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(xustav Kkert.
Neunzehnter Band, 5. Heft. *
Heidelberg.
Verlagshandlung von G. VVeiss.
Druck von Pr. Wagner in Preiburg i. B.
1885.
m
THE LIBRARY
OF THE
CLASS 33905
BOOK ]555
Digitized
Blätter
1
für
lies yereitts der deotsclien Mutaltsbiek
Redigirt
von
Gr^ustav Ekert.
Neunzehnter Band.
Heidelberg.
(^IBUOTraE^
J erlagshandlung von G. Weiss.
Druck von Pr. Wagner in Freiburg i. B.
L'iav.cr WlKK.LllSKAin ^ ,
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»EI
Inhalt
des
XIX. Bandes.
S^ite
1. Verhandlungen der Versammlung des Vereins der deutschen Straf¬
anstaltsbeamten in "Wien 17.—21. Sept. 1883. 1. u. 2. Heft.
I. Vorbericht.V
II. Erste Sitzung, 20. September.1
1. Begrüssung der Versammlung durch Se. Excellenz den
Justizminister Dr. Freiherr v. Prazak. . . . 1
2. Wahl des Büreaus.2.3
3. Vortrag des Geh. Justizraths Wirth Ober die Entwick¬
lung des Gefängnisswesens Deutschlands u. Oesterreichs 3
4. Geschäftsbericht ........ 50
5. Verhandlungen über die Fürsorge für geistesgestörte Ver¬
brecher .20
6. Desgl. über den Bau von Zellengefängnissen . , . 44
7. Desgl. über Aenderung der Satzungen .... 49
8. Desgl. über die Extragenüsse etc. an Gefangene . • 54
III. Zweite Sitzung, 21. September.80
9. Verhandlungen über die Arbeitsbelohnungen ... 80
10. Desgl. über das Schutzwesen für entlassene Gefangene . 118
11. Wahl des Ausschusses.138
IV. Beilagen:
1. Programm der Versammlung.141
2. Verzeichniss der Theilnehmer.145
3. Büreau der Versammlung.147
4. Verzeichniss der Beschlüsse ...... 148
o
y 2. Die Bevölkerung der Hamburgischen Gefängnisse im Jahre 1883.
*.T ^ ätreng. 3. u. 4. Heft.155
Erbauung einer Strafanstalt in Bosnien. Mit 4 lith. Tafeln.
3. u. 4. Heft. . . 166
lieber die Geständnisse der Gefangenen. Von Krauss. 3.u.4.Heft. 186
5. Die Strafanstalt Wehlheiden b. Cassel. VonKaldewey. 3. u. 4.Heft. 2ll
V' >
583975
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IV
Seite
6. Die englischen Reformatories und Industrieschulen. 3. u. 4. Heft 242
7. Die lieber Verdienstgelder der Gefangenen und Entlassenen. Von
Richter. 5. Heft.
301
8.
Internationaler Gefängnisscongress. 3. u. 4. Heft
.
• •
230
5. Heft
•
391
9.
Mittheilungen aus der Praxis. 3. u. 4. Heft
•
260
10.
Correspondenz. 8. Heft.
.
329
Insbesondere:
Gefangenenzahl in Preussen ....
330
Mittheilungen über d. GefängnissVerwaltung in EIsass-Lothringen
343
11.
Vermischtes. 5. Heft.
,
,
346
Insbesondere:
Desinfection durch Torfmull ....
359
12.
Literatur. 3. u. 4. Heft.
268
13.
Nachrichten aus Strafanstalten. 3. u. 4. Heft
.
270
5. Heft
389
14.
Schutzwesen. 3. u. 4. Heft.
271
5. Heft.
369
15.
Personalnachrichten. 3. u. 4. Heft
293
5. Heft . • . •
396
16.
Vereinsangelegenheiten. 3. u. 4. Heft .
296
5. Heft ....
,
, ,
397
17. Preisausschreiben (Handbuch für Gefängnissaufseher). 3. u. 4. Heft 297
18. Erklärung von Kr ohne (S. 1—8), mit Bd. 18 Heft 3 und von
Chuchul (S. 1—8), mit Bd. 18 Heft 4 erschienen, gehören
zum 19. Band.
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Ad
den Änssclinss and die Mitglieder des Vereins der
deutschen Strafanstalts-Beamten!
Der Verein hat mir zu meinem 25jährigen Jubiläum als
Strafanstaltsvorstand, das ich am 11. dieses Monats begieng,
durch seinen Ausschuss eine künstlerisch ausgestattete Glück¬
wunschadresse, in der meiner seitherigen Wirksamkeit auf dem
Gebiete des Gefilngnisswesens und der zwanzigjährigen Thätig-
keit als Leiter des Vereins aufs ehrenvollste gedacht ist, nebst
einem Geschenke, bestehend in einem werthvollen silbernen
Tafelaufsatz, überreichen lassen. Hiefür sage ich meinen auf¬
richtigen, warm und tief gefühlten Dank.
Wenn uns in der durch Widerwärtigkeiten, Enttäuschungen
und Uebermüdungen reich gewürzten Thätigkeit das Zeugniss
wird, dass dieselbe keine fruchtlose war, dass wir noch Gönner,
Freunde und Collegen besitzen, die uns eine treue, gute Ge¬
sinnung bewahren, so sind solche Lichtpunkte die Leitsterne
und die Aufrichtung im fernem Wirken, die Kräftigung im
Ausharren bei der guten Sache.
Diese Aufmunterung, sie ist mir von allen Seiten im
reichsten Maasse geworden.
Möge Gott unser Zusammenwirken, dem ich allein den
Erfolg verdanke, auch ferner äegnen und noch lange erhalten!
Freiburg, 28. Jenner 1884.
Der Yorsttzende des Yerelnsausschosses
Ekert,
Gebeimerath und Gefängnissdirector.
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Blätter
für
aisikaad
Redigirt
▼on
Grustav Ekert.
Neunzehnter Band, 1. u. 2. Heft.
*
Heidelberg.
Verlagshandlung von G. Wciss.
Druck von Fr. Wagner in Freiburg i. B.
1884.
e
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Versammlung
des
in
Wien«
17. —21. September 1883.
Nach den stenegraphisehen Aufzeichnungen.
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Vorberichi
Die nöthigen Angaben über die Entwickelung des
Vereins, seine. Thätigkeit, Mitgliederzahl, Ein¬
nahmen und Ausgaben etc. sind in der Versammlung mit-
getheilt worden und auf S. 50 ff. dieses Heftes zu ersehen.
Die Vereinsrechnungen für 1880—83 sind in Gemäss-
heit des Beschlusses der Wiener Versammlung durch Herrn
Director Wirth geprüft und richtig befunden worden; es
wurde hierauf Decharge ertheilt und die Anerkennung für die
sorgfältige und sparsame Rechnungsführung ausgesprochen.
Die Einladungen zu der 18836r Versammlung in Wien sind
in üblicher Weise erfolgt. Die Versammlung war zahlreicher,
als man nach den Verhältnissen, besonders auch der Lage des
Orts erwarten konnte, besucht und ist in befriedigender Weise
verlaufen. Der Gang derselben ist aus dem vorliegenden Hefte
und insbesondere aus den Beilagen zu ersehen.
Auch diesmal sind die zu behandelnden Stoffe durch vor-
ausgegangene Berathung des Ausschusses vorbereitet worden.
Der Ausschuss versammelte sich deshalb programmmässig schon
am 17. September in Wien. Den Sitzungen wohnten auf be¬
sondere Einladung die Herren Ministerialräthe v. Pichs und
V. Feiner aus Wien und Geh. Ober-Regierungsrath Illing aus
Berlin, sodann die Ausschussmitglieder Bracker, Ekert, Krohne,
Langreuter, Lütgen, Marcard, Miglitz, Strosser und Wirth bei;
ebenso waren als Referenten die Herren Staatsanwalt Zatschek
aus Pilsen, Director Tauffer aus Lepoglava, Pfarrer Krauss
aus Bruchsal und Decan Götzinger aus Langenbrücken an-
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VI —
wesend. Den Vorsitz führte Director Ekert, das Protokoll
Pfarrer Krauss.
Die Ausschusssitzungen begannen am 17. September Abends
und wurden am 18. und 19. fortgesetzt. Zur Discussion darin
kam u. A. auch der Gedanke einer näheren Verbindung des
Vereins mit den andern Gefangnissvereinen Deutschlands. Eine
Frucht der Berathung war der Vorschlag des Ausschusses,
betr. Aenderung der Satzungen, über welchen Director Krohne
(S. 49 der Verhandlungen) referirte.
Im Uebrigen war das Resultat der Berathung die Fest¬
stellungen der weiteren Thesen, die den beiden Hauptversamm¬
lungen zur Beschlussfassung vorgelegt und fast ohne Aende-
rungen angenommen wurden. (Beil. 4 d. Heftes.)
Die Berathungen des Ausschusses spiegeln sich in den
Referaten und den Discussionen der Hauptversammlung wieder.
Man einigte sich auch bezüglich des Vorschlags eines
Präsidenten für die Versammlung auf Herrn k. k. Hofrath und
Oberstaatsanwalt Dr. von Hattingberg, der nachmals das
Präsidium auch annahm.
Am 21. September trat der Ausschuss nochmals zusammen,
um zu beschliessen, welche Herren als Mitglieder des Aus¬
schusses vorzuschlagen seien. Das Resultat ist S. 138 der Ver¬
handlungen angegeben.
Die Ausschusssitzungen wurden in einem schönen und
elegant eingerichteten Saale des prachtvollen neuen Justiz¬
palastes abgehalten, in welch letzterem sich auch der Sitzungs¬
saal für die Hauptversammlung befand.
An den Hauptversammlungen betheiligten sich ausser Sr.
Excellenz dem Herrn Justizminister und den Herren Mini-
sterialräthen v. Feiner und v. Pichs aus Wien als Gäste noch
die Herren Excellenz Oberlandesgerichtspräsident v. Streit,
die Sectionschefs im k. k. Justizministerium Frhr. v. Sacken
und Giuliani, Oberlandesgerichts - Vicepräsident Arthur
V. Keller, Justizministerialrath Dr. Krall, Sectionsrath im
Justizministerium Starr. Ministerialsecretär in dems. Minist.
Dr. Kaser er, Strafgerichtspräsident Schwaiger, Vicepräsi¬
dent der Advocatenkammer Dr. Frantz.
Was die Commission für den Bau von Zellengefängnissea
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VII
anlangt (s. S. 48 dieses Heftes), so wurde solche gebildet aus
den Herren:
Geh. Ober-Reg.-Rath Illing in Berlin,
Director Kr oh ne daselbst,
Ministerialrath v. Pichs in Wien,
Director Streng in Hamburg,
Geh. Justizrath Wirth in Berlin,
Staatsanwalt Zatschek in Pilsen,
Geh. Rath Ekert in Freiburg.
Zu ihrem Vorsitzenden ernannte diese Commission Herrn
Director Kr oh ne.
lieber den Ort der nächsten Versammlung hat man sich
zunächst nicht definitiv geeinigt, jedoch eine Stadt in Süd¬
westdeutschland oder Mitteldeutschland in Aussicht genommen.
Zum Vorsitzenden des Ausschusses wurde der Unterzeich¬
nete wieder gewählt.
Wie der geschäftliche, so verlief auch der nichtgeschäft¬
liche Theil der Versammlung in gelungenster Weise.
Die an den Ausschussberathungen Betheiligten hatten die
ganz besonders hohe Ehre, im Verein mit mehreren höheren
Staatsbeamten Wiens am Mittwoch den 19. September von
Sr. Excellenz dem Minister der Justiz Dr. Freiherrn v. Prazak
zum Diner geladen zu sein.
Der Begrüssungs-Abend fand am Mittwoch den 19. Sep¬
tember unter zahlreicher Betheiligung und regem Verkehr in
besonderen Räumen des Caf6 Ronacher statt, wobei durch die
Liebenswürdigkeit des Eigenthümers noch einige mit fürstlicher
Pracht ausgestattete Privatzimmer zur Verfügung gestellt waren.
Am 20. September vereinigte sich die Mehrzahl der Theil-
nehiner zu einem gemeinsamen Diner im Caf4 Ronacher.
Die Fahrt nach dem Kahlenberg und die dort stattgefun¬
dene gesellige Vereinigung bei einem Gouter, veranstaltet durch
die k. k. Oesterreichische Regierung, woran eine Anzahl hoher
Staatsbeamten von Wien Theil nahm, verlief höchst gelungen.
War auch das Wetter nicht günstig und die schöne Aussicht
nur während des Hinwegs zu schauen, während es nach der
Ankunft oben regnete, so that dies der Geselligkeit keinen
Eintrag, erhöhte vielmehr die Genüsse des Festes. Bei
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vin
diesem Anlass toastirte Herr Ministerialrath von Pichs auf
den Vereins Vorstand, Geh. Rath Ekert auf die k. k. Staats¬
regierung, hier vertreten durch die Herren Ministerialräthe
V. Feiner und v. Pichs, sodann Hr. Staatsanwalt v. Pelser
auf die Frauen. In animirter Stimmung verlief dieses letzte Zu¬
sammensein und ein ungetrübter, gesunder Humor würzte bis
zum Ende das schöne Fest.
Die äusseren Veranstaltungen für das Ganze besorgten
die Herren Ministerialräthe von Feiner und von Pichs in
gelungenster Weise. Die k. k. österreichische Regierung über¬
nahm die sämmtlichen Kosten der Versammlung.
Man bekam überhaupt die Ueberzeugung, dass die Wirk¬
samkeit des Vereines in Oesterreich, wo man für Hebung des
GefängnissWesens besonders durch Einführung der Einzelhaft
unablässig und mit Erfolg bemüht ist, hochgeschätzt sei.
Diesen Eindruck erhielt der Unterzeichnete auch vor Allem
als ihm am 20. September die Gnade zu Theil ward, von
Sr. k. k. apostolischen Majestät dem Kaiser in Audienz em¬
pfangen zu werden, um sich für die Verleihung des Komthur-
kreuzes des Franz-Josefs-Ordens zu bedanken. Se. Majestät
gedachte hiebei nicht nur des Vereins und seiner Bestrebungen
im Allgemeinen, sondern sprach auch Höchstseine Freude
darüber aus, dass der Verein in Wien tage, zeigte sich über
die Verhandlungsgegenstände vollständig informirt, betonte die
Wichtigkeit derselben und sprach sich noch weiter über das
Gefängniss wesen aus. In huldvollster Weise erfolgte wie der
Empfang so auch die Entlassung.
Das freundlichste Entgegenkommen zeigte auch speciell
Se. Excellenz der Herr Justizminister von Prazak; von ihm
wurde Alles aufgeboten, was die Zwecke der Versammlung
und die Annehmlichkeit des Aufenthalts fördern konnte.
In Ausführung dieser Gesinnung waren auch die Herren
Ministerialräthe von Feiner und von Pichs unermüdlich in
Aufmerksamkeiten gegen die Gäste.
Solche Ereignisse, dabei die Grossartigkeit und Pracht
der österreichischen Kaiserstadt, alles das Viele, was sie bietet,
namentlich auch durch den gemüthlichen Ton im geselligen
Verkehr, der in den Herzen aller Theilnehmer wiederklang,
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IX
— Alles das war wohl geeignet, unauslöschlichen Eindruck zu
machen.
Es geschieht daher nicht sowohl im Gefühle der Pflicht
und gemäss der Uebung, sondern — und gewiss in lieber-
einstimmung mit allen Theilnebmern — aus innerem Herzens¬
drang, wenn ich hiemit Namens des Vereins und der Ver¬
sammlung für alles Gebotene den aufrichtigsten und wärmsten
Dank sage.
Freiburg, im Januar 1884.
Für den Vereinsausschuss
dessen Vorsitzender:
Ekert,
Geheimerath und Gefüngnissdirector.
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VII. Versammlung
des
in
"VV^ien.
Erste Sitzung den 20. September 1883.
Der Vereinsvorstand Geheimerath Ekert eröfftiet die Ver¬
sammlung um 9 Uhr mit folgenden Worten:
Indem ich die Versammlung des Vereines der deutschen
Strafanstaltsbeamten für eröffnet erkläre, habe ich zunächst
mitzutheilen, dass Se. Excelleiiz der Herr Justizminister Dr.
Freiherr von Prazak uns die hohe Ehre erweisen will, die
Versammlung zu begrüssen.
Justizminister Dr. Freiherr von Prazak: Ich habe die
Ehre, die verehrten Mitglieder und Theilnehmer der Haupt¬
versammlung des Vereines der deutschen Strafanstaltsbeamten
bei dem Beginne ihrer Berathungen freundlichst zu begrüssen.
Der Beschluss des Vereines, die diesjährigen Versammlungen
in Wien abzuhalten, hat uns freudig berührt.
Fruchtbare Anregungen auf dem Gebiete der Gefangniss-
reform sind aus der Mitte des Vereines hervorgegangen und
seine Thätigkeit hat wesentlich dazu beigetragen, dieGefängniss-
kunde zu einem wichtigen Zweige der Strafrechtswissenschaft
zu gestalten.
In richtiger Erkenntniss ihres schwierigen Berufes, fassen
ihn die Strafanstaltsbeamten immer fnehr von höheren Gesichts-
Blätter für Qefängnisskunde. XIX. 1
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punkten auf. Nicht als blosse Organe zur Beaufsichtigung der
Verurtheilten dürfen sie sich ansehen; denn sie werden ihre
dienstlichen Aufgaben in dem Maasse gelöst haben, als es
ihnen gelungen ist, den die Strafe Verbüssenden am Ende der
Haft gebessert und als ein nützliches Mitglied der mensch¬
lichen Gesellschaft wieder zu geben.
Indem ich den Verein zu der unausgesetzten Verfolgung
seiner edlen Zwecke beglückwünsche, füge ich noch den
Wunsch bei, dass unsere verehrten Gäste sich während ihres
Aufenthaltes in Wien, in unserer Kaiserstadt, so heimisch
fühlen mögen, als wir sie hier auf das herzlichste willkommen
heissen. (Beifall.)
Geh. Rath Ekert: Im Namen des Ausschusses schlage
ich Ihnen vor, Se. Excellenz den Herrn Jiistizminister Dr.
Freiherr von Prazak zum Ehrenpräsidenten der Versamm¬
lung mit Acclamation zu ernennen. (Allgemeine Zustimmung
und Bravo!)
Ferner schlägt Ihnen der Ausschuss vor, zum Vorsitzenden
der Versammlung zu ernennen den k. k. Hofrath und Ober¬
staatsanwalt in Wien Herrn Dr. von Hattingberg. (Allge¬
meine Zustimmung.) Da die Versammlung ihre Zustimmung
kundgegeben, ersuche ich Herrn Hofrath und Oberstaatsanwalt
von Hattingberg, wenn er ein willigt, das Präsidium der¬
selben zu übernehmen.
Oberstaatsanwalt von Hattingberg (den Vorsitz über¬
nehmend): Es ist mir eine grosse Ehre, die Leitung Ihrer
Verhandlungen zu führen; nehmen Sie für das mir geschenkte
Vertrauen meinen wärmsten Dank. Erlauben Sie mir zugleich
die Bitte um Ihre gütige Unterstützung und freundliche Nachsicht.
Vor Allem kann ich in diesem Augenblicke und an dieser
Stelle nicht unterlassen, jenes um die Rechtswissenschaft nicht
minder als um die Strafrechtspflege und speciell auch um diesen
Vereili hochverdienten Mannes zu gedenken, welcher während
einer Reihe von Jahren Ihre Verhandlungen geleitet hat. Ich
kann es nicht unterlassen, mein tiefes Bedauern darüber auszu¬
drücken, dass dieser Mann, Generalstaatsanwalt v. Schwärze,
diesmal nicht in unserer Mitte ist, dass Sie nicht in der Lage
waren, ihm auch diesmal die Leitung der Verhandlungen zu
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übertragen. Ich bin Ihrer Zustimmung versichert, wenn ich
den Herrn Präsidenten des Vereines bitte, im Namen der hier
tagenden Versammlung an den Herrn General-Staatsanwalt
von Schwarze Mittheilung zu machen von der Kundgebung
ihres Bedauerns über den Anlass seines Ausbleibens und zu¬
gleich den lebhaften Wunsch uuszudrücken, es möge seine
Genesung rasch und vollkommen fortschreiten. (Beifall.)
Zunächst obliegt mir statutenmässig zur Bildung des
Bureaus zu schreiten. Ich erlaube mir, den Herrn Geh. Ober-
Justizrath Starke aus Berlin, den k. k. Hofrath und Univer¬
sitäts-Professor Dr. Wahlberg aus Wien, den Geh. Ober-
Regierungsrath Illing aus Berlin und den Herrn Ober¬
staatsanwalt Köstlin aus Stuttgart zu bitten, die Ehre des
Präsidiums mit mir zu theilen.
Das Schriftführeramt ersuche ich die Herren Staatsanwalt
Scheitz (aus Korneuburg) und Pfarrer Krauss (aus Frei¬
burg) zu übernehmen.
Wir übergehen zur Tagesordnung. Es ist nothwendig ge¬
worden, einige Aenderungen in derselben eintreten zu lassen.
Als ersten Gegenstand der Verhandlung setze ich den Vortrag
des Herrn Geh. Justizraths Wirth über die
Entwicklung des Gefängnisswesens Deutschlands und Oester¬
reichs in Theorie und Praxis in der neueren Zeit.
Ich ersuche denselben das Wort zu ergreifen.
Geheimer Justizrath Wirth (Plötzensee-Berlin): Meine
Herren I Als vor einigen Monaten in unserem Ausschüsse dar¬
über verhandelt wurde, dass in diesem Jahre hier zu Wien
die Vereinsversammlung abgehalten werden solle, stellte ich
an unseren Herrn Präsidenten den Antrag, er möge eine
berufene Kraft veranlassen, uns bei dieser Gelegenheit einen
Vortrag über die Entwicklung des Gefängnisswesens in Deutsch¬
land und Oesterreich zu halten. Ich erachtete es für angenehm
und nützlich zugleich, im gegenwärtigen Augenblicke, wo wir
uns hier versammelt haben, um einige weitere Punkte für den
Culturplan unseres gemeinsamen Arbeitsfeldes, des Gefängniss¬
wesens, festzustellen, einen kurzen Bericht über die Bestre¬
bungen zu vernehmen, welche in dieser Culturfrage seither
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von unserer und anderer Seite zu Tage getreten sind und über
die Erfolge, welche diese Bestrebungen begleitet haben. Mein
Antrag fand bei dem Herrn Präsidenten und dem Ausschüsse
lebhafte Zustimmung, und der Vortrag wurde auf die Tages¬
ordnung gesetzt. Der Herr Präsident fand aber nicht die
berufene Kraft für die Erstattung des Vortrages und bestimmte
kurz entschlossen mich, den Antragsteller, für die Ausführung.
Als alter Gefängnissbeamter an Gehorsam gewöhnt, wollte ich
den Auftrag nicht ablehnen; ich übernahm denselben, trotz¬
dem ich die Schwierigkeit der Aufgabe sehr wohl kannte und
trotzdem es mir zur Lösung derselben neben vielen anderen
Dingen hauptsächlich an Zeit fehlte, die bei meinem über¬
grossen Amte diesem mühsam abgerungen werden musste. Ich
darf demnach wohl sicher auf Ihre freundliche Nachsicht
rechnen, wenn ich Ihnen heute statt des erwünschten, in sich
abgeschlossenen und abgerundeten Bildes von dem Gegen¬
stände unserer Betrachtung nur einzelne, rasch entworfene
Skizzen etwa in Form einer Plauderei vorführen kann.
In erster Linie drängte sich mir die Frage auf, bis auf
welchen Zeitpunkt soll ich bei meinem Rückblick zurück¬
greifen? Es erschien sehr verlockend, auf die Zeit Ende des
vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts zurückzugehen, die
Zeit, in welcher die Fragen des Gefängnisswesens überhaupt
in die Oeffentlichkeit traten und anfiengen, wissenschaftlich
behandelt zu werden. Es hätten sich dabei auch recht dra¬
stische Bilder und Beschreibungen schaffen lassen; allein bei
näherem Eingehen auf die Sache kam ich zu der Ueberzeu-
gung, dass mein Vortrag dadurch eine ungebührliche Länge
erhalten müsste. So fand ich es denn für unsere Verhältnisse
angemessen, wenn ich mich bei meinem Rückblick auf die
Entwicklung des Gefängnisswesens' in Deutschland und Oester¬
reich beschränkte, welche dasselbe seit der Zeit des Bestehens
unseres Vereines genommen hat, der heute auf eine 20jährige Ge¬
schichte zurückblicken kann.
Im Jahre 1863 fanden sich auf Einladung unseres Herrn
Vereinspräsidenten, der damals Director des Zellengefängnisses
in Bruchsal war, eine Anzahl süddeutscher Strafanstaltsbeamten
in Stuttgart zusammen in der Absicht, einen Verein süddeutscher
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5
Strafanstaltsbeamten zu gründen, der durch periodisch wieder¬
kehrende Versammlungen seiner Mitglieder gemeinsame Normen
auf dem Gebiete des Strafvollzuges zunächst in Süddeutsch¬
land erstreben sollte. Der Gedanke wurde von allen Theil-
nehmern an der Stuttgarter Versammlung freudigst begrüsst,
das lebhafteste Bedürfniss nach einer solchen Vereinigung
constatirt und für das Jahr 1864 eine erste Versammlung in
Bruchsal, dem Mekka aller Gefängnissbeamten, beschlossen.
Bei den süddeutschen Regierungen fand der Verein ebenfalls
die günstigste Aufnahme und so wurde die Versammlung zu
Bruchsal im Mai 1864 von einer überraschend grossen Anzahl
von Beamten der Strafanstalten und deren Aufsichtsbehörden
aus Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Nassau besucht;
ja es fanden sich auch schon einzelne Deputirte aus Preussen
und der Schweiz dazu ein. Ich brauche Sie nicht daran zu
erinnern, dass damals jedes deutsche Land und Ländchen sein
eigenes Strafgesetz hatte, dessen Bestimmungen häufig sehr
wesentlich von einander verschieden waren, dass der Straf¬
vollzug nach Organisation, System und in seinen Einzelheiten
die grössten Verschiedenheiten in den einzelnen Ländern zeigte
und fast überall in der Hauptsache nur im Verordnungswege
geregelt war; einige Ländchen, die nicht so viele Sträflinge
hatten, dass sich die Wirthschaft in eigenen Gefängnissen
rentirte, Hessen die von ihren Gerichten erkannten Strafen bei
einem freundlichen Nachbar vollstreckcn. Durch den ausser¬
ordentlich regen Verkehr, der zwischen den Bewohnern der
einzelnen Bundesstaaten stattfand, machten sich diese Ver¬
schiedenheiten auffallend fühlbar. Die Idee der Gerechtigkeit,
verwirklicht in der Gleichheit vor dem Gesetz, rang nach An¬
erkennung und da an eine Aenderung der Strafgesetze nach
der Seite ihrer Uebereinstimmung vorerst nicht zu denken war,
so strebte man, bewusst oder unbewusst, einstweilen nach dem
Erreichbaren: nach Gleichheit auf dem Gebiete der Strafvoll¬
streckung, die unabhängig von den Strafgesetzen bis zu einem
gewissen Grade möglich schien und die, war sie erst zur That-
sache gew'orden, die Aenderung und Gleichmachung der Straf¬
gesetze begünstigen musste. Selten war die Gründung eines
Vereines so zeitgemäss, selten entsprach sie so sehr dem Be-
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— 6 —
dürfnisse, wie dies bei unserem Verein der Fall war. Die
von allen Seiten her kundgegebene Zustimmung hatte gleich
in der ersten Sitzung der ersten Versammlung den Erfolg, dass
aus dem Vereine der süddeutschen Strafanstaltsbeamten ein
Verein der deutschen Strafanstaltsbeamten wurde; und kaum
war der Verein durch die Bruchsaler Versammlung lebendig
und bekannt geworden, so beeilten sich auch die Collegen aus
Oesterreich, sich dem Verein anzuschliessen, und sie sind uns
treue Vereinsgenossen geblieben, so dass wir heute die Ehre
und die Freude haben können, mit unserer Versammlung in
der schönen Kaiserstadt Wien zu tagen. (Bravo I Bravo!) Der
junge Verein äusserte nun bald eine lebhafte Thätigkeit und
wurde darin in glücklichster Weise von hervorragenden Männern
der Wissenschaft, einem Mittermaier, von Holtzendorff, Wahl¬
berg, Berner unterstützt; ausw^ärtige Vereine traten mit ihm in
Verbindung, die Verhandlungen und die Beschlüsse seiner Ver¬
sammlungen fanden bei den Regierungen und den Landes¬
vertretungen die erwünschteste Beachtung, und es wird kaum
zu viel gesagt sein, wenn ich behaupte, dass unser Verein von
jetst ab eine treibende Kraft für die Entwicklung des Ge-
fängnisswesens in Deutschland und Oesterreicli geworden und
geblieben ist. Ein vorzügliches Mittel dazu hatte der Verein
in seinem gedruckten Organ: „Blätter für Gefängnisskunde“
geschaffen, das uns heute in 17 Bänden vorliegt. Durch die
Redaction und die Herausgabe derselben hat sich unser Vereins¬
präsident Geh. Rath Ekert ein unvergängliches Verdienst um
die Gefängnisssache erworben. Wollen wir nie vergessen, zu
welch’ grossem Dank wir ihm dafür verpflichtet sind. In
diesen Blättern ist eine Summe von Thatsachen, ein Vorrath
von guten Gründen und Vorschlägen für die Verbesserung
unseres Gcfängnisswesens aufgespeichert, der bei dem Tempo
des Ganges, den die Gefängnissreform immer gehabt hat und
noch hat, in einem halben Jahrhundert noch nicht erschöpft
sein^wird.
Die Freiheitsstrafen, welche unser heutiges Gefängniss-
wesen kennt, sind an die Stelle von Leibes- und Lebensstrafen
getreten, die zu ihrer Zeit über den Verbrecher den Menschen
vergassen und ihn für Nichts achteten. Mit der Anerkennung
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7
der Menschenrechte, mit dem Wegfall der Standesvorrechto,
mit der Verallgemeinerung der politischen und bürgerlichen
Rechte und Freiheiten für alle Glieder der staatlichen Gemein¬
schaft wuchs die Erkenntniss von dem Werthe der Persönlich¬
keit des einzelnen Staatsbürgers derart, dass die Staatsgewalt
nicht mehr in der Vernichtung des Verbrechers die angemessene
Strafe für seine Uebelthaten finden durfte, sondern sich in
Ausübung ihrer Strafgewalt auf die Entziehung der persön¬
lichen Freiheit und der bürgerlichen Ehrenrechte beschränken
konnte. Nach der Natur der Dinge erfolgte der Uebergang
von den Leibesstrafen zu den heutigen Freiheitsstrafen nur
allmählich. Man glaubte lange Zeit dem Verbrecher neben der
Entziehung der Freiheit und der sonstigen bürgerlichen Rechte
einige Peinigung angedeihen lassen zu müssen, damit er die
Strafe auch fühle; er wurde beim Eintritt in das Strafhaus
mit einer Tracht Prügel empfangen und mit einer solchen aus
derselben entlassen; für alle Vergehen gegen die Hausordnung
gab es wiederum Prügel; Ketten und Kugeln wurden ihm an
den Leib geschmiedet, die er während seiner Strafzeit mit sich
herumschleppen musste; zu bestimmten Zeiten des Jahres wurde
er durch Dunkelarrest und Hungerkost an seine Strafthat er¬
innert. Die Justiz kümmerte sich wenig um das Wo und Wie
die von ihr erkannten Freiheitsstrafen vollstreckt wurden. Sie
hielt ihre Aufgabe mit Fällung des Strafurtheiles für beendigt;
die Strafvollstreckung überliess sie der Polizei, ganz abwei¬
chend von den Leibes- und Lebensstrafen, deren Execution
sie mit einer erschütternden Genauigkeit nicht blos vorge¬
schrieben, sondern sogar bildlich illustrirt hatte. Die Justiz¬
verwaltung, welche die Strafgesetze mit den neuen Freiheits¬
strafen schuf, hätte die Pflicht gehabt, auch für die Anstalten
zum Vollzug der Strafen zu sorgen. Hätte sie sich dieser
Pflicht nicht entzogen, so würde sie sicherlich Anstalten ein¬
gerichtet haben, welche der Absicht des Gesetzgebers bei
Normirung der Freiheitsstrafen entsprechen; sie hätte nicht
Anstalten mit unbeschränkter Gemeinschaftshaft zur Voll¬
streckung von Strafen einrichten können, w^enn sie nicht einem
Vater gleichen wollte, der, indem er seinen ungezogenen Jungen
strafen will, ihn zu noch ungezogeneren Jungen in die schwarze
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Kammer steckt. Die Polizei machte aus der Noth eine Tugend;
sie benützte ihre Verwahranstalten zur Strafvollstreckung und
wandelte sie erst allmälig, da Seitens der Gesetzgebung und
der Justizverwaltung nichts geschah, nach ihrer Wohlmeinung
zu Strafanstalten um. Diese Verkennung ihrer Aufgabe Seitens
der Justizverwaltung hatte die schlimmsten Folgen für die
Wirksamkeit des Strafgesetzes und des Strafvollzuges: Beide
wurden dadurch in Misscredit gebracht; da man versäumt
hatte, der Strafvollstreckung eine Wohnung zu bereiten, musste
sie schliesslich um ein Obdach froh sein; jedes Lokal hielt
man für genügend und passend zur Strafvollstreckung, beson¬
ders als mit der immer steigenden Anwendung der Freiheits¬
strafen für Vergehen jeder Art die Zahl der Bestraften in
beängstigender Weise wuchs und zuweilen Nothstände hervor¬
rief, die fast einen Justizstillstand bedingten, da war man froh,
wenn die Strafen überhaupt noch vollstreckt werden konnten;
das „Wie“ war Nebensache. Die Einsicht von der Unhaltbar¬
keit solcher Zustände konnte nicht ausbleiben; sie wurde ge¬
fordert durch das mächtige und zwingende Beispiel des Aus¬
landes, besonders von Amerika, England, Schweden, Däne¬
mark, Belgien, Frankreich, wo die Frage der Gefängnissreform
in den Parlamenten, in der Literatur und in zahlreichen Ver¬
einen nicht von der Tagesordnung kam, in Deutschland und
Oesterreich durch die Vorkämpfer für Gefängnissreform Julius,
Teilkampf, Wiehern, Mittermaier, Boeder, Jagemann, Noellner,
Temme, Varrentrapp, v. Holtzendorff, Dietz, Füsslin, v. Würth,
Wahlberg u. v. A., am meisten durch das Interesse, welches
König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen persönlich an der
Einführung des Strafvollzuges in Einzelhaft nahm. Diese Ein¬
sicht musste hervortreten, als nach dem Jahr 1848 die staats¬
bürgerlichen Rechte jedes einzelnen Individuums nochmals
eine bedeutende Vermehrung erfuhren, und damit die persön¬
liche Freiheit einen weiter gesteigerten Werth erhielt. Auch
die Verhandlungen auf den internationalen Wohlthätigkeits-
congressen zu Frankfurt a. M. und zu Brüssel trugen zur Ver-
urtheilung des herrschenden Gefängnissregimes in der öflFent-
lichen Meinung bei. So wurde denn allerwärts an einer Reform
des GefangnissWesens an Haupt und Gliedern gearbeitet}
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namentlich ging die badische Regierung allen anderen ener¬
gisch mit gutem Beispiel voran. Dort wurden die Prügel schon
1831 abgeschafft; die Justizverwaltung nahm Leitung und Ver¬
waltung des Gefängnisswesens in die Hand; es wurde das
Zellengefängniss Bruchsal gebaut und der Strafvollzug in dem¬
selben durch Gesetz geregelt. Auch in anderen Staaten, in
Oldenburg, Braunschweig, Würtemberg, Mecklenburg. Han¬
nover, Oesterreich und zuletzt in Bayern erachtete es die Justiz¬
verwaltung als ihre Aufgabe, die Strafvollstreckung selbst zu
übernehmen. Ketten und Kugeln fielen; im Jahre 1861 wur¬
den in Bayern, im Jahr 1867 in Oesterreich Tausenden von
Sträflingen die auf den Leib geschmiedeten Ketten in Folge
Gesetzes abgenommen; die Strafverschärfungen verschwanden
mehr und mehr aus den Gesetzbüchern und die Strafvoll¬
streckung in Einzelhaft trat allenthalben in ihr natürliches
Recht, wenn auch vorerst nur in geringem Umfange und ängst¬
lich in Verwirklichung. Es entstanden Zellengefängnisse in
Vechta, Dreibergen, Moabit, Münster, Ratibor, Köln, Breslau,
Hameln, Stuttgart, Zwickau, Nürnberg u. s. w. Wir treffen
also bei Gründung unseres Vereines im Jahr 1864 die Ge-
fängnissreform in vollem Gange. Die Art und Weise ihrer
Durchführung war theoretisch nach allen Seiten der Möglich¬
keit und der Unmöglichkeit mehr als zur Genüge discutirt.
Ich möchte hier auf einen nicht allgemein bekannten, in allem
Ernst gemeinten Vorschlag des weimar’schen Obermedicinal-
rathes und Directors der preussischen Akademie gemeinnütziger
Wissenschaften zu Erfurt von Froriep aufmerksam machen:
„Ueber die Isolirung der Sinne als Basis eines neuen Systems
der Isolirung der Strafgefangenen.“ Weimar 1846. Es bedurfte
jetzt nur noch der Männer, die mit nicht ermüdender Ausdauer
und unerschrockenem Muthe dem für Recht und Gut Erkannten,
der so nothwendigen Reform zu weiterem Leben und Gedeihen
verhalfen. Dass hiezu in erster Reihe die Männer der Praxis,
die Strafvollzugsbeamten berufen waren, liegt nahe. Weil aber
bei dem grossen Umfange der Aufgabe die Leistung des Ein¬
zelnen zu wenig zur Geltung kommen konnte, so mussten sich
die Strafanstaltsbeamten zu einem Vereine zusammenschliessen,
der fortan anfing auf die Entwicklung des Gefängnisswesens
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in Deutschland und Oesterreich einen bedeutsamen Einfluss zu
gewinnen. Ein erfreulicher Erfolg der Thätigkeit des Vereines
war auch darin zu erkennen, dass die Theoretiker, welche
immer mehr einsaheii, es seien die Probleme des Strafrechtes
nimmermehr ohne die Zuhilfenahme der nach wissenschaftlichen
Grundsätzen festgestellten Erfahrung des Praktikers zu lösen,
sich in immer grösserer Anzahl und in ihren ausgezeichnetsten
Persönlichkeiten dem Vereine der deutschen Strafanstalts¬
beamten anschlossen und, indem sie damit der Thätigkeit des
Vereines öffentlich ihre Anerkennung zollten, den Zornesaus¬
brüchen des Dr. Mittelstaedt, welche dieser in seiner Schrift
statt „gegen die Freiheitsstrafegegen die deutschen Straf¬
anstaltsbeamten schleuderte, ein tröstliches Paroli boten.
Die ungetheilteste Uebereinstimmung bei Theoretikern und
Praktikern fand sich in der Verurtheilung der unbeschränkten
Gemeinschaftshaft, welche noch bei der Vollstreckung der
überwiegenden Mehrzahl der in Deutschland und Oesterreich
erkannten Freiheitsstrafen stattfindet. Die Beseitigung dieses
Todfeindes der Wirksamkeit unserer Strafrechtspflege bietet
kolossale Schwierigkeit, besonders in finanzieller Hinsicht. Die
Aufgabe steht so riesenhaft vor uns, weil die Justiz % Jahr¬
hunderte lang versäumt hat, sie zu lösen. Sie muss und wird
aber gelöst werden, die Wissenschaft und die Erfahrung ver¬
langt es gebieterisch und die Anklagen von Hunderttausenden
entlassener Strafgefangener, die im Laufe der Jahre immer
wieder aus den Gefängnissen in unsere gesellschaftlichen Kreise
zurückkehren und die sagen, dass sie erst in der gemeinsamen
Haft recht schlecht und Verbrecher von Profession geworden
wären, können uns nicht ruhen lassen, bis wir dieser unbe¬
schränkten Gemeinschaftshaft ein Ende gemacht haben. In
allen Staaten Deutschlands und Oesterreichs wird mit mehr
oder weniger Energie an dieser Aufgabe gearbeitet, besonders
seitdem das deutsche Strafgesetzbuch die Einzelhaft bis zur
Dauer von 3 Jahren für zulässig erklärt und das österreichische
Gesetz vom 1. April 1872 Strafvollzug in Einzelhaft angeordnet
hat, ausserdem aber dieser Modus der Strafvollstreckung in
dem Entwürfe des österreichischen Strafgesetzes noch eine
erweiterte Anwendbarkeit erfährt. Die Zellengefängnisse in
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Plötzensee, Berlin, Kassel, Herford, Heilbronn, Freiburg i. B,,
Wolfenbüttel, Ichtershausen, Oslebshausen, Fuhlsbüttel, Dres¬
den, Leipzig, Stein, Kartbaus, Karlau, Pilsen, Stanislau, Mar
bürg, Prag sind seitdem entstanden. Allen Neubauten von
Gefängnissen und Strafanstalten wird das System der Einzel¬
haft zu Grunde gelegt; im Prinzipe herrscht Einigkeit, wenn
man auch in der Ausführung des Systems noch Abweichungen
der Ansichten, namentlich hinsichtlich der Nothwendigkeit der
Durchführung der Trennung in Kirche, Schule und Spazierhof
findet. Wo man noch nicht m.it der Erbauung vollständiger
Zellengefängnisse vergehen konnte, da hat man dem Bedürfniss
der Trennung der Sträflinge durch Herstellung von Isolirschlaf-
zellen in verschiedenen Formen Rechnung getragen, so dass
ein Theil der Sträflinge wenigstens für die Nacht von einander
getrennt ist. Während in Oesterreich 1875 nur 1190 Sträf¬
linge durchschnittlich je 184 Tage in Einzelhaft gelialten wer¬
den konnten, fand 1881 an 2149 Sträflingen auf durchschnitt¬
lich je 166 Tage die Strafvollstreckung in Einzelhaft statt. In
Preussen konnten in den Gefängnissen, die zum Ressort des
Ministeriums des Innern gehörten, 1881/82 überhaupt isolirt
werden: 11682 Personen = 8% der Gesammtbevölkerung,
darunter befanden sich 6206 Zuchthaussträflinge. Von diesen
waren durchschnittlich im Jahre 2981 = 15% der Gesammt-
zahl isolirt. Die Zahl der Zellen zur Isolirung bei Tag und Nacht
beträgt 4266, die der Isolirschlafzellen 3621. In Bayern wur¬
den schon in Folge des Gesetzes von 1861 bei allen grösseren
Strafanstalten Zellentrakte eingerichtet, auch die Zahl der Zellen
bei den gerichtlichen Gefängnissen durch Neubauten und Adap-
tirungen ganz bedeutend vermehrt; ebenso wächst die Zahl der
Isolirzellen bei den gerichtlichen Gefängnissen in Oesterreich,
womit in Folge des Gesetzes vom 15. November 1867 begonnen
wurde, auf Grund des späteren Gesetzes vom 1. April 1872
von Jahr zu Jahr. Beleben solche Thatsachen unsere Hoff¬
nung auf’s Besserwerden, so kann uns gleichwohl das Tempo
des Ganges, in welchem die Gefängnissreform vorwärts schreitet,
Angesichts des ungeheueren Nothstandes noch nicht befriedigen.
Das Unheil, welches der gemeinsamen Haft entspringt, wächst
mit jedem Tage. Der Umstand, dass die Einzelhaft bei der
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Strafvollstreckung immer noch die Ausnahme, die gemeinsame
Haft die Regel bildet, schadet der Wirksamkeit der Einzel¬
haft um so mehr, als man wenigstens in Deutschland der ein¬
samen und gemeinsamen Haft dureh das Gesetz gleichen Werth
beigelegt hat, was der Wahrheit nicht entspricht. In Oester¬
reich werden nach 3 monatlicher Einzelhaft von der ferner in
Einzelhaft verbüssten Strafzeit 2 Tage gleich 3 Tage gemein¬
samer Haft gerechnet. Bekommen wir auch in Deutschland ein
Gesetz über den Strafvollzug, so wird sich ja bei dieser Ge¬
legenheit die Frage regeln lassen, und ich möchte wünschen,
dass sie im Sinne Oesterreichs auch bei uns geregelt würde,
wie es früher schon in Baden und Bayern der Fall war. Von
keiner Seite, wo Einzelhaft besteht, wird über dieselbe Klage
geführt; die Urtheile über die grossen Vortheile, welche die¬
selbe für die Verwirklichung des Strafzweckes bietet, lauten
übereinstimmend sehr günstig. Die Regierungen sollten daher
weniger zaghaft mit Erbauung von Zellengefängnissen Vor¬
gehen. Der Kostenpunkt verdient nicht die grosse Rücksicht,
welche man ihm beilegt; denn die Gefangnissreform hinsicht¬
lich der Abschaffung der gemeinsamen Haft ist eine Noth-
wendigkeit, und für nothwendige Dinge hat jeder Staat die
Mittel. Ich wüsste auch nicht, dass die Regierungen aus dem
Verhalten der Landesvertretungen gegenüber ihrer Forderung
für Zellengefängnissbauten Anlass hätten, mit Reserve aufzu¬
treten. Ueberall werden die Mittel bereitwilligst gewährt. Ob
sich an den Baukosten nicht sparen lässt, ist eine andere, jedoch
gewiss sehr wichtige Frage, und wir finden sie darum auf der
Tagesordnung unserer gegenwärtigen Versammlung.
Verfolgen wir, was Alles schon in Bezug auf die Trennung
der Gefangenen geschehen ist, so wurden sie zuerst von den
Irren und Waisenkindern, von den Bettlern, Landstreichern und
liederlichen Dirnen getrennt; dann die Männer von den Wei¬
bern, die Untersuchungs- von den Strafgefangenen, die Er¬
wachsenen von der Jugend. Dann wurden sie getrennt nach
den verschiedenen Strafarten; es wurde der Versuch gemacht,
sie zu classificiren und sie nach ihren Vergehen oder nach dem
Stande ihrer moralischen Qualität zu trennen; auch nach dem
Religionsbekenntniss hat man sie getrennt, dann symbolisch
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durch Auferlegen von Stillschweigen in der Gemeinsamkeit;
dann blos bei der Nacht und endlich für Tag und Nacht. Ich
wünschte sehr, wir wären einmal mit der Trennung fertig und
könnten darüber verhandeln, welche Gefangene wir in gemein¬
samer Haft halten dürfen. Die hieher bezüglichen Resolutionen
unseres Vereines lauten von der Dresdener Versammlung 1867:
„Der Zustand der Gefängnisse für Untersuchungs- und
kurzzeitige Strafgefangene und die Behandlung dieser Gefan¬
genen ist von wesentlichem Einfluss auf die Wirksamkeit der
eigentlichen Strafanstalten.“
„Der gegenwärtige Zustand dieser Gefängnisse ist grössten-
theils mangelhaft.“
„Die absolute Trennung der Untersuchungsgefangenen von
den Strafgefangenen ist die erste Bedingung der Reform.“
„Die Strafgefängnisse sind nach gleichem Prinzipe einzu¬
richten und zu verwalten, wie die Strafanstalten.“
„Isolirhaft für Untersuchungs- und kurzzeitige Straf¬
gefangene ist der einzig richtige Haftmodus.“
Von der Stuttgarter Versammlung 1877:
„In Uebereinstimmung mit dem Deutschen Juristentage
erklärt die Versammlung der deutschen Strafanstaltsbearaten:
„„Die Einzelhaft soll die regelmässige Art des Vollzuges
der Zuchthaus- und Gefängnissstrafen sein, die gemeinsame
Haft die Ausnahme von dieser Regel.““
„„Auch Haftstrafen können in Einzelhaft vollstreckt
werden.““
„„Die Einführung der Einzelhaft muss durch Gesetz sicher
gestellt und in diesem bestimmt werden. Neubauten und Um¬
bauten dürfen nach keinem anderen Systeme gemacht werden.““
Nach meiner Ansicht kann und muss unser Verein die
erwähnte Resolution noch heute Wort für Wort aufrecht er¬
halten.
Eine weitere Forderung nach Reform auf dem Gebiete des
GefängnissWesens verlangt die gesetzliche Regelung des Straf¬
vollzuges. Dieser Forderung ist in Oesterreich bezüglich des
Vollzuges der Strafen in Einzelhaft entsprochen, wie es früher
auch in deutschen Ländern mit Einzelhaft, in Baden, Bayern,
Württemberg der Fall war. Durch den Entwurf des Straf-
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gesetzbuches ist in Oesterreich auch ein Gesetz über den Voll¬
zug der Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt. — In Preussen
wurde seiner Zeit die Einzelhaft ohne Gesetz auf dem Ver¬
ordnungswege eingeführt und es entbrannte darob der Streit:
Gesetz oder Verwaltungsmaxime? Es blieb gleichwohl beim
Alten. Nun ist durch das deutsche Strafgesetzbuch die Frage
für alle deutschen Buhdesstaaten wieder eine offene geworden.
Schon bei Berathung des Strafgesetzes verlangte der Reichstag
die Vorlage eines Strafvollzugsgesetzes. Die Natur der Sache
verlangte ja auch, dass man, wenn man Strafen festsetzte,
wissen musste, was unter solcher Strafe zu verstehen sei. Die
ganze Misere unserer Gefängnisszustände haben wir ja nur
dem Umstande zu danken, dass dies seiner Zeit versäumt wor¬
den ist. Im Reichs-Justizamt wurde auch der Entwurf zu
einem Strafvollzugsgesetze fertig gestellt und dem Bundesrathe
in Vorlage gebracht; er wurde aber dort für unausführbar er¬
klärt und wartet seiner Wiedergeburt. Da man über todt-
geborene Kinder nicht gerne spricht, so darf ich seinen Inhalt
wohl auch hier übergehen; der Entwurf ist in unserem Vereins¬
organe zu Ihrer Kenntniss gebracht und vom Collegen Tauffer
im Gerichtssaal vom Standpunkte des Anhängers des pro¬
gressiven Strafvollzuges besprochen. Die deutschen Regierungen
haben sich inzwischen unter Berücksichtigung der wenigen
gesetzlichen Bestimmungen über die Strafe im Strafgesetzbuch
selbst und im Strafprocessgesetze für den Vollzug ihrer Strafen
mit ihren alten Bestimmungen und Einrichtungen beholfen, so
gut es gieng. Die stets drohende Aussicht, ein Strafvollzugs¬
gesetz vom Reichstage zu erhalten, macht diese Reserve er¬
klärlich und entschuldbar. Auf eigene Faust hat sich Baden
und Württemberg auf dem Verordnungswege geholfen. Den
Vollzug der Gefängniss- und Haftstrafen, wie der Unter¬
suchungshaft hat in Preussen der Justizminister durch ein Ge-
fängnissreglement vom 16. März 1881 sicher gestellt und ein¬
heitlich geordnet. Es ist grundlegend und hebt alle früheren
Verordnungen über die Verwaltung der gerichtlichen Gefäng¬
nisse auf. Es schliesst sich natürlich genau dem Strafgesetze,
dem Strafprocessgesetze und dem Gerichtsverfassungsgesetze
an und sucht deren Bestimmungen und Zwecke in Ausführung
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zu bringen; insbesondere werden die Unterschiede des Unter¬
suchungsgefangenen und Gefängniss-, Haft- und qualificirten
Haftsträflings betont und eine dem Gesetze entsprechende ver¬
schiedene Behandlung dieser Gefangenenkategorien angestrebt.
In Uebereinstimmung mit Beschlüssen unseres Vereines wurde
dem Gefangnisssträfling die Selbstbeköstigung absolut entzogen,
die Anwendung der Einzelhaft bei Haftstrafe gestattet. Das
Reglement bedeutet einen mächtigen Fortschritt in unserem
Gefängnisswesen; es wird in deutschen Landen vielfach zum
Muster für Ordnung des Gefängnisswesens dienen. Zu bedauern
ist nur, dass ein Theil der preussischen Gefangenen, welcher
in Anstalten verwahrt ist, die dem Minister des Innern unter¬
stehen, der planmässigen Behandlung, welche das Reglement
dem Gefangenen in den Justizgefängnissen angedeiheii lässt,
nicht theilhaftig werden kann. Darum bei aller Achtung vor
dem Reglement des preussischen Justizministers: gesetzliche
Regelung des Strafvollzuges, wie sie auch unser Verein bei
der Versammlung in Berlin 1874 zwar nicht mit Einhelligkeit,
aber doch mit grosser Majorität verlangt hat. Diese Forderung
schliesst eine andere in sich, ohne die an einen gedeihlichen
Abschluss der Gefängnissreform nicht zu denken ist: „einheit¬
liche Leitung des Gefängnisswesens und Einheit der Grund¬
sätze bei derselben in der Hand der Justizverwaltung“. Warum
müssen wir eine solche Forderung erst noch aufstellen? Es
liegt doch in der Natur der Sache, dass wie jeder Zw^eig der
Staatsverwaltung, so erst recht die schwierige Materie der Ge-
fängnissverwaltung einer einheitlichen Leitung bedarf. Ueberall
in der ganzen Welt finden wir denn auch die Leitung des
Gefängnisswesens eines Landes in einer Hand; nur der grosse
Staat Preussen macht hierin eine unbegreifliche Ausnahme.
Seit mehr denn 70 Jahren werden wegen Beseitigung des
unglückseligen Dualismus in der Gefängnissleitung in Preussen
Unterhandlungen zwischen dem Ministerium des Innern und
der Justiz gepflogen; sie haben bis heute noch zu keinem
Ende geführt. Noch heute stehen alle Zuchthäuser, die rheini¬
schen Gefängnisse, in den übrigen Provinzen einzelne Gefäng¬
nisse aus rein zufälliger Veranlassung unter dem Minister des
Innern, während die sämmtlichen gerichtlichen Gefängnisse dem
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Iß
Minister der Justiz unterstehen. Die thatsächliche Folge dieses
Verhältnisses ist und muss sein: Ungleichheit im Strafvollzug.
Der Minister des Innern lässt sich natürlich vom Justizminister
nichts vorschreiben und so kommt es, dass der Gefangene in
Plötzensee in Bezug auf Kleidung, Bettung, Beköstigung, Ar¬
beit, Verdienstantheil etc. anders behandelt wird, als der Gefan¬
gene in Saarbrücken oder Hameln. Dies verstösst doch gegen
die einfachsten Grundsätze des Rechtes. Der Zustand besteht
aber fort, trotzdem seine Beseitigung von dem Landtage wieder¬
holt verlangt und auch von unserem Vereine durch die Be¬
schlüsse auf der Versammlung in Dresden und München ge¬
wünscht worden ist. In allen anderen deutschen Ländern und
in Oesterreich besonders liegt die Leitung der GefängnissVer¬
waltung in einer Hand und zwar in der Hand der Justiz¬
verwaltung. Welche Auffassung unter Umständen die Polizei
vom Strafvollzüge hat, dafür lieferte das Ministerium Bach in
Oesterreich einen allerdings einzig dastehenden Beweis. Es
übergab im Jahr 1853 den ganzen Strafvollzug auch in Männer¬
anstalten inclusive der Verwahrung, der Beköstigung, Beschäfti¬
gung und auch der Disciplin der Gefangenen geistlichen Ordens¬
schwestern. — Die wirklich staunenswerthen Verbesserungen,
welche das Gefängnisswesen Oesterreichs in der verhältniss-
mäßsig kurzen Zeit seit 1865 erfahren hat, seit es wieder der
Justizverwaltung zurückgegeben ist, liefern den besten Beweis,
wie zweckmässig es ist, wenn die Leitung der Gefängniss-
verwaltung in einer Hand liegt. Aber auch darüber sollte billig
kein Streit mehr sein können, ob das Gefängnisswesen zum
Ressort des Justizministers oder Polizeiministers gehört. In
Oesterreich und in den meisten deutschen Staaten hat der
Justizminister allein die Leitung des Gefängnisswesens. Abge¬
sehen von Preussen hat nur noch in Sachsen der Minister des
Innern das Gefängnisswesen zu leiten; der Justizminister sichert
sich dort nur eine eingehende Controle. Die Strafvollstreckung
ist ein Rechtsact, den nur der Justizminister anordnen und
ausfuhren lassen darf; dass ihn auch der Minister des Innern
ausführen kann, wird nicht bezweifelt, es ist dies aber doch
kein Grund, um unzweifelhafte Zuständigkeiten des Justiz¬
ministers dem Minister des Innern zu übertragen oder wenn
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er sie seither zu Unrecht gehabt hat, sie ihm zu lassen. Mich
berührt es immer wie eine Beleidigung des Justizministers,
wenn man ihm seine Zuständigkeit in einer so wichtigen Sache
vorenthält, etwa gar mit dem Hintergedanken, er sei mit seinen
Beamten nicht im Stande, die Gefängnissverwaltung erspriess-
lich zu führen. Ich glaube es noch zu erleben, dass diese
Ressortfrage verschwindet und dass entweder gesetzlich be¬
stimmt oder aus Rechtsgründen angeordnet wird, dass die Ge-
fangnissverwaltung jedes Landes Sache des Justizministers sein
muss. Zu den tausend Gründen für diese Einrichtung tritt
noch die durch das deutsche Strafgesetz eingeführte Institution
der vorläufigen Entlassung, über welche der Justizminister zu
entscheiden hat. Die Erfahrungen, welche in Deutschland mit
der vorläufigen Entlassung gemacht wurden, sind der erfreu¬
lichsten Art. Widerrufe der vorläufigen Entlassung und wieder¬
holte Verurtheilung von Personen, welche vorläufig entlassen
wurden, kommen nur ganz vereinzelt vor; sie bestätigen voll¬
auf die Erwartungen, welche die Theoretiker Mittermaier,
V. HoltzendorflF, Wahlberg, Berner dieser Institution in Aussicht
gestellt haben; sie wird allgemein als eine zweckmässige Er¬
gänzung zu dem Systeme des Strafvollzuges in Einzelhaft an¬
gesehen. Ueberall, wo die Gefängnissverwaltung dem Justiz¬
minister untersteht, wird auch von dieser Institution ein ziem¬
lich weitgehender Gebrauch gemacht. Und wenn besonders
in Preussen früher darüber geklagt wurde, dass die Anträge
der Gefangnissverwaltungen auf vorläufige Entlassung so wenig
Erhörung fanden, so wird man diese Thatsache wohl mit auf
den Umstand zurückführen dürfen, dass die Gefängnissverwal-
tungen zu dem Justizminister und seinen Organen in keiner
organischen Verbindung stehen. Es ist doch nur natürlich,
dass der Justizminister die Urtheile von Beamten, deren Person
und Wirksamkeit ihm fremd ist, mit grosser Reserve aufnimmt.
In allen andern deutschen Staaten, wo die Gefängnissverwaltung
in der Hand des Justizministers liegt, wird von der vorläufigen
Entlassung ein recht ausgiebiger Gebrauch gemacht; in Oester¬
reich hat sie in dem Entwürfe des neuen Strafgesetzes eine sehr
bedeutsame Stelle gefunden. Auch unser Verein hat sich bei
der Münchener Versammlung 1871 dahin ausgesprochen:
Blätter für Gefängnisekimde. XIX, 2
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18
„Ein wohlgeordneter Strafvollzug findet in jedem Staate in
der vorläufigen Entlassung, wenn für diese zweckmässige Ein¬
richtungen vorhanden sind, einen gedeihlichen Abschluss.^
Eine grosse Bedeutung für die Entwicklung des Gefängniss-
wesens hat ferner die Statistik. Die Gefängnissverwaltung muss
ihre Massnahmen vorzugsweise auf Erfahrungen gründen; die
Resultate der Erfahrung in verwendbarer Form kann ihr nur
die Statistik bieten. In dieser Erkenntniss war es eine der
ersten Arbeiten Ihres Vereinsausschusses, eine Normalstatistik
für Gefangnisswesen vorzuschlagen. Dieselbe fand die gün¬
stigste Aufnahme, denn sie befriedigte ein allgemein gefühltes
Bedürfniss. Die seither in fieissigster und dankenswerthester
Weise hergestellten und veröflentlichten Gefängnissstatistiken
von Oesterreich, Preussen, Bayern, Baden und Sachsen haben
für ihre Erhebungen die gleichen Ausgangspunkte genommen,
wie unsere Normalstatistik. Es ist als ein ungeheuerer Gewinn
für die Wissenschaft und die Praxis anzusehen, dass die
frühere Geheimnisskrämerei mit den Gefängnisszuständen auf¬
gehört hat, und dass dieselben durch die Statistiken der öffent¬
lichen Kritik unterstellt werden. Immerhin bedürfen diese
Statistiken, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, noch einer
sorgfältigen Ausbildung und Vervollständigung. Ihren eigent¬
lichen Nutzen werden sie uns erst gewähren, wenn sie uns
über Grund und Ursache der Verbrechen und der Rückfalle
in das Verbrechen Aufschluss geben; erst damit kann sie uns
die Mittel und Wege zeigen, wie wir den Verbrechen und
dem Rückfall auf dem Gebiete der Gefangnissverw^altung Vor¬
beugen und abhelfen können. Den rechten Weg nach dieser
Richtung scheint die neue Criminalstatistik des preussischen
Justizministeriums und des Reichsjustizamtes einzuschlagen.
Die Ergebnisse derselben worden uns die interessantesten und
überraschendsten Aufklärungen geben. Konnten uns die Be¬
richte über die fortwährende Steigerung der Zahl der Gefan¬
genen, über die Ueberfüllung der Gefängnisse und die Ver¬
wilderung der Jugend, für welche die grosse Zahl der jugend¬
lichen Sträflinge Beweis sein sollte, beängstigen, so können
wir uns wohl wieder einigermassen beruhigen, wenn wir aus
der Criminalstatistik erfahren, dass nur 5% aller Strafen auf
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Google
Zuchthaus lauten, die Zahl der schweren Verbrechen also nicht
bedeutend ist; dass von allen erkannten Gefangnissstrafen 87%
in ihrer Dauer unter 3 Monaten bleiben, also nur leichte Ver¬
gehen zur Voraussetzung haben und dass über 50% der jugend¬
lichen Sträflinge im Alter von 16—18 Jahren standen, also in
einem Alter, in dem sie vor Einführung des deutschen Straf¬
gesetzes nicht zu der Jugend gerechnet worden wären.
Ich kann nun meine Betrachtung nicht schliessen, ohne
auch noch die hohe Bedeutung erwähnt zu liaben, welche die
Fürsorge für die entlassenen Gefangenen in Bezug auf die Wirk¬
samkeit der Freiheitsstrafe hat. Die Anhänger aller Strafen¬
systeme, Theoretiker und Praktiker, sind darin einig, dass sie
dieser Hilfe zu einer erspriesslichen Wirkung ihres Strafver¬
fahrens nicht entbehren können. Diese Hilfe wird aber auch
überall, wo sie verlangt wird, mit immer neuen Kräften in
unermüdlicher Ausdauer, Geduld und Liebe geleistet. Aller
.Orten im Deutschen Reiche bestehen Vereine zur Fürsorge für
entlassene Gefangene; Kaiser und Könige verschmähen es nicht,
das Patronat über solche Vereine zu übernehmen, und ihr
hochherziges Beispiel wirkt mächtig auf das Volk zurück.
Welch’ segensreiche Wirksamkeit solche Vereine entfalten
können, davon zeugen die 54 Jahresberichte der rheinisch-
westphälischen Gefangnissgesellschaft, die sich neben der Für¬
sorge für die Entlassenen die Verbesserung der Gefängnisse,
damit die Besserung der Gefangenen und damit die Erleichte¬
rung der Fürsorge für die Entlassenen zur Aufgabe gestellt
hat. Die Thätigkeit dieses Vereines ist von hoher Bedeutung
für die Entwicklung unseres Gefangnisswesens: man kann ihm
bezeugen, dass er allen Fortschritt in unserem Gefängnisswesen
angebahnt oder doch kräftig unterstützt bat. Können wir die
Fürsorgevereine auch bei den besten Gefängnisseinrichtungen
nicht entbehren, so brauchen wir sie natürlich erst recht bei
unseren noch so mangelhaften Gefangnisszuständen; wir brau¬
chen sie zur Pflege und Ausbildung des Institutes der vor¬
läufigen Entlassung; sie müssen einen Schutzdamm bilden gegen
das Unglück und das Unheil, welches sich mit den Entlassenen
Tag für Tag aus den Gefängnissen über die bürgerliche Ge¬
sellschaft ergiesst.
2 ♦
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Vön den Schutzvereinen in Oesterreich ist mir nur die
Thätigkeit des hier in Wien bestehenden Vereines bekannt
geworden. Derselbe dehnt in höchst beachtenswerther Weise
seine Fürsorge auch auf die Familien der Untersuchungs¬
und Strafgefangenen aus und sucht damit die Härte einiger-
massen auszugleichen, welche bei der Unvollkommenheit unserer
menschlichen Einrichtungen darin liegt, dass unter der Strafe
des schuldigen Verbrechers die Familie des Bestraften zu¬
weilen noch mehr leidet als der Bestrafte. Von recht grosser
Bedeutung scheint mir der Umstand zu sein, dass an der
Thätigkeit solcher Vereine sich auch unsere Frauen betheiligen
können, und wenn diese Thätigkeit selbst in die Mode kommen
sollte, so werden wir gegen diese einmal nichts zu erinnern haben.
Haben wir nun bei Betrachtung und Entwicklung des Ge-
fängnisswesens in Deutschland und Oesterreich als erstrebens-
werthe Ziele gefunden:
1. immer grössere Ausdehnung und Anwendung derEinzelr
haft und Pflege des Institutes der vorläufigen Entlassung,
2. gesetzliche Regelung des Strafvollzuges,
8. einheitliche Leitung des Gefangnisswesens in der Hand
der Justizverwaltung,
4. Herstellung einer gründlichen und wahren Gefängniss-
statistik,
5. unablässige Förderung der Fürsorge für die entlassenen
Gefangenen,
so wollen wir auch diese Ziele unentwegt im Auge behalten
und uns Angesichts derselben in dem Rufe an die Regierungen
und die Landesvertretungen vereinigen, den diese gewiss nicht
ungehört verhallen lassen werden: Vorwärts! (Beifall.)
(Eine Discussion fand hier gemäss einem Beschlüsse des
Ausschusses nicht statt.)
Präsident: Als zweiten Gegenstand der Tagesordnung
erlaube ich mir die Verhandlung über folgende Frage anzusetzen:
„Wie soll nach neuestem Stande der Wissenschaft und
Praxis für die geistesgestörten Verbrecher gesorgt werden?
Sind eigene Anstaiten oder Annexe von Straf- oder aber von
Irrenanstaiten vorzuziehen? Wie wären soiche einzurichten?“
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Das Referat Uber die vom Ausschüsse über diese Frage
festgestellte These wird Herr Sanitätsrath Dr. Marcard die
Güte haben zu erstatten.
Sanitätsrath Dr. Marcard (Celle): Meine Herren! Ich
bin berufen, Ihnen ein Referat zu erstatten über die Frage:
Wie soll nach neuestem Stande der Wissenschaft und Praxis
für die geistesgestörten Verbrecher gesorgt werden? Sind
eigene Anstalten oder Annexe von Strafanstalten oder aber
von Irrenanstalten vorzuziehen? Wie wären solche einzurichten?
Geschichtliche Entwickelung der Angelegen¬
heit in Deutschland. In den 60er Jahren wurde die Frage
ausführlich von Delbrück begutachtet. Das Gutachten em¬
pfahl Irrenstationen bei grösseren Strafanstalten. 1865 wurde
die Hilfsstrafanstalt Bruchsal eingerichtet zur Bewah¬
rung seelengestörter und invalider Verbrecher, in der wegen
geminderter Zurechnungsfähigkeit ein gemilderter Strafvollzug
neben den Heilzwecken erstrebt wurde. Anfang der 70er Jahre
beschäftigte sich mit der Frage die psychiatrische Section
des Naturforscher-Vereins in Speyer und kam zu dem
Beschluss: „dass für geisteskranke Strafgefangene besondere
„Einrichtungen getroffen, dieselben nicht in den gewöhnlichen
„Irrenanstalten aufgenommen werden sollten und dass die Straf-
„häuser nicht ungeeignet seien, solche Einrichtungen mit sich
„zu verbinden.“ 1873 veranlasste der südwestdeutsche
psychiatrische Verein die Erstattung eines Gutachtens
von Gutsch, dessen zu demselben Resultate gelangenden
Ausführungen die Versammlung vom 26. Mai zustimmte. 1874
berieth die Versammlung der deutschen Strafanstalts¬
beamten zu Berlin die Frage und gelangte auf Grund der
Gutachten von Delbrück, Gutsch und Baer zu dem
Schlüsse: „dass es nothwendig und ausführbar sei, dass bei
„den grösseren Strafanstalten Abtheilungen für irre Verbrecher
„geschaffen werden, in denen sie als Irre behandelt, bezw.
„geheilt werden können“. 1875 verhandelte der Verein der
deutschen Irrenärzte zu München die Frage. Es wurde
„die Nothwendigkeit von wohleingerichteten Irrenabtheilungen
„in Verbindung mit Strafanstalten und deren Ausführbarkeit
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„als Annexe einzelner grösserer Strafanstalten ausgesprochen.“
1876 wurde die Irrenstation bei der Strafanstalt Wald heim
in Sachsen errichtet. Am 15. Juli 1876 richtete der Vor¬
stand des Vereins der deutschen Irrenärzte eine Vor¬
stellung an das Reichskanzleramt und formulirte seine Wünsche
dahin: „es möge in das in Vorbereitung begriffene Strafvoll-
„zugsgesetz die Bestimmung aufgenommen werden, dass die-
„jenigen Gefangenen, bei welchen während ihrer Strafzeit eine
„krankhafte Störung der Geistesthätigkeit festgestellt wird,
„soweit erforderlich in Anstalten untergebracht werden, welche
„mit Strafanstalten in unmittelbarer Verbindung und unter
„sachverständiger ärztlicher Leitung stehen“. 1877 erklärte im
Anschluss hieran die Versammlung der deutschen Straf¬
anstalts-Beamten in Stuttgart einstimmig: „die Fest-
„stellung der Grundsätze, nach welchen mit geisteskranken
„Gefangenen zu verfahren, bildet eine der dringendsten Auf-
„gaben der gesetzlichen Regelung des Strafvollzugs.“ 1880
erklärte die Versammlung der deutschen Strafanstalts-
Beamten zu Bremen einstimmig: „die Errichtung von An¬
stalten zur Bewahrung geisteskranker Verbrecher ist eine Noth-
wendigkeit“. 1881 haben sich die vereinigten preussi-
schen Landesdirectoren im Anschluss an die gleichartigen
Bestrebungen namhaftester Irrenärzte und Strafanstaltsvorständc
mit dem Wunsche an die Regierung gewendet, es möchten die
Provinzial - Irrenanstalten von der Aufnahme geisteskranker
Strafgefangenen entlastet und letztere in eigenen vom Staate
anzulegenden Irrenstationen untergebracht werden. 1882 hat
der Verein der deutschen Irrenärzte in seiner Jahres¬
versammlung diese Frage abermals auf die Tagesordnung ge¬
setzt und auf den Antrag des Referenten Zinn einstimmig
beschlossen, sich gleichzeitig „an die Regierungen der deutschen
^Bundesstaaten und an den Reichskanzler zu wenden, damit
„in dem in Vorbereitung begriffenen Strafvollzugsgesetze die
„Fürsorge für die geisteskranken Strafgefangenen in einer den
„Anforderungen der öffentlichen Sicherheit, sowie der öffent-
„lichen Irrenpflege entsprechenden Weise geregelt und einst-
„weilen Vorsorge getroffen werde, dass die an acut auftretenden
„und rasch verlaufenden Formen von Geistesstörung erkrankten
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„Straf- und Untersuchungs-Gefangenen in den Strafanstalten
„und Gefängnissen eine angemessene psychiatrische Behand-
„lung und Pflege finden, und dass wenigstens alle gemein-
„gefährlichen geisteskranken Verbrecher den öffentlichen Irren-
„anstalten fern gehalten werden.“ Auf die Schlusssätze des
Zinn^schen Referates werde ich später noch zurückkommen.
Practische Lösungen der Frage in England und
Deutschland. Die gegenwärtige Praxis in England ist die
Frucht der Arbeit von zwei Generationen und es verlohnt sich
sehr wohl der Mühe, einen Blick dahin zu werfen, ehe man
bei uns nun endlich und wirklich an die practische Lösung der
Frage geht. Mit einer eingehenden Schilderung jedoch der
dortigen Verhältnisse möchte ich diese Versammlung nicht
beschweren. Ich beschränke mich darauf, zu bemerken, dass
man während des Zeitraums von 1816—1862 die während der
Strafzeit geisteskrank gewordenen Verbrecher beiderlei Ge¬
schlechts gesetzmässig in Annexen zu den öffentlichen Irren¬
anstalten (Bedlam und Fisherton - House) bewahrte. 1857
wurde durch Parlamentsbeschluss die Errichtung einer Staats¬
anstalt für alle Arten von irren Verbrechern (also sowohl für
die irre gewordenen Sträflinge, als für die zur Zeit der That
oder der Untersuchung geisteskrank befundenen) in Aussicht
genommen. Die Anstalt Broadmoor (Berkshire) (ca. 600)
wurde 1863 eröffnet. Um den sich ergebenden Uebelständen
(Ueberfüllung, Vermengung Verurtheilter mit Nichtverurtheilten)
abzuhelfen, wurde im Jahre 1875 ein Flügel des Zuchthauses
für invalide Männer in Woking (Surrey) zur Aufnahme irre
gewordener Sträflinge bestimmt. Eine zweite Anstalt dieser
Art ist in Parkburst (Wight) errichtet. Beide sind Invaliden¬
gefängnisse mit Irrenstation. Soviel über England und dessen
Art, sich mit der schwierigen Frage practisch abzufinden.
Die im Jahre 1865 in Bruchsal errichtete Hülfsanstalt
war diesen Invalidengefangnissen mit Irrenstation der Eng¬
länder fast gleich. Was in England das Resultat der Arbeit
von mehr als 50 Jahren war, hatte man nach diesem Beispiel
in Baden sofort ergriffen. Nicht so glücklich, wie es scheint,
war man in Sachsen vorgegangen. Die mit der Strafanstalt
Waldbeim verbundene und daselbst im Jahre 1876 eröffnete
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Irrenstation ist bestimmt zur Aufnahme und Beobachtung, bezw.
Heilung und Verwahrung: 1. irre gewordener Sträflinge (auch
zweifelhaften Gemüthszustandes), 2. irrer und zweifelhafter
Untersuchungs-Gefangenen, 3. von Personen mit verbrecheri¬
schem Vorleben, übelberüchtigten Individuen, deren Aufnahme
in einer andern Irrenanstalt aus Rücksichten der Sicherheit,
öffentlichen Wohlfahrt und der Sittenpolizei bedenklich ist.
Sie sehen, meine Herren! man hat Verurtheilte mit Nichtver-
urtheilten zusammengebracht, eine Massnahme, welche mit
Recht Bedenken erweckt. „Was vor Allem bei dieser Ein-
„richtung auffällt“, sagt Gutsch, „ist die Vereinigung der
„schlimmsten Elemente crimineller Irren, die regulativmässig
„hier zur Entlastung der öffentlichen Irrenanstalten stattfinden
„soll und die ja bei der räumlichen Beschränkung zu ganz
„unhaltbaren Zuständen führen müsste, wenn nicht, wie Knecht
„mittheilt, und aus der Versetzung von über der Hälfte aller
„Erkrankten in Irrenanstalten auch hervorgeht, der Anhäufung
„schwer zu leitender Kranken durch Evacuationen in die Irren-
„anstalten begegnet würde. Es dürfte diese L'renstation also
„gleich von vornherein nicht allein statutarisch in ihren Zwecken
„verfehlt erscheinen, sondern sie stellt auch in ihren räumlichen
„Verhältnissen eigentlich nichts anderes dar, als ein mit psy-
„chiatrischen Einrichtungen und psychiatrischer Firma ver-
„sehenes Strafanstaltslazareth, das weder die Strafanstalten
„noch die Irrenanstalten von unpassenden Elementen aus-
„reichend zu entlasten geeignet ist, und das auch, wie Knecht
„mit Recht beklagt, den psychiatrischen Anforderungen in
„Bezug auf die Nothwendigkeit ganz neuer Umgebung und
„Eindrücke, Gruppirung der Kranken, Wechsel der Arbeit etc.
„nur ungenügend entsprechen kann.“
Gutachten von Finder. Das Pinder’sche Gutachten
gelangt zu folgenden Schlüssen: Die Zahl der geisteskranken
Verbrecher, um die es sich handelt, ist wohl vor Allem mass¬
gebend für die zu treffende Entscheidung. „Etliche wenige
lassen sich wohl in Irrenanstalten unterbringen“, für eine
grössere Zahl (Preussen 1300, Oesterreich ungefähr die gleiche
Zahl) geht das nicht. Um selbstständige und grössere An¬
stalten errichten zu können, giebt es daher in Oesterreich wie
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in Preussen hinlänglich viel geisteskranke Sträflinge. Die
Unterbringung in Annexen zu Strafanstalten hat die folgen¬
den, bereits von Delbrück zusammengestellten Vortheile:
1. die Möglichkeit rechtzeitiger Versetzung in die Irrenstation
und damit die Aussicht auf bessere Heilerfolge; 2. die Mög¬
lichkeit für geminderte Zurechnungsfähigkeit einen gemilderten
Strafvollzug zu gewähren; 3. die grössere Sicherheit der Be¬
wahrung (ein Punkt, der doch nur im Vergleich zu den öflfent-
lichen Irrenanstalten geltend gemacht werden kann); 4. die
rechtzeitige und gründliche Erleichterung der Strafanstalten.
Den Kostenpunkt betreffend, so wird eine grosse Anstalt billi¬
ger sein, als mehrere kleinere. Als Annexe jedoch gebaut,
müssen nach Pinder’s Ueberschlag die Anlage- und Unter¬
haltungskosten der kleineren Anstalten bedeutend billiger sein.
Pinder bedauert, dass Mittheilungen hierüber aus Waldheim
fehlen.
Endresultate: 1. Wo der Bedarf vorliegt, ist mit Er¬
richtung selbstständiger Anstalten vorzugehen. 2. Annexe zu
Strafanstalten werden stets Palliativmittel sein. 3. Annexen zu
Irrenanstalten werden in den meisten Fällen unüberwindliche
Verwaltungsrücksichten entgegenstehen.
Gutachten von Knecht. Knecht, vordem Arzt der
Strafanstalt Waldheim, gegenwärtig Arzt der Irrenanstalt
Colditz, ist der Meinung, dass jetzt in Deutschland in den
Strafanstalten ein „subjectives“ Bedürfniss nach einer Fürsorge
für irre Verbrecher nicht besteht. Gegen die Errichtung von
Irrenstationen als Annexen zu Strafanstalten sprechen: 1. ihre
Kleinheit, „da es an der Vielseitigkeit der Gruppirung, welche
„für die Behandlung der in Betracht kommenden Individuen
„nothwendig ist“, gänzlich fehle; 2. der Charakter des „An¬
hängsels“, das als solches nicht die Berücksichtigung finden
könne, deren es zur gedeihlichen Entwickelung bedürfe. Nach
Knecht sind Invalidenstationen mit Irrenabtheilung (Woking,
Parkhurst) zu erstreben. Solche Einrichtungen aber, die in
England das Product einer 50jährigen Entwickelung dieses
Zweigs der Irrenfdrsorge und eines wesentlichen anderen Straf¬
vollzuges als in Deutschland seien, können, nach Ansicht des
Herrn Gutachters, nicht „plötzlich“ und „unvorbereitet“ in’s
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Leben gerufen werden. Zunächst „müsse sich in den Straf-
„anstalten das Bedürfiiiss fühlbar machen^ und dann
„ärztlichen Urtheilen in irrenärztlichen Fragen die Geltung
„eingeräumt werden, die auf anderen Gebieten dem sachver-
„ständigen Gutachten gegenüber längst für selbstverständlich
„gelte.“ Das Gutachten empfiehlt, da gegenwärtig an „Inva-
liden-Stationen mit Irrenabtheilung“ nicht zu denken sei: die
Einrichtung besonderer selbstständiger Anstalten (für Preussen
z. B. zwei zu 160 Kranken, Bayern würde eine besondere An¬
stalt nöthig haben, die kleineren Staaten würden sich zur Er¬
richtung einer gemeinsamen Anstalt zu verbinden haben). Das
Gutachten Knecht’s spricht sich entschieden gegen die Ver¬
bindung dieser Anstalten mit öffentlichen Irrenanstalten aus.
Endresultate: 1 . Irren-Abtheilungen bei Invaliden-
Gefängnissen (Hülfsstrafanstalt im Sinne Gutsch) sind als das
Endziel der prophylaktischen und curativen Fürsorge für irre
Verbrecher zu betrachten. Da dergleichen gegenwärtig nicht
zu erreichen sei, empfiehlt das Gutachten 2. die Errichtung
selbstständiger, unter ausschliesslich ärztlicher Leitung stehen¬
der, von Strafanstalten räumlich getrennter Centralanstalten für
irre Verbrecher. Die Kategorien von Irren, für welclie diese An¬
stalten in^s Auge zu fassen sind, sind: a) Sträflinge, die während
ihrer Strafzeit psychisch erkranken 5 b) Irre, welche wiederholt
criminell bestraft sind; c) in Beobachtung befindliche, flucht-
verdächtige Untersuchungsgefangene.
Gutachten von Gutsch. Dasselbe weist zunächst auf
die psychiatrischen, strafrechtlichen und ethischen Anforde¬
rungen hin, welche bei Behandlung der Frage sich gleich-
zeitig geltend machen und die Sache compliciren. Es treten
ausserdem Schwierigkeiten principieller Natur hervor. So ist
die ablehnende Antwort, welche auf das an das Reichskanzler-
Amt im Juli 1876 gerichtete Gesuch der deutschen Irrenärzte
erfolgte, damit motivirt: „dass weder die Unterbringung ver-
„brecherischer Irren in das Gebiet des Strafvollzugs gehöre,
„noch auch die Unterbringung verurtheilter, geisteskrank ge-
„wordener Verbrecher, indem begriffsmässig an Geisteskran-
„ken eine Freiheitsstrafe nicht vollzogen werden könne.“
Im Weiteren erklärt sich das Gutachten ^gegen die kleinen
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^annexeii Strafanstalts-Irrenstationen, da sie zu viele Beschrän-
„kungen enthalten, um sie zur Lösung der Frage im Allge-
„meinen empfehlen zu können.“ Aber auch den Annexen von
Irrenanstalten vermag Gutsch nicht das Wort zu reden, „da
„auch in ihnen die Vorzüge und Hülfsmittel der ganzen grössern
„Anstalt den Rücksichten der Abschliessung von den übrigen
„unbestraften Insassen der Irrenanstalt und den berechtigten
„Anforderungen sicherer Verwahrung, welche die gewöhnlichen
„Einrichtungen und Zwecke der Irrenanstalten nicht gewähr-
„leisten, zum Opfer fallen müssten.“ Die richtigste Lösung
der ganzen Aufgabe wird zu finden sein in selbstständigen
grösseren Anstalten, die eine Verbindung von Straf- und Irren¬
anstalt darstellen, wie solches von Gutsch bereits im Referat
vom Jahre 1873 dargelegt ist. „Um aber diese Verbindung
„sowohl strafrechtlich als psychiatrisch gerechtfertigt erscheinen
„zu lassen und über entgegenstehende Bedenklichkeiten hinweg
„zu kommen, sind zwei Voraussetzungen unerlässlich, die nicht
„ausdrücklich genug betont werden können, da sie immer wic-
„der vom einseitigen Standpunkte misskannt oder missdeutet
„und in der prinzipiellen und practischen Behandlung dieser
„Frage aus dem Auge verloren werden, nämlich: 1. dass
„unter allen Umständen eine strenge Sonderung Verurtheilter
„und Nichtverurtheilter, irrer Verbrecher und gefährlicher Irrer
„festzuhalten ist, indem nur damit sowohl eine begriifsmässig
„richtige und logisch consequente, als auch in der Ausführung
„erleichterte Verbrecher-Irrenfursorge zu erreichen ist; 2. dass
„man sich diese Verbindung nur unter der Voraussetzung des
„ganzen Heil- und Pflegeapparates der heutigen Irrenfürsorge
„mit der alleinigen Modification sicherer Verwahrung, welche
„die Verbrecherqualität erheischt, zu denken hat.“ Was den
ersten Punkt anlangt, „so würde unser deutscher Strafvollzugs-
„gesetzentwurf die ihm vorgclegte Frage schon jetzt lösbarer
„gefunden haben, wenn er sich vor Allem von dieser Ver-
„mengung frei gehalten und lediglich mit der ihm vorgeschla-
„genen Unterkunft der Sträflinge befasst hätte“. Unter der
Voraussetzung einer®vollkommen leistungsfähigen und zweck¬
entsprechenden Strafanstalts-Irrenfürsorge „wird die Unterkunft
„aller Verurtheilten in der vorgeschlagenen Combination von
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„Straf- und Irrenanstalt auch gegen die „begriffsmässige Un-
„zulässigkeit des Vollzuges von Freiheitsstrafen an Geistes-
„kranken“ ebenso gut bestehen können als in der gewöhn-
„lichen Irrenanstalt, indem in beiden der Strafvollzug ja nur
„ein formeller ist; und wenn die juristische Logik und die
,^Humanität auch hieran noch Anstoss nehmen sollte, so müsste
„durch Nichteinrechnung der Strafzeit in die Dauer der Krank-
„heit das Princip hochgehalten werden.“ Der Vorzug, der in
der Entlastung sowohl der Strafanstalten wie der Irrenanstalten
von allen störenden und zweifelhaften Elementen besteht, die¬
ser grosse Vorzug lässt die proponirte Combination beider so
überaus zweckmässig erscheinen. Was die practische Lösung
der Frage im Weiteren betrifft, so fuhrt zunächst das überaus
häufige Vorkommen auch von acuten Formen der Geistes¬
störung unter den Sträflingen darauf hin, „in jeder Strafanstalt
„Einrichtungen zu treflPen, die den ersten und dringendsten
„Bedürfnissen der Irrenbehandlung genügen.*^ ,)Für kleinere
„Verhältnisse und in kleineren Staaten, die eine selbstständige
„Sträflings-Irrenanstalt, selbst mit Einschluss der körperlich
„Invaliden, nicht zu bevölkern vermögen, wird ein psychiatrisch
„eingerichtetes und geleitetes Strafanstalts-Lazareth als Irren-
„station für die meisten Fälle genügen. Vereinzelte Fälle, die
y^eine Entfernung aus der bisherigen Umgebung im Interesse
„der Heilwirkung wünschenswerth machen, können dann wohl
„auch in der öfiPentlichen Irrenanstalt, getrennt von den übrigen
„Insassen derselben, untergebracht werden.‘‘ ^jFür grössere
„Staaten und als beste Lösung der Frage kann nur die Be-
„stimmung einzelner selbstständiger Strafanstalten zu den
„Zwecken der Irrenfürsorge empfohlen werden, in welchen
„alle zum regelmässigen Strafvollzug wegen körperlicher oder
„geistiger Defecte nicht taugliche Verbrecher unterzubringen
„und unter Berücksichtigung ihrer Gebrechen und Leidens-
„zustände bis zu ihrem Strafende oder Begnadigung zu ver-
„pflegen wären. Den Bedürfnissen besonderer Verpflegung
„und Heilverfahrens müsste ein abgesondertes, mit allen Ein-
„richtungen zur Irrenbehandlung ausgesfhttetes Lazareth als
„eigentliche Irrenstation entsprechen, und nicht nur hier, son-
„dern in der ganzen Anstalt das Regime und die sichere Ver-
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„Wahrung in die Hände eines Arztes als Vorstand der Anstalt
„gelegt sein. Ausser den Vorkehrungen für die Sicherheit müsste
„zur unausgesetzten Ueberwachung ein geschultes Wärter-
„personal und zur Isolirung eine genügende Anzahl von Zellen
„vorhanden sein. Im Uebrigen würden die Eindrücke der Ge-
„fangenschaft thunlichst zu mildern sein, und zu den verschie-
„denen Abstufungen der Rücksichtnahme, Beschäftigung in
„Gewerben, Hausarbeiten, Gärten und Höfen die selbstständige
„Verfügung über die ganze Anstalt dem Arzte geboten sein.“
Referat von Zinn. (Jahresversammlung des Vereins
deutscher Irrenärzte 1882.) Dasselbe gelangt zu folgenden
Schlüssen: 1. Die sichere Bewachung von Verbrechern lässt
sich mit den Zwecken der Irrenanstalt nicht vereinigen, und
ist unbedingt von dieser abzulehnen. 2. Acut auftretende und
voraussichtlich rasch verlaufende Geisteskrankheiten bei Ge¬
fangenen sind in den Strafanstalten selbst, also in den Straf-
anstalts-Lazarethen zu behandeln. 3. Alle anderen Fälle sind
in den Irrenabtheilungen besonders zu errichtender Invaliden¬
gefängnisse, ähnlich der in England bestehenden, unterzubringen
und so lange zu behalten, bis sie entweder in die Freiheit ent¬
lassen oder ohne Gefahr für die öffentliche Sicherheit und ohne
empfindliche Störung der Irrenanstaltsordnung und Zwecke in
eine Irrenanstalt aufgenommen werden können.
Resum^ Die Beantwortung der vorgelegten Frage ge¬
staltet sich hiernach folgendermassen: 1. Annexe zu Irren¬
anstalten sind von keinem der drei Gutachter, auch nicht vom
Referenten Zinn empfohlen. 2. Für die Errichtung selbst¬
ständiger Anstalten sprechen sich Finder und Knecht aus,
Ersterer für den Fall des Bedarfs (also in grossen Ländern
und bei beträchtlicher Anzahl von Irren), Letzterer, weil der¬
malen „mehr“ nicht zu erlangen sei. 3. Das „Mehr“, das
vorzugsweise Begehrenswerthe, ist für ihn sowohl wie für
Gutsch die Errichtung von Irrenstationen mit oder bei Inva¬
lidengefängnissen, nach dem Vorgänge von England, welches,
wie es scheint, die uns beschäftigende Frage endgiltig in dieser
Weise gelöst hat. Die chronischen und unheilbaren Fälle will
auch Zinn dahin gebracht haben. 4. In zweiter Linie ent¬
scheiden sich Finder, Knecht und Gutsch für Annexe zu
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Strafanstalten, Annexe, die mit dem psychiatrischen Heilapparat
in vollständigster Weise ausgerüstet sind. Dahin gehören auch
nach Zinn alle acut auftretenden und voraussichtlich rasch
verlaufenden Geisteskrankheiten. Zinnes Forderung geht mit¬
hin am Weitesten. Er will Invalidengefangnisse mit Irren¬
station und psychiatrische Einrichtungen mit Irrenfürsorge in
den Strafanstalts-Lazarethen.
Die uns von der Wissenschaft und Praxis enthüllte Ant¬
wort lautet demnach folgendermassen:
These; Durch die Errichtung einzelner Anstalten
nach Art der englischen Invaliden-Gefängnisse wird
für die geistesgestörten Verbrecher am besten gesorgt
werden.
Der Ausschuss hat sich diese These nicht zu eigen ge¬
macht. Er schlägt Ihnen vielmehr die folgende These zur
Discussion und Annahme vor:
These des Ausschusses: Sträflinge, welche in
Geistesstörung verfallen, sind möglichst bald einem Heil¬
verfahren zu unterziehen. Die Errichtung eigener An¬
stalten zu diesem Behufe ist nicht ausführbar. Geistes¬
kranke leichteren Grades und Schwachsinnige können
in den Lazarethen der Strafanstalten bewahrt werden,
die zu diesem Zwecke mit den erforderlichen Vorkeh¬
rungen zur Sicherung pnd Heilung zu versehen sind.
Präsident: Ich eröffne hiemit die Debatte, muss jedoch
bemerken, dass unsere Zeit sehr kurz bemessen und es daher
nothwendig ist, dass sich die HH. Redner der möglichsten
Kürze befleissen.
Wünscht Jemand zu der in Verhandlung stehenden These
das Wort? (Geh. Ober-Regierungsrath Illing meldet sich.)
Der Herr Geh. Ober-Regierungsrath Illing hat das Wort.
Geh. Ober-Regierungsrath Illing (Berlin): Meine Herren!
Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung.
Die Erörterung der vorliegenden Frage, die namentlich
für Preussen von hervorragender Bedeutung ist, war ursprüng¬
lich für die morgende Tagesordnung bestimmt. Sie ist in¬
zwischen, ohne dass ich davon Kenntniss erhielt, auf die
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heutige Tagesordnung gesetzt worden und ich bin hiernach,
da ich von der Aenderung soeben erst Kenntniss erhalten
habe, in der Lage, den Beschluss des Ausschusses ohne irgend¬
welche Vorbereitung besprechen zu müssen. Ich darf unter
diesen Umständen auf die Nachsicht der geehrten Versamm¬
lung rechnen, wenn mein Vortrag nicht so geordnet ist, wie
ich selbst gewünscht hätte.
Der Ausschuss hat Ihnen eine These zur Annahme em¬
pfohlen, die von den früheren Beschlüssen der Versammlungen
unseres Vereines sehr wesentlich abweicht. Sie gestatten mir,
die Gründe vorzutragen, welche hiebei für den Ausschuss
massgebend gewesen sind.
Darüber, dass Geisteskranke nicht zu einer Strafe ver-
urtheilt werden können und dass, wenn sie nach der Ver-
urtheilung in Geisteskrankheit verfallen, die Strafe gegen sie
nicht vollstreckt werden kann, besteht allseitiges Einverständniss.
Die Ansichten gehen aber sehr weit auseinander, wenn es sich
darum handelt, zu entscheiden, mit welchem Stadium und in
welchen Fällen der Geisteskrankheit die Zulässigkeit der Straf¬
vollstreckung aufhört und welche Massregeln wir in Betreff
derjenigen Verbrecher zu treffen haben, die nicht von einer
acuten Geisteskrankheit befallen, sondern nur geschwächten
Geistes sind oder an einer krankhaften Störung der Geistes-
thätigkeit leiden. Ich werde mir erlauben, zunächst die Gut¬
achten, welche durch unseren Verein von Irren- und von Straf¬
anstaltsärzten über diese Frage eingezogen worden sind, ihrem
Wortlaute nach vorzutragen.
Der Strafanstaltsarzt Sanitätsrath Dr. Delbrück in Halle,
der sehr häufig zur Begutachtung des Geisteszustandes von
Angeklagten und Verurtheilten zugezogen wird, erklärt in
seinem Gutachten^):
„Die Uebergänge von der absoluten Geistesgesundheit in
absolute Geisteskrankheit, also von völliger Zurechnungsfähig¬
keit in absolute Unzurechnungsfähigkeit sind ebenso mannig¬
faltige und allmälige, wie die Uebergänge von Gesundheit in
*) Blätter für Gefängnisskunde. Organ des Vereins der deutschen
Strafanstaltsbeamten. Band IX. Seite 47.
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Krankheit, von Arbeitsfähigkeit in absolute Arbeitsunfähigkeit,
deshalb ist eine bestimmte Grenze zwischen Geistesgesunden
und Geisteskranken, zwischen Zurechnungsfähigen und Unzu¬
rechnungsfähigen überhaupt nicht zu ziehen.“
Dieser Erklärung fugt er an einer andern Stelle^) seines
Gutachtens die Bemerkung hinzu: „Es ist oft nur ein reines
Würfelspiel, ob ein Verbrecher für zurechnungsfähig und straf¬
bar oder unzurechnungsfähig und straflos erklärt wird.“
Der Sanitätsrath Dr. Baer, seit Jahren Arzt am Gefäng-
niss Plötzensee bei Berlin, und gewiss unter den anw^esenden
Herren durch seine Schriften über die Gesundheitspflege etc.
in Gefängnissen bekannt, spricht sich folgendermasseii aus:2)
„Eine Strafe kann nur dann vollstreckt und weiter ge¬
führt werden, wenn der Bestrafte volle Einsicht in das Wesen
der Strafe hat. Wenn er in der Freiheitsentziehung und in
den die Strafausführung bildenden Einzelheiten das sühnende
Princip, das züchtigend ihn bessern will, zu erkennen ver¬
mag.“
Der Dr. Knecht, früher Arzt der Irrenstation bei der
Strafanstalt Waldheim, also ein Mann, dem eine reiche Er¬
fahrung auf dem vorliegenden Gebiet zur Seite steht, verlangt
Irrenabtheilungen bei Invalidengefangnissen nach Art der in
Woking und Parkhurst bestehenden englischen Invaliden¬
gefängnisse für Geisteskranke leichteren Grades, für Schwach¬
sinnige, Epileptiker, Lungen- und Herzkranke.
Der Vorstand des Vereins der deutschen Irrenärzte hat
an das Reichskanzleramt im Jahre 1876 eine Eingabe ge¬
richtet,^) in welcher er darauf anträgt, dass „diejenigen Ge¬
fangenen, bei welchen während ihrer Strafzeit eine krankhafte
Störung der Geistesthätigkeit festgestellt wird, soweit erforder¬
lich in Anstalten untergebracht werden, welche mit Straf¬
anstalten in unmittelbarer Verbindung und unter sachverstän¬
diger ärztlicher Leitung stehen“.
A. a. O. Seite 137.
»J A. a. O. Bd. IX. S. 146.
») A. a. O. Bd. XVII. S. 145 und 158.
A. a. O. Bd. XI. S. 319.
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Aehnlich spricht auch der Medicinalrath Dr. Gutsch sich
in seinem Gutachten^) aus:
Den psychiatrischen, ethischen und legalen Anforderungen
lässt sich nur genügen „durch Anstalten, die formell den Cha¬
rakter von Strafanstalten behalten, weil sie Verbrecher ver¬
wahren, die dem Wesen nach aber Krankenanstalten und dem¬
gemäss eingerichtet und verwaltet sind, Anstalten, die Ge-
fängniss und Irrenanstalt zugleich repräsentiren. Die Behand¬
lung der geisteskranken Sträflinge wird dadurch, dass alle
wegen irgend welcher Anomalien gleich bei der Ein¬
lieferung oder während der Straferstehung auffällig Ge¬
wordenen solchen Anstalten zugewiesen werden, schon in
den frühesten Stadien der Entwickelung möglich und es kann
hiedurch nicht allein manche wirkliche Krankheit verhütet,
sondern auch manches in der Verurtheilung oder Straferstehung
liegende Unrecht ausgeglichen werden.“.„Es müssten
Strafanstalten eingerichtet und ihnen die Bestimmung gegeben
werden, invalide, zum regelmässigen Strafvollzüge ungeeignete
Sträflinge aufzunehmen und mit solchen Strafanstalten sind
Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke zu verbinden, die
allen neueren Anforderungen an die Irrenpflege entsprechen.“
Der Sanitätsrath Dr. Delbrück äussert sich ähnlich in
Betreff der nach seiner Ansicht mit einzelnen grösseren Straf¬
anstalten zu verbindenden Irrenstationen. „Nach meiner Idee
(sagt er) würde jeder Verbrecher, welcher auch nur den
leisesten Zweifel in Betreff seines geistigen Zu¬
standes und seiner Zurechnungsfähigkeit in^ der Unter¬
suchungshaft und auf der Anklagebank erregt hat, seine Strafe
in einer solchen mit einer Irrenstation verbundenen Strafanstalt
zu verbüssen haben. Jeder Sträfling ferner, welcher bereits in
der einen oder andern Anstalt der Provinz seine Strafe verbüsst
und während Verbüssung derselben in Irrsinn verfällt oder
überhaupt Zweifel in Betreff seines Seelenzustandes erregt,
würde sofort einer solchen combinirten Anstalt zu überliefern
sein, um dort seine Strafe weiter zu verbüssen.“
Dr. Baer spricht sich gegen die Unterbringung geistes-
0 A. a. O. Bd. IX. Seite 42 u. 43. .
*) A. a. O. Bd. IX. S. 132.
Blätter für Gefäognisskunde. XIX. 3
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34
kranker Verbrecher in Irrenanstalten aus; er hält die Einrich¬
tung von combinirten Verbrecher-Irrenanstalten für zweck¬
mässiger und besser durchzuführen. „In diesen Anstalten“,
sagt er,^) „kann neben der Abtheilung für gesunde Sträflinge
und neben dem eigentlichen Irren-Asyle eine dritte Abtheilung
vorhanden sein, in welcher neben angemessener Beschäftigung
die Disciplin milder, die Behandlung mehr schonend und nach¬
sichtiger sein muss, und in diese sollen alle jene Gefangenen
aus anderen Strafanstalten geliefert werden, die wir aus pro¬
phylaktischen Gründen der strengen Gefängnisszucht ent-,
ziehen wollen.“
Die von mir vorgetragenen ärztlichen Gutachten kommen
im Wesentlichen darauf hinaus^ dass die Strafanstaltsverwal¬
tung für Anstalten zu sorgen habe, in denen nicht blos die in
Folge von Geisteskrankheit völlig unzurechnungsfähigen,
sondern auch solche Sträflinge unterzubringen seien, bei denen
krankhafte Störung d er G eistesthätigkeit festgestellt
ist, Imbecille, Schwachsinnige und alle durch irgendwelche
Disposition oder beginnende Krankheitsentwicklung Gefährdete,
selbst Sträflinge, die irgend einen Zweifel in Betreff ihres
geistigen Zustandes erregen.
Ueber die Art der Unterbringung der geisteskranken Ver¬
brecher sind die Herren Gutachter sehr verschiedener Ansicht.
Sanitätsrath Dr. Delbrück^) und Medicinalrath Dr.Gutsch^)
erklären sich für die Unterbringung in Irrenstationen, die unter
der Direction von Aerzten stehen müssten und mit einzelnen
Strafanstalten in ähnlicher Weise zu combiniren seien wie die
Lazaretbe derselben; Sanitätsrath Dr.Baer^) ist für eigens ein¬
gerichtete und besonders geleitete Asyle, die mit einer Straf-
oder Irrenstation im engsten Zusammenhänge stehen; Dr.
Knecht^) empfiehlt die Einrichtung selbstständiger Central¬
anstalten tür irre Verbrecher und ebenso Dr. Finder®), der
letztere mit dem Bemerken, dass die Einrichtungen von Annexen
zu Strafanstalten nur ein Palliativmittel sei, während der Er¬
richtung von Annexen zu Irrenanstalten in den meisten P^ällen
0 A. a. O. Band IX. S. 179. *) A. a. O. Bd. IX. S. 133. ») Ebend.
Bd. rx. S. 47 u. Bd. XVII. S. 201. Ebend. Bd. IX. S. 189/70. ®) Ebend.
Bd. XVII. S. 168. Ebend. Bd. XVII. S. 171.
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35
unüberwindliche Schwierigkeiten entgensteheii würden. Sanitäts¬
rath Dr. Delbrück erklärt sich ausdrücklich^) gegen die Er¬
richtung von Centralanstalten nach englischem Vorbilde und
ebenso gegen die Errichtung von Annexen zu Irrenanstalten.
Unser Herr Referent ist, wie Sie aus seinem Vortrage ersehen
haben, für die Errichtung eigener Anstalten nach Art der
englischen Invalidengefängnisse.
Die Zahl der Gefangenen, für welche die Herren Gutachter
besondere Anstalten verlangen, ist keine geringe.
Der Sanitätsrath Dr. Delbrück nimmt auf Grund der
von ihm angestellten statistischen Erhebungen an, 2) „dass
5 Procent der Zuchthaussträflinge an Seelenstörungen im wei¬
testen Sinne des Wortes leiden, also „irre Verbrecher sind“,
welche dauernd oder zeitweise einer exceptionellen Behandlung
bedürfen. In dieser Zahl seien auch die Imbecillen, die Schwach¬
sinnigen und die andern Uebergangsformen mitinbegrilBFen, weil
gerade diese einer besonderen Fürsorge vorzugsweise bedürfen.“
Viele von ihnen würden (während ihrer freien Perioden) sehr
gut in gewöhnlichen Strafanstalten bleiben können und „kaum
3 Procent den durchschnittlichen Bestand der besonderen An¬
stalten „für irre Verbrecher“ bilden.“ Der Medicinalrath Dr.
Gut sch ^) giebt die Zahl der von ihm unter den Gefangenen
beobachteten Irren auf 3 Procent an; Sanitätsrath Dr. Baer
ist der Ansicht,^) dass 5 Procent der Insassen unserer Straf¬
anstalten aus psychischen Momenten nicht Gegenstand einer
Strafvollstreckung oder wenigstens nicht eines Strafvollzuges
sein dürfen, wie er in unseren Strafhäusern ausgeführt werde^
vielmehr als mehr oder minder geisteskrank einer andern Art
der Unterbringung und der Behandlung bedürfen. Der Vor¬
stand des Vereines der deutschen Irrenärzte®) berechnet die
Zahl der vollständig entwickelten Geisteskrankheiten in den
Strafanstalten auf 2 Procent, woneben noch anderweite 3 Pro¬
cent als Geisteskrankheiten im weitesten Sinne aufzufassen seien,
Es würde sich hienach in Preussen bei einer durchschnitt-»
liehen Tageszahl von rund 20000 Zuchthaussträflingen um die
0 Ebend. Bd. IX. Seite 133 und 135. *) A. a. O. Bd. IX. Seite 128.
»3 Bd. XL S. 98. Ebendaselbst. A. a. O. Bd. XL S. 310.
3 ^
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36
Beschaffung besonderer Asyle für etwa 600 bis 800 Verbrecher
handeln.
Ich lasse den Kostenpunkt vorläufig auf sich beruhen, um
zunächst die Bedenken hervorzuheben, welche im Interesse der
Strafrechtspflege dagegen sprechen, dass wir für die Behand¬
lung der Sträflinge, die an Seelenstörungen „im weitesten Sinne
des Wortes^* leiden, die von den Herren GutÄchtern empfoh¬
lenen Grundsätze annehmen.
Wir wissen Alle, dass sich unter den Insassen unserer
Strafanstalten eine nicht geringe Zahl von Personen befindet,
deren Geisteszustand kein normaler ist. Es gehören dahin die
Schwach- und Stumpfsinnigen und die vielen Verurtheilten,
welche, durch Armuth und Elend, durch ein ungeregeltes Leben
vor ihrer Einlieferung, durch Trunksucht und durch Ausschwei¬
fungen aller Art körperlich und geistig verkommen, an der
Grenze der Zurechnungsfähigkeit stehen.
Dass an dergleichen geistesschwachen und verkommenen
Subjecten die Strafe nicht mit der ganzen Strenge vollzogen
werden kann und dass ihnen sowohl bei dem Arbeitsbetriebe
wie bei Handhabung der Disciplin gewisse Rücksichten ge¬
währt werden müssen, ist selbstverständlich. Es würde aber
eine zu weit gehende Milde sein, wenn für Verbrecher, welche
der Strafrichter als zurechnungsfähig anerkannt hat, eine voll¬
ständig andere Behandlung eingeführt werden sollte als für
Verbrecher, deren Geisteszustand ein vollständig normaler ist.
Medicinalrath l)r. Gutsch verlangt^) „für alle durch irgend
welche Disposition oder beginnende Krankheitsentwicklung
Gefährdeten besondere Einrichtungen^^, sowie eine „Pflege
und Behandlung, die von weiterem Strafvollzüge nichts übrig
lässt, als die Anwesenheit am Straforte.Sanitätsrath Dr.
Delbrück verlangt*) Irrenstationen für alle Verbrecher, „die
auch nur den leisesten Zweifel in Betreff ihres geistigen
Zustandes in der Untersuchungshaft und auf der Anklagebank
erregt haben‘‘, Sanitätsrath Dr. Baer*) desgleichen für solche
Gefangene, „die wir aus prophylaktischen Gründen der
strengen Gefängnisszucht entziehen wollen.^
0 A. a. O. Bd. IX. S. 31/32. *) Ebend. S. 132. «) Ebend. S. 179.
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M. H., wenn wir besondere Stationen für die oben ge¬
nannten, von den Herren Gutachtern bezeichneten Sträflings¬
kategorien errichten, so würde es nicht ausbleiben, dass die
Anstaltsdirectoren die erwünschte Gelegenheit benutzen, um
sich nach Möglichkeit der Subjecte zu entledigen, welche durch
ihre Verkehrtheiten die Ordnung in der Anstalt stören; es
würde nicht an Simulanten fehlen, welche es verstehen, die
in der Erkenntniss der Psychosen nicht geübten Anstaltsärzte
zu täuschen, um sich aus der Zucht der Strafanstalt in eine
weniger unbequeme Umgebung versetzen zu lassen und die
Stationen für Geisteskranke und Geistesschwache würden über
kurz oder lang Aufbewahrungs- und Pflegeanstalten werden,
in denen die Invaliden des Verbrecherthums eine Existenz
führen, die mit dem Ernst des Strafvollzuges in directem
Widerspruch steht.
Im Hinblick auf derartige Eventualitäten können wir nicht
vorsichtig genug verfahren.
Sanitätsrath Dr. B a e r spricht in dem Ihnen von mir
bereits vorgetragenen Gutachten die Ansicht aus, dass „eine
Strafe nur dann weiter fortgeführt werden kann, wenn der
Bestrafte die volle Einsicht in das Wesen der Strafe hat, wenn
er in der Freiheitsentziehung und in den die Strafausführung
bildenden Einzelheiten das sühnende Princip, das züchtigend
ihn bessern will, zu erkennen in der Lage ist“. Zu einer
solchen Einsicht und Erkenntniss gelangt nach meinen Erfah¬
rungen wohl nur ein geringer Theil der Verurtheilten, und es
könnte doch zu sehr bedenklichen Consequenzen führen, wenn
hinsichtlich aller Sträflinge, denen diese Einsicht abgeht, die
Weiterführung der Strafe eingestellt werden sollte.
„Leichtere Formen des Irrseins,“ sagt Dr. Delbrück in
seinem Gutachten, „allgemeiner Schwachsinn und andere
geistige Schwächezustände können oft sehr lange, oft ein ganzes
Leben bestehen, ohne dass die Zurechnungsfähigkeit, wenn
auch in verschieden hohem Grade beschränkt, ganz aufgehoben
wird. Hieraus ergiebt sich, dass nur eine kleine Zahl der¬
jenigen Personen, um die es sich handelt, dauernd und voll-
») Bd. IX. S. 146/7. 2) Bd. IX. S. 118.
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38
ständig unzurechnungsfähig sind und bleiben. Bei den meisten
besteht noch immer ein gewisser Grad von Zurechnungsfähig¬
keit, so dass es nicht nur gerechtfertigt, sondern in den mei¬
sten Fällen sogar entschieden geboten erscheint, die Strafvoll¬
streckung noch fortzusetzen und sie zunächst nicht aus dem
Strafanstalts-Verband zu entlassen.“ Aehnlich lautet das Gut¬
achten des Irrenarztes K n e c h t: ^) „Leichtere und rasch ver¬
laufende Psychosen genesen in dem Strafanstalts - Lazareth
ebenso leicht und schnell wie in der Irrenstation.“
Diesen beiden Gutachten entsprechend haben wir meines
Erachtens zwei Kategorien streng zu unterscheiden.
Sträflinge, die in eine Geisteskrankheit ver¬
fallen, hören auf, ein Gegenstand des Strafvoll¬
zuges zu sein, aber nur dann, wenn die Geistes¬
krankheit eine ausgesprochene, eine acute ist.
Tritt der Fall einer solchen acuten Geisteskrankheit ein, so
hat die Strafanstaltsverwaltung sofort für eine rationelle pj^y-
chiatrische Behandlung zu sorgen. Bleibt der Heilungsversuch
ohne Erfolg, so haben zunächst die Gerichte zu entscheiden.
Erklären dieselben auf Grund der ärztlichen Untersuchung den
Kranken für unheilbar und für dauernd unzurechnungsfähig
im eigentlichen Sinne des Wortes, so hört damit die Straf¬
vollstreckung auf, denn an Geisteskranken kann eine Strafe
nicht vollzogen werden und die Pflicht der Fürsorge geht auf
die zuständige bürgerliche Behörde über, die anstatt der straf-
vollstreckenden Behörde für die anderweite Unterbringung des
Geisteskranken, soweit solche im Interesse der öffentlichen
Sicherheit geboten erscheint, zu sorgen hat.
Verbrecher mit verminderter Zurechnungs¬
fähigkeit — die zweite Kategorie der geistig Defecten —
sind in den Strafanstalten zu belassen und die Frage, wie mit
ihnen zu verfahren sei, beantwortet sich dahin, dass die Straf¬
anstaltsverwaltung gegen die Schwachen am Geiste in gleicher
Weise, wie gegen die Schwachen am Körper, die Rücksichten
zu üben hat, welche der Zustand derselben erfordert.
Dies von mir beschriebene Verfahren findet in Preussen
A. a. O. Bd. XV. S, 214.
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39
und, soviel ich weiss, auch in den meisten übrigen deutschen
Bundesstaaten statt Meines Erachtens entspricht dasselbe
allen Anforderungen, die an die Strafanstaltsverwaltung gestellt
werden können und die weiter gehenden Massregeln der Für¬
sorge, welche einige der Herren Gutachter uns vorschlagen,
würden schliesslich dahin führen, dass irre Verbrecher besser
bedacht werden als Irre, die kein Verbrechen begangen haben;
die Errichtung besonderer Irren- oder, richtiger gesagt, Inva¬
lidenstationen nach Art der englischen Invaliden-Getangnisse
für Sträflinge, welche nur geschwächten Geistes sind, wäre in
meinen Augen ein Vergehen gegen die armen Steuerzahler,
von deren sauerem Schweiss jene Invalidenstationen für emeri-
tirte Verbrecher unterhalten werden müssten.
Unser Verein hat sich früher im Sinne der uns vorliegen¬
den Gutachten geäussert, so namentlich bei Gelegenheit der
Berliner Versammlung von 1874, wo er sich mit dem Antrag
einverstanden erklärte,^) ,,e8 sei nothwendig und ausführbar,
dass bei den grossen Strafanstalten Abtheilungen für irre Ver¬
brecher geschaffen werden, in denen sie als Irre behandelt
beziehentlich geheilt werden können‘‘; ähnlich in Stuttgart
1877 und 1880 auf der Bremer Versammlung, wo „die Er¬
richtung von Anstalten zur Bewahrung geisteskranker Ver¬
brecher als eine Nothwendigkeit"^^) bezeichnet wurde.
Die Sachlage ist in der Zwischenzeit einer wiederholten
eingehenden Prüfung unterzogen worden und der Ausschuss
ist auf Grund dieser Prüfung zu der Ueberzeugung gelangt,
dass es sich nicht empfiehlt, besondere Irrenabtheilungen zu
errichten, um darin auch geisteskranke Verbrecher „im weitesten
Sinne des Wortes^' unterzubringen und dass die Errichtung
eigener Anstalten oder Irrenstationen zur Unterbringung von
Sträflingen, die in acute Geisteskrankheit verfallen, im Hin¬
blick auf die obwaltenden Umstände weder ausführbar noch
nothwendig ist.
In Betreff dieses letzteren Punktes gestatte ich mir einige
erläuternde Bemerkungen.
Die Mehrzahl der ärztlichen Autoritäten hat zur Unter-
0 A. a. O. Bd. X. S. 29. *) A. a. O. Bd. XV. S. 145.
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i
— 40 ~
bringung der irren Verbrecher die Herstellung besonderer Ein¬
richtungen bei einzelnen Strafanstalten als Annexe zu den¬
selben empfohlen.!) Zur Ausführung dieser Massregel würde
es aber im Wesentlichen wohl desselben Apparates bedürfen
wie für die vollständig eingerichteten, unter einem psychiatrisch
ausgebildeten Arzte stehenden öffentlichen Irrenanstalten. Da¬
neben beruht es in der Unmöglichkeit, dass eine Irrenstation,
in der von acuten Geisteskrankheiten befallene Verbrecher
untergebracht sind, sich unter demselben Dache oder auch nur
innerhalb derselben Ringmauer mit einer Strafanstalt befinde;
ihre Einrichtung als Annex zu dieser letzteren würde also im
Wesen darauf hinauskommen, dass man eine Irrenanstalt neben
einer Strafanstalt erbaut und beide unter dieselbe Direction
stellt. Ob das für die Verwaltung von besonderem Vortheil
sein würde, ist mehr als zweifelhaft, da die Anforderungen an
eine Strafanstaltsverwaltung sehr verschieden sind von denen
an eine Irrenhausverwaltung und Collisionen bei einer Combi-
nirung beider nicht zu vermeiden sein würden. Eine Ersparniss
an den sehr bedeutenden Kosten, welche mit der Verwaltung
einer Irrenanstalt verbunden sind, würden wir von der uns
empfohlenen Einrichtung wohl keinenfalls zu erwarten haben.
In meinem Vaterlande Preussen mit seiner weit ausge¬
dehnten Lage, wo die östlichste Strafanstalt von der west¬
lichsten 180 deutsche Meilen entfernt liegt, die nördlichste von
der südlichsten 120 Meilen und wo noch der erschwerende
Umstand hinzukommt, dass in einzelnen Provinzen zweierlei
Sprachen im Gebrauche sind, w ürden drei Irrenstationen kaum
hinreichend sein. Die Zahl der in den preussischen Straf¬
anstalten vorkommenden acuten Geisteserkrankungen beläuft
sich jährlich auf etwa 75. Wie ich schon erwähnt habe,
scheiden die gerichtlich als unheilbar Anerkannten, weil sie
nicht mehr Gegenstand des Strafvollzuges sind, aus der Für¬
sorge der Strafanstaltsverwaltung aus und da die Konstatirung
der Unheilbarkeit beziehungsweise die Uebergabe der Unheil¬
baren an die Gemeinden, welche zur fernerweiten Fürsorge
verpflichtet sind, meisthin binnen verhältnissmässig kurzer
0 A. a. O. Bd. IX. S. 29.
i
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— 41 —
Zeit erfolgt, so reducirt sich die Zahl der gleichzeitig in ärzt¬
licher Behandlung befindlichen irren Verbrecher, für deren
Unterbringung die Strafanstaltsverwaltung zu sorgen hat, sehr
bedeutend. Im November vorigen Jahres befanden sich im
Ganzen nur 17 aus preussischen Strafanstalten eingelieferte
Verbrecher in öffentlichen Irrenanstalten. Dass für eine so
geringe Zahl nicht eigene Anstalten hergestellt werden können,
bedarf keiner Auseinandersetzung.
In Oesterreich-Ungarn ist die Zahl der Geisteserkrankungen
unter den Sträflingen geringer als in Preussen und die Errich¬
tung besonderer Irrenstationen für dieselben würde noch dadurch
erschwert werden, dass die Bevölkerung sechs verschiedene
Sprachen spricht.
Hienach kann unter Umständen, wie sie in Oesterreich,
in Preussen, in den übrigen deutschen Bundesstaaten statt¬
finden, von Errichtung eigener Anstalten für die geringe Zahl
der inen Verbrecher, die von acuter Geisteskrankheit befallen
werden, meines Erachtens nicht wohl die Rede sein und wir
werden uns zur Unterbringung derselben nach wie vor der
öflfentlichen Irrenanstalten zu bedienen haben. Die Directionen
derselben haben gegen ein solches Verfahren wiederholt Ein¬
spruch erhoben. Sie berufen sich namentlich darauf, dass die
Vermengung der irren sittlich verderbten Verbrecher mit den
kranken sittlich unbescholtenen Bewohnern der Irrenanstalten
eine Vertilgung des sittlichen Gefühls sei, die den unbeschol¬
tenen Kranken häufig sehr empfindlich werde und einen nach¬
theiligen Einfluss auf ihre Heilung ausübe; auch störe der
verbrecherische, zu Gewaltthätigkeiten hinneigende Charakter
der irren Verbrecher nicht selten die Ordnung in den Irren¬
anstalten und mache aussergewöhnliche Sicherheitsmassregeln
erforderlich.
Die uns vorliegenden Gutachten sind nicht geeignet, diese
Gründe zu unterstützen. So erklärt namentlich Dr. Binder:^)
„Die Bestimmungen der Zahl der geisteskranken Sträflinge
ist für die Frage ihrer Unterbringung wohl vor Allem mass¬
gebend. Etliche wenige lassen sich wohl in Irrenanstalten
0 A. a. O. Bd.XVII. S.164.
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42
unterbringen, ohne besonders störend einzuwirken.“ .... „Die
geisteskranken Sträflinge in einer Irrenanstalt sind wohl die
unbeliebtesten, nicht aber die gefährlichsten Irren; der ver¬
brecherische Irre ist meist gewaltthätiger."*^)
Medicinalrath Dr. Gutscb spricht in seinem Gutachten 2)
von der häufig gemachten „Erfahrung, dass die wenigen irren
Verbrecher, die sich in unseren immer zahlreicher werdenden
Irrenanstalten zerstreut finden, unter den übrigen Kranken sich
verlieren und einen so schlimmen moralischen Einfluss nicht
erkennen lassen, als vorausgesetzt zu werden pflegt.“
Der Strafanstalts- und Irrenarzt Dr. Knecht bekundet
in seinem Gutachten, ,.dass das Verhalten der irren Ver¬
brecher sich in der Majorität nicht von dem der freien Irren
unterscheide, ja dass man an ihnen eine gewisse Ordnung und
Disciplin rühmen könne, die sie aus der Strafanstalt mitbringen.
