelder, 
sofern sie über 3 JL betragen, für die evangelischen Entlassenen 
nicht mehr an die Polizeibehörde, sondern an den Gemeinde- 
Kirchenrath des Ortes, wohin der Gefangene entlassen wird, 
oder, falls ein besonderer Fürsorge-Verein für die Entlassenen 
daselbst besteht, an diesen ausgezahlt und nach bestem Er¬ 
messen im Interesse des Entlassenen verwendet werden. Diese 
Massregel, die, wenn sie sich bewährt, auch unschwer auf die 
katholischen Entlassenen ausgedehnt werden kann und soll, 
ist der Gegenstand vieler Erörterungen in den Gemeinden und 
auf den Synoden der Provinz, ja weit über die Grenzen der¬ 
selben hinaus gewesen. Auch von der Rheinisch-Westfälischen 
Gefängnissgesellschaft ist unter Hinweis auf Schlesien eine ähn¬ 
liche Einrichtung beantragt worden, nur mit dem Unterschiede, 
dass man die Massregel dort nur auf die Gefangenen ange¬ 
wandt wissen will, die vor der Entlassung ausdrücklich sich 
wie mit der Fürsorge überhaupt so mit der Verwaltung ihrer 
Ueberverdienstgelder seitens des Gemeinde-Kirchenrathes resp. 
des Fürsorge-Vereins einverstanden erklärt haben. Man sieht 
in der schlesischen Einrichtung eine andere Art von Polizei¬ 
zwang, eine erdrückende Umarmung, die dem Wesen der freien 
christlichen Liebesthätigkeit zuwider sei. Wohlthaten würden 
nicht aufgedrängt. Wer die Hand der helfenden Liebe nicht 
annehmen wolle, möge selbst seine Haut zu Markte tragen. 
Dies war auch die Anschauung, welche die Wiener Versamm¬ 
lung 1883 beherrschte. Beschränkt man nach diesen Anschau¬ 
ungen die Massregel auf diejenigen, welche sich damit ein¬ 
verstanden erklären, so vermeidet man dadurch die Schwierig- 


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317 


keit allerdings, die in der Rechtsfrage liegt, ob der Ueber- 
verdienst der Gefangenen, wo nicht schon während der Straf¬ 
zeit, so doch wenigstens mit dem Augenblick der Entlassung 
ihr rechtmässig erworbenes Eigenthum wird. War er auch 
ursprünglich nur eine bedingungsweise gegebene Wohlthat 
seitens des Staates: jetzt sind seine Empfänger keine Gefan¬ 
genen mehr; jetzt ist das freie Geschenk des Staates ihr recht¬ 
mässiges Eigenthum geworden, das ihnen wohl an der oder 
jener Stelle ausgezahlt wird, über welches aber lediglich sie 
selbst das Verfügungsrecht haben. Wird auch durch behörd¬ 
liche Verordnung die Dispositionsbefugniss an die Polizei oder 
den Gemeinde-Kirchenrath übertragen, so präjudicirt diese 
Massregel ihrem Recht in keiner Weise, d. h. dieselbe besteht 
nur so lange zu Recht, als der Einzelne und soweit er sich 
dieselbe gefallen lässt. Diese Deduction, also auch die An¬ 
fechtbarkeit der betreffenden Bestimmung vor dem Richter, 
haben wir vielfach von tüchtigen Juristen gehört. Ob sie be¬ 
gründet ist, darüber steht uns ein competentes Urtheil nicht 
zu; jedenfalls aber mahnt sie zur Vorsicht auf diesem Gebiete 
christlicher Liebesthätigkeit umsomehr, als auch die inneren 
hierbei in Betracht kommenden Factoren keineswegs klar und 
entschieden für die Aufrechterhaltung der Institution in der 
jetzigen Form sprechen. Die von der Rheinisch-Westfälischen 
und der Wiener Versammlung vertretene Anschauung vermeidet 
allerdings, wie schon bemerkt, die gedachte rechtliche Schwie¬ 
rigkeit; denn wenn der Gefangene vor seiner Entlassung in 
diese Art der Verwaltung seines Ueberverdienstes ausdrück¬ 
lich einwilligt, so geht er damit freiwillig eine Art Vertrag 
mit dem pflegenden Verein resp. dem Gemeinde-Kirchenrath 
ein, wodurch er seines Dispositionsrechtes unter der Bedingung 
der Fürsorge für ihn sich begiebt. Freilich dürfte auch dieser 
Vertrag ihn nur so lange binden, als er nicht davon ausdrück¬ 
lich wieder zurücktritt. Will er dies, — und wie Wenige 
werden der Versuchung widerstehen, nach dem Verlassen des 
Gefängnisses, wo die Zucht der Anstalt nicht mehr auf sie 
einwirkt, sich in den Besitz der oft recht ansehnlichen Gelder 
möglichst bald zu setzen! so kann auch bei dieser Einrich¬ 
tung Missbrauch in keiner Weise verhütet werden, falls dem 

Blfttter für Gefängnieekunde. XIX. 21 


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318 


Gefangenen wenigstens nach seiner Entlassung ein Recht auf 
sein Arbeitsguthaben zusteht. Ja weiter, viele Gefangene wer¬ 
den durchaus nicht geneigt sein, die Fürsorge des Vereins 
oder des Gemeinde-Kirchenrathes unter der Bedingung 
nachzusuchen oder sich gefallen zu lassen, dass die Ueber- 
verdienstgelder an die betreffende Stelle ausgeantwortet wer¬ 
den. Nur Wenige dürften den socialen und vor Allem den 
moralischen Werth dieser Einrichtung so hoch scliätzen und 
so richtig würdigen, dass sic selbst ihr Dispositionsrecht über 
die gedachten Gelder dafür gern daran geben. 

Wir machen ferner auf die mancherlei geschäftlichen 
Schwierigkeiten aufmerksam, die aus diesem zwiespältigen 
Verfahren bei Uebersendung dieser Gelder theils an die 
Polizeibehörde, theils an den Gemeinde-Kirchenrath für die 
Anstalt erwachsen, während unseres Erachtens doch ein ein¬ 
heitliches Verfahren hier sehr zu empfehlen ist. , Auch er¬ 
halten auf diese W^eise die Fürsorge-Vereine, namentlich in 
grösseren Städten keinerlei Uebersicht darüber, wie Viele oder 
wie Wenige von den aus den verschiedenen Gefängnissen und 
Strafanstalten Entlassenen die Fürsorge überhaupt annehmen 
oder verschmähen. Zuletzt — und nicht am letzten! — scheint 
uns in der That ein gelinder Zwang gerade gegenüber dem 
Gefangenen bei seiner Entlassung durchaus zweckentsprechend 
zu sein. Gerade bei der oben geschilderten Unfähigkeit oder 
auch dem bösen Willen der Entlassenen gegenüber, ihr Geld 
ordentlich anzuwenden, scheint es uns Angesichts der wohl- 
thätigen Absichten des Staates, dass gerade das ehrliche Fort¬ 
kommen und die Besserung durch den Ueberverdienst gefördert 
werden sollen, durchaus angemessen^ die Entlassenen ohne 
Ausnahme an die Stelle zu weisen, wo materiell und mo¬ 
ralisch beides am ehesten gesichert scheint, die kirchlichen 
Gemeindeorgane oder, in grossen Städten, die mit den letzteren 
in organische Verbindung gesetzten Fürsorge-Vereine. Es ist 
dies ein heilsames Gegengewicht gegen die grossen Schäden 
der Freizügigkeit. Es ergiebt dies ein einheitliches Verfahren 
und eine klare Uebersicht. Vor Allem bringt es dem Ent¬ 
lassenen seine Zugehörigkeit zur Einzelgemeinde nicht nur, 
sondern zum Leibe Christi, der Kirche des Herrn, gerade in 


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319 


dem Augenblick klar zum Bewusstsein, wo er dieses Bewusst¬ 
seins und der thatkräftigen Hilfe so wie nie bedarf. Er wird 
seinem Seelsorger noch einmal gegenübergestellt; er darf noch 
einmal die dringende Liebe Christi, die herzlichen Ermahnun¬ 
gen und hilfreichen Anerbietungen zur Neugestaltung des Lebens 
erfahren. Will er dann nicht, nun wohl, dann möge er in der 
That „seine Haut zu Markte tragen“; er wird aber dann nicht 
sagen können, dass die suchende Liebe nicht Alles ihm gegen¬ 
über gethan habe. In rechter Würdigung dieser innersten Fak¬ 
toren christlicher Fürsorge für Gefangene und Entlassene er¬ 
scheinen alle uns nur zu sehr bekannten Einwendungen gegen 
diese Institution als unbegründet oder doch untergeordnet. 
Sagt man, dass durch dieselbe der ohnehin schon mit zu vielen 
Aeusserlichkeiten belastete Pastor noch mehr mit solchen über¬ 
bürdet würde, so ist zu erwidern, dass diese Fürsorge durch¬ 
aus nicht Sache blos des Geistlichen, sondern des ganzen Ge- 
meinde-Kirchenrathes ist, dem dies, abgesehen von den Vor¬ 
schriften der Gemeindekirchen - Ordnung, auch durch Pflicht 
und Gewissen obliegt. Bei richtiger Einriclitung können für 
jeden Gefangenen schon einige Wochen vor seiner Entlassung 
in seiner Heimathsgemeinde die Hände bereit und ihm auch 
mitgetheilt sein, in die er nach seiner Entlassung überzugehen 
hat, d. h. in kleineren Gemeinden kann für jeden einzelnen 
Fall vom Geistlichen im Vereine mit dem Gemeinde-Kirchen¬ 
rath ein Pfleger oder auch eine Pflegerin aus der Mitte der 
Aeltesten oder der andern Gemeindemitglieder im Voraus be¬ 
stimmt werden, an den dann auch die Ueberverdienstgelder 
gezahlt werden, an den der Entlassene gewiesen wird, nach¬ 
dem er von dem Geistlichen ein seelsorgerisches, ernstes Wort 
gehört hat. Diesem Pfleger liegt dann auch die weitere Für¬ 
sorge ob. Er wird mit dem Entlassenen im Verein berathen, 
wie die Gelder am zweckdienlichsten anzuwenden sind, und 
der Entlassene wird am ehesten damit zufrieden sein, wenn 
er die Wege zu seiner Rehabilitirung also schon in etwas 
geebnet, Unterkommen oder Arbeit vorbereitet findet. Treten 
aber einzelne Patrone dabei frech und unverschämt auf, wie 
es ja nicht selten vorkommt, fordern sie mit Drohungen ihr 
gesammtes Geld, so mag es ihnen ja nach ernster Mahnung 

21 ♦ 


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nicht vorenthalten werden, der Pfleger wird aber gut thun, 
der Polizeibehörde eine kurze Anzeige zu machen, damit sie 
ein doppelt scharfes Augenmerk auf den Betrefienden habe, 
wie es überhaupt gut sein wird, dass sich der Gemeiiide- 
Kirchenrath resp. der Fürsorge-Verein und die Polizeibehörde 
mit Bezug auf die Entlassenen gegenseitig auf dem Laufenden 
erhalten, gerade auch im Interesse der besseren Elemente 
unter den Entlassenen und der möglichsten Milderung der 
etwa auch über diese verhängten Polizeiaufsicht. Hat man 
aber den wohlmeinenden Vorschlag gemacht, die Arbeit zwi¬ 
schen dem Gemeinde-Kirchenrath und der Polizeibehörde so 
zu theilen, dass der Geistliche zwar die Anweisung auf die 
nach seinem Ermessen ratirliche Auszahlung des Geldes, die 
Polizei aber die Auszahlung haben soll, weil man meint, 
der letzteren Behörde gegenüber werde Frechheit schon ver¬ 
stummen, so ist letzteres zwar richtig, aber die beabsichtigte 
Wirkung an der andern Stelle dürfte fehlen. Im Gegentheil, 
der Entlassene „merkt die Absicht und wird verstimmt“. Er 
wird immer — und mit Recht — beim Geistlichen seine For¬ 
derungen und eventuell seine Schmähungen anbringen, wenn 
ihm das Geld gegen seine Wünsche vorenthalten wird; ja sein 
Auftreten dürfte um so frecher sein, als er dem Geistlichen 
abmerkt, dass dieser nicht Muth hat, den vollen Muth der 
Wahrheit und der dienenden Liebe. Dazu aber muss der 
Geistliche in seinem Amte überall bereit sein, auch Schmähun¬ 
gen auf sich zu nehmen, wenn es die Schmach Christi ist. 
Hier gerade kann und soll er mit dem Muth und mit der 
Wahrheit der Liebe Christi Alles thun und Alles tragen, auch 
die ganze Verantwortung; nicht aber sich zur Anweisungs¬ 
stelle für die Auszahlung des Ueberverdienstes machen lassen. 
Bei der rechten Organisation kann und wird es ihm überdies, 
wie schon zuvor bemerkt, auch hierbei an Helfern aus dem 
Gemeinde-Kirchenrath und der Gemeinde nicht fehlen. Schwie¬ 
riger gestaltet sich freilich die Sache in grossen Städten, 
wo die Gemeinde-Kirchenräthe diese Pflicht der Fürsorge an 
freie Vereine delegirt haben, in denen sie am besten, wie in 
dem Breslauer Verein, organisch vertreten sind. Hier wird 
bei der Häufigkeit der Fälle, der Grösse der Gemeinde, die 


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321 


eine persönliche Bekanntschaft des Geistlichen mit dem Ent¬ 
lassenen in den allermeisten Fällen ausschliesst, der Verein die 
Instanz sein, an welche der Entlassene und sein Ueberverdienst 
zu adressiren sind. Ist, wie in Breslau, der Verein nach den 
Bezirken der einzelnen Kirchgemeinden in Subcommissionen 
getheilt, so wird es unschwer sein, bei rechtzeitiger Anmel¬ 
dung des Entlassenen, d. h. mindestens vier Wochen vor dem 
Entlassungstermine, wie es vorgeschrieben ist, ihn der Com¬ 
mission zuzuweisen, in deren Bezirk er zurückkehrt; oder, 
sofern er keine bestimmte Wohnung hat, ihn der Commission 
zuzutheilen, in deren Bezirk Arbeit oder doch zunächst Ob¬ 
dach für ihn beschafft wird. Immer wird es dann Pflicht sein, 
ihn einem speciellen Pfleger oder einer Pflegerin zu über- 
'weisen, an die er rechtzeitig, d. h. schon vor seiner Entlassung 
zu adressiren ist, um ihm das unnütze Hin- und Herlaufen, 
das ihn mit Recht verstimmt, zu ersparen. Dass dieser Pfleger 
allein die richtige Stelle ist, an die auch das an den Fürsorge- 
Verein gesandte Ueberverdienstgeld abgegeben wird, ist klar, 
und wir können es nicht billigen, dass im Breslauer Verein 
eine Zahlstelle bei einem Vereinsmitgliede für alle Entlassenen 
etablirt ist. Die Erfahrung hat es hier gezeigt, wie es an 
solcher Stelle, wo auf andere Dinge ausser dem rein finan¬ 
ziellen Zahlgeschäft nicht eingegangen wird, auch bei der 
Häufigkeit der Fälle nicht eingegangen werden kann, turbulent 
hergeht, so dass Niemand schliesslich zu einem solchen Amte 
sich bereit finden lässt. Da wäre in der That der obige Vor¬ 
schlag, dem Geistlichen resp, dem Verein nur die Anweisung, 
dagegen der Polizeibehörde die Auszahlung zu übertragen, 
vorzuziehen, wenn eben nicht dringende innere Gründe dafür 
sprächen, beide Faktoren der Fürsorge: die äussern und die 
innern in eine Hand, die des christlichen Pflegers, zu legen. 

Würde alsdann noch, wie es dringend wünschenswerth ist, 
schon bei dem letzten Audienztermin des Gefan¬ 
genen in der Strafanstalt vor seiner Entlassung, wobei 
sein Ueberverdienst festgestellt, ihm auch mitgetheilt 
wird, an wen derselbe gesandt wird, ihm auch eine 
ausdrückliche und nachdrückliche Belehrung dar¬ 
über zuTheil, dass die fürsorgende Instanz, welche 


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dasselbe empfängt, nicht nur das Recht, sondern 
auch die Pflicht hat, es ihm in der Weise auszu — 
zahlen, wie es nach ihrem besten Ermessen für den 
Entlassenen am zuträglichsten ist: dann wäre aller— 
dings von Seiten der betheiligten Instanzen Alles geschehen, 
um nicht blos Excesse zu verhüten, sondern vor Allem um die 
wohlthätigen Intentionen des Staates bei dem Arbeitsverdienst— 
antheil der Gefangenen möglichst zu sichern. 

Immerhin bleibt aber die unseres Erachtens bedenklichste 
Schwierigkeit bestehen, dass die rechtliche Natur des Ueber- 
verdienstgeldes zum Mindesten nach der Entlassung des Sträf¬ 
lings, wie oben gezeigt, nicht über allen Zweifel erhaben ist, 
und in Folge dessen auch die Dispositionsbefugniss der für¬ 
sorgenden Instanz über dasselbe. Der Gefangene wird — dess 
sind wir sicher —, auch wenn ihm beim letzten Audienztermin 
die obige Auseinandersetzung gemacht, ja auch protokollarisch 
von ihm unterschrieben wird, in den allermeisten Fällen den 
Ueberverdienst, zumal bei der jetzigen Manipulation seiner 
Feststellung, als sein Verdienst, d. h. als sein wohl erwor¬ 
benes Eigenthum ansehen. Der Gemeinde-Kirchenrath dagegen 
resp. der Fürsorge-Verein wird stets sich gegenwärtig halten 
müssen, dass es Depositengelder sind, fremdes Eigentlium, das 
ihnen zur Verwaltung anvertraut ist, und dass sie darum allen 
Rechtsconsequenzen, die daraus sich ergeben können, ausgesetzt 
sind. So hat in Nr. 1 des Liegnitzer Kirchlichen Wochen¬ 
blattes pro 1885 ein Freund der Gefängnisssache empfohlen, 
die übersandten Gelder dazu zu verwenden, um die Schulden, 
die der Sträfling i^ seiner Heimath etwa hinterlassen, damit 
tilgen zu helfen und den Entlassenen dann mit den Quittungen 
zu „überraschen^^. Mit Recht ist demgegenüber in Nr. 2 a.a.O. 
hervorgehoben worden, dass ein derartiges Verfaliren doch 
nicht ohne Bedenken sei, da gemäss der Allerhöchsten Cabi- 
netsordre vom 28. Dezember 1840 der Arbeitsverdienst der 
Sträflinge niemals für deren Gläubiger ein Gegenstand des 
Arrestschlages oder der Beschlagnahme im Wege der Execu- 
tion sein soll; es daher gerathen sei, die gedachte „Ueber- 
raschung^ lediglich im Einverständniss mit dem Entlassenen 
herbeizuführen. Es werden sich ferner nicht unbedeutende 


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Schwierigkeiten ergeben, wenn der Entlassene öfters den Ort 
wechselt, was erfahrungsgemäss oft als eine Pression benutzt 
wird, um das Geld möglichst bald herauszubekommen. Wenn 
nun der dortige Gemeinde-Kirchenrath die Annahme verwei¬ 
gert? oder wenn der Entlassene vagabundirend sich herum¬ 
treibt und sein Geld nicht abhebt? oder wenn er, wie hier in 
Schlesien vorgekommen, erklärt, unter die Aufsicht des Ge- 
meinde-Kirchenrathes sich zu stellen, das sei wider seine Ehre, 
da verzichte er lieber auf das Geld! — wie langft soll das 
Geld aufgehoben, wohin das nicht Erhobene abgefiihrt werden? 
Solche und ähnliche Fragen sind thatsächlich vielfach er¬ 
hoben worden, und man darf sich nicht allzusehr wundern, 
wenn einzelne Gemeinde-Kirchenräthe sich geradezu geweigert 
haben, die betreffenden Gelder eben wegen jener unüberseh¬ 
baren rechtlichen Folgen anzunehmen, während sie die Für¬ 
sorge selbst als ihre moralische und kirchenordnungsmässige 
Pflicht gern anerkennen. Die kirchliche Behörde ist in der That 
nicht in der Lage, die Gemeinde-Kirchenräthe hierin „zu einer 
pflichtmässigen Thätigkeit“ (§ 47 Kirchengemeinde-Ordnung) 
von Aufsichts wegen anzuhalten, weil eben zwar die Fürsorge 
für die Verwahrlosten (§ 17 a. a.O.) ihnen zur Pflicht gemacht 
ist, aber daraus keineswegs die Verwaltung ihres Eigenthums 
folgt, also fremde Gelder, die nicht Kirchengelder sind. Es 
ist daher in den betreffenden Fällen auch stets — und zwar 
mit Erfolg — lediglich an den guten Willen der betreffenden 
Körperschaften appellirt und darauf hingewiesen worden, dass 
die ganze Massregel zunächst, wenigstens was die Zuchthaus¬ 
sträflinge anbetrifft, einen provisorischen Charakter trage und 
eine gründliche nochmalige Erwägung und sodann allgemeine 
Regelung der Frage erfolgen solle. Ja, wir werden sogar, 
genau genommen, behaupten dürfen, dass, so lange nicht diese 
gesetzliche Regelung der Ueberverdienstgelder-Frage erfolgt 
ist, jeder einzelne Aelteste im Gemeinde-Kirchenräthe berech¬ 
tigt ist, sich von der solidarischen Verbindlichkeit auszu- 
schliessen, welche der Gemeinde-Kirchenrath oder vielmehr 
die Gesammtheit seiner Glieder mit der freiwilligen Annahme 
dieser fremden Gelder rechtlich übernimmt. So kann gar leicht 
die ganze Massregel durchlöchert und in Frage gestellt werden; 


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ja, was wichtiger ist, es könnte den Gemeinde-Kirchenräthen 
und den freien Vereinen leicht die Fürsorge selbst durch 
diese, der gesetzlichen Unterlage zur Zeit noch entbehrende 
Massregel ihrer Ausführung verleidet werden. 

Alle diese Ausführungen zeigen unseres Erachtens klar, 
wie die ganze Angelegenheit der Arbeitsverdienst-Antheile der 
Gefangenen sowohl für die Zeit der Strafhaft als auch für 
die Zeit nach der Entlassung einen rechtlich wie social und 
ethisch zweifelhaften Werth hat, was doppelt zu bedauern ist 
bei einer Massregel von so unzweifelhaft wohlthätigen, ja hoch¬ 
herzigen Intentionen des Staates und der bürgerlichen Gesell¬ 
schaft gegenüber Denen, die sie gern dadurch retten und 
wieder retabliren helfen möchten; einer Massregel, die aber, 
wie wir meinen, der beabsichtigten wohlthätigen Wirkung 
sowohl während als nach der Haft in den allermeisten Fällen 
entbehrt und — bei der jetzigen Handhabung — auch ent¬ 
behren muss. Was wir daher vor allen Dingen für noth- 
wendig erachten, ist die möglichst baldige gesetzliche Regelung 
der Frage der Arbeitsverdienst-Antheile der Gefangenen und 
zwar in dem Sinne, dass dieselben keineswegs blos „nach 
Massgabe der Arbeitsleistung“, wie jetzt, sondern nur unter 
Berücksichtigung des bei der Arbeit bewiesenen 
Fleisses, sowie des gesammten sittlichen Verhal¬ 
tens der Sträflinge festzusetzen sind; auch unzweideutig 
auszusprechen ist, dass dieselben lediglich eine Wohl- 
that, nicht aber ein Recht des Gefangenen sind, 
weder während der Haft, noch nach derselben bei 
der Entlassung, sowie endlich dass betreffs der Verwendung 
dieser Gelder die Beschaffung aller „Extragenüsse“ im Ge- 
fängniss ausgeschlossen, dieselben vielmehr lediglich dazu 
bestimmt werden, die Correspondenz mit der Hei- 
math zu bestreiten, vor Allem aber die darbende 
Familie zu Haus zu unterstützen, und nach der 
Entlassung in die Hände des Gemeinde-Kirchen- 
rathes der Heimath oder des Fürsorge-Vereins 
daselbst zu freier Verwendung für den Entlassenen 
und seine Familie überzugehen. Das zu erwartende 
Strafvollzugsgesetz wird die geeignete Stelle sein, wo auch 


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diese wichtige Angelegenheit zum definitiven Austrag kom¬ 
men muss. 

