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Full text of "Blätter Für Gefängniskunde Bd 7.1872"

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Blätter 

für 



es Vereins der deutschen Strafanstalts- 
Beamten. 

iter Mitwirkung des engeren Vereins- 
Ausschusses redigirt 


von 


Gustav Ekert, 

lengefängnisses in Bruchsal, Präsident des Ausschusses des Vereins der 
ist&ltsheamten, Ehrenmitglied des schweizerischen Vereins für Straf- und 
Ritter I. CI. des Grossh. Bad. Zähringer Löwenordens, Ritter des Königl. 
•dens III. CI., Ritter I. CI. des Königl. Bayer. Verdienstordens vom heiligen 
es Königl. Sächs. Albrecht Ordens, Ritter I. Cl. des Ordens der WÜrttem- 
bergischen Krone. 


Siebenter Hand. 


Heidelberg. . 

liversitäts-Buchhandlung von Gr. W e i b s. 

Druck von J. örossmann in 

1873. 

U K t V . 0 [- hi i K K .Liy U A U \ 





Inhalt des VII. Bandes. 


Seite 

I. Das Verbrecherthum in Berlin von Ragotzky. 1. Heft . 1 

II. Nekrolog für C. E. Schück. 1. Heft. ... 29 

III. Londoner internationaler Congress zur Verhütung 

und Unterdrückung der Verbrechen. 2. Heft. . . 89 

IV. Statistik der Sterblichkeit unter den Gefangenen in den eng¬ 


lischen Strafanstalten von 1856 bis mit 1870 und Bei¬ 
träge zur Statistik der bayerischen Straf- und Polizei- 
Anstalten von 1864 bis mit 1868, vonDr. Baer. 3. Heft. 185 

V. Besuche bei den Gefangenen von Suringar. 3. Heft. . 219 

VI. Correspondenz. 1. Heft. ..... 82 

„ 2. Heft..177 

Insbesondere : 

a) Gefängnissverein der Provinz Brandenburg. 1. Heft. 32 

b) Jahresbericht des Breslauer Schutzvereins. 1. Heft. 35 

c) Oesterreichischo Strafgesetznovellen. 1. Heft. . 43 

d) Die neue Strafanstalt am Plötzensee. 2. Heft. . 177 

e) Versammlung der rheinisch - westphälisehen Gefang- 

niss-Gesellschaft zu Düsseldorf. 2. Heft. . 177 

VII. Vermischtes. 1. Heft. ... . . . .57 

* 2. Heft. .227 

Insbesondere: 

a) Einfluss der Beleuchtung auf die Luftqualität. l.Hft. 57 

b) Heizungsmethoden. 1. Heft. .... 59 

i c) Ventilation und Heizung. 1. Heft. ... 61 

d) Desinfectionsraittel. 1. Heft. .... 67 

e) Sendschreiben eines Strafanstaltsbeamten an Einen, 

der es werden will. 3. Heft. . . ... 227 

f) Auswanderung entlassener Strafgefangener. 3. Heft. 229 

v g) Controluhren. 3. Heft. . . . . 232 

h) Ventilation, Heizung, Desinfection. 3. Heft. . 233 

r ij) Blitzableitungen. 3. Heft. .... 243 


583963 





Seite 


VIII. Literatur. 

a) für Gefängnissbeamte. 3. Heft. . . . 250 

b) für Gefangene. 3. Heft. .... 273 

IX. Veränderungen in den Strafanstalten. 1. Heft. . . 79 

X. Personalnachrichten. 1. Heft. ..... 80 

2. *.180 

„ 3, .278 

XI. Vereinsangelegenheiten. 1. Heft. .... 82 

, 2./ . . . .181 

„ 3. „ . . . . 279 


XII. Das vierte Heft enthält den Jahresbericht des Zellengefängnisses 
in Bruchsal für 1871. 






Das Verbrecherthum In Berlin. 

Von A. Ragotzky, Prediger der Stadtvoigtei zu Berlin.*) 


I. 

Ueber das Verbrecherthum in Berlin zu schreiben ist 
eine schwierige Aufgabe. Es rollt sich ein Bild auf, welches 
die grosse im Glanz und Schimmer der neu erlangten Kai¬ 
serherrlichkeit aufprangende Stadt von einer ihrer dunkelsten 
Nachtseiten darstellt. 

Leider hat man dieser Sache in den letztvergangenen 
Jahren viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt; erst in al¬ 
lerletzter Zeit, wo vielfache Exzesse eine gewisse Bestürzung 
hervorgerufen haben, wo man täglich von der wachsenden 
Kühnheit des Verbrecherthums liest, hat man Sich veranlasst 
gesehen, dieser dunklen Nachtseite unseres socialen Lebens 
einige Beachtung zuzuwenden. Es ist zur Besserung der 
hier in Betracht kommenden Zustände unbedingt nöthig, die 
öffentliche Aufmerksamkeit darauf hinzulenken. 

Ich habe daher gern der Aufforderung der Redaktion Folge 
geleistet, hier meine K&nntniss über diesen Gegenstand nie¬ 
derzulegen, zumal da mein Amt an der hiesigen Königlichen 
Stadtvoigtei, welches mich tagtäglich mit dem Verbrecher¬ 
thum in Berührung bringt, mich dazu nöthigt, nach Kräften 
dazu beizutragen, dass den betreffenden üblen Zuständen 
Abhilfe geschehe. 

Ich habe nicht die Absicht, hier mit einigen interes¬ 
santen Verbrechergeschichten zu unterhalten, ich will viel- 

•) Die Stadtvoigtei ist das grosse Untersuchungsgefängniss Berlins. Der Beitrag 
des Herrn Verfassers wird ein besonderes Interesse beanspruchen dürfen, da er die Ein¬ 
drücke täglichen Verkehrs und längere amtliche Thätigkeit unter der Verbrecherwelt wie- 
d ergibt. D. R, 

Blätter für Oefängnissknnde VII. 


l 



mehr versuchen, einen kurzen TJeberblick über das 
Berliner Yerbrecherthum, über seine Ursachen, 
und einige Fingerzeige zu geben, wie demselben 
entgegen zu wirken ist. 

Die Angaben über die Ausdehnung, welche das Ber¬ 
liner ^Yerbrecherthum bat, ^ind sehr schwankend. , Es ist 
nicht Reicht, darüber ganz richtige Angaben zu machen. Man 
kann allerdings die Zahl der Bestraften, welche sich 
hier in Berlin aufhalten und hei der Polizei angemeldet sind, 
wohl angeben; aber sehr Yiele sind eben nicht angemeldet, 
und Yiele, die als bestraft der Polizei bekannt sind, sind 
darum noch nicht zum eigentlichen Yerbrecherthum zu rech¬ 
nen, während wiederum viele Andere, die als unbesoholtene 
Leute angesehen werden, den ärgsten Verbrechern an Ge¬ 
meingefährlichkeit gleich zu stellen sind. 

Immerhin aber wird man einen ziemlich richtigen ,Mass¬ 
stab gewinnen, wenn man die Za,h.l der Bestraften als 
massgebend für diese Verhältnisse ansieht. Der Central-Aus¬ 
schuss für innere Mission hat in einer vor etwa 3 Jahren an 
den norddeutschen Reichstag gerichteten Denkschrift über die 
öffentliche Sittenlosigjceit in Berlin die Zahl der bestraften 
^Personen, welche in Berlin wojhnen, auf 65,641 angegeben 
und zwar waren <jlavon 30,763 wegen entehrender Ver¬ 
brechen und Vergehen und 34,878 wegen anderer Ver¬ 
gehen bestraft und waren dabei diejenigen noch nicht mit- 
gerecjinet, die sich zur Zeit gerade noch in den Gefängnis¬ 
sen und 'Zuchthäusern befänden. Dass diese Zahlenangaben 
auf. sorgfältigen und genauen Nachforschungen beruhen, lässt 
sich schon um des angegebenen Zweckes der Denkschrift 
willen ännehmen und ist die Richtigkeit derselben auch mei¬ 
nes “Wissens von keiner Seite angefochten worden. Wenn 
aber vom Verbrecherähum in Berlin die Rede sein soll, so 
möchte ich nur die Zahl der, wegen entehrender, 
Vbrbrecheri’und Vetgähen Bestraften'als Massstab 
änhiwehdeh wagen ünd voh’Öenen äbsehen, die wegen einfacher 
Vergehen bestraft sind, daunter diesen sich wahrscheinlich auch 
diejenigen befinden, die wegen Polizei-Qontraventionen und 
anderer kleiner Vergehen bösträft sind. Es würde sich dem- 



a 


nach <}ie Zahl der hier in Betracht kommenden Personen 
auf 30,763 am Schlüsse des Jahres 1867 belaufen haben. 

Das Jahr 1867 ist aber ein Höhepunkt in der 
Verbrec'herstatistik gewesen. Seitdem haben sich trotz 
der rapiden Vermehrung der Bevölkerung von Jahr zu Jahr 
die Zahlen der Bestrafungen verringert. Das muss wenig¬ 
stens behauptet werden, wenn wir die statistischen Beobach¬ 
tungen, welche in der Königlichen Stadtvoigtei gemacht wor¬ 
den sind, als massgebend für diese Verhältnisse ansehen wol¬ 
len, und wir dürfen das thun, da die Stadtvoigtei das Ge- 
fängniss ist, in welches sämmtliche innerhalb des Berliner 
Stadtgerichtsbezirks criminell bestrafte Personen zunächst 
eingeliefertwerden. 

Es stellen sich darnach die Zahlenverhältnisse folgen- 
dermassen: 

1868 wurden zur Strafe gebracht 7492 

1869 n Ti yt V 5128 

1870 „ , , „ Ti 4627 

1871 , » » ». 3656. 

Hieraus ergibt sich, dass seit dem Jahre 1868 die jährliche 
Summe der Bestraften sich um mehr als die Hälfte ver¬ 
mindert hat. Diese Resultate werden aber den Wahr¬ 
nehmungen und den Klagen der letzten Zeit gegenüber so 
überraschend erscheinen, dass man Anstand nehmen mag, da¬ 
raus auf eine wirkliche Abnahme der Verbrechen zu schliessen. 

Allerdings muss zugegeben werden, dass die Ursache 
dieser Abnahme zunächst nicht in einer Besserung der sitt¬ 
lichen Zustände zu suchen, sondern in der Gunst der 
äussern Verhältnisse und in der Anwendung ei¬ 
ner milderen Praxis in der Rechtspflege. 

Zunächst ist von grosser Bedeutung gewesen, dass wir 
in den letztvergangenen Jahren kein eigentliches N o t hj a h r ge¬ 
habt haben. Das Jahr 1866 hat jedenfalls in Betreff des Verbre¬ 
cherthums die Wirkungen eines Nothjahres gehabt. Durch 
das plötzliche Stocken der (Geschäfte und durch den Schre¬ 
cken, welchen der Ausbruch des Krieges in der Geschäftswelt 
mit sich führte, sind viele Arbeiter und kleinere Handels¬ 
leute in grosse Noth und durch die Noth ins Verbrechen 

1* 



4 


gerathen. Die Nachwirkungen dieses Jahres sind bis heute 
in den Gefängnissen bemerkbar gewesen; die Entwickelungs¬ 
geschichte so mancher Yerbrecher-Laufbahn fangt heute noch 
mit dem Jahre 1866 an und wenn das Jahr 1867 die höch¬ 
ste Ziffer von Bestrafungen aufweist, so ist das hauptsäch¬ 
lich diesen Nachwirkungen zuzuschreiben. 

Ganz andere Wirkungen hat dagegen das Kriegsjahr 
1870 hervorgebracht. Die Erfolge des Jahres 1866, sowie 
die allgemeine patriotische Begeisterung hatte die Geschäfts¬ 
welt vor dem Schrecken des Jahres 1866 bewahrt und die 
beschämenden Erfahrungen, welche die damalige Muthlosig- 
keit gebracht, hatte sie dies Mal gewitzigt, die Geschäfte un¬ 
beirrt durch die Gefahren eines so grossen Krieges weiter 
zu führen. Und da eine grosse Menge von Arbeitskräften 
für den Kriegsdienst absorbirt war, so wurde es selbst den¬ 
jenigen erleichtert, durch ehrliche Arbeit ihr Brod zu verdie¬ 
nen , die sonst wegen ihrer verbrecherischen Vergangenheit 
mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Ausserdem 
hatte sich ein grosser Theil der Berliner Verbrecherwelt auf- 
gpmacht, den Krieg in der Nähe zu besehen. Sie sind dem 
siegreichen Heere nachgezogen und haben ihren Vortheil ge¬ 
sucht, wo sie konnten. 

Besonders waren die Burschen, deren heimlicher Ab¬ 
gang in den Krieg als ein Zeichen von grossem Patriotis¬ 
mus gepriesen worden ist, meist wiederholt bestrafte Perso¬ 
nen, die nach ihrer Rückkehr bald wieder dem Gefängnisse 
anheimfielen und dort ihre Kriegs - Abenteuer zum Besten 
gaben. — 

Eine noch grössere Abnahme als das Jahr 1870 zeigt 
das Jahr 18 71, und ist eine solche nicht blos hier, sondern 
in allen Strafanstalten der Monarchie beobachtet worden. 
Neben den günstigen Arbeitsverhältnissen, welche die Ent¬ 
faltung dös Handels und der Industrie nach dem Kriege mit 
sich geführt, ist dieselbe insonderheit veranlasst durch die 
Einführung des neuen Strafgesetzbuches, Be¬ 
kanntlich hat dieses nicht blos eine Milderung der Stra¬ 
fen herbeigeführt, sondern auch Straflosigkeit für 
gewisse Categorien von Verbrechen. So sind 



5 


z. B. sämmtliche Verbrechen, die von Personen unter 12 
Jahren begangen werden, straflos geworden, ferner ist die 
richterliche Gewalt dadurch bedeutend eingeschränkt, dass' 
einige Categorien von Verbrechern, die früher ohne Weiteres 
strafbar waren, jetzt erst bestraft werden können, wenn ent¬ 
weder die Beschädigten selbst, oder im Unmündigkeitsfalle 
deren Eltern oder Vormünder es beantragen. In Folge des¬ 
sen ist eine grosse Anzahl von Personen, die um des allge¬ 
meinen Wohles willen hätten bestraft werden sollen, straflos 
ausgegangen. Wenn man keine Aussicht auf Ersatz des an¬ 
gerichteten Schadens hat, so verzichtet man meist auf eine 
strafrechtliche Verfolgung des Verbrechers, weil man nur 
noch Mühe und Verdruss zu haben fürchtet. Ausserdem ist 
in vielen Fällen eine gewisse Gutmüthigkeit, sowie auch 
wohl Furcht vor einer etwaigen Rache die Ursache gewesen 
dass vom Strafantrage Abstand genommen wurde. Darum 
haben die gesetzlichen Bestimmungen in Betreif der Strafan¬ 
träge, eine so wohlwollende Absicht ihnen auch zu Grunde 
liegen mag, doch wohl auch manche nachtheilige Folgen für 
das öffentliche Leben mit sich geführt. Sie haben wohl zur 
Abnahme des Verbrecherthums in den Gefängnissen, ander¬ 
seits auch zur Vermehrung desselben auf den öf¬ 
fentlichen Strassen beigetragen. 

Eine andere Bestimmung der neuen Gesetze, welche 
auch von grosser Bedeutung für das Verbrecherthum gewesen 
ist, betrifft die Beurlaubung der Strafgefangenen, 
welche über 1 Jahr Strafe zu verbüssen haben, nach Ver- 
büssung von 3 /* ihrer Strafzeit. Sie soll eintreten in dem 
Falle, dass die Führung im Gefängniss gut gewesen, der Nach¬ 
weis eines geeigneten Unterkommens geführt und die Gefäng- 
nissverwaltung dieselbe befürwortet. Hat sich ein Bestrafter 
während der Urlaubszeit Nichts zu Schulden kommen lassen, 
so wird ihm das letzte Viertel der Strafe erlassen. Es ist 
das jedenfalls eine Bestimmung, die bei richtiger Anwendung 
von grossem Segen sein kann. Aber die Erfahrung hat be¬ 
reits gezeigt, wie schwer es ist, eine richtige Anwendung 
überall zu machen. Es ist damit eine schwere Verantwor¬ 
tung auf die Schultern der Gefängnissbeamten gelegt und 



— 6 . — 

<: -- 

eine strenge und gewissenhafte Handhabung der Sache er¬ 
regt in der ftegel sehr viel Hass und Verbitterung. Die Ge- 
fängniss- und, Strafanstalts-Verwaltungen haben daher An¬ 
fangs einen so ausgedehnten Gebrauch davon gemacht, dass 
bei Weitem der Mehrzahl der Gefangenen, welche im letzten 
Viertel ihrer Strafe standen, die Gefangnissthüren aufgethan 
wurden, und sonst sehr frequentirte Strafanstalten auf ein 
Minimum herabsanken, während die Klage wegen der Ueber- 
handnahme des Verbrecherthums auf den Strassen immer 
lauter wurde. Die Regierung hat daher wiederholt beschrän¬ 
kende Verfügungen erlassen müssen und unterzieht jetzt die 
Beurlaubungs-Vorschläge der Gefängniss- Verwaltungen der 
strengsten Prüfung, um den schlimmen Wirkungen vorzubeu¬ 
gen, welche diese Sache für die öffentliche Sicherheit zu ha¬ 
ben drohte. — 

Zieht man alle diese Dinge in Erwägung, so wird man 
sich allerdings scheuen, aus der grossen Abnahme der Be¬ 
strafungen auf eine Besserung unserer sittlichen Zustände 
zu schliessen; man wird aber auch andererseits keine sichere 
Stütze für die Behauptung haben , dass das Verbrecherthum 
in den letzten Jahren sich — numerisch wenigstens — un- 
verhältnissmässig vermehrt habe. 

Wenn man alle die angegebenen Factoren in Rechnung 
bringt, wenn man ferner nach den angestellten Beobachtun¬ 
gen annehmen kann, dass von den 20,000 Personen, welche 
im Laufe der »letzten 4 Jahre ihre Strafe abbüssten, etwa 
die Hälfte rückfällige Verbrecher waren, so dürfte ' sich die 
Zahl der Bestraften seit 1867, wenigstens um 10,000 vermehrt 
haben, so dass sich die Gesammtzahl jetzt auf etwa 40,000 
belaufen könnte, und bei einer Einwohnerzahl von ca. 820,000 
Seelen, die Berlin bei der letzten Volkszähluug ergeben hat, 
würde auf etwa 20—21 Personen 1 Bestrafter kommen. 

‘ 1 Davon würden ferner mach den statistischen Beobach¬ 
tungen, die ich eine Reihe von Jahren angestellt habe, etwa 
der vierte Theil dem weiblichen Geschlecht angehören. Am 
stärksten war unter den Bestraften die Altersklasse von 20. 
bis 30 Jahren vertreten, fast ebenso stark, wie sämmtliche 
andere Altersklassen zusammengenommen. Rucksichtlich der 

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7 


Religion' waren ungefähr der 10. Theil Katholiken, der 30. 
Theil Juden. Die bei "Weitem grösste Zahl der bestraften" 
Verbrecher sind Diebe, und wenn man die mit den Dieben 
auf gleicher Linie stehenden Räuber, Hehler, Betrüger, Fäl¬ 
scher und Gauner mitrechnet, so bleibt für die übrigen Ver¬ 
brecher nur eine sehr geringe Zahl übrig. Es wird daher 
im weiteren Verfolg meines Vortrags hauptsächlich von den 
Eigenthums-Verbrechern die Rede sein. 

Wie Berlin die Metropole unseres preussischen und 
deutschen Vaterlandes ist, und von hier die Nervenfäden aus¬ 
gehen in alle Provinzen und Staaten des deutsche^ Reiches,, 
so scheint es auch immer mehr den Charakter einer solchen 
Metropole für die Verbrecherwelt anzunehmen. Von 
hier strömen sie hinaus in die umliegenden Städte und Dör¬ 
fer, befahren die Eisenbahnen, besuchen die Messen, schicken 
ihre Waaren und Wechsel in alle Weltgegenden, haben über¬ 
all'in den grossen Städten ihre festorganisirten Verbindungen 
und tauschen mit denselben je nach dem Charakter ihrer 
Unternehmungen ihre Kräfte mit einander. Mir sind im Laufe 
meiner hiesigen Wirksamkeit eine ziemliche Anzahl von Per- t 
sonen bekannt geworden, welche den niedrigsten Klassen 
angehörig ^ sich im Organismus des Verbrecherthums zu der 
bevorzugten Stellung von Agenten emporgeschwungen und 
nach dem, was ich über ihre internationalen Beziehungen 
gehört, würde es nicht zu verwundern sein, wenn die Welt 
eines Tages von der Existenz einer Internationale des Ver¬ 
brecherthums überrascht würde. . 

Ein Beweis für die weitreichenden Verbindun¬ 
gen, welche das Berliner Verbrecherthum nach Aussen hat, 
ist auch der schnelle Vertrieb gestohlener Gegen¬ 
stände in weite Fernen. Man hat bei vielen kleinen und 
grossen Diebstählen lange Zeit hier in Berlin vergeblich 
Nachforschungen angestellt und sich der Hornung hingege¬ 
ben, dieselben hier irgendwo zu finden, bis man plötzlich er¬ 
fuhr , dass Gegenstände davon in weiter Ferne zum Vor¬ 
schein kamen. Hieraus erklärt sich auch der Umstand, dass 
in vielen Fällen, auch wo die Diebe entdeckt und zu harter 
Bestrafung herangeziogen werden, dennoch von dem gestohle- 



8 


nen Gut Nichts wieder zum Vorschein kommt. Die Diebe 
■wissen meist selbst nicht, wo die gestohlenen Gegenstände ge¬ 
blieben sind. Wenn sie deren Wiedererlangung durch ein 
offenes Geständniss ihrerseits für möglich hielten, sie würden 
es mitunter gern ablegen; denn sie wissen recht gut, dass 
sie zu einem ungestörten Genüsse desselben nach der Straf- 
verbüssung doch nicht gelangen werden und dass sie durch 
die Wiederbeschaffung der gestohlenen Sachen ihre Strafe 
erleichtern würden. Sie wissen wohl, an wen sie aus 
ihren Händen gekommen; sie wissen aber auch, dass 
dieselben durch eine Kette von Händen weiter gegangen 
sind und dass etwaige Angaben niemals zur Wiederbeschaf¬ 
fung , wohl aber zur Verdächtigung von Personen führen 
können, deren Verlust für ihre Genossenschaft von grossem 
Nachtheil sein würde. 

Dazu wird es allerdings in diesen Kreisen auch als die 
höchste Ehrensache angesehen, discret zu sein. 
Ich habe Verbrecher gekannt, die keine Spur von Gewissen 
zu erkennen gaben über die grauenhaftesten Schandthaten, 
die sie verübt, denen aber die Entdeckung eines Genossen 
durch ihre Schuld als die grösste Todsünde galt, die allein 
noch fähig, ihrer Seele Unruhe zu bereiten. — Ja es gibt 
Beispiele von so grosser Selbstverläugnung und Aufopferung, 
dass man sich zu Verbrechen bekannte , die schwere Strafen 
nach sich zogen, um nur Andere vor der Entdeckung zu 
schützen. 

Ob in der grossen Verbrecher-Gesellschaft Berlins eine 
einheitliche Leitung und Organisation vorhanden 
ist, lässt sich nicht nachweisen. Nachweisbar ist nur, dass 
zwischen den kleineren Gesellschaften, die aus 5, 6, 10, 20, 
30 Personen bestehen, mancherlei freundschaftliche Berüh¬ 
rungen und Beziehungen stattfinden, welche auf eine engere 
Gemeinschaft unter einander hindeuten. Wenn aber eine 
solche auch noch nicht äusserlich ihren Ausdruck gefunden, 
so ist sie dem Geiste nach doch vorhanden; denn die grosse 
Mehrzahl der Verbrecherwelt und besonders die einflussreich¬ 
sten Glieder derselben werden von einem Princip getrieben 
und beseelt, das ist der Hass gegen eine Gesell- 



schaft, von der sie ausgestossen und von der sie 
verfolgt werden, das ist der Kampf gegen eine 
gesellschaftliche Ordnung, die ihnen, wie sie 
sagen, die Möglichkeit einer ordentlichen Exi¬ 
stenz entzieht, und gegen die Grundlagen, worauf sie 
ruht, insonderheit gegen das Eigenthum. Sie sind daher die 
begeisterten Anhänger der socialistischen Doctrinen. 

Je rücksichtsloser Jemand vorgeht, und je ungescheuter 
er die Gesetze unter die Füsse tritt, je mehr seine Thaten 
das öffentliche Erstaunen und das öffentliche Erschrecken 
hervorrufen, desto höher steigt sein Ansehen in der Verbre¬ 
cherwelt, mit desto grösserer Ehrfurcht wird sein Name ge¬ 
nannt, als der Name eines Helden, vor dem man sich willig 
beugt. Wenn man in der letzten Zeit vielfach gestaunt hat 
über die Frechheit, mit welcher, am hellen Tage und unter 
den schwierigsten Verhältnissen, Verbrechen gegen das Eigen¬ 
thum verübt worden sind, so ist es hier manchmal nicht blos auf 
Erlangung der gestohlenen Gegenstände abgesehen gewesen, 
sondern man -hat auch Ehre einlegen wollen. Und wenn 
am anderen Tage die Zeitungen voll Entrüstung darüber be¬ 
richteten, und Alles über die Frechheit in Erstaunen gerieth, 
da hat es sicherlich auch eine sehr grosse Menge von Men¬ 
schen gegeben, welche darüber jubelnd in die Hände ge¬ 
schlagen haben. An dem Interesse, welches das Verbrecher¬ 
thum der Stadtvoigtei beim Eindringen solcher Nachrichten 
in ihre Zellen zeigt, kann man wenigstens abnehmen, wel¬ 
chen Effect solche Thaten in diesen Kreisen machen. 

Durch solche verwegenen Thaten haben sich die gros¬ 
sen Autoritäten in der Verbrecherwelt, deren Na¬ 
men in den Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre eine 
Rolle gespielt haben, wie der roth'e Ede, der schwarze 
Otto, Böttcherkarl u. s. w. ihren Ruf begründet und 
sind der Stolz der Genossenschaften geworden, deren Unter¬ 
nehmungen sie leiteten. Sie haben sich meist mit einem 
sehr geringen Antheil an dem Gewinn des Verbrechens be¬ 
gnügt, während sie in der Gefahr den Löwenantheil auf ihre 
Schultern genommen. Es wird als ein harter Schlag von 
dem gesammten Verbrecherthum empfunden, wenn Solche 



das Unglück'haben 1 , in die Hände des Richters zu fallen. 
Aber die Zuchthausstrafe , die sie • erleiden, erhöht in den 
Augen ihrer Genossen nur ihre Verbrecherglorie, und wenn 
es- einem erst gelingt, aus dem Zuchthause zu entkommen, 
so hat er die höchste Stufe des Verbrecherthums erreicht. 
Es rief unter der Bevölkerung der Stadtvoigtei grosse Sensa¬ 
tion hervor, als die Antwort des Böttcherkarl, eines 
schon oft bestraften Diebes, der wiederholt ausgebrochen 
war, bekannt wurde , die derselbe dem Gerichtshof gab , als 
ihm die Verurtheilung]zu einer langjährigen Zuchthausstrafe 
bekannt wurde: „Es wird da, wo ich hinkomme, schon ein 
Loch geben, zu dem ich hinauskomme.“ Dass es ihm schwer 
genug werden würde , seine Drohung wahr zu machen, liess 
sich schon um seiner Gefährlichkeit willen erwarten. Als 
er nun aber nach einiger Zeit das wirklich wahr machte, 
und mit raffinirter List am bellen Tage, zwar nicht durch 
ein Loch, sondern durch das Thor der Spandauer Strafanstalt 
herauskam, so erregte die Kunde davon die grösste Bewun¬ 
derung. — 

Was nun die kleineren Gemeinschaften weiter angeht, 
so sind diese vielfach für gewisse Specialitäten der 
Dieberei und Betrügerei angelegt. Es gibt Genossen¬ 
schaften , welche sich vorzugsweise mit Gelddieberei, oder 
mit Gold- und Schmucksachen, oder Handschuhen, oder Klei¬ 
dern u. s. w. befassen, Taschendiebe, Ladendiebe, Kellerdiebe, 
Bodendiebe. Nur ausnahmsweise greift man in andere Bran¬ 
chen ein. Die Specialität, welche bevorzugt wird, richtet sich 
meist nach der Art und Fähigkeit, welche die einzelnen 
Genossen für ein specielies Fach besitzen, und nach der Ab 
satzgelegen heit, welche die zur Bande gehörigen Hehler 
für die gestohlenen Gegenstände haben. Meistens sind diese 
Banden jedoch so organisirt, dass sie zu allen Arten diebi¬ 
scher Unternehmungen 1 geeignet sind. Sie vereinigen in sich 
Menschen von verschiedenen Fertigkeiten und Bildungsgraden, 
welche je nach ihrer speciellen Befähigung die einzelnen Ver¬ 
richtungen bei der gemeinsamen Unternehmung übernehmen. 
Ueberhaupt ist das Berliner Verbrecherthum durch seine 
technische Fertigkeit ja weit und breit berühmt ge- 



worden, und hat d^dujrc^. nipfitrblos bei denEinwohnm» die¬ 
ser Stadt, sondern noch vielmehr bei den hierher kommenden 
Fremden eine Furchtsamkeit .erweckt, die häufig an das Ko¬ 
misch? streift. Die Instrumente, deren man eich bedient, 
haben , einen hohen Grad von Vollkommenheit er¬ 
reicht. So hat man vor einiger Zeit einem Diebe , der bei 
einem Einbruch festgenommen wurde ., ein kostbares Etuis 
voll der. feinsten Dietriche und anderer Diebswerkzeuge ab¬ 
genommen. Ein anderer, der sich durch ziemliche Beleibt¬ 
heit auszeichnete und durch einen grossen Verbrecherhumor 
seinen Zellengenossen lange die Zeit verkürzt hat, wurde im 
Besitze eines verdächtigen Instruments betroffen, von dem er 
freilich Nichts wissen wollte, wie er dazu gekommen und zu. 
welchem Zweck es diene. Selbst bei der Polizei soll es un¬ 
bekannt gewesen und erst durch einen hinzugerufenen Tech¬ 
niker festgestellt sein, dass es zum geräuschlosen Aufsägen 
der diebs- und feuerfesten eisernen Geldschränke diene. 

Ich könnte, noch eine Reihe von Beispielen anführen, 
aus denen hervorgeht, wie weit die technische Ausbildung 
des Berliner Verbrecherthums geht. Es gilt hier der Erfah¬ 
rungssatz , je grösser die Kühnheit, je harmloser die Aus¬ 
führung eines Verbrechens, desto grösser die Chancen des 
Gelingens und wie weit man es in der praktischen Anwen¬ 
dung dieses Satzes bereits gebracht, davon berichten ja täg¬ 
lich die öffentlichen Blätter die wunderbarsten Geschichten. 

Ich habe vorhin auf die Zahlenverhältnisse hingewiesen, 
und gesagt, dass eine unverhältnissmässige Vermehrung ge¬ 
gen frühere Jahre nicht stattgefunden, dass es. vielmehr 
scheine, als ob das numerische Verhältnis, im Rückgänge 
begriffen sei. Was aber wichtiger ist als dies, das ist der 
Charakter, der Geist, mit einem Worte, die qualitative 
Beschaffenheit und da muss man sagen, dass innerhalb 
der letzten'2 Jahre ein bedeutender .Fortschritt zum Schlech¬ 
teren stattgefunden. Wie^das bereits im öffentlichen Leben 
zur Erscheinung gekommen, so tritt es innerhalb des Gefän- 
nisses fast täglich vor die Augen, wie dem Verbrecherthum 
die Schwingen wachsen und wie seine geistige Potenz in 




— 12 


einer Weise zunhnmt, dass dagegen auch eine numerische 
Abnahme wenig Trost gewähren kann. 

Am allermeisten tritt das hervor bei den jugendli¬ 
chen Yerbrechern. Ich meine hier besonders das Alter 
bis zum 16. Jahre und in weiterer Folge bis zum 18. Jahre. 
Es gibt hier eine grosse Anzahl von Burschen, auf welche 
eine gerichtliche Bestrafung fast gar keinen Eindruck mehr 
macht. Sie haben bereits eine Kenntniss der Geheimnisse 
des Yerbrecherthums, wie man sie kaum von einem im Ver¬ 
brechen ergrauten Menschen erwarten kann. Zum grössten 
Theil sind es Burschen, die ihren Eltern davongelaufen sind, 
theilweise wegen harter Behandlung, theilweise wegen Un¬ 
lust zum Gehorsam und zur Arbeit. Sie haben sich dann 
eine Zeit lang durch Bettelei oder kleine Diebstähle das 
nothdürftigste selbstständig erworben, ihr Obdach unter freiem 
Himmel und in Hausfluren gesucht und sind endlich in die 
Kneipen und Herbergen gerathen, wo das Yerbrecherthum 
sich niedergelassen. Es gibt eine Menge solcher in allen 
Strassen Berlins, sonderlich in den ärmeren Stadttheilen. In 
vielen Fällen sind die Wirthe zugleich Hehler, welche von 
dem Gelingen der Verbrechen den grössten Yortheil haben. 
Die jugendlichen Diebe sind besonders beliebt bei ihnen, 
weil sie sich am leichtesten ausbeuten lassen. Zur Heran¬ 
ziehung derselben dienen besonders lüderliche Dirnen von 
der gemeinsten Sorte, so dass nicht selten 14jährige Knaben 
leiblich und geistig ruinirt dem Gefängniss-Lazareth über¬ 
wiesen werden müssen. 

Wenn.sie dann die praktische Entwicklung soweit vollen¬ 
det haben, dass sie dem Gefängniss überwiesen werden, so 
wird Ihnen hier die beste Gelegenheit zur theoretischen 
W eiterbildung. 

Werden sie auch nicht mit Erwachsenen zusammen ge¬ 
sperrt, so sind die Altersgenossen, mit denen sie als Unter¬ 
suchungs-Gefangene den Tag über zusammen sein müssen, 
doch meist hinreichend erfahren, um ihnen über Alles, was 
das Verhalten bei der Gerichtsverhandlung und ihr ferneres Fort¬ 
kommen auf der Verbrecher-Laufbahn anlangt, die nöthige 
Auskunft zu geben. Anstatt dass das Gefängniss sie demü- 



18 


thigen sollte, werden sie dort nur frecher und unbotmässiger, 
weil die vorhandenen äusseren Disciplinarmittel nicht aus¬ 
reichen, ihnen den Respect einzuflössen, der nöthig ist, um 
sie für etwaige sittliche Einflüsse zugänglich zu machen. Ist 
dann die Strafzeit vorüber, so gehen sie hinaus, bereichert 
an Kenntnissen und kühner als vorher. Sie kennen nun das 
Gefängniss. Es steht ihnen nicht mehr als geheimnissvolles 
Schreckbild vor Augen und kommen sie wieder, so zeigt ihr 
Verhalten und ihr Antlitz nicht mehr die Spuren der Angst, 
sondern die Zeichen des Trotzes und der Gleichgültigkeit. 
Anstatt das elterliche Haus aufzusuchen, suchte man viel¬ 
mehr die Adressen auf, die aus den Gefängniszellen mitge¬ 
geben waren und wenn man schwankend ist, ob man ihnen 
folgen soll, so stehen an der Pforte schon die alten Genos¬ 
sen oder die Hehler und Hehlerinnen, um sie in Empfang zu 
nehmen. — "Wie mancher, der mit guten Vorsätzen das Ge¬ 
fängniss verliess, wurde schon auf dem Molkenmarkt *) durch 
die Einflüsse solcher Frevler zu Schanden und kehrte bald 
als Gefangener wieder. — 

Es sind im vergangenen Jahre 392 solcher jugendlichen 
Verbrecher im Alter von 12 bis 18 Jahren in Strafhaft ge¬ 
wesen, wovon 158 unter 16 Jahr alt waren. "Wenn man auf 
diesen Theil der Verbrecherwelt sieht, so steht uns eine 
trübe Zukunft bevor. "Werden hier nicht energische und 
durchgreifende Mittel angewendet, so dürften wir in etlichen 
Jahren noch viel schlimmere Zustände zu beklagen haben. 
Die Verwilderung hat hier einen Grad erreicht, dass die Be¬ 
amten im Gefängniss immer bitterer darüber klagen und 
selbst im Verbrechen ergraute Sünder verwundert die Köpfe 
schütteln, wenn sie die Scenen sehen, die das heranwach- 
sende Geschlecht hier aufspielt. 

II. 

Fragt man nun, woher kommt dieses Verbre¬ 
cherthum und welches sind die Ursachen seines 
Entstehens und seiner Entwicklung, so ist über 
diesen Gegenstand in neuester Zeit vielfach verhandelt wor- 


*) Der Platz vor der Stadtvoigtei. 



den in Zeitschriften und öffentlichen Verhandlungen, so dass 
kaum etwas Neues darüber zu sagen Sein dürfte. Es sind 
der Ursachen verschiedene angeführt worden. Die Einen 
haben der Polizei die Schuld zugemessen, Andere wiederum 
den Schulregulativen, Andere anderen Dingen. Ich kann auf 
Alles das Einzelne, was hier gesagt ist, nicht näher einge- 
hen; ich werde mich hauptsächlich auf einzelne Punkte be¬ 
schränken, die mir in meiner Wirksamkeit besonders auf¬ 
fällig gewesen. — 

Im Allgemeinen sind es hier dieselben Ursachen 
gewesen, die auch anderwärts Verbrechen erzeugen. Wie 
die Sünde überall der Leute Verderben ist, so auch hier. 
Hier allerdings noch in höherem Maasse, weil sie hier ein 
viel weiteres Feld hat, ihre ansteckende Kraft zu bewähren. 
Nicht bloss leibliche Krankheiten, sondern auch geistige 
Krankheiten können einen epidemischen Charakter anneh- 
men. Das gilt besonders von den Krankheiten unserer 
Zeit, von der Habsticht, Genusssucht, Gottentfremdung, über¬ 
haupt von der vorherrschend materiellen Richtung unserer 
Zeit. Diese Krankheiten finden in einer Stadt wie Berlin 
einen um so fruchtbareren Boden, einen Boden, der seine 
Früchte viel rascher Zur Reife bringt, als anderwärts, weil 
die Massen, welche hier zusammengedrängt sind, in einer 
geistigen Atmosphäre leben, die vön vielen giftigen Miasmen 
durchweht und den Einwirkungen derselben ungehemmt Preis 
gegeben ist, während die Lebeüsluft, welche das Volksleben 
' von innen heraus erfrischen und stärken kann, auf ein Mini¬ 
mum beschränkt und nach allen Seiten hin gehemmt ist. 

Man hat auf denMängel an geistlichen Kräften 
als auf eine Häuptursache hingewiesen, die hier zur Ver¬ 
mehrung des Verbrecherthums Wesentlich beigetragen. Von 
anderer Seite ist darüber gespottet worden und man hat sich 
bemüht das Sittliche und Religiöse als zwei von einander 
unabhängige und getrennte Gebiete hinzustellen. Zum Be¬ 
weise dafür sind einzelne Fälle, wo Menschen, die im Rufe 
der Kirchlichkeit standen, mit dem Strafgesetz in hässlichsten 
Conflict kamen, mit besonderem Applaus in die Oeffentlich- 
keit hinausposaunt worden; ja es’ sind einige, nachdem sie 



- 3*5 -- 

in das Gefängnjss gekommen, plötzlichmitden Prädikaten 
der Frömmigkeit und idps Orthodoxismus beehrt worden, die 
selber eicht wussten, wie sie dazu kamen. Man sollte sich 
hüten,, solche Beweise zu gebrauchen. Bei der grossen Sei¬ 
te nh eit, in der sich solche Fälle gegenüber der grossen 
Masse des Verbrecherthums befinden, beweisen sie viel eher 
das Gegentheil von dem, was sie beweisen sollen. Die grosse 
Masse des Verbrecherthums ist auf dem Boden des religi¬ 
ösen Indifferentismus und B,adicalismus gewachsen. 

Wenn kürzlich ^in Bursche von etwa 14 Jahren, der gro¬ 
ben .Unfug trieb, von dem Aufseher mit den Worten »er solle 
sich doch vor Gott schämen, wenn er sich nicht vor Men¬ 
schen schämen wolle,“ und darauf die Antwort gab: »Was, 
einen Gott gibts auch noch. Mein Vater glaubt an keinen 
Gott und ich bin ebenso wie mein Vater,“ so ist das ein 
Charakteristikum für einen grossen Theil der Verbrecherwelt. 
Pie Meisten haben im elterlichen Hanse wenig oder nichts 
von religiösen Eindrücken empfangen, die Einflüsse, welohe 
Schule und Kirche etwa vorübergehend ausgeübt haben, wer¬ 
den von der Fluth sittlicher Verkommenheit schnell hinweg¬ 
gespült. Viele geben es offen zu, dass sie seit der Confir- 
mation weder in eine Kirche gekommen, noch eine Neigung 
dazu verspürt haben und zeigen eine solch entsetzliche Ig¬ 
noranz und Indolenz in religiöser Beziehung und eine solche 
Verwirrung aller sittlichen Begriffe, dass man darüber em¬ 
pört sein müsste, wenn nicht die Geschichte ihrer Lebens¬ 
entwicklung und der Mangel, unter dem ihre Seele verküm¬ 
mert ist, einen jeden erpsten Menschen mit herzlichem Mit¬ 
leid erfüllte, und an dem grossen Schuldantheil erin¬ 
nern müsste, welchen pnsre öffentlichen und in¬ 
sonderheit unsre kirchlichen Zustande an ihrem 
Elende haben. 

Ferner hat man den Versuch gemacht, der Polizei 
die Schuld an dem Verbrecherunwesen aufzubürden und al¬ 
lerdings mag auch die grosse Veränderung, welche seit ei¬ 
niger Zeit in dem Auftreten der Polizei stattgefunden, das 
Verbr;echerthum kühner gemacht haben- Aber es ist unrecht, 
wenn man der Polizei darüber Vorwürfe machen will, nach- 



dem man ihr durch die neuen Gesetze die Hände gebunden 
und ihre Befugnisse so sehr eingeschränkt hat. Wohl mö¬ 
gen früher mancherlei Missgriffe der Polizei vorgekommen 
sein, doch was sind diese Missgriffe gegen die Uebergriffe, 
die sich das Verbrecherthum und sein Anhang infolge dieser 
gesetzlichen Beschränkungen glaubt erlauben zu dürfen? 
Man will dem Uebelstande abhelfen durch Vermehrung der 
Polizeimacht; aber dem Verbrecher imponirt vor allen Din¬ 
gen Buhe und Sicherheit; was die Polizei hieran eingebüsst, 
das kann durch keine Zahlenvermehrung ersetzt werden. 

Auch das Preizügigkeitsgesetz ist nicht ohne 
Einfluss auf die Entwickelung des Verbrecherthums gewesen. 
Berlin ist ein Anziehungspunkt für alle unternehmenden, vor¬ 
wärtsstrebenden Geister, im guten wie im bösen Sinne. Es 
rühmt sich seiner Intelligenz. Auch die Intelligenz des Ver¬ 
brechens hat einen grossen Zug hieher und die grossen Zah¬ 
len, welche wir vorhin gehört haben, haben zum guten 
Theile ihre Ursache in der Anziehungskraft, welche Berlin 
auf die verbrecherischen Elemente in den Provinzen ausübt. 
Andererseits kamen Viele mit ganz ehrlichen Absichten hierher, 
fallen aber dennoch dem Verbrecherthum gar bald in die 
Hände. Es sind mir eine grössere Menge junger Personen 
begegnet, welche angezogen wurden durch die Schilderungen, 
welche sie in ihrem Dorfe über Berliner Verhältnisse hörten. 
Sie stellen sich danach diese grosse Stadt als eine Art Schla¬ 
raffenland vor, wo das Geld auf der Strasse liegt. Es ist 
nicht zu sagen, wie leichtsinnig hier verfahren wird, und 
Knaben wie Mädchen, oft haum den Kinderschuhen entwach¬ 
sen, hierher geschickt werden, um hier ihr Glück zu machen. 
Sie kommen meist ohne irgend welchen Anhalt und gerathen 
bald in die bitterste Noth. Sie können aber zehn Mal aus¬ 
gewiesen und zehn Mal wegen Nichtbefolgung des Ausweis¬ 
befehls mit Gefängniss bestraft werden, man lässt das viel 
lieber über sich ergehen, als dass man die Heimath, die man 
mit so grossen Hoffnungen verlassen, mit der polizeilichen 
Reiseroute in der Hand wieder betritt. So bleibt man hier, 
und da ein Ausgewiesener hier weder in Dienst, noch in Ar¬ 
beit, noch in Schlafstelle genommen werden kann, so bieten 



— 17 — 

die Lasterhöhlen und die Yerbrecherherbergen ein Asyl, in 
welchem sie allmählig zu vollendeten Verbrechern heran¬ 
reifen. — 

Eine andere Ursache des Verbrecherthums ist weiter 
die hier übermässig gesteigerte Vergnügungssucht; Kinder 
und Erwachsene, Dienstmädchen und Gesellen, Arbeitsleute 
und Gewerbetreibende aller Art drehen sich in dem Wirbel 
des Vergnügens des Sonntags, und nach dem Maasse, ihrer 
Mittel auch des Alltags. Dabei wird begreiflich nur aus der 
Hand in den Mund gelebt. Sobald dann einmal unvorher¬ 
gesehene Arbeitsstockung oder Krankheit oder andere Stö¬ 
rung eintritt, steht die Noth vor der Thür und der Venarmung 
folgt die sittliche Verwilderung sehr schnell auf dem Fusse. 
Mit dieser Vergnügungssucht geht Hand in Hand die Un- 
keuschlieit. Die beiden grossen Sündenströme, die Unzucht 
und der Diebstahl, flieBsen in dieser grossen Stadt nicht bloss 
nebeneinander, sondern sie fliessen meist in einander zusam¬ 
men oder entwickeln sich aus einander. Nicht blos.im Ka¬ 
techismus folgt das siebente Gebot auf das Sechste, sondern 
auch in der Entwicklungsgeschichte des bei Weitem grössten 
Theiles der hiesigen Verbrecherwelt. Was für ein furchtba¬ 
res Unheil aus dem Prostitutionswesen hervorgeht, kann man 
nirgends so deutlich sehen, als im Gefängniss. Dazu spielt 
die Prostitution auch bei Verübung der Verbrechen eine 
grosse Rolle. Wie sie bei den sogenannten Bauernfängern 
und sonstigen Gaunern ein Hauptmittel ist, die Opfer ins 
Netz zu ziehen, ist ja bekannt. Auch die meisten grossen 
Diebstähle der vergangenen Jahre, welche im Komplott be¬ 
gangen wurden, führten auch fast immer eine Anzahl von Fraur 
enzimmern in das Gefängniss, die als Helferinnen oder Hehler¬ 
innen oder Retterinnen in der Noth der Verfolgung thätig gewe¬ 
sen waren. Wie mancher anstellige und geschickte Mensch ist 
mir in meiner Wirksamkeit begegnet, der durch diese Pest vergif¬ 
tet dem Zuchtbaus anheimgefallen. Wie sehr arbeitet ferner 
dieses Unwesen dem Verbrecherthum in die Hände, durch 
Schädigung des Familienlebens I Es wirkt auf die Grundord¬ 
nungen der Gesellschaft wie Scheidewasser, es atomisirt die 
durch Gottes Ordnung zusammen gehörigen Elemente der 

Bl&tter Ar Geftngnisslrtwde VII. 2 



Familie und bereitet dadurch die Zusammenballung zu verbre¬ 
cherischen Gemeinschaften mächtig vor. Jeder Schlag, der 
die Prostitution trifft, würde auch das Verbrecherthüm in 
seinen tiefsten Wurzeln treffen. Eine grosse Zahl der ju¬ 
gendlichen Verbrecher ist aus solchen Familien, die durch 
die Prostitution zerstört waren und eine grosse Zahl von 
Frauen und Männern datiren ihr Verderben von dem Au¬ 
genblicke des Eindringens dieses Giftes in ihre Gemeinschaft. 

Ein wichtiger Grund für die Vermehrung des Verbre¬ 
cherthums ist auch die Fäulniss und Verwüstung des Fami¬ 
lienlebens. Wo überhaupt noch Zusammenhang in den Fa¬ 
milien gefunden wird, deren Glieder dem Verbrechen anheim¬ 
gefallen sind, da ist es hauptsächlich das Verbrechen, welches 
sie zusammenhält. Es gibt eine Anzahl von Familien, von 
denen Eltern und Kinder gleichzeitig als Komplizen einge¬ 
liefert werden, andere, von denen die Eltern in Zuchthäu¬ 
sern, die Kinder in der Stadtvoigtei sitzen. Von einer sol¬ 
chen Familie sitzt beispielsweise der Vater im Zellengefäng- 
niss, die Mutter bereits zum zweiten Male. im Zuchthause 
zu Brandenburg, der älteste Sohn frequentirte wiederholt die 
Stadtvoigtei. Die Grossmutter, welche die übrigen Kinder zu 
erziehen hatte, kam auch dahin wegen Hehlerei. Bei ihr 
ging eine grosse Schaar von jugendlichen Verbrechern ein 
und aus, welche sie durch ihre 15jährige Enkelin an sich 
zog. Als der Bursche seine Gefängnisstrafe verbüsst hatte 
und von mir in die Lehre untergebracht wurde, lief er sehr 
bald davon und wurde der Führer einer weit verzweigten 
Genossenschaft von jugendlichen Dieben, die sich fast täg¬ 
lich des Nachmittags hinter dem Museum versammelten und 
von dort aus ihre Streifzüge nach allen Richtungen der Stadt 
hin unternahmen. Es gibt auch Familien, wo die Eltern 
sich fortwährend straflos zu halten wissen, die aber ihre Kin¬ 
der nur zum Verbrechen erziehen und sich nur durch den 
Diebstahl derselben erhalten. — Ein grosser Theil der Ver¬ 
brecherwelt stammt auch aus solchen Familien, wo Vater 
oder Mutter gestorben. Es fehlte an häuslicher Aufsicht. 
DerWittwer oder dieWittwe mussten ihrem Verdienst nach¬ 
gehen, die Kinder waren sich selber überlassen und verwil- 




— iö — 

derten durch das Strassenleben. Die Zahl der Wittwensöhne 
und Wittwentöchter, die bestraft wurden, ist sehr gross. 

Gegenüber diesen Wahrnehmungen ist es eine sehr be¬ 
denkliche Bestimmung des neuen Strafgesetzbuches, dass sol- 
chePersonen, welche das 12. Lebensjahr noch nicht 
vollendet haben,-nicht strafrechtlich verfolgt 
werden können. Bei der sittlichen Verkommenheit, welche 
in sehr vielen Familien herrscht, wird man daran Anlass neh¬ 
men, sich der Kinder in noch weit ausgedehnterem Maasse 
zu verbrecherischen Zwecken zu bedienen, als es bisher be¬ 
reits der Fall war und die Anzeichen sind schon vorhanden, 
dass die Jugend, welche bis zur Vollendung des 12. Jahres 
einer ungehinderten Corruption Preis gegeben ist, hernach 
in desto grösserer Anzahl die Gefängnisse füllen werde. Ge¬ 
genwärtig sind die Untersuchungszellen von jugendlichen 
Verbrechern, die das 12. Jahr eben überschritten haben 
und in Gesellschaften von 8, 6, 5 u. s. w. Personen einge¬ 
liefert wurden, bereits so angefüllt, dass die dazu bestimmten 
Bäume nicht mehr ausreichen. Zwar für eine Bestrafung 
der Kinder in derselben Weise, wie sie über erwachsene 
Verbrecher verhängt wird, wird Niemand, der unsere Gefäng¬ 
nisse kennt, sich ausspreohcn können. Die Gefahr der De¬ 
moralisation durch das Zusammensperren mit sittlich verdorbe¬ 
nen Individuen ist hier sehr gross und wenn das auch nicht wäre, 
würden die paar Tage oder Wochen Gefängniss, mit der 
solche Kinder bestraft zu werden pflegen, wenig Einfluss auf 
ihre Entwicklung ausüben. Vielmehr müssten sie in Erzie¬ 
hungsanstalten untergebracht werden, wo sie' dauernd 
der Verwahrlosung ihrer Familien entzogen wären. 

Das neue Strafgesetzbuch hat dies auch zum Theil 
im Auge gehabt, wenn es in § 56 bestimmt: „Ein Ange- 
schuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das 12., aber nicht 
das 18. Jahr vollendet hat, eine strafbare Handlung begangen 
hat, ist freizusprechen, wenn er bei Begehung derselben die 
zur Erkenntniss ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht 
besass. In dem Urtheil ist zu bestimmen, ob der Angeschul¬ 
digte seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs¬ 
oder Besserungs-Anstalt gebracht werden soll. In der An- 

2 * 



stalt ist er so lange zu halten, als die der Anstalt Vorge¬ 
setzte Behörde solches für erforderlich erachtet, jedoch nicht 
über das vollendete 20. Lebensjahr.“ Es wäre ein grosser 
Segen, wenn diese Bestimmung auch auf das Alter unter 12 
Jahren ausgedehnt würde und wenn man auch Gebrauch da¬ 
von machte, was leider meines Wissens hier noch niemals 
geschehen ist, und bei dem Mangel an derartigen Anstalten 
auch kaum geschehen kann. Das Verbrechertbum in Berlin 
würde dadurch insonderheit viel Abbruch erleiden, und es 
würden für die Zukunft ihm viele seiner gefährlichsten Indi¬ 
viduen entzogen werden, die jetzt in den Gefängnissen gross 
werden und die abwechselnden kurzen Gefängnisstrafen als 
eine Spielerei betrachten. — Freilich müsste dann auch da¬ 
für gesorgt werden, dass der Staat die zur Ausführung sei¬ 
ner Gesetze erforderlichen Anstalten besässe und nicht ge- 
nöthigt wäre, dazu, die Privat-Wohlthätigkeit in Anspruch 
zu nehmen, die ja ihre Erziehungsanstalten eigentlich nur 
für das grosse Bedürfniss hat, welches ausserhalb der Sphäre 
des Gesetzes liegt. — 

Wenn ich aber von den Ursachen des Berliner Ver- 
brecherthums und seiner eigenthümlichen Entwicklung spre¬ 
che, so muss ich auch auf einen Gegenstand kommen, der 
sonst in den Klagen über diese Zustände wenig genannt wor¬ 
den ist, auf das Gefängniss. Ein Umstand hat beson¬ 
ders nachtheilig auf die Yerbrecherjugend eingewirkt und zu 
der Verschlechterung ihres Verhaltens wesentlich beigetragen. 
Seit 2 Jahren ist im Verwaltungswege eine wesentliche Aen- 
derung in der Gefängniss-Disciplin aus Rücksichten der Hu¬ 
manität herbeigeführt worden. Insonderheit ist die körper¬ 
liche Züchtigung als Disciplinarstrafe, wenigstens in den Ge¬ 
fängnissen ganz abgeschafft worden. Wenn es sich dabei 
bloss um die erwachsene Verbrecherwelt handelte, so dürfte 
dadurch mancher beklagenswerte Uebelstand beseitigt sein. 
Dass dieser Wegfall aber auch auf das jugendliche Alter 
ausgedehnt worden ist, hat offenbar nachteilige Folgen ge¬ 
habt. Seitdem dieses unter den Burschen bekannt geworden, 
ist ein Geist der Frechheit und des Widerspruchs aufge¬ 
kommen, zu dessen Bewältigung die noch vorhandenen Dis- 



21 


oiplinarmittel nicht ausreichen wollten. Wenn ein solcher 
Bursche, der daran gewöhnt ist, auf Hausfluren und in Kel¬ 
lern zu übernachten, mit einigen Tagen Arrest bestraft wird, 
das heisst, wenn er auf einige Tage das Nachtlager entbeh¬ 
ren muss, so wird er dadurch meist nur frecher und wenn 
ihm damit gedroht wird, so folgt Jauf solche Drohung viel¬ 
fach nur Spott und Hohn. Es ist jedenfalls ein sehr unna¬ 
türliches Verhältnis, dass ein Zuchtmittel, welches in hohen 
und niedern Familien und überall in den Schulen auch ge¬ 
gen gutgeartete Kinder unter Umständen angewendet wird, 
diesen sittlich verwahrlosten und verwilderten Burschen ge¬ 
genüber nicht gebraucht werden darf, und es ist nicht zu 
verwundern, wenn diese Humanität grosse Barbarei zur 
Folge hat. — 

Ein 13jähriger Bursche, ein sehr gewandter Taschen¬ 
dieb, den ich nach wiederholten Gefängnisstrafen in der Er¬ 
ziehungsanstalt am Halleschen Thor untergebracht hatte und 
der nach zweimaligem Entlaufen von dort wieder in die 
Stadtvoigtei kam, antwortete mir auf die Frage, warum er 
nicht in der Erziehungsanstalt geblieben, sehr charakteri¬ 
stisch: „dort ist es ja toller wie hier; dort bekommt man 
Hiebe.“ Am folgenden Tage misshandelte er in der Zelle 
einen sehr schwächlichen Knaben, der bei dem Gedanken 
an den Gram seiner Mutter sehr viel weinte, desshalb auf 
das Brutalste und als der alte ergraute Lehrer, der die Kna¬ 
ben zu unterrichten hat, darüber empört, Miene machte den 
Burschen zu züchtigen, machte derselbe ihn in frechster Weise 
darauf aufmerksam, dass die körperliche Züchtigung ab¬ 
geschafft sei. — 

Ich muss hier ferner hinweisen auf die Einrichtung 
des hiesigen Gefängnisses. Diese, ist bedingt durch 
die lokale Beschränkung und kann desshalb kaum anders 
sein, als sie ist, so lange sich das Gefängniss an seiner jetzi¬ 
gen Stelle befindet und alle die Massen beherbergen soll, 
für welche es besteht. Sie erschwert und hindert eine sitt¬ 
liche und religiöse Einwirkung nach allen Seiten und begün¬ 
stigt dagegen ein gegenseitiges Demoralisiren der Gefange¬ 
nen im höchsten Grade. Mag die Gefängnissverwaltung, mö- 





22 


gen die Beamten, Geistlichen und Lehrer sich alle erdenk* 
liehe Mühe geben, so lange die Gefangenen, wie jetzt, zn 
je 5 bis 10 oder 12 Personen in einzelnen Zellen zusammen* 
gesperrt werden und in ihren Beden unbeschränkt sind, wird 
man es nicht verhindern können, dass das Gefängniss zu einer 
Schule des Verbrechens wird. Es macht einen ausser st nie¬ 
derschlagenden Eindruck, wenn man tagtäglich die Erfah¬ 
rung machen muss, dass Menschen zum erstenmal verhaftet 
und oftmals noch für die Wahrheit empfänglich, von Tag 
zu Tag zurückgehen und sittlich verfaulen in der Luft, die 
sie in der Zusammensperrung mit sittlich verwüsteten Sub- 
jecten einathmen müssen. Man versetze sich in die Lage, 
Monate lang von früh bis Abend die Gespräche von Verbre¬ 
chern anhören zu müssen, all den Schmutz und die Greuel, 
die in solchen Herzen angehäuft sind, mit raffinirter Gründ¬ 
lichkeit immer wieder durchsprechen zu hören; man nehme dazu, 
wie solche Menschen oft kein grösseres Vergnügen kennen, 
als bessere Gemüther durch unfläthige Reden zu verderben, 
und wie sie jede Opposition durch Wort und That zu Boden 
schlagen, ja wie die Bessern sogar gezwungen werden, sich 
schlechter zu stellen als sie sind, um nur unangefochten zu 
bleiben — und man wird zugeben müssen, dass ein hoher 
Grad von sittlichem Werth dazu gehört, dieser Fluth von 
Verderbniss zu widerstehen — ein so hoher Grad wie man 
ihn bei solchen Leuten, wie sie das Gefängniss in der Re¬ 
gel zu sehen bekommt, niemals erwarten darf. Es ist nicht 
zu verwundern, wenn die Knoten, durch welche der Einzelne 
in das grosse Verbrechernetz hinein verstrickt wird, hier erst 
recht fest geknüpft werden und es erfüllt die Seele mit tie¬ 
fem Schmerz, wenn man Solche, die die Gefahr erkennen, 
in welcher sie schweben, und um Hilfe bitten, mit dem Be- 
kenntniss abweisen muss, dass man nicht helfen kann. — 
Es kann diesem Uebelstande nur dadurch abgeholfen wer¬ 
den, dass die Isolirung in ausgedehnterem Maasse zur An¬ 
wendung kommt, als es bei den jetzigen Verhältnissen ge¬ 
schehen kann. Wenn man bei dem Versuch, den man da¬ 
mit im hiesigen Zellengefängniss gemacht hat an solchen 
Verbrechern, die meist schon eine lange Reihe von Gefäng- 



23 


nissstrafen hinter sich haben und tief in das Verbreohernetz 
verstrickt sind, verhältnissmässig günstige Resultate erzielt 
hat, so würde gewiss sich das Verhältnis noch viel günsti¬ 
ger gestalten, wenn man diese Wohlthat zuerst denjenigen 
zu Theil werden lassen wollte, die erst am Anfang der Ver¬ 
brecher-Laufbahn stehen, und bei denen das Unheil einer 
Verbrecher-Gemeinschaft von vornherein um so leichter ver¬ 
hütet werden könnte, da es sich hier nur meist um wenige 
Wochen oder Monate handelt. 

Eine Besserung dieser Zustände ist indess zu erwarten 
durch die Errichtung des neuen grossen Gefängnisses am 
Plötzensee, welches jetzt im Bau begriffen, und in dem An¬ 
stalt getroffen, wenigstens einer sehr grossen Zahl diese 
Woblthat zu gewähren. . Es sollen dort die Gefängnisstrafen 
vollstreckt werden, während die Stadtvoigtei Untersuchungs¬ 
gefängnis bleiben soll. Hoffentlich wird auch hier eine um¬ 
fassende Aenderung vorgenommen; denn das meiste Unheil 
wird erfahrungsmässig in der gemeinsamen Untersuchungs¬ 
haft angerichtet. 

Man wird aus allen diesen Dingen ersehen, wie gross 
die Hindernisse und Schwierigkeiten sind, welche einer Aen¬ 
derung des Sinnes im Gefängnisse entgegenstehen. Den¬ 
noch aber muss zugegeben werden, dass es unter der gros¬ 
sen Menge, welche hier zusammenströmen, Viele gibt, die 
ihr Elend fühlen, und ein herzliches Verlangen darnach ha¬ 
ben, befreit zu werden von den Stricken, mit denen das 
Verbrecherthum sie umstrickt hält. Wenn aus dieser Zahl 
dennoch Wenige gerettet werden, wenn im Gegentheil Viele 
von Ihnen bald zurückkehren, erfüllt mit dem giftigen Hass 
gegen die Gesellschaft, mit tiefer Verbitterung und nicht sel¬ 
ten mit dem Vorsatz, nun ein vollendeter Bösewicht zu wer¬ 
den, so ist die Ursache davon wenigstens bei Vielen, die 
grosse Noth, welcher sie nach der Entlassung ausgesetzt 
waren. Die Rückkehr zu einem redlichen Erwerbe und zu 
einem rechtschaffenen Leben wird ihnen vielfach in einer 
Weise erschwert, dass dadurch auch bei gutem Willen ein 
baldiger Rückfall herbeigeführt wird. Solche Menschen, wel¬ 
che durch ein langes Sündenleben heruntergekommen und 



24 


geistig und leiblich geschwächt sind, bedürfen gewiss mehr, 
als irgend Einer Theilnahme, Mitleid und kräftiger Unter¬ 
stützung. Was aber finden sie, wenn der langersehnte Au¬ 
genblick herankommt, wo die Gefangnissthüren sich ihnen 
wieder aufthun und die Freiheit ihnen wiedergegeben wird ? 
Sie finden eine andere Welt vor, eine Welt, die sich von ih¬ 
nen abwendet, die sie misstrauisch zurückstosst. Wie ein 
Schatten folgt ihnen der Fluch ihres Verbrechens, in den 
Augen der Menschen können sie ihn lesen und aus ihrem 
Munde ihn hören. „Er ist bestraft“ heisst es und weil er be¬ 
straft ist, darum verweigert man ihm Arbeit und Unterkom¬ 
men, und wo ein Verbrechen geschieht, ist er der Erste, 
auf den sich der Verdacht lenkt. So wird es denn sehr 
schwer, die guten Vorsätze auszuführen, die sie einst gefasst 
und sie finden immer mehr, dass die Genossen, die einst in 
der Gefängniszelle ihre guten Vorsätze verspotteten, so un¬ 
recht nicht hatten. Es stellt sich in ihren Herzen Verbitte¬ 
rung und stumpfe Resignation ein, der schliesslich alles gleich¬ 
gültig ist. — Wohlwollende Theilnahme, Verständnis ihrer 
Noth, Hilfe in ihren Verlegenheiten, wo finden sie das? Meist 
nur bei denen, die in gleicher Verdammniss sich befunden. 
Ja hier braucht sie nicht erst gesucht zu werden, hier wird 
sie ungesucht angeboten, und Hilfe und Trost gewährt, mit 
einer Aufopferung und scheinbaren Selbstverläugnung, die 
man bewundern müsste, wenn man nicht wüsste, um welchen 
Preis es geschieht! — 

Ich gehöre nicht zu denen, die einer weichlichen Sen¬ 
timentalität huldigen, ich habe nichts dagegen, dass diejeni¬ 
gen, welche das Gesetz gebrochen haben, dasselbe auch süh¬ 
nen durch eine entsprechende Strafe, und dass diese Strafe 
mit allem Ernst und mit aller Strenge vollzogen wird. Wenn 
das aber geschehen, so ist es ein Unrecht, wenn ihnen her¬ 
nach durch die Macht der öffentlichen Meinung noch eine 
härtere Strafe aufgelegt wird und dies Unrecht gibt dem Ver¬ 
brecherthum wenigstens ein scheinbares Recht, eine Ordpung 
der Dinge zu bekämpfen, die ihnen die Möglichkeit einer 
ordentlichen Existenz entzieht. Wenn wir auch nicht erwar¬ 
ten können, dass die Welt ihre Abneigung gänzlich unter- 



25 


drücke und den Frevel, der begangen ist, aus ihrem Ge¬ 
dächtnis streiche, so müsste ihnen doch die äussere Mög¬ 
lichkeit, wieder festen Fuss im Leben zu fassen und durch 
rechtschaffenen Wandel den Frevel vergessen zu machen, 
erleichtert werden; es müssten Mittel und Wege gesucht wer¬ 
den, die Schwierigkeiten zu erleichtern, die ihnen unter den 
dermaligen Verhältnissen im Wege'stehen; es müsste ihnen 
wenigstens der Entschuldigungsgrund, mit dem sie in der Re¬ 
gel den Rückfall in das Verbrechen zu beschönigen suqhen, 
nämlich dass die Noth sie dazu gezwungen, dadurch ent¬ 
zogen worden, dass man ihnen bestimmt nachweisen könnte, 
wo und wie sie auf ehrliche Weise ihr Fortkommen finden. 
Mit der blossen Behauptung: heut zu Tage gibts überall Ge¬ 
legenheit dazu und wer nur guten Willen hat, der kann 
auch wohl bestehen, kommt man hier nicht, aus. Das mag 
auch bei einzelnen Bestraften zutreffen, aber nicht bei Allen. 
Freilich die Erfahrungen, die man an Manchen gemacht hat, 
sind schlecht; aber wo christliche Barmherzigkeit eine Zu¬ 
fluchtsstätte dargeboten, wo eine freundlich christliche Be¬ 
handlung ihnen zu Theil geworden, da hat man auch man¬ 
che recht erfreuliche Erfahrungen an ihnen gemacht. 

Es thut Noth, dass das Interesse an diesem Zweige 
christlicher Liobesthätigkeit in weiteren Kreisen geweckt 
werde; denn die Vernachlässigung desselben trägt nicht un¬ 
wesentlich zur Vermehrung des Verbrecherthums und na¬ 
mentlich zur Steigerung seines Hasses und seiner Verbitterung 
bei. In der richtigen Erkenntniss der'(Wichtigkeit, welche 
diese Sache für das öffentliche Wohl hat, sind hier und an 
anderen Orten verschiedene Vereine zur Fürsorge für entlas¬ 
sene Gefangene zusammengetreten; auch haben einzelne 
Privatpersonen mit grosser Geduld und Opferwilligkeit zu 
helfen gesucht. Aber so lange dieser Sache das öffentliche 
Interesse nicht kräftiger zu Hilfe kommt, wird man nicht im 
Stande sein, dem Bedürfniss in nur annähernd befriedigender 
Weise zu genügen. 

Dass solche Bestrebungen so wenig Unterstützung fin¬ 
den, hat zum Theil seinen Grund mit darin, dass die Mei¬ 
nung herrschend geworden, dass an einen Erfolg unter solchen 



26 


Menschen nicht zu denken, eine Meinung, die leider viel¬ 
fach von solchen Männern vertreten wird, die Anspruch auf 
Erfahrung machen dürfen. Ein hochgestellter Polizeibeamter, 
eine Autorität im Gebiet der criminalen Polizei, spricht es 
in einer Schrift geradezu aus, dass es ein grosser Irrthum 
pietistischer Gefängnissbeamten sei, zu glauben, dass ein Ver¬ 
brecher hauptsächlich durch Religion gebessert werden könne. 
Ein dem Gaunerleben verfallener Mensch sei in der Regel un¬ 
verbesserlich, durch die Religion würden nur Heuchler ge¬ 
macht. Dagegen nennt eine andere Autorität, Ave Lalle- 
mant, dessen Werk über das deutsche Gaunerthum epoche¬ 
machend ist, die Ansicht, dass der Gauner unverbesserlich, 
eine seichte und hochfahrende. Er sagt ausdrücklich: „der 
Gauner ist nicht unverbesserlich; aber seine Besserung ist 
so schwer, wie alle christliche Arbeit schwer ist.“ Damit 
ist in der That das Richtige getroffen. Schwer ist es frei¬ 
lich, dass ein Verbrecher bekehrt werde, aber es ist so we¬ 
nig wahr, dass seine Besserung nicht durch die Religion her¬ 
vorzubringen ist, dass im Gegentheil wahrhafte Besserung 
nur durch Religion möglich ist. Vernunftgründe, durch wel¬ 
che ein solcher Mensch eine Weile allenfalls auf gutem Wege 
erhalten werden kann, zerreissen wie Spinngewebe, wenn 
die Versuchung mächtig wird; wo aber ein so gebrochener 
und geknickter Mensch zu dem Bekenntniss gekommen: ich 
armer Mensch, wer wird mich erlösen? und an die Liebe 
glauben lernt, die auch dem Schächer am Kreuz noch 
die Rettungshand reicht, da erveisst sich der Glaube auch 
hier noch als der Sieg, welcher die Welt überwindet.— 

, Auf der andern Seite ist es richtig, dass mit gewalt¬ 
samen Bekehrungsversuchen Nichts ausgerichtet werden kahn, 
vielmehr muss die Religion in durchaus nüchterner Weise 
dem Verbrecher nahe treten, in dem sie nicht blos in from¬ 
men Worten, sondern auch in Thaten der Liebe und barm¬ 
herzigen Theilnahme sich erweisst. Der Weg in das Inner¬ 
liche wird meist durch die Sorge für das Aeusserliche auf¬ 
geschlossen und wenn dies mehr geschähe, als es leider nach 
den jetzigen Verhältnissen geschieht, so würden die thatsäch- 
lichen Beweise auch zahlreicher sein, dass die Meinung von 



27 


der Unverbesserlichkeit des Verbrechers und von der Zweck- 
, losigkeit aller dahin zielender Bemühungen eine ebenso fal¬ 
sche als gottlose ist. 

Wäre sie richtig, so wäre die logische Folge, die aus 
Rücksichten gegen das öffentliche Wohl auch praktisch ge¬ 
macht werden müsste, dass man die Verbrecher nicht blos 
auf Zeit der Freiheit beraubte, sondern sie für immer un¬ 
schädlich machte. Wie denn auch Fichte offen den Grund¬ 
satz ausspricht, dass der Verbrecher nur als Bestie zu be¬ 
handeln, die man niederschiessen müsse. Er tritt damit in 
offenen Widerspruch gegen die einfachsten Grundsätze des 
Christenthums und der Humanität, wie sie selbst schon von 
den Alten anerkannt sind. Platon statuirt bereits die 
Pflicht des Mitleids gegen diese kranken Glieder der Gesell¬ 
schaft und wer ein Christ sein will, der muss wissen, dass 
Rettung des Verlorenen die Haupttendenz und eine Haupt¬ 
forderung des Christenthums ist. — 

Es ist aber nicht blos das Gebot der christlichen Liebe, 
sondern auch das Gebot der einfachen menschlichen Klug¬ 
heit, welches alle Verständigen nöthigen sollte, die Augen 
aufzuthun und zur Heilung dieser grossen Schäden unseres 
Volkslebens nach Kräften beizutragen; denn die Gefahren, 
welche daraus erwachsen, bedrohen den Einzelnen ebenso 
sehr, wie das gesammte Volksleben. In unserer Zeit liegt 
aber eine um so grössere Nöthigung dazu vor. Die Zukunft 
unseres Volkes ist noch von einer andern Macht bedroht. 
Wir haben gerade in den Tagen des höchsten Glanzes, 
die wir im vergangenen Jahre gesehen, mit Entsetzen von 
der furchtbaren Katastrophe hören müssen, die diese Macht 
in den Schreckenstagen der Commune über Paris heraufge¬ 
führt hat und wenn auch dort der Socialismus vorläufig 
überwunden zu sein scheint, so steht die sociale Frage doch 
noch wie eine geheimnissvolle Wolke am Horizont unserer 
Zeit und droht Stürme, welche die Bliithen des über unser 
Vaterland angebrochenen Völkerfrühlings abschütteln können, 
ehe sie zur reifen Frucht geworden. Wir haben aber auch 
gesehen, welche Bedeutung das Verbrecherthum in der socia¬ 
len Frage hat und wie der Socialismus, wenn es sich um 



28 


die Verwirklichung seiner Ideale handelt, in dem Verbre- 
cherthum seine kräftigste Stütze findet. Es wird berichtet, dass 
die Commune in Paris 25,000 Verbrecher unter ihren Fahnen 
gehabt, und dass sie ib ihnen ihre verwegensten Vorkämpfer 
gefunden habe. Die Flammen und die Trümmerhaufen, die 
Blutströme und das namenlose Elend, wovon in jenen Tagen 
von dort berichtet wurde, zeugen nicht blos von dem Wahn¬ 
witz eines Volks, welches Gott mit dem Taumelkelch ge¬ 
tränkt hatte, sondern auch von dem Hass eines Verbrecher¬ 
thums, welches aus den faulen Zuständen der Gesellschaft 
sich entwickelt und nun entfesselt durch Mord und Brand 
Rache an ihr genommen hat. — 

Sind solche Zustände bei uns auch weniger leicht denk¬ 
bar, weil wir ein festes obrigkeitliches Regiment haben, 
das durch eine jahrhundertelange glänzende Geschichte mit 
unserem Volke aufs Innigste verwachsen ist, und weil der 
Charakter unseres deutschen Volks ein anderer ist, als der 
der Franzosen, so werden wir uns doch damit nicht be¬ 
ruhigen dürfen, sondern es wird uns heilsam sein, wenn wir 
aus jenen furchtbaren Gottesgerichten die warnende Stimme 
hören und wenn ein jeder Einzelne, anstatt die Verant¬ 
wortlichkeit Anderen zuzuschieben, den Anforderungen zu 
entsprechen sich bemüht, die diese Zeit an ihn stellt. — 


4IH 





29 


Nekrolog. 


Am 29. Februar d. J. Abends 6 1 /* Uhr verschied* zu 
Breslau nach langen schweren Leiden ein Mann, der durch 
sein öffentliches Wirken auch in weitern Kreisen bekannt 
geworden ist, der Königliche Straf-Anstalts-Director, Herr 
Carl Eduard Schück. Den Mitgliedern des Vereins der 
deutschen Straf-Anstalts-Beamten diesen Todesfall zu noti- 
ficiren, und einiges aus dem Leben des Verstorbenen zur 
Kenntniss seiner Berufsgenossen zu bringen, ist der Zweck 
dieser Zeilen. 

Schück wurde am 25. Juni 1804 zu Brieg geboren. 
Seine Schulbildung erhielt er auf dem Magdalenen-Gymna- 
sium zu Breslau. Einige Zeit widmete er sich der Land¬ 
wirtschaft, musste aber bald eines Blutsturzes wegen, eine 
andere Carriere einschlagen. Zunächst hörte nun der junge 
Schück auf der Breslauer Universität philosophische, juri¬ 
stische und cameralistisclie Vorlesungen, und trat am 6. Fe¬ 
bruar 1827 bei der Königlichen Regierung zu Breslau als 
Hilfsarbeiter ein. Zu dieser Zeit stand der Oberpräsident 
von Merckel an der Spitze der Verwaltung der Provinz 
Schlesien. Dieser zog den jungen, strebsamen Beamten in 
seine Nähe, und betraute ihn häufig mit Aufträgen, die das 
hohe Vertrauen bekundeten, welches der Oberpräsident in 
Schück setzte. Ich erwähne hier eine geheime Mission 
nach Warschau im Jahre 1830. 

Am 28. Mai 1832 wurde Schück auf seinen Wunsch 
zum Inspector der Strafanstalt zu Brieg ernannt. Es war 
das zu jener Zeit, da man ethische Momente im Strafvollzug 
noch nicht kannte, und man genug gethan zu haben glaubte, 
wenn man die Sträflinge hinter dicken Mauern und starken 
Thüren mit schweren Schlössern eingeschlossen hielt. Vieles 
hat mir der Verstorbene über seine Brieger Wirksamkeit er¬ 
zählt und mir die Wundmale gezeigt, welche er im Kampfe 
mit renitenten Sträflingen davongetragen hatte. 



— Bo — 

Im Jahre 1842 wurde Scliück Director des Correc- 
tionshauses zu Schweidnitz und verblieb daselbst bis zum 25. 
October 1856, zu welcher Zeit er Director der neuen Straf¬ 
anstalt zu Moabit bei Berlin wurde. Der hochselige König 
Friedrich Wilhelm IV., welcher bei einem Besuch in Eng¬ 
land das Zellengefangftiss in Pentonville besuchte, drückte 
den Wunsch aus, eine ähnliche Anstalt auf deutschem Boden 
zu erbauen, und der persönliche Verkehr des Monarchen mit 
dem im Gebiete des Gefängnisswesens rühmlichst bekannten 
Dr. Julius in Hamburg, reifte den Wunsch zum Entschlüsse. 
Eine berathende Commission wurde eingesetzt, welche den 
Plan zu diesem Gefängniss zu bearbeiten hatte. Auch S c li ü c k 
als praktischer Gefängniss-Beamter wurde gehört, und brachte 
ihn dieser Anlass in den Verkehr mit genannter Autorität. 
Schück war stolz darauf, sich ein Schüler Julius nennen 
zu dürfen. Seiner Theilnahme an den Verhandlungen, welche 
über den Bau der Moabiter Anstalt gepflogen wurden, hatte 
er seine Berufung an die genannte Anstalt zu verdanken, an 
welcher er bis zum 1. August 1860 wirkte. Freudig kehrte 
er zu dieser Zeit in sein liebes Breslau zurück, in welchem 
er Director der beiden Strafanstalten wurde. Schück war 
ein Verehrer der Einzelhaft, und hielt die Zelle für die re¬ 
lativ beste Strafverbüssungsstätte. Hier in dem alten Bres¬ 
lau, wo Kunst und Wissenschaft so eifrig gepflegt _ werden, 
fand Schück hinreichend Gelegenheit, sein reiches Wissen 
zu verwerthen. 

Im Jahre 1837 trat Schück unter dem Pseudonym 
Eska mit der Schrift: „Die schlesische Landschaftsfrage“ an 
die Oeffentlichkeit. Dann folgte „Moabit und Bruchsal“ eine 
Parallele, und eine von der Rheinisch-Westfälischen Gefäng- 
niss-Gesellschaft gekrönte Preisschrift: „Instruction für Ge¬ 
fangenen-Aufseher. “ 

Schück war fleissiger Mitarbeiter verschiedener Zeitun¬ 
gen und Schriften, so der Deutschen Allgemeinen Zeitung, der 
Schlesischen Provinzial-Blätter, des Schlesischen Gemeinde¬ 
blattes, der Strafrechtszeitung und der Blätter für Gefäng- 
nisskunde. Seine Mittheilungen waren, abgesehen von den 
Fachschriften, meist geschichtlichen, socialen und Strafrecht- 



31 


liehen Inhalts. Das reiche Vereinsleben Breslaus hatte an 
ihm, sobald es sich um edle Zwecke handelte, einen eifri¬ 
gen Mitarbeiter. So war er Mitglied des schlesischen Ver¬ 
eins für vaterländische Cultur, des Kunstvereins, des Vereins 
für innere Mission, des Provinzial-Vereins zur Unterstützung 
entlassener Gefangenen etc. Von ihm selbst war ein Asyl 
für entlassene weibliche Gefangene evangelischer Confession 
in’s Leben gerufen. 

Im Jahre 1846 trat bei Schück ein gichtisches Lei¬ 
den ein, welches mit zunehmendem Alter auch mehr und 
mehr zunahm. Die Teplitzer Quellen allein verschafften ihm 
Linderung und gaben ihm jedesmal neue Kraft zu fernerem 
Wirken. Am 19. Februar unterwarf sich Schück einer 
nothwendigen Operation, die glücklich von Statten ging. Noch 
am Tage vor seinem Tode besprach er mit mir eine ziem¬ 
liche Anzahl Verwaltungsangelegenheiten und beklagte sich 
dann über ein ihn überkommenes Frösteln. Am andern Tage, 
am 29. Februar, machte eine Lungenlähmung seinem Leben 
ein Ende. Sonntag den 3. März Nachmittags um 2 Uhr 
fand unter Theilnahme des Chefs der Provinz, einer grossen 
Anzahl hervorragender Vertreter der Wissenschaft und so "Vie¬ 
len, welche Schück im Leben nahe gestanden, die Trauer¬ 
feierlichkeit im Sterbehause statt. Der Anstaltsprediger Gauda 
gedachte in warmen Worten des Dahingeschiedenen und 
tröstete die trauernden Hinterbliebenen. 

Ein Leben voller Arbeit ist vernichtet, aber lange noch 
wird der Name Schück fortleben bei Allen, die den Mann 
gekannt, der sein reiches Wissen zum Nutzen der Mensch¬ 
heit verwerthete. 

Er ruhe im Frieden! 


Kaldeweg. 



82 


Correspondenz. 


Berlin, im Juni 1872. Der Gefängnissverein der Pro¬ 
vinz Brandenburg hielt am 28. Mai er. Vormittags 10 Uhr hier 
Oranienstrasse 106 seine Jahresversammlung, zu welcher sich 
eine zwar nicht grosse, aber eine sich für den Vereinszweck lebhaft 
inter^ssirende Anzahl von Theilnehmern eingefunden hatte. Ausser 
einigen dazu deputirten Mitgliedern auswärtiger Localvereine, waren es 
vorzugsweise Gefängnissbeamte und Gefängnisgeistliche. Nachdem der 
Vorsitzende, Prediger R a go tzky von der hiesigen Königl. Stadtvoigtei 
die Versammlung eröffnet, wies derselbe in einem längeren Vortrag 
darauf hin, dass die grossen Schwierigkeiten, welche der Wirksamkeit 
des Vereins entgegentreten, nicht blos in den Personen liege, denen er 
dienen wolle, sondern auch in dem Mangel an Unterstützung, dem die 
für das öffentliche Wohl so wichtigen Bestrebungen des Vereins begeg¬ 
nen. Es sei das Augenmerk des Vereins daher besonders darauf zu 
richten , dass das öffentliche Interesse für die Sache angeregt werde. 
Dazu werde es besonders förderlich sein, wenn fin verschiedenen Orten 
in der Provinz, namentlich in den grösseren Städten Localvereine ge¬ 
gründet, und eine lebendige Verbindung und Gemeinschaft zwischen 
allen Vereinen und Personen hergestellt werde, welche für die Noth der 
Entlassenen ein offenes Auge und ein offenes Herz haben. Solche Local¬ 
vereine seien im Laufe des vergangenen Jahres bereits an verschiedenen 
Orten durch die Vorträge und Bemühungen des Pastor Wiesenerin 
Sonnenburg entstanden , welcher im Aufträge unseres hiesigen Vereins 
eine AgentenTeise zu diesem Zweck unternommen habe. Wenn hier 
in Berlin die Theilnahme für .eine solche Sache noch sehr gering zu 
sein scheine, so dürften vielleicht die Zeitverhältnisse und die öffent¬ 
lichen Zustände bald von selbst die Nöthigung bringen, den Bestrebun¬ 
gen des Vereins eine grössere Beachtung zu schenken. Obwohl die 
Bevölkerungsziffern der Strafanstalten und den Gefängnissen in den 
letzten Jahren ganz erheblich vermindert seien, so dass z. B. in der 
Stadtvoigtei im vergangenen Jahre trotz der bedeutenden Zunahme der 
Bevölkerung die Zahl der Strafvollstreckungen nur die Hälfte der Zahl 
des Jahres 1866 erreichte, so sei doch nicht zu verkennen, dass die Ge¬ 
fahren , mit denen das Verbrecherthum unser öffentliches Leben be¬ 
droht, von Tag zu Tage grösser werden. Uebrigens scheinen nach der 



bedeutenden Abnahme der Gefangenen, welche infolge der günstigen 
Zeitrerhältnisse und der Einführung des neuen Strafgesetzbuches einge¬ 
treten sei, jetzt wieder eine Zunahme einzutreten, und es sei um so be¬ 
trübender, dass dazu das jugendliche Alter, das Alter von 12—18 Jahren, 
ii* auffallend hohem Maasse beitrage. Wenn die Einlieferungen in den 
folgenden Monaten dieses Jahres in gleichem Maasse fortgehen, wie bis¬ 
her, so dürfte die Zahl der jugendlichen Gefangenen in diesem Jahre 
eine Höhe erreichen, wie nie zuvor. Dazu habe wahrscheinlich meist 
beigetragen, dass die Straflosigkeit, resp. die Strafmilderung, welche die 
neue Strafgesetzgebung für das jugendliche Alter eingeführt , den Heh¬ 
lern, wie den zahlreich verkommenen Familien dieser Stadt Anlass gebe, 
sich ihrer jugendlichen Glieder in ausgedehnterem Maasse zur Ausübung 
von Verbrechen zu bedienen, als dies früher der Fall war. — Die ecla- 
tanten Ausschreitungen des Verbrecherthums in den letzten Zeiten ha¬ 
ben allerdings die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese dunkle Seite 
unseres Volkslebens hingezogen; aber es müsse die Einsicht weiter und 
weiter ausgebreitet werden, dass es hier nicht genug sei, wenn man 
alle Verantwortung auf die Behörden wälzt, nach der Polizei schreit 
und vom Staat Hilfe erwartet, sondern dass ein Jeder an seinem Theil 
zur Heilung des Schadens meist helfen könne und müsse. Die Noth- 
schreie über diese Zustände dürfen die Frage nicht übertönen, was 
kann ich thun, dass es besser werde. Je allgemeiner diese Frage werde, 
desto mehr werden die Bestrebungen des Gefängnissvereins gewürdigt 
und unterstützt werden. Damit dies geschehe, sei es nöthig, dass die 
XJebelstände, die hier in Betracht kommen, in der Oeffentlichkeit be¬ 
kannt und auf die Punkte hin gewiesen werde, bei welchen die freie 
Liebesthätigkeit einsetzen könne. Dahin gehöre besonders der Noth- 
stand unter den entlassenen Strafgefangenen. Es werde ihnen die Rück¬ 
kehr zu irgend einem redlichen Erwerbe und zu einem ordentlichen 
Wandel oft in einer Weise erschwert, dass sie vielfach auch bei gutem 
Willen an den Schwierigkeiten scheiterten. Dieser Umstand trage auch 
dazu bei, dass der Hass des Verbrecherthums und der Krieg desselben 
gegen die bestehende Ordnung einen immer schärferen Charakter an¬ 
nehme. Um zur Beurtheilung dieser Dinge einen bestimmten Anhalt 
zu gewinnen, habe sich der Vortragende aus verschiedenen Strafanstal¬ 
ten und Gefängnissen Nachrichten über die RückfälligkeitsVerhältnisse 
und über die Ursache dos Rückfalles ausgebeten; daraus ergebe sich, 
dass unter den im Laufe des Jahres 1871 eingelieferten Gefangenen 
etwa 70 Procent im Durchschnitt bereits vorher mit Gefängniss oder 
Zuchthaus bestraft waren. Die eingegangenen Berichte seien darin 
einig, dass bei einer grossen Zahl die eigene .Verschuldung die Ursache 
des Rückfalles war, sie constatiren aber auch, dass die Zahl derer nicht 
unbeträchtlich ist, welche in Folge von Mangel an Unterkommen und 
Arbeit zurückgefallen sind. 


Blätter für Gefängnisskunde VII. 


3 



- 34 - 

Wenn man behaupte, dass heutzutage die Erwerbsverhältnisse 
so günstig seien , dass Jeder, der wolle, sich sein Brod auf ehrliche 
Weise verdienen könne, so möge das für den unbescholtenen Arbeiter 
vielleicht zutreffend sein, es sei aber unbillig, diese unter dem Bann 
der öffentlichen Meinung stehenden Menschen mit demselben Maassstabe 
zu messen, wie Unbescholtene. Pie Erfahrungen an ihnen würden nicht 
so schlecht sein t wie sie sind, wenn es mit derUebung der christlichen 
Barmherzigkeit besser stünde. Wo diese sich ihrer angenommen, da 
habe man neben manchen freilich betrübenden Erfahrungen doch auch 
erfreuliche Beweise davon gesehen, dass dies Feld nicht so öde und 
unfruchtbar sei, wie es nach oberflächlicher Beobachtung scheine. 

Hierauf erstattete Pastor Wiesener, Strafanstaltsgeistlicher 
in Sonnenburg, Bericht über die Agentenreise, die er im vorigen Win¬ 
ter auf Veranlassung des Yereinsvorstandes unternommen. Es geht 
daraus hervor,* dass seine Vorträge vielfach für die Sache angeregt und 
das erfreuliche Resultat gehabt haben, dass in mehreren grösseren 
Fabrikstädten im südlichen Theile des Regierungsbezirks Frankfurt, 
in Fürstenwalde, Guben, Sommerfeld, Serau, Landsberg a. d t Warthe 
Lokalvereine entstanden sind , die sich der Fürsorge für Entlassene 
widmen und ihre Bereitwilligkeit zum Anschluss an den Berliner Verein 
ausgesprochen haben. Die Vorschläge, welche Herr Wiesener für wei¬ 
tere Ausdehnung und Organisation des Gesammtvereines machte, wurden 
fast einstimmig angenommen. 

Hierauf folgte ein Referat des Gefängniss-InspectorHomuth 
Über Arbeitsanstalten für Entlasse ne, worin derselbe auf die 
Nothwendigkeit solcher Anstalten hinwies und zur Gründung derselben die 
Staatshilfe in Anspruch genommen wissen wollte. Obwohl von mehre¬ 
ren Seiten Bedenken gegen solche Anstalten geaussert wurden, weil 
durch dieselben die persönliche Freiheit zu sehr beschränkt werde, und 
die Anhäufung einer grösseren Anzahl verbrecherischer Elemente an 
einen Ort bei freier Bewegung derselben grosse Nachtheile für das 
öffentliche Leben mit sich führe, so wurde doch von der Mehrzahl an¬ 
erkannt, dass solche Anstalten als Nothbehelf für diejenigen Personen, 
deren Unterbringung in ordentliche Arbeitsstellen nicht gelinge, höchst 
wünschenswerth seien. Auch würde dadurch den Vorwänden, mit denen 
solche die Bettelei und die Rückfälle zu entschuldigen suchen, vorge¬ 
bangt werden. Da aber die Frage, wie solche Anstalten zu beschaffen 
und einzurichten, eine höchst schwierige und noch zu wenig vorbereitete 
sei, so sei vorläufig von weiteren Schritten abzusehen und als Aufgabe 
des Vereins in’s Auge zu fassen, zum Nachdenken über diese Frage 
durch Wort und Schrift anzuregen. 

Nach einer sehr lebhaften Debatte über diese Sache trug der 
Prediger Freidank sein Referat über die Unterschiede des 
alten und neuen Strafgesetzbuches ip Betreff der Straf¬ 
voll Streckung vor. Er gab eine klare und übersichtliche Darstel- 



lung dieser Unterschiede und ihrer Motivirungen. Eine Discussion dar¬ 
über konnte wegen der vorgerückten Zeit nicht stattünden. Um 2 Uhr 
wurde die Versammlung geschlossen. Die Beiträge, welche am Schluss 
von den einzelnen Theilnehmern an die Yereinskasse gezahlt wurden, 
sowie die Stimmung, welche während der Verhandlungen durch die 
rege Betheiligung der Theilnehmer sich kund gab, berechtigt zu der 
Hoffnung, dass der Verein durch die Schwierigkeiten, die seinen Bestre¬ 
bungen entgegenstehen, sich nicht nur nicht entmuthigen lassen, son¬ 
dern mit neuem Eifer und gestärktem Muth seine Ziele verfolgen werde 
Möge es ihm gelingen, die öffentliche Theilnahme an seinen für das 
öffentliche 'Wohl so wichtigen Bestrebungen in recht ausgedehntem 
Maasse sich zu erwerben und die Unterstützung zu finden, deren er bedarf. 

Breslau , im Juni 1872. Jahre 8-Ber ieht des Local-Vereins 
zur Fürsorge für entlassene Gefangene evangelischer Confession pro 
1871/72. 

Ein Vereinsjahr ist wiederum geschlossen und es tritt jetzt an den 
Vorstand die Pflicht heran, Rechenschaft von seinem Wirken abzulegen. 
Freud’ und Leid haben auch im vergangenen Jahre nicht gefehlt. 

Der langjährige Vorsitzende, Strafanstalts - Director Schück, 
wurde am 29. Februar d. J. von seinen schweren Leiden durch einen 
sanften Tod erlöst. Möge ihm die Erde leicht sein! 

So herb der Verlust auch war, um so grösser war die Freude, 
den neuen Director der hiesigen Strafanstalten in die Stelle des Ver¬ 
storbenen treten zu sehen* Zu helfen und zu wirken thut wahrlich 
Noth. 

Durch das Freizügigkeitsgesetz wächst das Proletariat in den 
grossen Städten in erschreckender Weise. Die Wohnungsmiethen stei¬ 
gern sich enorm, und die Preise der nothwendigsten Lebensbedürfnisse 
haben eine nie gekannte Höhe erreicht. Dies sind denn auch die Ur¬ 
sachen, wesshalb^die öffentliche Sicherheit in den grossen Städten immer 
mehr abnimmt. Die Polizei allein kann das Uebel nicht heben; sie be¬ 
darf der Mitwirkung eines Jeden, der sich ^berufen fühlt, sein Scherflein 
dazu beizutragen, dass die Gesetze geachtet, der Bürger geschützt und 
das irrende Menschenkind zurückgeführt werde in die Bahn der 
Ordnung. 

In Breslau allein befinden siclj gegen 300 Polizei-Observaten und 
gegen 3000 bestrafte Individuen. Wenn keine rettende Hand helfend 
eingreift, gehen viele der einmal Bestraften dadurch verloren, dass die 
bürgerliche Gesellschaft den aus dem Gefängniss Zurückkehrenden nicht 
aufnimmt, sondern von sich stösst. Der Local-Verein zur Fürsorge für 
entlassene Gefangene evangelischer Confession hat es sich zur Aufgabe 
gestellt, den entlassenen evangelischen Gefangenen in ihrem ferneren 
Fortkommen behilflich zu sein, soweit dies seine Mittel erlauben. 

Wir schmeicheln uns mit der Hoffnung, dass die edlen Menschen¬ 
freunde, welche zu Lebzeiten des verstorbenen Vorsitzenden dem Verein 

3* 



36 


ihre Theihiahme zugewendet haben, auch in Zukunft nicht aufhören wer¬ 
den, das 'Werk der Liebe an jenen Unglücklichen fortzusetzen , welche 
durch Noth oder auch manchmal durch mangelnde Nächstenliebe in’s 
Verderben gerathen sind. Den schönsten Lohn, der ihrer wartet, finden 
sie in den Worten des Herrn: 

„Ich bin gefangen gewesen und ihr seid zu mir gekommen. 

Es blieben von den in früheren Jahren unter den 
Schutz des Vereins aufgenommenen Pfleglingen pro 
1871/72 .-.62 Personen, 

Hiezu traten im Laufe des Vereinsjahres ... 14 „ 

Summa 76 Personen. 

Dieselben sind theils aus hiesigen, theils aus auswärtigen Straf¬ 
anstalten entlassen worden, und um dieselben beim Wiedereintritt in 
das öffentliche Leben vor bösen Einflüssen, Verführungen und Rück¬ 
fällen zu bewahren, sind sie nach besten Kräften unterstützt worden, 
indem ihnen Arbeit, Unterkommen, Wohnung, Kleidung, Handwerksge- 
räth etc. beschafft, sie selbst unter Aufsicht der Vereinsmitglieder ge¬ 


nommen wurden. 

Von den genannten 76 Individuen 

haben sich dauernd gut aufgeführt.56, 

haben sich der Aufsicht entzogen ...... 8, 

sind durch andere Verhältnisse ausgeschieden . 3, 

sind der Unsittlichkeit anheimgefallen .... 6, 

sind strafrückfällig geworden.2, 

sind Soldat geworden.1, 


Summa 76 Pers. 

Ausserdem wurden mehrere Gefangene, welche sich nach kurzem 
Aufenthalte hierorts nach auswärts begaben , mit einer einmaligen Un¬ 
terstützung bedacht. 

Die Wirksamkeit des Local - Vereins erstreckte sich während 
seines 11 jährigen Bestehens auf 663 entlassene Gefangene , welche bei 
420, soviel bekannt, mit gutem Erfolg gekrönt wurde. 

Das im Jahre 1867 in’s Leben getretene Asyl zur Aufnahme für 
entlassene junge Mädchen evangelischer Oonfession existirt noch in sei¬ 
ner früheren Verfassung. 

Seit dem Bestehen des Asyls, wurden in dasselbe aufgenommen 
61 Mädchen, wovon 6 zum zweiten und 1 zum dritten Male, 9 im letz¬ 
ten Vereinsjahr. 

Davon kehrten zu den Ihrigen zurück.15, 


vermiethet wurden .23, 

entlassen wurden.13, 

entfernten sich heimlich.8, 

im Bestände verbleiben . 2, 


61 . 













37 


Die Asylistinnen stehen unter steter Aufsicht einer Vorsteherin 
und werden auch , sobald sie sich nicht dem Einflüsse selbst entziehen, 
nach ihrem Austritt noch in Obhut gehalten. 


Rechnungs-Abschluss. 

Einnahme. 

Asyl-Fond. 


Unterstützungs- 
Fond für 
Gefangene. 



Thlr. 

Sgr. 

Pf. 

Thlr. 

Sgr. 

pf. 

Kassenbestand aus dem Vorjahre 

267 

29 

1 

299 

1 

11 

a. Vom Direetorium des Provinzial- 







Vereins *. 

25 

— 

— 

25 

— 

— 

b. Vom Magistrat hierselbst . . . . 

25 

— 

— 

25 

— 

— 

c. Zinsen der Obligationen . . . . 

d. Differenz zwischen einer Obligation 

2 

12 

— 

— 

— 

—- / 

und deren Courswerth . . . . 

1 

15 

— 

— 

— 

— 

e. Beiträge der Mitglieder . . . . 

12 

11 

6 

— 

~ 

— 

f. Arbeitsverdienst der Asylistinnen . 

g. Vom Unterstützungsfond der Köngl. 

19 

27 

9 



— 

Gefangenen-Anstalt. 

— 

— 

— 

28 

8 

3 

Summa Einnahme 

354 

5 

4 

377 

10 

2 

A usgabe. 






a. An Unterstützungen . 

— 

— 

— 

51 

21 

3 

b. An Haushaltungskosten .... 

71 

16 

— 

— 

— 

— 

c. Gehalt der Asyl Vorsteherin . . . 

56 

— 

— 

— 

— 

— 

d. Miethe . 

80 

— 

’ — 

— 

— 

— 

e. Zur Beschaffung von Utensilien etc. 

5 

10 

— 

— 

— 

— 

f. Vorschüsse. 

— 

— 

— 

14 

20 

— 

g. Für Medicin. 

— 

26 

9 

— 

— 

— 

h. Porti’s . . •. 

— 

— 

— 

— 

15 

6 

Summa Ausgabe 

213 

22 

9 

66 

26 

9 

Bil/inc e. 






Die Einnahme beträgt . . . 

354 

5 

4 

377 

10 

2 

Die Ausgabe dagegen .... 

213 

22 

9 

66 

26 

9 

Bleibt Bestand ult. Mai 1872 

140 

12 

7 

310 

13 

T 


Den einzelnen Wohlthätern , welche uns durch Darreichung von 
Liebesgaben unterstützt haben, sagen wir hiermit unsern innigsten 
Dank. 

Indem wir unseren Verein auf’s Neue der Liebe unserer Mitbür¬ 
ger empfehlen, bitten wir inständig alle Fabrikherren, Baumeister, 










88 


Kaufleuto etc., wenn sie gesonnen sind, Entlassene in Arbeit zu nehmen, 
sich an uns wenden zu wollen. Der Herr, unser Gott, wird es ihnen 
lohnen. 

Der Vorstand des Local-Vereins zur Fürsorge für entlassene Gefangene 
evangelischer Confession. 

gez. Grützmacher. Kaldewey. Halliersch. Gauda. 

Kaiserslautern , 8. Juni 1872. Zur Prüfung der Staatsausgaben 
auf den Etat des k. Staatsministeriums der Justiz für die XI. Finanz¬ 
periode 1872/73 , in specie der Kosten der Strafanstalten, wurde dem 
letzten bayerischen Landtag von der k. Staatsregierung folgende Ueber- 
sicht über die Einnahmen der einzelnen Zuchthäuser und Gefangenan¬ 
stalten dieses^Landes vorgelegt (cf. Beilage 58 der Landtags-Verhand¬ 
lungen pro 1871/72). 

Die Einnahmen sub lit. a repräsentiren den Ertrag der Beschäf¬ 
tigung, diejenigen sub b die Rückersätze aus dem Vermögen derjenigen 
Gefangenen, welche zur Tragung der Strafvollzugskosten verurtheilt 
wurden. 





Einnahmen. 

1 Forti. 

Nr. 

Bezeich n un g 

der Strafanstalten. 

Etats- 

müssigo 

Kopf¬ 

zahl. 

Arbeitsver¬ 
dienst der 
Gefangenen 
incl. des 
Erträgnisses 
der Land- 
wirth schaft. 

Erstat¬ 
tete Un- 
terhal- 
tungs- 
hosten. 

Sonstige 

Einnah¬ 

men. 

Summe 

der 

Einnah¬ 

men. 




ä. 

b. 

C. | 

_ 






fl. 

fl. 

fl. 

fl. : 

1 

Zuchthaus 

Kaiserslautern. 

300 

20,000 

1,000 

500 

21,500, 

2 

V 

Kaislieim 

800 

27,300 

1,700 

1,000 

30,000 

3 

V 

München . . 

650 

27,000 

700 

1,300 

29,000 

4 

7) 

Plassenburg \ 

720 

29,000 

1,300 

700 

31,000 

5 

n 

Set. Georgen. 

330 

11,000 

500 

800 

12,300; 

6 

rt 

W ürzburg 

260 

13,000 

850 

350 

14,200 

7 

Gefangenenanst. Amberg 

600 

25,000 

4,000 

800 

29,800 

8 

77 

Ebrach . . 

530 

17,000 

2,000 

1,000 

20,000 

9 

77 

Frankenthal 

60 

1,300 

— 

100 

1,400 

10 

77 

Laufen . . 

550 

17,000 

5,000 

700 

22,700 

11 

77 

Lichtenau . 

450 

17,000 

4,000 

600 

21,600 

12 

Zellengefängn. Nürnberg 

400 

10,000 

3,000 

400 

19,400 

13 

Gefangenanstalt Sulzbach 

280 

9,000 

700 

250 

9,950 

14 

77 

Wasserburg 

120 

4,000 

, 300 

150 

4,450 

15 

77 

Zweibrücken 

200 

8,000 


500 

i 

8,500 




89 


Hienach, sowie nach den Motiven des Budgets entziffert sich in 
den 15 bayerischen Strafanstalten eine Durchschnittsbevölkerung der 
Zuchthäuser und Gefangenanstalten (auf Grund der Erfahrungen der 
Strafgesetzgebung von 1861) von 6250 Köpfen 7 wovon jeder jährlich 
einen Zuschuss aus Staatsmitteln von rund 117 fl. in Anspruch nimmt. 
Der jährliche Arbeits-Verdienst dieser Sträflingszahl beträgt 241,600 fl., 
also rund per Kopf 38 fl. oder 6y 3 kr. per Tag. Letzteres gab dem 
Budget - Referenten , Abg. Dr. Kurz , zu der Bemerkung Anlass , dass 
dieser Verdienst im Verhältnisse zu den jetzigen Taglöhnen der Hand¬ 
arbeiter und Gewerbsleute als ein fast verschwindend kleiner bezeich¬ 
net werden müsse und dass die gründliche Erörterung dieser Frage, 
da es sich um so beträchtliche Summen handelt, eine sehr dankbare 
wäre. 

Mit Bezug hierauf äusserte der k. Staatsminister der Justiz, Dr. 
Fäustle, in der Sitzung des II. Ausschusses der KammerTder Abgeord¬ 
neten vom 24. Februar 1872, er werde die Bildung einer Central gef äng- 
nisscommission, aus Richtern, Staatsanwälten und Industri¬ 
ell e n anstreben, welche auch die Aufgabe in ihren Bereich zu ziehen 
haben würde, die Arbeit der Gefangenen in den Strafanstalten rationeller 
und einträglicher zu machen. 

Stuttgart , im Juni 1872. Unterm 14. Juni v. J. ist folgendo 
Verfügung des Königl. Justiz-Ministeriums, betreffend die Mittheilung 
der Entscheidungsgründe zu den Straf-Urtheilen und der Gerichtsakten 
an die Verwaltungen der Strafanstalten erlassen worden: 

Da es von^Werth ist, dass in allen Fällen , in welchen es sich 
um die Vollziehung einer in einer höheren Strafanstalt zu verbüssenden 
Freiheitsstrafe handelt, der Vorstand der Strafanstalt und die Haus¬ 
geistlichen über die näheren Umstände des Verbrechens oder Vergehens, 
welches die Verurtheilung zur Folge gehabt hat, und über die Persönlich¬ 
keit des Verurtheilten sich unterrichten können, so wird Folgendes 
verfügt: 

1. Gleichzeitig mit der Ablieferung des Verurtheilten , oder doch 
so bald als möglich nach derselben sind die betreffenden Akten der 
Strafanstalts-Verwaltung mitzutheilen, wenn entweder 

a. das zu vollziehende Erkenntniss ein schwurgerichtlio 1 es , oder 

b. auf Stellung unter polizeiliche Aufsicht nach erstandener Strafe 
erkannt, oder 

c. die Strafe in der Strafanstalt für jugendliche Gefangene zu 
vollziehen ist. 

Die Verwaltung hat die Einsicht der Akten auch denjHausgeist- 
lichen zu eröffnen und für die möglichst baldige Rückgabe derselben 
an das Gericht besorgt zu sein. 



40 


2. In denjenigen Fällen, in welchen nicht in Gemäseheit der vor¬ 
stehenden Anordnung die Gerichtsakten selbst von Amtswegen der Straf¬ 
anstalten-Verwaltung zugestellt werden müssen, sind der letzteren die 
Entscheidungsgründe zu dem zu vollziehenden Strafurtheil mitzutheilen, 
entweder durch Aufnahme derselben in die zur Uebermittelung an die 
Strafanstaltenverwaltung bestimmte Abschrift des Strafurtheils (Yerfgg. 
v. 12. Febr. 1870, B. 8. a.) oder durch die gleichzeitige oder nachträg¬ 
liche Mittheilung einer abgesonderten Ausfertigung der Entscheidungs¬ 
gründe, 

Würden mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit eines 
Falles die Strafanstaltenverwaltung oder der Hausgeistliche von den 
Akten Einsicht zu nehmen wünschen, so hat dem Ansuchen um Mit¬ 
theilung der Akten das Gericht, sobald als thunlich, zu entsprechen. 

Stuttgart, 10. Febr. 1872. (61. Sitzung der Abgeordnetenkammer. 
An den Ministertisch ist Obertribunalrath Br. v. Beyerlen getreten.) 
Für gerichtliche Strafanstalten sind exigirt jährl. 182,760 fl., dazu kommt 
als Beitrag an den Verein zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene 
mit je 1000 fl. und eine Exigens für das Strafanstaltencollegium von 
5600 fl., somit im Ganzen jährlich 189,360 fl. Die Mittelzahl der Ge¬ 
fangenen im J. 1869/70 war 1399 und der jährliche Gesammtdurch- 
schnittaufwand auf einen Gefangenen betrug 116 fl. Unter den einzel¬ 
nen Besoldungsaufbesserungen hält Paulus die für die Zuchthausauf¬ 
seher , welche nur bis 450 fl. bekommen sollen, für zu niedrig , und 
wird darin von Retter unterstützt, welcher betont, dass diese Leute, 
welche selbst ein Gefangenenleben führen müssen, entschieden zu schlecht 
bezahlt seien. Ref. v. Sick erinnert an die gleichfalls ungenügende 
Besoldung der Aufseherinnen, und bringt mit Paulus einen Antrag ein, 
das hohe Haus möge die Geneigtheit aussprechen, eine Nachexigens zu 
diesem Zweck zu bewilligen, womit die Kammer einverstanden ist. Die 
zwei Hausgeistlichen der Strafanstalt Hohenasperg haben um eine Re¬ 
muneration für ihre Bemühung bei den Gefangenen von je 15 fl. nach¬ 
gesucht; die Kammer beantragt Yerwilligungi Hopf: Die Zahl der 
Gefangenen sei so gering, dass er durch das Verlangen der betr. Geist¬ 
lichen wirklich sehr unangenehm berührt worden sei. Im Interesse 
der höheren Würde des geistlichen Amtes bitte er die beiden Herrn 
auf diesem Wege, von ihrem Remunerationsgesuch abzustehen; diesel¬ 
ben sehen ja ohnedies einer Gehaltsaufbesserung entgegen, und mögen 
diese 15 fl. denjniederen Angestellten, für welche heute eine Nachexi- 
gens gewünscht ; worden sei, zukommen lassen. Bei vorgenommener 
Abstimmung wird der Kommissions-Antrag bewilligt. Am Schlüsse die¬ 
ses Etatssatzes gibt F e t z e r dem schon früher ausgesprochenen 
Wunsch Ausdruck, das hiesige Pönitentiargefängniss möchte anderswo- 



hin verlegt werden. Was den hier zur 8prache kommenden Antrag des 
Dr. Lenz betrifft, auf Errichtung einer besonderen Anstalt för zur Haft 
Verurtheilte, deren Absonderung nach ihrer Persönlichkeit die Verwal¬ 
tung für angemessen erachtet, so erscheint der Justizges.-Kommission 
(Referent v. Boscher) das Bedürfniss nicht genügend dargethan, 
$uch scheinen die Zweckmässigkeitsgründe nicht so dringend zu sein, 
dass die Annahme gerechtfertigt wäre. Desshalb wird Tagesordnung 
beantragt. Dr. Lenz zieht nunmehr diesen Antrag zurück und stellt 
dafür einen neuen Antrag, an die K. Regierung die Bitte zu richten, 
sie möge Einleitung treffen, dass die Strafe des Gefängnisses bis zu 4 
Wochen mit Berücksichtigung des’Bildungsstandes und der bürgerlichen 
Verhältnisse in Haft auf der Strafanstalt Hohenasperg verwandelt wer¬ 
den könne , und ^begründet diesen Antrag mit Hinweis auf die unge¬ 
nügende Lokale mancher Gefängnisse, Der Präsident bemerkt, 
dass der jetzt gestellte Antrag ein selbstständiger und an die Kom¬ 
mission zu verweisen sei. Justizmin. v. Mittnacht: Dieser An¬ 
trag sei ein ganz neuer und scheine ihm zu bezwecken, die Festungs¬ 
haft im Widerspruch mit dem deutschen Strafgesetzbuch festzuhalten; 
er halte es für unzulässig , denselben sofort zur Debatte zu bringen. 
Die Kammer beschliesst die Verweisung an die Justizgesetzgebungs- 
Kommission. 

Stuttgart, 22. März 1872. (Abendsitzung der Abgeordnetenkam* 
mer vom 21. März.) Zum Ausbau des Zellengefängnisses in Heilbronn 
und für Herstellung von Wohnungen für einen Theil des Beamten- und 
Offiziantenpersonal8 der dortigen Strafanstalt wurden ausser den bereits 
verabschiedeten 320,000 fl. weitere 246,000 fl, verwilligt. 

Aus Württemberg, im April 1872. Nach dem im Juli 1871 uner¬ 
wartet schnell erfolgten Tode des K. Justizrath Klees besorgte der 
Vorstand des Arbeitshauses in Ludwigsburg, Oberjustizrath B e chs t ein 
die Leitung des Weiberarbeitshauses in Markgrönningen. Da dies für 
letztgenannten Herrn man che Unzuträglichkeiten hatte, und auf die Dauer 
nicht durchzuführen war und die Lokalitäten in Markgrönningen längst 
dem Kultusministerium zur Errichtung eines dritten Waisenhauses ver¬ 
sprochen waren, so wurde die Verlegung des Weiberarbeitshauses nach 
Heilbronn beschlossen. Die Leitung der Ans!alten in Heilbronn be¬ 
sorgt bekanntlich seit Längerem der zum Vorstand des Gefängnisses 
in Rottenburg ernannte Justizrath Niel*. Letzterer hatte die nöthige 
Vorbereitung, Bauten etc. zu besorgen und Ende Oktober 1871 wurden 
die 120 weiblichen Gefangenen von Markgröningen mit 2 Aufsehern und 
8 Aufseherinnen in 3 Abtheilungen nach Heilbronn transferirt. 

Die Leitung der Strafanstalt in , Rottenburg besorgt einstweilen 
der dortige K. Oberamtsrichter Pfeilstiker. 

In den älteren Lokalitäten in Heilbronn wurde früher nur die Zucht¬ 
polizeihausstrafe gegen Weiber vollzogen. Im Dezember 1869 transfe- 



rirte man dahin noch di© weiblichen Kreis gefangenen von Rottenburg 
(damals 12 an der Zahl). Dieselben wurden jedoch von den anderen 
Gefangenen strenge gesondert, insbesondere auch in Schlaf- und Arbeits¬ 
sälen, Kirche, Schule, Hof etc. 

Dasselbe geschah auch mit den im Oktober 1871 nach Heilbronn 
transferirten Ar^eitshausgefangenen. Da alle 3 Categorien von Gefan» 
genen verschiedene Hausordnungen hatten, so war das Herstellen einer 
gemeinsamen Tagesordnung und überhaupt die Durchführung des ge- 
sammten Dienstes bei der beschränkten Räumlichkeit keine unbedeu¬ 
tende Aufgabe, deren Lösung aber der Umsicht und dem rastlosen 
Eifer des Justizrath Nick glücklich gelang. 

Seit 1. Januar 1872 werden nun in Heilbronn nur noch 2 Cate¬ 
gorien weiblicher Gefangenen verwahrt, Zuchthausgefangene bis zu 3? 
Gefängnisssträflinge bis zu 5 Jahren. Der Titel Zuchtpolizeihausver¬ 
waltung ging ein und wurde verwandelt in K. Yerwaltung der Weiber- 
strafanstalt. 

Der Gefangenstand betrug im November 1871 noch 208, im April 
d. J. nur 184. 

Die Mittheilungen in Band V. S. 225 über das noch nicht eröff¬ 
net© Zellengefängniss in Heilbronn bedürfen 'einiger Berichtigungen. 
In den ausgebauten 2 Flügeln befinden sich nicht 300, sondern nur 150 
Zellen. Auf jeder Seite des Stockwerks sind 13, im Stockwerk also 26, 
davon 25 Gefangenenzellen, 1 Aufseherzelle, in den 3 Stockwerken jedes 
Flügels also 75 Gefangenenzellen. In dem vor dem Zellengefängniss 
stehenden Yerwaltungsbau, wo die Gefangenen gemeinschaftlich arbeiten, 
aber bei Nacht getrennt werden sollen, sind dagegen 50 Schlafzellen. 
Das Zellengefängniss, für dessen Bau s. Z. 320,000 fl. bewilligt 
wurden, war also seither für 200 Gefangene weiblichen Geschlechts be¬ 
stimmt, soll aber künftig für Männer verwendet werden. Kürzlich sind 
nun weitere 246,000 fl. dafür bewilligt worden, um auch den dritten (nörd¬ 
lichen) Flügel, mit 75 Zellen zu erbauen und für 2 Hausgeistliche und 
Aufseher-Familienwohnungen 2 grössere Gebäude am Steinweg zu er¬ 
richten. 

