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BONNER JAHßBlTCHER.
JAHRBÜCHER
VEREINS VON ALTERTUMSFREUNDEN
BHEINLANDE.
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rtEDKUCKT AUF KOSTEN I>KS VEREINS.
BONN, BEI 1. MiÜClIS.
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BONNER JAHRBÜCHER.
JAHRBÜCHER
DES
VEREINS VON ALTERTUMSFREUNDEN
IM
EHEINLANDE.
HEFT 102.
UT 6 TAFELir VND 27 TEXTnflDBEH.
BONN.
GEDRUCKT AUF KOSTEN DES VEREINS.
B0N5, BEI 1. HAKCDS.
1898.
Inhalts -Verzeichnis.
I. Geschichte und Denkmäler.
Seite
1. Die Beurkundung des Civiistandes im Altertum. Ein Beitrag zur Geschichte
der Bevölkerungsstatistik. Von Wilhelm Levison 1
2. Zur Okkupations- und Verwaltungsgeschichte des rechtsrheinischen Römer-
landes. Von E. Herzog. Hierzu Tafel I 83
8. Die neueren Ausgrabungen vor dem Klever Thor zu Xanten. Von J. S t e i n er.
Mit 1 Textfigur 102
4. Die Arretinischen Töpfereien. Von Maxihm 106
5. Neue römische Funde vom Niederrhein. Von A. 0x6. Mit 2 Textfiguren 127
6. Die Waldalgeshermer Schmuckplatten. Von Cons tantin Reenen. Hierzu
Tafel II 158
II. L i 1 1 e r a t u r.
1. Die Formen der römischen Thongefässe diesseits und jenseits der Alpen.
Von Prof. Oscar Holder. Besprochen von Dragendorff 163
2. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Dritter Band. V. Die Kunstdenk-
mäler des Kreises Grevenbroich. Vierter Band. I. Die Kunstdenkmäler des
Landkreises Köln. Von Paul Giemen. Besprochen von A. Wiedemann 164
8. Bergische Sagen. Von Otto Schell. Besprochen von A. W 166
4. Die kölnischen Stadtpläne des Arnold Mercator und des Cornelius ab Egmont
von 1571 und 1642. Besprochen von R. Schnitze 167
5. Rheydter Chronik. I. Bd. bearbeitet von Dr. L. Schmitz. II. Bd. verfasst
von Dr. W. Strauss. Besprochen von Constantin Koenen 170
6. Neuere Veröffentlichungen über das Bauernhaus in Deutschland, Österreich-
Ungarn und der Schweiz von Hans Lutsch. Besprochen von Constantin
Koenen 171
III. M i s z e 1 1 e n.
1. Römische und germanische Funde am Rheinwerft zu Bonn. Von Knicken-
berg • 174
2. Funde aus Bonn. Von Klein 178
8. Euskirchen. Römische Funde. Von Klein 180
4. Altes und Neues vom Weiler an der römischen Saarbrücke beim Halberg 182
5. Heddesdorf. Römischer Grabstein. Von Klein 187
6. Köln. Römische Grabschrift. Von Klein 188
7. Münstereifel. Fund von Thongefässen. Von Schulteis. Mit Ab-
büdung 188
8. Neuss. Münzen von Nemausus und Vienna. Von van Vleuten . . . 190
9. Poulheim. Funde beim Bau der Bahn Köln-Grevenbroich 190
10. Bheydt. Neue Funde 190
IV Inhalts- Verzeichnis.
Seite
11. Weissenthurm. Prähistorische und römische Funde. Von Klein . . . 192
12. Zülpich. Fränkische Funde. Von Klein 193
13. Achtunddreissigste Plenarsitzung der historischen Kommission bei der kgl.
bayerischen Akademie der Wissenschaften am 11. und 12. Juni 1897 . . . 194
IV. Berichte.
Jahresbericht des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande zu Bonn . . 196
Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmalpflege in
der Rheinprovinz 199
Berichte über die wichtigeren der ausgeführten Restaurationsarbeiten 204
Anfertigung von Kopien 257
Berichte über die Thätigkeit der Provinzialmuseen in der Zeit vom 1. Aprü 1896
bis 31. März 1897 261
1. Bonn 261
2. Trier 267
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- und Geschichtsvereine und über die
Vermehrung der städtischen und Vereinssammlungen innerhalb der Rhein-
provinz 274
1. Die grösseren Vereine 274
2. Die Vereine mit beschränktem Wirkungskreis 278
3. Die städtischen Sammlungen 291
I. Geschichte und Denkmaler.
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum.
Ein Beitrag zur Geschichte der Bevölkerungsstatistik.
Von
Wilhelm LeTison«
Vorbemerkungen.
Im Mittelpunkte dei- folgenden, von Herrn' Geheimrat Professor Nissen
angeregten und mit seiner Unterstützung vollendeten Arbeit stehen Zusammen-
stellungen von Altersangaben, die sich auf den Griechischen und Römischen
Grabinschriften finden; sie sind gesammelt und geordnet, um eine Grundlage
zu ihrer Venvertung für die Bevölkeruugsgeschichte des Altertums zu geben.
Hier ist nur die Frage nach ihrer Zuverlässigkeit behandelt, für die sich in
der Geschichte der Civilstandsbeurkundung ein passender Rahmen darbot. Da-
gegen ist die Ausnutzung für die Bevölkerungsgeschichte nicht versucht, sondern
der Zukunft vorbehalten. Die Zahl der Ergebnisse dürfte sich als nicht allzu
gross erweisen; wenn irgendwo, so gilt hier Goethes Wort:
Was man nicht weiss, das eben brauchte man.
Und was man weiss, kann man nicht brauchen.
Dennoch dürfte die Zusammenstellung der Altersangaben auch bei der
Aussicht auf nur geringen Ertrag gerechtfertigt erscheinen, da so allein ein
Urteil über den Wert und die Brauchbarkeit dieses ausgedehnten Materials
möglich wird.
Die Untereuchung war bereits abgeschlossen, als mir die Abhandlung von
A. G. Harkness: Age at marriage and at death (Transactions of the American
Philological Association XXVII, 1896, S. 35 — 72) bekannt wurde. Harkness
hat gleich mir die Altersangaben der Grabinschriften gesammelt und in Tabellen
geordnet, ohne dass die VeröflFentlichung meiner Sammlungen überflüssig er-
scheinen könnte. Das beiderseitige Verfahren weicht nämlich in verschie-
denen grundsätzlich wichtigen Punkten von einander ab. Harkness hat
es unterlassen, die Geschlechter zu scheiden, und doch ist meines Er-
achtens das Verhältnis, in dem beide vertreten sind, nicht unwesentlich fllr die
Beurteilung und Verwertung des ganzen Materials. Fenier hat er sich in
seinen Tabellen eng an die Einteilung des Corpus inscriptionum Latinarum an-
geschlossen, während ich es vielfach versucht habe, den StofiT nach kleineren
Bezirken zu zergliedern. Somit mnsste ich wegen der mangelnden Überein-
stiiiiiiiiing unserer Tabellen nach Form und Inhalt darauf verzichten, die Zu-
Jakrb. d. Yer. t. Altertlufir. im Bheinl. lOS. 1
2 Wilhelm Levison:
yerlässigkeit meiner Zahlen im einzelnen mit Hilfe der Amerikanischen
nachzuprttfen. Ich habe ganze Provinzen, z. B. Achaja, unberücksichtigt
gelassen, wenn mir das Material für eine statistische Aufarbeitung zu beschränkt
erschien, während eine Tabelle fttr den ganzen Band des C. I. L, keinen Teil
ausschliessen konnte; ma» beachte auch die verschiedene Behandlung der In-
schriften der Flottensoldaten und der christlichen Monumente.
Lehrreich für die Frage nach der Methode, die bei der Verwertung dieses
Materials anzuwenden ist, erscheint Harkness' Versuch, auf Grund von sorg-
fältigen Sammlungen das Durchschnittsalter von Männern und Frauen bei der
Heirat zu bestimmen; seine Rechnung ergiebt eine spätere Lebenszeit, als man
bisher angenommen hatte. Die Rechnung ist richtig; aber lassen sich daraus
irgend welche Folgerungen ziehen? Es ist doch bemerkenswert, dass nicht
etwa die Reihe der Frauen, die mit 18 Jahren geheiratet haben, am stärksten
besetzt ist, sondern keine Gruppe so zahlreich vertreten ist wie die der Jahre
12 bis 15, sowohl einzeln wie in ihrer Gesamtheit, dass die Frauen, welche
vor vollendetem 16. Jahre geheiratet haben, 50,3 ®/o der gesamten Menge ein-
nehmen. Trotz der höheren Durchschnittszahl bleibt also die Thatsache zahl-
reicher früher Heiraten bestehen. Nicht allgemeine Durchschnittsberechnungen,
bei denen allzu leicht die äussersten Enden ausschlaggebend werden, dürften
hier von Nutzen sein, sondern eine Zusammenfassung des Materials nach
kleineren Gruppen von nicht zu grossem Umfange.
Die benutzten Quellen sind durchweg veröflFentlicht und allgemein zu-
gänglich mit zwei Ausnahmen. Herr Professor Dr. Dessau in Berlin gestattete
mir, die vorhandenen Korrektur- und Aushängebogen des 3. Ergänzungsbandes
der Afrikanischen Inschriften (Mauretanien) einzusehen. Herr Professor Dr.
Wessely in Wien teilte mir den Wortlaut mehrerer nicht vollständig veröflFent-
lichter Totenscheine der Papyrussammluug Erzheraog Rainer mit. Beiden sei
an dieser Stelle herzlicher Dank für ihre liebenswürdige Förderung meiner
Arbeit ausgesprochen!
Nicht der Forschungsdrang der Wissenschaft hat die ersten statistischen
Einrichtungen ins Leben gerufen, sondern die Anforderungen des praktischen
Lebens. „Aus dem Bedürfnis, die militärische und die pekuniäre Leistungs-
fUhigkeit eines Staates, seine Wehrkraft und seine Steuerkraft zu ermitteln und
die Grundlage für eine gerechte und zweckmässige Verteilung dieser Lasten
zu gewinnen"*), erwuchsen die Anfänge der Bevölkerungsstatistik. In der-
selben Richtung wirkte das natürliche Streben des Bürgers nach Vorkehrungen,
durch die der Kreis der vollberechtigten Glieder des Staatswesens urkundlich
festgestellt und gegen das Eindringen Minderberechtigter geschützt werden
konnte. Sobald daher die Ausdehnung des Staates und die Zunahme der
1) Eduard Meyer im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften* von Conrad,
Elstbr, Lexis und Löning II, 1891, S. 448.
Die Benrkundang des Civilstandes im Altertnni. 8
Volkszahl die Möglichkeit nahmen , allein mit Hilfe des Gedächtnisses die
Verteilung der Bevölkerung nach Rechten und Pflichten vorzunehmen und die
Berechtigung aller Ansprüche auf den Besitz des BttrgeiTechts zu beurteilen
und zu prüfen, musstcn jene zwei Ursachen zu statistischen Aufnahmen der
Bevölkerung führen, die Notwendigkeit der Kenntnis der Leistungsfähigkeit des
Staatsganzen ^) auf der einen Seite^ auf der anderen das Bedürfnis, den Besitz
des Bürgerrechts gegen Anfechtungen zu sichern und Eindringlinge von dem
Genüsse seiner Ehren und Vorteile fernzuhalten. Diese Ursachen treten denn
auch in Hellas wie im Römischen Reiche in allen Einrichtungen zu Tage,
deren Aufgabe es war, Stand oder Bewegung der Bevölkerung festzustellen,
wie in dem KaraXoTO^ und den Censuserhebungen, dem XriEiapxiKÖv Tpa|bi|biaTeTov
und ebenso den Geburtsurkunden, die die Abstammung der Neugeborenen und
die Zeit der Geburt berücksichtigen mussten. Denn wie die Herkunft über
den Besitz des Bürgerrechts entschied^ so kam auch die Zeit der Geburt für
die verschiedensten Fragen des öffentlichen und des Privatlebens in Betracht,
war die Feststellung des Alters, die probatio aetatis, bei zahlreichen Gelegen-
heiten notwendig^). Mündigkeit und Recht zur Eheschliessung, Anfang und
Ende der Heerespflicht, Zulassung zu den Staatsämteiii und Befreiung von
manchen öffentlichen Lasten hingen davon ab; der xaraXoTo^ und die tabnlae
iuniorum seniorumque umfassten bestimmte Altersklassen, ein bestimmtes Lebens-
jahr bedingte die Einschreibung in das Attische Gemeindebuch und den 7riva£
^KKXiiaiaariKÖ^, in Rom schrieben leges annales für die Bekleidung der Staats-
ämter ein Mindestmass von Lebensdauer vor. Heute würden unsere Gebnrts-
listen fllr diese Zwecke eine sichere Grundlage bieten können ; die entsprechen-
den Einrichtungen des Altertums, besonders des Römischen Reiches, darzulegen,
soll Aufgabe der folgenden Untersuchung sein.
Hellas.
Athen hat eigentliche Geburtslisten niemals gekannt. Die Phratrien, seit
Kleisthenes rein religiöse Verbände, führten wohl Bürgerverzeichnisse'); aber
man kann sie kaum Geburtslisten nennen, da es dem Vater des Neugeborenen
freistand, die Anmeldung seines Kindes in dessen erstem Lebensjahre vorzu-
nehmen oder erst dann, wenn er es in die Phratrie einführte und das Opfer
Koupciov darbrachte. Am Feste der Koupeaixi^, dem dritten Tage der Apa-
turien, im Monat Pyanopsion fanden die Eintragungen statt, deren Berechti-
gung in einer eingehenden biabixaaia geprüft wurde. In der Phratrie Armo-
1) „üt publice notae sint facultatos nostrae", bezeichnet Kaiser Claudius als
Zweck des Census am Ende seiner Rede de iure bonorum Gallis dando.
2) Für Rom vgl. Pardessus, Memoire sur les differents rapports sous lesquels
Yäge 6tait consid^r^ dans la legislation romaine, in den M6moires de TAcad^mie Royale
des inscriptions et belles-lettres XIII, 1837, S. 266—344; Leonhard, Aetas, in Pauly-
Wissowas Beal-Encyclopädie I, 1894.
3) Hermann, Lehrbuch der Griechischen Staatsaltertümer 11^, 1892, S. 324 f.;
Wilamowitz, Aristoteles und Athen U, 1893, S. 259 f.
4 Wilhelm Levison:
Tiujvibai ftthrten nach ihrem Gesetze vom Jahre 396/5 ^) der Phratriarch und
der Priester des Zeus Phratrios das TpctMMaTeTov und eine Abschrift (dvTiTpa-
q)ov) desselben und nahmen die notwendigen Eintragungen und Streichungen
vor; in den übrigen Phratrien wird es ebenso gewesen sein, nur dass Ver-
schiedenheiten in der Leitung der Phratrien auch Abweichungen in der Ver-
waltung der Listen zur Folge haben mochten, wie etwa das Vorhandensein
zweier Phratriarchen bei den AuaXeT? *). Die Listen hatten nicht die Aufgabe, die
Zeit der Geburt festzustellen oder die Bewegung der Bevölkerung für die
Zwecke der Verwaltung erkennen zu lassen; sie sollten die Herkunft der Ein-
getragenen aus der rechtmässigen Ehe eines Bürgers mit einer Athenerin eben-
falls bürgerlicher Abkunft bekunden, seit Perikles (451/0) Bedingung für den
Besitz der Bürgerrechte. Die Phratrien waren so die Wächter über die Rein-
heit der Abstammung; sie verlangten für die Eintragung in die Listen nach
Isaios' Worten ^) den Nachweis, f\ juriv dH aaTx\<; €i0dT€iv Kai TtTOvöia öpBui?,
und Zeugen mussten diesen, wie das Gesetz der Demotioniden vorschreibt,
durch den Eid bekräftigen: juapTupui 6v el0dT€i ^auiip uöv elvai toötov Tvrj-
010V dt TctMeTTJ^. Welcher Art die Einschreibungen waren, zeigt der Zusatz zu
diesem Gesetze, der um die Mitte des vierten Jahrhunderts fllr die Anmeldung
beim Phratriarchen bestimmt, d7TOTp6q)€(y9ai tuj TrpaiTiu ?Tei f\ di &v tö Koupeov
&^e\ TÖ övo)Lia iraTpöBeT Kai toö brjiiiou Kai Tf\^ m^po^ TraTpöGev Kai to[0 br|])iOu.
Hier zeigt es sich deutlich, däss es sich nicht um die Beurkundung des dies
natalis, sondern nur der natales handelte. Die KOivd Tpa)Li)iaT€Ta der Phratrien
lassen sich so nur in beschränktem Masse mit unseren Geburtslisten vergleichen,
ebenso mit den Taufbüchern *) nur insofern, als die Eintragung in das TpctMMa-
T€Tov zugleich die Aufnahme in die Kultgemeinschaft der Phrateren bedeutete.
Dass dieses Verzeichnis der Phratriegenossen, wie man behauptet hat, „der
Rolle der Wehr- und Steuerpflichtigen, dem Gemeinderegister des Demos, als
natürliche Grundlage diente wie dieses den Wählerlisten der Ekklesia" ^), ist
bei der trotz mancher Beziehungen doch verschiedenen Natur von Phratrien
und Demen kaum wahrscheinlich und würde die biaiprjq)i0i5 bei der Eintra-
gung in das Gemeindebuch und der Aufnahme unter die Epheben ^) überflüssig
gemacht haben; dagegen spricht ferner, dass diese Eintragung an die Voll-
endung des 18. Lebensjahres gebunden war, während die Phratrienlisten kaum
eine genaue Feststellung des Alters gestatteten oder auch nur bezweckten.
Im besten Falle konnten die q)paT6piKd TpoiMMOiTcia den XiiHiapxiKd TPoimnaTeTa
zur Kontrolle dienen, aber nicht ihre Grundlage abgeben.
Wie die Phratrienlisten also nur bestimmt waren, ünbereclitigte vom Ge-
1) C. I. A. II 2, 841b und IV 2, 841b (S. 534 und 205).
2) C. I. A. II 1, 600.
3) VII 16.
4) Töpffer, Attische Genealogie, 1889, S. 17.
5) Scholl, Die kleisthenischen Phratrien. Münchener Sitzungsberichte, phil.-hist.
Klasse, 1889 II, S. 23.
6) Aristot. 'Aenv. noX. 42.
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum. 5
nusse der Bürgerrechte fernzuhalten, nicht auch zum Zwecke der Verwaltung
die Bewegung und die Zunahme der Bevölkerung festzustellen, so entspricht
es dem durchaus, dass die Ueberlieferung nichts von Attischen Sterbelisten
weiss. Zur Zeit des Thukydides bestanden solche sicherlich noch nicht, da
dieser nur die Zahl der an der Pest gestorbenen Ritter und Hopliten anzu-
geben weiss, nicht die der übrigen Toten ^), und ebensowenig meldet ein Zeug-
nis in der Folgezeit von der Führnng Attischer Totenlisten. Die Inschriften
mit den Verzeichnissen der im Kampfe gefallenen Krieger finden hinreichende
Erklärung durch die besondere Gelegenheit, die den Gedanken nahelegen
mochte, das Andenken der Tapferen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen
und ihre Namen durch eine Inschrift der Nachwelt zu melden; sie gestatten
aber keinen Schluss fllr die Geschichte der Civilstandslisten, sondern sind
blosse Denkzeichen Hellenischer Tapferkeit, wie zu Pausanias' Zeit^), so auch
für uns'*).
In vielen der Griechischen Staaten mag es ähnliche Standeslisten ge-
geben haben wie zu Athen; doch kein Zeugnis berichtet davon, und nur für
die Insel Kos lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit der Gebrauch von Ge-
burtslisten schon für das fünfte Jahrhundert v. Chr. erechliessen *). Hippokrates
war hier 460 geboren; noch im zweiten Jahrhundert n. Chr. konnte Soranos
für seine ßioi iaipiüv in den Archiven von Kos die Geburtszeit des Vaters der
Heilkunde bis auf den Tag genau feststellen ^), Kaid be tou^ TTeXoTrovvrityiaKOu^
flKjLiacTe xpovou^, heisst es von Hippokrates, T^wiiGei^, ui^ q)r|(Tiv IcTTOiiiaxo^ dv
TUJ a' 7T€pi TTl^ 'iTTTTOKpdTOU^ atp^0€U)^, Kttia TO tt fio^ ifj^ 7t' 6Xu|i7ndbo^, d)^
bfe Zuipavö^ 6 Käo^ dpeuvrjcra^ id dv Kiu TPCtm^ctToq)uXaK€ia 7rpo(TTi9r|0i, )iOvap-
XOUVTO^ 'Aßpidba, iiinvö^ 'Atpiaviou kZ!'* rrap' 6 Kai dvaTiCeiv dv aurq M^xpi vöv
'iTTTroKpdiei q)ii0i tou^ Kiuou^. Dass diese Angabe über die Geburtszeit des
Hippokrates Geburtslisten entstammt, ist eine naheliegende Vermutung, die an
Wahrscheinlichkeit gewinnt durch eine Inschrift dör Kos benachbarten Insel
Kalynma^). Dieses Denkmal gehört einer Zeit an, in der Kalymna von Kos
abhängig war'), und enthält ein Verzeichniss von Personen, wahrscheinlich
der zur Teilnahme am Kult des Apollon Delios Berechtigten ®), in dessen Tempel-
1) Thuc. III 87, 3: T€TpaKoaiuüv y^p öttXitiüv kqI T€TpaKiaxiX(ujv ouk dXdaöou^ dir^-
Oavov ^K Toiv TdHeuüv xal TpiaKoaiuuv linr^uüv, toö hk. dXXou öxXou dveSeupexoq dpiG^ö^. V«rl.
Müller-Strübing, Aristophanes und die historische Kritik, 1873, S. 642.
2) Paus. I 29, 4 f.
3) C. I. A. I 432 f., II 1673.
4) Vgl. Wilamowitz, Euripides Herakles I, 1. Aufl., S. 3, Anin. 4.
5) Westermann, Biographi Graeci minores, S. 449—450.
6) Colli tz-Bechtel, Sammlung der Griechischen Dialekt - Inschriften III 3593
(= Bulletin de corr. hell. VIII, 1884, S. 29-42), und die vielleicht zu derselben In-
schrift gehörenden Bruchstücke Ancient Greek inscriptions in the British Museum II,
1883, 315—320.
7) Vgl. Paten and Hicks, Inscriptions of Cos, 1891, S. 352—354; CoIIitz-Bechtel
a. a. O. S. 324—325 (Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr.).
8) Der Zweck der Inschrift lässt sich erschliessen aus einer ähnlichen Liste —
doch ohne Angaben über die Zeit der Geburt — aus dem Kölschen Demos Halasarna
6 Wilhelm Levison:
bezirk die Inschrift sich fand. In ihrem erhaltenen Teile werden fivnßoi und
fcpilßoi, TTapGevoi und T^vaiKC^ aufgezählt, geordnet nach Phylen und Demen;
in derselben Weise waren vermutlich ävbpe^ genannt. Zu jedem Namen sind
wie in den Attischen Phraterenlisten genaue Angaben über die Abstammung
von beiden Eltern her hinzugesetzt, ausserdem aber regelmässig das Geburts-
datum, indem ein eponymer Beamter des Geburtsjahres — mag nun der juiö-
vapxo^ oder der aTe(pavr\cpöpo<; gemeint sein — und der Geburtsmonat ange-
geben werden, z. B. (Zeile 44 f. und 98 f.) :
OavoKpiTii l0OKpdTOu TX. Ik TToGaia^, liaipö? be 0iXo0TpdTr|? id? KXeucpdvou
TTa)Li. d£ 'OpKttTOu, Y^TOvuTa im 'AtXaoO, AaXiou.
TTXdiujv A€U)0TpdTOu TX. Ik TTavöpiLiou, juaTpö? bi KpaTi0TOÖ^ id^ TTpagiiröXio^
Tlaix, iK TTavöpjiOu, t^TOVO)? dm EuTuxiba, Kapveiou.
Da so eine Angabe über ein Geburtsdatum vorliegt, die den Archiven
von Kos entnommen ist, da femer sich im Gebiete von Kos eine Inschrift ge-
funden hat, die zeigt, dass man hier nicht nur auf die Feststellung der Her-
kunft, sondern auch auf die der Geburtszeit einigen Wert legte, so mag die
Vermutung nicht allzu gewagt erscheinen, dass auf Kos wirkliche Geburts-
listen im Altertum geführt worden sind.
Damit ist aber auch alles erschöpft, was wir über Hellenische Civilstands-
listen wissen und mutmasscn können.
Rom.
Der Römische Census war zugleich Vermögenseinschätzung und Volks-
zählung, der Btirgercensus der Republik wie der Provinzialcensus der Kaiser-
zeit; so bewirkte er die Beurkundung des Personenstandes, und man konnte
sich auf sein Zeugnis berufen ^), das über Herkunft und Stand, über Alter und
damit die Zeit der Geburt Auskunft gab. Nee quotus annus eat nee quo sit
nata require consule, quae rigidus munera censor habet, mahnt Ovid bei der
Unterweisung in der Liebeskunst*). Beim Btirgercensus war die Angabe des
Alters notwendig, um „die noch nicht dienstßlhigen Knaben und innerhalb der
Dienstfähigen die iuniores und die seniores zu sondern" ^), bei der Einschätzung
(Collitz 3706) und dem Beschlüsse, dem diese ihren Ursprung verdankt (3705): *'E6o[H]€
xatq qpuXal^ att; n^xeOTi xiliv lepOüv 'ATröXXuuvo^ xal 'HpaKXeO^ ^v 'AXaadpvqi, Eöq)(Xr)TO(; . . .
elTr€**ETr€i6fi auvßaCvei buaeirixvuüaToq f^iuev röt; dvaifCTpaMM^vo^ xtp Betfi b\ä t6v xP<^vov,
ÖTTUj; ouv ^TTiTvujaGüüvTi, xoT^ T€ (jirobcxon^voit; eÖTrapaKoXoOGriTov öirdpxij tö Tr[Xf^eoq] xibv
)neT€XÖvTiuv Tou Upoö • bcböxOai, Kupuue^vrot; xoöbe xoö \\fa<pia^aTo<^, diroYpdqpcaOai xö^ |li€x^-
Xovxa<; xoö Upoö. Doch werden weniger Angaben verlangt, als die Liste von Kalymna
bietet: ' fiiifo-xpafpiaQwv . . . x6 övofia Traxpiaoxl . . . 4HaT€U|n^vo(; xal xdv cpuXdv xal xö^
|naxpö<; x6 Övojna xal xivoq xüüv iroXixäv euydxnp öirdpxei.
1) Dig. XXn 3, 10: Mareellus libro tcrtio digestorum. Census et monumeuta
publica potiora testibus esse senatus censuit. Tertullian. adv. Marcion. IV 7: de
censu denique Augusti, quem testem fideiissimum dominicae nativitatis Romana ar-
chiva custodiunt.
2) ars amat. II 663.
3) Mommsen, Römisches Staatsrecht II 1^, S. 375.
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum.
(1er Provinzialcn um der Erhebung der Kopfsteuer willen, die nur innerhalb
bestimmter Altersgrenzen gefordert wurde *). Geburtsscheine fehlten — bis zu
welcher Zeit, wird noch zu zeigen sein — zur Kontrolle ; schien eine Aussage
unglaubwürdig, so musste man zum Vergleiche die bei früheren Censusaufhahmen
abgegebenen Erklärungen heranziehen, wie es Kaiser Claudius that, als T. Ful-
lonins sich ein Alter von 150 Jahren zuschrieb*). Welcher Art die Zuverlässig-
keit dieser Altersangaben war, zeigen Zusammenstellungen Hundert- und Mehr-
jähriger aus der achten Eegion Italiens, die der ältere Plinius*) und Phlegon
von Tralles *) uns erhalten haben und die auf die Listen des letzten, 74 n. Chr.
von Vespasian und Titus abgehaltenen Bürgercensus zurückgehen^). Plinius
und Phlegon geben ftlr die einzelnen Altersklassen folgende Zahlen:
Alter
in
Jahren
Zahl der Personen
nach Plinius
nach
Phlegon
100
54
46
101
6
102
i ^
3
103
1
1
105
—
5
im
1
1
1
107
1
1
110
!
14
2
111
—
1
113
'
1
114
—
1
120
8
1
125
2
130
4
135
und 137
4
1
140
1
3
Wie der Vergleich lehrt, sind beide Verzeichnisse unvollständig; Plinius
und Phlegon haben ihre gemeinsame Quelle — etwa die acta urbis? — un-
gleichmässig benutzt, Plinius scheint zudem den Stoif in wenige Rubriken zu-
sammengezogen zu haben und nicht genau wiederzugeben. Aber auch nach
Abzug des Teiles der üngeuauigkeitcn, der auf Rechnung der Schriftsteller
zu setzen ist, erscheinen die beim Census gemachten Altersangabeu unzuver-
lässig. Nicht nur ist eine solche Menge Hundertjähriger in so beschränktem
Gebiete auflFallend — 1881 betrug in ganz Italien die Zahl der centenari nur
380^) — , sondern auch das starke Überwiegen der runden, durch 5 teilbaren
1) Ulpian. Dig. L 15, 3.
2) Plin. nat. hist. VII 159: In Tinoli montis cacumine quod vocant Tempsin
CL anuis vivere Mucianus auctor est, totidein annorum censum Claudi Caesaris cen-
sura T. Fullonium Bononiensem, idque eoUatis censibus quos ante detulerat vitaeque
argumentis — etenim curae principi id erat — verum apparuit. ViUie argumenta ist
zu allgemein gehalten und zu unbestimmt, um Folgerungen zu gestatten.
3) nat. hist. VII 162-164.
4) ircpl MaKpoß(u)v, bei Müller, Fragmenta hist. Graec. III, S. 608 f. ; Keller, Rerum
naturalium scriptores Graeci minores I, S. 85 f.
5) Mommsen a. a. 0. S. 370, Anm. 3; Beloch, Die Bevölkerung der Griechisch-
Römischen Welt, 1886, S. 45; Rothstein, Quaestiones Lucianeae, 1888, S. 126, Anm. 3.
6) Statistik des Deutschen Reichs, N. F. XLIV, 1892, S. 106.
8 Wilhelm Levison:
Zahlen auch bei Phlegon lässt auf grosse üngenauigkeit der Altei^sangaben
schliessen, eine Erscheinung; die ebenso in neuester Zeit bei Volkszählungen
und standesamtlichen Meldungen, freilich in beschränkterem Masse, zu
Tage trat, soweit nicht die Kontrolle durch Geburtsscheine diesen Übelstand
beschränkte ^). Für die probatio aetatis konnten die Censuserklärungen also
nur eine wenig sichere Grundlage bieten, und dazu kamen in der Kaiserzeit
neue Verhältnisse, die eine regelmässige Beurkundung der Geburten zu einem
allgemeinen Bedürfnisse machen mussten.
Im Vordergrunde der Massregeln, durch die Augustus eine sittliche
Wiedergeburt Roms herbeizuführen suchte, stehen seine Ehegesetze*), gerichtet
gegen die wachsende Neigung zur Ehelosigkeit und die Zunahme der kinder-
losen Ehen. Strafen und Nachteile bedrohen die Ehe- und Kinderlosen, vor
allem auf dem Gebiete des Erbrechtes; der Besitz einer Nachkommenschaft
verschafft Ehrenrechte und Vermögensvorteile. Eine grössere Kinderzahl giebt
einen Vorzug bei der Bewerbung um ein Amt, die mitbedachten Familienväter
erhalten Erbschaften und Vermächtnisse, die Junggesellen und Kinderlose nur
noch in beschränktem Masse antreten können, und so machen noch mancherlei
andere Vorteile den Kinderbesitz begehrenswert. Daher wurde zum Genüsse dieser
Vorzüge der Nachweis von iusti liberi notwendig, und was hätte diesen mehr
erleichtem können als eine regelmässige Beurkundung der Geburten? Auch
vermehrten die Ehegesetze die Zahl der Fälle, in denen eine probatio aetatis
erforderlich war; der Zwang zur Ehe hört mit einem bestimmten Lebensjahre
auf, die lex Papia Poppaea verlangt von einem bestimmten Alter an das Vor-
handensein von iusti liberi.
In gleicher Richtung mussten die causae liberales wirken, die notwendig
in demselben Masse zunahmen, in welchem die zahlreichen Freilassungen und
die Mischung der Stände und Nationen, vor allem in der Hauptstadt selbst,
die Feststellung der Standesunterschiede erschwerten, dagegen unberechtigtes
Eindringen in höheres Recht und unbegründete Angriffe auf die Ingenuität er-
leichterten.
Alle diese Umstände machten es wünschenswert, an die Stelle von ge-
legentlich vorhandenen Schriftstücken, aus denen sich irgend eine Bemerkung
zum Beweise heranziehen Hess, und an die Stelle von Zeugenaussagen, die für
den einzelnen Fall eingeholt wurden, dauernde Urkunden zu setzen, deren Re-
cognition jederzeit den Nachweis der Herkunft uud des Alters ohne Schwierig-
keiten gestattete.
1) Vgl. z. B. Statistik des Deutschon Reichs, N. F. XXXII, 1888, S. 54*. Mayr,
Die Gesetzmässigkeit im Gcsellschaftsleben, 1877, S. 160; Bevölkerungsstatistik (Hand-
buch des Öffentlichen Rechts, Einleitungsband VI), 1897, S. 75. Ad. Wagner, Grund-
legung der politischen Ökonomie P, 1893, S. 475, 482.
2) Heineccius, Ad legem Juliam et Papiam Poppaeam commentarius, 1726. Jörs,
Über das Verhältnis der Lex Julia de maritandis ordinibus zur Lex Papia Poppaea,
1882. Bouch6-Leclercq in der Revue historique LVII, 1895, S. 241—292.
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum. 9
Die litterarische Überlieferung über die Geschichte der
Geburtsurkunden in Rom^).
Als älteste Nachricht zur Geschichte der Römischen Civilstandslisten hat
man vielfach ein Bruchstück der Annalen des L. Calpurnius Piso (frg. 14 Peter)
hingestellt, das Dionysios von Halikamassos erhalten hat (antiq. IV 15,5), in-
dem er von Servius Tullius berichtet:
'Q^ bi TT€i(Tu)v AeuKio^ iv rq TrpuiTri tüüv dviau(Tiu)v dvaTpaq)&v i0TOp€T,
ßouXö)ui€vo^ Ktti TAY dv d(TT€i biaTpiß6vTU)v TÖ TrXfiGoq eibdvai, tüüv T€ T^VVUi-
)i€vu)v Ktti TÜJV dTroYivo)idvuJV -Kai tu)V ei^ fivbpaq dTTPaq)0)ievuJV, ^ToEev 80ov
?b€i vö)ii0|Lia KaTaq)€p€iv urr^p iKaaiov tou^ 7Tpo0riKOVTa^, ei^ iikv töv Tf\<;
EiXeiGuia^ 9ii0aup6v, fiv 'Pu))iaToi KaXoömv ''Hpav q)U)(Tq)6pov, urrtp tuüv tcvvuj-
)Lidvu)V eiq bfe töv ifj^ 'AqppobiTn? Tfjq dv äX0ei Ka0ibpu)ievr|?, i^v irpo^aTO-
p€uou0i AißiTiVTiv, uTT^p TÜ)V dTTOTivojidvuiV * €1^ bk Tov Tfl^ NeöiriToq, urrfep
Tujv el^ ävbpaq dpxojidvujv 0uvTeX€Tv il «Lv f^ineXXe biaTVU)0€00ai Ka9' ?Ka(TTOV
dviauTÖv, 8(Toi T€ oi (JujiTTavTe^ fi0av xai iive^ ii autOüv Tf|v (JTpaTiE\j(Ti)iOv
flXiKiav eixov.
Einige Forscher haben auf Grund dieser Stelle den Ursprung von Civilstands-
registem bis in die Zeiten der Königsherrschaft zurückverlegt, jedoch mit Un-
recht. Der Kern von Pisos Angaben ist der Bericht über eine alte Sitte,
nach der man bei Geburten der Juno Lucina eine Geldspende darbrachte, bei
Todesfällen der Libitina, bei der Anlegung der toga virilis der Juventas, drei
1) Für diesen Abschnitt ist ausser den Handbüchern allgemeineren Inhaltes
folgende Litteratur anzuführen, die freilich heute nur noch teilweise in Betracht
kommt:
Trekell stellt in seiner Ausgabe von Brissonius' opera niinora, 1749, S. 9 die ältere
Litteratur zusammen, wenn auch keineswegs vollständig.
Westenberg, Opera omnia iuridica III, 1758: Divus Marcus, diss. VII. § 14, S. 91— 92.
Amtzen in den Acta literaria societatis Rheno-Trajectinae I, 1793, S. 146—149.
Heyne, Opuscula academica VI, 1812, S. 75—76.
Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten XXI, 1820, S. 307-312, 322—325.
Cramer, In D. Junii Juvenalis satiras commentarii vetusti, 1823, S. 367.
Le Clerc, Des joumaux chez les Romains, 1838, S. 198 f.
Dirksen, Die Scriptores Historiae Augustae, 1842, S. 185 f.
Zell, Ferienschriften, N. F. I, 1857, S. 68—77.
Borghesi, Oeuvres completes IV, S. 149.
Hildebrand, Die amtliche Bevölkerungsstatistik im alten Rom. Jahrbücher für Na-
tionalökonomie und Statistik VI, 1866, S. 81—96.
Becker-GöU, Gallus II, 1881, S. 74 f.
H. Dum6ril, De constitutionibus Marci Aurelii Antonini, 1882, S. 86.
Pöhlmann, Die Übervölkerung der antiken Grossstädte, 1884, S. 26.
Beloch, Die Bevölkerung der Griechisch-Römischen Welt, 1886, S. 1 f.
Memelsdorff, De archivis imperatorum Romanorum qualia fuerint usque ad Diocletiani
aetatem. Haller Dissertation 1890, S. 37 f.
Dazu seien der Vollständigkeit halber zwei Arbeiten genannt, die mir unzu-
gänglich blieben:
Bappard, De instnun. natal., Lugd. B. 1816.
Tromp, De probat famil. apud Rom., Lugd. B. 1837.
10 Wilhelm Levison:
Mächten aus der Schar jener Römischen Sondergötter^ die das menschliche
Leben von der Stande der Empfängnis bis zum letzten Laute der Totenklage
mit ihrem Walten begleiteten. Was Piso ausserdem berichtet, hat nicht mehr
Wert als die vielen anderen Erzählungen über Roms Urzeit, deren Aufgabe
es war, an die einmalige Handlung eines Gesetzgebers den Ursprung von
Einrichtungen und Sitten anzuknüpfen , deren Anfänge sich im Dunkel
der fernen Vergangenheit verloren, und gehört demselben Gedankenkreise an,
dem z. B. die Geschichte Numas ihre Ausgestaltung verdankt. M^n mochte
sich zu Pisos Zeit (um 125 v. Chr.) der Möglichkeit bewusst sein, aus dem
Jahresertrage der Geldspenden den Bevölkerungsstand zu ermitteln *), und so
wird Piso, dem überhaupt ein rationalistischer Zug eigen gewesen zu sein
scheint*), König Servius für die Einrichtung der Opfer diese praktische Ab-
sicht zugeschrieben haben, dabei vielleicht von demselben Gedanken erfüllt,
den wenig später Sempronius Asellio auf die Zeitgeschichte anwandte, dass es
nicht genüge, quod factum esset, id pronuntiare, sed etiam, quo consilio quaque
ratione gesta essent, demonstrare. Von wirklichen Civilstandsregistem, von
einer Beurkundung des Personenstandes ist bei Piso nicht die Rede, und es
ist nicht gerechtfertigt, diese Geldopfer in irgend einen Zusammenhang mit
den Geburtsurkunden der späteren Kaiserzeit zu bringen, die ganz anderen
Beweggründen ihre Entstehung verdankten, so leicht dazu auch der Umstand
verfahren könnte, dass später in der That die täglichen Sterbefälle „in rationem
Libitinae" eingetragen wurden. Für die Geburten findet aber kein derartiges
Zusammentreffen statt, und es fehlt jeder Anhalt für einen Zusammenhang
der Spenden an Lucina mit den späteren Geburtsurkunden^).
Ebenso ist deren Verknüpfung mit den acta urbis abzulehnen*). Aller-
dings enthielten diese Geburtsanzeigen, aber ohne jeden amtliehen Charakter,
einfache Privatmitteilungen gleich den Todesanzeigen, deren subjektive Fassung
es gestattete, dem Schmerze Ausdruck zu geben ^). Dass die Geburtsanzeigen
der acta urbis lediglich den Zweck hatten, Familienereignisse der vornehmen
Kreise Roms, namentlich der kaiserlichen Familie, zur öffentlichen Kenntnis zu
bringen, keine Geburtsstatistik zu geben oder öffentliche Urkunden darzustellen,
zeigt eine Zusammenstellung der wenigen überlieferten Beispiele:
1) Ausser biblischen Analogien lässt sich die Berechnung der Volkszahl Ägyptens
aus dem Ertrage der Kopfsteuer bei Joseph, bell. Jud. II 16, 4, 385 vergleichen. Der
Bericht über die Geldspenden bei den Paganalien (Dionys. IV 15, 4) steht auf gleicher
Stufe mit dem Pisos.
2) Vgl. Peter, Historicorum Romanorum relliquiae I, 1870, S. CLXXXXVf.
3) Vgl. Dirksen a. a. 0. S. 186 f. Marquardt, Privatleben der Römer I«, S. 86,
Anm. 4.
4) Vgl. Huebner, De senatus populique Romani actis, im 3. Ergänzungsbande
der Jahrbücher für classische Philologie S. 611 f. Marquardt a. a. O. S. 88. Hermann
Peter, Die geschichtliche Litteratur über die römische Kaiserzeit I, 1897, S. 209-— 217.
5) Quintilian. inst. or. IX 3,17: et iam vulgatum actis quoque: Saucius pectus.
Vgl. Teuffei, Geschichte der Römischen Literatur I», 1890, S. 454 (§ 216, 2).
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum. tl
Sueton. Tiber. 5: Natus est (Tiberius) Romae in palatio XVI kal. Dec. M.
Aemilio Lepido iterum L. Munatio Planco consulibus (42 v. Chr.) per
bellum Pbilippense. sie enim in fastos aetaque in publica relatum est
(Hübner n. 16).
Dio Cass. XLVIII 44,4: Kai auiöv (Drusus) 6 KaT^ap Km dveiXeio kqi tä
TTttTpi ?7r€|üii|J€v, auTÖ TOÖTO iq TOI u7ro|üivfi)LiaTa ^) dTTP^M^ci?? öti Kaidap tö
T€VVTi9tv Aiouiqi t^ dauTou y^vaiKi Traibiov N^pwvi tijj Traipi änibwK^v
(38 V. Chr.; Hübner n. 17).
Sueton. Caligul. 8: C. Caesar natus est pridie kal. Sept. patre suo et G. Fon-
teio Capitone consulibus (12 n. Chr.). ubi natus sit, incertum diversitas
tradentium facit .... ego in actis Antii editum invenio (Hübner n. 19).
Lamprid. Diadumen. 6, 7: Gommodum autem Marens Antoninum appellavit
atque ita in publica acta') edidit die natalis sui (161 n. Chr.; Hübner
Susp. n. 6).
Capitolin. Gordian. 4,8: lam illud satis constat, quod filium, Gordianum no-
mine, Antonini signo inlustraverit, cum .... publicis actis eins nomen
insereret (192 n. Chr.; Hübner n. 43).
Juvenal. sat IX 82 — 85 klagt Nävolus:
Nnllum ergo meritum est, ingrate ac perfide^ nuUum,
quod tibi filiolus vel filia nascitur ex me?
tollis enim et libris actorum spargere gaudes
argumenta viri ; und richtig fügt ein Scholiast hinzu, id est nominum no-
titiem divulgare contestatione publica. Nur eine Stelle scheint sich dieser
Reihe nicht einzufügen und dafür zu sprechen, dass die acta urbis doch regel-
mässig Übersichten über sämtliche Geburten in Bom enthielten, nicht nur
Anzeigen von Familienereignissen brachten, die allgemeineres Interesse bean-
spruchen konnten. Bei dem Gastmahle des Trimalchio (Petron. sat. 53) er-
scheint ein actuarius des Wirtes, qui tanquam urbis acta recitavit; sein Be-
richt, eine Parodie auf die Stadtzeitnng, bringt Neuigkeiten, die sich auf
Trimalchios Gütern zugetragen haben, und hebt an mit den Worten: VII. ka-
lendas Sextiles in praedio Cumano, quod est Trimalchionis, nati snnt pueri XXX,
puellae XL. Man hat aus dieser Stelle geschlossen, dass die acta urbis
„sunmiarische Übersichten" der Geburten, wenn auch ohne Anftthrung aller
Einzelfälle, veröffentlichten^), und diese Annahme hat die einer regelmässigen
Anmeldung zur notwendigen Folge, da eine solche allein die Grundlage für
jene Übersichten abgeben konnte. Aber ist jener erste Schluss notwendig?
Wenn man den Zweck der Vorlesung des actuarius beachtet und bedenkt, dass
die Parodie hier nicht Selbstzweck ist, sondern nur als Mittel dient, neue
1) Die ganze Fassung der Worte veranlasst mich, in den ()1ro^vl^^aTa hier dio
Stadtzeitung, nicht des Augustus Schrift de vita sua (fr. 13 Peter) zu sehen; vgl.
Peter, bist Rom. fr. S. XXII.
2) So schreibt Hübner statt des handschriftlichen publicas.
8) Ad. Schmidt, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft I, 1844, S. 350 (= Abhand-
lungen zur alten Geschichte, 1888, S. 438); Zell S._74.
13
Wilh elm Levison;
Farben zu dem vorhandenen Gemälde hinziiziitragen, durch neue Züge das
Biid von TrinaalchioB grenzenloBem Reichtum zu ergiiiizcn und anschaalich za
geetalten, so wird man sich hüten, mehr als allgemeine ümriBsc aus der Pa-
rodie fur die Herstellung der Grundlage zu entnehmen. Die Thatsache der
Veröffentlichung von Geburtsanzeigen in der Wtadtzeitung stimmt durebaus zu
dem, was wir sonst wissen. Dass dagegen hier zusanimentasaendc Zahlen fUr
die Menge aller Geburten geboten werden, nicht einzelne Anzeigen, auf die
alle anderen Naehricbteu hinweisen, bedarf nicht der Znrtlckfflhrung anf das
Vorbild des wirklichen Tageblattes, sondern erklärt «eh einfach als neue Ans-
geetaltung eines Gedankens, den Petronius vorher in anderer Weise zum Aus-
druck gebracht hatte, wenn von den Sklavendecurien Trimalchios die Rede
ist '), oder wenn er einen der Gäste ausrufen läset *} : Faniilia vero babae babae,
non meherculex puto decumam partem esse, (juae dominum suum noverit. Die
Absieht der Übertreibung tritt auch in der bei der Ausdehnung des Cumaner
Gebietes unsinnigen Hfibe der Geburtenziffer hervor. Die Worte der Parodie
finden also ihre hinreichende Erklärung durch des Schriftstollera Bestreben,
Triraalchios Sklavenhesitz einen ähnlichen Umfang zu geben, wie Seneca dem
des Demetrins Pompejanus, wenn er \'on diesem berichtet *) : Numerus illi co-
tidie servonim velut imperatori exercitus referebatur*).
Zum ersten Male ist von einer wirklichen Anmeldung der Gelmrteu und
der Aufnahme von Urkunden Uher diese die Rede in des Afrikaners Apn-
iejns Verteidigungsrede {apol. ed. Krueger c. 89):
De aetate vero Pudentillac, de qua post ista satis eontidenter mentttus
es, ut eliam sexaginta annos natam diceres nupsisse, de ea tibi paucis re-
spondebo; nam necesse non est in re tani perspicua pluribus disputarc. pater
eins natam sibi filiam more ceferornm professns est. tabulac eins partim
tabulario publieo partim domo adservantur, quae iam tibi ob os obiciuntur.
porrige tu Aemiliano tabnias istas; linnm consideret signa quae impressa
sunt reeognoscat, consnlcs legat, anuos computet, quos sexaginta mnlieri ad-
signabat, probet quinque et quinqnaginta: lustro mentitus sit. parnm hoc
est, libcralins agam; nam et ipse Pudentillae mnitos annos largitns est: re-
donabo igitur vieissim. decem annos Mezentius cum Ulixc enavit: quinqua-
ginta saltem annorum niulierem ostendat. quid multisV nt cum quadnipla-
tore agaui, bis duplum quinquennium faeiam, viginti aunos semel detraham.
iube, Maxime, consules computari: nisi fallor, invenies nunc Pudentillae band
multo amplius qundragesimum annum actatis ire.
1) BUL 47.
2) sat. 37.
3) Seneca de Iranquill, an. 8, ß.
i) Hätte es zu Petrons Zeit eine (■eburtenBtatiittik geg'cbcn, deren Ergebnisse
L'n arta urbis zur Kcnntuin weiterer Ri'ei.se gelnngteii. so liHltc di^r Schrirtstellcr
in aller Erfahrung widersprechendes VerhftltuiB der Knaben- und Mädcheti-
geburten gewäUlt. Selbstverständlich beansprucht dieser Gedanke keine Beireiskraft.
J
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum. 13
Da Apulejus seine Verteidigung um 158^) vor dem Proconsul Claudius Maxi-
mus führte und da nach seiner Angabe Pudentilla damals das vierzigste Le-
bensjahr nur wenig überschritten hatte^ so ergiebt sich etwa 118, die Zeit der
Anfinge Hadrians^ als Geburtsjahr der Frau. Um diese Zeit, so lehren Apu-
lejus' Worte, war es in Pudentillas Heimat, wahrscheinlich Oea *), allgemeiner
Brauch (more ceterorum), dass die Väter über die Geburt ihrer Kinder bei
einer Behörde — jedenfalls am Archive — eine Erklärung abgaben (professus
est) ') und vor Zeugen (signa quae impressa sunt recognoscat) in der seit Neros
Zeit vorgeschriebenen Gestalt*) eine Urkunde aufnahmen, die mindestens in
zwei Exemplaren ausgefertigt wurde, von denen das eine nach Art unserer
Geburtsscheine mitgegeben wurde, um etwa bei einer probatio aetatis oder
Status Verwendung zu finden, während das andere auf dem Archive *) verblieb,
wohl in der Absicht — wie man aus anderem Zusammenhang übertragen darf
— ut, si quando exemplum eins interciderit, sit unde peti possit*), ein Vor-
gang, für den das Griechische Archivwesen vielleicht das Vorbild abgegeben
hat^). Dass auf dem Archive wirkliche Geburtslisten auf Grund der pro-
fessiones angefertigt wurden, wird nicht gesagt und lässt sich nicht erweisen;
Thatsache ist, dass um 118 in Pudentillas Heimatstadt eine Beurkundung der
1) Tissot, Fastes de la province romaine d'Afrique, 1885, S. 101—105. Rohde,
Rhein. Mus. N. F. XL, 1885, S. 67. Pauly-Wissowa, Real-Encyclopädie 11 247. Proso-
pographia imperii Romani I, 1897, S. 388.
2) Pudentillas Heimat wird zwar nirgendwo ausdrücklich genannt; wäre es
aber eine andere wie Oea gewesen, wo sie zum ersten Male verheiratet war, wo sie
als Witwe lebte und Apulejus kennen lernte, so hätte Apulejus dies doch wahrschein-
lich irgendwo erwähnt.
3) Über „die technische Bedeutung von profiteri, das, ungefähr wie unser *zu
Protokoll erklären', immer die vor der zuständigen Behörde abgegebene Erklärung
bezeichnet' vgl. Mommsen, Staatsrecht P, S. 471, Anm. 1.
4) Sueton. Nero 17: Adversus falsarios tunc primum repertum, ne tabulae nisi
pertusae ac ter lino per foramina traiecto obsignarentur. Paul, sentent. V 25, 6:
Ampllssimus ordo decrevit, eas tabulas, quae publici vel privati contractus scripturam
continent, adhibitis testibus ita signari, ut in summa marginis ad mediam partem per-
foratae triplici lino constringantur, atque impositae supra linum cerae signa impri-
mantur, ut exteriori scripturae fidem interior servet; aliter tabulae prolatae nihil mo-
menti habent. Vgl. die Militärdiplome. Über diese Seite der Apulejusstelle handeln:
Mommsen, Über die Subscription und Edition der Rechtsurkunden (Berichte über die
Verh. d. Sachs. Ges. d. Wiss. III, 1851) S. 376—377; Bruns, Kleinere Schriften TI,
1882, S. 116.
5) Warum Dziatzko im tabularium publicum das aerarium Saturni erkennen
will (Pauly-Wissowa II 561), nicht eins der zahlreichen Archive der Provinzen und
Städte (Marquardt, Staatsverwaltung IP, S. 313), vermag ich nicht einzusehen.
6) Paul. sent. IV 6, 1 : Tabulae testamenta aperiuntur hoc modo, ut testes vel
maxima pars eorum adhibeatur, qui signa verint testamentum: ita ut agnitis signis
rupto lino aperiatur et recitetur atque ita describendi exempll fiat potestas ac deinde
signo publice obsignatum in archivum redigatur, ut, si quando exemplum eins inter-
ciderit, Sit unde peti possit.
7) Mitteis, Beichsrecht und Volksrecht in den Östlichen Provinzen des Römischen
Kaiserreichs, 1891, 8. 171 f.
14 Wilhelm Levison:
Geburten erfolgte. Ob es sieh am eine allgemeine Einriebtmoig oder nur einen
Ortsbninch bandelt, gebt ans Apnlejns' Worten niebt bervor; das gleiebsam
zur Erklärung hinzugesetzte more eeterorum scheint mehr f&r die zweite Mög
liebkeit zu sprechen *).
Während also um 118 mindestens zu Oea bereits Geburtsurkunden zur
Aufbewahrung im Archive aufgezeichnet wurden und eine professio der Ge-
burten erfolgte, berichtet Capitolinus (M. Antonin. Phil. 9, 7 — 9) von Kaiser
Marc Aurel:
Liberales causas ita munivit, ut primus iuberet apud praefectos
aerarii Satumi unumquemque civium natos liberos profiteri intra tricensimum ')
diem nomine inposito. per provincias tabulariorum publicorum usum instituit,
apud quos idem de originibus fieret, quod Romae apud praefectos aerarii,
ut, si forte aliquis in provincia natus causam liberalem diceret, testationes
inde ferret. atque hanc totam legem de adsertionibus firmavit aliasque de
mensariis et auctionibus tulit. de statu etiam defunctorum intra quinquennium
quaeri iussit.
Einrichtungen, die Apulejus schon in den Anfängen Hadrians bestehen lässt,
hat nach diesem Berichte erst Marc Aurel „primus^^ ins Leben gerufen, ein
Widerspruch, den man auf verschiedene Weise zu lösen suchte. Casaubonus*)
glaubte die „commoda interpretatio^' anwenden zu dürfen: Marcus sane non
primus huius instituti auctor: sed vetus inventum in melius reformavit. Zu
dieser Auslegung könnte der Umstand bewegen, dass die folgenden Worte:
De statu etiam defunctorum intra quinquennium quaeri iussit, nicht auf eine
erste Bestimmung gehen, sondern auf näheren Ausftlbrungen einer solchen durch
Marc Aurel beruhen**), deren Kern schon durch Erlasse von Titus^) und
Nerva®) gegeben war. Aber in dem vorliegenden Falle schliesst der Zusatz
primus Casaubonus' Deutung völlig aus. Femer hat man primus auf einen
1) Wenn professio sich auch auf die Aussage beim Census bezichen kann, so
sei doch in diesem Zusammenhange auf die Worte des Esels bei Apul. metam. VIII
24 hingewiesen: Bursum requirit annos aetatis meae, sed praeco lasciviens: Mathe-
maticus quidem, qui Stellas eius disposuit, quintum ei nuraeravit annura, sed ipse
scilicet melius istud de suis novit professionibus.
2) Nur die editio princeps hat die Lesart tertium.
3) Historiae Aug. scriptores . . . cum integris notis Isaaci Casauboni, Gl. Sal-
masii et Jani Gruteri, Lugd. Bat. I, 1671, S. 327.
4) Dig. XL 15, 1, 3: Sed interdum et intra quinquennium non licet de statu
defuncti dicere: nam oratione divi Marci cavetur, ut, si quis ingenuus pronuntiatus
fuerit, liceat ingenuitatis sententiam retractare, sed vivo eo qui ingenuus pronuntiatus
est^ non etiam post mortem, in tantum, ut etiam, si coepta quaestio fuit retractationis,
morte eius extinguatur, ut eadem oratione cavetur. 16, 2: Conlusionem detegere in-
genuitatis post sententiam intra quinquennium posse divus Marcus constituit. Vgl.
Dirksen S. 195 f.
5) Suet. Tit. 8: Vetuit .... quaeri . . de cuiusquam defunctorum statu ultra
certos annos.
6) Dig. XL 15, 4: Primus omnium divus Nerva edicto vetuit post quinquennium
mortis cuiasque de statu quaeri.
Die Beurknndung des Civilstande» im Altertum. 15
einzelnen Ansdruck bezogen, auf die Anmeldung gerade im aerarium Saturni;
aber von liberales eauBas munire konnte doch nur dann die Rede sein, wenn
eine wirklich wesentliche Massregel vorlag, nicht Nebenumstände wie die Ein-
ftihrung eines anderen Standesamtes, die vielleicht im einzelnen die Handhabung
ein wenig geändert, aber schwerlich etwas zum Schutze der angegriffenen In-
genuität beigetragen hätte. Die einzige ungezwungene Auffassung der Worte
ist die, primus auf die ganze berichtete Handlung, nicht auf einen einzelnen
Ausdruck zu beziehen, und man hat die Wahl, angesichts des Widerspruches
mit Apulejus entweder auch in diesem Falle die in neuster Zeit so vielfach
angegriffene Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der historia Augusta zu
leugnen oder die Lösung der Schwierigkeit auf folgendem Wege zu suchen.
Die Anordnung Marc Aureis hatte nach Capitolinus allgemeine Geltung; da-
gegen ist es nicht notwendig, Apulejus* Aussage zu verallgemeinem. Des
Kaisers Bestimmung schliesst nicht aus, dass dieselben Bedürfnisse, denen sie
ihren Ursprung verdankte, bereits vorher in einzelnen Gegenden selbständig
ähnliche Einrichtungen ins Leben gerufen, hie und da entsprechende Dinge
erhalten hatten, die vielleicht vor Menschenaltem aus ganz anderen Wurzeln er-
wachsen waren. Wäre Pudentillas Heimat wirklich Oea gewesen, so wäre ge-
rade hier der Gebrauch von Geburtsurkunden den Verhältnissen angemessen
und nicht unwahrscheinlich, wie die Geschichte der Stadt lehrt ^). Während
ihr Name auf vorphönikischen Ursprang zurückweist, hatten Punier, Sicilische
Griechen, endlich Römer sich hier niedergelassen, und wie die Stadt einst zum
Kampfe gegen Rom
Trinacrios Afris permixta colonos*)
sandte, so trat auch noch zu Apulejus' Zeit der verschiedene Ursprang der
Bevölkerang in dem Gebrauche des Punischen, Griechischen und Lateinischen
hervor'), wie denn Pudentillas Sohn, der nur die beiden ersten Sprachen ver-
steht, sich die Unkenntnis des Lateinischen von Apulejus zum Vorwurfe machen
lassen muss. Gerade solche Bevölkerungsverhältnisse mochten am ehesten den
Anstoss zu Einrichtungen geben können, welche das Eindringen Unberechtigter
in die Bürgerschaft verhindem sollten, die bis in die Kaiserzeit hinein ein
hohes Mass von Unabhängigkeit zu behaupten wusste und noch zu Vespasians
Zeit mit Hilfe der Garamanten gegen die Nachbarstadt Leptis Krieg führen
konnte *), Es sind dies nur Vermutungen, die dazu auf der unbewiesenen Vor-
aussetzung berahen, dass Oea Pudentillas Vaterstadt war; aber die Auffassung
der von Apulejus berichteten Einrichtungen als örtlich beschränkter würde
sehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn es gelänge, ein zweites Beispiel
daftlr nachzuweisen, dass irgendwo schon vor Marc Aurel die Geburten bei der
Behörde gemeldet wurden und zwar aus ganz anderen Ursachen als denen, die
nach Capitolinus zu des Kaisers Anordnungen den Anstoss gaben. Damit er-
1) C. I. L. vni 1, S. 5.
2) SU. ItaUc. m 257.
8) ApuL apoL 82, 98.
4) Plin. nat hist. V 5, 38. Tacit. bist. IV 50.
16 Wilhelm Levison:
giebt sich eine Aufgabe der weiteren Untersuchung; eine zweite bietet sich,
da die Glaubwürdigkeit der Angabe des Capitolinus zweifelhaft ist, in einer
Prüfung der Frage, ob sich in der That vor Marc Aurel im allgemeinen keine
Spuren der Anwendung von Geburtsurkunden nachweisen lassen, wohl aber
solche gerade seit seiner Zeit hervortreten.
Lassen wir zunächst die Frage unentschieden, ob erst Marc Aurel die
Beurkundung der Geburten allgemein durchgeführt hat oder ob etwa nur „die
Grenzen der Anwendung genauer reguliert wurden", wo Capitolinus eine neue
Einrichtung zu sehen glaubte *), jedenfalls würde eine solche Massregel trefflich
zu anderen Anordnungen des Kaisers stimmen, deren Gegenstand die Sicheiiing
der Ingenuität und die Verhinderung ihrer Anmassung war *). Dass er auch
bestrebt war, die so oft notwendige probatio aetatis zu erleichtem, zeigt ein
durch ihn veranlasster Senatsbeschluss ^), der diese in die Reihe derjenigen
Geschäfte stellte, die keinen Aufschub gestatteten und selbst an dies feriatici
erledigt werden sollten. In diesen Zusammenhang fügt sich Capitolinus' Nach-
richt gut ein und gewinnt an innerer Wahrscheinlichkeit. Wie die Zusammen-
setzung der vita lehrt*), setzt Capitolinus die Anordnung Marc Aureis vor den
Tod des L. Verus, also zwischen die Jahre 161 und 169; eine genauere Zeit-
bestimmung aus der Anordnung zu entnehmen, scheint mir bei der Darstellungs-
art der historia Augusta nicht zulässig.
Aus der Zeit nach Marc Aurel lassen sich folgende Zeugnisse mit Sicher-
heit auf die Geburtsurkunden beziehen ^) :
Jul. Capitolin. Gordian. 4, 8 : lam illud satis constat, quod filium, Gordianum
nomine, Antonini signo inlustraverit, cum, apud praefectum aerarii more
Romano professus filium, publicis actis eins nomen insereret ^) (192 n.Chr.).
Dig. XXVII 1,2: Idem (Modestinus) libro secundo excusationum. 'Aq)i€VTai
dTTlTpOini^ Kttl KOUpaTOpia^ Kai Ol ^ßb0)ir|K0VTa ItX] 7T€7TXr|pU)KÖT€^ ....
1. f| bt f|XiKia beiKVUTtti f\ iK 7Taib0Ypcxq)iu)v f| ll ^lepujv äirobeiHcuiv
vo|ii)iujv (frühestens unter Alexander Se verus geschrieben).
Cod. lustin. IV 21,6: Imperatores Diocletianus et MaximianusAugusti Luscidi.
Statum tuum natali professione perdita mutilatum non esse certi
1) Vgl. Dirksen a. a. O. S. 141.
2) Dig. XXII 3, 29; XL 12, 27; 15, 1, 3; 16, 2.
3) Dig. II 12, 2: Eadem oratione divus Marcus in senatu recitata effecit, de
aliis etiam speciebus praetorem adiri diebns feriaticis, ut puta ut . . . . aetates pro-
bentur . . .
4) H. Peter, Die scriptores historiae Augustae, 1892, S. 125—126.
5) Absichtlich übergangen sind einige Stellen des Corpus Juris, die wegen der
ausgedehnten Verwendung von professio im Siune jeder vor der Behörde abgege-
benen Erklärung sich nicht mit Sicherheit hierher ziehen lassen, wie Dig. XXII 3, 13;
16; 29, 1; Cod. Just. II 42, 1; IV 19, 14; VI 23, 5; VII 16, 15. Vgl. Dirksen S. 191 f.
und Marquardt S. 87, Anm. 2; 88, Anni. 2.
6) Hübner a. a. O. S. 612: „Haec si recte interpretantur, Gordianum patrem
duas res fecisse adparet: et filiura more Romano apud praefectum aerarii professus
est, et nomen fiiii actis publicis inseruit.^
Die ßeurkuudnng' des Civilstandes im Altertum. 1?
iuris est. D. XIII kal. Febr. Nieomediae Maximo II et Aquilino eonsu-
libus (286 n. Chr.).
Serv. in Vergil. Georg. II 502: „populi tabularia", ubi actus publiei continentnr;
significat antem teraplum Saturni^ in quo et aerarium fuerat et repone-
bantur acta, qaae susceptis liberis faeiebant parentes.
Schol. luvenal. IX 84: „et libris aetorum", propter profcssionem scilicet, quam
apud aerarium patres natonim deferebant filiorum^).
Erläutert werden diese Angaben durch die Worte des Apulejus; auch sie be-
zeugen die Anmeldung der Geburten (professio) und die Hinterlegung von Ur-
kunden im Archiv, wo vermutlich ihre Registrierung erfolgte. Dass eigentliche
Geburtslisten auf Grund der Beurkundung angefertigt wurden, ist möglieh,
aber auch nicht mehr^); die Aufnahme, Einreichung und Aufbewahrung der
Geburtsurkunden konnte auch ohnedies im allgemeinen den Bedürfnissen ge-
nügen. Doch kamen auch Fälle vor, in denen die Beurkundung von Geburten
vei-säumt wurde und unterblieb, wie Cod. Just. V 4, 9 zeigt:
Imperator Probus Augustus Fortunato. Si vicinis vcl aliis scicntibus uxo-
rem liberorum procreandorum causa domi habuisti et ex eo niatrimonio
filia suscepta est, quam vis neque nuptiales tabulae neque ad natam
filiam pertinentes factae sunt, non ideo minus veritas matrimonii aut
susceptae filiae suam habet potestatem;
und ebenso berichtet zur Zeit Justinians Thaleläos in seinen Erläuterungen zu
des Kaisers Gesetzbuch wohl von einer häufigen Aufzeichnung der Geburtszeit,
nicht aber, dass sie allgemein erfolgte*). Während das Amt des praefectus
aerarii Saturni, bei dem die professio in Rom erfolgte, spätestens in der 1.
Hälfte des vierten Jahrhunderts unseren Blicken entschwindet*), haben die
tabularii fortgedauert, wenn auch gerade von dieser ihrer Aufgabe nicht mehr
die Rede ist; noch im Jahre 401 befehlen die Kaiser Arcadius und Honorius,
diese Beamten, sive solidis provinciis sive singulis eivitatibus necessarii fucrint
tabularii, nur aus Freien zu ergänzen^), und ganze Titel sind ihnen in den
Gesetzessammlungen des Theodosius und Justinian gewidmet.
So ist denn als Aufgabe dieser Untersuchung geblieben, wenn möglich,
noch andere Quellen als die litterarische Überlieferung zur Lösung der Frage
heranzuziehen, ob in der That nach der Angabe der historia Aiigusta eine
urkundliche Aufnahme der Geburten allgemein zuerst zwischen 161 und 169
eingeführt wurde oder ob sie bereits früher Eingang gefunden hatte und allent-
halben erfolgte. Sollte Capitolinus Recht behalten, so bliebe als zweite Auf-
gabe die Beantwortung der Frage, ob sich denn vielleicht ausser in Pudentillas
1) So schreibt Marquardt statt des überlieferten qua — deferebantur.
2) Mommsen, Staatsrecht II 1^, S. 547, Anm. 5.
3) Schol. Basilic. XLVIII 20, 15 (ed. Heimbach IV, S. 774): GaXcXaiou. 'H äiro-
ifpcup^ Tfjq T€v^<J€Ui^ . hoXXAkk t^p aimcioOvxaC xivc^, iröxe ^T^xÖn<Jav.
4) Dessau, Inscriptiones Latinae selectae I, 1892, n. 1233 (S. 271); Hirschfeld,
Verwaltungsgeschichte I, S. 23, Anm. 1.
5) Ck)d. Theod. VIII 2, 5 (= Just. X 71, 3).
Jabrb. d. Ver. f. Alterthsfr. im Rheinl. 102. 2
18 Wilhelm Levison:
Heimat äholiche Einrichtungen; örtlich beschränkt^ sonst irgendwo nachweisen
lassen. Das Material für diese Aufgaben bietet sich in Tausenden Römischer
Inschriften und insbesondere für Ägypten in einer Reihe von Papyrusurkunden.
Die Verwertung von Inschriften für die Geschichte der
Geburtenbeurkundung im Römischen Reiche^).
Unmittelbar tragen die Inschriften nichts zur Lösung der Frage bei, da
sieh bisher kein Denkmal gefunden hat, das irgendwie auf Geburtsurkunden
Bezug nähme, da femer die Grabinschriften mit Angabe von Geburtsdaten zu
selten sind, um hier in Betracht zu kommen. Mittelbar jedoch lassen sich
gerade die Grabdenkmäler für die vorliegenden Fragen verwerten, allerdings
nur diejenigen, welche Altersangaben enthalten. . Damit ist zugleich eine Grenze
gegeben, indem die Inschriften aus der Zeit des Freistaates mit ihrer ver-
schwindend geringen Zahl von Altersangaben') ausserhalb des Kreises dieser
Untersuchung fallen; diese muss sich daher auf die Kaiserzeit beschränken.
Man hat schon wiederholt und für verschiedene Gebiete die Wahrnehmung
gemacht, dass die Altersangaben der Römischen Grabschriften zum grossen
Teile nicht genau sein können^); denn nicht nur sind zur Bezeichnung der
Lebensdauer der Verstorbenen meist allein ganze Jahre angegeben, überschüs-
sige Monate und Tage übergangen, sondern es sind auch unter den Jahren die
durch Fünf und besonders die durch Zehn teilbaren Zahlen unverhältnismässig
stark vertreten, ähnlich wie bei den Censuserhebungen. Für die niederen
Altersklassen gilt diese Wahrnehmung jedoch nicht; bis etwa zum 2L Lebens-
jahre treten die „ninden" Jahreszahlen nicht über das Maass der Wahrschein-
lichkeit hervor, dagegen von da ab in immer steigendem Verhältnisse, und
vielfach nehmen sie auch dann einen unverhältnismässig grossen Raum ein,
wenn nicht nur Jahre, sondern auch Monate oder Monate und Tage angegeben
werden. Wie sind diese Erscheinungen zu erklären?
Wie auf allen Gebieten des Lebens übt die Sitte auch bei der Ausstat-
tung des Grabdenkmals ihren beherrschenden Einfluss aus, bei der Auswahl
1) Die folgenden Ausführungen beruhen teilweise schon auf den sich anschliessen-
den Tabellen, sind aber vor diese gestellt, weil sie deren Heranziehung begründen
und die nötigen Gesichtspunkte für ihre Betrachtung geben.
2) In C. I. L. I fand ich nur 18 Altersangaben auf Grabschriften. Eine Aus-
nahme bildet Eturien.
3) Auf diese Thatsache weisen hin:
Foy im Annuaire de la soci6t^ arch6ologique de la province de Constantino (I) 1853,
S. 137—142 (gegen 500 Inschriften aus der Gegend von Lambäsis);
Beloch a. a. 0. S. 50 (1., 2. und 10. Region Italiens);
Seidel, Über Römische Grabinschriften I. Jahresbericht des Königlichen katholischen
Gymnasiums zu Sagan 1891, S. 22 (Nordwestafrika);
Gsell, Recherches arch^ologiques en Alg6rie, 1893, S. 298 (Thubursicum Numidamm)
und 359 (Madaura). Er erwähnt, dass man die Beobachtung auch für Karthago
gemacht habe; doch gelang es mir nicht, die Quelle dieser Angabe ausfindig
zu machen.
Die Beurknndung des Civilstandes im Altertum. 19
des Materials, auf die Gestalt des Denkmals, auf die Fassung der Inschriften.
Dieselben Formeln finden sich über weite Gebiete verbreitet und dauern Jahr-
hunderte lang fort, wenn man sie längst nicht mehr versteht und gedankenlos
nach altem Brauche verwendet, wie der Christ das dis manibus einer anderen
Gedankenwelt. Menge und Form- der inschriftlichen Angaben richten sich,
wenn sich auch vielfach individuelle Züge zeigen, doch im allgemeinen nach
der Sitte des Volkes und des Gesellschaftkreises, denen der Stifter des Denk-
mals angehört, und tragen in vielen Stücken ein typisches Gepräge. Der
Gallier ftlgt hinzu, dass er das Grabmal sub ascia dedicavit; der Südspanier
bemerkt gern, dass der Dahingeschiedene den Seinen teuer gewesen (carus
suis, vgl. pius in suis), der Bewohner Afrikas, dass der Tote fromm gelebt
habe (pius vixit annos . . .). Der Soldat nennt die Zahl seiner Dienstjahre, der
Athlet zählt seine Erfolge auf, der Beamte seine Ehren und Würden. Nirgend-
wo hat es Hellenischem Brauche entsprochen, die Lebensjahre des Verstorbenen
auf dem Grabsteine anzumerken, und einzig steht unter den Denkmälern Athens
der Stein des Dexileos da, der die Zeit der Geburt und des Todes meldet^);
aber mit dem Römischen Krieger und Kaufmann zieht auch in Hellas die Sitte
ein, in der Inschrift das Alter des Toten anzugeben. So muss denn auch bei
der Betrachtung der Altersangaben der Einfluss der Sitte beachtet werden;
dass sie hier eine Rolle spielen konnte, zeigt das Beispiel der christlichen und
später heidnischer Inschriften, von dem noch die Rede sein wird. Aber wollte
man im allgemeinen das Hervortreten der runden Zahlen aus ihrem Einflüsse
herleiten, ihr auch in diesem Falle wesentliche Bedeutung zuschreiben, so
bliebe unerklärt^ warum mit der Zahl der Lebensjahre auch die der runden
Zahlen abnimmt, unerklärt, weshalb diese auch in solchen Fällen hervortreten,
in denen die Hinzufügung von Monaten und Tagen das Bestreben zu Tage
treten lässt, eine genaue Altersbestimmung zu geben.
Sicherlich gaben nicht selten Bequemlichkeit und der Wunsch, die In-
schrift möglichst einfach zu gestalten^ den Anlass dazu, keine genaue Alters-
angabe in diese zu setzen, sondern die Lebenszeit des Verstorbenen abzurunden.
So erklärt es sich, dass man es meist unterliess, Monate und Tage anzugeben
und sich auf die Anführung der Jahre beschränkte; denn natürlich kamen nur
vereinzelt solche Fälle vor, wie
C. I. L. VI 6182: qui die natali suo hora qua natus est obiit,
C- 1. L. VI 10185: natali suo d(ecessit),
C. I. L. XIV 1706: qui anno XX. die natali suo defunctus est.
Abmndungen sind sicherlich oft mit Absicht vorgenommen worden, und manche
Inschriften lassen dies offen zu Tage treten. So heisst es C. I. L. VI 3453
von einem Veteranen: pro(batus) an. XXII, mil(itavit) an. XXIII, item pos(t)
mi8sione(m) vix(it) ann. XXIIII m(euses) III d(ie8) XI; er lebte also 69 Jahre
3 Monate mid 11 Tage, während die Inschrift als Lebensdauer einfach 70 Jahre
1) C. J. A. II 3, 2084: AeEiXew^ Auöaviou OopiKio^ • | i^iveTO inl Tciadvbpou äpxovxo^
(414/3), I dir^eav€ in' E0pouX(6ou (394/3), | ^t KopCvGi^ tCüv it^vtc lirir^iuv.