Freilich müsste alsdann gebrochen werden sowohl mit den 
bisherigen Bezeichnungen als auch mit der jetzigen complicirten 
Manipulation der Berechnung dieser Gelder. Es kann nach 
dem Obigen weder von einem Ueberverdienst, noch einem 
Arbeitsverdienst-Antheil, von Arbeitsbelohnung oder Arbeits¬ 
prämie im eigentlichen Sinne die Rede sein, die in genauem 
Procentsatz allein der Arbeitserträge festgestellt wird, sondern 
lediglich von einer freien Wohlthat, einem Geschenk, das dem 
Gefangenen „unter Berücksichtigung seines Fleisses 
— nicht des Arbeitsertrages! — und seines Gesammt- 
verhaltens in der Anstalt^^ von der Conferenz der Ober¬ 
beamten periodisch — wöchentlich oder monatlich zugesprochen 
würde. „Arbeitsgeschenk“ würde der passendste Name sein, 
wenn nicht auch hier die einseitige Rücksicht nur auf die 
Arbeit und deren Ertrag störend wäre. Nenne man es also 
einfach „Prämie“ oder „Geschenk“. Die Gesammthöhe dieser 
Prämie mag für die Anstalt die bisherige bleiben: der sechste 
Theil der Gesammtarbeitslöhne; aber innerhalb dieser Grenze 
wird die Conferenz der Oberbeamten freien Spielraum behalten 
müssen, um nach den schablonenmässig gar nicht zu berech¬ 
nenden, vielmehr zu individualisirenden Rücksichten auf 
den Einzelnen und das Einzelbedürfniss die Prämie festzu¬ 
setzen. Hierbei würde die Rückfälligkeit sehr entschieden als 
Erschwerniss in Betracht zu ziehen sein, statt dass sie 
jetzt thatsächlich eine Förderung der Prämie ist. Als „Be- 
dürfniss“ käme hierbei, wie schon oben bemerkt, vor Allem 
die Unterstützung der zurückgebliebenen Familie in Betracht. 
Materiell würde diese Art der Festsetzung der Prämie oft zu 
demselben Resultat fuhren wie jetzt; principiell aber ist der 
Unterschied ein ganz gewaltiger. Freilich würde dann der 
Eigennutz des Gefangenen als Stimulus zur Arbeit, ja zur 
möglichst angestrengten Arbeit hinwegfallen. Wir halten dies 
für kein Unglück. Der Zweck heiligt die Mittel niemals. Das 
Arbeitspensum würde auch ferner schon auf Grund der An- 
staltsdisciplin und weil es sich um den Vollzug einer Strafe, 
also auch um Arbeitszwang handelt, beibehalten werden 


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müssen; aber allerdings die Ueberpensen würden zunächst 
wenigstens heruntergehen und dadurch der Gesammtertrag der 
Arbeit ein etwas geringerer werden. Jedoch was ist diese 
geringe finanzielle Einbusse gegenüber den gewaltigen sitt¬ 
lichen Factoren, die hier mitsprechen. Erst so erscheint die 
Arbeit als ein wesentliches, ja als eines der köstlichsten Mittel 
des Besserungszweckes in der Strafe. Sie soll dem 
Gefangenen eine Wohlthat äusserlich und innerlich sein, 
ohne die er bei längeren Strafen einfach vernichtet werden 
würde. Das pennsylvanische System, die Bekehrung, d. h. die 
Besserung des Menschen, wie durch strengste Isolirung, so 
durch Entziehung aller Arbeit mit Hochdruck zu Wege zu 
bringen, heisst den Teufel durch Beelzebub austreiben und 
ist eben solcher Frevel gegen den heiligen Werth der Arbeit 
im Menschenleben, wie die Tretmühle, ein mechanisches Todt- 
tretenwollen des alten Menschen, wodurch der neue Mensch 
wahrhaftig nicht geboren wird. Solche Mittel sind lediglich 
als Disciplinarmittel im äussersten Falle anzuwenden, und 
wir zweifeln keineswegs, dass auch der arbeitsscheueste Mensch, 
wenn ihm das Müssigsitzen als Strafe auferlegt wird, schon 
nach recht kurzer Zeit dringend um Arbeit bitten würde. Das 
Leben wehrt sich eben mit Naturgewalt wider den Tod; und 
— die Arbeit ist der Segen des Lebens und ohne sie, d. h. 
wenn dem gesunden Menschen die Arbeitslosigkeit aufge¬ 
zwungen wird, kommt der Tod. Wir hegen darum keine so 
grosse Besorgniss, dass die Arbeit und der Arbeitsertrag bei 
dem hier vorgeschlagenen Verfahren irgendwie erheblich zu¬ 
rückgehen würde. Dagegen — wie muss es den Gefangenen 
sittlich heben und bessern, wenn er weiss, dass er durch sei¬ 
nen Fleiss und sein Gesammtverhalten in der Anstalt Denen 
draussen, die am meisten unter seiner Schuld zu leiden haben 
und sich oft in bitterster Noth befinden, mittelbar wenigstens 
etwas Gutes erweisen kann, indem die Anstalts-Conferenz auf 
sein Bitten oder auch auf die von draussen kommenden Bitten 
aus dem Prämienfonds eine ob auch kleine Summe bewilligt 
und dieselbe durch die Hand des Gemeinde-Kirchenrathes 
oder des Fürsorge-Vereins den Seinen zukommen lässt. Das 
ist kein Verdienst des Sträflings; das ist ein geringes Ab- 


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tragen einer u nab trag baren Schuld. Der Gedanke an 
Weib und Kind ist dem Gefangenen erfahrungsmässig am 
ehesten die Brücke, über die man an sein Herz kommen kann. 
Wird der vorgeschlagene Weg von den Beamten der Anstalt, 
insonderheit auch von den Geistlichen, treu ausgenutzt, so 
wird damit sicher viel mehr für die Besserung des Menschen 
erreicht als wenn seine Kraft zu einem möglichst hohen Arbeits¬ 
erträge vom Staate ausgenutzt wird. 

Endlich ist das Geldgeschenk bei der Entlassung des 
Gefangenen ein wesentliches Mittel, ihn in’s Leben wieder 
zurückzuführen. Nur dass im Gesetz es ausdrücklich ausge¬ 
sprochen würd, dass das Geld lediglich eine freie Gabe sei 
und bleibe, auf die der Entlassene keinerlei Rechtsanspruch, 
also auch keinerlei Verfügungsrecht habe! Nur ausnahms¬ 
weise, d. h. in besonders günstigen oder delicaten Fällen möge 
die Direction oder die Conferenz der Oberbeamten das Recht 
behalten, das Geschenk dem Gefangenen gleich bei seiner 
Entlassung auszuhändigen. In der Regel aber möge es nach 
den Bestimmungen des zu erwartenden Gesetzes an den Ge- 
meinde-Kirchenrath resp. den Fürsorge-Verein der Heimath 
oder des Ortes, nach dem der Gefangene die Entlassung be¬ 
antragt hat, zu freier Verfügung im Interesse des 
Entlassenen und seiner Familie, niemals aber zur 
Auszahlung an ihn selbst, weder ganz noch raten¬ 
weise, übersandt werden, mit der ausdrücklichen gesetz¬ 
lichen Befugniss und Verpflichtung, diese Wohlthat bei 
unwürdigem Verhalten ihm vorzuenthalten und die etwa also 
nicht zur Verwendung gekommenen Gelder im Interesse der 
Fürsorge für gebesserte Entlassene des Ortes frei ver¬ 
wenden zu dürfen. Dann muss der Entlassene nicht zu dem 
Gemeinde-Kirchenrath oder dem Geistlichen kommen; er wird 
es aber in den allermeisten Fällen thun, wird sich auch des 
angemessenen Tones bedienen, denn nun kommt er ja nicht, 
um auf seinem „Schein“ zu stehen, sondern lediglich als ein 
Bittender. Den besseren Elementen wird auf diese Weise 
nachhaltiger geholfen werden können. Die Gemeinde-Kirchen- 
räthe und Fürsorge-Vereine werden mehr Lust und Liebe zur 
Sache gewinnen, weil sie das klare Recht auf ihrer Seite 


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haben. Zuletzt — und nicht am letzten! — wird der Staat 
durch seine Wohlthat nicht mehr dazu wider Willen beitragen, 
routinirten Zuchthäuslern dazu zu helfen, dass sie sich in der 
Strafanstalt möglichst viel „verdienen“, um sich nach der Ent¬ 
lassung durch möglichste Unverschämtheit in den Besitz des 
Geldes zu setzen und es zu verjubeln resp. zu neuen Ver¬ 
brechen zu missbrauchen, worauf dann — zu geeigneter 
Jahreszeit! — der Zufluchtsort der Anstalt wieder aufgesucht 
wird. Dieser Kreislauf der Verbrecherlaufbahn muss auf alle 
mögliche Weise unterbunden, dagegen der Kreislauf des Herz¬ 
blutes christlicher Barmherzigkeit für die besserungsfähigen 
Elemente unter den Gefangenen und Entlassenen möglichst 
von allen Hindernissen befreit werden. Dies, und dies allein, 
ist der Zweck dieser Zeilen. 


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CorTGSpiileBZ. 


Berlin, 8. April 1885. Wiederholt ist von Seiten ein¬ 
zelner Bundesregierungen eine einheitliche Regelung der 
Strafvollstreckung für die Fälle angeregt worden, in 
welchen auf Grund von § 79 des Strafgesetzbuchs oder § 492 
der Strafprozessordnung eine Gesammtstrafe festgesetzt ist und 
die erkennenden Gerichte verschiedenen Bundesstaaten ange¬ 
hören. Nachdem sämmtliche Bundesregierungen ihre Bereit¬ 
willigkeit zu erkennen gegeben haben, zur Beseitigung der 
bisher bestehenden Uebelstände im Wege der Vereinbarung 
eine einheitliche Praxis sicher zu stellen, ist seitens des Reichs- 
Justizamts der Entwurf von Grundsätzen in Betreff der Voll¬ 
streckung der in Rede stehenden Gesammtstrafen aufgestellt 
worden. Dieselben lauten folgendermassen: 1) Die Voll¬ 

streckung der Gesammtstrafe ist von demjenigen Bundesstaate 
zu bewirken, dessen Gericht dieselbe, sei es in der regel¬ 
mässigen Form, sei es in der Form einer sog. Zusatzsta*afe 
festgesetzt hat. 2) Auf Ersuchen der zuständigen Behörde des 
in Nr. 1 bezeichneten Staates ist die Vollstreckung von dem¬ 
jenigen Bundesstaat zu übernehmen, welcher nach dem Ge- 
sammtbetrage der von seinen Gerichten erkannten Einzelstrafen 
an der Gesammtstrafe am höchsten betheiligt ist. Bei Berech¬ 
nung des Gesammtbetrags der Einzelstrafen sind der Art nach 
verschiedene Strafen nach ihrem gesetzlichung Geltungsver- 


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hältniss in Anschlag zu bringen. 3) Sind mehrere Bundes¬ 
staaten mit einem gleichen Höchstbetrage an der Gesammt- 
strafe betheiligt, so ist, falls einer derselben bereits eine in 
die Gesammtstrafe einbezogene, ihr gleichartige Einzelstrafe 
vollstreckt, die Gesammtstrafe von diesem zu vollstrecken. 
Andernfalls werden die bezeichneten Staaten sich darüber ver¬ 
einigen, welcher von ihnen die Vollstreckung zu übernehmen 
hat. 4) In den Fällen der Nr. 3 werden die Kosten der Straf¬ 
vollstreckung, als welche indess nur baare Auslagen in Rech¬ 
nung gestellt werden sollen, <von den mehreren höchstbethei- 
ligten Staaten zu gleichen Theilen getragen. Im Uebrigen 
findet eine Erstattung von Kosten nicht statt. 5) Unberührt 
bleibt die Vorschrift in § 163 des Gerichtsverfassungsgesetzes. 
Der auf Grund dieser Vorschrift eine Gesammtstrafe voll¬ 
streckende Staat wird die nach § 165 des Gerichtsverfassungs¬ 
gesetzes zu erstattenden Auslagen von demjenigen Staate er¬ 
setzt erhalten, der nach obigen Grundsätzen die Vollstreckung 
zu übernehmen hätte. 6) Vorstehende Grundsätze finden ent¬ 
sprechende Anwendung, wenn die Gesammtstrafe oder eine in 
dieselbe einbezogene Einzelstrafe vom Reichsgericht in erster 
Instanz festgesetzt worden ist. Der Entwurf liegt jetzt dem 
Bundesrath zur Beschlussfassung vor. 

Berlin, im Januar 1885. Das „Justiz-Ministerial-Blatt^ 
bringt eine Nach Weisung der Gesammtzahl der in den gericht¬ 
lichen Gefängnissen detinirt gewesenen Gefangenen 
während der Etatsjahre pro 1. April 1881/82, 1882/83, 1883/84, 
sowie eine Nach Weisung über die Tagesbelegung der 
gerichtlichen Gefängnisse während desselben Zeitraums. Aus 
der Gesammtzahl der für die drei Etatsjahre notirten Zahlen 
sowohl jeder der beiden Uebersichten für sich als auch aus 
der Vergleichung der beiden Uebersichten unter einander er¬ 
geben sich folgende Resultate: Die Gesammtzahl der Gefan¬ 
genen aller Kategorien in den Gefängnissen der Justizverwal¬ 
tung, welche im Jahre 1881/82: 620404 Köpfe betrug, ist im 
Jahre 1882/83 auf 583161, im Jahre 1883/84 auf 547 930 Köpfe, 
im Ganzen also im Verlauf zweier Jahre um 11,7% herunter¬ 
gegangen. Dieser Abnahme der absoluten Zahlen gegenüber 


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ist noch in Betracht zu ziehen, dass in derselben Zeit die Be¬ 
völkerung nicht auf dem Stande von 1881/82 verblieben war, 
sondern jährlich um mehr als 1 gewachsen ist. 

Dieselbe Erscheinung zeigt sich in der durchschnittlichen 
Tagesbelegung nach Köpfen. Sie betrug im Jahre 1881/82: 
32 698, im Jahre 1882/83: 31535, im Jahre 1883/84: 27 760 
Köpfe, die Abnahme belief sich demnach im Ganzen auf 
15,4 0 /,, 

Hervortretend ist die grosse Differenz zwischen der 
niedrigsten und höchsten Tagesbelegung. Letztere betrug: 

niedrigste höchste 

1881/82 .... 19515 45878 

1882/83 .... 19292 43786 

1*883/84 .... 18259 42193 

Wenngleich die Tagesbelegung ebenso wie die Gesammt- 
zahl der im Jahre detinirt gewesenen Gefangenen erheblich 
heruntergegangen ist und diese Abnahme sich sowohl in der 
niedrigsten wie in in der höchsten und der durchschnittlichen 
Tagesbelegung erkennbar macht, so ist doch die Differenz 
zwischen der niedrigsten und der höchsten Tagesbelegung von 
Jahr zu Jahr fast unverändert dieselbe geblieben (2,2 bis 
2,3 mal grösser als die niedrigste Tagesbelegung), sie ist daher 
beachtenswerth für den Umfang, welchen die Gefängnisse 
haben sollten. 

Die Abnahme sowohl in der Gesammtzahl der im Laufe 
des Jahres detinirt gewesenen Gefangenen wie in der Tages¬ 
belegung ist das Resultat eines ebenso bei den Untersuchungs¬ 
gefangenen wie bei den einzelnen Kategorien der Strafgefan¬ 
genen eingetretenen Rückganges, wie folgende Zusammen¬ 
stellung ergiebt. 

Es waren detinirt: 



1881/82 

1882/83 

1883/84 

Abnahme von 
1881/82 — 83/84 
in Procent 

I. Untersuchungsgefangene 

II. Strafgefangene: 

143 715 

141 998 

131 500 

8,5 

1) Gefängnissstrafe 

307490 

285750 

265 476 

13,7 

2) Einfache Haft 

70 368 

64799 

57 512 

18,3 

3) Qualihcirte Haft 

97 606 

89 359 

76167 

22,0 


Wenngleich in den vorstehenden Zahlen für 1881/82 und 


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1882/83 die Polizeigefangenen inbegriffen waren und erst für 
1883/84 ausgeschieden worden sind, so dürfte diesem Um¬ 
stande in Betreff der Konstatirung des Rückganges in der 
letzten Spalte keine wesentliche Bedeutung beizumessen sein^ 
da im Jahre 1883/84 unter der Gesammtzahl der Gefangenen 
mit 547 930 Köpfen nur 16 084 Polizeigefangene (2,9 % der 
Gesammtzahl) enthalten waren. Aus einer Vergleichung des 
Rückganges bei den Untersuchungsgefangenen mit dem grös¬ 
seren Rückgänge bei den Strafgefangenen lassen sich Schlüsse 
nicht ziehen, weil ein Theil Derjenigen, welche als Unter¬ 
suchungsgefangene in den Gefängnissen der Justizverwaltung 
detinirt waren, die gegen sie erkannten Zuchthausstrafen in 
allen Fällen und für den Bezirk einzelner Gerichtsbehörden 
auch die Gefängnissstrafen von längerer Dauer in den zum 
Ressort des Ministeriums des Innern gehörigen Straf- und 
Gefängnissanstalten verbüsst haben. Was die Strafgefangenen 
betrifft, so zeigt sich der stärkste Rückgang (22%) bei den 
auf Grund der §§ 361 Nr. 3 — 8 und 362 des Strafgesetz¬ 
buches wegen Landstreichens, Betteln u. s. w. zu qualificirter 
Haft Verurtheilten. Aber auch die Abnahme der zu Ge¬ 
fängnissstrafen Verurtheilten (13,7%) wird nicht unbeachtet 
bleiben können, da nur ein verhältnissmässig geringer Theil 
derselben die Strafe in den Gefangen an stalten des Ministeriums 
des Innern zu verbüssen hat, die übrigen also bei den Ge¬ 
fängnissen der Justizverwaltung^ gezählt sind. 

Die hinsichtlich der Gefangenen in der Gesammtheit der 
Gefängnisse der Justizverwaltung gewonnenen Resultate sind 
auch im Allgemeinen für den engeren Rahmen der Gefäng¬ 
nisse in den Bezirken der einzelnen Ober-Landesgerichte aus 
den Zahlen der Gesammtzahl der in den gerichtlichen Ge¬ 
fängnissen detinirt gewesenen Gefangenen während der Etats¬ 
jahre vom 1. April 1881 bis ebendahin 1884 nachzuweisen. 
Die nachstehende Uebersicht zeigt für jeden Ober-Landes¬ 
gerichtsbezirk, um wie viele Procente in der Zeit von 1881/82 
bis 1883/84 eine Abnahme (—) oder eine Zunahme (-]-) bei 
den Untersuchungsgefangenen und bei jeder der drei Arten 
von Strafgefangenen stattgefunden hat. 


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333 


Ober-Landesgerichts- 

Bezirk 

I. Unter¬ 
suchungsge¬ 
fangene 

II. Strafgefangene 

Gefäng- 

niss- 

strafe 

Einfache 

Haft 

Qualificirte 

Haft 

(§361 8 - 8, 

§ 362) 

1) Kammergericht (Berlin) 

+ 9,4 

— 15,2 

- 6,8 

— 26,5 

2) Breslau. 

- 1,2 

- 11,5 

- 7,9 

- 16,6 

3) Cassel. 

— 34,4 

- 18,9 

- 22,6 

— 10,0 

4)'CeUe. 

— 26,6 

— 19,2 

- 32,5 

— 48,2 

5) Cöln. 

+ 1,7 

— 10,3 

— 56,6 

— 32,9 

6) Frankfurt a. M. . . 

-j- 3,3 

— 25,7 

- 8,7 

— 30,0 

7) Hamm. 

- 10,2 

- 7,4 

— 17,8 

— 32,2 

8) Kiel. 

— 20,3 

- 4,2 

+ 6,3 

— 24,3 

9) Königsberg i. Pr. . . 

— 13,0 

- 10,2 

— 23,4 

+ 9,2 

10) Marienwerder . . . 

- 1,2 

— 3,8 

- 28,4 

- 7,6 

11) Haumburg a. S. . . 

- 2,1 

- 12,1 

- 14,4 

+ 8,6 

12) Posen. 

— 13,9 

— 23,9 

— 15,4 

— 19,0 

13) Stettin. 

- 2,7 

— 6,5 

— 6,3 

— 27,5 


Die Untersuchungsgefangenen haben hiernach in 10 Ober- 
Landesgerichts-Bezirken abgenommen, wogegen die Ober-Lan- 
desgerichts-Bezirke Berlin (Kammergericht), Cöln und Frank¬ 
furt eine Zunahme zeigen. Aus dieser letzteren lässt sich jedoch 
ein Rückschluss auf eine Zunahme strafbarer Handlungen nicht 
ziehen, da in denselben Departements die Strafgefangenen aller 
drei Kategorien und zwar in beträchtlichem Umfange abge¬ 
nommen haben. Für das Departement des Kammergerichts 
ergeben die Zahlen der einzelnen Etatsjahre, dass hauptsäch¬ 
lich eine Zunahme von 1881/82 bis 1882/83, dann aber wieder 
ein Rückgang eingetreten ist, bei welchem jedoch die Zahl 
des Jahres 1881/82 noch nicht erreicht wurde. Im Ober- 
Landesgerichts-Bezirk Cöln handelt es sich lediglich um die 
Untersuchungsgefangenen in den 12 zum Ressort der Justiz¬ 
verwaltung gehörigen Amtsgerichtsbezirken, und die Vermeh¬ 
rung (1,7%) dürfte noch nicht der in derselben Zeit statt¬ 
gehabten Zunahme der Bevölkerung gleichkommen. 

Was die Strafgefangenen betrifft, so ist ausnahmslos in 
allen Departements die Zahl der zu Gefängnisssträfe Ver- 
urtheilten heruntergegangen, am stärksten in Frankfurt a.M. 
(—25,7), Posen (—23,9), Celle (—19,2), Cassel (—18,9), 

Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 22 


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Kammergericht (—15%), wobei noch zu berücksichtigen ist, 
dass in den Departements Frankfurt und Posen sämmtliche 
Gefängnissstrafen ohne Ausnahme nur in Gefängnissen der 
Justizverwaltung zur Vollstreckung kommen. Auch die starke 
Abnahme der zu einfacher Haft und der zu qualificirter Haft 
verurtheilten Strafgefangenen in fast allen Ober-Landesgerichts- 
Bezirken ergiebt sich aus der Tabelle. Nur im Departement 
Kiel hat eine Zunahme der ersteren stattgefunden, während 
gleichzeitig die letztere um 24,3 und die Geföngnisssträflinge 
um 4,2% abgenommen hatten. Dagegen sind die Departe¬ 
ments Königsberg und Naumburg die einzigen, in welchen 
eine Zunahme der zu qualificirter Haft Verurtheilten neben 
einer gleichzeitigen Abnahme bei den Untersuchungsgefangenen 
und den Strafgefangenen der beiden anderen Kategorien zu 
Tage getreten ist. 

Nicht ohne Interesse sind diejenigen Zahlen, welche einen 
Anhalt zur ßeurtheilung der Gesammtzahl der im Laufe eines 
Jahres detinirten Gefangenen in den Anstalten beider Ressorts 
geben: 

-- imLaufedesJahres 

ln den Gefangenanetalten ^^^2/83 1883/84 

1) des Justizministeriums 620404 583161 547930 

2) des Ministeriums d. Innern 153751 148988_— 


774155 732149 

Die durchschnittliche Tagesbelegung betrug: 

im Laufe des Jahres 


in den Gefangenanetalten 

1) des Justizministeriums 

2) des Ministeriums d. Innern 


1881/82 

32698 

29814,74 


1882/83 

31535 

30514,63 


1883/84 
27 760 


62512,74 62049,63 — 


Berlin, li. März 1885. Der in heutiger Reichstagssitzung 
behandelte Antrag von Grillenberger u. Gen. (Arbeiterschutz) 
befasst sich auch mit der Geföngnissarbeit. Doch wollen die 
Antragsteller nicht gänzliche AbschafiPung derselben, sondern 
nur andere Organisation — Beschränkung auf die Arbeiten 
für die Anstalten selbst, vielleicht auch Cultur von öden 
Ländereien. Es scheint nicht, dass hiebei viele practische 
Erfolge herauskommen. 


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335 


Berlin, im Dezember 1884. Die Kosten der Beerdigung 
landarmer Personen, welche während der Detention in einer 
Strafanstalt ohne Mittel sterben, sind von demjenigen Land- 
armenverbande zu tragen, aus welchem die Einlieferung der¬ 
selben in die Anstalt erfolgt ist. (Erkenntniss des Bundes¬ 
amtes für das Heimathwesen vom 22. September 1883.) 

— Mit Hilfe mehrerer von ihm gedungener Personen war 
ein Gefangener aus dem Gefängniss ausgebrochen. Dafür traf 
nicht nur seine Befreier, sondern auch ihn selbst Strafe aus 
folgenden Gründen: Aus den die Thätigkeit Dritter behufs 
der Befreiung eines Gefangenen mit Strafe bedrohenden Be¬ 
stimmungen des Strafgesetzbuchs ergibt sich, dass zwar die 
von einem Gefangenen mittelst seiner eigenen Thätigkeit be¬ 
wirkte Befreiung seiner selbst als solche straflos ist, dass da¬ 
gegen das Gesetz dritten Personen nicht das Recht gewähren 
wollte, straflos unmittelbare Eingriffe in die von der Obrig¬ 
keit gesetzten Massregeln zu verüben. Wenn das Gesetz aus 
humanen Beweggründen dem Freiheitsdrange des Menschen 
glaubte Rücksicht schenken zu sollen, so sind doch nicht jene 
Handlungen des Gefangenen der Strafbarkeit entzogen, durch 
welche er Ursache der verbrecherischen Thätigkeit eines An¬ 
deren geworden ist. Es sind daher auf dieselben die allge¬ 
meinen Grundsätze anzuwenden, nach welchen derjenige als 
Anstifter bestraft wird, welcher einen Andern zu der von 
demselben begangenen strafbaren Handlung vorsätzlich be¬ 
stimmt hat, und findet auf ihn die Strafe Anwendung, welche 
die Handlung trifft, zu welcher er wissentlich angestiftet hat. 
Der Gefangene wird also als Anstifter zu seiner eigenen Be¬ 
freiung als Gefangener bestraft und die Strafbarkeit nicht 
durch den von dem Gefangenen verfolgten Zweck seiner 
eigenen Befreiung aufgehoben. Der Gefangene, welcher eine 
andere Person anstiftet, ihn zu befreien oder ihm zur Selbst¬ 
befreiung behilflich zu sein, ist dadurch nicht strafloser Theil- 
iiehmer einer für ihn allein straflosen Handlung, sondern er 
begeht mittelst Anstiftung eine von der blossen Selbstbefreiung 
verschiedene, selbstständige strafbare Handlung, er wird Ur¬ 
sache der selbstständigen Strafthat einer andern Person, näm¬ 
lich der Befreiung eines Gefangenen. 

22 ♦ 


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336 


— Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, welche in 
Folge Verurtheilung zu einer Freiheitsstrafe von ihrem bis¬ 
herigen Domicil in eine in einem andern Gerichtsbezirk ge¬ 
legene Strafanstalt behufs Strafverbüssung sich begeben hat, 
bleibt während der Strafverbüssung derjenige Wohnsitz, von 
welchem der Verurtheilte sich nach der Strafanstalt begeben 
hat. (Urtheil des Reichsgerichts IV. Civil-Senat vom 23. Oc- 
tober 1884.) 