Aus Württemberg , Mai 1872. Nach einer Bekanntmachung des 
Strafanstalten-Collegiums hat die Einlieferung sämmtlicher zu zeitiger, 
5 Jahre übersteigender Zuchthausstrafe verurtheilten Männer von jetzt 
an bis auf Weiteres in das Zuchthaus zu Stuttgart stattzufinden. 

Aus Thüringen, 18. März 1872. Der Special-Landtag zu Koburg 
trat am 13. d. M. zusammen. Unter den Yorlagen für denselben be¬ 
handelt eine die Regelung des Gefängnisswesens, eine andere die Er¬ 
richtung eines Landarmenhauses. 

Mühlhausen, 12. Februar 1872. Durch die jetzt erfolgende defi¬ 
nitive Anstellung der deutschen Reichsbeamten bekommen wir nun end- 



43 


lieh auch die für einzelne Kategorien derselben durch Verfügung des 
Reichskanzler-Amts bereits vor längerer Zeit angeordneten neuen Uni- 
formirungen zu schauen. Dieselben zeichnen sich im Gegensatz zu den 
ehemals im Reichsland paradirenden , theatralisch aufgeputzten franzö¬ 
sischen Amtskleidungen durch ihre schmucklose und zweckentsprechende 
Einfachheit vortheilhaft aus; namentlich gilt dies von der Uniform der 
Forstbeamten und des Aufsichtspersonals in den elsässisch-lothringischen 
Strafanstalten. Das gemeinsame Abzeichen aller Reichsbeamten besteht 
in der schwarz-weiss-rothen Kokarde, sowie der Säbel- oder Degen¬ 
quaste in den gleichen Farben. 

Wien, im März 1872. Bericht des zur Vorbereitung dreier Straf¬ 
gesetznovellen bestellten Ausschusses. 

Der Ausschuss, welchen das Abgeordnetenhaus in seiner 6. Si¬ 
tzung vom 19. Jänner 1871 zur Vorberathung der Gesetzentwürfe be¬ 
stellt hat, welche die Regierung über die Vollziehung der Freiheits¬ 
strafe in Einzelhaft, die Einsetzung ständiger Strafvöllzugskommissio- 
nen, sowie die widerrufliche Entlassung der Sträflinge vorgelegt, kommt 
theilweise den ihm gewordenen Aufträge nach, indem er den anliegen¬ 
den Gesetzentwurf zur Annahme empfiehlt. 

Es dürfte ungewöhnlich erscheinen, nicht blos, dass der Ausschuss 
nur über zwei dieser obbezeichneten Gesetzentwürfe Bericht erstattet, son¬ 
dern auch, dass er diese zwei Entwürfe in einen einzigen verschmolzen hat. 
Die Gründe hiefür liegen vor Aljem in der Dringlichkeit, welche mit 
Rücksicht auf die zur Benützung bereiten, sehr kostspieligen Neubauten 
in zwei Strafhäusern (Karlau bei Graz und Stein) für diejgesetzliche Re¬ 
gelung der Einzelhaft ganz unabweislich besteht. In zweiter Linie hat 
sich der Ausschuss auch nicht den Erwägungen verschliesseii können, 
dass die wichtige und für Oesterreich ganz neue Einrichtung der wider¬ 
ruflichen Entlassung einer ausgedehnteren Vorberathung bedürfe, als 
welche in jener Frist möglich gewesen wäre , die der Ausschuss unter 
sorgfältiger Bedachtnahme auf die Dringlichkeit der ersteren Gesetz¬ 
entwürfe in Anspruch nehmen zu können vermeinte. Die* Ansichten, 
welche über die sogenannte Beurlaubung der Sträflinge schon während 
der Generaldebatte im Ausschüsse sich geltend machten, scheinen sich 
überdies nicht mit der gleichen Raschheit und Entschiedenheit feststel¬ 
len zu lassen. Gleichzeitig aber erklärt sich dadurch die Verschmel¬ 
zung der Gesetzentwürfe über die Einzelhaft und die zur Ausführung 
der diesbezüglichen Bestimmungen zu bestellenden Strafvollzugs Commis¬ 
sionen. Die Technik des Gesetzes erlaubt es, und der Ausschuss hat 
hierauf volle Rücksicht genommen , dass, im Falle die widerrufliche 
Entlassung der Sträflinge Gesetz werden würde', eine kurze Einschal-' 
tung dort die Competenz der Strafvollzugskommissionen auch auf jene$ 
Gebiet ausdehnen kann. 



44 


Was nun das Meritorische des zur Annahme empfohlenen Gesetz¬ 
entwurfes anlangt, so dürfte es kaum angemessen erscheinen^ die Ge¬ 
danken und Erfahrungen zu wiederholen, welche nicht nur in Oester¬ 
reich , sondern allerwärts , wo es sich um Reform des Gefangenwesens 
handelt, dem Systeme der Einzelhaft Bahn brachen , und dies um so 
weniger, als ja wiederholte Voten der zur Vorberathung eines neuen 
Strafgesetzes bestellten Ausschüsse des hohen Hauses vorliegen, und 
letzteres seihst bereits in der Sitzung Yom 19. Juli 1867 ausdrücklich 
das Princip anerkannte, dass Freiheitsstrafen jeder Art in Einzelhaft 
verbüsst werden sollen. Seither ist auch nichts geschehen, was zu dem 
Schlüsse berechtigen könnte, als wäre die allgemeine und widerspruch¬ 
lose Anerkennung des grossen Princips heute eine weniger allgemeine 
oder minder unangefochtene. 

Freilich konnte sich der Ausschuss auch anderen Erwägungen 
nicht entziehen, welche die bevorstehende Neugestaltung des materiel¬ 
len Strafrechts wachruft, woraus sich der provisorische Charakter die., 
ses Gesetzentwurfes von selbst ergibt. Auf gleicher Stufe stehen jene 
Rücksichten, die dem Umstande gelten, dass die Einzelhaft nur schritt¬ 
weise mit dem Fortgange der Neubauten und Adaptirungen durch¬ 
führbar ist. So konnte sich der Ausschuss keineswegs dem peinlichen 
Eindrücke entschlagen, welchen die Betrachtung hervorzurufen geeignet 
ist, dass ein neues , grosses, einschneidendes Princip in seiner exacten 
und methodischen Durchführung — hei all’ seiner Nothwendigkeit — 
durch äussere Umstände, welche eben.eine Berücksichtigung unweiger¬ 
lich fordern, theilweise beinträchtigt wird; allein er durfte der durch 
die Thatsachen geschaffenen Nothwendigkeit eines solchen provisorischen 
Gesetzes nicht widersprechen, und desshalb musste der Entwurf alle 
Zeichen eines solchen Ursprungs an sich tragen. Der Ausschuss unter¬ 
lässt es also auch, in eine ausführliche oder vergleichende Erörte¬ 
rung über jene Singularitäten einzugehen, die vom Standpunkte der 
Wissenschaft oder Erfahrung immerhin einer abweichenden Auffas¬ 
sung und Entscheidung unterliegen könnten; gleichwohl hat der Aus¬ 
schuss diese Standpunkte sorgfältig gewahrt, wo nicht unübersteig- 
liche Hindernisse entgegentraten oder die starre Festhaltung principi- 
eller Consequenzen selbst das derzeit Erreichbare unmöglich zu machen 
gedroht hätte. 

Indem der Ausschuss sein Augenmerk unausgesetzt darauf rich¬ 
tete, für die einheitliche Durchführung des Strafsystems im Wege eines 
neuen Strafgesetzes kein hinderndes Präjudiz zu schaffen , vielmehr die 
Sammlung von schätzenswerthen Erfahrungen für die endgiltige Reform 
des materiellen Strafrechts nicht unmöglich zu machen, <hat er sich dem 
überwiegenden Theile der Motive angeschlossen, die die Regierung ihren 
Entwürfen beigegeben hat, auf welche daher auch hier hingewiesen wird. 

Diese Motive bemühen sich auch , die Zifferansätze zu rechtferti¬ 
gen , welche namentlich in diesem Gesetzentwürfe von eingreifender 



Bedeutung sind. Ein Theil der bezüglichen Bestimmungen ist durch 
langjährige Erfahrung gegeben, ein anderer Theil hält die Mitte zwi¬ 
schen Ziffern der ausländischen Gesetzgebungen, welche, wie jede Ziffer, 
etwas Willkürliches in sich schliessen, ein dritter Theil aber rechtfer¬ 
tigt sich durch statistische Nachweisungen, welche die Motive der Re¬ 
gierungsvorlage (S. 7—13) ausführlich geliefert haben; dieselben wur¬ 
den vom Ausschüsse einer eingehenden Prüfung unterzogen, fussen auf 
richtigen Voraussetzungen und sind auch als Basis der ziffermässigen 
Ausschussanträge zu betrachten. Die Ausführlichkeit dieser Motive 
überhaupt veranlasste den Ausschuss, in seinem Berichte nur auf jene 
Aenderungen der Regierungsvorlage einzugehen , welche von Wichtig¬ 
keit sind. Ausserhalb dieser Grenzen beschränkt sich der Ausschuss 
demnach auf die Erwähnung, dass er dem von der Regierung intendir- 
ten Systeme der sogenannten modificirten Einzelhaft zugestimmt hat, 
wie sie ausser in sehr wenigen Strafanstalten (so Bruchsal, Moabit, 
Nürnberg) überall in Deutschland besteht und — mit kurzen Worten 
gesagt — sich dadurch äusserlich kennzeichnet, dass die sonst unaus¬ 
gesetzte räumliche Trennung der Gefangenen von einander nicht auf 
Kirche, Schule und den Spaziergang ausgedehnt wird und Gesichts¬ 
masken nicht zur Anwendung kommen. 

Zu §. 4. So wichtig es erscheinen mag, zu sagen, das Verhältniss 
der Einzelhaft zur gemeinsamen Haft sei incoramensurabel, so erübrigt 
bei dem Umstande, als die Einzelhaft ein ungleich intensiveres Uebel ist, 
doch nichts, als eine Verhältnisszahl festzustellen. Der Ausschuss hatte 
keinen Anlass, von der Ziffer des Regierungsentwurfes abzuweichen; 
ebensowenig erhob er irgend ein Bedenken gegen die Forderung, dass, 
ehe die höhere Anrechnung der Einzelhaft eintreten könne, eine gewisse 
Frist in der Einzelhaft zugebracht worden sein müsse. Eine vielbe¬ 
strittene Frage ist aber die über den Zeitpunkt, in welchem diese Be¬ 
rechnung oder Reduction einzutreten habe, namentlich k darüber, wie 
lange die Einzelhaft gedauert haben müsse, um aus ihrem fühlbar inten¬ 
siveren Einfluss die Forderung der Reduction zu begründen, und ob sich 
diese Reduction auch auf die vor Eintritt dieses Endtermines verbüsste 
Strafe zu erstrecken habe. In ersterer Beziehung divergirten die An¬ 
sichten nicht unbedeutend; der §. 35 der Regierungsvorlage vom Jahre 
1867 hatte sechs Monate verlangt, die Ausschussberichte der Jahre 1868 
(§. 32) und 1870 (§. 27) diese Frist bis auf 30 Tage herabgemindert. 
Die diesmalige Regierungsvorlage und mit ihr der Ausschuss* glaubte 
den Mittelweg einschlagen und drei Monate empfehlen zu sollen. Die 
Annahme einer längeren Frist würde schon durch den Umstand behin¬ 
dert , dass eine so geringe Anzahl von Zellen belegbar ist, während 
doch getrachtet werden muss, auf eine möglichst grosse Zahl vön Sträf¬ 
lingen die Bestimmungen über die Einzelhaft anwenden zu können. 
Unter das Minimum von drei Monaten herabzugehen , schien aber dem 
Ausschüsse durchaus* nicht räthlich, da er sich einstimmig der Meinung 



46 


anschloss, eine kürzere Frist wäre nicht im Stande, die erhöhte Inten¬ 
sität des Uebels fühlbar zn machen und eine Reduction zu begründen. 
Allein, wenn man bei dem Vorschläge der Regierung geblieben wäre, 
dass sofort die ganze abgebüsste Strafe reducirbar sei, würden die 
Ungleichförmigkeiten, welche mit jeder Reduction verbunden und nuj? 
mit Ausschliessung der Reduction überhaupt gänzlich zu beseitigen sind, 
häufiger und mit Rücksicht auf kurzzeitige Strafen greller hervorgetreten 
sein. Auch durften die Bedenken, welche schon im Jahre 1867 im hohen 
Hause erhoben wurden und namentlich gegen die unbedingte Regel gerich¬ 
tet waren, dass nach Tagen schlechthin zu reduciren sei, nicht unterschätzt 
werden. Diesen sowohl wie den oben angedeuteten Einwürfen ver¬ 
meinte der Ausschuss dadurch zu begegnen, dass er die ersten drei 
Monate jedeT Strafe als nicht reducirbar erklärte und erst für jenen 
diese Frist überschreitenden Zeitraum das Anrechnungsverhältniss von 
2 : 3 angewendet wissen wollte. 

Zu §§. 5 und 6. Es ist nicht der geringste Vortheil der Einzel¬ 
haft, dass der Gefangene für das erziehende Moment der Arbeit und 
für geistige Anregung empfänglicher wird. Diese günstige Vorbedin¬ 
gung muss in ausgedehnter Weise benützt werden, so weit die Einrich¬ 
tung eines Gefängnisses es nur überhaupt zulässt. Von diesem Ge¬ 
sichtspunkte gingen die citirten Entwürfe der Jahre 1867 (§§. 44 und 
45), 1868 (§§. 41 und. 42) und 1870* (§§. 35 und 36) aus. In Beziehung 
auf die Arbeit stätuirten sie das Zwangsweise und Angemessene dersel¬ 
ben ausdrücklich. Der Ausschuss glaubte auf diese Voten zurückgehen 
zu sollen, wenn auch das geltende Strafgesetz im §. 18 ganz bedingungslos 
u. im §. 245 unter gewissen Voraussetzungen die Arbeit zur Pflicht macht. 
Es konnte nämlich nicht übersehen werden, dass es in den gerichtlichen 
Gefängnissen hie und da mit Schwierigkeiten verbunden sein wird , den 
Zellengefangenen zu ununterbrochener und angemessener Arbeit anzu¬ 
halten; allein eben das rückte die Gefahr nahe, dass derselbe ohne 
Arbeit bliebe, was mit Rücksicht auf die Wirkungen der Beschäftigungs¬ 
losigkeit in der Einzelhaft im gesetzlichen Wege zu verhindern die 
Pflicht erheischt. Indem die Regierung den von der Arbeitspflicht Ent¬ 
hobenen (§. 244 des Strafgesetzes und A. h. E. v. 28. Okt. 1849 und 
3. Dez. 1864) den Schutz gewähren zu müssen glaubte, dass ihrem Ver¬ 
langen nach Arbeit entsprochen werden solle, theilte sie die Anschau¬ 
ungen des Ausschusses. 

Neu erscheint die Bestimmung, dass bei 'der dem Sträfling zuzu¬ 
weisenden Arbeit auch auf den Unterricht in einem’Gewerbe Rücksicht 
zu nehmen sei. Wenn die Erwerbsunfähigkeit in so vielen Fällen die 
Ursache der Verbrechen gegen das Eigenthum ist, so muss es als das 
nothwendige Bestreben eines jeden Strafsystems gelten, den erstarkten 
guten Willen durch die Fähigkeit, auf redliche Weise Erwerb zu finden, 
wirksam zu unterstützen, den schwachen zu kräftigen , den mangelnden 
weniger gefährlich zu machen. 



f Nachdem ejn zweckdienlicher Unterricht ohnedies nur bei länge¬ 
ren Strafen, also vornehmlich in den Strafanstalten, in welchen die Ar¬ 
beit nach den Kegeln der Gewerbsmässigkeit betrieben werden muss, 

" die gewünschte Rücksicht wird erfahren können, so dürfte auch in die¬ 
ser Richtung der neuen Bestimmung kein irgendwie namhaftes Beden¬ 
ken entgegenstehen. 

Wie auf der einen Seite Erwerbsfähigkeit und Arbeitslust, so 
8oll auf der anderen der Unterricht und die geistige Anregung wirken. 
Auch diese bekämpfen ein sociales Grundübel, eine häufig wirkende Ur¬ 
sache der Yerbrechen, die Unwissenheit. Dem Unterrichte gebührt 
die gleiche Würdigung wie der Arbeit, also auch der gleiche Platz im 
Gesetze. 

Indem der Ausschuss daran ging, einen separaten Paragraph 
einzuschalten, hat er auch die Resolution vor Augen, welche das hohe 
Haus in der Sitzung vom 16. Juni 1871 gefasst hatte, lautend: 

„Die Regierung wird aufgefordert, die durchgreifende Neugestal¬ 
tung des Schulunterrichtes in den Strafhäusern ungesäumt vorzubereiten 
und spätestens bis zu dem Zeitpunkte und in jener Zeitfolge zu vollen¬ 
den, als die Durchführung des Einzelhaftsystems ermöglicht sein wird.“ 
Der Ausschuss ist desshalb einstimmig zu dem Beschlüsse ge¬ 
langt, es müsse diesen Forderungen durch die neu beantragte Bestim¬ 
mung Genüge geleistet werden. Die Fassung des Paragraphen wurde 
so gewählt, dass so viel als möglich gesagt erscheint, ohne den Rahmen 
eines Gesetzes zu überschreiten. Wenn der allgemeine Ausdruck 
„Kenntnisse der Volksschule“ gebraucht wird, so soll damit ein Fort¬ 
schritt bezeichnet sein, denn die Yorurtheile gegen einen über die Rudi¬ 
mente des Elementarwissens hinausgehenden Unterricht sind längst 
überwunden und es hat sich an der Hand der Erfahrung“ die Ueberzeu- 
gung Bahn gebrochen, dass auch ein Unterricht in weiteren Grenzen 
den hiefür Empfänglichen zugewendet werden solle. 

Zu §. Sh Die Weglassung der übrigen Sätze der Regierungsvor¬ 
lage beruht einzig auf der Erwägung, dass es nicht gut sei, im Texte 
des Gesetzes Wiederholungen oder commentatorische Beifügungen zu 
belassen. 

Minder erhebliche Aenderungen der Regierungsvorlage ergaben 
sich aus der Verschmelzung der beiden Gesetzentwürfe oder sind blos 
stylistischer Natur. 

Der Ausschuss glaubt daher nur noch bemerken zu sollen, dass 
sich die Regierung mit dem hier vorgelegten Entwürfe zur Gänze ein¬ 
verstanden erklärt hat und stellt den Antrag: 

„Das hohe Haus wolle dem anliegenden Gesetzentwürfe seine 
Zustimmung ertheilen. 

Wien, 20. Februar 1872. Dr. Aug. Weeber, Obmann. Dr. 
Russ, Berichterstatter. 



Das Gesetz, betreffend die Vollziehung der Freiheitsstrafen in 
Einzelhaft und die Bestellung von Strafvollzugs Commissionen lautet: 

§. 1. In Strafanstalten und gerichtlichen Gefängnissen j deren 
Einrichtungen den Vollzug der Freiheitsstrafe in Einzelhaft gestatten, 
werden zeitige Kerkerstrafen und Arreststrafen , soweit die Räumlich¬ 
keiten ausreichen , nach Massgabe der folgenden Bestimmungen in der 
Weise in Einzelhaft vollzogen, dass der Sträfling unausgesetzt von an¬ 
deren Gefangenen gesondert gehalten wird. 

§. 2. Die ganze Strafe ist in Einzelhaft zu vollziehen , wenn sie 

1. durch höchstens achtmonatliche Anhaltung in Einzelhaft ver- 
büsst werden kann, oder wenn 

2. das Urtheil eine höchstens achtzehnmonatliche Freiheitsstrafe 
verhängt und der Verurtheilte Besserung erwarten lässt. 

In allen anderen Fällen soll der Sträfling während des ersten 
Theiles der Strafzeit, und zwar mindestens durch acht Monate und 
nicht über drei Jahre in Einzelhaft gehalten werden. 

§. 3. Einzelhaft findet nicht statt, wenn deren Antritt oder Fort¬ 
setzung wegen körperlicher Gebrechen des Sträflings oder sonst zu be¬ 
sagender Nachtheile für seine leibliche oder geistige Gesundheit be¬ 
denklich erscheint. 

Den Ausspruch hierüber fällt in Strafanstalten der Vorsteher der 
Anstalt, hinsichtlich der in gerichtlichen Gefängnissen verwahrten Sträf¬ 
linge aber der mit der Aufsicht betraute Rath des Gerichtshofes. In 
beiden Fällen muss vor dem Ausspruche die Einvernehmung des Haus¬ 
arztes und der sonst betheiligten Beamten stattfinden. 

§. 4. Hat ein Sträfling mindestens drei Monate in Einzelhaft zu¬ 
gebracht , so gelten bei Berechnung der Dauer der nach diesen drei 
Monaten abgebüssten Strafe je zwei vollständig in Einzelhaft zugebrachte 
Tage als drei Tage. 

Diese Art der Berechnung wird dadurch nicht ausgeschlossen, 
dass bei dem Gottesdienste, in der Schule oder bei Ergehung in freier 
Luft innerhalb der Gefängnissräume eine vollständige Absonderung des 
in Einzelhaft befindlichen Sträflings von den übrigen Gefangenen nicht 
bewerkstelligt werden konnte. 

§. 5. Der Sträfling ist in der Einzelhaft zu ununterbrochener 
Arbeit anzuhalten, wobei auf seine Berufsstellung, Arbeitsfähigkeit und 
bisherige Beschäftigungsweise, sowie den Unterricht in einem Gewerbe 
thunlichste Rücksicht zu nehmen ist. Insoweit er jedoch von der Ar¬ 
beitspflicht enthoben ist, muss ihm Gelegenheit zu ununterbrochener 
angemessener Beschäftigung gegeben werden. 

§. 6. Den Sträflingen ist während der Einzelhaft ein regelmässi¬ 
ger Unterricht zur Aneignung der Kenntnisse der Volksschule zu er- 
theilen und, soferne sie dieselben bereits besitzen, Gelegenheit zur 
Weiterbildung zu gewähren. 



49 


§. 7. Während der Einzelhaft soll jeder Sträfling täglich Wenig¬ 
stens zwei Besuche erhalten. ^ 

Soweit diese Besuche nicht von seinen Angehörige^, < Äen , Seäl- / 
sorgern, Lehrern, Gewerbsmeistern, Aerzten oder den von a£r‘ ßefiftMy 1 
insbesondere hiezu ermächtigten Mitgliedern solcher Vereine’,' wdfijtiö 1 
sich die Obsorge oder Besserung von Sträflingen zum Zw^^k# M Hetzen, 
gemacht werden, sind dieselben von den sonst zur Obhut iit d^ii 'SfeiEf- 
anstalten und gerichtlichen Gefängnissen bestellten Personen'’vöf&i- 1 
nehmen. ' ivjw\to\iw 

Besuche von Personen, die weder zu den Angestellten der^ Straf¬ 
anstalt oder des gerichtlichen Gefängnisses gehören, noch 
sicht daselbst zu führen haben, noch sonst die Ermächtigung 
tritte im öffentlichen Interesse erhalten, dürfen bei einem isin^elnen 
Sträflinge niemals länger als eine halbe Stunde dauern, und^önfltn von 
dem Sträfling überhaupt abgelehnt werden. 'mdiitirmtiiK 

§.8. Auf Personen , welche bei Beginn der Wirksäiiih , 6& ‘dßfe* 
gegenwärtigen Gesetzes bereits verurtheilt sind, oder welche ij£ä&r nur 
wegen einer vor diesem Zeitpunkte verübten Handlung verurflÄ5^f s ^6i , - , 
den, ist dieses Gesetz nur mit ihrer Zustimmung in Anwöid^ng zu 
bringen. 

§. 9. Die Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes lifffetf 
die als Strafverschärfung oder Disciplinarstrafe verhäng# 
keine Anwendung. " 

§. 10. Zur Mitwirkung bei Ausführung 'cl^r vor stell e^deij' Äe- 
Stimmungen wird am Sitze des Gerichtshofes' erster Instanz 1 (fi'^ndeSr* 
oder Kreisgerichtes) eine ständige S^rafvolliugsconnnission ( TipsteÜV." 
welche über die genaue Beobachtung ”de? V/Srstelienderi ^Bestimmungen' 
bei Anwendung der Einzelhaft zu wachen,'diesem Bkliufe mindestens' 
einmal in jedem Monate'dRs (jf^fkn^tiiks !1 untersuchen \ vorgekommerie 
Anstände zu beseitigen und über Beschwerden der Sträflinge 1 "zu 1 ent¬ 
scheiden hat. '• ■" ,h nl •i-toV 

§. 11. Oi^Ö"C(iniäli^6h' t'Äif'älit» TfdÜ MÄr iW'Gerfth'&i 1 
hofetf'"älfc VWüftzeiiflen" de'm ätaktsa'A^^lte‘d&r 1 WlM "ötetö&treter 
diia* eiielÜ’ ,"'daM »4b'' ü^el 7 nicilf 

dienste's^hteM^ V^ttku^AU 'kks J dfri^”Wdto^lirth'r^. ? 1K 
'' 1 ‘ " Die 1 'Wähl 11 tUtä' iil 7 dte mfssftJn' üii be&ftVid'WtoMÄS* s^tht dem 

Vorsteher des Gerichtshofes zu, welcher 'aAth ’tfir l Ekll , d li ’f[er' eigtlhkn 
VWhikaöfitAg 1 Öder' ddt 1 Vöi-hlnderilii^ d^s der 1 bdmmissi'db ^AgeWesenen 
Ratteö 1 S^UVWWötdr 1 Std' ’b^Wnftteri "likt! 0 'öli^e' 'Kd^elldn^'n'' ‘öriAU'dtf 
bflf'BAgiflh'afhei 1 yflbh' JaMÄ tü , f , ! d!e ,i ga^d rfkkamAsdlh’eii:''’'' 

" ,h -'»fe 1 jWeS'VeÄerainBtfMV^ 

derselben werden von dem JustiZmikister 'aÜf' 1 d?A DauW' vbrf''drei' iJah- 
rlifl'erMä'An'C l übd' 1! Hihd "dütch flkn" Vorstdlief äös/ Öencliisl/ofeä äuf die 

^iHstfAitee- 1 EfterttiÜg 1 ikr^r ■ , Öbf{^eh1iei%'ä' l MJ^ 1,4 

zu verpflichten. 1,1,1 mhrmb ymibrmwnA 


Bl&tter fftp GeflLngnisakunde VIL 




§. 12. Die Commission kann zu ihren Sitzungen den Vorsteher 
der Strafanstalt, und hinsichtlich der in den gerichtlichen Gefängnissen 
verwahrten Sträflinge den mit der unmittelbaren Aufsicht des Gefäng¬ 
nisses betrauten Richter, sowie den Seelsorger, Arzt, Lehrer u. Gewerbs- 
meister des Sträflings mit berathender Stimme beiziehen. 

Die Beschlüsse der Commission erfolgen stets nach Anhörung des 
Vorstehers der Strafanstalt, und hinsichtlich der in den gerichtlichen 
Gefängnissen verwahrten Sträflinge nach Anhörung des mit der un¬ 
mittelbaren Aufsicht des Gefängnisses betrauten Richters. 

§. 13. Zu Einern gütigen Beschlüsse ist die Anwesenheit aller 
Commissionsmitglieder, beziehungsweise ihrer Stellvertreter und mehr 
als die Hälfte sämmtlicher Stimmen erforderlich. 

Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab. 

In den£ Sitzungsprotokollen sind die Namen der anwesenden 
Stimmführer, deren Abstimmung und die gefassten Beschlüsse nebst 
einer kurzen Anführung der Gründe zu verzeichnen. 

§. 14. Die Beschlüsse der Strafvollzugscommissionen können vom 
Justizministerjabgeändert werden. 

§. 15. Den Vertrauensmännern gebührt, wenn sie sich zum Be- 
hufe ihrer Amts Verrichtung über eine halbe Meile von ihrem Wohnsitze 
entfernen ^müssen, nebst der Vergütung der Fahrgelegenheit eine Ent¬ 
schädigung von fünf Gulden für den Tag. 

§. 16. Der Justizminister ist mit dem Vollzüge dieses Gesetzes 
und mit der Erlassung der Dur chführungs vor Schriften beauftragt und 
hat durch Verordnungen, die im Reichsgesetzblatte kund zu machen 
sind, die Strafanstalten und gerichtlichen Gefängnisse, beziehungsweise 
die Gerichtshöfe, zu bezeichnen, wo die Bestimmungen dieses Gesetzes 
in Ausführung zu bringen sind. 

§. 17. Dieses Gesetz tritt mit 'dem Tage der Kundmachung in 
Wirksamkeit. 

Vorstehender Entwurf wurde in der Sitzung des Abgeordneten¬ 
hauses am 27. Februar 1872 ohne Discussion angenommen. 

Pest, im Februar 1872. Unterm 2ö.ß,v. M. ist vom k. Justizmi¬ 
nister folgende^ Ver Ordnung. in Betreff der Anwendung von Fesseln 
als Vorsichts-, Sicherheits- und Disciplinarmittel erlassen worden. 

Auf Grund der im §. 5 des G.-A. LII: 1871 enthaltenen Ermäch¬ 
tigung verordne ich wie folgt: 

§. 1. Da die Fesseln als Vorsichts-, Sicherheits- und Disciplinar¬ 
mittel nur im unerlässlichen Nothfalle anzuwenden kommen, ist in dem 
Falle, wenn den Vorsichts- und Sicherheitsrücksichten auf andere Weise, 
namentlich durch Vermehrung der Wächter, genügt werden kann, die 
Anwendung von Fesseln nicht gestattet. 

§. 2. Wenn die Anwendung von Fesseln unvermeidlich war, sind 
dieselben sogleich abzunehmen, sobald die Nothwendigkeit, welche als 
Grund für deren Anwendung diente, aufgehört hat. 



51 


§. 3. Aus Vorsichts- und Sicherheitsrücksichten sind die Fesseln 
anzuwenden, wenn das detenirte Individuum a) wiederholte Zornanfälle 
hat oder dem Organe der Staatsbehörde sich widersetzt; wenn es entwei¬ 
chen oder ausbrechen will; oder wenn es Vorbereitungen zur Flucht 
oder zum Ausbrechen trifft; — b) wenn die Anwendung von Fesseln 
wegen des gefährlichen Seelenzustandes des detenirten Individuums 
entweder zu seiner eigenen oder zur Sicherheit Anderer nöthig ist; —• 
c) beim Transport, wenn die Eskorte ungenügend ist, und das Betragen, 
das Vorleben oder die Lokal Verhältnisse besondere Behutsamkeit und 
Vorsicht nöthig machen, vornehmlich wenn der Gefangene bei Nacht 
oder durch eine wüste Gegend, oder an einem Fluss oder an einer übel¬ 
berüchtigten Cs&rda vorüber, oder in der Nähe eines solchen Ortes 
transportirt wird, wo gefährliche Individuen sich aufzuhalten pflegen. 

§. 4. Als Disciplinarmittel dürfen die Fesseln in der Begel nur 
dann gebraucht werden, wenn andere Arten der Disciplinarbestrafung, 
als z. B. Warnung, Verweis, Entziehung von Begünstigungen, wie: Se¬ 
paratverköstigung, Privatarbeit, Besuche, Briefschreiben, Lektüre, — 
oder Beschränkung auf Wasser und Brod, wie Dunkelkammer u. s. w. 
schon früher wirkungslos angewendet worden sind, oder wenn die ge¬ 
wöhnlichen Disciplinarstrafen sich zur allsogieichen Bändigung des Ge¬ 
fangenen als unzureichend erweisen. 

§. 5. Mit den Fesseln ist dem Gefangenen in allen den Fällen 
zu drohen, wenn er einen Entweichungsversuch gemacht; wenn er ge¬ 
gen die Aufsichtsbeamten oder andere Amtspersonen, die Zivil- und 
Militärwachen, oder die Diener, gegen die Arbeitspächter und Kostge¬ 
ber, oder ein zum Personal derselben gehöriges Individuum ein thät- 
liches Attentat beging, oder andere zu einem solchen Attentate, oder über¬ 
haupt gegen einen Aufsichtsbeamten, Wächter, oder eine vermöge ihrer 
Stellung im Gefängnisslokal beschäftigte Person aufwiegelte, wenn er 
sich einer Anordnung des mit der Aufsicht betrauten Beamten wider¬ 
setzte, oder gegen die festgesetzte Hausordnung tobte, wenn er Andere 
gegen das Reglement, oder zum Ausbrechen, zur Flucht, zum Wider¬ 
stand aufwiegelte, dessgleichen, wenn er einen andern Gefangenen 
thätlich verletzte. 

Mit Fesseln ist auch derjenige Gefangene zu bedrohen, welcher 
das Gefängnissgebäude oder zur Einrichtung des Gefängnisses gehörige 
Gegenstände, oder Arbeitsgeräthe, Materialien oder die Kleidungsstücke, 
welche er an hat, wenn auch zum ersten Mal, so doch absichtlich be¬ 
schädigt. 

§. 6. Die Anwendung der Fesseln als Vorsichts-, beziehungsweise 
Sicherheitsmittel, für Untersuchungshäftlinge kann der Untersuchungs¬ 
richter (bei Bezirksgerichten der Bezirksrichter) anordnen. 

Bei dem Transport eines Gefangenen jedoch, so wie unmittelbar 
nach seiner Festnehmung, können im dringenden Nothfalle auch die 
Sicherheitsorgane, ja selbst der betreffende Wächter die Ketten an- 

4 * 



52 


wenden. In einem solchen Palle sind indessen die Fesseln alsogleich 
abzunehmen, sobald der Gefangene in seinem Bestimmungsorte ein¬ 
getroffen ist. 

§. 7. Die Anwendung der Fesseln als Disciplinarstrafe kann der 
königliche Anwalt, bei den Bezirksgerichten der Bezirksrichtcr, in den 
Landesstrafhäu8ern aber der Direktor anordnen. 

In dringenden Fällen, speziell in Fällen von Aufwiegelung, Aus¬ 
bruch, persönlichen Angriffen, Fluchtversuchen, kann auch der Gefäng¬ 
nissaufseher oder der Gefängnisswächter die Fesseln anwenden, ist je¬ 
doch verpflichtet, den königlichen Anwalt, beziehungsweise den Bezirk s- 
richter, unverzüglich davon zu benachrichtigen. 

§. 8. Auf wegen einer Uebertretung verurtheilte Gefangene dür¬ 
fen die Fesseln als Disciplinarstrafe nicht in Anwendung gebracht 
werden. 

§. 9. Die Fesseln dürfen nicht länger als auf die Dauer eines 
Monats angeordnet werden. 

§. 10. Die tBestimmung darüber, ob die Fesseln bei Tag und 
Nacht oder nur bei Nacht, ferner ob an Füsse und Hände oder nur an 
die Füsse anzulegen, endlich ob bei Nacht eine engere Fesselung anzu¬ 
wenden — mit Rücksicht auf die Individualität * des ^Betreffenden und 
die Schwere,der Handlung — steht dem zur Anordnung der Fesselung 
berechtigten Beamten zu. 

§. •11. J Bei Anwendung der Fesselung muss möglichst darauf 
Rücksicht genommen werden, dass das Gewicht der Fesseln dem Alter 
und der Leibeskonstitution angemessen sei. 

In der Regel ^können Fesseln, welche Frauen oder Individuen 
unter 20 Jahren, desgleichen Männern von schwacher Leibeskonstitu¬ 
tion oder weit vorgerücktem Alter angelegt werden, wenn sie einfach 
sind, sammt der Kette ein Gewicht von 17 Loth bis 1 Pfund und 12 
Loth haben; doppelte Fesseln aber sammt Kette ein Gewicht von 1 
Pfund 28 Loth bis zu 2 Pfund. 

Solche Fesseln aber, welche erwachsenen Männern von gesunder 
und starker Leibeskonstitution angelegt werden, dürfen wenn einfach, 
sammt Kette ein Gewicht von 1 Pfund 28 Loth bis zu 2 Pfund und 
wenn doppelt sammt Kette ein Gewicht bis zu 4 Pfund haben. 

§. 12. Zur Vermeidung von Verwundungen ist es nöthig, dass 
bei einer länger als 48 Stunden dauernden Fesselung unter der Fessel 
eine Fesselunterlage angewendet werde, welche das Herabrutschen der 
Fesseln verhindert. 

Bei schweren Fesseln müssen sowohl der untere als der obere 
Rand nach auswärts gebogen sein, um nicht in den Fuss einzuschneiden; 
das Eisen oder die Kette zwischen Doppelfesseln hat sammt der Schliesse 
1V* Fuss lang zu sein, damit der Gefangene auch in einem solchen Zu¬ 
stande frei ausschreiten könne. Wenn der Gefangene nur an einem 
Fuss Fesseln trägt, so kann er die Kette der Fessel oder die daran- 



hängende zweite Fessel zur Erleichterung am Hosenträger und bezie¬ 
hungsweise am Gürtelband des Weiberrocks über die Hälfte hängend 
tragen. 

§. 18. Wenn der Arzt aus Gesundheitsrücksichten die Abnahme 
der Fesseln empfiehlt, sind dieselben sofort abzunehmen und wenn der 
Gefangene seine Disciplinar-Strafe noch nicht überstanden und die Fort¬ 
setzung der unterbrochenen Fesselung sich nöthig zeigt, so ist sie bei 
Wiederherstellung seiner Gesundheit aufs Neue anzuwenden. 

§. 14. Das Schlagen in kurze Eisen und die Ankettung an den 
Boden ist nur in seltenen Fällen der äussersten Noth zu gestatten und 
darf stetig an einem Tage höchstens nur sechs Stunden dauern. 

§. 15. Bei dem Disciplinar-Verfahren ist ein Protokoll aufzuneh¬ 
men und der Beschluss schriftlich aufzusetzen. Gegen den Beschluss 
greift jedoch keine Appellation Platz. 

§. 16. Ueber alle Häftlinge, bei welchen die Fessel, ob nur als 
Vorsichts- oder Sicherheitsmittel, oder als Disciplinar-Strafe angewen¬ 
det wurde, hat der Gefängniss- oder Kerkeraufseher genaue Listen zu 
führen. 

Der ungarische Gesetzartikel LII vom Jahre 1871 bestimmt wie 
folgt: (Auszug.) 

§. 1. Die körperliche Züchtigung als Haupt- oder Nebenstrafe, 
oder als Strafschärfung, so auch als Disciplinarsträfe wird abgeschafft, 
und zwar nicht nur im strafrechtlichen Verfahren, sondern auch in 
polizeilichem. 

§. 2. Statt der körperlichen Züchtigung als Hauptstrafe soll in 
Zukunft die Freiheitsstrafe angeordnet werden; als Strafschärfung soll 
eine andere erlaubte Verschärfung substituirt werden. 

Die in den bis jetzt gefällten Urtheilen verordneten körperlichen 
Züchtigungen werden einfach erlassen, ohne dass eine andere Straf¬ 
schärfung an deren Stelle tritt. 

(In den § §. 3 und 4 werden gleiche Verfügungen betreffs der 
Fesseln getroffen.) 

§. 5.. Die Fesseln als Vorsichts-, Sicherheits- und Disciplinar-Mit¬ 
tel können auch in Zukunft angewendet werden, und der Justizminister 
wird ermächtigt, deren Verwendung auf Verordnungs-Wege zu regeln. 

(Die § §. 6, 7, 8, 9 lauten über die Ausführung gegenwärtigen 
Gesetzes.) 

Aus der Schweiz, Mai 1872. Der V o r s t a n d hat an die Mitglieder des 
schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnisswesen am Syl- 
yesterabend 1870 folgendes Circularschreiben erlassen: 

Werthe Vereinsgenossen! Wir erachten es bei Jahres¬ 
schluss als unsere Pflicht und an der Zeit, Ihnen die Vertagung der 
diesjährigen Generalversammlung mit den Motiven förmlich zu no- 
tifiziren. 

Durch Circular vom Jänner 1870 hatte der Vorstand die Gründe 



auseinandergesetzt, welche es verunmöglichten, die Generalversammlung 
reglementsgemäss auf — Mai anzuordnen. 

Wir beabsichtigten deren Abhaltung im Monat September. Mitt¬ 
lerweilen entbrannte im Norden unseres Vaterlandes zwischen zwei be¬ 
nachbarten Nationen ein ganz Europa erschütternder, Verhängnis s voll er 
Krieg, dessen Ende noch heute nicht abzusehen ist, nachdem bereits 
Hunderttausende braver Soldateu auf blutgetränkten Schlachtfeldern ge¬ 
blieben, blühende Städte und Dörfer zerstört sind. 

Tausende von Familien Deutschlands und Frankreichs sind da-* 
durch in namenloses Unglück gestürzt, die Gewerke und Früchte des 
Friedens auf Jahre hinaus vernichtet. 

Selbstbegreiflich, dass vor einer solchen Situation alle philantropi- 
schen Sonderzwecke zeitweise in den Hintergrund traten. 

Alle Blicke sind mit gespanntester Theilnahme auf den Kriegsschau¬ 
platz geheftet, die Sympathien und Sorgen aller Menschenfreunde sind 
nur dem Einen Ziele zugewendet, das immer Mögliche zu thun zur 
Linderung und Heilung so vieler und tiefer Wunden, welche die herz¬ 
lose Kriegsfurie dem Verkehrs- und Familienleben geschlagen hat. 

Wenn wir — dieser hohem Macht der Umstände uns fügend 
und in der sichern Voraussetzung allseitiger Zustimmung — die Ver¬ 
tagung der diesjährigenGeneralversammlung des schwei¬ 
zerischen Gef ängnissve reines beschlossen haben, so sind wir 
nur dem Beispiel der übrigen Schweizer-Vereine gefolgt^welche auch — 
aus gleichem Grunde — keine Jahreszusammenkünfte abhielten. 

Zum Beweis übrigens, dass trotz Ungunst der Zeitlage — die 
heilige Flamme der Vereins-Vesta nicht erloschen ist, melden wir die 
erfreuliche Thatsaohe, dass der Bestand der Mitglieder einen nam¬ 
haften Zuwachs erhalten hat und bieten Ihnen zugleich — als Traktan¬ 
den der künftigen Generalversammlung — zwei Referate, in welchen 
wichtige, der aufmerksamsten Beachtung würdige Reformfragen gründ¬ 
lich besprochen werden. 

Ueber die Stellung, welche die behandelten Thema zu den frü¬ 
hem Verhandlungen und im Programm der künftigen Jahresversamm¬ 
lung einnehmen, hier einige orientirenden Bemerkungen: 

Aus der Diskussion des Forrer’schen Referates über die Schutz¬ 
aufsicht der Schweiz ergab sich überzeugend, dass die Sache 
noch nicht spruchreif sei, sondern noch weiterer Erdaurung bedürfe. 

Auf Wunsch des Herrn Berichterstatters selbst wurde desshalb 
dieser Gegenstand an den Vorstand gewiesen mit der Direktion, dass 
das Institut der bedingten Freilassung mit erwogen werde. 

Herr Obergerichtspräsident Dr. Bühler hat im Sinne dieses Be¬ 
schlusses die Uebernahme des Referats in verdankenswerther Weise 
zugesagt. 

Um indess das Kapitel der Schutzaufsicht einer erschöpfenden 
Erledigung entgegenzuführen, fand der Vereinsvorstand noch die Bei- 



55 


ziehung anderer, den vollen Erfolg der Schutzaufsicht mitbedingender 
Faktoren nothwendig. Wir meinen zunächst die Miterwägung der dem 
Pönitentiarzweck entsprechenden Behandlung des Verdienstan- 
theils der Gefangenen, sowie die Erörterung der zur Wirksam¬ 
keit der Schutzaufsicht wünschbaren Reformen in Strafan¬ 
stalten mit ausschlies slich gemeinsamer Haft. 

Erste re Frage „vom Verdienstantheil* wurde schon in der 
Generalversammlung vom 27. Mai 1867 von Herrn Direktor Kühne 
auf das reichhaltige Yerzeichniss der in den Bereich der Yereinsaufgabe 
fallenden Thesen gesetzt. 

Es schien uns angezeigt, diese Frage, welche noch heute eine 
der bestrittensten und verworrensten ist, zur Begutachtung gerade dem¬ 
jenigen Mitgliede in die Hand zu geben, das sie angeregt und zudem 
sich schon mehrfach in dem betreffend en Geschäftskreise 
bewegt hat. 

Das zweite Thema setzt die Schutzaufsicht und ihre Anforde¬ 
rungen in Beziehung zu den glücklicherweise nur vereinzelt noch vor¬ 
kommenden Anstalten mit ausschliesslicher Gefiieinsamhaft. 

Die Frage, welchen — mit einer gedeihlichen Schutzaufsicht 
unvereinbaren Uebelständen und wie denselben möglichst abzuhelfen 
sei, liegt um so näher, als gerade selbst grössere Kantone, wie Bern, 
Freiburg, Luzern ihre^verfehlten Strafhäuser beizubehalten genöthigt 
sind, bis zuständigen Ortes, — was leider noch auf Jahre hinaus sich 
verziehen kann, — die für einen rationelleen Reubau erforderlichen 
Summen bewilligt sind. 

Wir zweifeln nicht, dass manches in den bezüglichen Referaten 
enthaltene Samenkorn aufgehen wird. 

So ist inzwischen auch im Kanton Zürich, was einer unse¬ 
rer tüchtigsten Mitarbeiter seit mehr als zehn Jahre anstrebte und be¬ 
fürwortete, — die Einführung des irischen Systems in dortiger Straf¬ 
anstalt, sowie der bedingten Entlassung endlich in Verbindung mit dem 
neuen Strafgesetze diesen Herbst einnrüthig vom Kantonsrath angenom¬ 
men worden; einige Wochen später folgte Luzerns grosser Rath 
diesem glänzenden Vorgang, indem er bei ersterJBerathung des Begna¬ 
digungsgesetzes gleichfalls die bedingte Freilassung adoptirte. 

Begrüssen wir auch als freudige Errungenschaft auf unserm 
Gebiete die — im strebsamen Reuenburg zu Anfang dieses Jahres 
erfolgte Eröffnung seiner neuen — mit grossen Opfern erstellten, auf 
das System der Einzelhaft gegründeten Strafanstalt, deren Direktion ei¬ 
nem wackern Vereinsgenossen übertragen ist. 

Gewiss! solche Resultate gewähren dem jungen Vereine die er- 
muthigende Bürgschaft für weitere Erfolge. 

Wir nehmen in Aussicht, die General-Versammlung in der zwei¬ 
ten Hälfte des Monats Mai 1871 abzuhalten und werden in besonderem 
Einladungsschreiben das Rähere über die Zeit und Verhandlungsgegen- 



56 


jetzt schon sei indes? bemerkt, dass die 
,Y$p;s y. pii t Rücksicht auf die vielen und wichtigen Traktanten 
_vrf>y<* j^vei fTjftg? in Anspruch nehmen dürfte. 

T r il entbieten wir Euch, werthe Yereinsgenossen! unsern 
jNeftjahrswunsch: 

Mögej Eure Geistesfrische und Arbeitskraft zu noch man- 
f^pn$,pdJ#ifl.Jjiebpswerk erhalten unserm Yaterlande, der Schweiz, die 
diq in dem Leben Werth und Würde verleiht, auch ferner 
‘bWftb^üiwd/zw Heil und Segen Aller wieder leuchten lassen über 
den blutigen Schlachtfeldern — die Sonne des Friedens! 
f)f ,k, 1$71 löste sich das Comitee zu Luzern auf und die 

G^pd#R r fdes ^ifftins, die Direktoren Wegmann, Kühne und Mül- 
d I p£ u >P9bpiep_,, ) 4iß>^ache neuerdings in die Hand. Es kam eine Noth- 
,ypfs^päUif$g.{ 4^n^ovember 1871 zu Olten zu Stande, um den Verein 
zu reorganisiren. Dies gelang und die Versammlung konnte auf 1872 
JM^feli^u^J^e^^ieder regelmässig ausgeschrieben werden. Diese fand 
^aph,27k,Mf4 j 1872 in Neuchätel Statt. Die Tagesordnung war fol- 

: !• Revision der Statuten. Rechnungsvor- 
2. Diskussion der Frage wegen des Ver- 
r f4p?üg^enen. Gutachten von Kühne, Referent Dr. 
l ( y ; pm l p, )h ^|Disk u 88ion über die bedingte Freilassung. G. v. For- 
P^/Tk^^fö^^r^ftfi^procurator Dr. Michaud. 4. Diskussion über 
v. F orrer, Referent Pastor Lardy. 5. Bericht 
internationalen Congress in London. Ausserdem 
hatte noch Mad. Lina Beck-Bernhard und H.H. Gaberel und Wiesmann 
iftftji&figft ,die in der Versammlung verlesen wurden. Wir 

werden später über die Versammlung ausführlicher berichten. 

. )Vt[UJ Ppfiü, X^l'eb^uar 1872. Der Ständerath ist dem Beschluss des 
J^fcr^^fend die Abschaffung der To des strafe nach län- 
n$t gegen 20 Stimmen beigetreten. 

„lab 1 1 iparjft,j^p r j fl^H ar 1872. Die achte Commission parlamentarischer 

die Abschaffung der Todesstrafe (Antrag 
iM g^epi;ey 1 JRajr?t^e ( if) ] ausgesprochen. 


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— 57 — 

Vermischtes. 


Einfluss der künstlichen Beleuchtung auf die Luft¬ 
qualität in Wohnungsräumen. In dem chemischen Laboratorium 
des Professors y. Gorup-Besanez zu Erlangen hat Dr. Zoch (Zeitschrift 
für Biologie) bestimmt, welchen Kohlensäurezuwachs die Luft eines 
Baumes ohne künstliche Ventilation durch Gas-, Petroleum- und Rüb- 
ölbeleuchtung erhält, unter Ausschluss aller sonstigen Kohlensäure¬ 
quellen. 

Darnach kann allein durch mehrstündiges Brennen einer einzigen 
Gasflamme (Lichtstärke —10,5 Normalflammen*) in einem Wohnraume 
mittlerer Grosse der Kohlensäuregehalt der Luft bis nahezu auf 3 p. m. 
ans teigen, also bis zu einer Hohe, wie sie Pettenkofer und Oertel nur 
beobachteten in Hospitälern, Gefängnissen und Kasernen, überhaupt 
in Räumen, wo der Respirations- und Perspirationsprozess vieler Indi¬ 
viduen wirksam wird. Schon ein 48 Minuten langes Brennen einer 
Gasflamme bei dem geringen Gasverbrauche von 4 Cubikfuss bewirkt 
eine Kohlensäurezunahme, die doppelt so viel beträgt wie der Normal¬ 
gehalt der atmosphärischen Luft an Kohlensäure. Mit längerem Bren¬ 
nen wächst die Kohlensäure keineswegs in geradem Verhältnisse, in¬ 
dem sich, je länger die Brenndauer, desto mehr der Einfluss des durch 
die natürliche Ventilation bewirkten Luftwechsels geltend machte. Der 
Einfluss doppelter und einfacher Fenster auf die natürliche Ventilation 
wurde zugleich konstatirt; er zeigte sich als ein geringer. 

Beim Brennen einer Petroleunjtischlampe (Lichtstärke = 3,5 Nor¬ 
malflammen) ist die Kohlensäureproduktion beträchtlich geringer, wie beim 
Brennen einer Gasflamme. Rübolbeleuchtung mittelst einer Moderateur- 
lampe (Lichtstärke — 4,5 Normalflammen) liefert trotz der grösseren 
Lichtstärke gegenüber der kleineren Petroleumlampe und trotz des 
grösseren Verbrauchs an Brennmaterial die niedrigsten Zahlen für Koh¬ 
lensäure. Nach vierstündigem Brennen der Lampe betrug der Kohlen¬ 
säuregehalt der Luft des Zimmers nur halb so viel wie beim vierstün¬ 
digen Brennen der Gasflamme. 

Das kräftigere und reinere Licht, sowie die bequeme Handha¬ 
bung bei der Gasbeleuchtung erkaufen wir also mit einer bedeutende¬ 
ren Luftverschlechterung. Doch sind im Uebrigen die vorstehenden 
Angaben unter sich nicht direkt vergleichbar, da sie sich zwar auf 


>) Münchener Normalstearinkerzen, wovon 4 auf ein Pfund* 



58 


gleichen Luftkubus, nicht aber auf gleichen Nutzeffekt beziehen. Nach 
Berechnung der Kohlensäurezunahme bei den drei Beleuchtungsarten 
auf den Baum voji 100 Kubikmetern und auf eine Lichtstärke von 10 
Normalflammen ergab sich, dass bei gleicher Lichtstärke das Petroleum 
noch mehr Kohlensäure entwickelt wie Leuchtgas, und dieses mehr 
wie Oel. Es wurde auch bei Petroleumbeleuchtung nach Zunahme der 
Kohlensäure um 1,8. p. m. die Luft bereits unangenehm und un¬ 
behaglich, eine Erscheinung, die bei gleicher Brenndauer des Leucht¬ 
gases weniger und bei Oelbeleuchtung gar nicht bemerkbar war. Die 
Unbehaglichkeit ist aber nicht ausschliesslich von der Kohlensäure ab¬ 
zuleiten, vielmehr müssen wir den Grund in den der Luft neben der 
Kohlensäure sich beimischenden unwillkommenen Verbrennungsproduk¬ 
ten (besonders fein vertheilte, unverbrannte Kohle, Kohlenoxydgas, Koh¬ 
lenwasserstoffe, bei Steinkohlengas schwefelige Säure) suchen. Eine 
feine Nase riecht übrigens bei Petroleumbeleuchtung, auch trotz guter 
Lampenkonstruktion, die hier reichlicher auftretenden unvollkommenen 
Verbrennungsprodukte bald. 

Hiermit sind die Vorzüge der guten Oelbeleuchtung ausser Zwei¬ 
fel gesetzt, welche die Luft entschieden am wenigsten mit fremdartigen 
Beimischungen beladet. Dass sich Petroleumbeleuchtung in letzterer 
Beziehung am ungünstigsten stellt, hat nur beschränkte praktische Be¬ 
deutung, da diese Art von Beleuchtung bei uns wenigstens nur selten 
durch Brenn Vorrichtungen erzielt wird, die sehr intensive Lichtstärke 
und damit auch bedeutenden Konsum von Leuchtmaterial bedingen. 
Die glänzende Beleuchtung der Waarenetablissements, Theater, Con- 
certsäle, Kur- und Spielsäle, Cafes etc. in grossen Städten und Luxus- 
Bädern geschieht durch Gas, und Jeder wird bei längerem Verweilen 
in solchen Bäumen die Luft drückend und unbehaglich finden. 

Dieses Gefühl der Unbehaglichkeit ist allerdings zum Theil auf 
Bechnung der unangenehm strahlenden Wärme — ebenfalls ein Attri¬ 
but der Gasbeleuchtung — zu setzen. Aber eine zweite Quelle dieser 
Unbehaglichkeit ist sicherlich die selbst bei guter künstlicher Ventila¬ 
tion kaum zu vermeidende Luftverschlechterung. Für den Grad letzterer 
aber die Kohlensäuremenge als Maassstab zu nehmen, dazu sind wir be¬ 
rechtigt, weil unseren gewöhnlichen Beleuohtungsarten gerade eine gleich- 
mässig eingeleitete unvollkommene Verbrennung charakeristisch ist, wo¬ 
bei es durch genaue Begelung der Luftzufuhr zur Ausscheidung fein 
vertheilten, glühenden Kohlenstoffs kommt. Je mehr Leuchtmaterial 
zur Verwendung gelangt, desto mehr Kohlensäure und desto mehr un¬ 
vollkommene Verbrennungsprodukte werden erzeugt. 

Dass die mit der Kohlensäure auftretenden Nebenprodukte ver¬ 
schiedene sind, je nachdem erstere durch künstliche Beleuchtung oder 
durch Bespiration von Menschen und Thieren gebildet wurde, ist bei 
Beurtheilung der Wirkungen eines bestimmten Kohlensäuregehaltes 
der Zimmerluft auf den menschlichen Organismus besonders im Auge 
zu behalten. (Ergänzungsblätter.) 



59 



Die Kohle nnoth in Folge der Verkehrsstockungen durch den 
Krieg während eines strengen Winters war besonders geeignet, die 
Aufmerksamkeit auf die elenden Heizungsmethoden, welche bei 
uns üblich sind, zu lenken. Während man Klagen hörte, dass das 
Brennmaterial im Preise hoch gestiegen und auch zu diesem Preise 
kaum in genügender Menge zu erlangen sei, konnte man täglich die 
ärgste Verschwendung sehen, indem ein grosser Theil des Brennmate¬ 
rials zum Schornstein hinausgejagt wird, um das Weltall zu heizen. Da 
sehen wir kleine sogenannte Schiffmanns Öfen, oben mit einer Platte be¬ 
deckt, welche zwar das Kochen möglich macht, aber auch die Verbrei¬ 
tung der Wärme nach oben verhindert, die mit einem kürzen Rohr in 
den Schornstein münden; die Anschaffung eines Ofens von grösserer 
Heizfläche und aus einem die Wärme besser erhaltenden Material, als 
das Tasch erkaltende Eisen ist, würde zwar grössere Anschaffungskosten 
veranlassen, aber die Ersparnisse an Brennmaterial würde den Ausfall 
rasch hereinbringen. Und bei all dem ist die Heizung in Deutschland 
noch besser bestellt, als in England und Frankreich mit der sehr kost¬ 
spieligen und doch ungenügenden Kaminheizung. Schon Winkelmann 
bat bemerkt: „Die wohlhabenden Leute unter den Alten waren besser 
wider die Kälte verwahrt, als wir. Ihre Oefen heizten die Stuben, 
ohne dass die Hitze dem Kopfe beschwerlich fiel/ Der Lehrer Dr. 
phil. Josef Berger in Frankfurt a. M. hat in der durch Holzschnitte 
erläuterten Schrift: „Moderne und antike Heizungs- und Ventilations¬ 
methoden“, welche das Heft 112 der „Sammlung gemeinverständlicher 
wissenschaftlicher Vorträge, herausgegeben von R. Virchow und F. v. 
Holtzendorff“ bildet*), nach gewiesen, dass die Aken in ihrem ein¬ 
fachen ungetrübten Natursinn besser geheizt und ventilirt haben, als 
wir es thun, und dass wir, wenn wir es zu einiger Vollkommenheit in die¬ 
sem Kapitel bringen wollen, unbedingt zu den Prinzipien der Alten 
zurück kehren müssen. Der Unterschied ist kurz der, dass die Alten 
Fussboden und Wände heizten, während wir die Luft in der Mitte des 
Zimmers erwärmen und so, allen Gesetzen der Diätetik zum Trotz, die 
Fü8se kalt, den Kopf warm halten. Nach dem Naturgesetz, dass die 
schwere Flüssigkeit strebt, stets die tiefer gelegene Stelle einzunehmen, 
ist der Vorgang bei der Heizung eines Ofens folgender: An der Ober¬ 
fläche des Ofens findet eine rasche Erwärmung der Luft zur höchsten 
Temperatur des ganzen Raumes statt. Sowie sie erwärmt ist, wird sie 
von der benachbarten kühleren Luft emporgedrängt und dieser folgt die 
entfernter gelegene. Auf diese Weise wird allmählich die bisher voll¬ 
ständig ruhige Luft des Zimmers in lebhafte Bewegung gesetzt. Die 
Luft strömt offenbar aus der Umgebung des Ofens an denselben heran,’ 
erhitzt sich und steigt empor. Die über dem Körper des Ofens befind¬ 
liche warme Luft steigt einfach zur Zimmerdecke empor, die an den 


*) Berlin, 1870. C. G. Lüdritz’sche Verlagsbandlung. (A. Charisius.) 



Wänden desselben aufgestiegene strömt nach den Fenstern und den 
Wänden ab, wird dort erkältet, sinkt herab und strömt in den untern 
Theilen dem Ofen wieder zu. So findet ein Kreislauf statt, indem an 
einer Stelle die abgekühlte schwergewordene Luft fortwährend herab¬ 
sinkt, an der andern die wärmer und leichter gewordene fortwährend 
in die Höhe gedrängt wird. Sind aber die Wände allmählich vom Ofen 
aus erwärmt, so findet überall ein Aufsteigen der warmen Luft statt. 
Versuche ergeben, dass die Luft in der Tiefe nur halb so viel Wärme¬ 
grade besitzt, als in der Höhe, was als Verlust der Hälfte dieser Wärme 
für die Insassen zu betrachten ist. Ausserdem hat unsere Heizungsme¬ 
thode noch folgenden Nachtheil: Es ist bekannt, dass die Luft um so 
mehr Feuchtigkeit im gasförmigen Zustande aufgelöst enthalten kann, 
je höher ihre Temperatur ist, und dass, sobald ein Zimmer geheizt wird, 
die heisser gewordene Luft den Wänden Feuchtigkeit entzieht. Wenn 
sie dann am Fenster sich bedeutend abgekühlt, so muss sie, indem sie 
bei der Abkühlung ihre Auflösungsfähigkeit wieder verliert, diese Feuch¬ 
tigkeit wieder absetzen: die Fenster beschlagen. Wird nun aber in 
dem Zimmer noch viel Feuchtigkeit entwickelt durch Athmen, Kochen, 
Waschen etc., so setzt diese sich auch an den kühleren Theilen der 
Wände, namentlich hinter Betten und Schränken ab, und da die der¬ 
gestalt entwickelte Feuchtigkeit anderweitige Bestandteile enthalten 
muss, so ist leicht begreiflich, wie auf diese Weise zu Moder und Fäul- 
niss reichlich Veranlassung gegeben werden muss. Herrscht nun gar 
der Missbrauch, dass man nur zeitweilig die Thüre zwischen dem ge¬ 
heizten Wohn- und dem nicht geheizten, wenig gelüfteten Schlafzimmer 
öffnet, so bilden sich diese Vorgänge zu einem der Gesundheit höchst 
nachtheiligen Grade aus, indem dis Wände eines solchen Zimmers sich 
mit Pilzen bedecken. Im engsten Zusammenhang mit der Art unserer 
Heizung steht die mangelhafte Ventilation, indem wir die kalte reine 
Luft von oben beziehen müssen, statt viel einfacher von unten. Daher 
hängt das Gelingen unserer Ventilationsversuche von der Windrichtung 
ab. Der Verfasser erläutert .diess ausführlich an mehreren Beispielen 
der neuesten und kostspieligsten Ventilationsvorrichtungen, deren Prin¬ 
zip ist: aus der Heizquelle wird die Luft zunächst in einen hohlen 
Boden geführt und steigt von da in Röhren an den Wänden oder ge¬ 
radezu in einem hohlen Raum zwischen Doppelwänden aufwärts. Dass 
hierdurch gleichzeitig die beste Ventilation ausgeführt wird, ist ein¬ 
leuchtend. Schliesslich lässt sich die Gegeneinanderstellung beider Me¬ 
thoden folgendennassen durchführen: Unsere Methoden jagen einen 
hübschen Theil der Wärme zum Schornstein hinaus ohne eigentliche 
Verwerthung für ihren Hauptzweck; die Alten schaffen den Rauch fort 
und verwerthen die Wärme, welche sie dazu nöthig haben, zugleich zur 
Heizung; er zieht an Wänden, die nach aussen dick, nach innen dünn 
sind, flach empor. Diese werden nicht allein durch ihn, sondern auch 
durch die Luft aus dem Hypocaustum (Heizraum) erwärmt, wärmen 



ihrerseits das Zimmer, und es bleibt ihnen immer Warme genug, um 
andererseits dem Rauche seine Steigkraft zu erhalten. Unsere Methoden 
bestimmen zum hauptsächlichsten Träger des andern Theiles der Wärme 
die bewegliche Luft; dadurch wird die Wärme ebenso beweglich wie 
ihr Träger und entschlüpft mit diesem rasch nach dem obem Theile 
des Raumes; die Insassen in der Tiefe bekommen den Rest, der oben 
nicht angebracht werden kann. Die Alten behalten diesen Theil da¬ 
durch in der Tiefe, dass sie ihn nicht der beweglichen Luft, sondern 
dem festen Thon anvertrauen. Die fiuft ist nur der Zwischenträger, 
sie bringt die Wärme zwar auch an die Decke, aber an die des Hypo- 
caustum. Diese Decke nimmt die Wärme nun zum grossen Theil in 
Verwahr und gibt der darüber befindlichen Luft fortwährend soviel ab, 
als sie für die Zwecke der Insassen braucht, nicht mehr; sie kann nichts 
entführen, was nicht schon gedient hätte. Es belästigen unsere Me¬ 
thoden den Kopf mit ungesunder Wärme und lassen die Füsse kalt; die 
der Alten erwärmen die Füsse und lassen den Kopf kalt. — Nach diesen 
theoretischen Auseinandersetzungen geht der Verfasser auf die prak¬ 
tische Einführung der antiken Heizung in unser Leben ein. Wir glau¬ 
ben nicht, dass es bei unseren hohen, vielstockigen Häusern so leicht 
thunlich wäre, wie er meint, selbst wenn man die Stockwerke niedriger 
machte. Man müsste auf alle Holzkonstruktion verzichten. Immer¬ 
hin könnte man es bei niedrigen Versammlungsräumen versuchen. 

Ventilation und Heizung von Ludwig Degen. Mit gros¬ 
ser Sachkenntniss und Liebe behandelt der Verfasser die Frage über 
die Beschaffung der in unseren Wohnungsräumen nothwendigen Wärme 
und gesunder Luft vom architektonischen, physikalischen und medizini¬ 
schen Standpunkte aus und geisselt gelegentlich den Schlendrian und 
die Unwissenheit der meisten unserer Baumeister und Aerzte. 

Im ersten Theile (a) beleuchtet er, nachdem er den Hauptsatz 
aufgestellt: dass alle jene Heiz-Einrichtungen zu verwerfen sind, welche 
nicht unter gewöhnlichen Verhältnissen genügende und regelmässige 
Lufterneuerung gewährleisten, oder die nicht mit solchen Construktio- 
nen in Verbindung gebracht sind, welche eine konstante Lufterneuerung 
ermöglichen — alle bis heute in Anwendung gebrachten Heizapparate 
im Lichte obigen Hauptsatzes. 

Im zweiten Theile weist er, nach physikalischer Erläuterung 
über die Luft, über deren Bestandtheile, Dichtigkeit ^.etc. undjjüber die 
durch Athmen, Transpirationen, Prospirationen Ausdünstungen von Kü¬ 
chen, Aborten, Höfen, Werkstätten etc. verunreinigten Luft, die abso¬ 
lute Nothwendigkeit einer beständigen Lufterneuerung nach und zeigt 
die Art, wie ^solche^bewerkstelligt werden müsse. Weil£der Verfasser 
das Buchjvon General Borin zu Grunde gelegt hat, dieser aber die 
Aspirations-Theorie ganz und gar festhält, so macht Degen als Verehrer 
der Pulsions-Theorie gelegentlich auf die Unzulänglichkeit der Aspira¬ 
tion aufmerksam. 



62 


Im dritten Theile macht er seine Lehre über Heizung und Ven¬ 
tilation praktisch, indem er für jedes Gelass eines Hauses, für Fabri¬ 
ken, Kirchen, Krankenhäuser, Schulen und Kleinkinderasyle etc. genau 
entworfene, mit allen Grössenverhältnissen ausgestattete Pläne gibt, 
um sogar den Laien zu befähigen, bei allen Bauten mitzusprechen. 
Diese Pläne aber sind der Wirklichkeit entnommen, namentlich aus 
Paris und andern Städten. 

Im vierten Theile macht er aufmerksam auf das von dem 1$. k. 
Prof, und Primarzt Dr. Boehm in^Wien erfundene und in der dortigen 
Gebäranstalt zur Anwendung gebrachte Ventilations- und Heizungssy¬ 
stem, welches, entgegen der bisherigen Centralisation, eine völlige De- 
centralisation zur Grundlage hat, so dass jeder Saal für sich geheizt 
und ventilirt ^wird, ein System, welches namentlich für schon gebaute, 
aber bis jetzt ventilationslose Anstalten leicht ins Werk zu setzen ist. 

Die Resultate seiner Untersuchungen im ersten Theile (betreff 
der Heizungsapparate) sind folgende: 

1. ) a. Die gewöhnlichen Chemminees (wälsche Kamine) reinigen die 
Zimmerluft, aber heizen schlecht; sind also gesund. 

b) Die verbesserten Chemin6es mit doppelt wirkender Lufterneue¬ 
rung von Douglas Galton entsprechen den meisten Anforderungen. 
Daher ist es wünschenswerth, dass dieser ächte „häusliche Herd“ über¬ 
all wieder zu Ehren komme. 

2. ) Die Ofenheizung ist wohlfeil, aber reinigt die Luft nicht. 
Namentlich aber sind gusseiserne Oefen total zu verwerfen, nicht allein 
wegen des schnellen Temperaturwechsels, sondern hauptsächlich, weil 
das Gusseisen in der Rothglühhitze nach allen neuen Untersuchungen 
durch seine Poren Wasserstoffgas und Kohlenoxydgas ausströmt und 
damit Vergiftungen des Bluts verursacht, wie das stete Kopfweh, 
Schwindel und Uebelbefinden der Bewohner solcher Zimmer beweist. 

3. ) Der Meissner’sche Mantelofen mit Luftcirculation im Innern 
entspricht nicht, zumal wenn die Luft nicht von Aussen, sondern nur 
aus dem Zimmer in dessen Inneres geführt wird, wodurch das Zimmer 
immer mehr mit Kohlensäure geschwängert und seines Wassergehalts 
beraubt wird, eben weil die Luft zu sehr erhitzt wird. 

4. ) Luftheizung durch Caloriferes überhitzen die Luft; wenn nicht 
eine sogenannte Mischkammer zum Einlass frischer kalter Luft mit 
ihnen verbunden ist, ist diese Heizungsmethode im höchsten Grade unge¬ 
sund. Sie bewirkt auch keine genügende Evakuation der verdorbenen Luft, 
also auch keine Ventilation im eigentlichen Sinne, selbst wenn Luftab¬ 
zugskanäle angebracht sind, zumal die Wirkung der Letzteren von der 
Temperaturdifferenz abhängt und somit von der Laune des Heizers wie 
der Witterung bestimmt wird. Auch hier entwickeln die gusseisernen 
Apparate Wasserstoffgas und Kohlenoxydgas. Daher sollen sie aus 
Schmiedeeisen sein und ausgemauert werden, soweit die Rothgluth sich 
erstreckt. 



5. ) Die Dampfheizung wird nach langem Kampfe nur' noch da 
angewendet, wo die Dampferzeugung keine Kosten verursacht. Sie hat 
grosso Vortheile wegen der raschen Wärmecirculation und ob der gros¬ 
sen 'Wärme-Menge sammt der Wohlfeilheit der Einrichtung. Aber die 
Nachtheile sind nicht geringer. Der kleinste Fehler in der Heizbeauf¬ 
sichtigung erzeugt Circulationsstörungen namentlich bei Nacht, so dass 
Explosionen erfolgen oder Bisse in den Böhren Unheil verursachen^ 
ausserdem dass eine Beparatur eines combinirten Böhrensystems schwie¬ 
rig und theuer ist. 

Grouelle hat ein neues System erdacht. Der Dampf wird 
nämlich in sogenannte Wasseröfen geleitet. Aber die Nachtheile stel¬ 
len sich immer wieder ein, obgleich sie das Zurückströmen deB Condensa- 
tionswassers in den Kessel ermöglichen. Für Kranke sind die Wasser¬ 
öfen empfehlenswerth ob ihrer gelinden Wärmeentwicklung. 

6. ) Die Warmwasserheizung hat vor der Dampfheizung den gros¬ 
sen Yortheil voraus, dass die erwärmten Bäume keinem raschen 
Temperaturwechsel unterworfen sind und die Leitung eine grössere 
Menge von Wärmeeinheiten entwickelt ob der Dichtigkeit des Wassers. 
Die erwärmte Luft übersteigt nicht leicht 43%- Daher muss diese Me¬ 
thode mit Bücksicht auf die Gesundheit eine vorzügliche genannt wer¬ 
den, zumal mit ihr eine kräftige Ventilation in Verbindung gebracht 
werden kann. 

7. ) Die Heisswasserheizung ist gefährlich, weil das Wasser in 
den Böhren auf eine solche Temperaturhöhe gebracht wird, dass in den 
nahen Holztheilen Brände entstanden sind. Bei dem Hochdrucksystem 
von Perkin wird das Wasser in den Böhren auf 200° erhitzt, bedarf 
steter strenger Aufsicht und erkaltet schon nach 2 Stunden, während 
die Warmwasserheizung 9 Stunden bedarf bis zur merklichen Ab¬ 
kühlung. 

8. ) Man verbindet auch Luftheizung mit Warmwasserheizung, 
weil die Calorif6res der ersteren in horizontaler Bichtung zu wenig 
leisten. 

Im ersten Theile (b) behandelt der Verfasser die Ventilation 
im Besonderen. Er entwickelt die physikalischen Gesetze über die Luft, 
deren Wärmeunterschiede und die dadurch bedingte Dichtigkeit, Schwere 
und Luftbewegung, welche namentlich auch durch die Beleuchtung von 
der Sonne oder anderen Leuchtstoffen bedingt, beziehungsweise ver¬ 
stärkt wird. 

Diese Luft wird verunreinigt durch Bespiration, da der Mensch 
mit jedem Athmenzuge 4°/ 0 Kohlensäure ausstösst, während die reine 
Luft nur 0, 5 %q Kohlensäure enthält. Daher sind für jeden Kopf in der 
Stunde 120 C. M. frischer Luft zu beschaffen. Nicht weniger wird die Luft 
durch Transpiration und Perspiration verschlechtert, so dass der soge¬ 
nannte Spitaltyphus, Pyamie, Kindbettfieber erfolgen können in Kran¬ 
kenzimmern. 



64 


Ferner ist der Wasserdampf im Uebermaass schädlich, wesshalb 
nur 7 Gramm im Cubikmeter enthalten sein dürfen. Ist dagegen der 
Wassergehalt zu klein, so wird die Lunge angegriffen; es entsteht Ue- 
belbefinden, Kopfweh und Schwindel. Die Beleuchtungsapparate verzeh¬ 
ren viel Sauerstoff, und zwar ist für jede Flamme ein Maass von 25,6 
C. M. Luft in der Stunde zu erneuern. Ferner bedingt je nasse Wasche, 
Kleider, Ausdünstungen aus Arbeitsstoffen, grosser Verkehr eine grosse 
Verschlimmerung und darum Nothwendigkeit einer Lufterneuerung. 

1. ) Der Zweck der Ventilation ist, die verdorbene Luft fort und 
an deren Stelle frische Luft zu schaffen, ohne einen schädlichen Zug 
im Gemach zu bewirken. 

2. ) Die verdorbene Luft muss dort aufgesaugt werden, wo sie 
sich am stärksten verunreinigt findet. * 

3. ) Die Einen der Techniker wollen diese Lufterneuerung durch 
Aspirations-, die andern durch Pulsions-Apparate bewerkstelligen. 

Eine dritte Partei, welche ihr Heil im Oeffnen der Fenster sucht, 
ist als unzurechnungsfähig zu erklären, weil ihr die Bewegung der 
Luft vollkommen fremd ist. Degen ist Anhänger der Pulsionsapparate, 
während Borin die Aspiration fest hält, trotzdem sie, von der Tempe¬ 
raturdifferenz abhängig, nicht genügend wirken. 

4. ) Bei der Anlage solcher Aspirationsapparate ist zuerst der 
Querschnitt der Kanäle der Menge der auszusaugenden Luft anzupas¬ 
sen. Auch das wie? und wo? der Anlage ist eine Hauptfrage. 

5. ) Diese Aspiration lässt sich a) durch Feuerherde, die mit Ca- 
lorifßres verbunden sind, bewirken, b) durch Lock-Kamine. 

6. ) Aber ein solcher Feuerherd bedarf genauer Bedienung; denn 
sobald das Feuer ausgeht, ist die Ventilation beendigt. Maschinen aber 
sind kostspielig, wirken jedoch unter allen Umständen regelmässig. 

Was den Luftbedarf für jeden Menschen betrifft, so variirt der¬ 
selbe sehr je nach den Gosundheitsverhältnissen: 

In Spitälern jeder Kopf in 1 Stunde 60—150 C. M. 

In Gefängnissen 50. „ „ 

In Werkstätten 60—100 „ „ 

In Kasernen 40— 50 etc. 

Da die natürliche Ventilation von der Differenz der äusseren und 
inneren Temperatur abhängt, ist eine Aspirat rns-Ventilation im Winter 
wirksam genug; aber in andern Jahreszeitgeräth sie in Stockung 
oder wird sogar zu ihrem Gegentheil verkehrt. Dann nimmt man Zu¬ 
flucht zum Oeffnen der Fenster — eine Empfehlung, welche beweist, 
dass die Herren Aerzte nichts von der Luftbew. gung wissen, noch’Vöt^ 
stehen. ? 

Die Oeffnungen für zu- und abströmende Luft müfeseii f ftdrctett’ 'in 
entgegengesetzter Richtung und Höhe angebracht aeiö Ühd 1 die (i Ge^ 
schwindigkeit der Luft in den Abzügsröhren nl mu^s ste^Ä ^fcfosett’ ,r biö 
zum Saugkamin und zwar von 0,70 M. bis 2,00 M. in der SekütidGl ,xti 



A ■ 


— 65 — 

Der Querschnitt für die Ausströmungsöffnungen trnd die Zug- 
und Abzugskanäle bemisst sich ganz genau nach der Anzahl der Men¬ 
schen in dem Raume. 

Im zweiten Theile über die praktische Anwendung bespricht Verf. 
die Ventilationseinrichtung der verschiedenartigsten Gebäude, die den 
öffentlichen oder privaten Bedürfnissen gewidmet sind, und empfiehlt die 
Benutzung der Gasflammen zur Erwirkung einer kräftigen Aspiration 
in Gasthöfen, am Plafond der Theater. Der sogenannte „Sonnenbrenner“ 
wird sehr gewürdigt. 

Im dritten Theile bemerkt er als Beweis für die Trefflichkeit 
des Decentralisationsapparates von Böhm, dass im Gebärhaus zu Wien 
ehedem 3% der Frauen am Puerperalfieber gestorben sind, während 
jetzt kaum 0,5% 8terben. 

(Luftheizungen) trifft in der Regel der Vorwurf, dass sie eine 
grosse Trockenheit der Luft erzeugen und den Aufenthalt in den auf 
diese Weise erwärmten Räumen ungesund machen. In der Natur der 
Einrichtung ist nun zwar dieser Tadel nicht begründet, doch fehlte 
bisher der Nachweis, dass er einer positiven Grundlage entbehrt. Durch 
eine exakte Untersuchung hat Bolley jetzt diesen Nachweis geliefert 
und damit die immer wiederkehrenden Zweifel abgeschnitten. (Schweiz, 
polytechnische Zeitschrift.) Durch directe Wägungen (Brunnerasche 
Methode) ergab sich der Feuchtigkeitsgehalt in einem durch Lufthei¬ 
zung geheizten Zimmer (16,5°) zu 4,88 Gewichts- oder 7,08 Volum- 
Tausendel, während gleichzeitig die Luft im Freien (5,5®) 4,23 Gewichts¬ 
oder 6,84 Volum-Tausendel Feuchtigkeit enthielt. In einer andern Lo¬ 
kalität wurde die Luft mehrerer Zimmer untersucht und ihr Feuchtig¬ 
keitsgehalt mit dem eines durch einen Kachelofen geheizten Zimmers 
verglichen. Setzt man letztem gleich 1, so ergaben sich die Werthe 
1,0, 0,98 und 1,13 in einem Saal, in welchem wenige Stunden vorher 
viele Menschen versammelt gewesen waren. Diese Thatsachen zeigen 
unwiderleglich, dass durch Luftheizungen die Luft nicht ausgetrocknet 
wird; die im Publikum verbreitete gegentheilige Meinung entspringt 
aus zwei ganz verschiedenen Ursachen. Es bleibt nämlich oft unbe¬ 
achtet, dass die in das Zimmer einströmende Luft zeitweise mit einer 
viel höheren Temperatur ankommt, als man gewöhnlich in Zimmern mit 
Kachelöfen findet. Die relative Feuchtigkeit ist darum gering, da die 
Differenz zwischen der vorhandenen Feuchtigkeit und derjenigen, welche 
der Temperatur entsprechend in der Luft vorhanden sein könnte, eine 
beträchtliche ist. Eine solche Luft muss aber in den Athmungswerk- 
zeugen das Gefühl der Trockenheit erzeugen. Dazu kommt noch, dass 
bei unvollkommener Regulirung der Klappen an den Zuführungskanälen 
s6hr starke Luftströme in die Zimmer geblasen werden, welche Staub- 
tbeile emporwirbeln, die in ähnlicher Weise auf die Athmungsorgane 
wirken. 


Blätter für Gefängnisskunde Vll. 


5 



(Pneumatisches System zur Entfernung ton Abort* 
stoffen.) In fast allen grossen Städten Europas macht sich' in 
neuerer Zeit das Bedürfniss geltend, für eine rationelle Entfernung der 
Auswurfstoffe zu sorgen; die Lösung der Frage ist aber in den meisten 
Fällen eine um so schwierigere, als die Ansicht über den beeten Weg, 
der für den fraglichen Zweck zu wählen, sich durchaus noch nicht ge¬ 
nügend geklärt haben. Gegen das Kanalsystem werden ebenso viele 
gewichtige Einwände erhoben, wie gegen das Abfuhrsystem, und wer 
dem ersteren entschieden den Vorzug geben zu müssen glaubt, muss 
doch einräumen, dass es nicht in allen grossen Städten durchführbar 
ist. Das Abfuhrsystem ist jedenfalls auch noch vieler Verbesserungen 
fähig und eine solche liegt in dem von Liernur angewandten pneu¬ 
matischen Verfahren vor. 

Schon vor Jahren hat man z. B. in Leipzig versucht, die gewöhn¬ 
lichen Gruben durch Luftdruck zu entleeren, indem man einen luftlee¬ 
ren Kessel vor das Haus fuhr und von diesem aus einen Schlauch in 
die Grube senkte. Liernur ist nun einen Schritt weiter gegangen, 
und dass sein System lebensfähig ist, beweist die Anwendung dessel¬ 
ben in Prag, Brünn und andern Städten. Nach den Mittheilungen, 
welche die Schrift von Laurin (das Liernur’sche System, etc. 1869 
Prag) gibt, wird an passenden Orten, z. B. Strassenkreuzungen, in ge¬ 
eigneter Tiefe unter der Strassenoberfläche ein eisernes Breservoir ein¬ 
gesetzt, in welches je nach der Lokalität, 2—4 Hauptrohre münden, 
von denen sich Seitenröhren bis zu den Fallröhren der Aborte abzwei- 
gen. Diese Röhren haben alle eine Steigung nach dem Reservoir und 
der Anschluss der Seitenröhren an das Hauptrohr geschieht stets ver¬ 
mittelst eines nach unten gebogenen Stückes, welches sich mit Flüssig¬ 
keit füllt und einen hydraulischen Verschluss bewirkt. Die Hauptrohre 
münden in den Dekel des : Reservoirs und sind an dieser höchsten Stelle 
mit einem Hahn versehen, welcher bis zur Strassenoberfläche reicht 
und dort leicht gedreht werden kann. Ebenso geht von dem Deckel 
des Reservoirs ein Luftrohr und vom Boden desselben ein genügend 
weites Entleerungsrohr bis zur Strassenoberfläche. 

Wird nun das Reservoir luftleer • gemacht und dann der Hahn 
am Hauptrohr plötzlich geöffnet, so stösst der Luftdruck den Inhalt 
aller Röhren in der Richtung nach dem Reservoir fort und schliesslich 
durch das Hauptrohr in das Reservoir hinein. In Zeit von 5—6 Minu¬ 
ten, während welcher die Luftpumpe arbeitet, kann man den Hahn 5—6 
mal öffnen und schüessen und mithin eben so oft dieselbe Wirksamkeit 
erzielen. Der Betrieb der Luftpumpe erfolgt durch eine Lokomobile und 
der in dem Reservoir gesammelte Inhalt wird nun ebenfalls durch Luft¬ 
druck in schmiedeiserne Kessel getrieben, welche man mit dem Entlee¬ 
rungsrohr des Reservoirs und mit der Luftpumpe in Verbindung ge¬ 
bracht hat. Die aus dem Röhrensystem ausgepumpte Luft tritt 



67 


unter den Kesselrost der Lokomobile, streicht durch die glühenden 
Kohlen und wird dadurch geruchlos gemacht. 

Die Entleerung des Rohrensystems und des Reservoirs erfolgt 
täglich, so dass keine Zersetzung der Exkremente eintritt und deren 
Werth für die Landwirtschaft unbeeinträchtigt bleibt. 

Eine Verstopfung der Röhren ist übrigens nicht zu befürch¬ 
ten, da die Gewalt des Luftdrucks sehr bedeutende Hindernisse über¬ 
windet, und besondere Vorkehrungen auf eine Zerkleinerung aller zer- 
reissbaren Stoffe hinwirken. 

Der luftdichte Verschluss der Röhrenverbindungen verursacht 
keine Schwierigkeiten, da die umgebenden Erdtheilchen jede Fuge als¬ 
bald verstopfen müssen. Der Hahn aber ist leicht zugänglich und über¬ 
dies durch passende Konstruktion vor Beschädigung geschützt, 
v (Die Desinfectionsmittel von Karl Russ.) Nach den Ver¬ 
öffentlichungen der Berliner mediciniscken Gesellschaft und nach der 
krit. Ueberschau von Dr. Jakobson in den Berliner Industrieblät¬ 
tern geben wir nachstehend eine Uebersicht der Desinfectionsmittel. 

Eines der sichersten Desinfectionsmittel ist 1. die Wärn*e. Bis 
zur Südhitze erwärmtes Wasser zerstört vollkommen sämmtliche Gäh- 
rungserreger (eben jene verderblichen mikroscopischen Stoffe, in denen 
nach den neuesten Forschungen die epidemischen Krankheitsmaterien 
begründet liegen sollen — und deren Zerstörung ja mit Desinfection 
gleichbedeutend ist). Leider lässt sich selbstverständlich aber das 
heisse Wasser zur Desinfection nur im beschränkten MaaBse anwenden, 
z. B. zur Reinigung von Kleidungsstücken, Wäsche und Geräthschaf- 
ten, keineswegs aber zum Desinficiren der Auswurfstoffe. Aber auch 
für alle ersteren Zwecke ist, nach unumstösslichen Beobachtungen, die 
Anwendung von trockener Erhitzung keineswegs so durchaus wirksam 
befunden, als die von heissem Wasser. 

Ein sehr kräftiges, wirkliches Desinfectionsmittel ißt 2. das Chlor, 
welches entweder als Gas oder in Form der unter chlorigsauren Salze 
(Chlorkalk, Farelle’scher Lauge, ein bekanntes Mittel zum Vertilgen der 
Flecken u. 8. w.) angewandt wird. Der Chlorkalk muss feucht ge¬ 
braucht, also zur Desinfection trockener Stoffe mit Wasser übergossen 
und daun in solcher Menge angewandt werden, dass ein starker Chlor¬ 
geruch wahrnehmbar ist. Da nun aber einerseits das Einathmen des 
Chlors für Menschen und Thiere schädlich, sogar sehr gefährlich ist, 
andererseits bei dauernder Anwendung von Chlorkalk das Mauerwerk 
der Gruben und dergleichen bedeutend angegriffen wird, so ist der Ge¬ 
brauch des Chlors zur Desinfection ebenfalls nur ein beschränkter. 

Noch wirksamer zur Vernichtung der Ansteckungsstoffe sind 3.) 
die übermangansauren Salze. Nach Versuchen von Kühne zerstören Über¬ 
mangansaures Kali v und Natron, vermöge der stark oxydirenden Wirkung 
ihrer Säure jede organische Substanz und zwar immer zuerst die com- 
plicirtesten Stoffe. . Da nun aber die Gährungserreger zu diesen letzteren 

5 * 



gehören, so erscheint es hiernach gar nicht so nothwendig, dass soviel 
von der Auflösung dieser Salze angewandt werde, um alle organische 
Substanz der Auswurfstoffe völlig zu zernichten — wie diess dagegen 
bei Anwendung von Chlor geschehen muss. — Aber auch diese Salze 
haben wiederum einen grossen Uebelstand ; sie vertilgen nicht auch 
allen Gestank, da bei ihrer Einwirkung sehr übelriechende Fettsäuren 
frei werden Um dem abzuhelfen hat Kühne ihnen saures, schwefel¬ 
saures Eisenoxyd zugesetzt und diese Mischung mit dem Namen Eisen¬ 
chamäleonlösung belegt, als welche sie sich bereits vielfältig in dem 
Hausgebrauch eingebürgert hat. Sie besteht aus 2 Theilen überman¬ 
gansaures Natron, 45 Theil sauer-schwefelsaures Eisenoxyd und 50 Theil 
Wasser. (Nach neuer Instruktion jener Sanitäts-Commission soll das 
Eisenchamäleon nur 25°/ 0 Eisensalz enthalten.) Zu den Mitteln, welche 
nicht als energische Zerstörer der Gährungserreger angesehen werden 
dürfen, gehört 4.) die Carbolsäure (Steinkohlenkreosot); sie hemmt nur 
die faulige Zersetzung organischer Stoffe, vermag aber, auch bei reich¬ 
lichster Anwendung, nicht alle Gährungserreger zu zerstören, vielmehr 
nehmen manche Gährungsprozesse ihren ungestörten Fortgang dabei. 
(So theilt Klisch in seinen „Untersuchungen über das Chol e ra-Con- 
tagium* mit, dass bei einer Mischung von 100 Theilen der Auswurf¬ 
stoffe und 10 Theilen 10%iger Carbolsäureauflösung nach 15 Tagen 
Schimmelbildung auftritt. Bei Vermehrung der Carbolsäure um die 
Hälfte wurde indess keine Schimmelbildung, selbst bei 60 Tage langer 
Beobachtung, wahrgenommen.) Dennoch erfreut sich die Carbolsäure 
oder eine Mischung von ihr aus carbolsaurem Natron grosser Beliebt, 
heit als Desinfectionsmittel. Jacobson empfiehlt dagegen, nament¬ 
lich wo die Desinfection von verständigen Leuten ausgeführt wird, lie¬ 
ber Carboischwefelsäure oder schwefelsaure Carbolsäure, aus gleichen 
Theilen Schwefel und Carbolsäure bestehend, anzuwenden, welche un¬ 
gleich wirkungskräftiger ist und auch nur 16Yt Thlr. der Centner ein¬ 
schliesslich des Ballons kostet. 

Auch 5.) der Eisenvitriol vermag nur den übeln^Geruch zu ver¬ 
meiden, nicht aber zu verhindern, dass Gährungen aller Art, trotz seiner 
Anwendung, ihren ungestörten Fortgang nehmen. Indessen wird dage¬ 
gen die Thatsache geltend gemacht, dass der Eisenvitriol doch dasje¬ 
nige Mittel ist, welches während der Epidemie des Jahres 1866 am meisten 
zur Anwendung gekommen und dem neben negativem Erfolge verschie¬ 
dene günstige Erfahrungen zu Beite stehen. Dennoch glaubt die Ma¬ 
jorität jener obengenannten Sektion weitere Versuche damit nicht an- 
rathen zu dürfen. Viel eher sollte statt seiner das sauer - schwefel¬ 
saure Eisenoxyd zu empfehlen sein. 

Zu den durchaus energisch wirkenden Desinfectionsmitteln aber 
wieder gehören: 6.) die Salzsäure, 7.) die Schwefelsäure, 8.) das Chlor¬ 
zink. Die Säuren dürfen aber nur in Verdünnungen oder Auflösungen 
nicht unter 2% angewendet werden. (Ilisch fand, dass durch den Zu- 



satz von 6,67% wasserfreien Salpeters, 0,93% Salz und 1% Schwefel¬ 
säure die Auswurfstoffe 6 Monate hindurch vor Schimmelbildung und 
Zersetzungsprocessen geschützt wurden); Chlorzink nur in ganz concentrir- 
ter Auflösung. Alle drei zeigen jedoch den Nachtheil, dass sie nur in 
glasirten Thon- oder Porzellangeschirren angewendet werden können, 
da sie alle übrigen Metall-, Holz- und dergleichen Gefässe und ebenso 
Mauerwerk angreifen. 

In Berlin hat das Polizeipräsidium die Desinfection der Auswurf¬ 
stoffe in 8ämmtlichen Gebäuden zwangsweise angeordnet und für die 
Beaufsichtigung bez. Ausführung in allen Stadtbezirken eigene Desin- 
fectoren — meistens Barbiere, Heilgehülfen etc. — angestellt. Diese 
Maassregel ist in der That selbst in der „Metropole der norddeutschen 
Intelligenz“ noch um so nothwendiger, als weder die Wohlthat noch die 
Nothwendigkeit der Desinfection im grossen Publikum bereits anerkannt 
sind — und weil „Zopf, Bequemlichkeit und falsche Sparsamkeit über¬ 
all und zu allen Zeiten ihre Rolle spielen.“ 

Nach der Instruktion soll das blosse Geruohlosmachen der Fäces 
u. s. w. in folgender Weise vorgenommen werden: Yon einem Pulver, 
bqptehend aus einer Mischung von 20 Theilen krystallisirten Eisenvi¬ 
triols, 75 Theilen Gyps und 5 Theilen Carbolsäure werden 10 Loth in 
einem Eimer Wasser zertheilt und unter Umrühren des Grubeninhalts 
vermittelst einer Spritze in die Grube gebracht. Dies wird so lange 
wiederholt bis kein übler Geruch mehr bemerkbar ist. Nachdem die 
Grube vollständig entleert ist, wird auf den Boden derselben eine Schicht 
Wasser geschüttet, welches in ähnlicher Weise gemischt ist, und zwar 
so reichlich, bis der Boden damit vollständig bedeckt ist. 

Gegen die Zusammensetzung dieses Pulvers, bemerkt Jakobson 
dazu, lässt; sich nichts einwenden, auch wird wohl keiner der Desinfec- 
toren so durchaus strenge an dieses Recept gefesselt sein, es soll je¬ 
denfalls nur dem Laien einen Anhalt geben, wie er zweckmässig die 
Geruchlosmachung der Gruben etc. zu vollziehen hat. An anderen Or¬ 
ten als Berlin wird man den Totalverhältnissen angepasst, vielleicht 
vortheilhafter vorhandene billige Rückstände zu einem solchen Pulver 
verwenden können, so z. B. in Kassel eine dort in grossen Massen vor¬ 
handene, stark eisenvitriolhaltige Braunkohlenasche, ferner auch ander¬ 
wärts die eisenhaltigen Rückstände der Schwefelsäurefabrikation, rohes 
Bittersalz von der Mineralwasserfabrikation, das billige Chlormagnesium 
von der Strassfurter Kalisalzfabrikation etc. Einen Bestandteil jenes 
Pulvers wird man in keinem Falle missen können und zwar die Carbol¬ 
säure, die nach aller praktischen Erfahrung des Jahres 1866 und bereits 
früher sich vortrefflich bewährt hat. 

Nimmt man nun aber an, dass nach dem Ausräumen der Gruben 
jene dünne Lösung von 10 Loth des Pulvers auf einen Eimer Wasser 
nach Bedürfnis s alle Tage einmal oder noch weniger oft in den Gru¬ 
beninhalt geleert werden soll, so lassen sich dagegen, sagt Jakobson 



weiter, erhebliche Bedenken aufstellen. Eine so bedeutende Verdün¬ 
nung mit Wasser muss nothwendigerweise den Eintritt der Fäulniss 
beschleunigen, während in Pulverform aufgestreute Desinfectionsmittel 
das vorhandene Wasser ganz oder doch zum grössten Theile absorbiren 
und damit den Fäces etc. den vernehmlichsten Faktor der Gährung, 
die Feuchtigkeit, entziehen. Wenn dagegen eingewendet werden sollte, 
dass pulverförmige Mittel nicht so gleichmässig auf der Oberfläche des 
Grubeninhalts als die flüssigen vertheilt werden können und dadurch 
also keine vollständige Desinfection zu erzielen sein dürfte, so kann 
dagegen geltend gemacht werden, dass die Erfahrung völlig zufrieden¬ 
stellende Ergebnisse bei der Anwendung von blossem Streupulver ge¬ 
liefert hat. Dies ist namentlich auch bei den nach dem Müller-Schür- 
schen System von der Flüssigkeit vollständig getrennten und also sehr 
compakten Auswurfstoffen der Fall, welche nach dem Aufstreuen des 
Desinfectionspulvers sogleich jeden üblen Geruch verlieren. 

Nebenbei sei uns hier ein recht dringender Hinweis auf das sich 
vorzüglich bewährende Müll er-Schürf che Desinfectionsverfahren gestat¬ 
tet, über welches die Leser in den Industrieblättern von 1865 Nr. 25 bis 
27 und 50, sowie 1866 Nr. 23 die eingehendste Belehrung finden. JSin 
näheres Eingehen auf das System müssen wir uns hier leider versagen, 
da unsere Aufgabe eben nur in der Beleuchtung der Desinfections¬ 
mittel liegt. 

Bei der Anwendung von Streupulver für diesen Zweck lassen sich 
auch die billigsten wasseraufsaugenden Stoffe mit Vortheil verwenden, so 
z. B. Torfgrus, lockerer Braunkohlenabfall, Gartenerde, Sägespähne und 
viele dergleichen Materialien, die aber mit Wasser zusammen ihre 
Zwecke verfehlen würden. Wo nicht besonders ungünstige Verhältnisse 
obwalten, genügt bei dem Gebrauch eines solchen Pulvers auch der 
nur einmalige Zusatz von Eisenvitriol, einmal geruchlos gemacht, wer¬ 
den die Fäcalmassen nämlich durch das Pulver so verdichtet und durch 
die Carbolsäure, die hier wie beim Rauchfleisch als Pökelungsmittel 
wirkt, wird die Gährung vollständig unterdrückt, dass keine stinkende 
Gase mehr entwickelt werden können. 

Noch unzweckmässiger aber als die Verdünnung der geruchlos- 
machenden Mittel, erscheint die vorgeschriebene Anwendung des Des- 
infectionsverfahrens zur Zeit der bereits eingetretenen Choleraepidemie. 
Die Instruktion ordnete an: „Erfolgt die Räumung der Grube nach dem 
durch die Bekanntmachung des Polizeipräsidiums angezeigten Ausbruche 
der Cholera und namentlich in einem Hause, in welchem bereits Er¬ 
krankungsfälle vorgekommen sind, so wird zur Bewerkstelligung der 
Desinfection die Lösung des Eisenchamäleons in Anwendung gebracht. 
Zu diesem Zwecke wird auf je einen Eimer Wasser 7a Pfund der Ei¬ 
senchamäleonlösung gethan und so viel Eimer dieser Mischung in die 
Grube, unter fortwährendem Umrühren, mit einer Spritze gebracht, 
als darin Grubeninhalt befindlich ist. Während der Dauer der Cholera 



¥ 


— 71 — 

« 

ist in allen Häusern, in welchen Erkrankte gemeldet sind, täglich, in 
den übrigen alle drei Tage der Inhalt der Gruben mit einer gleichen 
Mischung von Eisenchamäleon zu übergiessen und umzurühren, und 
zwar in dem Verhältnis, dass auf jeden Einwohner des Hauses je 7* 
Eimer gerechnet wird.“ 

Diese Anordnung findet wieder eine scharfe Kritik von Jakobson. 
Zunächst erinnert er daran, dass dies Eisenchamäleon einmal eine ausser¬ 
ordentlich unbestimmt zusammengesetzte, zweitens so leicht zersetzbare 
Mischung ist, so dass mit ihr nur Sachverständige zweckmässig umzu¬ 
gehen vermögen. Während es nach der obigen Vorschrift 2% Per¬ 
manganat und 25% schwefelsaures Eisenoxyd enthalten soll, kommt 
es bereits jetzt zu 14% verkäuflich vor und würde bei ausgedehntem 
Gebrauch bald noch viel verdünnter verkauft werden, zumal es selbst 
in sehr starker Verdünnung noch immer dunkelbraunroth aussieht und 
eine solche vom Bier also gar nicht leicht zu erkennen ist. Die vor¬ 
geschriebenen Lösungen 2: 25% muss abe* sauer riechen und ist da¬ 
her bereits in steter Zersetzung begriffen; wie viel schneller wird diese 
letztere nun aber vor sick gehen, wenn sie in Unachtsamkeit und Un¬ 
wissenheit, durch Offenstehenlassen der Gefasse, nicht vollständige 
Reinlichkeit der letztem, hineinfallenden Staub und dergleichen beför¬ 
dern wird. Beide Ursachen können dies Desinfektionsmittel nur zu 
leicht völlig wirkungs- und werthlos machen. 

Ein fernerer Uebelstand liegt in den zur Aufbewahrung und zum 
Verkauf des Eisenchamäleons erforderlichen Gefässen begründet. Diese 
dürfen nur Glas-, Ton- oder Steingutgefässe sein, die leicht zerbrech¬ 
lich sind, Vorsicht und einen besonderen Aufbewahrungsort erfordern. 
Bedenkt man nun die grossen Aufbewahrungs-, die kleineren und hand¬ 
lichen Gebrauchs-und dann dieMischungsgefässe, dazu die nothwendigen 
Spritzen und Rührstangen — welch ein kolossaler, kostspieliger und 
unbeholfener Desinfectionsapparat kommt da für eine grosse Stadt, wie 
Berlin u. s. w. heraus. 

Aber auch die Desinfection selber mit dem Eisenchamäleon hat 
ihre Bedenken. Das übermangansaure Salz zersetzt, sobald es mit den 
Fäces in Berührung kommt, sofort sich selbst und diese und hat im 
Verlauf von wenigen Minuten ausgewirkt. Da es nun aber sich nicht 
die vorhandenen Ansteckungsstoffe vorzugsweise zur Zersetzung aus¬ 
wählt und da es zweifellos dem grossen Quantum zerstörungsbedürfti¬ 
ger Stoffe gegenüber stets in viel zu geringer Menge zugesetzt wird, 
so vermag es doch nur einen Theil des gesummten Grubeninhalts be¬ 
züglich der Ansteckungsstoffe unschädlich zu machen. Das darin vor¬ 
handene Eisen bindet nun allerdings die übelriechenden Gase soweit 
sie noch nicht durch das Permanganat zerstört worden, allein weiter 
vermag es auch nicht zu wirken, denn, wie bereits oben bemerkt, ver¬ 
hindert es keineswegs die Pils- oder Infusorienbildungen (Klisch, w. o.) 

Unzweifelhaft aber muss hierbei die vorgeschriebene Verdtin- 



72 


nung des Grubeninhalts der also keineswegs völlig unschädlich gemach¬ 
ten Auswurfstoffe, ausserordentlich nachtheilig sich zeigen. Wenn die 
Senkgrube eines Hauses von 25 Einwohnern alle drei Tage den Zusatz 
von 6% Eimern Flüssigkeit erhält, so liegt es auf der Hand, dass in 
heisser Zeit ihr Inhalt sich schon am zweiten, vielleicht gar am ersten 
Tage bereits wieder in^voller Gährung befinden wird. 

Wenn man durchaus die Desinfection der Senkgruben mit über¬ 
mangansauren Salzen bewerkstelligen will, warum denn gerade in der 
unpraktischen Form von Flüssigkeiten? Ilisch schlägt statt des Eisen - 
Chamäleons die viel weniger leicht zersetzbare rohe Chamäleonschmelze 
als Pulver und vermischt mit einem passenden Vehikel vor, wie sie in 
England schon seit Jahren angewandt wird. Zur Vermischung empfiehlt 
er Eisenoxydsalze, rohe Magnesiasalze, als am besten aber gebrannten 
Gyps. Dies Pulver wird entweder einfach zum Bestreuen des Fäoes 
gebraucht — und dies hält er für das Praktischste, da hierbei die Wir¬ 
kung im Verhältniss der allmähligen Auflösung des Pulvers nachhal¬ 
tiger sein muss — oder man bereitet eine «concentrirte Lösung aus 
Chamäleonschmelze, aus Eisen- oder Magnesiasalz. 

Die Instruktion verordnet sodann: zur Besprengung der Wände 
und zum Abwaschen des Holzwerks der Abtritte eine Mischung von 
30% carbolsauren Natrons mit 10% freier Carbolsäure in Wasser im 
Verhältniss von 1 Tassenkopf voll davon zu 1 Eimer Wasser gemischt 
anzuwenden und damit in Cholerahäusern täglich, in allen andern alle 
3 Tage zu desinficiren. Warum aber, meint Disch, zur Bereitung des 
„Scheuerwassers“ solch ein complicirtes Recept? Da für diese Zwecke 
auch die Anwendung z. B. des carbolsauren Natrons für sich allein 
schwerlich beanstandet werden kann, wäre es praktischer gewesen, die 
Verwendung einer Auflösung des festen carbolsauren Natrons von be¬ 
stimmtem Gehalt vorzuschreiben, die Concentration der Lösung hätte 
aber deshalb genau vorgeschrieben werden müssen, weil im Handel 
unter dem Namen „carbolsaures Natron“ gewöhnlich eine Lösung dieses 
Salzes verstanden wird, welche in ihrem Gehalt, je nach den verschie¬ 
denen Fabriken, ausserordentlich schwankt, so dass wir aus zwei Hand¬ 
lungen in einer 10 und in der andern kaum 5% des Salzes fanden. 

Das im festen Zustande verkäufliche carbolsaure Natron muss, 
normal zusammengesetzt, ca. 70% Carbolsäure enthalten. 

Da die übrigen Paragraphen jener Instruktion nur die techni¬ 
sche Anwendung der Desinfectionsmittel verordnend behandeln, so wen¬ 
den wir uns wieder zu den Mittheilungen der epidemiologischen Sek¬ 
tion zurück, welche die Anwendung des Desinfectionsmittel» in über¬ 
sichtlicher Weise zusammenstellt und zugleich auf die verschieden¬ 
artigen Eigenschaften aller derselben nicht blos die gebührende 
Rücksicht nimmt, sondern sie auch am zweckmässigsten zu benützen 
sucht. 

Zur Desinfection von ausserhalb der Wohnungen gelegenen Ab- 



tritten eignet sich am besten der Chlorkalk (auf 100 Gewichtstheile 
Fäces 10 Theile Chlorkalk k 30% wirksames Chlor gerechnet.) Der¬ 
selbe wird aufgestreut und für den Fall, dass der Inhalt der Grube 
nicht feucht genug ist, mit Wasser übergossen. Der Chlorkalk muss 
so oft zugesetzt werden, als der deutliche Chlorgeruch nachzulassen 
beginnt. Es wird dabei vorausgesetzt, dass die Gruben möglichst oft 
geräumt werden und der Zusatz des Chlorkalks in dem Maasse erfolgt, 
als sie sich von Neuem füllen. 1 

Zur Desinfection von Stechbecken, Nachtstühlen, Waterclosets, 
Senkgruben eignet sich die Eisenchamäleonlösung (auf 100 Gewichts¬ 
theile reines Chamäleon oder 15 Gewichtstheile reine Chamäleonlösung 
k 4% Permanganat.) Es wird von Derselben für jede Person ein Wein¬ 
glas (50 C. Cm.) mit der zehnfachen Menge Wassers verdünnt in die 
Grube gegossen. Bei Nachtstühlen etc. lasse man stets auf dem Boden 
eine Hand hoch Wasser stehen. In dieses giesse man jedesmal vor 
dem Gebrauch ein Weinglas des obigen Mittels hinein und wiederhole 
es nach dem jedesmaligen Gebrauche ebenfalls. In Waterclosets mit 
gutem Wasserverschluss steht ohne weiteres Zuthun eine genügende 
Menge Wasser auf dem Boden. 

Für Stechbecken und Nachtstühle hält die Majorität jener Sektion 
auf die Carbolsäure in dem Falle für ausreichend, dass vor dem Ge¬ 
brauche eine zur völligen Aufnahme der Fäces ausreichende Quantität 
davon in das Gefäss hineingethan wird. Von dem carbolsauren Natron 
ist eine Lösung von 1 Theil in 6 Theile Wassers anzuwenden. Der anti¬ 
septischen Wirkung der Carbolsäure haben bereits auch viele andere 
Forscher das Wort geredet. 

Einen wesentlichen Mitstreiter aber hat die Carbolsäure in den 
wasserabsorbirenden festen Körpern. Vielleicht, sagt er, ist bei den 
negativen Ergebnissen der Experimente mit ihr den Verdickungsmitteln 
der Auswurfstoffe nicht die Aufmerksamkeit geschenkt worden, welche 
sie verdienen; wir würden uns gern vom Gegentheil belehren lassen, 
allein es wäre recht wünschenswert!!, dass von verschiedenen Beiten 
Versuche mit carboisäurehaltigen Pulvern angestellt würden. 

Diese letztere Aeusserung bestimmt uns , auch die Zusammen¬ 
setzung und den Gebrauch des Müller-Schür’schen Desinfectionspulvers 
hier mitzutheilen. Man nehme 1 Pfund Carbolsäure von 1,045 — 1,050 
specifischem Gewicht und vermische diese mit 100 Pfund Torfpulvers 
oder feine Sägespähne in folgender Weise: Das eine oder andere der 
beiden genannten Vehikel wird auf der Erde ausgebreitet, darüber die 
Säure aus einer kleinen feindurchlöcherten Giesskanne ausgegossen, das 
Ganze dann mit einer Hacke rück- und vorwärts, kreuz und quer tüch¬ 
tig durchgehackt und dieses Gemisch nun in einem bedeckten Kasten 
oder einer Tonne aufbewahrt. Der Boden der vorher rein ausgeleerten 
Dunggrube wird dann ein Finger breit hoch mit diesem Desinfections- 
pulver bedeckt und von jetzt ab werden je nach Bedürfnis täglich ein 



74 


oder zwei Behäufeln davon über die Fäces gleichmäßig ausgestteut, 
welche dadurch vollständig geruchlos werden und ohne Unbequemlich¬ 
keit abgefahren werden können. In gleicher Weise kann das Pulver 
u. s. w. sodann auch in Vieh-, vornehmlich in Pferdeställen, wo es die 
Amoniakbildung verhindert, angewandt werden. Dies Mittel hat, neben 
der Wirkung einer kräftigen Desinfection, übrigens auch noch den 
Werth, dass es keineswegs gleich den Eisensalzen die Auswurfstoffe 
für die Landwirthschaft weniger brauchbar und werthvoll macht. Was 
die Quantität des zur Desinfection der Excremente nöthigen Müller- 
Schür’schen Pulvers anbetrifft, so genügt für den jedesmaligen Gebrauch 
einer Person 7*— i J t Loth desselben. Für grössere Aborte pflegt sich 
der Preis bei täglich zweimaligem Einstreuen des Pulvers für jede Per¬ 
son aufs ganze Jahr zu nur 2 Sgr. herauszustellen. Zur Desinfection von 
Pferdeställen u. dergl. empfiehlt sich ein wöchentlich zweimaliges An¬ 
streichen der Binnen des Bodens und der untern Wandflächen mit kar¬ 
bolsaurem Kalke. (Industr. Blätter.) In Lazarethen, Krankenzimmern 
u. dergl. sagen die Mittheilungen der Sektion weiter, empfiehlt sich 
zur Desinfection der Ausleerungen wirklich Cholerakranker der reich¬ 
liche Zusatz reiner übermangansaurer Salzlösungen. Wir bitten, das 
oben hierüber Dargelegte zu vergleichen und fügen noch einen Aus¬ 
spruch Jakobsons hinzu: Wenn auch die übermangansauren Salze wider¬ 
spruchlos als die wirksamsten und in der Handhabung bequemsten Zer¬ 
störungsmittel von Ansteckungsstoffen anzusehen sind, so möchten wir 
doch behaupten, dass das eigentliche Feld ihrer Anwendbarkeit (na¬ 
mentlich so lange ihr Preis nicht noch ganz bedeutend herabgesetzt 
werden kann) dort zu suchen ist, wo es kleinere Quantitäten als den 
Inhalt ganzer Senkgruben zu desinficiren gilt, also die in Nachtstühlen, 
Stechbecken etc. enthaltenen Auswurfstoffe; hier allein wird man sich 
sichere und schnelle Wirkung von ihnen versprechen können. 

Zur Desinfection grösserer Erdgruben u. dergl., bei Bivouaks 
z. B. empfehlen sich die obengenannten Säuren vornehmlich, indem sie 
in der angegebenen Verdünnung in den Inhalt gemischt werden. Ueb- 
rigens sollte, wird schliesslich bemerkt, die Desinfection überall und 
zu jeder Zeit zwangsweise angeordnet sein. (Nach der bunzlauer phar- 
maceutischen Zeitung.) 

Nach dieser wohl völlig erschöpfenden Uebersicht aller Mittel zur 
Desinfektion der Auswurfstoffe müssen wir noch eine kurze Ueberschau 
auch derer anfügen, welche zur Desinficirung der Utensilien aller Art 
wie Kleidungsstücke, Betten u. 8. w., ferner der Luft und schliesslich 
des Trinkwassers nothwendig sind. 

Die amtliche Instruktion ordnet an, dass alles Holzwerk, als 
Fussböden, Bettgestelle u. s. w. ausser dem Waschen mit Carbolsäure 
auch mit einer Auflösung von 1 Theil Chlorkalk in 10 Theilen Wassers 
behandelt werden soll. Alle Metallgegenstände, Leib- und Bettwäsche, 
Kleidungsstücke, Teppiche und Gardinen müssen vorher aus den Zim- 



75 


mern entfernt werden. Die Metallgeräthe und Geschirre aller Art brau¬ 
chen nur mit heissem Wasser gewaschen zu werden. Jede Wäsche ist 
entweder in siedendes Wasser zu werfen und tüchtig durchzukochen, 
oder, falls dies unthunlich, zunächst mit Javell’scher Lauge einzuwei¬ 
chen und später auszukochen. Bettfedern werden der demnächst zu be¬ 
schreibenden Chlorräucherung mit unterworfen und dann einer zuver¬ 
lässigen Bettfedernreinigungsaustalt übergeben. Etwa in den Bettge- 
Btellen vorhandenes Lagerstroh muss verbrannt werden. Alle gefärbten 
Zeugstoffe, Teppiche, Kleidungsstücke, Gardinen und drgl. sind in ' 
einer Auflösung von 1 Thl. übermangansauren Natrons in 10,000 Th eilen 
Wassers einzuweichen und nachher sorgfältig auszuwaschen. Es muss 
hiezu bemerkt werden, dass man zur Behandlung aller wollenen Ge¬ 
genstände, Teppiche etc. diese Desinfectionsflüssigkeit stark sauer ma¬ 
chen muss, weil sonst leicht eine Braunfärbung der Wolle ein tritt. 
(Wiederhold „Neues Gewerbeblatt für Kurhessen.“) 

Während die obigen Vorschriften für den Fall der bereits aus- 
gebrochenen Epidemie und in Cholerahäusern selbst gelten, werden als 
Yorsichtsmassregeln zur Verhütung des Uebertragens jeder verderb¬ 
lichen oder doch gefährlichen Gährungserreger nur möglichst häufiges 
Lüften der Kleidungsstücke etc. und dann und wann durch Dunsten 
derselben mit Essigdämpfen nothwendig sein. Starke Zugluft ist unter 
allen Fällen das beste Desinfectionsmittel für alle Kleidungsstücke und 
dergl. Zu beachten dürfte es sein, dass man neuerdings als die ver¬ 
nehmlichsten Träger derartiger Krankheitsstoffe schwarze Kleidungsstücke 
festgestellt haben will; Thatsächliches ist indessen über diese Hypothese 
noch nicht erforscht worden. 

Schon längst ist man über jene falsche Ansicht hinaus, dass 
wohl- und starkriechende Stoffe, Räuchermittel u. s. w. r die Luft wirk¬ 
lich von schädlichen Miasmen befreien könnten, sie hüllen dieselben 
gewissermassen nur ein, machen sie unbemerkbar, aber um desto ge¬ 
fährlicher. Mit Entschiedenheit hat man daher alle solche Mittel, 
Dämpfe von Eaude Cologne, selbst Gewürz- oder den Eingangs erwähnten 
Vierräuberessig u. s. w. verworfen, welche nicht zu den wirklich kräftig 
wirkenden rechten Luftreinigungsmitteln gehören. Zur Desinficirung 
der Luft in Räumen, welche wirklich Cholerakranke bewohnt haben, 
sind Chlordämpfe ein energisches Mittel. Sie werden in der Weise ent¬ 
wickelt, dass man in einem irdenen Gefässe Chlorkalk mit Wasser znm Brei 
anrührt u. darunter etwas Salzsäure gibt. Dabei müssen Thüren u. Fenster 
einige Stunden geschlossen bleiben. Zu beachten ist aber, dass das Ein- 
athmen der giftigen Chlordämpfe sehr gefährlich ist und dass man da¬ 
her mit grosser Vorsicht dabei zu Werke gehen muss. Räucherungen 
mit gutem reinem Essig oder ebensolchem Gewürzessig, indem man den¬ 
selben auf einen in einer Holzschaufel liegenden heissen Stein oder 
Bolzen giesst, sind als unschädliches (wenn nicht übertrieben) und wirk¬ 
sames Präservativ-Verbesserungsmittel der Luft bestens zu empfehlen« 




— 76 — 

Als das vortrefflichste und sicherste Mittel zur vollständigen Reinigung 
der Luft ist aber die sorgsamste Lüftung aller Schlaf- und Wohnräume 
zu erachten; schon aus diesem Grunde allein ist eine regelrechte Venti¬ 
lationseinrichtung gar nicht dringend genug anzurathen. 