20 Wilhelm Levis on:
angiebt; mindestens eine der Angaben muss also ungenau sein. Derartige Ab-
rundungen liegen in den Inschriften vor, welche auf die Ungenauigkeit der
Altersangaben ausdrücklich hinweisen durch einen Zusatz wie das in nichtchrist-
lichen Inschriften seltene plus minns und das noch seltenere circiter, z. B.
C. I. L. II 6127: annis plus minus XXV,
C. I. L. V 8278: annor(um) circiter XXXX,
C. I. L. VIII 3934: annor(um) cir(citer) n(umero) XXXV.
Ebenso handelt es sich um absichtliche Abrundung in solchen Fällen, in denen
der Stein die Geburtszeit des Toten genau meldet, bei denen man aber entweder
eine ins Einzelne gehende Angabe des Alters etwa unter dem Einflüsse der
Sitte nicht angemessen fand oder sich nicht die Mfihe nahm, das Alter genau
auszurechneu. Und sicherlich war die Berechnung der Lebenszeit umständlich
genug; wo unsere Jahreszählung eine einfache Subtraktion erfordert, musste
der Reimer, wenn er nicht nach einer Provinzialära rechnete, eine ganze Reihe
von Konsulaten zusammenzählen. In diesen Zusammenhang gehören die In-
schriften
C. I. L. XI 3943: C. Calpuniius Asclaepiades Prusa ad Olympum medicus
.... natus III non. Mart. Domitiano XIII co(n)s(ule) (87 n. Chr.) ....
vixit annis LXX, oder
C. I. L. VIII 4330: D. m. s. | C. Julius | Victor | veteran(us) | ex te8se(ra-
rio) I natus TerjtuUo et | Sacerdo|te co(n)8(ulibu8) (158) | vixit an|nis
n(umero) LXXX | se vivo | sibi et | coniugi | suae fec(it)^).
So muss denn eine absichtlich und bewusst vorgenommene Abrundung in vielen
Fällen als Ursache der ungenauen Angaben gelten; aber wenn dieser Erklärungs-
grund auch überall im Auge zu behalten ist, er genügt nicht zur Erklärung
der ganzen Erscheinung. Er macht es nicht begreiflich, warum in den jüngeren
Altersklassen keine Ungenauigkeit zu Tage tritt im Gegensatze zu den höheren,
warum ferner die runden Jahre vielfach auch dann zu stark vertreten sind,
wenn zu ihnen Monate oder Monate und Tage zur genaueren Zeitbestimmung
hinzugesetzt sind und den Wunsch hervortreten lassen, das Alter genau anzu-
geben, also eine absichtliche Abrundung ausschliessen.
Für diese Fälle bietet sich die einzige Erklärung in der Annahme, dass
man das Alter Verstorbener sehr oft einfach nicht genau wusste und es nur in
runder Zahl nach blosser Schätzung angab. Weit eher als das Geburtsjahr
mochte der Geburtstag bekannt sein, dessen Feier man auch nach dem Tode
durch Stiftungen flir ewige Zeiten zu erhalten suchte*); berechnete man nun
die vom letzten Geburtstage bis zum Tode verflossene Zeit und fügte sie zu
der auf Schätzung beruhenden, runden Jahreszahl hinzu, so entstanden jene
scheinbar genauen Altersangaben, deren Entstehung allein Massenbeobachtungen
1) Bei dieser Inschrift genügte vielleicht auch der zur Ausfüllung nach dem
Tode hestimmte, hinter n(umero) freigelassene Raum nicht, um eine genauere Zeit-
bestimmung aufzunehmen.
2) Vgl. die in den Indices des C. I. L. unter notabilia varia zusammengestellten
divisiones .... in perpetuum; Dig. XXXIII 1, 23.
Die Beurkundung: des Civilstandes im Altertum. 21
'o
erkennen lassen. Durch dieselbe Annahme erklärt sich der Unterschied zwi-
schen den niederen und höheren Altersklassen. Meist waren es die Eltern, die
den in jungen Jahren Dahingerafften den Denkstein setzten ; sie wussten natür-
lich das Alter ihrer Kleinen und konnten es daher auf dem Grabmale genau
angeben, während bei grösserem Abstände zwischen Geburt und Tod diejenigen
vielfach aus Unkenntnis dazu nicht imstande waren, welche Personen höheren
Alters ein Erinnerungsmal aufrichteten. Dieser Unterschied zwischen den un-
teren und oberen Jahresreihen tritt nicht nur bei Massenzusanimenstellnngen zu
Tage, sondern auch auf einzelnen Steinen, die dem Andenken mehrerer Per-
sonen geweiht sind. So finden sich Altersangaben beisammen wie
C. I. L. II 423: 4, 9, 30, 4a Jahre,
1030: 18, 45, 50
1788: 18, 25, 45
III 1651: 8, 60, 65
5567: 18, 30, 45, 55
VIII 20164: 21, 27, 40, 50, 55 Jahre. Beispiele dieser Art, die sich
mit Leichtigkeit vermehren lassen, beweisen die Richtigkeit der Annahme
dass die Abrundungen zum grossen Teile nicht auf Absicht beruhen können
sondern dass man sehr oft das Alter Verstorbener nicht genau feststellen konnte
und sich darum mit Annäherungswerten begnügen musstc.
Dies ist die Erscheinung, bei welcher sich die Geschichte der Geburts-
arkunden mit den Altersangaben der Inschriften in Zusammenhang bringen
lässt. Es fragt sich, ob man bei jenen Thatsachen Halt machen muss oder
ob es möglich ist, auch bei diesen einfachen Erscheinungen Entwicklungsstufen
und Wandlungen nachzuweisen. Hier stelle ich nun die Vermutung auf, dass,
wenn wirklich zuerst Marc Aurel die Anfertigung von Geburtsurkunden allge-
mein durchführte, sich dies wegen der erleichterten Altersfeststelhiug in einer
grösseren Genauigkeit der Altersangaben und der Abnahme der runden Zahlen
auf den Grabdenkmälern der Zeit nach Marc Aurel äussern musste, so dass
Capitolinns' Bericht eine Bestätigung fände, wenn diese Annahme zutreffen
sollte. Es sind dies nur Vermutungen, die noch der Stütze von Thatsachen
bedürfen; dass aber in der That die Angaben der Grabinschriften genauer sind,
wenn Aufzeichnungen amtlichen Charakters vorhanden waren, die die Möglich-
keit boten, gesicherte Zahlen festzustellen, beweist einmal das Beispiel Ägyp-
tens, von dem später die Rede sein wird, dann das unbedeutende Hervortreten
der runden Zahlen bei den inschriftlichen Angaben über die Dauer der Dienst-
zeit verstorbener Soldaten. Hier bietet sich ein passender Vergleich zwischen
dem Beginn des Lebens und des Heeresdienstes, der schriftlichen Ästlegung
beider Zeitpunkte und dem Grade der Genauigkeit der Angaben. Dass die
Zeit, in der der Soldat in das Heer eintrat, sorgfaltig aufgezeichnet wurde, ist
bei der fest bestimmten Dauer des Kriegsdienstes in der Kaiserzeit selbstver-
ständlich und steht zudem durch ausdrückliche Zeugnisse fest^). Wenn nun
1) Vgl. Mommsen, Ephemeris epigraphica VII, S. 456—467; Agypt. Urkunden
aus den Kgl. Museen zu Berlin^ Qriech. Urk. II, n. 696.
Wltlielm Levison
die Annahme eines Zusammenhanges zwischen den Angaben der Inschriften
und amtlichen Aufzeichnungen Oberhaupt berechtigt sein soll, bo ist bei den
Angaben über die stipendia Yerhältnismäs9ig grosse Genauigkeit nnd ein nnr
geringes Hervortreten der rnnden Zahlen zu erwarten. Während diese bei den
Altersangaben der Soldaten viel zu stark vertreten sind, gewährt eine Zusam-
menstellung der Angaben über die Dienstjahre ein viel regelmtesigeres Bild:
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Eine Zusammenfassung dieser Zahlen ergiebt folgendes Bild:
Gesamtzahl der Angaben
nicht durch 5 tiiilbare Znhln
durch fi teilbare Zahlen
durch 10 teilbare Zahlen
Rom
""M2~
312
90
Germa-
nien
Afrika
Flolte
Summe
%
207
161
46
18
96
68
27
6
303
233
70
27
1007
774
233
90
m
77
23
9
Wenn man die Möglichkeit ahHichtlichcr Abrundung nicht vergiBst, so dürfen
diese Zahlen gegenüber den Altersangaben anf ein hohes Mass von Zuverlässig-
keit Anspruch machen. Die durch 10 teilbaren Zahlen erreichen 10 "/o über-
haupt nicht, die durch 5 teilbaren Angaben der Römischen und Germaniseben
Inschriften sowie der Inschriften der Flottcnsoldaten nicht 25 "/„ , bei den
Afrikanischen Denkmälern wenig mehr als 28 ''/g, Zahlen, die eine bedeutend
grilssere äuverlässigkeit zeigen, als sie bei den Altersangaben hervortritt, deren
runde Zahlen z. B. bei der Besatzung Roms 45*'/a, bei den Flottensoldaten
1) C. r. L. VI 1 ohii« die Inschriften der FlottensoldaU'r.
2) Aus Brambaclis Corpus iuscriptionum Rheuanarum und den Bonuer Jahr-
büchern (biä C 1, 1897).
3) C. I, L. VIII mit den beiden ersten Ergänzungsbanden.
4) Aus C. I. L. VI 1, IX, X, XI 1 und XIV.
Die Beurkuhdnn^ des Civilstundes im Altertum. 23
und ihren erwachgenen Angehörigen 56**/o, bei der über 20 Jahre alten Be-
völkerung Nordwestafrikas über 62®/o einnehmen, wie die später folgenden
Tabellen lehren. Da also die grössere Genauigkeit der Stipendienzahlen und
die schriftliche Festlegung des Beginnes der Dienstzeit parallel gehen, so
seheint es mir nicht zu sehr gewagt, beide Thatsachen mit einander in Zu-
sammenhang zu bringen und zu schliessen, dass die Angaben über die stipendia
darum zum grossen Teile ^) weniger Abrundungen aufweisen, weil ihr Gegen-
stand zu jeder Zeit genau festgestellt werden konnte und so auch, als man
die Inschrift anfertigte. Daher muss die Vermutung immerhin berechtigt er-
scheinen, dass im Falle der Richtigkeit der Angabe der historia Augusta die
Abnahme der Abrundungen nach Marc Aurel davon Zeugnis ablegen wird.
Nicht als ob man nun bei jedem Todesfalle den Geburtsschein des Verstorbenen
hervorgeholt und danach sein Alter sorgfältig berechnet hätte; diese Behaup-
tung wäre ungereimt. Auch nach der Einrichtung von Geburtsurkunden wird
man die Lebenszeit oft genug abgerundet oder sich nicht die Mühe genommen
haben, das Alter genau festzustellen; nicht das Verschwinden des Übergewichtes
der runden Zahlen kann erwartet werden, aber eine Abnahme gegenüber der
früheren Zeit.
Ehe ich nun die Fragen erhebe, die von diesen Erwägungen aus an das
ioschriftliche Material zu stellen sind, ist noch eine andere Möglichkeit ins
Auge zu fassen, die immerhin Beachtung verdient. Man könnte vermuten,
dass die vielen runden Zahlen wesentlich den Inschriften von Unfreigeborenen,
also Sklaven und Freigelassenen, angehören, deren Geburtszeit sich im all-
gemeinen nicht genau feststellen lassen mochte, während vielleicht die In-
schriften der freigeborenen Bürger grössere Zuverlässigkeit zeigen. Um diese
Unterscheidung auf ihre Berechtigung zu prüfen, folgen Zusammenstellungen
zweier grösserer Gruppen von Altersangaben: 1) Die der Columbarien Roms*)
unter Einrechnung der wenigen Inschriften von ingenui; 2) die Altersangaben
der als servi und liberti ausdrücklich gekennzeichneten Personen der sepulcreta
familiae domus Augustae von Karthago'*). Geschieden sind Männer (m) und
Frauen (f), die einfachen Jahresangaben (a) und die Zeitbestimmungen, die
auch Monate oder Monate und Tage enthalten (b). Da bei den Römischen
Inschriften die niederen Altersklassen stark vertreten sind, so ist ausser der
allgemeinen Zusammenfassung eine besondere Zusammenstellung der höheren
Jahresreihen nötig.
1) Selbstverständüch kommen noch andere Ursachen hinzu. Oft genug wird
den Soldaten auch ohnedies die Zahl der Dienstjahrc eines verstorbenen Kameraden
bekannt gewesen sein, die für sie in mehrfacher Hinsicht ein natürliches Interesse
haben musste, wie in Fragen der Beförderung, im Hinblick auf die Zeit der Entlassung.
2) C. I. L. VI 2, 3926-8210.
3) C. I. L. VIII suppl. 1, 12590-13214.
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Diese Zahlen zei^n allcrdinge grosse Ungenauigkeiten auf den Grab-
steinen Unfreigeborener; es fragt sich aber, ob sie bei den ingeniii genauer
sind- Um diese Frage zu entscheiden, sind nun die dnreh Angabe des Vaters
und der Tribus im Namen bestimmt ab eives gekennzeichneten Personen ver-
schiedener Gebiete zusammengestellt:
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Zahlreiche Ungeiiauigkeitcn finden sieh aleo in gleicher Weise auf den
Grabsteinen freigeborener Bürger wie auf den Denkmälern der Sklaven nnd
Freigelassenen. Eü läsat sich liier kein Unterschied nacfaweixen, nnd man ist
nicht berechtigt, die tlbergrosse Menge der runden Zahlen allein den Unfrei-
geborenen ziizuBchreihen; vielmehr zeigt es eich, dass man sehr häutig auch
das Älter von BUrgera nicht genau festzustellen vermochte.
Daher bleibt die Vermntnng über den Znsammcnhang der Altersangaben
mit der Geschichte der Geburtsurkunden bestehen, und es ergeben sich fol-
gende Fragen für die Behandlung der inschriftlicheu Angaben Ober die Lebens-
/«it der Verstorbenen :
1) Findet sich das Übergewieht der runden Zahlen nnd der damit verbun-
dene Mangel an Zuverlässigkeit über verschiedene Gebiete verbreitet und
wie weit?
2) Bildet Marc Anrels Zeit eine Scheidelinie, tritt also dieser Mangel auf
den Grabsteinen der vor dem siebeuten Jahrzehnt des zweiten Jahrhun-
derts geborenen Pereonen stärker hervor als auf den Denkmälern der
nachher geborenen, ist nach Marc Anrels Zeit eine Abnahme der mnden
Zahlen bemerkbar?
Am einfachsten ist die Untersnchnug der ersten Frage; es genügt dazu die
Aufarbeitung der Massen von Altersangaben, welche sieh in den naeb Provinzen
geordneten Inschriften finden. Mehr Schwierigkeiten bieten sich bei der Be-
handlung der zweiten Frage wegen der Art des Quelleumaterials, weil die
grosse Masse der Rümisehen Inschriften keine Zeitbestimmung enthält nnd
Schillsse ans dem Schrifteharakter, der Verwendung bestimmter Formeln, der
Sprache immer nur Wahrscheinlichkeit, nicht Sicherheit bieten können, dazu
aber erst in geringem Umfange gezogen sind. Nnr der Sclirifteharakter ist
im C. I. L. in ausgedehnterem Masse zur Zeitbestimmung benutzt, und dazu
kommt die Möglichkeit, mit Hilfe der Heeresgesehiehte, der Geschichte der
Legionen und ihrer wechselnden Verteilung und Lagerung hie und da grössere
Reihen von Soldateninsehrifteu in zeitliche Grenzen ciuzuschliessen. Am leich-
testen ist der Nachweis, wie die Inschriften der Zeit vor Marc Aurel sich ver-
halten, weil die Mehrzahl der Römischen Inschriften den ersten beiden Jahr-
hunderten angehört und sich die berichtete Maasregel des Kaisers erst um die
Die Beurkundung des Civilstandcs im Altertum. 27
Wende des zweiten und dritten Jahrhunderts, wenn die aufgestellte Vermutung
zutrifft, auf den Inschriften bemerkbar machen konnte. Die Art der Gesamt-
masse der Inschriften beweist so bis zu einem gewissen Grade im allgemeinen
zugleich für den Charakter ihrer Hauptmasse, wenn auch die Notwendigkeit
bleibt, in möglichst grossem Umfange eine zeitliche Scheidung vorzunehmen.
Darin aber, dass wie bei allen statistischen Untersuchungen auch hier wenige
Einzelheiten nichts bedeuten, sondern nur grössere Massen beweiskräftig sind,
liegt die Schwierigkeit fttr die Untersuchung der Frage, ob sich wirklich für
die Zeit nach Marc Aurel grössere Zuverlässigkeit der Altei-sangaben erweisen
lässt oder ob das Übergewicht der runden Zahlen in derselben Stärke fort-
dauert. Hier wäre die Zusammenstellung einzelner datierter oder datierbarer
Inschriften zwecklos ^) ; nur wo eine beträchtliche Anzahl von Denkmälern sich
einem bestimmten Zeiträume zuweisen lässt, können Schlüsse gezogen werden.
Aber solche Gruppen von nicht allzu beschränktem Umfange lassen sich für
die Zeit nach 200 nur selten finden; eine Ausnahme machen die christlichen
Inschriften, die in grosser Zahl vorhanden und oft datiert sind.
Jedoch bei deren Benutzung bieten sich neue Schwierigkeiten dar und
machen ihre Altersangaben in den meisten Fällen für die vorliegenden Fragen
unbrauchbar. Ist überall neben der Annahme von Unkenntnis auch absichtliche
Abrnndung als Gesichtspunkt zur Erklärung der zahlreichen runden Zahlen im
Auge zu behalten und darum nach Marc Aurel keineswegs das Verschwin-
den ihres Übergewichtes, sondern nur dessen Abnahme zu erwarten, so muss
dieser Gesichtspunkt besonders bei den christlichen Inschriften betont werden.
Während der heidnische Römer durch Schenkungen und Stiftungen das Ge-
dächtnis und die Feier seines Geburtstages fortzuerhalten wünschte, war fllr
den Christen die Zeit der Geburt und damit das Alter der Verstorbenen, auch
wenn er dieses feststellen konnte, ziemlich gleichgültig^). Ihm kam es darauf
an, nicht den irdischen, sondern den himmlischen Geburtstag fort und fort im
Andenken zu erhalten; depositionis ipsa dies, sagt eine unter Ambrosius' Namen
gehende Predigt, natalis dicitur, quod delictorum carcere liberati libertati nasci-
mur salvatoris'). Sah der Heide mit Wehmut auf den Tag hin, an dem er
die schöne Welt verlassen sollte, so hegte das Christentum andere Anschau-
ungen; so antwortet jene Predigt auf die Frage, was die gefeierte depositio
sei: Non illa utique quae sepeliendis in ten*a membrorum reliquiis clericorum
manibus procnratur, sed illa qua homo vinculis carnalibus absolutus, liber iturus
ad caelum, terrenum corpus exponit, und eine Inschrift des 6. Jahrhunderts*)
erklärt :
1) Erst recht gilt dies von den Denkmälern kaiserlicher Freigelassener, die
zwar sehr häufig in dem Namen einen terminus post quem darbieten, aber als In-
schriften von ursprünglich unfreien Personen für die vorliegenden Fragen nichts
beweisen.
2) Vgl. Molinier, Les obituaires fran^ais au moyen äge, 1890, S. 26.
3) Migne, patrol. XVII, col. 721.
4) C. I. L. XII 2094; Bücheier, Anthologia Latina II 2, n. 1389.
28 Wilhelm Levison:
Haec sapprema dies, caelesti in limite prima,
quam rapuit saeclo, hanc dedit ipsa polo;
pignora desistant lacrimis planctaque gravari;
non placeat gemere quod celebrare decet.
Dieser Gegensatz zweier Weltanschauungen tritt in der Sammlung des Chrono-
graphen von 354 unvermittelt zu Tage, wenn auf der einen Seite die natales
Caesaruni, auf der anderen die depositiones episcoporum und martymm zum
dauernden Gedächtnis vermerkt werden^). Indem so der Tag betont wurde,
an dem der Entschlafene natus est in eternum^), musst« das Interesse fQr die
Zeit der irdischen Geburt und damit fQr die Dauer des Erdenlebens zurück-
treten. Bei Geistlichen, namentlich Bischöfen, gab man auf dem Grabsteine
meist nur die Zeit an, die der Verstorbene im heiligen Dienste verbracht hatte*),
und sonst begnügte man sich etwa seit der Wende des dritten und vierten
Jahrhunderts in immer steigendem Masse im allgemeinen mit runden Zahlen,
denen man den Zusatz plus minus gab^). Indem also hier die Zahl der ab-
sichtlichen Abrundungen je länger, desto mehr zunimmt, werden die christlichen
Inschriften fast allgemein fUr die vorliegende Untersuchung bedeutungslos und
können in den meisten Fällen ausser Acht gelassen werden. Um so mehr ver-
dienen sie aber in den nur zu seltenen Fällen Beachtung, in denen sich trotz
jener Tendenz eine Zunahme der Genauigkeit gegenüber den Inschriften der
vorhergehenden Zeit feststellen lässt. Man könnte dabei an die Möglichkeit
denken, innerhalb der christlichen Gemeinden seien die Geburten aufgezeichnet
worden. Allerdings wurden schon mindestens seit dem dritten Jahrhundert
Gemeindelisten über Taufen und Sterbefölle geführt; aber von einer Aufzeich-
nung der Geburten, die für das religiöse Leben ohne Bedeutung waren, weiss
die Überlieferung kein Wort*). Wenn also Gruppen christlicher Inschriften
grössere Zuverlässigkeit zeigen als die älteren Grabsteine und die Formel plus
minus auf ihnen noch keine Rolle spielt, so treten sie in eine Linie mit den
heidnischen Inschriften und müssen von den gleichen Gesichtspunkten aus be-
urteilt werden.
Es folgen nun Zusammenstellungen der Altersangaben in der Gestalt von
1) Monum. Germ, bist., auctores antiquissimi IX, S. 41, 70.
2) De Rossi, Inscriptiones christianae urbis Romae 1 36; vgl. 361.
3) Le ßlant, Manuel d'epigraphic chrctieune, 1869, S. 10.
4) Vgl. Le Blant a. a. 0. S. 25, Anm. 12, der freilich den Altersangaben der
heidnischen InschrifUMi eine Genauigkeit zuschreibt, die sie gar nicht besitzen.
5) Vgl. über die Geschichte der christlichen Gcmeindelisten :
Salig, De diptychis veteruin, Halle 1731 ;
Gori, Thesaurus veterum diptychorum I, 1759, S. 240—243;
Binterim, Commentarius ... de libris baptizatorum, coniugatorum et defunctorum,
1816; Denkwürdigkeiten der Christ-Katholischen Kirche IV 2, 1827, Anhang
S. 60 f.;
Uihlein, Über den Ursprung und die Beweiskraft der Pfarrbücher. Archiv für die
Civilistische Praxis XV, 1882, S. 26 f.
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum. 29
Tabellen'), die im wesentlichen Ansprach auf Genauigkeit erheben dürfen,
wenn es anch schwerlich vermieden worden ist, daas nnter den vielen Tansenden
von Inschriften nicht bie und da eine einzelne Altersangabe übersehen oder in
eine falsche Reihe gestellt worden ist; doch durften diese Fehler gering sein
and die Brauchbarkeit der Tabellen kaum beeinflussen. Bertlcksichtigt wurden
allein die grossen Inscliriftensanimlungen, kleinere Hammlungen and Zeitschriften
nur in Ausnahmefällen; dagegen sind additamenta und snpplementa stets benutzt.
I. Die Stadt Rom.
1) Die Soldateninschi-iften Roms ansecr denen dci* Flottensoldaten.
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25.7
3) Die chrietlicbcn Inschriften der Stadt Rom.
Die datierten christlicben Inscbriften Roms (De RoBsi, InecriptioneB chri-
stianae nrbiB Romae I) kommen fUr die voHiegendcn Fragen etwa nach dem
zweiten Drittel des 4. Jahrhunderte nicht mehr in Betracht, da die Neigung,
die Zahlen abzurnnden, immer mehr znnimmt und in der häufigeren Erscheinung
Ton plas minns zum Anedruck kommt. Wichtiger sind die christlieben Inscbriflen
der Torhergebenden Zeit bis zum Jalire 360, das als Grenze gelten darf, wenn
eine solche auch wie alle Periodengliedei-ungen sich nicht absolut bestimmen
lilsst und ebensogut einige Jahre fmher oder später im Lanfe der Entwicklung
angesetzt werden könnte. Eine Zusammenstellung der Altersangaben dieser
Inschriften (de Rossi I, n. 1 — 146) ergiebt folgendes Bild:
Die Bcnrknndung- des Clvllstandes im Altertum.
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Bo fallen alle diese Inschriften in die Jahre 234 — 360, also in die Zeit nach
Marc Anrel nnd Caracallas Constitutio von 212, die den Kreis der Römischen
Borger erweiterte nnd damit der Aufnahme der Gebnrtsurkunden allge-
meinere Verbreitung geben mneste. Wenn auch das Material sehr beschränkt
ist gegenüber dem ans heidnischer Zeit nnd darum diese Zahlen allein noch
nichts beweisen, so zeigt sieb doch iu Übereinstimmung mit der aufgestellten
Theorie eine nicht unbedeutende Zunahme der Genauigkeit. Diese Äussert sich
in den allein in Betracht kommenden AUersklassen der Erwachsenen (von 21
an gerechnet) einmal in der Umkehmng des Verhältnisses zwischen den ein-
fachen Jahresangaben und den genaueren Altersbestimmungen (dort 1947 : 903,
hier 15 : 19), dann in der Abnahme der runden Zahlen, die dort 47,9, hier
38^ "/(, betragen. Sind die Zahlen auch gering und besagen in ihrer Verciii-
telnng noch kaum etwas, so gewinnt die Tbatsache einer grCsseren Zuverläs-
sigkeit der Altersangaben auch so au Bedeutung, wenn man die starke Neigung
zu Abmndungen bedenkt, die sonst auf den christlichen Inschriften zu Tage
tritt. Wie stark diese Tendenz war und immer mehr wurde, zeigt eine Ta-
82 Wilfaetm Levison;
belle der Altersangaben, die sich Ton 361 bis zDin Ende des sechsten Jabr
hunderts anf den datierten christlichen Inschriften Roms finden (de Eossi I,
n. 148 sq.):
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Die jüngeren Altersklassen hehanptcu auch hier grosse Zuverlässigkeit;
aber im übrigen übersteigt die Zahl der Abmndiingcn im Verhältnis sogar die
der heidnischen Zeit, wie denn die Formel plus niimiB immer häufiger auftritt
und die Zunahme der OleichgQltigkeit gegen genaue Altersangabea bekundet.
Die Bettrknndmig dea Civilstaniles im Altertum. 83
4) Die Inscbriften der Griechiscli redenden Bevölkerung Rome nnd seiner
Umgebung. Inseriptiones Graeeae Sieiüae et Italiae (ed. Kaibel), d. 913 — 2238 ').
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1) Wegen ilver geriuf^en Zahl sind die Inxchriften von Personen unbekannten
GeecblechW, wie auch spater bieweileo, unter m und f verteilt.
3) Die Inschriften der Flottensoldaten sind ausgesondert nnd npHtcr zUNammen
mit denen aus anderen Teilen Italiens besonders behandelt.
Jahrb. d. Ver. f. Altenbsrr. Im Rbelnl. 101. 3
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Die Insehriften von Pompeji, deren Zeit durt-ii den Untergang der Stadt
begrenzt ist, enthalten nnr wenige Angaben über daß Alter Erwachsener:
26, 29, 50 nnd 57 Jahre; bo gestatten sie keinerlei Folgerungen.
IV. Lncanien and das Gebiet der Brettier. C. I. L. X l.
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Das Hervortreten der runden Zahlen ist hier verhältnismässig gering.
Da nichts darauf hindeutet, dass ein grosser Teil der InBchriften der späteren
Kaiserzeit angehört, und da die Beschaffenheit der Altei-sangaben allein ohne
die Möglichkeit der Verbindung mit einem anderen Zeugnis zu keinerlei Mut-
masBnngen über eine besondere Entwicklung der Geburtenbeurkuiidung be-
rechtigt, 80 kann hier keine Erklärung auf diesem Wege gesucht werden.
Dagegen findet die gr^Jssere Genauigkeit der Altersangabeii gegenüber den-
jenigen anderer Gebiete ihre hinreichende Erklärung in der geringen Besetzung
der höheren Altersklassen; die Zahl der Pei-souen, welche ÜO Jahre überlebte»,
beträgt nur 43, also 14,5 "/(, der Gesamtmenge, so daes hier diejenigen Jahres-
reiben am schwächsten vertreten sind, die sonst die Hauptmasse der runden
38 Wilhelm Levison:
Zahlen etelleii. Dass dieser Ausweg nicht etwa tiberall anwendbar ist, sondern
die Verteilung der Altersgruppen ins Gewicht fällt, ist z. B. bei den früheren
christlichen TßBchriften Roms zu betonen, bei denen dieselben Jafaresreihen
23,4% einnehmen, denen hier nur 14,5 % zufallen.
VII. Die fünfte E
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Region Italiens, nur dass nicht allein die oberen Altersgmppen schwach besetzt
sind, sondern überhaupt die Gesamtsumme gering ist. Wenn die mehr als
30 Jahre alten Personen 22,7 "/^ einnehmen, also doch viel stArker vertreten
sind als in der vierten Region, so nimmt eben die geringe absolute Zahl dieser
Thatsache alle Beweiskraft, ebenso wie die älteren Inschriften des christheben
Rom aus demselben Grunde allein nichts beweisen und erst dann an Bedeutung
gewinnen, wenn in anderen Gegenden fUr dieselbe Zeit si.cb die gleichen Er-
scheinungen nachweisen lassen, die geringen Zahlen also in ihrer Wieder-
holnng Stutze finden. Ohne solche Bestätigung durch entsprechende und
gleichartige Verhältnisse durften die vorliegenden Zahlen wegen ihrer schwachen
Grundlage kaum beweiskräftig sein.
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Bemerkeiiswert ist, dass die sehr zahlreichen Grabinschriften von Clnsium
nnd Perusis keine Altersangaben enthalten mit einziger Ansnahme von C. I.
Rtnisc. 1304 (Fabretti 726 ter d). Die Altersangaben verteilen sieh auf ein
nördliches nnd ein südliches Gebiet und gehören dort besonders Volaterrae,
hier dem ager Sorrinensis, Tuseana und Tarquinii an. Die älteren InBchriften-
gmppen Latinnis wie die von Präneste (C. I. L. XIV 3046—3310) and San
Cesario (C. I. L. VI 8211—8397) enthalten noch keine AlteniangabeD; sollte
in deren Aufkommen etwa der Einflnss Etruskischer Sitte vorliegen?
2) Die Lateinischen Inscbriften Etrnriens. C. I. L. XI 1.
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von Pauli, Dia Etniakiituhcu Zahlwörter, 1883 (Deeckc und Pauli, Etriukiaclm For-
schungen und Rtudicn III); doch ist diese erfrSiizt und berichtigt auf Grund der
ersten Bcehs Liolcrungen den Corpus inscriptionum Etmecaruni von Pauli, 18931'.
{n, 1—3125). Unberücksichtigt sind diejenigen Inschriften, welche Dicht Ziffern, sondern
auHgeüchriebene Zahlwörter enthalten, weil deren Deutung viellaeh unsicher ist.
Die Etruitkiächea Inschriften geben nur die Lebensjahre der Toten an; Monate
sind allein hinzugefügt Fabretti, Corpus inscriptionum Italicnruni n. 2119, wo das
Alter eines Verstorbenen auf avlls XX tivrs gas bestininit wird.
Die Beurkundung des Clvilataades im Altertum.
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Die älteren christliehen Inschriften Etruriens bis zum Beginne des 5. Jafar-
buoderts geben, soweit sie zeitlich bestimmt oder bestimiubar sind nnd sich
ftnf Erwachsene beziehen, folgendes Bild :
Zeit der luBchrUt
Nummer
in C. I. L. XI
Geschlecht
Älter
Geburts-
jahr
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Die geringe Zahl dieser Inschriften mindert zwar ihre Bedeutung; doch
verdient es Beachtung, dass wie in Rom die mnden Ziffera abnehmen nnd
gegenüber den 45,9 "/^ der heidnischen Inschriften nur 41 ,2 "/o einnehmen.
Soweit also diese IT Altersangaben Überhaupt einen Schluss gestatten, zeigt
sich im dritten Jahrhundert eine Zunahme der Zuverlässigkeit, die im Laufe
des fünften und sechsten Jahrhunderts wieder gemindert wird nnd runden
Zahlen mit plns minus Raum giebt:
Zeit der Inschrift I C. I. L. IX n. | Geschlecht
I pI. m. 75 Jahre
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Zeit der Inschrift
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547
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1540
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Die Beurkundung des CiTilatan^ea im Altertum. 43
XI. Sicilien.
Die Griecfaischen (Inscr. Graecae Sic. et Ital., ed. Kaibel) und die Römiecfaen
(G. 1. L. X 2) Inschriften eind gesondert behandelt:
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Diese Inschriften, unter denen die datierten von der zweiten Hälfte des
'Vierten Jahrhunderts bis gegen Ende des sechsten reichen, die also zum grossen
l^eile in die Zeiten der Barbarennot und der Germanenherrschaft fallen, weisen
eine bedeutende Znnahnic der runden Zahlen auf gegenüber den heidnischen
Orabsteinen, nnd es erklärt eich diese Thatsache durch den Hinweis auf die
t^ormel plus minus, die gegen 150 mal bei den Altersangaben begegnet nnd im
allgemeinen den Scfalnss aaf absichtliche Abruudung gestattet. Für die Ge-
schichte der Geburtenbetirkundang lassen sich die Inschriften so nicht ver-
werten. Fflr den RtJmer mochte sie wegen der priTatrechtlichon Bedeutung
des Alters auch dann noch Wert haben, als der OothenkOnig an die Stelle der
Wilhelm Levi.
Cäsaren getreten war'), nicht fUr den Germanen: Gothie aetatem legitimam
virtns facit et qni valet hoBtem eonfodere, ab omni se iam debet vitio vindicare *).
XVII. Gallia Narbonensis. C. I. L. XII.
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1) Vgl. die formnla aetatis veniae hei Casaiod. Var. VII 41 (Mon. Germ, bist.,
auct. ant. XII, S. 222). Mommsen, Neuen Archiv der Gesellschart für Mttere deutsche
Oeschfchtakunde XIV, 1889, S. 534, Anm. 1.
2) Cassiod. Var. I 38,2 (S. 36).
Die Beurkundung des Civilst&ndes im Altertum.
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Die LegionBgeBchichtc der beiden Gennanien ermöglicht eine weitere
Untersnchuiig. Die luBchrifteD der legiones I Gcmianica und Adintris, II An-
gnata, IUI Macedoniea, V, X Gemina, XIII nndXIV Gemina, XV Primigenia,
XVI, XVIII, XX Valeria Victrix nnd XXI ßapax fallen alle in die Zeit vor
Marc Aorel; dagegen zieht sich der GennaniBche Anfentlialt der legiones I
Minervia, VIII Angnata nnd XXII Primigenia nocli durch das dritte Jahrhun-
dert hin, nnd in gleicher Weise erweitem sich die zeitliclien Grenzen ihrer
Denkmäler. Es folgen nnn die Altersaugaben der Inschriften, die sich auf
Soldaten der ersten nnd der zweiten Gmppe von Legionen beziehen, wobei
auBser dem Corpus inscriptionum Rhenananim von Brambach auch die in den
Bonner Jahrbüchern verOfTentlichten Inschriften berücksichtigt sind:
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Die zweite Reibe weist gegenüber der ersten in Bezug auf Genauigkeit
einen bedeateuden Fortschritt auf, der fUr die vorliegenden Fragen um so
hüber anzuscblagen ist, &h die zweite Reibe nicht etwa nur InBcliriften des
dritten Jahrhunderts enthält, sondern die ganze Zeit von Claudius an utnfasst.
Allerdings sind auch hier die Zahlen gering; aber für diesen Mangel tritt die
Übcreinsliiniiiung der Ergebnisse mit den Verhältnissen anderer Gebiete er-
gänzend ein.
XIX. Die christlichen Inschriften Galliens.
Le DIant, Inscriptinns chr^tienncs de la Gaule, 18f)6 — 1865; Noureau recueil
des inscriptions chretiemies de 1a Ganle, 1893').
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Diese Inschriften, die xnm weit grosseren Teile Frankreich, znm kleineren
ilcD Rhcinlanden angehörcu nnd unter denen die datierten Denkmäler sieb vom
zweiten Drittel des vierten Jahrhunderts bis ztiin Ende des sichenten erstrecken,
fallen ihrer Mehrzahl nach in die Zeiten der Auflösung des Weströmischen
Reiches und die ersten zwei Jahrhunderte der Frankenherrschaft uud komineu
so tüT die Geschichte von Einrichtungen des Römischen Staates nur zum
kleinsten Teile in Betracht. Die Altersangabeu der Erwachsenen sind sehr oft
in runder Zahl angegeben, man legt keinen grossen Wert auf genaue Angaben
— plus minus begegnet etwa 90 mal — und oft ^nug wird die Unmüglicb-
keit, die Lebensdauer eines Verstorbenen genau festzustellen, zn rundcD
Schätzungen Aolass gegeben haben.
XX. Britannien. C. I. L. VII; Ephemeris epigrapbiea III, IV, VlI.
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daten (C. I. L. VII 48, 154, 155, 18», 184, 185, 186, 243) dem ereten Jahr-
hundert znweiscn, als deren Lebensdauer 20, 25, 28, 30, 30, 35, 38 nnd 40
Jahre angegeben werden. Diese Inscbriftenzahl ist allerdings sehr gering;
doch stimmt das überwiegen der runden Zahlen auf Grabsteinen des ersten
Jahrhunderts wieder zu den fflr andere Gebiete gewonnenen Ergebnissen. Die
christliehen Inschriften (Inecriptiones ßritanniae ehristianae, cd. Huebner, 1876)
niflssen wegen der äusserst geringen Zahl von Altersangaben unberücksichtigt
bleiben.
XXI. Spanten. C. I. L. 11 nnd Ergänzungsband.
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Auch hier lassen sieb auf Grund der Heercegeschidite oder des Scbrift-
charakters, der besonders im Ergänzungsbande verwertet ist, Inschriften zeit-
lich bestinunen ; es folgen daher diese datierbaren und die datierten ') Angaben
der GrabBteine, geschieden in diejenigen der beiden ersten Jahrhunderte und
die der späteren Zeit vom Ende des zweiten Jalirhnnderta an:
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1) Doch Bind die nach der aera cos. datierten Inschriften unbertick sieht! (^ ^-
blieben, da deren Epoche noch umstritten isi; vg-t. Kubitschitk, aera in Pauly-
Wissowas Realencyclopadio T, Sp. 639—640.
54
Wilhelm Levison:
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durch 5 teilbar
durch 10 teilbar
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15
Auch hier stehen wieder die Altersangaben der beiden ersten Jahrhun-
derte an Zuverlässigkeit zurück hinter denen der folgenden Zeit; haben wir
hier einen allmählichen Übergang anzunehmen oder eine scharfe Grenzlinie?
Bisher ergiebt sich noch keine Antwort auf diese Frage.
Die christlichen Inschriften Spaniens^) beginnen, soweit sie eine Zeit-
bestimmung enthalten, erst in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts und kommen
daher für die vorliegenden Fragen nicht mehr in Betracht; ihre Zusammen-
stellung ergiebt folgendes Bild der Alters Verteilung bis zum Ende des siebenten
Jahrhunderts:
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1) Inscriptiones Hispauiae christianae, ed. Huebner, 1871; Ergänzungen hinter
den Inscriptiones Britanniac christianae.
Dil' Bi'urkiuiiluiig; des CivilKtandes Jm Altrrtum.
XXII. Byzacena.
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4 I durch 10 teilbar .... 128 4 89 6
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263 53 316 43,3
392 21 413 66,7
226 12 238, 32,7
1) Bei der Behandlung Nordwi'stafrikas ist die Kiiiti-ilun<; der Ergänzangii-
**Ände zu Grunde gelegt, nicht die in manchen EinKolheileu tibweichende di-r Haupl-
Wilhelm Levison:
Die christlichen Inschriften von Byzacena enthalten folgende Altereangaben :
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—20266, 20345—20871, 21011-21315 benutzt werden konnten.
Bei den Maaretanisclien Inschriften sind nicbt nur die christliclien ans-
geschieden, sondern auch die Denkmäler von Altava, l'oinarium nnd Nnmerau
.Syrorniu '), die, wie die Zeitangaben lehren, dem vierten bis siebenten Jahr-
hundert angehören nnd so zeitlich mit den christlichen Grabsteinen zusannnen-
fallen, wie sie auch gleich diesen ausserordentlich /.ahlreiche runde Zahlen
enthaUea. Die übrigen Inschriften Manrctanieus bieten folgende Altersangaben:
1) C. I. L. VIII 2, 9831-9987.
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Da viele der Manretanischen Inechriften nach der Provinzialära datiert
sind, bieten sie die Müglicbkeit einer genaueren Unterenchnng. Dnrcb Abzng
der Lebensdauer vom Todesjahre ergiebt sich das Geburt^ahr der einzelnen
Toten. Die naeb der Wende des dritten nnd vierten Jahrhunderts gesetzten
Die BenrkaDdon^ des Civilstandes fm Altertam. 61
Inscbriften bedOrfea zosammeD mit den cbristlicben besonderer Behandlung, da
in ibnen die Abmndung des Altere anaserordentlich häafig wird.
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Dentlicb acbeiden sich bier die Inscbriften der vor dem Jahre 169 ge-
borenen Personen von den späteren ab. Bei jenen fiberwiegen die mndea
Zahlen, bei diesen die nicht durch Fünf teilbaren Altersangaben.
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Zahl der Angaben
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Bei dieser Sachlage sei auf die Norische Inschrift C. I. L. III 5567 hin-
gewiesen: D. M. I Jul(iu8) Victor Martial(i8) f(ilius) | ob(ita8) an(norum) LV.
Bessa Juvenis f(ilia) ux(or) 6 aii(nornm) XLV. | Novella Essibni f(ilia) ob(ita)
a(nnorum) XVIII. | Victorinus parentib(n8) et coniugi et Victorinae | fil(iac)
fecit, I qui per luem vita functi sunt Mamcrtino et Rufo co(n)8(ulibus), | et
Aur(elio) Justino fratri, mil(iti) | leg(ionis) II Ital(icae), stipend(ioruni) X,
6 a(nnoram) XXX.
Auf diesem in mehrfacher Hinsicht bedeutsamen Denkmale, das 182 n.
Chr, oder bald nachher gesetzt ist und an die Zeiten der grossen Pest er-
innert, wird das Alter der vor den 60er Jahren geborenen Personen in runden
Zahlen angegeben, dagegen dasjenige Novellas in einer nicht durch Fünf teil-
baren Zahl. Doch verliert die Inschrift, abgesehen von ihrer Vereinzelung, an
Bedeutung, weil jene genauere Angabc schon durch den Hinweis auf die That-
sache hinreichende Erklärung findet, dass sich überhaupt bei den unteren Jah-
resreihen grössere Zuverlässigkeit und Genauigkeit wahrnehmen lässt als bei
den oberen.
Die datierten, nach dem Beginne des vierten Jahrhunderts gesetzten,
Grabsteine Mauretaniens enthalten folgende Altersangaben:
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XXVI, Die datierbareii InBchriften des Osteus. C. I. L. III «nd
suppl. fa8t^ 1 — 3.
Im di-itten Bande des Corpus inscriptioniini Latinarnm lassen sich fol-
^nde Altersan§^ftben auf irgend eine Weise (Datierung, Legionsgeschicbte,
Scliriftcbaraktcr) den zwei ersten ') oder dem folgenden Jahrbundert zuweisen :
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Auch hier zeigt sich wieder eine Zunahme der Genauigkeit im dritten
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1) Auch die Inschriften von Soldaten i'iner \f,gin Severiana sind alte dem 2,
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Wilhelm Leviaon:
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58
Die Ergebnisse dieser Zahlenreihen für die vorliegenden Fragen lassen
8ich in wenige Sätze zusammenfassen:
1) Abgesehen von den Inschriften der vierten und fünften Region Italiens^
für deren besondere Stellung bereits eine Erklärung versucht wunle, und nach
Ausscheidung der jüngeren Altersklassen zeigen die Altersangaben der Grab-
steine aller behandelten Gebiete, vom Balkan bis zum Atlantischen Meere, vom
Rhein bis zu den Grenzen der Sahara, grosse Ungenauigkeiten, die in der
unverhältnismässigen Menge der runden Zahlen zu Tage tritt; bei den Er-
wachsenen nehmen die durch Fünf teilbaren Zahlen 35 bis 80 ®/o ein, die durch
Zehn teilbaren Jahreszahlen 16 bis 58 ^/q. Sucht man die Insehriftenmassen
nach Zeiträumen zu gliedern, so zeigen
2) Inschriften Germaniens, Britanniens, Spaniens und der östlichen Pro-
vinzen, dass diese üngenauigkeiten auch innerhalb des beschränkten Kreises
der Denkmäler der ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. stark vertreten sind.
3) Im Gegensatz zu dieser Thatsache bezeugen christliche Grabsteine der
Stadt Rom und Etruriens, femer Inschriften Germaniens, Spaniens und des
Ostens, zwar alle an Zahl nur gering, aber durch ihre Übereinstimmung diesen
Mangel ersetzend, dass auf den Inschriften des dritten Jahrhunderts eine Ab-
nahme der runden Zahlen und damit eine Zunahme der Zuverlässigkeit der
Altersangaben erfolgt, im Gegensatze sowohl zu den Inschriften der vorher-
gehenden Jahrhunderte als auch zu den Denkmälern der späteren Zeit, die mit
dem häufigen Auftreten der Formel plus minus die Thatsache absichtlicher Ab-
mndnng oft bekunden, bis schliesslich für die Zeiten der Verwirrung und neuer
Staatenbildnngen wie in Gallien die Abnahme genauer Altersbestimmungen auch
ohnedies erklärlich ist. Eine genauere Grenze zwischen der ersten und der
zweiten Masse zeigen die Inschriften Mauretaniens gerade vor dem Jahre 169;
vorher übenviegen die runden Zahlen bedeutend, nachher sind die anderen im
Übergevrichte.
Da nun eben um diese Zeit nach der Angabe der historia Augusta Kaiser
Marcus eine allgemeine Beurkundung der Geburten unter den Bürgern einführte
und da dadurch die Feststellung des Alters erleichtert werden musste, so
scheint es mir durchaus begründet, hier einen Zusammenhang anzunehmen ; die
Geschichte der inschriftlichen Altersangaben findet ihre Erklärung durch Capi-
tolimis' Bericht, dieser seine Bestätigung durch die Inschriften. Wie so oft, er-
gänzen sich auch hier Litteratur und monumentale Überlieferung. Dass sich
68 Wilhelm Levison:
die Wirkung der Einrichtung Marc Aurels nicht für alle Provinzen nachweisen
lässt, liegt an der Natur des vorhandenen Quellenmaterials und beweist nichts
gegen die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse.
Damit ergiebt sich denn die Notwendigkeit, in Apulejus' Bericht die
Worte more ceterorura zu betonen und in den von ihm geschilderten Einrich-
tungen eine in ihrer Verbreitung beschränkte Sitte zu sehen, mag diese nun
erst im Laufe der Kaiserzeit aus ähnlichen Bedürfnissen erwachsen sein wie
Marc Aurels Bestimmung oder mag sie mit ihren Anfängen in frühere Zeiten
zurückreichen. Für diese Auffassung lässt sich eine Analogie nachweisen,
die sich in Einrichtungen Ägyptens bietet.
XXXII. Ägypten.
Diodor erzählt^), nach des Sesoosis Geburt habe dessen Vater alle am
selben Tage geborenen Knaben aus ganz Ägypten zusammenbringen lassen,
um in ihnen- dem Sohne eine Schar treuer Genossen zu erziehen. Engel hat
aus dieser Nachricht auf die Entwicklung und Ausbildung sorgfiiltig geführter
Civilstandsregister Ägyptens geschlossen*), und wenn man ihm auch schwer-
lich in der Verwertung jener Erzählung beistimmen kann, so lässt sich doch
eine frühe Anwendung von Civilstandslisten in Ägypten mit ziemlicher Wahr-
scheinlichkeit vermuten, da die „Schreibwut" der Ägypter schon in den Zeiten
des alten Reiches über alles und jedes Protokolle aufnahm und Listen anfer-
tigte '). Wenn daher in Römischer Zeit hier Geburtsurkunden erscheinen, so
mag deren Gebrauch vielleicht bis in die Zeiten der Amenemha und Ramses
zurückgehen oder wenigstens der Ptolemäer, deren Verwaltungsmechanismus
Rom aufrecht erhielt. Jedenfalls gab es hier schon vor Marc Aurel eine An-
meldung und Aufzeichnung der Geburten, und wir haben es dem an Schätzen
so reichen Boden des Faijüm zu verdanken, dass hier unsere Kenntnis nicht
auf dürftigen Zeugnissen beruht, sondern gleichzeitige ürkimden uns unmittel-
bare, lebendige Kunde geben. Diese Schriftstücke sind veröffentlicht in der
Sammlung der „Ägyptischen Urkunden aus den Königlichen Museen zu Berlin,
Griechische Urkunden I", 1895, n. 111, 110 und 28:
1) n. 111, Zeile 4. [Aejujvibr] [koX] Tp|Li[oT€iTOvi TP(amLxciT€Ö(Ti)]
5 |blTlTp0Tr6X€U)[q
Tr]apd KoXXou9[ou ]..[...
To]ö "Hpujvoq |iTiT[pö^ Za]paTroö[Toq . .
1) I 53, 2: Y^WTiGdvToq y^P 'toO Zeaouüaioc; diroiriaev 6 iraxi^ip aöroO netaXoirpciT^c;
Ti Kai ßaaiXiKÖv • toO^ t^p Kaxd Tf|v a<)ri\v i'iiLi^pav fewriö^vTac; iraibac; kl ÖXr|^ Tfj<; AItutttou
auva^aTibv koI rpocpouc; kqI tou<; ^Tn^€Xn(JO|Li^vou(; lmaTY]aa(; Tf|v aÖTi^iv ä'fvjfi]^ Kai iratbciav
Üjpt0€ TOl(; TTöaiv ....
2) Engel, Die Volkszählungen, ihre Stellung zur Wissenschaft und ihre Auf-
gabe in der Geschichte. Zeitschrift des Königl. Preussischen Statistischen Bureaus II,
18G2, S. 27.
3) Vgl. Erman, Ägypten und Ägyptisches Leben im Altertum I, S. 165; v. Hartel,
Über die Griechischen Papyri Erzherzog Rainer, 188G, S. 14 f.
Die Beurkundung' des Civilstandes im Altertum. 69
Ka]i TTiq TOUTOU T[vJvaiKÖq] ZaTupo[ö-
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'ATTOTpaqpöibieGa [T]ouq TevvTi0(€VTaq) f^iieiv
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KttT* oiK(iav) [dTTojTpcwp^v il dXXr|X(ujv) ulouq,
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(2. Hand) Aiot^vti^ KUj|LiOTp(a|Li|LiaTeuq) laxov touto(u) tö i(T[ov].
(1. Hand) C'ETei) Kb' MdpKOu AupnXiou
Kofiöbou 'AvTUJveivou
ZeßaaTGö. Oauicpi (2. Hand) if. 11. Oktober 183
Wie diese Urkunden lehren, wurde bereits vor Marc Aurel in Ägypten
über die Geburt eines Kindes ein uTrö|iVTi|bia Tfiq d7TiT€vvri(T€Uü<; von den Eltern
eingereicht, von Dortbewohnern bei dem KUj|iOTpa|i|LiaT€u?, in der Hauptstadt
des Nomos bei den Tpa|bi|LiOTeTq Tfiq |iTiTpoTröX€Uü<;, ausserdem vielleicht von allen
bei dem ßacTiXiKÖ? fQaixixaiexx; des Nomos, bez. der jiepi?, wie man aus der
Analogie der Totenscheine schliessen kann. Der Meldeschein enthielt den Na-
men des Kindes, das Jahr seiner Geburt und sein Alter zur Zeit der Meldung.
Bedeutende Unterschiede treten zwischen diesen Urkunden und Marc Aureis
Einrichtung zu Tage. Nach dieser musste die Anmeldung innerhalb der ersten
dreissig Tage nach der Geburt erfolgen; hier werden Kinder im Alter von
zwei, vier und sieben Jahren gemeldet. Es ist dies nur ein äusseres Merkmal,
das auf einen tieferliegenden Unterschied hinweist. Kaiser Marcus traf seine
Anordnung im Interesse der Bürger im Hinblick auf die causae liberales; dass
diese Urkunden andere Zwecke verfolgen, zeigen die Worte der ersten: 'Atto-
Tpaq)ö|Li€0a rovq Y^vvTiGevTaq fijLieiv lierct Tfjv toö iq' ?TOuq Geoö 'Abpiavoö kqt'
oiKiav dTTOTpaqpfjv d£ dXXrjXujv uiou<;. Die Geburtenmeldung erscheint hier nur
als Ergänzung der Kar' okiav dnoTpacpri, des Ägyptischen ProvinzialcenBas^ der
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum. 71
alle vierzehn Jahre stattfand und der Erhebung der Kopfsteuer und der Aus-
hebung zur Grundlage diente^). Aetatem in censendo significare necesse est,
qnia quibusdani aetas tribuit, ne tributo onerentur, veluti in Syriis a quattuor-
decim annis maseuli, a duodecim feminae usque ad sexagesimum quintum annuni
tributo capitis obligantur; so berichtet ülpian*). Bisher spricht keine That-
sache dagegen, dass die gleichen Altersgrenzen auch für Ägypten galten, und
diese Lebensjahre boten so auch die äusserste Grenze für die Anmeldung der
Kinder. Ob diese im ersten Lebensjahre erfolgte oder später, war unwesentlich, *
wenn sie nur so früh erstattet wurde, dass der Fiscus zu seinem Rechte kam. Es
ist daher auch begreiflich, dass man nicht selten eine besondere Anmeldung
unterliess und die seit der letzten Schätzung geborenen Kinder als [xi] äva^e-
Tpa|bi)Li€voi ^v dTriTeT€VTi|i^voiq beim nächsten Census meldete; mit diesem Zu-
sätze werden in den Kai' olKiav dTiOTpacpai Kinder von einem bis zu elf Jahren
aufgeführt •'*), in einem anderen Falle meldet man bei Gelegenheit des Census
einen Knaben als Tcvföjievov t]uj iv€(TTU)[Ti (frei)]*). Die Listen der dTriTCTe-
VTiii^voi ergänzten so die dTroTpciq)cti ; die Ägyptische Geburtenbeurkundung stand
im Dienste der Steuerverwaltung. Natürlich fällt damit nicht die Möglichkeit
fort, dass die Geburtsscheine auch zu anderen Zwecken verwandt wurden, etwa
wie wahrscheinlich die Totenscheine als Beweismittel; aber ihr ursprünglicher
Zweck ist doch der der Ergänzung der letzten Censusaufnahme.
Wie verhalten sich nun die Altersangaben der Ägyptischen Grabsteine
und Mumien täfeichen? „Der Tag der Geburt wie der Todestag wird seit der
26. Dynastie genau vermerkt, wie es in gleicher Weise auf den Gedenksteinen
unserer Gräber zu lesen; zur höheren Bequemlichkeit des frommen Lesers aber
berechnete der Ägypter noch genau auf Jahr, Monat und Tag die Lebensdauer
des Verstorbenen und verzeichnete das Resultat auf dem Steine*)." Dies gilt
von Ägyptischen Inschriften; Griechische Inschriften des Landes enthalten fol-
gende Altersangaben ^):
1) Vgl. Wilcken, 'AiroTpacpaf. Hermes XXVIII, 1893, S. 230—251.
2) Dig. L 15, 3.
3) Berliner Griechische Urkunden 1, u. 55, 115, 128, 132, 182; Papyrus Erzherzog
Rainer, Führer durch die Ausstellung, 1894, S. 78, u. 256.
4) Berliner Gr. Urk. I, n. 120.
5) Strack, Die Dynastie der Ptolemäer, 1897, S. 158.
6) Die Lateinischen Inschriften Ägyptens bliehen un!)erücksichtigt, da es sich
bei ihnen um Ausländer handelt, ebenso Griechische Denkmäler, wenn die Verstor-
benen ausdrücklich als Fremdlinge bezeichnet werden. Da das Material ausserordent-
lich zerstreut i8t,"konnte Vollständigkeit nicht erstrebt werden. Nur folgende Litte-
ratur wurde benutzt:
Corpus inscriptionum Graecarum;
Zeitschrift für Ägyptische Sprache undAlterthumskuiide, 1 bis XXXIIl, Heft 2, 1896;
Revue ögyptologique, I bis VII, Heft 2, 1893;
Athenische Mitteilungen, bis XXI, 1896;
Bulletin de correspondance hellönique, bis XIX, 1895 ;
Revue archöologiquet bis Troisi^me s6rie XXVII, 1895;
72
Wilhelm Levison:
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39
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—
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1
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—
56
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1
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2
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10
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—
26
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84
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11
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27
1
—
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— —
— —
59
1
—
90
1
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12
—
—
28
2
—
44
• —
1
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2
•—
96
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—
13
1
29
2
1
45
1 —
61
1
14
2
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30
1
1
46
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—
62
1
—
15
—
1
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63
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Gesamtzahl
nicht durch 5 teilbar . . .
durch 5 teilbar
durch 10 teilbar
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B 9 fi nicht durch 5 teilbar
° £ * durch 5 teilbar . .
^ durch 10 teilbar . .
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25
13
67
46
21
11
15
11
4
2
8
6
2
1
Summe
101
72
29
15
75
52
23
12
Vo
100
71,3
28,7
14,9
100
69,3
30,7
16
Diese Zahlen stehen durchaus im Einklänge mit der Thatsache, dass die
Anmeldung der Geburten und des Geburtsjahres die Feststellung des Alters er-
leichtern musste; demi die durch Fünf teilbaren Zahlen nehmen bei den höheren
Jahresreihen, von der vierten und fünften Region Italiens abgesehen, nirgend-
wo einen so geringen Procentsatz ein wie hier, sondern im Mindestfalle 34,7 ^/q.
Zu diesem Ergebnis stimmen durchaus die datierten Inschriften:
American Journal of archeology, bis X, 1895;
Botti, Notice des monuments exposes au mus^e Greco-Romain d'AIexandrie^ 1893.
Dazu kommen einige Inschriften, die mir im Laufe der Arbeit gelegentlich be-
kannt wurden:
Lumbroso, L'Egitto dei Greci e dei Romani, 2. Aufl., 1895, S. 211—212;
Kraus, Christliche Inschriften der Rheinlande I, S. 156;
Krebs, Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 1892,
S. 532.
Journal des Savants 1879, S. 473—486.
Die Scheidung der Toten nach den Geschlechtern ist unterblieben, weil sie
häuflg nur dem Agyptologen möglich ist.
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum.
73
Jahr
der Geburt
Ort der Veröffentlichung'
(48)
2
3
4
5
6
7
8
9
10
(93)
(95)
(98)
101
118
120
(128)
(176/7)
(241/2)
Alter
Todes-
jahr
72 J.
26 » 2 M. 9 Tg.
21 V 4
46 r,
44 nlO
4 ^ 8
6 r, 2
54 «
84 «
4 »
120
"^2
10
8
»
109
116
144
146
123
127
182
260/1
245/6
Zeitschrift für Agypt. Sprache XXXII,
1894, S. 36 n. 1
C. I. Gr. III 4823
C. I. Gr. III 4824
Botti, Notice S. 189, n. 2864
C. I. Gr. III 4827
C. I. Gr. III 4825
C. I. Gr. III 4826
Revue archöol. N. S. XXIX, 1875, S. 307,
n. 90
Revue 6gyptol. yil, 1892, S. 29, n. 8
Zeitschrift für Ägvpt. Sprache XXXII,
1894, S. 37, n. 4 "
In Ägypten gab es also Geburtsscheine, ehe Marc Aurcl im übrigen
Reiche die Aufnahme von Geburtsurkunden den Bürgern allgemein vorschrieb.
Dennoch wäre es verfehlt, in Ägypten das Vorbild für des Kaisers Einrichtung
zu suchen. Gemeinsam ist hier wie dort nur die Thatsache der Anmeldung,
aber Ursachen und Ziele sind verschieden. Marc Aureis Anordnung sollte
Interessen der freigeborenen Bürger sichern, die Verteidigung bei causae libe-
rales erleichtern; die Ägyptischen Geburtsurkunden dienten den Aufgaben der
Verwaltung, sie ermöglichten zunächst die rechtzeitige Heranziehung der Pro-
vinzialen zur Kopfsteuer. Wenn also auch Ägypten den zeitlichen Vorrang
hat, so liegt dennoch kein Zusammenhang vor; aus verschiedenen Ursachen
und zu verschiedenen Zwecken ist die Ägyptische Einrichtung und die An-
ordnung des Kaisers Marcus erwachsen, beide mit praktischen Zielen, nicht
etwa aus wissenschaftlichem, statistischem Interesse ins Leben gerufen ^).
Die Sterbelisten des Römischen Reiches^).
Für den Forscher, der die natürliche Bewegung der Bevölkerung verfol-
gen will, sind neben den Geburten — abgesehen von den Ehen — die Todes-
1) Hier sei darauf hingewiesen, dass die Griechischen Urkunden Ägyptens bei
Personalbeschreibungen auch das Alter angeben, meist mit dem Zusätze tbc; in runder
Zahl; das älteste mir bekannte Beispiel gehört dem Jahre 237 vor Chr. an (The
Flinders Petrie Papyri I, 1891, n. 12 f.). Diese Angabe findet sicli fortan durch die
Zeiten des Hellenismus und der Römischen Herrschaft hindurch bis zur Wende des
3. und 4. Jahrhunderts, zuletzt meines Wissens 290—304 (Grenfell-Hunt, Greek Papyri
II, 1897, S. 114, n. 72) und 321/2 n. Chr. (Corpus papyrorum Raineri I, 1895, n. 10) ;
von da an fehlt sie in den Urkunden. Wie überhaupt dt'r Agj^ptische Urkundenstil
sich um diese Zeit ändert (Mitteis a. a. 0. S. 177 f.) und in den Urkunden der Byzan-
tinischen Zeit „im Unterschiede zur Ptolemäisch-Römischen Zeit auf das Signalement
der Person kein Gewicht gelegt" wird (Wessely, Denkschriften der Wien. Akad. d.Wiss.
XXXVII, 1889 II, S. 100), so mag jene Erscheinung auf der Änderung von Urkunden-
i'ormularen in der Zeit der Reformen Diocletians und Konstantins beruhen.
2) Vgl. Kirch mann, De funeribus Romanoi-um, 4. Aufl., Frankfurt 1672, S. 46;
Becker-Göll, Gallus II, S. 74; Marquardt, Privatleben der Römer 1, 2. Aufl., S. 385;
Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms T, (>. Aufl., 1888, S. 39;
Voigt in J. Müllers Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft IV 2, 2. Aufl.,
S. 384, Anm. 86.
74 Wilhelm Levison:
fUlle Gegenstand der üntersuchnng; ftlr den Staat des Altertums musste ihre
Kenntnis wünschenswert sein, um die Zahl der Btlrger festzustellen, die für
Leistungen in Anspruch genommen werden konnten. War die Überlieferung
für die Geschichte der Geburtenbeurkundung des Römischen Reiches dürftig
genug und konnten auch die Inschriften keine neue Thatsache beibringen, son-
dern nur bestätigend und ergänzend scheinbare Widersprüche der Quellen auf-
hellen und den notwendigen Weg zu ihrer Lösung zeigen, so kommt die mo-
numentale Überlieferung für die Geschichte der Sterbelisten überhaupt nicht in
Betracht, und die Angaben der Litteratur sind der Zahl nach verschwindend
gering und inhaltlich überaus dürftig. Ägypten allein nimmt wieder mit sei-
nen Papyrusschätzen eine Ausnahmestellung ein.
Sueton berichtet (Nero 39) von der Pest, die unter Neros Herrschaft im
Jahre 65 die Hauptstadt heimsuchte : Accesserunt tantis ex principe malis pro-
brisque quaedam et fortuita: pestilentia unius autumni, qua triginta funerum
milia in rationem Libitinae venerunt. Bei dem Heiligtume der Todesgöttin
Libitina hatten die libitinarii ihren Sitz, hier fand sich der zur Bestattung nö-
tige Apparat, gab man Begräbnisse in Verding (locare). Nun hat man aus
Suetons Worten gefolgert und sie dahin ausgelegt, dass im Tempel der Libi-
tina allgemeine Sterbelisten geführt wurden; aber mag diese Auffassung bei
der Unbestimmtheit des Ausdruckes auch möglich und zulässig sein, es liegt
doch näher und entspricht mehr den Worten Suetons, an Geschäftsbücher der
libitinarii zu denken, in die die übernommenen Begräbnisse eingetragen wur-
den und in denen die Einnahmen zur Verrechnung kamen. Man kann so von
Sterbelisten reden, insofern die von der Libitina besorgten Bestattungen hier
verzeichnet wurden und Tag für Tag die Sterblichkeit der Stadtbevölkerung
sich mit dieser Beschränkung ergab. Wer an die Leichengruben auf dem Es-
quilin^) denkt, die allerdings bereits unter Augustus verschwanden, wird
dieser Libitina wenigstens seit der Entwicklung Roms zur Grossstadt
einen zwar weiten, aber immerhin beschränkten Wirkungskreis beilegen
und die Bemerkung Friedländers für berechtigt halten: Es „können Sklaven
und ganz Unvermögende wohl unmöglich durch sie bestattet worden sein, am
wenigsten bei einer so ungeheuren Sterblichkeit." Ist diese Auffassung richtig
— einen völlig sicheren Beweis gestattet die dürftige Überlieferung nicht —
so gaben die Bücher der Libitina nur mit dieser Einschränkung Auskunft über
die Sterblichkeit. Mit Recht hat man wohl auf dieselben Veraeichnisse be-
zogen, was Hieronymus a. Abr. 2096 von der Pest berichtet, die im Jahre 80
zu Rom wütete : Lues ingens Romae facta, ita ut per multos dies in efemeridem
X milia ferme mortuorum hominum referrentur *). Doch ist auch diese Angabe
unbestimmt genug und bietet nicht die Möglichkeit, mehr als die blosse That-
sache festzustellen, dass Sterbefälle in der Hauptstadt verzeichnet wurden.
Über die Art und den Umfang dieser Listen lassen sich nur jene Vermutungen
1) Vgl. Lanciani, Ancient Bomc, 1889, S. 64 f.
2) Eusebitts, ed. Schoene n. S. 159.
Die Beurkimdung des Civilstandes im Altertum. 75
aufBtellen; sichere Nachrichten und genauere Zeugnisse fehlen völlig, für die
Hauptstadt wie för die Provinzen. Dass das mit den Frumentationen in Zu-
sammenhang stehende Meldewesen ^) auch die Todesfälle betraf, kann man mit
einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, ohne dass es möglich wäre, sichere That-
sachen zu geben. Nur Ägypten bildet eine Ausnahme mit einigen Papyrusurkunden
des Faijüm, die ihrem Wortlaute nach zunächst folgen mögen:
1) Berliner Griech. Urkunden I, n. 17:
[Zapaiti]ujvi ßaaiX(iKiü) [Tp(a|i|iaTeT) 'Apai(voiTOu)
*Hp]aK(X€ibou) iLiepibo^
[Trapd 'A]TnJTX€U)^
5 Toö 'A7r[u]TX€U)^ MnTp[ö^]
Gaiiaeu)^ tiöv dirö K[u))Liri^]
<t>iXo7rdTopoq Tfi? [••••]
T€vou^. '0 auvT€v[ri]^ jiou
TTaitovTib^ 'Opaevoucpeui^
10 TOÖ TTaTTOVTÜüTO^ MHTpö?
TapjLiouOeu)^ XaoTPcwpou-
|Li€VO[^] im TT^^ 7rpOK€l|bl€-
vri^ Kiwjiii^ iTe\evTr\a€
Ttp 'Emq) jirivi toö ivea-
15 [tä]to^ e' (fiou^) *AvTU)vivou Juni/ Juli 142
Kaiaapo^ TOÖ Kupiou • biö
dEiÄi Td[<J<Je]<J6[ai a]u[TÖv]
dv Tij TÜÜV T€T€[X€UTri]-
k6tU)V TdE€l KQl ö)Ll[vU)Lll]
20 Tfjv AuTOKpdTopo^ Kai<Jap[o^]
TiTOu AiXlou 'Abpiavoö 'AvTU)[vivou]
ZeßacJTOö Euaeßoö^ TÜx[nv]
dXriGfi elvai tq 7rpoTeTpa[mLieva].
(2. Hand) 'Attötxks (^täv) Xß', o(uXf|) TÖ(vaTi) be[£iijj . . .]
25 eiK° q)a|Li€ )li . .b® tP^[. . . .]
vö.
(1. Hand) ("Etou^ e' AuTOKpdTopoq [Kaiaapo?]
TiTOu AiXiou 'Abpiavoö ['AvTUivivou]
ZeßaaToö Euaeßoöq 'Emq) [. .]. Juni/Juli 142
2) Papyrus Erzherzog Rainer n. 2026 (Mittheilungen aus der Sammlung
der Papyrus Erzherzog Kainer V, 1892, S. 12; Führer durch die Ausstellung,
1894, S. 71, n. 222):
Aioq>dv[Tiu ßa<JiX(iKiu) TP(amLiaTei) 'Ap(n(votTOu)]
*Hpa[KX€ibou ]L&€pi]bo^
1) Vgl. 0. Hirschfeld, Philologus XXIX, 1870, S. 90—95; Nissen, Rhein. Mus.
N. F. XLV, 1890, S. 103-104.
76 Wilhelm Levison:
Trapct TTa(Trj[)moq Oariaeiuq toO <t>ar\]'
(Teuüq dirö KUüjiTi^ Kapavibo^. ['0]
6 TTttTTip )Liou OdticTiq <t)ari(T€[ujq TOÖ]
OarjcTeujq MtiTpö? Zor|p€Uj[q dirjö
Tflq a\)Tf\<; KUüjiTiq XaoTpacpo[u|i€]-
VO^ ^T€XeUTTl(T€V TUJ 'A9Üp [jiTlVl]
TOÖ dvecTTujToq \V (?TOuq) 'AvTUj[vivou] 153
10 Kaicrapoq toö Kvpiou ' h\ö dEiu) [ra]-
TTivai auT6[v] iy Tf) täv T€T€[Xeu]-
TTiKÖTUJV xd^ei.
Eine zweite Hand hat noch sechs Zeilen hinzugefügt, aber in „flüchtiger
Schrift und vielfach zerstört" (Wessely).
3) Berl. Griech. Urkunden I, n. 254:
// cp
Ai(d) Toupßuj(voq) . . . Y^TPCamiev )Xao(Tpa(pia^) KÖX(XTi|ia) v'
. . € ^ e^ . TdEeu)(q) Trpo(Tq)(uüvr|(Teuüq?) ib' ^ k€ ^
(2. Hand) OuaXepitu Aötth^ Kai Zap[a7T]iujvi
5 YO(ci|bi|biaTeö(Ti) |LiTiTp07röX(euüq)
Trapd "Hpuüvo^ TTa|Li|bi^vouq
TOÖ Ktti "Hpujvoq "Hpuüvoq
jiriTpöq Mapujviboq Tfiq Kai
ZOpaq dvaTpacpö|i€voq
10 in dficpöbou 'Apdß(ujv). '0
öjLiOTrdTpioq Kai ö|iO|ir|Tpiöq
liou dbeXcpöq N€|bie(Tiujv
XaoTpacpoüjLievoq [im] toö TrpoK(ei|ievou)
d|Li(p6b[o]u 'Apdßujv dTeXeu-
15 Tr|(Tev TUJ M€xe[i]p |Lir|vi
TOÖ iveOTVJToq KT (^Touq) 'AvTuüveivou Februar 160
Kai(Tapoq toö Kupi[ou] • biö
d£ia) TaTT^vai a[uT6v dm
TÜÜV] Ö|Ll(oiuJV) dv Tf) TUIV TeT€-
20 X€utti[kötu)]v Td£[6l].
"Hpujv dmbebujKa.
KT 'AvTUJveivou Kai(Tapo<;
TOÖ Kupiou Mexeip X'. 24. Februar 160
(3. Hand) Toupßujv ö Kai 'A[)Li|biujvV]ioq Ai[. . .]
25 feuj ..... TO [ ] . . . .
Neiaeaiujv [dirö] Tf](; |bir|T(po7TÖXeiJü<;)
T€TeXeuTr|K(€).
Es folgt eine von vierter Hand geschriebene zweite Spalte, von deren
Zeilen nur die Anfangsbuchstaben erhalten sind; erwähnt seien die Worte:
2 Td£[€l . . .
3 T€Xe[uTTi . . .
Die Beurknndung des Civilstandes im Altertum. 77
8 "Etou^ KT ['AvTiwveivou Kaiaapo? 160
i> t]oO Kupi[ou . . .
4) Berl. G riech. Urkunden I, n. 79:
'A(TKXTi[mdbr| ßa(TiX(iKUj) Yp(a|bi|biaT€i) rfiq 'Hpa]-
KXepbou |Li€pibo^]
Trapd TTT[oXXä ]
TTxoXXä ÖTTÖ Tfiq )aTiTp[oTröX€u)<;]
5 dvaYpa(po|bi€VOu iti' ä}xq>[6bov]
'ATToXXuiviou Trap€|iß[oXnq].
Ol (TuvTCveiq ixov Aio[b ]
'Ep|id Toö TTeGeu)^ |biTiT[pö^ . . .]
upeujq Kai ZTrapxä^ TTo[ ]
10 'A|i|blU)[vio]0TOq Kttl TTt[ ]
Tpiiä To[ö TTejGeu)^ MnT[pöq .... lip]-
€ujq , Ol CrpeTq) XaoTpaq)ou)ae[voi im toö]
aÖTOÖ d|i[q)]öbou 'ATroXXuj[viou Tia]-
p[e|i]ßoXfiq dT6XeuT[ri(T]av [tuj ]
ir, |bi[Ti]vi ToO dv€(TTUJToq i^' (fTOu<;) [AuptiXiou] 175/0
'AvTUJV€iv[ou] Kai(Tapoq toö [Kupiou] *
biö dEiu) T[aY]fivai auTOuq [iv Tfj täv]
TeT€X(€UTriK6TUJv) TdEi[u)]q im tüüv 6|bi[oiujv].
Es folgen sechs von anderer Hand geschriebene Zeilen; doch „sind die
Lesungen unsicher."