Stuttgart, im April 1885. (97. Sitzung der Kammer der 

Abgeordneten, Donnerstag den 9. April, Vorm. 9 Uhr.) 
Am Ministertische Staatsminister v. Fab er mit den Ministerial- 
räthen Breitling und Hausch. Tagesordnung: Berathung 
des Etats des Justizdepartements für 1885—87. Cap. 12. 
Gerichtliche Strafanstalten. Ausgabe: Strafanstalten- 
Collegium. Tit. 1. Besoldungen und Functionsgehalte für 
1885/86 u. 1886/87 je 7500 c/Ä Tit. 2. Kanzleikosten je 2057 JL 
Tit. 3. Diäten und Reisekosten je 686 JL Tit. 4. Beitrag an 
den Verein zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene je 
1715 JL Tit. 5. Beiträge an andere Vereine (Rettungsanstalt 
für ältere evang. Mädchen in Leonberg, Anstalt für entlassene 
weibliche Strafgefangene evang. Confession in Oberurbach) 
jährlich 1230 eit — Strafanstalten Verwaltungen. Be¬ 
soldungen. Tit. 6. Vorstände (Director des Zellengefängnisses 
in Heilbronn, Zuchthausvorstand in Stuttgart, Director des 
Zuchthauses in Ludwigsburg, Landesgefängnissvorstand in Hall, 
derselbe in Rottenburg, Vorstand in Gotteszell, auf Hohen- 
asperg, alle neben freier Wohnung) je 27000 Tit. 7. Ge¬ 
hilfen 18060 t4L (darunter ein neuanzustellender Kanzleigehilfe 
bei der Zuchthausverwaltung in Stuttgart nrtt 1800 eit, wo 
schon seit Jahren ein Amtsgehilfe mit demselben Aufwand 
exigirt war, und ein neuanzustellender Kanzleigehilfe am Lan- 
desgefängniss in Hall mit 1000 eit). Tit. 8. Hausgeistliche je 
17 668 eit Tit. 9. Hausärzte je 6100 eit Tit. 10. Inspectoren 
(darunter für einen neuen Inspector bei dem Zuchthaus in 
Ludwigsburg 2500 eit) je 5350 eit Tit. 11. Hausmeister je 
6350.it Tit. 12. Oberaufseher je 14450 .it Tit. 13. Lehrer 
je 9850 eit Tit. 14. Wundärzte je 5270 .it Tit. 15. Aufseher 


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337 


je 154140 tAL (16 200 JL mehr als nach der letzten Forderung. 
Gegenüber dem Etat für 1883/85, welcher mit dem Nachtrags¬ 
etat einen Gesammtstand von 150 Aufsehern an den Straf¬ 
anstalten aüfweist, ergiebt sich ein Mehrerforderniss von 9 
Aufsehern, welches hauptsächlich durch den fortdauernd hohen 
Gefangenenstand in einzelnen Strafanstalten veranlasst ist.) 
Tit. 16. Aufseherinnen an der Strafanstalt zu Gotteszell je 
12,560 Tit. 17. Knechte an den Strafanstalten je 1400«/^ 
— Verwaltungsaufwand. Tit. 18. Allgemeine Amtsausgaben 
je 203650e/Ä^ Tit. 19. Aufwand auf die Verpflegung der Ge¬ 
fangenen je 421345 JL Tit. 20. Aufwand auf den Unterricht 
der Gefangenen je 3780 t4L Tit. 21. Aufwand auf die 6e- 
schäftigung der Gefangenen je 44570 Tit. 22. Aufwand 
auf den Gewerbebetrieb je 447370 e/ÄL (Zu Tit. 22 bezw. 25: 
Die Minderexigenz von 24770 JL für den Gewerbebetrieb der 
Gefangenen rührt hauptsächlich aus einem geringeren Er¬ 
forderniss des Zuchthauses zu Ludwigsburg her. Da dort die 
Fabrikation von feineren Sorten von Leinwandwaaren auf 
eigene Rechnung aufgehört hat und hiefür theilweise Lohn¬ 
weberei eingeführt wurde, so war die Einnahme aus neu ge¬ 
fertigten Waaren entsprechend niederer anzunehmen, welcher 
niedrigeren Einnahme auch eine entsprechend niedrigere Aus¬ 
gabe gegenübersteht) Tit. 23. Ausserordentliche Ausgaben je 
9790 e/Ä. — Einnahme. Tit. 14. Arbeitsverdienst der Ge¬ 
fangenen je 217 334,/Ä Tit. 25. Vom eigenen Gewerbebetrieb 
je 523350 (gegen 1884/85 weniger 25930«/^). Tit 26. 
Aus dem Vermögen der Strafanstalten je JL Tit. 27. 

Unterhaltungsbeiträge der Gefangenen je 7383 nAL Tit. 28. 
Ausserordentliche Einnahmen je 2320 tAL Hienach Tit. 1—23 
Ausgaben 1421891 «/Ä Tit. 24—28 Einnahmen 766 957 tAL^ 
somit Staatszuschuss für gerichtliche Strafanstalten 654934 tAL 
(Hiezu ausserordentlicher Aufwand auf die Herstellung von 
Wohnungen für die Aufseher des Zuchthauses in Ludwigsburg 
59539 tALll die durch Ersparnisse der Zuchthausverwal- 
tung gemäss einem Restvorbehalt zum Etat des Justizdep. von 
1882/83 Cap. 12 gedeckt werden sollen.) 

Zu einer allgemeinen Bemerkung zu Cap. 12 nimmt das 
Wort Sachs: Die Summen haben sich gegen früher nicht 


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338 


geändert und doch seien am Zuchthaus beträchtliche Erspar¬ 
nisse gemacht worden. Damit könne die Herstellung der Auf¬ 
seberwohnungen ganz einfach bestritten werden. Nur sei ihm 
nicht recht begreiflich, warum gleichwohl eine Mehrforderung 
eingetreten sei. — Ebner: Die Frage der Ersparnisse werde 
noch zur Sprache kommen. Der Mehraufwand von 4000 t4L 
sei ein Rechnungsergebniss aus den einzelnen Titeln. — Sachs: 
Seine Anfrage habe sich darauf bezogen, ob sich nicht über¬ 
haupt eine Ersparniss an der Gesammtposition erzielen liesse. 
— Nussbaumer: Die Sträflinge haben häufig nach ihrer 
Entlassung nichts Besseres zu thun, als durch ein neues Ver¬ 
gehen ihre Wiederaufnahme in die Strafanstalten zu erwirken. 
Danach dürfte zu vermuthen sein, dass die Behandlung der¬ 
selben etwas zu milde sei. Auf den Gefangenen kommen 
311 Staatszuschuss. Redner führt einzelne Fälle von zu 
milder Behandlung an. Dahin gehöre auch, dass in Rotten¬ 
burg eine Dampfwasch- und Badeanstalt für die Gefangenen 
errichtet worden sei; die Dampfmaschine sei jedenfalls über¬ 
flüssig gewesen. — Staatsminister v. Fab er: Er möchte 
bitten, zu sagen, in welcher Richtung die Strafanstalten dem 
Vorredner zu human erscheinen. Es gebe allerdings gewisse 
verlorene Existenzen, die immer wieder nach der Strafanstalt 
zurückstreben; der Strafvollzug sei ein Uebel und ein schweres, 
daher die Tausende von Gesuchen um Begnadigungen. In der 
Mitte der 50er Jahre habe man eine grosse Sterblichkeit in 
den Strafanstalten wahrgenommen. Man habe sich entschliessen 
müssen, nach der Ansicht der Aerzte, die Kost zu verbessern; 
die lang dauernde Freiheitsentziehung wirke nachtheilig auf 
die Gesundheit. Wolle man nicht geschwächte und kränkliche 
Menschen aus der Anstalt entlassen, so müsse man in der 
Kost dafür sorgen. Baden sei nicht blos ein Erforderniss der 
Reinlichkeit, sondern der Gesundheit. Was die Dampfmaschine 
betreffe, so sei die Einrichtung bereite vom hohen Hause be¬ 
willigt worden. Die von Sachs berührten Ersparnisse werden 
später des Näheren erörtert werden. — Nussbaumer: Er 
könne nicht speciell nachweisen, in welcher Beziehung die Ge¬ 
fangenen zu mild behandelt werden. Er glaube, dass es weni¬ 
ger an der Pflege als an der Behandlung liege. — Schnaidt: 


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339 


Auf Hohenasperg solle ein Wasserwerk hergestellt werden. 
Die umliegende Bevölkerung sei unwillig. Für die Soldaten 
habe man Jahrzehnte lang das Wasser in Wagen hinauf¬ 
geführt und jetzt für die Sträflinge solle das Wasser mit 
Maschinen beschafft werden. — Ministerialrath Breitling 
als Regierungscommissär: Was bezüglich der Wasserversorgung 
auf dem Asperg geschehen werde, sei noch unbestimmt. Zur 
Zeit werde allerdings das Wasser, welches zum Kochen und 
Trinken für die Sträflinge benöthigt sei, mittelst Fuhrwerke 
hinaufgeschafft. Diese Beförderung habe sich aber als zu theuer 
erwiesen. In welcher Weise eine Aenderung zu schaffen sei, 
darüber schweben noch die Verhandlungen. Uebrigens sei die 
Frage des Trinkwassers für die Sträflinge von viel grösserer 
Wichtigkeit als für die Bewohner der Kaserne. — Schnaidt: 
Die Militärverwaltung habe Akkorde mit Gutsbesitzern abge¬ 
schlossen. Er habe blos dem Unwillen der Bevölkerung Aus¬ 
druck geben wollen. — Ministerialrath Breitling: Er bemerke 
nur noch, dass die Pferde nicht ausschliessHch für die Wasser- 
hescbaffung gehalten werden, sondern dass sie zur Hinauf¬ 
schaffung anderer Materialien verwandt werden. Welches 
Wasser die Militärverwaltung verbraucht habe, sei ihm un¬ 
bekannt. — Egger: Bei denjenigen Verbrechern, welche zum 
zweiten und dritten Male kommen und lediglich nur eine Ver¬ 
sorgung suchen, möchte er doch bitten, dass ihnen die Freude 
am Zuchthaus etwas versalzen werde. 

Es wird in die Einzelberathung eingetreten. Tit. 1 bis 7 
werden ohne Debatte genehmigt. — Zu Tit. 8 (Hausgeistliche) 
nimmt Ministerialrath Breitling das Wort zur Begründung 
der für den katholischen Hausgeistlichen an der Filial-Straf¬ 
anstalt auf Hohenasperg verlangten Summe. — Es wird nichts 
dagegen erinnert. Die Tit 8 bis 11 werden bewilligt — 
Ebner (zu Tit. 12): Die Commission habe der Forderung zu¬ 
gestimmt, unter der Voraussetzung, dass auch den Landjägern 
die Aufbesserung gewährt werde. Der Titel wird genehmigt; 
desgleichen Tit 13—17. Zu Tit. 18 (Allgem. Amtsausgaben) 
spricht Ebner: Was die Forderung für die Herstellung einer 
Fussmauer mit eisernem Zaun um den Garten vor dem Zucht¬ 
haus in Stuttgart betreffe, so könne die Commisaion nichts 


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340 


dagegen einwenden. Der Titel wird genehmigt. — Sachs zu 
Tit. 19 (Aufwand auf die Verpflegung der Gefangenen): Er 
sei mit seinen Bemerkungen auf diesen Titel verwiesen wor¬ 
den. Er stelle den Antrag, hier 40000 «/Ä abzustreichen. Er 
wolle dem Staatsminister der Justiz Gelegenheit geben, hier 
seine Bemerkungen zu widerlegen. — Ebner: Man werde aus 
dem Umstand, dass die Regierung selbst einen Abstrich von 
16179 JL vorgesehen habe, das Bestreben derselben entneh¬ 
men, nur das Nothwendigste einzustellen. Er glaube nicht, 
dass eine Ersparniss möglich sei. Was die Behandlung der 
Gefangenen betreffe, so habe er bei persönlicher Erkundigung 
nicht den Eindruck bekommen, dass dieselbe zu human sei. 
Wenn man die Leute allzu knapp halte, so schädige man die¬ 
selben so sehr an ihrer Körperkraft, dass sie nach ihrer Ent¬ 
lassung zu eigener Unterhaltung nicht mehr fähig seien. Das 
finanzielle Ergebniss werde dann keine Ersparniss sein. — 
Ministerialrath Breitling: Er bitte dringend, den Antrag von 
Sachs abzulehnen.* Massgebend für die Position sei die Zahl 
der Gefangenen und die Höhe des Brodpreises. Die Frage 
der Ersparnisse sei gründlich erwogen worden; sollte die Po¬ 
sition geschmälert werden, so könnte leicht eine Etatsüber¬ 
schreitung die Folge sein. — H. v. Ow: Er habe sich schon 
früher mit dem Gegenstand beschäftigt, vermöge aber dem 
Antrag Sachs nicht beizustimmen. Der Nachweis, dass die 
geforderte Summe zu hoch sei, sei nicht erbracht. Der Ver¬ 
pflegungsaufwand von 55^ pro Tag und Kopf könne nicht zu 
hoch genannt werden. Uebrigens wünsche er, dass im künfti¬ 
gen Etat einzelne Angaben über den Aufwand gemacht wür¬ 
den. — V. Schad: Er bitte um Ablehnung des Antrags von 
Sachs; man solle nicht den Schein auf sich laden, als ob man 
mit dem Angriffe auf die Verpflegung einverstanden sei. Man 
habe seiner Zeit die Gefangenen verhungern lassen, so weit 
sei man in der Ersparniss gegangen. Das Loos des entlassenen 
Strafgefangenen sei ein mehr als trauriges und gehetzt, wie 
er sei, sehne sich ein solcher nach dem Asyl des Zuchthauses 
zurück. Das werde durch keine Strenge der Behandlung 
anders gemacht. Die Krankheiten seien sehr zahlreich; es fehle 
an frischer Luft, die Leute kommen manchmal Jahre lang 


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341 


nicht aus dem Zuchthaus heraus. — Sachs: Er habe gegen 
die Hauptbegründung seines Antrags eigentlich nichts gehört. 
Er wolle nur nicht, dass unter diesem Capitel, wie es ge¬ 
schehen sei, Ersparnisse gemacht werden. Es sei ihm nicht 
eingefallen, für eine Schmälerung der Kost der Gefangenen 
einzutreten. — Ministerialrath Breitling: Die Ersparnisse seien 
hauptsächlich unter der Rubrik Gewerbebetrieb der Strafanstalt 
Ludwigsburg gemacht und rühren keineswegs aus der Ver¬ 
pflegung her. — In der Abstimmung wird der Antrag der 
Commission, die ganze Forderung zu genehmigen, angenommen. 
Die Tit. 20—24 werden debattelos genehmigt. — Zu Tit 25 
spricht Schnaidt: Er nehme hier den Antrag Sachs auf und 
beantrage, die 40000 t4L hier zuzuschlagen. In erster Linie 
aber beantrage er, die Beschlussfassung über Tit. 25 bis zum 
Schluss des Capitels auszusetzen. — Ebner: Er habe nichts 
dagegen einzuwenden, wenn die Beschlussfassung zu Tit. 25 
ausgesetzt werde. — Die Tit. 26—28 werden genehmigt. — 
Ebner (zum ausserordentl. Aufwand): Die Frage der Wieder¬ 
herstellung der Wohnungen der Zuchthausaufseher in Ludwigs¬ 
burg habe schon früher das Haus beschäftigt. Jetzt seien von 
dem Werkmeister Assenheimer 4 Aufseherswohnhäuser erbaut, 
die, wie er nach seiner eigenen Kenntnissnahme versichern 
könne, einen sehr günstigen Eindruck machen. Deshalb würde 
er nichts dagegen einzuwenden haben, wenn die neu zu er¬ 
stellenden in gleicher Weise errichtet würden. — Ministerial¬ 
rath Breitling: Anschliessend an den Vorredner könne er 
weitere Einzelheiten mittheilen. Die Mehreinnahmen datiren 
aus dem Betrieb der Fein Weberei. Der Versuch eigener Fa¬ 
brikation habe nicht eingeschlagen; die vorhandenen Lager¬ 
bestände haben mit einigem Schaden losgeschlagen werden 
müssen. Man habe sich entschlossen, zur Lohnweberei über¬ 
zugehen ; damit sei ein etwas lohnenderer Betrieb erzielt wor¬ 
den. Daher habe sich auch eine höhere Einnahme im Etat 
herausgestellt, als er im Voranschlag in Aussicht genommen 
worden. Der Gefangenenstand sei ein um etliche 60 niederer 
gewesen als angenommen worden. Zu diesem seien niedrigere 
Brodpreise gekommen. Wolle man jetzt 40000 t/Äi abstreichen, 
so müsste man sich um weiteren und lohnenden Gewerbe- 


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342 


betrieb umsehen und dann werden sich nur die Klagen jener 
Geschäftsleute, welche über die Concurrenz der Strafanstalten 
jammern, vermehren. — Der Schluss des Capitels wird ge¬ 
nehmigt. Es ist nun noch Tit. 25 zu erledigen. Schnaidt 
hat jetzt den Antrag gestellt: „Die Gesammtexigenz des Staats¬ 
zuschusses zu Cap. 12 um je 40000 zu verkürzen.“ — Präs. 
V. Hohl: Er habe das Bedenken, dass die Summe von 
654 934 c/^ sich aus den einzelnen Titeln zusaromensetze, welche 
bereits genehmigt seien. Der Antrag Schnaidt könne also 
eigentlich nur noch auf Tit. 25 Bezug haben. — Schnaidt: 
Er halte seinen Antrag aufrecht und bitte das Haus, dem¬ 
selben zuzustimmen. Sachs habe nachgewiesen, dass Erspar¬ 
nisse bei der Verwaltung der Strafanstalten möglich seien. — 
Ebner: Schon vor zwei Jahren habe er die Möglichkeit von 
Ersparnissen in Aussicht gestellt. Was Schnaidt angeregt, lasse 
sich vielleicht bei späteren Etatsentwürfen berücksichtigen. 
Formell sei aber der Antrag unzulässig und ebenso unpraktisch. 
Man könne der Verwaltung nicht vorschreiben, so und so viel 
Ueberschüsso zu machen. — Abel: Einige Redner haben das 
Bedenken bekommen, ob nicht bei Aufstellung des Etats Irr- 
thümer mit unterlaufen, die zu vermeiden wären. Nach den 
Mittheilungen des Herrn Regierungscommissärs werden sich 
diese beruhigen können. Was den Antrag Schnaidt angehe, 
so glaube er nicht, dass Schnaidt die Absicht habe, die Con¬ 
currenz, welche die Strafanstalten dem Gewerbe machen, zu 
erhöhen. Er bitte, es bei dem Commissionsantrag zu belassen. 
— Mo hl: Er unterstütze diese Ausführungen und diejenigen 
des Regierungscommissärs vollständig. — Staatsminister von 
Fab er: Er werde es auch ferner für seine Pflicht ansehen, 
dahin zu wirken, dass mit der grössten Gewissenhaftigkeit zu 
Werke gegangen werde. Die Vorstände der Strafanstalten 
seien sehr tüchtige Leute. Aber einen Etat bei so beweg¬ 
lichen Dingen zu entwerfen, der auch nur annähernd Aussicht 
habe einzutreflfen, sei ein Werk von grösster Schwierigkeit. — 
Schnaidt meldet sich zum Wort. — Präs. v. Hohl: Sie 
wollen Ihren Antrag wohl zurückziehen? (Heiterkeit.) — 
Schnaidt; Allerdings wolle er die Concurrenz der Straf¬ 
anstalten mit den Industriellen nicht vermehren. Nach den 


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343 


Ausführungen des Herrn Ministers ziehe er seinen Antrag um 
so eher zurück, als derselbe doch keine Aussicht auf Annahme 
habe. (Heiterkeit.) Tit. 25 wird genehmigt. 

Karlsruhe, 26. Februar 1885. Die erfreuliche Ver¬ 
minderung der Gefangenenstände seit 1881 ist auch 
im verflossenen Jahre weiter fortgeschritten, wie die nach¬ 
stehende Zusammenstellung des durchschnittlichen täglichen 
Kopfstandes an Gefangenen zeigt: 


Jahr 

Untersuchungs¬ 

Straf¬ 

G^sammt- 

gefangene 

gefangene 

zahl 

1881: 

454 

2369 

2823 

1882: 

430 

2220 

2650 

1883: 

379 

2040 

2419 

1884: 

349 

1896 

2245 


Die Strafgefangenen vertheilen sich dabei auf die 
Hauptgattungen von Strafanstalten wie folgt: 


Jahr 

Central- 

Kreis- und 

Strafanstalten 

Amtsgefftngnisse 

1881: 

1504 

865 

1882: 

1493 

727 

1883: 

1451 

589 

1884: 

1354 

542 


Der Stand in den Kreisgefängnissen (1881 =116:1884 = 91) 
ist nicht so wesentlich verschieden. In den Amtsgefängnissen 
waren 1881 inhaftirt 1203 Personen, 1884 aber nur 800 Straf- 
und Untersuchungsgefangene. 

Strassbarg, 18. Februar 1885. Den amtlichen Mit¬ 
theilungen über die Ergebnisse der Gefängniss- 
verwaltung in Elsass-Lothringen für das Jahr 1883/84, 
welche dem Landesausschusse zugegangen sind, entnehmen 
wir folgende Einzelheiten: An Gefangenen waren am Beginn 
des Jahres 2673, darunter 707 Zuchthäusler, 992 Gefängniss- 
sträflinge, 232 Untersuchungsgefangene etc. vorhanden, wäh¬ 
rend der Bestand am Schlüsse des Jahres 2328 Gefangene auf¬ 
weist. Der Abgang im Laufe des Jahres hat also den Zugang 
um 345 überstiegen, ein gewiss erfreuliches Anzeichen, um so 
mehr als von dem Abg. Abb4 Winterer im Landesausschusse 
mit grosser, allerdings tendenziöser Beharrlichkeit behauptet 
wird, die Zahl der Zuchthäusler und Gefangenen in Elsass- 
Lothringen nehme von Jahr zu Jahr in einem erschreckenden 


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344 


Maasse zu. Bezüglich der Heimathsverhältnisse der Gefan¬ 
genen ist bemerkcnswerth, dass von den im Laufe des Jahres 
detinirt gewesenen 7936 Straf- und Untersuchungsgefangenen 
5954 Elsass-Lothringer, 1474 dem übrigen Deutschland An¬ 
gehörige und 508 Ausländer waren. Der Gesammtertrag der 
in den Straf- und Gefangnissanstalten Elsass-Lothringens in 
dem genannten Jahre von den Gefangenen angefertigten Ar¬ 
beiten belief sich auf 313027 davon erhielten die Gefan¬ 
genen 47919 als ihren Verdienstantheil. Durchschnittlich 
betrug die Netto-Einnahme für Arbeiten der Gefangenen pro 
Kopf und Jahr \02JL Die Gesammtausgaben der Gefängniss- 
verwaltung beliefen sich auf 791187 die Einnahmen auf 
228145 so dass aus Landesfonds baar zuzuschiessen waren 
563042 JL Im Durchschnitt kostet jeder Gefangene dem Lande 
264 pro Jahr. Aus diesen Zahlen ist einerseits ersichtlich, 
dass es in Elsass-Lothringen in Bezug auf Verbrechen und 
Vergehen noch lange nicht so schlecht aussieht, wie der Herr 
Pfarrer Winterer oft behauptet, andererseits dass das Land 
für seine Gefangenen verhältnissmässig sehr viel Geld hergiebt. 

Ans dem Grossherzogthnm Hessen, April 1885. Mit 
Beginn des neuen Verwaltungsjahres (1. April 1885) hat sich 
eine für unser Gefängnisswesen höchst bedeutungsvolle Orga¬ 
nisationsveränderung vollzogen, indem auch die bis dahin noch 
von der Ministerial-Section des Innern ressortirenden Anstalten 
— das Landeszuchthaus Marienschloss und die Gefängnisse zu 
Darmstadt und zu Mainz — der Justizverwaltung unterstellt 
worden sind, welch letzterer seither schon die Provinzial-Arrest- 
häuser und Haftlocale unterstanden. Somit ist denn auch in 
unserm Lande das gesammte Gefängnisswesen unter einer 
Centralleitung vereinigt und hierdurch ein seit langer Zeit in 
allen fachkundigen Kreisen sehnlich gehegter Wunsch in Er¬ 
füllung gegangen. Als Ressort-Chef fungirt nunmehr Geheimer 
Staatsrath Hall wachs; mit der unmittelbaren obern Leitung 
sämintlicher Gefangenen-Anstalten ist der Oberstaatsanwalt 
Schlippe betraut, der zugleich als Rath in das Ministerium 
des Innern und der Justiz berufen ist. An die neue Central¬ 
leitung treten sofort Aufgaben von höchster Wichtigkeit heran. 
Bekanntlich besteht noch in unseren obengenannten eigent- 


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345 


liehen Strafanstalten fast ausschliesslich das System der ge¬ 
meinsamen Haft. Ebenso ist den Lesern dieser Blätter bekannt, 
dass die Grossherzogliche Regierung bereits seit zwei Decennien 
den Neubau einer grossen Central-Strafanstalt nach dem System 
der Einzelhaft geplant hat. Diese Absicht soll jetzt, nachdem 
die früheren, insbesondere finanziellen Hindernisse, welche der 
Ausführung entgegenstanden, beseitigt sind, endlich verwirk¬ 
licht werden, indem nach der Thronrede, mit welcher die 
gegenwärtige Ständeversammlung eröflFnet worden ist, dem 
Landtag eine desfallsige Vorlage zugehen wird. Ausser der 
Central-Strafanstalt ist noch die Errichtung eines neuen Pro¬ 
vinzial-Arresthauses in Mainz in Aussicht genommen und hier¬ 
für die Summe von 200000 JL in das Staatsbudget eingestellt 
worden. Der glücklichen Lösung dieser für unser Land so 
wichtigen Probleme dürfen wir, bei der Thatkraft und Ein¬ 
sicht unserer leitenden Spitzen und bei dem auch in den Geld 
bewilligenden Körperschaften immer mehr zunehmenden Inter¬ 
esse für die gedeihliche Entwickelung des Gefangnisswesens, 
mit Zuversicht entgegensehen. 

Meiningeil, 22. April 1885. Der Landtag berieth und ge¬ 
nehmigte die Vorlage der Regierung, zu Zwecken der Erweite¬ 
rung des Zuchthauses in Massfeld eine Anleihe von 71,000 tAL 
aufzunehmen. Im Verlaufe der Verhandlungen wurde aus der 
Mitte des Landtags in sehr entschiedener Weise darauf hinge¬ 
wiesen, dass nicht die Humanität der Strafgesetzgebung, sondern 
die zu milde Behandlung der Verbrecher in den Strafanstalten 
zu reformiren sei; die letztere sei ein Antrieb zum Rückfall für 
zahlreiche Verbrecher; es sei deshalb eine strengere Hausordnung 
in den Strafanstalten einzuführen und auch vor der Wiederein¬ 
führung der Prügelstrafe keine Scheu zu tragen. Auch andere 
Abgeordnete, die zwar letztere Massregel bekämpften, sprachen 
sich für schärfere Hausordnungen aus. Der Landtag beschloss 
schliesslich mit grosser Mehrheit, die Regierung möge zwischen 
den an der Strafanstaltsgemeinschaft betheiligten Staaten über 
die Frage der Einführung einer strafferen Hausordnung bezw. 
die Frage der Zulässigkeit der körperlichen Züchtigung Er¬ 
örterungen einleiten. 