Ueber die Desinficirung des Trinkwassers hat weder die Verord¬ 
nung des Polizeipräsidiums von Berlin noch die epidemielogische Sek¬ 
tion etwas bemerkt — und doch dürfte sie ausserordentlich wichtig und 
nothwendig sein. Man hat Abkochen empfohlen, welches jedenfalls 
wirksam zur Vernichtung aller Ansteckungsstoffe ist allein einmal müsste 
man es dann zum Gebrauch in sorgfältig verschlossenen Gefässen auf¬ 
bewahren, damit es durch die in der Luft umherschwimmenden Keime 
jener Gährungserreger doch nicht wieder inficirt werde, und zweitens 
verliert es als Trinkwasser durch das Abkochen seinen Werth. Dann 
hat man das gewöhnliche Brunnen-, Fluss- etc. Wasser aus dem Trink¬ 
gebrauch völlig verbannt und statt seiner nur künstliches Mineralwasser 
gestattet. Auch dabei stellen sich Uebelstände, ohne alle Befriedigung 
heraus — und von manchen Seiten ist das Selter-, Soda- etc. Wasser 
während der Epidemie sogar völlig verboten worden. Andere haben 
empfohlen, das gewöhnliche Trinkwasser stets mit ein wenig Arrak oder 
von andern Spirituosen zu mischen; doch auch der dauernde Gebrauch 
derselben dürfte — besonders bei Frauen und Kindern — seine Beden¬ 
ken haben. 

Die „Fabrik plastischer Kohle“ von Lorent und Vette in Berlin 
empfahl ihre Filtrirapparate angelegentlich zur Desinfection des Trink¬ 
wassers, vorzugsweise zur Zeit von Epidemien, dies wurde von dem in¬ 
zwischen verstorbenen Professor Runge in Oranienburg und Anderen 
sehr energisch angegriffen, denn , so sagten jene Herren, einmal ver¬ 
nichtet doch die Kohle jene Gährungserzeuger nicht, sondern saugt sie 
bloss auf, und zweitens kann sich in jenen Filtern bei langem Gebrauch 
erst recht ein unheilbarer Herd von solchen Ansteckungsstoffen bilden. 
Unseres Erachtens war das aber über das Ziel hinausgeschossen; denn 
die in ihrer aufsaugenden Wirkung begründete Anwendung von Kohle 
zur Desinfection des Wassers und dergl. hatte ja nach mehrfachen 
Beobachtungen von verschiedenen Seiten sich bewährt und war auch 
zur Cholerazeit öfter empfohlen worden, und wenn daher die Filtrir¬ 
apparate jener Fabrik —bei ganz praktischer Einrichtung — und von 
Zeit zu Zeit gereinigt, ausgeglüht und neu gefüllt werden, warum soll¬ 
ten sie denn nicht zweckentsprechend sein? 

Eine noch andere Desinficirung des Trinkwassers ward von Dr. 
Hager (in der pharmaceutischen Centralhalle) empfohlen. Er hatte an 
sich selbst die Beobachtung gemacht, dass manches fremde Trinkwasser 
ihm Verdauungs- und dergleichen Beschwerden verursachte; dies schrieb 
er nun den darin vorhandenen mikroscopiscben Schleimalgen (vielleicht 
auch andern derartigen pflanzlichen oder thierischen Gebilden) zu, und 
um solche zu vernichten, setzte er dem Trinkwasser jedesmal einige 


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Tropfen Tanninauflösung zu. Dies hatte einen durchaus erwünschten 
Erfolg; die Gerbsäure beeinträchtigte den Geschmack des Wassers nicht 
im Geringsten, dagegen blieben Hägers empfindliche Organe nach 
solchem Zusatze von jeder Afficirung frei. Man sollte diesen Wink nicht 
unbeachtet lassen — zumal wer Geschmack, Beliebep und Können hat, 
statt der Tanninauflösung ja mit gleichem Erfolge auch Rothwein seinem 
Trinkwasser zusetzen darf. 

Somit haben wir im Wesentlichen sämmtliche Stoffe vor uns, 
welche wir als Waffen und Bundesgenossen ansehen müssen in unserm 
furchtbaren Kampfe mit jenen winzigen, räthseihaften, ungeheuerlichen, 
weil der Menschheit nur zu oft verderblichen Gebilden des Thier- und 
Pflanzenreichs, welche, auf der niedersten Stufe der Entwicklung stehend, 
für alle höher organisirten Geschöpfe Tod und Verderben bergen. Noch 
sind freilich die Meinungen dev Forscher über das Wesen dieser „Träger 
der Epidemie,“ wie über das Wesen solcher Krankheiten selbst, ausser¬ 
ordentlich weit auseinandergehend, noch sind freilich kaum einige klare 
Lichtstrahlen in das furchtbare , ominöse Dunkel gefallen , in welches 
die Menschenerzfeindin Cholera hartnäckig sich zu hüllen vermag. Den¬ 
noch ist das , was wir positiv wissen, doch bereits völlig ausreichend, 
um den thatsächlichen, unumstösslichen Werth aller oben behandelten 
Desinfectionsmittel als Bekämpfer und Vernichter der Krankheitsstoffe 
— gleichviel welcher Art ihre Beschaffenheit sein mag — festzustellen. 

(Ueher Desinfection mittelst Carbolsäure) (Kreosot, 
Phenylsäure). Pasteur’s haben * nachgewiesen , dass jeder Gährungs- 
und Fäulnissprozess von der Gegenwart mikroskopischer Pflanzen oder 
Thiere herrührt, welche während ihres Lebens die organischen Sub¬ 
stanzen so zersetzen und verändern, dass die bekannten, für jene Prozesse 
charakteristischen Erscheinungen eintreten. Wenn aber diese niedern Or- 
. ganismen bei ihrem Auftreten mit Phenilsäure in Berührung kommen, so 
werden sie augenblicklich zerstört. Demnach ist die Phenylsäure ein weit 
wirksameres und rationelleres Mittel zur Verhinderung der Fäulniss 
und zur Desinfection, als die zu diesem Zwecke allgemein gebräuchli¬ 
chen Mittel. Jene mikroskopischen Organismen (Fermente) sind im 
Verhältnis» zu der Masse der Substanzen, auf welche sie einwirken, 
stets nur in geringen Mengen vorhanden, und daher ist auch nur eine 
sehr geringe Quantität der Säure zur Verhinderung der durch jene Or¬ 
ganismen hervorgerufenen Zersetzung hinreichend. Das Verfahren ist 
demnach gleichzeitig wirksam und billig. Ueberdies trifft die Phenyl¬ 
säure in Folge ihrer Flüchtigkeit, wie Dr. Lemaire bemerkt, mit den 
in der Atmosphäre schwebenden und dieselbe verderbenden Sporen oder 
Keimzellen zusammen und zerstört sie. Aus diesem Grunde sind in 
1 England, Belgien und Holland während der Cholera- und Rinderpest- 
Epidemie ungeheuere Mengen von Phenylsäure verbraucht worden. — 
Für die Landwirtschaft bildet die Phenilsäure ein ausgezeichnetes Heil¬ 
mittel gewisser, unter dem Schafvieh sehr häufig auftretenden Krank- 



78 


heiten, namentlich Räude und Klauenseuche. Gegen Räude wird sie in 
Verbindung mit Seife in Form einer Emulsion, welche ein Prozent 
Säure enthält, angewendet. Nachdem das Thier vollständig geschoren 
ist, wird es in dem phenylsäurehaltigen Seifenwasser gebadet; einmali¬ 
ges Baden ist gewöhnlich zur Heilung hinreichend. Gegen Klauen¬ 
seuche verbindet man die Säure mit einer klebrigen teigartigen Sub¬ 
stanz zu einer Art von Pflaster, welches man auf die kranken Ftisse 
legt und, mittelst eines Verbandes gegen Luftzutritt geschützt, einige 
Tage wirken lässt. Um bei grösseren Schafherden Zeit zu ersparen, 
füllt man einen langen Trog mit dem Mittel an, worauf man die Schafe 
nöthigt, hindurch zu gehen, so dass sich das Mittel an die kranken 
Fasse hängt. (Hamburger Gewerbeblatt.) 

(M oule’s Erdabtritte.) Mr. Moule, ein englischer Geistlicher, 
benutzte neuerdings als desodorisirendes und desinficirendes Mittel für 
Exkremente in der Sonne oder auf dem Herd getrocknete, durch Sieben 
von den gröberen Bestandteilen befreite Wald- oder Dammerde. 
Solche Erde wird in ein Reservoir gethan, welches sich, wie das Was¬ 
serreservoir des Waterclosets, hinter und über dem Sitze befindet. Das 
Reservoir aus Eisenblech ist nach unten schräg zulaufend, durch eine 
Klappe geschlossen, und diese durch eine Hebelbewegung zu öffnen. 
Durch das Oeffnen dieser Klappe fällt eine gewisse Menge der getrock¬ 
neten Erde auf die Exkremente. 

Der Abtritt kann leicht mit einer Senkgrube in Verbindung ge¬ 
bracht und die Exkremente können in derselben 3 — 6 Monate aufbe- 
wahrt werden, ohne irgend einen Nachtheil für die Umgebung. Auch 
können die Apparate oberhalb beweglicher Kübel aufgestellt oder auch 
zu Nachtstühlen verwendet werden. Die mit den Exkrementen ver¬ 
mischte Erde lässt sich, wenn sie an der Luft getrocknet ist, fünf bis 
sechsmal zu dem gleichen Zwecke verwenden. Diese Wirkung der ge¬ 
trockneten Erde beruht auf ihrer resorbirenden Eigenschaft, welche sie 
mit der Kohle gemein hat, vielleicht aber auch auf einem chemischen 
Vorgänge. 

Moule hat berechnet, dass für 10,000 Einwohner etwa 13 Tonnen 
(260Ctnr.) Erde täglich erforderlich sind. Es müssten sich Gesellschaf¬ 
ten bilden, welche die trockene Erde zu „und die als vorzüglicher 
Dünger gleich dem Guano verwerthbare , öfter in Anwendung gezogene 
Erde wieder abführen. Ob sich die Sache im Grossen bewähren wird, 
hängt natürlich von dem Verhältnisse der Transportkosten zum Werthe 
des Düngers ab. 

In England ist es jetzt mittelst Parlamentsakte gestattet, dass 
überall da, wo bisher Wasserclosets vorgeschrieben waren, das Moule’- 
sche System angewendet werden könne. Vorzüglich bewährte sich die¬ 
ses System im Lager von Wimbledon, in welchem 148 Abtritte und Pis¬ 
soirs aufgestellt waren, für die Benutzung von 2000 Volontairs. Die Ge¬ 
ruchlosigkeit war eine vollständige und der vortreffliche Gesundheits- 


i 



zustand, der trotz der beispiellosen Hitze im Lager herrschte, wird zum 
Theil auf Rechnung dieser Erdabtritte gesetzt. In Indien, wo die rasche 
Abfuhr und Desinficirung der Excremente so dringend geboten ist, hatte 
das Moule’sche System den vollständigsten Erfolg. 

Die Berichte aus Gefangenhäusem, Schulen, Spitälern und die 
Zeugnisse der vielen bewährten Männern lauten durchgehends sehr gün¬ 
stig, so dass sich die englische Regierung bewogen fand, dem Mr. 
Moule ein Gesohenk ton 500 Pfd. Sterl. als Anerkennung zukommen 
zu lassen. (Allgemein medicinische Central-Zeitung. Dr. Baier.) 


I. Veränderungen in den Strafanstalten. 


1. Die Strafanstalt St Georgen dient gegenwärtig nicht 
als Gefangen-Anstalt, sondern als Männerzuchthaus und 
Polizei-Anstalt für Weiber. 

2. Die Strafanstalt Spandau wurde aufgelöst. 

3. Das Bezirksgefängniss Osnabrück wurde aufgelöst. 

4. Die Strafanstalt Leuchtenburg bei Kahla wurde 
aufgelöst. 

5. Die Straf- und Corrections-Anstalt für Männer zu H o r n- 
stein wurde am 7. Mai 1869 aufgelöst, beziehungs¬ 
weise mit der Straf- und Corrections-Anstalt für Weiber 
zu Habsthal vereinigt. 

6. Das Arbeitshaus für Frauenspersonen ist vom 28. Ok¬ 
tober, 1871 an nach Heilbronn verlegt, und sind alle 
auf weibliche Arbeitshaus-Gefangene bezüglichen Mit¬ 
theilungen an die Zuchtpolizeihaus-Verwaltung Heil¬ 
bronn zu richten. 



80 


II. Personalnachrichten. 

(Dieselben sind nach der Reihenfolge im Verzeichniss der Strafanstalten 
II. Band Separatheft geordnet. Vergl. auch die Nachträge hiezu*). 


I. Pensionirt wurden: 

Henne, Inspector der Strafanstalt Stade. 

Posseldt, Rendant der Strafanstalten Graudenz. 

Maurer, Director der Strafanstalt Naugard. 

Suck, Rendant der Strafanstalt Lichtenburg. 

Polmann, Director der Strafanstalten Münster. 

Kolb , Justiz-Rath, Vorstand des Kreisgefängnisses Rotten¬ 
burg. 

2. Ordensverleihungen und andere Anerkennungen. 

E k e r t, Director des Zellengefängnisses in Bruchsal, erhielt 
den Kgl. Preussischen Kronenorden III. Classe. 
Bauer, Rechnungsrath, Verwalter des Zellengefängnisses 
Bruchsal, erhielt das badische Erinnerungskreuz. 
Hutsch, Dr., Medicinal-Rath, Hausarzt der Strafanstalten 
Bruchsal, erhielt: das Ritterkreuz I. Classe des Grossh. 
Badischen Zähringer-Löwen-Ordens und das Erinnerungs¬ 
kreuz ; den • K. Pr. Kronenorden IV. Classe; den König. 
Württemb. Olga-Orden. 

Ribstein, Hilfsarzt des Zellengefängnisses Bruchsal, er¬ 
hielt das eiserne Kreuz II. Klasse am weissen Band 
und das Ritterkreuz II. Classe des Gr. Badischen Zäh¬ 
ringer Löwen-Ordens. 

Blenkner, Director des Kreisgefängnisses in Mannheim, 
erhielt das Ritterkreuz I. Classe des Gr. Badischen 
Zähringer Löwen-Ordens. 

*) Statt der Ernennungen und Veränderungen bringen wir in einem der nächsten 
Hefte ein neues Verzeichniss der deutschen Strafanstalten und ihrer Beamten. 

Die Redaction. 



81 


Andrzejewski, Strafanstalts-Aufseher Poln. Crone, erhielt 
das allgemeine Ehrenzeichen. 

Wullen, Oberjustiz-Rath, Yorst. d.Zuchth. Ootteszell, erhielt 
das Ritterkreuz des Kgl. Wiirttemb. Friedrichs-Ordens. 

Dem Oberjustiz-Rath Bechstein, Yorstand des Arbeits¬ 
hauses Ludwigsburg, wurde von Seiner Majestät dem 
König die gnädige Anerkennung seiner guten Amts¬ 
führung und dem mit der Leitung des Gewerbsbetriebs 
beauftragten Fabrik-Inspector Kies er die Zufrieden¬ 
heit mit seiner eifrigen und erspriesslichen Dienstleistung 
zu erkennen gegeben. 

Merz, Unterarzt des Arbeitshauses Ludwigsburg, erhielt die 
silberne Civilverdienst-Medaille. 

Reber, Oberaufseher am Arbeitshause Ludwigsburg, erhielt 
die silberne Civilverdienst-Medaille. 

Jeitter, Justiz-Rath, Yorst. des Zuchtpolizeih. u. der Straf¬ 
anstalt für jugendl. Verbrecher in Hall, erhielt das Rit¬ 
terkreuz I. Classe des Kgl. Württemb. Friedrichs-Ordens. 

Jäckle, Oberaufseher am Zuchtpolizeihause Heilbronn, er¬ 
hielt die goldene Civilverdienst-Medaille. 

Hug, Oberaufseher am Zuchtpolizeihause Heilbronn, erhielt 
die silberne Civilverdienst-Medaille. 

Kolb, Justiz-Ratli, Yorstand des Kreisgefängnisses Rotten¬ 
burg, erhielt das Ritterkreuz I. Klasse des Kgl. Würt¬ 
temberg. Friedrichs-Ordens. 

Eisenmann, Aufseher am Kreisgefängnisse Rottenburg^ 
erhielt für die muthvolle Rettung eines Menschen aus 
Lebensgefahr die silberne Civilverdienst-Medaille. 

3. Gestorben sind: 

Staiger, Oberamtsrichter, Inspec. der Strafanstalten Bruchsal. 

Dietz, Pfarrer in Ober-Achern. 

S c h m i tt, v., Generalstaatsprocurat. der Pfalz in Zweibrücken. 

Sohn, kath. Hausgeistlicher in Frankenthal. 

Wolfring, v., Dr., Hausarzt in München. 

Y o i t, v.', Oberbaurath in München. 

B1 a u f u s s, Inspector des -Asyls für entlassene Sträflinge auf 
dem Wutschenhof bei Castel in Unterfranken. 

6 


Blätter für Gefdngnissknnde VII. 



82 


Abel, Dr., Hausarzt in Plassenburg. 

Ehrlich, Rechnungsführer in Plasseoburg. 

Gräser, Dr., Medicinal-Rath, Director der Jrrenanstalt auf 
dem Eichberg bei Eberbach. 

Meyer, Oeconomie-Insjpector in Insterburg. 

Köhler, Rendant in Fördon. 

Spring, Oeconomie-Inspector in Poln. Crone. 

Schück, Director in Breslau. 

Meyer, Polizei- und Oeconomie-Inspector in Breslau. 

Nos«, Director in Görlitz. 

Nolte, Director in Striegau. 

Schmidt, Director in Brandenburg. 

Angenstein, JWundarzt in Cöln. 

Müller, Lehrer in Cöln. 

Ger st, kath. Hausgeistlicher in Düsseldorf. 

Rapp old, Dr., Hausarzt in Hornstein. 

Järsch, Pfarrer, kath. Seelsorger der Detinirten zu Huber¬ 
tusburg und Waldheim. 

Zillich, Dr., Anstaltsarzt der Strafanstalt Waldheim. 
Hufeland, Regierungs-Rath in Weimar. 

F ü r e r, Director, Mitglied des Strafanstalten-Collegiums Stutt¬ 
gart. 

Heider, v., Hausarzt in Markgröningen. 

Kljemm, Justizrath, Yorst. des Arbeitshauses Markgröningen. 
Bücher, Dr., kath. Hausgeistlicher in Heilbronn. 

Rom er io, Pr., Hausarzt in Gotteszell. 

Scheurlen, v., K. Minister des Innern in Stuttgart. 
Ehrlicher, Staatsanwalt in St. Pölten. 

Schöller, Dr., Strafanstalts-Arzt in Gratz. 


III. Yereinsangelegenheiten. 


I. Ausgetretene Mitglieder. 

Sontheimer, Hauslehrer des Zuchthauses Kaisheim. 

Y o g e 1, evang. Hausgeistlicher der Polizeianstalt Rebdorf. 



83 


Abel», Regierunge-Rath in Munster. 

F a 1 g e r, Dr., Medicinal-Rath, Arzt der Strafanstalten Münster. 
Kurze, Dirigent der Hilfsstrafanstalt Voigtsberg. 
Spranger, Dr., Professor an der Universität Leipzig. 

B ö h m e 1, Superintendent in Markneukirchen. 

Leschke, Pastor der Strafanstalt Leuchtenburg. 

Kolb, Justizrath, Vorstand des Kreisgefangnisses Rottenburg. 
Schlipf, Dr., Stadtpfarrer in Waldsee. 

Lechler, Instituts-Vorsteher, ev. Haus geistlicher des Zucht¬ 
polizeihauses Heilbronn. 


2. Nachweisung 

über die Einnahmen und Ausgaben pro 1. August 1870 
bis 31. Dezember 1871. 

(Band V. des Yereinsorgans.) 


Einnahmen. 

1. Casse-Rest aus voriger Rechnung . . . fl. 23. 17 kr. 

2. Vereinsbeiträge der Mitglieder: 

pro 1866 — 1 Mitglied 

* 1867 - 1 „ 

„ 1868 - 3 „ 

„ 1869 — 15 * 

„ 1870 — 193 

* 1871 - 191 

* 1872 - 11 „ 

415 „ 

Aus Oesterreich 172 „ 

587 Mitglieder ä fl. 1.45 kr. fl. 1,027, 15 kr. 


Uebertrag: fl. 1,050. 32 kr. 



84 


Uebertrag: fl. 1,050. 82 kr. 

8. Rückerhobene Capitalicn.„ 230. — „ 

4. Von der G. Weiss’schen Buchhandlung in 
Heidelberg für abgesetzte Vereinshefte 
pro 1869 — fl. 146. 42 kr. 
pro 1870 — „ 205. 22 „ 


5. Für an Nicht-Mitglieder abgegebene Ver¬ 
einshefte .... . ... 5. 15 „ 

Summe der Einnahmen fl. 1,637. 51 kr. 


Ausgaben. 

1. Druck des Vereinsorgans.fl. 502. 3 kr. 

2. Buchbinderlöhne.* . „ 119. 44 „ 

3. Papier, Lack u. dergl.16. 55 „ 

4. Belohnungen: 

a. für Rechnungsführung fl. 50. — kr. 


b. „ Schreibgebühren . „ 15.— „ 

c. „ literarische Arbeiten „ 113.— „ 

d. „ den Diener . . . „ 15.— „ 


5. Capital-Anlage . . . .'. 

6. Porti und Frachtkosten. 

7. Für Literatur. 

8. Für angekaufte frühere Vereinsheftc . . 


fl. 193. — kr. 

„ 500. — „ 

„ 155. 23 „ 

* . 2. 15 „ 

» 11. 51 * 


Summe der Ausgaben fl. 1501. 11 kr. 


Einnahmen ... fl. 1,637. 51 kr. 
Ausgaben . . . . „ 1,501 11 „ 

Gasse-Rest auf neue Rechnung fl. 136. 40 kr. 










85 


"V ermögens-Bereclmung*. 


1. Casse-Rest auf heute.fl. 136. 40 kr. 

2. Rückständige Beiträge pro 1870. 

58 Mitglieder K 1 Thaler . „ 101. 30 „ 

3. Guthaben bei der G. Weiss’schen Buch¬ 
handlung in Heidelberg.„ — — „ 

4. Guthaben b^i der Gewerbebank Bruchsal, 

Capital samrnt Zinsen . . . . . . 1,086. 1.4 „ 

zusammen : fl. 1,324. 24 kr. 
Schulden: 

Hievon gehen ab die für die Jahre 1871 und 
1872 bereit« erhobenen Beiträge: 
pro 1871 . • 191 
„ 1872 . 11'.' ' ' 

202 Mitgk ä 1 Thlr. . .fl.. 353. 30 kr. 
bleibt Reinvermögen fl. 970. 54 kr. 

BrucilSAl, den 31. Dezember 1871. 

Der Vereinsausschtiss. 





86 


Berichtigung, 


In dem 5. Hefte (Band YI.) S. 322 findet eich eine auf 
mich bezügliche, auf falscher Uebersetzung einer Stelle (in 
der Schrift „ International - Congress on the prevention of 
crime in London“) beruhende Mittheilnng, also lautend: 
„Der genannte Professor ist der Ansicht, es yrürde von 
grossem Nutzen sein, wenn zur Anbahnung einer gesun¬ 
den Discussion eine seiner vorzüglichen Schriften verlesen 
würde: Grundsätze über Strafreform im Allgemeinen und 
mit Bezug auf die nationalen Eigenthümlichkeiten. “ Hier¬ 
nach kann es den Anschein gewinnen, als ob ich eine meiner 
Schriften dem Congress hätte anempfehlen wollen. In dem 
betreffenden Satze ist aber geradezu alles missverständlich. 
Erstens existirt von mir gar keine Schrift unter dem ange¬ 
gebenen Titel; sie kann also auch nicht vorzüglich sein. 
Yorgeschlagen hatte ich vielmehr Folgendes: Der den Con¬ 
gress vorbereitende Ausschuss möge dafür sorgen, dass von 
irgend wem ein einleitender Vortrag gehalten würde über: 
„Allgemeine Principien und nationale Besonderheiten der 
Gefängnissreform.“ — (Wörtlich in dem betreffenden Passus: 
Next we (i. e. the congress) should contrive to have a gqpd 
paper read on the following question: General principles and 
National Pecularities in prison reform.) Es schien mir wich¬ 
tig, die Grenzlinie zu untersuchen in dem Yerhältniss der 
überall anwendbaren. Grundsätze des Strafvollzugs und der 
durch die Verhältnisse einzelner Staaten gebotenen Modifi- 
cationen. 



87 


Die wohlwollende Absicht des Referenten mir gegen¬ 
über bezweifle ich nicht. Mir selbst aber würde ich lächer¬ 
lich erscheinen, wenn iah einem Congress zugemuthet hätte, 
sich einer meiner (unter dem angegebenen Titel freilich nicht 
existirenden) Schriften vorlesen zu lassen. 

Prof. Dr. P. v. Holtzendorff. *) 


*)Die deutsche Uebersetzung geschah, wie auf Seite 317 des 5. Hefts 
angeführt ist, aus dem italienischen Text der Rivista di Discipline Car¬ 
cerarie und trägt der italienische Text die Schuld der falschen Auf¬ 
fassung. Des englischen Originals haben wir bis jetzt nicht habhaft 
werden können. Anmerkung der Redaction. 


Druek fehler. 


S. 31 letzte Zeile lies Kal de wer statt Kaldeweg. 
S. 41 Z. 17 y. u. 1. Klemm statt Kless. 



Inhalt,.' 


Seit« 

1. Das Verbrecherthum in Berlin von Ragotzkv . . 1 

2. Nekrolog für C. E. Schlick . . . . . 29 

3. Correspondenz ....... 32 

Insbesondere: 

Oefänguis8verein der Provinz Brandenburg ... 32 

Jahresbericht des Breslauer Schutzvereins ... 35 

Oesterreichische Strafgesetznovellen .... 43 

4. Vermischtes ....... 57 

Insbesondere: 

Einfluss der Beleuchtung auf die Luftqualität . 57 

Heizungsmethoden ...... 59 

Ventilation und Heizung . . . . Gl 

Desinfectionsinittel . . . . . 67 

5. Veränderungen in den Strafanstalten .... 79 

6. Personalnachrichten ...... 80 

7. Vereinsangelegenheiten ...... 82 

8. Berichtigung ....... 86 







Londoner internationaler Gongress 

zur 

V erhütung und TJnterdrückung 
der Verbrechen. 


Am 24. Juni 1872 begannen* in London die Sitzungen 
des internationalen Comitees. Sectretär Pears leitete die¬ 
selben mit einer kurzen Rede ein , und Dr. W i n e s wurde 
durch Acclamation zum Präsidenten des Comitees erwählt, 
Edwin Pears zum Secretär des Congresses. 

Die Verhandlungen des Comitees fanden in deutscher, 
englischer und französischer Sprache unter Zuhilfenahme 
eines dieser Sprachen mächtigen Dolmetschers statt. Auch 
bei dem Congresse selbst wurden die genannten 3 Sprachen 
gebraucht und die einzelnen Vorträge ihrem wesentlichen In¬ 
halte nach sofort, die englischen ins Französische und die 
deutschen und französischen ins Englische übersetzt. 

Den nächsten Gegenstand der Berathungen bildete das 
Programm. Da die englischen und americanischen Mitglieder 
in dem Comitee zahlreicher waren, als die der anderen Na¬ 
tionen , und ein kleines Collegium leichter, als ein grosses 
arbeitet, beschloss man die Constituirung eines Subcomitees, 
in dem jede Nation durch ein Mitglied vertreten sein sollte, 
und welches die Stoffe zuerst zu berathen und dem inter¬ 
nationalen Comitee zur Discussion und Beschlussfassung vor- 

Bl&tter fflr GefAngnlsskuode VIL 7 



- 90 - 

zulegen hatte. Aus den täglichen Berathungen dieses Co- 
mitees und unter dem erheblichen Einfluss der von dem deut¬ 
schen Nationalcomitee aufgestellten und von den deutschen 
Abgeordneten geltend gemachten Principien ging das Pro¬ 
gramm für den Congress hervor, das wir hier folgen lassen. 


Prospectas. 

Der Congress wird vorzugsweise aus 2 Classen von De- 
legirten zusammengesetzt sein, jiämlich aus officiellen, von 
den Regierungen ernanntet Abgeordneten, und nicht officiellen 
Mitgliedern, die von den National-Comitees der einzelnen 
Länder eingeladen wurden in Berücksichtigung ihrer beson¬ 
deren Kenntniss und ihres Interesses bezüglich der zu be¬ 
handelnden Gegenständen. 

Zeit und Ort der Versammlung. 

Die Versammlungen des Congresses werden in der 
Middle Temple Hall gehalten werden. 

Die Eröffnungssitzung des Congresses wird am 3. Juli 
Abends 8 Uhr stattfinden und Graf Carnarvon die Eröff¬ 
nungsrede halten. Die folgenden Sitzungen beginnen jeweils 
Morgens 11 Uhr. Am 13. Juli werden die Verhandlungen 
geschlossen. 

Gegenstände der Verhandlung. 

Die Gegenstände der Verhandlungen werden von dem 
International-Comitee bestimmt, das aus Abgeordneten der 
vertretenen Nationen zusammengesetzt ist. 

Allgemeine Einrichtung und Programm. 

Der Congress wird in 3 Sectionen getheilt, die aber, 
wo keine anderen Bestimmungen festgesetzt sind, nicht gleich¬ 
zeitig tagen. Die Verhandlungen finden theils in Sectionen, 
theils in Generalversammlungen statt. Jeden dritten Tag 
vereinigen sich die Sectionen zu einer Generalversammlung, 
um die Referate über die Sectionsversammlungen anzuhören 
und zu discutiren, die von zu diesem Zweck ausgewählten 
Mitgliedern vorbereitet worden sind. 



91 


Der Congresß wird die im nachstehenden Programme 
enthaltenen Fragen behandeln, welches auf Grund der Be- 
rathnng entworfen wurde: 1) Fragen bezüglich der Gefan¬ 
genen vor der Strafe; 2) Fragen bezüglich der Gefangenen 
während der Strafdauer; 3) Fragen bezüglich der Gefange¬ 
nen nach deren Entlassung. 

(In der ersten Section.) 

I. Strafgesetz, Strafprozess und Präventivpolizei. 

Unter diesem Theil wird berathen: 

1. Zulässigkeit oder Abschaffung der einzelnen Straf¬ 
arten. 

2. Längste Dauer der urtheilsmässigen Strafzeit. 

3. Die härtere Bestrafung des Rückfalls. 

4. Untersuchungshaft. 

5. Auslieferung. 

(In der zweiten Section.) 

II. Strafe. 

Unter diesem Theil wird berathen: 

1. Gefängnissgesetzgebung. 

2. Verwaltung der und Aufsicht über Gefängnisse. 

3. Anstellung und Ausbildung der Gefängnissbediensteten. 

4. Gefängnissbau. 

5. Beschäftigung der Gefangenen. 

6. Unterricht und Erziehung der Gefangenen. 

7. Disciplinarstrafen. 

8. Behandlung jugendlicher Verbrecher. 

9. Gefängnissstatistik. 

(In der dritten Section.) 

III. Behandlung der entlassenen Strafgefangenen. 

Unter diesem Titel wird berathen: 

1. Begnadigung und bedingte Entlassung. 

2. Aufsicht über entlassene Strafgefangene. 

3. Unterstützung der entlassenen Strafgefangenen. 

4. Zufluchthäuser. 

5. Auswanderung. 

6. Rehabilitation. 


7 * 



92 


Gefängniss-Sy8teme. 

Der Congress wird auch die Frage berathen: „Was 
sind die bezüglichen Yortheile der verschiedenen Geföngniss- 
Systeme, des Zellen-Trennungssystems etc.?“ 

Auf den Antrag des americanischen Comitees wurde 
beschlossen, auf einen Abend eine besondere Sitzung mit 
einem Yortrag über das „Leben und Wirken John Howards“ 
anzuberaumen. Den Vortrag wird der Rev. Dr. Bellows 
von New-York Freitag, den 5. Juli, Abends 8 Uhr, halten. 

Au8theilung der Zeit 

Donnerstag, den 4. Juli: Sitzung der 2. Section. 

Freitag, den 5. Juli: Sitzung der 1. und 3. Section. 

Samstag, den 6. Juli: Generalversammlung mit 
Berichterstattung über die Verhandlungen der 3 Sectionen 
und Discussion hierüber. 

Montag, den 8. Juli: Sitzung der 2. Section. 

Dienstag, den 9. Juli: Sitzung der 1. u.3. Section. 

Mittwoch, den 10. Juli: Berichterstattung über 
die Berathungen von Samstag, Berichterstattung und Discus¬ 
sion über die am Montag und Dienstag behandelten Gegen¬ 
stände. 

Donnerstag und Freitag, den 11. und 12.Juli: 
Besondere Sitzungen zur Erörterung der verschiedenen Ge- 
fängnisssysteme. An diesem Tage theilt sich der ganze Con¬ 
gress in 3 Sectionen, die gleichzeitig tagen. Die americani¬ 
schen und englischen Mitglieder sollen nur in einer dieser 
Sectionen anwesend sein. Die anderen Mitglieder aber haben 
das Recht, allen anzuwohnen. An diesen Tagen wird gleich¬ 
zeitig mit den anderen eine 4. Section tagen, in der die 
Fragen nur in französischer Sprache verhandelt werden. 

Samstag, den 13. Juli, findet die Schlusssitzung 
der Generalversammlung statt, in welcher von allen Sectionen 
über die an den beiden vorausgegangenen Tagen verhandel¬ 
ten Fragen Bericht erstattet wird. 



Executiv-Comitee. 

Ein Executiv-Comitee wird niedergesetzt, bestehend in 
einem Mitglied für jede vertretene Nation, welches die Vor¬ 
schläge für die Tagesordnung und für Besorgung der ander- 
weit nöthigen Geschäfte zu machen hat. 

Ohne Zustimmung des Executiv-Comitees darf keine 
Frage in den Sectionen 'oder der Generalversammlung zur 
Berathung kommen. 

Niemand darf länger als 10 Minuten sprechen , doch 
darf der Präsident weitere Zeit zum Sprechen einräumen, 
wenn dies nach seinem Ermessen wünschenswerth erscheint. 

Empfangs-Lokal. 

Der Rath der „Social-Science-Assosiation“ hat ihre Bib¬ 
liothek zum Gebrauch als Empfangslokal eingeräumt. . Die 
Gäste finden hier jede Bequemlichkeit für Absendung und 
Empfang von Briefen. 


Das Subcomitee wurde vom internationalen Comitee als 
Executiv-Comitee designirt. 

Wie aus Obigem hervorgeht, bestimmte man bezüglich 
der Art der Verhandlungen, dass nur Anträge und Discus- 
sionen stattfinden, Beschlüsse aber nicht gefasst werden soll¬ 
ten. Die americanische Delegation trat jedoch im Laufe der 
Congresssitzuugen mit einem Antrag entgegengesetzter Art 
auf, und formulirte 25 Thesen, welche Dr. Wines vorlegte, 
und die gemäss eines von der Majorität des Executivcomitees 
gefassten Beschlusses in der Sitzung vom 9. Juli verlesen 
wurden, um in einer der folgenden Sitzungen angenommen 
zu werden. Ein geringer Theil dieser Thesen wurde auch 
nach der Formulirung des Executivcomitees in der Schluss- 
istzung vom 13. Juli zum Beschluss erhoben. 



94 


Yon der Vorlesung einzelner Aktenstücke, Arbeiten, An¬ 
träge etc. wurde Umgang genommen und durch die Beschlüsse 
des Executivcomitees das zu behandelnde Material in 2 
Fragenjournalen in der Weise festgesetzt, wie es aus der 
Verhandlung zu ersehen ist. 

Während des Congresses wurde eine Druckschrift mit 
den Namen der Theilnehmer am Congress, einem Verzeich¬ 
niss der Gefängnisse, Industrieschulen etc. ausgegeben, dessen 
wesentlichen Inhalt wir unter Beilage 1 mittheilen. 

In Nachstehendem gehen wir nun die Verhandlungen 
selber im Auszug. 



Verhandlungen 

des 

Londoner internationalen Congresses 

zur Verhütung und Unterdrückung der Verbrechen. 

3 — 13. Juli 1872. 


Eröffnungssitzung am 3. Juli 1872. 

Die Delegirten der einzelnen Staaten versammelten sich 
Abends i / a 8 Uhr im Parlamentszimmer von Middle Temple 
Hall, um dort dem Präsidenten Lord C arnarvon vorgestellt 
zu werden. 

Um i / s 9 Uhr begann die Sitzung in der Halle selbst 
unter zahlreicher Theilnahme einer sehr gewählten Gesell¬ 
schaft, darunter auch Damen. 

Lord Carnarvon hielt die Eröffnungsrede. Er sagte, 
es sei erforderlich eine kleine einleitende .Uebersicht über 
die Gegenstände und die Geschichte der Versammlung zu 
geben; der Gegenstand der Verhandlungen sei, Informationen 
zu sammeln, die verschiedenen Gefängnisssysteme der einzel¬ 
nen Länder zu vergleichen, die Grundlage und Einzelheiten, 
auf denen diese Systeme beruhen, zu besprechen, und so, 
wenn möglich, zu einer Generalresolution zu kommen.' Die 
Geschichte des Congresses sei die Geschichte einer bezeich¬ 
nenden Uebereinstimmung der Völker und Regierungen, vieler 
civilisirten Länder in einer Frage, die mit Recht, als eine 
höchst wichtige erkannt worden sei. Die Schwierigkeiten 



96 


bei dem Streben, eine Uebereinstimmung zu erlangen, seien 
sprichwörtlich, sie seien besonders die Yorurtheile und S<j}iwie- 
rigkeiten, die in den Yölkerstämmen, Sprache, Einrichtungen 
und demClima begründet seien; aber man dürfe nicht daran 
verzweifeln, die grosse, gemeinsame Absicht zu erreichen. 
Er sei bestärkt in dieser Hoffnung, weil viele Nationen, sonst 
so weit verschieden in ihren Eigentümlichkeiten, hier ein 
herzliches Einverständnis gezeigt hätten. Fast alle euro¬ 
päischen Staaten hätten dem Congress ihre Unterstützung 
angedeihen lassen. (Cheers.) Frankreich, noch durch viel¬ 
fache Schwierigkeiten am eigenen Herde gehemmt/ habe Zeit 
gefunden, die Angelegenheiten der Conferenz tu fördern. 
(Cheers.) Italien, treu der Geschichte seiner anerkannt gros¬ 
sen Rechtsgelehrten, nehme Antheil, und Belgien schicke 
einen seiner hervorragendsten Staatsmänner zum Congress, 
Holland mit demselben gesunden Sinn, wie England, zeige, was 
eine gemeinsame Eigenschaft beider Länder sei, gerne Ver¬ 
trauen und sei ebenso interessirt bei der Sache; die Schweiz, 
Dänemark, das Alles erforschende und Alles umfassende 
Deutschland, und endlich die vereinigten Staaten, die , in 
zahllosen Versuchen, bereits so viel beigetragen haben zu der 
gemeinsamen Grundlage unserer Wissenschaft, mit ihnen an 
der anderen Seite des atlantischen Oceans die südamericani- 
schen Staaten, alle haben Vertreter bestellt und England als 
den Ort für die Versammlung und Besprechung angenommen. 
Die Förderer des Congresses baten auch die englische Re¬ 
gierung um ihre Mitwirkung. Die Regierung habe aber ihre 
Hilfe und Anerkennung und sogar jedwede officielle Infor¬ 
mation verweigert. 

Er habe zur Zeit kein Verlangen, die Discussion hier¬ 
über zu ermuntern. Er sei nur verpflichtet, das Bedauern 
über die Zurückweisung der Regierung auszusprechen und in 
Ruhe die Gründe zu prüfen, auf welchen die Zurückweisung 
beruht. Er widerspreche, dass dieser Congress in die Classe 
der gewöhnlichen freiwilligen Associationen zu zählen sei, 
und er constatire, dass die Kosten für den Staat kaum nen- 
nenswerth seien. Da wäre aber ferner ein bedeutender Prä- 
cedenzfall für die Hilfe, die man gab, in der kleinen Summe 



97 


gelegen, die das Parlament 1860 für den statistischen Con- 
gress bewilligte. 

Abgesehen aber von der Frage wegen Geldhilfe, wäre 
die officielle Anerkennung des Congresses ein leichter und 
schöner Act der Courtoisie gegen diejenigen Regierungen 
gewesen, die in ihren Maassnahmen zur Förderung des Unter¬ 
nehmens weder Geld noch Mühe gespart. (Cheers.) 

Zur selben Zeit habe er diese Entscheidung entgegen 
nehmen müssen. Indem er als ein Repräsentant des Staats 
dies um der Regierung des Landes willen ungemein bedauere, 
wolle er es nicht bedauern, insofern darin ein neuer Beweis 
der herkömmlichen und heilsamen Unabhängigkeit von öffent¬ 
licher Controle in solchen Dingen zu finden sei. 

Wie man in England von jeher für sich selbst gehan¬ 
delt, die Gefängnissangelegenheiten von unbezahlten Beamten 
verwaltet, die Industrieschulen von Privatverwaltern und die 
Gefängnissgesellschaften von lebenskräftigen freiwilligen Agent¬ 
schaften besorgt worden seien, so solle auch dieser grosse 
internationale Congress aus den Mitteln privater Kraft und 
Freigebigkeit abgehalten werden. (Cheers.) Aber die Re¬ 
gierung ernte doch schliesslich die Früchte dieser Arbeiten; 
man habe, nach dem Beispiel der alten Griechen und Yene- 
tianer, die gewohnt waren, freiwillig grosse Lasten im öffent¬ 
lichen Dienste auf sich zu nehmen, nioht nöthig, den Staat 
um das, was ihm von der Angelegenheit des Congresses zu¬ 
kommt, zu beneiden (Cheers); man gebe dies ohne das lei¬ 
seste Murren hin; wenn nun auch die fremden Gäste von 
der englischen Regierung zu ihren Arbeiten auf dem Con¬ 
gress nur allein jene Zurückweisung erhalten hätten, so wollo 
er doch den verehrten Gästen, die da zum Congress gekom¬ 
men, einen herzlichen englischen, wenn auch nicht officiellen 
Willkomm bieten. (Cheers.) 

Er hoffe, dass sie nach dem Schluss des Congresses in 
ihre Heimath zurückkehren werden, zufrieden mit dessen 
Resultaten, mit den dabei gesammelten Erfahrungen, mit dem 
Austausch der Meinungen, mit den angenommenen Beschlüs¬ 
sen , und ebenso hoffe er, sie würden scheiden mit einem 
nicht unfreundlichen Andenken an ihren Aufenthalt dahier} 


* 



und mit- der sicheren Ueberzeugung, dass ihre Anwesenheit 
hier sehr gewürdigt wurde. Er hoffe, der internationale Ge- 
fängniss-Congress werde Resultate haben auch über den Kreis 
des trockenen Geschäfts hinaus, mit dem er sich vorzugsweise 
und nothwendig befasst; was aber auch immer die Resultate 
des Congresses betreffs des Gefängniss- und Strafwesens wä¬ 
ren, er hoffe ein Resultat derselben werde das sein, dass 
er die Bande der guten Beziehungen und des guten Willens 
befestigen werde , durch welche die ganze bürgerliche Ge¬ 
sellschaft aller Nationen verbunden sei. Indem er den Besu- 
ohern ein herzliches Willkommen sagt, kann er nicht mit 
Stillschweigen das tiefe Bedauern übergehen, bei einer 
Versammlung dieser Art einen Mann zu vermissen, dessen 
Herzensgüte und Verstand ihm einen über die Grenzen Eng¬ 
lands hinausgehenden Ruf verschafft haben; Viele seien hier, 
die alle erfreut wären, ihn zu sehen, Viele seien nicht 
da, die man entbehren könnte; aber durch den Tod des 
Recorders von Birmingham habe man einen Mann verlo¬ 
ren , der von den Engländern aller Partheien, von denen 
diesseits und jenseits des Oceans in der ehrenvollsten Weise 
hier aufgenommen worden wäre. (Gheers.) 

Uebergehend zu den Gegenständen der Verhandlungen 
— Strafrecht, Strafprocess, Präventivpolizei, Gefängnisswesen 
etc. etc. — glaubt der Sprecher, dass bei dem Stoffe der 
Verhandlungen, soweit er ihn kenne, es eine gehässige Sache 
sei, bezüglich der zu behandelnden Gegenstände Beschrän¬ 
kung aufzuerlegen, aber das müsse er sagen, 5e weitläufiger 
solche Verhandlungen seien, desto unergiebiger seien sie in 
ihren praktischen Resultaten und desshalb thue der Congress 
nach seiner Ansicht besser daran, den Umfang jener Ver¬ 
handlungen eher zu beschränken, als zu erweitern. Hier in 
England sei man, trotz mancher Störungen, Irrthümer und 
Mängel bezüglich des Erfolgs, in eine Periode des allgemei¬ 
nen, wenn auch allmähligen Fortschritts eingetreten. In Ir¬ 
land sei ein System, das, wie er wisse, verwerflich gefunden 
werde, das aber, wie er hoffe, in der Verhandlung völlig 
werde gerechtfertigt werden. (Hört!) In den britischen 
Colonieen habe man in den letzten Jahren verdienstliche Be- 



99 


mühungen gemacht, ein besseres und mehr gleichförmiges 
System in der Gefängnissverwaltung zu sichern. Drei MaasB- 
nahmen von ansehnlicher Bedeutung betreffs der Unterdrü¬ 
ckung des Verbrechens seien in den letzten 8 Jahren zu 
Stande gekommen: das Penal-Servitude - Gesetz von 1864, 
ein Product der Penal-Servitude-Commission; das Gefangenen- 
Gesetz von 1865, ein Product des Gefängnisscomitees im 
Hause der Lords; und die Gewohnheits-Verbrecher-Gesetze 
von 1869 und 1871, eine Folge der Aufhebung der Deporta¬ 
tion und der moralischen Ueberzeugung, dass besondere 
Maasnahmen für das Verfahren gegen die grosse Corporation 
der Gewohnheitsverbrecher nothwendig seien, deren Zahl von 
Jahr zu Jahr grössere Dimensionen annehme. Unsere Ge¬ 
fängnisse wären vielleicht nicht, was sie sind, wenn nicht 
Howard zuerst diese Arbeit in Angriff genommen hätte, sie 
verdienen aber auch nicht die Benennung Paläste, wie sie 
einst von Voltaire genannt wurden. Sie halten die Mitte 
zwischen ungebührlicher Strenge und ungebührlicher Milde, 
und haben sich nun dem mittleren und heilsamen Zustand 
genähert, indem sie für Gesundheit und Leben Sorge tragen, 
für moralische und religiöse Bildung alle Gelegenheit geben, 
für Alle aber Arbeit vorschreiben, und durch persönlichen 
Zwang und sachliche Züchtigung den etwaigen widerspensti¬ 
gen Sinn eines jeden Verbrechers zurecht zu bringen. (Cheers.) 
Es wäre gut, wenn die Executiv-Behörde daran dächte, dass 
es nicht allein nöthig sei, gnte Gesetze zu machen, sondern 
auch dafür zu sorgen, dass sie in Wirksamkeit treten, und 
dass eine besondere Einrichtung für deren Inkrafttreten ge¬ 
schaffen werde. Man habe versucht, fast 200 Gefängnisse, 
die in England* Schottland und Wales zerstreut liegen, durch 
eine Behörde von nur 2 Inspectoren überwachen zu lassen, 
und dieser Abmangel der genügenden Beaufsichtigung habe 
viele Verschiedenheiten und Ungleichheiten in unseren Graf¬ 
schafts- und Ortsgefängnissen (borough) zur Folge, die nur 
zu oft die allgemeinen Zwecke des Statuts vollkommen un¬ 
erreichbar machen. 

In das Gesetz zur Verhütung des Verbrechens vom 
Jahre 1871, welches das Gesetz über die Gewohnheitsvera 



100 


brecher von 1869 einschliesst, und ergänzt, seien einige wich¬ 
tige Maassnahmen aufgenommen worden, um die grosse Classe 
derer, die das Verbrechen als eigentliches Geschäft treiben, 
die zu allen Zeiten dem Gemeinwesen drückende Mühe und 
Kosten verursachten und die zu allen Zeiten von Volksauf¬ 
ruhr die Quelle grosser Gefahren seien, wenigstens zu vermin¬ 
dern, da man sie nicht vollständig austilgen kann. 

Er erwähnt die Bemühungen zur Ausrottung des Ver¬ 
brecherthums an der Wurzel besonders durch die Industrie- 
Schulen und spricht seine Meinung betreffs der wiederholten 
Bestrafungen aus, die zur Unterdrückung des Verbrechens 
ganz nutzlos seien. In dem Gefängniss zu Liverpool seien 
letztes Jahr 350 Gefangene gewesen, die nicht weniger als 
15 mal im Gefängnisse waren. Diese gehören zu jener hoff¬ 
nungslos unverbesserlichen Klasse, für die das Gefängniss 
seine Schrecken verloren habe und für die das Verbrechen 
die natürliche Atmosphäre ist. Das einzige Mittel gegen 
solche sei lebenslängliche Einsperrung, und so hart dies sein 
möge, so wäre es nach seiner Meinung doch der einzige Weg, 
von dem Verharren in einem verbrecherischen Leben abzu¬ 
schrecken. 

Er hoffe, der Congress werde Zeit finden, die mit dem 
Besserungs-, Gefängniss- und Schutzaufsichtswesen zusammen¬ 
hängenden Gegenstände zu besprechen. Betreffs der Gefäng¬ 
nisstrafen verlange er, dass bei deren Vollzug eine unzwei¬ 
felhafte Strenge herrsche und ebenso für sittliche Besserung 
der Gefangenen gesorgt sei; das eine sei Pflicht gegen die 
Gesellschaft, das andere Pflicht gegen die Nebenmenschen. 
Auch glaube er, dass die Gefängnissarbeit nicht nach dem 
Geldgewinn, sondern so gewählt werde, dass sie eine wirk¬ 
liche Strafe sei. Vor allen Dingen solle der Gefangene nicht 
die Bequemlichkeit haben, wie bei harter Arbeit kaum ehr¬ 
liche Arbeiter, vielmehr soll er von Ergötzlichkeiten aller Art 
ausgeschlossen sein und unter allen Umständen empfinden, 
dass er Strafe leide. 

Man s.ei einig in England über die letzten 2 Haupt- 
und Fundamentalsätze, die sowohl in den zum Vollzug der 
längeren Strafen (Penalservitude) dienenden Staatsgefäng- 



101 


nissen, als in den Grafschafts- und Ortsgefängnissen zur An¬ 
wendung kämen, und diese zwei Hauptsätze seien sichere 
Strafe und zweckmässige Gelegenheit zur moralischen Bes¬ 
serung für den Gefangenen während seiner Strafzeit. 

Schliesslich bemerkt Redner, er schmeichle sich, trotz 
einiger erklärlichen Bedenken, mit der gegründeten Hoffnung, 
man sei in Betreff der grossen Frage des Gefängnisswesens 
auf dem richtigen Wege. Man müsse Vertrauen zudenPrinci- 
pien haben, die nach vieler Erfahrung und langen Jahren der 
Erwägung nicht so leichthin angenommen werden, die befrie¬ 
digend und entsprechend seien und die, soweit sie redlich 
geprüft sind, die Erwartung ihrer Vertlieidiger rechtfertigen 
würden. Die Forschung sei eine und dieselbe für arm und 
reich in einer Sache, wo der Glaube herrscht, dass der Mensch, 
wenn auch gefallen und schlimm geworden, dennoch verharrt 
auf der Spur des göttlichen Vorbildes, und dass, wenn es 
auch die Pflicht des Staates ist zu strafen, unbarmherzig zu 
strafen, dennoch immer eine gewisse Anzahl unter den Ver¬ 
brechern bleibt, deren sittliche Besserung nicht vergeblich 
gehofft, und auf welche die Uebung der christlichen Liebe 
den wohlthätigsten Einfluss haben würde. 

(Anhaltender lauter Beifall.) 

Lord Harrowby sagt, es sei nur eine kurze Zeit 
seitdem man ihm die Erwartung ausgesprochen, er werde an 
diesem Akte theilnehmen , und 'er habe die schwierige Auf¬ 
gabe, einen Willkomm, einen herzlichen*Willkomm und Grass 
zu sagen diesen ausgezeichneten Männern der verschiedenen 
Länder, die England mit ihrer Gegenwart beehren. Eine 
Schwierigkeit für die Engländer, an dieser Gelegenheit Theil 
zu nehmen, sei darin gelegen, dass sie ihren Gästen nicht 
denjenigen Grass bieten könnten, mit dem sie in anderen 
Ländern empfangen worden wären. Ein anderes Land würde 
den Gästen einen nationalen Empfang bereitet haben , wel¬ 
cher der von ihnen vertretenen Sache würdig gewesen wäre, 
aber die Engländer müssen als demüthige Vertheidiger da¬ 
stehen und ihre Gäste demüthig um Verzeihung bitten wegen 
der officiellen Kälte dieser Insulaner, die würdig wären der 
ungastlichen Briten des Alterthums 1 (Gelächter.) Dieser 



102 


ihr Huf sei nicht neu, sie seien so oft „barbarische Engländer“ 
genannt worden, dass sie daran gewöhnt seien. (Gelächter.) 
Wie dem auch sei, vielleicht sei unter der officiellen Haut 
eine Herzenswärme zu finden , und während ihres Aufent¬ 
haltes würden die Gäste Gel egenheit finden, den englischen 
Charakter kennen zu lernen; freilich solche Eindrücke seien 
so leicht nicht zu verwischen. Wenn man gesehen, wie in 
Italien eine königliche Commission seit November sich mit 
dem Gegenstand beschäftige; wie Frankreich eine Versamm¬ 
lung von 15 Mitgliedern zur Erörterung der Frage bestellt 
hat, die in 4 Monaten 2 mal Sitzungen von je einer Woche 
hielt und wie jedes Land des Continents mit Ausnahme von 
Portugal, ferner Nord- und Südamerika, auch Chili mitwirkte 
und etwas beigetragen hat, so sei es für England ausser¬ 
ordentlich beschämend zu finden, dass der Staat nichts bei¬ 
getragen. (Hört!) Redner spricht noch von den grossen 
Fortschritten des Gefängnisswesens bei diesem Anlass und 
hofft, der Congress werde das Seinige zur Verminderung des 
Verbrechens beitragen. 

Er schliesst mit dem Antrag: 

„dass die Delegirten der Schwurgeriohtshöfe, der Magi¬ 
strate , der Gerichte, der öffentlichen Gesellschaften 
und Institute, und die englischen Congressmitglieder über¬ 
haupt den officiellen Delegirten und anderen fremden 
Congressmitgliedern aus den verschiedenen Ländern der 
Welt, die bei diesem Anlass gegenwärtig seien, ihren 
aufrichtigen Willkomm bieten, und dem Congress zu der 
Vollständigkeit und Wichtigkeit der officiellen Repräsen¬ 
tation fast aller civilisirten Staaten Glück wünschen.“ 
(Cheers.) 

Sir Charles Anderley unterstützt diesen Antrag, der 
auch einstimmig angenommen wird. 

, Baron von Holtzendorff, sagt in Erwiederung auf 
Obiges, England habe stets die Gastfreundschaft geübt, ver¬ 
triebenen Königen und Republikanern ein Asyl zu geben, 
und sei immer standhaft genug gewesen gegen die Austrei¬ 
bung der Verbannten oder deren Abweisung von den Ge¬ 
staden zu protestiren. Er wolle ferner bemerken, das erste 



108 


Gefühl des Fremden, der n^ich England komme, sei das, dass 
er sich allein, schiffend auf seinem eigenen Ocean fühle: 
sowie er aber mit Englands Volk in Berührung komme, ver¬ 
schwinde dies Gefühl vollständig. Er danke den Engländern 
für ihre Aufnahme. 

Hon. Mr. Chan dl er von den vereinigten Staaten macht 
einige Complimente. 

Herr Berden, desgleichen, antwortet auf den Will¬ 
komm. 

Mr. G. W. Hastings beantragt eine Danksagung an 
die Vorstände von Middle Temple Hall für die Einräumung 
des Locale und benützt die Gelegenheit zu bemerken, dass 
die Regierung allerdings einige, freilich knappe Informationen 
gegeben, jedoch aber ein Interesse durch die Sendung des 
Capitäns Du Ca ne (Generalinspector der Gefängnisse) be¬ 
wiesen habe; auch gedenke Mr. Bruce (der Home Secretary) 
einer der nächsten Sitzungen anzuwohnen. 

Lord Lichfield unterstützt diesen Antrag, der ange¬ 
nommen wird. 

Mr. J. Anderson, Q. C. dankt dafür. 

Dr. M a n n i n g (Erzbischof von Westminster) schlägt vor, 
dem Präsidenten den Dank auszusprechen, und 

Sr. Excellenz Mr. van der Weyer unterstützt diesen 
Antrag. 

Mr. Hibbert, M. P. kömmt mit einigen Bemerkungen 
über die fehlende Regierungscontrole dazwischen, und meint, 
das sei ein Umstand, zu dem man sich Glück wünschen 
müsse. Er hoffe, etliche Mitglieder der Regierung hier ge¬ 
genwärtig zu sehen, aber allein in der Eigenschaft als (Mit-) 
Engländer, damit sie erkennen, dass wir viel von den Frem¬ 
den zu lernen haben, — sie möchten etwas lernen von uns. 

Der Antrag (von Hastings) wurde angenommen und 
verdankt. 


(Schluss der Eröffnungssitzung.) 



Sitzung der 2. Section vom 4. Juli 1872. 

Präsident: Dr. Wines. 

Der Präsident eröffnet die Sitzung und bemerkt, der 
Congress sei im Interesse der Civilisation und Humanität be¬ 
rufen worden. Er sei zusammengesetzt aus Arbeitern und 
Denkern auf einem der grössten Gebiete der Social-Wissen- 
schaft und Socialreform, — repräsentirt durch Männer und 
Frauen, die buchstäblich aus allen Enden der Erde hier zu¬ 
sammengekommen. Es seien Abgeordnete von Regierungen, 
von Gefängnissgesellschaften, von Straf- und Besserungs-In¬ 
stituten, von Aufsichtsbehörden der Strafanstalten, von höhe¬ 
ren Criminalgerichtshöfen, von Polizeibehörden, von juristi¬ 
schen Gesellschaften, von juristischen Facultäten der Univer¬ 
sitäten, und von der Academie moralischer und politischer 
Wissenschaften in Frankreich. D essgleichen seien aber noch 
viele andere Personen anwesend, die, wenn auch nicht den 
genannten Categorien angehörend, doch schon lange Ge- 
fängniss- und Humanitätsstudien getrieben und die ein gros¬ 
ses Wissen und ein warmes Herz zur Mithilfe an diesen Ar¬ 
beiten mitgebracht. Das besondere Geschäft dieses Congresses 
sei es, die ebenso ernste als schwierige Frage, wie das Ver¬ 
brechen und die Verbrecher zu behandeln seien, zu studiren 
und wenn möglich, zu lösen. Der Congress, wie bereits an¬ 
gegeben zusammengesetzt, repräsentire also die Wissenschaft, 
die Erfahrung und die Weisheit der ganzen Welt in Betreff 
des vorwürfigen Gegenstands, habe desshalb den wahren Be¬ 
ruf zur Sache und verspreche Grosses und Vollkommenes. 
Das sei ein grossartiger Erfolg, wie ihn der edelste Ehrgeiz 
nur verlangen könne, aber ebenso gross sei die Verantwor¬ 
tung gewesen, die das Geschäft mit sich brachte; in dieser 
Beziehung sei daran zu erinnern , dass Erfolg und Wirken 
sich gegenseitig ergänzen. 

Das Geschäft des Congresses sei es nicht, die Zeit da¬ 
mit zu vertändeln, dass man in unbedeutende Details eingehe, 
insbesondere auBspreche , welchem Gefängnisssystem der Vor¬ 
zug zu geben sei, sondern sich über gewisse allgemeine Prin- 
cipien und Vorschläge zu einigen, welche geeignet seien, 



— 105 


alle und jegliche Systeme für Behandlung des Verbrechens 
zu begründen, zu durchdringen, zu beleben und vor Allem 
fruchtbar zu machen. Der Congress sei zusammengekommen, 
um einer grossen Bewegung zu Gunsten der Gefängnissreform 
Gestaltung, Endziel und praktische Kraft zu geben; er möchte 
dies bezeichnen als eine grosse Erhebung der öffentlichen 
Meinung durch die ganze, bei diesem Gegenstand interessirte 
civilisirte Welt. Der Congress könne wahrnehmen, dass er 
sich auf die ganze Höhe seiner Aufgabe erhoben; dass eine 
so weise Leitung da sei, dass es nicht schwer sei (nur schwer 
fehlschlagen könne) ihn durch kräftigen Antrieb in Bewegung 
zu setzen. 

Wenn man hierin nicht fehl gehe, und wenn man das 
geschaffene Werk weiter verfolge durch beständigen Fortbau, 
Vermehrung und Verstärkung seiner Resultate, dann scheine 
ihm, dürfe man mit Grund hoffen, dass die nächsten 50 Jahre 
einen Fortschritt in der Art und dem Fortgang der Behand¬ 
lung des Verbrechens aufweisen würden, und dies speciell 
in den Grundsätzen und der Durchführung der Gefängniss¬ 
reform, wie etwas Gleiches in allen früheren Zeiten schwer¬ 
lich erlebt worden sei Er fordert die Herren und Damen 
des Congresses auf, mit Muth, Entschlossenheit, Einsicht und 
vor Allem mit aufrichtiger Wahrheitsliebe und ächter Brü¬ 
derlichkeit ans Werk zu gehen, und dann dürfe man keine 
Zweifel hegen, dass der Beistand und der Segen des Him¬ 
mels den Arbeiten nicht fehlen werde. ♦ 

Die drste Frage, die zur Verhandlung kam, war: 

„Welches ist die grösste zulässigeZahl der 
Gefangenen in einem Gefängnisse?“ 

Director Ekert aus Bruchsal eröffnete die Discussion 
und sprach sich dahin aus, dass diese Zahl 500 nicht über¬ 
steigen , sondern eher nicht erreichen soll. Er ging dabei 
von dem Gedanken aus, dass die einheitliche und erspriess- 
liche Wirksamkeit eines Directors bei einer grösseren An¬ 
zahl nicht möglich sei, wenn man jeden Gefangenen richtig, 
d. h. nach seinen Eigenschaften behandeln, also inclividuali- 
siren wolle und wenn das Möglichste zur Hebung und Bes¬ 
serung der Gefangenen geleistet werden solle. Insoferne sei 

Bltltter für GeflngnissVunde VII. 8 



106 


die richtige Beantwortung der Frage die Grundbedingung 
einer jeden Gefangnissreform. 

Sir John Bowring glaubt, dass man spare, wenn 
man eine grossere Anzahl Gefangene in einem Gefängniss 
vereinige und hält dafür, dass eine gute Organisation und 
Disciplin auch bei einer grösseren Anzahl ermöglicht sei. 

M. Cremieux (Schweiz) spricht sich gegen zu kleine 
Gefängnisse aus, und ist der Ansicht, dass in Gefängnissen 
mit gemeinschaftlicher Arbeit die Gefangenenzahl ohne Scha¬ 
den wohl bis auf 1000 betragen könne, dass aber in Zellenge¬ 
fängnissen 3—400 eine hinreichend grosse Zahl sei. 

M. Stevens (Belgien), der sich im Gefängnisswesen 
schon seit Jahren auch Erfahrungen gesammelt, hält dafür, 
dass ein Maximum von 500 in einem gemeinschaftlichen Ge- 
fängniss und eine geringere Zahl in einem Zellengefängniss 
weitaus genügend sei, wenn die Hauptsache bei Vervoll¬ 
kommnung in der Gefangnissverwaltung die Individualisirung 
sein solle, wenn man Aussicht auf Besserung haben wolle, 
und das sei in einem grossen Gefängniss unmöglich. 

Dr. Mouatt, der eine vieljährige Erfahrung als Ge- 
fängniss-Inspector in Indien hinter sich hat, behandelt die 
Frage nach ihrer finanziellen Seite und der Möglichkeit der 
Aufsicht und glaubt, dass 1000 Gefangene das richtige Ma¬ 
ximum seien, bei welcher Zahl die Kosten der Verwaltung 
nicht grösser seien, als bei 500. 

M. Peterse», seit länger als 15 Jahren Director des 
Zellengefängnisses in Christiania, hat gefunden, dass die Ge¬ 
langenzahl in seinem eigenen Gefängniss (224) unter der 
Zahl sei, die man wohl unter einer Verwaltung haben könne, 
und dass die Zahl in einem Zellengefängniss 3—400 betragen 
solle. 

M. Nevett (Richter aus den Ver. St.), der ein gros¬ 
ses Gefängniss in Ohio beschrieben hat, in dem sich 1000 
Gefangene befinden, sagt, dass dieses Gefängniss soviel als 
möglioh für Besserung leiste und die Zahl der Gefangenen 
noch im Zunehmen begriffen sei. 

Colonel J. Colville, der Director des County-prison 
Coldbath-fields (Middlesex) bemerkt, dass er 2200 Gefan- 



107 


gene gleichzeitig unter seiner Verwaltung gehabt habe, und 
in dem Zeitraum von 18 Jahren habe er in dieser Stellung 
nie weniger als 1500 Gefangene gleichzeitig gehabt. Er habe 
bei dem Geschäft der Aufsicht über die Gefangenen keinerlei 
Schwierigkeit gefunden, und er denke, dass nach dieser Er¬ 
fahrung eine grosse Gefangenenanzahl nicht unverträglich sei 
mit einer wirksamen Controle und Aufsicht. 

M. Frey (Oberstaatsprocurat'or aus Oesterreich) be¬ 
merkt, es komme sehr viel auf die Art der Verwaltung, der 
Organisation an; bei ihnen in Oesterreich seien den Vor¬ 
ständen nicht alle Verwaltungsgeschäfte aufgebürdet, und 
dieselben vermöchten daher wohl eine grössere Anzahl von 
Gefangenen zu überwachen. 

Prof. v. Holtzendorff meint, Director Ekert sei Vor¬ 
stand eines ZelleDgefängnisses; in Zellengefängnissen werde 
nach Ekert’s Erfahrung allerdings nur eine kleine Zahl von 
Gefangenen angezeigt, in Gemeinschaftsgefängnissen aber 
eine grössere Zahl zulässig sein. 

Hiemit erklärt der Präsident die Discussion für ge¬ 
schlossen. 

Der zweite Gegenstand der Berathung, betreffend die 
Frage: 

„Soll die moralische Classification der 
Gefangenen als die Grundlage der Poeniten- 
tiarsysteme, sei es der Gemeinschaft, sei 
es der Einzelhaft angenommen werden?“ 
wurde durch Regierungsrath d’Alinge (Deutschland) einge¬ 
leitet. Derselbe gab die Ausführung in der Weise, wie dies 
aus seinen und den Schriften über Zwickau, sowie der dor¬ 
tigen Praxis bekannt ist und bejahte hiernach die Frage. 

M. Stevens bekämpfte die Möglichkeit der Durchfüh¬ 
rung, insoweit man dem Gefangenen nicht in’/s Herz zu sc¬ 
heu vermöge und nur Gott allein den sittlichen Zustand des 
Gefangenen kenne, nur dieser eine sähe dem Gefangenen ins 
Innere, wir sähen nur sein äusseres Betragen. 

Dr. Mouatt hält die eigentliche moralische Classifica¬ 
tion für unmöglich. 


8 * 



108 


M. Tal lack (England) meint, es sei noch mehr Classifi¬ 
cation nöthig, und die höchste Ausbildung des Classifications¬ 
systems sei die Einzelhaft, bei dem Jeder seine eigene Classe 
bilde. 

M. Serjeant C ox bedauert, von verschiedenen bedeuten¬ 
den Autoritäten zu hören, dass die Classification unmöglich sein 
solle, während er stets gedacht habe, dass die Strafrechtspflege 
ohne dieselbe nie vollkommen werden könne; er setzt ausein¬ 
ander, dass ein vorzügliches Hilfsmittel bei der Classification 
die Rücksichtnahme auf- den Character des Gefangenen vor 
der Strafzeit sei, denn es wäre ein grosser Unterschied zwi¬ 
schen dem wegen eines Verbrechens aus Leidenschaft zu 
einer langen Strafe Verurtheilten und dem im Verbrechen 
verhärteten Gegangenen, der ein Leben voller Laster und Ver¬ 
brechen hinter sich habe. 

Prof. Marquardsen (ausErlangen, Mitglied des deut¬ 
schen Reichstags) glaubt, dass einige Classification in grossen 
Gefängnissen mit Gefangenen von kurzer Strafdauer, wie 
z. B. Coldbath-fields besser als keine sei, hat aber keinen 
grossen Glauben an deren Durchführbarkeit. 

Colonel Ratcliffe von Birmingham hält die Classifi¬ 
cation für undurchführbar, die Schwierigkeiten bei einer ge¬ 
nauen Classification zu gross. 

Prof. v. Holtzendorff bemerkt, dass ohne Classifica¬ 
tion kein Progressivsystem möglich sei. 

Dr. Bi d ding er (Ver. Staat.) spricht sich für Classifi¬ 
cation aus. 

Hiermit wird die Discussion geschlossen. 

Die weitere Frage: 

„Soll der Strafvollzug auf dem Wege der 

Gesetzgebung geregelt werden?“ 
ward eingeführt durch M. Stevens. Derselbe bejahte die 
Frage dahin, dass die leitenden Normen im Gesetzgebungsweg 
zu normiren sind. 

Baron Mackay, (Holland) Dr. Mouatt, Baron Hol¬ 
tzendorff und Andere sprechen sich ebenfalls zu Gunsten 
der Normirung auf dem Gesetzgebungsweg aus und der De- 



109 


legirte von Italien constatirt, dass das Gesetz in diesem 
Lande bereits auf solche "Weise zu Stande gekommen sei. 

Mr. G. W. Hastings glaubt, dass nur gewisse allge¬ 
meine Grundlagen im Gesetzgebungsweg festgestellt, im Ueb- 
rigen aber für die Local-Administration Freiheit gegeben 
werden solle, die Praxis nach ihrer Art zu normiren. 

M. B e r d e n (Belgien) constatirt, dass in Belgien die 
Sache nach der von Hastings ausgesprochenen Ansicht nor- 
mirt und somit der Local-Administration der einzelnen Ge¬ 
fängnisse die entsprechende discretionäre Befugniss einge¬ 
räumt sei. 

Hiermit wird die Discussion über diese Frage geschlossen. 
Der Präsident erklärt, er habe im Laufe der Dis¬ 
cussion eine Zuschrift einer hier gegenwärtigen Dame mit 
der Bitte um’s Wort erhalten. Die für den Congress be¬ 
stimmte Ordnung sei die, dass nur Delegirte und Repräsen¬ 
tanten der auswärtigen Regierungen an der Discussion Theil 
nehmen können, ausser wenn der Präsident etwas Anderes 
erlaubt, und er, der Präsident, glaube, da die Dame weder 
eine Delegirte noch Repräsentantin einer Regierung sei, dass 
ihr das Wort nicht zugestanden werden könne. 

Die nächste Frage war: 

„Sollen Normalschulen für die Gefäng- 
nissbediensteten und für welche Categorien 
derselben errichtet werden?“ 

Dr. Guillaume leitete dieselbe ein. Er gab seine 
Ansicht nacheinander in mehreren Sprachen kund, und ver- 
theidigte solche dahin, dass die Gefängnissbediensteten ebenso 
wie die Chargirten der Armee und Marine herangebildet 
werden müssen, versteht daruuter aber nur die niederen Be¬ 
diensteten. 

Captain Du Ca ne glaubt, die beste Schule für die 
Gefängnissbediensteten, wie auch für die Bediensteten in 
Armee und Marine, sei die Praxis. Er schilderte die noth- 
wendigen Eigenschaften guter Gefängnissbediensteten, und 
meint, dass man solche allein nur in den gut geleiteten Ge¬ 
fängnissen zu tüchtigen Beamten heranbilden könne. Er 
verspricht, dass den Delegirten der auswärtigen Länder die 



110 


Gelegenheit werde gegeben werden, die englischen Gefäng¬ 
nisse zu besuchen, und er sagt, sie könnten dann selbst be- 
urtheilen , welches System da durchgeführt sei; die oberste 
Leitung liege in den Händen des Ministers des Innern, und 
dadurch seien bedeutende Vortheile in der Heranziehung von 
Gefängnissbediensteten gegeben. 

Baron Maokay ist gegen die eigentlichen Bildungs¬ 
anstalten, glaubt aber, dass Männer von entsprechender Bil¬ 
dung und gutem Charakter sich die nöthige Ausbildung und 
Kenntniss wohl erwerben können. 

M. Harry Verney sagt, er habe immer seinen Ein¬ 
fluss aufgeboten, für die Stellen der Gefangnissdirectoren 
^governors) tüchtige Leute aus der Armee oder Marine zu 
erhalten, und er möchte wissen, ob er hierin einen Irrthum 
• begangen; die Beförderung von Gefängnissbediensteten scheine 
ihm zweckmässiger, als die vorgeschlagenen Bildungsanstalten. 
In dieser Beziehung theile er die Ansicht des Captain Du 
Cane. 

Dr. Mouatt spricht die Ansieht aus, dass das Gefäng- 
niss die Schule sei, und dass Beförderung die Fortschritte 
des Bediensteten belohnen solle. Er tritt dem Grundsatz 
entgegen, dass die Gefangnissdirectoren lediglich aus den 
Angestellten bei der Armee und Marine als solche ausge¬ 
wählt werden. 

Major Fulford vom Stafforter Gefängniss und Mr. 
Rathbone Von Liverpool sprechen sich in gleichem Sinne 
aus, und Letzterer hält dafür, einerseits dass die Beförderung 
der Gefängnissbediensteten bis zum Rang des Directors nicht 
vortheilhaft wäre, wenn nicht ebenso ein gutes Herz , Cha¬ 
rakter und tüchtige Ausbildung, wie sie für die Stellung er- 
orderlich, vorhanden sei, und diese Eigenschaften können in 
einer Bildungsanstalt nicht anerzogen werden; andererseits, 
dass die Stellung der Bediensteten in der Armee und Marine 
als solche nicht unbedingt den erforderlichen Charakter und 
Geschicklichkeit für Directorenstellen mit sich bringe. Nach 
diesen Gesichtspunkten würde in England die Auswahl für 
die Stellen der Gefängnissbediensteten getroffen. 

Hiermit wird dieser Gegenstand verlassen. 


9 



111 


M. Stevens eröffnete die Discussion über die weitere 
Frage: 

„Soll die körperliche Züchtigung als Dis- 
ciplinarstrafe in den Gefängnissen zulässig 
sein?“ 

und verneint die Frage, weil körperliche Züchtigung die Ge¬ 
fangenen nur verwildere. 

Captain Du Ca ne glaubt, alle Erfahrung seit dem Be¬ 
stehen der Welt beweise, dass die körperliche Züchtigung 
nothwendig sei. (Stimme einer Dame „Nein“.) Man müsse 
daran erinnern, dass die Leute, bei denen man die Strafe 
anwende, keine Gebildeten seien, und da könne es keine 
Schwierigkeit bieten, zumal im Hinblick auf die öfteren ge¬ 
waltsamen Angriffen der Gefangenen auf die Bediensteten. 

Dr. Mouatt spricht sich lebhaft für die körperliche 
Züchtigung aus, citirt dafür die Erfahrungen und Ansichten 
der Gefängnissbeamten in Indien, wo eine allein moralische 
Behandlung ganz unzureichend wäre, und bemerkt, dass er 
brutale Vergehen durch die Furcht vor dem Stock vermindert 
habe. 

Mr. Aspinal (Advokat und Magistratsperson in Liver¬ 
pool) spricht für die körperliche Züchtigung, glaubt, dass die¬ 
selbe nöthig sei als Abschreckungs- und Curativmittel für 
brutale Vergehen, wo nichts Anderes mehr helfe, und hält 
sogar die Ausdehnung dieser Strafart für nöthig. Mit grosser 
Wärme und Lebhaftigkeit vertheidigt er seine Meinung und 
spricht die Ansicht aus, dass diejenigen, die Weiber that- 
sächlich misshandeln, nicht mehr verwildert werden können, 
als sie schon seien, und ein Theil der Versammlung zollt ihm 
lauten, warmen Beifall. 

M. Steinmann spricht sich für die gänzliche Ab¬ 
schaffung der körperlichen Züchtigung aus. Er wolle mit 
den Vertheidigern derselben nicht rechten, und nur bemerken, 
dass jeder Schlag auf den Körper des Gefangenen seine 
Verbitterung gegen die bestehenden Autoritäten nur vermehre. 

Baron v. Holtzendorff constatirt, dass in Bayern 
und Baden die Prügelstrafe längst abgeschafft und daraus 
kein Nachtheil erwachsen sei. 



112 


Eine Dame und eine Anzahl anderer Redner wünschen 
noch zu sprechen. Der Präsident will die Discussion schlies- 
sen, weil die Zeit schon zu sehr vorgerückt sei. Die Dis¬ 
cussion wurde jedoch fortgesetzt und erst später, mit der Be¬ 
merkung des Präsidenten, dass die Frage ja noch am Sams¬ 
tag vor die Generalversammlung komme, geschlossen. 

Die letzte Frage dieser Tagesordnung, ebenfalls von 
M. Stevens eingeleitet, war: 

»Von welcher Art und von welchem Um¬ 
fang soll die Instruction für die Behand¬ 
lung der Gefangenen sein?“ 

M. Stevens glaubt, die Instruction soll aus 4 Thci- 
len bestehen: 1. allgemeine Bestimmungen, 2. Schul-Unterricht, 
3. Religiöse Unterweisung (dem Gewissen angepasst) und 4. 
Gewerblicher Unterricht, jedoch nicht für den Gewinn des 
Gefängnisses, sondern zum Besten des Gefangenen in An¬ 
sehung seiner späteren Rückkehr zur menschlichen Gesell¬ 
schaft, damit er dann wieder seinen Platz als ehrsames Mit¬ 
glied derselben einnehmen kann. 

Mr. Chase von Rhode Island und Andere sprechen 
sich in ähnlichem Sinn aus. M. Chase glaubt, durch solche 
Einrichtungen würden die Prügel ersetzt. (Laute Cheers.) 

(Schluss der Sitzung.) 


Sitzung der 1. Section vom 5. Juli 1872. 

Präsident: Baron v. Holtzendorff. 

Die erste Frage: 

„Soll die Deportation als Strafe zuge¬ 
lassen werden, bejahendenfalls, wie soll sie 
beschaffen sein?“ 

wird von Graf F o r e s t a (Italien) eingeleitet. Derselbe gab 
einen Ueberblick über die Deportationsgesetze von Frankreich 
und Italien und machte einige Bemerkungen über die betr. 



113 


Gesetze in England. Er war nicht durchweg für die fran¬ 
zösischen Gesetze, erklärte sich aber durchweg gegen die in 
Italien, und meint, England habe die am meist praktische 
Ansicht in der Sache verfolgt, indem es die Yerhrecher in 
entfernte und wenig bevölkerte Colonien schickte. Bezüglich 
der französischen Yerfahrungsweise billigt er, dass man dort 
die zu langer Strafe Verurtheilten in entfernte Colonien 
schicke und er hält dafür, dass Deportation in Verbindung 
mit Zwangsarbeit in Strafcolonien gerecht, nützlich und zweck¬ 
mässig für den zu lebenslänglicher oder einer zeitl. Strafe 
von 15—20 Jahren Dauer Verurtheilten sei, dass aber die 
Strafe in dazu geeigneten Anstalten verbüsst werden müsse, 
und Diejenigen, die durch Strafende oder Begnadigung ihre 
Freiheit wieder erlangten, in den Colonien zu verbleiben 
hätten, unter dem ausdrücklichen Verbot, wieder in ihre 
Heimath zurückzukehren. 

M. Hastings setzt auseinander, dass die Deportation 
in England abgeschafft sei, und nach seiner Ueberzeugung 
niemals wieder eingeführt werde; er warnt die auswärtigen 
Delegirten vor der Ansicht, dass das Deportationssystem eine 
gute Disciplin unter den einheimischen Gefangenen hervor¬ 
gebracht habe, er sei vielmehr vom Gegentheil überzeugt; 
denn so lange einem Land der leichte Ausweg der Deporta¬ 
tion bleibe, werde es nicht leicht mit Ernst an die Gefäng- 
nissreform im Lande selbst gehen. 

Prof. Wladimirow (Russland) ist der Ansicht, dass 
der Congress in dieser Frage nicht zu einem praktischen 
Resultat kommen könne, und bemerkt, dass ohnehin für 
Belgien, die Schweiz und Deutschland, die keine Colonien 
haben, der Gegenstand nicht von praktischem Interesse sei. 

M. Pols (Holland) glaubt, dass in England die Depor¬ 
tation wohl von Vielen vertheidigt werde, dass er aber er¬ 
hebliche Bedenken dagegen habe, zumal dies ein System sei, 
durch welches man nach seiner Ansicht die Colonisten, denen 
man die Verbrecher in ihre Gesellschaft sende, zur Ausrot¬ 
tung verurtheile. 

Graf Sollohub (Russland) hält die Deportation in man¬ 
chen Beziehungen für nützlich und dies speciell, wenn man 



114 


die Deportirten in Colonien sende, welche unbewohnt und der 
inneren Entwicklung fähig sind. 

Es wurde noch weiter über den Gegenstand verhandelt, 
auch Bemerkungen über die eigenthümlichen Verhältnisse 
der Deportation nach Sibirien gemacht und der Präsident 
bemerkte noch, indem er die Discussion schloss, der Gegen¬ 
stand sei zwar noch nioht ganz erschöpft, doch erlaube die 
Zeit die Fortsetzung nioht; die Frage werde aber noch vor 
die Generalversammlung kommen. In keinem Lande der 
Welt könnte die Frage mit grösserem Nutzen besprochen 
werden, als in England, wo man so viele Jahre hindurch be¬ 
züglich der Deportation die vielfältigsten Erfahrungen ge¬ 
sammelt und manches Land mit Gefangenen colonisirt, bis 
die fortgeschrittene Civilisation in diesen Colonien zur Auf¬ 
gabe der Fortsetzung genöthigt habe. 

Graf Sollohub erörterte nun die weitere Frage: 

„Ob dieFreiheitsstrafen nur rücksichtlich 
ihrer Dauer verschieden, im Uebrigen aber 
gleichmässig sein sollten, oder ob verschie¬ 
dene Benennung und Behandlung zulässig 
seien, bejahendenfalls welche?“ 

Der Graf vergleicht das Gefängniss mit einem Spital, 
und sieht das Gefängniss als ein Hospital für .moralisch 
Kranke an, die Bediensteten als dieAerzte für die moralisch 
Kranken. Wie es im Spital zur Heilung der physischen Krank¬ 
heit immer ein ernstes Bemühen sei, dem Rückfall in die 
Krankheit vorzubeugen, so sollte auch in dem Gefängniss das 
Bestreben darauf gerichtet sein , dem Rückfall in die mora¬ 
lische Krankheit des Verbrechens vorzubeugen. Im Gefäng¬ 
niss sollte Alles so eingerichtet sein, sowohl vor als nach der 
Verurtheilung, dass der Gefangene vor der Ansteckung be¬ 
wahrt werde, durch welche die Krankheit verschlimmert und 
die Heilung gehemmt werde. Der Gefangene solle auch, 
wie der physisch Kranke, erst wenn er geheilt ist, der 
menschlichen Gesellschaft zurückgegeben werden. Er ver¬ 
langt desshalb verschiedenartige Behandlung für die verschie¬ 
denen Classen von Gefangenen, und unterscheidet 2 Gassen 



115 


derselben, die eine Classe von solchen, deren Charakter eine 
moralische Schändlichkeit beurkunde, und eine zweite für 
Diejenigen, die in Folge von Uebercilung, — einer ungezügel¬ 
ten Leidenschaft ein Verbrechen begangen; diese beiden 
Classen verlangen verschiedenartige Behandlung. Sodann 
müssten die Untersuchungsgefangene ebenfalls besonders ver¬ 
wahrt und verschieden behandelt, und insbesondere die 
unschuldig Angeklagten in jeder Beziehung berücksichtigt 
werden. 

Graf F o r e s t a ist der Ansicht, die Strafen sollten mehr 
durch die Zeit ihrer Dauer verschieden sein , als durch die 
Art ihrer Verbüssung, indem dadurch der Nachtheil vermie¬ 
den werde, dass eine Strafe einen längeren Termin als Ma¬ 
ximum haben kann, als das Minimum, das die Strafe von 
niedererem Grade.haben kann; er weist auf die Unmöglich¬ 
keit hin, in den Urtheilen eine vollkommene Gleichheit zu 
statuiren. 

Der Präsident schliesst die Discussion. * 

Graf Foresta berichtet über die Frage: 

„Soll für gewisse Verbrechen, die keine 
besondere Verdorbenheit der Gesinnung be¬ 
kunden, eine eigene Art von Strafe angewen¬ 
det werden, die lediglich in Entziehung der 
Freiheit ohne Zwang zur Arbeit besteht, mit 
Trennung von andern Verurtheilten?“ 
und bejahte dieselbe, da ein Unterschied zwischen Verbre¬ 
chern , die aus Leichtsinn oder Leidenschaft fehlen und 
verhärteten Sündern gemacht werden müsse. Erstere sollen 
nur der Freiheit beraubt, der harten Arbeit aber nicht unter¬ 
worfen und in gesonderten Gefängnissen untergebracht wer¬ 
den. Auf Rückfällige soll dies aber nicht Anwendung finden, 
dagegen auf Verbrecher aus Leidenschaft und Jugendliche, 
die einmal der Versuchung zum Opfer gefallen sind. 

Prof. Wladimirow ist in der Hauptsache mit dieser 
Ansicht einverstanden, glaubt aber, dass das Gericht den 
Grad der Verschuldung festzusetzen habe. 



116 


M. Chandler bemerkt, dass in Pensylvanien ein voll¬ 
ständiges System in der Art, wie Graf Foresta es verlange, 
in Anwendung sei, dass man Denjenigen, der ein Verbrechen 
begehe, das keine Schändliche Gesinnung bekunde, von der 
harten Arbeit dispensire, ihm ein von der gewöhnlichen Ge¬ 
fangenenkleidung verschiedenen Anzug gebe, und ihn in ge¬ 
sonderten Räumen gefangen halte. 

Dr. Mouatt theilte Einiges von seinen Erfahrungen in 
Indien mit und spricht über einige, von andern Rednern be¬ 
reits berührten Punkte; sodann nahm noch Prof. Dr. Mar- 
quardsen an der Discussion Theil und constatirt ähnliche 
Einrichtungen und Erfahrungen in Deutschland, wie sie Mr. 
Chandler aus Pensylvanien mitgetheilt; er gab namentlich 
auch näheren Aufschluss über die Festungshaft, die in Deutsch¬ 
land Gefängniss- oder Zuchthausstrafe ersetzt. 

Mr. Rutherford bemerkt, dass, wie Allen, welche 
die Zustände der englischen Gefängnisse kennen, bekannt sei, 
iif England durch das Gesetz 2 Classen von Gefangenen ein¬ 
geführt seien. Die Behandlung in beiden Classen sei ver¬ 
schieden, sie befinden sich jedoch in einem und demselben 
Gefängniss , und auf diese Weise habe England mit einiger 
Ausdehnung das Princip angenommen und möglichst ausge¬ 
bildet. Redner hält dabei die Gefängnisse mit Einzelhaft 
nicht für ein unbedingtes Erforderniss. 

Hiemit wird die Discussion geschlossen. 

Graf Foresta führt die weitere Frage ein: 

„Dürfen kürzereFreiheitsstrafenund nicht 
beibringliche Geldbussen durch Arbeit ohne 
Entziehung der Freiheit ersetzt werden?“ 
Redner bejaht die Frage und glaubt, dass die Ver¬ 
wandlung von kürzeren Gefängniss- und unbezahlten Geld¬ 
strafen für kleinere Vergehen in „Aussenarbeit“ am besten 
die Trennung von anderen Gefangenen ermögliche und diese 
Arbeit ohne Entziehung der Freiheit stattfinden könne. 

Der Gegenstand wurde hierauf bis ins Einzelne ver¬ 
folgt. 



117 


Mr. Stevens ist ganz gegenteiliger Ansicht und glaubt, 
dass ein solches Verfahren zu sehr den Charakter der Be¬ 
strafung verlieren würde. 

Sr. John Bo wring sagt, in (unserer) Gefängnissdiscip- 
lin werde zu wenig auf Vergünstigungen und Erweckung 
von Hoffnung Bedacht genommen und folgeweise mehr auf 
Furcht und Hoffnungslosigkeit. Warum sollte man nicht ein¬ 
zelne Gefängnisse mit specieller Behandlung der Gefangenen 
haben, in anderen Ländern sei ja zuweilen der grösste Theil 
der Armee bei Gefängnissarbeit eingesperrt. Redner , glaubt, 
dass die Frage dahin ausgedehnt werden solle, ob es nicht 
zweckmässig sei, öffentliche Strafwerkstätten zu errichten, in 
denen für öffentliche Rechnung gearbeitet werde. Er be¬ 
merkt , dass die freie oder Nicht-Sträflingsarbeit in der Ge¬ 
fängnissarbeit keine Concurrenz erblicken dürfe, und wenn 
die Strafarbeit mit der freien concurrire, so sei diese Con¬ 
currenz eben durch die Ordnung der menschlichen Gesell¬ 
schaft bedingt und sie sei eine Wohlthat für die Allgemein¬ 
heit, die den Gewinn von der Gefangenenarbeit habe. (Red¬ 
ner wird hier durch den Präsidenten unterbrochen, da er von 
dem Gegenstand der Frage abkommme.) 

Mr. Charley pflichtet dem Vorredner bezüglich der 
Concurrenz der Sträflings- mit der freien Arbeit bei. 

Der Präsident bemerkt, dass dieDiscussion hierüber 
nicht fortgesetzt werden könne. 

Rev. Mr. Colli ns (Cornwall) hält dafür, dass der Ver¬ 
brecher im Gefängniss durch seine Umgebung durchaus nicht 
an seine Schande erinnert werden solle , und dass daher die 
kürzeren Gefängnissstrafen für kleinere Vergehen das Gefühl 
der Beschämung noch weit weniger erwecken solle, denn 
Demüthigung sei der sichere Weg zum Verbrechen. 

Graf Sollohub glaubt, die beim Vollzug kürzerer Ge¬ 
fängnissstrafen sich ergebenden Schwierigkeiten könnten wohl 
überwunden werden, und die von Graf Foresta vorgeschla¬ 
gene Verfahrungsweise würde vor Schaffung von Gefängnissen 
abschrecken. 

Es sprachen noch Baron M a c k a y, der das vorgeschla¬ 
gene Verfahren für undurchführbar hält und 



118 


Mr. Bremner, eine Magistratsperson von Manchester, 
der das Verfahren, Geldstrafen nach den Mitteln des Ange¬ 
schuldigten abzumessen und eine Gefängnissstrafe im Nichtzah¬ 
lungsfalle eintreten zu lassen, als ungerecht und ungleich 
beanstandet, und desshalb die Annahme des Vorschlags von 
Foresta schon im Interesse der Gerechtigkeit und Moral em¬ 
pfiehlt. Mit Beschämung gedenkt er an das in England.erlaubte 
Verfahren, Kinder in das Gefängniss zu sperren, weil sie mit 
Steinen geworfen, wie er das kürzlich selbst wabrgenommen, 
durch splche Verfahrungsweise werden diese Unschuldigen 
mit Dieben in Berührung gebracht und machten deren Be¬ 
kanntschaft. 

Der Präsident constatirt, indem er die Discussion 
sehliesst, dass in Preussen seit 20 Jahren ein Gesetz bestehe, 
wornach unbezahlte Geldstrafen für Waldfrevel durch Arbeit 
ohne Entziehung der Freiheit abgebüsst werden. 

Hier wurde eine Pause gemacht und beim Wiederbe¬ 
ginn der Sitzung übernahm Mr. G. W. Hastings das Prä¬ 
sidium, weil 

Baron Holtzendorff über die Frage: 

„Soll Einsperrung auf Lebenszeit erkannt 

werden?“ 

zu berichten hatte. Redner, der in Anbetracht der vorgerückten 
Zeit Willens gewesen, die Frage fallen zu lassen, trotzdem 
aber dazu aufgefordert' worden, spricht über das System der 
Sclaverei in den ältesten Zeiten, und vergleicht dieselbe mit 
der lebenslänglichen Einsperrung. Er glaubt, wenn man die 
Todesstrafe für erlaubt halte, könne man die Beibehaltung 
der lebenslänglichen Einsperrung nicht entschuldigen, schaffe 
man aber die Todesstrafe ab, so scheine es als Pflicht, die 
lebenslängliche Einsperrung beizubehalten. Aber er glaube, 
der Verurtheilte solle dabei Hoffnung haben, bei gutem Ver¬ 
halten nach kürzerer Zeit, etwa 12 oder 15 Jahren, befreit 
zu werden , wie überhaupt bei jeder Strafe der Gefangene 
ebensowohl solle auch hoffen können, nicht nur fürchten müssen. 

Mr. Chandler sagt, in Missouri sei es Grundsatz, dass 
die Gefangenen nie ohne Hoffnung sein sollen, sonach auch 
die lebenslänglich Verurtheilten nicht. 



119 — 


Governor Haines (New-Jersey) sagt, dass die vorge¬ 
schlagene Yerfahrungsweise in seiner Heimath eingeführt sei 
ujjd allseits befriedige. 

Es betheiligten sich noch Dr. Mouatt und Mr. Bern* 
meler an der Discussion. 

Mr. G. W. Hastings constatirt, dass in England die 
Urtheile auf lebenslängliches Zuchthaus (penal servitude) dem 
Staatssekretär vorgelegt werden, und der Verurtheilte regel¬ 
mässig nach einer gewissen Zahl von Jahren begnadigt werde, 
wenn er sich gut aufführt. 

Mr. Cremieux spricht zu Gunsten der Todesstrafe 
gegen Mörder, da hiemit alle Schwierigkeiten, die sich 
beim Vollzug lebenslänglicher Gefängnisstrafe ergeben , be¬ 
seitigt seien. Er ist gegen die Letzteren. 

Der Präsident bemerkt, als sich noch mehrere Her¬ 
ren zum Wort meldeten, um über die Todesstrafe zu spre¬ 
chen, dass bei dem Mangel an Zeit verschiedene Fragen nicht 
discutirt werden können, und eine dieser Fragen auch die 
wegen der Todesstrafe sei. 

Hiermit wird der Gegenstand verlassen. 


Sitzung der 3. Section vom 5. Juli 1872. 

Präsident: Dr.^G. W. Hastings. 

Sr. Walter Crofton eröffnet die Discussion über die 
Frage: 

„Nach welchen Grundsätzen soll Strafab¬ 
kürzungeintreten, sollen dabei Bedingungen 
auferlegt werden, und welche?“ 

W. Crofton bemerkt, die Strafabkürzung und bedingte 
Freilassung sei mit der Zuchthausstrafe (couvict System) ver¬ 
bunden und ausgeführt in Grossbritanien. Das Maximum 
des Strafnachlasses sei 1 / 4 , am Anfang werde der Gefangene 
9 Monate in Einzelhaft gehalten. Die Mittel, mit denen der 
Gefangene seine, Strafzeit — die 9 Monate als feststehend 



120 


ausgenommen — kürzen kann, sind eine Anzahl Marken, die 
darthun, wie er durch seine Arbeit von Classe zu Classe vor¬ 
rückt. So ist das ein Mittel, durch das der Gefangene seiqp 
Strafzeit kürzen kann, ein industrielles Mittel, und die Mar¬ 
ken sind nur Urkunden, wieviel der Gefangene an dem be¬ 
treffenden Tage geleistet hat. 

Jeder Gefangene kennt die Bedingungen, unter denen 
er arbeitet; er weiss, was er gewinnt, und er kennt die vor- 
theilhafte Lage, in die er sich durch besondere Arbeit bringen 
kann. Diejenigen, die seit Jahren am Gefängnisswesen In¬ 
teresse genommen und die Abkürzung von Urtlieilen mit be¬ 
stimmter Straldauer vertheidigt, könnten nun in diesem Sy¬ 
stem ein wirkliches Urtheil auf Arbeit anstatt einem Urtheil 
auf Zeit geben, und in dieser Beziehung, denke er, könne 
England auf dieses System stolz sein. (Hört!) 

Redner spricht mit Geringschätzung von Denjenigen, 
welche die öffentlichen Arbeitsanstalteu tadeln, und ihnen 
den Namen „Bandcn-Arbeit“ (Gang-Labour) geben. Er führt 
aus , dass diese Gefängnisse in Ansehung ihrer Einrichtung 
in jeder Beziehung, sowohl was Behandlung der Gefangenen, 
als Haltung der Bediensteten anlangt, gründlichst geprüft 
wurden, sowohl von gesetzgeberischen Commissionen, als 
bei anderen Gelegenheiten, wie z. B. gelegentlich der Ein¬ 
sperrung der Fenier, und wenn auch noch Missstände da¬ 
bei Vorkommen, können dieselben der Wachsamkeit dieser 
Untersuchungen nicht entgehen, sondern sie müssen dabei 
zum Vorschein kommen. Was die Ergebnisse des Straf¬ 
vollzugs anlangt, wobei man sowohl mit Erregung der Furcht 
als der Hoffnung zu Werk geht, so hätten sich dabei die 
Verbrechen effectiv vermindert, während die Bevölkerung 
zunahm, und diese Abnahme habe für das System die grösste 
Genugthuung gegeben, zumal sie mit einer immer gesteiger¬ 
ten Wachsamkeit und vermehrten Mitteln zur Entdeckung 
der Verbrechen Hand in Hand ging, wobei die begangenen 
Verbrechen häufiger als früher ans Tageslicht kamen. In 
Ansehung der finanziellen Seite hätten die öffentlichen Ar¬ 
beitsanstalten einen glücklichen Erfolg gehabt, sie ertrügen 
jährlich 130,000 Pfund Sterling. Wie in finanzieller, so seien 



121 


auch in moralischer Hinsicht gute Ergebnisse zu Qonstatiren. 
Im Anschluss an die Einladung, die Captaine Du Cane be¬ 
züglich des Besuchs der königlichen Gefängnisse gemacht» 
wolle er mittheilen, dass er etwaige Besucher der öffentlichen 
Arbeitsanstalten gerne begleiten werde , ohne die Besucher 
in ihren eigenen Wahrnehmungen zu beeinträchtigen, und sie 
würden das Gesagte, wenn sie unbefangen prüfen, durch die 
Erfahrung bestätigt finden. (Cheers.) Eine praktische Unter¬ 
suchung könne man nicht besser anfangen, als indem man 
irgend einen entlassenen Strafgefangenen oder einen einzel¬ 
nen Aufseher befrage, und die Untersuchung werde zeigen, 
dass das System der englischen Arbeitsanstalten ein vortreff¬ 
liches sei. 

M. Stevens spricht zu Gunsten des in Belgien ange¬ 
wendeten Einzelhaft-Systems, das die Besserung der Strafge¬ 
fangenen ermögliche und bei dem die Yerbrechen auf die Hälfte 
ihrer Zahl gesunken seien, trotzdem dass das Land an Be¬ 
völkerung, und Wohlstand bedeutend zugenommen habe. 

Mr. Chandler preist das Crofton’sche System hoch, 
mit dem Sr. W. Crofton die Aufmerksamkeit so sehr erregt 
habe, und bemerkt, dass die amerikanischen Delegirten sol¬ 
ches in Irland, wo es durchgeführt sei, aus eigener An¬ 
schauung kennen gelernt hätten. 

Captain Du Cane sagt, es sei eine sehr zweckmässige 
Einrichtung, dass der Strafgefangene in den englischen Ge¬ 
fängnissen selbst seine frühere Freilassung bewirken könne. 

Auch Dr. Frey vertheidigt das irische System. Er 
führt aus, dass das Zellen sytem für sich allein dasselbe nicht 
erreichen kann, weil es im höchsten Grad nöthig sei, den 
Gefangenen für die Rückkehr in die Freiheit vorzubereiten. 
Die Schwierigkeit in diesem Fall kann nur durch die Ver¬ 
bindung der beiden Systeme beseitigt werden. 

Der Präsident schliesst dieDiscussion und theilt mit, 
dass er zum Rapport über die Frage in der morgigen Gene¬ 
ralversammlung 2 Berichterstatter ernannt habe, die dort 
ihre Ansicht mittheilen werden. 

Mr. T. B. Baker spricht über die Frage: 

Blätter (dr Geflognistlmnde VIL 9 



122 


„Ist die polizeiliche Aufsicht über ent¬ 
lassene Strafgefangene wünschenswerth? be¬ 
jahendenfalls, welches sind die besten Mit¬ 
tel zu ihrem Vollzug?“ 

Redner bemerkt, dass in England z. Z. nach dem Ge¬ 
setze mit der Yerurtheilung zu peinlicher Strafe gleichzeitig 
im Anschluss an die Gefängnissstrafe polizeiliche Aufsicht 
bis zu 7 Jahren verhängt werden könne. Der unter Polizei¬ 
aufsicht Gestellte muss sich jeden Monat bei der Polizeibe¬ 
hörde persönlich anmelden, oder es erscheint bei ihm Je¬ 
mand, der diese Meldung in Empfang nimmt. Er muss jeden 
Aufenthal'twechsel sowohl der Polizeibehörde des bisherigen, 
als auch des künftigen Aufenthaltsorts anzeigen. So lange 
er sich hiernach achtet, hat er von der Polizeibehörde jede 
Unterstützung zu erwarten , erhält von ihr mitunter Arbeits¬ 
nachweis und wo nötliig auch Geldunterstützungen von den 
Schutzvereinen. Diese Anordnungen seien gut für die Ueber- 
wachung, weil hierdurch, ohne Hinderung oder Unterbrechung 
der Arbeit, eine zweckmässige Aufsicht über den Schutzbe¬ 
fohlenen möglich sei, wie dies die nicht erprobte Redlichkeit 
des Betreffenden erfordere. Benimmt er sich hiernach , so 
bleibt er, so lange er ständig arbeitet, unbehelligt, und er wird 
nur strenge behandelt, wenn er Unrecht thut. Diese Auf¬ 
sicht sichere das Publikum auf 7 Jahre statt auf eines. Es 
eidaubt dies, die Einsperrung auf die Hälfte der Zeit zu re- 
duciren üiid erspart daher auch die Hälfte der Kosten. 

M. .Stevens und Andere sind gegen die Polizeiauf¬ 
sicht , ,:jveil solche häufig den Entlassenen hindere, Arbeit zu 
finden und so den Rückfall veranlasse., dagegen theilen An¬ 
dere wieder die Ansicht des Mr. Baker. 

Hiemit wurde die heutige Sitzung geschlossen. 

folgende Fragen mussten für die nächste Sitzung zu- 
rückgestellt werden: 

3. In welcher Art soll man die entlassenen Strafge¬ 
fangenen unterstützen? (Mr. Murray-Brown.) 

4. "Was sind die Vortheile und Nachtheile der Zu- 


J 



— m — 

fluchtsanstalteu für entlassene Strafgefangene? (Der¬ 
selbe.) 

5. Ist die Auswanderung entlassener Strafgefangenen 
empfehlenswerth ? bejahendenfalls, welches ist die 
beste Art zu deren Ausführung? (Derselbe.) 


Plenarsitzung vom 6. Juli 1872. 

Präsident: M. G. W. Hastings. 

Zu der Sitzung war der Minister des Innern erwartet, 
um die Präsidentschaft zu übernehmen. Der Präsident Ha¬ 
stings eröffnete indess zur festgesetzten Zeit die Sitzung und 
forderte die Berichterstatter über die, an den beiden voraus¬ 
gegangenen Tagen verhandelten Gegenstände zur Erstattung 
ihres Referats auf. Zunächst wird über die'Frage betreffs 
der höchsten zulässigen Zahl von Gefangenen in einem Ge- 
fängniss berichtet. 

Während dieser Verhandlung erschien der Minister des 
Innern und hielt nach Schluss der Discüssion folgende Rede: 

Ich bedauere ausserordentlich, dass ich durch Geschäfte, 
die immer sehr bedeutend, es aber während der gegenwärtigen 
Sitzung des Parlaments doppelt sind, abgehalten war, der 
Versammlung eher meine Hochachtung zu bezeigen. Der 
Umstand, dass ich noch heute Morgen bis i / i 2 Uhr im Hause 
der Gemeinen, und an den vorhergegangenen Tagen ebenso 
bis 2 Uhr Nachmittags dort sein musste , wird mir wohl als 
Entschuldigung gelten. Ich bin ganz besonders erfreut über 
die günstige Gelegenheit, die mir gegeben ist, den fremden 
Herren, welche die Güte hatten, hierher nach England zu 
kommen und uns über die Ergebnisse ihrer Erfahrungen zu 
berichten, mitzutheilen, dass die Regierung hierfür dankbar 
ist und den hohen Werth des Geistes anerkennt, in dem die¬ 
ses Werk unternommen worden ist. (Cheers.) Sie sind, 
meine Herren, gekommen von jenseits des Oceans und von allen 
andern Theilen der Welt im Dienste der Humanität, um, so¬ 
weit es in Ihrer Macht steht, die Last der socialen Uebel zu 

9* 



124 


Vermindern, unter denen alle Länder mehr oder minder lei. 
den. Ich habe das Vertrauen, dass unser Land in den Stand 
gesetzt wird, etwas zu lernen von der reichen Erfahrung der 
Herrn, die den Congress besuchen, und dass andererseits die 
Herren, die vom Ausland gekommen sind, ebenso einigen 
Gewinn aus dem ziehen, was sie in England sehen; diese 
Aufgaben haben das grösste Interesse und ebenso die grösste 
Schwierigkeit. Nicht durch die Theorie kann die Frage ge¬ 
löst werden, dies thut nur die Erfahrung, und nur allein die 
Erfahrung kann entscheiden, welches der beste Weg in Be¬ 
handlung der Verbrecher ist. (Hört.) Das war mir eine 
grosse Genugthuung, dass weder die Zunahme der Verbrechen, 
noch das Gefühl einer dessfallsigen Besorgniss bei uns in 
England den Congress bestimmte, hier zu tagen, und ich 
hoffe, dass die auswärtigen Delegirten im Stande sein wer¬ 
den, eine ähnliche Abnahme der Verbrechen in ihren Län¬ 
dern zu constatiren , wie man dies in England erfahren hat. 
(Cheers.) Dies ist ein Umstand, zu dem man sich nicht nur Glück 
wünschen kann, sondern für den man auch im höchsten 
Grade dankbar sein muss, dass bei den mannigfachen Grün¬ 
den, die für eine gegentheilige Sachlage sich geltend mach¬ 
ten, in den letzten Jahren in England eine ausserordentliche 
Abnahme der bedeutenden Verbrechen stattfand. Die De¬ 
portation der Verbrecher, durch welche wir bisher alle schlim¬ 
men Subjecte aus dem Lande entfernten, hat nun gänzlich 
aufgehört, und ich befürchtete, dass die Gefangenen in den 
Colonien, als sie inne wurden, dass die Deportation bei uns 
aufhöre, in ihre alte Verbrechergesellschaft bei uns zurück¬ 
kehren würden. Allein anstatt dass die Verbrechen Zunah¬ 
men, haben alle Arten derselben abgenommen, trotzdem dass 
die Bevölkerung zunahm, und diese Thatsachen können die 
hier anwesenden Generalinspectoren der Gefängnisse voll¬ 
kommen bestätigen. Ich bin weit entfernt davon, behaupten 
zu wollen, dass diese Resultate lediglich den vom Staate ge¬ 
troffenen MaaBsregeln zur Verhütung, Entdeckung und Be¬ 
strafung des Verbrechens zuzuschreiben seien, vielmehr bin 
ich völlig überzeugt, dass hier verschiedene Gründe zusam- 



125 


menwirkten, und constatire mit Befriedigung, dass die Arbeit 
guter Leute in verwichener und gegenwärtiger Zeit nicht 
vergebens war, und dass diese Arbeit ähnliche gute Früchte 
getragen hat. Die Bemühungen Derjenigen, die Industrie¬ 
schulen , Besserungsanstalten, Schutzvereine für entlassene 
Strafgefangene und ähnliche Institute gründeten, hat das Ihre 
zur Verminderung des Verbrechens beigetragen (Cheers), 
und die Verbreitung der Wissenschaft im Volke , sowie die 
gute Erziehung hat zu grösserer und höherer Einsicht ge¬ 
führt. Auf diese Art waren Mittel an die Hand gegeben, 
dass sich die Bevölkerung auch über andere Länder ausdehne 
und es wurde in gewissem Grade der Armuth gesteuert, 
welche die grösste Versuchung zum Verbrechen ist. (Hört.) 
Alle diese zusammentreffenden Umstände und Hilfsmittel ha¬ 
ben viel dazu beigetragen, die Reihen der Verbrecher zu 
lichten. (Cheers.) Viel auch hat dazu beigetragen verbes¬ 
serte Polizeiverwaltung und viel ebenso das neue Gefängniss- 
system. (Hört.) So haben wir überallher den befriedigendsten 
Beweis von dem Nutzen unseres auf Abschreckung sowohl, als 
auf Besserung gerichteten Gefängnisssystems und wenn die 
Einen glauben, dass man noch mehr zur Abschreckung thun 
müsse, und Andere, dass die Besserung mehr im Auge zu behal¬ 
ten sei, so wird, denke ich, die Besprechung dieser Frage der Re¬ 
gierung die nöthige Information gelten. Die hier Anwesenden 
können sich überzeugen, dass das in den letzten Jahren in 
England angenommene System den Unterricht der zu langen 
Strafen verurtheilten Gefangenen sowohl in Rücksicht der 
Moral als der Beschäftigung durchgeführt und die glücklich¬ 
sten Resultate zu Tage gefördert hat. .Es gibt freilich 
Manche, die das Besserungssystem weiter ausdehnen, und 
Andere, die glauben, unser Abschreckungssystem sei nicht 
streng genug. Diese 2 Punkte scheinen mir aber zur Be¬ 
sprechung geeignete Gegenstände zu sein. Doch ist es nicht 
meine Absicht, eine bestimmte Meinung über die eine oder 
die andere Art auszusprechen, sondern ich will nur sagen, 
die Regierung ist sehr erfreut, die ausgezeichneten Vertreter 
aller Länder zum Zweck der Erörterung und Anstrebung 
einer Lösung der Probleme hier zu sehen; die englische Re- 



126 


gierung würde eich freuen, von dem Congress in der einen 
oder andern Beziehung etwas zu lernen. (Cheers.) Ich be¬ 
dauere , dass die Regierung nicht aktiven Antheil an dem 
Congress genommen hat. In dieser Beziehung kann ich nur 
sagen, es ist in England nicht Brauch, dass die Regierung 
als solche an solchen Verhandlungen Theil nimmt. Anderer¬ 
seits muss ich entschieden in Abrede stellen, dass die Re¬ 
gierung gegen die Arbeiten des Congresses gleichgiltig sei, 
und dass wir nicht gewillt seien, in jeder Hinsicht erschö¬ 
pfende Information zu geben. (Cheers.) Ich glaube , dass 
die hochgeehrten Herrn, welche unser Land mit ihrer Ge¬ 
genwart beehren, die Strafanstalten besichtigen, sie und ihr 
System genau prüfen, und sodann ihre Ansicht darüber, sei sie 
wie sie wolle, offen und furchtlos aussprechen werden. Obgleich 
ich davon gesprochen, dass man sich zu der stetigen Abnahme 
der Verbrechen in unserem Lande Glück wünschen darf, 
hoffe ich doch, dass desshalb dadurch die Behörden und 
Philantropen sich nicht in Sicherheit wiegen lassen, sondern 
auch ferner fortfahren, ihre Strebsamkeit zu vermehren und 
ihre Bemühungen weiter zu treiben. 

England hat durch seine Einrichtungen viel erreicht, 
gibt aber die Hoffnung nicht auf, noch mehr zu erreichen, 
und wenn es im Stande sein sollte’, eine erhebliche Verbes¬ 
serung an dem gegenwärtigen System zu machen, würde es 
sie wirklich freuen , wenn es diese Verbesserung direct aus 
den Arbeiten der ausgezeichneten Versammlung herleiten 
könnte, die in dieser Halle tagt. (Cheers.) 

(Diese Rede wurde von dem türkischen Delegirten Mu- 
surus Bey in französischer Sprache wiedergegeben.) 

Der Präsident dankte im Namen der Delegirten dem 
Minister des Innern für seine Aufmerksamkeit und dafür, 
dass er den in der Eröffnungsrede der Regierung gemachten 
Vorwurf widerlegt habe. Der Minister entfernte sich nach 
einiger Zeit wieder und machte noch vorher dem Präsidenten 
unter der Hand die Mittheilung, dass der Versammlung ver¬ 
gleichende Uebersichten von den letzten Jahren aus allen 
Grafschaften zu Diensten stehen, aus denen man am Besten 



127 


die Ueberzeugung schöpfen könne, ob die Verbrechen ab- 
oder zugenommen haben. 

Dieses Anerbieten wurde der Versammlung mitgetheilt 
und dankbar angenommen. 

Die Berichterstattungen über die in den Sectionen be¬ 
handelten Gegenständen wurden nun fortgesetzt. Es entspann 
sich auch eine Debatte bei einzelnen Berichterstattungen und 
insbesondere auch bei der Berichterstattung über die körper¬ 
liche Züchtigung. Dieselbe hatte Geh. Regierungsrath Stein¬ 
mann von Berlin übernommen, und dabei sich in gelungenster 
Weise und mit grosser Wärme gegen diese brutalisirende Strafe 
ausgesprochen; er betonte dabei, dass er sich freue, auch hier 
denselben Standpunkt vertheidigen zu dürfen, den er in seinem 
Vaterland von jeher dazu eingenommen und an dem er, trotz 
der für diese Strafe geltend gemachten Gründe festhalte. 

Prof. Marquardsen erklärte, dass er im Namen der 
von ihm vertretenen bayerischen Regierung in Uebereinstim- 
mung mit seinen Collegen Folgendes mitzutheilen autorisirt sei: 
Die Frage der körperlichen Züchtigung als staatliches Straf¬ 
mittel habe in Bayern schon einmal 1861 bis zu einer Mini¬ 
sterkrisis geführt. Die liberale Partei, der er angehöre, habe 
damals den Sieg davon getragen. Seitdem sei die körper¬ 
liche Züchtigung in Bayern weder als Haupt- noch als Dis- 
ciplinarstrafe zulässig. Alle Erfahrungen der Gefängnissbe- 
amten stimmen darin überein, dass seitdem die Achtung und 
das Wohl verhalten der Gefangenen gegen die Aufseher und 
Beamten besser geworden und dass die Disciplinarfälle regel¬ 
mässig abnehmen. Niemand in Bayern wünsche auf Grund 
dieser mehr als zehnjährigen Erfahrung die, Wiedereinfüh¬ 
rung der körperlichen Züchtigung. Und doch gebe es in 
Bayern Gegenden genug, aus welchen die rohesten Charak¬ 
tere und härtesten Naturen in die Strafanstalten eingeliefert 
werden. Als Mitglied des Deutschen Reichstages gestatte er 
sich noch eine Bemerkung. Er habe am den Arbeiten der 
Commission für das neue Reichs-Militärstrafgesetz Antheil 
genommen, und wenn es auch das beste bis jetzt bestehende 
Militärstrafgesetz sei, so habe es doch gegenüber dem bür¬ 
gerlichen Gesetz manche härtere Strafe beibehalten müssen. 



128 


Aber Eines stehe fest, weder als ordentliche noch als Dis- 
ciplinarstrafe kehne das neue Reichsgesetz die Prügelstrafe. 
In der ganzen deutschen Armee falle als Strafe kein Schlag. 
(Lauter Beifall.) 

Gov. Fulford bekämpft die Abschaffung der Prügel¬ 
strafe und erzählt einen Fall, wie er einen Widerspenstigen 
durch Hunger bezwungen und dann habe prügeln lassen, 
worauf dieser Mann ganz folgsam und brav geworden sei, 
während er ihn vorher ein Yieh genannt. 