Bekanntlich fehle es ja auch in den öffentlichen Irrenanstalten
nicht an solchen Elementen, die durch ihre Unbändigkeit und
Rohheit zeitweilig eine Plage für die Anstalt werden.“
In Betreff der öffentlichen Meinung, die sich für eine
prinzipielle Trennung der bestraften und nicht bestraften Irren
ausspricht, bemerkt Dr. Knecht^) noch: „Diese öffentliche
Meinung scheint mir übrigens überwiegend von den Irren¬
anstal ts-Dir ectionen getragen zu w^erden. Ich wenigstens habe
weder früher bei den Kranken einer öffentlichen Irrenanstalt
noch jetzt bei dem Publikum, aus welchem sich die dritte
Klasse der Irrenanstalten rekrutirt, eine so tiefe Abneigung
gegen gewesene Sträflinge bemerken können.“
Die von mir vorgetragenen Gutachten rühren von Aerzten
her, denen eine reiche Erfahrung auf dem Gebiete der Psy¬
chiatrie zur Seite steht. Wir dürfen ihren Angaben und ihrem
Urtheil wohl das gleiche Gewicht beimessen, wie dem der
Directoren der öffentlichen Irrenanstalten, die sich der irren
Verbrecher zu entledigen wünschen und ich möchte hienach
eine Aenderungen in dem bisherigen Verfahren um so weniger
für geboten erachten, als die aus den Strafanstalten eingelie-
A. a. O. Bd. XVII. S. 170. A. a. O. Bd.IX. S. 29. ®) A.a.O.
Bd. XV. S. 210. *) A. a. O. Bd. XV. S. 212 Anm.
a
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43
ferten Verbrecher sich in so kleinen Zahlen auf die einzelnen
Irrenanstalten vertheilen, dass diesen letzteren wesentliche Stö¬
rungen aus ihrer Aufnahme nicht wohl erwachsen können.
Meine Herren! Ich erlaube mir, den Inhalt meines Vor¬
trages kurz zusammenzufassen.
Die Thesen, welche der Ausschuss Ihnen zur Prüfung und
Beschlussfassung vorgelegt hat, entsprechen meines Erachtens
allen Anforderungen, welche an die Strafanstaltsverwaltung zu
stellen sind. Ich achte und ehre den humanen Sinn, der sich
in den uns eingereichten ärztlichen Gutachten kundgiebt — es
ist der hochachtbare Beruf des Arztes, in dem Kranken und
Schwachen, auch wenn er dem Strafgesetz verfallen ist, vor
Allem den Unglücklichen zu erblicken, dessen Leiden er nach
Möglichkeit zu lindern hat. Die Aufgabe der Strafvollzugs¬
behörde ist eine wesentlich andere. Sie hat dem Gefangenen
zu gewähren, was zu des Lebens Nothdurft gehört, sie hat für
die Erhaltung und im Falle der Erkrankung für die Wieder¬
herstellung seiner Gesundheit zu sorgen, sie hat auf seine
moralische Hebung und Besserung hinzuwirken, indem sie ihn
durch eine humane Behandlung auf den rechten Weg zu leiten
versucht, aber sie darf nie ausser Acht lassen, dass sie vor
Allem berufen ist, Strafen zu vollstrecken. Die Strafanstalten
sollen nicht, wie in früheren Zeiten, nur Orte des Schreckens
sein, wo man die Gefangenen geistig und körperlich verkom¬
men Hess, aber sie sollen ebensowenig zu Aufbewahrungs¬
anstalten werden, wo für den Verbrecher, wenn er schwach
am Körper oder am Geiste ist, von der Strafe nichts weiter
übrig bleibt als „die Anwesenheit am Straforte^^ Die in den
ärztlichen Gutachten enthaltenen Vorschläge gehen zu einem
grossen Theil über das hinaus, was wir gewähren dürfen, ohne
den Charakter der Strafe in bedenklicher Weise abzuschwächen.
Der Ausschuss hat den richtigen Weg gewählt, indem er ein
verschiedenes Verfahren vorschlägt für die von acuter Geistes¬
krankheit befallenen Verbrecher einerseits sowie für die nur
schwachsinnigen oder an psychischen Abnormitäten leidenden
Sträflinge andererseits und indem er dabei auch, im Interesse
der Steuerzahler, die bedeutenden Mehrkosten nicht ausser
Betracht lässt, die mit der Errichtung eigener Anstalten oder
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Stationen für irre Verbrecher verbunden sein würden. Ich
glaube der geehrten Versammlung die Annahme der Thesen
des Ausschusses aus voller Ueberzeugung empfehlen zu dürfen.
Präsident: Wünscht noch Jemand zu dieser These das
Wort? (Niemand meldet sich.) Da es nicht der Fall ist,
schreite ich zur Abstimmung über den Ausschussantrag. Der¬
selbe lautet: (wiederholt denselben). Ich bitte jene Herren,
welche diese vom Ausschüsse aufgestellte These über Punkt V.
„Fürsorge für geistesgestörte Verbrechern^ annehmen wollen,
die Hand zu erheben. (Geschieht.) Derselbe ist ange¬
nommen.
Wir schreiten zum dritten Punkte der Tagesordnung:
„Bau von Zellengefängnissen“.
Hierüber wird Herr Director Kr oh ne das Referat erstatten.
Director Krohne (Berlin): Ich habe mir erlaubt, Ihnen
die wesentlichsten Punkte der vorliegenden Frage in einer
besonderen Schrift zur Kenntniss zu bringen und kann mich
deshalb hier auf das Aeusserste beschränken.
Es sind nun 55 Jahre her, seit das erste Zellengefängniss
in Amerika erbaut wurdej es war allerdings etwas verunglückt*,
aber als 10 Jahre darauf das zweite in England gebaut wurde,
war die Anlage eine derartige, dass sie bis heute für den Bau
von Zellengefängnissen massgebend geblieben ist. Die Durch¬
führung der Einzelhaft begann denn in den verschiedensten
europäischen und aussereuropäischen Staaten einen verhältniss-
mässig guten Fortgang zu nehmen; es sind im Laufe dieser
40 Jahre eine ganze Reihe von Zellengefängnissen, grosse wie
kleine, entstanden; die Zahl derselben wird sich auf etwa 100
belaufen und das dafür aufgewandte Geld auf mehrere Hundert
Millionen Mark. Und wenn wir nun heute nach 40jähriger
Arbeit, nachdem so viele Zellengefängnisse erbaut wurden, in
unseren Kreisen die Frage ventiliren, nach welchen Normalien
sollen Zellengefängnisse gebaut werden, so ist dies, wie ich
glaube, tief beschämend. Wir kommen über diese Thatsache
auch nicht dadurch hinweg, dass der internationale Gcfangniss-
Congress diese Frage gleichfalls auf seine Tagesordnung gestellt
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hat. Die Ursache für diese Thatsache ist unschwer zu erkennen;
ein Zellengefängniss ist nach seiner ganzen baulichen Anlatje
ein complicirtes Ding; man hätte nun erwarten sollen, dass bei
der weiteren Durchführung der Einzelhaft man sich bemüht
haben würde, die baulichen Anlagen immer einfacher zu ge¬
stalten, aber das gerade Gegentheil war der Fall, in dem Be¬
streben, das System immer consequenter auszubilden, wurden
die baulichen Anlagen immer complicirter. Andererseits um
die Einzelhaft gegen die von allen Seiten erhobenen Vorwürfe
der Härte, Inhumanität und Gefährlichkeit für leibliche und
geistige Gesundheit zu schützen, wurden die Zellengefängnisse
mit einem luxuriösen Comfort und sanitärem Raffinement ein¬
gerichtet, die auch nicht gerade zur Vereinfachung beitrugen.
Dass dieser Weg eingeschlagen und bis heute fortgesetzt
wurde, daran sind wir Strafanstaltsbeamte in erster Linie
schuld; wir konnten unsere Anstalten nicht elegant und schön
genug bekommen; schuld sind die Architekten, die nicht vor¬
nehm genug bauen konnten und in ihren Bauten die neuesten,
raÖinirtesten Einrichtungen für Heizung, Ventilation, Wasser¬
versorgung etc. anbringen mussten; schuld sind die Aerzte,
denn sie steigerten die sanitären Ansprüche bis in^s ungemessene.
So haben jene Anstalten, welche dazu dienen, an Leuten, die
einen Rechtsbruch begangen haben, die Strafe zu vollziehen,
das Anselien von Palästen oder vornehmen Hotels bekommen.
Die Baukosten sind demgemäss so hoch gestiegen, dass der
Gefangene eine höhere Summe verwohnt, als überhaupt sein
ganzer Unterhalt kostet. Finanzminister und Volksvertretungen
haben ihr energisches Veto dagegen eingelegt und gesagt, dass
wenn in dieser Weise fortgefahren würde, die Einzelhaft über¬
haupt nicht durchgeführt werden könne, da sie den Steuer¬
zahlern die Tragung solcher Lasten nicht zumuthen könnten.
Aus diesen Gründen habe ich meine Aufgabe nicht sowohl
dahin aufgefasst. Ihnen zu sagen, nach welchen Normalien
sollen Zellengefängnisse gebaut werden — dies steht ohnehin
fest — sondern dahin, wie wir dahin kommen können, dass
die Kosten für den Bau von Zellengefängnissen so weit herab¬
gemindert werden können, dass, ohne die wesentlichsten Grund¬
sätze des Systems der Einzelhaft zu verletzen, die Durch-
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46
fuhrung desselben mit den vorhandenen finanziellen Mitteln
möglich ist.
Ich habe mir erlaubt, Ihnen ein Heftchen zugehen zu
lassen, in welchem die Kosten verschiedener Zellengefängnisse
unter Beifügung einiger Pläne zusammengestellt sind.*) Sie
werden daraus ersehen, welche seltsame Verhältnisszahlen sich
ergeben. Sie finden dort eine Strafanstalt angeführt, in'^der
sich die Gesammtkosten per Kopf auf 6000 tAL belaufen. Sehen
wir uns einen einzelnen Zellenflügel an, der hundert und einige
Zellen enthält, und berechnen, was eine einzelne Zelle daselbst
kostet, so finden wir einen Kostenbetrag von etwas über
4000 tAL sind also nahezu für alles das aufgewendet, was ge-
wissermassen die Zugabe zu dem eigentlichen Zellengefängnisse
bildet. Das kann uns schon einen Fingerzeig geben, worauf
wir vorzugsweise unser Augenmerk zu richten haben, um die
Kosten der Zellengefängnisse herabzumindern. Ich habe in
meinem gedruckten Referate Normalien für den Neubau von
Zellengefangnissen aufgestellt, es würde, glaube ich, ungebühr¬
lich viel Zeit in Anspruch nehmen, wollte ich jetzt alle die
einzelnen Punkte derselben noch einmal mündlich erörtern. In
der Discussion bin ich bereit, über jeden einzelnen Satz der
Normalien Red und Antwort zu stehen.
Üm aber etwas Bleibendes zu schaffen, ist Ihr Ausschuss
der Meinung gewesen, dass das schon vorhandene Material
betreffend den Bau von Zelleiigefängnissen, sowie die Resultate
unserer Discussion zusammengestellt und im Vereinsorgane
veröffentlicht werden sollen. Zu diesem Zwecke empfiehlt
Ihnen der Ausschuss, eine Commission von 7 Mitgliedern zu
ernennen, welcher für die Vollendung ihrer Arbeit ein Termin
von einem Jahre gestellt wird. Der Verein ist auch nach An¬
gabe seines Vorstandes in der Lage, die für die Veröffent¬
lichung des Werkes nöthigen Kosten aus eigenen Mitteln zu
bestreiten.
Ich empfehle Ihnen daher die Annahme des Ausschuss¬
antrages. weil ich der Meinung bin, dass wir hiermit etwas
schaffen, was für die Weiterentwicklung und Durchführung
*) Abgedruckt in Band XVII. zu S. 362.
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der Einzelhaft in dem Gebiete, welches unser Verein umfasst,
von wesentlicher Bedeutung sein wird.
Präsident: Wünscht Jemand zu diesem Gegenstand zu
sprechen? (Geh. Ober-Regierungsrath Illing meldet sich.)
Der Herr Geh. Ober-Regierungsrath Illing hat das Wort.
Geh. Ober-Regierungsrath Illing: Meine Herren! Der
Einführung der Einzelhaft, deren Vorzüge wir Alle anerkennen,
stehen in erster Linie die grossen Kosten entgegen, welche der
Bau der Zellengefängnisse erfordert; für Preussen würden sich
dieselben, wenn das System der Einzelhaft vollständig durch¬
geführt werden soll, nach einer im Jahre 1878 angelegten
Berechnung auf mehr als 80 Millionen Mark stellen. So be¬
deutende Kostenbeträge sind selbstverständlich ein gewichtiges
Argument gegen die Durchführung des Einzelhaft-Systems;
wollen wir dasselbe fordern, so haben wir zunächst und vor
Allem auf Verminderung der Kosten Bedacht zu nehmen. Herr
Director Krohne hat sich der daiikenswerthen Aufgabe unter¬
zogen, zu diesem Behufe Vorschläge zu machen, die anschei¬
nend zum Ziele führen können und ich gestatte mir deshalb,
die von dem Ausschüsse beantragte Einsetzung einer Commission
im Sinne des Krohne’schen Vorschlages auf das Dringendste
zu befürworten.
Wenn es, wie ich hoffe, gelingt, einen Plan zur billigeren
Herstellung von Zellengefangnissen zu vermitteln, so werden
wir damit einen grossen Fortschritt im Sinn eines rationellen
und humanen Strafvollzuges zu verzeichnen haben.
(Director Krohne meldet sich zum Wort.)
Präsident: Herr Director Krohne hat sich zum Worte
gemeldet; ich ertheile ihm dasselbe.
Director Krohne: Gestatten Sie mir, m. H., zur Illustra¬
tion ein Beispiel anzuführen. Der Herr Vorredner hat an¬
gedeutet, dass es wirklich möglich sein wird, die Kosten der
Zellengefängnisse herabzumindern. Wir haben das bei uns
erfahren. In den letzten Jahren wurden bei uns drei grosse
Anstalten gebaut, eine neue ist geplant und soll demnächst
ausgeführt werden. Die erste Anstalt war nach dem gemischten
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System gebaut, halb Einzel- halb gemeinsame Haft; den Plan
finden Sie in dem citirten Heftchen. Dieselbe kostete rund
3 Millionen Mark und ist für rot. 500 Köpfe berechnet. Die
zweite Anstalt war in Kassel lediglich nach dem Einzelhaft¬
system gleichfalls für 500 Köpfe erbaut worden und kostete
etwas weniger, aber die DiflPerenz war nicht erheblich. Die
dritte in Herford, ebenso gross, ein reines Zellengefängniss,
erforderte einen Aufwand von etwa 1700000 bis 1 800000 ./Ä,
und das neu geplante Zellengefängniss in Gross-Strehlitz wird,
wenn die Anschläge nicht überschritten werden — und das
pflegt ja bei uns nicht der Fall zu sein — 1300000 bis
1400000 JL kosten. Sie sehen also, dass es durch Verein¬
fachung der Anlage und Verzicht auf alles nicht absolut Noth-
wendige möglich ist, die Kosten der Zellengefängnisse ungefähr
auf die Hälfte herabzumindern. — Ganz die gleiche Erschei¬
nung tritt uns entgegen, wenn wir die Kosten einzelner Zellen¬
flügel, wo solche gebaut wurden, vergleichen. Sie finden auch
hier zwischen den einzelnen Bauten so enorme Preisdifferenzen,
dass es ganz klar hervortritt, wie es bei umsichtiger und ge¬
nauer Prüfung aller einschlägigen Verhältnisse möglich sein
wird, die Kosten für Zellengetängnisse so herabzumindern, dass
dieselben nicht mehr vor der Durchführung des Einzelhaft¬
systems abschrecken werden.
Präsident: Wünscht noch Jemand zu diesem Gegen¬
stände das Wort? (Niemand meldet sich.) Es ist nicht der
Fall und ich kann daher zur Abstimmung schreiten.
Der Antrag des Ausschusses zu „III. Bau von Zellen-
gefängnissen^‘ lautet (liest):
„Einsetzung einer Commission von 7 Personen zur Fest¬
stellung der Normalbedingungen, nach welchen Zellengefäng¬
nisse zu bauen und einzurichten sind. Die Commission hat
ihre Arbeiten binnen Jahresfrist zu vollenden und wird die¬
selbe im Organ zur Veröffentlichung bringen
Ich ersuche jene Herren, welche diesen Antrag annehmen
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Derselbe ist an¬
genommen.
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Den nächsten Gegenstand der Verhandlung bildet These I.
,,Aenderung der Satzungen“
lautend (liest):
,,Der § 4 der Vereinsstatuten soll dahin erweitert werden,
dass nach den Worten „an den deutschen Universitäten^^ einzu¬
schalten ist: „und die Vorstandsmitglieder der Landes- bezw.
Provinzialvereine für Gefangniss- und Schutzwesen.“
Ich ertheile das Wort dem Herrn Referenten Director
Kr ohne.
Referent Director Kr ohne: Meine Herren! Der Aus-
• Schuss glaubte die Thatsache, dass das Interesse am Gefäng-
nisswesen in den weitesten Kreisen wächst und namentlich
auch darin seinen Ausdruck findet, dass neben unserem Vereine
andere Vereine, welche entweder das Gefängnisswesen als
solches oder einzelne in dasselbe einschlagende Zweige culti-
viren, in grösserer Anzahl entstanden sind und solche Local¬
vereine sich wieder zu grösseren Provinzialvereinen zusammen-
gethan haben, ernstlich in’s Auge fassen und daran die Frage
knüpfen zu müssen, ob nicht diese Thatsache sowohl für uns
als für jene Vereine fruchtbringend gemacht werden könnte.
Der Ausschuss hat geglaubt, dass dies am besten dadurch
geschehe, dass wir mit diesen Vereinen Fühlung durch deren
Vorstände bekämen, indem wir den Vorstandsmitgliedern der
grösseren Vereine gestatten, Mitglieder des Vereines der deut¬
schen Strafanstaltsbeamten zu werden. Einzelne waren dies
bereits, in den meisten Fällen allerdings nicht auf Grund ihrer
Qualification als Vorstandsmitglieder jener Vereine, sondern
weil sie die sonstigen Erfordernisse des § 4 erfüllten. Wir
wollten aber einen rechtlichen Boden für den Eintritt dieser
Vereinsvorstände schaffen und deshalb schlagen wir Ihnen vor,
den § 4 der Statuten dahin zu erweitern, dass die Vorstands¬
mitglieder der Landes- bezw. Provinzialvereine für Gefängniss¬
und Schutz wesen Mitglieder unseres Vereines werden können.
Ich glaube, meine Herren, dass der Antrag keiner weiteren
Begründung bedarf; es kann nur Segensreiches daraus hervor¬
gehen und es wäre nur zu wünschen, dass derartige Vereine
sich immer in grösserer Zahl bildeten und dass die Vorstände
fil&tter für Oefingnisskunde. XIX. 4
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der Vereine thunlichst zahlreich Mitglieder unseres Vereines
würden, um sowolil in unserem Organe die Erfahrungen, welche
sie auf ihrem Gebiete machen, niederzulegen, als vor Allem
auch in unseren Versammlungen zu erscheinen, um sich an
der Debatte auf das Lebhafteste zu betheiligen.
Präsident: Wünscht Jemand das Wort? (Niemand
meldet sich.) Es ist nicht der Fall; ich ersuche sohin jene
Herren, welche die These I., wie sie gedruckt vorliegt, an¬
nehmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) These 1. ist
angenommen.
Wir schreiten nunmehr, nachdem der Hr. Präsident unseres
Vereines wieder in unserer Mitte ist, zur Erstattung dos Ge¬
schäftsberichtes und ertheile ich dem Herrn Präsidenten hiezu
das Wort.
Vereinsvorstand Geheimerath Ekert; Ich habe zunächst
mitzutheilen, dass die dem Ausschüsse vorgelegten Vereins¬
rechnungen für 1880, 1881 und 1882 so wie in früheren Ver¬
sammlungen dem Hrn. Geh. Justizrath Wirth zur Prüfung zu¬
gestellt wurden. Die Rechnungsergebnisse sind im Allgemeinen
nicht ungünstig. Das schon längst als Grundstock behandelte
Vermögen betrug 2000 1 /^; indessen beläuft sich das beim Ab¬
schluss im Januar d. J. (Band XVII. Heft 1 u. 2 Seite 191)
nachgewiesene Reinvermögen auf 8636 «/^. 57^. Davon sind
aber noch theils verfallene, theils weiter entstehende Druck¬
kosten abzuziehen. In der That hat sich auch der damals sehr
bedeutende Kassenstand rasch vermindert. Grössere Summen
bleiben überhaupt in der Regel nicht in der Kasse, sondern
werden zinsbar angelegt. Was den Stand des Vereines im
Allgemeinen anbelangt, so ist die Mitgliederzahl, jedoch nur
gegen das Vorjahr, um etwas Weniges und zwar vorzugs¬
weise in Preussen und Oesterreich zurückgegangen und zwar
um etwa 20; allein das ist eine Schwankung, die wohl leicht
Vorkommen kann. Wir haben jetzt immer noch fast 700 Mit¬
glieder (gegen 650 vor drei Jahren). Die Zahl 700 dürfte
überhaupt kaum mehr überschritten werden, wenn die Bethei-
ligung aus Oesterreich nicht grösser wird; die Zahl der Mit¬
glieder aus Oesterreich betrug früher 200.
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Die Verhältnisse sind sich auch sonst ziemlich gleich ge¬
blieben. Wir haben die Beziehungen zu den einzelnen Regie¬
rungen erhalten, thunlichst Correspondenz gepflogen mit aus¬
wärts wohnenden Männern der Praxis und Wissenschaft, und
es hat sich ausserdem die Redaction des Vereinsorgans bemüht,
das letztere regelmässig erscheinen zu lassen. Die verehrten
Mitglieder bemerkten, dass das Vereinsorgan etwas im Rück¬
stände war; immerhin erschien von Zeit zu Zeit ein Heft oder
auch ein Doppelheft, allein alle die Collegen, welche in der
Praxis stehen, werden wissen, dass es schwer fällt, wenn man
so recht durch den Dienst in Anspruch genommen ist, auch
gleichzeitig Redacteur zu sein und um so schwerer, wenn die
Betheiligung von Seite der Mitglieder gerade keine zu rege
ist. Ich mache Niemandem einen Vorwurf; es sind verschiedene
Mitglieder, die sich immer bemüht haben, nach Kräften am
Vereinsorgan mitzuwirken, aber es sind natürlich noch viele
Andere, die in dieser Beziehung nichts gethan haben. Ich bitte
Sie, wie auch früher, recht dringend, die Redaction besser zu
unterstützen. Auch ich bedürfte manchmal einer Anregung
von Aussen her, und kann sie nicht immer allein nach Aussen
geben. Doch haben Sie bemerkt, dass in der letzten Zeit
mehr Hefte des Vereinsorganes ausgegeben wurden. Wir sind
soweit im Laufenden, dass wir den Schluss des Jahrganges
1883 nahezu noch in diesem Jahre herausgeben und mit den
Verhandlungen der hiesigen Versammlung den 1884er Band
beginnen können. Was die Versammlung selbst anbelangt,
so hat sie, wie Sie sehen, verhältnissmässig eine sehr zahlreiche
Betheiligung erfahren. Die Einladungen zur Versammlung sind
von Seite des Ausschusses wie früher ergangen; es wurde auch
wieder eine Anzahl Programme an die Ausschussmitglieder zur
Vertheilung rosp. Weiterbeförderung in den resp. Ländern ge¬
sendet; man hat ferner alle die verschiedenen Männer der
Wissenschaft, die Strafrechtslehrer der Universitäten einge¬
laden und ausserdem an die Vereine in Deutschland und
Oesterreich und an die Vereine und Redactionen der Zeit¬
schriften des Auslandes Einladungen verschickt.
Ich habe ferner noch mitzutheilen, dass Herr Director
Eichrodt in Bruchsal im Laufe dieses Jahres sein 25jährige»*
4 #
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Dienstjubiläum als Strafanstaltsvorstand gefeiert und dass der
Ausschuss ein entsprechendes Gratulationsschreiben an ihn ab¬
gesendet hat.
Es ist ferner an mich als Vereinsvorstand eine Einladung
seitens der Commission der internationalen Ausstellung in
Amsterdam zu den bei dieser Gelegenheit abgehaltenen wissen¬
schaftlichen Sitzungen für den 18. bis 25. Septbr. ergangen.
Abgesehen aber von anderen Umständen konnte ich, weil ich
um die gleiche Zeit hier sein muss, mich dort nicht betheiligen.
Immerhin entnehmen Sie, m. H., aus dem Vorgang die Be¬
achtung, welche unserem Vereine durch die Einladung zu
Theil wurde.
Was weiter die Betheiligung an unserer Versammlung an¬
belangt, so haben Sie bereits vernommen, dass der Hr. General¬
staatsanwalt V. Schwarze wegen Krankheit nicht erscheinen
konnte. Auf die Einladung hat auch Hr. Ferd. Desportes,
Generalsecretär der französischen Gefängnissgesellschaft be¬
dauert, dass von Paris sich an der Versammlung Niemand
betheiligen könne; er machte dabei die Mittheilung, dass er
unsere Verhandlungen in den Bulletins der französ. Gesellschaft
mit Vergnügen bringen werde. Derselbe hat der hier statt¬
findenden Versammlung auch bereits in einem Hefte des Bulletin
gedacht. Von anderen Mitgliedern haben sich entschuldigt:
Geh. Reg.-Rath d’Alinge in Zwickau, Geh. Justizrath Anton
in Dresden, Geh. Justizrath Professor Dr. Berner in Berlin,
Ministerial-Assessor Breitling in Stuttgart, Strafanstalts-
director D r a g i c in Laibach , Oberlandesgerichts - Präsident
V. Edelmann in Brünn, Strafanstaltsdirector Eichrodt in
Bruchsal, Landesgerichtsdirector Föbring in Hamburg, Ge-
neralprocurator Dr. Glaser hier, Dr. Guillaume, Straf¬
anstaltsdirector in Neuchatel (Schweiz), Geh. Hofrath Dr.
Gutsch in Karlsruhe, Geh. Regierungsrath Jäppelt, Ab¬
theilungschef im Ministerium des Innern zu Dresden, Mini-
sterialrath Dr. v. Jagemann in Karlsruhe, S. Läszlö, Sec-
tionschef im Justizministerium zu Budapest, Strafanstaltsdirector
Löhlein in Bruchsal, Ritter v. Nalepa, Hofrath und Ober¬
staatsanwalt in Krakau, Minist. - Assessor Reissenbach in
München, Stadtpfarrer Scheffer in Boppard, Streng, Di-
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53
rector der Gefängnissanstalt in Hamburg, Ober-Justizrath
Wullen in Gotteszell. Alle diese Herren haben ihre Grüsse
mit dem Wunsche auf gedeihlichen Erfolg der Versammlung
eingesendet.
Eine schliesslicbe kleinere Mittheilung ist die, dass von
dem im neuesten Hefte erschienenen Aufsatze von Desportes
über das Gefängnisswesen in Schweden, übersetzt von Bader,
Separatabdrücke erschienen, welche in der Verlagsbuchhandlung
Weiss in Heidelberg zu haben sind.
Ich schliesse meinen Vortrag und bitte um Nachsicht,
wenn er kurz ausgefallen ist. Das Weitere finden Sie jeder¬
zeit in unserem Vereinsorgan.
Präsident: Es ist ein Schreiben des Herrn Landgerichts-
rathes Fulda eingelangt, welcher sein lebhaftes Bedauern dar¬
über ausspricht, dass er verhindert ist, an der Versammlung
theilzunehmen, und der die herzlichsten Wünsche und seine
innige Theilnahme zum Ausdruck bringt, welche er für das
Gedeihen, Waclisen und Fortschreiten unseres Vereines hegt^
und zugleich als Beweis dauernden Interesses für das erfolg¬
reiche Bestreben des Vereines seine neueste Schrift „Das Ver¬
brecherthum“ einsendet. Indem ich dieses Werk dem Herrn
Präsidenten zur Einverleibung in die Bibliothek übergeben
werde, glaube ich den Dank der Versammlung zu Protokoll
nehmen zu können. (Zustimmung.)
Vereinsvorstand Geheimerath Ekert: Ich erlaube mir
noch eine kurze Mittheilung. Der Herr Director der Straf¬
anstalt in Zürich, Weg mann, Ehrenmitglied uflseres Vereines,
hat am 1. Januar d. J. sein 25jähriges Jubiläum gefeiert. Der
Ausschuss bezw. ich war nicht in der Lage, vorher hievon
Kenntniss zu erhalten und eine einfache, nachträgliche Gratu¬
lation meiner Person und des Ausschusses schien in diesem
Falle doch etwas zu mager. Es hat von diesem Jubiläum, wie
es scheint, in Deutschland Niemand erfahren. In Zürich wurde
die Feier auf den Abend vor Neujahr veranstaltet. Die Herren
der Regierung kamen zu ihm, überreichten ihm Geschenke,
beglückwünschten ihn und hatten gleichzeitig ein Souper ver¬
anstaltet; ich werde die nähere Schilderung des Jubiläums in
einem der nächsten Hefte bringen.
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- 54 —
Wer Wegmann einigermassen kennt, weiss, dass er
sich durch seine Wirksamkeit hochverdient gemacht hat. Er
hat die alte Strafanstalt in Zürich im Laufe der Zeit voll¬
ständig umgestaltet und sie zweckmässig eingerichtet. Er hat
aber vor allen Dingen von Anfang an ein solches Interesse an
unserem Vereine bekundet, dass dieser sich deshalb veranlasst
sah, ihn zum Ehrenmitgliede zu ernennen. Bis in die neueste
Zeit hat sein Interesse angedauert und nur besondere Gesund¬
heitsverhältnisse sind schuld, dass er zu dieser Versammlung
nicht gekommen ist; er war aber bei den früheren in Bruchsal
und in München zugegen. Der Ausschuss schlägt Ihnen aus
diesen Gründen vor, Herrn Director Wegmann durch Be¬
schluss der Versammlung nachträglich zu seinem Jubiläum
zu gratuliren und hierüber ein Schreiben des Präsidiums aus¬
zufertigen. (Beifall.)
Präsident; Ich kann wohl annehmen, dass die Ver¬
sammlung mit diesem Anträge einverstanden ist und werde
das Schreiben ablassen. (Zustimmung.)
Den nächsten Gegenstand der Verhandlung bildet die
These V., lautend (liest);
„Soll die Verabfolgung von Extragenüssen (Lebensmittel,
Schnupftabak u. dgi.), das Halten von Vögeln, Blumen u.s.w.
an Gefangene gestattet werden?
Referent ist Herr Director Miglitz; ich ertheile ihm
das Wort.
Referent Director Miglitz (Carlau-Gratz); Die Frage,
ob die Verabreichung von Extragenüssen an Gefangene zu
gestatten sei, ist durch die Praxis längst in bejahendem Sinne
entschieden, indem in den meisten Staaten den Sträflingen die
Befugniss eingeräumt ist, sich aus ihrem Arbeitsverdienste
Nebengenüsse zu verschaffen. In analoger Weise ist diese Be¬
stimmung auch in den Entwurf des deutschen Strafvollzugs¬
gesetzes aufgenommen.
Es könnte demnach bei dem ersten Anblicke scheinen, als
ob es überflüssig wäre, dass dieser Gegenstand noch heute auf
der Tagesordnung steht.
Diese Voraussetzung wäre jedoch unrichtig, weil wir als
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die eigentlichen Mitarbeiter am practischen Theile der Straf¬
rechtspflege berufen sind, in allen das Gefängnisswesen be¬
rührenden Fragen unsere Meinung und unsere Erfahrungen an
dieser Stelle kundzugeben, und weil andererseits auch Stimmen
vorgekommen sind, welche sich gegen die Gestattung solcher
Nebengenüsse aussprechen. Dass jeder Staat, welcher Frei¬
heitsstrafen in seinen Strafcodex aufgenommen hat, auch die
Verpflichtung hat, die Gefangenen so zu verköstigen, dass ihre
Gesundheit darunter nicht leidet, steht wohl ausser Frage.
Wie schwierig es jedoch ist, dieser Pflicht nachzukommen,
ohne die Gerechtigkeit und Humanität zu verletzen, ergibt sich
schon aus der grossen Verschiedenheit der Individualität der
Gefangenen nach Alter, Herkunft, Lebensstellung u. s.w. Die
Kost soll einfach und wohlfeil und andererseits doch so be¬
schaffen sein, dass sie dem Sträflinge zuträglich, ihn zu er¬
nähren im Stande und so geeignet sei, zu verhüten, dass nicht
etwa die Freiheitsstrafe zur Leibes- oder Lebensstrafe werde.
Man kann unseren Regierungen das Zeugniss gewiss nicht
versagen, dass dieselben in den letzten Decennien insbesondere
diesem Zweige der Gefängnissverwaltung unausgesetzte Auf¬
merksamkeit zugewendet und mancherlei Einrichtungen ge¬
troffen haben, welche als zur Hebung des Kräfte- und Ernäh¬
rungszustandes der Gefangenen dienlich erkannt wurden.
Wenn man aber an der Hand der Statistik die Gesund¬
heitsverhältnisse und das Sterblichkeitspercent in den ver¬
schiedenen Strafanstalten betrachtet, so gelangt man zur Wahr¬
nehmung, dass auf diesem Gebiete, wo es sich um das kost¬
barste Gut des Menschen, um seine Gesundheit, um sein Leben
handelt, noch sehr viel zu thun übrig bleibt, ehe die Forde-
derungen der Wissenschaft und der Empirie in das Stadium
ihrer Verwirklichung eingetreten sein werden.
Es ist nun freilich richtig, dass der Grund zu den mit¬
unter noch recht ungünstigen Gesundheitsverhältnissen in den
Strafanstalten nicht allein in dem vielleicht nicht entsprechen¬
den Beköstigungsmodus zu suchen ist; es machen sich in der
Gefangenschaft eben noch viele andere Einflüsse geltend, die
sich nicht beseitigen lassen, nachdem dieselben mit dem Be¬
griffe und Wesen der Freiheitsstrafe in untrennbarem Zusam-
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menhange stehen; allein wenn auch das schwierige Problem,
welches die zweckmässigste Kosteinrichtung einer Strafanstalt
wäre, in idealer Weise gelöst und in’s Practische übersetzt
würde, so wird die Individualisirung jedes Einzelnen doch nie
möglich sein. Schon v. Holtzendorff sagt: „Die Individua¬
lisirung im Strafvollzüge kann nie so weit ausgedehnt werden,
dass die Entbehrungen, welche durch die Freiheitsstrafe ver¬
mittelt werden, den Bedingungen der socialen Lebensstellung
jedes einzelnen Verbrechers zu entsprechen hätten.^‘ Ebenso
wird es auch unmöglich sein, alle Schädlichkeiten für die Sträf¬
linge hintanzuhalten, als die mannigfaltigen Eindrücke, denen
die physische und psychische Natur derselben durch die Haft
unvermeidlich ausgesetzt ist, nachdem Begriff und W^esen der
Strafe mit derselben in untrennbarem Zusammenhänge stehen.
Sowie aber jede Strafe ein gewisses Maass von Leid in sich
schliessen muss, so muss andererseits bei Zufügung desselben
Alles vermieden werden, was über das Maass desselben hinaus¬
geht. Beim Vollzug der Freiheitsstrafe verfolgt man doch nur
den Zweck, den Verbrecher nach überstandener Strafe so der
Gesellschaft zurückzugeben, dass er im Stande sei, sich selbst
durch redliche Arbeit sein Fortkommen zu suchen und zu
finden. Schon daraus ergibt sich die ernste Forderung an jede
Strafvollstreckung, dass diese alle Mittel anwende, welche die
Gefahr einer Gesundheitsschädigung zu verhüten oder minde¬
stens zu verringern geeignet sind, insoferne nur diese Mittel
nicht mit dem Strafzwecke selbst im Widerstreit stehen. Als
ein solches taugliches Mittel halte ich die Gestattung von
Extragenüssen, welche, wenn sie dem Sträfling auch nie das
bietet und bieten darf, woran er etwa in seinem früheren fri¬
volen Leben gewöhnt war, ihn wenigstens in die Möglichkeit
versetzt, aus einer gewissen durch die Anstaltsleitung festge¬
setzten Reihe von Nahrungsmitteln solche auszusuchen und
seinem Körper zuzuführen, welche er seiner Natur für zuträg¬
lich hält, als solche wohl auch schon erprobt hat.
Schon der Umstand allein, dass die Wahl dieser Genüsse
innerhalb gewisser Grenzen dem Sträfling selbst überlassen
wird, kann einen wohlthätigen Einfluss zu üben nicht ver¬
fehlen; denn die damit in’s Werk gesetzte, wiewohl geringe
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Erweiterung des Selbstbestimmungsrechtes bewirkt eine freudige
Erregung, welche in erster Linie allerdings nur dem Seelen¬
leben zu gute kommt, in diesem eine gewisse Befriedigung her¬
vorruft und den Sträfling mit seinem sonstigen traurigen Schick¬
sale einigermassen aussöhnt. Bei der innigen Wechselwirkung
aber, welche zwischen Geist und Körper vorzugsweise bei Ge¬
fangenen wahrzunehmen ist, wird ein solcher selbstgewählter
Genuss auch die sinnliche Natur des Gefangenen weit eher
befriedigen und ihr zu Statten kommen, als es ein weit reich¬
licherer Genuss zu bewirken vermag, den er sich im Bewusst¬
sein der Zwangslage zufiihrt und gegen den ihn schon deshalb
nicht selten Widerwille und Ekel ergreift. Es ist ja eine be¬
kannte Thatsache, dass die Monotie der Lebens- und Ernäh¬
rungsweise im Leben des Gefangenen nachtheilig auf dessen
Organismus ein wirkt, einer Auffrischung von Zeit zu Zeit
bedarf, um einer Erschlaffiung vorzubeugen, welche schliess¬
lich die Widerstandsfähigkeit aufhebt und das Hoffen sowie
den Lebensmuth in einer Weise untergräbt, dass Gefangene,
die darunter leiden, in Erkrankungsfällen alle Hilfsmittel der
Kunst zu nichte machen.
Empfehlen sich daher schon aus sanitären Rücksichten
derartige Extragenüsse, so glaube ich für deren Zulassung
umsomehr eintreten zu sollen, als bei jedem Strafvollzug,
welcher sich den Besserungszweck vor Augen hält, es doch
wesentlich darauf ankommt, den Charakter und das Gemüth
des Gefangenen zu veredeln und ihn zu jenen Tugenden hin¬
zuführen, welche ihm nach der Entlassung zur Wohlthat wer¬
den können. Zu diesen Tugenden gehört unbestritten die Ent¬
haltsamkeit, deren auch in der Freiheit ein geordneter Lebens¬
wandel nicht entrathen kann. Diese Enthaltsamkeit zu erziehen,
kann durch die Gestattung der Extragenüsse jedenfalls geför¬
dert werden, denn da die Beschaffung der Extragenüsse in
der freien Wahl gelegen ist, bei deren Ausübung der Sträfling
einsieht, wie auch geringe Mittel und Geldbeträge grosse Be¬
deutung haben und geeignet sind, Genüsse zu verschaffen und
zur Erheiterung des Lebens beizutragen, gelangt er bei dieser
Betrachtung auch zur Erkenntniss der Vortheile eines arbeit¬
samen und sparsamen Lebens, w’elche Erkenntniss, längere Zeit
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geübt, allinählig zur Gewohnheit wird. Der Wille ist eine
Kraft im Menschen, welche erzogen werden muss. Nun wird
aber gerade im Leben des Gefangenen oft der kleinste Um¬
stand zur grössten Bedeutung und während man ihm die Er-
laubniss ertheilt, sich für die Wahl eines oder des anderen
Lebensartikels innerhalb eines gewissen Zeitraumes zu ent-
schliessen, also eine Selbstbestimmung, einen Willen auszuüben,
löst man ihn von den Fesseln des Zwanges los, durch die er
sonst unausgesetzt eingeengt ist. Im menschlichen Leben über¬
haupt, insbesondere aber im Leben der Gefangenen ist es gewiss
nothwendig, die Willenskraft zu beleben und zu stärken und
wie gefährlich es ist, denselben zu verkümmern, dafür spricht
wohl schon der alte Satz: „Man kann den Einzelnen ebenso¬
wenig wie ganze Völker durch den Druck zur Freiheit erziehen.“
Man missgönne daher den Gefangenen dieses Minimum an
freiem Willen nicht, welches in der Beschaffung von Extra¬
genüssen gelegen ist und bedenke, dass der Gefangene für das
künftige Leben und nicht für das Gefängniss erzogen werden
soll. Auch wird der Gestattung einer derartigen Erleichterung
des Strafzwanges immer und überall ein tadelloses Verhalten
des Sträflings als conditio sine qua non vorauszugehen haben
und demnach eine derartige Begünstigung auch gewiss zur
Förderung der Disciplin beitragen. Die Gründe, welche für
die Gewährung von Arbeitsbelohnungen an Gefangene ange¬
führt werden, finden, was das erziehliche Moment anbelangt,
dieselbe Anwendung bei der Frage der Extragenüsse, und ver¬
suchte man, die Arbeitsbelohnungen von der Befugniss, einen
Theil davon zu Extragenüssen zu verwenden, loszulösen, so
würde man alsbald finden, dass sich hiedurch der Werth der
Arbeitsbelohnungen selbst und die guten Wirkungen, die damit
erzielt werden sollen, unzweifelhaft vermindern. Die sinnliche
Natur des Menschen lässt sich nun einmal auch beim Sträf¬
ling nicht wegdecretiren und vermöge derselben hängt jeder
Mensch, sei er auch noch so niedrig, so sehr am Leben und
seinen Genüssen, dass jede Verfügung, welche ihm diesen an¬
geborenen Trieb nehmen oder verkümmern wollte, nur zu
Hass und Verbitterung führen würde, während gerade die Be¬
rücksichtigung dieser Eigenart mit geringen Ausnahmen der
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Dankbarkeit im Herzen des Sträflings versichert sein kann.
Man könnte vielleicht einwenden: wozu denn den Sträf¬
lingen noch Extrageniisse gestatten, wenn ohnehin der Staat
die Pflicht und den ernsten Willen hat, für ihre ausreichende
Verköstigung zu sorgen; wozu den Sträflingen Gelegenheit
geben, ihrer Gefrässigkeit oder Gourinandise zu fröhnen, wo
sie es ohnehin im Strafhause, wie es oft heisst, so gut haben,
dass fast nichts mehr zu wünschen übri«: bleibt und dass es
daher nicht zu wundern ist, dass so viele Rückfällige Vor¬
kommen und man gebe sich einer Selbsttäuschung hin, wenn
man glaubt, dass mit einer derartigen Einrichtung Enthaltsam¬
keit zu erziehen wäre, indem solche im Vorkommensfalle nur
ein Act der Heuchelei sein wird. Ihnen, m. H., brauche ich
wohl nicht den Beweis zu erbringen, wie unberechtigt der¬
artige Anwürfe sind, und dass es nicht die Kost der Straf¬
anstalten sei, welche so viele, die davon genossen, wieder zu
derselben zurückkehren lässt. Und was den Punkt, nämlich
die Gefahr betrifft, dass mit der Gestattung der Extragenüsse
der Heuchelei Vorschub geleistet würde, so möchte ich auch
dies negiren und zwar aus dem Grunde, weil der Sträfling
dabei, wo es sich um die Entsagung von sinnlichen Genüssen
handelt, auf eine zu schwierige Probe gestellt wird, die er,
wenn sein Entschluss nicht aus dem eigensten, freiesten Willen
hervorgienge, kaum je bestehen würde.
Selbstverständlich kann es auch mir nicht beikommen,
indem ich für die Gestattung von Extragenüssen plaidire, die¬
selbe in Form von Luxusartikeln zu empfehlen, für welche
die Pforten der Strafanstalt unter allen Umständen verschlossen
bleiben müssen, für deren Beiseitelassung übrigens auch schon
durch das Ausmaass der Mittel, aus denen sie bestritten wer¬
den dürfen, vorgesorgt ist. Diese Mittel sollen ja in der Regel
keine anderen sein, als ein Theil des durch eigene Handarbeit
und eigenen Fleiss der Sträflinge sich errungenen Arbeits¬
geschenks, welches doch nie so hoch sein kann, dass sich
hieraus die Gefahr, als könne hiemit der Gefrässigkeit oder
der Gourmandise gehuldigt werden, besorgen lässt. Desgleichen
bleibt eine solche Gefahr auch für den vom Vereinsausschusse
zu Gunsten der Reconvalescenten oder Siechen in die These V.
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— 60 —
aufgenommenen Ausnahmsfall schon dadurch ausgeschlossen,
dass die Inanspruchnahme anderer Mittel als des Arbeits¬
geschenks nie bis zu einer Bevorzugung dieser dürftigen Sträf¬
linge vor ihren arbeitsfähigen Kameraden führen und über¬
haupt nur dann stattfinden soll, wenn für die in Reconvalcscenz
oder Siechthum befindlichen Sträflingen nicht ohnehin vom
Staate fürgesorgt ist.
Bei der Wahl der Extragenüsse wird stets an dem Grund¬
sätze festzuhalten sein, dass sie nur aus solchen Artikeln be¬
stehen dürfen, welche als wirkliche Nahrungsmittel erkannt
oder solche Genussmittel sind, die durch ihren Reiz auf die
Geschmacksnerven, durch den günstigen Einfluss auf die Ver¬
dauung, mit einem Worte die Ernährung des Sträflings zu
fördern geeignet sind und in diesem Sinne von ärztlicher Seite
empfohlen werden.
Dass dabei auch nationalen Eigenthümlichkeiten und son¬
stigen Verschiedenheiten je nach der Lage der Anstalt, den
Marktpreisen des Ortes, der Leichtigkeit der Beschaffung Rech¬
nung zu tragen sei, ist in der Natur des Gegenstandes be¬
gründet.
Zu einer speciellen Frage, wie es mit dem Schnupftabak,
diesem in den Strafanstalten so beliebten Genussmittel zu halten
sei, hat sich Ihr Ausschuss dafür entschieden, Tabak in jeder
Form aus den Strafanstalten zu entfernen. Es ist wohl durch
die Erfahrung erwiesen, dass Schnupftabak in den Strafan¬
stalten nicht allein von jenen Gefangenen gesucht wird, die
denselben schon früher gewohnt waren, sondern dass auch
andere, selbst jüngere Leute sich denselben alsbald angewöhnen
und mit dieser, schon vermöge ihrer Unreinlichkeit allein
schlechten Gewöhnung ausgerüstet auch in die Freiheit zu¬
rückkehren.
In dieser und in fernerer Erwägung, als der kleine ver¬
zehrbare Antheil am Arbeitsgeschenke, welcher die Möglichkeit
einer besseren Ernährung zu fördern bestimmt ist, überwiegend
zur Anschaffung dieses Genussmittels verwendet wurde, und
die Strafanstalt nicht die Schule für eine die Reinlichkeit in
empfindlicher Weise schädigende Angewöhnung sein soll, die
dem Sträfling noch nach seiner Entlassung anhaftet und ihn
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zu unnothwendigen, oft schwer erschwinglichen Auslagen ver¬
leitet, hat sich die oberste Gefängnissbehörde in Oesterreich
veranlasst gesehen, in den Strafanstalten den Schnupftabak
aus der Reihe der Nebengenussartikel zu eliminiren und dafür
hat sich jetzt auch der Vereinsausschuss entschieden und die¬
sem Verbot des Schnupftabaks zugleich die Unzulässigkeit von
Tabak als Rauch- oder Kautabak beigefügt, nachdem die
Gründe, welche für die Unzulässigkeit des Schnupftabaks
sprechen, allenthalben auch bei Rauch- und Kautabak zutreflTen.
Die vom Ausschüsse für das Stadium des Strafvollzuges
in der Zwischenanstalt beim irischen System vorgesehene Aus¬
nahme vom Verbote des Tabakrauchens findet ihre Begründung
in der Eigenthümlichkeit dieses Strafsystems, bei welchem mit
dem Eintritt des Sträflings in das erwähnte Stadium des Straf¬
vollzuges seine persönliche Thätigkeit durch ein grösseres Maass
von Freiheit und äusseren Erleichterungen angeregt und er des
physischen Disciplinarzwanges möglichst enthoben werden soll.
Betreffs der Frage, in welchem Umfange den Sträflingen
Extragenüsse zu gewähren seien, glaube ich mich in keine
weiteren Ausführungen einlassen zu müssen und mich nur auf
das vom Herrn Collegen Sic hart am Schlüsse seines im
Band IX. Heft 4 der Blätter für Gefangnisskunde abgedruckten
Gutachtens Gesagte berufen zu dürfen, dessen Inhalt sich kurz
dahin resumiren lässt, dass die Anschaffung dieser Extragenüsse
in der Regel nur aus jenem Theil des Arbeitsgeschenkes zu
geschehen habe, worüber dem Sträfling die Dispositionsbefugniss
während der Haft eingeräumt ist, dass ein gutes Verhalten des
Sträflings vorliege, dass der Zeitpunkt, mit welchem er dieses
Bestimmungsrecht ausüben darf, in der Regel nicht gleich bei
dem Eintritte in die Strafanstalt, sondern erst nach einiger
Zeit und nur, wenn er während derselben gute Führung gezeigt
hat, eintreten soll und dass endlich neben der individuellen
Beschaffenheit und Würdigkeit des Sträflings die kürzere oder
längere Strafzeit und seine Vermögenslage in Betracht zu ziehen
sei, damit auf diese Weise der Zweck des Arbeitsgeschenkes,
welcher in der Fürsorge, dem entlassenen Sträfling sein Fort¬
kommen zu erleichtern, gipfelt, nicht vereitelt werde.
Es wäre nun noch die von Sichart angeregte Frage zu
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erörtern, ob den Gefangenen das Halten eines Vogels oder
von Blufnen zu gestatten sei, welche Frage er mit der Be¬
gründung bejaht, dass das Verlangen nach derartigen Genüssen
aus dem Triebe nach Geselligkeit, aus dem Gefallen am Schönen
entspringt, dass Pflege und Ausbildung des sich in ihnen be¬
kundeten Gemüthes zu den dankbarsten Aufgaben der Er¬
ziehung gehören, dass durch die Abwechslung, welche diese
beiden Liebhabereien in die Eintönigkeit des Zellenlebens
bringen, eine günstige Einwirkung auf die psychische und
physische Gesundheit ausgeübt wird, dass die Empfänglichkeit
des Sträflings für edlere Gefühle ganz besondere Beachtung
verdient und dass dies der Punkt sei, wo der Besserungshebel
die meiste Aussicht auf Erfolg verspricht.
Ich kann dem hier Gesagten nur vollkommen beipflichten
mit dem, dass diese Begünstigungen wohl nur den Gefangenen
in Einzelhaft zu gewähren sein dürften, da mir das von
Sichart hinsichtlich der gemeinsamen Haft hervorgehobene
Bedenken, dass diese bezweckte Wohlthat durch die Bosheit,
den Neid und die Missgunst der Mitgefangenen bald zu einer
Quelle bitteren Leides werden könnte, ganz gegründet er¬
scheint.
Das Zugeständniss zum Halten eines Vogels oder von Blu¬
men in der Einzelhaft kann ich aber umsomehr befürworten,
als dasselbe gewiss dazu angethan ist, in das sorgenvolle und
düstere Amt eines Strafanstaltsvorstandes auch eine Lichtseite
hineinzubringen und ihn so auf seinem schwierigen Berufs¬
pfade zu beleben und mit neuem Muthe auszurüsten.
Somit schliesse ich, indem ich der hochgeehrten Versamm¬
lung die vom Ausschüsse aufgestellten Thesen zur Annahme
empfehle. Dieselben lauten (liest):
I. Den Sträflingen kann bei Wohl verhalten mit Bewilligung
des Anstalts-Vorstandes die Anschaffung von Extra¬
genüssen gestattet werden.
II. Als solche Extragenüsse sind allgemein gangbare, die
Gesundheit und Ernährung fördernde Artikel zu ver¬
abreichen.
HI. Tabak in jeder Form darf nur in Folge ärztlicher Ver¬
ordnung verabreicht werden. Doch bezieht sich das Ver-
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bot des Tabakraucbens nicht auch auf das Stadium des
Strafvollzuges in der Zwischenanstalt bei dem irischen
Systeme.
IV. Bei Strafvollstreckung in Einzelhaft kann das Halten
eines Vogels oder von Blumen gestattet werden.
V. Eine Beschaffung der Extragenüsse aus anderen Mitteln
als der Arbeitsbelohnung ist unzulässig. Eine Ausnahme
hievon darf nur in denjenigen Strafanstalten stattfinden,
wo die Beköstigungs-Ordnung die Verabfolgung von
Speisenzulagen oder einer besseren Kost an Reconvales-
centen oder Sieche nicht gestattet.
Pfarrer Köstlin: Nach den Worten des hochverehrten
Herrn Vorredners, welche uns eine so schöne psychologische
Begründung zur Verwilligung von Extragenüssen an Gefangene
gegeben haben, erscheint es sehr überflüssig, dass noch Jemand
zu diesem Gegenstand das Wort ergreift. Gestatten Sie mir
aber doch, meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass
auch auf diesem Boden die Geistlichen der Strafanstalten sich
zusammenfinden mit der Ansicht und dem Verfahren der HH.
Directoren. Die HH. Directoren müssen die strengen Voll¬
strecker der einmal gegebenen strengen Hausordnung sein.
Allein da jede Hausordnung einer Strafanstalt für die grosse
Mehrzahl der normal beschaffenen Gefangenen zugeschnitten
ist, namentlich der gesunden, wie wir das bei der Erörterung
über die irren Verbrecher gesehen haben, ergeben sich noth-
wendig Ausnahmen, besonders in solchen Anstalten, wo die
Gefangenen viele Jahre verweilen, allmälig von Kräften kom¬
men, in’s höhere Alter gelangen, ohne darum im Anstaltsspital
bleibende Aufnahme finden zu können, während sie doch gegen
die ihnen früher Genuss bereitende Gesundenkost bis auf wenige
Speisen abgestumpft sind.
Unter der vorliegenden These scheinen freilich sehr dis¬
parate Gegenstände begriffen zu sein, dieselben sollen aber
wohl nur zur Exemplification dienen, und der Sinn des ganzen
Antrags ist offenbar der, dass den Herren Directoren neben
der strengen Handhabung der Hausordnung im zukünftigen
Gesetze über den Strafvollzug ein gewisses Dispositionsrecht
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eingeräumt werden solle, damit sie neben der Generalisirung
auch das Individualisiren in’s Auge fassen können. Kurz ge¬
sagt: der Paragraph, den wir jetzt verhandeln, ist der eigent¬
liche Directors-Paragraph. Ich bin aber der Ansicht, dass in
einem Gesetze für so verschiedene Ländergebierte und für so
lange Jahre die ausnahmsweisen Extra-Verwilligungen an ein¬
zelne Gefangene nicht, wie in der vorliegenden These, aufzu-
führen wären. Wenn man exemplificiren würde, würde man
überdies in Weitläufigkeiten hineingerathen.
Weil aber in dieser Versammlung von Fachmännern natür¬
lich exemplificirt wird, möchte ich darauf hinweisen, dass
einzelne meiner Beobachtung und Führung unterstellten Ge¬
fangene mehr noch als z. B. Blumen und Thiere — ich setze
voraus in Zellen — die Bilder ihrer Lieben um sich haben
wollen. Ich erlaube aber noch einen von mir längst gehegten
Wunsch den anwesenden Herren Ministerialräthen und Anstalts-
directoren an’s Herz zu legen, nämlich diesen, ob nicht, so wie
in unsern Anstalten die Geburtstage unserer allerhöchsten Mon¬
archen mit Freilassung von der Arbeit, mit Gottesdienst, mit
verbessertem Essen begangen werden, in der Weihnachtszeit,
wo Alles sich freut, wo allerwärts andern Gefallenen, jungen
und alten, in öflfentlichen Anstalten eine Christfreude bereitet
wird, den Gefangenen eine den Verhältnissen der Strafanstalten
entsprechende, die bescheidenen Genüsse des ehrbaren Armen
draussen ja nicht übersteigende Freude bereitet werden könnte
und sollte. Man kann gewiss auf solche Menschen, wie Straf¬
gefangene, nicht mit blos idealen Mitteln einwirken, und wenn
wir, die wir die höchsten Ideale verfolgen, uns ja zuweilen
materielle Genüsse gestatten, warum sollten wir nicht auch auf
jene Menschen, ausser mit idealen Mitteln, in einzelnen Fällen
mit materiellen Mitteln einzuwirken versuchen? Ich würde es
darum nicht für hinreichend halten, den Leuten nur christliche
Traktate etc. unter dem Christbaum darzureichen, sondern mich
freuen, wenn es mit der Hausordnung vereinbar wäre, dass in
der heiligen Christzeit — natürlich allen Gefangenen einmal
ein Genuss gewährt würde, sei es durch die Brosamen von der
reichen Herren Tischen, d. h. durch den Ertrag einer jährlichen
Collecte, sei es zur Sicherung der Einrichtung auf Rechnung
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65
der Anstaltsverwaltung. Meine Herren I Ich bitte Sie, erfreuen
Sie wenigstens auf Einen Tag des Jahres die elenden, traurigen
Strafgefangenen und geben Sie der trägen Masse unter den¬
selben einen neuen Impuls. Als im vorigen Jahre unser in
Ehrfurcht geliebter König Karl von Württemberg an seinem
Geburtstage den 6. März verschiedene Gefangene begnadigte,
da hat ein sonst unheimlicher Gefangener zum ersten Mal mich
menschlich anblickend gesagt: „Herr Pfarrer! Das gibt einen
ganz andern Humor in die Anstalt 1^^ Meine hochverehrten
Herren! Versuchen wir auch herzhaft nicht nur unbeschadet
der strengen Gleichheit in der Behandlung Aller auf Einzelne
durch individuelle Anpassung und Berücksichtigung, gesetzliche
Zulässigkeit und persönliche Würdigkeit vorausgesetzt, einzu¬
wirken, sondern auch einmal wenigstens, in der Freudenzeit
der Christenheit, durch eine kleine Freude und doch eine grosse
Wohlthat für Strafgefangene, die wir Allen erzeigen, die gegen
Gott und Menschen oft so misstrauischen, trotzigen Gefangenen
zu beschämen.
Director Kr oh ne: Es heisst in der These 11. (liest):
„Als solche Extragenüsse sind allgemeine gangbare, die
Gesundheit und Ernährung fördernde Artikel zu verabreichen.“
Ich hätte auch lieber gesehen, wenn diesem Satze ein Zu¬
satz angefügt worden wäre, dass aus dem Verdienstantheil,
den der Gefangene hat, auch ein gutes Buch oder ein Schreib¬
heft oder sonst etwas angeschafft werden könnte, was mehr
dem geistigen als dem leiblichen Genüsse dient, ich habe aber
angenommen, dass dies selbstverständlich sei und es jeder
Strafanstaltsdirector nur mit Freude begrüssen werde, wenn
von Seite des Gefangenen der Wunsch herantritt, sich aus
seinem Verdienstantheil einen derartigen geistigen Genuss zu
verschaffen und deshalb ist diese Frage auch in der Commission
nicht weiter zur Erörterung gekommen.
Was den Umstand anbelangt, dass für die Gefangenen
auch einmal ein Tag der Freude kommen müsse, so glaube
ich, dass es an unseren Anstalten Sitte ist, an hohen und hei¬
ligen Tagen des kirchlichen und auch politischen Lebens dies
den Gefangenen zum Bewusstsein zu bringen sowohl in Gestalt
Blätter für Gefängnieskunde. XIX. 6
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66
einer geistigen Anregung durch einen Gottesdienst als auch
durch eine leibliche Anregung, indem ihnen eine bessere Ver¬
pflegung gegeben wird. Ich glaube also, dass nach dieser
Richtung hin den Wünschen des Herrn Vorredners Rechnung
getragen ist.
Die dritte These, deren erster Satz lautet (liest): „Tabak
in jeder Form darf nur in Folge ärztlicher Verordnung verab¬
reicht werden^“ anlangend, so ist damit zum erstenmal ein
Grundsatz ausgesprochen, der bis dahin auf sehr viel Wider¬
stand gestossen ist. Ich begrüsse es mit ganz besonderer Freude,
dass wir endlich einmal dahin gekommen sind, diesen Satz aus¬
zusprechen, den ich aber noch etwas schärfer fassen möchte,
da ich fürchte, dass wir den Tabak durch eine Hinterthür
wieder hineinbekommen. Es ist in den Ausschusssitzungen dar¬
auf hingewiesen worden, dass es gewisse geistige Depressionen
geben könne, bei welchen die Verabreichung einer Prise Schnupf¬
tabak günstig einwirkt, weshalb man es offen Hess, dass der
Arzt Tabak verordnen könne. Ich mache auf das sehr Bedenk¬
liche aufmerksam, welches dadurch für unsere Disciplin ent¬
steht. In der Einzelhaft geht es allenfalls; dort wird es mög¬
lich sein, Durchstechereien zu verhüten. Allein wie an Anstalten
mit gemeinsamer Haft? Wenn der Arzt dem Einen Schnupf¬
tabak verordnet, so wird es nicht ausbleiben, dass die Dose
sehr bald auf der Station herumwandert, es wird auch nicht
ausbleiben, dass dadurch der ungebührlichen Einschleppung
des Tabakes Thür und Thor geöffnet wird und die Recherchen
erschwert werden, weil sich Jeder ausredet, wenn Tabak ge¬
funden wird; Ich habe ihn von dem Gefangenen so und so
bekommen. Meine Herren! Brechen Sie damit, streichen Sie
auch diesen Satz und fassen wir die These folgendermassen,
wie ich sie beantrage (liest):
„Beschaffung von Tabak ist ausgeschlossen.“
Glaubt der Arzt, dass der Gefangene wegen geistiger oder
leiblicher Depression den Genuss von Tabak haben muss, nun
gut: dann kann er ihm Tabak verordnen, ebenso wie er einem
im höchsten Fieber liegenden eine halbe Hasche Champagner
verordnet.
Und dann noch ein Anderes! Verwirren wir nicht die
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67
Grenzen zwischen den Befugnissen des Arztes und Directors,
bei Annahme meines Vorschlages bleibt der Arzt Herr in
seinem Lazarethe und der Director Herr auf dem Gebiete der
Disciplin und je schärfer derartige Competenzen geschieden
sind, desto friedlicher lebt es sich. Die folgenden Worte der
These würden .folgende Fassung erhalten (liest): „Doch bezieht
sich dieses Verbot nicht auch auf das Stadium des Strafvoll¬
zuges in der Zwischenanstalt nach dem irischen Systeme.“
College Tauffer, auf dessen Wunsch dieser zweite Satz
hineingekommen ist, hat sich damit einverstanden erklärt, dass
er allgemeiner gefasst werde. Er sagt allerdings: es kommen
Schnupfen und Kauen des Tabakes auf diesem Stadium nicht
vor, aber er sieht kein Uebel darin, wenn es in der Hand des
Directors liegt, Schnupf- und Kautabak zu gestatten.
Geh. Ober-Justizrath Starke (Berlin): Meine Herren!
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich die Discussion unter¬
breche. Ich habe aber geglaubt, dass es meine Pflicht ist,
wenn ich für das grosse Vertrauen danke, welches Sie mir
erwiesen, indem Sie mich zum ersten Vicepräsidenten gewählt
haben. Ich weiss nicht, ob ich in der Lage sein werde, den
mir hieraus erwachsenden Pflichten zu genügen, weil ich mit
den hier im Lande üblichen parlamentarischen J^ormen nicht
bekannt bin, ich würde daher dringend bitten, Nachsicht zu
üben, falls ich in die Lage käme, an Stelle des hochverehrten
Herrn Präsidenten fungiren zu müssen. Hoffentlich wird dieser
Fall nicht eintreten. (Beifall.)
Geh. Justizrath Wirth: Meine Herren! Damit wir die
Discussion nicht unnöthig erweitern, wollen wir uns von vorne-
herein darüber einigen, dass unter den Extragenüssen hier nur
sinnliche Genüsse verstanden sind und nicht Bücher, Lectüre,
Weihnachtsfreuden u. s.w. Es sind hier nur sinnliche Genüsse
gemeint, Genüsse für den Gaumen, die Zunge, den Magen, die
Nase. Ich bin mit den Thesen, die der Ausschuss vorgeschla¬
gen hat, vollkommen einverstanden bis auf die These 3. Diese
ist von so ungeheurer Strenge, dass ich Ihnen vorschlagen
möchte, dieser These Ihre Zustimmung zu versagen. Wenn
wir hier in unserer Versammlung einen Beschluss fassen, so-
6 ^
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haben wir natürlich damit die Intention, für ein zukünftiges
Strafvollzugsgesetz oder vielleicht nur für die Schöpfung einer
Hausordnung zu prätendiren, dass dieser Beschluss in das Gesetz,
in die Hausordnung aufgenommen werde. Es würde also nicht
etwa, wie sich Mancher vorstellen könnte, blos ein frommer
Wunsch sein, dass der Tabak aus den Gefängnissen ver¬
schwinden müsse, sondern wenn die Versammlung dies hier
beschliesst — und die Regierungen geben auf das Gutachten
der Versammlung der Strafanstaltsbeamten etwas — so können
wir den Tag erleben, wo die Bestimmung getroffen wird: von
morgen ab schnupft kein Gefangener mehr eine Prise Tabak,
von morgen an darf keiner mehr eine Cigarre rauchen, keiner
mehr einen Priem kauen. Das wäre etwas ganz Anderes, als
wenn sonst allgemeine Verordnungen von tiefster Bedeutung
für das Gefängnisswesen gegeben wurden, die aber stets Er¬
leichterungen der Haft mit sich brachten. So waren seinerzeit
überall grosse Bedenken aufgetaucht, als es hiess: den Ge¬
fangenen sollen die Ketten abgenommen werden. Da gab es
manchen Director, der sagte: ja, aber doch nicht Allen
an Einem Tagei der Uebergang ist zu plötzlich; die Leute
schlagen uns am Ende die Kugeln selbst an den Kopf! Die
Ketten sind aber doch gefallen und die Gefangenen haben mit
grossem Danke demüthig und zum Theile auch wehmüthig
diese grosse Erleichterung ihres Zustandes aufgenommen. Wenn
wir aber mit der Bestimmung kommen; „von morgen an keine
Prise Tabak mehr‘‘, so greifen wir damit in das Gefangenen¬
leben auf das Allerempfindlichste ein. Ich glaube, dass wenn
wir den Gefangenen vor die Wahl stellen würden: Willst Du
Dir Deine Ketten wieder anschlagen lassen -oder nicht mehr
schnupfen, so wird er sagen: „Schlagt mir in Gottes Namen
meine Ketten wieder an, wenn ich nur meine Prise behalte.“
Das Tabakschnupfen, das Tabakkauen ist eben bei Vielen
zu einem Bedürfniss geworden, welches wirklich noch das Be-
dürfniss nach Nahrung übersteigt. Ich habe wenigstens die
Erfahrung gemacht, dass Menschen an der Entbehrung des
Schnupftabaks geradezu verkümmerten, gerade so als wenn sie
nichts mehr zu essen bekommen hätten. Die sinnliche Natur
des Menschen lässt sich nicht aus der Welt schaffen und auch
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der Gefangene wird von ihr mächtig beherrscht. Es sind ihm
ja alle anderen Genüsse entzogen, also lasst ihm diese Kleinig¬
keit. Wollen wir in dieser Frage überhaupt etwas thun, so
könnten wir das nur so, dass wir den Gefangenen das Schnupfen,
Rauchen, Kauen etc. allmählig abgewöhnen; wir könnten
nur darauf hinarbeiten, dass der. Tabakgenuss allmählig abge-
schafft wird; aber um zu sagen: von morgen ab keinen
Tabak mehr, darin finde ich eine zu grosse Härte gegen
die Gefangenen und deswegen lege ich Ihnen an’s Herz; lehnen
Sie diese These ab. (Beifall.)
Inspector Reich (Zwickau): Meine Herren! Die vor¬
liegende These gibt mir Anlass zu bemerken, dass man in
Sachsen die Anschauungen des Herrn Referenten nicht theilt.
Der Herr Referent hat von einer „Befugniss“ der Gefan¬
genen gesprochen und auch in den verschiedenen Gutachten,
beziehentlich in den betr. Paragraphen des Entwurfes zu einem
Reichsgesetze über den deutschen Strafvollzug heisst es: der
Gefangene „kann‘‘ mit Bewilligung des Anstaltsvorstandes
über einen bestimmten Theil des Arbeitserwerbes „verfügend
Meine Herren! Ich glaube, der Gefangene „kann^^ nichts und
hat nichts zu können. Es liegt das meines Erachtens im Wesen
der Freiheitsentziehung. Nur der Anstaltsvorstand „kann“
hier richtiger Weise. Es ist dies nicht ein formeller, sondern
vielmehr ein prinzipieller Unterschied, Ich will das gleich aus
der Praxis erläutern. Als bei uns in Sachsen die Gefangenen
in gedachter Beziehung noch „verfügen konnten^, ver¬
fügte auch der weitaus grösste Theil der dazu hausordnungs¬
gemäss Berechtigten und der Anstaltsvorstand versagte die
Bewilligung auch nur dann, wenn ganz besondere Gründe da¬
gegen Vorlagen, denn die Entziehung der Disposition
über den Arbeitserwerb war ja Disciplinarsträfe! Es
ergriff also früher jeder junge Bursche, der vielleicht erst in
Folge Genusssucht in das Straf haus gekommen war, sofern
er sich dort sonst gut geführt, natürlich gerne die Gelegenheit,
sich den dargebotenen Gaumenkitzel an Käse, Bier, Butter,
Häring, Semmel u. s. w. zu leisten und so seiner Genusssucht
weiter zu fröhnen. Wie überall, war auch, für ein Prieschen
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Schnupftabak gesorgt — ja, es gab Orte, wo 3 bis 4 ver¬
schiedene Sorten Schnupftabak, je nach Geschmack der deti-
nirten Nasen, vorräthig gehalten wurden und es gewöhnte sich
in Folge dessen eine ganze Anzahl dieser Leute erst ein Uebel
an, das sie vorher noch nicht gekannt hatten. Aber das ist
noch nicht die ernsteste Seite. Ausser jenen jungen Burschen
waren es auch viele Familienväter, welche dadurch in
Versuchung geführt wurden und ihr nicht widerstehen konnten.
Die Frauen jammerten brieflich über die Noth der Familie, die
zu Hause kaum das Salz zum Brod hätte, und der Gatte strich
sich im Strafhause das Butterbrod unter dem Vorwände, dass
er dies zur Erhaltung seiner Körperkräfte nothwendig hätte.
Bei der Entlassung wurde das dann oft genug, leider zu spät,
bedauert. Meine Herren! Es ist ja wohl das Schwerste, im
Strafhause freiwillig sich Entbehrungen auferlegen zu
sollen und die Anforderungen an die Willenskraft des Einzelnen
sind dann doch zu gross, wenn wir das verlangen wollten. In
der Erkenntniss dieser Zustände hat man nun in Sachsen den
Victualienerkauf, wie er sonst überall noch besteht, seit An-
4^ang dieses Jahres vollständig aufgehoben und der Anstalts¬
vorstand kann nur noch auf. motivirten ärztlichen Antrag, be¬
ziehentlich in ganz besonderen Fällen als ausnahmsweise
Belohnung dem Gefangenen einen Extragenuss, der jetzt
nur noch auf Butter oder Fett, Bier oder Milch beschränkt
ist, gestatten. Seit dieser Zeit ist der Victualienverbrauch in
unseren Anstalten fast auf Null gegen früher herabgegangen,
ohne dass mit dem Eintreten dieser Bestimmung ein einziger
Gefangener es gewagt hätte, gegen die Disciplin dieserhalb zu
verstossen. Dieses Bedenken kann also der geehrte Herr Vor¬
redner ruhig fallen lassen. Wir betrachten den Arbeitserwerb
lediglich als ein Geschenk, über das der Gefangene, vor
dessen Aushändigung bei der Entlassung, in keiner Weise
„verfügen^^ kann, sondern von dem nur der Anstaltsvorstand
ausnahmsweise etwas schon während der Strafzeit voraus¬
gewähren kann.
Ich erlaube mir daher im Sinne des von mir Gesagten
die These 1 in folgender Fassung zu beantragen (liest):
„Den Sträflingen kann auf motivirten ärztlichen
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Antrag mit Bewilligung des Anstaltsvorstandes die
AnschaflTung von Extragenüssen gestattet werden/^
In Bezug darauf, wie weit diese Gestattung gehen dürfe,
will ich mich eines Antrages enthalten, allein ich glaube, dass
unter Anderem auch die Gewährung von Blumen und Vögeln
in Wegfall kommen könne.
Director Strosser (Münster): Der Ausschuss beantragt
im Allgemeinen die Beseitigung des Tabaks in den Gefäng¬
nissen und Strafanstalten, und seine Zulassung nur nach Ver¬
ordnung des Arztes in einzelnen ganz bestimmt motivirten
Fällen. Sie haben vom Collegen Kr ohne gehört, wie er den
Tabak auch in dieser Form hinausgeschafft haben will, weil
dann nur eine ganze Reihe von Schmuggeleien und Unord¬
nungen sicher vermieden werden können. Sie haben von dem
letzten Herrn Redner vernommen, dass in Sachsen die Mass¬
nahme der Beseitigung des Tabakes seit längerer Zeit durch¬
geführt ist. Diesen Ausführungen gegenüber kommt nun College
Wirth mit einer schneidenden Lobrede auf den Tabak und
verlangt Beibehaltung desselben in den Gefängnissen nach den
bisherigen Normen. Wenn nun auch ein Theil der Anwesenden
ihm am Schlüsse seiner Rede mit Bravo lohnte, so hoffe ich
doch, dass die Majorität der Versammlung auf Grund der vor¬
liegenden Gründe sich dem Anträge des Ausschusses an-
schliesscn wird.
Ich will das, was ich zu sagen habe, im Anschlüsse an
die Momente thun, welche Herr Director Wirth Ihnen vor¬
geführt hat. Er hält uns zunächst entgegen, ob wir uns denn
etwa der Meinung hingeben, dass die Staatsregierungen bei
der künftigen Regelung des Strafvollzuges eine solche Bestim¬
mung, wie wir sie vorschlagen, mitaufnehmen könnten. Ja,
ich glaube im Kreise aller der hier Versammelten sitzt Nie¬
mand, der in gleich eifrigem Maasse anstrebt, dass das, w^as
hier beschlossen wird, auch von den betreffenden Staatsregie¬
rungen in die Praxis und in’s Leben umgesetzt werde, wie
gerade Director Wirth. Wer sich erinnert, wie derselbe Herr
Redner am Anfänge unserer Versammlung gesprochen, wie er
begeistert lobte, einen wie bedeutenden Einfluss diese Ver-
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72
Sammlungen und ihre Beschlüsse auf die Entwickelung der
Strafvollzugsgesetze gehabt habe, der wird sich ganz einfach
sagen: Was in der Vergangenheit erstrebt und erreicht wor¬
den ist, das wollen wir auch in der heutigen Versammlung.
Wir wollen heute nicht blos oratorische Vorträge halten, son¬
dern aus der Praxis des Lebens an die Staatsregierungen
herantreten mit der Bitte, das recht ernstlich zu erwägen und
zu prüfen, was hier beschlossen wird, und wenn sie es für gut
befinden, auch in’s practische Leben der Gefängnisse einzu¬
führen. Er sagt, es würde ein bedenklicher Zustand eintreten
durch die Gewährung unseres Antrages, und malt uns mit
gewandter Phantasie eine Reihe von Schreckgestalten aller¬
schlimmster Art vor, wenn die Staatsregierungen es sich bei¬
kommen Hessen, mit einem Male zu befehlen, der Tabak soll
verschwinden aus den Strafanstalten und Gefängnissen. Er
sieht dabei prophetisch eine ganze Reihe von Menschen in
ihrem Gesundheitszustände heruntergekommen und dem Ver¬
derben nahe. Ja, m. H., die Frage ist aber in Sachsen gelöst,
und soweit wir von den anwesenden Mitgliedern aus Sachsen
gehört haben, ist kein einziges von ihnen diesem in Folge der
Entziehung des Tabakes abgemagerten Gerippe des Collegen
Wirth begegnet. Er will die Entziehung mindestens erst all-
mählig eingefuhrt haben, damit die Leute durch langsame Ge¬
wöhnung vor dem befürchteten verderblichen Ausgange bewahrt
bleiben. Er übersieht aber, dass wenn dieser neue Usus
allmählig eingeführt wird, ich will beispielsweise sagen bis
20. September 1884, also heut über ein Jahr, dann die Leute,
die vom 21. September 1884 in die Gefängnisse kommen, auch
von da ab mit einem Male sich dieses Genusses enthalten
müssen, dass also dann die vielen Hunderttausende, die künftig
in die Gefängnisse kommen werden, diesem Verkrüppelungs¬
system wegen plötzlicher Entziehung des Tabakes jedenfalls
verfallen'werden.
Er übersieht aber ferner auch eine zweite Thatsache ähn¬
licher Art. Man hat viel mehr als vom Tabak, der ein höchst
entbehrliches Genussmittel ist, vom Branntwein gesagt, dass
die plötzliche Entziehung desselben für den Menschen, der
daran gewöhnt ist, die allerbedenklichsten Folgen für Körper
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und Geist habe, und doch hat man bisher überall auch den
ärgsten Trinkern den Branntwein von dem Momente an ent¬
zogen, wo sie in die Strafanstalten kamen. Von den angeb¬
lichen traurigen Folgen dieser plötzlichen Entziehung habe ich
bislang nichts gehört, sondern im Gegentheil sehr gesegnete
Folgen eintreten gesehen, wenn der sofortige Gebrauch des
Branntweins aufhörte.
Welches sind nun die Gründe, welche den Ausschuss zur
Aufstellung dieser These, den Tabak betreffend, bewogen?
College Miglitz hat sie in seiner eingehenden Arbeit dargelegt
und ich will sie deshalb nur kurz anfiihren.
Tabak ist in den Strafanstalten und Gefängnissen, das
weiss Jeder, der practisch in diesen zu thun hat, das gewöhn¬
lichste Mittel zu Schmuggeleien, Tabak ist ein Object, welches
in ganz besonderem Maass die Unreinlichkeit fördert und
man braucht nur die Schnupftücher in den Strafanstalten an¬
zusehen, die sauber und rein hineinkommen und schliesslich
wie Schmutztücher aussehen, so dass es den Nachfolger jedes¬
mal ekelt, wenn er von dem abgegangenen Vorgänger dessen
Schnupftuch überkommt.
Es hat der Hr. Vorredner in drastischer Weise darauf
hingewiesen, dass wenn man heute den Gefangenen fragen
würde, ob er lieber wieder Kette und Kugel tragen oder den
Tabak entbehren möchte, er sich für das Erstere entscheiden
würde. Ich gebe zu, dass dies bei einzelnen Menschen, die
an solchen Genüssen hängen, wohl der Fall sein könnte; wenn
diese aber eine Zeit lang Kette und Kugel geschleppt hätten,
würden sie doch den Tabak fahren lassen. Auf die Anschau¬
ungen der Gefangenen in solchen Punkten haben wir aber
überhaupt in erster Linie nicht zu sehen, sondern auf das,
was zur sittlichen Erziehung der Leute selbst gut und heilsam
ist. Dabei darf man sich nicht verhehlen, dass namentlich bei
jugendlichen Gefangenen die überwiegend grösste Zahl, min¬
destens die Hälfte in das Gefängniss hineinkommt, ohne an
Schnupftabak gewöhnt zu sein, denselben sich erst im Ge¬
fängniss angewöhnen und mit dieser schlechten Gewohnheit
in’s Leben zurück treten, während wir unsere Aufmerksamkeit
darauf richten sollen, den Gefangenen möglichst als Herrn
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seiner kleinen und grossem Leidenschaften in das bürgerliche
Leben zurück zu senden.
Ich will mich kurz fassen, um so mehr als der Herr Prä¬
sident die starke Neigung hat, Reden, die über 10 Minuten
dauern, abzuschneiden (Heiterkeit) und ich kann Sie darum
nur bitten, möglichst einstimmig den Antrag des Ausschusses
anzunehmen.
Geh.Ober-Regierungsrath Illing (Berlin): Meine Herren!
Es wird die Heiterkeit des grossen Publikums erregen, wenn
man erfährt, dass wir fast eine Stunde lang über eine Prise
Tabak discutirt haben. Die vorliegende Frage ist aber für
die Strafverwaltung nicht ohne Belang, wie Sie aus dem Vor¬
trage des Geh. Raths Wirth ersehen haben, der Ihnen die
Folgen geschildert hat, welche eintreten könnten, wenn wir
den Sträflingen den Tabak versagen.
Ich bin früher für die Zulassung des Schnupftabaks in
den Strafanstalten gewesen, nach langjährigen Erfahrungen
kann ich aber nicht umhin, seinen Gegnern Recht zu geben.
Für Personen, die sich an das Tabakschnupfen oder Rauchen
gewöhnt haben, kann es zu einer förmlichen Penitenz werden,
wenn sie darauf verzichten sollen; ich habe das an meiner
eigenen Person erfahren, als mir bei einer Magenkrankheit das
Rauchen für eine Zeit lang untersagt wurde. Es soll Fälle
geben, in denen der Schnupftabak als Arznei wirkt, so bei¬
spielsweise bei gewissen Augenkrankheiten. Ich will das nicht
bestreiten, aber abgesehen von solchen — jedenfalls nur
seltenen — Ausnahmefällen, über die der Arzt entscheiden
mag, ist der Tabak lediglich ein Genussmittel, an das ein
grosser Th eil der Sträflinge sich erst im Gefängniss gewöhnt.
Man hegt im Publikum die Besorgniss, dass die Milde in un¬
seren Strafanstalten bisweilen zu weit getrieben werde und
dass die Freiheitsstrafen, insbesondere den Gewohnheitsver¬
brechern gegenüber, häufig nur noch in geringem Grade ab¬
schreckend wirken. Diese Besorgniss ist nach den Wahr¬
nehmungen, die wir täglich machen, leider nicht ganz unbe¬
gründet und ich halte es deshalb nicht für bedenklich, sondern
eher für nothwendig, dass wir aus unseren Strafanstalten Alles
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beseitigen, was dazu beiträgt, die Wirkung der Freiheitsstrafen
abzuschwächen. Von diesem Gesichtspunkte aus empfehle ich
der geehrten Versammlung die Annahme der These des Aus¬
schusses, der den Genuss des Schnupftabaks auf die Fälle
beschränkt sehen will, in denen seine Verabreichung durch
den Anstaltsarzt für nöthig erachtet wird.
Geheimerath Ekert; Es kommt bei dieser Frage, wie
fast überall, vorzugsweise auf eine richtige Anwendung der
einschlägigen Bestimmungen an. Ich habe die Befugniss, in
meinem Gefängniss Schnupftabak und eine ganze Reihe von
einzelnen Vegetabilien als Vergünstigung zu verabreichen;
allein ausser Tabak und der meist vom Arzte als wünschens-
werth erklärten Milch bekommen die Leute sehr wenig. Ich
glaube nicht, dass in unseren Rechnungen für die Gefangenen
dasjenige, was Tür Extragenüsse ausser für Tabak und Milch
aufgewendet wird, den Betrag von 20 JL im Jahre bei einem
Stande von 400 bis 500 Gefangenen erreicht. Ich kann keinerlei
Gefahr darin erblicken, wenn man die These 1 annimmt, vor¬
ausgesetzt, dass der Director eine vernünftige und zweck¬
mässige Anwendung von der Sache macht. Darunter fallt auch
die These 2.
Was die Abschaffung der Extragenüsse in Sachsen anbe¬
langt, so scheint fast, als ob dort früher zu viel gegeben wurde;
das führt immer zu Repressivmassregeln. Lassen Sie sich solche
Befugnisse geben und machen Sie recht sparsamen Gebrauch
davon, dann wird kein Missstand daraus hervorgehen.
Es ist auch die Rede davon gewesen, dass man den Leuten
die schlechten Gewohnheiten des Tabakschnupfens und -Rauens
schon wegen ihrer Unreinlichkeit abgewöhnen muss. Bei uns
in Baden bekommt jeder Gefangene, der schnupft, zwei
Sacktücher und auf diese W^eise wird der Unreinlichkeit
vorgebeugt. Im Uebrigen ist es eine starke Anschuldigung,
wenn man alle Leute, die schnupfen, für unreinlich erklärt.
Ich glaube, dass darin ein Anstand gegen die Bewilligung
des Tabakes nicht zu finden ist. Ueber Kau- und Rauchtabak
haben wir in Baden] keine Erfahrung. Es handelt sich bei
uns nur um Schnupftabak, der in den badischen Anstalten viel-
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fach gegeben wird. Das Erste dabei ist freilich, dass man den
Leuten den Tabak nicht in der Strafanstalt angewöhnt. Das
wäre sehr verkehrt, wenn der Director nicht prüft: Hast Du
früher geschnupft oder nicht? Junge Leute und Rückfällige
schliesst man gewöhnlich aus und sonst wird in der Regel nur
dem der Schnupftabak gestattet, der früher schnupfte und dies
durch die mitgebrachten Gegenstände oder sonst glaublich macht.
Was den Eindruck anbelangt, welchen das Nichtbewilligen
des Tabakes hervorbringt, so habe ich in einer Ausschuss¬
sitzung ein Beispiel aus Bruchsal angeführt. Ein Zellen¬
gefangener sagte: „Wenn ich keinen Tabak bekomme, hänge
ich morgen dort am Webstuhl.“ Er bekam keinen Tabak, am
andern Tag hing er dort und war todt.
Es ist das übrigens trotzdem kein Grund, dass wir den
Tabak bewilligen müssen, denn nur derjenige, der den Muth
und die moralische Verkommenheit hat, sich um’s Leben zu
bringen, wird es thun; allein welchen tiefen Eindruck das Ver¬
bot machen kann, finden Sie an diesem Beispiele demonstrirt.
Ich kann nach meiner Erfahrung in der Gestattung des
Schnupftabakes bei vernünftiger Anwendung keinen Anstand
finden. Bereits in einer Ausschusssitzung aber habe ich mich
dahin ausgesprochen, dass man sich pure für oder wider ent¬
scheiden sollte, denn ich halte den Schnupftabak für kein
Medicament. Ich enthalte mich indess der Stellung eines wei¬
teren Antrags.
Director Tauffer (Lepoglava in Kroatien): Ich will über
diese Frage keine grosse Rede halten; sie ist genügend er¬
örtert, und jeder College hat sich seine Meinung gebildet. Ich
will nur ganz kurz aus der Praxis ein Beispiel anführen und
in Folge der Aufforderung meiner Collegen aus Ungarn er¬
wähnen, dass in den Strafanstalten des genannten Königreichs
das Rauchen, Schnupfen und der Kautabak bis vor 3 Jahren
zulässig war. Die Regierung hat aber nach Anhörung der
Strafanstaltsbeamten entschieden, dass die Gestattung dieser
Extragenüsse aufzuhören habe. Die Verabreichung von Tabak
wurde alsogleich eingestellt und wir haben dennoch keine
Tumulte, keine besonders zahlreichen Disciplinüberschreitungen
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in den ungarischen Strafanstalten zu verzeichnen gehabt. Es
wurde auch nie bemerkt, dass die Entziehung des Tabakes
der Gesundheit schädlich gewesen wäre; ja selbst Gefangene
erkannten dies und sagten, dass sie froh seien, von der Unart
des Schnupfens sich abgewöhnt zu haben. Ich glaube also,
dass wir keine Befürchtungen zu hegen brauchen und mit
Buhe den Thesen in jener Form unsere Zustimmung geben
können, dass der Genuss des Tabakes in der Einzelhaft und
im L und II. Stadium des progressiven Strafvollzuges absolut
verboten werde.
Oberstaatsanwalt v. Köstlin (Stuttgart): Ich wollte nur,
was die Einrichtungen in Württemberg betrifft, die Mitthei¬
lung machen, dass wir unterscheiden zwischen Zuchthäusern
und Gefängnissen. In den Zuchthäusern ist der Tabak, in
welcher Form er immer genommen würde, absolut verboten,
auch für lebenslängliche Zuchthausgefangene. Es haben, als
diese Bestimmung eingeführt wurde, zuvor Erörterungen in
ärztlicher Hinsicht stattgefunden. Es wurde damals von ärzt¬
licher Seite geltend gemacht, dass es für die Gesundheit der
Gefangenen keine nachtheiligen Folgen haben werde, wenn
ihnen der Schnupftabak genommen wird und es haben sich
auch seither keine nachtheiligen Folgen bemerklich gemacht.
Bei den Gefangnissgefangenen kann Schnupftabak zugelassen
werden und ebenso bei den verhältnissmässig wenigen Zucht¬
hausgefangenen, welche in unserem Zellengefängnisse in Heil-
bronii untergebracht sind. Rauchtabak ist in keiner Straf¬
anstalt gestattet; Kautabak kommt nicht vor.
Director Leffler (Kaiserslautern): Ich verkenne die
Schwierigkeiten nicht, die sich in Anstalten mit gemeinschaft¬
licher Haft daraus ergeben, wenn der Schnupftabak abgeschafft
werden sollte, zumal da hiemit ein sehr wirksames Disciplinar-
mittel wegfiele. Der Vorstand hat ja bekanntlich die Befugniss,
derartige Genussmittel bei schlechtem Verhalten zu entziehen,
beziehungsweise vorzuenthalten. Ich muss aber andererseits
bemerken, dass es nicht so schwer sein kann, den Tabak
allmälig zu beseitigen. In der einen der beiden Anstalten,
denen ich vorstehe, wird nie Tabak gegeben. Es ist dies das
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Arbeitshaus in Kaiserslautern, welches im Jahre 1862 errichtet
wurde und wo bis zum heutigen Tage noch kein Detent
Schnupftabak erhalten hat
Präsident: Wünscht noch Jemand das Wort? (Nie¬
mand meldet sich.) Es ist nicht der Fall. Wir schreiten
daher zur Abstimmung. Zu These 1 hat Herr Inspector
Reich folgenden Antrag gestellt (liest):
„Den Sträflingen kann auf motivirten ärztlichen An¬
trag mit Bewilligung des Anstaltsvorstandes die An¬
schaffung von Extragenüssen gestattet werden.
Ich ersuche jene Herren, welche diesen Antrag annehmen
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Der Antrag ist
abgelehnt.
Ich ersuche nunmehr jene Herren, welche These 1 in der
Fassung des Ausschusses, lautend: (wiederholt dieselbe), an¬
nehmen wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) These 1
ist conform dem Ausschussantrage angenommen.
These 2 lautet: (wiederholt dieselbe). Ich ersuche jene
Herren, welche diesen Antrag des Ausschusses annehmen
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) These 2 ist an¬
genommen.
Zu These 3 hat Herr Director Kr oh ne einen Abände¬
rungsantrag gestellt, den ich nach seinen beiden Absätzen
getrennt zur Abstimmung bringe.
Ich ersuche sohin jene Herren, welche den ersten Absatz,
lautend (liest):
„Die Beschaffung von Tabak ist ausgeschlossen^^
annehmen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) -Dieser Antrag
ist angenommen.
Der zweite Absatz lautet (liest):
„Doch bezieht sich dieses Verbot nicht auch auf das
Stadium des Strafvollzuges in der Zwischenanstalt nach
dem irischen Systeme.^^
Ich ersuche jene Herren, welche diesen Antrag annehmen
wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Ich bitte um die
Gegenprobe. (Dieselbe erfolgt.) Auch dieser Absatz ist an¬
genommen, These 3 sohin erledigt.
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These 4 lautet (liest):
„Bei Strafvollstreckung in Einzelhaft kann das Halten
eines Vogels oder von Blumen gestattet werden/^
Pastor Mahn; Ich erlaube mir die Bitte über die Worte
„oder von Blumen‘^ getrennt abzustimmen, da darüber ver¬
schiedene Ansichten bestehen.
Präsident: Ich werde diesem Wunsche Rechnung tra¬
gen und- bitte jene Herren, welche die These 4 mit Auslassung
der Worte „oder von Blumen‘‘ annehmen wollen, die Hand zu
erheben. (Geschieht.) Angenommen. Ich ersuche nunmehr
jene Herren, welche die Worte „oder von Blumen‘‘ ebenfalls
annehmen wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Ist
ebenfalls angenommen, mithin These 4 in der Fassung des
Ausschusses genehmigt.
These 5 lautet: (wiederholt dieselbe). Ich ersuche jene
Herren, welche diesen Antrag annehmen wollen, die Hand zu
erheben. (Geschieht.) These 5 ist angenommen.
Wir sind am Schlüsse der heutigen Tagesordnung ange¬
langt. Ich habe die Mittheilung zu machen, dass jene Herren,
welche sich an der Besichtigung des Landesgerichtes in Straf¬
sachen betheiligen wollen, sich pünktlich um 4 Uhr am Ein¬
gang des Landesgerichtes in der Alserstrasse einfinden mögen;
ferner dass die Abfahrt zum Ausflug auf den Kahlenberg um
2 Uhr 25 Min. stattfindet und nicht um 2 Uhr 55 Min., wie
früher bekannt gegeben wurde und dass die rothen Legitima¬
tionskarten als Legitimation zut freien Fahrt gelten.
Ferner habe ich den Ausschussmitgliedern bekannt zu
geben, dass die Sitzung des Ausschusses morgen um 8 Uhr
stattfindet. Die Vollversammlung beginnt um 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss der Sitzung 1 Uhr 15 Minuten.)
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Zweite Sitzung den 21. September 1883.
Präsident: Oberstaatsanwalt Hofrath v. Hattingberg.
(Beginn der Versammlung 9 Uhr 15 Min.)
Präsident: Ich erkläre die Sitzung für eröffnet.
Vor Allem habe ich die Mittheilung zu machen, dass
mir gestern ein Telegramm des Herrn Generalstaatsanwaltes
V. Schwarze aus Dresden zugekommen ist, in welchem er
seinen innigsten Dank ausspricht, den herzlichsten Gruss sendet
und das schmerzlichste Bedauern erwiedert, an der gegen¬
wärtigen Versammlung nicht theilnehmen zu können. (Leb¬
hafter Beifall.)
Der erste Gegenstand der heutigen Verhandlung sind
die Thesen:
„II, lieber die Arbeitsbelohnungen für Gefangene''.
(Geheimer Justizrath und Director Wirth meldet sich
zum Worte.)
Herr Geh. Justizrath Wirth hat das Wort.
Geh. Justizrath und Director Wirth: Ich möchte mir einen
Antrag zur Tagesordnung zu stellen erlauben.
Meine Herren, es ist uns hier sub I. die These zur Be¬
schlussfassung vorgeschlagen: ^Der Ertrag der Arbeit jener
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Gefangenen, die zu einer mit Verpflichtung zur Arbeit ver¬
bundenen Strafe verurtheilt sind, fliesst zur Staatscasse.“
Die Thesen, die hier aufgestellt werden, sollen Beant¬
wortungen der vorgelegten Fragen sein.
Die Frage lautet nun: „Nach welchen Grundsätzen sollen
die Arbeitsbelohnungen an Gefangene gewährt werden u.s.w^
These L gibt aber auf diese Frage keine Antwort; These 1.
ist überhaupt, so viel ich weiss, nicht zweifelhaft, und ich
beantrage daher, sie von der Tagesordnung abzusetzen und
keine Discussion darüber zu eröffnen.
Referent Director Tauffer: Ich glaube, dass diese Frage
unbedingt zur Tagesordnung gehört und von unseren Verhand¬
lungen — nach meiner besten Ueberzeugung — nicht ausge¬
schlossen werden kann. Sie ist, wie ich später die Ehre haben
werde auszuführen, eine prinzipielle Frage, in welcher Gründe
ad meritura für und wider vorgebracht werden sollen.
Präsident: Ich werde den Antrag des Herrn Geheimen
Justizrathes Wirth zur Abstimmung bringen. Derselbe geht
dahin, die These I. als mit der Programmfrage nicht im Zu¬
sammenhänge stehend, von der Tagesordnung abzusetzen.
Jene Herren, welche diesem Anträge zustimmen, wollen
die Hand erheben. (Geschieht.) Derselbe ist ab gelehnt.
Ich ersuche nun Herrn Director Tauffer, sein Referat
zu erstatten.
Referent Director Tauffer: Geehrte Herren! Hochgeehrte
Collegen! Die erste Frage, die in der heutigen Versammlung
unseres Vereines zur Discussion und zur gedeihlichen Lösung
gebracht werden soll, lautet (liest):
„Nach welchem Grundsätze sollen die Arbeits¬
belohnungen an Gefangene gewährt werden, ins¬
besondere auch in welcher Höhe, und soll dabei
eine Rücksichtnahme auch auf das Verhalten des
Gefangenen am Straforte stattfinden? Soll eine
ganze oder theilweise Entziehung des Arbeitsgut¬
habens stattfinden können?‘‘
Die verschiedenen Seiten der aufgeworfenen Fragen wur-
Blätter für Gefängnisskunde. XIX. Ü
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den in neuester Zeit durch die ausgezeichneten Gutachten des
Geh. Regierungsrathes Lütgen, des Geh. Justizrath es Wirt h,
des Directors Miglitz, in früheren Jahren aber auch von dem
Director Ernst Sichart so gründlich erörtert, dass es uns nun
ein Leichtes ist, den richtigen Faden zu finden.
Der Ausschuss unseres Vereines überprüfte die vorge¬
legten Gutachten, discutirte die Fragen in ihren einzelnen
Details und übertrug meiner Wenigkeit die ehrenvolle Auf¬
gabe, der Interpret jener Thesen zu sein, die Ihnen, meine
geehrten Herren, zur gefälligen weiteren Discussion und Ge¬
nehmigung hiemit vorgelegt werden.
Die Thesen lauten (liest);
L Der pecuniäre Ertrag der Arbeit jener Gefangenen,
die zu einer mit Verpflichtung zur Arbeit verbun¬
denen Freiheitsstrafe verurtheilt sind, fliesst zur
Staatskasse.
n. Die Arbeitsbelohnungen sind nach Massgabe der Ar¬
beitsleistungen und des dabei angewendeten Fleisses
des Gefangenen am Straforte zu bestimmen. Es ist
aber zulässig, für Vergehen des Gefangenen als
selbstständige Strafe oder Straffolge, sowie auch
für schlechtes Benehmen das Guthaben an Arbeits¬
belohnungen ganz oder theilweise einzuziehen oder
auch solche für eine bestimmte Zeit nicht zu ge¬
währen.
III. Die Arbeitsbelohnungen für Gefangene eines und
desselben Landes sollen thunlichst gleichmässig be¬
messen werden.
Bevor ich zur speciellen Motivirung der soeben verlesenen,
wie gesagt, Ihrem Ausschüsse entstammenden Thesen über¬
gehe, erlaube die hochgeehrte Versammlung die Bitte, mir
zu gestatten, dass ich eine ganz kurze, die heutige Situation
beleuchtende Vorrede halte.
Die Frage der Arbeitsbelohnung wurde in jener Textirung,
wie sie im Programme der heutigen Versammlung auf die
Tagesordnung gesetzt wurde, betreffs ihrer Ausbreitung und
ihres Umfanges von allen Referenten, ja auch von mir und
endlich, wie ich meine, auch von den meisten Theilnehmern
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an der heutigen Zusammenkunft gründlich missverstanden.
Die Thesen, auf die ich eben im Aufträge Ihres Ausschusses
hingedeutet, bezeugen in genügender Weise dieses Factum.
Sie werden, meine Herren, die Lösung vieler zu diesem
Thema gehörenden prinzipiellen Fragen erhofft haben und
finden jetzt Ihre Erwartungen nur theilweise befriedigt. Die
einzelnen Gutachten unserer Collegen erstrecken sich nämlich
auf die Besprechung aller jener Verhältnisse, welche sich bei
der Institution der Arbeitsbelohnung aus dem klargestellten
Grundprincipe ergeben, so z. B.:
1) ob der Gefangene während der Strafzeit auf die ihm
zu Gute geschriebenen Arbeitsbelohnungen ein Eigenthums¬
recht erwirbt oder nicht?
2) ob und unter welchen Beschränkungen der Gefangene
über sein Guthaben unter Lebenden, sowie auch für den Todes¬
fall verfügen darf?
3) ob den Arbeitspächtern auch in Zukunft gestattet
werden könnte, dass sie eine Extrabelohnung an die Gefan¬
genen vertheilen?
4) welchen Theil des erworbenen Guthabens die Gefan¬
genen zur Anschaffung der erlaubten Genussmittel verwenden
dürfen?
5) inwieweit die Arbeitsgeschenke zur Tilgung von Ersatz¬
verbindlichkeiten herangezogen und mit Beschlag belegt wer¬
den können?
6) wie die in das Verdienen gebrachten Arbeitsguthabungen
während der Strafdauer des Gefangenen angelegt und fructi-
ficirt werden sollen?
7) zu welchem Zwecke die derart gewonnenen Zinsen ver¬
wendet werden können?
Die meisten dieser Fragen waren theils schon bei der
Versammlung in Stuttgart in Erwägung gezogen, theils finden
wir ihre Besprechung in den abgegebenen Gutachten, die in
den letzteren Heften des Vereinsorgans iin Drucke erschienen
sind. Ich glaube also, dass eine grosse Anzahl der geehrten
Collegen in der Erwartung nach Wien kam, dass diese Fragen
hier endlich erörtert werden. Ihr Ausschuss beschloss aber
nach reiflicher Erwägung, dass dies nicht geschehen solle und
6 »
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zwar aus folgenden Gründen. Der Ausschuss erachtet, dass
der Modus der Textirung der auf der Tagesordnung stehenden
Fragen eine Ausdehnung der Discussion selbst auf die wich¬
tigsten Verhältnisse der Arbeitsbelohnungen nicht gestattet, und
dass die Referenten, die es dennoch thaten, in ihren Gutachten
mit löblichem Eifer mehr leisteten, als von ihnen verlangt wurde.
Da nun diese Fragen speciell als im Programme stehend
nicht angeführt wurden, sollen sie auch nicht zur Discussion
gelangen, und zwar um so weniger, weil uns factisch die noth-
wendigste Zeit zur gründlichen Erörterung derart wichtiger
Principien und Streitfragen mangelt.
Dies ist, wie gesagt, der Standpunkt, den Ihr Ausschuss
‘einnimmt. Es gibt aber sehr viele der Collegen, die eine
andere Meinung vertreten und etwa in folgender Weise argu-
mentiren; Man kann nicht sagen, dass die Textirung der auf
der Tagesordnung stehenden Fragen die Besprechung der Con-
Sequenzen ausschliesse; Beweis dessen, dass alle Gutachten
ihre Erörterungen auch auf jene Fragen ausdehnten, ja formu-
lirte Thesen aufstellten. Es kann also von dem Referenten
— also von meiner Wenigkeit — erwartet werden, dass er auf
alle diese Thesen reflectire und der geehrten Versammlung
concrete Vorschläge erstatte.
Betreffs der Kürze der Zeit sagt diese Partei, es wäre ;i
besser, wenigstens eine Frage erschöpfend zu behandeln, als |
ex Omnibus aliquid, ex toto nihil; sie begnügt sich nicht mit i
dem schönen Spruche: magna voluisse sat est, sondern wollte, j
dass unsere Verhandlung ein tüchtiges, ja ein practisches Er- .!
gebniss habe, und zwar um so mehr, weil das Thema der l
Arbeitsbelohnungen nun zum zweiten Male auf der Tages- .!
Ordnung unserer Versammlungen erscheint und es höchst j
ennuyant wäre, eine Frage, die uns schon Allen genügend be- !
kannt ist, auch noch ein drittes Mal auf die Tagesordnung zu
setzen.
So sprechen die Collegen, die einen weiteren Rahmen für
die Verhandlungen wünschen, als es der Ausschuss beantragt.
Ich wollte meiner Pflicht als Referent genügen, indem ich
Sie, meine geehrte Herren, von diesen Differenzen der Auf¬
fassung benachrichtige. Die geehrte Versammlung wird Ge-
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legenheit finden, im Falle der Antrag auf Behandlung auch
der weiteren schon früher erwähnten Fragen gestellt w^erden
sollte, hierüber nach weiser Einsicht zu beschliessen. Ich
meinerseits stelle mich auch betreffs aller soeben skizzirten
Fragen als Referent zu Ihrer Verfügung.
Ich übergehe nun auf die Motivirung der von dem Aus¬
schüsse beantragten Thesen.
Ad These Nr. L These Nr. I. enthält ein allgemein
und überall anerkanntes Prinzip. Ist es wohl nöthig, dies aus¬
zusprechen ? Ja wohl, — es kennzeichnet unseren Standpunkt.
Wir wollen damit jener Auffassung widersprechen, welche dem
Gefangenen ein Dispositionsrecht auf den pecuniären Ertrag
seiner Arbeit einräumt, sowie auch jener Auffassung, die bei
den Strafgefangenen wünschen würde, dass sie nur jene Ali¬
mentation und sonstige Verpflegung vom Staate erhalten, deren
Unkosten sie durch ihre Arbeit dem Staate verdienen, und
dass der Staat nur bei den Arbeitsunfähigen diese Kosten allein
übernehme. Wir können also sagen: der Staat anticipirt alle
Unkosten des Strafvollzuges und dem entgegen gebührt dem
Staate der ganze Ertrag der Arbeit.
Dieses Princip bezieht sich aber nur auf jene Strafgefan¬
genen, die zu einer mit Verpflichtung zur Arbeit verbundenen
Freiheitsstrafe verurtheilt sind;^es bezieht sich also nicht auch
auf die anderen Arten der Freiheitsstrafe, z. B. auf die Festungs¬
strafe, die bekanntlich eine custodia honesta ist; sie bezieht
sich nicht auf die einfache Arreststrafe.
Bei Berathung dieser These kam in den Verhandlungen
Ihres Ausschusses auch die Frage zur Erwägung, ob die heute
übliche und in den meisten Staaten auf dem Gesetze basirende
Einbringung der Strafvollzugskosten aus dem Vermögen des
Sträflings ohne Rücksicht darauf, ob der Gefangene durch den
pecuniären Werth seiner Arbeit die Unkosten seiner Erhaltung
gedeckt hat oder nicht, den Anforderungen der justitia distri-
butiva entspricht oder nicht, ob wir hier nicht etwa gegen den
Grundsatz „ne bis in idem“ sündigen und von einem Fuchse
zwei Bälge ziehen; und wenn dies der Fall wäre, ob w’ir dann
nicht die schöne Bestimmung des neuen holländischen Straf¬
gesetzes, welches besagt: „tous les frais d’emprisonnemcnt de
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d^tention ou d'envoi k un Etablissement public de travail sont
ä la Charge de l’etat“ annehmen und in dieser These zur Sanc-
tion proponiren sollten. Der Ausschilss konnte es sich nicht
versagen, diesem schönen Principe seine volle Sympathie ent¬
gegenzubringen; doch konnte er sich nicht entschliessen, den
beantragten imd eben citirten Satz des holländischen Straf¬
gesetzes in die These aufzunehmen, und zwar erstens aus dem
formellen Grunde, weil diese Frage in dem auf die Tages¬
ordnung gestellten Thema nicht enthalten ist, mithin auch die
Sache nicht genügend vorbereitet wurde, somit für heute und
in dieser Versammlung nicht spruchreif ist, und zweitens aus
dem Grunde, weil eine derartige Resolution uns mit vielen der
bestehenden Gesetze in argen Conflict bringen würde. Es wird
also anerkannt, dass diese Frage einer weiteren Besprechung
bei einer anderen Gelegenheit würdig ist, und dass sie aus
dem Gesichtspunkte de lege ferenda eine vorzügliche Beach¬
tung verdient; doch meint der Ausschuss, diesmal über den
Rahmen der beantragten These nicht hinausgehen zu dürfen,
und für diese Auffassung erbittet er sich die Genehmigung
der sehr geehrten Versammlung.
Ad These Nr. 11. In dieser These finden Sie, m. H.,
die entsprechende Lösung mehrerer Prinzipien. Sie begegnen
hier zuerst dem Worte „Arbeitsbelohnung“. Wir sprechen
nicht von einem Arbeitsverdienste, sondern von einer Beloh¬
nung, von einem Geschenke. Herr Collega Geh. Justizrath
Wirth lieferte uns mit unzähligen Gründen der Theorie und
der Praxis den Beweis, dass zwischen dem Gefangenen und
der Gefängnissverwaltung ein Vertragsverhältniss auf der Basis
facio ut des nicht bestehen kann. Alle Gutachten, die wir in
dieser Frage erhielten, sind mit dieser Auffassung einverstanden.
Die Anhaltung zur Arbeit ist in dem modernen Strafvollzüge
ebenso wie z. B. die Anhaltung zum Besuche des Gottes¬
dienstes, des Unterrichtes, oder wie die Anhaltung zur Ord¬
nung, zur körperlichen Reinlichkeit, zum unbedingten Gehorsam
ein Mittel zur Erreichung der Strafzwecke, wofür kein Entgelt
gebührt. Was gegeben wird, wird gegeben zur Anspornung
des Arbeitsfleisses und vorzüglich mit Rücksicht auf die Zeit
der Entlassung. Es ist dies ein freiwilliges Geschenk.
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Weiters werden Sie, meine Herren, bei Prüfung des Wort¬
lautes dieser These finden, dass darin das Wort „Pensum“
sorgfältig vermieden wird. Es ist nämlich allbekannt, dass
über die Möglichkeit und Nützlichkeit des „Pensums“ schon
seit langen Jahren ein lebhafter Streit entbrannte, der auch
nie geschlichtet werden kann, weil die ganze Frage davon ab¬
hängig ist, welche Organisirung der Arbeitsbetrieb in den
einzelnen Strafanstalten erhält. Dies variirt aber nach den
Verhältnissen und Bedürfnissen der einzelnen Länder. Es ist
nun zu bemerken, dass es erwünscht ist, unseren Resolutionen
eine solche Fassung zu geben, dass sie das Prinzip wohl er¬
schöpfen, sich aber in kleinliche Details nicht verlieren. In
den Details mag eine jede Strafanstalt nach ihrer eigenen
Fajon selig werden!
Höchst wichtig ist aber nun die Frage, an welche Bedin¬
gungen die Ertheilung eines Arbeitsgeschenkes gebunden wer¬
den soll, ob nämlich die Gewährung des Arbeitsgeschenkes
von dem Verhalten des Gefangenen abhängig zu machen ist.
Die Gutachten der Collegen beantworten diese Frage in
verschiedener Weise. Die Ansicht des Herrn Directors Miglitz
gipfelt in dem Satze, „dass der Arbeitsbelohnung lediglich die
wirkliche Arbeitsleistung zu Grunde gelegt werden kann.“
Herr Geheimer Regierungsrath Lütgen wollte in seinem ersten
Referate die Arbeitsbelohnung in der Regel nicht von dem
sonstigen Verhalten des Gefangenen abhängig machen. End¬
lich meinte der Geheime Justizrath Wirth, „dass wir bei
Gewährung der Arbeitsbelohnung auf die Würdigung des Ver¬
haltens nicht verzichten sollen, weil wir damit einen moralischen
Zügel mehr besitzen, womit wir den Gefangenen in den Schran-
,ken der Ordnung halten können.“
Bei derart getheilten Meinungen wurde die Frage im
Kreise Ihres Ausschusses einer äusserst intensiven Besprechung
unterzogen, und alle Meinungen einigten sich schliesslich in der
Auffassung, dass das Betragen des Gefangenen am Straforte
bei der Gewährung der Arbeitsbelohnung gewiss in Betracht
gezogen werden müsse.
Nun ergab sich aber die weitere Frage: welches Kriterium
soll bei Beurtheilung dieses Benehmens der Gefangenen in Bezug
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auf die Zuerkennung einer Arbeitsbelohnung massgebend sein?
Eine präcise Antwort ist fast unmöglich. Wir mussten der
Auffassung unseres Collegen Miglitz Recht geben, dass man
sich bei Zuerkennung der Arbeitsgeschenke auf die Beurthei-
lung des moralischen oder religiösen Zustandes der Gefangenen
nicht einlassen darf; hier könnte man, wie es Miglitz besorgt,
„bei der unendlichen Verstellungskunst und Heuchelei der Ge¬
fangenen zu sehr grossen Missgriffen gelangen.“ Darum — sagte
Miglitz weiter — mögen wir diesbezüglich auf dem Terrain
des Arbeitsfleisses und bei der Constatirung jener Disciplinar-
fälle bleiben, die sich speciell auf die Verrichtung der auf¬
gelegten Arbeit beziehen, und dies sind: Fleiss, guter Wille,
Sorgfalt, Ausdauer.
Doch auch dieser Vorschlag hat seine schwachen Punkte.
Eine schlechte Moralität kann sich auch in äusseren, wahr¬
nehmbaren Handlungen documentiren, wo wir also nicht erst
die Herzen und Nieren zu prüfen brauchen, weil sich die
moralische Niedertracht schon in Thaten oder Worten äussert.
Es ist nun ganz unmöglich, ein solches Individuum, mag es
auch der beste Arbeiter sein, mit der höchsten Arbeitsprämie
zu belohnen. Wir würden auch bei allen gutgesinnten Ge¬
fangenen dadurch eine moralische Entrüstung provociren und
selbst die Hand dazu bieten, dass Ehre und Recht, Gottes¬
furcht und irdische Zucht selbst in der Strafanstalt als.un¬
wesentliche Dinge betrachtet werden mögen. Dazu aber dürfen
wir nie und nimmer die Hand bieten.
In welcher Form sollen wir nun aber dieser Ueberzeugung
in der vorliegenden These einen greifbaren Ausdruck geben?
Ihr Ausschuss berathschlagte hierüber mehrere Stunden, und
man konnte eine allgemeine passende Textirung nicht finden.
Schliesslich einigte man sich auf der Basis der durch den
Geheimen Regierungsrath Lütgen vorgeschlagenen, aber auch
durch ihn selbst modificirten These dahin, dass man von der
Specificirung der verschiedenen Arten und Möglichkeiten der
schlechten Führung absehe, die Beurtheilung des Falles bei
seiner jeweiligen Ereignung der weisen Einsicht der Straf¬
hausleitungen überlasse, dem entgegen aber ausspreche, es sei
zulässig, für Vergehen des Gefangenen als selbstständige Strafe
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oder Straffolge, sowie auch für schlechtes Benehmen das Gut¬
haben an Arbeitshelolmungen ganz oder tbeilweise einzuziehen
oder auch solche für eine bestimmte Zeit nicht zu gewähren.
Ad These Nr. III. Ich glaube, dass die letzte These
an und für sich einer längeren Motivirung nicht bedarf, da es
die Interessen der Strafpolitik erfordern, dass eine und die¬
selbe Freiheitsstrafe in einem und demselben Lande eine
gleiche Schwere, eine gleiche Intensivität besitze, dass somit
auch betreffs der Höhe der Arbeitsbelohnungen „thunlichst“
eine Gleichmässigkeit herrsche.
Wir gebrauchen mit Wohlbedacht den Ausdruck „thun-
lichst“, eine absolute Gleichheit in der Höhe der Arbeits¬
belohnungen ist kaum zu erzielen.
Bei Berathung dieser These wurde durch die Mitglieder
des Ausschusses in Erwägung gezogen, ob cs etwa nicht ge-
rathen wäre, über die ziflFermässigo Höhe der Arbeitsbeloh¬
nungen oder betreffs des Minimums und Maximums der ge¬
ehrten Versammlung eine allgemeine Directive in Vorschlag
zu bringen. Es musste von beiden Vorschlägen Abstand
genommen w^erden. Es stellte sich nämlich heraus, dass in
den einzelnen Staaten und Ländern die Arbeitsbelohnungen
nach den verschiedensten Prinzipien bemessen w^erden, und
zwar bald nach dem Pensum, bald nach dem Taglohne, bald
nach einem Percentsatze des durch die Arbeit erzielten oder
präliminirten Nutzens derart, dass wir eine einheitliche Basis
absolut nicht finden können.
Eine allgemeine Formel, z. B. die Formel, die uns Allen
bekannt ist: „Die Arbeitsbelohnung der Sträflinge möge jenen
Verdienst nicht überschreiten, den ein gewöhnlicher Arbeiter
nach Deckung seiner Bedürfnisse sich ersparen kann“, wurde
auch nicht für zutreffend befunden. Die Verhältnisse der Ar¬
beiter, ihre Lohnsätze, ihre Bedürfnisse etc. sind grundver¬
schieden. Diese Formel könnte zu den mannigfachsten Inter¬
pretationen Anlass geben, und man könnte am Ende auch zu
der Deutung gelangen, dass in einer Strafanstalt, die in einer
solchen Gegend liegt, wo die Bevölkerung sehr arm ist, wo
die Lohnsätze der Feld- oder Fabriksarbeitcr äusserst niedrige
sind, und wo sich der Arbeiter nichts ersparen kann, in
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folgerichtiger Weise die Sträflinge auch nichts bekommen
sollen.
Endlich stellte sich als ein unüberwindliches Hinderniss
betreffs der zifTermässigen Bestimmung der Höhe der Arbeits¬
belohnungen Ihrem Ausschüsse der Umstand entgegen, dass
die Basis der Geldwerthzeichen selbst in den einzelnen Staaten
des europäischen Continentes eine überaus mannigfaltige und
weiters der Tauschwerth des Geldes je nach der Münzeinheit
— Franc, Gulden, Krone, Mark u. s.w. — ein besonders viel¬
fältiger ist.
Aus diesen Gründen musste sich Ihr Ausschuss, m. H., mit
der möglichst einfachen Fassung der These begnügen, damit
er sich der Hoffnung hingeben könne, dass seine sorgfältig
vorbereiteten Thesen Ihre freundliche Zustimmung Anden
werden. (Beifall und Händeklatschen.)
Präsident: Es hat sich Herr Geh. Justizrath Wirth
zum Worte gemeldet; ich ertheile ihm dasselbe.
Geheimer Justizrath Wirth: Ich kann mich mit der Be¬
antwortung der Frage, betreffend die Arbeitsbelohnungen, wie
sie der Ausschuss in den vorliegenden Thesen niedergelegt hat,
nicht einverstanden erklären. Die in den Thesen liegende
Antwort umgeht die Frage zum grössten Theile; die Beant¬
wortung ist nur sehr unvollständig, wir Anden darin insbesondere
keine Grundsätze aufgestellt, nach welchen die Arbeitsbeloh¬
nungen an Gefangene ertheilt werden sollen, und gerade nach
diesen Grundsätzen ist gefragt. Ich vermisse eine grundsätz¬
liche Beantwortung der Frage: hat der Gefangene ein Recht
auf Arbeitsbelohnung?
Referent Director Tau ff er: Diese Antwort ist implicite
gegeben, sobald wir von Arbeitsgeschenken sprechen.
Präsident: Der Herr Referent wird im Schlussworte
Gelegenheit zur Erwiderung haben; ich bitte ihn, jetzt den
Herrn Redner nicht zu unterbrechen. Herr Geh. Justizrath,
ich bitte fortzufahren.
Geheimer Justizrath Wirth: Der Ausdruck „Arbeits¬
geschenk“ kann jedenfalls den Gedanken nicht ausschliessen.
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dass der Gefangene ein Recht auf dieses hat, denn thatsäch-
lich hat der Gefangene seit Jahren, trotzdem wir immer nur
von Arbeitsgeschenken sprechen, ein Recht auf dasselbe ge¬
habt. Es soll also ausgesprochen werden, ob der Gefangene
ein Recht auf die Belohnung oder auf ein Geschenk für seine
Arbeit hat, oder ob er blos aus gefängniss-politischen Rück¬
sichten , wenn ich mich so ausdrücken darf, eine Arbeits¬
belohnung erhalten soll. Das muss Angesichts der uns vor¬
liegenden Frage hier grundsätzlich ausgesprochen werden.