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Yeriisclite!!. 


Das Resultat der neuesten Criminal-Statistik. Alles 
statistische Material erhält zweifellos nur dann seinen richtigen 
Werth, wenn der Inhalt der zahlenmässigen Angaben voll¬ 
ständig erfasst und mit objectiver Buhe gewürdigt wird. Ohne 
Erfüllung dieser Bedingung wird die Statistik stets ein zwei¬ 
schneidiges Schwert bleiben. Und zwar wird solches um so 
mehr der Fall sein, je mehr irgend ein Gebiet der statistischen 
Wissenschaft noch an Mängeln und Lücken leidet, die das 
Hervortreten eines scharfen Öildes erschweren. An solcher 
Unzulänglichkeit leidet bis jetzt noch, wie die ersten Autori¬ 
täten zugeben, unsere Criminalstatistik, und es werden 
die umfassendsten Anstrengungen gemacht, in dieser Beziehung 
Wandel zu schaffen. Bis dahin aber, dass das erstrebte Ziel 
erreicht ist, werden die criminalistischen Feststellungen vor 
wie nach in sophistischer Weise von denjenigen ausgebeutet, 
welche ihren Bestrebungen eine Basis durch die Behauptung 
zu geben suchen, dass eine „Verrohung“ und eine Demorali¬ 
sation des Volkes in der Zunahme begriffen sei. 

Wir haben schon mehrfach Gelegenheit genommen, einer 
solchen tendenziösen Schwarzmalerei entgegenzutreten und sind 
auch heute in der Lage, vollgiltige Beweise für unsern Stand¬ 
punkt beizubringen. 

Zunächst ist es die Criminalstatistik des Deutschen 
Reiches für das Jahr 1883, welche uns zur Seite steht. Wir 
wollen die einzelnen Zahlen hier nicht wiederholen, sondern 


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847 


nur aus denselben feststellen, dass l) die Zahl der verurtheilten 
Personen gegen das Voijahr nur um 160 gestiegen ist, eine 
Zunahme, die mit der allgemeinen Bevölkerungszunahme jeden¬ 
falls nicht gleichen Schritt gehalten hat; 2) die Zahl der 
jugendlichen Verurtheilten (unter 18 Jahren) ziemlich bedeu¬ 
tend herabgegangen ist und dass 3) die Verurtheilungen wegen 
Diebstahls, Hehlerei, Betrugs, Hausfriedensbruchs und Sach¬ 
beschädigung, welche einen Hauptfactor für die Beurtheilung 
der allgemeinen Moralität liefern, trotz des erhöhten Verkehrs¬ 
lebens abgenommen haben. 

Die Verminderung der jugendlichen Verbrecher ist von 
grosser Bedeutung und legt Zeugniss davon ab, dass Schule 
und häusliche Erziehung immer ausreichender ihre Schuldig¬ 
keit thun und dass die socialen Verhältnisse eine günstige 
Entwickelung gewinnen. Was die unter 3. aufgeführten De- 
licte betrifft, so würde sich das Resultat unfehlbar noch viel 
günstiger gestalten, wenn die Statistik sich zugleich damit be¬ 
fasst hätte, auch die Zahl der Rückfälle festzustellen und 
damit das Contingent der Gewohnheitsverbrecher auszuschei¬ 
den, was mit seinem „eisernen Bestand^ das allgemeine Bild 
niemals zu alteriren vermag. 

Sehr wichtig ist ferner die Abnahme der Verbrechen 
gegen die Sittlichkeit, sie ist geeignet, der allgemeinen 
Moralität ein gutes Zeugniss auszustellen. Dasselbe gilt von 
den Meineidsfällen, die von 1011 auf 871 sanken. Eine 
geringe Zunahme der Beleidigungsfälle und der leichten Körper¬ 
verletzungen kann nicht sehr schwer in’s Gewicht fallen, sie 
wird mit bedingt durch den gesteigerten Verkehr und das er¬ 
höhte Leben in den Verkehrscentren. 

Die Verbrechen des Mordes und Todtschlages hatten sich 
gegen das Jahr 1882 um 3 verringert, wie denn überhaupt die 
Zahl von 317 für den ganzen Umfang des Reiches nicht als 
eine zu besonderer Besorgniss Veranlassung gebende anzu¬ 
sehen ist. Und gerade hier steht unsere Criminalstatistik noch 
nicht auf der erforderlichen Höhe, indem sie das psycho¬ 
logische Moment ausser Betracht lässt, welches die hier in 
Rede stehenden Thaten erst ihrem Charakter nach kenn¬ 
zeichnet. Die Neigung zu Gewaltthaten, welche während eiher 


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348 


gewissen früheren Periode hier und da bervortrat, hat abge¬ 
nommen. In dieser Ansicht darf man sich auch nicht durch 
den Umstand beirren lassen, dass eine gesteigerte Publicität 
sofort von jedem Verbrechen die weiteste Kunde gibt und 
manche Pressorgane keine besseren Aufgaben kennen, als eine 
förmliche Schreckenskammer zu etabliren und sensationell aus¬ 
zustatten. Selbst in ihrer bis jetzt noch unvollkommenen Ge¬ 
stalt gibt uns also die Reichscriminalstatistik für 1883 ein 
ziemlich tröstliches Bild. Specielle locale Verhältnisse können 
natürlich nicht in Betracht kommen, jede Criminalstatistik hat 
nur dann Werth, wenn sie grössere Bezirke in’s Auge fasst. 

Eine treffende Illustration zu der Reichscriminalstatistik, 
eine Illustration, welche uns erheblich zur Seite steht, liefert 
die soeben veröffentlichte Nachweisung der Gesammtzahl der 
in den gerichtlichen Gefängnissen Preussens wäh¬ 
rend der Etatsjahre 1881/82, 1882/83, 1883/84 detinirt 

gewesenen Gefangenen, eine Nachweisung, die bis jetzt 
fehlte und die man als eine sehr werthvolle Bereicherung der 
Criminalstatistik mit PVeuden begrüssen muss. Es fehlte bis jetzt 
jegliches Zahlenmaterial über die zahlreichen, dem Justizmini¬ 
sterium unterstehenden Gefängnisse. Diese Lücke war um so 
empfindlicher, als zum Ministerium des Innern nur die zur Voll¬ 
streckung von Zuchthausstrafen bestimmten Anstalten, ferner 
eine Anzahl grösserer zum Theil nur zur Vollstreckung von 
laiigzeitigen Gefängnissstrafen bestimmter Gefangenen-Anstalten 
und endlich der grösste Theil der Anstalten in der Rhein¬ 
provinz gehören; alle anderen Gefängnisse (382) gehören zur 
Justizverwaltung. Nunmehr ist also zum ersten Male auch 
bezüglich dieser von der Justizverwaltung ressortirenden Ge¬ 
fängnisse eine Statistik erschienen, die ein Correlat zu der vom 
Ministerium des Innern publicirten Gefängnissstatistik bildet. 
Erst eine Vereinigung beider Veröffentlichungen kann ein rich¬ 
tiges Bild geben. Und dieses Bild darf als ein erfreuliches 
bezeichnet werden. Die Gesammtzahl der im Laufe des be¬ 
treffenden Etatsjahres detinirt gewesenen Gefangenen aller 
Kategorien betrug 1881/82: 620404 Köpfe, 1882/83: 583161, 
1883/84 547930; sie ist also in zwei Jahren um 72474 oder 
11,7% heruntergegangen. Auch die durchschnittliche Tages- 


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349 


belegung ist von 32698 über 31535 auf 27 760 Köpfe, also 
um 15,1% gesunken. An dieser Abnahme sind alle Gefan¬ 
genen - Kategorien betheiligt, insbesondere ist die Zahl der 
Untersuchungsgefangenen von 143715 auf 131500, die der 
Strafgefangenen mit Gefängnissstrafe mit 307490 auf 265476, 
die der zur Haft verurtheilten Strafgefangenen von 167 974 auf 
133679 herabgegangen. Allerdings müssen 16084 im Jahre 
1883/84 separat gezählte Polizeigefangene zu den für dieses 
Jahr ermittelten Untersuchungs- und Haftgefangenen zuge- 
reebnet werden, wenn man Vergleiche anstellen will, denn in 
den betreffenden Zahlen der früheren Jahre sind alle derarti¬ 
gen Polizeigefangenen mit eingerechnet. Immerhin aber ist 
die Abnahme bedeutend genug, um den Schluss zu recht- 
fertigen, dass die Zahl der Untersuchungs- wie der Straf¬ 
gefangenen im Königreich Preussen in erheblicher Ab¬ 
nahme begriffen ist. 

Auch nach den neuesten, wenn auch immer noch nicht 
vollkommenen, statistischen Erhebungen müssen wir mithin zu 
dem Schlüsse gelangen, dass von einer Verschlimmerung auf 
dem Gebiete Criminalität nicht die Rede sein kann, dass viel¬ 
mehr eine fortschreitende Besserung wahrnehmbar ist. Sensa¬ 
tionelle politische Attentate und Morde dürfen, nebenbei 
bemerkt, selbstverständlich der Qualität nach ausser Betracht 
bleiben und müssen bei einer allgemeinen Statistik in die 
gewöhnlichen Rubriken eingereiht werden. 

Was uns noch fehlt, um die criminalstatistischen Zahlen 
weiter herabzudrücken, ist eine Reform der Strafanstalten und 
des Gefängnisswesens überhaupt. An der Erkenntniss, dass 
eine solche Reform nothwendig sei, fehlt es nirgends, und 
hoffentlich werden die namentlich finanziellen Schwierigkeiten, 
die sich ihrer Durchführung entgegenstellen, auf die Dauer 
keine unüberwindlichen sein. 


Irische Gefüngnisse. Ueber die Zustände in den irischen 
Gefängnissen werden der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ aus 
London Dinge berichtet, die zum Theil auch für Diejeni¬ 
gen, welche der Gefängnissstrafe einen strengen Charakter zu 
erhalten wünschen, das Maass des Zulässigen überschreiten; 

Bl&tter für Oefängnisskonde. XIX. 23 


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350 


sie sind aber dem officiellen Berichte einer königlichen Com¬ 
mission entnommen, welche im Aufträge der Regierung das 
irische Gefängnisswesen zu untersuchen hatte, und somit bestens 
beglaubigt. Was die verurtheilten Gefangenen betrifft, so hält 
die Commission es für „nothwendig“, zu berichten, dass die 
Gefangenen „mangelhaft genährt“, barbarisch gestraft werden 
und dass der Procentsatz der in’s Hospital geschickten Kran¬ 
ken ein „höchst auffälliger“ sei. Die Commission räumt ein, 
„dass die Kerker von Schmutz starren und dass im Winter 
nicht hinreichende Sorge dafür getragen wird, dass in den 
Oefen auch bei Nachtzeit ein Feuer erhalten werde, was bei 
der dort herrschenden Temperatur gerade in jenen Stunden 
am schlimmsten ist“. Sie „räumt endlich ein, dass eine ent¬ 
setzliche Anzahl von Gefangenen dem Wahnsinn verfallt.“ 
Ganz dunkle Zellen sind noch im Gebrauch. Viele Gefangene, 
die ihren Verstand behalten, sterben — eine grössere Anzahl 
wird wahnsinnig. „Eine der ernstesten Thatsachen,“ fährt der 
Bericht fort, „liegt in der grossen Anzahl von Gefangenen, 
die nach ärztlichem Zeugniss in dem Gefängnisse von Mountjoy 
(Berg der Freude!) und Spike irrsinnig werden.“ Dies wird 
so erklärt: „Wir nehmen wahr, dass ein grosser Theil jener 
Gefangenen, über welche die Beamten langwierige Bestrafun¬ 
gen verhängen, zu der Zahl Derer gehört, die in Folge dessen 
wahnsinnig werden. Wir sind überzeugt, dass viele dieser 
Fälle, wenn nicht alle, in einem Haftlokal für Invalide hätten 
behandelt werden sollen, wie sich deren eins zu Maryborough 
befindet, also dass die Disciplinarstrafe hätte vermieden wer¬ 
den und ärztlicher Beistand anstatt dessen Platz greifen können.“ 
„Das soll bedeuten,“ wie das „Echo“ erklärt, beiläufig das 
einzige Londoner Blatt, das den Bericht nicht verschweigt, 
„dass Leute, die schwach an Körper und Geist, die in’s Ho¬ 
spital und unter ärztliche Pflege gehören, die eines geringen 
oder gar keines Verstosses sich schuldig machen, in absolut 
finstere Zellen gesperrt, krüppelhaflFt in „Muffis“ (schwere Hand¬ 
schellen) oder in „Splints“ (Arm- und Beinschleifer) gezwängt 
werden oder mit anderen Torturwerkzeugen Bekanntschaft 
machen; ihre Nahrung ist Brod und Wasser, bis der Verstand 
Valet sagt, und wenn der Wärter den Bestraften wieder er- 


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351 


lost, ist das Licht aus „da oben^ und nichts als ein stammeln¬ 
der Narr übrig gebliebenl Und dies sind die Kerker, in 
welche Mr, Förster 3000 Irländer werfen liess, viele darunter 
Leute von gutem Ruf, deren einziger Fehler ihr Hass gegen 
englisches Regiment und das Begehr war nach so viel freier 
Selbstherrschaft, als fast jede britische Colonie besitzt. Hier 
hielt er sie monatelang ohne Anklage, ohne Verhör, und nur 
zu viele unter ihnen, wenn endlich freigelassen wegen man¬ 
gelnden Beweises, traten wieder an’s Licht als — Bettler!“ — 
So das englische Blatt! Der Gewährsmann der genannten 
Wiener Zeitung bemerkt dazu: „Es thut weh, auf dem Boden 
eines grossen, freien Volkes dergleichen zu erleben, und der 
Völkerpsychologe hat hier viel krasse Widersprüche zu er¬ 
klären. Grenzenloser Schlendrian und das geringe Mitleid mit 
körperlichen Leiden sind leider nationale Züge. Das Parla¬ 
mentsmitglied Macfarlane bereitet jetzt für das Unterhaus eine 
Aufstellung von 800 Gerichtsfällen vor, in welchen über schwere 
Misshandlungen viel geringere Strafen verhängt wurden, als 
über leichte Vergehen am Eigenthum. Von einem und dem¬ 
selben Richter zu Blackburn wurde ein Mann, der eines zweiten 
Diebstahls schuldig befunden, den er an zwei Hühnern ver¬ 
übt hatte, zu sieben Jahren Zuchthaus verurtheilt; eine Raben¬ 
mutter dagegen, die ihr sechsjähriges Söhnchen mit einem 
heissen Schüreisen geschlagen und ihm dann die Spitzen der 
Finger abgebissen hatte, zu zwanzig Schilling Geldstrafe! In 
voriger Woche verurtheilte ein Londoner Richter einen Arbei¬ 
ter, der seine Frau brutal misshandelt hatte, zu drei Monaten 
Einsperrung, mit dem Hinzufügen, dass er diese „schwere 
Ahndung“* nur deshalb dekretire, weil der Angeklagte schon 
einmal seine Frau so misshandelt habe, „dass ihr ein Bein 
amputirt werden musste“! Dieselbe Strafe erhielt jüngst ein 
Mann, der ein Ei gestohlen und sofort hungrig verschluckt 
hatte, und auf Anzeige einer Dame wurde ein zwölfjähriges 
Dienstmädchen, welches Zucker im Werthe von zwei Pence 
genascht, mit vierzehntägiger Einsperrung und fünf Jahren 
Aufenthalt in einer Besserungsanstalt für jugendliche Verbrecher 
bestraft. So geschehen zu London 1883. 


23* 


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352 


Aus Egypten. Die egyptische Rechtspflege ist, ebenso 
wie die türkische, eine höchst mangelhafte, da sie durchweg 
in den Händen von Beamten ruht, welche nur auf Erpressung 
bedacht, jeder Art von Bestechung zugänglich sind und gegen 
deren Entscheidung es keine Berufung gibt. Der Koran gilt 
als Rechtscodex für die Mohammedaner; das Strafrecht gründet 
sich theils auf Wiedervergeltung, theils auf Abschreckung oder 
Schadenersatz. Freiheitsstrafen spielen nur eine untergeordnete 
Rolle, eine desto grössere aber die Geld- und körperlichen 
Strafen. Unter den letzteren ist die am häufigsten vorkom¬ 
mende die Bastonnade (vom französischen baston oder bäton, 
der Stock), wie die Europäer die im ganzen Orient übliche 
Prügelstrafe benannt haben. Man versteht darunter Schläge 
auf die Fusssohlen oder auch Schläge auf den Rücken; als 
Schlaginstrument dient dabei ein Stock, ein mit Knoten ver¬ 
sehener Strick oder Lederriemen. In Egypten spielt diese 
Bastonnade namentlich in den Gefängnissen eine gar traurige 
Rolle, indem sie nach Willkür der Richter oder Polizei-Organe 
nicht nur für begangene Vergehen dekretirt, sondern auch an¬ 
gewandt wird, um Aussagen und Geständnisse zu erpressen. 
Es kann daher im Interesse der Humanität nur beifällig auf¬ 
genommen werden, dass in neuerer Zeit ein Engländer, Dr. 
Harry Crookshank, welcher bereits in türkischen Diensten ge¬ 
standen hat, zum Inspecteur und Generf^-lgouverneur aller egyp- 
tiscben Gefängnisse ernannt worden ist; hofiPentlich wird es 
ihm gelingen, wenigstens an einigen Stellen dem oben gekenn¬ 
zeichneten Unwesen zu steuern. 


Man schreibt aus Württemberg über Vege- 

tariaBismns: 

1) Obgleich unsere Zeit die Gesetze der Ernährung in 
wissenschaftlicher Weise zuerst erforscht hat, macht sich doch 
in fanatisch-propagandistischem Grade eine durchaus unwissen¬ 
schaftliche Bewegung geltend, der Vegetarianismus. Man 
hat durch mühsame Untersuchungen festgesetzt, welche Mengen 
der chemisch verschiedenen StoflFe der Körper zu seinem Auf¬ 
bau verlangt und in welchen Verhältnissen diese Bestandtheile 
in den verschiedenen Nahrungsmitteln enthalten sind. Aus 


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353 


diesen Faktoren hat man eine gemischte (thierisch-pflanzliche) 
Kost construirt, welche als das Ideal zu betrachten. Nun ist 
es ja ganz richtig, dass es viele Millionen Menschen giebt, 
welche den grössten Theil des Jahres von Pflanzenkost leben, 
dabei gesund und arbeitsfähig sind, aber bei diesen ist eine 
kräftige Muskelbewegung in freier Luft das Moment, welches 
es ermöglicht, dass aus den Massen der pflanzlichen Kost die 
nöthige Nahrung gezogen wird. Wie dagegen ohne diese Be¬ 
wegung in freier Luft und ohne diese Muskelanstrengung die 
fast ausschliesslich vegetabilische Kost auf den Menschen wirkt, 
das sehen wir aus den Wirkungen der Gefangenenkost. 
Mit Ausnahme des Brodes erhält der Sträfling seine ganze 
Kost in wässeriger Form. Durch das Beissen und Kauen einer 
festen, durch Gewürz und sonstige Zubereitung angenehm 
duftenden und schmeckenden Speise werden alle für die Ver¬ 
dauung thätigen Organe angereizt: Speichel und Magensaft 
werden in grosser Menge abgesondert, der Verdauungskanal 
zu vermehrter Thätigkeit angeregt und die Nahrungsmittel 
sonach auch leichter und schneller verdaut. Eine wenig an¬ 
sprechende Kost in breiiger Form wird den Verdauungskanal 
in seinen Functionen träge machen und durch ihren grossen 
Wassergehalt die abgesonderten Verdauungssäfte verdünnen 
und ihre Kraft schwächen. Diesem übergrossen Reichthum der 
Sträflingskost an Wasser ist der übermässige Wassergehalt 
der Gewebe des Körpers und in Folge davon das aufgedunsene 
und schwammige Aussehen der Gefangenen zuzuschreiben. Um 
die gleiche Menge nährender Substanzen bei Fleischnahrung 
oder Pflanzennahrung zu geniessen, muss der Mensch bei 
letzterer noch ein sehr grosses Quantum Wasser geniessen, da 
die Gemüse bekanntlich sehr wasserhaltig sind, Kartoffeln bis 
95%. Berücksichtigt man, dass zum trockenen Brode noch 
Wasser getrunken wird, dass das Stärkemehl der Pflanzenkost 
im Körper selbst zu Kohlensäure und Wasser zerfällt, so ist 
es nicht auffallend, dass bei Pflanzenkost der Körper mit 
Wasser völlig überfluthet wird. Deshalb sind auch die Schlüsse 
trügerisch, welche aus der Wägung des Gefangenen gezogen 
werden. Die Reform der Gefangenenkost hat also nicht die 
Quantität iifs Auge zu fassen, sondern das Verhältniss der ein- 


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354 


Eelnen Nährstoffe zu einander zu verändern. Man muss die 
überschüssigen und unnützen Mengen der Kohlenhydrate und 
da, wo die Brodration eine sehr grosse ist, auch diese redu- 
ciren und dafür mehr leicht verdauliche animalische Substanzen, 
insbesondere Fleisch und Käse, substituiren, man muss mehr 
Fett den Speisen zusetzen und diese selbst in mehr fester Form, 
nicht immer als Suppe und Brei, darreichen. Von der Ernäh¬ 
rung der Gefangenen hängt natürlich wesentlich die Sterblich¬ 
keit in den Strafanstalten ab. Im Königreich Württemberg 
war die Sterblichkeit in den Zuchthäusern von 1842—51 bei 
einer Durchschnittsbevölkerung von 1738 im Mittel 4,4%. Von 
1851 — 56 in der Zeit der Theuerungsjahre war die Zahl der 
Sträflinge auf 2746 im Durchschnitt und die der Sterbefälle 
auf 7,5% gestiegen. Von 1858—76 sinkt die Zahl der Gefan¬ 
genen auf den Durchschnitt von 1387 und die Sterblichkeit 
auf 2,4—2,5%. Giess (Deutsche Vierteljahrsschrift für öffent¬ 
liche Gesundheitspflege, Bd. 11, 1879) schreibt diesen Umstand 
theils der geringeren Ueberfüllung der Anstalten zu, theils dem 
Umstand, dass um diese Zeit die Beköstigung in den Zucht- 
und Arbeitshäusern erheblich verbessert wurde. Der Theil 
der Vegetarianer, welcher nicht Gelegenheit zu kräftiger Muskel¬ 
anstrengung hat, also die Mehrzahl der weiblichen Personen, 
wird gleich den Gefangenen auf Kosten der Muskelsubstanz fett 
und schwammig und dadurch wenig widerstandsfähig werden. 