Miss Jul. Ward Howe (New-York) entgegnet dem 
Gov. Fulford, dass es nicht recht sei, einen Mann zu schla¬ 
gen, der nachgegeben habe und am Boden liege. Wenn er sich 
durch Gewaltthat und Yerbrechen selber verunehrt hat, so 
sei das unrecht gewesen und gereiche ihm allein auch künftig 
zur Unehre. Auch hätte der Governor dem Gefangenen nicht sa¬ 
gen sollen, dass er ein Yieh sei, sondern ein Geschöpf Gottes, 
bestimmt, dem Ebenbilde dessen nachzustreben, der ihm Ur- 
theil und Yerstand gegeben. Dem M. Aspinall erwiedert sie, 
wenn man einen Mann wegen einer brutalen Behandlung 
seiner Frau prügle , so werde er dadurch nur brutalisirter; 
die von ihren Männern geschlagenen Frauen würden nicht 
dankbar dafür sein, wenn man ihnen den Mann durch die 
Prügelstrafe nur noch mehr brutalisirt in’B Haus zurücksende. 

(Schluss der Sitzung.) 


Sitzung der 2. Section vom 8, Juli 1872. 

Präsident: r Baron Mackay. 

Bei der Eröffnung theilt der Yorsitzende mit, dass 
die Besprechung der Fragen mit deren Behandlung in der Sec- 
tionssitzung als geschlossen anzusehen sei, da die Erörterun¬ 
gen in den Generalversammlungen auf die Berichterstattung 
beschränkt werden müssten-, und da den Berichterstattern 
nicht erlaubt werden würde, Argumente für ihre persönlichen 
Ansichten zu gebrauchen. 



129 


Bevor in der Tagesordnung fortgefahren wurde, schlug 
Hr. B er den (Belgien) vor, dass zwei officielle Repräsentan¬ 
ten jeder Delegation dem Minister des Innern (Hm. Bruce) 
ihre Aufwartung machen sollen um demselben für sein An¬ 
wohnen am Samstag, sowie für die Aufschlüsse, welche er ge¬ 
geben und die Erleichterungen, welche er den ausländischen 
Delegirten zur Besichtigung von Staatsgefängnissen angebo- 
ten hatte, — zu danken. 

Mr. Pols (Holland) unterstützte den Antrag, in Betreff 
dessen das Executivcomitee das Weitere besorgen wird. 

M. Pet ersen (Bayern) eröffnete dann die Verhandlung 
über die Frage: 

„Sollen Rückfällige einer schärferen dis- 
cipl inarische n Behandlung unterzogen wer¬ 
den, als bei ihrer ersten V erurtheilung?“ 

Er hielt dafür, dass die einzelnen Straffälle nach dem 
Grad des Vergehens, den die Untersuchung ausgewiesen, be¬ 
handelt werden sollten, und dass der Rückfall im Strafurtheil 
demgemäss berücksichtigt werde, eine weitergehende Schär¬ 
fung der Strafe im Administrativweg daher unzulässig sei. 

M. P1 o o s und M. Stevens sprachen über diesen Ge¬ 
genstand und befürworteten eine nachsichtige Behandlung als 
erfolgreicher, denn Strenge; Letzterer mit dem Beifügen, 
dass die Gesellschaft oft mehr Schuld an dem Rückfalle trage» 
als der Gefangene selbst. 

M. Frey und Aspina 11 bekämpften diese Ansicht. 

Sir W. Crofton forderte Hrn. Aspinall von Liverpool 
zu einem Berichte bezüglich der Frage cumulativer Strafen auf. 

Die Versammlung stimmte zu und Hr. Aspinall ver¬ 
las Resolutionen, welche der Liverpooler Magistrat aufgestellt 
hatte, -dass es wünschenswerth sei, dass das Cumulativ-Princip 
auf Strafen aller Verbrechen und Vergehen angewendet 
würde und dass der Magistrat bevollmächtigt werden sollte, 
solche Gefangene , welche sich gut betrügen, für den Rest 
ihrer Strafzeit in „homes“ (Heimathen) unterzubringen. Die 
beigefügten statistischen Notizen waren umfangreich und zeig¬ 
ten, dass Rückfälle sehr häufig seien, ja bis zu 70 mal, und der 
Magistrat wäre desshalb zu dem Schluss gekommen, dass 



130 


es besser für die Gefangenen und besser für die Gesellschaft 
sei, das Cumulativ-System durchzuführen. 

Andere Herren sprachen noch und die Discussion wurde 
durch Dr. Guillaume (Schweiz) fortgesetzt, welcher seine 
Erfahrungen in einigen Cantonen seines Landes erwähnte, 
welche ihn zu der Ueberzeugung geführt hätten, dass es 
besser sei, Rückfälligen solche Strafurtheile zu geben, ^reiche 
es dem Gefangenen ermöglichen, ein Handwerk, durch 
welches er seinen Lebensunterhalt auf dem Arbeitsmarkt 
sich erwerben könnte, zu erlernen, ohne gezwungen zu sein, 
ins Verbrechen zurückzufallen, — als kurze, verschärfte Stra¬ 
fen zu geben mit Hungerkost, nach welchen der Verbrecher 
in die Welt, nicht nur keineswegs moralisch gebessert, son¬ 
dern auch körperlich heruntergekommen, zurückkehre. 

Graf F o r e s t a (Italien) hielt dafür, - dass dies eher 
Sache der Gesetzgebung, als der Gefängnissdisciplin sei. Er 
machte mit Beredtsamkeit geltend, dass es eine Grenze bei 
der Gefängnissdisciplin gebe, welche zu überschreiten unmög¬ 
lich sei, ohne die Disciplin in Grausamkeit zu verwandeln. 

M. B i 11 i n g e r (Pensylvanien) hob hervor, dass es eine 
der Gesellschaft auferlegte Pflicht sei, durch Strenge der 
Behandlung die Verbrecher in ihrer Laufbahn aufzuhalten. 

Mrs. Ward Howe (New-York) hielt nachsichtige und 
liebevolle Behandlung der Gefangenen für das Mittel, auf die 
Verbrechercla8se bleibenden Eindruck zu machen. 

M. Robin (Frankreich) erklärte, seine Erfahrung habe 
ihn zu der Ansicht gebracht, dass alle Quälereien und Pei¬ 
nigungen im Gefängniss verwerflich seien, als im Widerspruch 
mit christlichen Grundsätzen und befürwortete die Erlernung 
von Gewerben. Ueberhaupt sollte das Festhalten an christ¬ 
lichen Principien aller Behandlung von Verbrechern zu Grunde 
liegen. 

< Die Frage wurde hier verlassen. 

M. Frederick Hill, Bruder des verstorbenen Recorders 
von Birmingham, eröffnete dann die Frage: 

„Soll Gefängnissarbeit rein Strafarbeit 

oder soll sie industriell sein? 14 



131 


Er fing an, eine Abhandlung vorzulesen, welche sehr 
lang zu sein schien, und nachdem er einige Zeit damit zu¬ 
gebracht die Einleitung darzulegen, wurde ihm bemerkt, 
dass die Zeit hiezu nicht ausreiche. Er gab sodann den 
Hauptinhalt seiner Schrift, wie folgt: 

Es sei am naturgemässesten, die Arbeit in den Ge¬ 
fängnissen nützlich und productiv zu machen, so gut wie 
ausserhalb des Gefängnisses, wenn man sie dieser Eigen¬ 
schaften beraube, sei dies wenn t nicht absolut unnatürlich 
doch wenigstens gekünstelt, eine Yerfahrungsweise , welche 
Rechtfertigung und Probe der Zweckmässigkeit erheische, 
welche .noch nicht gegeben sei. Bei einiger Sorgfalt bei Er¬ 
bauung eines Gefängnisses und der Auswahl der Lokalität, 
verbunden mit zweckmässiger Auswahl der Beamten, habe 
es keine unübersteiglichen Schwierigkeiten, einigermassen 
passende Arbeit für die Gefangenen zu beschaffen, und im 
Ganzen sei Gefängnissarbeit productiver bei entsprechender 
Strafdauer , bei solcher nämlich, welche durchaus nöthig ist, 
um einigermassen Hoffnung auf Besserung zu geben. Mittelst 
nützlicher und productiver Arbeit würde viel an den Kosten, 
welche der Gesellschaft durch Verhaftung, Untersuchung und 
Einsperrung der Verbrecher erwachsen, erstattet und wenig¬ 
stens etwas zur Entschädigung der geschädigten Personen 
beigetragen. Eine solche Beschäftigung, welche frei von allem 
Abschreckenden und Entwürdigenden ist, dient dazu, sich in 
des Gefangenen Gemüth mit angenehmen Gedanken zu ver¬ 
binden, und ihm die Arbeit achtungswerth erscheinen zu las¬ 
sen. Durch diese Art von Arbeit trage , abgesehen von dem 
schon oben Erwähnten, der Gefangene zur Unterstützung seiner 
Familie bei, lege sich ein kleines Kapital an, welches bei 
seiner Entlassung entweder die Auswanderungskosten decken 
oder ihm zu einem ehrlichen Anfang in seiner Heimath die¬ 
nen könne. 

Productive Gefängnissarbeit trage nicht dazu hei, den 
Arbeitslohn von Personen, die ausserhalb des Gefängnisses 
mit der gleichen Arbeit beschäftigt sind, herabzudrücken, oder 
auf andere Weise ^u schädigen. Gefangene, welche mit 
nützlicher und productiver Arbeit beschäftigt waren, seien bei 



132 


ihrer Befreiung viel besser gegen den Rückfall ins Verbre¬ 
chen gewappnet, sowie auch besser geeignet, sich ein ehrli¬ 
ches Auskommen zu verschaffen, als solche, die blos Straf¬ 
arbeit thaten, und damit werde die Zahl derer, die sich spä¬ 
ter gut betragen, grösser. Die Leiden und Entbehrungen, 
welche nothwendiger Weise im Gefolge des Prozesses der 
moralischen Besserung sind, seien schon so gross, dass es 
unnöthig erscheine, zur Aufrechthaltung des Princips der 
Abschreckung noch künstliche Leiden und Entbehrungen hin¬ 
zuzufügen. Damit man aber in der Lage sei, rechtzeitig da¬ 
von Eenntniss zu bekommen, dass (wenn je dieser Fall ein- 
treten sollte) ein Gefängniss aufhöre abschreckend zu sein, 
sondern im Gegentheil durch zu reichliche und luxuriöse 
Nahrung oder andere Missbrauche, anziehend wirke; sodann 
in Uebereinstimmung mit dem allgemeinen Grundsatz dass 
sich Jedermann von dem, was als Strafe auferlegt wird, nach 
Belieben selber überzeugen kann, — sollte, es Jedem offen 
stehen, ohne sich erst durch Begehung eines Verbrechens 
dazu zu qualificiren, (ein) Bewohner des Gefängnisses zu 
werden. 

Die Besprechung, welche folgte, war sehr ausführlich 
und dauerte lange Zeit. 

Major Fulford vertheidigte entschieden die Handha¬ 
bung einer ganz strengen Discipliu. Gewohnheitsdiebe und 
Trunkenbolde würden niemals durch moralische Mittel ge¬ 
bessert, für diese müsste das Gefängniss ein Gegenstand des 
Schreckens sein. 

General Pilsbury (New-York) sagte, dass er bezüg¬ 
lich der Beschäftigung in Gefängnissen in Connecticut und 
Albany Erfahrungen gemacht, und dabei sich von der Rich¬ 
tigkeit des von Hill empfohlenen Systems überzeugt habe. 
In Connecticut habe die Arbeit 100,000, in Albany 200,000 
Dollars über die Auslagen ertragen. Auch betreffs der mo¬ 
ralischen Erfolge sei das Resultat gleich befriedigend ge¬ 
wesen. 

Dr. Win es bemerkt, Graf Sollohub habe in Moskau 
ein grosses Gefängniss geleitet, in dem^ 2000 bis 3000 Ge¬ 
fangene waren, und in demselben sei industrielle Arbeit be- 



— 133 — 

trieben -worden. Das Ergebniss sei ein sehr befriedigendes 
gewesen. 

M. Hibbert, M. P. ist für industrielle Arbeit, soweit 
dies ausführbar wäre. Doch meint er, sollten die industrielle 
und die Strafarbeit mit einander verbunden werden. (Hört.) 
Mitunter erlaube die Kürze der Strafzeit es nicht, den Ge¬ 
fangenen mit industrieller Arbeit zu beschäftigen, beziehungs¬ 
weise darin zu unterrichten. So habe man die Sache wenig¬ 
stens in dem grossen Gefängnisse Lancashire gefunden, das 
er näher kenne, und dort zahle jdie Arbeit alle Auslagen, 
ausgenommen die Gehalte der Bediensteten. Die Tretmühle 
und industrielle Arbeit sei dort vertreten. 

Dr. Mouatt bemerkt (bei Uebersetzung der Hibbert’- 
scben Rede), dass es für „Tretmühle“ kein französisches 
Wort gebe. 

Sr. J. Bo wring bemerkt, das sei seltsam, dass die 
französische Sprache keinen Ausdruck für Tretmühle habe, 
aber sie möge dies besser als „Arbeitverwüster“ oder eine 
Einrichtung zum Nichtsthun oder zum Unheiltreiben (mis- 
chief) bezeichnen. Dies sei die Schöpfung eines gedanken¬ 
losen Zeitalters und sollte nirgends mehr Vorkommen. (Cheers.) 

M. Ploos vanArastel spricht sich gegen jegliche Art 
von Strafarbeit aus und empfiehlt den Grundsatz, belohnte 
Gefängnissarbeit einzuführen, weil dies für den Gefangenen 
und den Staat das Nutzbringendste sei. 

Oberst Colville sagt, er habe jetzt eine 18jährige 
Erfahrung und dirigire ein Gefängniss mit 600 Gefangenen. 
Er mache tagtäglich Erfahrungen in Betreff des Tretmühle- 
Systems und er habe noch Keinen kennen gelernt, der da¬ 
durch besser geworden sei. Im Gegentheil, die Tretmühle 
mache den Leuten die Arbeit nur verhasster. Man habe 
wenigstens 12 Arten von Beschäftigung in Coldbathflelds und 
der Gewinn hievon betrage Tausende im Jahr. Indess wirke 
die Tretmühle je nach der Körperbeschaffenheit des Gefan¬ 
genen verschieden. Es sei nöthig, keinen Gefangenen zu die¬ 
ser Arbeit zu verwenden, bevor nicht der Arzt dessen Taug¬ 
lichkeit hiezu constatirt habe. 



134 


M. Stevens legt Verwahrung dagegen ein, dass die 
Frage nur nach Pfund, Schillings und Pences beurtheilt werde. 
Es handle sich vielmehr dabei um die moralische Besserung 
des Verbrechers. (Hört.) 

Dr. Mouatt sagt, seine 15jährigen Erfahrungen in den 
indischen Gefängnissen hätten ihm die volle Ueb er zeugung 
gegeben, dass die industrielle Arbeit in den Gefängnissen 
vorzuziehen sei. Er kenne keinerlei gute Erfolge von der 
Anwendung der Tretmühle. Alle derartigen Systeme bräch¬ 
ten Unheil und Ungerechtigkeit hervor und seien dem Grund¬ 
sätze der Humanität entgegen. Während der 15 Jahre sei¬ 
nes Gefangnissdienstes habe er mit der Arbeit der Gefange¬ 
nen 500,000 Pfund verdient. (Hört.) 

Der Präsident bemerkt Namens des österreichischen 
Delegirten Dr. Frey , dass die industrielle Beschäftigung in 
den österreichischen Gefängnissen die Regel sei. 

Er bemerkt weiter, dass noch 4 andere Gegenstände im 
Programm enthalten seien, und dass es daher nothwendig 
sei, diese Frage zu verlassen. Einige Herren meinten zwar, 
dass man die anderen Fragen im Hinblick auf die Wichtig¬ 
keit des Gegenstands vertagen solle, doch wurde dieser Vor¬ 
schlag nicht angenommen. 

M. Loyson (Frankreich) berichtet sodann über die 
Frage: 

„Wie weit soll die Competenz der Auf- 
sichtsräthe zur Controle der Gefängnissver- 
waltungen gehen?“ 

Er bemerkt, dass in Frankreich die Aufsichtsräthe das 
Recht zur Beaufsichtigung und Berichterstattung an die Re¬ 
gierung , dagegen keine Befugniss hätten, sich in die Aus¬ 
übung der Disciplinargewalt zu mischen. Die Mitglieder wür¬ 
den vom Minister ernannt und ihre Wirksamkeit sei ersprieslich. 

M. Vaucher-Cremieux schildert * die Verfassung 
der Verwaltungsräthe in der Schweiz, die der in Frankreich 
ziemlich gleich ist. 

M. Beltrani-Scalia (Italien) führt die Frage ein: 

„Soll eine internationale Gefängnisssta- 



135 


tistik eingeführt und bejahendenfalls, auf 
welche Art kann dieser Zweok erreicht wer¬ 
den?““ 

Er spricht sich für die Einführung der internationalen 
Statistik aus, bemerkt, dass schon viele ausgezeichnete Män¬ 
ner und frühere Congresse sich dafür erklärt, und schlägt 
zum Zweck der Durchführung die Ernennung einer eigenen 
Commission vor. Ferner drückte er den Wunsch aus, es 
möchten die übrigen Länder Europa’s dem Beispiel folgen, 
welches Italien gegeben hatte, nämlich die Gefängnissstatis- 
tiken mit officieller französischer Uebersetzung (neben, resp. 
unter dem Text) zu veröffentlichen, wie der im Haag ver¬ 
sammelt gewesene statistische Congress beschlossen hatte. 

Die Redner, die hierauf sprachen, unterstützten blcs 
das von Herrn Beltrani-Scalia Gesagte durch Hinweisung auf 
die Wichtigkeit einer vergleichenden Prüfung der statistischen 
Nachweise für die Gefängnisskunde und das Studium der 
Systeme, wenn dieselben unter dem nämlichen Gesichtspunkte 
und in gleichförmiger Weise zusammengestellt würden.^ 

M. Leon Levi schlägt vor, dass der Gegenstand an 
einen Ausschuss verwiesen werden solle, der an den Congress 
Bericht erstatte, und das Ergebniss solle dann der interna¬ 
tionalen statistischen Versammlung, die nächstens in St. Pe¬ 
tersburg tage, mitgetheilt werden. 

Miss Carpenter leitet die Frage ein: 

„Welches ist die wirksamste B eh andlungs- 
weise zur Besserung jugendlicher.Gefange- 
nen?“ 

Dieselbe bemerkt, dass sie über diesen Gegenstand 
einen Vortrag verfasst^ den eie aber nicht mitgebracht, weil 
sie dachte, dass die Frage zu dieser späten Stunde nicht 
mehr eingehend discutirt werden könne. Sie wolle den Vortrag 
auf die Versammlung im Local der Gesellschaft der Künste näch¬ 
sten Donnerstag zurücklegen und bei der jetzigen Gelegen¬ 
heit einen kurzen Auszug daraus geben. Sie erstattete dem¬ 
gemäss einen kurzen Bericht über die Arbeit, die sie in die¬ 
ser Sache verrichtet, über die jugendlichen Besserungsschulen, 



136 


die sie gut kennt, besonders zur Belehrung der auswärtigen 
Herren und Damen und erkennt dankbar an, dass die Ge¬ 
setzgebung in den letzten Jahren die Sache erheblich geför¬ 
dert habe. Sie wünscht die Ausbreitung dieser Anstalten. 
(Sie erntete grossen Beifall von der "Versammlung.) 

Mr. J. A. Foote(Ohio) sagte, ganz dieselben Familien- 
b^sserungsschulen, wie sie von Miss Carpenter geschildert 
wurden, seien auch in Amerika und dieselben hätten ganz 
bewunderungswürdige Erfolge. 

M. Yaucher-Cremieux vertheidigt das Princip der 
jugendlichen Besserungsanstalten, womit man das Uebel an 
der Wurzel anfasse. In Mettray (Belgien) würden staunens- 
werthe Resultate erzielt. 

M. A. D. Hendrickson (Wisconsin) bemerkt, dass 
auch in Amerika das System der jugendlichen Besserungs¬ 
anstalten gut wirke. 

In ähnlichem Sinn sprechen sich auch noch M. Bour- 
nat (Frankreich) und Marshall (Middlesex) aus. 

M. Hastings führt die letzte Frage ein: 

„Ist es zweckmässig, die Leitung des Ge- 

fä ngnisswesenseinerCe nt ralbehörde zuübe r- 

tragen?“ 

Er glaubt, dass es zur Zeit im Hinblick auf die poli¬ 
tische Verfassung nicht thunlich sei, in England eine solche 
Centralbehörde einzusetzen. Yielmehr solle die bisherige Lei¬ 
tung je nach Grafschaften beibehalten werden, und es wäre 
ihm von Interesse, die Ansichten einiger auswärtigen Delegir- 
ten hierüber zu hören. 

M. Ploos van Amstel erklärt, die Leitung des Ge- 
fängnisswesens befinde sich in Holland in den Händen des 
Justizministers, dieses System habe aber etwelche Inconve- 
nienzen im Gefolge. 

M. Stevens bemerkt, dass in Belgien die gleichför¬ 
mige Leitung des Gefängnisswesens unter einer Centralbe¬ 
hörde Princip sei. 

Dr. Guillaume sagt, in der Schweiz sei die oberste 
Leitung in den einzelnen Cantonen verschieden, aber er glaube, 



137 


die Stimmen neigten sich mehr auf die Seite einer Central* 
leitung. 

M. Baker (Gloucestershire) meint, man dürfe nicht das 
System der einheitlichen Leitung zu weit treiben. 

(Schluss der Sitzung.) 


Sitzung der 3. Section vom 9. Juli 1872. 

Präsident: Hon. Dan. Haines. (New.-Yersey.) 

Ehe man in die Tagesordnung eintrat, brachte Dr. Wi- 
nes Namens der americanischen Delegation und in Gemäss - 
heit eines Beschlusses des Executiv-Comitees 25 Thesen ein, 
welche er vorlas zu dem Zwecke, dass derCongress hierüber 
seine Meinung äussere und einen Beschluss fasse. Er be¬ 
merkte, dass solche zunächst noch gedruckt und an die Mit¬ 
glieder vertheilt werden; eine Berathung und Beschlussfassung 
darüber aber zunächst im Executivcomitee stattfinden werde. 

Die Tagesordnung wurde dann durch M. Murray 
Browne aufgenommen, welcher die Frage erörterte: 

„Welches ist die beste Art, entlasseneGe- 

fangene zu unterstützen?“ 

Er sprach sehr zu Gunsten der Arbeit an den Entlas¬ 
senen von Seiten der Hilfsgesellschaften, Zufluchtsstätten und 
Besserungsanstalten für Frauen, und legte dar, dass dies die 
Mittel seien, um Diejenigen in die Reihen der Arbeiter zu 
bringen, welche andern Falls die Reihen der Verbrecher 
füllen würden. Er that dar, dass es in England 34 Hilfsgesell¬ 
schaften für Gefangene gebe, und dass die Zahl der entlas¬ 
senen Gefangenen, die jährlich unterstützt würden, sich auf 
etwa 5,500 beliefen. Diese Gesellschaften trügen alle einen 
freiwilligen Charakter, aber sie seien vom Staate anerkannt 
und erhielten Unterstützung aus öffentlichen Fonds. Kna¬ 
ben, welche das Gefängniss verliessen, würden zur See ge¬ 
schickt , oder Beschäftigung würde für sie in der Nähe ihrer 
Heimath gesucht. Auswanderung als Hilfsmittel für Gefan- 

Blltter für Gefkngnlsa künde VU. 10 



gene würde von deü Gesellschaften, der Unkosten wegen, 
nicht durchgeführt. In Ansehung der weiblichen Gefangenen 
hält er dafür, dass Bolche in der ersten Zeit nach der Ent¬ 
lassung in Zufluchtsstätten untergebracht werden sollen. Der 
Sprecher führte weiter aus , dass es genug Arbeit für zuver¬ 
lässige Personen gebe, und was die Zukunft der Gefangenen 
betreffe , so sei dieselbe, wenn der Gefangene wirklich ge¬ 
bessert sei, im Allgemeinen nicht zweifelhaft. 

Die Discussion, welche folgte, nahm eine grosse Aus¬ 
dehnung an und einer der Sprecher brächte BOgar die Mäs- 
sigkeitsfrage auf’s Tapet und hielt dafür, dass, da Trinken 
in manchen Fällen zum Yerbrechen führe, die Regierung 
Häuser schliessen sollte, welche Versuchung zum Yerbrechen 
geben. 

Mr. A. M. Powel ist der Ansicht, es sei vor Allem 
nöthig, für den Gefangenen nach der Entlassung thätige Mit¬ 
helfer zu haben, wenn die Entlassenen nicht wieder rück¬ 
fällig werden sollen. 

M. D’Alinge (Sachsen) beschrieb die Gesellschaften, 
welche von König Johann in seinem Yaterlande begründet 
worden seien, an welchen Herren und Damen arbeiteten, die 
viel Gutes wirkten. 

M. R o b i n (Frankreich) drückt dem Congress die Sym¬ 
pathien der z. Z. in Paris tagenden französischen protestanti¬ 
schen Synode aus. Er befürwortete als bestes Mittel, entlas¬ 
senen Gefangenen zu helfen, moralische Belehrung und Er¬ 
ziehung «ur Arbeit während ihres Aufenthaltes im Gefängniss. 

Dr. Guillaume .spricht eine ähnliche Ansicht aus. 

M. Bayne Ranken, der Sekretär der Londoner 
Hilfsgesellschaft für Gefangene sagt, diese Gesellschaft habe 
seit ihrer Gründung 1857 7111 Personen unterstützt, darunter 
6528 tnännlichen und 523 weiblichen Geschlechts. (Hört!) 
Man habe über die unterstützten Personen, speciell auch die 
weiblichen, gute Nachrichten erhalten. Das gute Verhalten 
derselben sei von Captain Du Cane anerkannt worden. 

Mr. Stevens (Belgien) führte die nächste Frage ein: 



— 13Ö — 

„Welches sind die geeignetstenMittel zur 
Rehabilitation entlassener Sträfli.nge?“ 

Er sagte, dies hätte auf zweierlei Art zu geschehen 
— durch moralische und gesetzliche Mittel. Moralisch, indem 
dem Gefangenen im Gefängniss die Wohlthat der Belehrung 
in seiner Religion zu Theil würde. Er legte dar, dass in Bel¬ 
gien, obgleich ein römisch-katholisches Land, die Gefangenen 
religiöse Unterweisung jeder in seinem eigenen Glauben er¬ 
hielten. Dies hielt der Sprecher für ein Recht des Gefange¬ 
nen, ein Recht, von welchem er in England ausgeschlossen 
sei. Weiter bemerkt Sprecher, ein Mann, der bei seiner 
Entlassung polizeilicher Aufsicht unterstellt werde, befinde 
sich damit unter einer Entehrung, die wenig besser sei, als 
die Gefangenhaltung selbst. Auch verlangt er Trennung des 
Aufsichtspersonals nach dem Geschlechte, während männliche 
Aufsichtspersonen die Männer beaufsichtigen, sollen die Wei¬ 
ber durch weibliche beaufsichtigt werden. 

M. G. W. Hastings sagte dann, dass nach den ersten 
Bemerkungen des Herrn Stevens es den Anschein haben könne, 
als ob unter den Besuchern vom Ausland die Meinung 
herrsche, dass England den unglücklichen Sträflingen in un- 
sern Gefängnissen nicht den ganzen Yortheil religiöser Be¬ 
lehrung durch Geistliche ihrer Confession zu Theil werden 
Hesse. Dies sei keineswegs der Fall, denn Diener der Reli¬ 
gion hätten Zutritt zu den Gefangenen und es stehe sogar 
den Magistraten der Grafschaften frei, römisch-katholische 
Hausgeistliche zu den andern Hausgeistlichen anzustellen und 
zu bezahlen, und dies sei auch von manchen Magistratsge¬ 
richten gescheiten. Keinen Falls jedoch könne ein Gefange¬ 
ner genöthigt werden, von andern Geistlichen, als seinem 
eigenen pastorirt zu werden. 

Sir J. Pakington M. P. bemerkt, dass bisher das 
englische Gesetz die Erlaubniss zur Anstellung römisch-ka¬ 
tholischer Hausgeistlichen in den Gofangnissen gegeben gewe¬ 
sen sei, dass aber jetzt dem Parlament ein Gesetzentwurf 
vorliege, nach welchem diese Anstellung obligatorisch werde. 
Das Gesetz sei bereits im Hause der Lords durchgegangen 

10 * 



140 


und wenn es in das Haus der Gemeinen komme, werde er 
es unterstützen. (Cheers.) 

Sir Crofton C. B. nahm die Frage der Polizeiaufsicht 
(daHm. Stev ens Ausdruck der allgemeinen Bezeichnung „sur- 
veillance“ mit „supervision“ übersetzt worden war) wieder auf 
und sagte, er habe in Irland seit dem Jahre 1856 Erfahrungen 
über polizeiliche Aufsicht gemacht, und es Beien ihm nie 
schlimme Ergebnisse vorgekommen; in England sei dann das 
System im Jahr 1864 angenommen und seitdem mit dem 
gleichen Erfolg durchgeführt worden. Nicht nur lägen keine 
schlimme Resultate vor, sondern die Polizeiaufsicht hätte 
wirklich die Entlassenen unterstützt, und hätte sie keineswegs 
von Erlangung ehrlicher Arbeit abgehalten. Die Erfolge des 
Systems, welches verlange, dass der beurlaubte Verbrecher 
sich monatlich stelle, seien sehr wohlthätig gewesen, sowohl 
was die Verbrecher, als auch was den Staat betreffe. 

M. Stevens erklärte, dass er unter „surveillance“ das 
System, welches auf dem Continent beobachtet werde, ge¬ 
meint habe , ein System , welches von dem englischen sdhr 
verschieden sei; Letzterem stimme er bei, und er glaube, 
dass das englische System für die Verbrecher und die Gesell¬ 
schaft eine Wohlthat gewesen sei (cheers), aber das andere 
System hätte ganz anders gewirkt, und wirke jetzt noch 
so. 

Miss Howe erinnerte die Versammlung an Emerson’s 
Worte über sein todtesKind: „Vielleicht fehlte die Welt und 
nicht das Kind,“ — sagte, dass wo der Verbrecher in seiner 
verbrecherischen Laufbahn beharre, ernstlich zu verinuthen 
sei, dass nicht der Verbrecher, sondern die Gesellschaft 
Schuld sei. Sie sähe nie einen Gefangenen^agen , ohne die 
Insassen den weissen Halsbinden zu vergleichen, welche 
des Stutzers Brummei Kammerdiener, der dieselben aus 
seines Herrn Ankleidezimmer trug, als „unsre Mängel“ be¬ 
zeichnte; denn sie betrachte Gefangene als die „Fehler“ 
der Wolt und die Beweise des Mangels socialer Gerechtig¬ 
keit. In Betreff ihres eigenen Geschlechts protestirte sie 
energisch, dass der Ausdruck: „gefallene Frauen“ auf irgend 
eine Klasse des weiblichen Geschlechts angewendet werde; 



141 


denn, sagte sie, man müsse sich erinnern, dass jedes weib¬ 
liche Wesen, welches „gefallen“ sei, ein anderes Wesen re- 
präsentire, welches ebensowohl die menschliche Verachtung 
verdiene. 

Nachdem noch Andere, insbesondere Baron Mackay, 
Mr. Baker und Pr. Wines gesprochen batten, sprach Sir 
John Pakington noch über die Gefängnissgeistlichen-Bill, 
und sagte, er würde es als Engländer als eine ernste Be¬ 
schuldigung ansehen, dass irgend ein System in diesem Lande 
sich weigere, Christenthum und Beligion den unglücklichen 
Gefangenen auf andere Weise lehren zu lassen, als durch 
die Staatskirche. Er erklärte, dass diese Ansicht eine ganz 
irrthümliche sei, und dass sogar Magistrate römisch-katho¬ 
lische Hausgeistliche bezahlen könnten. 

Hiemit war die Frage erledigt. 

M. Edwin Hill hielt einen Vortrag über die Frage: 

„Welches sind die besten Mittel, Um Ka¬ 
pitalisten unter' den Verbrechern zu unter¬ 
drücken?“ (mit andern Worten: „Käufer gestoh¬ 
len er Gegenstände.“) 

Er glaubt, dass die öffentliche Meinung fehle,: da sie 
noch nicht die ausserordentlich wichtige Wahrheit erfasst 
habe, dass das Verbrechen nach grossem Maassstab ein Ge¬ 
werbe sei, noth wendiger weise so organisirt,. dass Arbeit und 
Kapital ihren respectiven Antbeil. daran hätten, gerade wie 
bei andern Gewerben auch; indem unsere unmittelbare; feind¬ 
liche Berührung mit wirklichen Räubern uns der Thataache 
gegenüber blind gemacht habe: dass ohne die Unterstützung, 
welche gewissen „Criminal-Kapitaiisten“ im Hintergrund ge¬ 
wahrt werde:, es diesen Räubern unmöglich sein würde, in 
ihrer verbrecherischen Praxis fortzufahrem Was diese Ka¬ 
pitalisten betreffe, so bedürften sie Häuser, um darin zu 
wohnen, Diebshäuser, um sich darin zu versammeln, sie hät¬ 
ten sieh nach Mitteln umzusehen, um ihren Raub umzuwech¬ 
seln, sowie auch nach solchen, sich Einbruchs- und: andere 
derartige Werkzeuge, welche sie zur Ausübung des Verbre¬ 
chens bedürften , zu verschaffen. Sodann könnte eine räu- 



142 


berische Klasse sich nie an einem Orte niedergelassen Haben, 
wo die Hilfe des Kapitals ihr standhaft verweigert worden 
wäre, und an Orten, wo bis jetzt diese Hilfe des Kapitals 
nicht entzogen wurde, müsste die gänzliche Zurückziehung 
desselben die Klasse gänzlich desorganisireu, deren eilige 
Auflösung nothwendig dann folgen müsste. Er machte zwei 
Uebel namhaft, welche unter andern in einem solchen Fall 
glücklicher Weise beseitigt würden , die Erziehung von Kin¬ 
dern , welche so von Yerbrechen umgeben, praktisch keine 
Hoffnung der Rettung böten, und das Yerderben, in welches 
die Kinder ehrlicher Leute auf der Strasse durch schlechte 
Gesellschaft kämen und durch die Yerlockungen zum Stehlen, 
welche sich durch gewissenlose Käufer kleiner Diebereien 
darböten. Er sagte: man könnte dem entgegensetzen, dass 
das Yerbrechen ebenso wirksam ausgerottet würde, indem 
man die ausübenden Verbrecher abfasse und sicher verwahre, 
als indem man die „Criminal-Kapitalisten“ gänzlich aus dem 
Feld schlage. Die Gesellschaft habe diesen Plan versucht 
und habe weder Mühe noch Ausgaben gescheut, allein der 
gänzliche Mangel an Frfolg sollte sie bewegen, den andern 
Plan, nämlich die Zurückziehung des unterstützenden Kapi¬ 
tals zu versuchen, da die Eigenthümer wenige, und dem An¬ 
griff zugänglicher seien, als die Ausüber, deren die Ge¬ 
sellschaft trotz langer, vielfacher Versuche nicht los werden 
könne. Zu diesem 'Zweck wurde für die Gesetzgebung vor¬ 
geschlagen T -alle diejenigen, welche Gewalt über Hauseigen¬ 
thum hätten, davor zurückzuschrecken, dass es durch unge¬ 
setzliche Klassen unsicher gemacht würde; den Markt ge¬ 
stohlener Gegenstände zu unterdrücken, und damit das leicht 
zu machen, was bisher beinahe unmöglich gewesen, die Ueber- 
führung der Händler mit gestohlenem Eigenthum, und allge¬ 
mein diejenigen um Geld zu strafen, von denen man ausfin¬ 
dig machen würde, dass sie Kapital zur Unterstützung von 
Verbrechern verwendeten, und den Betrag für die schweren 
Unkosten, welche die Unterdrückung des Verbrechens mit 
sich bringe, zu benützen. 

M. Serjeant Cox bezog sich auf das Gesetz, welches 
zur Unterdrückung des Verkaufs kleiner Quantitäten von 



143 


Metall angenommen worden war und bezeugte, dass Haube* 
reien an Blei etc. in leerstehenden Häusern im Yerhältniss 
von 98 zu 64 abgenommen hätten, seit dieses Gesetz in An¬ 
wendung sei. Er hielt noch ein weiteres Verbot für nöthig, 
nämlich das, von* Kindern gar nichts zu erhandeln, und er 
theilte unter cheers mit, dass seine unwandelbare Praxis als 
Richter sei, dem Empfänger (Hehler) die doppelte Strafe auf¬ 
zuerlegen, als dem Dieb, — eine Thatsache, sagte er, welche 
wohl bekannt sei, denn jede List würde versucht, um Hehler 
aus seinem Gerichtshof fern zu halten. 

Colonel Ratcliffe zweifelt an der Wirksamkeit des 
von M. Hill vorgeschlagenen Verfahrens. 

Mr. Chandler sprach noch und nachher hielt M. As- 
pinal eine Rede, worin er alle diejenigen anklagte, welche 
aus der Lasterhaftigkeit und dem Verbrechen ihrer Mitmen¬ 
schen Vortheil ziehen, als viel schlimmer als die Lasterhaf¬ 
ten und Verbrecher selbst. Derselbe bemerkt, die Erwerber 
gestohlenen Eigenthums seien schlecht genug, und er wolle 
nichts zu ihren Gunsten anführen; aber sie seien unschuldig 
im Vergleich mit jenen niederträchtigen Leuten, die mit Leib 
und Seele ihrer Mitschwestern Handel treiben und deren 
Häuser von dem vornehmsten Theil der Gesellschaft besucht 
werden. (Hört.) 

Hiemit wurde der Gegenstand verlassen. 


Sitzung der 1. Section am 9. Juli 1372. 

Präsident: D. Haines. 

- M. Pols führte die Frage ein: 

„Sollen alle Strafsysteme alle Arte n kör¬ 
perlicher Züchtigung ausschli essen?“ 

Er bemerkt, dass man in Holland viele und rohe Ver¬ 
brecher habe und trotzdem ohne barbarische und körperliche 
Strafen durchkomme, vielmehr sei seit der Nichtanwendung 
der Prügelstrafe die Disciplin und das Yerhältniss zwischen 



144 


Beamten und Gefangenen besser, die Gesellschaft selbst also 
sicherer geworden. 

Sir "Walter Crofton stellt in Abrede, dass man 
in England ganz allgemein der körperlichen Züchtigung das 
Wort rede. Man wünsche nur das Recht zu deren Anwen¬ 
dung beizubehalten, aber keinen Anlass zum Vollzug dersel¬ 
ben zu bekommen. Er sagt, in den 2 Jahren, während er 
selbst ein Gefängniss geleitet, habe er von der Prügelstrafe 
keinen Gebrauch gemacht, war es da nicht die Kenntniss 
davon, dass er das Recht zu deren Anwendung besitze, 
welche es vermieden hat, dass man davon Gebrauch mache? 
Die Gefängnissvorstände hätten nur dann das Recht zur An¬ 
wendung der körperlichen Züchtigung, wenn sie richterlich 
erkannt sei. Es sei äusserst selten, dass man in England die 
Prügelstrafe anwende, und dann stets nur im äussereten Fall. 

General Pilsbury sagte, dass er während 25 Jahren 
nicht in die Nothwendigkeit versetzt worden sei, diese Er¬ 
mächtigung , obgleich er sie besessen habe, in Anwendung 
zu bringen. Er sei kein Freund dieser Strafe, aber die 
Kenntniss von der Möglichkeit ihrer Anwendung habe vor 
dem Verbrechen abgeschreckt. 

Nachdem noch M. Aspinal wieder für die Ausdehnung 
der Prügelstrafe gesprochen, widerlegt Dr. Marquardsen 
im Namen der continentalen Strafrechtswissenschaft und Ge- 
fängnisspraxis dieses Argument ohne Beweis. Er frage, wo¬ 
her denn Herr Crofton es wisse, dass er die Prügelstrafe 
brauche, wenn er sie nicht anwende, und womit er beweisen 
will, dass der Zustand, wie er jetzt ist, nicht auch ohne jene 
gesetzliche Drohung der Prügelstrafe zu erhalten sei. Diesen 
blosen Behauptungen der englischen Praktiker stehe die con- 
tinentale Erfahrung gegenüber, dass mit der Aufhebung der 
körperlichen Züchtigung der Disciplinarzustand nicht blos 
nicht schlechter, sondern besser geworden sei. Hier liege 
ein wahrer Beweis vor, dass man die Prügelstrafe nicht 
brauche , und wenn sie unnöthig sei, sei sie drei Mal ver¬ 
werflich. Die neu erwachte Vorliebe der Engländer für die 
Peitsche hänge mit dem panischen Schrecken zusammen, 
welcher vor 6 — 8 Jahren in Folge zahlreicher Garotte-An- 



145 


fälle in den besseren Quartieren Londons über sie gekom¬ 
men sei. Damals habe man nach dem Ersten Besten als 
Strafmittel gegriffen und die Peitsche genommen. Es sei 
aber gar nicht erwiesen, dass dieses brutale Strafmittel dem 
Garottiren ein Ende gemacht, sondern eher die gleichzeitig 
gesteigerte Vigilanz der Polizei und des Publikums selber. 
Ausserdem sei es notorisch, dass gewisse Verbrechensformen 
periodisch auftauchen und wieder verschwinden. Ohne jenen 
Zwischenfall würde die Abneigung gegen die brutale und 
brutalisirende Strafart in England kaum minder stark sein ? 
als auf dem Continent und in Amerika. An der Hand der 
Erfahrungen aus diesen Ländern, glaube er seinen Satz be¬ 
wiesen zu haben, während Sir Walter_Crofton und seine 
Meinungsgenossen nur Behauptungen gegenüberstellen. 

Nachdem noch Sir Walter Crofton einige vermit¬ 
telnde Aeusserungen gemacht und M. Chandler aus Nord- 
Amerika die deutsche Auffassung bestätigt, schloss die De¬ 
batte über diesen Gegenstand. 

Als Referent über die nächste Frage: 

„Was sollte das Maximum derGefängniss- 
strafe auf Zeit (im Unterschied von der le¬ 
benslänglichen) sein, sowohl bei der Zellen¬ 
haft als in anderer Form?“ 
sprach Dr. Marquardsen. Nach ihm eigne sich der Ge¬ 
genstand als vorwiegend praktischer und von Momenten per¬ 
sönlicher und lokaler Natur bestimmt, weniger für eine all¬ 
gemeine Discussion hier, wo es darauf ankomme, breite Prin- 
cipien zu documentiren oder thatsächliche Mittheilungen aus¬ 
zutauschen. Doch glaube er zwei Prineipien aufstellen zu 
können, welche die Frage zu beherrschen haben. Er gehe 
davon aus, dass die lebenslängliche Gefängnisstrafe factisch 
oder gesetzlich an die Stelle der Capitalstrafe getreten und 
für die ausserordentlichen , schwersten Straffälle als ausser¬ 
ordentliche Strafe zu behandeln sei. Danach müsse das 
höchste Maass zeitlicher Freiheitsstrafe ein verhältnissmässig 
begrenztes sein, und er glaube, dass die Gesetzgebungen an¬ 
nähernd das Rechte getroffen, welche 15 Jahre, entsprechend 



146 


abkürzbar durch Wohlvcrhalten, als Maximum aufstellen. 
Als zweites Princip betonte er, dass dem Unterschied der 
Gefängnissstrafarten in der Schwere ebenso ein Unterschied 
im Maximum entspreche, so dass stets die härtere Strafart 
noch ein höheres, die gelindere ein geringeres Maximum habe. 
Der Redner besprach dann das Maximum der Zellenhaft in 
Deutschland und die Erfahrungen in Baden, wo man nur in 
Folge des Reichs-Strafgesetzbuches von 6 auf 3 Jahren Ma¬ 
ximum zurückgekommen sei. Ueber eine bedenkliche Eigen¬ 
tümlichkeit der jetzigen englischen Gesetzgebung, ein zu 
geringes Maximum bei der einfachen Gefängnisstrafe und 
ein zu hohes Minimum bei der Strafart, welche unserem 
Zuchthaus entspricht, Penal-Servitude (nicht unter 5 Jahren) 
kam es noch zu einem Meinungsaustausch zwischen Sir 
Walter Crofton, Hm. Baker und Dr. Marquardsen. 
An der Discussion nahmen weiter -Theil Dr. Frey und Ba¬ 
ron Mackay. Dabei wurden die einschlägigen Gesetzesbe¬ 
stimmungen über Dauer der zeitlichen Gefängnisstrafen in 
Einzelhaft und anderer Haftart mitgetheilt. 

Graf F o r e s t a führt die Frage ein: 

„Wie soll die Behandlung der Gefangenen 

vor der Yerurtheilung beschaffen seinP“ 

Er wies darauf hin, dass die Meinungen derzeit zu 
Gunsten des Systems der strengen Einzelhaft die vorherr¬ 
schenden sind, vermöge dessen man die Gefangenen während 
dpr ganzen Untersuchung bis zur Freisprechung oder rechts¬ 
kräftigen Verurtheilung getrennt und in Zellen halte; er deu¬ 
tete auf das in Italien über diesen Punkt gegebene Gesetz; 
erklärte sich aber für seine Person als einen entschiedenen Geg¬ 
ner der strengen-Einzelhaft in jedem Stadium der Gefangen¬ 
schaft und sprach von den nachtheiligen Wirkungen der 
Einzelhaft bezüglich der Gesundheit. Er wünscht im Allge¬ 
meinen , dass von Untersuchungshaft soviel als möglich Um¬ 
gang genommen und dafür ein System persönlicher Sicher¬ 
heitsleistung eingeführt werde. 

M, Stevens, M. H. Pownall und M. Taucher- 



147 


Cremieux nahmen an der Discussion über die Frage Theil 
und sodann wurde die Sitzung geschlossen. 

Unerledigt blieben die Fragen: 

1. Sollen die Strafsysteme jede entehrende Strafe oder 
den dauernden Verlust der bürgerlichen oder politi¬ 
schen Rechte ausschliessen ? Soll nicht vielmehr der 
Verlust dieser Rechte a) speciell sein, d. h. sich 
lediglich auf die durch das Gesetz besonders be- 
zeichneten Rechte beziehen? b) nur die Folge ge¬ 
wisser Verbrechen oder Vergehen, nicht gewisser 
Strafarten sein? 

2. Ist es zur Verhütung und Unterdrückung der Ver¬ 
brechen nöthig, dass zwischen civilisirten Staaten 
Auslieferungsverträge abgeschlossen werden? 


SitziiDg der Generalversammlung am 10. Juli 1872. 

Präsident: Baron Mackay. 

In dieser Sitzung wurden die Berichte über die Ver¬ 
handlungen der 8 Sectionen an den beiden vorhergehenden 
Tagen erstattet, und gemäss dem früheren Beschlüsse keine 
Discussion mehr eröffnet. 

Auf den Versuch, das Thema der körperlichen Züchti¬ 
gung abermals zu besprechen, um den derselben günstigen 
Anschauungen Ausdruck zu geben, bemerkte der Präsident, 
dass die Freunde der Prügelstrafe dies in England unter 
sich ausmachen möchten, die übrige Welt sei in der Sache 
einig. 

Der Secretär gab davon Kenntniss, dass die beiden 
folgenden Tage in 3 Abtheilungen verhandelt werde. Die 
französisch sprechende Section werde in dem Local der Ge¬ 
sellschaft der Social-Wissenschaften (Adelphi), die 2. in dem 
der Gesellschaft der Künste (Johnstreet Adelphi) und die 

3. in der Lesehalle der juristischen Gesellschaft (Chancery- 
Lane) diese über Besserungs- und Industrieschulen und die 



148 


Aufgabe der Frauen bei dem Besserungswerke berathen. 
In der Middle Temple Hall finde keine Versammlung statt* 
Hiemit schloss die Sitzung. 

(Ueber die vorhergegangenen Verhandlungen betreffs 
der jugendlichen Verbrecher wird besonders berichtet.) 


Sitzung der französisch redenden Seetion am 
11. und 12. Juli 1872. 

Präsident : M. Loyson. 

Der Präsident bemerkte , indem er die Sitzung er- 
öffnete, dass man in dieser Versammlung vorzugsweise die 
eingeführten 2 Hauptsysteme, das in Belgien eingeführte 
Einzelhaft- und das in Irland eingeführte Progressiv-System 
erörtern wolle. Zur Notiz im Hinblick auf das Gcfängniss 
in Blakstone bemerkt er, dass Besserung nicht durch mecha¬ 
nische Mittel bewirkt werden könne, und sagte weiter, dass 
anderseits auch die hier einschlägigen Fragen nicht in einem 
hyper-philantropischen, die Wichtigkeit der Besserung über¬ 
treibenden, theoretisirenden Geiste behandelt werden solle, son¬ 
dern in Ueberein8timmung mit den praktischen Ansichten der 
Männer, die in Gefängnissen und mit Gefangenen gelebt. 

Hierauf trug S- Walter Crofton eine klare und 
erschöpfende Beschreibung des irischen Systems vor, in dem 
das alte Gemeinschaftssystem mit dem strengen Einzelhaft¬ 
system verbunden ist. Er gab einen historischen Ueberblick 
über die gesetzliche Entstehung des irischen und englischen 
Systems und schilderte die verschiedenen Stadien dieser Sy¬ 
steme mit Angabe der Gefangenenzahl, die bisher darnach 
behandelt wurde, ebenso die Statistik der Erfolge, ganz be¬ 
sonders auch nach der Entlassung, und hob die gute Wir¬ 
kung der öffentlichen Arbeit, die ein Hauptcriterium des Sy¬ 
stems sei, hervor. Auf verschiedene Anfragen der Delegirten 
aller Länder gab er Auskunft, theilte mit, dass, ungerechnet 
die Ausgewanderten, von allen Entlassenen durchschnittlich 



11 Procent rückfällig geworden (bei Gefangenen von minde¬ 
stens 5 Jahren Strafzeit!). , 

Nachmittags schilderte Captain Du Ca ne, der eng- 
ische Generalgefängnissinspector (Präsident der Directoren) 
ausführlich das englische System. 

Beide Redner ernteten den herzlichen Dank der Ver¬ 
sammlung. 

Graf Sollohub theilte eine Denkschrift über die Re¬ 
form mit, die er in den russischen Gefängnissen durchgeführt 
zu wissen wünscht und bemerkt, er hoffe, dass die Versamm¬ 
lung ihm offen ihre Ansicht darüber mittheilen werde. 

Graf Foresta wünscht, dass Graf Sollohub Mittheilung 
über die Gefängnisszustände in Russland, besonders auch 
über die Deportation nach Sibirien mache, und seine Ansicht 
darüber ausspreche. 

Graf Sollohub theilte mit, es sei in Russland zur 
Organisation des Gefängnisswesens eine Commission ernannt, 
deren Präsident er sei, und diese Commission habe bereits 
einen Entwurf gemacht. Zu ausführlichen Mittheilungen 
darüber reiche die Zeit nicht mehr. In Russland sei ein 
grosser Metallreichthum vorhanden und wenige Arbeitskräfte, 
und davon hängen die Einrichtungen theilweise ab , indess 
billige er die gegenwärtige Art der Deportation nach Sibi¬ 
rien nicht. 

Es wurde nun noch angekündigt, dass die englische 
Regierung % am nächsten Dienstag für eine Anzahl Mitglieder 
des Congresses, welche die öffentliche Arbeitsanstalt in Cba- 
tan besichtigen wollen, freie Fahrt bewilligt habe. 

Am 12. Juli schilderte M. Stevens das auf dem Prin- 
cip dauernder, strenger Einzelhaft beruhende belgische Ge- 
fängnisssystem. Seine Ausführungen bestanden der Haupt¬ 
sache nach in der Vorlesung der einschlägigen Stellen des 
von ihm verfassten Rapports „Notice sur l’application de 
l’Emprisonnement Cellulaire en Belgique“. 

M. Beltrani-Scalia theilte hierauf mit, dass in 
Italien alle Systeme vertreten seien, er meint aber auch, 
dass jedes Land das System nach seinen Verhältnissen 
einrichten müsse. In Italien sei das System der Zellenhaft 



150 


kaum anwendbar, vielmehr ein Progressivsystem eher vor- 
auziehen. Bei der Einzelhaft sei ohnehin eine absolute 
Trennung auch nicht möglich, da die Gefangenen von Zelle 
zu Zelle doch oorrespondiren könnten und mit oder ohne 
Maske sich doch alle kennen lernten. Der Charakter der 
Gefangenen zeige sich in der Zelle nie in rechtem Lichte, 
der Gefangene wisse sich gegenüber den Bediensteten schon 
zu beschönigen. Auch seien der ZellengefangeneD immerhin 
zu viele, um durch die Bediensteten genau kennen gelernt zu 
werden. Ueberhaupt glaubt Redner, dass weniger durch das 
System, sondern durch tüchtige Aufseher etwas geleistet 
werde; das irische System habe dagegen den grossen Vor¬ 
theil, dass es die Rehabilitation des Gefangenen ermögliche. 

Bezüglich des geschilderten Zustands der belgischen 
Gefängnisse bezieht sich Redner auf Stimmen in der Presse, 
nach denen dort das Einzelsystem den Gefangenen körper¬ 
lich und geistig krank mache. Das Urtlieil des Dr. Wines, 
welches Stevens citirt, verdiene keine Beachtung; derselbe 
habe nur einen kurzen Besuch in Louvain gemacht und sei 
schon desshalb aber auch überhaupt nicht im Stande gewe¬ 
sen, ein richtiges Urtheil zu fällen. — Die Zellengefangenen 
könnten in der Arbeit nicht überwacht werden und schlie¬ 
fen , anstatt zu arbeiten. Die Mortalität sei nicht allein 
nach der Zahl der Gestorbenen, sondern auch nach dem Zu- 
* stand, in dem die Gefangenen die Anstalt verlassen und im 
Vergleich mit der Sterblichkeit der freien Bevölkerung zu 
beurtheilen. 

Auf diese Rede, mit der das Referat des M. Stevens 
sehr stark angegriffen wurde, und während welcher der Prä¬ 
sident wiederholt zur Sache ermahnte, erwiederte: 

M. Stevens, es sei diese Art des Vortrags eine sehr 
eigenthümliche, aussergewohnliche, bei Walter Crofton und 
Du Cane nicht vorgekommene. Er, Stevens, habe das bel¬ 
gische System auseinandergesetzt, wie die früheren Redner 
das irische und englische und dabei bleibe dem Herrn Vor¬ 
redner die Wahl, davon zu halten, was er beliebe, eine der¬ 
artige Critik sei aber nicht passend. Nebenbei seien die 



Oitatc aus der Presse, die Yorredner gebracht, sehr trübe 
Quellen. 

Graf F o r e s t a bemerkt, dass das von Beltrani-Scalia 
Yorgetragene dessen eigene Privatansicht, nicht die der ita¬ 
lienischen Regierung sei. In dem aus verschiedenen Ländern 
zusammengesetzten Königreich Italien könne jetzt schon von 
einem einheitlichen Gefängnisssystem nicht die Rede sein. 
Er sei aber im Hinblick auf den Charakter der Bevölkerung 
auch für das irische System. 

Auf eine gestellte Interpellation antwortet Graf F o r es t a, 
dass allerdings in Toscana die Einzelhaft mit gutem Erfolg 
durchgeführt werde, es seien aber gerade dort die Zustände 
sehr geordnet und die Leute solche von einem ruhigen Cha¬ 
rakter. 

In der Nachmittagssitzung sprach Director Ekert etwa 
Folgendes: 

Die Frage des Systems ist wesentlich bedingt durch die 
Vorfragen, ob wir den Gefangenen beim gesetzlichen Straf¬ 
vollzug lediglich sicher verwahren, oder erziehen, mit welchen 
Mitteln wir Letzteres erreichen, ob wir dabei mit brutaler 
Gewalt verfahren oder nicht, ob wir dabei individualisiren 
oder einen Gefangenen wie den andern behandeln wollen. 
Nach all’ dem, was wir schon in früheren Sitzungen gehört, 
sind diese Fragen für uns Deutsche entschieden. Wir haben 
ein in vielfacher Beziehung mustergiltiges Strafgesetzbuch 
für das Deutsche Reich, und dieses Gesetz kennt keine kör¬ 
perliche Züchtigung, gestattet den Vollzug der Strafe in Ein¬ 
zelhaft, verordnet die bedingte Entlassung und enthält wie 
in vielen andern Punkten insbesondere auch bezüglich der 
Straffolgen und der polizeilichen Aufsicht die humansten Be¬ 
stimmungen. (Redner verliest dieselben.) 

Von Gefängnisssystemen sind in Deutschland Einzelhaft, 
(Preussen, Bayern, Württemberg, Baden) Gemeinschaftshaft 
mit und ohne nächtliche Isolirung (in allen Staaten) und 
ProgressivsyBteme (bes. in Sachsen) in Anwendung, in keinem 
Lande aber ein System ausschliesslich. 

Wenn ich nun meine persönliche Ansicht über das Sy¬ 
stem abgeben soll, so ist sie folgende: 



152 


Während meiner dienstlichen Wirksamkeit habe ich 
nicht nur bezüglich der Einzelhaft, sondern auch bezüglich 
der Gemeinschaftshaft Erfahrungen gesammelt; da theils in 
dem Bruchsaler Zellengefangniss selbst, theils in einer Fi- 
lial-Anstalt dortselbst auch Strafen in Gemeinschaft unter 
meiner Direction vollzogen wurden , freilich nur an wenigen 
Gefangenen. Auch die Erfahrungen in anderen Zellenge- 
fängnissen Deutschlands , besonders in. Berlin und Nürnberg, 
wo die Einzelhaft gleichfalls wie in Bruchsal unter bestän¬ 
diger strenger Trennung vollzogen wird , stimmen mit den 
meinigen überein. Das Gleiche ist der Fall in der nach dem 
System der Einzelhaft eingerichteten Weiberstrafanstalt zu 
Bruchsal und in einigen Gefängnissen Badens, in denen das 
Zellensystem theilweise angewendet wird. 

Ich muss hier anführen, dass nach dem früheren Bad. 
Gesetz die Einzelhaft bis zu 6, nach dem deutschen Reichs- 
strefgesetz bis zu 3 Jahren geht, falls nicht der Gefangene 
länger auf der Zelle bleiben will. Eine Reduction fand 
früher nach Bad. Gesetz derart statt, dass 2 Monate Ein¬ 
zelhaft — 3 Gemeinschaft — diese Reduction ist in dem 
deutschen R.-S.-Gesetz nicht mehr statuirt. 

Um kurz zu sein, darf ich einfach erklären, dass ich ganz 
vollkommen einverstanden bin, mit dem, was in dem Rap¬ 
port des Herrn Stevens S. 8—10 bezüglich der negativen 
und positiven Yortheile der Zellenhaft gesagt ist. Ebenso 
sind bei uns auch die Grundlagen des Strafvollzugs in Ein¬ 
zelhaft dieselben, die der Belgische Rapport S. 12 aufzählt. 
Diese Grundlagen sind aber auch die conditio sine qua non 
für eine erfolgreiche Durchführung des Systems. 

Kurz und bündig, aber vollständig habe ich diese Grund¬ 
sätze in einer kleinen Beschreibung des Bruchsaler Zellen¬ 
gefängnisses, die jetzt in 1500 Exemplaren verbreitet ist, 
niedergelegt. In dieser Beschreibung finden Sie auch (S. 11) 
dass die Grundsätze bezüglich der Beschäftigung so ziemlich 
dieselben sind, wie in Belgien (Rapport S. 15. 16). Es 
würde zu weit führen, wenn ich Ihnen die Zustände Bruch¬ 
sals bezüglich der Gesundheitspflege, der Todesfälle, Seelen- 
störungen, Selbstmorde, Kosten und Rückfälligkeitsverhält- 



153 


nisse genau auseinander setzen wollte. Sie finden solche 
ohnehin in den über Bruchsal veröffentlichten Jahresberichten, 
die ich seit 1863 in den von mir herausgegebenen Blättern 
für Gefängnisskunde abdrucken liess. Ich will nur erwähnen, 
dass die Zahl der Todesfälle durchschnittlich 1,9 Procent 
beträgt, dass wir in den ersten 10 Jahren zu Bruchsal im Gan¬ 
zen 8 Fälle, seit meiner 14jährigen Wirksamkeit dort einen ein¬ 
zigen Selbstmord hatten. Auch die andern Resultate sind 
ähnlich wie in Belgien. Zu berücksichtigen ist indess bei 
allen Zahlenangaben und deren Vergleichung, dass in dieser 
Beziehung sehr verschiedene Berechnungs-Arten Vorkommen 
und daher .häufig grössere Verschiedenheiten zu existiren 
scheinen als wirklich vorhanden sind. 

Gegenüber den mannigfachen Vorurtheilen, die bezüg¬ 
lich der Einzelhaft noch immer bestehen, will ich nur noch 
anführen: 

In Bruchsal waren Gefangene 1373, 12, 11 und 10 Jahre 
in Einzelhaft, nach ihrer Entlassung waren sie körperlich und 
K geistig zu allen Verrichtungen des freien Menschen befähigt, 
und es ist überhaupt pie vorgekommen, dass ein Gefangener 
rückfällig wurde, der eine solche längere Einzelhaftstrafe er¬ 
standen hat. Eine ähnliche Statistik bezüglich der Rückfäl¬ 
ligkeitsverhältnis se, wie sie der belgische Bericht erwähnt' 
ist bei uns noch nicht gefertigt. Gegenwärtig bin ich damit 
beschäftigt, diese Statistik zu bearbeiten. Sie wird derart 
gefertigt, dass man die Resultate auf Grund genauer Nach¬ 
forschungen zusammenstellt, die über jeden Einzelnen frü¬ 
hestens 5 Jahre nach der Entlassung angestellt worden sind. 

Von'den 5100 Gefangenen, die seit 22 Jahren imBruch- 
saler Zellengefängniss waren, haben nach 6, beziehungsweise 
3 Jahren Einzelhaft keine 10 die Gemeinschaftshaft der Zel¬ 
lenhaft vorgezogen, und die wenigen, die dies thaten, wurden 
später auf ihr Verlangen wieder auf die Zelle zurückversetzt/ 
Am 1. Januar d. J. erklärten sämmtliche 42 Gefangene, die 
sich drei Jahre und länger auf der Zelle befanden, dass sie 
auch ferner in Einzelhaft verbleiben wollten; ja auch solche 
verlangten auf die Zelle zurückverbracht zu werden, die da¬ 
zu untauglich waren. Somit bestanden die Gefangenen in, 

Bluter Ar OeAngnlsslraode V1L 11 



— 154 — 

Gemeinschaft fast ausschliesslich aus solchen, die zur Einzel¬ 
haft untauglich waren. 

Ich halte daher als Regel den "Vollzug der Gefängniss- 
strafe in Einzelhaft als den besten, wobei die Anwendung 
der bedingten Entlassung selbstverständlich nicht ausgeschlos¬ 
sen ist. 

(Bezüglich der Rückfälligkeitsziffer bemerkt Redner auf 
Befragen, dass eine Statistik für diejenigen, die entweder, 
wie in Belgien 3, oder wie in Qrossbritänien 5 Jahre Straf¬ 
zeit und mehr hatten, für Bruchsal noch nicht aufgestellt sei, 
dass aber Leute mit 5 Jahren Strafzeit sehr selten rückfällig 
werden.) 

Baron v. Holtzendorff sprach nun und stellte die 
Behauptung auf, dass das irische System in Deutschland nach 
und nach mehr zur Ausbreitung komme, als das Einzelhaft* 
System, und dass man auch iu Freussen sich für das irische 
System entschieden habe. 

D. Varentrapp bestritt dies, wies auf Einzelhaft und 
die vielen Zellengefängnisse hin , die in letzter Zeit allent¬ 
halben gebaut wurden, z. B. in Baden, ^Württemberg, Bayern, 
Freussen, Bremen, Dänemark, Schweden, Norwegen und Eng¬ 
land, und sprach überhaupt in warmen und beredten "Worten 
zu Gunsten der Einzelhaft, indem er dabei einzelne Vortheile 
derselben und Beispiele detailirt vorführte. 

Dass Preussen das irische System einführe, wurde als 
ein Irrthum berichtigt. 

Dr. Guillaume sprach sich für das irische System 
aus. — M. Ploosv. Amstel sagte, dass in Holland das 
Einzelhaftsystem durchgeführt sei. 

Auf Veranlassung des Baron v. Holtzendorff theilte 

M. Almquist, Inspector der Gefängnisse in Schweden, 
mit,, dass sein Collega Bruun in Dänemark, der zu seinem 
Leidwesen durch Krankheit verhindert sei, der Sitzung bei¬ 
zuwohnen , ebenfalls ein Begünstiger des Progressivsystems 
sei und dass dieses System in Schweden viele Vertheidiger 
habe. 

Dr. Frey sprach seine früher schon erwähnte Ueber- 
zeugnng gegen ausschliessliche Einzelhaft und zu Gunsten 



155 


des ^rogtetesivSyttems aus. Et bemerkte, da'sfc Jeih aüch die 
GesetZgebüngs-Praxis in Oesterreich entspreche; wo fes thun- 
lich sei, vollziehe man im Beginn der Strafzeit 6 Mbhäte 
Einzelhaft, uhd der Gefangene habe dann noch 2 Stadien 
Gemeinsamhaft , die letzte unter Vergünstigungen dutchzu- 
machen. Bedingte Entlassung gebe es noch nicht. 

M. Berenger (Frankreich* ein Sohn des bekannten 
Berenger) theilte aus Frankreich mit, dass man dort noch 
nach einem bestimmten System sich umsehe, dass aber auch 
dort in den ersten Stadien theilweise Zellenhaft existire und 
im Allgemeinen die Zustände ungleich und der Reform be¬ 
dürftig seien. 

Nachdem noch ein Vorschlag von General Annenko ff, 
die Sitzung nur zu vertagen, im Hinblick auf den morgigen 
Schluss des Congresses ohne Unterstützung blieb, endigte die 
Sitzung. 


Schlusssitzung des Plenums vom 13. Juli 1872. 

Präsident: Sir John Pa kington. 

Indem der Präsident die Sitzung eröffnete, sprach er 
die Hoffnung aus, die Verhandlungen der heutigen Schluss¬ 
sitzung werden sich derjenigen der andern Tage, die so be¬ 
friedigend gewesen, würdig anreihen. Er müsse zu dem er- 
spriesslichen Verhandeln von Herzen Glück wünschen. Dar¬ 
auf ersuchte er den 

M. Victor Bournat, den Bericht über die Verhand¬ 
lungen der französisch redenden Section vorzutragen. 

Es erhol» sich nun aus der "Versammlung M. Powel * 
(New-York) und schlug vor, der Congress solle heute noch 
nicht schliessen, sondern noch Breitere 2 Tage verhandeln, 
um auch die Todesstrafe und die MäsSigkeitsfrage Zu dis- 
cntiten. 

Obschön vom Präsidenten über das Unpassende dieses 
zur Unzeit vorgebrachten Vorschlags zu Recht gewiesen, er- 

11 * 



156 


hob sioh M. Po well noch zwei mal mit demselben Vor¬ 
schlag, wurde dann auch noch von M. E. H. Coates (Pen- 
sylvanien) unteratützt, bis ihn endlich der Präsident mit eini¬ 
gen humoristischen Bemerkungen zur Ruhe brachte.. •, i, . 

M. Bournat begann seinen Bericht yorzuleeen, der 
sich als eine äusserst vollständige und gediegene Arbeit; er¬ 
wies.- Wegen Mangel an Zeit wurde jedoch die. Vorlesung 
unterbrochen und der vollständige Druck der vorzüglichen 
Arbeit beschlossen. 

Sodann verlas M. G. W. Hastings folgenden Bericht 
des International-Comitees: 

Das International-Comitee beglückwünscht die Mitglie¬ 
der des Congresses zu dem Erfolg, welcher diese erste Be¬ 
mühung begleitet hat, die Repräsentanten der verschiedenen 
Länder der Welt zusammen zu bringen, zu dem Zwecke, 
Belehrungen zu sammeln und Fragen bezüglich des Gefäng- 
nisswesens zu besprechen. Unzweifelhaft wird die nun ab¬ 
schliessende Versammlung für etwaige künftige Congresse 
sehr werthvoll in Betreff von Verbesserungen in der Organi¬ 
sation sein. Das Comitee ist jedoch der Ansicht, dass die 
diesmal erzielten Ergebnisse ‘im'Ganzen höchst'befriedigend 
sind. Dies wird in dauernder Form aus einem Band von 
Verhandlungen erhellen, für deren Veröffentlichung das Co¬ 
mitee Sorge getragen. ' . .! 

Der Dank des Congresses^ kommt hauptsächlich den 
Regierungen derjenigen Staaten zu ^ welche bei demselben 
durch officielle Delegirte vertreten und deren verschiedene 
Gefangnisssysteme in grösstentheils umfangreichen Berichten 
beschrieben wurden, die amtlich zum Gebrauch der Vei*samüi-‘ 
luhg angefertigt w*orden wnren. 

Es sind dies 22 Staaten, deren Namen in alphabetischer 
(engl.) Ordnung folgen: , 

Oestprreich ,, Baden, Bayern, Belgien , Brasilien, Chilij 
Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Holland» 
Italien, Mexico , Norwegen, Preussen , Russland, Sachsen,. 
Spanien,, ßchwednn, die Schweiz, die Türkei, die Vereinigten 
Staaten von Amerika* 



157 


Das Comitee spricht auch der Regierung Ihrer Majestät 
seinen Dank aus für die Erleichterungen, welche den Dele^ 
girten zur Besichtigung der verschiedenen Strafanstalten ge¬ 
währt wurden, sowie für die Auskunft, welche der Versamm¬ 
lung hauptsächlich durch Captain Du Ca ne gegeben wurde, 
den Generalinspector der Gefängnisse, der den Sitzungen des 
Congresses anwohnte und keine Mühe scheute, die Art und 
Weise des seiner Aufsicht unterstehenden Systems zu erläu¬ 
tern. Auch fühlt sich der Congress zu Dank verpflichtet 
durch die Gegenwart des Staatssekretärs, des sehr ehren- 
werthen H. A. Bruce bei einer der Sitzungen, und durch 
die Versicherungen, welche er von dem Interesse gab, wel¬ 
ches die Regierung für die Zwecke des CongresBes habe. 
~ Eine nöch schmeichelhaftere Anerkennung war die Ge¬ 
genwart des Prinzen von Wales beider Soiröe, welche Dien¬ 
stag Abends, den 9. Juli, in dieser Halle abgehalten und wo 
die Hauptdelegirten der beim Congress vertretenen Länder 
Sr. Königl. Hoheit vorgestellt wurden. 

Wir schulden auch denjenigen Quartalgerichtshöfen 
Magistraten, Gefängniss- und Besseruhgsautoritäten Dank, 
Welche Vertreter zum Congress geschickt, die mit einigen 
andern von dem engl, vorbereitenden Comitee ernannten Per¬ 
sonen die Delegation des vereinigten Königreichs constituirt 
haben. 

% 

Auch möchte das Comitee öffentlich seine dankbare An¬ 
erkennung dem Vorstand für Middle Temple aussprechen für 
die Liberalität und Güte, welche dem Congress durch die 
Erlaübniss, diese ehrwürdige Halle und das angrenzende 
Gemach : zu benützen, erwiesen ward und wodurch die Ver¬ 
handlungen so sehr erleichtert wurden. Ebenso dankt das 
Comitee der Corporation der juristischen Gesellschaft, der 
Gesellschaft der Künste und derjenigen der Social-Wissefl- 
sehaften für die zu seiner Verfügung gestellte Unterkunft. 

Die Arbeit des Congresses war für 6 Tage in 8 Sectio- 
nen getheilt, deren erste sich mit dem Verbrecher vor der 
Haft, die zweite mit dem Gefangenen während der Einker- 
keningszeit und die dritte mit dem entlassenen Sträfling be¬ 
fasste. — Während dieser Verhandlungen ist viel Belehrung 



158 


von verschiedenen Ländern gesammelt worden, upd dps Co- 
mitee glaubt, dass dadurch für künftige Vergleichung und 
Untersuchung viel werthvolles Material zusammengebracht 
worden ist. 

Während der beiden letzten Tage ist der Congresa in 
2 Hauptabtheilungen, in einer französisch und einer englisch 
sprechenden Section gesessen, zum Behufe der Prüfung der 
unterschiedlichen Gefängnisssysteme verschiedener Länder. 
Die Erörterungen waren sorgfältig und erschöpfend; Sir Wal¬ 
ter Croft on, Captain Du Cane und Ifr, Stevens gahop 
genaue Schilderungen des irischen, englischen und belgischen 
Systems, und das Comitee ist der Ansicht, dass nicht allein 
viele werthvolle Belehrung durch, Mitglieder des Congresecs 
erlangt, sondern dass auch eine (sehr) allgemeine Ueberein- 
s&immung über die leitenden Grundsätze des .Gefänguisswe- 
sens erzielt worden ist. 

Während dieser Tage nassen auch 3 andere Seetionen, 
von denen die eine Fragen in Betreff der Besserung und die 
andere solche Fragen behandelte, die sich auf die Arbeit be¬ 
ziehen , welche von Frauen im Zusammenhang mit. dem G^r 
fängnisswesen gethan werden kann. Berichte über den. Ver¬ 
lauf aller Sections-Sitzungen sind dem Congress bereits durch 
die für diesen Zweck ernannten offiziellen Berichterstatter 
vorgelegt worden. 

Das Comitee hielt es nicht für rathsam, über Meipungs- 
punkte, die in den Seetionen besprochen werden, abzustim- 
men. In einer solob wogenden Versammlung) grossentheils 
aps unverantwortlichen Personen zusammengesetzt , welche 
wirkliches, Verstäüdniss der- zu behandelnden Fragen haben 
mochten, oder auch picht, könnten solche Abstimmungen nur 
die persönlichen Ansichten der in, einem gegebenen Moment, 
zufällig anwesenden Personen darstellen. 

, Von Anfang an hatte es sich jedoch vorgesetzt, in die¬ 
sem Bericht die in dem CoDgress als richtig ! erkannten 
Ansichten zu formuliren, den Geist der Versammlung 
darzulegen, nicht im. Einzelnen, sondern in Beziehung 
auf einige leitende Principien, welche die Grundlage eines 
gesunden Gefangnisswesens bilden, und welche jedes System». 



159 


wie es. auch geartet sei, beleben müssen, wenn es die Besse¬ 
rung des Sträflings und die daraus folgende Unterdrückung 
des Verbrechens bewirken soll. 

In Anerkennung der Hauptthatsache, dass der Schutz 
der Gesellschaft der Zweck ist, um dessentwillen alle Straf¬ 
gesetze bestehen, und die Behandlung der Verbrecher erör¬ 
tert wird, ist das Comitee der Ansicht, es ergebe sich, 
als nicht nur damit im Einklang stehend, sondern auch als 
daraus mit Nothwendigkeit hervorgehend , die Forderung, 
dass die gründliche Besserung des Gefangenen das Haupt¬ 
ziel der Gefängnissdisciplin sein soll. Um diesen Zweck zu 
erreichen, muss: die Hoffnung stets eine mächtigere Triebfeder 
sein, als die Furcht, und desswegen. soll die Hoffnung im 
Gemüthe des Gefangenen durch ein Belohnungssystem für 
Fleiss und gutes Betragen unterhalten werden, sei' es nun 
in Form einer Abkürzung des Urtheils, einer Theilnahme am 
Gewinn, einer stufenweisen Zurückziehung der Einengung^ 
oder im erweiterten Vorrecht. Eine fortschreitende Klassifi- 
eation der Gefangenen sollte nach der Ansicht _des Comiteesi 
in allen Gefängnissen angenommen werden. 

Bei der Behandlung von Verbrechern sollten alle Dis- 
eiplinarstrafen, welche unnöthige Qual oder Erniedrigung ver¬ 
hängen, abgeschafft werden , und die Strafen für Vergehen 
im Gefangniss sollten so viel als möglich in Entziehung ge¬ 
statteter Bequemlichkeiten, in Verwirkung irgend einer Ver¬ 
günstigung , oder eines Tbeils des zur Befreiung gemachten 
Fortschritts bestehen. In der That sollte man sich, was die 
gehörige. Aufrechterhaltuug der Disciplin anbetrifft, auf mo¬ 
ralische Kräfte und Beweggründe verlassen und nur im aus** 
sersten Falt sollte physische Gewalt in Anwendung kommen. 
Aber indem das Comitee dies ausspricht , möchte es damit 
keineswegs einer ungefnessenen Nachsicht das Wort reden, 
die es für ebenso schädlich hält, als ungehörige Strenge. 
Der richtige Grundsatz ist, den Gefangenen — welcher be¬ 
lehrt w-erden muss, dass er sich gegen die Gesellschaft ver- 
süpdigt hat, und Sühne schuldig ist — in eine Lage ernster 
Widerwärtigkeiten zu bringen, aus welcher er durch eigene 
Anstrengung sieb herausarbeiten muss. Den Gefangenen zu die- 



160 


ser Selbstanstrengung zu zwingen, sollte das Ziel eines jeden Sy¬ 
stems von Gefängnissdisciplin sein, da diese nie wahrhaft bes¬ 
sernd wirken kann, wenn es ihr nicht gelingt, den Willen 
des Sträflings zu gewinnen. Gefangene hören nicht auf, Men¬ 
schen zu sein, wenn sie in die Gefängnissmauern eintreten, 
sie werden immer noch von menschlichen Beweggründen und 
Interessen beeinflusst. Sie müssen desshalb immer als Men¬ 
schen — das heisst als Wesen behandelt werden, welche 
ebensowohl moralische und geistige Triebe als körperliche 
Bedürfnisse haben. 

. Yon allen bessernden Mitteln ist die Religion von erster 
Bedeutung, weil sie am mächtigsten auf das menschliche 
viöüajjnd Leben wirkt. Auch die Erziehung ist von bedeu- 
erlangt, sondetliSd^r moralischen Besserung und sollte einen 
Stimmung über die IW^^Gefänsuisssystems ausmachen. Be¬ 
sens erzielt worden ist. """^-he Arbeit ist die Basis einer 
Während dieser Tage sagseaam&pit Mittel und Erpro- 
von denen die eine Fragen in Betreff der Bi&ud Religion sind 
andere solche Fragen behandelte, die sich auf tftpfängnissbe- 
ziehen, welche von Frauen im Zusammenhang mit' -tuführen, 
fängnisswesen gethan werden kann. Berichte über des je an- 
lauf aller Sections-Sitzungen sind dem Congress bereits 4 sich- 
die für diesen Zweck ernannten offlciellen Berichterstation 
vorgelegt worden. e- 

Das Copaitee hielt eg nicht für rathsam, über Meipungs- 
pupkte, die in den Sectionen besprochen wurden, abzustim¬ 
men. In einer solch wogenden Versammlung, grossentheils 
ans unverantwortlichen Personen zusammengesetzt, welche 
wirkliches Verständnis? der zu behandelnden Fragen haben 
mochten, oder auch nicht, könnten'solche Abstimmungen nur 
die persönlichen Ansichten der in, einem gegebenen Moment 
zufällig anwesenden Personen darstelle n. 

, Yon Anfang an hatte es sich jedoch vorgesetzt, in die¬ 
sem Bericht die in dem Congress als richtig : erkannten 
Ansichten zu formuliren, den Geist der Versammlung 
darzulegen, nicht im Einzelnen, sondern in Beziehung 
auf einige leitende Principien, welche die Grundlage eines 
gesunden Gefangnisswesens bilden, und welohe jedes System? 



161 


scheint ein umfassenderes System, als bis jetzt versucht wor¬ 
den, wünschenswerth zu sein. 

Ausserdem kann sich das Comitee nicht enthalten , es 
auszusprechen, dass auf dem Felde der vorbeugenden Mittel 
errossentheils der Kampf gegen dftB Verbrechet ausgefochten 
Heden muss, durch allgemeine Volkserziehung, durch Errich¬ 
tendem Erfolg bei mnd Lumpenschulen und anderer Anstal¬ 
wesentlichen Theil jeden Kindern bezwecken, die zwar noch 
ständige, wirksame und nötzlföefahr laufen, es zu werden, 
gesunden Disciplin und zu gleicher Ache auf die Rettung 
bung der Besserung. Arbeit, Erziehung üwb von Frauen, 
folglich die 3 grossen Gewalten , auf welche Gr "Wichtig¬ 
amte vertrauen sollten. Um diese Principien durchien Vor¬ 
wird Individualisation wesentlich nöthig; Gefangene, w ge- 
dere Menschen, müssen jeder persönlich und mit Berückind 
tigung eigenthümlicher Umstände' und geistiger Organisatt., 
behandelt werden. Das Comitee wird nicht erst hervorzuhv 
ben brauchen, dass man, um diese Rücksichten durchzufüh¬ 
ren, Gefangnissbeamte haben muss, welche an,die Besserungs¬ 
fähigkeit der Gefangenen glauben und sich dieser Arbeit mit 
ganzem Herzen hingeben. Sie sollten, soviel als möglich, 
eine besondere Ausbildung für ihren Beruf erhalten und in 
einer solchen Abstufung des Ranges, der Verantwortlichkeit 
und des Vortheils gestellt werden, dass sie Erfahrung und 
Kraft im Dienst erhalten und dass die Verdientesten stets 
befördert werden. 

Aber wenn ein gesundes System der Gefängnissdisciplin 
wünschenswerth ist, so ist es nicht weniger geboten, dass 
man dem gefangenen bei seiner Entlassung systematisch zu 
Arbeit und zur Ermöglichung seiner Rückkehr in die Reihen 
ehrlichen und productiven Fleisses verhelfe. Zu diesem Zweck 


162 


Mittheilungen ausserordentlich ungenau. Sr. Walter Crofton 
habe kürzlich bemerkt, die Zahl der Rückfälle sei ein sehr 
unvollkommener Prüfstein der eingeführten Strafsysteme, man 
müsse die den Rückfall begleitenden Umstände in’s Auge 
fassen und/ er wünsche gang besonders hierauf das Augen¬ 
merk des Comitees zu lenken. 

£in zweiter Punkt sei der Missstand, der sich bei klei¬ 
nen Gefängnissen ergebe. Hier könne eine geordnete Ver¬ 
waltung und Djsciplin nicht durchgeführt werden. Er erwähnt 
als: Beispiel ein Gefängniss, däs nur 5 Gefangene gehabt, 
und hofft, das Ministerium des Innern werde die Nothwen- 
digkeit, und Zweckmässigkeit erkennen., dem Parlament dar- 
zulggen, dass dem Staatssekretär die Vollmacht zur Aufhe¬ 
bung solcher kleinen Gefängnisse ertheilt werden müsse. 

Mr. Hastings schlug hierauf die Annahme dieses 
Berichts durch die Versammlung vor. 

Dieser Antrag wird durch Mr. Haines unterstützt. 

Mrs. Carpenter glaubt, dass die Wichtigkeit der Con- 
gressverhandlungen über alle Begriffe gehe, es würde durch 
dieselben eine neue Aera im Fortschritt der Civilisation er¬ 
öffnet, eine Aera, die sich schon seit Jahren vorbereitet habe. 
Bei einer Versammlung vor 20 Jahren, bei der auch der 
jetzige Präsident gegenwärtig gewesen, habe man sie gefragt, 
ob denn- jugendliche Verbrecher der Gesellschaft keinen 
Ersatz schuldig seien, ihre Antwort sei aber gewesen, dass 
die Gesellschaft diesen Kindern Ersatz schuldig sei. (Cheers.) 
Bezüglich der Behandlung der Gefangenen habe der Congress 
eine grosse Einmüthigkeit in der Ansicht gezeigt, dass 
sie deu Gefangenen zum' Wiedereintritt in die bürgerliche 
Gesellschaft vorbereiten solle; Auch einen anderen neuen 
schönen Zug habe der Congress in der Art gezeigt, wie er 
den Antheil der Frauen an dem Werk der Besserung be¬ 
handelt. Es sei ganz in der Ordnung, dass die Frauen die 
Unglücklichen ihres Geschlechtes aufsuchten. Es sei eine 
schöne Seite in der Geschichte Englands, dass Frauen für 
solch, wichtige Angelegenheiten eintrete.n, denn sie seien vor 
allen andern am besten im Stande, die moralischen, geistigen 



und körperlichen Leiden ihres Geschlechtes 4h behendein. 
(Cbeers.) 

Der Präsident hob nun die Gelungenheit des kurzen 
aber klaren Berichts hervor, den das aus Vertretern aller 
Nationen bestehende Executivcomitee einstimmig zur Annahme 
empfehle, und wies. au£ da,s Befriedigende hin, das die Ver¬ 
handlungen gezeigt, welche die verwickeltsten und schwierig¬ 
sten Gegenstände berührten; die Verhandlungen seien nicht 
vergebens gepflogen worden, sondern würden bei allen Natior 
nen das höchste, Interesse erregen. Er gedachte sodann noch 
des hervorragenden Antheils, den die Damen an den Ver¬ 
handlungen genommen und empfahl der Versammlung die 
Annahme des Berichts» 

Diese erfolgte auch einstimmig. 

Dr. Win es beantragte sodann die Annahme folgender 
Resolution: 

- »Der aus Vertretern von 20 Staaten der ganzen 
Welt zusammengesetzte International-Congress sagt 
dem Vorstand und der Gesellschaft des Middle Temple, 
sowie dem Schatzkanzler Sr. T. Chambers für die 
Liberalität, mit welcher sie die prächtige Halle und 
das Sprachzimmer dem Congress zur Verfügung stell¬ 
ten, seinen Dank.“ 

Erzbischof Dr. Manning unterstützte diese Resolution, 
die auch angenommen ward. 

Sodann sprach Sr. «tohn Pakington den Dank für die 
fremden Gäste und Delegirten aus. M. Stevens und Baron 
Mackay dankten England und allen Betheiligten für den 
freundlichen Empfang, und Baron Mackay machte noch da¬ 
bei auf den Werth aufmerksam, welchen die Arbeiten des 
Congresses für die einzelnen Landesgesetzgebungen haben 
werden. 

M. Poote schlug dann noch in einer sehr humoristi¬ 
schen Rede die Danksagung der auswärtigen Mitglieder des 
Congresses an die Einwohner Londons und die Regierung 
für ihre Zuvorkommenheit gegen die fremden Delegirten vor, 
wurde aber dabei zu breit und erregte die Ungeduld der 
Versammlung. 



Dr. Gui 11 au me sprach Namens der Schweiz den Dank 
aus und Dr. Marquardsen im Namen der Deutschen; 
Letzterer dankte insbesondere dem „Vater des Congresses,“ 
dem unermüdlichen Dr. "Wines, und sprach dabei die Zu¬ 
versicht aus, dass das zu erwartende allgemeine deutsche 
Reichsgesetz über den Strafvollzug die Spuren Von Einfluss 
der hier erörterten Grundsätze tragen werde. 

Mr. Aspinall dankte unter allgemeinem Beifall dem 
Dr. Mouatt, der während der letzten Tage die Funktionen 
des Dolmetschers zu übernehmen die Güte hatte. 

Schliesslich wurde von H.Hastings, unterstützt durch 
Dr. Mouatt, dem Vorsitzenden die Anerkennung votirt und 
durch die Versammlung ausgesprochen. 

Hiemit schloss die letzte Sitzung und der Congress. 



165 


Nachschrift. 

Die weiteren Berichterstattungen, inebesondere über den 
Howardvortrag am 5. Juli, die Sitzung vom 10. Juli über 
Behandlung der jugendlichen Verbrecher, die Sitzungen der 
englischredenden Sectionen vom 11. und 12. Juli und endlich 
die in Verbindung mit dem Congress am 10. Juli in der Ho¬ 
ward-Gesellschaft gehaltene Versammlung betreffs der Ab¬ 
schaffung der Todesstrafe müssen wir des Raumes wegen auf 
ein späteres Heft versparen. 

Hier fügen wir nur im Allgemeinen noch Einiges bei:. 

Earl. Carnar vo n ist eines der hervorragendsten Mit¬ 
glieder der parlamentarischen Opposition in England, früher 
Minister der Colonieq im Ministerium Derby. Er hat sehr 
viele Kenntnisse im Ge^ngniasweaen und bethätigte auch 
solche schon in , wirksamster Weise, im Parlament./ Er führte, 
nur in der Eröffnungssitzung das Präsidium und begab, sich 
dann wieder von London hinweg, um zu Schiffe die unter¬ 
brochene Wassercur fortzusetzen. 

Das Präsidium wmde in der Eolge von denjenigen der 
ernannten — nach englischer Sitte vielen — Vicepräsidenten 
geübt, die nach ihrer Sach- und Sprachkenntniss hiezu am, 
geeignetsten waren. ........ 

, . Was die behandel ten Stoffe an belangt,. so kommt dabei 
zu .bemerken , dass die : meisten Engländer und Amerikaner 
nur Kenntniss von i hre m Strafsystem hatten, und ihnen da¬ 
her Manches unverständlich war, was uns auf dem Kontinent 
oder doch in Deutschland , geläufig ist. . darunter ist beson¬ 
ders die „Individualisirung“, die „moralische Classification“ 
nach sächsischem Muster, die ( „Centralleitung des, Gefängniss- 
weseus,“ die Entbehrlichkeit der Prügelstrafe, der Tretmühle, 
und überhaupt jede Strafarbeit u. A- zu zählen. Die Zu-, 
stände und, Einric|itnngen anderer. Länder ,, ,besonders Eng¬ 
lands und Irlands Gefängnisssysteme dürften in sachverstän¬ 
digen Kreisen Deutschlands, besser ^e^anat .sein, 



166 


Aub dem angegebenen Grande spielte sich auch die 
Debatte wegen der 3. Frage vom 4. Juli auf das Gebiet hin¬ 
über, wie weit die Befugniss der Loealverwaltung der be¬ 
kanntlich nicht unter' Stäätsleitung befindlichen englischen 
County-Prisons gehen sollte, wobei theilweise sehr weitge¬ 
hende Begehren gestellt Wurden. 

Die Frage 'wegen der Vorbildung der ÖefärtgnissbedieU- 
steteü, die der Antragsteller mehr auf die Aufseher bezog, 
wurde wohl aus Missverständniss mehr auf die höheren Be¬ 
diensteten herübergezogen; man wollte ursprünglich nur über 
AüfSeherschulen verhandeln. 

“Wie überhaupt, und hiit Recht, Beschlösse auf dem 
Congresse nicht gefasst wurden, so hat man auch die System¬ 
frage dort nieht zum endgiltigen Austrag gebracht — ohne¬ 
hin nicht bringen können. Dass sieh die Mehrzahl der dort 
versammelten Congressmitglieder dem irischen Systeme zu¬ 
neigten , ist trotzdem eine nicht fca leugnende Thatsache. 
Wenn auch kaum Jemand auf dem Cöngress durch die dort 
gehaltenen Vorträge zu einer andern Absicht bekehrt worden 
ist, als in welcher er dahiukam, so muss doch erwähnt wer¬ 
den , dass der Vertreter des irischen Systems, Sir Walter 
Crofton, allgemein in seinem ganzen Wesen und in allen 
seinen Vorträgen den besten Eindruck gemacht hat. Er ist 
eine interessante, mit Bescheidenheit auftretende, bedeutende 
Persönlichkeit, ohne allen Zweifel fern von jeder Üebertrei- 
bung. Das irische System stellte in ihm einen sehr gewin¬ 
nenden Vertreter; doch scheint Uns die Sache der Einielhaft 
gleichgut und in ihren Resultaten nicht nachstehend vertreten 
gewesen fcu Sein. Obschon, wie schon vielfältig und auch 
aüf dem Congresse hervorgehoben wurde, die RÜckfälligkeits- 
ziffer allein kein Mässtab für das System ist, sollte doch die 
Vergleichung der andern Systeme mit dein irischen dadurch 
erleichtert Sein, dass auch von andern Bändern, besonders 
mit Einzelhaftsystem, die Resultate bezüglich der Gefangenen 
mit einer Strafdauer über 6 Jahre züsammeflgeSteHt Werden, 
da bekanntlich diese Zeit das Minimum der penal servitude 
ist. — 

Was die fefthsfigen tfheitnehmer an dem Congresse an- 



167 


belangt, so gibt darübet das unten abgedrückte Programm 
Aufschluss: es ist freilich vielfach uncerrect, doch haben wir 
die Irrthümer, soweit sie uns bekannt waren, darin corrigitt. 
Abgesehen von den Persönlichkeiten, die unsere Leser ken¬ 
nen, besonders denen aus Deutsehland, haben wir im Text 
zu einigen Namen eine entbrechende Bemerkung beigefügt. 
Zu denselben tragen wir nach, dass Sir John Pakington, 
“ welcher in der Schlusssitzung, sowie bei dem Diner präsidirte, 
und auch sonst am Cengresse Antheil nahm, derzeitiger Co¬ 
lonialminister ist. Herr Baket, ein englischer Geistlicher, 
ist bekannt durch seine unermüdliche Thätigkeit für die ju¬ 
gendlichen Verbrecher. Bekannt ist auch die Person des 
katholischen Erzbischofs von Westminster, Manning, der 
an dem Congresse thätigen Antheil nahm und in der Ver¬ 
sammlung vom 5. Juli präsidirte, in. welcher der Hon. M. 
BellowS, ein hervorragender Geistlicher der Unitarier aus 
New-York den Vortrag über das Leben und Wirken Howardö 
hielt. 

Noch viele andere Personen Englands von hohem Stand 
und hervorragenden Namen nahmen ah dem CohgreBse An¬ 
theil. 

Die nach unseren Begriffen ungewohnte Theilnahme 
von Frauen am Congress hat nichts verdorben. • Im Gegen- 
theil, die Frauen, wie insbesondere die als Schriftstellerin 
und Gründerin von Anstalten für Jugendliche verdiente, in 
vorgerücktem Lebensalter stehende Miss Carpenter und 
die bekannte amerikanische Politikerin Miss Julie Ward 
Howe sprachen präcis und gut, konhten hierin manchem 
Herrn als Muster dienen und maehten überhaupt allseitig den 
besten Eindruck. 

Aus welchem Grunde die englische Regierung sich beim 
Congresse nicht officiell vertreten liess, scheint uns nicht auf¬ 
geklärt. Die Anwesenheit des Ministers des Innern in der 
Sitzung .vom 6. Juli, seine dort gegebenen Zusagen, die An- 
theilnahme des Colonialministers, die thätige Mitwirkung deb 
Präsidenten der Directoren Du Cane am Congress, die Er¬ 
leichterungen für den Besuch der Staatsgefängnnse, die der 
Minister des Innern gab, die zuvorkommende Aufnahme der 



168 


Congressmitglieder bei dem Besuch der Gefängnisse (wobei 
freilieh der Governor von Pentonville eine unrühmliche Aus* 
nähme machte) , die von der Regierung veranstaltete Fahrt 
nach Chatam u. A. gaben übrigens Zeugniss davon, dass die 
Regierung der Sache alle Aufmerksamkeit und erspriessliche 
Förderung zu Theil werden liess und vielleicht auch die 
Maassnahme der officiellen Nichtbetheiligung gut machen 
wollte. 

Um so zuvorkommende* zeigte sich, dem englischen 
Charakter entsprechend, die Thätigkeit der Einzelnen. Das 
englische Comitee gab dem Congress am 9. Juli eine glän¬ 
zende Soiree und am 12. ein besonders gelungenes Diner, 
beide Feste in dem Versammlungslokal der Middle Temple 
Hall. Der Soiree wohnte auch der Prinz von "Wales an, 
der sich die meisten Delegirten vorstellon liess. Nebst die¬ 
sen officiell zu nennenden Festlichkeiten gab es aber viele 
Privateinladungen, unter denen wir die des früheren Vice- 
präsidenten des Handelsamts, des R. H. Steven Cave, die 
des Grafen Granville, Ministers des Auswärtigen und die 
der Gesellschaft des botanischen Gartens zu einem äusserst 
brillanten Abendgartenfest hervorheben. 

Das Versammlungslokal, die Middle Temple Halle, ist 
äusserst zweckmässig in Mitte der Stadt, aber ruhig gelegen, 
ebenso schön als interessant. Die Halle ist zu den Zeiten 
der Königin Elisabeth gebaut, und hier war es auch, wo 
Shakespeare der Königin seinen Sommernachtstraum vorlas. 
Die Halle ist akustisch ganz vorzüglich, duroh farbige Fen¬ 
ster gegen das allzuhelle Licht gedeckt, geziert mit Eichen¬ 
holzschnitzwerk , den Bildnissen der Kö/iige und der hervor¬ 
ragendsten Richter und Kanzler von England und den Wap¬ 
penschildern, aller Vorstände der Corporationen von der Zeit 
ihrer Gründung an. 

Sollen wir nun schliesslich ein Urtheil bezüglich der 
Gelungenbeit des Ganzen, insbesondere des geschäftlichen 
Theils aussprechen, so ist dies nicht leicht. Ausgestellt wurde 
von vielen Seiten 1 Vieles an dem Congresse. Die ungenü¬ 
gende Vorbereitung, die schon vor dessen Beginn constatirt 
war, konnte durch die Thätigkeit des International-Comitees 



1G§ 


nicht ausgeglichen werden. Der Bericht der italienischen 
Deputirten*) glaubt, dass die ganze, vom International-Co- 
mitee festgesetzte, von den YoTschlägen des italienischen Na- 
tional-Comitee8 abweichende Verhandlungsform eine verfehlte 
war, dass so die Stoffe nicht genügend vorbereitet wurden, 
und der Wegfall von Beschlussfassungen ebenso geeignet 
gewesen, die Bedeutung der Verhandlungen zu beeinträchtigen 
und das Interesse des Publikums zu vermindern. Prof. v. 
Holtzendorff **) glaubt, dass die vom deutschenNational- 
Comitee vorgeschlagene Geschäftsordnung in allen Theilen 
hätte angenommen werden, insbesondere, dass alle Sectionen 
gleichzeitig hätten tagen sollen, macht aber auch noch an¬ 
dere Ausstellungen, billigt aber, dass man keine Beschlüsse 
gefasst; in letzterem Punkte hat er ganz gewiss Hecht; man 
darf nur die Art der Zusammensetzung der Versammlung 
ins Auge fassen.' Ploos v. A m s t e 1 ***) glaubt, auch diese 
Versammlung habe den Beweis geliefert, dass man sich stets 
getäuscht sehe, wenn man von den Früchten internationaler 
Ooügresse zu grosse Erwartungen hege. Die Grenze der Ver¬ 
handlungen sei zu weit gewesen, und es hätten sich zu viele 
nicht Sachverständige in die Verhandlungen gemischt. Auch 
der Umstand, dass die Congressmitglieder theils „officielle“, 
theils fcUichtoffieielle“ gewesen; habe auf die Verhandlungen 
einen nichtgünstigen Einfluss geübt. 

Dr. Wines betrachtet den Congress als vollkommen 
gelungen, und hat sich dessfalls in den Londoner Times (vom 
5. September 1872) vernehmen lassen. 

Die englische Presse beurtheilte hn Allgemeinen den 
Congress als „im Ganzen* gelungen. Insbesondere gilt dies 
von den Times (16. Juli) die dabei bemerken, dass die Ge- 
fängnissdisciphn ’ eine Speeialität sei, in der hur Praktiker 
mitzusprechen berufen seien, deren Meinungen freilich auch 
hier sehr weit auseinander gingen. Ueberhaupt meinen die 
Times, dasä man bei der Versammlung zuviel in speculativen 

*) In der Kivista di Discipline Carcerarie Anno II. Pasc. 8. 

**) In der Strafrechtszeitung XII. 7. 8. S. 3 fl. 

***) „Kog iets over bet Internationaal Congress, te London, Abdruck aup dem „Week- 
blad van bet . Regt 44 (Amsterdam) Kr. 3485. Ebenda S. 16 spriobt sich derselbe auch über 
die, der Einzelhaft günstige Stimmung bei dem Congresse aus. 

Blätter für Gefängnisskonde YIL 12 



170 


Meinungsaustausch verfallen sei.,, anstatt., nur die Praktiker 
zu höre», und dass man viel Zeit erspart hätte, wenn* man 
(wie s. Z. v. Holtzendorff verschlug) einen vergleichenden 
Bericht über die verschiedenen Systeme hätte verfassen la$r 
sen; weiter macht sich dort sodann die englische, Anschauung 
geltend, die von den Prügeln und andern Abschreckungsmit¬ 
teln nicht glaubt lassen- zu dürfen, und wird es- besonders 
den-Damen sehr verargt, dass „ihre Sympathie gegen die Ver¬ 
brecher zur Apathie gegen 1 die menschliche Gesellschaft! ge¬ 
worden* ;< in diesem Sinne wird sogar der Schlussbericht von 
Hastings getadelt und die humane Tendenz desselben und des 
Congresses als eine „schädliche Besserungstheorie!“ im Gegen¬ 
satz zu dem nothwendigen Schutz, der Gesellschaft hinge¬ 
stellt. 

Wollen wir nur nicht verkennen, dass- freilich mancher¬ 
lei an dem Congress mangelhaft war, sp überwiegen doch 
die Lichtseiten. Treffend, zeichnet dies v. Holtzendorff a. ß. 
O. 3^ 409 ff, wo er sagt; 

.... „Andererseits hat sich der Congress nicht über¬ 
schätzt. Eine förmliche Beschlussfassung und Abstimmung 
über EipzelSnträge unterblieb. Niemand kann sich beschwe¬ 
ren, dass das numerische Ueber ge wicht der Engländer ge- 
missbraucht worden wäre- In dem Scblusubericht, mit wel¬ 
chem der Congress endete, kt dasjenige der allgemeinen 
Zustimmung unterbreitet werden, was sicher und bestimmt 
die Ueberzeugung der Versammlung war; man unterliess es, 
Controversen mit einer äusseriichen StirumeOTaelurheit zu «ntr 
scheiden. Die äussere Haltung des Congresses war ernst, 
würdig, Respect gebietend. . . Der Congress war reich an 
persönlichen Anregungen. Der Wissenschaft hat der Congress 
sich förderlich erwiesen , indem er eine Reihe werthvoller 
Schriften und Berichterstattungen veranlasst«. Auch prak¬ 
tisch wird der Congress nieht ohne Früchte bleiben. Die 
Engländer, mit den Rechtsverhältnissen anderer Länder wep 
nig bekannt, haben doch einsehen müssen, dass sie in ihrer 
Gesetzgebung vielfach zurückgeblieben sind und dass klare 
Grundsätze in dfer Strafrechtspflege herrschen müssen. Um¬ 
gekehrt haben die Männer des Continehts Wahrgenommen, 



— 171 — 

f 

welche unverwüstliche Lebensmacht in der englischen Selbst¬ 
regierung und in'der Privatwöhlthätigkeit waltöt. ‘Wahrhaft 
erhebend war der Eindruck eines in den Engländern und 
Amerikanern energisch wirkenden, ächt religiösen Pflichtge¬ 
fühls. Alle diejenigen, welche berbferi sind, in Ge- 

fängnissangelegenheiten nicht blos ztt philosophiren', sondern 
thätig helfend einzugreifen, sind in der Gemeinschaft einei 
über den Erdball sich ausdehnenden Menschenliebe gekräf- 
tigt worden. 1 Der Congress hat es erwiesen, dass die über 
staatliche Schranken weit hinausreichende Macht einer die 
Völker verbindende^ Gesittung in der Zunahme begriffen ist.“ 

Die Verhandlungen des Congresses sind dem Druck 
übergeben. Der Druck dürfte jetzt (Anfangs November) auch 
bereits vollendet sein. Secretär Pears hat die Herausgabe 
Übernommen und sind unter der mehrfach angegebenen Ad¬ 
resse (1 Adam Street Adelphi W. C.) Exemplare k 15 Sh. 
für Private zu beziehen. 


Anl. 1. 


Liste iler TlieiJuehDier am Co^ress, 
Programm der Stjaf- und andern Anstalten etc. 


InternatiouaT-Executiv-Goinitee. 

Präsident: 

G. "W. Hastings. — England. 

Dr. J. Frey, Oberstaatsanwalt v. Brünn Oesterreich. 
Stevens, Inspector der Gefängnisse Brussel Belgien. 
Commandeur P. von Andrada . . Brasilien. 

Don Carlos Moria, Vicu.ua. . . Chili. 

Bruun, Chef der Abtheilung fürGefängniss- 

wesen im Justizministerium, Kopenhagen Dänemark. 
Loyson . . . . . ‘ Frankreich. 

12 * ” * 




Steinmann, Geh.Reg.-RathundDecernent 
für das Strafanstaltswesen im Kgl. Mi¬ 
nisterium des Innern, Berlin 

P. B. Armeni, Excellenz 
M. S. Pols 

Baron Mackay 

Beltrani-Scalia, Inspector der Gefäng¬ 
nisse, Rom . . . 

Graf Sollohub . . . . 

Don Urbano Montejo y Aguilera . 

Gerle ...... 

Dr. Guillaume, Director der Strafanstalt 
Neuchatel . . 

Musurus Bey .... 

Dr. Wines, Xe w-York , 


Deutschland. 

Griechenland. 

Holland. 


Italien. 

Russland. 

Spanien. 

Schweden. 


J. D. Wood 


Schweiz. 

Türkei. 

Vereinigte Staaten 
und Mexico. 
Victoria. 


Londoner Eieeutiv-Comitee. 

Präsident: 

Sir Walter Crofton, C. B. 

F. B. M. Baker, T.'B: Murray B’rown'öj Andrew 
Edgar, LL. D., Francis Füller. ä G.. W. Ha stiege, 
Frederic Hill, Arthur Kinnaied, M. P./Darnton Lup- 
ton, James Marshall, Dr. Mouatt, A. H. Safford, 
William Tallack*, Spymour TJeulpn. 

Secretär; 

Edwin Pears. 

Bureau der Versammlung. 

4 

Präsident: 

Earl von öanarvon. 

Viceprasidenten: 

Oesterreich: Dr. Frey. 

Belgien: van de'We'yer, Berden. 



173 


Dänemark: Braun. 

England: Earl Granville, K. G., John Pakington, 
Bart. M. P. G. C. B., Stephen Qave, M. P., Walter 
Crofton^ C. B., Thomas Chambers, Q. C. — M. P. 
G. W. Hastings. 

Frankreich: Loyson, Jaillant. 

Deutschland, v. Holtzend orff, Steinmann, Va- 
rentrapp. 

Griechenland: P. B. Armeni, Exc. 

Holland: Baron Mackay, Ploos van Amstel. 
Italien: Graf Adolf von Fores^a. 

Russland: Graf Sollohub, General v. Annenkoff. 
Spanien: Don Urbano Montejo y Aguilera. 
Schweden: Gerle. 

Schweiz: Dr. Guillaume. 

Türkei: Stephen Musurus Bey. 

Vereinigte Staaten: Governor H a y n e s, Richter Lea- 
vitt, General Pilsbury. 

Vereinigte Staaten und zugleich Mexico: Dr. 
Wine s. 


Auswärtige Theilncbmer. 

Oesterreich: Dr. Frey. 

Brasilien: Commandeur P. de Andrada. 

Belgien: van de Weyer, Berden, Stevens. 

Chicago: W. Sheppard, Professor. 

Chili: Don Carlos Moria Vicuna. 

Dänemark: Bruun. 

Frankreich: Loyson, Jaillant, Victor Bournat 
Alex. Ribot, M. E. Robin, Verge. 

Deutschland: E. d’Alinge, G.Ekert,Rittner, Prof. v. 
Holtzendorff, Geh. Rath Steinmann, Prof. Mar- 
quardBen, Dr. H. Bartling, Dr. Heim, Elber- 
kupf, Dr. Wiesehahn, Herrmann, Dr. Varen- 
trapp, Dr. A. Spiess, Petersen, Mess. 

Griechenland: P. B. Armeni, Exc. 

Holland: Baron Mackay, Ploos van Amstel, M. S. 



174 


Pols, Tan Bemmelen, Delprat, J. Pols, M. 
Mees, J. Domela Niouwenhuis. 

Indien: Dr. J. C. Penny, Generalmajor Yincent E yre, 
Dr. Mouatt, J. Vanderstratten, James Ontram, 
J. H. Thornton, D. C. L. — Major Mc.Nair, R. A. 
Italien: Graf Adolf Foresta, Commandeür Peri, Bel- 
trani-Scalia, Professor C. G. Giro 1 ami. 
Norwegen: R. Petersen. 

Russland: Graf Sollohub, General v. Annenkoff, 
Professor J. Foynitsky, Prof. Wladimirow. 
Spanien: Dqn Urband Monfejo y Aguilera. 
Schweden: Gerle, G.F. Almquist, EdwardSchmidt. 
Schweiz: Dr. Guillaume, Merille de Colleville, 

Yaucher-Cremieux. 

Türkei: Stephen Musurus Bey. 

Yictoria: J. D. Wood. 

Yereinigte Staaten. 

Mexico 1, Connecticut 1, Illinois 3, Indiania 2, Kansas 
1, Maine 2, Maryland 4, Massachusetts 5, Michigan 3, New- 
Hampshire 3, New*Jersey 5, New-York 18, Ohio 7, Pensyl- 
vanien 6. Rhode Island 7, Tenessee 1, Texas 2, Washington 
1, Wisconsin 1. Zue. 73. 

England. 

Repräsentanten der Friedensgerichte 68, Repräsentanten 
der Gefängnisse 57 , Repräsentanten der Besserungsanstalten 
35, der Schutzvereine 21, Unterzeichner (theilweise schon 
unter den Uebrigen eingezählt) 110. 

Gefängnisse 

(mit Angabe der Gesammtzahl der Gefangenen im Jahre 
1870 und den jährlichen Gesammtkosten.) 

1. S taatsgefängnisse. 

. ‘ ! r r, -r , j - I , j . 

P e n t o n v i l l e, 2035 Männer, 32 JL. Beschäftigung: Decken¬ 
fabrikation, Schuhmacherei und Schneiderei. 



175 


Millbank, 1144 M, 703 W., 83 L. Besch, industriell. 

Brixton,-989'M., 28 L., industrielle B. 

Fulham, 260 W., 54 L., B. Waschen und Kochen.. 

Chat am, 2200 M., 27 L., öffentl. Arbeit. 

Portsmouth, 1606 M., 28 L., Öffentl. Arbeit. 

Portland, 2120 M., 29 B., öffentl. Arbeit. 

Woking, 953 M., 1024 W., K. 32 L. M. 27 L. Frauen. 
B. Waschen und Nähen. 

2. Grafschaftagefängnisse. 

Wandsworth, 8631 M., 1294 W. K. 23 L., Besch, versch. 

Coldbath Fields, 11498 M., K. 21 L., Beseh. versch. 

We staunst er, 5517 W., K. 20 L., B. industr. 

Newgate, 1222 M., 231 F.,47-L., i (auch für Untersuchungs¬ 
haft). 

Hors'emonger Bane,3366 M., 854 W., K. 37L.,'B.Tau¬ 
zupfen, Gärtnerei, Wasqhen. (Auch - für Unters.- und 
Sehuldgefangene.) 

Holloway, 1733 M., 312 W., K. 23L, Beseh. verschieden, 
auch industriell; 

Die Anstalt für verbrecherische.Irre befindet sich inBro ad- 
moor, 398 M. 90 W., K. 65 L. 

Besserangsschulen. fOr gerichtlich verurtheille jugendliche Ver¬ 
brecher unter 16 Jahren. 

Home inihe East, Old Ford, Bo\y, 54 Knaben, K. 17 L. 
Besch. Schusterei u. Sohneiderei. 

Schulschiff Cornwall, Purfleet, 300 K., K. 20 L., Un¬ 
terricht für den'Seedienst. 5 

HampsteadRef ormatorySchool forGirls, 9 Church 
Row ,f Hampstead. 110 Mädchen, K. 15 L. Waschen 
und Hausarbeit. 

Philantropic Society’s Farm Scho ol, Red Hill, 
Surrey, 300 K., K. 17 L. Landwirtschaft und versch. 
andere Besch. 

Saint Edward’s Reformatory, Boleyn castle, East 
Ham, Plaistow, 150 K., K. 16 L., Besch. Schneiderei, 
Schusterei, Bäckerei. 



176 


Surrey Girls Reformatory, NethertonHouse, Clapha-m 
50 Mädchen, K. 19 L. Waschen und häusl. Arbeit, 
Boys House Reformatory, früher in Wandsworth, jetat 
in Byfleet, 150 K., K. 16 K., Besch. Schneiderei» 
Schusterei und Zimmerarbeiten. . 

Industrieschulen 

zur Besserung von Kindern unter 14 Jahren, die gerichtlich 
verurtheilt sind, und zur Erziehung solcher, die keine Er¬ 
zieher haben. 

Middlesex Industrial School, Feltham, 750 K., K* 
24 L., Besch. Land bau u. A. 

Boys Home, Regents Park, 120 K., K.21 L., Besch. Zim¬ 
mern, Bürsten- und Schuhmacherei, Schneiderei, Holz¬ 
schnitzerei. 

Boys Refuge, Comercial Street Whitechapel, 100 K., K. 

16 L, Gleiche Besch, u. Kunsttischlerei. 

Saint Nicolas Indust. School für röm.-kath. Knaben, 
Manor House, Little Ilford. 800 K., K. 14 L., Besch. 
Schneiderei, Schusterei, Zimmermannsarbeit. 

Church Farm Indust. School, East Barnet, 70 K., K. 

17 L. Landbau u. Milcherei, Schneiderei, Schusterei etc. 
Cripples Home^ 17 A. Marylebone Road, 100 Mädchen, 

K. 18 L., Strohflecbterei, Hut- , Hauben- und Mode- 
waarenfabrikation. 

School ofDiscipline for Girls, 2 Queens Road West, 
• Chelsea, 50 Mädchen, K. 17 L., Besch. Waschen, Nä¬ 
hen und Hausarbeit. 

Sai.ht Margarets Home (für röm.-kath. Mädchen) 60 M. 
K. 9 L., Besch. Nähen u. Perlstickerei. 

(Das Programm enthält weiter.: Yerzeichniss der an¬ 
dern Anstalten und Yereine für Obdachlose, entlassene Straf¬ 
gefangene, Mütter unehl. Kinder, auf der Strasse gefundene 
Kinder, Taube, Blinde, Findlinge etc.) 



177 


Correspondenz. 


Berlia, 11. Juli 1872. (Die neueStrafanst alt aiq Plötzen8 ee) 
ißt jetzt zu Dreiviertel fertig, der eine Flügel ist nur noch nicht vollendet* 
Dieselbe ist kürzlich dem Kammergericbts-Präsidenten v. S tr ampff 
übergeben worden , da das Kammergericht bekanntlich die Verwaltung 
derselben hat. In der Anstalt werden gegenwärtig 850 Gefangene de- 
tinirt. Es sind, bemerkt die „Sp.-Ztg. a hierzu, alle Beamte, die für 
dieselben nothwendig sind, vom Kammergericht angestellt; die Gefan¬ 
genwärter, mit Ausnahme eines einzigen, der von der eingegangenen 
Strafanstalt zu Spandau übersiedelt ist, sämmtlich auf Kündigung. Als 
Director fungirt Hr. Wirth, der umsichtig, streng, aber auch gerecht 
ist. Zu seinem Dienst ist ihm neuerdings eine Equipage , sowie Ration 
für 2 Pferde verliehen worden, um die Kommunikation mit der entfernt 
belegenen Hauptstadt unterhalten zu können. Es ist unseres Wissens 
der erste preussische Strafanstalts-Pirector, dem diese Vergünstigung 
verstattet worden ist. — Nach dem Director sind die ersten Beamten 
der Geistliche und der Arzt. In einer sehr hübsch eingerichteten Kirche 
predigt der Geistliche alle Sonn- und Feiertage. — Demnächst sind ein 
Inspector, 4 Oberaufseher und 23 Gefangenwärter angestellt. Von der 
Grösse der Anstalt wird man einen Begriff bekommen , wenn man er¬ 
wägt, dass 8ämmtliohe Beamte bei derselben vollständig eine verhältniss- 
mässig bequeme Wohnung haben. — Das Ganze macht gegenwärtig 
mit seinem erfrischenden saftgrünen Basen einen hübschen Eindruck, 
der nur durch die Bedeutung des Gebäudes geschwächt wird. 

Düsseldorf, im September 1872» Die diesjährige Generalversamm¬ 
lung der rheinisch-westphälischen Gefängniss-Gesellschaft fand am Don¬ 
nerstag, den 5. September d. J,, Morgens 9 Uhr, in der städtischen Ton¬ 
halle auf der Scbadowsirasse statt.- 

Die Verhandlungen der Versammlung fanden nach folgender Ta* 
gesordnung statt: 

1. Bericht des Vorsitzenden über die Thätigkeit des Ausschusses 
in dem abgelaufenen Vereinsjahre. 

2. Bericht des Schatzmeisters und Rechuungsdecbarge, 



178 


3. Discussion folgender vom Ausschuss vorgeschlagener Themata: 

a) Welches sind die für eine gesetzliche Regelung zur Voll¬ 
streckung der Freiheitsstrafen maassgebenden Grundsätze und 
Gesichtspunkte? Referent: Herr Director Lütgen, Decer- 
nent im Königl. Oberpräsidium, aus Hannover. 

b) Welche Erfahrungen sind bis jetzt rücksichtlich des §. 55 
deslleichsstrafgesetzbuches („Wer beim Begehen einer Hand¬ 
lung das zwölfte Lebensjahr nicht. vollendet hat, kann we¬ 
gen derselben nicht strafrechtlich vdrfblgtVerden/) gemacht 
worden? Referent: Herr Gefängnissprediger Scheffer 
aus Düsseldorf. 