5) Papyrus Erzherzog Rainer n. 1410 (Mittheilungen V, S. 12; Führer S.
77, n. 250), Spalte 2:
^ß
TTapd Aup[TiX(iou) TTajTreipiou KoXXouGou dirö
KU)|Liriq Moux€vvu)|i0ou . 'Ettci
[ö] (TuTT^vri^ jiou TToußXio^ [Aupr|]Xioq
5 dTeXeuTTiaev tiD dveaToiTi t (^tei) [djvafpa- 2;>7
cpö|i€vo^ im Tfiq 7rpoKei|bi€VTi<;
KiüjiTiq Mouxevviü|i0ou, [dEiÄ]
TrepiaipeGfivai ae toöto t[ö övoiaa]
bid Toöq Trapd aoi bT]|Lio(Tio[uq täv YpaMM«-
10 T^]ujv ib^ Ka9r|K€i.
[fET€i) T AuTOKpdTopoq]
Kaiaapoq fatou 'lo[uXiou Ouripou]
MaHijieivou [Eu](T€[ßoöq EuTuxoöq
ZJeßaaToö rep|biaviK[oö MeTi^TTOu AaKiKOÖ]
15 MeyicTTOu Zap|biaT[iKOÖ M€Ti(yTou]
Kai fatou 'louXiou Ouripo[u Ma£i|Li]ou
fepiLiaviKOö M€Ti(yT0u A[aKiKOÖ]
McTiCTTOu ZapjiaTiKOÖ M€Ti[cTTOu
TOÖ UpujTdTOu Kai](Tapo^ Z6[ßa(TT0u uioO
20 TOÖ ZeßacJTjoö, 'ETr[e]iq> [. .j. Juni/Juli 237
78 Wilhelm LeTison:
6) Papvn» Erzhenogr Rainer n. 1412 (MittlieiL S. 12):
[küfn\k\}üj 'AiToXXuiviui ßacTiXi[iciu Jpa^pLQtx€l]
^poicXcio" (?)
[iTOpa] AupnXtou V€UK Tcpou) 1-lpaicXciou [dirö . . .
....]. "EiTCi ö boOXö^ ^ou[ou TÖ dvofia
h ... CTTjiqHrv dT€X€UTi}<T€V dva[Tpaq>ö^€Voq
. . . dv]TÖ^ Toö <ppoupioUy ä£tui (T€ [ircpimpc]-
Ofivai TOUTO TÖ övofia biä tuiv brmo[(Tiuiv
Tpc^l^[Grr€ulv lii^ koOtjkci . CEtci) t' A[uTOicpaTopo^
K]ai(Tapo^ fdiou louXiou Ourjpou MaEi^{ivou
10 reJpMOViKOu McricTTOu Euacßoö^ Eutux[oö^ ZcßcKTTOu
KQt fdiou louXiou (Khf)pou Ma£i^ou Zef ßa(T^lUlTdTOu ?]
KaicTopo^ ^€p^avlKOÖ Mcticttou ZcßacTToö
[u]lOU TOÖ ZcßacTToö, M€X€ip
[HpaicX]€i(s *inft(^bunca). 237
7) Anzeiger der Wiener Akademie der Wissenschaften, phil.-histor. Classe,
XXXI, 1895, S. 7:
[tui beivi ßaOtXnau jiK^i^arix
'ApaivoiTou 6€^latou ^€pi^oq?]
ITOpa Mdp[KOu A]up[T)Xiou
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TÖ övopa ^v tQ vjj[y T€T]€X€vrrTi-
KÖTUIV TOEei Ul^ ^TTl TWY Ö^0i[ulV].
„Ende, ohne Zusatz" (Wessely).
Wie diese Papyri zeigen, ^vnrden in Ägypten, gleichwie über die Gebur
ten, auch über die Sterbefälle von Angehörigen der Verstorbenen Urkunden
eingereicht, eine bei dem ßamXiKÖ^ TpaMMorrcu^, eine zweite von den Bewoh-
nern einer Kiiifiii bei dem Dorfschreiber, von den Bewohnern der Nomoshaupt-
Stadt bei den TpaMMcrrcT^ tt)^ ^l^Tpo^TÖXeul^. Die Meldung erfolgt in Briefibmi ;
an die Mitteilung des Todesfalles sehliesst sich die Bitte, den Namen des
Toten in die Td£i^ tAv t6T€X€uttik6tuiv, doch wohl eine Sterbeliste, einzutragen
oder, wie die Urkunden des dritten Jahrhunderts sich ausdrücken, seinen Na-
men löschen zu lassen (Trcpimpciv). Die älteren und die jüngeren Urkunden
unterscheiden sich auch durch den Satzbau, indem Meldung und Bitte
dort nebengeordnet sind (6 bcTva iTcXeuTTicycv — biö oEiiii), während hier Unter-
ordnung angewandt ist (iitei ö bciva iTcXcuTnaev — älxw). In allen bekannten
Fällen erfolgt die Meldung noch im Todesjahre; die grössere POnktlichkeit
gegenüber der Anmeldung der Geburten erklärt sich daraus, dass das Kind
Die Benrkundungf des Civilstandes im Altertum. 79
erst mit dem Beginne seiner Leistungspflichten nach einer Reihe von Jahren
für den Staat in Betracht kam, während der Tod sogleich den Anforde-
rungen des Fiskus eine Grenze setzte. Im Hinblick auf die Besteuerung er-
scheint auch die Anmeldung eines verstorbenen Sklaven (n. 6) begreiflich, in-
dem auch der Sklavenbesitz beim Census anzugeben war^) und der Ägypter
sich veranlasst sehen rausste, die durch den Verlust eines Sklaven verursachte
Verminderung seines Vermögens ebenso zur Kenntnis der Behörde zu bringen,
wie er Veränderungen seines Viehstandes meldete. Dass die Sterbestatistik aber
auch anderen als fiskalischen Zwecken dienen konnte, lässt sich aus den Akten
eines Erbschaftsprozesses vom Jahre 135 n. Chr. erschliessen, bei dem die Fest-
stellung des Todesjahres eines Verstorbenen von Bedeutung war. Es heisst
hier *) :
XevaXeEä? 'AXeEdvbpou AiT[u7T]Tia xtjj bieXriXuBÖTi biaXoTi<T)LH|» | dbiKdaaro
15 im 'HpttKXeibou Kp[iTo]ö irpd? TT€T€<Toöxov Geiov ^auifi? || Tipö? Traipö? Kai
Aiovumov [dvejiiiiöv irepi |Lia|Li|Liij)UJV ÖTrapxövruiv, | div f XeTOv el? töv iraidpa
d[au]Tfi^ änö Tf\q Miitpö^ duTOÖ ^XriXuGdjvai.'ETTei bt o\ irepi töv TTeie-
(y[o]öxov bießeßaiuiCTavTO dKeivofu]? *) 7Tpo|T€T€X€UTTiKdvai xfi? ^nTpö? [xJtD
a' (ftei) 'Abpiavoö Kai(Tapo^ toO Kupiou, | avri] bk xtu le' (frei) toOto
20 diTobeiEai bid Tpoim^dTUJV utt^ctxcto, u7T€p€T^9ii i| fi bidTVUiCTi? el^ ifjv d7TÖb€i£iv.
Da Chenalexas bei der zweiten Verhandlung ihr Ziel auf anderem Wege
zu erreichen sucht und den Gegnern so stillschweigend zugiebt; dass ihr Vater
vor seiner Mutter gestorben sei, so muss der Beweis bid TpamixdTUJv zu ihren
Ungunsten ausgefallen sein. Zur Erläuterung der Mittel, deren sich die Be-
weisführung bedient haben mochte, hat Mommsen^) auf die erste, unter eid-
licher Bekräftigung erstattete Todesanzeige vom Jahre 142 mit Recht hinge-
wiesen.
In Ägypten wurden also, vielleicht schon vor den Zeiten der Römischen
Herrschaft, sicher sohon vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts Geburten und
Todesfälle bei der Behörde angemeldet. Im übrigen Reiche führte zuerst
Kaiser Marcus für die Bürger die amtliche Beurkundung der Geburten ein, die
freilich wie in Pudentillas Heimat an einzelnen Orten schon vorher geübt wor-
den sein mag. Auf die Registrierung von Sterbefilllen führen, von Ägypten
abgesehen, nur wenige dürftige Zeugnisse, die allein die Hauptstadt betreffen.
Über diese Thatsachen hinaus führen nur mehr oder weniger willkürliche all-
gemeine Erwägungen, die die Verhältnisse der Gegenwart auf die Vergangen-
heit übertragen.
Muss es im allgemeinen auch zweifelhaft bleiben, ob eigentliche Geburte-
1) Dig. L 15, 4, 5.
2) Berl. Griech. ürk. I, n. 19, Spalte 1, Zeile 13 f.; Bruns, Fontes iuris Romani
antiqui, 6. Aufl., S. 364.
3) ^Kcivou^ steht fUlschlich für ^keIvov.
4) Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschiclite, Roman. Abth. XIV, 1893,
S. 8, Anm. 2.
■f
80
Wilhelm Levison:
und Sterbelisten auf Grund der Einxelurkunden angefertigt wurden, so hätten
diese doch nicht nur den Zwecken der Verwaltung und Rechtspflege dienen,
sondern zusammen mit den Ergebnissen der Censuserhebungen auch der Wissen-
schaft ein reiches Rohmaterial zur Erforschung der Bevölkerungsbewegung
bieten können; aber während nicht wenige Zeugnisse über den Stand der Be-
völkerung in einem bestimmten Zeitpunkte Äufschluss geben, vernehmen wir
nur allgemein gehaltene Klagen über die Abnahme der Bevölkerung in der
Kaiserzeit oder Schilderungen der J'olgen, und nur vereinzelte Spuren weisen
darauf hin, dass man für die Erscheinungen der Bevölkerungsbewegung auch
zahlenmässigen Ausdruck gesucht hat. Dahin gehört eine Tafel der wahr-
scheinlichen Lebensdauer, die Ulpian bei der Behandlung der quarta Falcidia
aufstellt, um zu zeigen, welchem Kapitalwerte eine dauernde Leibrente je nach
dem Alter des Rentenempfängers entspricht ^). Er nimmt dabei
für
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bis
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als wahrscheinliche Lebensdauer an
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mehr als GO
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n
Dass Ulpians Zahlen bei der hohen Bedeutung des Gegenstandes nicht
willkürlich aufgestellt sind, darf man als wahrscheinlich bezeichnen*). Wir
wissen freilich nicht, durch welche Berechnungsmethode und auf Grund wel-
cher Menge von Material er zu seinen Aufstellungen gelangte, und darum sind
Vergleiche mit den Ergebnissen der modernen Statistik zwecklos^).
Ferner lässt sich hinweisen auf einen Brief des Bischofs Dionysios von
Alexandricn, in dem dieser zur Zeit des Gallicuus im Hinblick auf die Zu-
stände seiner Vaterstadt ausruft*):
1) Dig. XXXV 2, 68.
2) Eine statistische Grun(lla<re nehmen auch Hildebrand, Friedländer und Pöhl-
niann an. Beloch a. a. 0. S. 44 crklilrt Ulpians Zahlen durch die Annahme grosser
Inkonsequenz der Aufstellungsweise doch zu künstlich.
3) Vgl. J. L. Casper, Beiträge zur medicinischen Statistik II, 1835, S. 116—118.
4) Eusob. bist. eccl. VII 21,9.
Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum. 81
Elia 6au|Lid2[ou<Ti Kai biaTTOpoOcTi, ttöBcv o\ (TuvexeT^ Xoi|lxoi, ttöGcv a\
XaXerral vöcroi, ttöOcv al TTavTobaTrai (pOopai, ttöBcv 6 itoikiXo^ kqI ttoXu^
Tüüv dvGpüüTTUJV dXeOpo^, biä ti |litik€ti toctoOto TrXnGo? okriTÖpujv x] |Li€Ti<TTTi
iTÖXi? dv auT^ <P^p€iy Attö vriTTiujv dpEajLidvTi Traibujv |lx^xP* tüüv ei? ÄKpov
T€TilpaKÖTUJV, öcTou^ übiuoT^povra? oö^ dKdXei irpötepov övxa^ ^tpecpev, dXX'
Ol T€<TcyapaKOVTOÖTai xai in^xP* täv ^ßbo|Lxr|KOVTa dtüüv toctoOto TrXeiove?
TÖT€, uKTre |Lxf| (Tu|LiTrXiipoO(T9ai vöv töv dpidjiiöv auTÄv, iTpo<T€TTpct<P^VTUJV
Kttl (TuTKttTaXeTdvTUiV el? tö briiLiöcTiov (TiTiipdcriov tOüv ättö T€(T(Tap€(TKaibeKu
^Tüüv iLi^xPi tOüv öyboriKOVTa, kqi fefövaOxv olov f^XiKiüüTai tujv iräXai T^pai-
tAtIüV o\ Öl|l€l V€U)TaTOl.
Aber sonst wissen wir von keinem Versuche, den Verlauf der Bevölke-
rangsbewegung zu zahlenmässigem Ausdruck zu bringen. Man nahm lieber
seine Zuflucht zu astrologischen Spekulationen und suchte durch Zahlenspiele-
reien kritische Zeitpunkte im Menschenleben zu ergründen ^); oder man wandte
nur den jLxaxpößioi sein Augenmerk zu und fertigte Listen von ihnen an ^), wie
es Valerius Maximus, der ältere Plinius, Phlegon von Tralles, der Verfasser
der zu Caracallas Zeit entstandenen^) Schrift des Pseudolukianos und ihre
Vorgänger thaten, alle mit grösserem oder geringerem Mangel an Kritik, wie
denn z. B. Phlegon die Ergebnisse des Census und das Alter der tausendjäh-
rigen Sibylle in gleicher Weise verwertet. So ist das bevölkerungsgeschicht-
liche Material des Römischen Reiches für uns bis auf wenige Reste verloren,
und auch die grossen Inschriftenmengen können dafür keinen hinreichenden
Ersatz bieten. Man kann wohl die Scharen der Toten nach Altersgruppen
gliedern und über deren Verteilung und Verschiebungen zwischen den einzelnen
Ländern und Zeiträumen, den Frei- und ünfrcigeborenen, den Soldaten und
der übrigen Bevölkerung Vergleiche anstellen, und es mögen sich so einige
Thatsachen ergeben, wie die grosse Kindersterblichkeit der Hauptstadt*) und
die lange Lebensdauer der Bewohner Nordwestafrikas"). Aber über die all-
gemeine Feststellung solcher Verhältnisse und im besten Falle ihre Verwertung
und Auffassung als symptomatische Erscheinungen wird man schwerlich hinaus-
1) Wie Censorin. de die natal. 14.
2) Vgl. Wachsmuth, Einleitung in das Studium der alten Geschichte, 1895,
S. 237—238; F. Münzer, Beiträge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Plinius,
1897, S. 105-109.
3) Hirschfeld, Die Abfassungszeit der ^OKpößioi. Hermes XXIV, 1889, S. 156-lGO.
4) Vgl. Nissen, Italische Landeskunde I, 1883, S. 411 f.
5) Vgl. Sallust. lugurth. 17, 6: Genus hominum salubri corpore, velox, patiens
laborum; plerosque senectus dissolvit, nisi qui ferro aut bestiis interiere, nani morbus
liAUt saepe quemquam superat. Jung, Die Romanischen Landschaften des Römischen
Reiches, 1881, S. 158, Anm.4. Boissiere, L'Algerie roniaine I, 2. Aufl., 1883, S. 05-60.
Schiller, Geschichte des Römischen Kaiserreichs unter der Regierung des Nero, 1872,
S. 602, Anm. 4. Tissot, Geographie compar6e de la province romaine d'Afrique I,
1884, S. 478—479. Auch in der Gegenwart ist nach Duveyrier, Les Touareg du nord,
1864, S. 428—429, die durchschnittliche Lebensdauer in diesen Gebenden <^rnss,
das Vorkommen Hundertjähriger nicht selt(*n.
jAhrlk d. Yer. r. Alterthsflr. im Rheinl. 108. 6
82 Die Beurkundung etc.
kommen und vergebens nach einem genaueren, zahlenmässigeu Ausdruck suchen,
und Fehlerquellen wie die Unvollständigkeit der inschriftlichen Angaben, das
Spiel des Zufalls in der Auswahl der erhaltenen Denkmäler, ihre oft geringe
Zuverlässigkeit und Genauigkeit, endlich die Notwendigkeit, Inschriftenmengen
aus ganz verschiedenen Zeiten bei der Unsicherheit oder gar Unmöglichkeit
einer Zeitbestimmung als einheitliche Masse zu behandeln, solche und ähnliche
Umstände werden immer den Wert der aus den Inschriften gezogenen Ergebnisse
beeinträchtigen. Wenn man überhaupt auf einen Ersatz hoflfen darf, so wird
man nur von dem vielverheissenden Boden Ägyptens bis zu einem gewissen
Grade eine Ausfüllung der Lücken der Bevölkerungsgeschichtc des Altertums
erwarten können.
2. Zur Okkupations- und Verwaltungsgeschichte des rechtsrheinischen
Rtfmerlandes.
Von
E. Herzog.
Hierzu Tafel I.
Nahe dem Ausgang eines schmalen Waldthals, aus welchem zwischen
den württembergischen Orten Lorch und Gmünd der Röthenbach in die Rems
cinfliesst, stossen die rätische Grenzmauer und der für Obergermanien das
Römerreich nach aussen begrenzende Erdwall zusammen. Am westlichen
Abhang jenes Thals geht die Mauer, oflFenbar als Stütze für die ziemlich
steil niedergehende weiter folgende Erdaufschüttung, noch eine kleine Strecke
aufwärts; dann schliesst sich völlig unmittelbar der Wall mit seinem Graben
an. An derselben Stelle wurde das Obei*stück eines grösseren Steindenkmals
gefunden ohne Bild und Schrift, weil an der Oberfläche verwittert. Mau kann
von jenem Zusammenstossen von Mauer und Wall aus nicht mehr bezweifeln,
dass das Röthenbachthal mit seinem Auslauf die Grenze von Obergermanien
und Rätien bildete, und es liegt nahe zu vermuten, dass jenes Steindenkmal,
ähnlich wie der den Fines geweihte Stein am Vinxtbäch (Brambach c. i. rh.
n. 649) beim Zusammenstossen von Ober- und Niedergermanien den die Grenze
hütenden Gottheiten galt, so an der obergermanisch rätischen Grenze den Fines
zu Ehren aufgestellt war.
Als die jüngsten Reichsgrabungen das thatsäehliche Verhältnis klarlegten,
verwunderte man sich über eine so wenig im Terrain vorgezeichnete Provin-
zialgrenze und. fand ebenso schwer begreiflich, dass zwei verschiedene Systeme
der Grenzsperre nach aussen gerade hier, und zwar durch kein Befestigungs-
werk bezeichnet, ganz unmittelbar einander fortsetzten. Man hatte gedacht,
dass die zwei Linien, die Mauer vom Osten, der Erdwall vom Norden,
beim Kastell Lorch zusammenliefen, das man sich auf der Höhe beim
heutigen Kloster gelegen vorstellte. Allein es hat sich gezeigt, dass das
Kastell nicht auf der Höhe, sondern unten im Thale bei der heutigen
Ortskirche lag, an der Remsthalstrasse, an welcher es eine Etappe bildete,
und dass der obergermanische Erdwall einen Kilometer nördlich davon seine
Wendung nach Osten macht, um seinen Lauf bis zum Röthenbachthal fortzu-
setzen. — Eine zweite Aporie hinsichtlich der Grenze zwischen Rätien und
Obergermanien, die schon älter ist, liegt in der Thatsache, dass bei dem
Kastell Aalen, das, hinter der rätischen Mauer gelegen, zur rätiseheu Grenz-
84 E. Herzog:
wehr gehörte, Ziegel der achten Legion (leg. VIII Aug.) gefunden wurden,
die doch in Obergernianien stand ^). Wenn das Vorkommen eines Taippen-
stempels an einem Ort einen Sinn haben soll, so muss es bedeuten, dass dieser
Platz zur Zeit, da der Stempel gebraucht wurde, in administrativer Beziehung
zu dem durch denselben bezeichneten Truppenkörper stand, woraus für ge-
wöhnlich die Zugehörigkeit zu der Provinz, welcher jener zugeteilt ist, notwendig
sich ergäbe. Neben dem Verhältnis zur Mauer spricht aber auch die in Aalen
bezeugte ara II Flavia*) für die Zugehörigkeit zu Rätien, und diesen Platz
Rätien abzusprechen und gesttltzt auf die Ziegel der 8. Legion eine Zeit anzu-
nehmen, in welcher Aalen zu Obergermanien gehört hätte, geht nicht leicht.
Um die Schwierigkeiten, welche die Grenzabsteckung zwischen Rätien und
Obergermanien bereitet, zu erledigen, ist es nötig, auf die Okkupationsgeschictite
und die administrativen Einrichtungen der hier in Frage kommenden Grenz-
gebiete einzugehen; auf diesem Wege wird man aber auch die Lösung finden.
Es ist jedoch an sich schon nicht überflüssig, eine Revision der bisherigen
Auffassung dieser Verhältnisse vorzunehmen; wir sind jetzt doch in mancher
Beziehung in der Lage, hierüber genauere Aufstellungen zu machen und rich-
tiger zu urteilen.
I.
Wenn die Römer ein erobertes Gebiet ihrem Reiche zufügten, so hatten
sie es in der Regel mit einem geschlossenen Ganzen zu thun sei es von Stadt-
oder völkerschaftlichen Gemeinden. So weit möglich, behielt man das so Über-
nommene mit der bisherigen Einteilung bei; schienen Modifikationen nötig, so
erfolgten diese nach aussen durch Vertrag, im Bereich der eigenen Herrschaft
durch Verfügung der römischen Verwaltung; immer aber war die Grenze des
Provinzialterritoriums nicht eine einheitlich entstandene, sondern gegeben durch die
äusseren Grenzen der administrativen Teile. Anders jedoch war es, wo man in
unkultiviertes Land eindrang, wie in Rätien und Germanien. Dort fand man
wohl auch Völkerschaften, die sich gegen einander abgrenzten, aber die Grenzen
waren unbestimmt, kein Vorgänger hatte die Arbeit einer genügend zweck-
mässigen Abgrenzung geleistet, man war also jedenfalls teilweise genötigt, mit
Berücksichtigung der natürlichen Verhältnisse und des den Nachbarn gegen-
über Möglichen eine neue Grenze zu schaffen. Hier tritt nun die Terraination
ein, wie sie die Agrimensoren (Schriften der röm. Feldmesser I p. 163, 20 ff.)
für die Territorien der italischen Munizipien beschreiben und für die sie auch hin-
sichtlich der Art der termini eingehende Angaben machen (vgl. die Zusammen-
fassung bei Rudorff, Sehr. d. röm. Feldm. 2, 271 ff.). Wenn bei solcher Grenzziehung
man veranlasst war, von den nationalen Territorialgrenzen abzusehen, so zog
1) Drei Exemplare dieKer Ziegel befindon sich in dem Lapidarium der Rtntt-
j>nrtor Altertumssammlung unter n. 191a; v«i:l. Sixt, Fiiin-or dnreh die Sanunlun
rÖmiHclior Steindenkmillor zu Stuttgart S. 4.1
2) Ebendaselbst Nr. 191b.
Zur OkkupaCions- u. Verwaltun^sgescbichtc des rechtsrheinischen Römerlandes. 85
der römische Eroberer, so weit er dazu die Macht hatte, die Grenzlinie will-
kürlich durch das Gebiet der unterworfenen Völkerschaft (vgl. die fines dati
r. Feldm. 1, 164, 4). Ein Beispiel haben wir auf geniianischeni Boden an
der äussersten Abgrenzung der Limeslinie durch den sog. Toutonenstein. Genau
eine römische Meile von dem Anfang der Linie am Main bei Miltenberg^)
wurde auf dem Greinberg 20 Meter hinter der Pfahlgrabenlinie ein spitzzulaufender
Grenzstein gefunden mit der Inschrift: INTER TOVTONOS C-AH-F^).
Der erste Teil der Inschrift bedeutet nicht die Grenze int«r Toutonos et Bomanos,
wie mehrfach gedeutet wurde, sondern dass die Grenze das Gebiet der Toutoni
durchschnitt. Wie es mit dem Teil des Toutonengebiets, der infolge dieses
Grenzzugs ausserhalb des Limes fiel, gehalten wurde, hing von den örtlichen
Verhälthissen ab'). Die litterae singulares C-A-HF, ein olFenes (inschrift-
liches) Feldmesserzeichen (Sehr. d. r. F. 1, 142. 2, 276), sind wohl zu deuten
mit dem Schlüssel, welchen die Schriften der Agrimensoren 1, 357 geben, wo-
nach A = primus, F = fixus ist, also c(ippus) primus h(ic) fixus*).
War aber auf diese Weise eine neue Grenze gezogen, so war die Ver-
waltung sofort darauf bedacht, innerhalb derselben Temtorien zu schaffen als
Verwaltungseinheiten für die Übernahme der lokalen Verpflichtungen, und so
entstanden, soweit nicht vorher Völkerschaften vorhanden waren, neue Ver-
bände, analog den munizipalen Schöpfungen in kultivierteren Provinzen, als
Organe der römischen Administration, und zwar damit sie dies sein könnten,
so, dass die Centralverwaltung der Provinz möglichst entlastet war, also mit
demjenigen Grad von Autonomie, der sich mit der Sicherheit der Provinz ver-
trug. Sobald dies geschehen, setzte sich auch hier wieder die Provinzialgrenze
zusammen aus den äusseren Grenzen von Teilterritorien. Dies hindert nicht,
von einer einheitlichen Provinzialgrenze zu reden und namentlich da, wo die
Grenzen gegen die Xachbari)rovinz und das Ausland zusammentrafen, Grenz-
steine als provinziale aufzustellen. Die Fines am Vinxtbach (ob. S. 83) scheiden
gegenüber der Stelle, wo der rechtsrheinische Limes an den Rhein stösst,
gleichzeitig Ober- und Niedergermanien und die Territorien der Trevcrer und
1) ÜisH nach einer Kinzeichnung des Fundorts durch Hrn. Kreisrichter Conrady
in der 20000 teiligen Karte.
2) Conrady im Korrespbl. des Gesanitver. der deutschen Gesch.- und Altertuins-
ver. 1878. S. 68 ff. — E. Hübner in Bonner Jahrb. H. 64 (1878) S. 46-52. Taf. III. -
Meitzen, Wanderunj^en, Anbau imd Agrarrecht der Völker Europas nördlich der
Alpen III. S. 170 ff. — Die vier litterae sin^culares stehen auf dem Stein nicht neben,
sondern unter einander.
3) Der Greinberg ist oben mit einem Uingwall umzogen; dieser wird durch
die römische Grenzlinie geschnitten.
4) Nach einer Mitteilung, die icii der Freundlichkeit des Hrn. Conrady verdanke
(vgl. auch Meitzen, a. a. O. 1, 392) lie<?t ungefähr 19 Kilometer (= 13 röm. Meilen)
vom alteren Mainufer her an der Limeslinie gemessen eine Walldürner Feldflur 'am
langen Markstein '. Der Markstein selbst aber ist seit Menschengedenken verschwunden.
Die Vermutung Conradys, dass es ein dem vom Greinberg entsprechender Grenzstein
gewesen sei, ist gewiss zutreffend.
8(? K. H 0 r z o jr :
f^
Ubier; aber die zwei Soldaten der 30. Legion, welche dort den Fines in Ver-
bindung mit dem Genius loci und Jupiter ihre Widmung aufstellten; dachten
sicherlich nur an die Provinzial- und Auslaudsgrenze. Dabei ist immerhin
möglich, dass vom Rhein ab westwärts besondere Zeichen für die Grenze von
Ober- und Niedergermanien nicht mehr vorkamen, sondern man mit den Grenzen
der Völkerschaftsterritorien auch die der Provinzen gegeben sein Hess; dies
war praktisch genügend, denn in der Administration wusste man damit auch
für die letzteren Bescheid^).
Bei der Einrichtung der linksufrigeu Rheingrenze wurden von Cäsar an
Neubildungen von Völkerschaftsterritorien notwendig. Den Fluss entlang
wurden germanische Stämme mit bestimmten Gebieten angesiedelt, und den so
gebildeten civitates wurde eingeordnet, was vorher schon da sass und l)elassen
werden wollte. Als die Provinz Rätien eingerichtet wurde, war die Donau wohl
schon die von den Vindclikern her übernommene Nordgrenze, und die Römer
konnten sie in ihrem ganzen Oberlauf als solche annclnnen. Damit stimmt, dass am
Nordostende des Bodensees Tasgätium (Stein a. Rh.) zu Rätien gehörte und zwar
als Grenzplatz^). Man zog also die Westgrenze des vindelikischeu Gebiets mit
einer von Tasgätium aus zu dem Quellgebiet der Donau gehenden Linie. Wenn
nun aber nicht eine bedenkliche Lücke in dem Grenzabschluss zwischen dieser
Linie und den Ausläufern des südlichen Schwarzwalds entstehen sollte, musste
gleichzeitig im helvetischen Vorland nördlich vom Rhein die Grenze vorge-
rückt werden, und dass dies in der That frühe, ja sogar noch unter Augustus,
geschah, dafür hat man als Zeugnisse die Legiousziegel, welche in jenem Vor-
land gefunden werden, und den Ortsnamen Juliomagus. Die Ziegel zeigen,
dass das nordrheinische Land zum Bereich der Festung Vindonissa gehörte.
1) Bergk, Zur Gesch. u. Topographie der Rheinlaude in röm. Zeit S. 126 sagt:
„Mir ist nicht bekannt, dass man auch die Reichs- und Provinzialgreuzen mit Mark-
steinen versehen hat**. Für die Reichsgrenze giebt nunmehr einen Beleg die Strecke
Miltenberg-Walldürn, für Provinzialmarkierung nehme ich die Stellen am Vinxtbach
und am Röthenbach (oben S. 83) in Anspruch. Ein Beispiel von Vermarkung der
Grenze zweier Gemeindeterritorien geben Aqua Sextill und Arelatc mit einer grösseren
Zahl von Steinen c. i. lat. XII n. 531 und addit. zu n. 531 (p. 814). (»b die Grenze
zwischen Ober- und Niedergermanien wandelbar war, wie Bergk will, ist hier nicht
zu erörtern. Ks ist ja möglich, dass zur Zeit, wo es noch keine germanischen Pro-
vinzen g.ab, sondern nur zwei grosse Kommandos am Rhein, die Grenze der Kom-
maudobezirke durch die Nahe gebildet war; dann gehörte das ganze Gebiet der
Treverer zu Niedergermanien. Von da an jedoch, wo der obergermanische Limes
der Mündung des Vinxtbaches gegenüber endigte, d. h. zugleich von da an, wo die
zwei germanischen Provinzen bestanden, bildet der Vinxtbach die Grenze und ge-
hören die Treverer zu Obergermanien. Dass ohne Veranlassung zu Strafe oder zu
Übung des Kriegsrechts rein aus administrativen Gründen willkürlich eingegriffen
worden wäre, ist nicht anzunehmen.
2) Vgl. Charles Morel, Kastell und Vicus Tascätium in Rätien in comment.
Mommsenianae S. 159 ff. — In der daselbst besprochenen Inschrift ist abgekürzt ge-
schrieben TA SC, bei Ptoleniäus 2, 13, 3 liegt Tip6<; Tr| xcqpaXr) toO Tif^vou iroTa^oö der
Ort TaEtatTiov.
Zur OkkujiHtioii
IIuii^-'H;;<!!>i.'lii(.'liti' di's riichtsrhdliiitclicii KiJtm
Jnliotuaf^iiH nber si^hejiil eben an der nürdlkben Grenze gelegen 7.11 Kein. Der
Ort, nacb der Peutiiiger'Bcben Karte 22 röm. Meile» (= 32,5 Kilometer) von
Vindouissa (Windiseli) entfernt, ist ohne Zweifel identiscb mit Schlcilbcim
(Kant. SchaftTianseD). dessen Entfernung von Windisch 35 Kibmi. betragt und
da» eine Fundstätte rßniiitchei- Legiontiüiegel ist. Die Erricbtung dieser Station
nehme ieb ebenso mit der Orcnzreguiiernng in dem Gebiet nfirdiieli von der
Hfaeinlinie Tasgätiiim — Augusta Ranraeomm zusammen, wie Druaomagus in
der valliä Poennina mit der Eroberung Räticna und der dortigen Abgrenzung
der Provinz zusammenhilngt (Momnisen in epbcui, epigr. 4, 520). Die Grenz-
linie wurde wohl gebildet durch eine Strasse, die von Basel zur oberen Donau
lief und von dieser ab ah Donanstrasse stldlich itieses Flusses iiinerbalb Rätiens
weiter zog. Wenn Julian naeb Auimian 21, 8 i. J. 361 diseedens n Ranraeis
i§ Ij profcctnrus per Marciauas Silvas viasque iunctas Histri fluminis ripig f§ 2)
marschierte, so gab ihm diese Htrasse die Kiebtung, und er benützte sie ohne
Zweifel, so weit sie ftlr ihn sicher war (inter subita vehementer incertus).
Bei den Vindelikern landen die Römer eine Anzahl von Teilverbändeu
oder Gauen vor, wek-be als administrative Einheiten angenommen werden
konnten. Die Aufschrift des Slegesdcnkmals, welches nacb Unterwerfung der
Alpenvöiker i. J. 7/6 v. Cb. in der Nähe des heutigen Monaco errichtet
wurde (c. i. lat. 5, 7811, hei Plinius wiedergegeben Nat. Hist. 3, 136f.),
zahlt vier solcher Gaue auf); diese hatten, nachdem sie durch WegfUhrung
des grösseren Teils der watTcniiihigen Mannschaft (Dio 5Ö, 22i Widerstands-
unßlhig gemacht worden, als stipendiär in erster Linie lien Unterhalt der
römischen Besatzungen zu liefern. Von der Unterbringung der Truppen legen
im Innern Vindelicieus monumentales Zeugnis ab die zwei grossen ebenso in-
teressanten als wenig bekannten Erdwerke bei Deisenhofen südöstlich von
München *J, die als Legionslager in die erste Zeit der Okkupation zu verlegen
sind. Es muss aber auch cutlaug der Donauetrassc eine Reihe von P'e»ituugen
errichtet worden sein, Erdkastelle, deren Wälle in dem offenen Ufcrland süd-
lich des Flusses jetzt eingeebnet und deshalb ebenso unbekannt sind, wie die
Lage der von Drusus am Rhein gebauten Kastelle.
Diese befestigten Plätze sind nun aber auch fl)r die Administration ins
Auge zu fassen. Jeder feste Platz ist nicht bloss als ein Punkt anzusehen,
sondern wie er miliUlrisch seinen Verteidigimgs- und Überwachungsbezirk hat,
80 hat er administrativ fUr seine ItedQrfnisse einmal sein eigenes Territorium
in unmittelbarster Umgebung'), sodann da der von dem Kastell aus mögliehe
Betrieb von Landbau fllr die Versorgung nicht ausreichte, mnss er einen Hinter-
landsbezirk gehabt haben, von dem aus ihm Lieferungen zukamen, d. h. er
1) Vindelicorum genlea ifuattuor Cosuanete». Rucinatefi, Licales, Cat«uatGe.
2) Vgl. WeishHUpt im Olierbayr. Archiv Bd. III (1841) 8. 80-36 Tal. II n. 4
Ich verdankt- die Anschauung davon der trefflichen FlUirung des Herrn Gencr
majnrH a. D. Pupp.
3) Schulten, dim territorium legionis in Hermes 29, 481—516.
88 E. Herzojr:
nmsste Beziehungen zu einem oder melireren der Stipendiären nächstge-
legenen Gaue haben zum Behufe der Beschaffung des Notwendigen. Dass die
für die Bebauung des Landes nötige Bevölkerung an Ort und Stelle gelassen
wurde, wird ausdrücklich hervorgehoben (Dio 55, 22). — Denigemäss setzte
sich die äussere Grenze der Provinz gegen Feindesland zusammen aus den
Abgrenzungen der von der römischen Verwaltung anerkannten Völkerschafts-
gebiete, wo solche bis zur äusseren Grenze gingen, und den Grenzen der
Kastellterritorien, wo diese die Provinzialgreuze bildeten. Die Weiterent-
wicklung der Völkerschaften (gentes bei Plinius) war gedacht in derselben
Weise wie bei den gallischen civitates, dass die civitas, wo irgend ein ent-
wicklungsfähiger Vorort da war, sich zu einer munizipalen Gemeinde nach
italischem Muster weiter bilde, und in einigen Beispielen wurde dies ja auch
erreicht.
Wie bei der ersten Ordnung die rätische Nordwestgrenze im Zusammen-
hang mit der helvetischen Nordgrenze eingerichtet wurde, so konnte auch ein
Vorschieben der Grenze nur mittelst gemeinsamen Vorgehens von Helvetien bezw.
Obergermanien und Rätien aus sich vollziehen. Aber mit diesem Vorschieben
beeilten die Römer sich nicht. Sie hatten nördlich von der Donau oder genauer
von der Donaustrasse und ihrer westlichen Fortsetzung die schwache Bevölkerung,
die auf der Alb und im Hegau hauste, sich hinter den heute noch vielfach
sichtbaren Ringwällen schützte und der römischen Greuzwehr gegenüber kaum
offensiv sein konnte^). Noch weniger war der Schwarzwald bevölkert, und
so lag ein Bedürfnis zum Vorgehen zur Beseitigung von Gefährdung nördlich
von der Linie Augusta Rauracorum- Juliomagus nicht vor. Es fehlen denn
auch alle Spuren, dass unter den Kaisern des julisch-claudischen Hauses die
Grenze vorgeschoben worden wäre, und es hätte dies auch wenig gestimmt
zu der Richtung der germanischen Politik dieser Zeit, in der man ja, was
am Mittel- und Niederrhein noch besetzt gehalten war, wieder aufgab (Tac.
ann. 11, 19). General v. Kailee in seinem vortreftlichen rätischobergenna-
nischen Kriegstheater der Römer S. 10 setzt schon unter Tiberius eine
Periode der Besitzergreifung bis zum Steilrand der Schwäbischen Alb, wie
er sich von der Wörniz zum Schwarzwald hinüberzieht; die Alb hätte
die neue Grenzlinie beim HohenzoUern verlassen, um über den Kleinen Heu-
berg, den oberen Neckar überschreitend, bis zum Absturz des Kinzigthals zu
gehen. Es wäre da wohl ein Vorschieben von praesidia zu denken, wie es
Tacitus Agricola 14 in Britannien schildert. An sich wäre ein solches Vor-
gehen in der „helvetischen Wüste", wie dieses Gebiet bei Ptolemäus heisst, wohl
möglich gewesen, aber es giebt keine Zeugnisse dafür, und verschiedenes
spricht dagegen. Die römische Stteitmacht in Helvetien wurde damals nicht
1) Nach Holder in Sixt, Fundber. aus Schwaben 2, Ergänzuugsheft S. 17 war
nach den Grabhügel- und Verschanzungszeugnissen vorzugsweise der südwestliche und
nordöstliche Teil der schwäbischen Alb besiedelt, im aligemeinen aber die Bevölke-
rung dünn.
Zur OkkupHtions- u. Verwalluiigfsjrcschichtc des rechtsrheinischen Röinerlandes. 89
verstärkt. Noi)en dem Legionslager von Vindoninsa fehlte femer eine Stütze,
wie sie in Britannien die veteranoruni colonia (Tac. Agr. 14) bot; man ttber-
liess die Besetzung der Strassenkastelle, welche im Innern den Verkehr zu
sichern hatten, der helvetischen Gemeinde, deren Vorort Aventicum war, die
hierfQr Mannschaft und Geld aufzubringen hatte (Tac. bist. 1, 67); offenbar
war die Legion durch die Besetzung der Grenzkastelle genügend in Anspruch
genommen, durfte sich auch nicht zu sehr zersplittern, da sie die Stütze auch
für die rätischeu Kohorten und Alen bildete. An der Grenze allerdings wurde
gebaut, wie die Ziegel der 2L Legion in Schleitheim bezeugen, die in der
Zeit zwischen Claudius und dem Jahr 69 ihr Standquartier in Vindonissa
hattet- Das Wirksamste, was man für den Grenzschutz thun konnte, war,
dass mau die Niederlassung germanischer Stämme in dem fraglichen Gebiet
verbot, während der vielbesprochene levissimus quisque Gallorum des Tacitus,
auch wenn man darunter Gruppen von Ansiedlern zu verstehen hat, ohne
Bedenken oder sogar geiiie zugelassen wurde.
Wenn demnach ein Vorschieben der Nordgrenze von Rätien und Ger-
manien unter den julisch-claudischen Kaisem nicht anzunehmen ist, so sind
wir dagegen jetzt in der Lage, ein solches dem Vespasian zuzuschreiben und
zwar für das Jahr 73/4. Vor allem war unter ihm das Hinterland für neuen
Zuwachs andere als bisher bestellt; denn Vespasian organisierte die helvetische
Gemeinde mit Latinerrecht, was voraussetzt, dass völlig zuverlässige und fried-
liche Verhältnisse herrschten*). Es war also möglich, von den militärischen
Kräften, welche im Helvetierland lagen, einen grossen Teil abzugeben. Aus
dem Material nun, welches Zangemeister (Neue Heidelb. Jahrb. 3 (1893)
S. 1 ff.) für die Einstellung eines Feldzugs gegen die Germanen in die Ge-
schichte des Begründers der fiavischen Dynastie beibringt, eines Feldzugs, ge-
führt vom Oberrhein aus unter dem Kommando des Statthalters von Ober-
germanien Cn. Pinarius Cornelius Clemens mit einem kombinierten Heer von
Hilfstruppen, hebe ich für meinen Zweck die nachfolgenden Momente hervor.
Ein besonderer einzelner Vorgang, der das Vorrücken veranlasst hätte.
1) H. Meyer, Gesch. der 11. und 21. Leß^iou in Mitteil, der aiiti(|uar. Gesellsch.
in Zürich VIT. S. 127. Momrnsen inscr. hclvet. lat. in Mitteil. X. p. 77. 81. Zaugc-
meister (Westd. Zeitschr. für Gesch. und Kunst 3, 254) will die Beziehung dvr Schleit-
heimer Ziegel auf die Zeit vor ()9 nicht gelten lassen, weil jene Legion noch i. J. 84
m Obergernianien bezeugt sei, aber diese ZeugnisHe sind aus Neuenheini und Fried-
berg (Brambach c. i. rhen. 1416, p. XXXI zu n. 1708. Bergk, zur Gesch. der Rhcinl.
S. f>9), weisen also auf Mainz als gleichzeitigen Garnisonsort hin. Wenn Ziegel der
21. Legion in der NHhe von Vindonissa {gefunden werden, so können sie nur der
Zeit vor 70 angehören. Dass aber, wie schon oben S. 84 bemerkt, Ziegel eines
Truppenteils nur in dessen Überwachungsbereich gebraucht wurden, verlangt nicht
nur die Natur der Sache, da die Stempelung sonst überhaupt zwecklos war, sondern
zeigen insbesondere die Schweizer Ziegel, auf denen zum Teil ausdrücklich c(astra)
ViCndonissensia) zugefügt ist, H. Meyer S. 133 f., Momrnsen a. a. O. p. 79.
2) Mommsen im Hermes 16, 474. 479 ff.
90 K. Herzog?:
ist nicht bezeugt, dagegen bieten sich allgemeinere Kombinationen. Zange-
nieister hat Wcstd. Zeitschr. 3, 246 ft*. scharfsinnig nachgewiesen, dass i. J.
74 die Strasse von Strassburg über Offenburg, von da über den Schwarzwald
nach Rätien gebaut wurde. Die Strasse, die durch das Kinzigthal führt und
zu der die Station auf dem „Schänzle" bei Röthenberg gehört (Brambach c.
i. Rh. 1626), ist nachweisbar in ihrem Lauf auf der Hochebene des Schwarz-
walds über Waldmössingen nach Rottweil; von da muss sie quer über die
Alb zum Kastell von Iledingen bei Sigmaringen geführt haben, wenn sie als
Strasse „nach Rätien" bezeichnet wurde ^). Sie kann aber ohne vorangegangene
oder gleichzeitige Okkupation des oberen Neckargebicts nicht gedacht werden.
Jene Expedition fand femer statt mit einem kombinierten Heer, bei dem
ein besonderes Kommando über sämtliche Hilfstruppen errichtet war*). Wahr-
scheinlich wirkten hier rätische Kohorten und Alen mit den germanischen zu-
sammen; denn man konnte nach Norden nur vorrücken mit Vorschiebung so-
wohl der rätischen Grenzlinie über die Schwäbische Alb als der obergerma-
nischen (helvetischen) über den Heuberg imd das Gebiet des oberen Neckars.
Ebenso hatte der J^ührer des obergermanisehen Heeres Cäcina i. J. 70 die
nächstliegenden rätischen Alen und Kohorten zum Kampf gegen die Helvetier
herangezogen, so dass man sieht, dass die Truppenkörper des westlichen
Rätien Anschluss an die Legion von Vindonissa hatten. Aus diesen Verhält-
nissen folgt aber, dass sich bei dem Vorrücken nicht ergab eine Neckar-
linie, die von Rottweil an eine Zeit lang die östliche Grenze Obergermaniens
und des römischen Reichs bezeichnet hätte, sondern dass die Okku-
pation stattfand in der ganzen Breite vom Schwarzwald
bis über die östlichen Ausläufer der Alb hinüber. Aller-
dings setzt die Strasse von Strassburg nach Rätien die Besitznahme von
Rheinebene und Schwarzwald voraus; jene wurde von Mainz und Strass-
1) Diese Strasse ist von Rottweil aus noch zu suchen; gewiss lagen an ihr
Kastelle. Vielleicht gicbt das Ortsverzeichnis bei Ptolcnulus 2, 11, 15 von itöXck Trapa
TÖv Aavoußiov Namen der Stationen. Dieses beginnt allerdings mit Tapöbouvov und
Bujuol <I>Xaouöoi, d. h. wenn Tarodunum Zarten bei Freiburg ist, mit einer Route von
Augusta Rauracorum über Zarten nach Rottweil, die aber von da zur Donau hin-
überging. Ein Itinerar dieser Strasse hätte also Ptolemäus ausgeschrieben. Rottweil
war ein Knotenpunkt.
2) Nach den Inschriften Wilmanns ex. inscr. 1148. 1149, Zangemeister N. Heidelb.
Jahrb. 3 S. 11. — Auf dem Felde bei den Hochmauern bei Rottweil fand ich am
7. Nov. d. J. bei Besichtigung der dort vom Altertumsvercin unter Leitung der Hrn.
Rektor Dr. Eble und Bauinspektor MHhrlen vorgenommenen Grabungen ein Ziegel-
fragment mit dem Stempel il BITVR. Der Stempel ist also der gleiche wie der
früher auf demselben Platz gefundene, den Hang, Westd. Zeitschr. Korrespbl. 7, Sp. 2
co(h. I.) Itur(aeorum), K. Miller Westd. Zeitschr. 10 S. 12 A. 4 richtig coh. I Bitur. las.
Die coh. I Biturigum ist in Obergermanien durch Militärdiplome bezeugt für die
Jahre 74, 90 und 134 ; in letzterem Jahre stand sie in Neckarburken vgl. corp. i. lat. 3
p. 852 dipl. IX. — c. i. 1. 3 p. 1965 dipl. XXI = ephem. 5 p. 652. — Zangemeister in
Limesblatt 1892 n. 3 = c. i. I. 3 p. 1979 n. L. Aus dem Fundort des letzten Diploms
V. J. 134 ist zu schliessen, dass der Rottweiler Stempel der fla vischen Zeit zugehört.
Zur Okkupations- u. Verwaltiingsj^eschichto des rechtsrhciniBchcn Römerlandes. 91
bürg aus besetzt, Übergänge über den Schwarzwald aber wurden erst
gewonnen in Zusammenhang mit der Bewegung von Süd nach Nord^).
Der Zweck der ganzen Vonvärtsbewegung sodann kann nicht .wohl die Er-
oberung und Gebietserweiterung an sich gewesen sein; denn der zu erhoffende
Gewinn war zu gering, und was man an Mitteln aufwandte, weist auf ein von
vornherein beschränktes Ziel hin. Vielleicht war die eine Absicht, dem damals
lästigsten germanischen Feind, den Chatten, auch von Süden her näher zu
kommen; sicher aber war, wie die Strassenanlage nach Rätien zeigt, der
Hauptzweck eine kürzere Verbin düng der Donau- und Rhein-
armee. Wird doch auch, was Trajan später in Germanien und Rätien that,
zusammengefasst in der Notiz: iter conditum per feras gentes, quo facile ab
nsque Pontico mari in Galliam penneatur (Vict. Caes. 13). Gerade die Vor-
gänge; die ihn auf den Thron führten, legten dem Vespasian nahe, die Ver-
bindung von Ost und West so günstig wie mriglich zu gestalten.
Die Feinde, gegen welche der Feldzug des Pinarius Clemens gerichtet
war, werden als Germani bezeichnet; es sind dies vorzugsweise die Bewohner
der Schwäbischen Alb. Ihre Übenvindung konnte für ein römisches Heer
nicht schwer sein; aber dass man auf Widerstand gefasst war, zeigt die Aus-
rüstung eines kombinierten, also stärkeren Expeditionskorps. Das letzte Ziel
des Unternehmens war aber jene eine Strasse von Strassburg zur Donau sicher
nicht, da man mit ihr die Alb nur schnitt, nicht hinter sich bekam. Feracr
gewann man eine viel wesentlichere Verkürzung durch eine Remsthalstrasse, die
vom heutigen Cannstatt am Neckar her in das Remsthal einlief und mit dem
Rhein durch zwei Stränge verbunden war, Cannstatt-Speyer und Cannstatt-Heidcl-
berg-Mannheim. Damit entstand allerdings von Cannstatt abwärts eine Neckar-
linie, ostwärts von Cannstatt aber fand wiederum eine Bifurkation statt, indem
neben der Remsthalstrasse die Route Cannstatt- Köngen-Ürspring zur Donau führte.
Endlich wurde derselbe Ceutralpuukt Cannstatt über den Schönbuchwald nach
Rottenburg zu mit dem obem Neckar verbunden. Als Knotenpunkt war Cann-
statt bezeichnet teils durch das Kastell auf der linksufrigen Höhe über dem
Neckar, teils durch die Station der beneficiarii, welche durch die Inschriften-
funde unten im Thale auf dem rechten Ufer bezeugt ist, da wo die Thal-
strassen zusammenliefen; denn die Beziehung nicht der beneticiarii im allge-
meinen, aber der Stationen von solchen zum Kommunikationswesen dürfte
ausser Frage sein. Dass man mit diesen Dispositionen nur den natürlichen
Verhältnissen Rechnung trug, zeigt die Bedeutung, welche dereelbe Knoten-
punkt für das Strassennetz der späteren Zeiten hatte und für das heutige
Eisenbahnwesen noch hat.
Die Remsthalstrasse setzt die Vorrückung der rätischen Nordgrenze vor-
aus, ein Vorgehen, dessen strategische Vorteile v. Kallee (rätisch-obergerma-
1) Unter Vespasiau kam die 8. Legion nach Strassburg: dass au einem Ziel-
punkt der Expedition des Jahres 73/4, in Aalen, sich Ziegel eben dieser Legion
fanden ist ob. S. 84, A. 1 bemerkt.
92 E. H e r z o ^ :
nischcB Kriegstheater S. 9 f.) einleuchtend dargethan hat. Die Annahme, dass
dies alles in unmittelbarem Anschluss an die von Vespasian angeordnete Expe-
dition erzielt, wurde, wird durch Münzzeugnisse zwar nicht bewiesen, aber
wenigstens unte]*sttltzt, sofern die Münzen aus der Zeit bis zu den Flaviern auch
in den Remsthalkastellen nicht vereinzelt sind*). In Rottweil sind sowohl auf
der Lagerstelle als auf der auf dem rechten Neckarufer gelegenen Nieder-
lassung, bei der man die „Flavischen Altäre" v.u suchen hat, Münzen der
Flavischen Zeit auffallend vorherrschend. Weiter abwärts bei Rottenburg fand
sich innerhalb der Lagerumwallung auf dem rechten Neckarufer eine Münze
von Otho (Jaumann, col. Siimel. S. 239 Nr. 3) und in der Nähe davon eine
Legionsmünze von M. Antonius (ebendas. 238 Nr. 2).
Die definitive Gestaltung der Reichsgrenze liegt ausserhalb der Grenzen
dieser Untersuchung. Dagegen gehört zu ihrem Ziel die Erläuterung der Ab-
grenzung zwischen Obergermanien und Rätien. Wenn wir hier als feste Punkte
haben im Süden Tasgätium als westlichsten Punkt von Rätien und Schieitheim
als zu Obergermanien gehörig, im Norden an der Remsstrasse den Punkt, an
welchem später die rätische Mauer mit dem obergermanischen Erdwall zu-
sammenstiess, so müssen wir eine Grenzlinie ziehen, welche die Westgrenze des
Territoriums von Tasgätium mit jenem Punkt an der Rems verbindet. Dazu
stimmt, dass dann die Stelle bei Zwiefalten, bei der die Inschrift des Statt-
halters von Rätien (c. i. 1. 3, 5862) gefunden wurde, wirklich innerhalb der
rätischen Provinz fällt. Da endlich der nördliche Grenzpunkt sowohl an der
Remsstrasse wie an dem späteren Limes liegt, so ist der Unterschied zwischen
der Zeit, in welcher jene Strasse die Grenze bildete und der, in welcher der
weiter nördlich laufende spätere Limes eingerichtet wurde, für diese Frage
indifferent. Dagegen kommen nun in betracht jene Ziegel der achten Legion,
die sicli in Aalen, also mehr als 25 Kilometer östlich von jenem Grenz-
punkt fanden (oben S. 84 A. 1). Es liegt keine Notwendigkeit vor, aus diesen
Legionsziegeln auf eine ältere anderweitige Regulierung der Grenze zwischen
Rätien und Obergermanien, bei welcher Aalen noch zu letzterer Provinz ge-
hört hätte, zu schliessen; sobald wir annehmen, dass die Ziegel der ersten
Periode des Kastells, der der Einrichtung der Grenzbefestigungen an der neuen
rätischen Nordgrenze durch Teile der Okkupationsarmee, entstammen, erklärt
sich ihr Vorkommen aus der bereits besprochenen Zusammensetzung des Expe-
ditionskorps. Führer derselben war der Statthalter von Obergermanien, folg-
lich waren sicher Legionstruppen seiner Provinz dabei; diese blieben, bis die
Grenzposten errichtet waren und drückten dem von ihnen bei einem hierzu
nötigen Bau vei-wandten Material ihren Truppenstempel auf. Später trat an
ihre Stelle als bleibende Besatzung die ara II Flavia, und deren Stempel
1) Das im Remsthalkastell Unterböbingen gefundene Bruchstück eines Militär-
diploms (corp. i. lat. 3 pag. 1994 n. LXXVIII) kann auch bis zur domitianischen Zeit
hinaufreichen. Vgl. Zangemeister in Limesbl. n. 3. Sp. 93 f. Der obergerm.-rät.
Limes, Käst. Unterböb. S. 6.
Zur Okkupations- u. Verwaltungsgeschichtedes rechtsrheinischen Römerlandes. 93
tragen die Ziegel der späteren Bauten, so die des neben dem Kastell gele-
genen Bades, aus dem wir sie in grösserer Zahl haben.
In welchem Zusammenhange aber der Berührungspunkt der beiden Pro-
vinzen gerade beim Ausfluss des Röthenbachthals sieh ergab, ist von der ad-
ministrativen Seite zu erörtern.
IL
Als die römische Vei-waltung an die Einrichtung des mit dem Feldzug
der Jahre 73/4 neugewonnenen Gebiets ging, hatte sie jedenfalls in dem zu
Obergermanien geschlagenen rechtsrheinischen Gebiet Verhältnisse vor sieh
ganz eigentünjücher Art. Es fehlte an nationalen Verbänden. Zwar nördlich
vom Main, im Rheingau, war ein chattischer Stamm, die Mattiaker , unterthänig
und fähig ein Gemeinwesen zu bilden, das stipendiär und aushebungspflichtig
war. An der nordöstlichen Grenze am Main waren jene Toutoni, durch deren
Gebiet der Limes gezogen wurde (ob. S. 85). Die Völkerschaftsnamen, welche
Ptolemäus 2, 11, 6 und die, welche das Veronenser Pro vinzial Verzeichnis
giebt, können stipendiäre selbständige Gemeinden anzeigen, aber weder
giebt es monumentale Spuren ihrer Siedlungen, noch erschienen sie unter den
römischen Hilfstruppen ^). Dagegen war südlich des Mains ein suebischer
Stamm vorhanden, der am unteren Neckar sass oder angesiedelt wurde, die
Suebi Nicrctes, die jetzt inschriftlich als nationale Gemeinde bezeugt sind*).
Sonst aber hatten in diesem Südgermanien die Bewegungen, welche unter
Germanen und Kelten, dann zwischen ^Römern und Germanen stattgefunden
hatten, die Stammverbände aufgehoben und entfernt, und da die Römer keine
neuen zuliessen, so war, so lange sie nicht selbst die Einverleibung vollzogen
hatten, hier, wie Tacitus Germ. 29 sagt, dubia possessio. Deutlich stehen in
der taciteischen Stelle die gallischen Einwanderer im Gegensatz zu den populi,
nnd dieser Gegensatz ist ein dreifacher, der Nationalität, des Besitzes und der
geographischen Lage. Denn bei Tacitus vertreten die Mattiaken, die verbündet
waren (mente animoque cum Romanis agunt), geographisch das transrhenanischc
Römergebiet nördlich vom Main allein, und deutlich setzt er, indem er eine
Art Pause macht, die darauf folgenden, qui decumates agros exerccnt, südlich
des Mains. Die im Provinzialverzeichnis vom J. 297 genannten, sonst unbe-
1) Frontin berichtet strateg. 2, 11, 7: Imperator Caesar Domitianus — eo belle
quo victis hostibus cognomeu Germanici meruit, cum in ünibus Cubiorum castella
poneret, pro fructibus locorum, quae vallo comprehendebat, pretium solvi iussit, atque
ea iuHtitutiae fama omnium fidem adstrinxit Die handschriftliche Überlieferung den
Volksnamens ist Ctibiorum ; da aber dieser Name sonst nicht vorkommt, so wird kor-
rigiert Ubiorum, Cattorum, Usipiorum — Vermutungen, die wertlos sind. Die Überliefe-
rung hält fest Zangemeister in N. Heidelb. Jahrb. 8, 15 A. 56. Aus der Überschrift
des Abschnitts De dubiorum animis in fide retinendis geht hervor, dass es eine
Völkerschaft war, welche innerhalb der römischen MachtsphHre lag; aber wenn sie
dubii waren, werden sie der Grenze nahe gewesen sein. Es war wohl ein einver-
leibter Chattenstamm. — Über das Provinzialverzeichnis s. Mommsen Abh. der B«»rl.
Akad. 1862 R. 489 ff. Riese, geogr. lat. Min. p. 129.
2) Zang(»moister, N. Heidelb. Jahrb. 3, 1 ff.
94 E. H e r z o tr:
r^
kannten Stämme werden sämtlieh nördlich vom Main zn suchen sein^); sie
konnten ursprünglich administrativ den Mattiakem zugeteilt gewesen sein
oder auch den Grenzkastellen; später konnten sie zu selbständigen civitates
werden.
Bei dieser Lage der Dinge entschloss sich die römische Verwaltung, alles
nicht von einem Volksstamm innegehabte Land zu kaiserlichem Privateigentum,
saltus Caesaris, zu erklären und demgemäss zu organisieren. Es war nicht
der zu erhoffende Ertrag, welcher zu diesem Verfahren führte, sondern die
Notwendigkeit, den zum Unterhalt der in den Strassen- und Grenzkastellen
liegenden Truppen erforderlichen Bodenanbau zu sichern; erst im Verlauf einer
längeren Zeit konnte man hoffen, das vielfach wüst liegende Land in eine
höher kultivierte und einträgliche Landschaft zu verwandeln. Zugleich war es die
Zeit Vespasians, in welcher in Italien und in den Provinzen bereits die Klein-
pacht bestand ^), in der insbesondere in Afrika die Bewirtschaftung der grossen
Güterkomplexe, namentlich der kaiserlichen Domänen (saltus) mittelst des
Systems der Pacht und Afterpacht (conductor und coloni) sieh ausbildete^).
Das Muster, das man damit hatte, stellt sich folgendermassen dar: Die Klein-
pächter (coloni) sind freie Leute, deren Personenrecht ein verschiedenes sein
konnte, das des Peregrinen, Latiners oder römischen Bürgers. Ihr Verhältnis
zum Gut ist das der Zeitpacht, die thatsächlich Erbpacht wird. In Afrika
ist dieses System angewandt in wohlkultivierten dichtbevölkerten Gegenden,
des Gewinnes halber, gegenüber von Eingeborenen, die man in solchen Ver-
hältnissen festzuhalten die Gewalt hatte, ja die sich gegen fortwährende Stei
gerung der Abhängigkeit nicht wehren konnten. In Afrika ist ferner überall
die Kleinpacht auf den saltus Caesaris mit der durch die Person des Proku-
rators vertretenen kaiserlichen Verwaltung vermittelt durch den Grosspächter
(conductor). Der Saltus war ein Territorium analog dem einer munizipalen
Gemeinde mit Gemeindevorständen, die jedoch den niedrigeren Titel ma-
gistri hatten, und einem Gemeinderat (ordo). — Mehrere Gutskomplexe (saltus)
wurden zu einem Bezirk (tractus) zusammengefasst unter einem Prokurator
höheren Rangs.
Sollte nun dieses System der kaiserlichen Domänenwirtschaft, dieses
Mittelding zwischen privat- und staatsrechtlichem Verhältnis, auf dem neu er-
worbenen Boden in Germanien angewandt werden, so konnte man nicht ein-
fach die Art des afrikanischen Saltus hierher übertragen. Für den Anfang
wenigstens und l\lr die schwieriger zu bebauenden Landstriche war eine mit
1) Ihre Sitze werden bestimmt trans castellum Mogontiuceiisium LXXX. leugas.
2) Mommsen im Hermes 20, 411 ff.
3) Schulten, Die römischen Grundherrschaften 1890. His, Die Domänen der
römischen Kaiserzeit 1896. — Die unten folgenden Auseinandersetzungen über
die Kastellterritorien berühren sich ferner nahe mit Schiiltens Abhandlungen über
das territorium legionis in Hermes 29, 481 ff. und über die Landgemeinden im röm.
Reich in Philol. fi^, i}2^) ff. Nur während Schulten diese Verhilltnisse im allgemeinen
behandelt, sind sie hier von einem bestimmten eng begrenzten Bezirk aus untersucht.
Zur Okkupations- u. Verwaltun^sgeschichte des rechtsrheinischen Römerlandes. 95
Gewinn verbundene Grosspacht nicht denkbar; der conductor, der Privat-Gross-
pächter, Imttc also hier keinen Raum, die kaiserliche Verwaltung musste selbst
die Leitung des Anbaus und das Risiko übernehmen, etwa in der Weise, dass
Gruppen von Kolonen kaiserlichen Aufsehern unterstellt wurden. Dass als
Pachtzins der Zehnte verlangt wurde, zeigt die Bezeichnung agri decumates *) ;
folglich handelte es sich auch hier um Naturalabgaben und damit um Zeit-
nicht Erbpacht; letztere wurde aber thatsächlich erzielt. Auch hier war der
kaiserliche Saltus ein Territorium, und wenn mehrere solche da waren, so er-
gab sich für die kaiserliche Verwaltung der grössere Bezirk eines Tractus.
Nun waren aber neben diesen Territorien der Domäne auch noch andere, die
der Kastelle an den Strassen und am Limes, zusammengesetzt aus den prata,
dem Weideland für die dem Kastell unmittelbar gehörigen Tiere, sowie aus
Wohnstellen (canabae) und Land der die Bedürfnisse der Besatzung vermitteln-
den Leute und der Ackerbauer, welche mit diesen im Lagerdorf zusammen-
wohnten und das unmittelbar beim Kastell liegende Ackerland bestellten. Wo
wie am Limes diese Kastelle sich in kurzen Entfernungen aneinander reihten,
stiessen ihre Territorien zusammen und waren identisch mit dem militärischen
Überwachungsbezirk. Jene Ackerbauern werden auch hier wie coloni gehalten
worden sein, wobei der Kommandant des Kastells, für dessen Bedarf sie
pflichtig waren, die Stelle des Prokurators ihnen gegenüber zu übeniehmcn
hatte. Aber über die nächste Umgebung des Kastells hinaus etwa über weiter im
Innern liegende Gruppen von Kolonen konnte sich diese administrative Funktion
nicht erstrecken; dazu fehlte der militärischen Behörde der Venvaltungsapparat.
Eher könnte man sich denken, dass der kaiserliche Prokurator auch die Ab-
gaben der Kolonen des Lagerdorfs fllr das Kastell vermittelt hätte. Eigen-
tümlich musste endlich von vornherein die Behandlung der Kolonen sein. In
dem Grenzland, in welchem ein Entweichen nicht allzu schwierig war, bei
Anbauverhältnissen, wo auf den guten Willen sehr viel ankam, wenn man
mit der spärlichen Bevölkerung den Ackerbau auch nur dem unmittelbaren
Bedürfnis entsprechend ausdehnen wollte, konnte man nicht so vorgehen, dass
man die Bauern auf der niedrigsten Stufe der Peregrinität hielt; man musste
Aussichten auf besseres persönliches Recht eröffnen, musste eine gewisse Gleich-
heit mit den gallischen Civitates anstreben, und wenn unter Domitian einer
Gemeinde des Grenzlands, auf deren Gebiet Kastelle angelegt wurden, für das
dafür in Anspruch genommene Land Entschädigungen gezahlt wurden, um sie
in Treue zu erhalten, so wird man auch auf die Kolonen der agri decumates
mehr Rücksicht genommen haben als auf die afrikanischen.
Vergleichen wir nun mit diesen allgemeinen Sätzen, was wir aus dem
rechtsrheinischen Gebiet an konkreten Zeugnissen haben. Sicher bezeugt ist
1) decumas zu decumanus (Cic. in Verr. II. 3, 6, 13. c. i. 1. 2, 1438) wie prinias
zu primanns, Campans oder Campas (Plaut. Trin. 545) zu Campanus. Die Endung
anus wurde durch ans zu as und ging in die Analogie von as, atis über. Ein decu-
mas, decumatis war wohl schon zur Zeit Ciceros veraltet und in der Schriftsprache
weniger üblichi in dem taciteischen Ausdruck taucht es wieder aul*.
96 E. Herzosr:
»
der Ausdruck saltus als angewandt auf ein bestimmtes Territorium in dem
saltus Sumelocenensis ; dass derselbe in anderem Zeugnis auch als civitas be-
zeugt ist, kommt hier nocli nicht in Betracht. Bei der civitas S. 7. der
* Inschrift Brambach c. 1. Rh. 1593 vermutet Zangemeister (Westd. Zeitschr. 3,
245 A. 1) eine civitas 8(altus) T(outonorum); aber ehe der Ausdruck civitas
saltus anzuerkennen ist, müsste doch ein sicheres Analogon beigebracht werden,
und ich möchte S. T. eher deuten als S(uebi) T., ob diese nun zu T(outoni) oder
einem andern mit T anfangenden Namen zu vervollständigen sind; wir hätten
dann neben den Suebi Nicretes noch einen andern Suebenstamm, und der
saltus wäre damit ausgeschlossen. Wenn wir aber auch nur den einen Saltus
von Sumelocenna direkt bezeugt haben, so ist damit nicht ausgeschlossen, dass
es mehrere gab; sie können als Vorstufe ftlr spätere civitates bestanden haben,
die wir eben zufällig nur als solche kennen. Denn wenn, wie wir sehen wer-
den, der saltus Sumelocennensis sich zu einer civitas entwickelte, so kann der
civitas Alisinensium (Brambach n. 1593 von Bonfeld bei Wimpfen) ein saltus
desselben Namens vorangegangen sein. Dafür spricht, dass die Benennung
nicht von einem Volksstamm, sondern mit der Ableitungssilbe ensis von einem
FItisschen Alisia (der heutigen Elz) herrührt^), wie Sumelocennensis von dem
keltischen Ort Sumelocenna*).
Als weiteres gewichtiges Zeugnis tritt ein der [irnnpoiioq ZießacTTJoO x^-
paq [2!]ofi€XoK€vvricJiaq Kai [Ü7r]€pXifiiTdvri^ der Inschrift von Dusa in Bithynien
(Mommsen in Korrespbl. der Westd. Zeitschr. 5 S. 260). Es fragt sich hier,
was x^P^ bedeutet. Mommsen übersetzt es mit tractus, es ist aber wohl
saltus. Der betreffende Beamte war allerdings procurator tractus, aber letzterer
bestand aus zwei Saltus, dem von Sumelocenna und dem translimitanischen.
Wenn die Mommsensche Ergänzung zu uTrepXimTdvn^ richtig ist, wie sie es
mir zu sein scheint, wenn femer die Inschrift noch dem Ende des ersten Jahr-
hunderts angehören würde, so müsste man unter limes die Remsthalstrasse ver-
stehen und sich denken, dass in dem nördlich von dieser liegenden Land die
Römer mit einer Anzahl vorgeschobener Posten (praesidia) auch für den Anbau
des Landes jenseits von jenem Limes gesorgt hätten in der Voraussicht, dass
die Annektierung in naher Zeit noch weiter nach Norden zu greifen hätte.
Die Spur eines solchen Präsidiums läge möglicherweise in Folgendem: nörd-
lich vom Remsthal, ausserhalb auch der äussersten Limeslinie, bei Mönchshof
0. A. Welzheim liegt eine Schanze, deren römischer Ursprung durch Münz-
1) Diesem Saltus würden dann die Paehthöfe angehören, welche K. Schumacher
in Wostd. Zeitschr. 15, 1 ff. beschreibt.
2) Meitzen, Wanderungen u. s. w. 1, 390 verbindet Sumeloceima mit den nach
Dio 77, 14 von Caracalla bekämpften Cenni; allein diese können doch nicht innerhalb
von römischem Provinzialland gesucht werden.— Auch die civitas Taunensium könnte
einen .saltus Taunensium zur Voraussetzung gehabt haben; denn wenn auch, was
Tacitus „agri decumates" nennt, nach seinem Sinn südlich vom Main hxg^ so kann ja
der eine oder andere saltus auch nördlich vom Main eingerichtet worden sein.
Zur Okkupations- u. Verwaltungsgeschichte des rechtsrheinischen Römerlandes. 97
funde, darunter eine von Domitian bezeugt ist^); ein Römerweg soll in west-
östlicher Richtung vor der Schanze konstatiert sein. Es ist aber zuzugeben,
dass^dieses Erdwerk auch von dem späteren südnördlichen Erdwall aus, der
von Lorch nordwärts zieht, erklärt werden kann.
Der Saltus zerfiel in Dörfer, Komplexe von Höfen und einzelne Pacht-
höfe. Ein Dorf (vicus) war der Ort Sumelocenua auf dem linken Neckarufer
an der Stelle des heutigen Rottenburg; das Territorium des Kastells ist auf
dem rechten Ufer anzusetzen, so lange überhaupt ein Kastell da war. Gruppen
von Höfen (casae) und einzelne Höfe haben wir in den zahlreichen Nieder-
lassungen, welche in den durch den Strassenverkehr und die Gunst der Lage
bevorzugten Teilen des Landes entstanden und von denen neuestens einzelne
Beispiele sowohl hinsichtlich der Konstruktion der Wohnstätte als nach der
Art der Bewirtschaftung beschrieben worden sind*). — Wie weit das Terri-
torium des saltus Sumelocenensis sich erstreckte, lässt sich nicht genauer be-
stimmen. Wahrscheinlich umfasste er, da gar kein anderes Zeugnis in dem
betreffenden Gebiet vorliegt, mit Ausnahme der Kastellterritorien alles ober-
germanische Land von der Grenze der Helvetier an bis zum unteren Neckar,
an welchem es sich mit dem Territorium Alisinense berührte.
Ein grösserer Ort, der nicht mit einem Kastell zusammenhing, ist ausser
Sumelocenne, dem früheren keltischen Dorf, das, wie schon bemerkt, unab-
hängig vom anfangs vorhandenen Kastell blieb und Sitz des Prokurators war,
nicht nachzuweisen; es scheint, dass bald das Kastell überhaupt wegkam, um
erst am Ende des dritten oder im vierten Jahrhundert in anderer Weise als be-
festigter Platz wieder aufgenommen zu werden. Von diesem vicus nun —
dieser Titel ist zwar für Sumelocenna nicht überliefert, aber für die Zeit des
Saltus anzunehmen — haben wir Zeugnisse, welche mit Hilfe der Analogie
die Organisation erkennen lassen. Er war der Vorort des Saltus, in ihm lässt
der Gemeinderat desselben durch die Vorsteher die namens des Saltus be-
schlossenen Monumente aufstellen, und diese Vorsteher heissen wie in Afrika
magistri. Die wichtige Inschrift, die uns dies kund thut, lautet^):
1) Oberamtsbeschreibung von Welzheim 1845 S. 114. Von Münzfunden neuester
Zeit, die verschleudert wurden, erfuhr ich jüngst erst.
2) Schumacher, römische Meierhöfe im Limesgebiet in Westd. Zeitschr. XV
(18%) S. Iff. — Meitzen, Wanderungen 1, 352. 3, 147—160. Anl. Taf. 32—34. Eine
Übersicht der bis jetzt gefundenen Niederlassungen in Württemberg giebt Haug in
.Das Königreich Württemberg" (1882) I S. 191 flf., wo die Gesamtzahl der auf württem-
bergischem Boden konstatierten auf 532 berechnet wird. Dazu ist zu vergleichen die
Paulus'sche Archäologische Karte und E. v. Paulus, Die Altertümer in Württemberg.
Stuttg. 1876/7. Natürlich gehören hierher nur diejenigen Niederlassungen, die zu
Obergermanien gezählt werden können. Die Topographie, welche in den angegebenen
Publikationen gegeben ist, gewinnt ein neues Interesse durch die jetzt mit herein-
tretenden administrativen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte.
3) Ich gebe sie nach eigener Abschrift und nach einer trefflichen Photographie,
die ich Hrn. Prof. Dr. Sixt, dem Vorstand des Stuttgarter Lapidariums, in dem sich
die Inschrift befindet, verdanke. In Z. 6 ist nicht, wie bei Brambach n. 1633 und
sonst Teröffentlicht wird, G zu lesen, sondern C. Das C hat dieselbe Form wie in
DECBETO in Z. 3.