2) Erst in neuerer Zeit hat die Physiologie angefangen, sich 
eingehender mit den Gesetzen der Ernährung zu beschäftigen, 
doch die bis jetzt erhaltenen Ergebnisse sind Zahlen, welche 
gewonnen werden einfach aus der chemischen Analyse und 
quantitativen Bestimmung der gebräuchlichen und nach heuti¬ 
gen Begriffen zweckmässigen Nahrung. Eine Rückwirkung 
auf die Volksernährung selbst haben diese Daten eigentlich 
noch nicht gehabt, da sie ja nicht viel mehr als die Sanction 
der von den Altvorderen überkommenen gemischten Kost¬ 
ordnung bedeuten, nur dass Mancher beute sein Beefsteak mit 
dem Bewusstsein verzehrt, so und so viel Stickstoffverbindun¬ 
gen, Fett und Kohlenhydrate mit demselben seinem Körper 
einzuverleiben und dass man nach den gefundenen Normal¬ 
zahlen thunlichst die Grösse des täglichen Fleischquantums 


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einzurichten trachtet. Leider stellt sich nun heraus, dass es 
unmöglich ist, die behauptete gemischte Normalnahrung Allen 
zugänglich zu machen, da nicht genug Fleisch oder überhaupt 
thierische Nahrung vorhanden ist; im Gegentheil macht sich 
in allen Culturländern mit wachsender Bevölkerung die Beob¬ 
achtung geltend, dass wohl die Zahl der Menschen wächst, 
aber die der Schlachtthiere abnimmt. Naturnothwendig wird 
somit die Menschheit, will sie nicht verhungern, dazu gedrängt, 
pflanzliche Nahrung für thierische zu substituiren. (Vgl. Carey, 
Socialöconomie, sowie Beketoff, Die Ernährung des Menschen 
in der Zukunft.) Wenn nun heute vorausschauende, volks- 
wirthschaftlich gebildete Menschen schon jetzt freiwillig so viel 
als möglich auf animale Nahrung verzichten, wozu sie viel¬ 
leicht auch noch ethische Gründe veranlassen mögen, so macht 
man ihnen den Vorwurf, eine „fanatisch - propagandistische 
unwissenschaftliche^ Bewegung angezettelt zu haben, als ob 
die Socialwissenschaft keine Wissenschaft sei. Aber nicht nur 
finden diese Menschen die Billigung der neueren National- 
öconomen, auch Physiologen, wie Paul Bert, Beketoff und andere 
bekunden ihnen ihre Sympathie, da dem objectiven Forscher 
doch die gefundenen Zahlenwerthe einfach das Maass der Nähr¬ 
stoffe bedeuten, welche unsere Nahrung enthalten soll, so dass 
es dem subjectiven Ermessen des Einzelnen überlassen bleiben 
muss, ob er diese Nährstoffmengen sich aus dem Thier- oder 
Pflanzenreich verschaffen will. Allerdings wird nun entgegnet, 
dass das leibliche Elend des fast ausschliesslich auf pflanzliche 
Nahrung angewiesenen Proletariats deutlich für die Ungleich- 
werthigkeit thierischer und pflanzlicher Nahrung Zeugniss gebe, 
dass also, wer nur irgend könne, sich vorwiegend thierische 
Nahrung verschaffen müsse; aber ehe man einen solchen 
Schluss voreilig zieht, muss man doch untersuchen, ob das 
Unzureichende der Nahrung des Proletariats nicht in Anderem 
als in der pflanzlichen Nahrung an sich beruhe, und gerade 
in dieser Hinsicht geben uns die neuesten wissenschaftlichen 
Arbeiten eines Oertel und Ebstein beachtenswerthe Finger¬ 
zeige. Oertel sagt mit nackten Worten: Wir bringen zu viel 
Flüssigkeit in unsern Körper und die Folgen hievon sind 
Kreislaufstörungen, Säfteentmischung, Fettsucht und Aufge- 


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— 356 — 

dunsensein in Folge Wasserreichthums der Gewebe. Wenn 
nun die saftigen Früchte und Gemüse schon 80—95 ®/q Wasser 
enthalten, so ist dies an sich noch keineswegs ein Nachtheil; 
denn dafür enthalten die ölhaltigen Früchte sowie die Cerealien 
kaum .5% Wasser, so dass eine rationelle Mischung beider 
einen geringeren Gesammtwassergehalt erzielen kann, als das 
Fleisch mit seinen 60—75% Wasser aufweist; wohl aber wird 
ein Nachtheil geschaffen, wenn man die wasserreichen Früchte 
und Gemüse mit viel Wasserzusatz zubereitet Nicht nur dass 
überflüssiges Wasser aufgenommen wird, es wird auch mit dem 
Wasser, da man den schalen Geschmack des gekochten Wassers 
mit reichlichem Kochsalz auszugleichen pflegt, unnöthiges und 
daher schädliches Kochsalz dem Organismus einverleibt und 
durch den erzeugten Durst erneute Flüssigkeitsaufnahme be¬ 
wirkt Die reichlichen Flüssigkeitsmengen aber verdünnen die 
Verdauungskräfte, so dass die Verdauung tind somit die Ernäh¬ 
rung nothleiden muss und alle die oben aufgeführten Symptome 
der Ueberschwemmung des Körpers eintreten. Wie reich die 
verkehrt bereitete pflanzliche Nahrung des Proletariats an 
Wasser ist, kann man aus der controlirbaren Zusammensetzung 
der Sträflingskost folgern. Nach Baer wird mit 320 Gr. ge¬ 
kochtem Gemüse, welches, da es wasserreich genug ist, in 
gedämpftem Zustande genossen werden sollte, 2400—3200 Gr. 
Wasser verzehrt; rechnet man nun noch den grossen Wasser¬ 
gehalt der beliebten Breie, sowie den des reichlich verab¬ 
reichten Brodes und endlich der überdies genossenen Getränke 
hinzu, so wird man nicht fehl greifen, wenn man das Durch- 
schnittsmaass der täglichen Wasserzufuhr bei Sträflingen und 
verkehrt kochenden pflanzenessenden Menschen zu 5—6 Litern 
annimmt. Die Folgen einer so kolossal gesteigerten Flüssig¬ 
keitsaufnahme, denn das Normalquantum sollte höchstens 1^2 
Liter betragen, können nicht lange ausbleiben, besonders wenn 
(bei den Sträflingen) Mangel an Bewegung eine unter diesen 
Umständen heilsame Thätigkeit der Schweissdrüsen unmöglich 
macht. Wir sehen somit, dass es ein gewaltiger Unterschied 
ist, mit Pflanzennahrung sein Dasein zu fristen oder sich mit 
Pflanzennahrung zu nähren, denn während der verkehrt kochende 
und auch entschieden zu einseitig lebende Proletarier elend ist. 


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357 




befindet sich der sich rationell von Fruchtnahrung Nährende in 
dem denkbar günstigsten Ernährungszustände. An der Zube¬ 
reitung allein liegt es, wenn Pflanzennabrung unzureichend 
scheint; aber haben wir nicht ein Analogon aus der Praxis 
des gemischten, resp. animalen Regimes? Oder ist nicht der 
Skorbut, einst der Schrecken der Seeleute, die Folge ver¬ 
salzener animaler Nahrung, und ist es nicht hier gerade die 
ausschliessliche Pflanzennahrung, die am schnellsten Genesung 
bringt? Wenn besonders weibliche Personen zu starkem Fett¬ 
ansatz neigen, so ist dies nicht zum geringsten Theil die Folge 
des überreichlichen Kaffee- und Theegenusses; aber dass die 
Vegetarianerinnen nicht das Hauptkontingent zu den Riesen¬ 
damen stellen, dürfte doch*wohl bekannt sein; im Gegentheil 
haben wir immer gehört und auch gesehen, dass rationell 
lebende Vegetarianer beiderlei Geschlechts sich eher durch 
eine gewisse Hagerkeit oder, richtiger gesagt, durch normales 
Ebenmass auszeichnen, was aber keineswegs ein Nachtheil ist, 
da die Widerstandsfähigkeit derjenigen, deren Körper weniger 
wasserreich ist, und das ist doch bei den Vegetarianern, die 
die Durst machenden Gewürze thunlichst vermeiden, der Fall, 
bekannt ist. Auch haben wir gefunden, dass Leute, welche 
zu sitzender Lebensweise gezwungen sind, sich trotz mangeln¬ 
der Bewegung weit, weit besser fühlen als bei gemischter Kost 
(vgl. Franklins Selbstbiographie). Somit braucht man sich durch 
den bedeutenden Wasserreichthum der Früchte und Gemüse 
nicht von dem ausschliesslichen Genuss der gesunden pflanz¬ 
lichen Nahrung abhalten zu lassen, da die eiweiss- und fett¬ 
reichen sowie wasserarmen Nussfrüchte, liCguminosen und 
Cerealien das Gegengewicht bilden, insofern man nur rationell 
kocht und überflüssiges Wasser vermeidet. 

Der Einfluss der Temperatur auf die menschlichen 
Handlungen wird von L. Fuld im Märzheft von „Auf der 
Höhe“ klar und interessant nachgewiesen. So ist es z. B. durch 
die Statistik festgestellt, dass die Sittlichkeitsverbrechen parallel 
der Zunahme der Sonnenhitze steigen und zu derselben Zeit 
culminiren, in welcher auch der Sonnenbrand seine intensivste 
Kraft äussert, dann aber parallel der Abnahme der Hitze fallen 


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358 


und ihr tiefstes Niveau in den Monaten erreichen, in welchen 
die Temperatur am tiefsten unter Null steht, also im Dezember 
und Januar. Das umgekehrte Verhältniss besteht bei Dieb¬ 
stählen, Betrügereien und Urkundenfälschungen; ihre Zifltern 
steigen im Winterquartale und erreichen ihren Höhepunkt im 
Januar. Eine sehr bedeutsame Erscheinung ist es auch, dass 
das weibliche Verbrecherkontingent während der Sommer¬ 
monate eine verhältnissmässige Vermehrung aufweist, während 
im Allgemeinen während des Sommers ein Sinken der Crimi- 
nalitätsziffern zu verzeichnen ist. Der Grund dieser auffallenden 
Anomalie liegt jedenfalls darin, dass das Weib dem Temperatur¬ 
einflüsse stärker unterworfen ist als der Mann. Das weibliche 
Gehirn ist gegenüber der Gluth der Sonnenstrahlen weniger 
widerstandsfähig als das männliche, und deshalb unterliegt 
das Weib im Sommer viel mehr der Gefahr, dem Verbrechen, 
dem Selbstmord, dem Irrsinn anheimzufallen. Auch ist es 
Tbatsache, dass in den südlichen Himmelsstrichen die Frequenz 
der weiblichen Selbstmörder im Verhältniss bedeutender ist 
als in den nördlichen. Nicht der trübe, kalte, regnerische 
Herbsttag, nicht die eisige Luft befördert in dem weiblichen 
Gehirn die Reife des selbstmörderischen Gedankens, sondern 
der ungetrübte, sonnig^heisse Sommertag. Auch auf die Wahl 
der Todesarteh äussert die Temperatur ihre Wirkung. Wäh¬ 
rend des Sommers und bis in den Herbst hinein, so lange die 
schöne, warme Witterung zum erfrischenden Bade einladet, 
bildet das Grab in den Wellen die Hauptkategorie der Arten 
des Selbstmordes, noch viel mehr bei dem weiblichen als bei 
dem männlichen Geschlechte. Sobald aber die Witterung sinkt 
und das Wasser kalt zu werden beginnt, verliert es auch seine 
Anziehungskraft für den freiwilligen Tod. Dies ist für die 
Psychologie im Allgemeinen und für die des Weibes im Spe- 
ciellen ungemein belehrend. Es zeigt, dass das Weib selbst 
in dem Augenblick, in welchem es den Schritt ausführt, der 
es vom Leben abruft, ängstlich besorgt ist, die unangenehme 
Berührung mit dem kalten Elemente seinem zarten, an die 
Unbill der Witterung nicht gewöhnten Körper zu ver¬ 
meiden. (??) 


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359 


Die Verwendung des Torfmulls, wie die feinste Sorte 
von Torfstreu genannt wird, zur Reinhaltung der Aborte 
und zugleich zur Erzielung des höchsten Werthes für mensch¬ 
lichen Dünger macht in Norddeutschland, insbesondere in den 
den Mooren naheliegenden Gegenden, wie Hannover, Braun¬ 
schweig, Bremen, Oldenburg, bemerkenswerthe Fortschritte. 
Die Erfolge dieses Systems haben das Streukloset (das in 
einem überall leicht aufstellbaren Kasten mit einer beim jedes¬ 
maligen OeflFnen und Zumachen des Sitzdeckels thätigen 
Mechanik zum Ausstreuen einer Portion Torfmehl besteht) 
bereits auch in süddeutsche Gegenden, zumal nach Baden und 
der Schweiz, in Privathäuser und in Anstalten geführt. Ein 
Hinderniss für die raschere Verbreitung dieses sanitär wie 
landwirthschaftlich-öconomisch rationellsten Systems für die 
Abortanlagen in Grubfen war in Süddeutschland die wenn auch 
nicht theure, so doch immerhin mit grösseren Transportkosten 
verbundene Anschaffung des hannoverschen Torfmulls. Am 
dem württembergischen Etat und den Kammerverhandlungen 
geht hervor, dass nun auch auf den kgl. württemb. Mooren die 
Herstellung von Torfstreu und Torfmull in Angriff genommen 
wird. Damit gewinnen die in Norddeutschland mit diesem 
Material erzielten Erfolge bei uns grössere Bedeutung, lieber 
die Verwendung des Torfmulls (bezw. der Torfstreu überhaupt) 
hat der Docent für Gesundheitslehre Dr. Blasius in Braun¬ 
schweig' einen Vortrag gehalten, der im Verlag von Meyer 
daselbst gedruckt erschienen ist. Aus demselben ersehen wir, 
dass die von Seiten mehrerer Fachmänner am braunschw^ei- 
gischen Polytechnikum während einer Dauer von sieben Mo¬ 
naten mit Torfmull als Mittel, die Verpestung des Grund und 
Bodens um die Abortgruben aufzuhalten, angestellten Ver¬ 
suche das Resultat gehabt haben, dass Dank der starken Auf¬ 
saugungskraft der Excremente durch den Mull der Boden in 
seiner Reinheit sich sehr bedeutend verbessert hat. Bei ge¬ 
mauerten Gruben vollends, welche bekanntlich mit der Zeit 
alle mehr oder weniger durchlässig werden zum Schaden der 
Gesundheit der Bewohner, hört jedes Durchdringen der Flüssig¬ 
keit auf. In Braunschweig hat man keinen Anstand genommen, 
während der jüngsten Choleragefahr das Einstreuen von Torf- 


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360 


mull obligatorisch zu machen. Nachdem in einem Privathause 
in Charlottenburg bei Berlin das Torfkloset eingeführt worden, 
erschien in einer dortigen Zeitung ein Bericht, welchei** die 
Wohlthat dieser Einrichtung hervorhebt und Folgendes dazu 
bemerkt: „Den practischen Baumeistern und umsichtigen Bür¬ 
gern sei cs empfohlen, sich von den grossen Vorth eilen dieser 
Einrichtungen zu überzeugen; sie müssen die Entscheidung 
herbeiführen, ob wir künftig, wenn wir den Tonnenwagen 
rumpeln liören, rasch ein Schnupftuch mit Eau de Cologne 
vor die Nase nehmen oder ruhig auch bei Tage einen geruch¬ 
losen Wagen mit schwarzer Erde (in welche sich der 
Menschendünger verwandelt hat) davonfahren sehen, ob wir 
künftig nur mit einer gewissen Scheu einem Theil unseres 
Hauses nahen werden oder ob wir ohne die geringsten Un¬ 
bequemlichkeiten einen geruchlosen Aboft besuchen. Zur Des- 
infection des Auswurfs genügt pro Kopf und Jahr etwa für 
70^ Torfmull, d. h. pro Familie etwa 3 Jt, 50^.“ In Braun¬ 
schweig ist die Bildung einer Torfstreucompost-Gesellschaft 
geplant, welche die Abfuhr unternehmen will, sobald die Haus¬ 
besitzer sich verpflichten, regelmässig Streuungen mit Torfstreu 
eintreten zu lassen. Wie sehr bereits jetzt in Braunschweig 
der menschliche mit Torfmull gemischte Dünger begehrt ist, 
zeigen die für denselben gezahlten Preise: es zahlen dort die 
Landwirthe für Räumen einer Latrinengrube, wenn sie bequem 
ausgeführt werden kann, 9, 12, 15, ja 18t/Ät, so dass pro Kubik¬ 
meter 4 — 6 entfallen. So machen sich die Kosten einer 
Torfstreueinrichtung nicht nur bezahlt, sondern werfen noch 
einen Gewinn ab. Die Werthschätzung des Torfmulldüngers 
bei der Landwirthschaft in und um Braunschweig ist um so 
beachtenswerther, als diese Stadt eine ausgedehnte Cultur 
seiner Gemüse, besonders von Spargeln, treibt. 

— „Torfstreu ein wichtiger Faktor für Städte¬ 
reinigung und Landwirthschaft“, unter dieser Auf¬ 
schrift veröflFentlicht der „Nürnberger Corresp.“ durch drei 
Nummern einen Aufsatz über diesen Gegenstand. Der inter¬ 
essante Aufsatz dieses Blattes rührt von einem Fachmanne 
her, welcher „seit Jahren die Latrinenfrage verfolgt und 
sich practisch mit derselben zu befassen gehabt hat“. Im Ver- 


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361 


folge dieser Thätigkeit, schreibt er, sind auch Versuche mit 
dem Torfstreumaterial (Torfmull) gemacht worden, die so 
ausserordentlich günstig ausfielen und von solch überraschenden 
Erfolgen begleitet waren, dass im öflFentlichen Interesse des 
Näheren darüber berichtet werden soll. Die Abortanlage in 
der Wohnung des Verfassers ist die denkbar ungünstigste: 
schlecht gedeckte Grube, hölzerne undichte Abfallrohre und 
schlechtschliessender Sitzdeckel; die Grube unmittelbar an das 
Haus anstossend und im kleinen Höfchen auf drei Seiten vom 
Hauptgebäude umfasst. Die natürliche Folge solcher Con- 
struction war nahezu unerträglich, beizender Geruch im Abort¬ 
gemache, der bei jedem Witterungswechsel die Wohnung durch¬ 
zog. Es wurde nun im Herbste 1883 ein Versuch mit Torf¬ 
mülle gemacht, der die oben bemerkten Uebelstände sofort 
und nachhaltig beseitigte. Die im Frühling 1884 vorgenommene 
Räumung der Grube vollzog sich ohne jede Belästigung; die 
Arbeit wurde während des Tages vorgenommen und die hie¬ 
bei beschäftigten Arbeiter gaben ihr Erstaunen kund, dass sie 
in der gefüllten Grube trockenen Fusses umhergehen konnten, 
kein übler Geruch wahrzunehmen sei und selbst die Schaufeln, 
mit denen der Inhalt auf den Wagen geleert wurde, keinen 
Geruch angenommen hatten. Der gefüllte offene Wagen wurde 
am hellen Tage durch die Strassen abgeführt, ohne dass irgend 
ein Vorbeigehender einen Geruch daran wahrgenommen hätte. 
Die Ammoniakgase waren durch das Streumaterial vollständig 
gebunden. Der zu Tag geförderte Inhalt machte den Eindruck 
von frisch gegrabener Dammerde. Das gegebene Beispiel fand 
sofort Beifall und es haben Private wie auch die Stadtverwal¬ 
tung (zunächst für die Schulgebäude) mit dem gleichen Erfolge 
dieses Streumaterial in Verwendung genommen. — Nachdem 
der Verfasser sodann bemerkt, dass das Torfmull-Kloset 
die Wasserklosets völlig entbehrlich macht, fährt er fort: 
„Besonders werthvolle Dienste leistet die Torfmülle in Kranken¬ 
zimmern; eine Hand voll davon oder mehr in die dort unent¬ 
behrlichen Geschirre geleert, benimmt jeden Geruch. Was die 
Torfmülle bei den Aborten leistet, nämlich Desinfection durch 
Bindung der Gase und Reinhaltung der Luft, Trockenhaltung 
des Grubengrundes und dessen Umgebung, gewährt die Torf- 


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362 



streu in den Stallungen .... Zu den Vortheilen, welche die 
Verwendung von Torfmiille bei den Latrinen in gesundheit¬ 
licher Beziehung schafft, kommt noch der weitere Nutzen, dass 
die also mit Fäcalien gesättigte Masse ein äusserst werth¬ 
voller Dungstoff ist, der gleichzeitig nebst vollständiger 
Geruchlosigkeit eine sehr bequeme Handhabung gestattet; der¬ 
selbe lässt sich mit Schaufel und Rechen leicht und gleich- 
mässig auf der Bodenoberfläche zertheilen. Die ungeheuren 
Massen von Fäcalien, welche in Städten sich jährlich an¬ 
sammeln und nur zum geringsten Theile nutzbare Verwendung 
finden, lassen sich mittelst des Streutorfes leicht und geruchlos 
fortschaffen und dem Fruchtboden in der nächsten Umgebung 
der Städte Zufuhren wie auch in trockenem und gepresstem 
Zustande weiter verfrachten. Wie der Gebrauch der Torf¬ 
mülle ZU diesem Zwecke eingeführt wurde, hat er sofort weitere 
Nachahmung gefunden. Die kgl. preussische Provinzialregierung 
in Magdeburg hat auf Grund der gemachten Erfahrungen die 
Einführung der Torfmülle den ihr unterstehenden Städten an¬ 
gelegentlich empfohlen und Unter dieser Voraussetzung die 
Räumung wie Abfuhr des damit gesättigten Grubeninhaltes 
während der Tageszeit gestattet. Die gleiche Erlaubniss hat 
die Polizeidirection in Braunschweig ertheilt; die dortige Eisen¬ 
bahnverwaltung lässt die Verfrachtung in offenen Wagen zu. 
Die Verwendung solchen Düngers hat nach eingezogenen zu¬ 
verlässigen Mittheilungen sowie nach eigener Beobachtung 
ausserordentlich günstige Fruchtresultate erzielt. Auf Veran¬ 
lassung des Verfassers wurde im Frühjahr' 1884 ein verglei¬ 
chender Versuch in einem Weinberge angestellt und zwar auf 
einem grösseren Stücke in gleicher Lage und Bodenbeschaffen¬ 
heit (Kalk). Der eine Theil wurde mit Ammoniak-Super- 
phosphat und Kainit in hälftiger Mischung gedüngt und hiebei 
100 Gramm auf den Weinstock verwendet. Diese Mischung 
wurde von dem unterfränkischen Weinbauverein als die bisher 
erfolgreichste empfohlen. Der andere Theil des Weinberges 
wurde mit gesättigter Torfmülle (zwei Fuhren), frisch aus der 
Grube gehoben, gedüngt. Beide Theile waren gleich gross 
Qe V 2 Morgen = 9 Aren) und mit 1600 Weinstöcken zu¬ 
sammen bestanden. Im Verlaufe des Sommers wurde bei dem 


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mit Latrinentorf behandelten Theile eine reichlichere Laub¬ 
und Fruchtentwicklung (bis zu 30 Stück Trauben an einem 
Stocke) und Anfangs September bereits beobachtet, dass die 
Beeren dort vollkommen weich und sehr zuckerhaltig waren, 
während beim ersteren Theile sowie in den umliegenden Wein¬ 
bergen die Beeren noch hart und sauer waren. Die Edelfäule 
erfolgte auf dem mit Latrineninhalt behandelten Theile unge¬ 
fähr um 14 Tage früher. Das erfreulichste Resultat wurde 
jedoch bei der Lese selbst wahrgenommen; die hier gelesenen 
Trauben hatten 87 Grad Zuckergehalt nach Oechsle, während 
die übrigen Trauben 76 — 78 Grad auswiesen. In Gemüse- 
und Obstgärten angewendet erzielte dieser Dünger ein ganz 
ausnehmendes Fruchterträgniss; ein glaubwürdiger Augenzeuge, 
welcher im Anhalt'schen, also ziemlich nördlich, einen so ge¬ 
düngten Obstgarten 1883 gesehen, erzählte, dass dort Pfirsiche 
und Aprikosen in einer Fülle und Grösse gerathen seien, die 
er in Deutschland gar nicht für möglich erachtet hätte. Für 
Handelspflanzen, wie Hopfen, Spargel, Tabak u. dgl., ist solcher 
Dünger der wirkungsvollste, ganz besonders wegen seines hohen 
Salzgehaltes bei Tabak. Der Landwirthschaft wird, wie aus 
dem Dargestellten zu entnehmen, durch dieses Torflatrinen¬ 
material ein billiger und ergiebiger Dünger zugeführt, dessen 
Werth bald allgemeine Schätzung finden wird. Die geschil¬ 
derten Eigenschaften des Torflatrinendüngers ermöglichen den 
Stadtgemeinden, die Reinigung ihres Weichbildes ohne jegliche 
Belästigung und gründlich durchzuführen, überdies dabei noch 
beachtenswerthen Ge\^inn zu erzielen. Zunächst wäre mit den 
Communalgebäuden, wie Schulhäuser, Spitäler u. s. w., zu be¬ 
ginnen. Die weitere Ausdehnung wird nicht lange auf sich 
warten lassen, denn wer nur einmal sich von den Vorzügen 
des Materials überzeugt hat, schliesst sich an. Schliesslich 
wünschte der Verf., dass auch auf bayrischen Torfmooren Torf¬ 
streu und Torfmull gewonnen werden möge. Im Uebrigen 
komme die Einfuhr des norddeutschen Mulls nicht so theuer, 
um irgendwie ein Hinderniss für allgemeine Verwendung zu 
bilden. 

— „Die Verwerthung der städtischen Fäcalien“^ 
bearbeitet von Prof. Heiden, Prof. A. Müller, Oeconomierath 


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V. LangsdorfiF. Mit 50 Holzschn. Hannover, Ph. Cohen. 1885. 
Dieses Sammelwerk ist im Aufträge des deutschen Landwirth- 
schaftsrathes von den Genannten bearbeitet worden. Es gibt 
eine vollständige Uebersicht über die vorhandenen Systeme 
der Entfernung der städtischen Abfallstoffe, deren Werth einer 
kritischen Betrachtung unterw^orfen wird. Während der erste 
Theil über diese Systeme berichtet, enthält der zweite Theil 
eine Sammlung von Berichten aus allen grösseren deutschen 
und einigen ausländischen Städten, in welchen deren Ein¬ 
richtungen bezüglich der Fäcalbeseitigung und Verwendung 
besprochen werden. Am Schluss wird das Resultat der Unter¬ 
suchung in einer Anzahl von „Grund- und^ Erfahrungssätzen“ 
zusammengefasst. Im Allgemeinen geht das Urtheil der Sach¬ 
verständigen dahin, dass die Frage der Reinhaltung einer Stadt 
nicht ein für allemal durch den Hinweis auf ein bestimmtes 
System beantwortet werden kann, indem die örtlichen Ver¬ 
hältnisse zu verschieden sind. So werden denn verschiedene 
Systeme für empfehlenswerth gehalten; insbesondere das 
Liernur’sche, in Amsterdam angewendete, das in der Beförde¬ 
rung der Fäcalien (nachdem deren wässerige Bestandtheile 
ausgeschieden sind) durch Luftdruck in unterirdischen Röhren 
hinaus aufs freie Feld besteht 5 nur schade, dass die Kost¬ 
spieligkeit desselben seiner allgemeinen Verbreitung im Wege 
steht; das Tonnensystem, wie in Heidelberg, ist ebenfalls höchst 
zweckdienlich, lässt sich aber in grösseren Städten wegen der 
Umständlichkeit der Handhabung nicht leicht einführen; in 
Bezug auf das Grubensystem mit Entleerung durch Saug¬ 
apparate und verbunden mit der Verfrachtung zum Besten der 
Landwirthschaft wird die Stuttgarter Einrichtung als eine 
musterhafte bezeichnet, wenn das System selbst auch hygienisch 
und ästhetisch Manches zu wünschen übrig lässt; als ein Fort¬ 
schritt dieses Systems wird die gegenwärtig so viel bespro¬ 
chene Verwendung des Torfmulls in den Gruben, zu welchem 
Zwecke practische Streuklosets erfunden sind, bezeichnet. In 
dieser Beziehung heisst es in dem Schlussergebniss: „Die 
tägliche Mischung (Compostirung) der Fäcalien mit auf¬ 
trocknenden Zusätzen, namentlich mit Torfstreu oder Torfmull, 
ist geeignet, die Nachtheile des Grubensystems zu verringern 


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365 


bezw. aufzuheben.“ Und in dem Commentar zu diesem allge¬ 
meinen Satz wird Folgendes ausgeführt: In Braunschweig, wo 
man mit Versuchen in Schulen und sonstigen öffentlichen Ge¬ 
bäuden sehr günstige Erfahrungen gemacht hatte, war die Ver¬ 
wendung im August 1883 zur Zeit der Befürchtung einer 
Cholera-Invasion obligatorisch geworden und hat sich damals 
viele Freunde erworben, welche sie auch nach Aufhebung des 
Zwangs beibehielten. Auch in Hannover, Oldenburg und andern 
norddeutschen Städten findet die Torfstreu vielfach Anwendung, 
und nachdem ein Versuch an einer städtischen Bezirksschule 
in Chemnitz günstig ausgefallen ist, stehen bezügliche Einrich¬ 
tungen auch in Leipzig und Dresden bevor, ähnlich ist es in 
Frankfurt a. O. In der Umgegend von Braunschweig sind mit 
dem Torfstreudünger so günstige Erfahrungen gemacht wor¬ 
den, dass bereits sich ein Marktpreis von 35^ pro Zentner 
gebildet hat; es stehen mithin dem Aufwand von 1,70 für 
die Torfstreu 3,15 «/^ Einnahme gegenüber, so dass sich noch 
ein pecuniärer Ueberschuss ergibt. In Braunschweig zahlen 
die Landwirthe für das Räumen einer Latrinengrube, wenn sie 
bequem ausgeführt werden kann und Torfstreu in Anwendung 
kam, 9 —12«/^., so dass pro Cubikmeter 4 — 6 e/Ä entfallen. 
Wenn auch nicht allerorten die Landwirthe ebenso rasch zu 
entsprechender Bezahlung sich entschliessen werden, da sie 
zuvor ihre eigenen Erfahrungen machen müssen, auch der 
gärtnerische Feldbetrieb nicht überall so entwickelt ist, wie 
bei Braunschweig, so werden die günstigen physikalischen 
Eigenschaften der Torfstreu doch sehr bald sie dazu führen, 
Fäcaltorfstreudünger mit Vorliebe zu verwenden und zu ent¬ 
sprechenden Preisen abzunehmen, wo solcher mit genügender 
Gewähr für dessen gute Beschaffenheit angeboten wird. Frei¬ 
lich hängt die Einführung der Torfstreu in den Städten 
auch davon ab, dass sich Unternehmer finden, welche ebenso 
die regelmässige Versorgung der Aborte bezw. Closets mit 
derselben, wie die geordnete Abfuhr in die Hand nehmen. — 
Ueber die Systeme der Schwemmcanalisation jund der Beriese¬ 
lung fallen die Berichte ein absprechendes, zum Theil ver¬ 
nichtendes Urtheil. Der Podewills’schen Poudrettirung wird 
ein günstiges Zeugniss ausgestellt, vielleicht ein zu günstiges, 

Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 24 


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366 


Wenn in Bezug auf dasselbe jede Belästigung der Umgebung 
durch eine solche Fabrik verneint wird. 