Einen weiteren Mangel in der Beantwortung finde ich
darin, dass gar nichts darüber gesagt ist, ob denn — was
eigentlich bei unserer Fragestellung der Cardinalpunkt war —
der Ertrag der Arbeit des Gefangenen für die Staatskasse,
dasjenige, was die Arbeit des Gefangenen der Staatskasse ein¬
bringt, der alleinige ausschliessliche oder hauptsächliche Maass¬
stab für die Höhe der Arbeitsbelohnung, die dem einzelnen
Gefangenen zugetheilt wird, sein soll. Dieser Grundsatz ist
nämlich thatsächlich gegenwärtig in Uebung; je mehr der Ge¬
fangene der Anstalt, der Staatskasse verdient, desto mehr be¬
kommt er Arbeitsbelohnung. Warum er diesen höheren Ver¬
dienst erwirbt, wird nicht berücksichtigt. Er verdient den
höheren Lohn nicht selten deshalb, weil er vielleicht das zehnte
Mal rückfällig ist und sich in der betreffenden Arbeit solche
Gewandtheit erworben hat, dass sie ihm eine reine Spielerei
ist, dass er nicht allein das höchste Pensum, sondern das zwei-
oder dreifache zu leisten vermag. Ueber die Richtigkeit oder
Unrichtigkeit dieses Grundsatzes geben die Thesen keine Aus¬
kunft.
Deswegen sage ich; die vorgeschlagenen Thesen, mit
denen ich im Uebrigen einverstanden bin, geben keine genü¬
gende Antwort auf die uns vorgelegte Frage. Ich erlaube mir
daher. Ihnen als Antwort auf die Frage zwei weitere Thesen
zur Gutheissung vorzuschlagen. Die Motivirung derselben
finden Sie in meinem Gutachten, das Ihnen gedruckt vorliegt,
vollständig und meiner Ansicht nach ausführlich genug. Ich
möchte Ihnen daher blos die Thesen vorlesen, und Sie bitten,
den darin ausgesprochenen Grundsätzen Ihre Zustimmung zu
geben. Die beiden Thesen lauten (liest):
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„1. Der Gefangene hat kein Recht auf Belohnung seiner
Arbeit; er soll aber aus gefangniss-politischen Rück¬
sichten^ — man kann den Ausdruck auch ändern —
„überall eine Arbeitsbelohnung erhalten.“
„2. Der Ertrag der Arbeit des Gefangenen für die Staats¬
kasse darf für die Höhe der Arbeitsbelohnung an den
einzelnen Gefangenen nicht ausschliesslich massgebend
sein.“ (Beifall.)
Präsident: Herr Professor Wahlberg hat das Wort.
K. k. Hofrath Professor Dr. Wahlberg (Wien): Ver¬
ehrte Herren! Ich stimme in einer Richtung dem geehrten
Herrn Vorredner bei, in dem Punkte nämlich, dass es sich
wesentlich darum handelt, dass die verehrte Versammlung dem
Grundsätze klaren und unzweifelhaften Ausdruck gebe, ob
der Arbeitsvergütung der Charakter einer rechtlichen
Arbeite entlohnung, oder blos der Charakter eines Arbeits¬
geschenkes zuzuerkennen sei. — Die Forderung, in dieser Frage
einen unzweifelhaften Grundsatz auszusprechen, liegt in dem
Bedürfnisse, dieser Einrichtung des Arbeitsbetricbes in den
Gefängnissen eine rechtliche Grundlage zu geben. Die recht¬
liche Grundlage dieser sog. Arbeitsbelohnung muss über allen
Zweifel erhaben sein. Nun habe ich vergebens in den Gut¬
achten und Berichten gesucht, das Rechtsprinzip kennen zu
lernen, aus welchem die Berechtigung zur Confiscation
aller Arbeitskraft der zur Arbeit verpflichteten Sträflinge
abgeleitet werden will. Die traditionelle Auffassung der sog.
Arbeitsbelühnung der Sträflinge ist ein Rest des auf Ab¬
schreckungstendenzen beruhenden Confiscationsfiebers der alten
peinlichen Justiz und gehört gewissermassen auch zur Patho¬
logie des Strafvollzuges. Es wird die ganze Arbeitskraft der
Sträflinge confiscirt, ja noch mehr, selbst das Guthaben soll
nach Thesis II. bei schlechtem Verhalten ganz confiscirt wer¬
den. Nun ist das eine Sache, die nicht nur ein grosses theo¬
retisches Interesse hat; es ist auch von practischem Interesse,
dass das System der Arbeitscntlohnung auf klaren Grundlagen
beruhe, von Einseitigkeit und Willkür losgeschält erscheine.
Sie erlauben mir nun, meine Herren, den Gegensatz
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zu begründen, in dem ich gerade in Bezug auf diese Frage
zu dem ausgezeichneten Gutachten und zu dem Berichte des
Herrn Referenten stehe. Der Sträfling von heute ist nicht
mehr Arbeitssclave; wenn Sie seine Arbeitskraft ganz
voll und unbedingt confisciren, auch nach Ersatz seiner Ver¬
pflegungskosten, so ist er es, in der Consequenz Ihrer An¬
sicht; er darf es aber nicht sein, nach den anerkannten
modernen Rechtsprincipien! Der Sträfling ist vor dem Gesetze
ein rechtlich reducirtes Subject, und gilt in dem Staate und
in dem Strafhause auch als ein Subject mit allerdings durch
seine strafgerichtliche Verurtheilung reducirter Rechtssphäre;
der Sträfling ist also Subject mit verminderter Rechts¬
fähigkeit; der Sträfling hat nicht blos moralisch die Kette
harter Verpflichtungen in der Strafanstalt zu schleppen, er hat
auch ein gewisses Maass von Rechten, — das ist der
Satz, den ich vom rechtlichen Standpunkte aus nachzu¬
weisen habe.
Es wäre aber einseitig, die Frage lediglich vom Rechts¬
standpunkte aus zu prüfen. Zur Lösung dieser Frage ist auch
die Heranziehung von volkswirthschaftlichen und strafpolitischen
Gründen unerlässlich. Jeder Mensch unterliegt einer ökono¬
mischen Werthschätzung; auch der Sträfling hat seinen Kosten-
und Gebrauchswerth und wir haben bei der Arbeit intra
et extra muros gleichfalls eine Lohnbestimmung, die in der
Gebrauchs- und Kostenwerthsberechnung wurzelt, in Betracht
zu ziehen. Auf dieser Basis wird sich die Frage beantworten
lassen: hat der Sträfling, obgleich und insoweit er zur Arbeit
verpflichtet ist, bei dem ihm obliegenden Arbeitszwange dennoch
einen Anspruch auf einen Theil seiner Arbeitsfrüchte, soweit
der Arbeitsertrag nicht aufgebraucht und abgerechnet wird
zur schuldigen Deckung der durch seine Strafhaft dem Staate
verursachten Kosten ? Die Entschädigungspflicht für diese von
dein einzelnen Sträfling verursachten Kosten ist ausser Zweifel.
Betrachten wir nun ganz kurz das Verhältniss der Arbeits¬
verpflichtung und des Arbeitsrechtes der Sträflinge; der zur
Arbeit verpflichtete Sträfling im Zuchthause ist nach dem
deutschen Strafgesetze zu einer im § 15 vorgeschriebenen Ar¬
beit anzuhalten; hingegen ist jeder Kerkersträfling nach öster-
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reichischem Rechte, 5m Deutschen Reiche leider nur der Ge-
fängnisssträfling, dem Prinzipe der Individualisirung gemäss,
mit Rücksicht auf seine Bildungsstufe und bisherige Beschäfti¬
gungsweise thunlichst zu beschäftigen. Nach dem Wortlaute
des deutschen Strafrechtes ist der Zuchthaussträfling ohne
weitere ausdrückliche Betonung der Individualisirung zu den
in der Anstalt eingeführten Arbeiten anzuhalten. In dieser
Beziehung ist das deutsche Strafrecht nach meiner Meinung
dem in der Gerechtigkeit gegründeten Gebote der Individua¬
lisirung in der Beschäftigung des Sträflings nicht gerecht
geworden. Der Gefängnisssträfling kann nach deutschem
Rechte zur Arbeit angehalten werden; wenn er aber Arbeit
verlangt, muss ihm eine angemessene Beschäftigung gewährt
werden! Eine Beschäftigung ausserhalb der Anstalt ist nur
mit seiner Zustimmung zulässig. — Hat hiernach der zur
Gefängnissstrafe Verurtheilte kein Recht auf eine angemessene
Beschäftigung? Ist sein Verlangen einer solchen — etwa
für die GefängnissVerwaltung nicht obligatorisch? Kann ein
solcher Sträfling in Bezug auf Beschäftigung und Arbeits¬
verdienst als ein Rechtloser mit Grund bezeichnet werden?
Das, meine Herren, ist nun ein Punkt, der in der venti-
lirten vitalen Frage, ich möchte sagen, gleichsam den juristi¬
schen Puls deutlich fühlen lässt. Was folgt daraus? Dass der
Arbeitspflicht des mit dem Arbeitszwange belegten Sträflings
— die Verpflichtung des Staates, beziehungsweise der
Strafhausverwaltung entspricht, demselben die gesetzlich be¬
stimmte Arbeit zu gewähren. Der Sträfling, der urtheilsmässig
dem Arbeitszwange unterworfen ist, hat hiernach ein gesetz¬
lich begründetes Recht auf stetige zulässige Beschäftigung
während der ganzen Strafzeit. Nicht nur der arbeite-
pflichtige Sträfling muss während der Strafverbüssung
arbeiten, auch die Strafhausverwaltung muss demselben nach
besten Kräften die gesetzlich als obligatorisch bezeichnete Be¬
schäftigung verschaffen. Das mag zuweilen sehr schwierig und
unbequem sein, allein der Rechtsfrage muss dabei Rechnung
getragen werden. So stellt sich das Verhältniss in Bezug auf
Recht und Pflicht in dieser Frage.
In den vorliegenden Gutachten der Fachmänner finde ich
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einen Trugschluss. Es wird nämlich gesagt: Freiheitsstrafen,
die mit einem Arheitszwange verbunden sind, enthalten die
Freiheitsentziehung, das ist der eine Theil der Strafe — und
den Arbeitszwang, das ist der andere Theil der Strafe. Für
eine Strafarbeit könne kein Lohn verlangt werden. Kann für
die Abbüssung einer Strafe, so wird weiter argumentirt, keine
Entlohnung, kein Arbeitsverdienstantheil beansprucht werden,
so steht auch die sog. Arbeitsbelohnung in keinem recht¬
lichen Zusammenhang mit der Strafarbeit, und ist diese
nichts anderes als ein freiwilliges Geschenk zur Aufmun¬
terung des Fleisses u.s.w., unabhängig von dem Arbeitserträge,
bei schlechtem Verhalten widerruflich und confiscirbar.
Nun möchte ich Sie, meine Herren, ersuchen, sich einmal
den Standpunkt der strengen Interpretation des bestehenden
Gesetzes gegenwärtig zu halten. Die rechtliche Grundlage des
Strafvollzuges und der Strafe ist unstreitig in erster Linie das
Strafgesetz selbst. Das deutsche Strafgesetz bestimmt: der
Zuchthaussträfling ist zu den in den Strafanstalten eingefdhrten
Arbeiten anzuhalten; das österreichische Strafgesetz schreibt
im § 18 vor. dass mit der Kerkerstrafe eine angemessene Arbeit
zu verknüpfen ist. Nun frage ich: folgt aus der Verpflich¬
tung des Kerker- oder Zuchthaussträflings, zu arbeiten, folgt
aus dem Arbeitszwange, der allein im Gesetze Ausdruck
gefunden hat, auch die weitere Verpflichtung, unentgelt¬
lich zu arbeiten, oder ohne Weiteres, auch bei Mehrarbeit,
unbezahlte Arbeit zu liefern? Das ist der erschlichene
Schluss. Das Gesetz spricht nicht von der Verpflichtung
des Sträflings, unentgeltlich zu arbeiten; Hausordnun¬
gen, verwaltungsrechtliche Vorschriften enthalten
diese Bestimmung. Das allgemeinverbindliche Gesetz spricht
nur von der Verpflichtung zur Arbeit. Keineswegs aber wer¬
den Sie mir einwenden können: Zwangsarbeit ist wesentlich
immer eine unentgeltliche Arbeitsleistung. Sehen Sie auf
die sog. Zwangsarbeitsanstalten: die Zwangsarbeit wird, wenn
auch nur gering, doch entlohnt; sehen Sie auf die Zwangs¬
dienste allerlei Art, selbst auf den Militärdienst der unfreiwillig
dienenden Mannschaft: sie finden einige Löhnung; also sind
Zwangsarbeit und unentgeltliche Arbeitsleistung nicht immer
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identisch und das allgemeine Strafgesetz des Staates
spricht nicht von unentgeltlichem Arheitszwange!
Für diese gesetzliche Regelung des Strafvollzuges
will nun der verehrte Verein deutscher Strafanstaltsbeamten
Grundsätze feststellen. Es wäre eine petitio principii, wenn
man lediglich die Bestimmungen der bisherigen Hausordnungen
einer Revision unterziehen würde. Massgebend ist hier das
allgemeine Gesetz für das deutsche Reich, welchem eine Ver¬
pflichtung zur unentgeltlichen Arbeitsleistung fremd ist. Ich
gehe noch weiter: wenn Arbeitszwang nicht identisch ist, nicht
zusammenfällt mit unentgeltlicher Arbeitsleistung, so ist juristisch
de lege ferenda auch nicht im Geringsten der in der Thesis
ausgesprochene Satz zu rechtfertigen: aller Arbeitsertrag
ohne Einschränkung fliesst der Staatskasse zu. Das ist nach
meiner Meinung eine ungerechtfertigte Confiscation aller Arbeits¬
kraft und zugleich auch jeder freiwilligen Mehrarbeit
der Sträflinge. — Nun bedeutet der Arbeitszwang, als Theil
gewisser Strafformen, eine strafmässige Beschränkung in der
Freiheit der Beschäftigung, in der Wahl der Arbeit, eine Be¬
stimmung der Zeit und des Arbeits-Ausmaasses, eine Nöthi-
gung zur Leistung des Arbeits-Pensums, der Sträfling mag
arbeiten wollen oder nicht; nicht aber bedeutet die Freiheits¬
entziehung nach dem allgemeinen Strafgesetze eine Nöthigung
des Zuchthaussträflings zur unentgeltlichen Arbeit, ohne Maass
und Entgelt, und ebensowenig eine Nöthigung zu einer über
das vorgeschriebene Tagwerk oder Pensum hinausgehenden
Mehrarbeit. Nun fragt es sich: darf denn der arbeitsame
Sträfling, der vollkommen den Anforderungen entspricht, welche
die Strafhausverwaltung an ihn stellt, ausgeschlossen werden
von der in der ganzen Welt anerkannten Lohn- und Werth¬
gesetzen begehrter brauchbarer Arbeit? fällt die Wahrheit, die
der Volksmund ausspricht: „Jede Arbeit ist ihres Lohnes werth‘‘,
vor den Pforten der Strafanstalt todt zu Boden? Beherrschen
Lohn- und Werthbegriffe nicht unsere ganze ökonomische Exi¬
stenz? Mit welchem Rechte machen wir von dem wirthschaft-
lichen Standpunkte aus gerade hier eine Ausnahme? Eine gut
geleistete, genügende Sträflingsarbeit, wenn auch nicht ganz
fehlerfrei, ist werth eines Lohnes. Wirthschaftlich steht dem
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Arbeiter ein Antheil an den Arbeitsfrüchten zu; juristisch ist
diese Consequenz, wie ich früher gezeigt habe, reichsgesetz¬
lich nicht ausgeschlossen, ja in den §§ 15, 27 Code Pönal
bereits gezogen.
Noch weiter: der Staat, indem er die mehrfachen Zweck¬
bestimmungen der staatlichen Strafe und nicht blos einseitig
das juristische Moment berücksichtigen muss, ist zu einer Ent¬
lohnung der genügenden Strafarbeit ja geradezu aufgefordert,
zumal er die sog. Arbeitsbelohnung für ein besseres Gefangniss-
wesen gar nicht zu entbehren vermag; Beweis dessen, dass
selbst von dem hier bekämpften Standpunkte der Confiscation
aller Arbeit der Zuchthaussträflinge Belohnungen für Tagwerke
und Mehrarbeiten allerorten in verschiedenen Formen thatsäch-
lich verabreicht werden und zwar nach dem Vorgänge der
Zucht- und Arbeitshäuser des vorigen Jahrhunderts. In dieser
praktisch geübten Theorie von Arbeitsbelohnungen steckt einige
begriflFliche Unklarheit. Durch Arbeitszwang strafen und die
gelungene Zwangsarbeit belohnen — welche Unklarheit! Der
Mehrarbeit des fleissigen Sträflings einen Anspruch auf Ent¬
lohnung entziehen — welche Ungerechtigkeit! — Die Gerech¬
tigkeit fordert: suum cuique, Jedem das Seine, — dem fleissigen
Arbeiter im Strafhause aber wird jeder rechtliche Anspruch
an seinen Arbeitsfrüchten, selbst der Mehrarbeit, abgesprochen,
und jene Forderung der Gerechtigkeit wird in der Strafpolitik
so interpretirt: jedem Sträflinge nimm etwas von dem Seinen;
wenn er hübsch brav arbeitet, schenke ihm dann wieder etwas
von dem ihm entzogenen Seinen. Ist etwa die freiwillige
Mehrarbeit des Sträflings nicht seine Arbeitsfrucht?
Ich halte diese Arbeitsbelohnungstheorie der Praktiker und
der Hausordnungen für widerspruchsvoll und schliesse mich
nur nach der einen Richtung hin dem Geh. Justizrath Wirth
an, wenn er richtig bemerkt: Bemessung der Arbeitsbelohnung
nach dem Arbeitserträge heisst in die Consequenzen des
Satzes fallen: der Sträfling hat ein Recht auf Arbeitslohn. —
Auf diese Consequenz kommt es eben an.
Ferner bitte ich zu erwägen: der Strafzwang ist nur mit
der schwersten Form der Freiheitsstrafe verknüpft, soll also
ein erschwerendes Moment der Freiheitsstrafe sein. Anderer-^
Blatter fär Gefängnisskunde. XIX. 7
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seits wird der Arbeitszwang vom Standpunkte der bessernden
Gefängnisszucht aus als Wohlthat bezeichnet. Nun erlaube ich
mir an Sie die Frage zu stellen: ist eine solche Theorie nicht
ein Kind der Halbheit? Schärfere, strengere Strafform vom
Standpunkte der Abschreckung, und die schwerere Strafarbeit
wiederum als Wohlthat und Correctivmittel für den Sträfling;
sind dies keine Widersprüche? Diese Lehrmeinung ist ein
Bastard aus einer unerlaubten Verbindung zwischen Ab-
schreckungs- und Besserungstheorie und krankt an ihren halben
Consequenzen. Was strafmehrendes Moment der schweren Strafe
sein soll, kann nicht zugleich W^ohlthat sein; was als eine
grössere Summe von Uebeln abschrecken soll, kann nicht zu¬
gleich als eine Wohlthat in Betracht gezogen werden. Das sind
meines Erachtens Halbheiten, von welchen sich die modernen
Gesetzgebungen freihalten sollten.
Ich sage aber noch weiter: der Staat kann ohne einige
Arbeitsvergütung der Sträflinge, die zur Arbeit verpflichtet
sind, gar nicht ein geordnetes und fruchtbringendes Geföngniss-
wesen zur Geltung bringen. Diese Erfahrung bestätigen uns
schon die Geßlngnisspraktiker des vorigen Jahrhunderts. Ist
ein Pensum vorgeschrieben, so ist eben schon dadurch zu
erkennen gegeben, dass die Gefängnissverwaltung des Staates
nur insoweit auf die Arbeitskräfte des Züchtlings Anspruch
macht, als er dieses Tagwerk zu leisten verpflichtet ist. Auf
die Mehrarbeit und deren Ueberverdienst kann de lege ferenda
rechtlich dem Sträfling ein Anspruch nicht vorenthalten werden.
Diesen Satz haben die Gegner der hier vertretenen Ansicht
vorerst zu widerlegen.
Darf der Sträfling bei gesteigerter Anstrengung überhaupt
nicht für sich arbeiten und etwas verdienen, so wird er
nur so viel arbeiten, als er dies zur Vollendung seines Pensums
thun muss. Eine Mehrarbeit ist ohne Aussicht auf einen Ver-
dienstantheil, für die Dauer, nicht zu erwarten. Würde das
Pensum zu hoch gegriflFen, so wäre es regelmässig auch für
den Staat um den Verdienstantheil an der Mehrarbeit geschehen.
Auf diese Weise würden Staat und Gefangene Nachtheile er¬
leiden , wenn die Gefangenenarbeit unbezahlt und unbelohnt
bliebe! Wenn die Mehrarbeit nicht entlohnt wird, wenn der
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stetig fleissige Arbeiter nicht das ihn in seiner gedrückten^
schweren Lage erhebende Gefühl, den moralischen Factor in
seiner Empfindung hat: ich kann mir durch fleissige Arbeit
nicht blos ein Arbeitsgeschenk, sondern sogar einen rechtlichen
Anspruch auf einen gewissen Antheil an meinen Arbeitsfrüchten
erwerben, so fehlt der im blossen Verwaltungscorps geregelten
Einrichtung der sog. Arbeitsbelohnung der Charakter einer all¬
gemein verbindlichen gesetzlichen Institution und dem Arbeits¬
geschenke der Charakter eines rechtmässigen Ge¬
winnes aus ehrlicher Mehrarbeit. So lange der Staat diese
Frage nicht von dem hier vertretenen Standpunkte aus be¬
trachtet und regelt, wird er sich einfach sagen müssen: ist
der Sträfling, der zur Arbeit verpflichtet ist, nicht berechtigt
zu einem gewissen Ansprüche auf die Arbeitsfrüchte seines
über das erforderliche Pensum hinausgreifenden Fleisses, so ist
er eigentlich heute noch Arbeitssklave mit total confiscirter
Arbeitskraft, und was ihm als Arbeitsprämie gegeben wurd, ist
Gnade, Geschenk u.s. w., nichts weniger als ein rechtlich er¬
worbener Verdienstantheil. Damit geräth jedoch der Rechts¬
staat mit den eigenen Rechts- und Wirthschaftsprinzipien in
Widerspruch, da selbst der Sträfling rechtliche Ansprüche hat,
der Rechtsschutz des Arbeitslohnes inner der Grenzen der Straf¬
hausordnung auch diesen nicht entzogen werden soll und heute
im Staate überhaupt ein Rechtloser gar nicht existent werden
kann.
Diesen Standpunkt hat in Oesterreich die neuere Justiz¬
gesetzgebung und GefängnissVerwaltung wenigstens annähe¬
rungsweise eingenommen. Ich berufe mich hier auf den noch
zu wenig gewürdigten Erlass des österreichischen Justizmini¬
steriums vom 14. Februar 1866, § 21, in welchem ausdrücklich
von Arbeitslohn und Arbeitsentlohnung der Sträflinge
die Rede ist. — Es scheint zwar eine Silbenstecher ei zu sein,
in die Worte „Arbeitsbelohnung“ und „Arbeitslohn“ einen tief
gehenden Gegensatz hineinzulegen; allein in dem Worte „Ar¬
beitsbelohnung“ steckt maskirt die Entscheidung des recht¬
lich unhaltbaren Prinzipes: der arbeitspflichtige Sträfling hat
schlechthin keinen rechtlichen Anspruch auf einen Arbeitsver¬
dienst; er ist als schwerer Freiheitssträfling zur Sklavenarbeit
7*
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100
für den Staat verurtheilt. — Diese Ansicht, die hier so beredte
Vertheidiger gefunden hat, habe ich auf das Entschiedenste zu
bestreiten. Allerdings kämen wir im Resultate im Wesentlichen
insoweit überein, als nach dem Prinzipe eines rechtlichen An¬
spruches des arbeitspflichtigen Sträflinges auf einen Verdienst-
antheil der sog. Ueberverdienst für die meisten Sträflinge kaum
grösser ausfallen würde, zumal für die zu kürzeren Strafzeiten
Verurtheilten. Man kann sagen: ob man es Arbeiteentlohnung
oder Arbeite b e lohnung nennt, in beiden Fällen bekommt der
fleissige Arbeiter für seine Arbeit eine gewisse Vergütung. Ich
möchte aber auf den grossen Unterschied aufmerksam machen,
der darin besteht, ob man ein Entgelt für die Arbeit als eine
Gnadengabe oder aus einem Rechtsansprüche begehren kann.
Nun ganz kurz möchte ich nur noch Eines bemerken. Ge¬
fangener und Staat haben auf das Arbeitserträgniss nach
meiner Ueberzeugung Ansprüche; der Staat und der Gefangene,
der zur Arbeit verpflichtet ist, müssen jedoch ihren An¬
spruch auf den Arbeitsertrag nach dem Imperativ einer ge¬
sunden Strafpolitik ermässigen. Wie die Sträflingsarbeiten
nach denStrafzwecken betrieben werden sollen, so haben
auch die Arbeitserträgnisse mit Rücksicht auf diese Strafzwecke
und die Realisirung derselben die angemessene Vertheilung zu
finden. Selbstverständlich ist, dass der Sträfling durch seine
Arbeitsfrüchte zunächst dasjenige ersetzen muss, was er durch
seine Gefangenhaltung oder durch Schädigung des Arbeits-
stoflFes u. s. w. dem Staate an Aufwand persönlich verursacht
hat; das entzieht sich jeder Discussion. Aber der Staat hat
doch auch von seinen berechtigten Ansprüchen auf den Arbeits¬
ertrag Einiges zu ermässigen, und zwar darum, weil es ihm
wesentlich darauf ankommen muss, auch die Früchte der Ge-
fängnisszucht in Ansehung des legalen Verhaltens, der Gesund¬
heit, der Erhaltung der Arbeitskraft und Erwerbsfähigkeit der
Sträflinge zu sichern. Wenn aber der Sträfling kein Peculium
besitzt, wenn er nicht für die gefährlichste, das ist für die
kritische Zeit nach der Entlassung, für die ersten Wochen ge¬
deckt ist, falls er einen ehrlichen Erwerb nicht sofort findet,
so ist das für den Staat ein riesiger Nachtheil, denn die Gefahr
der Rückfälligkeit ist dann gesteigert und dadurch steigern sich
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in der Zukunft auch die Kosten der Gefängnissverwaltung für
die rückfälligen Verbrecher. Es ist daher geradezu eine durch
das eigene Interesse gebotene Verpflichtung für die Staatsver¬
waltung, einen gewissen Theil des Arbeitsertrages des Sträf¬
lings demselben gutzuschreiben und zukommen zu lassen.
Ich besorge, dass ich mit dieser meiner Ansicht hier ziem¬
lich isolirt stehen dürfte, dass ich mich damit im entschiedenen
Gegensätze zu den geehrten Collegen befinde; allein ich glaube,
dass meine Worte bei einer gründlichen Discussion, doch nicht
blos als die Stimme des Rufenden in der Wüste bezeichnet
werden können. Es wäre schon etwas damit gewonnen, wenn
es gelingt, das lebendige Bewusstsein einer von der alten Con-
fiscationstheorie freien Auffassung zu erwecken, welche auf
einer rechtlichen Grundlage für eine angemessene Entlohnung
der pflichtmässigen Gefangenenarbeit beruht. Das dürfte in
einer Zeit, wo die Lohnfrage die ganze Welt beherrscht^
auch auf unserem Gebiete ein Umstand sein, der nicht ganz
ohne Wichtigkeit ist! (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)*)
Präsident: Herr Director Strosser hat das Wort.
Director Strosser: Meine Herren! Das lebhafte Hände¬
klatschen und Bravo, das soeben aus Ihrer Mitte erschollen
ist, scheint zwar darauf hinzudeuten, als ob ein grosser Theil
von Ihnen mit den prinzipiellen Anschauungen des geehrten
Herrn Vorredners in vollem Einklänge sich befände; und doch
glaube ich, dass wenn man hier, wie bei allen menschlichen
Dingen, nach dem Revers auch den Avers sich ansieht, das
Schlusslied und das Schlussresultat dann doch wohl wahrschein¬
lich anders klingen würden, als das Zusammenklappen der
Hände und das Bravo anzudeuten scheinen. Ich glaubte im
Anfänge oder vielmehr bei sieben Achteln der Rede des Herrn
Vorredners, vor dessen wissenschaftlicher Autorität, ohne dass
ich es lange zu versichern brauche, ich den höchsten Respect
habe, dass ich mich fast gegen alle seine Ausführungen vom
*) lieber diese Rede bringen die Wiener Fachzeitschriften Mitthei¬
lungen: Juristische Blätter, 1883 Nr. 40. Allgemeine Juristen-Zeitung,
1883 Nr. 38.
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Standpunkte des bestehenden Rechtes und der Praxis aus
auf das Allerschärfste erklären müsste. Der Herr Redner
hat aber am Schlüsse seiner Rede selbst gesagt: vielleicht ist
aber trotz dem Gegensätze, der zwischen mir und den Herren
Referenten, deren Gutachten den hiesigen Thesen zu Grunde
gelegt ist, zwischen mir und einem grossen Theile der Praktiker
besteht, die Brücke leicht zu schlagen, die Verständigung leicht
möglich. Gewiss, mit einem der letzten Sätze, die er vorge¬
tragen hat, macht sich die Verständigung nämlich nahe von
selbst.
Wenn der Herr Vorredner sagt, es verstehe sich ganz von
selbst, dass der Sträfling zuerst Alles das dem Staate zu er¬
setzen habe, was seine Haft kostet, und dann erst von Arbeits¬
belohnung die Rede sein könne, dann bekommt der Gefangene
auf Grund dieses Universalsatzes der Schlussrede regelmässig
gar nichts. Ich frage Sie Alle, die Sie Strafanstalten vor¬
stehen, ich frage Alle, die mit dem Rechnungswesen jener An¬
stalten zu thun haben: wo gibt es in ganz Europa eine einzige
Anstalt — und ich beschäftige mich seit langen Jahren auch
ernstlich damit, mich über das gesammte europäische Gefängniss-
wesen zu orientiren — wo gibt es eine Anstalt, wo die Sträf¬
linge auch nur die Kosten ihrer gesammten Verpflegung, ge¬
schweige denn die Kosten der Bewachung, die Kosten der
kostspieligen Bauten, die für sie hergestellt werden, aufbringen ?
(Ruf: Die Strafanstalt zu Stein!) Die Baukosten mit einge¬
rechnet? (Ja wohl!) Ich freue mich, dies von dieser Anstalt
zu hören. Die Sache ist mir wohl zweifelhaft, doch soll es
mich freuen, wenn ich in unseren Fachblättern demnächst die
diesfälligen Ziffern angeführt finde. In Amerika finden wir bei
den dortigen eigenthümlichen Verhältnissen einzelne solche ihre
Gesammtkosten aufbringende Anstalten. (Ruf: Und hinten-
nach der Bankerott!) Also auch dort das Ende der Bankerott.
Wenn der bezeichnete Grundsatz festgehalten wird, Hesse
sich über die übrigen Sätze des Herrn Vorredners vielleicht
sprechen; ich habe aber doch auch, abgesehen von dem That-
sächlichen, einige ernste Bedenken prinzipieller Art gegen seine
Anschauungen. Die Herren, die auf den Lehrstühlen der
Wissenschaft sitzen und berufen sind, alle Fragen des ÖflPent-
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103
liehen Lebens, hier also Fragen des Strafvollzugs, möglichst
scharf und präcise nach ihrer prinzipiellen Richtung zum Aus¬
trage zu bringen, sind sehr leicht geneigt, auch die letzten
Consequenzen ihrer theoretischen Annahmen zu ziehen und sehr
häufig über das praktisch Mögliche und Erreichbare hinüber
zu schiessen. Darum liegt ja ein so hoher Werth in der Er¬
scheinung, dass in einer solchen Versammlung, wie die heutige
es ist, Theorie und Praxis einander begegnen und ein Aus¬
tausch der Gedanken, Anschauungen und Grundsätze stattfindet,
um das wirklich Erreichbare, das Mögliche, das auch dem Be¬
wusstsein unseres Volkes Entsprechende zu Tage zu fördern.
Und ich hoffe, wie wir uns freuen, den verehrten Herrn Vor¬
redner an unserem Rednertische stehen gesehen zu haben, ihn
in unserer Mitte zu wissen, ebenso wird es den Herrn Vor¬
redner freuen, dass er nun auch Männer der Praxis in ihren
Anschauungen über seine Forderungen sich aussprechen hört.
Wenn von ihm gesagt wurde, es sei eine Confiscation des
Arbeitsertrages, was jetzt bei uns eingefiihrt sei, dann ent¬
gegne ich; dies Wort schiesst weit über das Ziel hinaus und
triflFt absolut die Wahrheit nicht. Der Herr Vorredner beruft
sich auf dasjenige Recht, was in der ganzen weiten Welt auf
dem gesammten Gebiete des freien Arbeitsmarktes gilt, auf den
Satz nämlich, dass der Ertrag der Arbeit demjenigen gehört,
der die Arbeit leistet, andernfalls sei der Betreffende ein Ar-
beitssclave. Ja, der Eingang seines Satzes ist ganz richtig,
bei dem freien Manne ganz selbstverständlich! Den freien
Mann ernährt nicht der Staat, ihm gibt er nicht des Morgens
eine gute Suppe, Mittags und Abends ein reichliches Essen,
ihm gibt er nicht ein schönes Bett, nicht ein hübsches Zimmer,
ein viel besseres, als oft der freie Mann bewohnen kann. Aber
wenn der Staat aus der Nothwendigkeit des Strafvollzuges alles
dies für den Gefangenen leisten muss, dann versteht es sich
von selbst, dass der Gefangene in Bezug auf das allgemeine
Lohngesetz der Arbeit auf Erden auch nicht entfernt mit dem
freien Manne in Vergleich gezogen werden kann; das wäre ein
starker Irrthum. Weil der Staat alle jene Fürsorge übernimmt,
darum hat er ein Recht auf den Arbeitsertrag des Gefangenen,
mindestens bis zur vollen Deckung aller seiner Unkosten.
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104
Es kommt hiebei noch eine zweite hochwichtige Frage in
Betracht, die man vom Standpunkte strenger Gerechtigkeit sich
klar halten muss. Es ist sehr leicht, in lauter Humanität für
die Gefangenen ihnen alle möglichen Rechte zuweisen zu w^ollen;
aber das arbeit ende Volk, das verbrecherlose Volk, die
ehrenhaften Männer im Lande müssen die Kosten für jene
Verbrecher aufbringen, und darum hat in erster Linie der Ge¬
fangene zu arbeiten, auf dass er die Kosten decke, die er ver¬
ursacht, sie wenigstens soweit decke, als er kann, und der
brave, ehrliche Mann, der im Schweisse seines Angesichtes
sich und seine Familie mühsam ernährt, erst dann zur Hilfe¬
leistung herangezogen werde, wenn der Sträfling seine ganze
Arbeitskraft aufgewendet hat.
Es ist mitgetheilt w’orden, dass die österreichische Straf¬
anstalt Stein mehr liefere, als sie den Staat kostet. Es wurde
mir aber auch erzählt — ich glaube von demselben Herrn,
welcher mich mit seinem Zwischenruf unterbrach — wie die
Leute in der Nachbarschaft jener Anstalt leben, wie ärmlich
sie sich im Gebirge fortbringen, und wie gar kein Vergleich
sei zwischen dem, was die Gefangenen zu essen bekommen,
und dem, was die freien Leute in der benachbarten Bevölke¬
rung geniessen. Alle diese Leute, die von Wasser und Brod
leben und nur einmal in der Woche Fleisch essen, sollen also
auch noch die möglichst hoch normirten Arbeitsprämien als
ein Recht des Gefangenen aufbringen, selbst wenn der Ge¬
fangene nicht die Kosten seiner Verhaftung, Verpflegung und
Bewachung gedeckt hat? Nein, meine Herren! Der Sträfling
hat kein solches Recht. Das hat er auf Grund unserer be¬
stehenden Gesetze nicht; von einem solchen Rechte kann man
auf diesem Gebiete selbst vom allgemeinen Naturgesetze aus
nicht sprechen! Durch sein Verbrechen hat sich der Sträfling
der Freiheit beraubt, die Kosten fallen dem Staate zur Last,
er muss sie im vollen Umfange tragen. Deshalb erkennt auch
kaum eine europäische Gesetzgebung ein wirkliches Recht des
Sträflings auf den Arbeitsertrag an. Es ist mir nicht genau
bekannt, wie es damit in allen einzelnen Gesetzgebungen
Europas steht; aber auf dem Stockholmer Congresse ist eine
solche Anerkennung wohl kaum von irgend einer Seite ausge-
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sprochen worden. Wohl aber findet der zweite Gesichtspunkt
Anerkennung, den der Herr Vorredner nebenbei erwähnt hat.
Aus diesem Gesichtspunkte gibt der Staat dem Gefangenen
als eine Art Belohnung die Prämie, trotzdem, wie gesagt, in
fast allen Staaten durch den Arbeitsertrag die Kosten des
Strafvollzuges nicht gedeckt werden. Es ist der auch für den
freien Arbeitsmarkt geltende Gesichtspunkt, dass in der Be¬
lohnung der Arbeit ein gewaltiger Sporn zur Arbeit selbst liegt
und dass der blosse Zwang zur Arbeit auch in Gefängnissen
und Strafanstalten nicht weiter reicht, als dass der Gefangene
eben nothdürftig schafft, was er für den Tag als Pensum
— oder wie man es sonst nennt — schaffen soll und muss.
Für den Staat und für den Gefangenen — darin trete ich dem
Herrn Vorredner bei — stehen hier die Interessen einander
durchaus nicht entgegen; für Staat und Gefangene liegen die
Interessen auf ganz gleicher Linie. Wenn der Gefangene in
der Arbeitsprämie einen Anreiz zu fleissiger Arbeit hat und,
je mehr er leistet, die Prämie dann auch um so höher normirt
wird, dann strengt er wirklich seine volle Kraft an, um Tüch¬
tiges und viel zu leisten, um während der Haft auch möglichst
viel zu erwerben, sei es für die eigene Zukunft, sei es zur Er¬
langung von Extraconsumtibilien u. s. w. Durch dieses Be¬
streben gewinnt aber selbstverständlich auch der Staat in dem,
was ihm vom Arbeitslöhne verbleibt, einen weit höheren Er¬
trag, als wenn er dem Manne nichts geben und dieser dann
auch nichts weiter leisten würde, als was er absolut leisten
muss.
Es liegt darin aber auch eine grosse pädagogische und
erziehliche Seite. Die meisten unserer Sträflinge kommen in
das Gefängniss wegen verbummelten Lebens, Müssigganges
und Arbeitsscheu, die neben anderen schlechten Eigenschaften
sie auf die Bahn des Verbrechens geführt haben. Wer, wie
wir in Preussen, jedes Mal bei der Einlieferung eines Gefan¬
genen an die Heimathsgemeinde schreiben muss: „Geben Sie
uns gütigst die Gründe an, warum der Mann wohl auf den
Weg des Verbrechens gerathen ist“, wer, wie wir, bezüglich
eines ungeheuer grossen Bruchtheiles der Gefangenen auf diesem
Wege als Gründe für das Versinken in das Verbrecherthum
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V
— 106
erfahrt: Branntweingenuss, Müssiggang, Landstreioherei, Ar¬
beitsscheu u. 8. w., der weiss, wie schwer es hält, diese Leute^
die durch ihre Jugenderziehung, durch ihren Umgang und die
Wirthshäuser in die Gefängnisse gelangt sind, zum Fleisse und
zu angestrengter Arbeit anzuspornen und zu erziehen.
Die. Anspornung der Kräfte eines Gefangenen in der Ge¬
wöhnung zur Arbeit ist indessen für den Mann und für den
Staat nicht blos während der Haft des ersteren von Vortheil
und Segen, es übt das auch seinen Einfluss auf das spätere
Leben des Gefangenen aus. Er hat in der Strafanstalt arbeiten
gelernt, arbeiten mit ganzer Kraft, was er früher nicht geübt,
und das geht mit ihm in das Leben hinaus, wenn nicht bei
Allen, so doch bei einem grossen Theile.
Also Staat und Gefangener haben in der Gewährung einer
Arbeitsprämie gleiches Interesse daran, dass der Mann in der
Strafanstalt tüchtig arbeite und so befähigt werde, nach seiner
Entlassung durch ehrlichen Erwerb sich seinen Lebensunter¬
halt selbstständig zu schaffen.
In dieser Beziehung freue ich mich mit dem geehrten Herrn
Vorredner in gleicher Anschauung zusammen zu treffen. Nun
sagte derselbe aber weiterhin in seiner Rede, das Strafgesetz
spreche nicht von einer Entschädigung des Gefangenen für die
Arbeit, und weil es davon nicht spreche — interpretirt der
Herr Redner in sehr eigenmächtiger Weise — sei der Staat
verpflichtet, dem Gefangenen einen bestimmten Antheil zu
geben, denn Zwangsarbeit und unentgeltliche Arbeit seien
keineswegs identisch. Ganz mit demselben Rechte kann aber
aus dem Umstande, weil das Gesetz über diese Frage nichts
bestimmt, jede Regierung herausinterpretiren: da das Gesetz
nichts hierüber festsetzt, fällt die Regelung der Angelegenheit
in unser Verwaltungsrecht und wir bestimmen, dass der Sträf¬
ling keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Arbeitsprämie hat.
So steht denn auch jetzt in fast allen europäischen Staaten
diese Angelegenheit gesetzlich und thatsächlich. Jedenfalls hat
die Interpretation der betheiligten Regierungen principiell und
sachlich genau dieselbe Berechtigung, wie die entgegengesetzte
des Herrn Vorredners.
Herr Professor Wahlberg sagte uns ferner, das Princip
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der Avbeitsbelohnung, wie es heutzutage gelte, sei wider¬
spruchsvoll und unhaltbar, ein Kind der Halbheit. Ich habe
mit ihm auch in meinem Leben stets die Neigung getheilt,
mich von jeder Halbheit ferne zu halten, mich überall auf
einen prinzipiell klaren und festen Standpunkt zu stellen, um
unbeirrt von schwankenden Tagesmeinungen meinen Weg durch
das Leben hindurch zu gehen. Aber in der Praxis unserer
Arbeitsprämien erkenne ich absolut keine Halbheit. Das Gesetz
spricht, wie gesagt, keine Verpflichtung des Staates zur Lei¬
stung von Arbeitsprämien aus, der Staat hat nur im eigenen
wie im Interesse des Gefangenen und um einer ganzen Reihe
sonstiger Gründe willen es für billig und recht gehalten —
oder ich sage lieber: für billig und gut, um nicht durch den
Ausdruck „recht“ auf den Weg des Herrn Vorredners zu
gerathen — dem Gefangenen, trotzdem er nicht die Gesammt-
kosten seiner Haft aufbringt, eine Arbeitsbelohnung zu ge¬
währen. Es ist dies ein Vorgang, der, möchte ich beinahe
sagen, an das Schriftwort von dem Gärtner im Weinberge
erinnert, wo der Erste und Letzte gleichviel bekommen und
der Herr des Weinberges fragte: siehst Du darum so scheel,
weil ich so gütig bin? Der Staat ist gütig gewesen dem
Verbrecher gegenüber, und das ist auch eine seiner grossen
und schönen Aufgaben neben der Wahrung des starren Rechtes.
Das unbeugsame Recht kommt nur dann zu seinem vollen
Ausdruck im Segen, wenn zu rechter Zeit auch Güte und
Freundlichkeit daneben einhergehen. Es ist also die Uebung
von Freundlichkeit und Güte Seitens des Staates,'wenn er dem
Gefangenen eine Arbeitsprämie gewährt, und wir wollen uns
freuen, dass wir noch Staaten haben, die gütig und freundlich
sind auch gegen die schwersten Verbrecher.
Der geehrte Herr Vorredner sagt endlich noch: ohne
gesetzliche Arbeitsbelohnung kann der Staat keinen geord¬
neten Strafvollzug ausführen. Ich wüsste nicht, warum nicht;
es ist bis jetzt durch Jahrhunderte gegangen, wir sind auf
diesem Wege vorwärts gekommen in wohlgeordnetem Straf¬
vollzug und werden fernerhin auch noch weiter vorwärts
kommen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass einmal im
Laufe der Zeiten vielleicht auch der Auffassung des Herrn
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Vorredners Rechnung getragen wird, wenn die Ergebnisse der
Arbeitsleistung der Sträflinge darnach angetlian oder andere
Gründe^ und Verhältnisse dafür massgebend sein werden. Vor¬
läufig aber stehe ich auf dem Standpunkte; Der Sträfling hat
zur Zeit kein gesetzliches Recht auf Gewährung der Arbeits¬
prämie und das sprach Herr Geh. Justizrath Wirth in den von
ihm gegebenen Thesen mit voller Schärfe aus. Dieser Grund¬
satz muss anerkannt werden, so lange der Strafvollzug jene
Wege geht, die er bisher eingeschlagen hat. Daneben haben
aber, wie gesagt, fast alle Staaten mit^ wenigen Ausnahmen
aus den angeführten Motiven den Grundsatz aufgestcllt: Den
Gefangenen sollen Prämien gewährt werden, und daraus er¬
klären sich dann auch, weil kein absolutes Recht darauf an¬
erkannt ist, die anderen Bestimmungen, wie sie in den weiteren
Thesen des Ausschusses vorliegen. Der Herr Referent hat in
seinem meisterhaften Vortrage, über den ich mich umsomehr
aus innerster Seele gefreut habe, weil er mit ungemeiner Ruhe
entwickelt worden ist, während ich den Herrn bei der Erörte¬
rung des Themas im Ausschüsse in einer viel erregteren Stim¬
mung gesehen habe, nach allen Seiten klargelegt, wie diese
Thesen sich rechtfertigen. Man kann dabei, wie er im Ein¬
gänge seiner Rede andeutet, noch eine ganze Reihe anderer
Gesichtspunkte mit diesen Fragen und Thesen verknüpfen. Der
Ausschuss hat jedoch — dies will ich am Schlüsse noch sagen —
bei der grossen Zahl der Thematas, die jeder solchen Versamm¬
lung naturgemäss für die Berathung unterbreitet werden müssen,
weil immer die Möglichkeit vorliegt, dass wegen Verhinderung
des Referenten der eine oder andere Gegenstand ausfallen kann,
sich gesagt; wir müssen bei der Behandlung des Stoffes Alles
ausscheiden, was nicht absolut in dem Wortlaute der zur De¬
batte gestellten Fragen enthalten ist, sonst verliert sich ‘die
Discussion in andere, vielleicht viel bestrittene Punkte, so dass
wir absolut in der kurzen Frist unseres Beisammenseins damit
nicht fertig werden können. Darum bitte ich recht herzlich;
begnügen Sie sich mit dem, was der Ausschuss Ihnen ge¬
bracht hat; wer mehr will, komme auf eine unserer späteren
Versammlungen und sein Hunger soll vollständig befriedigt
werden. Schliessen Sie sich, meine Herren, den wohlmotivirten.
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aus der Praxis des Lebens gezogenen Thesen des Aus¬
schusses an.
Präsident: Herr Geh. Rath Illing hat das Wort.
Geheimer Ober - Regierungsrath Illing (Berlin): Meine
Herren! Es ist für mich ein gewagtes Beginnen, einem der
gewiegtesten Strafrechtslehrer Deutschlands entgegen zu treten.
Die Frage, um die es sich handelt, ist aber für die Organi¬
sation des Strafvollzuges eine so wichtige, dass auch ich mich
gedrungen fühle, gegen die Ausführungen des Herrn Hofraths
Wahlberg, obgleich ein grosser Theil der geehrten Versamm¬
lung dieselben mit lautem Beifall aufgenommen hat, einen
ebenso entschiedenen Protest einzulegen, wie der Herr Vor¬
redner.
Herr Hofrath Wahlberg sagt uns: der Sträfling ist kein
Arbeitssklave, er hat ein gewisses Maass von Rechten. Er ist
zur Arbeit verpflichtet, aber er hat auch ein Recht auf Ueber-
weisung von Arbeit und es existirt kein Gesetz, es gibt kein
Recht, welches ihn zu unentgeltlicher Arbeit verpflichtet, zu
einer Arbeit, für die er keine Entlohnung erhält.
Ein solches Gesetz und ein solches Recht existiren aller¬
dings nicht, wenigstens nicht ein geschriebenes. Aber es gibt
Dinge, die sich als nothwendige Consequenz aus der Natur der
Sache und aus den vorhandenen Gesetzen ergeben. So viel
mir bekannt, bezeichnen die Strafgesetze aller Nationen die
Zwangsarbeit als einen integrirenden Theil der Zuchthaus- und
meisthin auch der Gefängnissstrafe. Nun ist allerdings in
keinem deutschen Strafgesetzbuch und meines Wissens auch
in keiner deutschen Strafrechtstheorie der Satz ausgesprochen
worden, dass der Zuchthaussträfling ohne Entgelt zu arbeiten
habe. Sollen wir aus dem Nichtvorhandensein eines solchen
Satzes eben die Folgerung ziehen, dass der Sträfling ein
Recht hat auf Bezahlung für die Arbeit, zu der ihn das
Gesetz verurtheilt?
Meine Herren! Wir haben auch keine gesetzliche Vor¬
schrift, dass der Staat die Zuchthaussträflinge unentgeltlich zu
verpflegen habe und doch wird es Niemandem einfallen, dass
wir, weil es an einer solchen Vorschrift fehlt, die Sträflinge
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110
hungern lassen dürfen, wenn sie ihre Verpflegung im Zucht¬
hause nicht bezahlen können. Der Staat hat sie zu verpflegen,
weil er ihnen mit der Freiheit zugleich die Möglichkeit ent¬
zieht, sich selbst zü ernähren; daraus folgt aber keineswegs,
dass er ohne Weiteres lediglich in den Säckel der Steuer¬
zahler zu greifen hat, um die Kosten der Verpflegung für Ver¬
brecher zu berichtigen, die im Interesse der öffentlichen Sicher¬
heit und Ordnung unter Schloss und Riegel genommen wer¬
den müssen.
Es ist ein anerkannter Rechtsgrundsatz, dass Jedermann
für die Folgen der von ihm begangenen Delicte aufzukommen
hat und dem entsprechend sind auch die Sträflinge für die
Kosten, welche durch ihre Detention verursacht werden, dem
Staate haftbar, wenn und soweit sie Vermögen besitzen. Die
Mehrzahl von ihnen ist, wie bekannt, ohne Vermögen; ein
nutzbares Vermögensstück aber besitzen Alle, mit Ausnahme
der Invaliden, und das ist ihre Arbeitskraft. Herr Hofrath
Wahlberg nennt es eine Confiscation, wenn wir den Ertrag
der Sträflingsarbeit für die Staatskasse in Anspruch nehmen.
Ich für meine Person vermag nicht abzusehen, weshalb wir
darauf verzichten sollen, das einzige Vermögensobject, welches
die meisten Sträflinge besitzen, ihre Arbeitskraft zur Deckung
der durch ihre Detention verursachten Kosten zu verwerthen
Es hat das meines Erachtens ebenso wenig Bedenken wie die
Vollstreckung einer Pfändung oder Execution wegen einer
liquiden Forderung der Staatskasse — von einer vollständigen
Deckung der Detentionskosten wird ohnehin, selbst wenn wir
den Ertrag der Sträflingsarbeit für die Staatskasse in Beschlag
nehmen, wohl nur in äusserst seltenen Ausnabmefällen die Rede
sein können.
Herr Hofrath Wahlberg hat sich unter Anderem auch
darauf berufen, dass alle Regierungen den Sträflingen gewisse
Prämien oder Belohnungen für ihre Arbeit zuerkennen. Es
geschieht das allerdings, aber in dieser Einrichtung liegt keines¬
wegs, wie Herr Hofrath Wahlberg anzunehmen scheint, die
Anerkennung eines Rechtes der Sträflinge auf den Ertrag
ihrer Arbeit. In den Strafanstalten wird gearbeitet, weil das
Gesetz die Arbeit vorschreibt, weil die Ordnung in den Straf-
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anstalten nicht aufrecht zu erhalten sein würde ohne Beschäf¬
tigung der Gefangenen, weil die Sträflinge ohne Arbeit physisch
und moralisch verkommen würden und weil wir sie, so weit
möglich, zu Arbeiten anleiten wollen, von denen sie sich nach
ihrer Entlassung ehrlich ernähren können. Wir gewähren ihnen
hiebei in der Form von Prämien einen Antheil von dem Er¬
trage ihrer Arbeit, um sie zum Fleiss anzuspornen und um sie
auch für die Folgezeit zur Arbeit willig zu machen — die
Arbeitsbelohnungen werden mithin keineswegs als ein Recht
gewährt, sondern lediglich aus Gründen der Zweckmässigkeit.
Die von mir vertretene Ansicht entspricht meines Wissens
dem Rechtsbewusstsein in allen Klassen der bürgerlichen Ge¬
sellschaft, und ich für meine Person möchte den Sturm der
gerechten Entrüstung nicht über mich nehmen, der zweifels¬
ohne ausbrechen würde, wenn wir die Sträflinge in unseren
Gefängnissen auf Kosten der armen Steuerzahler frei verpflegen
und ihnen dann noch den Ertrag ihrer Arbeit zur Ansammlung
eines kleinen Kapitals überlassen.
Meine Herren, ich empfehle Ihnen auf Grund einer mehr
als 20jährigen Erfahrung die Annahme der These des Aus¬
schusses, die ebenso der Gerechtigkeit entspricht wie den An¬
forderungen des Strafvollzuges. (Beifall.)
Präsident; Herr Geheimer Justizrath Wirth hat das
Wort.
Geheimer Justizrath Director Wirth: Ich komme nur auf
die Aeusserung des Herrn Professors Dr. Wahlberg zurück,
dass unsere Gutachten etwas Wesentliches, nämlich den Um¬
stand übersehen hätten, dass in dem Strafgesetze nichts davon
gesagt sei, dass der Gefangene unentgeltlich zu arbeiten habe.
Wenn wir angenommen hätten, der Gefangene habe nicht un¬
entgeltlich zu arbeiten, so wäre die Frage, ob derselbe eine
Arbeitsbelohnung bekommen soll, für uns hinfällig und mit der
Frage der Arbeitsbelohnung hätten wir uns dann hier nicht
zu beschäftigen, denn diese Frage beschäftigt uns hier nur
ganz hauptsächlich aus dem Grunde, weil wir von der Ansicht
ausgehen; der Gefangene hat kein.Recht auf Arbeitsbelohnung,
kein Recht, für seine Arbeit etwas zu empfangen. Würde man,
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wie Herr Professor Wahlberg, daraus, dass sich das Gesetz
darüber ausschweigt, ob der Gefangene für seine Arbeit etwas
zu bekommen hat oder nicht, interpretiren wollen, dass der
Gefangene wie jeder andere Mensch für seine Arbeit bezahlt
werden müsse, dann hätten wir von der Arbeitsbelohnung nicht
mehr zu sprechen, sondern dann würden wir dem Gefangenen
einfach den ganzen Ertrag seiner Arbeit bezahlen müssen,
nicht aber einen Antheil oder eine Kleinigkeit, ein Geschenk,
wie es hier bestimmt werden will.
Wir sprechen bei unseren Vorschlägen auch de lege
ferenda; es soll erst eine Bestimmung getroffen werden, nach
welchen Grundsätzen man dem Gefangenen den Arbeitslohn
geben soll. Es ist uns vom Herrn Professor gesagt worden,
der Gefangene brauche nicht unentgeltlich zu arbeiten, weil
das Gesetz dies nicht ausdrücklich verlange, sondern nur, dass
derselbe arbeiten müsse. Wenn wir aber alle Vollzugsbestim¬
mungen so genau im Gesetze haben müssten, wie es Herr
Professor Dr. Wahlberg für die Arbeitsbelohnung fordert, so
wäre unser ganzer Strafvollzug am Ende, die Hände wären
uns überall gebunden.
Wenn ich auf die ausführlichen Darlegungen des Herrn
Professors Dr. Wahlberg weiter nichts bemerke, so geht dar¬
aus natürlich nicht hervor und ich bitte auch nicht daraus zu
schliessen, dass ich mit seinen übrigen Ausführungen einver¬
standen wäre. Ich wollte nur über diesen einen Punkt in
meiner Eigenschaft als Erstatter eines Gutachtens sprechen,
vielleicht gefällt es noch einem oder dem andern Herrn, die
aufgestellte Theorie von der practischen Seite zu beleuchten.
Präsident: Herr Professor Dr. Wahlberg hat das
Wort.
Hofrath Professor Dr. Wahlberg: Die Zeit ist bereits so
vorgerückt, dass es ganz ungerechtfertigt wäre, hier auf eine
Polemik einzugehen. Die geehrten Herren Gegner haben eine
unhaltbare Verwirklichungstheorie vertreten: der Sträf¬
ling, der zur Freiheitsstrafe mit Arbeitszwang verurtheilt ist,
sei in Ansehung des Erwerbes rechtlos; das ist des Pudels
Kern! Nun sagte ich: der Sträfling habe ein gewisses Maass
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von Rechten und Verpflichtungen und zu den Rechten gehöre
auch der Anspruch auf jenes Maass der Arbeitsfrüchte, welches
nach Abzug der nicht etwa durch den Strafvollzug über¬
haupt, sondern, wie ich ausdrücklich betont habe, der
durch die Anhaltung des betreffenden Sträflings persönlich
verursachten Kosten erübrigt. Nun habe ich, obwohl ich mei¬
nem Berufe nach Theoretiker bin, seit 20 Jahren insoferne
einige practische Kenntniss des Gefängnisswesens erlangt, als
ich wiederholt zahlreiche Gefängnisse studirt, gesehen und
ausführlich beschrieben habe. Diese Erfahrungen werden Jahr
aus Jahr ein durch die sehr beachtenswerthe Statistik der
k. k. Strafanstalten unterstützt, welche die Ausweise über den
Staatsantheil und den Sträflingsantheil an dem Ar¬
beitsverdienste der Sträflinge rubricirt. Es ist eine alte Er¬
fahrung, dass die Strafanstalten mehr kosten als sie einbringen,
allein es lässt sich ziffermässig darthun, dass nicht wenige
Sträflinge, in langer Strafzeit bei einem einträglichen Arbeits¬
zweige beschäftigt, mehr verdienen, als sie durch ihre Ver¬
pflegung kosten. Schon diese Thatsache widerlegt die Be¬
hauptung, dass nach der durch mich vertretenen Ansicht die
Sträflinge überhaupt nichts bekommen würden, abgesehen von
der Frage, ob und inwieweit der Staat auf die Eintreibung
seiner Ersatzansprüche aus dem Ueberverdienste gewisser >^träf-
lingsklassen nicht theilweise zu verzichten habe im Dienste
wichtigerer Strafzwecke.
Ich kann hervorheben, dass es einzelne Sträflinge gibt,
die nach Deckung ihrer Verpflegungskosten einen Betrag von
60, 60, 160 und mehr Gulden als Peculium bei der Entlassung
aus einer österreichischen Strafanstalt mitnehmen. Es sind dies
hauptsächlich Sträflinge mit langer Strafzeit, die allerdings
häufig Rückfällige waren, welche bekanntlich zu den profita¬
belsten Arbeitern gezählt zu werden pflegen.
Es ist also nicht richtig, dass Sträflinge nach der von mir
vertretenen Ansicht absolut nichts bekommen, wenn sie ledig¬
lich die zu ihrer Gefangenhaltung proportional und ermässigt
berechneten Verpflegungskosten zu decken haben. Bei dieser
Berechnung wird es wohl Niemandem ernstlich einfallen können,
dem einzelnen Sträfling die Kosten des Bauaufwandes, des
Blitter für Gefängnisskunde. XIX. 8
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Urttörrichteö, der ärztlichen Pflege, der Bewachung etc. in Ein¬
rechnung zu bringen. Nur die durch den einzelnen Gefan¬
genen verursachten Kosten ist er verpflichtet dem Staate zu
ersetzen, und diesen Ersatz wird ein tüchtiger, fleissiger Ar¬
beiter, der während einer längeren Strafzeit einträglichere
Arbeiten zugewiesen erhält, abzustossen in der Lage sein und
auch zuweilen ein nettes Peculium als Sparpfennig, als Retter
in der Noth bei der Entlassung gewinnen. Würde die gegen-
theilige Ansicht des Herrn Vorredners, dass jeder Häftling
alle proportional auf ihn entfallene Kosten der Strafanstalts¬
verwaltung zu decken habe, als richtig angenommen, so würde
sie auf einer juristisch ganz unhaltbaren Fiction be¬
ruhen, nämlich auf der Annahme einer Solidarverpflich-
tung aller Häftlinge. Diese vermeintliche Solidarhaftung lässt
sich in keiner Weise rechtfertigen.
Das, was der einzelne Sträfling dem Staate durch seine
Gefangenhaltung und Verpflegungskosten an Aufwand ver¬
ursacht hat, das hat er nach Kräften zu ersetzen. Dagegen
hat er auf einen Antheil an dem Ueberschuss der Arbeits¬
früchte einen wohl begründeten Anspruch, und ich bitte Sie,
indem ich an Ihr Gedächtniss appellire, sich gegenwärtig zu
halten, dass ich gesagt habe: „Gefangener und Staat
haben Ansprüche an den Arbeitsertrag, beide aber haben je
nach der Stellung, die sie einnehmen, ihre Ansprüche zu er-
mässigen. Der Staat hat in Bezug auf arbeitsunfähige oder
piinder geschickte Sträflinge seine Ansprüche zu ermässigen,
um ihnen die Möglichkeit einzuräumen, beim Austritte aus der
Strafanstalt mit einem Sparpfennig in die Welt zu treten, die
in der Regel bei der leider noch geringen Verbreitung der
Vereine für entlassene Sträflinge, namentlich am Lande, mit
Härte schonungslos behandelt werden. Aber auch der Sträfling
hat seinen Anspruch auf den Ueberverdienst zu ermässigen
und sich erkenntlich mit einem geringeren Lohnantheil zu be¬
gnügen, da er in der Strafanstalt nicht nur verpflegt und
beschäftigt wird, sondern auch intellectuelle und moralische
Wohlthaten des Unterrichts und der inneren Aufrichtung
geniesst.
Eine zweite Bemerkung ist folgende. Was bisher in den
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115
verschiedenen Hausordnungen und partikularistischen Vorschrif¬
ten über die Arbeiisbelohnungen oder Gratiflcationen festzu¬
setzen für opportun erachtet wurde, kann uns allein nicht
massgebend sein. Es handelt sich hier nicht darum fest¬
zuhalten, was bisher im Wege des partikularen Verwaltungs¬
rechtes als zweckdienlich oder bequem geregelt wurde; hier
handelt es sich um die erspriessliche gesetzliche Regelung
desjenigen Theiles des Arbeitslohnes, welcher dem arbeits¬
pflichtigen Sträflinge zuzufallen hat; — also um die recht¬
liche Grundlage des Arbeitsverdienstantheiles der Sträf¬
linge, im Wege eines Strafvollzugsgesetzes, welches
Herr Justizrath Wirth auch zu den Forderungen der Justiz¬
reform gezählt hat.
Vicepräsident Geh. Ober-Justizrath Starke (den Vorsitz
übernehmend): Gestatten Sie mir Ihnen mitzutheilen, dass von
den Herren Geh. Ober-Reg.-Rath Illing und Geheime Rath
Ekert ein Schlussantrag eingebracht worden ist. Die Ge¬
schäftsordnung bestimmt, dass eine Unterstützung eines Schluss¬
antrages nicht nöthig ist. Es sind noch eingetragen: Consi-
storialrath Richter, Director Krohne, Director Strosser,
Regierungsassessor Lotichius aus Dresden.
Ich ersuche jene Herren, welche den Schluss der Debatte
annehmen wollen, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Schluss
der Debatte ist angenommen. Ich ertheile dem Herrn Re¬
ferenten das Schlusswort.
Referent Director Ta uff er: Das Redeturnier, dessen auf¬
merksamer Zuhörer ich war, bezog sich auf die prinzipielle
Entscheidung der Frage, ob wir ein Arbeitsgeschenk geben
können und sollen, oder ob wir unter gewissen Bedingungen
auch eine Arbeitsbelohnung geben müssen? Es handelt sich
also um „Geschenk“ resp. „Belohnung“ oder „Verdienst“. Ich
glaube, dass man über diese Frage nach dem Allem, was wir
gehört, einfach mit „Ja“ und „Nein“ entscheiden kann. Fällt
die Bestimmung „Geschenk“, so fallen alle Thesen; dann ist
die ganze Frage von der heutigen Tagesordnung einfach ab¬
gesetzt. Ich meine die Gesinnung der Herren Collegen der¬
art zu kennen, dass ich annehmen kann, sie werden eich dahia
8 *
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116
entscheiden, dass diese Thesen aufrecht erhalten bleiben. In
dieser Voraussetzung wollte ich nur zwei ganz kurze Bemer¬
kungen machen. Der Herr College Wirth beantragt, dass das
Wort „Arbeitsbelohnung“ modificirt werde. Ich würde nun
bitten, das Wort „Arbeitsbelohnung“ durch „Arbeitsgeschenk“
zu ersetzen. Dann ist kein Zweifel möglich, wie die Frage
verstanden werden soll.
Er fragt auch, ob auf die Höhe der Belohnung der er¬
zielte Nutzen einen Einfluss nehmen soll? Ich glaube, die
These antwortet darauf ganz präcise, indem sie betont: „nach
Maassgabe der Arbeitsleistung und des dabei angewendeten
Fleisses“. Es ist also gar nicht zweifelhaft, dass wir die
Höhe des Arbeitsgeschenkes nicht nur durch den Nutzen be¬
stimmen lassen, sondern auch das Maass des angewendeten
Fleisses in Erwägung gezogen haben wollen.
Das dritte Kriterium: das Verhalten des Gefangenen
wird wieder durch einen zweiten Satz der These präcisirt.
Eine Irrung oder eine zweifache Deutung der Resolution ist
mithin ganz unmöglich. Auf Grund dieser Erinnerungen bitte
ich die Versammlung, die Thesen des Ausschusses mit der
soeben beantragten Modification anzunehmen.
Vicepräsident Starke: Die Discussion ist geschlossen^
ich schreite zur Abstimmung. (Director Strosser meldet sich
zum Wort.) Herr Director Strosser hat das Wort.
Director Strosser: Ich möchte mir an den Hrn. Colle-
gen Wirth die Anfrage erlauben, ob er mit der Annahme
seiner Thesen jene des Ausschusses als beseitigt betrachtet
oder sie nur als einen Zusatzantrag erklärt wissen will, so
dass daneben die Thesen des Ausschusses bestehen bleiben.
Geheimer Justizrath Wirth: Ich habe vorhin erklärt,
dass ich die Thesen des Ausschusses annehme und dass mein
Antrag blos als Zusatzantrag zu betrachten ist.
Vicepräsident Starke: Herr Professor Wahlberg hat
mir einen Antrag überreicht, und ich glaube die Herren wer¬
den ein formales Bedenken darin nicht finden, dass derselbe
mir erst nach Schluss der Discussion zugegangen ist.
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117
Director Strossen Ich halte es doch für bedenklich,
inmitten der Abstimmung einen neuen Antrag einzubringen.
Das hiesse die Debatte wieder eröffnen, denn wir können über
einen Antrag nicht abstimmen, der noch nicht in Discussion
gewesen ist.
Professor Hofrath Wahlberg: Es handelt sich nicht
um einen eingeworfenen Antrag, sondern nur um die Schluss-
formulirung dessen, was ich vertreten habe. Der Antrag selbst
lautet: „Der Ertrag der für die Zwecke der Strafanstalt durch
den Gefangenen genügend geleisteteten Arbeit fliesst zur Staats¬
kasse; doch haben die Gefangenen einen Anspruch auf einen
Verdienstantheil.“
Vicepr äs ident Starke: Gestatten Sie mir meine An¬
sicht dahin auszusprechen, dass wir in eine sehr schlimme Lage
hineingerathen würden, wenn wir eine geschäftsordnungsmässige
Discussion eintreten Hessen, da unsere Geschäftsordnung über
diesen Punkt überhaupt keine Vorschriften enthält. Wir wer¬
den ja so streng parlamentarisch auf diesem Gebiete nicht sein
und es kann sich höchstens darum drehen, ob die Versamm¬
lung diesen Antrag zulassen will oder nicht. Ich glaube auch,
dass der Antrag nichts anderes ist, als der Ausdruck dessen,
was Herr Hofrath Wahlberg gesprochen hat. Uebrigens werde
ich die Vörsammlung zur Entscheidung aufrufen, und ersuche
also jene Herren, welche es zulassen wollen, dass der Antrag
des Herrn Hofrath Wahlberg zur Abstimmung kommt, die
Hand zu erheben. (Geschieht.) Es ist die Minorität; der An¬
trag des Herrn Hofrath Wahlberg gelangt daher nicht zur
Abstimm ung.
Der Herr Geh. Justizrath Wirth hat folgenden Antrag
gestellt: (wiederholt denselben). Ich ersuche nunmehr jene
Herren, welche diesen Antrag annehmen wollen, die Hand zu
erheben. (Geschieht.) Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich ersuche jene Herren, welche die These 1 conform der
Fassung des Ausschusses annehmen wollen, die Hand zu er¬
heben. (Geschieht.) These 1 ist angenommen.
Bei These 2, gegenwärtig lautend: (wiederholt dieselbe)^
beantragt der Referent statt des Wortes „Arbeitsbelohnung**
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118
— Arbeitsgeschenk“ zu setzen. Ich ersuche jene Herren,
welche zunächst dieses Amendement annehmen wollen, die
Hand zu erheben, (Geschieht.) Dasselbe ist angenommen.
Ich bitte nunmehr jene Herren, welche den Ausschuss¬
antrag mit diesem Amendement genehmigen wollen,
die Hand zu erheben. (Geschieht.) Ich bitte um die Gegen¬
probe, da es mir nicht als ausgemacht erscheint, ob die Majo¬
rität vorhanden ist. (Die Gegenprobe erfolgt.) These 2 ist
mit dem erwähnten Amendement angenommen.
Director Strosser: Ich erlaube mir, zur Abstimmung an¬
zuregen, dass im Kreise unserer heutigen Versammlung eine
Anzahl gern gesehener Gäste sitzt, die aber nicht Mitglieder
des Vereines sind. Ich würde mir nunmehr die Frage er¬
lauben, ob bei Abstimmungen nicht vielleicht, wenn diese
zweifelhaft sind, unsere Gäste gebeten würden, für den Moment
der Abstimmung nach irgend einer Seite des Saales sich be¬
geben zu wollen, um diese unzweifelhaft zu machen.
Vicepräsident Starke: Ich erlaube mir, den Modus
vorzuschlagen, dass jene Herren, welche kein Stimmrecht be¬
sitzen, sowohl dann, wenn es sich um die Abstimmung „für“
als um die Abstimmung „gegen“ handelt, sitzen bleiben, so
dass aus dem Gegeneinanderhalten derjenigen, welche bei
beiden Abstimmungen aufgestanden sind, sich das richtige
Stimmenverhältniss ergibt.
These 3 lautet: (wiederholt dieselbe). Ich ersuche jene
Herren, welche diese These annehmen wollen, sich zu erheben.
(Geschieht.) Ich bitte um die Gegenprobe. (Dieselbe erfolgt.)
These 3 ist angenommen.
(Präsident v. Hattingberg übernimmt den Vorsitz.)
Den nächsten Gegenstand der Verhandlung bildet die
Discussion über:
„Das Schutzwesen für entlassene Gefangene“.
Referent ist Herr Pfarrer Krauss. Ich ersuche ihn,
seinen Bericht zu erstatten.
Referent Pfarrer Krauss: Meine Herren! Der letzte
Gegenstand, mit welchem diese Versammlung sich berathend
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und beschliessend befassen soll, betrifft das Schutzwesen
für entlassene Gefangene. Das gegebene Thema lautet:
„Auf welche Art sollen die Schutz vereine für Straf¬
gefangene eingerichtet sein; soll insbesondere die
Unterstützung auch auf die Angehörigen des Ge¬
fangenen während der Strafhaft sich beziehen;
und was ist zu thun, um die Vereinsthätigkeit für
die Bezirke wach zu halten, wo solche seltener be¬
gehrt wirdy‘‘
Indem ich zunächst auf mein im Vereinsorgan erschienenes
schriftliches Gutachten verweise, erachte ich doch diese hoch¬
wichtige Angelegenheit auch einer möglichst eingehenden
mündlichen Besprechung für sehr würdig. Die Zeit ist
zwar vorgerückt, indessen können wir uns doch füglich noch
eine gute Weile mit meinem Thema befassen, ehe die Stunde
schlägt, die uns das Vergnügen gewähren soll, welches durch
die Munificenz und Gastfreundschaft der hohen kaiserlichen
Regierung in Aussicht gestellt ist.
M. H., wir haben bisher Gegenstände besprochen, worüber
die Anschauungen und Wünsche mitunter recht weit aus¬
einander gegangen sind, jetzt aber liegt uns eine Sache vor,
in deren Weii-hschätzung wir gewiss Alle einig sind. Gestern
beschäftigte uns die Fürsorge für geisteskranke Gefangene
und wir haben gehört, dass selbst bei gutem Willen die
geeignetste und wirksamste Art dieser Fürsorge auf Schwierig¬
keiten stösst, welche dieselbe leider unausführbar erscheinen
lassen. Nun wenden wir aber unser Augenmerk auf eine
andere Kategorie von unglücklichen Gefangenen, nämlich auf
diejenigen, welche nach erstandener Strafe fremder Hilfe drin¬
gend bedürfen, wofern sie für die Dauer auf guten Wegen er¬
halten und nicht, der äussersten Verlassenheit preisgegeben,
abermals durch Verbrechen sich selbst zu helfen gezwungen
werden sollen. Hier stehen leicht ausführbare Mittel und Wege
genug zu Gebote; das Einzige, was häufig fehlt, ist der gute
Wille.
M. H.! Ueber die Nothwendigkeit und Bedeutung
der Schutzfürsorge im Allgemeinen ist schon Vieles weit besser
gesprochen und geschrieben worden, als ich es vermag. Alle
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Culturstaaten wetteifern mit rühmlichen Erfolgen auf diesem
Felde miteinander, die Frage ist eine internationale geworden;
denn die allgemeine Menschenliebe hat sie aufgeworfen und
ihre Lösung verlangt; die Liebe aber kennt keine Grenzpfähle,
sie erstreckt sich auf alle Menschen und Nationen ohne Unter*-
schied. Gestern erfreute uns Herr Director Wirth in seinem
ausgezeichneten Vortrage über die Entwickelung des Gefangniss-
Wesens auch mit einem Ueberblick über das, was auf dem
Gebiete des Schutzwesens in Deutschland und Oesterreich-
Ungarn in den letzten Jahren gethan wurde, und der erfahrene
Strafvollzugsbeamte erklärte geradezu, dass wir dieser
Schutzthätigkeit in der modernen Strafrechts¬
pflege absolut nicht mehr entbehren können. Nicht
minder haben manche, in dieser Versammlung anwesende
Herren sich bereits grosse Verdienste erworben um die För¬
derung des Schutzwesens für entlassene Gefangene, für das sie
mit Wort und Schrift, mit Rath und That in wärmster Hin¬
gabe aufgetreten sind. Es sei ihnen Allen hier ein Denkmal
vollster Anerkennung gesetzt!
M. H., ich halte es deshalb nach dem Gesagten für
unnöthig. Ihnen eine nähere Belehrung über die grosse Wich¬
tigkeit unseres Gegenstandes ertheilen zu sollen. Ist es doch
gerade die Erkenntniss dieser Wichtigkeit, die unsere Vereins¬
versammlung zu diesen Berathungen und Beschlüssen veranlasst
hat. Keinen Gefängnissbeamten dürfte es geben, der hierüber
noch sich unklar wäre. Allein, wie in öffentlichen Parlaments¬
verhandlungen nicht selten weniger zu den Anwesenden, als
zum Fenster hinaus, zu der Gesammtheit gesprochen wird, so
halte auch ich es für sehr angezeigt, dass aus der Mitte dieser
Versammlung, ebenfalls zum Fenster hinaus, ein Wort an das
freie Publikum gerichtet werde, um sein Verständniss und
seine Empfänglichkeit für die Erfüllung einer menschlichen,
bürgerlichen und christlichen Pflicht anzuregen, wie dieselbe
in der Fürsorge für die armen entlassenen Gefangenen an es
herantritt. Was hier gesprochen wird, findet durch unser
Vereinsorgan den Weg in die Oeffentlichkeit und da begegnen
wir, wie Sie Alle wissen, noch so vielen Vorurtheilen und
Missverständnissen, ja förmlicher Abneigung gegen diese unsere
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121
Bestrebungen, dass ich die Mühe nicht scheue, unter Anrufung
Ihrer geneigten Geduld hier ähnliche Worte vorzutragen, deren
ich einmal bei der Gründung eines Schutzvereines mich be¬
dient habe.
M. H.! Es ist eine unleugbare Thatsache und die Statistik
weist es mit erschreckenden Zahlen alljährlich nach, dass die
Untersuchungen und Verurtheilungen wegen Uebertretungen,
Vergehen und Verbrechen in sehr bedenklicher Zunahme be¬
griffen sind und zwar nicht blos bei uns, sondern allerwärts^
nicht blos unter den Erwachsenen, sondern auch unter der
Jugend. Wir dürfen nun zwar hieraus meines Erachtens noch
keineswegs die Berechtigung herleiten, unserm Zeitalter im
Vergleich mit den früheren Jahrhunderten den Stempel be¬
sonderer sittlicher Erkrankung und Verkommenheit aufzu¬
drücken. Die bisweilen mit recht durchsichtiger Absichtlichkeit
besungenen „guten alten Zeiten“ bieten bekanntlich perioden¬
weise ein so abstossendes Bild der Moralität in verschiedenen
Ländern dar, dass unsere viel geschmähte jetzige Generation
selbst die Namen für einzelne Laster verloren hat, die damals
geübt worden sind, und überdies sind die Klagen über die
Verdorbenheit der Menschen so alt als es Menschen gibt und
werden auch nur mit der Menschheit aufhören.
Immerhin aber kommen heutzutage die Verbrechen häufi¬
ger an’s Tageslicht und vor die Gerichte und das gereicht
unsern Staatseinrichtungen gewiss nicht zur Unehre. Die gesetz¬
lichen Folgen der Missethaten gelangen deshalb auch mehr zur
Wahrnehmung, die Gefängnisse und Zuchthäuser vermehren
sich und namentlich aber ist statistisch nachgewiesen die in
der That abnorme Zunahme der Bestrafungen von rückfällig
gewordenen Verbrechern. Es sind der Insassen der Central¬
strafanstalten Rückfällige. Unwillkürlich fragt man nach den
Ursachen dieser beklagenswerthen Erscheinung. Für die Zu¬
nahme der Rückfälle ist man sehr gerne bereit, die angeblich
zu grosse Milde des Strafgesetzes sowie die übertriebene Hu¬
manität im Strafvollzug verantwortlich zu machen. Dieser
doppelte Vorwurf ist indessen in den Augen eines jeden
Kenners gänzlich ungerechtfertigt; dagegen will ich jetzt eine
Hauptursache der immer häufiger vorkommenden Rückfälle
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122 —
anführen und beleuchten und das ist keine andere als der
Mangel an Fürsorge für die bereits gestraften und
nach geleisteter schwerer Sühne wieder in die
Freiheit entlassenen Verbrecher.
Ja, meine Herren, fragen wir: wie benimmt sich das freie
Publikum gegen diese Classe von Unglücklichen? Wie jener
Priester und jener Levit im Gleichniss vom barmherzigen
Samariter, die an dem Manne, der unter die Räuber gefallen,
von ihnen ausgeplündert und halbtodt liegen gelassen worden
war, kalt vorübergingen, ohne zu helfen, die vielleicht einige
wohlfeile Worte des Bedauerns ihm, gespendet oder gar den
heftigen Vorwurf gemacht haben mögen, dass er so leichtsinnig
gehandelt und sich von Jerusalem nach dem gefährlichen Jericho
gewagt habe, — warum sei er nicht zu Hause geblieben, —
er solle nun auch die Folgen tragen. So haben auch heutzu¬
tage Viele aus dem freien Publikum Worte des Bedauerns oder
der Entrüstung genug über den sittlichen Verfall unseres Volkes
und man ruft wieder recht laut nach Verschärfung der Strafe
und Strafvollstreckung, nach dem Polizeistock und dem lieben
Prügel, nach Henker und Schaffet — aber in werkthätiger
Nächstenliebe dem gefallenen Mitmenschen Samariterdienste
leisten und dadurch zur Abhilfe und zur Minderung des
moralischen und socialen Uebels beitragen: — das will man
nicht. Man ereifert sich über das Anwachsen des Verbrecher-
tbums, übersieht aber im heiligen Eifer, dass die freie Bevöl¬
kerung durch ihr abstossendes, liebeloses Verhalten gegen ehe¬
malige Verbrecher dieselben gar häufig wieder selbst zu neuen
Verbrechern macht, zum Rückfall förmlich nöthigt und dadurch
ihrerseits sehr viel zur Vermehrung der Verbrechen beiträgt.
Wer kennt sie nicht, die Vorurtheile und die Abneigung gegen
die aus dem Zuchthaus oder Gefängniss Entlassenen. „Es gibt
ehrliche Arme genügt, so hört man oft sagen, „welche der
Unterstützung auch würdig sind; wozu daher noch an solche
Leute Almosen verschwenden, welche ihre missliche Lage selbst
verschuldet haben und ohnedies wegen ihrer Schlechtigkeit
fremde Hilfe gar nicht verdienen?“ Man bedenkt nicht, dass
es sich hier darum handelt, Menschen, die eine Gefahr für
die Gesellschaft bilden, eben durch diese Hilfe unschädlich
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123
zu machen. „Aber/ hält man mir weiter entgegen, „Spitzbube
bleibt Spitzbube.“ Viele Leute glauben in der That nicht ein*
mal an die Besserungsfähigkeit, geschweige denn an die
wirkliche Besserung eines Verbrechers und denken nicht
daran, dass dieses Misstrauen auch einmal gegen sie selbst
sich kehren könnte. Hochmüthig und selbstgerecht, wie jener
Pharisäer, schaut man auf den entlassenen Zuchthäusler herab;
der Umstand, dass einer einmal im Zuchthaus war, ist gar
Vielen ein hinreichender Grund, um ihn als für immer ge¬
brandmarkt zu erklären und jegliches Vertrauen ihm zu ent¬
ziehen. — Meine Herren! Das ist unchristlich und unvernünftig
gedacht und geurtheilt. „Wer steht, sehe zu, dass er nicht
falle“ 5 j)Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein
auf sie“; und das andere Wort: homo sum et nil humani a me
alienum esse puto — scheint in Vergessenheit gerathen zu sein.
Wir Alle tragen in unserer menschlichen Natur, in dem „nitimur
in vetitum“, die Keime zu allem Bösen in uns herum und
wenn diese sich nicht aus der Potentialität zur verbrecherischen
Actualität entwickelt haben, so wollen wir es, nächst der ver¬
edelnden und schützenden Gnade von Oben, der Erziehung
und anderen glücklichen Verhältnissen danken, dagegen mit
allen Jenen herzliches Mitleid haben, die oft weniger aus
eigenem verkehrten Willen, als in Folge schlechter Erziehung
und böser Gesellschaft, durch Verführung und lockendes Bei¬
spiel, im Andrang der Leidenschaft oder in äusserster Noth
und Verzweiflung dem Verbrechen in die Arme getrieben wur¬
den. Mit Recht frug schon der grosse Reformator auf dem
Gebiete des Gefängnisswesens, John Howard: „Wer kann
sagen, wie viel die Gesellschaft, wie viel äussere Verhältnisse
an dem Verbrecher verschuldet haben, um ihn zu dem zu
machen, was er geworden ist?“ Und, meine Herren, die näm¬
lichen Ursachen, aus denen das erste Verbrechen entstanden
ist, bringen auch die Rückfälle hervor. Glauben Sie ja
nicht, es sei keiner unter denjenigen, die rückfilllig geworden,
durch die vorausgegangene Strafe gebessert worden, weil sie,
wenn sie gebessert worden wären, nicht abermals hätten fehlen
können. Die Unrichtigkeit dieses Schlusses leuchtet von selbst
ein und wird bestätigt durch die Erfahrung, die jeder fehler-
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hafte Mensch, wenn auch in unwichtigeren Dingen, an sich
selbst machen kann. Sollten Sie aber doch dieser landläufigen
Ansicht huldigen, so hoffe ich Sie durch das weiter Vorzu¬
tragende noch davon abbringen zu können.
Meine Herren! Ich rede nicht von den unverbesser¬
lichen Gewohnheitsdieben, die absolut schlecht bleiben
und daher auch keiner Unterstützung und keines Schutzes
würdig sind; für sie hat der Schutzverein keine Aufgabe zu
lösen, da muss der Staat eintreten mit Errichtung von Zwangs¬
arbeitsanstalten, in welchen die Unheilbaren sofort nach er¬
standener Strafe und zwar eventuell für immer unterzubringen
sind. Ich rede auch nicht von den Bemittelten und in gün¬
stigen Familienverhältnissen Lebenden; denn ihnen ist
keine Hilfe nöthig; vielmehr haben wir diejenigen in’s Auge zu
fassen, welche, nachdem sie in der Strafanstalt lang und schwer,
bisweilen selbst über Gebühr und Verschuldung gebüsst hatten
und in der Einsamkeit des Kerkers zur Einsicht und inneren
Umkehr gelangt sind, von den besten Vorsätzen beseelt den
Boden der Freiheit wieder betreten. Es fehlt ihnen aber da
an Freunden und Bekannten, an Familienangehörigen und Ver¬
wandten, die oft von ihnen gar nichts mehr wissen wollen, es
fehlt ihnen, wenn sie verheirathet sind, an Arbeit und Kund¬
schaft, oft am nothwendigsten Handwerkszeug, um Brod und
Kleidung für Weib und Kind zu verdienen; es fehlt ihnen,
wenn sie noch jung, ja halbe Knaben sind, an der nöthigen
Aufsicht und Leitung, an einem braven Meister und Lehr¬
herrn, hilflos und verlassen stehen sie auf der Strasse, allen
Gefahren und Versuchungen preisgegeben; kurz es fehlt an
Allem, was ihnen zum Anhalt und zur Stütze dienen könnte.
Sie klopfen da und dort an, aber kaum hat man auf die Frage:
woher? die Antwort vernommen, so weist man ihnen die Thüre.
Ich kann solche Leute nicht brauchen in meinem bisher unbe¬
scholtenen Hause; es könnte ja sonst in Misskredit kommen!
Oder: Ich habe ja schon einmal mit einem entlassenen Sträf¬
ling einen Versuch gemacht, aber traurige Erfahrungen be¬
nahmen mir für immer die Lust, es nochmals zu probiren!
Oder ein Anderer verweigert die Aufnahme mit dem Bemer¬
ken, es würden ihm alle seine übrigen Arbeiter künden, wenn
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Bie erführen, dass ein entlassener Zuchthäusler in ihrer Mitte
sei. Und gelingt es einem Entlassenen doch, durch eine Noth-
lüge, durch Verschweigen seines bisherigen Aufenthaltes, bei
einem Arbeitgeber oder Meister anzukommen, so dauert es
nicht lange und — die löbliche Polizei ist ihm auf die Spur
gekommen. Sie erscheint im Hause, um sich in „rührender^
Theilnahme nach dem ehemaligen Sträfling zu erkundigen,
— das Ende ist selbstverständlich: Weiterziehen unter Schand’
und Spott.
Meine Herren! Wie hemmend die Polizeiaufsicht — um
auch davon Einiges zu sagen — auf die Rehabilitirung des
entlassenen Gefangenen einwirkt, ist und kann fortwährend
durch viele, mitunter ganz eklatante Beispiele aus der täglichen
Erfahrung erwiesen werden. Bei dieser sogenannten Sicher-
heits- oder Präventivmassregel stehen Theorie und Praxis, wie
auch in anderen Dingen im grellsten Widerspruch zu einander
und wie ich schon auf der Versammlung in Bremen, wenn
auch nur durch eine einzige weitere Stimme unterstützt, gegen
den dort gefassten Beschluss über die Polizeiaufsicht mich er¬
klärt habe, so spreche ich es auch hier öffentlich aus, dass
ich aus guten Gründen ein entschiedener Gegner der Polizei¬
aufsicht in ihrer derzeitigen Einrichtung und Ausübung wie
in der zu Bremen beschlossenen Fassung bin. Durch die bei
uns gehandhabte Polizeiaufsicht wird erfahrungsgemäss weder
der Observat an der Verübung neuer Verbrechen verhindert,
noch das Publikum gegen seine Angriffe geschützt, dagegen
sehr oft die Wiedergewinnung einer ehrbaren Existenz dem
Betreffenden wesentlich erschwert, wenn nicht geradezu unmög¬
lich gemacht. (Dieses sage ich im Hinblick auf die kleineren
Städte und die Landorte. Dass in den Centren des mensch¬
lichen Verkehres, in den grossen Städten, wo auch das
Verbrecherthum die reichste Ernte zu finden hofft und
deshalb am liebsten sich aufhält, die Polizeigewalt alle Wach¬
samkeit auf dasselbe zu richten hat, versteht sich von selbst.)
Meine Herren, wir haben gehört, welche Hindernisse dem
entlassenen Gefangenen in den Weg treten: — was muss nun
die nothwendige Folge von all’ dem Gesagten sein? Meine
Herren, selbst einem Menschen von grosser sittlicher Willens-
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stärke würde iiian eine Niederlage im Kampf mit solchen feind*
liehen Gewalten verzeihen müssen: was wollen und dürfen wir
aber dann an Widerstandsfähigkeit von solchen Menschen er¬
warten, w^elche oft allen moralischen Halt, allen religiösen
Sinn, alles sittliche und bürgerliche Pflichtgefühl verloren
hatten und in der Strafanstalt unter dem Eindrücke des em*
pfindlichen Strafübels, sowie der auf Besserung abzielenden
Strafvollstreckungsmittel kaum ein bischen zu sich selbst ge¬
kommen sind und erst einen schwachen Anlauf zum Besseren
genommen haben? Das Zuchthaus, mit seinen Einrichtungen
und Beamten kann keine Wunder wirken, keine Todten lebendig
machen. Wir haben weder die Zeit noch die Mittel zur Ver¬
fügung, um einen tief gesunkenen, nicht selten gänzlich ver¬
wilderten Menschen in einen Tugendhelden umzuwandeln,
höchstens vermögen wir eine Wendung, einen Anfang zum
Guten herbeizuführen und müssen so die meisten Sträflinge
entlassen im Zustande von Reconvalescenten, welche noch um¬
sichtiger Pflege bedürfen, um nicht rückfällig zu werden. Das
zarte Pflänzchen des neu geweckten sittlichen Strebens und
Lebens ist sorgfältig gegen Sturm und Frost zu schützen,
wenn es nicht sofort wieder zerstört werden soll. So erscheint
die Fürsorge für entlassene Sträflinge als die nothwendige
Ergänzung des Strafvollzugs oder der Thätigkeit
der Strafvollzugs beamten. Was diese gepflanzt, soll
nach der Entlassung weiter gepflegt, begossen, dem Lichte
und der Wärme ausgesetzt, von wilden Schossen beschnitten^
— kurz auf dem in der Strafanstalt gelegten Grund soll
draussen weiter gebaut werden. Dazu bedarf es aber der
ganzen Liebe und Aufopferung seitens der freien. Gesellschaft
bezw. edler Menschenfreunde. Und leider finden die entlassenen
Sträflinge diese Liebe, dieses Erbarmen so selten, wie ich
bereits dargethan habe. Nirgends streckt sich ihnen eine Hand
entgegen, um sie aufzurichten, dagegen sind hundert Hände
bereit, sie niederzustossen, — sie finden keine Milde, nur
unnachsichtige Härte, kein Vergeben und kein Vergessen, nur
Hohn und Spott, keine Theilnahme, nur schnöde Verachtung.
Das bischen Geld, welches sie im Gefängniss mühsam ver¬
dient haben, ist bald verzehrt, es bleibt nichts übrig als das
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Betteln und Umherziehen von Ort zu Ort, und schliesslich
zwingen Missmuth, Hoffnunngslosigkeit, Verzweiflung, Entbeh¬
rung, Hunger und Durst, Frost und Erschöpfung, zwingt der
physische, moralische und somatische Bankerott die Aermsten
zur Selbstvernichtung, zum Selbstmord oder — soll der Kampf
ums Dasein weiter geführt werden — zu erneuten Verbrechen.
Ja, meine Herren, wenn die ehrbare Welt den Entlassenen
zurückstösst, so treibt ihn die Noth dahin zu gehen, wo man
ihn mit offenen Armen aufnimmt, in die Schlupfwinkel des
Lasters und Verbrechens, zu bösen Menschen, die er schon
früher oder während seines Aufenthaltes in der Strafanstalt,
in der leider auch bei uns noch theilweise bestehenden Ge-
meinschaftshaft kennen gelernt hat und die ihm schon damals
prophezeit hatten, dass die Wiederaufnahme eines einmal Ge¬
fallenen in der herzlosen und egoistischen Gesellschaft unmög¬
lich sei. So wird der Rückfall nothwendig erfolgen. — Bei
der Wiedereinlieferung in die Strafanstalt zeigt der Rückfällige
mitunter noch ein bischen Schamröthe auf der Stirne, meistens
aber einen tiefen Groll gegen Gott und die Welt, einen Hass
gegen die herzlose Menschheit, die ihn mit Gewalt wieder in^s
Verbrechen getrieben habe; sein Herz verkrustet sich immer
mehr und aller Zuspruch prallt wirkungslos wie an einem
harten Felsen ab. Und die zweite längere Gefangniss- oder
Zuchthausstrafe geht herum. Er macht vielleicht auf Zureden
seines Geistlichen noch einmal einen Versuch, in der Freiheit
aufzukommen, aber die alte Geschichte repetirt sich und führt
den zweiten Rückfall herbei. So gebt es weiter, — je häufiger
der Fall, desto schwieriger wird das Aufstehen und die letzte
Stufe abwärts ist — der vollendete Verbrecher — der
Verbrecher „aus verlorner Ehre“, der Verbrecher aus Noth
und schliesslich der Verbrecher aus Neigung und Gewohnheit.
Meine Herren I Sollte man, um mit den Worten eines für
unsere Sache begeisterten Mannes (Föhring) zu reden, sollte
man es für möglich halten, dass inmitten des Reichsthums und
Wohllebens so vieler Privaten, inmitten so zahlreicher sonsti¬
ger Wohlthätigkeitsbestrebungen und Wohlthätigkeitsvereine,
sowie Rettungsanstalten, inmitten der anerkannten Verpflich¬
tung des Staates zur Hilfeleistung in der Noth, inmitten einer
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Beligion, welche die Nächstenliebe als die kostbarste aller
Tugenden preist, ich sage, ist es möglich, dass man trotz alP
dem Hunderte von Menschen, von Mitmenschen physisch und
moralisch jämmerlich zu Grunde gehen lässt? Sollten und
müssen da nicht die Nächstenliebe des Christen, die Humanität
des Philosophen und das lautmahnende Gewissen der bürger¬
lichen Gesellschaft Mittel und Wege finden und ergreifen, um
solch’ ungeheurem Elende vorzubeugen?
Die Fürsorge für entlassene Gefangene ist aber nicht
allein ein Gebot der Menschenliebe, sie liegt auch im eigen¬
sten Interesse der freien bürgerlichen Gesellschaft
selbst. Nichts kann für diese gefährlicher werden, als durch
Unthätigkeit auf diesem Felde charitativen Wirkens das Heran¬
wachsen des Verbrecherthums zu befördern. Wo immer in
einem bürgerlichen Gemeinwesen diese Fürsorge für entlassene
Sträflinge mit Verständniss und Eifer geübt wird, da zeigen
sich für die Gesammtheit die erfreulichsten Resultate, da trägt
jedes Schutzvereinsmitglied das Seinige bei zur Sicherung der
Rechtsordnung und des Privatbesitzes, da bringt man es all-
mählig zu Stande, dass Hunderte von Dieben und Betrügern
in ebenso viele ehrliche Leute umgewandelt werden, die anstatt
von Schaden Anderer zu leben, durch redliche Arbeit ihr Fort¬
kommen suchen und finden. Gewiss! Das Publikum fügt sich
selbst den Schaden zu, wenn es die Schutzthätigkeit an ent¬
lassenen ehemaligen Verbrechern aus Mangel an Einsicht und
gutem Willen unterlässt.
Hiemit schliesse ich meine allgemeinen Ausführungen und
gehe, da die Zeit drängt, unverweilt über zu den Thesen, die
ich Ihnen zur Annahme empfehlen möchte. Dieselben lauten
wie folgt (liest):
I. Die Schutzfürsorge für entlassene Gefangene erscheint
als eine dringende sociale Aufgabe. Ihre Nothwendig-
keit ist im Interesse des Staates wie der gesammten
freien Bevölkerung begründet.
Die Versammlung der deutschen Strafanstaltsbeam¬
ten begrüsst daher mit Freude alle Bestrebungen und
Erfolge auf diesem Gebiete charitativen Wirkens, wie
dieselben zu Tage treten in der Errichtung von Asylen
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für Obdachlose, Arbeiter-Colonien, Besserungsanstalten
für verkommene Jugendliche, Zufluchtsstätten für ge¬
fallene Frauenspersonen, Herbergen, Vereine gegen
Bettel und Vagabondage u. dgl.m.
Als weiteres, sehr wirksames Mittel zur Fürsorge
für entlassene Gefangene betrachtet sie aber auch die
Gründung von Schutz vereinen.
II. Die Schutzvereine haben den Zweck, solchen ent¬
lassenen Gefangenen, welche würdig und gewillt sind,
ein ehrbares Fortkommen zu suchen, den Wiedereintritt
in die bürgerliche Gesellschaft durch materielle und
moralische Unterstützung zu ermöglichen. Zugleich ist
es wünschenswerth, dass sich die Fürsorge auch auf
die Angehörigen der Gefangenen während der Straf¬
zeit ausdehne.
III. Die Schutzvereine, als Zweig der freiwilligen öflFent-
lichen Wohlthätigkeitspflege, üben ihre Thätigkeit unter
Mitwirkung und Beihilfe des Staates, der Kirche und
des freien BUrgerthumes aus.
Die Vereine müssen einen steten, unmittelbaren
Verkehr mit den Strafvollzugsbehörden (AnstaltsVer¬
waltungen) unterhalten, von welchen ihnen in der Regel
die Objecte der Fürsorge jnit zweckdienlichen Anträgen
überwiesen werden.
Es ist wünschenswerth, dass das Arbeitsgut¬
haben eines jeden Gefangenen, der sich dem Schutze
eines Vereines unterstellt, bei seiner Entlassung an
letzteren zur entsprechenden Verwendung für den
Schützling übersendet wird.
IV. Es empfiehlt sich, zur Erhaltung eines regen Vereins¬
lebens und gleichartigen Verfahrens das Schutz wesen
in den einzelnen Provinzen bezw. Ländern möglichst
zu centralisiren.
Der Absatz 1 der ersten These berührt eigentlich das
gegebene Thema nicht; dasselbe befasst sich mehr mit spe-
ciellen Fragen. Ich glaubte aber dennoch diese allgemein ge¬
haltene These aufstellen zu sollen, weil es doch von Wichtig¬
keit ist, wenn von einer solchen illustren Versammlung noch.
Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 9
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130
feierlich betont wird, dass der Schutz fiir entlassene Gefangene
eine dringende sociale Aufgabe und im Interesse des Staates
begründet sei. Nun bitte ich aber auch in’s Auge zu fassen,
dass die Frage über die Schutzvereine losgeschält werden
muss von anderen Fragen, die mit dem Schutzwesen verbunden
und verwandt sind. Schutzfürsorge und Scbutzvereine sind
nicht identisch; die Schutzvereine sind blos eines von den
vielen Mitteln zur Schutzfürsorge. Da wir aber im Allgemeinen
die Schutzfürsorge empfehlen wollen, so glaubte auch der Aus*-
schuss diese These vorschlagen zu müssen, wodurch wir alle
Bestrebungen auf diesem Gebiete mit Freuden begrüssen.
Bezüglich der zweiten These berufe ich mich auf mein
schriftliches Gutachten, wo ich nachgewiesen habe, dass die
Fürsorge für die Angehörigen der Gefangenen, abgesehen
von anderen Wirkungen, zugleich eine Vorbeugung gegen die
Entstehung neuer Verbrechen sei. Die Rücksichtnahme auf
die hilflosen Familien der Inhaftirten begegnete überhaupt
schon vielfach den wärmsten Sympathien. Hier in Wien z. B.
erblickt der Schutzverein in diesem Zweig der Fürsorge eine
seiner dankbarsten Aufgaben. Ich bitte Sie dringend, diesen
Punkt nicht fallen zu lassen.
Die dritte These enthält die Organisation der Vereine,
wie sie ihre Thätigkeit ausüben sollen mit Beihilfe des Staates,
der Kirche und des freien Bürgerthums. — Der zweite Satz
empfiehlt sich von selbst.
Eine Discussion könnte sich vielleicht entspinnen über
Absatz 3, das Arbeitsguthaben betreffend. Ich habe nämlich
bei der Beratbung im Ausschüsse gehört, dass das Verlangen,
das Arbeitsguthaben der entlassenen Gefangenen jeweils an
die einzelnen Vereine zu übersenden, nicht geradezu ausge¬
sprochen werden könne. Deswegen erhielt die These die
Fassung: „Es ist wünschenswerth“ u.s. w.
Der Herr Director Strosser hat in den Ausschuss¬
berathungen gesagt, dass es eine sehr unangenehme Last sei,
wenn die Vereine diese Gelder zur Verwaltung zugeschickt
erhielten. Ich habe aber schon damals entgegnet, dass wir
mit der ganzen Schutzthätigkeit nichts als Unannehmlichkeiten
zu gewärtigen hätten. Wir müssen auf wenig Dank, auf wenig
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Anerkennung, selbst auf wenige Erfolge gefasst sein. Wir
werden sehr viele Täuschungen erfahren, selbst Verdriesslich-
keiten aller Art; allein die Rücksicht darauf, ob es uns ange¬
nehm oder unangenehm ist, kann in keiner Weise entscheidend
sein. Wir müssen eben thun, was unseren Zwecken am meisten
dienlich ist.
Die vierte These endlich gibt Antwort auf den dritten
Theil des Themas, nämlich die Frage, was zu thun ist, um
die Vereine in ihrer Thätigkeit wach zu erhalten.
Meine Herren! Ich sehe, ich muss schliessen. Ich empfehle
Ihnen diese Thesen zur Annahme. (Beifall.)
Pastor Mahn (Waldheim): Es ist gewiss sehr dankens-
werth, dass der Ausschuss des Vereines der deutschen Straf¬
anstaltsbeamten gerade diese Frage in der hiesigen Versamm¬
lung zur Sprache gebracht hat. Es ist das eine Frage von
eminent practischer Bedeutung. Sie gestatten mir vielleicht
daher, dass ich einige Mittheilungen über die Einrichtungen
und Erfahrungen mache, die in Sachsen bei der Fürsorge für
entlassene Gefangene hervorgetreten sind.
Von Seiten des Ausschusses ist obenan die Frage aufge¬
stellt, auf welche Art sollen Schutzvereine für Strafgefangene
eingerichtet sein?
In Sachsen waren die früheren Vereine auf Anregung^
unseres in Gott ruhenden Königs Johann gegründet worden.
Er hatte zu diesem Zwecke als Prinz Reisen in das Land
unternommen und zwar in circa 20 Städte, um die Vereine
selbst in’s Leben zu rufen und sich mit den betreffenden Per¬
sönlichkeiten in’s Einvernehmen zu setzen. Diese Vereine
— über 50 hatten sich gebildet — sind nach und nach ein¬
gegangen, weil fast ausschliesslich abrigkeitliche Personen die
Pflege in die Hand genommen hatten und weniger Leute aue
allen Ständen des Volkes. Die betreffenden obrigkeitlichen
Personen kommen leicht aus den Orten fort, andere Personen
starben oder traten aus, neue Mitglieder wurden nicht gesam¬
melt, kurz, das Interesse erlahmte. Infolge dessen haben wir
uns seit dem Jahre 1872 an kirchliche Organe gewendet^'
nämlich an die Kirchenvorsteher, wie wir sie nennen, an die^
9 *
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132 —
Kirchengemeinderäthe, wie sie in Preussen genannt werden,
unter welchen Geistliche und Laien aller Stände und unter
den Laien wieder Vertrauensleute aus den Gemeindevertre¬
tungen sind. Das hat sich bei uns durchaus bewährt. Wir
haben die sogenannten Diöcesanversammlungen, in Preussen
die Synoden, gebeten, die Fürsorge für entlassene Gefangene
in die Hand zu nehmen. Sobald sich eine derartige Synode
oder eine Diöcesanversammlung zur Pflege bereit erklärte,
waren sofort Vertreter in den einzelnen Parochien des Synodal¬
bezirkes gewonnen. Auch hatten wir den Vortheil, dass diese
Herren immer wieder ersetzt wurden, wenn einer ausschied.
Und was die Hauptsache ist, diese Kirchenvorsteher sind Ver¬
trauensleute der Gemeinde, christlich gesinnte Männer, die
vielfältig ein warmes Herz für die Sache mitbringen. Ich
kann nur empfehlen, dass man auch anderwärts in ähnlicher
Weise vorgehe. Es ist das bereits geschehen in Schlesien,
Brandenburg, Pommern, Thüringen und Hannover. .
Wir haben jetzt in Sachsen 38 Vereine zur Fürsorge für
Entlassene; es fehlt nur noch ein einziger Bezirk, der aber
bald nachfolgen wird. Freilich muss ich hinzufügen, dass in
den grossen Städten die Organisation eine andere wird sein
müssen. Wir können dort nicht die Kirchenvorsteher allein
herbeiziehen, so gewiss wir uns auch da an die Kirchenvor¬
steher anlehnen können, wie das in unserem Chemnitz ge¬
schehen ist. Die Vereine werden bei uns geleitet vom Central-
ausschusse, der seinen Sitz in Dresden hat und unter dem
Protectorate Seiner Majestät des Königs steht. Dass als Pfleger
besonders Geistliche herbeigezogen werden sollen, möchte ich
auch befolgt haben. Diese müssen immer wieder auf den
Dörfern neben den weltlichen Kirchen Vorstehern das treibende
Element sein und Anregungen geben. Weiter würde es nöthig
sein, um das Interesse für Jie Vereinssachen lebendig zu er¬
halten, — und hier komme ich zu der andern vom Ausschüsse
gestellten Frage — Jahresversammlungen abzuhalten. Bei die¬
sen Jahresversammlungen, zu denen in Sachsen Anstaltsvor¬
stände, Amtshauptleute und Amtsrichter des Bezirks beigezogen
werden, werden die Erfahrungen ausgetauscht, und ausserdem
sendete bei uns der Centralausschuss einen Secretär zu diesen
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133
Versammlungen, der über die anderwärts gemachten Erfah¬
rungen Auskunft gibt und den Verkehr zwischen den einzelnen
Vereinen und dem Centralausschusse vermittelt. Gerade ein
solcher persönlicher Träger der Arbeit im Lande ist nach
unseren Erfahrungen von grosser Bedeutung für die Belebung
der Vereinsthätigkeit. Schliesslich muss betont werden, dass
auch die Presse herbeigezogen werden soll, wie es bei uns in
Sachsen geschehen, um die vorhandenen Vorurtheile gegen die
Pflege der Entlassenen zu überwinden.
Die Erfolge, die wir gehabt haben, sind recht günstige.
An Geld hat es uns niemals gefehlt; das wird bei uns zu¬
sammengebracht aus dem Kirchenvermögen. Die Erfahrungen,
die wir gemacht haben, stehen etwa so, dass ein Drittel der
Leute sich gut gehalten hat, ein Drittel rückfällig wurde und
ein Drittel zweifelhaft geblieben ist.
Pfarrer Köstlin: Nachdem zwei Geistliche gesprochen
haben, könnten weitere Auseinandersetzungen von mir leicht
als eine Variation namentlich dessen, was der Herr Vorredner
soeben mitgetheilt hat, erscheinen. Warum ich dennoch den
Muth habe, noch einige Worte zu reden, das hat folgenden
Grund. Die Frage an die Mitglieder des Vereins lautete
ursprünglich: Was ist zu thun, um die Vereinsthätigkeit für
die Bezirke wach zu halten, wo solche seltener begehrt wird?
Da habe ich mir nun daheim schon die Frage vorgelegt: Was
hat die Geistlichkeit zu thun, was insbesondere wir Hausgeist¬
lichen? Das Hauptgeschäft bei der Entlassung der Straf¬
gefangenen hat die Direction zu besorgen, die Inhaberin aller
Personalien etc., welche den Ort der ersten Niederlassung der
Gefangenen weiss oder selber bestimmt. Die Hausgeistlichen
geben den zu entlassenden Gefangenen ihre letzte Ermahnung
und unterstützen sie durch die Empfehlung derselben in der
Heimath oder dem neuen Niederlassungsorte bei den betreffen¬
den Geistlichen mittelst eingehender Charakteristik der ein¬
zelnen Entlassenen. Allein die Hausgeistlichen könnten sicher¬
lich noch erfolgreicher und umfassender wirken, wenn sie
nicht blos den Gefangenen hinter verschlossenen Thüren zu
predigen hätten, sondern hie und da auch zum Fenster hinaus
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reden und im Lande herum — vertreten in der Strafanstalt
durch andere Geistliche und die Hauslehrer — namentlich in
Bezirken, welche gegen die Fürsorge für entlassene Straf¬
gefangene sich gleichgültiger verhalten, diese Angelegenheit
theils in gelegentlichen Unterhaltungen, theils in förmlichen
Vorträgen besprechen würden, entweder in philanthropischen
und christlichen Vereinen oder, wo der herrschende kirchliche
Sinn derartige Mittheilungen und Urtheile von der Kanzel
herab erwartet, mittelst der Predigt vor der Gemeinde, wo¬
durch am wirksamsten die Barmherzigkeit Aller gegen die
Gefallenen und Reumüthigen geweckt würde, und namentlich
die zur Verzeihung am wenigsten geneigten fremden Beleidigten
und eigenen Verwandten der Entlassenen vielleicht umgestimmt
und die rechten Männer und Frauen für die geregelte Vereins-
thätigkeit herangezogen würden und für die persönliche Auf¬
opferung im einzelnen Falle. Wie die Vorträge von gedienten
Heiden-Missionären, so würden gewiss auch massvolle An¬
sprachen von im Gefängnissdienste stehenden oder gestandenen
Geistlichen mitten aus dem Elend der Strafgefangenen heraus
und der Arbeit der geistlichen und weltlichen Angestellten an
denselben ihren Eindruck bei Festen der innern oder äussern
Mission nicht verfehlen. Ein Austausch der Berichte unter
den Vereinen in den verschiedenen Ländern, dessen wir uns
in unserem württembergischen Centralausschusse des Vereins
zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene längst zu erfreuen
kaben, und Mittbeilungen aus ungekünstelten Berichten in Zei¬
tungen und christlichen Blättern wären gewiss ebenfalls von
grossem Werthe. Bekanntlich wird man oft erst durch Be¬
richte über Vorkommnisse und Bestrebungen in andern Ländern
auf Dinge aufmerksam, welche Einem selber so nahe liegen.
So las ich neulich, dass zufolge eines Vortrags eines Grossh.
badischen Amtsrichters über die Schutzaufsicht für entlassene
Strafgefangene, in welchem er unter Anderem Mittheilungen
über unsern mehr als 50jährigen württembergischen Verein
mit seinem Centralausschuss in der Hauptstadt, seinen Bezirks-
Hilfsvereinen in den Oberamtssitzen und seinen Ortsorganen,
den geistlichen und weltlichen Vorstehern der einzelnen Ge¬
meinden machte, in Waldshut gegen 100 Mitglieder auf einmal
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sich eingezeichnet haben. — Ich möchte aber noch in Bezug
auf die kurzen Andeutungen der These von der Mitwirkung
und Beihilfe der Kirche und des freien Bürgerthums mich
aussprechen. Wenn irgendwo die einheitliche Gestaltung des
Vereins noch so vollkommen ist, wenn die für einen sichern
Gang der Vereinsgeschäfte nothwendigen besten Cadres überall
in den Landes- und Bezirks - Ausschüssen vorhanden sind,
tüchtige Beamte, priesterliche Geistliche, einflussreiche Bürger,
so können sie doch allein nicht durchdringen, w^enn nicht aller-
wärts die Bürgerschaft sich mitbetheiligt, sei es aus religiösem
Interesse, so dass Einer, wenn er eben eine Täuschung er-
^ fahren hat, gerade wieder eines Entlassenen sich erinnert, oder
wenigstens in der klugen Erwägung der Nützlichkeit, ja Noth-
wendigkeit des Vereins für das äussere gemeinsame Wohl der
Bürger. Ich schliesse mit der Behauptung: Es kann kein noch
so hochstehender Beamter, es kann kein noch so geschätzter
Pfarrer als Amtsperson einen Gefallenen wieder in die Gesell¬
schaft einführen, nur der Bürger kann den gefallenen Bürger
wieder in die bürgerliche Gesellschaft zurückführen!
Director Strossen Meine Herren! Ich will über die
Sache selbst kein Wort verlieren, ich glaube, dass die Frage
in zahlreichen Schriften, Versammlungen und Vereinen bereits
so eingehend erörtert wurde, dass wir uns im Grossen und
Ganzen der genauesten Kenntniss derselben zu erfreuen haben.
Ich empfehle die en bloc-Annahme der Thesen und wollte nur
eine persönliche Bemerkung abmachen.
Der Herr Referent hat meinen Namen angeführt bezüglich
einer Aeusserung, die ich inmitten des Ausschusses gethan
hätte; er hat sie leider mit einem Irrthum angeführt. Er sagte,
ich hätte im Ausschüsse darauf hingewiesen, wie bedenklich,
unangenehm und widerwärtig es sei, wenn das Arbeitsguthaben
der entlassenen Gefangenen, wie hier vom Ausschüsse proponirt
sei, den betreffenden Vereinen zugewiesen werde. Das ist mir
gar nicht eingefallen! Ich habe im Ausschüsse ausdrücklich
gesagt, es trage seine schweren Bedenken, wenn das Guthaben
aller zu entlassenen Gefangenen, auch derjenigen, die sich
den Vereinen gar nicht unterwerfen wollen, dem betheiligten
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136
Vereine oder, wie in Schlesien, den dortigen Kirchenvorständen
zugesendet werde. Dann wird das für die Betheiligten, die
dieses Guthaben annehmen und auszahlen sollen, oft eine
ausserordentlich schwierige Last, und das ist namentlich in
Schlesien in zahlreichen Fällen erwiesen. Dagegen verstand
es sich von selbst, dass das Guthaben derjenigen Gefangenen,
welche sich dem Vereine unterwerfen und dessen Fürsorge in An¬
spruch nehmen wollen, diesem letzteren auch zugesendet werde.
Consistorialrath Richter: Die Thesen, die ich dringend
zur Annahme empfehle, enthalten nichts als die allgemeinen
Grundgedanken der Fürsorge. Und dies ist für unsere Ver¬
sammlung genügend. Ich warne davor, dass wir irgendwie
schablonenmässig diese Fürsorge zu organisiren trachten; hüten
wir uns, geehrte Freunde, davor, dass wir auch die erprobten
Einrichtungen irgend einer Provinz oder eines Landes eo ipso
auch auf alle anderen übertragen wollen. „Eines schickt sich
nicht für Alle.^ Ich müsste sonst theilweise in Polemik treten
zu dem, was von dem Herrn Vorredner für Sachsen gesagt
worden ist. So erprobt gewisse Einrichtungen für Sachen sein
mögen, hüten wir uns davor, sie zu schablonisiren. Ich bin
in der Hauptsache derselben Ansicht wie der Herr Pfarrer
Köstlin. Nicht Vereine, die oft nur auf dem Papiere stehen,
sind die Hauptsache. Wenn Sie an die kleinen Gemeinden
auf dem Lande denken, was sollen da Vereine? Wir haben
ohnedies viel zu viel Vereinswesen, und ich sage daher mit
dem HeiTn Pfarrer Köstlin; Nicht Vereine, nicht Statuten,
sondern thun, thun und zum dritten Male thun! — Die
Hauptsache ist — und das haben wir, Gott sei Dank, in
Schlesien erreicht, — dass in jeder, auch in der kleinsten Ge¬
meinde eine Hand vorhanden ist, in die der entlassene Gefan¬
gene übergeht. Dort in Schlesien ist es der Gemeindekirchen¬
rath oder Kirchenvorstand, in dessen Hand der Gefangene
übergeht, nota bene wenn und so weit er will.
Was das Arbeitsguthaben anbelangt, so hat der Herr Vor¬
redner ganz richtig hervorgehoben, dass in Schlesien die Ueber-
weisung des Arbeitsguthabens an den Kirchenvorstand obliga¬
torisch ist. Wir haben darin eine Handhabe, dass der Mann
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kommen und sich stellen muss, um wenigstens noch eine An¬
knüpfung zur Möglichkeit der Fürsorge zu erhalten. Wir
haben aber in Schlesien zum Theil nicht günstige Erfahrungen
mit dieser obligatorischen Ueberweisung der Sträflinge
und des Arbeitsguthabens gemacht. Wenn der Arm der Liebe
so umstrickend ist, dann ist er auch leicht erdrückend. Wohl-
thaten dürfen nicht aufgezwungen werden, und wer die Für¬
sorge, die ihm freundlich angeboten wird, nicht annehmen will,
der mag seine Haut zu Markte tragen. Für diejenigen aber,
die sich helfen lassen wollen, muss in jeder, auch in der
kleinsten Gemeinde Fürsorge auf die gedachte Weise getroffen
sein. — Nehmen Sie die Resolutionen an.
Präsident; Es ist die en bloc - Annahme der Resolution
beantragt. Ich ersuche jene Herren, welche für die Annahme
der Resolutionen en bloc sind, sich zu erheben. (Geschieht.)
Die Resolutionen sind en bloc angenommen.
Es restirt nunmehr noch die Berichterstattung über die
Kassengebahrung des Vereines.
Ich ersuche Herrn Justizrath Wirth, Bericht zu er¬
statten.
Geheimer Justizrath Wirth: Ihr Ausschuss hat mich
beauftragt, die Rechnungen des Vereines für die Jahre 1880
bis 1882 zu prüfen. Ich habe mich dieser Aufgabe unter¬
zogen, habe die Rechnungen revidirt und richtig befunden.
Ich muss zugleich constatiren, dass die Kassenverwaltung nicht
blos sorgsam, sondern auch sehr sparsam ist. Das ist der
Grund, warum wir in der Rechnung pro 1883 einen Kassen¬
rest von 1191 JL nachweisen können. Ich beantrage daher,
dem Ausschüsse das Absoluterium zu ertheilen.
Präsident: Ich ersuche jene Herren, welche diesen
Antrag annehmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Dieser
Antrag ist angenommen.
Vereinsvorstand Geheimer Rath Ekert: Ich habe ausser
dem Vorschlag auf Ernennung der Ausschussmitglieder noch
eine kleinere Mittheilung zu machen.
Der Separatabdruck des Aufsatzes von Desportes über
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— 138 —
das Gefängnisswesen in Schweden, übersetzt von Bader, ist
hier in der Manz’schen Buchhandlung, Kohlmarkt 7, zu haben.
Was nun den Ausschuss anbelangt, so haben einige Herren
gebeten, sie von ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Aus¬
schusses zu entheben; so insbesondere hat Herr Geheime Hof¬
rath Dr. Gutsch, der früher in Bruchsal war, sich aber jetzt
pensioniren liess und in Karlsruhe lebt, den Wunsch ausge¬
sprochen, nachdem er aus der Strafanstaltspraxis ausgetreten,
von der Stelle eines Ausschussmitgliedes enthoben zu werden.
Ferner wünschte seine Enthebung Herr Oberjustizrath Wullen
in Gotteszell wegen vorgerückten Alters und weil er künftig
einer Versammlung wohl nicht mehr anwohnen könne. Endlich
zeigte seinen Austritt an der in Pensionsstand gesetzte Herr
Strafanstaltsdirector Dragic in Laibach. Demnach wären drei
Mitglieder zu ernennen und der Ausschuss schlägt als Ersatz
vor die Herren Staatsanwalt Zatschek in Pilsen, Director
Köstlin in Heilbronn und Pfarrer Krauss in Freiburg.