4. Berichte und Anträge der Special-Conferenzen. 

5. Neuwahl eines Dritttheils des Ausschusses. 

Zugleich waren die Strafanstälts-Directoren und Beamten zu einer 
Special-Conferenz am Mittwoch , den 4. September von Morgens 9 Uhr 
ab in der städtischen Tonhalle versammelt urid verhandelten über fol¬ 
gende Themata: 

1. Ist die Begründung besonderer Vorbildungsänstalten für Auf¬ 
seher zweckmässig und nöthwendig? 

2. Mittheilung einer an den Londoner CongreSs gerichteten Denk¬ 
schrift über das preüssische Gefängnisswesen. 

3. Die Verschiedenheit der Anrede an die Gefangenen in den ein¬ 
zelnen Anstalten. 

4. Ueber Geisteskrankheiten bei den Gefangenen uhd deren Be¬ 
handlung. 

5. Was kann geschehen, um dein Aörgerniss , welches durch den 
öffentlichen Transport der Inhaftirten, namentlich der Unter¬ 
suchungsgefangenen gegeben wird, vorzubeugen? 

Endlich war mit der diesjährigen General-Versammlung eine Con- 
ferenz der Gefängniss- und Asyls-Geistlichen verbunden, die von Mitt¬ 
woch, den 4. September, von Morgens 9 Uhr ab in der städtischen Ton¬ 
halle stattfand, und für welche folgende Thomata Vorlagen: 

1. Das private Gebet mit den Gefangenen. 

2. Bericht über die in unseren Gefängnissen übliche Form des 
gemeinschaftlichen Gebets, und Beurtheilung der gebräuchli¬ 
chen Gebetbücher. 

3. Die Anstaltsschule Und der Kirchengesang in den Gefängnissen. 

4. Empfiehlt sich in den Gefängnissen die Mischung der CoUfes- 
sion oder Trennung nach ÖonfesAiönen? Ist überhaupt die 
Errichtung confessioneller Anstalten wünschenswerth oder nicht? 

5. Ueber Geisteskrankheiten bei den Gefangenen und deren Be¬ 
handlung. 

6. ’Was katan geschehen, um döm Aergeruiss, Urefchee dutch den 

öffentlichen Transport def lnh&ftirten, namentlich der Unter- 
subhimgsgefangeneii gegeben wird, Vorzubeugen? 



179 


Wiesbaden , den 8. August 1872, Öer fterr Minister des itfnhihi 
hat durch Erlass vom 16. Mai d. J. verfügt, dass die von den Gerichten 
Ties diesseitigen Begierungsbezirks zu Zuchthausstrafe verurtheflten Per¬ 
sonen weiblichen Geschlechts vom 1. k. Mts. ab nicht mehr in die 
Strafanstalt zu Eberbach, sondern in diejenige zu Köln tur Strafver- 
büssung eingeliefert werden. 

München, den 27. Oktober 1872. Wegen Ueberftillüng des Zucht- 
h au s es in Kaishelin hat das Justiz-Ministerium verfügt, dass die zur 
Zuchthausstrafe verurtheilten Katholiken .aus den Bezirken Mittelfranken 
und Schwaben bis auf Weiteres in das Zuchthaus 8t. Georgen (Ober¬ 
franken) einzuliefern sind. 

Sehwäb. Hall, im Oktober 1872. Wenn schon wir nur Ein Straf¬ 
gesetz und durchaus gleiche Strafarten im weiten deutschen Beiche 
haben, so ist doch die Thatsache vorhanden, dass die Strafen nach 
Massgabe der verschiedenartigsten Hausordnungen vollzogen werden. 
Dies aber wirkt in der allerverschiedensten Weise auf die Bestraften 
ein; wie verschieden z. B* die Bestimmungen über die Arbeits- und 
Erholungszeit, über Schulbesuch, Nahrung, Kleidung, Lagerstätten, Ver¬ 
kehr mit Angehörigen oder Freunden?, über Verdienstantheile u. s. w. ? 
Es ist klar, dass je nachdem diese Bestimmungen verschärft oder ge¬ 
mildert sind, der Einzelne hier eine härtere, dort eine mildere Strafe zu er¬ 
stehen hat. Es machj; sich dfesshalb afls unabweisbares Bedürfnis fühl¬ 
bar, dass für alle Strafanstalten des BeiciiW je 7 von gleichem System, 
auch je die gleiche Vollzugsweise der Strafe, d. h. eine und dieselbe 
Hausordnung eingeführt werden sollte. Um nun hiefür zunächst 
nähere Anhaltspunkte zu erhalten , bitte ich meine verehrten Collegen 
in Nord und Süd, um gefl. Zusendung von Exemplaren ihrer Hausord¬ 
nungen, um hach denselben vergleichende Zusammenstellungen unferti¬ 
gen zu können, die gewiss ein interessantes Besultat liefern werden, 
dann aber auch wohl auf die richtige Mitte führen dürften' und welche 
geeignet wären, die Grundlage zu einem Allen gerechten Entwurf Ein e.r' 
Hausordnung für alle deutschen Strafanstalte u zu bilden •) 

Justizrath J e i 11 e r. 

Hagenau, den 11. September 1872. Die Auslieferung der der 
französischen Nationalität angehörigen hiesigen weiblichen befan¬ 
genen beider Kategorien ist mit dem “"heutigen Tage beendet. Es wa¬ 
ren im Ganzen 51 Köpfe. So sehnsüchtig die Auslieferung nach Frank¬ 
reich anfänglich erwartet wurde, so gethdilt waren die Gefühle, als die- 


*) Ein einheitlicher Strafvollzug in Deutschland thut uns allerdings Noth. Doch 
zweifeln wir, dass bei den noch allenthalben verschiedenen Verhältnissen eine gleich* 
massige Hausordnung möglich ist Die Aufgabe soll ohnehin durch ein Reichsgesetz Aber 
den Strafvollzug und eine Reichscommission für die Strafanstalten gelost werdvn. 

Anm. der 11 daction. 



180 


«er Wunsch endlich in Erfüllung ging; die weitab grössere Hälfte wäre 
gern in der deutschen Strafanstalt geblieben. 

Aus Elsass-Lothringen , 24. Oktober 1872. Vom nächsten 1. No¬ 
vember an, sagt ein Pariser Blatt, werden die in den französischen Ge¬ 
fängnissen wegen gewöhnlicher Verbrechen oder Vergehen befindlichen 
Sträflinge, die für die deutsche Nationalität optirt haben, 
den elgässisch-lothringischen Behörden überliefert werden. Die Anzahl 
dieser Individuen scheint ziemlich gross zu sein. Jede Woche werden 
deren blos 50 an die deutschen Behörden ausgeliefert, welche die Män¬ 
ner in das Gefängniss von Ensisheim, die Weiber in dasjenige von 
Hagenau, im Eisass, werden transportiren lassen. 

Pest, im Oktober 1872. Der I. Offizial der königl. ungarischen 
Strafanstalt zu Leopoldstadt an der Waag, Stephan Hrabooszky 
wurde von Seiner kaiserl. königl. apostolischen Majestät für 44jährige 
treue Staatsdienste bei Versetzung in den Ruhestand mit dem goldenen 
Verdienstkreuze allergnädigst decorirt. 


Personalnachrichten. 


1. Beförderungen: 

Strafanstaltsdirector v. Lütgen im K. Oberpräsid. zu Han¬ 
nover zum Geheimen Regierungsrath. 

2. Decorationen: 

Die Oberaufseher Kornmaier und Geiler am Gr. Män¬ 
nerzuchthaus Bruchsal erhielten die kleine goldene Ci- 
vilverdienstmedaille. 

3. Todesfälle: 

Gestorben sind: 

Diez, Dr., Medicinalrath und Bezirksarzt in Bruchsal. 
Lorenz, Pastor, evang. Hausgeistl. derStrafanst. Lüneburg. 




181 


Veremsangelegenheiten. 


I. Neu eingetretene Mitglieder. 

a. Bälden. 

Pr een, von, Stadtdirector, Vorsitzender des Verwaltungs¬ 
raths des polizeil. Arbeitshauses Bruchsal. 

b. Bayern, 

Streng, Director des Zellengefängnisses Nürnberg. 

• C. Eis ass. ! ■ 

Bockei, Pfarrer, kaÜi. Haüsgeistiicher der Strafanstalt Ha¬ 
genau. 

Goldammer, von, Secretär der Strafanstalt Hagenau. 

Otto, Katechet der Strafanstalt Hagenau. 

Wagner, Wirthschafts-Inspector der Strafanst. Hagenau. 

d. Oldenbur g. 

Thor ade, Pastor, evang. Hausgeistlicher der Strafanstalt 
Vechta. ‘ : • • 

e. Preüsseii: 

Beuge, Rendant der Strafanstalt am Plötzensee b. Berlin. 

Deuzner, Oeconomie-Inspector daselbst. 

Eckert, Rendant der Arrest- ünd Correctionsanst. Aachen. 

Pulda, Kreisgeriehts-Rath (vorh. Staatsprocurator) in Mar¬ 
burg. 

Gruat, Polizei-Inspector der Strafanstalt km S?lötzensee. 

Heim, Dr., Sanitätsrath, Hausarzt der' neueu' Strafanstalt 
(Zellengefängniss) bei Berlin (Moabit). 

Jung, Pfarrer, evang. HausgeistL der Strafanstalt am Plö¬ 
tzensee. 

Saldiert, Oberinspector und Dirigent des Landarmen- und 
Correctionshaüses SttausSberg bei Berlin. - 

Zimnfermann, Betriebs-Inspector der Strafanstalt am Plö¬ 
tzensee. . ' ' . ’ 

'f. : Württemberg. ' 

Kiefer, Pfarrer, eväng. Hau^geistl. des Zuchth. Gotteszell. 

Kiesej, Dx^..Oberamts-Arzt, Hausarzt, des Zuchth. Göttes- 
zell; - r • • ‘ •* 




Strebei, Pfarre^, eyapg. H^negeistl, 4er Strafanstalten Hall. 

g. Oesterreich: 

a. OberlandesgerichtsBprengel Gratz. 
Klina, Seelsorger der Strafanstalt Laibach. 

Porsche, Staatsanwalt daselbst 
Yiditz, Strafanstalts-Adjunkt in Gratz. 

Wilicher, Strafanstalts-Verwalter da. 

b. Oberljandesgerichts&preugeV Lemberg. 
'Daneck, Oberstaatsanwalt in Lemberg. 

Dziamski,. Landesgerichtspräsident da. 

Krynicki, Staatsanwalt in Satubor. 

Szimonowioz, Staatsanwalts-Substitut in Taraopol. 


2. Nachweisung, 

fijber, dje Einnab rpen und Ausgaben pro 1. Januar bis 

1. September 1872. 

(Band VI. des Yereinsprgans.) 


Einnahme 

1 . Gasse-Rest aus voriger Rechnung ... fl 136. 40 kr. 

2. Beiträge der Mitglieder: 

p*o 1870 - 50 Mitgl 

„ mx - i n , 

„ 1872 - 161 „ 

, m. - 5 , •»' 

• 1874 - 1 „ 

■ ß71 » 

Aus Oesterreic fr 145 „ (pro l,ß71. u. 11372.) 

51ß l^itgl. k 1 Thlp. , . fl. 903.«— l^r. 

3. Rückerhobene Kapitalien .fl. 37Q, — kr. 

4. Von der G. Weiss’schen Bucbhan^ung in 
Sei^lVf r g %, abgesptzte Vefeipshefte pro 

18.71 , . . , . . . . . . .' fl. 203 . 18, kr» 

Summe der Einnahmen fl. 1612. 58 kr. 




183 


Ausgabe!. 

1 . Druck des Vereins-Organs.fl. 671. 48 kr. 

2. Buchbinderlöhne.. 114. 58 „ 

3. Papier, Lack etc.. 5. 39 „ 

4. Belohnungen: 

a. für Rechnungsführung 

und Secretariat . . fl. 175. — kr. 
h. für Schreibgehühren „ 68. 48 kr. 

-:—- fl. 243. 48 kr. 

5. Capital-Anlage.. 370. — * 

6 . Versendungskosten und Porti . . . . , 154. 13 „ 

7. Für- Literatur ... 4. 12 „ 

Summe der. Ausgaben fl. 1564. 38 kr. 
Einnahmen . . . fl. 1612. 58 kr. 

Ausgaben . . . . „ 1564. 38 „ 

Gasse-Rest auf neue Rechnung, fl. 48. 20 kr. 

¥era8geiSfBer<;cJiBBng. 

1 . Casse-Rest auf heute . . .... . fl. 48. 20 kr. 

2. Rückständige Beiträge: 

pro 1870 . 2 
' 1871 . 6 

8 4 1 Tfilr. ... fl 14. — kr» 

3. Guthaben hei der Weiss’schen Buchhand¬ 
lung in Heidelberg.fl. — — kr- 

4. Dto. bei der Gewerbebank hier, Kapital 

sammt Zinsgutschrift. . fl. 1130. 46 kr. 

züsainmen: fl. 1193. 6 kr. 

, Schulden: 

Hievon gehen ab die für die Jahre 1872/74 
bereits erhobenen Beiträge v. 167 Mit¬ 
gliedern ä 1 Thlr. ..fl. 292. 15 kr. 

H i i f-T ■» 

bleibt Rein,vermögen: fl. 9QÖ. 51 kr. 
Bruchsal, den 1. September. 1872. 

Der Verefna-Auaachuaa. 










Inhalt. 


0 


I. Londoner internationaler Congress zur Verhütung 

und Unter- 

Seile 

drückung der Verbrechen . . 

• 

• 

• 

• 

89 

Insbesondere: 

1. Prospectus . ♦ . . • 

• 

• 

• 

• 

90 

2. Verhandlungen .... 

• 

• 

• 

• 

95 

Eröffnungssitzung am 3. Juli 

• 

• 

• 

• 

95 

Sitzung der 2. Section, 4. Juli 

• 


• 

• 

104 

w i> , i» 

• t 

• 


• 

112 

i» n * ' '&• » 

• 

• 

• 

• 

119 

Plenarsitzung tob 6. Juli 

• 

• 

• 


121 

Sitzung der 2. Section, 8. Juli 

• 

• 

• 

• 

128 

* » 3» ji 9* » 

• 

• 

• 

• 

137 

| * ^ 7» ■ # 

• 

• 


• 

143 

Plenarsitzung v. 10. Juli . 

• 

• 

• 


147 

* Sitzungen vom 11. u# 12. Juli . 

4 

• 


• 

148 

' 3. Nachschrift . . . ; . , 


• 

• 

• ♦ * 

165 

4. Liste der Theilnehmer, Programm etc. 

• 


• 

171 

II. Correspondenz . . . , • 

• ■ 


• 

• 

177 

III. Personalnachrichten . # . *••■■■• 

• 


• 

• 

180 

IV. Vereinsangelfegenheiten . . 

• 


> 

• 

181 


......, Berichtigungen. 

8. 112, Zeile 1—4 t. o. musfij esJheissen: 

Von welcher Art und 4 ton welchem Umfang soll 
der Unterricht zum Behufs der B Assetting der Ge¬ 
fangenes teinl 

Herr Stevens glaubt, der Unterricht $oU in 4 Arten zer¬ 
fallen: 1) Allgemeiner Unterricht durch Vorlesen, 2) eigent¬ 
licher Schulunterricht etc. 

S. 120, Z. 14 v. o. lies j sehen“ statt geben. 








Statistik 

der Sterblichkeit unter den Gefangenen in den englischen 
Straf-Anstalten von 1856 bis mit 1870 und Beiträge zur 
Statistik der bayerischen Straf- und Polizei-Anstalten 
von 1864 bis mit 1868. 

Berichtet yon Dr. Baer, Arzt am neuen Strafgefängniss 
bei Berlin. (Plötzensee.) 


In jüngster Zeit sind zwei statistische Arbeiten über 
Krankheiten und Sterblichkeit unter den Gefangenen ver¬ 
öffentlicht , die über mehrjährige Perioden sich erstreckend, 
des Interessanten und Merkenswerthen so viel bieten , dass 
sie in den weiteren Kreisen specieller Fachgenossen und 
Sachverständigen bekannt zu werden verdienen, und dass 
ein mehr oder weniger ausführlicher Bericht in diesen der 
Gefängnisskunde eigens gewidmeten Blättern am berechtig- 
sten Platze ist. Beide Arbeiten sind das Ergebniss der 
alljährlich von den ärztlichen Beamten an den einzelnen An¬ 
stalten an die Centralstelle eingereichten Sanitätsberichte und 
haben die Beobachtungen in einer grossem Reihe von An¬ 
stalten zur Grundlage. 

Die Zusammenstellung dieser beiden Berichte ist nicht 
ohne Absicht geschehen. Es ist nicht uninteressant, neben 
einander zu sehen , wie sich die Salubritäts-Yerhältnisse — 
und als deren wesentlichster Ausdruck gilt ja doch immer 
die Krankheits- und Sterblichkeitszahl — in den Gefange¬ 
nenanstalten zweier so sehr verschiedenen Länder, wie Eng- 

Bl&tter für Gefangnissktmde V1L 13 



1Ö6 


land und Bayern zu einander verhalten; unwillkürlich wird 
man an die Verschiedenheit der nationalen und klimatischen 
Eigenheiten, an die Differenzen in der Strafvollstreckung 
erinnert und in dieser auch hauptsächlich an den Unterschied 
in der Verpflegung und Beschäftigung der Gefangenen. 

L Statistik der Sterblichkeit unter den Gefangenen. Eine Un¬ 
tersuchung über das Sterblichkeits-Verhältniss in den 
englischen Staats-Gefängnissen und dessen Ursachen, 
mit pathologischen Beobachtungen von Dr. Nicolson, 
Arzt an der Anstalt für invalide Sträflinge Woking. 
(The British and fbreign medico-chirurgical review etc. 
Nr. XCIX Juli 1872.) 

Die Frage nach der Sterblichkeit in den Strafanstalten 
wird nicht durch die blosse Zahl beantwortet und Nicolson 
hält es darum für nothwendig, in einzelnen Abschnitten die 
verschiedenen Verhältnisse der Strafanstalten, deren Straf¬ 
regime und deren Bevölkerung, sowie die Verhältnisse und 
Beschaffenheit der Gefangenen zu besprechen. 

1. Die Strafanstalten in England. 

England hat 11 Strafanstalten*), die theils in London, 
theils in den südlichen Grafschaften liegen; in der Hauptstadt 
sind die Gefängnisse Pentonville, Millbank, Brixton und 
Fulham. 


Die folgende Tabelle gibt Auskunft über die Lage und 
Art der Anstalt mit ihrer Durchschnittsbevölkerung für 1870. 



Art der Anstalt. 

Name. 

Lage. 

Durchschnitts- 





Bevölkerung. 

0 l 

Isolir-Anstalt und 1 

| Pentonville 

London 

687 


Aufnahme-Ans t. j 

[ Millbank 

» 

362 

1 

Oeffentliche f 

. Portland 

Dorset 

1568 

CS 

C*-4 

eö 

Arbeits- ] 

Chatham 

Kent 

1586 

w 

£ 

OQ 

Anstalten. | 

* Portsmouth 

Hants 

1218 

2 

Anstalten mit 

Brixton 

London 

486 


leichter Arbeit 

1 Parkhurst 

Isle of Wight 468 

'S 

fl 

und für 

i Dartmoor 

Devon 

881 

:§ 

s 

Arbeit sunfähi ge. 

1 Woking 

Surrey 

684 


*) Es sind hier die Staatsanstalten zum Vollzug der Penal*Servitude gemeint. 

Anm. d. Red. 



187 


Art der Anstalt. 

Name. 

Lage. 

Durch Schnitts - 
Bevölkerung. 


(Millbank 

London 

350 

Weibliche Anstalten 

] Woking 

Surrey 

706 


/ Fulham 

London 

134 


Millbank ist allein für beide Geschlechter bestimmt und 
Woking hat verschiedene getrennte Anstalten; das Eine ist 
das Hauptgefängniss für Weiber, und das Andere für arbeits¬ 
unfähige männliche Sträflinge. Broadmoor ist das Asyl für 
geisteskranke Sträflinge und steht unter einem ganz andern 
Ressort. 

Der zur Strafarbeit (penal servitude) verurtheilte Ge¬ 
fangene wird aus dem Grafschafts- oder Gemeinde-Gefängniss 
(gaol) zunächst nach London in eine Aufnahme-Anstalt ge¬ 
bracht, wo er 9 Monate isolirt wird; von hier aus wird er in 
eineAnstalt für öffentliche schwere Arbeit (hard labour) über¬ 
geführt, wo er für gewöhnlich die übrige Strafzeit abbüsst. Nur 
wenn er zu Ende oder während der Dauer der Isolirhaft für 
unfähig befunden wird für die volle Schwere und Strenge 
der Disciplin und für die Arbeit der Strafknechtschaft, wird er 
nach einer besonderen Anstalt für Arbeitsunfähige (for inva¬ 
lide), oder nach einer besonderen mit leichter Arbeit (light 
labour) eingerichteten Anstalt für Männer gebracht. Auf 
diese Weise hängen die Verhältnisse des Gefangenen, soweit 
es den Ort, die Disciplin und die Beschäftigung betrifft, von 
seiner körperlichen und in gewissen Fällen auch von seiner 
geistigen Beschaffenheit ab. 

Die Beschäftigung in den öffentlichen Strafarbeitsanstalten 
bestehen meistentheils in schwerer harter Arbeit in den Stein¬ 
brüchen, bei öffentlichen Bauten, Brückenarbeiten etc. Bei die¬ 
sen Arbeiten werden auch viele Handwerker gebraucht, und 
so werden die Gefangenen auch als Schmiede, Schlosser, 
Maurer, andere wieder als Maler, Schuhmacher und dergl. 
beschäftigt. Die leichte Arbeit besteht grösstentheils in länd¬ 
lichen Arbeiten, Schneiderei und Wergzupfen. 

Zur Zeit der Deportation wurden nur die kräftigsten 
und gesundesten unter den Gefangenen ausgesucht und über 
See geschickt. 


13 * 



188 


2. Die Klassen, aus denen die Gefangnissbevöl- 
kerung sich rekrutirt. 

a. Die sociale Stellung der Eintretenden. 

Alle Gesellschaftsclassen, von dem Parlamentsmitglieds 
an bis zum Btrassenbettler herunter finden sich hier, um ihre 
Strafe abzubüssen. Das Gros der Gefangenen gehört jedoch 
den niedern Schichten an, die sich selbst als Hausirer , Ar¬ 
beiter , „von gar keiner Beschäftigung“ bezeichnen, Leute, 
die einfach im Verbrechen leben und wandeln. Zu diesen 
kommen in nicht gar geringer Zahl solche, die bis dahin ein 
ordentliches Leben geführt, sogenannte anständige Menschen 
gewesen, ein Handwerksmann, ein Künstler, ein Handelsmann, 
der schlecht geworden, der im Trünke oder in der Leiden¬ 
schaft seinem Weibe oder Kinde einen unglücklichen Schlag 
versetzt, der in arger Verlegenheit seines Herrn Gut entwen¬ 
det. Und endlich ist noch eine mehr beschränkte Zahl der 
hoch ansehnlichen Klasse zu erwähnen, die stets schwarze 
Kleider, ein glattes, sauberes Gesiebt tragen und regelmässig 
zur Kirche gehen, oder es sind Geschäftsleute, die eingefangen 
würden, weil sie Geld nach eigentümlichen und unregel¬ 
mässigen Principien verborgen , oder deren Besonderheit in 
einer unglücklichen Leichtfertigkeit ihrer Feder besteht, und 
in der Schwäche, mit dieser andere Namen zu zeichnen. — 
Ohne zu unterscheiden, zu welcher Gattung von Individuen 
sie gehören, werden sie alle in dieselbe Classe des Straf¬ 
arbeits-Systems versetzt, wo das Verbrechen allein als das 
qualificirende Moment gilt. 

b. Körperliches und geistiges Verhalten. 

Die Gefangenen sind, als besondere Menschenklasse auf¬ 
gefasst , im Wesentlichen ungesund und schlecht beschaffen. 
Bei den untersteh Schichten der Verbrecherklassen finden 
wir gewöhnlich eine niedrige intellectuelle und moralische 
Entwickelung, wie ihre Gewohnheiten und Sitten zeigen; da, 
wo die geistige Constitution defect ist, ist es nicht ungewöhn¬ 
lich, auch physische Defecte zu finden. Andere haben von 
Natur eine körperlich schwächliche Constitution oder sie sind 
mit krankhaften erblichen Anlagen behaftet. Die Art, wie 



189 


diese Leute leben, ihre ganzen Verhältnisse können nicht 
ermangeln, auf sie einzuwirken und ihnen gewisse Formen 
von Krankheit oder Schwäche aufzudrucken. Verbrecher aus 
der Invaliden-Abtheilung gestehen selbst, dass sie ein hartes 
Lehen erlitten, und dass sie einen Theil ihrer Lebenszeit 
in Trunkenheit, Lüderlichkeit, Unmässigkeit und Unregel¬ 
mässigkeit verprasst haben. Diese Lebensweise muss eine 
Vcrschlechtung der Constitution hervorrufen. — Der -Geist 
der Sträflinge aus mehr angesehener Stellung im freien Le¬ 
hen ist in das Auf- und Niederwogen der Speculation ge¬ 
zogen gewesen, das Nervensystem war von Angst und Sor¬ 
gen aufgeregt, und durch diese auch die körperlichen Be¬ 
dürfnisse vernachlässigt; gastrische Uehel, Herz-und Hirnlei¬ 
den sind die ernsten Folgen. Man kann es daher sehr wohl 
begreiflich finden, wenn eine grosse Zahl von Verbrechern 
entweder körperlich oder geistig schlecht beschaffen ist. 

Und was sagen denn die Zahlen? In den Berichten 
der Anstaltsdirectoren von 1869 heisst es, dass von 5458 Ge¬ 
fangenen, die in öffentliche Strafarbeits-Anstalten gebracht 
werden sollten, 1762 arbeitsunfähig wären oder nur für leichte 
Arbeit tauglich, und 162 andauernd arbeitsunfähig, d. i. 5 
von 14 Gefangenen wären invalide oder nur zu leichter Ar¬ 
beit zu verwenden. An derselben Stelle heisst es, dass 370 
von 784 männlichen Gefangenen, die in Millbank eingelie¬ 
fert sind, schwache und entkräftete Constitutionen seien. — 
Der Medicinalbeamte von Millbank, Mr. Gover, sagt in 
seinem Berichte von 1868, „die grosse Mehrzahl der Gefange¬ 
nen, die nach Dartmoor und Woking als Invalide gebracht 
würden, litten bei der Aufnahme an Krankheiten oder an 
allgemeiner Körperschwäche, manche von ihnen bessern sich 
in der Zeit zwischen Aufnahme und Entlassung ganz be¬ 
trächtlich, und will ich mit Bezug auf die Ge fängnissbevöl- 
kerung im Ganzen sagen, dass diese Neigung zur Besserung 
in den letzten Jahren mehr als in den früheren sich gezeigt. 
Indessen glaube ich, dass mit Ausnahme der Hinfälligen 
und Epileptiker, soweit man überhaupt vergleichen kann, 
das Verhältniss der Gefangenen, die mit geistigen und 
körperlichen Gebrechen behaftet sind, grösser ist, als man 



190 


in irgend einem andern Theile der Gesellschaft finden würde.“ 
— In seinem Berichte für dasselbe Jahr sagt Mr. Baker? 
der Medicinalbeamte der öffentlichen Strafarbeits-Anstalten 
von Portland: Es kann, nicht bezweifelt werden, dass die 
Zahl der schwachen und kranken Gefangenen gewaltig im 
Zunehmen ist. Erfahrung und Beobachtung überzeugen mich, 
dass der grösste Theil der eintretenden Gefangenen an la¬ 
tenten und nachweisbaren Krankheiten leidet. 

3. Allgemeine Statistik der Gefängnissbevölke- 
rung und de r Sterblichkeit. 

Diese Statistik beruht auf den jährlichen Berichten der 
Directoren der Anstalten und zwar von 1856—1870 incl. — 
Die Einzelheiten in dem Regimen des Gefängnisslebens sind 
in dieser Zeit ziemlich dieselben gewesen; einzelne Verände¬ 
rungen und besondere Einflüsse werden eigens noch hervor¬ 
gehoben. 

Die Durchschnittsbevölkerung für diese 15 Jahre war 
7551 Köpfe, und zwar 6419 männliche und 1182 weibliche. 
Unter den männlichen Gefangenen war die niedrigste Zahl 
5862 und die höchste 7942; von 1866 an ist die Zahl immer 
im Anwachsen geblieben bis zu ihrem Maximum im Jahre 
1870. Dieser Zuwachs ist nicht durch die Zahl der Verbre¬ 
chen bedingt, sondern durch die Anhäufung der Verbrecher 
in der Heimath in Folge des allmähligen Aufhebens der De¬ 
portation. — Unter den Weibern hat die Zahl sich ebenfalls 
sehr wesentlich geändert; von 1856 an stieg sie von dem 
Minimum 810 bis zu dem Maximum 1303 im Jahre 1863 und 
von dieser Zeit an fiel sie wieder beträchtlich. Das Verhältniss 
der Weiber zu den Männern ist 1 : 5,67 für die ganze Pe¬ 
riode, oder auf 17 Männer kommen 3 Weiber. 

Was die Sterblichkeit anbetrifft, so finden wir, dass 
während der 15 Jahre 1528 Todesfälle, (jährlich 101) vor¬ 
kamen, von denen 1289 auf die männlichen und 239 auf die 
weiblichen Gefangenen kommen. Die Durchschnittszahl der 
Todesfälle auf 1000 war 13,49 ; bei den männlichen 13,38 
und bei den weiblichen 14,07 ; unter den Ersteren schwankt 
die Zahl von 9,47 bis 18,38, und unter den Letzteren 



191 


von 6,60 bis 21,19. Das Verhältniss der Sterblichkeit unter 
den Weibern zu der der Männer ist 1 ; 5,36 oder 3 Weiber 
auf 16 Männer. 


Tabelle II. Die jährliche , männliche und weibliche 
Sträflings-Bevölkerung mit der Sterblichkeit und deren Yer¬ 
hältniss auf 100 Gefangene während der 15jährigen Periode. 


Jahr. 

Bevölkerung. 1 

Todesfälle. 

Tod auf 1000. 

Tod auf 1000. 

Männl. 

Weibl. 

Summa 

Männl. 

Weib. 

Summa 

Männl. 

Weibl. 

an alten 

Todesarten.! 

an 

?hthis. 

1856 

6025 

810 

6835 

91 

15 

106 

15.10 

18 51 

M. 

15.5 

\> . 
7.3 

1857 

6650 

922 

7572 

63 

14 

77 

9.47 

15.18 

10.1 

4.6 

1858 

6760 

1043 

7803 

104 

18 

122 

15.38 

17.25! 

15.6 

7.8 

1859 

6551 

1189 

7740 

69 

11 

80 

10.53 

9 . 25 ; 

10.3 

4.0 

1860 

6397 

1269 

7666 

79 

19 

98 

12.34 

14.97; 

12.7 

4.3 

1861 

6022 

1205 

7227 

68 

11 

79 

11.29 

9.12! 

10.9 

3.8 

1862 

5862 

1211 

7073 

54 

8 

62 

9.21 

6.60; 

8.7 

2.8 

1863 

6089 

1303 

7392 

91 

21 

112 

14.94 

16.11 

15.1 

7J) 

1864 

6153 

1274 

7427 

69 

27 

116 

14.46 

21.19 

15.6 

7.0 

1865 

5983 

1248 

7231 

110 

15 

125 

18.38 

12.01 

17.4 

8.1 

1866 

5941 

1017 

6958 

103 

18 

121 

17.33 

17.69 

J7.3 

7.0 

1867 

6094 

1008 

7102 

90 

12 

102 

14.76 

11.90 

14.3 

4.6 

1868 

6593 

1104 

7697 

79 

12 

91 

11.98 

10.86 

11.8 

3.5 

1869 

7219 

1185 

8404 

99 

15 

114 

13.71 

12.66 

13.5 

5.9 

1870 

7942 

1190 

9132 

100 

23 

123 

12.59 

19.32 

13.4 

5.5 

durch¬ 

schnitt¬ 

6419 

1132 

7551 

85.2 

15.2 

101 

13.38 

14.07 

13.4 

5.5 

lich 15 
Jahr. 












Die Durchschnittszeit der zu verbössenden Strafhaft 
war nach den Strafzeiten der am 31. Dezember 1868 in den 
Anstalten vorhandenen Sträflinge für die männlichen Gefan¬ 
genen 5 7a und für die Weiber 5 Jahre. 

4. Statistische und pathologische Bemerkungen 
über dieverschiedenenTodesursachen unter Jen 

Gefangenen. 

Die Todesursachen stellen sich nach dem Tode als 
das Ergebniss derjenigen Krankheitserscheinungen dar, die 
ihrer überwiegendsten Natur nach bei den Gefangenen auf- 








192 


treten und die bedingt werden durch die angeborene unge¬ 
sunde Constitution, durch das hohe Sterblichkeitsverhältniss 
an Consumptionskrankheiten, durch die Häufigkeit, mit 
welcher die langsam sich hinziehenden Krankheiten hier in 
Consumption enden. Wir wollen die Todesarten in folgen¬ 
der Ordnung anführen: 

a. Krankheiten des Gehirns* und Nervensystems. 

Im* Ganzen sind 139 oder 9% an K rankheiten dieses 
Systems gestorben und zwar 113 Männer und 26 Weiber. 
Die einzelnen Krankheiten sind: Apoplexie 49 (40 M. 9 W.) 
Gehirnerweichung 16 (11 M. 5 W.), Gehirnentzündung 14 
(11M. 3 W.), Gehirnabscess 5 (5 M.), Geschwulst 3 (3 M.), unbe¬ 
stimmte Hirnkrankheit 19 (17 M. 2 W.), Lähmung 17 (13 M. 
u. 4 W.), Epilepsie 8 (6 M. 2 W.), Rückenmarkskrankheiten 
8 (7 M. u. 1 W.) — Yon den 40 an Apoplexie gestorbenen 
Männern waren 32 arbeitsunfähig und im durchschnittlichen 
Alter von 40 Jahren; der jüngste war 18 und der älteste 
76 Jahre. (Es waren 21 seröse, 9 hämorrhagische und 10 
unbestimmte Apoplexien; die ersteren sind als seröse Aus¬ 
schwitzungen nur Symptom und nicht Ursache der Krankheit 
und wie Dr. Wilkes angibt, häufig mit M. Brightii, der bei 
Gefangenen nicht selten vorkommenden Art allgemeiner Was¬ 
sersucht vergesellschaftet.) — Yon 173 geisteskranken Ver¬ 
brechern , die aus den Strafanstalten in das 1863 eröffnete 
Specialasyl Broadmoor gebracht sind, sind 23 gestorben. 
Die Todesfälle kommen natürlich auf die schwersten Fälle; 
die Sträflinge, die nur geistesschwach sind, werden ebenso 
wie die Epileptiker in den Anstalten zurückbehalten. Während 
15 Jahre sind nur 432 Sträflinge aus den Strafanstalten als 
geisteskrank in Irrenanstalten geschickt, also 28,8 jährlich, 
das würde nach dem Sterblichkeitsverhältniss von Broadmoor # 
57 Todte geben, und das wieder auf alle Sträflinge ver¬ 
rechnet 0,5 Todte in Folge von Geisteskrankheit auf 1000 
Sträflinge. 

Der Hirnpathologie der Gefangenen ist ein sehr grosses 
Gewicht beizulegen. „Vom medico-legalen Standpunkte aus 
verlangt das Gehirn des Verbrechers, als das Organ desVer- 



198 


Standes und der Seele die allergrösste Beachtung. Die Un¬ 
terscheidung zwischen rein verbrecherischer oder krankhafter 
Handlung ist noch sehr unsicher und manchmal unbestimm¬ 
bar; sie bildet häufig den Gegenstand lebhafter Contraverse 
unter den angesehensten medicinischen Sachverständigen. Der 
Gefängnissarzt ist berufen, hei seinem täglichen Verkehr mit 
Gefangenen über die geistige Fähigkeit und Eigenschaft der 
Gefangenen sich ein Urtheil zu bilden, und ihren aus bos¬ 
haftem oder excentrischem Charakter ausgeführten Handlun¬ 
gen einen bestimmten "Werth beizulegen. 

b. Bespirationssystem. 

Die Lungen sind das verwundbarste Organ und nir¬ 
gends mehr als unter Gefangenen. Krankheiten der Respira¬ 
tionsorgane verursachen mehr als 50% der Sterblichkeit 
unter diesen, und selbst wenn wir die Lungenschwindsucht 
ausschliessen, zeigen Pneumonie und Bronchitis immer noch 
einen sehr hohen Procentsatz, wiewohl eine grosse Zahl 
von Todesfällen, die man diesen letztem zuschreibt, durch 
phthisische Erscheinungen beschleunigt werden. Pneumonie 
und Bronchitis gehen 65 und 68 Todesfälle, sie sind eine 
der häufigsten Formen der entzündlichen Krankheiten unter 
den Gefangenen. Sie treten aber ohne acuten Character auf, 
mehr hinterlistig als bei der freien Bevölkerung, sie folgen 
auf andere vorhergehende Krankheiten und setzen sich gerne 
bei allgemeinen Schwächezuständen fest. — „Nichts über¬ 
raschte mich mehrsagt Nicolson, „als die physicalischen 
Befunde der Brustorgane unter den ambulatorischen oder 
stabilen Kranken unter den c. 1600 Gefangenen, die in den 
öffentlichen Strafarbeits-Anstalten von Portland mit seinem 
wechselnden Klima beschäftigt waren, Befunde, die eine ge¬ 
nauere Untersuchung der Brustorgane bei Leuten ergab, de¬ 
ren Puls und allgemeines Aussehen vergleichsweise ruhig und 
fieberlos war, so dass ich genöthigt bin, immer und bestän¬ 
dig zum Sthetoscop zu greifen.“ — „Nicht nur die Heimlich¬ 
keit des Auftretens ist hemerkenswerth, auch entzündliche 
Krankheiten mit sthenischem Typus fehlen merkwürdiger¬ 
weise, und selbst bei Gefangenen, diö rüstig und zu schwerer 



Arbeit geeignet sind.“ — Von den andern Lungenkrankheiten 
gehören 15 zu Pleuritis, 14 zu Blutsturz, 4 zu EmphyBem, 2 
zu Abscess und je 1 zu Gangrän und Hydatiden. 

P h t h i s i b. Die Lungenschwindsucht ist diejenige Krank¬ 
heit, die erbarmungs- und schonungslos die Gefangnissbevöl- 
kerung niedermäht. „Sie ist „die Ruthe der Gefangenen“ ge¬ 
nannt worden, aber lieber möchte ich sagen, der Verbrecher- 
Klassen; denn ich glaube, das Gefängniss ist mehr das Re¬ 
servoir, nicht die Quelle der Schwindsucht. Ich leugne nicht, 
dass die Gefangenschaft in sich selbst schädliche Ursachen 
genug enthalte, und vorzugsweise in der Form deprimirender 
Einflüsse, aber das Gefängniss hat auch gesundheitliche Mo¬ 
mente, wie Regelmässigkeit, Reinlichkeit und Nüchternheit.“ 
Nahezu die Hälfte der Todesfälle (41,29%) unter den Ge¬ 
fangenen gehört der Phthisis an, aber diese Zahl stellt noch 
lange nicht die ganze Verheerung durch diese Krankheit dar, 
denn in vielen Leiden ist Phthisis die erste Grundkrankheit, 
in andern wieder die letzte fatale Krankheit, wenn andere 
Krankheiten das Opfer nicht haben hinwegraffen können. 

Während 15 Jahren sind 631 Gefangene, 527 männliche 
und 104 weibliche an Phthisis gestorben, auf 1000 lebende Ge¬ 
fangene kommen jährlich 5,57; unter den Männern 5,47 und un¬ 
ter den Weibern 6,12; es sind beinahe 3% (?) mehr Todesfälle 
bei den weiblichen Gefangenen, als bei den männlichen. 
Das mittlere Verhältniss für alle Gefangenen ist 41,27% von 
der ganzen Sterblichkeit. 

Das Durchschnittsalter von 411 an der Phthisis verstor¬ 
benen Sträflingen war 33 Jahre 5 Monate und das von 68 
Weibern war 27 Jahr 9 Monate. Weil der Gefangene, so¬ 
bald er phthisisch wird, an einer chronischen Krankheit oder 
allgemeinen Schwäche leidet, von den öffentlichen, schweren 
Arbeiten nach einer Anstalt für leichtere Arbeit oder für 
Arbeitsunfähige geschickt wird, ist es schwierig, die Zahl der 
an Auszehrung Gestorbenen anzugeben, die wirklich stattge¬ 
funden hat im Verhältniss zu den in der Anstalt zurückge¬ 
bliebenen gesunden Leuten. 

Das Verhältniss der Arbeitsunfähigen zur Auszehrung 
lässt sich annähernd aus der Bemerkung des Dr. Campbell, 



195 


des Arztes von Woking, im Jahre 1867 ersehen. Ton 
17 anFhthisis im letzten Jahre Gestorbenen waren 12 wegen 
dieser Krankheit invalid geworden, bei den übrigen war 
Bronchitis, Altersschwäche etc. Ursache der Invalidität. Sie 
waren schon bei ihrer Aufnahme sehr heruntergekommen, 12 
waren im Hospitale bis zu ihrem Tode behandelt worden und 
die Andern waren bei der Einlieferung noch etwas arbeits¬ 
fähig. In den weniger vorgeschrittenen Formen der Krank¬ 
heit war das Befinden oft befriedigend, manche wurden wie¬ 
der kräftig und scheinbar gesund, so dass man sich verleiten 
liess, sie wieder in die öffentlichen Arbeitsanstalten zu schi¬ 
cken; vor ihrer Wegschickung ist jede mögliche Vorsicht 
angewendet worden. Zweifellos sind viele wieder schlimmer 
geworden. 

Die pathologischen Verhältnisse der Phthisis unter Ge¬ 
fangenen sind höchst interessant und wichtig. Es ist schon 
erwähnt, wie schleichend die entzündlichen Affectionen der 
Brustorgane verlaufen, wie häufig man bei genauer physika¬ 
lischer Untersuchung unerwartete Krankheitsprozesse bei 
den Gefangenen vorfindet. Solche Fälle treffen sich nicht 
selten bei Gefangenen, die wegen schlechter Führung sich 
wiederholt Kostentziehung und andere Strafen zugezogen. 
In solchen Fällen hat die Körperkrankheit ganz den Anschein, 
als wenn sie eingeimpft wäre und von localen oder allge¬ 
meinen Krankheitsmomenten, die sich bereits festgesetzt hat¬ 
ten, genährt würde. Phthisis ist sehr geeignet, durch diese 
Combination zu entstehen, und jeder Gefängnissarzt weise, 
wie schnell das Opfer fällt, wenn die Krankheit diese Gestalt 
annimmt. 

Eine asthenische Form von Lungenentzündung befällt 
Leute mit schon früher geschwächten Lungen, die Krankheit 
geht über in Nachtschweisse , Abzehrung, Fieber und hohe 
Temperatur, und nach dem Tode findet man die Zeichen 
einer schon lange bestehenden, sehr vorgeschrittenen Krank¬ 
heit. Diese Befunde bereiten recht oft Verlegenheiten und 
sind unerklärlich, wenn man die alte Laennec’sche Lehre, 
die die Gegenwart von Tuberkeln in allen Fällen von Phthi¬ 
sis verlangt, aufrecht halten will. 



196 


Sehr verschiedene Meinungen herrschen seit den letzten 
Jahren in Betreff des Verhältnisses von Lungenschwindsucht 
und Tuberculose, besonders haben deutsche Pathologen die 
Aufmerksamkeit nach dieser Richtung hin gelenkt; diese 
neuen Anschauungen finden am besten ihren Ausdruck in 
Niemeyer, der das Princip aufgestellt, dass es eine Schwindsucht 
ohne Tuberculose gehe. Er glaubt, dass die Mehrzahl der 
Schwindsuchtsfalle das Ergebniss von Lungenentzündungen 
oder von sich häufig wiederholenden entzündlichen Prozessen 
sei, die in die sogenannte käsige Infiltration der Lungen¬ 
substanz ausgeht, diese vernichtet und zerstört. Diese kä¬ 
sige Verdichtung des Lungengewebes wird bekanntermassen 
von Tuberkelentwicklung oft begleitet, und die grösste Ge¬ 
fahr für Schwindsüchtige ist nach Niemeyer, dass sie tuber- 
culos würden. Als Tuberkeln sind nur die kleinen hirsekorn¬ 
grossen Knötchen anzuerkennen, die selten dort gefunden 
werden, wo nicht Producte von chronischer Entzündung vor¬ 
handen ; Lungenschwindsucht steht demnach in engster Bezie¬ 
hung zur käsigen Infiltration, die wiederum das Resultat 
meist einer chronisch-katarrhalischen Lungenentzündung ist, 
oder zur chronischen Tuberculose, in welcher Tuberkeln auf- 
treten. 

Diese Lehre verbreitet sehr viel Licht über Ursachen 
und Wesen der Phthisis unter den Gefangenen und der Be¬ 
weis, wie zutreffend und richtig diese ist, findet sich am Bes¬ 
ten im Auftreten und Verlaufe dieser Krankheit in den Ver¬ 
brecherklassen *). 

c. Circulationssystem* 

Von Erkrankungen in diesem System sind 130 Fälle 
vorgekommen, und zwar 107 bei Männern und 23 bei Wei¬ 
bern. Herzkrankheiten verursachten 104 Todesfälle, Aneu¬ 
rysmen 15, Pericarditis 8, Zerreissung grosser Gefässe 3. 

Herzkrankheiten nehmen eine beträchtliche Zahl unter 
den Krankheiten der Gefangenen ein, und wenn wir uns der 
Unregelmässigkeit, der Abwechslung von Aufregung und 

*) Die noch näheren Angaben über das Wesen der Phthisis werden, weil sie nnr 
speciell pathologisches Interesse haben, übergangen. 



1Ö7 


Depression, denen ihre frühere Lebensart sie ausgesetzt, er¬ 
innern, so werden wir nur wenig davon überrascht sein. Yon 
104 wegen dieser Ursache Gestorbenen waren 88 Männer 
und 16 Weiber, das gibt uns eine jährliche Durchschnitts¬ 
sterblichkeit von 0,91'auf 1000 der Gefangenenbevölkerung an. 
Herzkrankheit und zwar bei Männern 0,91 und bei Weibern 
0,94. — Es scheint, dass Klappenfehler und Herzvergrösse- 
rungon gleichzeitig vorhanden sind, und nach unserer Erfah¬ 
rung sind es gerade Atherom und kalkartige Ablagerungen 
in die ersten Theile der Aorta, die sehr häufig vorhanden 
sind und zu Hypertrophien und Erweiterungen des Herzens 
führen. 

Unter 15 Fällen von Aneurysmen sind 10 Männer und 
5 Weiber. Die Verhältnisse derjenigen Klassen , aus denen 
sich besonders die weiblichen Gefangenen rekrutiren , lassen 
es erklärlich finden, dass hier die Syphilis die wirkliche Ursache 
der Aneurysman sei, die unter den Gefangenen Vorkommen, 
und gerade dies erklärt auch die relativ sehr hohe Zahl un¬ 
ter den weiblichen Gefangenen. Ueber diesen Punkt sagt 
Dr. Rendle in seinem Bericht über die Wefter-Gefangen- 
anstalten im Jahre 1864: diese Krankheit' kommt nicht selten 
unter den weiblichen Gefangenen vor, und ich glaube einzig 
bedingt durch die Zerstörung der innern Haut der grossen 
Blutgefässe durch syphilitische Dyscrasie. 

d. Verdauungssystem. 

In den Augen des Gefangenen verdient kein System 
mehr, (und er will sagen, erhält weniger) Aufmerksamkeit 
als dieses. Seine Arbeitskraft, er fühlt es , wird übermässig 
in Anspruch genommen, mehr als sie durch Nahrungszufuhr 
gedeckt wird. Aber ganz dasselbe sagt auch der arme, ehr¬ 
liche Mensch. Als pathologisches Object verdient indessen 
dieses System hier unter den Gefangenen nur ein secundäres 
Interesse. 

Im Ganzen sind bei beiden Geschlechtern 133 (108 Männor 
und 25 Weiber) also 8,7% an Verdauungskrankheiten ge¬ 
storben. 52 gehören von diesen noch der Entzündung des 
Bauchfells und der Eingeweide an, 35 der Ruhr und Durch- 



fall, 27 den Leberkrankbeiten, 10 den Brüchen und 9 unbe¬ 
stimmten Krankheiten. Yon den Bauchfellentzündungen war 
ein Theil sicher tuberculöser Natur, ein Fall ist als Kuptur 
des Magens verzeichnet. 

Leberkrankheiten sind nicht ausgesprochen häufig unter 
den Gefangenen, sie führen nicht direct den Tod herbei, aber 
bei anderen Todesarten findet man die Leber häufig sehr 
verändert in Aussehen und Struktur. Die Muskatnussleber 
trifft man am häufigsten; Lebercirrhose mit Schwund des 
Parenchyms ist selten im Yerhältniss zu der grossen Zahl 
von Trinkern, die im Gefängniss in Behandlung kommen. 
Das Leben in der Gefangenschaft, das eine knappe, aber 
doch eine regelmässige Lebensweise bedingt, die gänzliche 
Enthaltsamkeit von Spirituosen Getränken bringt die krank¬ 
haft gewordene Leber wieder in Ordnung und desshalb hat 
die Gefangenschaft keinen Einfluss auf das Yorkommen von 
pathologischen Yeränderungen in der Leberstruktur. Die 
Consumptionskrankheiten unter den Gefangenen und der frü¬ 
here Missbrauch spirituoser Getränke sind die Ursachen der¬ 
selben. * 


e. Urinsystem. 

Die Harn secernirenden Organe verursachen 55 Todes¬ 
fälle, das gibt 3,6°/ 0 von der ganzen Sterblichkeit, einVerhält- 
niss, das sicher den Einfluss nicht wiedergiebt, den die Krank¬ 
heiten dieses Systems unter den Todesursachen c i nnehmen. 
Die Nierenentartung muss vom pathologischen Gesichtspunkte 
aus als die erste Ursache angesehen werden. In vielen Was- 
sersuchtsformen und auch bei manchen Herzkrankheiten kön¬ 
nen Nierenkrankheiten als Krankheitsgrundursache nicht 
übersehen werden; bei manchen andern Krankheiten kommt 
sie auch secundär vor. 

f. Constitutionelle und allgemeine Krankheiten. 

An Scrophulose, Lumbar und Psoasabscessen sind 53 Ge¬ 
fangene gestorben. (45 Männer und 8 Weiber), an Krebs 29 
(19 Männer und 10 Weiber), an Wassersucht 18 (13 Männer, 
5 Weiber), an Fieber 19 (17 M. 2 W.), an Erysipel 10 (10 



Männer), an Knochenleiden 17 (16 Männern. 1 Weib), an 
Schwäche 14 (12 M. u. 2 W.), Alter 7 (7 M.), Diabetes 6 
(5 M. u. 1 W.), Anämie 6 (5 M.), Pyämie 4 (4 W.), Syphi¬ 
lis 2 (1 M. u. 1 W.) Rheumatismus 2 (2 M.), Uterus-Krank- 
keiten 2 (2 W.), Geschwüren 2 (2 M.), Purpura 1 Mann, 
Tumor 1 Mann, Atrophie 1 Mann, zusammen also 193 Indi¬ 
viduen. 

Scrophulose kommt sehr häufig bei Gefangenen vor, 
als Zeichen einer angeborenen oder anerworbenen Krankheit. 
Sie zeigt sich durch ein allgemein ungesundes Aussehen 
mit oder ohne Drüsenanschwellung, Hautausschlägen u. s. w. 

Der Krebs kam 29 Mal vor (19 Männer u. 10 Weiber) 
und zwar 9 Mal im Magen, 5 Leber, 4 Uterus, 3 Lungen, 
2 Eingeweide, 1 Brust, 1 Harnblase, 3 Wirbelsäule und 3 
in nicht angegebenen Organen. 

g. Zymotische Krankheiten. 

Im Ganzen kamen hier nur 2 Fälle durch Syphilis 
und 1 an Purpura vor. An miasmatischen Krankheiten sind 
während der 15 Jahre 66Todesfälle vorgekommen: 55 Män¬ 
ner und 11 Weiber. — Die ganze Zahl der durchschnittlichen 
jährlichen Mortalität an zymotischen Krankheiten ist 4,4 bei 
der mittleren Bevölkerung von 7551 Gefangenen, oder von 
0,58 auf 1000. Die zymotischen Krankheiten geben 4,3 % 
unter allen Todesursachein 

An Diarrhoe und Ruhr sind 35 gestorben (26 Männer 
und 9 Weiber), an Typhus 6 (5 M. u. 1 W.), Typhoid 6 (5 
M. u. 1 W.), Fieber 5 Männer, Pocken 1 Mann, Erysipel 
10 Männer, Rheumatismus 3 Männer. 

Die Ruhr zeigt sich in Gefängnissen nicht oft in ihrer 
wahren Gestalt. Diarrhoeen , die meistentheils aus atmos¬ 
phärischen Einflüssen, manchmal auch aus diätetischen Gründen 
entstehen, nehmen nicht selten das Ansehen von vorüberge¬ 
henden Epidemien an. Die Seltenheit von Todesfällen zeigt, 
dass die Epidemien nicht heftig und nicht häufig sind. Yon 
66 Fällen sind im Ganzen 35 tödtlich verlaufen. 

Die wenigen Fälle von infectiösen und contagiösen 
Krankheiten geben ein äusserst günstiges Zeichen. Man 



20Ö 


kann nickt erwarten, dass die Gefängnisse ganz frei von 
diesen Krankheiten sein sollten, da aber die wenigen Fälle 
ihr Yorhandensein darthun, so muss irgend ein Einfluss im 
Werke sein, oder es müssen Maassnahmen getroffen sein, 
die ihre Yerbreitung verhindern. Fieber, Pocken und Ery¬ 
sipel geben in 15 Jahren unter der ganzen Bevölkerung nur 
28 Todesfälle, und nur einen einzigen Todesfall in jedem der 
drei letzten Jahre. — Diese Ergebnisse sind um so inter¬ 
essanter und gewichtiger, wenn wir die grosse Zahl von Krank¬ 
heiten , wie den niedrigen Grad der Gesundheit betrachten, 
der den Einwohnern der Gefängnisse eigen ist. Die Tren¬ 
nung der Gefangenen von dem öffentlichen Leben und die 
Mittel, um eine vollständige Absonderung herzustellen, wenn 
einzelne Gefangene von ansteckenden Krankheiten befallen 
werden, die Reinlichkeit und Regelmässigkeit, die überall in 
den Gefängnissen vorherrschen, Alles dies muss eine äusserst 
günstige Wirkung ausüben auf die Verhütung weiterer Aus¬ 
breitung von zymotischen Krankheiten. 

Genau vor einem Jahrhundert mussten die englischen 
Gefängnisse als Brutstätten von Pestilenz und Schmutz an¬ 
gesehen werden. Die Fluth war bis auf die höchste Höhe 
gestiegen und die Gesundheitsacte von 1774 war, Dank den 
unermüdlichen Anstrengungen von Howard, das Zeichen für 
ihre Ebbe. Die 100 Jahre sind nicht ohne Arbeit gewesen, 
aber die Arbeit hat einen Sieg gefeiert. Die Sanitätswissen¬ 
schaft kann keinen bessern Erfolg aufweisen , als die That- 
sache, dass in den letzten 15 Jahren, von 1856 bis 1870, 
Englands Strafhäuser gänzlich von den unglückseeligen und 
unheilvollen Epidemien frei’waren, und dass die Sterblichkeit 
an zymotischen Krankheiten in diesen auf ein Minimum her¬ 
untergebracht worden sei. Die Gefängnisse nehmen, 
wie Dr. Guy gesagt hat, jetzt die erste Stelle unter 
den gesündesten Aufenthaltsorten für die Men¬ 
schen ein. 


h. Tod durch Verunglückung und Gewalt. 

Die Todesfälle durch Verunglückung und Gewalt waren 
zusammen 74 an der Zahl, im Verhältnis von 5 auf das 



Jahr während der 15jährigen Periode. Sie vertheilen eich 
auf Verunglückung 49, auf Selbstmord 24 und auf Mord 1. 
Unter den Weibern kam nur 1 Fall vor und dieser war ein 
Selbstmord. 

Der Tod durch Verunglückung kommt, wie sich erwar¬ 
ten lässt, meistenteils, von den schweren Arbeitsarten her, 
zu denen die Gefangenen verurteilt werden. Die Gefäng¬ 
nisse, in denen diese Unglücksfälle vorgekommen, sind die 
öffentlichen Strafarbeits-Anstalten von Portland 28, von Cha- 
tham 9, von Portsmouth 7, in den Anstalten von Millbank 4, 
Pentonville 8, Dartmoor 2 und Woking 2. Der grosse An¬ 
teil dieser Todesfälle in den öffentlichen Strafarbeits-Anstal¬ 
ten überrascht nicht, wenn man bedenkt, wie viele Gefangene 
an solche Arbeit gar nicht gewöhnt sind, wie viele unvorsich¬ 
tig und nachlässig sind. Portland allein liefert fast die Hälfte, 
aber das muss man hier mehr der grossen Unsicherheit und 
Gefahr in der Beschäftigung zuschreiben, in den schweren 
Erdarbeiten, Steinbrüchen etc. 

i. Selbstmord. 

In den 15 Jahren legten 24 Gefangene selbst Hand 
an sich, das macht jährlich 0,21 auf 1000 der ganzen 
Gefängnissbevölkerung, unter diesen war nur 1 Weib. 
Die Todesart bestand in Erhängen 16, Halsabschneiden 
4, Sturz von der Höhe 2, nicht bestimmt 2. Die Gefäng¬ 
nisse, in denen die Selbstmorde vorgekommen, sind: Pen¬ 
tonville 11, Millbank 10, Portland 2, Chatham 1. — Denken 
wir an das Elend und die Hoffnungslosigkeit in der Gefan¬ 
genschaft, so kann diese Zahl der Selbstmordfälle nicht als 
eine hohe angesehen werden. Drei nicht unwesentliche 
Momente beobachtet man bei den Selbstmorden unter den 
Gefangenen: 1. dass der Selbstmord gewöhnlich in den ersten 
Monaten der Gefangenschaft begangen wird, wo Gewissens¬ 
bisse und das Missgeschick am Meisten gefühlt wird, 2. dass 
vor demselben in den allermeisten Fällen sich keine Geistes¬ 
störung zeigt, und 3. dass Selbstmord unter weiblichen Ge¬ 
fangenen selten vorkommt. 

Blltter ffir Gef&ngnlselcnnde VU. 14 



202 


5. Hat die Ste r blichk eit in den englischen Gefan- 
gen-Ansta 1 ten zu- oder abgenommen? 

Man kann diese Frage in einem allgemeinen Sinn 
nehmen, wenn man alle Verhältnisse, die die Sterblichkeit 
bedingen, berücksichtigen will, oder in einem ganz speciellen 
Sinne, wenn man nur die Gefangenschaft in ihrem Verhält- 
niss zur Sterblichkeit betrachtet. Im letztem Sinne können 
wir mit grosser Zufriedenheit sagen , besonders nach dem 
was wir über die zymotischen Krankheiten bereits ange¬ 
deutet haben, dass die Sterblichkeit abgenommen hat. Die 
weitere Frage in Betreff der Zu- und Abnahme ist nicht so 
leicht zu beantworten. Die Schwierigkeit ist, zu bestimmen, 
was eine Ab- oder Zunahme ist. Wollen wir allgemeine 
Schlüsse ziehen, einfach desshalb, weil wir bei einer Bevöl¬ 
kerung von 7000 Gefangenen ein Steigen oder Sinken von 
1 auf 1000 sehen, dann müssen wir auch gleichzeitig zeigen, 
ob die Bedingungen dieser Sterblichkeit immer dieselben ge¬ 
wesen sind, oder wenn sie nicht dieselben waren, ob sie 
gleichmässig zu Gunsten und Ungunsten schwankten. 

Die Verhältnisse der Sträflinge sind nicht dieselben ge¬ 
blieben , soweit sie auf die Sterblichkeitsfrage von Belang 
sind, und wenn wir die schwankende jährliche Todtenzahl 
übersehen, so müssen wir untersuchen , welche Veränderung 
stattgehabt, wie weit und nach welcher Richtung hin sie ihren 
Einfluss gezeigt haben. — Mehr wirkungsvolle Veränderungen 
lassen sich auf das eine oder das andere der folgenden Mo¬ 
mente beziehen: auf 1. die physische Beschaffenheit der Ge¬ 
fangenen bei der Aufnahme, 2. die Ernährung, 3. Beurlau¬ 
bung, resp. Entlassung aus ärztlichen Gründen und 4. Trans¬ 
portation. 

Veranschaulichen wir uns zunächst mit folgender Ta¬ 
belle die Sterblichkeit im Allgemeinen und das Verhältniss 
der bei den letzt angeführten Momenten während der 3 fünf- 
jährigenpPerioden: 



203 



I. Periode. 
1856-1860. 

II. Periode. 
1861-1865. 

III. Periode. 
1866—1870. 


die 

ganze 

Zahl 

jährlicher 
Durchschnitt 
aut 1000 
der 

Bevölkerung 

die 

ganze 

Zahl 

jährlicher 
Durchschnitt 
aul 1000 
der 

Bevölkerung 

die 

ganze 

Zahl 

jährlicher 

Durchschnitt 

auf 10 X) 
der 

Bevölkerung 

Tod aus allen) 
Ursachen, j 

483 

12.8 

494 

13.6 

551 

14.0 

Tod aus Phthisis 

210 

5.5 

211 

5.8 

210 

5.3 

Entlassung ) 
aus ärztlichen > 
Gründen j 

82 

2.1 

28 

0.7 

12 

0.3 

Transportation 

3849 

102 

3706 

101 

1658 

44 


Entlassung aus ärztlichen Gründen. Der 
Antheil und die Grösse der Sterblichkeit unter diesen Ent¬ 
lassenen hängt von der Wahrscheinlichkeit ab, die diese 
Individuen haben, während der Gefangenschaft zu ster¬ 
ben. Nun hat der Staats-Secretär im Jahre 1857 die Auf¬ 
merksamkeit auf den Missbrauch, der damals mit diesen 
Entlassungen getrieben wurde, gelenkt. Diese Entlassenen, 
meint er, kehren wieder häufig nach dem Gefängniss zurück 
und zwar mit erneuten Kräften. Yon den in der 1. fünf¬ 
jährigen Periode Entlassenen waren 14 wegen Geistesschwäche 
aus der Haft entlassen; diese Fälle kann man als nicht 
tödtlich verlaufend abziehen; von den Uebrigen war die Mehr¬ 
zahl schwindsüchtig; einige von ihnen mögen sich auch draus- 
sen mehr erholt haben, als im Gefängniss. Manchmal war 
eine Operation als Entlassungsgrund angegeben, andere wie¬ 
der wurden nur einige Monate vor ihrem Strafende entlassen. 
Während der andern fünfjährigen Perioden ging man be¬ 
hutsamer und strenger zu Werke, so dass in der dritten Pe¬ 
riode im Ganzen nur 12 Entlassungen bewilligt wurden. Je 
mehr aber die Entlassungen aus ärztlichen Gründen einge- 

14* 

v 










204 


schränkt wurden, desto mehr wuchs die Sterblichkeit unter 
dpn Gefangenen. Man irrt sicher jnicht, wenn man hei der 9 
Freigiebigkeit und Laxheit in der ersten Periode ein Dritt- 
theil der Entlassenen nur als Todte ansieht, während man 
hei der Strenge und Vorsicht in den letzten Jahren alle zwölf 
aus ärztlichen Gründen Entlassene als Todte annimmt. Viel¬ 
leicht, dass man in der .dritten Periode zuviel annimmt; in 
deir ersten ist die Zahl der Todten sicher nicht zu gross. 

Transportation. Die in diesem Theile eingetre¬ 
tene Veränderung liegt darin, dass die Transportation in den 
letzten Jahren in de? Strafvollstreckung nach, und nach 
immer mehr aufhörte. Es gestaltete sich so, dass in ‘ 
der ersten Periode von 1000 Gefangenen 102 Mann fort¬ 
geschickt wurden und in der dritten nur 44. Transportation 
und Entlassung aus ärztlichen Gründen haben einen entge¬ 
gengesetzten Einfluss auf die Sterblichkeit. Durch die Ein¬ 
schränkung der Transportation werden in den englischen 
Straf-Anstalten sehr viele Gefangene zurückbehalten aus der 
gesundesten Klasse, also solche , die am Wenigsten sterben; 
durch die Einschränkung der Entlassung aus ärztlichen Grün¬ 
den werden dagegen viele zurückbehalten, die am meisten 
krank sind, also solche, die am ehesten sterben. Nehmen 
wir an, dass in der ersten Periode ein Drittheil von den aus 
ärztlichen Gründen Entlassenen als Todte zu betrachten seien, 
so ist das Verhältniss dieser Entlassungen auf 1000 der Be¬ 
völkerung zu 1000 Transportirten wie 1 : 145 und in der 
dritten Periode ist, wenn wir die 12 aus ärztlichen Gründen 
Entlassenen sämmtlich als Todte ansehen, ganz genau das¬ 
selbe Verhältniss. Mögen auch kleine Differenzen vorhanden 
sein auf der einen oder andern Seite, so kann man dennoch 
mit Recht annehmen, dass der entgegengesetzte Einfluss der 
Transportation und der Entlassung aus ärztlichen Gründen 
in Betreff der Sterblichkeit sich aufheben. 

Verpflegung. Im Jahre 1864 ist eine Einschränkung 
in der Verpflegung der Sträflinge eingeführt. Wir können 
hier nicht näher auf diesen Gegenstand eingehen, als auf 
sein Verhältniss zur Sterblichkeit, und da müssen wir ver- 



205 


sichern, dass kein Gegenstand von den Behörden und der 
Verwaltung mit soviel ängstlicher Sorgfalt geprüft worden 
ist, als gerade dieser. Weil man vom social-criminalistischen 
Standpunkte aus nichts mehr verhüten muss, als eine zu 
gutg und reichliche Ernährung der Sträflinge, so ist anderer¬ 
seits nichts ungerechter, als die Gefangenen zwangsweise 
hungern zu lassen. Für Gefangene muss die Verpflegung, 
um sich allgemein auszudrücken, die minimalste sein, ' die 
mit der Erhaltung der Gesundheit und der körperlichen Ver¬ 
richtungen, soweit sie die Arbeit in der Strafanstalt üothwen- 
dig maoht, verträglich sind. 

Die Verpflegung hat keinen directen Einfluss auf di« 
Sterblichkeit, sie steigert indirect die Sterblichkeit durch 
eine Steigerung der Krankheiten. Die Wirkung der Er¬ 
nährung der Sträflinge muss desshalb im Zusammen¬ 
hänge mit der Morbilität der Gefangenen betrachtet werden. 
Die indirecte Wirkung auf die Gefangenensterblichkeit zeigt 
sich darin, dass die Disposition zu Krankheiten wächst; die 
Herabsetzung der Verpflegung unter das nothweridige Minimum 
drückt die Widerstandskraft der Menge herunter und hierin 
liegt die Gefahr. Mit Rücksicht auf die Gefangenen gleicht 
sich indessen diese Gefahr aus dadurch, dass die Beschäftigung 
der körperlichen Constitution angepasst wird und dadurch, 
dass der Gefangene sehr leicht ins Hospital gebracht wird, 
wo je nach der Individualität die Verpflegung eine bessere 
ist. Im Ganzen genommen kann eine Einschränkung der 
Verpflegung keinen besonders ungünstigen Einfluss auf die 
Morbilität ausüben, wenn- sie nur die einzige Ursache bleibt, 
zumal sofort Abhilfe gewährt wird, sobald sich seine Wir¬ 
kung zeigt. — Man kann zugeben, dass eine Vermehrung 
der Verpflegung das Steigen der Krankheiten zu vermindern 
geeignet ist und wohl auch das Steigen der Todesfälle; abe* 
dieses Argument ist nicht so bedeutungsvoll und wichtig, wenn 
wir daran denken, dass dieses Plus als Kräftigungsmittel 
den Dieben, Einbrechern, den Garotters und andern Störern 
unseres häuslichen friedlichen Herdes verabreicht wird. 

Die körperliche Constitution bei der Auf¬ 
nahme. Wir haben schon gesagt, dass die Gefangenen im 



206 


Allgemeinen eine ungesunde Menschenklasse sind, und nun 
müssen wir zeigen, dass diese ungesunde Constitution bei 
den eintretenden Gefangenen auch im Zunehmen ist Mr. 
Gover von der Aufnahme-Anstalt Millbank sagt in seinem 
Berichte für 1867, dass das Yerhältniss der schwachen und 
kranken Sträflinge bei der Aufnahme im Zunehmen ist Die 
tägliche Durchschnittszahl der Kränklichen in diesem Ge- 
fängniss wuchs von 1859 bis 1867 beständig bis genau das 
Doppelte. 

Gehen wir zur Betrachtung unserer Hauptaufgabe zu¬ 
rück. Wir sehen, dass die jährliche Durchschnittssterblich¬ 
keit in der 3. Periode um 1,2 auf 1000 gestiegen ist gegen 
die 1. Periode. Der einzige Einfluss von den angeführten 
4 Momenten, der eine Abnahme der Sterblichkeit bedingt, 
war die Einstellung der Transportation und dieser Einfluss 
wird wieder neutralisirt durch die Abnahme der Entlassungen 
aus ärztlichen Gründen. Es bleibt also nur die Herabsetzung 
der Verpflegung und,die Zunahme der Kränklichen bei der 
Einlieferung; beide üben einen ungünstigen Einfluss auf das 
Sterblichkeitsverhältniss und in der That ist diesem Einflüsse 
das Steigen der Sterblichkeit um 1,2 auf 1000 zuzuschieben. 
Die Sterblichkeit in den englischen Strafanstalten ist also im 
Allgemeinen im Zunehmen, und ~wir müssen sehen, welche 
Krankheitsform diese Steigung bedingt. Die Consumptions- 
krankheiten sind in allen Perioden dieselben geblieben; auch 
die constitutioneilen allgemeinen Krankheiten zeigen eine 
Abnahme; die Zunahme liegt in den andern Krankheiten 
in dem Nerven-, Bespirations-, Circulations-, Digestions- und 
Harnsystem. 

Für die entsprechende Periode von 15 Jahren von 1856 
bis 1870 war, um die Statistik der durchschnittlichen Bevöl¬ 
kerung und der Sterblichkeit in England, Irland und Schott¬ 
land vergleichen zu können, die alljährliche Durchschnitts¬ 
bevölkerung in England 7551, in Irland 1679 , in Schottland 
675; die Totalsterblichkeit in England 528, in Irland 841 
und Schottland 154; die jährliche Todtenzahl auf 1000 Mann 
in England 13,5, in Irland 13,0 und in Schottland 15,3. 



207 


Schlussbetrachtung. 

Die Gefängnissfrage und zwar ganz besonders deren 
mehr praktischer Theil ist im grossen Maasse auch eine me- 
dicinische Frage. Die Strafarbeit kann man ein grosses Ex¬ 
periment nennen, das der Staat unternimmt, um zu unter¬ 
suchen, wie viel Arbeit ein Mensch unter gewissen Verhält¬ 
nissen leisten kann und wie viel Ernährungsmaterial er dazu 
braucht. Die Anpassung der Verpflegung und der Arbeit 
für die körperliche Leistungsfähigkeit, oder gar vielleicht die 
Anpassung der individuellen Fähigkeit nach einer gewissen 
Norm von Ernährung und Arbeit ist eine Hauptaufgabe des 
medicinischen Departements. Dasselbe Departement hat auch 
die sanitäre und hygienische Seite der Gefängnissfrage, so¬ 
wie die körperlichen und geistigen Krankheiten der Gefan¬ 
genen zu beurtheilen und zu beaufsichtigen. Die nach die¬ 
sen verschiedenen Richtungen hin gewonnenen Ergebnisse 
dürfen in unseren Tagen der medicinischen und Sanitäts-Ge¬ 
setzgebung nicht verloren gehen, gerade je mehr sie geeignet 
ist, anzugeben, was unter einer besondern und eigenen Lei¬ 
tung und Führung geleistet werden kann. Man muss aus 
mehrfachen Gründen bedauern, dass ein jährlicher General¬ 
bericht von dem Medicinal-Departement für Gefangnissangele- 
-genheiten nicht gemacht wird. Die einzelnen Berichte von 
den Gefängnissärzten sind in ihrem Wesen sehr verschie¬ 
den ; sie geben keinen Ueberblick über den Gesundheitszu¬ 
stand der gesammten Gefängnissbevölkerung. 

Die Hauptgrundsätze, zu denen obige Data und Aus¬ 
einandersetzungen berechtigen, sind folgende: 

1. Der Durchschnitt der Bevölkerung war 7551 , das 
Verhältnis der männlichen zu den weiblichen Gefangenen 
3 : 17. 

2. Die Summe der Todten ist 1528, das Verhältnis der 
Männer zu den Weibern 3 : 16. 

3. Die jährliche Todtenziffer ist im Durchschnitt 13,5 
auf 1000 Gefangene. 

4. Mehr als die Hälfte der Sterblichkeit (52%) kommt 
auf die Respirationsorgane, die bösartigste und schlimmste 





208 


Krankheit unter den Gefangenen ist die Lungenschwindsucht, 
5 Ton 12 Sterbfallen (41,3 # / # ) kommen auf diese. 

5. Krankheiten des Gehirn* und Nervensystems kommen 
in der Häufigkeit nach diesen und dann kommen Herzkrank¬ 
heiten. 

6. Den TJnglücksfällen und dem Selbstmord kommen 
5% von sämmtlichen Todesfällen zu. 

7. Es gab in den englischen Anstalten keine epidemische 
Krankheit in den 15 Jahren, so dass die Sterblichkeit an 
zymotischen Krankheiten auf ein Minimum reducirt ist, und 
zwar auf 0,5 auf 1000 Gefangene jährlich. 

8. "Während die Sterblichkeit, soweit sie von der Ge¬ 
fangenschaft abhängt, abgenommen, ist eine Steigerung der 
Sterblichkeit im Ganzen doch vorhanden, und diese wird 
bedingt durch das grössere Verhältniss der Kranken unter 
den Sträflingen bei ihrem Eintritt in die Anstalten. 


II. Beitrag zur Statistik der balerischea Straf- und Polizei-An¬ 
stalten von Dr. med. Carl Mayer, Mitarbeiter im 
Königl. statistischen Bureau zu München. (Aerztl. In¬ 
telligenz-Blatt Nr. 28. 1871.) 

Aus dem seit 1802/63 nach einem gleichförmigen 
Schema eingereichten Jahresberichte derAerzte an den baie- 
rischen Straf- und Polizei-Anstalten werden folgende zuver¬ 
lässige Data über die Sanitätsverhältnisse in den Anstalten 
für die 5jährige Periode von 1863 bis mit 1868 mitgetheilt. 

Zunächst ist wichtig zu wissen , dass nach dem neuen 
baierischen Strafgesetzbuch seit 1861 (mit der Einführung 
des deutschen Reichs-Strafgesetzes 1871 hat dieses Verhält¬ 
niss aufgehört) der Strafvollzug bewirkt wurde je nach 
der Schwere des Verbrechens resp. Vergehens: 1. in 
Zuchthäusern, deren es 6 gibt, München, Kaisheim, Plassen- 
burg, Würzburg (nur für Weiber) , Kaiserslautern, und St. 
Georgen; 2. in Gefangen-Anstalten: Laufen, Wasserburg, 
(nur Weiber) Amberg, Sulzbach (nur Weiber), Ebrach, Lich- 
tenau, Frankenthal (nur Weiber), Zweibrücken, Nürnberg 



209 


(Zellengefängnis» für männliche Jugendliche), und 0. in Po¬ 
lizei-Anstalten, in denen Gefangene, die die zuerkannte Strafe 
bereits abgebüsst haben, noch besonders verwahrt wurden, 
so Rebdorf, St. Georgen (nur Weiber), Kaiserslautern. 

I. Persönliche Verhältnisse sämmtlicher 
* Gefangenen. 

1. Zahl und Geschlecht sämmtlicher Gefan¬ 
genen. Die Zahl aller der am Schlüsse der einzelnen Jahre 
in der 5jährigen Periode in den 3 Anstalts-Kategorien vor¬ 
handenen Gefangenen ist folgende: 

1864 1865 1866 1867 1868 

In den Zuchthäusern 2069 2207 2530 2860 2997. 

In den Gefangen-Anstalt. 2322 2496 2530 3420 3315. 

In den Polizei-Anstalten 649 707 775 811 808. 

Im Durchschnitt waren während dieser ganzen Zeit in 
den Zuchthäusern 2532 Gefangene (2184 11. il 343 W.), in 
den Gefangen-Anstalten 2818 Gef. (2367 M. u. 451 W.), in 
den Polizei-Anstalten 750 Gef. (58811 u. 192 W.), in sämmt- 
lichen Straf- und Polizei-Anstalten war der 5jähr. Durch¬ 
schnitt 6100 Gefangene mit 5109 11 und 991 W. 

Die Zahl sämmtlicher Gefangenen hat in 5 Jahren 
um 41% zugenommen und £war bei den Zuchthausgefange¬ 
nen um 45%, bei den Gef.-Sträflingen um 36% und bei den 
Polizeidetinirten um 48%. Die Volkszählung von 1867 zu 
Grunde gelegt, kommt auf 791 Einwohner 1 Gefangener. 

Die männlichen Gefangenen betragen im Ganzen 83,7% 
(in den Zuchthäusern 86,3%, in den Gefangen,-Anstalten, 84°/*, 
in den Polizei-Anstalten 74,4%); auf 465 männliche Einwoh¬ 
ner kommt 1 männl. Gefangener durchschnittlich, und 1 weibl. 
Gefang. kommt auf 2469 weibl. Einwohner. 

2. Familienstand. Von allen Gefangenen waren 10 
bis 11% verheirathet; am häufigsten die Zuchthaussträflinge 
mit 14,2%, die Gef.-Sträflinge mit 10%, am seltensten die 
Polizeidetinirten mit 1,6%. Die weiblichen Gefangenen sind 
relativ häufiger verheirathet mit 11,4% als die männlichen 
mit nur 10,5%. Dies Verhältnis»- hat besonders in den 



210 


Zuchthäusern statt, dagegen ist es umgekehrt in den Polizei¬ 
anstalten. 

3. R e 1 i g i o n Yon sämmtlichen Gefangenen sind 82,3% 
Katholiken, 17,5% Protestanten und 0,2% Israeliten. Bei 
der Gesammtbevölkerung sind die bezüglichen Zahlen 71,3 
— 27,5 — 1,2%. Es kommt also 1 katholischer Gefange¬ 
ner auf 685 Katholiken überhaupt, 1 Protestant. Gefangener 
auf 1249 Protestanten überhaupt, und 1 israelitischer Gefan¬ 
gener erst auf 4153 Israeliten. Unter den Katholiken und 
Israeliten nimmt mehr das männliche Geschlecht, unter den 
Protestanten mehr das weibliche Geschlecht an der Bevölke¬ 
rung Theil. 

4. Alter. Die meisten Gefangenen sind im Alter von 
20—30 Jahren und zwar 44% unter allen 3 Kategorien, je¬ 
doch in sehr verschiedenen Verhältnissen. In den Gefangen- 
Anstalten sind 60% der Bevölkerung unter 30 Jahren, in den 
Zuchthäusern 44—45% und in den Polizei-Anstalten 43—44%, 
bei den letzten sind die meisten Bewohner zwischen 40—60 
Jahren. — Die Weiber sind im Ganzen im Alter zwischen 
20—40 Jahren schwächer vertreten mit 69%, als die Männer 
aus denselben Altersklassen mit 73%; sie befinden sich aber 
unter 20 Jahren und von 40 aufwärts in relativem Ueberge- 
wichte. 

II. Bevölke ru ngsstaud sänmtlicher Straf- und 
Polizei-Anstalten, dann Morbilitäts und Mor- 
talitäts-Verhältniss der Gefangenen überhaupt. 

1. Die Gesammtbevölkerung ist von 9490 im Jahre 
1863/64 auf 15,173 im Jahre 1868, d. i. um 60% gestiegen. 

Die Durchschnittsbevölkerung in derselben 5jährigen 
Periode ist dagegen von 4928 auf 6996, d. i. um 42% ge¬ 
stiegen; von letzteren kommen auf die Zuchthäuser 40,9% 
auf die Gefangen - Anstalten 46,8%) und auf die Polizei- 
Anstalten 12,3%; auf die männlichen Gefangenen überhaupt 
83,5% und auf die Weiber in allen Anstalten 16,5%* 

2. Die Zahl sämmtlicher verpflegten Kranken ist von 
5556 ira Jahre 1863/64 auf 6289 im Jahre 1868, also um 
11% gestiegen. Yon. allen Kranken kommen auf die Zucht- 



211 


häuser 34,3%» auf die Gefangen-Anstalten 50,7°/ 0 , auf die 
Polizei-Anstalten 15%. Nach der amtlichen Berechnung in 
den einzelnen Kategorien sind in den Zuchthäusern die we¬ 
nigsten Kranken. — Die Verpflegungsdauer war in der 5jäh- 
rigen Periode 17,2 Tage im Ganzen; dagegen 27,7 Tage 
bei den Zuchthaussträflingen; 12,1 Tage bei den Gefängniss- 
Sträflingen; 10,4 bei den Polizeidetinirten; bei den Männern 
18,6 und bei den "Weibern 13,0 Tage. In den Zuchthäu¬ 
sern München, Kaisheim und Plassenburg steigt sie bis 
auf 40—42 Tage, während St. Georgen mit 5—7 Tagen die 
günstigsten Verhältnisse aufweist. 

3. Gestorben sind in den 5 Jahren 860, jährlich also 
172 = 1,37% der Gesammtbevölkerung. Zuchthaussträf¬ 
linge starben am meisten, 3,58% der allg. Durchschnittsbe¬ 
völkerung; dann kommen die Gefangen-Anstalten mit 2,47% 
und die Polizeidetinirten mit 2,22%. Obwohl die Verpfle¬ 
gungsdauer bei den männlichen Gefangenen grösser ist, was 
doch auf schwerere Erkrankungen schliessen lässt, als bei 
den Weibern, so ist die Mortalität bei Ersteren geringer 2,8%, 
als bei den Weibern (3,35%) 

Die Sterblichkeit ist in den baierischen Anstalten 
unverkennbar im Abnehmen; sie war in früheren Jah¬ 
ren in einzelnen Anstalten auf einer furchtbaren Höhe, so 
in München 12—15%. Dr. Wolfring, Hausarzt in Mün¬ 
chen, hält neben andern Ursachen ein neuerbautes Kranken¬ 
haus , seltene Einlieferung kranker Sträflinge, zweckmässige 
Beschäftigung, Abnahme der Fesseln, Herstellung eines neuen 
Zellenbaues, ganz besonders auch die ärztliche Ordination 
und zwar die bedeutend vermehrte Anwendung des Leber- 
thrans als Ursache der günstigeren Mortalität. Von 1847—1857 
starben 15,6% der durchschnittlichen Bevölkerung, und verord¬ 
net wurden jährlich 48,9 Pfund Leberthran, also kaum 3 
Loth auf den Kopf. Dr. Wolfring sieht hieraus die bedeut¬ 
same Wirkung dieses Mittels gegen Scrophulose und Tuber¬ 
kulose aufs Glänzendste bestätigt, und zwar auch ganz beson¬ 
ders gegen scrophulose Knochenleiden. 



212 


III. Mortalität und Morbilität der Gefangenen 
nach Alter und Jahreszeit, dannMortalität nach 
der Dauer der Gefangenschaft. 

1. Kraükheits- und Sterblichkeits-Yerhältniss nach dem 
Alter. Auf 100 Gefangene jeder Altersklasse treffen 


a) in sämmtl. Straf- und Polizei-Anstalten, h) in sämmtl. 
Anstalten für Männer, c) in sämmtl. Anstalten für Weiber 




in a) Erkr., 

Gest.; 

b) Erkn, 

Gest.: 

c) Erkr., 

Gest. 

unter 20 Jahren 

115 

1,00 

93 

1,17 

213 

0,23 

von 20- 

-30 Jahren 

92 

1,69 

80 

1,54 

156 

2,48 


30- 

40 „ 

93 

2,53 

85 

2,37 

139 

3,47 


40- 

-50 „ 

115 

4,20 

99 

4,32 

111 

3,70 

9) 

50- 

-60 ,, 

140 

8,65 

137 

8,57 

151 

9,00 

übeT 60 

Jahren 

224 

19,51 

215 

19,36 

275 ! 

20,29 

im 

Durchschnitt 

99 

2,81 

90 

2,72 

151 

3,33 


Man sieht, dass mit dem Zunehmen des Alters Erkran¬ 
kungen und Todesfälle beträchtlich steigen; letztere aber 
noch mehr als die ersteren; die Klasse unter 20 Jahren er¬ 
krankt zwar häufiger, als die folgenden 2 Klassen, aber die 
Sterblichkeit ist geringer. 

In den weiblichen Anstalten sind Sterblichkeit und Er¬ 
krankungen häufiger als in den männlichen, besonders sind 
mehr Erkrankungen in den jüngeren Altersklassen als in 
demselben Lebensalter bei den männlichen Gefangenen; auf¬ 
fallend ist dabei die geringe Sterblichkeit und zwar wiederum 
bei der grossen Erkrankungszahl unter 20 Jahren. 

Das Alter der Erkrankten und Gestorbenen a) in den 
Zuchthäusern, b) in den Gefangenanstalten und c) in den 
Polizei-Anstalten ohne Ausscheidung des Geschlechts ergibt 
sich aus folgender Tabelle. Auf 100 Gefangene jeder Alters¬ 
klasse treffen 




in a) 

Erkr., 

Gest.: b) Erkr., 

Gest.; 

c) Erkr., 

Gest. 

unter 20 Jahren 

• 

45 

0,63 

152 

1,26 

152 

0,92 

von 

20- 

—30 Jahren 

68 

2,28 

99 

1,40 

149 

1,15 


30- 

-40 „ 

82 

2,91 

102 

2,37 

106 

1,56 

n 

40 

-50 „ 

103 

5,39 

107 

3,37 

86 

2,29 

T) 

50 

oo „ 

129 

7,80 

163 

10,68 

123 

7,05 

über 60 Jahren 

200 

16,67 

256 

23,81 

314 

21,43 

im 

Durchschnitt 

82 

3,44 

110 

2,43 

121 

2,16 



Es sind im Zuchthause die Erkrankungen am seltensten, 
häufiger in den Gefangen-Anstalten und am häufigsten in den 
Polizei-Anstalten. Das umgekehrte Yerhältniss findet bei der 
Sterblichkeit statt. Im Zuchthause steigt die Zahl der Er¬ 
krankungen nach dem Alter regelmässig an vom niedrigsten 
bis zum höchsten Alter; unregelmässig ist dieses Yerhältniss 
in den andern Kategorien; dagegen nimmt die Sterblichkeit 
bei allen 8 Strafkategorien von einer Altersperiode zur an¬ 
dern regelmässig zu. 

\ 

2. Krankheits- und Sterblichkeitsverhältniss nach der 
Jahreszeit. Die meisten Erkrankungen treffen in sämmtlichen 
Anstalten auf die Monate März und April, die meisten To¬ 
desfälle auf April und Mai; die wenigsten Erkrankungen im 
September und Oktober, die wenigsten Sterbfälle im Novem¬ 
ber und Dezember. Das Maximum und Minimum derSterb- 
fälle folgt auf Maximum und Minimum der Erkrankungen. 
Der Frühling hat das Maximum beider und das Minimum 
* hat der Herbst. 

8. Gefangenschaftsdauer der Gestorbenen. Im ersten 
Jahre der Haft sterben durchschnittlich 39%, in den Zucht¬ 
häusern nur 13,5%, in den Gefangen-Anstalten aber fast 
57%, und in den Polizei-Anstalten sind alle Gestorbenen 
im ersten Jahre der Haft gewesen. Auch im 2. Haftjahr 
sterben - in den Gefängnissanstalten mehr Indiv. 24%, als in 
den Zuchthäusern 17%. Nach dem 2. Haftjahr sind die in 
den Zuchthäusern Gestorbenen dagegen 70%, in den Gefan¬ 
gen-Anstalten nur 19%. In den weiblichen Anstalten ist die 

Mortalität in dem ersten Gefangenschaftsjahre geringer 34,5% 

als in den männlichen 40%, in dem 2. und 3. Jahre aber 
grösser 19,4 und 18,2% gegen 17,8 und 14,2%. 

1Y. Krankheiten und Todesursachen der Ge¬ 
fangenen. 

1. Erkrankte und Oestorbene nach Krankheitsfamilien. 

In sämmtlichen Straf- und Polizei-Anstalten waren wäh¬ 
rend der 5jährigen Periode die Krankheiten der Verdauungs¬ 
organe mit 11,235 oder 36,9% oben an, sie steigen in den 



Zuchthäusern auf 43,7%, in den Polizei-Anstalten auf 31,9%; 
die Eirankheiten der Athmungsorgane sind mit 5402 oder 
17,8% vertreten und zwar zwischen 16,7% in den Gefangen- 
Anstalten und 21,1% in den Polizei-Anstalten. Die chirur¬ 
gischen Krankheiten haben 3970 oder 13% und sind in den 
Zuchthäusern oder Gefangen-Anstalten fast gleich häufig; die 
Hautkrankheiten mit 3304 oder 10,9% sind in den Gefangen- 
und Polizei-Anstalten doppelt so häufig, als in den Zucht¬ 
häusern, hauptsächlich ist es die Krätze; die epi- und ende¬ 
mischen Krankheiten mit 1109 oder 3,6% und zwar Ty¬ 
phus und Wechselfieber, kommen überall fast gleich häufig 
vor. In derselben Häufigkeit 1075 oder 3,5% sind die Krank¬ 
heiten der Blutmischung, wobei jedoch die Zuchthäuser bei 
Weitem die anderen Anstalten überragen. Auch Krankhei¬ 
ten des Nervensystems mit 958 oder 3,2% sind in den Zucht¬ 
häusern relativ häufiger. Syphilis ist in den Zuchthäusern 
sehr selten, ihre Anzahl ist 785 oder 2,6%» in den Polizei- 
Anstalten am häufigsten vertreten und mehr bei den Wei¬ 
bern (Prostitution) als bei den Männern. — Die Weiber lei¬ 
den mehr an den Verdauungsorganen als die Männer; um¬ 
gekehrt ist das Verhältniss bei den Krankheiten der Ath¬ 
mungsorgane; bei den Männern sind auch die chirurgischen 
Krankheiten, die epi- und endemischen, die der Blutmischung 
und der Sinnesorgane häufiger, während bei den Weibern 
die Syphilis, die Krankheiten des Nervensystems und der 
Geschlechtsorgane überwiegen. 

Sterblichkeit der an den einzelnen Krank¬ 
heitsfamilien Erkrankten. Nach der Mortalität durch 
das Greisenalter kommt die höchste Mortalität auf die Krank¬ 
heiten des Nervensystems mit 10,9%, besonders in den Zucht¬ 
häusern wegen des bei den männlichen Zuchthaussträflingen 
häufig vorkommendea Schlagflusses (14,8% 1; dann kommen 
die Athmungsorgane mit 8,5% und wieder auffallend in den 
Zuchthäusern 'mit 12,3% ; hier sterben mehr Weiber als Män¬ 
ner; dann folgt die Sterblichkeit an den Krankheiten des 
Gefässsystems mit 8,3,% in den Zuchthäusern und Polizei- 
Anstalten häufiger, als in den Gefängnissanstalten; dann die 
Krankheiten der Harnorgane mit 7,4%, besonders in den 



Polizei-Anstalten (Bright’sche Niere); dann die Krankheiten 
der Blutmischung mit 6,2%, vorwiegend in den Gefangen- 
Anstalten und Zuchthäusern (allgemeine Wassersucht); die 
Krankheiten der Verdauungsorgane geben nur selten Veran¬ 
lassung zum Tode; an Selbstmord sind 9 Personen gestorben, 
in den Zuchthäusern 5, in den Gefängnissanstalten 3 und in 
den Polizeianstalten 1. 

2. Erkrankte und Gestorbene nach den wichtigsten Krankheitsarten. 

Die zahlreichsten Krankheiten waren die mit oder 
ohne Fieber verlaufende Magenkatarrhe, fast 21% aller Kran- > 
ken, am häufigsten in den Zuchthäusern, besonders bei den 
Weibern, dann kommen die Magendarmkatarrhe und Diarhoe 
mit 2937 oder ca. 10% aller Erkrankungen, am meisten in 
den Zuchthäusern und besonders bei den Männern; es folgen 
die acuten und chronischen Bronchial-Catarrhe mit 2348 oder 
7,7% sämmtlicher Erkrankungen, besonders bei den männli¬ 
chen Polizeidetinirten häufig. In dritter Keihe steht die 
Lungentuberculose mit 1700 oder 5,6% in den Zuchthäusern und 
beim männlichen Geschlecht vorwaltend. „Das häufige Vorkom¬ 
men der Lungentuberculose bei Zuchthaussträflingen erklärt sich 
hauptsächlich daraus, dass sieArbeiten fast ausschliesslich in ge¬ 
schlossenen Bäumen verrichten, gerade diese Beschäftigungs¬ 
weise aber zu ernstlicheren Erkrankungen der Respirationsor¬ 
gane am- meisten disponirt.*)“ 

Bemerkenswerth ist das nahezu gleiche Prozentverhält- 
niss der Lungentuberculose in den letzten Jahren. Es be¬ 
trug im Jahre 1868 5,6%, 1866/67 5,8%, 1865/66 5,8%, 
1863/65 durchschnittlich 5,4%. Dagegen hat die Krätze stetig 
zugenommen, nämlich von 2,1% im Durchschnitt von 1863/65 
auf 10% im Jahre 1868. 


*) Wenn auch nicht zu läugnen ist, dass der beständige Aufenthalt in geschlossenen 
Räumen und insbesondere in einer schlechtbeschaffenen Athmungsluft eine Mitursache für 
die Häufigkeit der Phthisis unter Gefangenen ist, so ist dieser Umstand keineswegs die ein¬ 
zige und nicht einmal die wesentlichste Ursache. Gerade die grosse Zahl der Phthisis in den 
englischen Strafanstalten, wo die Arbeit zum grössten Theil im Freien und bei guter Luft ge¬ 
schieht, eine Zahl, die viel grösser ist, als in den baierischen Anstalten, beweist, dass in der 
Gefangenschaft noch andere Ursachen vorhanden sein müssen, die die Entwicklung und den 
deletären Ausgang der Phthisis begünstigen. 





Die Sterblichkeit an den wichtigen Krankheiten stellt 
sich folgendermaßen: Die höchste Sterblichkeit fallt auf den 
Schlagflnss,*am meisten in den Zuchthäusern und bei den Wei¬ 
bern ; geringe Bewegung, ungenügende körperliche Anstrengung, 
überfüllte Localität und sauerstoffarme Luft sind hier die 
ursächlichen Momente, nicht viel geringer ist die Sterblich¬ 
keit an Entzündungen der Hirnhäute und des" Gehirns selbst, 
aber am wenigsten in den Zuchthäusern; an Altersschwäche, 
an allgemeiner Wassersucht ist mehr als Vs der Erkrank¬ 
ten gestorben, am meisten weibliche Zuchthaussträflinge, 
und zwar als Ausgang verschiedener chronischer Krankheits¬ 
prozesse ; Typhus hat über Vs der Erkrankten hinweggerafft, 
bei männlichen Zuchthaussträflingen insbesondere; Lungen- 
tuberculose am intensivsten in den Zuchthäusern, fast Vs der 
Erkrankten erlagen derselben',; sie verläuft bei weiblichen Ge¬ 
fangenen noch ungünstiger als bei den männlichen. 


Eine Vergleichung der Ergebnisse aus diesen bei¬ 
den Berichten lässt sich im Allgemeinen nur mit sehr 
grosser Vorsicht durchführen, weil in beiden nicht dieselben 
Momente gleichmässig berücksichtigt sind und es somit in 
vieler Beziehung an Vergleichspunkten fehlt, weil bei dem 
englischen Bericht der Hauptwerth — und mit vollem Recht 
— auf die Sterblichkeitsziffer gelegt und bei den baierischen 
mehr auf die Erkrankungszahlen, wobei wahrscheinlich Un¬ 
wohlsein und Unpässlichkeit mit verrechnet wurden, (zu wel¬ 
cher Vermuthung die ungeheueren Zahlen einzelner Krank¬ 
heitsarten verleiten) , und endlich, weil in der Art der Straf¬ 
vollstreckung eine sehr grosse Differenz vorhanden ist. Wenn 
die Zuchthausstrafe in Baiern und die Strafarbeit in England 
auch die schwerste Freiheitsstrafe ist, so ist die Strafausfüh¬ 
rung doch ungleich in Betreff ihrer Wirkung auf Gesundheit 
und Leben. Wenn in England zu der Strafarbeit nur Ver¬ 
brecher mit relativ hoher Strafzeit verurtheilt werden — und 
wir haben gesehen, dass nach der Ausmittelung der am 31. 
Dezember 1868 in den englischen Strafanstalten vorhandenen 



Sträflinge die Männer eine Strafe von durchschnittlich”57a 
Jahren und die "Weiber von 5 Jahren durchzumachen haben 
und auch in Baiem die Zuchthausstrafe mit der minimalen 
Strafzeit von 4 Jahren an begonnen hatte, — so ist die An¬ 
staltsbevölkerung hier und dort in Bezug auf die Sterblich¬ 
keit während der Gefangenschaft dennoch eine sehr ungleiche. 
Während in England die öffentliche Arbeit eine wirklich 
schwere und hart angreifende ist, ist sie in Baiem, wie in allen 
geschlossenen Anstalten, eine wesentlich leichtere; anderer¬ 
seits haben die besonderen Anstalten für minder arbeitsfä¬ 
hige und für ganz arbeitsunfähige Gefangene in England einen 
entschieden Leben und Gesundheit der Inhaftirten conservi- 
rendes Moment. — Wenn indessen auch die einzelnen Mo¬ 
mente der Strafvollstreckung ungleich und für die Sterblich¬ 
keit nicht von gleichem Einflüsse sind, so zeigen nichtsdesto¬ 
weniger die Sterblichkeitsziffern die Wirkung der schwersten 
Freiheitsstrafen in jedem der beiden Länder, und nach die¬ 
ser Betrachtung hin, — das heisst, um die Frage zu beant¬ 
worten, wie die schwerste zeitige Freiheitsstrafe in England 
und in Baiern in ihrer Wirkung auf das Leben und die Ge¬ 
sundheit des Gefangenen wirkt — lassen sich Zuchthaus¬ 
strafen und Strafarbeit vergleichen. 

Nur wenige Punkte sind hervorzuheben. Zunächst ist 
zu constatiren, dass in den baierischen Zuchthäusern in den 
5 Jahren von 1864 bis mit 1868 eine Sterblichkeit von 3,58 
auf 100 der Durchschnittsbevölkerung vorhanden gewesen, 
während in den englischen Strafarbeits-Anstalten während der 
15 Jahre von 1856 bis mit 1870 die Sterblichkeit nur den 
ausserordentlich geringen Betrag von 13,4, also über 27a ma l 
niedriger auf 1000 jährlich war. Auch in den preussischen 
Zuchthäusern ist die Sterblichkeit eine wesentlich höhere, als 
in den englischen Strafarbeits-Anstalten. So fand Engel 
(Zeitschr. des köngl. preussischen statistischen Bureau’s, IY. 
Jahrgang 1864, S. 283) für die eines natürlichen Todes Ge¬ 
storbenen in den Zuchthäusern der 8 alten preussischen Pro¬ 
vinzen in der Zeit von 1858 bis mit 1863 die Sterblichkeit 
von 31^6 auf 1000 Gefangene als die jährliche Durchschnitts¬ 
zahl. — In Betreff der Krankheiten selbst und des numeri- 

Blfttter für OuftLngnisaknude V1L 15 



218 


sehen "Verhältnisses bei diesen Gestörbeneh zeigen sich einige 
sehr auffallende Verschiedenheiten. Während Nicolson 
über die Verdauungskrankheiten leicht hinweggeht, und ihnen 
nur ein secundäres Interesse zuspricht — im Ganzen sind 
8,7% aller Todesfälle diesem System angehörend, es sind 
133 Todesfälle, und von diesen gehen 52 auf die Entzündun¬ 
gen deB Bauchfelles und der Eingeweide, 35 auf Ruhr und 
Purchfall etc. — nehmen in den baierischen Zuchthäusern 
die Krankheiten der Verdauungsorgane mit 43,7% (die Zahl 
dieser in den Gefangenanstalten aller Kategorien vorgekom¬ 
menen Erkrankungsfälle wird mit 11,235 angegeben) aller 
Erkrankungsfälle die erste Stelle ein. Während die Krank¬ 
heit der Athmungsorgane in letztem mit 17,8% aller Erkran¬ 
kungen und die Sterblichkeit an diesen Krankheiten in den 
Zuchthäusern.mit 12,3% aufgeführt werden, die Lungen¬ 
schwindsucht in den Zuchthäusern ganz besonders mit 8,1% 
aller Erkrankungsfälle verzeichnet ist und mit einer Sterb¬ 
lichkeit von fast V« der Erkrankten, verursachen die Krank¬ 
heiten der Respirationsorgane in den englischen Anstalten 
mehr als 50% der Gesammtsterblichkeit und nimmt die Sterb¬ 
lichkeit an Phthisis allein die Höhe von 41,29% aller Todes¬ 
fälle ein, eine Höhe, die die Phthisis in den allermeisten 
Strafanstalten leider fast normalweise erreicht. Von 100 in, 
dem Zuchthause zu Naugard verstorbenen Sträflingen fanden 
wir während der 20jährigen Periode von 1849 — 1868 durch¬ 
schnittlich 40,61 Phthisiker (cfr. Baer, die Gefängnisse, 
Strafanstalten und Strafsysteme etc. Berlin, Enslin); in Wald¬ 
heim war sie Yon 1854 bis 1856 auf 45,61%; in den 3 däni¬ 
schen Strafanstalten Horsens, Viborg und Christianshafen war 
sie von 1863—1868 auf 32,3% und erreichte bei den weibli- 
lichen Gefangenen einen viel höheren Procentsatz mit 46%, 
ebenso wie in den preussischen Zuchthäusern, wo im Jahre 
1869 der Lungen- und Darmphthisis von 100 männlichen ge¬ 
storbenen Gefangenen 42,33% u. von 100 weiblichen 51,76% 
erlegen waren; noch grösser sind die Zahlen der an Phthisis 
gestorbenen in früheren Jahren in andern Anstalten, so kom¬ 
men auf 100 Todesursachen nach Baly in Philadelphia 59, 



219 


in Auburn 59, in Baltimore 61, in Boston 66 und in Genf 58 
Phthisiker. — (Jahrbücher f. Gef.-Wesen 6 Bd. 1. Heft S. 
47 Anmerk.) 

Die Zahl der an Phthisis in den baierischen Zuchthäu¬ 
sern Erkrankten 5,6% sämmtlicher Erkrankungen ist Ange¬ 
sichts dieser eben angeführten Ziffern eine auffallend niedrige. 


Besuche bei den Gefangenen 

von W. H. Suringar *). 


Das System der Einzelhaft, dessen entschiedener Anhän¬ 
ger ich nach einer langen Erfahrung und genauer Prüfung 
bin,' erfordert regelmässige und wohlgeordnete Besuche, 
nicht allein von den Geistlichen der verschiedenen Religionen, 
sowie der Directoren und Beamten, sondern auch von Seiten 
christlich gesinnter Personen, welche durch eine amtliche 
Stellung hierzu nicht berufen 8ind. Von diesen Besuchern 
und ihren Besuchen will ich einige Worte sagen. 

Ich bin überzeugt, dass die Besuche eines wohl unter¬ 
richteten, sehr eifrigen und sich aufopfernden Geistlichen, von 
einem sehr grossen Einflüsse sind, ebenso dass die Besuche 
der Directoren und Beamten, selbst der gewöhnlichen Auf¬ 
seher, Gutes wirken können. Die besondern und freiwilligen 
Besuche anderer Personen aber haben jedoch einen ganz 
eigenthümlichen Charakter und Einfluss. 

. Dieser Einfluss wird dem andern keinen Schaden zufü¬ 
gen und ihn in keiner Weise vermindern. Im Gegentheil, 
er wird ihn befestigen und ihm mehr Gewicht geben. Die 


*) Wir verdanken dieae Ueberaetzung der gütigen Mittheilung des Herrn Director 
von Götz on in Cölnj in Uebereiustimmung mit dem Verfasser. 

15 * 



Erfahrung hat eB schon in einem der Zellengefangnisse be¬ 
wiesen. Die Regierung sollte also einigen Directoren und 
Mitgliedern der Gesellschaften, welche zu diesem Zwecke 
gestiftet und hauptsächlich mit dieser Angelegenheit beauf¬ 
tragt sind, die Thore der Gefängnisse öffnen und ihnen diese 
freiwilligen und nützlichen Besuche erleichtern. Die Nieder¬ 
ländische Regierung* hat es gethan und seit mehr denn 47 
Jahren besuche ich in Verbindung mit Andern die Gefange¬ 
nen. Ich sage die Gefangenen und nicht das Gefäng- 
niss. Dies ist eine ganz andere Sache. Indem man das 
Gefängniss besucht, läuft man Gefahr, die Gefangenen nicht 
zu besuchen. 

Diese Besuche erfordern nicht allein Zeit und körper¬ 
liche und moralische Kräfte, sondern die Besucher bedürfen 
auch der Ermnthigung von Seiten der Gefängniss-Verwal- 
tung. 

Diese soll sich daher mit den Schutz- und Besuchs-Ge¬ 
sellschaften ins Einvernehmen setzen, ebenso wie diese Ge¬ 
sellschaften sich untereinander auf eine freie und offene 
"Weise über die Zeit, die Richtung und den Zweck dieser 
mildthätigen Besuche verständigen müssen. In Amsterdam 
hat man ein Zellengefängniss nach dem Muster von Penton- 
ville mit 208 Zellen erbaut, von denen ein grosser Theil zur 
Aufnahme der Verurtheilten, der andere für die Untersu¬ 
chungs-Gefangenen dient. 

Um zu verhindern , dass diese Besuche auf die Dauer 
nicht vernachlässigt werden, und damit das Unternehmen je¬ 
den Besucher nicht zu sehr in Anspruch nimmt, wird man 
die verurtheilten Gefangenen auf einige .Mitglieder der Ge¬ 
sellschaft in der Weise vertheilen, dass ein jeder Besucher 
ein Dutzend Zellen für seinen Theil hat. 

Bei jeder Gelegenheit wird es Grundsatz sein, dass die 
mildthätigen Besucher, welche nicht Mitglieder der Verwal¬ 
tung sind, niemals den Gefangenen gegenüber eine Stellung 
einnehmen, die in das Gebiet der Verwaltung gehört.. 
Sie werden sich aufs gewissenhafteste in dem besondern 
Kreise ihres moralischen Berufs halten, um jeglichen Zwie¬ 
spalt zu vermeiden und um ein freundschaftliches Band mit 



221 


der Verwaltung zu knüpfen und $u erhalten, indem eie ihr 
von Zeit zu Zeit Mittheilungen über ’die gehabten Resultate 
machen und dadurch ihrerseits gleiche Freimüthigkeit hervor- 
rufen. 

"Wenn sich durch die Fehler der Verwaltung schwere 
Missbrauche einschleichen, was ich nicht fürchte, so werden 
die besuchenden Gönner nicht ermangeln, davon Notiz zu 
nehmen und sie bekannt zu machen. In diesen Fällen würden 
ihre Besuche ein Schutz für die Gefangenen sein. 

- In Florenz besuchen die Directoren der Schutzgesell¬ 
schaften die Gefangenen. Sie treten niemals in eine Erör¬ 
terung mit dem Vorsteher des Hauses, sondern sobald die 
eine oder andere Bemerkung zu machen ist, theilen sie die¬ 
selbe durch Vermittlung ihres Präsidenten einmal des Monats 
der Verwaltungs-Behörde mit. 

Aber es gibt ausserdem Vieles für die freiwilligen Be¬ 
sucher zu beobachten. Die Gefangenen besuchen ist eine 
geringe Sache, aber Gutes wirken ist eine schwierige Arbeit. 

Man muss von den Gefangenen selbst lernen, welches 
die geeignetste Weise ist, sie zu besuchen. Sie sind ohne 
ihr Vorwissen und trotz ihrer unsere besten Lehrmeister. 

Es wird also nicht überflüssig sein, hier einige allge¬ 
meine Betrachtungen zu machen. 

A. Man darf, meiner Ansicht nach, nicht den Gefange¬ 
nen während der ersten Besuche mit einer Menge Fragen 
überhäufen, noch ihn als einen Gegenstand der Neugierde 
behandeln. Gleichfalls von den Gefangenen eine Menge ge¬ 
nauer Thatsachen aus seinem eigenen Leben verlangen, die 
nicht geradezu den Hauptzweck berühren, heisst ihn miss* 
vergnügt und schweigsam machen. 

B. Alle Besuche dürfen nicht ausschliesslich einen re¬ 
ligiösen Zweck haben. Dies würde langweilen können, denn 
man liebt nicht den fortwährenden Sittenprediger. Der Ge¬ 
fangene wünscht auch von seinen Angelegenheiten und sei¬ 
nen Verwandten, selbst von geringfügigen Sachen zu spre¬ 
chen. Man höre ihn mit Geduld an. Den Gefangenen bei 
jedem Besuche fühlen lassen, dass er ein grosser Sünder ist, 



222 


heisst vielleicht ihn dahin bringen, dass er von Neuem 
sündigt. Sobald er sich selbst in seiner Zelle überlassen ist, 
denkt er über seine Fehler nach. Man muss ihm einige 
Augenblicke Linderung verschaffen, indem man ihm von 
Zeit zu Zeit eine weisse Seite in dem Tagebuche seines trau¬ 
rigen Lebens zeigt. Und eine solche Seite, — wird sie der 
grosse Yerbrecher nicht auch haben? 

C. Man darf nicht alle Gefangenen auf die nämliche 
Weise behandeln; es befinden sich unter ihnen Menschen 
von Charakter und einem grossen Stolze. Die Räuber und 
schlechten Subjekte haben auch ihre Classen. Ich fragte eines 
Tages einen freigelassenen Gefangenen: „Nun, erhalten Sie 
auch Besuche von ihren alten Kameraden?“’ „Alte Kame¬ 
raden ?! ich finde keine unter Denen, die zu gleicher Zeit 
mit mir die Gefängnisse verlassen haben. Ich, ich bin ein 
Räuber, die andern sind kleine Spitzbuben, ohne Muth und 
Entschlossenheit. Sie lieben nur den Krieg gegen die Geld¬ 
börse, nachher trinken sie ihre Chokolade. Bah! diese Kin¬ 
derl' Sie haben nicht den Muth, -mich zu besuchen. Sie 
wissen wohl, dass ich ein Räuber, ja ein Räuber erster 
Klasse bin.“ 

D. Man muss beim Beginnen seines Werkes Sorge tragen, 
nicht zu viele Besuche zu machen, und nicht zu lange Zeit zu 
bleiben. Es genügt nicht allein anzufangen, man muss über¬ 
haupt mit Eifer fortfahren. Während des Besuches darf der 
Besucher nicht immer das Wort haben. Indem man allein 
spricht, ist man ganz von sich selbst eingenommen und man 
vernachlässigt den Gefangenen zu beobachten. Kleine Ein¬ 
zelheiten, welche ihren Werth haben, könnten der Aufmerk-' 
samkeit entgehen. Das Sprüchwort sagt nicht vergebens: 
wenn man wissen will, von welcher Seite der Wind weht, 
wirft man keinen Stein, sondern eine Feder in die Luft. 
Ebenscr genügt oft eine Kleinigkeit, um mehr oder weniger 
den Charakter des Menschen zu beurtheilen. 

E. Indem man die vorherrschende Leidenschaft des 
Gefangenen bekämpft, begehe man nicht die Unklugheit, es 
mit grosser Strenge zu thun, oder zu begehrlich in seinen 
Wünschen und zu lebhaft in seinen Bemühungen zu sein. 



223 


Sobald man in zu kurzer Zeit und mit zu grosser Gewalt die 
vorherrschende Leidenschaft erstickt, steht zu befürchten, 
dass eine andere Leidenschaft, oder selbst allo andern zu¬ 
sammen sich rächen, und sich verbinden, um das verlorene 
Terrain wieder zu gewinnen. Sie sind listig, diese unseligen 
Leidenschaften, und wenn eine von ihnen ihre Kraft verloren 
hat, nehmen die andern in Kurzem ihren Platz ein, und wol¬ 
len dieselbe Rolle spielen. 

F. Der Besucher soll vermeiden, ohne Ueberlegung 
und bei jeder Gelegenheit unbedachte Rathschläge zu geben. 
Wenn ein Gefangener uns in einer sehr wichtigen und 
sehr verwickelten Angelegenheit um unsere Ansicht fragt, so 
ist es die Pflicht des Besuchers, hierüber ernstlich nachzm- 
denken. Wenn lange und ernste Betrachtungen uns keine 
befriedigende Antwort verschaffen, so 'muss man genug Be¬ 
scheidenheit und Muth besitzen, um ihm zu sagen: „Ich bin 
noch nicht in der Lage, Ihnen einen guten Rath ertheilen 
zu können.“ Dieses ist besser, als aus Eitelkeit einen Rath 
zu geben, der schlecht oder ungenügend ist. 

G. Wenn es am Platze ist, dem Gefangenen einen Yor- 
wurf zu machen, oder an ihn eine Ermahnung zu richten, 
so muss man hiebei nicht zu viele Worte verschwenden. 
Eine Ermahnung von 30 Sätzen (und die Damen machen de¬ 
ren noch längere) hat oft keine andere Wirkung, als sowohl 
offenen wie geheimen Yerdruss und Widerwillen. Man wird 
durch die 20 letzten Sätze der Ermahnung das verlieren, 
was man durch die ersten gewonnen hatte. Beim Schluss 
jedes Besuches muss man an den Gefangenen ein leicht zu be¬ 
haltendes Abschiedswort richten, welches einigen Eindruck 
auf ihn macht, oder ihm einen Spruch aus der heiligen 
Schrift, ein Sprüchwort oder Lehrspruch anführen, zum Bei¬ 
spiel : 

„Das Gewissen ist ein Gericht ohne Berufung,“ 

„Wer Ruhe haben will, muss arbeiten.“ 

„Der Selbstmörder ist zugleich sehr feige und furcht¬ 
sam; da er nicht gegen die Zeit kämpfen kann, trotzt er 
der Ewigkeit.“ 



224 


„Es ist besser, vor dem Menschen zu erröthen, als sein 
Gewissen vor Gott zu beflecken.“ 

„In Gott Dein Leben, in Gott Dein Ende.“ 

Da gibt es einige Klippen, welche man sehr meiden 
muss. Aber es genügt nicht, das Uebel zu vermeiden, man 
muss das Gute thun. Wie das anfangen P Um auf diese 
Frage zu antworten, würde man ein grosses Werk schreiben 
können. Ieh werde Ihnen erzählen, wie ich es selbst ge¬ 
macht habe. 

Als ich im Jahre 1824 dieses Werk begonnen habe> 
wusste ich von Allem noch nichts. Ich besuchte die Gefan¬ 
genen, ich richtete das Wort an sie, aber ich bin überzeugt, 
dass ich nicht immer gesprochen, wie ich sollte. Um den 
richtigen Weg zu finden, habe ich während einiger,Jahre 
Erfahrungen jeglicher Art gemacht. Ich habe gute Bücher 
genommen, um aus denselben mit lauter Stimme einige Sei¬ 
ten zu lesen. Ich habe geschriebene Abhandlungen vorge¬ 
tragen, ich habe aus dem Stegreife gesprochen. Ich habe 
hunderte von besonderen Unterhaltungen gehabt. Während 
ich diese verschiedene Mittel versuchte, bemühte ich mich, 
zu beobachten , welche Art zu sprechen, welche Ideen 
welche Sätze und Worte den meisten Eindruck mach¬ 
ten. Mich darüber besinnend, zeichnete ich alle diese Beo¬ 
bachtungen auf. Während einer langen Reihe von Jahren 
habe ich alles anfgezeichnet, um auf diese Weise sowohl 
das kennen zu lernen, was ich vermeiden, als das , was ich 
thun musste. Endlich fing ich an, zu glauben, dass ich mei¬ 
nen Zweck erreichen würde, wenn ich mich hierauf ein we¬ 
nig einliesse. Vielleicht täuschte ich mich noch, denn jeder 
Mensch täuscht sich leicht über sich selbst, und ich gehöre 
zu denen, die den Namen eines Menschen tragen. Wie 
dem auch sei, hier ist der Rath, den ich gerne allen 
Denen, die Gefangene besuchen wollen, geben möchte: 
Beobachtet, zeichnet auf, prüfet und arbeitet ohne Unter¬ 
lass. Arbeitet, selbst wenn ihr überzeugt seid, dass euere 
Arbeit unvollkommen ist. Während der Arbeit vervollkomm¬ 
net man sich. Lasst uns während unseres ganzen Lebens 



225 


Lehrlinge in unseren , eigenen Augen sein, damit wir mehr 
und mehr Meister in den Augen Anderer und am Ende mit 
Gottes Hilfe geistige Erwecker und gefühlvolle Christen 
werden. 