Lesefrüchte. Unser berühmter Strafrechtslehrer von 
Holtzendorff schreibt in der „Gegenwart“, Band XVIII., 
Nr. 48 u. 49: 

Die Tages-Presse. Die ideale Auffassung der Presse 
ist diese: Sie bedeutet für das Volk das höchste politische 
Lehramt. Man hätte die Pressfreiheit nicht als einen Aus¬ 
fluss der individuellen Freiheit der Person, sondern als 
eine wichtige Gestaltung der Lehrfreiheit ansehen sollen, 
die unabhängig von Regierung und Kirche die höchsten Ga¬ 
rantien der wissenschaftlichen und ethischen Befähigung der 
Redactionen nach einem gesetzlich festgestellten Massstab er¬ 
fordert. (Dann hätten die Gefängnisse wohl auch nicht so 
viele Zeitungsschreiber als ebenso lästige wie für die Disciplin 
schädliche Insassen, auch keine Sitzredacteure zu beherbergen.) 

Wohlthätigkeitszweck. Die grösste Wohlthat, die 
man einem Menschen erzeigen kann, ist Hilfe zur Selbsthilfe: 
Unterstützung zum Zwecke der Selbstständigwerdung. Die 
Gewöhnung anderer Menschen an die durch Wohlthaten auf¬ 
erlegte Abhängigkeit taugt nichts. (Diese Sentenz kann von 
den Vereinen zur Fürsorge für entlassene Gefangene nicht tief 
genug beherzigt werden.) 

Militärbudget. Mit Unrecht erhebt man gegen das 
moderne Heerwesen den Einwand der wirthschaftlichen Un- 
productivität. Es wirkt wie Uferbauten an Strömen und Seen; 
das Heerwesen muss nur wie diese den Zwecken der Ver- 
theidigung und Sicherung entsprechen: es muss schützen. 
(Wie steht es in dieser Beziehung mit unserem Strafgesetz 
und unserer Strafrechtspflege?) 

Ueber den Mangel guter Volkslectüre. Die we¬ 
nigsten Menschen aus den ärmeren Volksklassen wissen, welche 
Genüsse sie sich durch ihre Lesenskunde bereiten könnten. 
Die Anlage guter, billiger oder auch unentgeltlicher Volks¬ 
bibliotheken ist eine dringende Aufgabe unserer Zeit, in der 
sich die unzulänglichen Früchte des bisherigen Volksunterrichts 


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deutlich genug offenbaren. Soweit freie Vereinsthätigkeit nicht 
ausreicht, muss Staat und Gemeinde helfen. Die grosse Masse 
derer, die auf Kosten des Staats oder der Gemeinde lesen 
gelernt haben, liest entweder gar nichts, was zu ihrer inneren 
Förderung dient, oder sie liest zum Schaden des Staates, was 
den Zwecken der gesellschaftlichen Ordnung schädlich ist. 
(Eine vortreffliche Apologie für die oft so sehr vernach¬ 
lässigten oder wohl gar verspotteten Bibliotheken für Ge¬ 
fangene.) 

* ^ * 

— Charakterschilderung, die häufig zutrifft: 

Nicht herzlos, nicht schlecht, nur charakterlos, 
leichtsinnig, unerfahren, hatte eine schlechte Erziehung 
genossen und besass die bösen Instincte der Mutter. 

(Autor nicht mehr erinnerlich.) 


Ans Sttddentschland, im März 1885. Die Vorträge von 
Dr. theol. Faber über Socialismus und Chiliasmus, 
welche in mehreren Städten gehalten wurden, beschäftigen sich 
auch mit der Frage, inwiefern der Vervollkommnungsprozess 
der Menschheit seinen Endpunkt erreicht. Redner meinte, 
dass eine unmittelbare Nähe des Endes nicht anzunehmen sei, 
da sich die Grundfactoren unserer Cultur noch nicht aus¬ 
gelebt haben, aber bei der Raschheit ihrer Entwicklung und 
der Unmöglichkeit eines bedeutend weiteren Fortschritts liege 
das Ende vielleicht auch näher als Viele glauben. — — Es 
wäre für die Entwicklung des Strafvollzugswesens von sehr 
bedenklichen Consequenzen, wenn wir annehmen müssten, 
dass wir auf der Höhe der Cultur angekommen sind und bald 
abwärts gehen. 

Bettstellen nnd Matratzen. Die Fabrik von 
W. Ungeheuer in Höchst a. M. verfertigt schon seit Jah¬ 
ren schmiedeeiserne Bettstellen und Matratzen mit verzinnten 
Federn und Ueberzug nach Pariser System (Sommiers orien¬ 
tales), welche sehr dauerhaft und empfehlenswerth sind. Die 
Fabrik erbietet sich auch, an Anstalten, die eine grössere An¬ 
zahl Bettstellen oder Matratzen anschaffen wollen, ein Stück 

24* 


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368 


während eines Jahres «um Gebrauch zu überlassen und nicht 
convenirenden Falles wieder zurückzunehmen. Auch Modelle 
stehen zur Verfügung, lieber die Anwendung derselben lie¬ 
gen Zeugnisse vor von Spitälern und aus Strafanstalten. Im 
Landesgefängniss Freiburg im Breisgau sind solche Matratzen 
für Kranke und Aufseher seit 7 Jahren im Gebrauch und 
haben sich in jeder Hinsicht bewährt. 


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369 


SCllltZWeiiGD. 


1 . An erster Stelle haben wir dieses Mal zu verzeichnen 
den ^Bericht über die Thätigkeit der Bezirks¬ 
vereine und der Centralleitung zum Schutz für 
entlassene Gefangene im Grossherzogthum Baden 
im Jahre 1884.“ Druck von Fr. Gutsch in Karlsruhe. 

Es ist dies der zweite Rechenschaftsbericht, verfasst und 
herausgegeben vom geschäftsführenden Ausschuss der Central¬ 
leitung in Karlsruhe, über die Wirksamkeit des neu organi- 
sirten Schutzwesens in Baden. Die schönen Hoffnungen auf 
eine gedeihliche Weiterentwicklung desselben erfüllen sich zu¬ 
sehends, die ihm zur grösseren Lebensföhigkeit als Grundlage 
gegebenen Einrichtungen bewähren sich vollkommen, die in 
unleugbarer Weise beim Publikum bestehende Abneigung 
gegen die Theilnahme an der Schutzthätigkeit für entlassene 
Gefangene scheint sich immer mehr zu beseitigen oder doch 
einigermaassen abzuschwächen, während anderseits bei den 
Strafentlassenen selbst das richtige Maass von Vertrauen 
und Hingebung gegenüber der Fürsorge der Schutzvereine in 
steter Zunahme begriffen ist Es darf daher auch nicht wun¬ 
dern, dass S.K.H. der Grossherzog nunmehr das Protectorat 
über die Schutz vereine übernommen hat, um durch Bezeigung 
seiner landesväterlichen Werthschätzung fördernd und auf¬ 
munternd auf die Bestrebungen derselben einzuwirken. Den 
aus diesem Anlass in Audienz empfangenen Mitgliedern des 
Ausschusses der Centralleituiig wurde unter Versicherung des 
gnädigsten Dankes kundgegeben, wie S. K. Hoheit von dem 
erfreulichen Fortschritt auf dem Gebiete der Schutzthätigkeit 


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370 


stets gerne Kenntniss genommen hat und auch fernerhin allen 
Bestrebungen zur Förderung der Vereinszwecke mit wärmsten 
Interesse folgen werden. 

Wie vorliegender Bericht uns mittheilt, hat sich die 
Zahl der Bezirksvereine von 54 auf 57 vermehrt 
Im Ganzen gehören denselben 6852 Mitglieder an. Die 
Thätigkeit der einzelnen Vereine hat einen erheblichen 
Zuwachs erfahren. Während nämlich die Zahl der Fälle, in 
welchen während des Jahres 1883 die Vereinshilfe beansprucht 
worden ist, sich auf 225 belaufen hat, stieg sie bis zum 
Schlüsse des Jahres 1884 auf 306. Zehn Vereine konnten ihre 
Thätigkeit nicht entwickeln, da ihre Hilfe nicht angerufen 
wurde. 

Ganz hervorragend ist der Umfang, den die Scbutzthätig- 
keit des Freiburger Vereines angenommen hat, der im 
Ganzen 85 Gesuche (also 28% von soeben genannter Gesammt- 
zahl) angenommen und zu erledigen gehabt hat. Die Central¬ 
leitung spricht für dieses schöne Ergebniss dem dortigen Vor¬ 
stande einen besonderen Dank aus. 

Abgewiesen wurden 33 Gesuche. Unter denversorgten 
Schützlingen waren 255 Badener, 45 deutsche Nichtbadener 
und 6 Ausländer (Oesterreicher und Schweizer). Nach ihrem 
Alter begegnet man 48 Jugendlichen unter 18 Jahren; nach 
ihrer Religion sind 196 Katholiken, 94 Evangelische und 1 
Israelite zu verzeichnen. Bei 15 Persönlichkeiten ist deren 
Religion unbekannt— Unter denselben sind folgende Berufs- 
arten vertreten: Gewerbetreibende 131, Taglöhner 60, Land- 
wirthe (Knechte) 20, bad. Staats- und Reichsbedienstete 14, 
Kaufleute 13, Lehrer und Fabrikarbeiter je 9, Scribenten 7, 
Gemeindebedienstete 6, Dienstboten 5, Agenten 4, Mechaniker 
3 und je 1 Geistlicher, Bergmann und Musiker. Bei 13 konnte 
der Beruf nicht festgestellt werden. Unter den Verbrechen, 
wegen deren die Schützlinge früher bestraft worden, ragt der 
Diebstahl (und zwar vorwiegend der schwere, im Rückfalle 
begangene) mit 117 Fällen hervor. — Die Arten der Für¬ 
sorge waren ausserordentlich mannigfaltig: Arbeitsvermittlung 
(in 134 Gesuchen), Anschaffung von Werkzeug, Kleidern, Hin¬ 
gabe von Reisegeld, Ankauf von Lebensmitteln, Bestreitung 


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371 


des Hauszinses, Mittel zur Auswanderung, Darlehen, Beher¬ 
bergung, Vermittelung einer Lehrstelle u. s. w. 

Die Auszüge aus den Berichten der Einzelvereine bieten 
sehr interessante Blicke in das mitunter ganz eigenartige Be¬ 
streben, einem Empfohlenen gründlich aufzuhelfen. — Die 
vier Central Strafanstalten des Grossherzogthums Hessen 
es nicht an Ueberweisungen an die Vereinsfürsorge fehlen, 
unter Einhaltung der unerlässlichen Rücksichten auf die Indi¬ 
vidualität des zu Entlassenden wie auf die Verhältnisse, mit 
denen der betr. Verein zu rechnen hatte. — Die Central¬ 
leitung selbst erledigte 36 Gesuche, wo es sich meistens um 
Verwilligung grösserer Beträge aus der Centralkasse handelte 
— Zur Gründung der Arbeitercolonie Ankenbuck gab die 
Centralkasse einen erst nach 10 Jahren kündbaren Vorschuss 
von 10,000 tAL Dagegen verpflichtete sich die Leitung der 
Colonie auch zur Annahme von entlassenen Sträflingen. 

In welcher Weise die Centralleitung bemüht war, ein 
reges Zusammen wirken aller Einzelvereine wach zu halten, 
haben wir an dieser Stelle früher schon berichtet. Das Ver- 
ständniss dafür, dass die Schutzthätigkeit nach ihrem Wesen, 
ihren sittlichen Prinzipien und ihrer socialen Bedeutung eine 
allen Vereinen gemeinsam obliegende Aufgabe ist und 
deshalb auch, wenn nöthig, unter Aufbietung aller der Ge- 
sammtheit zu Gebote stehenden Mittel gemeinsam gelöst wer¬ 
den müsse, ergreift immer weitere Kreise und trägt seine guten 
Früchte. — Das Vermögen der Einzelvereine beträgt zus. 
19,556 tAL 08 \ Die Centralkasse besitzt in veranlagten Gel¬ 
dern und Baarmitteln 21,841 JL 18 Wir sind fest über¬ 
zeugt, dass das badische Schutzwesen in den bewährten und 
kundigen Händen seiner derzeitigen Oberleitung in nicht ferner 
Zeit zu einer solchen Blüthe sich ausbilden wird, dass es mit 
demjenigen in allen andern Ländern kühn sich messen kann. 

2 . Dem Bericht des Ausschusses des Landes¬ 
vereins für Arbeitercolonien in Baden entnehmen 
wir über die Arbeitercolonie Ankenbuck Folgendes: 
Das Hofgut Ankenbuck, auf Gemarkung Klengen, Amts Vil- 
Hngen, ist eine halbe Stunde südwestlich von Dürrheim gelegen. 


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Das Gut besteht aus zwei Gebäuden, sodann aus etwa 85 Mor¬ 
gen Landes; ausserdem sind die in der Nähe liegenden, ver¬ 
schiedenen Eigenthümern gehörigen Grundstücke schon zahlreich 
zu annehmbaren Preisen zum Kaufe angeboten und gestatten 
demnach die Ausdehnung der Niederlassung zu beträchtlichem 
Umfang und ohne allzu grossen Kostenaufwand. Das Gut ist 
etwa eine Stunde von dem Dorfe Klengen entfernt, wo sich 
eine Eisenbahnstation befindet. Die Gebäude des Gutes liegen 
auf einer kleinen Anhöhe und gestatten bequeme Uebersicht 
über die gesammte Gutsfläche. Die beiden Gebäude sind voll¬ 
kommen gleich beschaffen aussen und innen; jedes derselben 
hat eine Front von etwa 75 Fuss Länge. Schon in ihrem 
gegenwärtigen Zustande bieten die Häuser hinreichend Platz 
für den Hausvater und seinen Gehilfen, für mindestens 20 
Colonisten und die für den landwirthschaftlichep wie für den 
Anstaltsbetrieb erforderten sonstigen Räumlichkeiten. Eine 
Erweiterung der Gebäulichkeiten durch Benützung des zwischen 
beiden befindlichen Platzes würde ohne allzu grossen Kosten¬ 
aufwand eine beträchtlich höhere Aufnahmsfähigkeit für Colo¬ 
nisten und desgleichen Erweiterung des landwirthschaftlichen 
Betriebs gestatten. Der Boden des zu dem Gute gehörigen 
Ackerlandes besteht vorwiegend aus Kalk und Sandstein; die 
Wiesen haben zum Theil Moorgrund. In seiner gegenwärtigen 
Beschaffenheit zeigt sich das Erdreich des Guts wenig frucht¬ 
bar, es ist aber durch Entwässerung und Bodenmischung einer 
erheblichen Verbesserung fähig. Die Wiesen insbesondere lassen 
sich durch Austorfung zu höherer Kultur bringen, womit sich 
denn die auch als Winterarbeit gedachte Torfstreubereitung 
verbinden lässt. Nicht minder kommt als Winterarbeit in Be¬ 
tracht die Herstellung von Geflechten aus auf dem Gute zu 
pflanzenden Weiden, sodann ist das Nähen von Salzsäcken für 
die nahe gelegene Saline Dürrheim in Aussicht genommen. 
Obwohl der Ankenbuck 702,6 Meter über der Meeresfläche 
liegt, so kann doch der grösste Theil des Jahres in nutz¬ 
bringender landwirthschaftlicher Arbeit im Freien zugebracht 
werden. Die Gebäude sind mit einem Anschläge von 18,800 ./Ä 
bei der Feuerversicherungsanstalt versichert, der Ankaufspreis 
des ganzen Guts betrug aber nur 18,000 e/ÄL, so dass der Ge- 


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373 


bäudewerth allein und abgesehen von den weiter dazu gehörigen, 
zum Theil recht bauwürdigen 85 Morgen Liegenschaften den 
Kaufschilling schon überstieg. Eine wesentliche Sorge, geeignete 
Persönlichkeiten für die unmittelbare Leitung der Anstalt zu 
finden, ward dadurch gehoben, dass einer der bisherigen 
Pächter des Guts sich hinreichend vereigenschaftet zeigte, um 
bis auf Weiteres als Vorsteher verwendet werden zu können. 
Da derselbe dem evangelischen Bekenntnisse angehört, so 
wurde diesem in Berücksichtigung des streng festzuhaltenden 
paritätischen Charakters der Anstalt ein Gehilfe katholischen 
Bekenntnisses beigegeben. Beiden war es durch das freund¬ 
liche Entgegenkommen der württembergischen Coli egen ver¬ 
gönnt, in der schon seit einiger Zeit in segensreichem Betrieb 
stehenden württembergischen Arbeitercolonie Dornahof sich mit 
den Eigenthümlichkeiten dieser Anstalten näher bekannt zu 
machen und dadurch sich auf ihre so schwierige und verant¬ 
wortliche Aufgabe vorzubereiten. Die nothwendigsten bau¬ 
lichen Ausbesserungen und Herstellungen sind vorgenommen, 
die AnschaflFung der zur Aufnahme, Verpflegung und Beschäf¬ 
tigung von etwa 20 Colonisten erforderlichen Gegenstände hat 
stattgefunden, alsdann ist die Eröffnung der Anstalt erfolgt 
und dieselbe auch schon von Colonisten besucht. 

3. Am 7. Mai 1885 fand die Generalversammlung des 
Vereins zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene 
im Königreich Württemberg im Museum in Stuttgart 
statt, welche von Regierungsdirector v. Schickhardt Namens 
des Präsidenten Staatsraths v. Duvernoy geleitet wurde. Der¬ 
selbe machte nach der Eröffnung und Begrüssung die Mit¬ 
theilung, dass der langjährige Präsident v. Duvernoy bei seinem 
hohen Alter von 83 Jahren die Bitte an die Versammlung 
richte, aus dem Centralausschuss ausscheiden zu dürfen. Du¬ 
vernoy gehört dem Verein seit 33 Jahren an und ist seit 
1857 Vorsitzender des Centralausschusses. Er hat sich stets 
mit Eifer und Wohlwollen an der Thätigkeit desselben bethei¬ 
ligt, wofür ihm der Verein zu grossem Dank verpflichtet ist. 
Die Versammlung ermächtigt daher den Vorsitzenden, dem 
Scheidenden diesen Dank auszusprechen mit dem Wunsche, 


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374 


dass ihm ein froher Lebensabend beschieden sei; sein Wirken 
wird im Verein in Erinnerung bleiben. Ferner macht v. Schick¬ 
hardt die Mittheilung, dass S. M. der König vom Rechen¬ 
schaftsbericht, welcher heute der Generalversammlung unter¬ 
breitet wird, mit Interesse Einsicht genommen habe und durch 
ein Cabinetsschreiben seinen Dank dafür aussprechen Hess, 
mit dem Versprechen des allerhöchsten Wohlwollens für die 
Zukunft. Dem Rechenschaftsberichte, dem 25. seit Gründung 
des Vereins, über die Zeit vom 1. Juli 1882—84 entnehmen 
wir Folgendes: Die Beschlüsse der letzten Generalversamm¬ 
lung wurden vom Centralausschuss vollzogen; die Angelegen¬ 
heit der persönlichen Schutzaufsicht ausgeführt, der Anstalt 
Oberurbach ein unverzinsliches Darlehen von 5000 e/Ä, der Ret¬ 
tungsanstalt Lconberg 2057 tAL Darlehen und jährlich 420 
Beitrag, der Gmünder Anstalt jährlich 365 tAL Beitrag ausbe¬ 
zahlt. Die Mitgliederzahl beläuft sich jetzt auf 3473, 265 mehr 
als in der letzten Periode. 1. M. der König und die Königin 
haben auch in dieser Periode wieder ihr Interesse an den Be¬ 
strebungen des Vereins durch reiche Beiträge kundgegeben, 
wofür ihnen der ehrfurchtvollste Dank ausgesprochen wird. 
Das Vermögen des Vereins betrug am 30. Juni 1874 71,765t/Ä. 
und hat gegen 1883 um 78 JL zugenommen, lieber die Wirk¬ 
samkeit des Vereins hat Oberinspector a. D. Hoffmann einen 
Bericht ausgearbeitet, der dem Rechenschaftsbericht beigedruckt 
ist und welcher noch mündlich von ihm ergänzt und erläutert 
wurde. Derselbe bezieht sich insbesondere auf die Einführung 
von Pflegern für die entlassenen Gefangenen, wobei man sich 
hauptsächlich dem Vorgänge in Hessen anschloss. An die Be¬ 
zirksvereine wurde am 16. Februar 1885 eine Anleitung für 
die Pfleger ausgegeben. Dieselbe bestimmt, dass namentlich 
für unmündige, minderjährige Sträflinge ein Beistand auf die 
Zeit ihrer Entlassung aus der Strafanstalt bestellt werde, durch 
den ihnen der Rücktritt in’s bürgerliche Leben und ehrliches 
Fortkommen erleichtert werden soll. Geld hilft hier meistens 
nicht. Am besten eignen sich die Pfarrgemeinderäthe und 
Armenvorstände. Mit dem „Verbände der badischen Schutz¬ 
vereine für entlassene Gefangene‘‘ wurde eine Uebereinkunft 
getroffen, Schutzbefohlene gegenseitig überweisen zu können. 