Jahsb, d. Ter. y. Alterihsfir. im Rheinl. lOS. 7
98 E. H e r z 0 g :
IN . H 0 N 0 R EM
DOMVSDIVIN
EXDECRETO ORDINIS
SALTVSSVMELOCENNEN
SIS- CVRAM AGENTIB
IVLDEXTROTCTVRRAN
MARCIANO • . • ^^'^ G
Z. 7 giebt Jaumann (Neuere zu Rottenburg a. N. aufgefund. röm. Altert.
Nachtrag zu Col. Sumel. Stuttgart 1855, S. 18), der die Inschrift zuerst ver-
öffentlichte, so: MARCIANO IIVIRIS Cl
und bemerkt dazu: „Auf dem ausgebroehenen Fragment der letzten Zeile war
noch deutlich zu lesen IIVIRIS (also duumviris). Leider ist bei einem Be-
such dieses ganze Bruchstück in drei zerbrochen worden und die Schrift jetzt
nicht mehr zu lesen." Dass Jaumann den letzten Buchstaben G, der übrigens
ganz sicher ist, falsch las als Cl, begreift sich; was aber davor noch sichtbar
ist und was auch Brambach giebt, sind unzweifelhaft die oberen Reste von M
und A; also IIVIRIS kann nicht auf dem Fragment mit allen Buchstaben ge-
standen haben ; Brambach nimmt die Lücke viel zu gross und vermutet gegen
seine eigene Abschrift | ,|viris Aug(ustalibus) ; Hang (Königr. Württemb. 1
S. 149) lässt nach MARCIANO eine völlige Lücke. Der Schluss kann nichts
anderes sein als mag(istris) : nachdem ich mich an Ort und Stelle hiervon über-
zeugt, sah ich, dass schon Schulten (röm. Grundh. S. 104) aus Brambachs
Wiedergabe richtig mag(istri8) erschlossen hatte; dagegen berücksichtigt er
die Jaumannsche Angabe, dass deutlich IIVIRIS zu lesen sei, nicht, ein Zeug-
nis, über das man nicht ganz hinweggehen kann. In der Lücke vor M hätte
MV Raum, und so ist duumv{iris) magiistris) Ah möglich zuzugeben, was analog
wäre den afrikanischen magistri quinquennales (c. i. lat. 8, 9317). Jedenfalls
aber sind nach dem Wortlaut der Inschrift sowohl der ordo als die magistri
auf den ganzen Saltus zu beziehen, natürlich aber sind die letzteren auch die
Beamten des vicus Sumelocenna.
Wie diese Inschrift, so zeigen weitaus die meisten andern in dem frag-
lichen Gebiet gefundenen lateinische Personennamen; Vermischung von Latei-
nischem und Keltischem wie in der Inschrift Bramb. n. 1558 vom J. 169
n. Ch. kommt vor, aber nicht häufig. Das hängt wieder damit zusammen,
dass die Bevölkerung nicht national einheimisch, sondern zum grössten Teil
aus gallischem Gebiet eingewandert war und daher schon eine gewisse Roma-
nisierung mitbrachte. Von Anfang an mögen also Bestandteile mit latini-
schem Recht darunter gewesen sein. An einzelnen Orten, wie in der bürger-
lichen Niederlassung bei Rottweil, sind durch Münzzeugnisse die Zeichen
der römischen Kultur in Hausbau und Hauseinrichtung, in Wandmalerei,
Geräten, Heizapparat u. dgl. sehr frühe, noch im ersten Jahrhundert n. Ch.
zu erfassen; sonst haben wir Zeugnisse erst aus dem zweiten und dem An-
fang des dritten Jahrhunderts in den Hofstätten, welche vor etwa zehn Jahren
auf dem rechten Neckarufer bei Rottenburg ausgegraben wurden (Westd«
Zur Okkupations- u. Verwaltnngsgeschichte des rechtsrheinischen Römerlandes. 99
Zeitschr. 3 S. 331 flf.). Diesen äusseren Zeichen entspricht nun aber auch der
Fortschritt des Munizipalwesens. Der saltus wird zur civitas. In einer der
Zeit nach nicht zu bestimmenden Inschrift von Köngen (bei Esslingen) am
Neckar (ungefähr 40 Kilometer vom Vorort Sumelocenna entfernt) ist die In-
schrift eines P. Quartionius Secundinus decu(rio) [c]ivi(tatis) Suma(locennensis) ge-
funden worden. In der 22. Legion dienen i. J. 231 n. Ch. zwei Reiter, die
aus der civitas Sumel. ausgehoben sind (Brambach n. 1034); ein Veteran der
S.Legion nennt sich civis Sumel. bei Murat. 870, 2; in Rottenburg macht ein
coUegium iuventutis der civitas Sumel. eine Dedikation dßr Diana (Brambach
n. 1629). In der Zeit also, da diese Inschriften gesetzt wurden, war die Ge-
meinde eine Civitas, ohne Zweifel latinischen Rechts. Zugleich erhellt, dass
die Latinergemeindc eben die des ganzen bisherigen Saltus ist ohne Bevor-
zugung des Vororts; denn das Recht im Gemeinderat zu sitzen, ist nicht ge-
bunden an den Wohnsitz in demselben. Wir haben also hier diejenige Form,
welche Mommsen, Hermes 16, 679 flf. für die benachbarte helvetische Gemeinde
beschrieben hat^). Ebenso gilt für diese Gemeinde und ihre Verhältnisse, was
Mommsen a. a. 0. 474 flf. über den Einfluss der Verallgemeinerung des römischen
Bürgerrechts durch Caracalla i. J. 212 ausgeführt hat. Ist jene Erhöhung des
Gemeinderechts vor 212 erfolgt, so galt für sie das Gesetz Caracallas in dem-
selben Umfang wie für die Latinergemeinden ähnlichen Rechts; fällt sie nach
(1. J. 212, so war auch dann noch Konstituierung mit latinischem Recht möglich.
Eine Tribus geben die Angehörigen dieser Orte weder vor noch nach 212 an.
Dass wir diesen Hergang bei dem Territorium von Sumelocenna heraus-
stellen können, verdanken wir lediglich einigen inschriftlichen Zeugnissen.
Man wird zugeben, dass, wie oben bemerkt, für die civitas Alisinensis, das
Gebiet des unteren Neckars, derselbe Hergang möglich war, ja sogar wahr-
scheinlich ist, da die Grundvoraussetzung, der Mangel einer nationalen Ge-
meinde, dieselbe ist.
Die vorgegangene Veränderung erklärt nun aber auch, weshalb in dem
Gebiet des saltus Sumelocennensis nicht mehrere Inschriften von Domänen-
proknratoren zu Tage gekommen sind.
In der gleichen Weise, wie in dem Territorium oder den Territorien, die
zur kaiserlichen Domäne gehört hatten, vollzog sich der Fortschritt in den
Territorien der Kastelle. Die Kolonen in den Lagerdörfem wurden wohl-
habender; vielleicht wurde ihnen Land, das sie durch Rodung dem Anbau
gewonnen, vertragsmässig so überlassen, dass es durch langjährigen Besitz zu
Eigentum wurde, die canabae und die Wohnungen der Kolonen werden zum
Vicus und dieser erhält eigene Vorstände, Magistri mit Quästoren und Ädilen.
Diese Entwicklung haben wir am Limes in dem Lagerort bei Öhringen, der
zum vicus Aurelius wird (vgl. die Beschreibung der Kastelle bei Öhringen in
„Der obergerm.-rät. Limes des Römerreichs" Lief. 5 S. 12 f. 21) und dessen
1) Dasselbe gilt von der civitas Alisinensis. In der Inschrift aus Neuenstadt
Brambach n. 1614, Haug 1, 164 n. 3 steckt vielleicht ein dec(urio) c(ivitati8)
AQisinensis), der dann ebenfalls nicht im Vorort ansässig gewesen wäre.
100 E. H e r 58 o g :
Verwaltung inschriftlich durch einen Quästor vertreten ist (a. a. 0. S. 27,
Brambach N. 1561). Nach der allgemeinen Analogie des Munizipalwesens
sollte nun ein solcher Vicus einer Civitas einverleibt werden, und dafür haben wir
auch einen Beweis in der oben (S. 99) angeführten Inschrift von Köngen *). Wenn
in dem Dorf bei dem dortigen Lager ein decurio civitatis Sumalocennensis wohnt,
so ist der frühere Lagerort von dem Lager hinweg zu der nächstgclegenen
Civitas geschlagen worden. Es sind aber auch Fälle denkbar, in welchen
dies wegen der Lage nicht leicht möglich oder nicht zweckmässig war; in
solchem Fall ist denkbar, dass der Vicus eine Art munizipaler Selbständigkeit
erhielt mit einem Anschluss an das Lager, bei welcher der Lagerkonmiandant
das Hoheitsrecht repräsentierte, welches sonst die Behörden der Civitas hatten.
Dafür könnten die Beispiele angeführt werden, welche Schulten, Hermes 29
S. 502 aus Ravenna und Misenum beibringt von Verbindung der Flottenpräfektur
mit cura der Ortschaften bei den Flottenlagern. In dem Limesgebiet ist mir
kein solches Zeugnis bekannt. Der vicus Aurelius hatte als nächste selbständige
Gemeinde die civitas Alisinensis.
Mit der Erhöhung des Saltus zur latinischen civitas, der canabae der
Kastelle zu vici ist eine Veränderung des Bodenrechts zu verbinden. Der
Pachtacker wurde in beiden Fällen zu ager privatus vectigalisque, provinziales
Privateigentum, für das an die Stelle der bisherigen Naturalabgaben und
-Leistungen die Bodensteuer trat. Das kaiserliche Vermögen verlor dabei wenig,
da nach Abzug der Verwaltungskosten der Reingewinn gering gewesen war; dieser
Reingewinn kam nun dem Fiskus zu gute bei geringerem administrativem Auf-
wand. Die Abtrennung des von bisherigen Lagerpächtern bebauten Felds vom
Lagerterritorium kam nur für den Fiskus in betracht, dem der Aufwand für
die Truppe oblag; er wird durch die neue Regelung eher gewonnen haben.
Nimmt man bei solchen Fällen die oben besprochene zweite Alternative eines ge-
wissen Anschlusses an, so ist nicht notwendig die Konsequenz zu ziehen, dass der
neue Vicus auch Ort der origo für die Ortsangehörigen geworden wäre; es konnte
nach wie vor das Lager als die origo bestimmend festgehalten werden. Die Bevöl-
kerung dieser Orte bestand aus den durch das Kastell angezogenen Handels- und
Gewerbetreibenden, Ackerbauern und den Veteranen, welche sich hier nieder-
liessen und leicht Landeigentum, sei es durch Schenkung oder durch eigene
Rodung noch unkultivierten Bodens gewinnen konnten. Diese sowie die unter
den Einwohnern des Vicus befindlichen römischen Bürger bildeten mit ihren
korporativen Verbänden (collegium und conventus) einen privilegierten Bestand-
teil des Orts, so z. B. in Öhringen nach dem Zeugnis der Inschrift Oberg.-rät.
Limes Lief. 5. Öhringen S. 21. — W^enn nun auf diese Weise der grosse rechts-
rheinische Domänenbestand, die decumates agri, gewöhnliches Provinzialland
wurde, so konnte deswegen doch noch Domänenbesitz in beschränkterem Masse
zurückbehalten werden. Darauf führt der von mir schon Bonn. Jahrb. H. 59
1) Anders liegt der Fall bei Sumelocenna selbst, da dieser Ort nie zu dem Ter^
ritorium des uuf dem andern Ufer gelegenen Kastells gehört hatte (ob. S. 97).
Zur OkkupatioDS- u. Verwaltnngsgeschichte des rechtsrheinischen Römerlandes. 101
S. 59 angeführte juristische Fall, der in den Digesten (21, 2, 11) behandelt
ist. Di6 Stelle lautet: L. Titius praedia in Germania trans Rhenum emit et
partem pretii intulit: cum in residuam quantitatem heres emptoris conveniretur,
quaestionem rettulit dicens has possessiones ex praecepto principali partim di-
stractas partim veteranis in praemia adsignatas: quaero an huius rei periculum
ad venditorem pertinere possit. Paulus respondit etc. Da es sich hier um
Land handelt, das zu Veteranenassignationen verwendet und über welches
ex praecepto principali verfügt wird, so ist es nicht ager privatus, sondern
Domänenland, und dann sind der venditor und emptor Grosspächter, conduc-
tores. Dies wtlrde wohl stimmen; jetzt wäre für die noch zurückbehaltenen
jedenfalls ertragreicheren Domänen der conductor am Platz, der dann unter
dem Prokurator des kaiserlichen Vermögens in der obergermanischen Provinz stand.
Fassen wir das hier Erörterte zusammen, so wäre die administrative Ent-
wicklung so zu denken. Der Mangel einer vorrömischen sesshaften nationalen
Bevölkerung führte nach der Besitznahme des rechtsrheinischen Gebiets süd-
lich des Mains zum System der agri decumates sowohl für die Gegenden mit
offenen Siedlungen wie für die Kastellorte. Nachdem die Fortschritte der
Kultur im Laufe des zweiten Jahrhunderts die Bevölkerung auf eine höhere
Stufe gebracht und wenigstens in den günstiger gelegenen Gegenden, den
Flussthälern und ihrer Umgebung und an den durchgehenden Verkehrsstrassen
Niederlassungen, die Dauer und weiteren Fortschritt versprachen, gesichert
waren, wurde das Land der Provinzialverwaltung einverleibt und erhielt die
in Gallien, speziell in dem benachbarten Helvetien bestehenden Einrichtungen.
Das Zehntland der kaiserlichen Domäne wurde als Ganzes ein munizipales
Territorium. Die Lagerorte bei den Kastellen wurden von dem Territorium
derselben abgetrennt in dem Massstabe, als sie zu stattlichen Dörfern wurden
und als die Militärverwaltung Sicherheit dafür hatte, dass sie das für die
Kastelltruppen Nötige auch ohne das Pachtsystem beschaffen könne. Bei den
meisten Limeskastellen scheint diese höhere Entwicklung nicht erreicht worden
zu sein; denn was bei ihnen an bürgerlichen Niederlassungen konstatiert wird,
ist meist sehr dürftig. Wie dann die Grenze im dritten Jahrhundert beunruhigt
wurde, mussten einerseits die Besatzungen verstärkt werden, andererseits litt
die Civilbevölkerung und wurde geradezu ungenügend. Dies veranlasste den
Severus Alexander zur Einführung des Systems der fundi limetanci (vit. Alex.58, 4).
Jedes Kastell aber behielt zu allen Zeiten ein gewisses Territorium, wenn
es sich auch nach Abtrennung des zum Vicus gehörigen Landes auf eine kleine
Strecke beschränkte. An der Limeslinie wird jedenfalls die Strecke, welche
die Überwachungsaufgabe eines Kastells bildete, mit den daranstossenden prata
zu diesem Territorium gehört haben, während der rückwärts nach Innen sich
erstreckende Teil abgelöst werden konnte. So blieb, um zu dem Anfang dieser
Auseinandersetzung zurückzukehren, die Grenze zwischen Rätien und Ober-
germanien da, wo die Territorien der äussersten Grenzkastelle der beiden Provin-
zen, des Kastells am Schicrenhof bei Gmünd (Obergenn.-rät. Limes Liofer. 7
n. 64) and des Kastells Lorch (ebeudas. Liefer. 5 n. 63) zusanmienstiessen.
3. Die neueren Ausgrabungen vor dem Clever Thor zu Xanten.
Von
J. Steiner.
Erst im Winter 1896/97 war dem niederrheinischen Altertums -Vereine
hierselbst die Möglichkeit gegeben; die Ausgrabungen wieder aufzunehmen an
der Stelle, wo, wie der Verfasser im Heft 87 dieser Jahrbücher S. 93 be-
richtet hat, ein von der nordöstlichen Umfassungsmauer der daselbst beschrie-
benen Niederlassung abgehender Ausbau (bei 9 der dort S. 88 beigefügten
Zeichnung) seiner Zeit nicht nachgegraben werden konnte, weil die Grund-
stücke nicht weiter zur Verfügung gestellt wurden.
Dieser Ausbau bei a obiger Skizze besitzt eine Breite von 3,5 m und
geht zuerst in einem rechten Winkel von der Hauptmauer, welche im
NO die Anlage begrenzt, ab in einer Länge von 7 m. Dann zweigen sich von
ihm bei b in einem stumpfen Winkel die Fundamente einer Mauer in einer
Stärke von 1,30 m ab und erstrecken sich geradelaufend 56 m weiter, an
zwei Stellen c, d Pfeileransätze zeigend.
So war das Ergebnis der im Winter 1887/88 ein Ziel gesetzter Ausgrabung.
Die neuerdings wieder aufgenommenen Aufdeckungen ergaben, dass die Funda-
mente bei e sich etwas schrägwärts drehen in einer Länge von r. 21 m. Hier
findet sich eine Lücke fim Mauerwerk, 1,20 m breit. Ob an dieser Stelle ein
Eingang gewesen, verrät die Bauart nicht, da es eher schien, als ob die
Steine ausgebrochen worden wären. Die nun folgende Fortsetzung der Mauer
g ist nur 0,60 m lang, die Breite beträgt 1 ,20 m, wie die Mauer überhaupt
Die neueren Ausgrabungen vor dem Clever Thor zu Xanten. 103
hier 1,20 m dick ist. In einem Zwischenraum von 0,85 m hiervon ostwärts
entfernt beginnen wieder Fundamente h, die sich 20 m lang hinziehen, dann
wieder in einem rechten Winkel sich umbiegen, in nordöstlicher Richtung bei i
10,50 m weiter gehend, wo dann in einem Raum von 3 m alles Steinmaterial
ausgebrochen ist (bei k der Karte). Es folgen hierauf in der gleichen Flucht-
linie ohne nachweisbaren Zusammenhang drei einzelne Mauerstücke 1, m und n,
von denen das letztere 3,50 m Länge hat, während die beiden ersten ^2 — 1 ni
lang sind. Die Ecke nach dieser Richtung bildet ein Mauerblock o in einer
Stärke von 2,70 m zu 2,40 m. Derselbe hat nach aussen eine abgerundete
Kaute.
Von diesem Eckstüek an wurden die Bauüberreste p 6,30 m weiter in
nordwestlicher Richtung biosgelegt. Dieselben hier weiter zu verfolgen und
ihren Endpunkt zu bestimmen hinderte leider wiederum, ebenso wie bei der
früher erwähnten Aufdeckungsarbeit, ein mit Wintersaat bestelltes Grundstück.
Das Hess sich eben noch feststellen, dass an der Grenze dieses Ackers und
des Ausgrabungsfcldes die Mauer sich in einem rechten Winkel nach oben hin
wendet.
Vorläufig müssen wir uns nun in betreff der weiteren Ausgrabung auf
eine Zeit vertrösten, wo der Eigentümer des in Frage stehenden Ackers uns
die Nachgrabung gestattet, und zur Zeit es uns versagen über die Gebäude-
anlage an dieser Stelle, die so nahe der Umwallnngsmauer ist, ein sicheres
urteil zu fallen.
Ob überhaupt die vor dem Clever Thor entdeckten Überreste solche der
Colonia traiana oder der Tricesimae des Ammianus Marcellinus sind, können
wir bis jetzt nur als blosse Vermutung annehmen. Ein bestimmtes Urteil hier-
über wird sich erst dann fällen lassen, wenn die Ergebnisse der bereits vor-
genommenen und der noch vorzunehmenden Ausgrabungen zusammen nähere
und bestimmte Anhaltspunkte in dieser Hinsicht ergeben. Dazu bedarf es aber
noch vieler und genauerer Nachforschungen in der von einer in diesen Jahr-
büchern 87 S. 87 f. beschriebenen Mauer eingeschlossenen 85 ha grossen Fläche,
die meist noch aus Ackerland besteht. Zu einer solchen Arbeit reichen aber
die Kräfte und Mittel unseres kleinen Ortsvereins bei weitem nicht aus.
Dringend zu wünschen wäre es daher, wenn die Provinz sich dieser bei der
Wichtigkeit unserer Gegend für den Anfang und den weiteren Fortschritt der
Römerherrschaft in üntergermanien so nötigen und allein Aufschluss bringenden
Arbeit unterzöge.
Die Bauart und insbesondere das Material der beschriebenen Fundamente
ist dasselbe, wie das der anderen Mauern der Anlage, es besteht aus Grauwacke
und Thonschiefer mit grobsandigem Kalkmörtel verbunden. Dass es sich um ein
Gebäude an dieser Stelle handelt, beweist der Fund von einem Säulenstück aus
feinem weissen Sandstein mit halbkreisförmigen, durch schmale Flächen getrennten
Kannelierungen, von Dachziegeln, Dachschiefer mit Nagelloch, von Stücken
MauerbewurfS) der gelb und rot bemalt war, und dergleichen, was alles auf
ein Gebäude Schlüsse zu ziehen gestattet.
104 J. Steiner:
An Kleinaltertttmern fanden sich zunächst viele Münzen, so Mittelerze von
Tiberius, Nero, Vespasian, Doniitian, Antonios Pins, von Traian ein wohl-
erhaltenes Grosserz (Coh. 386), ansserdem viele nndentliche und schlecht er-
haltene Exemplare von Bronzemünzen.
Die aufgefundenen Ziegelstempel sind folgende:
1. Dachziegelbruchstück LECXXIIPPF.
2. Ein ebensolches |s|CXXI///, welcher Stempel aber, da er sich mit
dem vorigen Bruchstück an derselben Stelle fand, auch wohl ein
solcher der 22. Legion sein wird, da der Bruch gerade mitten
durch II hindurchgegangen ist.
3. Ziegelbruchstück gestempelt | F |
4. Ein ebensolches mit undeutlichem Stempel HNVIKII///
5. Ein solches mit eingeritztem V.
6. Ein Amphorahenkel mit Stempel PORLAPA darunter eingeritzt
X*)
7. Ein Amphorahals eingeritzt XXI und IIV.
An sonstigen Thonsachen fand man eine Kugel von Thon, eine Lampe,
2 Krüglein ohne Henkel von weissem Thon, eine graue Urne, verschiedene
Thonperlen. Auch ein Mühlstein von Lava, sowie mehrere Bruchstücke solcher
wurden entdeckt.
Die Zerstörungen, welche im Laufe der Zeiten hier stattgefunden, sind
so gründliche gewesen, dass von Thongegenständen nur einige ganz erhaltene
Stücke sich vorfanden, dagegen eine Unmasse Thonscherben, besonders solche
von terra sigillata-Sacheu, welche sämtlich Spuren zeigen, dass sie gewaltsam
zerkleinert und nicht etwa zufallig zerbrochen sind.
Die Stempel auf den vorgefundenen Sigillatasachen sind nachstehende:
1. Tasse mit Stempel ///AVS//.
2. Fussscherbe eines ornamentierten Napfes, auf der Aussenseite ver-
kehrt Toa.
3. Ebensolche, gestempelt \ATVS0-FE.
4. Ebensolche, gestempelt ///IVLLIH.
5. Ebenso ALBVS.
6. Tellerfussscherbe mit Stempel HABITV8.
7. Ebenso 0FARDA.
8. Fussscherbe, gestempelt 0FVITAI.
9. Ebenso, Stempel zweimal durcheinander VERVSFEC.
10. Ebenso GALBINIM.
11. Ebenso ME0ILLVS.
12. Ebensolche RVSTICIC.
13. Ebensolche ACRI.
*) Dr. Hohn in Berlin schreibt mir über diesen Stempel: „Für den Anfang ist
die Lesung gestattet Por(tu8) oder (de) Por(tu), d. h. Magazin. Die folgenden Buch-
staben, wahrscheinlich einzeln zu fassen: L. A.(. . .) Pa(. . .) sind nicht aufzulösen, wie in
vielen Amphorastempeln^.
J. Steiner: Die neuereu Ausgrabungen vor dem Clever Tiior zu Xanten. 105
14. Ebenso ROGA///,.
15. Fußsscherbe einer Tasse mit Stempel VITAL.
16. Ebenso gestempelt OFGEN.
17. Ebenso GIA///1TF.
18. Bruchstück einer Tasse mit Stempel SEN/////.
19. Ebensolches ////SIVS.
20. Tellerbruchstttck mit Stempel l ^/^
21. Hälfte eines Ktimpchens mit Strichverzierung (Koenen, Gefässkunde
XVI, 23), auf der Aussenseite eingeritzt FIIS.
Anderweitige zahlreiche Scherben zeigen Verzierungen verschiedener Art,
wie Jagddarstellungen, einen liegenden Hirsch, einen schreitenden Hahn, Kro-
kodil, Esel und ein erhabenes Band, worauf ein undeutlicher Stempel, eine
Quadriga mit Löwen, Blattornamente und dergleichen.
Von terra nigra sind zwei Tassen vorhanden und der untere Teil einer
Urne, auf der Aussenseite gestempelt OIIL'/.XV). Von Metallgegenständen wurde
eine Menge eiserner Nägel gefunden von 5 — 22 cm Länge, ein Eisenstück mit
Stielloch, eine viereckige eiserne Stange, 41 V« cm lang. Von Bronze fanden
sich sechs Gewandnadeln, Haken, Henkel, Nadeln, Sonden, ein kleiner Spatel,
Ringe, Stifte, Knauf und verschiedene Beschläge.
Ausserdem sind noch als Fundstücke zu envähnen Bruchstücke einer
Schale von blauem Glas, von Elfenbein ein Stilus, sowie eine Haarnadel,
deren oberes Ende eine kleine weibliche Büste bildet.
4. Die Arretinischen Töpfereien.
Von
Max Ihm.
Von der uns in Menge erhaltenen rotglasierten Thonwaare italisehen
Fabrikats sind am bekanntesten die vasa Arretina, benannt naeh dem Fabrikations-
ort Arretium in Etrurien, der in dieser Beziehung im Altertum einen gewissen
Ruf hatte, wie aus den wenigen Schriftstellerzeugnissen zur Gentige erhellt.
Viel geben diese Zeugnisse nicht aus; sie liefern keine Beschreibung der
Fabrikate, wir erfahren nicht wie alt diese Industrie ist. Es sind gelegent-
liche Erwähnungen und Anspielungen, die älteste bei Plinius n. h. 35, 160,
der die Arretinischen vasa terrena unter dem Speisegeschirr gleich nach den
Samischen nennt ^). Wir dürfen also schliessen, dass zu seiner Zeit und auch
noch zur Zeit Martials*) diese Industrie in Arezzo blühte, wenn auch die
Annahme offen bleibt, dass vasa Arretina mit der Zeit Gattungsbegriff ge-
worden sein kann gerade wie vasa Samia^). Von einem unbekannten Dichter
abgesehen, von dem das Distichon stammt
Arretine calix, mensis decor ante paternis,
ante manus inedici quam hene sanus eras^),
kommt von den Zeugnissen des Altertums nur^) noch die antiquarische Notiz
bei Isidor Orig. XX 4, 5 Arretina vasa ex Arretio municipio Italiae dicuntur
übi fiunt in Betracht®), aus der natürlich nicht geschlossen werden darf, dass
noch in jener späten Zeit die Fabrikation in Arezzo bestand. Isidor fügt
1) Samia etiam nunc in esculentis laudantur. Hetinent hanc nohilitatem et Ar-
retium in Italia et calicum tantum Surrenfum u. s. w.
2) Epi<^r. I 53, 6 sie Ar retinae violant crystallina testae. XIV 98 (Lemma Vasa
Arretina) Arretina nimis ne ^pemas vasa monemus : lautus erat Tusds Porsena
fictilibus. Hierauf kann sich die rubra testa XIII 7, 1 beziehen. Vgl. auch MüUer-
Deecke, Die Etrusker II p. 245.
3) Dragendorff, Bonner Jahrb. 96/97 p. 51 (wenn im folgenden 'Dragendorflf'
zitiert wird, ist immer diese grundlegende Arbeit über Terra sigillata gemeint).
Blümner, Technologie u. s. w. II p. 69.
4) Riese A. L. 259. Bährens PLM. IV p. 157.
5) In der Macrobiusstelle Sat. II 4, 12 möchte Boruiann CIL. XI p. 337 eine An-
spielung auf die vasa Arretina sehen (lasar Arretinum, Cilniorum Smaragde, iaspi
figulorum bieten die Hss.).
6) Hieraus das Scholion zu P(»rsius I 129 ex Arretio municipio tibi fiunt Arre-
tina vasa.
Die Arretinischen Töpfereien. 107
hinzu, dass die Gefasse roth gewesen seien, und bezieht auf sie den Vers des
Sedulius (carm. pasch, praef. 16) rubra quod adpodtum testa ministrat holus,
womit aber durchaus nicht speziell Arretinische Waare gemeint zu sein braucht,
da ähnliche Gefässe ja auch an anderen Orten Italiens fabriziert wurden^).
Es muss unterschieden werden zwischen „Arretinisch" im Allgemeinen
als Gattungsbegriff und „echt Arretinisch", d. h. in Arezzo selbst hergestellt.
Die Art der Technik wird hier niemals massgebend sein können, da sich auch
andere Orte Italiens dieser Industrie bemächtigt haben und die technische Her-
stellung im Wesentlichen tiberall die gleiche war. Es entscheiden die an Ort
und Stelle gemachten Funde. „Echt Arretinisch" sollten füglich nur diejenigen
Gefässe heissen, die in Arezzo selbst oder dessen nächster Umgebung (z. B.
in dem Ort Cincelli) hergestellt wurden. Mit Recht hat DragendorflF darauf
verzichtet, seiner verdienstlichen Arbeit ein Verzeichnis aller sicher Arretinischen
Stempel mit allen ihren Varianten beizugeben, da ihm das reiche Material,
das Bd. XI des CIL. bringen wird, nicht zur Verfügung stand. Er hält sich
im Wesentlichen an das Buch von Garaurrini*), der zuerst und bis jetzt als
der einzige den Versuch gemacht hat, die verschiedenen in Arezzo befind-
lichen Töpfereien zu sondern und zu gruppieren, die Lokalitäten der Fabriken
zu bestimmen. Spätere Funde haben diese Kenntnis erheblich vermehrt, und
heute lässt sich mit Hülfe des Materials von CIL. XI und XV ein wesentlich
deutlicheres Bild dieser Industrie gewannen. Ich halte es daher für nützlich,
das was sich sicheres aus den Funden ergiebt, hier in Kürze vorzutragen;
denn Dragendorffs Darstellung muss in mehr als einem Punkte berichtigt und
ergänzt werden. Als Bearbeiter der betreffenden Abteilung für Bd. XI des
Corpus hatte ich natürlich mein Hauptaugenmerk auf die Inschriften, die
Fabrikstempel, zu richten. Eine erschöpfende Behandlung, auch nach der
archäologischen Seite hin, beabsichtige ich nicht. Dazu bedarf es einer
erneuten gründlichen Untersuchung der im Museum von Arezzo aufgespeicher-
ten Schätze ornamentierter Gefässe. Auf der andern Seite muss betont werden,
dass auch jetzt noch nicht das inschriftliche Material abgeschlossen vorliegt,
dass neue Funde unsere Kenntnis der Arretinischen Industrie, ihres ümfanges
und ihrer Verbreitung über Italien und die Provinzen zweifellos bereichern
werden^).
Bevor ich mich zu den einzelnen figuli wende, wird es gut sein, um
spätere Wiederholungen zu vermeiden, das kurz zusammenzufassen, was die
bisherigen Untersuchungen über das Alter dieser Industrie, über Form und
Abfassung der Stempel u. s. w. ergeben haben*). Es darf jetzt als feststehend
1) Z. ß. in Puteoli (Dragendorff p. 54).
2) Le iscrizioni degli antichi vasi fittili aretini (Roma 1859).
3) Zu besonderem Danke bin ich Heinrich Dressel verpflichtet, dass ich die
ausserordentlich reichhaltige Abteilung der in Rom gefundenen vascula Arretina
(CIL. XV) verwerten konnte.
4) Ich verweise hierfür namentlich auf Drossel CIL. XV p. 702 f. und Dragen-
dorff p. 39 ff.
108 Max Ihm:
gelten, dass die Gefässfabrikation in Arezzo schon im 2. Jhdt. y. Chr. be-
gonnen hat nnd dass die Hauptbltttezeit das ganze erste Jahrhundert fHUt.
Ein Alterskriterium bietet namentlich die Farbe der GefUase; die mit schwar-
zem Firniss überzogenen sind die ältesten, eine Erkenntnis, die wir hauptsächlich
den auf dem Esquilin in Rom und beim Flusse Castro in Arezzo entdeckten
alten Nekropolen verdanken^). Die auf dem Esquilin gefundenen Marken
Q-Ar und C-V stehen auf Gefässen von schwarzer Farbe und kommen auch
auf roten Arretinischen vor^). Der Übergang von den schwarzen zu den roten
wird gegen Ende des 2. Jhdts. erfolgt sein ; jedenfalls aber wurden eine Zeit-
lang beide Sorten nebeneinander hergestellt, wie es auch die an dem 'Orcio-
laia' genannten Ort gemachten Funde beweisen^). Was dann die roten Gefässe
anlangt, so weisen nach Dressel diejenigen Stempel auf ein höheres Alter hin,
welche auf dem Boden des Gefässes mehrfach eingedrückt sind. Wir finden
eine ganze Anzahl Stempel vier-, fünf-, ja siebenmal wiederholt, und zwar
nicht nur einzeilige, sondern auch zwei- und dreizeilige*). Die Form aller
dieser wiederholten Stempel ist quadratisch oder oblong; nie findet sich,
wenigstens soweit ich das Material übersehe, die sonst so häufige Form der
Fusssohle wiederholt. Wir müssen danach das Aufkommen der Sohlenform
einer etwas jüngeren Zeit zuschreiben. Über die symbolische Bedeutung dieser
Sohlenform gehen die Ansichten auseinander. Wahrscheinlich soll sie, wie
schon Gamurrini angenommen hat, einfach den Besitz bezeichnen^), wenn es
auch nicht richtig ist, dass die Sohle nur mit dem Namen des Fabrikherm
vorkommt. Aber wenn auch Sklaven gelegentlich in dieser Form signieren,
so thun sie es doch auch nur im Namen ilires Herrn. So steht der zweizeilige
stadtrömische Stempel C. XV 5791 Felix \\ C, Volu8{eni) Mn planta pedis' und
in C. XI wird ein Stempel Aufnahme finden, der nach Gamurrinis Zeugnis die
Gestalt einer doppelten Fusssohle hat: Eroticius) \\ C. Volus. Doch sind das
Ausnahmen; im Grossen und Ganzen bleibt Gamurrinis Beobachtung bestehen,
denn die Sohlenform kommt fast nur mit dem Namen des Fabrikherrn vor^).
Jedenfalls muss auch den Formen der Stempel die Beachtung geschenkt werden,
die ihnen Dressel im CIL. XV hat zu Teil werden lassen. Wie mannigfaltig
sie sind, zeigt seine p. 703 gegebene Formentafel. Es überwiegen bei weitem
das Rechteck und die Sohlenform, aber daneben finden sich runde, ovale,
kreuzförmige, halbmond- und kleeblattartige u. s. w. Es muss beachtet werden,
dass in den verschiedenen Fabriken verschiedener Gebrauch herrschte. Die
1) Dressel, Annali d. Iiist. 1880 p. 265 ff. Gamurrini ebd. 1872 p. 270 ff.
2) Der Stempel GELT auf einem Gefäss 'a vernice bruna' (Dressel a. 0. p. 291)
ist gleichfalls Arretinisch.
3) Gamurrini, Not. d. scavi 1890 p. 63.
4) Z. B. Ä, Tili II figu{li)y A, Tili \\ figul{i) \\ Ai-t*et{ini).
5) Loeschcke bei Dragendorff p. 47 vermutet apotropäische Bedeutung.
6) Dragendorff p. 47 will einen in Sohlenform vorkommenden Stempel deuten
Krastus C. Ännif was sicher unrichtig ist. Der von ihm angeführte Stempel C. II
6257, 75 muss in Chrestus C. Anni emendiert werden (vgl. Dressel zu C. XV 4967).
Die Arretinischen Töpfereien. 109
ältesten weisen nie Sohlenform auf, desgleichen bedienen sich ihrer niemals
CalidiuSf die Annii, TelliuSj Tettius und andere mehr, während umgekehrt
eine ganze Anzahl von Firmen ausschliesslich oder fast ausschliesslich die
SohlenfoiTO anwendet (z. B. C. Amurius, P. Clodius Proculus, C. Clodius
Sabinus)] wie es scheint geiiören diese sämtlich der jüngeren Zeit an. Bei
andern schwankt der Gebrauch; bei A, Manneius, C. Murr ins u. a. tiberwiegt
die Sohlenfonn, bei P, Cornelius das Rechteck^).
Es war Sitte, die Gefasse mit einer Fabrikmarke zu versehen, die dem
inneren Boden eingedrückt wurde, wenn es sich um gewöhnliches Geschirr
handelte, während sie bei Relicfgefässen, auf der Aussenwand angebracht,
gewissenuassen mit zur Dekoration gehörte. Entweder dienten dazu bestimmte
Marken*) oder aber, und das ist die Regel, der Name des Fabrikanten, und
zwar steht dieser bald allein, bald in Verbindung mit dem Namen des Sklaven,
der das Geföss geformt hat. Aber in der Namengebung herrscht willkürliches
Schwanken. Wir finden bald die tria nomina (häufig abgekürzt), bald nur das
Nomen und endlich das blosse Cognomcn^). Die bedeutendsten unter den
Arretinischen Fabrikanten führen kein Cognomen, und das bestätigt die oben
gegebenen Zeitansätze. Name oder Namen des Herni stehen im Genetiv, nur
ganz vereinzelt im Nominativ, wenigstens soweit es sich um echt Arretinische
Waare handelt; in vielen Fällen giebt es aber keine sichere Entscheidung,
weil die Namen abgekürzt sind. Wird der Sklave mitgenannt, so ist der
Stempel fast immer zweizeilig, und zwar gilt als Regel, dass der Sklaven-
name im Nominativ dem Namen des Herrn im Genetiv vorangeht; nicht selten
folgt er aber auch nach und zwar im Genetiv, so dass in vielen Fällen der
Zweifel entsteht, ob wir es nicht mit einem Freigelassenen*) zu thun
haben, der mit den tria nomina signiert. Da aber der Sklavenname in einer
ganzen Anzahl von Fällen auch im Genetiv voransteht, so wird man auch da,
wo er folgt, an einen Sklaven zu denken haben, ganz abgesehen davon, dass
eine solche Masse angeblicher Freigelassenen von vornherein grossen Bedenken
unterliegt, was auch Dressel (CIL XV p. 703) zugeben muss. Ich begnüge
mich mit einem einzigen Beispiel. Wir finden nebeneinander
Potus P. Com. Pott P. Com.
P. Cor. Potus P. Com. Poti
also Potus, Sklave des P. Cornelius signiert auf vier verschiedene Arten.
Ausser den Namen finden sich gelegentlich sonstige Zeichen rein dekorativer
1) Eine eingehendere Untersuchung dieser Frage wird von CIL. XI u. XV auszu-
gpehen haben; in den übrigen Bänden ist die Form nur vereinzelt angegeben. Auch Mit-
glieder der nämlichen Gens gehen im Gebrauch auseinander; A. Titi steht nie in
Sohle, wohl aber C. Titi und L. Titi.
2) Eine Übersicht solcher figürlicher Fabrikmarken giebt Gamurrini, Not. d.
scavi 1890 p. 69. Auch Zahlzeichen finden sich, C. XV 5803 ff. Vgl. Pasqui, Not. d.
scavi 18% p. 463.
3) Belege bieten die weiteren Ausführungen zur Genüge.
4) Sichere Fälle von Freilassung werden unten erwähnt werden.
110 Max Ihm:
Natur, als da sind Zweige, kleine Sterne, Kränze^). Weitere inschriftliche
Zusätze gehören bei den echt Arretinischen Gefässen zu den Seltenheiten. Für
den Zusatz siei^vus) weiss ich nur einen Beleg in dem Stempel Cinna C. L.
Titiiprum) siervus) *), denn für Suru8 Sari L{uci) s^ervus) ') steht Arretinische
Provenienz keineswegs fest. Dagegen begegnen wir einige Male dem Zusatz
figulus oder figulus Arretinus oder bloss Arretinus^). Auch dass mehrere figuli
sich associierten, wird bezeugt durch Stempel wie Sura et Phüologua, L»
Oelli II L. Sempironi), Umbriciorumy Vibienorum ^). Das weibliche Geschlecht
kommt auch vor, aber ganz vereinzelt, sei es, dass die Patronin genannt ist,
oder eine Sklavin.
Aus der Form der Buchstaben lässt sich für die Datierung wenig ge-
winnen; sie sind bald eleganter, bald roher, selbst wenn es sich um gleich-
zeitige Erzeugnisse handelt. Auf Formen wie A und a möchte ich kein
Gewicht legen, wohl aber verdient in einigen Fällen die spitzwinklige Gestalt
des l hervorgehoben zu werden (C. XV 5323*. 5720*. 5770^ u. a.). Für ver-
tiefte Buchstaben weiss Dressel nur ein Beispiel anzuführen C. XV 5297*^
^•M-X33, ein Fabrikant, der schwerlich seinen Sitz in Arezzo hatte. Links-
läufige Inschriften sind auf den echten Arretina selten. Einzelne Buchstaben
stehen öfter verkehrt, was aber, wie Dressel mit Recht hervorhebt, nicht aus
dem Gebrauch beweglicher Lettern erklärt werden darf. Die Stempel be-
standen vielmehr aus einem Stück ^). Für die zweizeiligen Stempel gilt die
Regel, dass eine Zeile den Namen des Sklaven, die andere den des Herrn
enthält; nur selten ist davon aus Rücksicht auf den Raum abgewichen worden').
Ligaturen und Abkürzungen kommen massenhaft vor und finden ihre Erklärung
in dem knappen zur Verfügung stehenden Raum.
Dass manche Fabriken mehrere Generationen hindurch in der nämlichen
Familie blieben ist wahrscheinlich, auch dass mit den Fabriken ein Teil des
Personals durch Kauf in andere Hände überging. Doch darf man das letztere
nicht auf einen oder zwei Sklavennamen hin behaupten, noch dazu auf solche
Sklavennamen, die zu den allergewöhnlichsten zählen®).
1) Ein Stempel des Rasinius von Zweigen eingerahmt, Not. d. sc. 1894 p. 119.
Auch bei den Titii findet sich dergleichen, was Dragendorfif p. 48 in Abrede stellen
zu müssen glaubte.
2) Dressel zu C. XV 5677.
3) Gamurrini n. 347 (vgl. n. 346). In C. XV 5079» ist S eher Anfangsbuchstabe
von StrigoniSj ebenso unsicher die Deutung 5516. 5662. 5676.
4) Z. B. Senti figuli^ A, Tili figuli Arretini, Über die Zusätze officina und fecit
vgl. den Schluss dieses Aufsatzes.
5) Vgl. auch C. XV 5448.
6) Im Museum von Arezzo sah ich zwei.
7) Also Eros Cd^^di Str{igoni8\ Romdji{u8) L. Titi u. ö. Der Stempel
I'IILICIIIC^TMO
bedeutet Felicio C, T{itt) N{epotis).
8) Die beiden von Dragendorfif p. 49 angeführten Fälle (die Cornelii und Tettii
betrefifend) sind als zweifelhaft zu streichen.
Die Arretinischen Töpfereien. 111
Was die Verbreitung Arretinischer Waare in Italien und den Provinzen
anlangt; so darf selbstverständlich 'Verbreitung' nicht mit 'Export' verwechselt
werden, denn mancher italische Legionär mag sein heimisches Geschirr mit
in die Fremde geschleppt haben. Aber wo Arretina in grösserer Zahl auf-
treten, wird man mit Export zu rechnen haben. Das trifft ausser für Italien
(und hier besonders Rom) namentlich zu für Spanien und Sudfrankreich,
weniger für Afrika, den Orient, die Donauländer, das übrige Gallien oder gar
Britannien, das mit Rom erst in Verbindung trat, als die Blüte der Arretini-
schen Industrie bereits erloschen war, wenn auch, wie wir sahen, vasa Arretina
noch zur Zeit Martials einen gewissen Ruf genossen.
Nach diesen einleitenden allgemeinen Bemerkungen wende ich mich zur
Besprechung der einzelnen Arretinischen Figlinen, soweit sie sich mit Sicher-
heit oder Wahrscheinlichkeit lokalisieren lassen.
Reste antiker Töpifereien in Arezzo sind bereits im Mittelalter entdeckt
worden. Als erster berichtet darüber, wie es scheint, Ser Ristoro d'Arezzo, der
um die Mitte des 13. Jahrhunderts sein handschriftlich erhaltenes ^Libro della
compositione del Mondo" verfasste und darin des Fundes zahlreicher Scherben
Arretinischer Töpferwaare Erwähnung thut, unter Berufung auf die oben
angeführte Isidorstelle ^). Weitere Funde („e ancora se trovano") erwähnt
kurz (etwa 100 Jahre später) Giovanni Villani*). Aber weder er noch Ser Ristoro
melden etwas von Inschriften, die sie auf diesen Scherben gesehen hätten.
Erst im Jahre 1492 wurde in Gegenwart von Johann Medici, dem späteren
Papst Leo X, am Ufer des Castro bei der Brücke „delle Carciarelle" ^) ein
ausgiebiger Inschriftenfund gemacht, durch den wir die Offizin des Calidius
Strigo kennen lernen. Wir haben darüber den handschriftlichen Bericht des
Attilio Alessi (CIL. XI p. 335), aus welchem Gori, Gamurrini u. a. die In-
schriften mitgeteilt haben. Dass sich die Fabrik wirklich an jener Stelle be-
funden hat, ist neuerdings durch weitere Funde bestätigt worden*). Ebendort
scheint die Fabrik eines Domitius gewesen zu sein, der aber neben Calidius
kaum in Betracht kommt ^), da wir von ihm nur wenige Sklaven kennen^), während
Calidius über mindestens 20 verfügte, unter denen sich des meisten Rufes
erfreuten Profus und Synistor, Diese beiden Namen kommen öfters allein
ohne den Namen ihres Herrn vor, und wahrscheinlich sind sie später frei-
gelassen worden, worauf die Stempel Mam{a) Sinisitoris) und Hil{ ) Pro{ti)
hinzuweisen scheinen, falls nicht im ersten STRIG statt SINIS zu lesen ist. War
1) Pignotti, Storia della Toscana I p. 144. Fabroni, Storia degli antichi vasi
fittlli arctini (Arezzo 1841) p. 12 flf. V. Funghini, Degli antichi vasi üttili aretini (4. ediz.
Firenze 1893) p. 8.
2) Pignotti I p. 146. Fabroni p. 16.
3) Vgl. Gamurrini, Notizie degli scavi 1890 p. 65 f.
4) U. Pasqui, Not. d. sc. 1894 p. 121 ff.
5) Es wäre übereilt, die verschiedenen Domitii (ein Velox DomiHoru(m) CIL. X
8066, 370) mit dem Arretinischen figulus zu identifizieren.
6) Ly8imacu{8) Dom(iti) in Rom, C. XV 5181.
11^ Max Ihm:
der in Rom erscheinende I\ Calidiu^ Eros C. XV 5080') früher Sklave unseres
Calidius^), so hätten wir damit das Praenomen des Mannes; Ganmrrini (zu n. 230)
wollte L[uciu8) ersehliessen aus dem Stempel BVCCIL || CALIDI j in dessen erster
Zeile eher ein Name wie Buccil{u8) oder Buccü{lä) steckt'). Der Fabrikherr
signiert häufig allein mit dem blossen Nomen {Calidi, Calid.y Cal, u. a.), ein-
mal mit Nomen und Cognomen Cdlidi Strigionis). Wird der Sklave mit-
genannt, so ist der Stempel in der Regel zweizeilig. Folgende Beispiele mögen
die verschiedene Fassung der Stempel veranschaulichen : Felix \\ Calidij Meno-
la{u8) II Strigoniis) neben Menola\\us Cdlidi^) und Memelavos^) || Calidiy Sasa
Calidi neben Sasa Calidi Str{igonis), Telamo Cdlidi neben Telamo Cdlidi
Sitrigonis)^), Strigo ist gut römisch und gehört zu den zahlreichen nomina
pers., die vornehmlich der Sprache des Volks eigen waren'). Die Fabrik des
Calidius fertigte, wie es scheint, nur gewöhnliches Tafelgeschirr ohne figürlichen
Schmuck; die Verbreitung der Waare beschränkt sich auf Rom und vereinzelte
Stücke in CIL. II 4970, 492; V 8115, 122; X 8056, 177. 619»). Die Namens-
form Memelavos weist noch in republikanische Zeit, was durch einen Grabfund
in Vulci eine Stütze erhält^). Ausser den schon erwähnten Sklaven nenne ich
noch: Faustus, Herm( ), Lysimaicus), Mama^ Masa, Nicepo{rus)^^)y Onirus,
Peleus, Phile{ro8?), Severus, Stabili(8 oder io), also eine ganz stattliche Anzahl.
Eine neue grosse Fabrik wurde im vorigen Jahrhundert von dem Arre-
tiner Francesco Rossi bei dem Orte Cincelli (etwa 8 km von Arezzo) auf-
gedeckt, die des P. Cornelius, eine der bedeutendsten („trovö le fomaci, i
trogoli 0 vasche e gli utensili deir arte")^^). Wir kennen drei Männer dieser
gens, Marcus, Lucius und Publius. Der erste ist bis jetzt für Arezzo und Um-
gebung nicht nachgewiesen^^). Da aber von L. Cornelius eine ^tazza nerastra'^
1) Gamurrini Vasi n. 380 liest Causidius, die Abschrift im CIL. XV von De Rossi.
2) Vgl. den Stempel Eros Calidi Str(igonis) bei Gamurrini n. 267.
3) Vgl. CIL. III 1732. V 6565. XII 5686, 143.
4) Eph. epigr. VIII p. 67.
5) So, nicht Menelavos (C. XV 5076), mit vulgärer Aussprache.
6) Schwerlich s{ervus)j s. oben.
7) Nicht wenige der Appellativa auf o, onis kehren bekanntlich als Eigennamen
wieder; der Arretinische Töpfer ergänzt also die von Fisch (Die latein. nomina person.
auf o, onis cap. VII) gegebene Liste und bestätigt die von Turnebus bei Festus
(p. 314) und Paulus (p. 315) vorgenommene Änderung (Paulus: Strigones i. e. densa-
rum virium hamines). Vgl. Ribbeck, Trag. Rom. fr.*^ p. 270. Fisch (p. 27 f.) verwertet
mit Recht das Graffito CIL. XI 739 m.
8) Zu emendieren in lucundus Calidi,
9) Heibig, BuU. d. Inst. 1883 p. 45. Hier wurden mit einem Gefäss des Protus
Calidi zwei republikanische Asstückc gefunden.
10) Kommt auch allein vor (Gamurrini n. 242).
11) Pignotti, Storia d. Toscana I p. 147 AT. Fabroni p. 21 ff. Vgl. Inghirami Mo-
num. Etr. vol. V p. 1 ff. (Abbild, scr. V tab. I).
12) Ich kenne nur die stadtrömischen Stempel C. XV 5114 Eros M. Cor(neli) und
5115 M. Corne{li) Phrasti und einen aus Tarent Eph. epigr. VIII n. 244, 2 M, Cor, \\ Samo.
Die Arretinischen Töpfereien. Il3
bei der Arnobrücke 'a Buriano' (unweit Cincclli) gefunden wurde ^), und Marcus
und Lucius zeitweise ihr Geschäft in Compagnie betrieben zu haben scheinen^),
wird ihre Heimat wohl in der Gegend von Arezzo zu suchen sein. Jedenfalls
war Publius der Hauptfabrikaut^). Eine gewaltige Menge von Scherben von
gewöhnlichen und dekorierten Gefässen und von Formen lieferten die Aus-
grabungen, welche der Ingenieur Vincenzo Funghiui 1883 und 1892 ver-
anstaltete; das Museum in Arezzo verdankt ihm manche Bereicherung^). Nahe
bei Cincelli befand sieh die Fabrik eines C. Tellius am 'ponte a Buriano'.
Die von Gamurrini veröffentlichten Funde (Not. d. sc. 1883 p. 138 flF.) berech-
tigen zu dem Schluss, dass diese Fabrik später in den Besitz des P. Cornelius
überging und mit ihr die Sklaven Anteros, Attice, Epigonus, Eros, Gemellus,
Germemus, Inventus, Phileros und wohl noch andere*^). Im Ganzen kennen
wir bis jetzt von P. Cornelius an 40 Sklaven, unter denen folgende vornehmlich
Reliefgefässe hergestellt haben: Antiocus% Fausttis, Heraclida'^), Primus^)
und Rodo^). Eines der von Rodo gefertigten Geßlsse verdient besondere Be-
achtung, weil zwischen den Oraamenten in mehrfacher Wiederholung ein
Medaillon mit dem Kopf des Octavian und der Umschrift AVGVSTVS angebracht
ist^®), woraus wir sehen, dass die Fabrik noch zur Zeit des Augustus bestand.
Gamurrinis Annahme, dass Cornelius ein Freigelassener des Sulla war und
mit den Cornelischen Colonisten nach Arezzo kam, kann deshalb doch richtig
sein^^. Massenhaft kommen Gefässe und Scherben mit der blossen Signatur
P. Corneli (so und mannigfaltig abgekürzt) vor, wobei die grosse Seltenheit
der Sohlenform auffallt. Häufiger steht das blosse Corneli in Sohlenform, so
dass man fast zweifeln kann, ob dieser mit Publius identisch ist, zumal sich
das blosse Corneli in der Umgebung Arezzos nur selten findet. Der Export
des F. Cornelius erstreckte sich hauptsächlich auf Rom (C. XV 5116 — 5151),
aber auch andere Corpusbände weisen Belege auf, besonders II und X (Eph.
epigr. VIII n. 244, 3).
Auch die Töpferei des C. Cispius (oft ohne Praenomen) soll, wie Gamurrini
annimmt, später in den Besitz des P. Conielius übergegangen sein^^), wofür
1) Gamurrini, Not. d. sc. 1893 p. 141 n. 18.
2) CIL. II 6257, 49 M. Cor, || L, Corne (ob richtig kopiert?).
3) Von Lucius kenne ich nur noch 2 Stempel aus Rom XV 5113 und den von
Gamurrini n. 9 ohne nähere Fundangabe mitgeteilten L, Corneli \\ Casart (ob Casa-
rius?). In CIL. II 4970, 149 ist das Praenomen L. in P. zu ändern.
4) Funghini a. 0. p. 13 ff. Vgl. Gamurrini, Not. d. scavi 1883 p. 140.
5) Ein Monianus in Rom C. XV 5620. Anteros kehrt wieder C. X 8056, 32 (pa-
tera uMguA, auf der Insel Ustica bei Sizilien). Die andern Bände des Corpus liefern
kein Material.
6) Abbild, bei Inghirami, Monum. Etr. ser. V tab. I 4. Fabroni Taf. VIII. Funghini
Taf. n. 63. Von demselben rührt her CIL. XV 4987 d (aber nicht a. b. c. e).
7) Mit diesem nicht identisch C. XV 5250.
8) Fabroni Taf. I 6; IX 112. 129.
9) Fabroni Taf. I 3 ; IX 95.
10) Gamurrini, Not. d. sc. 1894 p. 49. Funghini p. 22 (Abbild. Taf. n. 62).
11} Dragendorff p. 50.
Jalirb. d. Ver. y. Aiterthafr. Im Bheinl. 108. 8
\
114 Max Ihm:
aber zwingendere Beweise abgewartet werden müssen. Seinen Sklaven Comunh
kennen \nr als Verfertiger ornamentierter Vasen'). Andere Stempel nennen
als Sklaven des Mannes Cacinus, Chrif{ ), Corumbus, Epapr{ä), EroSy Hüarus
(oder 'io)j Optatus, Viel Verbreitung hat sein Fabrikat nicht gefunden (CIL. V.
X. XV). Mehrfach fand sich in Arezzo und Cincelli der zweizeilige Stempel
C. Cispi II L, Cae^ius. unter Caesius, dessen Namen ich sonst auf Arretinischen
Gefössen nicht nachweisen kann, können wir uns mit Gamurrini (p. 49) einen
Pächter des Cispius vorstellen. Dragendorff rechnet (p. 40) die Geßlsse des
Cispius zu den ältesten diescM- Gattung, weil von ihm auch schwarze GeßLsse
vorkämen. Das gilt aber nur für die Gefässe mit dem oblongen Stempel Ruf.
Cis., und ob hierfttr Gamurrinis Erklärung^) Rufiufi) Ch{pi) das Richtige trifft,
scheint mir nicht so selbstverständlich').
Die Hauptschätze einheimischer Waare verdankt das Museum von Arezzo
der Fabrik des M. Perennius*) und seiner Nachfolger. Die Hauptfundstelle
liegt bei der Kirche S. Maria in Gradi, und hier haben sich, wie die zahlreichen
Bruchstücke von Formen beweisen, die Töpferöfen befunden»'^). Der Schwer-
punkt der Offizin lag in der Herstellung von Reliefgefässen, die z. T. nach
vortrefflichen griechischen Mustern gearbeitet sind''). Exportiert wurde haupt-
sächlich nach Spanien und Südfrankreich. In Rom sind andere Arretinische
Fabrikanten häufiger vertreten als Perennius, aber neue Funde können das
Verhältnis natürlich umstossen. Wie es scheint, hat Perennius auch in Cincelli
eine Töpferei besessen, da unter den Scherben des Cornelius sich auch Formen-
stücke des Perennius gefunden haben'). Was die Fabrikstempel im Einzelnen
anlangt, so finden wir zunächst den Namen des patronus allein, teils aus-
geschrieben, teils in mannigfacher Weise abgekürzt*), auf der Aussenseite
1) C. X 805G, 93. Fragmente mit CISPI und COMVNIS kopierte ich in Arezzo.
Lautet der in Paris gefundene Stempel COMMVNIS (Dragendorfif p. 51), so haben wir
es wohl mit einem anderen figuius zu thun; denn der Arbeiter des Cispius schreibt
sich, so viel ich sehe, nur mit einem M.
2) p. 48 zu n. 285.
3) Derselbe Mann signiert auch Ruf. C. in Sohlenform auf roter Waare.
4) Das Cognomen fehlt wie bei den meisten bedeutenderen Arretinischen
Töpfern. Mau hat es willkürlich aus dem Stempel ^f. 1*. Capito erschliessen wollen
(Gamurrini, Not. d, sc. 1883 p. 268, dem Dragendorff p. 44 folgt).
5) Fundberichte liefern Gamurrini, Not. d. sc. 1883 p. 265; Bull. d. Inst. 1884
p. 4i). Pasqui, Not. d. sc. 1884 p. 309 ff. (Taf. VII— IX). 1894 p. 93. 1896 p. 453 ff. (hier
p. 455 ein Orientierungsplan). Die der Kirche benachl)arte Örtlichkeit hiess im Mittel-
alter Campus gratiziate oder gratizate, die Kirche S. Maria in graticiata, in craticulis,
in cratibus, in cratis, modern in Gradi. Der XI. Band des Corpus wird noch mehr
Material bringen, da die Funde in den Notizie nur teilweise veröffentlicht sind. Für
die Funde von 1886 und 1887 existiert ein handschriftlicher Katalog von Angelo
Pasqui im Museum von Arezzo.
6) Für das Archäologische verweise ich auf Dragendorffs Abhandlung, Kap. IX.
7) Nach (lamurrini, Not. d. scavi 1883 p. 269, dem Dragendorff p. 50 beipflichtet,
soll auch diese Töpferei in die Hände des Cornelius übergegangen sein.
8) M. Perenniy M. Peren., M. Pere., M. Per.^ M. Pe.\ zahlreiche Ligataren (z. B,
Die Arretinischen Töpfereien. 115
dekorierter Gefässe und im Boden von undekorierten. CIL. XI wird an 50
Varietäten aufweisen, Sohlenform kommt nicht vor. Folgende Sklaven arbei-
teten für ihn: 1) Argines (vor- oder nachgesetzt, das Praenomen des Herrn
fehlt bisweilen). 2) Cerdo. Seine Spezialität bilden die mit den Bildern der
9 Musen geschmückten Vasen, und zwar entstammen diese Musen einem Cyclus,
in dem sie mit Herakles vereinigt waren. Die griechischen Beischriften lauten
HpaKXii^ Mo<Ju)v, EuiepTTfi, KX^u), KaXioirri, Eparu), TToXujuiveia, ©epipiKopTi, 0aXTia,
M€X7ro)i€VTi, Ou[pavia]^). Andere Stücke des Cerdo zeigen figürliche Darstellun-
gen mit den Beischriften KNGIAIA und AGCBGIA. 3) Eros (Arezzo und Cin-
celli). 4) Felix, fertigte Gefässe mit einfacheren Ornamenten 2). 5) Hüar{ ),
6) Homerusi?), Fundort unsicher (Not. d. sc. 1883 p. 268). 7) Man{ )? Der
Stempel M. Per. || Man auf einfach verzierten Gefässen^). 8) Nicephorus. Seine
Reliefs weisen u. a. Jagdsceuen auf*). 9) Pilades. Vasen mit Darstellungen
Dionysischer Opfer ^). 10) Pilemo, Fertigte dekorierte Gefässe. 11) Sälvius,
nur durch einen vielleicht nicht richtig kopierten Stempel bekannt (Not. d. sc.
1894 p. 121 n. 18). 12) Saturninusy welcher ebenfalls dekorierte Getässe
herstellte, und, wie es scheint, später freigelassen wurde, da Stempel M. Pe. Sa
und ähnlich in Sohlenform vorkommen^). Dasselbe gilt von 13) Crescens
oder Crescent( ), dessen Signatur auf einfachen und ornamentierten Vasen
ziemlich häufig wiederkehrt und öfter in Sohlenform M. Per. Cr. und ähnlich ').
Das meiste Renommee unter den Arbeitern des Perennius besass jedenfalls
14) der Asiat Tigranes, wobei ich aber bemerken muss, dass ich bis jetzt keinen
Stempel kenne, der in klarer Weise das Verhältnis des Sklaven zu seinem Patron
ausdrückt, denn Tigrani (oder abgekürzt Tigran., Tigra., Tigr.) steht immer nach
den Namen M. Perenni (oder abgekür/.t Peren. und ähnlich). Er signiert nicht in
Sohlenform. Die Gestalt der Buchstaben ist auf manchen Stempeln eine ähnlich
Dachlässige wie auf denen des M. Perennius. Die Möglichkeit bleibt somit bestehen,
dass M. Perennius und M. Perennius Tigranes ein und dieselbe Person bezeichnen.
Unter den Darstellungen seiner Vasen hebe ich hervor: kämpfende troische
M. FE in einer Gruppe); das Praenomen fehlt nie, wie es scheint; ein zweizeiliger
Stempel lautet Marc, Peren. Die Buchstabenformen schwanken, auf vielen Stempeln
hat M senkrechte Hasten, auch die ganz schlechte Form (V) ündet sich.
1) Näheres bei Dragendorfif p. 70, der seine Liste nach Kai bei Inscr. Gr. It.
2406, 28—46 hätte vervollständigen können. Es sind nur Bruchstücke erhalten, aber
sehr zahlreiche. Abbildung eines Fragments Not. d. sc. 1884 Taf. VIII 2, Roschers
Lexikon U p. 3267.
2) Not. d. scavi 1896 p. 463.
3) Not. d. scavi 1896 p. 466 n. 26. Wenn richtig kopiert, vielleicht Mancia.
4) Not. d. sc. 1884 Taf. Vin 3. Vgl. Dragendorff p. 73.
5) Dragendorff p. 61.
6) Vgl. C. III 12014, 425. X 8056, 253. XV 5545. Gazette arch^ol. 1880 p. 219 t. 33.
Der Stempel MP3 Bonn. Jahrb. 101 p. 19 darf schwerlich auf ihn bezogen werden.
7) Auf Reliefgefässen M. Peren. Crescent. und Crescenf. M. Peren. Vgl. C. II
4970, 380. III 12014, 424. V 8115, 88. VIII 10479, 44.
11^ Max Ihm:
Helden, mit den lateiDiscben Beis^'lirifteD Acäes, Hectory Diomedes^j. Ein
Stock weiift den Stempel J/. Perennl Tigrani auf und die Beste dreier Mosen
mit den Beiscbriften TepiiiiKopn nnd OciXna« offenbar das Werk des oben
genannten Cerdo, dessen Name anf dem Gefäss nicht gefehlt haben wird.
Wir mfl»ien also entweder annehmen, dass als Name des Patronos bald
M. Perenni bald J/. Perennl Tigrani gewählt wnrde, oder aber, dass der Sklave
Cerdo später in den Besitz des Tigranes überging. Dasselbe gilt von Bargate»
''oder liargathes) *;, der (meist anf Relief gefässen» Bargate M. Peren., J/. Pereni i|
Dargatiy aber auch Bargate M. Ttgrianii und ähnlich zu signieren pflegt').
Zu dieser Gruppe gehören femer die Sklaven Bello und Menophilus\ denn
neben Bello Peren{ni) steht Bello Tigrani (zweizeilig auf gewöhnliehen Ge-
fässeu' und neF>en Menophil. M. Perenni) Tigrani (dreizeilig) finden wir in
Arezzo Menophil(us) Tigrani 'zweizeilig) und in Spanien Menoph. Perenni*)j eben-
falls anf undekorierten Gefässen.
Einer sorgfältigen Untersuchung des Stils der verschiedenen Reliefgefässe
wird es gelingen, die Zeitfolge der verschiedenen Fabrikanten genauer zu
fixieren. Vielleicht nimmt sich Dragendorff der Sache an und entscbliesst sich
zu einer Umarbeitung des betreffenden Abschnitts. Pasqui (Not. d. sc. 1896
p. 464; glaubt folgende Reihenfolge feststellen zu können:
1. M. Perennius, signiert im Innern von Tassen und Tellern.
2. Hessere Erzeugnisse nach griechischen Vorbildern liefern seine gleich-
zeitig arbeitenden Sklaven Cerdo, Piladesy Pilemo, Nicephorus.
3. Ihr Nachfolger ist Tigranes.
4. Mit Bargates, einem Arbeiter des M. Tigranes, als dieser freigelassen
war, beginnt die Dekadenz, die erreicht wird unter
f). (Jrescens und Saturnintis.
Dass diese letzten zu den jüngsten gehören, beweist auch die Form der
Stempel, denn M. Perennius und Tigranes signieren im Boden der Gefösse nie
in Sohlcnfonn, wohl aber Saturninus und noch häufiger Crescens. Den M. Pe-
rennius setzt Gamurrini (Not. d. sc. 1883 p. 269) in Sullanische Zeit unter Be-
rufung auf einen in seiner Fabrik gefundenen as uncialis.
Annii unter den Arretinischen Töpfern begegnen drei, von denen dem
C\ AnniuH die meiste Bedeutung zukommt. Seine Fabrik darf mit ziem-
licher Sicherheit in der Nähe der Kirche S. Francesco an der via Guido
Monaco angesetzt werden^). Er hat auch Reliefgefässe gearbeitet, und zwar
1) Hiernach zu ergänzen die Notiz Dragendorffs p. 70 Anm. 2.
2) Sei» Landsmann ist der Ityräer Bargathes Regehali f[ilius) eq{ue$) alae Äu-
yitutffif) Hyraeorum domo Ityraeus C. III 4371 (= Dessau 2511). Auch Barcat. findet
sich, (MII .%r)8. X 8214.
:J) V^ri. c. II 4971, 2. 9. X 8056, 269. XV 5422 (mehr in Bd. XI). Auch in Porapei
hat sich der Stempel BARCAE (lies BARCA"E) gefunden, X 8055, 11. Proben seiner
Kunst sind ab«^el)ildet Notizie degli scavi 1896 p. 458 ff.
4) V II 4970, 319b (319c gehört nicht dem Perennius, sondern L. Tettius).
5) (Janiunini p. 28. Ein Töpferstempel CISSVS || C ANNI wurde 1868 auf der
piazza (luido Monaco gefunden.
Die Arretinischen Töpfereien. 117
f^ind dieselben signiert teils mit dem blossen (7. Anni (vorausgesetzt^ dass nicht
auf den verlorenen Stücken noch der Sklavenname gestanden hat, was ich für
wahrscheinlich halte), theils mit Chrestus (z. B. C. XV 4967), Cissus, Crencens
(II 6258, 4), Pantagatus (Not. d. sc. 1892 p. 375. C. XII 5686, 671). Ausser-
dem kommen noch über 20 andere Sklavennamen vor^), griechische wie
römische. Weniger kennen wir von L, Annius, der ebenfalls Reliefgefösse
anfertigte. Zwei Formen wurden bei der Brücke *a Buriano' gefunden (siehe
oben), andere Funde weisen auf die via Guido Monaco. Die Reihe der Sklaven,
welche C. XI bringen wird, muss hauptsächlich aus C. XII und XV ergänzt
werden. Noch weiterer Verbreitung erfreut sich die Waare des Sex. Annius^),
von dem Reliefgefösse nicht vorzukommen scheinen; die Zahl der bis jetzt
bekannten Sklaven ist gering (2 — 3). Ausserdem finden wir die Signatur
Anni ohne Praenomen (allein und mit den Sklaven Auctus und Menolaus),
auch auf ornamentierten Gefässen, und einen Annius Crisptis, den ich für
Arezzo nicht nachweisen kann^). Zeit und Verwandtschaft dieser Annii zu
bestimmen, ist vorderhand aussichtslos; vielleicht sind die Stücke ohne Prae-
nomen die ältesten. Übrigens hat kein Stempel der Annii Sohlenform, was
ebenfalls für bessere Zeit (1. Jhdt. v. Chr.) spricht.
Wenn dieses Kriterium gilt, dann gebührt auch unter den verschiedenen
Mitgliedern der gens Titia*) die Priorität dem A, Tifius, der nie in Sohlen-
form signiert. A. Titi, A, 'Fiti figul{i)y A. Tili figul{i) Arret(ini) lauten seine
weitverbreiteten Stempel^), die oft mehrfach auf dem Boden der Teller wieder-
kehren. Das L in figuli hat einigemale spitzwinklige Form, woraus man aber
keine tibereilten chronologischen Schlüsse ziehen darf. Ob der Mann seine
Fabrik an der 'Fönte Pozzolo' genannten Ortlichkeit gehabt hat, bleibt vor-
derhand zweifelhaft. Sklaven kommen nicht vor^). Die wenigen von Sex.
Titius bekannten Stempel geben zu keiner Erörterung Anlass'). Ausserdem-
begegnen noch die Vornamen C, L. und Cw., der letzte sicher ein Spätling,
mir nur bekannt in der Form Cn. liti lusculi^). Was den Gaius anlangt, so
liegt es nahe, die Stempel C. 2W^) auf den häufiger vorkommenden C. Titius
Nepos zu beziehen. Auch dieser Nepos, der tria nomina wegen wohl jünger
als Lucius, Sextus und Aulus, ist bis jetzt für Arezzo nicht sicher nach-
gewiesen, obwohl er eine ansehnliche Fabrik besessen haben muss. Denn aus
1) CIL. IL X. XL XII. XV.
2) CIL. IL IIL IX. X. XIL XV.
3) CIL. IL XII. XV. Auch am Rhein, Bonner Jahrb. 101 p. 13.
4) Titii aus Arezzo z. B. Brambach 336; CIL. VI 2661; XI 1894.
5) CIL. IL VIII. IX (vgl. Eph. epigr. VIII p. 244). X. XI. XII. XV (in Bd. XI
hauptsächlich Arezzo und Rimini).
6) C. II 4970, 132 CINNi A TITI ist doppeldeutig, wenn richtig kopiert; ebenso
kein Verlass auf II 6257, 60 (vgl. XV 5671), und 6257, 198 muss PLOVT in FIGVL
geändert werden.
7) Gamurrini n. 27-29. CIL. IX und XV.
8) Xn 5686, 885. XV 5666 (vgl. 5681 L. Titi lusdi).
9) In Arezzo nicht sicher nachweisbar; C. X. XV.
118 Max Ihin:
den andern Coi*pu8bänden ergeben sich für ihn mindestens 15 Sklaven, unter
denen envähnt seien Caca (X. XV und in Bomarzo), Felicia (IX, 1 Exemplar
vielleicht aus Arezzo), Fortiunatu8?y)y Herm{ )*), Hilaru8{4o?y), Nasta (XV,
1 Exemplar vielleicht aus Arezzo), Orestes (XV und Bomarzo), Phylad{ )*),
PriscuSf ProhatuSf Seleucus^).
Für Lucius endlich liefert zwar Arezzo eine grössere Anzahl Fundsttlcke,
aber danach die Örtlichkeit der Fabrik zu bestimmen, seheint mir zu gewagt.
Gamurrini p. 16 setzt sie bei der 'casa Buffoni' an ('nella parte di mezzo-
gioiTio bagnata a dcstra dal Castro fuori delle antiche mura di Arezzo').
Andere Fundstellen sind S. Maria in Gradi. Fönte Pozzolo, Carciarelle. Mehr
als einer der zahlreichen Arbeiter dieses Mannes scheint seine Freilassung
erreicht zu haben, z. B. ein Copo ^), ein Ia{vuarius?) u. a. ; fest steht es für
Thyrsus, denn neben dem Stempel Tyrsi L. Titi finden wir L. Titi L, l, Jhyrsiy
L. Titi Tyrsi, L. Tyrsi und ähnlich. Es ist auflfallend, wie häufig diese und
andere Namen in abgekürzter Form erscheinen''). Jedenfalls verfügte er über
eine sehr stattliche Arbeiterzahl. Reliefgefässe hat, wie es scheint, keiner
dieser Tita angefertigt. Im Museum von Arezzo sah ich ein schönes Stück
aus der Fabrik des Lucius, ein grosses cylindrisches Geföss ohne Verzierung,
dessen Deckel den Stempel trägt. Auf die Stempel, welche den Vornamen des
Titius verschweigen, gehe ich hier nicht näher ein; zum grössten Teil werden
sie wohl auf Lucius zu beziehen sein®), dessen Waare bis an den Rhein ge-
langt ist. Die hier bei Neuss gemachten Funde weisen auf Augustische Zeit*).
Vielleicht ist Aulus der Vater der Töpferfirma, Lucius der Sohn und Gaius
der Enkel, als den ihn ja auch das Cognomen zu bezeichnen scheint.
Ebenso dürften C. und L. Tettius irgendwie mit einander verwandt ge-
wesen sein, wenn auch bis jetzt für den ersten Fundstücke in Arezzo fehlen*®).
.Ein ornamentiertes Fragment mit dem Stempel L-TETTEI wurde in der via
Guido Monaco gefunden*^), andere au der piazza S. Agostino**), ein Stempel
1) II 4970, 203. XV 5656. Auf keinen Fall darf an den Lampenfabrikanten
Fortis gedacht werden, vgl. Marquardt Priv.* p. 663.
2) XV 5664 C. Titi \\ Herm.^ also unbrauchbar als Beleg für den Namen Hermes
(Dragendorff p. 49).
3) II 4970, 232. XV 5657.
4) XII 5686, 883.
5) Diese drei in Bd. XV.
6) L. Titi Copo und dann oft abgekürzt (auch in Sohlenform) L. Ti, Co., L. Ti, C,
und L. T, C.
7) Fa. L. Ti., Oa. L. TL, L. TL la., Ma. L. TL u. s. w.
8) Der Stempel Titioi-tim C. III 6010, 220. In Rimini Cinna{mus?) C, L. Titi-
{oruni) s{ervus)?, vgl. Dressel zu XV 5677.
9) Bonner Jahrb. 101 p. 21. Dragendorffs Bemerkung p. 49 über einen Fund in
einem Grabe in Vulci beruht auf Versehen.
10) C. XV 5628 C. Tetti, 5629 C. Tttti \\ Prin{ceps). In C. II 6257, 143 wird C für
L verlesen sein.
11) Not. d. sc. 1894 p. 119 n. 40.
12) Hier möchte Gamurrini p. 34 die Fabrik ansetzen.