Möge das Christenthum vorzüglich unsere Schule sein. 
„Das Christenthum,“ hat ein Franzose gesagt, „beschäftigt sich 
fortwährend mit den allgemeinen Interessen der Gesellschaft, 
aber in der Gesellschaft nimmt es die Menschen einen nach 
dem andern, und verabsäumt nichts, um sie zu vervollkomm¬ 
nen. Das Christenthum hat eine eigenthümliche Eigenschaft, 
durch welche es sich mit jedem Menschen für sich allein in 
Verbindung setzt.“ 

„Je mehr man sich dem Menschen nähert, um ihm Theil- 
nahme zu bezeigen, und je mehr man in seinen Geist und 
sein Herz eindringt, um sein ganzes Wesen aufzurichten, 
desto mehr ist es nöthig, ein Christ zu sein.“ 

Bemühen wir uns, meine Freunde, uns nicht ganz und 
gar in sociale Theorien, welche dem Christenthum entgegen¬ 
gesetzt sind, zu verlieren. Man kann sich viel mit den ver¬ 
schiedenen Systemen des Gefängnisswesens und sehr wenig 
mit den Gefangenen beschäftigen. Holz, Eisen, Steine wer¬ 
den beobachtet und geordnet. Der Mensch , der eine un¬ 
sterbliche Seele hat, wird vernachlässigt. Ist das nicht eine 
Ironie ? 

Herr Abbe de la Bouillerie hat diese interessante 
Betrachtungen in den Annales de la Charite gemacht und 
ich stimme mit ihm überein. 

Ebenso billige ich auch von ganzem Herzen eine sehr 
interessante Betrachtung meines unlängst verstorbenen edlen 
Freundes A. A. Stuart, Director und Secretär der Nieder¬ 
ländischen Gesellschaft zur sittlichen Besserung der Gefan¬ 
genen und zur Unterstützung entlassener Gefangenen, welche 
sich gut führen. 

Dieser edle und ausgezeichnete Mann hat während einer 
langen Reihe von Jahren den Gefangenen und entlassenen 
Gefangenen ausserordentliche Dienste geleistet. 

Seine Besuche bei den Gefangenen haben heilsame 
Früchte gebracht. Er war der Willkommene ju allen Zel- 



226 


len, und wenn der Gefangene zuweilen rauh und roh war, 
sagte er sich: je grösser die Rohheit des Gefangenen gegen 
mich wird, desto mehr nimmt meine Geduld und mein Wohl¬ 
wollen gegen ihn zu, und die christliche Liebe hat mich un¬ 
aufhörlich zum Sieger gemacht. 

Möge Gott diese einfachen Betrachtungen segnen, und 
möge man sich bald überzeugen, dass das Zellensystem den 
Vorzug verdient. 


Amsterdam, 1. Juni 1871. 



227 


Vermischtes. 


(Sendschreiben eines Strafanstalts-Beamten an 
Einen der es werden will.) Als ich mir bei Ihrem Hiersein er¬ 
laubte, die Frage an Sie zu richten: ob Sie zu dem neugewählten Stande 
sich auch berufen fühltep? hatte ich mehr Ihr Wohl und Weh, als das 
Ihrer künftigen Untergebenen im Auge. Die letzteren können bei der 
Anstellung eines verständigen und wohlgesinnten Beamten nur gewin¬ 
nen, und jedenfalls ist ihnen schon der Glaube an menschliche Güte 
und Gerechtigkeit, und an die wohlwollenden Absichten der Regierung, 
welcher durch eine offene und redliche Verwaltung nach und nach auch 
in den feindseligsten Gemüthern hervorgerufen zu werden pflegt, eine 
unaussprechliche Wohlthat, indem er ihre Aussöhnung mit der bürger¬ 
lichen Ordnung und in weiterer Folge mit sich selbst, vermittelt. Ihr 
Loos aber, mein theurer Freund, wird Kummer und Sorge, eine stete 
innerlich aufreibende Gemüthsbewegung und ein endloser Kampf mit 
Schwierigkeiten sein. Sie nehmen unsere amtliche Bestimmung so sehr 
von ihrer schönen und edleren Seite, von der eines Familienvaters, dem 
jede Strafe, die nicht bessert, eine zwecklose Grausamkeit ist, und es 
gibt auf dieser Seite, so lange uns von der Justiz und Regierung nicht 
genügende Zeiten und Mittel gegeben sind, so viele Täuschungen und 
niederschlagende Erfahrungen, dass nur der feste und unerschütterliche 
Glaube an die endliche Erreichbarkeit des Zieles und der unbedingte 
Wille, es selbst unter den ungünstigsten und abschreckendsten Umstän¬ 
den zu verfolgen und das heilige Feuer mindestens für kommende Ge¬ 
schlechter zu pflegen, vermögend ist, vor Entmuthigung und Umkehr zu 
bewahren. Kein Stand ist, der so viele Urtheile und Kennerschaften 
von aussen her über sich hervorriefe und k&ner, der so viel Zerwürf¬ 
nisse in seinem Innern nährte , als der eines Strafanstalts-Vorstehers. 
Sind Sie strenge, so werden Sie dem Vorwurfe der Unmenschlichkeit 
und der Entwürdigung des Ebenbildes Gottes, sind Sie menschlich und 
nachsichtig, dem der unzeitigen Milde an den Störern der öffentlichen 
Sicherheit nicht entgehen; halten Sie aber die Mittelstrasse, so müssen 
Sip darauf gefasst sein, dep einen via den andern auf sich zu laden, 



22S 


Beim Antritt Ihres Amtes werden Sie Krieg mit Ihren verwilder¬ 
ten Zuehtbefohlenen, und, wenn von diesen keine Gefahr mehr zu besor¬ 
gen ist, mit Ihren Subalternen haben, die in ihrer verderblichen Sicher¬ 
heit nur allzuoft der Versuchung unterliegen , sich die kleinen Vor¬ 
theile , welche die berechnende Dienstfertigkeit der Spitzbuben ihnen 
bietet, gefallen zu lassen und dadurch das Maass ihrer Autorität und 
Wirksamkeit zu vergeuden. Der misslichste Kampf aber, aus welchem 
Sie nie als Sieger und selten als Begnadigter hervorgehen können, 
Rteht Ihnen mit den Ansichten Ihrer hohen Vorgesetzten bevor, die 
durch ihre Stellung berufen , Sie zu belehren und zu leiten , ohne bei 
Heterogenität ihrer glänzenderen Dienstlaufbahn dazu die erforderlichen 
praktischen Kenntnisse zu .besitzen, durch die Scheu, untergeordnete 
Erfahrungen zu Rathe zu ziehen, nicht selten in den Fall gebracht wer¬ 
den, sich auf ein absolutem „sic volo sic jubeo“ zu beschränken, und ge¬ 
machte Missgriffe durch willige und beharrliche Duldung der Folgen zu 
rechtfertigen. Hat Ihr Institut aber endlich durch alle diese Hinder¬ 
nisse hindurch die Einrichtung errungen, die Sie für die zweckmässigste 
halten, so werden Sie doch von dem Zwiespalt nicht unangefochten blei¬ 
ben , welcher zwischen der kleinen Welt innerhalb , und der grossen, 
allerdings nicht so leicht zu beherrschenden, ausserhalb der Mauern 
eines wohlorganisirten Zuchthauses besteht, welcher jahrelange Arbeit 
in einem Tage vernichtet, und zu dessen Ausgleichung vielleicht noch 
Jahrhunderte gehören. 

Das, mein theurer Freund , sind die Genüsse, die Ihrer auf dem 
gewählten Lebenswege harren und die Sie mit Sorgen und Kümmernissen, 
mit unruhigen Tagen und schlaflosen Nächten, mit Aufopferung eines 
Thejl&Jhres Familienlebens und mit langsamer Ertödtung Ihres Sinnes 
für gesellige Freuden zu bezahlen haben werden. 

Allein der Weinberg des Herrn bedarf der Arbeiter, und nament¬ 
lich solcher, wie Sie einer zu werden versprechen. Darum muss ich 
im Interesse der Sache , deren Förderung ich zur Aufgabe meines Le¬ 
bens gemacht habe, wünschen, was ich in dem Ihrigen gewagt und be¬ 
denklich finde. Den Forderungen und Pflichten der Freundschaft glaube 
ich durch die warnende Frage zu genügen, die Ihre Bescheidenheit mir 
so falsch ausgelegt hat. Bleiben Sie getrost bei Ihrem Vorhaben, wenn 
Sie die Stärke in sich fühlen*, so vielen Wiederwärtigkeiten gegenüber 
durch Ihr Bewusstsein aufrecht erhalten zu werden. 

Es ist nicht gut, dass Sie die neue Laufbahn als Familienvater 
beginnen. Müssen Sie afs solcher mehr Sorgen als erheiternden Mo¬ 
menten entgegensehen, so ist es Ihnen besser, Sie bleiben zurück. Ein 
Strafanstaltsbeamter darf, namentlich im Anfänge seiner Laufbahn, keine 
andere Sorge haben, als die seines Berufes, und es muss für ihn keine 
Gemüthsbewegung geben, die ihn wider Willen, von dieser abziehen 
könnte. 

Auch rathe ich nochmals, dass Sie keinen entscheidenden Schritt 



thun, bevör Sie nicht geraume Zeit eine Art VoulProbe bestanden, und 
thätig und raitwirkend in eiper Strafanstalt zugebräclit haben. Das wird 
Sie mehr, als ich es zu thun vermag, über das, was Sie zu erwarten 
und demgemäss zu thun und zu lassen haben, aufklären und Ihnen zu¬ 
gleich als theilweise Ergänzung Ihrer Yorbildung dienen. Wir haben 
bis jetzt keine Vorschule und keinen Lehrstuhl für die Vollstreckungs- 
kunde der Zuchthausstrafen, als das bürgerliche Leben und die indivi¬ 
duelle Erfahrung des Aspiranten, und doch ist kaum eine Wissenschaft, 
die wichtigere und schwierigere Probleme zu lösen hätte. Sie greift in 
alle Verhältnisse und Interessen des bürgerlichen Lebens und der 
Staatsregierung ein, für die es nicht gleichgiltigist, ob die arbeitsscheuen, 
verwilderten und gefährlichen Menschen, die die Zuchthäuser aufzu¬ 
nehmen haben, als vollendete Bösewichter oder als arbeitssame und zu¬ 
verlässige Bürger daraus hervorgehen, und wenn es nicht geleugnet 
werden kann, dass Tausende von Entlassenen, die sich alljährlich nach 
allen Richtungen über Stadt und Land verbreiten, auch die Träger und 
Verbreiter alles Guten und Bösen sind, was sie während ihrer Strafzeit 
gehört, gesehen, gelernt und angenommen haben, so leuchtet von selbst 
ein, welchen unermesslichen Einfluss die Zuchthäuser auf die Moralität 
der Bevölkerung und namentlich der untern Stände zu üben im Stande 
sind, und wieviel demnach von der Art ihrer Verwaltung abhängL 

Die Ansprüche, welche an die Strafanstalts-Vorsteher zu machen 
sind, sind bereits seit längerer Zeit erkannt worden, und man ist dahin 
gelangt, ihre Stellen nicht mehr als Sinecuren zu betrachten und als 
Abfindungen über anderweitig geleistete Dienste zu vergeben. Die Zucht¬ 
hausbeamten sollten daher alle auch von der Pike auf dienen und es als 
eine Hauptaufgabe ihres Berufes zu betrachten haben, nicht blos die 
Kerkermeister und Peiniger, sondern auch die Lehrer und Vorbilder 
verirrter Brüder zu sein. 

* * * 

(Auswanderung entlassener Strafgefangenen.) Aus 
Aachen, im Okt. 1872. In neuerer Zeit erscheinen in den öffentlichen 
Blättern häufig Notizen, aus welchen hervorgeht, dass Agenten eine 
lebhafte Thätigkeit entwickeln, um unter anscheinend sehr vor- 
theilhaften Bedingungen Auswanderer für Amerika zu gewinnen. 
Die Wirksamkeit dieser Agenten kann unter Umständen in volkswirt¬ 
schaftlicher Beziehung sehr nachtheilige Folgen äussern. Die Staats¬ 
behörden überwachen daher dieses Treiben streng, um die Schädigung 
der Interessen ihrer Staatsangehörigen nach Möglichkeit zu verhüten. 

Es fragt sich nun, ob sich diese Auswanderungs-Agitationen nichl 
im speciellen Interesse der Strafgefangenen verwerten lassen, indem 
man sowohl die Aufmerksamkeit befugter Agenten auf die Strafan¬ 
stalten lenkt, als auch diejenigen Gefängnissvereine, welche sich um 
die Unterbringung entlassener Gefangenen bemühen, auf die Thätigkeit 
jener Agenten aufmerksam macht, um solchen zur Entlassung gelangen- 



230 


den Strafgefangenen, welche auszuwandern beabsichtigen, die Ausfüh¬ 
rung ihres Vorhabens möglichst zu erleichtern. 

Der entlassene Gefangene befindet sich unverkennbar in einer 
sehr üblen Lage. Nicht allein an seinem Heimathsorte kennt Jeder 
seine Vergangenheit, sondern soweit sich unsere wohl organisirte Po¬ 
lizei-Verwaltung erstreckt, verfolgt ihn das Misstrauen, mit welchem einem 
bestraften Menschen begegnet wird. Die Gelegenheit zu einem redli¬ 
chen Erwerbe wird ihm ferner so sehr erschwert, dass die Entschuldi¬ 
gung rückfälliger Verbrecher, Mangel an Arbeit und Noth haben sie zu 
neuen Gesetzesübertretungen veranlasst, nicht immer aller Begründung 
entbehrt. 

Nimmt man aber an, der Gefangene begibt sich nach beendeter 
Strafverbüssung in das Ausland unter fremde Menschen, die in keiner 
Beziehung v zu dem Orte seines früheren Aufenthaltes stehen, so lässt 
sich wohl mit Becht erwarten, dass über seiner Vergangenheit der 
Schleier der Vergangenheit ruhen wird. Unter der Voraussetzung, dass 
der Gefangene überhaupt mit dem Vorsätze aufrichtiger Besserung ent¬ 
lassen wurde, ist dann auch die Annahme gerechtfertigt, dass seine 
Absicht, fernerhin an einem redlichen Erwerbe unausgesetzt festzuhal¬ 
ten, nicht durch das Misstrauen seiner Umgebung und den daraus fol¬ 
genden Mangel der Erwerbsthätigkeit beeinträchtigt wird. 

Dasselbe Ziel, den entlassenen Gefangenen die Er¬ 
werbsthätigkeit zu sichern, strebt ein andererseits gemachter 
Vorschlag ebenfalls an, welcher darin besteht: Arbeitsanstalten 
an verschiedenen Orten des Staates zu gründen, in welchen entlassene 
Gefangene stets Beschäftigung finden können. Abgesehen davon aber, 
dass dieser. Plan an der Schwierigkeit seiner Ausführung und den vie¬ 
len Bedenken, welche sich dagegen erheben lassen, allein schon schei¬ 
tern muss, würde der Nutzen dieser Anstalten auch ein unvollkomme¬ 
ner sein. Denn offenbar kommt es nicht darauf allein an, dem entlas¬ 
senen Gefangenen Gelegenheit zur Beschäftigung zu geben, sondern es 
soll ihm auch die Möglichkeit geboten werden, sich unter ehrlichen 
Menschen einen geachteten Platz zu erringen. Ob ihm dies aber als 
Mitglied einer solchen Arbeitsanstatt je gelingen würde, lässt sich un¬ 
bedingt bezweifeln. 

Durch die Auswanderung entlassener Gefangenen hingegen Hesse 
sich das angedeutete Ziel erreichen mit Umgehung aller der Schwierig¬ 
keiten und Bedenken, welche dem vorher angeführten Project entgegen¬ 
stehen, 

Es fragt sich nun, ob unter den Strafgefangenen, welche zur Ent¬ 
lassung gelangen, überhaupt Auswanderungslustige sich vorfinden wer¬ 
den? Diese Frage lässt sich wohl ohne Bedenken mit „ja“ beantwor¬ 
ten ; als Begründung dessen gelten die mehrfachen Anträge um Erthei- 
lung von Auswanderung8-Papieren, welche bei den Verwaltungen der' 
Strafanstalten eingehen. “Wenn auch erfahrungsmässig die entlassenen 



231 


Gefangenen von dem ertheilten Auswanderungs-Consenö nur in seltenen 
Fällen Gebrauch machen, so lässt sich daraus noch nicht schliessen, 
dass sie auch dann keinen Gebrauch davon gemacht haben würden, 
wenn sie in der Ausführung ihres 'ursprünglichen Vorhabens mit Bath 
und That unterstützt worden wären. 

Die richtige Erkenntniss von den Yortheilen, welche der Aufent¬ 
halt im Auslande nach beendetem Strafvollzüge bietet, darf bei einem 
Theile der Gefangenen vorausgesetzt werden, und ebenso auch der Ent¬ 
schluss, die Heimath zu verlassen; es handelt sich mithin nur darum, 
den Betreffenden die Wege zu ebnen und sie mit den nöthigen Finger¬ 
zeigen zu versehen. 

Viele werden es zwar nicht sein, die von der dargebotenen 
Hilfe Gebrauch machen; aber schon um der Wenigen willen, welche 
ernstlich bemüht sind, nicht in ein verbrecherisches Leben zurückzu¬ 
fallen, dürfte ein näheres Eingehen auf die beregte Angelegenheit rath- 
sam erscheinen. 

Die Auswanderung selbst liesse sich mit Aufwendung geringer 
Mittel ausführen. Durch sorgfältige Ermittelung Seitens der Staats - 
oder Gonsularbehorden Hessen sich vielleicht zuverlässige Agenten fin¬ 
den, welche die Auswanderung auch ohne Zahlung der Ueberfahrtskos- 
ten zu vermitteln wissen. v 

Gegen diese Auswanderung unbemittelter Personen lässt sich 
zwar mit Recht einwenden, dass letztere — indem sie die Kosten der 
Ueberfahrt am Bestimmungsorte durch Arbeitsleistungen zu entrichten 
haben — dadurch zunächst in ein abhängiges Verhältniss kommen. 
Berücksichtigt man aber die Zukunft, welche dem entlassenen Gefange¬ 
nen in der Heimath bevorsteht, und den Umstand, dass die Wahrschein¬ 
lichkeit seiner Rückkehr in die Strafanstalt durchaus nicht ausgeschlos¬ 
sen ist, so erscheint dagegen die Lage des Ausgewanderten keineswegs 
in einem sehr ungünstigen Lichte. 

Was ferner über ein ungesundes Klima an den Auswanderungs¬ 
zielen gesagt wird, mag auch eine gewisse Berechtigung haben; indes¬ 
sen die Gefängnissluft im Heimathlande, welche den entlassenen Ge¬ 
fangenen möglicher Weise bald wieder aufnimmt, dürfte der Gesundheit 
wohl nicht viel zuträglicher sein. 

Die Vortheile der Auswanderung entlassener Strafgefangenen, für 
diese selbst sowohl, wie für die Allgemeinheit, scheinen ganz überwie¬ 
gend und auch so nahe liegend, dass sie einer weiteren Erwähnung 
kaum bedürfen. Ein näheres Eingehen auf diese Sache und eine sorg¬ 
fältige Prüfung der einschlagenden Verhältnisse seitens der betheiligten 
Behörden und Vereine dürfte wohl nicht ungeeignet erscheinen, ,um ge¬ 
nau feststellen zu können, ob die in der angedeuteten Weise auszufüh¬ 
rende Unterbringung entlassener Gefangenen ausführbar und in Wirk¬ 
lichkeit so vortheilhaft ist, wie zie zu sein scheint. 

Eckert, Rendant der Arrest- u. Corrections-Anstalt. 



(Diesfe* Gögefaständ steht mit der Frage der völkerrechtlichen 
Zulässigkeit der Auswanderung von entlassenen Strafgefangenen und 
mit der über Zweckmässigkeit der Deportation im engsten Zusammen¬ 
hang. Ebenso wäre, wie angedeutet, das Schicksal, welches bei unent¬ 
geltlich gebotener Ueberfahrt den engagirten Auswanderern bevorsteht, 
genau ins Auge zu fassen. Anm. der Redaction.) 

(Di e Zw e k mä ssigk ei t derVerwe ndung ders.g. trag¬ 
baren Controluhren für Strafanstalten. Mitgetheilt von 
Alois Ritter vonRosenbaum, Director der nö. Landes-Zwangsarbeits- 
Anstalt in Weinbaus bei Wien.) Um die vorschriftsmässige Verseilung 
des Ueberwachungsdienstes des Aufsichtspersonals in Straf- und ande¬ 
ren der öffentlichen Sicherheit dienenden Anstalten zu controliren, 
hat man zu den verschiedensten Versuchen seine Zuflucht genommen» 
keine derselben hat jedoch sich als vollkommen praktisch bewährt. 

Dem Uhrenfabrikanten W. Schönberger in Wien ist es nun gelungen, 
duroh die Erfindung seiner 8. g. transportablen Controluhren allen den 
Uebelständen abzuhelfen, an deren die Controle der Ueberwachung bis¬ 
her zu leiden hatte. 

Die in Rede stehende Uhr trägt das Aufsichtsorgan bei sich, und 
begeht mit derselben alle jene Punkte , welche er zu beaufsichtigen 
hat. In derselben befindet sich ein auf einem Rade aufgezogener Papier¬ 
streifen, welcher sich mit dem Zeiger der Uhr vorwärts bewegt. Der Rayon, 
welcher zu überwachen ist, wird in beliebig viele Theile zerlegt , und 
es befindet sich in jedem dieser Theile ein versperrtes Kästchen, in 
welchem ein an einer Kette festgemachter Schlüssel eingeschlossen ist. 

Sobald das Aufsichtsorgan diesen Schlüssel in die Uhr steckt und 
umdreht, hat sich auf den Papierstreifen die Zeit, sowie der Ort durch 
verschieden combinirte Stiche markirt. 

Da die Uhr dem Aufsichtsorgan in verschlossenem Zustande über¬ 
geben wird, so ist es nicht möglich, dass dasselbe irgend etwas un¬ 
ternehmen, wodurch eine Täuschung der Controle herbeigeführt werden 
könnte. 

Des Morgens wird die Uhr geöffnet, der Papierstreifen herausge¬ 
nommen und aus den auf demselben vorhandenen Stichen herausgelesen 
zu welcher Zeit das Aufsichtsorgan einen bestimmten Punkt seines 
Rayons begangen habe, worauf derselbe sodann in ein hiezu bestimm¬ 
tes Buch eingeklebt und aufbewahrt wird. 

Die bisher im Gebrauche gestandenen fixen Controluhren nöthig- 
ten die Aufsicht nur dann sich von der Uhr wegzubegeben, wenn deren 
mehrere aufgestellt waren, was jedoch mit sehr bedeutenden Kosten 
verbunden ist, während sie auch nicht genau die Zeit fixiren , wo sich 
das Aufsichtsorgan zwischen der Controle der einzelnen Uhren bewegt 
liat, welcher Uebelstand bei den transportablen Uhren ganz entfällt. 

Ich habe in der meiner Leitung unterstehenden Anstalt die frag¬ 
liche Uhr seit 1 i / t Jahren im Gebrauche und ich pflege allabendlich dem 



die Nachtcontfole versehenden Aufseher die Zeit und die Reihenfolge 
der Rayons, welche er zu controliren hat, anzugeben. 

Wenn nun des Morgens der Papierstreifen eine Differenz gegen 
den von mir ergangenen Auftrag nachweist, so muss der Aufseher den 
Grund des Abweichens von der vorgeschriebenen Route oder von der 
vorgeschriebenen Zeit rechtfertigen* 

Diese Art und Weise der Controle ist durch Einfachheit und 
Sicherheit allen Strafanstalten umsomehr auf das Wärmste zu empfehlen, 
als auch die Kosten der Anschaffung einer transportablen Controluhr 
sammt Zugehör, welche von deren Erfinder, Uhrenfabrikanten W. Schön¬ 
berger in Wien (Franz-Josephs-Quai) zu beziehen sind, ein äusserst 
billiger ist, indem eine solche für 12 Stationen eingerichtete Uhr, welche 
falls sich am Gehwerke etwas verderben sollte, wie jede andere Anker¬ 
uhr von jedem Uhrmacher leicht reparirt werden kann, nur auf 45 fl. 
5. W. (25 Thlr) zu stehen kommt. 

(Die Controluhren dieser Art sind nicht neu und von dem Heraus¬ 
geber dieser Zeitschrift bereits im Jahr 1866 in der Strafanstalt Zürich 
in Anwendung gefunden worden. Ohne Zweifel werden demgemäss 
solche auch in der Schweiz gefertigt. Anm. der Red.) 

(DasAsyl aufdemWutschenhofebeiKleinlangheim 
in Unt er franken. Zehnter bis dreizehnter Jahresbe¬ 
richt. 186 9.) Jahresberichte pflegen bisweilen unbeachtet aus der 
Hand gelegt zu werden, weil man einen alltäglichen langweiligen Inhalt 
voraussetzt. Dieses Schicksal verdient dfts vorliegende Schriftchen je¬ 
denfalls nicht. Auf wenigen Blättern finden wir hier vortreffliche Be¬ 
merkungen und interessante Mittheilungen. 

Das Asyl auf dem Wutschenhofe ist eine Anstalt für entlassene 
männliche Sträflinge, die seit den 13 Jahren ihres Bestehens mit aus¬ 
serordentlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Sie hat innerhalb 
dieser Zeit 41 Schützlinge beherbergt. Von diesen sind: 

23 also 56,09% als sehr gut, 

10 „ 24,39% als gut, 

8 „ 19,52% als rückfällig 

bezeichnet. Wir empfehlen diesen Bericht namentlich allen Denen, 
welche davon überzeugt sind, dass für die Gefangenen nach Ablauf ihrer 
Strafzeit in der Regel etwas mehr geschehen müsse , als die Abrech¬ 
nung und die Oeffnung des Gefängnissthors. 

(Kochmals über Yen tilation p He izun g, Aborträumung, 
Desinfection.) Schon wiederholt sind wir auf die Frage der Ven¬ 
tilation zurückgekommen und haben insbesondere in Bd. VII. H. 1 
hierüber und über Anderes, was damit zusammenhängt, mehrfache Mit¬ 
theilungen gemacht. Für Gefängnisse gibt es kaum eine wichtigere 
Maassnahme zur Erhaltung der Gesundheit, als die Zufuhr der nöthigen 
frischen Luft. Freilich ist zu bemerken, dass in allen geschlossenen 

Blätter für Gef&ngnisskuntlo VII. 16 



Räumen, abgesehen von den Oeffnungen in Thüren und Fenstern etc. 
selbst durch die Wände eine beständige Lufterneuerung gtattfindet. 

Pettenkofer hat nämlich die Entdeckung gemacht, dass ein stetiger 
Luftwechsel durch die festen Mauern unserer Wohnungen hindurch 
stattfindet. Derselbe beruht auf einer Porosität des Baumaterials , be¬ 
sonders des Mörtels, der Ziegelsteine und des Holzes. Die Summe der 
unzähligen kleinen Poren dieses Materials repräsentirt den Luftwechsel¬ 
effekt eines geöffneten Fensters. Der Luftwechsel dureh die Mauer¬ 
wände ist durchaus nicht unbedeutend; bei einer Geschwindigkeit von 
i / 2 Millimeter in einer Secunde lässt eine Wand von 20 Fass Länge, 
16 Fuss Breite und V/ 2 Fuss Stärke in einer Stunde circa 2160 Kubik- 
fuss Luft durchgehen. Selbst der kleinste Windstoss aussen ruft auf 
der Zimmerseite der Wand eine Luftbewegung hervor. Die wärmere 
verdorbene Zimmerluft dringt über 2 Fuss tief in die Mauer und durch 
die Mauer in’s Freie. Gleichzeitig flieset die kältere reine Aussenluft 
in umgekehrter Richtung auf denselben Porenkanälen durch die Mauer 
in die Zimmer hinein. Selbst der Oelanetrich der Wände hält den Luft- 
durchtritt nicht anf. Ein mächtiges Hinderniss setzt dagegen eine feuchte 
Wand, welche durch dichten Verschluss, der Poren die Lejtungsfähig- 
keit der Mauern für den Luftwechsel aufhebt. Darauf mag wohl zum 
Theil die grössere Krankheits-^ und Sterblichkeitsziffer eines sogen, 
nassen Winters beruhen. Die anerkannte Schädlichkeit feuchtwandiger 
Wohnungen, besonders Schlafzimmer, findet in dieser Thatsache ihre 
hinlängliche physikalische Erklärung. Wer in einem feuchten Zimmer 
wohnt oder gar schläft, entbehrt in 12 Stunden mintfestens 10,000 Ku- 
bikfuss Luftaustausch, während die stagnirende, mit Kohlensäure und 
anderen schädlichen Gasen überladene Zimmerluft immer wieder von 
Neuem eingeathmet und ins Blut fihergeführt wird. Durch den gehin¬ 
derten Luftwechsel zwischen Zimmer und äusserer Atmosphäre wird 
auch der Gasaustausch zwischen Lungen und Haut einerseits und der 
umgehenden Luft andererseits —r d. h. die Lungen- und Hautathmung 
gestört. Die im Blut angehäuften Gase» suchen sich andere Ausschei¬ 
dungswege, und es erklären sich daraus die so häufigen Folgen feuch¬ 
ter Wohnungen: Nier.enerkrankung, Gicht, Rheumatismus und andere 
Krankheiten. 

Je grösser die Temperaturdifferenz zwischen Zimmer- und Aus- 
senluft, desto energischer geht der Luftaustausch durch die Mauern 
vor sich; das Gleiche ist bei starker Windströmung der Fall. 

Der Luftaustausch zwischen Haus und äusserer Atmosphäre, ge- 
wissermassen die Fortsetzung der Luftausgleichung der athmenden 
Hausbewohner, bildet die natürliche Ventilation, zu welcher noch das 
Oeffnen der Fenster und Tliüren, der geheizte Ofen und der Luftzug 
des nicht geheizten Kamins zu rechnen ist. 

Auf experimentellem Wege ist indessen nachgewiesen, dass durch 
die natürlichen Ventilationswege dem Luftbedürfniss athmender Wesen 



235 


t*ur unter beschrankten Verhältnissen genügt ist; sie bilden nur das 
Sicherheitsventil, den Regulator, um einer tödtlichen Concentration gif¬ 
tiger Gase in den Wohnräumen vorzubeugen. TTm in demselben an¬ 
dauernd eine gesunde Athemluft von normaler Beschaffenheit zu erhal¬ 
ten, müssen die künstlichen Ventilationsmitte! in Anwendung gebrächt 
werden. Dies führt selbstverständlich wieder zu der Frage , wieviel 
athmoaphärische pro Stunde und pro Individuo an Stelle der verbrauch¬ 
ten Zimmeriuft zuzuführen ist? Die exacte Beantwortung hat Petten- 
kofer auf Grund quantitativer Luftanalysen zu dem Resultate geführt, 
dass in einem geschlossenen Raum für jeden Kopf 60 Kubikmeter (2400 
Kubikfuss) zugeführt werden müsse* 

Gm die Luftströmung in ununterbrochenem Gang zu halten, muss 
man mehrere Factoren m Rechnung bringen, welche in einem bestimm¬ 
ten mathematisch ausgerechneten Verhältnis zu einander stehen. Nach 
Morin ist nämlich die Geschwindigkeit, mit welcher Gase (oder die auf¬ 
gesaugte Zimmerluft) aus einer Zugesse abströmen, proportional 1) dem 
Wärmeunterschied zwischen innerer und äusserer Luft, 2) dem Durch¬ 
messer der Zugesse, 3) der Höhe derselben. Dieses allgemeine Gesetz 
hat seinen praktischen Werth bei allen Ventil^tionsanlagen, welche durch 
ein System von Sammelröhren die Luft mit steigender Geschwindigkeit 
iu einen centralen Abzugskamin zu leiten haben. In der Steigerung det 
Temperatur der Zugesse, in der Vergrösserung ihrer Höhe oder ihres 
Querschnittes haben wir die sicheren Mittel zur Steigerung der Lüffab- 
führungsenergie. Man hat jetzt sogar sogenannte Compteurs, Ge¬ 
schwindigkeitsmesser, welche, in der Zugesse angebracht, wie eine 
Gasuhr die Schnelligkeit der Luftbewegung im Kamin anzeigen. 

Alle die zahlreichen Ventilirungsmethoden leiden an verschiedenen 
Mängeln. Däs einzig richtige Princip des Luftwechsels: in geschlosse¬ 
nen Räumen möglichst grosse Massen reine* Luft von angenehm war¬ 
mer Temperatur ununterbrochen und gleichmäesig züzuführen, und da¬ 
bei Zugluft zu vermeiden — ist zur Zeit noch Problem. Befragen wir 
Zunächst diA Natur, blicken'wir auf diä Wöhnrättme dbr Thiete, So er¬ 
halten wi* in dieser Beziehung unzweideutige Winke. Die durchbro¬ 
chene Construktion der Vogelnester ermöglicht den gleichmäßigen Ein¬ 
tritt der atmosphärischen Luft, die in sanftem Strom von allen Seiten 
durch diäWand^ ins Innere dringt, während die AusäthmungSgase der ge¬ 
flügelten Rewohner durch den allefceit offenen Eingang des Nestes nach 
aussen abfliesst. Unterhalten wird diese Lttftbewegung durch die sehr 
bedeutende Eigenwärme der Vögel, welche eben jene zum Luftaustausch 
nothwendige Temperaturdifferenz erzeugt. Dasselbe Priricip auf Men¬ 
schenwohnungen übertragen, dürfte als Ideal aller Luftemeuerungsme- 
cbanismen gelten. Instinktiv ist man auch schon, durch Noth getrieben, 
auf die Anlage poröser Aufenthaltsräume verfallen, und die in den letz¬ 
ten Kriegen mit so grossem Erfolg angewandten Tuchzelte ffer Kranke 
und Verwundete haben deren Zweckmässigkeit über allen Zweifel erho- 

16 * 



- 236 — 

ben. Hospitalbrand, Lazarethtyphus, egyptische Augen entzündung, die 
unvermeidlichen Begleiter der stabilen Krankenhäuser, blieben den Tuch¬ 
zelten fern; denn die Luft darin bleibt fortwährend rein, schädliche 
Gase können sich nicht ansammeln , und Zugluft |kann auch nicht ent¬ 
stehen. Damit ist aber auch der empirische Beweis für die Richtigkeit 
desPrincips der Porenventilation geliefert, und folgerichtig auch die Auf¬ 
forderung zur praktischen Durchführung derselben unter normalen Ver¬ 
hältnissen enthalten. Tuchzelte und Vogelnester müssen 'also für alle 
menschlichen und thierischen Wohnungen als Vorbild und Ausgangs¬ 
punkt einer gesundheitsgemassen Bauconstruction angesehen werden. 
Eine solide Steinwand mit luftzügigem Maschengewebe, welche, die Tuch¬ 
zelte nachahmend, deren Unzuträglichkeiten vermeidet, das wäre also 
die ^praktische Forderung der zukünftigen Architektur. Sind ja doch 
schon Versuche gemacht worden, Steinbau und Maschenbau, d. h. die 
Vortheile beider in praktischer Verwirklichung zu vereinigen, Versuche, 
von denen die späteren, die Mängel der früheren abstreifend , schon 
einen gewissen Grad der Vollkommenheit erreicht haben. So ist der 
Fussboden in dem Sitzungssal des englischen Parlaments nach dem Sy¬ 
stem baulicher Luftporen aus siebförmig durchlöcherten Platten koh- 
struirt und mit Fussteppichen belegt, um die erwärmte Luft vom Sou¬ 
terrain durchzulassen — eine kostspielige Einrichtung, die den Erwar¬ 
tungen nicht entsprochen. Derartige Versuche — von Dr. Reid, mittelst 
der Pprenventilation der Fussboden das Problem der Ventilation zu lö¬ 
sen , bildet die unvollkommenere Vorstufe zu dem neuesten System, 
welches in getreuer Nachahmung der Vogelnestconstruktion, die Poren¬ 
idee in Gestalt gelochter Mauersteine und fugenförmi^ yerschlungenen 
Wandporen zu verwirklichen sucht. 

Scharrath, Architekt und Ingenieur in Bielefeld, hat ein für alle 
möglichen Aufenthaltsräume anzuwendendes System der Porenventilation 
auf experimentellem Wege zur Ausführung gebracht *). Au^ die Dar¬ 
legung dpr sehr komplizirt scheinenden Mauere Obstruktion, welche 
durch unmessbar kleine Wandöffnungen den, wechselseitigen Luftdurch- 
jass vermittelt, muss hier verzichtet werden. Npr so v t i el sei des 
Verständnisses halber, bemerkt, 4*88* die Wand in ihrer ganzen Ausdeh¬ 
nung durch Verschiebung der Backsteine im Innern zahlreiche , Luftzel¬ 
len enthält, derart, dass ein senkrechter Flächendurchschnitt durch die 
die Wand eine schachbrettähnliche Figur zeigt. Die Luftzeljen dienen 
zur Ansaugung der äusseren Luft; die Abfuhr der verbrauchten Zim¬ 
merluft nimmt ihren Weg durch hohle Latten und durchbrochene Ro¬ 
setten an der Zimmerdecke. ^ 

Das System bat sich aber, wie es scheint, in der Praxis auch 
nicht bewährt. 


*) Vergl. Scharr ath , Porenrentilatlon. Halle, Knapp 1869. Auch deutsche Bau - 
zeitung 1869. Kr. 39, 1870. Kr. 28. 



237 


Wir werden also vorerst hauptsächlich auf den einfachsten Weg der 
Luftzufuhr durch Fenster und Thören angewiesen sein. 

In jedem Falle ist die Möglichkeit der Zufuhr gesunder Luft 
durch die Beschaffenheit der äusseren Atmosphäre bedingt. Diese muss 
auch gut erhalten und überhaupt Alles gethan werden, dass die schäd¬ 
lichen Stoffe nicht in die umgebende Erde und folgeweise in die Mau¬ 
ern der Gebäude selbst eindringen. Und hiermit sind wir auf das Ge¬ 
biet der Beseitigung der Auswurfstoffe hinübergekommen. 

Das System der Entfernung der Abort- und anderer Abfallstoffe 
ist derzeit allenthalben eine brennende Frage. — Wir haben bekannt¬ 
lich gewisse neue — immerhin noch bestreitbare , weil nicht thatsäch- 
lich erwiesene — medicinische Theorieen, welche die Verunreinigung 
von Luft und Boden und Wasser durch die Abtritte in ursächlichen 
Zusammenhang mit der Entstehung von sogen. Infectionskrankheiten, 
insbesondere von Thyphus und Cholera, setzen; wir brauchen dieselben 
aber nicht zu Hilfe zu nehmen, um in den menschlichen Wohnplätzen 
die Beseitigung der exkrementiellen Ausflösse und Ausdünstungen mit 
allen Mitteln anzustreben; es genügt ja hiezu vollkommen der unbe¬ 
streitbare Satz, dass Reinlichkeit in jeder Beziehung die unentbehrliche 
und sichere Grundlage der Gesundheit ist. Hat doch schon Moses, der 
ein grosser Gesetzgeber war und auch auf hygienische Vorschriften 
trefflich sich verstand, ohne Ahnung unserer modernen Krankheitslehre 
angeordnet, dass aussen vor dem Lager ein Ort zur Verrichtung der 
Nothdurft sein und jeder Israelit ein Schäuflein haben soll, um zuzu- 
scharreh, was von ihm gegangen ist. (5. Buch Mos., Kap. 23, V. 12—13.) 
Von den alten Römern sagt Dionysius von Halikarnass, dass ihm haupt¬ 
sächlich drei Gegenstände auffallen, in welchen er die Grösse des rö¬ 
mischen Volkes bewundere, die Wasserleitungen, die öffentlichen Stras¬ 
sen und die Kloaken. Und im vorigen Jahrhundert bezeichnet der 
grosse Arzt und Begründer der medicinischen Polizei, Peter Frank in 
Wien, die schlechte Bauart der Abtritte als eine der gemeinsten Ursa¬ 
chen der Verunreinigung des städtischen Luftkreises. 

Und in der That, die Städte, die eng gebauten Häusercomplexe 
sind hier am meisten ins Auge zu fassen. Manches Gefängniss liegt 
mitten in einem solchen Complex, manches ist für sich ein solches. 
Man empfiehlt desshalb das Auseinanderrücken der Gebäude und ferner 
in der Unterstellung, dass das Durchdringen von schädlichen Flüssig¬ 
keiten in den Boden nie ganz zu vermeiden ist, die Anpflanzung von 
Bäumen, deren Wurzeln diese Flüssigkeiten wieder an sich ziehen. 
Bautnpflanzungen sind freilich auch aus anderen Gründen der Gesund¬ 
heit ausserordentlich förderlich. 

Doch die Verhältnisse können nicht allenthalben derartigen An¬ 
forderungen entsprechend eingerichtet werden. Und wenn auch, in 
allen Fällen gilt es, die obengenannten Stoffe in der geeignetsten Weise 
zu beseitigen. Hier stehen sich nun die Meinungen, ob „Abfuhr oder 



238 


Canalisation“ noch sehr schroff entgegen. Die Canalisation bedingt 
stets eine grosse Wassermenge, die nicht überall ?u haben ist. Ob 
dann wirklich keinerlei Stoffe sich in den Boden versenken oder den 
Mauern mittheilen können, ob die Kanäle an ihren Oeffnungen, Ausmün¬ 
dungen etc. keine schädliche Dünste entweichen lassen, ob die Art der 
Weiterleitung des Abwassers betreffs der Gesundheit unbedenklich ist, 
ob dadurch die Landwirthschaft nicht allzusehr beschädigt wird, das 
hängt von der Durchführung ab , zu welcher aber auch nicht überall 
die entsprechenden Factoren gegeben sind. 

Was speciell die Ableitung der Auswurfstoffe beim Canalsystem 
anlangt, so hat man das Wasser besonders zur Berieselung verwendet. 
Dies geschieht zur Zeit z. B. bei der Strafanstalt in Berlin (Plötzensee) 
und in Badfort *). Die Anwendung demselben hängt von dem Vorhan¬ 
densein der entsprechend grossen Wiesenfläche ab und es kommt dabei 
zu erwägen, ob nicht durch die Berieselung eine schädliche Ausdün¬ 
stung entsteht, ferner wie während der Erntezeit und wenn Frost ein- 
tritt, der Canalinhalt zu verwahren ist. 

Vielfach empfohlen ist auch das Erdsystem von Moule. Wir ha¬ 
ben desselben schon früher gedacht. Passavant behandelt dasselbe 
etwas ausführlicher und theilt viele günstige Zeugnisse über dessen 
Anwendung, bes. in England njit. Varentrapp und Dr. Spiess 
aus Frankfurt haben dasselbe in England selbst geprüft und sind zu 
einem negativen Resultate gekommen. Die Einrichtungen zu diesem 
System sind nicht allenthalben leicht zu treffen, die Beischaffung geeig¬ 
neter trockener Erde> ist nicht allenthalben möglich, und die Durch¬ 
führung der sofortigen Anwendung der Erde, sowie das nochmals Trock¬ 
nen oft zu umständlich, wenn wir auch die Fortschaffung der benütz¬ 
ten Erde als nicht schwer anerkennen wollen. 

Was das von uns früher ebenfalls erwähnteLiernur’sche System**) 
anlangt, so scheint sich solches nach neueren Erfahrungen in der Praxis 
keineswegs zu erproben. Eine offenbar sehr kundige Feder schreibt 
darüber in der Schwäb, Chronik vom 5. Oktober 1872: Dass das ge¬ 
nannte System der Entfernung von Fäkalstoffen aus den grossen Städten 
in der Theorie das vollendetste System sei, darüber sprechen sich 
Landwirthe und Aerzte übereinstimmend aus. Dem Landwirth ist je¬ 
des Schwemmsystem ein Greuel, das seinem Boden die werthvollen 
Düngstoffe entzieht und unbenützt dem Meere zuführt, er heisst daher 
jedes System willkommen , das ihm jene Stoffe zuführt, und heisst das 
Liernur’sche System um so willkommener, je frischer es ihm die Ex¬ 
kremente auf seine Wiesen und Aecker schafft; dessgleichen stimmen 
auch die Aerzte mit Freuden einem Systeme bei, das den Hauptgrund 


*) Vrgl. Passavant, Beseitigung der Excremente ans den Schulgebäuden. Frank¬ 
furt, Sauerländer. 

**) Laurln, das Iderdur'scheSystem. Prag, Galt«. — Liernur, die pneumati¬ 
sche Canalisation und. ihre Gegner^ Frarfkfart, Boselle*. 



239 


vieler ansteckender Krankheiten so rasch wie möglich aus dem Bereich 
der menschlichen Wohnungen entfernt. Nicht minder entzückt jeden 
Städter, der gern behaglich in guter Luft wohnen mochte, der Gedanke, 
dass die üblen Gerüche, die ihm das Leben so oft in der Grossstadt 
beschwerlich und gefährlich machen, mit dom Systeme Liernurs ein 
Ende erreichen werde*. Sollen doch nach diesem System sämmtliche 
Exkremente in gusseisernen Röhren gegen jede Berührung mit der Luft 
abgeschlossen bleiben, aus den Röhren in die luftdicht verschlossenen 
Reservoirs abgezogen und endlich in luftdichte Behälter mittelst Luft¬ 
drucks entleert, täglich aus dem Bereich der Stadt abgeführt werden. 
So hat denn auch das K. Württemb. Medicinaleollegium keinen Anstand 
genommen, Liernur unserer Stadt Stuttgart auf dag Wärmste zu empfeh¬ 
len. Das Medicinaleollegium erblickt namentlich in der täglichen Ent¬ 
leerung einen Vorzug vor dem Tonnensystem, welches die Entleerung 
nur alle 4—7 Tage gestatte und noch dazu mehr Zeit und Arbeitskraft 
in Anspruch nehme. — Einsender dieses hatte sich nun zur Aufgabe ge¬ 
macht, zunächst sich selbst ein richtiges Urtheil über diesen Gegenstand 
zu bilden und das Liernursystem in der Praxis kennen zu lernen. 
Bank der grossen Gefälligkeit und Zuvorkommenheit der städtischen 
Beamten in Amsterdam \riirde ihm nicht blos die Einsicht in alle be¬ 
treffenden Plane und Zeichnungen gestattet, sondern auch Gelegenheit 
geboten, bei den alle 2 Tage stattfindenden Entleerungen der Reser¬ 
voirs anwesend zu sein. Der Augenschein lehrte ihn aber, dass die 
Praxis hinter der Theorie weit zurückbleibt und hrWahrheit noch mit 
so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, dass Einsender es in seinem 
eigenen Hause nicht einführen, geschweige denn hiesiger Stadt empfeh¬ 
len möchte. Gerade der Brennpunkt des ganzen Systems, der luft- 
dichteVerschluss, ist in Wirklichkeit dessen grösste Schwäche. Ein 
über eine Längenstreckung von 100 Meter verzweigtes Röhrensystem 
mit 30—40 Abtrittsmündungen lässt sich in Wirklichkeit nur sehr 
schwer luftdicht machen. Sobald die mittelst Lokomobile getriebene 
Luftpumpe am Reservoir saugt und die Fäces aus den Röhren in das 
Reservoir zieht, thut sie zwar bei den zunächst dem Reservoir gelege¬ 
nen Röhren vollkommen ihren Dienst, wirkt aber auf die entfernter lie¬ 
genden Röhren immer schwächer und bei 100 Meter Entfernung so 
schwach, dass diese Entfernung als das Maximum der Möglichkeit ange¬ 
nommen wird. (Auf Stuttgart angewendet, würden daher nur allein in 
der Neckarstrasse zwischen dem Waisenhaus und dem Rondell 14 Re¬ 
servoirs nöthig werden.) Doch auch abgesehen von dieser Beschrän¬ 
kung der Ausdehnung wirken Faktoren störend ein, welche die Theorie 
übersah. Die Abtritte sollten eigentlich nur die menschlichen Fäces auf- 
nehmen 7 in Wirklichkeit wirft man, namentlich in ungeordneten Haus¬ 
haltungen, Scherben, Knochen, Nägel, Löffel, Messer, Gabeln, Lumpen 
und dergl. in den Schlauch , welche bei der ersten Biegung der Röhre 
schon sperren und den Gang verstopfen. Da wächst dann im aufstei- 



240 


gen den Schlauch und Trichter eine fatale Säule heran, welche die 
Dienstmannschaft zur Verzweiflung bringt. Eine weitere Störung ver¬ 
ursachen die fremden Körper an der sog. Ballklappe. Es ist nämlich 
an der Biegung der Röhre, Syphon genannt, ein 20 C.Meter im Quad¬ 
rat haltender gusseiserner Kasten in den Boden eingelassen, in welchem 
die Röbre ein- und aus mündet und in welchem folgerichtig die Fäkal¬ 
massen eben so hoch stehen, als in dem aufsteigenden Rohr. Ueber 
der Masse schwimmt ein Kautschukball von der Grösse einer Kegel¬ 
kugel, der, wenn die Pumpe saugt und schliesslich die Massen ausge¬ 
saugt hat, vor die Mündung sich legt und den luftdichten Verschluss 
vermittelt. Sobald nun ein fremdartiger Körper, wis z. B. eine Scherbe 
zwischen den Ball und die Röhrenwand sich legt, kann der Ball nicht 
schliessen und die Röhre nicht entleert werden. Beide Fälle konnte 
Einsender bei einer Entleerung im Looyersloot mit ansehen. Bei der 
Visitation der Ballklappenkästchen schloss eben eine Klappe nicht, 
trotz dem unablässigen Saugen der Maschine, irgend ein fremder Kör¬ 
per hatte sich eingeklemmt und musste zuvor mit der Hand entfernt 
werden. Ein anderer Uebelstand, der noch nicht recht ergründet ist, 
ereignete sich gleichfalls mit der Ballklappe, dass der Ball selbst mit 
Vehemenz von der Pumpe angesaugt und in die Mündung der Röhre 
eingeklemmt wird. Selbstverständlich ist diesen unterirdischen Störun-. 
gen in den Röhren ausserordentlich schwer beizukommen und deren 
Ergründung und Abhilfe ein auch für abgestumpfte Nerven peinliches 
Geschäft. Die als Vorzug des Systems ausgesprochene Ersparniss an 
Zeit und Arbeitskraft ist sehr problematisch. Die Zeit der Entleerung 
im Looyersloot war folgende: Die Maschinen fuhren am 10 Uhr 60 
Min. auf, das Heizen währte bis 11 Uhr 12 Min., um 11 Uhr 30 Min. war 
die (freilich wegen den Störungen verzögerte) Evakuation beendet und 
fuhr die Batterie nach dem Entleerungslokal ab. Ankunft daselbst 12 
Uhr. Beendigung der Umleerung in das . grosse Reservoir 12 Uhr 20 
Min. Die Entleerung dauerte hiernach l 1 /* Stunden. Die Fäkalmasse, 
welche in dieser Zeit zur Abfuhr kam, füllte einen Tender von 1500 Li¬ 
ter — 5 württemb. Eimern, die Hosten jeder Entleerung betragen ac- 
cordmässig 6 fl. Nöthig sind hiezu 2 Pferde und 1 Fuhrmann am Loko- 
mobil, 2 Pferde und 1 Fuhrmann am Tender, 1 Maschinist und 1 Stadt¬ 
taglöhner. Wie man bei einem solchen Aufwand von Kräften, von Zeit 
und Geld noch von Ersparniss reden mag, ist schwer zu begreifen. Es 
kostet faktisch die Entfernung von 1 Eimer Fäces aus der Stadt Amster¬ 
dam l fl. 12 kr., wobei die Zahlung des Maschinisten und Gehilfen, 
welche die Stadt übernommen hat, nicht mit eingerechnet ist. Aller¬ 
dings werden die täglichen Auslagen durch den Verkauf der Fäces et¬ 
was verringert. Aus dem grossen Reservoir werden die Stoffe in Pe¬ 
troleumfässer verleert und alsbald aus dem Lokal in «eine Barke ge¬ 
wälzt, welche der Landwirth bereit hält. Die Angestellten beeilen sich, 
die Petroleumfässer so rasch wie möglish aus . dem Lokal zu schaffen, 



241 


da bei heissem Wetter Explosionen der Fässer sich ereignen , die dem 
Plafond und den Wänden ihre Spuren aufgedrückt haben. Der Preis 
für ein Fass von 160 Liter aus dem armen Stadtviertel Looyersloot 
kostet 30 Cents, der Stickstoffhalt der Fäces beträgt hier 0,4%. Für 
die Fäces aus dem Nobelquartier zahlen die Bauern bei einem Stick¬ 
stoffgehalt von 0,9—1,1% 60 und 65 Cents. Nur im letztem Fall de¬ 
cken sich die Auslagen der Stadt für Abfuhr, hn Armenviertel dagegen 
werden nur 36 kr. pro Eimer vergütet. Im Looyersloot, seither einem der 
ungesundesten und ärmsten Quartiere Amsterdams, wurde aus Bück sich¬ 
ten der Gesundheitspolizei das System selbstverständlich ganz auf Kos¬ 
ten der Stadt eingeführt und ebenso die je den zweiten Tag statt ha¬ 
bende Entleerung besorgt. In besseren, Stickstoff produzirenden Stadt¬ 
vierteln wird nur die Böhrenlegung auf den Strassen von der Stadt 
übernommen. Die Einrichtung im Haus und 50 Cm. vor dem Haus hat 
der Eigenthümer zu tragen. Letztere stellt sich auf 108 fl. pro Haus. 
Was die Auslagen der Stadtkasse betragen, kann Einsender nicht in 
Zahlen ausdrücken, aber der Stadtpfleger von Amsterdam schüttelte be¬ 
denklich den Kopf und meinte, sie seien enorm. Thatsache ist, dass 
die Hauseigenthümer sich weigern, in ihren Häusern die neue kost¬ 
spielige Einrichtung zu treffen; von den 27,183 Häuser in Amsterdam 
sind jetzt erst etwas über 100 Häpser nach Lieraur versehen, die 27,000 
übrigen lassen nach wie vor ihre Abfälle in die Amstel fallen. Nach 
allen seither gemachten Erfahrungen ist es mehr als zweifelhaft, ob die 
Stadt und die Privaten die grosse Ausgabe machen werden, welche die 
allgemeine Einführung des Liernur'schen Systems mit sich brächte. Die 
mancherlei Unzuträglichkeiten und Störungen, welche sich in der Pra¬ 
xis zeigen, sind nicht gerade einladend hiezu. 

Am wenigsten scheint sich das Tonnen- oder Kastensystem zu 
bewähren. Es ist kaum möglich, der Ausdünstung vor und während 
der Abfuhr zu wehren. 

Hiebei sowie bei den meisten andern Systemen kommt freilich 
die anzuwendende Desinfection in Betracht. Zu dem früher (letzt¬ 
mals VII. 1 S. 65 ff.) Mitgetheilten möchten wir hier noch auf das Des- 
infectionspulver von Lüder und L e idl off in Dresden aufmerksam 
machen, worüber die Berichte bei den Fabrikanten jährlich erscheinen 
und zu haben sind. 

In dem Zellengefängnisse zu Bruchsal hat man seit vielen Jahren 
Versuche mit den Desinfectionsmitteln der verschiedensten Gattungen 
gemacht und sowohl in den Nachttöpfen als in den Senkgruben, theils 
von Zeit zu Zeit, theils bei der Entleerung die Desinfectionsmittel an¬ 
gewendet. Durch keines derselben aber konnte der Hauptzweck, voll¬ 
ständiges Binden des Ammoniaks ohne allzubelästigenden anderweiten 
Geruch erreicht werden. Gegenwärtig wendet man wieder Eisenvi¬ 
triol an. 

Da auch alle bis jetzt bekannten sonstigen Entleerungs-Systeme 



242 


sich in der Praxis keineswegs bewahrten, hat man sich dort entschlossen, 
die vorhandenen Senkgraben derart zu verbessern , dass die Fallröhren 
ganz bis in die Nähe des Bodens der Senkgruben hinuntergeführt, auf 
diese Weiße also das Ausdünstejt der Senkgrübe nach den Aborten 
möglichst vermieden, dass die Senkgruben vollständig cementirt werden 
und künftig, neben entsprechender Desinfeetion, die Entleerung durch 
luftleere Fässer nach dem in Carlsmhe und anderen Städten verbessere 
ten Systeme Unter Anwendung eines Verbrennungsapparats geschieht* 
(Blattern.) Bei dem öfteren Auftreten von Blatternepidemien 
werfen sich manchfache Fragen auf, deren Beantwortung wohl allge- 
meines Interefcse in Anspruch nehmen dürfte. Wenn wir diese Beant¬ 
wortung versuchen, so geschieht dies mit der ausdrücklichen Verwah¬ 
rung, so weit in den Naturwissenschaften es überhaupt möglich ist, et¬ 
was mit apodiktischer Sicherheit auszusprechen; man muss eich be¬ 
gnügen, Sätze zu formuliren, welche in Tausenden oder Hunderttaosen- 
den von Fällen auch wohl einmal eine Ausnahme erleiden. Was man 
zunächst oft hört* ist die Annahme im Publikum , dass man sich nicht 
fürchte, daher vor der Ansteckung sicher sei; der oder jener habe 
sich durch Schreck oder Bokel die Krankheit Zugezogen. Ueber den 
Vorgang der Ansteckung, der selbst den Aerzten noch nicht seit vielen 
Jahren klar geworden ist, ist hier nioht der Ort, Auseinandersetzungen 
zn machen, nur das Sei hier ausgesprochen, dass Ohne alle Ausnahme 
die Blattern nur durch Ansteckung kommen, und dass, was den Eckel 
betrifft, Ursache: und Folge verwechselt wird. Der Eckel ist bereits das 
Zeichen der stattgehabten Ansteckung. Das Brüte-(Inkubations-)3tadiuffl 
der Blattern ist weit länger, als der Laie sich denkt,-13—16, im Durch¬ 
schnitt 14 Tage. Wie alle akuten Exantheme (hitzigen, d. h. fieberhaf¬ 
ten Hautausschläge) steokt die Blatternkrankheit an, ehe der Ausschlag 
auf der Haut erschienen ist, durch Athem und Berührung; ausserdem 
aber sind eine häufige Ursache der Ansteckung jene milden Formen, 
welche mit wenig Pocken und kaum bemerkbarem Unwohlsein einher¬ 
geben, welche nur zufällig bemerkt werden und den Verkehr des Kran¬ 
ken nicht behindern. Ausser jener Einwendung von der Unempfäftglich- 
keit wird häufig gegen die Revaccination der weitere EinWurf vorge¬ 
bracht , dass einzelne Fälle kutz nach der Revaccination vorgekommen 
seien. Es sind das jene oben erwähnten, höchst seltenen Ausnahmen, 
welche die Regel nicht rnmwerfern können, und welche sich an Zahl 
noch vermindern , wenn man von ihnen die Fälle abzieht, wo bei be¬ 
reits von Blattern Infizirten die Revaccination gemacht wurde. Ueber 
den Werth der Revaccination mögen folgende Zahlen Auskunft 
geben. In der städtischen Heilanstalt für Pockenkranke in Berlin 
sind vom 14. Oktober 1868 bis 21. November 1864 Unter 1060 Pocken¬ 
kranke 40 ravaoeinirte, dämmtlich vor länger als 5 Jahren ravaccinirt 
gewesen , also 3,7 pCt., und davon 14 oder 35 pCt. von der Variola 
(schweren Form) ergriffen, drei Kranke, oder 7,0 pCt, sind gestorben. 



24S 


Von den Nichtgeimpften dagegen starben 44,7 pCt. , von den einmal 
geimpften 7,8 pCt. Alle Gestorbenen waren vor länger ale 
10 Jahren re vaceinirt. Das grossartigste Bevaecinationsexperiment, 
die Wiederimpfung aller Rekruten des preussischen Heeres, welche 
1833 eingefährt und bis 1858 an jährlich 40-50,000, seitdem an 60 bis 
70,000 Mann jährlich vorgenommen wird, hat die Zahl der Blatternfälle 
im Heere auf ein Minimum herab gebracht, welches kaum davon 
berührt wurde, wenn heftige Epidemien die nicht vaccinirte Civilbevöl- 
kerung hetmsuehten. Insbesondere ist die Zahl der schweren Fälle von 
Variola nie über vier im Jahre angestiegen. In solchen Fällen allge¬ 
meinen Revacciiiationsverlangens, zumal, wenn es in kalte Jahreszeit 
fällt, wo man ungerne die Kinder impft, fehlt es leicht an Kinderlymphe. 
In solchen Fällen kann man mit vollkommenem Erfolg aus normalen 
Pusteln gesunder Erwachsener impfen, und das Experiment ergibt, dass 
eine Impfung desselben Individuums theils mit Kinder-, theils mit Er- 
wachsenen-Lymphe absolut dasselbe Resultat zeigt. Was endlich das 
Vorurtheil betrifft, dass natürliche Blattern (Variola) das Leben 
hindurch vor neuer Ansteckung schützten* so ergeben die Mittheilungen 
von der Dr. Vleminck’s in Brüssel, dass von 1518 Revaccinirten, welche 
Impfuarben zeigten, bei 808 oder 19 pCt. die Wiederimpfung anschlug, 
von 599 Personen, welche die natürlichen Blattern gehabt, aber bei 178, 
oder 30 pCt. glückte. 

(Zustand Und Gefahr der gewöhnlichen Blitzablei¬ 
tung nebst Vorschlägen zu ihrer Verbesserung.) So mancher, 
der auf seinem Wohnhaus oder dem seines Nachbars einen Blitzableiter 
sieht, glaubt, dadurch sei nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch 
die Nachbarschaft vor dem Blitz sicher und beruhigtJ sich dabei voll¬ 
ständig. Er bedenkt nicht, dass wenn der fragliche Blitzableiter nicht 
wirklich vollständig sachgemäss eingerichtet ist, er in seiner unmittel¬ 
baren Nähe einen sehr schlimmen Feind hat, der eher als BUzzuleite r 
wirkt für Orte, die ohne seine Gegenwart nicht getroffen^worden wären 9 
so dass er möglicherweise übler daran ist, als wenn keine Blitzableiter 
da wären. Die bei uns verbreitetste Art der Blitzableitung ist die aus 
znsatnmengeschraubtSn oder genieteten runden oder vierkantigenEisen- 
stangen, Und es ist selbstverständlich von grosser Wichtigkeit zu er¬ 
fahren, wie sich solche Blitzableitungen dem Blitz gegenüber erfahrungs- 
gemftss verhalten, unr über den Werth oder Unwerth derselben und ihre 
mögliche Verbesserung ein Urtheil zu bekommen» Eine sehr deutliche 
Lehre über das Verhalten der aus EisSüstangen zusammengeschraubten 
Blitzableiter gegen starke Blitzschläge gibt der am L Mai dieses Jahres 
von einem sehr heftigen Blitzschlag getroffene Blitzableiter des Thurmes 
und der Pfarrkirche zu Neuhausen auf den Fildern. Am Abendj des 1* 
Mai entlud sich Über Neuhausen eiU Gewitter, das anscheinend sehr 
harmlos nur mit heftigen Regengüssen zu Verlaufen schien, als plötzlich 
nach 6 Uhr ein Blitzschlag niedetführ, und ein Domndr ihn! augenblicklich 



244 


folgte, wie man ihn nie zuvor gehört hatte. Da vorher da« Gewitter 
ohne Blitz nnd Donner verlaufen war, war man auf eine so heftige Ent¬ 
ladung nicht im mindesten vorbereitet, wesshalb ein panischer Schrecken 
alle Einwohner erfasste. Jeder meinte, sein Hans sei getroffen worden 
und erwartete im nächsten Augenblicke die Flammen hervorbrechen zu 
sehen. Eine Feuersbrunst war indessen nirgends sichtbar, jedoch war 
der an Phosphor oder Schwefel erinnernde stechende Geruch, den der 
vom elektrischen Funken durchzuckte Sauerstoff der Luft annimmt, was 
diesem elektrisirten Sauerstoff den Namen „Riechstoff* 4 oder „Ozon“ 
eingetragen hat, in der Umgebung der Kirche so bedeutend, dass man 
sofort dahin eilte, um den etwa im Auabrechen befindlichen Brand noch 
rechtzeitig zu löschen. Ein solcher brach zwar nicht aus, jedoch waren 
in den benachbarten Gebäuden die Fenster eingedrückt und die Blitz¬ 
ableitung der Kirche, von welcher man Schutz erwartet hatte, jämmerlich 
zugerichtet und zerschmettert, auch das Dach und der Fuss desThurmes 
hatten neben der Blitzableitung Beschädigungen erlitten. Die Bleibe¬ 
deckung der Dachgräte und das Schieferdach am Thurm waren mehrfach 
beschädigt, auf der Westseite fand man in 40—50 Fass Entfernung ei¬ 
nige von der Blitzableitung abgerissene Leitstangen, daneben das von 
seiner Stelle losgerissene Wetterhäuschen, sowie ein Fusskratzeisen saumit 
Stücken des Steins, an dem es befestigt gewesen. Auf der verblendeten 
unteren Seite der hölzernen Thurmtreppe war der Verputz eine Strecke 
weit weggerissen und die Nägel und Eisendrähte, welche zu seiner Be¬ 
festigung gedient hatten, verschwunden, an den Enden der noch geblie¬ 
benen Fortsetzung der Drähte zeigten sich Spuren von Schmelzung. An 
einem zwischen dieser Stelle und der Blitzableitung befindlichen Fenster 
waren die an dem eisernen Fensterkreuz befindlichen Scheiben zer¬ 
schmettert, von einer Treppenstufe unterhalb dieser Stelle war ein Stück 
Holz abgerissen, die in gleicher Höhe befindliche Steinfuge geöffnet und 
ausserhalb der Thurmthüre das FusBkratzeisen mit Stücken des Steins 
an dem es befestigt gewesen, fortgeschleudert. Am unteren Ende der 
am Chor herabgehenden Leitung war ein etwa 1 Kubikfuss grosser Stein 
aus dem Untergrund herausgerissen Und 2 Fuss weit weggeworfen wor¬ 
den. Obgleich nun der durch diesen Blitzschlag herbeigeführte that- 
sächliche Schaden keinen grossen Geldwerth repräsentirt, und die Ge¬ 
meinde mit dem Schrecken davon gekommen ist, da glücklicherweise 
kein weiterer Schihag mehr nachfolgte, griff doch ein Misstrauen Platz 
gegen eine Blitzableitung, die weder das Gebäude durchaus geschützt 
hatte, noch selbst dem Blitz widerstehen konnte, so dass ein zweiter 
Blitzschlag den Thurm und die Kirche schon ganz schutzlos getroffen 
hätte. Man verhehlte sich nicht, dass wenn ein solcher Blitz gerade 
während des Gottesdienstes die Kirche getroffen hätte, derselbe für die 
in der Kirche Befindlichen leicht hätte sehr gefährlich werden können. 
Dessbalb berief der GemeSnderath den Unterzeichneten, um über den 
Zustand der Blitzableitung und die Möglichkeit eines nachhaltigeren 



Schutzes gegen die.Wiederkehr solchen Unfalls Untersuchung zu ver¬ 
anstalten. Das Ergebniss dieser Untersuchung ist für die Technik der 
Blitzableitung von Werth und dürfte desshalb von allgemeinem Interesse 
sein. Die Blitzableitang am Thurm ging vom Helmstiefel unter dem 
Wetterhahn aus nach dem First der Kjrche bis zum Kreuz über dem 
Chor und hatte nach Norden 3 Ableitungen zur Erde, je eine am Thurm 
und eine in der Mitte und ajn Chor der Kirche. Als Auffangstange 
diente am Thann die Helmstange, auf der der Wetterhahn sitzt, am 
Chor das mit abgerundeten Enden versehene Doppelkreuz, nur in der 
Mitte , des Kirchendachs befand sich eine mit Spitzen versehene Auffang¬ 
stange. Die 3 Ableitungen waren in die Firstleitung hakenförmig ein¬ 
gehängt und endigten im Erdboden in etwa 5 Fuss langen mit Blei 
umwickelten Bodenleitungen. Die Leitung bestand aus ölinigen quadra¬ 
tischen Eisenstangen, welche an den Verbindungsstellen schief gearbeitet 
und mit Bleizwischenlage und je einer Schraube aneinander befestigt 
waren. Die Blitzableitung an Thurm und Kirche war also von der Be¬ 
schaffenheit, wie man sie in unseren Gegenden am häufigsten sieht, sie 
zeigte jedoch in der Anlage einige Hauptmängel; denn einmal besass 
sie am Thunne und am Chor keine Spitzen, dann war die Bodenleitung 
weder .mil der durch den Hegen nass und leitend werdenden Joberen 
Erdschicht in flächigem Anschluss, noch viel weniger mit dem an 
dieser Stelle sehr tiefliegenden unterirdischen Wasserbezirk in leitender 
Verbindung. Durch den Blitzschlag waren an der Thurmleitung drei 
Stangen weggerissen, und zwar eine am Dachvorsprung, die zweite am 
Anschluss mit der Firstleitung und die dritte über der Bodenleitung f 
welche noch das Wetterhäuschen mit sich fortriss; das losgewordene 
Ende der Firstleitung war ebenfalls nach der Seite geworfen. Von den 
Verschraubungen, war an der Firstleitung und sämmtlichen 3 Abtei¬ 
lungen die Mehrzahl beschädigt, und zwar entweder ganz offen mit zer¬ 
störter Schraube oder mit abgeschlagener Schraubenmutter und ausge- 
scbmolzener Bleizwischenlage noch äusserlich zusammenhängend. Hinter 
jeder zerstörten Verschraubung zeigte sich an der Mauer ein grosser 
hraunrothpr Fleck, von der Zerstäubung der Schraube herrührend, in 
dar Mitte desselben grenzte sich ein ganz dunkler Fleck ab, der an ei¬ 
ner Stelle noch an den Stein angejBcbmolzenes metallisches Blei erkennen 
liess, also wohl von Zerstäubung der Bleizwischenlage, von der ein an¬ 
geschmolzenes Stück noch gefunden wurde, herrührt. Diese Flecken 
waren besonders lebhaft gefärbt hinter den Stellen, an welchen eine 
Stange aus den Verschraubungen herausgescjileudert worden ist. Die 
physikalische Untersuchung mit dem Apparat des Unterzeichneten zeigte, 
dass die Bodenleitungen von dem sie umgebenden Btlei durch eine dicke 
Rostsdhichte nahezu isolirt waren, und ebenso das Blei zu dem Erdreich 
kaum merklich die Elektrizität überzuleitep vermochte. Die Untersu¬ 
chung an den unversehrten Verschraubungen zeigte, dass sie stark an¬ 
gerostet waren. Der Blitzschlag, der diese Leitung am 1. Mai getroffen, 



246 


gehört zu der stärksten Art solcher elektrischer Entladungen, welche 
zerschmettert und zerstäubt, aber selbst Pulver nicht direkt entzündet, 
und desshalb vom Volk „Raiter Schlag“ genannt wird. Seine Wirkung 
findet in der Beschaffenheit der getroffenen Leifung ihre vollständige 
Erklärung. Durch den Mangel an einer richtigen Spitze und einer 
sowohl mit der Erdoberfläche als dem unterirdischen Wasserbezirk Zu¬ 
sammenhängenden Bodenleitung war der Blitzableiter nicht geeignet t 
die Aufströmung der im Erdboden angesammelten Elektrizität zu lang¬ 
samerer Ausgleichung der Wolkenelektrizität zu vermitteln und den 
Blitz zu verhüten. Wegen des dazu kommenden mangelhaften metalli¬ 
schen Zusammenhangs der Verschraubungen war der Blitzableiter nicht 
im Stande, die sprungweise übergehende elektrische Entladung, den Blitz 
vollständig zu leiten. Die schlecht verbundenen Leitstangen bildeten 
dabei für den Blitz Stationen, zu denen er durch die schlecht leitenden 
Verschraubungen gelangen musste , welche desshalb zerstört wurden. 
Von den untersten Stangen konnte er direkt nicht vollständig auf die 
durch den Regen leitend gewordene Erde übergehen, daher das XTeber- 
springen unter Zerstörung der Wetterhäuschen und das Abspringen 
durch den untersten Theil des Thurmes und das Qrundgemäuer am 
Chor. Andererseits gibt die Art der Zerstörungen Anhaltspunkte über 
den Werth der üblichen Ärt der Blitzableitung. Da an deirt Material 
der Stangen keine Zerstörung sich zeigte, ist daraus zu schliessen, dass 
der Querschnitt gross genug ist, da jedoch alle Verbindüngen Roth ge¬ 
litten haben, folgt daraus, aass diese Verbindungen die wunden Flecke 
der Leitung sind, und dass die oberflächliche Berührung der Leitungs- 
theile, wie sie durch Verschraubung zu ermöglichen ist, nicht genügt 
für den vollen Uebergang starker elektrischer Ausgleichungen und dass 
ein starker Blitz solche Widerstände nicht überwindet, sondern zerstört. 
Da ferner die zu innigerer Verbindung der zusammengeschraubten Lei- 
tungstheile dazwischen gepressten Bleiplatten geschmolzen worden sind, 
folgt daraus, dass der durch dieses Bleifutter erzielte metallische Zu¬ 
sammenhang ein trügerischer ist, d®* wegen der leichten Schmelzbarkeit; 
und des geringen elektrischen Leitungsvermögens des Bleies gerade 
dann seinen Werth verlieren kann, wenn er am ünentbehrlichsten ist, 
nämlich bei starken Blitzschlägen. Da ferner an allen 3 Ableitungen 
solche Zerstörungen vorkamen und noch das Mauerwerk beschädigt 
wurde, folgt daraus, dass der Blitz allen ihm dargebotenen Leitungen 
folgt, und wenn sie zur Ausgleichung der Elektrizität nicht genügen, 
sich noch, ausserordentliche Wege sucht. Die nach der gewöhnlichen 
Praxis auf 5 Fuss in den Boden gehende mit Blei umwundene Boden¬ 
leitung ist in der Regel zwischen Eisen und Blei voll Rost. Sie vermag 
nur in ganz besonders günstigen Fällen eine /leitende Verbindung mit 
dem unterirdischen Wasserbezirk und nie die für Blitze, die nach Regen 
auftreten, nothwendigere Verbindung mit der Erdoberfläche herzustellen. 
Die Anbringung dieser Bodenleitung auf der kälteren Rordseite der 



Hauser, die Bregen der geringeren Verdunstung stets etwas feucht bleibt, 
ist ebenfalls häufig zwecklos, da diese Feuchtigkeit, wie bei der Kirche 
zu Neuhausen, in der Regel nur eine lokale und keineswegs mit dem 
unterirdischen Wasserbezirk nothwendig zusammenhängende ist. In 
diesem Fall der Unsicherheit, welche der fragliche Blitzableiter bei dem 
heftigen Blitzschlag, der ihn getroffen, zeigte, befindet sich auch-die 
Mehrzahl unserer Blitzableiter. Eb ist im höchsten Grade zweifelhaft^ 
ob sie ebensowohl bei nassem, als trockenem Boden und sogar bei 
Schneegestöber in Wintergewittern den Zweck, zu dem sie da sind, zu 
erfüllen und. die den Blitz verhütende oder ihn sicher leitende Funktion 
zu leisten vermögen; ja es fragt sich sogar, ob sie nicht sehr häufig 
eher eine wirkliche Gefahr bringen. Der Unterzeichnete hat, seitdem 
vor einigen Jahren einige zufällig in seiner Nähe vorgekommene Blitz¬ 
schläge, welche durch die vorhandene Blitzableitung entweder nicht Oder 
nur unvollständig abgeleitet wurden, 'oder durch Abspringen von Blitzab. 
leitungen die Nachbarschaft erheblich beschädigten, ihn auf die zweifel¬ 
hafte Güte der gebräuchlichen Blitzableitung aufmerksam gemacht ha¬ 
ben, Veranlassung genommen, die BlitzablOitung von wissenschaftlicher 
und technischer Seite zum Gegenstands eines speziellen Studiums zu 
machen und die Wirkung der Blitze auf die Ableiter und deren Umge¬ 
bung, soweit ihm Gelegenheit dazu wurde, zn untersuchen. Die Unter¬ 
suchungen über die Leitangsfähigkeit von Blitzableiteranlage n, welche 
derselbe mit einem von ihm zu diesem Zweck konstruirten Unter- 
suchungsapparat in den verschiedensten TheilOn Württembergs, dann In 
Baden, Bayern, Oestreich, Freussen, Sachsen, in Hamburg und in Ko¬ 
penhagen an nahezu 400 Blitzableitern der verschiedensten Konstruktion 
theils privatim, theils auf Berufung von Behörden, Städten, Gutsherr¬ 
schaften und Fabrikbesitzern angestellt hat und zwar häufig an Gebäu¬ 
den sorgfältigster baulicher Ueberwachung, wie die Pulvermagazine Und 
Laborirhauser der Festungen Ulm nnd Spandau, kostbare Schlösser und 
Kirchen, Gefängnisse und Irrenanstalten, habefc ergeben, dass in sehr 
vielen Fällen und bei allen Arten von Leitungen, insbesondere auch bei 
den dühnOn Drahtseilleitungen erhebliche Mängel sich zeigen. Sehr 
häufig sind die Auffangstangen mit den Leitungen und die Theile der 
Leitungen unter sieh nicht in metallischem Zusammenhang, nur in sel¬ 
tenen Fällen ist die Bodenlei tun g sicher mit dem unterirdischen Wasser- 
bezirk und beinahe nirgends mit den bei Regen zunächst in Betracht 
kommenden oberen Erdschichten in flächigem Anschluss ; wo dieser An¬ 
schluss beabsichtigt ist, ist er durch ungeeignetes Material oder unge¬ 
eignete Umhüllung, auch wohl isolirenden Anstrich wieder fraglich ge¬ 
worden. Die Verbindung der Leitung mit den Metallflächen am Gebäude 
ist sehr häufig unberücksiehüg geblieben, manchmal mit Absicht, ob“ 
gleich Theorie und Erfahrung dafür sprechen; in vielen Fällen ist sie 
nur durch Umschlingen mit dünnen Drähten bewdrkt. Wegen dieses 
sehr untröstlichen Zustandes der Blitzableitung und der Schwierigkeit« 



durch Anlegung von Leitungen in 4er gewöhnlichen Manier dauernde 
Leitungsfähigkeit zu erzielen, hat der Unterzeichnete Versuche ange- 
stellt, wie durch die Art und Anbringung der Leitung unter Anwendung 
der Hülfsmittel der neueren Technik eine von Zufälligkeiten möglichst 
unabhängige Dauerhaftigkeit ! und sachgemässe Anlage zu vereinigen 
sind. Da bei den von dem Unterzeichneten persönlich untersuchten oder 
ihm sonst bekannt gewordenen Blitzschlägen auf Blitzableitungen aus 
zusammengesohraubten Eisenstangen nie das Material der Stangen, son¬ 
dern stets nur die Verschraubungen beschädigt werden, war er darauf 
bedacht, diese Verbindungen durch eine innigere und zwar durch solide 
Schwei8sung zu ersetzen. Diese Arbeit, welche theilweise an Ort und 
Stelle, also auf dem Dache vorgenommen werden muss, und dort nicht 
so einfach ausführbar ist, gelang, und damit war ein Mittel gewonnen, 
ununterbrochene Blitzableitungen von beliebiger Länge aus »starkem 
Eisen herzustellen. Mit dieser Ausführung ging die sachgemässe Reform 
aller Theiie der Blitzableitung, namentlich der Anschlüsse, der Spitzen 
und der Bodenleitung Hand in Hand, so dass jetzt eine auf den Grund¬ 
lagen der neuesten Technik fußsende und den Anforderungen der Wis¬ 
senschaft möglichst vollständig entsprechende Art der Blitzableitung 
daraus entstanden ist. Dieselbe besteht in einer ununterbrochenen Ei¬ 
senleitung aus eigens hiezu angefertigtem kalt biegsamen Material von 
gehöriger den bisherigen Erfahrungen entsprechender Stärke mit Her¬ 
stellung sämmtlicher Anschlüsse zwischen Auffangstangen und Leitung 
und den Theilen der Leitung durch Schweissung, in geschmiedeten, run¬ 
den und kräftigen Auffangstangen mit eingeschweisster Leitung, in ei¬ 
ner neuen, für Ausströmung der Elektrizität und sichere Aufnahme des 
Blitzes geeigneten Spitze, die insbesondere sicher metallisch mit der 
Auffangstange verbunden, ist , in einer neuen Bodenleitung, welche in 
flächigem Anschluss mit den oberen Erdschichten und mit dem unterir¬ 
dischen Wasserbezirk steht; in einem gusseisernen Untersatz ; unter die 
Auffangstange und gusseisernen Ziegel mit Stiften zur wasserdichten 
Befestigung der Leitung auf Ziegeldächern/ und zum Schutz des Gebäl¬ 
kes; in einem ßchweissapparat, um die für die neue Leitung nöthigen 
Schwede an Ort und Steile auszuführen, und endlich in einem Unter¬ 
suchungsapparat, mn die elektrische Leitungsfähigkeit von Blitzableiter- 
Anlagen nachweisen zu können. Da die Anlegung der neuen Art Lei¬ 
tungen besondere Geschäftseinrichtungen erfordert und nicht als Neben¬ 
geschäft, sondern nur als Spezialität sicher ausgeführt werden kann, 
hat der Unterzeichnete Herrn Franz Eichberger i .Silberburgstrasse 127 
hier, eingehende Anleitung gegeben* eine Anzahl Blitzableitungen durch 
denselben unten eigener Kontrole ausführen lassen, sowie, zu einer phy- 
sikalisch-fechnischen Nachkontrole der ausgeführten Leitungen sich be¬ 
reit erklärt. Herr Eiohberger hat seitdem sein Geschäft durch die nö¬ 
thigen Einrichtungen zu einem speziellen Blitzableitergeschäft gemacht, 
für die Neuerung das Patent erworben und bereits eine grosse Zahl 



Blitzableitungen, insbesondere auch in schwierigeren Fällen, vollständig 
zur Zufriedenheit des Unterzeichneten angelegt, und es haben sich nam¬ 
hafte technische und wissenschaftliche Autoritäten für die Vorzüge der 
neuen Blitzableitung ausgesprochen. 

Stuttgart. G. Bo pp, Professor an der kgl. Baugewerkeschule. 

(Sterbekasse für Beamte.) Bezüglich auf unsere Mit¬ 
theilung im UI. Bande, 5.'H., Seite 362 können wir die erfreuliche That- 
sache melden, dass der jetzt seit 10 Jahren bestehende badische Verein 
sich nicht nur lebensfähig gezeigt, sondern die besten Ergebnisse ge¬ 
liefert hat. 

Das Vereins vermögen, das am 1. Juni 1867 11,572 fl. 28 kr. ber 
trug, hat sich bis 1. Juni 1872 auf 26,437 fl. 41 kr. vermehrt, also in 
5 Jahren mehr als verdoppelt. Die Mitgliederzahl ist in der gleichen 
Zeit von 761 auf 1231 gestiegen. Sterbfälle kamen in den letzten 5 
Rechnungsjahren 13 -j_ 19 15 -|- 27 19 vor, und zahlte der 

Verein jeweils 400 fl. Unterstützung an die Hinterbliebenen. Die Mit¬ 
glieder hatten in den einzelnen Jahren monatlich 30, 40, 28, 47 und 32 
kr. zu zahlen, was gewiss wenig ist. Dem Vereine ist auch ferner Ge¬ 
deihen seines dankbaren Strebens und anderwäits Nachahmung zu 
wünschen. 

(Ein Entlassener.) Am 24. Juli 1871 ertränkte sich der 56 
Jahre alte Anton Heimgartner von Riedheim zwischen Hage¬ 
nau und Immenstaad im Bodensee. Wiederholt wegen Brandstiftung be¬ 
straft, hielt es für Heimgartner schwer, eine Stelle zu finden, wo er sein 
Auskommen gefunden hätte, welcher Umstand ihn denn auch zu der ver¬ 
zweifelten That getrieben haben mag. 

(Ersatz für die Todesstrafe.) Der Staat Louisiana hat 
als Ersatz für die Todesstrafe folgende Massregel eingeführt. Der 
Mörder wird in eine Zelle eingesperrt, vor der ein Raum zum Arbeiten 
sich befindet. Er ist todt für Jedermann, für Freunde und Verwandte, 
selbst der Gefängniswärter spricht nie ein Wort mit ihm. Seine Zelle 
ist schwarz angestrichen und trägt eine Art Grabschrift mit dem Namen 
und Verbrechen des Gefangenen. 


Blltter Ar Gefengnlsslconde VII. 


17 



250 


Literatu r .*) 

a. Für Gefängnissbeamte. 

Matheron,M. Laurent, membre honoraire de l’Association suisse 
pour la R4forme P6nitentiaire etc. Etudes sur les penitenciera 
Suisses et Allemands. I. Lenzbourg (Canton d’Argovie.) Gen&ve 
Libraine Marc Hehling, Corraterie. 4. 1868. 98 S. 

Der Verfasser gibt in vorliegender Schrift zunfichst eine Beschrei¬ 
bung des Gefängnisses in Lenzburg, in welchem das sogenannte ge¬ 
mischte System zur Durchführung gebracht ist. Von kleinen Ausstel¬ 
lungen abgesehen, spendet er der Anstalt alles Lob, nicht blos um ihrer 
äusseren Einrichtung willen, sondern auch wegen der ganzen Art des 
Strafvollzugs. Dabei nimmt er Veranlassung, das ganze System einer 
Erörterung zu unterziehen, die verschiedenen Revisionen des argauischen 
Strafgesetzes zu besprechen, die Disziplin, den Arbeitsbetrieb, die Ad¬ 
ministration, das Drlaubsgesetz und andere wesentliche Punkte einge¬ 
hend zu beleuchten. Aus Allem ist leicht ersichtlich, dass der Ver¬ 
fasset auf diesem Gebiet kein Fremdling ist, sondern in theoretischer 
und praktischer Hinsicht sich reiche Eenntmsse und Erfahrungen ge¬ 
sammelt hat. lieber einzelne Punkte liesse sich freilich rechten. So 
behagt es ihm z. B. nicht, dass Katholiken und Protestanten eine Kirche 
mit einander haben (I); er meint, das führe leicht zum Indifferentismus 
S. 56. Ebenso ist er gegen die streng durchgeführte Isolirung in der 
Kirche, wogegen er Gründe anführt, die uns nichts weniger als stich¬ 
haltig zu sein scheinen. Dagegen können wir ihm nur beipflichten, wenn 
er das Zusammensein von Männern und Weibern innerhalb derselben 
Mauern und in einer Kirche nicht für zweckmässig hält. Mögen so die 
Ansichten undUrtheile des Verfassers in dem und jenem auf Widerspruch 
stos8en, so sind sie doch des Lesens und der Erwägung in vollem Maasse 
werth. Sp. 

Stuart, A. A., Handboek voor Direkteurs enBewaarders in Gevange- 
nissen, inzonderheid bij cellulaire opsluiting. G. T. N. Suringar. 
Te Leeuwarden. 1869. kl. 8, 75 S. 

Ein sehr empfehlenswerthes Büchlein voll feiner Winke und treff¬ 
licher Bemerkungen, in Wahrheit ein gutes Handhuch für Gefängniss- 

*) Wir sind, aus Mangel an Zeit mit dieser Rubrik seit langer Zeit im Rückstand. 
Der Vollständigkeit halber geben wir nun auch die älteren Erscheinungen. Anm« der Red. 

* $ ■ 



251 


beamte. Der Verfasser spricht Weh für däs Zellensysteih äus und be¬ 
spricht in klarer sachkundiger Weise die nOthige Yereigenschaftung 
des Direktors und des Aufsichtspersonals, sodann die Pflichten, die 
Sorgen, die Bemühungen um die Gefangenen. Die Auseinandersetzungen 
sohlie8seh mit dem Worte: „Gedenke der Gefangenen, als ob du mitge¬ 
fangen wärest/ Als Pflichten werden eingeschärft: Wachsamkeit, 
strenge Handhabung yon Zucht und Ordnung, genaue Unparteilichkeit 
und Redlichkeit, Billigkeit gegen Alle. Gesorgt soll werden für 
Reinlichkeit, Reinheit und Gesundheit. In diesem Kapitel ist ton einem 
gewissen Laster die Rede, wobei bemerkt wird, dass in dieser Hinsiebt 
die ruhelhseste Wachsamkeit geübt und aller Verfehlung gewehrt wer* 
den müsse. — Mit dieser kurzen Inhaltsanzeige mochten wir die Auf¬ 
merksamkeit auf die beachtenswerte Schrift hingelenkt haben. Sp. 

Zeph&rotich, Aug., Ritter ton, Docter der Rechte etc. Bemerkun¬ 
gen über die Strafanstalten Stein, Garsten und Buben, mit 

Rücksicht auf die beabsichtigte Einführung der Einzelhaft in 

Oesterreich. Wien 1869. Im Selbstverläge des Verfassers. 8. 

28 S. 

Die kurze Beschreibung der gebannten Strafanstalten lässt unt 
erkennen, dass das GefftngnissWesen in Oesterreich noch ziemlich im 
Argen liegt. Wir kOnnen uns nicht versagen, einiges Wenige aus dem 
ßchriftohen miteutheilen. In Stein ist die gesamtüte Arbeitskraft der 
Sträflinge den frommen Schwestern zur freien Verfügung überantwortet; 
sie verpflegen die Sträflinge nach allen Richtungen, bestellen das ganze 
jLufsichtspersonal mit Inbegriff der Hauswache; die Oberin betheiligt 
sich an der Disciplinarbehandlung der Sträflinge und übt auch ein selbst¬ 
ständiges Begnadigungsrecht aus. — In Garsten werden die Sträflinge 
selbst zu Eisenbabnbauten ausser dem Strafhause verwendet und der 
reine Sträflings-Ueberverdienst beläuft sich bei manchen Produktions¬ 
zweigen auf 12 bis 14 fl. — Ib Buben Verblmmt man beständige Kla¬ 
gen Über Arbeitsmangel, Welche durch die Leistungen eines wohlge- 
Schulten Sträflings-Orchesters nicht ÜhertÖbt werden köhnen. — Von 
dien Österreichischen Strafanstalten überhaupt wird gesagt: „Mit trüben 
tSrwartungen auf Kettengerassel Und den Anblick mancher Entbehrun¬ 
gen betritt der Laie unsere Strafhäuser Und findet Sich überrascht, lau¬ 
ter reinlich gekleideten Leuten zU begegnen, welche weit entfernt mit 
Ketten zu klirren, auf Gängen oder Spazierhofen ihre pfeife oder Ci¬ 
garre raucheb, oder gar Ährch die Unvermeidliche tJeberlassung mehre¬ 
rer Portionen geistiger Getränke Seitens ihrer Mitgefangenen, in eine 
ungewöhnlich heitere Stimmung versetzt wurden.“ (!) 

Die ab diese Mitteilungen sich knüpfenden kritischen Bemer¬ 
kungen des Verfassers zeugen von einem klaren Ürtheil und von rich¬ 
tigem Yerständniss sowöhl der vorhandenen Mängel als der Mittel zur 
Abhilfe. 


17 * 



m 


Kühne, J. Ch., Direktor der Straf-Anst. St.Jakob. lieber den Ver* 
dienstantheil der Gefangenen. Vortrag an die Gene¬ 
ralversammlung des Schweiz. Vereins für Straf- und, Gefängniss- 
wesen. St.Gallen. Druck der M. Kälin’sehen Offizin, 1870. 

Wenn der Herr Verfasser von einem.V erdiens*tantheil der 
Gefangenen redet, so will er diesen allerdings missverständlichen Aus¬ 
druck nicht so aufgefasst wissen, als ob der Gefangene auf das* was 
er „gut macht,“ einen rechtlichen Anspruch hätte. Er bezeichnet viel¬ 
mehr den Verdienstantheil als ein freiwilliges Geschenk von Seiten 
des Staates. Wir möchten lieber sagen: es handelt sich hiebei um 
eine Belohnung, und zwar um eine Belohnung für den Fleiss des 
Inhaftirten, abgesehen von seiner sonstigen V ereigenschaftung. Diese 
Belohnung vom guten Betragen des Gefangenen abhängig zu machen, 
wie der Verfasser meint, das können wir nicht befürworten. — Auch 
gegen den zweiten Theil des Vortrags, welcher das Verfahren bei 
Zutheilung des Fekuliums erörtert, Hesse sich Manches einwenden 
und wird der vorgeschlagene Modus schwerlich allseitigen Beifall finden. 
Diese Bemerkungen hindern uns jedoch nidht, den vollen Werth des 
Schriftchens anzuerkennen und es Allen , die sich über den fraglichen 
Gegenstand zu orientiren wünschen, bestens zu empfehlen. Jedenfalls 
gebührt dem Herrn Verfasser das Verdienst, die schwierige Frage nach 
allen Seiten hin mit Klarheit und Schärfe erörtert und einen schä- 
tzenswerthen Beitrag zur richtigen Beantwortung derselben gegeben zu 
haben. / Sp. 

Schenker, Bernhard, Friedensrichter inLuzern. Die wünschbaren 
Reformen in Strafanstalten mit ausschliesslich gemein¬ 
samer Haft. Referat für dje Generalversammlung des schweize¬ 
rischen Vereins für Straf- und Gefängnisswesen. Luzern. Druck 
von C. M. Hardi. 187Ö. 

Vorliegendes Referat bespricht zunächst in bündiger und all¬ 
gemein verständlicher Weise die bis j$tzt gütigen Systeme über Straf¬ 
vollzug, bezeichnet sodann in Kürze Diejenigen, welche speciell in der 
Schweiz zur Anwendung gekommen sind, und redet schliesslich voit den 
Mängeln, die sich in Strafanstalten mit ausschliesslich gemeinsamer Haft 
finden und wie solche zu heben seien. Die Frage ist mit Sorgfalt be¬ 
handelt und gibt Zeugniss von genauer Kenntniss der einschlägigen 
Verhältnisse. Ohne Scheu , aber auch ohne Uebertreibung werden dicj 
Schäden in’s rechte Lioht gestellt, so dass jecUr sachkundige undunbe¬ 
fangene Leser die Richtigkeit der Darlegung bestätigen muss. Ebenso 
zutreffend und eingehend ist die Angabe der Mittel der Abhilfe, die 
sich sämmtlich schon da und dort bewährt haben. Wenn'der Herr Re¬ 
ferent, wo er von der Wichtigkeit der Seelsorge redet, den Religions* 
unterricht und Gottesdienst nicht ausdrücklich erwähnt, so setzt er das 
wohl als selbstverständlich voraus. Sp. 



253 


S annemann, E A. Th., Dr. jur. Einige Wo r te über die Män¬ 
gel des heutigen Strafvollzugs und die Mittel zu deren Abhilfe. 

Hamburg in Commission bei Wilhelm Mauke. 1870. 8. 24 S. 

Pr. 27 kr. 

DerGeSammthaft und dem irischen System gegenüber wird in die¬ 
ser Broschüre die Zellenhaft als die einzig richtige Strafart bezeichnet. 
Was darüber gesagt wHrd, bietet keine neuen Gesichtspunkte. Auch die 
Erörterung über die Todesstrafe bewegt sich in den herkömmlichen Ge¬ 
leisen. Als Mittel der Abhilfe der bisherigen Mängel wird ausser der 
Einführung des ^ellensystems besonders die Aufhebung der Zeithaft 
empfohlen. Bei der Begründung dieses Vorschlags kommen wahrhaft 
wunderliche Anschauungen Zum Vorschein. Der Gefangene, heisst es, 
muss bis zu seiner völligen Besserung in der betreffenden 
Strafanstalt zurückgehalten werden. Ueber die Entlassung entscheidet 
der Vorstand der Strafanstalt, welcher aus mehreren gleichberechtigten 
Personen zu bestehen hat. Den Einwurf, dass man dem Gefangenen 
nicht in sein Inneres sehen könne, sucht der Verfasser damit zu wi¬ 
derlegen, dass er meint, die Haltung, Gesichtszüge, Geberden Hessen 
sehr leicht den Seelenzustand eines Menschen errathen, so dass es ei¬ 
nem psychologisch gebildeten Vorstande einer Strafanstalt leicht sein 
werde, immer ein richtiges Urtheil zu fällen. (?) Wir sagen: Gott be¬ 
hüte uns vor dieser Verbesserung! Die rückfälligen Diebe hätten es 
wohl am schnellsten los , sich völlig zu bessern; und welchen Grund 
hätten wir, ihre Thränen und Versprechungen ohne Weiteres für pure 
Heuchelei zu halten ? — Eine eigenthümliche Anschauung über die Art 
der Zellenbesuche liegt in folgender Schilderung: „Die Mitglieder des 
Vorstandes der Strafanstalt suchen durch scheinbar gleichgültige Ge¬ 
spräche mit dem Gefangenen und durch scharfe Beobachtung seiner Ge¬ 
berden sich^über die gute oder böse Richtung seines Willens ein mög¬ 
lichst sicheres Urtheil zu bilden. In dieser Weise schlägt man, wenn 
ich mich so ausdrücken darf, zwei Fliegen mit einer Klappe. (Oder 
auch keine.) Der Gefangene wird durch die zeitweilige Unterhaltung 
vor Grübeleien bewahrt und der Vorstand bekommt ein richtiges Urtheil 
über den Zustand der Insassen seiner Anstalt.“ Probatum est. — Als 
starken Optimismus muss es endlich bezeichnet werden , wenn behaup¬ 
tet wird: „Jeder Mensch wird, wenn er durch die in der Zelle angefer¬ 
tigten Arbeiten seine Kräfte und Anlagen kennen gelernt hat und für 
sein ferneres Fortkommen ausserhalb der Strafanstalt in zweckentspre¬ 
chender Weise gesorgt ist, lieber den ebenen Weg des Rechts Umschlä¬ 
gen, als auf dem unzuverlässigen und schlüpfrigen Wege des Unrechts 
fprtwandern wollen. Die einmal entlassenen Sträflinge werden nie mehr 
(!) die Zelle betreten.“ Das wäre sehr schön , wenn’s nur wahr wäre! 
In der That und Wahrheit aber verhält sich’s etwas anders. Sp. 
„Gedenket der Gebundenen!“ Bilder aus dem Leben der Ge¬ 
fangenen, gesammelt durch Adelbert Natorp, Consistorialrath 



254 


und Pfarrer zu Düsseldorf, Präsidenten der rheinisch-westfäli¬ 
schen Gefängpissgesellschaft. Mit 10 Holzschnitten. Düsseldorf 
1871. Verlag der rheinisob-westfälischen Gefäpgniss-Gesellscbaft. 
In dieser Schrift erhalten wir eine werthvolle Gabe aus der Hand 
des um das Gefängnisswesen hochverdienten Presidenten der rheinisch- 
westfälischen Gefängnissgesellschaft. Wir hegrüssen das Büchlein mit 
Freuden und hoffen, dass es allseitige Anerkennung finden und viel Bei¬ 
gen stiften werde. Die Tendenz desselben ist schon aus dem Titel er*, 
sichtlich. Der Verfasser selbst spricht sich darüber in der Einleitung 
fplgendermassen aus: „Die Theilnahme unseres Christenvolkes an den 
Gefangenen ist im Ganzen noch eine geringe. Die Unbekanntschaft mit 
dem Gefängnisswesen überhaupt y die Scheu yor der Aufgabe, an den 
Gefangenen zu arbeiten, und namentlich der Mangel an Liebe un4 that- 
kräftiger Hilfe, unter dem die Entlassenen seufzen, sind Beweise 
hiefür. Indem dieses Büchlein den reichen Segen schildert, mit wel¬ 
chem nicht selten die ächte, ans dem lebendigen Christenglauben stam¬ 
mende Samariterliebe an den Gefangenen arbeitet, aber auch den Upse- 
gen, welchen die Unterlassung dieser Pflicht nach sich zieht,.machte es 
eben diese Liebe in weiteren Kreisen wecken/ Diese Absicht sucht der 
Verfasser nicht etwa durch abstracto Abhandlungen zu erreichen, son¬ 
dern durch lebendige Bilder aus dem Lehen, durch anziehende Schilde¬ 
rung von Erlebnissen, welche geeignet sind, die Aufmerksamkeit des 
Lesers zu fesseln und sein Interesse in Anspruch zu nehmen. Der In¬ 
halt des Büchleins zerfällt in 4 Theile mit folgenden Ueberschriften: 
I. Die bewahrende Diebe. II. Der Weg in’s Gefängnis», 
III. Hinter Schloss und Riegel. IV, Die Entlassenen, 
Wir wissen nicht, welchem von diesen Theilen wir vor den andern den 
Vorzug geben sollen; doch sind wir geneigt, die Auswahl der 3ten und 
4ten Abtheilung als eine besonders gelungene zu bezeichnen.* Das ganze 
Schriftchen enthält namentlich für Gefängnisgeistliche manche beherzi¬ 
genswerte Winke. Für die Gefangenen selbst erscheint es uns 
nicht geeignet; ebenso wenig passt es für die unreife Jugend. Da¬ 
gegen sollte es in keiner Gefängnissbeamtenbibliothek fehlen. Über¬ 
dies verdient es auch in allen den Kreisen, welche sonst dem Ge¬ 
fängnisswesen fern stehen, nicht blos um seines edlen Zweckes willen, 
sondern auch wegen seines reichen und gediegenen Inhaltes die weiteste 
Verbreitung. Sp. 

Bär, Dr. (früher Arzt der Strafanstalt Naugard , jetzt der neuen Straf¬ 
anstalt am Plötzensee bei Berlin.) Die Gefängnisse, Straf¬ 
anstalten und Strafsysteme, ihre Einrichtung und Wir¬ 
kung in hygienischer Beziehung. Berlin bei A. Enslin. 1871, 
gr. 8. S. 355. Pr. 2 Thlr. 

Verfasser hat sich in dieser äusserst werthvollen Arbeit die Auf¬ 
gabe gesetzt, Alles, was den Gefangenen während der Gefangenschaft 



255 


durch die inneren und Äusseren Einrichtungen der Anstalt, was ihn durch 
die somatischen, psychischen und moralischen Einwirkungen des Gefäng? 
uisslebens und des Hüftsystems gesundheitlich beeinflusst, zusammen**? 
stellen, und ist dieser Aufgabe mit ebenso gediegener Sachkenntnis*, 
als erschöpfender Gründlichkeit gerecht geworden, » 

Wohl um schlagend darzuthun, wie nothwendig eine vom Geiste 
Ächter Humanität getragene Gefängnisshygiene sioh erweist, widmet er 
seinen ersten Abschnitt der überall noch relativ grossen Sterblich¬ 
keit in den Strafanstalten, und gelangt an der Hand der in 
Haugärd gewonnenen Erfahrungen und einer ebenso sorgfältigen als 
rationellen Statistik zu dem Ergebnisse, dass Blutentmischungskrankhei¬ 
ten (Schwindsucht und Wassersucht) die häufigste Sterblichkeitsursaehe 
bilden. Das zweite Haftjahr und das Lebensalter zwischen 20 und 40 
Jahren sind für den Tod die ergiebigsten. Jedes plus an Haftzeit setzt 
jedoch ein plus der SterblicbkeUswahrscheinlicbkeit, und es sterben in 
den späteren Haftjahren nur weniger Individuen, weil Sträflinge mit 
längerer Haft immer seltener werden. Jede Reduction der Strafzeit auf 
ein niedrigeres Ma&ss spart daher an Leben und Gesundheit der Sträf¬ 
linge. 

Während Verfasser mit Recht die Morbidität und Krankheitssta¬ 
tistik der Gefängnisse nur in Kürze erörtert, da manchfache Einflüsse 
des 6efängni8slebens ihr immer nur einen höchst wandelbaren Werth 
yerleihen, bespricht er dagegen ausführlich die in der Gefangenschaft 
bei Erzeugung von Krankheiten zusammenwirkenden ursächlichen Mo¬ 
mente und scheidet dieselben in 2 grosse Gruppen: allgemeine, in den 
äusseren baulichen Einrichtungen der Anstalt bedingte, die für die Ge- 
8ammtheit der Sträflinge gleich verderblich sind und sein können, und 
individuelle, in den inneren Gefängnisseinrichtungen und 4 Gefangen- 
sehaftsverhältnissen bedingte, die den einen mehr, den anderen weniger 
treffen, und als von der Haft unzertrennlich kaum sich vermeiden lassen. 

Die Erörterungen über die baulichen Einrichtungen, über Boden* 
Beschaffenheit, Lage, Bauart der Gefängnisse, über Ventilation, Heizung«, 
Beleuchtung, über Latrinen, Cloäken, Bäder, L&zareth sind das Ergeb¬ 
nis eines sorgfältigen Studiums dieser Materien, und zeigen von dom 
Streben überall das praktische Bedürfnis mit den Forderungen einer 
wissenschaftlichen Gesundheitspflege in Einklang zu bringen. 

Diesem Standpuukie begegnen wir namentlich auch in dem ganzen 
Abschnitte über die inneren Gefängnisseinrichtungen und ihre hygieni¬ 
schen Einwirkungen, und müssen die dort niedergelegten, int praktischen 
Gefäagnissdienste gewonnenen Anschauungen und Forderungen über Be¬ 
köstigung, Bekleidung, Lagerung, Erholung, Beschäftigung, discipli- 
näre, seelsorgerliche uud ärztliche Behandlung der Gefangenen als 
durchaus competente bezeichnen. Wenn Verfasser, gestützt auf gründliche, 
physiologisch-chemische Untersuchungen und ärztliche Erfahrungen findet» 
dass die Kost in den meisten Strafanstalten ungenügend, zu einseitig 



456 


vegetabilisch, zu monoton, mager, breiig, die Verdauungskräfte zu wenig 
anregend ist, und dass Leiden hochgradigster Dyspepsie gewöhnlich die 
Anfänge jener Beihe von Uebeln bilden, die mit Blutdissolutien und 
Siechthum enden, wenn er desshalb statt der vielen nothwendig wer¬ 
denden Extraverordnungen zur Nachhülfe für Schwächliche, Reconvales- 
centen, langjährige Gefangene (Abgegessen sein) eine dauernd individuali- 
8irende Diätform, eine Art Mittelkost zwischen gewöhnlicher und 
Krankenkost empfiehlt, so hat eine solche Forderung ihre wohlbegrün- 
dete Berechtigung und verdient alle Beachtung. Dass er dabei betont^ 
die Strafanstalt dürfe nie zu einer Yerpfiegungsanstalt werden, in de* 
es der Yerbrecher besser habe, als der redliche freie Arbeiter, dass er 
selbst "die Missdeutung nicht scheut, für einen Anhänger der Prügel¬ 
strafe zu gelten, die er aus moralisch-ethischen Gründen für verwerf¬ 
lich , aus sanitären für zulässiger als langsam marternde Hunger-, 
Arrest- und Lattenstrafen erklärt, kennzeichnet seinen , humane und 
strafrechtliche Anforderungen stets zu vermitteln bestrebten Standpunkt. 

Nachdem auch die Einflüsse der geistigen Diät der Gefangenen 
durch Lektüre, Schule und Seelsorge einer eingehenden Besprechung 
unterzogen sind, schliesst Yerfasser den Abschnitt über die inneren Ein¬ 
richtungen mit einer der wichtigsten Wirkungen des Verbrecher- und 
Gefängnisslebens, nämlich Geisteskrankheiten und Selbst¬ 
mord unter den Verbrechern. 

Geisteskrankheiten sind unter den Verbrechern stets viel häufiger, 
als unter der freien Bevölkerung, da das Verbrecherleben eine Menge 
angeborner, angeerbter und anerworbener Dispositionen enthält, die früher 
oder später zu Seelenstörung führen. In den Strafanstalten kommen zu 
den mehr oder weniger schon vor der Verurtheilung entwickelten An¬ 
lagen (häufig genug werden entschieden Geisteskranke eingeliefert) die 
Wirkungen der Gefangenschaft selbst, so dass es nur Wunder nehmen 
kann, dass die Zahl der Geisteskranken in den Strafanstalten nicht noch 
grösser ist. Die Zählungen haben nur annähernden Werth, jedoch dürf¬ 
ten durchschnittlich in Strafanstalten 1^-3 % Geisteskranke sich finden, 
während unter der freien Bevölkerung durchschnittlich so viele auf 1000 
kommen. 

Heredität, angeborne Excentrizität oder psychische Schwäche, ver¬ 
nachlässigte Erziehung, zügellose Leidenschaftlichkeit, moralische Ver¬ 
kommenheit und Verwahrlosung, die so häufig als Vermittlung, Ueber- 
gang und Verschmelzung des verbrecherischen Willens znr Geistesstö¬ 
rung sich geltend machen, Laster, Trunksucht und hiedurch zerrüttete 
Constitution, die am Verbrechen und seinen Folgen haftenden Gemüths- 
eindrücke enthalten die ausserhalb körperlich schwächende Ein¬ 
flüsse der Haft, die von ihr unzertrennlichen Gemüthserschütterungen 
durch Reue und Zerknirschung, Kummer und Gram, Kampf gegen den 
Zwang der Hausordnung und rücksichtslose Disciplin die innerhalb 
der Gefangenschaft wirkenden Ursachen dieser so grossen Häufigkeit. 



257 


Indem wir uns den vortrefflichen Ausführungen des Verfassers 
hierüber vollkommen anschliessen, befinden wir uns auch in voller Ueber- 
einstimmung mit ihm bezüglich dessen, was er über die Formen der 
Geisteskrankheiten unter den Verbrechern sagt, nur möchten wir uns 
die Schwierigkeiten nicht verhehlen, viele uns bei den Verbrechern be¬ 
gegnenden psychische Anomalien und vereinzelte, oft stets vereinzelt blei¬ 
bende Krankheitserschefhungen in die gegebenen Formen einzuzwängen. 
Wesentlich ist, dass auch die sachkundige Feder des Verfassers eine 
Einzelhaftmelancholie constatirt, in der als erste leicht zu beseitigende 
Erscheinung Gehörstäuschungen auftreten (im Gegensätze zü den Hal- 
lucinationen der freien Bevölkerung, die meist als schwere Symptome 
schon vorgeschrittener Störung aufzufassen sind) wesentlich, dass auch 
er eine fast constante Gleichförmigkeit des Inhalts und Wesens der 
Geistesstörungen hei Verbrechern beobachtet, die aus Verbrecherleben 
und Haft resultirt, und nicht selten eine Fortwirkung der verbrecheri¬ 
schen Neigungen erkennen lasst, wesentlich, dass äuch er eine Katego¬ 
rie von Gefangenen schildert, die an der Grenze der geistigen Gesund¬ 
heit stehen, und deren stets unzufriedenes, excentrisches, widersetzli¬ 
ches Wesen leicht zu Misekennung und falscher Behandlung führen 
kann. Sehr zu beachten sind diese constanten Eigenthümlichkeiten des 
Verbrecherwahnsinns besonders auch desshalb, weil auf ihnen zum 
Theile die auch vom Verfasser gebilligte Forderung einer besondern 
Behandlung der geisteskranken Sträflin ge beruht. Wir sind 
ganz einverstanden mit ihm darin, dass der Geisteskranke nicht mehr 
„ins Zuchthaus* gehört, aber nur in der auch in seinen Ausführungen 
nicht zu verkennenden Bedeutung, dass er aufhören müsse, Gegenstand 
der Bestrafung zu sein. Wenn ein Geisteskranker eine vom Strafgesetz 
bedrohte Gewaltthat begeht, so ist er kein Verbrecher, sondern ein ge- 
fährlifeher Kranker, der nur als solcher behandelt werden sollte, ebenso 
ist der während der Straferstehung geisteskrank gewordene Verbrecher 
kein Strafobjekt mehr; er hört desshalb zwar nicht auf Verbrecher, im¬ 
mer aber und sobald als möglich Sträfling zu sein. Wir huldigen mit 
dem Verfasser dem Grundsätze, dass nicht „der Grad des Selbstbewusst¬ 
seins, des Bewusstseins von Schuld und Strafe der Maasstab sein könne, 
um darnach die Behandlung der geistesgestörten Verbrecher zu bemes¬ 
sen 4 , sondern dass diese schon bei den allerersten Symptomen geistiger 
Alienation dem Strafhause, d. h. der Gefähgnissdisciplin zu entnehmen 
seien. 

In der Frage nun, ob die Krankenbehandlung in besondern Ab" 
theilungen von Strafanstalten, oder in den gewöhnlichen Irrenanstalten 
statthaben solle, freuen wir uns gleichfalls in völliger Uebereinstimmung 
mit dem Verfasser uns zu befinden, und geben der mit allem wissen¬ 
schaftlichen, besonders aber auch die Gefangenschaftseindrücke mög¬ 
lichst mildernden Apparate ausgestatteten Irrenstation einer Strafan¬ 
stalt, wie Auch Bär sie befürwortet, den Vorzug; es haben uns hiebei 



258 


ausser jenen Eigentümlichkeiten des Verbreeherlebens und darnach 
sieb gestaltenden Wahnsinns, die sosehr das Interesse der Irrenanstalten 
berühren, besonders auch Zweckmässigkeitsgründe geleitet. 

„In diesen Verbrecherirrenstationen, sagt Bär, kann die Ifeilung 
ohne die eiserne Strenge des gewöhnlichen Zuchthauses ermöglicht, hier 
kann der Kranke im Genesungslalle oder in den freien Intervallen in 
die andere Abteilung der gesunden Sträflinge gebracht .und genau con- 
trolirt werden; hierher können die geisteskranken Verbrecher, ohne dass 
die Diagnose durch eine längere Beobachtung unerschütterlich fesige- 
stellt, utp so früher aus andern Strafanstalten transportirt werden, als 
der Simulant ja ganz genau wissen wird, dass er durch die TJebersiedp'r 
lang nichts Wesentliches erreichen kann, da er dort dieselben Sicher 
beitemaasaregeln findet. 44 

Diese Abtheilungen werden am ehesten die Aflfongeatadien der 
Krankheit der discipljnären Maassregelung zu entziehen und jener „ein¬ 
gewurzelten Voreingenommenheit 44 zu begegnen geeignet sein, „die hinter 
allen nicht gerade greifbaren Wahnsinnsfällen (und diese sind ja die 
häufigsten) nur bösen Willen und Simulation stecken sieht 44 , sie werden 
viel eher als die umständliche und mit vielen Formalitäten verbundene 
Versetzung in die Irrenanstalt auch die prophylaktische Aufmerksamkeit 
der GefBngnissärzte auf die Geisteskranken zu lenken, und ihnen dje 
vom Verfasser gewünschte mehr active, als nur nebensächlich consuita- 
tive Stellung zu verschaffen im Stande sein. 

„Die Behandlung geisteskranker Verbrecher, sagt Verfasser nach 
Abwägung der manchfach auseinandergebenden Ansichten, möchte sich 
demnach so gestalten, dass irre Verbrecher, bei denen sich herausstelltj 
dass sie das Verbrechen schon im geisteskranken Zustande begangen 
haben, in gewöhnliche Irrenanstalten geschickt werden (da sie keine Ver¬ 
brecher sind, und folgerichtig auch diejenigen, die ihr Verbrechen mit 
dem Ende der Strafzeit gesühnt haben), ferner die als unheilbar erkann¬ 
ten in Pflegeanstalten oder Bokalversorgung (da bei ihnen Wiedererlan-» 
gung der Straferstehungsfähigkeit nicht mehr anzunehmen ist), „Dieje¬ 
nigen Verbrecher, die au acuter Seelenstörung leiden, sollen in der 
Strafanstalt, getrennt von den anderen Kranken und von den andern ge¬ 
sunden Sträflingen, behandelt werden; und endlich in den Fällen, wo die An** 
falle von Geistesstörung thäufiger werden, woHallucinationenoder Wahn¬ 
ideen fixirt auftreten, und die Störung chronisch zu werden droht, ohne 
langes Abwarten die Uebersiedlung in eine mit einer Strafanstalt in 
Verbindung stehende Irrenstation stattfinden. 44 Wenn Verfasser damit 
nahezu alle, auch die ausgebildeten Formen den Strafanstaltsabtheilun¬ 
gen zuweist, so möchten wir, diesem Verfahren beipflichtend und auf die 
seit Jahren erprobte Durchführung in Bruchsal hinweisend, je nach An¬ 
lage und Entfernung der Sträflingsirrenstation, lieber sofort jede psy¬ 
chische Anomalie und Störung dahin transferier wissen, und bezüglich 
der weiteren Behandlung hervorheben, dass überall, wo vorzugsweise 



359 


die inneren Gofengenscbaftseinflüsse die fortwirkender Ursache des 
Leidens bilden, wo die Haft an und für sieb beständig imGemüthe des 
Gefangenen nagt, liuf (wenn auch nur vorübergehende) Entlassung in 
die Freiheit zn dringen ist,, welche durch die in der Irrenanstalt noth- 
wendige Fortsetzung der Gefangenschaft nicht aufgewogen werden kann. 