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375 


ohne jedoch die Kosten dafür zu übernehmen, damit es nicht 
aussehe, als ob man zur Kostenersparniss die Leute über die 
Grenze weise. Bei dieser Gelegenheit kam die Uebung zur 
Sprache, dass die Gefängnissdirectoren den Gefangenen bei 
ihrer Entlassung oftmals die ganze Summe ihrer Ersparniss 
auf die Hand geben, was kürzlich dahin führte, dass einem 
solchen 40 die er am Morgen erhalten hatte, Abends schon 
entwendet worden waren. Die anwesenden Directoren Sichart 
von Ludwigsburg, Köstlin von Heilbronn und Roser von Rot¬ 
tenburg sprachen sich dahin aus, dass in Fällen, wo der Ent¬ 
lassene keine Heimath mehr habe, nichts übrig bleibe, als ihm 
das Geld zu übergeben; wenn immer möglich, würden aber 
grössere Summen an die Heimathsbehörde oder den Geburts¬ 
ort für den Entlassenen gesandt, welche dann auch ihrem 
Oelde nachziehen und dadurch wieder in ihre Heimath kommen. 
Die Fürsorge des Vereins erstreckte sich 1882/84 auf 362 Per¬ 
sonen. Davon gingen ab durch Tod 18, Auswanderung 23, 
Rückfall 49, unbekannten Aufenthalt 67 Personen, als der Für¬ 
sorge nicht mehr bedürftig wurden aus der Aufsicht entlassen 
166 und blieben am 1. Juli 1884 noch 39 in Fürsorge. Der 
Aufwand für die Entlassenen betrug 1570 JL in Leonberg und 
Gmünd, 10,584«/^ für die einzelnen Individuen, die hauptsäch¬ 
lich für Kleider, Handwerkszeug, Reisegelder etc. ausgegeben 
wurden. Der württembergische Verein steht mit 59 ähnlichen 
deutschen und ausserdeutschen, namentlich österreichischen und 
schweizerischen Vereinen in Verbindung. Die Generalversamm¬ 
lung genehmigte die vom Centralausschuss vorgeschlagenen Bei¬ 
träge an die Rettungsanstalten Leonberg mit jährlich 420 
und Gmünd mit JL jährlich mit der Bedingung, dass der 
Verein jederzeit zwei Frauenspersonen in Freistellen unter¬ 
bringen könne. Oberurbach wurden bOOO JL Kapital belassen; 
daselbst sind seit October 1883 9 weibliche Strafgefangene mit 
je 60 tAL Kostgeld pro Jahr aufgenommen worden. Seit der 
letzten Versammlung vor zwei Jahren ist die Zahl der in 
gleicher Richtung wirkenden wohlthätigen Anstalten durch die 
Gründung der Arbeitercolonie Dornahof vermehrt worden. In 
den Statuten des Vereins für Arbeitercolonien in Württemberg 
ist festgesetzt, dass von der Aufnahme auch entlassene Straf- 


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376 


gefangene nicht ausgeschlossen sind. Bei der Gründung dieses 
Vereins wurde von verschiedenen Seiten der Ein wand geltend 
gemacht, entlassene Strafgefangene werden nach ihrer Ent¬ 
lassung aus dem Gefängnisse, namentlich nach Erstehung einer 
längeren Strafhaft, nicht freiwillig in eine Arbeitercolonie gehen 
(was Voraussetzung für die Aufnahme ist) und nicht freiwillig 
dort bleiben. Diesem Bedenken konnte schon damals wohl mit 
Recht entgegengehalten werden, die blosse Möglichkeit, einem 
aus dem Gefängnisse Entlassenen, für welchen weder in seiner 
Familie noch in seiner Heimathsgemeinde ein sicheres Unter¬ 
kommen aufzufinden ist, die Aufnahme in eine Arbeitercolonie 
auch nur anbieten zu können, sei für die Bestrebungen des 
Vereins für entlassene Strafgefangene von grossem Werthe, 
weil dadurch denjenigen, welche von einem solchen Anerbieten 
keinen Gebrauch machen, die Entschuldigung bei etwaigem 
Rückfälle abgeschnitten werde, die menschliche Gesellschaft 
habe nicht die helfende Hand geboten. Aber auch die Erfah¬ 
rungen der letzten Jahren haben dieses Bedenken nicht 
bestätigt, indem in dieser verhältnissmässig kurzen Frist bereits 
16 entlassene Strafgefangene theils schon vom Gefängnisse aus, 
theils unmittelbar nach ihrer Entlassung Aufnahme auf dem 
Dornahofe nachgesucht und 12 davon auch gefunden haben, 
während 4 vor ihrem Eintritte eine anderweitige Versorgung 
suchten und fanden. Von den 12 wirklich auf dem Dornahofe. 
Eingetretenen haben sich 9 gut aufgeführt und 3 von ihnen 
durch die Colonie anderwärts Stellung gefunden. Auf Grund 
dieses Ergebnisses stellt der Ausschuss an die allgemeine Ver¬ 
sammlung den Antrag, dem Vereine für Arbeitercolonien in 
Württemberg einen Jahresbeitrag von 200 tAL zu verwilligen. 
Hiebei entspann sich eine längere Besprechung über die zu 
bewilligende Unterstützung. Der Vorschlag wurde vom Aus¬ 
schussmitglied Pfarrer Köstlin begründet. Da man über den 
Aufwand und Verbleib der dort Aufnahme findenden noch 
keine näheren Nachweise habe, seien zunächst 200 JL als 
zweckentsprechend angesehen worden. Hiegegen aber sprachen 
Director Köstlin, Heilbronn, Director Sichart, Ludwigsburg, 
welche in der Anstalt Dornahof die wohlthätigste Gelegenheit 
erkennen, die Strafgefangenen in’s bürgerliche Leben zurück- 


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Zufuhren. In den Asylen finde das Prinzip der persönlichen 
Fürsorge seine beste Lösung, und diese sollten daher aufs 
Kräftigste unterstützt werden. Der Verein zur Fürsorge für 
entlassene Strafgefangene solle keine so grossen Kapitalien 
ansammeln; ein so wohlhabender Verein bekomme schwerer 
jährliche Beiträge. Die Redner konstatiren, dass die Entlassenen 
gern nach Dornahof gehen und sich dort wohl befinden, des¬ 
halb möge der jährliche Beitrag statt 200 JL 600 JL lauten. 
Justizrath Roser von Rottenburg ist gegen eine so hohe Unter¬ 
stützung, da zu wenig Gefangene nach Dornahof gehen, ein 
guter Vermögensstand des Vereins aber nöthig sei, um seine 
Zwecke zu erreichen. Auch der Vorsitzende betont die Noth- 
wendigkeit eines Vermögens, da das Publikum den Bestre¬ 
bungen des Vereins ziemlich interesselos gegenüber stehe; es 
seien beispielsweise in Stuttgart nur 128 tAL Jahresbeiträge ge¬ 
flossen. Hofcaplan Dr. Braun bemerkt zur Ehrenrettung Stutt¬ 
garts, dass die Einwohner der Residenz sehr viel in Anspruch 
genommen werden und gern für sichtbare Unternehmungen, 
wie die Asyle sind, reichlich geben. Landgerichtsrath Nestle 
weist in längerem Vortrag statistisch nach, dass für die weib¬ 
lichen entlassenen Gefangenen mehr geschehe als für die männ¬ 
lichen, welch letztere zu jenen im Verhältniss von 5 : 1 stehen. 
Da das Vermögen des Vereins thatsächlich um liOOJL zunahm, 
so könne auch für Dornahof eine grössere Unterstützung ge¬ 
geben werden. Oberstaatsanwalt Köstlin macht darauf auf¬ 
merksam, dass die Statuten bei Gründung des Vereins 1831 
ausdrücklich die Bestimmung enthielten, die Gründung von 
Asylen anzustreben. Da aber mit dem ersten Asyl Wilhelms¬ 
dorf schlechte Erfahrungen gemacht wurden, so kam diese 
Stelle später aus den Statuten heraus. Es sei aber wünschens- 
werth, dass ein grösserer Beitrag des Vereins die Stellung des 
Centralausschusses zur Arbeitercolonie Dornahof besser illu- 
strire, im Verhältniss zu den Anstalten für die weiblichen Ent¬ 
lassenen. Nachdem noch Ober-Regierungsrath v. Hoser für 
den Antrag des Centralausschusses gesprochen mit der Modi¬ 
fikation, dass für jeden aufgenommenen Entlassenen noch ein 
Kostgeld bezahlt werde, wurde der Antrag Köstlin (Heilbronn), 
600 «/A jährlich zu bewilligen, mit grosser Mehrheit angenommen. 


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Aus dem Kassenbericht sei noch angeführt, dass die Einnah¬ 
men 1882/83 18,882 «/^, 1883/84 15,012«/^, die Ausgaben 
1882/83 18,133 JL, 1883/84 13,734 JL betrugen. Aus dem 
Neckarkreis gingen 1882/84 2521 JL Beiträge ein, Schwarz¬ 
waldkreis 1769 JL^ Jagstkreis 1609 JL^ Donaukreis 2936 
zusammen 8836 JL) die Zahl der Beitragenden beträgt 3473, 
der Unterstützungen 10,584 JL^ der Unterstützten 540. Die 
Staatskasse trug jährlich 1715 JL bei. Die Versammlung er- 
theilte dem Vorstand Entlastung. Die Ersatzwahl des Aus¬ 
schusses ergab folgende Namen: Oberinspector Hoffmann, 
Pfarrer Köstlin, Ober-Reg.-Rath v. Neher, Director v. Schick¬ 
hardt, Kirchenrath Zimmerle, Oberland esgericbtsrath Länderer, 
Hofcaplan Dr. Braun; Ersatzmänner: Oberlandesgerichtsrath 
V. Heigelin, Finanzrath Zeller, Landgerichtsrath Weisser. An 
die Verhandlung schloss sich ein gemeinsames Mittagsmahl an. 

4. Sechszehnter Jahresbericht über die Wirk¬ 
samkeit des Frankfurter Gefängnissvereins, erstattet 
in der Generalversammlung am 29. Jan. 1885 durch den Vor¬ 
sitzenden Rechtsanwalt Dr. jur. Ponfick. 

„Der Schutz und die Fürsorge für entlassene Strafgefan¬ 
gene ist eine der vornehmsten menschlichen, bürger¬ 
lichen und religiösen Tugenden.‘‘ Diese Wahrheit, an 
der Spitze des Berichtes stehend, sucht der von uns wieder¬ 
holt schon mit gebührender Auszeichnung erwähnte, mit so 
grossen Erfolgen wirkende Frankfurter Verein nach Kräften 
voll und ganz zur greifbaren, gesegneten That werden zu 
lassen. Es wird gewünscht, dass auch in sämmtlichen Nach¬ 
barstädten von Frankfurt zur Erleichterung, Förderung und 
Erweiterung der von dem dasigen Verein erstrebten Fürsorge 
sich Schutzvereine bilden möchten. Namentlich sollten Hanau 
und Würzburg nicht Zurückbleiben; denn dass das Fehlen 
ähnlicher Vereine dort schmerzlich empfunden wird, beweisen 
die nicht seltenen Gesuche, welche aus jenen Gebieten an 
den Frankfurter Verein gerichtet werden. — Letzterer hat sich 
selbst geehrt durch die Darbringung von Glückwünschen und 
Danksagung an den grossen Menschenfreund und Umbildner 
der Armenpflege Gustav Werner in Reutlingen anlässlich 


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des 50jährigen Bestandes der von diesem in^s Leben gerufenen 
grossartigen und mustergiltigen Anstalten, die unsern Lesern 
wohl bekannt sein werden. Aber sehr lesenswerth dürften 
auch folgende Erwiderungsworte Werner’s an den Verein für 
weitere Kreise sein: „Sie wissen wohl, dass es mir um die 
Ehre von Menschen nicht zu thun ist; wer aber in aufrichti¬ 
gem Sinne für das Wohl seiner Mitmenschen arbeitet und 
dabei auf manche Mühe und Hindernisse, auch auf Wider¬ 
sprüche und Hemmungen stösst, dem bringt es Trost und 
Kraft, wenn er sich der Theilnahme treuer und eifriger Men¬ 
schenfreunde versichert halten darf. Es wird täglich mehr 
meine Ueberzeugung und mein innerstes Verlangen, dass die 
Gutgesinnten sich stets fester vereinigen und auch 
die mancherlei wohlthätigen Vereine eine gewisse 
Association anstreben sollten: es würden dadurch im 
Gebiete der Armenfursorge grössere Erfolge in leiblicher und 
geistiger Beziehung erzielt, auch eine stärkere Macht gegen 
die bösen zerstörenden Kräfte m der Gesellschaft der jetzigen 
Zeit erreicht. Einigkeit macht stark.“ — Die jugendlichen 
Pfleglinge des Frankfurter Vereines haben durch gutes Ver¬ 
halten durchweg Freude gemacht und lassen auch für die Zu¬ 
kunft Günstiges hoffen. Die grösste Sorge macht dagegen, 
wie allerwärts, der Nachweis von Beschäftigung für gewisse 
Gattungen entlassener Gefangenen, vornehmlich für Beamte, 
Kaufleute, Bureauarbeiter u. dgl. — Der Frankfurter Verein 
steht mit den meisten auf gleichem Gebiete thätigen Vereinen 
Deutschlands in Verbindung und schöpft daraus mannigfache 
Belehrung und Ermunterung. — Der Verein zählt 715 zahlende 
Mitglieder, hatte auch im Berichtsjahr eine reiche Einnahme 
aus Geschenken, Gottespfennigen und Vermächtnissen (zus. 
3088 e/Ä). Für 8 jugendliche Pfleglinge wurden an Erziehungs¬ 
kosten und Lehrgeld verausgabt 1181«/^ 53^; für Miethzinse, 
Auslösung verpfändeter Gegenstände etc. 470 für Beher¬ 
bergung, Beköstigung, Bekleidung etc. an 304 Pfleglinge 
390 e/Ä Zu Geldunterstützungen und Anschaffungen für die 
Familien von 101 inhaftirten Gefangenen zusammen 
3185 e/Ä (Bravo!) Das Vereinsvermögen beträgt 15,732«/^ 


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5. Verhandlungen der fünften Generalver¬ 
sammlung des Gefängnissvereins für Schlesien und 
Posen. Breslau 1885. Otto Gutsmann. Dem Berichte ist für 
die „Bl. f. Gef.“ der Aufsatz des Dr. Richter über die „Ueber- 
verdienstgelder der Gefangenen und Entlassenen“ entnommen. 
— Bekanntlich zweigte sich von diesem Verein ein besonderer 
für Posen ab, der aber dem Bestände des Stammvereines 
keinerlei Gefahr brachte, da der Zweigverein innerhalb der 
Provinz Posen mehr die practische Ausführung der Fürsorge 
für entlassene Gefangene verfolgt, während der schlesische Ge- 
fängnissverein neben der Anregung und Organisation einer 
solchen Fürsorge die Förderung des Gefangnisswesens über¬ 
haupt sich angelegen sein lässt.— Die Bildung vonHilfs- 
vereinen vollzieht sich in der Provinz Schlesien von einer 
Kreisstadt zur andern. Das Gesammtvermögen ist freilich noch 
sehr bescheiden: 873«/^ 

6. Bericht über die XII. Generalversammlung 
des Vereins zur Fürsorge für aus Strafanstalten 
Entlassene zu Görlitz. 1885. 

Der Schriftführer berichtete zunächst über die Thätigkeit 
des Vereins während des Jahres 1884/85. Im Ganzen haben 
77 Personen und 17 Familien die Hilfe des Vereins angerufen. 
Für letztere besteht die sehr practische Einrichtung der sog. 
„Pflegerinnen“, so dass wir hier die Frauen in edlem Wett¬ 
eifer mit den männlichen Vereinsmitgliedern thätig sehen, was 
gewiss nur zum Segen führen kann. — Auch hat der Verein 
die Errichtung einer Naturalverpflegungsstation für Görlitz in 
die Hand genommen, unterstützt vom Stadtrath. Ebenso hat 
er die Bestrebungen des „Vereines gegen Missbrauch geistiger 
Getränke“ sehr erfolgreich unterstützt durch Gewinnung zahl¬ 
reicher Mitglieder für denselben aus Stadt und Land. Die 
Zahl der Mitglieder obigen Schutzvereines beläuft sich auf 161 
und seine Jahreseinnahmen betrugen 1392,29 e/Ä, denen eine 
Ausgabe im Betrage von 1182,88 JL entgegensteht. — Der 
Bericht drückt seine Befriedigung aus mit den erzielten Resul¬ 
taten. Als ein Mittel zur moralischen Unterstützung und 
Hebung der Strafentlassenen hat der Görlitzer Schutzverein 


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auch eine Volksbibliothek gegründet, um durch passende 
Lectüre der Verführung zu schlechtem Leben entgegenzuwirken. 
Dieselbe besitzt bereits 750 Bände und wird fleissig benützt. 

7. Zweiter Jahresbericht und Geschäftsüber- 
sicht des Provinzialvereines zur Fürsorge für ent¬ 
lassene Strafgefangene zu Posen für das Jahr 
1. April 1884/85. Posen, Hofbuchdruckerei W. Decker 
& Co. 1885. 

Dieser vom Schlesischen Gefängniss-Verein abgezweigte 
Schutzfursorge-Verein, von uns schon früher erwähnt, hat 
bereits in seinem zweiten Lebensjahr durch Angliederung von 
stets sich mehrenden Localvereinen eine erfreuliche Ausdehnung 
gewonnen. Im Ganzen sind 25 locale Vereine verzeichnet. In 
jedem Kreis der Provinz sind geeignete „Vertrauensmänner^^ 
thätig. In Posen selbst waren vom Provinzialverein 48 Fälle 
zu erledigen, darunter 27 mit gutem Erfolg. 11 Personen wur¬ 
den Stellen verschafft als Knechte, Mägde und Taglöhner, 6 
als Handwerks- und Gewerbsgehilfen, 2 als Wirthschaftsbeamte 
und 3 als Schreiber. — Unter den Localvereinen ragt der¬ 
jenige zu Rawitsch rühmlich hervor. Im Ganzen sind von den 
Localvereinen 162 Fürsorgefalle bearbeitet worden. Bei der 
Neuheit der Organisation sind die Ergebnisse sehr aner- 
kennenswerth. 


8. Cassarechnung des Schutzaufsichts-Vereins 
für entlassene Sträflinge im Canton St. Gallen über 
die Jahre 1883 und 1884. St. Gallen, Zollikofer’sche 
Druckerei. 1885. 

Dieser Verein, 1842 gegründet, ist der älteste in der 
deutschen Schweiz und entwickelt ein reges Leben. In jeder 
bedeutenderen Cantonsgemeinde erfreut er sich einer mehr 
oder minder grossen Mitgliederzahl (zus. 1564), und was uns 
besonders freudig stimmt, ist die Wahrnehmung, dass die 
Geistlichkeit hervorragenden Antheil nimmt an den Vereins¬ 
bemühungen. Die weitaus meisten Correspondenten (Geschäfts¬ 
führer) sind Pfarrer. Die Unterstützungen an entlassene 
Sträflinge betrugen 2074 Fcs. 75 Cts. in Geld und für Er-- 
bauungsbücher, welche die Strafanstaltsgeistlichen einzelnen 


Bl&tter fUr GefAngnissktinde. XIX. 


25 


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I 


382 



Entlassenen mitgaben, wurden 144 Fcs. 95 Cts. verausgabt. 
Das Vermögen hat sich in den beiden Jahren um 7810 Fcs. 
vermehrt und beträgt jetzt 63349 Fcs. 70 Cts. Die Verdienste 
des Strafanstaltsdirectors Kühne in St. Gallen um den dorti¬ 
gen Verein sind bekannt und früher schon von uns hervor¬ 
gehoben worden. 

9. Rühmend sei hier auch erwähnt die erfolgreiche 
„Arbeit an den Gefangenen und Entlassenen“ Seitens der 
schon 51 Jahre bestehenden Elberfeld-Barmer Gefäng- 
nissgesellschaft. Der vorliegende Jahresbericht pro 1884 
verzeichnet über 100 Fälle, wo die Hilfe der Gesellschaft von 
Entlassenen angerufen und gewährt wurde. — In Elberfeld 
existirt auch ein Frauenverein zur Hebung der Sitt¬ 
lichkeit, welcher sich hauptsächlich die Erhaltung des da¬ 
selbst befindlichen Vorasyls für Magdalenen zur Auf¬ 
gabe macht. 

10. Die Diakonen-Anstalt oder Rheinisch-West¬ 
fälische Pastoralgehilfen-Anstalt zu Duisburg, 
gegründet 1844, veröffentlicht einen Rückblick auf ihre 40jäh- 
rige Entwickelung und Wirksamkeit. Darin erscheint uns die 
Thatsache ganz besonders merkwürdig, dass in Preussen und 
einzelnen sächsischen Herzogthümern die Verwendung solcher 
evangelischer „Brüder“ als Aufseher in Strafanstalten prin¬ 
zipiell für zulässig und wünschenswerth erachtet wurde und 
dass lediglich der Mangel an „CivilVersorgungsberechtigung“ 
ihrer Anstellung gegenwärtig im Wege steht. Factisch aber 
sind in einzelnen Gefängnissen solche Diakonen (ähnlich den 
katholischen barmherzigen Brüdern) schon angestellt worden. 
Da käme ja eine Idee allmählig zum Durchbruch, die Schrei¬ 
ber dieses seit Jahren als den richtigsten Weg zur Lösung 
der Aufsehersfrage erkannt hat. Die Realisirung dürfte nur 
in den Paritätsverhältnissen grössere Hemmnisse finden. Das 
selbstlose, von reinster Gottes- und Nächstenliebe getragene 
Wirken dieser Diakonen als Lehrer, Armenpfleger wie nicht 
minder für entlassene Gefangene in Asylen etc. wird in vor¬ 
liegender Broschüre recht anschaulich geschildert. Kr. 




383 


Stuttgart, 11. März 1885. 84. Sitzung der Kammer der 
Abgeordneten. Zur Berathung kommen u. A. vom Budget 
Tit. 9a. Verein für Arbeitercolonien 5000 «/Ä Hierzu be¬ 
merken die Erläuterungen: Die laufenden Einnahmen, welche 
neben dem Ertrag des Guts lediglich in den von Privaten und 
öffentlichen Körperschaften zugesicherten Jahresbeiträgen be¬ 
stehen , reichen zur Deckung der laufenden Ausgaben bei 
Weitem nicht zu. Bei Annahme eines Durchschnittsstands von 
70 Colonisten (100 während der Winter-, 40 während der 
Sommermonate) würde das zu erwartende laufende Betriebs¬ 
deficit nach dem von sachverständiger Seite geprüften Vor¬ 
anschlag etwa 15,000 jährlich betragen, wozu noch etwa 
3000 t4L für die Bestreitung der allgemeinen Verwaltungskosten, 
sowie für Verzinsung und Amortisation der Gutskaufschillings¬ 
schuld zu schlagen wären. Die zur Deckung dieses Bedarfs 
bestimmten laufenden Beiträge betragen bis jetzt etwa 8200«/^, 
so dass noch ein Betrag von mehr als 9000 JL ungedeckt 
bliebe. Mit Rücksicht auf den Bedarf der Anstalt wird die 
zu gewährende Staats - Unterstützung für die nächsten zwei 
Rechnungsjahre auf den Betrag von 5000 tAL jährlich zu be¬ 
messen sein. 

Zu Tit. 9 (Dornahof) bemerkt Weber: Er habe diese 
Colonie besucht und habe sich der grossen Ordnung in Haus 
und Feld gefreut. Es werde tüchtig gearbeitet. Der Ver¬ 
walter sei seiner Aufgabe gewachsen und arbeite mit voller 
Hingabe. Der Erfolg sei ein günstiger; die Colonisten seien 
zum Theil andere Menschen, wieder nützliche Mitglieder ge¬ 
worden und das sei der Zweck der Colonie. — Freiherr 
V. GültlIngen: Es sei anerkannt, dass die Arbeitercolonien 
ein wesentlicher Factor zur Bekämpfung des Vagantenthums 
seien. Damit dieselben aber möglichst vollständig ihrem Zweck 
entsprechen, sei es nöthig, die Naturalverpflegung überall ein¬ 
zuführen. Die bezügliche Ministerialverfügung verdiene warmen 
Dank; es sei nur zu bedauern, dass derselben nicht mehr ent¬ 
sprochen worden sei. Wenn die Naturalverpflegungsstationen 
lückenhaft seien, können sie ihren Zweck nicht erfüllen. Der 
Aufwand würde am besten durch freiwillige Beiträge aufge¬ 
bracht Es wäre höchst bedauerlich, wenn das Naturalver- 

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384 


pflegungssystem wieder in die Brüche ginge. — Rapp: Das 
Geld werde in dem Sinne verwendet, in dem es gewährt wor¬ 
den. Die Anstalt sei musterhaft, die Leute werden gut aufge¬ 
nommen und gekleidet, aber sie müssen Alles, was ihnen 
gewährt wird, abverdienen und werden nach Umständen an 
Herrschaften empfohlen. Er danke für die empfangene Unter¬ 
stützung der Colonie. — Staatsminister v. Holder: Er habe 
wiederholt den Oberämtern die Durchführung der Natural¬ 
verpflegung an’s Herz gelegt; ein gesetzlicher Zwang könne 
natürlich nicht ausgeübt werden. Wenn die Stationen übrigens 
zu dicht zusammengelegt werden, so unterstütze man dadurch 
die Vaganten, indem dieselben dann bequem von einer zur 
andern Station durchreisen können. Es sei deshalb nothwendig, 
von den Einzelnen eine Ausweisung, ein Legitimationspapier 
zu verlangen. — Sachs: Mit der Naturalverpflegung sei ein 
unheilbares Uebel verbunden, so lange man nicht ein einheit¬ 
liches Legitimationspapier habe. Die nächsten Monate werden 
zeigen, dass eine Reihe von Verpflegungsanstalten aufgehoben 
werden. — Dentler: Er schliesse sich den Ausführungen 
von Sachs vollständig an. Redner führt mehrere Missstände 
der Naturalverpflegung an. — Pfetsch: Er sei mit Sachs 
einverstanden. Es sollten mehr Stationen sein, so dass ein 
Bittender stets an eine solche gewiesen werden könnte. Aber 
die gute Passeinrichtung müsse vorausgehen. — Hartmann: 
Bei ihnen sei die Naturalienverpflegung eingeführt gewesen, 
sie habe viel Geld gekostet, trotzdem aber habe der Bettel 
nicht aufgehört. Deshalb habe man sie wieder abgeschaflFt, — 
Uhl: Es sei zweckmässig, Arbeit zu verlangen, wenn sie auch 
nur einen pädagogischen Werth habe. Der rechte Vagant 
wolle lieber drei Tage Hunger leiden als arbeiten; das sollte 
man vor den Amtsversammlungen erwägen. — Egger: Die 
Verhältnisse seines Bezirks seien dieselben wie in Wangen, 
und er schliesse sich Dentler vollständig an. — Untersee: 
Die verlangte Arbeit zu schaflFen, sei eben sehr schwer, ins¬ 
besondere zu gewissen Jahreszeiten. Die Vaganten, die um 
5 Uhr Winters ankommen, können nicht mehr zur Arbeit an¬ 
gehalten werden und am andern Morgen habe man kein Mittel, 
sie zur Arbeit zu zwingen. Auch die vom Staatsminister em- 


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385 


pfohlene Untersuchung der Papiere sei sehr schwierig. Es 
müsse von Seiten des Reiches das von Sachs gewünschte Le¬ 
gitimationspapier eingeführt werden. Die eigentlichen Vaganten 
sollten aber nicht die Annehmlichkeit von ein paar Tagen 
Arrest, sondern sie sollen schmale Kost erhalten. (Lebhaftes 
Bravo!) — Tit. 9a und das ganze Capitel wird genehmigt. 

Stuttgart, im März 1885. Seitens einzelner Oberämter 
und Ortspolizeibehörden wurden in den Reisepapieren der Ar¬ 
beit suchenden Reisenden hie und da Einträge über die 
von letzteren erlittenen Bestrafungen wegen Betteins oder 
Landstreicherei gemacht. Da dieses Verfahren geeignet 
ist, den betreffenden Reisenden ihr Fortkommen und die Er¬ 
langung von Arbeit zu erschweren und deshalb häufig zur 
Vernichtung derartiger Reisepapiere, sowie zum Gebrauche 
falscher oder verfälschter Papiere Veranlassung gibt, hat das 
Ministerium des Innern angeordnet, die Eintragung von Strafen 
wegen Betteins oder Landstreicherei in die Reisepapiere der 
Arbeit suchenden Reisenden fernerhin zu unterlassen. 