Die Arretiuischen Töpfereien. 119
L. Tetti II Samia an der Brücke delle Carciarelle. Also auch für L. Tettius
reichen die Funde nicht aus, um den Platz seiner Fabrik zu bestimmen, die
übrigens nach der Zahl der Sklaven zu urteilen nicht unbedeutend gewesen
sein kann. Weitaus am häufigsten begegnen wir dem Namen Samia^), Da
Tetti mit Samia und Menophilus auch ohne Praenomen vorkommt, werden
auch die wenigen andern Stempel, die das Praenomen auslassen^), dem Lucius
zuzuschreiben sein. Die Form Tettei (vgl. Vergilei, municipei in CIL. I)
spricht für republikanische Zeit, aber noch unter Augustus kann die Fabrik
floriert haben').
Zu den bekannteren Arretiuischen Töpfernamen geliört Rasinius, der,
was die Zahl der Sklaven anlangt, nur hinter P. Cornelius zurücksteht. Auch
diese gens liefert vei-schiedene Vertreter der Branche. Frühestens der Augusti-
8chen Zeit dürfte L. Rasinius Plnanus angehören, dessen Cognomen nach Pisa
weist, der aber doch wohl in Arezzo zu Hause gewesen sein wird. Wenigstens
ist dort ein Formenfragment mit dem Stempel Pisan{i) bei der Kirche S. Fran-
cesco aufgetaucht*). Sonst sind Funde in Arezzo selten, häufiger in Rom'*);
die Pompejanischen (X 8055, 36) bestimmen den terminus ante quem, die
Neusser (Bonner Jahrb. 101 p. 19) führen bis auf Augustische Zeit zurück.
Viel weniger zahlreich sind die Stempel C. Rasini^) (ohne Cognomen), der
etwas älter sein mag und vielleicht identisch ist mit dem ohne Vornamen
und Beinamen signierenden Rasinius, der massenhaft exportiert und etwa
40 Arbeiter beschäftigt hat'). Fonnenbruchstücke sind mehrere bei der Kirche
S. Maria in Gradi gefunden worden, so dass hier die Fabrik anzusetzen ist,
also in der Nachbarschaft der Töpferöfen des Perennius. Dekorierte Gefässe ®)
fertigten hauptsächlich an die Sklaven Isotimus, Mahes, Pantagatus, Phar-
naces, Quartio und vielleicht Salvius^). Von bemerkenswerteren Namen er-
1) C. IL V. IX. X. XII. XV (hier über 20 Ex.). Eph. epigr. VIII n. 244, 11. Not.
d. sc. 1887 p. 293. Bonner Jahrb. 101 p. 21 (2 Ex. bei Neuss). Von andern erwähne
ich Aqutus^ Crito, Eutucus (neben Euticus), Hilarus (Not. d. sc. 1895 p. 404), Meno-
philus, Famphilus, Phileros, Quartio, Rustivus und Sarivn (C. II 4970, 456 u. XV 5636).
2) C. XV 5639 Tetti, 5640 Cimhe[r) \\ Tettif). XII 5686, 873 Tetti. Dagegen C. XV
5641 gehört dem L. Titius und in 5644 lautete der Vorname wohl C.
3) Vgl. die Neusser Funde, Bonner Jahrb. 101 p. 21.
4) Die Stempel haben mannigfache Form, auch die der Fusssohlo; ganz aus-
geschrieben sind Nomen und Cognomen selten, auch die Stempel L R-P werden auf
ihn zu beziehen sein.
5) C. XV 5496 (über 30 Ex., darunter ornamentierte). Ferner C. IL III. VII. VIII.
X. XII.
6) Ein Stück in Arezzo, andere in Chiusi, Rom und Spanien. Ornamentierte
Gefäsäe sind bis jetzt von ihm nicht bekannt. Neben Suavis C. R{asini?) kommt vor
Suavis Rasini (C. XV 5494. 5513).
7) Zahlreiche Beispiele C. XV, ferner II. VIII. IX. X. XII. Eph. ep. VIII n. 244, 9.
Not d. sc. 1894 p. 371. Der Stempel OF- RASINI C. XII 5686, 738a ist nicht arretinisch.
8) Über die Art der Darstellungen ist wenig bekannt. "!;
9) Gamurrini u. 133 bietet SALVIVS RASIN in einer Linie.
120 Max Ihm:
Wähne icb noch Ae8c{i)n(e8)f Bosporus j Carpus^), DracOy Ephebus, Opüioi?),
Philota(8)f Tettianus.
Einige von den Sklaven des Rasinius scheint C. Memmius erworben zu
haben, dessen Name allein (mit oder ohne Praenomen) vorkommt und mit den
Sklaven AnthuSj ApoIo{ )*), Oissus, CommuniSy Dario, Eros, Eraoös^\
Hilarus, Phileros, PHmus, Secundus u.a.*). Wenn von den Arbeitern des Rasi-
nius einige ebenso heissen, so föllt das nicht ins Gewicht, wohl aber, wenn wir den
Stempel C. Memmi C. l{iberti) Mahe{ti8Y) zusammenhalten mit Rasini Mahes^
wenn wir neben Quartio Rasinlj) ') auf einem in Toscanella gefundenen Gefäss
lesen Quartio Rasini Memmi ®) und endlich die Stempel Pantagatus Rasini
Memmi^) in Betracht ziehen ^^). Nach Gamurrini") entdeckte man die Fabrik
des C. Memmius ^^) 'nel fare le fondamenta lungo alla Via Guido Monaco di
una casa del Marchese Alessandro Albergotti'; in einer Tiefe von zwei Meter
stiess man auf die 'reliquie delle ^figuline di Umbricio e di Memmio', unter
denen sich auch "assi onciali romani' befanden. Was Gamurrini über angeblich
schwarze Gefässe (*a colore nero lucente') berichtet, vermag ich nicht zu
kontrollieren*^), mir sind solche nicht zu Gesicht gekommen. Jedenfalls aber
gehört der Mann noch in das erste Jahrhundert v. Chr.**).
Mit dem eben genannten Umbricius kann Gamurrini nur den figulus
C. Umbricius Philologus meinen, dessen Cognomen auch allein^*), ferner mit
einem Genossen Sura^^) und auf 'vasetti decorati' mit einem Sklaven Hilario^'^)
vorkommt. Unter Sura sciieint mir L. A villi us Sura verstanden werden zu
müssen, dessen Gefässe mit denen des C. umbricius zusammen vorwiegend in
der via Guido Monaco ausgegraben wurden, darunter auch eine 'forma figurata'
1) Über diesen Namen Lommatzsch, Rhein. Mus. 52 p. 303 f.
2) Eß braucht nicht der Name des Gottes zu sein (Dragendorfif p. 49); vgl.
C. VIII 10479, 7 APOLON || MEMA.
3) Wohl Ierax{s), Ein C. Memmius Hierax auf der Salonitaner Qrabscbrift
C. III 2044.
4) Ausser Band XI des Corpus kommen in Betracht II. III. VIII. IX. X. XII und
besonders XV.
5) Gamurrini n. 195.
6) Not. d. sc. 1883 p. 269 (Formenfragment).
7) In Arezzo, Formen fragment.
8) Bull. d. Inst. 1848 p. 60.
9) C. X 8056, 248. XV 5514.
10) Ein bei S. Francesco gefundenes Formenstück bietet RASINI MEMMI, der
Name des Sklaven wird nicht gefehlt haben.
11) Annali d. Inst. 1872 p. 293 (vgl. Not. sc. 1892 p. 376 u. 1894 p. 119).
12) Ein C. Memmius Felix in Arezzo C. XI 1881. Auch die Schreibung mit einem
M findet sich.
13) Dragendorff p. 49.
14) Der Stempel C • I^M auch in Pompei, C. X 8055, 26.
15) Hierher gehören C. XV 5435 b. cd.
16) Sura et Philolog. und Philolog. et Sur., Not. d. sc. 1894 p. 118.
17) Hilari{o) \\ Philologi ebd. p. 118 n. 22,
Die Arretinischen Töpfereien. 121
mit dem Monogramm Sur.'^). Ausserdem kennen wir noch andere Avillii, einen
A. Avüliu8% C. Avillius^), Sextus Avillius*), endlich L, Avillius ohne Cognomen
(aber wohl identisch mit L. Av. Sara) und Avillms ohne Praenomen und Cognomen
und mit mehreren hauptsächlich aus Rom bekannten Sklaven. Arezzo liefert hierfür
weniger Material, mehr dagegen für ein anderes Mitglied der gens Umbricia,
för L. UmbriciuSy der auch in Rom, Spanien, Südfrankreich und sonst ver-
treten ist, und für den u. a. folgende Sklaven arbeiteten: Hospes, Icartis,
LeostheneSj Mancia, PampMlus, Philargtirus, Philocteta, Rufio, Verus, Zetus,
Sein Cognomen Scaurus setzt er selten hinzu*), einigemale begnügt er sich
auch mit dem blossen Scaurus*'). Dazu kommen dann noch eine Anzahl ein-
zeiliger, selten zweizeiliger Stempel, die nur die Anfangsbuchstaben der Cog-
nomina eines L. Umbricius aufweisen und die z. T. wohl frühere Sklaven
bezeichnen. So kann also L, Um, H, sowohl L. Umbrici Hospes als auch
L, Umbrici Hospitis bedeuten, und noch mehrdeutiger ist der Stempel L. Um-
brici S,, wo in 8 Salutaris, Scaeva, Scaurus, Sextio stecken kann. Zur Klärung
dieser Dinge helfen vielleicht weitere Funde, aus denen sich auch ergeben
kann, welcher Umbricius gemeint ist, der ohne Cognomen und mit den Sklaven
AucttM, AcratuSy Thyrsus vorkommt. Dass mehrere ümbricii zusammen ihr
Geschäft betrieben, beweist der Spanische Stempel II 6349, 46 Umbriciorum.
Die Töpferei eines gewissen Publius'), dessen Name nur in Verbindung
mit Sklavennamen in zweizeiligen oblongen Stempeln vorkommt und immer
ohne Praenomen und Cognomen ^), befand sich nach älteren und neuen Funden
zu urteilen, an der piagga di Murello unweit der Kirche S. Maria in Gradi,
wofür namentlich auch einige Bruchstücke von Formen sprechen^). Bis jetzt
ergiebt sich folgende Sklaveniiste: Acutus {'^), Antio{cus)^^), Arch{ ), Arconta{?},
1) Not. d. sc. 1894 p. 118 n. 19. Ein anderen Stück bietet den StempeMrrch'n.i;
Ij, Surae.
2) Claras Avili in Rom XV 5038, A. Avilli Clari in Arezzo; Statins A. Avül.
XV 5028 (vgl. II 4970, 494).
3) Mit dem Sklaven Eros in Arezzo, auch XV 5029 (vgl. 5040, 5045 u. II 6257, 72).
4) In Rom mit mehreren Sklaven XV 5032-35. IX 6082, 15. II 6257, 186. Nicht
in Arezzo.
5) Z. B. Not. d. sc. 1892 p. 340 L, ümbr{ici) Sc{aiiri) Zet{us).
6) Z. B. C. XV 5771 Gala Scau{ri).
7) Gamurrini und Dragendorflf sprechen von einem Piibli{cius\ was an sich
möglich wäre; aber Pvhlius kommt auch als Nomen vor (C. VI 25201 f. X 3494 und
sonst), und dann könnte man hier auch an ein einfaches Praenomen denken (vgl.
Mardpar, Publipor u. s. w.). Nach Cavedoni (Bull. d. Inst. 1841 p. 143) wären {servi)
publici zu verstehen.
8) Ein sicherer Beleg für den von Gamurrini angenommenen Vornamen Lucius
fehlt, es müsHte denn sein, dass sich der Pompejanische Stempel L-PVB (in Sohlen-
form) auf denselben Mann bezieht (X 8055, 34; vgl. auch Eph. epigr. VIII n. 244, 7).
Die Stempel bieten PVB., PVBL. und PVBLI; der Sklavenname steht meist voran.
9) Fabroni, Bull. d. Inst. 1834 p. 103. Die neueren Funde werden CIL. XI publi-
ziert werden.
10) Auch C. II 4970, 415.
122 Max Ihm:
Argonautes ^)j Auctus% C\h)regtus^), Chrys{anthust)y Daci{mus\ FanMuSj
Gratus, H€racl{ )*), Hilarius, lasus, MucrOy Olym{pu8)^\ Samo, Secu{ndus)y
Suavis^), Tauriscus'^), Bei dem öfter wiederkehrenden Stempel PVBTITI ist
die Erklärung zweifelhaft. In Arezzo bis jetzt nicht nachgewiesen sind DaHus,
Diogenes nnd Xico{ )®). Dass die Fabrik zu den älteren zählt, beweisen die
in Rom gefundenen dunkelfarbigen und schwarzen Gefässfragmente mit dem
Stempel DIOG. PVB, dessen altertümliche Buchstabenform Dressel besonders
hervorhebt (XV 5475)*).
C. VolusenuS; den Gamurrini der letzten Zeit der Republik zuteilt, hat
nach einem Formenfragment, welches zwei tanzende Hierodulen darstellt, zu
urteilen, seine Fabrik bei der Kirche S. Francesco gehabt*®). Etwa 8 — 10
Sklaven sind nachweisbar (C. IL XI. XV), darunter ein Suavis, von dem sich
eine Tasse in der alten Arretinischen Nekropole vorfand in Gesellschaft von
republikanischen Münzen.
Ebenso fertigte dekorierte Gefasse an ein C. Vibienus, wie es scheint
bei der [Kirche S. Maria in Gradi. Doch sind die Funde in Arezzo wenig
zahlreich. Dass es mehrere Vibieni gab, geht aus den Stempeln Vibienorum
und Dasiuis) Vibieno{rum)^^) hervor.
Bei den Stempeln C. Vibi, C. Vib.^^) kann man zweifeln, ob ein Vi bin s
oder Vibienus^ zu verstehen ist, aber Vibius liegt näher, ebenso für die in
Arezzo nicht sicher nachweisbaren Stempel i. Vibi^^) und Sex. Vibi^^\ Und
sicher ist A. Vibiua, der auch mit dem Zusatz figulus und dem Cognomen
Scrofa signiert. Von seinen Sklaven kommt am öftesten vor ein Diomedes.
Die üblichen Kriterien verweisen auch ihn in republikanische Zeit*®).
1) Diese» Namen kann man aus einem ligaturenreichen Stempel herauslesen,
wahrscheinlich bietet der vorangehende {Arcana oder Arconta schien mir möglich)
denselben Namen.
2) Auch C. XV 5472 und am Bieier See, Dragendorff p. 51.
3) C. XV 5473 und bei Neuss, Bonner Jahrb. 101 p. 19.
4) Verfertigte Reliefgefässe.
5) Auch bei Neuss, Bonner Jahrb. 101 p. 19.
6) Auch C. IX 6082, 68. XII 5686, 851.
7) Derselbe wie es scheint Bonner Jahrb. 101 p. 19.
8) Alle drei in Rom, Daaius auch X 8056, 120.
9) Die Fabrik kann bis zur Zeit des Augustus gearbeitet haben, vgl. die Neusser
Funde, Bonner Jahrb. 101 p. 19.
10) Not. d. sc. 1889 p. 58. Gamurrini publiziert hier auch die bei Arezzo ge-
fundene Grabschritt eines L. Volusenus.
11) Annali d. Inst. 1872 p. 270 if.
12) Not. d. sc. 1883 p. 266. C. XV 5748. 5749. Mehr als C. XI bieten C. U. III. X.
XII. XV.
13) CIL. X. XI. XV.
14) C. XV 5758. Bonner Jahrb. 101 p. 21. Der Sklave Romanus in Viterbo und
C. II 6257, 163.
15) C. X 8056, 374.
16) Ein schwarzes GefRss C. XV 5756c. Zwei Exemplare bei Neuss, Bonner Jahrb.
101 p. 21.
Die Arretiniachen Töpfereien. 123
Die Töpferöfen des C. Amurius, P. Clodius Proculus, C. Clodius
Sabinus, L. Gellius und T. Rnfrenus möchte Gamurrini auf der piazza
S. Agostino ansetzen ^j, was die Funde nicht genügend zu rechtfertigen scheinen.
Die beiden Clodii signieren nur in Sohlenform und, ebenso wie Amurius^ ohne
Sklaven, gehören also der jüngeren Zeit an; von den beiden letzten kennen
wir auch einige Sklaven, und von Gellius haben wir dunkelfarbige Stücke
der älteren Epoche*). Er hat eine Zeitlang mit einem L. Semp(roniu8)
in Compagnie gearbeitet, falls nicht ein anderer Gellius gemeint ist^).
Für die Ansetzung der Töpfereien des L. legidius, C. Murrius,
L. Saufeius und P. Hertorius an der Fönte Pozzolo genannten Örtlichkeit
(an der nördlichen Mauer von Arczzo) fehlen gleichfalls genügende Anhalts-
punkte^). Einen legidius kennen wir auch als Lampenfabrikant, der aber
mit dem Arretiner nicht identisch zu sein braucht. Von C. Murrius,
der die Sohlenform entschieden bevorzugt und bald mit bald ohne Vor-
namen signiert^), kennen wir keine Sklaven; von P. Hertorius, der zu den
älteren gehört und seinem Stempel die mannigfachsten Formen und Abkürzungen
giebt®), nur einen Erastus] L. legidius dagegen hat mindestens vier beschäftigt,
L. Saufeius^) mindestens 16, darunter eine Sklavin Namens I^ochne.
Auch für die Fabriken des Sentius und Sertorius, welche Gamurrini
bei der Kirche S. Francesco ansetzt, müssen weitere Funde abgewartet werden.
Von A» Sentius kenne ich nur einen, vielleicht nicht richtig kopierten Stempel
(Gamunini n. 140); dagegen sind von C. Sentius viele Exemplare bekannt®).
Von den drei Sertorii kommt Titas bis jetzt nur in Rom vor, Gaius und
Quintus auch in Arezzo und sonst ^).
Endlich lassen sich noch für drei Fabriken die Örtlichkeiten in Arezzo
und Umgebung mit Sicherheit oder ziemlicher Sicherheit nachweisen. Die
1) p. 34. Vgl. Fabroni p. 49. 51.
2) Dressel, Annali d. Inst. 1880 p. 291. C. XV 5228.
3) C. II 4970, 466. XV 5562. Bonner Jahrb. 101 p. 17.
4) Gamurrini p. 23. Vgl. Pasqui, Not. d. sc. 1894 p. 120.
5) Das Cognomen lautete Fe( ), denn bei den Stempeln (in Sohlen form) Murri
FE, C. Murri F u. s. w. wird man kaum an fe{cit) denken dürfen. Die Stempel CM-F
beziehen sich wohl auf denselben der jüngeren Zeit zuzuweisenden Mann.
6) Vgl. besonders C. XV 5256. 5257. Ein Unicum ist der in grösseren Buch-
staben wiedergegebene Stempel HERTORIA (vgl. XV 5255), wozu mir figlina zu er-
gänzen scheint.
7) Zu Dama || JSaufei C. XV 5550 notiert Dressel Witteras antiquiores*. Das Prae-
nomen fehlt meist. Der 'etruskische' Name Citlus bei Dragendortf p. 49 ist zu
streichen (lies Clittis).
8) Auch CIL. II. IX. X. XII. XV und Bonner Jahrb. 101 p. 20. Er signiert mit
und ohne Praenomen, auch mit dem Zusatz figulus. Sohlenform ist selten. Nach
Dragendorff p. 50 gehören die Fabriken des Sentius und Domitius (s. oben) in die
erste Hälfte des 1. Jhdts., weil von ihnen Stempel auf der Stätte des alten Bibracte
gefunden sind. Die Publikation dieser Funde bleibt abzuwarten.
9) Für Gaius arbeiteten die Sklaven Ocella und Proculus,
124 Max Ihm:
Hauptfiindstelle der Gcfasse des C. Gavius*) befindet sieh in Cincelli, wo
auch das Bruchstück einer Form auftauchte. Dass er noch der Republik
angehört, scheint durch den in der alten Arretinischen Nekropole gefundenen
Stempel CA/1 gesichert*). Von Sklavennamen liefert der stadtrömisehe Band
drei: Ante{ro8), Ploca{mu8)^) und Summacus*). Ob der A. Gavius Primi-
genius C. IX 6082, 36 Arretiner ist, steht dahin. — Weiter berichtet Gamurrini
(Not. d. sc. 1887 p. 438) über die Entdeckung einer 'piecola fomace di un
povero figulo' in der Via degli Albergotti, in welcher schmucklose Gefässe
(piatelli, larghe coppe e bicchieri di colore rosso) fabriziert wurden. Die Besitzer
seheinen zwei Petronii zu sein, ein Lucius und ein Gains; von ihrer Waare
haben sich Stücke in Rom, Südfrankreich und Spanien gefunden*), und end-
lich müssen hier erwähnt werden die an dem Ort 'Orciolaia* (bei Arezzo am
linken Ufer des Castro) gemachten Funde ^). Hier kamen zahlreiche schwarze
und rote Scherben zu Tage, denen teils die Namen der Verfertiger, teils be-
stimmte Fabrikmarken aufgedrückt waren. So fanden sich z. B. zwei durch
den Brand zusammengeschmolzene Stücke, von denen das eine den Stempel
Anto, das andere ein besonderes Fabrikzeichen trug; sie waren also gleich-
zeitig in den Ofen gekommen'). Wir finden hier folgende Sklavennamen:
Antiochus, ChaHtOy ChatinuSy Dassrns, Hec{tor?), HilaSy Lus{ia8?)f Nicephorus,
PamphüuSj Stephanus (abgekürzt Step.) und Trupho. Der Name eines patronus
fehlt, er müsste denn in dem einigemale vorkommenden C-SE zu suchen sein.
Gamurrini nimmt daher an, dass jene figuli ein sodalicium gebildet und den
Platz von dem Besitzer des Grundstücks gemietet hätten, wofür sichere Anhalts-
punkte fehlen. Jedenfalls gehört die Töpferei, da schwarze Gefässe neben
roten hergestellt wurden, zu den älteren, etwa in die erste Hälfte des 1. Jahr-
hunderts, wenn man einerseits die Schreibung Lus. und lYupho, andererseits
die durchgeführte®) griechische Aspiration erwägt.
Damit wäre die Reihe der Arretinischen Töpfereien, deren Örtiichkeit
sich genau oder annähernd genau bestimmen lässt, erschöpft. Die unbestimm-
baren behandelt Garaumni im 9. Kapitel seiner Abhandlung, das ebenfalls einer
gründlichen Umarbeitung unterzogen werden niuss. Aus der im CIL. XI ge-
gebenen Sammlung wird sich mit Leichtigkeit ersehen lassen, für welche
anderen Fabrikstempel noch echt Arretinische Herkunft sicher oder wahr-
scheinlich ist. Ich begnüge mich hier mit einer kurzen Registrierung der
1) Ein duovir dieser gens aus republikanischer Zeit CIL. XI 1845 Q. Gavius
(nicht Cavius) L. /*.
2) Annali d. Inst. 1872 p. 291. Die Schreibung mit C kommt mehrfach vor, die
mit G überwiegt aber bei weitem.
3) Auch C. ir 6257, 41.
4) C. X 8056, 154 muss emendiert werden in C, Gav[i\ Sum[m]ac[i\.
5) Vgl. aucli C. XV 5427 L. Petroini) 1\ ).
6) Gamurrini, Not. d. sc. 1890 p. 63 flf.
7) Dragendorff p. 42.
8) Es ist nicht Stepanus geschrieben, wie Gamurrini a. 0. p. 69 u. 70 augiebt.
Die Arretinischen Töpfereien. 125
wichtigeren, wobei ich von denen fast ganz absehe, die nur mit den Anfangs-
buchstaben signieren.
i. AemiUuSy mit dem Sklaven Germanus,
Q. Af{ ), einer der ältesten Fabrikanten schwarzer Geßlsse^).
Sex, Afri{u8) mit den Sklaven Anteros, Clitus, Diomedes^).
L. Albius^) (andere Albii in Rom).
Arvius, allein und mit verschiedenen Voniaraen C, AL, Q., ^Sex,
Cn, Ateius, der massenhaft in Rom und den Provinzen*) vorkommt
mit verschiedenen Beinamen imd einer Anzahl Sklaven, während die Funde
in Arezzo derart unerheblich sind, dass man fast an seiner Arretinischen Her-
kunft zweifeln möchte. Es sind auch Reliefgefässe von ihm bekannt'*). Dragen-
dorflf (p. 50) setzt ihn in das erste nachchristliche Jahrhundert, richtiger, wie
es scheint, 0x6 in die Augustische Zeit®).
P. Attius (auch ohne Praenomen).
C. Bov{iu8?) Oent{ianu8?)y selten.
a Cae( ) Clem{ ), auch CIL. X. XV.
C. Caen{ ), Cincelli und Rom.
CilniuSy nur in Arezzo.
L. Crisp{ ) und Crispinus, auch XV und sonst.
Q. FuficiuSy mit einem oder zwei Sklaven.
Sex. Iul{iii8) Apr{ ), auch XV.
A Manneius'^), ziemlich häufig, auch in Rom, vereinzelt CIL. III u. X;
mit mehreren Sklaven {Capella, Castor, Corinthus, Cosmus, Receptus).
C. Nonius, auch C. X u. XV. Dagegen ist L. Nonius mit seinen Sklaven
BreucuSf Cimber, Eleuterus, Suriscus, SecunduSj Verna, Urbanua aus Arezzo
bis jetzt nicht bekannt^).
M. Fi ) Capito%
L. Pomponiu8^^)f auf einem Formfragment in Arezzo.
A. Sestius, auch C. IL X. XII. XV mit verschiedenen Sklaven (Acnfuif^f
Argines, Dama, Epapra, Hilarus, Priamus u. a).
P. Sextilius Clement ).
Eine Dame Statilia mit den Sklaven Blandus und Canoptis^^),
1) Auch CIL. II 4970, 11 (überliefert Q-AL) und XV. Vgl. Dragendorif p. 40. 49.
92. Dressel C. XV p. 702. Ebenso gehören zu den ältesten die nicht deutbaren Stempel
V, AV, CV, A-T.
2) CIL. IL V. X. XII. XV. Bonner Jahrb. 101 p. 13.
3) Bonner Jahrb. 101 p. 13 n. 270 ist nicht arretinisch.
4) Ein Stück in Ägypten, Bonner Jahrb. 101 p. 149.
5) C. XV 5007, 1. 1.5. 16. 5008.
6) Bonner Jahrb. 101 p. 22 ff.
7) Gamurrini p. 53 scheidet davon einen Anneius.
8) C. XV 5377 ff. Funde aus Todi Not. d. scavi 1885 p. 182.
9) S. oben unter *Perennius*.
10) Q. Pompanius Serenus gehört nach Puteoli, Dragendorff p. 55.
11) C. X 8056, 64 (wahrscheinlich = Gamurrini n. 394). IX 6082, 19. XV 5603.
126 Max Ihm: Die Arretinischen Töpfereien.
C. und L. Tar( ).
C. Ver( ).
Vettius {A. Vetti \\ Optati).
ViUiu8 und Villius Natalis (dieser auch in Pompeji C. X 8055, 44).
C. Vin( ), Vinicius,
D. Vol{ ) Sc€un{ ).
Viel grösser ist die Zahl der unter Ärretinischor Flagge segelnden fignli^
denen, so lange nicht neue Funde anderes lehren, lediglich 'Arretinischer Typus'
zugesprochen werden darf. Sicher nicht Arretinisch sind Stempel wie Atenio
circitor refi{ciendum) curavit (XV 5016), Faustus salinator Seriae (XII u. XV),
femer sämtliche Stempel, die den Zusatz of{ficina) führen (in Rom of. FeliciSy
lucundi, Secundi^ Silvani u. a.), und mindestens als sehr verdächtig müssen alle
die gelten, denen fecit oder feci beigefügt ist, oder gar das griechische epoei
oder epoi^). Denn aus Arezzo kenne ich nur den einen irregulären Stempel Venicius
fecit hec^). Für andere, wie gesagt, bleibt die Hoffnung bestehen, dass weitere
Funde die Arretinische Provenienz sicher stellen, z. ß. für Af. Gratidius, der
sich einmal das Cognomen oder Ethnikon Arretinus beilegt (XV 5237), für
Ancharius (mit mehreren Sklaven j, Basilius^), Q, Castriicius) Ve( ), C. Curtius,
P. Deloreius, L. Fastidienus, S, M{ ) Fest{ )*), P. Messenius, C. Roscius,
iL Serviliusy verschiedene Valerii, L. Vistiniun^ L. Vergilius und viele andere.
Gamurriui widmet auch den etruskischen und etrusko-lateinischen Stempeln
ein kurzes Kapitel, doch sind von seinen 9 Nummern nur die drei ersten
etruskisch, n. 4 — 9 sind lateinisch und z.T. wohl ungenau kopiert*). Nr. 1 — 3
bieten das etruskische Wort atrane {atranesy atranesi) und stammen aus Vulci,
Clnsium, Volaterrae, Perusia; seitdem sind andere in Orbetello und Suaua auf-
ßretaucht^), aber nicht in Arezzo. Dagegen können wirklich Arretinisches
Fabrikat sein die mit etnisk. OEuE oder UEOE signierten Gefasse').
1) XV 5211 epoei Felix, 5398 Onesimus epoi (vgl. Dragendorff p. 25).
2) Die Stempel C-M-F, C-MVRRI-F (bezw. FE) kommen hierfür nicht in Betracht
(8. oben), und in dem Stempel C. XV 5107^ CL-SABF ist das F, wie Dresse! mit Recht
vermutcti aus den Zehen der planta pedis herausgelesen.
3) Schwerlich in Arezzo heimisch, vgl. XV 5057 u. 5058 b,
4) Ist häufig, meist abgekürzt S-M-F (auch in Pompei). Er verfertigte auch
Reliefgefässe roherer Arbeit (Dragendorff p. 125).
5) n. 6 = C. XV 4960.
6) Milani, Not. d. scavi 1885 p. 245; Gamurrini Append. Fabr. n. 757.
7) Funghini p. 6, Taf. n. 1 (von mir in Arezzo kopiert). Vgl. Dragendorff p. 40.
5. Neue römische Funde vom Niederrhein.
Von
A. Oxe.
I.
Grabstein eines eques der ala Moeaica,
gefunden in Asberg (Asciburgium).
Dieser Fund besteht aus etwa 25 Tuflfsteinstücken ^), die höchstens zwei
oder drei Hand gross und 2 bis 4 cm dick, im Herbste 1892 im Garten des
Asberger Landmannes Gathmann östlich der alten ßömerstrasse auf dem sog.
Burgfelde gefunden wurden und durch die Bemtihung des Herrn Dr. Siebourg
in den Besitz des Krefelder Museums gelangten. Ein Fragment, unten mit c
bezeichnet, war einige Tage früher gefunden worden und in den Besitz des
Herrn Wilh. Tappen aus Düsseldorf übergegangen, bei dem es der Vfr. im
Herbste 1896 zufällig fand; mit den Krefelder Inschriftresten verglichen, wurde
dies Fragment als zugehörig erkannt und von Herrn W. Tappen dem Krefelder
Museum bereitwilligst überlassen.
Die ornamentierten Bruchstücke gehören zu zwei Reliefbildem eines
Steines. Von dem ersten, dem oberen Bilde sind Teile des lectus, namentlich
die 2 Füsse in der linken und rechten Ecke erhalten. Auf demselben liegt
der Verstorbene, in faltenreicher Toga als dves dargestellt, bei dem Mahle
(cena): von dieser Figur sind Kopf, 1. Arm, auf den er sich stützt, 1. Hand,
in der er die Serviette hält, und Gewandstücke gerettet, von seiner r., in der
er wahrscheinlich den Trinkbecher hielt, ist nichts vorhanden. Auch von der
mensa, die vor ihm stand, ist nur das schneckenförmige Ende eines Fusses
zu erkennen, dagegen nichts von den Geiässen, die auf derselben standen,
nichts von dem grossen cylindrischen, einhenkligen Weinkrug, der auf ähn-
lichen Darstellungen nie zu fehlen pflegt, um so mehr blieb von dem jungen
Sklaven, dem puer übrig, der die Hände über einander geschlagen und die
Schöpfkelle in der r., am Fussende des lectus in aufwartender Haltung steht:
1) Der Umstand, dass der Stein in so viele Stücke zerschlagen war, dürfte ihn
vor dem Schicksal seiner Genossen bewahrt haben, die in dem steinarmen Nieder-
land als wertvolles Baumaterial für Neubauten angesehen und wie ans einem Stein-
bruch ausgegraben wurden, um zu Wagen und zu Schiff weit weggeschleppt zu
werden.
128 A. Ox^:
er Hess sich fast vollständig zusammenstellen. — Von dem zweiten, anteren
Relief konnte das Pferd, wie es gesattelt und gezäumt stolz aus dem Stalle
schreitet, ebenfalls bis auf wenige Lücken zusammengefügt werden, während
von dem Stallknecht, der auf gleichen Darstellungen bald vor, bald hinter
dem Pferde einher zu gehen pflegt, keine Spur unter den Bruchstücken zu
finden war.
Diese Reste der beiden Reliefs genügen, um erkennen zu lassen, dass sie
von dem Grabsteine eines eques herrühren. Ähnliche Darstellungen finden sich
zahlreich in Rom auf den Grabdenkmälern der equites singulares (vgl. CIL
VI 3176 — 3304) und sind auch im Rheinlande nicht selten: z. B. in den
Museen zu Trier (Katal. nr. 308), Mainz (nr. 222 p. 72), Wiesbaden (Kat. p. 7)
und Köln (Kat. nr. 224).
Zwischen den beiden Reliefs pflegt die Inschrift zu stehen. Von diesem
Mittelstück des Asberger Steines sind nur vier Fragmente erhalten. Ein
DO
MOE
Glück noch, dass der Anfang (a) und das Ende (d) der 4 Zeilen darunter
ist. Die Buchstaben, klar und schön, sind in Zeile I 5,9, II 5, III 4,5 und
IV 4,9 cm hoch. Aus diesen Massen folgt mit zweifelloser Sicherheit, dass
frg. b mit dem 5,9 cm hohen Q zu Zeile I und entsprechend frg. c zu II
gehörte, eine Thatsache, welche eine weitere Ergänzung des Textes durch
Conjectur ermöglichte.
In Zeile 1 ist ohne Frage EQ^S\-^E zu ergänzen, während den
Namen des biederen Reitersmannes herzustellen, bis jetzt nicht gelungen ist.
Für den Namen des Vaters, der auf einigen ähnlichen Steinen hinter dem des
Sohnes folgt, dürfte der Raum zwischen Dom . . . und eques nicht hinreichen,
da er, wie die Heretellung der folgenden Zeile lehrt, höchstens 4 Buchstaben
enthielt. Die Zeile 2 muss mit dem Namen der ala begonnen haben, also
Moesicae: dieses Wort ist aller Wahrscheinlichkeit nach ausgeschrieben ge-
wesen *), da es auch auf den drei übrigen Steinen nicht abgekürzt wird, aus
denen bis jetzt die ala Moesica bekannt war: CIRh 438. CIL VI 3538 und
i
1) Vielleicht waren A und K zu -E legiert.
Neue römische ^ande vom Kiederrhein. 129
CIL XI 709 '). Ru . . ni ist gemäss der obersten Zeile nur durch 2 Buch-
staben zu RVFINI zu ergänzen. Vor diesem Namen ist der dreieckige Punkt
und der Rest eines R zu erkennen, ofiFenbar von der Abkürzung TVR (ma)
herrührend. Darnach ist diese Zeile vollständig hergestellt und lässt die Breite
der ganzen Inschrift etwa auf 74 cm, die des ganzen Steines auf 78 cm be-
stimmen; es ist nämlich nicht anzunehmen, dass der Stein noch die Ehren-
beinamen der ala felicis torquatae in gekürzter oder gar voller Form getragen
habe, da auch die Reste des oberen Reliefs auf eine Breite von 72 — 75 cm
schliessen liessen. In Zeile 3 ist unter dem R der vorigen Zeile der Rest
eines X zu erkennen: da der Verstorbene, wie in Zeile 4 zu lesen ist, wenig-
stens 20 Jahre in der Front stand, so muss er, wie der Vergleich mit andern
Grabinschriften von equites ergiebt, ungefähr 40 Jahre alt gewesen sein; also
stand hier entweder XXXX oder XL, und zwar ohne Querstrich über der Zahl.
Letztere Ziffer verdient den Vorzug wegen ihres kürzeren Dmfanges und ist
höchstens durch ein III oder V die Lücke bis zu [i]T\P{endiorum) auszu-
ftallen. Davor muss AN -(worum) gestanden haben. Die Kluft zwischen cives
und annorum ist nicht mit Sicherheit auszufallen: 6 Buchstaben finden etwa
Platz, so dass man beispielsweise an eine Ergänzung wie TR EVE R denken
könnte. In Zeile 4 mag hinter der Ziffer XX entsprechend unserer Ergän-
zung der Lebensjahre eine III, IUI oder V gestanden haben, sicherlich folgte
ein H(ic) - S{itu8) • E(8t) -, allenfaUs noch H • F • C oder H - EX - T • F • C. Der
Steinmetz hatte hier noch viel Platz, wie sowohl die Grösse der Buchstaben
als auch der grössere Abstand von dem Rande des Steines beweisen.
Die ganze Inschrift dürfte demnach etwa so gelautet haben:
DOM.... lEQVFS * A-'^ E Dom( ), eques alae
MOESIC/tfTVRfRVFIlsl Moesicaey turima) Rufini,
GVF S • AN? XLIII ' S T P cives , an{norum) XLIIIj 8tip{endiorum)
XXIII f Hl SfE XXIIIy Mic) 8{itu8) eist).
Die bereits angefahrte Inschrift GIRh 438 stellt offenbar die Grabschrift
des Decurionen Rufinus dar, in dessen Zug iturma) der in Asberg bestattete
Reitersmann stand. Nur in ihrer rechten Hälfte erhalten, in den Ruinen eines
Deutzer Klosters gefunden, dann der Sammlung der Grafen von Blankenheim
einverleibt, ging sie verloren^) und ist nur in Abschriften auf uns gekommen,
die Brambach so wiedergiebt:
Caput Da die beiden Steine zusammengehören,
mag auch dieser, so weit es möglich war, er-
gänzt und erklärt werden. Der obere und der
" rechte Rand der Inschrift scheinen in dieser Form
richtig erhalten, dagegen können die ornamenta
5. |MICVS-ETF£ nicht gleich an Zeile 5 sich angeschlossen
ornamenta haben. Hier muss ein Raum gelassen werden
1) Auf diesen Stein hat Zangemeister mich aufmerksam gemacht.
2) Br. 'e ruinis monasterii Tuuitiensis e regione Coloniae Agrippinae frgui.'
GRVTER. — In monumentis Blankenheimiis habet SCHANNAT. — Periit.
a«hrl>. d. Ver. v. Alterthafr. im Rheinl. lox. 9
\0
• R V F 1 N 0
0
- EX
• DEC
\s
• MOESIC AE
|nsvs-&->
•LEGG
JM ICVS •
ET fE
130 A. 0x6:
für eine sechste Zeile, die zwar in der erhaltenen Hälfte anbeschrieben war,
aber auf der yerlorenen die Fortsetzung von Zeile 5 getragen haben muss samt
einer der geläufigen Schlussformeln : . RES • POSVIT^ßT oder RES-EX-T.FC<2r
oder ähnlich.
Die Ergänzung der einzelnen Zeilen beginnt am besten mit Zeile 3; denn
hier kann nur ALAE und davor, da dies Wort allein zu wenig ist im Ver-
gleich zur Ergänzung der übrigen Zeilen, die Fortsetzung des in voriger Zeile
abgebrochenen DlEC|'|VRIONE gestanden haben*). Das überlieferte, ganz un-
verständliche S vor Moesicae dürfte lediglich die missverstandene Hälfte eines
zerbrochenen Interpunktionsblattes <2r sein. Weniger Wahrscheinlichkeit
hat die Ergänzung dieser Zeile zu VET(crano) ALAE, da veteranus in der
Regel vor ea; decurione zu stehen pfiegt*). Dazukommt, dass das 0 in Zeile 2
sich schwerlich anders deuten lässt als das Ende eines VETERAN 0, eines
Wortes, das sehr gut die ganze Zeile ausgefüllt hat, da dieselbe offenbar mit
grösseren Buchstaben als die folgende geschrieben war — ebenso, wie in dem
Asberger Stein. Für Zeile 1 hat schon Brambach grössere Lettern verwandt.
Hier ist nur Raum für praenomen und nomen gentile: eine Abkürzung des
gentile, die so wie so schon selten ist, bat neben einer ungekürzten Schreib-
weise veterano und decurione erst recht keine Wahrscheinlichkeit. Mit Sicher-
heit muss daher geschlossen werden, dass der Name des Vaters und die Tribus
vor dem Cognomen Rufino nicht erwähnt waren, ein Fingerzeig fllr die Zeit-
bestimmung des Steines. In Zeile 4 hat Schannat weder das hier ganz
unerklärliche, quer durchgestrichene 5 noch das zweite G am Ende; schon
Brambach vermutet daher mit Recht darin zwei unverstandene Interpunktions-
blättcr J^. Mag nun das cognomen des dedicierenden Centurionen auf
nstJLS (Gr.) oder . . . usus (Seh.) ausgegangen sein, bis jetzt ist es leider
nicht gelungen einen passenden Centurio-Nanien in einer Legion, die am
Niederrhein gestanden hat, ausfindig zu machen'). Damit ist vorläufig die
sichere Ergänzung dieser und der folgenden Zeile unmöglich: wir können nur
behaupten, dass in Zeile 4 die tria nomina des befreundeten Centurionen stan-
den, während in letzterer seine Legion benannt wurde. Nur des Beispiels
wegen mag daher dort ein [T • VLPIVS - DE]NSVS, hier ein VT- VI C - P - F
oder XXX- VV. oder XXIIPRI-P F eingesetzt werden, geradeso wie in
Zeile 1 ein [M-VALERIJO. Die vollständige Inschrift hatte somit etwa fol-
gendes Aussehen:
1) Zangemeister findet diesen Vorschlag auch plausibel, aber die Abkürzung
zu ungewöhnlich und schlägt daher nur RIONEALAE zu ergänzen vor, indem
er das V lieber in das letzte C der vorhergehenden Zeile verweist.
2) Vgl. CIL VIII 9052, wo in Zeile 1 und 2 beide Stellungen wechseln. Eben-
dort 9358 und 9237 gegen 9797 und III, 839, 846, 1203, 1383, 1552, 3221 gegen das
eine Beispiel 770.
3) Auch Zangemeister, dem ich für seine liebenswürdige Unterstützung an
dieser Stelle meinen Dank ausspreche, bemühte sich um die Ergänzung des Namens
vergcbtMirt.
Neue römische Funde vom Niederrhein.
131
Caput
fiore»
6.
m. valeri O • R V F I N O
VETERANO EX-DEC
RI0NE,2rALAE^iM0ESICAE
t^nlpius^de NSVS^>LEG^
vi-vic-p.f. AMICVS-ET-fE
RES-POSVIT^
fiore%
ornamenta
{AL Valeri}o Rufino,
[veteran\o ex decu-
[rione cUae] Moesicae,
(T. ülpius De)nsuSj c{enturio) leg{ionis)
5. < VI vic(trici8) p(iae) jf^idelis)}, [a]micu8 et he-
[res posiit.]
Zeitlich können die beiden Steine^ wenn derselbe Wachtmeister jßu/?nu«
auf beiden genannt ist, nicht weit auseinander liegen: der Deutzer Stein wird
etwas später fallen als der Asberger. Wenig wahrscheinlich ist, dass der
Deutzer Stein etwa von Asberg oder Dormagen nach Deutz geschleppt worden
ist (vgl. S. 127, Anm.); eher ist anzunehmen, dass der pensionierte Herr
Wachtmeister sich nach Köln zurückzog, um dort den Rest seiner Tage zu
verbringen. Die drei Kriterien, die uns einen Anhalt für die Zeitbestimmung
an die Hand geben können, Foiiii der Buchstaben, Art der Abfassung des
Textes — namentlich die gebrauchten Formeln, Fehlen der Tribus, des Vater-
namens, die Abkürzungen — und endlich die Art des ornamentalen Schmuckes,
weisen die Steine dem I. Jahrh. zu.
Wo die ala Moesica im Standquartier lag, war bis jetzt nicht bekannt.
Nach den beiden vorstehenden Steinen zu urteilen, befand sich dieses Alenlager
sicher in Untergermanien. Für diese Annahme spricht auch die Inschrift CIL
XI 709, in der hinter | praeflectus) equitum alae \ Moesicae \ als nächster
gradus honoram| censor Oerm(aniae) inferior {is) \ folgt. Es ist sehr
gut möglich, dass Asciburgium die Garnison der ala Moesica
war, da Tacitus (bist. 4, 33) in der Schilderung des Bataverkrieges da-
selbst ein Alenlager erwähnt: hiberna alae Asciburgii sita.
II.
Funde aas Gellep (Gelduba).
A. Das Kastell.
Eine weit wichtigere Bolle als das Alenlager zu Asciburgium spielte im
Bataveranf Stande bekanntlich das 13 km südlich, ebenfalls am Rhein gelegene
Cohortenlager Oelduba. Dass dieses römische Kastell in dem heutigen Gellep,
rund 20 km von Neuss und 40 km von Xanten entfernt, zu suchen ist, stand
132 A. 0x6:
nach A. R e i n s ^) und F. Stollwercks*) Arbeiten ausser Frage : der Be-
richt des Tacitus (bist. 4, 33 und 36), die im Itinerarium Anlonin. angege-
benen Entfernungen, der heutige Name, die sehr vielen römischen Funde und
die ausgezeichnete Lage sprachen einhellig dafür. Die Gelleper Anhöhe, wie
sie auf unserem Plane skizziert ist, von den Leuten der Umgegend der 'Berg'
genannt, etwa 5 m über seiner Umgebung und 10 m über der Normalhöhe des
Eheines erhaben, so dass sie allein bei grossem Hochwasser wie eine Insel
aus der weiten Wasserfläche herausragt, fällt nach dem Rheine hin, der in
Römerzeit dicht vorbeigeflossen sein dürfte, noch heute ziemlich steil ab,
während sie nach den übrigen 8eiten, namentlich nach SW. allmählich sich
senkt. Von der Chaussee nach Crdingen, der alten Römerstrasse Neuss-Xanten,
liegt sie 600 m entfernt. Der ganze Höhenrücken, vielfach mit römischen
Zicgelstücken übersät, ist jedoch offenbar für ein römisches Kastell zu umfang-
reich; es hatten daneben die Cannabae hinreichend Platz. An welcher Stelle
aber grade das Kastell sich erhob, war bis jetzt nicht festgestellt. Ja, es
wurden Zweifel rege, ob dort oben das Kastell oder nur römische Ansied-
lungen zu suchen seien. Denn während Stollwerck, der zuletzt im Zu-
sammenhange Gellep behandelt hat, die Lage des Gräberfeldes, das sich am
ganzen südwestlichen Abhang entlang zieht, richtig bestimmt, beruhen seine
Angaben (S. 27 — 29) über Lage und Grösse des Kastells, dem er eine Front
von 450 m zumisst, auf unzulänglichen Beobachtungen und Mutmassungen.
Er selbst hat keine Grabungen vorgenommen, ist bei keiner Umrodung jener
Felder persönlich zugegen gewesen, hat keine Umfassungsmauer oder Thore,
kein' anderes Mauerwerk^) das für ein Kastell sprechen könnte, beobachtet;
es^ist ihm nicht gelungen auch nur einen einzigen Legionsziegel in Gellep
aufzutreiben, geschweige selbst auszugraben. Wehmütig muss dieser rührige
Sammler und Forscher (S. 81) bekennen: „Wenn ich jetzt mehrere Legions-
ziegel als zu Gellep gefunden folgen lasse, so geschieht dies hauptsächlich,
um die Glaubwürdigkeit der Angeber nicht in Zweifel zu ziehen, ich darf
aber die Bemerkung nicht unterdrücken, dass es mir ungeachtet mehr als
hundertmaliger Wanderungen nach Gellep und sehr vieler Bemühungen am
Orte selbst, in dem langen Zeiträume von 25 Jahren nie hat gelingen wollen,
dort einen Legionsziegel ausfindig zu machen. Auch Herr G u n t r u m , der
noch länger in Gellep gesammelt, hat keinen erlangen können." Von welchem
Punkte GcUeps die wenigen im CIRh 245 und bei Stollwerk S. 82 ange-
führten Militärstempel, die heute das Schicksal so mancher Privatsammlung
teilend verschollen sind, einst gefunden wurden, ist also gänzlich unbekannt *).
1) Gelduba und die nächsten Rheinkastelle, Krefeld 1851. — B. J. XX. p.l— 20.
— Die römischen Stationsorte und Strassen. Krefeld 1857.
2) Die celtu])isch-römische Niederlassung Gelduba. Urdingen 1877.
3) Über die eine Mauer, die er S. 28 unten angiebt, s. S. 134.
4) Nur S. 32 und 82 erwähnt Stollwerck von dem im Kreis geschriebenen
Stempel VEX EX GER, dass er ihn hinter Kleutgens Garten neben einem um-
gesetzten Ackerstück des Landmannes Schönwasser zwischen einem Haufen von
TufiF-, Basalt- und Sandsteinen gefunden habe.
Neue römische Funde vom Niederrhein.
Seitdem hatte der Boden Gellcps viele römische Mttnzen, Fibeln und Gefässe,
voD denen ein grosBer Teil für das Krefelder Musenm erworben wurde, hervor-
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gebracht, aber immer noch keinen Legionsstempel." Sollte das Kastellfwirklich
auf dieser AnbOhe geleg:en haben? Der Spaten musste die Antwort bringen.
134 A. 0 X 6 :
Im Herbste 1896 entschloss ich mich, mit Herrn Wilhelm Tappen
aus Düsseldorf einige Versuelisgrabungen anzustellen. Wir wählten den auf
dem Plan mit a bezeichneten Punkt : dort stand, nur durch den Weg getrennt,
Eleutgens Scheune, in deren Fundament römisches Mauerwerk stecken solP),
dort sollte laut Aussage der Dorfbewohner und Stollwerks eine breite, 100
Schritt lange Mauer nur V2 ^ unter der Oberfläche dicht neben der Garten-
hecke entlang laufen, dort stiessen die Knechte mit dem Pfluge vielfach auf
Steine, dort lagen die Ziegelfragmente auf dem Acker besonders dicht. In
der That konnten wir zunächst eine 5 m breite und mindestens 30 cm dicke
Kies- oder Betonschicht, die sich längs der Hecke entlang zog, konstatieren,
unmittelbar nordöstlich und 50 — 80 m von Kleutgens Scheune entfernt stellten
wir die Grabungen an und stiessen, nur V2 bis 1 m ins Erdreich eindringend,
in einer starken Brandschicht auf Überreste schwacher Fundamente, die zu
jener Betonschicht teils parallel, teils senkrecht laufend und nur kleine recht-
winklige Räume einschliessend, au die Manipelräume des Neusser Lagers er-
innerten. Leider konnte bei dem Mangel an Zeit und unsem beschränkten
Mitteln keine Rede von einer planmässigen ^Ausgrabung* sein-, wir waren viel-
mehr darauf bedacht, möglichst schonend zu Werke zu gehen und einer spä-
teren Ausgrabung nicht störend in die Quere zu kommen. Die Funde, die
wir machten, genügten, um die Bedeutung der Stelle aufzuhellen, und ermög-
lichten eine Zeitbestimmung.
Ausser einigen quadratischen, dicken Ziegelplatten, die eher zum Belag
des Fussbodens als zum Aufbau von Hypokaostensäulchen gedient haben, fan-
den sich in grosser Menge — ziemlich oben liegend — die Bruchstücke von
platten Falz- und gewölbten Firstziegeln. Folgende Stempel waren darunter:
1. Legio I Minervia {Antoniniana) '^)
a) LEGI MI von r. nach 1. 2 Ex. auf gew. Ziegeln.
b) j I • M von r. nach 1. auf flachem Z.
c) LEGiMANTo von r. nach 1. auf gew. Z.
2. Exercitus Germaniae inferioris
a) E X G R I N sie. 3 Ex. gewölbte Z., erhabene Schrift.
b)EXGERINF 4 Ex., 2 fl. und 2 gew. Z. vertiefte Sehr.
c) jERjlN|= von r. nach 1. Falzziegel mit erh. Sehr.
d) |E X C |E R I ^^ von r. nach 1. 5 cm dicker, urspr. quadratischer (?)
Ziegel mit erh. Sehr.
1) Stollwerck S. 28.
2) Das Eigenartige dieser Legionsziegel besteht darin, dass sie erstens alle
linksläufig sind, und zweitens die Buchstaben LEG viel breiter, flacher und feiner
bieten als die folgenden Buchstaben; besonders ist dies bei c der Fall. Offenbar
rühren diese verschiedenen Buchstaben auf der Matrize jener Stempel von verschie-
denen Händen her. Die Annahme scheint mir berechtigt, dass Matrizen, die nur LEG
und dann einen freien Raum enthielten, en gros in Blei oder Bronze gegossen wur-
den, und dass erst später die Bezeichnung des Truppenteils von mehr oder weniger
geübter Hand dahinter eingeschnitten oder eingraviert wurde.
Neue römische Funde vom Niederrhein. 135
3. Vexülatio exercüus Oermaniiie inferioris
a) VEX EXfGiKF
b) VIXiXC///?
4. Officina M. Valerii San ....
a) OFM»VfS 2 Ex. Die Stempel dieser Privatziegelei stehen nur
b) OEM-V-S auf Falzziegeln von 'hellroter Farbe. Die Exem-
c) MV: SAA/o plare a zeigen sehr sauber gearbeite scharfe Buch-
;M-V SA/; Stäben und dreieckige Punkte, b schon plumpere
d) \fiiV' SAA/o Formen, c und d recht nachlässige Buchstaben, die
iSA^o mit einer geschnitzten hölzernen Matrize hervor-
gebracht zu sein scheinen: z. B. berühren sich die Hasten in A und N nicht,
der Querstrich von A sitzt sehr tief und das o verschmilzt mit dem Rande
des Stempels, so dass es eher wie ein C oder G erscheint^). Was die Lesung
dieser Stempel betrifft, so las man bis jetzt a und b als officina Atusi, c als
Musani officina und d als M. Valsani oder Mualsina officina. Für letztere
Lesung bricht noch St oll wer ck (S. 85) männiglich eine Lanze gegen Bein,
indem er in anerkennenswerter Weise die übrigen Orte aufführt, wo ausser in
Gellep diese niederrheinische Ziegelfabrik auftritt, und indem er den von Rein
(S. 28) citierten Krefelder Stempel MI ÄRA NO und den Clever Stempel (CIRh
224, q, 10) VALS-A-A/G zu MVALSANO emendiert. Hätte schon die
sonderbare Namensform Valsanus oder gar Mualsanus Bedenken erregen
müssen, so lassen die Interpunktion, der grosse Zwischenraum, der in c
zwischen V und S auffällt, und der gemeinsame Fundort an der Identität des
Fabrikanten in allen 4 Stempeln keinen Zweifel. Wie das vollständige Cog-
nomen lautete, ist nicht zu bestimmen, vielleicht hiess es Sano.
5. Graffito, auf einem Ziegel vor dem Brande eingeritzt.
inv Es scheint das Fragment eines Datums zu
[a. d. . . .] idu{8)[. . . .] sein, wie solche auch sonst auf römischen Ziegeln
gefunden wurden, vgl. z. B. CIRh 111 — 114 und 1046.
Zugleich mit diesen Ziegelstücken würde eine Unmenge von Geßlssfrag-
menten der verschiedensten Art zu Tage gefördert, im ganzen ein guter Wasch-
korb voll, die später geordnet und nach Drägendorffs und Koenens
Arbeiten gesichtet ein durchaus einheitliches Bild ergaben, indem sich alle
als Erzeugnisse der Antoninenzeit auswiesen; vergebens suchte ich nach
typischen Vertretern der augustischen oder konstantinischen Epoche^).
1) Der im Neusser Lager gefundene Stempel (Bonn. Prov.-Mus. nr. 7423)
;AAl-SANo bietet deutlich ein 0.
2) Die weissen, selten rötlichen Krüge glichen K. XI, 23—26 oder waren Über-
gänge zu XV, 15. Die Randprofile der Urnen waren mehrfach wie K. XV, 3, c, d
und Ä, einmal wie 3 i, ältere Profile weniger häufig. Besonders zahlreich und mannig-
fach in Grösse, Feinheit der Kerbeinschnitte und Dicke waren die rundbauchigen
und 'eckig ausgebauchten' Becher (XVI, 6); nur wenige waren mit Sandkörnern
beworfen, aber gröber und spärlicher als in der I. Kaiserzeit. Die gewöhnlichen
Kumpan, Reibeschüsseln und Teller waren die von K. auf Tafel XV, 8, 10, 11
136 A. 0x6:
Ansser dicHeu keramiBchen Fnnden b^tand die Ansbente nnr noch in
einciu kleinen Bronzerin^, einem Armband von demselben Metall nnd zwei
Denaren. Das Armband, voIlBtändig erbalten, ist ans einem vierkantig^en Bronze-
drabt angefertigt, dessen mnde Enden tlbereinander greifen, dann je eine
knopfartige Rosette bilden nnd sieb endlicb in je 9 Spiralen nrnwickeln').
Der eine Denar war gnt erhaften: A, bärtiger Kopf (Commodus) mit Lorbeer-
kran«, UmBchr. M COMM [ANT] P F [EL] AVG ßRIT Rev.: Jnstitia in der
r. eine Wage, in der I. ein Füllhorn P M TRP XIII [IMP] VIII COS VPP;
die andere Mttnze, deren Bestimmung ich Heim van. Vlenteo in Bonn verdanke,
ist ein 'gefutterter' (fonrrö) Denar des Septimins Severns (Cob.* 658).
Welche Scblflsse gestatten die angeführten Funde? Ei-gtcns: die 15 Militfir-
ziegel beweisen, dass hier ein Teil eines Kastells angeschnitten wnrde.
Zweitons: ans dem Beinamen der I.Legion als der Antoniniechen, aus den
beiden MtlDzen nnd besonders ans den vielen GefUsstrtlmmeni, die ansnahms-
los den Typns der Antoninenzeit verraten, folgt, dass diese Stelle des
Kastells gegen 200 n. Chr. zerstört resp. geränmt worden ist*).
Den Umfang des Kastells zn bestimmen, war bei diesen bescheidenen
Versnehcn nicht möglieb; doch kamen noch an 3 andern Pnnkten in derNllhe
gestempelte Ziegel znni Vorschein, die weiteren Nachgrabungen einen Finger-
zeig geben können. An dem Pnnkte b, etwa 100 m östlich von der nnter-
snehton Stelle a kamen beim Ackern mehrere rotgelbe Ziegelstacke herans,
die sieb durch ihre hellere Farbe nnd ihr weicheres Material merklieb vod
den andern unterschieden. Ein weiteres Nachgraben brachte in kurzer Zeit
und 14b (largeatelltcn. Nicht minder zahlreich war das Geschirr aus terra Big>il-
laln verm-ten, dlo meistens noch dankelrot, hart und glHnzend war; nur sehr wenige
Stücke zei^rten eine gel blich -rote Farbe und geringeren Hürtegrad. Barbotino-
Bchmuek (Hhuifcli Dr. 35 u. 36) und Kellefschmuck <Dr. 37. K. Xin, 8 und XVI, 23)
fehlten nicht. Eine eingekerbte Tasse ll>r. 27. K. XIV, 10| trug den Stempel i
[ft](w«7, eine ander« (Dr. 33. K. XVI, 30) SACB^F Sacer /Xeäl). Eine fein j
beitete R^'ibeschüssel (Dr. 4i\ K. XVI. lM) innen mit Quarz stück eben rauh j
macht, aussen mit Löwenko|>f als Ausguüs, war Über die HsKto erhalten nnd «'
im Kret^lder Museum zusammengesetzt. Von den Tellern, die vorsiegend«
Sl K. XVI, 2Ka erinnerton und selten einen Übergang: von K. Xt\', & n it-Vl, j^
bildeten, trug ein frg. den Stempel /CCOF [Ii]ucco f\etit), eiu ander» j'PTVIJ
[Ttr]tuiti.
1^ Kin gani Ithuliehes Armband. ISO"* tu Mainz in der kleinen \
runden, ist Wd. Z. 1893 (Museographie) Taf. II, 5 abgebildet EJn gleiche« Am
besitit das Kiilncr Museum [nr. 788). Leider ist bei beiden nlcbt resuuMeMen. I
welcher Zeit ungefähr sie stammen mögou.
•2\ Ks ist selir gut möglich, dass auch der vou Stollir«T»fc j
genau» angeführte und Taf. I, 6 abgebildete Stempel, der I " "^
Xymwegen; zuS>flDIDIOIVLlco«] tu ergänzen is^j
runden wurdi-; er berichtet nur, dass der Gutsbi
i:^ fand. Zeitlich deckt sieb dieser Ziegel |
Funden.
Neu« roiiiiBchtr Fmide vom Nlvd^rrhci
oder ^
137
verstüniDieU
I berror, die tueh
den bis jptzt in Gellcp noch nicht nachgewiesenen Stemiwl
LEG XXX V V legio XXX U{lpia) viictriir).
trngeu. Ebenda kam anch ein schwer leserlicher, im KreJe geschriebener
StctDjiel zu Tape, der die Fignr eines Hufeisens neben sieb zeigte und, wie
der im CIRh 60, 3 ans Vechteii verüffent lichte, zn lauten scheint
EX: GER: INF: i« mi-dio glubulus
Etwa 8(1 m südlich von diesem Pniikte h ist ror knrxein ein ziegelrotes
BmchstUek eines latercnlus gefunden worden, das die 30. Legion ohne ihre
Ehrennamen nennt: XXX (/?(/.] -YXA'
Dann fand Herr Tappen an dem Punkte c in Krommcrs Garten, hart äu
iter nach dem Hhcin hin abl'allendcn Bf'isehnng einen Ziegel mit dem klart>n
Stempel /fVRS; derselbe war auf dem Bruelistflck noch ein zweiieümal ein-
gcprcsst, doch sind unr die oberen Hälften von VRS erhalten'). Was er
hedentet, igt bis jetzt nicht festgestellt. Endlich ma^ nicht unerwflhnt bleiben,
ilasB nach der Angabe des Uelleper Landniannes Wtlh. Httffkes auch andern
sog. UJimerbrnnucn {Punkt e) ein Ziegel- Stempel des M. Vahrlun Sano gi>-
funden wurde.
B. Das Gräberfeld.
Die Lage de» Gräberfeldes hat S I o 1 1 w e r e k riclitig bestimmt : es zieht
[lieh an dem ganzen westlichen Abhänge des HUgela entlang, über da» Alter
Jper blossgclegten Gräber machte i(;li in den beiden letzten Jahren folgende
peobachtungeu.
\n dem Funkte d legte im Herbste 1896 ein Ackerer eine 30 ni lauge
Rnheiignibc an. Er fand zunächst Münzen des Nero mit einer xicrlicb«u
bme, wie sie bei K. X, 22 abgebildet in Neronische Zeit, gesetzt wird, nnd einen
iTeller von terra nigra, gestempelt VoCARAF Vocara f{ecit); »uf dorn 'roller
• eine eiserne Pfeilspitze. Wenige Tage später stiesü er auf eine gro>«e
brne, die 29 cm hoch, nicht auf der Drehscheibe hergeHtellt, ledcrarlig »ich
lufUtilcud, auBwn nur in der oberen Hälfte schwarzglänzend, nntcu aber rauh
p\iT den Unieu der Ilallstatt-Periode iilmelt (K. VI, Sa); dabei ein barba-
n-t.ralMT üanipun, ein fnih-röni. Thonkrng und Kochtopf, rütlich-
_.. peinige Tage darauf fand er noeh mehr rüniistdie
1 von terra sigillata, den Itand mit Horbotine-
36) und mit den schwer leserlichoii Stempeln
T & |i p e n einige Meter südlich und
idf^rttber nns der A n t o n i n c n zeit.
[iichen K. \1, LT) und XV, In, es
tu den Kormcu XII, 24 und 27
mitr<>rUhrli* iinii Tul. 1, 3 ubi^eblldete,
1 itiiuMiill<<rcn. KhciiMD Uielet
'.ii-Kvl niclil, wie er S. 88 angiebi:
^MB.
138 A. 0x6:
und XVI, 5 und 6. Eine Tasse von t. s. (Dr. 33. K. XVI, 30) war CRACAF
Craca f(ecü) gestempelt, zwei Teller von t. s. (Dr. 31. K. XVI, 28a)
AVETIDOF Avet[e]do f{ecit) und MI/i^VTVS Minutus (fecit).
Auch im Herbste 1897 wurde im Gelleper Gräberfelde gegraben. Wieder
stiess man an einer Stelle, die ganz nahe und in gleicher Höhe der Tappen-
sehen Ausgrabungen des vorigen Jahres lag, auf ein Grab der mittleren
Kaiserzeit ^), während die Grabungen, die weiter oben angestellt wurden,
3 Gräber aus augusti scher Zeit *) zu Tage förderten. In einem lag
eine schwer erkennbare Münze des Augustus, die zu bestimmen Herr von
Vleuten in Bonn die Liebenswürdigkeit hatte. Der Inhalt dieser vier Gräber
ging in den Besitz des Landrates Dr. Limbourg in Krefeld über, dem ich
die genaueren Angaben über die Fundumstände verdanke.
Noch weiter südlich, in dem Garten des Ackerers Klassen (/*) und in
dessen Nähe sind mehrfach Gefässe aus Constantinischer Zeit von dem Be-
sitzer gefunden worden, die meist in den Privatbesitz von Liebhabern über-
gingen; u. a. vier einfache Glasbecher und zwei schwarz überzogene Trink-
becher von Thon (XVIII, 10 und 11), die — wie für die Zeit charakteristisch
— weiss aufgemalte Aufschriften trugen: AVE VITA^) und AMO JE*).
Diese Übersicht der Gräber lehrt, dass die der ersten Kaiserzeit dem
bewohnten Rücken der Anhöhe möglichst nahe angelegt wurden, in einer
Höhe, wo die stillen Wohnungen der Toten vor dem Hochwasser noch sicher
waren*); wenig tiefer die der mittleren Kaiserzeit; ganz nahe und teilweise
in der Ebene die der späteren Röraerzeit.
1) Dieses Grab enthielt: einen Krug von weissem Thon und 3 Gefässe von
t. s.: eine Sehale (Dr. 38, K. XIV, 14) eine Tasse (Dr. 33. K. XVI, 30) und einen
Teller (Dr. 31. K. XVI 28a) mit dem Stempel SECVNDAN Secundan{i).
2) Erstes Grab: eine grosse Urne (K. XII, 3), ein Krug (XI, 26) ein Teller von
t. nigra (K. IX 24) mit barbarischem, unleserlichem Stempel und ein Lämpchen
(XVIII, 38?) Zweites Grab: ein Krug (XI 25), Teller von t. nigra (K. IX 24) mit
unleserl. Stempel, ein Lämpchen (ung^ef. XVIII, 38) ein schöner Teller von t. sig.
(Dr. 17. K. XIV, 2) mit dem Stempel AOVITAN Äquitani und eine Münze des
Augustus. Drittes Grab: eine zweihenklige Urne (K. XII, 22), eine kleinere Urne,
eine Flasche von t. nigr. (ähnlich X, 6) ein zierliches Schälchen (ähnlich XII, 18) ein
Lämpchen der sog. republikanischen Form (XVIII, 28), eine kleine Schale von t. s.
(Dr. 6. K. XIV, 12) mit dem Stempel oFIPR ofi{cina) Pr{imi?\ drei gläserne Salben-
fläschchen, eins davon in Gestalt eines Vogels, eine kl. schwarz und weiss marmorierte,
vierkantige Flasche aus Glas und ein Stilus aus Bronze. Der Glasvogel sieht genau
aus wie das bei Fiedler-Houben tab. XIV, 6 abgebildete und mit einer Münze des
Claudius gefundene Exemplar. Das Gelleper Exemplar, von einem Chemiker unter-
sucht, zeigt einen silberhaltigen Überzug noch an einigen Stellen und birgt im
Innern eine weisse, ausgetrocknete Masse, die hauptsächlich aus Kreide besteht und
der Rest einer Schminke sein dürfte.
3) Jetzt im Besitze des Färberei besitzcrs Emil Molenaar in Krefeld.
4) Jetzt im Besitze des Obersten von Carlowitz in Krefeld.
5) Auch heute legen die Landleute von Gellep deshalb möglichst auf der An-
höhe ihre Rübengruben an und vermeiden tiefer gelegene Stellen, wie d oder f.
Neue römische Funde vom Niederrhein. 139
III.
Keramische Fnnde
von der H. Sels 'sehen Ziegelei
bei Neuss.
Die römischen Funde auf der Sclsschen Ringofen-^liegelei liei Neuss, die
imvorigen Hefte der B. J. von Koenen, van Vleuten, Siebourg und mir
eine Besprechung fanden, haben gemäss dem Fortgange der Ziegelarbeiten auf
dem genannten Grundstück eine weitere Bereicherung erfahren, besonders auf
keramischem Gebiet. Im Einverständnis mit den Herren Koenen und Siebourg
habe ich die Aufgabe Übernommen, ein Verzeichnis der neuen Stempel auf
terra sigillata aufzustellen: es sind 300 Nummern, meist kleine Bruchstflcke.
Sie gehören, wie die Liste ohne weiteres lehrt, einer Epoche an, wo in ünter-
germanien bereits die gallischen of{f)icinae anfangen die italischen figlinae
vom Markte zu verdrängen. Wie wichtig daher die Funde für die Geschichte
der Keramik sind, leuchtet ein. Gerade wegen der weitgehenden Bedeutung
der hier ohne wissenschaftliehe Kontrolle zu Tage geförderten Überreste früh-
römischer Kultur wäre es sehr wünschenswert, dass einmal eine planmässigc Unter-
snchnng eines noch unberührten Abschnittes stattfände, um zu konstatieren, ob
wirklich alle Scherben u. s. w. einer Kulturschicht, einer Zeit angehören.
Denn obwohl 98^/o der gefundenen Münzen solche sind, die unter Augustus
im umlaufe standen *), obwohl Material, Farbe, Form und Omamentierung der
Geftssreste in die gleiche Zeit verweisen*), obwohl andenvärts gemachte,
datierbare Funde von den in Neuss erscheinenden Töpfer-Firmen derselben
Epoche angehören, obwohl die Foim der Fibeln und Lämpchen ebendahin
denten, darf nicht übersehen werden, dass früher schon mehrere und in den
letzten zwei Jahren etwa 10 Ziegel der leg. XVI auf der Ziegelei gefunden
wurden, einer Legion, die von 40 — 70 n. Chr. am Niederrhein stand. Koenen
hat beobachtet, dass diese Ziegel in der obersten Kulturschicht lagen, und
nimmt an, dass die Legion hier die Ziegeln für ihr neues, unfern gelegenes
liager (bei Grimmlinghausen) gebacken hat, während die Augustus-Münzen,
Scherben, Fibeln u. s. w. in verschiedenartig gestalteten Löchern steckten, die
einer älteren Kulturschicht angehörten.
Der alphabetisch geordneten Tabelle der Stempel schicke ich einige Be-
merkungen zur Erklärung voraus; besonders sollen sie dazu dienen — da einmal
die Pundumstände nicht zweifellos sicher sind — Kriterien für die Datierung der
^'^et. und anderen Fabrikate zu gewinnen. Mit Erfolg sind D ragen dorff (B.
^' 96, S. 49 u. a.) und Ihm 'in diesem Hefte der B. J.) dieser Aufgabe
1) Vgl. B. J. 101, S. 9 und S. 2 u. G.
2) Funde von terra nigra und rubra (sog. belg. Ware) sind selten. Unter den
tn Fragmenten von t. sig. sind mir nur 2 Stücke aufgefallen, die ich einer spä-
^^^n Epoche zurechne : Miccio und Fatr{ici).
140 A. 0 X 6 :
näher getreten, doch sind wir noch immer von einer Lösung derselben weit
entfernt.
Als die südgallische Sigillata-Fabrikation ihren Aufschwung nahm, ahmte
sie, wie die Neusser Funde lehren, die Formen der italischen Teller und
Tassen peinlich nach und suchte nur durch ein intensiveres Rot und erhöhten
Glanz die italischen Fabrikate in Schatten zu stellen. Noch heute kann man
ohne den Stempel gelesen zu haben, gerade an diesen zwei Merkmalen meistens
die beiden grossen Gruppen der Konkurrenten unterscheiden. Wenn sich nun
auf arret. Stempeln hinter dem Namen des Fabrikbesitzers zuweilen Znsätze
wie figul{i) Arret(ini) oder nur fig, oder Ar, finden, so haben m. E. diese
Attribute nur Sinn in einer Zeit, wo arret. Ware sich bereits eines guten
Rufes draussen erfreute und sich einer starken Konkun-enz erwehren musste;
der Zusatz figuUi) oder figli{na) findet nur eine Erklärung in dem scharfen
Gegensatz zu den gallischen of{f)icinae. Die anerkannt ältesten arret. Firmen
kennen diese Zusätze nicht. Es ist fraglich, ob schon in der Neusser Epoche
diese Sitte bestand, da die Auflösung der beiden Beispiele L. Titi f\iguli) und
L. T{iti) Ar(retini) keineswegs sicher steht. Aber nur sehr wenig später kann
sie aufgekommen sein, da gerade die in Neuss vertretenen Firmen anderwärts
mit diesen Zusätzen gefunden wurden, namentlich in Tarraco in Spanien, einer
Stadt, die auch in ihren anderen Arretina grosse Übereinstimmung mit Neuss
zeigt. Mir sind folgende bekannt: Cn» Atei Ar{retini) meist in planta pedis^),
Senti figul{i) in Arezzo und Rom, Sesti figul(i) Opt{atu8) in Tarraco, Titi]
figu{li) 3 mal dicht unter einander wiederholt, in Toulouse, A. Titi figul{i)
A'rret{ini) und A. Titi figul{i) in Arezzo, Rom und Tarraco, C. Titi figul{i)
Ar[ret]{ini)^) in Tarraco, ebenda Hilar{iu8) Ti{ti) fig{uli) ein aus der Fabrik
des Z. Titius bekannter Sklave^), A. Vibi figul{i) in Tarraco*), C. Vibi f{iguli?)
in Südfrankreich, Unteritalien und Rom, L. Umijbrici) f(iguli?) in Tarraco,
ünteritalien und Arezzo. Das Beispiel des Ateius ist wohl das jüngste der
angeführten, da es 'in solea' steht und in Pompei gefunden wurde.
Einer Zeit, in der draussen arret. Ware nachgeahmt wurde, muss auch
der bislang nicht befriedigend erklärte, zweimal bezeugte Stempel ARRE||VERV
angehören^): es liegt nahe, darin ein Arre(tinum) veru{m) (sc. vas) zu sehen.
Es giebt auch Gefässe die ohne jeden Eigennamen nur die Legende
Ar(r)etin, Ar(r)etio, Ar{r)eti^) und ähnl. bieten. In Neuss und in CIL XII
d. h. in Südfrankreich fehlen dieselben, ein Umstand, der auf spätere Zeit
1) Die Beispiele sind von mir B. J. 101, S. 27 zusammengestellt.
2) Oder, wenn der Stempel richtig wiedergegeben ist, C. Titi figularis.
3) Vgl. Gamurrini nr. 36 u. 37. CIL XV, 5262. Er signiert im Kreuz, im Kreis
und einzeilig H-L*TI. Ihm liest Hilar[io) und letzteres Beispiel Hylax.