Demnach würde der Vorschlag auf Ernennung der Ausschuss¬
mitglieder folgendermassen lauten (liest):
Geh. Regierungsrath Director d’Alinge (Zwickau), Di¬
rector Bracker (Plassenburg), Director Eichrodt (Bruchsal),
Geh. Rath Director Ekert (Freiburg), Director Köstlin
(Heilbronn), Pfarrer Krauss (Freiburg), Director Krohne
(Berlin), Director Langreuter (Vechta), Geh. Regierungs¬
rath Lütgen (Hannover), Sanitätsrath Dr. Marcard (Celle),
Director Miglitz (Karlau bei Graz), Pfarrer Scheffer
(Boppard), General-Staatsanwalt von Schwarze (Dresden),
Pfarrer Spengler (Bruchsal), Director Streng (Hamburg),
Director Strosser (Münster), Geh. Justizrath Director Wirth
(Berlin) und Staatsanwalt Zatschek (Pilsen).
Präsident: Wenn kein Einspruch erhoben wird, nehme
ich an, dass die Versammlung dem eben verlesenen Vorschlag
ihre Zustimmung ertheilt. (Niemand meldet sich.)
Ich erkläre somit nun die Verhandlung für geschlossen
und ertheile auf dessen Ansuchen dem Herrn Vicepräsidenten
Geh. Ober-Justizrath Starke das Wort.
Vicepräsident Geheimer Ober-Justizrath Starke: Meine
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Herren! Die geschäftlichen Erörterungen unserer Versammlung
sind beendet und in wenigen Stunden werden diejenigen, die
von auswärts hieher gekommen sind, wohl nach allen Wind¬
richtungen auseinander gehen. Allein es drängt mich, noch
ein Wort an Sie zu richten ohne Mandat und doch, wie ich
glaube, aus dem Herzen Aller heraus.
Unter dem segensreichen Scepter seiner k. k. ap. Majestät
.des Kaisers Franz Joseph I. (die Versammlung erhebt sich)
ist, um der Justizverwaltung eine wahrhaft würdige Stätte zu
schaflFen, der prächtige Palast entstanden, in dem wir getagt
haben. Uns ist die hohe Auszeichnung zu Theil geworden,
xins hier zu versammeln an der Stätte, welche bestimmt ist,
das Recht zu fördern, und was wir im Gebiete des Strafvoll¬
zugs thun, ist ja recht eigentlich Rechtspflege. Aber nicht
blos, dass wir uns hier in diesem Gebäude versammeln durften,
nein! unsere Versammlung war in diesen Saal berufen, der
seinen festlichen Charakter dadurch erkennen lässt, dass als
ein edler, künstlicher Schmuck die Bildnisse des hohen Herr¬
scherpaares in ihm prangen!
Als mir gestern die Ehre zutheil wurde, vor Sr. Majestät
erscheinen zu dürfen, war es wahrhaft wohlthuend und herz¬
erquickend, aus seinem Munde zu hören, welch’ warmes Ge¬
fühl er auch denjenigen, welche die Verbrecherlaufbahn be¬
treten haben, zuwendet, mit welchem Interesse er die hiesige
Versammlung dieses Vereines begleitet!
Meine Herren! Ich darf mich jedes weiteren Wortes ent¬
halten, aber es drängt mich zu der Aufforderung, mit mir zu
rufen: Seine k. k. ap. Majestät Kaiser Franz Joseph I., er
lebe hoch, hoch, hoch! (Die Versammlung bringt ein drei¬
maliges begeistertes Hoch aus.)
Und nun, meine Herren, noch ein hieran sich unmittelbar
anschliessendes Wort. Wir sind lediglich Mitglieder eines
Privatvereins, nicht Delegirte von Regierungen, wir haben
nichts mit politischen Dingen zu thun und ebenso wenig haben
wir in amtlicher Eigenschaft hier fungirt: und dennoch ist uns
die Auszeichnung der Gönnerschaft zu Theil geworden, welche
der Chef der Justizverwaltung dieses Landes unserer Ver¬
sammlung entgegengetragen hat, die er bethätigt hat, indem
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persönlich in unseren Versammlungen erschien und um auch
dessen nicht zu vergessen, die Gastlichkeit dieses schönen
Landes für uns walten Hess, eine Gastlichkeit, die wir noch
geniessen sollten bis auf den Kahlenberg hinauf. Auch ihm
wollen wir unseren ehrerbietigen Dank spenden. (Die Ver¬
sammlung stimmt bei.)
Director Krohne: Gestatten Sie einem homo ex plebe,
dass ich in Ihrer aller Namen unserem hochverehrten Präsi¬
denten und denjenigen, welche ihn unterstützt haben in seinem
schweren Amte, unseren verbindlichsten und aufrichtigsten Dank
sage. Wir haben uns unter Ihrem Scepter, Herr Präsident,
sehr wohl gefühlt. Sie haben es nicht zu scharf über uns ge¬
schwungen, und wenn unsere Versammlungen so glatt und,
wie ich glaube, erfolgreich verlaufen sind, so haben wir das
zum guten Theil Ihrer freundlichen Leitung und gütigen Nach¬
sicht zu danken. (Die Versammlung stimmt bei.)
Präsident: Meine Herren! Es war mir eine grosse
Befriedigung, an Ihren Verhandlungen mitwirken zu können.
Sie haben mir meine Aufgabe sehr leicht gemacht, und ich
danke für die von mir vielfach in Anspruch genommene und
von Ihnen in liebenswürdigster Weise geübte Nachsicht. Ich
bin der Ueberzeugung, dass die hier gesprochenen Worte das
in unserem Lande noch häufig fehlende Interesse für das Ge-
fängnisswesen vielfach anregen werden, dass sie beitragen
werden, so manche irrige Anschauung über die Art des Voll¬
zuges der Freiheitsstrafen zu berichtigen und namentlich über
den vermeintlichen Hyperhumanismus, welcher in den Straf¬
anstalten getrieben werden soll. Ich bin der Ueberzeugung, dass
sie beitragen werden, die Erkenntniss zu verbreiten von der
hohen Wichtigkeit und zugleich Schwierigkeit des Gefangniss-
dienstes, von der Nothwendigkeit der möglichsten Ausdehnung
der Einzelhaft, aber auch von der Unerlässlichkeit der möglichst
zahlreichen Organisirung von Schutz vereinen für Entlassene.
In dieser Ueberzeugung und mit dem Wunsche, dass wir
uns bei der nächsten Versammlung Alle wohl und wohlgemuth
Wiedersehen, erkläre ich die Versammlung für geschlossen.
(Schluss der Versammlung 12 Uhr 15 Minuten.)
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Beilage i.
Programm
zugleich als
Einladung
zur
YersannDlnng des Vereins der dentschen Strafanstaltsbeamten
in
Wien
17. bis 21. September 1883.
X
--
Montag, den 17. September,
Nachmittags 4- Uhr:
Sitzung des Ausschusses im Justizpalast (Amalien¬
strasse 7).
Tagesordnung: 1. Summarischer Geschäftsbericht, erstattet
von Director Ekert. 2. RechnungsVorlage. 3. Berathung und
Beschlussfassung über etwaige Anträge auf Aenderung der
Vereinssatzungen. 4. Berathung über den Vorschlag eines Vor¬
sitzenden für die Versammlung. 5. Berathung und Festsetzung
der, der Versammlung vorzuschlagenden Thesen. 6. Feststellung
der Sitzungszeit zur Fortberathung am 18. und 19. September.
Donnerstag, den 20. September,
Vormittags 9 Uhr:
Erste Hauptversammlung im Justizpalast (Amalien¬
strasse 7).
Tagesordnung: 1 . Begrüssung der Versammlung. 2. Wahl
eines Vorsitzenden und Ernennung seiner Stellvertreter
und der Schriftführer. 3. Summarischer Geschäfts¬
bericht, erstattet von Director Ekert. 4. Kechnungs-
vorlage. 5. Vortrag des Geheimen Justizraths Wirth über
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die Entwicklung des Gefängnisswesens Deutschlands
und Oesterreichs in Theorie und Praxis in der neuern Zeit.
6. Berathung und Beschlussfassung über die vom Ausschuss
vorzuschlagenden Thesen.
Freitag, den 21. September,
Vormittags 8 Uhr:
Versammlung des Ausschusses mit dem Vorsitzenden
im Justizpalast zur Feststellung des Vorschlags der Aus¬
schussmitglieder.
Vormittags 9 Uhr:
Zweite Hauptversammlung.
Tagesordnung: 1 . Berathung und Beschlussfassung über
die vom Ausschuss vorzuscblagenden Thesen. 2. Wahl des
Ausschusses.
Verhandlnngsgegenstände
für die beiden Hauptversammlung^en.
1 .
Nach welchen Grundsätzen sollen die Arbeitsbeloh¬
nungen an Gefangene gewährt werden, insbesondere auch in
welcher Höhe, und soll dabei eine Rücksichtnahme auch auf
das Verhalten des Gefangenen am Strafort stattfinden? Soll
eine ganze oder theilweise Einziehung des Arbeitsguthabens
stattfinden können?
(Gutachten vom Geh.Regierungsrath Lütgen XVII. S.82,
vom Geh. Justizrath Wirth S. 108, von Director Miglitz
S. 123. Frühere Gutachten von Lütgen IX. 4. S. 337,
von Miglitz IX. 2. S. 212, von Sichart XI. 1.2. S. 1.
— vgl. auch Leutritz XVII. 3. S. 233 und XI. 1. 2.
S. 27.) Referenten: Geh. Regierungsrath Lütgen und
Director T a u ff e r.
II.
Nach welchen Normalbedingungen soll der Bau von
Zellengefängnissen stattfinden?
(Gutachten von Staatsanwalt Zatschek XVII. 1.2. S. 89,
von Director Kr oh ne XVII. 4. S.297, vgl. noch X VH. 1.2.
S. 1 u. XIV. 1.2. S. 107.) Referent: Director Krohne.
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m.
Wie soll nach neuestem Stande der Wissenschaft und Praxis
für die geistesgestörten Verbrecher gesorgt werden?
Sind eigene Anstalten oder Annexe von Straf- oder aber
von Irrenanstalten vorzuziehen? Wie wären solche einzu¬
richten ?
(Gutachten vonDr. Knecht XVIL 1.2. S. 142, Dr. Find er
S. 159, von Geh. Hofrath Dr. Gutsch XVIL 3. S. 193.
Frühere Gutachten von Geh. Hofrath Dr. Gutsch IX. 1,
S. 23, Geh. Sanitätsrath Dr. Delbrück IX. 2. S. 113,
Sanitätsrath Dr. Bär IX. 2. S. 145, sodann Mitheilung
von Dr. Knecht XV. S. 206, ferner XI. S. 94. 98. 309.
Berliner Versammlung X. S. 5.) Referent: Geh. Hofrath
Dr. Gutsch.
IV.
Auf welche Art sollen die Schutz vereine für Straf¬
gefangene eingerichtet sein; soll sich insbesondere die Unter¬
stützung auch auf die Angehörigen der Gefangenen während
der Strafhaft beziehen, und was ist zu thun, um die Vereins-
thätigkeit für die Bezirke wach zu halten, wo solche seltener
begehrt wird?
(Gutachten von Pfarrer Krauss XVIL S. 172; vgl.
XV. S. 272. 286. 306.) Referenten: Decan und Pfarrer
Götzinger und Pfarrer Krauss.
V.
Soll die Verabfolgung von Extragenüssen (Lebens¬
mittel, Schnupftabak u. dgl.), das Halten von Vögeln, Blumen
u. s.w. an Gefangene gestattet werden?
(Gutachten von Director Sic hart IX. 4. S. 383.) Refe¬
renten Pastor Scheffer und Director Miglitz.
Mittwoch, den 19. September,
Abends:
Zwanglose Zusammenkunft zur gegenseitigen Be-
grüssung im Caß Ronacher, Schottenbastei 3.
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144
Donnerstag, den 20. September,
Nachmittags:
Besichtigung des Landesgerichts für Strafsachen nebst
Schwurgerichtslocalitäten.
Freitag, den 21. September,
Nachmittags 3 Uhr:
Fahrt mit Separatzug auf den Kahlenberg. — Goüter
dortselbst. _
Der Besuch der k.k. Strafanstalten wird den Mit¬
gliedern ermöglicht werden; ebenso die Besichtigung der
monumentalen Bauten, der historischen und electrischen Aus¬
stellung U.8.W. in Wien.
Das Nähere bezüglich der Versammlungslocale u. s. w.
wird noch bekannt gegeben.
Der Ausschuss versammelt sich zur Vorberathung schon
am 17. September. Seine Mitglieder sind eingeladen, Wohnung
im Hdtel de France, Schottenring S, zu nehmen.
Das Anmelde- und Auskunftsbureau befindet sich
im Justizpalast und ist zunächst am 18. und 19. Septbr., Vor¬
mittags 10—12 Uhr geöffnet. Die Theilnehmer werden gebeten,
sich dort möglichst zeitig einzuschreiben. Für Bestreitung
allgemeiner Kosten ist hierbei der Betrag von 3 ^ (1V 2 A*)
gegen Aushändigung der Mitgliedskarte zu entrichten.
Zu Wohnungen werden empfohlen: Hdtel Meissl-Schaden,
Kärtnerstrasse, Hdtel Klomser, Herrengasse 19, Hdtel König von
Ungarn, Schulerstrasse 10, diese 3 höheren Ranges; Hdtel Hötter,
Burggasse 2, Hdtel de France, Schottenring 3, Hdtel Schlössl,
Schlösslgasse 3 und Florianigasse.
Zu gemeinsamer Zusammenkunft, insbesondere Mit¬
tags, Restauration Ronacher, Schottenbastei 3.
Freiburg i. Br., im August 1883.
Der Vereinsausschuss.
Ekert,
Geheimerath und Gefängnissdirector.
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Beilage H.
Yerzeichniss der Theilnehmer
an der
Yersanunlimg des Vereins der dentschen Strafanstältsbeamten
zu Wien
am SO. und Sl. September 1883.
-H—H-
Bässler, Inspector der Strafanstalt in Nossen.
Bes81er, Pastor und Dirigent der Weiberstrafanstalt Voigtsberg.
Bettelheim, Dr., Hausarzt der kgl. ung. Strafanstalt LipotvAr (Ungarn).
Bracker, Director am Zuchthause Plussenburg.
Breidler, Dirigent der k. k. Strafanstalt in Suben.
Brinzinger, Kaplan, kath. Hausgeistlicher des Zuchthauses Stuttgart.
Burkhardt, Gefängniss-Director in Dresden.
Cermak, k. k. Strafanstalts-Director in Karthaus.
Gruse, Strafanstaltsdirector in Wolfenbüttel.
Dil ln er, Geistlicher des Zuchthauses Hoheneck.
Khrensberger, Regierungs-Rath und Gefängniss-Director in Rebdorf.
Eign, Verwalter des Zellengefängnisses Nürnberg.
Ekert, Geheimerath und Landesgefängniss-Director in Freiburg.
Feiner, Ministerial-Rath im k. k. Justiz-Ministerium in Wien.
Franke, Strafanstalts-Director in Coswig.
Födransperg, k. k. Oberstaatsanwalts-Stellvertreter in Wien.
Gennat, Ober-Inspector des Strafgefängnisses Plötzensee bei Berlin.
Giuliani, Sections-Ghef im k. k. Justiz-Ministerium in Wien.
Gleispach, k. k. Oberstaatsanwalt in Graz.
Götzinger, Strafanstalts-Geistlicher in Langenbrücken.
Grinzenberger, k. k. Landesgerichtsrath in Wien.
Hattingberg, k. k. Hofrath und Ober-Staatsanwalt in Wien.
Hierling, L.-R.-Assessor a.D., Director der Gefängpissanst Ichtershausen.
Hohlfeld, Anstalts-Dirigent in Grünhain.
Illing, Geh. Ober-Regierungs-Rath in Berlin.
Jung, Pfarrer am Strafgefängnisse zu Plötzensee bei Berlin.
Kallina, Strafanstalts-Director in Gross-Salze.
Blätter für Qefängnieekunde. XIX. IQ
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146
KiiiEl, erster Seelsorger der k. k. Strafanstalt Stein a. d. Donau.
Környei, Adrocat in Budapest.
Köstlin, Adolf, Pfarrer und ev. Geistlicher des Zuchthauses Stuttgart.
Köstlin, Karl, Strafanstalts-Direotor in Heilhronn.
Köstlin, Theodor, Oberstaatsanwalt und Director des Strafanstalten-
CoUegiums in Stuttgart.
Knapp, Dr., Strafanstalts-Arst in Ludwigshurg.
Krau pal, Strafanstalts-Director in Müran.
Kraues, Pfarrer und Strafanstalts-Geistlicher in Freiburg.
Kr ohne, Strafanstalts-Director in Berlin.
Kukula, Dr., k. k. Strafanstalts-Arzt in Karthaus.
Langreuter, Strafanstalts-Director in Vechta.
Leffler, Strafanstalts-Director in Kaiserslautern.
Lindner, Gefangenanstalts-Verwalter in Amberg.
Lotichius, Regierungs-Assessor in Dresden.
Lütgen, Geh. Regierungs-Rath in Hannover.
Mahn, Anstalts-Geistlicher des Zuchthauses in Waldheim.
Marcard, Dr., Strafanstalts-Arzt in Gelle.
Maresch, Strafanstalts-Geistlicher in Gollnow.
Matz, Ober-Inspector am Untersuchungs-Gefängniss Berlin.
Mekiska, k. k. Strafanstalts-Director in Stein a.d. Donau»
Miglitz, k. k. Strafanstalts-Director in Graz.
Morgenstern, Dr., Hausarzt der nied.-Öst. Landes-Zwangsarheitsanstalt
in Weinbaus hei Wien.
P eis er, k. k. Staatsanwalt in Wien.
Pf aller, Lehrer des Arbeitshauses in Rebdorf.
Pichs, Ministerialrath im k. k. Justiz-Ministerium in Wien.
Pinder, Dr., Hausarzt der k. k. Strafanstalt Garlau bei Graz.
Powalatz, Adjunct der k. k. Strafanstalt Stein a. d. Donau.
Pracht, Lehrer des Zellengefängnisses Nürnberg.
Rabel, Hof- und Gerichts-Advocat in Wien.
Reche, k. k. Strafanstalts-Director in Garsten.
Reich, Inspector der Strafanstalt Zwickau.
Richter, Gonsistorialrath und Militär-Oberpfarrer, Delegirter des Ge-
fängnissvereins für Schlesien und Posen in Breslau.
Rosenbaum, Director der nied.-öst. Landes - Zwangsarbeitsanstalt in
Weinbaus bei Wien.
Sahljaok, Official der Strafanstalt Lepoglava.
Sacken, Sections-Ghef im k. k. Justiz-Ministerium in Wien.
Scheitz, k. k« Staatsanwalt in Komeuburg.
Schnabl, Director der k. k. Männer-Strafanstalt in Pilsen.
Schnepel. Director der Strafanstalt Oslebshausen.
Schwaiger, k. k. Landesgerichts-Präsident in Wien.
Seeberger, Hausgeistlicher des Arbeitshauses Rebdorf.
Seydel, k. k. Staatsanwalts-^Substitut in Komeuburg.
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Sorg, kath. Pfarrer am Zuchthause zu Plassenhurg.
Starke, Geh. Ober-Justizrath in Berlin.
Strebei, ev. Pfarrer, Geistlicher des Landesgefängnisses Schwäb. Hall.
Strosser, Director der Strafanstalt Münster.
Szabo, Landesstrafanstalts-Director in Lipotv4r a. d. Waag.
Ta uff er, Strafanstalts-Director in Lepoglava.
Teisler, Inspector des Landesgerichts-Gefängnisses Wiesbaden.
Thal 1er, Dr., Gefangenanstalts-Arzt in Niederschönfeld bei Hain.
U11 mann, Regierungsrath und Professor in Innsbruck.
Varga, Strafhaus-Director in Väcz (Ungarn).
Vulmahn, Ober-Inspector des Zellengefängnisses in Hannover.
Wahlberg, k.k. Hofrath und ord. österr. Universitäts-Professor in Wien.
Wirth, Geh. Justizrath und Director des Strafgefängnisses in Plötzensee
bei Berlin.
Zatschek, k. k. Staatsanwalt in Pilsen.
Zdarsky, Lehrer der k.k. Strafanstalt Stein a. d. Donau.
Zieglauer, Zuchthaus-Director in Wasserburg am Inn.
Ziem, Strafanstalts-Inspector in Gollnow.
BUreau
der
1883er Versammlung in Wien.
-Ä-
Ehrenpräsident: Minister und Leiter des Justiz-Ministeriums
Dr. Frhr. von Prazak, Excellenz, Wien.
Präsident: Oberstaatsanwalt Hofrath v. Hattingberg, Wien.
Vicepräsidenten: Geh. Ober-Justizrath Dr. Starke aus Berlin.
K.k. Hofrath u. Prof. Dr. v. Wahlberg aus Wien.
Geheimer Ober-Regierungsrath Illing aus Berlin.
Oberstaatsanwalt Köstlin aus Stuttgart.
Schriftführer: Staatsanwalt Scheitz aus Korneuburg.
Pfarrer Krauss aus Freiburg i. Br.
10 *
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Beilage 4.
Zusammenstellung
der
Beschlüsse der 1883er Versammlung
in Wien.
-h-4-
a. Vom 20. September:
I. Fürsorge für geistesgestörte Verbrecher betr.
Sträflinge, welche in Geistesstörung verfallen, sind mög¬
lichst bald einem Heilverfahren zu unterziehen. Die Errichtung
eigener Anstalten zu diesem Behufe ist nicht ausführbar.
Geisteskranke leichteren Grades und Schwachsinnige können
in den Lazarethen der Strafanstalten bewahrt werden, die zu
diesem Zwecke mit den erforderlichen Vorkehrungen zur
Sicherung und Heilung zu versehen sind.
II. Bau von Zellengefängnissen betr.
Es wird eine Commission von 7 Personen zur Feststellung
der Normalbedingungen, nach welchen Zellengefängnisse zu
bauen und einzurichten sind, eingesetzt. Die Commission hat
ihre Arbeiten binnen Jahresfrist zu vollenden und werden die¬
selben im Vereinsorgan zur Veröflfentlichung gelangen.
III. Aenderung der Satzungen betr.
Der § 4 der Vereinsstatuten soll dahin erweitert werden,
dass nach den Worten „an den deutschen Universitäten“ ein¬
zuschalten ist; „und die Vorstandsmitglieder der Landes- bezw.
Provinzialvereine für Gefängniss- und Schutzwesen.“
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iV. lieber die Extragenüsee für Gefangene.
1. Den Sträflingen kann bei Wohlverhalten mit Bewilligung
des Anstalts-Vorstandes die Anschaffung von Extra¬
genüssen gestattet werden.
2. Als solche Extragenüsse sind allgemein gangbare, die
Gesundheit und Ernährung fördernde Artikel zu verab¬
reichen.
8. Tabak in jeder Form ist ausgeschlossen. Doch bezieht
sich das Verbot des Tabakrauchens nicht auch auf das
Stadium des Strafvollzuges in der Zwischenanstalt bei
dem irischen Systeme.
4. Bei Strafvollstreckung in Einzelhaft kann das Halten
eines Vogels oder von Blumen gestattet werden.
5. Eine Beschaffung der Extragenüsse aus anderen Mitteln
als der Arbeitsbelohnung ist unzulässig. Eine Ausnahme
hievon darf nur in denjenigen Strafanstalten stattfinden,
wo die Beköstigungs-Ordnung die Verabfolgung von
Speisenzulagen oder einer besseren Kost an Reconvales-
centen oder Sieche nicht gestattet.
b. Vom 2i, September:
V. lieber die Arbeitsbelohnungen für Gefangene.
1. Der Ertrag der Arbeit jener Gefangenen, die zu einer
mit Verpflichtung zur Arbeit verbundenen Strafe ver-
urtheilt sind, fliesst zur Staatskasse.
2. Die Arbeitsgeschenke sind nach Massgabe der Arbeits¬
leistungen und des dabei angewendeten Fleisses des Ge¬
fangenen am Straforte zu bestimmen. Es ist aber zu¬
lässig, für Vergehen des Gefangenen als selbstständige
Strafe oder Straffolge, sowie auch für schlechtes Beneh¬
men das Guthaben der Arbeitsgeschenke ganz oder theil-
weise einzuziehen oder auch solche für eine bestimmte
Zeit nicht zu gewähren.
3. Die Arbeitsgeschenke für Gefangene eines und desselben
Landes sollen thunlichst gleichmässig bemessen werden.
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150
Vi. Das Schutzwesen für entlassene Gefangene betr.
1. Die Schutzfiirsorge für entlassene Gefangene erscheint als
eine dringende sociale Aufgabe. Ihre Nothwendigkeit ist
im Interesse des Staates wie der gesammten freien Be¬
völkerung begründet.
Die Versammlung der deutschen Strafanstaltsbeamten
begrüsst daher mit Freude alle Bestrebungen und Er¬
folge auf diesem Gebiete charitativen Wirkens, wie die¬
selben zu Tage treten in der Errichtung von Asylen für
Obdachlose, Arbeiter-Colonien, Besserungs-Anstalten für
verkommene Jugendliche, Zufluchtsstätten für gefallene
Frauenspersonen, Herbergen, Vereine gegen Bettel und
Vagabundage u. dgl. m.
Als weiteres, sehr wirksames Mittel zur Fürsorge für
entlassene Gefangene betrachtet sie aber auch diejjrün-
dung von Schutz verein en.
2. Die Schutzvereine haben den Zweck, solchen entlassenen
Gefangenen, welche würdig und gewillt sind, ein ehrbares
Fortkommen zu suchen, den Wiedereintritt in die bürger¬
liche Gesellschaft durch materielle und moralische Unter¬
stützung zu ermöglichen. Zugleich ist es wünschens-
werth, dass sich die Fürsorge auch auf die An¬
gehörigen der Gefangenen während der Strafzeit
ausdehne.
3. Die Schutz vereine, als Zweig der freiwilligen öffentlichen
Wohlthätigkeitspflege, üben ihre Thätigkeit unter Mit¬
wirkung und Beihilfe des Staates, der Kirche und des
freien Bürgerthumes aus.
Die Vereine müssen einen steten, unmittelbaren Ver¬
kehr mit den Strafvollzugsbehörden (Anstaltsverwaltungen)
unterhalten, von welchen ihnen in der Regel die Objecte
der Fürsorge mit zweckdienlichen Anträgen überwiesen
werden.
Es ist wünschenswerth, dass das Arbeitsguthaben
eines jeden Gefangenen, der sich dem Schutze eines Ver¬
eines unterstellt, bei seiner Entlassung an letzteren zur
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151
entsprechenden Verwendung für den Schützling über¬
sendet wird.
4. Es empfiehlt sich, zur Erhaltung eines regen Vereins¬
lebens und gleichartigen Verfahrens das Schutz wesen in
den einzelnen Provinzen bezw. Ländern möglichst zu
centralisiren.
Vli. Den Ausschuss betr.
Die Versammlung ernennt zu Mitgliedern des Ausschusses
die Herren:
d’Alinge, Geheimer Regierungs-Rath, Director der Straf¬
anstalt Zwickau.
Bracker, Director des Zuchthauses Plassenburg.
Eichrodt, Director des Männerzuchthauses Bruchsal.
Ekert, Geheimerath und Director des Landesgef. Freiburg.
Köstlin, Director des Zellengefangnisses Heilbronn.
Krauss, Pfarrer, kath. Geistlicher des Landesgef. Freiburg.
Kr ohne, Director der Strafanstalt Moabit (Berlin).
Langreuter, Director der Strafanstalt Vechta.
Lütgen, Geh. Regierungs-Rath im Oberpräsidium Hannover.
Marcard, Dr., Sanitätsrath, Arzt der Strafanstalt Celle.
Miglitz, Director der Strafanstalt Carlau bei Gratz.
Scheffer, Pfarrer in Boppard a.Rh.
Schwarze, Dr. von, Generalstaatsanwalt in Dresden.
Spengler, Pfarrer, ev. Geistlicher der Strafanstalten Bruchsal.
Streng, Director der Gefängniss-Anstalten Hamburg.
Strosser, Director der Strafanstalt Münster.
Wirth, Geh. Justizrath, Director des Strafgefangn. Plötzensee
bei Berlin N.W.
Zatachek, Staatsanwalt in Pilsen.
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Inhalt.
Yerhandlungen der Versammlung des Vereins der deutschen Straf¬
anstaltsbeamten in Wien 17.—21. Sept. 1883:
I. Vorbericht.
n. Erste Sitzung, 20. September .
1. Begrüssung der Versammlung durch Se. Excellens den
Justisminister Dr. Freiherr v. Prazak .
2. Wahl des Bflreaus.
3. Vortrag des Geh. Justizraths Wirth über die Entwick-
' lung des Gefängniss^vesens Deutschlands u. Oesterreichs
4. Geschäftsbericht.
5. Verhandlungen über die Fürsorge für geistesgestörte Ver¬
brecher .
6. Desgl. über den Bau von Zellongefängnissen •
7. Desgl. über Aenderung der Satzungen ....
8. DesgL über die Extragenüsse etc. an Gefangene
III. Zweite Sitzung, 21. September.
9. Verhandlungen über die Arbeitsbelohnnngen
10. Desgl. über das Schutzwesen für entlassene Gefangene .
11. Wahl des Ausschusses.
IV. Beilagen:
1. Programm der Versammlung.
2. Verzeichniss der Theilnehmer.
3. Büreau der Versammlung.
4. Verzeichniss der Beschlüsse . * • r . .
Seite
V
1
1
2.3
3
ÖO
20
44
49
54
80
80
118
138
141
145
147
148
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im Jahre 1883.
Von Director Streng.
An das Gefängniss stellt unsere Zeit grosse Anforderungen.
Der Polizei so unentbehrlich wie der Justiz, ist seine Aufgabe
unter beiden Gewalten verschieden. Der individualisirende
Strafvollzug im Zellengefängniss verfolgt andere Zwecke als
die für den Augenblick berechnete Verwahrung im Polizei-
gefängniss, das mitunter aus Verlegenheiten zu helfen und
Jeden aufzunehmen hat, den man sonst nicht gut unterzubrin¬
gen weiss. Seit Justiz und Verwaltung getrennt ihre eigenen
Wege gehen, ist der Ueberblick über die gesammte Aufgabe
des Gefängnisses erschwert. Die moderne Disciplin der Ge-
fängnisskunde beschäftigt sich vorzugsweise mit dem Straf-
gefängniss, die in unserer Zeit so fruchtbare Statistik nicht
minder, das Polizeigetangniss bleibt augenscheinlich publici-
stisch vernachlässigt und mit Unrecht; es hat auch seine inter¬
essanten Seiten und bietet ausgiebigen Stoff für sociale Stu¬
dien; der hohe Gefangenenstand der Strafgefangnisse bleibt,
was die Kopfzahl anlangt, weit unter dem Polizeigefängniss,
das seine massenhaften Zugänge nur durch ebenso massen¬
hafte wie rasche Entleerung bewältigen kann.
Die Verwaltung der Gefängnisse liegt in Hamburg in
einer Hand. Die Strafgefängnisse, das Untersuchungsgefängniss,
die Correctionsanstalt und die zur Aufnahme der polizeilichen
Arrestanten dienenden Gefängnisse sind alle der Gefängniss-
Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 11
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156
direction unterstellt Die Arbeitstheilung, welche den öffent¬
lichen Dienst so gut wie die Industrie beherrscht, ist in kleinen
Staaten weniger nothwendig. Der geringe Umfang der ein¬
zelnen Dienstzweige gestattet Zusammenlegung verschiedener
nicht zusammengehöriger, aber verwandter Aufgaben. Ver¬
brechen und Selbstmord stehen mit Armuth und Noth in
innerem Zusammenhang. Es ist deshalb keine ganz willkür¬
liche Verbindung von Geschäften, wenn der Gefängnissdirection
in Hamburg auch die Verwaltung eines mit einem Gefängnisse
räumlich verbundenen Lazareths unterstellt ist, welches zur
Aufnahme von Personen dient, die, in besonderer Nothlage
befindlich, von der Polizei rasch unterzubringen sind. An¬
hängsel dieses Lazareths bilden die Morgue zur Aufnahme
der Leichen von Selbstmördern und verunglückten Personen,
sowie die Reinigungsanstalt, in welcher alle von der Polizei
aufgegriffenen als unrein verdächtigen Personen vor der Vor¬
führung gereinigt werden und so selbst im Falle sofortiger
Wiederentlassung reiner, wenn auch nur äusserlich gereinigt,
in die Gesellschaft zurücktreten.
Hamburg ist zugleich Kleinstaat und Grossstadt. Sociale
Verhältnisse, die sich nur in grossen Staaten entwickeln können,
gestalten sich hier auf eng begrenztem Gebiet übersichtlicher
und klarer. Dies gilt nicht allein von der eigentlichen Auf¬
gabe der Gefangnissverwaltung, sondern auch von ihrem Zu¬
sammenhang mit andern Zweigen der öffentlichen Verwaltung.
Die oberste Leitung der Gefängnissverwaltung liegt in Händen
der Gefängnissdeputation, eines nach dem Prinzip der Selbst¬
verwaltung aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft
zusammengesetzten Collegiums, dem auch die Verwaltung des
Werk- und Armenhauses unterstellt ist. Das Werk- und
Armenhaus beherbergt bei einer durchschnittlichen Bevölkerung
von beiläufig 1500 Köpfen neben altersschwachen, kranken,
siechen und arbeitsunfähigen Personen eine nicht unerhebliche
Zahl freiwilliger Corrigenden, Personen, die auf Antrag ihrer
Eltern und Vormünder auf bestimmte Zeit dort untergebracht,
durch strenge Zucht von einem arbeitsscheuen, liederlichen
Leben auf geordnete Lebenswege zurückgeführt werden sollen.
Das Werk- und Armenhaus dient sonach nicht ausschliessüch
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•V
— 157 —
der Wohltliätigkeit, es ist auch Präventivanstalt, die in vielen
Fällen mit Erfolg den Weg in die Gefängnisse verlegt. In
höherem Sinne gilt dies von der früher mit dem Werk- und
Armenhause verbundenen Schule für verwahrloste Kinder. Die
Schule wurde in jüngster Zeit in einen Neubau in Ohlsdorf
verlegt und als staatliche Erziehungs- und Besserungsanstalt
für 150 der Verwahrlosung ausgesetzte Kinder eröflFnet. Ge¬
trennt von der Gefängnissdeputation ist die Verwaltung der
öffentlichen Armenpflege. Die Armenpflege steht in zu naher
Wechselwirkung mit Zu- und Abnahme der Gefängnissbevöl-
kerung, um hier übergangen werden zu können. Die öffent¬
liche Armenpflege Hamburgs geniesst seit langer Zeit einen
wohlverdienten Ruf und erst in jüngster Zeit wurde ihr in
einem durch die Zeitungen veröffentlichten Berichte eines eng¬
lischen Arbeiters das ehrende Lob zu Theil, dass Aergerniss
erregende Erscheinungen von Armuth und Elend, wie sie in
englischen Städten so häufig, in Hamburg unbekannt seien
— ein Zeugniss, das jeder aufmerksame Beobachter bestätigen
wird. Bei einer Seelenzahl des hamburgischen Staates von
450,000 Einwohnern beträgt das Budget der öffentlichen Ar¬
menpflege IY 2 Millionen Mark. Die Zahl der auf Kosten der
Armenpflege in den benachbarten Landdistricten, namentlich
im Hannöverischen zur Pflege und Erziehung untergebrachten
Kinder belief sich im verflossenen Jahre auf ca. 1400. Neben
dieser grossartig angelegten Armenpflege besteht hier eine
ungezählte Reihe voji Wohlthätigkeitsstiftungen und Anstalten
theils unter öffentlicher Verwaltung, theils unter privater Lei¬
tung, von denen neben dem Waisenhause nur die vorzugs¬
weise der Erziehung verwahrloster Jugend dienenden Anstalten
des rauhen Hauses und Pestalozzistiftes, sowie die Alsterdorfer
Anstalten zur Unterbringung und Erziehung von Idioten er¬
wähnt werden sollen.
Wo Armuth so reich unterstützt wird, ist der innere Zu¬
sammenhang zwischen Armuth und Verbrechen weniger be¬
merkbar. Der Reichthum der aufblühenden See- und Handels¬
stadt begünstigt eine eigenartige Entwicklung der Criminalität.
Hamburg übertrifft an Zahl der Schenkwirthschaften alle deut¬
schen Städte, und in vielen Wirthschaften ist es nicht der
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Alkohol allein, der sinnberauscbend wirkt. Deliranten sind in
den Gefängnissen nicht selten und zeigen wie ein Theil der
wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung
und Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit erfolgen¬
den Verurtheilungen deutlich die verderblichen Wirkungen des
Alkohols. Das genuss- und vergnügungssüchtige Leben der
Grossstadt ist überall und auch hier ein schlüpfriger und ge¬
fährlicher Boden für jugendlichen Leichtsinn, der die eigent¬
lichen Jugendjahre mitunter bis zum redlich erreichten Schwa¬
benalter überdauert und auf der Jagd nach dem Vergnügen
die Schranken der Sittlichkeit und zuletzt die des Strafgesetzes
überspringt. Eine magnetische Anziehungskraft übt die reiche
dicht bevölkerte Stadt auf gewohnheitsmässige Betrüger und
Einbrecher, die in enger Verbindung mit Hehlern und Kupplern
die Wachsamkeit und Findigkeit der Polizei in raffinirter Weise
auf die Probe stellen. Unter den Verbrechen und Vergehen
überwiegen in Hamburg Angriffe auf fremdes Eigenthum in
aussergewöhnlichem Maasse.
Inhaltlich der Protokolle der Gefängnissdeputation betrug
die Durchschnittszahl der in den Gefängnissen vorhandenen
Gefangenen im Jahre 1818: 230; der tägliche Durchschnitt ist
inzwischen auf 1280 im Jahre 1879, 1725 im Jahre 1882 und
1699 im Jahre 1883 angewachsen, d. i. von 1879 bis 1883
eine Steigerung von 32%, während der Zuwachs der freien
Bevölkerung nur etwas über 3% jährlich beträgt. Die Kopf¬
zahl der gesammten im Laufe des Jahres von den Gefäng¬
nissen aufgenommenen Personen lässt sich nicht genau fest¬
stellen, da eine und dieselbe Person wegen einer und derselben
strafbaren Handlung als Polizei-, Untersuchungs-, Strafgefan¬
gener (als solcher mehrfach) und als Corrigend durch die Ge-
fängnissanstalten gehen kann, mit jeder Verwandlung in den
Listen unter neuer Nummer vorgetragen und bei Feststellung
der Gesammtzahl neu gezählt werden muss.
Der Gefangenenstand und Bewegung desselben im Jahre
1883 zeigt folgende Zusammenstellung;
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159
Der Gefangenenstand betrug
am 31.
Dezember
1882:
Männer
Weiher
Zusammen
Züchtlinge.
292
44
336
Gefängnisssträflinge
387
80
467
Haft- und qnalificirte Haftgefangene
168
33
201
Festungshaftgefangene
—
—
—
Untersuchungsgefangene •
164
33
197
Corrigenden . . .
235
58
293
Polizeigefangene ....
138
13
151
Civilgefangene.
—
—
—
1384
261
1645
Zugang während des Jahres 1883:
Männer
Weiber
Zusammen
Züchtlinge.
156
25
180
Gefängnisssträflinge
2177
444
2621
Haft- und qualificirte Haftgefangene
4616
1923
6539
Festungshaftgefangene
2
—
2
Untersuchungsgefangene .
2904
381
3285
Corrigenden.
644
85
729
Polizeigefangene ....
11966
1303
13269
Civilgefangene.
23
1
24
22487
4162
26649
Hiezu der Bestand vom 31. Dec. 1882
1384
261
1645
Im Laufe des Jahres 1883 waren detinirt
23871
4423
28294
Abgang während des Jahres 1883:
Männer
Weiher
Zusammen
Züchtlinge.
122
20
142
Gefängnisssträflinge
2094
440
2534
Haft- und qualificirte Haftgefangene
4563
1937
6500
Festungshaftgefangene
2
—
2
Untersuchungsgefangene .
2796
381
3177
Corrigenden.
649
83
732
Polizeigefangene ....
11990
1303
13293
Civilgefangene.
23
1
24
22239
4165
26404
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160
Bestand am 31. Dezember 1883:
Züchtlinge.
Männer
325
Weiher
49
Zusammen
374
Geföngnisssträflinge
470
84
554
Haft- und qualificirte Haftgefangene
221
19
240
Feetungshaftgefangene
—
—
Untersuchungsgefangene .
272
33
305
Corrigenden.
230
60
290
Poliseigefangene ....
114
13
127
Givilgefangene.
—
—
—
1632
268
1890
Von dem sich hienach berechnenden Gesammtgefangenen-
stände von 28294 Köpfen entfallen auf Züchtlinge 1,8 ®/o, Ge-
fangnisssträfllnge 10,9, Haft- und qualificirte Haftgefangene
23,8, Untersuchungsgefangene 12,3, Corrigenden 3,4 und
Polizeigefangene 47,8%.
Von den am 31. Dezember 1883 vorhandenen 374 Zücht¬
lingen (325 Männer, 49 Weiber) waren 297 = 80% wegen Ver¬
brechen wider das Eigenthum, 10 wegen Meineids, 39 wegen
Verbrechen wider die Sittlichkeit, 11 wegen Verbrechen wider
das Leben (2 wegen Mordes, 3 wegen Tödtschlags, 2 wegen
Kindsmordes, 4 wegen Abtreibung der Leibesfrucht), 6 wegen
Verbrechen der Körperverletzung, 3 wegen Verbrechen im
Amte, die übrigen wegen verschiedener Verbrechen verurtheilt;
56 waren bei der Einlieferung ohne Vorstrafen, während ab¬
gesehen von leichteren Vorstrafen 74 früher schon eine, 36
zwei, 26 drei und 13 vier und mehr Zuchthausstrafen ver-
büsst hatten. Dem Lebensalter nach standen 28 im Alter von
18—20 Jahren, 259 im Alter von 21—39 Jahren, 52 im Alter
von 40—49, 19 im Alter von 50—59, 6 im Alter von 60 Jah¬
ren und darüber. Anlangend die Dauer der verhängten Strafe
so haben 139 Strafen bis zu 2 Jahren, 175 von 2—5 Jahren
und 60 Strafen von 5 Jahren und mehr, darunter 2 auf Lebens¬
zeit zu verbüssen. Von den am 31. Dezember 1883 vorhan¬
denen Züchtlingen sind 180 = 48% im Laufe des Jahres
1883, die übrigen vor dieser Zeit eingeliefert.
Von den am 31. Dezember 1883 vorhandenen Gefangniss-
sträflingen waren 94% im Laufe dieses Jahres zugegangen,
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161
während nur 6% Zugänge aus früheren Jahren entfallen.
Von 3088 Gefängnisssträflingen waren 7 ®/o wegen Widerstands
gegen die Staatsgewalt, 3% wegen Verbrechen und Vergehen
wider die Sittlichkeit, 9% wegen Körperverletzung, 60%
wegen Verbrechen und Vergehen wider das Eigenthum, der
Rest wegen verschiedener Reate verurtheilt. 35 % ^Ätten
Strafen von 1—14 Tagen und 7% Strafen von über einem
Jahre zu verbüssen. Bei der Einlieferung waren wegen Ver¬
brechen und Vergehen noch nicht bestraft 1603, während 26
früher schon Zuchthausstrafen erstanden hatten. Unter den
Gefängnisssträflingen befanden sich 435 = 14% Jugendliche
im Sinne des Strafgesetzbuches, darunter 55 (50 Knaben und
5 Mädchen) im Alter von 12—14 Jahren. Rechnet man hiezu
noch 20 Knaben und 1 Mädchen, gleichfalls im Alter von 12
bis 14 Jahren, welche mit Haft bestraft in den Gefängniss-
anstalten untergebracht waren, so befanden sich im Ganzen
76 Kinder in Strafhaft. Die criminelle Behandlung der Kind¬
heit bildet wohl den schwächsten Theil der Strafrechtspflege.
Ein Kind, das stiehlt, wegen Diebstahls auf Grund des Straf¬
gesetzes zu bestrafen und die Strafe in einer Strafanstalt,
wenngleich in gesonderter Abtheilung, zu vollstrecken, ist ein
Widerspruch, der an dem Straforte am grellsten hervortritt,
wo Hausordnung und Disciplinarvorschriften zwischen Erwach¬
senen und Jugendlichen oft in sehr wesentlichen Punkten nicht
unterscheiden. Kinder gehören nicht in Sträflingskleider, wie
sie Erwachsene tragen. Die Verschiedenheit der körperlichen
und geistigen Entwicklung äussert sich auch in dem Bewusst¬
sein der Rechtswidrigkeit der That. Kinder von 12—14 Jahren,
die stehlen oder andere Uebertretungen des Strafgesetzbuches
sich zu Schulden kommen lassen, wissen zwar in der Regel,
dass sie etwas Verbotenes thun; es fehlt ihnen aber der Ueber-
blick über die Tragweite ihrer Handlung. Der bleibende Makel
einer Criminalstrafe verschliesst ihnen Lebenswege, bevor sie
für das Leben reif und einer selbstständigen Entschliessung
fähig geworden sind. Uebertretungen der Strafgesetze an Kin¬
dern zu ahnden, sollte zunächst der häuslichen Zucht über¬
lassen werden. Fehlt die nothwendige Voraussetzung häus¬
licher Zucht oder ist die Verfehlung äusserlich so schwer, dass
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im Interesse der öflFentlichen Ordnung von Staatswegen einge¬
schritten werden muss, so ist für Kinder, wenn sie sich noch
so schlimm und gefährlich zeigen, Verwahrung in einer öffent¬
lichen Erziehungs- und Besserungsanstalt die ihrem Verschulden
allein entsprechende Strafe. Hier kann der Versuch einer nach¬
träglichen Erziehung besser unternommen werden als im Straf¬
haus, das in Lösung erziehlicher Aufgaben nach verschiedenen
Richtungen auf eigenthümliche Schwierigkeiten stösst. Man¬
gelnde Erziehung ist bei Kindern gewöhnlich die Ursache der
Verfehlungen gegen das Strafgesetz. Der Versuch nachträg¬
licher Erziehung, deren Mangel dem Kinde zur Entschuldigung
und nicht zur Belastung dienen muss, liegt hier näher als vor¬
zeitige Criminalstrafen, die unter der meist ganz willkürlichen
Annahme genügender geistiger Reife und Zurechnungsfähigkeit
nur ein weiteres Unrecht zu dem Unrecht fügen, das durch
die verwahrloste Erziehung dem Kinde widerfahren ist.
Unter den Haft- und qualificirten Haftgefangenen befanden
sich 8,8 ®/o Jugendliche im Sinne des Strafgesetzbuches. Von
den Erwachsenen standen 4,5% im Alter von 50 Jahren und
darüber, 80% batten Strafen bis zu 14 Tagen; auf Grund des
§ 361 Abs. 1—5 des Strafgesetzbuches waren verurtheilt wegen
Betteins, Landstreich er ei etc. 3522 = 52%; die Zahl dieser
Verurtheilungen ist im Vergleich mit dem Jahre 1879, wo sie
4111 betrug, etwas zurückgegangen.
Im Jahre 1883 sind an Strafgefangenen neu zugegangen
180 Züchtlinge (darunter 25 Weiber), 2621 Gefängnisssträf-
linge (444 Weiber) und 6539 mit Haft und qualificirter Haft
bestrafte Gefangene (1923 Weiber). Entlassen wurden 142
Züchtlinge (20 Weiber), 2534 Gefängnisssträflinge (440 Wei¬
ber) und 6500 mit Haft und qualificirter Haft bestrafte Ge¬
fangene (1937 Weiber). Unter den Entlassenen befanden sich
7, welchen im Wege der Gnade der Rest der Strafe erlassen
und 17, die auf Grund des § 23 des Strafgesetzbuches vor¬
läufig entlassen wurden. Ein Widerruf der vorläufigen Ent¬
lassung hat nicht stattgefunden. Die Zahl der mit Tod ab¬
gegangenen Strafgefangenen beträgt 24, darunter 12 Zücht¬
linge, 6 Gefängnisssträflinge und 6 Haft- und qualificirte Haft¬
gefangene. Entweichungen kamen unter den Strafgefangenen
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163
nicht vor. Selbstmorde sind unter dem Strafgefangenen gleich¬
falls nicht, im Untersuchungsgefajigniss 5 und in den städti¬
schen Gefängnissen 1 (polizeilich Festgenommener) zu ver¬
zeichnen. In die Irrenanstalt wurden 6 Züchtlinge und 3 Ge-
fängnisssträflinge versetzt. Der Procentsatz der Todesfälle
zum täglichen Durchschnitt sämmtlicher Gefangenen beträgt
1,82; im Centralgefangniss 2,30; bei den Züchtlingen 3,88; in
den städtischen Gefängnissen 1,55; im Untersuchungsgefängniss
0,89. Der Procentsatz der Geisteskranken betrug für den
Durchschnittsstand im Centralgefängniss 4,43, in den städtischen
Gefängnissen 1,72, im Untersuchungsgefängniss 3,10.
An die Strafgefangenen reihen sich am besten die Corri-
genden an, da dieselben ausnahmslos auf Grund Beschlusses
der Polizeibehörde in Correctionsnachhaft versetzte Straf¬
gefangene sind. Die Gesammtzahl der mit Correctionsnach¬
haft belegten Personen betrug im verflossenen Jahre 1022
(darunter 143 Weiber), von welchen 75 % Correctionsnachhaft
bis zu 6 Monaten zu verbüssen hatten. Unter den Corrigen-
den befanden sich 5 % Jugendliche im Sinne des Strafgesetz¬
buches, welche die Correctionsnachhaft in den für jugendliche
Strafgefangene bestimmten Räumen somit meist in Einzelhaft
verbüssten; 10% standen im Alter von 50 Jahren und dar¬
über, 46 % der Corrigenden waren früher mit Correctionsnach¬
haft, darunter 60 schon 4—6 mal bestraft. Die Zahl der
körperlich defekten und in der Arbeitsfähigkeit beschränkten
Individuen ist unter den Corrigenden sehr bedeutend und in
steter Zunahme, während die in letzter Zeit auffallende Ab¬
nahme körperlich kräftiger und arbeitstüchtiger Corrigenden
unverkennbar mit der Eröffnung der Arbeitscolonien zusammen¬
hängt, die auch in dieser Richtung ihren wohlthätigen Einfluss
äussern. An Zahl der zur Aufnahme von Corrigenden in den
Anstalten verfügbaren Plätze wird Hamburg mit 14 auf 10000
Seelen zur Zeit nur von Lübeck mit 17 übertroffen und wird
auch diesen Vorsprung bald überholen, da Erweiterung der
Correctionsanstalten um 200 Köpfe inzwischen nahezu voll¬
endet ist.
Die grosse Zahl der Polizeigefangenen bietet bei näherer
Betrachtung eine sehr bunte Mischung. Die vorläufige Fest-
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164
Dahme kann zur Ueberführung in das Untersuchungsgefängnisse
oder zur alsbaldigen Wiederentlassung sei es mit oder ohne
nachfolgende gerichtliche Verhandlung führen; nicht selten folgt
ihre Einschaffung in das Lazareth oder die Irrenanstalt, mit¬
unter ist die polizeiliche Festnahme nur ein Akt der Fürsorge
in besonderen Nothfällen, in welchen das Gefängniss zugleich
naheliegendes Asyl ist. Unter den im verflossenen Jahre ein-
gebrachten Polizeigefangenen befanden sich 1238 wegen hoch¬
gradiger Trunkenheit (darunter 118 Weiber) und 1338 (122
W^eiber) wegen Obdachlosigkeit festgenommene Personen. Das
Geld, das diese Räusche kosteten, für die Obdachlosen ver¬
wendet, würde viel Elend gemildert haben und die bamburgi-
schen Gefängnisse hätten im verflossenen Jahre über 2500
Insassen weniger zu verzeichnen. Rechnet man hie^u noch
über 400 meist in Begleitung ihrer Mütter in polizeiliche Ver¬
wahrung genommene Kinder, so entziffert sich ein Contingent
von 3000 Personen, welche aus vorwiegend polizeilichen Grün¬
den vorübergehend Aufnahme in den Gefängnissen gefunden
haben, ohne mit der StraQustiz in Berührung zu kommen.
Unter den Polizeigefangenen befanden sich 2508 == 18%
Hamburger (dem Geburtsorte nach) und 645 = 4 % Ausländer,
der Rest (78%) sind nach ihrem Geburtsorte Angehörige deut¬
scher Bundesstaaten. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei
den Strafgefangenen, von welchen 80% dem Geburtsorte nach
Angehörige deutscher Bundesstaaten sind. Von diesen mögen
freilich viele den Unterstützungswohnsitz in Hamburg erlangt
haben, immerhin lässt sich aus diesen Ziffern entnehmen,
welche Last Hamburg Jahr aus Jahr ein an den in seinen
Gefängnissen befindlichen Angehörigen deutscher Bundes¬
staaten zu tragen hat. Die mächtige Anziehungskraft, welche
Hamburg als See- und Handelsstadt auf das Binnenland aus¬
übt, führt viele Arbeitskräfte hieher, die zum Theil in ihrer
Hoffnung auf lohnende Arbeit enttäuscht, durch Mangel an
Arbeit dem Bettel und den Gerichten verfallen. Dazu kommen
Müssiggänger und Landstreicher und in nicht geringer Zahl,
junge unreife Menschen, die ein etwas abenteuerlicher Sinn
in die Welt treibt, bis sie sich, von den nothwendigsten Mit¬
teln entblösst, hinter Schloss und Riegel aus dem Reich der
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Phantasie sehr rasch in die nüchterne Wirklichkeit versetzt
finden.
Verfolgt das Polizeigefängniss auch nicht die gleichen
Zwecke wie das Strafgefängniss, so theilt es doch mit dem¬
selben gemeinsame Aufgaben. Sichere Verwahrung gefähr¬
licher Verbrecher, die in der buntgemischten Bevölkerung nicht
fehlen, Pflege der Gesundheit, die in oft überfüllten Bäumen
auch ein kurzer Aufenthalt gefährdet, Vorsicht bei Unter¬
bringung jugendlicher Zugänge, für welche auch nur eine
Nacht in liederlicher Umgebung nach mehr als einer Richtung
verderblich wirken kann. Bei so massenhaften Zugängen fehlt
es nicht an Gelegenheit zu der Obsorge für Entlassene und
Ausübung der der Gefängnissverwaltung in erster Reihe ob¬
liegenden Pflicht, bei dem Uebertritt aus den Gefängnissmauern
in das bürgerliche Leben Schwierigkeiten zu beseitigen, die
dem nach kurzer polizeilicher Haft Entlassenen oft nicht min¬
der hemmend in den Weg treten wie dem Gefangenen nach
langer Strafzeit. Neben dem Interesse, das ein Blick auf die
Bevölkerung des Polizeigefängnisses erweckt, mag der Ueber-
blick über die gesammte Aufgabe des Gefängnisses dazu
beitragen, die einzelnen Aufgaben der Gefängnissverwaltung in
das richtige Licht zu stellen und bei Lösung derselben Ein¬
seitigkeiten fern zu halten.
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Entwurf von Director Tauffer in Lepoglava.
Die nachstehenden Mittheilungen bilden einen interessan¬
ten Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Gefangnisswesens
in Europa. Sie sind dem Referenten durch den ihm be¬
freundeten Herrn Strafanstaltsdirector Tauffer in
Lepoglava in einem umfangreichen Manuscript zugegangen,
aus welchem ein übersichtlicher Auszug nicht nur von den
Lesern dieser Blätter in Oesterreich-Ungarn gerne gesehen
werden, sondern auch in weiteren Kreisen Beachtung finden
dürfte und zwar aus dem zweifachen Grunde, weil sie erstens
daraus entnehmen können, wie die Civilisation eines zurück¬
gebliebenen Landes heutzutage auf allen Gebieten zugleich
möglichst rasche und gründliche Arbeit zu machen bestrebt
ist und weiterhin, weil der ausgezeichnete kroatische Fach¬
mann uns hier einen Plan zum denkbar billigsten Bau einer
Strafanstalt nach den Forderungen des irischen Systemes dar¬
bietet.
Der k. k. österreichisch-ungarische Reichsfinanzminister
Benjamin v. Källay ertheilte durch den Banus von Kroatien dem
Herrn Director Tauflfer den sehr ehrenvollen Auftrag, über die
Verhältnisse in Bosnien durch eigene Anschauung sich zu in-
formiren und alsdann über zwei bereits vorliegende Projecte
zum Bau einer bosnischen Strafanstalt sein fachmännisches
Gutachten abzugeben, event. einen neuen Vorschlag zu machen.
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Herr Tauffer verweilte denn auch, wie er schreibt, während
des ganzen Monates August „zwischen den grünen Bergen
Neu-Oesterreichs“ und lernte daselbst ganz ungeahnte primitive
Verhältnisse kennen. Die Verkehrswege fand er im schlechte¬
sten Zustand und musste doch auf denselben herumfahren in
Wägen mit vieleckigen Rädern, die eine Wagenschmiere nie¬
mals gesehen haben, so dass Leib und Seele aufs Grausamste
durchschüttelt wurden. Die einzige Stadt, wo ein Europäer
noch anständig leben könne, sei Sarajevo, sonst aber und
zwar selbst in den grösseren Kreisstädten müsse man sich in
den sog. Hotels mit Stuben als Herbergen begnügen, deren
rohe Lehmziegelwände einen furchtbar öden Anblick gewähren
und deren Fenster zu schliessen völlig überflüssig, weil —
keine Scheiben darin seien. In Anbetracht dieser Umstände
habe ich mich für den armen Freund TauflTer doch wenigstens
darüber gefreut, dass Ziegenfleisch und schwarzer Kaffee überall
in Hülle und Fülle vorhanden waren.
Als Frucht seiner vierwöchentlichen Beobachtungen und
Untersuchungen übersandte nun Tauffer einen ausführlichen
Bericht, d. d. Lepoglava, den 3. September 1884, an Se. Exc.
den Reichsfinanzminister und führen wir daraus Folgendes an:
Zunächst wird gutächtlich besprochen das
1. Project eines Gefängnisses in Tesanj.
In einer Entfernung von 19,50 Kilometer von der Station
Doboj der Bosna-Bahn liegt der kleine unansehnliche Markt¬
flecken Tesanj, bewohnt von gutmüthigen, friedliebenden und
bisher stets loyalen Türken. Die Zahl der ansässigen Serben
ist eine relativ sehr geringe. Früher eine lebhafte Handels¬
stadt, verlor Tesanj durch den Bau der Bosna-Bahn die ehe¬
malige Bedeutung. Handel und Verkehr nahmen eine andere
kürzere Richtung und selbst eine geplante Bahnverbindung
mit Doboj bietet wenig Aussicht, dass Tesanj jemals der
Knotenpunkt des Handels für die unteren Bezirke werde.
Zur Belohnung für die loyale Haltung der Einwohnerschaft
sowie zur Hebung des Feldbaues durch Zuführung eines
grösseren Consumenten gedachte nun die Landesregierung, in
einem ehemaligen Kastelle dieses Marktfleckens einen Detentions-
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ort für 300 Sträflinge zu schaffen, wozu das in den Ruinen
des Kastells nutzlos herumliegende Baumaterial hätte verwen¬
det werden können. Ein System im Vollzüge der Strafe, die
Möglichkeit einer weiteren Ausdehnung des Belagraumes für
die in den nächsten Jahren naturgemäss anwachsende Zahl
der Sträflinge, wie auch die w^enigstens theilweise Einbringung
der Strafvollzugskosten durch rationelle Verwerthung der Ar¬
beitskraft der Gefangenen wurde bei Fassung des Projectes
nicht in’s Auge gefasst.
Sehr viele Gründe Hessen ein so enge gezogenes Programm
in den ersten Jahren nach der vollzogenen Occupation des
Landes wohlmotivirt erscheinen. Man musste sich eben mit
dem dringenden Gedanken befassen, einen Ort auszufinden,
wo 300 Sträflinge hinter Schloss und Riegel verbracht werden.1
könnten. Und dies ist auch heute noch eine brennende Frage
und zwar aus zwei Gründen: Bosnien hat momentan ca. 27(>j
Sträflinge in den Strafanstalten Kroatiens und in den Kase-j
matten von Brod und Gradisca untergebracht. Die grösste]
Zahl aber findet in Lepoglava eine provisorische Herberge und]
werden dort jährlich auch in Zukunft wenigstens 50 Mann^
— über 3 Jahre verurtheilte Individuen — geschickt werden^
müssen. Ihre Enthaftung hält keinen gleichen Schritt mit deml
Zuwachse, da die Mehrzahl zu 8—20 Jahren verurtheilt ist,]
Lepoglava ist schon einer bedenklichen Ueberfüllüng nahe undj|
wird in nicht ferner Zeit seine Thore gegen weiteren Zugang^
aus Bosnien sperren müssen. Spätestens bis dahin muss also!
für ein Unterkommen im eigenen Lande gesorgt werden.
Der zweite Grund für die beschleunigte Herstellung einer
bosnischen Strafanstalt liegt in der pecuniären Seite der Frage.
Vor dem Umbau der Strafanstalt zu Lepoglava musste Kroa¬
tien einen grossen Theil seiner Delinquenten in den ungarischen
Anstalten unterbringen und zahlte dort per Kopf und Verpfle¬
gungstag eine Pauschalsumme von 42 kr. Derselbe Betrag ist
nun auch aus bosnischen Landesmitteln an Kroatien zu ver¬
güten. Die Alimentation der Gefangenen in Lepoglava kostet
per Tag und Kopf durchschnittlich I 4 V 2 hr., die gesammte
Regie 9 V 2 kr., zusammen 24 kr. Das Plus von 24 kr. bis
42 kr. ergibt bei dem heutigen Stande der auswärts befind-
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liehen Sträflinge jährlich die Summe von 17 739 fl. und ent¬
fallt auf Auslagen der Administration und für Zwecke der
Amortisation jener Summe, die Kroatien für die Reorganisation
seiner Strafanstalt verausgabte. Bosnien participirt also jähr¬
lich mit einem namhaften Betrage an der finanziellen Tilgung
derartiger Ameliorationen, die für ständig nur dem Königreich
Kroatien zu Gute kommen. Diese Summe könnte für das
Wohl des eigenen Landes verwendet werden und ebenso sollten
die heute sehr hohen Gefangenen-Transportkosten nach Kroa¬
tien erspart werden.
Nun unterzieht Herr TauflPer das Project für Tesanj einer
sachverständigen 5 ausserordentlich detailirten und überzeugen¬
den Kritik. Die für dasselbe bereits ausgearbeiteten Baupläne
sowie eingehendes Studium der örtlichen Verhältnisse, wobei
Herr Ingenieur Johann Kellner sehr erspriessliche Beihilfe
leistete, bilden die Basis des Gutachtens. Wir wollen hier nur
das Schlussraisonnement anfuhren, das ungefähr dahin lautet:
Die Ausführung des Projectes ist nach der örtlichen Lage und
Beschafienheit des Kastelles um den Voranschlag von 87824 fl.
absolut unmöglich; vielmehr müssten unbedingt noch weitere,
näher bezeichnete und motivirte Herstellungen in den Voran¬
schlag äufgenommen werden im Kostenbeträge von 64 681 fl.
Die erforderliche Hauptsumme wäre also 87 824 -|~ 64681 =
152 505 fl. Es ist aber absolut undurchführbar, auf dem nur
10000 Qm betragenden Territorium des Kastellberges alle die
nothwendigen Baulichkeiten zu placiren. Und wäre es gleich¬
wohl möglich, dann hätte man eine Strafanstalt geschaffen, die
an sehr vielen wesentlichen Baugebrechen litte, die eine Ver-
grösserung des Belagraumes nicht zuliesse, wo ein systemati¬
scher Strafvollzug a priori ausgeschlossen wäre, wo an den
Unterricht, an eine Beschäftigung der Sträflinge, an eine
blühende Industrie, an einen, wenn auch nur theilweisen Er¬
satz der Strafvollziigskosten nicht gedacht werden könnte. In
Berücksichtigung aller dieser Umstände ist also eine dahin
gehende Wohlmeinung abzugeben, dass das Project eines Ge¬
fängnisses zwischen den Ruinen des Kastelles zu Tesanj gänz¬
lich fallen gelassen werde.
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Herr Tauffer hatte in der Folge sein weiteres Gutachten
zu geben über
IL Das Project einer Strafanstalt im Kastelle des
Ortes Gradacac.
59,37 Kilometer von der Station Doboj der Bosna-Bahn,
von der Dampfschiflffahrts-Station Samac an der Save aber
nur 21 Kilometer entfernt, liegt der Marktflecken Gradacac.
Er zählt 2600 Einwohner, darunter 2200 Mohamedaner. In
der Mitte des Städtchens liegen auf einem sanft ansteigenden
Hügel die weit zerstreuten Ruinen des ehemaligen Kastelles.
Baupläne für dieses Project liegen nicht vor und der Sach¬
verständige beschränkt sein Urtheil daher lediglich auf allge¬
meine Gesichtspunkte und auf die Beschreibung der örtlichen
Verhältnisse. Da es uns hauptsächlich darum zu thun ist,
TauflFer’s eigenes Project näher kennen zu lernen, so mag auch
hier das Endergebniss der angestellten Untersuchungen ange¬
führt werden, das bei Erwägung der Vortheile und der Nach¬
theile und in Berücksichtigung dessen, dass in Bosnien sich
noch weit günstigere Anlagepunkte für eine Landesstrafanstalt
finden dürften, zu einem entschieden ablehnenden Gut¬
achten führen musste.
Nun kommen wir an TauflTer’s eigene
IIL Positive Vorschläge.
Der Herr Sachverständige ist auf Grund seiner Walir-
nehmungen und Erhebungen von der Herstellung eines mit
grossen Unkosten verbundenen und dabei stets unzweck¬
mässigen Flickwerkes gänzlich abgekommen und hat sich da¬
gegen mit der Idee eines Neubaues befreundet, wofür er
die massgebenden Principien in folgenden Punkten präcisirt.
Die neue Strafanstalt muss die Adoptirung und consequente
Durchführung eines modernen Strafvollzugs-Systemes ermög¬
lichen und hierdurch die Erreichung der Strafzwecke, als: die
Abschreckung, die Besserung, die Verhütung der moralischen
Ansteckung, die Sicherung der Gesellschaft in Aussicht stellen.
Sie soll bei völligem Ausbau eine Aufnahmsfähigkeit für ca.
600 Mann haben. Sie soll eine derartige Bauführung gestatten.
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171
dass für den Beginn nur jene Objecte fertiggestellt werden,
die für allsogleiche Aufnahme von 200 Mann genügen, die
aber ungesäumt den regelrechten Stadien des acceptirten Sy-
stemes unterworfen werden können. Sie soll allen hygienischen
Anforderungen entsprechen. Sie soll die Bedingnisse für die
Etablirung einer regen Industrie und intensiven Cultivirung
einer — in Bosnien besonders gebotenen — Feld- und Garten-
wirthschaft wie auch der Obstbaumzucht bieten. Endlich soll
sie eine, den schwachen finanziellen Mitteln des Landes ent¬
sprechende Rechnung tragende, möglichst bescheidene Geld¬
summe kosten. Es soll also in Allem und Jedem auf die
einfachste Bauart und auf die Herstellung nur der noth-
wendigsten Bauobjecte gesehen werden.
Um diesen allgemeinen Anforderungen gerecht werden zu
können, wird die Annahme des sog. Progressiv-Systems
empfohlen. Herr Tauffer schildert nun das Wesen dieses Sy-
stemes in Kürze folgendermassen, und wir halten die wört¬
liche Wiedergabe keineswegs für eine überflüssige Wieder¬
holung, nachdem die „Blätter f. Gef.^ bereits im 3. Heft des
XVIII. Bandes Seite 209 ff. die practischen Erfolge des frag¬
lichen Systems an der Strafanstalt zu Lepoglava demonstrirt
haben. Je länger die Erfahrung, desto klarer wird man in
der Anschauung, im Urtheil wie im Ausdruck. So auch Herr
Tauffer. Also:
Bei Beginn der Strafzeit wird ein jeder Sträfling der
Einzelhaft (I. Stadium) unterworfen, zu dem Zwecke, dass
der Mann den grellen Unterschied zwischen hVeiheit und Ge¬
fangenschaft in empfindlicher Weise fiihle, dass also die Strafe
abschreckend wirke, und fernerhin dass den Beamten Ge¬
legenheit geboten sei, sich mit den Verhältnissen und Eigen¬
schaften des Mannes vertraut zu machen, damit sie sich ein
Programm über die weitere Behandlung des Individuums fest¬
stellen können. In welchem Zeitraum diese Ziele erreicht
werden, hängt von der Individualität des Sträflings ab.
Darum vertritt der Antragsteller den Grundsatz, dass die
Zeitdauer der Einzelhaft schon a priori nicht festgesetzt wer¬
den kann und darf. Die Einzelhaft ist keine absolute. Sie
wird unterbrochen und gemildert durch Kirchenbesuch, durch
Blätter für Qefängnisekunde. XIX. 12
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Ergehen im Freien, sowie durch regelmässige Arbeit in
der Zelle.
Nach Erreichung der vorgesteckten Ziele wird der Ge¬
fangene in das zweite Stadium des Systemes: gemein¬
same Arbeit, mit Isolirung bei Nacht und in der
arbeitsfreien Zeit, übersetzt. Gearbeitet wird innerhalb
der Ringmauern, in grösseren Baracken. Bei der Zutheilung
zur Arbeit wird der eigene Wunsch und die individuelle
Vereigenschaftung des Mannes innerhalb der Grenzen
der Möglichkeit berücksichtigt. Nur jene Gespräche, die
durch die Arbeit bedingt werden, sind zulässig. Der Schwer¬
punkt des Erfolges gewerblicher Thätigkeit liegt in der
glücklic hen Auswahl gebildeter und tüchtiger
Meister. Schwache Kräfte, Pfuscher, Säufer können in der
Strafanstalt nicht gebraucht werden. Die Meister müssen dem¬
nach eine güte Bezahlung erhalten, die sie dann reichlich ein-
bringen. Für eine Strafanstalt, die von der Ötadt entlegen
ist, wo die Meister keine Ressourcen finden, wo sie ihre Kin¬
der nicht erziehen lassen können, sind ständige Werkführer
kaum zu gewinnen. Das Prinzip, die Werkführer aus der
Zahl der Sträflinge zu nehmen, ist unter allen Umständen ver¬
werflich und finanziell schädlich. — Die Isolirung der Sträf¬
linge während der Nacht und in der arbeitsfreien
Zeit wird durch eiserne Zellen bewerkstelligt, die in
grossen Sälen der Reihe nach aufgestellt werden. Die Idee
der Construirung und die erste konsequente Durchführung der
Isolation durch eiserne Zellen ist dem Generaldirector der
irländischen Convict prisons, Sir Walter Crofton zu verdanken
(1857). Schweden, theilweise Belgien, St. Gallen verwenden
zur nächtlichen Isolirung gemauerte Zellen. Doch dieses
Mittel ist für Bosnien unerschwinglich theuer. Frankreich
reformirt seine alten und moralisch schlechten maisons centrales
durch Einführung der eisernen Zellen. Die Etablirung der¬
selben wurde 1883 auch in Norwegen beschlossen. Selbst in
den belgischen Strafhausspitälern finden wir die eiserne Zelle.
Sie bewähren sich auch in der Strafanstalt zu Plötzensee, in
einem Trakte der Strafanstalt zu Pilsen, wie auch — nach
Tauflter’s eigener Erfahrung — in derjenigen zu Lepoglava,
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wo deren Beschaffung pro Stück 70 fl. kostete. In der eisernen
Zelle herrscht unbedingtes Schweiggebot und wird selbes
durch einen Aufseher, der in jedem Saal postirt ist, strenge
überwacht.
Nachdem die Sträflinge in der Einzel- und Gemeinschafts-
Haft (I. und II. Stadium) zwei Viertel der Strafzeit
verbüsst und durch gute Aufführung und Fleiss Besserung
bewiesen haben und insoweit auch kein Fluchtverdacht vor¬
liegt, können sie in die Zwischenanstalt (III. Stadium)
versetzt werden, in welcher sie entweder den Rest der Strafe
abbüssen oder von dort der bedingten Freilassung
(IV. Stadium) theilhaftig werden.
Die Zwischenanstalt liegt ausserhalb der Ringmauern der
Strafanstalt, am zweckmässigsten in einer Distanz von 300
bis 400 Meter und zwar — wie in Irland und Lepoglava —
inmitten einer grünen Flur von Wiesen und Ackerfeld.
Diese Anstalt fasst zwei Gebäude, eines für Feldarbeiter,
das andere für Handwerker. Jedes Gebäude hat die Form
eines langen Viereckes und ist mit einem, die ganze Front des
Hauses entlang laufenden, durch hölzerne Säulen getragenen
Corridor versehen. Gitter, Schlösser und sonstige Sicherheits-
massregeln sind weder an den Thüren noch an den Fenstern
angebracht. — Beide Häuser müssen die höchste Einfachheit
der Bauart an sich tragen.
Der Zweck der Versetzung in die Zwischenanstalt be¬
steht darin, dass die Sträflinge Gelegenheit erhalten, das
wahre Vorhandensein der bisher nur supponirten Besserung
sowie ihre Erwerbsfähigkeit auch beim Mangel jeglichen
Zwanges und bei freier Bewegung, trotz der an sie etwa
herantretenden Versuchung, männiglich zu bezeugen. Sträf¬
linge, die in der Zwischenanstalt ein Disciplinarvergehen sich
zu Schulden kommen liessen, werden in die strenge Haft zu¬
rückversetzt.
Irland und Lepoglava können die schönsten Erfolge mit
der Institution der Zwischenanstalt aufweisen (siehe „Bl. f. Gef.“
1 . c. S. 278 ff.). Sie gewinnt auch in der Literatur täglich mehr
und mehr an Popularität und jüngstens erklärte der berühmte
Criminalist und Codificator, der kgl. sächsische Generalstaats-
12 *
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anwalt von Schwarze: „Ich bin auf Grund langjähriger
Erfahrungen zur Ueberzeugung gelangt, dass eine Reform des
Strafvollzuges mit Erfolg nur unter Einführung der Zwischen¬
anstalt bewirkt werden kann.^^ (Siehe die Recension des
TaufiFer’schen Buches „Der kroatische Strafgesetz - Entwurf,
Wien, 1883“ im „Gerichtssaal“ Band XXXL Heft 8.) In
Ungarn geht der Bau der ersten Zwischenanstalt in Kis-
Earta soeben der Vollendung entgegen; der Bau der zweiten
Zwischenanstalt in der Nähe der Strafanstalt zu Waitzen
»oll nächstens in Angriff genommen werden.
Das vierte Stadium des progressiven Strafvollzuges
lässt sich dahin definiren, dass die Regierung die zu einer
längeren Freiheitsstrafe verurtheilten und in die Zwischen¬
anstalt verbrachten Sträflinge, die in letzterer sowie in der
„strengen Haft“ (L und H. Stadium) einen bedeutenderen Theil,
wenigstens aber drei Viertheile (nach dem ungarischen Straf¬
gesetz ebensoviel, nach dem des Cantons Aargau 2/3? «ach
dem holländischen %, dem italienischen ebenso, nach dem
österreichischen %) der Strafzeit verbüsst haben, im Falle
ihre Aufführung die Hoffnung auf nachhaltige Besserung be¬
festigt hat, unter Vorbehalt des Widerrufes dieser Begünsti¬
gung, aus der Strafanstalt entlassen kann.
Die Institution der bedingten Freilassung ist unstreitig eine
der schönsten und segensreichsten Errungenschaften der Neu¬
zeit. Es gibt kein Land in Europa, wo die Einführung der¬
selben nicht wenigstens geplant wäre. Factisch ist sie in den
meisten Rechtsstaaten eingeführt.
Es besteht nun kein Hinderniss, dass diese vorläufige
Entlassung nicht auch in Bosnien erprobt werden könnte.
Selbst der Mangel eines diesbezüglichen Gesetzes stellt dem
nichts in den Weg. In Sachsen wurde das Institut durch
lange Jahre in der Form einer, unter gewissen Bedingungen
ertheilten königlichen Gnade ausgeübt. In dieser Art wurde
es 1868 auch schon in Ungarn versucht. Ein ähnliches Vor¬
gehen wäre also auch in Bosnien nachzuahmen.
Dies ist der Rahmen des Strafvollzugssystems, dessen
Ausführung die neue Strafanstalt verwirklichen mag.
Sehen wir nun, wie die Idee zu verkörpern, dem Geiste
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die greifbare Gestalt zu geben wäre und zwar bei lang¬
samer, je nach Vorhandensein der finanziellen
Mittel thunlichst fortschreitender Bealisirung.
Herr Taufifer versuchte diese Aufgabe zu lösen in 8 von
ihm entworfenen und durch den Ingenieur Kellner sehr sauber
und sorgfältig gezeichneten Plänen, unter gleichzeitiger genauer
Berechnung des Kostenpunktes.
Die Redaction lässt als kostbare Beilage zu diesem Ela¬
borate einige dieser Pläne nach kleinerem Maassstabe mit¬
erscheinen und zwar zunächst den Situationsplan (Plan 1),
der ein annähernd deutliches Bild vom Ganzen bietet, dann
den Plan zum Hauptgebäude (Plan 2), zur Zwischen¬
anstalt (Plan 3) und zum Spi.tal (Plan 4). — In gedrängter
Zusammeitfassung sei zur näheren Erklärung der wichtigeren
Gebäulichkeiten folgendes herausgehoben;
1 . Links unten auf dem Situationsplan (1) sehen wir das
Zellengebäude, ein längliches Viereck, das bei vollstän¬
digem Ausbau auf 62 Mann, also 10% des gesammten prä-
sumirten Sträflingsstandes berechnet ist. Das Gebäude kann
bei vorhandenen Mitteln leicht verlängert oder besser mit
einem zweiten Stockwerk versehen werden. Jede Zelle fasst
ebenerdig 29,91 cbm, im Stockwerk aber 32,1 cbm. Luftraum
und hat einen Flächenraum von 9,59 □ m. Sie entspricht
somit allen hygienischen Anforderungen und den Zwecken des
Arbeitsbetriebes. — Der vollständig aufgebaute Zellentract
kostet (723,51 Dm ä 60 fl.) 43,410 fl. Will man den Belag¬
raum der Strafanstalt anfangs nur auf 200 Mann beschränken,
so baut man nur die Parterre-Zellen sammt Dach, das sich
später heben lässt, und dann kostet es nur 28,940 fl.
2 . In der Mitte befindet sich das Hauptgebäude (siehe
Plan 1 u. 2) für die Detention im II. Stadium des Systems. Das¬
selbe gestattet in seiner Planung die verschiedensten Baucom-
binationen. Vollständig ausgebaut, also drei Flügel mit je einem
Stockwerk, beherbergt es 300 Mann und bietet jedem Insassen
bei einer exakt fungirenden Luftheizung und Ventilation (nach
dem System Heckmann & Zehender in Mainz) ebenerdig 20,74,
im Stockwerk 21,5 cbm Luftraum, welche Quantität bei Leuten,
die auswärts beschäftigt sind, vollständig genügt. — Tauffer
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berechnet nun für dieses Hauptgebäude die Baukosten nach
einer vierfachen Baucombination, je nachdem man anfangs nur
den Mitteltract nebst Stiegenhaus und Souterrain sowie einen
Flügel für 100 oder zwei Flügel für 200 oder alle drei für
300 Mann bauen oder später auf alle drei Flügel je ein zweites
Stockwerk aufsetzen will. In letzterem Fall würde Raum für
450 Mann beschafft werden und die Gesammtkosten beliefen
sich auf 132680 fl., während nach der ersten Combination
(vorderhand nur ein Flügel) nur [38 540 fl. erforderlich wären.
8 . Die Zwischenanstalt (siehe Plan 3) ist nach den
Mustern von Lepoglava projectirt. In Lusk (Irland) stehen
wohl für die Wohnräume aus Eisenblech construirte Barracken
in Verwendung, doch findet dies seine geschichtliche Erklärung
darin, dass man in Irland s. Z. mit der Zwischenanstalt nur
eine Probe machen wollte und auf eine eventuelle lieber-
siedelung oder Auflösung der Farm vorbereitet sein musste.
Die beiden Gebäude der Zwischenanstalt fassen normalmässig
58 Mann, also bei einem Stand von 600 Köpfen ca. 10%.
Für die ersten Jahre ist dies genügend; indessen die Erfah¬
rung lehrt, dass sich auch bei der strengsten Beurtheilung
der nöthigen Qualification 15—18% würdig erweisen, in die
Zwischenanstalt versetzt zu werden. Sollte daher ein drittes
Wohnhaus nöthig werden, so wäre dasselbe billig zu erstellen.
Für den Anfang, wo ev. nur auf 200 Mann gerechnet wird,
würde es genügen, vorerst nur das Gebäude für Feld arbeiter
zu errichten, damit die aus Lepoglava zurückgebrachten Sträf¬
linge, die sich dort in der Zwischenanstalt befinden, dieser
Vergünstigung hier nicht verlustig gingen. Ein Luftraum von
15—16 cbm ist für Leute, die das Schlafzimmer nur für die
Nachtstunden benützen und sonst im Freien sich bewegen,
vollständig genügend. Erkrankungen kommen in der Zwischen¬
anstalt sehr selten vor, ja die früher kränklichen Sträflinge
erholen sich darin.
4. Das projectirte Spitalgebäude (siehe Plan 4)
entspricht dem Streben, die vorkommenden Krankheitsarten
wenigstens nach den grösseren Gruppen, als: chirurgische Fälle,
Phthisis, Blutkrankheiten und innere Krankheiten, in verschie¬
dene, auch örtlich getrennte Localitäten unterbringen zu können.
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Einige kleinere Zimmer sollen zur Isolirung der an anstecken¬
den Krankheiten leidenden Personen sowie zur Beobachtung
etwaiger Geistesstörungen dienen. Aus diesem Grunde ist das
Spital im Parterre und Stockwerk durch vier durchlaufende
geschlossene Corridore in fünf Abtheilungen geschieden. Baum
ist hinlänglich vorhanden. — Will man das Spital sofort ganz
ausbauen, so kostet es nach dem Ueberschlag des Bericht¬
erstatters 34,645 fl. Will man die Strafanstalt anfänglich nur
für 200 Mann einrichten, so baut man nur die Localitäten des
Parterre und verwendet provisorisch die für Apotheke, Magazin
und Theeküche bestimmten Zimmer ebenfalls zur Unterbrin¬
gung von Patienten. In diesem Falle könnten 36 Kranke
normalmässig aufgehoben werden und der Bau kostete sammt
Dach nur 22430 fl.
5. Der Situationsplan (siehe Plan 1) zeigt uns ausser
den genannten, zum Strafvollzüge vorzugsweise bestimmten
Gebäulichkeiten noch eine Anzahl anderer, deren nähere Be¬
schreibung unterbleiben mag. Das Schul- und Kirchen¬
gebäude fasst im Parterre zwei Schulstuben für 80 Mann,
welche zugleich als Kirchenlocal für die Anhänger der griech.-
kath. Religion dienen. Der Saal des Stockwerkes, wozu aussen
eine Stiege führt, fasst 200 □ m und ist als Djamia für 100
Mohamedaner projectirt. — Das Gebäude könnte später noch
ein zweites Stockwerk erhalten zu einer zweiten Djamia. Einst¬
weilen müssen andere vorhandene Räume als Betsaal für die
Türken dienen und das Gebäude wäre vorerst nur im Parterre
mit Bedachung auszuführen und kostete so 6975 fl.
Das Oeconomiegebäude soll die Küche, die Bäckerei,
Wäscherei, Badezimmer und Magazine für Victualien und
allerlei Inventarstücke enthalten. Vorerst genügen die Loca¬
litäten des Parterre. Zum Kochen und Waschen wird Dampf
verwendetN Die Speisen für das Spital wie die Menage für
die Aufseher werden anfangs und späterhin nicht mit Dampf,
sondern auf einem zweitheiligen grossen Sparherd zubereitet.
— Hinter dem Oeconomiegebäude ist das Kesselhaus sammt
Kohlenschopf verzfeichnet. Beide Objecte sind bei einem
vorläufigen Stand von 200 Mann nicht nöthig. — Zu den in
letzter Linie herzustellenden Bauobjecten gehört die Tischler-
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werksätte und Maschinenhalle mit Circularsäge, Band¬
säge, Bohr- und Hebelmaschine etc., die sämmtlich mit Dampf
betrieben würden. Endlich sehen wir noch Eiskeller, Todten-
kammer, Bretterschupfe und eine Doppel-Arbeitsbaracke,
letztere auf jeder Seite 50 m lang und zusammen 14 m breit,
bestimmt für 350 Arbeiter, mit einem Flächenraum von 700Gm.
Den Eingang zum Ganzen bildet das Administrations-
imd Kasernengebäude, welches die nach strengster Be¬
rechnung nothwendigen Kanzleilocale und Magazine enthält
und vorerst nur im Parterre ausgebaut werden könnte. Aus
Rücksicht der Sparsamkeit sind auch die Wachmannschafts¬
kasernen hierher verlegt worden, ebenso die Piecen des Wach-
commandanten (Kerkermeisters), der innerhalb der Ringmauer
wohnen muss. Letztere ist in einer Höhe von 4,50 m und in^
einer Dicke von 0,45 m geplant, beträgt 679 laufende Meter,
entspricht den Anforderungen der Sicherheit zur Genüge und
kostet nur 13750 fl.
Das ganze Territorium umfasst 6 Joch = 324 ar.
Wir geben noch die übersichtliche Darstellung der Bau¬
unkosten.
Belftgsraum
für
bei vollstän¬
digem Ausbau
bei partiel¬
lem Ausbau
Belagsraum
für
1. Zellengebäude.
62 Mann
43410 fl.
289406.
31 Mann
2. Hauptgebäude.
460 „
132640 „
38540 „
100 „
3. Zwiacbenanstalt *•
a) Wohnhaus f. Handwerker
20 „
4 256 „
_
b) „ „ Feldarbeiter
28 „
3349 „
3349
28 „
4. Spital.
66 „
34 645 „
22430,,
36 „
5. Administrations- u.Kasernen¬
gebäude (751 □ m ä 60 fl.) .
_
45060 „
22530 „
_
6 . Oeconomiegebäude . . .
—
26000 „
16250 „
7. Kesselhaus mit Schupfen,
Schornstein, 2Dampfke8sel ca.
5 800 „
_
8. Schulgebäude.
—
12 600 „
6975 „
—
9. Arbeitsbaracke:
a) gan* ausgebaut (700 □ m
ä 20fl.).
14000 „
b) zum dritten Theil . .
—
—
4666 „
—
10. Todtenkammer (25Gmk20fl.)
—
500 „
500 „
—
Uebertrag
626 Mann
322 260 fl.
144180 fl.
195 Mann
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Belagsraum
für
bei vollständi¬
gem Ausbau
bei parlial¬
lem Ausbau
Belagsraum
für
Uebertrag
11. Amerikaoischer Eis-
626 Mann
322 260 fl.
144180 fl.
195 Mann
keller.
—
800 „
—
12. Bretterschupfen . .
13. Ringmauer (1376 cbm
—
1000 „
—
—
k 10 fl.) ... .
—
13750 „
13 750 „
—
=
626 Mann
337 810 fl.
157930 fl.
195 oder
rund 200 M.
Die Unkosten bei partiellem Ausbau kämen also nur
um 5425 fl. höher zu stehen als das Project für Tesanj und
würde dabei der Vortheil bestehen, dass der ganze Bau einer
successiven und systematischen Entwickelung fähig wäre.
Monumentale, die grössten Bequemlichkeiten bietende und
luxuriös ausgestattete Gefängnissbauten werden wohl die in
diesem Vorschlag geplanten Objecte nicht sein. Bosnien kann
aus Landesmitteln an ähnliche Bauten gar nicht denken, wie
selbe für den Strafvollzug in Einzelhaft z. B. in Rendsburg
mit einem Kostenaufwand von 2748 158 Mark (für 450 Mann)
oder in Pilsen mit einem solchen von 1310000 Gulden (für
915 Mann) oder in Freiburg i. B. mit einem solchen von
1890 000 Mark (für 448 Mann) errichtet worden sind. In¬
dessen wird auch die Strafanstalt in Bosnien jenen Zwecken
sicherlich entsprechen, die wir bei solchen Etablissements er¬
reichen wollen: den Zwecken eines ernsten, fühlbaren und
bessernden Strafvollzuges.
Zum Schlüsse seines Gutachtens äussert sich Herr Director
Tauffer noch über die Frage: Wohin soll die geplante
neue Strafanstalt verlegt werden? Als allgemeine
Grundsätze bei der Wahl des Ortes werden angeführt:
1 . Die geologischen und hydrographischen Boden¬
verhältnisse müssen vor Allem entsprechen. Der Baugrund
soll möglichst durchlässig sein, am besten Kalkstein, Schotter
oder Sand. Genaue Untersuchungen müssen ergeben haben,
dass gutes und ausreichendes Wasser vorhanden ist. Der
Bauplatz muss so hoch über dem tiefsten Punkte des anliegen¬
den Terrains gelegen sein, dass die Beseitigung der Abwässer
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leicht und ohne kostspielige Canalisation erfolgen kann.
Sumpfige und fiebererzeugende Gegenden sind zu meiden.
(Vgl. „Bl. f. Gef.“ 17. Band 1.Heft Krohne’s Aufsatz über
die Normalien für Zellengefängnisse.)
2 . Rücksichten der polizeilichen Sicherheit.
Diese verlangen, dass ausser der gewöhnlichen, den täglichen
Dienst verrichtenden und gut bewaffneten Mannschaft nöthi-
genfalls auch eine stärkere Militärhilfe leicht und schnell zur
Stelle berufen werden kann. Post- und Telegraphenstation
müssen nahe sein.
3. Das Progressiv-System bedingt, dass an die Straf¬
anstalt angrenzend zum intensiven Betrieb einer Gartencultur,
zur Pflege einer Obstbaumschule, zu einer rationellen Feld-
wirthschaft wenigstens 60—100 Joch Ländereien zur Ver¬
fügung stehen.
4. Die Interessen des Gewerbebetriebs verlangen,
dass die Strafanstalt in der Nähe einer frequenten Handels¬
stadt, nicht weiter als 1 — 3 Kilometer von derselben liege,
damit die Stadt selbst die Möglichkeit der Anschaffung von
den tausenderlei Kleinigkeiten biete, die nicht alle im Grossen
angekauft werden können; dass die Eisenbahn, diese Pulsader
des wirthschaftlichen Lebens, die Unkosten des Waarentrans-
portes vermindere, wie auch promptes Ein- und Abgehen der
bestellten Waaren zu jeder Jahreszeit ermögliche; dass die
Eisenbahn eine Ersparniss bei den beträchtlichen Auslagen
für Sträflingstransporte in sichere Aussicht stelle; endlich in
Bosnien, wo kein grosses Anlagekapital für die Erbauung
einer Strafanstalt zur Verfügung steht, dass die Wohnungen
der Beamten, Werkführer und Aufseher, resp. für die Familien
dieser lesztgenannten Bediensteten, in der nahe liegenden Stadt
erworben werden können. Ist dies nicht zu ermöglichen, so
kostet die Anlage der Strafanstalt bei der nothwendigen Be¬
schaffung einer so grossen Zahl von Naturalwohnungen wenig¬
stens 100000 fl. mehr und trotzdem wird das Personal kein
bleibendes sein, da weder die Werkführer, noch auch die
Aufseher, die aus der Zahl der gedienten Unteroffiziere genom¬
men werden sollten, sich lebendig vergraben und ihre Kinder
ohne elementaren Unterricht heranwachsen lassen wollen.
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5. Die Preise der Lebensmittel. Aus diesem Grunde
wird man ceteris paribus eine billige Stadt einer theuern
gewiss vorziehen.
Es wurden bisher zur Situirung einer Strafanstalt in
Bosnien verschiedene Städte in Vorschlag gebracht. Ueber
Gradacac wurde schon oben gesprochen, ebenso über Tesanj.
Etwa 8 Kilometer von letzterem Städtchen entfernt wäre ein
sanft ansteigendes Hügelland, das sich bis an die Ufer des
ziemlich grossen Flusses Uzora erstreckt und das Ried Kriz
genannt wird, mit einem Flächenraum von ca. 400 Joch, von
der Gemeinde unentgeltlich zu haben. Der Boden ist
Lehm und Brunnen liessen sich mit einer Tiefe von ca. 20 m
graben. Sand findet sich am Flusse. Mithin könnten die
Bauverhältnisse dortselbst als ganz günstige betrachtet werden,
um so mehr da auch die in den Punkten 1, 3 u. 5 angegebenen
Erfordernisse so ziemlich vorhanden sind.
Nun drängen sich aber dem Fachmann sehr schwere Be¬
denken auf. Die grosse Entfernung von der Stadt, von der
Post, Eisenbahn und dem Telegraph, von einer Militär-Garnison
würde die Anstalt bezüglich der polizeilichen Sicherheit zu
einem verlorenen, stets gefährdeten Posten machen. Die In¬
dustrie würde hier gewiss an ewigem Siechthum leiden, da ihr
alle sub 4 specificirten Bedingungen der Prosperität, wie auch
ebene fahrbare Strassen mangeln. Endlich wären in Tesanj
alle Dienstwohnungen gleichzeitig mit der Strafanstalt aus
ärarischen Mitteln zu erbauen. Deshalb kann Tauffer die
Acceptirung des angebotenen Baugrundes daselbst nicht
empfehlen.
Weit günstigere Verhältnisse lägen in Zenica, Bahn¬
station an dem Bosna-Plusse, vor. Dort wäre das Ried Pogice,
das sich nach Bedürfniss durch Ankauf weiterer Gelände ver-
grössern Hesse, ein vortrefflicher Baugrund und ein hart vorbei
fliessender Gebirgsbach könnte vorzügliches Trink- und Nutz¬
wasser liefern, ja selbst als Triebkraft zu Industriezwecken
ausgenützt werden. — Genannter Baugrund ist im Besitze von
mehreren Privateigenthümern, die den Werth des Feldes per
Joch auf 300 — 350 fl. schätzen. Die Gemeinde Zenica selbst
hat keinen Grundbesitz. Die Bevölkerung ist aber von den
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beträchtlichen Vortheilen, die ihnen eine grosse Strafanstalt
bieten würde, sehr genau unterrichtet; auch weiss sie sehr
wohl, dass sich auch andere Gemeinden um die Anlegung der
Strafanstalt auf ihrer Gemarkung verwenden und mithin die
Regierung nicht gewillt sein kann, nur für den Bauplatz ein
besonders grosses Kapital auszugeben. Es ist daher eine Be¬
wegung im Zuge, die den Gedanken verwirklichen will, dass
die Gemeinde als solche das für Strafhauszwecke nöthige Terri¬
torium von den einzelnen Besitzern erwerbe und dasselbe dann
zu bedeutend ermässigtem Preise der Regierung abtrete. (Ander¬
wärts hat man sich nicht so um die Ehre, ein Zuchthaus zu
besitzen, gerissen!) Auch will die Gemeinde für Dienstwoh¬
nungen besorgt sein. Wenn alP das geschieht und die Ver¬
handlungen in befriedigender Weise geschlossen werden können,
so liätte Tauffer gegen die Idee, die Strafanstalt in Zenica zu
erbauen, nichts einzuwenden, indem dann hier alle in den
Punkten 1—5 besprochenen Vorbedingungen zusammenträfen.
Auf Wunsch der k. k. Landesregierung wurde von Tauffer
auch die Gemarkung des ebenfalls an der Bosna-Bahn gele¬
genen Ortes Zepce besichtigt. Die Bezirksvorsteher, die Ge¬
meindebehörde und die angesehensten Bürger dieses Ortes
wetteiferten in dem Bestreben, den besten Bauplatz für die
event. bei ihnen zu errichtende Strafanstalt ausfindig zu machen.
Tauffer besichtigte und untersuchte mehrere Grundflächen, die
theils billig zu kaufen, theils umsonst zu haben wären, kann
sich aber nur für das Ried Biluhoje erklären. Es ist dies ein
erhöht liegendes ebenes Plateau, von der Stadt 500 ni, vom
Bahnhof 700 m entfernt und umfasst ca. 40 Joch guter Aecker.
Auch stünden türkische Häuser zur Unterbringung der Beamten
und Bediensteten zu Gebote. Die Bürger würden sich jedoch
auch hier zur Herstellung von Häusern k la Franka verbindlich
machen. Wenn auch Zenica jedenfalls der Vorzug vor Zepce
gebührt, so kann letzterer Ort doch nicht von vornherein ab¬
gelehnt werden, da die Punkte 1 — 5 auch da, wenngleich in
minderem Maasse, zutreffen.
Endlich fragt Tauffer, warum denn die Strafanstalt nicht
in der Hauptstadt, in Sarajevo erbaut werden sollte?
Ganz nahe bei der Stadt, in einem Thale, einige Schritte
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ausserhalb der Mauth, wäre ein vorzüglicher Bauplatz an den
Ufern des wasserreichen Baches zu finden. Etwas weiter auf
der Strasse nach links ist der 60 Joch betragende Besitz des
Türken Rizvan-begonic und an diesen anstossend der kleinere
Besitz einer türkischen Wittwe soeben sehr billig zu ver¬
kaufen. (Gütige Information des Erzbischofes Stadler.) Hier
oder an anderen Stellen wären nahe zur Stadt gelegene Terri¬
torien gewiss zu beschaflfen. Im Baupreise würde kein Unter¬
schied wahrnehmbar werden. Die von Ingenieur Kellner auf¬
gestellte Berechnung basirt auf Mittelpreisen, die auf dem
Lande sich nicht erniedrigen, vielmehr eher erhöhen würden,
weil die Bauaccordanten auf dem Lande grössere Unkosten
haben mit der Gewinnung und Erhaltung des Arbeits- und
Handwerkspersonals.
Die Nähe der Hauptstadt würde belebend auf die In¬
dustrie der Strafanstalt einwirken, die ohnehin ihren Absatz,
wo immer im Lande sie auch errichtet werden mag, jedenfalls
bei den Grosshändlern Sarajevo’s suchen müsste. Eine zahl¬
reiche feste und geschulte Arbeitskraft ist in Sarajevo nicht
vorhanden, der Bedarf aber gross. Dort repräsentirt sie einen
Werth, auf dem Lande aber nicht. Was dieser Unterschied
im Gelderlös ausmacht, ist aus der Thatsache zu erkennen,
dass z. B. die ungarische Strafanstalt zu Waitzen, die an
der Donau und an der Bahn zwischen den Hauptstädten Wien
und Pesth, also im Mittelpunkte des kaufmännischen Verkehres
liegt^ aus ihrer Industrie jährlich einen Nutzen von ca. 40,000 fl.
zieht, während die, obgleich an der Bahn, aber abseits liegen¬
den Strafanstalten zu Leopoldstadt, Illava, Munkes etc. kaum
24, 17, 12 Tausend Gulden erzielen.
Ebenso ist es mit den Erträgnissen der Garten-
wirthschaft. Das Gemüse ist in Sarajevo sehr theuer und
es ginge nichts zu Grunde, weil das vom Markte übrig blei¬
bende Obst und Grünzeug jeweils über die Mittagsstunden zu
Hause in kühlen Räumen aufbewahrt werden könnte. In
Zenica oder Zepee wäre die Gartenwirthschaft nicht lucrativ
zu gestalten und ein Gemüsehandel von dort nach Sarajevo
aus verschiedenen Ursachen nicht lohnend.
Man sagt aber, in Sarajevo wäre sehr theuer zu leben.
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So z. B. kostet daselbst ein Kilo Rindfleisch 44 kr., in Zenica
nur 35 kr. Infolgedessen würde auch die Verpflegung der
Sträfling sehr hoch zu stehen kommen. Wohl wahr! In Fa¬
milien stimmt dies zu. Nicht so bei einer rationell geleiteten
Strafanstalt, die ihre Bedürfnisse aus erster Hand, aufs ganze
Jahr oder doch vierteljährig, unter Abwartung der erfahrungs-
gemäss niedrigsten Preise, en gros ankauft. Die Soldaten be¬
zahlen auch in Sarajevo gegenwärtig das Kilo Rindfleisch mit
35 kr. Mehl und Colonialwaaren sind in Waggonladungen
von Grossisten ebenfalls unvergleichlich billiger zu beziehen
als vom Detaillisten. Berichterstatter behauptet, dass eine
Strafanstalt zu Sarajevo zu denselben Preisen verpflegt werden
kann, wie in der billigen Strafanstalt zu Lepoglava. Eine
Differenz würde sich durch die enormen Frachtspesen der
Bosna-Bahn ergeben und diese wären auszugleichen, sobald
das hohe Ministerium sich veranlasst fände zu bestimmen, dass
die für die Strafanstalten bezogenen Alimentations-Artikel,
ebenso wie für das Militär, zu den militärischen Tarifsätzen
(also von Brod bis Sarajevo pro 100 Kilo 40 kr.) zu be¬
rechnen sind.
Dem letzten Argumente, dass durch die hohen Detail¬
preise der Lebensbedürfnisse in Sarajevo wenigstens die
Beamten und Angestellten der Strafanstalt leiden würden,
wäre mit dem Vorschlag zu begegnen, dass für dieselben ein
Consumverein unter Leitung der Direction zu bilden ist, wie
dies auch anderwärts geschieht.
Ob nun gegen die Idee, dass die Landesstrafanstalt für
Bosnien in der Gemarkung der Hauptstadt gebaut werde,
irgend welche auf politischen Motiven oder strategischen Grün¬
den basirende Bedenken obwalten, darüber ist Berichterstatter
nicht genügend informirt, will sich auch in solchen fremden
Fragen kein massgebendes Urtheil erlauben. Abgesehen also
hievon und nur die Prosperität der Strafanstalt vor die Augen
haltend, geht TauffeFs Wohlmeinung dahin, dass die gün¬
stigste Anlage für eine Strafanstalt in der Nähe
der Hauptstadt geboten ist. In zweiter Linie bringt er
das Ried „Pogice“ in Zenica und in dritter das Ried „Biluhoje^^
in Zepee in Vorschlag.
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185
Mit diesen Ausführungen schliesst Herr Tauffer sein gewiss
sehr interessantes und klares gutachtliches Referat und wir
können aus einem Privatbrief die Ergänzung beifügen, dass
Tauflfer’s Vorschläge auch den Beifall des Reichsfinanzministers
V. Källay gefunden haben, welcher dahin entschied, dass die
Strafanstalt allsogleich auf 626 Mann gebaut und
mit der Ausführung schon im Frühlinge 1885 be¬
gonnen werden solle.
Freund Tauffer schreibt mir bezüglich der Wahl des Sy¬
stems : „Nur auf 14 Tage wollte ich Sie nach Bosnien schicken
und trotzdem dass Sie ein eingefleischter „Einzelhaftler“ sind,
würden Sie gewiss dieses Arcanum nicht auch für die dorti¬
gen Verhältnisse empfehlen. Bosnien und der ganze Süden
Europa’s ist ein Terrain, wo das Isolirsystem noch durch ein
volles Jahrhundert nicht Posto fassen kann. Das Progressiv¬
system wird sich aber behaupten und das ist gewiss ein Sieg
der Humanität, ein Fortschritt der Civilisation.“ Ein „Isolator“
(um auch ein neues Wort zu erfinden) sans phrase bin ich
nun nicht, und so kann ich nur die Provinz Bosnien beglück¬
wünschen zu einer Errungenschaft, um welche sich Herr
Director Tauffer so verdient gemacht hat, wie im Land Kroa¬
tien um die Hebung des dortigen Gefängnisswesens.
Kranss.
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Bin Pnaforalaofsntz, den aneh die Laien leaen dflrfen.
Von Pfarrer Krausa am LandesgefängniBS in Freiburg.
Unter den alljährlich in die Strafanstalten eingelieferten
Gefangenen befindet sich regelmässig eine namhafte Anzahl
solcher, die vor dem untersuchenden wie aburtheilenden Richter
ihre Schuld in Abrede gestellt hatten. In den weitaus meisten
Fällen entspringt aber diese Ungeständigkeit keineswegs dem
wirklich vorhandenen Bewusstsein der Schuldlosigkeit, sondern
vielmehr der Furcht vor der drohenden Strafe und dem Be¬
mühen, derselben zu entgehen. Bisweilen gesellt sich zu dieser
Furcht noch Verstocktheit und frecher Hohn. Indessen sind
auch Fälle zu verzeichnen, wo wirkliche „Unschuld“ (im straf¬
rechtlichen Sinne des Wortes) vorliegt, indem selbst die schein¬
bar gravirendsten Indicien, die glaubwürdigsten Zeugenaus¬
sagen auf zufälliger oder gar absichtlicher Täuschung und
Unwahrheit beruhten. Ja, welcher erfahrene Gefängnissbeamte
kennt nicht Fälle, wo sogar das dem Angeklagten vor seiner
Verurtheilung abgenötbigte Geständniss keineswegs der Aus¬
druck thatsächlichen Schuldgefühles gewesen ist?
Es gibt somit Gefangene, die sich uns gegenüber blos
für „unschuldig“ ausgeben und solche, die wirklich
„unschuldig“ sind. Ueber die Behandlung beider Kategorien
möchte ich vom seelsorgerlichen Standpunkte aus hier in diesen
von Praktikern für Praktiker zu schreibenden „Blättern“ mich
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näher aussprechen. In erster Reihe sind es meine Herren
Amtsbrüder, deren Anfmerksamkeit ich für diese Abhandlung
in Anspruch nehmen möchte, obwohl auch andere Gefangniss-
beamte dieselbe einiger Beachtung würdigen dürften.
Ueber die Nothwendigkeit der Geständnisse gehen
bekanntlich die Ansichten der Richter wie der Strafvollzugs¬
beamten sehr auseinander. Meine nachstehenden Ausführungen
dürften zur Genüge darthun, auf welcher Seite ich aus vollster
Ueberzeugung stehe.
L
Fassen wir zuerst die Gefangenen in’s Auge, deren that-
sächliche strafrechtliche Schuld keinen Zweifel zulässt, während
sie selbst bei der Einlieferung in die Strafanstalt sich für
„unschuldig“ ausgeben. In Bezug auf diese beantworte ich
die Fragen:
1. Wie muss ein beachtenswerthes Geständniss beschaf¬
fen sein?
2. Welcher Werth ist ihm beizulegen?
3. Wie ist es vom Gefangnissgeistlichen in foro externo
zu behandeln?
1 .
Einen der schönsten Triumphe, den die Pastoration über
die Gefangenen feiern kann, bilden die reumüthigen Ge¬
ständnisse derselben. Ich sage die „reumüthigen“; denn
nicht jedes Geständniss befriedigt und erfüllt mich mit Freude,
sondern nur ein solches, das materiell und formell, d. i. dem
Inhalte und den Beweggründen nach vollständig ist und
zur inneren Beschaffenheit des Verbrechers sich verhält wie
die Frucht zum Baum, die sittliche Wirkung zur sittlichen
Ursache.
Ohne Bekenntniss keine Erkenntniss! Wo aber diese
fehlt, wo und so lange der Mensch sich und seinen sittlichen
inneren Zustand nicht erkennt, da kann von einer Umkehr,
einer Besserung keine Rede sein. „Erkenne dich selbst“
— wurde als erste und höchste Pflicht schon vom delphischen
Orakel verkündigt. Nur die in ihrer ganzen Verwerflichkeit
und Verderblichkeit erkannte Sünde und Missethat wird
Blätter für Qefängnisskunde. XIX. 13
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auch ernstlich bereut, gehasst und verabscheut. Ohne Er-
kenntniss also keine Reue, ohne Reue aber keine Abwendung
des Willens vom bisher geübten und geliebten Bösen, kein
Vorsatz, ein anderer Mensch zu werden. Wird ferner der
Verbrecher von mächtigem Reueschmerz erfasst, dann kommt
auch das äussere Bekenntniss von selbst, dann drängt es
ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, „peccavi“ zu sagen. Das
Bekenntniss des Mundes ist dann nichts Anderes als der
naturnothwendige Ausdruck der Reue des Herzens und der
Umkehr des Willens. Daher beruht das Geständniss eines
Verbrechers ganz auf demselben psychologischen Gesetze wie
das Beichtgebot der katholischen Kirche. Wo eine wahre
Reue, d. h. Hass der Sünde, da ist das Bekenntniss nur der
letzte Akt dieser Lossagung von der Sünde und ihrer Aus¬
scheidung aus dem Innern des Menschen. Die Beicht ist in
der Tiefe der menschlichen Natur begründet. Alles, was uns
wahrhaft innerlich erfasst und bewegt, das muss auch im
Aeussern sich darsiellen, Freude oder Schmerz, Liebe oder
Hass. Dieses psychologische Gesetz macht sich tausendfältig
an jedem Sterblichen geltend und so ist auch das Geständniss
des begangenen Unrechtes, worüber das Herz von Reue zer¬
rissen wird, ein unausbleiblicher psychologischer Vorgang.
Das haben auch bereits die grössten Denker des Alterthums
erkannt und ausgesprochen. Im Gorgias des Plato lautet
eine Stelle: „Beging Jemand ein Unrecht, dann muss er frei¬
willig selbst dahin geben, wo er büssen wird, zum
Richter und bemüht sein, dass nicht die eingewurzelte Krank¬
heit der Ungerechtigkeit die Seele unheilbar mache. Vor
Allem muss man sich an klagen und die Missethat nicht ver¬
heimlichen, sondern an den Tag bringen, damit er (der Feh¬
lende) büsse und zur Genesung gelange; — hat Einer ein
Unrecht begangen, das Schläge verdient, so muss er sich
schlagen, oder die Fessel, sich fesseln lassen, oder Geld¬
strafe, sie entrichten, oder Verbannung, dahin wandern,
oder den Tod, ihn erleiden, indem man als der erste An¬
kläger seiner selbst auftritt.“ Und Seneca sagt im
53. Brief: „Quare sua vitia nemo confitetur? quia in illis
etiamnum est. Vitia sua confiteri sanitatis indicium
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est.^^ Von den ebenso frommen wie gelehrten Vätern der
Kirche will ich nur Einen hier anfiihren, den grossen
Origen es, der sich über die NothWendigkeit des Sünden¬
bekenntnisses also ausdrückt (Hom. 2 in Ps. 37)*: „Siehe also,
was die göttliche Schrift uns lehrt, dass man seine Sünden im
Herzen nicht verbergen soll.... Wenn die Sünder die Ver¬
gehen verbergen und zurückbehalten, so werden sie von dem
Wüste derselben im Herzen gequält und fast erstickt. Wenn
aber der Sünder sein eigener Ankläger wird, so wirft er da¬
durch, dass er sich selbst anklagt und bekennt, zugleich die
Sünde aus und entledigt sich des ganzen Krankheitsstoffes.^
Und unter den Neueren erwähne ich noch den berühmten
Grafen de Maistre, der im 3. Hauptstück des 3. Buches
seines Werkes „Vom Papste“ Folgendes schreibt: „Was ist
dem Menschen natürlicher, als jene Bewegung eines Herzens,
welches sich zu einem andern hinneiget, um ihm ein Geheim-
niss anzuvertrauen? Der Unglückliche, von Kummer und
Gewissensbissen zerrissen, bedarf eines Freundes, eines Ver¬
trauten, der ihn anhöre, ihn tröste und zuweilen ihn leite.
Der Magen, der ein Gift in sich fühlet und von selbst in
Zuckungen geräth, um es wieder auszuwerfen, ist das natür¬
liche Bild eines Herzens, in welchem das Laster sein Gift
ausgegossen hat. Es leidet, es ist in Unruhe, es zieht sich
zusammen, bis es das Ohr der Freundschaft oder wenigstens
das des Wohlwollens gefunden hat. Gehen wir aber vom
Vertrauen zur „Beicht“ über und legen vor der rechtmässi¬
gen Behörde ein Geständniss ab, so erkennet das allgemeine
Urtheil in diesem freiwilligen Bekenntniss eine sühnende Kraft
und einen Anspruch auf Gnade: über diesen Punkt ist nur
Ein Gefühl von der Mutter, welche ihr Kind über eine zer¬
brochene Tasse oder über genaschtes Zuckerwerk befragt, bis
zu dem Richter, der von der Höhe seines Richterstuhles herab
den Räuber und Mörder verhört.“ Ja, das Bedürfiiiss nach
Bekenntniss einer das Gewissen zentnerschwer belastenden
Schuld ist nicht selten stärker als der Selbsterhaltungstrieb;
es verschmäht die Straflosigkeit, die ihm das Stillschweigen
verheisst, es fürchtet keine Strafe, selbst den Tod nicht mehr,
es ruft, wo keine Zeugen ihre Stimme erheben können, keine
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Folterqual eine Aussage erpresst, es ruft, von einer geheim-
nissvollen Macht getrieben: Strafet mich, ich biii’s, ich hab’s
gethan. In dieser Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines
vorhergegangenen Geständnisses als eines unerlässlichen Kri¬
teriums der Reue und Besserung pflegt man deshalb auch
keinen Straferlass, keine Gnade einem ungeständigen Ver¬
brecher widerfahren zu lassen. Immer hat auch in diesem
Punkt die hl. Schrift Recht und Giltigkeit, wenn es z. B. im
Buch der Sprüche 28, 13 heisst: „Wer seine Missethaten ver¬
heimlicht, dem wird’s nicht Wohlergehen; wer sie aber be¬
kennet und unterlässt, der wird Barmherzigkeit erlangen.^ Und:
„Schäme Dich nicht. Deine Sünden zu bekennen“, mahnt schon
Jesus Sirach (c. 4, 31). — Der Missethäter, der hartnäckig
leugnet, wo doch seine Schuld sonnenklar erwiesen ist, muss
also nach all’ dem Angeführten als verstockter Sünder, als
total ungebessert oder besserungsunfähig betrachtet werden
und im Allgemeinen dürfte die Maxime feststehen: Ohne Ge-
ständniss keine Besserung, ohne Besserung keine Gnade!
Obwohl nun aber ein richtiges, werthzuschätzendes Ge-
ständniss freiwillig, von innen heraus erfolgen muss, so
gibt es doch der Wege und Mittel gar viele, um dasselbe
herbeizuführen. Es kommen da aber wiederum psycho¬
logische Gesetze zur Geltung. Das äussere Bekenntniss ist,
wie oben ausgeführt wurde, die natürlichste Kundgebung der
gewonnenen besseren Erkenntniss, der wahren Herzensreue
und der vollzogenen Willensänderung. Desshalb ist es zur Er¬
reichung des Besserungszweckes der Strafe unumgänglich, dass,
wo diese Vorbedingungen fehlen, dieselben durch den Straf¬
vollzug, insbesondere durch die zur Pflege des Geistes und
Herzens von der Religion und Moral ihm gebotenen Mittel, im
Individuum geweckt und zur Bethätigung angeregt werden.
Diese Aufgabe hat aber vor Allen der Gefängnissseelsorger zu
lösen. Sie ist oft schwierig und erfordert eigene Kenntniss
des menschlichen Herzens, Liebe zu den unsterblichen Seelen,
Klugheit und Vorsicht, Geduld mit dem Unverstand, mit dem
Eigensinn und mit all’ den Hindernissen, die dem Eindringen
des guten Samens in das Erdreich der Seele entgegensteben.
Dem Verblendeten sind die Augen zu öffnen, damit er
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erkenne, „dass er nackt sei^, ein armseliger Sünder, der
„jeglichen Ruhmes entbehret vor Gott“, der sich selbst und
Anderen zum Verderben geworden ist und unrettbar verloren
geht, wenn er die schlimmen Wege nicht verlassen will. Sein
Herz ist in den empfindlichsten Fasern zu ergreifen und der
Art zu bewegen, dass es vom anfänglichen Schmerz über die
natürlichen Folgen der Sünde, über zeitlichen Verlust und
leibliches Weh’ zum heilsamen übernatürlichen Reue¬
schmerz über die Sünde selbst sich emporhebt. Und
seinem Willen sind solide Fundamente in Form von klar
erläuterten Grundsätzen und Lebensregeln zu unterlegen und
dass er nicht mehr in die alten Sünden und Laster zurück¬
zufallen fest entschlossen sei, dessen zum Zeichen muss er
sich von der begangenen Missethat mit Herz und Mund los¬
sagen, auch — durch aufrichtiges Geständniss! Der
Vater im Evangelium- hat dem verlorenen Sohn erst dann sein
Vertrauen und mit diesem seine Liebe wieder geschenkt, als
derselbe vor ihm niedergesunken war und ohne Selbstbeschö¬
nigung, ohne Entschuldigung und ohne Rückhalt sein ganzes
gottloses und liederliches Leben enthüllt und die Selbst-
erkenntniss, die ihn zur Reue und zur Heimkehr angetrieben,
in dem Bekenntniss ausgesprochen hatte, er sei gar nicht mehr
werth, der Sohn seines guten Vaters zu heissen.
Im Besonderen aber sollten zur Herbeiführung von
Geständnissen nur ehrenhafte, sittlich erlaubte Mittel
in Anwendung gebracht werden. Der Geistliche hüte sich,
dem Gefangenen moralische Daumenschrauben anzulegen oder
zu Kunstgriffen seine Zuflucht zu nehmen, die dann und wann
von übereifrigen Gendarmen, von pfiffigen Gefangenwärtern,
mitunter selbst von Untersuchungsrichtern beliebt werden, um
den Inquirenden zu „fangen“, durch Ueberlistung zu einem
Geständniss zu bringen. Dem Gefängnissseelsorger steht ja
eine Anzahl von ganz geraden Wegen zu Gebote, auf denen
er dem Sträfling beikommen, Eingang in sein Herz finden
kann. Ich nenne hier in erster Linie:
a) Das Wort Gottes, das, wie der Apostel an die
Hebräer (4, 12) schreibt, „lebendig ist und wirksam und
schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringet,
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bis dass es Seele und Geist, Mark und Bein scheidet und ein
Richter ist der Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“
Durch aufmerksames Lesen des Wortes Gottes, wie es nieder¬
gelegt ist in der hl. Schrift, durch Lesen in der Legende
der Heiligen, deren tugendreiches Leben die herrlichen Früchte
des Gotteswortes darstellt, mit Selbstbeschämung erfüllt und
zur Nachahmung anmuthet, durch Lesen in anderen erbau¬
lichen Büchern ist schon manches verhärtete Herz erweicht,
manche Blindheit geheilt, manches offene Geständniss erzielt
worden. Die Lectüre der Gefangenen hat aber in allen An¬
stalten vorsugsweise der Geistliche zu bestimmen und zu
überwachen. — Noch mehr als das gelesene macht das ge¬
sprochene lebendige Wort einen guten Eindruck auf die
Zuhörer. Wie manches Geständniss erfolgte schon unmittelbar
nach einer einschneidenden Predigt, nach einem von Oben
gesegneten Wort im Religionsunterricht, nach einem
ernsten und eindringlichen Zwiegespräch auf der Zelle!
Und da ist es nicht allein der Geistliche, sondern jeder
Beamte des Hauses, der als Prediger auf den Sträfling ein¬
wirken kann. Wie nothwendig ist es also, dass jeder Beamte
selbst von religiösem Geiste erfüllt ist, dass insbesondere nur
gottelsfürchtige Aufseher mit den Gefangenen in Berüh¬
rung kommen sollten! Was nützt es, wenn der Geistliche
dem Worte Gottes Zutritt und Gehör beim Gefangenen zu
verschaffen sich abmüht, wenn dieser aus Anderer Munde
Aeusserungen vernehmen muss, die wie der Frost die keimende
Frühlingssaat vernichten? — Ausserdem wird den Gefangenen
nicht selten auch von aussen her gepredigt und an’s Ge¬
wissen geredet durch Angehörige, Freunde und ehe¬
malige Vorgesetzte, die in brieflichen Verkehr mit ihnen
treten. Wahrhaft herzergreifend ist oft die Sprache, in wel¬
cher ein bekümmerter Vater oder eine gebeugte Mutter zu
ihrem entarteten Sohne redet und ihn beschwört, er möge doch
in sich gehen und die auferlegte Strafe als wohlverdiente im
christlichen Bussgeiste ertragen! Solche Ermahnungen haben
häufig den besten Erfolg, erwecken im gefangenen Leser gute
Gedanken und Vorsätze, und er bekennt vorbehaltlos sein Ver¬
gehen und die Wege, die ihn dazu geführt haben.