Ueber die in Düsseldorf am 11. März 1885 gehaltene 
Versammlung des rheinischen Vereins gegen die Vaga¬ 
bund ennoth wird berichtet: Pastor Stursberg erstattet den 
Jahresbericht. Der Provinziallandtag hat ein zinsfreies Dar¬ 
lehen von 200,000 JL dem Verein gewährt. Ein Aufruf an 
die Bevölkerung der Rheinlande wurde im März in den öflent- 
lichen Blättern erlassen und den Pfarrern, Bürgermeistern und 
Landräthen zugänglich gemacht. Mehrere Kreissynoden be¬ 
schäftigten sich mit der Frage. Verschiedene städtische Be¬ 
hörden bewilligten feste Beiträge. Der Verein zählt 8592 
Mitglieder mit über 24,000 «/Ä, von denen Fürst von Wied 
und Frhr. v. Diergardt je 2000 ,AL stifteten. Es wurde eine 
besondere Schrift über Naturalverpflegung veröflPentlicht. Die 
evang. Arbeitercolonie in der Lukler Heide ist erst nach Prü¬ 
fung vieler Pläne zu Stande gekommen und zwar durch Ver¬ 
mittlung des Oberforstmeisters W. Dücker. Vorbehaltlich der 
erst nach Erwerbung corporativer Rechte für den Verein zu 
ermöglichenden Einweihung, ist das Terrain für etwa 16,000 


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386 


erworben worden. Eine Arbeitercolonie ist auf 70,000 JL an¬ 
zuschlagen, die aber in der Cultivirung wieder zugute kommen. 
Landesrath Klausner berichtet über die Gründung einer katho¬ 
lischen Arbeitercolonie. Der Ort für dieselbe ist seitens der 
Commission in der Eifel, als dem geeignetsten Gebiete, ge¬ 
sucht worden. Nach mehreren Versuchen in der Eifel wurde 
von dieser Gegend um so mehr abgegangen, als viele mass¬ 
gebende Personen erklärten, dass es nicht gut sei, Arbeiter- 
colonien da zu gründen, wo die Einwohner selbst mit der Noth 
kämpfen. Man gelangte weiter dazu, den Antrag an das Ober¬ 
präsidium zu stellen, dass die Alexianerbrüder bei Aachen 
diese Arbeitercolonien führen sollten, in der Erwartung, dass 
dagegen keine gesetzlichen Schwierigkeiten geltend gemacht 
werden würden. Das Oberpräsidium lehnte jedoch den An¬ 
trag auf Grund der bestehenden Gesetze ab. Die Commission 
des Vereins hat aber beschlossen, sich an den Cultusminister 
zu wenden. Nach einer behufs Erwerbung der Corporations- 
rechte vorgenommenen Statutenänderung sprach Pastor Sturs¬ 
berg über die jetzige Lage der Naturalverpflegung. 
Redner hält die Naturalverpflegung in ihrer Neuordnung des 
ganzen Unterstützungswesens für noch bedeutender als die 
Frage der Arbeitercolonien. Nach eingegangenen Berichten 
sind in 32 Kreisen Naturalverpflegungs-Anstalten eingerichtet, 
in 12 anderen sind sie in Aussicht genommen. In den Regie¬ 
rungsbezirken Köln, Aachen und Coblenz sind noch sehr wenige 
Naturalverpflegungs-Anstalten. Die besteingerichtete von allen 
Stationen ist aber in Bonn. Dort haben seit Gründung der 
Station 11,664 Personen gegen Arbeitsleistung von 3 Stunden 
Verpflegung erhalten. Lebhaft tadelt Redner das Verlegen 
der Stationen in Herbergen, das noch vielfach gepflegt wird, 
aber dem Branntweingenuss Vorschub leistet. Mit der Zeit 
müssten die Kosten der Stationen den Conimunal- und Kreis¬ 
kassen überwiesen werden. Erfahrungsthatsache ist, dass die 
eigentlichen Stromer überall da weggedrängt werden, wo Ar¬ 
beit verlangt wird. Redner betont besonders, dass die Natural¬ 
verpflegungsstation nicht blos als Durchgangsstation zur Arbei- 
ter-Colonie zu betrachten sei, sondern als Reform des ganzen 
UnterstützungsWesens. Redner begehrt eine einheitliche, streng 


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387 


formulirte Berichterstattung aus allen Stationen an den Vor¬ 
stand. _ 

Von dem in Band XIX. S. 276 erwähnten [Blatt „Die 
Arbeitercolonie“ sind seither die Nummern 8—12 des 
ersten Jahrgangs (bis März 1885) und Nr. 1 — 3 des zweiten 
Jahrgangs erschienen mit folgendem Inhalt: 

N r. 8. Winke über Einrichtung von Naturalverpflegungs¬ 
stationen. — Der ^barmherzige Holzstall“. — Wo liegt die 
Arbeitercolonie? VII. Dauelsberg. — Vereine, Colonien, Sta¬ 
tionen. — Was kann von Seiten der kirchlichen Organe zur 
Förderung der Arbeitercolonien und Einrichtung von Natural¬ 
pflegestationen geschehen? — Aus meinem Felleisen. — Aus 
den Colonien. — Tabellen der Colonien. — Miscellen. 

N r. 9. 23 Thesen über Ziel und Zweck der Arbeitercolonie 
und Verpflegungsstationen, vertheidigt auf dem 23. Congress 
für innere Mission zu Karlsruhe von Pastor v. Bodelschwingh 
(Bielefeld). — Wo liegt die Arbeitercolonie? VIII. Wunscha. 

— Eine versiegte Quelle des Wohlstands. — Zur Statistik der 
Arbeitercolonien. — Vereine, Colonien, Stationen. — Aus 
meinem Felleisen. — Tabellen der Colonien. Aus den Colo¬ 
nien. — Miscellen. — Zum heiligen Christ. 

Nr. 10. Ansprache des Pastor v. Bodelschwingh: „Die so 
im Elend sind.“ — Wo liegt die Arbeitercolonie? IX. Meierei. 

— Die Halb-Invaliden, von Zahn-Coeslin — Colonien, Her¬ 
bergen, Naturalverpflegung. — Aus meinem Felleisen. — Ta¬ 
bellen der Colonien. Aus den Colonien. — Miscellen. 

Nr. 11. In der Herberge zur Heimath. — Wo liegt die 
Arbeitercolonie? X. Karlshof. — Der Knabenhort. ^ Die 
Schulden der entlassenen Colonisten. — Stuttgarter Petition 
an den Reichstag. — Colonien, Stationen. — Aus meinem 
Felleisen. — Tabellen der Colonien. Aus den Colonien. — 
Miscellen. — An unsere Leser. 

Nr. 12. Der § 54 des Strafgesetzbuches. — Germans 
are swindlers. — Etwas von der Privatwohlthätigkeit. — Er¬ 
gänzung des Artikels: Herberge, Verpflegungsstation, Arbeiter¬ 
colonie. — Colonien, Vereine, Stationen, Herbergen. — A. v. 


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Fragstein: Was soll der Junge werden? — Aus meinem Fell¬ 
eisen. — Aus den Colonien. Tabellen der Colonien. — An 
unsere Leser. 

n. Jahrgang. 

Nr. 1. Zweite Jahresversammlung des Centralvorstandes. 

— Die Berliner Arbeitercolonie. — Wie viel gibt es Vaga¬ 
bunden? — Colonien, Stationen, Herbergen. — Aus meinem 
Felleisen. — Aus den Colonien. Tabellen der Colonien. — 
Miscellen. Sinnsprüche. — Berichtigung. 

Nr. 2. Zweite Jahresversammlung des Centralvorstandes. 

— Die Naturalverpflegungsstationen in der Provinz Branden¬ 
burg. — Wie viel gibt es Vagabunden? — Arbeitercolonie 
„Hamburgs Volksgarten“. — Wo liegt die Arbeitercolonie? 
XI. Ankenbuck. — Die Bekämpfung des Bettelwesens in der 
Amtshauptmannschaft Auerbach. — Colonien, Stationen, Her¬ 
bergen. — Aus meinem Felleisen. — Tabellen der Colonien. 
Aus den Colonien. — Miscellen. 

Nr. 3. Erfolge und Mängel der Natural-Verpflegungs¬ 
stationen in der Provinz Brandenburg. — Kurze Entgegnung 
auf „Der § 54 des Strafgesetzbuches“. — Das Wanderbuch. — 
Die Einführung nichtamtlicher Legitimationspapiere für die 
mittellose Wanderbevölkerung. — Vereine, Colonien, Stationen, 
Herbergen. — Aus meinem Felleisen. — Aus den Colonien. — 
Miscellen. — Zum Knabenhort. 


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389 ^ 



-y- Lichtenan, am 17. April 1885. (AmtsJubiläum.) 
Am gestrigen Tage waren es 25 Jahre, dass der Vorstand 
des hiesigen Männerzuchthauses, kgl. Director Friedrich 
Ludwig, seine erste pragmatische Anstellung als kgl. Rech¬ 
nungsführer dahier erhielt. Wohl wäre es innigster Wunsch 
der demselben unterstellten Beamten und Bediensteten gewesen, 
wenn sie ihrem Vorstande anlässlich seines Amtsjubiläums eine 
grössere Feier hätten veranstalten können. Doch sie wussten 
nur zu gut, dass sie damit dem Genannten bei seinen allzu 
bescheidenen und anspruchslosen Sinn keinen besonderen Ge¬ 
fallen erwiesen haben würden. Sie mussten sich deshalb dar¬ 
auf beschränken, dass sie demselben am Morgen gemeinschaft¬ 
lich ihre Glückwünsche darbrachten und ihm hiebei zur Er¬ 
innerung an den Tag ein Album überreichten, welches die 
Bilder der Conferenzbeamten, des Kanzleipersonals und noch 
einiger Bediensteter enthielt. Eine gesellige Zusammenkunft 
am Abend im geschmückten Gesellschaftslocale, zu welcher 
sich ausser den Gratulanten noch hiesige und benachbarte 
Freunde und Bekannte des Jubilars einfanden und die ver¬ 
möge ihres herzlichen und gemüthlichen Tones einen wahrhaft 
familiären Charakter an sich trug, bildete den Schluss der 
bescheidenen Feier. Nicht unerwähnt möchte man noch lassen, 
dass dem Gefeierten zahlreiche Glückwunschschreiben aus Nah 
und Fern zukamen, darunter auch ein denselben höchst ehren¬ 
des von der Hand des Herrn Referenten für das bayerische 
Gefängnisswesen in München. War die Feier, wie dargethan, 
einfach genug, so mag der verehrte Herr Jubilar aus der 


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festlich-frohen Stimmung, von welcher insbesondere die Beamten 
und Bediensten der Anstalt an diesem Tage erfüllt waren, 
gewiss die Ueberzeugung gewonnen haben, dass er, der stets 
um seine Untergebenen so väterlich besorgt ist, auch deren 
Liebe und Hochschätzung im vollsten Maasse besitzt und dass 
der gestern des Oefteren ausgesprochene Wunsch, derselbe 
möchte noch recht lange der hiesigen Strafanstalt, die ihm so 
Vieles verdankt, vorstehen und es möchte so noch auf viele 
Jahre hinaus dem bayerischen Staate ein treuer Diener er¬ 
halten bleiben, aus aufrichtigem Herzen kam und allerwärts 
freudiges Echo fand. 

Ans Baden« Im Laufe der Monate April und Mai 1885 
haben JJ. KK. HH. der Grossherzog und der Erbgrossherzog 
die Strafanstalten in Bruchsal und Mannheim, desgleichen die 
Grossherzogin die Weiberstrafanstalt Bruchsal mit Höchstihrem 
Besuche beehrt und dabei die Zufriedenheit mit den gefun¬ 
denen Zuständen ausgesprochen. Der Oberaufseherin Holz- 
schuch an der Weiberstrafanstalt Bruchsal wurde nach diesem 
Besuch von J. K. H. der Grossherzogin ein silbernes Medaillon 
mit goldenem Kreuz als Ehrengabe für langjährige treue und 
erspriessliche Dienste verliehen und am 7. Juni feierlich über¬ 
reicht. 


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391 



Der Tag der Eröffnung des internationalen Gefängniss- 
congresses zu Rom ist definitiv auf den 16. November 1885 
festgesetzt. 

Von Herrn Beltrani-Scalia ist folgendes Ausschreiben 
ergangen: 

Geehrter Herr! 

In Folge der häuslichen ünglücksfälle, von welchen ich 
in letzter Zeit so grausam betroffen wurde, wünschte ich von 
der Generaldirection ab- und in das Privatleben zurückzutreten, 
allein S. E. der Minister des Innern erwies mir die Ehre, mich 
zum Staatsrath zu ernennen und ich habe dies Anerbieten 
dankbar angenommen. 

Indessen ist in Allem, was auf den internationalen Ge- 
fängnisscongress, sowie auf die Direction der Rivista di dis- 
cipline carcerarie Bezug hat, meinerseits nichts geändert und 
ich bitte Sie nur, für alle etwa nöthigen Mittheilungen von 
den folgenden Adressen Kenntniss zu nehmen: 

Aa Herrn N. Vazio, Gemraldirector der Gefängnisse, 
Ministerium des Innern 

Rom 

für Mittheilungen, die Sie ihm persönlich oder in seiner Eigen¬ 
schaft als Vorstand der italienischen Gefängniss-Verwaltung 
machen wollen. 

An das Centralcomite des internationalen Gefängnisscongresses, 
Ministerium des Innern 

Rom 

für Mittheilungen, welche Sie an den Congress richten wollen. 


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392 


An Herrn M. Beltrani-Scalia, Staalsraih, 
Ministerium des Innern 

Rom 

für Mittheilungen, die Sie mir persönlich oder in meiner amt¬ 
lichen Eigenschaft oder als Director der Rivista machen wollen. 

Inzwischen bitte ich Sie, geehrter Herr, den Ausdruck 
meiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu genehmigen. 

Rom, 15. März 1885. 

M. Beltrani-Scalia. 


Die königl. Generaldirection der Gefängnisse in 
Rom hat an die HH. Directoren der Galeeren, Straf-, Ver- 
wahrungs- und Besserungs-Anstalten folgendes Circular, d. d. 
30. April 1885, Nr. 101689 —143 — 1—A. (Statistisches Amt) 
gerichtet: 

„Unter den von der italienischen Regierung für den näch¬ 
sten internationalen Gefängniss-Congress zugesagten Arbeiten 
befindet sich auch, wie Ew. Hochwohlgeboren wohl bekannt, 
eine statistische Monographie über unsere Gefängnisse seit der 
Errichtung des Königreichs Italien bis auf die neueste Zeit. 

Natürlich handelt es sich um eine ganz summarische Zu¬ 
sammenstellung der in den 12 bis jetzt veröffentlichten und 
den im Druck oder in Ausarbeitung sich befindenden Bänden 
gesammelten Hauptziffern mit Veranstaltung eines Abdruckes 
der synoptisch-historischen Tabellen, welche einzeln dem ersten 
Band für die Strafanstalten, dem zweiten für die Verwahrungs¬ 
häuser und frommen Stiftungen zur Besserung der Jugendlichen, 
dem vierten für die Bagnos und den folgenden Bänden für die 
Anstalten jeder Art, welche nach und nach der Generaldirection 
der Gefängnisse unterstellt wurden, beigefügt sind. 

Auf diese Tabellen richten wir nun insbesondere die Auf¬ 
merksamkeit der HH. Directoren, um bezüglich der von ihnen 
verwalteten Anstalt dafür Sorge zu tragen: 

1) ihnen aufstossende Fehler zu verbessern, welche Berich¬ 
tigungen noch werthvoller werden, wenn sie sich auf 
die anderen Theile der Statistik ausdehnen ^ 


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393 


2) eine summarische Angabe aller an den Localen durch 
Erweiterungen oder Umbauten vorgenommenen Verände¬ 
rungen beizufügen; 

3) wo es immer angeht, die Geschichte der Anstalt zu 
verzeichnen, insbesondere den gegenwärtigen Verwah- 
rungs-, Disciplin-, Unterrichts-, Arbeite- etc. Methoden 
die unter der früheren Regierung geltenden gegenüber 
zu stellen; 

4) ausserordentliche Vorkommnisse, welche die anekdotische 
Geschichte der Anstalt betreffen, anzuführen und dabei 
nicht zu unterlassen, irgendwie berühmte Männer, die 
zufällig dort gefangen waren, zu erwähnen; 

5) die verschiedenen Richtungen oder Bestimmungen der 
Straf- oder Besserungsanstalt zu benennen, indem wo¬ 
möglich die Entwickelung der Gefängnisssysteme in 
Italien dargestellt wird, sei es in der Art der Strafvoll¬ 
ziehung, sei es in der Anwendung der Disciplinar- und 
Administrativvorschriften, sei es in der Trennung oder 
umgekehrt in der Zusammenwerfung verschiedener Ele¬ 
mente innerhalb ein- und derselben Umfassungsmauer. 

Und wo zur Sammlung oder Richtigstellung der gewünsch¬ 
ten Notizen Nachforschung in Bibliotheken oder Staats-, Pro¬ 
vinzial- und Gemeinde-Archiven nöthig fallen sollte, werden 
die HH. Directoren sicherlich in ihren Studien gefördert wer¬ 
den. Sollten sich aber Schwierigkeiten erheben, dann mögen 
sie sich an den Unterzeichneten wenden, der für deren Be¬ 
seitigung sorgen wird. 

Natürlich werden die HH. Directoren zu ihren Bemer¬ 
kungen jene Rechenschaftsberichte, Statuten, Denkschriften, 
Werken. 8. w., welche sie zur besseren Beleuchtung des gegen¬ 
wärtigen und vergangenen Lebens der ihnen anvertrauten An¬ 
stalt für dienlich erachten, beiziehen. 

Ich gewärtige alsbald eine Empfangsbescheinigung des 
Gegenwärtigen und forderliche bestimmte Nachricht. 

Der Generaldirector: Vazio.“ 


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394 


Internationaler Gefängnisscongress. 

Rom — November 1885. 


Verzeichniss der officiellen Delegirten. 

Baden : Hr. v. Jagemann, Dr., Ministerialrath, Respicient 

für Gefangnisswesen. 

Bayern: Hr. Fr. v. Holtzendorff, Dr., Professor der 

Rechte an der Universität München. 

Hr. Valentin Reisenbach, Assessor im Justiz¬ 
ministerium. 

Belgien: Hr. Comm. A. Gautier, Generaladministrator der 

Gefängnisse. 

Brasilien: Hr. Eduard Callado, ausserordentl. Gesandter 

und bevollmächtigter Minister in Italien. 

Dänemark: Hr. Dr. Goos, Professor an der Universität Ko¬ 
penhagen. 

Frankreich: Hr. Ludwig Herbette, Director derGefängniss- 
administration, Vertreter der franz. Regierung. 

Hr. Ni veile, Generalinspector der Verwaltungs¬ 
stellen im Ministerium des Innern (Section für 
Gefängnisswesen). 

Hr. Reynaud, Vorstand der Gefängnissadmini- 
stration im gleichen Ministerium. 

Hr. Pauli an, Secretär der Abgeordnetenkammer, 
Secretär der Delegirten-Commission. (Dieser 
Commission werden sich noch zwei Senatoren 
und zwei Abgeordnete anschliessen.) 

Lübeck: Hr. Dr. Rittscher, Senator. 

Mexico: Hr. Aw. J. Zenis, erster Secretär der mexicani- 

schen Gesandtschaft zu Madrid. 

Norwegen: Hr. Birch-Reichenwald, Vorstand des Straf¬ 
anstaltswesens im Justizministerium. 

Niederiande: Hr. Dr. B. J. Ploos van Amstel, Präsident des 
Gerichtshofes in Amsterdam. 

Hr. Dr. S. Pols, Professor der Rechte an der Uni¬ 
versität Utrecht. 


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395 



Hr. J. A. M. van Haften, Referendar, Vorstand 
der Gefängniss-Administration. 

Polen: Hr. v. Moldehawer, Rath am Gerichtshof zu 

Warschau. 

Russland: Hr. S. E. Galkine Wraski, Vorstand der Ge¬ 

fängniss-Administration. 

Schweden: Hr. G. F. Almquist, Generaldirector der Ge¬ 
fängnisse. 

Schweiz: Hr. Dr. Guillaume, Director der Strafanstalt zu 

Neuchätel. 

Ungarn: Hr. Dr. Sigismund Laszlo, Sectionsvorstand 

im Justizministerium zu Buda-Pest. 

Uruguay: Hr. Antonini y Diez, ausserordentl. Gesandter 

und bevollmächtigter Minister in Rom. 

Vereinigte Staaten von Amerika: Hr. John L. Milligan, 
Pensylvanien. 


Von dem Bnlletin de la Commission p^nitentiaire 
internationale sind seit der letzten Mittheilung in Bd. XIX. 
S. 242 weiter erschienen: 

Heft 25 mit einem Aufsatz von Professor Tancrede 
Canonico, Senator in Rom: „Ein Besuch in 
einigen europäischen Gefängnissen aus Anlass des 
nächsten internationalen Gefängnisscongresses in 
Rom.“ 

Heft 26: Gutachten zu I. 5 von Peter Armengal y 
Cornet, vertragender Rath am Appellations¬ 
gericht zu Barcelona. 

Heft 27: desgl. zu 11. 5 von J. V. Hürbin, Director der 
Strafanstalt Lenzburg (Schweiz). 

Heft 28: desgl. zu 1. 6 von C. D. Randall von Coldwater 
(Michigan). 


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396 


PersoialMCIirlcItteiL 


1. Veränderungeii. 

a. Baden. 

Glück, Buchhalter am Landesgefängniss Bruchsal, ausgetreten. 

Gr einer, Stadtpfarrer, ev. Hausgeistlicher des Landesgefängnisses Mann¬ 
heim, hat die Stelle als ev. Hausgeistlicher niedergelegt. 

Kaufmann, Vicar, wurde zum ev. Hausgeistlichen des Landesgefängnisses 
Mannheim ernannt. 

Münch hach, Finanzassistent, wurde zum Buchhalter des Landesgefäng- 
nisses und der Weiberstrafanstalt Bruchsal ernannt. 

b. Bayern. 

Fleischmann, Dr., Hausarzt des Zuchthauses in Kaisheim, wurde zum 
Bezirksarzt in Dillingen ernannt. 

c- PreuBsen. 

Grofebert, Inspector des Untersuchungsgefängnisses Altmoabit in Berlin, 
wurde zum commiss. Director der Provinzial-Besserungs- und Land¬ 
armenanstalt Könitz ernannt. 

Sch eff er, Pfarrer in Boppard, wurde zum I. Pfarrer der reform. Kirche 
in Marburg ernannt. 

d. Saohsen. 

Freund, Katechet an der Strafanstalt Zwickau, zum Oberlehrer ernannt. 

Glotz, Katechet an der Strafanstalt Zwickau, wurde in gleicher Eigen¬ 
schaft an die Strafanstalt Waldheim versetzt. 

Kochta, Katechet an der Strafanstalt Waldheim, zum Oberlehrer ernannt. 

P eis el, Katechet an der Corr.-Anstalt Sachsenburg, zum Oberlehrer ernannt. 

Schroeder, Katechet der Correct-Anstalt Hohnstein, wurde in gleicher 
Eigenschaft an die Strafanstalt Zwickau versetzt. 

e. Württemberg. 

Sichart, Director des Zuchthauses in Ludwigsburg, erhielt den Rang auf 
der 6. Stufe der Rangordnung. 

Weegmann, Justizrath und Vorstand des Zuchthauses Stuttgart, wurde 
wegen durch Krankheit herbeigeführter Dienstuntüchtigkeit in Ruhe¬ 
stand versetzt. 


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— 397 — 

2. Todesfälle. 

a. Preussen. 

Küfer t, Inspector des Zellengefängnisses Hannover. 

b. Sachsen. 

Barth, Katechet hei der Strafanstalt Waldheim. 

3. Decorationen. 

a. Preussen. 

Bo ege, Gefangenenaufseher a. D. in Breslau, erhielt das allg. Ehrenzeichen. 

Grün er t, Strafanstalts-Oberaufseher a. D. in Jauer, desgleichen. 

Jouin, Strafanstalts-Aufseh er a.D. in Jauer, desgleichen. 

Koppe, Gefängniss-Oberaufseher a.D. in Soldin, bisher in Friedherg N/M., 
desgleichen. 

Lütgen, Geh. Reg.-Rath im Ober-Präsidium zu Hannover, erhielt den 
Rothen Adler-Orden HI. Classe mit der Schleife. 

b. Württemberg. 

Pfeilsticker, Dr., Med.-Rath und Mitglied des Strafanst.-Collegiums in 
Stuttgart, erhielt das Ritterkreuz I. Classe des Friedrichsordens. 

Ries, Dr., Domcapitular in Rottenburg, erhielt das Ritterkreuz I. Classe 
des Ordens der Württ. Krone mit der Krone. 

Schlauch, Oberaufseher am Arbeitshause Vaihingen, erhielt die silberne 
Civilverdienstmedaille. 

Walzer, prov. Oberaufseher am Landesgefängniss Rottenburg, erhielt die 
silberne Civilverdienstmedaille. 


yiireliiiieiieiiliiliBilifiiteiL 


Eingetreten 

sind als neue Mitglieder: 

a. Baden. 

Kaufmann, Vicar, ev. Hausgeistlicher des Landesgefängnisses Mannheim. 

b. Bayern. 

Schaefer, Friedr., Dr., Hausarzt des Zuchthauses Kaisheim. 

c. Hessen. 

Hallwachs, Geh. Staatsrath und Ministerial-Sectionschef in Darmstadt. 

d. Mecklenburg. 

Bützow, Direction des CentralgefUngnisses. 

Blätter^für Gef&ngnisskunde. XIX. 26 


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398 


ifAnit T, . *• P*'«n»8eii. 

Pippow, Landamenanstalt. 

tm.,, «“«•»Wl.... Pia^«. 

•Pffert, Pfarrer und Anataltegeistlicher in Hoheneck. 

Ausgetreten sind: 

n Bttden. 

Henniech, Dr., Haoswzt in St. Gemg^ 

» ®* P'euBBen. 

^“‘'S«r'®ht8director in Berlin. 

Pi8ch‘’''’n Arre8tl,au8e8 in Trier 

Fischer, Director in Graudenz. 

KuL''ep“p“^’ ®‘**‘®‘'“'^®l‘«®l'*ft8-Secretär in Stade 

utzer, Rendant der Strafanatalt Graudenz. 


Inhalt 


'■ der Gefangenen und Entlaeeenen 

2. Correspondenz . , • • . 

Insbesondere; ’ ' * 

Gefangenenzahl in Preussen 

3. v“rr 

Insbes.: Desinfection durch Torfmull 

4. Schutzwesen ... * * * 

5. Nachrichten aus Strafanstalten . , ‘ 

6. Internationaler Gefängnisscongress ‘ 

7. Personal nach richten . . ’ ' 

8. Vereinsangelegenheiten ... 


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