4) Die Stempel Ävili figul{i) in CIL II. III. und XV. sind mir zweifelhaft und
scheinen eher A, Vibi figuli zu sein. Eph. ep. VIII n. 214, 13: A VIBI || AR/EI fügt
Ihm hinzu.
5) Garn. p. 61, n. 396 (wo er als Arrenixis Venis erklärt wird) und CIL IX.
6) In Arezzo, wie mir Ihm mitteilt, bis jetzt nicht nachgewiesen.
Neue römische Fände vom Niederrhein. 141
Bcliliessen lässt; in Fusssohle stehen sie nie. In dem Schutte poteolanischer
und arretinischer Gefässe, die teilweise aus einer etwas späteren Zeit stammen,
fanden sich 9 Exemplare^). Dass sie einen Eigennamen bedeuten, seheint mir
unwahrscheinlich; entweder sind sie ähnlich dem ebengenannten Stempel als
Arretinium vas) aufzufassen oder bedeuten Arretin{ortim servus publicus)
m
und stammen nicht aus einer Privat-, sondern staatlichen oder städtischen
Fabrik. Wenn es eine solche gab, konnten nur servi publici darin
beschäftigt werden: diese mussten so gut wie in den Privatfabriken ihre
Stempel haben: wir wissen aus den arret. Stempeln, dass die Privatsklaven in
der Regel das Wort servus- auslassen, und wissen von Steininschriften, dass
dieselbe Sitte bei den (servi) publici im Schwange war. Es war nun schon
längst aufgefallen, dass auf zweizeiligen arret. Stempeln der Name eines gewissen
Pul)li{cius)j wie Gamurrini, oder Publi{us)j wie Dressel erklärt, nur m Ver-
bindung mit Sklavennamen, nie mit Praenomen oder Cognomen und gewöhn-
lich in der 2. Zeile erscheint, während der Sklavenname in der 1. steht. Ich
halte eine Lösung publiicus) sc. servus für das richtige«). Dass sich ein
Damis publi{cu8) und Suav{i8) puhl(icus) noch in Südfrankreich findet, spricht
für ein gewisses Alter; in Neuss kommen C\h)re8fu8 pubijicus) und Olym(p )
pubUicus) je zweimal vor; die meisten Beispiele sind in Arezzo selbst gefun-
den worden*).
Nicht nur in Gallien fanden die Arretiner gefährliche Nebenbuhler, auch
in Italien. Die Neusser Funde lehren, dass auch aus Put coli schon unter
Augustus Gefössc bis an den Rhein gelangten. Der Fabrikationsort anderer
oflfenbar auch aus Italien stammenden Neusser Stempel liess sich noch nicht
feststellen.
Gemeinsam sind den arret. wie puteol. Stempeln die Beizeichen des
Kranzes und der Palme*). Wann diese Beizeichen aufkamen, ist unbe-
stimmt. Auf den nachweislich ältesten Stempeln fehlen sie; die 'servi
publici' kennen sie nicht; die Privatfabriken der Neusser Epoche führen sie
gern. Auf Stempeln Mn pl. p.' stehen sie nur noch selten, z. B. bei C. Amuri,
Memi und Q. Ser{tori) *).
1) B. d. I. 1875, 251 ff.
2) Wie der Stempel RASI||PVB und der auch noch in Süd frank reich, Tarraco
und Rom vorkommende PVBL||TITI zu erklären sind, muss vorläufig dahingestellt
bleiben. — Schon Cavedoni (B. d. I. 1841) las {senn) publici.
3) Schon Gamurrini nahm an, dass an dem Orte Orciolaia bei Arozzo ein Soda-
licium von ßguli hätte arbeiten lassen. Violleicht ist auch dort kommunaler Betrieb
gewesen. Vgl. dazu Ihm S. 124.
4) Beides Attribute des Sieges, sind sie mir nur verständlich, wenn sie eine Aus-
zeichnung oder Anerkennung bedeuten und nicht nur als Ornament dienen sollen.
Für diese Erklärung spricht die Darstellung auf einem ornamentierten Gefäss des
ALBI II PROTI der wahrscheinlich aus Arezzo stammt (vgl. Ihm): Dressel veröffent-
licht XV, 4544 diesen Stempel mit dem Vermerk: 'figulus sinistrorsus sedens vas prae-
grande stilo fingit; pone Victoria volans caput figuli coronat.*
5) CIL XV. 4955, X. 5331. 5576e.
142 A. 0x6:
Das anf Steininschriften seit Angnstus so hänfig bald als Interpunktions-
zeichen, bald als Ornament verwandte Epheublatt^) ^'erscheint auf den ke-
ramischen Stempeln selten. In Neuss bis jetzt nur auf dem puteol. Stempel
des Vitlus (Naevi) in serto cum palma et foHo. Da dieses Beizeichen einen
terminus post quem uns zu geben scheint, mögen hier die vier arret. Stempel
genannt sein, die ich anderwärts mit diesem Blatte fand: CN-A-A/2r Cn. Aitei)
A(mandi?) APELLES || TITl<2f Apelles Tüi, INGEN || L^A/N Ingen(ui) L.
Anni und L<2fR^P L. R{a8ini) P{i8ani). Vermutlich findet diese Liste
durch CIL XI eine Bereicherung.
Noch mehr Beachtung als die Beizeichen verdienen die verschiedenen
Arten der Umrahmung des Stempels; sie können fflr die Bestimmung der Zeit
und der Fabrik von Bedeutung sein. Da nämlich viele Stempel nur den
Sklavennamen bieten, wissen wir heute in den meisten Fällen nicht, zu wel-
cher Fabrik sie gehören; wir wissen auch noch nicht, zu welcher Zeit und in
welchen Fabriken diese kurze Signierung gebräuchlich war*). In dieser wich-
tigen Frage muss uns das instrumentum dom. des CIL XI, das die in Arezzo
gefundenen Stempel bringt, und eine scharfe Beobachtung und genaue Wieder-
gabe der Gefäss- und Stempelformen, wie es bis jetzt allein durch Dressel ge-
schehen ist, weiter bringen. In Neuss erscheint z. B. nur der Stempel
Doni{iti oder itiorum) mit einer leiterartigen Verzierung und der eines Protus
in einer ähnlichen Umrahmung: Profus gehört höchstvrahrscheinlich der Fabrik
des Calidius Strigo an; Calidius und Domitius gelten beide für ältere figuli;
vielleicht lässt sich allgemein nachweisen, dass diese Art der Umrahmung älteren
Datums ist.
Das Kleeblatt ist für die Neusser Epoche und für die Fabrik des
Ateius charakteristisch^). Bis jetzt Hessen sich die Arbeiter Crestus, Mahes,
Xanthus und Zoilus in Neuss und anderwärts nachweisen*).
Anscheinend ein wenig später als die Neusser Epoche kam die Manier
auf, den Namen des Herrn zu dem des Sklaven senkrecht zu schreiben,
sodass die Kreuzform entstand. Beispiele kenne ich von Zoilus und Xanthtus
des AteiuSy Hüarius und Chry8ant{h)us des L. THtius und Soter und Her{...,)
1) Vgl. Hübner, röm. Epigr. H. d. kl. AW. I, 652.
2) Von den Neassern alleinstehenden Sklavennamen gehören Sini{8tor) und
ProttLS vermutlich der Fabrik des Calidius an; nachweislich Mahes, Eufwdus, Xan-
thuSj Zoilus und ein Crest{u4t?) der des Äteius, ein Äphr{odisiu>s?) der des Sentius. Es
ist möglich, dass die von Ihm S. 124 angeführten Sklavennamen, bei denen manchmal
G S E gefunden wurde, derselben Fabrik angehörten. Wenn die Namen gewisser
Fabrikbesitzer selten erscheinen, so mag dies auch mit dieser Art zu signieren zu-
sammenhängen und berechtigt nicht ohne weiteres zu dem Schluss, dass ihre Firma
unbedeutend gewesen sei.
3) Die beiden einzigen Stempel m. W., die 'in trifolio' stehen und nicht den
Namen -4^eiM« tragen: XII, 6686 PMS (M. Perenni Saturnini?) und II, 6349, 4
L"T-F (-L. Titi figuli?)f bedürfen einer Revision. Nach Ihm signiert auch Fastidienus
in trifolio.
4) Vgl. die Tabelle.
Neue römische Funde vom Niederrhein. 143
des Sestius. Das Berner Museum [21260] hat einen ans Engiwald ^) stammen-
den Stempel in Kreuzform, dessen Legende ANTI zu [X]anti zu ergänzen ist:
an Stelle des Herrennamen stehen zwei senkrechte Palmen. Nicht mit dieser
Form zu verwechseln sind die durch ein Kreuz gespaltenen Stempel, wie
LTE
SM
TTI ERO
und
SCA
STR
I A LID
Der erstere Name ist besonders häufig; er findet sich in Sttdfrankreich noch
7 mal und ebenso oft in Neuss. Die Bedeutung dieses Spaltens ist unklar.
Vielleicht sind diese Formen aber die Vorläufer jener Kreuzformen.
In derselben Zeit und in denselben Fabriken, wo die Kreuzform beliebt
Würde, giebt es auch Stempel, die kreisrund (circulo) geschrieben sind. Von
Ateios kennen wir die Stempel Atel, Atel Euhodi circ. scr. in medio Cn^),
Cresti und Xanti\ von der des L, Titiu8 aus Arezzo Hüarius L. Titi circ.
scr. und aus Tarraco Domi8ticu{8?) circ. scr. in medio L, Titi. Da femer
aus der Fabrik des L. Titius die beiden SklsLvejiJanuarius^) und Eomanus^)
bekannt sind, liegt die Vermutung nahe, dass auch die Neusser Stempel
Januarius feci circ. scr. und Romanus circ. scr. dieser Fabrik zuzurechnen
sind; bezeichnend für die Zeit ist die Thatsache, dass kreisrunde Stempel des
Januarius noch in Südfrankreich und in Tarraco vorkommen, hier mit der
für frühe Zeit charakteristischen Abkürzung fe = feci. Von Sestius giebt es
in Rom Ses(H) • Argi(nes) circ. scr., von Cornelius nur einmal (V) P, Cornel{i)
und einmal aus Arezzo M, Perenni circ. scr. In Neuss findet sich ausserdem
kreisrund geschrieben Font{ei) und Sex, Avili Mani^), beide in Arezzo nicht
nachweisbar; den Übergang von der quadratischen Form zur kreisrunden bildet
der Stempel des Crestua puh{licus), der in einem Quadrat ringsum geschrieben
steht. In Südgallien ist die Kreisform der Stempel, wie CIL XII mit vielen
Beispielen lehrt, auf schwarzen Gefässen (vasa nigra) — nicht auf Sigillaia —
die gebräuchliche; interessant ist dabei, dass stets der Nominativus des Ar-
beiters steht, dabei oft fecit (auch noch in der alten Abkürzung /e), nie die
Bezeichnung officina oder der Name des Fabrikherm. Wie es scheint, ge-
hören diese "vasa nigra' alle sehr früher Zeit an; wahrscheinlich sind sie
gleichzeitig mit den Neussem.
Die Hufeisen- oder Halbmondform ist bis jetzt in Neuss nicht gefunden
worden; vielleicht ist sie jünger, da sie m. W. auch in Südgallien fehlt, und
1) Die Funde des Bemer Museums aus Engiwald sind, was die Arretina he-
^^"^Ät, mit den Neussern gleichaltrig: es stammen daher Auctus/publiicus), C. Ti/grani
cum palma, Ätei, L. Titi und Avil{i) Die Stempel dieses Museums, die in Fusssohle
stehen^ sind jenseits der Alpen (in Orseüna) gefunden und sind aus späterer Zeit:
Q- X^ M. P. Crest, S. S, B,
2) Beispiele B. J. 101. 8. 36. Eins aus Tarraco.
3) XV, 5676 und 5680.
4) Gamurrini nr. 43 und 44.
5) Diese Firma bevorzugt auch son.«*t diese Form. In Xanten findet sich noch
Ä^eizeilig Sex \ Avili.
144 A.Oxe:
mm
bildet einen Übergang Ton der Kreis- zur Fii»eohknform. Ans XV kenne
ich X. Raifini Pisani (S ex.) cnm asteriscü ond 3/. Perem{m) Itffran(i) *)
cum asterisco et palma.
Mehr Beachtung nnd Würdigung hat bis jetzt bei den Editoren die Ein-
fassung der Stempel in einer Fnsssohle <*^in planta pedis' oder 'in solea*)
gefanden. Trotzdem wissen wir noch nicht genan, wann ae aufkam und wann
sie verschwand. In Pompei ist diese Form hanfig Tcrtreten: in Neuss fehlt
sie. Doch kann ihr Aufkommen nicht riel spater als die Neusser Epoche
fallen. Xicht nur« dass Tiele der in Neuss Tcrtretenen Firmen anderwärts —
offenbar denselben Inhaber bezeichnend — auch 'in pL p.' erscheinen; sogar
dieselben Arbeiter kehren 'in pl. p.^ wieder: so ein Xamthms und Zoüus. Es
ist bezeichnend^ dass in XII Cn. Atei \ ZoUi 2 mal zweizeilig und Zaili allein
je einmal 'in solea^ und freistehend vorkommt, Cm. Atei \ Xamt{h)i 3 mal zwei-
zweilig und Xant(hii allein 12 mal frei und einmal 'in solea'*). Die 'solea'
kam also in Crebrauch, als bereits die gallische Ware den italischen Import
zurückgedrängt hatte, eine wichtige Thatsache, die durch die grosse Seltenheit
solcher Stempel in XII schlagend bewiesen wird: von den Neusser Finnen
findet sich je einmal ausser XoRthns und Zoilms noch RufremuSj sonst nur
C. Bov{...) Gent{ )»); höchst fraglich sind Agenor f und Fl. C. Räli^).
Nach Spanien (II) dauerte, wie das häufigere Vorkommen dieser Einfassung
zeigt, der Import der itaUschen Fabrikate langer: nach den Donaulindem (III)
scheint ein intensiver Export derselben erst begonnen zu haben^ ab das Absatz-
gebiet Ton Gallien und Germanien verschlossen war^).
Die Stempel 'in solea^ sind auf einem Gefass nie mehrfach eingedrückt
worden; daraus schliesst man mit Recht, dass die mehrfach wiederholten Stempel
einer älteren Zeit angehören müssen^». Dazu kommt, dass schon auf einem
schwärzliehen arret. Gefass, das in der Xekropole am EIsqnilin gefunden wurde,
die Marke CV viermal wiederkehrt. Diese Art der Stempelung reicht bis in
die Neusser Epoche. Hier sind es immer grosse, schwere Teller (Dr. la), die
1) Was die Datierung der vielen Stempel dieses Xamens angeht, so ist wichtig,
dass in Arezzo einmal M. Perenni circ. scr. vorkommt und M. Ptren{ni) | Tigran(i)
noch in Südfrankreich und in Tarraco (3 ex.\ davon ein Stempel in TForm. Auch
M. T\erenni) S{aturn . .) erscheint noch in Südfrankreich und am Niederrhein (Xanten
und Neuss), aber auch in Zollfeld ^Virunum). ^L Pertni Bargati fehlt in XU, findet
sich in Pompei und mehrfach in Rom, davon ein Stempel in TForm. Endlich Af.
Perienni) Crest{ ) erscheint ebenfalls nicht mehr in XII, einmal in II (Sagunt; 'in
solea'?), sonst häufiger und, wie es scheint, immer '^in solea'. — Während des Druckes
wurde in Neuss auch Pilades Perenni gefunden, vgl. den Nachtrag S. 157.
2) Xn, 5686, 1098 (incertae lectionis) ergiebt auf den Kopf gestellt ^TofiMi".
3) XII, 5686, 765a (b incertae originis) und 139.
4) XII, 5686, 22d und 364.
5) Das Fehlen der *solea' in einer Fabrik kann nicht ohne weiteres als ter-
minus ante quem oder post quem verwertet werden; es ist denkbar, dass nicht alle
Fabriken dieser gekünstelten Einfassung sich bedienten.
6; Dressel XV und Ihm in diesem Heft der B. J.
Neut! römische Funde voiu Niederrliein. 146
auf dem Boden ein fein schrafiiertea, kreisförmiges Band und am inneren
Kande dieses Bandes 4 mal und i» der Mitte 1 mal den Stempel tragen. Ans
Xens8 sind bis Jetzt bekannt Srt | Änni, Ätei i'nm palm», Ün. Atei, P. C.N.
cum piiltnji (P. Corneli N ?), Eros'u L. Gellt, A. Tiü (auf 2 Tellern),
/,. Tiü I Copo und Thyrisus) \ Umbryici). Ana SttdfrankreieU (XII) sind mir
nur 3 Beispiele bekannt L. Tetti \ Crito, A. Titi und L. J\iti?) Ar(retini?)*),
4 ans Spanien (IIj und zwar aus Tarraco Atel (2 ex,), /•■ Pietroni?), L. Te{tti)
und A. Titi \ ßgulii) — also meist Firmen, die aueb aus Neuss bekannt sind.
In ünteritalien kommeu Ätei (in Ponipei!) und A. Sesii \ Philog{....) vor; die
meisten sind nns ausRom bekannt, vielleicht weilDressel am genauesten dieWiedor-
liolung notiert: L. P.C'.(L.PetroniCor..? oder L... P. Cor mit*), od C.Sert{ori)
OceH...), L. T. V. (eber L. Ttti Üopo als L. Tetti Crito), L. T. G. (violleicht
«U-rselbe), mehrfacb L. Tetti allein, Philadeilphus?) \ L. Tetti, 8 mal L.
Tetti I i^amia, L. Tili \ JuhcuU cum »Bterisco et puluia, 2 mal Sex \ Titi,
V. V. und aus der Fabrik des L. IJmbricius Scaurus Oala \ Scau{ri), L.
Umbriki) Salm nnd L. Uni(brici) Scae{va). Wältrend auf gallischer Sigillata
ni. W. niemals in dieser Weise der Stempel wiederholt wird, fiode ieh wieder-
um eine Parallele ku dieser italischen Sitte auf Tellern von terra nigra oder
rubra (sog. beig. Ware Dr. Form. 19 und 20, K. XIII, 1): auf ihnen ist ge-
wöhulieh die Matrize 1 mal tn der Mitte und 3 mal an den konzentrischen
Gurtringen eingepresst; auf ihnen konmien, so weit ich sehen kann, nie die
Zusätze officina uder fecit vor, oft sind sie zweizeilig und für die Nominativ-
form US pÜegt u, o oder os zu stehen. Man pflegt diese Tellerformen in die
erste Hälfte des I, Jhdts. oder noch früher zu setzen ^). Bruchstücke eines
solchen Tellers fanden sivh auch in Neuss, aber ohne Stempel.
Die Form der Buchstaben bat bis jetzt nur wenig fUr einen Zeitansatz
ergeben. In Neuss sind II, I', A und Af nicht selten, auch kleines o und
offenes O fehlen nicht: jenes z. ß. in Dom[iti}, dieses in Profan (Calidi?),
offenbar auf Stempeln älterer Fabriken. Besonders altertümlich oder vulgär
sind die Zeichen des Eros C. Avilli 11, S, A, l uud (. *).
Ebensowenig haben die Beobachtungen inbetreS' der Gemination der
Konsonanten und der Aspiricrung der mutae uns bis jetzt geför-
dert. Noch in 'pl. p.' findet sich z. li. Pereni und Geli ohne Oemination;
iu Neuss Geli neben Gelli, Avili neben AvUli und bei nicht-arretiniseben
Murani und Murrani, stets Maiius, Scott und Scotti, Maccari und Maca{ri)?
Weder Apex noch Sicilicus sind bis Jetzt auf einem arret. Stempel beob-
1) Er gehört vielleicht iu die Fabrik des C. Ävilliu», An von diesem in Neuss
ein Eros sich findet und zwAr mit demHelben TulgSren II =^ e und 2 = ».
2) Oder L. Tarl . .), da Bwischen T und A nie ein Punkt steht.
3) Drngendorrf B, J. 9fi, S. 88-37. Koi'.nen OK S. 88: 'Schon in der Zeil
des Claudius scheint diese Art von GetXssen nm Rhein zu verschwinden."
4) Dieser C. Ävilliua ist schwerlich identisch mit dem auf 'pl, p.* so hftuHgen
C. Av. Ni/m. Dng'o'gen kann dnr Stempel CVI iius der ntton arret. Nckropole sehr
piit mit ihm identisch sein und eher ('. Ai%li) nb Gavi bedeuten.
Jahrb. d. Ver. y. Alturtlisfr. im Rlieinl. iOK. 10
146 A. 0x6:
achtet, obwohl gerade letzteres Zeichen fttr die raumarmen Stempel willkommen
sein musste.
Von altertümlicher Vokalisation scheint nur ei = l vorzukommen^).
In Neuss nur innerhalb des Wortes in Eicar{u vel us) \ Scrof{ae); derselbe
Sklave heisst auf einem stadtrömischen Stempel Eicaru \ A. Vibi. Daneben
in Neuss aus einer anscheinend jüngeren Fabrik — A. Vibius kommt nie *in
pl. p/ vor, wohl L. Umbricius Scaurus — Icari \ L. Umb{rici). In der
Genetivendung kommt in Neuss anscheinend ei für i nicht mehr vor. Zwei in
Neuss auf t auslautende Namen sind anderwärts noch mit ei gefunden worden: Sels
19 u. 597 G. Tig\rani (vielleicht nicht arretinisch), in Xanten [Mus. 872] und
Heddernheim [Dr. II, 374] ^) noch C Tig\ranei\ in Neuss nur L. Tetti, einmal
sonst auch L. Tettei (vgl. Ihm). Ausserdem ist mir diese Genetivform nur
noch von der in Neuss fehlenden alten Fabrik des (7. Annius bekannt: V,
8115, 8a und b C ANNEI und aus Tarraco (II, 4970, 70) AVCTV || C-ANNEI.
Diomedes bildet in Neuss nur den Genetiv Diomedi,
Dass der Abwurf des s im Nominativus der IL u. III. Deklination noch in der
Neusser Epoche vorkommt, ist sehr wahrscheinlich, lässt sich aber nicht mit
unbedingter Sicherheit behaupten, da die betreffenden Formen Caru, Juniu,
PrimUj Suavi L. liti und vielleicht Vitlu Naevi auch als Abkürzungen be-
trachtet werden können. Doch auch als Abkürzungen erklärt, weisen uns
solche Formen in frühe Zeit. Schon oben war von alten Firmen ein Eicaru
\ A. Vibi und Auctu \ C. Annei erwähnt; von letzterer sind noch bekannt
Salviu (3 mal). Gemein und Fantagatu, von P. Cornelius ein Faustu und
Primu, von Domitius ein Lysimacu und Stabili *),• von A, Maneius (in diesen
Beispielen nur mit einem n geschrieben) Corinthuy Cosmu und BeceptUy von
Memmius ein Anthu und Cissu, von Rasinius ein CissUj Euticu (sonst auch
Eutficuft) und Salviu.
Selten kommt es vor, dass auf arret. Stempeln ein Wort am Ende der
ersten Zeile abgebrochen wird, um im Anfang der folgenden fortgesetzt
zu werden. Gewöhnlich füllt der Name des Herrn die eine, der des Sklaven
(oder auch das Cognomen des Herrn) die andere Zeile. Eine auffallende Aus-
nahme von dieser Regel macht die gens Titia. Hier wird getrennt Anter \ os
Tit{i\ Cinn \ a Titi % Gerne \ lli Titi, Lysim \ ad Tili, Philosi \ ti im,
Prince j ps Titi; Chresti \ o A. Titi; Secund \ i L, Titi, Roma \ n{u8) L. Titi
und Anter \ os L, Titi, Sonst habe ich diese eigenartige Trennung auf zwei-
zeiligen Stempeln nur bei Eros A \ vilUus, Prise \ us Avili, Eros Ca | lid{i)
1) IT bietet A. Titi Plout{. . .), was unsicher ist und von Ihm in A. Titi figul(i)
geändert wird. Die beiden Neusser Stempel Fouri sind nicht sicher.
2) Dragendorff bietet C. TY^rane« irrtümlich, wie mirBohn aus den Scheden
des CIL XIII mitteilt.
3) Vielleicht auch Stäbili{o) aufzulösen.
4) Kann auch Cinn{ä) \ A Tili heissen. Er ist als Sklave der C L, Titiorum
bekannt. Überhaupt können alle obigen Beispiele ohne Praenomen auch Titiorum
aufgelöst werden.
Neue römische Fände vom Niederrhein. 147
Stfiigonis) und Epaphro \ dit{%) Tet(t) ^) bemerkt. Keins dieser Beispiele
stammt aus Südfrankreich, keins ans Neuss.
"Auf Zeitbestimmungen, die sich aus der Nomenklatur ergeben können,
weist Ihm in seinem Aufsatze in diesem Hefte mehrfach hin. Erwähnung ver-
dient noch die laxe Manier, neben dem Namen des Sklaven nur das Cog-
nomen des Fabrikherm zu nennen, mir nur aus den drei Fabriken des
Calidius Strigo^ A, Vibius Scrofa und L. Umbricius Scaurus bekannt:
Eicar{u8) Scrofae aus Neuss war bereits erwähnt; sonst Pro(tu8) Str{igoni8)
und Menolaipos) Strigon(is)\ Leosithenes) Sca{uri), Gala(,..) Scauiri) quater
Impressum, Cerd(o) Scau{ri) und Scauri Icar(i). Keins dieser Beispiele findet
sich in Sttdfrankreich.
Oft sind auf den Stempeln die Namen zweier Fabrikanten genannt. Ge-
rade die in Neuss belegten Namen erscheinen oft in solchem Compagnie-
geschäft. Aus Neuss selbst stammen Alex8an(dri) \ Diomedi, L. Gelli \ L.
Sempr{pni)y Atel Ma{h)e{tis) et Zoeli^ Sonst sind bekannt Xanti Zoili;
Cresius \ Vibior(um)y Stator Vibior{um), Auctus [ Vi]biorium) und [ V]ibior(um)
[Ame]mptus^)] ein Cinna \ C. L. Titi(orum) lässt auf ein gemeinsames Ge-
schäft ievjTitii schliessen; C. Cispi \ L, Caesius] Pantagattis Basini Memmi
nnd[Quartio Rasini Memmi, Von Compagniegeschäften, deren Namen in Neuss
bis jetzt unbekannt sind, giebt es nur zwei: Suva et Philolog{us), in denen
Ihm C, Umbricius Philologus und L. Avillius Sura erblickt, und die nur in
dem einen, mehrfach bezeugten Stempel L. C. Pet{roniorum) Cori{nthus?) *)
erscheinende Fabrik der Petronii^).
Andere Anhaltspunkte für die Zeitfolge der arretinischen Industrie
giebt in diesem Hefte bereits Ihm (so S. 108 112 u. a.). Alles in allem, sind wir
augenblicklich noch nicht imstande, einen sicheren Überblick über die Ent-
wicklung dieser figlinae zu geben; doch steht zu erwarten, dass wir diesem
Ziele näher kommen werden durch weitere Veröffentlichungen bereits ge-
sammelten Materials und weitere Funde, durch genaue Beobachtung sowohl in
archäologischer wie epigraphischer Beziehung und durch Feststellung des Ab-
satzgebietes.
Noch weniger ist uns bis heute von den pateolanischen Töpfereien be-
kannt. Dragendorf f berührt (B.J. 96, S. 54) dieselben nur kurz*) und er-
wähnt namentlich Q. Pomponius Serenus, L, Valerius Titus und mit seinen
11 Sklaven den N. Naevius Hilari{u8?), dessen Praenomen schon in das
oskische Sprachgebiet weist. Aus einem Vergleich der Ornamente schlicsst er,
dasB die put. Gefässe jünger seien als die ältesten arretinischen. Ob die in
1) Vielleicht Tiä?
2) X, 8056, 495 IDIOR II //MPTVS emendiere ich, wie oben angegeben.
8) II, 4970, 9a XII, 5686, 149. XV, 5065a et b. Ebenda 5 Exemplare aus
Arezzo.
4) In Neuss nur ein T. Pet(ronius),
5) Hauptquelle bleibt noch immer Bull. d. J. 1875 p. 251 ff.
148 A. 0x6:
eiDem grossen Schutthaufen gefundenen puteol. Gefässreste alle einer Epoche
angehören, ist mir sehr fraglich, da die vereinzelt darunter gefundenen Arre-
tina, von denen einige auch 'in solea* stehen, offenbar verschiedenen Epochen
zuzurechnen sind ^). Man kann aus diesem vereinzelten Auftreten der arret.
Fabrikate m. E. nur den Schluss ziehen, dass bei der hohen Entwicklung der
einheimischen, exportfähigen Industrie in Puteoli die arret. Ware nur wenig
Eingang gefunden hat. Für die Zeitbestimmung halte ich andere Wahrneh-
mungen für wichtiger: einige jener Puteolaner z. B. Anthus, Oamus, Maecius,
Naevius, Pomponius und L. Urban{, . .) kommen noch in Stldgallien vor;
in Neuss Änthus, Com{...y?j Maecitis, Naevius^), Urban{...) und C.Tap(...)]
femer werfen einige im Nominativ noch das s ab Atticu, Primu, Suavij
TertiUf Secundu (10 mal) und Vitulu. Spezifisch puteolanische Sitte ist die
Umrahmung des Stempels mit kreisrundem Kranze: so namentlich bei den
vielen Sklaven des NaeviuSj die man dadurch ohne weiteres von den gleich-
namigen Sklaven anderer Fabriken tfhterschciden kann, bei Naevius selbst;
Änthus^ Camus oder Gamus, Q. Pomponius Serenus, L. Urban{. . .) und TUus
{^ iL Valerius Titus?). Nur Q. Pomp. Ser. steht einmal circ. scr. »); es
fehlt die Fusssohle ^). Das Beizeichen der Palme ist selten, das Epheublatt ^
nur bei Vitulus Naevi.
Höchst merkwürdig ist das Auftreten der arret. Firma des L, Rasinius
Pisanus in Puteoli. Sein Stempel fand sich dort auf einer Form, auf Gefässen
kehrte Cerdo \ Rasini 5 mal wieder {Cerdo allein 6 mal). Nach Ihm findet
sich ein Stempel des Rasinius von Zweigen (Kranz?) eingerahmt und sind seine
Funde in Arezzo unbedeutend. Alle diese Erscheinungen sprechen dafür, dass
L. R. P. auch in Puteoli hat arbeiten lassen. Den Zusatz Ariretini) oder
figul{i) arreti{ni) gebraucht er nachweislich nie.
Italischer Herkunft mögen auch, nach der Gefäss- und Stempelform zu
urteilen, folgende Stempel sein, die teils zweizeilig, teils kreisförmig, teils
in mehreren Zeilen auf runder Fläche geschrieben sind: A. Annius und Sex.
AvilliuSf die sich in Arezzo nicht nachweisen lassen; Sex. Afri cum palma,
C. Crispiini) Pri(ncipis), T. Pet{roni) Scaeivae), D. Rom(. . ?) Manc{ia),
Faustus Salinatoriae ser(vus) % Font{ei) circ. scr.
Die Stempel der gallischen Töpfereien aus Neuss bringen den Namen
1) Es tauchen dort die Namen auf Cn. Aftei) A{mandi?), Cerdo üasini, Ateiy
P. Come(li) Firm(ii8), Dom(iti), Eros C. Anni^ Felicia Saufei, Gemelli Titi, Phar-
naces (Rasini?), M, Peren(ni)y C, Senti, Hospe(s) L. Unibrßci), C. Volfusi?) und
Xanthi.
2) Sein Sklave Vitulus sicher, vielleicht auch Felix und Primus.
3) X, 8056, 273 aus Puteoli [jetzt in Berlin, 2 Ex.],
4) Der 6 mal in Puteoli 'inpl. p.' auftretende Stempel SEX-M'P ist schwerlich
puteolanischen Ursprungs.
5) In Z. 4 ist zwischen R und I eine plumpe, verschwommene Interpunktion in
den beiden Neusser Exemplaren. Bohn teilt mir von einem Beispiel aus Poitiers v. 4:
S E R > I ^ niit und stellt damit die Lesung sicher.
Neue römische Funde vom Niederrhein. 149
des Fabrikanten oder Arbeiten bald im blossen Genetiv oder Nominativ, bald
mit vorgestelltem oficina oder nachgestelltem feci (oder fecit). Für die Zeit
ist charakteristisch, dass oficina — gew. ofj häufig auch noch ofi oder ofic
abgekürzt — nie mit ff geschrieben wird und stets vor dem Namen des Fabrik-
besitzers steht; ferner dass sich nur die Abkürzungen f, fe oder feci finden,
nie fec oder fecit. Ob nun alle Abkürzungen in dieser Epoche mit feci auf-
zulösen sind, muss dahingestellt bleiben, scheint aber nicht wahrscheinlich.
Eine spezifisch gallische Sitte der frühesten Kaiserzeit muss hier festge-
stellt werden: auf einfachen Tellern und Tassen von t. sig. in der Mitte des
Bodens, wo sonst die Fabrikmarke angebracht ist, einen Willkommen- oder
Abschiedsgruss anzubringen und zwar mit einem StempeP). In Neuss er-
scheint zweimal SALVE und einmal SALVE TV. Für letzteren Gruss bringt CIL
XII 7 Beispiele, zu denen der Herausgeber bemerkt 'fortasse salve tu*^ in
Spanien lassen sich 2 nachweisen*); je einer in Mainz ^) und in Trier, dieser
auf einem Teller frührömischer Form (Dr. 17). Den Stempel salve kenne ich
nur noch von einem jüngst in Bonn gefundenen Teller von t. sig. (Dr. Form
17)*). Ein anderes noch nicht erklärtes, gleichzeitiges und gleichartiges Bei-
spiel für diese südgallische Sitte finde ich in dem Stempel FELICENTE, der
im Museum zu A r 1 e s in 4 Exemplaren auftritt % Nach Dragendorff
(B. J. 96, p. 98) steht dieser ihm rätselhafte Stempel ebenfalls an der Stelle,
wo sonst die Firma steht, sowohl auf gewöhnlicher Sigillata als auf gelb und
rot marmorierten Gefässen, die aus Arier Fabriken stammen und nach ihren
Formen (Dr. Form. 15-18, 22 und 27) der ersten Hälfte des I. Jhdts. an-
gehören. Der Gruss felicem te muss in der ersten Kaiseraeit gang und gäbe
gewesen sein, wie die Assimilation des m vor t und Beispiele aus der zeitge-
nössischen Litteratur beweisen % Zwei andere Stempel, die ebenfalls aus Süd-
gallien ') stammen und vermutlich durch ihre Form dieselbe frühe Zeit doku-
mentieren werden, tragen den klassischen Abschiedsgruss AVE VAL ave val{e).
1) Diese eingestempelten Grüsse finden sich nur in früher Zeit auf terra sig.
und dürfen nicht verwechselt werden mit den auf schwarzen Trinkbechern weiss auf-
gemalten Wünschen und Sprüchen der späten Kaiserzeit, Auch die von Dragendorff
B. J. 96, 101—103 angeführten Beispiele sind anderer Art und späterer Zeit, wenn
auch alle südgaüischen Ursprunges.
2) II, 4970, 451 und 545. Letzteres Beispiel aus Tarraco wird als VE -TV
wiedergegeben, was ich nach den angeführten eniendiere.
3) Korr. d. W. Z. 1897, 10. SAIVETI ist von Körb er und Bohn richtig ge-
stellt und erklärt.
4) Dieser Teller wurde nördlich von Bonn mit anderen Gefässen der ersten
Kaiserzeit 1896 gefunden, darunter auch eine Tasse von t. sig. (Dr. Form. 25) mit
dem Stempel OFLVCCEI. Herr Franz in Krefeld hat die Gefässe dem Krefelder
Museiun geschenkt.
5) XII, 5686, 356.
6) Bücheier wies mich gesprächsweise auf Tib. III, 10, 25 und Hör. Sat. II.
7y 31 hin. Die Belege dürften sich leicht vermehren lassen.
7) CIL XII, 5686, 109a Arausione. b Vasione [Avignon Mus.].
150
A. 0x6:
N.
IL Tabelle der Neusser T. 8.-Stempen).
Die Zahlen bedeuten die Nr. der Sei s sehen Sammlung.
Abkür Zangen :
Tlb. = Tellerboden, Tsf. = Tassenfoss, Bst = Bodenstiick.
Dr. I, Dr. II = Dragendorff B. J. %/97 und 99. K. XIV 3 = C. Koenen, GefSsskunde
Tafel XIV, 3.
554 OFIA
404
ofi{cina) A( )
Teller Dr. 17.
229 OFIGACVTP) ofic(,inä)AcutiT8f.
592 i ACVTI Tlf.
564 \.BH Alban{i) Tsf. arret. Typ.
316 OFABIN») of[icina)Albinii) Tlb.
— ALBVS • FE ♦) Albus feiet).
Ornamentierte Schale
Dr. 29. K. XIII, 6.
ALEX8AN ] Alex8an{dri et)
DIOAAEDI 1 Diomedi^)
304 A/Nl ^
310 403 AIM Anni
385 S^INI 1
438 M\M Anni (vel Amni)
684 iWN^ A. Anni »)
560 njjjppT -4. Ann{i) Crispi
CR ISP 1 ^""* Crispi^)
Teller wie K. XIII, 2. Dr. 20,
aber von terra sigillata.
SEX
-«-* Sexiti) Anni Tsf.
A/Nl
^EX y^ 1 , „^ SEX «, ,,
AHHI «^«*- 594IÄ-NN1 T^"'
429 t
SEX
ANNI
^ *Sfl ^
Tlb.
Tsb.
Tlb.
Bst.
Bst.
Tsb.
Tsb.
424
Fnss e. gr. Tellers
'NHI Fnss eines gr.
TeUers, worauf
495 /DACI
301
340
EX
ursp. der St. 4 oder
5 mal wiederholt.
— Aphr{odisiu8) cf. Sentius.
537 AQVITAN Aquüani^) Tlf.
573 AQVITAh;
Boden eines Reliefbeekens ?
280 OF ARDAj of{icina) Arda[ci] ')
Tlf.
552 ARP^^ Tsb.
Taudaci oder
T. Auirem) Daci «)
Tasse D. 25. K. XIV, 12.
467 DACI eher [tau]daci als [ar]daci
Bst.
574 ATE Ate{i) Fuss einer gr. Tasse.
368 285 489 ATEI Tlb.
352 398 VuB» eines gr. TeUers.
373 493 500 413 568 575 Tsb.
441 502 505 Bst.
354 ATEI Tsb.
374 ] Tsb.
449 ATEI Bst.
593) ^^ ' Tlb.
1) Die I. Tabelle ist in den B. J. 101, S. 13—21 veröffentlicht.
2) Genau derselbe Stempel in Tarraco: II, 4970, 6a.
3) Vgl. Dr. II, n. 10. Genau derselbe Stempel in Tarraco und Ste. Colombe:
II, 4970, 18 und XII, 5686, i.
4) Dieses Fragment stammt von der Selsschen Ziegelei, ist aber früher dem
Neusser Museum (im Oberthor) geschenkt worden.
5) In Tarraco ALEX || DION und AE DION.
6) Vgl. vorige Tabelle. B. J. 101, S. 13 ff. Derselbe Stempel wurde in Gellep
mit einer Münze des Augustus gefunden. Vgl. oben S. 138, Aum. 2.
7) In Tarraco, Arausio, Bregenz : II. XII. in. Ardacus ist ein häufiger galli-
scher Name.
8) Fehlt in Spanien. Vgl. vor. Tab. Bohn hat nach einer Kopie Hirschfelds
und Zangemeisters aus Poitiers und Vechten TA/DACI und liest * Tattdaci',
Neue römische Fuude vom Niederrhein.
151
351 a n. b ATEI Fuss eines grossen
Tellers; Sturspr.
niehrm. wiederholt
Tsf.
Bst.
Tsb.
Tsf.
Tlb.
Tsb.
Tsf.
Tsb.
Tsf.
Tlb.
359 376 ATEIt
394 419 529
505 ATEI*
455 476 ATEI* circ. scr.
284 461 481 T^EI
317 433 491 566
378 420 XTElt
556 ATI Tlb. 297 309 535 577
380 iA~El|
569 [ATI>
448 jnEJJI rpj^g Dj 26.
334 A"E4> Bst. 602 A"E
361 ATI 8:
Atei mit Delphin
oder Atei 8(ervu8 feci) *).
347 CN"7^E Tsf.
485 @ • A"EI Fuss e. gr. Tellers.
486 Qi*?^! am ßande eines ge-
strichelten £inge8 auf
einem gr. Teller urspr.
mehrmals wiederholt.
296 504 CNT^I? Tsb. Bst.
Tsb.
Bst.
mit grossen
0. schonen
Bachstsben
290 CNÄElt
314 ; \lEI4^ Atei oder
526 jElt [Cn] Atei
CRESTI
Tsb.
Tlb.
Tsf.
435 544
CNATE
Cresti Cn, Atei *)
461
[CJw. Atei Cre{8ti)
im Dreiblatt 8). Bst.
— vgl. auch Cresti.
603 XEIEVHoDI
Atei Euhodi Bst.
339 M"EI Maeti Tsf.
431 MI-ETI Fuss eines gr. T. *).
371 MAHETi8a im Kreis ^). Tsf.
Mdhetis oder Maheti mit Delphin.
372
'\ Ma[eti\ mit Palme«). Teil,
im Dreiblatt.
orjo ^>> >> >> Cn. Atei Xanthi ^).
X^H I Fuss eines ornamen-
tierten Bechers. Dr. 11.
483 ^Xtl X/STl^
Tellerfuss.
1) Vgl. B. J. 101. S. 35. Ausserdem VAPVSONIiS-F in voriger Tabelle und
NASSOI-SF Dr. I 145 und II, n. 256.
2) Gewöhnlich steht in den zweizeiligen Stempeln des Cn, Atems das Praenomen
und das Qentile in der ersten Zeile.
3) II, 4970, 55 [Tarracone]: CNEI || CRES || TI in triaugulo ist zu emendieren in
CNATEI II CRES II TL Derselbe Sklave II, 6257, 58 [Emporiis] CRES || CN ATEI und
II, 4970, 154 [Astigi] CRESTIO in trifolio.
4) XII, 5686, 15 AEMIL ist so unverständlich. Am wahrscheinlichsten ist eine
Emendation zu ATEI MÄHE Ate{i) Mahe{ti).
5) XII, 5686. 588 (Le Luc) METIS ist zu MAETIS zu emendieren.
6) Derselbe Stempel in Tarraco: II 4970, 54.
7) Genau derselbe Stempel in Genf: XII, 5686, 85 c. Ahnlich ist der bei Schuer-
manns aus Frankreich angegebene n. 3822: C NATTl || XANTI der zu CNATEI || XANTI
zu emendieren ist. 'In trifolio' steht II, 4970, 311b: MAX (infra globulus), worin ich,
rückläufig lesend, ein Xanti vermute. Rückläufig nämlich gelesen, erklärt sich
ohne weiteres XII, 5686, 1133 [Narbone] ITNAXI sils^Xaiiti. Der Name kommt
BO auch 'in pl. pedis' vor: XII 5686, 1098 [Arles]: II-NAX ist rückwärts gelesen
Xan&i. n, 4970, 29 b 'inpl. p.' ist zu [X]anthi zu ergänzen. Auch der kreuzförmige
Stempel ausEngiwald [Berner Mus. 21260] : ANTI mit senkrechter Palme darüber und
daronter; ist zu [X]anti zu vervollständigen.
162
A. Ox*:
330 XANTHI im Kreis.
325 XA-4'Ti
302 XAV\
281 443 XITHI
408 XVTHI
454 X^-|
C'N
545 -^] Cn. Atei Xanti?
Tasse.
Tsf.
Tlb.
Tsf.
Tsf.
ßst.
Bst.
AVILI
519 532
542 599
)
scheinen Xanthi
zu lauten.
292 j^ " '^ ij Cn. Atei [Z]oili.
410 ZOILI
450 ZOE
Tsf.
Bst.
Bst.
282
Zoili mit Palme
im Dreiblatt
Tsb.
512 8 C II I Ml l-^ im Dreiblatt. Zoili?
Tlb.
531 iTEPO Ate{i) Po{ )? Bst.
427 P.ATTl Fuss eines gr. Gefässes.
328 428*P-Vt1 Tsb.
308 PÄTl Bst.»)
550 NC ? Aucitus?) Tsf. «)
570 H I L A/ 1 1 Hil{arius ?) Avi{li) »)
eher als An{n)i. Tlb.
356
338
511
ME NA
PHIE
VIL
IIR08(
Aväi Mena*) Tsf.
PhiU{mon)Aml{i) »). Tlb.
- Eros C. AviUi «). Tlb.
— cf. Eros.
434 SEX AVILLI MANI- Tsf.
im Kreis, in der Mitte ein
Kflgelchen
8ex{ti) Avüli ManV).
445 BA.BI BalM. Tsf.
565 BASSVS Basms {fed.) Tsf.
578 377 OF BASSI of{icina)Ba8si. Tsf.
553 ,!C0 [Ofiicinä) Bassi] Co{ )?«)
Teller. Dr. 18.
585 P- C • N P. Ciorneli?) N{. . .) »)
Am Rande eines gestr. Kranzes,
urspr. mehrfacli eingepresst.
— Calidius cf. ProtuSt Sini.
375 CATI Cati ^% Tlf.
323 CELER Bst.
471 a CELER Am Rande
b AELA od. A1ELA eines gestr.
Celer A. Tela{ ?) Ringes auf
einem grossen Teller je
einmal erhalten, urspr. je
2 mal eingepresst.
1) Genau derselbe Stempel XV, 5021. c.
2) Vgl.» II, 4970, 69 [Tarraco] und 6257, 26 [Citania].
3) Die Logende ist sicher. Es ist nicht PHIL etwa zu erkennen (= Philemon),
4) XV 5042, Rom: MENA || AVILI wozu Dressel bemerkt: Mneertum, utrum
Mena{ ) vel Mena Avili intelegendum sit an Men{ ) A. Avili*.
5) II, 4970, 390 [Tarraco] PHIE || AVIB und X 8056, 582 (Ferentini) PHIE || AVII
^^N ^^V
sind darnach zu emendieren und nach dem stadtrömischen XV 5043 PHILEM || AVIL
aufzulösen.
6) Derselbe Stempel in Rom XV, 5029. In Spanien und in Rom Eros A^^viUius
(sie).
7) Derselbe Stempel in Tarraco II, 4970, 78 und demgemäss zu ergänzen. Auch
in Rom XV, 5033 (2 ex.) In Xanten zweizeilig SEX || AVILI.
8) Vgl. XII, 5686, 122 a u. b und II, 4970 [Tarraco] OFBASSI CO.
9) XV, 5064 Rom PCN und PCN.
10) In Tarraco OFI CAT, ein Stempel der nach der Abkürzung Ofi{cina) zu ur-
teilen dem obigen zeitlich gleich steht. Dr. I, S. 146 und II 71 (Form. 29) OIICATI
[St. Germain].
Neue römische Funde vom Niederrhein.
153
679 j
IILOSiT
Tlb.
|C I S P I
[Ph\ao8it{t) [C?] Cispi
557 C CISPI C. Cispi Tlb.
523 MOO CoTn{. . .) ») Tsf.
329 COR Coriinthi?) oder Cor(neli?)
Boden einer kl. Tasse.
Vgl. Dr. I, S. 50.
474 CRESi Bst.
Crestii) eher als Cresiimi).
349 384 477 571 596 CRESTI Tsb.
370 459 CRESTI Tsb.
478 CRE2T
490 CREST* im Kreis.
364 CRiSTi
CRES
Bst.
Tsb.
Bst.
484
CresUua.
Tsb.
Tsb.
TIVS
516 515 GRESTI im Kreis.
— Cf. etiam Jegidius.
543 SI5I0 Crisipi) od. Crisipini) Bst.
287 CRISPl
482 niKr Crispini.
327
559
331
488
525
CRIS
PIAI
Bst.
Teller, Dr. 20,
aber von terra
sigillata.
Tsb. Dr. 26.
«I8I5IO
XIHI
Boden eines gr. Tellers.
Crispini *). Tsb.
rückläufig und sehr j
schlechte Buchstaben.
335 346
CRIS
440 r- PK. 1 Phtl{ ) Crispini. Tsb.
P I N I
279 DARRAF Darra f{eci). Tlb.
— Diomedi siehe Alexsandri u. Vibi.
fy ft ft
390 D o M Dom{iti) % Bst.
332 390"lIRO2 Eros. Tlf.
581 IIR03 Am gestrichelten Ring
auf einem gr. Teller, urspr.
mehrmals eingepresst.
— Eros cf. C. AvilUus.
IVCV Iucu{ndus)
Q-nF| Q.F{usci?)^)
300 C FASTI C. Fastiidi)^).
307 FIDEL IS FE Fidelis fe{d) Tlb.
457 rOlT- im Kreis. Font{ei)% Bst.
360 FÖVR 1 Es ist unsicher, ob
479 1« OVR 1 Fo7it{ei) od. Four{i) ')
zn lesen ist. Tsf.
379 416 n?;^ ^ Fronto feci. Tsf.
I'ECI '
558 FRolToF Fronto f{eci). Tasse.
K. XVI, 21, aber von t. sig.
501 L 6ELLI Am Rande des ge-
stricheltenRinges anf
einem gr. Teller,
ursprtingl. mehrfach
eingepresst.
Tsb.
Bst.
L. Gelli
442 ;lli
369 L Gr
rv» rv» cx#
283 L GELL
fv> rxj rvf
480 L GEt
Bst.
Tsb.
Tlb.
Bst.
1) Tarraco, II 4970, 139. Puteolanischen Ursprunges ist der Stempel COMA,
von dem 52 Exemplare in Puteoli gefunden wurden, die jetzt in Berlin sind.
2) Vgl. XII, 5686, 1043 [Nemausi] inter mutilas.
3) In Tarraco DoM. X, 8056, 12Gb: Dom darüber Palme, darunter 'oniamenta'
ist offenbar derselbe.
4) XV, 5766 QV1V/////||I<VSCI ist vielleicht Qui[nti] Fusci.
5) In Xanten [Mus. 823] auf arret. Gef. C FAS. II, 6257, 77 [Carthagine nova]
FASTI. Sonst ist L, Fastidienus bekannter au XII u. X.
6) In Tarraco FON. — In Neuss jüngst auch F o N, vgl. den Nachtrag.
7) XII, 5686, 307 FOVRI.
154
A. 0 X e :
407 QVAlS ^' ^^'^^^^* Quadr{ati) ')
Bst.
40i|l- SEM>r) ^-^"^^ L.Semprioni).
Bst.
311 HABITVS? Habitus. Bst.
286 L^EQjpi Cresti L. legidi «) Tlb.
— lucundus cf. Q. F{ ).
386 MaCCARI Maccari. Bst.
509 - ^ ^ -. Donax Maeci ^). Tsb.
A^ L 1
rORTJ m. kl. Buchst, im Kreis. Tsb.
r. Mal(iu8) Fort{unatu8) feci.
lECI
TM ALI TM LI
432 VS FC*)T8b. 518IJ;70RTT8b.
tv/Va; /////////
vs
alle im Kreis.
580 II M Me{mmi?),
C / V lI / Aussen aaf einem
Tsf.
C'Melmmi\
555 ^ - -, . ornÄmentierten CMtbertt))
CLMA Näpfchen.
3/a[Ae](fw)
537 OF Md) Ofiicina) Mod{esti). Tsf.
444 OAAO [M]omo. Tsf.«)
536 OF MVRRAN of{icina) Murran{i)
Tlf.
348
VITLVS
im Kranz. Tsf.K.XIII,5?
NAEV
Vü(u)lu8 Naev{i) ^)
Tsf.
Tlf.
VITVUs im Kreis,
8 ist unsicher.
582 N G R Mflrr(i).
475 OFNIGR ofiicina) Nigrii).
533 NOBILIS Tf. arret. Typ.
551 ONATVS? Bst.
vielleicht [D]onatu8? ®)
473 ONES- Onesiimi). Tsf.
521 OF PATR of[ficinä) Patr{ic...)^)
mit dicken Buchstaben. Tsf.
1) Derselbe Stempel, bald mit einem bald zwei l {Gelli), fand sich in Arezzo,
Rom, Spanien und Südfrankreich.
2) Cresius ist in dieser Fabrik bis jetzt unbekannt. Häufiger ist L. legidi
Calvio: in Arrezzo, Rom, Tarraco und Malga in Afrika. VIII, 10475 ist darnach
richtig zu stellen.
3) Maecius hatte in Puteoli seine Fabrik, aus der uns nur die Sklaven Donax
und Hilar{ius?) bekannt sind: X, 8056, 128 und 1G8. Ausserdem fand sich Donax
noch in Arausio, XII, 5686, 320.
4) X, 8056, 535 hatte darnach wohl gleichfalls das sehr schwer erkennbare
kleine feci als Zeile 1. Die unverständlichen 2 Bruchstücke XII, 5686, 137 und 1068
scheinen einen dieser 3 Stempel in sich zu bergen.
5) Derselbe Stempel nur noch in Arezzo nachgewiesen. Garn. p. 39 nr. 95
= Fabroni tab. IX, 25.
6) Dr. I, Form. 18: OF MOM [St. Germain] und Form. 27 aus Neuss. B. J.
84, 263.
7) Numerius Naemuts Hilari{u8^\ dessen Praenomen schon in oskisches Sprach-
gebiet verweist, hatte in Puteoli seine Fabrik. Vgl. Dr. I, S. 54 und CIL X, 8056.
Ausser in Puteoli sind in Tarraco er und seine Sklaven Felix, Hermiscus, Princeps,
Vitulu und Favor (so emendiere II, 4972, 81 lect incert.) gefunden worden. Vitlus
in Xanten, und in Südfrankreich Carbo und Vitulus. Dies scheinen die ältesten
Sklaven dieser Fabrik zu sein, da ihre Ware noch in Gallien und Germanien Eingang
fand. Die Stempel stehen sehr oft in einem Kranze oder auf kreisrunder Fläche.
8) VII, 1336, 751 [London] ONATIVI.
9) Die Dicke des GefUsses und der Buchstaben weisen diesen Stempel einer
späteren Zeit zu.
Neue römische Funde vom Niederrhein.
155
528 OE PATi?
Bst.
T PET
563 ^ ' ^ T. Pet{roni) Scae{vae) ')
auf hellrotem, nicht glänz. Tsb.
pT> T
319 : . „ Pr»mtt(«)«).
396
M V
iiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiinii;
PROTVs Profus^).
ininiiiiniiiiniiiiiriiiiiii
illllllllinilllllllllillllllll;
Tsb.
Tlf.
422 I PROTVS Bst.
niiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiMi.
458 iROTI [P]roti? Bst.
381 p }^^ ^ Olym{p..)publ(id?Y) Tsf .
468 QNART; Quart{io?)^) Teller
K. XIV, 5.
365 RA; Ra[8ini]? Bst,
397 RASIN Grosser Teller.
540 SINI [Ra]8ini? od. Siniistoris?)^)
Bst.
522 ROGATI M Tsf.
Das M ist unsicher.
402 ,L- RONi im Kreis geschrieben.
[Sex. Avi?]l{i) Eom[anus]?'') Tsf.
561 1„ ^ ^D.Rom{ani)M[a]nc{ia)^)
Tlb.
412 T. RVFR ^"^'^ ^**^ Rufrieni).
520 539 322 verstümmelt.
Tsb. u. Tlf.
3^gT_RVFRE ^^^
RVF I 0
298 };RVI///PVS{ Ru[p]pu8? »)
Gr. Teller.
549 SABINVS Sabinus. Tsf.
S
F A V S
Fau8[tu]8 Sali-
586 Q . I vr' n[ator]t[a€] ser{vu8) ^^)
Tab
SER.I ^®°'
527 583 SALVE salve "). Tob.
508 SALVE TV salve tu. Bst.
562 OFIG SCO oficiinä) Sco{ti). Bst.
447 SCOTI Bst.
466 SECVNDI Secundi. Tlb.
437 SE/VICI Senici{o) i«). Bst.
306 362 461 SENTI Tsb. und Tlb.
315 C SENTI Tlb.
414 I / gr. Teller.
567 590 c- SENTI Tlb.
424 1 l Tsb.
1) Bekannt sind C und L. Petronius als arretinisch. In Tarraco II, 4970 er-
scheint auch ein Q. Pet{roniu8?)
2) Genau so in Tarraco IT, 4970, 404 c.
3) Wegen der gleichen Umrahmung kann er in die Fabrik des Dotnitius oder
der Domitii gehören. Doch ist es nicht ausgeschlossen, dass er aus der Fabrik des
Calidius stammt. Vgl. oben Ihm S. 111.
4) Gamurrini und Dragendorff lösen Publi(ci) auf, Dressel Publi.
6) Auf Schalen der ersten Raiserzeit . (Dr. I, 24 u. 25) kommt der Stempel
Quart{io?) in Trier vor.
6) Es ist möglich, dass der Stempel auf dem etwas gewölbten Gefässboden
nicht vollständig eingedrückt wurde: ähnlich ist X, 416 [Cagliari] ASLYC zu JRasiini)
Lyc{ ) zu ergänzen. Ist er aber, was weitere Funde entscheiden müssen, vollständig,
dann ist er Sini(8toris) zu lesen und bedeutet den Synistor Calidi.
7) Sex» Avillius zeichnet mit Vorliebe in Kreisstellung*. Der Name Romanus
circ. scr. ist aus der ersten Neusser Tabelle bekannt; vgl. dazu oben S. 143.
8) Der Punkt zwischen D und R ist nicht ganz sicher. Der Sklavenname
Mancia kommt in mehreren arretinischen Fabriken vor.
9) Bekannter ist der gallische Name Boppus^ vgl. Dr. II, 321.
10) Vgl. oben S. 148. Anm. 5.
11) Vgl. oben Seite 149.
12) Derselbe Stempel auf Tellern der ersten Kaiserzeit: Dr. I, Form 15—17.
156
A. 0x6:
Tsb.
337 389 4051 APHROD
406 430 494/ C- SENTI
Apphrod{i8iu8?) C. Senti.
383 APHR Aphr(odi8iu8?) Tsb.
506 SEITRVS F Sentrus fieciy). Tlb.
524 SILNi Silviani)*). Tsb.
421 C- TAP C. Tapi, ) »). Tsb.
423 426 Li TM L. Tar{qüini?) aut
L. I\iti7) Ar{retini?) *). Tsb.
471 A. Tela Celer? cf. Celer.
291
L. Tetti Samia.
342
451
514
567
LTTTI
S MIA
L-TTJ
s mPI
TETT h
Bst.
Bst.
SM I A
CERDO
TIT I
576 A TITI
452
Tett{i) Samia. Tsf.
Cerdo Titi^). Bst.
A. Titi Tasse (Dr. 7).
296 333 341 363 Tsb.
499 Teller (Dr.l7). 507 439 Bst.
472 A TITI
312 A TITI
Am Rande eines ge-
strichelten Ringes auf
einem gr. Teller je
einmal erhalten, urspr.
mehrmals eingepresst.
517
iTi
[A. T\iti?
— L. TXiti ?) Aliretini ?) cf. L. Tar{,. . . .)
392 L TITI F L. Titi f{iguli) «) oder
L. Titi Fielix)
vel F\au8ti?)
1 mal in der Mitte und S mal
ringsum am gestr. Ringe
auf grossem Tellerfuss.
I V C V lucundus
470
I
399
469
492
Tsf.
305
393
364
Tsf.
Bst.
L TITI L. Titi
L • TITI^t L. Titi «)
IVSCVLI lusculi
§_^'_' Suavi(8)
i tit; l. 2?« 9)
: THYRSI L, Tiiti) Thyrri Tsf.
453 TTIV? L. T(iti) Thurisi). Bst.
350 TITI "HYR TIf.
534 L flYRSI Tsf.
547 THR2I? Thirsi? Tsf.
587 L-T i ^h 'K^ Tsf. ar. Typ.
VA LG Valeirt)
487 VAPV Vapu[8o]{ni8) Ta,&&eDT.2b.
288 /APVi Tlb.
1) In Tarraco II, 4970, 469: SENTRVS FE und derselbe Stempel in London
VII, 1336, 108L
2) Vgl. vor. Tabelle und den Nachtrag.
3) Es ist der Stempel einer Puteolanischen Fabrik, vgl. B. d. J. 1875, S. 252
und CIL X, 8056, 344. Es fanden sich in Puteoli 25 Exemplare; in Tarraco nur
eins II, 4970, 507, ebenso in Comi V, 8115, 118.
4) Genau derselbe Stempel XII, 5686, 865 aus Nemausus, auf einem Teller 4 mal
wiederholt. Auch in Arezzo, Gam. p. 61, nr. 408. Ihm notiert (S. 126) einen C und
L. Tar{ ). Es steht nie ein Punkt zwischen T und ar.
5) Mir nur aus Tarraco bekannt II, 4970, 170.
6) Die Sklavennamen Felix und Faiistus in dieser Fabrik kommen häufig vor.
II, 6257, 194 (Neu-Carthago) L TFI spricht für fiiguli).
7) In Rom und sehr oft in Arezzo, wo er sogar bis zu LT C abgekürzt er-
scheint.
8) XV, 5681 L, Titi \ Juscli (asteriscus, palma) quater repetitum. Häufiger ist
Jii^c{ü)ltis als Sklave des Cn. Titius XII und XV.
9) Aus Arezzo, Rom und Tarraco bekannt.
10) Der Stempel ist schlecht aufgedrückt.
Neue römische Funde vom Niederrhein.
157
353 387 vififpR ^*^^^^(») ^'^^^ ')
litterae PR haud certae Tsf . U. Tlf .
EICAR Eicar(u8)^) m,.
^^^ SCr^ Sc[rof]{ae) ^*"-
— Vitlus cf. N, Naevius.
388 496 NAABRI Umbri(ci).
NA\BRICI L, Umbrici
MChERI Archeri?^)
L NAAB L. Umhriici)
Tlf.
Tlb.
Tlb.
321 ~ —\\c^
367
460
Tab.
Est.
L NAABR L' Umbri(ci)
RVFIO
VNABRIC
^g THYR Thyr{8m) Am Rande eines
VV\BR Umbr(ici) gestr.Ringesauf
einem gr. Teller, 1 mal erb.,
nrspr. 4 mal eingedr.
Bst.
IUI
293 V"ILIS Utilis.
Nachtrag.
Während des Drucks wurden noch folgende Stempel, die oben nicht mehr ein-
gereiht werden konnten, gefunden.
595 7^ E I S ALV I Atei Salvi %
605 OFCALVI of. Calvi.
598 FoFT Font{ei).
604 OFI MACCA ofi. Macca{ri).
588 PERENNI PILADES
inter anaglypha.
Piladea Perenni ^).
591 |:REGENI:} Regent.
600 AS EST A. Sesti^).
601 SIL\A Silvaini).
CTIGf
597 p . ji^ C. Tigrani.
1) Ein Sklave des A. Vibiits, In Rom und Südfrankreich öfters. In Vienne
auf schwarzem Gefäss.
2) Scrofa ist das Cognomen des Ä, Vibius, wie Stempel aus Tarraco, Rom und
Südfrankreich beweisen. Eicaru A. Vibi in Rom (XV, 5753) ist derselbe Sklave.
3) II, 4970, 42 [Tarraco] isjt^ vielleicht derselbe; es ist ARCHE || MER überliefert.
Ich vermute statt dessen ARCHE || VMBR.
4) In Tarraco Ikar{i) \ ümbr{ici) und Scauri \ Icar{i). Scaurus ist das Cog-
nomen des L. Umbridus. VII 1336, 1354 (pravae lectionis) VMIK dürfte derselbe sein.
5) Dieser Sklave bekannt aus Rom, Vienne und Tarraco.
6) Dieser Name aus der Fabrik des C Ateius ist aus Arezzo, Rom und Tarraco
bekannt; er ist bis jetzt seltener konstatiert als andere Cognomina derselben Fabrik,
vielleicht weil der Benannte gewöhnlich nur Scüvi signiert hat.
7) Diese Stempel stehen auf einem fast vollständig erhaltenen, sehr schönen
Becher (Dr. Form 11) zwischen weinlesenden Satyrn. Die 4 Typen von Satyrn,
wie sie von DragendorfF (B. J. 96, S. 62) beschrieben sind, kehren je 2 mal in ver-
schiedener Zusammenstellung wieder. Die Auflösung des in Tabelle I mitgeteilten
Stempels MP8 zu 3f. I\erenni) S{atumini) gewinnt durch diesen Fund an Wahr-
scheinlichkeit. Vgl. oben S. 144 Anm. 1.
8) Dass diese Fabrik mit den in Neuss vertretenen gleichaltrig sei, wurde also
mit Recht bereits oben (S. 143) aus ckarakteristischen Signierungsweisen von mir ge-
schlossen: sie führt einmal den Zusatz figul{i?)j signiert in Kreuzform, erscheint *bis
repetitum* (urspr. wohl quater), kommt noch in Südgallien vor und steht nie in solea.
6. Die Waldalgesheimer Schmuckplatten.
Von
CoBStantin Koenen.
Hierzu Tafel IL
Die auf Tafel II unter Nr. 1 und Nr. 2 in Phototypie wiedergegebenen, im
Rheinischen Provinzialmuseum zu Bonn befindlichen Fragmente von Schmuck-
platten au8 dem Waldalgesheimer Grabfund wurden bisher unrichtig zusammen-
gestellt; ungenügend sowie mit falscher Ergänzung abgebildet und ihrer
Bestimmung und kulturgeschichtlichen Bedeutung nach verkannt. Eine genaue
Wiedergabe und ein neuer Hinweis auf diese zur Beurteilung der vorrömischen
Geschichte unseres Landes bedeutungsvollen Stücke dürfte daher willkommen
erscheinen.
Nach dem Berichte von Aus'mWeerth (Der Grabfund von Waldalges-
heim, Bonn 1870) glaubte man Teile eines Helm-Schirmbandes gefunden zu
haben. Von den beiden Gesichtsmasken unserer Platten vermutete Aus'm
Weerth, dass sie einander gegenüberstehend, den mittleren Teil des Stirnbandes
gebildet hätten, und die unteren Teile unserer Platten sollen zusammen-
geschoben der Nackenschirm des Helmes gewesen sein (Au s'm Weerth a. a. 0.
S. 21 u. 22, dazu Taf. V u. VI, Fig. 3). Lindenschmit bildete (Alter-
tümer unserer heidnischen Vorzeit, B. III, Heft I, Taf. II, Fig. 9) in kleinem
Massstabe nur den unteren Teil einer und (a. a. 0. Fig. 10) den oberen Teil
der zweiten Platte ab (das Übrige kannte er nicht) und sagt dazu: „Die Be-
stimmung dieser früher durch Nägel befestigten Bruchstücke ist ohne jeden
sicheren Anlialt."
Bei einer Zusammenstellung der Bruchstücke ergab sich mir zunächst,
dass Reste von drei gleichen Platten vorhanden sind. Aus der beigefügten
Phototypie der Originalplatten und meiner diese ergänzenden Federzeichnung
(Fig. 3 in natürlicher Grösse) ersieht man, wie jede der drei Platten ursprüng-
lich beschaflfen war. Dieselben sind, wie der beigefügte Querschnitt zeigt,
leicht gewölbt und im Längsschnitt oben und unten etwas eingezogen. Oben
erkennt man einen schmalen Einschnitt, und an dessen Seite sowie am unteren
Teile des Randes sind kleine Nietstiftchen oder wenigstens die Löcher für
solche angebraclit.
I
I
Die Waldalgesheimer Schmuck platten. 159
Die riatten waren daber eheuials auf einer dllHDen Wand vermittelst der
Xietetiftchen befestigt. Die Wandang ninss die aus dem Längs- nnd Querschnitt
der Platten erkennbare Biegung ntitgemacbt haben. Jeder Gedanke an
Gnrtbescbläge ist somit ausgescblossen. Diese würden einen mehr gleieU-
mässig gestreekten Längssebnitt zeigen. Dasselbe gilt bezüglich des von
Ans'm Weerth (Grabfund von Waidalgeshcim. Textfigur 8. 20 und Taf. V
n, VI, Fig. 3) rekonslrn leiten Helm-Schirmhandes. Mehr werden wir an die
Biegung der Wangenplatten antiker Helme erinnert (vgl. Dcinmin, Kriega-
waffen, 4. Aufl. S. 294, Fig. 10; S. 259, Fig. 30, l; S. 256, Fig. 24, U;
S. 260, Fig. 30, III; S. 302, Fig. 1, III); allein, Helme habeo natilrlicü nur zwei
BackenstUcke. Wegen der Drei/.ahl ist man schon eher berechtigt, an drei
Schmtiekplatten von Pferdegescliirr nu denken (a. a. 0. S. 211, Fig. 24;
S. Müller, im 2. Hefte der Kordiske Fortidsmiuder, ndgiuue af det Kgl. Nor-
diske Oldskriftseiskab im J. 1892 Taf. VI: Reiter); allein auch für diese Zwecke
paast die Biegung der Platten nicht und ebensowenig für Endstücke der
Brustriemeu antiker StUckpanzer (Denimin a. a. 0. S. 246, Fig. 24). Die
einzig denkbare Verwendung unserer Platten erkannte vielmehr G. Loescbcke,
der sie für Reste einer Bronzesehale derselben Konstruktion erklärte, wie sie
der Kessel von Guiidestrup nud verwandte Gefösse zeigen (vgl. u. a. Müller,
a. a. 0. Textfigur S. 35. Bastian-P^stschrift, Berlin 1896. S. 370, Fig. 1.
Undset, Das erste Auftreten des Eisens In Nord-Europa. Deutsche Aus-
gabe von J. Mestorf, Hamburg 1882 S. 425, Fig. 132 u. 133), iu deren Ent-
stehungszeit es Sitte war, GeiUsse dnrch aufgenietete Schmnckplatten zu
versciiönem.
Die Vorderseite unserer Platten ist mit einem von der Rückseite heraus-
getriebenen Reliefhilde geschmückt. Das Getriebene wurde mit dem Grab-
stichel saaber überarbeitet und stellenweise noch mit besonderen Veraemngen
versehen. Wir sehen den Oberkörper eines festlich gekleideten Mensehen ganz
von vorne dargestellt. Wie in den Schnitzarbeiten wilder Viilkerschaften ist
ungeachtet des Barbarischen der künstlerischen Mache, ein ausgesprochener
Rftssentypue nicht zu verkennen: Der Oberkörper ist kurü, der Kopf kurz
und breit; das Gesicht breit, die 8tini sehr niedrig und über den stark ge-
schwungenen Augenbrauen flach. Die Nase ist normal, die Augen sieben
horizontal, der Muud ist klein. Anffallend klein sind auch die nach oben er-
hobenen Hände.
Wie der Typus, so ist auch die Tracht sehr zu beachten. Den Kopf
schmückt eine durch eingepnnzte kleine Puuktkreise verzierte Haube, an deren
rechter nnd linker Seite sich zwei wulstige fischhlasenförmige Teile anlehnen.
L. Lindenschiiiit )^n. hielt diese Für ein seitlängs des Kopfes herabfallendes,
Aufgerolltes Band des Kopfschmuckes (Die Altertümer unserer heidnischen Vor-
zeit. B. HI. Heft 1. Nr. 9 u. 10). Hauben mit seitwärts herabhängenden Bändern
kommen thatsächlicb bei weiblichen Kopfbedeckungen dieser Zeit vor, wie
beispielsweise die figüriichen Darstellungen des Gnndestrup-Kessels zeigen
(vgl. Müller im 2. Heft des Nordiske Fortiaminder vom J. 1892, Taf. VHJ, XHI,
160 Constantin Roenen:
Fig. 1 und XIV, 1. Voss in der Bastian-Festschrift, S. 376, Fig. 4; S. 387,
Fig, 11; S. 389, Fig. 12; S. 390, Fig. 13); allein Löscheke bemerkte mir
gegenüber mit Recht, dass man in vorliegendem Falle wohl nur die leere
Fläche zwischen dem Rande der Platten und dem Kopf habe omamental
füllen wollen. Ich verweise zur Entscheidung dieser Angelegenheit auf die
zahlreichen, mit solchem Seitenschmuck versehenen brachykephalen Kopf-
bildungen an gleichartigen Bronzen, welche gelegentlich L. Lindenschmit in
seinen Abhandlungen über Altertümer unserer heidnischen Voraeit (Anhang zu
Bd. II, 2; II, 4; III 3; Beilage zu III, 1) gegeben hat. Das lehrreichste Bei-
spiel dieser Art, welches ich kenne, ist die eiserne mit Bronzeblech über-
zogene Schmuckplatte des Nationalmuseums in Prag; sie wurde zu Horavez
in Böhmen gefunden und dürfte demnächst von Dr. J. Ladislov Pife in Prag
veröffentlicht werden. Dieselbe zeigt um einen mittleren Knopf zwei durch
einen Kreisstab getrennte, kreisförmige Reihen von Reliefköpfen. Die innere
Reihe zählt sieben, die äussere vierzehn Köpfe. Die Fischblasen an den
Seiten dieser brachykephalen Köpfe rollen sich mit ihren unteren Enden nicht,
dem Ornament unserer Platten gleich, wie das Hörn des Moschusochsen auf-
wärts, sondern sie legen sich um das Kinn des Kopfes herum. Diese Lage
vermied man bei den Köpfen der Waldalgesheimer Schmuckplatten offenbar
nur, um den weiten freien Raum zwischen Kinn und dem gestrichelten Platten-
saume auszufüllen. Freilich halte ich es nach dem Entwicklungsgange der
gallischen Kunst nicht für ausgeschlossen, dass man ursprünglich vorhandene
Seitenbänder des Kopfputzes später zu diesen Fischblasen-Ornamenten um-
gebildet hat. Beispiele für derartige prähistorische Metamorphosen lieferte
W. von den Steinen in seinem Aufsatze der Bastian-Festschrift vom Jahre
1896 S. 249—288: 'Prähistorische Zeichen und Ornamente'.
Der Oberkörper unseres Menschen ist bekleidet mit einem eng an-
schliessenden, kurzen, die Oberarme nackt lassenden Rock. Derselbe ist reich
geschmückt durch sich schlangenartig windende, stellenweise lotusblattfOrmig
ausladende Bänder. In der Brustgegend sieht man zwei runde, jetzt durch-
brochene, ursprünglich jedoch nur flach ausgestochene Gruben, die, wie schon
L. Lindenschmit (Die Altertümer unserer heidnischen Vorzeit. B. III. H. L
Nr. 9 u. 10) annahm, wahrscheinlich mit farbigem Kitt ausgefüllt waren. Die-
selben bezeichnen die dargestellten Menschen als Frauen, worauf mich
Löscheke unter Hinweis auf die durch Kugeln angedeuteten Frauenbrüste
der Reliefbilder des Gundestrup-Kessels (vgl. S. Müller, in der Zeit-
schrift Nordiske Fortisminder vom Jahre 1892 S. 35—68, Taf. VI— XIV,
dann Voss in der Bastian-Festschrift. Berlin 1896. S. 369 — 413) aufmerksam
machte. Den Hals umgibt ein breiter geöffneter Ring mit knopfartig erwei-
terten Endstücken.