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b) Wo aber das Wort nichts fruchtet, da greift der liebe
Gott selbst mitunter ein und schickt dem verstockten Sünder
eine Krankheit, die ihm, wie die bittere Fischgalle dem
Vater Tobias, die Augen öffnet, das Gewissen weckt, das
Herz und den Mund erschliesst. Die Schrecken der Ewigkeit
leuchten wie Blitzesstrahlen in seine Seele, und nachdem er
vielleicht viele Jahre am Straforte unempfänglich für bessernde
Einflüsse sich gezeigt und hartnäckig geleugnet hatte, entringt
sich dem im Tode erblassenden Munde noch ein reuerolles
Geständniss, in Verbindung mit einem bangen, halbverzweifelten,
oder aber hoffnungsfreudigen „Herr sei mir armen Sünder
gnädig“. Mir ist ein Raubmörder bekannt, der 12 Jahre im
Zuchthaus gesessen war und Unschuldsbetheuerungen unter
den grässlichsten Selbstverwünschungen unablässig vorbrachte
und siehe, zwei Tage vor seinem Tode bekannte er die so
lange zurückbehaltene schwere Blutschuld. Bisweilen bedarf
es aber gar nicht einer tödtlichen Krankheit, sondern blos
eines länger dauernden Unwohlseins, wodurch dem Sträfling
ernstere Gedanken an die Hinfälligkeit des Leibes, das ewige
Schicksal der Seele u. dgl. in den Sinn geführt werden, so
dass mit dem Geständniss der Anfang der Besserung erzielt
ist. — Oder aber es kommt eine Hiobspost von der Heimath
an und verkündigt ihm den Tod theucrer Angehörigen, viel¬
leicht eines Vaters, einer Mutter, einer Gattin, und es wird
ihm zugleich gemeldet oder er selbst muss sich^s sagen, dass
er das nun erstarrte Herz gebrochen, dass er der Todten-
gräber des Verstorbenen gewesen. Das Weitere ist der ver¬
zehrendste Trauerschmerz, der in Verbindung mit der erschüt¬
ternden Busspredigt, die der Tod ihm hält, die Eiskruste des
Herzens zum Schmelzen bringt, den Stein vom Grabe des Ge¬
wissens wälzt und die Lossagung von der lange festgehaltenen
und verheimlichten Sünde bewirkt.
c) Auch die Einrichtungen der Strafanstalt sind dazu
angethan, hartgesottene und verblendete Missethäter auf bessere
Wege zu bringen. Auf scharfe Disciplinarstrafen erfol¬
gen nicht selten Geständnisse und williges Fügen in die be¬
stehende Ordnung, nachdem durch sie der Trotz und Starr¬
sinn gebrochen worden war. So gestand z. B. ein junger
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Mansch, wogen Mords zu lebenslänglicher Strafe eingeliefert,
aber lange Zeit ungeständig und unbändig, nachdem er eines
Tages sechs Stunden im Zwangsstuhl gesessen. — Ausser der
Disciplin ist es überhaupt das streng durchgeführte Isoli-
rungssystem, das für unsere vorwürfige Frage beinahe von
einzigem Belange ist. Nur die Zelle führt zur Einsicht,
bringt Er- und Bekenntniss hervor. Im Umgang mit Anderen
dagegen findet der Leichtsinn und das Leugnen stets neue
Aufmunterung. Wer will das bestreiten?
d) Noch ein Moment möchte ich anführen, das für die
geeignete Behandlung des Gefangenen nicht genug beachtet
werden kann, leider aber in seiner Bedeutung von Manchen
übersehen wird, nämlich die NothWendigkeit genauer Per-
sonalkenntniss des neu eingelieferten Sträflings,
bevor man in Verkehr mit ihm tritt. Da wird Einer
wegen dieses oder jenes Verbrechens zu längerer Strafe in
die Anstalt verbracht. Der Geistliche hat ihn sofort aufzu¬
suchen, über seine religiös-sittliche Bildungsstufe zu prüfen,
die ersten Ermahnungen ihm zu ertheilen. Weder dem Geist¬
lichen noch der Anstaltsverwaltung sind aber ausser den
lückenhaften Einlieferungspapieren irgend nähere Aufschlüsse
über den neuen Gast mitgetbeilt, keine Entscheidungsgründe
für das Urtheil, keine Anklageschrift, keine Untersuchungs¬
acten. Man ist also über den Eingelieferten völlig im Unge¬
wissen, kann nicht sicher und fest vor ihn hintreten, ist auf
ihn selbst als Auskunftsquelle angewiesen. Allein der Beamte
gibt sich schon dann eine Blösse, wenn der Gefangene merkt,
dass jenem sein Vorleben unbekannt ist. Versucht man ihn
auszufragen, so riskirt man den „blauesten Dunst“ und der
Mann lacht sich hintenher in^s Fäustchen, dass er sogar am
Straforte seine „Bären“ aufbinden konnte. Das trifiPb allerdings
nicht immer, aber erfahrungsgemäss auch nicht selten zu und
alle meine Collegen werden sicherlich gleich mir sich schon
recht erregt haben, wenn sie nachträglich aus den Acten oder
sonstwie über einen Gefangenen Aufschlüsse bekamen, die mit
dem von ihm selbst anfänglich uns vorgemalten Schuldbild in
keinem Zuge übereinstimmten. „Hat der Bursche aber mich
angeflunkert!“ — Der Geistliche speciell ist ausser Stande,
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auf einen Sträfling systematisch einzuwirken, wenn ihm nichts
Näheres über dessen Antecedentien und Strafthat bekannt ge¬
geben wird. Ganz anders vermag man dagegen dem Neu¬
angekommenen entgegenzutreten, wenn man im Voraus schon
möglichst genau über die erwähnten Punkte sich hat informiren
können und in Bezug auf die üngeständigen könnte ich
eine Reihe von Fällen anführen, wo ich ihnen mit meinem
detailirten Vorwissen ihres Verbrechens und Vorlebens gleich
beim ersten Begegnen dermassen imponirte, dass sie auf jeden
Versuch des Leugnens und Flunkerns sofort verzichteten und
Alles zugestanden, was sie noch kurz vorher dem Richter
abgeleugnet hatten. Ich kann deshalb auch bis heute nicht
einsehen, warum man selbst an massgebender und sachver¬
ständiger Stelle es mitunter für überflüssig erachten will,
dass die Voracten, Entscheidungsgründe u. dgl. den Straf¬
anstaltsbeamten rechtzeitig zur Einsicht mitgetheilt werden.
e) Endlich aber besitzt speciell der katholische Ge-
fängnissseelsorger noch ein Mittel, um Sünde und Verbrechen
in der tiefsten Wurzel zu fassen und auszurotten: es ist die
sacramentale Beicht. Wie sehr dieses psychologisch
ebenso begründete, wie pädagogisch äusserst fruchtbare und
segenbringende, seit den ältesten Zeiten in der christlichen
Kirche nachweisbar bestandene Institut geeignet ist, den Pöni¬
tenten auch zum äusserlichen Schuldbekenntniss zu
bewegen, ist meinen kath. Amtsgenossen aus Schule und Praxis
sattsam bekannt. Weiter unten werde ich die delicate Frage,
wie der Gefärignissgeistliche ein innerhalb der Beicht selbst
(in foro interne) ihm abgelegtes Geständniss eines strafrecht¬
lichen Delictes ausserhalb derselben (in foro externe) zu
behandeln habe, näherhin besprechen. Hier, wo von den Mit¬
teln, ein Geständniss herbeizuführen, die Rede ist, sei
nur Folgendes bemerkt: Der Sieg über den Widerstand der
Verstocktheit ist oft nur schwer zu erringen. Wie mancher
Verbrecher ergeht sich Monate und Jahre hindurch in den
heiligsten Betheuerungen, er sei „unschuldig“ verurtheilt wor¬
den. „O Herr Pfarrer, ich bin so unschuldig an der Sache,
wie ein Kind im Mutterleib“; — „unser Herrgott im Himmel
weiss es“; — „ich will gleich sterben, wenn ich das gethan
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habe"; — ^Meineide haben mich daher gebracht, feindselige,
rachsüchtige, schadenfrohe, bestochene Zeugen“; — „ich bin
unschuldig, aber ich will mich in Gottes Namen d’rein schicken,
da unser Heiland auch unschuldig gelitten hat“ — u. s. w.
Und fort und fort das nämliche Betheuern und Verschwören
und Verwünschen, selbst Thränen in reichlichem Maasse! Der
Besuch eines solchen „unschuldigen Lammes“ wird dem Seel¬
sorger zur Qual. Jedes Wort scheint fruchtlos gesprochen zu
sein. Da kommt die Beichtzeit; der Aufseher fragt, wer sich
betheiligen will und „Er“ meldet sich auch — zur Verwunde¬
rung, aber auch nicht geringen Verlegenheit des Beichtvaters.
In diesem Falle verfahre ich so: Ich gehe zu ihm hinein in
die Zelle, die nun auch zum Beichtstuhl geworden ist, und
höre ihn an. — Eventuell sage ich dann ihm ernst und ruhig:
Lieber Freund, Ihr habet bisher stets Euer Verbrechen ge¬
leugnet, obwohl Ihr doch so überführt worden seid, dass kein
vernünftiger Mensch an Eurer Schuld mehr zweifeln kann.
Bisher habet Ihr mich als gewöhnlichen Menschen angelogen,
jetzt, im hl. Bussgericht, bin ich der Stellvertreter des Herrn,
von dem ich Euch Verzeihung Eurer Sünden ankündigen soll.
Gott ist aber nur barmherzig und gnädig gegen reumüthige
Sünder. Ihr aber habet leider immer noch keine Reue über
Eure Sünde und Missethat; denn sonst würdet Ihr von selbst
dieselbe auch offen und aufrichtig bekennen. Ihr leugnet aber
sogar. noch in der Beicht, Ihr lüget vor Gottes heiligem An¬
gesicht. Als Beichtvater ist es mir deshalb strengstens unter¬
sagt, Euch die Absolution zu ertheilen, und wenn ich sie auch
über Euch ausspräche, so würde sie doch keinen Werth haben,
keinen Widerhall finden im Himmel. Ihr habet vielmehr durch
Missbrauch und Entheiligung des hl. Busssacramentes eine neue
schwere Sünde, ein Sacrilegium auf Euch geladen. Glaubet
ja nicht, Ihr könntet mich täuschen; ich bin von Eurer Schuld
und Eurer Verstocktheit so fest überzeugt, dass es mich im
Innersten der Seele empört, wie Ihr es wagen könnet, durch
Euer sacrilegisches Beichten mich zu hintergehen.“ Nun muss
er entweder bekennen oder er beharrt auf seiner Lüge. In
letzterem Falle verlasse ich ihn, alle und jegliche Verantwor¬
tung auf seine Seele wälzend. Bisweilen aber höre ich noch
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unter der Thüre ein leises: „Herr Pfarrer, kommen Sie noch
einmal herein“ — das Geständniss erfolgt.
Selbstverständlich — und ich betone das nachdrucksamst
— trete ich in dieser Weise nur auf, wenn ich von der Schuld
des Betreffenden mit beinahe mathematischer Gewissheit
überzeugt bin. Dann aber ist bekanntlich unter eigener schwerer
Versündigung jeder Beichtvater zur Verweigerung der Los¬
sprechung strikte verpflichtet. Soll doch selbst bei begrün¬
detem Zweifel an der erforderlichen Disposition (Reue) des
Pönitenten die Absolution mindestens verschoben werden, bis
untrügliche Zeichen der Reue zu Tage treten; ja, treten diese
nicht ein, so darf der Priester nur in „extrema necessitate“,
nur in der letzten Stunde nach Lehre der Casuisten einem
zweifelhaft disponirt gebliebenen (dubie disposito) Pönitenten
die Lossprechung und dann nur bedingungsweise ertheilen
— seine Würdigkeit dem Urtheile des einzig allwissenden
Gottes anheimstellend. So musste ich meines Erinnerns gegen
einen wegen schweren Verbrechens wider das Leben zu lang¬
jähriger Strafe Verurtheilten verfahren, dessen Mitschuldige
vor ihm starb und noch auf dem Todbett in Gegenwart
von Zeugen seine Theilnahme an der That behauptet hatte.
Er aber spielte den „Unschuldigen“, den Heuchler und Frömmler
mehr als zehn Jahre hindurch. Ich wies ihn stets von der
Beichte zurück, bis eine Krankheit ihn darnieder warf und der
Tod ihm im Gesichte geschrieben stand. — Von der Beicht,
wie von allen Sacramenten, gilt eben auch das Wort des Herrn:
„Gebet das Heilige nicht den Hunden und werfet eure Perlen
nicht vor die Schweine hin, damit sie selbe nicht etwa mit
ihren Füssen zertreten.“ (Matth. 7, 6.)
Die Verweigerung der Absolution wird aber als
ein mächtig packendes Mittel zu unserm Zweck (Erzielung
eines Geständnisses) nur bei Solchen wirken, die in ihrem
Kirchenglauben noch nicht erschüttert sind. Zuweilen wirkt
das Mittel nicht sofort und der Geistliche muss ohne Erfolg
die Zelle verlassen, aber den Stachel im Gewissen hat er zu¬
rückgelassen; der Gedanke, der sacramentalen Lossprechung
unwürdig zu sein, nagt wie ein Wurm im Innern und der
Mund öffnet sich doch noch zum Bekenntniss der verborgenen
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Schuld bei irgend einem Anlasse. Eine Thatsache kann ich
hier konstatiren: Nach jeder gegebenen Beichtgelegenheit halte
ich ein Erntefest hinsichtlich erzielter Geständnisse. Es ist über¬
haupt kaum zu bestreiten, dass der gläubige Katholik, von Kind¬
heit an zum speciellen Sündenbekenntniss (d. i. zur „Ohren¬
beicht“) im Gewissen sich verpflichtet haltend, auch vor dem
Richter und Gefängnissbeamten eher zu einem Geständniss
sich herbeilässt, als ein Andersgläubiger, der über alle seine
Sünden nur „seinem Gotte“ Rechenschaft ablegen zu müssen
und zu dürfen glaubt.
2 .
Solche Geständnisse nun, die einem inneren Drange, der
gewonnenen besseren Einsicht, quälender Gewissenspein und
wahrer Herzensreue entspringen, abgelegt ohne Rücksichten,
ohne Vorbehalt, ohne Beschönigung, als voller Ausdruck des
Schuldgefühles, haben ihren grossen Werth nach verschie¬
denen Seiten hin;
a) für den Gefangenen selbst. Hat er einmal bekannt,
so kehrt Erleichterung, Ruhe und Friede in seinem Innern ein,
er schaut wieder frei zu Gott empor und den Menschen in’s
Angesicht j er kann nun vertrauensvoll bßten und die lange
verschobene Bekehrung gründlich und tiefgehend bewerk¬
stelligen. Anderseits hat sein Geständniss, wie oben bereits
ausgeführt wurde, an und für sich schon eine versöhnende und
sühnende Kraft, verleiht das Anrecht auf Begnadigung, da er
gezeigt hat, dass er sein Verbrechen einsieht, bereut, gut zu
machen und nicht mehr zu begehen entschlossen ist. Hat
doch in dieser Hinsicht, wie die Bibel erzählt, Gott selbst
uns Menschen zur Nachahmung einen Fingerzeig gegeben, in¬
dem Er, der Allwissende und Allsehende, dem alles mensch¬
liche Denken und Handeln bekannt wird, bevor man es ihm
eingesteht, gleichwohl das erste Menschenpaar und den Bruder¬
mörder Kain zur nachträglichen Beicht, zum Geständniss ihrer
Missethat angehalten hat, w^ohl einzig in der weisen Absicht,
um die Bezeugung seiner Barmherzigkeit den Frevlern gegen¬
über mehr als gerechtfertigt erscheinen zu lassen.
b) Werthvoll ist ein solches Geständniss auch für den
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Richter oder den Gerichtshof, der das Urtheil gefällt
hat. Auch die Herren Strafrichter sind sterbliche Menschen,
können also irren und haben schon oft geirrt, und mir hat
einmal ein sehr ernster und gewiegter Jurist offen bekannt,
dass er fast jedes Mal eine gewisse Unruhe verspüre, so oft
er lediglich auf Grund von Inzichten und fremden Aussagen
sein Votum zur Feststellung des Strafurtheiles abzugeben habe.
Die Möglichkeit eines Justizmordes ist in häufigen Fällen, selbst
wenn der Verdacht zur grössten Gewissheit sich gesteigert
haben mag, gleichwohl nicht völlig ausgeschlossen^ namentlich
bei Anklagen wegen Brandstiftung, Meineids und Missbrauch
von Kindern, sowie bei Verhandlung der Anklagen durch die
lobsamen — Schwurgerichte. In solchen Fällen nun
muss das, nach der Verurtheilung abgelegte Geständniss
jedem Richter zur Beruhigung und Befriedigung gereichen,
während beharrliches, auch am Straforte fortgesetztes Leugnen
und Unschuldsbetheuern eine Verdächtigung, wenn nicht eine
förmliche Beleidigung des erkennenden Tribunals in sich
schliesst.
c) Nicht minder hat ferner auch das freie Publikum
ein Interesse daran, dass Schuld und Strafe jeweils sich mög¬
lichst decken, und es ist ihm deshalb nicht Einerlei, ob der
Angeklagte die ihm zur Last gelegte That eingeräumt hat oder
nicht. Man darf da nur in Gesellschaften oft Aeusserungen
über Gerichtsfälle vernehmen, die in der Presse besprochen
werden, um dieser meiner Behauptung ohne Widerrede beizu¬
pflichten. Und bei unsern öffentlichen Gerichtsverhand¬
lungen zeigt das anwesende Publikum nicht selten eine grosse
Neigung zur Kritik des Verfahrens, bildet sich seine eigene
Ansicht über die Schuldfrage und würde manchmal ganz
anders entscheiden als die Schöffen und Geschworenen, ganz
anders (milder oder strenger) bestrafen als der Gerichtshof. —
Ebenso kommt es vor, dass die Heimathsgenossen und
Angehörigen des Inculpaten in Ungewissheit und ängstlicher
Sorge darüber schweben, ob derselbe, der doch so „unschuldige^
sein will, wirklich die verhängte Strafe verdient habe oder
nicht. \Diese Zweifel sprechen sie bisweilen selbst in an die
Strafanstaltsbeamten gerichteten Briefen aus. Es ist nun klar,
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welchen Eindruck nach beiden erwähnten Seiten hin es machen
muss, wenn es bekannt wird, dass der Betreffende in der Straf¬
anstalt ein reumütbiges Qeständniss abgelegt habe. Dadurch
wird das Vertrauen zu und die Achtung vor dem Richterstand
unter allen Umständen erhöht und befestigt, wie anderseits den
Angehörigen ein Trost gespendet. — Endlich
d) bat der Gefängnissseelsorger durch das erfolgte
Geständniss die erste und nothwendigste Voraussetzung für
eine erspriessliche religiös-sittliche Behandlung des Betreffenden
gewonnen. Einem Gefangenen gegenüber, der in den Mantel
der Unschuld sich hüllt, ist der Geistliche stets in einer be¬
klemmenden Situation, selbst dann, wenn er völlig von dessen
Schuld überzeugt ist. Welche Rolle soll ich Individuen gegen¬
über spielen, die mit der ruhigsten Miene von der Welt vor
mir stehen als „Opfer ungerechter Verurtheilung^^? Sie leugnen
und doch steht ihre Schuld nicht nur in den Acten, nein, mit
deutlichen Buchstaben auch in ihrem Gesichte geschrieben, die
Thatsache ist durch die glaubwürdigsten Zeugen bewiesen,
von Mitschuldigen längst zugestanden, — sie aber leugnen.
Was soll ich mit ihnen anfangen? Sie zur Busse mahnen?
Aber sie sind ja so „himmelschreiend ungerecht^ bestraft, so
unschuldig, rechtschaffen und vollkommen, dass sie keiner
Busse bedürfen, ja sie gerathen in Entrüstung und beginnen
zu schimpfen, wenn man es wagt, sie zur Busse und Sühne
aufzufordern, an ihrer „Unschuld“ einen gelinden Zweifel zu
äussern. Oder soll ich solche Gutedel trösten und beruhi¬
gen? Aber sie sind ja so unglücklich und bedauernswerth,
dass sie keinen andern Trost wollen ausser einem solchen, der
sie mit einem ägyptischen Josef oder einem Täufer Johannes
im Kerker oder gar mit dem Heiland am Kreuze vergleicht,
keine andere Beruhigung als eine solche, die sie in ihrer Ver¬
stocktheit, Verblendung und Selbsttäuschung bestärken oder
aber ihren geheimen Hohn über meine Leichtgläubigkeit heraus¬
fordern würde. Gewiss finde ich viele Amtsgenossen, die gleich
mir derartige Subjecte als das schwerste Kreuz ihres Berufes
betrachten und nur mit einer gewissen Selbstüberwindung in
speciellen Verkehr mit ihnen treten.
Erfreulich also und von grossem Werthe sind die Ge-
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ständnisse, welche die geschilderten Eigenschaften besitzen
und doch wird häufig so geringer Werth darauf gelegt!
Der Vollständigkeit halber muss ich aber noch anfuhren,
dass mitunter das Geständniss eines wirklich Schuldigen
keinerlei moralischen Werth besitzt und keine Berück¬
sichtigung verdient, wenn nämlich es erst erfolgt, nachdem
der BetrefiPende sich gründlich vergewissert hat, dass auf
keinem andern Wege Gnade oder Straferlass zu erreichen ist.
Solche „Geständnisse“ gehen aus dem berechnenden Ver¬
stand e, nicht aus dem bussfertigen Herzen und gebesserten
Willen hervor. „Ich habe jetzt bald drei Viertel meiner Strafe
ei*standen; werde ich nicht vorläufig entlassen?“ „Ich bin nun
schon über die Hälfte hier; gibt es für mich keine Gnade?“
„„Nein, Ihr seid ja unschuldig und nur Schuldige können be¬
gnadigt werden.““ „Ja nun, wenn’s absolut nicht anders geht,
dann will ich meine Sache auch eingestehen.“ — Natürlich
bewirkt ein solches „Geständniss“ gerade das Gegentheil von
dem, was damit bezweckt werden wollte; es ist nichts Anderes
als die endliche Entlarvung der langjährigen Lüge, Heuchelei
und Verstellung.
3.
Wie hat aber der Geistliche die ihm gemachten
Geständnisse zu behandeln? Als leitender Grundsatz
gilt hier: das Vertrauen muss auch dem Verbrecher
gewahrt werden. Ein an vertrautes Geh eimniss zu bewahren,
ist für Jedermann eine natürliche Pflicht und dass es bewahrt
werde, zu verlangen, hat auch der Gefangene ein natürliches
Recht. Deshalb gibt es schon für, im gewöhnlichen Ge¬
spräch unter ausdrücklicher Bedingung des Stillschweigens
gemachte Eröffnungen eine, jedem Ehrenmann selbstverständ¬
liche Discretion, die unter der Voraussetzung und so lange
heilig zu halten ist, als dadurch nicht Rechte Dritter schwer
verletzt werden oder Anderen oder der bürgerlichen Gesell¬
schaft nicht grosse Gefahren und Schädigungen daraus er¬
wachsen. Diese Verfahrungsweise hat auch der Gefängniss-
geistliche einzuhalten. Gerade er muss ängstlich Alles meiden,
was das unbedingte Vertrauen der Gefangenen zu ihm ab¬
schwächen könnte. Eben darum, weil die katholischen Ge-
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fangenen wissen, dass sie ihrem Seelsorger und Beichtvater
rückhaltlos vertrauen dürfen, erschliessen sie ihm auch die
geheimsten Falten ihrer Seele und offenbaren ihm, was kein
Richter und kein anderer Gefangnissbeamter jemals aus ihrem
Munde zu vernehmen bekommt.
Weit mehr aber und vom Willen des kath. Priesters gar
nicht mehr abhängig, weil strengstens unter schwerster Kirchen¬
strafe geboten und pflichtgemäss, ist das sog. SigiUum con-
fessionale, das Beichtsiegel, unter allen Umständen und
gegen Jedermann unverletzt zu bewahren. Der kath. Priester
ist ausserhalb der Beicht für alles darin Vernommene als
mortuus, als todt zu betrachten. Durch keine Miene, keinen
Blick, keine Unterlassung und keine Handlung, durch nichts
darf er zu erkennen und auch nur zu errathen geben, was er
aus der Beicht weiss. In seiner Brust verschlossen trägt er,
wie in einem Grabe, eine Menge von Bekenntnissen aller Art,
daher auch die Geständnisse hinsichtlich der strafrecht¬
lichen Schuldfrage und muss somit nicht selten schwei¬
gend zuhören, wenn dieser oder jener Sträfling von anderen
Beamten als ungeständig hingestellt wird, während ihm (dem
Geistlichen) sub sigillo doch das Gegentheil feststeht. Das
Beichtinstitut darf nicht mit der staatlichen Strafvollstreckung,
mit der weltlichen Strafrechtspflege verquickt werden, damit
es frei bleibe von dem Odium eines „Polizeiinstitutes“.
Diese Grundsätze der katholischen Beichtpraxis schliessen
indessen nicht aus, dass der Gefängnissgeistliche den Sträfling
mit religiös-moralischen Motiven ernst und liebevoll ermahnen
darf und soll, die Wahrheit auch vor der weltlichen Be¬
hörde zu sagen. Ja, ich erachte es sogar für einen un¬
erlässlichen Theil der zum Busssacrament gehörenden Genug-
thuung oder der eigentlichen „Busse“ (im dogmatischen engeren
Sinne des Wortes), dass der Verbrecher auch äusserlich
seine Strafe als eine verdiente anerkenne durch Ablegung
eines offenen Geständnisses vor dem Gefängnissdirector, der
dasselbe protocollarisch aufzunehmen und dem betreffenden
Gerichte zur Kenntniss zu bringen hat. Oder man wird doch
das Unstatthafte der Ansicht einsehen, es sei hinreichend, dass
der Gefangene in confessionali gestehe, extra confessionale
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dagegen brauche er nicht zu gestehen, dürfe er also weiter¬
hin — lügen und heucheln! Und dennoch habe ich einen Amts¬
bruder kennen lernen müssen, der damit vollständig befriedigt ist,
wenn seine Gefangenen vor ihm, dem Priester, „confiteor“ sagen.
Ich aber beharre darauf, dass kein Sträfling für einen wahren
Büsser gehalten werden kann, wenn er nicht Jedem, der ihn
zu fragen berechtigt ist, die ungeschminkte Wahrheit ein¬
gesteht. Will er dazu sich nicht entschliesscn, so zeigt er,
dass er sich überhaupt noch nicht bekehrt hat; denn die
Bekehrung besteht in der Abwendung des Willens von allem
Bösen, also auch von der Lüge. Und wer wahrhaft buss¬
fertig ist, der scheut sich nicht. Jedem zu sagen: Ja, ich habe
diese Strafe wohl verdient, denn ich habe das und das ver¬
brochen.
Man hat zwar bisweilen mit manchen Bedenken und Be¬
fürchtungen zu rechnen, wodurch die Gefangenen abgehalten
werden, ein Geständniss auch vor der staatlichen Behörde ab¬
zulegen. Diese Bedenken zu heben, ist also vor Allem nöthig.
Man erkläre ihnen, dass und warum ein solches Geständniss
ihnen nur von Nutzen sein könne, dass es keine Straf¬
erhöhung bewirke, keine Schande, sondern eine Ehre für sie
sei. Sündigen sei schändlich, bekennen ehrenvoll. Uebrigens
wo es sich darum handeln würde, dass durch das Geständniss
ein anderer unschuldig Angeklagter oder Verurtheilter be¬
freit werden könnte oder dass Mitschuldige von Verbre¬
chen zu entdecken wären, die dem Staate oder der Kirche
oder einer Privatperson zu grossem Schaden gereichen, z. B.
Falschmünzerei, Verschwörungen, Diebstähle, Veruntreuungen
u. dgl., dann ist dem beichtenden Sträfling zu bedeuten,
dass ihm sogar die Absolution verweigert werden
müsse, wofern er ein derartiges Geständniss vor der staat¬
lichen Behörde nicht ablegen wolle. In diesen statuirten zwei
Fällen ist das Geständniss coram judice externo eine un¬
erlässliche Pflicht, in andern Fällen mindestens ein nütz¬
licher Rath. ^
In der Regel bittet der beichtende Gefangene den Beicht¬
vater, er möge dafür sorgen, dass er vor der Verwaltung zu
Protokoll vernommen werde, oder er sagt etwa: Herr Pfarrer,
BUtter für Oeföngnisskunde. XIX. 14
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ich erlaube Ihnen, dass Sie zu meinen Gunsten von meinem
ständniss beliebigen Gebrauch machen dürfen, z. B. wenn
mir ein Zeugniss aussteilen, ein Gutachten über meine
gnadigung abgeben müssen. Nun kommt aber die oben sehe
angekündigte delicate Frage: Wenn der Pönitent auch in for
externo ein Schuldbekenntniss ablegen will, darf der Beicht
vater selbst dazu mitwirken, darf er von dem in dei
Beicht ihm Anvertrauten Gebrauch machen, wem
der Pönitent ihn ausdrücklich darum bittet oder
ihm die Erlaubniss dazu gibt? Die Antwort auf diese
casuistische Frage gebe ich am klarsten an einem concreten
Fall. Also:
Ein Mann — mag er Sempronius heissen — wurde nebst|
der mitschuldigen Tochter wegen Blutschande zu mehrjährige!
Zuchthausstrafe verurtheilt. Beide waren bei der Gerichtsver-I
handlung nach offenbar vorhergegangener Verabredung unge-!
ständig, beide leugneten auch in der Strafanstalt. Nach etwa|
einem halben Jahre meldete sich Sempronius zur Beicht. Einige
Tage nach derselben fing er noch einmal beim gewöhn¬
lichen Zellenbesuch mit mir über die Beicbtmaterie zu
reden an und bat mich (also sogar extra confessionem!), ich
möchte doch, wie er mich bereits in der Beicht ersucht habe,
ihn beim Director zur Abgabe eines Protocolles melden. Dies
that ich und Sempronius gestand vor dem Vorsteher der An¬
stalt, er habe seine Tochter geschwängert. Nachher schrieb
er seiner Tochter, offenbar um auch sie zu einem Gestäudniss
zu bewegen, wörtlich: „Herr Pfarrer hat mich sogleich
beim Director gemeldet, dieser hat es zu Protocoll genom¬
men und an das Amtsgericht abgeschickt." Dtesen Brief liess
ich im Bewusstsein, recht gehandelt zu haben, unbeanstandet
an die Anstalt abgeben, in welcher seine Tochter inhaftirt
war; der dortige Geistliche aber hielt ihn zurück und zwar
wegen der angeführten Stelle. In dieser sah nämlich mein
College eine mit seinen Anschauungen über das Beicht-,
geheimniss nicht übereinstimmende meinerseitige Verfahrungs-"
weise und befürchtete, die Tochter des Sempronius könnte
vielleicht eine Verletzung des Beicbtsiegels aus jenen Worten
herauslesen und daran grosses Aergerniss nehmen. Es ent-
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spann sich nun zwischen meinen) Collegen und mir eine
academische Controverse, die schliesslich vor einem compe-
tenten höheren Schiedsgericht zum Austrag gebracht wurde.
Ich wurde von letzterem dahin belehrt, dass es für den
Beichtvater absolut unstatthaft sei, vom Pönitenten in con-
fessione die Erlaubniss sich zu erbeten, in seinem Inter¬
esse von den gemachten Enthüllungen der Behörde gegen¬
über Gebrauch machen zu dürfen. Die Gefahr, das Ansehen
des Beichtinstitutes zu schädigen, liege zu nahe. Man solle
zwar dem Verbrecher zusprechen, dass er auch in foro ex¬
terne die Wahrheit eingestehe, aber der Beichtvater solle die
Vermittlungsrolle entschieden ablehnen. Der Gefangene könne
durch andere Hausbeamte sich zu Protocoll melden lassen.
„Ueberhaupt, so lautet wörtlich die erste schiedsgerichtliche
Entscheidung, besteht die Aufgabe des Geistlichen lediglich
darin, durch Belehrung, durch den Gottesdienst, durch Gebet
und Spendung der hl. Sacramente an der Besserung der Ge¬
fangenen zu arbeiten, in schonender Weise ihr Schuldgefühl
zu wecken und sie zur Erkenntniss ihres Zustandes und zur
Sinnesänderung zu führen. Wenn der Verurtheilte seinem
Seelsorger in der Beichte seine Schuld bekennt, so kann
das Geständniss vor der weltlichen Behörde als
etwas Untergeordnetes angesehen und dessen Ab¬
legung den Umständen überlassen werden.(?)... .
Der Beichtvater kann den Gefangenen keine weitere Verpflich¬
tung auferlegen, als dass sie dem Beamten gegenüber das
begangene Verbrechen nicht auf unwahre Weise (?) in
Abrede stellen, dass sie also, wenn sie in durchaus recht¬
mässiger Weise und Form gefragt bezw. gehört werden,
nicht weiter mehr leugnen. So aber der Geistliche den
(weltlichen) Beamten irgendwie zu einer solchen Befragung
veranlassen würde, müsste dies als ganz verwerflich
beurtheilt und als mindestens indirecte Verletzung des Beicht¬
geheimnisses behandelt werden. Der Geistliche soll die
Gefangenen, welche in der Beicht ihre Schuld ge-
offenbart, in keiner Weise beunruhigen, wenn sie
die Ablegung des Geständnisses vor dem Anstalts¬
vorstand aus irgend einem Grunde verweigern.
14 «
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206
Nur in höchst seltenen ausserordentlichen Fällen dürfte
es ausnahmsweise geschehen, dass er in sie dränge mit
der Aufforderung, ihre Schuld vor dem Verwaltungsbeamten
protocollarisch einzuräumen. Ebenso wird es nur selten und
ausnahmsweise statthaft sein, sich die Erlaub hiss, bei der
Behörde von den ihm gemachten Enthüllungen Gebrauch zu
machen, ertheilen zu lassen oder eine solche Erlaubniss anzu¬
nehmen .Für Herbeiführung von Geständnissen soll der
Geistliche ausser in der Beicht so wenig als möglich thätig sein.^
Es wäre mir nun sehr erwünscht gewesen, Wenn die
„seltenen und ausserordentlichen“ Fälle näher bezeichnet wor¬
den wären, in denen „ausnahmsweise“ der Geistliche mit Er¬
laubniss des Gefangenen von seinen Enthüllungen in foro
externo Gebrauch machen oder ihn selbst zu einem Geständ-
niss vor der Behörde auffordern dürfe. Das Schiedsgericht
hat mein angeführtes Verfahren im Falle des Sempronius als
„bedenklich“ und „gefährlich“ und „in seiner Anwendung das
Beichtinstitut schädigend“ bezeichnet.
In einer wiederholten Vorstellung betonte ich, dass Sem¬
pronius ja ausserhalb der Beicht die in derselben vorge¬
tragene Bitte, ihn beim Director zu melden, wiederholt an
mich gerichtet habe, dass ich also nicht einzusehen vermöchte,
wie mein Verfahren die Ehrfurcht vor der Beicht irgendwie
beeinträchtigen könne. Allein auch der zweite Bescheid hielt
obige Grundsätze aufrecht.
Zur Rechtfertigung meines Verfahrens berief ich mich, wie
ich es auch hier zum Schlüsse thue, auf einen Gewährsmann
von solcher Autorität, dass nach einer päpstlichen Declaration
Niemand fehl geht, der nach seinen Moralforderungen han¬
delt, auf den hl. Kirchenlehrer Alfons von Liguori. In
seinem Werke: „Homo apostolicus“, tractatus XVI. cap. 8
n. 156 sagt er wörtlich: „Non oritur fractio sigilli, si mani-
festat (confessarius) aliquid ex licentia poenitentis, quod
certe licitum est, ut docent multi cum S. Thoma contra
pauciores, qui dicunt, non posse poenitentes darc hanc
licentiam; sed nos dicimus cum communi, quod^) tale
Ich bitte die classische Latinität, an diesem und dem folgenden
quod sich nicht stossen zu wollen.
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207
sigillum, sicut tantum in favorem poenitcntium inipositum
est, ita ipsi possunt re movere. Advertendum tarnen, quctd,
ut confessarius uti possit tali licentia, debet esse 1. expressa
2. omnino spontanea 3. non revocata.“
Die von Sempronius mir ertheilte Licentia hatte, weil in
Form wiederholter Bitte gegeben, doch gewiss diese drei
Eigenschaften. Allein der höhere mir gewordene zweite Ent¬
scheid besagt: „Selbst wenn die Licenz vom Pönitenten voll¬
kommen spontan gegeben wird, ist es rathsam, einem
solchen Ersuchen nicht zu entsprechen.“ Indessen lässt dieser
zweite Erlass, in nachgiebigerem Geiste gehalten, doch die
Praxis zu, dass der Beichtvater nach oder ausser der Beicht
fragliche ^rlaubniss sich vom Pönitenten geben lassen dürfe.
Aus dem Vorgetragenen ist ersichtlich, dass der Beicht¬
vater in Gefängnissen ebenso ängstlich Alles vermeiden muss,
was die Beicht verdächtigen oder odiös machen könnte, wie
er anderseits mit Takt und Klugheit dieses Institut füglich
auch für den staatlich vorgeschriebenen und angestrebten
Strafvollzug fruchtbar machen darf. Ich selbst wenigstens
bin noch keinen Augenblick in meinem subjectiven und amt¬
lichen Gewissen über meine, dem Sempronius wie schon einer
Anzahl anderer Gefangenen gegenüber geübte Praxis beun¬
ruhigt worden.
n.
Im zweiten, weit kürzeren Theile dieser Abhandlung habe
ich es noch mit den thatsächlich unschuldig Ver-
urtheilten zu thun. Aber solche gibt’s ja gar nicht in einer
Strafanstalt? Freilich gibt es und zwar sind deren wenige
schon — sehr viele! Es sind namentlich einige Kategorien
von Anklagesachen, ich habe sie oben bereits bezeichnet, in
denen erfahrungsgemäss die meisten solcher Fälle und zwar
aus leicht erklärbaren Gründen Vorkommen. Ja, ich sage es
selbst auf die Gefahr hin, mitleidig belächelt zu werden: es
kommt vor, dass Einer sich einer strafbaren Handlung für
schuldig bekennt, obwohl er an dieselbe nicht einmal gedacht,
geschweige denn sie wirklich begangen hatte. Mehrere ecla-
tante Fälle könnte ich zur Erhärtung der Richtigkeit dieser
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Behauptung hier des Näheren schildern, will aber davon
sehen und zum Schlüsse eilen. Verlockende Vorspiegelungen,
bethörende Ueberlistung, verwirrende Drohung, selbst brutale
Misshandlung haben schon bei manchem Angeklagten zu solchen
„Schuldbekenntnissen“ die traurigen beklagenswerthen Dienste
der Folter leisten müssen.^) Ein Fall aus der Gegen¬
wart meiner Gefängniss-Praxis beweist mir, dass sogar eitle
Prahlerei einen Bauernburschen reizen konnte, sich als
Theilnehmer an einer „ländlichen“ Schlägerei, in der die
scheusslichsten Rohheiten verübt worden waren, zu bekennen
und jetzt, zu mehrjähriger Strafe mit zwei Anderen verurtheilt,
verwünscht und verflucht er sein prahlerisches Lügenmaul.
Es half ihm nichts, dass er bei der Hauptverhandlung sich
vor allen Anwesenden selbst als einen verlogenen Prahlhans
hinstellte. Seiner belastenden Lüge wurde mehr Glauben
geschenkt, als dem nachträglichen Widerruf derselben.
Solche Unglückliche nun, die für „unschuldig“ zu halten
ich triftige Gründe habe, besitzen jeweils mein vollstes Mit¬
leiden. Mit ihnen umzugehen, ist eine peinliche Aufgabe, so
peinlich, dass Einem oft die Zunge gelähmt wird und man
gewaltsam an sich halten muss, um nicht noch ihren miserenden
Zustand durch unvorsichtige, vom Herzen dictirte Aeusse-
rungen zu verschlimmern. Man wird dies leicht begreifen und
verstehen. Der Seelsorger wird ihnen zwar niemals in’s Ge¬
sicht einräumen, dass er sie für unschuldig hält, das darf
er als Gefängnissbeamter durante et vigente judicio gar nicht.
Er wird sie durch Hinweis auf Gottes unerforschliche Rath¬
schlüsse, Fügungen und Zulassungen mit ihrem Schicksal zu
versöhnen, wird ihnen sogar hin und wieder den Trost zu
spenden suchen, dass es schliesslich, im wahren Lichte be¬
trachtet, dem Menschen besser sei, unschuldig zu leiden als
unter dem doppelten Drucke schwerer Schuld. Der Seelsorger
wird ihnen gegenüber stets bereit sein, durch warme Für¬
sprachen und Empfehlungen bei den Behörden ihnen Vergün-
*) Was ich hier schreibe, ist ganz allgemein aufzufassen, da ich
weit entfernt bin, auf bestimmte Persönlichkeiten anspielen zu wollen. Es
handelt sich um Erfahrungen, die allerwärts gemacht werden können,
sowie um den Ausdruck meiner lediglich moralischen Ueberzeugung.
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209
stigungen und Erleichterungen zu verschaffen, wird häufiger
sie aufsuchen und durch freundliche, erheiternde Gespräche,
unverfängliche Mittheilungen von der Aussenwelt sie zerstreuen,
unterhalten, aufheitern. Immerhin bleiben diese Aermsten der
Gegenstand steter seelsorgerlicher Bekümmerniss, da man ihnen
meistens die einzig gewünschte und ersehnte Hilfe, die Be¬
freiung, nicht zu erwirken vermag. Die Urtheilssprüche sind
nämlich in allen Fällen formell richtig, unanfechtbar und
unumstösslich, anderseits neue durchschlagende Beweise der
Unschuld nicht oder nur sehr schwer zu erbringen, so dass
mir bis jetzt noch kein einziger Fall bekannt wurde, wo ein
Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens irgend welchen
Erfolg gehabt hätte. — Noch ein anderer Weg steht endlich
dem Geistlichen offen und ich habe ihn schon wiederholt
betreten, um einem Unschuldigen die Erlösung zu bringen,
nämlich: in Uebereinstimmung mit dem Strafanstalts-Vorsteher,
der das Urtheil des Geistlichen gewiss respectiren wird, weil
dieser die Leute besser kennen zu lernen vermag als er, an
die höchste Behörde gutächtlich berichten! Wo keine
Schuld vorhanden ist, kann die Begnadigung von einem vor¬
ausgegangenen Geständniss nicht abhängig gemacht werden
und es wäre unmoralisch, durch Erweckung solcher Hoff¬
nungen den Unschuldigen zu einem unwahren „Geständniss“,
zu einer Lüge zu verleiten. Ein wahrhaft Unschuldiger ver¬
steht sich denn auch niemals zu einem derartigen Hilfsmittel
und duldet eher weiter, als dass er „ja“ sagte, wo sein Ge¬
wissen ihm lediglich das „nein“ befiehlt. Da sollte nun die
oberste Behörde dem Urtheil der Anstaltsbeamten, ins¬
besondere des Geistlichen, unbedingtes Vertrauen schenken.
Dürfte man sich doch dessen fest versichert halten, dass er¬
fahrene, mit gesundem Blick begabte Gefängnissbeamte nicht
leicht sich dupiren lassen, dass sie ächte und simulirte Un¬
schuld wohl zu unterscheiden verstehen. Wer Jahre lang
mit Verbrechern verkehrt, der weiss gar wohl, wie wahre
und wie geheuchelte „Unschuld“ sich geberdet. Misstrauen
und Skepsis setzt sich, je länger man Gefängnissbeamter ist,
desto tiefer in Einem fest. Die Leichtgläubigkeit wird durch
Erfahrung bald curirt, und ich für meine Person kann be-
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theuern, dass ich mich bezüglich der Schuld frage noch kaum
an Einem Sträfling getäuscht habe.
Hiemit schliesse ich meine Ausführungen, für welche
ich die geehrten Leser um wohlwollende Aufnahme bitte.
Sie machen durchaus nicht den Anspruch auf absolute Rich¬
tigkeit, wohl aber auf denjenigen der tendenziösesten Un¬
befangenheit. Es würde mich sehr freuen, wenn aus der
Mitte meiner Collegen ein freundlicher Versuch der Be¬
richtigung gemacht würde. Die Sache ist unstreitig einer
allseitigen Beleuchtung würdig.
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Die Mmetall Weleii liel Cassel.
Von Director Kaldewey.
1. Allgemeines.
Die Strafanstalt Wehlheiden liegt südwestlich von der
Stadt Cassel, eine halbe Meile vom Innern derselben entfernt,
auf einem Hochplateau in einer an landschaftlichen Schön¬
heiten reichen Gegend. Sie bildet mit den Beamtenwohn¬
häusern eine eigene Colonie und hat mit dem 20 Minuten von
ihr entfernten Dorfe Wehlheiden nur den Namen gemein.
Wenn die Lage der Anstalt auch als eine gesunde be¬
zeichnet werden muss, so ist letztere doch allen Stürmen aus¬
gesetzt, die sich namentlich während des Herbstes in nicht
angenehmer Weise bemerkbar machen. Der Umstand, dass
die Anstalt auf einem unbewirthschafteten, abgelegenen Terrain
ohne praktikable Zuführungswege und ohne geniessbares Brun¬
nenwasser, sowie ohne Anschluss an eine bestehende Canali-
sation erbaut worden ist, hat den Bah zu einem schwierigen
und kostspieligen gemacht.
Um Trinkwasser zu erhalten, musste eine Wasserleitung
vom Habichtswalde bis zur Anstalt geführt, es mussten Ab¬
zugscanäle und Drainage angelegt und Rieselterrain geschaffen
werden.
Das Abwasser aus der Anstalt und den Beamtenwohn¬
häusern wird durch Canäle in ein Sammelbassin geleitet und
von hier aus auf das Terrain gepumpt, wo es zum Berieseln
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der Wiesen und Aecker Verwendung findet. Das Drainwasser
wird theils durch offene Abflussgräben, theils durch Böhren
zu dem ziemlich entfernten Fuldafluss geleitet.
Die Grösse des von der Ringmauer umschlossenen Terrains
beträgt 360 Ar, das ausserhalb der Anstalt liegende, als Riesel¬
terrain benutzte Land rund 400 Ar.
II. Grandriss-Anordnang.
Die Ringmauer bildet ein unregelmässiges Sechseck. Die
längste Seite derselben ist die Frontseite, von welcher recht¬
winkelig zwei Mauern von gleicher Länge ausgehen, an welche
unter Winkeln von 150® zwei gleich lange Mauern stossen,
die durch eine mit der Front parallel laufende Mauer ver¬
bunden sind.
Inmitten dieses umschlossenen Raumes liegt die eigent¬
liche Anstalt, aus 5 um eine Centralhalle gruppirten Flügeln,
einem Verwaltungsflügel und 4 Zellenflügeln bestehend.
Senkrecht zur Hauptfront steht der Verwaltungsflügel, an
welchen 2 Zellenflügel unter rechten Winkeln anstossen, also
eine gerade Linie bilden, während die beiden anderen Flügel
unter Winkeln von 60® mit den in gerader Linie liegenden
zusammenstossen. Da, wo sich die 5 Flügel treffen, befindet
sich die Centralhalle.
Zwischen den beiden in gerader Linie liegenden Flügeln
und den nach der Front zu liegenden Theilen der Ringmauer
sind 4 Höfe eingeschachtelt, welche derartig unter sich und
mit den 3 zunächst liegenden Flügeln verbunden sind, dass sie
in ihrer Mitte einen fünften Hof (den Vorhof) und da ihre
Mauern 6 Meter von der Ringmauer abgerückt sind, einen
Rondengang bilden.
Der Hof vor dem links liegenden Zellenflügel ist Wäsche¬
trockenplatz und enthält das Wirthschaftsgebäude. Der vor
diesem liegende Hof ist der Oeconomiehof. Der vor dem
rechts liegenden Zellenflügel befindliche Hof ist der Lazareth-
hof mit dem Lazareth, und der vor diesem liegende der Hof
für Arbeitsmaterialien.
Durch diese Grundrissanordnung ist die Möglichkeit gc-
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geben, alle Geräthe und Utensilien von der Umwährungs¬
mauer fern zu halten und der Anstalt einen hohen Grad von
Sicherheit zu gewähren. {Stevens „La construction des pri-
sons cellulaires“.)
Das Etablissement wird durch folgende Baulichkeiten ge¬
bildet: a) Thorbau, b) Verwaltungsflügel mit Kirche, c) Central¬
bau, d) vier Zellenflügel, e) zwei Schulgebäude, f) Lazareth,
g) Wirthschaftsgebäude, h) Stallgebäude, i) Schuppen, k)
Pumpenhaus, 1) Ringmauer, m) Abschlussmauer, n) Beamten¬
wohnhäuser. ^
a) Der Thorbau
besteht aus einem von 4 achteckigen, mit Zinnen gekrönten
Thürmen flankirten Mittelbau und zwei Seitenflügeln.
Der Mittelbau springt vorne und hinten vor; in ihm liegt
das Thor, welches den einzigen Zugang zur Anstalt bildet.
Der rechte Flügelbau ist unterkellert, er enthält im Erd¬
geschoss die Pförtnerstube und einen Theil der Pförtnerwoh¬
nung, während ein Theil der letzteren sich in der ersten Etage
befindet.
Der linke Flügelbau enthält die Militärwachtstube.
Die erste Etage des Mittel- und linken Flügelbaues ent¬
hält Magazine.
Rechts und links vom Thorgebäude befinden sich kleine
abgeschlossene Höfe; der links liegende Hof enthält die Be-
dürfnissanstalt für die Militärwache, der rechts liegende gehört
zur Pförtnerwohnung.
b) Der Verwaltungsflügel,
ein kirchenartiges Gebäude, enthält:
im Souterrain links: 1 Abort für Oberbeamte, 1 Reini¬
gungszelle, 2 Badezimmer für Beamte, 1 Aufnahmezelle, 1
Raum für die Mitteldruckheizung; rechts: 2 Räume für Luft¬
heizung, 4 Aufnahmezellen;
im Erdgeschoss: links: 1 Amtszimmer des katholischen
Geistlichen, 1 Werkmeisterzimmer, 1 Zimmer des Arbeits- und
Oeconomie-Inspectors, 1 Conferenzzimmcr, 1 Zimmer des Di-
rectors, 1 Besuchszimmer; rechts: Kasse, Secretariat, 1 Zim¬
mer des evangelischen Geistlichen, 1 Zimmer des Hausvaters;
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im zweiten Stockwerk: die Sakristei und die Kirche mit
385 abgeschlossenen .Einzelsitzplätzen (stalls), welche amphi¬
theatralisch ansteigen und im höchsten Theile von der Orgel
überragt werden. Der Orgel gegenüber befindet sich eine
Empore mit Altar, Kanzel und Sitzplätzen für die Beamten.
Unter der Kanzel im SchiflT der Kirche befindet sich ein
zweiter Altar, welcher beim Spenden des heiligen Abend¬
mahls benutzt wird.
Die Kirche ist durch 12 grosse Fenster mit Sandstein¬
einfassung hell beleuchtet.
c) Centralhalle
bildet im Grundriss ein unregelmässiges Achteck. Fünf Seiten
grenzen an die Zellenflügel und drei bilden die mit mächtigen
Fenstern versehenen Zwischenräume zwischen je zwei Flügeln.
Die die Flügel mit der Centralhalle verbindenden Hälse sind
in jeder Etage mit 8 eisernen Fenstern versehen. Der Raum
zwischen zwei Hälsen ist bis zur Höhe des ersten Stockes
ausgebaut, wodurch im Souterrain ein grosser Lagerraum, im
Erdgeschoss ein geräumiger Arbeitsraum geschaffen ist.
d) Die vier Zellenflttgel.
Von denselben enthalten;
Zellen fl ügel A: im Souterrain links: 1 Heizerzelle,
1 Raum für die Heizung, 1 Tischlerwerkstatt, 3 Magazin¬
räume; rechts: 1 Glaser- und Anstreicherwerkstatt, 1 Raum
für die Heizung, 1 Heizerzelle, 4 Magazinräume.
Zellenflügel B: im Souterrain links: 1 Raum für die
Heizung, 5 Magazine, 1 Heizerzelle; rechts: 1 Raum für die
Heizung, 1 Kohlenraum, 1 Schmiede, 2 Magazine, 1 Heizer¬
zelle ;
Zellen fl ügel C: im Souterrain links; 1 Klempnerwerk-
statt, 3 Badezellen für Gefangene, 1 Schmiede und Schlosserei,
1 Heizerzelle, 1 Raum für die Heizung; rechts: 5 Badczellen
für Gefangene, 1 Raum für die Heizung, 1 Raum zur Erwär¬
mung des Badewassers, 1 Magazin; am Ende des Flügels; 2
Arbeitsräume für 20 bis 25 Gefangene;
Zellen fl ügel D: im Souterrain links: 5 Strafzellen,
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1 Heis^erzelle, 1 Raum für die Heizung; rechts: 3 Strafzellen,
1 Geräthraum, 1 Heizerzelle, 1 Raum für die Heizung; am
Ende des Flügels: 1 Waschraum für Gefangene, 1 Raum mit
90 Schlafboxes.
Im Erdgeschoss, im ersten und zweiten Stockwerk sämmt-
licher vier Zellenflügel ist die Eintheilung gleich. Jedes Stock¬
werk enthält: 1 Aufseherzelle, 1 Spülzelle und 34 Isolirzellen;
mithin enthalten die vier Flügel: 12 Aufseherzellen, 12 Spül¬
zellen, 408 Isolirzellen.
e) Die beiden Schulgebäude
liegen in der Verlängerung derjenigen beiden Zellenflügel,
welche un^er Winkeln von 60® auf die Centrale stossen. Sie
sind mit den Flügeln durch eine bedeckte Halle verbunden.
Jede Schule enthält 40 abgeschlossene Einzelsitzplätze (stalls),
welche amphitheatralisch ansteigen.
O Das Lazareth
enthält im Kellergeschoss: 1 Leichenkammer, 1 Sectionszim-
mer, 3 Kellerräume; im Erdgeschoss: 1 Zimmer für den Arzt,
dasselbe ist zugleich Apotheke, 1 Badezimmer, 1 Zimmer für
den Aufseher, dasselbe ist zugleich Theeküche, 1 Kranken¬
zelle, 2 Krankenzimmer, 1 Spülzelle; im ersten Stockwerk:
2 Krankenzellen, 3 Krankenzimmer, 1 Spülzelle.
g) Das Wirthschaftsgebäude
enthält im Souterrain: 7 Kellerräume, 1 Pumpenraum; im
Erdgeschoss: 1 Gemüseputzstube, 1 Küchenraum, 1 Brod-
schneidestube, 1 Aufbewahrungsraum für Küchenbedürfnisse,
1 Waschküchenraum, 1 Aufbewahrungsraum für Seife und
Soda, 1 Mehlkammer, 2 Backstuben, 1 Brodkammer; im
Dachgeschoss: 1 Wäschetrockenkammer, 1 Aufbewahrungs¬
raum für die eigenen Kleider der Gefangenen, l Wäsche-
sortirraum.
h) Das Stallgebäude
enthält im Souterrain: 1 Kühlkammer; im Erdgeschoss: 1 Stall
für 10 Kühe, 1 Stall für 4 Pferde, 5 Schweineställe, 1 Mol¬
kerei, 1 Aufseherzimmer, 1 Raum für den Pferdeknecht.
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i) Die Schuppen
enthalten: 2 Wagenschuppen, 1 Schuppen für die Feuerspritze,
1 Kohlenschuppen, 4 Holzschuppen.
k) Das Pumpenhaus
steht ausserhalb der Ringmauer. In ihm befindet sich das
Sammelbassin für das Abwasser und über diesem die Pumpe,
vermittelst welcher das Abwasser auf das Rieselterrain ge¬
pumpt wird.
1) Die Ringmauer
ist incl. Thorgebäude 730 m lang und 5,52 m hoch. Sie be¬
steht aus 155 gewölbten Bogen, die mit Bruchsteinen aus-
gemauert sind. Pfeiler und Bogen sind aus rothem Sandstein.
Die Ringmauer ist mit dachartig behauenen Sandsteinen ge¬
krönt, welche nach beiden Seiten abfallen. Ausser den Thor¬
thürmen sind noch acht Thürme in der Mauer angebracht, die
der ganzen Anlage ein festungsartiges Ansehen geben.
m) Die Abschlussmauer.
Die Mauern der eingeschachtelten Höfe sind aus Ziegel¬
steinen erbaut, sie sind 5,52 m hoch und mit halbrunden Sand¬
steinen gekrönt.
n) Die Beamten Wohnhäuser.
Es sind an Beamtenwohnungen vorhanden: 1 Gebäude,
die Wohnung des evangelischen Geistlichen und des Directors
enthaltend; 1 Gebäude, die Wohnung für zwei Lehrer und
zwei Oberaufseher enthaltend; 2 Wohnhäuser von gleicher
Construction, in dem einen wohnen zwei Inspectoren, in dem
anderen der katholische Geistliche und ein Inspectionsassistent;
7 Wohnhäuser für Aufsichtsbeamte, jedes 4 Wohnungen ent¬
haltend.
Sämratliche Beamten Wohnhäuser liegen in Gruppen der
Anstaltsfront gegenüber derartig, dass sie derselben eine
Giebelseite zuwenden und zwischen den Häusern und der An¬
stalt eine Strasse bleibt. Jedes Haus liegt vom anderen ab¬
gesondert und ist mit Anlagen umgeben. In den Wohnungen
der Oberbeamten sind die Zimmerwände mit Tapeten bekleidet,
in den Wohnungen der Aufseher in Leimfarbe gehalten. Die
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Fussböden in sämmtlichen Wohnungen sind mit Oelfarbe ge¬
strichen. Jedem Beamten ist eine Gartenparzelle überwiesen.
UL Einrichtung der Gebäude.
Sämmtliche Gebäude, mit Ausnahme der aus Holz errich¬
teten Schuppen und des bereits erwähnten Thorgebäudes, sind
aus Ziegelsteinen erbaut und unverputzt. Die Wände im In¬
nern der Anstalt sind, mit Ausnahme der Waschküche, welche
einen Oelfarbenanstrich besitzt, in Leimfarbe gehalten, jedoch
ist in den Corridoren, sowie in der Kochküche ein Sockel in
Oelfarbe gestrichen. Auch über dem Abort in den Zellen ist
eine bestimmte Wandfläche mit einem Oelfarbenanstrich ver¬
sehen. Die Galerien in den Zellenflügeln und die Verbindungs¬
brücken zwischen denselben bestehen aus Trägern aus Walz¬
eisen, die bei den Galerien auf gusseisernen Consolen ruhen.
Der Belag besteht aus eichenen Bohlenstücken. Das Geländer
ist aus Schmiedeeisen mit einer hölzernen Wulst als Handhabe.
Die vor den Flügeln liegenden, nach den Höfen führenden
Treppen, die Treppen im Verwaltungsflügel, im Lazareth, im
Wirthschafts- und Thorgebäude, sowie die aus den Zellen¬
flügeln in das Souterrain führenden Treppen sind aus Stein.
In den Corridoren der Zellenflügel sind zwei Arten Trep¬
pen vorhanden, solche, die in gerader Flucht vom Erdgeschoss
bis in die zweite Etage führen und solche, an den betreffenden
Hälsen angebracht, die zwei Galerien mit einander verbinden.
Erstere Art besteht aus Trägern von Walzeisen, auf welche
die gusseisernen, dreieckigen Träger der Trittbretter aufge¬
schraubt und bei denen an Stelle der Stossbretter gusseiserne
durchbrochene Platten eingesetzt sind. Bei der zweiten Art,
welche im oberen Theile in eine Wendeltreppe übergeht, ist
jedes Stufengestell aus Gusseisen und die einzelnen Stufen-
theile sind mit einander verschraubt. Bei beiden Arten sind
die Geländer von Schmiedeeisen und tragen oben einen höl¬
zernen Wulst als Handhabe. Die Trittbretter sind bei beiden
Treppen von Holz.
Die Dachstühle sind aus Holz.
Das Souterrain der Centrale ist auf eisernen Schienen,
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welche theils auf gusseisernen Säulen, theils im Mauerwerk
ruhen, eingewölbt. Die Gewölbe der Hälse ruhen auf eisernen
Schienen. Die Zcllenfliigel sind durch Sonnengewölbe ge¬
schlossen. Die Centrale trägt eine Decke von Wellblech.
Als Daclibedeckung ist beim Thorgebäude Schiefer, bei
den Schulen und den -Schuppen Pappe zur Anwendung ge¬
langt, während alle anderen Gebäude mit Falzziegeln ein¬
gedeckt sind.
Die Anstalt selbst, das Thorgebäude und das Lazareth
sind mit Blitzableitern versehen.
Die Fensterrahmen in den Bureaus und Zellen sind aus
Eichenholz. Die Fenster der Kirche, der Schulen, der Cen¬
trale, der Hälse und der Giebelseiten der Zellenflügel sind
aus Eisen.
Die Feiisterbrüstungen sind aus weissem Sandstein, die
Fenstereinfassung an der Aussenseite ist aus glasirten Ziegeln
hergestellt.
Sämmtliche Fenster mit hölzernen Rahmen sind mit
schmiedeeisernen Gittern versehen, welche bei den Zellen¬
fenstern aus Rundeisenstäben von 23 mm Durchmesser, die
140 mm Entfernung im Lichten haben und durch 60 mm breite
und 12 mm dicke Flacheisenstäbe gehen, gebildet sind.
Die Fenster in den Bureaus können vollständig, die eisernen
Fenster in der Anstalt nur zum Theil geöffnet werden. Die
Zellenfenster von 1 □ m Grösse können im oberen Drittel
nach innen zu geöffnet werden. Dieses Oeffnen, sowie das
Schliessen wird von den Gefangenen selbst besorgt. Den Ver¬
schluss des Fensters bildet ein Federschloss. Zieht der Gefan¬
gene an einer am Schloss angebrachten eisernen Stange in
seitlicher Richtung, so zieht er vermittelst einer Feder eine
hinter einen Haken greifende Zunge zurück und das Fenster
fällt auf zwei Winkelbleche, auf welchen es im ganz geöffneten
Zustande, unter einem Winkel von 75®, ruht. Zum Schliessen
genügt ein einfaches Zuschlägen. Im feststehenden Theil des
Fensters befindet sich noch eine Luftklappe, welche indess
nur vom Aufseher geöffnet und geschlossen werden kann. Die
Verglasung der Fenster ist bei der Kirche theilweise mit
buntem, theilweise mit gewöhnlichem, beim feststehenden Theil
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des Zellenfensters und beim unteren Theil der Fenster des
Lazareths mit gereifeltem, bei allen anderen Fenstern mit ge¬
wöhnlichem Glase erfolgt.
Das Haupteingangsthor ist von Eichenholz. Dasselbe be¬
steht aus zwei Flügeln; in einem befindet sich eine Pforte
für Fussgänger. Die nach dem Vorhofe zu belegene Oeffnung
des Thorgewölbes wird während der Dunkelheit durch ein
eisernes Thor geschlossen. Rechts und links vom Thorgebäude
führen zwei eiserne stets verschlossene Thore in die Ronden¬
gänge.
Die Thore zwischen Vorhof und Einzelhöfe, sämmtliche
Haus- und Zellenthüren sind aus Eichenholz, die Thüren des
Bureaus aus Tannenholz.
Länge der Zellen 3,95 m, Breite 2,30 m, Höhe bis zum
Gewölbe 2,53 m. Die Thürnische befindet sich in der Zelle.
Höhe der Thürnische 2 m, Tiefe 0,48 m, Breite 0,95 m. Grund¬
fläche der Zellen 9,5 Dm und Inhalt derselben 25 cbm.
Der Fussboden ist von Holz mit Leinöl getränkt. Die
Zellen wände sind mit Kalkputz versehen, dessen Weisse durch
einen geringen Zusatz von grüner Farbe gebrochen ist. Die
Decke ist weiss. Die Thürzarge ist von rothem Sandstein.
Die Thürhaken sind von innen nach aussen durch die Thür-
zarge gelassen und aussen vermittelst Muttern festgeschraubt.
Die Thüre ist 48mm stark, in Naturfarbe gehalten. In
den Thüren befinden sich Speiseklappen. Die Breite der Klap¬
pen beträgt 23 cm, die Höhe 22 cm, die Höhe der Klappe
vom Fussboden 1,11 m. An der Innenseite der Thüre ist ein
eiserner Knopf angebracht, der zum Oeffnen der Thüre dient.
Die Breite der Thüre beträgt 74 cm, die Höhe 2,5 m.
Die Observationseinrichtung besteht aus einem eisernen
Trichter, der so in die Thüre eingelassen ist, dass die kleinere
Oelfnung nach aussen, die grössere aber nach innen geht. Die
Thüröffnung ist durch eine kleine Glasscheibe geschlossen.
Vorne hängen zwei eiserne kreisförmige Scheiben, welche sich
um einen Stift drehen, von denen die untere ein kleines Loch
Tür geheime Observirung enthält, während die obere ohne
Oeffnung ist und das Loch verdeckt.
Die Thürangeln bilden in ihrer Fortsetzung zwei starke
Blätter für Qefängnieskunde. XIX. 15
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Eisenschienen, welche an der Aussenseite einen starken Thür¬
beschlag bilden.
Die Speiseklappo ist von innen durch eiserne Streifen ein- j
gefasst. Die Thüren sind in der Mehrzahl innerhalb am Rande ’
mit eisernen Winkeleisen beschlagen, in der Minderzahl mit
einer Eisenhaut überzogen. Zwei Krallen greifen bei geschlos¬
sener Thür in die Thürzargen. Das Thürschloss ist eintourig,
es kann nur vom Corridor aus mittelst des Schlüssels geöffnet
werden. Zum Verschliessen dient ein am Schlosse befindlicher
Griff; eine Viertelumdrehung desselben verschliesst die Zelle.
Die Thüre schlägt links nach innen auf.
Der Abort befindet sich theils in der linken, theils in der
rechten Ecke. Er wird gebildet durch einen aus Stein ge¬
mauerten, mit Cementschichten durchsetzten Sockel, 24 cm hoch,
auf welchem eine Schieferplatte ruht. An beiden Wänden
befinden sich, senkrecht auf der horizontal liegenden, zwei
Schieferplatten, auf welchen eine mit Brillenloch versehene
Schieferplatte angebracht ist. Zwischen die horizontal liegen¬
den beiden Platten wird das aus Steingut bestehende Gefäss
mit Wasserverschluss geschoben. Der Zwischenraum zwischen
den beiden Schieferplatten beträgt im Lichten 19 cm. Stärke
der Schieferplatten 8 cm. Länge der Schieferplatten, an der
Wand gemessen, 45 cm.
Es sind zwei Arten Bettstellen im Gebrauch; in drei Flü¬
geln Klappbettstellen, in einem table-lits. Die Klappbettstellen
haben einen Rahmen von Bandeisen, die table-lits von Gurten.
Die Matratzen sind dreitheilig mit Indiafaser, das Kopf¬
polster ist mit gleichem Material gestopft. Betttuch von weissem
Leinen. Decken und Kopfpolster-Bezug von blau und weiss
gestreiftem Stoff. Zwei wollene Decken.
Die Ventilationsöffnung liegt über dem Abtrittsgefass und
führt in einer für jede Zelle besonderen Röhre in der Corridor-
wand hinauf bis zum Dachgeschoss. Sie ist 25 cm hoch und
12 cm breit und mit einem Drahtgitter versehen. Ueber der
Zellenthüre ist eine zweite Oeffnung von 12 cm Quadrat, welche
die Zellenluft mit der Luft des Corridors in Verbindung bringt.
Auch diese Oeffnung ist mit einem Drahtgitter versehen.
Der Zellenschrank ist in vier Abtheilungen getheilt; eine
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Abtheilung ist zur Aufnahme des Essnapfes, des Wasserglases
und des Löflfels bestimmt, die zweite für Bücher und Schreib¬
zeug, die dritte für Bürsten etc., die vierte für Brod und Salz.
Unter dem Schraitke befinden sich vier Pflöcke zum Aufhängen
der Kleider. Der Tisch ist ein sogenannter Klapptisch, der
vermittelst zweier Cliarniere an der Wand befestigt ist. An
einer Seite des Schrankes hängt der Thermometer und das
Inventarienverzeichniss. An einem Wandriegel hängen: Klopf¬
stock, Cylinderreinigungsbürste, Borstfeger, Müllschaufel und
Pensa-Tabelle. An sonstigem Inventar ist in der Zelle vor¬
handen: ein transportabler Schemel, ein Wasserkrug, ein Wasch¬
becken aus Zinkblech, ein Eimer für Schmutzwasser aus Zink¬
blech, ein Spucknapf aus Holz.
Die Aufseherzelle befindet sich am Anfang jeder Station,
sie ist -ungefähr doppelt so gross als eine Isolirzelle und ist
nach aussen vorgebaut, um die ganze Front des Zellenflügels
übersehen zu können. Jede Station hat eine Spülzelle in
doppelter Isolirzellengrösse mit Asphaltboden. In dieser dient
zur Entleerung der Closetgefässe ein eisernes, weiss emaillirtes
Ausgussbecken, aus welchem die eingeschütteten Stoffe durch
Röhren in den Abfuhrwagen gelangen. Zu beiden Seiten des
Entleerungsbeckens befinden sich zwei Spülbecken, ebenfalls
von Eisen und emaillirt, von etwas kleineren Dimensionen als
das Entleerungsbecken. In diesen Spülbecken werden die
Closetgefässe mit reinem Wasser ausgespült; das Spülwasser
gelangt durch Röhren in den Canal.
IV. Electrische Apparate.
Die Bureaus sind mit dem Stand des Oberaufsehers in
der Centrale durch Fernsprecheinrichtungen verbunden. Von
zwei verschiedenen Punkten des Souterrains aus kann durch
Druck auf angebrachte Knöpfe die Glocke in der Centrale in
Bewegung gesetzt werden. Von der Centrale aus geht eine
electrische Alarravorrichtung in die Wohnung des Pförtners.
Auch können die beiden Militärposten in den Rondengängen
durch Druck auf Knöpfe die Signalglocke auf der Wachtstube
in Bewegung setzen.
15 *^
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Im Innern einer jeden Zelle befindet sich neben der Thtire
ein Knopf an einer durch die Wand gehenden Druckstange,
welche in einem vor der Zelle auf dem Corridor befindlichen
Kästchen endet. Drückt der Gefangene auf den Knopf, so
schlägt die Glocke der betreffenden Station an und gleich¬
zeitig fallt aus dem Kästchen eine Blechplatte nieder, welche
eine horizontale Lage annimmt und diejenige Zelle markirt,
von welcher aus das Signal gegeben ist. In der . Centrale be¬
finden sich vier Nummerkasten, vor jedem Zellenflügel einer,
an welchen durch Herabfallen einer Nummer diejenige Station
bezeichnet wird, in welcher die Signalglocke in Bewegung
gesetzt worden ist. Der Oberaufseher kann nun sofort sehen,
ob der Stationsaufseher sich zu demjenigen Gefangenen ver¬
fügt, von welchem das Signal ausgegangen ist.
y. Lazareth.
Die Krankenzellen sind 48 cbm gross, die Krankenzimmer
enthalten 40 cbm pro Kopf. Die Fussböden der Gorridore,
der Spülzellen und der Badezelle sind asphaltirt, die Fuss-
boden der Krankenzimmer und Zellen sind von Holz. Die
Heizung wird durch Oefen erzielt, welche zugleich zur Venti¬
lation benutzt werden. Der Ofen in der Badezelle dient zu¬
gleich zur Erwärmung des Bade wassere. Die Oefen werden
vom Corridor aus geheizt. Die Absaugung der schlechten Luft
geschieht in jedem Zimmer durch eine am Fussböden und eine
unter der Decke befindliche Oeffnung, welche durch Röhren
mit einem, Winter tind Sommer erwärmten Aspirationsschlot
in Verbindung stehen. Die Röhren können gereinigt werden.
In jedem Krankenzimmer befindet sich ein portatives Abtritts-
gefass aus Steingut mit Wasserverschluss.
Die Bettstellen sind von Eisen mit Drahtmatratze. In der
Badezelle sind Einrichtungen für Vollbäder, Brausen und
Strahldouchen.
VI. Koch- and Waschküche.
In der Speiseküche ist der Senking’sche Militär-Menage-
Herd, den Verhältnissen der Anstalt angepasst, in Anwendung.
Durch diesen Herd soll erreicht werden: die Verhütung des
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Anbrennens der Speisen, eine Erspamiss an Brennmaterial und
die Verhinderung des Verdampfens werthvoller Substanzen,
wie Bouillon etc.
Ersteres wird erreicht durch Kochen der Hülsenfrüchte,
Gemüse, Kartoffeln etc. im Wasserbade, das Zweite durch
Begulirung des Feuers vermittelst des Bauchschiebers und
das Dritte durch Aufschrauben der Deckel auf die Kessel.
Es sind 2 Kessel k 600, 2 k 500 und 1 k 270 Liter vor¬
handen, ausserdem ein Herd mit Kochlöchern und einem klei¬
neren Kessel zur Bereitung der Krankenkost.
Der einzelne Kochherd besteht aus einem eisernen Mantel,
in welchem die Züge für die Feuerung mit Chamotstcinen aus¬
gemauert sind und welcher mit Ofen- und Aschenthüre ver¬
sehen ist. Der Mantel hat oben eine ringförmige Platte, welche
den eisernen Kessel trägt. In dem Kessel wird ein aus ver¬
zinntem Eisenblech mit Löchern und losem Einsatzboden ver¬
sehener Kocheinsatz von solchen Dimensionen eingesetzt, dass
zwischen ihm und dem Kessel ein leerer Raum bleibt. Die zu
kochenden Gegenstände werden in den Kocheinsatz geschüttet
und mit Wasser bedeckt; dasselbe dringt durch die Löcher
des letzteren bis an die Kesselwand, während erstere im Koch¬
einsatz bleiben und mit der Kesselwand während des Kochens
nicht in Berührung kommen. Die Kessel werden während des
Kochens hermetisch verschlossen. Die Deckel sind mit einem
Gummiring versehen und schliessen fest auf die Kessel. Eine
Anzahl Schrauben pressen Kessel und Deckel fest aufeinander.
Im oberen Theil befindet sich das Ventil, welches durch
Drehen eines Kegels den Grad des Kochens anzeigt. Der
Wrasen wird durch ein Rohr in einen an der Wand befind¬
lichen eisernen Behälter geleitet.
Koch- und Waschküche sind ohne Verbindung mit ein¬
ander. Kochkesselfeuerungen und Dampfkesselfeuerung liegen
um einen in ihrer Mitte befindlichen Schornstein, dessen Um¬
mantelung zugleich als Aspirationsschlot dient. In der Tren¬
nungswand beider Küchen befindet sich ein nicht zu öffnendes
Fenster, um von einer Küche aus die andere übersehen zu
können, was nöthig wird, wenn einer der beiden Aufseher
durch den anderen vertreten werden muss.
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Im Erdgeschoss der Waschküche befinden sich: 1 Dampf¬
kessel, 2 Einweichbottiche von Holz, 2 Bückgefässe von Eisen,
1 kupferner Waschkessel, 1 Spülmaschine, die nöthigen Wasch¬
fässer, 1 Centrifugal-Trockenmaschine, 1 Condensationstopf,
1 Speisereservoir mit Speisepumpe.
In der Bodenetage befinden sich: 1 Kaltwasserreservoir,
1 Warmwasserreservoir, 1 Schnelltrockenapparat, 1 Drehrolle.
Ein Aufzug verbindet Waschküche und Trockenboden.
Die erzeugten Dämpfe werden verwendet: zur Erwärmung
des Schnelltrockenapparats, des Wassers in den Bückgefässen,
dem Waschkessel und dem Warm Wasserreservoir.
Heiznng.
Lazareth, Gemüsestube, Badezellen und Strafzellen haben
Localheizung, die Kirche Luftheizung, die Centrale, die Flügel
mit den Zellen und die Bureaus Centralheizung und zwar
Heisswasserheizung. (Beschreibung derselben Band XVII. Heft
1 u. 2, Seite 18.) Die hiesige Anlage unterscheidet sich von
der Freiburger hauptsächlich dadurch, dass eine Luftzuführung
mit derselben verbunden ist. Die erwärmte Luft dringt durch
in den Flügeln angebrachte durchbrochene Eisenplatten in die
Corridore und verstärkt die den Heisswasserröhren aus¬
strömende Wärme.
Mit den Heizsystemen ist ferner eine Luftaufsaugung ver¬
bunden und eine Feuerstelle in jedem Flügel dient zur Er¬
wärmung der Röhren im Aspirationsschlot.
Beleuchtung.
Petroleum.
Wasserleitung.
Die Wasserversorgung geschieht durch eine für die An¬
stalt eigens angelegte Wasserleitung, welche eine Länge von
V 2 Meile besitzt. In drei thalartigen Schluchten des Habichts¬
waldes sind eine Anzahl Quellen aufgesucht, aus denen reines
frisches Quellwasser von vorzüglicher Güte durch Röhren in
Quell- und Sammelbrunnen geleitet wird, aus welchen es
durch ein Hauptrohr dem Wasserreservoir zuströmt. Letzteres
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225
kann 120 cbm Wasser aufnehmen und ist mit Ueberlauf- und
Entleerungsvor^htungen versehen. Aus dem Hauptreservoir
strömt das Wasser nun direct der Anstalt zu. Die Röhren
sind theils aus Thon, theils aus Eisen. Luftventile und Ent¬
leerungsvorrichtungen sind in genügender Weise in der Rohr¬
leitung angebracht. Vor der Mündung des Hauptrohres in
der Anstalt ist der Wassermesser. Für den Fall des Ver¬
sagens der Leitung befinden sich auf den Böden der Anstalt
Reservoire, welche aus einem in der Anstalt befindlichen
Brunnen gespeist werden können. Es sind Vorrichtungen
vorhanden, welche ein Absperren des Wassers überhaupt, wie
auch in jedem einzelnen Gebäudetheil ermöglichen. In jeder
Etage der Anstalt sind zwei Wasserhähne mit Ausgussbecken
vorhanden. Die Wohnungen der Oberbeamten haben directen
Wasserzufluss, während die Unterbeamten ihren Wasserbedarf
aus in den Strassen angebrachten Pumpenstöcken beziehen
können.
Vorsichtsmassregeln gegen Fenersgefahr.
Das vorzugsweise zur Verwendung gelangte Baumaterial,
Stein und Eisen, gibt der Anstalt einen ziemlich hohen Grad
von Sicherheit gegen Feuersgefahr. Nur die Kirche mit dem
hölzernen Gestühle und der Holzdecke ist als ein gefährdeter
Gebäudetheil zu betrachten.
Als Schutzmittel gegen Feuersgefahr sind vorhanden:
a) die Blitzableiter, b) zwei Feuerspritzen, c) 30 Feuerhähne
mit Schläuchen und Strahlrohr in der Hauptgebäudeanlage,
d) 3 Feuerhähne im Lazareth und 2 im Wirthschaftsgebäude,
e) 10 Hydranten (3 in den Strassen zwischen den Beamten¬
wohnhäusern, 1 im Vorhof, 1 im Wirthschaftshof, 1 im Oeco-
nomiehof, 3 zwischen den Zellenflügeln und 1 im Lazarethhof).
Hofanlagen.
Ausser den bereits genannten, besonders eingefriedeten
Höfen befinden sich zwischen vier Flügeln die offenen Spazier¬
höfe für die Gefangenen. Als Spazierweg ist die Kreisform
gewählt. Jeder Kreis hat einen inneren Durchmesser von
37 m. Die Wege sind mit einer Kiesschüttung versehen, die
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226
Flächen dienen zur Gewinnung von Gemüsen und Viehfutter.
Der Lazarethhof ist mit Gartenanlagen geziert. Auf dem
Trockenplatz und dem Arheitshofe befinden sich Rasenflächen.
Der Oeconomiehofvist gepflastert.
Die Correspondenz der Gefangenen wird durch Aufsicht
verhindert. Zu diesem Zwecke öflfnet der Stationsaufseher
eine Zelle und lässt den Gefangenen heraus; erst wenn dieser
10 Schritte entfernt ist, wird der nächste Gefangene herausge¬
lassen u. s. f. bis der letzte Gefangene die Station verlassen hat.
Der Ausmarsch wird von den Aufsehern der benachbarten
Stationen und vom Oberaufseher in der Centrale überwacht.
In der zum Hofe führenden Thüre steht ein Aufseher,
der die Gefangenen an sich vorbeipassiren lässt und sie bis
zum EintreflTen auf dem Spazierhofe überwacht. Wenn der
letzte Gefangene die Thüre passirt hat, schliesst dieser Auf¬
seher die Thüre und nimmt an der äusseren Peripherie des
Spazierhofes Aufstellung. Im Centrum steht ein zweiter Auf¬
seher; beide üben während des Spazierganges die Aufsicht
aus. Die Gefangenen marschiren mit Intervallen von 10 Schritt.
Nach beendetem Spaziergang wird der Rückmarsch in der¬
selben Weise angetreten.
Beamtenpersonal.
Es sind vorhanden: 1 Director, 2 Inspectoren, 2 Inspec-
tions-Assistenten, 2 Kanzlisten, 2 Geistliche, 1 Arzt, 2 Lehrer,
1 Hausvater, 2 Oberaufseher, 1 Werkmeister, 26 Aufseher, 1
Maschinist, 1 Rieselmeister, 1 Fuhrmann.
Belegnngsfähigkeit.
Die Anstalt vermag aufzunehmen:
in Einzelzellen.408
„ Heizerzellen.9
„ Lampenreinigungszellen ... 2
„ einer Zelle für den Pferdeknecht . 1
„ Schlafboxes.90
im Lazareth . . • . . . , 20
Sa. 630 Köpfe.
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227
Kosten der Anlage.
Die Gesammtkosten betragen . . . 2 876 000 «/Ät
Darunter:
für
die Ringmauer
149000.^
das Thorgebäude .
98000 „
den Verwaltungsflügel
196000 „
die Centralhalle
143000 „
die vier Zellenflügel
978000 „
die Schulen
19000 „
das Wirthschaftsgebäude
90000 „
die Beamtenwohnungen .
367000 „
die Wasserleitung .
107000 „
Drainage, Canalisation nnd Rieselung.
Die bebauten Flächen, Strassen und Gärten der Beamten
sind drainirt und geben das Wasser in ein Hauptrohr ab,
dessen anderer Zweck unten erläutert werden soll. Dieses
Rohr endet in einem oflFenen Abflussgraben, der das Wasser
bis an einen in der Nähe der Anstalt belegenen Park führt.
Durch den Park dringt das Wasser in Röhren weiter und
fliesst am Ende des Parkes wieder in einem oflFenen Graben,
der es der Fulda zuführt. Das Drainwasser der Aecker, welche
selbstständige Drainage haben, nimmt denselben Weg und ver¬
einigt sich am Ende des Anstaltsterrains mit dem Drainwasser
der Gebäudedrainage.
Von den Beamtenwohnhäusern führen vier Kanalstränge in
einen in der Mitte der Hauptzuführungsstrasse liegenden Canal,
der mit dem Canal unter den Anstaltsgebäuden in Verbindung
steht. Das ganze Canalsystem führt mit einem Arm in das
Sammelbassin, von welchem aus das Wasser durch Menschen¬
hand in zwei auf den Anstaltsäckern angebrachte Reservoire
gepumpt wird. Die Anstaltsäcker sind terrassenförmig ange¬
legt. Das Reservoir auf dem höchsten Tlieil der Aecker er¬
hält Sammelwasser zugeführt, während das Wasser im unteren
Reservoir Sammelwasser aufnimmt, das durch zugepumpte Jauche
vermischt wird. Von den beiden Reservoiren aus werden die
Flüssigkeiten durch Rieselgräben über die Aecker geleitet.
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228
Da es nun, namentlich im Winter, verkommen wird, dass
das vorhandene Abwasser nicht verrieselt werden kann, so
musste für Abfluss desselben gesorgt werden. Dies ist in fol¬
gender Weise geschehen. In der Nähe des Pumpenhauses
befinden sich zwei Klärbassins, in welche das nicht zu ver¬
wendende Abwasser gepumpt werden kann. Auf dem Boden
dieser Bassins ist ein Filter von Kies und Sand angebracht.
Das eingepumpte Wasser sickert durch den Filter und gelangt
in filtrirtem Zustande in das vorhin genannte Rohr, welches
das Wasser aus der Gebäude-Drainage aufniramt, vereinigt
sich mit demselben und wird auf dem beschriebenen Wege
der Fulda zugefdhrt.
Bespeisang.
Die Bespeisung der Gefangenen erfolgt nach einem vom
Director Kr ohne nach den vom Professor Voit (Die Kost in
den öffentlichen Anstalten. München, Oldenbourg, 1876) dar¬
gelegten Grundsätzen entworfenen Speisetarif. Das Nähere
hierüber ist aus Band XVIII. Heft 3 Seite 231 zu ersehen.
Schloss.
Die Strafvollstreckung erfolgt nach einem besonderen
Reglement, welches jedem Gefangenen in die Hand gegeben
wird und welches er bis zu seiner Entlassung behält. Jeder
Gefangene kann somit seine Rechte und Pflichten ablesen.
Eine segensreiche Einrichtung ist beim Bezüge der Anstalt
ins Leben getreten, der Ausschluss der Gefangenen vom Schreib¬
werk. Wer die Unzuträglichkeiten kennt, welche durch die
Verwendung von Gefangenen als Schreiber entstehen, der
muss darin einstimmen, dass hier ein ernster Schritt zur Ver¬
besserung des Verwaltungsmechanismus gethan ist. Da für die
Anstalt keine höhere Besoldungsquote für Oberbeamte gewährt
werden konnte, als sie bei anderen Anstalten üblich ist, so
wurde von Anstellung eines dritten Inspectors und eines
Secretärsjabgesehen und an deren Stelle zwei remuneratorisch
beschäftigte Inspections-Assistenten und zwei remuneratorisch
beschäftigte Kanzlisten angenommen. Es gibt daher einen
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229
Inspector, welcher die Kasse und das Secretariat leitet und
einen Inspector als Leiter des Arbeitsbetriebes und der
Oeconomie.
Jedem Inspector ist ein Inspections-Assistent und ein
Kanzlist beigeordnet. Die Inspections-Assistenten werden aus
den Aspiranten entnommen, welche das Qualificationsattest für
den Strafanstalts-Oberbeamtendienst erlangt haben. Gelangen
diese Assistenten zur definitiven Anstellung, so scheiden sie
von der Anstalt Wehlheiden aus und machen zwei neuen Aspi¬
ranten Platz. Durch diese Einrichtung gelangen mit der Zeit
an viele Anstalten Beamte, welche nach beendeter Probezeit
einen zweijährigen Cursus an der Anstalt Wehlheiden durch¬
gemacht haben.
Von Beifügung einer Skizze der Anstalt musste abgesehen
werden, was um so leichter geschehen konnte, als die Statistik
pro 1882/83 eine solche gebracht hat.
Anm, der Red. Einen Plan der Strafanstalt dürften die Be¬
schlüsse der Commission für die Einzelhaft-Bauten bringen.
Eventuell würden wir denselben noch gesondert fertigen lassen
und später beigeben.
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230
Nachstehend geben wir in deutscher Uebersetzung die
neuerlich erschienenen Actenstücke.
Rom und Kenchatel, den 6. August 1884.
Circular an die Mitglieder der internationalen Gefängniss-
conunission.
Sehr geehrter Herr KoUegal
Wir beeilen uns, Ihnen in der Folge das soeben von Sr.
Durchlaucht dem Herzoge LeopoldTorlonia, Vorsitzenden
des Local-Comitfe vom Rom-Congresse, an Herrn Beltrani
Scalia gerichtete Schreiben ergebenst mitzutheilen:
Rom, den 1. August 1884.
An den
Herrn Vorsitzenden der internationalen Gefängnisscommission.
Wie Ew. Hochwohlgeboren recht wohl wissen, hat der
internationale Gefangnisscongress zu Stockholm als Ort seiner
nächsten Versammlung Rom bezeichnet, und ist diese Versamm¬
lung auf October dieses Jahres anberaumt worden.
Das Central-Comit4 hatte seiner Seits, damit diese Ver¬
sammlung in bezeichnetem Zeiträume stattiinden könne, alle
Vorbereitungen getroffen, und hatte die italienische Regierung
sogar zur leichteren Erreichung dieses edlen Zweckes in der
Kammer einen Gesetzesvorschlag in Betreff des nöthigen Kosten¬
aufwandes eingebracht.
... j
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231
Aber ^ie hygienischen Besorgnisse Europas und die aus
denselben resultirenden Verkehrschwierigkeiten zwischen den
verschiedenen Ländern haben es (nach dem Gebote der Klug¬
heit und aus Höflichkeitsrüeksichten gegen unsere Gäste) rath-
sam erscheinen lassen, den Zusammentritt des Congresses zu
Rom auf October 1885 zu vertagen.
Dieser Verzug wird, weit entfernt zu schaden, uns viel¬
mehr in Stand setzen, mit den fremden Verwaltungen die An¬
ordnungen und Massnahmen zu verabreden und zu beschliessen,
welche zur besseren Entfaltung des Congress-Programmes die¬
nen und demselben die nöthige Ausdehnung geben können,
damit unsern Arbeiten als wesentliches Ziel die weitgehendste
practische Wirksamkeit gesichert werde.
In dieser Absicht sind designirt worden:
Herr Comm. T. Canonico, Senator des Königreiches,
Rath am Cassationshofe etc. etc., und
Herr Baron F. DeRenzis, Parlamentsmitglied etc. etc.
Genehmigen Sie, Herr Präsident, die Versicherung meiner
ausgezeichnetsten Hochachtung.
• Der Präsident des Comit^s:
(gez.) L, Torlonia.
Die Gründe, welche die Vertagung des Congresses moti-
virt haben, begreifen wir; unser lebhaftes Bedauern aber wird
aufgewogen durch die unumstössliche Gewissheit, dass die Re¬
gierung Sr. Majestät des Königs von Italien mit Sehnsucht
wünscht, es möchte der nächste Congress zu Rom stattfinden,
und dass dieselbe behufs eines diesbezüglichen sicheren Er¬
folges alle Vorkehrungen getroffen hat.
Zum Beweise dessen dient uns die Ernennung der beiden
officiellen Delegirten, welche gemäss ihrer Weisung zu den
Regierungen der verschiedenen europäischen Staaten sich be¬
geben und es nicht versäumen werden, diejenigen unter den¬
selben, welche dem Reglement noch nicht gefolgt sind, zur
Fassung eines diesbezüglichen Beschlusses — und zwar in
günstigem Sinne — zu bewegen.
Nach den uns zugegangenen Informationen wird Herr
Canonico im Laufe des Monats October Russland, Schweden,
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232
Norwegen, Preussen, Hamburg, Lübeck, Bremen, Bayern und
andere Staaten des Deutschen Reiches, Belgien und die Schweiz
besuchen.
Herr v. Renzis wird im September den Niederlanden,
England, Frankreich, Dänemark, Oesterreich, Spanien und
Portugal einen Besuch abstatten.
Das Bureau wird Ihnen bei seinem demnächst stattfin¬
denden Zusammentreten die getroffenen Entschliessungen zur
Kenntnissnahme bringen.
Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Kollega! die Ver¬
sicherung unserer ^vollkommenen Hochachtung.
Namens des internationalen Gefängnisscommissions-Bureaus:
Der Secretär: Der Präsident:
Dr. GoUlaame. M. Beltrani Scalia.
Der internationale Gefängnisscongress zn Rom pro 1885.
Die italienische Regierung sendet in französischer Sprache
durch ihren Vertreter, Herrn Senator Tancrfede Canonico,
an die verschiedenen Regierungen bezw. an deren Strafanstalts-
Respicienten folgendes Circular sammt zwei Beilagen:
Ew, Hochwohlgeboren I
Ausser der Wichtigkeit, welche den internationalen Ge-
fangnisscongressen die Entsendung officieller Delegirter von
Seiten der Regierungen der verschiedenen Staaten verleiht,
hat dieselbe noch einen besonderen practischen Nutzen und
zwar seit der Einsetzung einer permanenten internationalen
Gefängnisscommission, deren Aufgabe ist, die auf Prävention
und Repression der Verbrechen — auf den Strafvollzug —
bezüglichen Documente und Mittheilungen zu sammeln und den
Regierungen über generelle, zur Verhütung und zur sicheren
Repression der Verbrechen geeignete Massnahmen, wobei
jedoch keineswegs die Besserung der Schuldigen ausgeschlossen
ist, Winke zu geben.
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233
Diese Commission hat das Programm vorbereitet über die
beim nächsten in Rom stattfindenden Congresse zur Verhand¬
lung kommenden Fragen bezüglich der drei Gliederungen:
Strafgesetzgebung, Strafvollzug und Präventiv-
massregeln.
Ausser den Vortheilen, welche vom Congressvotum über
diese Fragen erfliessen können, wird das Executiv-Comit^
seinem Wunsche gemäss dem Congresse zu Rom sowohl in
administrativer als auch in scientifischer Hinsicht die weit¬
gehendste practische Wirksamkeit dadurch verleihen, dass es
für vergleichende Studien zahlreiches Material durch folgende
Mittel liefert:
1. durch eine doppelte Ausstellung, nämlich;
a) von Zellen, welche nach den verschiedenen Systemen
und den verschiedenen Kategorien von Gefangenen
die verschiedenen Regierungen adoptirt haben; —
von Baracken - Plänen für die Arbeiten der Gefan¬
genen im Freien, sowie von Plänen' der hauptsäch¬
lichsten (wirklich vorhandenen oder nur projectirten)
Gefängniss-, Präventions- oder Correctionsräume; —
von dem Ameublement, den Bodenbelägen und Ver¬
schluss-Systemen, der Ernährung und der Kleidung
der Gefangenen, der Bewaffnung der Aufseher etc.,
b) von den Gefängnissarbeits-Erzeugnissen, welche be¬
rühren: Land wirthschaft und auf Gewinnung von Roh¬
stoffen gerichtete sowie Textil-Industrien, — Schuh-
und Lederwaaren, — Metallwaaren, — Tischlerei, —
graphische Künste, — Eisen- und Kurzwaaren etc.;
2. durch eine doppelte Art von Public ation, nämlich durch:
a) eine Gefängniss- und Criminal-Bibliographie — seit
dem Anfänge des Jahrhunderts;
b) einen geschichtlichen kurzen Ueberblick über die
Gefängniss-Reform in jedem Lande — ebenfalls seit
Anfang des Jahrhunderts.
Dem sollte man noch beifügen eine Sammlung von Original¬
handschriften der auf diesem Gebiete hervorragendsten Schrift¬
steller, von denen jede eine Maxime oder einen practischen
Gedanken über Gefängnissfragen enthält.
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Um Ihnen aber von der doppelten Ausstellung, von wel¬
cher unter Nr. 1 die Rede ist, ein fasslicheres Bild zu machen,
fuge ich Ihnen in zwei Anlagen bei, was man von Ihrer Re¬
gierung für die eine oder die andere Ausstellung wünschte,
und bitte ich Sie ganz ergeben. Sie möchten gefl. neben jede
Frage die Antwort, welche Ihre Regierung darauf zu geben
gesonnen ist, setzen und mir hernach die so ausgefülltcn An¬
lagebogen zurücksenden.
Wenn Ihre Regierung willens ist, sich an dieser Ausstel¬
lung zu betheiligen, so bitte ich Sie, vor Ende März 1885 der
italienischen Regierung kund zu geben, welches die Fläche ist
— auch ob gedeckt oder ungedeckt — welche Sie im Bereiche
der Ausstellung zur Unterbringung der einzusendenden Gegen¬
stände nöthig haben werden.
Ein besonderes Reglement wird Ihnen noch zukommen
mit der Anzeige von allem dem, was auf die Absendung der
Gegenstände und auf die Massnahmen, welche dieselbe er¬
leichtern können, Bezug hat.
Von jetzt ab kann ich Ihnen schon versichern:
1. Für den Transport der Gegenstände wird die italie¬
nische Regierung auf den Staatseisenbahnen eine Reduction
bewilligen, die nicht unter 50% sein wird.
2. Bekleidungs-, Zelleneinrichtungsgegenstände etc. sowie
Industrieerzeugnisse, womit die Ausstellung beschickt wird,
brauchen nicht mehr zurückzukehren, denn sie werden in
Italien angekauft.
3. Die officiellen Delegirten, welche etwa 14 Tagen vor
dem Congresse nach Italien kommen wollen, geniessen seitens
der italienischen Regierung alle Begünstigungen behufs Be¬
suches der auf ihrer Route befindlichen Gefängnissgebäulich-
keiten sowie der Strafcolonien des toskanischen Archipels und
Sardiniens.
Genehmigen Sie die Versicherung der ausgezeichnetsten
Hochachtung Hochwohlgeboren
ganz Ergebener:
Tancröde Canonlco,
Senator des Königreichs, Delegirter der italienischen Regierung
und des Executiv-Comitös für den Congress in Rom.
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235
Beilage I,
Ansstellim^ toi Zelle» and des dlesbezipclien Gerätes
and Materials.
Haben Sie in Ihren Straf Häusern besondere Zellentypen:
bei strenger
Einzelhaft für
Erwachsene
Untersuchungs- \ Jugendliche
gefangene ] Männer
Weiber
Erwachsene
I Jugendliche
Männer
Weiber
Abgeurtheilte
bei nächtlicher
Trennung für
Erwachsene
Untersuchungs- j Jugendliche
gefangene j Männer
Weiber
Erwachsene
Abgenrthellle ! JT”“'
‘ Männer
Weiber
Schlafräume
ausschliesslich zum
Schlafen bestimmt
für
Blätter für Oefängnieskunde. XIX.
Erwachsene
Untersuchungs- \ Jugendliche
gefangene j Männer
Weiber
Erwachsene
Jugendliche
Männer
Weiber
16
Abgeurtheilte
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Google
236
Könnten Sie uns von diesen Zellen und Schlafräumen vor
Ende Februar 1885 nach Rom schicken, damit wir dieselben
im natürlichen Maassstab aufstellen können:
a) Einen Plan in einem nicht geringeren Maassstabe als
1 : 50 mit allen Länge-, Breitemaassen und mit den
Dimensionen der Thüre, des Fensters, der Dicke der
Mauern? (NB. Wenn Quadersteine vorhanden sind,
sollen dieselben durch eine besondere Farbe markirt
werden.)
b) Einen Querschnitt in dem Maassstabe von 1 : 50 mit
den Maassen der Höben, der Dicke der Mauern, des
Gewölbes, des Bodenbelages, der Höhe des Fensters,
der Thüre etc.?
c) Einen Längeschnitt in demselben Maassstabe sammt
air den obigen Maassen?
d) Die Details in dem Maassstabe von 1 : 10, um eine
genaue Form und exakte Dimensionen des Gitters,
des Maschengitters, des Fensters, der Thüre, der Ven¬
tilatoren, des Aborts etc. zu bekommen?
e) Die Naturalmuster des vollständigen Mobiliars der Zelle
und des Dormitors, des Eisenbeschlägs der Thüren,
der Fenster, der Gitter, der Aborte, der Vorrichtung
zum Herbeirufen der Aufseher und alle besonderen
Theile, die nöthig sind, dies Alles zum Gebrauche
fertig stellen zu können?
(NB. In allen Zeichnungen soll man Bett, Tisch, Abort,
Stuhl, Lavoir und Spülnapf, Apparat zum Herbeirufen des
Aufsehers, endlich Alles, was Zelle und Dormitor complett
macht, in der wahren Position und mit den respectiven Maassen
entwerfen.)
2 .
Haben Sie besondere Räume:
i inhaftirte
abgeurtheilte
Knaben
Mädchen
Knaben
Mädchen
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237
! erwachsene
jugendliche
Männer
Weiber
Knaben
Mädchen
3.
Haben Sie besondere Gebäulichkeiten oder Baracken für
Abgeurtheilte, die im Freien arbeiten?
4.
Haben Sie in den Landwirthschafts-Anlagen Meiereien,
Vorrathsgewölbe, Schmelz- oder Brennöfen, Käsereien, Wasser¬
leitungen und andere Gebäulichkeiten besonderer Art?
Könnten Sie uns — Rücksendung Vorbehalten — Pläne
und Reliefs der unter Nr. 2, 3 und 4 genannten sowie der
übrigen hauptsächlichsten in Ihrem Lande wirklich vorhandenen
oder nur projectirten Räume einsenden?
5.
Könnten Sie uns ausser dem niet- und nagelfesten Zellen-
und Dormitorien-Material senden:
a) Modelle des Fabrikationsmaterials in Backsteinen oder
in Gement^ der Mauern, der Bodenbeläge, sowie solche
von Dachbedeckungen?
b) Eine Probe der zum persönlichen Gebrauche der Ge¬
fangenen bestimmten Effecten, nämlich: ein vollstän¬
diges Bett, — Wäsche und Kleider, — Fussbeklei-
dung, — Quersack, — Kasten, — Napf, — Flasche,
— Glas, — Besteck, — Kamm, — Bürste etc.?
c) Ein Muster der Strafsesseln und anderer Besserungs¬
und Strafwerkzeuge, welche in den verschiedenen Räu¬
men und bei den verschiedenen Kategorien der in den¬
selben eingeschlossenen Gefangenen im Gebrauche sind?
d) Veranschaulichungstabellen bezüglich der Kost der
Gefangenen nach Jahreszeit, Kategorien, Alter, Ge¬
schlecht etc.?
e) Die Zeichnung oder ein Muster von der Kleidung und
16 ♦
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238
der Ausrüstung der Aufseher (Werkmeister) und des
übrigen männlichen und weiblichen Aufsichtspersonals ?
f) Den möglichst besten Typus eines vollständigen Thür¬
verschlusses ?
(NB. Bezeichnen Sie gefälligst die Preise eines jeden
Gegenstandes, denn sie werden sämmtlich in Italien ange¬
kauft.)
6 .
Könnten Sie uns endlich die neuesten und wichtigsten in
Ihrem Lande über Strafanstaltsbauten, Heizung und Ventilation
der Gebäude, über Bauart von Beträten, Wasserabflüssen etc.
gemachten Publikationen anzeigen?
Beiiage IM,
Änsstellimg der Gefängnissarbeitserzeagnisse.
1, Gruppe.
Landwirthschaft und auf Gewinnung von Rohstoffen
gerichtete Industrien.
a) Mehlichte und ölreiche Sämereien (Cerealien, Gemüse,
Oliven, Sesamkräuter).
b) Zwiebeln, Zedern, Orangen, Zitronen, Appretur- und Färbe¬
stoffe (Tannin, Safran, Grapp, Sunnach etc.).
c) Seidenraupen-Gespinnst, Fasern zum Weben (Flachs, Hanf,
Baumwolle, Esparte [spanisches Pfiiemengras], Pfriemen-
kraut, Agave [Aloe-Hanf] etc.).
d) Futterpflanzen, Tabaksblätter.
e) Thierische Erzeugnisse (Käse, Butter, Wolle, Haare, Pferde¬
haare, Horn, Knochen, Leder etc.).
f) Nahrungsstoffe (Mehl, Stärkemehl, Brodbereitung, Zwie¬
back etc.).
g) Rebenerzeugnisse (Wein, Essig, Weingeist, Rosinen etc.).
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239
h) Forsterzeugnisse (Nutzholz, Holz für ganz feine oder be¬
sondere Arbeiten [Fournierholz], Dauben, Speichen, Kant¬
holz, Bretter, Pfähle, Rinden, Weberrinden, Stoffe, geeignet
zur Bereitung von Leder, Färbestoffe, wohlriechende, har¬
zige Stoffe, Kohlen, Potasche etc.).
i) Bienenerzeugnisse (Honig, Wachs etc.).
k) Obst- und Gartenbau (frisches und gedörrtes Obst, Küchen¬
kräuter und diesbezügliche Sämereien).
l) Auf Gewinnung von Rohstoffen gerichtete Industrien (Bau-
und Decorationssteine, — Marmor, Kalk-, Lava-, Tuff-,
Sandsteine etc., — Kalk, Gement, Gips, — feuerfeste Erde,
Thonerde, Bimssteine, Erdfarben etc., — metallische Mi¬
neralien, Brennstoffe, — Meeressalz).
m) Baumaterialien (Backsteine, Ziegel, viereckige Platten zum
Pflastern, Röhren etc.)
2. Gruppe.
Textil-Industrie.
a) Baumwolle (Watte, appretirte, einfache und gezwirnte
Baumwolle, zum Weben und zum Nähen): Gewebe von
reiner Baumwolle (rohe, glatte, gemodelte, gefärbte etc.).
b) Gemischtes Gewebe, vorwiegend mit Baumwolle: Garn,
einfaches oder gezwirntes, von Flachs, Hanf, Jute und
anderen Webefasern (rohen, gebleichten und gefärbten).
c) Seil-, Strick- und Tauwerke, Bindfäden, Netzgarn etc.:
Pack-, Segel- und Hausleinwand, Gebild, damascirte Lein¬
wand, Zwilch, Feingewebe, gemischtes Leinengewebe.
d) Kamm- und Halbkammgarn, kardätschtes Wollengarn,
Kunstwollengarn: reines Wollengewebe (Tuche, Decken,
Filze, Flanell, Multon, Teppiche etc.), — Kunstwollen¬
gewebe, gemischtes Wollen- und Baumwollengewebe etc.
e) Formen für den Tuchdruckr
f) Hüte.
g) Verschiedenes Gewebe in Haaren, — Bänder, — Tressen etc.
h) Seidenfäden und Seidengewebe.
i) Strickerei, Häkelarbeiten, Spitzen, Stickereien etc.
k) Schneider- und Nähterinnen-Arbeiten (Weisszeug, Cor-
setten, Männer- und Frauenkleider etc.).
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240
3. Gruppe.
Schuh- und Lederwaaren.
a) Appretirtes und gegerbtes Leder.
b) Schusterarbeiten.
c) Sattler- und Kummetmacher-Arbeiten: Sättel, Pferde¬
geschirre, Reise- und Militär-Artikel.
d) Borstenarbeiten: Bürsten, Pinsel etc.
e) Handschuh- und andere Arbeiten.
f) Haararbeiten.
4. Gruppe.
Metall- Arbeiten.
a) Detailarbeiten von WaflFenschmieden, Grobschmieden und
Schlossern etc. (Handwaffen, Schlösser, Messer).
b) Arbeiten im Grossen (Guss- und Schmiedeeisen, Brust¬
harnische, Drahtzieherei-Erzeugnisse, Drahtgewebe, Ket¬
ten etc.).
c) Maschinenbau, Werkzeuge, Geräthe für den Ackerbau
und für verschiedene Industrien.
d) Kupferschmied-, Zinngiesser- und Blechner-Arbeiten.
e) Letterngiesserei für Buchdruck, Durchschusslinien etc.
5. Gruppe.
Holzwaaren.
a) Tischler-, Küfer-, Zimmermanns-, Korbmacherarbeiten etc.
b) Gewöhnliche Möbel und Luxusmöbel.
c) Decorations- und Tapezierarbeiten.
d) Kunsttischlerei und eingelegte Arbeiten etc.
e) Arbeiten aus Stroh: Körbe, Flechten, Hüte etc.
6. Gruppe.
Graphische Künste.
a) Papier, Pappendeckel etc.
b) Erzeugnisse der Buchdruckerei, der Stereotypie, der Kalko-
graphie, der Lithographie, der Oleographie.
c) Zeichnungen, Malereien.
d) Druckerschwärze und Schreibtinten.
e) Gestreiftes Papier, Hüllen, Kanzleiartikel.
f) Bücher-, Registereinbände etc.
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241
7. Gruppe.
Eisen- und Kurzwaaren.
a) Kurz- und Posament!erwaaren (Federn, künstliche Blu¬
men, Knöpfe, Fransen, Borten etc.).
b) Galanteriewaaren (Stöcke, Regenschirme, Fächer, Spiel-
waaren etc.).
c) Papparbeiten, — Brieftaschen, — Schachteln etc.
d) Kämme, Pfeifen etc.
e) Arbeiten in Schmuckwaaren, Metallverzierungen, Juwelen.
f) Arbeiten in Lava, Bernstein, Korallen, Bein, Elfenbein,
Schildkröte, Perlmutter, harten Steinen, in Mosaik etc.
8. Gruppe.
Die ausser den oben genannten Erzeugnisse und Arbeiten.
Uebersetzt von Maximilian Bader, katholischem Hausgeistlichen am
Grossh. Männerzuchthause in Bruchsal.
Karlsruhe, im Januar 1885. Das Grossh. Ministerium der
Justiz, des Kultus und Unterrichts ist durch seinen Decernenten,
Herrn Ministerialrath Dr. von Jagemann, wegen ofBcieller
Betheiligung an dem internationalen Congress mit den Herren
Senator Canonico und Generaldirector Beltrani-Scalia
in Rom in Verbindung getreten und trifft z. Z. die nöthigen
Vorbereitungen nach Maassgabe des oben mitgetheilten Rund¬
schreibens.
Das Grossh. Ministerium gedenkt zu dem Congress in Rom
den Herrn Ministerialrath Dr. von Jagemann als officiellen
Delegirten und zu sonstiger Theilnahme den Strafanstalts-
director Geh. Rath Ekert in Freiburg zu entsenden.
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242
Von dem Bulletin sind seit unserer Mittheilüng Band 18,
S. 871 u. 372 weiter erschienen mit Gutachten^' '
Heft 18 zu in. 6 von William Tallack, Vörsfe der-Howard^
Gesellschaft in London.
Heft 19 zu U. 4 von Henri Hardoüin, Ehrenrath am Ap¬
pellationshof in Douai, Batonnier der Anwälte in
Quimper.
(Dieses Heft enthält noch verschiedene weitere
Mittheilungen.)
Heft 20 zu I. 5 von Bernhard Getz, Professor der Rechte
an der Universität Christiania.
(Dieses Heft enthält noch zwei Aufsätze: „Handel
mit geistigen Getränken in Schweden“ von Semmy
Buhenson, Secretär der Regierung in Stockholm,
und „Massregeln gegen den Missbrauch der Spiri¬
tuosen in Norwegen“ von Dr. Oscar Nissen in Chri¬
stiania.)
Heft 21 zu II. 8 von M. Ammitzböll, Director des Zellen-
gefangnisses in Vridslöselille (Dänemark),
zu H. 7 von Peter Sölberg, Director der Straf¬
anstalt in Throndhjem (Norwegen).
(Hiemit schliesst der I. Band des Bulletin.)
Band H.
Heft 22 zu II. 7 von Dobroslawine, Prof, der Hygiene und
Inspector der Generalverwaltung der Gefängnisse
in Russland.
Heft 23 zu II. 6 von E. Tauffer, Gefängnissdirector in Lepo-
glava (Croatien).
Heft 24 zu II. 6 u. 7 von Illing, Geh. Oberregierungsrath
in Berlin.
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243
.y-
Die eeiDscliei Reromtories iil littleeclmlei.
Der Bericht der Commission für Besserungsan¬
stalten und Arbeitsschulen (Reformatories and Industrial
Schools), welcher soeben ausgegeben wurde, ist ein langes
sorgfältig ausgearbeitetes Dokument, welches sich als eine
vollkommene Fundgrube erweist, um sich über alle Einzel¬
heiten dieses Gegenstandes zu unterrichten. Die Zusammen¬
setzung der Commission, welche Namen enthält wie Lord
Aberdare, Lord Norton, Sir Ughtred Kay-Shuttleworth, Mr.
Glossop und Andere, welche gut bekannt sind durch ihre
Arbeiten in diesem Zweige, ist eine Bürgschaft der fleissigsten
und erschöpfenden Behandlung. Zum Vortheil für Diejenigen,
welchen es an Zeit oder Gelegenheit gebricht, den ganzen
Bericht zu studieren, bringen wir unten eine Zusammenfassung
der Vorschläge (Empfehlungen), welche die Mitglieder der
Commission gemacht haben, aus welchen Jene, die vertraut
sind mit dem Gegenstände, erkennen, welches die allgemeine
Absicht ihrer Vorschläge ist. Zur Zeit der Einsetzung der
Commission waren in England und Wales 50 gesicherte Besse¬
rungsanstalten, 99 gesicherte Arbeitsschulen und 10 bestehende
Arbeitstagschulen. Die Zahl in Schottland beträgt 12 der ersten
Classe, 34 der zweiten und 1 der dritten. Die Zahl der In¬
sassen der gesicherten Besserungsanstalten erhielt seit 18G4
keinen weitern Zuwachs. Aber die der Arbeitsschulen waren
mehr als 10 mal so zahlreich im Jahre 1881 als im Jahre 1864.
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244
Der Erfolg des Systems der anerkannten Anstalten, welche
durch eine Reihe von Parlamentsakten über jugendliche und
erwachsene Verbrecher errichtet wurden, wird durch die Com¬
mission im Ganzen für genügend gehalten. Es ist natürlich
ausnehmend schwer in der Behandlung der Statistik der Ver¬
brechen, die Besserung, die durch diese Anstalten erreicht
wurde, zu trennen von derjenigen, die durch andere Umstände
hervorgebracht wurde. Aber es ist ganz gewiss, dass die Reihen
dieser Criminalklassen durch die Kinder von Verbrechern rekru-
tirt werden oder von Personen, welche, obgleich nicht unter
diese Kategorie fallend, ganz die elterliche Pflicht vernachlässigt
oder ihre Nachkommen auf andere Weise verlassen haben.
Es ist unmöglich zu zweifeln, dass ein System, welches
diese Quellen der Verschlimmerung verstopft, indem es diesen
Auswurf unter Disciplin bringt und indem es eine gesunde
Elementarerziehung bewirkt und die Vortheile der Industrie
lehrt, mächtig wirken muss, um die Zahl der jugendlichen
Verbrecher zu vermindern. Wir sind jedoch nicht gänzlich
von dem Einflüsse weder der statistischen noch der apriori-
stischen Schlüsse abhängig. Die Knaben und Mädchen, welche
in den Industrie- und Besserungsanstalten erzogen sind, gehen
bei dem einstigen Verlassen derselben der Aufsicht nicht ver¬
loren. Im Gegentheil, ihre Laufbahn wird noch drei Jahre
nach der Entlassung überwacht, so weit es thunlich ist, und
die Rückkehr derer, welche sich nicht sehr geändert haben,
seit das System zuerst in volle Thätigkeit kam, zeigt, dass
von den Besserungsfällen über 75%, von den Arbeitsschul¬
fällen über 80% ausgefallen sind.
Die Commission gibt zu, dass dieser Ausdruck zu dehnbar
ist, und unter ihren zahlreichen Vorschlägen sind einige zur
Versicherung von grösserer Bestimmtheit in dieser Beziehung.
Noch haben wir — mag der Maassstab der Gebesserten auch
gering sein — zu erinnern, dass wenn wir die Anstalten nicht
hätten, die überwiegende Mehrheit der Kinder thatsächlich
Uebles gethan hätten im vollen Sinne des Wortes. Es ist
aber Etwas, dieselben vor dem Eintritt in die Classen der
Gewohnheitsverbrecher und vor dem Untergang, in der Straf¬
dienstbarkeit (Zuchthaus) in einem Alter, wo Besserung that-
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245
sächlich unmöglich ist, gerettet zu haben. Die Einmischung
und der üble Einfluss verbrecherischer Eltern sind jetzt
ernstliche Nachtheile für das Wohlverhalten nach Beendi¬
gung der Schulzeit. Aber diese Kinder sind die Eltern der
nächsten Generation und wir wollen hoffen, dass eben in
diesen letzten vorliegenden Fällen ihr Einfluss nicht so ganz
übel sein wird, als sie es in Bezug auf sich selbst erfahren
haben. Wir sind ausser Stande mehr zu thun, als einige von
den wichtigsten der zahlreichen und ins Einzelne gehenden
Empfehlungen der Commission aufzuzählen.
Das Erziehungswerk dieser Anstaltsschulen fühlt sich un¬
vollkommen hinsichtlich der Schwierigkeit, unter den gegen¬
wärtigen Bedingungen gute Lehrer zu erhalten, eine Schwierig¬
keit, welche theils den finanziellen Umständen, theils dem
mangelhaften System der Beaufsichtigung zuzuschreiben ist.
Als Besserungsanstalten müssen diese Schulen nicht der Juris¬
diction des Cultusministeriums (Home office) entzogen werden
als Schulen, welche durch die Trennung ihrer Lehrer vom
allgemeinen Lehrkörper leiden. Die Commission empfiehlt in
Folge dessen, dass das existirende System der Inspection in
jeder Beziehung aufrecht erhalten werde mit Ausnahme des
Elementarunterrichts, dessen Inspection dem Erziehungsdepar¬
tement übertragen werden sollte. Sie urgirt mit grossem Nach¬
druck, dass unter passenden Bestimmungen Lehrer in diesen
Schulen das Privilegium haben sollten, einen Antheil an der
für Erziehung bewilligten Summe zu erwerben. Durch diese
Mittel werden diese Anstalten nicht allein eine primäre Unter¬
stützung erhalten, aber sie werden nur unter der Bedingung
erhalten, ein wirkliches Erziehungswerk zu leisten. Zugleich
hofft die Commission dadurch, dass man die Lehrer an An¬
sehen, Belohnung und Aussicht auf den nämlichen Fuss wie
ihre Brüder in den Elementarschulen setzt, eine besser quali-
ficirte Classe von Männern zu sichern, als jetzt herbeigezogen
werden kann, um das Werk zu unternehmen. Wir haben
bereits die Aufmerksamkeit auf den Uebelstand gerichtet, der
durch lasterhafte Eltern verursacht wird, wenn ihre Kinder
die Besserungs- und Arbeitsschul-Anstalten verlassen. Das
Alter von 16 Jahren, in welchem für sie die Aufsicht auf hört,
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246
ist ein kritisches für beide Geschlechter, insbesondere mehr
vielleicht für Mädchen. Es ist beobachtet worden, dass Eltern,
welche kein Interesse an ihren Kindern während ihrer De-
tention nahmen, ein besonderes Interesse bekommen für die
Möglichkeit, ihren Erwerb zu benützen, wenn sie die An¬
stalt verlassen. Die Commission läugnet mit Recht, dass eine
besondere Unverletzbarkeit die elterliche Autorität in solchen
Fällen angreifen könne und schlägt vor, dass die Controle der
Anstaltsdirectoren diejenige der Eltern aufschieben und be¬
stimmt zwei Jahre nach Beendigung der Schulperiode oder
wenn nach Verordnung die Zurückbehaltung erlöscht, fort-
dauern solle. Mr. Grossop widerspricht in einer dem Berichte
beigelegten Denkschrift diesem Vorschlag aus dem Grunde,
weil es unwirksam sei, mit Hülfe von Gewalt einen Verbrecher
in die Anstalt zurückzubringen. Ein Knabe, sagt er, empfängt
mit einem Lehrschein die Befreiung bevor sein Schulziel ge¬
endigt ist, weil er eine gemässigte Freiheit einer fortgesetzten
Zurückhaltung vorzieht. Aber wenn er wüsste, dass keine
Gewalt da ist, eine schlechte Aufführung zu bestrafen, so
würde es unmöglich sein, das Befreiungssystem mit einiger
Wirkung über das Alter von 16 Jahren auszudehnen. Es
scheint da ein grosser Theil von Wahrheit in diesem Argument
zu sein. Aber die Commission, welche zweifellos diese Frage
in all ihren Schwierigkeiten studirt hat, scheint zu wünschen,
dass eine gewisse heilsame Autorität über die der Anstalt ent¬
lassenen Knaben ausgeübt werde, obgleich dies nicht die Macht
ist, um sie zurückzubringen. Die Lehrschiffe bildeten immer
einen wichtigen Theil des Gewerbs- und Besserungsanstalten¬
systems; aber die Commission findet, dass da Gelegenheit ist,
sie vollständiger zu benützen. Knaben werden auf die Schiffe
gesendet, welche zu diesem Besserungswerk ungeeignet sind,
während andere am Lande Zurückbleiben, welche sich besser
an Bord betragen würden. Die Commission empfiehlt mit Hin¬
zufügung einer grössern Sorge in Auswahl von allgemeinen
Grundsätzen, dass keine Knaben unter 12 Jahren auf die
Schiffe gesendet werden und dass in keiriem Fall solche auf
Gewerbs- oder Besserungsschulschiffe gesendet werden, wenn
sie nicht wenigstens wohl gewachsen und durch das Zeugniss
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247
einer competenten medicinischen !)^torität für das Seefahrer¬
leben geeignet sein würden und ohne Rücksicht schliesslich
willig sind, zur See zu gehen. Die Commission beharrt auf
dem Grundsatz, Knaben sobald als möglich zur See zu senden
und dafür zu sorgen, geeignete Schiffe zu finden. Sie sagt,
dass der grösstmögliche Unterschied bestehe zwischen Kna¬
ben, welche keine Hoffnung haben, zur See zu gehen bis ihre
Erziehungsperiode abgelaufen ist, und solchen, welche wissen,
dass je früher sie ihre Instruction durchmachen, sie um so
eher ihre Entlassung erhalten. Diese Vorschläge, auf deren
einem oder anderm die Commission besteht hinsichtlich der
Wichtigkeit der helfenden Hand, wenn ein Knabe von der
ersten Reise zurückkehrt, sind so klar von einer erleuchteten
Menschenliebe eingegeben, dass kein Raum für Meinungsver¬
schiedenheiten übrig scheint.