In den beiden letzten Abschnitten bespricht Verfasset die verschie¬ 
denen Ha f tsys tjeme, und wenn er den Werth und die Schatten¬ 
seiten der gemeinsamen Haft, des Aubum’schen und Classifikations- 
Systems, der Einzelhaft und der combinirten Systeme ebensowohl 
nach Zwech^U der Strafe und Besserung, als nach den hygie¬ 

nischen Anforderungen abwägend zu dein Resultate gelangt, dass die¬ 
jenige Strafart die beste. ist/welche nach jeder Richtung am meisten zu 
indiyidualisiren gestattet, so sind eine nicht zu lange fortgesetzte Ein¬ 
zelhaft mit Ausscheidung aller Untauglichen und inU bedingter Entlas¬ 
sung, und für länger 0 Freiheitsstrafen die combinirten Systeme geeignet, 
am ehesten den Anforderungen sittlicher Wiederherstellung; und Erhal¬ 
tung der Gesundheit zu entsprechen. — Indem wir auf die ausführlichen 
Darstellungen hierüber verweisen, können wir unser Referat über Bär’s 
Arbeit, die sich ebenso durch klare und objektive Darstellung der ei¬ 
genen reichen Erfahrung, als durch gründliche Wissenschaftlichkeit und 
Literaturkenntnjss in hohem Grade auszeiohnet, nicht schlossen, ohne 
dieselbe als ein Repertorium nicht allein der Gefängnisshygiene, son¬ 
dern der gesammtqn GefängnissWissenschaft auf das Wärmste zu em* 
pfehlep. Dr. Gutsch. 

W(r schliessen unserem Referate noch zwei ip neuerer Zeit erschien 
nene Abhandlungen an, die von speciell psychiatrischer, sa cbkuudiger 
Feder geschrieben, über die geiste skranken Yerbre ehe? und 
ibreBehandlungsehr bemerk enswerthe Anschauungen enthalten, und 
die Frage über die Errichtung vpn Öpezialasylen dem sorgfältigsten Stu¬ 
dium und eipgehendster Erörterung unterziehen. 

Ueber gefährliche Geisteskranke und die Spezialasyle 
für die sog. verbrecherischen Irren. Zwei psy¬ 
chiatrische Abhandlungen von Dr. Fallet und Dr. 
Brierre de Boismont, übersetzt von Dr. C. Stark. Stuttgart 
bei Lindemann. 1871. 

Nachdem Falret die Bedeutung geschildert , welche die Unter¬ 
scheidung zwischen harmlosen und gefährlichen Geisteskranken für die 
öffentliche Sicherheit und namentlich für die Irrenfürsorge hat, beleucht 
tet er diese wissenschaftlich nicht mit absoluter Sicherheit festzustellende, 
äuöserst schwierige und delikate Frage vom klinischen Standpunkte aus 
und gibt, die verschiedenen Classen von Geisteskranken bezüglich ihrer 
grösseren oder geringeren Gefährlichkeit durchgehend, bestimmte Merk« 
male und Grundsätze an, die zu einer gerechten und humanen Lösung 
dieser Frage zu vejrwerthen sind- 

Da die krankhaften Triebe der Epileptiker, Alcoholiker, partiell Vor- 



260 


rückten, Moralisch-Wahnsinnigen, Verfolgungs-Melancholiker, Schwach- 
und Blödsinnigen uns nicht minder häufig vor Gericht als 'in den Ge¬ 
fängnissen bei Sträflingen begegnen, wo sie in den Anfangsstadien ihrer 
Entwicklung nicht selten die Grundlage jenes fortgesetzt ordnungswi¬ 
drigen und wiedersetzlichen Verhaltens bilden , so sind desshalb auch 
für Gefängnissbeamte die Ausführungen Falret’s von dem belehrendsten 
Interesse. Geisteskranke, die eine „verbrecherische“ Gewaltthat bege¬ 
hen, ist man näch Falret nicht befugt, verbrecherisch zu nennen, da nur 
die'fFhat, nicht die Impulse verbrecherische sind; sie sind nur als ge¬ 
fährliche Irre gewöhnlichen Schlages zu behandeln und sei es nicht nö- 
thig, sie in besondere Asyle zu schicken. Die nach dem Vorgänge der 
Engländer für die Errichtung solcher vorgebrachten Sicherheits-Gesetz- 
lichen und moralischen Motive scheinen ihm diesselben nicht absolut zu 
verlangen. Er scheint aber mit Georget, Brierre de Boismont, Par- 
chappe und anderen französischen Irrenärzten doch einige dieser Motive 
anzuerkennen, wenn er zum Schlüsse zugibt, dass „für gewisse wegen 
ihres wirklich gefährlichen Charakters oder wögen der ausserordent¬ 
lichen Offenkundigkeit der von ihnen begangenen Handlungen ganz aus- 
sergewöhnliche Kranke buchstäblich nur die Errichtung von kleinen, 
mit einigen Hauptstrafanstalten verbundenen Irrenquartieren zulässig 
ist.“ — Würde Falret schärfer zwischen gefährlichen Irren und irre 
gewordenen Verbrechern unterscheiden, und in Betracht ziehen, dass bei 
diesen die krankhaften und gefährlichen Triebe mit unendlichen Ab¬ 
stufungen moralischer Verkommenheit und schlimmer Leidenschaften 
sich vermischen, die oft lange jene schwer zu enträtselnden Mischfor¬ 
men von Krank-und Verbrechersein darstellen, so würde er sicher auch 
diese Kranken zu jenen „gewissen und aussergewöhnlichen“ zählen, für 
die besondere Einrichtungen in Strafanstalten zu schaffen sind. 

Brierre de Boismont beleuchtet in sehr anziehender, durch eine 
Reihe der interessantesten Thatsachen und Krankengeschichten belebter 
Darstellung das Wechselverhältniss und die innigen Beziehungen zwi¬ 
schen Irrsein und Verbrechen, welch’ letzteres so häufig seine Grund¬ 
lage in einer durch hereditäre Familienanlage, Trunksucht, Lasterhaf¬ 
tigkeit und Verwahrlosung erzeugten degenerirten Organisation hat. 
Er lenkt die Aufmerksamkeit besonders auch auf jene psychologisch dunk¬ 
len Fälle, in denen gleichsam die Krankheit noch in latentem Stadium 
sich befindet, in denen man wohl die ersten Keime des Irrseins erkennt, 
ohne aber einen entschiedenen Beweis für dieselben zu finden. Jndem 
er der Ansicht ist, dass in allen diesen Fällen, wo die Entscheidung 
nach der einen oder andern Seite hin zweifelhaft ist, der sicherste und 
humanste Weg die Verbringung der Verdächtigen in ein centrales Asyl 
sei, entnimmt er im Gegensatz zu Falret seine Argumente für Errich¬ 
tung von Spezialasylen besonders den eigenthümlichen psychologischen 
Characteren der irren Verbrecher, den manchfachen Vermischungen von 
Krankheit und Lasterhaftigkeit, von psychischen Defekten und morali- 



261 


scher Degradation, die in den angebornen gefährlichen und verderbli¬ 
chen Trieben sich kundgeben, und denen häufig noch genüg Ueberle- 
gungskraft, Bewusstsein von Gut und Böse, von Eeoht und Unrecht inne¬ 
wohnt, um zwar nicht ihre Bestrafung, aber doch ihre Trennung von den 
Kranken der gewöhnlichen Asyle zu rechtfertigen. 

"Wenn Brierre de Boismont überdies verlangt, dass die Sträflinge 
von den nur einfach gefährlichen Geisteskranken in den Specialasylen 
geschieden werden, weil sie für diese anstössig und Veranlassung zu 
gerechten Beschwerden seien, so kömmt er der Forderung von Irrensta¬ 
tionen in Strafanstalten sehr nahe, und möchten wir gerade in. dieser 
Hinsicht die uns vorliegenden Abhandlungen der Beachtung unserer 
Fachgenossen im Gefäng^nisswesen empfehlen. 

Einer sehr eingehenden und sachverständigen Untersuchung hat 
diese Frage unterzogen: 

Dr. Wiedemeister, Amt der Irrenanstalt zu Osnabrück: Uebdr 

Spezialasyle für yerbrecheris eh e Irre, Zeitschrift für 

Psychiatrie 1871, 28. Band 2. Heft. 

Während er der Ansicht ist, dass „die verbrecherischen Irren“ 
durchaus nicht in besondere Asyle gehören, glaubt er dagegen, dass die 
„convicts“ die erst während der Yerbüssung ihrer Strafe geisteskrank Ge¬ 
wordenen einer Entfernung aus der Strafanstalt dem Wortlaut des Gesetzes 
nach nur in einer sehr geringen Zahl von Fällen bedürfen, und dass sie 
s ehr wobl in einem Appendix jeder Strafanstalt, den man Lazaretb, Kran¬ 
ken- oder Irrenstation oder sonst wie nennfen könnte, untergebracht wer¬ 
den köpnen. Folgende Erwägungen haben ihn zu dieser Ansicht geführt: 
DieUnzulässigkeit, dass an Geisteskranken eine Strafe vollstreckt werde, 
ist bei solchen Einrichtungen nicht vorhanden. . Logt man den Massstab 
einer der Strafrechtstheorien an, so verlangt z. B. die Sühnetheorie die 
Versetzung eines geisteskranken Verbrechers aus dem Gefängnisse in 
die Irrenanstalt keineswegs. Auch ist es eine gänzlich unzutreffende 
Voraussetzung * wenn man meint, ein Geisteskranker werde sich der 
Vollstreckung der Strafe nicht bewusst, und beweiset nur, wie ungenü¬ 
gende Kenntnisse man von demWesen der Geisteskrankheiten hat. Auch 
in den Irrenanstalten werden Disciplinarstrafen vollstreckt. 

Durch die Versetzung in die Irrenanstalt hört der Kranke nicht 
auf Verbrecher zu sein, und die Folgen seines Verbrechens, die Sühne 
zu fühlen, er ist dort gelangen, wie in der Krankenstation der Strafan¬ 
stalt, und fühlt sich als Gefangener. . Die meisten protestiren auch ge¬ 
gen die Annahme des Irreseins (namentlich die an Verfolgungswahn Lei¬ 
denden) und es kömmt durch die Umgebung der Irrenanstalt noch ein 
weiterer schlimmer Einfluss auf ihren Gemüthszustand hinzu , sie ver¬ 
langen in das Gefängniss zurück. 

Es ist ein Unrecht gegen die Ehrlichen in den Irrenanstalten, sie 
das Loos derer theilen zu lassen, die erst nach einem Leben von Las¬ 
ter und Verbrechen ihren Verstand verloren haben. 



Es exfetirt eine Anzahl vöh Verbrechern, häufig Vagabunden, die 
eine so innige Mischeng von Wahnsinn und Verbrechen darbieten, dass es 
fast unmöglich ist zu sagen, ob sie mehr geisteskrank oder mehr ver¬ 
brecherisch sind. (Häufig ttberwiegt der Verbrecher den Irren. Ref.) Für 
Irrenabtheilungen in Strafanstalten sprechen auch die Erleichterung des 
Geschäftsganges der Yersetzung, und die Sichertng, die eine grössere 
Garantie gegen Entweichungen und Gewalttaten gewährt. Dt. Gutsch. 
Z ü 1 s e r, Max, Appellationsgerichts-Referendsr Zu Breslau. Ein Bei¬ 
trag zur Geschichte der Gefängnisssysteme. Beilageheft zum Ge¬ 
richtesaal. Jahrgang 1871. Erlangen. Verlag von Ferdinand Enke 
1871. SS 8. 8. Pr. 38 kr. 

Beim Licht betrachtet, hat diese Broschüre keinen andern Zweck, 
als für Herrn Dn Louis TeUkampf von New-York eine Lanze einzule¬ 
gen. Es wird der Nachweis versucht, dass dieser Professor längst vor 
Mittertaaier, v. Holtzendorff u. A. die GrufidzÖge des irischen Gefäng- 
nisssystems in seinen Schriften niedergelegt habe, des Systems, welches 
seitdem so berühmt geworden sei und nach allgemeiner (?) Ueberein- 
Stimrtung als das beste betrachtet werde, welches jetöalö vom mensch¬ 
lichen Geiste erdacht sei. Nicht den heutigen Coryphäen der Gefängüiss- 
frage gebühre die Ehre der Priorität und Initiative, sondern dem ge¬ 
nannten Professören am Columbia-College in New-York. Die gegebenen 
Mittheilungen sind immerhin nicht uninteressant, auch wenh man für 
die Streitfrage selbst wenig oder gar kein Interesse hat. Sp. 
Yiefundswanzigster Jahresbericht der R b ein i sch - Wes t phäl i sehen 
Gefängniss-Gesellschaft über das Verehrejahr 1870/71. 
Düsseldorf 1872* Im Selbstverläge der Gesellschaft. 

Nach erbebenden, von christlicher Begeisterung getragenen Ein- 4 
gangsworten berichtet zunächst der Präsident des Vereins, Consistorial- 
Rath Natorp über die Thätigkeit des Ausschusses im Jahre 1870/71. 
Wir ersehen aus diesem Bericht* dett wir hier nicht im Detail mitthei¬ 
len können, mit welcher Treue und Hingebung dieser Verein arbeitet 
und wie Sein segensreiches Wirken auf einem so schwierigen Gebiet 
immer anteiligere Anerkennung und Unterstützung findet. Auf diessen 
Bericht folgt ein vortreffliches Referat des Herrn Gefüngrtissptedigefg 
Scheffer „über die Aufgabe und Organisation von Strafafbeitsanstal- 
ten,“ welches in fünf Anträgen gipfelte. Der erste Abtrag, wonach die 
Landstreicherei im ersten Betretungsfalle überhaupt seitens der Regierung 
nicht mit Nachhaft belegt werden möchte, wurde angenommen. Ebenso 
nach lebhafter Debatte auch der zweite Antrag, dass das Beurlaubung*« 
system des deutschen Strafgesetzbuchs unter gesetzlich festzüs teilenden 
Modifikationen aüoh gerade auf die Detinirten der StrafarbeitBhöuse? 
und wenigstens auf die den Provinzen angehörenden Insassen derselben 
Anwendung finden möchte* Einstimmige Annahme fand der 3. Antrag 
auf möglichste Durchführung der Classifikation. Antrag 4 lautete auf 
Beschaffung von Lokalen zur Durchführung möglichster räumlicher 



Trennung, namentlich mit Rücksicht auf die Jugendlichen, deren Unter* 
bringung überhaupt in Erziehungsanstalten gesondert von den Arbeits- 
anstalten, prinzipiell zu erstreben sei. Die Versammlung beschloss, da¬ 
hingehende Anträge, welche sehon früher gestellt und abgelehnt worden 
waren, bei den Regierungen, resp. Oberpräsidien beider Provinzen zu 
erneuern. Endlich wird der fünfte Antrag, die Thätigkeit der Gesell¬ 
schaft für Gründung von CommunakArbeitsanstalten im Anschluss an 
die Verhandlungen der 40. Generalversammlung wieder von Neuem auf- 
zünehmen, ebenfalls angenommen. 

An diese interessante Debatte reihte sich eine nicht minder be¬ 
lebte und anregende Verhandlung über die Schrift: „v. Valentin!, das 
Verbrecherthum im preussischen Staat und seine Bekämpfung. * In sei¬ 
nem ausführlichen Referat weist Herr Gefängnissprediger Ha&elmann 
aus Hamm darauf hin, dass die Bedeutung des Buches darin liege, dass 
ee eine Philosophie über den Strafvollzug biete. Nach anerkennender 
Hervorhebung der wichtigsten Ideen des Büches tadelt der Referent» 
dass die Begriffe in demselben nicht immet klar und bestimmt festge- 
balteü seien. Zn den nicht empfehlenswertken Parthien desselben ge¬ 
höre die Besprechung religiöser Specialia, wobei sich der Verfasser 
öfter voh demUrtheile des gewöhnlichen religiösen Ihdifferentismus lei¬ 
ten lasse. Ueberdies sei der Standpunkt des Ganzen vielfach ein idea¬ 
ler illusorischer, der mit der Wirklichkeit collidire. — Die daran sich 
knüpfende Diskussion hafte um so erhöbteres Interesse, als der Herr 
Verfasser selbst in der Versammlung anwesend war. 

Es würde uns zu weit führen und die Grenzen dieser Anzeige 
überschreiten, wollten noch alle die weiteren Berichte, Anträge und 
Verhandlungen, welche der Jahresbericht enthält, mittheilen. Doch sol¬ 
len obige Bruchstücke eine dringende Einladung sein, das Schriftchen 
selbst zur Hand zn nehmen, um einen vollen Einblick za thun in die 
so erfreuliche und dankenswerthe Thätigkeit der Rheinisch-Westphäli* 
sehen Gefängniss-Gesellsohaft. 

W i e s 8 n e r H., Pastor an der Strafanstalt Bonnenburg. B egna digt0 
Schächer. Bilder ans der Seelsorge, nach dem Leben gezeich¬ 
net. Berlin 1871. Zn haben im Hagazin des Haupt-Vereins für 
christliche Erbauungsschriften, Klosterstrasse 67. Preis von da 
bezogen 7Vi Sgr. 280 8. kl. 8. 

Eine ebenso unterhaltende als lehrreiche und erbauliche Schrift, 
welche einen weiten Leserkreis verdient. In lebendigen ergreifenden 
Zügen werden uns die Lebenssohicksäle von Verbrechern vorgeführt, die 
nach Schweren Verirrungen schliesslich doch noch zurechtkommen und 
ein seliges Ende finden. An diesen offenbar aus dem Leben gegriffenen 
Beispielen lernen wir aufs Nene, dass wir anch den tiefgefallenen, ja 
den scheinbar verhärtetsten Verbrecher nicht aufgeben nttd an der Mög¬ 
lichkeit seiner religiössittlichen Hebung nicht verzweifeln dürfen. In 
dieser Hinsicht ist das Sehriftchen sehr geignet, nicht nur einer richti- 



gerön Anschauung Vorschub zu leisten, sondern auch für wiewohl meist 
tief gesunkene, doch immerhin bedaurungswürdige Mitmenschen Interesse 
und Theilnahme zu erwecken. Für den Gefangenen selbst wäre das 
Buch keine passende Lektüre; dagegen kann es für Beamtenbibliothe¬ 
ken bestens empfohlen werden. Sp. 

Dr. Sonntag, Karl Richard, Professor der Rechte in Heidelberg. Die 

Festungshaft. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen 

Strafensystems tind zur Erläuterung des Reichsstrafrechts. Leip¬ 
zig und Heidelberg. C. F. Winter’sche Verlagshandlüng. 1&72. 

8. 202 S. Pr. 1 fl 48 kr. 

Vorliegende Schrift ist eine gediegene, auch für Nichtjuristen lehr* 
reiche Abhandlung über $ie Frage, ob eine Surrogats träfe, wie die Fes¬ 
tungshaft, zulässig oder sogar nothwendig sei. Nach einer ausführlichen 
Darstellung des Entwicklungsganges der genannten Strafart in den ver¬ 
schiedenen deutschen Ländern, wornach auch in diesem Punkt die frü¬ 
here deutsche Gesetzgebung als ziemlich bunte Musterkarte erscheint, 
gelangt der Verfasser zu folgenden Resultaten: „Neben den gewöhnlichen 
— Freiheitsstrafen, Zuchthaus und Gefängniss — ist eine Surrogatstrafe, 
die Festungshaft, einzuführen, welche in allen denjenigen Fällen an die 
Stelle der Normalstrafe treten muss, in denen festgestellt ist, dass das 
Verbrechen nicht aus ehrloser Gesinnung hervorging. 11 (S. 109). Ferner; 
„Der Gesetzgeber wird sich überall damit begnügen müssen, allen Ver¬ 
brechen ohne Ausnahme Zuchthaus oder Gefängnisstrafe zu drohen, da 
bei allen ehrlose Gesinnung möglich ist. Ebenso konsequent wird er 
aber auch bei aUen Verbrechen die Anwendung der Surrogatstrafe ge¬ 
statten, weil auch nicht mit einem einzigen Ehrlosigkeit unter allen 
Umständen verbunden ist.“ (S. 111.) Nur theilweise und mit Vorbehalt 
dürften folgende Sätze auf Zustimmung rechnen dürfen: „Es ist selbst 
im Zuchthause nothwendig, den Gebildeten lediglich mit solchen Arbei¬ 
ten, die seiner Individualität angemessen sind, zu beschäftigen (nur 
den Gebildeten?), besonders aber jede rein mechanische Thätigkeit, an 
die er nicht gewöhnt ist, von ihm fern zu halten. (Schwierig!) In den 
Zuchthäusern und Gefängnissen müssen die Sträflinge naph ihrer Bil¬ 
dungsstufe in Klassen getheilt werden. (?) Die gebildeten Gefangenen 
haben das Recht, ihre eigene Kleidung und Leibwäsche, in der Strafan¬ 
stalt zu tragen , auch sind ihnen, falls sie die dadurch entstehenden 
Mehrkosten zu ersetzen vermögen, alle ihren früheren Verhältnissen ent¬ 
sprechenden Erleichterungen in der Gefangenenkost und in der Zellenein¬ 
richtung zu gewähren, insoweit dieselben der Disziplin nicht zuwider¬ 
laufen. 14 Ja, insoweit! Das wird meistens bei unseren Einrichtungen 
der Stein des Anstosses sein. Der Verfasser bedauert, dass das deutsche 
Strafgesetzbuch den genannten Anforderungen nicht entspricht und hofft 
auf eine künftige Revision desselben. Damit denken wir Geist und 
Tendenz der sehr lesenswerthen Schrift hinreichend characterisirt zu 



haben und möchten dieselbe besonders Sachkundigen bestens empfeh¬ 
len. . . . Sp.' 

Fulda, Kail, Kieisgerichtsrath in Marburgs Die Reform des Gefäng- 
nisswesens in Deutschland. Cassel Verlag von August Frejracfamidt« 
1872, kl. 8. 84 S,, . . 

< ln gedrängter Kürze, aber klarer und ansprechender Weise ‘wird 
b&W die noihwendige Reform des Gefängnis&wesen* in Deutschland be¬ 
sprechen. .Wir können,das Scbriftohen. aufs wärmste empfehlen, um so 
mehr, als wir; dem Standpunkt wie den; aus demselben gezogenen Fol¬ 
gerungen im .Wesentlichen unsere freudige Zustimmung nicht versagen 
können. Der Verfasser betrachtet das deutsche Strafgesetzbuch ah ein 
mustergiltigas Werk deutscher Tüchtigkeit; doch hält er es für einen 
Hauptmangel desselben, dass es aufgebaut ,sei auf dem Prineip der 
Dreitheilung in der Freiheitsstrafe als: Zuchthaus t Gefängnisse Fes¬ 
tungshaft und Haft, während nur eine Freiheitsstrafe vorhanden sein 
sollte. Er ist durchaus für eine einheitliche Gefängnissverwaltung, für 
eine Art Centralbehörde, wie sie bei der letzten Münchener Versamm¬ 
lung der Strafanstaltsbeamten in Vorschlag gebracht wurde. Im Ge¬ 
gensatz'zu, den meisten seiner norddeutschen Collegen möchte er . die 
oberste Leitung des Gefängnisswesens nicht in den Händen, des Mini¬ 
steriums des Innern, sondern in denen des Justizministeriums sehen 
(S. 15). Was der Verfasser über die Einzelhaft sagt, der er mit^ Wärme 
und entschiedenem Verständnis das Wort redet, ist uns aus der Seele 
gesprochen. Bruchsal hatte derselbe damals noch nicht persönlich 
in Augenschein genommen; die schöne neue Anstalt, in Nürnberg 
scheint ihm völlig entgangen zu sein. Dagegen erhalten wir über das 
Zellengefängniss in Amsterdam eingehende auf persönlicher Einsicht¬ 
nahme beruhende Mittheilungen, die unser Interesse in Anspruch neh¬ 
men. Von dem inzwischen abgehaUenen Gefängnisscongress hat der Ver¬ 
fasser bei Abfassung seiner Schrift die Hoffnung ausgesprochen, dass der¬ 
selbe voraussichtlich auch die Frage nach der Refprm des Gefängnis«We¬ 
sens einer rascheren Lösung zuführen werde. Wir können nur wün¬ 
schen , dass er sich damit keiner Täuschung möchte hingegeben ha¬ 
ben. Sp. 

Ein fliegendes Blatt, besonders für die Aufsiohtsbeamten an den 
Strafanstalten und Gefängnissen, herausgegeben von dem Aus¬ 
schuss der Rheinisch-Westfälischen Gefängniss-Gesellschaft zu 
Düsseldorf. 

Auf der 1870er Generalversammlung der Rhein .-Wes tfäl. Gefäng- 
niss-Gesellschaft wurde der Beschluss gefasst, „kleine zwanglose Hefte 
uhentgeldlich zu verbreiten, welche hauptsächlich auf die Anfsfeherkreise 
berechnet sein sollen. * In Folge dieses Beschlusses sind bereits drei 
Nummern eines fliegenden Blattes erschienen und jeweils in mehr oder 
weniger Exemplaren zur Verkeilung an die Aufsichtsbeamten den Straf* 

Blätter für Gefäuguisskunde. Yll. 18' 



— m - 

anstaltsdirectoren gratis zugesendet worden. Es will diese«, Blatt nicht! 
Anderes als ein freundlicher, von christlicher Gesinnung getragener 
Friedensbote sein, welcher hie und da, für jetzt wohl nur einige Male 
im Jahr, an den dunklen Pforten der Gefängnisse Einlass begehrt, um 
den Aufsichtsbeamten hl ihren! schweren, monotonen, mit viel Mühe 
und Widerwärtigkeit verbundenen Amte Rath, Belehrung, Ermunterung, 
Trost und Freudigkeit zu gewähren» Ein guter Anfang ist in den vor¬ 
handenen Nummern gemacht; die darin enthaltenen Aufsätze -sind mit 
Umsicht und wohltbuender Wärme geschrieben und wohl daZu geeignet, 
auf den Leser* einen günstigen Eindruck zu machen. Wir Sind über¬ 
zeugt, dass die Sache, die in vielfach bewährten Händen ruht, einen er¬ 
freulichen Fortgang nehmen und dass das fliegende Blatt sich ln den 
Kreisender Aufsichtsbeamten viele Freunde erwerben werde. 

Naohtragvom November 1872. In den Erwartungen, die wir 
von dem fliegenden Blatt gehegt haben, sehen wir uns nicht getäuscht. Es 
liegen vier weitere Nummern vOr uns, deren Inhalt als ein ansprechender 
und zweckmässiger bezeichnet werden darf. Es schadet nichts, dass die 
AUftätze über und für Gefängnissaüfaeber hie und da etwas ideal gehal¬ 
ten sind und Ziemlich viel voräussetzen, auch manchmal Detailvorschrif- 
ten enthalten, von denen nicht Alles für Alle und unter allen Umständen 
passt. Der Zweck der Mahnung, Belehrung, Aneiferung, Auffrischung wird 
dödii erreicht. Und es thnt das immer mehr noth, nutet dem Aufaichts- 
persönal ein geistiges Interesse an seiner schweren Arbeit zu wecken 
und zu fördern. 8p. 

Ton Resö Ensel Sandor’s Werke „Fegyh&zi reform 44 (Reform im 
Geföngnisswesen) ist das 2. Heft, welches von der Gefängnissarbeit 
handelt, erschienen. 

Dieses Heft enthält: Seite 

1. Argumente gegen die Arbeitsgabe ... 49 

2. Hierauf bezughabende Widerlegungen ... 51 

8. Argumente für die Arbeitsgabe . . . . 52 

v 4. „ für die häusliche Arbeitsgabe . . 58 

8. für die in Pacht gegebene Arbeitsgabe . 54 

6. Vorschriften der häuslichen Arbeitsgabe in Gr. H. Baden 55 

7. Die Leitung der Gefängpissarbeiten in Baiern • . 58 

8.. Das Arbeitsinspektorat in Preussen . , . 63 

9. Die sächsische Arbeitsleitung für Entrepreneurs • 70 

IQ. Uebe* das Beschäftigen der Gefangenen in Oesterreich . 76 

11. Die Beschreibung der Arbeitsgabe in den ungarischen 

Strafanstalten; •„ . . . , .83 

12. Die Beschäftigung der Gefangenen in den behördlichen 

Kerkern * > . . • . . . 91 

Der 2. .Theil dieses Heftes soll die Reformfragen bezüglich der 
ungarischen Landee-Strafanetalten und behördlichen Gefängnisse ent¬ 
halten. 



- $ 6 * — 

Ruf, S., die Crkninaljustiz. Ihre Widersprüche und die Zukunft der 
Strafrechtspflege. Criminal-psychologische Studien.. Innsbruck. 
1870. Wagner. 8. 128 S. Pr. 54 kr. 

Von einem praktischen Juristen. Betrachtungen über den Ent¬ 
wurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. Breslau 
1869. Bial und Freund. 8. 30 S. ,21 kr. 

B i n d i n g, Karl, Dr. jur. und Professor des Strafrechts. Der Ent¬ 
wurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund in sei¬ 
nen Grundsätzen. Leipzig. 1869. Engelmann. 8. 136 S. Pr. 
1 fl. 45 kr. 

Wächter, von, Carl Georg, Kön. Sachs. Geh. Rath, Ordinarius der 
Juristenfacultät an der Universität Leipzig. Beitrag zur Geschichte 
und Kritik der Entwürfe eines Strafgesetzbuches für den Nord¬ 
deutschen Bund. Leipzig. 1870. Edelmann. 8. 140 S. Pr. 

• • 1 fl. 48 kr. 

Heinze, C. F. R., Dr., Ordentlicher Professor des Criminalrechts an 
der Universität Leipzig. Zum revidirten Entwurf eines Strafge¬ 
setzbuchs für den Norddeutschen Bund. Leipzig. 1870. Edel¬ 
mann. 8. 29 S. Pr. 27 kr. 

R 8 d e r, Dr., Professor in Heidelberg. Bemerkungen zum Entwurf ei¬ 
nes Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. Extra Bei¬ 
lage zu Band XIL Heft 2. der Kritischen Vierteljahresschrift. 
München. 1870. Oldenbourg. 8. 71 S. Pr. 36 kr. 

Hälschner, Hugo, Dr., ordentlicher Professor des Rechtes. Beiträge 
zur Beurtheilung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für den 
Norddeutschen Bund. Bonn. 1870. Marcus. 8. 76 S. Pr. 36 kr. 

if eld, Hermann Gustav, Justizrath und Stellvertreter des Generalstaats¬ 
anwalts. Bemerkungen zu dem Entwürfe eines Strafgesetzbuchs 
für den Norddeutschen Bund. Dresden 1870. Bach. 8. 136 8. Pr. 36 kr. 

Yollert, A. Dr., Appellationsgerichtsrath in Eisenach. Der revidirte 
Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. 
(Besonderer Abdruck aus den Blättern für Rechtspflege in Thü¬ 
ringen und Anhalt. 17. Band.) Jena 1870. Frotnann. 8. 80 S. 
Fr. 42 kr. 

Votiert, A. Dr., Appellationsgerichtsrath in Eisenach. Kritik des Ent¬ 
wurfes eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. 
(Besonderer Abdruck ans den Blättern für Rechtspflege in Thü¬ 
ringen und Anhalt. 17. Band.) Jena 1870. 8. 68 S. Pr. 42 kr. 

Heinze, C. Fr. Rudolf, Dr. Ordentl. Professor des Kriminalrechts 
an der Universität Leipzig. Staatsrechtliche und Strafrechtliche 
Erörterungen zu dem Amtlichen Entwurf eines Strafgesetzbuches 
für den Norddeutschen Bund. Mit Straftabellen und Index. Leip¬ 
zig. 1870. Gebhard. 8. 273 S. Pr. 2 fl. 42 kr. 

Kuba, Dr. Ernst Traug., Stadtrichter u. Schriftführer der Bundes com- 
mission zur Berathung des Strafgesetzbuches für den Norddeut- 

18 * 



- m - 

Italien Bund; Cömmentaf Ober das Deutsche Reichsstrafgesetz- 
buch und das Einführungsgesetz. Nach amtlichen Quellen bear¬ 
beitet. Berlin 1870. Weidmann. 

Der geschützte Name des Verfassers und insbesondere die be- 
zeichnete Funktion als Schriftführer der Bundeskommission geben uns 
von vornherein gewichtige Garantie für den Beruf und das Geschick 
des Verfassers zur vorliegenden Arbeit. Die Einleitung gibt uns erschö¬ 
pfenden Aufschluss über die Art des Zustandekommens des Entwurfs, 
über die bis dahin giltig gewesenen Partikularstrafgesetze, über die 
Hauptpunkte, in denen sich der Entwurf von dem preussischen Strafge¬ 
setzbuch unterscheidet, über die Revision des Entwurfs durch die Bun¬ 
deskommission und södann den Bundesrath , Über die Verhandlungen 
und Beschlüsse des Reichstags, über Systeme und Charakter des Straf¬ 
gesetzbuches in strafrechtlicher Hinsicht etc. 

Es darf demnach der Commentar als einer der besten und billig¬ 
sten unbedenklich empfohlen werden. 

Heinze, C. Fr* R. Dr., ordentlicher Professor des Criminülrechts an 
der Universität Leipzig,* Königl. Sachs. Geh. Hofrath. Das Ver¬ 
hältnis des Reichsstrafrechts zu dem Landesstrafrecht mit beson¬ 
derer Berücksichtigung der durch das Norddeutsche Strafgesetz¬ 
buch veranlassten Laudesgesetze. Mit Inhaltsübersicht und Index. 
Leipzig, 1871. 8. 163 S. Pr. 2 fl. 9 kr. 

W i 11 e r s Jessen , Dr. Ueber Zurechnungsfähigkeit. Denkschrift zum 
Entwürfe eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. 
Abschnitt IV. $. 46 und 47. Kiel. 1870. Schwer. 8. 26 S. 

Pr. 21 kr. 

Roenne, J. von, Königl. Kreisrichter. Die criminalistische Zurechnungs¬ 
fähigkeit« Kritik der Paragraphen 46 bis 52 des Entwurfs ei¬ 
nes Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. Unter Bei¬ 
fügung eines Abdruckes der darauf bezüglichen Motive und Gut¬ 
achten der wissenschaftlichen Deputation für das Medieinalwesen- 
Berlin. 1870. Kortk^ampf. 8. 92 S. Pr. 1 fl. 6 kr. 
Neumann, Hch., Dr^ Ausserordentlicher Professor der Psycbiatrißj 
Primararzt der Irren-Abtheilung des Allerheiligen-Hospitals zu 
Breslau und Direktor der Privat-Irren-Anstalt zu Pöpelwitz. Psy¬ 
chologische Reflexionen über das preussische Strafgesetzbuch und 
den Entwurf zu einem Sträfgesetzbuche für den Norddeutschen 
Bund. Oppeln. 1870. Clar. 8. 38 S. Pr. 27 kr. 

Dochow, Adolf, Dr. Docent der Rechte au der Universität Heide!* 
borg. Zur Lehre von dem gewerbs- und gewohnheitsmässigen 
Verbrechen. Jena, Mauke’s Verlag. 1871. 8. 104 S. 

Dass wir es im deutschen Reich bis jetzt noc* 1 zu keiner vollkom¬ 
menen Rechtseinheit gebracht haben, das ist auch aus obiger Schrift ersicht¬ 
lich. Die grossen Differenzen der verschiedenen Strafgesetzbücher bei der 
Begriffs-und Strafbestimmung hinsichtlich der G ewe rb 8 - u n d Gewöhn- 


269 


heitsmässigkeit der Verbrechen veranlassen den Verfasser, die Streit¬ 
frage einer gründlichen Prüfung zu unterwerfen. Es geschieht dies in kla¬ 
rer auch für den Nichtjuristen verständlicher Weise und begrüssen ^vir 
gerne diese Arbeit als einen Baustein zu dem Gebäude der von uns er¬ 
hofften Rechtseinheit. Mit Recht fordert der Verfasser, dass sich der 
Gesetzgeber bei Feststellung der in Frage kommenden Begriffe zunächst 
an den gewöhnlichen Sprachgebrauch anschliesse. Was er über den 
Begriff des Gewerbes und der Gewohnheit sagt, deren Definition nicht 
so leicht ist, wie man auf den ersten Blick glauben sollte, scheint uns 
vollkommen zutreffend zu sein. Aus der rechtsgeschichtlichen 
Darstellung geht hervor, dass die Begriffe vielfach mit einander ver¬ 
wechselt, überhaupt unrichtig angewendet wurden. So haben z. B. die 
italienischen Juristen nicht scharf genug unterschieden, zwischen wie¬ 
derholtem und gewohnhei tsmässige m Verbrechen. Im Weite¬ 
ren können wir dem Verfasser nur beistimmen, wenn er einerseits der 
Ansicht entgegentritt, dass die Zurechnungsfähigkeit eines . Verbre¬ 
chers, dem die Begehung von Verbrechen zur Gewohnheit geworden sei, 
8ich wesentlich vermindere, unter Umständen sogar ganz aufgehoben 
werde 3 und wenn er andrerseits die Theorie von der Unverbesserlich- 
keit nicht gelten lässt, vielmehr behauptet: „Der Begriff der Unverbes¬ 
serlichkeit ist für das Strafrecht nicht verwendbar und daher gänzlich 
zu vermeiden.“ 

Als Resultat des Ganzen erscheint die Forderung, in einem Straf¬ 
gesetzbuche nur für die gewerbsmässige Verübung yon Verbrechen 
Bestimmungen zu treffen. „Ist auch der Beweis der gewerbsmässigen 
Absicht sehr oft nur äusserst schwierig zu erbringen, so ist doch jeden¬ 
falls die Gewerbsmässigkeit leichter festzustellen als die Gewohnheits- 
raässigkeit,“ , Sp. 

Fürst, Dr. J., Rabbiner der israelitischen Cultusgeineinde Bayreuth. 

Das peinliche Rechtsverfahren im jüdischen Alterthume. Ein Bew 

trag zur Entscheidung der Frage über Aufhebung der Todesstrafe. 

Heidelberg bei Fr. Bassermann 1870. 48 S. 

Es ist immer von Interesse, unsre heutigen Rechtszustände mit 
denen früherer Zeiten und Völker^ insbesondere solcher, die auf einer 
verhältnissmässig hohen Bildungsstufe gestanden sind, zu vergleichen 
und dabei Betrachtungen darüber anzustellen, inwieweit unsere Verhält¬ 
nisse einen wirklichen Fortschritt beurkunden oder etwa in dem und 
jenem einer Correctur bedürftig sein möchten. In dieser Hinsicht er¬ 
scheint uns vorliegende Schrift als eine sehr zeitgemässe und willkom¬ 
mene Gabe von nicht geringer Bedeutung und unserer vollen Beach¬ 
tung werth. Mit sachkundiger Hand schildert uns der Verfasser das 
peinliche Rechtsverfahren im jüdischen Alterthum. Die Zusammen¬ 
setzung des peinlichen Gerichtshofes, die Beweismittel, der Nachweis der 
Absickt des Thäters und der Durchführung derselben, die gerichtliche 
Berathung^ die Abstimmung, die Revision des Urtheils, — alle diese 



270 


Punkte werden In durchsichtiger und ansprechender Darstellung uns 
vorgeführt. Wie ein rother Faden zieht sich durch die ganze Erörte¬ 
rung hindurch der Nachweis, dass man mit äusserster Gewissenhaftig¬ 
keit und Sorgfalt zu Werk gegangen ist, um ja kein ungerechtes Ur- 
theil, namentlich kein ungerechtes Todesurtheil zu fäljen. So sehr 
wir die relative Vorzüglichkeit der altjüdischen Rechtspflege anerken¬ 
nen und den für die damalige Zeit vortrefflichen Institutionen unsere 
Bewunderung nicht versagen, so wenig können wir in das unbedingte 
Lob einstimmen, welches 8er Verfasser denselben zu zollen scheint. 
Die damalige Zusammensetzung des Gerichtshofs könnte allerdings un¬ 
ser Nachdenken Wachrufen, um so mehr als gerade in unseren Tagen 
über die Compositiott unserer Schwurgerichte immer mehr Bedenken 
laut werden. Wenn dagegen der Verfasser einen Hauptwerth darauf 
legt, dass man bei den Juden die Aussage zweier unbescholtener Zeu¬ 
gen den Indicien und dem Geständniss des Angeklagten weit vor¬ 
zog, weil es' ja auch Vorkommen könne und vorgekommen sei, dass ein 
Unschuldiger ein Schuldbekenntnis abgelegt habe, so möchten wir das 
doch für uns* nicht zum Vorbild nehmen. Denn es fragt sich sehr, was 
häufiger vorkommt, ob das Geständniss einer nicht vorhandenen Schuld 
oder eine falsche Aussage auch sogenannter „unbescholtener“ Zeu¬ 
gen. Ebenso hat man die Ergründung der Absicht des Thäters of¬ 
fenbar zu sehr in’s Minutiöse getrieben, bei welcher Methode man Ge¬ 
fahr laufen musste,' den grössten Theil der Verbrecher straflos ausgehen 
zu lassen. — Doch muss immerhin von diesen und andern Ausstellun¬ 
gen abgesehen, die weise und milde Praxis der damaligen Zeit nament¬ 
lich mit, Bezug auf die Todesstrafe zugegeben und anerkannt wer¬ 
den. Wehn aber der Verfasser daraus den Rückschluss zieht, dass die 
Bibel, richtig aufgefasst, die Todesstrafe nicht nur nicht verbiete, son¬ 
dern sogar aufs schärfste verurtheile, so hat er damit eine kühne Be¬ 
hauptung apfgesiellt, die sich schlechterdings nicht beweisen lässt. Man 
muss die Bibel, besonders das alte Testament gehörig auf die Tortur 
spannen,, wenn mun ihr ein derartiges Bekenntniss abpressen will. Ein 
Beispiel dafür liefert gerade der Verfasser, welcher zu künstlicher ge¬ 
waltsamer Deutung seine Zuflucht nimmt, um zu oben erwähntem Re¬ 
sultat zp gelangen. Die Differenz zwischen der Praxis des Judenthums 
und bekannten Aussprüchen des alten Testaments hat wohl darin seinen 
Grund, dass die Frage nicht blos, ja nicht einmal vorwiegend von re¬ 
ligiösen Gesichtspunkten aus behandelt wurde. Was noch heutzutage 
in dem letzten Jahrzehnt zwar nicht von der Fällung eines Todesurtheils, 
wohl aber von der Vollstreckung eines solchen in, deutschen Landen ab¬ 
hielt, mag schon im jüdischen Alterthum grossentheils In mehr oder 
weniger bewusster Weise massgebend gewesen sein. Wenn wir demnach 
auch mit den aus dem altjüdischen Strafverfahren gezogenen^FoIgerungen 
uns nicht einverstanden erklären können, so behält doch die vortreffliche 
Darlegung dieses Strafverfahrens selbst ihren vollen Werth und stehen 



271 


wir desshalb nicht an, die Schrift als eine sehr gediegene und lesens- 
Vrerthe zu bezeichnen, ßp, 

Loos, C., Stadtgerifchtsrath. Die Ünmöglichkeit einer Begründung 

der Todesstrafe. Berlin, Kortkaropf 1870. 8. 136 S. Pt. 

1 fl. 27 kr. 

Der Verfasser macht keinen Anspruch darauf, der Frage gerade 
neue Gesichtspunkte abgewonnen zu haben , glaubt vielmehr, er biete 
nur „eine Hand voll sorglich ausgesuchter, gereinigter Saamenköroer, 
In die Furchen gestreut , welche einstige Vorarbeiten frisch über den 
streitigen Acker gezogen haben.* Et meint, selbst die einfachsten "Wahr¬ 
heiten konnten nicht 'oft genug wiederholt, nicht von zu vielen Seiten 
stets von Khuefti beleuchtet werden, wenn sie bei der Menge endlich 
mühsamen Eingang Anden sollen. Er behandelt den Stoff im Einzelnem 
indem er antwortet auf die Fragen: 1) Ist die Todesstrafe rechtlich 
zu begründen? 2) Ist dieselbe aus politischen Gründen nicht zu 
entbehren? 3) Verlangt sie das Volksbewusstsein? 4) Spricht die 
Hnmanit&t dafür? 5) Ist sie ein Gebot des Christenthums? 
6) Ist es während ihres Bestehens möglich, Justizmorde zu verhü¬ 
ten? Wie die Antwort lautet, ‘ergibt sich aus dem Titel. Bei der er¬ 
sten Frage geht Verfasser die verschiedenen Strafrechtstheorien durch, 
erklärt sich dabei für die „aus der Staatsidee hervorgehende Straf- 
Cechtsbegründung,* und bezeichnet demgemäss als Zweck der Strafe die 
Erhaltung, resp. Wiederherstellung der durch den Staat verbürgten, 
durch das Verbrechen aber gefährdeten, resp. verletzten Sicherheit der 
Rechte Aller. Hiebei fragt Verfasset: Entspricht die Todesstrafe ihrem 
Zweck? ist sie nothwendig? ist sie an sich gerecht? ist .sie moralisch 
zulässig? 

Wir können den Details der seht lesensWCrthen Schrift nicht fol¬ 
gen ; was indess die ll'rage anbelangt, ob die Humanität für die Todes¬ 
strafe spricht, sö werden gewiss die Gefängnisspraktiker am besten 
wissen, dass eine stellvertretende lebenslängliche Einsperrung nur dann 
human ist, wenn man dabei Hoffnung auf deren einstige Begnadigung 
gibt, d. h. die Lebenslänglichkeit aufhebt. Gerade bei den lebensläng¬ 
lich Verurtheilten ist der Strafvollzug im Hinblick auf die Hothwendig- 
keit der sicheren Verwahrung häufig schwer auf humane Art ein¬ 
zurichten. — Die Begründung aus dem Christenthum zeigt uns, dass 
der Verfasser auf rationalistischem Boden steht. Hier, wie auch an an- 
, dem Orten wäre etwas mehr Objektivität und ruhigere Erörterung zu 
wünschen gewesen. 

Todesurtheil und Hinrichtung. Kriminalistische Feuilletons, 

Von einem Freunde der Wahrheit und des Rechts. Krems 1870. 

In Commission der M. Böhner’schen Buchhandlung. 8. 132 S. 

Pr. 1 fl, 12 kr. 

Es ist ein glücklicher Gedanke des unbekannten Verfassers^ sich 
bei der Behandlung des so viel bearbeiteten Thema’s einer ungewöhn- 



272 


lieberen Darstellungsweise zu bedienen. Anstatt einer trockenen gelehr¬ 
ten Abhandlung werden uns hier feuilletonartige Betrachtungen geboten, 
die das Interesse des Lesers in Anspruch nehmen und viel Anregendes 
und Belehrendes enthalten. Die Spraohe ist frisch, lebendig, drastisch, 
in ihren kurzen Sätzen einem sprudelnden Waldbach vergleichbar. Aus 
dem Inhalt der Feuilletons heben wir Folgendes hervor: „Die Todes¬ 
strafe bei den alten Deutschen.“ — Mittelalterliches, t- Etwas vom 
historischen Standpunkt. — Etwas über Galgen und Sehyreri. ~ Eine 
französische Phrase. — Haags für Maass. — Ungltycksfäjle u* 8. w. Auch 
wer mit den Ausführungen des Verfassers nicht durchweg einverstanden 
ist und da und dort ein Fragezeichen anbringnn möchte, wird das Buch 
nicht ohne Interesse lesen und mit Befriedigung auf IJand legen, 

■ • . . ,• ’ „ •. - ,9p- 

Die Frage von der Todess träfe.. Versuch einer historischen 
Darstellung der verschiedenen Auffassungen. < Zur Orientirung 
über <Jon. gegenwärtigen Stand der Frage, insbesondere für pre.k* 
tische Theologen. Bremen. Verlag von Ed. Müller 1$69. 8. 120 S. 
Wie das Vorwort besagt, war eine übersichtliche Zusammenstel¬ 
lung des Wichtigsten aus der reichen Fülle des über,die vorliegende 
Frage zu Gebote stehenden Materials der ausschliessliche Zweck, der 
dem Verfasser bei seiner Arbeit yorschwebte. Man inuss es dieser Abr 
handlang,gum Lobe nachsagen, dass sie eich im Gegensatz zu manchen 
andern, die das gleiche Thema besprechen, fern hält.yon allem unnützen 
Echauffement über eine ihr etwa nicht beliebige Anschauungsweise» Mit 
klarer, ruhiger Objektivität werden uns die verschiedenen Standpunkte 
vorgeführt und wir bekommen durch die ganze Darstellung hindurch 
den Eindruck, dass das „für“ und „wider“ in unparteiischer Wpise zur 
Geltung gebracht wird. Die Darlegung der theologischen Auffassung 
der Frage dürfte besonders für Theologen von Interesse sein, Seine 
eigene Anschauung kennzeichnet der Verfasser auf S. 97 seiner Schrift 
mit folgenden ^Worten: „Soll der christliche Theologe von seinem be- 
sondern Standpunkt aus die Abschaffung der Todesstrafe billigen oder 
verwerfen?. Darf er, sich derselben freuen als eines wichtigen Fort¬ 
schritts auf , der Bahn wahrer Cultur und Humanität , .oder muss er sie 
beklagen als einen Abfall, von den ewigen Gesetzen göttlichen und 
menschlichen Rechts., als ein Symptom sittlicher Layheit und eine un- 
ziemliche Concession. an dep Geist derZeit? Wir tragen kein Bedenken, 
auf letztere. Frage eine entschieden verneinende Antwort zu geben, ver¬ 
mögen aber andrerseits uns nicht dazu zu erheben, in der Abschaffung 
einen wichtigen Fortschritt in der Cultur zu begrössen. Was die erstere 
Frage betrifft, so erscheint sie uns nach allen Erörterungen, die darüber 
vorliegen, immer noch als eine .höchst zweifelhafte .Frage , die, weder 
durch die Juristen noch Theologen bis jetzt einer Lösung näher geführt 
worden ist, so dass wir uns geradezu zu einem non liquet gedrängt se¬ 
hen, bis jetzt wenigstens nicht über ein solches hinauskommen können.“- 



— 273 — 

Das heisst doch wohl mit anderen Worten, daaß die Lösung überhaupt 
schwerlich zu fluchen ist auf dem Gebiet der — Theorieen. 8p. 

Hetze!, H. Die Todesstrafe in ihrer kulturgeschichtlichen Entwick¬ 
lung, eine Stüdie. Berlin, 18*70. Verlag ton W, Meeser. 

■ Votr dem Entwicklungsgang den die Todesstrafe von den Anf&n* 
gen der Geschichte bis’ auf die Neuzeit gemacht hat, erhalten wir hier 
ein abscheuliches Bild. An dfeii umfangreichen historischen Tbdil reiht 
sich eine Scblussbetrachtühg, welche im Hinblick auf das gewonnene 
geschichtliche Besaitet die Frage ha eingehender, wenn J auch nicht lär¬ 
met überzeugender Weise vom'juridischen, pelitischen, philosophischen, 
anthropologischen, theologischen und geschichtlichen Standpunkt erör* 
tork Am Schlüsse findet sich eäüe dankenswert he Literatur der; Todeg* 
etriaft und ein weniger angenehmes Labyrinth Von Druckfehlern, Ver- 
besaeruhgeu und Nachträgen, düsflen Reduktion Bei einet etwaigen zwei¬ 
ten Auflage wünsebenswerth w&re. — Der Hetr Verfasser ist ein ent¬ 
schiedener Gegner der Todesstrafe und weise 4 eine TJeherzeugüng mit 
Geechiek und Scharfthm zu vertheidigen. Auf eiae Erörterung des für 
ünd wider können wir üns selbstverständlich hier in keiner Weise ehi- 
iaaseu;- bei Durchlesung des Büches bekorafot man aufs Neue den Ein¬ 
druck van der Schwierigkeit des Problems, zu dessen Lösung der Au* 
tor übrigens einen an erkennen swertlien Beitrag * geliefert hat. Etwas 
mfehr Objektivität wäre hie und da iu* wünschen. — Trott dieser und 
anderer Aussteftutigeii, die sidh unk im Einzelnen * aufgedrängt habend 
möchten wir Ahe; die sich für diö grosse Streitfrage inteTessiren r auf 
dieses mit vieler Sachkenntnis geschriebene und atif eingehenden Stu¬ 
dien betrübende Buchhiemrt nachdrücklich aufmerksam machen. Sp. 


b. För Gefangene. 

I. Die HauBtHieje, im Yurhältniss zu den Gewerben, 'Wissenschaf- 
' ten und Künsten,, Ein .Buch zur Belehrung und Unterhaltung für 
die Jugend und ihre Freunde. 2. verbesserte Auflage, herzig 
Fritzsche. 343 Seiten. 

j Vorliegende Bearbeitung -eipes englischen Werkes Über denselben 
Gegenstand verfolgt neben deip nächstliegendejp Zwecke der Belehrung 
zugleich poch dep religiöser Anregung. r 

Gewiss ist gerade die Vereinigung dieser beiden Zwecke 9 wenn 
sie taktvoll .durehgeffthrt wird, sehr wirksam, per. Verfasser hat in 
dieser Beziehung seine Aufgabe imAPg^W&nen ge^ohickt gelöst; Seine 
naturgeschichtlichen Schildenwgen bieten übrigens wphV tnehr , als 4 er 



274 


Titel angibt, sie umfassen die Haussiere der verschiedensten Zonen. 
In meist ansprechenden Bildern ist die naturgeschichtliche Stellung des 
Thieres gezeichnet, ihre verschiedene Verwendung hervor gehoben. Es 
fehlt dabei nicht an eharakteristischen ZQgen aus ihrem Leben; wo eine 
Gelegenheit zu geschichtlichen und geographischen Notizen sich bietet» 
ist sie nicht versäumt. Die Manigfaltigkeit des Inhaltes beeinträch¬ 
tigt dabei freilich zuweilen die Uebersichtlichkeit und logische Anord¬ 
nung. Die Sprache im ganten populär und klar, ist bisweilen nicht frei 
roh gesuchter Kindlichkeit, manchmal im Ausdruck: auch etwas in hoch 
gehalten. Illustrationen von geringem Warthe sind dem Wcrkohen bei« 
gegeben. 

Sk Naturgeschichtüches Lesebuch in biographischen Bildern, Vorzugs* 
weise ans dem Thierreich. Für Schule und Haus* herausgegeben 
ron Gros de Und Langer. Wohlfeile Ausgabe. Leipzig, Hermann 
Fritssche. 1803. S. 138. 

Durch einfache Darstellungen den Geschmack ro. bilden , durch 
gemüthrolle Schilderungen der Natur den Sinn für dieselbe zu wecken, 
ist auch der Zweck dieses Werkchens. Zugleich verbindet es damit noch 
in angemessenerer Weise als düs oben besprochene, die Hervorhebung 
ron religiösen Momenten aus der Naturbetrachtung. In 32 kleineren und 
grösseren Aufsätzen werden in klarer gemüthroller Sprache die uns 
umgebende Thierwelt, BOwie einige Erscheinungen im Pflanzenreiche 
besprochen, theils in selbständigen Ausführungen der Herausgeber, theüs 
mit Benutzung anerkannt tüchtiger Schriftsteller auf hatufttgeschichtiiOhem 
Felde, wie Maaius, Grube, Curtmaün u. A. nu 

Als Ergänzung zum naturgeschichtlichen Unterricht «zur Anregung 
eines lebensvollen Verständnisses der Natur und des Waltens Gottes in 
ihr wird das Werkchen treffliche Dienste leisten. 

3. Theophil Waldmeier, Erlebnisse in Abessinien in den Jahren 
1858—1868. Mit 13 lithographischen Bildern und einer Karte von 
Abessinien. 2. Auflage. Basel, C. F. Spitteier 1869. 151 S. 
Eine Missionsschrift, verfasst von einem protestantischen Missio¬ 
när in Abessinien, welche, beiOöderu die letzten Schicksale des Königs 
Theodoras und dte Ereignisse des englischen Feldzugs zur Befreiung 
der europäischen Gefangenen behandelt. Verfasser der Schrift hat selbst 
die Schrecken der abes&inischen Gefangenschaft durchlebt und bietet 
so in Seinen anspruchslosen Schilderungen eine durch eigene Erfahrung 
belebte Charakteristik dieses seltsamen Barbarenstaats und seines Ober¬ 
hauptes. Durch einen zehnjährigen Aufenthalt in Abessinien mft Land 
und Leuten vertraut, ton der wechselvollen Laune des Fürsten bald mit 
Ehren überhäuft, bald mit der schnödesten Verachtung gelohnt, oft mit 
seinen Leidensgenossen ln Todesgefahr schwebend, hat er dennoch als 
ein treuer Arbeiter auf seinem Posten aasgehalten. Seinö Aufzeichnun¬ 
gen erheben sich in ihrer* Frische über das Niveau der gewöhnlichen 
Traktaten- und Missionsliteratur. Sie bezwecken zwar zunächst nur, 



275 


das Interesse für die so gefahrrolle evangelische Mission in Abessinien 
zu decken; als culiu rhetorische, ethnographische Bilder können sie 
jedoch afuch abgesehen von ihrem erbaulichen Zwecke artf einen weite* 
ren Leserkreis Anspruch machen. Die Sprache ist schlicht und anspre¬ 
chend, durch eine Reihe anschaulicher Abbildungen erhält das Erzählte 
seine Ergänzung. Bisweilen tritt die Strenge Ridhfaog des Erzählers 
etwas stark hervor. 

4. G. Felsberg. Stadt und Land oder alter und neuer Glaube. Augs¬ 

burg. Lampart n. Co. 1869; 178 3. 

Obige Schrift bildet eine Lieferung der in Augsburg erscheinen¬ 
den katholischen Volksbibliothek „Sohn des Fleisses.“ Als religiöse 
Tendenzschrift will sie den Gegensatz zwischen dem katholischen Kir- 
cflienglauben und einer seichten Aufklärung zu lebensvoller Anschauung 
bringen. Stadt und Land geben dabei dem Verfasser die Typen ab für 
Aufklärung und wahre Gläubigkeit. Ein geistig 'geweckter Bauernsohn 
ih der naiven Gläubigkeit Seines Dorfes aufgewachs6n, wird von seinen 
Eltern seiner Talente wegen zur wissenschaftlichen Laufbahn zugelas¬ 
sen. ln 'der Üniversitätsstadt lernt er die Zweifel am Glauben kennen, 
äHtnählig auch lieben und wird ein Abgefallener von seiner Kirche. 
Nach Vollendung seiner Studiert unternimmt er zur Erweiterung seiner 
Kenntnisse eine Reise zu einem Onkel in dre Urwälder Amerikas. Dort 
vollzieht sich mm auf dem Lande Widder die Umwartdlung von dem 
neuen Glauben in den alten. Auf einer abenteuerlichen Fahrt in den 
Prärieen Amerika 1 « kömmt er in die höchste Lebensgefahr Und lernt in 
der Rettung aus derselben die Fügungen Gottes wieder erkennen. Der 
Spötter wird zum Gläubigen. Die Erzählung ist Stark tendenziös gefärbt, 
doch wollen wir mit dem Verfasser über seinen religiösen Standpunkt 
nicht reehten. Manch körnig treffende Wahrheit, seine volkstbümliche, 
frische Sprache, seine belehrenden und ansprechenden Schilderungen 
von Stadt und Land lassen diese strengere Richtung übersehen. 

5. Johannes Bö geh old; Die Bibel des Trunkenbolds. Eine 

Erzählung für das Volk. Berlin; Beck. f869. 58 Sr 

6. Johannes Bögehold. Der Deserteur. Eine Erzählung naeh 

wahren Begebertheiten. Berlin 1889. 105 3. 

Zwei moralische Erzählungen, von einem protestantischen Geist¬ 
lichen Norddeutschlands verfasst, doch ohne streng confessionelle 
Färbung. 

Die erste stellt in psychologisch ansprechender, durch ihre Na- 
turwahTheit ergreifender Auffassung die Lebensgeschichte eines gewohn- 
heitsmässigen Trinkers dar, wie ihn die Gewalt seines Lasters aus allen 
guten Vorsätzen bei Gründung seines Ehestandes herausreisst und un¬ 
aufhaltsam dem moralischen und körperlichen Ruine entgegenführt. 
Durch einen früheren Verführer und Trinkkameraden, einen später tut 
Mässigkeit bekehrten Gastwirth, dem er sein Letztes, seine der Gattin 



276 


entwendete Hausbibel zur Fröbnung seines Lasters anbietet, wird er 
allmählig der Besserung zugeführt. Die Lösung der Erzählung ist we¬ 
niger treffend gezeichnet, als die Darstellung der sittlichen Folgen der 
Trunkenheit. . 

In einem frischen, ansprechenden Tone ist die zweite Erzählung: 
der Deserteur gehalten. Die Personen sind markig gezeichnet. Ein 
lebensfroher Soldat wird durch eine Handlung seines Jähzorhea zur 
Flucht aus seinem Regiments getrieben. Nach mancherlei Gefahren wird 
er in England von einem Seelenverkäufer auf das Schiff eine» berüch¬ 
tigten strengen Capitains gebracht. Ein wechselvpllea, gefahrdrohendes 
Leben, zu Jasser und .zu Land, ist die Folge »seines unüberlegten Schrit¬ 
tes. Doch der Jähzorn verfolgt auch in seiner neuen Lebenslage den 
Deserteur, bei jeder Wendung zum Glück zerstört sein rasch aufbrau 1 - 
sender Zorn das Gute, welches in ihm wieder Macht gewann. Endlich 
wird auch hier ein christlich gesinnter Freund und Matrose sein See¬ 
lenretter und führt ihp vom Bettelstab in den Strassen Londons zu 
einem geordneten, Leben, zurück. Die Aufgabe des Erzählers, den Jäh¬ 
zorn als Quell des Lästere pnd der Sünde darzustellen, ist mit Geschick 
gelöst. Ueberdjes belebt manche frische Schilderung aus dem Wander¬ 
leben des Jkfatrosen die einfache Erzählung. 

7. Urbain OH vier: Onkel , Mathias, eine Dorfgeschichte aus der 
französischen Schweiz, .Ans dem Französischen. Zürich 1S70. 
Zweite;Ausgabe,; zwei Theile in einem Band, zusammen 557 
Seiten.- ■ , - -.,.i ' ' ‘ 7 i. 

Ebenfalls eine Erzählung von religiöser Färbung, ihrem Anfänge 
nach weniger eine Dorfgeschichter- v als ein Dorfroman. Der Verfasser, 
ein in der französischen Schweiz rühmlich bekannter Volksschriftsteller, 
gibt in shiner neuesten Schriff eine ansprechende, von sittlichem Geiste 
durchwehte Schilderung des romanischen Volkslebens mit seine*!♦Lieht- 
und Schattenseiten. Wenn auch sein Werk landeskundigen Lesern von 
grösserem Interesse'sein wird, so macht doch die originelle lebensvolle 
Darstellung und der Reiz der anziehenden Erzählung dasselbe auch für 
den Fernestehenden zu einer, belehrenden Lectüre. Wenn auch tenden¬ 
ziös gehalten, ist doch die| religiöse Anschauung, eine frische und ge¬ 
sunde; für evangelische Gefangene, deren Bildungsgrad etwas höher 
reicht^ dürfte sich diese auch von der schweizerischen gemeinnützigen 
Gesellschaft für Volksbibliotheken empfohlene Schrift zur Anschaffung 
eignen. * B. S. 

8. Eduar d l £olle r : der sächsische Prinzepraub. Leipzig, Fritzsche 

: 1855. ; ‘T’’ ‘ ’. V..Y -. ‘ 

9. J, Neuipann (Satori) König Wenzel II. Leipzig. H. Fritzsche. 

10. J. N e u m a n p König Wenzel III. Leipzig. H. Fritzschq. 

11. J. Gl at z; Wilhelm Dollinger oder die Flucht aus dem väterlichen 

Hause., Leipzig. H., Fritzsche, . ; 



- 2frt - 

12. Frd. Öchrader: die vereitelte Weihnachtsfreude. Leipzig. H. 

Fritzsche. 

Kinderschriften, geschichtlichen und moralischen Inhalts, für die 
untern Stufen des Jugendalters. 

13. J. Neumann: Gott thut noch täglich Wunder. Erzählung für die 

reifere Jugend. »Jjcipaig. Fr^teq^e. , •, j 

14. K. G. Petermann. Erzählungen für die höhere Stufe des Ju- 

gendaliers vom elften bis vierzehnten Jahr. Vier Bändchen, jedes 
mit 6 Bildern. Leipzig, Fritzsche. 

15. Glückliche Heimkehr aus langer Irre. Lebensgeschichte von Ru-' 

dolf Bürgi aus Neftenbach. Basel. Yerlag von C. F. Spittler. 
Dieses Büchlein ist zwar von dem Herausgeber zunächst für Jüng- 
lipge und Jünglingsvereine bestimmt, eignet sich aber sehr gut auch 
für evangelische Gefangene jeden Alters. In einfacher edel populärer 
Sprache bietet es eine nicht blos unterhaltende, die Aufmerksamkeit des 
Lesers von Anfang bis zu Ende fesselnde, sondern auch vielfach lehr¬ 
reiche und zum Guten anregende Lektüre. Mit Interesse und Spannung 
verfolgen wir den merkwürdigen, an verhängnissvollen und abenteuer¬ 
lichen Erlebnissen reichen Lebenslauf dieses Mannes, der nach langem 
Irregehen auf Wegen des Leichtsinns und der Sünde endlich zu äusse¬ 
rem und innerem Frieden gelangt. Möge diese Lebensgefcchichte, «welche 
einen so traurigen Anfang und Verlauf hat und ein eo schönes Ende 
voll Sieg und Friede, den Gefangenen, welche sie lesen , dazu dienen, 
über ihre Vergangenheit ernstlich ndchzüdenken und heilsame Ent¬ 
schlüsse zu fassen für ihre Zukunft. Sp. 

16. Altes undNeues aus dem Schatze christlicherBiographieen von 

Karl Friedrich Ledderhose. Basel. Verlag von €. F. Spittler. 
Für Evangelische. 

Lebensbeschreibungen werden von den Gefangenen in der Regel 
gerne gelesen. Es sind folgende* fhaUs ukebr, theils weniger bekannte 
Persönlichkeiten aus früherer und neuerer Zeit,, mit deren Leben und 
Sterben wir in obigem Schriftchen in fasslicher und gedrängter Darstel¬ 
lung bekannt gemacht werden: 

1. Karl Hildebrand von Canstein, t 

2. Anna Nitschmann, zweite Gemahlin Zinsendorfs, 

3. Christian Benjamin von Moser, 

4. Christof Käss, ehemaliger badischer Pfarrer, und 

5. Der berühmte Missionsfreund Ludwig Harms von Hermannsliurg. 

Standpunkt und Diktion des Verfassers, welcher der positiv-kirch¬ 
lichen Richtung angehört, sind so bekannt, dass eine besondere Kenn¬ 
zeichnung derselben nicht als nothwendig erscheint. Sp. 



Personalaaohrichten. 


I. Beförderungen. *■’ 

Krell, Ober-Inspector der Strafanstalt Zwickau als Director 
nach Görlitz. 


2. Decoratkmen. 

Klöckner, Inspector der Strafanstalt Diez erhielt den kgl. 
preuss. Kronorden 1Y. Classe mit dem rothen Kreuze 
im weissen Feld. 


3. Todeefölle. 

Gestorben ist: P 

Schmidt, Rechtspraktikant und Funktionär der Gefangen¬ 
anstalt Zweibrücken. 


4. Veränderungen. 

Versetzt wurden: 

a. Preussen. 

Lotz, Reg. Rath von Königsberg nach Melsungen. 

b. Sachsen. 

Dillner, Anstaltsgeistlicher von Waldheim nach Zwickau. 
Lehmann, Anstaltsgeistlicher von Hubertusburg nach Wald- 
, heim. 



Vereinsangetegeiheiten. 


Neu eingetretene Mitglieder. 

a. Bayern. 

Marquardsen, Dr., Professor in Erlangen, Mitglied dos 
deutschen Reichstag*. 

Rae8, L. Dr., Hausarzt der Gefangenanstalt Sulzbaoh. 

b. . Hessen. 

Marquard, von, Reg. Rath und Intendant des Gefängnisses 
zu Darmstadt. 

c. Preussen. 

Delius, Stadtgerichts-Director in Berlin. 

Kühn, Dr. Hausarzt des Werkhauses Moringen. 

Starke, Kammergerichts-Rath in Berlin. 

Strafanstalt Görlitz. 

Thaden, Rittmeister a. D. in Cöln, ausgeschieden. 

Wiesen er, evang. Geistlicher der Strafanstalt Sonnenburg. 


Berichtigung. 


S. 211. Z. 4 von unten ist nach „den Kopf“ einzuschalten: „von 
1858—1868 hingegen war die Sterblichkeit 4,2%, und es wurden ge¬ 
braucht 504 Pfund Leberthran jährlich, also 30 Loth auf den Kopf.“ 



~ * 8 * - 


I n h a I t. 


. i Seit«» 

1. Statistik der Sterblichkeit unter den Gefangenen in den eng¬ 
lischen Sträf-Anstalten von 1856 bis mitr 1870 Und Bei¬ 
träge zur Statistik der bayerischen Btrfcf- und Polizei» An¬ 


stalten von IB64 bis mit 1868; vieii Dr, Baer .i 105 

2. Besuche bei den Gefangenen von S uringar . . 219 

3. Vermischtes . • ' . * . . • 227 

Insbesondere: 

Sendschreiben eines Str&fanstalts-Beamten an Einen, der 

es werden will ...... 227 

Auswanderung entlassener Strafgefangener . . 229 

Controluhren , • . . . . . 232 

Ventilation, Heizung, Desinfection . . - 233 

Blitzableituiigeii ‘ . . . . . ; 243 

4. Literatur . . . . . . . 263 

a. für Gefängnissbeamte ..... 250 

b. für Gefangene . , . . . 273 

5. Personalnachrichten . . . . . 278 

6. Vereinsangelegenheiten ..... 279 





Jahresbericht 


über 


Zustände und Ergebnisse 

des 



Bruchsal 

während des Jahres 


1871. 



Vorbericht. 


Die Yorlage des 1871r Jahresberichts an die hohe Auf¬ 
sichtsbehörde erfolgte etwas spät, und der Bescheid darauf 
ergieng Ende Dezember 1872. Mit hohem Erlass vom 19. Dezbr. 
1872 hat das Grossh. Ministerium des Grossh. Hauses, der 
Justiz und des Auswärtigen auf die Jahresberichte der Be¬ 
amten zu erkennen gegeben, dass man höheren Orts daraus 
den geordneten Zustand der Strafanstalt entnommen habe und 
den Beamten derselben die Anerkennung ihrer Dienstführung 
ausspreche. 

Auch diesmal vertritt den ärztlichen Jahresbericht aus 
ähnlichen Gründen, wie voriges Jahr, eine ärztliche Statistik. 

Die Ermächtigung zum Drucke erfolgte erst Ende Ja¬ 
nuar. Der Druck selbst wurde aber thunlichst beschleunigt. 
Dabei müssen wir darauf aufmerksam machen, dass die 
Kosten des Druckes auch diesmal, wie bei allen früheren 
veröffentlichten Jahresberichten des Zellengefängnisses in 
höchst anerkennenswerter "Weise von unserer Grossh. Staats¬ 
regierung übernommen worden sind. 

Wiederholt wollen wir den Wunsch aussprechen, dass 
dies auch bezüglich namhafter Strafanstalten anderer Länder 
geschehen möchte. 

Bruchsal, Anfangs Februar 1873. 

Grossh. Verwaltung: des Männerzuchthauses. 


i* 



n 



Jahresbericht 

des 

Vorstehers flir 1871. 


Einleitung. 

Das Jahr 1871 ist in der Geschichte des Zellengefäng- 
nisses durch ein höchst unglückliches Ereigniss markirt. Dem 
Strafgefangenen Joh. Jakob Schwäble von Altbulach, der 
bereits schon im Jahr 1869 durch das Gitter seiner Zelle 
entwichen war, gelang es in der Nacht vom 5. auf 6. Oktober 
die Tbüre seiner Zelle zu öffnen, in eine Aufseherzelle zu 
kommen, und dort die Schlüssel, die zur Kirche führen, eben¬ 
so die Kleider,^den Säbel und die Zündhölzer des Aufsehers 
an sich zu nehmen. Schwäble beabsichtigte, an dem nicht 
vergitterten Fenster neben der Synagoge gegen den Ein¬ 
gangsbau hin auszusteigen, sich in dem dort befindlichen Win¬ 
kel herabzulassen und gedachte so zu entkommen. Bevor 
seine Vorbereitungen zur Flucht beendigt waren, wurde er 
jedoch — Nachts 12 Uhr — durch den Aufseher entdeckt, 
und sprang in grösster Schnelligkeit durch die bereits geöff¬ 
nete Thüre aus dem Flügel in die Kirche, von da über die 
Leiter bei der Orgel auf den Baum über der Kirche und be¬ 
gann dort in Wuth und Verzweiflung wegen des Fehlschlagens 
der Flucht die grossen Linien- und andern Steine, die er los¬ 
machte, herunter zu schleudern. Die Steine fielen theils auf 
die Dächer, theils auf die Oberlichter der Flügel und zer- 



6 


schlugen dort die Scheiben, die mit grossem Geräusch her¬ 
unterstoben; theils fielen die Steine auch zwischen die Flügel, 
wo einer derselben das Gewölbe des Eingangs unmittelbar 
vor der Thüre ins Centrum durchschlug. 

Nachdem dieser Scandal bis V s 3 Uhr gedauert hatte, 
ohne dass eine Möglichkeit vorlag, ihm zu steuern, und ohne 
dass die auf Schwäble feuernden Schildwachen denselben ge¬ 
troffen hätten, brach in dem Dach der Kirche Feuer aus, das 
Schwäble dort ohne Zweifel gleich nach seinem Hinaufkom¬ 
men legte. Da es sofort klar war, dass an eine Bettung des 
Inbaus des Centrums bis zum Gewölbe des zweiten Stock¬ 
werkes nicht zu denken, letzteres aber nach technischem Gut¬ 
achten Widerstand zu leisten im Stande war,-richtete man 
sofort im Anfang und in der Folge das Augenmerk auf die 
Erhaltung der Zellenflügel, deren Dächer, besonders der Flügel 
II und IV in Gefahr waren. Eine Anzahl (besonders höhe¬ 
rer) Bediensteter unterzog sich der Bettung von Fahrnissen, 
wobei die Hausgeistlichen und Lehrer, sowie zwei Aufseher 
in augenscheinliche Lebensgefahr geriethen. 

Bis zum Einsturz des Kirchendaches dauerte daB Bom¬ 
bardement Schwäble’s, und die abenteuerlichsten Ansichten 
und Gerüchte tauchten darüber auf, wo derselbe nachher hin- 
gekommen sei. 

Es gelang, die Flügel zu schützen, nur das Centrum 
brannte aus. Gegen Tag, etwa um 4 Uhr, war man des 
Feuere Meister und die bereits telegraphisch berufene Carls- 
ruher Feuerwehr konnte wieder abbestellt werden. Zu aller 
"Vorsicht hatte man die Gefangenen des III. Stockwerks aller 
Flügel ins Souterrain bringen lassen, als das Dach des zwei¬ 
ten und vierten Flügels Feuer fing. Dieselben verhielten sich 
dabei sehr ruhig und anständig. 

Der thätigen Mithülfe des hiesigen Militärs und des 
Fompiercorps ist das günstige Besultat beim Ausgang des 
Brandes zu verdanken. 

Am f>. Oktober Nachmittags 2 Uhr wurde Schwäble oben 
auf der Mauer des Centrums entdeckt, wo er sich zwischen 
der Brüstung und dem inneren Mauervorsprung verborgen 
hatte. Ersetzte sich zur Wehr, warf mit Steinen, wurde 



7 


^ber (furch den Strafgefangenen Alois Fejninger vonBulacb, 
der sich mit einem Säbel bewaffnet hinauf begeben hatte, 
unter Assistenz zweier Soldaten überwältigt und sodann her¬ 
unter geworfen. Der Sturz that demselben' keinen Schaden, 
er starb aber Abends 6 Uhr an den erhaltenen Wunden. 

Am 7. Oktober geruhten Seine Königliche Hoheit der 
Grossherzog die Brandstätte sehr eingehend in Augenschein 
zu nehmen, sich den Strafgefangenen Feipipger vorstellen zu 
lassen, ihn für sein muthvolles Benehmen zu beloben und 
befahlen dem Director wegen dessen Begnadigung Vorlage 
zu machen. Ausserdem sprachen Allerhöchst Dieselben ihre 
Befriedigung über das ruhige "Verhalten der ins Souterrain 
verbracht gewesenen Gefangenen, und die darin liegende 
Thatsache aus, dass sich auch bei diesem Anlass das Systppj 
der Einzelhaft bewährt habe. 

Die beantragte Begnadigung Feininger’s wurde sodann 
auch Ende Oktober von Seiner Königlichen Hoheit ausgpr 
sprochen und in "Vollzug gesetzt. 

Die Details des schrecklichen Vorganges sind theils in 
Berichterstattungen niedprgelpgt, theils besonderer Beschrei¬ 
bung Vorbehalten. Der Eindruck des Ereignisses war aber 
ein sehr mächtiger. 

Das sämmtliche Personal hatte mit den Nachwirkungen 
des niederschlagenden Ereignisses wochen-, wenn nicht monate¬ 
lang zu kämpfen; selbst in höchstem Grade vom Dienst de- 
goutirt, war es mir recht schwer, mit gutem Beispiel voran¬ 
zugehen und das Aufsichtspersonal zu muthigem Ausharren 
zu ermuntern. Doch ermangelte ich nicht, dem Personal das 
verdiente Lob der muthigen und pflichttreuen Haltung bei 
dem Ausbruch Schwäble’s, dem Brande und dem nachgefolg¬ 
ten Aufräumen und der Ueberwindung Schwäble’s ausdrück¬ 
lich auszusprechen. 


I. Bauten. 

Die Baulichkeiten des Zellengefängnisses befanden sich 
beim Ausbruch des Brandes in sehr gutem Zustande. Der 
Vorgang des 6. Oktober beschädigte Vieles, nicht nur das 



8 


Centrum; doch wurde mit Ausnahme des Letzteren Alles im 
Laufe des Jahres 1871 wiederhergestellt, insbesondere die be¬ 
schädigten Dächer und Oberlichter' der Flügel, wobei die 
Witterung — es regnete und schneite fast gar nicht — vor¬ 
trefflich zu Statten kam. Das Centrum selbst wurde unter 
der umsichtigen und prompten Leitung der Grossh. Bezirks¬ 
bau-Inspektion mit einem neuen verschalten Zinkdach ver¬ 
sehen und darunter die Nothkirche eingerichtet. 

Der voriges Jahr erwähnte Missstand des Russigwerdens 
der Dächer hat sich inzwischen bedeutend vergrössert. Der 
Buss an den Oberlichtern kann auch nicht mehr abgewaschen 
werden, weil er zu fest sitzt. *) 

In der Hilfsstrafanstalt wurden im Hinblick auf die 
neue Bestimmung des Gebäudes die Säle der oberen Stock¬ 
werke durch Zwischenwände in 2 Theile geschieden, im linken 
Flügel das Mehlmagazin unter die Kirche verlegt und mit 
dem Bau von 20 Zellen begonnen. 

II. Persoual. 

1. Höheres Beamtenpersonal. 

a) Der neuernannte evangelische Hausgeistliche Pfarrer 
Spengler trat seinen Dienst am 27. Januar 1871 an. 

Gleichzeitig trat der aushilfsweise verwendete Pfarr- 
verweser Wagner wieder aus. 

b) Der Hilfsarzt Ribstein kehrte, decorirt mit dem 
eisernen Kreuze und dem Ritterkreuz II. Classe des 
Zähringer Löwenordens, aus dem Felde zurück und 
übernahm am 1. Juni seinen Dienst wieder. 

2. Beim Kanzleipersonal und 

3. Aufsichtspersonal 
kamen sehr viele Yeränderungen vor. 

Das Aufsichtspersonal, dessen Haltung bei dem Unglücks¬ 
fall im Oktober schon oben geschildert ist, gab der Mehrzahl 
nach zu keinen besonderen Ausstellungen Anlass, zeigte 
sich vielmehr im Dienste eifrig, willig und auch brauchbar. 
Einige Ausnahmen, besonders unter dem jüngeren, jetzt wie¬ 
der entfernten Personal, waren aber zu constatiren. 

*) Diese ist seither unter Anwendung von Salzsäure doch gelungen. 



9 


111. Organisation. 

Mit dem Jahre 1871 schlieset sich eine, in doppelter 
Beziehung wichtige Periode für die Zeit des Bestehens des 
Zellengefa ngnisses. 

Erstlich wurde auf 1. Januar 1872 das neue Reichsstraf¬ 
gesetzbuch eingeführt, und nebst wichtigen Aenderungen im 
Strafvollzug bestimmt, dass das Zellengefängniss die Benen¬ 
nung Männerzuchthaus zu führen, auch künftig nur die zu 
Zuchthaus verurtheilten Männer aufzunehmen habe. 

Zweitens wurde, im Zusammenhang mit der Einführung 
der neuen Gesetze, die Hilfsstrafanstalt vom Zellengefangnisse 
wieder getrennt, in ihrer bisherigen Gestaltung wesentlich 
auf das Krankenhaus beschränkt und der übrige Theil zum 
Landesgefängniss, insbesondere auch mit einer Abtheilung für 
Jugendliche bestimmt. 

Die bisher oft zu sehr gesteigerte Geschäftslast ver¬ 
spricht daher künftig erträglicher zu werden; in allen Fällen 
kann, falls nicht auch künftig die Ueberfüllung fortdauert, 
bei einem gemässigteren Gefangenenstand und der nie mehr 
unter ein Jahr herabsinkenden Strafdauer der Gefangenen 
eine grössere Rücksicht in allen Theilen der Behandlung ge¬ 
nommen und die Gesammtordnung wieder besser gehandhabt 
werden, als dies seit 8 Jahren der Fall war. 


IV. Zustand der Strafanstalt. 

Derselbe war bis zum Ausbruch des Brandes ein ver- 
hältnissmässig guter; dass in Folge des Brandes und aller 
damit hereingetragenen Störungen von einem vollkommen 
geordneten Zustand nicht mehr die Rede sein konnte, fällt 
in die Augen. Doch war man stets darauf bedacht, alle 
störenden Einflüsse thunlichst auszugleichen, alles die Sicher¬ 
heit Gefährdende zu beseitigen und den Verkehr der Gefange¬ 
nen mit den fremden Arbeitsleuten thunlichst zu verhindern. 

Wegen der Aufraum- und Abbruchsarbeiten musste der 
gewöhnliche Hofgang vom 6.—11. Oktober gänzlich suspen- 
dirt, vom 11. bis 26. auf die Zeit von 11—1 Uhr beschränkt 



1.0 


werden und konnte erst am 26. wieder in alter Ordnung be¬ 
ginnen. 

In der Annahme, dass Kranke, die nicht in der Zelle 
behandelt werden können, in dem Krankenhaus der Hilfa- 
anstalt Aufnahme finden, richtete man den Saal des Kranken¬ 
hauses als provisorisches Schullocal her, natürlich ohne Stalls, 
und begann dort den Schulunterricht mit wöchentlich 2 Stun¬ 
den für jede Classe, am 31. Oktober. 

Die zwei Krankenzimmer richtete man zu Dienstzim¬ 
mern der Geistlichen ein. 

Auch die Bediensteten der Verwaltung hatten eine Zeit 
lang die Bureaux im Centrum räumen müssen, da sich Sprünge 
in den Gewölben zeigten und man über die Haltbarkeit der 
Letzteren nicht ganz im Klaren war. Man brachte die Kanz¬ 
leien nothdürftig im Eingangs- und Krankenbau unter. Nach 
einigen Wochen konnten aber die alten Bureaux wieder be¬ 
zogen werden. 

Die Zimmer der Geistlichen und Lehrer, das Wacht- 
local mussten verschiedene Mal verlegt wer4en. 

Die hergestellte Nothkirche . konnte am Sonntag den 
8. Dezember erstmals zum Gottesdienst benützt werden, der 
aber vorerst, zumal im Hinblick auf die gleichzeitig einge¬ 
tretene Ueberfüllung des Hauses auf die Vormittage der.Sonu- 
und Feiertage beschränkt wurde. 

Der Dienst im Allgemeinen gestaltete sich nach dem 
Brande selbstverständlich viel schwieriger, auch mussten die 
Werkaufseher, die sonst keinen Nachtwachedienst verrich¬ 
teten, zu diesem, und etwas mehr als sonst zum Sonntags¬ 
dienst herangezogen werden, eine Maassregel nur vorüber¬ 
gehender Natur. 

Mehrere der für die Werkaufsicht neuerlich gewonnenen 
Bediensteten zeigten freilich eine grosse Apathie gegen jeg¬ 
lichen polizeilichen pienst, während auf der andern Seite die 
Erfahrung gemacht wurde, dass diese Werkaufseher, freilich 
auch noch ältere, viel zu wenig Verständniss und Interesse 
für den eigentlichen Gefangnissdienst hatten, und der einheit¬ 
liche Gang des Ganzen doch entschieden erheischt, dass sich 
jeder Bedienstete zunächst und in erster Linie als Gefäng- 



n 


nissbediensteter geberde, auch die ersten Zwecke des Straf¬ 
vollzugs fördere und in keinem Punkte diese erste Rücksicht 
ausser Augen verliere. 

Insofern schien es wünsohenswerth, dass Niemand zur 
Werkaufsicht verwendet werde, der nicht vorher während 
meiner längeren Zeit den eigentlichen Gefangnissdienst erlernt 
hat. Wie es aber überhaupt schwierig ist, tüchtige Werk- 
Aufseher zu gewinnen, so müsste eine solche Anforderung die 
bestehenden Schwierigkeiten noch vermehren. 

Es müssen aber Zustände und Ergebnisse der Straf¬ 
anstalt im Lichte solcher Verhältnisse betrachtet werden und 
diess um so mehr, als es besonders während des Kriegs auch 
schwer hielt, für den polizeilichen Dienst taugliche Auf¬ 
seher, die gewöhnlich ebenfalls Gewerbverständige sein müs¬ 
sen, zu gewinnen. 

Erwägt man zu dem vorstehend Angeführten noch den 
Umstand, dass durch die vielen kurzzeitigen Strafgefangenen 
ein massenhafter Ab- und Zugang bedingt, und die Ueber- 
füllung eine ständige war, sich sogar gegen Ende des Jahrs 
derart steigerte, dass von den Strafgefangenen im Kreisge- 
fängniss zu Mannheim und im hiesigen Amtsgefängniss unter¬ 
gebracht werden mussten, so wird es einleuchten, warum ich 
den Zustand nur als einen relativ guten bezeichnete. 

Neuerer Zeit bat sich die Aussicht auf Gewinnung bes¬ 
serer Bediensteten sehr wesentlich gehoben. 

Die Gasbeleuchtung lässt noch immer und trotz des 
grossen Kostenaufwandes viel zu wünschen übrig. Die Cor- 
ridore sollten entschieden besser beleuchtet sein und ich bin 
überzeugt, dass eine gute, weite, und soweit es die Corridore 
anbelangt, doppelte Leitung bessere Beleuchtung ermöglichen 
und weniger Kosten verursachen würde. 



12 


V. Zur Statistik. 

Die Gesammtzahl 896 ist die höchste seit dem Be¬ 
stehen des Zellengefängnisses. Die niederste war 1862: 351; 
seither trat eine stete Steigerung, wie man ersieht, fast auf 
das dreifache ein. 

Die Prozentzahl der unehelich Geborenen hat 
gegen früher wieder etwas abgenommen, und kann im Durch¬ 
schnitt für 1871 auf 20 angenommen werden. 

Die Strafschärfungen, die zum Vollzug kamen» 
waren im Ganzen wieder etwas mehr als 1870. Dank dem 
neuen Reichsstrafgesetz erscheint diese Rubrik in der Statistik 
zum letzten Male. 



13 


VI. Statistik. 

I. Uebersicht der Gefangenenzahl 

A. Im Allgemeinen. 


I. Der Personalstand der Gefangenen 
war am 1. Januar 1871 . . . . 

II. Zugegangen sind. 

III. Abgegangen sind und zwar 

durch Entlassung 

1. nach vollständig er¬ 
standener Strafe: 

a) wurden nach Hause 
entlassen .... 

b) wurde in’s Zucht¬ 
haus versetzt . . 

2. Mit Erlassung eines 
Theils der Strafe im 
Gnadenwege: 

a) kamen nach Hause 

b) sind ausgewandert 

c) kam in die Rettungs¬ 
anstalt n. Hüfingen 

3 Beurlaubt auf unbe¬ 
stimmte Zeit . . . 

4. Nach theilweise erstan¬ 

dener Strafe an andere 
Anstalten abgeliefert: 

a) an das Landesge- 
fängniss Mannheim 

b) ditto Bruchsal . . 

c) an das Amtsgefäng- 
niss Bruchsal . . 

5. Wegen Abänderung 
des Urtheils: 

a) aus d. Zuchthaus ins 
Arbeitshaus versetzt 

b) aus demArbeitshaus 

ins Zuchthaus . . 

6. WegenNichtigkeitsbe- 
schwerde des Staats¬ 
anwaltes entlassen 

Durch Tod: . . 


1Y. Stand am 1. Januar 1872 


Zucht- 

Arbeits- 

haus- 

haus- 

Gefangene. 

88 

268 

— 

1 

10 

14 

13 

4 

— 

1 

3 

1 


8 

34 

49 

1 

9 

1 

— 

— 

1 

5 

1 

3 


Zucht¬ 

haus. 


247 

144 


391 


155 


Arbeits¬ 

haus. 


207 

298 


505 


360 


236 I 145 


Summa. 


454 

442 


896 


515 


381 






14 


Der durchschnittliche Personal stand der 
Gefangenen betrug: 




Zucht¬ 

haus 

Arbeits¬ 

haus 

Total- 

Summe. 



Gefangene. 

im 

Januar. 

244, 58 

210, m 

455,oo 

j) 

Februar. 

242, 00 

203,88 

445, 86 

j) 

März. 

239, 2S 

199,45 

438, 68 

Ti 

April. 

235,3 0 

106, 8 3 

432, 13 

Ti 

Mai. 

235, 0 3 

106,35 

431,38 j 

7 ) 

Juni. 

239, 73 

185,« 

425 H9 | 

Ti 

Juli. 

254,3 2 

182,„ 

436,„ 

7i 

August. 

252, 68 

176,„ 

429,85 

Ti 

September. 

250, 60 

175, 0 3 

425,83 

7 ) 

Oktober. 

253,« 

133,53 

436,58 

7i 

November. 

255, 0 , 

176,50 

431,5, 

Ti 

Dezember. 

260, 58 

1 36,58 

447,,8 



29B2,„ 

2273,43 

5236,00 


Durchschnittsstand . . 

1 246, 88 j 

139,« 

436,33 


Höchster Gesammtstand am 29. Dezember.467 

Niederster „ . „ 21. September .... 414 

Höchster „ der Zuchthausgefangenen am 

31. Dezember. 270 

Niederster Gesammtstand der Zuchthausgefangenen am 

24 April und 19. Mai.233 

Höchster Gesammtstand der Arbeitshausgefangenen am 

22. und 23. Januar ..216 

Niederster Gesammtstand der Arbeitshausgefangenen am 
21. September 


167 













15 


B. Nach der Zeit ihrer Einlieferung. 

a) Zuchthausgefangene. 

Von den 247 Gefangenen (Personalstand am 1. Januar 
1871) wurden eingeliefert: 




davon sind 

Summe 

Rest- 

Anzahl 

0/ 

/o 

Tm 

Jahr 

Zahl 

gestor¬ 

ben 

entlas- | 
sen j 

des 

Abgangs 

am 1. 
Januar 
1872 

b. 

nach 


a. 

im Jahre 1871 

1871 

a. 

b. 

1856 

i 

— 

1 

1 

— 

0)25 

— 


2 

— 

1 

1 

1 

0»6i 

3 »42 

1861 

2 

— 

2 

2 

— 

0«i 

— 

1863 

3 

— 

2 

2 

1 

0»76 

3»« 

1864 

7 

1 

3 

4 

3 

1579 

1»27 

1865 

7 

— 

5 

5 

2 

1)79 

0)84 1 

1866 

5 

— 

3 

3 . 

2 

1)27 

0»84 

1867 

14 

— 

7 

7 

7 

3 »58 

2)96 

1868 

38 

1 

17 

18 

20 

9»71 

3)51 

1869 

60 

3 

35 

38 

22 

15,3* 

9)32 

Ha 

108 

— 

52 

52 

56 

27,62 

23,72 

1871 

247 

144 

2 

20 

22 

122 

36,83 

51,69 

Summa 

391 

7 

148 

155 

236 

Personalstand am 
1. Januar 1872. 


















16 




B. Nach der Zeit ihrer Einlieferung. 

b) Arbeitshausgefangene. 

Yon den 207 Gefangenen (Personalstand am l. Januar 
1881) wurden eingeliefert: 




, davon sind 

Summe 

Rest- 

Anzahl 

% 

Im 

Jahr 

Zahl 

gestor¬ 

ben 

entlas¬ 

sen 

des 

Abgangs 

am 1. 
Januar 

nach 


a. 

im Jahre 1871 

1871 

1872. 

b. 

a. 

b. 

1868 

4 

— 

3 

3 

1 

0j79 

0,69 

1869 

29 

— 

26 

26 

3 

^ 77* 

2,06 

1870 

174 

3 

157 

160 

14 

34,45 

CD 

s 

1871 

207 

298 

— 

171 

171 

127 

39,01 

1 i 

GO 

OO 

Summa 

505 

3 

357 

360 

145 

Personalstand am| 
1. Januar 1872. | 



1 ^ 


C. Mit Unterscheidung zwischen Einzel- und 
Gemeinschaftshaft. 

Der Durchschnittsstand der Gefangenen im eigent= 

liehen Zellengefängniss war . . 365,g3 

Höchster Stand am 25. Januar . . ‘*84 

Niederster Stand am 21. September . 345 

Pa der Durchsehnittsstand von Zellengefangenen in 

der Hifsstrafäustalt etwa. 54, 50 

betrug, so ist der Durchschnittsstand der sämrnt- 

lichen Gefangenen in Einzelhaft'.419, 83 

Yon den schon im vorigen Jahr erwähnten 5 ältesten, 
1856, 1860 und 1861 eingelieferten Strafgefangenen wurden 
1871 die beiden 1861 Eingelieferten entlassen. Die andern 
befinden sich noch in der Strafanstalt, und zwar der von 1856 
und einer von 1860 in der Hilfsstrafanstalt, sämmtlich in Ge¬ 
meinschaft, einer der 1860 Eingelieferten in Einzelhaft, jetzt 
im Zellengefängniss. 

Auf 1. Januar 1872 befanden sich länger als 6 Jahre 
in der Strafanstalt ausser den oben genannten 3 im Ganzen 
11 Gefangene, darunter 5 in Gemeinschaft und 6 in Einzel¬ 
haft, unter Letzteren 1 seit 1863, 3 seit 1864, 2 seit 1865. 

Der bezügliche weitere Abgang ist die Zahl der in der 
Hilfsstrafanstalt Zurückgebliebenen. Abgegangen sind wirk¬ 
lich von solchen Einz*elgefangenen 1 von 1864 nach 6 Jahren 
Einzelhaft beurlaubt und noch 1871 gestorben. 1 von 1865 
nach 6 2 / 8 Jahren Einzelhaft mit Strafende 

Die 41 Gefangenen, die sich auf 1. Januar 1872 länger 
als 3 Jahre auf der Zelle befanden und daher nach dem 
neuen Reichsstrafgesetz zwischen Einzel- und Gemeinschafts- 
liaft die "Wahl hatten, zogen es sämmtlich vor, in Einzelhaft 
zu bleiben. 


Blätter für Göfangnisakuhde* Vll. 


2 




18 


D. Nach der Natur der Verbrechen. 



Bezeichnung; 

des 

Verbrechens. 

Zuchthaus- 

Gefangene. 

Arbeitshaus-Gefangene. jj 

E® 

(3 

U 

~X <d 

3 £ 

x 4 

Zugang 1871. 

cd 

a 

a 

X 

a. 

Abgang 1871. 

£ c'i 

Ji 

X 

b? 

% 

nach 

Stand am 1. 
Januar 1871. 

Zugang 1871. 

3 

a 

£ 

X 

a. 

Abgang 1871. 

lg 
| * 

% 1 

nach I 


b. 

a. 

h 


Mord 

15 

4 

19 

7 

12 

4,85 

5*8 


_ 

_ 

_ 


— 

— 


Mordversuch 

4 

1 

5 

1 

4 

1*7 

1 *9 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


Todtschlag 

16 

4 

20 

7 

13 

5,u 

5*0 

— 

3 

3 

— 

3 

0*9 

0*9 


Todtschlagver. 
















such 

— 

1 

1 

.— 

1 0*5 

0*2 

1 

— 

1 

1 

— 

0*9 



Tödtung ohne 
















Vorbedacht 

! 21 

2 

23 

4 

19 

5*0 

^>05 

12 

13 

25 

14 

11 

4*5 

7,58 


Theilnahme an 
















Kindsmord 

1 

2 

3 

1 

2 

0)76 

0,04 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


Körperverletz- 
















ung 

4 

— 

4 

3 

1 

1*2 


6 

4 

10 

9 

1 

1*8 

0*9 


Vergiftung 

2 

— 

2 

1 

1 

0*1 

°,* 2 

— 

3 

3 

2 

1 

0*9 

0*9* 


Abtreibung der 
















Leibesfrucht 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

1 

1 

— 

0*9 

— 


Nothzucht 

8 

2 

10 

8 

2 

2*5 

0*4 

3 

1 

4 

2 

2 

0*9 

1*8 


Nothzuchtvers. 

4 

1 

5 

3 

2 

1*7 

0,84 

3 

5 

8 

5 

3 

1 *8 

2,06 


Unzucht mit 
















Kindern 

29 

13 

42 

16 

26 

10„4 

11,01 

6 

4 

10 

8 

2 

1*8 

1*8 


Verführung 

4 

4 

8 

3 

5 

2*4 

2*1 

11 

5 

16 

12 

4 

3*6 

2,»' 


Blutschande 

1 

— 

1 

1 

— 

0*5 

— 

3 

1 

4 

2 

2 

0*9 

,38 


Widernatür- 



— 













liehe Unzucht 

— 

— 


— 

— 

— 

— 

6 

11 

17 

13 

4 

3*6 

2*5 


Diebstahl 

83 

88 

171 

70 

101 

43* 3 

42*9 

101 

203 

304 

220 

84 

00*9 

5^,93 


Unterschlagg. 

— 

— 

— 

— 

— 



8 

10 

18 

12 

6 

3*6 

4*3 


Kaub 

13 

5 

18 

5 

13 


5*o 

1 

— 

1 

— 

1 

0*9 

0*9 


Kaubversuch 

1 

— 

1 

1 

— 

0*5 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


Urkundenfäl¬ 
















schung 

2 

— 

2 

1 

1 


0*2 

6 

4 

10 

6 

4 

1 >98 

2*5 


Grenzstein¬ 








a 






t 


fälschung 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

1 

1 

— 

0*9 

—! 


Wechselfälsch. 

— 

1 

1 

— 

1 

0*5 

— 

— 

1 

1 

— 

1 

0*9 

0,69* 


Betrug 

2 

3 

5 

2 

3 

1*7 

1*7 

15 

14 

29 

21 

8 

5*4 

5*o’ 


Betrug gegen 














1 


Gläubiger 

I 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

— 

3 

2 

1 

n 59 

0*9 


Meineid 

3 

4 

7 

3 

4 

1*9 

1*9 

— 

1 

1 

— 

1 

0*9 

0*9l 


Falsches Zeug- 













A 



niss 

1 

- - 

1 

1 

— 

0*5 

— 

— 

1 

1 

— 

1 

n’ 19 

0*9 


Münzfälschung 

1 

2 

3 

3 

— 

0*6 

— 

1 

2 

3 

3 

— 

n* 9 

— 


Brandstiftung 

32 

7 

39 

14 

25 

9 

^>97 

10* 9 

3 

2 

5 

4 

1 

0*9 

0*9 


Rachsüchtige 
















Beschädigung 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

2 

5 

4 

1 

0*9 

0*9 


Widersetzlich¬ 
















keit 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

2 

1 

3 

3 

— 

0*9 



Wilderei 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

7 

5 

12 

11 

1 

2*7 

0*9 


Rechnersun¬ 
















treue 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

— 

3 

1 

2 

0*9 

1 *8 


Militärische 
















Verbrechen 


- 

— 

— 

— 

— 


1 

2 

3 

3 

— 

0*9 



Summa 

247 

144 

391 

155 

236 

— 

1 - 

207 

to 

00 

505 

00 

o 

145 

— 

1 - 


4 












19 


E. Mit Unterscheidung nach dem Bezirk der 
urtheilenden Gerichte. 


Kreis-und Zuchthaus-Gefangene. ArbeitRhaus-Gefangene 
Hofgerichts-, \-£ ri . G §£ 7/ ?- I « I £ ligl 0 / 

bezw. ; §2 2 £ 2 „2 /o 1 ai. * | | | S |,2| /o 

Soli würge- g c c = ** nacn s 
richtsbezirk. J 5 §> r J - j J I 


i r I 


"T- 1"-^ 4 t- ^ T- 0/ 

6i, E 5 /O 

g c d nach 

S 5 d 

" a -r— 


Con stanz 

48 

32 

80 

34 

Freiburg 

64 

271 

91 

31 

Offenburg 

21 

19 

40 

18 

Carlsruhe 

44 

20 

64 

22 

Mannheim 

69 

40 

109 

49 

Militärgericht 

1 

1 3 

7| 

1 

Summa | 

247 

1144 

391 

11551 


•m 
1 .,0 1 


na oh in,43 10,55 

M 80 24 20 , 0 g 16,5 5 

18 81 37 28,3* 25,5, 

5 3 2 0,oq l, 3fl 


I F. Nach d 

Strafdauer. 

Unter OMonatel — 
6 * - 

7- 9 „ 

10-12 „ 

1 Jahr 6 

1- 2 „ 50 

2- 3 „ 30 

3- 4 „ 26 

4- 5 „ 27 

5- 6 „ 18 

6- 7 „ 7 

7- 8 „ 6 

8- 9 „ 15 

9- 10 „ 6 

10—15 „ 30 

15—20 „ 10 

20—30 , 3 

lebenslänglich 13 

Summa 247 


er Dauer der verhängten Strafe. 

(In Gemeinschaft.) 

— — — — — — | — 3 3 3 — 0 , 59 

— — — - — — 1 14 43 57 49 8 11, M 

— — — — — — 48 106 154 119 35 30,* 9 ‘ 

— — — —' — — 3 12 15 11 4 2, 9 , 

14 20 11 9 5,n 3,8i 44 63 107 76 31 21. 18 i 

56 106 52 54 27,,, 22,98 58 49 107 69 38 21,,,,! 

26 56 20 36 14, 3S 15,« 24 13 37 21 16 7, . 
13 39 18 21 9,9, 8,99 9 6 15 9 6 2 

10 37 1 5 2 2 9,4 6 9,3 2 5 — 5 2 3 0 

5 23 7 16 5 , S9 6 ,„ 112—2 0,.. 


— 15 4 11 3, 8S 4, 66 

— 6 2 4 1 ,52 1 ?6 9 

10 40 13 27 10, 25 11, 44 

4 14 4 10 3, 58 4,23 

— 3 1 2 0, 76 0, 8t 

^58 4, 66 , 


13 l[ 14| 3[ 11, 3950 4, 66 || -1 -| -1 -1 -1 - 

>47 144| 3911155 [2361 — — ||207|298|505|360| 145| — 

G. Nach dem Lebensalter. 


Alter. 

12—16 Jahre 

17- 18 „ 

18- 19 „ 

19- 21 „ 

22—30 „ 

31-40 * 

41—50 * 

51—60 „ 

61—70 „ 

über 70 Jahre 


— 111 — 0,25 — 1 4 5 5 — 0,99 *— 

2 4 6 5 1 1,52 0, 42 | 8 27 85 29 6 6,91 4 , 13 

3 6 9 3 6 2,jo 2 , 54 ! 3 1 < 20 12 8 3,95 5 ,50 

13 8 21 4 17 5 , 37 7 , 20 20 19 39 30 9 7 m 6,* 0 

78 57 135 47 88 34 , 52 37 , 28 66 79 145 95 50 28, 7t 34 , 48 

79 35 114 49 65 29, 15 27, 54 52 62 114 79 35 22 , 57 24, 13 

39 19 58 24 34 14, 93 14, 4() 24 44 68 48 20 13, 46 13, 10 

21 9 30 12 18 7 , 67 7 , 63 22 33 55 42 13 10 , 89 8 , % 

9 5 14 8 6 3,58 2 ,54 8 11 19 16 3 3 ,76 3 *>6 

3 3 2 1 0 , 76 0, 42 j 3 2 5 4 1 0 , 99 0 , 69 


3 3 ,58 2,54 
1 ^,76 9 ’42j 


Summa J247jl44|3911155|236; — 


|',207|298|505|360| 145| — | — 

















20 


H. Nach dem Familienstand. 



Gefangene. 

A 

2<n 

P 

% 

nach 

' £» 
i-Ss 

i.7 

a. ! b. 

U! 


Summa ||247|144|391|155|236| — | — ||207|298|505|360|145| — | - 

I. Nach den Gewerbskenntnissen. 

EinesGewerbes, 

kundig 125 74 199 77 122 50, g9 51, 69 100 125 225 161 64 44, 55 44 , 0 

Ohne Gewerbe 118 66 184 75 109 47, 05 46, 16 106 172 278 197 81 55, 05 55* 

Aus gebildeten 

Ständen 4 4 8 3| 5 2,J 2,„ 1 1 2 2| — | 0, 39 — 

Summa |247 144 3»1|I55 236| — — |207 298 505 360 145 — | — 

K. Nach dem Vermögen. 


Vermöglich 

26 

18 

44 

20 

24 

l hl5 

^716 

19 

23 

42 

30 

12 

3,31 

*527 

Vermögen zu 















hoffen 

31 

4 

35 

11 

24 

*,95 

*0)16 

18 

26 

44 

31 

13 

8,71 

3,96 

Vermögenslos 

190 

122 

312 

124 

188 

79 , 79 

79, 66 ! 

170 

249 

419 

299 

120 

* 2, 95 

*2,15 

Summa 

247| 

144(391J 

155|236| 

— 

- il 

207|298|505|360| 

145 

- 1 

— 




L. 

Ni 

ach K. 

elig 

flO 

n. 






Katholiken 

156 

80 

236 

96 

140 

60,35 

5», s.l 

Il37i 

1187 

324 

234 

90 

64,15 

62,06 

Protestanten 

88 

61 

149 

56 

93 

38, 10 

39*ol 

f69 

108 

177 

124 

53 

35,05 

36,55 

rsraeliten 

1 3 

3 

6 

3 

3 

^ 752 

^ 7271 

1 M 

3 

4 

2 

2 

9,79 

*,38 

Summa 

|247 

144 

|391|155|236 

— | 

— | 

|207|298|505|360| 

145] 

- 1 

— 



M. 

N 

ac 

h d 

[er 

Hei 

imath 






Badener 

1198 

114 

312 

124 

188 

779 

^9,66 

182 

235 

417 

297 

120 

92,51 

(32,75 

Nichtbadener 

•49 

*30 

79 

31 

48 

20,20 

20,3, 

3 25 

+ 63 

88 

63 

25 

17*3 

1 ^>24 

Summa 

N. Nach ' 

l[247|144 

Unter 

391 

SC 

155 

he: 

236 1 

i du 

- 1 

ine: 

Hh 

ZW 


298 

he 

1 


145] 

ib e 

n u 




Summa ||247|144|391|155|236| — | — ||207|298|505|360|145| — | — 

t) Bei Colonne 2 „Arbeitshausgefangene“ befindet sich unter den aus dem Jahre 1870 
Uebert rage neu ein Mennonite. 

1) Bayern 10, Franzose 1, Hessen 5, Italiener 1, Oesterreicher 1, Preussen 4, Sachsen 
1, Schweizer 2, Württemberger 24. 

2) Bayern 5. Engländer 1, Hessen 3, Italiener 1, Oesterreicher 1, Preussen 4, Sachsen 
1, Schwarzburg-Sondershausen 1, Schweizer 2, Württemberger 11. 

3) Bayern N, Hessen 2, Oesterreicher 1, Preussen 3, Württemberger 11. 

4) Bayern 12, Engländer 1, Franzose 1, Hessen 3, Holländer 1, Italiener t, Preussen 
9, Sachsen 2, Schweizer 8, Spanier 1, Württemberger 24. 





























21 


0. Nach dem Grade ihrer Bildung. 

a. Zuchthaussträflinge. 

Von den 144 im Laufe des Jahres Eingelieferten waren 
des Lesens, resp. Schreibens unkundig und zwar: 

1 ) es konnten lesen aber nicht schreiben — 

2 ) weder lesen noch schreiben . . . . 2 

Davon waren Badener 1 , Nichtbad^ner 1. Nach dem 
Alter: von 41—50 Jahren 1, von 51—60 Jahren 1 . 

b. Arbeitshausgefangene. 

Von den 298 im Laufe des Jahres Eingelieferten waren 
des Lesens, resp. des Schreibens unkundig und zwar: 

1 ) es konnten lesen aber nicht schreiben — 

2) weder lesen noch schreiben .... 4 

4~ 

Davon waren Badener 3, Nichtbadener 1. Nach dem 
Alter: von 17 —18 Jahren 1 , von 31 —40 Jahren 1 , von 41 bis 
50 Jahren 1 , von 61—70 Jahren 1 . 

Von der Gesammtzahl der Eingelieferten waren demge¬ 
mäss 1,3 Prozent, von den Badenern 0, 9 des Lesens und 
Schreibens unkundig. 

P. Unehelich Geborene. 

a. Zuchthausgefangene 

befanden sich unter den 247 am 1. Januar 

1871 Verhafteten.49 oder 19, 83 %* 

Unter den im Jahre 1871 Zugegangenen 

144 Verhafteten.. . . 35 „ 31, 26 %. 

84 

b. Arbeitshausgefangene 

befanden sich unter den 207 am 1 . Januar 

1871 Verhafteten.46 oder 22, 22 %. 

Unter den im Jahre 1871 Zugegangenen 

298 Verhafteten. 63 „ 21 , u °/ 0 . 


109 






22 


2. Strafschärfungen. 

a. Strafschärfungen der Züchthaussträflinge. 

Yom Jahr 1870 wurden 4 Sträflinge mit 15 Tagen Hunger¬ 
kost aufs Jahr 1871 übertragen. Hiervon erstanden 15 Tage. 
Im Jahr 1871 wurden 15 Sträflinge mit 157 Tagen Hunger¬ 
kost eingeliefert. Hiervon vollzogen 122 Tage. Es hatten 
somit 19 Sträflinge 137 Tage Hungerkost erstanden, bleibt 
Rest auf den 1. Januar 1872 35 Tage, die jedoch durch 
Einführung des deutschen Strafgesetzbuches nicht mehr voll¬ 
zogen werden. 

Von den Bezirken der Kreis- und Hofgerichte wurden 
im Jahre 1871 mit Schärfungen verurtheilt eingeliefert: 

a. Constanz 9. 

Yon diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 7 

von 20—30 Tagen 2 

b. Freiburg —. 

c. Offenburg 3. 

Von diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 3 

d. Carlsruhe 1. 

Dieser wurde zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tage . . 1 

e. M annheim 2. 

Von diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 2 

T 15 

b. Strafschärfungen der Arbeitshaussträflinge im Zellengefängniss 
und in der Hilfsstrafanstalt. 

Vom Jahr 1870 wurden 16 Sträflinge mit 99 Tagen 
Hungerkost aufs Jahr 1871 übertragen. Hiervon vollzogen 
84 Tage, Rest 15 Tage. 

Im Jahr 1871 wurden 202 Sträflinge mit 1217 Tagen 
Hungerkost verurtheilt eingeliefert. Hiervon erstanden 1136 
Tage, Rest 81 Tage. 



23 


Es hatten somit im Ganzen 1871: 218 Sträflinge 1316 
Hungerkosttage zu erstehen. Hiervon erstanden 1220 Tage, 
Rest 96 Tage. 

Yon diesen 96 Hungerkosttagen gehen weiter ab: 


1) bei Sträfling K. wegen Krankheit nicht vollzogen 10 Tage, 


2) 

99 

99 

Sch. 

V 

» 

99 

99 

3 

99 

3) 

99 

91 

G. 

9) 

99 

91 

99 

7 

99 

4) 

99 

99 

B. 

91 

99 

99 

99 

4 

99 

5) 

99 

99 

D. 

99 

99 

99 

99 

3 

99 

6) 

99 

99 

V. 

* 

99 

99 

9) 

6 

99 

7) 

99 

91 

B. der inzwischen starb nicht 

99 

5 

99 


38 Tage. 

Verbleiben auf den 1. Januar 1872: 58 Tage Hunger¬ 
kost, die ebenfalls durch Einführung des deutschen Straf¬ 
gesetzbuchs nicht mehr vollzogen werden. 

In den Bezirken der Kreis- und Hofgerichte wurden im 
Jahr 1871 piit Schärfungen verurtheilt eingeliefert: 

a. Constanz 36. 

Yon diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 31 
von 20—30 Tagen 5 

b. Freiburg 31. 

Yon diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 31 

c. Offenburg 39. 

Yon diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 39 

d. Carlsruhe 41. 

Von diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 41 

e. Mannheim 55. 

Yon diesen wurden zu Schärfungen verurtheilt: 

unter 20 Tagen . 55 


202 



24 


3. Di8ciplinar88trafen. 

a. der Zuchthausgefangenen. 

Im Jahr 1871 wurden 56 Sträflinge wegen Vergehen 
gegen die Hausordnung mit 72 Strafen belegt. 

Bezeichnung der Disciplinarvergehen: 


1 . Widersetzlichkeit.1 

2 . Ungehöriges Betragen gegen Vorgesetzte und 

Schildwachen. 6 

3. Vergehen gegen die Ordnung in der Kirche . 4 

4. „ „ „ „ „ Schule . 3 

5. Sachbeschädigung.4 

6 . Ruhestörung: 

a) durch Singen.1 

b) durch Pfeifen ..... 1 

7. Vergehen gegen die Reinlichkeit ... 3 

8 . Verbotenes Benehmen mit Mitgefangenen: 

a) Heimliche Correspondenz ... 27 

b) Sprechen miteinander . . . .12 

c) Schenken. 2 

9. Andere Ordnungswidrigkeiten: 

a) Verbotener Besitz von Gegenständen . 2 

b) Hinaussehen zum Fenster ... 4 

10 ) Trägheit bei der Arbeit .... ._ 2 

*• 72 


Diese Hauspolizeivergehen wurden wie folgt bestraft: 
1 . Dunkelarrest mit Hungerkost 1 Tag — 17 

2,-5 
3 * ~ * 

23 

1 . „ ohne „ 1 „ — 12 

2 . ~ 3 

15 

3. Hungerkost . . . . 1 » — 23 

2 * - 3 

3 » ~ 1 2 7 

Uebertrag 65 




25 


Uebertrag 65 


4. Entziehung des Brodes auf . 8 Tage 1 

5. „ des Briefpapiers auf 6 Monate 1 

6 . Anlegung von .Ketten auf 4 Wochen 1 

7. Zwangsstuhl „ 3 Stunden 

L u. F 2 
»4 »Bl 
» 6 „ L 1 4 


;• 72 

Der Dunkelarrest wurde geschärft durch Entziehung des 
Bettes bei 25 Sträflingen. 

Die 56 Sträflinge, gegen welche Disciplinarstrafen er¬ 
kannt wurden, sind wegen folgenden Verbrechen zu Zucht¬ 
hausstrafe verurtheilt worden: 

a. wegen Diebstahls 32. Von diesen wurden 1 mal bestraft 26 





77 

77 

71 

2 

71 

77 

4 

== 8 




77 

77 

71 

4 

71 

71 

2 

= 8 

b. 

wegen Brandstiftg. 3. 

71 

7) 

77 

1 

77 

11 

2 

= 2 




77 

71 

77 

2 

71 

71 

1 

= 2 

c. 

n 

Unzucht 4. 

7) 

71 

77 

1 

71 

17 

2 

= 2 




77 

71 

77 

2 

71 

77 

2 

4 

d. 

* 

Nothzucht 3. 

» 

7) 

71 

1 

11 

77 

3 

= 3 

e. 

71 

Mords 2. 

77 

71 

71 

1 

1 ) 

71 

2 

= 2 

f. 

77 

Raubmords 2 . 

1 ) 

71 

71 

1 

77 

71 

2 

= 2 

g- 

n 

Tödtung 6 . 

11 

71 

71 

1 

11 

71 

5 

= 5 




77 

71 

71 

2 

71 

17 

1 

= 2 

h. 

n 

Raubs 2. 

1 ) 

7) 

71 

1 

71 

71 

1 

= 1 




71 

71 

71 

3 

ü 

71 

1 

= 3 

i. 

71 

Widersetzlk. 1. 