Sowohl den enganschliessenden Rock als auch den Halsring mit End-
knäufen finden wir wieder bei den Menschenbildern des schon wiederholt
herangezogenen Gundestrup-Kessels. In deren Umgebung, auf den Hintergrund
verteilt, erscheinen auch Ranken, oder wir finden eine barbarische Imitation
Die Waldal^esheimer Schmuckplatten. 161
Ton Lotusschmuck; beide sind mit den auf dem Gewände unserer Figur ver-
teilten Ornamenten typisch identisch.
Unsere Schmuckplatten gehören Hiomit zu einem Bronzegefässe, aus
derselben Zeit, in der auch der Gundestrup-Kesscl hergestellt wurde. Voss
sucht nun nachzuweisen, dass letzterer ein mithräischcs Denkmal im Norden
sei und setzt dasselbe in den Anfang des vierten Jahrhunderts nach Christus
(a- a. O.). Allein unsere Schmuckplatten lassen diese Deutung nicht zu; deiin
auch hier am Rhein ist beider Arbeiten Stil nachweisbar, jedoch nur. bei
Brouzekesseln, eigenartigen Scliwertern, bei Hals- und Armringen, auf Fibeln
und anderen Schmucksachen der Übergangsperiode von der jüngeren llallstätter
in die La Tfene-Zeit. Das mehr Klassische des Ornamentutionstypus unserer
Erzarbeiten finden wir besonders klar wieder in den Situlac der Certosa di
Bologna, die bekanntlich einer Periode zugesehrieben werden, welche mit
dem um 400 v. Chr. erfolgten Einbruch der Gallier abschliesst, während in
der mittleren Zeit ihrer Entstehung Einflüsse phönikisch-karthagischer Kultur
wahrgenommen werden. Für diese Zeit passen auch der mit unseren Schmuck-
platten zusammen gefundene scliöne griechische und der Waldalgesheimer auf
dem Hallstätter Gräberfeld in sechs Exemplaren angetroflFene etruskische
Bronzeeimer. Die Schnabelkanne von Waldalgesheim, die goldenen und bron-
zenen Arm- und Halsringe, die sogenannte Fibula und die übrigen Sachen des
Waldalgesheimer Fundes sind ebenfalls charakteristische Erscheinungen der
Übergangsperiode aus der Hallstätter in die ältere La Tene-Grnppe.
Dafür, dass der Gundestrup-Kessel derselben Zeit angehört, spricht auch
der Schmuck seiner Relieffiguren bei einem Vergleich desselben mit dem
Inhalte des datierbareu Waldalgesheimer Grabes. Bekannt ist es ja, dass in
diesem Grabe nicht nur jene knopfartig ausladenden ge^itfnetcn Halsringe, wie
sie von den Figuren des Gundestrup- Kessels getragen werden, angetroffen
wurden, sondern auch die v<m Aus'm Weerth richtig erkannten Erzhömer
eines Helmes. Dieselben sind aber genau der Art, wie wir sie bei den Helm-
zierden der Reiter des Gundestru[) Kessels sehen (a. a. 0. S. 371, Fig. 2), bei
dem (a. a. 0. S. 380, Fig. 6) dargestellten Menschen, wie auch bei der be-
kannten Bronzefigur aus dem Museum in Kopenhagen (abgebildet u. a. bei
ündset. Das erste Auftreten des Eisens in Nord-Europa. Deutsche Ausgabe
von J. Mestorf. Hamburg 1S82, S. 369). Der Sporn findet sich bekanntlich
auch auf den bekannten Hallstätter, unseren in mannigfacher Beziehung ähn-
lichen Reliefbildern wieder.
Was die absolute Chronologie des Kess(»ls von Gundestrup betrifft, so
bemerkt Loeschcke, dass er nicht älter sein kann als die Mitte des 4. Jahr-
hunderts V. Chr. Denn damals erst wurde die ornamentale Verl)indung von
Pflanzen und Tierformen üblich, wie sie uns in dem in Akanthusranken
endenden Seepferdchen entgegentritt, das der eine der Männer in der ge-
hobenen Hand hält. Vgl. Pernice, Griech. Pferdegeschirre S. 6 ff'.
Durch die richtige Zusammenstellung der Waldalgeshehner Schmuck-
plaiten, durch den Nachweis ihrer Zeitstellung und die Übereinstimmung der
Jahrl». de« Vor. ▼. Alterthsft'. im RheinL lOt. t
162 Constantin Koenen: Die Waldalgesheimer Schmuck platten.
YOD den Figuren des Gundestrup-Eessels getragenen Schmuckstücke mit den-
jenigen des Inhalts des Waldalgesheimer Grabes treten beide Funde, der nor-
dische und der rheinische in kulturgeschichtlich nahen Zusammenhang. Die
Reiterzüge, Opferhandlungen, mit Symbolen ausgestatteten Götterdarstellungen
beleuchten eine bestimmte Art von höchst eigenartigen Kulturzuständen
aus dem Anfange der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends vor Christus.
Diese und der uns hier als Träger dei-selben begegnende kleine brachykephale
Menschenschlag, verglichen mit den Rassentypen der Gräber jener Zeit
führt unter Berücksichtigung gewisser sprachlicher Weisungen zu bedeutungs-
vollen Gombinationen. Auf letztere kann man aber nur in besonderer Ab-
handlung näher eingehen.
n. Litteratiir.
1. Die Formen der römischen Thongefässe diesseits und jenseits der
Alpen. Von Professor Oscar Holder. Stuttgart 1897. 4. 4 u. 38 S. 24 Tafeln.
Die Veröffentlichung dieses Buches^ welches Holder bei seinem Tode unvollendet
hinterlassen hatte, verdanken wir dem württembergischen und rottweiler Altertums-
vereine. Es giebt Zeugnis davon, wie der Verfasser die in seinem ersten Werke
(,Die römischen Thongefässe der Altertumssammlung Rottweil ; Stuttgart 1889^) be-
gonnenen Studien weiter fortgesetzt und ausgedehnt hat. Sie führten ihn zu einem
Vergleiche der heimischen Funde mit auswärtigen, namentlich auch italischen. In
erster Linie sind es die Formen der Gefässe^ die Holder interessieren. Auf den
sauber gezeichneten Tafeln hat er alles, was ihm an Formen römischer Thongefässe be-
gegnete, zusammengestellt. Diese Formentafeln geben daher ein reiches Material aus
einem Gebiete, das bisher noch sehr vernachlässigt war, und mancher wird sie dank-
bar benutzen, wo es darauf ankommt, sich schnell über das Vorkommen einer Form
zu unterrichten. Eine kurze Erklärung der Tafeln, die über Material, Grösse und
Aufbewahrungsort orientiert sowie auf die behandelnde Stelle des Textes verweist,
erleichtert die Benutzung. Diese Tafeln bilden den wertvollsten Teil des Buches.
In ihrer Anordnung aber und mehr noch in ihrer Besprechung (S. 16 ff.) tritt uns
zugleich auch schon der Mangel von Hölders Arbeitsweise entgegen.
Wie Hölders Interesse zunächst ein rein formales ist, so erfolgt auch die An-
ordnung nach rein äusseren Gesichtspunkten. Die Gefässe siud unter grosse Ru-
briken, wie „Töpfe", ^Krüge", „Urnen" u. s. w. geteilt. Abgesehen davon, dass diese
Begriffe sehr dehnbare sind, mancher als „Topf* bezeichnet, was ein anderer noch
,Krug" nennt, ist dies meines Erachtens auch ein prinzipieller Fehler. Bei einem
Buche wie dem vorliegenden, das unvollendet geblieben und bei dem die neuste
Litteratur nicht mehr benutzt ist, wäre es unbillig bei der Hervorhebung einzelner
Versehen, die sich leicht berichtigen lassen, sich aufzuhalten. Nur einige Einwände
allgemeiner Natur seien mir gestattet, die dem Benutzer zugleich zeigen sollen, was
er von Hölders Buch zu erwarten hat, und ihn hindern mit falschen Voraussetzungen
an dasselbe heranzutreten.
Was uns heutzutage noch fehlt, aber neuerdings doch schon durch Einzelarbeit
angebahnt wird, ist eine Geschichte der römischen Keramik auf historischer Grund-
lage. Eine solche zu geben lag Holder fern. Er selbst hat sein Buch bloss als eine
Materialsammlung betrachtet wissen wollen. Aber auch schon diese darf die histo-
rischen Gesichtspunkte nicht ausser acht lassen. So kann meiner Ansicht nach auch
eine Anordnung und Sichtung der Formen nur nach historischen Gesichtspunkten
geschehen, d. h. die ihrem Ursprünge nach mit einander verwandten oder aus ein-
ander abzuleitenden Formen müssen zusammengefasst werden, ganz abgesehen von
dem Zweck, dem sie dienen sollen, der ja überdies nur in vereinzelten Fällen festzu-
stellen ist. Es wird sonst zusammenhängendes getrennt, ursprünglich verschieden-
artigee vereinigt, charakteristisches unter nichtssagenden Namen verborgen. Dafür
IteMen sich ans H(^lders Buch manche Belege anführen.
164 Litteratnr.
Der Versuch, eine Entwicklung einzelner Formen zu geben, ist von Holder so
gut wie garnicht gemacht. So kann man aus dem Buche wohl mancherlei Einzel-
heiten, namentlich eine Menge guter technischer Beobachtungen schöpfen. Ein wirk-
liches Bild des Stoffes, das es behandelt, giebt es nicht. Aus diesem Mangel der Be-
obachtungsweise erklärt sich auch, dass Holder das Verhältnis von römischem zu
griechischem nicht richtig beurteilt und an eine prinzipielle Verschiedenheit der
römischen Keramik von der griechischen glaubt. Jener schreibt er Eigenschaften als
charakteristisch zu, die sie mit der hellenistischen, deren Abkömmling sie ist, teilt.
Eine strenge Scheidung beider ist meines Erachtens nicht durchzuführen, die Fäden
führen beständig von der hellenistischen zur römischen hinüber, und Holder selbst
giebt mehrfach griechisches für charakteristisch römisch aus.
Aus diesem Grunde ist vielerlei in dem ersten Teile von Hölders Arbeit an-
fechtbar und der Abschnitt, der auch viel gutes enthält, mit einer gewissen Vorsicht
zu benutzen. In diesem ersten Teile behandelt Holder zunächst kurz einige der
feineren römischen Vasensorten, die terra sigillata und die megarischen Schalen, wo-
bei ihm freilich diese Gattung, von der er nur wenige Exemplare zu kennen scheint,
etwas römisches dünkt, während in Wahrheit doch die Schalen des Popilius und ähn-
liche mit lateinischen Stempeln versehene nur vereinzelt unter unzähligen Exemplaren
griechischer Provenienz sind.
In einem zweiten Abschnitt werden die Hauptdekorationsarten behandelt, die
Reliefdekoration, Barbotineverzierung, wo namentlich auch der Gegensatz zwischen
Italien und dem Norden richtig hervorgehoben wird, geschnittener Zierrat u. s. w.,
endlich die Glasur. Das letzte Kapitel handelt über die Entwicklung der römischen
Töpferei in Deutschland. Auch dieser Abschnitt enthält zahlreiche gute Beobach-
tungen, besonders lokaler Unterschiede innerhalb der provinzialen Topfware, ein
Gebiet, auf dem noch sehr wenig gethan ist. Auch was Holder über Import und
einheimische Fabrikation sagt, ist im wesentlichen richtig, wenn wir auch gerade auf
diesem Gebiete, wie mir scheint, heute schon weiter sind und genaueres geben können.
Die keltisch germanische Kultur, der wir einen Teil des besten Vasenmaterials ver-
danken, unterschätzt Holder entschieden. Neben sicherem italischen und gallischen
Import finden wir hier eine sehr hochstehende an die einheimische La Tenekunst an-
knüpfende Töpferei, und erst aus der Mischung mit diesen einheimischen Elementen
entwickelt sich seit der zweiten Hälfte des I. nachchristlichen Jahrhunderts ein von
dem italischen verschiedener und diesem vielfach überlegener römischer Provinzial-
stil in der Keramik.
Dragendorff.
2. Die Kunstdenkmäler der Rhein provinz. Dritter Band. V. Die Kunstdenk-
mäler des Kreises Grevenbroich. — Vierter Band. I. Die Kunstdenkmäler des
Landkreises Köln. Im Auftrage des Provinzialverbandes der Rheinprovinz heraus-
gegeben von Paul Giemen. Düsseldorf, L.Schwann. 1897. VI und 106 S. 5 Taf.,
36 Text- Abbildungen, bez. VI und 206 S. 16 Taf., 89 Textabbildungen. Preis: 3
und 6 Mk.
Mit der Behandlung des Kreises Grevenbroich gelangt der erste grosse Teil
der Denkmälerstatistik des Rkeinlandes, die Besprechung des Regierungsbezirkes
Düsseldorf zum Abschlüsse. Mit Befriedigung können der Verfasser, die Kommission
für die Denkmälerstatistik und die Provinzialverwaltung auf die stattlichen drei Bände
zurückblicken, die diesem Regierungsbezirke gewidmet sind. Dieselben sind für jeden
unentbehrlich geworden, der in wissenschaftlicher Weise den Kunstdenkmälem des
Rheinlandes näher treten will und zugleich für jeden, der sich einen Überblick schaffen
will über die Materialien, die für die Geschichte und Kulturgeschichte der Provinz
und ihrer einzelnen Teile gedruckt oder auch nur handschriftlich vorliegen. Dabei
ist das Werk in seiner Anlage und Durchführung dem ursprünglichen Programme
Litteratnr. 166
treu geblieben, wenn auch den spätem Heften naturgemäss die Erfahrungen, die bei
der Durcharbeitung der altern sich ergaben, in vorteilhafter Weise zu Gute gekom-
men sind. Vor allem ist das regelmässige Anwachsen des Illustrationsmateriales und
die durch die im Auftrage der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde von Dr.
Tille vorgenommene Inventarisation der kleinern Archive ermöglichte vollständigere
Aufführung der handschriftlichen Quellen ein Vorzug der spätem Hefte, der den
nun zu erwartenden weitern Abteilungen in hoffentlich immer grösserem Umfange
zu Teil werden wird.
Der Kreis Grevenbroich, bei dessen Beschreibung einige Orte von Dr.
Polaczek übernommen worden waren, der auch das angeheftete Register für
den dritten Band des Werkes zusammengestellt hat, ist einer der heterogensten
des Rheinlandes. Erst im Jahre 1816 sind seine verschiedenen Teile, die einst zum
Herzogtum Jülich, zum Kurfürstentum Köln, zu den reichsunmittelbaren Herrschaften
Dyck und Wickrath und zur Deutschordenskommende Elsen gehört hatten, zu einem
Ganzen vereint worden. Bis dahin hatten sie nur das gemeinsam, dass sie bei krie-
gerischen Verwicklungen der umwohnenden Mächte in gleicher Weise verwüstet wur-
den. Eine grössere Menge von Altertumsresten ist in dem Kreise denn auch nicht
zu erwarten, doch birgt er immerhin eine Reihe interessanter Einzeldenkmäler und
architektonischer Anlagen. Für letztere wurde gelegentlich der rötliche Sandstein
vom Liedberge verwendet, sonst griff man im 11.— 13. Jahrhundert gern zum Tuff
und Trachyt aus dem Brohlthal und dem Siebengebirge, während vom 14. Jahrhun-
dert an der Backstein das beherrschende Baumaterial wird.
Römische Funde sind in dem Kreise vereinzelt bei Barrenstein, Bedburdyck
und Gustorf gemacht worden, während bei Grevenbroich und Schloss Dyck umfas-
sendere Reste dieser Zeit aufgedeckt wurden; besonders die letztern sind den Lesern
dieser Jahrbücher durch die eingehende Besprechung von Koenen im Hefte LXXXI
bekannt geworden. Von altem kirchlichen Anlagen ist wenig erhalten, und das Erhal-
tene sehr stark umgebaut. Elsen hat seinen romanischen Turm bewahrt, Gustorf
eine Reihe durch Tafeln und Zeichnungen in der Beschreibung wiedergegebener inter-
essanter romanischer Reliefs Inder sonst modernen Kirche, die romanische Lambertus-
kapelle zu Ramrath ist fast ganz zu Grunde gegangen, die einst romanischen Kirchen
zu Oeckhoven, Wickrath und Wickrathsberg sind ebenso wie die gotische katho-
lische Pfarrkirche zu Grevenbroich ganz umgebaut. Zu nennen ist in diesem Zusam-
menhang der im Barokstyle aufgeführte Backsteinrohbau des frühern Klosters zu
Langwarden.
Unter den Schlössern stammt das zu Hülchrath zum Teile noch aus dem 14.,
das zu Grevenbroich teilweise aus dem 15. Jahrhundert, während das geschmackvolle
Schloss zu Dyck seine Errichtung in der zweiten Haltte des 17., seine reiche Ein-
richtung in diesem und dem folgenden Jahrhundert fand. Der Hauptbau des von
Johann Joseph Couven in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts errichteten
Schlosses zu Wickrath musste 1859 leider wegen Baufälligkeit abgetragen werden.
Von Herrenhäusern sind in dem Kreise hervorzuheben Haus Leusch bei Höningen
(18. Jh.), Haus Bontenbroich bei Kelzenberg (16. Jh.) und Haus Noithausen (um 1700). —
Von Privatsammlungen birgt der Kreis solche von Gemälden auf Schloss Dyck, zu
Bedburdyck (im Besitz des Dechanten (^iersberg) und zu Langwarden (im Besitz der
Familie Maison). — Eine längere Reihe von Nachträgen und Berichtigungen zum dritten
Bande und ein eingehendes Register zu demselben beschliessen das Heft.
Der vierte Band beginnt mit dem Landkreise Köln und tritt damit in ein an
Denkmälern der verschiedensten Zeiten besonders reiches Gebiet. Die Bearbeitung
ist dieses Mal nur für die Einleitung und die Orte Brauweiler und Brühl durch den
bisher alleinigen Herausgeber Dr. Giemen erfolgt, während die übrigen Orte nach
dem hergebrachten Schema von Dr. Polacze,k behandelt worden sind. Die Vorbe-
merkungen stellen in Aussicht, dass zunächst die links- und rechtsrheinischen fernem
166 Litteratur.
Teile des Regierungsbezirks Köln folgen sollen, denen sich dann als besonderer Band
die Stadt Köln anschliessen wird.
Die Nähe Kölns hat es mit sich gebracht, dass die Orte des Kreises bereits in
römischer Zeit besiedelt wurden und zahlreiche Überbleibsel dieser Periode der rhei-
nischen Geschichte hier erhalten geblieben sind. Der südliche Teil wird in der Rich-
tung von Badorf nach Efferen durch den Eifelkanal durchschnitten, won dem an
einer längern Reihe von Stellen Reste zu Tage getreten sind, aber auch sonst sind
fernab von der Linie die«es Kanals Erinnerungen an die Römerzeit vielfach gefunden
worden^ es braucht da ja nur an die Entdeckungen zu Worringen, die Inschriften
von Gleuel, das in dem besprochenen Hefte ausführlich von Klinkenberg geschil-
derte Römergrab zu Weiden, ganz abgesehen von zahlreichen andern Fundstätten,
erinnert zu werden.
Wichtiger freilich als diese sind die Werke des Mittelalters und der beginnen-
den Neuzeit, aus deren Reihe die katholische Pfarrkirche zu Brauweiler und das
Schloss zu Brühl besonders hervorragen. Erstere als Abteikirche im 11. Jahrhundert
begonnen, im 13. Jahrhundert fortgesetzt, im 16., 17., 18. umgebaut und restauriert,
bildet jetzt mit ihrer reichen Ausstattung eine der bedeutendsten kirchlichen Anlagen
des Rheinlandes, welche seit dem Jahre 1866 in umfassender Weise wiederhergestellt
worden ist. In dem zugehörigen Abteigebäude sind im Kapitelsaale noch die bekannten
Deckengemälde des 12. Jahrhunderts erhalten, welche an die Fresken von Schwarz-
rheindorf erinnern, aber wohl etwas jünger sind als diese. Über das zweite grosse
Bauwerk, das Schloss zu Brühl, haben diese Jahrbücher in Heft 100 eine eingehende
Behandlung von Renard gebracht, dasselbe wird hier samt dem Park und dem Schloss
Falkenlust in topographischer Anordnung unter Beifügung zahlreicher Tafeln und
Textbilder geschildert.
Zahlreich sind unter den Profanbauten die Herrenhäuser rheinischer Grossen
erhalten; dem 16. Jahrhundert entstammt unter ihnen die 1836 renovierte Burg Alden-
rath zu Gleuel, dem 17. Jahrhundert die Burgen zu Benzelrath, Gleuel und teilweise
Keldenich, dem 18. die zu Bachem, die malerische Burg Horbell zu Gleuel, das g^nd-
lich restaurierte Haus Arff zu Worringen und die Burg zu EfTeren, welche einen
gothischen Turm besitzt, der wohl von einer am Ende des 14. Jahrhunderts ange>
legten Befestigung herstammt. — Eine erhebliche Zahl älterer Kirchen ist im Verlaufe
der letzten Dezennien im Gebiete des Kreises niedergelegt worden, um Neubauten
Platz zu machen; von den noch erhaltenen Aulagen wären etwa ausser den bereits
genannten Brauweiler hervorzuheben: die im 17. Jahrhundert umgebaute Franzis-
kanerkirche zu Brühl; die im Kerne romanische, aber Mitte des 16. Jahrhunderts im
spätgothischen Style umgebaute Kirche zu Esch; die wesentlich dem 13. Jahrhundert
entstammende Kirche zu Rheinkassel; die ursprünglich romanische alte Kirche zu
Rodenkirchen; die nach 1100 begonnene, später vielfach veränderte und vor allem
spätgothische Formen zeigende Kirche zu Stommeln; die 1885 erweiterte Kirche zu
Poulheim, deren Turm und HauptschiflT dem 12. Jahrhundert entstammen. Die Kapelle
des Hauses Vorst zu Frechen enthält ein Altarbild aus der niederländischen Schule
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
A. Wiedemann.
3. Bergische Sagen. Gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben von
Otto Schell. Mit fünf Lichtdruckbildern. Elberfeld 1897. Bädekersche Buch-
handlung. 80. 34 und 608 S.
In vorliegendem, von Dr. Krauss, dem besten Kenner der südslawischen Volks-
kunde, mit einem empfehlenden Vorworte versehenen Werke hat sich der Verfasser
das Verdienst erworben, aus einem begrenzten Teile Deutschlands alle Sagen zu-
sammen zu stellen, welche sich in der Litteratur verzeichnet finden und welche er,
bei eifrigem Sammeln, aus dem Munde des Volkes selbst schöpfen konnte. So smd
Litteratur. 167
nahezu LOGO Sagen zusammen gekommen, von denen freilich manche Doubletten sind,
in denen das gleiche Motiv mit leichten Varianten wiederkehrt; andere sind nur
Sagenansätzc und Traditionen, die als Reste grösserer Sagen betrachtet werden
müssen. Aber gerade darin, dass alles aufgenommen, nichts willkürlich gestrichen
wird, liegt der Wert einer solchen Sammlung, das Material ist dann nicht nach sub-
jektivem Ermessen zurecht gelegt, sondern in seiner ursprünglichen Form vorgeführt.
Hierdurch wird das Buch zu einem Quellenwerke, welches der Lokalhistoriker der
behandelten Gebiete ebensowenig wird entbehren können, wie der Sagenforscher, der
nach Parallelen sucht, und auch der sonstige Leser wird in vielen Sagen seine Rech-
nung finden und echt volkstümliche Poesie nachempfinden können.
Die ältesten Sagen fassun gen sind Cäsarius von Heisterbach entlehnt, der, wenn
auch manche seiner Berichte mehr didaktischen Zwecken zu dienen bestimmt sind,
als reine Volksüberlieferung aufzuzeichnen, doch daneben ein reiches volkskund-
liches Material enthält. Dann hat die Lokallitteratur unseres Jahrhunderts manches
ergeben, mehr jedoch eigene Erkundigung, die zugleich zeigte, dass bis heute in
diesen Gegenden die sagenbildenden Empfindungen, besonders das ätiologische Mo-
ment, nicht ausgestorben sind. Noch an die Anlage der Eisenbahn und die Kriegs-
erklärung im Jahre 1870 haben sich Sagen angeknüpft (S. 169, 160). Ein Motiv in
mehreren Sagen, dem im Zusammenhange nachzugehen interessante Resultate ver-
spricht, ist der Teufel als Erzieher zum Guten, ein Amt, das er hauptsächlich Karten-
spieleru gegenüber ausübt, die er auf dem Heimwoge erschreckt, mit ihm zu spielen
veranlasst, u. s. f., und dadurch von ihrem Laster abbringt. Andere Sagenkreise
werden gleichfalls zusammengefasst zu wichtigen Schlussfolgerungen, über die in
ihnen auftretenden Typen Veranlassung geben können. AuflTallend ist das fast völlige
Fehlen der sexuellen Motive, doch ist nicht ersichtlich, ob dieselben thatsächlich
fehlen oder ob die hierher gehörigen Erzählungen aus äusseren Gründen übergangen
worden sind.
Die Anordnung der Sagen erfolgt topographisch und richtet sich meist nach
den das Gebiet durchschneidenden Wasserläufen; die Abschnitte sind: die Ruhr, der
Deilbach, der Angerbach, die Düssel, die Itter, die Wupper, die Dhün, der Strunder-
bach, die Sülz, Agger und Wiehl, Bröhlthal, die Sieg, der Rhein, das Siebengebirge,
allgemeine bergische Sagen, Nachtrag. Als Anhang folgt eine Reihe von Bemer-
kungen über die Orte, Steine u. s. f., an die einzelne Sagen anknüpfen. Hinweise auf
Parallelsagen aus anderen Gegenden und ähnliches mehr, doch hat sich der Verfasser
hier absichtlich kurz gefasst. Lichtdrucke von Schloss Burg als Ruine, der Beyen-
burg, Elberfeld vor dem Brande im Jahre 1537, dem Alteuberger Dom als Ruine, der
Klosterruine Heisterbach sind dem Texte beigefügt.
A. W.
4. Die kölnischen Stadtpläne des Arnold Mercator und des Cornelius ab
Egmont von 1571 und 1642.
Ein glückliches Geschick hat in den letzten Jahren zwei in grossem Massstabe
und in vortrefflicher Ausführung hergestellte alte Stadtprospekte von Köln ans Licht
gebracht, deren Erhaltung bisher den Bearbeitern der Kölner Stadtgeschichte nicht
bekannt war. Der ältere derselben, welcher im Vorjahre Seitens der Stadt Breslau
der städtischen Verwaltung von Köln übersandt wurde, ist ein Kupferstich des Arnold
Mercator, nach den Inschriften im Jahre 1571 zu Duisburg vollendet und dem Kölni-
schen Erzbischof Salentin von Isenburg gewidmet. Allerdings befindet sich das Ur-
bild dieses Planes, mit Ölfarben auf Pergament gemalt, seit alter Zeit im Besitze der
Stadt Köln, jedoch in einem derart beschädigten Zustande, dass ausser den Strassen-
zägen und einigen hervorragenden Gebäuden wenig mehr zu erkennen ist. Der
Kapferstich ist dagegen bis in alle Einzelheiten von vortrefflicher Erhaltung, er be-
sitat eine Grösse von 170 : 109 cm und zeigt uns den massstäblich, so genau es eben
168 Litteratnr.
die Hilfsmittel der Zeit erlaubten, im Verhältnis von etwa 1 : 2350 aufgetragenen
Grundriss der Stadt, in welchen alle Ortlichkeiten derselben, insbesondere die Gebäude
im Aufriss verzeichnet sind.
Der gewaltige, vom Ende des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts errichtete,
an der Landseite durch einen tiefen Graben geschützte und durch zwölf Thorburgen
mit vorliegenden Zwingern bewehrte Mauerring umschloss ein Stadtgebiet, welches
im Jahre 1571 noch bei weitem nicht durch eine zusammenhängende städtische Be-
bauung eingenommen war; letztere erstreckte sich noch lediglich auf die Römer-
stadt, die östlich davor liegende Rheinniederung und die seit dem 11. Jahrhundert
der Altstadt angegliederten Vorstädte Niederich, Westerich und Oversburg. Ausser-
halb dieses Bezirks lagen mitten in Gärten und Weinbergen die bedeutenden Klöster
und Stifte, und eine bürgerliche Bebauung findet sich hier im wesentlichen nur im
Zuge der Hauptthorstrassen. In klarer Zeichnung heben sich aus dem Stadtbilde die
öfiTentlichen und besonders die kirchlichen Bauten heraus: die dem 11. Jahrhundert
entstammenden, mit Minarettürmen geschmückten Westfronten von S. Pantaleon und
Maria im Kapitol, die reichgegliederten Turmgruppen der zahlreichen romanischen
Stiftskirchen, der hochstrebende Domchor mit dem Domkrahnen auf dem Südturme,
der Rathausturm als Wahrzeichen der bürgerlichen Gewalt nebst einer grossen Menge
kleinerer Kirchen und Klöster. Die Privathäuser, namentlich auch die turmgeschmück-
ten Rittersitze sind, wie wir dies aus dem Vergleich der anderweit im Bilde oder in
der Wirklichkeit noch erhaltenen Schauseiten feststellen können, im Einzelnen nach
ihrer Bauart mit grosser Treue abgebildet. Mit besonderer Aufmerksamkeit hat der
Zeichner die noch sichtbaren, bedeutenden Baureste der Römerzeit und deren ihm
bekannte Orte aufgenommen und durch Sternchen angemerkt: die Teile der römischen
Stadtmauer an der Südseite, die Türme und Mauern der Westseite und die damals
fast noch vollzählig erhaltenen Befestigungstürme der Nordseite. An der Ostseite ist die
Stelle des ehemaligen Römerthores an Obenmarspforten vermerkt, das PfaflFenthor am
Dome jedoch leider sehr verkürzt gezeichnet. Am Deutzer Ufer hat Mercator die Stelle der
römischen Rheinbrücke angemerkt und sagt in der beigedruckten Beschreibung, er habe
bei der Bearbeitung des Stadtplanes die Reste des äussersten Endes dieser Brücke
nahe der Kirche S. Urban g(\sehen und die Breite derselben mit 20 Fuss gemessen;
an beiden Seiten hätten sich Spuren von Stufen gefunden, mittelst deren man zum
Wasser hinabstieg. Höchst wahrscheinlich ist der von Mercator gesehene Brückenrest
jenes Grundmauerwerk, welches heut noch vor der Südwestecke des Deutzer Römer-
kastells bei niedrigem Wasserstande im Rheine zu beobachten ist, doch wird man
Sicherheit darüber, ob dieser Baurest einer Römerbrücke angehört hat, immerhin erst
von der Zukunft durch Forschungen erwarten können, die mit den vollkommeneren
technischen Hülfsmitteln unserer Zeit im Strome selbst angestellt werden. Die Rheinfront
der Stadt Köln ist auf dem Prospekt durch eine grosse Menge von SchiflFen belebt,
zahlreiche Krahnen sind am Rheinwerft aufgestellt und eine dicht gereihte Zahl von
Pforten und Thoreu, welche die längs des Rheinstromes verlaufende Kehlmauer
durchbrechen, trägt den Bedürfnissen des regen Handelsverkehrs Rechnung. Zwei
Inseln (Werthchen) liegen im Rheinstrom am oberen Ende der Stadt, zwischen ihnen
sind in zwei Reihen die Schiffmühlen verankert; Deutz ist unbefestigt als ein noch
wenig angebautes Städtchen dargestellt.
Der Stadtplan ist geziert mit einer Reihe von Wappen und Kartuschen, links
dem grossen, vortrefflich gezeichneten, mit kleinodgeschniücktem Heim und wehenden
Helmdecken gekrönten Wappenschild des Erzbischofs Salentin von Isenburg, in der
Mitte beiderseits mit dem älteren und jüngeren Stadt-Wappen, rechts mit einer von
Rollwerk umgebenen, jedoch leer gelassenen rechteckigen Füllung.
Die beiden Schmalseiten des Planes zeigen auf 10 cm breiten Streifen eine
Darstellung, welche der von früher her in Köln vorhandene Pergamentplan nicht
besitzt, nämlich die Abbildungen einer Anzahl der damals in der Stadt Köln erhal-
Litteratur. 169
tenen römischen Altertümer, darunter den Marzellenstein, jenen von der Sage ver-
herrlichten Rest der römischen Wasserleitung", ferner zahlreiche Weihesteine, Sarko-
phage und Grabsteine, Inschriften, Statuen und Werke der Kleinkunst. Bei weitem
nicht alle diese Werke sind noch in Köln erhalten; von Interesse ist, dass sich unter
den Abbildungen auch jenes schöne, der Siegesgöttin geweihte Denkmal befindet,
welches jetzt im Bonner Provinzial-Museum aufgestellt ist.
Unter den auf uns gekommenen, überaus zahlreichen Stadtansichten, Prospekten
und Plänen, welche seit dem 14. Jahrhundert in immer neuen Auffassungen uns das
Bild der alten Reichsstadt Köln vor Augen führen, ist der Prospekt des Arnold Mer-
cator als der erste und grösste auf geometrischer Grundlage beruhende Plan durch
die sorgfältige Behandlung aller Einzelheiten für die mittelalterliche Ortskunde und
die Erforschung der Baudenkmäler der Stadt von der grössten Bedeutung.
Der vom Jahre 1642 datierte Stadtplan des Cornelius ab Egmont (Amstelodami,
sumptibus et typis eneis Henrici Hondy) wurde der Stadt Köln im Jahre 1894 von
der Stadt Hildesheim überlassen, während in Köln selbst die Kenntnis von dem Be-
stehen desselben vollständig entschwunden war.
Dieser Plan ist nichts anderes, als ein überarbeiteter Nachdruck des Mercator-
schen Planes im gleichen Massstabe wie dieser mit Eintragung der wichtigsten, im
Laufe von siebenzig Jahren entstandenen Veränderungen. Von letzteren sind her-
vorzuheben die neuen, für Geschützverteidigung eingerichteten Befestigungen am
Bayenturm, am Severinsthor, am Weierthor, am Rheinwerft vor dem Fisch markt, sowie
die Befestigung von Deutz. Um letztere vollständig zur Darstellung zu bringen, hat
der Zeichner die Breite des Mercatorschen Planes um 11 cm vergrössert. Neu ein-
gefügt sind in den Prospekt die nach 1571 entstandenen Kirchen und Klöster, wie
das Karmeliterkloster mit der Kirche im Dau an der Severinstrasse und die Jesuiten-
kirche mit Kloster an der Marzellenstrasse. An der Rheinseite ist das Osterwerth
mit Weiden bepflanzt angegeben und die Lage der SchiflTsmühlen geändert, während
die Schiffsstaffage beibehalten ist. Von Interesse ist die Ausfüllung der rechtsseitigen,
auf dem älteren Plane leer gelassenen Kartuschenfüllung mit den Zeichnungen dreier
beim Bau der Verschanzungen vor dem Severinsthore im Jahre 1632 gefundenen
römischen Grabsteine mit Architektur-Darstellungen von einer Ausbildung, welche
sonst nicht an den Kölnischen Grabsteinen zu beobachten ist. Leider scheinen auch
diese drei Grabsteine nicht auf uns gekommen zu sein. Auf der unteren Verlän-
' gemng der Seiten füllungen sind weitere Grabfunde, welche bei den Befestigungs-
arbeiten vor dem Severinsthore gemacht wurden, verzeichnet. Der Plan ist dem
Kölnischen Erzbischof Ferdinand von Bayern gewidmet, dessen Wappen von einem
Löwen und einem Greifen gehalten in sehr mittelmässiger Zeichnung die Stelle des
auf dem Mercatorschen Plane so frisch und schwungvoll gezeichneten Hauptwappens
einnimmt.
Das historische Archiv der Stadt Köln hat beide Pläne in Urbildgrösse ver-
vielfältigen lassen, den mehrfach beschädigten von 1642 nach einer Durchzeichnung
von 0. Rammelmeyer durch Meisenbach, Riffarth u. Co. in München; den Plan von
1571 in vortrefflicher Wiedergabe unmittelbar nach dem Urbilde durch F. Kaiser in
Köln-Lindenthal. In verdienstlichster Weise ist somit weiteren Kreisen für die wissen-
schaftliche Erforschung der Stadtgeschichte eine neue Quelle eröffnet. Darf hieran
noch ein weiterer Wunsch geknüpft werden, so ist es derjenige, dass diesen Plänen
die Herausgabe eines vollständigen Verzeichnisses aller bekannten Kölnischen Stadt-
ansichten, Prospekte und Pläne demnächst folgen möge.
Bonn, Oktober 1897. R. Schnitze.
170 Litterator.
5. Rheydter Chronik. 1. Band, bearbeitet von Dr. Ludwig Schmitz, 300 S.
2. Band, verfasst von Dr. Wilhelm Strauss, 484 S. Rheydt. Verlag von 0.
Rob. Langewische. 1897. SP.
In diesem Werke finden wir zum ersten Male den Versuch gemacht, auf Grund
archivalischen Materials und sonstiger zuverlässiger Quellen eine Darstellung der
Entwicklung der Herrschaft und Stadt Rheydt zu geben. Die bisherigen Schriften
zur Geschichte dieser Stadt z. B., „Das Kloster St. Alexandri zu Rheydt^, „Die Kapelle
zu Ohler**, Rheydt 1888 und die „Geschichte der Pfarrei Rheydt*, J. 1889, haben mehr
den Charakter des Vorläufigen. In der vorliegenden Arbeit ist das Planlose ver-
mieden und was sich bei der Besprechung des geschichtlich Überlieferten nicht durch
Akten und Urkunden belegen lässt, wurde entweder ganz weggelassen oder aus-
drücklich als Vermutung hingestellt.
Der erste Band umfasst die Vorgeschichte und die Geschichte bis 1813, letztere
in zwei Teilen, nämlich die äussere und die innere Geschichte Rheydts. Zum Schluss
finden wir Urkunden und Aktenstücke.
Unter der „Vorgeschichte** hat Schmitz nicht nur die vorrömische Zeit, son-
dern auch die römische und fränkische Periode behandelt. In der „Äusseren Ge-
schichte Rheydts** bespricht er die Lehnsherrn Rheydts und die Lehnsträger des
Schlosses und der Herrlichkeit Rheydt, Rheydt unter französischer Herrschaft und
den Übergang an Preussen. Die „Innere Geschichte des Ortes** betrifft das Gebiet
der Unterherrschaft Rheydt, Herrn und Unterthanen, Schöffengericht und Vogtgeding,
die Gemeinde Rheydt während der französischen Herrschaft, die katholische Gemeinde
bis 1815, die evangelische Gemeinde bis 1815, die Schulen bis 1815, das Tertiarierinnen-
kloster St. Alexandri, Kriegsdrangsale, besonders während des 30jährigen Krieges.
Die Urkunden und Aktenstücke bestehen aus 26 Nummern.
Die Behandlung der vorrömischen, römischen und der fränkischen Zeit ist eine
ganz aligemeine: Älteste Besiedler sind Kelten, es folgen Eburonen, nach deren
Vernichtung durch J. Caesar Ubier oder Gugerner. Als Grenzscheide dieser beiden
Völker wird als feststehend Gelduba betrachtet. Nach meiner Beobachtung dürfte
wohl Novaesium nordwestliche Ubierscheide gewesen sein (vgl. meinen Aufsatz Bonner
Jahrb. H. 101, S. 8. Anm. 1). Im J. 53 v. Chr. beginnt für die Rheydter Gemarkung
die römische Herrschaft, von der zahlreiche Funde, zumeist aus der mittleren Kaiser-
zeit Zeugnis geben. Für ähnliche Arbeiten dürfte es sich empfehlen, bei der An-
führung von Fundstellen die Flur- und Parzellennummern sowie die Flurnamen an-
zuführen. Bei Inschriftenkunden ist die Nummer im CIRh. anzugeben. So ist der
von Schmitz angeführte Grabstein der Ubierin „Louba** im CIRh. unter Nr. 275 an-
geführt und nicht „zwischen Rheindahlen und M.-Gladbach** sondern bei Grimling-
hausen und zwar nach meinen Informationen westlich des Neusser Legionslagers ge-
funden worden.
Das Neue dieses Buches liegt in seinem historischen Teile. Hier finden
wir zum ersten Male die Geschichte einer jülichschen Unterherrschaft ausführlich
nach allen Seiten hin behandelt, sowohl in ihrem Verhältnis zum Herzogtum Jülich
als auch als abgeschlossenen Herrschaftsgebietes innerhalb des grösseren Territoriums.
Für weitere Kreise hat besonders das Kapitel Interesse, welches die Rechte und
Pflichten der Herren und der Unterthanen behandelt, dann auch die Schilderung der
Gemeinde Rheydt während der französischen Herrschaft (S. 110—124). Schmitz
hatte für letztern Punkt das Glück, die Belege in seltener Vollständigkeit auf dem
Speicher des alten Rathauses zu entdecken. Zwar war die Geschichte der kath. Ge-
meinde in ihren Hauptzügen bereits durch Norrenberg (Geschichte des Dekanats
M.-Gladbach. Köln 18H9) dargestellt worden, allein Schmitz geht viel weiter; denn
die Geschichte der protestantischen Gemeinde bis 1815 wurde bisher noch gar nicht
geschildert, während Schmitz sie ausführlich behandelt. Hier finden wir auch die
so oft wiederholte Erzählung von dem so urplötzlichen „Abfallendes katholischen
Litteratar.
m
Pfarrers „Vitns BongartB" zum ProteetantiBmUB im J. 1R32 (S. 132-133) endgültig
ztirUckgewißsen. Nach Schmitz ist der Übergang zur Reformation in Rheyrtt^ein
ganz allmählicher (S, 140—145). Das Jahr 1632 hat rar die protestantische Gemeinde
DDr die Bedeutung einer Geatattung öfTentlicher Religionstibung. Über die Sciiulen
in Rhpj-dt war bisher so gwt wie nichts bekannt. Schmitz hat es verstanden (S.
177 — 193), aus den seil 1033 erhaltenen Konsislorialakten ein Itlares Bild heraus-
zuüchülen.
Unter den im Anhange abgedruckten, bisher unbekannten, oder wegen Ihrer
besonderen örtlichen Wichtigkeit nüchtnals abgedruckten Urkunden sehen wir bei
Nr. 6 eine bisher unbekannte Urkunde des Kaisers Sigismund vom 27. Januar
1434, in der dieser Johann, Herrn zu Rheydt, mit der Erbvogtei der Stadt und des
Stiftes Kein belehnt. Unter Nr. 10 ist eine Urkunde abgedruckt, in der König
Friedrich III. den Gerhard, Herrn zu Rheydt, und Arnold von H'oemen,
Burggrafen von Odenkirchen, ächtet, weil sie trotz dreimaliger Vorladung vor das
Hofgericht auf Klage der Stadt Köln nicht erschienen sind. Das unter Kr 15 vor-
geführte „SchatE' und Dienstbuch der Herrschal't Rheydt" ist wohl das Hlteste der-
artige Verzeichnis, welches man kennt; wenigstens ist das in der Zeitschrift des
Bergiachen Geschichtsvereins SXIV, S. 85—89 abgedruckte Schatzbuch von GrSfrath
vom Jahre 1492, also aus einer etwas sp»teren Zeit.
Der Text ist sauber gedruckt und durch 16 Beilagen und Iliufltrationen er-
gänzt. Die erste Tafel veranschaulicht das Strassenm-tz zur Römerzeit, soweit das-
selbe nach den in erster Linie durch Professor Sehneider bestimmten alten Strassen
zu erkennen ist. Dann finden wir die Stammtafel der Herrn von Rheydt aus dem
Gcschlechte der Heppendorfer (S, 10). Abgobiidel erseheinen die Siegel der Herrn
von Rheydt. Es folgt eine sorgsam zusammengestellte Stammtafel der Herrn von
Byland-Rheydt (S. 33). Wir sehen das Bild des Schlosses Rheydt von 1594-1645.
Ferner ist anzuführen eine Stammtafel des Freiherrn (Grafen) von ßyla n d t-Ipel-
dorf-Rheydt. Nun folgen Abbildungen der Freiherren Christoph I. von B.Rh.,
Johann Franz v. B. Rh., Arnold Christoph II. v. B. Rh,, Carl Caspar
V. B. Rh., eine farbige Übersichtskarte der Unterherrschaft von 1789, das Schloss
Rheydt in geiner heutigen Beschaffenheit, die Rheydier Schöffensiegel, die Stempel
der Mairie Rheydt und die der Gemeinde vom Jahr 1614—1815, die Totentafeln
zweier Freiherrn v. B. Rh,, das PortrÄt der Freifrau Anne Maria Theresia
V. Byland, geb. Ingelheim. Unter den Urkunden ist die von Johann Herrn
von Reyde im Jahre 1390 ausgestellt, in Lichtdruck hergestellt; auch die meisten
übrigen Abbildungen zeigen dieses Verfahren. Die herstellende Firma war
Rümmler u. Jonas in Dresden.
Der zweite Band der Chronik behandelt die Entwicklung der Stadt seit 1815,
also seit der Einverleibung in Proussen. Strausa giebt aber weniger eine histo-
rische Betrachtung dieser Zeit als vielmehr eine Sammlung statistischer Nachriehten
tiber das Anwachsen der Stadt, ihre Induatrie u. s. v. Der zweite Band hat 81 Tafeln
Beilagen und Illustrationen. Ein näheres Eingehen auf diesen Gegenstand liegt nicht
itn Bereiche der Jahrbücher.
Constautin Koenen.
6. Neuere Veröffentlichungen über das Bauernhaus in Deutschland,
Oesterreich-Ungarn und der Schweiz von Hans Lutsch. Berlin 1897.
Verlag von Wilhelm Ernnt & Sohn. Gross Oktav. 68 Seiten,
Das Ansschnss-Mitglied des Verbandes der Deutschen Architekten-Vereine zur
Veröffentlichung einer Entwicklungs-Geschichte des Bauernhauses, Hans Lutsch,
hat in der Zcitaehrill für Bauwesen, Jahrgang 1897, und in dem durch die Überschrift
bezeichneten Sonderdruck sich der grossen Mühe unterzogen, Äufschluss über das bisher
in diesem ('ache Erschienene zu geben. Für unsere Rheüü"")- '«t die Einleitung
ni. Mlszellen.
1. Bömische und germanische Funde am Rheinwerft zu Bonn. Beider
im Jahre 1896 erfolgten Ausschachtung der Baugrube für den Pfeiler der links-
rheiniachen Viaduktöffnungen der Bonner Rheinbrücke wurde auf den ehemaligen
Grundstücken von Norrenberg und Sarter (Burgstrasse 6 und 8) der Grund und
Boden auf eine Länge von 20 m, eine Breite und Tiefe von je 4 m ausgehoben.
Der gewachsene Boden, bestehend aus lehmigem, gelbem Sande, einem Anschwemmungs-
produkt des Rheines, lag etwa 2,50—3 m unter der damaligen Gartenfiäche der ge-
nannten Grundstücke. In der den gelben Sand bedeckenden dunkeln Erde Hessen
sich deutlich 2 zeitlich unterschiedene Rulturschichten erkennen. Die obere"* zeigte
manche Ziegelbrocken und Scherben, die dem Mittelalter und der Neuzeit angehören;
die untere, mehr humusartige, stellenweise grünlich-schwarz gefärbte Schicht förderte
römische Scherben, Ziegelbrocken, Holzasche und Kohlen u. dgl. zu Tage und war
von der oberen durch eine an vielen Stellen zu verfolgende Schicht zahlreicherer
römischer Ziegel- und Mörtelstücke, sowie Schiefer getrennt. Der im Lauf der Zeit
festgedrückte Mörtel machte an einer Stelle sogar den Eindruck einer römischen
Ziegelbetonschicht Dieselbe Erscheinung, die sich schon öfter längs des ganzen
Bonner Ebeinufers gezeigt hat, bot sich auch hier dar: zwischen den antiken iind
neueren Rulturschichten eine starke Lage römischer Bau- nnd anderer Trümmer.
(Vgl. B. J. 100, S. 132).
Als man die Ausschachtung weiter in den gelben Sand fortsetzte, liessen sich
eine Anzahl grubenartiger Vertiefungen von mehr oder weniger kreisrunder Form
wahrnehmen, die mit demselben dunkeln Boden, wie er in der nach oben fol-
genden römischen Kulturschicht vorkommt, gefüllt und etwa 1,5 m durchschnittlich
in das Alluvium eingetrieben waren. Sie fanden sich ohne Regelmässigkeit ange-
ordnet, doch so, was vielleicht Zufall sein mag, dass von sechsen dreimal je 2 und zwar
immer eine grössere und eine kleinere bei einander waren, zwei andere vereinzelt
lagen. Im ganzen wurden also acht solcher Gruben völlig ausgegraben, während
Spuren von anderen sich in den senkrechten Wänden der Baugrube bemerken liessen.
Ihr Inhalt bestand im allgemeinen aus einigen wenigen unverletzten Urnen, sehr
vielen Sigillatascherben früher und später Zeit, Knochen- und Kohlenresten, sowie
anderen Trümmern offenbar späterer germanischer Gefässe, kurz aus so mannig-
fachen Kulturresten, dass eine Beschreibung am Platze scheint, um eine Vorstellung
von der Eigentümlichkeit der Funde zu erhalten. In der südwestlichsten der Gruben
(Nr. I) fanden sich in der Tiefe von 3,50 m unter der ehemaligen Bodenfläche zu
Unterst zwei gut erhaltene etwa 9 cm hohe bauchige Näpfe mit nach innen gebogenem
Rand, die aus ziemlich dickem grauem Thon hergestellt und hart gebrannt
waren; um sie herum schwarze mit Knochenresten und Kohlen vermischte Erde.
Von den Urnen barg die eine mehrere gewöhnliche Kiesel der Rheinanschwemmung
(Grauwacke und Quarzit), so dass sie gänzlich damit angefüllt erschien, während die
andern einen einzigen, fast kugelrunden Stein aus Tuff fasste, der den Hohlraum
Miszellen.
1TB
r&st völlig aaefällt and mit knapper Not aus der weiten Öffauag heran s^enommeu
werden kann. Nach oben zu folgten in der acliwarzen Erde eine Unmenge Scherben
der verschiedensten römischen Gef^sse Ton allen Grössen: von Ei-ügea mit und ohne
Henkel, in grauem und weissem Thon, zahlreiche Sigillata-Sch erben mit und ohne
Ornamenliiirung, darunter Bruch stlicko zweier groseen Näpfe mit Beliefschmuck in
der Form etwa wie Dragendorff, B. J. ^e/äl III Nr, 37; an ihrem Fusse Blumen bezw.
Kosetten in Bogenstellungen, darüher Eierstab, eine spJltrö mische Dekorationsart.
Eine kleine Sigillalaschale von 9 cm Durchmesser kam ganz zum Vorschein. Verhalt-
nisniJUsig reich war die Ausbeute an geate in pellen Scherben:
1) NESHIATVS {nicht bei Dragendorff, B. J. 99, S. 54 ff. [Dr.]).
2) NASSOF Innerhalb eines gestrichelli-n Kreises von 7— 8 cm Durchmesser
(Dr. 256, ungeraiire Form; Dr. B. J. 96/97 Nr. 47, doch
bildet die Seite eine in ganz stumpfem Winkel gebrochene Linie,
3) AMABILI8 (Dr. 13, i).
4) PETRVLLVSF (Dr. 292).
6) AT! NVS (nicht bei Dr.)
6) TA.fÄ7//AKE innerhalb eines Kreises von 5 cm Durchmesser.
7) (^^AT////YII innerhalb eines Kreises von 3 om Durchmesser; MATERNI?
. (vgl. Dr, 230—232). Unter dem Boden eingeritzt M.
Die Scherbe einer kleinen, reich verzierten Schale aus terra sigillata trug auf der
Aussenseite eingeritzt: VKplA, wohl der Name ihrer einstigen Besitzerin.
Des weitereu fanden sich in der oberen Schicht dieser Grube die Bruchslücke
eines grospeu dickwandigen Getltsses aus gelbem Thon, das mit flachen Reliefb&ndern
im Zickzack und Halbkreise verziert ist, in die mehrere Reihen kleiner viereckiger
Grübchen eingedrückt sind, ähnlich wie Kaenen, WeHtd. Ztschr. 1887 S. 354 Taf. XI,
1—4; hier wird das Ornament der späten, fränkischen Zeit zuerteilt. Ausserdem kam
endlich eine Anzahl Tierknochen, ein Ochsenhorn, einige Eisen teilchen, von denen
eines wohl eine Lanzen- oder Pfeilspitze gewesen sein kann, zum Vorschein. Man
sieht, die gehobenen Fundstücke sind sowohl in sachlicher Beziehung wie in Rück-
sicht auf die Zeit ihrer Entstehung recht mannigfach.
Nahe bei dieser ersten Grube wurde durch die senkrechte Westwand der Bau-
grube eine kleine Grube (Nr. II) durchschnitten, die nicht im gewachsenen, sondern
aufgeschütteten Boden sich fand, und zwar so, dass ihr Fuss etwa in der Höhe
der erwähnten Schicht römischen Bauschuttes lag. Sie war gänzlich ausgefüllt durch
eine gewaltige, dickwandige Amphora aus hellem Thon. Ausser Brandresten scheint
sich aber nichts gefunden zu haben. Schon^die Fundstelle lässt mit Sicherheit an-
nehmen, dass das GefAss späten, nicht römischen Ursprungs ixt.
Südöstlich hiervon in einer dritti-n, wieder in den gelben Sand gegrabenen
Grube (Nr. III) fanden sich Scherben von Geschirren der verschiedensten Art und
Form, von Siogelerde und gewöhnlichem Thon. Ganz erhalten blieben zwei kleine
Näpfe aus geschwärziem hellem Thon, sowie ein zierlicher Trinkbecher von 8*/} cm
Höhe mit schwarzem Überzug. Form: Dr. B. J. 96/97, III Nr. 66. Ferner: Teil eines
Plachziegela mit dem Legion sstempel ^MPF, sowie das Halsstück einer grossen Am-
phoraausrotem Thoamit zwei breit6nHenkeln,auf deren einem tief eingegraben ist: XI W
(XU aemis). Endlich wieder Eisen' und Kohlenstücke, sowie zwei kleine Schwelns-
hauer. Diese Grube hatte einen Durchmesser von 2 m und erstreckte sich noch
1^ m in den gewachsenen Boden hinein. Sie hob sich, ebenso wie die unten noch
beschriebenen, deutlich auf der Sohle der Baugrube ab. Bei allen musste die dunkel
gefärbte Ausfüllung, die, wie gesagt, durchweg mit Holzasche durchsetzt war, ent-
fernt werden, um den weniger traglähigen Boden durch Beton zu ersetzen. Der
Durchmesser der grossen Gruben (Nr. VI und VII) betrug 2—2,60 m, der kleinen
176 MiBBeUen.
(IV und V) 1—1,20 m; die Tiefe wechselte zwischen 0,65 (Nr. VII) und 1,70 m (Nr. V).
Diese letztere macht« überhaupt auch inhaltlich eine Ausnahme von den andern,
abgesehen von ihrer Tiefe bei nur 1,20 m Durchmesser; denn ausser vereinzelten
Knochenreston, die sich mehr nach der Oberfläche zu fanden, barg sie nur den unter
Nr. 1 abgebildeten bauchigen Topf von 16 cm Höhe.
Er ist aus hart gebranntem grauen Thon hergestellt
und hat einen kleinen Henkel, der nur zum Durch-
ziehen einer Schnur geeignet scheint, sowie einen kurzen
Ausguss; rings herum läuft eine phantastische, in
schwarz aufgemalte Verzierung, etwa in der Gestalt
von Hirschgeweihen. Augenscheinlich gehört er einer
sehr späten, fränkischen Zeit an.
Grube IV barg auf ihrer Sohle in der Tiefe von
1,50 m Stücke von Falzziegeln und Thonplatte.n, die
schon tirsprünglich flach gelegt waren; darüber die
Trümmer eines Napfes sowie einen einhenkligen Krug ^'
spätrömischer Form, beide aus weissem Thon, und eine schwarze Urne, die mit gelber
feiner Erde (Asche?) gefüllt war. Alles war umstellt mit gewöhnlichen rümischen
First- und Falzziegeln, diese von 39 cm Länge. Gedeckt war diese Grabstätte — so
dürfen wir sie wohl ohne Zweifel nennen — mit einer ziemlich starken Schicht sechs-
eckig bchauener Schicferplatten von beiläufig 33 cm Länge und Breite und etwa
1 — 2 cm Dicke; alle waren mit ziemlich grossen Nagellöchern versehen, und vordem
also in Gebrauch gewesen. Die weitere Auffüllung barg wieder Topfscherben aller
Art, so die Reste eines spHtrömi sehen, henkellosen Kruges aus rötlichem, schwarz
übers tri ebenem Thon. am Hals drei eingedrehte Ringverzierungen; ferner das Hals-
stUck und andere Teile einer Amphora; am Mündungsrand und auf einem Henkel
sind 2 mal gross eingegraben: VII.
Eine gewaltige Masse von Scherben lieferten endlich die grossen Gruben VI
und VII; sie stammen wiederum von Gefilssen der mannigfachsten Art und Her-
stellung. Die eine von ihnen (VI) barg sicher ein oder zwei Urnen aus gewöhn-
lichem Thon, und wie mir der bauleitende Architekt, Herr Itegierungsbaume ister
Frentzen, dessen Fürsorge wir die genauen Feststellungen verdanken, mitteilte, waren
die zahllosen Scherben in gewisser RcgelmSssigkeit zum Schutze um die Urnen ge-
legt, so wie es bei Nr. IV durch die grossen Ziegel geschah.
An Stempeln fanden sich:
CAIVSF iin Kreise (Dr. 51).
SATVRNIMV (Dr. 342).
Auf dem Henkel einer Amphora war eingedrückt: SABIN in groben Zügen,
auf dem Hais einer andern: V. Die Randscherbe eines grösseren SigiUatngeftlases
zeigte eingeritzt: I N V' N A I , oder umgekehrt gelesen: IYNIANI, also vielleicht
einen Trinksprueh (in vina etc.?) oder den Namen des Besitzers (Juniani). Ferner
Scherben einer Sigi Ilatatasse mit VX eingeritzt, ein Ziegelstück mit Lcgions-
stempel ^P. Sodann fanden sich viele Knochenreste, so vom Pferd und Huud, ebenso
wieder Eisenteile. Endlich kam ein Bruchstück einer eonvcsen Zierscheibe aus
Bronze zu Tage, in der Form eines Amazonenschildes, das einzige Schmuckstück
unter den vielen Fundgegenständen. Sie hai grosse Ähnlichkeit z, B. mit denen «na
dem Limeskasteli Osterburken bekannt gewordenen Schmuckgegoustanden. (Der
obergerm.T«t. Limes, Lief. II Taf. VI,)
Ausser den Stempeln nun, die uns den Namen des Töpfers übei-mittelteu, fan-
den sich noch eine ganze Anzahl von solchen, die als Fabrikmarke zu betrachten sind;
sie sind unter a—t/ in natürlicher Grösse abgebildet und erklären sieh daher in ihrer
Form von selbst. Es ist nur zu bemerken, dass b von einem Kreis von 6 cm, c von
ilt
einm Doppolkrois von 4 cm Durchmesser umgeben iflt. Der umstand, daas sie auch nicht
einen Bnchslaben im Stempel leipen, hat solche Marke« sn Wertseh Rtzung heutzutnj^c
offenbar verliereu lassen; unri doch meine Ich, dasB auch sie der Beach tun r wert
sind. Bekannt ist ja, dass die frühen SigtllatagelUsse von Arezzo oft ähnliche Fabrik-
nirirkcn tragen; vgl- die Zusammenstellung hei Gamurrini, Atti dei l.>incei 1890 S. ß9.
I
I
sowie Dragendorff B. J. 96/97 S. 42, lerntr derselbe in B, J. 101, S. 14ü f. über Fabrik-
marken auf sUd russischen Sigi Ilatage fassen. In uiiserro Falle handelt es sich um
Erzeugnisse der spAtcsten römischen Zeit; der Thou ist nicht fein geschlemmt, die
Farbe durchweg hell, die Glasur blACIcrt leicht ab. DragcndorfT, an den ich mich
wandte, hatte die Liebenswürdigkeit, mir die wenigen Marken spatrömischer Zeil zu
nennen, die ihm bekannt sind. Es ist ein Teller in schlechtem Thon und schlechter
lilasnr im Louvre Nr. 417; Stempel: kleines Rechteck mit gezogenen Diagonalen, in
Jen HO entstandenen vier Dreiecken je ein Pnnkt. Ferner: Teller der Form Dr. 36
in Trier, Jnv, Nr. 17372; Stempel: in 2 konzentrischen Kreisen ein kleines Haken-
krt-uz nach rechts (Svaetika). Aus früher Zt'it (erstes Jahrhundert) kennt Dragen-
dorff einen Sigillata-Teiler des Louvre (Nr. 416) etwa in der Form Dr. 21, der 4 mal
al« Stempel 2 konzentrische Rechtecke mit kleinem Punkt in der Mitt^ hat. Hierher
«lürfte auch ein der augusteischen Zeit angehörtger Teller aus Neuss zn rechnen
»ein, der mit einer Art Gemme gestempelt ist, wie Koencn berichtet B. J, 101, S.S. Ich
Jüge noch eine spätrömische kloine Schale aus Bonner Privatbesitz an, welche in
«inem Kreis ein gedrungenes, senkrecht stehendes Kreuz mit 4 Punkten in den übrig
gebliebenen Feldern und einen in der Mitte des Kreuzes als Marke hat, ganz ähnlich
Akt ersten der südrussiNchen Marken, DragendorfT B. J. 101, S. Hfl, jedoch ohne Orna-
ment. Es scheint also, dass in der spätesten Zeit der Fabrikation von Sigi Ilatage fassen
auf die alte, arretinische Art der Stempelung mittelst Warenzeichen wieder zurück-
gegangen wurde. Beobachtungen dieser Art fehlen vorderhand noch.
Fragen wir nun, wann kamen die Gegenstände, die so merkwürdig Römisches
und Germanisches vermischt zeigen, in die Erde an das Rheinufer, ho müssen wir
znnltchfit reatstellen, dass fast alle Fundstücke der spSieren röinisehen Zeit angehören,
und dass femer zu einer gewissen frUnkischon Zeit die Höhenlage des Ufers eine gleiche
(lewesen sein muss, wie zur Römerzeit. Dies ergiebt »ich aus dem Inhalt der Grube V,
lue lediglich ein ganz charakteriNtisches l'rankisches GeHUs barg und mit den zweifel-
los römischen Gruben in einer Höhe lag. Da aber auch Grube II ein ausgesprochen
rrUnkiaches Produkt barg, das in wesentlich höherem Niveau, noch überder römischen
Kchntitichicht lag, so erhellt, daHs jitne römische Ralttirschicht, die alle Gruben ausser
Nr. II überdeckte, in fränkischer Zeit aufgefüllt worden sein muss. Schwieriger ist die
zweite Frage zu beantworten: Welchem Zwecke dii'nlen die Gruben? Schon oben
Jahrb. d. Vcr v. Allertbarr. Im Itlitli.l. lOt. 12
178 Miflzellen.
ist angedeutet, dass die eine, Nr. IV, sicher als spätrömisches Brandgrab anzusprechen
ist; das gleiche dürfte wohl von Nr. I gelten. Ob bei Grube Nr. III die erhaltenen
Urnen nicht zu unterst beisammen sich fanden, konnte nicht mit Sicherheit mehr
festgestellt werden; möglich wäre es, und so würde sich auch hier die Vermutung
eines ursprünglichen Grabes rechtfertigen. Ebenso sicher aber ist es auch, dass die
ganze Art der Bestattung, sowie die Lage am Rheinufer „armer Leute Kram^ war.
Daher kein Schmuckstück, keine Münze. In diese vielleicht nur notdürftig zuge-
deckten Gräber wurden dann lange Zeit Scherben und Schutt alier Art geworfen;
daher die grosse Menge von Trümmern von allen möglichen Gefässeu, von denen
kaum eines sich wieder zusammensetzen lässt. Ich meine also, in der Hauptsache nahmen
die Gruben, die Gräber waren, nach Beisetzung der Urnen Schutt auf, der bis in nachrömi-
sche Zeit aus allen möglichen Abfällen des täglichen Lebens bestand. Eine willkommene
Analogie übrigens bietet sich dar in den Kulturresten, die sich rechts und links der
Rölnerstrasse zwischen dem römischen Lager und der Stadt Neuss auf demSelsschen
Besitztum gefunden haben, und worüber Koenen B. J. 101 S. 1 ff. berichtet. Auch
hier am Ufer eines (jetzt trockenen) Flusslaufes, eine grosse Menge von Gruben und
Löchern, mit unendlich vielen Scherben und Trümmern von Gebrauchsgegenständen.
Die dortigen Funde sind aber ungleich reicher wie in Bonn, so dass aus Münzen
und einer Reihe von trefflichen Sigillata-Produkteu, die mit Sicherheit der frühesten
Römerzeit zugesprochen werden müssen, auf das erste Jahrhundert als Benutzungs-
zeit der Gruben geschlossen werden kann. Nichts aber sagt Koenen davon, ob ihr
Inhalt oder die Anordnung desselben darauf schliessen lassen, ob auch sie teil-
weise als Grabstätten dienten.
Dr. Knickenberg.
2. Funde aus Bonn. 1. Der Boden von Bonn und seiner nächsten Umgebung,
welcher bereits so manches interessante Stück aus dem Altertum gespendet hat, hat
auch in dem letzten verflossenen Jahre nicht mit seinen Gaben gekargt. Bei Ar-
beiten, welche von Seiten der Stadt beim Alt-Männer-Asyl am Rheindorferweg aus-
geführt wurden, kamen mehrere Gegenstände römischen Ursprungs zum Vorschein,
welche dem hiesigen Provinzialmuseum überwiesen wurden. Nämlich ein Ürnchen
aus rötlichem, dunkelbraun überzogenem Thon auf schmalem Fuss, 6 cm hoch, von
der Form, wie Koenen, Gefässkunde Taf. XII 24, ein Schälchen aus Terra sigillata
mit abgebrochenem Rande, wie DragendorflP B. Jahrb. XCVII Taf. II, 27 mit dem
Stempel SILVI-OF im Innern des Bodens und eine Scherbe einer grossen Schale aus
demselben Material mit reichem Reliefschmuck. Von Bronze fand sich eine mond-
sichelförmige Hängeverzierung mit einer Ose auf dem Scheitelpunkt, welche auf der
Aussenseite concav, oben dachförmig gebildet ist, 4 cm hoch. Hierzu kommen noch
ein stark abgeriebenes Grosserz des Hadriau mit der Fortuna auf dem Avers, sowie
ein Mittelerz desselben Kaisers mit der stehenden Salus und der Umschrift Cos. III,
Cohen 2, Hadrianus 369, und ein Denar des Marcus Aurelius mit der Bona Fides und
der Umschrift tr. p. II. cos. II, Cohen*, M. Aurel. 602.
2. Bei dem Auswerfen der Fundamentgruben für den Erweiterungsbau der
städtischen Ober-Realschule an der Ecke der Kapuzinerstrasse und der Burgstrasse
wurden ebenfalls römische Funde gemacht, welche durch Vermittlung des Stadtbau-
amtes ins Museum gelangten. Das interessanteste Stück ist ein leider an allen Seiten
verstümmelter Block aus Kalkstein. Derselbe enthält die Überreste einer Grabinschrift
mit eleganten Buchstaben, welche in der ersten Zeile 6 cm, in der 2. Zeile 6V2 cm
hoch sind. Der Zeilenabstand beträgt knapp 2 cm. Das Erhaltene lautet:
L I V /
VO Lt A
T 0 I T
Von den vorhandenen drei Zeilen stehen die Buchslaben der erslen Zeile auf einor
T «m breiten geglätteten Vertiefung des Stoinee, welche vielleicht einer nachträg-
lichen Verbesserung dos ureprünglicheii Wortlautes ihren Ursprung verdankt, Das
einzige, was einigernia§Ben eine Deutung zalftttst, sind die Zeichen der '2. Zeile, indem
sie auf den voll ausgeäehri ebenen Tribusnamen Voltin|ia] hinweiRBn. Zeile 3 lä^st
vielerlei Kombinationen zu. Am nächsten Hegt in den ersten beiden Zeichen die En-
dung eines Cognoinens wie etwa luslto zu neben. Die beiden folgenden Zeichen,
von denen bloss die Köpfe der Striche vorhanden aind, können nur I and V gewesen
sein. Trifft diese Vermutung das Richtige, so läast sich an die Ergänzung iti[veni]
denken.
Aueserdem wurden ein First'^iegellVagment, welches jetzt 30 cm laug nnd an
dem erhaltenen Eode 16 cm breit ist, nebst zwei Bruchstücken von Flacbaiegeln au
Tage gefördert, welche beide mit Stempeln der Legio I Minervia versehen, bemer-
kenswerte Eigentümlichkeiten aufweisen. Der eine derselben lautet: LYMs wobei das
Zahlenzeichen I sich der Fonn eines Ypsilon vollstAndig nähert. Diese Schreibang
bat ihr Pendant in den zahlreichen Ziegelstempoln derselben Legion, in welchen das
Zahlzeichen das Aussehen eines T hat. Der andere bietet den Stempel in rückläufiger
Schrift nämlich vulMPF. Ob die mit den Ziegeln gefundenen vier Stücke von
Wandvei-putz, welche auf dunklem Hintergrund in liebten Farben aufgemalte Blatt-
omameate aufweisen, mit jenen Ziegel fragmenten in engere Beziehung gebracht
werden dürfen, möchte ich in Zweifel ziehen, weil keine sicheren Anhaltspunkte für
die Annahme sich ergeben haben, dass an jener Stelle ein römisches Bauwerk ge-
standen hat. Es mögen vielmehr einfach verworfene und anderswoher dorthin ge-
brachte Stücke sein. Denn auch die übrigen Fnndstücke, wozu auch ein ebendort
ausgegrabener hohlei', nach unten sich leicht erbreiternder Ständer von 9 cm Höhe
gehört, lassen sich nicht für die Erhärtung einer solchen Annahme verwerten.
Von mittelalterlichen Gegenständen sind zu nennen eine Anzahl grössere und
kleinere Fragmente von Ofenkacheln, teils mit grüner, teils mit gelber Glasur. Alle sind
ornamentiert und zeigen gothisierende Verzierungen und gothisches Masswerk, Blatt-
geranke mit Vögeln sowie Re.ste von ÜgUrlichen Darstellungen, welche über das ge-
wöhnliche Mass band wer kamäasiger Kunstfertigkeit hinausgehen. Leider sind wir
über die Fabrikationsorte der Fayencen, Kachelöfen und Fliese bei uns am Rheine
bis jetzt noch sehr mangelhaft unterrichtet. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich,
das« dieselben in nächster Nähe, nämlich in Poppelsdorf, angefertigt worden sind.
Denn wir wissen, dass dieser Zweig der Töpferei, welcher besonders im 16. Jahr-
hundert blühte, auch dort labrlkmässig betrieben worden ist.
3. Bei Erdarbeiten im Körper der Eoblenzerstrasse zur Herstellung eines An-
schlusses an den grossen städtischen Kanal fand man einen zwar etwas verbogenen
aber sonst gut erhaltenen römisehou Armring aus Bronze. Derselbe besteht aus
einem runden, nach der Mitte hin sich leicht verdickenden Draht, dessen Enden über-
einand ergelegt und dann spiralförmig in entgegengesetzter Richtung aufgerollt sind.
Jetziger Durchmesser 8 cm.
4. Die Legung der Ranalrohre in der KÖlnstrasse hat ebenfalls einige Alter-
tümer zu Tage gefördert. Ausser zahlreichen wertlosen Scherben von Tb onge seh irren
gewöhnlichster Art und Ziegelstücken wurde eine kleine Lampe, Trimyxos, aus
feinem weissem geschlemmten Thon von V/t cm Länge ausgegraben. Dieselbe bat
eine massive, seitlich durchbohrte Handhabe, welche rückwärts in der Längsachse
aitzt, Um das Eingussloch zieht sich eine kordierte Einfassung, welche auch die drei
Schnauzen umrahmt, die sich unvermittelt aus dem Lampenkörper entwickeln. Ferner
wurden noch vier römische lironzemünzen gefunden. Nämlich ein Mitlelerz des
Augusirus, Rv. Altar m. Rom. et Aug., Cohen^, Augustus '240., ein gleiches des Do-
mitian, Rv. Victoria Augusti, Cohen*, Domitian 639, ein drittes von Traian Rv,
Traian einen Feind niederreitend. — S, p. <[. r, optimo principi, Cohen*, Traianiis
180 Miszellen.
506. Endlich ein Kleinerz des Constans, Rv. Gloria exercitus, Cohen*, Constans
77. Reine dieser Münzen ist jedoch mit der Lampe zusammengefunden worden, son-
dern sie sind alle vereinzelt und an verschiedenen Stellen ausgegraben worden. Für
die Zeitstellung der Lampe können sie also nicht in Betracht kommen.
Klein.
3. Euskirchen. Römische Funde. Bei den Erdarbeiten, welche für die Her-
stellung von Ziegeln zu Euskirchen an der Landstrasse nach Commern vorgenommen
wurden, stiess mau auf fränkische Grabstätten, deren Wände aus Steinplatten zu-
sammengesetzt waren. Unter diesen befanden sich auch Überreste von römischen
Skulpturen und Inschriftsteinen. Obgleich bereits Herr K. Gissinger über sie ge-
legentlich der Besprechung der gemachten Gräberfunde berichtet hat (Rhein. Ge-
schichtsbiätter 3, 1897, S. 310 ff.), so mag doch deren Veröffentlichung auch in dieser
Zeitschrift nicht ungerechtfertigt sein. Unter den Fundstücken, weiche durch die Be-
mühungen des obengenannten Herrn erhalten geblieben sind, ist vor allem zu nennen
eine Platte aus rotem Sandstein, welche bei genauerer Untersuchung sich als ein
Votivstein ergab, dessen hintere Hälfte abgeschlagen war, um, wie das häufig mit
römischen Weihesteinen geschehen ist, als Werkstück für die Grabeinfassung benutzt
zu werden. Durch diese Manipulation sind die Blatt- und Blumen Ornamente, welche
ehemals die leicht vertieften Schmalseiten des Denkmals schmückten, zum grössten
Teile zerstört worden. Dasselbe hatte vorne über dem Sims eine jetzt stark mitge-
nommene dachförmige Bekrönung, die an der Stirnseite mit einer Rosette verziert
ist. Da es oben und unten abgehauen ist, so beträgt seine jetzige Höhe 59 cm, seine
Breite 44 cm und seine Dicke 8 bis 9 cm. Auf der Vorderseite trägt es eine sechs-
zeilige Widmung an eine Matronengottheit mit folgendem Wortlaut:
M ATR 0 N I S
FA^INEHIS•M
..NIVS-PLACI
.VST-BASSIA
..\-QVIETA
V S L M
Die Höhe der Buchstaben, welche nach unten hin abnimmt, beträgt in der
1. Zeile ÖVa cm, in der 2. Zeile 4V2 cm, in der 3. bis 5. Zeile 4V4 cm. Für die letzte
Zeile lässt sich keine bestimmte Angabe machen, weil die untere Hälfte der Buch-
staben mit dem Steine zerstört ist. Der Abstand zwischen den einzelnen Zeilen misst
2 cm. Die Schriftzüge selbst sind noch ziemlich gut und regelmässig. Der rechte
Schenkel des A ragt über den linken etwas hinaus ; die beiden Vertikalstriche des M
sind ziemlich gerade. Auch hier begegnen wir dem abgekürzten Zeichen 4 anstatt
H, freilich nicht zum ersten Male. Wie es sonst auf Matronendenkmälern häufig ist,
so erscheint es auch in dem hier genannten Matronennamen bereits zum dritten
Male angewandt. Die Interpunktion ist regelmässig gesetzt. Um so auffallender ist,
dass hinter M am Ende der zweiten Zeile der Punkt fehlt.