Die finanziellen Verhältnisse der Arbeite- und Besserungs¬
anstalten haben natürlich einen grossen Theil der Aufmerk¬
samkeit in Anspruch genommen und eine Menge von Aende-
rungen wurden vorgeschlagen. Man hat berechnet, dass in
Zukunft jedes Kind in einer Landschule 7 S. 61 P. und an
Bord eines Schiffes 8 S. 6 P. per Woche kostet, wovon Alles
mit Ausnahme der besondern Sechspens (Staatsbeitrag) aus
öffentlichen Quellen fliessen muss. Die Commission schlägt
vor: 4 S. 6 P. für die Woche im ersten Fall und 5 S. 6 P.
im andern als gesetzmässigen Zuschuss vom Schatzamt (Staats¬
kasse). Oertliche Beiträge sollen auf 2 S. 6 P. für die Woche
festgesetzt werden. Verschiedene Modificationen sind bei der
Vertheilung der Verwilligungssumme vorgeschlagen; hinsichtlich
der Einzelheiten verweisen wir unsere Leser auf den Bericht.
Die Absicht ist: zu widerrathen die Aufnahme von kleinen
Kindern in die Arbeitsschulen und von Knaben unter 12 Jahren
in die Schiffsschulen; zu ermuthigen die Entlassung von Kna¬
ben, welche für 4 Jahre zurückgewiesen, das Alter von 15
Jahren erreicht haben, und daher die Einsetzung passender
Distrikte der Tagarbeits- für Kostarbeitsschulen. Grosse
Schwierigkeit hat man bei der Einsammlung der elterlichen
Beiträge für die Kosten der Unterhaltung ihrer Kinder gefun¬
den und in einigen Fällen ist es in Schottland Plan des Volkes,
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'X
— 248 n
ihre Kinder in die Besserungsanstalten zu senden in der Vor¬
aussicht, sich von den Ausgaben und von der Mühe, sie zu
beaufsichtigen, zu befreien. Die Mängel der Einrichtung be¬
stehen darin, dass die Centralbehörde statt der Localbehörden
eiiisammelt und dass eine gesetztnässige Art von zwangsweiser
Zahlung unausrührbar ist. Die Commission empfiehlt in Folge
dessen, dass die Quartalsessionen, Stadt\ersammlungen und
Scliulbehörden, w eiche jetzt die Localsammlungen machen,
durch Vormundschaftsgerichte ersetzt werden sollen, welche
zugleich die Pflicht der Einsammlung der elterlichen Zuschüsse
dazu nehmen sollen, die jetzt auf die Centralschulbehörde ge¬
legt ist. Es wird vorgeschlagen, die Vormünder mit einer
grössern Zahl besser wirkender Mittel auszurüsten, um die
Zahlung beizutreiben, als jetzt vorhanden sind, und die Eltern
zu verpflichten, die ganzen 8 Schillinge zu bezahlen, wenn sie
dies im Stande sind. Mr. Broadhurst stimmt nicht mit diesem
Vorschlag überein aus dem Grunde, weil ein Mann mit einem
Weibe und 5 bis 6 Kindern, der nur 1 Pfund in der Woche
verdient, ganz unfähig ist, 8 Schilling für ein ungerathenes
Kind zu bezahlen. Die Antwort ist natürlich, dass kein Mann
in solchem Falle würde angegangen werden, eine Summe zu
bezahlen, welche den Rest der Familie der Gemeindearmen¬
pflege überliefern würde. Es ist von höchster Wichtigkeit,
dass wir nicht die Meinung nähren, die immer nur allzu vor¬
herrschend ist, als ob jeder Mann ein unverletzliches Recht
habe, mit Weib und 5 oder 6 Kindern bei der letzteren Ver¬
kommenheit alle Kosten ihrer Unterhaltung auf Andere zu
werfen. Die immer gegenwärtige Gefahr eines solchen Systems
von Entlastung und Besserung, wie wir discutirt haben, besteht
darin, dass sie den Vorwurf der Unvorsichtigkeit und Selbst¬
nachsicht zu wecken pflegt und den Staat mit einer Bürde
belastet, unter welcher die reichste Gemeinde schliesslich unter¬
liegen muss.
Die Commission, eingesetzt zur Untersuchung der Grün¬
dung, Leitung, Controlirung, Beaufsichtigung, der Finanz¬
verhältnisse und Bedingungen der gesicherten Besserungs-,
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249
Arbeits- und Tagarbeitsschul-Anstalten im vereinigten König¬
reich und zum Bericht, welche Verbesserungen erforderlich
sind, h^t soeben ihren Bericht ausgegeben. Die Mitglieder
der Commission waren Lord Aberdare, Lord Dalhousie,
Lord Norton, Mr. Edward Stanhope, M. P. Sir Michael
Hicks-Beach, M. P. The O’Conor Don, Sir Ughtred Kay-
Shuttleworth, Colonel Colthurst M. P., Mr. G. W. Hastings
M. P., Mr. F. H. N. Glossop, Mr. C. Dalrymple, Mr. Broad-
hurst M. P., Mr. Ewart M. P. und Mr. W. E. Hubbard, mit
Mr. Adolph G. C. Liddell als Secretär.
Der Bericht, lang und ins Einzelne gehend, umfasst mehr
als 70 Seiten. Er enthält 100 Abtheilungen und der Gegen¬
stand ist unter den verschiedenen Capiteln behandelt über
„Geschichte und Resultat^, „Leitung“, „Arbeitserziehung“,
„Erziehung und Beaufsichtigung“, „Bedingungen der Zulassung“,
„Controle und Strafen“, „Entlassungsverfügungen“, „Lehr-
Schiffe“, „Schulen von kurzer Dauer“ und „Finanzielle Ein¬
richtungen“. Irland ist auch und zwar besonders behandelt.
Lord Dalhousie, Lord Norton, Mr. Broadhurst und Mr. Glossop
legen, indem sie mit der Mehrheit der Vorschläge der Com¬
mission übereinstimmen, noch Denkschriften hinzu, welche
gewisse DiflPerenzpunkte bezeichnen. In der folgenden Inhalts¬
anzeige der Vorschläge, welche der Bericht enthält, wendet
die Commission zum Zweck der Abkürzung das Wort Guardians
für Vormundschaftsgericht oder schottische Gemeinde-Armen¬
pflege, Union für englische Union oder schottische Pfarrgemeinde,
school boards für Schuldienst oder Schulbeaufsichtigungscomit^
und parent für Eltern oder Vormünder an.
Leitung.
I. Besserungsanstalten und Arbeitsschulen, später aner¬
kannt, sollen unter freiwilliger Leitung oder derjenigen des
Friedensrichters stehen j aber Müssiggänger-Schulen und Tag-
arbeits-Schulen sollen von Schulbehörden errichtet und ge¬
leitet werden.
II. Der Inspector soll die Entziehung der Anerkennung
verhängen, wenn die Leitung ungenügend ist und nicht nach
seiner Vorschrift geändert wird.
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250
in. Die Anstellung von Frauen als Leiter und Aufseher
insbesonders von Mädchen - Besserungs- und Arbeitsanstalten.
IV. Der Inspector soll die Aufmerksamkeit der Leiter auf
jeden Mangel der nöthigen Eigenschaften eines Aufsehers hin¬
lenken und wenn nöthig seine Entlassung verlangen.
V. Besserungsanstalten und Arbeitsschulen sollen so ein¬
fach, als die Localumstände es erfordern, gehalten werden;
wenn gross, so sollen sie in Sectionen getheilt werden.
Arbeitsabrichtung.
VI. Der Inspector soll Arbeitszweige abweisen, die ver-
hältnissmässig für das spätere Leben unnütz sind.
VII. Der Gewinn der Zöglingsarbeit soll erst in zweiter
Linie in Betracht gezogen werden, und Prämien an die Ver¬
walter oder die Behörde auf den Gesammtertrag der Anstalt
sollen verboten werden.
Erziehung und Inspectioa
Vin. Lehrersdienste sollen hinsichtlich des Avancements
und der Belohnung mit denen in den öffentlichen Elementar¬
schulen gleich gestellt werden.
IX. Massregeln sollen ergriffen werden, tim Unterricht zu
ungehörigen Stunden zu verhindern und um den Lehrern eine
vernünftige fi’eie Zeit zu sichern.
X. Volle Schulzeit soll verlangt werden:
a) für die Müssiggänger- und Tagarbeitsschulen,
b) für die Arbeitsschüler bis zum 10. Jahr (leichte Ar¬
beitsbeschäftigung ausser den Schulstunden),
c) in Besserungsanstalten und Arbeitsschulen, ausge¬
nommen in gewissen Fällen, bis der dritte Grad
erreicht worden ist.
XI. Singen nach Noten soll systematisch gelehrt werden.
XII. In Tagarbeitsschulen sollen Frauen als Lehrerinnen
so weit als möglich verwendet werden.
XIII. Die Uebertragung der Erziehungs-Inspection an das
Erziehungsdepartement und folgerichtige Ausdehnung der Be¬
willigungen von dem Erziehungsdepartement an die Besserungs-,
Arbeits-, Tagarbeits- und Müssiggänger-Schulen.
XIV. Die Handhabung der Inspection von Seiten der
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Centralerziehungsbehörde in jeder Hinsicht mit Ausnahme der
Elementarerziehung.
XV. Eine klare Bestimmung der Schulprovinz jedes De¬
partements und seiner Inspectoren.
XVI. Die durchs die Entlastung von der Pflicht der Er-
ziehungs-Inspection bestimmte freie Zeit soll durch den Home
Office- (Centralbehörde-) Inspector zu öfterem Besuch, besonders
zu Ueberraschungsbesuchen verwendet werden.
Bedingungen der Aufnahme.
XVIL Der Gerichtshof soll einen Specialbericht an den
Home-Secretär machen über die Umstände, unter welchen ein
Kind zugelassen wird:
a) unter 10 Jahren zu einer Besserungsanstalt; oder solch
ein niederes Alter, als für die Fälle der Aufnahme in
eine Arbeitsschule für Jugendliche bestimmt werden
möchte;
b) unter 14 Jahren zu einer Besserungsanstalt;
c) bei der ersten Ueberführung eines Verbrechens zu einer
Besserungsanstalt.
XVIII. Alle Gerichtshöfe sollten die Befugniss haben,
Kinder unter 10 Jahren, belastet mit leichten Verbrechen, in
eine Besserungsanstalt zu schicken.
XIX. In die Besserungs-, Arbeits-, Tagarbeits- und
Müssiggänger-Schulanstalten sollen die Aufnahmen nur für
einen letzten Termin, der mit dem 16. Jahre endigt, in eine
Besserungsanstalt nie für weniger als 3 Jahre, ausgenommen
bei Kindern unter 11 Jahren nie für mehr als 5 Jahre er¬
folgen.
XX. Einige von den bestehenden Arbeitsschulen sollten
für jüngere Kinder bestimmt sein, um in einem Alter, das 11
Jahre nicht überschreitet, einer ordentlichen Arbeitsanstalt
überwiesen zu werden.
XXL Schottische Schulbehörden sollen die Befugniss und
Pflicht haben, an Schulbehörden in England nach der 11.,
12., 13. und 16. Section der Erziehungs-Acte von 1876 ihre
Rechte zu übertragen.
XXII. In allen Fällen, wo Kinder von weniger als 16
Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 17
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252
Jahren vorgestellt werden, sollte der Gerichtshof die Macht
haben, das Alter des Kindes zu bestimmen, welches dann das
wahre Alter für alle Zwecke, die unter die Besserungs- und
Arbeitsschulacte fallen, sein soll.
XXIII. In Schottland sowie in England soll kein Kind
zu einer Besserungs-, Tag- und Müssiggängerschule über¬
wiesen werden ausgenommen durch zwei Magistratspersonen
oder vom besoldeten Magistrat oder von einem Scheriff im
öffentlichen Amte.
XXIV. Alle Fälle einer Woche sollen zur Untersuchung
vor eine Localbehörde gebracht werden, welche die Macht hat,
für zwei oder drei Wochen auszuschliessen.
XXV. Der Gerichtshof soll die Gegenwart der Eltern
erzwingen.
XXVI. Der Gerichtshof soll die alternative Befugniss
haben,
a) die körperliche Züchtigung der Knaben anzuwenden,
b) die Geldstrafe des Vaters oder seine Einsperrung zu
verhängen,
c) Bürgschaft zu nehmen von dem Vater für die gute
Aufführung des Kindes,
d) in schottischen Fällen, welche vor der Parochialbehörde
klagbar sind, soll die Behörde die Wahl haben, sich
der Aufnahme in Arbeitsanstalten zu widersetzen, und
der Gerichtshof die Wahl haben, sie der Sorge der
Parochialbehörde zu übergeben, um sie ausser dem
Hause unterzubringen.
XXVII. Alle Fälle der verweigerten Zulassung sollen dem
Staatssecretär berichtet werden, welcher das Recht haben soll,
auf der Zulassung zu bestehen: hinsichtlich der Protistuirten,
welche, sofern möglich, einer Herberge überliefert werden
sollen; hinsichtlich der Schwachen und Blödsinnigen, welche
in eine barmherzige Anstalt gesendet werden sollen.
XXVni. Die Ausfertigung eines Circulars an die Magi¬
strate, um ihre Aufmerksamkeit auf die Arbeitsschul-*Verbesse¬
rungs-Acte von 1880 zu lenken und zu der Pflicht ihr Wirkung
zu geben in zutreffenden Fällen.
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XXIX. Die Zurücknahme der Section 16 der Arbeits-
schul-Acte von 1860 zu erstreben.
Controle.
XXX. In dem Falle, wo Knaben vor der Besserungs¬
anstalt eingesperrt werden sollen, sollen die Behörden ermächtigt
sein, körperliche Züchtigung zu verordnen.
XXXI. Hinsichtlich der Mädchen soll die Einzelhaft vor
der Besserungsanstalt nicht mehr als 7 Tage unter einem Alter
von 12 Jahren betragen, andernfalls nicht mehr als 14 Tage
und soll, sofern möglich, in Zellen in oder nahe bei den
Besserungsanstalten verbüsst werden.
XXXII. Die Verbringung von Arbeitsschulen in Besse¬
rungsanstalten soll ohne Gefängnissstrafe geschehen mit Aus¬
nahme von schweren Fällen. Die Verbringung von Besserungs¬
anstalten in Arbeitsschulen soll nur möglich sein durch eine
Anordnung des Home-Secretärs.
XXXIII. Für den Fall von Bestrafung soll:
a) keine Bestrafung von einem Unterbeamten aufgelegt
werden;
b) keine Bestrafung durch einen Schulmeister verhängt
werden, ausgenommen für Schul vergehen;
c) der Zwischenraum einer Nacht allgemeine Regel sein
zwischen Vergehen und Strafe;
d) ein Bestrafungsbuch gehalten werden;
e) die Bestrafungen quartaliter oder monatlich dem
Inspector angezeigt werden;
f) ein Plan für Bestrafungen später ausgearbeitet werden.
XXXIV. Eine besondere Besserungsanstalt für Rückfällige
soll unter freiwilliger Leitung eingerichtet werden.
Entlassung 8-Verordnungen.
XXXV. In allen Fällen, wo die gegenwärtige Befugniss,
die Kinder in die Ijehre zu bringen, unanwendbar ist, sollen
die Leiter gleichmässig volle Ermächtigung haben anzuordnen:
sie in eine Herberge zu thun oder zur See oder zur Auswan¬
derung zu bringen.
17 ^
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XXXVL Die Marine- und Militärbehörden sollen durch
Regulative autorisirt werden zur Anwerbung von Knaben der
Besserungsanstalten, ohne die Zustimmung der Eltern zu suchen.
XXXVIL Erlaubnissscheine sollen allgemeiner als jetzt
und so früh als möglich gewährt werden, und der Inspector
soll an den Home-Secretär jeden Fall berichten, in welchem
ein Kind, das offenbar zur Lehrentlassung geeignet ist, un¬
billigerweise zurückgehalten wird.
XXXVIIL Die Beaufsichtigung seitens der Leiter soll
zwei Jahre lang nach Ablauf des Urtheils fortgesetzt werden
in dem Fall, wo Zöglinge der Besserungsanstalten über 19
Jahre alt sind; diese Beaufsichtigung soll mit dem 21. Jahre
aufhören; und da die erste Zurückhaltung nicht über den
Termin des Urtheils verlängert werden soll, so sollen die Er¬
laubnissscheine erneuerungsfahig sein bis zum Datum, wo die
Controle aufhört mit Gewalt einer Zurückberufung, die nicht
zu einer längeren Rückbehaltung tauglich ist, als nöthig sein
mag, um einen neuen Anlauf zu nehmen.
XXXIX. Eine Ausdehnung des Plans solcher freiwilliger
Herbergen für Lehr- oder Entlassungsfälle, wie sie in Ver¬
bindung mit einigen Besserungs- und Arbeitsschulanstalten
existiren.
Bericht über die Resultate.
XXXX. Grosse Sorge sollen die Leiter für die Vorbe¬
reitung der Zurückweisung tragen, wie für den nachherigen
Lebensgang der Kinder und durch den Inspector bezeugt
werden.
Lehrschiffe.
XXXXI. a) Kein Knabe soll auf ein Besserungs- oder
Arbeitsschiff vor dem zwölften Jahre gesendet werden
oder ohne ein ärztliches Zeugniss der Fähigkeit, noch
gegen die eigene Zustimmung.
b) Jedes Schiff soll mit einer Gruppe von Landschulen
verbunden sein, um Knaben von ihnen aufzunehmen
oder dieselben solchen Schulen zu überweisen.
c) Die Schiffe sollen Agenten an den Häfen haben, um
für die Unterkunft der Knaben zu sorgen und im
Allgemeinen sie zu berathen und nach ihnen zu schauen.
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Schulen von kurzer Dauer.
XXXXII. Müssiggang und absichtliche Schul Versäumnisse
aus andern Ursachen sollen durch kurze Einschliessung in
Müssiggänger-Schulen oder Tag-Arbeitsschulen eher als durch
lange Rückhaltung in Arbeitsschulen behandelt werden, wenig¬
stens nachdem ein voller Richterspruch für die erste Behandlung
gefehlt hat.
XXXXIII. In den jetzigen und künftigen Müssiggänger-
schulen soll Einzelhaft nicht angewendet werden, am wenigsten
als Versuch.
XXXXIV. Vorkehrungen sollen getroffen werden zur
Einrichtung römisch-katholischer Müssiggänger- oder Tag¬
arbeitsschulen oder für beide.
. XLV. Die Gesetzgebung gibt Ermächtigung:
a) die Beamten der Schulbehörden in Stand zu setzen,
ein ungerathenes Kind durch einen Dienstbefehl auf¬
zunehmen ;
b) Knaben in die Lehre zu geben oder von einer
Müssiggänger - Schule zu einer Tagarbeitsschule zu
übertragen;
c) Kinder von einer Tagarbeitsschule zu einer andern
zu versetzen ohne die gegenwärtigen Restrictionen;
d) unter einem Magistratserlass das Schulgeld eines
Kindes zurückzuerstatten, das eine Elementarschule
besucht, mit einer Lehrscheinserlaubniss von einer
Müssiggänger- zu einer Tagarbeitsschule;
e) einigen Kindern die Erlaubniss zu geben, in die
Tagarbeitschulen zurückzukehren zu den Mahlzeiten,
zu Arbeits- oder Spielstunden' nach den von den
Eltern zu erlangenden pflichtschuldigen Beiträgen.
XLVI. Für Schottland die Ausdehnung der Sectionen
11, 12, 14 u. 16 der Elementar-Erziehungsakte von 1876 und
die Errichtung von Tagarbeitsschulen in Schottland und deren
allgemeinen Gebrauch in England.
XLVII. Die Gesetzgebung gibt der Municipalautorität die
Macht, die specielle Anwendung auf Kinder zu reguliren, so
dass sie Sorge tragen mögen für genügende Bestrafungen.
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256
Finanzielle Einrichtungen.
XLVIII. In dem Fall einer Arbeits-, Tagarbeits- und
Müssiggänger-Schule:
a) die Abschaffung der gegenwärtigen Zuschüsse durch
Vierteljahrs-Sessionen und Stadtversammlungen und
der directen Beiträge von Schulbehörden und Ersetzung
der Zuschüsse von den Vormündern für jedes Kind
nach folgender Wochenskala: 7 Sh. 6 P. für refractäre
arme Kinder, die durch Vorstellung der Vormünder
zugelassen sind; 2 Sh. 6 P. für Fälle der Zurückhal¬
tung in Arbeits- oder Müssiggängerschulen; 2 Sh. für
Kinder in Tagarbeitsschulen;
b) Sammlung und Aufbewahrung der elterlichen Zahlun¬
gen durch die Vormundschaftsbehörde als Ersparniss
den obigen Zuschüssen gegenüber;
c) die Zahlung an die Vormünder durch die Schulbehör¬
den zum Unterschied zwischen dem Betrag aus der
Staatskasse und elterlichen Zuschüssen und dem nöthi-
gen Beitrag zur Unterhaltung des Kindes.
d) Die Vormünder haben das Recht der gelegenheitlichen
Inspection.
e) Der Gerichtshof soll zwei Anordnungen machen: die
eine für die Vormünder für die Zeit der Aufnahme,
die andere um die Höhe des elterlichen Beitrags zu
bestimmen.
f) Die Verpflichtung der Vormünder und Eltern für ihre
' resp. Zahlungen sollen von dem Datum der Zulassung
an beginnen.
g) Der Gerichtshof soll die Macht haben, die Summe der
elterlichen Beiträge zu erhöhen auf den Antrag der
Pfleger und beim Beweis der Aenderung in den Ver¬
hältnissen der Eltern.
h) Der Gerichtshof soll die Macht haben, zu verordnen,
dass der Vater beim Beweis von genügenden Mitteln
7 Sh. 6 P. in eine Arbeitsschule oder 3 Sh. in eine
Tagarbeitsschule zahlen solle.
i) In Schottland, wo die Gemeindebehörde jetzt ver¬
pflichtet ist, soll diese wie in andern Fällen die oben
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257
fixirte Zuschusssumme leisten und die Macht haben,
von den Eltern Ersatz zu fordern.
k) In Fällen des Wegzugs der Eltern sollen die Vor¬
münder das Recht haben, sich mit den Pflegern der
Union, wo sie hingezogen sind, zu vereinbaren, um
die Einsammlung der Beiträge zu ermöglichen, und
der Gerichtshof soll die Macht haben, bei dem Beweis
des sechsmonatlichen Aufenthalts der Eltern in einer
andern Union ihren Erlass zu verbessern und die Ver¬
pflichtung des Zuschusses nach erhaltener Benach¬
richtigung auf die Vormundschaftsbehörde einer solchen
Union zu übertragen.
XLIX. In dem Fall von Verbesserungsanstalten:
a) die Fortsetzung der Sammlung der elterlichen Beiträge
durch das Schatzamt mit Bezug auf Befreiung;
b) die Fortsetzung von Beiträgen von Quartalsessionen
und Stadtversammlungen.
c) Diese Einsammlungsbehörden sollten in Zukunft zu einer
bestimmten Contribution von 2 Sh. in der Woche für
jeden Fall verpflichtet sein mit Ermächtigung zu ge¬
legentlicher Inspection.
d) Erzwingung gleichmässiger Bezahlung von Seiten der
Eltern.
e) Der Gerichtshof soll die Macht haben, bei Beweis von
genügenden Mitteln zu verordnen, dass die Eltern 8 Sh.
per Woche bezahlen.
L. Der Antrag: durch die Londoner Polizeibehörde eine
gleichmässige Praxis bei den Schulbehörden planmässig zu
sichern.
LI. Das Schatzamt soll )n Hinzufügung zu den oben em¬
pfohlenen Erziehungs - Verordnungen noch folgende Erlasse
geben: t
a) Im Fall von Arbeite- und Müssiggänger-Schulen 3 Sh.
6 P. für ein Kind, das unter die Subsection 2 der
Section 11 der Elementar-Krziehungs-»Acte von 1876
fällt; 3 Sh. für Kinder zwischen 6 und 10 Jahren;
3 Sh. für Kinder im Alter von 15 Jahren, welche 4
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258
Jahre zurückbehalten sind; 2 Sh. 6 P. für Kinder,
welche während des Tags auswärts arbeiten und mehr
als 2 Sh. 6 P. verdienen; nichts für ein Kind aus der
Besserungsanstalt, das aus dem Arbeitshause oder der
Armenschule gesendet wird; nichts für Kinder unter
6 Jahren; 5 Sh. 6 P. für Kinder von 12 Jahren und
aufwärts in Industrie-Schulschiffen, ausgenommen 4 Sh.
6 P. für Shaftesbury Schulbehörde-Schiff; 1 Sh. 6 P.
für alle andern Fälle unter Zurückbehaltung.
b) Für den Fall der Besserungsanstalten wie gegenwärtig
1 Pfund für Kleidung, aber nur in den Fällen, wo die
Lehrscheine mehr als 6 Monate vor dem Ablauf des
Termins des Urtheils ausgestellt sind. Wo Zellen für
die erste Bestrafung von Mädchen vorgesehen sind,
soll ein obrigkeitlicher Erlass über die Kosten ihrer
Errichtung gegeben werden.
c) In beiden Fällen der Besserungs- und Arbeite-An¬
stalten 2 Sh. wöchentlich für 13 Wochen und 1 Sh.
wöchentlich für die nächsten 26 Wochen für Befreiungs¬
falle. Die Hälfte der Ausgaben wird von den Leitern
geleistet (mit Bewilligung des Inspectors) bei Gelegen¬
heit der Befreiung, der Entlassung, der Anordnung,
Ausrüstung etc. nach genügenden Resultaten während
der zwei folgenden Jahre;
d) bei Tagarbeitsschulen 1 Sh. 6 P. während der Zurück¬
haltung in den ersten 6 Monaten, 1 Sh. nachher.
Wir setzen voraus, dass die oben gemachten Empfehlun¬
gen im vereinigten Königreich angewendet werden, voraus¬
gesetzt hinsichtlich Irlands mit solchen Modiheationen als
nötbig sind bei der Rücksicht auf die Verschiedenheit der Ge¬
setze und der Administration.
Besondere Vorschläge für Irland.
LII. Vorschriften für die Aufnahme von Kindern, welche
nach den Bestimmungen der Arbeitfeschul-Acte zugelassen wer¬
den, sollen für Arbeitsschulen und für solche, welche derjeni¬
gen von Kilmore ähnlich sind, mit Rücksicht auf Kinder von
verbrecherischem Charakter gemacht werden.
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259
LIIL Die Erziehung in Besserungs- und Arbeitsschulen
soll beurkundet werden durch die Inspectoren der National-
Erziehungsbehörde.
LIV. Kein Kind soll zu einer Arbeitsschule zugelassen
werden ausgenommen durch die Ordre von zwei Magistraten,
von denen einer möglichst ein Ortsmagistrat sein soll, oder
durch die Amtshandlung einer Ortsbehörde allein.
LV. Die Begründung des vorgeschlagenen Einhalts für
eine ungeeignete Zulassung zur Arbeitsschule und die Aus¬
stellung von Certifikaten zu den Arbeitsschulen sollen nach
den nämlichen Grundsätzen wie in England und Schottland
gemacht werden.
LVL Die Besserungs-Einrichtungen-Acte (Irland) 1881
soll ausgedehnt werden auf die Arbeitsschulen unter den an¬
geführten Bedingungen.
LVII. Bei passender Gelegenheit soll auf ein Lehrschiflf
zu Queenstown für römisch-katholische Arbeitsschul-Knaben
Bedacht genommen werden.
XVIII. Mittel sollen ergriffen werden, um eine Ausschrei¬
tung der Zurückhaltung von Kindern in Untersuchungshaft zu
verhüten. *)
*) Vgl. über die hier fraglichen Anstalten den Aufsatz von Föhring
in dem 14. Vereinsheft des Norddeutschen Vereins für Gefängnisswesen
Seite 119.
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MlHiiei all! Aar Praila.
Allenthalben findet man Badewannen aus Zink, die ab¬
scheulich verbuckelt und verbogen, auch vielfach geflickt sind.
Die Wannen gerathen meistentheils dadurch in diesen Zustand,
dass bei Bereitung des Badewassers zuerst heisses Wasser in
dieselben eingelassen wird und dann erst das erforderliche
kalte Wasser. Durch das heisse Wasser wird aber das Zink
so weich, dass es nicht dem geringsten Druck mehr Wider-*
stand leisten kann, jede zufällige Berührung der Wannenwände
gibt eine Beule, leicht auch einen Riss. Es ist daher streng
darauf zu halten, dass bei Bereitung des Badewassers stets
das kalte Wasser zuerst in die Wanne gelassen wird; die
Wannen werden dann viel länger brauchbar bleiben.
Die Einrichtung, dass sich das warme mit dem kalten
Wasser schon vor dem Einlassen in die Wanne mischt, dürfte
sich nur für grosse Anstalten empfehlen, wo ein continuirliches
Bedürfniss für Anwendung von Bädern besteht.
(Die rationelle Gewinnung von Speisefett aus
den Knochen.) Der Civilingenieur Gustav Keim in Franken¬
thal (Rheinpfalz) hat zur rationellen Gewinnung von Speise¬
fett aus den Knochen des in der Haushaltung verwendeten
Fleisches eine Knochensäge (Bandsäge mit Fussbetrieb, von
einer Person bedient) construirt, welche nach den vorliegenden
technischen Gutachten und nach den gewonnenen Erfahrungen
für die Haushaltung grosser Anstalten sehr zweckmässig und
geeignet ist, wesentliche Ersparungen herbeizuführen.
Die Knochen werden wie gewöhnlich beim Tranchiren
aus dem gesottenen Fleische herausgeschält und von diesen
die Gelenkköpfe, sowie die sonstigen markhaltigen und porösen
Knochenstücke mittelst der Knochensäge in dünne Scheiben
geschnitten, während die von den Gelenkköpfen abgeschnittenen
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261
offenen Knochenröhren, deren Mark leicht herauszunehmen ist,
ganz bleiben. Die Knochenscheiben werden alsdann in Wasser
mit den entsprechenden Gewürzen in offenen oder geschlossenen
Töpfen zu einer guten Fleischbrühe längere Zeit tüchtig
gekocht, während die beträchtliche Menge des abgeschöpften
überschüssigen Fetts als Schmalz verbraucht werden kann.
Ingenieur Keim liefert eine Knochensägemaschine für
270 tAL und es ist ihm zu glauben, dass in jeder grösseren
Anstalt die Anschaffungskosten durch den Werth des jetzt
gewonnenen, sonst in den Knochen verbliebenen Fetts schon
in einem Jahre reichlich gedeckt werden. Hiebei ist freilich
die Voraussetzung, dass vor Anwendung der Knochensäge die
Knochen gar keiner wirthschaftlichen Ausnutzung unterworfen,
sondern mit ihrem ganzen Eiweisse und Fettgehalt einfach
an den Knochenhändler verkauft wurden. In Strafanstalten
könnte übrigens ein finanzieller Vortheil aus dem Gewinn
an Knochenfett durch Anwendung der Knochensäge nicht er¬
wachsen, denn das so gewonnene Fett müsste zweifellos zu
den Speisen verwendet werden, zu welchen das Fleisch ge¬
hört, das die entfetteten Knochen geliefert hat. Aber ein
grosser und beachtenswerther wirthschaftlicher Vortheil
kann durch Anwendung der Knochensäge herbeigefuhrt wer¬
den, weil das mit ihrer Hilfe fast kostenlos gewonnene Knochen¬
fett, zu den für die Gefangenen zubereiteten Speisen verwen¬
det, diese fetter, verdaulicher und nahrhafter macht.
In unserer Anstalt wird seit Jahren bei Ausnützung der
Knochen ein Verfahren beobachtet, dem wir vor der von Keim
vorgeschlagenen Methode entschieden den Vorzug geben. Dieses
Verfahren erfordert allerdings die geschickte Hand eines ge¬
lernten Schlächtergesellen; ein solcher findet sich aber gewiss
in jeder grösseren Strafanstalt, und für kleine Gefängnisse
kommt weder unser Verfahren noch die Keim’sche Knochen¬
säge etc. in Frage. Wir lassen von einem geschickten Schlächter
die Knochen aus dem rohen Fleische ausschälen. Die Knochen
werden dann mit einem Beile in kleine Stücke zerschlagen,
in ein Gefass gelegt, mit Salzwasser und einigen Tropfen
chemisch reiner Salzsäure übergossen; so bleiben sie 10 bis
12 Stunden stehen. Durch diese Manipulation wird das in und
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262
an den Knochen vorhandene Eiweiss zum grössten Theil in
dem Salzwasser gelöst, wir haben dadurch eine kalte (sog.
Liebig’schc) Bouillon gewonnen. Diese Bouillon wird nun
von den Knochen abgegossen und, wie weiter unten erwähnt,
verwendet. Die Knochen selbst werden alsdann nach Beigabe
von Gewürz bei einer Temperatur von mindestens 80® R. län¬
gere Zeit in Wasser ausgekocht, bis sich die in Mark und
Knochen vorhandenen Fette, die leimhaltigen Substanzen und
die Salze dem Wasser mitgetheilt und wir so eine schätzens-
werthe Knochenbouillon mit Fett gewonnen haben. Jetzt
werden die Knochen noch von den kleinen Fleischstückchen, die
etwa bei dem Ausschälen an ihnen hängen geblieben sind, befreit,
diese unter die Speisen gemengt, die vollständig ausgenützten
Knochen aber gesammelt und an die Knochenmühle verkauft.
Unser Verfahren gründet sich auf folgende Erwägung:
Eiweiss gerinnt schon bei einer Temperatur von 62—65 ® R.;
im geronnenen Zustande hat dasselbe viel von seinem sonst
so hochgeschätzten Nährwerth und von seiner leichten Verdau¬
lichkeit (Assimilationsfähigkeit) verloren. Sollen Knochen mit
Nutzen ausgekocht werden, so müssen sie einer Temperatur
von mindestens 80 ®R. längere Zeit ausgesetzt bleiben. Hieraus
folgt, dass ein dem menschlichen Körper nützliches, leicht lös¬
liches Eiweiss und eine gute Bouillon mit Fett aus Knochen
nicht durch ein und dasselbe Verfahren gleichzeitig gewonnen
werden kann. Deshalb wird hier die kalte Bouillon für sich
allein hefgestellt. Dass diese grosse Mengen Eiweiss enthält,
zeigt sich sofort, wenn man eine beliebige Quantität dieser
Bouillon bis zu 80® R. erhitzt i. e. kocht — das Eiweiss
coagulirt und fällt in grösseren graubraunen Flocken zu Boden.
Gerade dieses Gerinnen des Eiweisses soll aber vermieden
werden; die kalte Bouillon darf daher niemals gekocht, son¬
dern nur erwärmt und den Speisen erst zugefügt werden,
wenn diese nahezu fertig gestellt sind.
Der Minderwerth der mit dem Beil zerschlagenen Knochen
gegenüber dem Werth der mit der Säge behandelten Knochen,
welche noch für die Industrie Verwendung finden können, dürfte
für unser Interesse kaum in Anschlag zu bringen sein.
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263
Literatiir.
Vorbericht.
Die Erscheinungen auf dem Gebiete der Gefangnissliteratur
haben sich ganz besonders auch im Ausland letzte Jahre der¬
art gemehrt, dass wir in deren Besprechung nicht gleichen
Schritt mit dem Erscheinen halten konnten.
Was Frankreich anlangt, so besitzt dasselbe ein jetzt
im siebenten Jahrgang erscheinendes Fachblatt, das Bulletin
de la Soci4t4 g6n4rale des prisons, dessen wir schon früher
Band 13 S. 324, Band 14 S. 247, 329 gedacht und aus dem
wir die vorzügliche Arbeit seines Redacteurs, des rühmlich
bekannten Generalsecretärs der Gesellschaft, Herrn Desportes
in Uebersetzung gebracht haben. Das Blatt ist sehr reich¬
haltig von tüchtigen Correspondenten des In- und Auslandes
bedient und mit besonderem Geschick redigirt. Das Bulletin
ist gedruckt in Paris, Imprimerie et Librairie centrales des
chemins de fer, Imprimerie Chaix, Rue Bergöre 20, und er¬
scheint jährlich in 8 Heften.
Spanien hat ein Fachblatt in der jetzt im 7. Jahrgang
monatlich 3 mal in Zeitungsform erscheinenden „La Reforma
Penitenciaria“. Director-Proprietario F. Casteilote. Administra-
cion Madrid, Infantas 4y6, segundo derecha.
Das Blatt bringt, abgesehen von Aufsätzen allgemeiner Art
aus dem Gebiete des Strafrechts und einem juristischen Theil,
Aufsätze über Gefängnisse und Gefängnisswesen aus In- und
Ausland, Gesetze und Verordnungen, Entschliessungen des
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264
Justizministeriums, Mittheilungen von der Oberleitung der Straf¬
anstalten etc.
Neuerlich ist dem Blatte auch eine besonders gedruckte
und zum Abschneiden gerichtete „Sammlung der gesetzlichen
und sonstigen Vorschriften für die Gefängnisse“ beigegeben.
Die Reichhaltigkeit und gute Auswahl des Stoffs machen
das Blatt zu einem bedeutenden, seinem Zweck entsprechenden.
Eine grosse Menge Literatur liegt uns aus England vor.
Von dort erhalten wir, abgesehen von Anderem, regelmässig
durch den verdienstvollen, unermüdlich thätigen Secretär der
Howard-Gesellschaft, Tallack, nicht nur die Berichte der
letztem, sondern noch viele grössere und kleinere Brochuren
und Aufsätze, welche die Howard-Gesellschaft verbreitet, und
Zeitungen, wie Times, Evening Standard, Pall Mall Gazette,
Daily News, Scotsman, Manchester Courier, Daily Telegraph,
Newcastle Daily Chronicle, Echo, Morning Post, Christian,
London Figaro, The Sunday at Home, Evening News, in denen
grössere und kleinere Fachartikel sich befinden. Einen inter¬
essanten Artikel über die „Reformatories and Industrial Schools“
haben wir oben in Uebersetzung gebracht.
Wir werden nun künftig unter der Rubrik „Bibliographie“
stets die Inhaltsangabe der Zeitschriften, aber nicht nur des
Aus- sondern auch des Inlands bringen und hiebei auch einen
Theil der Zeitungen und kleineren Schriften des Auslands ein-
beziehen.
Het Gevangeniswezen in Baden, door Mr. D. Z.
van Dnyl, Advokaat. Amsterdam, bei Johannes
Müller. 1884. Abschnitt 1. „Een blik of het ver-
leden.“ (Ein Blick auf die Vergangenheit.) kl. 8®.
51 Seiten.
Die Macht der Ideen bemisst sich nicht nach der Grösse
des Staats, der sie erfasst und ausführt; ja, es ist eine ge¬
schichtliche Wahrheit, dass in den Aufgaben der Cultur oft¬
mals minder grosse Gemeinwesen, in welchen namentlich die
finanzielle Tragweite von Neuerungen leichter ermesslich und
eine geringere ist, bahnbrechend vorangeschritten sind. Diese
Erkenntniss wohl hat der Geschichte des badischen Gefängniss-
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Wesens in der Person eines holländischen Rechtsgelehrten einen
so fleissigen und umblickenden Bearbeiter zugeführt. Die vor¬
liegende Studie, welche die Zeit von der Entwickelung der
Freiheitsstrafe überhaupt bis zum Jahre 1870 näher betrachtet,
ist zwar zunächst für Niederländer geschrieben und daher nicht
ohne Seitenblicke auf Geschichte und Ziele des dortigen Ge-
fängnisswesens. Allein sie ist bei der nahen Verwandtschaft
der Sprachen auch für Deutsche leicht lesbar und unter vielen
Gesichtspunkten sehr interessant. Sie stellt in der Mittheilung
einer 1570 von Philipp II. erlassenen Gefängnisshausordnung
fest, dass in den Niederlanden zuerst Zuchthäuser errichtet
wurden und dieses Beispiel sodann zunächst in Norddeutsch¬
land, besonders in Bremen und Hamburg, dann erst in den
süddeutschen Ländern Nachahmung gefunden habe. Das von
den Fürstbischöfen von Speyer in Bruchsal eingerichtete Ar¬
beitshaus (1776), welches noch benützt wird, findet namentlich
Anerkennung. Im Uebrigen wird hervorgehoben, dass eine
besonders rühmliche Entfaltung des badischen Gefängniss-
wesens erst mit dem Markgrafen und spätem Grossherzog
Carl Friedrich beginne, welcher die Scylla und die Charybdis,
zwischen denen der Strafvollzug seinen Weg nehmen muss,
bekanntlich dahin bestimmte, ebensowenig „die Frevler durch
Nachsicht in ihrer Bosheit zu bestärken“ als „durch allzuharte
Strafen die Fehlenden in ihr gänzliches Verderben gestürzt zu
sehen.“ Die einzelnen Reformen dieses hochsinnigen Fürsten,
die Beschränkung und spätere Abschaffung der Tortur, das
Verbot unterirdischer Gefängnisse, die Classificirung der Ge¬
fangenen, die Begrenzung der Disciplinargewalt über dieselben
werden gewürdigt und es folgt sodann, mit dem Jahre 1838
beginnend, die Darstellung der literarisch mehr bekannten
Vorbereitung und Durchführung der Einzelhaft, in genauerer
Schilderung der einzelnen Stadien dieser Entwickelung.
Die mit Kraft und Wärme geschriebene Schrift bildet nur
die historische Einleitung zur Darstellung des jetzigen Zustands
des badischen Gefängnisswesens und wir werden das Erscheinen
der Fortsetzung um so mehr zu begrüssen haben, als eine zu¬
sammenfassende Bearbeitung dieser Art für Baden bis jetzt
mangelt. v, /.
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266
Handbuch der österreichischen Justizverwaltung.
Mit Benützung amtlicher Quellen von Dr. Josef
Kaser er, Sectionsrath im k. k. Justizministerium etc.
IV. (Schlussband). Wien 1885. Holder. gr.Lex.-8®.
443 Seiten.
Mit diesem 4. Bande ist das bereits in Bd. XVIII. S. 416
dieser Blätter angekündigte werthvolle Werk nunmehr voll¬
ständig. Der IV. Theil enthält die Vorschriften über die Ge¬
schäftsführung, zahlreiche Nachträge zu den früheren Bänden
bis zum Schluss des Jahres 1883 und ein äusserst vollständiges
Zeit- und Sachregister, dem gemäss früher gegebener Zusage
eine ganz besondere Sorgfalt zugewendet ist.
The State Penitentiary at Philadelphia. Kurze Be¬
schreibung seiner Entstehung und Geschichte von
Richard Vauk, Präsidenten des Aufsichtsrathes.
Philadelphia 1872.
Diese Arbeit ist geschichtlich für die Entwicklung des
Gefängnisswesens von grossem Werth und verdient eine aus¬
führlichere Besprechung, die, wenn auch verspätet, doch nicht
zu spät kommt. — Der im Jahre 1787 gegründeten Phila¬
delphia Society for Alleviating the Miseries of Public Prisons
gebührt das Verdienst der ersten Anregung der Reform des
Strafvollzugs und Gefängnisswesens, jetzt eines Gemeingutes
aller gebildeten Nationen. Welches Ziel die Männer der Stadt
Penn’s dabei verfolgten und in welchem Sinne sie die Lösung
ihrer Aufgabe unternahmen, zeigt folgender Auszug aus dem
Gesellschafts-Statut:
„Erwägen wir, dass die Gebote der Nächstenliebe, welche
auf den Vorschriften und dem Beispiel des Stifters des Chri¬
stenthums beruhen, durch die Thorheiten und Verbrechen
unserer Mitmenschen nicht mit Füssen getreten werden sollen,
und betrachten wir das Elend, welches Mangel, Hunger, Kälte,
unnöthige Strenge, ungesunde Räume und belastete Gewissen
(das gewöhnliche Gefolge der Gefängnisse) mit sich bringen,
so können wir unser Mitleid jenem Theil der Menschheit nicht
versagen, der diesem Elend verfallen ist. Mit Menschlichkeit
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0 .
— 267 —
lassen sich diese ungebührlichen und ungesetzlichen Leiden
verhüten. Die Familienbande, welche die ganze Menschheit
umschlingen, sollen unter allen Verhältnissen unverletzt er¬
halten und Strafen von einer Art und Weise erdacht und ein¬
geführt werden, welche statt lasterhafte Gewohnheiten fortzu¬
setzen, das Mittel bieten, unsere Mitmenschen zur Tugend und
Glückseligkeit zurückzuführen.“
Die Gesellschaft wählte einen Präsidenten, zwei Vice-
präsidenten, zwei Secretäre, einen Schatzmeister, vier Aerzte
und zwei ständige Comit^s, Wahl- und Actions-Comit6. Der
jährliche Beitrag der Mitglieder betrug 10 Schilling, später
1 Dollar. Die Aufgabe des Actions-Comit^s bestand in dem
wöchentlichen Besuche der Gefängnisse, Erkundigung nach den
persönlichen Verhältnissen der Gefangenen, dem Bericht über
Vorgefundene Missbrauche und Beobachtung der Einflüsse des
Strafvollzugs-Systems auf die Gefangenen.
Zwei Jahre später brachte die Gesellschaft ihre Reform¬
anträge, darunter den Antrag auf Einführung der Einzelhaft
mit harter Arbeit — (die Legende von der anfänglichen Ein¬
führung strikter Einzelhaft mit der Bibel ohne Arbeit wird
dadurch widerlegt) — an die gesetzgebende Gewalt. Mit
Gesetz vom 5. April 1790 wurde im Hinblick auf die bei Ver¬
wendung von Verbrechern zu öffentlichen Arbeiten und bei
dem ungestörten Verkehr der Sträflinge innerhalb der Gefäng¬
nisse erzielten unbefriedigenden Erfolge und in der Erwartung,
dass ununterbrochene Einsamkeit in Verbindung mit nützlicher
Beschäftigung (laborious employment) bessernd und abschreckend
zugleich wirken werde, die Errichtung von 16 Zellen auf dem
Gefängnisshofe beschlossen, welche bei einer Breite von 6 Fuss,
Länge von 8 Fuss und Höhe von 9 Fuss aus Steinen und
sicher gegen Feuersgefahr erbaut und von dem gemeinsamen
Hofe durch Mauern von einer Luft und Licht nicht unnöthiger-
weise beeinträchtigenden Höhe getrennt werden sollten.
Der Versuch der Einführung der Einzelhaft hatte sich
inhaltlich eines im Jahre 1781 an die Legislative gerichteten
Memorandums bewährt, die Gesellschaft in ihrer Ueberzeugung
bestärkt und andere Staaten zur Annahme dieses Systems be¬
stimmt. Im Jahre 1803 beantragte die Gesellschaft Erbauung
Blätter für Gefängnisskunde. XIX. X8
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268
eines neuen Gefängnisses und wiederholte diesen Antrag bei
verschiedenen Gelegenheiten, zuletzt in einem Memorandum
vom Jahre 1821. Mit Gesetz vom 20. März 1821 wurde Er¬
bauung einer neuen Anstalt nach dem Isolirsysteme für 250
Gefangene mit einem Kostenaufwande von 100000 Dollars
beschlossen. Instructionen für die Inspectoren, den Verwalter,
die Aufseher, den Arzt, den Religionslehrer, sowie detaillirte
Vorschriften über Behandlung der Gefangenen und die Haus¬
ordnung wurden gleichfalls auf dem Wege der Gesetzgebung
erlassen. Die Grundsteinlegung erfolgte am 22. Mai 1823,
die Eröffnung am 25. October 1829. Die Baukosten berech¬
neten sich bis zur Eröffnung auf 332124 Dollars und steiger¬
ten sich bis zum Jahre 1835 auf 772 600 Dollars.
Ein Muster für so viele später erbauten Strafanstalten hat
das Strafgefängniss in Philadelphia die Bedeutung einer Muster¬
anstalt längst verloren. Eine Ringmauer massiv aus Granit in
der übermässigen Stärke von 12 Fuss an der Sohle bei 35 Fuss
Höhe, mit schweren zinnengekrönten Thürmen, von welchen
der über dem Eingangsbau die stattliche Höhe von 80 Fuss
erreicht, gewährt einen düsteren festungsartigen Eindruck und
umschliesst im Viereck eine Fläche von 10 Acres, auf welcher
die Anstalt mit einem Centralbau und 8 gleich den Speichen
eines Rades davon auslaufenden Flügeln erbaut ist. Durch
successive Erweiterung hat sich die Anzahl der Zellen auf
616 vermehrt, welche sich in drei einstöckigen und vier zwei¬
stöckigen Flügeln befinden. Die ebenerdigen Zellen des ersten
Stockes sind mit unmittelbar angebauten Höfen zur Bewegung
im Freien versehen, welche bei einer Breite von 8 Fuss und
Länge von 14 Fuss, von 11 Fuss hohen Mauern umschlossen,
mit der in der Laterne des Centralbaues angebrachten Vor¬
richtung zur Beleuchtung durch 8 silberplatirte, das Gaslicht
über die Höfe breitenden Reflectoren ein von dem modernen
Gefängnissbau seltsam abstechendes Bild bieten. Die zuletzt
1869—1870 erbauten Zellen sind 8 Fuss breit, 16 Fuss lang,
12 Fuss hoch und haben Oberlichter von 5 Fuss Länge und
12 Zoll Breite. Mit Ventilation, Dampfheizung, Gas und Wasser¬
closets versehen, werden sie als das Beste geschildert, was im
Zellenbau bisher geleistet wurde.
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269
Unter den vielen Kritiken von berufener und unberufener
Seite, welche im Laufe der Zeit über Werth und Wirkung
des in Philadelphia zuerst eingeführten Systems der Einzelhaft
gefällt, von dem Verfasser berührt werden, befindet sich auch
die in den American Notes von Dickens im Jahre 1842 ver¬
öffentlichte Schilderung seiner Eindrücke beim Besuche eines
Insassen dieses Gefängnisses:
„In einer andern Zelle fand ich einen Deutschen, der
wegen Betrugs zu fünf Jahren verurtheilt, zwei davon gerade
erstanden hatte. Nie in meinem Leben sah ich ein solches
Bild tiefster Niedergeschlagenheit und geistigen Schmerzes.
Mein Herz blutete bei seinem Anblick und als er mit Thränen
in den Augen und zitternder Hand einen meiner Begleiter auf
die Seite nahm und nervös den Bock zerknitternd fragte, ob
denn gar keine Hoffnung auf Milderung seiner harten Strafe
bestehe, bot er ein Schauspiel, das für mich zu schmerzlich
war, um es zu ertragen; niemals trat menschliches Elend
erschütternder mir vor die Sonne als das Unglück dieses
Mannes.“
Das Modell zu diesem nach dem Leben gezeichneten er<*
schütternden Bilde menschlichen Elendes hat, wie der Ver¬
fasser mittheilt, seine weitere 3 Jahre nicht allein ohne Nach¬
theil ertragen, sondern kam nach seiner Entlassung fünfmal
wieder, überlebte seinen berühmten Besucher lange und ist
nach Zeitungsnachrichten erst in den letzten Jahren und zwar
in demselben Gefängnisse gestorben, das wie in so manchen
Fällen für ihn seine Schrecken verloren und sich für den alten
Kunden hoch in den siebziger Jahren in ein Asyl verwandelt
hatte.
Die Strafanstalt Philadelphia ist jetzt das einzige Isolir-
gefangniss in den vereinigten Staaten. Der eigenthümliche
Charakter dieses Strafsystems ist, wie der Verfasser im Vor¬
wort bemerkt, noch zu wenig verstanden und die Entwicklung
der Gefängnissdisciplin aus dem denkbar schlechtesten Zustand
zu ihrer philosophischen Höhe so wenig bekannt, dass der
Verfasser seine zunächst durch den Londoner internationalen
Congress von 1872 veranlasste Arbeit Allen widmet, die sich
mit dem Studium des Strafrechts und der Gefängnisskunde
18 *
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270
befassen. Diese Widmung passt nicht für Deutschland, wo
man den Werth der Einzelhaft erkannt und die ihrem reichen
Inhalte nach hier nur kurz skizzirte Arbeit des Verfassers als
einen hochinteressanten Beitrag zur Entwicklung der Gefängniss-
reform gewiss zu schätzen wissen wdrd.
Hamburg. St-g.
Cassel, 1884. Die hiesige Anstalt, welche seit October
1882 unter der Direction der neu errichteten Strafanstalt in
Wehlheiden stand, ist vom April er. ab als selbstständige ab¬
gezweigt worden.
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Ö71
Scliilzfeüei.
In welch’ naturgemässem und nothwendigem Zusammen¬
hang das Schutzwesen mit dem Gefängnisswesen steht, welche
prophylaktische, unterstützende und ergänzende Bedeutung das¬
selbe für die Strafrechtspflege wie für den eigentlichen Straf¬
vollzug besitzt, ist, wie von jedem Sachkundigen, so auch
speciell vom „Verein der deutschen Strafanstalts¬
beamten“ durch eingehende Behandlung des Gegenstandes
auf dem letzten Congress erkannt und anerkannt worden.
Unter dem Sammelwort „Schutzwesen“ möchten wir aber
Alles verstanden wissen, was theils auf dem umfassenden und
vielseitigen Gebiete der freiwilligen Liebesthätigkeit, theils von
Seiten des Staates geschieht oder eingeführt wird zur Unter¬
stützung oder zum Schutze oder zur Rettung solcher Personen,
welche durch eigene oder fremde Schuld in irgend einer Be¬
ziehung entartet, gesunken oder hilflos geworden und in Folge
dessen ausser Stande sind, mit eigenen Mitteln oder aus eigener
Kraft in der bürgerlichen Gesellschaft sich zu rehabilitiren,
ihren Unterhalt zu verdienen oder moralisch sich zu heben
und aufrecht zu erhalten.
Um nun im Vereinsorgan weiter zu pflegen, was unter
vielseitiger Anregung bereits im ganzen Gebiet unseres Vereines
zum Segen der Gesammtheit im erfreulichen Wachsthum
begriffen ist, wird die Redaction fortab nicht wie bisher
zerstreut, sondern unter der besonderen Aufschrift oder Ru¬
brik: „Schutzwesen“ alle ihr zugehenden wichtigeren Mit¬
theilungen veröffentlichen über das Wirken der Gefängiiiss-
gesellschaften, über die Schutz vereine für entlassene
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Gefangene, über die Anti-Bettelvereine, Arbeiter-
colonien, Asyle, Magdalenenhäuser, Rettungs¬
anstalten für verwahrloste Kinder, überhaupt über alle
verwandten Bestrebungen und Ereignisse. Jahresberichte,
Broschüren, Abhandlungen, Vereinshefte u. dergL
finden auszügliche Besprechung und sachbezügliche Corre¬
spondenzen werden der Redaction jederzeit willkommen sein.
Wir hoffen durch dieses Verfahren ebenso anspornend wie
belehrend auf das Schutzwesen einwirken zu können. Für
heute haben wir folgende Einkünfte zu verzeichnen:
1. Bericht über die Generalversammlung der
Vereine zur Fürsorge für die aus den Straf- und
Besserungsanstalten Entlassenen, abgehalten zu
Dresden am 30. April 1884.
Im Jahre 1886 werden es 50 Jahre, dass der f König
Johann von Sachsen in höchsteigener Person die Gründung eines
Centralauschusses zur Organisirung und Leitung des Schutz¬
fürsorgewesens im ganzen Königreich angeordnet, und es ist
bekannt, wie vortrefflich die Sache sich gestaltet hat und sogar
durch Gesetz geordnet worden ist. Sachsen ist in gewissem
Sinne neben Württemberg das Musterland für das Schutz¬
wesen. — Der Centralausschuss steht unter dem Pro-
tectorat des regierenden Königs und wird zusammengesetzt
aus Männern, die Se. Majestät bestimmt. Gegenwärtig func-
tionirt als Vorsitzender des Centralausschusses Geheimerath
von Einsiedel und als Generalsecretär der sehr eifrige
Strafanstaltsgeistliche Pastor Mahn in Waldheim. Der
Centralausschuss erhält pro Jahr 810 Ji. als ständige Ein¬
nahme (von der Kammer verwilligt) aus der Staatscasse. Er
betrachtet es aber nicht als s e i n e Aufgabe, Unterstützungen
an Einzelne zu geben, überlässt dies vielmehr — mit weni¬
gen Ausnahmen — lediglich den Bezirks-Vereinen und Bezirks-
Verbänden. Das ganze Vermögen des Centralausschusses be¬
steht (1884) aus ca. 7800 worunter ein allerneuestes Legat
von 3000 tAL Letzteres hat man als Beitrag zu der auch in
Sachsen zu gründenden Arbeitercolonie in Aussicht genommen.
Pastor Mahn berichtet über das Vereinsleben während
der verflossenen zwei Jahre. Es bestehen 37 Vereine im Lande,
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die jeweils grosse Bezirke umfassen und meistens unter regster
Betheiligung der Geistlichen ihre Thätigkeit ausüben. Die
wichtigste Aufgabe fällt den Pflegern zu, die sich häufig in
Conferenzen zusammenfinden, um ihre Erfahrungen auszu¬
tauschen, Fragen zu beantworten, Bitten auszusprechen, Miss-
vei*ständnis8e und Vorurtheile zu beseitigen, falsche Massnahmen
zu corrigiren u. dgl. m. Durch diese Pflegerversammlungen, zu
welchen Jedermann Zutritt hat, wird das Interesse am Vereine
ungemein geweckt und gestärkt. — In Sachsen wendet das
Schutzwesen seine Theilnahme auch ganz besonders den
Familien Inhaftirter zu und es ist eine allgemeine Er¬
fahrung, dass nichts so lohnend ist wie dieser Zweig seiner
Wirksamkeit.
Nach einer Zusammenstellung des Herrn Generalsecretärs
haben sich bei 30 Vereinen im Verlaufe eines Jahres 1952
Entlassene angemeldet! — Die Arten der Fürsorge sind
mannigfaltig und die Mittel hiezu in manchen Vereinen über¬
reichlich vorhanden, so dass wiederholt von der Einsammlung
der Beiträge hat abgesehen werden können. Im Allgemeinen
lehrt die Erfahrung, dass die besseren Elemente die Vereine
weniger in Anspruch nehmen. — Die erzielten Erfolge
betreffend, so berichten die Einzelvereine darüber verschieden,
die einen haben mehr, die andern weniger Erfreuliches zu
melden, alle aber stimmen darin überein, dass ihre Arbeit
„nicht erfolglos“ gewesen sei. — Der Dresdener Verein
verfügt über ein Asyl, worin er seine Schützlinge so lange
verpflegt, bis sie Arbeit gefunden haben.
Den Schluss der Generalversammlung bildete ein klarer
und warmer Vortrag des Herrn Geheimen Regierungs¬
raths d’Alinge, Strafanstaltsdirector in Zwickau: „Ueber
das Prinzip der Individualisirung, auch in der Für¬
sorge für entlassene Gefangene.“ „Wer im Strafhaus
allein die Natur und das Wesen eines Menschen gründlich
studiren zu können glaubt, kommt mir vor, wie Einer, der die
Natur der Raubthiere im — zoologischen Garten stu¬
diren will. In der Freiheit erst kann man das Individuum
in seiner Eigenart erkennen.“ Allerdings bleiben die meisten
Entlassenen nicht so lange in der Vereinspflege, um eine Durch-
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führung des Individualisirungs-Prinzipes zu ermöglichen. Aber
das Th unliebe sollte geschehen! Die Individualität des Pfleg¬
lings wie des Pflegers muss vor Allem zusammen passen. Der
Eine bedarf einer energischen, der Andere einer milden Hand,
um sich führen zu lassen. Auch die zu beschaffende Arbeit
muss der Fähigkeit entsprechen und die Unterkunft den
persönlichen Neigungen und Schwächen. Es ist oft schwer,
hierin das Richtige zu treffen. Die schlechteste Fürsorge be¬
steht aber jedenfalls in der kurzen Abfertigung mit einer
Summe Geldes. Man darf sich nicht scheuen, einen Weg zu
gehen, ein gutes Wort einzulegen, mit bVaven Handwerkern
und Hausvätern Rücksprache zu nehmen. Redner empfiehlt
die bestraften Entlassenen als die geringsten unter den Brü¬
dern aufs Wärmste dem öffentlichen Mitleiden; denn „was
Ihr einem der Geringsten unter ihnen gethan habet,
das habet Ihr mir gethan.^
2. Erster Jahresbericht des Vereines zur Er¬
richtung von Asylen für Strafentlassene. Berlin 1884.
Druck von Ad. Knickmayer.
Dieser Verein hat sich im Mai 1883 gebildet und zählte
nach vorliegendem ersten Jahresbericht nach Verlauf eines
Jahres schon 411 beitragende Mitglieder. An der Spitze steht
Strafanstaltsdirector Frhr. von Falkenstein. Der Zweck
des Unternehmens geht dahin: „den Uebergang von der Zelle
in das Leben und Treiben der Weltstadt mit den in ver¬
lockendster Form herantretenden Versuchungen für schwache
und schwankende Charactere durch einen kaum merkbaren
milden Zwang zu vermitteln und so die Kluft zu überbrücken.“
Dies sei aber nur durch ein Asyl zu erreichen, in welchem
arbeitswillige gebesserte Strafentlassene Arbeit und Unterkunft
fänden. Man bat ein solches kleines Asyl in der Adalbert¬
strasse gewonnen, worin die Leute mit Garnhaspeln beschäftigt
wurden. Nunmehr hat aber der Vorsitzende mit Fabrikant
Ranfft in Berlin ein Abkommen getroffen, wonach dieser
contractlich sich verpflichtete, fleissige und geübte Arbeits¬
kräfte nach ihrer Entlassung sofort einzustellen und einen
Wochenverdienst bis zu 18 JL zu ermöglichen. Wir wünschen
weiteres Gedeihen.
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3. Zweiter Rechenschaftsbericht des Vereins
zur Rettung und Erziehung minorenner Straf¬
entlassener Mädchen. Vom 1. April 1882 bis dahin 1884.
Berlin, J. Windolff.
Edle menschenfreundliche Damen leiten und bilden diesen
Verein, dessen Nutzen schon der Name zur Genüge anzeigt.
Er besitzt in Reinickendorf eine kleine Anstalt unter einer
Hausmutter und einer Hilfslehrerin, wo die Mädchen in der
Hauswirthschaft und weiblichen Handarbeiten, die verkäuflich
sind, unterrichtet werden.
4. Neunter Jahresbericht des Bernischen Schutz¬
aufsichts-Vereines für entlassene Sträflinge pro
1883. Von G. Stauffer, Pfarrer, Secretär des Vereines.
Bern, Stämpfli’sche Druckerei. 1884.
Unsere benachbarte sprach- und stammverwandte Sch weiz
leistet so Vieles und Rühmliches auf den Gebieten des Ge-
fängniss- und Schutz Wesens, dass wir den freundlichen Zu¬
sendungen von dorther jeweils gerne Beachtung schenken.
Beinahe jeder Canton hat seinen Fürsorgeverein; so auch
Bern, mit einer Centralleitung in Bern. Freilich ist dessen
Thätigkeit nur eine bescheidene. Seit 1879 wird eine Controle
der Patronirten geführt, welche z. Zt. 98 Namen aufweist, mit
der Bezeichnung „gut‘‘ 39, mit „schlecht“ 44, mit „unsicher“
11; gestorben sind 4. Im Berichtsjahr meldeten sich 34 beim
Verein um Unterstützung; es konnten aber nur 17 berück¬
sichtigt werden. Der Bericht klagt über Mangel an Ver-
ständniss und Theilnahme Seitens des Publikums, sowie über
die Schwierigkeit, entsprechende Arbeit aufzufinden. Eine
Agentur für Arbeitsnachweis wäre als Beihilfe dem Verein
sehr erwünscht. Anderwärts auch! — Schliesslich wird be¬
merkt, dass im Canton eine einheitliche Leitung und Behand¬
lung des Schutzwesens bei der grossen Entfernung der Straf¬
anstalten von einander kaum möglich werde. Jede Strafanstalt
solle deshalb getrennt für sich operiren; die Verwaltung solle
die Sache in die Hand nehmen und die Würdigen zu placiren
suchen.
5. Die Arbeitercolonie. Correspondenzblatt für die
Interessen der deutschen Arbeitercolonien und Naturalver-
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pflegungsstationen. Herausgegeben von dem Centralvorstande
deutscher Arbeitercolonien. Erster Jahrgang Nr. 1—7. Wustrau,
Verlag und Expedition des Centralvorstandes für Arbeiter¬
colonien.
Welcher Sache dieses Blatt, das monatlich IV 2 —2 Bogen
stark erscheinen soll, dient, zeigt der Titel an. Es vertritt die
Bestrebungen zur Bekämpfung des Vagabundenthums, mögen
sie offensiver oder defensiver Natur sein, mögen sie von Be¬
hörden oder Privaten ausgehen. Ganz Deutschland soll mit
einem Netze von Naturalverpflegungsstationen über¬
zogen werden, die den armen Wanderern das Aufsuchen von
Arbeit ermöglichen und sie so des Betteins überheben. Als
letztes Refugium sollen die Arbeitercolonien dienen, wo
der vergeblich Arbeit Suchende längere Zeit verweilen, sich
erholen und neu ausrüsten kann. Endlich will das Blatt auch
das Wort leihen allen jenen öffentlichen Anstalten, worin
Individuen Aufnahme finden, welche absolut nicht arbeiten
wollen, also den eigentlichen Correctionsanstalten für Bettler
und Vagabunden. — Die 7 vorliegenden Nummern zeugen von
gewandter Redactionsfuhrung und sind eine laufende reich¬
haltige Chronik für die Sache der Colonien. Der sehr billige
Jahres-Abonnementspreis von 1,50 (durch die Post bezogen)
dürfte auch zur raschen und weiten Verbreitung des Blattes
beitragen;
6. Nordwestdeutscher Verein für Gefängniss-
wesen. 14. Vereinsheft. Redigirt von Dr. Föbring.
Hamburg, Hoffman n & Campe.
Aus diesem Hefte erwähnen wir hier in erster Linie den
Vortrag des Herrn Landgerichtsdirectors Dr. Föhring, ge¬
halten auf der 9. Jahresversammlung des Vereines zu Ham¬
burg am 15. Mai 1884 über die Frage; Welche Befugnisse
sind dem Strafrichter in Bezug auf die Unterbrin¬
gung solcher jugendlichen Delinquenten in Er-
ziehungs- und Besserungsanstalten zu ertheilen,
die entweder wegen mangelnder Einsicht freige¬
sprochen oder zu einer Freiheitsstrafe verurtheilt
worden sind? Dieses Thema, bemerkt der Vortragende,
ist für die.Prävention von so grosser Bedeutung und ist
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gesetzgeberisch leider vielfach noch so ungenügend behandelt,
dass der Commission des s. Zt. in Rom zusammentretenden
internationalen Congresses gewiss die höciiste Anerkennung
dafür gebührt, dass sie dasselbe in ihr Programm aufgenom¬
men hat. Herr Föhring wurde mit einem Referat für diesen
Congress hierüber betraut und es dürfte von allgemeinem In¬
teresse sein, jetzt schon seine Thesen kennen zu lernen, die
durch Hinweis auf die bestehenden Gesetzgebungen der ver¬
schiedenen Staaten sachlich begründet w^erden. Sie lauten
wörtlich:
These 1. Der Strafrichter muss ermächtigt werden zu
erkennen, dass der wegen mangelnder Einsicht zur Erkenntniss
der Strafbarkeit seiner Handlungsw^eise freigesprochene
Jugendliche in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt ver¬
setzt werde. Die Dauer des Aufenthaltes in derselben ist jedoch
nicht durch den Richter zu bestimmen, sondern der Anstalts¬
behörde zu überlassen. Der Aufenthalt in der Anstalt kann
durch vorläufige Entlassung, bei welcher der Entlassene unter
Aufsicht der Anstaltsdirection verbleibt, abgekürzt werden.
These 2. Der Strafrichter muss ermächtigt werden, zu
erkennen, dass die gegen einen Jugendlichen er¬
kannte Freiheitsstrafe in einer Besserungs- oder Er¬
ziehungs-Anstalt vollstreckt werde. Diese Vollstreckung darf
jedoch nur in Staatsanstalten stattfinden.
These 3. Der Strafrichter muss ermächtigt werden zu
erkennen, dass der verurtheilte Jugendliche nach Voll¬
endung der Strafe in eine Erziehungs- oder Besserungs¬
anstalt versetzt werde. Die Dauer des Aufenthaltes in der¬
selben ist jedoch nicht durch den Richter zu bestimmen, son¬
dern der der Anstalt Vorgesetzten Behörde zu überlassen. Der
Aufenthalt in der Anstalt kann durch vorläufige Entlassung,
bei welcher der Entlassene unter Aufsicht der Anstaltsdirection
verbleibt, abgekürzt werden.
Zusatz-Thesen:
1. Die Staatsregierungen haben schleunigst die bis jetzt
versäumte Pflicht nachzuholen, eine genügende Anzahl staat¬
licher Erziehungs- und Besserungsanstalten zu errichten. Die¬
selben sind in entsprechender Weise verschieden zu orga-
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nisiren, je nachdem sie zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen
oder zur Aufnahme freigesprochener Individuen dienen soll.
2. Ein durch Richterspruch in eine Erziehungs- oder
Besserungsanstalt verwiesener Jugendlicher darf nur in einer
solchen Privat-Anstalt untergebracht werden, welche der
staatlichen Aufsicht unterstellt ist.
3. Die staatliche Aufsicht hat ^ sich namentlich auf die
Prüfung der Statuten, des Lehr- und Erziehungs-Planes, der
Hausordnung und der Handhabung derselben zu erstrecken,
und ist durch Errichtung einer Central-Aufsichtsstelle, dürch
periodisch wiederkehrende Visitationen, durch Einziehung von
Jahresberichten, durch Ertheilung von Directiven u. s. w. aus¬
zuüben.
Es ist nur zu wünschen, dass diese der practischen Er¬
fahrung wie der juristischen Erkenntniss entsprungenen Vor¬
schläge auf dem Congress Annahme finden und von den ein¬
zelnen Staaten zur Wirklichkeit gemacht werden. Viel noth-
wendiger als „Arbeitercolonien^ u. dgl. erscheinen uns diese
staatlichen Correctionshäuser für die werden den Verbrecher.
Da muss der Hebel eingesetzt werden!
Ein bekanntes und vielbesprochenes Thema behandelt in
dem vorliegenden Vereinshefte des Nordwestdeutschen Ge-
föngnissvereines Herr Dr. C. Harke, Amtsanwalt in Ham¬
burg, nämlich die soeben erwähnten „Arbeitercolonien
und Natural-Verpflegungsstationen^. Neu war uns
nur, die über diese Sache schon colossal angewachsene
Literatur kennen zu lernen. Im lieben Deutschland schreibt
und redet man eben gerne! Redner beleuchtet namentlich auch
die Vermögens- und strafrechtliche Seite dieser Colonien
und Stationen.
Ein weiterer Aufsatz von Herrn H. Tonn, Director des
des Pestalozzi-Stiftes zu Hamburg, äussert sich über „Fami¬
lien- und Anstalts-Erziehung“. Absichtlich heisst es;
„F. und A.“, nicht „oder“, weil der Verfasser beide Er¬
ziehungsarten in ihrem Werthe neben einander gelten lässt,
erstere für einen geringeren, die andere für einen hohen Grad
der Verwahrlosung.
Eine von grossem Fleisse zeugende Sammelarbeit ist end-
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lieh auch die vom Redacteur des Vereinsorganes der Nord¬
westdeutschen Gesellschaft, Herrn Dr. F ö h r i n g, verfasste
Abhandlung über „Die Reforinatory und die Industrial
Schools der vereinigten Königreiche Grossbritan¬
nien und Irland“, enthaltend eine chronologische Zusammen¬
stellung der betr. Gesetzgebung, deren Inhalt, die für beide
Arten von Anstalten (für Jugendliche) erlassenen General¬
reglements, den Stand und Umfang des Zwangserziehungs¬
wesens in England nach den letzten Jahresberichten, die be¬
züglichen Commissionsberichte und endlich practische Winke
zur Besichtigung der Anstalten in London und dessen Um¬
gebung. Das englische Zwangserziehungswesen basirt auf dem
Grundsatz der Errichtung der Anstalten durch Private, der
pecuniären Unterstützung, der Reglementirung und Controlirung
derselben durch den Staat.
7. Mittheilung des Dresdener Bezirksvereines
gegen den Missbrauch geistiger Getränke. Heraus¬
gegeben vom Vereinsvorstand. Nr. 2 — 1884. Vereinsbureau:
Dresden, Sporergasse 3.
Diese Nummer des Vereinsblattes berichtet über die am
14. Febr. d. J. zu Dresden abgehaltene sächsische Landes¬
versammlung gegen den Missbrauch geistiger Ge¬
tränke. In Sachsen, wo das öffentliche Interesse in so her¬
vorragender Weise der Abschaffung socialer Noth- und Miss¬
stände sich zuwendet, hat auch der vom Allgemeinen deutschen
Verein gegen die Trunksucht s. Z. ausgegangene Aufruf warme
Aufnahme gefunden und daselbst bereits eine grosse Mitglieder¬
zahl gewonnen. Der Dresdener Bezirksverein allein hatte am
12. P^ebr. d. J. 900 Mitglieder mit über 3000.^ Jahresbeiträgen.
Die Bedeutung dieser Bewegung ist unseren Lesern genugsam
bekannt und werden wohl alle schon ihre Namen in die
Vereinslisten eingetragen haben. Von Baden können auch wir
selbst constatiren, dass die bezüglichen Bestrebungen allerwärts
lebhaft begrüsst und unterstützt werden, obwohl in diesem
Lande die Herrschaft des Alkohols gottlob noch keineswegs
die Dimensionen des deutschen Nordens erreicht hat.
Auf beregter Landesversammlung hielt u. A. Herr Geh. Rath
d’Alinge aus Zwickau einen fesselnden und zündenden Vor-
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trag über ^den Feind im eigenen Lager“, der etwas
nähere Beachtung verdient. Der durch seine amtliche Stellung
als Vorstand einer grossen Strafanstalt ganz besonders beinifene
Redner, dessen Erfahrungen sich über ein ganzes Menschen-
alter erstrecken, bezeichnet die Trunksucht als eine für das
herrliche Deutschland überaus schädliche Gross macht — von
Alters her! Heutzutage regiere aber namentlich der Schnaps.
Dieser zerstöre die gesunde Lebensbasis des Staates, die Fa¬
milie, deren Verfall auch den des Staates unausbleiblich her¬
beiführe. In dem deutschen Kneipleben, das treffend geschil¬
dert wird, liege eine Hauptquelle öconomischen und morali-
lischen Niederganges. Ein Lump sei aber ein Lump, ob er
in Fetzen einher geht oder mit Glacehandschuhen. — In den
Krankenhäusern sind jährlich ca. 6000 Deutsche an chronischem
Alkoholismus zu verpflegen, 25% aller Irrsinnigen verdanken
ihr trauriges Loos der Trunksucht, mindestens 50% der Ueber-
tretungen, Vergehen und Verbrechen haben in der Trunken¬
heit ihre Ursache oder Veranlassung. Dass auch eine grosse
Zahl der Bankerotte auf das gewohnheitsmässige Kneip¬
leben zurückzuführen sei, ist bekannt. d’Alinge empfiehlt als
Mittel zur Bekämpfung dieses Lasters ausser der religiösen
Beeinflussung und der Besteuerung der Schnapsproducenten,
Schnapsverkäufer und Schnapsconsumenten noch einige Waffen,
die jedes Vereinsmitglied mit Erfolg anwenden könne: eigenes
Beispiel, Belehrung durch Wort und Schrift und War¬
nung unter Hinweis auf die schrecklichen Folgen. Er em¬
pfiehlt ferner die Anregung von Orts- und Bezirksvereinen in
allen Theilen des Landes und Vorbereitung gemeinsamer
Schritte zur Bekämpfung der Trunksucht.
8. Bericht über das evangelische Magdalenen-
Asyl Bethesda zu Boppard vom 1. Juli 1883 bis
30. Juni 1 884.
Der Vorstand dieser seit 30 Jahren bestehenden Rettungs¬
anstalt für gefallene Frauenspersonen, Herr Pfarrer Scheffer,
hat mit obigem Berichte sich zugleich von seinem bisherigen
Wirkungskreise verabschiedet. Durch seinen Weggang aus dem
Bopparder Pfarramt ist zweifelsohne eine schmerzlich empfun-
Lücke hervorgerufen worden, zu deren Ausfüllung so
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viele christliche Liebe und so grosser Seeleneifer erfordert
wird, wie Herr Scheffer sie bekundet bat. Zur Bekämpfung
und Unterdrückung der Prostitution gibt es kein besseres
Mittel als die Asyle. Im „protestantischen Deutschland“ exi-
stiren zur Zeit 15 solcher Zufluchtsorte für jene Unglücklichen,
deren Zahl eine so erschreckende Höhe erreicht hat. Im Be¬
richtsjahr waren im Bopparder Asyl zusammen 39 Pfleglinge
untergebracht. Der Aufenthaltstermin ist auf zwei Jahre für
jedes Frauenzimmer festgesetzt. Alsdann entlässt man sie in
entsprechende Stellungen.. Innerhalb 30 Jahren hat fragliche
Anstalt im Ganzen 305 Personen in Pflege gehabt. Ganz
erfolglos ist solche Arbeit nicht, obgleich der Erfolg bei
nüchternem Blick von vornherein auf das bescheidenste Maass
zurückgeführt werden muss. Zaidenmässig lässt er sich über¬
haupt schwer constatiren. Es ist ein Arbeiten auf Hoffnung,
oft genug wider alle Hoffnung. Viele Pfleglinge sind ehrbare
Frauen geworden, viele halten sich brav und treu im Dienst;
einige sind selbst in anderen Anstalten in christlicher Liebes-
arbeit thätig und haben sich bewährt. Viele haben sich frei¬
lich auch im Strome der Welt verloren und man hat nichts
mehr von ihnen gehört. — Herr Scheffer darf mit Genug-
thuung auf sein 12jähriges Wirken in Boppard zurückblicken.
Kr.
Berlin, 10. Februar 1885. Der Localausschuss des Ver¬
eins zur Besserung entlassener Strafgefangener
tagte gestern unter Vorsitz des Geheimen Ober-Justiz-Raths
Starke im Präsidialsaal des Landgerichts in der Jüdenstrasse.
Die Versammlung erörterte namentlich die Frage, wie man sich
zu der evangelischen Vereinigung zu stellen habe, die sich
behufs Pflege der Entlassenen gebildet hat. Die Nothwendig-
keit einer grösseren seelsorgerischen Thätigkeit, namentlich den
jugendlichen Strafentlassenen gegenüber, wurde allseitig an¬
erkannt, zugleich aber besonders von Pastor Torfstecher be¬
tont, dass die Geistlichen selbst, bei der Ueberhäufung mit
Arbeit, der sie in Berlin ausgesetzt seien, wohl kaum sich
noch diesem Zweige der Thätigkeit widmen könnten. Die
neue evangelische Vereinigung, die, wie Oberinspector Homuth
mittheilte, für jede Parochie einen Pfleger bestellen will, könne
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somit in der That eine grosse und segensreiche Wirksamkeit
entfalten, wenn sie Hand in Hand mit dem Verein gehe; eine
Zersplitterung der Kräfte müsse jedoch im Interesse der Sache
unter allen Umständen vermieden werden. Gerade dem Ver¬
brecherthum gegenüber sei, wie der Vorsitzende hervorhob,
eine einheitliche Operation nöthig, um einer Ausbeutung der
Wohlthätigkeit vorzubeugen. Es gelte vor Allem, die von den
verschiedenen Organen gesammelten Mittel einheitlich zu ver¬
wenden, und es empfehle sich das auch aus dem Grunde, weil
die armen Gemeinden gerade die meisten, die reichen die wenig¬
sten Strafentlassenen in sich schlössen, die Strafentlassenen im
Allgemeinen auch einen stark fluctuirenden Bevölkerungstheil
bildeten. Oberinspector Homuth theilte hierauf mit, dass die
evangelische Vereinigung in der That beabsichtige, aus den
von den Kirchengemeinden aufgebrachten Mitteln den Verein
zu subventioniren, und dass die Pfleger streng angewiesen
werden sollen, ausser in Fällen allerdringendster Noth keine
Unterstützungen zu bewilligen, ohne sich vorher mit dem
Verein in Verbindung gesetzt zu haben. Diese Mittheilung
wurde mit grösster Befriedigung aufgenommen und der Hoff¬
nung Ausdruck gegeben, dass das gemeinsame Wirken von
immer gesegneterem Erfolg begleitet sein möge. Lehrer Brosche
regte dann noch an, auch die Waisenräthe für die Beaufsichti¬
gung der Jugendlichen zu gewinnen. — Was die Thätigkeit
des Vereins betrifft, so ist namentlich das Arbeitsnachweise-
Bureaii wieder sehr in Anspruch genommen worden. Zumeist
meldeten sich täglich über 100 Arbeitsuchende. Neu wurden
in die Listen des Bureaus 402 Personen eingetragen; Arbeit
konnte leider nur 206 nachgewiesen werden. Eine neue Arbeits¬
stätte hat sich dem Verein im Grunewald erschlossen; die Leute
verdienen dort täglich etwas über 2 JL Von mehreren Seiten
sind dem Verein alte Kleidungsstücke überwiesen worden, die
er für seine Pfleglinge gerade jetzt sehr gut verwerthen kann.
In die Abtheilung der Jugendlichen wurden 3 Entlassene neu
aufgenommen; alle 3 waren vaterlos und nur in Folge mangeln¬
der Erziehung auf den Weg des Verbrechens geführt worden.
Berlin, 30. Januar 1885. Unter der Protection der Frau
Prinzessin Wilhelm und unter der Leitung eines Comitfe, dem
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u. A. angehören die Frau Fürstin Wittwe zu Carolath-Beuthen,
Frau Gräfin Waldersee, Frau von Albedyll, Frau Minister
von Böttichei-, Frau Minister von Gossler, Frau Professor
Paül Meyerheim, Frau von Patow und Frau von Schelling,
findet am 5., 6. und 7. Februar im grossen Saale der Kriegs¬
akademie ein Bazar statt, dessen Ertrag für den Bau eines
Asyls zur Beschäftigung entlassener Gefangener bestimmt ist.
In dem Asyl sollen Angehörige aller Provinzen Aufnahme
finden. Es handelt sich bei diesem Werke der Nächstenliebe
darum, den entlassenen Sträflingen, welche bei ihrer Rück¬
kehr in die bürgerliche Gesellschaft ohne Anhalt, ohne Fa¬
milienleben, ohne Arbeit, ohne Hilfe sind, ein erstes Unter¬
kommen und Beschäftigung zu verschaffen, um sie vor dem
Rückfall in das Verbrechen zu bewahren. Gleich seiner hohen
Gemahlin nimmt auch Prinz Wilhelm, der, getreu den Üeber-
lieferungen des Hohenzollernhauses, neben seinen militärischen
Studien und seinen Arbeiten auf dem Gebiete der Staatsver¬
waltung auch alle Bestrebungen zur Linderung der Noth der
Armuth thatkräftig und verständnissvoll fördert, an dem Unter¬
nehmen den lebendigsten Antheil. Der Prinz hat u. A. für den
Bazar mehrere von ihm selbst gemalte Oelbilder (Seestücke)
zur Verfügung gestellt, auch werden Zeichnungen von seiner
und der Frau Prinzessin Wilhelm Hand dort zum Verkaufe
kommen. Auch sonst ist von vielen hiesigen wie auswärtigen
Fürstlichkeiten sowie von allen Klassen der Berliner Gesell¬
schaft dem wohlthätigen Zweck ein reges Interesse entgegen¬
gebracht worden, so dass zu erwarten steht, dass die Räume
der Kriegsakademie an den genannten Tagen sich von zahl¬
reichen Kauflustigen aller Stände füllen werden. Uebrigens
sollen ausser dem Bazar für denselben wohlthätigen Zweck
im Opernhaus-Saale lebende Bilder von Angehörigen der Hof¬
gesellschaft unter Leitung der ersten Künster gestellt werden.
D^r Bezirksschntzverein für entlassene Gefangene
zu Freiburg i. B. macht für das Jahr 1884 seinen Vereins¬
mitgliedern nachstehende Mittheilungen:
Der Verein zählte auf 1. Januar 1884 im Ganzen 305 Mit¬
glieder. Ausgetreten ist im Laufe des Jahres 1. — An Bei-
Blätter für Gefüngnisskunde. XIX. 19
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trägen wurden bezahlt 50^ bis zu 50 «/A. Die Gesammt-
einnahme beläuft sich pro 1884 auf 111 JL 70 Die Ver¬
waltungskosten (für Schreibmaterialien, Porti und Entlohnung
des Vereinsdieners) berechnen sich auf 137 25 Für eigent¬
liche Vereinsthätigkeit wurden erforderlich Somit über¬
stiegen die Gesammtausgaben die Einnahmen um 39 Ji. 45
Dieses Deficit konnte aus den Ueberschüssen des Vorjahres
gedeckt werden. In der Sparkasse sind z. Z. noch 400
angelegt. — Wir hofien, im laufenden Jahre wieder mit so
reichlichen Mitteln bedacht zu werden, dass der kleine Reserve¬
fonds nicht mehr beizuziehen ist.
Im Ganzen haben während des verflossenen Jahres 101
Personen die Hilfe des Vereines angerufen. Es sind aber 16
Gesuche abgelehnt worden, theils weil wir ausser Stande waren,
die erbetene Fürsorge in entsprechender Weise zu gewähren,
theils weil wir im Interesse des Publikums bedenkliche Indi¬
viduen von hier möglichst ferne halten wollen.
Von den 85 Vereinspfleglingen erhielten die meisten ausser
der für sie ermittelten Arbeitsgelegenheit auch noch Unter¬
stützung in Geld, Kleidungsstücken, Lebensmitteln, Werkzeug
u. dgl. m. Für zwei gab man einen Beitrag zur Auswande¬
rung. In einer Anzahl von Fällen wurde die Gewährung von
Reisegeld nöthig, um die Betreffenden aus der Stadt und
anderwärts in Arbeit zu bringen.
Mit den Erfolgen unserer Schutzthätigkeit können wir
im Allgemeinen recht wohl zufrieden sein. Mehr als die Hälfte
der Unterstützten erwies und erweist ihren Dank durch recht
braves und rechtschaffenes Verhalten; von den übrigen ist uns
über ihre Führung theils nichts Näheres bekannt geworden,
theils haben sie auf die Vereinsfürsorge verzichtet, während
etwa 10 bis 12 durch offenkundig schlechtes Betragen der
Unterstützung sich unwürdig zeigten. Jedenfalls aber kann
nicht bestritten werden, dass die Gesellschaft ihre Almosen
nicht besser und fruchtbringender anzulegen vermag, als durch
Beiträge für Vereine mit den Zwecken des unsrigen. An der
Hausthüre sollte kein Pfennig verabreicht werden; denn
ein derartiges, ohne Prüfung der massgebenden Verhältnisse
gespendetes Almosen ist in der Regel zwecklos und befördert
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anstatt redlicher Arbeit den gewerbsmässigen Bettel. Wer
dagegen in richtigem Verständniss und mit menschenfreund¬
licher Mildherzigkeit die Bestrebungen der Schutzvereine, der
Frauenvereine, der Antibettelvereine und nunmehr auch der
sog. Arbeiter-Colonien nach Kräften unterstützt, darf mit
ruhigem Gewissen jeden Bettler von der Thüre weg und
an jene Vereine weisen. Wohl werden bei unserem üppig
blühenden sonstigen Vereinsleben immer häufigere Klagen laut
über die allzugrosse finanzielle Belastung, welche die Mitglied¬
schaft in so vielen Vereinen mit sich bringt. Indessen gereicht
es einem Volke gewiss zur Ehre, wenn nicht blos das Ver¬
langen nach Unterhaltung, Vergnügen und Genuss, nach
materiellem und geistigem Gewinn, sondern auch der Hilferuf
unserer unglücklichen armen Mitmenschen zur Gründung von
Vereinen geführt hat, die sich die Aufgabe stellen, das
hundertgestaltige sociale Eiend „mit vereinten Kräften"
zu mildern und thunlichst zu beseitigen. Bei unserem Schutz¬
verein handelt es sich aber ausserdem noch darum, die bürger¬
liche Gesellschaft gegen Schädigungen zu schützen von Seiten
Jener, die nicht die sittliche Kraft besitzen, um in Stunden bitterer
Noth lieber mit ehrlichem Namen zu darben, als durch Un¬
ehrlichkeit und Verbrechen aller Art sich das Leben zu fristen.
Allen Denen, welche uns in den einzelnen Fällen wie im
Allgemeinen die so schwierige Aufgabe auf irgend eine Art
(durch Geldbeiträge, durch Gewährung von Arbeit oder sonst¬
wie) erleichtert haben, bringen wir hiermit unsem wärmsten
Dank dar. Auch dürfen sie Alle an dem herzlichen Vergeltes
Gott participiren, das dem Verein und seinen Mitgliedern von
so vielen Geretteten ausgesprochen wird. Mögen einzelne trübe
Erfahrungen unserm Verein das Wohlwollen und das Vertrauen
des Publikums nicht entziehen, das er zur Erreichung seiner
Zwecke in so hohem Grade beanspruchen muss! Und wenn
wir zum Schluss noch Bitten vortragen dürfen, so gehen die¬
selben dahin, dass erstens nicht nur jedes bisherige Mitglied
auch fernerhin dem Vereine treu bleiben, sondern womöglich
noch weitere Freunde demselben zuführen möge und zweitens,
dass unter den verehrlichen Mitgliedern sich solche finden
lassen möchten, welche dem so nothwendigen Amte eines
19 ♦
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286
speciellen Pflegers oder Fürsorgers sich unterzögen. Daran
fehlt es uns leider immer noch! —
Der Vorsitzende: Der Schriftführer:
Schäfer, Landgerichtsdirector. Erauss, Pfarrer.
St. Gallen, im Dez. 1884. Strafanstaltsdirector Kühne
hat an das Schutzaufsichts-Comit4 für entlassene Sträflinge des
Cantons St. Gallen am 15« d. Mts. folgenden Bericht erstattet:
Am 14. Juni 1881 wurde in Folge Ihrer lobenswerthen
Initiative zu Zürich eine Delegirtenversammlung der schweize¬
rischen Schutzaufsichts-Vereine für entlassene Sträflinge ab¬
gehalten. Waren auch die positiven Ergebnisse dieser Con-
ferenz nicht so eingreifend, als mancher Freund der Sache
wünschen mochte, so waren sie doch erheblicher, als manch’
andere Betheiligte (der Unterzeichnete zählt zu ihnen) zu er¬
warten gewagt hatten. Man lernte sich kennen und befreun¬
den, man bot sich die Hand zu vereintem Wirken und
fasste immerhin einige Beschlüsse, die nicht unterschätzt wer¬
den dürfen und die seither schon Früchte trugen. Damals
schöpfte der ergebenst Unterzeichnete die HofiFnung, dass die
Conferenz wiederholt werde: sei es mit fest in’s Auge gefasster
Periodicität oder auf Veranlassung auftauchender brennender
Fragen. Eine solche liegt nun vor, über die jetzt das Nähere
zu reden ist.
Die grosse Calamität dar Schutzaufsicht ist die Unter¬
bringung der Entlasslinge gleich bei Austritt aus der Straf¬
anstalt. Einer besitzt noch kein Werkzeug (z. B. Schuster),
ein Zweiter hat nur einen Anzug, während er mindestens
einen für den Werktag und einen für den Sonntag besitzen
sollte, um anständiger Weise einen Platz antreten zu können;
er muss sich noch besser einrichten. Ein Dritter möchte zu¬
nächst noch einige Besuche (bei Verwandten oder Befreundeten)
machen, und da er zufällig zwei Professionen oder Berufe
kennt, so bietet ihm diese Besuchszeit Müsse, sich umzusehen
und für eine Beschäftigungsart definitiv zu entschliessen. Der
Bauer will den in der Landwirthschaft erfahrenen Entlassling
einstellen, muss aber warten, bis der Schnee vollends ver¬
gangen ist, um ihn beschäftigen zu können. Ein anderer Ar-
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287
beitgeber hat Beschäftigung für den Empfohlenen, wünscht
jedoch noch nähere Information über denselben zu erheben,
als ihm der Schutzaufseher vorerst bieten kann; oder dann,
dass er noch paar Probewochen (Uebergangsstation) durch-
macbe, um mehr Zuversicht zu erlangen, dass der Arbeiter ein
sittlich geordnetes Leben, wie unter der Autorität — welche
die Verhaltsregeln aus dem bindenden Gesetze ableitet —
so auch unter der Selbstregierung — welche die Verhaltsregeln
aus dem Pflichtbewusstsein schöpft — fortzusetzen die
Kraft habe. Bei einem Professionisten hat ein Geselle gekün-
digt, „sobald er das Felleisen packt,^ will er den Klienten
des Patrons einstellen. Oder er ist in aussichtsreicher Unter¬
handlung über einen Arbeitsakkord, muss aber warten, bis der
Vertrag perfekt wird, dann ist er froh um den empfohlenen
Arbeiter. Ausnahmsweise kommt es auch vor, dass der Patron
gerade in den kritischen Tagen verhindert ist, persönliche
Verwendung eintreten zu lassen. So stellen sich meistentheils
einige Zwischenwochen ein, während denen der Entlassling
sein kleines Handgeld aus der Strafanstalt — vielleicht noch
einen Baarzuschuss vom Patron — aufbraucht. Und schlim¬
mer noch als dieses ist, dass der Klient von der im Strafhaus
eingehaltenen Praxis anhaltender Arbeit abkommt. Wohl
weist ihm der zeitliche Kostgeber etwa eine Beschäftigung an,
zeigt aber keine Lust, ihn abzulöhnen, und sowie der Kost¬
gänger das heraus merkt, pressirt er sich auch nicht weiter
mit der Arbeit. So wird der Unterstand christlichen Gut-
meinens zur Brücke in die ehemalige Faulenzerei.
Hiernach ist für solche Leute ein Asyl nöthig, wo sie die
im Strafhaus angewöhnte Arbeit ungeschwächt fortsetzen und
Kost und Logis ganz oder doch zum grössten Theil verdienen
können. Man hat für solche Zufluchtshäuser den — wie mir
scheint ganz zutreffenden — Namen „Uebergangsstation“
gewählt. Die Uebergangsstation bildet unsere brennende Frage.
Es darf der Canton St. Gallen sich nicht mit der Meinung
tragen, als hätte er heute noch die Initiative in der Sache.
Schon die Thatsache, dass bei einer begrüssenswerthen Initia-
tire im Schutzaufsichtswesen der deutschschweizerische Mutter¬
verein die Hand nicht hat, würde meinen Patriotismus als
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288
dessen Mitglied streifen, ^venn ich nicht versichert sein könnte,
Sie werden nach Klarlegung des Zweckes wirksam mithelfen
wollen. Von „Wilhelmsdorf“ bei Bielefeld (Preussen) mag
es mit der Nennung genug sein, da uns Schweizern die Mittel
nicht zur Hand sind, eine so grossartige Schöpfung ins Leben
zu rufen. Sie gewährt unverschuldet Arbeitslosen überhaupt
Zuflucht, was sich wieder als aparte Frage darstelli Aber
man ist so glücklich, in der Schweiz schon bemerkenswerthe
Anfänge und Kundgebungen zu verzeichnen, wie namentlich
Waadt. Zunächst begegnete mir die ebenso deutliche
als werthvolle Bestimmung der Art im Waadtländischen Gesetz
über Organisation der Gefängnisse vom 17. Mai 1875. Nach
derselben können Sträflinge, die bei ihrer Freilassung nicht
sogleich Arbeit finden, auf Beschluss der Regierung einst¬
weilen in einer landwirthschaftlichen Colonie untergebracht
oder bei öffentlichen Arbeiten beschäftigt werden. Zu voll¬
ständigem Nachweis setze ich den einschlägigen Passus in
Art. 5 nach Wortlaut hieher: „ . .. Toutefois, les d^tenus
Iib4r48 qui, k Pexpiration de leur peine, ne trouvent pas de
travail, peuvent, par d^cision du conseil d’Etat, sur leur
demande ou celle de leur patron, ^tre admis momentan^ent
dans une colonie agricole et industrielle ou 5tre employ^s k
des travaux publics.“
Zürich. In diesem Canton hat der Grundgedanke, der
hier zur Sprache gebracht wird, erfreulich Boden gefasst, und
zwar nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in einigen
Bezirken; schon sind verschiedene practische Versuche zu
verzeichnen. Die evangelische Gesellschaft weist seit einiger
Zeit bedrängten Arbeiterinnen Beschäftigung und zum Theil
auch Herberge an. Sie ist im besten Zuge, die Institution in
einem käuflich erworbenen Hause zu erweitern. Eine andere
Frucht des einen und selben Prinzips bildet das, was einzelne
Bezirke leisten, indem sie gewissen Reisenden zeitlich Arbeit
und Unterhalt bieten. Auch die gemeinnützige Gesellschaft
des Cantons beschäftigt sich ernstlich mit der Frage. Mit
alP dem ist freilich das Ziel nicht erreicht, das die gegen¬
wärtige Eingabe insAuge fasst, nämlich die Miteinbeziehung
der entlassenen Sträflinge — zum Mindesten mit Aus-
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wähl. Sie haben, wenn sie Bürger oder Niedergelassene der
Schweiz sind, bessern Anspruch auf die Wohlthat als die
Reisenden, weil diese nach Umständen ausgewiesen werden
können — die Schweizer dagegen nicht. RQcksichtlich der
Reisenden kann also der öffentlichen Sicherheit ohne, rück¬
sichtlich der entlassenen Sträflige nur mit Arbeitsanweisung
gedient werden.
Bern empfindet sehr den Mangel einer solchen Arbeits¬
anstalt und erhebt den Nothruf für eine solche. Ich verweise
auf den trefflichen, von Herrn Strafhauspfarrer Stauffer ver¬
fassten Jahresbericht des dortigen Schutzaufsichts-Vereins 1882
(gedruckt 1883).
Ausserrhoden. Herr Landstatthalter Nef, der viel¬
jährige und verdiente Präsident des Schutzaufsichts-Comitfe,
hat sich so gründlich von dem Bedürfniss überzeugt, dass er
zu diesem Zwecke eine grossmüthige Geldspende leistete.
Vorstehende Aushebungen nur zum Beweise, dass die Lücke
einer „Uebergangsstation“ vielseitig empfunden wird. St. Gallen
hat übrigens seine eigenen Erfahrungen, die Ihnen wie mir
bekannt sind imd die Sie in den zu fassenden Beschlüssen
bestimmen dürften.
Hiebei denke ich nicht von ferne daran, dass jeder ein¬
zelne Canton oder doch jeder der grossem eine Uebergangs-
station einrichten soll. Um der freundlichen Aufnahme des
Projekts im Volke nicht zu schaden, empfiehlt es sich, die
Kosten möglichst zu beschränken. Die deutsche Schweiz
könnte wahrscheinlich mit einer gemeinsamen Anstalt aus-
kommen. Und dann wäre die Frage die: ob nicht Zürich
mit dem, was schon besteht und allfällig etwelcher Erweite¬
rung, oder Bern mit einer neu zu bewerkstelligenden Anstalt
den andern deutschen Cantonen aushelfen könnte, oder ob ein
anderer Ausweg gesucht werden müsse. (Die romanische
Schweiz würde mit einer ähnlichen Institution kaum lange
zurück bleiben.) Je nach Qualität und Arbeitsfähigkeit des
Kostgängers hätte der Schutzaufsichts-Verein des Heimath-
cantons natürlich ein billiges Wochengeld zu leisten. Als
Maximum des Aufenthaltes in der Uebergangsstation dürften
zwei Monate bestimmt werden. Das Wochengeld könnte kaum
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290
höher kommen, als die Interims-Unterstützung, welche Ihr
Comit4 zu bieten je bereit ist und wirklich bietet. Und wie
manche peinliche Verlegenheit der Patrone würde abgewendet,
wie sehr wäre den moralischen Interessen der Entlasslinge
gedient?
Es ist dies eine Idee, an der man mehren und mindern
hann. Erfolg in einer oder anderer Richtung darf man sich
nur versprechen, wenn die Anregung in einer Delegirten-Con-
ferenz von allen Seiten angeschaut, erörtert und beleuchtet
wird und wenn Handbietung von mehreren Cantonen zu er¬
reichen ist.
-Ä Aus Baden, im November 1884. Unser noch in der
Entwickelung begriffenes Schutzwesen nimmt erfreulichen Auf¬
schwung. In jedem Gerichtsbezirk ist ein Verein gegründet;
mit Württemberg und Hessen ein Uebereinkommen Sei¬
tens der Centralleitung getroffen, wonach sich die drei Nach¬
barländer in der Schutzfürsorge gegenseitig unterstützen. In
Baden selbst war die Oberleitung des Landesverbandes dar¬
auf bedacht, ein reges Vereinsleben zu fördern durch die An¬
ordnung, dass die Bezirksvereine an die Centralleitung von
jeweils vorhandener Arbeitsgelegenheit sofort Nachricht geben
sollen, damit so eine Art von Central-Arbeitsnachweis¬
bureau gegründet werden könne, an welches die Strafanstalts¬
und Arbeitshaus-Verwaltungen zur Unterbringung von Straf¬
entlassenen jederzeit sich zu wenden in Stand gesetzt würden.
Auf diese Weise bekommen auch solche Vereine Beschäfti¬
gung, bei welchen sonst Niemand sich anmeldet. — Aus der
Centralkasse wurden 10000 JO- als unverzinsliches Dar¬
lehen, kündbar nach 10 Jahren, als Beitrag zur Gründung
einer Arbeitercolonie verwilligt in der Voraussetzung, dass
auch entlassene Gefangene darin Aufnahme finden können. Die
Colonie soll, wie wir hören, in der Nähe von Villingen bereits
angekauft sein.
Karlsruhe, im Januar 1885. Die Sache der Arbeiter-
colonien hat bei uns gute. Fortschritte gemacht. Für die
Gründung einer solchen Colonie ist, nachdem die bisher hiefür
in Aussicht genommenen verschiedenen Objecte sich als un-
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geeignet erwiesen, nunmehr der zwischen Villingen und Donau-
eschingen in der Baar gelegene Hof Ankenbuck, Gemeinde
Klengen, käuflich erworben worden. Das Dorf Klengen zählt
über 600 Seelen und ist Station der Schwarzwaldbahn. Die
Colonie dürfte nun in nächster Zeit eröffnet werden. Man
rechnet zunächst auf etwa 80 Colonisten.
S.'K. H. der Grossherzog haben, entsprechend der Bitte
des Yereinsausschusses, das Protectorat des Landesvereines
für Arbeitercolonien im Grossherzogthum Baden übernommen.
Arbeitsämter« Nach Mittheilungen der Blätter beabsich¬
tigt die Reichsregierung, Arbeitsämter zu errichten, d. h.
Behörden, welche die Controle über Angebot von Arbeit und
Nachfrage nach solcher in den einzelnen Industriezweigen führen
und Arbeitgebern wie Arbeitsuchenden die ihnen wünschens-
werthe Auskunft geben. Eine solche Einrichtung scheint uns
wohl des Versuches werth. So gut wie die Post- und Tele-
graphenämter den Verkehr vermitteln, die Gerichte für Auf¬
rechterhaltung der Ordnung in den gegenseitigen Beziehungen
der Menschen sorgen, ebenso kann auch die Vermittlung von
Arbeit durch öffentliche Ordnung erleichtert werden.
Der Nutzen behördlich geleiteter Arbeitsnachweisungs-
bureaus könnte folgender sein: 1. Es könnte manchen Arbeit¬
suchenden Zeit und Geld für Reisen an dritte Orte, an denen
sie Arbeit zu finden hoffen, aber keine erhalten, erspart werden.
2. Es würde sich rücksichtlich der „armen Reisenden^^ leichter
erkennen lassen, welche von ihnen als ernstlich Arbeitsuchende
und welche mehr als des Vagabondirens Verdächtige zu be¬
trachten sind. 3. Durch Veröffentlichung statistischer Zusam¬
menstellungen , wie viel Arbeiter in den einzelnen Arbeits¬
branchen im Laufe einer bestimmten Zeit, z. B. eines Jahres,
durch die Arbeitsämter gesucht worden, und andererseits, wie
viele sich als arbeitslos gemeldet, würde bekannt, in welchen
Branchen voraussichtlich ein Mangel an Arbeitskräften oder in
welchen eine Ueberfüllung an solchen stattfindet, und dadurch
könnte jungen Männern ein Fingerzeig oder eine Warnung in
Betreff der Wahl eines Berufes gegeben werden. 4« Die Uebel-
stände, welche bei Privat-Nachweisungsbureaus, besonders für
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weibliche Arbeit- oder Dienstsuchende bisweilen eintreten, z. B.
die Rücksichten auf das finanzielle Interesse der Inhaber solcher
Bureaus, würden wegfallen. 5. Die Kosten theurer, oft ganz
wirkungsloser Inserate in den Tagesblättern könnten erspart
werden.
Zu wünschen ist nur, dass die Arbeitsämter ihre Wirk¬
samkeit nicht blos auf die gewöhnlichen bürgerlichen Ge¬
werbe oder Industriezweige beschränken, sondern auch auf
andere Arbeitsgebiete (z. B. die der gebildeteren Privatbeamten,
Privatlehrer oder Privatlehrerinnen, Gouvernanten, Kinder¬
wärterinnen, sowie auch des Gesindedienstes) ausdehnen. Am
willkommensten würde eine solche Einrichtung Denen sein,
welchen es in Folge von Bescheidenheit oder angeborenen
Schüchternheit nicht gegeben ist, mündlich oder schriftlich
bald an dieser, bald an jener Stelle um Arbeit oder Beschäf¬
tigung zu bitten. Das Betteln um Arbeit oder Beschäftigung
fällt namentlich Vielen, welche den gebildeteren Kreisen an¬
gehören, selbst wenn eine Vergütung dafür nicht verlangt wird
oder nur Nebenzweck ist, schwerer als dem Armen eine Bitte
um Geldunterstützung. Ohne Zweifel müsste ein Pressorgan
gegründet werden, in welchem die Arbeitsämter das Nähere
über Angebot von und Nachfrage nach Arbeit in den einzelnen
Branchen veröffentlichten.
Sollte die Idee der Errichtung staatlicher Arbeitsämter
nicht zur Ausführung kommen, so wäre doch die Errichtung
von öffentlichen Arbeitsnachweisungsstellen durch die
Gemeindebehörden der grösseren Städte, beziehungsweise der
Bezirksverwaltungsbehörden in der Provinz recht wünschens-
werth. Ein finanzielles Bedenken läge kaum vor, da der Auf¬
wand für einen zur Führung der erforderlichen Listen anzu¬
stellenden Beamten — oft würde es der Anstellung eines neuen
gar nicht bedürfen — ein geringer wäre, geringer vielleicht
als der Betrag, welcher von vergeblich Arbeitsuchenden im
Bezirk zusammengebettelt würde.
Wer den Grundsatz, dass „ein Recht auf Arbeit“ für Jeden
bestehe, nicht gelten lassen will, sollte wenigsten jeden An¬
fang der Arbeitsvermittelung zu fördern suchen.
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293
Fiiriioiiilnaclirlclita
1. Veränderimgeii.
a. Baden.
Ströbe, Divisionspfarrer, wurde auf Ansuchen der Function des ev. Haus¬
geistlichen am Landesgefängniss Freiburg enthoben.
Bauer, Stadtvicar, wurde zum ev. Hausgeistlicben ebenda ernannt.
b. Bayern.
Alwens, Director a. D. in Frankenthal, wurde zum Director der Straf¬
anstalt und des Arbeitshauses Kaiserslautern ernannt.
Leff 1er, Director der Strafanstalt und des Zuchthauses Kaiserölautern,
wurde zum Director des Zuchthauses München ernannt.
0. Bremen.
Kölle, Kassenbeamter der Strafanstalt Oslebshausen, wurde zum Inspector
ernannt.
Schumacher, Schreiber der Strafanstalt Oslebshausen, wurde zum
prov. Kassenbeamten ernannt.
d. Mecklenburg.
Ganschow, Feldwebel des Jftger-Bataillons Nr. 14, wurde zum Haus¬
verwalter der Strafanstalt Dreibergen ernannt.
Lindost&dt, Verwalter der Strafanstalt Dreibergen, wurde in Buhestand
versetzt.
V. Wiek, Prem.-Lieut. a.D. und commissarischer Polizei-Inspector in Drei¬
bergen, wurde zum Hauptmann befördert und definitiv angestellt.
e« PrcusBcn.
Präller, Inspector der Strafanstalt Cassel, wurde zum Vorsteher und
Oberinspector dieser Strafanstalt ernannt.
Riebel, Hauptmann a. D. und Vorsteher der Strafanstalt Elberfeld, wurde
zum Director der Strafanstalt Lingen ernannt.
V. d. Trenk, Polizei-Inspector der Strafanstalt Mewe, wurde unter Er¬
nennung zum Polizei- und Oeconomie-Inspector an die Strafanstalt
Celle versetzt.
Zimmermann, Secretär der Arrest- und Correctionsanstalt Köln, wurde
unter Ernennung zum Inspector an die Strafanstalt Lüneburg versetzt.
f. Sachsen.
Dillner, Pfarrer und Oberbeamter bei der Strafanstalt Hoheneck, wurde
zum Pfarrer in Nausslitz bei Meissen ernannt.
Höckner, Inspector bei der Strafanstalt Waldheim, wurde in gleicher
Eigenschaft an die Strafanstalt Zwickau versetzt.
Lipffert, Pfarrer in Posseck, wurde zum Anstaltsgeistlichen und Ober¬
beamten der Strafanstalt Hoheneck ernannt.
Wilde lau, Inspector bei der Strafanstalt Zwickau, wurde in gleicher
Eigenschaft an die Strafanstalt Waldheim versetzt.
g. Württemberg.
H öl der, v., Dr. Med.-Rath, wurde auf Ansuchen der Stelle eines ausser¬
ordentlichen Mitgliedes des Strafanstalten-Collegiums enthoben und
Pfeilsticker, Dr. Med.-Rath, an seine Stelle ernannt.
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h. Oesterreich.
Auman, Controlor der Strafanstalt Müran, wurde zum Verwalter ernannt.
V. Auster, Adjunct der Strafanstalt in Garsten, zum Controlor ernannt.
Bernhauer, Clemens, Adjunct der Strafan8t.Mttrau, zum Controlor ernannt.
Bessauer, Controlor der Strafanstalt Garsten, wurde zum Verwalter ernannt.
Findelar, Oherstlieutenant, Stellvertreter u. Leiter der Staatsanwaltschaft
^ in Pilsen, zum Hanscommissär der dortigen Strafanstalt ernannt.
Gleisbach, Graf, Oberstaatsanwalt in Graz, wurde zum Hofrath ernannt.
Göbelt, Adjunct der Strafanstalt Prag, wurde zum Controlor ernannt.
Hensel, Dr., Oberstaatsanwaltschafts-StellVertreter in Lemberg, wurde
zum Staatsanwalt in Stanislau und zum Hauscommissär der Straf¬
anstalt daselbst ernannt.
Hebenstreit, Staatsanwalts-Stellvertreter in Wien, wurde zum Staats¬
anwalt in Werneuburg und zum Hauscommissftr der Strafanstalt in
Göllersdorf ernannt.
Jezeh, Staatsanwalt in Jidin und Hauscommissür der Strafanstalt Eart-
haus, wurde nach Prag versetzt und wurde ihm die Hauscommissär¬
stelle daselbst verliehen
Markowich, Adjunct der Strafanstalt Prag, wurde zum Controlor der
Strafanstalt in Laibach ernannt.
Okenfus, Staatsanwalts-Stellvertreter in Prag, wurde zum Staatsanwalt
in Jidin und zum Hauscommissär der Strafanstalt Karthaus ernannt.
Piche, Ritter von, Referent für Gefängnisswesen im k.k. Justizministerium
in Wien, wurde zum wirklichen Ministerialrath ernannt.
Paulo, Staatsanwalt in Stanislau, wurde nach Brzezany versetzt.
Powalatz, Adjunct der Strafanstalt Stein, wurde zum Controlor der
Strafanstalt Göllersdorf ernannt.
Rapp, Ritter von, Staatsanwalt in Prag, wurde zum Oberstaatsanwalt
daselbst ernannt.
Schaitz, Staatsanwalt in Komeuburg, wurde zum Landgerichtsrath in
Wien ernannt.
Schrott, Dr., Oberstaatsanwalt in Triest, wurde zum Hofrath ernannt.
Zagletal, Oberstaatsanwalt in Brünn, wurde zum Hofrath ernannt.
Zuma, Controlor der Strafanstalt Prag, wurde in Ruhestand versetzt.
2. Todesfälle.
a. Bayern.
Meuth, Reg.-Rath in Kaiserslautern.
b. Sacheen.
Anton, Geheimer Justizrath im Justizministerium zu Dresden.
3. Decorationen.
/
a. PreuBsen.
Peters, Strafanstaltsaufseher a. D. in Gollnow, erhielt das Allgemeine
Ehrenzeichen.
b. Württemberg.
Pfeilsticker, Med.-Rath, erhielt das Ritterkreuz I. CI. des Friedrichordens.
Walzer, Oberaufseher am Landesgefängniss Rottenburg, erhielt die sil¬
berne Verdienstmedaille.
c. Oesterrelcb.
Machöritsch, Director der Strafanstalt Capodistria. erhielt das Ritter¬
kreuz des Franz Joseph-Ordens.
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295
ytrelBsaiplemiilieltei.
Eingetreten
sind als neue Mitglieder:
a. Baden.
Bauer, Stadtvicar, ev. Hausgeistlicher des Landesgefftngnisses Freiburg.
b. ElsaBB-Lotliiingren.
Strassburg, Bezirksgefängniss.
c. Mecklenburg.
Karsten, Pastor, Geistlicher der Strafanstalt Dreibergen.
d. Oldenburg.
Burwinkel, Dr., Hausarzt der Strafanstalt Vechta.
e. PreuBBen.
Cassel, Strafanstalt.
Glück Stadt, Gorrectionsanstalt.
Münster, kgl. Regierung, Abtheilung des Innern.
f. OeBterreioh.
Blumenstock, Heinrich, Dr., Sectionsrath in Wien.
g. Ungarn.
Szegedin, kgl. ungar. Districtsgefängniss.
Waitzen. Direction der kgl. ungar. Landesstrafanstalt.
Ansgetreten sind:
a. ElBaBB- Lothringen.
Schott, Dr., Pfarrer, kath. Hausgeistlicher des Bezirks-Gefängnisses
Strassburgi
b. PreuBBen.
Homuth, Inspector des Weibergefdngnisses Berlin.
Johansen, Director der Gorrectionsanstalt Glückstadt.
Moritz, ev. Hausgeistlicher der Strafanstalt Diez.
Petras, Director in Ratibor.
Rüster, Inspector der Strafanstalt Breslau.
Schleiden, Geistlicher der Straf- und Gorrectionsanstalt Düsseldorf.
Seiler, Inspector in Berlin.
Tilsit, kgl. Staatsanwaltschaft.
c. SachBcn.
Giesemann, Director der Besserungsanstalt in Braunsdorf.
d. Ungarn.
Banffay, Gommitats-Oberfiscal in Fünfkirchen.
Thebner, Official in Szamosujv&r.
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Rechnnngs - Anszag.
a. Nachwetoung über Einnahme and Ausgabe vom
1. Januar 1884 bis dahin 1885.
I. !E2iniiahrae:
1. Gassa-Rest aus voriger RechnuDg .
2. Beiträge der Mitglieder ....
3. Abrechnung mit Weise in Heidelberg
4. Zins aus ^pitalanlage . . . .
5. Von der Sparkasse hier erhoben
6. Verkauf früherer Hefte ....
7. Beiträge der Mitglieder aus Oesterreich .
8. Verkauf einer Kiste.
9. Verkauf von 4 Streifbändern ä 3,.^
51. 09.
3061. 54.
533. 35.
319. 93.
^ 4390. 88.
„ 148. 04.
„ 528. -.
„ 3. 50.
. 12 .
Summa der Einnahmen JL 9036. 45.
JI. Ausgabe:
1. Druck des Vereinsorgans . ...
2. Buchbinderlöhne, Papier etc.
8. Honorare.
4. Für Bureau und Cassenführung ....
5. Für Bedienung . . . . .
6. Versendungskosten.
7. Für Ankauf von Heften früherer Jahre .
8. Ankauf von zinstragenden Effecten ....
9. Für Literatur . . ..
10. Jubiläumsgeschenk für den Präsidenten .
11. Auslagen der Commission zur Feststellung von
Normalien für Gefängnissbauten ....
12. Nachträgliche Kosten der Wiener Versammlung
Summa der Ausgaben
^2857. 51
„ 477. 32
„ 1219. -
„ 319. -
„ 40. -
„ 491. 39
u 4. —
„ 2047. ^0
„ 34. 60
„ 269. 50
„ 1028. 34.
_a_
JH, 8732. 63.
Die Einnahme beträgt JL 9036. 46.
„ Ausgabe „ . „ 8782. 66.
Der Kassen-Rest beträgt . . JL 263. 89.
b. Vennögens-Berechnung.
1. Cassarest auf heute . ... 253. 89
2. Rückständige Beiträge . ..„ 840. ~
3. Staats- und sonstige Effecten.„ 4444. 15
4. Inventar. ^ 800. ■—
Sa. «A 6888. 04
Hievon ab die pro 1886, 86 u. 87 bezahlten Beiträge mit „ 100. —
Bleibt Reinvermögen JL 6788. 04
Freiburg, im Januar 1885.
Der Vereinsausschuss.
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297
PreisausscHen fiir ein
Drei Preise setzt der Ausschuss der Rheinisch-Westfälischen Ge-
fängnissgesellschaft fUr die tüchtigsten Entwürfe zu einem Handbuche für
Gefängniss-Aufseher aus: einen ersten Preis von 600 für die beste ver¬
wendbare Arbeit — für die beiden demnächst tüchtigsten, preiswerthen
Arbeiten zusammen 400 JL^ welche je nach der Gediegenheit der beiden
Arbeiten vertheilt werden sollen.
Die preisgekrönten Schriften erwirbt der Ausschuss durch Zahlung
der Preise zu seinem Eigenthum zur beliebigen Yerwerthung, ist aber auch
berechtigt, aus andern eingeschickten Arbeiten Geeignetes zu verwenden.
Das Handbuch muss den Aufseher zeichnen, wie er sein
soll, seine Aufgabe schildern, die er zu lösen hat, ihn in
allen Stücken in die Praxis seiner Berufsarbeit einführen,
BO dass es ihm ein treuer Berather in der Erfüilung seiner Pflichten nach
christlicher Lebensauffassung wird. Dabei muss die Instruction bezw.
Hausordnung, welche den Dienst des Aufsehers bezw. Ober - Aufsehers
äusserlich regelt, als bekannt vorausgesetzt werden.
In einem besondern Kapitel ist der Dienst eines einzelnen Aufsehers
an einem kleineren Gefängnisse darzustellen. Auch empfiehlt es sich, in
besonderer Abtheilung auf den Dienst der Aufseherinnen bei weiblichen
Gefangenen Rücksicht zu nehmen.
Auf die Yerschiedenartigkeit der Dienstpflichten und des Yerhaltens
der Aufseher, je nachdem sie Gefangene in Zellenhaft oder in gemein¬
samen Arbeits- und Schlafsälen oder bei der Aussenarbeit zu über¬
wachen haben, ist gebührend Bedacht zu nehmen.
Ferner ist zu wünschen, dass so viel über Strafe und Strafvollzug
sowie über die Geschichte derselben mitgetheilt wird, als zweckdienlich
ist, um das Yerständniss des Aufsehers für seinen wichtigen Beruf
zu fördern.
Die Darstellung sei knapp und leicht verständlich, die Sprache dem
Standpunkte der Durchschnittsbildung der Aufsichtsbeamten angepasst,
einfach und klar; dabei scheint übersichtliche Anordnung und Abrundung
des Stoffes in einzelnen Kapiteln am angemessensten.
Die eingehenden Arbeiten sind mit einem Motto zu versehen, Name,
Stand und Wohnort des Yerfassers in einem verschlossenen Briefe mit
gleichem Motto als Aufschrift beizufügen.
Die Einsendung muss spätestens bis zum 15. Juli 1885 an den
Unterzeichneten Ausschuss erfolgen. Derselbe ernennt eine Commission
von 5 Mitgliedern, welche die eingeschickten Arbeiten prüft.