7) 

77 

11 

l 

77 

71 

1 

= 1 

k. 

n 

Meineid 1. 

71 

71 

77 

1 

77 

71 

1 

= 1 



56 

Sträflinge erhielten Strafen 



72 


b. Der Arbeitshausgefangenen. 

Im Jahr 1871 wurden 67 Sträflinge wegen Vergehen 
gegen die Hausordnung mit 92 Strafen belegt. 



26 


Bezeichnung der Disciplinarvergehen. 

1 . Ungehorsam.1 

2. Ungebührliches Betragen gegen Vorgesetzte 

und Schildwachen.1 

3. Vergehen gegen die Ordnung in der Kirche . 3 

4. „ * „ „ „ » Schule 1 

5. Sachbeschädigung.2 

6 . Ruhestörung: 

a) Singen.2 

b) Lärmen ...... 5 

c) Pfeifen.2 

7. Vergehen gegen die Reinlichkeit ... 6 

8 . Verbotenes Benehmen gegen Mitgefangene: 

a) Heimliche Correspondenz ... 39 

b) Sprechen miteinander . . . .16 

c) Mittheilen von Schnupftabak . . 3 

d) B „ Brod .... 2 

9. Andere Ordnungswidrigkeiten: 

a) Hinaussehen zum Fenster ... 3 

b) Werfen mit Schneeballen im Spazierhof 2 

10 . Vergehen bezüglich der Beschäftigung: 

a) Trägheit bei der Arbeit . . . 2 

b) Unachtsame Behandlung des Werkge- 

räthes und Materials . . . . 2 

• * 92~ 

Diese Hauspolizeivergehen wurden wie folgt bestraft: 

1. Dunkelarrest mit Hungerkost 1 Tag — 14 

2 , - 6 

8,-1 
4 , - 2 

23 

2 . Dunkelarrest ohne Hungerkost 1 „ — 11 

6 Stunden 1 

12 , 2 

_ 1 £ 

Uebertrag 37 



27 


Uebertrag 37 

3. Hungerkost . . . .1 Tag — 38 • 

2 . - 7 

4. Entziehung d. Schnupftabaks auf 3 Wochen 1 

unbestimmt 1 

5. „ des Brodes auf 3 Tage — 1 

, 8,-1 

6 . Ausschluss aus der Schule unbestimmt 1 

7. Zwangsstuhl auf 3 Stunden F u. Z — 2 

»4 „ H - 1 

„ - „ • H u. St. — 2 55 

92 

Der Dunkelarrest wnrde geschärft durch Entziehung des 
Bettes bei 23 Sträflingen. 

Die 67 Sträflinge, gegen welche Disciplinarstrafen er¬ 
kannt wurden, sind wegen folgenden Verbrechen zu Arbeits¬ 
hausstrafen verurtheilt worden: 


a. wegen Diebstahls 39. Von diesen wurden 1 mal bestraft 32 




77 

Ti 

V 

2 

71 

77 

5 = 

10 



77 

TI 

Ti 

3 

77 

77 

5 = 

15 

b. weg. Begünstigung 

1 . 

77 

TI 

TI 

1 

77 

79 

1 = 

1 

c. wegen Unterschlag. 

5 . 

TS 

Ti 

TI 

1 

77 

77 

3= 

3 



77 

Ti 

Ti 

2 

77 

77 

1= 

2 

d. „ Betrugs 

3. 

77 

Ti 

Ti 

1 

77 

77 

2— 

2 



y> 

Ti 

Ti 

3 

77 

77 

1 = 

3 

e. „ Raubs 

1. 

T) 

TI 

71 

1 

77 

77 

1 = 

1 

t. „ Widersetzlk. 

1. 

Ti 

Ti 

77 

1 

77 

77 

1 = 

1 

g. w. Körperverletzg. 

3. 

T) 

Ti 

TI 

1 

77 

77 

3= 

3 

h. Fälschg. y.Grenzst. 

1 . 

TS 

Ti 

Ti 

1 

77 

77 

1 = 

1 

i. „ v.Privaturk. 

1 . 

Ti 

TI 

77 

1 

77 

77 

1 = 

1 

k. Unzucht m.Willen¬ 










losen .... 

2 . 

Ti 

Ti 

77 

1 

77 

77 

2 = 

2 

1. Versuch d. Unzucht 

1. 

Ti 

Ti 

77 

3 

77 

77 

1= 

3 

m. Beihilfe z. Nothz. 

1. 

Ti 

TI 

77 

1 

77 

77 

1= 

1 

n. Widernatürl. Unz. 

5. 

Ti 

Ti 

77 

1 

77 

77 

4= 

4 



11 

11 

77 

4 

77 

77 

1= 

4 

o. Wilderei 

2. 

Ti 

n 

77 

1 

77 

77 

2= 

2 

p. Tödtung 

1. 

n 

TI 

77 

1 

77 

77 

1= 

1 


67 Sträflinge erhielten Strafen 92 



In der Hilfsstrafanstalt wurden Disciplinarstrafen er¬ 
kannt : 

10 gegen Zuchthausgefangene und 4 gegen Arbeitshaus¬ 
gefangene und zwar in 6 Fällen Dunkelarrest, in 7 Fällen 
Hungerkost und in 1 Falle Isolirung. 


Anhang. 

Einig*© statistisch© Daten der Hilfsstraf- 

-A^nstalt. 

G esammtzalil. 

I. Uebersicht der Gefangenenzahl. 

A. Im Allgemeinen. 

I. Der Personalstand der Gefangenen war am 1. Januar 
1871 41 Z., 36 A., Summa 77. II. Zugegangen sind 29 Z., 
86 A., S. 115. Zusammen 70 Z., 122 A., S. 192. 

III. Abgegangen sind: durch Entlassung 1. nach 
vollständig erstandener Strafe: a) wurden nach Hause entlas¬ 
sen 15 Z, 58 A.; 2. Mit Erlassung eines Theils der Strafe 
im Gnadenwege: a) kamen nach Hause 4 Z., 2 A., b) kamen 
nach Amerika 2 Z., 1 A. Ins Zellengefängniss zurückversetzt 
13 Z., 10 A. In Urlaub: 1 A. Durch Tod: 2 Z., 1 A. 
Zusammen 36 Z., 73 A., S. 109. Stand am 1. Januar 1872: 
34 Z., 49 A., S. 83. 



- — 

F. Nach der Dauer der verhängten Strafe. 
(In Gemeinschaft berechnet.) 












30 


O. Nach dem Grad ihrer Bildung. 

a) Zuchthausgefangene. 

Von den 29 im Laufe des Jahres Eingelieferten waren 
des Lesens, resp. des Schreibens unkundig und zwar: 1) es 
konnten lesen aber nicht schreiben —; 2) es konnten weder 
lesen noch schreiben 1, S. 1. Dieser war ein Nichtbadener 
im Alter zwischen 20 und 30 Jahre. 

b) Arbeitshalisgefangene. 

Von den 86 im Laufe des Jahres Eingelieferten waren 
des Lesens, resp. Schreibens unkundig und zwar: 1) es 
konnten lesen aber nicht schreiben —; 2) es konnten weder 
lesen noch schreiben 3, S. 3. Davon waren Badener 2, Nicht¬ 
badener 1, S. 3. Nach dem Alter: von 30—40 Jahren 1, von 
40—50 Jahren 1, von 60—70 Jahren 1, S. 3. 

3. Disciplinarstrafen. 

In der Hilfsstrafanstalt wurden Disciplinarstrafen er¬ 
kannt: gegen 7 Zuchthausgefangene 11, gegen 4 Arbeitshaus¬ 
gefangene 4, S. 15. Und zwar in 5 Fällen Isolirhaft, in 7 
Fällen Hungerkost u. in 3 Fällen Isolirhaft mit Hungerkost. 

Bruchsal, im Juni 1872. 

Ekert, 

Direktor des Männer-Zuchthau&es. 


Beilage 1. zur Statistik 

enthält Uebersicht der Zahl jener Gefangenen, die wegen 
mehrerer Verbrechen verurtheilt sind. 



31 


Beilage II zur Statistik 

Nachweisung über die Zahl der Diebe und deren 
Verbältniss zur Gesämmtzahl. 






|Zuchthaasgefangene 

Arbeitshausgefang. | 





b 
© 
ß N 

~ § 

S ® 
2*0 
8.2 

% 

ß 

© 

B ß 

s ® 
£.2 

% 





0 

Q w 


© 

QQ 


Personalstand 1. Jan. 1871 

247 

83 

33 , 60 

207 

ioi 

48,-o 

» 


1. Jan. 1872 

236 

101 

42 ,,9 

145 

84 

77 Sr 

^793 



Differenz 

11 

18 

— 

62 

17 


Abgang 

im 

Jahre 

1871 

155 

70 

45)go 

360 

220 

61,h 

Zugang 

ji 

Ji 

1871 

144 

88 

>11 

298 

203 

68, 12 

Der Zugang war 

1870 

112 

61 

^4)48 

290 

187 

®4)48 

T ) 

Ji 

Ji 

1869 

112 

56 

^®I00 

298 

190 


V 

Ji 

Ji 

1868 

120 

70 

66,33 

288 

197 

68,40 

Ji 

Ji 

Ji 

1867 

121 

83 

61 „4 

265 

188 

^0,94 

TI 

71 


1866 

128 

67 

55? st 

243 

153 

62,96 

T) 

ji 

Ji 

1865 

113 

73 

57,03 

198 

146 

73 ,,3 

V 

ji 

n 

1864 

94 

75 

66, 37 

187 

120 

64, 17 

T> 

Ji 

Ji 

1863 

93 

63 

67, 12 

88 

45 

51 ,ij 

T> 

Ji 

TI 

1862 

130 

59 

63, 44 , 

- — 

— 


Ji 

Ji 

TI 

1861 

116 

84 

64, M 

_ 

_ 

- 

i * 

Ji 

Ji 

1860 

116 

72 

62,06 

— 

— 

_ 

ji 

Ji 

TI 

1859 

107 

76 

71,02 1 

— 

— 

— 


Beilage III. 

Uebersicht der Zahl der wegen Diebstahls Be¬ 
straften mit Unterscheidung der Herkunft. 



Zuchthaus- 

Arbeitshaus- 1 

Es waren wegen Diebstahls in der 
Strafanstalt i 


II 

Gefangene. 


I. am 1. Januar 1871 


% 


0/ 

/o 

a) im Ganzen 

83 

— 

101 

_ 

b) davon Nichtbadener . 

29 

34,94 

16 

15,84 

Bleiben Badener 

54 

65,06 

85 

IO 

00 

II. Eingeliefert 1871 





a) im Ganzen 

88 

_ 

203 

_ 

b) davon Nichtbadener . 

26 

29,54 

46 

22,66 

Bleiben Badener 

62 

70,48 

157 

7^33 



Beilage IV. 

u v:;:;;j:r za !' 14 ««»».Di.b.uH. 

erurthe 111 en mit Unters chei du „g des 
Lebensalters. 


a. Zuchthausgefangene. 






- 33 — 

b. Arbeitshausgefangene. 



Bis zu 20 Jahren.l 

JÜ 

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8 

C- 

0) 

rO 

<D 

p 

ei 

a | 
a 

Si 

1. gemeiner Diebstahl. 

12 

18 

14 

3 

2 


49 

Rückfall in den gern. Diebstahl . 

— 

6 

1 

_ 

_ 


7 

3. gemeiner Diebstahl .... 

21 

43 

34 

17 

11 

6 

132 

1. Rückfall in 3. gemein. Diebstahl 

7 

22 

12 

13 

8 

1 

63 

o 

4 

11 

7 

2 

6 

- 

30 

Q 

2 

— 

1 

2 

6 

— 

11 

1 ’> 55 55 5t 1) 

— 

— 

2 

3 

1 

_ 

6 

1 Gefährlicher Diebstahl . . . . 

2 

1 

_ 




3 

I Kameradendiebstahl . . . . | 

— 

1 

— 

1 

1 

— 

3 

1 Summa j 

48 10* 71 

iO 

00 

rr 

T 

304 


Beilage V und VI 

wie 1869. Militärgericht!. Yerurtheiltc Z. 8, A. 5. 



Blatter fllr Gefungnisslcnnde Vit 


3 





34 


Beilage VII. 

Uebersicht der Zahl der zur Polizeiaufsicht 
Yerurtheilten. 

a) Zuchthausgefangene. 

Unter den 391 Gefangenen, welche sich im Laufe des 
Jahres 1871 in der Strafanstalt befanden, wurde gegen fol¬ 
gende zugleich Polizeiaufsicht erkannt: 

Auf 1 Jahr bei . . 112 

ji 2 „ „ . . 19 

* 3 „ „ . . 4 

v 5 „ „ . . 2 

;• 137 

Darunter sind 78 inbegriffen, welche im Laufe des Jah¬ 
res eingeliefert worden sind, gegen die erkannt wurde 
auf 1 Jahr bei . . 70 

v 2 „ „ • • 7 

» 5 n n • •_ 1 

78. 

b) Arbeitshausgefangene. 

Von den 505 Gefangenen, welche sich im Laufe des 
Jahres 1871 in der Strafanstalt hefanden, wurde gegen fol¬ 
gende zugleich Polizeiaufsicht erkannt: 

Auf 1 Jahr bei . . 231 

n ^ „ . • 2 

;• ‘233 

Darunter sind 161 im Laufe des Jahres eingeliefert 
inbegriffen, gegen welche erkannt wurde 

auf 1 Jahr bei . . 160 

7) ^ ^ 

;• i6i. 


wie 1869. 


Beilage VIII u. IX zur Statistik 



Jahresbericht 

des 

Verwalters für 1871. 


Erster Tliell. 

Gewerbswesen. 

TJeber die allgemeinen Grundsätze, nach welchen unser 
Gewerbswesen eingerichtet ist, habe ich mich in meinen bis¬ 
herigen Jahresberichten schon mehrmals ausgesprochen. Sie 
sind durch die Erfahrung zweier Decennien zur Reife gebracht 
und werden sich wohl auch für die Zukunft behaupten, in- 
soferne nicht aussergewöhnliche Verhältnisse eine fundamen¬ 
tale "Wendung vorschreiben und die grosse Principienfrage: 
ob Betrieb auf eigene Rechnung oder Verpachtung an Unter¬ 
nehmer zu Gunsten der Entreprise, also zum Nachtheile un¬ 
serer bisherigen Betriebsweise zum Austrag gebracht wird. 

Wahr ist es, jedes der beiden Systeme bat seine Licht- 
und seine Schattenseite. Wenn ich auch den stärkeren Schatten 
in die Entreprise verlege, so bin ich doch weit entfernt, un¬ 
sere Betriebsweise in ihrem gegenwärtigen Zustand für un¬ 
tadelhaft zu erklären. 

Wenn man sich einmal für ein System entschieden hat, 
so muss man es auch mit all seinen Consequenzen zur Gel¬ 
tung bringen. 

Stellt man die Verwaltung der Strafanstalt auf den 
Standpunkt des Fabrikanten und Gewerbsmannes, ohne ihr 

3 * 



zugleich alle mit dem Strafvollzug verträglichen Mittel an die 
Hand zu geben, welche sie befähigen, mit der freien Fabri¬ 
kation gleichen Schritt zu halten, so verkümmert dieser Stand¬ 
punkt in Stagnation. Der Frische und Lebendigkeit entbeh¬ 
rend, erstirbt mit den Keimen der Entwicklung auch das 
Interesse für den Gang der gewerblichen Operationen, die¬ 
selben trieben ihrem Siechthum entgegen und vermögen sich 
von ihrem gedrückten Zustande nicht wieder zu erheben, 
wenn man ihnen auch später unterstützend entgegen zu kom¬ 
men sucht. 

Mit der Gewerbefreiheit, dem fortschreitenden Wohlstand 
und der Genusssucht aller Bevölkerungsklassen einerseits und 
dem Mangel, beziehungsweise der Thcuerung der Arbeits¬ 
kräfte anderseits, hat sich die Physiognomie des Handwerks 
total verändert. An seine Stelle trat fast überall der Fabrik¬ 
betrieb. 

Es ist nicht mehr der Absatz, sondern die Produktion, 
welche sich in Verlegenheit befindet. Um den Begehr des 
Marktes zu befriedigen, müssen alle Kräfte angespannt, alle 
neuen Erfindungen ausgenützt, alle mechanischen Hilfsmittel 
der Produktion dienstbar gemacht werden. Wer diese, igno- 
rirend, auf dem alten Fusse fort lebt, der muss der mit den 
modernen Hilfsmitteln ausgerüsteten Concurrenz das Feld 
räumen, und wenn nicht verkommen, so doch in eine sehr 
bescheidene Rolle zurücktreten. Da nun gegenwärtig fast 
alle Gewerbszweige sich neben der bis aufs Aeusserste ge¬ 
triebenen Arbeitsteilung der Mitwirkung mechanischer Kräfte 
bedienen, die Strafanstalten mit eigenem Geschäftsbetriebe 
aber den allgemeinen Gesetzen der Produktion sich nicht 
entziehen dürfen , ohne sich der Gefahr des Verkümmerns 
Preis zu geben, so fragt es sich: ob und in wie weit unsere 
Einrichtungen dem Fortschritte gefolgt und ob diese so be¬ 
schaffen seien, dass wir es wagen dürfen, in der grossen 
industriellen Arena als Wettkämpfer aufzutreten. 

Mit einer kurzen Antwort lässt sich diese Frage nicht 
abfertigen. Es muss vor Allem der Charakter und Zweck der 
Strafanstalt betont werden, in welcher die industriellen Be¬ 
wegungen in disciplinären und sittlichen Motiven einen Geg- 



37 


ner finden, denen der Ethiker ebcnpowig seine Hochachtung 
versagen wird als der Fabrikant sie mit seinen Grundsätzen 
vereinbarlich findet. Doch bleibt auch nach Berücksichtigung 
der unabweisbaren, aus dem Straf- und Besserungszweck hcr- 
auswachsenden Hindernissen, für einen schwunghaften gewerb¬ 
lichen Betrieb noch Raum genug zur Verwendung von Maass¬ 
regeln, welche uns die Mitbewerbung auf dem Markte er¬ 
leichtern und uns dem Standpunkte des Fabrikanten und 
Gewerbsmannes näher rücken. Werfen wir einen prüfenden 
Blick in unser Gewerbswesen, so begegnen wir der Wahr¬ 
nehmung, dass wir von diesem Standpunkte viel weiter ent¬ 
fernt sind, als die Rücksicht auf den Strafvollzug gebietet. 

Mit kaum nennenswerthen Ausnahmen leben wir noch 
auf dem primordialen Fusse des-einfachen Handwerkes, ob¬ 
wohl wir in den einzelnen Gewerben mit so umfassenden 
Arbeitskräften arbeiten und zwar nicht allein auf Bestel¬ 
lungen, sondern auch in Vorrath, — dass es dem Techniker 
unbegreiflich erscheinen muss, wie wir die Principien des 
Fabrikanten fast ganz verläugnen können. 

Ohne mich hierüber in weitläufige Erörterungen zu ver¬ 
lieren, welche nur eine Wiederholung der in meinen frühe¬ 
ren Jahresberichten und bei speciellen Veranlassungen aus¬ 
gesprochenen Ansichten enthalten würden, will ich nur die 
hervortretendsten Mängel kurz berühren. 

1) Zur Aufbewahrung der Rohmaterialien und der Fab¬ 
rikate fehlt cs an Magazinen. Um uns über diesen Mangel 
hinweg zu bringen, müssen wir uns mit Lokalitäten behelfen, 
welche theils nicht unter gehöriger Controle gehalten werden 
können, theils die Gesundheit der Waaren bedrohen, theils 
deren Sicherheit vor Feuersgefahr nicht genügen. Warnend 
stellt sich in dieser Beziehung die Erfahrung vor das Ge- 
dächtniss, welche wir bei dem durch Schwäble in der Nacht 
vom 5. auf 6. Oktober 1871 .angerichteten Brand der Anstalt 
gewinnen mussten. 

2) Dem Dampfe, der Seele aller grösseren industriellen 
Unternehmungen, ist der Zutritt in unser Haus verschlossen. 
Derselbe würde nicht nur bei verschiedenen wirtschaftlichen 
Bedürfnissen unterstützend eingreifen, sondern hauptsächlich 



38 


den Gewerben und zwar ohne irgend eine Schädigung der 
Strafzwecke die besten Dienste leisten. Fast alle unsere 
Arbeitszweige würden sich an ihn wenden, um eine Förde¬ 
rung der Produktion und folglich auch eine Erhöhung des 
Arbeitsertrags zu erzielen. 

Die Weberei bedarf seiner für den Calander; die Schuste¬ 
rei könnte mit seiner Hilfe auf einen andern Fuss gestellt 
werden; der Schlosserei und Dreherei würde er die Dreh¬ 
bänke in Bewegung setzen; der Stroh-, Weiden- und Rohr¬ 
flechterei das Einweichen ihrer Rohmaterialien besorgen; der 
Küferei beim Beschlagen der Fässer und Trocknen der Fassdau¬ 
ben die Arbeit erleichtern; der Schreinerei aber ganz beson¬ 
deren Nutzen dadurch gewähren, dass er mittelst Circular- 
und Bandsägen, Fräs- und Nutmaschinen die Arbeitskraft der 
Gefangenen schont, deren raschere Ausbildung ermöglicht 
und die Arbeitsrente um 25 Prozent steigert. 

3) Eine weitere Consequenz des Arbeitsbetriebs auf 
eigene Rechnung ist die Anstellung tüchtiger gut bezahlter 
und blos zu gewerblichen Zwecken thätiger Werkmeister. 
Mit jeder neuen Yacatur einer Werkaufseherstelle verschärft 
sich, entsprechend den gegenwärtigen Geschäftsverhältnissen, 
die Schwierigkeit, eine tüchtige, allen Anforderungen des 
Dienstes gewachsene Kraft zu gewinnen. Wenn die in Aus¬ 
sicht genommene neue Gehaltsregulirung uns vielleicht auch 
mehr taugliche Bewerber um derartige Stellen zuführt, als 
bisher, so wirkt doch die Belastung dieser Leute mit polizei¬ 
lichen Dienstleistungen (Zellendienst, Kirchenaufsicht, Nacht¬ 
wachen) einerseits verwirrend auf die Auffassung des gewerb¬ 
lichen Berufes und zersetzend auf die Kraft der Leistungen, 
anderseits aber abschreckend, so dass die besseren Leute 
den Dienst verlassen und wieder zu ihrer früheren bürger¬ 
lichen und beruflichen Stellung zurückkehren. 

Dass eine freiere und mehr exclusive gewerbliche Stel¬ 
lung der Werkmeister ihre zwei Seiten hat, ist mir wohl be¬ 
wusst. Sie ist aber als eine Consequenz des Arbeitsbetriebs 
auf eigene Rechnung keine unberechtigte und wird, wenn 
auch nicht jetzt, so doch später sicher zur Anerkennung ge¬ 
langen. 



39 


Indem ich mich auf die Bloslegung dieser wenigen aber 
sehr schwer wiegenden Mängel beschränke, welche unserer 
Fabrikation ankleben, glaube ich dem kaufmännischen 
Theile unseres Betriebs, dem Absatz der fertigen Waaren 
und dem Einkäufe der Stoffe das Zeugniss ausstellen zu¬ 
dürfen, dass sich derselbe vollkommen innerhalb der Grund¬ 
sätze bewegt, welche im kaufmännischen Leben Regel sind. 
Es lässt sich dieses Gebiet um so leichter cultiviren, als es 
der Herrschaft des Strafvollzugs wenig oder gar nicht unter¬ 
worfen ist. 

Unserem Grundsätze: für den Einkauf immer die erste, 
für den Verkauf, so weit thunlich, die lezte Hand aufzu¬ 
suchen, entspringen manche Vortheile, welche den Reinertrag, 
des Arbeitsbetriebs in die Höhe heben. Es entwickelt sich 
aber auch aus demselben eine sehr bedeutende Geschäftslast, 
wie ich bereits in meinem Jahresberichte von 1868 näher 
nachgewiesen habe. 

"Wir haben nicht nur ein das Grossherzogthum Baden 
von Wertheim bis Constanz und zwar eine Menge von Städten 
und Dörfern umfassendes geschäftliches Netz ausgebreitet, 
sondern unterhalten auch mit dem Auslande lebhafte Ver¬ 
bindung. 

Im Jahre 1871 erstreckt sich diese auf folgende Plätze: 

I. In Bayern: 

Aschaffenburg, Augsburg, Bayreuth, Brannenburg, Berg¬ 
zabern, Dürkheim, Herxheim, Kaiserslautern, Langenkandel, 
Ludwigshafen, Memmingen, Miltenberg, München, Neustadt, 
Nürnberg, Schweinfurt, Schwabhausen, Speier, Zweibrücken. 

II. In Hessen: 

Alsfeld, Friedberg, Hirschhorn, Mainz, Langen, Offen¬ 
bach, Pfiffigheim, Pfungstadt, Wimpfen, Worms. 

III. In.Eisass-Lothringen: 

Dornbach, Forbach, Hagenau, Schiltigheim, Sulz, Strass¬ 
burg, Zabem, St. Louis, 

IV. In Preussen: 

Aachen, Berlin, Bonn, Breslau, Brohl, Cöln, Coblenz, 
Düsseldorf, Frankfurt, Heddersheim, Hannover, Mühlheim, 



40 


Münster, Mettlach, Niemburg, Neuss, Saargemünd, Saarlouis, 
Saarbrücken, St. 'Johann, Trier, Werden. 

V. In Württemberg: 

Biberach, Buchau, Cannstatt, Cornweiler, Dettingen, 
Dürmenz, Enzberg, Entzweihingen, Esslingen, Gräfenhausen, 
Gmünd, Hall, Heilbronn, Kochendorf, Laudenbach, Ludwigs¬ 
burg, Laupheim, Maulbronn, Neuenbürg, Ravensburg, Rott¬ 
weil, Reutlingen, Stuttgart, Tuttlingen, Tübingen, Urach, 
Wildbad. 

VI. In der Schweiz: 

Basel, Bern, Bünzen, Glarus, Grange C&nal, Genf, Neu- 
cbatel, Rheinfelden, Rorschach, Schaffhausen, St. Gallen, Seen, 
Versoix, Winterthur, Zürich. 

VII. In Frankreich: 

Avricourt, Lyon, Macon, Melun, Morez, Orleans; 

sodann in beschränkterem Maasse mit Belgien, Bremen, Co¬ 
burg, Hamburg, Holland, Irland, Schottland, Sachsen, Olden¬ 
burg und Oesterreich. 

Handel und Gewerbthätigkeit haben nach dem Friedens¬ 
schlüsse einen colossalen Aufschwung genommen. Erst jetzt 
zeigte sich, wie das Gefühl der Unsicherheit früher alle grös¬ 
seren Unternehmungen lahm gelegt hatte. Mit der Beseiti¬ 
gung dieses Gefühls wuchsen die Impulse zur Ausnützung 
der Kraft und Fähigkeiten, welche der deutschen Industrie 
eigen sind, früher aber nicht zum Durchbruch gelangen konn¬ 
ten. Auch die Zuchthausgewerbe blieben von dem Wellen¬ 
schlag des neu erwachten industriellen Triebes nicht unbe¬ 
rührt. In allen Gewerbszweigen liefen grosse Bestellungen, 
in einzelnen so massenhaft ein, dass sie nicht alle bewältigt 
werden konnten, und oft Termine von 4 bis 6 Monaten zur 
Ausführung beansprucht werden mussten. 

Selbst Frankreich verläugnete seine- politische Antipathie 
und kam in Widerspruch mit den phrasenreichen Manifesta¬ 
tionen in den Zeitungen, bei uns, einem Zweige des so stark 
gebrandmarkten badischen Staates, mit Aufträgen vor, deren 
Umfang unsere Kräfte gar nicht gewachsen waren. 

Auch in dem neuen Reichslande haben wir einige Ver- 



4t 


bindungen angeknüpft, die mit der Zeit wohl grössere Dimen¬ 
sionen annehmen werden. 

Mit dem Eintritt des neuen Reichsstrafgesetzbuchs, also 
vom 1. Januar 1872 an, wo nur noch Zuchthausstrafen vcr- 
büsst werden, gewinnt unser Gewerbsw esen wieder einen brei¬ 
teren und solideren Boden. Einmal wird dasselbe durch län¬ 
gere Strafzeiten der Insassen zu höherer Leistungsfähigkeit 
gebracht und zum Andern gestattet die in Folge der geringe¬ 
ren und stabileren Bevölkerung eintretende freiere Bewegung 
ein compacteres Zusammenfassen der Arbeitskräfte. 

Bei dem raschen Wechsel und der zeitweisen Ueber- 
fluthung mit neuen Zugängen war dies seither nicht mehr 
durchführbar. 

Wenn, wie dies in der letzten Zeit der Fall war, nicht 
nur die letzte Zelle besetzt, sondern noch ein Tbeil der Ge¬ 
fangenen ausserhalb der Anstalt im Amtsgefängnisse und im 
Kreisgefängnisse untergebracht werden muss, da weichen alle 
Rücksichten auf die Beschäftigungen, subjcctive wie objective, 
dem Nothstande und der Verlegenheit der Verwahrung. Ge¬ 
fangene , welche einem und demselben Geschäfte zugetheilt 
waren, mussten in allen 4 Flügeln zerstreut werden. Von 
einem geordneten Unterrichte, von Ueberwachung des Tage¬ 
werks, von einem Interesse für das Gewerbe konnte bei der 
Zersplitterung und der übermässigen Aufgabe der Werkmeister 
keine Rede sein. Mit Genugthuung dürfen wir constatiren, 
dass trotz dieser höchst ungünstigen Zustände, die eine Ab¬ 
weichung von den Grundsätzen der Beschäftigung wohl ge¬ 
rechtfertigt hätten, zu keiner mechanischen Arbeit gegriffen, 
vielmehr jeder neu oingelieferte Gefangene einem der be¬ 
stehenden Gewerbszweige vom ersten Tage an zugetheilt 
wurde. 

Wenn ich, zur Statistik übergehend, mich genau an Form 
und Inhalt der bisherigen Darstellung anschliessc, so ge¬ 
schieht diess in der Unterstellung, dass dadurch einer der¬ 
einst aufzustellenden, einen grösseren Zeitraum umfassenden 
General-Uebersicht vorgearbeitet wird. 

Vorher muss ich noch bemerken, dass die Hilfsstraf¬ 
anstalt, welche bisher unter diesseitige Verwaltung gestellt 



42 


war, mit dem 1. Januar 1872 mit der Verwaltung des Landes¬ 
gefängnisses hier vereinigt wurde. 

Personalstand. 

Am 1. Januar 1871 waren Gefangene 

in der Haupt- u. Hilfsanstalt . Z. 247, A. 207, S. 454 
Neu eingeliefert wurden im Laufe 

des Jahres. „ 144, „ 298, „ 442 

• ; Z. 891, A. 505, S. 896 

. Abgegangen sind. „ 155, „ 360, „ 515 

bleiben Z. 236, A. 145, S. 381 

Stand der diesseitigen Anstalt. 

Ausserdem sind von der Landesgefängniss-Yerwaltung 
übernommen worden: 

83 Gefangene, welche in der Hilfsanstalt verwahrt waren 
und zwar 

34 Zuchthaus- und 
49 Arbeitshausgefangene. 


Strafdauer der Eiugelieferten. 
(In Einzelhaft.) 


Bis zu 4% 

5 > 8 

„ „ 12 
von 13 — 18 
„ 19-24 
über 2 Jahre 
.. 3 ,, 


Monaten 


» 

>» 


Summa 


Alter der Eing 


unter 16 Jahren . 
von 16—21 Jahren 


„ 22-30 
„ 31—40 
„ 41-50 
über 50 Jahre 


» 

*> 

» 


Zuchthaus. 

Arbeitshaus. 

Summa. 

2 

76 

78 

12 

149 

161 

33 

35 

68 

29 

15 

44 

21 

12 

33 

15 

7 

22 

32 

4 

36 

144 

298 

442 


elieferten. 


1 

4 

5 

18 

63 

81 

57 

79 

136 

35 

62 

97 

19 

44 

63 

14 

46 

60 

144 

298 

442 


Summa 













43 


Combination 

von Stra'fdauer und Alter der Eingelieferten. 
Von den mit einer Strafdauer von 2 Jahren und mehr 
eingelicferten Gefangenen standen im Alter von 


* 

Zuchthaus. 

Arbeitshaus. 

Summa. 

bis zu 21 Jahren. 

9 

2 

n 

von 22—30 .. 

15 

3 

18 

» 31-40 „. 

17 

3 

20 

» 41-50 „. 

10 

1 

11 

über 50 Jahre . i 

5 

5 

10 

Summa i 

56 

14 

70 


Gewerbskenntnisse der Eingelieferten. 

Wie gering die Zahl derjenigen Gefangenen ist, welche 
in der Anstalt nicht noch einen gewerblichen Unterricht durch¬ 
zumachen haben, bevor an ihre Kräfte ein Anspruch auf 
Rentabilität erhoben werden kann, zeigen alle bisherigen 
Jahresberichte. Bei Beurtheilung des Ertrags ist diese That- 
sache eben so wie die meist sehr geringe Qualität der aus- 
zuhildenden Kraft, ferner die oben nachgewiesene Dauer der 
Strafzeit und das Alter der Lehrlinge nicht aus dem Auge 
zu verlieren, sowie auch zu beachten sein dürfte, dass von 
den Zugegangenen, welche sofort einem hier vertretenen Ge¬ 
schäfte als arbeitskundig zugewiesen werden konnten, ein 
grosser Theil das Gewerbe bei früherer Straferstehung in der 
Anstalt erlernt hat. 

Im Jahre 1871 zeigt die Statistik der Zugegangenen 
folgende Gewerbskundige: 


. 

Zuchthaus. 

Arbeitshaus. 

Summa. 

Weber .i 

3 

ll 

14 

Schneider. 

2 

9 

11 

Schuhmacher. 

8 

10 

18 

Schreiner und Dreher . . . 

5 

7 

12 

Küfer. 

— 

7 

7 

Schlosser und Blechner . . 

2 

— 

2 

Korbmacher. 

1 

2 

3 

Buchbinder. 

3 

3 

6 

Summa 

24 

. 49 

73 

Procentsatz 

17 

17 

17 















44 


Yerpflegungs- und Arbeitstage. 

Die Zahl der Yerpflegungstage beziffert sich: 
beim Zellengefängnisse auf 188,346 
bei der Hilfsanstalt . . . 25,745 

zusammen auf 159,091 

Hiernach war der durchschnittliche täglicho Personal¬ 
stand : 

a. beim Zellengefängnisse . 365. 33 

b. in der Hilfsanstalt . . 70, 54 

Summa 435, 87 . 

Von den Verpflegungstagen hatten für die Arbeit keinen 


Werth: 

Von Kranken.10,458 

„ Altersschwachen.2,785 

„ vorübergehend Kranken leichterArt 5,345 

„ Arresttage. 95 

i* Zugang . 467 

„ Christliche Sonn- u. Feiertage (70) 26,875 
„ Israelitische „ „ 250 

Summa 46,275 


Der Arbeit wurden gewidmet 112,816 oder 71 °/q, wo¬ 
gegen 29% arbeitsfrei blieben. 







Beschäftigungs-Eintlieilung der Eingelieferten. 


Bei der Zutheilung der Eingelieferten zu einer Arbeit 
konnte, wie oben erwähnt, nicht immer ganz correkt ver¬ 
fahren werden, da die Raumfrage häufig im Vordergrund 
stand. Es wurden eingetheilt: 


1. zur Weberei. 

2. zum Spulen. 

3. zur Schneiderei. 

4. „ Selbcndflechterei . . . . 

5. „ Schusterei. 

6. „ Schreinerei ...... 

7. „ Küferei. 

8. „ Schlosserei . 

9. „ Stroh- undjWeidenflechterei 

10 „ Buchbinderei u. Carton age 

In Krankenpflege kamen sofort . . 

ln die Hilfsanstalt. 


Summa 


(O 

§ 

Ä 

3 

l 

Arbeitshaus j 

1 

Summa 

. © 

S sP 

ii 

« 

25 

53 

78 

64 

6 

41 

47 

47 

10 

30 

40 

29 

10 

31 

41 

41 

19 

20 

39 

21 

17 

20 

37 

25 

17 

12 

29 

22 

2 

— 

2 

— 

22 

70 

92 

89 

10 

10 

20 

14 

4 

6 

10 

*10 

2 

5 

7 

*7 

144 

298 

442 

369 


Vertheilung der Arbeitstage. 


Die Zahl der Arbeitstage vertheilt sich auf folgende 
Oewerbszweige : 



Tage 

0/ 

/o 

1. Weberei. 

14,893 

13,20 

2. Schneiderei . 

11,097 

9,84 

3. Selbendflechterei. 

9,571 

8,48 

4. Schuhmacherei 

9,810 

8,70 

5. Schreinerei..- . . . 

18,232 

16,16 

6. Küferei. 

8,925 

7,91 

7. Schlosserei . 

1,214 

1,08 

8. Buchbinderei und Cartonage . . . 

4,360 

3,86 

9. Hausarbeiten. 

8,918 

7,91 

10. Haspler und Spuler. 

7,214 

6,39 

11. Stroh- und Weidenflechterei . . . 

13,067 

11,58 

12. Taglohnsarbeiten . 

5,108 

4,53 

13. Bäckerei. 

407 

0,36 

Summa 

112,816 

100,00 





















Ertrag des Gewerbsbetriebs* 

Nach der Grossherz. Justizministerium vorgelegten Be¬ 
rechnung über den Ertrag des Gewerbsbetriebs beläuft sich 
die im Jahre 1871 erzielte 

Brutto-Einnahme auf . . . 166,772 fl. 12 kr. 

die Ausgaben für Rohstoffe, Werkge- 

räthe etc. betragen .... 107,776 fl. — kr. 

nebst 829 fl. .51 kr. allgemeinen, keinem 
speciellen Betriebszweige zur Last fal¬ 
lenden Auslagen. 

Es bleibt also ein Reinertrag von . 58,996 fl. 12 kr. 

nach Maasgabe der Hauptrechnung. 

Diese Ziffer steht übrigens unter dem Einflüsse der 
Schwankungen des Werths der Naturalvorräthe auf 1. Jan. 
1872 gegenüber jenen am 1. Januar 1871. 

Auf letzteren Tag betrug der Werth 
der Naturalien und Materialien . . . . 48,554 fl. 50 kr. 

Werkgeräthschaften etc. 11,055 fl. 57 kr. 

•; 59,610 fl. 47 kr. 

Am 1. Januar 1872 da¬ 
gegen nur .... 42,032 fl. 55 kr. 

+ 10,616 fl. 38 kr. 52,649 fl. 33 kr. 

Verminderung 6,961 fl. 14 kr. 

Diese Verminderung ist jedoch nur eine scheinbare, für 
den vorwürfigen Zweck nicht in Betracht zu nehmende. Sie 
verkehrt sich ins Gegentheil, wenn man berücksichtigt, dass 
der Brand am 6. Oktober 1871 für 7694 fl. 43 kr. Waaren- 
vorräthe zerstörte, wovon 7108 fl. 4 kr. der Schneiderei, 
567 fl. 45 kr. der Schuhmacherei und .18 fl. 54 kr. der Sel- 
bendflechterei angehörten. 

Es ist selbstverständlich, dass diese Werthe nicht aus 
der Berechnung verschwinden dürfen, wenn dieselbe ein rich¬ 
tiges Bild von der Arbeitsrente liefern soll. 

Bei einer Betriebsweise., wie der unsrigen, wo verschie¬ 
dene Factoren auf die Höhe der Arbeitsrente einwirken und 
es unmöglich ist, zu bestimmen, in welchem Verhältnisse die 




4$ 


Thätigkeit der Gefangenen, und in welchem Maasse die 
Thätigkeit der Verwaltung, d. h. die von dem Thun und 
Lassen der Gefangenen ganz unabhängige Speculation bei 
den Ertragsziffern betheiligt ist, müssen zwar alle Verluste, 
mögen solche von dem einen oder dem andern Faktor ver¬ 
schuldet sein, dem Arbeitserträge aufgerechnet werden. 

Allein solche Verluste, welche einem unabwendbaren 
Unglücksfalle zur Last fallen, sollten weder formell noch 
materiell dem Gewerbsbetriebe zum Nachtheile gereichen, 
formell nicht, weil die Statistik — materiell nicht, weil die 
Casse das Unglück büssen müsste. Wären die verbrannten 
Waaren in einer Feuerversicherungs - Anstalt g^gen Brand¬ 
schaden assecurirt gewesen, wie dies bei Privaten üblich ist, 
so hätte sich der Verlust formell und materiell ausgeglichen. 
Da die Versicherung nicht beliebt und dadurch bisher die 
Zahlung der Versicherungsprämien erspart wurde, so hätte 
nach meinem Dafürhalten für den Werth der verbrannten 
Waaren ebenso wie für den Werth der zu Grunde gegange¬ 
nen Gebäudetheile und Inventarstücke Entschädigung aus der 
Staatskasse, und zwar schon desshalb geleistet werden sollen, 
weil die Verwaltungskasse mit ihrer Dotation theilweise auf 
die Betriebsfonds angewiesen ist. 

Diese zeigen nun auf 1. Januar d. J. eine so bedeutende 
Erschöpfung (im Ganzen beträgt die Verminderung im Ver¬ 
gleich zum 1. Januar 1871 die Summe von 15,226 fl. 26 kr.), 
dass es bei der weisesten Sparsamkeit nicht gelingen wird, 
mit dem uns durch das Budget zugemessenen Zuschuss aus¬ 
zukommen. 

Nach Berücksichtigung des Werths der verbrannten 
Waaren ergibt sich ein Reinertrag des Gewerbebetriebs von 
59,729 fl. 41 kr. 

Die Zahl der Arbeitstage beträgt . . . 112,816 

hierunter sind 22,538 Tage von Lehrlingen, welche 
nur als halbe Arbeiter zählen, es gehen daher 

hier ab. 11,269 

bleiben 10,154 

Mit dieser Ziffer in den Reinertrag getheilt, stellt sich 
der Arbeiter per Tag auf 35, 29 kr. und abzüglich der Aus- 




48 


lagen für den Gewerbebetrieb im Allgemeinen auf 34, 80 kr. 
oder per Jahr von 295 Arbeitstagen 171 fl. 6 kr. 

Rechnet man die Lehrlinge eben so wie die geübten 
Arbeiter und theilt man mit der Gesammtzahl aller Arbeits¬ 
tage in die Summe des Reinertrags von 59,729 fl. 41 kr. — 
829 fl. 51 kr. — 58,899 fl. 50 kr., so trifft es den Tag und 
Kopf mit 31,33 kr., wogegen bei dem Ausschlage des Ertrags 
auf die VerpHegungstage auf den Tag 22, 21 kr. und auf das 
Jahr von 365 Tagen — 135 fl. 7 kr. entfallen. 

Da nach anliegendem Rechnungsauszüge die Gesammt- 
ausgabe nach Abzug jener für Arbeitsstoffe etc., welche bei 
der Berechnung des Reinertrags bereits berücksichtigt sind, 
290 fl. 44 kr. (539 fl. 54 kr. — 249 fl. 10 kr.) betragen, so 
bleiben hiernach unter Berücksichtigung der Einnahmen §. 1, 
2 und 4 mit 8 fl. 31 kr. noch 137 fl. 6 kr. durch Staatszu¬ 
schuss zu decken. 

Dass wir mit effektive 125 fl. 38 kr. ausgereicht haben, 
rührt eben von der starken Einzehrung des Betriebsfonds 
her. — 

Jeder vermögliche Gefangene hat jährlich an'die Straf¬ 
anstalt einen Unterhaltungskostenbeitrag von IGO fl. zu be¬ 
zahlen, welche der leichteren Erhebung wegen den Amts- 
cassen zum Einzuge überwiesen werden. 

Im Jahre 1871 wurden an solchen Kosten den Amts- 
cassen überwiesen: 

a) ins Rechnungs-Soll von 84 Personen 

im Ganzen . . . . . 5198 fl. 55 kr. 

b) ins Verzeichniss der ungewissen Aus¬ 
stände von 81 Personen . . . 4823 fl. 45 kr. 

Summa 10,022 fl. 40 kr. 

Flüssig werden hievon werden etwa . 7000 fl. — kr. 



~ 4Ö - 


Rentabilität der einzelnen Gewerbe. 

Nach der Ertragsberechnung vertheilt sich die Netto- 
Einnahme auf folgende Arbeitszweige: 


1. Taglohnsarbeiter . . 

2. Weberei. 

8. Schneiderei .... 

4. Schusterei. 

5. Schreinerei .... 

6. Küferei. 

7. Schlosserei .... 

8. Buchbinderei .... 

9. Selbendflecliterei . . 

10. Stroh- u. Weidenflechterei 

11. Bäckerei. 

Im Ganzen 

Im Vergleiche zu dem Jahre 1870 stellt sich der durch¬ 
schnittliche Tagesverdienst um 0 )4t kr. höher. 

Gegenüber andern Strafanstalten ist vielleicht die Ziffer, 
welche die Arbeitstage der Lehrlinge repräsentirt, auffallend 
stark vertreten. Die Erscheinung erklärt sich durch die Art 
unserer Arbeiten einerseits und durch die kurzen Strafzeiten 
anderseits. Beim Federnschieissen, Dütenfertigen, Caffee- und 
Süssholzreinigen sind gar keine Lehrzeiten nothwendig, wo¬ 
gegen bei den eigentlichen Gewerben Monate dazu gehören, 
um eine nur halbwegs befriedigende Arbeitsleistung zu er¬ 
zielen. 

Nachdem nun durch die Einführung des neuen Strafge¬ 
setzes nur noch längere Strafzeiten in unserer Anstalt ver- 
büsst werden, ist zu erwarten, dass wir nicht allein bezüglich 
der Zahl der Lehrlinge, sondern auch bezüglich des Ertrages 
der Arbeit günstigeren Resultaten entgegen sehen dürfen. 


Arbeits¬ 

tage 

Einnahp 

fl. 

den 

kl* 

per Tag 
u. Kopf 

14,026 

4,273 

29 

18,21 

18,552 

16,325 

5 

52,26 

10,598 

7,591 

49 

42,98 

8,662 

4,215 

7 

29,20 

17,364 

7,841 

27 

27,09 

7,868 

3,730 

4 

29,19 

1,161 

729 

51 

37,72 

3,680 

2,383 

41 

38,36 

7,840 

2,856 

— 

21,85 

11,389 

6,939 

4 

36,56 

407 

2,*44 

4 

389,00 

101,547 

59,729 

41 

35,29 


Blätter für Gefungnisskunde. VII. 


4 









50 


Zweiter Theil. 

Verwaltungs-, Casse- und Rechnungswesen. 

A. Haupt-Casse. 

Die auf 1. Januar 1872 abgeschlossene Hauptrechnung 
zeigt ein Soll Haben 

hei den Einnahmen von 268,831 fl. 32 kr. 250,418 fl. 45 kr. 

„ ,, Ausgaben „ 253,465 fl. 43 kr. 249,786 fl. 47 kr. 

also einen Cassenumsatz von 500,205 fl. 32 kr. 

Bei diesem Umlaufe sind die monatlichen Cassendiffe- 
renzen im Gesammtbetrage von Plus 2 fl. 31 kr., Minus 9 fl. 
11 kr. ohne Belang. 

Budgetmäs8ig hatten wir einen Zuschuss von 54,760 fl. 
zu empfangen, welche auch bis auf den lezten Kreuzer er¬ 
hoben wurden. Dass wir damit ausreichten, hatten wir einer¬ 
seits dem Umstande zu verdanken, dass wir aus dem vorher¬ 
gehenden Jahre reichliche Mittel in den Betriebsfonds mit 
herübernahmen, anderseits aber neue Anschaffungen an Werk¬ 
stoffen auf den momentanen Bedarf beschränkten. 

Im Jahre 1872 werden sich die Folgen dieser Zustande 
erst fühlbar machen, um so mehr als auch das Budget für 
1872—73 auf Voraussetzungen gebaut ist, die eben so wenig 
zutreffen werden als im Jahre 1871. 

Für letztes Jahr waren die Einnahmen bevor- 

anschlagt zu. 181,540 fl. 

Sie haben aber nur betragen . . . . 170,484 fl. 

also weniger 11,056 fl. 
Die Ausgaben dagegen waren beim eigentlichen 

Staatsaufwand berechnet zu . 107,410 fl. 

In Wirklichkeit beliefen ßie sich auf . . 116,334 fl. 

also mehr 8,924 fl. 

Es ergab sich also im Ganzen ein Ausfall von 19,980 fl. 

Hätten wir nicht eben durch Einschränkung der An¬ 
schaffungen für den Gewerbebetrieb, wofür die Rechnung nur 
118,973 fl. nachweist, an dem Lastentitel 

des Budgets mit . . . 128,890 fl. 

theilweise, d. h. mit . . 9,917 fl 




die Deckungsmittel für obigen Ausfall aufgebracht, so wäre 
ein ausserordentlicher Zuschuss nicht zu umgehen gewesen. 

"Wie empfindlich aber die Ersparnisse an dem Lasten¬ 
titel das Jahr 1872 treffen werden, zeigt u. A. die Thatsache, 
dass in der Schreinerei und Küferei die im Januar ange¬ 
schafften frischen Hölzer erst künstlich und mit schweren 
Kosten getrocknet werden mussten, um sie verarbeiten zu 
können; dass ferner für andere Materialien ein höherer Preis 
angelegt und die Kasse schon in den erstenMonaten des Jahrs 
ganz aussergewöhnlich in Anspruch genommen wurde. 

Unter den Ausgaben erscheinen die Yerpflegungs- und 
Heilkosten mit einer dieses Jahr ganz besonders hohen Ziffer. 
Es wurden dafür 41,868 fl. 54 kr. aufgewendet. 

"Was zunächst die Kostbereitung betrifft, so ist darin 
gegen bisher keinerlei Veränderung eingetreten. 

Nach der Berechnung über den hiefür gehabten Auf¬ 
wand kommt die Normalkost für einen Gefangenen auf täg¬ 
lich 7, n kr., also 0, 95 kr. mehr als im vorausgegangenen 
Jahre. Unter Zuschlag des Aufwandes für die Suppen- und 
Gemüsezulagen, welche an Schwerbeschäftigte verabreicht 
werden, sowie der Extrafleischportionen an den höchsten 
Festtagen, wozu dieses Jahr auch das Friedensfest gezählt 
wurde, erhöht sich der tägliche Aufwand für die Gesunden¬ 
kost um 0, 80 kr. und beträgt demnach 8, 64 kr. (1 )0C mehr 
als 1870). 

Verabreicht wurden: 

im Zellengefängnisse 126,381 Port, 
in der Hilfsanstalt . 20,718 „ 


Summa 147,094 Port. 


Ferner 

Z.-G. 


H.-A. 

Hungerkost . 

1442 


62 

Krankenkost, und zwar: 




ganze . 

— 


— 

halbe 

4978 J 

1 

4212 1 

viertel . 

35 

i rf*. 
f CO 

272 [ 

Diät 

486 | 

r 

477 j 

Summa 

6941 


5023. 


4 * 



52 


Der Aufwand für die Krankenverpflegung berechnet 

sich: 

a) im Zellengefängnisse auf 1547 fl. 50 kr. 
sodann an Extraspeisen 578 fl. 41 kr. 

b) in der Hilfsanstalt auf . 1856 fl. 38 kr. 

an Extraspeisen ... 414 fl. 24 kr. 

Summa 3897 fl. 33 kr. 

Die Zahl der Krankenverpflegungstage mit 10,460 als 
Divisor verwendet, ergibt einen täglichen Aufwand für jeden 
Kranken von 22, 36 kr. und einen täglichen Krankenstand 
von 28, 60 und zwar: 

in der Hauptanstalt von — 15, 20 
„ „ Hilfsanstalt „ — 13, 30 

Für die Gefangenen der Hilfsanstalt wurde die Kost 
von der Weiberstrafanstalt bereitet. 

Zur Kostbereitung für die Gefangenen des Zellengefang- 
nisses sind folgende Victualien zu den beigesetzten Preisen 
verbraucht worden. 

60,784 Pfd. Suppenbrod k 4, w kr. 

7,002 , 16 Ltb, Halbweissbröd ä 7 kr. 

386 Stück Wecke ä 1 kr. 

17,022 Pfd. Ochsenfleisch ii 18 kr. 

928 „ Kalbfleisch k 14 kr. 

530 „ Schweinefleisch k 16 kr. 

5,647 „ Schwarzmehl k 6 fl. 39 kr. per Ctr. 

1,615 „ Weissmehl ä 11 fl. 48 kr. „ „ 

4,239 „ 24 Lth. Gries k 11 fl. 50 kr. „ „ 

4,097 Maass Milch ä 8 kr. 

1,749 „ 3 Schop. Rahm ä 35 kr. 

396 Stück Eier ä 1, 73 kr. 

4,819 Pfd. Butterschmalz k 34, 68 kr. 

100 „ Schweineschmalz ä 25, 5J kr. 

1,259 v Reis k 6, 38 kr. 

2,034 „ gerollte Gerste ä 5, 79 kr. 

98 Sester Erbsen k 1 fl. 33 kr. 

95 „ Linsen k 1 fl. 32 kr. 

97 * Bohnen k 1 fl. 39 kr. 



53 


398 Malter Kartoffeln ä 5 fl. 17 kr. 

29 Körbe weisse Rüben & 15 kr. 

5,307 Pfd. gelbe Rüben & 48, 38 per Centner. 

3,275 Köpfe Woisskraut & 2, 10 kr. 

87 Kübel Sauerkraut k 1 fl. 12 kr. 

218 Pfd. Birnschnitze k 9 kr. 

218 „ Zwetschgen, dürre, k 10, 93 kr. 

An Portionen Brod wurden verabreicht: 
im Zellengefangnisse 189,5207t Pfd. 
in der Hilfsanstalt . 31,059 „ 

Reisebrod .... 2327a » 

Brodzulagen . . • 1037t » 

Summa 220,9157t Pfd. 

Hiefür wurden berechnet 14,742 fl. 56 kr. 

Das Pfund stellt sich also genau auf 4 kr. und die 
Tagesgabe (D/a Pfd.) auf 6 kr. 

Für Kost und Brod beläuft sich hiernach der Aufwand: 
bei einem gesunden Gefangenen auf 


täglich 8, 54 4* 6.= 14, 5 * kr. 

bei einem Kranken auf.= 22 , 3 * kr. 


Tn den Heizungseinrichtungen sind keine wesent¬ 
liche Veränderungen vorgekommen, wenn man nicht die Besei¬ 
tigung der eisernen Oefen in dem Krankenhause und deren 
Ersatz durch Porzellanöfen, welche eine angenehmere, gleioh- 
mässigere Wärme ausgeben, aber auch einen weit höheren 
Aufwand an Brennmaterial verursachen, als solche betrach¬ 
ten will. 

Verbraucht haben wir zur Heizung im Ganzen: 

68 7 / e Klafter Holz, 

6,493 Ctr. Steinkohlen und 
112,700 Stück Torfsteine. 

Steinkohlen hatten abermals einen Aufschlag erlitten. 
Sie kosteten im Jahre 1871 





54 




frei Waggon Mannheim 30% kr. 
im Jahre 1870 . . . 26Vs kr. 

„ „ 1869 . . . 20V* kr., 

haben also in zwei Jahren um mehr als 50% aufgeschla¬ 
gen. Denselben Aufschlag erlitt auch das Brennholz bei den 
im letzten Winter abgehaltenen Versteigerungen. 


Zur Beleuchtung der Anstalt haben wir an Gas 
verbraucht, und zwar: 

im Zellengefängnisse 1,625,000 C‘. 
in der Hilfsanstalt » 273,000 C'. 

Summa 1,898,000 C‘. 

welche in 4 fl. 18 kr. per 1000 C'. einen Kostenaufwand von 
8161 fl. 24 kr. verursachten. 

Eine Ersparniss an diesem sehr schwer wiegenden Posten 
wird erst dann möglich werden, wenn wir das Gas auf eigene 
Rechnung bereiten. Vor dem Jahre 1882 ist daran nicht zu 
denken, da wir bis dorthin durch Vertrag an unsere bisherige 
Bezugsquelle gebunden sind. 

B. Sparcasse der Gefangenen. 

Die Haupt-Einnahme dieser Gasse besteht aus den Ar¬ 
beitsgeschenken, welche von der Verwaltungskasse an sie 
verabfolgt und den Gefangenen gutgeschrieben werden. • 

Nach Gewerben berechnet wurden im Jahre 1871 gut¬ 
geschrieben : 

1) für Taglohnsarbeiten . . 366 fl. 8 kr. 


2) 

bei der Weberei .... 

69.6 

7t 

7 

7t 

3) 

n 

7t 

Schneiderei . . . 

336 

7) 

22 

7t 

4) 

7t 

7t 

Selbendflechterei 

180 

7) 

22 

7t 

5) 

7t 

7) 

Schusterei . . . 

250 

7) 

3 

V 

6) 

7t 

7t 

Küferei .... 

305 

7t 

46 

7t 

7) 

7t 

Ti 

Schreinerei . . . 

605 

V 

13 

Ti 

8) 

7) 

7) 

Schlosserei . . . 

43 

7t 

36 

7) 


2783 fl. 37 kr. 



55 


Uebertrag 

2783 fl. 37 kr. 

9) bei der Buchbinderei . . 

120 fl. 3 kr. 

10) B n Korb- und Stroh¬ 


flechterei .... 

240 , 15 , 

11) „ „ Bäckerei .... 

25 „ 48 „ 

Summa 

3169 fl. 43 kr. 


oder durchschnittlich per Kopf 7 fl, 15 kr. 

Das Vermögen der Casse bestund auf 1. Januar 1872, 
einschliesslich eines Stiftungscapitals von 500 fl. 
in Capitalien 5745 fl. 17 kr. 

» Cassenvorrath 832 fl. 37 kr. 

„ Naturalvorrath 14 fl. 40 kr. 

.*• 6592 fl. 34 kr. 

Die Capitalien sind angelegt: 

a) auf Pfandurkunden mit 5% Zins bei 

Privaten .. 2450 fl. — kr. 

b) bei der städtischen Sparkasse hier, 

14%. 788 fl. 30 kr. 

c) in badischen Staatspapieren, u. zwar 
in 5% Obligationen, wovon 1000 fl. 
zu dem Course von 100®/ 16 u. 1000 fl. 

zu 100 15 /i6 angekauft w'urden . . . 2000 fl. — kr. 


Summa 

5238 fl. 30 kr. 

Hierzu: 


die Stiftung von Frau Füsslin mit 


500 fl., angelegt: 


in 1 Staatsobi. bad. 4°/ 0 zu 89 1 /* ange- 


kauft, also für 500 fl. 

446 fl. 15 kr. 

bei der Vorschusskasse hier .... 

53 fl. 45 kr. 

und capitalisirten Zins. 

6 fl. 47 kr. 

• 

• 

• 

506 fl. 47 kr. 

Hierzu 

5238 fl. 30 kr. 

Summa 

5745 fl. 17 kr. 

An Zinsen wurden constatirt . . . 

228 fl. 9 kr. 

wovon 104 Gefangene. 

191 fl. 30 kr. 





56 


als Gratification vertheilt und die Schnld von 7 weiteren 
Gefangenen zur Sparcasso mit 1 fl. 39 kr. gedeckt wurde. 

Da das Guthaben sämratlicher auf 1. Januar 1872 vor¬ 
handenen Gefangenen in 5491 fl 40 besteht, so kommt auf 
Jeden durchschnittlich 14 fl. 25 kr. 

Bruchsaj, am 17. April 1872. 


Ad. Bauer. 



— 57 — 

Darstellung der Einnahmen und Ausgaben vom Rechnungsjahr 
1871 und Repartition auf die Kopftahl des Gefangenenstandes. 

Die Gesammtzahl der Verpflegungstage betrug im Jahr 1871 . 159,091. 

Im Durchschnitt waren also täglich in der Anstalt vorhanden 435,87. 






58 









Statistik 

über 

die Gesundheits-Verhältnisse 
für 1871. 


1. Zahl der am 1. Januar 1871 anwesenden Gefangenen 

a) im Zellengefängniss . . . 377 

b) in der Hilfsstrafanstalt . . 77 

2. Zahl der während des Jahres Eingelieferten 

Ganze Zahl 

3. Zahl der als untauglich für die Einzelhaft wegen körper¬ 

licher oder geistiger Leiden in Gemeinschaft Versetzten 

4. Zahl der aus der Krankenpflege mit Strafende Entlassenen 

a) aus dem Zellengefängniss . . 11 

b) aus der Hilfsstrafanstalt . . 9 

5. Zahl der aus der Krankenpflege durch Begnadigung oder 

Beurlaubung Entlassenen ... 

a) aus dem Zellengefängniss . . 4 

b) aus der HilfsStrafanstalt . . 4 

6. Zahl der in Heilanstalten Verbrachten . . 

7. Zahl der Selbstmorde. 

8. Zahl der Todesfälle. 

a) im Zellengefängniss ... 5 

b) in der Hilfsstrafanstalt . . 3 

9. Zahl der am 31. Dezember 1871 anwesenden Gefangenen , 

a) im Zellengefängniss . . . 381 

b) in der Hilfsstrafanstalt , , 83 


454 

442 

896 

14 

20 


8 


464 



60 


10. Gesammt/ahl aller im Jahre 1871 SrzHich behandelten 

Sträflinge. 

a) in den Krankenabtheilungen . 195 

b) in den Arbeitszellen . . . 222 

11. Zahl derjenigen Gefangenen, welchen Extraspeisen bewil- 


ligt wurden .... 

• 

• 

129 

12. Täglicher Durchschnittsstand der Gefangenen 

• 

435,87 

a) im Zellengefängniss . 

♦ • 

365,33 


b) in der Hilfsstrafanstalt 

• • 

70,54 


13. Grösster Gefangenenstand 

. 

• 

470 

a) ina Zellengefängniss . 

. 

384 


b) in der HilfsStrafanstalt 

• 

86 


14. Täglicher Durchschnittsstand der Kranken . 

. 

28,50 

a) im Zellengefängniss . 


15,20 


b) in der Hilfsstrafanstalt 


13,30 


15. Krankenverpflegungstage 

• • 

• 

10,458 

a) im Zellengefängniss . 

• • 

5497 


b) in der Hilfsstrafanstalt 

• • 

4961 


16. Krankheitsfälle .... 

• • 

. 

417 

a) schwerere . 


58 


b) leichtere 

. 

359 




61 


Krankheitsfälle, 


a. Schwerere. - 


Uebernahm e: 


Catarrh. bronchial, chron. 1 

Pneumon. chron. . . 2 

Pleuritis exsud. . • 3 

Pericarditis . . 1 

Ulcus ventriculi . . 1 

Haemorrhoi8 . . 1 

Paralysis ... 2 

Coxarthrocace . . 1 

Carcinoma prostat. • 1 

Marasmus senilis . . 1 

Psychosis ... 3 


17 


Z u g an g: 
Bronchitis chron. 
Tubercul. pulmon. 
Pneumonia chron. 
Pleuritis exsud. . 
Dysenteria 
Morb. Bright. 
Ascites 

Caries column. vert. 
Fractur. oss. capit. 
Apoplexia . 
Epilepsia . 
Psychosis 


Summa: 58. 






— 62 - 


b. Leie 

1) Ohne Arbeitsfähigkeit: 
Uebernahme: 

Catarrh. bronch. . 1 

Gastricismus . • 4 

Dinrrhoea • • ^ 

Absoessus . . • 1 

Arthritis . r ^ 

Ulcus eruris aton. . 1 

Hydrocele . • • _ 

;. i4 

Zugang: 

Catarrh. bronchial. . 7 

Catarrh. laryngeal. . 2 

Haemoptoe • • 2 

Angina tonsillar. . . 3 

Gastricismus . . 40 

Diarrhoea . 12 


Catarrh. intest, chron. . t 

Haemorrliois . . 4 

Perityphlitis . . 1 

Jcterus catarrhal. . 1 

Ernphyseraa pulmon. . 3 

Catarrh. vesic. urin. . 1 

Haematuria . 1 

Slrictura urethr. . 1 

Conjunctivitis . . 2 

Herpes ... 1 

Erysipelas faciei . 1 

TSeuralgia . • 2 

Rheumatismus . . 6 

Scrophulosis . . 3 

Anaemia . . • 2 


118 


htere. 


Uebertrag 113 


Marasmus senilis . 


1 

Febris intermitt. larv. 


2 

Variolois . 


10 

Contusio 


1 

Combustio 


1 

Ab8ces8us 


1 

Psychosis 

’ — 

8 

123 

2. Mit Arbeitsfälligkeit 


Catarrhus bronchialis 


22 

Emphysema pulmon. 


5 

Angina tonsillar. 


G 

Gastruismus 


45 

Diarrhoea . 


12 

Haemorrhois 


1 

Catarrh. veaic. urin. 


3 

Strictura urethr. . 


2 

Rheumatismus 


43 

Neuralgia . 


2 

Scrophulosis 


21 

Anaemia . 


1 

Erysipelas 


2 

Febris intermitt. . 


1 

Epilepsia . 


3 

Otitis 


1 

Conjunctivitis 


11 

Scabies 


19 

Psoriasis . 


3 

Eccema 

• 

2 

Aeussere Leiden (Panarit., 



Ulc. chron. at., Contus)_17 


Summa 222 

Dr. Glitsch. 
Rftbsteln. 









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— 64 — 


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Jahr 

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Zugang 

I. Bevölkerung. 

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Ge- 

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zahl 

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Leichtere. 

II. Krankheitsfälle. 

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IV. 

Täglicher 
Durch¬ 
schnitt d. 
Kranken 

—. 1— i H-I t—i 1—L H- 1 

ajM^^CO-lOOCnWCC^OOX^DOOiDCOC^MO 

a. 

in der 
Anstalt | 

© 

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sl 

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V. Todesfälle. 

| | | 1 1 1 1 *towto^o:^ü^cowtOMüTüi 

b. 

nach der 
ßntlassg.] 

MiOOOO^tO^^^O^tOCOMOiMHO^WW 
bo "o 1 ^ bD bo 'o b- bo tc b- ^ bo 4^ bo 'o"cs bo 'o"o 

OOtOOiOCDOtOOiOO^QGOOtO^MOMDi^OO 

von a. 

Procente auf die 
Jurchschnittszahl 

1 1 1 bob^bo'bibo^ibo'robo'b-bc'o'csb— 

D C. ^ ^ W O CD O D OJ ^ W 0 o 

von 

a. und b. 

111 -1111II111 -1 -1 

IV. 

Selbst¬ 

morde 

»—l M M M I H- » 1 — l h- t—i. 

^COOM^lOO^ | WMHOOtODHlOOH^OO^ 

Seelen- 

Störun¬ 

gen 

* Die Erkundigungen über die Entlassenen werden 
immer erst nach Umfluss von 5 Jahren eingezogen. 

Bemer¬ 

kungen. 


J 


über die Gesundheits-Verhältnisse im Zellen-Gefängniss Bruchsal. 





Jahresbericht 

des 

katholischen Hausgeistlichen 
für 1871. 


1. Personalsland der katholischen Strafgefangenen. 

Die Gesamratzahl der Gefangenen beträgt 896, davon 
gehören der katholischen Confession 560 oder 62,5% an * 
Zuchthausstrafe haben zu erstehen 286 oder 42,1 % und Ar* 
beitshausstrafe 324 oder 57,8%. 

Der Stand der katholischen Strafgefangenen am 1. J a- 
nuar 1871 war 293. Diese vertheilten sich auf die Zucht¬ 
hausstrafe mit 156 und auf die Arbeitshausstrafe mit 137. 

Eingeliefert wurden 267 katholische Strafgefangene, 
wovon 80 Zuchthausstrafe und 187 Arbeitshausstrafe ange¬ 
treten haben. 

Entlassen wurden 329 katholische Strafgefangene, wo¬ 
von 95 Zuchthausstrafe, 234 Arbeitshausstrafe erstanden hatten. 

Yon den Zuchthausgefangenen wurden entlassen: 

1. nach vollständig erstandener Strafe . 54 


2. mit Erlassung eines Theils der Strafe: 

a) durch Gnade .8 

b) durch Auswanderungsbewilligung ... 8 

Blätter (Br GefÄngnlsaknnile VII. 5 




66 


8. an andere Strafanstalten wurden abgeliefert: 

a) an das Landesgefängniss.21 


b) in das Amtsgefängniss ...... 1 

c) in das Arbeitshaus. 1 


Yon den Arbeitshausgefangenen wurden entlassen: 

1. nach vollständig erstandener Strafe 172 

2. mit Erlassung eines Theils der Strafe 

a) durch Gnade . 10 

b) durch Auswanderungsbewilligung . . 3 

3. in andere Anstalten wurden versetzt: 

a) in die Rettungsanstalt Hüfingen ... 1 

b) in das Landesgefangniss Mannheim . . 3 


c) an das „ Bruchsal . . 34 

d) an das Amtsgefangniss „ . . 5 

e) in das Zuchthaus durch Abänderung 

des Urtheils. 1 


f) wegen Nichtigkeitsbeschwerde des Staats¬ 
anwalts wurde entlassen. 1 

Gestorben sind im Ganzen 5 kathol. Strafgefangene, 
wovon 2 zur Zuchthaus- und 3 zur Arbeitshausstrafe verur- 
theilt waren. 

Darnach berechnet sich der Stand der katholischen Straf¬ 
gefangenen am 1. Januar 1872 auf 231, welche sicli mit 
141 in Zuchthausstrafe und mit 90 in Arbeitshausstrafe ver¬ 
theilen. 

Das Verhältnis der Strafgefangenen katholischer 
Confessionen zu den andern Confessionen gestaltet sich 
nach dem Prozentsatz der Gesammtbevölkeiung des Zellen¬ 
gefängnisses nach folgenden Zahlen: 

a. Zuchthaus: 

1) Katholiken . . 236 oder 60,3 °/ 0 , 

2) Protestanten . 149 v 38,1 %, 

3) Israeliten . . 6 „ 1,5%. 

b. Arbeitshaus: 

1) Katholiken . 324 oder 64,15%, 

2) Protestanten. 177 „ , 35,04%, 

3) Israeliten . 4 „ 0,79 °/ t . 







Dem bürgerlichen Stände Hach gehört die Mehr¬ 
zahl der Strafgefangenen dem ledigen Stande an, und eine 
bedeutende Minderheit derselben ist verheirathet und hat 
Familie. 

Es gestalten sich die bürgerlichen Yerhältnisse der 
Strafgefangenen nach folgenden Zahlen: 

a) Zuchthausgefangene sind: 

1. ledig ... ....... 172 

2. verheirathet. 55 

a) mit Kinder . 47 

b) ohne Kinder 8 

8. Wittwer. 9 

a) mit Kinder . 4 

b) ohne Kinder 5 

b) Arbeitshausgefangene sind: 

1. ledig.240 

2. verheirathet.70 

a) mit Kinder . 56 

b) ohne Kinder 14 

3. Wittwer.14 

a) mit Kinder . 10 

b) ohne Kinder 4 

So verschieden das Alter der Strafgefangenen ist, so 
gehört doch weitaus die Mehrzahl dem jüngeren Mannesalter 
an. Das Alter der katholischen Strafgefangenen beläuft sich, 
wie folgt: 


Unter 

16 Jahren 

5 

V 

20 

7) 

61 

V 

30 

V 

182 

n 

40 

n 

144 

T> 

50 

7) 

85 

V 

60 

7) 

52 

V 

70 

7) 

24 

V 

80 

7) __ 

7 



Summa 

560 


Die Nationalität der Strafgefangenen bietet ein bun¬ 
tes Gemisch dar. Sind selbstverständlich die Mehrzahl der 
Strafgefangenen Badener, so sind doch fast sämmtliche Na- 









tionen und Staaten Europas unter denselben vertreten. Die 
Gefangenen katholischer Confession vertheilen sich auf: 


1. Baden 482 

2. Württemberg 23 

3. Bayern 23 

4. Hessen 7 

5. Preussen 14 

6. Oesterreich 2 

7. Schweiz 2 

8. Italien 3 

9. Frankreich 2 

10. England 1 

11. Spanien 1 


II. Gottesdienst. 

Sämmtliche katholische Strafgefangene besuchten sowohl 
den sonntäglichen als den Wochengottesdienst.. Eine Dispen- 
sirung oder Ausschliessung von diesem Besuche ist nicht vor¬ 
gekommen. Erst als nach Herstellung der Nothkirohe der 
Gottesdienst wieder eröffnet wurde, suchte ein Gefangener 
um Dispens nach, und ein Anderer musste wegen ungezie¬ 
menden Benehmens ausgeschlossen werden. Eine Störung 
der gottesdienstlichen Handlungen ist von den Strafgefangenen 
nie versucht worden, und es ist deren Haltung während des 
Gottesdienstes, auch seitdem derselbe in der Nothkirche statt¬ 
findet, anzuerkennen. 

Es wird den Gefangenen wiederholt, namentlich auf die 
Festzeiten, Gelegenheit zum Empfang der heil. Sakramente 
gegeben. Die Bcfheiligung ist jeweils eine zahlreiche und 
steht jener der männlichen Bevölkerung in den freien Ge¬ 
meinden nicht nach. Auf Ostern sind sämmtliche Sträflinge 
bis auf 26 der kirchlichen Verpflichtung im Empfange der 
heil. Sakramente nachgekommen. 

Vier von den in der Strafanstalt gestorbenen Sträflingen 
haben sich mit den heil. Sterbsakramenten versehen lassen 
und äusscrten sich als bussfertige und auf den Tod wohl 
vorbereitete gläubige Christen. 

Einer ist plötzlich gestorben. 



69 


Vom 4. Oktober bis 10. Dezember konnte in Folge der 
Zerstörung der Eirebe durch den Brand gar kein Gottesdienst 
abgehalten werden. Die Gefangenen fühlten diesen Ausfall, 
namentlich an Sonn- und Feiertagen recht sehr. Bei dem 
einen Theil stellte sich an diesen Tagen um so empfindlicher 
die Langeweile ein, bei dem andern Theile machte sich ein 
wirkliches, inneres Bedürfniss geltend. Es waren daher die 
Gefangenen der Mehrzahl nach nicht wenig erfreut und dank¬ 
bar, als die gegenwärtige Einrichtung soweit hergestellt war, 
dass die Abhaltung des Gottesdienstes wieder begonnen wer¬ 
den konnte. Die Paramente und die übrigen Requisiten, 
welche beim katholischen Gottesdienste in Gebrauch waren, 
wurden beim Brande bis auf einige wenige werthlose Gegen¬ 
stände nicht ohne Gefahr gerettet, so dass eine neue Anschaf¬ 
fung nicht notliwendig war, und der Gottesdienst ohne wesent¬ 
liche Beeinträchtigung an seiner Feierlichkeit sofort eröffnet 
werden konnte. 

Yom 2. Sonntage im Advent an, wurde jeden Sonn- und 
Feiertag der vormittägige Gottesdienst mit einer heil. Messe 
und Predigt abgehalten. Die Vesper und die heil. Messe in 
der Woche fielen aus. 

Der Gottesdienst in der Hilfsstrafanstalt erlitt das 
ganzo Jahr hindurch keine Unterbrechung und wurde in der 
gleichen Ordnung wie früher abgehalten. 

An demselben betheiligen sich zugleich die Pfleglinge 
der polizeilichen Verwahrungs-Anstalt. Gefangene, 
welche wegen epileptischer Leiden oder Geistesstörung im 
Krankenhaus untergebracht sind, konnten nicht regelmässig 
zum Besuche des Gottesdienstes angehalten werden. Das 
Betragen der Gefangenen auch dieser Anstalt beim Gottes¬ 
dienst und deren Eifer in Erfüllung weiterer religiöser Ver¬ 
pflichtungen waren 6tets befriedigend. Selbst hier ist nie die 

geringste Störung Yorgekommen. 

* 

111. Intellecfuelle und religiöse Bildung. 

Die Mehrzahl der Strafgefangenen steht bezüglich 
ihrer intellectuellen Bildung auf der Stufe der gewöhnlichen 
Stadt- und Landbevölkerung. Unter den Gefangenen katho* 



70 


lischer Confeßsion befinden .sich nur 7, welche eine höhere 
Bildung besitzen.. Unter den 560 Strafgefangenen konnten 
lesen und schreiben 537. Weder zu lesen noch zu schreiben 
verstanden 10. 

Wenn auch im Allgemeinen die Religionskenntnisse der 
Gefangenen ihrem übrigen Bildungsgrad entsprechen, so sind 
doch in dieser Beziehung nicht gerade erfreuliche Ausnahmen 
zu constatiren. Je mehr religiöser Indifferentismus und Glau- 
benslosigkeit unter der freien Bevölkerung zur Herrschaft ge¬ 
langen, desto zahlreicher werden in den Strafanstalten jene 
Individuen, welche von dieser Zeitkrankheit im höchsten 
Grade heimgesucht sind. Es ist daher bei einer nicht ge¬ 
ringen Zahl von Strafgefangenen nicht allein eine grasse 
Ignoranz, sondern auch eine gleich grosse Abgestumpftheit 
für alles Religiöse wahrzunehmen gewesen. 

Namentlich sind es die jüngeren Leute aus den grösse¬ 
ren Städten, welche sich durch Glaubenslosigkeit und Reli¬ 
gions-Verachtung auszeichnen und sich mit den gewohnten 
Phrasen des Janhagels von Religionsfreiheit, Fortschritt, Auf¬ 
klärung, Pfaffenbetrug und dergl. begnügen wollen. 

Nicht wenige von diesen jüngeren Strafgefangenen haben 
sich seit ihrer ersten heil. Communion an keiner religiösen 
Handlung mehr betheiligt. Die Zahl jener Männer unter den 
Sträflingen, welche innerhalb 10 und mehr Jahren keinen 
Gottesdienst mehr besuchten, ist keine geringe, und bei den 
als rückfällig wieder Eingelieferten muss es als Regel ange¬ 
sehen werden, dass sie während der ganzen Zeit ihrer Frei¬ 
heit niemals eine Kirche betreten haben. Es werfen die 
Sträflinge die Schuld dieser Vernachlässigung des Gottes¬ 
dienstes' gerne auf die Arbeitgeber, welche ihnen die christ¬ 
liche Sonntagsfeier nicht gestatten sollen. 

Bei einer solchen Zuhörerschaft hatte sich der religiöse 
Unterricht mit den Hauptwahrheiten des Christenthums in 
ebenso elementarer als zeitgemässer Behandlung z\i befassen. 
In der Sittenlehre mussten jene Abschnitte, welche die Arbeit, 
den Erwerb, das Eigenthum, die Ehrlichkeit, die Massigkeit, die 
Enthaltsamkeit etc. und die entgegengesetzten Laster berühren, 
besonders behandelt werden und wiederholt zur Erklärung kom- 



71 


men. Auch suchte man den Strafgefangenen wieder ein Ver¬ 
ständnis für das christliche Kirchenjahr, die Festzeiten und die 
gottesdienstlichen Gebräuche beizubringen, um in ihnen Lust 
und Liebe zum Besuche des Gottesdienstes zu erwecken. 
Die Form, welcher man sich dazu bediente, waren ausser 
der sonntäglichen Predigt', theils katechetische Vorträge und 
praktische Exegese, theils Vorlesen aus einschlägigen Schrif¬ 
ten. Die Gefangenen selbst haben sowohl beim Unterricht 
als auf der Zelle das Neue Testament, die Biblische Ge¬ 
schichte und den Katechismus zur Hand. 

Seit dem 5. Oktober hat kein gemeinsamer Religions¬ 
unterricht stattgefunden. Es würden von da an die Straf¬ 
gefangenen bei den Besuchen auf der Zelle, so weit möglich, 
zu unterrichten gesucht. Auch hat man denselben von den 
noch vorhandenen religiösen Unterrichts- und Erbauungs¬ 
büchern zur Selbstbelehrung überlassen. 

Der Religionsunterricht in der Hilfsstrafanstalt 
wurde an der Hand der biblischen Geschichte und des Kate- 
chismusses ertheilt. Auch am Religionsunterrichte haben die 
Pfleglinge der polizeilichen Verwahrungs-An¬ 
stalt zu gleicher Zeit Theil genommen. Eine grosse Zahl 
der hier Detenirten ist entweder schwerhörig oder in hohem 
Grade geistesbeschränkt oder sogar geisteskrank, worauf bei 
der Ertheilung des Unterrichtes die erforderliche Rücksicht 
getragen werden musste. 

IV. SiUliehe Bildung. 

Der Strafanstalts-Beamte, der lediglich von der Schul¬ 
bildung oder von dem Verbrechen der Sträflinge auf deren 
sittlichen Gehalt schliessen wollte, würde in den gleichen 
Fehler fallen, welchen jene begehen, die nach den Regeln 
der Phrenologie oder Phisiognomik mit mathematischer Ge¬ 
nauigkeit den inner« Menschen zu erkennen glauben. 

Man muss den ganzen Menschen nehmen mit Allem, 
was seit der Geburt aus ihm geworden ist, um mit einiger 
Sicherheit sein Seelenleben, seine sittlichen Anlagen und seine 
sittliche Bildungsfähigkeit beurtheilen zu können. Was nach 
meiner seelsorgerlichen Erfahrung die sittliche Zukunft des 



72 


Menschen am nachhaltigsten bestimmt, ist die religiös-sittliche 
Erziehung, welche er von den Eltern erhielt oder entbehrte. 
Die Mehrzahl der Sträflinge sind in der That solche in der 
Jugenderziehung verwahrloste Individuen. Sehen wir die 
Yerbrecher-Categorie der Diebe, welche die Masse der Straf¬ 
anstalts-Bevölkerung bildet, nach, so finden wir, dass gerade 
unter diesen Sträflingen die meisten unehelich Geborenen 
sind, dass eine grosse Zahl derselben Fremden zur Erziehung 
übergeben, oder dass dieselben als Kinder schon von ihren 
eigenen Eltern zu Feld- und Waldfrevel, zum Müssiggange 
und Bettel, zum Lügen und Ungehorsam gegen Lehrer und 
Geistliche angehalten wurden. 

Was hier in den Lebensanfängen des Verbrechers von 
gewissenlosen Eltern zu Grunde gelegt wurde, wird auch der 
besten Zucht- und Besserungsanstalt nicht mehr möglich, voll¬ 
ständig auszumerzen. Die Classe der Diebe ist daher auch 
nach allgemeiner Erfahrung in den Strafanstalten jene Classe 
von Verbrechern, welche sich einer sittlichen Besserung am 
wenigsten befähigt zeigt, und in welcher Rückfälle fast aus¬ 
schliesslich und in hervorragender Zahl Vorkommen. 

Von den 560 Strafgefangenen der katholischen Confes- 
sion sind 143, also 25,5%, unehelich geboren. Diese Un¬ 
eheliche zählen aber fast ausschliesslich zu den Verbrechern 
gegen das Eigenthum. 

Wegen Verbrechen gegen das Eigenthum sind unter den 
560 Strafgefangenen überhaupt verurtheilt 397, also 70,89%, 
welche sich nach der Strafe in folgende Zahlen vertheilen: 

1) unter 236 Zuchthaussträflingen 142 also 60,17%, 

2) „ 324 Arbeitshaussträflingen 255 „ 78,70%. 

Die Rubrik der Rückfälligen berechnet sich aus 

derselben Verbreclierclasse mit weit aus den höchsten Zahlen. 

Es befinden sich unter den 560 katholischen Strafge¬ 
fangenen 140, also 25% Rückfällige und diese gehören 
sämmtlich, mit Ausnahme von 5, der Classe der Diebe an. 
Unter diesen Rückfälligen befinden sich 



73 


1. im Zuchthaus: 

a) zum 2. Mal 33, 

b) , 3. „ 17, 

c) ,> 4. , 8, 

d) . 5- . _2_ 

;• 60 oder 25,42%. 

2. im Arbeitshaus: 

a) zum 2. Mal 59, 

b) , 3. , 19, 

c ) « 4 - * 2 

;• 80 oder 24,69%. 

Es soll jedoch damit nicht behauptet werden, dass 
diese Menschenklasse gar keiner Besserung fähig sei, wie es 
die öffentliche Meinung so gerne zu thun pflegt, sondern es 
soll damit nachgewiesen sein, dass die verwahrloste Jugend¬ 
erziehung eine religiös - sittliche Abgestumpftheit und Ohn¬ 
macht erzeugt, welche diese Unglücklichen bis zu ihrem Le¬ 
bensende begleiten werden. Dass diese Leute oftmals, von 
den besten Vorsätzen beseelt, die Strafanstalt verlassen und 
unverkennbar einer. Besserung nachstreben, weiss Niemand 
besser als der Strafanstalts - Beamte, eben so wohl weiss er 
aber auch aus der Erfahrung, dass sich diese Besserung selten 
als nachhaltig erweist, und dass der Rückfall nicht immer 
einem bösen verbrecherischen Willen zuzuschreiben ist, son¬ 
dern eben jener tiefgewurzelten und unausrottbaren Macht 
einer unchristlichen Erziehung. 

Bei den übrigen Strafgefangenen, welche nicht zur 
Olasse der Diebe zählen, ist fast durchschnittlich eine morali¬ 
sche Besserung bei der Entlassung zu constatiren. Es wer¬ 
den hier höchst selten Rückfällige gefunden. Das öffentliche 
Leben solcher Entlassenen beweist den heilsamen Einfluss 
des Strafvollzuges auf ihre Sittlichkeit und Gewissenhaftig¬ 
keit. In Briefen, welche sie nicht selten anher richten, 
sprechen sie es selbst aus, dass im Gefängnisse der Grund 
zu ihrer Besserung gelegt wurde, und sie dieselbe insbe¬ 
sondere der religiösen Einwirkung daselbst zu verdanken 
haben. 



74 


Nach der Strafgattung und den Verbrechen vertheilen 
sich diese Sträflinge: 

1. auf die Zuchthausstrafe wegen Verbrechen 

a) gegen Eid und eidliches Zeugniss 6 

b) gegen Leib und Leben .... 44 

c) gegen die Sittlichkeit .... 44 

;• 94 also 39,82%. 

2. Auf die Arbeitshausstrafe wegen Verbrechen 

a) gegen eidliches Zeugniss ... 1 

b) gegen Obrigkeit und militärische 

Behörden . ..3 

c) gegen Leib und Leben ... 24 

d) gegen Sittlichkeit.41 

;• 69 also 21,29%. 

Das Verhalten der Sträflinge bei dem Brande der An¬ 
stalt ist im Ganzen als ein befriedigendes zu bezeichnen. 
Konnte der Eine oder Andere eine Schadenfreude nicht voll¬ 
ständig unterdrücken, so äusserte die Mehrzahl um so lauter 
allen Abscheu über den von einem ihrer Mitgenossen began¬ 
genen Frevel. Eine grosse Anzahl bot sich freiwillig zu 
jeder Arbeit an, und jene, welche auf der Brandstätte ver¬ 
wendet wurden, zeichneten sich durch Fleiss und Betragen 
musterhaft aus. Die Ruhe und Ordnung des Hauses wurde 
während und nach der Catastrophe durch die Sträflinge in 
keiner Weise böswillig gestört. 

Auch in der Zeit unmittelbar nach dem Brande, in wel¬ 
cher die Gefangenen die Bewegung im Hofe, den Besuch der 
Schule und Kirche entbehren mussten und auf die Zelle an¬ 
gewiesen waren, ist die rühmlichste Ergebenheit und Willig¬ 
keit wahrzunehmen gewesen. 

V. Gemuthsleidende und Geisteskranke. 

Es sind unter den Strafgefangenen immer eine Anzahl 
solcher Individuen, welche in ihren Gemüthsanlagen nicht 
zur Erstehung der absoluten Isolirung disponirt sind. Solche 
werden so lange ihr Leiden keine Gefahr zur Geistesstörung 
in sich schliesst, unter besonderen Berücksichtigungen mit 




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Arbeiten ausserhalb der Zelle beschäftiget, ohne in Gemein¬ 
schaft mit andern Sträflingen treten zu müssen. Unter den 
Gefangenen katholischer Confession sind hier 8 zu ver¬ 
zeichnen. 

Wegen gefährdeter geistiger Gesundheit oder gesteigerter 
geistiger Störung wurden 7 kathol. Gefangene in die Gemein¬ 
schaftshaft der Hilfsstraf-Anstalt versetzt. 

Bruchsal, im April 1872. 


Eisen, 

Katholischer Hausgeistlicher. 



Jahresbericht 

des 

evangelischen Hausgeistlichen 

für 1871. 


„Das Zcllengefängniss in Bruchsal besuchte ich früher 
einige Male und bewunderte seine Einrichtung, wie mit dem 
Ernst der Strafe der Segen der Liebe so weise verknöpft 
ist,“ — so schrieb mir unter Anderem unlängst Einer meiner 
ehemaligen akademischen Lehrer. Es ist in der That in 
diesen wenigen "Worten die Anstalt ihrem inneren Wesen 
nach gut charakterisirt. Der Ernst der Strafe in harmoni¬ 
scher Verbindung mit dem Segen der Liebe, das war es, 
was auch mir, dem Neuling auf diesem Arbeitsfeld, bei mei¬ 
nem Amtsantritt hier wohlthuend begegnete und mich mit 
Muth und Freudigkeit zu dem schweren Berufe erfüllte. Es 
muss dankend anerkannt werden, dass dem Hausgeistlichen, 
welchem es insbesondere obliegt, dem Gefangenen zum Be¬ 
wusstsein zu bringen, dass er hier durch Ernst und Liebe auf 
einen besseren Weg gebracht werden soll, in seiner Wirk¬ 
samkeit keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt werden, 
dass ihm vielmehr zur vollen Entfaltung derselben jede Ge¬ 
legenheit geboten ist. 



r 


- 77 - 

Die Mittel der religiös • sittlichen Einwirkung auf die 
Gefangenen von Seiten der Geistlichen sind ganz dieselben 
wie draussen, nämlich: Gottesdienst, Religionsunterricht und 
specielle Seelsorge. 

I. Gottesdienst. 

Der Gottesdienst wurde in der bisher üblichen Weise 
abgehalten. Es ist nicht vorgekommen, dass ein Gefangener 
sich geweigert hätte, demselben anzuwohnen. Die Friedens* 
feier ist auch in der Anstalt in schön geschmückter Kirche 
festlich begangen worden, was von Vielen mit Freude und 
Begeisterung aufgenommen wurde. 

Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dass dieselben 
Leute, welche oft seit Jahren die Kirche vernachlässigt haben, 
das früher Verschmähte jetzt keineswegs etwa als leidigen 
Zwang betrachten, sondern als eine grosse Wohlthat aner¬ 
kennen, und nicht selten das Bekenntniss ablegen: „Hätten 
wir die Kirche früher so in Ehren gehalten wie jetzt, wir 
wären nicht daher gekommen." Die Anfechtung lehrt die 
Unglücklichen wenigstens äusserlich aufs Wort merken. — 
Als die Kirche in Folge der bekannten verhängnisvollen 
Katastrophe gegen Ende des Jahres ein Raub der Flammen 
geworden war, empfanden weitaus die Meisten den für eine 
Zeit lang nöthig gewordenen Ausfall des Gottesdienstes als 
eine grosse Entbehrung. Den Dank und die Freude konnte 
man den in lautloser Stille Versammelten von den Gesich¬ 
tern ablesen, als wenige Sonntage vor dem Jahresschluss in 
einem rasch aufgeführten Nothbnu wieder eine gottesdienst¬ 
liche Feier stattfinden konnte. 

In dieser sogenannten Nothkirche hatte die gottesdienst¬ 
liche Versammlung eine gegen früher wesentlich veränderte 
Physiognomie angenommen. Die Gefangenen sassen nicht 
mehr in abgeschlossenen Zellen, sondern, wie es die Um¬ 
stände erheischten, auf Bänken, je vier bis fünf neben ein¬ 
ander. Beim Eintritt in die Kirche behalten die Gefangenen 
die Maske auf, welche erst mit Beginn des Gottesdienstes 
von Allen heruntergenommen wird. Für den Anblick wohl- 
thuender ist diese Njchtisolirung in der Kirche; ob aber zweck- 



massiger für die Disciplin und heilsamer für den Gefangenen, 
das ist eine andere Frage, die ich nicht unbedingt bejahen 
möchte, obwohl die Haltung der Sträflinge, auf die von allen 
Seiten her wachsame Augen gerichtet sind, bis daher eine 
durchaus correkte gewesen ist. Von den Inhaftirten selbst 
sprechen die Meisten über die neue Einrichtung ihre Befrie¬ 
digung aus. Ein wegen Betrug und Wechselfälschung Ver¬ 
urteilter mointe übrigens, da habe er erst recht gesehen, in 
welcher Gesellschaft er sich befinde; es sei ihm fast übel 
geworden, als er diese Versammlung überblickt habe. 

Bei einzelnen und zwar besseren Sträflingen kam die 
sonst viel geschmähte Maske mit einem Male sehr zu Ehren, 
sie wehrten sich nach Kräften für dieselbe und wollten sie 
in Schule und Kirche durchaus aufbehalten, was ihnen je¬ 
doch aus nahe liegenden Gründen nicht gestattet werden 
konnte. 

Noch möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass dem Ge¬ 
sang und dem Orgelspiel eine besondere Sorgfalt gewidmet wird. 
Beides trägt zur Erhebung der Gemüther nicht wenig bei. 
Einzelne Lieder werden rythmisch gesungen; auch die übri¬ 
gen werden nicht schleppend, sondern frisch und lebendig 
vorgetragen. Ein Anhang zu unserm Gesangbuch enthält 
eine Anzahl schöner Figurallieder, welche bei besonderen 
Anlässen , namentlich an hohen Festtagen ihre Verwerthung 
finden. 


11. Religionsunterricht. 

Beim Religionsunterricht wurde von der Voraussetzung 
ausgegangen, dass eine möglichst einfache, leicht fassliche 
und dabei gründliche Unterweisung in den Gegenständen des 
Glaubens noth thue. Die Einen haben eine sehr dürftige 
religiöse Erkenntniss. Andere sind von Vorurtheilen gegen 
den christlichen Glauben erfüllt und kennen nur ein Zerrbild 
desselben; die Meisten machen sich ihre Religion nach ihres 
Herzens Gutdünken, ohne Rücksicht auf die geoffenbarte 
Wahrheit. Es fehlt aber auch nicht an Einzelnen, die recht 
gut Bescheid wissen und den Beweis liefern, dass von der 
ErkenntnisB des Guten bis zum Thun desselben noch ein 



r 


- 7Ö - 

weiter Schritt ist. Im Ganzen ist jedoch die Aufmerksamkeit 
und Thcilnahme der Gefangenen eine recht befriedigende. 

Mit Fragen, durch welche ich, um die Aufmerksamkeit 
wach zu erhalten, den Vortrag hie und da zu unterbrechen 
pflege, wende ich mich in der Regel an die Jüngeren unter 
ihnen; doch erheben sich nicht selten auch Aeltere, um die 
gewünschte Antwort zu ertheilen. 

Manche beurkunden nicht blos während des Unterrichte 
ein lebhaftes Interesse, sondern kommen bei den Zellenbe¬ 
suchen auf das Besprochene zurück und wünschen weiteren 
Aufschluss. 

Unter Zugrundlegung des in der Landeskirche einge¬ 
führten Katechismus wurden folgende Themata ausführlich 
behandelt: Die zehn Gebote, Wesen und Folgen der Sünde, 
Erlösung, Glauben, Gott, Weltschöpfung und Vorsehung. 
Ausserdem dienten eine Anzahl der schönsten und bekannte¬ 
sten Kirchenlieder ihrer Entstehung, ihren Verfassern und 
dem Inhalte nach als Gegenstand der Besprechung. 

111. Specielle Seelsorge. 

1. Allgemeine Bemerkungen. 

Man mag über die seelsprgerliche Arbeit an den Ge¬ 
fangenen denken, wie man will, so viel ist gewiss: sie ist 
keine leichte. Leute, welche der Sache ferner stehen, be¬ 
wegen sich in ihrem Urtheil oft zwischen zwei Extremen. 
Entweder meint man, bei diesen tiefgefallenen Menschen sei 
Alles vergebens und das Bemühen, sie auf einen besseren 
Weg zu bringen, in der Regel ein nutzloses. Oder aber, 
man ist der Ansicht, dass von diesen verlorenen bei den 
Trabern angekommenen Sqjmen die Verkündigung des gött¬ 
lichen Wortes werde aufgenommen werden wie der Thau des 
Himmels vom dürren Land. Die Wahrheit wird, im Allge¬ 
meinen in der Mitte liegen. Es ist nicht so, als ob man 
hier nur wie bei einem reifen Erntefeld die Sichel anlegen 
dürfte, um reiche Garben cinzuheimsen in die himmlischen 
Scheunen; es ist aber auch picht so verzweifelt, dass man um 
mancherlei bitterer Erfahrungen willen, die man macht, schon 



- 80 - 

ein Recht hätte zu der Behauptung: diesen Leuten ist mit 
ganz wenigen Ausnahmen nicht mehr zu helfen. Schwierig 
bleibt indessen die Aufgabe immerhin bei den Meisten, sie mit 
der Hilfe Gottes vom Fall wieder aufzurichten. 

Mein Bemühen war zuvörderst darauf gerichtet, das 
Vertrauen der Gefangenen zu gewinnen und ihnen je nach 
Umständen aufrichtige Theilnahme zu zeigen. Gar Manche 
übertreten die Schwelle der Anstalt mit einem Herzen voll 
Groll und Bitterkeit; sie haben vielleicht niemals erfahren, 
was treue Vater- oder Mutterliebe sei, sind oft von Jugend 
auf zu allem Schlechten angehalten worden; die Gesellschaft 
hat sich manchfach an ihnen verschuldet, eine lange Kette 
von Leiden war bisher ihr Loos; — da können bittere Vor¬ 
würfe gleich von vorn herein schlimm ein wirken, die Verbit¬ 
terung und Verbissenheit steigern und einem späteren ernsten 
Worte den Weg verschliessen. Damit soll jedoch nicht eine 
für Alle und unter allen Umständen gütige Regel aufgestellt 
sein. — 

Hauptsache ist und bleibt es ja, die Gefangenen nicht 
nach der Schablone zu behandeln. .Es genügt ein einziger 
Schlüssel, um alle Zellenthüren aufzumachen; um die Her- 
zensthiiren zu öffnen, braucht man eigentlich für Jeden einen 
besonderen Schlüssel. Jeder Gefangene will besonders studirt 
sein, damit die rechten Saiten angeschlagen werden können, 
die in seinem Innern einen Wiederhall finden. Hier empfängt 
mich Einer beim ersten Besuch mit den Worten: „Herr 
Pfarrer, ich bin kein Heuchler, ich bin Zuchthausschneider, 
und kommen Sie mir nur nicht mit dem Trost des Him¬ 
mels , davon will ich nichts wissen.“ Sein Nebenmann 
streckt mir freundlich die Hand entgegen, sucht mir 
ein Compliment zu machen und fragt schliesslich nach 
einem „schönen“ Gebetbuch. Der Bewohner dieser Zelle 
sitzt in Thränen da und klagt und jammert über das 
„Unglück“, das ihn getroffen, und dass er Heimweh habe 
nach den Seinigen. Ein Anderer dagegen fühlt sich sehr 
behaglich und ist mit Kost, Logis und Behandlung sehr 
zufrieden; er sagt: „ich bin halt arm, draussen muss ich 
auf der Strasse stehen und frieren und habe Nichts, hier 



habe ich mein Bett und mein Essen und habe warm. u — 
Hier trifft mich beim Eintritt ein wilder Blick und der trotzige 
Mund spricht: „die Armen sind eben das Vieh in der Welt. 
Wie man angefangen hat, so muss man auch fortfahren; ich 
werde wieder stehlen und mich an denen, die mich daher 
gebracht haben, zu rächen suchen“. Nebendran sagt einer 
lächelnd mit einer gewissen Gutmüthigkeit: „Wissen Sie, 
wenn man Nichts hat, so muss man eben sehen, wo man 
Etwas bekommt.“ In dieser Zelle befinde ich mich einem 
schweren Verbrecher gegenüber, der unter Schwüren und 
Betheuerungen seine Schuld hartnäckig läugnet, während sein 
Nachbar erklärt, er sei ein verlorener Mensch, ihm sei nicht 
mehr zu helfen. Hier heistes: „Es gibt keinen Gott“; dort: 
„es war eben Gottes Wille so, dass ich daher gekommen 
bin“. Hier findet der beredte Mund kein Ende und setzt 
meine Geduld auf die Probe; dort kann ich kaum eine Ant¬ 
wort bekommen. Doch genug von diesen Beispielen, die 
leicht um viele vermehrt werden könnten. Es ist ja ein¬ 
leuchtend und bedarf keines weiteren Beweises, dass abge¬ 
sehen von der Erziehung, dem Bildungsgrad, dem früheren 
Lebensgang und der religiösen Erkenntnis der Sträflinge 
schon die verschiedene Gemüthsstimmung, in welcher dieselben 
ihre Strafe erleiden, eine verschiedene Behandlungsweise be¬ 
dingt, über welche sich jedoch keine bestimmte Normen auf¬ 
stellen lassen. 

Ehe ich zu den besonderen Vorkommnissen übergehe, 
möchte ich noch auf eine allgemeine Erfahrung hinweisen, 
welche die Seelsorge an den Gefangenen zu einer schwie¬ 
rigen Aufgabe macht. Viele lieben es, ihr Vergehen als 
„Unglück“ zu bezeichnen und zu betrachten, um der An¬ 
erkennung der Schuld vor dem Forum des eigenen Gewissens 
und vor Andern aus dem Wege zu gehen. Der Begriff des 
Unglücks schliesst ja die. eigentliche Verantwortlichkeit ge¬ 
radezu aus. „Ich bin kein schlechter Mensch, sondern ein 
Unglücklicher“, das ist gleichsam der Schild, mit dem sie 
sich gegen alle Angriffe zu decken suchen. Im Zusammen¬ 
hang damit steht ein eigenthümliches Verhalten gegen Gott, 
das sich bei den Einen als eine Art Fatalismus, bei den 

Blätter für Gefängnissknnde. VII. 6 



82 


Andern als scheinbare Ergebung in den unabänderlichen 
göttlichen Rathschluss kennzeichnet. „Gott hat es eben so 
gewollt“ ist keine seltene Redensart. Eine Stütze dieser 
Anschauung bildet bei Vielen das mehr oder minder klare 
Bewusstsein, dass allerdings nicht ihre Schuld allein, sondern 
noch andere Faktoren mitgewirkt haben, sie in die gegen¬ 
wärtige Lage zu bringen. Dessen ungeachtet richtet sich der 
Groll der Gefangenen in den wenigsten Fällen gegen Gott 
selbst, lieber Bürgermeister, Gemeinderäthe, Anwälte, Amts¬ 
richter, Schwurgerichtspräsidenten u. A. wird viel gescholten, 
sie kommen oft schlecht weg. Mit dem „lieben Gott“ dage¬ 
gen wird glimpflich umgegangen, obwohl er das „Unglück 
gewollt“ hat. Es hat den Anschein, als ob der Geduld und 
Resignation Gott gegenüber ein Doppeltes zu Grund läge. 
Einmal fällt es dem Bestraften schwer, die Höllenfahrt der 
Selbsterkenntniss anzutreten und sich vor Gott und Menschen 
schuldig zu bekennen, und für’s Andere will er bei dem 
herben Bewusstsein, mit der menschlichen Gesellschaft zer¬ 
fallen zu sein, wenigstens bei dem ewigen Gott noch einen 
Stein im Brett behalten. Diesem irrigen Verhalten gegen¬ 
über bleibt es die Aufgabe der Seelsorge, von der falschen 
Resignation und vom faulen Frieden durch das Thal auf¬ 
richtiger Selbsterkenntniss zur wahren Gcttergebung zu führen 
und den Sträfling glauben zu lehren, dass Gott ein gerechter 
Vergelter wie des Guten so auch des Bösen ist und seiner 
nicht spotten lässt. 

2. Besondere Erfahrungen. 

Von erfreulichen Erfahrungen kann nur mit grosser Vor¬ 
sicht geredet werden. Die Natur der Sache bringt das mit 
sich, dass der Geistliche nur sehr selten von handgreiflichen 
Erfolgen seiner Arbeit reden kann. Der Arzt ist im Stande, 
den sichern Nachweis zu liefern, wie Viele von dieser und 
jener Krankheit geheilt worden sind. Die Besserung des 
Sinnes, die Aenderung des Willens dagegen ist nicht so 
leicht und mit solcher Bestimmtheit zu constatiren. Wie 
viele Thränen, Versprechungen und gute Vorsätze erwei¬ 
sen sich bald nach der Entlassung als taube Blüthen, die 



83 


von der Freiheitsluft in alle Winde verweht werden! Der 
Qeistliche säet auf Hoffnung in dem guten Glauben, dass 
doch früher oder später ein Samenkorn noch aufgehen und 
zur Frucht reifen könnte, das vor Menschenaugen verloren 
scheint. Nach dem Gesagten möchte ich mich auf folgende 
Bemerkungen beschränken. Erfreulich mag es genannt wer¬ 
den, dass manche Sträflinge, die vor Gericht ihre Schuld 
hartnäckig geläugnet haben, hier früher oder später ein reu- 
müthiges Geständniss ablegten. Eine Anzahl weniger wich¬ 
tige Fälle umgehend, möchte ich einen einzigen besonders 
erwähnen. 

H. L. von L., wegen Ermordung seiner Frau zu zehn¬ 
jähriger Zuchthausstrafe verurtheilt, setzte die vor Gericht 
eingehaltene Läugnung seines Verbrechens anfänglich auch 
hier in hartnäckiger Weise fort. Nach wiederholten Bemü¬ 
hungen, ihn zur Anerkenntnis seiner Schuld zu bewegen, 
brach endlich das Eis, welches die Stimme des Gewissens 
nicht zur Geltung hatte kommen lassen, und er legte unter 
vielen Thränen ein offenes und reumüthiges Geständniss ab. 
Es war dieses Vorkommnis um so erwünschter, als über die 
That selbst noch ein gewisses Dunkel verbreitet war, wel¬ 
ches nun vollständig aufgehellt wurde. 

An traurigen Beweisen des geraden Gegentheils fehlte 
es freilich auch nicht. So hat, um nur dies Eine anzuführen, 
H. V. von W., wegen Unzucht mit seinem eigenen Kinde zu 
sechs Jahren Zuchthaus verurtheilt, seine Schuld noch in den 
letzten Augenblicken seines Lebens mit aller Entschiedenheit 
in Abrede gestellt. „Vor Gottes Richtorstuhl werde ich noch 
sagen, dass ich unschuldig war“, das waren seine letzten 
Worte. Trotz der Nähe des Todes hoffte er wohl, dasB er 
wieder aufkommen werde; möglich auch, dass er, der äus- 
serst rohe, trotzige und glaubenslose Mensch seine bisherige 
Rolle mit eiserner Consequenz bis zum Ende durchzuführen 
beschlossen batte. 

Das traurigste Erlebniss des Jahres war das Brand¬ 
unglück im Zellengefängniss, angestiftet von J. J. Schwäble 
aus Altbulach in Württemberg. Schwäble war ein kräftiger 
Mensch von muskulösem Körperbau und nicht minder geistig 

6 * 



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wohlbegabt, dabei aber von Jugend auf verwildert, äusserst 
heftig und leidenschaftlich. Seiner Gesinnung nach war er 
ein achter Social - Demokrat- und ebenbürtiger Genosse der 
Pariser Communisten. Wenn man ihn auf der Zelle besuchte, 
so henahm er sich keineswegs brutal und unanständig; auch 
wenn er seiner Wuth über die Gefangenschaft zuweilen in 
rohen Ausdrücken Luft machte, enthielt er sich persönlicher 
Invectiven. In religiöser Hinsicht huldigte er dem gemein¬ 
sten Materialismus. Manchmal konnte man von ihm die 
Aeusserung hören: „Mit dem Tode ist Alles aus; die Seele 
gleicht einem Bündel Heu oder Stroh, von dem nach dem 
Verbrennen nichts übrig bleibt als ein Häuflein Asche.“ — 
Dem Leben des unseligen Menschen entsprach sein schauer¬ 
liches Ende. Wohl äusserte er noch, als er, aus vielen Wun¬ 
den blutend, die grässlichen Folgen seiner That zu spüren 
bekam: „ich war verblendet“; wohl antwortete er auf die 
Frage, ob es ihm leid sei, mit „ja gewiss“; aber wer wollte 
es wagen, von diesen schwachen Spuren der Selbsterkennt- 
niss auf eine aufrichtige Reue und Sinnesänderung zu schlies- 
sen?— Wir schweigen. Gott wird richten. 

Noch Eines muss hier bemerkt werden. Von befreun¬ 
deter Seite ist mir die Frage aufgeworfen worden, ob 
Schwäble nicht maniakalisch gewesen sei; sein tragisches 
Ende mache diese Annahme wahrscheinlich. Darüber nur 
Folgendes: Wer den Sträfling genau gekannt hat, wird 
nicht den leisesten Zweifel hegen an seiner völligen Gei¬ 
stesintaktheit und Zurechnungsfähigkeit. Auch sein Ende 
mit Allem, was dabei in Betracht kommt, nöthigt zu. nichts 
weniger als zur Annahme einer Geistesstörung. Oder ist 
die Wuth, von welcher der Gefangene erfasst wurde, als er 
seinen wohldurchdachten Fluchtversuch vereitelt sah, und 
die nachherige Abkühlung und Ernüchterung, als er von 
dem Streich eines Mitgefangenen tödtlich getroffen am Boden 
lag, — ist das so unbegreiflich? Ist es zum Verwundern, 
dass ihm jetzt endlich die Augen aufgingen über das Thö- 
richte und Unsinnige seiner That? Doch eine ausführliche 
Erörterung hierüber gehört nicht hieher. Deshalb sei mir 
schliesslich nur noch das eine Wort gestattet: Will man die 



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Sünde und die durch sie bewirkte Verblendung überhaupt als 
Seelenstörung betrachten, nun ja, dann war Schwäble frei¬ 
lich in hohem Grade maniakalisch. Bei solcher Auffassung 
aber würde dieses Attribut eine sehr ausgedehnte Anwendung 
finden im Sinne jenes Mannes, welcher im Hinblick auf die 
Insassen der Anstalt sich äusserte: „I1 s sont tous des 
malades!“ 


IV. Statistik. 

Die Gesammtzahl der evangelischen Gefangene 1 !) betrug 
im Jahre 1871: 326. Davon waren verurtheilt zu Zuchthaus¬ 
strafe 149, zu Arbeitshausstrafe 177. S. 326. 

Unter den Zuchthausgefangenen befinden sich: l, Deutsche 
144, 2. Nichtdeutsche 5. Summa 149. Von den Deutschen sind: 
a) aus Baden 103, b) Preussen 5, c) Bayern 3, d) Würt¬ 
temberg 26, e) Sachsen 2, f) Hessen 5. S. 149. Von den 
Nichtdeutschen sind: a) aus England 1, b) aus der Schweiz 

4. Summa 5. 

Unter den Arbeitshausgefangenen befinden sich 1. Deutsche 
169, 2. Nichtdeutscbe 8. S. 177. Von den Deutschen 6ind: 
a) aus Baden 133, b) Preussen 2, c) Bayern 8, d) Würt¬ 
temberg 22, e) Sachsen 1, f) Hessen 3» S. 169. Von den 
Nichtdeutschen sind: a) aus England 1, b) aus Holland 1, 
c) aus der Schweiz 6. S. 8. 

Von sämmtlichen Gefangenen sind unehelich gebo¬ 
ren 51. Ferner sind ledig 243, verheirathet 68, Wittwen 15, 

5. 326. 

Was den Bildungsgrad betrifft, so ist zu bemerken: 
1) höhere Bildung besitzen —, 2) es können lesen und schrei¬ 
ben 322, 3) es können lesen aber nicht schreiben —, 4) es 
können weder lesen noch schreiben 4, Summa 326. 

Nach dem Verbrechen erhalten wir folgende Gruppi- 

rung: 

1) Verbrechen gegen Leib und Leben: Mord 8, Mord¬ 
versuch’2, Tödtung 26, Todtschlag 7, Versuchte Tödtung 1, 
Vergiftung 1, Vergiftungsversuch 1, Beschädigung durch Nach¬ 
lässigkeit im Dienst 1, Körperletzung 4, Summa 51. 

2) Verbrechen gegen das Eigenthum: Raub 6, Diebstahl 



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188, Betrug 8, Münzfälschungsversuch 1, Wechselfälschung 2, 
Urkundenfälschung 5, Brandstiftung 15, boshafte Beschädi¬ 
gung 1, Unterschlagung 9, Wilderei 2. Summa 232. 

3) Verbrechen gegen die Sittlichkeit: Nothzuchtö, Noth- 
zuchtsversuch 8, Unzucht mit Kindern 18, Blutschande 2, 
Widernatürliche Unzucht 5. Summa 38. 

4) Verbrechen gegen den Eid: Falsches Zeugniss 1, 
Meineid 1. Summa- 2. 

5) Verbrechen gegen die Obrigkeit: Widersetzlichkeit 1. 

6) Verbrechen gegen die Militärgesetze: Desertion 1, 
Insubordination 1. Summa 2. 

Von den Gefangenen sind: 1-) zum ersten Mal bestraft 
198, 2) wiederholt bestraft 128. Summa 326. 

Von den Letzteren waren im Zellengefängniss: 1 Mal 

40, 2 Mal 22, 3 Mal 5, 4 Mal 1. 

Entlassen wurden: 1) Mit Strafende 129. 2) Begnadigt 
und zwar: a) unbedingt 6, b) unter Bedingung der Auswan¬ 
derung 6. 3) Mit Tod gingen ab 3. 4) ln Urlaub befinden 

sich 3. 5) An andere Anstalten wurden abgegeben 35. 

Sun ma 182. 

Am Schlüsse des Jahres betrug die Zahl der evaugel. 
Gefangenen 144. Davon waren: 1) Zuchthausgefangene 91, 
2) Arbeitshausgefangene 53. Summa 144. 

Bruchsal, im April 1872. 


Spengler, 

Evangelischer Hausgeistlicher. 



Jahresbericht 

der 

Hauslehrer für 1871. 


A. lieh ersieht der Lehrgegenstfinde. 

(Wesentlich gleich wie 1869.) 


II. Statistische Verhältnisse. 

Im Laufe des Jahres befanden sich in der Anstalt: 
Zuchthaussträflinge . . 391 
Arbeitshaussträflinge . 505 

Gesammtzahl 896 

Yon diesen besuchten die Schule: 202 Zuclithaussträfl., 
271 Arbeitshaussträfl, zusammen 473. Die Schule besuchten 
nicht: a) Altershalber 176 Z., 225 A., zus. 401; b) weil sie 
die nöthigen Kenntnisse besitzen 1; c) als rückfällige Diebe 
waren vom Schulbesuch ausgeschlossen 12 Z., 9 A., zus. 21. 

Yon den 473 Schülern wurden im Laufe des Jahres aus 

der Anstalt entlassen .217 

Altershalber von der Schule dispensirt . . 17 

In die Hilfsanstalt versetzt.38 

Zusammen 272 

Die Schülerzahl betrug somit am Schlüsse des Jahres 
noch 201, und zwar befanden sich davon in der I. Classe 36, 
II. Classe 35, III. Classe 32, IY. Classe 36, Y. Classe 35, 
YI. Classe 27. Im Ganzen 201. 






Im Laufe des Jahres wurden entlassen aus d> 
37, II. Classe 40, III. Classe 48, IV. Classe 34, 5. 
YI. Classe 25. Im Ganzen 217. 

Befördert wurden aus der I. Classe in die 
aus der II. in die III. Cl. 36, aus der III. in die 

aus der IV in die Y. Cl. 35, aus der V in die 

Es kamen also im Laufe des Jahres 159 I 
gen vor. 

Von den im Laufe des Jahres eingelieferten 
tigen Sträflingen wurden eingetheilt: in die I. Chi 
# haussträflinge 32, Arbeitshaussträfl. 59, zusammen 
16 Z., 29 A., zus. 45; III Cl. 7 Z., 31 A., zur. 3; 

12 Z., 12 A., zus. 24; V. Cl. 5 Z, 11 A, zus. I 

1 Z. Zusammen 73 Zuchthaussträil., 142 Arbeit; 
Im Ganzen 215. 

Unter den beim Jahresschlüsse die oberste 
suchenden Schülern kamen bei ihrer Einlieferun 
unterste Classe 4, II. Cl. 6, III. Cl. 1, IV. Cl. 9. 
VI. Cl. 1. Zusammen 27. 

Es, haben 4 Schüler sämmtliche Classcn dur 
6 die fünf oberen etc. 

Von den 391 im Laufe des Jahres eingeliefer 
haussträflingen konnten weder lesen noch schreibe 

Von den 505 im Laufe des Jahres eingelit 
beitshaussträflingen konnten weder lesen noch sehr 

Nach 8. 18 der Hausordnung haben für besoi 
merksamkeit und erfolgreichen Fleiss im Unterricht 
Prüfung im Jahr 1871: 38 Schüler Belohnungen, 
in Gebet- und andern Büchern, Atlanten, Zeichen-! 
etc. erhalten. 

Bruchsal, den 26. April 1872. 

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Herrmann, Ol 
£ Kirsch, II. Leb : 

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