Die YerÖffentlichung der Gutachten bezw. der Ertheilung der Preise
wird in der nächstjährigen Generalversammlung der Rheinisch-Westfälischen
Gefängniss-Gesellschaft erfolgen.
Düsseldorf, im November 1884.
Der Ausschuss der Rheinisch-Westfälischen
Gefängrniss - Gesellschaft.
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298
Zur Nachricht.
Von einer Anzahl früherer Hefte des Yereinsorgans sind noch
disponible Exemplare vorhanden, die nach Beschluss des Ausschusses an
Mitglieder gratis abgegeben werden sollen. Gegen Einsendung von 2 JL
zur Deckung der Yersendungskosten können daher diese Hefte (für die
ersten Besteller bis zu 42 Expl.) von hier bezogen werden.
Freiburg L B., im März 1885.
Für den Vereinsauseohues
Director Bkert,
Johanniterstrasse 4.
Inhalt.
Saite
1. Die Bevölkerung der Hamburgischen Gefängnisse im Jahre 1883.
Von Streng .. . 155
2. Die Erbauung einer Strafanstalt in Bosnien. Mit 4 lith. Tafeln 166
3. lieber die Geständnisse der Gefangenen. Von Krauss . 186
4. Die Strafanstalt Wehlheiden bei Cassel. Von Kaldewey 211
5. Internationaler Gefängnisscongress.230
6. Die englischen Reformatories und Industrieschulen . . 242
7. Mittheilungen aus der Praxis.260
8. Literatur.263
9. Nachrichten über Strafanstalten.270
10. Schutzwesen..271
11. Personalnachrichten.293
12. Vereinsangelegenheiten.296
13. Preisausschreiben (Handbuch für Gefängnissaufseher) . . 297
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Ort'uprWe F/äc/fe 3,3Fmfassunffsma//em fy 6/^
Entwurf einer Strafanstalt für Bosnien.
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Plan. HI.
Entwurf einer Strafanstalt für Bosnien
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Skizze für ein Wohnhaus der Handwerker.
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Skizze tür ein Wohnhaus der Feldarbeiler.
, Senkcfrriie
y1. ffhA/izi/nmer des ITausmtfrs .
B. Vorzimmer JVasc/tzimmer .
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£icfefo- 3,n"i^?tt., 219,n Xu^ftvcKt-m
4,718 ^vorvi 16,65 .OufU<xxvnv.
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Plan lY.
Skizze für ein Spilal ( 62 Kranke ewärler)
Verbaule Fläche 660:76''”^
Ebeiierili<J.
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Aif^esrA/ftssner Corredor. ß Afaffazin Theekirehe MSfti^enkausi
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I.Stock
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SoilleiTAUl
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für eine
Strafanstalt ?•
in
Bosnien
Heiz u. Venidationssyslem
Kedemann utekender
Mainz.
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A. Kohiendepot H.Stiegenhaus C. Corridor JJ.Heizkammer K.FasselraunL
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Dis nebmMielr der Mmn iil
Eitaiei,
vom ethischen Standpunkte beleuchtet
von Dr. theol. Richter,
Königl. Consistorialrath und Militär-Oberpfarrer zu Breslau.
Vorbemerkung. Das Referat, welches Schreiber dieser
Zeilen für die Generalversammlung des Geföngniss-Vereins für
Schlesien und Posen am 6. November 1884 über den vor¬
stehenden Gegenstand zugesagt hatte, konnte leider damals nicht
gegeben werden. Die nachfolgenden Ausführungen wollen diese
Zusage wenigstens nachträglich einlösen, die auf jener Ver¬
sammlung ausgesprochenen Ansichten ergänzen und klären und
auch über den Kreis der Vereinsmitglieder hinaus die wichtige
Frage, um die es sich handelt, erneut anregen und zur befrie¬
digenden Lösung bringen helfen.
Ist das Gefängniss nach dem Ausspruch des Moral¬
statistikers von Oettingen das Spiegelbild der Zeit, so ist
auch der Strafvollzug ein solches. In ihm spiegelt sich die
Gesammtanschauung des Volkes und der Zeit in rechtlicher,
socialer und ethischer Beziehung wieder. Er ist der Nieder¬
schlag dieser Rechtsanschauungen gegenüber der Rechtsver¬
letzung, als dem Attentate des Einzelnen wider die Majestät
des Gesetzes, durch welches die Gesammtheit: der Staat, die
bürgerliche Gesellschaft sich ihren Bestand und ihr Wohl¬
befinden sichern. Er ist auch der Niederschlag der socialen
Bltttter für Gefängnisekunde. XIX. 20
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Anschauungen des Volkes, seiner Würdigung der Einzelpersön-
lichkeit gegenüber der Gesammtheit und umgekehrt, des Rechtes
der Persönlichkeit und des Rechtes der Gemeinschaft. Er ist
endlich auch der Niederschlag der ethischen Anschauungen
des Volkes, die ja der Boden sind, auf dem seine Rechts¬
anschauungen und seine socialen Anschauungen erwachsen sind
oder doch erwachsen und sich darnach normiren und corri-
giren sollen, weil sie die Persönlichkeit sowohl des Einzelnen
wie der Gesammtheit nicht blos unter den Gesichtspunkt zeit¬
licher sondern auch ewiger Zwecke stellen, denen alles Zeit¬
liche nur zu dienen und davon sich durchdringen zu lassen
hat. Es leuchtet ein, wie die Systeme des Strafvollzugs von
dem pennsylvanischen strengster Isolirung an bis hin zu dem
irischen Progressiv-Systeme des allmählichen Fortschreitens
von der Isolir- zur Gemeinschaftshaft und vorzeitigen Ent¬
lassung, solche hochinteressante Spiegelbilder nach diesen drei
Beziehungen sind, gleich anziehend für den Staats- wie den
Volksmann, für den Fachmann wie den Laien, für den Juristen
wie den Theologen. Ist unser Volk jetzt bei der Riesenarbeit,
ein allgemeines deutsches Recht als eines der stärksten Bänder
seiner Einheit und Einigkeit für das gesammte Vaterland her¬
zustellen, und hat es den Anfang mit dem deutschen Strafrecht
bereits gemacht, so ist die Herstellung auch eines allgemeinen
Strafvollzugsgesetzes die einfache Consequenz davon
und ein immer dringender empfundenes Bedürfniss der Zeit.
Dass ein solches, von einheitlichen, nicht blos rechtlichen und
socialen, sondern auch ethischen Gesichtspunkten aus redigirt,
recht bald zu Stande komme, ist gegenüber den mancherlei
Missständen des heutigen Strafvollzuges das immer lauter aus¬
gesprochene Verlangen Aller, die ein Herz und ein Verständniss
für die Sache haben.
Die folgenden Zeilen sollen dies an einem einzelnen Punkte,
den sogenannten Ueberverdienstgeldern der Gefangenen, zeigen
und mit Bezug auf denselben Material für das in Aussicht
gestellte Gesetz bieten helfen. Schreiber dieses entnimmt seine
Legitimation dazu nicht blos aus seinem früheren Amte als
Gefängnissgeistlicher und seinem jetzigen, das ihn in lebendige
Beziehung mit der Fürsorge für Gefangene und Entlassene in
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der Provinz setzt, sondern vor Allem aus dem lebhaften Inter¬
esse, das er seit Jahren dem Gefängnisswesen zugewandt, und
das ihn durch viele Strafanstalten und Gefängnisse geführt
hat. Zudem ist gerade die Frage der Verwendung der
lieberverdienstgeldcr neuerlich wieder auf fachmänni¬
schen und kirchlichen Versammlungen, besonders in Schlesien,
in Fluss gekommen und lebhaft ventilirt worden, so dass diese
Zeilen auch einem augenblicklichen Bedürfnisse entgegenkom-
men und zur Klärung der nicht unwichtigen Frage beitragen
wollen. Dass die Entscheidung derselben vom ethischen
Standpunkte aus versucht werden soll, möge nicht blos dem
Theologen zu gut gehalten werden. Auch die rechtlichen Er¬
wägungen des Juristen und die Nützlichkeitserwägungen des
Strafvollzugsbeamten, welche letztere besonders in dieser Frage
bisher massgebend gewesen sind, werden sich als probehaltig
nur dann erweisen können, wenn sie in ethischen Prinzipien
wurzeln, zum Mindesten nicht wider dieselben sind.
Wir wollen zunächst den gegenwärtigen Stand der
üeberverdienstgelderfrage darstellen, dann eine Kritik der¬
selben versuchen, um so endlich zu positiven Vorschlägen
zu gelangen.
Die Frage der Ueberverdienstgelder oder, wie sie auch
genannt werden, der Arbeitsbelohnungen, des Arbeitsverdienst-
antheils der Gefangenen, ist auf den Versammlungen der Fach¬
männer, besonders im Verein der deutschen Strafanstaltsbeamten
1874 und 1877 auf der Tagesordnung gewesen, und eingehen¬
der in der Versammlung zu Wien 1883, an der auch Referent
theilnehinen durfte, behandelt worden, und sind eingehende
Gutachten darüber von dem Geh. Regierungsrath Lütgen in
Hannover, dem Director der Strafanstalt in Plötzensee, Geh.
Justizrath Wirth, den Strafanstaltsdirectoren Sichart und
Miglitz erstattet worden.*) Grundlegend ist auch hier das
treffliche Buch von Bauer: „Der gewerbliche Betrieb in den
Strafanstalten^, Karlsruhe 1861, gewesen. Alle die gedachten
Gutachten, auch das von der Wiener Versammlung abge-
*) Vgl. die „Blätter für Geränguisskunde“ von Gustav Ekert,
XVII. Bd. S.82, 108, 123; XIX. Bd. S. 80 ff.
20 *
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gebene, beschränken sich indess lediglich auf die Beantwor¬
tung der Frage: „Nach welchen Grundsätzen sollen die Arbeits¬
belohnungen an Gefangene gewährt werden, insbesondere auch
in welcher Höhe, und soll dabei eine Rücksichtnahme auch
auf das Verhalten des Gefangenen am Straforte stattfinden ?
soll eine ganze oder theilweise Entziehung des Arbeitsgut¬
habens stattfinden können?“ Man hat sich also lediglich auf
die Basis der vorhandenen Bestimmungen gestellt, nach wel¬
chen solche Belohnungen, ob auch in den verschiedenen deut¬
schen Ländern sehr verschieden, thatsächlich gezahlt und auch
für das projectirte allgemeine deutsche Strafvollzugsgesetz in
Aussicht genommen werden. Die prinzipiellen Fragen
dagegen, ob der Gefangene auf die ihm während der
Strafzeit gutgeschriebenen Ueberverdienstgelder
ein Eigenthumsrecht erwirbt oder nicht? ob dies Eigen¬
thumsrecht zum Mindesten mit dem Verlassen der Strafanstalt
in Kraft tritt? ja, ob es überhaupt nicht blos oppor¬
tun, sondern auch recht und vor Allem sittlich an¬
gemessen sei, Arbeitsbelohnungen zu gewähren?
sind auch hier wie bisher umgangen oder doch ihre Beant¬
wortung verschoben worden „bis zu einer der nächsten Ver¬
sammlungen“, d. h. angesichts der Schwierigkeiten der ein¬
schlägigen Fragen vielleicht — ad calendas graecas. Der
einzige Redner auf der Wiener Versammlung, der die Sache
prinzipiell anfasste, war der Professor W a h 1 b e r g (Wien),
der entschieden bestritt, dass die Verurtheilung zu einer Frei¬
heitsstrafe auch die „Confiscation der Arbeitskraft“ von selbst
nach sich ziehe. Vielmehr sei „der Sträfling von heute nicht
mehr Arbeitssklave “5 ihm komme daher rechtlich der An¬
spruch auf den Ertrag seiner Arbeit in der Strafanstalt zu,
soweit derselbe nicht aufgebraucht worden zur schuldigen
Deckung der durch seine Strafhaft dem Staate verursachten
Kosten. — Dem gegenüber gehen die bestehenden Bestim¬
mungen offenbar von dem entgegengesetzten rechtlichen Prinzip
aus, dass der Sträfling keinen Anspruch auf irgend ein Ver¬
dienst oder Belohnung hat, dass er vielmehr allerdings mit
seiner ganzen Arbeitskraft dem Staate während seiner Straf¬
zeit verfallen sei, und dass es deshalb lediglich ein Geschenk,
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ein Wohlwollen des Staates, eine Opportunitätsfrage sei, ihm
einen Antheil an dem Ertrage seiner Arbeit zu gewähren, um
ihm gewisse Erleichterungen schon während der Strafzeit zu
gewähren, vor Allem aber um ihm die Bückkehr in’s bürger¬
liche Leben nach seiner Entlassung möglichst zu erleichtern,
weil letzteres nicht blos im Interesse des Entlassenen, sondern
eben so sehr im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft liegt.
Es ist klar, dass dies zwei diametral entgegengesetzte recht¬
liche Auffassungen der Sache sind, und dass die weitere Für¬
sorge für den Entlassenen gerade dadurch in ihrem Lebens¬
nerv gelähmt werden kann und thatsächlich vielfach gelähmt
wird, dass die Pfleger, besonders wenn es, wie hier in Schle¬
sien, für die evangelischen Gefangenen die kirchlichen Ge¬
meindeorgane sind, nicht wissen, auf welcher rechtlichen Basis
sie mit diesem Stück ihrer Fürsorge, der Verwaltung der
Ueberverdienstgelder stehen. Hat der Entlassene ein Recht
auf dieselben, dann dürfen sie ihm nicht vorenthalten werden,
sobald er sie fordert. Sind sie aber und bleiben sie eine
Wohlthat, dann hat er überhaupt kein Recht darauf, am aller¬
wenigsten ein Recht zu fordern! Ehe man darum in einem
allgemeinen Strafvollzugsgesetz den Arbeitsüberverdienst der
Gefangenen auch gesetzlich fixirt, während er bis jetzt nur
durch Verordnungen und Reglements der Behörden besteht,
wird man sich über diese wichtige prinzipielle Frage klar
werden müssen, zumal sie in der That nicht nur juristisch,
sondern auch social und ethisch von tiefgreifender Bedeu¬
tung ist.
Was nun zunächst die gegenwärtigen Bestimmungen an¬
betrifft, so erweist schon ihre Vielgestaltigkeit und Bunt-
scheckigkeit, dass über das Prinzip selbst Unklarheit herrscht.
Schon die Verschiedenheit der Bezeichnung der Sache weist
darauf hin.*) In dem Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes für
das Deutsche Reich heisst sie „Arbeitsbelohnung“; in Preussen
nennt sie für die Strafanstalten der Minister des Innern nach
den im Jahre 1878 revidirten Grundsätzen „Arbeitsprämie“,
der Justizminister in dem Reglement vom 16. März 1881 für
*) Vgl. Wirth, Gutachen a. a. 0. XVII. Bd. S. 109.
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die Gerichtsgefangnisse ^ Arbeitsverdienst -Antheil^, während
sich in den Ausführungsverfögnngen der weltlichen und kirch¬
lichen Behörden daneben die Bezeichnung „Ueberverdienst-
gelder“ findet. In Bayern ist der Name „Arbeitsverdienst^^;
in Sachsen: „Arbeitserwerb“, „Gratification*', „Verdienstan-
theil“, „Arbeitsbelohnung“; in Württemberg: „Nebenverdienst“;
in Baden: „Guthaben“; in Oldenburg: „Ueberverdienst“ und
„Gratification“; in Bremen: „Arbeitsprämie“. Die Berechnung
dieser Prämie erfordert eine ziemlich complicirte Manipulation,
die gleichfalls in den verschiedenen Ländern nach ganz ver¬
schiedenen Grundsätzen erfolgt. In Preussen darf für sämmt-
liche Gefangene einer und derselben Strafanstalt niemals
mehr als der sechste Theil der Arbeitslöhne verwendet wer¬
den, welche im Laufe des Jahres eingehen. Ein jeder Sträfling
muss das „Pensum“ abarbeiten, das je nach der Beschäftigungs¬
zeit mit der betreffenden Arbeit wiederum in mehreren Ab¬
stufungen festgesetzt wird, auch erhöht oder herabgesetzt wer¬
den kann. Für das volle Pensum wird eine einfache, für Lei¬
stungen über das volle Pensum eine erhöhte Prämie gewährt
Ersterer Satz darf 5 Pf. nicht übersteigen, letzterer darf drei
bis vier Mal höher sein; der gesammte Ueberverdienst jedoch
höchstens 20 Pf. pro Tag betragen. Für Hausarbeit ist eine
entsprechende Belohnung aus dem Gesammtverdienst der An¬
stalt zu zahlen. Die Prämien werden lediglich nach dem Ar¬
beitserträge, nicht nach dem sonstigen Verhalten des Sträflings
bemessen; doch darf bei schlechtem Verhalten die Entziehung
eines Theiles des Ueberverdienstes als disciplinare Massregel
von der Direction verhängt werden. Ein Unterschied zwischen
Rückfälligen und Erstbestraften wird bei Bemessung der Prä¬
mien nicht gemacht. — Die Gefangenen der Gerichts¬
gefängnisse dagegen erhalten ein Drittel des Ertrages ihrer
Arbeit gutgeschricben. Sie sind zu angemessener Arbeit im
Gefängniss anzuhalten, können aber wider ihren Willen zu
Arbeiten ausserhalb des Gefängnisses nicht gezwungen werden.
— In Bayern erhalten die erwachsenen Sträflinge einen Theil
des Arbeitsertrages als Arbeitsverdienst, die jugendlichen Ge¬
fangenen dagegen keinen Arbeitsverdienst, sondern ein Geschenk.
In Sachsen sind die Gefangenen in drei Disciplinarklassen ein-
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getheilt, und wird denen der dritten Klasse in den Zucht¬
häusern ein Drittel, in den Gefängnissen und Correctionshäusern
ein Viertel abgezogen. Fast durchgehende wird der Ueber-
verdienst lediglich von dem Arbeitserträge abhängig gemacht,
hin und wieder von dem Arbeitserträge und dem hei der
Arbeit bewiesenen Fleisse; sehr selten wie in Oldenburg und
Bremen auch von dem guten Betragen in der Anstalt. Die
Wiener Versammlung deutscher Strafanstaltsbeamten will die
Arbeitsbelohnung nach Massgahe der Arbeitsleistung
und des dabei angewendeten Fleisses bestimmt sehen
und nur das schlechte Verhalten des Sträflings mit Ent¬
ziehung eines Theiles oder auch des ganzen Arbeitsverdienstes
bestrafen. — Nimmt man nun weiter die grosse Verschie¬
denheit der Löhne hinzu, welche von den Arbeitgebern für
diese oder jene Industrie, ja für denselben Industriezweig in
verschiedenen Gegenden gezahlt werden, so kann man sich
nicht wundern, dass der thatsächliche Arbeitsertrag und dar¬
nach auch der thatsächliche Verdienstantheil der Gefangenen
ein sehr variirender, sogar in derselben Provinz ist. Der
Netto-Arbeitsertrag eines Gefangenen betrug pro Kopf und
Arbeitstag nach der amtlichen Statistik pro 1877/78 in den
unter dem Ministerium des Innern stehenden Anstalten Schlesiens
zwischen 30 und 72 Pf.*) Darnach variiren auch die Arbeits-
verdienstantheile bedeutend, zwischen 4,88 und 10,63 Pf.**)
pro Tag und Kopf.
Wird weiter, wie in Preussen, kein Unterschied gemacht
bei Bemessung des Ueberverdienstes zwischen Erstbestraften
und Rückfälligen, so tritt die Differenz noch unliebsamer da¬
durch hervor, dass gerade der routinirte Zuchthäusler weitaus
im Vortheil ist gegenüber seinen noch ungeschulten Genossen.
Er ist mit dem ganzen Arbeitsbetrieb einer Anstalt und zumal
derselben Anstalt, in die er zurückzukehren pflegt, und der-
*) Breslau 30,84, Brieg 72,19, Strlegau 56,04, Janer 51,56, Görlitz
66,73, Sagan 40,54, Ratibor 62,92 Pf.
Breslau 5,04, Brieg 9,10, Striegau 7,35, Jauer 10,63, Görlitz 9,37,
Sagan 4,88, Ratibor 7,14 Pf., wobei allerdings der Unterschied zwischen
dem geringeren Ertrage der Frauenarbeit (Breslau-Filiale und Sagan) im
Yerhältniss zur Männerarbeit nicht ausser Acht zu lassen ist.
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selben Arbeit, bei der er wieder beschäftigt wird, so vertraut,
dass ihm das volle Pensum gar keine Schwierigkeit macht,
und dass gerade er ohne jede Ueberanstrengung es bis zum
Höchstbetrage des Ueberverdienstes bringt. Er erwirbt so
pro Jahr ohne allzu grosse Mühe 40, 50, auch mehr Mark,
d. h. er erspart sie neben freier Verpflegung und Wohnung.
Beides hat er in der Freiheit selten so gut wie in der Anstalt;
daneben spart er noch ein Erkleckliches,*) was ihm draussen
auch schwerlich passirt und — für Weib und Kind draussen
mögen Andere sorgen! Ist er nicht viel besser und „sorgen¬
freier^ daran als der freie Arbeiter, der kleine Beamte, die
im Schweisse des Angesichtes oft kaum ihre Familie erhalten
und jedenfalls in den seltensten Fällen etwas erübrigen können?
Denn das, was dem Anderen die Freiheit als köstliches Gut
des Lebens ist, das achtet der Verbrecher mit dem Grade
seiner Rückfälligkeit immer geringer.
Dies sind alles ernste Erwägungen, die nicht blos gegen
die jetzige schablonisirende und mechanisch berechnende Art
der Vertheilung des Ueberverdienstes lediglich nach Massgabe
des Arbeitsertrages der Einzelnen, sondern vor Allem gegen
jeden Rechtsanspruch des Gefangenen auf den Ueberverdienst
überhaupt sprechen. Diese vom Professor Wahlberg vertretene
Auffassung ist unseres Erachtens überzeugend schon auf der
Wiener Versammlung widerlegt worden. Wäre der Gefangene
lediglich zur Freiheitsstrafe verurtheilt, nicht aber zur Confis-
cation seiner Arbeitskraft, weil das Gesetz dies nicht ausdrück¬
lich über ihn verhängt, so würde daraus folgen, dass ihm das
„Recht auf Arbeit“, ja mehr noch das Recht auf eine, seinen
Gaben und seinem Berufe entsprechende und auch genügend
lohnende Arbeit während der Haft zustehe und der Staat ver¬
pflichtet ist, diese Arbeit ihm zu schaffen, da der Gefangene
durch die Freiheitsentziehung selbst dazu nicht in der Lage
ist. Der Sträfling soll nach Wahlberg zwar für die Kosten
*) Die Verdienstantheile der Zuchthausgefangenen betrugen pro 1877/78
zusammen 369024«/^ Die einzelnen für diese Gefangenen bei den Ansialts-
kassen verwalteten Massen betrugen bis zu 12203, — von 30—150«/^:
4551, — von 150—300,/^: 378, — über JL: 53. (Amtliche Statistik
S. 14, 30.)
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seiner Inhaftirung dem Staate aufkommen, aber auch nur
seiner Inhaftirung. Also die kostspieligen Gefangnissbauten,
das Aufsichtspersonal, Lazareth, Kirche, Schule, allgemeine
Betriebskosten dürften darnach nicht den Gefangenen auf ihr
Conto angerechnet werden, sondern nur das, was der Einzelne
an Kost und Wohnung und Arbeitsmaterial braucht. Wird
nicht die Strafanstalt so unversehens zum Hotel, wo man Logis,
Service, Kost und baare Auslagen bezahlt, nur dass man nicht
nach Belieben aus- und eingehen darf? Mit Recht hat Straf-
anstaltsdirector Strosser in Wien darauf hingewiesen, dass,
wenn der Sträfling bezahlen sollte, was der Strafvollzug über¬
haupt pro Kopf dem Staate kostet, wohl schwerlich selbst sein
ganzer Arbeitsverdienst ausreichen würde.*) Es ist aber vor
Allem, wie wir meinen, eine prinzipiell falsche ethische Auf¬
fassung der Strafe, die jenen Anschauungen zu Grunde liegt,
nicht blos falsch, weil sie zu den ungeheuerlichsten Conse-
quenzen führen würde, sondern auch weil sie gegen das Wesen
der Strafe selbst ist, auch den wahren Werth der Arbeit ver¬
kennt. Die Strafe ist als Vergeltung, als Sühne der Rechts¬
verletzung keineswegs blos Freiheitsentziehung, sondern Frei¬
heitsentziehung mit all’ den Consequenzen, welche das
sittlicl^e und bürgerliche Leben an die Freiheit
knüpft. Wie der Gefangene nicht in der Lage ist, seine
Ehe fortzusetzen, seinen häuslichen, beruflichen, communalen
und politischen Pflichten während der Haft zu genügen, resp.
die damit verbundenen Rechte auszuüben, weil dies Alles nur
Blüthen und Früchte auf dem Baume der Freiheit, der
persönlichen wie der bürgerlichen sind: so ist auch seine
Stellung zur Arbeit während der Haft eine wesentlich ver¬
änderte. Man vergegenwärtige sich das System der Freiheits¬
strafen im geordneten Staatswesen, und man wird erkennen,
dass nicht blos die Entziehung der Freiheit, sondern die sitt¬
lichen Consequenzen, die sich daran knüpfen, auch in Bezug
*) Der Unterhaltungskostenzuschuss aus dem allgemeinen Staats¬
fonds betrug für das Jahr 1877/78 pro Kopf für die schlesischen Straf¬
anstalten zwischen 128 ^ (Ratibor) und 262 JL (Breslau), als auch im
günstigsten Falle immer noch fast 40 Pf. pro Kopf tüglich. (Amtliche
Statistik S. 229.)
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auf die Arbeit, dem Grade der Sühne für die verschiedene
Rechtsverletzung genau entsprechen. Stellen Haft, Gefängniss,
Zuchthaus die Scala der Freiheitsstrafen dar, so sind frei¬
willige Beschäftigung in der Haft, angemessene Arbeit inner¬
halb des Gefängnisses, Arbeitszwang und Zwangsarbeit im
Zucbthause die entsprechenden Correlate. Von einem Arbeits¬
verdienst-Anspruch des Inhaftirten kann da doch weder im
Gefängniss, noch im Zuchthause die Rede sein, weil eben die
Freiwilligkeit gegenüber der Arbeit auf hört, weil mit der Ab¬
erkennung der Freiheit auch die Freiheit und der freie Ver¬
dienst in Bezug auf die Arbeit von selbst aberkannt ist,
während die Haft nur als Beschränkung der Freiheit er¬
scheint. Darum wird ein in Festungshaft Befindlicher auch
in Bezug auf seine bürgerliche Ehre, auf seine politischen
Rechte, auf seine ganze Lebensweise während der Strafzeit
mit Recht prinzipiell anders behandelt, als ein Gefängniss-
gefangener und zumal ein Zuchthausgefangener.
Consequent steht also dem Sträfling überhaupt kein Ver¬
dienst und also auch kein Verdienst-Antheil, viel weniger
ein Ueberverdienst für seine Arbeit zu, obwohl er oder auch
gerade weil er dem Arbeitszwange unterworfen ist. Auch die
Namen „Arbeits-Prämie^^, „Arbeits-Belohnung“ sind nur
zu missverständlich; denn nicht Lohn, sondern Strafe hat der
Sträfling verdient und abzubüssen. Er ist dem Staate ver¬
fallen mit seiner Freiheit und seiner gesammten darin wurzeln¬
den Existenz zur Sühne der verletzten Rechtsordnung. Das
ist das ideelle und ethische Moment in der Strafe, das den
reichen wie den armen Verbrecher schonungslos trifft; denn
materiell ist er nicht und soll er nicht im Stande sein, sein
Unrecht dadurch zu sühnen, dass er die „auf ihn gewandten
Kosten des Strafvollzuges“ aus dem Ertrage seiner Arbeit oder
gar seines Vermögens bezahlt. Sonst würde ja der wohl¬
habende Zuchthäusler viel besser daran sein als der arme. Er
würde einfach die auf ihn fallenden Kosten des Strafvollzuges
bezahlen und dann lediglich die Freiheitsentziehung zu tragen
haben, zu der er verurtheilt ist, d. h. der Geldbeutel
würde den Zuchthausgefangenen zum Haftgefan¬
genen machen können. — So müssen wir uns mit aller
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Entschiedenheit auf den Standpunkt stellen, den die mass¬
gebenden Bestimmungen des Strafvollzuges einnehmen, und
den auch weitaus der grösste Theil der Strafvollzugsbeamten
vertritt, dass die Gewährung des sogenannten Ueber-
verdienstes nicht den Charakter des Lohnes, son¬
dern lediglich den der freien Wohlthat gegenüber
all’ den Gefangenen hat, die sich nicht durch ihr
schlechtes Verhalten auch selbst dieser Wohlthat
unwürdig machen.
Und trägt nicht, wie der Ueberverdienst, so die Arbeit
selbst in hohem Maasse diesen Charakter einer Wohlthat
für den Gefangenen an sich? Den Charakter der Strafe
hat sie jedenfalls nur so weit, als der Zwang zur Arbeit vor¬
liegt und das Individuum diesen Zwang nicht als Wohlthat,
sondern als Pein empfindet, wie es bei vielen arbeitsscheuen
Individuen im Correctionshause, dem Arbeitshause quand mfeme,
wirklich der Fall ist. Auch den Charakter der Sühne hat sie
nur insofern, als der allgemeine Grundsatz: „Jeder Arbeiter
ist seines Lohnes werth,^ für die Gefangenen nicht besteht,
die vielmehr wegen der durch sie veranlassten physischen und
moralischen Schädigung der Gesellschaft „ihren Lohn dahin-
haben*^. Auch der opportunistische Charakter der Arbeit,
dass sie aus Rücksicht der Gefängnissdisciplin unerlässlich sei,
ist doch immer nur ein Nebenzweck, und wir können uns
darum der Motivirung der Ueberverdienstgelder aus diesen
Gesichtspunkten allein oder auch nur vorwiegend in keiner
Weise anschliessen, wie sie bei Bauer a. a. O. S. 141 gegeben
wird: ^Die Arbeitsgeschenke sind demnach für alle Straf¬
anstalten, insbesondere aber für die Einzelhaft unentbehrlich.
Sie sind bei der bei den Gefangenen vorherrschenden Selbst-
und Gewinnsucht — (Sir P. Lauris sagt: „Der Gefangene hat
nur ein Motiv, das ist sein Ich“) — nicht nur die einzige
Triebfeder zu angestrengter und guter Arbeit, sondern ersetzen
auch in weitaus den meisten Fällen die Mittel, welche zur
Verhütung von Schlendrian, Gemächlichkeit und Trägheit in
der Arbeit sonst in Anwendung gebracht werden müssten.“
Heisst das nicht, die Ethik der Opportunität unterordnen? die
in der Sünde und im Verbrechen offenbar gewordene Selbst-
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sucht dadurch auszurotten suchen, dass man wiederum die
Selbstsucht des Gefangenen möglichst anstachelt, um sie für
staatliche Zwecke auszunutzen? Das ist ja selbstredend nicht
die Absicht dieser Einrichtung — vielmehr das gerade Gegen-
theil — aber vielfach der Erfolg. Zum Mindesten schillert
die ganze Einrichtung so zwischen ethisch trefflichen und
ethisch bedenklichen Motiven und namentlich Erfolgen, dass
uns ihr Werth bei der jetzigen Einrichtung zweifelhaft dünkt.
Denn das ist doch wohl keinem Zweifel unterworfen; der Ge¬
fangene, zumal bei seiner meist geringen moralischen und
intellectuellen Bildung, fasst das Geld, das ihm wöchentlich
oder monatlich nach so complicirten Manipulationen bei Be¬
rechnung seines Arbeitsertrages in seinem besonderen Conto- -
buche gutgeschrieben und noch dazu „Ueberverdienst“,
„Arbeitsverdienstantheil“ genannt wird, lediglich als sein gut
erworbenes Recht, als sein Eigenthum, sein Verdienst
auf. Er dankt dem Staate wirklich nicht dafür als für eine
Wohlthat, die ihm ganz unverdient zu Theil wird, son¬
dern ist nur innerlich unzufrieden durüber, dass ihm nicht der
ganze Arbeitslohn zufällt und beschwert sich auch wohl über
„Verkürzung oder falsche Berechnung seines Arbeitsverdienstes“.
Und weiter, wie die Festsetzung der Arbeitsbelohnung
lediglich nach Massgabe des Arbeitsertrages und darum in
sehr complicirter und durch ihre Auffassung bei den Gefan¬
genen sehr bedenklicher Weise muss auch die Verwendung
derselben gegen die ganze Institution oder doch ihre gegen¬
wärtige Handhabung bedenklich machen. Bis zur Hälfte kann
der Gefangene nach den bestehenden Bestimmungen über sein
Arbeitsguthaben unter Genehmigung der Direction verfügen,
um die Kosten der Correspondenz mit der Heimath, auch
kleine Unterstützungen für die Seinen daraus zu bestreiten
oder sich „Extragenüsse“ in der Anstalt: Kostverbesserung,
Tabak, das Halten von Blumen oder auch eines Vogels, sofern
es gestattet wird, dadurch zu ermöglichen. Das erste, das
Band mit der Heimath, mit Weib und Kindern ist in der That
einer der stärksten Hebel der sittlichen Einwirkung auf den
Gefangenen, den wir durchaus nicht aufgeben wollen, ohne
dass jedoch die Institution des Ueberverdienstes in ihrer jetzi-
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813
gen Gestalt dazu in Anspruch genommen zu werden braucht
Gegenüber dem Andern aber müssen wir uns abweisend ver¬
halten. Weder „Genüsse“ noch „Extragenüsse“ hat eine Straf¬
anstalt dafzubieten, sondern zu strafen.*) Wahrhaft erfreu¬
lich war es daher für uns, als auf der gedachten Wiener Ver¬
sammlung einem der Redner gegenüber, der sich bis zu der
Behauptung verstieg, die Gefangenen würden lieber wieder
Kette und Kugel sich anschmieden lassen, als auf den Tabak
verzichten, ein österreichischer Strafanstaltsdirector bezeugte,
dass in seiner Anstalt an einem Tage der Gebrauch des
Tabaks gänzlich aufgehoben worden sei, ohne dass irgend
welche nachtheiligen Folgen für Gesundheit oder gar das
Leben der Inhaftirten hervorgetreten seien, und demzufolge
auch die Versammlung mit grösserer Majorität beschloss: „Die
Beschaffung von Tabak für die Gefangenen ist ausgeschlossen.“
Wir meinen, alle Extragenüsse seien für die Strafanstalt aus¬
geschlossen. Ist ein Nahrungsmittel für den Gefangenen um
seiner Gesundheit willen nothwendig, so mag es ihm auf
Anordnung des Arztes gerade so wie die Medicin unentgelt¬
lich gereicht werden. Nicht aber'soll der routinirte Zucht¬
häusler, der das meiste Arbeitsguthaben macht, dadurch in
den Stand gesetzt werden, möglichst gut im Gefängniss zu
leben, so wie es der Neuling und relativ Unverdorbene, der
Kurzzeitige, der nur wenig Nebenverdienst hat, nicht vermag.
Auch gegen Blumen oder Vögel in den Isolirzellen muss sich
Referent kritisch verhalten. Es sind das Alles Beiträge zu
der nicht unberechtigten Klage, dass der Strafvollzug durch
alle solche Dinge an seinem Ernste und seiner nachdrücklichen
Strenge, ohne die er illusorisch wird, leicht Einbusse leide
und einer sogenannten Humanität, d. h. richtiger Sentimentalität
Raum gebe, die zwar eine viel verbreitete Krankheit der Zeit
ist, die aber überall eher angebracht ist als in Strafanstalten.
Der wichtigste Zweck aber der UeberVerdienstgelder ist
*) Von den Gefangenen wurden pro 1877/78 verausgabt zur eigenen
bessern Verpflegung und sonstigen erlaubten Aufwendungen 237 857 JU
(darunter 77 313 Liter Bier), dagegen zur Unterstützung für Angehörige
nur 24077 also nur etwa der zehnte Theil von dem, was sie an sich
selbst gewandt haben. (Amtl. Statist. S. 8, 32.)
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endlich die Fürsorge für den Gefangenen nach seiner
Entlassung. Gewiss ist dies eine hochwichtige Angelegen¬
heit; ist doch nur zu sehr bekannt, wie schwer dem Entlassenen
der Wiedereintritt in’s bürgerliche Leben gemacht wird! Hat
er auch seinerseits durch seiner Hände Arbeit während der
Strafzeit dazu mitwirken können, dass eine Summe Geldes an¬
gesammelt worden, aus der Obdach und Nahrung, Kleidung
und Handwerkszeug für die erste besonders schwere Zeit nach
der Entlassung bestritten werden können, — sollte dies nicht
von hohem, nicht blos socialem, sondern auch ethischem Werthe
und ein mächtiger Hebel für die Besserung des Gefangenen,
für seinen Fleiss und sein gutes Betragen in der Anstalt sein ?
Wer sollte dies verkennen? Alles wird freilich darauf an¬
kommen, dass die Ueberverdienstgelder dem Entlassenen in
verständiger und für sein Fortkommen wahrhaft dienlicher
Weise ausgezahlt werden. Die Fälle werden die wenigsten
sein, wo die Persönlichkeit des Entlassenen die volle Garantie
dafür bietet, dass er selbst den besten Gebrauch von diesem
Gelde, dessen Betrag bei Langjährigen hier und da bis über
300 JL binausgeht, zu machen wissen wird, und dass man ihn
deshalb am besten in stiller Verborgenheit sich selber retabliren
lassen möge, ohne ihn zu nöthigen, vor Polizei oder Gemeinde-
Kircbenrath zu erscheinen, um sich das Geld ratenweise aus¬
zahlen zu lassen. In den allermeisten f'ällen aber lässt sich
ein guter Gebrauch der Freiheit und darum auch des Ueber-
verdienstes bei den Entlassenen nicht voraussetzen oder vor¬
aussehen. Baüinirte Verbrecher betragen sich meist in der
Strafanstalt ganz gut und eignen sich unschwer auch das
Bischen „Zuchthausfrömmigkeit^ an, während sie mit dem Ver¬
lassen der Gefängnissmauern oft sofort wieder in. die Ver-
brecberlaufbahn einlenken, wozu der gerade ihnen reichlich
zugefallene Ueberverdienst auch noch die Mittel an die Hand
giebt. Bessere Gefangene sind oft so sehr der Freiheit ent¬
wöhnt, dass die Luft draussen sie benimmt und berauscht,
und sie, wie die Kinder, das Geld oft recht unnütz anwenden,
ja vergeuden. Leichtsinnige Burschen verjubeln es in wenigen
Tagen, um dann sofort wieder der Polizei in die Hände zu
^ llen. Ein nach Marklissa entlassener Cigarrenarbeiter, der
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ein Arbeitsguthaben von 100 JL erworben und dessen Aus¬
zahlung ertrotzt hatte, kaufte sich auf dem Markte Essvvaaren,
wovon er allerlei Gesindel freihielt, nahm dann am dritten
Tage eine Fuhre für hohen Lohn nach Lauban, wo er Wein
trank, aus der Betrunkenheit gar nicht mehr herauskara und
zuletzt das baare Geld öffentlich ausstreute. Am dritten Tage
waren die 100 t4L verjubelt und ausserdem ein Theil seiner
Kleidungsstücke wieder verkauft. Seitdem vagabundirt er.
Und das ist nur ein Beispiel für viele! Freilich, der Miss¬
brauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf; solche Fälle
zeigen aber, wie weise und nothwendig es ist, dass der Ueber-
verdienst nicht an den Entlassenen selbst, sondern, wie es die
Bestimmungen des Ministers des Innern und des Justizministers
vorschreiben, an die Polizeibehörde des Heimaths- resp. des
Ortes ausgezahlt wird, wohin der Gefangene entlassen zu wer¬
den beantragt, mit dem ausdrücklichen Hinzufügen, dass der¬
selbe so verwandt werden soll, wie es im Interesse des Ent¬
lassenen am dienlichsten scheint. Daraus folgt klar, dass nach
den behördlichen Bestimmungen die auszahlende Stelle nicht
nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Prüfung hat, wie
im einzelnen Falle die Gelder zu verwenden, und ob sie in
Raten resp. in welchen zu erheben sind. Dass dies den meisten
Entlassenen als eine sehr unbequeme Beeinträchtigung ihres
Verfügungsrechtes erscheint, und dass sie Alles thun, um durch
Winkelzüge: Veränderung des Aufenthaltsortes, fingirte Be¬
schäftigung oder auch wirkliche Arbeit, die sie sofort wieder
verlassen, sobald sie das Geld haben, das letztere möglichst
bald herauszukriegen, ist offenkundig, sowie auch dass die
Polizeibehörde oft gar nicht in der Lage ist, so eingehend
und innerlich sich um das Fortkommen des einzelnen Ent¬
lassenen zu kümmern, als es namentlich in der ersten schweren
Zeit dringend nothwendig ist, und dass so das Geld bei laxer
Handhabung möglichst schnell oder bei zu strenger Hand¬
habung in so kleinen Raten ausgezahlt wird, dass der Ent¬
lassene wirklich nichts damit anfangen kann. Mit einem Worte:
es handelt sich hier nicht so sehr um ein polizeiliches Geschäft,
sondern um eine sehr mühsame und sehr verantwortungsreiche
Function der suchenden und helfenden Liebe, die also viel
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mehr der christlichen Gemeinde oder in deren Unterstützung
der freien Liebesthätigkeit der Innern Mission zuzuweisen sein
wird. In richtiger Würdigung dessen ist zuerst in Schlesien
seit 1882 der Versuch gemacht worden, die Organe der evan¬
gelischen Kirchengemeinden, denen verfassungsmässig die Für¬
sorge auch für die Verwahrlosten obliegt, mit der Verwaltung
der Ueberverdienstgelder zu betrauen. Auf den Antrag des
Königl. Consistoriums haben der Oberpräsident der Provinz
mit Genehmigung des Ministers des Innern zunächst versuchs¬
weise für die Strafanstalten und der Oberstaatsanwalt für die
Gerichtsgefängnisse die Anordnung getroffen, dass diese Gelder,
sofern sie über 3 JL betragen, für die evangelischen Entlassenen
nicht mehr an die Polizeibehörde, sondern an den Gemeinde-
Kirchenrath des Ortes, wohin der Gefangene entlassen wird,
oder, falls ein besonderer Fürsorge-Verein für die Entlassenen
daselbst besteht, an diesen ausgezahlt und nach bestem Er¬
messen im Interesse des Entlassenen verwendet werden. Diese
Massregel, die, wenn sie sich bewährt, auch unschwer auf die
katholischen Entlassenen ausgedehnt werden kann und soll,
ist der Gegenstand vieler Erörterungen in den Gemeinden und
auf den Synoden der Provinz, ja weit über die Grenzen der¬
selben hinaus gewesen. Auch von der Rheinisch-Westfälischen
Gefängnissgesellschaft ist unter Hinweis auf Schlesien eine ähn¬
liche Einrichtung beantragt worden, nur mit dem Unterschiede,
dass man die Massregel dort nur auf die Gefangenen ange¬
wandt wissen will, die vor der Entlassung ausdrücklich sich
wie mit der Fürsorge überhaupt so mit der Verwaltung ihrer
Ueberverdienstgelder seitens des Gemeinde-Kirchenrathes resp.
des Fürsorge-Vereins einverstanden erklärt haben. Man sieht
in der schlesischen Einrichtung eine andere Art von Polizei¬
zwang, eine erdrückende Umarmung, die dem Wesen der freien
christlichen Liebesthätigkeit zuwider sei. Wohlthaten würden
nicht aufgedrängt. Wer die Hand der helfenden Liebe nicht
annehmen wolle, möge selbst seine Haut zu Markte tragen.
Dies war auch die Anschauung, welche die Wiener Versamm¬
lung 1883 beherrschte. Beschränkt man nach diesen Anschau¬
ungen die Massregel auf diejenigen, welche sich damit ein¬
verstanden erklären, so vermeidet man dadurch die Schwierig-
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keit allerdings, die in der Rechtsfrage liegt, ob der Ueber-
verdienst der Gefangenen, wo nicht schon während der Straf¬
zeit, so doch wenigstens mit dem Augenblick der Entlassung
ihr rechtmässig erworbenes Eigenthum wird. War er auch
ursprünglich nur eine bedingungsweise gegebene Wohlthat
seitens des Staates: jetzt sind seine Empfänger keine Gefan¬
genen mehr; jetzt ist das freie Geschenk des Staates ihr recht¬
mässiges Eigenthum geworden, das ihnen wohl an der oder
jener Stelle ausgezahlt wird, über welches aber lediglich sie
selbst das Verfügungsrecht haben. Wird auch durch behörd¬
liche Verordnung die Dispositionsbefugniss an die Polizei oder
den Gemeinde-Kirchenrath übertragen, so präjudicirt diese
Massregel ihrem Recht in keiner Weise, d. h. dieselbe besteht
nur so lange zu Recht, als der Einzelne und soweit er sich
dieselbe gefallen lässt. Diese Deduction, also auch die An¬
fechtbarkeit der betreffenden Bestimmung vor dem Richter,
haben wir vielfach von tüchtigen Juristen gehört. Ob sie be¬
gründet ist, darüber steht uns ein competentes Urtheil nicht
zu; jedenfalls aber mahnt sie zur Vorsicht auf diesem Gebiete
christlicher Liebesthätigkeit umsomehr, als auch die inneren
hierbei in Betracht kommenden Factoren keineswegs klar und
entschieden für die Aufrechterhaltung der Institution in der
jetzigen Form sprechen. Die von der Rheinisch-Westfälischen
und der Wiener Versammlung vertretene Anschauung vermeidet
allerdings, wie schon bemerkt, die gedachte rechtliche Schwie¬
rigkeit; denn wenn der Gefangene vor seiner Entlassung in
diese Art der Verwaltung seines Ueberverdienstes ausdrück¬
lich einwilligt, so geht er damit freiwillig eine Art Vertrag
mit dem pflegenden Verein resp. dem Gemeinde-Kirchenrath
ein, wodurch er seines Dispositionsrechtes unter der Bedingung
der Fürsorge für ihn sich begiebt. Freilich dürfte auch dieser
Vertrag ihn nur so lange binden, als er nicht davon ausdrück¬
lich wieder zurücktritt. Will er dies, — und wie Wenige
werden der Versuchung widerstehen, nach dem Verlassen des
Gefängnisses, wo die Zucht der Anstalt nicht mehr auf sie
einwirkt, sich in den Besitz der oft recht ansehnlichen Gelder
möglichst bald zu setzen! so kann auch bei dieser Einrich¬
tung Missbrauch in keiner Weise verhütet werden, falls dem
Blfttter für Gefängnieekunde. XIX. 21
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318
Gefangenen wenigstens nach seiner Entlassung ein Recht auf
sein Arbeitsguthaben zusteht. Ja weiter, viele Gefangene wer¬
den durchaus nicht geneigt sein, die Fürsorge des Vereins
oder des Gemeinde-Kirchenrathes unter der Bedingung
nachzusuchen oder sich gefallen zu lassen, dass die Ueber-
verdienstgelder an die betreffende Stelle ausgeantwortet wer¬
den. Nur Wenige dürften den socialen und vor Allem den
moralischen Werth dieser Einrichtung so hoch scliätzen und
so richtig würdigen, dass sic selbst ihr Dispositionsrecht über
die gedachten Gelder dafür gern daran geben.
Wir machen ferner auf die mancherlei geschäftlichen
Schwierigkeiten aufmerksam, die aus diesem zwiespältigen
Verfahren bei Uebersendung dieser Gelder theils an die
Polizeibehörde, theils an den Gemeinde-Kirchenrath für die
Anstalt erwachsen, während unseres Erachtens doch ein ein¬
heitliches Verfahren hier sehr zu empfehlen ist. , Auch er¬
halten auf diese W^eise die Fürsorge-Vereine, namentlich in
grösseren Städten keinerlei Uebersicht darüber, wie Viele oder
wie Wenige von den aus den verschiedenen Gefängnissen und
Strafanstalten Entlassenen die Fürsorge überhaupt annehmen
oder verschmähen. Zuletzt — und nicht am letzten! — scheint
uns in der That ein gelinder Zwang gerade gegenüber dem
Gefangenen bei seiner Entlassung durchaus zweckentsprechend
zu sein. Gerade bei der oben geschilderten Unfähigkeit oder
auch dem bösen Willen der Entlassenen gegenüber, ihr Geld
ordentlich anzuwenden, scheint es uns Angesichts der wohl-
thätigen Absichten des Staates, dass gerade das ehrliche Fort¬
kommen und die Besserung durch den Ueberverdienst gefördert
werden sollen, durchaus angemessen^ die Entlassenen ohne
Ausnahme an die Stelle zu weisen, wo materiell und mo¬
ralisch beides am ehesten gesichert scheint, die kirchlichen
Gemeindeorgane oder, in grossen Städten, die mit den letzteren
in organische Verbindung gesetzten Fürsorge-Vereine. Es ist
dies ein heilsames Gegengewicht gegen die grossen Schäden
der Freizügigkeit. Es ergiebt dies ein einheitliches Verfahren
und eine klare Uebersicht. Vor Allem bringt es dem Ent¬
lassenen seine Zugehörigkeit zur Einzelgemeinde nicht nur,
sondern zum Leibe Christi, der Kirche des Herrn, gerade in
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dem Augenblick klar zum Bewusstsein, wo er dieses Bewusst¬
seins und der thatkräftigen Hilfe so wie nie bedarf. Er wird
seinem Seelsorger noch einmal gegenübergestellt; er darf noch
einmal die dringende Liebe Christi, die herzlichen Ermahnun¬
gen und hilfreichen Anerbietungen zur Neugestaltung des Lebens
erfahren. Will er dann nicht, nun wohl, dann möge er in der
That „seine Haut zu Markte tragen“; er wird aber dann nicht
sagen können, dass die suchende Liebe nicht Alles ihm gegen¬
über gethan habe. In rechter Würdigung dieser innersten Fak¬
toren christlicher Fürsorge für Gefangene und Entlassene er¬
scheinen alle uns nur zu sehr bekannten Einwendungen gegen
diese Institution als unbegründet oder doch untergeordnet.
Sagt man, dass durch dieselbe der ohnehin schon mit zu vielen
Aeusserlichkeiten belastete Pastor noch mehr mit solchen über¬
bürdet würde, so ist zu erwidern, dass diese Fürsorge durch¬
aus nicht Sache blos des Geistlichen, sondern des ganzen Ge-
meinde-Kirchenrathes ist, dem dies, abgesehen von den Vor¬
schriften der Gemeindekirchen - Ordnung, auch durch Pflicht
und Gewissen obliegt. Bei richtiger Einriclitung können für
jeden Gefangenen schon einige Wochen vor seiner Entlassung
in seiner Heimathsgemeinde die Hände bereit und ihm auch
mitgetheilt sein, in die er nach seiner Entlassung überzugehen
hat, d. h. in kleineren Gemeinden kann für jeden einzelnen
Fall vom Geistlichen im Vereine mit dem Gemeinde-Kirchen¬
rath ein Pfleger oder auch eine Pflegerin aus der Mitte der
Aeltesten oder der andern Gemeindemitglieder im Voraus be¬
stimmt werden, an den dann auch die Ueberverdienstgelder
gezahlt werden, an den der Entlassene gewiesen wird, nach¬
dem er von dem Geistlichen ein seelsorgerisches, ernstes Wort
gehört hat. Diesem Pfleger liegt dann auch die weitere Für¬
sorge ob. Er wird mit dem Entlassenen im Verein berathen,
wie die Gelder am zweckdienlichsten anzuwenden sind, und
der Entlassene wird am ehesten damit zufrieden sein, wenn
er die Wege zu seiner Rehabilitirung also schon in etwas
geebnet, Unterkommen oder Arbeit vorbereitet findet. Treten
aber einzelne Patrone dabei frech und unverschämt auf, wie
es ja nicht selten vorkommt, fordern sie mit Drohungen ihr
gesammtes Geld, so mag es ihnen ja nach ernster Mahnung
21 ♦
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Google
nicht vorenthalten werden, der Pfleger wird aber gut thun,
der Polizeibehörde eine kurze Anzeige zu machen, damit sie
ein doppelt scharfes Augenmerk auf den Betrefienden habe,
wie es überhaupt gut sein wird, dass sich der Gemeiiide-
Kirchenrath resp. der Fürsorge-Verein und die Polizeibehörde
mit Bezug auf die Entlassenen gegenseitig auf dem Laufenden
erhalten, gerade auch im Interesse der besseren Elemente
unter den Entlassenen und der möglichsten Milderung der
etwa auch über diese verhängten Polizeiaufsicht. Hat man
aber den wohlmeinenden Vorschlag gemacht, die Arbeit zwi¬
schen dem Gemeinde-Kirchenrath und der Polizeibehörde so
zu theilen, dass der Geistliche zwar die Anweisung auf die
nach seinem Ermessen ratirliche Auszahlung des Geldes, die
Polizei aber die Auszahlung haben soll, weil man meint,
der letzteren Behörde gegenüber werde Frechheit schon ver¬
stummen, so ist letzteres zwar richtig, aber die beabsichtigte
Wirkung an der andern Stelle dürfte fehlen. Im Gegentheil,
der Entlassene „merkt die Absicht und wird verstimmt“. Er
wird immer — und mit Recht — beim Geistlichen seine For¬
derungen und eventuell seine Schmähungen anbringen, wenn
ihm das Geld gegen seine Wünsche vorenthalten wird; ja sein
Auftreten dürfte um so frecher sein, als er dem Geistlichen
abmerkt, dass dieser nicht Muth hat, den vollen Muth der
Wahrheit und der dienenden Liebe. Dazu aber muss der
Geistliche in seinem Amte überall bereit sein, auch Schmähun¬
gen auf sich zu nehmen, wenn es die Schmach Christi ist.
Hier gerade kann und soll er mit dem Muth und mit der
Wahrheit der Liebe Christi Alles thun und Alles tragen, auch
die ganze Verantwortung; nicht aber sich zur Anweisungs¬
stelle für die Auszahlung des Ueberverdienstes machen lassen.
Bei der rechten Organisation kann und wird es ihm überdies,
wie schon zuvor bemerkt, auch hierbei an Helfern aus dem
Gemeinde-Kirchenrath und der Gemeinde nicht fehlen. Schwie¬
riger gestaltet sich freilich die Sache in grossen Städten,
wo die Gemeinde-Kirchenräthe diese Pflicht der Fürsorge an
freie Vereine delegirt haben, in denen sie am besten, wie in
dem Breslauer Verein, organisch vertreten sind. Hier wird
bei der Häufigkeit der Fälle, der Grösse der Gemeinde, die
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eine persönliche Bekanntschaft des Geistlichen mit dem Ent¬
lassenen in den allermeisten Fällen ausschliesst, der Verein die
Instanz sein, an welche der Entlassene und sein Ueberverdienst
zu adressiren sind. Ist, wie in Breslau, der Verein nach den
Bezirken der einzelnen Kirchgemeinden in Subcommissionen
getheilt, so wird es unschwer sein, bei rechtzeitiger Anmel¬
dung des Entlassenen, d. h. mindestens vier Wochen vor dem
Entlassungstermine, wie es vorgeschrieben ist, ihn der Com¬
mission zuzuweisen, in deren Bezirk er zurückkehrt; oder,
sofern er keine bestimmte Wohnung hat, ihn der Commission
zuzutheilen, in deren Bezirk Arbeit oder doch zunächst Ob¬
dach für ihn beschafft wird. Immer wird es dann Pflicht sein,
ihn einem speciellen Pfleger oder einer Pflegerin zu über-
'weisen, an die er rechtzeitig, d. h. schon vor seiner Entlassung
zu adressiren ist, um ihm das unnütze Hin- und Herlaufen,
das ihn mit Recht verstimmt, zu ersparen. Dass dieser Pfleger
allein die richtige Stelle ist, an die auch das an den Fürsorge-
Verein gesandte Ueberverdienstgeld abgegeben wird, ist klar,
und wir können es nicht billigen, dass im Breslauer Verein
eine Zahlstelle bei einem Vereinsmitgliede für alle Entlassenen
etablirt ist. Die Erfahrung hat es hier gezeigt, wie es an
solcher Stelle, wo auf andere Dinge ausser dem rein finan¬
ziellen Zahlgeschäft nicht eingegangen wird, auch bei der
Häufigkeit der Fälle nicht eingegangen werden kann, turbulent
hergeht, so dass Niemand schliesslich zu einem solchen Amte
sich bereit finden lässt. Da wäre in der That der obige Vor¬
schlag, dem Geistlichen resp, dem Verein nur die Anweisung,
dagegen der Polizeibehörde die Auszahlung zu übertragen,
vorzuziehen, wenn eben nicht dringende innere Gründe dafür
sprächen, beide Faktoren der Fürsorge: die äussern und die
innern in eine Hand, die des christlichen Pflegers, zu legen.
Würde alsdann noch, wie es dringend wünschenswerth ist,
schon bei dem letzten Audienztermin des Gefan¬
genen in der Strafanstalt vor seiner Entlassung, wobei
sein Ueberverdienst festgestellt, ihm auch mitgetheilt
wird, an wen derselbe gesandt wird, ihm auch eine
ausdrückliche und nachdrückliche Belehrung dar¬
über zuTheil, dass die fürsorgende Instanz, welche
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dasselbe empfängt, nicht nur das Recht, sondern
auch die Pflicht hat, es ihm in der Weise auszu —
zahlen, wie es nach ihrem besten Ermessen für den
Entlassenen am zuträglichsten ist: dann wäre aller—
dings von Seiten der betheiligten Instanzen Alles geschehen,
um nicht blos Excesse zu verhüten, sondern vor Allem um die
wohlthätigen Intentionen des Staates bei dem Arbeitsverdienst—
antheil der Gefangenen möglichst zu sichern.
Immerhin bleibt aber die unseres Erachtens bedenklichste
Schwierigkeit bestehen, dass die rechtliche Natur des Ueber-
verdienstgeldes zum Mindesten nach der Entlassung des Sträf¬
lings, wie oben gezeigt, nicht über allen Zweifel erhaben ist,
und in Folge dessen auch die Dispositionsbefugniss der für¬
sorgenden Instanz über dasselbe. Der Gefangene wird — dess
sind wir sicher —, auch wenn ihm beim letzten Audienztermin
die obige Auseinandersetzung gemacht, ja auch protokollarisch
von ihm unterschrieben wird, in den allermeisten Fällen den
Ueberverdienst, zumal bei der jetzigen Manipulation seiner
Feststellung, als sein Verdienst, d. h. als sein wohl erwor¬
benes Eigenthum ansehen. Der Gemeinde-Kirchenrath dagegen
resp. der Fürsorge-Verein wird stets sich gegenwärtig halten
müssen, dass es Depositengelder sind, fremdes Eigentlium, das
ihnen zur Verwaltung anvertraut ist, und dass sie darum allen
Rechtsconsequenzen, die daraus sich ergeben können, ausgesetzt
sind. So hat in Nr. 1 des Liegnitzer Kirchlichen Wochen¬
blattes pro 1885 ein Freund der Gefängnisssache empfohlen,
die übersandten Gelder dazu zu verwenden, um die Schulden,
die der Sträfling i^ seiner Heimath etwa hinterlassen, damit
tilgen zu helfen und den Entlassenen dann mit den Quittungen
zu „überraschen^^. Mit Recht ist demgegenüber in Nr. 2 a.a.O.
hervorgehoben worden, dass ein derartiges Verfaliren doch
nicht ohne Bedenken sei, da gemäss der Allerhöchsten Cabi-
netsordre vom 28. Dezember 1840 der Arbeitsverdienst der
Sträflinge niemals für deren Gläubiger ein Gegenstand des
Arrestschlages oder der Beschlagnahme im Wege der Execu-
tion sein soll; es daher gerathen sei, die gedachte „Ueber-
raschung^ lediglich im Einverständniss mit dem Entlassenen
herbeizuführen. Es werden sich ferner nicht unbedeutende
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Schwierigkeiten ergeben, wenn der Entlassene öfters den Ort
wechselt, was erfahrungsgemäss oft als eine Pression benutzt
wird, um das Geld möglichst bald herauszubekommen. Wenn
nun der dortige Gemeinde-Kirchenrath die Annahme verwei¬
gert? oder wenn der Entlassene vagabundirend sich herum¬
treibt und sein Geld nicht abhebt? oder wenn er, wie hier in
Schlesien vorgekommen, erklärt, unter die Aufsicht des Ge-
meinde-Kirchenrathes sich zu stellen, das sei wider seine Ehre,
da verzichte er lieber auf das Geld! — wie langft soll das
Geld aufgehoben, wohin das nicht Erhobene abgefiihrt werden?
Solche und ähnliche Fragen sind thatsächlich vielfach er¬
hoben worden, und man darf sich nicht allzusehr wundern,
wenn einzelne Gemeinde-Kirchenräthe sich geradezu geweigert
haben, die betreffenden Gelder eben wegen jener unüberseh¬
baren rechtlichen Folgen anzunehmen, während sie die Für¬
sorge selbst als ihre moralische und kirchenordnungsmässige
Pflicht gern anerkennen. Die kirchliche Behörde ist in der That
nicht in der Lage, die Gemeinde-Kirchenräthe hierin „zu einer
pflichtmässigen Thätigkeit“ (§ 47 Kirchengemeinde-Ordnung)
von Aufsichts wegen anzuhalten, weil eben zwar die Fürsorge
für die Verwahrlosten (§ 17 a. a.O.) ihnen zur Pflicht gemacht
ist, aber daraus keineswegs die Verwaltung ihres Eigenthums
folgt, also fremde Gelder, die nicht Kirchengelder sind. Es
ist daher in den betreffenden Fällen auch stets — und zwar
mit Erfolg — lediglich an den guten Willen der betreffenden
Körperschaften appellirt und darauf hingewiesen worden, dass
die ganze Massregel zunächst, wenigstens was die Zuchthaus¬
sträflinge anbetrifft, einen provisorischen Charakter trage und
eine gründliche nochmalige Erwägung und sodann allgemeine
Regelung der Frage erfolgen solle. Ja, wir werden sogar,
genau genommen, behaupten dürfen, dass, so lange nicht diese
gesetzliche Regelung der Ueberverdienstgelder-Frage erfolgt
ist, jeder einzelne Aelteste im Gemeinde-Kirchenräthe berech¬
tigt ist, sich von der solidarischen Verbindlichkeit auszu-
schliessen, welche der Gemeinde-Kirchenrath oder vielmehr
die Gesammtheit seiner Glieder mit der freiwilligen Annahme
dieser fremden Gelder rechtlich übernimmt. So kann gar leicht
die ganze Massregel durchlöchert und in Frage gestellt werden;
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ja, was wichtiger ist, es könnte den Gemeinde-Kirchenräthen
und den freien Vereinen leicht die Fürsorge selbst durch
diese, der gesetzlichen Unterlage zur Zeit noch entbehrende
Massregel ihrer Ausführung verleidet werden.
Alle diese Ausführungen zeigen unseres Erachtens klar,
wie die ganze Angelegenheit der Arbeitsverdienst-Antheile der
Gefangenen sowohl für die Zeit der Strafhaft als auch für
die Zeit nach der Entlassung einen rechtlich wie social und
ethisch zweifelhaften Werth hat, was doppelt zu bedauern ist
bei einer Massregel von so unzweifelhaft wohlthätigen, ja hoch¬
herzigen Intentionen des Staates und der bürgerlichen Gesell¬
schaft gegenüber Denen, die sie gern dadurch retten und
wieder retabliren helfen möchten; einer Massregel, die aber,
wie wir meinen, der beabsichtigten wohlthätigen Wirkung
sowohl während als nach der Haft in den allermeisten Fällen
entbehrt und — bei der jetzigen Handhabung — auch ent¬
behren muss. Was wir daher vor allen Dingen für noth-
wendig erachten, ist die möglichst baldige gesetzliche Regelung
der Frage der Arbeitsverdienst-Antheile der Gefangenen und
zwar in dem Sinne, dass dieselben keineswegs blos „nach
Massgabe der Arbeitsleistung“, wie jetzt, sondern nur unter
Berücksichtigung des bei der Arbeit bewiesenen
Fleisses, sowie des gesammten sittlichen Verhal¬
tens der Sträflinge festzusetzen sind; auch unzweideutig
auszusprechen ist, dass dieselben lediglich eine Wohl-
that, nicht aber ein Recht des Gefangenen sind,
weder während der Haft, noch nach derselben bei
der Entlassung, sowie endlich dass betreffs der Verwendung
dieser Gelder die Beschaffung aller „Extragenüsse“ im Ge-
fängniss ausgeschlossen, dieselben vielmehr lediglich dazu
bestimmt werden, die Correspondenz mit der Hei-
math zu bestreiten, vor Allem aber die darbende
Familie zu Haus zu unterstützen, und nach der
Entlassung in die Hände des Gemeinde-Kirchen-
rathes der Heimath oder des Fürsorge-Vereins
daselbst zu freier Verwendung für den Entlassenen
und seine Familie überzugehen. Das zu erwartende
Strafvollzugsgesetz wird die geeignete Stelle sein, wo auch
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diese wichtige Angelegenheit zum definitiven Austrag kom¬
men muss.
Freilich müsste alsdann gebrochen werden sowohl mit den
bisherigen Bezeichnungen als auch mit der jetzigen complicirten
Manipulation der Berechnung dieser Gelder. Es kann nach
dem Obigen weder von einem Ueberverdienst, noch einem
Arbeitsverdienst-Antheil, von Arbeitsbelohnung oder Arbeits¬
prämie im eigentlichen Sinne die Rede sein, die in genauem
Procentsatz allein der Arbeitserträge festgestellt wird, sondern
lediglich von einer freien Wohlthat, einem Geschenk, das dem
Gefangenen „unter Berücksichtigung seines Fleisses
— nicht des Arbeitsertrages! — und seines Gesammt-
verhaltens in der Anstalt^^ von der Conferenz der Ober¬
beamten periodisch — wöchentlich oder monatlich zugesprochen
würde. „Arbeitsgeschenk“ würde der passendste Name sein,
wenn nicht auch hier die einseitige Rücksicht nur auf die
Arbeit und deren Ertrag störend wäre. Nenne man es also
einfach „Prämie“ oder „Geschenk“. Die Gesammthöhe dieser
Prämie mag für die Anstalt die bisherige bleiben: der sechste
Theil der Gesammtarbeitslöhne; aber innerhalb dieser Grenze
wird die Conferenz der Oberbeamten freien Spielraum behalten
müssen, um nach den schablonenmässig gar nicht zu berech¬
nenden, vielmehr zu individualisirenden Rücksichten auf
den Einzelnen und das Einzelbedürfniss die Prämie festzu¬
setzen. Hierbei würde die Rückfälligkeit sehr entschieden als
Erschwerniss in Betracht zu ziehen sein, statt dass sie
jetzt thatsächlich eine Förderung der Prämie ist. Als „Be-
dürfniss“ käme hierbei, wie schon oben bemerkt, vor Allem
die Unterstützung der zurückgebliebenen Familie in Betracht.
Materiell würde diese Art der Festsetzung der Prämie oft zu
demselben Resultat fuhren wie jetzt; principiell aber ist der
Unterschied ein ganz gewaltiger. Freilich würde dann der
Eigennutz des Gefangenen als Stimulus zur Arbeit, ja zur
möglichst angestrengten Arbeit hinwegfallen. Wir halten dies
für kein Unglück. Der Zweck heiligt die Mittel niemals. Das
Arbeitspensum würde auch ferner schon auf Grund der An-
staltsdisciplin und weil es sich um den Vollzug einer Strafe,
also auch um Arbeitszwang handelt, beibehalten werden
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müssen; aber allerdings die Ueberpensen würden zunächst
wenigstens heruntergehen und dadurch der Gesammtertrag der
Arbeit ein etwas geringerer werden. Jedoch was ist diese
geringe finanzielle Einbusse gegenüber den gewaltigen sitt¬
lichen Factoren, die hier mitsprechen. Erst so erscheint die
Arbeit als ein wesentliches, ja als eines der köstlichsten Mittel
des Besserungszweckes in der Strafe. Sie soll dem
Gefangenen eine Wohlthat äusserlich und innerlich sein,
ohne die er bei längeren Strafen einfach vernichtet werden
würde. Das pennsylvanische System, die Bekehrung, d. h. die
Besserung des Menschen, wie durch strengste Isolirung, so
durch Entziehung aller Arbeit mit Hochdruck zu Wege zu
bringen, heisst den Teufel durch Beelzebub austreiben und
ist eben solcher Frevel gegen den heiligen Werth der Arbeit
im Menschenleben, wie die Tretmühle, ein mechanisches Todt-
tretenwollen des alten Menschen, wodurch der neue Mensch
wahrhaftig nicht geboren wird. Solche Mittel sind lediglich
als Disciplinarmittel im äussersten Falle anzuwenden, und
wir zweifeln keineswegs, dass auch der arbeitsscheueste Mensch,
wenn ihm das Müssigsitzen als Strafe auferlegt wird, schon
nach recht kurzer Zeit dringend um Arbeit bitten würde. Das
Leben wehrt sich eben mit Naturgewalt wider den Tod; und
— die Arbeit ist der Segen des Lebens und ohne sie, d. h.
wenn dem gesunden Menschen die Arbeitslosigkeit aufge¬
zwungen wird, kommt der Tod. Wir hegen darum keine so
grosse Besorgniss, dass die Arbeit und der Arbeitsertrag bei
dem hier vorgeschlagenen Verfahren irgendwie erheblich zu¬
rückgehen würde. Dagegen — wie muss es den Gefangenen
sittlich heben und bessern, wenn er weiss, dass er durch sei¬
nen Fleiss und sein Gesammtverhalten in der Anstalt Denen
draussen, die am meisten unter seiner Schuld zu leiden haben
und sich oft in bitterster Noth befinden, mittelbar wenigstens
etwas Gutes erweisen kann, indem die Anstalts-Conferenz auf
sein Bitten oder auch auf die von draussen kommenden Bitten
aus dem Prämienfonds eine ob auch kleine Summe bewilligt
und dieselbe durch die Hand des Gemeinde-Kirchenrathes
oder des Fürsorge-Vereins den Seinen zukommen lässt. Das
ist kein Verdienst des Sträflings; das ist ein geringes Ab-
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tragen einer u nab trag baren Schuld. Der Gedanke an
Weib und Kind ist dem Gefangenen erfahrungsmässig am
ehesten die Brücke, über die man an sein Herz kommen kann.
Wird der vorgeschlagene Weg von den Beamten der Anstalt,
insonderheit auch von den Geistlichen, treu ausgenutzt, so
wird damit sicher viel mehr für die Besserung des Menschen
erreicht als wenn seine Kraft zu einem möglichst hohen Arbeits¬
erträge vom Staate ausgenutzt wird.
Endlich ist das Geldgeschenk bei der Entlassung des
Gefangenen ein wesentliches Mittel, ihn in’s Leben wieder
zurückzuführen. Nur dass im Gesetz es ausdrücklich ausge¬
sprochen würd, dass das Geld lediglich eine freie Gabe sei
und bleibe, auf die der Entlassene keinerlei Rechtsanspruch,
also auch keinerlei Verfügungsrecht habe! Nur ausnahms¬
weise, d. h. in besonders günstigen oder delicaten Fällen möge
die Direction oder die Conferenz der Oberbeamten das Recht
behalten, das Geschenk dem Gefangenen gleich bei seiner
Entlassung auszuhändigen. In der Regel aber möge es nach
den Bestimmungen des zu erwartenden Gesetzes an den Ge-
meinde-Kirchenrath resp. den Fürsorge-Verein der Heimath
oder des Ortes, nach dem der Gefangene die Entlassung be¬
antragt hat, zu freier Verfügung im Interesse des
Entlassenen und seiner Familie, niemals aber zur
Auszahlung an ihn selbst, weder ganz noch raten¬
weise, übersandt werden, mit der ausdrücklichen gesetz¬
lichen Befugniss und Verpflichtung, diese Wohlthat bei
unwürdigem Verhalten ihm vorzuenthalten und die etwa also
nicht zur Verwendung gekommenen Gelder im Interesse der
Fürsorge für gebesserte Entlassene des Ortes frei ver¬
wenden zu dürfen. Dann muss der Entlassene nicht zu dem
Gemeinde-Kirchenrath oder dem Geistlichen kommen; er wird
es aber in den allermeisten Fällen thun, wird sich auch des
angemessenen Tones bedienen, denn nun kommt er ja nicht,
um auf seinem „Schein“ zu stehen, sondern lediglich als ein
Bittender. Den besseren Elementen wird auf diese Weise
nachhaltiger geholfen werden können. Die Gemeinde-Kirchen-
räthe und Fürsorge-Vereine werden mehr Lust und Liebe zur
Sache gewinnen, weil sie das klare Recht auf ihrer Seite
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328
haben. Zuletzt — und nicht am letzten! — wird der Staat
durch seine Wohlthat nicht mehr dazu wider Willen beitragen,
routinirten Zuchthäuslern dazu zu helfen, dass sie sich in der
Strafanstalt möglichst viel „verdienen“, um sich nach der Ent¬
lassung durch möglichste Unverschämtheit in den Besitz des
Geldes zu setzen und es zu verjubeln resp. zu neuen Ver¬
brechen zu missbrauchen, worauf dann — zu geeigneter
Jahreszeit! — der Zufluchtsort der Anstalt wieder aufgesucht
wird. Dieser Kreislauf der Verbrecherlaufbahn muss auf alle
mögliche Weise unterbunden, dagegen der Kreislauf des Herz¬
blutes christlicher Barmherzigkeit für die besserungsfähigen
Elemente unter den Gefangenen und Entlassenen möglichst
von allen Hindernissen befreit werden. Dies, und dies allein,
ist der Zweck dieser Zeilen.
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CorTGSpiileBZ.
Berlin, 8. April 1885. Wiederholt ist von Seiten ein¬
zelner Bundesregierungen eine einheitliche Regelung der
Strafvollstreckung für die Fälle angeregt worden, in
welchen auf Grund von § 79 des Strafgesetzbuchs oder § 492
der Strafprozessordnung eine Gesammtstrafe festgesetzt ist und
die erkennenden Gerichte verschiedenen Bundesstaaten ange¬
hören. Nachdem sämmtliche Bundesregierungen ihre Bereit¬
willigkeit zu erkennen gegeben haben, zur Beseitigung der
bisher bestehenden Uebelstände im Wege der Vereinbarung
eine einheitliche Praxis sicher zu stellen, ist seitens des Reichs-
Justizamts der Entwurf von Grundsätzen in Betreff der Voll¬
streckung der in Rede stehenden Gesammtstrafen aufgestellt
worden. Dieselben lauten folgendermassen: 1) Die Voll¬
streckung der Gesammtstrafe ist von demjenigen Bundesstaate
zu bewirken, dessen Gericht dieselbe, sei es in der regel¬
mässigen Form, sei es in der Form einer sog. Zusatzsta*afe
festgesetzt hat. 2) Auf Ersuchen der zuständigen Behörde des
in Nr. 1 bezeichneten Staates ist die Vollstreckung von dem¬
jenigen Bundesstaat zu übernehmen, welcher nach dem Ge-
sammtbetrage der von seinen Gerichten erkannten Einzelstrafen
an der Gesammtstrafe am höchsten betheiligt ist. Bei Berech¬
nung des Gesammtbetrags der Einzelstrafen sind der Art nach
verschiedene Strafen nach ihrem gesetzlichung Geltungsver-
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330
hältniss in Anschlag zu bringen. 3) Sind mehrere Bundes¬
staaten mit einem gleichen Höchstbetrage an der Gesammt-
strafe betheiligt, so ist, falls einer derselben bereits eine in
die Gesammtstrafe einbezogene, ihr gleichartige Einzelstrafe
vollstreckt, die Gesammtstrafe von diesem zu vollstrecken.
Andernfalls werden die bezeichneten Staaten sich darüber ver¬
einigen, welcher von ihnen die Vollstreckung zu übernehmen
hat. 4) In den Fällen der Nr. 3 werden die Kosten der Straf¬
vollstreckung, als welche indess nur baare Auslagen in Rech¬
nung gestellt werden sollen, <von den mehreren höchstbethei-
ligten Staaten zu gleichen Theilen getragen. Im Uebrigen
findet eine Erstattung von Kosten nicht statt. 5) Unberührt
bleibt die Vorschrift in § 163 des Gerichtsverfassungsgesetzes.
Der auf Grund dieser Vorschrift eine Gesammtstrafe voll¬
streckende Staat wird die nach § 165 des Gerichtsverfassungs¬
gesetzes zu erstattenden Auslagen von demjenigen Staate er¬
setzt erhalten, der nach obigen Grundsätzen die Vollstreckung
zu übernehmen hätte. 6) Vorstehende Grundsätze finden ent¬
sprechende Anwendung, wenn die Gesammtstrafe oder eine in
dieselbe einbezogene Einzelstrafe vom Reichsgericht in erster
Instanz festgesetzt worden ist. Der Entwurf liegt jetzt dem
Bundesrath zur Beschlussfassung vor.
Berlin, im Januar 1885. Das „Justiz-Ministerial-Blatt^
bringt eine Nach Weisung der Gesammtzahl der in den gericht¬
lichen Gefängnissen detinirt gewesenen Gefangenen
während der Etatsjahre pro 1. April 1881/82, 1882/83, 1883/84,
sowie eine Nach Weisung über die Tagesbelegung der
gerichtlichen Gefängnisse während desselben Zeitraums. Aus
der Gesammtzahl der für die drei Etatsjahre notirten Zahlen
sowohl jeder der beiden Uebersichten für sich als auch aus
der Vergleichung der beiden Uebersichten unter einander er¬
geben sich folgende Resultate: Die Gesammtzahl der Gefan¬
genen aller Kategorien in den Gefängnissen der Justizverwal¬
tung, welche im Jahre 1881/82: 620404 Köpfe betrug, ist im
Jahre 1882/83 auf 583161, im Jahre 1883/84 auf 547 930 Köpfe,
im Ganzen also im Verlauf zweier Jahre um 11,7% herunter¬
gegangen. Dieser Abnahme der absoluten Zahlen gegenüber
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331
ist noch in Betracht zu ziehen, dass in derselben Zeit die Be¬
völkerung nicht auf dem Stande von 1881/82 verblieben war,
sondern jährlich um mehr als 1 gewachsen ist.
Dieselbe Erscheinung zeigt sich in der durchschnittlichen
Tagesbelegung nach Köpfen. Sie betrug im Jahre 1881/82:
32 698, im Jahre 1882/83: 31535, im Jahre 1883/84: 27 760
Köpfe, die Abnahme belief sich demnach im Ganzen auf
15,4 0 /,,
Hervortretend ist die grosse Differenz zwischen der
niedrigsten und höchsten Tagesbelegung. Letztere betrug:
niedrigste höchste
1881/82 .... 19515 45878
1882/83 .... 19292 43786
1*883/84 .... 18259 42193
Wenngleich die Tagesbelegung ebenso wie die Gesammt-
zahl der im Jahre detinirt gewesenen Gefangenen erheblich
heruntergegangen ist und diese Abnahme sich sowohl in der
niedrigsten wie in in der höchsten und der durchschnittlichen
Tagesbelegung erkennbar macht, so ist doch die Differenz
zwischen der niedrigsten und der höchsten Tagesbelegung von
Jahr zu Jahr fast unverändert dieselbe geblieben (2,2 bis
2,3 mal grösser als die niedrigste Tagesbelegung), sie ist daher
beachtenswerth für den Umfang, welchen die Gefängnisse
haben sollten.
Die Abnahme sowohl in der Gesammtzahl der im Laufe
des Jahres detinirt gewesenen Gefangenen wie in der Tages¬
belegung ist das Resultat eines ebenso bei den Untersuchungs¬
gefangenen wie bei den einzelnen Kategorien der Strafgefan¬
genen eingetretenen Rückganges, wie folgende Zusammen¬
stellung ergiebt.
Es waren detinirt:
1881/82
1882/83
1883/84
Abnahme von
1881/82 — 83/84
in Procent
I. Untersuchungsgefangene
II. Strafgefangene:
143 715
141 998
131 500
8,5
1) Gefängnissstrafe
307490
285750
265 476
13,7
2) Einfache Haft
70 368
64799
57 512
18,3
3) Qualihcirte Haft
97 606
89 359
76167
22,0
Wenngleich in den vorstehenden Zahlen für 1881/82 und
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1882/83 die Polizeigefangenen inbegriffen waren und erst für
1883/84 ausgeschieden worden sind, so dürfte diesem Um¬
stande in Betreff der Konstatirung des Rückganges in der
letzten Spalte keine wesentliche Bedeutung beizumessen sein^
da im Jahre 1883/84 unter der Gesammtzahl der Gefangenen
mit 547 930 Köpfen nur 16 084 Polizeigefangene (2,9 % der
Gesammtzahl) enthalten waren. Aus einer Vergleichung des
Rückganges bei den Untersuchungsgefangenen mit dem grös¬
seren Rückgänge bei den Strafgefangenen lassen sich Schlüsse
nicht ziehen, weil ein Theil Derjenigen, welche als Unter¬
suchungsgefangene in den Gefängnissen der Justizverwaltung
detinirt waren, die gegen sie erkannten Zuchthausstrafen in
allen Fällen und für den Bezirk einzelner Gerichtsbehörden
auch die Gefängnissstrafen von längerer Dauer in den zum
Ressort des Ministeriums des Innern gehörigen Straf- und
Gefängnissanstalten verbüsst haben. Was die Strafgefangenen
betrifft, so zeigt sich der stärkste Rückgang (22%) bei den
auf Grund der §§ 361 Nr. 3 — 8 und 362 des Strafgesetz¬
buches wegen Landstreichens, Betteln u. s. w. zu qualificirter
Haft Verurtheilten. Aber auch die Abnahme der zu Ge¬
fängnissstrafen Verurtheilten (13,7%) wird nicht unbeachtet
bleiben können, da nur ein verhältnissmässig geringer Theil
derselben die Strafe in den Gefangen an stalten des Ministeriums
des Innern zu verbüssen hat, die übrigen also bei den Ge¬
fängnissen der Justizverwaltung^ gezählt sind.
Die hinsichtlich der Gefangenen in der Gesammtheit der
Gefängnisse der Justizverwaltung gewonnenen Resultate sind
auch im Allgemeinen für den engeren Rahmen der Gefäng¬
nisse in den Bezirken der einzelnen Ober-Landesgerichte aus
den Zahlen der Gesammtzahl der in den gerichtlichen Ge¬
fängnissen detinirt gewesenen Gefangenen während der Etats¬
jahre vom 1. April 1881 bis ebendahin 1884 nachzuweisen.
Die nachstehende Uebersicht zeigt für jeden Ober-Landes¬
gerichtsbezirk, um wie viele Procente in der Zeit von 1881/82
bis 1883/84 eine Abnahme (—) oder eine Zunahme (-]-) bei
den Untersuchungsgefangenen und bei jeder der drei Arten
von Strafgefangenen stattgefunden hat.
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333
Ober-Landesgerichts-
Bezirk
I. Unter¬
suchungsge¬
fangene
II. Strafgefangene
Gefäng-
niss-
strafe
Einfache
Haft
Qualificirte
Haft
(§361 8 - 8,
§ 362)
1) Kammergericht (Berlin)
+ 9,4
— 15,2
- 6,8
— 26,5
2) Breslau.
- 1,2
- 11,5
- 7,9
- 16,6
3) Cassel.
— 34,4
- 18,9
- 22,6
— 10,0
4)'CeUe.
— 26,6
— 19,2
- 32,5
— 48,2
5) Cöln.
+ 1,7
— 10,3
— 56,6
— 32,9
6) Frankfurt a. M. . .
-j- 3,3
— 25,7
- 8,7
— 30,0
7) Hamm.
- 10,2
- 7,4
— 17,8
— 32,2
8) Kiel.
— 20,3
- 4,2
+ 6,3
— 24,3
9) Königsberg i. Pr. . .
— 13,0
- 10,2
— 23,4
+ 9,2
10) Marienwerder . . .
- 1,2
— 3,8
- 28,4
- 7,6
11) Haumburg a. S. . .
- 2,1
- 12,1
- 14,4
+ 8,6
12) Posen.
— 13,9
— 23,9
— 15,4
— 19,0
13) Stettin.
- 2,7
— 6,5
— 6,3
— 27,5
Die Untersuchungsgefangenen haben hiernach in 10 Ober-
Landesgerichts-Bezirken abgenommen, wogegen die Ober-Lan-
desgerichts-Bezirke Berlin (Kammergericht), Cöln und Frank¬
furt eine Zunahme zeigen. Aus dieser letzteren lässt sich jedoch
ein Rückschluss auf eine Zunahme strafbarer Handlungen nicht
ziehen, da in denselben Departements die Strafgefangenen aller
drei Kategorien und zwar in beträchtlichem Umfange abge¬
nommen haben. Für das Departement des Kammergerichts
ergeben die Zahlen der einzelnen Etatsjahre, dass hauptsäch¬
lich eine Zunahme von 1881/82 bis 1882/83, dann aber wieder
ein Rückgang eingetreten ist, bei welchem jedoch die Zahl
des Jahres 1881/82 noch nicht erreicht wurde. Im Ober-
Landesgerichts-Bezirk Cöln handelt es sich lediglich um die
Untersuchungsgefangenen in den 12 zum Ressort der Justiz¬
verwaltung gehörigen Amtsgerichtsbezirken, und die Vermeh¬
rung (1,7%) dürfte noch nicht der in derselben Zeit statt¬
gehabten Zunahme der Bevölkerung gleichkommen.
Was die Strafgefangenen betrifft, so ist ausnahmslos in
allen Departements die Zahl der zu Gefängnisssträfe Ver-
urtheilten heruntergegangen, am stärksten in Frankfurt a.M.
(—25,7), Posen (—23,9), Celle (—19,2), Cassel (—18,9),
Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 22
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Kammergericht (—15%), wobei noch zu berücksichtigen ist,
dass in den Departements Frankfurt und Posen sämmtliche
Gefängnissstrafen ohne Ausnahme nur in Gefängnissen der
Justizverwaltung zur Vollstreckung kommen. Auch die starke
Abnahme der zu einfacher Haft und der zu qualificirter Haft
verurtheilten Strafgefangenen in fast allen Ober-Landesgerichts-
Bezirken ergiebt sich aus der Tabelle. Nur im Departement
Kiel hat eine Zunahme der ersteren stattgefunden, während
gleichzeitig die letztere um 24,3 und die Geföngnisssträflinge
um 4,2% abgenommen hatten. Dagegen sind die Departe¬
ments Königsberg und Naumburg die einzigen, in welchen
eine Zunahme der zu qualificirter Haft Verurtheilten neben
einer gleichzeitigen Abnahme bei den Untersuchungsgefangenen
und den Strafgefangenen der beiden anderen Kategorien zu
Tage getreten ist.
Nicht ohne Interesse sind diejenigen Zahlen, welche einen
Anhalt zur ßeurtheilung der Gesammtzahl der im Laufe eines
Jahres detinirten Gefangenen in den Anstalten beider Ressorts
geben:
-- imLaufedesJahres
ln den Gefangenanetalten ^^^2/83 1883/84
1) des Justizministeriums 620404 583161 547930
2) des Ministeriums d. Innern 153751 148988_—
774155 732149
Die durchschnittliche Tagesbelegung betrug:
im Laufe des Jahres
in den Gefangenanetalten
1) des Justizministeriums
2) des Ministeriums d. Innern
1881/82
32698
29814,74
1882/83
31535
30514,63
1883/84
27 760
62512,74 62049,63 —
Berlin, li. März 1885. Der in heutiger Reichstagssitzung
behandelte Antrag von Grillenberger u. Gen. (Arbeiterschutz)
befasst sich auch mit der Geföngnissarbeit. Doch wollen die
Antragsteller nicht gänzliche AbschafiPung derselben, sondern
nur andere Organisation — Beschränkung auf die Arbeiten
für die Anstalten selbst, vielleicht auch Cultur von öden
Ländereien. Es scheint nicht, dass hiebei viele practische
Erfolge herauskommen.
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335
Berlin, im Dezember 1884. Die Kosten der Beerdigung
landarmer Personen, welche während der Detention in einer
Strafanstalt ohne Mittel sterben, sind von demjenigen Land-
armenverbande zu tragen, aus welchem die Einlieferung der¬
selben in die Anstalt erfolgt ist. (Erkenntniss des Bundes¬
amtes für das Heimathwesen vom 22. September 1883.)
— Mit Hilfe mehrerer von ihm gedungener Personen war
ein Gefangener aus dem Gefängniss ausgebrochen. Dafür traf
nicht nur seine Befreier, sondern auch ihn selbst Strafe aus
folgenden Gründen: Aus den die Thätigkeit Dritter behufs
der Befreiung eines Gefangenen mit Strafe bedrohenden Be¬
stimmungen des Strafgesetzbuchs ergibt sich, dass zwar die
von einem Gefangenen mittelst seiner eigenen Thätigkeit be¬
wirkte Befreiung seiner selbst als solche straflos ist, dass da¬
gegen das Gesetz dritten Personen nicht das Recht gewähren
wollte, straflos unmittelbare Eingriffe in die von der Obrig¬
keit gesetzten Massregeln zu verüben. Wenn das Gesetz aus
humanen Beweggründen dem Freiheitsdrange des Menschen
glaubte Rücksicht schenken zu sollen, so sind doch nicht jene
Handlungen des Gefangenen der Strafbarkeit entzogen, durch
welche er Ursache der verbrecherischen Thätigkeit eines An¬
deren geworden ist. Es sind daher auf dieselben die allge¬
meinen Grundsätze anzuwenden, nach welchen derjenige als
Anstifter bestraft wird, welcher einen Andern zu der von
demselben begangenen strafbaren Handlung vorsätzlich be¬
stimmt hat, und findet auf ihn die Strafe Anwendung, welche
die Handlung trifft, zu welcher er wissentlich angestiftet hat.
Der Gefangene wird also als Anstifter zu seiner eigenen Be¬
freiung als Gefangener bestraft und die Strafbarkeit nicht
durch den von dem Gefangenen verfolgten Zweck seiner
eigenen Befreiung aufgehoben. Der Gefangene, welcher eine
andere Person anstiftet, ihn zu befreien oder ihm zur Selbst¬
befreiung behilflich zu sein, ist dadurch nicht strafloser Theil-
iiehmer einer für ihn allein straflosen Handlung, sondern er
begeht mittelst Anstiftung eine von der blossen Selbstbefreiung
verschiedene, selbstständige strafbare Handlung, er wird Ur¬
sache der selbstständigen Strafthat einer andern Person, näm¬
lich der Befreiung eines Gefangenen.
22 ♦
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336
— Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, welche in
Folge Verurtheilung zu einer Freiheitsstrafe von ihrem bis¬
herigen Domicil in eine in einem andern Gerichtsbezirk ge¬
legene Strafanstalt behufs Strafverbüssung sich begeben hat,
bleibt während der Strafverbüssung derjenige Wohnsitz, von
welchem der Verurtheilte sich nach der Strafanstalt begeben
hat. (Urtheil des Reichsgerichts IV. Civil-Senat vom 23. Oc-
tober 1884.)
Stuttgart, im April 1885. (97. Sitzung der Kammer der
Abgeordneten, Donnerstag den 9. April, Vorm. 9 Uhr.)
Am Ministertische Staatsminister v. Fab er mit den Ministerial-
räthen Breitling und Hausch. Tagesordnung: Berathung
des Etats des Justizdepartements für 1885—87. Cap. 12.
Gerichtliche Strafanstalten. Ausgabe: Strafanstalten-
Collegium. Tit. 1. Besoldungen und Functionsgehalte für
1885/86 u. 1886/87 je 7500 c/Ä Tit. 2. Kanzleikosten je 2057 JL
Tit. 3. Diäten und Reisekosten je 686 JL Tit. 4. Beitrag an
den Verein zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene je
1715 JL Tit. 5. Beiträge an andere Vereine (Rettungsanstalt
für ältere evang. Mädchen in Leonberg, Anstalt für entlassene
weibliche Strafgefangene evang. Confession in Oberurbach)
jährlich 1230 eit — Strafanstalten Verwaltungen. Be¬
soldungen. Tit. 6. Vorstände (Director des Zellengefängnisses
in Heilbronn, Zuchthausvorstand in Stuttgart, Director des
Zuchthauses in Ludwigsburg, Landesgefängnissvorstand in Hall,
derselbe in Rottenburg, Vorstand in Gotteszell, auf Hohen-
asperg, alle neben freier Wohnung) je 27000 Tit. 7. Ge¬
hilfen 18060 t4L (darunter ein neuanzustellender Kanzleigehilfe
bei der Zuchthausverwaltung in Stuttgart nrtt 1800 eit, wo
schon seit Jahren ein Amtsgehilfe mit demselben Aufwand
exigirt war, und ein neuanzustellender Kanzleigehilfe am Lan-
desgefängniss in Hall mit 1000 eit). Tit. 8. Hausgeistliche je
17 668 eit Tit. 9. Hausärzte je 6100 eit Tit. 10. Inspectoren
(darunter für einen neuen Inspector bei dem Zuchthaus in
Ludwigsburg 2500 eit) je 5350 eit Tit. 11. Hausmeister je
6350.it Tit. 12. Oberaufseher je 14450 .it Tit. 13. Lehrer
je 9850 eit Tit. 14. Wundärzte je 5270 .it Tit. 15. Aufseher
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337
je 154140 tAL (16 200 JL mehr als nach der letzten Forderung.
Gegenüber dem Etat für 1883/85, welcher mit dem Nachtrags¬
etat einen Gesammtstand von 150 Aufsehern an den Straf¬
anstalten aüfweist, ergiebt sich ein Mehrerforderniss von 9
Aufsehern, welches hauptsächlich durch den fortdauernd hohen
Gefangenenstand in einzelnen Strafanstalten veranlasst ist.)
Tit. 16. Aufseherinnen an der Strafanstalt zu Gotteszell je
12,560 Tit. 17. Knechte an den Strafanstalten je 1400«/^
— Verwaltungsaufwand. Tit. 18. Allgemeine Amtsausgaben
je 203650e/Ä^ Tit. 19. Aufwand auf die Verpflegung der Ge¬
fangenen je 421345 JL Tit. 20. Aufwand auf den Unterricht
der Gefangenen je 3780 t4L Tit. 21. Aufwand auf die 6e-
schäftigung der Gefangenen je 44570 Tit. 22. Aufwand
auf den Gewerbebetrieb je 447370 e/ÄL (Zu Tit. 22 bezw. 25:
Die Minderexigenz von 24770 JL für den Gewerbebetrieb der
Gefangenen rührt hauptsächlich aus einem geringeren Er¬
forderniss des Zuchthauses zu Ludwigsburg her. Da dort die
Fabrikation von feineren Sorten von Leinwandwaaren auf
eigene Rechnung aufgehört hat und hiefür theilweise Lohn¬
weberei eingeführt wurde, so war die Einnahme aus neu ge¬
fertigten Waaren entsprechend niederer anzunehmen, welcher
niedrigeren Einnahme auch eine entsprechend niedrigere Aus¬
gabe gegenübersteht) Tit. 23. Ausserordentliche Ausgaben je
9790 e/Ä. — Einnahme. Tit. 14. Arbeitsverdienst der Ge¬
fangenen je 217 334,/Ä Tit. 25. Vom eigenen Gewerbebetrieb
je 523350 (gegen 1884/85 weniger 25930«/^). Tit 26.
Aus dem Vermögen der Strafanstalten je JL Tit. 27.
Unterhaltungsbeiträge der Gefangenen je 7383 nAL Tit. 28.
Ausserordentliche Einnahmen je 2320 tAL Hienach Tit. 1—23
Ausgaben 1421891 «/Ä Tit. 24—28 Einnahmen 766 957 tAL^
somit Staatszuschuss für gerichtliche Strafanstalten 654934 tAL
(Hiezu ausserordentlicher Aufwand auf die Herstellung von
Wohnungen für die Aufseher des Zuchthauses in Ludwigsburg
59539 tALll die durch Ersparnisse der Zuchthausverwal-
tung gemäss einem Restvorbehalt zum Etat des Justizdep. von
1882/83 Cap. 12 gedeckt werden sollen.)
Zu einer allgemeinen Bemerkung zu Cap. 12 nimmt das
Wort Sachs: Die Summen haben sich gegen früher nicht
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338
geändert und doch seien am Zuchthaus beträchtliche Erspar¬
nisse gemacht worden. Damit könne die Herstellung der Auf¬
seberwohnungen ganz einfach bestritten werden. Nur sei ihm
nicht recht begreiflich, warum gleichwohl eine Mehrforderung
eingetreten sei. — Ebner: Die Frage der Ersparnisse werde
noch zur Sprache kommen. Der Mehraufwand von 4000 t4L
sei ein Rechnungsergebniss aus den einzelnen Titeln. — Sachs:
Seine Anfrage habe sich darauf bezogen, ob sich nicht über¬
haupt eine Ersparniss an der Gesammtposition erzielen liesse.
— Nussbaumer: Die Sträflinge haben häufig nach ihrer
Entlassung nichts Besseres zu thun, als durch ein neues Ver¬
gehen ihre Wiederaufnahme in die Strafanstalten zu erwirken.
Danach dürfte zu vermuthen sein, dass die Behandlung der¬
selben etwas zu milde sei. Auf den Gefangenen kommen
311 Staatszuschuss. Redner führt einzelne Fälle von zu
milder Behandlung an. Dahin gehöre auch, dass in Rotten¬
burg eine Dampfwasch- und Badeanstalt für die Gefangenen
errichtet worden sei; die Dampfmaschine sei jedenfalls über¬
flüssig gewesen. — Staatsminister v. Fab er: Er möchte
bitten, zu sagen, in welcher Richtung die Strafanstalten dem
Vorredner zu human erscheinen. Es gebe allerdings gewisse
verlorene Existenzen, die immer wieder nach der Strafanstalt
zurückstreben; der Strafvollzug sei ein Uebel und ein schweres,
daher die Tausende von Gesuchen um Begnadigungen. In der
Mitte der 50er Jahre habe man eine grosse Sterblichkeit in
den Strafanstalten wahrgenommen. Man habe sich entschliessen
müssen, nach der Ansicht der Aerzte, die Kost zu verbessern;
die lang dauernde Freiheitsentziehung wirke nachtheilig auf
die Gesundheit. Wolle man nicht geschwächte und kränkliche
Menschen aus der Anstalt entlassen, so müsse man in der
Kost dafür sorgen. Baden sei nicht blos ein Erforderniss der
Reinlichkeit, sondern der Gesundheit. Was die Dampfmaschine
betreffe, so sei die Einrichtung bereite vom hohen Hause be¬
willigt worden. Die von Sachs berührten Ersparnisse werden
später des Näheren erörtert werden. — Nussbaumer: Er
könne nicht speciell nachweisen, in welcher Beziehung die Ge¬
fangenen zu mild behandelt werden. Er glaube, dass es weni¬
ger an der Pflege als an der Behandlung liege. — Schnaidt:
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339
Auf Hohenasperg solle ein Wasserwerk hergestellt werden.
Die umliegende Bevölkerung sei unwillig. Für die Soldaten
habe man Jahrzehnte lang das Wasser in Wagen hinauf¬
geführt und jetzt für die Sträflinge solle das Wasser mit
Maschinen beschafft werden. — Ministerialrath Breitling
als Regierungscommissär: Was bezüglich der Wasserversorgung
auf dem Asperg geschehen werde, sei noch unbestimmt. Zur
Zeit werde allerdings das Wasser, welches zum Kochen und
Trinken für die Sträflinge benöthigt sei, mittelst Fuhrwerke
hinaufgeschafft. Diese Beförderung habe sich aber als zu theuer
erwiesen. In welcher Weise eine Aenderung zu schaffen sei,
darüber schweben noch die Verhandlungen. Uebrigens sei die
Frage des Trinkwassers für die Sträflinge von viel grösserer
Wichtigkeit als für die Bewohner der Kaserne. — Schnaidt:
Die Militärverwaltung habe Akkorde mit Gutsbesitzern abge¬
schlossen. Er habe blos dem Unwillen der Bevölkerung Aus¬
druck geben wollen. — Ministerialrath Breitling: Er bemerke
nur noch, dass die Pferde nicht ausschliessHch für die Wasser-
hescbaffung gehalten werden, sondern dass sie zur Hinauf¬
schaffung anderer Materialien verwandt werden. Welches
Wasser die Militärverwaltung verbraucht habe, sei ihm un¬
bekannt. — Egger: Bei denjenigen Verbrechern, welche zum
zweiten und dritten Male kommen und lediglich nur eine Ver¬
sorgung suchen, möchte er doch bitten, dass ihnen die Freude
am Zuchthaus etwas versalzen werde.
Es wird in die Einzelberathung eingetreten. Tit. 1 bis 7
werden ohne Debatte genehmigt. — Zu Tit. 8 (Hausgeistliche)
nimmt Ministerialrath Breitling das Wort zur Begründung
der für den katholischen Hausgeistlichen an der Filial-Straf¬
anstalt auf Hohenasperg verlangten Summe. — Es wird nichts
dagegen erinnert. Die Tit 8 bis 11 werden bewilligt —
Ebner (zu Tit. 12): Die Commission habe der Forderung zu¬
gestimmt, unter der Voraussetzung, dass auch den Landjägern
die Aufbesserung gewährt werde. Der Titel wird genehmigt;
desgleichen Tit 13—17. Zu Tit. 18 (Allgem. Amtsausgaben)
spricht Ebner: Was die Forderung für die Herstellung einer
Fussmauer mit eisernem Zaun um den Garten vor dem Zucht¬
haus in Stuttgart betreffe, so könne die Commisaion nichts
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340
dagegen einwenden. Der Titel wird genehmigt. — Sachs zu
Tit. 19 (Aufwand auf die Verpflegung der Gefangenen): Er
sei mit seinen Bemerkungen auf diesen Titel verwiesen wor¬
den. Er stelle den Antrag, hier 40000 «/Ä abzustreichen. Er
wolle dem Staatsminister der Justiz Gelegenheit geben, hier
seine Bemerkungen zu widerlegen. — Ebner: Man werde aus
dem Umstand, dass die Regierung selbst einen Abstrich von
16179 JL vorgesehen habe, das Bestreben derselben entneh¬
men, nur das Nothwendigste einzustellen. Er glaube nicht,
dass eine Ersparniss möglich sei. Was die Behandlung der
Gefangenen betreffe, so habe er bei persönlicher Erkundigung
nicht den Eindruck bekommen, dass dieselbe zu human sei.
Wenn man die Leute allzu knapp halte, so schädige man die¬
selben so sehr an ihrer Körperkraft, dass sie nach ihrer Ent¬
lassung zu eigener Unterhaltung nicht mehr fähig seien. Das
finanzielle Ergebniss werde dann keine Ersparniss sein. —
Ministerialrath Breitling: Er bitte dringend, den Antrag von
Sachs abzulehnen.* Massgebend für die Position sei die Zahl
der Gefangenen und die Höhe des Brodpreises. Die Frage
der Ersparnisse sei gründlich erwogen worden; sollte die Po¬
sition geschmälert werden, so könnte leicht eine Etatsüber¬
schreitung die Folge sein. — H. v. Ow: Er habe sich schon
früher mit dem Gegenstand beschäftigt, vermöge aber dem
Antrag Sachs nicht beizustimmen. Der Nachweis, dass die
geforderte Summe zu hoch sei, sei nicht erbracht. Der Ver¬
pflegungsaufwand von 55^ pro Tag und Kopf könne nicht zu
hoch genannt werden. Uebrigens wünsche er, dass im künfti¬
gen Etat einzelne Angaben über den Aufwand gemacht wür¬
den. — V. Schad: Er bitte um Ablehnung des Antrags von
Sachs; man solle nicht den Schein auf sich laden, als ob man
mit dem Angriffe auf die Verpflegung einverstanden sei. Man
habe seiner Zeit die Gefangenen verhungern lassen, so weit
sei man in der Ersparniss gegangen. Das Loos des entlassenen
Strafgefangenen sei ein mehr als trauriges und gehetzt, wie
er sei, sehne sich ein solcher nach dem Asyl des Zuchthauses
zurück. Das werde durch keine Strenge der Behandlung
anders gemacht. Die Krankheiten seien sehr zahlreich; es fehle
an frischer Luft, die Leute kommen manchmal Jahre lang
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341
nicht aus dem Zuchthaus heraus. — Sachs: Er habe gegen
die Hauptbegründung seines Antrags eigentlich nichts gehört.
Er wolle nur nicht, dass unter diesem Capitel, wie es ge¬
schehen sei, Ersparnisse gemacht werden. Es sei ihm nicht
eingefallen, für eine Schmälerung der Kost der Gefangenen
einzutreten. — Ministerialrath Breitling: Die Ersparnisse seien
hauptsächlich unter der Rubrik Gewerbebetrieb der Strafanstalt
Ludwigsburg gemacht und rühren keineswegs aus der Ver¬
pflegung her. — In der Abstimmung wird der Antrag der
Commission, die ganze Forderung zu genehmigen, angenommen.
Die Tit. 20—24 werden debattelos genehmigt. — Zu Tit 25
spricht Schnaidt: Er nehme hier den Antrag Sachs auf und
beantrage, die 40000 t4L hier zuzuschlagen. In erster Linie
aber beantrage er, die Beschlussfassung über Tit. 25 bis zum
Schluss des Capitels auszusetzen. — Ebner: Er habe nichts
dagegen einzuwenden, wenn die Beschlussfassung zu Tit. 25
ausgesetzt werde. — Die Tit. 26—28 werden genehmigt. —
Ebner (zum ausserordentl. Aufwand): Die Frage der Wieder¬
herstellung der Wohnungen der Zuchthausaufseher in Ludwigs¬
burg habe schon früher das Haus beschäftigt. Jetzt seien von
dem Werkmeister Assenheimer 4 Aufseherswohnhäuser erbaut,
die, wie er nach seiner eigenen Kenntnissnahme versichern
könne, einen sehr günstigen Eindruck machen. Deshalb würde
er nichts dagegen einzuwenden haben, wenn die neu zu er¬
stellenden in gleicher Weise errichtet würden. — Ministerial¬
rath Breitling: Anschliessend an den Vorredner könne er
weitere Einzelheiten mittheilen. Die Mehreinnahmen datiren
aus dem Betrieb der Fein Weberei. Der Versuch eigener Fa¬
brikation habe nicht eingeschlagen; die vorhandenen Lager¬
bestände haben mit einigem Schaden losgeschlagen werden
müssen. Man habe sich entschlossen, zur Lohnweberei über¬
zugehen ; damit sei ein etwas lohnenderer Betrieb erzielt wor¬
den. Daher habe sich auch eine höhere Einnahme im Etat
herausgestellt, als er im Voranschlag in Aussicht genommen
worden. Der Gefangenenstand sei ein um etliche 60 niederer
gewesen als angenommen worden. Zu diesem seien niedrigere
Brodpreise gekommen. Wolle man jetzt 40000 t/Äi abstreichen,
so müsste man sich um weiteren und lohnenden Gewerbe-
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342
betrieb umsehen und dann werden sich nur die Klagen jener
Geschäftsleute, welche über die Concurrenz der Strafanstalten
jammern, vermehren. — Der Schluss des Capitels wird ge¬
nehmigt. Es ist nun noch Tit. 25 zu erledigen. Schnaidt
hat jetzt den Antrag gestellt: „Die Gesammtexigenz des Staats¬
zuschusses zu Cap. 12 um je 40000 zu verkürzen.“ — Präs.
V. Hohl: Er habe das Bedenken, dass die Summe von
654 934 c/^ sich aus den einzelnen Titeln zusaromensetze, welche
bereits genehmigt seien. Der Antrag Schnaidt könne also
eigentlich nur noch auf Tit. 25 Bezug haben. — Schnaidt:
Er halte seinen Antrag aufrecht und bitte das Haus, dem¬
selben zuzustimmen. Sachs habe nachgewiesen, dass Erspar¬
nisse bei der Verwaltung der Strafanstalten möglich seien. —
Ebner: Schon vor zwei Jahren habe er die Möglichkeit von
Ersparnissen in Aussicht gestellt. Was Schnaidt angeregt, lasse
sich vielleicht bei späteren Etatsentwürfen berücksichtigen.
Formell sei aber der Antrag unzulässig und ebenso unpraktisch.
Man könne der Verwaltung nicht vorschreiben, so und so viel
Ueberschüsso zu machen. — Abel: Einige Redner haben das
Bedenken bekommen, ob nicht bei Aufstellung des Etats Irr-
thümer mit unterlaufen, die zu vermeiden wären. Nach den
Mittheilungen des Herrn Regierungscommissärs werden sich
diese beruhigen können. Was den Antrag Schnaidt angehe,
so glaube er nicht, dass Schnaidt die Absicht habe, die Con¬
currenz, welche die Strafanstalten dem Gewerbe machen, zu
erhöhen. Er bitte, es bei dem Commissionsantrag zu belassen.
— Mo hl: Er unterstütze diese Ausführungen und diejenigen
des Regierungscommissärs vollständig. — Staatsminister von
Fab er: Er werde es auch ferner für seine Pflicht ansehen,
dahin zu wirken, dass mit der grössten Gewissenhaftigkeit zu
Werke gegangen werde. Die Vorstände der Strafanstalten
seien sehr tüchtige Leute. Aber einen Etat bei so beweg¬
lichen Dingen zu entwerfen, der auch nur annähernd Aussicht
habe einzutreflfen, sei ein Werk von grösster Schwierigkeit. —
Schnaidt meldet sich zum Wort. — Präs. v. Hohl: Sie
wollen Ihren Antrag wohl zurückziehen? (Heiterkeit.) —
Schnaidt; Allerdings wolle er die Concurrenz der Straf¬
anstalten mit den Industriellen nicht vermehren. Nach den
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Ausführungen des Herrn Ministers ziehe er seinen Antrag um
so eher zurück, als derselbe doch keine Aussicht auf Annahme
habe. (Heiterkeit.) Tit. 25 wird genehmigt.
Karlsruhe, 26. Februar 1885. Die erfreuliche Ver¬
minderung der Gefangenenstände seit 1881 ist auch
im verflossenen Jahre weiter fortgeschritten, wie die nach¬
stehende Zusammenstellung des durchschnittlichen täglichen
Kopfstandes an Gefangenen zeigt:
Jahr
Untersuchungs¬
Straf¬
G^sammt-
gefangene
gefangene
zahl
1881:
454
2369
2823
1882:
430
2220
2650
1883:
379
2040
2419
1884:
349
1896
2245
Die Strafgefangenen vertheilen sich dabei auf die
Hauptgattungen von Strafanstalten wie folgt:
Jahr
Central-
Kreis- und
Strafanstalten
Amtsgefftngnisse
1881:
1504
865
1882:
1493
727
1883:
1451
589
1884:
1354
542
Der Stand in den Kreisgefängnissen (1881 =116:1884 = 91)
ist nicht so wesentlich verschieden. In den Amtsgefängnissen
waren 1881 inhaftirt 1203 Personen, 1884 aber nur 800 Straf-
und Untersuchungsgefangene.
Strassbarg, 18. Februar 1885. Den amtlichen Mit¬
theilungen über die Ergebnisse der Gefängniss-
verwaltung in Elsass-Lothringen für das Jahr 1883/84,
welche dem Landesausschusse zugegangen sind, entnehmen
wir folgende Einzelheiten: An Gefangenen waren am Beginn
des Jahres 2673, darunter 707 Zuchthäusler, 992 Gefängniss-
sträflinge, 232 Untersuchungsgefangene etc. vorhanden, wäh¬
rend der Bestand am Schlüsse des Jahres 2328 Gefangene auf¬
weist. Der Abgang im Laufe des Jahres hat also den Zugang
um 345 überstiegen, ein gewiss erfreuliches Anzeichen, um so
mehr als von dem Abg. Abb4 Winterer im Landesausschusse
mit grosser, allerdings tendenziöser Beharrlichkeit behauptet
wird, die Zahl der Zuchthäusler und Gefangenen in Elsass-
Lothringen nehme von Jahr zu Jahr in einem erschreckenden
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Maasse zu. Bezüglich der Heimathsverhältnisse der Gefan¬
genen ist bemerkcnswerth, dass von den im Laufe des Jahres
detinirt gewesenen 7936 Straf- und Untersuchungsgefangenen
5954 Elsass-Lothringer, 1474 dem übrigen Deutschland An¬
gehörige und 508 Ausländer waren. Der Gesammtertrag der
in den Straf- und Gefangnissanstalten Elsass-Lothringens in
dem genannten Jahre von den Gefangenen angefertigten Ar¬
beiten belief sich auf 313027 davon erhielten die Gefan¬
genen 47919 als ihren Verdienstantheil. Durchschnittlich
betrug die Netto-Einnahme für Arbeiten der Gefangenen pro
Kopf und Jahr \02JL Die Gesammtausgaben der Gefängniss-
verwaltung beliefen sich auf 791187 die Einnahmen auf
228145 so dass aus Landesfonds baar zuzuschiessen waren
563042 JL Im Durchschnitt kostet jeder Gefangene dem Lande
264 pro Jahr. Aus diesen Zahlen ist einerseits ersichtlich,
dass es in Elsass-Lothringen in Bezug auf Verbrechen und
Vergehen noch lange nicht so schlecht aussieht, wie der Herr
Pfarrer Winterer oft behauptet, andererseits dass das Land
für seine Gefangenen verhältnissmässig sehr viel Geld hergiebt.
Ans dem Grossherzogthnm Hessen, April 1885. Mit
Beginn des neuen Verwaltungsjahres (1. April 1885) hat sich
eine für unser Gefängnisswesen höchst bedeutungsvolle Orga¬
nisationsveränderung vollzogen, indem auch die bis dahin noch
von der Ministerial-Section des Innern ressortirenden Anstalten
— das Landeszuchthaus Marienschloss und die Gefängnisse zu
Darmstadt und zu Mainz — der Justizverwaltung unterstellt
worden sind, welch letzterer seither schon die Provinzial-Arrest-
häuser und Haftlocale unterstanden. Somit ist denn auch in
unserm Lande das gesammte Gefängnisswesen unter einer
Centralleitung vereinigt und hierdurch ein seit langer Zeit in
allen fachkundigen Kreisen sehnlich gehegter Wunsch in Er¬
füllung gegangen. Als Ressort-Chef fungirt nunmehr Geheimer
Staatsrath Hall wachs; mit der unmittelbaren obern Leitung
sämintlicher Gefangenen-Anstalten ist der Oberstaatsanwalt
Schlippe betraut, der zugleich als Rath in das Ministerium
des Innern und der Justiz berufen ist. An die neue Central¬
leitung treten sofort Aufgaben von höchster Wichtigkeit heran.
Bekanntlich besteht noch in unseren obengenannten eigent-
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liehen Strafanstalten fast ausschliesslich das System der ge¬
meinsamen Haft. Ebenso ist den Lesern dieser Blätter bekannt,
dass die Grossherzogliche Regierung bereits seit zwei Decennien
den Neubau einer grossen Central-Strafanstalt nach dem System
der Einzelhaft geplant hat. Diese Absicht soll jetzt, nachdem
die früheren, insbesondere finanziellen Hindernisse, welche der
Ausführung entgegenstanden, beseitigt sind, endlich verwirk¬
licht werden, indem nach der Thronrede, mit welcher die
gegenwärtige Ständeversammlung eröflFnet worden ist, dem
Landtag eine desfallsige Vorlage zugehen wird. Ausser der
Central-Strafanstalt ist noch die Errichtung eines neuen Pro¬
vinzial-Arresthauses in Mainz in Aussicht genommen und hier¬
für die Summe von 200000 JL in das Staatsbudget eingestellt
worden. Der glücklichen Lösung dieser für unser Land so
wichtigen Probleme dürfen wir, bei der Thatkraft und Ein¬
sicht unserer leitenden Spitzen und bei dem auch in den Geld
bewilligenden Körperschaften immer mehr zunehmenden Inter¬
esse für die gedeihliche Entwickelung des Gefangnisswesens,
mit Zuversicht entgegensehen.
Meiningeil, 22. April 1885. Der Landtag berieth und ge¬
nehmigte die Vorlage der Regierung, zu Zwecken der Erweite¬
rung des Zuchthauses in Massfeld eine Anleihe von 71,000 tAL
aufzunehmen. Im Verlaufe der Verhandlungen wurde aus der
Mitte des Landtags in sehr entschiedener Weise darauf hinge¬
wiesen, dass nicht die Humanität der Strafgesetzgebung, sondern
die zu milde Behandlung der Verbrecher in den Strafanstalten
zu reformiren sei; die letztere sei ein Antrieb zum Rückfall für
zahlreiche Verbrecher; es sei deshalb eine strengere Hausordnung
in den Strafanstalten einzuführen und auch vor der Wiederein¬
führung der Prügelstrafe keine Scheu zu tragen. Auch andere
Abgeordnete, die zwar letztere Massregel bekämpften, sprachen
sich für schärfere Hausordnungen aus. Der Landtag beschloss
schliesslich mit grosser Mehrheit, die Regierung möge zwischen
den an der Strafanstaltsgemeinschaft betheiligten Staaten über
die Frage der Einführung einer strafferen Hausordnung bezw.
die Frage der Zulässigkeit der körperlichen Züchtigung Er¬
örterungen einleiten.
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Yeriisclite!!.
Das Resultat der neuesten Criminal-Statistik. Alles
statistische Material erhält zweifellos nur dann seinen richtigen
Werth, wenn der Inhalt der zahlenmässigen Angaben voll¬
ständig erfasst und mit objectiver Buhe gewürdigt wird. Ohne
Erfüllung dieser Bedingung wird die Statistik stets ein zwei¬
schneidiges Schwert bleiben. Und zwar wird solches um so
mehr der Fall sein, je mehr irgend ein Gebiet der statistischen
Wissenschaft noch an Mängeln und Lücken leidet, die das
Hervortreten eines scharfen Öildes erschweren. An solcher
Unzulänglichkeit leidet bis jetzt noch, wie die ersten Autori¬
täten zugeben, unsere Criminalstatistik, und es werden
die umfassendsten Anstrengungen gemacht, in dieser Beziehung
Wandel zu schaffen. Bis dahin aber, dass das erstrebte Ziel
erreicht ist, werden die criminalistischen Feststellungen vor
wie nach in sophistischer Weise von denjenigen ausgebeutet,
welche ihren Bestrebungen eine Basis durch die Behauptung
zu geben suchen, dass eine „Verrohung“ und eine Demorali¬
sation des Volkes in der Zunahme begriffen sei.
Wir haben schon mehrfach Gelegenheit genommen, einer
solchen tendenziösen Schwarzmalerei entgegenzutreten und sind
auch heute in der Lage, vollgiltige Beweise für unsern Stand¬
punkt beizubringen.
Zunächst ist es die Criminalstatistik des Deutschen
Reiches für das Jahr 1883, welche uns zur Seite steht. Wir
wollen die einzelnen Zahlen hier nicht wiederholen, sondern
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nur aus denselben feststellen, dass l) die Zahl der verurtheilten
Personen gegen das Voijahr nur um 160 gestiegen ist, eine
Zunahme, die mit der allgemeinen Bevölkerungszunahme jeden¬
falls nicht gleichen Schritt gehalten hat; 2) die Zahl der
jugendlichen Verurtheilten (unter 18 Jahren) ziemlich bedeu¬
tend herabgegangen ist und dass 3) die Verurtheilungen wegen
Diebstahls, Hehlerei, Betrugs, Hausfriedensbruchs und Sach¬
beschädigung, welche einen Hauptfactor für die Beurtheilung
der allgemeinen Moralität liefern, trotz des erhöhten Verkehrs¬
lebens abgenommen haben.
Die Verminderung der jugendlichen Verbrecher ist von
grosser Bedeutung und legt Zeugniss davon ab, dass Schule
und häusliche Erziehung immer ausreichender ihre Schuldig¬
keit thun und dass die socialen Verhältnisse eine günstige
Entwickelung gewinnen. Was die unter 3. aufgeführten De-
licte betrifft, so würde sich das Resultat unfehlbar noch viel
günstiger gestalten, wenn die Statistik sich zugleich damit be¬
fasst hätte, auch die Zahl der Rückfälle festzustellen und
damit das Contingent der Gewohnheitsverbrecher auszuschei¬
den, was mit seinem „eisernen Bestand^ das allgemeine Bild
niemals zu alteriren vermag.
Sehr wichtig ist ferner die Abnahme der Verbrechen
gegen die Sittlichkeit, sie ist geeignet, der allgemeinen
Moralität ein gutes Zeugniss auszustellen. Dasselbe gilt von
den Meineidsfällen, die von 1011 auf 871 sanken. Eine
geringe Zunahme der Beleidigungsfälle und der leichten Körper¬
verletzungen kann nicht sehr schwer in’s Gewicht fallen, sie
wird mit bedingt durch den gesteigerten Verkehr und das er¬
höhte Leben in den Verkehrscentren.
Die Verbrechen des Mordes und Todtschlages hatten sich
gegen das Jahr 1882 um 3 verringert, wie denn überhaupt die
Zahl von 317 für den ganzen Umfang des Reiches nicht als
eine zu besonderer Besorgniss Veranlassung gebende anzu¬
sehen ist. Und gerade hier steht unsere Criminalstatistik noch
nicht auf der erforderlichen Höhe, indem sie das psycho¬
logische Moment ausser Betracht lässt, welches die hier in
Rede stehenden Thaten erst ihrem Charakter nach kenn¬
zeichnet. Die Neigung zu Gewaltthaten, welche während eiher
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348
gewissen früheren Periode hier und da bervortrat, hat abge¬
nommen. In dieser Ansicht darf man sich auch nicht durch
den Umstand beirren lassen, dass eine gesteigerte Publicität
sofort von jedem Verbrechen die weiteste Kunde gibt und
manche Pressorgane keine besseren Aufgaben kennen, als eine
förmliche Schreckenskammer zu etabliren und sensationell aus¬
zustatten. Selbst in ihrer bis jetzt noch unvollkommenen Ge¬
stalt gibt uns also die Reichscriminalstatistik für 1883 ein
ziemlich tröstliches Bild. Specielle locale Verhältnisse können
natürlich nicht in Betracht kommen, jede Criminalstatistik hat
nur dann Werth, wenn sie grössere Bezirke in’s Auge fasst.
Eine treffende Illustration zu der Reichscriminalstatistik,
eine Illustration, welche uns erheblich zur Seite steht, liefert
die soeben veröffentlichte Nachweisung der Gesammtzahl der
in den gerichtlichen Gefängnissen Preussens wäh¬
rend der Etatsjahre 1881/82, 1882/83, 1883/84 detinirt
gewesenen Gefangenen, eine Nachweisung, die bis jetzt
fehlte und die man als eine sehr werthvolle Bereicherung der
Criminalstatistik mit PVeuden begrüssen muss. Es fehlte bis jetzt
jegliches Zahlenmaterial über die zahlreichen, dem Justizmini¬
sterium unterstehenden Gefängnisse. Diese Lücke war um so
empfindlicher, als zum Ministerium des Innern nur die zur Voll¬
streckung von Zuchthausstrafen bestimmten Anstalten, ferner
eine Anzahl grösserer zum Theil nur zur Vollstreckung von
laiigzeitigen Gefängnissstrafen bestimmter Gefangenen-Anstalten
und endlich der grösste Theil der Anstalten in der Rhein¬
provinz gehören; alle anderen Gefängnisse (382) gehören zur
Justizverwaltung. Nunmehr ist also zum ersten Male auch
bezüglich dieser von der Justizverwaltung ressortirenden Ge¬
fängnisse eine Statistik erschienen, die ein Correlat zu der vom
Ministerium des Innern publicirten Gefängnissstatistik bildet.
Erst eine Vereinigung beider Veröffentlichungen kann ein rich¬
tiges Bild geben. Und dieses Bild darf als ein erfreuliches
bezeichnet werden. Die Gesammtzahl der im Laufe des be¬
treffenden Etatsjahres detinirt gewesenen Gefangenen aller
Kategorien betrug 1881/82: 620404 Köpfe, 1882/83: 583161,
1883/84 547930; sie ist also in zwei Jahren um 72474 oder
11,7% heruntergegangen. Auch die durchschnittliche Tages-
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349
belegung ist von 32698 über 31535 auf 27 760 Köpfe, also
um 15,1% gesunken. An dieser Abnahme sind alle Gefan¬
genen - Kategorien betheiligt, insbesondere ist die Zahl der
Untersuchungsgefangenen von 143715 auf 131500, die der
Strafgefangenen mit Gefängnissstrafe mit 307490 auf 265476,
die der zur Haft verurtheilten Strafgefangenen von 167 974 auf
133679 herabgegangen. Allerdings müssen 16084 im Jahre
1883/84 separat gezählte Polizeigefangene zu den für dieses
Jahr ermittelten Untersuchungs- und Haftgefangenen zuge-
reebnet werden, wenn man Vergleiche anstellen will, denn in
den betreffenden Zahlen der früheren Jahre sind alle derarti¬
gen Polizeigefangenen mit eingerechnet. Immerhin aber ist
die Abnahme bedeutend genug, um den Schluss zu recht-
fertigen, dass die Zahl der Untersuchungs- wie der Straf¬
gefangenen im Königreich Preussen in erheblicher Ab¬
nahme begriffen ist.
Auch nach den neuesten, wenn auch immer noch nicht
vollkommenen, statistischen Erhebungen müssen wir mithin zu
dem Schlüsse gelangen, dass von einer Verschlimmerung auf
dem Gebiete Criminalität nicht die Rede sein kann, dass viel¬
mehr eine fortschreitende Besserung wahrnehmbar ist. Sensa¬
tionelle politische Attentate und Morde dürfen, nebenbei
bemerkt, selbstverständlich der Qualität nach ausser Betracht
bleiben und müssen bei einer allgemeinen Statistik in die
gewöhnlichen Rubriken eingereiht werden.
Was uns noch fehlt, um die criminalstatistischen Zahlen
weiter herabzudrücken, ist eine Reform der Strafanstalten und
des Gefängnisswesens überhaupt. An der Erkenntniss, dass
eine solche Reform nothwendig sei, fehlt es nirgends, und
hoffentlich werden die namentlich finanziellen Schwierigkeiten,
die sich ihrer Durchführung entgegenstellen, auf die Dauer
keine unüberwindlichen sein.
Irische Gefüngnisse. Ueber die Zustände in den irischen
Gefängnissen werden der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ aus
London Dinge berichtet, die zum Theil auch für Diejeni¬
gen, welche der Gefängnissstrafe einen strengen Charakter zu
erhalten wünschen, das Maass des Zulässigen überschreiten;
Bl&tter für Oefängnisskonde. XIX. 23
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350
sie sind aber dem officiellen Berichte einer königlichen Com¬
mission entnommen, welche im Aufträge der Regierung das
irische Gefängnisswesen zu untersuchen hatte, und somit bestens
beglaubigt. Was die verurtheilten Gefangenen betrifft, so hält
die Commission es für „nothwendig“, zu berichten, dass die
Gefangenen „mangelhaft genährt“, barbarisch gestraft werden
und dass der Procentsatz der in’s Hospital geschickten Kran¬
ken ein „höchst auffälliger“ sei. Die Commission räumt ein,
„dass die Kerker von Schmutz starren und dass im Winter
nicht hinreichende Sorge dafür getragen wird, dass in den
Oefen auch bei Nachtzeit ein Feuer erhalten werde, was bei
der dort herrschenden Temperatur gerade in jenen Stunden
am schlimmsten ist“. Sie „räumt endlich ein, dass eine ent¬
setzliche Anzahl von Gefangenen dem Wahnsinn verfallt.“
Ganz dunkle Zellen sind noch im Gebrauch. Viele Gefangene,
die ihren Verstand behalten, sterben — eine grössere Anzahl
wird wahnsinnig. „Eine der ernstesten Thatsachen,“ fährt der
Bericht fort, „liegt in der grossen Anzahl von Gefangenen,
die nach ärztlichem Zeugniss in dem Gefängnisse von Mountjoy
(Berg der Freude!) und Spike irrsinnig werden.“ Dies wird
so erklärt: „Wir nehmen wahr, dass ein grosser Theil jener
Gefangenen, über welche die Beamten langwierige Bestrafun¬
gen verhängen, zu der Zahl Derer gehört, die in Folge dessen
wahnsinnig werden. Wir sind überzeugt, dass viele dieser
Fälle, wenn nicht alle, in einem Haftlokal für Invalide hätten
behandelt werden sollen, wie sich deren eins zu Maryborough
befindet, also dass die Disciplinarstrafe hätte vermieden wer¬
den und ärztlicher Beistand anstatt dessen Platz greifen können.“
„Das soll bedeuten,“ wie das „Echo“ erklärt, beiläufig das
einzige Londoner Blatt, das den Bericht nicht verschweigt,
„dass Leute, die schwach an Körper und Geist, die in’s Ho¬
spital und unter ärztliche Pflege gehören, die eines geringen
oder gar keines Verstosses sich schuldig machen, in absolut
finstere Zellen gesperrt, krüppelhaflFt in „Muffis“ (schwere Hand¬
schellen) oder in „Splints“ (Arm- und Beinschleifer) gezwängt
werden oder mit anderen Torturwerkzeugen Bekanntschaft
machen; ihre Nahrung ist Brod und Wasser, bis der Verstand
Valet sagt, und wenn der Wärter den Bestraften wieder er-
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351
lost, ist das Licht aus „da oben^ und nichts als ein stammeln¬
der Narr übrig gebliebenl Und dies sind die Kerker, in
welche Mr, Förster 3000 Irländer werfen liess, viele darunter
Leute von gutem Ruf, deren einziger Fehler ihr Hass gegen
englisches Regiment und das Begehr war nach so viel freier
Selbstherrschaft, als fast jede britische Colonie besitzt. Hier
hielt er sie monatelang ohne Anklage, ohne Verhör, und nur
zu viele unter ihnen, wenn endlich freigelassen wegen man¬
gelnden Beweises, traten wieder an’s Licht als — Bettler!“ —
So das englische Blatt! Der Gewährsmann der genannten
Wiener Zeitung bemerkt dazu: „Es thut weh, auf dem Boden
eines grossen, freien Volkes dergleichen zu erleben, und der
Völkerpsychologe hat hier viel krasse Widersprüche zu er¬
klären. Grenzenloser Schlendrian und das geringe Mitleid mit
körperlichen Leiden sind leider nationale Züge. Das Parla¬
mentsmitglied Macfarlane bereitet jetzt für das Unterhaus eine
Aufstellung von 800 Gerichtsfällen vor, in welchen über schwere
Misshandlungen viel geringere Strafen verhängt wurden, als
über leichte Vergehen am Eigenthum. Von einem und dem¬
selben Richter zu Blackburn wurde ein Mann, der eines zweiten
Diebstahls schuldig befunden, den er an zwei Hühnern ver¬
übt hatte, zu sieben Jahren Zuchthaus verurtheilt; eine Raben¬
mutter dagegen, die ihr sechsjähriges Söhnchen mit einem
heissen Schüreisen geschlagen und ihm dann die Spitzen der
Finger abgebissen hatte, zu zwanzig Schilling Geldstrafe! In
voriger Woche verurtheilte ein Londoner Richter einen Arbei¬
ter, der seine Frau brutal misshandelt hatte, zu drei Monaten
Einsperrung, mit dem Hinzufügen, dass er diese „schwere
Ahndung“* nur deshalb dekretire, weil der Angeklagte schon
einmal seine Frau so misshandelt habe, „dass ihr ein Bein
amputirt werden musste“! Dieselbe Strafe erhielt jüngst ein
Mann, der ein Ei gestohlen und sofort hungrig verschluckt
hatte, und auf Anzeige einer Dame wurde ein zwölfjähriges
Dienstmädchen, welches Zucker im Werthe von zwei Pence
genascht, mit vierzehntägiger Einsperrung und fünf Jahren
Aufenthalt in einer Besserungsanstalt für jugendliche Verbrecher
bestraft. So geschehen zu London 1883.
23*
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352
Aus Egypten. Die egyptische Rechtspflege ist, ebenso
wie die türkische, eine höchst mangelhafte, da sie durchweg
in den Händen von Beamten ruht, welche nur auf Erpressung
bedacht, jeder Art von Bestechung zugänglich sind und gegen
deren Entscheidung es keine Berufung gibt. Der Koran gilt
als Rechtscodex für die Mohammedaner; das Strafrecht gründet
sich theils auf Wiedervergeltung, theils auf Abschreckung oder
Schadenersatz. Freiheitsstrafen spielen nur eine untergeordnete
Rolle, eine desto grössere aber die Geld- und körperlichen
Strafen. Unter den letzteren ist die am häufigsten vorkom¬
mende die Bastonnade (vom französischen baston oder bäton,
der Stock), wie die Europäer die im ganzen Orient übliche
Prügelstrafe benannt haben. Man versteht darunter Schläge
auf die Fusssohlen oder auch Schläge auf den Rücken; als
Schlaginstrument dient dabei ein Stock, ein mit Knoten ver¬
sehener Strick oder Lederriemen. In Egypten spielt diese
Bastonnade namentlich in den Gefängnissen eine gar traurige
Rolle, indem sie nach Willkür der Richter oder Polizei-Organe
nicht nur für begangene Vergehen dekretirt, sondern auch an¬
gewandt wird, um Aussagen und Geständnisse zu erpressen.
Es kann daher im Interesse der Humanität nur beifällig auf¬
genommen werden, dass in neuerer Zeit ein Engländer, Dr.
Harry Crookshank, welcher bereits in türkischen Diensten ge¬
standen hat, zum Inspecteur und Generf^-lgouverneur aller egyp-
tiscben Gefängnisse ernannt worden ist; hofiPentlich wird es
ihm gelingen, wenigstens an einigen Stellen dem oben gekenn¬
zeichneten Unwesen zu steuern.
Man schreibt aus Württemberg über Vege-
tariaBismns:
1) Obgleich unsere Zeit die Gesetze der Ernährung in
wissenschaftlicher Weise zuerst erforscht hat, macht sich doch
in fanatisch-propagandistischem Grade eine durchaus unwissen¬
schaftliche Bewegung geltend, der Vegetarianismus. Man
hat durch mühsame Untersuchungen festgesetzt, welche Mengen
der chemisch verschiedenen StoflFe der Körper zu seinem Auf¬
bau verlangt und in welchen Verhältnissen diese Bestandtheile
in den verschiedenen Nahrungsmitteln enthalten sind. Aus
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353
diesen Faktoren hat man eine gemischte (thierisch-pflanzliche)
Kost construirt, welche als das Ideal zu betrachten. Nun ist
es ja ganz richtig, dass es viele Millionen Menschen giebt,
welche den grössten Theil des Jahres von Pflanzenkost leben,
dabei gesund und arbeitsfähig sind, aber bei diesen ist eine
kräftige Muskelbewegung in freier Luft das Moment, welches
es ermöglicht, dass aus den Massen der pflanzlichen Kost die
nöthige Nahrung gezogen wird. Wie dagegen ohne diese Be¬
wegung in freier Luft und ohne diese Muskelanstrengung die
fast ausschliesslich vegetabilische Kost auf den Menschen wirkt,
das sehen wir aus den Wirkungen der Gefangenenkost.
Mit Ausnahme des Brodes erhält der Sträfling seine ganze
Kost in wässeriger Form. Durch das Beissen und Kauen einer
festen, durch Gewürz und sonstige Zubereitung angenehm
duftenden und schmeckenden Speise werden alle für die Ver¬
dauung thätigen Organe angereizt: Speichel und Magensaft
werden in grosser Menge abgesondert, der Verdauungskanal
zu vermehrter Thätigkeit angeregt und die Nahrungsmittel
sonach auch leichter und schneller verdaut. Eine wenig an¬
sprechende Kost in breiiger Form wird den Verdauungskanal
in seinen Functionen träge machen und durch ihren grossen
Wassergehalt die abgesonderten Verdauungssäfte verdünnen
und ihre Kraft schwächen. Diesem übergrossen Reichthum der
Sträflingskost an Wasser ist der übermässige Wassergehalt
der Gewebe des Körpers und in Folge davon das aufgedunsene
und schwammige Aussehen der Gefangenen zuzuschreiben. Um
die gleiche Menge nährender Substanzen bei Fleischnahrung
oder Pflanzennahrung zu geniessen, muss der Mensch bei
letzterer noch ein sehr grosses Quantum Wasser geniessen, da
die Gemüse bekanntlich sehr wasserhaltig sind, Kartoffeln bis
95%. Berücksichtigt man, dass zum trockenen Brode noch
Wasser getrunken wird, dass das Stärkemehl der Pflanzenkost
im Körper selbst zu Kohlensäure und Wasser zerfällt, so ist
es nicht auffallend, dass bei Pflanzenkost der Körper mit
Wasser völlig überfluthet wird. Deshalb sind auch die Schlüsse
trügerisch, welche aus der Wägung des Gefangenen gezogen
werden. Die Reform der Gefangenenkost hat also nicht die
Quantität iifs Auge zu fassen, sondern das Verhältniss der ein-
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354
Eelnen Nährstoffe zu einander zu verändern. Man muss die
überschüssigen und unnützen Mengen der Kohlenhydrate und
da, wo die Brodration eine sehr grosse ist, auch diese redu-
ciren und dafür mehr leicht verdauliche animalische Substanzen,
insbesondere Fleisch und Käse, substituiren, man muss mehr
Fett den Speisen zusetzen und diese selbst in mehr fester Form,
nicht immer als Suppe und Brei, darreichen. Von der Ernäh¬
rung der Gefangenen hängt natürlich wesentlich die Sterblich¬
keit in den Strafanstalten ab. Im Königreich Württemberg
war die Sterblichkeit in den Zuchthäusern von 1842—51 bei
einer Durchschnittsbevölkerung von 1738 im Mittel 4,4%. Von
1851 — 56 in der Zeit der Theuerungsjahre war die Zahl der
Sträflinge auf 2746 im Durchschnitt und die der Sterbefälle
auf 7,5% gestiegen. Von 1858—76 sinkt die Zahl der Gefan¬
genen auf den Durchschnitt von 1387 und die Sterblichkeit
auf 2,4—2,5%. Giess (Deutsche Vierteljahrsschrift für öffent¬
liche Gesundheitspflege, Bd. 11, 1879) schreibt diesen Umstand
theils der geringeren Ueberfüllung der Anstalten zu, theils dem
Umstand, dass um diese Zeit die Beköstigung in den Zucht-
und Arbeitshäusern erheblich verbessert wurde. Der Theil
der Vegetarianer, welcher nicht Gelegenheit zu kräftiger Muskel¬
anstrengung hat, also die Mehrzahl der weiblichen Personen,
wird gleich den Gefangenen auf Kosten der Muskelsubstanz fett
und schwammig und dadurch wenig widerstandsfähig werden.
2) Erst in neuerer Zeit hat die Physiologie angefangen, sich
eingehender mit den Gesetzen der Ernährung zu beschäftigen,
doch die bis jetzt erhaltenen Ergebnisse sind Zahlen, welche
gewonnen werden einfach aus der chemischen Analyse und
quantitativen Bestimmung der gebräuchlichen und nach heuti¬
gen Begriffen zweckmässigen Nahrung. Eine Rückwirkung
auf die Volksernährung selbst haben diese Daten eigentlich
noch nicht gehabt, da sie ja nicht viel mehr als die Sanction
der von den Altvorderen überkommenen gemischten Kost¬
ordnung bedeuten, nur dass Mancher beute sein Beefsteak mit
dem Bewusstsein verzehrt, so und so viel Stickstoffverbindun¬
gen, Fett und Kohlenhydrate mit demselben seinem Körper
einzuverleiben und dass man nach den gefundenen Normal¬
zahlen thunlichst die Grösse des täglichen Fleischquantums
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einzurichten trachtet. Leider stellt sich nun heraus, dass es
unmöglich ist, die behauptete gemischte Normalnahrung Allen
zugänglich zu machen, da nicht genug Fleisch oder überhaupt
thierische Nahrung vorhanden ist; im Gegentheil macht sich
in allen Culturländern mit wachsender Bevölkerung die Beob¬
achtung geltend, dass wohl die Zahl der Menschen wächst,
aber die der Schlachtthiere abnimmt. Naturnothwendig wird
somit die Menschheit, will sie nicht verhungern, dazu gedrängt,
pflanzliche Nahrung für thierische zu substituiren. (Vgl. Carey,
Socialöconomie, sowie Beketoff, Die Ernährung des Menschen
in der Zukunft.) Wenn nun heute vorausschauende, volks-
wirthschaftlich gebildete Menschen schon jetzt freiwillig so viel
als möglich auf animale Nahrung verzichten, wozu sie viel¬
leicht auch noch ethische Gründe veranlassen mögen, so macht
man ihnen den Vorwurf, eine „fanatisch - propagandistische
unwissenschaftliche^ Bewegung angezettelt zu haben, als ob
die Socialwissenschaft keine Wissenschaft sei. Aber nicht nur
finden diese Menschen die Billigung der neueren National-
öconomen, auch Physiologen, wie Paul Bert, Beketoff und andere
bekunden ihnen ihre Sympathie, da dem objectiven Forscher
doch die gefundenen Zahlenwerthe einfach das Maass der Nähr¬
stoffe bedeuten, welche unsere Nahrung enthalten soll, so dass
es dem subjectiven Ermessen des Einzelnen überlassen bleiben
muss, ob er diese Nährstoffmengen sich aus dem Thier- oder
Pflanzenreich verschaffen will. Allerdings wird nun entgegnet,
dass das leibliche Elend des fast ausschliesslich auf pflanzliche
Nahrung angewiesenen Proletariats deutlich für die Ungleich-
werthigkeit thierischer und pflanzlicher Nahrung Zeugniss gebe,
dass also, wer nur irgend könne, sich vorwiegend thierische
Nahrung verschaffen müsse; aber ehe man einen solchen
Schluss voreilig zieht, muss man doch untersuchen, ob das
Unzureichende der Nahrung des Proletariats nicht in Anderem
als in der pflanzlichen Nahrung an sich beruhe, und gerade
in dieser Hinsicht geben uns die neuesten wissenschaftlichen
Arbeiten eines Oertel und Ebstein beachtenswerthe Finger¬
zeige. Oertel sagt mit nackten Worten: Wir bringen zu viel
Flüssigkeit in unsern Körper und die Folgen hievon sind
Kreislaufstörungen, Säfteentmischung, Fettsucht und Aufge-
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— 356 —
dunsensein in Folge Wasserreichthums der Gewebe. Wenn
nun die saftigen Früchte und Gemüse schon 80—95 ®/q Wasser
enthalten, so ist dies an sich noch keineswegs ein Nachtheil;
denn dafür enthalten die ölhaltigen Früchte sowie die Cerealien
kaum .5% Wasser, so dass eine rationelle Mischung beider
einen geringeren Gesammtwassergehalt erzielen kann, als das
Fleisch mit seinen 60—75% Wasser aufweist; wohl aber wird
ein Nachtheil geschaffen, wenn man die wasserreichen Früchte
und Gemüse mit viel Wasserzusatz zubereitet Nicht nur dass
überflüssiges Wasser aufgenommen wird, es wird auch mit dem
Wasser, da man den schalen Geschmack des gekochten Wassers
mit reichlichem Kochsalz auszugleichen pflegt, unnöthiges und
daher schädliches Kochsalz dem Organismus einverleibt und
durch den erzeugten Durst erneute Flüssigkeitsaufnahme be¬
wirkt Die reichlichen Flüssigkeitsmengen aber verdünnen die
Verdauungskräfte, so dass die Verdauung tind somit die Ernäh¬
rung nothleiden muss und alle die oben aufgeführten Symptome
der Ueberschwemmung des Körpers eintreten. Wie reich die
verkehrt bereitete pflanzliche Nahrung des Proletariats an
Wasser ist, kann man aus der controlirbaren Zusammensetzung
der Sträflingskost folgern. Nach Baer wird mit 320 Gr. ge¬
kochtem Gemüse, welches, da es wasserreich genug ist, in
gedämpftem Zustande genossen werden sollte, 2400—3200 Gr.
Wasser verzehrt; rechnet man nun noch den grossen Wasser¬
gehalt der beliebten Breie, sowie den des reichlich verab¬
reichten Brodes und endlich der überdies genossenen Getränke
hinzu, so wird man nicht fehl greifen, wenn man das Durch-
schnittsmaass der täglichen Wasserzufuhr bei Sträflingen und
verkehrt kochenden pflanzenessenden Menschen zu 5—6 Litern
annimmt. Die Folgen einer so kolossal gesteigerten Flüssig¬
keitsaufnahme, denn das Normalquantum sollte höchstens 1^2
Liter betragen, können nicht lange ausbleiben, besonders wenn
(bei den Sträflingen) Mangel an Bewegung eine unter diesen
Umständen heilsame Thätigkeit der Schweissdrüsen unmöglich
macht. Wir sehen somit, dass es ein gewaltiger Unterschied
ist, mit Pflanzennahrung sein Dasein zu fristen oder sich mit
Pflanzennahrung zu nähren, denn während der verkehrt kochende
und auch entschieden zu einseitig lebende Proletarier elend ist.
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357
befindet sich der sich rationell von Fruchtnahrung Nährende in
dem denkbar günstigsten Ernährungszustände. An der Zube¬
reitung allein liegt es, wenn Pflanzennabrung unzureichend
scheint; aber haben wir nicht ein Analogon aus der Praxis
des gemischten, resp. animalen Regimes? Oder ist nicht der
Skorbut, einst der Schrecken der Seeleute, die Folge ver¬
salzener animaler Nahrung, und ist es nicht hier gerade die
ausschliessliche Pflanzennahrung, die am schnellsten Genesung
bringt? Wenn besonders weibliche Personen zu starkem Fett¬
ansatz neigen, so ist dies nicht zum geringsten Theil die Folge
des überreichlichen Kaffee- und Theegenusses; aber dass die
Vegetarianerinnen nicht das Hauptkontingent zu den Riesen¬
damen stellen, dürfte doch*wohl bekannt sein; im Gegentheil
haben wir immer gehört und auch gesehen, dass rationell
lebende Vegetarianer beiderlei Geschlechts sich eher durch
eine gewisse Hagerkeit oder, richtiger gesagt, durch normales
Ebenmass auszeichnen, was aber keineswegs ein Nachtheil ist,
da die Widerstandsfähigkeit derjenigen, deren Körper weniger
wasserreich ist, und das ist doch bei den Vegetarianern, die
die Durst machenden Gewürze thunlichst vermeiden, der Fall,
bekannt ist. Auch haben wir gefunden, dass Leute, welche
zu sitzender Lebensweise gezwungen sind, sich trotz mangeln¬
der Bewegung weit, weit besser fühlen als bei gemischter Kost
(vgl. Franklins Selbstbiographie). Somit braucht man sich durch
den bedeutenden Wasserreichthum der Früchte und Gemüse
nicht von dem ausschliesslichen Genuss der gesunden pflanz¬
lichen Nahrung abhalten zu lassen, da die eiweiss- und fett¬
reichen sowie wasserarmen Nussfrüchte, liCguminosen und
Cerealien das Gegengewicht bilden, insofern man nur rationell
kocht und überflüssiges Wasser vermeidet.
Der Einfluss der Temperatur auf die menschlichen
Handlungen wird von L. Fuld im Märzheft von „Auf der
Höhe“ klar und interessant nachgewiesen. So ist es z. B. durch
die Statistik festgestellt, dass die Sittlichkeitsverbrechen parallel
der Zunahme der Sonnenhitze steigen und zu derselben Zeit
culminiren, in welcher auch der Sonnenbrand seine intensivste
Kraft äussert, dann aber parallel der Abnahme der Hitze fallen
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358
und ihr tiefstes Niveau in den Monaten erreichen, in welchen
die Temperatur am tiefsten unter Null steht, also im Dezember
und Januar. Das umgekehrte Verhältniss besteht bei Dieb¬
stählen, Betrügereien und Urkundenfälschungen; ihre Zifltern
steigen im Winterquartale und erreichen ihren Höhepunkt im
Januar. Eine sehr bedeutsame Erscheinung ist es auch, dass
das weibliche Verbrecherkontingent während der Sommer¬
monate eine verhältnissmässige Vermehrung aufweist, während
im Allgemeinen während des Sommers ein Sinken der Crimi-
nalitätsziffern zu verzeichnen ist. Der Grund dieser auffallenden
Anomalie liegt jedenfalls darin, dass das Weib dem Temperatur¬
einflüsse stärker unterworfen ist als der Mann. Das weibliche
Gehirn ist gegenüber der Gluth der Sonnenstrahlen weniger
widerstandsfähig als das männliche, und deshalb unterliegt
das Weib im Sommer viel mehr der Gefahr, dem Verbrechen,
dem Selbstmord, dem Irrsinn anheimzufallen. Auch ist es
Tbatsache, dass in den südlichen Himmelsstrichen die Frequenz
der weiblichen Selbstmörder im Verhältniss bedeutender ist
als in den nördlichen. Nicht der trübe, kalte, regnerische
Herbsttag, nicht die eisige Luft befördert in dem weiblichen
Gehirn die Reife des selbstmörderischen Gedankens, sondern
der ungetrübte, sonnig^heisse Sommertag. Auch auf die Wahl
der Todesarteh äussert die Temperatur ihre Wirkung. Wäh¬
rend des Sommers und bis in den Herbst hinein, so lange die
schöne, warme Witterung zum erfrischenden Bade einladet,
bildet das Grab in den Wellen die Hauptkategorie der Arten
des Selbstmordes, noch viel mehr bei dem weiblichen als bei
dem männlichen Geschlechte. Sobald aber die Witterung sinkt
und das Wasser kalt zu werden beginnt, verliert es auch seine
Anziehungskraft für den freiwilligen Tod. Dies ist für die
Psychologie im Allgemeinen und für die des Weibes im Spe-
ciellen ungemein belehrend. Es zeigt, dass das Weib selbst
in dem Augenblick, in welchem es den Schritt ausführt, der
es vom Leben abruft, ängstlich besorgt ist, die unangenehme
Berührung mit dem kalten Elemente seinem zarten, an die
Unbill der Witterung nicht gewöhnten Körper zu ver¬
meiden. (??)
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359
Die Verwendung des Torfmulls, wie die feinste Sorte
von Torfstreu genannt wird, zur Reinhaltung der Aborte
und zugleich zur Erzielung des höchsten Werthes für mensch¬
lichen Dünger macht in Norddeutschland, insbesondere in den
den Mooren naheliegenden Gegenden, wie Hannover, Braun¬
schweig, Bremen, Oldenburg, bemerkenswerthe Fortschritte.
Die Erfolge dieses Systems haben das Streukloset (das in
einem überall leicht aufstellbaren Kasten mit einer beim jedes¬
maligen OeflFnen und Zumachen des Sitzdeckels thätigen
Mechanik zum Ausstreuen einer Portion Torfmehl besteht)
bereits auch in süddeutsche Gegenden, zumal nach Baden und
der Schweiz, in Privathäuser und in Anstalten geführt. Ein
Hinderniss für die raschere Verbreitung dieses sanitär wie
landwirthschaftlich-öconomisch rationellsten Systems für die
Abortanlagen in Grubfen war in Süddeutschland die wenn auch
nicht theure, so doch immerhin mit grösseren Transportkosten
verbundene Anschaffung des hannoverschen Torfmulls. Am
dem württembergischen Etat und den Kammerverhandlungen
geht hervor, dass nun auch auf den kgl. württemb. Mooren die
Herstellung von Torfstreu und Torfmull in Angriff genommen
wird. Damit gewinnen die in Norddeutschland mit diesem
Material erzielten Erfolge bei uns grössere Bedeutung, lieber
die Verwendung des Torfmulls (bezw. der Torfstreu überhaupt)
hat der Docent für Gesundheitslehre Dr. Blasius in Braun¬
schweig' einen Vortrag gehalten, der im Verlag von Meyer
daselbst gedruckt erschienen ist. Aus demselben ersehen wir,
dass die von Seiten mehrerer Fachmänner am braunschw^ei-
gischen Polytechnikum während einer Dauer von sieben Mo¬
naten mit Torfmull als Mittel, die Verpestung des Grund und
Bodens um die Abortgruben aufzuhalten, angestellten Ver¬
suche das Resultat gehabt haben, dass Dank der starken Auf¬
saugungskraft der Excremente durch den Mull der Boden in
seiner Reinheit sich sehr bedeutend verbessert hat. Bei ge¬
mauerten Gruben vollends, welche bekanntlich mit der Zeit
alle mehr oder weniger durchlässig werden zum Schaden der
Gesundheit der Bewohner, hört jedes Durchdringen der Flüssig¬
keit auf. In Braunschweig hat man keinen Anstand genommen,
während der jüngsten Choleragefahr das Einstreuen von Torf-
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360
mull obligatorisch zu machen. Nachdem in einem Privathause
in Charlottenburg bei Berlin das Torfkloset eingeführt worden,
erschien in einer dortigen Zeitung ein Bericht, welchei** die
Wohlthat dieser Einrichtung hervorhebt und Folgendes dazu
bemerkt: „Den practischen Baumeistern und umsichtigen Bür¬
gern sei cs empfohlen, sich von den grossen Vorth eilen dieser
Einrichtungen zu überzeugen; sie müssen die Entscheidung
herbeiführen, ob wir künftig, wenn wir den Tonnenwagen
rumpeln liören, rasch ein Schnupftuch mit Eau de Cologne
vor die Nase nehmen oder ruhig auch bei Tage einen geruch¬
losen Wagen mit schwarzer Erde (in welche sich der
Menschendünger verwandelt hat) davonfahren sehen, ob wir
künftig nur mit einer gewissen Scheu einem Theil unseres
Hauses nahen werden oder ob wir ohne die geringsten Un¬
bequemlichkeiten einen geruchlosen Aboft besuchen. Zur Des-
infection des Auswurfs genügt pro Kopf und Jahr etwa für
70^ Torfmull, d. h. pro Familie etwa 3 Jt, 50^.“ In Braun¬
schweig ist die Bildung einer Torfstreucompost-Gesellschaft
geplant, welche die Abfuhr unternehmen will, sobald die Haus¬
besitzer sich verpflichten, regelmässig Streuungen mit Torfstreu
eintreten zu lassen. Wie sehr bereits jetzt in Braunschweig
der menschliche mit Torfmull gemischte Dünger begehrt ist,
zeigen die für denselben gezahlten Preise: es zahlen dort die
Landwirthe für Räumen einer Latrinengrube, wenn sie bequem
ausgeführt werden kann, 9, 12, 15, ja 18t/Ät, so dass pro Kubik¬
meter 4 — 6 entfallen. So machen sich die Kosten einer
Torfstreueinrichtung nicht nur bezahlt, sondern werfen noch
einen Gewinn ab. Die Werthschätzung des Torfmulldüngers
bei der Landwirthschaft in und um Braunschweig ist um so
beachtenswerther, als diese Stadt eine ausgedehnte Cultur
seiner Gemüse, besonders von Spargeln, treibt.
— „Torfstreu ein wichtiger Faktor für Städte¬
reinigung und Landwirthschaft“, unter dieser Auf¬
schrift veröflFentlicht der „Nürnberger Corresp.“ durch drei
Nummern einen Aufsatz über diesen Gegenstand. Der inter¬
essante Aufsatz dieses Blattes rührt von einem Fachmanne
her, welcher „seit Jahren die Latrinenfrage verfolgt und
sich practisch mit derselben zu befassen gehabt hat“. Im Ver-
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folge dieser Thätigkeit, schreibt er, sind auch Versuche mit
dem Torfstreumaterial (Torfmull) gemacht worden, die so
ausserordentlich günstig ausfielen und von solch überraschenden
Erfolgen begleitet waren, dass im öflFentlichen Interesse des
Näheren darüber berichtet werden soll. Die Abortanlage in
der Wohnung des Verfassers ist die denkbar ungünstigste:
schlecht gedeckte Grube, hölzerne undichte Abfallrohre und
schlechtschliessender Sitzdeckel; die Grube unmittelbar an das
Haus anstossend und im kleinen Höfchen auf drei Seiten vom
Hauptgebäude umfasst. Die natürliche Folge solcher Con-
struction war nahezu unerträglich, beizender Geruch im Abort¬
gemache, der bei jedem Witterungswechsel die Wohnung durch¬
zog. Es wurde nun im Herbste 1883 ein Versuch mit Torf¬
mülle gemacht, der die oben bemerkten Uebelstände sofort
und nachhaltig beseitigte. Die im Frühling 1884 vorgenommene
Räumung der Grube vollzog sich ohne jede Belästigung; die
Arbeit wurde während des Tages vorgenommen und die hie¬
bei beschäftigten Arbeiter gaben ihr Erstaunen kund, dass sie
in der gefüllten Grube trockenen Fusses umhergehen konnten,
kein übler Geruch wahrzunehmen sei und selbst die Schaufeln,
mit denen der Inhalt auf den Wagen geleert wurde, keinen
Geruch angenommen hatten. Der gefüllte offene Wagen wurde
am hellen Tage durch die Strassen abgeführt, ohne dass irgend
ein Vorbeigehender einen Geruch daran wahrgenommen hätte.
Die Ammoniakgase waren durch das Streumaterial vollständig
gebunden. Der zu Tag geförderte Inhalt machte den Eindruck
von frisch gegrabener Dammerde. Das gegebene Beispiel fand
sofort Beifall und es haben Private wie auch die Stadtverwal¬
tung (zunächst für die Schulgebäude) mit dem gleichen Erfolge
dieses Streumaterial in Verwendung genommen. — Nachdem
der Verfasser sodann bemerkt, dass das Torfmull-Kloset
die Wasserklosets völlig entbehrlich macht, fährt er fort:
„Besonders werthvolle Dienste leistet die Torfmülle in Kranken¬
zimmern; eine Hand voll davon oder mehr in die dort unent¬
behrlichen Geschirre geleert, benimmt jeden Geruch. Was die
Torfmülle bei den Aborten leistet, nämlich Desinfection durch
Bindung der Gase und Reinhaltung der Luft, Trockenhaltung
des Grubengrundes und dessen Umgebung, gewährt die Torf-
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streu in den Stallungen .... Zu den Vortheilen, welche die
Verwendung von Torfmiille bei den Latrinen in gesundheit¬
licher Beziehung schafft, kommt noch der weitere Nutzen, dass
die also mit Fäcalien gesättigte Masse ein äusserst werth¬
voller Dungstoff ist, der gleichzeitig nebst vollständiger
Geruchlosigkeit eine sehr bequeme Handhabung gestattet; der¬
selbe lässt sich mit Schaufel und Rechen leicht und gleich-
mässig auf der Bodenoberfläche zertheilen. Die ungeheuren
Massen von Fäcalien, welche in Städten sich jährlich an¬
sammeln und nur zum geringsten Theile nutzbare Verwendung
finden, lassen sich mittelst des Streutorfes leicht und geruchlos
fortschaffen und dem Fruchtboden in der nächsten Umgebung
der Städte Zufuhren wie auch in trockenem und gepresstem
Zustande weiter verfrachten. Wie der Gebrauch der Torf¬
mülle ZU diesem Zwecke eingeführt wurde, hat er sofort weitere
Nachahmung gefunden. Die kgl. preussische Provinzialregierung
in Magdeburg hat auf Grund der gemachten Erfahrungen die
Einführung der Torfmülle den ihr unterstehenden Städten an¬
gelegentlich empfohlen und Unter dieser Voraussetzung die
Räumung wie Abfuhr des damit gesättigten Grubeninhaltes
während der Tageszeit gestattet. Die gleiche Erlaubniss hat
die Polizeidirection in Braunschweig ertheilt; die dortige Eisen¬
bahnverwaltung lässt die Verfrachtung in offenen Wagen zu.
Die Verwendung solchen Düngers hat nach eingezogenen zu¬
verlässigen Mittheilungen sowie nach eigener Beobachtung
ausserordentlich günstige Fruchtresultate erzielt. Auf Veran¬
lassung des Verfassers wurde im Frühjahr' 1884 ein verglei¬
chender Versuch in einem Weinberge angestellt und zwar auf
einem grösseren Stücke in gleicher Lage und Bodenbeschaffen¬
heit (Kalk). Der eine Theil wurde mit Ammoniak-Super-
phosphat und Kainit in hälftiger Mischung gedüngt und hiebei
100 Gramm auf den Weinstock verwendet. Diese Mischung
wurde von dem unterfränkischen Weinbauverein als die bisher
erfolgreichste empfohlen. Der andere Theil des Weinberges
wurde mit gesättigter Torfmülle (zwei Fuhren), frisch aus der
Grube gehoben, gedüngt. Beide Theile waren gleich gross
Qe V 2 Morgen = 9 Aren) und mit 1600 Weinstöcken zu¬
sammen bestanden. Im Verlaufe des Sommers wurde bei dem
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mit Latrinentorf behandelten Theile eine reichlichere Laub¬
und Fruchtentwicklung (bis zu 30 Stück Trauben an einem
Stocke) und Anfangs September bereits beobachtet, dass die
Beeren dort vollkommen weich und sehr zuckerhaltig waren,
während beim ersteren Theile sowie in den umliegenden Wein¬
bergen die Beeren noch hart und sauer waren. Die Edelfäule
erfolgte auf dem mit Latrineninhalt behandelten Theile unge¬
fähr um 14 Tage früher. Das erfreulichste Resultat wurde
jedoch bei der Lese selbst wahrgenommen; die hier gelesenen
Trauben hatten 87 Grad Zuckergehalt nach Oechsle, während
die übrigen Trauben 76 — 78 Grad auswiesen. In Gemüse-
und Obstgärten angewendet erzielte dieser Dünger ein ganz
ausnehmendes Fruchterträgniss; ein glaubwürdiger Augenzeuge,
welcher im Anhalt'schen, also ziemlich nördlich, einen so ge¬
düngten Obstgarten 1883 gesehen, erzählte, dass dort Pfirsiche
und Aprikosen in einer Fülle und Grösse gerathen seien, die
er in Deutschland gar nicht für möglich erachtet hätte. Für
Handelspflanzen, wie Hopfen, Spargel, Tabak u. dgl., ist solcher
Dünger der wirkungsvollste, ganz besonders wegen seines hohen
Salzgehaltes bei Tabak. Der Landwirthschaft wird, wie aus
dem Dargestellten zu entnehmen, durch dieses Torflatrinen¬
material ein billiger und ergiebiger Dünger zugeführt, dessen
Werth bald allgemeine Schätzung finden wird. Die geschil¬
derten Eigenschaften des Torflatrinendüngers ermöglichen den
Stadtgemeinden, die Reinigung ihres Weichbildes ohne jegliche
Belästigung und gründlich durchzuführen, überdies dabei noch
beachtenswerthen Ge\^inn zu erzielen. Zunächst wäre mit den
Communalgebäuden, wie Schulhäuser, Spitäler u. s. w., zu be¬
ginnen. Die weitere Ausdehnung wird nicht lange auf sich
warten lassen, denn wer nur einmal sich von den Vorzügen
des Materials überzeugt hat, schliesst sich an. Schliesslich
wünschte der Verf., dass auch auf bayrischen Torfmooren Torf¬
streu und Torfmull gewonnen werden möge. Im Uebrigen
komme die Einfuhr des norddeutschen Mulls nicht so theuer,
um irgendwie ein Hinderniss für allgemeine Verwendung zu
bilden.
— „Die Verwerthung der städtischen Fäcalien“^
bearbeitet von Prof. Heiden, Prof. A. Müller, Oeconomierath
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V. LangsdorfiF. Mit 50 Holzschn. Hannover, Ph. Cohen. 1885.
Dieses Sammelwerk ist im Aufträge des deutschen Landwirth-
schaftsrathes von den Genannten bearbeitet worden. Es gibt
eine vollständige Uebersicht über die vorhandenen Systeme
der Entfernung der städtischen Abfallstoffe, deren Werth einer
kritischen Betrachtung unterw^orfen wird. Während der erste
Theil über diese Systeme berichtet, enthält der zweite Theil
eine Sammlung von Berichten aus allen grösseren deutschen
und einigen ausländischen Städten, in welchen deren Ein¬
richtungen bezüglich der Fäcalbeseitigung und Verwendung
besprochen werden. Am Schluss wird das Resultat der Unter¬
suchung in einer Anzahl von „Grund- und^ Erfahrungssätzen“
zusammengefasst. Im Allgemeinen geht das Urtheil der Sach¬
verständigen dahin, dass die Frage der Reinhaltung einer Stadt
nicht ein für allemal durch den Hinweis auf ein bestimmtes
System beantwortet werden kann, indem die örtlichen Ver¬
hältnisse zu verschieden sind. So werden denn verschiedene
Systeme für empfehlenswerth gehalten; insbesondere das
Liernur’sche, in Amsterdam angewendete, das in der Beförde¬
rung der Fäcalien (nachdem deren wässerige Bestandtheile
ausgeschieden sind) durch Luftdruck in unterirdischen Röhren
hinaus aufs freie Feld besteht 5 nur schade, dass die Kost¬
spieligkeit desselben seiner allgemeinen Verbreitung im Wege
steht; das Tonnensystem, wie in Heidelberg, ist ebenfalls höchst
zweckdienlich, lässt sich aber in grösseren Städten wegen der
Umständlichkeit der Handhabung nicht leicht einführen; in
Bezug auf das Grubensystem mit Entleerung durch Saug¬
apparate und verbunden mit der Verfrachtung zum Besten der
Landwirthschaft wird die Stuttgarter Einrichtung als eine
musterhafte bezeichnet, wenn das System selbst auch hygienisch
und ästhetisch Manches zu wünschen übrig lässt; als ein Fort¬
schritt dieses Systems wird die gegenwärtig so viel bespro¬
chene Verwendung des Torfmulls in den Gruben, zu welchem
Zwecke practische Streuklosets erfunden sind, bezeichnet. In
dieser Beziehung heisst es in dem Schlussergebniss: „Die
tägliche Mischung (Compostirung) der Fäcalien mit auf¬
trocknenden Zusätzen, namentlich mit Torfstreu oder Torfmull,
ist geeignet, die Nachtheile des Grubensystems zu verringern
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bezw. aufzuheben.“ Und in dem Commentar zu diesem allge¬
meinen Satz wird Folgendes ausgeführt: In Braunschweig, wo
man mit Versuchen in Schulen und sonstigen öffentlichen Ge¬
bäuden sehr günstige Erfahrungen gemacht hatte, war die Ver¬
wendung im August 1883 zur Zeit der Befürchtung einer
Cholera-Invasion obligatorisch geworden und hat sich damals
viele Freunde erworben, welche sie auch nach Aufhebung des
Zwangs beibehielten. Auch in Hannover, Oldenburg und andern
norddeutschen Städten findet die Torfstreu vielfach Anwendung,
und nachdem ein Versuch an einer städtischen Bezirksschule
in Chemnitz günstig ausgefallen ist, stehen bezügliche Einrich¬
tungen auch in Leipzig und Dresden bevor, ähnlich ist es in
Frankfurt a. O. In der Umgegend von Braunschweig sind mit
dem Torfstreudünger so günstige Erfahrungen gemacht wor¬
den, dass bereits sich ein Marktpreis von 35^ pro Zentner
gebildet hat; es stehen mithin dem Aufwand von 1,70 für
die Torfstreu 3,15 «/^ Einnahme gegenüber, so dass sich noch
ein pecuniärer Ueberschuss ergibt. In Braunschweig zahlen
die Landwirthe für das Räumen einer Latrinengrube, wenn sie
bequem ausgeführt werden kann und Torfstreu in Anwendung
kam, 9 —12«/^., so dass pro Cubikmeter 4 — 6 e/Ä entfallen.
Wenn auch nicht allerorten die Landwirthe ebenso rasch zu
entsprechender Bezahlung sich entschliessen werden, da sie
zuvor ihre eigenen Erfahrungen machen müssen, auch der
gärtnerische Feldbetrieb nicht überall so entwickelt ist, wie
bei Braunschweig, so werden die günstigen physikalischen
Eigenschaften der Torfstreu doch sehr bald sie dazu führen,
Fäcaltorfstreudünger mit Vorliebe zu verwenden und zu ent¬
sprechenden Preisen abzunehmen, wo solcher mit genügender
Gewähr für dessen gute Beschaffenheit angeboten wird. Frei¬
lich hängt die Einführung der Torfstreu in den Städten
auch davon ab, dass sich Unternehmer finden, welche ebenso
die regelmässige Versorgung der Aborte bezw. Closets mit
derselben, wie die geordnete Abfuhr in die Hand nehmen. —
Ueber die Systeme der Schwemmcanalisation jund der Beriese¬
lung fallen die Berichte ein absprechendes, zum Theil ver¬
nichtendes Urtheil. Der Podewills’schen Poudrettirung wird
ein günstiges Zeugniss ausgestellt, vielleicht ein zu günstiges,
Blätter für Gefängnisskunde. XIX. 24
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366
Wenn in Bezug auf dasselbe jede Belästigung der Umgebung
durch eine solche Fabrik verneint wird.
Lesefrüchte. Unser berühmter Strafrechtslehrer von
Holtzendorff schreibt in der „Gegenwart“, Band XVIII.,
Nr. 48 u. 49:
Die Tages-Presse. Die ideale Auffassung der Presse
ist diese: Sie bedeutet für das Volk das höchste politische
Lehramt. Man hätte die Pressfreiheit nicht als einen Aus¬
fluss der individuellen Freiheit der Person, sondern als
eine wichtige Gestaltung der Lehrfreiheit ansehen sollen,
die unabhängig von Regierung und Kirche die höchsten Ga¬
rantien der wissenschaftlichen und ethischen Befähigung der
Redactionen nach einem gesetzlich festgestellten Massstab er¬
fordert. (Dann hätten die Gefängnisse wohl auch nicht so
viele Zeitungsschreiber als ebenso lästige wie für die Disciplin
schädliche Insassen, auch keine Sitzredacteure zu beherbergen.)
Wohlthätigkeitszweck. Die grösste Wohlthat, die
man einem Menschen erzeigen kann, ist Hilfe zur Selbsthilfe:
Unterstützung zum Zwecke der Selbstständigwerdung. Die
Gewöhnung anderer Menschen an die durch Wohlthaten auf¬
erlegte Abhängigkeit taugt nichts. (Diese Sentenz kann von
den Vereinen zur Fürsorge für entlassene Gefangene nicht tief
genug beherzigt werden.)
Militärbudget. Mit Unrecht erhebt man gegen das
moderne Heerwesen den Einwand der wirthschaftlichen Un-
productivität. Es wirkt wie Uferbauten an Strömen und Seen;
das Heerwesen muss nur wie diese den Zwecken der Ver-
theidigung und Sicherung entsprechen: es muss schützen.
(Wie steht es in dieser Beziehung mit unserem Strafgesetz
und unserer Strafrechtspflege?)
Ueber den Mangel guter Volkslectüre. Die we¬
nigsten Menschen aus den ärmeren Volksklassen wissen, welche
Genüsse sie sich durch ihre Lesenskunde bereiten könnten.
Die Anlage guter, billiger oder auch unentgeltlicher Volks¬
bibliotheken ist eine dringende Aufgabe unserer Zeit, in der
sich die unzulänglichen Früchte des bisherigen Volksunterrichts
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deutlich genug offenbaren. Soweit freie Vereinsthätigkeit nicht
ausreicht, muss Staat und Gemeinde helfen. Die grosse Masse
derer, die auf Kosten des Staats oder der Gemeinde lesen
gelernt haben, liest entweder gar nichts, was zu ihrer inneren
Förderung dient, oder sie liest zum Schaden des Staates, was
den Zwecken der gesellschaftlichen Ordnung schädlich ist.
(Eine vortreffliche Apologie für die oft so sehr vernach¬
lässigten oder wohl gar verspotteten Bibliotheken für Ge¬
fangene.)
* ^ *
— Charakterschilderung, die häufig zutrifft:
Nicht herzlos, nicht schlecht, nur charakterlos,
leichtsinnig, unerfahren, hatte eine schlechte Erziehung
genossen und besass die bösen Instincte der Mutter.
(Autor nicht mehr erinnerlich.)
Ans Sttddentschland, im März 1885. Die Vorträge von
Dr. theol. Faber über Socialismus und Chiliasmus,
welche in mehreren Städten gehalten wurden, beschäftigen sich
auch mit der Frage, inwiefern der Vervollkommnungsprozess
der Menschheit seinen Endpunkt erreicht. Redner meinte,
dass eine unmittelbare Nähe des Endes nicht anzunehmen sei,
da sich die Grundfactoren unserer Cultur noch nicht aus¬
gelebt haben, aber bei der Raschheit ihrer Entwicklung und
der Unmöglichkeit eines bedeutend weiteren Fortschritts liege
das Ende vielleicht auch näher als Viele glauben. — — Es
wäre für die Entwicklung des Strafvollzugswesens von sehr
bedenklichen Consequenzen, wenn wir annehmen müssten,
dass wir auf der Höhe der Cultur angekommen sind und bald
abwärts gehen.
Bettstellen nnd Matratzen. Die Fabrik von
W. Ungeheuer in Höchst a. M. verfertigt schon seit Jah¬
ren schmiedeeiserne Bettstellen und Matratzen mit verzinnten
Federn und Ueberzug nach Pariser System (Sommiers orien¬
tales), welche sehr dauerhaft und empfehlenswerth sind. Die
Fabrik erbietet sich auch, an Anstalten, die eine grössere An¬
zahl Bettstellen oder Matratzen anschaffen wollen, ein Stück
24*
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während eines Jahres «um Gebrauch zu überlassen und nicht
convenirenden Falles wieder zurückzunehmen. Auch Modelle
stehen zur Verfügung, lieber die Anwendung derselben lie¬
gen Zeugnisse vor von Spitälern und aus Strafanstalten. Im
Landesgefängniss Freiburg im Breisgau sind solche Matratzen
für Kranke und Aufseher seit 7 Jahren im Gebrauch und
haben sich in jeder Hinsicht bewährt.
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369
SCllltZWeiiGD.
1 . An erster Stelle haben wir dieses Mal zu verzeichnen
den ^Bericht über die Thätigkeit der Bezirks¬
vereine und der Centralleitung zum Schutz für
entlassene Gefangene im Grossherzogthum Baden
im Jahre 1884.“ Druck von Fr. Gutsch in Karlsruhe.
Es ist dies der zweite Rechenschaftsbericht, verfasst und
herausgegeben vom geschäftsführenden Ausschuss der Central¬
leitung in Karlsruhe, über die Wirksamkeit des neu organi-
sirten Schutzwesens in Baden. Die schönen Hoffnungen auf
eine gedeihliche Weiterentwicklung desselben erfüllen sich zu¬
sehends, die ihm zur grösseren Lebensföhigkeit als Grundlage
gegebenen Einrichtungen bewähren sich vollkommen, die in
unleugbarer Weise beim Publikum bestehende Abneigung
gegen die Theilnahme an der Schutzthätigkeit für entlassene
Gefangene scheint sich immer mehr zu beseitigen oder doch
einigermaassen abzuschwächen, während anderseits bei den
Strafentlassenen selbst das richtige Maass von Vertrauen
und Hingebung gegenüber der Fürsorge der Schutzvereine in
steter Zunahme begriffen ist Es darf daher auch nicht wun¬
dern, dass S.K.H. der Grossherzog nunmehr das Protectorat
über die Schutz vereine übernommen hat, um durch Bezeigung
seiner landesväterlichen Werthschätzung fördernd und auf¬
munternd auf die Bestrebungen derselben einzuwirken. Den
aus diesem Anlass in Audienz empfangenen Mitgliedern des
Ausschusses der Centralleituiig wurde unter Versicherung des
gnädigsten Dankes kundgegeben, wie S. K. Hoheit von dem
erfreulichen Fortschritt auf dem Gebiete der Schutzthätigkeit
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370
stets gerne Kenntniss genommen hat und auch fernerhin allen
Bestrebungen zur Förderung der Vereinszwecke mit wärmsten
Interesse folgen werden.
Wie vorliegender Bericht uns mittheilt, hat sich die
Zahl der Bezirksvereine von 54 auf 57 vermehrt
Im Ganzen gehören denselben 6852 Mitglieder an. Die
Thätigkeit der einzelnen Vereine hat einen erheblichen
Zuwachs erfahren. Während nämlich die Zahl der Fälle, in
welchen während des Jahres 1883 die Vereinshilfe beansprucht
worden ist, sich auf 225 belaufen hat, stieg sie bis zum
Schlüsse des Jahres 1884 auf 306. Zehn Vereine konnten ihre
Thätigkeit nicht entwickeln, da ihre Hilfe nicht angerufen
wurde.
Ganz hervorragend ist der Umfang, den die Scbutzthätig-
keit des Freiburger Vereines angenommen hat, der im
Ganzen 85 Gesuche (also 28% von soeben genannter Gesammt-
zahl) angenommen und zu erledigen gehabt hat. Die Central¬
leitung spricht für dieses schöne Ergebniss dem dortigen Vor¬
stande einen besonderen Dank aus.
Abgewiesen wurden 33 Gesuche. Unter denversorgten
Schützlingen waren 255 Badener, 45 deutsche Nichtbadener
und 6 Ausländer (Oesterreicher und Schweizer). Nach ihrem
Alter begegnet man 48 Jugendlichen unter 18 Jahren; nach
ihrer Religion sind 196 Katholiken, 94 Evangelische und 1
Israelite zu verzeichnen. Bei 15 Persönlichkeiten ist deren
Religion unbekannt— Unter denselben sind folgende Berufs-
arten vertreten: Gewerbetreibende 131, Taglöhner 60, Land-
wirthe (Knechte) 20, bad. Staats- und Reichsbedienstete 14,
Kaufleute 13, Lehrer und Fabrikarbeiter je 9, Scribenten 7,
Gemeindebedienstete 6, Dienstboten 5, Agenten 4, Mechaniker
3 und je 1 Geistlicher, Bergmann und Musiker. Bei 13 konnte
der Beruf nicht festgestellt werden. Unter den Verbrechen,
wegen deren die Schützlinge früher bestraft worden, ragt der
Diebstahl (und zwar vorwiegend der schwere, im Rückfalle
begangene) mit 117 Fällen hervor. — Die Arten der Für¬
sorge waren ausserordentlich mannigfaltig: Arbeitsvermittlung
(in 134 Gesuchen), Anschaffung von Werkzeug, Kleidern, Hin¬
gabe von Reisegeld, Ankauf von Lebensmitteln, Bestreitung
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371
des Hauszinses, Mittel zur Auswanderung, Darlehen, Beher¬
bergung, Vermittelung einer Lehrstelle u. s. w.
Die Auszüge aus den Berichten der Einzelvereine bieten
sehr interessante Blicke in das mitunter ganz eigenartige Be¬
streben, einem Empfohlenen gründlich aufzuhelfen. — Die
vier Central Strafanstalten des Grossherzogthums Hessen
es nicht an Ueberweisungen an die Vereinsfürsorge fehlen,
unter Einhaltung der unerlässlichen Rücksichten auf die Indi¬
vidualität des zu Entlassenden wie auf die Verhältnisse, mit
denen der betr. Verein zu rechnen hatte. — Die Central¬
leitung selbst erledigte 36 Gesuche, wo es sich meistens um
Verwilligung grösserer Beträge aus der Centralkasse handelte
— Zur Gründung der Arbeitercolonie Ankenbuck gab die
Centralkasse einen erst nach 10 Jahren kündbaren Vorschuss
von 10,000 tAL Dagegen verpflichtete sich die Leitung der
Colonie auch zur Annahme von entlassenen Sträflingen.
In welcher Weise die Centralleitung bemüht war, ein
reges Zusammen wirken aller Einzelvereine wach zu halten,
haben wir an dieser Stelle früher schon berichtet. Das Ver-
ständniss dafür, dass die Schutzthätigkeit nach ihrem Wesen,
ihren sittlichen Prinzipien und ihrer socialen Bedeutung eine
allen Vereinen gemeinsam obliegende Aufgabe ist und
deshalb auch, wenn nöthig, unter Aufbietung aller der Ge-
sammtheit zu Gebote stehenden Mittel gemeinsam gelöst wer¬
den müsse, ergreift immer weitere Kreise und trägt seine guten
Früchte. — Das Vermögen der Einzelvereine beträgt zus.
19,556 tAL 08 \ Die Centralkasse besitzt in veranlagten Gel¬
dern und Baarmitteln 21,841 JL 18 Wir sind fest über¬
zeugt, dass das badische Schutzwesen in den bewährten und
kundigen Händen seiner derzeitigen Oberleitung in nicht ferner
Zeit zu einer solchen Blüthe sich ausbilden wird, dass es mit
demjenigen in allen andern Ländern kühn sich messen kann.
2 . Dem Bericht des Ausschusses des Landes¬
vereins für Arbeitercolonien in Baden entnehmen
wir über die Arbeitercolonie Ankenbuck Folgendes:
Das Hofgut Ankenbuck, auf Gemarkung Klengen, Amts Vil-
Hngen, ist eine halbe Stunde südwestlich von Dürrheim gelegen.
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372
Das Gut besteht aus zwei Gebäuden, sodann aus etwa 85 Mor¬
gen Landes; ausserdem sind die in der Nähe liegenden, ver¬
schiedenen Eigenthümern gehörigen Grundstücke schon zahlreich
zu annehmbaren Preisen zum Kaufe angeboten und gestatten
demnach die Ausdehnung der Niederlassung zu beträchtlichem
Umfang und ohne allzu grossen Kostenaufwand. Das Gut ist
etwa eine Stunde von dem Dorfe Klengen entfernt, wo sich
eine Eisenbahnstation befindet. Die Gebäude des Gutes liegen
auf einer kleinen Anhöhe und gestatten bequeme Uebersicht
über die gesammte Gutsfläche. Die beiden Gebäude sind voll¬
kommen gleich beschaffen aussen und innen; jedes derselben
hat eine Front von etwa 75 Fuss Länge. Schon in ihrem
gegenwärtigen Zustande bieten die Häuser hinreichend Platz
für den Hausvater und seinen Gehilfen, für mindestens 20
Colonisten und die für den landwirthschaftlichep wie für den
Anstaltsbetrieb erforderten sonstigen Räumlichkeiten. Eine
Erweiterung der Gebäulichkeiten durch Benützung des zwischen
beiden befindlichen Platzes würde ohne allzu grossen Kosten¬
aufwand eine beträchtlich höhere Aufnahmsfähigkeit für Colo¬
nisten und desgleichen Erweiterung des landwirthschaftlichen
Betriebs gestatten. Der Boden des zu dem Gute gehörigen
Ackerlandes besteht vorwiegend aus Kalk und Sandstein; die
Wiesen haben zum Theil Moorgrund. In seiner gegenwärtigen
Beschaffenheit zeigt sich das Erdreich des Guts wenig frucht¬
bar, es ist aber durch Entwässerung und Bodenmischung einer
erheblichen Verbesserung fähig. Die Wiesen insbesondere lassen
sich durch Austorfung zu höherer Kultur bringen, womit sich
denn die auch als Winterarbeit gedachte Torfstreubereitung
verbinden lässt. Nicht minder kommt als Winterarbeit in Be¬
tracht die Herstellung von Geflechten aus auf dem Gute zu
pflanzenden Weiden, sodann ist das Nähen von Salzsäcken für
die nahe gelegene Saline Dürrheim in Aussicht genommen.
Obwohl der Ankenbuck 702,6 Meter über der Meeresfläche
liegt, so kann doch der grösste Theil des Jahres in nutz¬
bringender landwirthschaftlicher Arbeit im Freien zugebracht
werden. Die Gebäude sind mit einem Anschläge von 18,800 ./Ä
bei der Feuerversicherungsanstalt versichert, der Ankaufspreis
des ganzen Guts betrug aber nur 18,000 e/ÄL, so dass der Ge-
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373
bäudewerth allein und abgesehen von den weiter dazu gehörigen,
zum Theil recht bauwürdigen 85 Morgen Liegenschaften den
Kaufschilling schon überstieg. Eine wesentliche Sorge, geeignete
Persönlichkeiten für die unmittelbare Leitung der Anstalt zu
finden, ward dadurch gehoben, dass einer der bisherigen
Pächter des Guts sich hinreichend vereigenschaftet zeigte, um
bis auf Weiteres als Vorsteher verwendet werden zu können.
Da derselbe dem evangelischen Bekenntnisse angehört, so
wurde diesem in Berücksichtigung des streng festzuhaltenden
paritätischen Charakters der Anstalt ein Gehilfe katholischen
Bekenntnisses beigegeben. Beiden war es durch das freund¬
liche Entgegenkommen der württembergischen Coli egen ver¬
gönnt, in der schon seit einiger Zeit in segensreichem Betrieb
stehenden württembergischen Arbeitercolonie Dornahof sich mit
den Eigenthümlichkeiten dieser Anstalten näher bekannt zu
machen und dadurch sich auf ihre so schwierige und verant¬
wortliche Aufgabe vorzubereiten. Die nothwendigsten bau¬
lichen Ausbesserungen und Herstellungen sind vorgenommen,
die AnschaflFung der zur Aufnahme, Verpflegung und Beschäf¬
tigung von etwa 20 Colonisten erforderlichen Gegenstände hat
stattgefunden, alsdann ist die Eröffnung der Anstalt erfolgt
und dieselbe auch schon von Colonisten besucht.
3. Am 7. Mai 1885 fand die Generalversammlung des
Vereins zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene
im Königreich Württemberg im Museum in Stuttgart
statt, welche von Regierungsdirector v. Schickhardt Namens
des Präsidenten Staatsraths v. Duvernoy geleitet wurde. Der¬
selbe machte nach der Eröffnung und Begrüssung die Mit¬
theilung, dass der langjährige Präsident v. Duvernoy bei seinem
hohen Alter von 83 Jahren die Bitte an die Versammlung
richte, aus dem Centralausschuss ausscheiden zu dürfen. Du¬
vernoy gehört dem Verein seit 33 Jahren an und ist seit
1857 Vorsitzender des Centralausschusses. Er hat sich stets
mit Eifer und Wohlwollen an der Thätigkeit desselben bethei¬
ligt, wofür ihm der Verein zu grossem Dank verpflichtet ist.
Die Versammlung ermächtigt daher den Vorsitzenden, dem
Scheidenden diesen Dank auszusprechen mit dem Wunsche,
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374
dass ihm ein froher Lebensabend beschieden sei; sein Wirken
wird im Verein in Erinnerung bleiben. Ferner macht v. Schick¬
hardt die Mittheilung, dass S. M. der König vom Rechen¬
schaftsbericht, welcher heute der Generalversammlung unter¬
breitet wird, mit Interesse Einsicht genommen habe und durch
ein Cabinetsschreiben seinen Dank dafür aussprechen Hess,
mit dem Versprechen des allerhöchsten Wohlwollens für die
Zukunft. Dem Rechenschaftsberichte, dem 25. seit Gründung
des Vereins, über die Zeit vom 1. Juli 1882—84 entnehmen
wir Folgendes: Die Beschlüsse der letzten Generalversamm¬
lung wurden vom Centralausschuss vollzogen; die Angelegen¬
heit der persönlichen Schutzaufsicht ausgeführt, der Anstalt
Oberurbach ein unverzinsliches Darlehen von 5000 e/Ä, der Ret¬
tungsanstalt Lconberg 2057 tAL Darlehen und jährlich 420
Beitrag, der Gmünder Anstalt jährlich 365 tAL Beitrag ausbe¬
zahlt. Die Mitgliederzahl beläuft sich jetzt auf 3473, 265 mehr
als in der letzten Periode. 1. M. der König und die Königin
haben auch in dieser Periode wieder ihr Interesse an den Be¬
strebungen des Vereins durch reiche Beiträge kundgegeben,
wofür ihnen der ehrfurchtvollste Dank ausgesprochen wird.
Das Vermögen des Vereins betrug am 30. Juni 1874 71,765t/Ä.
und hat gegen 1883 um 78 JL zugenommen, lieber die Wirk¬
samkeit des Vereins hat Oberinspector a. D. Hoffmann einen
Bericht ausgearbeitet, der dem Rechenschaftsbericht beigedruckt
ist und welcher noch mündlich von ihm ergänzt und erläutert
wurde. Derselbe bezieht sich insbesondere auf die Einführung
von Pflegern für die entlassenen Gefangenen, wobei man sich
hauptsächlich dem Vorgänge in Hessen anschloss. An die Be¬
zirksvereine wurde am 16. Februar 1885 eine Anleitung für
die Pfleger ausgegeben. Dieselbe bestimmt, dass namentlich
für unmündige, minderjährige Sträflinge ein Beistand auf die
Zeit ihrer Entlassung aus der Strafanstalt bestellt werde, durch
den ihnen der Rücktritt in’s bürgerliche Leben und ehrliches
Fortkommen erleichtert werden soll. Geld hilft hier meistens
nicht. Am besten eignen sich die Pfarrgemeinderäthe und
Armenvorstände. Mit dem „Verbände der badischen Schutz¬
vereine für entlassene Gefangene‘‘ wurde eine Uebereinkunft
getroffen, Schutzbefohlene gegenseitig überweisen zu können.
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375
ohne jedoch die Kosten dafür zu übernehmen, damit es nicht
aussehe, als ob man zur Kostenersparniss die Leute über die
Grenze weise. Bei dieser Gelegenheit kam die Uebung zur
Sprache, dass die Gefängnissdirectoren den Gefangenen bei
ihrer Entlassung oftmals die ganze Summe ihrer Ersparniss
auf die Hand geben, was kürzlich dahin führte, dass einem
solchen 40 die er am Morgen erhalten hatte, Abends schon
entwendet worden waren. Die anwesenden Directoren Sichart
von Ludwigsburg, Köstlin von Heilbronn und Roser von Rot¬
tenburg sprachen sich dahin aus, dass in Fällen, wo der Ent¬
lassene keine Heimath mehr habe, nichts übrig bleibe, als ihm
das Geld zu übergeben; wenn immer möglich, würden aber
grössere Summen an die Heimathsbehörde oder den Geburts¬
ort für den Entlassenen gesandt, welche dann auch ihrem
Oelde nachziehen und dadurch wieder in ihre Heimath kommen.
Die Fürsorge des Vereins erstreckte sich 1882/84 auf 362 Per¬
sonen. Davon gingen ab durch Tod 18, Auswanderung 23,
Rückfall 49, unbekannten Aufenthalt 67 Personen, als der Für¬
sorge nicht mehr bedürftig wurden aus der Aufsicht entlassen
166 und blieben am 1. Juli 1884 noch 39 in Fürsorge. Der
Aufwand für die Entlassenen betrug 1570 JL in Leonberg und
Gmünd, 10,584«/^ für die einzelnen Individuen, die hauptsäch¬
lich für Kleider, Handwerkszeug, Reisegelder etc. ausgegeben
wurden. Der württembergische Verein steht mit 59 ähnlichen
deutschen und ausserdeutschen, namentlich österreichischen und
schweizerischen Vereinen in Verbindung. Die Generalversamm¬
lung genehmigte die vom Centralausschuss vorgeschlagenen Bei¬
träge an die Rettungsanstalten Leonberg mit jährlich 420
und Gmünd mit JL jährlich mit der Bedingung, dass der
Verein jederzeit zwei Frauenspersonen in Freistellen unter¬
bringen könne. Oberurbach wurden bOOO JL Kapital belassen;
daselbst sind seit October 1883 9 weibliche Strafgefangene mit
je 60 tAL Kostgeld pro Jahr aufgenommen worden. Seit der
letzten Versammlung vor zwei Jahren ist die Zahl der in
gleicher Richtung wirkenden wohlthätigen Anstalten durch die
Gründung der Arbeitercolonie Dornahof vermehrt worden. In
den Statuten des Vereins für Arbeitercolonien in Württemberg
ist festgesetzt, dass von der Aufnahme auch entlassene Straf-
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376
gefangene nicht ausgeschlossen sind. Bei der Gründung dieses
Vereins wurde von verschiedenen Seiten der Ein wand geltend
gemacht, entlassene Strafgefangene werden nach ihrer Ent¬
lassung aus dem Gefängnisse, namentlich nach Erstehung einer
längeren Strafhaft, nicht freiwillig in eine Arbeitercolonie gehen
(was Voraussetzung für die Aufnahme ist) und nicht freiwillig
dort bleiben. Diesem Bedenken konnte schon damals wohl mit
Recht entgegengehalten werden, die blosse Möglichkeit, einem
aus dem Gefängnisse Entlassenen, für welchen weder in seiner
Familie noch in seiner Heimathsgemeinde ein sicheres Unter¬
kommen aufzufinden ist, die Aufnahme in eine Arbeitercolonie
auch nur anbieten zu können, sei für die Bestrebungen des
Vereins für entlassene Strafgefangene von grossem Werthe,
weil dadurch denjenigen, welche von einem solchen Anerbieten
keinen Gebrauch machen, die Entschuldigung bei etwaigem
Rückfälle abgeschnitten werde, die menschliche Gesellschaft
habe nicht die helfende Hand geboten. Aber auch die Erfah¬
rungen der letzten Jahren haben dieses Bedenken nicht
bestätigt, indem in dieser verhältnissmässig kurzen Frist bereits
16 entlassene Strafgefangene theils schon vom Gefängnisse aus,
theils unmittelbar nach ihrer Entlassung Aufnahme auf dem
Dornahofe nachgesucht und 12 davon auch gefunden haben,
während 4 vor ihrem Eintritte eine anderweitige Versorgung
suchten und fanden. Von den 12 wirklich auf dem Dornahofe.
Eingetretenen haben sich 9 gut aufgeführt und 3 von ihnen
durch die Colonie anderwärts Stellung gefunden. Auf Grund
dieses Ergebnisses stellt der Ausschuss an die allgemeine Ver¬
sammlung den Antrag, dem Vereine für Arbeitercolonien in
Württemberg einen Jahresbeitrag von 200 tAL zu verwilligen.
Hiebei entspann sich eine längere Besprechung über die zu
bewilligende Unterstützung. Der Vorschlag wurde vom Aus¬
schussmitglied Pfarrer Köstlin begründet. Da man über den
Aufwand und Verbleib der dort Aufnahme findenden noch
keine näheren Nachweise habe, seien zunächst 200 JL als
zweckentsprechend angesehen worden. Hiegegen aber sprachen
Director Köstlin, Heilbronn, Director Sichart, Ludwigsburg,
welche in der Anstalt Dornahof die wohlthätigste Gelegenheit
erkennen, die Strafgefangenen in’s bürgerliche Leben zurück-
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Zufuhren. In den Asylen finde das Prinzip der persönlichen
Fürsorge seine beste Lösung, und diese sollten daher aufs
Kräftigste unterstützt werden. Der Verein zur Fürsorge für
entlassene Strafgefangene solle keine so grossen Kapitalien
ansammeln; ein so wohlhabender Verein bekomme schwerer
jährliche Beiträge. Die Redner konstatiren, dass die Entlassenen
gern nach Dornahof gehen und sich dort wohl befinden, des¬
halb möge der jährliche Beitrag statt 200 JL 600 JL lauten.
Justizrath Roser von Rottenburg ist gegen eine so hohe Unter¬
stützung, da zu wenig Gefangene nach Dornahof gehen, ein
guter Vermögensstand des Vereins aber nöthig sei, um seine
Zwecke zu erreichen. Auch der Vorsitzende betont die Noth-
wendigkeit eines Vermögens, da das Publikum den Bestre¬
bungen des Vereins ziemlich interesselos gegenüber stehe; es
seien beispielsweise in Stuttgart nur 128 tAL Jahresbeiträge ge¬
flossen. Hofcaplan Dr. Braun bemerkt zur Ehrenrettung Stutt¬
garts, dass die Einwohner der Residenz sehr viel in Anspruch
genommen werden und gern für sichtbare Unternehmungen,
wie die Asyle sind, reichlich geben. Landgerichtsrath Nestle
weist in längerem Vortrag statistisch nach, dass für die weib¬
lichen entlassenen Gefangenen mehr geschehe als für die männ¬
lichen, welch letztere zu jenen im Verhältniss von 5 : 1 stehen.
Da das Vermögen des Vereins thatsächlich um liOOJL zunahm,
so könne auch für Dornahof eine grössere Unterstützung ge¬
geben werden. Oberstaatsanwalt Köstlin macht darauf auf¬
merksam, dass die Statuten bei Gründung des Vereins 1831
ausdrücklich die Bestimmung enthielten, die Gründung von
Asylen anzustreben. Da aber mit dem ersten Asyl Wilhelms¬
dorf schlechte Erfahrungen gemacht wurden, so kam diese
Stelle später aus den Statuten heraus. Es sei aber wünschens-
werth, dass ein grösserer Beitrag des Vereins die Stellung des
Centralausschusses zur Arbeitercolonie Dornahof besser illu-
strire, im Verhältniss zu den Anstalten für die weiblichen Ent¬
lassenen. Nachdem noch Ober-Regierungsrath v. Hoser für
den Antrag des Centralausschusses gesprochen mit der Modi¬
fikation, dass für jeden aufgenommenen Entlassenen noch ein
Kostgeld bezahlt werde, wurde der Antrag Köstlin (Heilbronn),
600 «/A jährlich zu bewilligen, mit grosser Mehrheit angenommen.
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Aus dem Kassenbericht sei noch angeführt, dass die Einnah¬
men 1882/83 18,882 «/^, 1883/84 15,012«/^, die Ausgaben
1882/83 18,133 JL, 1883/84 13,734 JL betrugen. Aus dem
Neckarkreis gingen 1882/84 2521 JL Beiträge ein, Schwarz¬
waldkreis 1769 JL^ Jagstkreis 1609 JL^ Donaukreis 2936
zusammen 8836 JL) die Zahl der Beitragenden beträgt 3473,
der Unterstützungen 10,584 JL^ der Unterstützten 540. Die
Staatskasse trug jährlich 1715 JL bei. Die Versammlung er-
theilte dem Vorstand Entlastung. Die Ersatzwahl des Aus¬
schusses ergab folgende Namen: Oberinspector Hoffmann,
Pfarrer Köstlin, Ober-Reg.-Rath v. Neher, Director v. Schick¬
hardt, Kirchenrath Zimmerle, Oberland esgericbtsrath Länderer,
Hofcaplan Dr. Braun; Ersatzmänner: Oberlandesgerichtsrath
V. Heigelin, Finanzrath Zeller, Landgerichtsrath Weisser. An
die Verhandlung schloss sich ein gemeinsames Mittagsmahl an.
4. Sechszehnter Jahresbericht über die Wirk¬
samkeit des Frankfurter Gefängnissvereins, erstattet
in der Generalversammlung am 29. Jan. 1885 durch den Vor¬
sitzenden Rechtsanwalt Dr. jur. Ponfick.
„Der Schutz und die Fürsorge für entlassene Strafgefan¬
gene ist eine der vornehmsten menschlichen, bürger¬
lichen und religiösen Tugenden.‘‘ Diese Wahrheit, an
der Spitze des Berichtes stehend, sucht der von uns wieder¬
holt schon mit gebührender Auszeichnung erwähnte, mit so
grossen Erfolgen wirkende Frankfurter Verein nach Kräften
voll und ganz zur greifbaren, gesegneten That werden zu
lassen. Es wird gewünscht, dass auch in sämmtlichen Nach¬
barstädten von Frankfurt zur Erleichterung, Förderung und
Erweiterung der von dem dasigen Verein erstrebten Fürsorge
sich Schutzvereine bilden möchten. Namentlich sollten Hanau
und Würzburg nicht Zurückbleiben; denn dass das Fehlen
ähnlicher Vereine dort schmerzlich empfunden wird, beweisen
die nicht seltenen Gesuche, welche aus jenen Gebieten an
den Frankfurter Verein gerichtet werden. — Letzterer hat sich
selbst geehrt durch die Darbringung von Glückwünschen und
Danksagung an den grossen Menschenfreund und Umbildner
der Armenpflege Gustav Werner in Reutlingen anlässlich
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des 50jährigen Bestandes der von diesem in^s Leben gerufenen
grossartigen und mustergiltigen Anstalten, die unsern Lesern
wohl bekannt sein werden. Aber sehr lesenswerth dürften
auch folgende Erwiderungsworte Werner’s an den Verein für
weitere Kreise sein: „Sie wissen wohl, dass es mir um die
Ehre von Menschen nicht zu thun ist; wer aber in aufrichti¬
gem Sinne für das Wohl seiner Mitmenschen arbeitet und
dabei auf manche Mühe und Hindernisse, auch auf Wider¬
sprüche und Hemmungen stösst, dem bringt es Trost und
Kraft, wenn er sich der Theilnahme treuer und eifriger Men¬
schenfreunde versichert halten darf. Es wird täglich mehr
meine Ueberzeugung und mein innerstes Verlangen, dass die
Gutgesinnten sich stets fester vereinigen und auch
die mancherlei wohlthätigen Vereine eine gewisse
Association anstreben sollten: es würden dadurch im
Gebiete der Armenfursorge grössere Erfolge in leiblicher und
geistiger Beziehung erzielt, auch eine stärkere Macht gegen
die bösen zerstörenden Kräfte m der Gesellschaft der jetzigen
Zeit erreicht. Einigkeit macht stark.“ — Die jugendlichen
Pfleglinge des Frankfurter Vereines haben durch gutes Ver¬
halten durchweg Freude gemacht und lassen auch für die Zu¬
kunft Günstiges hoffen. Die grösste Sorge macht dagegen,
wie allerwärts, der Nachweis von Beschäftigung für gewisse
Gattungen entlassener Gefangenen, vornehmlich für Beamte,
Kaufleute, Bureauarbeiter u. dgl. — Der Frankfurter Verein
steht mit den meisten auf gleichem Gebiete thätigen Vereinen
Deutschlands in Verbindung und schöpft daraus mannigfache
Belehrung und Ermunterung. — Der Verein zählt 715 zahlende
Mitglieder, hatte auch im Berichtsjahr eine reiche Einnahme
aus Geschenken, Gottespfennigen und Vermächtnissen (zus.
3088 e/Ä). Für 8 jugendliche Pfleglinge wurden an Erziehungs¬
kosten und Lehrgeld verausgabt 1181«/^ 53^; für Miethzinse,
Auslösung verpfändeter Gegenstände etc. 470 für Beher¬
bergung, Beköstigung, Bekleidung etc. an 304 Pfleglinge
390 e/Ä Zu Geldunterstützungen und Anschaffungen für die
Familien von 101 inhaftirten Gefangenen zusammen
3185 e/Ä (Bravo!) Das Vereinsvermögen beträgt 15,732«/^
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5. Verhandlungen der fünften Generalver¬
sammlung des Gefängnissvereins für Schlesien und
Posen. Breslau 1885. Otto Gutsmann. Dem Berichte ist für
die „Bl. f. Gef.“ der Aufsatz des Dr. Richter über die „Ueber-
verdienstgelder der Gefangenen und Entlassenen“ entnommen.
— Bekanntlich zweigte sich von diesem Verein ein besonderer
für Posen ab, der aber dem Bestände des Stammvereines
keinerlei Gefahr brachte, da der Zweigverein innerhalb der
Provinz Posen mehr die practische Ausführung der Fürsorge
für entlassene Gefangene verfolgt, während der schlesische Ge-
fängnissverein neben der Anregung und Organisation einer
solchen Fürsorge die Förderung des Gefangnisswesens über¬
haupt sich angelegen sein lässt.— Die Bildung vonHilfs-
vereinen vollzieht sich in der Provinz Schlesien von einer
Kreisstadt zur andern. Das Gesammtvermögen ist freilich noch
sehr bescheiden: 873«/^
6. Bericht über die XII. Generalversammlung
des Vereins zur Fürsorge für aus Strafanstalten
Entlassene zu Görlitz. 1885.
Der Schriftführer berichtete zunächst über die Thätigkeit
des Vereins während des Jahres 1884/85. Im Ganzen haben
77 Personen und 17 Familien die Hilfe des Vereins angerufen.
Für letztere besteht die sehr practische Einrichtung der sog.
„Pflegerinnen“, so dass wir hier die Frauen in edlem Wett¬
eifer mit den männlichen Vereinsmitgliedern thätig sehen, was
gewiss nur zum Segen führen kann. — Auch hat der Verein
die Errichtung einer Naturalverpflegungsstation für Görlitz in
die Hand genommen, unterstützt vom Stadtrath. Ebenso hat
er die Bestrebungen des „Vereines gegen Missbrauch geistiger
Getränke“ sehr erfolgreich unterstützt durch Gewinnung zahl¬
reicher Mitglieder für denselben aus Stadt und Land. Die
Zahl der Mitglieder obigen Schutzvereines beläuft sich auf 161
und seine Jahreseinnahmen betrugen 1392,29 e/Ä, denen eine
Ausgabe im Betrage von 1182,88 JL entgegensteht. — Der
Bericht drückt seine Befriedigung aus mit den erzielten Resul¬
taten. Als ein Mittel zur moralischen Unterstützung und
Hebung der Strafentlassenen hat der Görlitzer Schutzverein
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381
auch eine Volksbibliothek gegründet, um durch passende
Lectüre der Verführung zu schlechtem Leben entgegenzuwirken.
Dieselbe besitzt bereits 750 Bände und wird fleissig benützt.
7. Zweiter Jahresbericht und Geschäftsüber-
sicht des Provinzialvereines zur Fürsorge für ent¬
lassene Strafgefangene zu Posen für das Jahr
1. April 1884/85. Posen, Hofbuchdruckerei W. Decker
& Co. 1885.
Dieser vom Schlesischen Gefängniss-Verein abgezweigte
Schutzfursorge-Verein, von uns schon früher erwähnt, hat
bereits in seinem zweiten Lebensjahr durch Angliederung von
stets sich mehrenden Localvereinen eine erfreuliche Ausdehnung
gewonnen. Im Ganzen sind 25 locale Vereine verzeichnet. In
jedem Kreis der Provinz sind geeignete „Vertrauensmänner^^
thätig. In Posen selbst waren vom Provinzialverein 48 Fälle
zu erledigen, darunter 27 mit gutem Erfolg. 11 Personen wur¬
den Stellen verschafft als Knechte, Mägde und Taglöhner, 6
als Handwerks- und Gewerbsgehilfen, 2 als Wirthschaftsbeamte
und 3 als Schreiber. — Unter den Localvereinen ragt der¬
jenige zu Rawitsch rühmlich hervor. Im Ganzen sind von den
Localvereinen 162 Fürsorgefalle bearbeitet worden. Bei der
Neuheit der Organisation sind die Ergebnisse sehr aner-
kennenswerth.
8. Cassarechnung des Schutzaufsichts-Vereins
für entlassene Sträflinge im Canton St. Gallen über
die Jahre 1883 und 1884. St. Gallen, Zollikofer’sche
Druckerei. 1885.
Dieser Verein, 1842 gegründet, ist der älteste in der
deutschen Schweiz und entwickelt ein reges Leben. In jeder
bedeutenderen Cantonsgemeinde erfreut er sich einer mehr
oder minder grossen Mitgliederzahl (zus. 1564), und was uns
besonders freudig stimmt, ist die Wahrnehmung, dass die
Geistlichkeit hervorragenden Antheil nimmt an den Vereins¬
bemühungen. Die weitaus meisten Correspondenten (Geschäfts¬
führer) sind Pfarrer. Die Unterstützungen an entlassene
Sträflinge betrugen 2074 Fcs. 75 Cts. in Geld und für Er--
bauungsbücher, welche die Strafanstaltsgeistlichen einzelnen
Bl&tter fUr GefAngnissktinde. XIX.
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I
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Entlassenen mitgaben, wurden 144 Fcs. 95 Cts. verausgabt.
Das Vermögen hat sich in den beiden Jahren um 7810 Fcs.
vermehrt und beträgt jetzt 63349 Fcs. 70 Cts. Die Verdienste
des Strafanstaltsdirectors Kühne in St. Gallen um den dorti¬
gen Verein sind bekannt und früher schon von uns hervor¬
gehoben worden.
9. Rühmend sei hier auch erwähnt die erfolgreiche
„Arbeit an den Gefangenen und Entlassenen“ Seitens der
schon 51 Jahre bestehenden Elberfeld-Barmer Gefäng-
nissgesellschaft. Der vorliegende Jahresbericht pro 1884
verzeichnet über 100 Fälle, wo die Hilfe der Gesellschaft von
Entlassenen angerufen und gewährt wurde. — In Elberfeld
existirt auch ein Frauenverein zur Hebung der Sitt¬
lichkeit, welcher sich hauptsächlich die Erhaltung des da¬
selbst befindlichen Vorasyls für Magdalenen zur Auf¬
gabe macht.
10. Die Diakonen-Anstalt oder Rheinisch-West¬
fälische Pastoralgehilfen-Anstalt zu Duisburg,
gegründet 1844, veröffentlicht einen Rückblick auf ihre 40jäh-
rige Entwickelung und Wirksamkeit. Darin erscheint uns die
Thatsache ganz besonders merkwürdig, dass in Preussen und
einzelnen sächsischen Herzogthümern die Verwendung solcher
evangelischer „Brüder“ als Aufseher in Strafanstalten prin¬
zipiell für zulässig und wünschenswerth erachtet wurde und
dass lediglich der Mangel an „CivilVersorgungsberechtigung“
ihrer Anstellung gegenwärtig im Wege steht. Factisch aber
sind in einzelnen Gefängnissen solche Diakonen (ähnlich den
katholischen barmherzigen Brüdern) schon angestellt worden.
Da käme ja eine Idee allmählig zum Durchbruch, die Schrei¬
ber dieses seit Jahren als den richtigsten Weg zur Lösung
der Aufsehersfrage erkannt hat. Die Realisirung dürfte nur
in den Paritätsverhältnissen grössere Hemmnisse finden. Das
selbstlose, von reinster Gottes- und Nächstenliebe getragene
Wirken dieser Diakonen als Lehrer, Armenpfleger wie nicht
minder für entlassene Gefangene in Asylen etc. wird in vor¬
liegender Broschüre recht anschaulich geschildert. Kr.
383
Stuttgart, 11. März 1885. 84. Sitzung der Kammer der
Abgeordneten. Zur Berathung kommen u. A. vom Budget
Tit. 9a. Verein für Arbeitercolonien 5000 «/Ä Hierzu be¬
merken die Erläuterungen: Die laufenden Einnahmen, welche
neben dem Ertrag des Guts lediglich in den von Privaten und
öffentlichen Körperschaften zugesicherten Jahresbeiträgen be¬
stehen , reichen zur Deckung der laufenden Ausgaben bei
Weitem nicht zu. Bei Annahme eines Durchschnittsstands von
70 Colonisten (100 während der Winter-, 40 während der
Sommermonate) würde das zu erwartende laufende Betriebs¬
deficit nach dem von sachverständiger Seite geprüften Vor¬
anschlag etwa 15,000 jährlich betragen, wozu noch etwa
3000 t4L für die Bestreitung der allgemeinen Verwaltungskosten,
sowie für Verzinsung und Amortisation der Gutskaufschillings¬
schuld zu schlagen wären. Die zur Deckung dieses Bedarfs
bestimmten laufenden Beiträge betragen bis jetzt etwa 8200«/^,
so dass noch ein Betrag von mehr als 9000 JL ungedeckt
bliebe. Mit Rücksicht auf den Bedarf der Anstalt wird die
zu gewährende Staats - Unterstützung für die nächsten zwei
Rechnungsjahre auf den Betrag von 5000 tAL jährlich zu be¬
messen sein.
Zu Tit. 9 (Dornahof) bemerkt Weber: Er habe diese
Colonie besucht und habe sich der grossen Ordnung in Haus
und Feld gefreut. Es werde tüchtig gearbeitet. Der Ver¬
walter sei seiner Aufgabe gewachsen und arbeite mit voller
Hingabe. Der Erfolg sei ein günstiger; die Colonisten seien
zum Theil andere Menschen, wieder nützliche Mitglieder ge¬
worden und das sei der Zweck der Colonie. — Freiherr
V. GültlIngen: Es sei anerkannt, dass die Arbeitercolonien
ein wesentlicher Factor zur Bekämpfung des Vagantenthums
seien. Damit dieselben aber möglichst vollständig ihrem Zweck
entsprechen, sei es nöthig, die Naturalverpflegung überall ein¬
zuführen. Die bezügliche Ministerialverfügung verdiene warmen
Dank; es sei nur zu bedauern, dass derselben nicht mehr ent¬
sprochen worden sei. Wenn die Naturalverpflegungsstationen
lückenhaft seien, können sie ihren Zweck nicht erfüllen. Der
Aufwand würde am besten durch freiwillige Beiträge aufge¬
bracht Es wäre höchst bedauerlich, wenn das Naturalver-
25»
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pflegungssystem wieder in die Brüche ginge. — Rapp: Das
Geld werde in dem Sinne verwendet, in dem es gewährt wor¬
den. Die Anstalt sei musterhaft, die Leute werden gut aufge¬
nommen und gekleidet, aber sie müssen Alles, was ihnen
gewährt wird, abverdienen und werden nach Umständen an
Herrschaften empfohlen. Er danke für die empfangene Unter¬
stützung der Colonie. — Staatsminister v. Holder: Er habe
wiederholt den Oberämtern die Durchführung der Natural¬
verpflegung an’s Herz gelegt; ein gesetzlicher Zwang könne
natürlich nicht ausgeübt werden. Wenn die Stationen übrigens
zu dicht zusammengelegt werden, so unterstütze man dadurch
die Vaganten, indem dieselben dann bequem von einer zur
andern Station durchreisen können. Es sei deshalb nothwendig,
von den Einzelnen eine Ausweisung, ein Legitimationspapier
zu verlangen. — Sachs: Mit der Naturalverpflegung sei ein
unheilbares Uebel verbunden, so lange man nicht ein einheit¬
liches Legitimationspapier habe. Die nächsten Monate werden
zeigen, dass eine Reihe von Verpflegungsanstalten aufgehoben
werden. — Dentler: Er schliesse sich den Ausführungen
von Sachs vollständig an. Redner führt mehrere Missstände
der Naturalverpflegung an. — Pfetsch: Er sei mit Sachs
einverstanden. Es sollten mehr Stationen sein, so dass ein
Bittender stets an eine solche gewiesen werden könnte. Aber
die gute Passeinrichtung müsse vorausgehen. — Hartmann:
Bei ihnen sei die Naturalienverpflegung eingeführt gewesen,
sie habe viel Geld gekostet, trotzdem aber habe der Bettel
nicht aufgehört. Deshalb habe man sie wieder abgeschaflFt, —
Uhl: Es sei zweckmässig, Arbeit zu verlangen, wenn sie auch
nur einen pädagogischen Werth habe. Der rechte Vagant
wolle lieber drei Tage Hunger leiden als arbeiten; das sollte
man vor den Amtsversammlungen erwägen. — Egger: Die
Verhältnisse seines Bezirks seien dieselben wie in Wangen,
und er schliesse sich Dentler vollständig an. — Untersee:
Die verlangte Arbeit zu schaflFen, sei eben sehr schwer, ins¬
besondere zu gewissen Jahreszeiten. Die Vaganten, die um
5 Uhr Winters ankommen, können nicht mehr zur Arbeit an¬
gehalten werden und am andern Morgen habe man kein Mittel,
sie zur Arbeit zu zwingen. Auch die vom Staatsminister em-
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pfohlene Untersuchung der Papiere sei sehr schwierig. Es
müsse von Seiten des Reiches das von Sachs gewünschte Le¬
gitimationspapier eingeführt werden. Die eigentlichen Vaganten
sollten aber nicht die Annehmlichkeit von ein paar Tagen
Arrest, sondern sie sollen schmale Kost erhalten. (Lebhaftes
Bravo!) — Tit. 9a und das ganze Capitel wird genehmigt.
Stuttgart, im März 1885. Seitens einzelner Oberämter
und Ortspolizeibehörden wurden in den Reisepapieren der Ar¬
beit suchenden Reisenden hie und da Einträge über die
von letzteren erlittenen Bestrafungen wegen Betteins oder
Landstreicherei gemacht. Da dieses Verfahren geeignet
ist, den betreffenden Reisenden ihr Fortkommen und die Er¬
langung von Arbeit zu erschweren und deshalb häufig zur
Vernichtung derartiger Reisepapiere, sowie zum Gebrauche
falscher oder verfälschter Papiere Veranlassung gibt, hat das
Ministerium des Innern angeordnet, die Eintragung von Strafen
wegen Betteins oder Landstreicherei in die Reisepapiere der
Arbeit suchenden Reisenden fernerhin zu unterlassen.
Ueber die in Düsseldorf am 11. März 1885 gehaltene
Versammlung des rheinischen Vereins gegen die Vaga¬
bund ennoth wird berichtet: Pastor Stursberg erstattet den
Jahresbericht. Der Provinziallandtag hat ein zinsfreies Dar¬
lehen von 200,000 JL dem Verein gewährt. Ein Aufruf an
die Bevölkerung der Rheinlande wurde im März in den öflent-
lichen Blättern erlassen und den Pfarrern, Bürgermeistern und
Landräthen zugänglich gemacht. Mehrere Kreissynoden be¬
schäftigten sich mit der Frage. Verschiedene städtische Be¬
hörden bewilligten feste Beiträge. Der Verein zählt 8592
Mitglieder mit über 24,000 «/Ä, von denen Fürst von Wied
und Frhr. v. Diergardt je 2000 ,AL stifteten. Es wurde eine
besondere Schrift über Naturalverpflegung veröflPentlicht. Die
evang. Arbeitercolonie in der Lukler Heide ist erst nach Prü¬
fung vieler Pläne zu Stande gekommen und zwar durch Ver¬
mittlung des Oberforstmeisters W. Dücker. Vorbehaltlich der
erst nach Erwerbung corporativer Rechte für den Verein zu
ermöglichenden Einweihung, ist das Terrain für etwa 16,000
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erworben worden. Eine Arbeitercolonie ist auf 70,000 JL an¬
zuschlagen, die aber in der Cultivirung wieder zugute kommen.
Landesrath Klausner berichtet über die Gründung einer katho¬
lischen Arbeitercolonie. Der Ort für dieselbe ist seitens der
Commission in der Eifel, als dem geeignetsten Gebiete, ge¬
sucht worden. Nach mehreren Versuchen in der Eifel wurde
von dieser Gegend um so mehr abgegangen, als viele mass¬
gebende Personen erklärten, dass es nicht gut sei, Arbeiter-
colonien da zu gründen, wo die Einwohner selbst mit der Noth
kämpfen. Man gelangte weiter dazu, den Antrag an das Ober¬
präsidium zu stellen, dass die Alexianerbrüder bei Aachen
diese Arbeitercolonien führen sollten, in der Erwartung, dass
dagegen keine gesetzlichen Schwierigkeiten geltend gemacht
werden würden. Das Oberpräsidium lehnte jedoch den An¬
trag auf Grund der bestehenden Gesetze ab. Die Commission
des Vereins hat aber beschlossen, sich an den Cultusminister
zu wenden. Nach einer behufs Erwerbung der Corporations-
rechte vorgenommenen Statutenänderung sprach Pastor Sturs¬
berg über die jetzige Lage der Naturalverpflegung.
Redner hält die Naturalverpflegung in ihrer Neuordnung des
ganzen Unterstützungswesens für noch bedeutender als die
Frage der Arbeitercolonien. Nach eingegangenen Berichten
sind in 32 Kreisen Naturalverpflegungs-Anstalten eingerichtet,
in 12 anderen sind sie in Aussicht genommen. In den Regie¬
rungsbezirken Köln, Aachen und Coblenz sind noch sehr wenige
Naturalverpflegungs-Anstalten. Die besteingerichtete von allen
Stationen ist aber in Bonn. Dort haben seit Gründung der
Station 11,664 Personen gegen Arbeitsleistung von 3 Stunden
Verpflegung erhalten. Lebhaft tadelt Redner das Verlegen
der Stationen in Herbergen, das noch vielfach gepflegt wird,
aber dem Branntweingenuss Vorschub leistet. Mit der Zeit
müssten die Kosten der Stationen den Conimunal- und Kreis¬
kassen überwiesen werden. Erfahrungsthatsache ist, dass die
eigentlichen Stromer überall da weggedrängt werden, wo Ar¬
beit verlangt wird. Redner betont besonders, dass die Natural¬
verpflegungsstation nicht blos als Durchgangsstation zur Arbei-
ter-Colonie zu betrachten sei, sondern als Reform des ganzen
UnterstützungsWesens. Redner begehrt eine einheitliche, streng
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formulirte Berichterstattung aus allen Stationen an den Vor¬
stand. _
Von dem in Band XIX. S. 276 erwähnten [Blatt „Die
Arbeitercolonie“ sind seither die Nummern 8—12 des
ersten Jahrgangs (bis März 1885) und Nr. 1 — 3 des zweiten
Jahrgangs erschienen mit folgendem Inhalt:
N r. 8. Winke über Einrichtung von Naturalverpflegungs¬
stationen. — Der ^barmherzige Holzstall“. — Wo liegt die
Arbeitercolonie? VII. Dauelsberg. — Vereine, Colonien, Sta¬
tionen. — Was kann von Seiten der kirchlichen Organe zur
Förderung der Arbeitercolonien und Einrichtung von Natural¬
pflegestationen geschehen? — Aus meinem Felleisen. — Aus
den Colonien. — Tabellen der Colonien. — Miscellen.
N r. 9. 23 Thesen über Ziel und Zweck der Arbeitercolonie
und Verpflegungsstationen, vertheidigt auf dem 23. Congress
für innere Mission zu Karlsruhe von Pastor v. Bodelschwingh
(Bielefeld). — Wo liegt die Arbeitercolonie? VIII. Wunscha.
— Eine versiegte Quelle des Wohlstands. — Zur Statistik der
Arbeitercolonien. — Vereine, Colonien, Stationen. — Aus
meinem Felleisen. — Tabellen der Colonien. Aus den Colo¬
nien. — Miscellen. — Zum heiligen Christ.
Nr. 10. Ansprache des Pastor v. Bodelschwingh: „Die so
im Elend sind.“ — Wo liegt die Arbeitercolonie? IX. Meierei.
— Die Halb-Invaliden, von Zahn-Coeslin — Colonien, Her¬
bergen, Naturalverpflegung. — Aus meinem Felleisen. — Ta¬
bellen der Colonien. Aus den Colonien. — Miscellen.
Nr. 11. In der Herberge zur Heimath. — Wo liegt die
Arbeitercolonie? X. Karlshof. — Der Knabenhort. ^ Die
Schulden der entlassenen Colonisten. — Stuttgarter Petition
an den Reichstag. — Colonien, Stationen. — Aus meinem
Felleisen. — Tabellen der Colonien. Aus den Colonien. —
Miscellen. — An unsere Leser.
Nr. 12. Der § 54 des Strafgesetzbuches. — Germans
are swindlers. — Etwas von der Privatwohlthätigkeit. — Er¬
gänzung des Artikels: Herberge, Verpflegungsstation, Arbeiter¬
colonie. — Colonien, Vereine, Stationen, Herbergen. — A. v.
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Fragstein: Was soll der Junge werden? — Aus meinem Fell¬
eisen. — Aus den Colonien. Tabellen der Colonien. — An
unsere Leser.
n. Jahrgang.
Nr. 1. Zweite Jahresversammlung des Centralvorstandes.
— Die Berliner Arbeitercolonie. — Wie viel gibt es Vaga¬
bunden? — Colonien, Stationen, Herbergen. — Aus meinem
Felleisen. — Aus den Colonien. Tabellen der Colonien. —
Miscellen. Sinnsprüche. — Berichtigung.
Nr. 2. Zweite Jahresversammlung des Centralvorstandes.
— Die Naturalverpflegungsstationen in der Provinz Branden¬
burg. — Wie viel gibt es Vagabunden? — Arbeitercolonie
„Hamburgs Volksgarten“. — Wo liegt die Arbeitercolonie?
XI. Ankenbuck. — Die Bekämpfung des Bettelwesens in der
Amtshauptmannschaft Auerbach. — Colonien, Stationen, Her¬
bergen. — Aus meinem Felleisen. — Tabellen der Colonien.
Aus den Colonien. — Miscellen.
Nr. 3. Erfolge und Mängel der Natural-Verpflegungs¬
stationen in der Provinz Brandenburg. — Kurze Entgegnung
auf „Der § 54 des Strafgesetzbuches“. — Das Wanderbuch. —
Die Einführung nichtamtlicher Legitimationspapiere für die
mittellose Wanderbevölkerung. — Vereine, Colonien, Stationen,
Herbergen. — Aus meinem Felleisen. — Aus den Colonien. —
Miscellen. — Zum Knabenhort.
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389 ^
-y- Lichtenan, am 17. April 1885. (AmtsJubiläum.)
Am gestrigen Tage waren es 25 Jahre, dass der Vorstand
des hiesigen Männerzuchthauses, kgl. Director Friedrich
Ludwig, seine erste pragmatische Anstellung als kgl. Rech¬
nungsführer dahier erhielt. Wohl wäre es innigster Wunsch
der demselben unterstellten Beamten und Bediensteten gewesen,
wenn sie ihrem Vorstande anlässlich seines Amtsjubiläums eine
grössere Feier hätten veranstalten können. Doch sie wussten
nur zu gut, dass sie damit dem Genannten bei seinen allzu
bescheidenen und anspruchslosen Sinn keinen besonderen Ge¬
fallen erwiesen haben würden. Sie mussten sich deshalb dar¬
auf beschränken, dass sie demselben am Morgen gemeinschaft¬
lich ihre Glückwünsche darbrachten und ihm hiebei zur Er¬
innerung an den Tag ein Album überreichten, welches die
Bilder der Conferenzbeamten, des Kanzleipersonals und noch
einiger Bediensteter enthielt. Eine gesellige Zusammenkunft
am Abend im geschmückten Gesellschaftslocale, zu welcher
sich ausser den Gratulanten noch hiesige und benachbarte
Freunde und Bekannte des Jubilars einfanden und die ver¬
möge ihres herzlichen und gemüthlichen Tones einen wahrhaft
familiären Charakter an sich trug, bildete den Schluss der
bescheidenen Feier. Nicht unerwähnt möchte man noch lassen,
dass dem Gefeierten zahlreiche Glückwunschschreiben aus Nah
und Fern zukamen, darunter auch ein denselben höchst ehren¬
des von der Hand des Herrn Referenten für das bayerische
Gefängnisswesen in München. War die Feier, wie dargethan,
einfach genug, so mag der verehrte Herr Jubilar aus der
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festlich-frohen Stimmung, von welcher insbesondere die Beamten
und Bediensten der Anstalt an diesem Tage erfüllt waren,
gewiss die Ueberzeugung gewonnen haben, dass er, der stets
um seine Untergebenen so väterlich besorgt ist, auch deren
Liebe und Hochschätzung im vollsten Maasse besitzt und dass
der gestern des Oefteren ausgesprochene Wunsch, derselbe
möchte noch recht lange der hiesigen Strafanstalt, die ihm so
Vieles verdankt, vorstehen und es möchte so noch auf viele
Jahre hinaus dem bayerischen Staate ein treuer Diener er¬
halten bleiben, aus aufrichtigem Herzen kam und allerwärts
freudiges Echo fand.
Ans Baden« Im Laufe der Monate April und Mai 1885
haben JJ. KK. HH. der Grossherzog und der Erbgrossherzog
die Strafanstalten in Bruchsal und Mannheim, desgleichen die
Grossherzogin die Weiberstrafanstalt Bruchsal mit Höchstihrem
Besuche beehrt und dabei die Zufriedenheit mit den gefun¬
denen Zuständen ausgesprochen. Der Oberaufseherin Holz-
schuch an der Weiberstrafanstalt Bruchsal wurde nach diesem
Besuch von J. K. H. der Grossherzogin ein silbernes Medaillon
mit goldenem Kreuz als Ehrengabe für langjährige treue und
erspriessliche Dienste verliehen und am 7. Juni feierlich über¬
reicht.
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391
Der Tag der Eröffnung des internationalen Gefängniss-
congresses zu Rom ist definitiv auf den 16. November 1885
festgesetzt.
Von Herrn Beltrani-Scalia ist folgendes Ausschreiben
ergangen:
Geehrter Herr!
In Folge der häuslichen ünglücksfälle, von welchen ich
in letzter Zeit so grausam betroffen wurde, wünschte ich von
der Generaldirection ab- und in das Privatleben zurückzutreten,
allein S. E. der Minister des Innern erwies mir die Ehre, mich
zum Staatsrath zu ernennen und ich habe dies Anerbieten
dankbar angenommen.
Indessen ist in Allem, was auf den internationalen Ge-
fängnisscongress, sowie auf die Direction der Rivista di dis-
cipline carcerarie Bezug hat, meinerseits nichts geändert und
ich bitte Sie nur, für alle etwa nöthigen Mittheilungen von
den folgenden Adressen Kenntniss zu nehmen:
Aa Herrn N. Vazio, Gemraldirector der Gefängnisse,
Ministerium des Innern
Rom
für Mittheilungen, die Sie ihm persönlich oder in seiner Eigen¬
schaft als Vorstand der italienischen Gefängniss-Verwaltung
machen wollen.
An das Centralcomite des internationalen Gefängnisscongresses,
Ministerium des Innern
Rom
für Mittheilungen, welche Sie an den Congress richten wollen.
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392
An Herrn M. Beltrani-Scalia, Staalsraih,
Ministerium des Innern
Rom
für Mittheilungen, die Sie mir persönlich oder in meiner amt¬
lichen Eigenschaft oder als Director der Rivista machen wollen.
Inzwischen bitte ich Sie, geehrter Herr, den Ausdruck
meiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu genehmigen.
Rom, 15. März 1885.
M. Beltrani-Scalia.
Die königl. Generaldirection der Gefängnisse in
Rom hat an die HH. Directoren der Galeeren, Straf-, Ver-
wahrungs- und Besserungs-Anstalten folgendes Circular, d. d.
30. April 1885, Nr. 101689 —143 — 1—A. (Statistisches Amt)
gerichtet:
„Unter den von der italienischen Regierung für den näch¬
sten internationalen Gefängniss-Congress zugesagten Arbeiten
befindet sich auch, wie Ew. Hochwohlgeboren wohl bekannt,
eine statistische Monographie über unsere Gefängnisse seit der
Errichtung des Königreichs Italien bis auf die neueste Zeit.
Natürlich handelt es sich um eine ganz summarische Zu¬
sammenstellung der in den 12 bis jetzt veröffentlichten und
den im Druck oder in Ausarbeitung sich befindenden Bänden
gesammelten Hauptziffern mit Veranstaltung eines Abdruckes
der synoptisch-historischen Tabellen, welche einzeln dem ersten
Band für die Strafanstalten, dem zweiten für die Verwahrungs¬
häuser und frommen Stiftungen zur Besserung der Jugendlichen,
dem vierten für die Bagnos und den folgenden Bänden für die
Anstalten jeder Art, welche nach und nach der Generaldirection
der Gefängnisse unterstellt wurden, beigefügt sind.
Auf diese Tabellen richten wir nun insbesondere die Auf¬
merksamkeit der HH. Directoren, um bezüglich der von ihnen
verwalteten Anstalt dafür Sorge zu tragen:
1) ihnen aufstossende Fehler zu verbessern, welche Berich¬
tigungen noch werthvoller werden, wenn sie sich auf
die anderen Theile der Statistik ausdehnen ^
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2) eine summarische Angabe aller an den Localen durch
Erweiterungen oder Umbauten vorgenommenen Verände¬
rungen beizufügen;
3) wo es immer angeht, die Geschichte der Anstalt zu
verzeichnen, insbesondere den gegenwärtigen Verwah-
rungs-, Disciplin-, Unterrichts-, Arbeite- etc. Methoden
die unter der früheren Regierung geltenden gegenüber
zu stellen;
4) ausserordentliche Vorkommnisse, welche die anekdotische
Geschichte der Anstalt betreffen, anzuführen und dabei
nicht zu unterlassen, irgendwie berühmte Männer, die
zufällig dort gefangen waren, zu erwähnen;
5) die verschiedenen Richtungen oder Bestimmungen der
Straf- oder Besserungsanstalt zu benennen, indem wo¬
möglich die Entwickelung der Gefängnisssysteme in
Italien dargestellt wird, sei es in der Art der Strafvoll¬
ziehung, sei es in der Anwendung der Disciplinar- und
Administrativvorschriften, sei es in der Trennung oder
umgekehrt in der Zusammenwerfung verschiedener Ele¬
mente innerhalb ein- und derselben Umfassungsmauer.
Und wo zur Sammlung oder Richtigstellung der gewünsch¬
ten Notizen Nachforschung in Bibliotheken oder Staats-, Pro¬
vinzial- und Gemeinde-Archiven nöthig fallen sollte, werden
die HH. Directoren sicherlich in ihren Studien gefördert wer¬
den. Sollten sich aber Schwierigkeiten erheben, dann mögen
sie sich an den Unterzeichneten wenden, der für deren Be¬
seitigung sorgen wird.
Natürlich werden die HH. Directoren zu ihren Bemer¬
kungen jene Rechenschaftsberichte, Statuten, Denkschriften,
Werken. 8. w., welche sie zur besseren Beleuchtung des gegen¬
wärtigen und vergangenen Lebens der ihnen anvertrauten An¬
stalt für dienlich erachten, beiziehen.
Ich gewärtige alsbald eine Empfangsbescheinigung des
Gegenwärtigen und forderliche bestimmte Nachricht.
Der Generaldirector: Vazio.“
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394
Internationaler Gefängnisscongress.
Rom — November 1885.
Verzeichniss der officiellen Delegirten.
Baden : Hr. v. Jagemann, Dr., Ministerialrath, Respicient
für Gefangnisswesen.
Bayern: Hr. Fr. v. Holtzendorff, Dr., Professor der
Rechte an der Universität München.
Hr. Valentin Reisenbach, Assessor im Justiz¬
ministerium.
Belgien: Hr. Comm. A. Gautier, Generaladministrator der
Gefängnisse.
Brasilien: Hr. Eduard Callado, ausserordentl. Gesandter
und bevollmächtigter Minister in Italien.
Dänemark: Hr. Dr. Goos, Professor an der Universität Ko¬
penhagen.
Frankreich: Hr. Ludwig Herbette, Director derGefängniss-
administration, Vertreter der franz. Regierung.
Hr. Ni veile, Generalinspector der Verwaltungs¬
stellen im Ministerium des Innern (Section für
Gefängnisswesen).
Hr. Reynaud, Vorstand der Gefängnissadmini-
stration im gleichen Ministerium.
Hr. Pauli an, Secretär der Abgeordnetenkammer,
Secretär der Delegirten-Commission. (Dieser
Commission werden sich noch zwei Senatoren
und zwei Abgeordnete anschliessen.)
Lübeck: Hr. Dr. Rittscher, Senator.
Mexico: Hr. Aw. J. Zenis, erster Secretär der mexicani-
schen Gesandtschaft zu Madrid.
Norwegen: Hr. Birch-Reichenwald, Vorstand des Straf¬
anstaltswesens im Justizministerium.
Niederiande: Hr. Dr. B. J. Ploos van Amstel, Präsident des
Gerichtshofes in Amsterdam.
Hr. Dr. S. Pols, Professor der Rechte an der Uni¬
versität Utrecht.
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395
Hr. J. A. M. van Haften, Referendar, Vorstand
der Gefängniss-Administration.
Polen: Hr. v. Moldehawer, Rath am Gerichtshof zu
Warschau.
Russland: Hr. S. E. Galkine Wraski, Vorstand der Ge¬
fängniss-Administration.
Schweden: Hr. G. F. Almquist, Generaldirector der Ge¬
fängnisse.
Schweiz: Hr. Dr. Guillaume, Director der Strafanstalt zu
Neuchätel.
Ungarn: Hr. Dr. Sigismund Laszlo, Sectionsvorstand
im Justizministerium zu Buda-Pest.
Uruguay: Hr. Antonini y Diez, ausserordentl. Gesandter
und bevollmächtigter Minister in Rom.
Vereinigte Staaten von Amerika: Hr. John L. Milligan,
Pensylvanien.
Von dem Bnlletin de la Commission p^nitentiaire
internationale sind seit der letzten Mittheilung in Bd. XIX.
S. 242 weiter erschienen:
Heft 25 mit einem Aufsatz von Professor Tancrede
Canonico, Senator in Rom: „Ein Besuch in
einigen europäischen Gefängnissen aus Anlass des
nächsten internationalen Gefängnisscongresses in
Rom.“
Heft 26: Gutachten zu I. 5 von Peter Armengal y
Cornet, vertragender Rath am Appellations¬
gericht zu Barcelona.
Heft 27: desgl. zu 11. 5 von J. V. Hürbin, Director der
Strafanstalt Lenzburg (Schweiz).
Heft 28: desgl. zu 1. 6 von C. D. Randall von Coldwater
(Michigan).
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396
PersoialMCIirlcItteiL
1. Veränderungeii.
a. Baden.
Glück, Buchhalter am Landesgefängniss Bruchsal, ausgetreten.
Gr einer, Stadtpfarrer, ev. Hausgeistlicher des Landesgefängnisses Mann¬
heim, hat die Stelle als ev. Hausgeistlicher niedergelegt.
Kaufmann, Vicar, wurde zum ev. Hausgeistlichen des Landesgefängnisses
Mannheim ernannt.
Münch hach, Finanzassistent, wurde zum Buchhalter des Landesgefäng-
nisses und der Weiberstrafanstalt Bruchsal ernannt.
b. Bayern.
Fleischmann, Dr., Hausarzt des Zuchthauses in Kaisheim, wurde zum
Bezirksarzt in Dillingen ernannt.
c- PreuBsen.
Grofebert, Inspector des Untersuchungsgefängnisses Altmoabit in Berlin,
wurde zum commiss. Director der Provinzial-Besserungs- und Land¬
armenanstalt Könitz ernannt.
Sch eff er, Pfarrer in Boppard, wurde zum I. Pfarrer der reform. Kirche
in Marburg ernannt.
d. Saohsen.
Freund, Katechet an der Strafanstalt Zwickau, zum Oberlehrer ernannt.
Glotz, Katechet an der Strafanstalt Zwickau, wurde in gleicher Eigen¬
schaft an die Strafanstalt Waldheim versetzt.
Kochta, Katechet an der Strafanstalt Waldheim, zum Oberlehrer ernannt.
P eis el, Katechet an der Corr.-Anstalt Sachsenburg, zum Oberlehrer ernannt.
Schroeder, Katechet der Correct-Anstalt Hohnstein, wurde in gleicher
Eigenschaft an die Strafanstalt Zwickau versetzt.
e. Württemberg.
Sichart, Director des Zuchthauses in Ludwigsburg, erhielt den Rang auf
der 6. Stufe der Rangordnung.
Weegmann, Justizrath und Vorstand des Zuchthauses Stuttgart, wurde
wegen durch Krankheit herbeigeführter Dienstuntüchtigkeit in Ruhe¬
stand versetzt.
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— 397 —
2. Todesfälle.
a. Preussen.
Küfer t, Inspector des Zellengefängnisses Hannover.
b. Sachsen.
Barth, Katechet hei der Strafanstalt Waldheim.
3. Decorationen.
a. Preussen.
Bo ege, Gefangenenaufseher a. D. in Breslau, erhielt das allg. Ehrenzeichen.
Grün er t, Strafanstalts-Oberaufseher a. D. in Jauer, desgleichen.
Jouin, Strafanstalts-Aufseh er a.D. in Jauer, desgleichen.
Koppe, Gefängniss-Oberaufseher a.D. in Soldin, bisher in Friedherg N/M.,
desgleichen.
Lütgen, Geh. Reg.-Rath im Ober-Präsidium zu Hannover, erhielt den
Rothen Adler-Orden HI. Classe mit der Schleife.
b. Württemberg.
Pfeilsticker, Dr., Med.-Rath und Mitglied des Strafanst.-Collegiums in
Stuttgart, erhielt das Ritterkreuz I. Classe des Friedrichsordens.
Ries, Dr., Domcapitular in Rottenburg, erhielt das Ritterkreuz I. Classe
des Ordens der Württ. Krone mit der Krone.
Schlauch, Oberaufseher am Arbeitshause Vaihingen, erhielt die silberne
Civilverdienstmedaille.
Walzer, prov. Oberaufseher am Landesgefängniss Rottenburg, erhielt die
silberne Civilverdienstmedaille.
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Eingetreten
sind als neue Mitglieder:
a. Baden.
Kaufmann, Vicar, ev. Hausgeistlicher des Landesgefängnisses Mannheim.
b. Bayern.
Schaefer, Friedr., Dr., Hausarzt des Zuchthauses Kaisheim.
c. Hessen.
Hallwachs, Geh. Staatsrath und Ministerial-Sectionschef in Darmstadt.
d. Mecklenburg.
Bützow, Direction des CentralgefUngnisses.
Blätter^für Gef&ngnisskunde. XIX. 26
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Pippow, Landamenanstalt.
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•Pffert, Pfarrer und Anataltegeistlicher in Hoheneck.
Ausgetreten sind:
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Henniech, Dr., Haoswzt in St. Gemg^
» ®* P'euBBen.
^“‘'S«r'®ht8director in Berlin.
Pi8ch‘’''’n Arre8tl,au8e8 in Trier
Fischer, Director in Graudenz.
KuL''ep“p“^’ ®‘**‘®‘'“'^®l‘«®l'*ft8-Secretär in Stade
utzer, Rendant der Strafanatalt Graudenz.
Inhalt
'■ der Gefangenen und Entlaeeenen
2. Correspondenz . , • • .
Insbesondere; ’ ' *
Gefangenenzahl in Preussen
3. v“rr
Insbes.: Desinfection durch Torfmull
4. Schutzwesen ... * * *
5. Nachrichten aus Strafanstalten . , ‘
6. Internationaler Gefängnisscongress ‘
7. Personal nach richten . . ’ '
8. Vereinsangelegenheiten ...
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