Da der Stein an der linken Seite vom Beschauer stark gelitten hat, so haben
infolgedessen die Anfänge der einzelnen Zeilen mit Ausnahme der ersten und letzten
Zeile, wo der erste Buchstabe etwas hineingerückt ist, ein oder zwei Zeichen einge-
büsst. In Zeile 2 ist der Vertikalstrich des F nur noch sehr schwach erkennbar.
Zeile 3 im Anfang fehlen zwei Buchstaben, welche mit Rücksicht auf den vorhan-
denen Raum eher durch IV als durch AN zu ergänzen sein dürften. Die von
Gissinger vorgeschlagene Lesung M[a]nius wird wohl keine Anhänger finden. Die
Ergänzungen der folgenden beiden Zeilenanfänge ergeben sich von selbst.
Was den Namen der auf dem Steine genannten Muttergottheiten anlangt, so ist
Miez eilen.
181
demolbe, wie bcrtsita oben brwtthnt, nit^lit mehr neu. Denn er Hndcit Bich auf uwei
i mir In dienen Jnhrbüchyru Heft XCVI/XCVII, S. 157 ff. veröffentlichten Weibe-
attrinen aus Zingsheim, deren Erhaltung ebeufalla der Verwendung bei fränkischen
Grabbauteu verdankt wird. Bemerkenswert ist, dass auf den Zingaheimer Steinen
der Matronunnumen Faehineliae und Fachineihao lautet, während auf dem Eua-
klrchrucr Fuhlneiliae steht. Den Ort, von »-eldiem der Name der Matronen seinen
Ursprung herleitet, vermag ieh auch jetzt noch ebensowenig wie früher nachzuweisen.
I USchst wahrscheinlich ist er jedoch in der Gegend, welche zwischen den beiden Fund-
uitea der drei Volivsleine liegt, xa suchen,
Ebenl'allu dureh seine Verwendung bei der Einfassung eines fränkischen Grabes
isi ein xweiler nuf demselben GrunilBluck ausgegrabener Stein erhalten worden,
welcher schon IViiher aufgefunden worden und dann beim Äbbnich eines Hauses, zu
dem er verwendet worden war, wii^der zum Vorsehein gekommen ist. Derselbe ist
durch eine giltige Schenkung des Herrn Karl Gissinger in Euskirchen, welcher
ihn a. a. 0, S. 310 kurz beschrieben hat, ins hiesige Proviuzialmiiseurn gelangt. Der
B9 cm hohe 56 cm breite und 18 cm dicke Stein ist die durchsagte Uftlfte eines Vier
gtitLernllars aus feinkörnigem gelbem Sandstein, welcher Kudem oben und nn der
linken Seite vom Reschauer verstümmelt ist. Da die Jetzige Breitseite nach Massgabe
der auf ihr dargestellt-eu Figur etwa um stark ein Viertel des jetzigen Masses grosser
gewesen sein muss, die Schmalseite trotz ihrer geringen Tiefe von 18 cm beinahe
die fiSlfte einer Figur enlh<, so mag die Annahme nicht ganit ungerechtfertigt er-
Bcheinen, dass der Grundriss des Denkmales nicht quadratisch sondern ubloug ge-
bildet war, eine Eigen tttmlichkeit, welche auch soust bei Momiinenten dieser Kate-
gorie beobachtet worden ist.
Auf der erhaltenen breiten Seite ist in einer Hacheu 3 cm tiefen und jetzt
41 cm hohen Nische Minerva dargestellt. Die Göttin, von welcher die Rückseite des
Oberkörpers jetzt fehlt, sitat nach rechts gewandt, bekleidet mit einem gegürteten
Doppelcbiton, welcher in langem reichem stark markierten Faltenwurf bis auf die
Füsse herabreicht. Ob auf der Brust das Gorgonelon angebracht war, welche.*) bei
einzelnen Darstellungen, wo der Panzer fehlt, ituf dem Chiton selbst sich findet, Ittsst
sich nicht bestimmt sagen, weil gerade diese Stelle des Steines stark abgerieben ist.
Dos linke Bein, welche« aus der Gewandung sehr deutlich hervortritt, ist etwas vor-
gesetzt, während das leicht zurückgezogene röchle mit der Fussspllze eben den
Boden berUhrt, Der Kopf und der rechte Arm nebst Schalter fehlen. Mit der linken
Uand erfasst sie den oberen Rand des runden Schilde-s, welcher, da er in gleicher
t Hi^he mit dem Oberkörper sichtbar ist, nach der Analogie anderer Monumente dieser
l Gattung wohl als auf einem l'ostamenle stehend xu denken ist, welches durch das den
I UnterkÖnier verhiiliende faltige Gewand verdeckt wird. Unmittelbar vor dem Schilde
I »itzt auf ihrem linken Oberschenkel die ziemlich breit gebildete Eule. In der der
I Oöttin gegenüber befindlichen Ecke der Nische ist ein Ölbaum dargestellt.
Auf der an dieser breiten Seile anatosscnden Schmalseite ist der Rest einer
\ Herkolestigur sichtbar. Da diese Figur stehend dargestellt ist, so hat der erhaltene
i Teil dieser Nische eine Höhe von 48 cm, während die Nische mit der Minervendar-
I Stellung bloss 40 cm hoch ist und unterhalb einen 28 cm hohen Sockel hat, welcher
l bei der austossendeu Schmalseite nur 21 cm hoch ist. Von der Figur des Herkules ist
I bloss erhalten der rechte Arm mit der mächtigen schief auf den Boden aufgestützten
KouId, der Oberkörper bis zur Bruat, während diese nebot Hals und Kopf jetut zer-
^ »lort sind, und endlich das kräftige als Spielbein seitwärts gestellte rechte Bein mit
leicht zum Ausschreiten erhobenem Vorderfuss. Die erhaltenen Körperteile deuten
auf einen muskulösen, überaus starken Körperbau bin. Von den sonstigen Attributen
, ilca Gottes ist nichts zu sehen.
Wahrend somit die Darstellung des Herkules, soweit die mangelhafte Erhaltung
ein Urteil zulusst, in Stellung und Körperhaltung mit dem auf den bisher bekannten
182 Miazellen.
Viergötteraltären vorherrschenden Typus übereinstimmt, zeigt die Auffassung der
Minerva, wie sie auf unserem Altare erscheint, ganz bedeutende Abweichungen von
allen sonstigen Darstellungen solcher Altäre. Gegenüber dem einzig vorkommenden
ruhig stehenden Typus erscheint die Göttin hier in sitzender Stellung mit nach rechts
gewandtem Körper. Sie hat ihre Analogie in den sitzenden Thonfiguren der Minerva,
welche am Rhein so häufig, in Italien aber gar nicht vorkommen. Diese Darstellung
knüpft offenbar an griechische Vorbilder an, wie es denn auch nicht blosser Zufall
ist, dass sitzende Minervenstatuetten aus Bronze bloss in der unter direkter Einwirkung
griechischer Kunstübung stehenden Provence bis jetzt nachgewiesen sind. Mit dem
Vorbild hängt es auch wohl zusammen, dass hier der der Athene heilige Ölbaum als
Symbol ebenfalls angebracht ist. Eine besondere Einzelheit des Euskirchener Altares
ist es endlich, dass die Eule auf ihm nicht wie gewöhnlich auf einem Pfeiler oder
auf der Schulter, sondern auf dem Knie der Göttin sitzt.
Klein.
4. AltesundNeues vom Weiler an der römischen Sa arbrücke beim
Halb erg. Die milde Witterung im Dezember und anfangs Januar dieses Winters
gestattete in Haus und Feld ausnahmsweise Arbeiten, welche sonst in dieser Jahreszeit
nicht verrichtet werden können. Bei der Vorbereitung zur Gartenkultur eines am
Fusse des Halbergs, in dem nach Nordosten streckenden Geländedreieck zwischen
der Mainzer und Brebacher Strasse gelegenen Ackerfeldes des Frhm. von Stumm,
durch Rigolen der bis 1 m starken Humusschicht, stiessen die Erdarbeiter auf aus-
gedehnte Grundmauern von ehemaligen Gebäuden. Die Fundamente bestehen grössten-
teils aus starken Sandsteinquadern, welche ohne Mörtel zusammengefügt sind und
auf einer starken thonigen Sandschicht des Untergrundes ruhen. Die Mauerzüge er-
strecken sich teils von Südwest nach Nordost und werden von andern getroffen oder
durchschnitten, welche rechtwinklig dazu von Nordwest nach Südost liegen. Viele
römische Dachziegel (von welchen ein Leistenziegel den Eindruck einer Hundepfote,
ein anderer den eines Rehfasses zeigt) und geriefelte Ziegelplatten, ein Läufer einer
römischen Handmühle von Basaltlava, Scherben von Thongefässen, zolldicke Bruch-
stücke eines weitbauchigen Doliums, ein Stück Mosaik rohester Art etc. bekunden
den römischen Ursprung. Kalksteine und weisse und rote Sandstein-Bruchsteine
fanden sich haufenweise, auch ein bearbeitetes Werkstück, anscheinend von einem
Thürgewände, an der südwestlichen Ecke neben rauchgeschwärzten Mauersteinen.
Von kleineren Fundstücken sind zu nennen ein eiserner Nagel, eine Eisenschlacke,
ein Eisenstein, ein Gipsstein, ein Erzringelchen und eine kleine Bleikugel (Klicker),
Tierknochen und -Zähne. Ausserdem sollen eine Bronzeschale und eine Münze ge-
funden sein. Die Fundstelle wurde auf einem Lageplan (M. = 1:11%) eingezeichnet
und von den freigelegten Grundmauern, welche sich über eine Grundfläche von ca.
9 Ar ausdehnen, ein Grundriss (M. = 1 : 250) aufgenommen und den Fundnotizen des
historischen Vereins beigefügt.
Die Anordnung der Fundamente ist derartig, dass an den Ecken und an den
Stellen, wo Quermauern anschliessen, annähernd quadratische Platten von etwa 1 m
Seitenlänge und 25—30 cm Dicke als Unterlager für grössere Quader von 70—90 cm
Seitenlänge und 35 — 45 cm Höhe dienen. Zwischen diesen liegen nach den Mauer-
fluchten gestreckt längliche Quader von 30 zu 40 und 50 cm Stärke und verschiedener
bis 1,30 m messender Länge. Diese Steine sind meistens so rauh zur Verwendung
gekommen, wie sie im Steinbruch gewonnen wurden. Das Material ist ein roter
Buntsandstein der nächsten Umgebung. Wo die Flächen der Quader eine Bear-
beitung zeigen, ist diese mit der Zweispitze bewerkstelligt. Hier und da sind kleine
etwa 30 zu 35 cm messende Rechtecke in den oberen Steinflächen flach vertieft und
horizontal eingeebnet; sie bildeten offenbar die Standflächen für aufragende Holz-
pfosten. In den grossen Eckquadern sind an den Seitenflächen lotrechte 5, 6 und
MtsselleD,
M cm stark» Faixe eingrearbeitct, welche die Zapfen der aaf den gestreckteD Stein-
Ingpn ruhenilen Halzsch wellen aulbahmen und letzteren seitlichen Halt geben. Es
innsE daher xn^eDOoimen werden, daas dieae Fundamentierungen für Fachwerke-
gcbäude ^dietit hab^n, and dass hier die römische Bauweise (Steinbau mit Ziegel-
dach) in Verbindung: mit der einheimischen (Holzriegelung, die Gefache mit Weli-
sprosscn und Siro hie hm- Wickelung oder Lchmstein -Ausmauerung und Schilf- oder
Strohdach) zur Anwendung gekommen war. Für die thatsjtchlich üblich gewesene
gemischte Bauweise bei landwirtschai't liehen Anlagen sprechen viele OebHuderetite
nnaerer Gegend, und dass sie selbst in der Kriegsbaukunst vorkamen, geht aus der
Darstellung «ineB Warlturms vom Pfahlgraben auf der Trajanssilule hervor. Die
Baulichkeiten, deren Grundlinien hier wieder ans Licht kamen, köimon als Scheunen
und Stallungen gedient, werden jedoch auch teilweise Wohnungen enthalten haben.
Dies geht aus dem Fund der vielen Ziegel mit jenen ßtefelangen hervor, welche
zwecks besseren Anhnflens dc.a Miirtels in die geformten, noch in feuchtem Zustand
befindlichen Ziegel mit einer Art Kamm wellenförmig eingerissen wurden, Solche
Ziegel waren En Wohiuiiigen an die uahe beisammen hegenden Deckenbalken mit
iflirmig geschmiedeten Nägeln, welche durch die Ziegelfugen in die Balken einge-
Ncldigcn wurden, hefeetigt; an der rauh geriefelten Unterseite dereelben haftete der
angeworfene Deckenputz. In recht instruktiver Weise ist diese Deckenkonsiruktion
im Saalburg-Muaeum zu Homburg v. d, Höhe vor Augen geführt. Rauchgesch würzte
Mauersteine an der Südwestecke deuten auf eine Feuerstatte und ein Stuck prinii-
livstcii Mosaiks aus zerstossenen Ziegels teinen (wie ein ähnliches das Antiquariuro
des historischen Vereins aus der römischen Villa bei Wnstweiler und Dirmingen auf-
hewahrt), giebt Auskunft über die Herstellung'H weise der Fussböden. Eine in dieser
Weise ausgeführte GebHudeanlage deutet dnrtrh ihre einfache Ausstattung auf eine
Niederlassung zum Betrieb der Landwirtschaft und Viehzucht. Derartige Ansied-
laugen hat zu «einer Zeit Dr. Fr. Schröter in den „Mitteilungen des historisch. an ti-
ijOArinclien Vereins" auf fast allen Gemarkungen unserer Gegend nachgewiesen und
anch im I. und H. Heft für den einstigen B«Btand eines röraisvhen Vicus hei der
ehemaligen Saarbriicke am Fusse des Halbergs den Beweis geliefert. Danach er-
streckten sich die Geb&ude des Weilers, vor dem Kiesel buch beginnend, mit geringen
Üuterbrechwngen beiderseits der allen Brebacher Strasse bis gegen das BahnwArter-
haus, welches zwischen dem Halberg nnd der Saar steht. Südwestlich reichte die
hebaute FiBche bis zu den Saarwiesen, nordöstlich in dem Dreieck, welches jener
alte Weg mit der MainKerstrasse und dem Halberg elnschliessi, bis in die Niihe des
Pürsterhauses au der Mainzerstrnsse, nahm mithin eine Geländeüäche ein, welche mit
in Hektar nicht zu hoch bemessen ist. Die Strosse, welche von St. Arnual und For-
hach her über die rfimische Saarbriicke am Holherg diesseits nordöstlich ins Seheidter-
Ihal fUhrle, ist von O berst Heute na nt Schmidt als Teilstrecke einer Metz-Mainzer
Ramersirasse erkannt worden und war im Mittelaller eine königliche Heerstrasse, auf
welcher den Grafen von Saarbrück das Geleilsrecht bis zu dem uralten Rentrischer
Stein zustand. Diese Strasse, von welcher das Kalksteingestück in dem Brnchsuhen
Grundstück am Halberg in den 40er Jahren dieses Jahrhunderts gefunden wurde,
krenzli' der alte Brebacher Weg beinahe im rechten Winkel. Sein io nordwestlicher
Richtung abzweigender Arm erreichte mittelst der jot/,igen Mainzers! rasse den Esels-
prnd und mit dessen Fortsetzung in der Richtung des Gerbergrahens die Flucht der
heutigen Bahnhof Strasse in der Nähe der Betxenstrasse, weiterhin nordwestlich aus-
btegeud mittelst des alten Rothenhofer Weges die Rnunstrasse. Die Nachweisung
dieaw Trace hat Scliröter auf Ornnd heslimmender Funde a. a. 0, erbracht; seinen
tluitsAchliuheu Anbal Ispunkten ist beilttullg hinzuzuFügeu, dass im August 1)^7 beim
Verlegen des Rohrnetzes «ur Hochdruck- Wasserleitung iti der Bahnhof Strasse an der
Kch« der Betzenstrasse, in einer Tiefo von 1,50 m unter dem Strasse nnivcau ein
Bohlcuweg gofundeu wurdt^. Derselbe besteht aus aufgespaltenen Eichenhölzern,
184 Miszellen.
welche, wie die hölzernen Eisenbahnsehwellen, quer zur Weglinie aber dicht anein-
ander gereiht liegen, und bei ihrer guten Erhaltung grosse Mühe verursachten, um
sie zu beseitigen, soweit sie der Rohrleitung hinderlich waren. Gleichzeitig an der-
selben Stelle gefundene drei Hufeisen, kleiner Form von Saumtieren, berechtigen zur
Annahme, dass hier sumpfige Stellen des Untergrundes die Verwendung der pontes
zur Befestigung des Weges notwendig gemacht haben. Die Kreuzung der beiden
Römerwege vor dem Brückenkopf am Halberg, angesichts eines weiten Thaies und
in einer Höhenlage, welche vor Überschwemmungen der Saar sicherte, mag die Ver-
anlassung für Kolonisten gewesen sein, an dieser begünstigten Stelle sich anzusiedeln.
Die noch zu erwähnenden Münzfunde lassen die Annahme eines Bestandes dieser
Niederlassung von der Zeit Kaiser Trajans bis zum sieghaften Eindringen der Ale-
mannen berechtigt erscheinen. Wenn bei den welterschüttemden Ereignissen, welche
das Unterliegen des römischen Reichs zur Folge hatten, unser vicus von seinen Be-
wohnern verlassen wurde und allen Unbilden entfesselter Leidenschaften ausgesetzt
war, so ist er doch nicht gänzlich untergegangen. Die Sage von der Heidenbekeh-
rung in der Einsiedelei des Bischofs Arnold von Metz um das Jahr 600 hat so viel
Wahrscheinlichkeit, dass die Existenz des Weilers in dieser Zeit nicht einfach von
der Hand gewiesen werden darf, um so weniger, als kein Grund vorliegt, der dem
Erfahrungssatze zuwider ist, dass einmal gewählte und bewährte Besiedelungspunkte
stets wieder benutzt wurden, wenn auch die ältere Kulturstätte der Vernichtung an-
heimgefallen war, sofern nur die Subsistenz- und Verkehrsbedingungen erhalten
bleiben. Dies war hier der Fall, und erst als mit der Gründung der Burg Saarbrück
ein neuer Krystallisationspunkt gegeben wurde, freizügige Bewohner der Umgegend
den Schutz der Burg und der Stadtumwallung aufsuchten, auch der Verfall der
Saarbrücke am Hallberg die Verlegung des Strassenzugs der via regalis über Saar-
brücken und St. Johann veranlasste, verödete der Weiler an der alten Saarbrücke.
Er wurde anfangs des 14. Jahrhunderts vom Grafen Johann I. von Saarbrück und
Commercy, nach der vom Rechtshistoriker Sittel mitgeteilten Überlieferung, zerstört,
offenbar in der Absicht, die von ihren Bewohnern verlassenen Gebäude nicht zum
Obdach für Räuber und ihr Gesindel werden zu lassen. — Die Trümmerstätte wird
in der späteren Zeit, soweit ihre Baumaterialien nutzbar und leicht zu erreichen
waren, einen Steinbruch für die Bauenden der näheren Umgebung abgegeben, auch
mögen Schatzgräber zeitweis ihr Wesen daselbst getrieben haben. Damit ist sicher
manche Urkunde schriftlicher und anderer Art verschwunden, welche Licht über
diesen Ort und seine verschiedenen Bewohner zu verbreiten geeignet waren.
Einer Nachricht des Registrators Andrea (geb. 1570) zufolge scheinen zu dessen
Zeit die Ruinen über der Erde bis auf einzelne Steine und Ziegelstücke schon ver-
schwunden gewesen zu sein. Die Fläche war seitlich des Weges zwischen dem
Kieselbach und der Klinke (worunter Köllner ein Felsenriff in der Saar versteht), mit
Eichbäumen bestanden, teilweis auch schon zu Feldern parzelliert. Nach einem
späteren Berichterstatter, um 1762 (vgl. Köllner), gehörte das Gelände damals der
Stadt St. Johann und man begann die bisher als Ödland gelegenen und stellenweis
mit alten Eichen und Gestrüpp bewachsenen Felder urbar zu machen. Unter vielen
kleinen Schutthügeln, welche man einebnen wollte, fanden sich Gebäudereste als
Keller- und Fundaraentmauern, welche mit Kalkmörtel gebaut waren, Fussböden aus
gebrannten Steinen und musivisch in verschiedenen Farben hergestellt, zwischen-
durch auch kleine Geräte und römische Münzen. Andere Schutthaufen bestanden
nur aus Ziegel- oder Backsteintrümmern ohne eine Spur gemauerter Fundamente,
woraus der Referent auf Fachwerksgebäude einer späteren Periode schloss. An der
Ostseite der ganzen Trümmerstätte wurden grosse, unbehauene, viereckige Steine
ausgegraben, welche Köllner für Grundsteine, sein Gewährsmann aber für Opfer-
altäre hielt. Neuere Funde, welche zur Ergänzung dieser älteren dienen können
geben unseres Erachtens eine Entscheidung in dieser Meinungsverschiedenheit, worauf
MibKcIlen.
186
' bei der Erwälinung des BeslattungBorles aurück zukommen Bein wird. 1789 ver-
sisichnet der Begieruiigsiat Holl^ in seiucn Kolleklanc.i'n die Funde voa FundameDten
I ]iiehrcr<!T Gebäude und gleicti zeitige MUnzftiade, wovon der zweite alit römisch
cbnrskteriHiert zu Mein ac^iieint. Beim Ausbessern des ulten Brebncher Weges nahe
bei »einer Einniündniigr in die MainzerstrassB wurden 1831 iu der Strasse selbst Ge-
bandetrümmer gefunden, welche durch ihr Aussehen die Zerstaning durch Brand
bekundeten, auch die Fuiidanieute einer Ringmauer (?) aus Marken Werkstiieken nnd
zwei Ihfinerue Larenbilder werden erwähnt; hier scheint also in spftlerer Zeit eine
Verlegung des rumiacheu Weges statljrefunden zuhaben. Weiterhin berichtet Kölincr
vom Fluide eines Münzsehatzes, aus Silbermünzen bestehend, leider uhne nähere An-
gaben als die, dass der Fund in einem GetHsse gelegen habe niid nach aussen zum
Wiederfinden kenntlich gemacht geweaeu sei. Schröter beHchreibt nach eigenen Be-
obachtungen und den Angaben von namliuft gemachten Gewährsmännern verschiedene
Bnustt*lien länga des alten Brebacher Weges und neben der Mainzer Strasse un-
mittelbar am FuKNO de« Halberes. Bei diesen Funden kamen Sand Steinquader und
Mauersteine mit anhaltendem Kalkmörtel zu Tage; erstere waren teilweise vierkantig
oder zu Säulen bearbeitet, andere zeigten Pflanzenornaiuente und figürliches Bild-
werk. An Waffen aind nur einige Pfeilspitzen gefunden, an römischen Münaeu eine
Reihe von Kaisermünzen von Trajan bis Konstantin, wovon itich Exemplare in der
Sammlung des historischen Vereins befinden. Eisengeräle, Schlüssel und Nägel
wurden dem Autiquarium eingereiht, ebenso farbige MosaikwUrfel nnd die Heizrohre
eines Hypokaustums, welche beweisen, dass auch Gebäude von reicherer Ausstattung
vorhanden waren. Ziegel mit dem bekannten Fabrikanten Stempel, Fragmente von
Tbungerässen verschiedener Art, von der zierlichen Schale aus feiner Sigillataerde
bis zu dem dickwandigen Dolium des Vorratskellera, Ein Kcllergewiilbe soll seit-
wHrts des altnn Brebacher Wegs in der Nähe des Kiescigrabens ausgehrochen worden
«ein, ebenso die oberen Mauerschichten eines Brunnens von 1,25 Meter Durchmesser,
welcher nachdem wiedur verschüttet wurde, Yen Hausgerät ist noch zu erwähnen
da» Bruchstück eines Mühlsteines aus Basaltlava, welches im Antiqua rium aufbewahrt
wird. Schliesslich miige noch ein Fund genannt werden, welcher am östlichen Ab-
hang des Kanin cheubergs seinerzeit gemacht wurde und von Schröter ebenda I.
1 S. 90 mitgeteilt ist. Auf einem Ackerstück an genannter Stelle wurden viele soge-
nannte Heidenschlacken mit der eigentümlichen getrü pleiten Oberfläche vorgefunden,
welche aus der frUhzcitlicheu Eisengewinnung in kleinem Massstabe als Abfall her-
vorgingen. Welcher Periode diese Schlacken augehöreu, lässt sich mangels bestim-
mender Mitftinde [Münzen u. dgl.) nicht nachweisen. Immerhin darf angenommen
werden, dass an jener Stelle das Roheisen für den Bedarf des Weilers an der Saar-
brückn aus in der Nähe gefundenen Elsensteinen zeitweise gewonnen wurde; au
Holzkohlen dürfte es bei der unmittelbaren Nähe derWaldungen nicht gefehlt haben.
Notizen über Funde oder Beobachtungen bei der Fuudamentierung des Durch-
' laseea für den Kiesclgraben beim Bau der Saargemünder Bahn (1869) fehlen; aber
beim Bau des zweiten Geleises wurden im Juni 1886 östlich vom Elsenbahndamm
und endlich vom Kieaetgraben, parallel dem Bahndamm, unter einer etwa 1 m hohen
Uumusschicht, au zwei stellen in 30 Schritt Entfernung. Reste von fiömerbauten an-
[ gctrofTen. Es fanden sich romische Dachziegel, Thonscherben, ein Stück Sigillata,
mehrere Sandsteinquader, die beiden grossten 0,80 und 0,75 m zu 40 cm messend.
Der an der südöstlich gelegenen Stelle befindliche war unmittelbar auf die Sandlage
des Untergrundes geheltet, nebenan unter Thonscherben und Ziegel [rümmern ein
^flacher Napf (10 cm nurchmesserl von grauer Masse. Der nordwestlich gelegene
1 Quaderstein war auf einem etwa 8 cm starken Estrich von GnssmÜrtcl versetzt.
iLatzierer, hellgrau vou Farbe, enthielt eingcinengte Kiesel- und Ziegelstücke und
■ dehnte sich weiter hinaus; seine Oberllfiche war glatt gestrichen und diente an-
fcchoinend als Fussboden. Unniitleibar daneben lag ein Trümmerhaufen unregelmässig
186 Miszellen.
geschichteter und nur rauh bearbeiteter Sandstein-Bruchsteine ohne Mörtelspuren,
wohl von einer zusammengestürzten Trockenmauer herrührend. Eine ganz erhaltene
Ziegelfliese (20 zu 20 cm gross und 4 cm dick) mit anhaftendem Mörtel wurde mit
charakteristischen Stücken der Thongefässe dem Antiquarium geschenkt, ebenso der
Münzsammlung 2 dort gefundene Münzen (Hadrian und Valerius).
Die baulichen Anlagen längs der Strasse nach dem Scheidterthal waren östlich
begrenzt durch das dort seitlich der Strasse gelegene Gräberfeld. Dort lagen nach
Köllners Gewährsmann grosse Steine, welche er für Opferaltäre, Köllner aber für
Postamentsteine nach der Art der jetzt aufgedeckten hielt. Die Bezeichnung „Opfer-
altäre^ lässt uns an bearbeitete Steine mit schalenförmiger Vertiefung denken. Mit
solchen Steinen waren die am Ostende der Kuinenstätte gefundenen Aschenumen
bedeckt, so zwar, dass die Thongefässe durch die Höhlung im Steine gegen den
Eindruck geschützt waren, was man auch wohl durch Umstellen mit Ziegeln zu er-
reichen suchte. Für unsere Gegend hat Schröter viele solcher Umendecksteine nach-
gewiesen. Sie waren noch mit Erde bedeckt und mochten bei reicher Ausstattung
wohl gleichzeitig als Unterlage für das Grabmal (cippus) dienen. Was einst an ober-
irdisch ragenden Grabsteinen etwa vorhanden war, ist wohl schon früh abhanden ge-
kommen oder zerstört worden. Umendecksteine aber wurden noch anfangs der
80er Jahre auf und neben der Baustelle des Försterhauses freigelegt; wo dieGefässe,
welche sie enthielten, verblieben sind, ist nicht bekannt geworden. Einige Jahre
früher waren dort Aschenkrüge gefunden worden, wovon einige durch den damaligen
Oberförster Lamarche in das Antiquarium des historischen Vereins gelangten. Sind
wir so über den Bestattungsort und die Art und Weise, wie die Einwohner des
Weilers in der römischen Periode hier ihre Toten beizusetzen pflegten, unterrichtet,
so sind doch mit dem Verschwinden aller inschriftlichen und bildlichen Denkmäler die
inhaltlich wertvollsten Urkunden für immer dahin. Manches dürfte der Erdboden
noch bergen; mögen die Finder stets die Öffentlichkeit an ihren Entdeckungen teil-
nehmen lassen.
Über die Stätte, wo die heidnischen Bewohner unseres Weilers ihren Göttern
huldigten, herrscht seit den ausführlichen Darlegungen Schröters im 2. Hefte seiner
„Mitteilungen" S. 144 u. f. wohl kein Zweifel, dass sie in der sogenannten Heiden-
kirche, jener weiten Felsenhöhle an der Westseite des Halbergs zu suchen ist. Ob
die Römer hier schon ein Heiligtum der Mediomatriker vorfanden, ist zur Zeit noch un-
gewiss, da hierauf hinzielende Untersuchungen bisher unseres Wissens nicht unter-
nommen wurden oder wenigstens zu keinem Resultat geführt haben. Im Laufe der
Zeit mag manche Veränderung an dieser Stätte eingetreten sein, namentlich als die
bedeutungsvolle Umwandlung des heidnischen Sacellums in eine christliche Einsiedelei
eintrat, wobei zweifelsohne alle Götzenbilder gestürzt und zerstört und die Spuren
des Heidentums möglichst verwischt wurden. Wenn es gewagt werden darf, Ver-
mutungen über den in der Grotte geübten Götzendienst zu äussern, so wäre unter
Berücksichtigung der wenigen Anhaltspunkte, welche die Nachrichten des Hofgärtners
Köllner aus vorigem Jahrhundert gewähren, unseres Erachtens an den Kult des Atys
oder die Mithras-Mysterien zu denken, wenn nicht ein bisher unbekannter örtlicher
Götterkult von den in dieser Hinsicht sehr schmiegsamen Römern ihrem eigenen assi-
miliert worden ist.
Weitere Veränderungen an der Heidenkapelle wurden vorgenommen, als der
Fürst Wilhelm Heinrich auf der Höhe des Halbergs ein Lustschloss erbaute, wobei die
Felsenhöhle eine wesentliche Erweiterung und Umgestaltung erfahren hat. Hierdurch
ist die einstige Einrichtung der Grotte vollständig verwischt worden.
Ein Rückblick auf die neueren und älteren Funde führt zu dem Ergebnis, dass
diejenigen aus der früheren Periode überwiegend sind, obschon die Zeitdauer des
römischen Vicus derjenigen der frühmittelalterlichen Domäne und des Weilers an
d^r Saarbrücke wesentlich nachsteht. Dies ist jedoch erklärlich unter dem Gesichts-
Mis Zellen.
ullich A, N und P;
pvmkle, dasR zunächet die römiechc Bauweise auch hei unlerge ordne teil Anlagen mit
böberen Aufwendungen grössere Soliditüt verband. Weiter kommt in Betracht, daas
die Bewohner des römischen Vicus beim Andrangen der Germanen viele Gebrauchs-
gegrenstande, welche sie bei der Flucht nicht mitnehmen konnten, für den Fall der
Wiederkehr im Boden verscharrt haben, wogegen der Wegitug der Bewohner den
Uli tiel alterlichen Weilers vermutlich in aller Ruhe vor sii-h ging und deshalb jede
Münze und alle irgend verwendbaren Geräte zum neuen Wohnorte mitgenommen
nerden konnten.
(Saarbrücker Zeitung, 24. u. 25, Jan. 1898.)
5. Heddesdorf. Römischer Grabstein. In dem Banne von Heddesdorf bei
Meuwied wurde vergangenes Jahr ein Grab mit Leichenbrandrestcii aufgedeckt, anr
dem als Deckstein eine Platte aus weichem Ealketein lag. Bei einer Höhe von 29 cm
und einer Dicke von 8 cm hat sie eine Breite von 57 cm, indem sie an der rechten
SMte vom Beschauer und unten zum Teil verstümmelt ist. Auch ist die Oberfläche
nach den Kanten hin stark abgescheuert, so dass die Scbriftzüge dort ziemlich ver-
wisuht sind. Dieselbe trjlgt eine vierzcillge Inschrift, welche lautet:
///ISMANIB-C-I-FE
TRIB-MIL-COH-
0,,,///CAPlTONIS
//////ANNI8 XXVII
Diu Buchstaben habeu eine schlanke und praziöse
0 ist kreisrund, C ziemlich breit, ebenso B, dessen oberes Rund kleiner als das untere
ia. In den ersten drei Zeileu sind sie G cm, in der vierten 4 cm hoch. Die Inter-
punktion besteht aus Dreiecken. Zeile I sind vom Anfangsworte DIS die zwei letzten
Ruchstaben nur schwach erkenntlich, der erste dagegen ganz abgerieben; ebenso ist
am Schlüsse E ziemlich undeutlich, Zeile 2 siud die Rundung des R und die beiden
Vertikalstriche des H vollends verwittert. Zeile 3 kann das erste Zeichen ebensowohl
0 als Q gewesen sein, wenngleich wegen der Beschädigung im 8teiD jetzt von der
Schleife des Q jedwede Spur getilgt Ist. Zwischen diesem ersten Buchstaben und dem
C fehlt trotz des grösseren Zwischenraumes nichts.
Die ausgeschriebene Grabformel Dis manib(uB) weist s
hin, womit auch die Form der Buchstaben übereinstimmt
Abkürzung des Nomen gentilicium, während das Ci
Wesen zu sein scheint Es ist dies namentlich sehr hJtufig bei dem Gentilnamen
Julius der Fall, welcher vielleicht auch hier zu ergänzen ist. Vgl. CIL, XII, 1740,
2429. 1424. 5376. In den Zeichen FE am Schlüsse der Zeile steckt der Anfang eine«
Cognomens, etwa Fe[licis] oder Fe[sti]. Da in der folgenden Zeile die von dem Ver-
storbenen bekleidete militärische Charge folgt, also nichts fehlt, so können die ein-
lelnen Zeilen an dieser Seite keine grössere Einbusse als etwa die von höchstens 5
bis 6 Buchstaben erhiteu haben, Zeile 2 fehlt Jetzt leider der Name der Cohorte, in
welcher der Verstorbene als Tribunus gestanden hat. Ob an die Cohors IUI Vinde-
liconim, von deren Anwesenheit im benachbarten Kastell von Niederbieber ihre
Ziegel zeugen, gedacht werden darf, lasse ich dahingestellt. Mag nun eine Cohorte
hier genannt gewesen sein, welche man will, jedenfalls ist die Annahme, dass der
Cohortenname ausgefallen sei, der Verbindung des Wortes coh(»rtiH) mit dem fol-
genden Q, Capitoni» vorzuzieheu. Wie bereits bemerkt, besteht die Möglichkeit, dass
das Zeichen im Anfang der dritten Zeile sowohl O(lns) als auch Q(uiutus) gewesen
sein kann. Mit Kücksicht auf den folgenden grösseren Zwischenraum, in welchem
kein Buchstabe gestanden hat, welcher aber für den Schwanz eines Q passt, möchte
ich mich für Q entscheiden. Am Ende derselben Zeile scheint die Lücke hinter dem
Worte Capitonis die nähere Angabe des verwandtschaftlichen Verhältnisses, in welchem
der Verstorbene zu dem genannten Capito gestanden hat, enthalten zu haben, etwa
Luf die frühere Kaiserzeit
Bemerkenswert ist die
'oll ausgeschrieben ge-
188 Miszellen.
f(ilii) oder nepCotis). Die Stelle freilich, welche ihr dadurch in der Anordnung^ des
Wortlautes der Inschrift angewiesen wird, weicht von der Regel ab, ist aber nicht
ohne Beispiele. Ob im Beginn von Zeile 4 vor ANNIS, von dessen Anfangsbuch-
staben A bloss die Oberteile der beiden Schenkel sichtbar sind, noch ein Wort wie
vixit vorhanden gewesen ist, lässt sich nicht entscheiden. Ebenso ist die Zahl der
Lebensjahre des Verstorbenen nicht völlig sicher. Der Umstand, dass der Stein ge-
rade an dieser Stelle sehr verwittert und dazu gleich nach seiner Auffindung von
mutwilliger Hand durch moderne Kritzeleien entstellt worden ist, erschwert die end-
gültige Feststellung der Lesung sehr. Klein.
6. Köln. Römische Grabschrift. Gegen Ende desSommers vorigen Jahres
ward an der Aachener Strasse zu Köln bei dem Ausheben der Fundamente für einen
Neubau ein Grabdenkmal aus Kalkstein zu Tage gefördert. Dasselbe hat eine Höhe
von 92 cm, eine Breite von 32 cm, welche nach unten um 1 cm zunimmt und eine
zwischen IIV2 und 12 cm schwankende Tiefe. Oben weist es ein bogenförmiges
Giebelfeld als Abschluss auf, in dessen Mitte sich ein rundes von einer erhabenen
Randleiste eingerahmtes Medaillon von 4 cm Tiefe und 22V2 cm Durchmesser be-
findet. Dieses letztere enthält in Hochrelief das Brustbild eines mit der Toga beklei-
deten jungen Mannes mit gänzlich zerstörtem Gesicht. Unmittelbar darunter ist die
nachstehende sechszeilige Inschrift so angebracht, dass die Eingangsformel D(i8)
M(anibus) fast auf gleicher Linie mit dem nach unten das MedaiUon abschliessenden
Bogenrand steht. Die Inschrift selbst lautet:
D M
S E NVAT I 0
TERTIOBAS
SIANIAFELI
CYLACONIY
GIKARISSIM
Die Inschrift nimmt bloss einen Kaum von 25 cm Höhe ein, so dass darunter eine
freie Fläche von 40 cm bleibt. Die Buchstabenhöhe beträgt bei der Eingangsformel
4 cm, in den übrigen Zeilen bloss 3 cm. Der Abstand der einzelnen Zeilen be-
trägt 1,8 cm.
Die Erhaltung der einzelnen Zeilen ist eine recht gute bis auf den Schluss der
beiden letzten Zeilen, wo die Buchstaben IV und IM durch Reibung des Steines zwar
leicht zerstört, aber noch immer zweifellos erkennbar sind.
Das Gentilicium Senuatius kommt hier, so weit ich augenblicklich die ein-
schlägige Litteratur überschaue, zum ersten Male vor. Es deutet auf ein Cognomen
Senuatus des Vaters hin, aus dem der Sohn nach dem Prinzip der germanischen
Nomenclatur seinen Personennamen gebildet hat. Das gleiche ist auch von dem
Geschlechtsnamen der Frau Bassiania zu bemerken. — Die Casus-Endung O am
Schluss des Wortes Karissim, welche man, weil alle Worte der Inschrift voll aus-
geschrieben sind, auch hier hinzugesetzt erwarten sollte, hat nie auf dem Steine ge-
standen. Klein.
7. Münster ei fei. Als beim Bau eines Weges im Flamersheimer Walde — weit
ab von den heutigen Ansiedelungen — ein Hang eingeschnitten wurde, stiessen die
Arbeiter bei 1 m Tiefe auf Thongefässe, welche von schwarzer, feiner Erde imigebcn
waren 1). Ein Teil der Gefässe war offen und mit der schwarzen Erde gefüllt, andere
waren mit Platten bedeckt und enthielten etwas dunkelgraue „Erde". Da der den
ganzen Fund umgebende natürliche Boden aus verwitterndem Gestein, vermischt mit
1) Ich habe die Stelle genau auf einem Messtisch blatte vermerkt. (Nr. 3155
Altenahr.) '
Miszellen.
189^
Lehm, bestand, und da die Arbeiter kein Verständnis für den Fund hatten, so g'ing
der grösste Teil der Töpfe in Trümmer. Herr Forstassessor Seiler, welcher den Weg
bauen lässt, brachte die ganz gebliebenen Geschirre in Sicherheit — bis auf eins,
welches von einem Arbeiter verschleppt und noch nicht zurückgewonnen ist — und
zeigte mir die Fundstelle. Ich sammelte die noch an derselben vorhandenen Scherben
und sorgte für deren Bergung. Aus ihnen lässt sich für 4 Geschirre die ursprüng-
liche Form erschliessen und feststellen, dass es im ganzen 10 Geschirre gewesen sind.
Beistehende Zeichnung, welche nach Messungen von mir entworfen ist, giebt
1
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die verschiedenen Gefässe im richtigen gegenseitigen Verhältnis, aber in zehnfach
verkleinertem Massstabe.
I. Zertrümmert, von gröberem, graugelbem Thon.
U. Zertrümmert, von gleichem Stoff wie I.
m. Zertrümmert, von rötlichgelbem, grobem Thon.
rV. Ganz erhalten, von gelblichem, feinem Thon, an der Ausscnseite stellen-
weise glatt.
V. Ganz erhalten, abgesehen von einer kleinen Beschädigung am oberen
Rande und einem Barst, von gelblichem Thon.
VI. Zertrümmert, von feinem, gelblichgrauem Thon. Das Gefäss zeichnet sich
vor allen anderen aus durch den doppelten Kranz von kurzen, strichähn-
190 Miszelleü.
liehen Vertiefungen an der Aussenseite und eine schwarze matte Färbung
an der Innen- und Aussenfläche. Ob sie graphitisch ist, wird demnächst
die chemische Untersuchung ergeben.
VIL Unterer Rest eines Topfes aus rötiichgelbem Thon.
Vnr. Unterer Rest eines Gefässes aus rötlichem Thon.
IX. Unterer Rest eines Topfes aus hellgrauem Thon.
Sobald die Witterung die Wiederaufnahme der Wegearbeiten gestattet, werde
ich die Arbeiter instruieren und, soweit möglich, acht geben.
Constantin Schulteis.
8. Neuss. Im Jahrbuch 101 Seite 12 habe ich über die halben, im Altertum geteilten
Münzen geschrieben, welche sich unter den Fundstücken des Herrn Sels in Neuss
vorfanden. Diejenigen Leser unserer Jahrbücher, welche sich für die Sache inter-
essieren, möchte ich auf eine Zusammenstellung mehrerer ähnlicher Funde hinweisen,
welche J. Adrien Blanchet auf S. 1 der Pariser Revue numismatique für 1897 ge-
bracht hat. Hier wie dort handelt es sich meist um Münzen von Nemausus und
Vienna. Auch die Resultate von Blanchets Forschungen stimmen im grossen und
ganzen mit den von mir an besagter Stelle ausgesprochenen Hypothesen überein.
F. V an Vleuten.
9. Poulheim. Laut eines gütigst zur Verfügung gestellten Berichtes der Eisen-
bahn-Direktion Köln an die Reichs-Limes-Kommission wurden im Laufe des ver-
gangenen Sommers bei Gelegenheit des Baues der Bahn Köln-Grevenbroich folgende
Funde gemacht:
1. Unweit des Ortes Poulheim, in Station 103 + 75 der Bahnlinie, in unmittel-
barer Nähe der Provinzialstrasse stiess man am 29. April auf das stark vermoderte
Skelett eines Menschen, der mit dem Gesicht gegen Osten etwa 0,80 m unter der
Terrainoberfläche lag. Bei ihm fanden sich zwei flache Schüsseln von 220 mm Durch-
messer und 60 mm Höhe, bei 170 mm Durchmesser und 40 mm Höhe; zwei ausge-
bauchte, aussen schwarze Thonkrüge, 50 bez. 70mm hoch; eine zweihenklige Urne
aus weissem Thon, 70mm hoch; vier kleinere ausgebauchte Fläschchen, 70— 110mm
hoch; zwei starke, 110mm lange Nägel, von denen der eine zu Häupten, der andere
zu Füssen des Skelettes sich vorfand, so dass die Leiche demnach wohl in einem
Holzsarge lag. Die Fundstücke wurden auf das Bürgermeisteramt zu Poulheim
gebracht ^).
2. Etwa in der Mitte zwischen den Orten Stommeln und £ckum bei Rommers-
kirchen stiess man am 3. August in Station 164 + 70 in einer Tiefe von 1,5 m unter
dem Gelände auf einen Gefälle zeigenden Durchlass mit Plattenbelag, dessen Sohle
und Seitenwände sich in fast betonartigem Zustande befanden. Der im Durchschnitt
viereckige Durchlass hatte unten eine Breite von 40, oben von 35 cm, eine Höhe von
17 cm, der lichte Innenraum hatte 14 cm im Quadrat. Die Deckplatte aus Thon war
27 cm lang, 28 breit, 4 dick. Der innere Verputz zeigte hellrote Farbe.
3. Etwa 10 m weiter bei Station 164 + 80 fand man in einer Tiefe von 1 m unter
dem Gelände verschiedene menschliche Knochen und zwei sehr gut erhaltene Gefässe
mit Henkel von 130 mm Höhe und 80 mm Breite, welche auf dem Dienstbureau des
Regierungs-Bauführer Hunscheidt deponiert wurden.
10. Rhej'd t. 1. Einige interessante Funde sind in den letzten Tagen hierselbst ge-
macht worden. Bei den Schachtarbeiten für den Neubau der Luisenstrasse stiess
man auf römische Ziegelsteine, welche sich in grossen Mengen etwa einen Meter
unter dem jetzigen Terrain vorfanden. Auch fanden sich in Vermengung mit diesen
1) Der Fund ist kurz erwähnt bei Giemen, Kunstdenkmäler IV, S. 165.
MlBzellen.
Ticiu Bi-ttchateino ans Liedberger Sandstein vor, welelicr v.in den Rümern mit Vor-
liebe bei den FimdainentinRiiern beDutzt wurde. Ein weiterer Fund wurde auf der
Baustelle des Diltlie.vsdien Hauses neben der Brauerei von Pungs gemacht. In einer
Tipfe von einem halben Meter slie.ss man auf eine Wasserleitung aus irdenen Rühren
von B mm Weite. Dieselbe lag in der Richlung von Westen nach Osten. Röhren
von derselben Beschaffenheit sind auch im vergangenen Jahre in Geneicken in der
Sonnengasse gefunden worden; es ist nicht uiimfiglich, dass wir en mit einer fHiheren
Wasserleitung aus dem Rheydter Bach nach dem Schloss Rheydt zu ihun haben,
deren Vorhandensein im Volksmundo stets b«:hauptet wird. Dicht neben der Wasser-
leitung fand sich eine irdene Schale mit tadellos erhaltener Glasur mit der Jahres-
zahl ISeO. Die Fuadd werden dem städtischen Museum einverleibt werden (18. Mai 1897).
2. In der LuisenetraBse cind neuerdings wiederum einige interessante Funde
gemacht worden. In einer Tiefe von ungefHhr 1 m fand man den Teil eines noch
gut erhalteneu Pluttenfussbndens, dessen Platten aus Ziegelcrde gebrannt sind und
Stempel tragen. Die Grösse der Platten war ganz verschieden, jedoch waren die-
selben HO dicht Hchliessend an einander gepassl, dass die Fugen kaum sichtbar waren.
Als Unterlag« diente eine Schicht Ziegelm«hl. Wührend die früher gefundenen
Platten denselben Stempel trugen, welclier auf den in Mülfnrt gefundenen römischen
Ziegeln eingebrannt war, so Knden wir hier einen ganz anderen Stempel, welcher in
seiner Form an das Rheydter Schüffenkreuis erinnert. Die Platten tragen vielfach
Eindrücke von Tieren, welche vor dem Brennen über dieselben gelaufen sind. In
der auf dem erwähnten Fitssboden lagei-uden Schuitschicht wurde ein Amulott in
Medaillonform gefunden ■) (U. Juni 1897).
3. Am 20. Septei^'ier 1897 wurden von Mitgliedern des Vereine für Heimat-
kunde XU Rheydt auf einem von denselben vor kurzem entdeckten Orfiberfelde
zwischen Birgelen und Esselen 11 Hügel geöffnet, in welchen man 10 Urnen vorfand.
Das Urnenfeld liegt an der von Dalheim nach EfTeld-Linne führenden unbe-
festigten Römerslrasse und ist es anzunehmen, dass letztere' identisch ist mit dem
rümischen Straesenzuge No vesia-Mül fort- Wegberg- Li nne. Die Strasse hat noch heute
eine Breite von ca. 12 Metern und führt schnurgrade ohne Berücksichtigung der
T«rraiit Verhältnisse von Dalheim nach Effeld. Als weiteres Charakteristikum wird
hervorgehoben, dass das Gräberfeld in nächster Nuhe der Landwehr (heute nieder-
ländische Landesgrenze) liegt. Die Abmessungen des Urneiiteldes scheinen sich
zwischen 400 Meier Länge und 300 Meter Breite zu bewegen. Bei der sandigen Boden-
bcAchafTenheit Ist es naiürUch, dass die ehemals runde Form der Hügel sirbon viel-
fach verwischt war und es infolgedessen nicht leicht wurde die Mitte derselben zu
bestimmen. Em massten deshalb umfangreichf Abhebungen der Hügel vorgenommen
werden. Lber einzelnen Urnen fehlte die Holzkohlen schiebt (Aschen sc hiebt) vollstsn-
dig, welche über den im Uoardter Walde ausgegrabenen Urnen stets vorhanden war.
Die Form der Urnen war im allgemeinen dieselbe wie die der Haardter Urnen und
enUpricht derjenigen der in Koenens .GefSeskunde" dargestellten germanischen Urnen.
Am 24. Sept. wurde eine zweite Grabung vorgenommen. Es wurden weitere
9 Urnen gehoben. Als Beigabe ku einer Urne fand sich ein Stück zersetzter Bronze
vor, zwei Ösen am Rande aufweisend, wohl der Rest einer Spange. Eh fanden sich
ferner in einem Hügel über der Urne die Scberben einer starkwandigen Schale aus
rotem Thon, deren Rückseite tief eingegrabene Verzierungen in Form von Wellen-
linien trSgt.
Bemerkenswert ist es noch, dass, während der Inhalt einiger Urnen als Bei-
inischong zu den Knochen Überresten lehmigen Sand aufweist, andere Urnen mit
InunoBor Erde gefUIlt waren, welche einem damaligen Kulturboden entstammen muss.
1) Von den in der Luisenstrasse gefundenen 2 Terra sigiUata-Frngmenteu seigt
das eine einen TÖpferslempel, das andere ein Viergespann.
192 Miszeüen.
11. Weissenthiirm. Prähistorische und römische Funde. Die nächste Um-
gebung der wegen ihrer Lage auf dem hohen Rheinufer weithin sichtbaren Kapelle
„Am guten Mann**, welche seit längerer Zeit als eine Fundgrube von Altertümern
bekannt ist, hat auch in dem vergangenen Spätsomfner wiederum einige interessante
Funde geliefert.
Bei dem Abdecken des Ackerbodens behufs Gewinnung des Bimssteinmaterials
für die Fabrikation von Schwemmsteinen kamen zunächst in einer Tiefe von 1 m
bis 1,50 m unter der Oberfläche mehrere sog. Margellen zum Vorschein, wie sie auch
schon früher daselbst aufgedeckt worden sind. Die in meiner Gegenwart geöffneten
Gruben enthielten eine schwarze fettige mit Brandresten durchsetzte Erdmasse. In
derselben lagen nur Scherben von ziemlich roh gearbeiteten Gefässen aus dunkel-
braunem Thon, deren einige eine beträchtliche Grösse gehabt haben müssen. Ein-
zelne zeigten senkrecht hinablaufende Rippen, andere Tupfen als Ornamente. In der
Nähe einer der Gruben wurden auch verbrannte Lehmstücke mit Abdrücken des
lehmbeworfenen Flechtwerkes der Wände ausgegraben, welche die Bestimmung der
Gruben erkennen lassen. Ausserdem fanden sich einige gespaltene Tierknochen,
aber keinerlei Geräte aus Stein oder Knochen. Und doch sind nach dem Zeugnis
von Koenen (Gefässkunde S. 33), der vor mehreren Jahren einige Gruben daselbst
untersucht hat, deren zu Tage gefördert worden. Denn er erwähnt a. a. O. neben
Thonscherben kleine Messerchen und Glätter aus Bein, Tierknochen und geglättete
Steinbeile als Inhalt der von ihm geöfibeten Gruben.
Ausser diesen Überresten aus vorgeschichtlicher Zeit birgt dasselbe Terrain
auch die Hinterlassenschaft der späteren Bewohner der römischen Periode, von deren
Thätigkeit die auf der Oberfläche zerstreut umher liegenden Ziegelbrocken, Mauer-
bewurfstücke und Gefässscherben aller Art Zeugnis ablegen. Letzten Herbst^ührten
noch wieder die Abraumarbeiten zur Entdeckung von Fundamentresten von Gebäuden,
in denen einige bemerkenswerte Altertümer aufgefunden wurden. Ausser einer be-
trächtlichen Anzahl von ganzen und zerschlagenen Thongeschirren gewöhnlicher Art
verdient zuvörderst Erwähnung ein fragmentierter Teller aus hellbrauner Terra sigillata
mit schräger reich profilierter Wandung ähnlich wie Koenen, Gefässkunde Taf. XIV, 3,
weil er noch der ersten Kaiserzeit angehört. Im Innern des Bodens ist der Rest eines
Stempels innerhalb eines grossen Kreises erhalten ;LLIM) welcher entweder Jujllin
oder Marcejllin ergänzt werden kann. Beides sind Fabrikantennamen, welche auf
Sigillata-Erzeugnissen der Entstehungszeit des Tellers vorkommen. Unter dem Boden
ist, der Rundung desselben folgend, dasGraffito J/AMYLI = Cin]namuli? eingekratzt
Ferner erschien die Hälfte eines der Länge nach gespaltenen Amphorenhenkels aus
gelblichem Thon, auf dessen Rücken in erhabener Schrift der Fabrikstempel
CIVLREBVR eingedrückt ist.
Dass der Luxus den Bewohnern jener Häuser nicht ganz unbekannt gewesen
ist, das beweisen die aufgefundenen Bronzegegenstände. Zunächst ein offenes, an
dem einen Ende beschädigtes Armband von 5 cm Durchmesser. Dasselbe ist aus
einem dünnen bandartigen Bronze-Blechstreifen gemacht, der von der 1 cm breiten Mitte
allmählich unmerklich schmäler wird. Eingeschlagene Punktlinien bilden die Rand-
verzierung, dazwischen nehmen das Hauptfeld des Armbandes fünf eingestanzte
Vogelfiguren (Täubchen?) ein, von denen die beiden äusseren und die mittlere von
rechteckigen, die zwei übrigen von rautenförmigen Einfassungen eingeschlossen
sind. Zu diesem hübschen Schmuckstück kommen drei Gewandnadeln aus Bronze.
Die erste, deren Nadel fehlt, ist eine 5 cm lange Scharnierfibula mit Kopfplatte. Der
nach unten sich verjüngende, gestreckte Bügel ist durch drei halbkreisförmige Wulste
profiliert, zwischen denen zwei rechteckige Platten sitzen. Auf diesen sind je zwei
durch einen Steg getrennte kreisrunde Grübchen eingedreht, welche ursprünglich
mit Email ausgefüllt waren. Der Fuss läuft in einen Knopf aus. Etwas besser er-
halten ist eine zweite 4V2 cm lange Gewandnadel in Gestalt eines nach rechts laufen-
Miszellen. 193
den Leoparden, dessen Augen und Flanke eine weisse zum Teil ausgebrochene
Emailfüllung trugen. In derselben befindet sich an Stelle der Hüfte ein kleines eben-
falls mit weisser Emailmasse belegtes Rundscheibchen. Verschiedene Anzeichen
weisen darauf hin, dass das Weisse bloss die Unterlage für andersfarbige Einlagen
gebildet hat. Die Nadel, von der ein kleines Stück noch vorhanden ist, geht im
Scharnier und befindet sich in der Nähe des Schwanzes. Endlich eine dritte zierlich
gearbeitete Emailschamierfibula von 5,3 cm Länge. Ihr Grundriss stellt eine leicht
verschobene Rautenform in durchbrochener Arbeit dar. Diese setzt sich zusammen
aus einem länglichen, oben und unten bogenförmigen Hauptstücke mit kreisrunden
an dem Scheitelpunkt der Bogen angesetzten Scheibchen. Die Langseiten des Haupt-
stücks bilden einen kräftigen, 4 mm breiten Steg, welcher an dem Rande mit einer
kordierten Einfassung, in der Mitte mit einer erhabenen Wellenlinie verziert ist. Er
trennt die beiden Seitenteile in Form eines spitzwinkeligen Dreiecks, dessen Ecken
ebenfalls kreisrunde Vorsprünge aufweisen. Diese tragen tiefblaue Emaileinlagen,
während die beiden etwas kleiner gebildeten Scheibchen de^ Hauptstückes ohne
Schmelz sind, dafür aber eingedrehte Kreisornamente haben. Die Mitte des ge-
schmackvoll angeordneten Ganzen nimmt ein kleines quadratisches Feld ein, in
welchem weisses Email mit sechszehn in Reihen zu je vier gruppierten dunkelbraunen
Kügelchen eingelassen ist, von denen vier leider zerstört sind. Alle drei Nadeln
mögen wegen ihrer Arbeit und Form dem 2. Jahrhundert n. Chr. angehören. Über
einen Fund von Töpferöfen, welcher auf demselben Grundstück gemacht worden ist,
gedenke ich im nächsten Heft dieser Jahrbücher zu berichten.
Klein.
12. Zülpich. Fränkische Funde. Vor einigen Wochen wurden zu Zülpich in
der Nähe der ehemaligen von Zülpich nach Köln führenden Römerstrasse, der jetzigen
Köln-Luxemburger Bezirksstrasse, beim Lehmstechen auf der Ziegelei der Geschwister
Bank in einer Tiefe von ca. 1 m ein interessanter Fund fränkischer Waffen gemacht,
welchen für das hiesige Provinzialmuseum zu erwerben gelungen ist. Dieselben ent-
stammen dort angelegten Gräbern. Leider haben die Arbeiter den Inhalt der ein-
zelnen Gräber nicht streng auseinander gehalten, so dass wir nicht mehr imstande
sind festzustellen, was in jedem Grabe zusammen gefunden worden ist. Jedenfalls
haben wir es mit dem Inventar mehrerer Gräber zu thun. Auch scheint man bei der
Sammlung der Fundstücke nicht mit gehöriger Sorgfalt verfahren zu haben, denn
es fehlen unter ihnen Thongeschirre, die wahrscheinlich wegen ihres defekten Zu-
Standes einfach unbeachtet geblieben sind. Noch auffallender ist, dass, da es sich
offenbar nur um Männergräber handelt^ kein einziges der leichten Wurfbeile, welche
doch sonst in einem fränkischen Männergrabe nicht leicht fehlen, gefunden sein soll;
auffallend auch, dass unter den Fundstücken uns kein Kurzschwert begegnet. Unter
den erhaltenen Stücken sind zunächst zu nennen die wohlerhaltenen Klingen von
zwei zweischneidigen Langschwertern von je 75 cm Länge. Die Breite der Klingen
beträgt bei der einen Klinge am Griff 5^/2, oben 4V2 cm, bei der zweiten am Griff
67s c™ ^^^ oben 5^/2 cm. Beide Klingen sind ziemlich flach. Die ebenfalls erhal-
tenen Hilzen bei der ersten 9V2) bei der zweiten 11 cm lang. Bei dieser letzteren
ist auch das Mundstück der jetzt fehlenden Scheide erhalten bestehend aus einem
1,8 cm breiten Bande von Bronzeblech, dessen Vorderseite eine hübsch cordierte
Randeinfassung zeigt. Die mitgefundenen nicht besonders gut erhaltenen Schild-
buckel haben die am Rhein vorherrschende Form eines Kugelsegmentes mit ziemlich
schmalem Befestigungsrand, dessen flache Nagelköpfe ebenso wie der Knopf auf der
Backelfipitze mit Silberblech beschlagen sind. Denselben Metallschmuck tragen auch
die breiten Nagelköpfe der beiden eisernen Schildgriffe. Von den Schilden selbst
ist natürSbh keine Spur mehr aufgefunden worden, wofern nicht einige längliche
BeBchlagstücke von versilbertem Bronzeblech, für die sich eine anderweitige passende
Jalurb. d. Ver. t. Alterthsflr. im Rheinl. 10s. 13
194 Miszellen.
Verwendung nicht wohl ausfindig machen lägst» von ihrer Ausschmückung her-
rühren, da wir wissen, dass die Schilde mit kleinen über die Schildwand verteilten
Zierplatten besetzt zu werden pflegten. Von den gefundenen drei Lanzenspitzen,
welche verschiedene Formen vertreten, hat die kleinste eine kurze blattförmige Spitze
und eine geschlitzte beinahe ebenso lange Tülle, die mittlere ein rautenförmiges
Blatt, in das sich die ebenfalls geschlitzte Tülle als schwach hervortretende Mittel-
rippe fortsetzt und endlich die dritte ist schmal und scharfkantig. Sie zeichnet sich
ausser ihrer Lftnge von 42 cm durch zwei nicht gerade häufige Besonderheiten aus,
einmal durch die parallel mit der stark hervortretenden Mittelrippe auf dem Blatt
einherlaufende Blutrinne und dann durch die beiden schmalen aus der Tülle sich
entwickelnden Beschlagzungen, durch die eine stärkere Verbindung zwischen Schaft
und Tülle herbeigeführt werden soll. Die interessantesten Stücke jedoch, welche die
Zülpicher Gräber geliefert haben, sind zwei gut erhaltene Hakenlanzen (Angones),
von denen die grössere 1,5 m, die kleinere 90 cm lang ist, von denen 5 cm auf die
vierkantige Spitze kommen. Bei beiden findet sich die scharf ausgeprägte Scheidung
der beiden Bestandteile der Waffe, der Spitze und des Speereisens, auf die bereits
Lindenschmit (Alterth. uns. heidn. Vorzeit III, 9, 5) als eine selten vorkonmuende
Eigentümlichkeit hingewiesen hat, wenn auch bei dem einen Exemplar stärker in die
Augen springend als bei dem anderen. Beide zeigen auch die bei den früher ge-
fundenen Exemplaren beobachtete, an der einen Seite offene Tülle sowie die zwei
von ihr und an dem Schaft entlang abwärts laufenden schmalen Beschlagzungen und
die Querrippen auf ihnen, dazu bestimmt, den die Befestigung der Tülle an den
Schaft bewirkenden Kingbändem genügenden Halt zu verleihen. Die verhältnis-
mässig geringe Länge der Beschlagzungen, die auch bei den beiden Zülpicher Exem-
plaren aufiUUt, lässt den von Oberstlieutenant Dahm erhobenen Zweifel an der Rich-
tigkeit der von Agathias 2, 5 in der Beschreibung des Angon gemachten Bemerkung,
wonach vom Schafte nur ganz wenig und kaum der ganze Schuh sichtbar gewesen
sei, vollends gerechtfertigt erscheinen. Der Um.stand, dass die Funde dieser offenbar
dem römischen Pilum nachgebildeten Wurfspiesse sich hauptsächlich auf Süddeutsch-
land und den austrasischen Teil des alten Frankenreiches verteilen, dagegen aus
niederrhe.inischen Frankengräbern meines Wissens bis jetzt kein Stück sicher nach-
gewiesen ist, verleiht dem Zülpicher Funde zugleich eine erhöhte Bedeutung.
Klein.
13. AchtunddreissigstePlenarsitzung der historischenKommission
bei der kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften am 11. und 12.
Juni 1897. Seit der letzten Plenarsitzung im Mai 1896 sind folgende Publikationen
durch die Kommission erfolgt:
1. Allgemeine deutsche Biographie. Band XLI, Lieferung 2—5. Band XLII
Lieferung 1—3.
2. Chroniken der deutschen Städte. Band XXV, Band V der schwäbischen
Städte: Augsburg.
3. Die Recesse und andere Akten der Hansetage 1256—1430. Band VIII.
(Schlussband).
Die Hanserecesse sind damit von Dr. Koppmann, den nach Junghans'
frühem Tod noch Lappenberg im Jahre 1865 zum Herausgeber bestimmt hatte, zum
glücklichen Ende gebracht worden.
Auch die Chroniken der deutschen Städte, unter der Leitung des Ge-
heimen Rats von Hegel, nähern sich dem Abschluss. Als 26. Band soll ein zweiter
Band der Magdeburger Chroniken erscheinen. Der erste Band, Band 7 der ganzen
Reihe, hatte die Magdeburger Schöffenchronik, bearbeitet von Janicke, gebracht.
Für den zweiten Band ist die hochdeutsche Fortsetzung dieser Chronik bis 1566 und
die Chronik des Georg Butz 1467—1551 bestimmt. Als vorläufiger Schluss des ganzen
Miszellei
1 zweiter Bnnd der Lübecker CliroDiken in
ann, sobald er die nötige Müsse gewinnt,
UntemehmenH, Dämlich als Band 27, ist e
Aussicht gciiomnien, welchen Dr. Kopp)
bearbeiten will.
Von deu Jahrbüchern des deutschen Reiche unter Friedrich IL wird
in der aÜernHchslen Zeit der zweite Band verüffentlicht werden, der die Jahre 1228
—1233, im Manuskript vom Geheimen Hofirat Winkelmann hinterlassen, amfasst.
Für die Jahrbücher des Reichs unter Otto 11. und Otto III. ist Dr.
Uhlirz mit der Bearbeitung des geBammelten StolTe, für die Zeit Friedrichs I.
Dr, Simonsfeld noch mit der Sammlung des Stoffes beschäftigt, Professor Meyer
vonKuonau arbeitet unausgesetzt am dritten Band der Jahrbücher des Reichs
rniter Heinrich TV. und Heinrich V.
Betreffend die Geschichte der Wissenschaften in Deutschland ist
ins für dieses Jahr erhoifte Erscheinen der Geschichte der Geologie und Paläonto-
logie von dem Geheimen Rat von Zittel auf das nächste Jahr verschoben worden,
«eil die Schwierigkeit der Bewältigung der für die Geschichte des 19. Jahrhunderts
vorliegenden Littcratur sich als allzu gross erwies.
Die Allgemeine deutsche Biographie, unter der Leitung dos Freiherm
TOB LilioncroD und des Geheimen Rats Wegele, ist in diesem Jahr In ausser-
nrdentlicher Weise in ihrem Fortgang aufgehalten worden, zuerst durch den Tod
vnn Sjbels, der den Artikel „Kaiser Wilhelm I." übernommen hatte, dann durch
den Eintritt des neuen Autors, Professors Erich Marcks in Leipzig, zuletzt durch
dss Znsammeut reffen der Ausarbeitung dieses Artikels mit der Centenarfeler und der
rtwcb dieselbe hervorgerufenen zahlreichen Litteratur.
Die Reichstftgsakten der «Itereu Serie stehen am 10, und 11. Band.
Es hat sich die Zweckmässigkeit einer Teilung der Kaiserzeit Sigmunds (Mitte 1433
bis Ende 1437) in zwei Bände herausgestellt. Der 11. Band soll bis zur Mitte des
Jahres I43& reichen. Die Drucklegung isl von Dr. Beckmann bis zum 43. Bogen
geführt worden. Das Erscheinen des Bandes kann für deu Herbst dieses Jahres in
Aussicht gestellt werden. Der Druck des 13. Bandes soll dann sofort sich ansch Hessen ,
Für die Reichatagsak tcn der Keformationszeit sind die Arbeiten wie
bisher von Dr. Wrede mit Üntcrstütiung von Dr. Bernays fortgeführt worden.
Das Material für den dritten Band ist vervollständigt worden.
Die ältere bayerische Abteilung der Wi tt elabach er Korrespon-
denzen untej' Leitung des Professors Lossen wird demnächst zum Abschluss
knmmen. Von den durch Dr. Goelz bearbeiteten „Beiträgen zur Geschichte
Herzog AIhrechts V, und des Landsberger Bundes" sind 48 Bogen gedruckt,
die bis zum Ende des Jahres 1570 reichen. Nur noch 10 bis 12 Bogen sind zu drucken.
Die Jiltere Pfälzische Abteilung der Witielsbach er Korrespon-
denzen konnte auch in diesem Jahre keinen Fortgang gewinnen, da der Heraus-
geber, Professor von Bexold, von der Vollendung der Briefe des Pfalzgrafen
Johann Casimir neuerdings durch seine Berufung an die ÜniversitSt Bonn abgehalten
wurde. Derselbe hofft nun, in deu nächsten Ferieu die bisher aufgeschobene For-
schungsreise nach Kopenhagen ausführen zu kbnnen.
Die Arbeiten der jüngeren Bayerischen und Pfälzischen Abteilung
der Wit teisbacher Korrespondenzen unter Leitung des Professors Stieve
waren in gleicher Weise wie früher in erl'reulicher Entwicklung begriffen. Nur war
Professor Slieve selber, durch die nämlichen Gründe wie im vorhergehenden Jahr,
an der gewohnten Mitarbeit gehindert; er wird voraussichthch erst im Frühling 1898
ui die Herausgabe des 7. Bands der Briefe und Akten gehen können.
Jahresbericht des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande zu Bonn
für das Jahr 1896/97.
Die Zahl der Mitglieder des Vereins hat sich im Laufe des letzten Ge-
schäftsjahres, wie sich ans dem am 1. Jnli 1897 anfgestellten, im Jahrbnche
101 znm Abdmcke gebrachten Mitglieder- Verzeichnisse ergiebt, nicht wesent-
lich verändert.
Von Publikationen wurden in dem gleichen Zeiträume ausgegeben : Jahr-
buch 100 mit 5 Tafeln und 75 Textfiguren, welches zum erstenmale die von
Herrn Provinzialconservator Dr. Giemen zusammengestellten ^Berichte über die
Thätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmalpflege in der Rhein-
provinz; der Provinzialmuseen zu Bonn und Trier, der rheinischen Kunst- nnd
Geschichtsvereine und über die Vermehrung der städtischen und Vereins-
sammlungen innerhalb der Rheinprovinz^ brachte, und Jahrbuch 101 mit
7 Tafeln und 30 Textfiguren. Jahrbuch 102 wurde vorbereitet und soll An-
fang 1898 zur Ausgabe gelangen.
Die Bibliothek hat besonders durch ihren ausgedehnten Tauschverkehr
mit andern gelehrten Gesellschaften einen gleichen Zuwachs wie im Vorjahre,
d. h. von etwa 200 Bänden, zu verzeichnen.
Am 9. Dezember 1896 beging der Verein in üblicher Weise im Hotel
Kley zu Bonn das Winckelmannsfest. Den Festvortrag hielt Provinzialconser-
vator Dr. Giemen über die ältesten Altertümersammlungen in den Rheinlanden
in Blankenheim und Kleve. Dann erläuterte Professor Loeschcke eine Anzahl
neuer Erwerbungen des akademischen Kunstmuseums, unter denen eine Mnmien-
maske aus Ägypten und einige attische Thonfigürchen hervorgehoben wurden.
Einige neue Fundstücke aus dem Provinzialmuseum waren ausgestellt. Ein
gemeinsames Abendessen bildete den Schluss der Festversammlung.
Vortrags- Abende fanden in dem gleichen Winter zweimal statt, an denen
folgende Vorträge und Mitteilungen zu verzeichnen sind:
I. am 28. Januar 1897:
Sonnenburg, Die domus Vettiorum in Pompeji.
Schnitze, Bonner Funde des letzten Jahres.
Bücheier, Metrische Grabinschrift aus St. Ursula in Köln.
IL am 4. März 1897:
Strack, Ein Edikt Ptolemaios' II.
Schorn, Nicolaus Cusanus.
Koerte, Spätrömische Stadt-Befestigungen in Kleinasien.
Am 4. November 1897, Abends 7 Uhr wurde die General- Versammlung
im Provinzialmuseum in Bonn abgehalten. Zunächst berichtete der Vorsitzende
Jahresbericht des Vereins von Altertumsfr. im Rheinl. zu Bonn für 1896/97. 197
Herr Geheimrat Bücheier, über den Stand der Vereins-Angelcgenheiten. Die
Vereins-Rechnung war von dem Bankhans Goldschmidt & Cie. geführt worden
mid lag der Versammlnng zur Kenntnisnahme vor. Die Einnahmen betragen
im ganzen 6086 Mk. 80 Pf., sie setzten sich ausser ans den Beiträgen der
Mitglieder zusammen ans einem gütigst bewilligten ausserordentlichen Znschnss
der Provinzial- Verwaltung der Rheinprovinz von 800 Mk. und dem Erlös für
verkaufte Hefte der Jahrbücher im Betrag von 381 Mk. Die Ausgaben be-
trugen 5458 Mk. 38 Pf., davon kommen 2620 Mk. 57 Pf. auf den Druck der
Jahrbücher, Einladungskarten u. s. f. ; 907 Mk. 70 Pf. auf Honorar für Bei-
träge für die Jahrbücher; 719 Mk. 92 Pf. auf Zeichnungen und Clichds. —
Der verbleibende Rest beti-ug am 31. Dezember 1896: 618 Mk. 42 Pf. — Die
Rechnung war von den Herren Rentner Henry und Oberetlieutenant Heyn
geprüft und rechnerisch richtig befunden worden. Die Versammlung erteilte
der Rendantur Entlastung, dankte den Herren Revisoren für ihre Mühewaltung
und ersuchte sie, auch im kommenden Jahre sich der Arbeit der Rechnungs-
revision gütigst unterziehen zu wollen. — Auf Antrag des Herrn Geheimrat
Loersch wurde hierauf der bisherige Vorstand durch Zuruf wiedergewählt.
Nach Abschluss der Vereinsgeschäfte fanden Vorträge statt und zwar
besprachen :
vanVlenten, Römische Falschmünzen und Fälschungen römischer Münzen.
Loeschcke, Die neuesten Forschungen am Limes.
Berichte über die Thätigkeit
der Provinzialkommission für die Denkmalpflege in der
Bheinprovinz,
der Provinzialmuseen zu Bonn und Trier,
der rheinischen Altertums- imd Geschichtsvereine
und
Über die Vermehrimg der städtischen imd Vereins-
sammlimgen innerhalb der Bheinprovinz 1807.
Vorbemerkung.
Zum zweiten Male erscheinen hier, in dieser Form zusammengestellt, die
Berichte über die gesamten Bestrebungen auf dem Gebiete der Denkmalpflege
und der Erforschung der heimischen Altertümer innerhalb der Rheinprovinz.
Das Verwaltungsjahr, über das die Berichte Aufschluss geben, läuft vom
1. April 1896 bis 31. März 1897. Die Referate über die einzelnen Restan-
rationsarbeiten sind wie bisher von den Mitgliedern der Provinzialkommission,
den Leitern der Wiederheratellungsarbeiten und dem Provinzialkonservator auf
Grund des amtlichen Materials verfasst worden. Nur die im Berichtsjahre ab-
geschlossenen grösseren Bauausführungen sind zur Darstellung gekommen; über
die noch im Gange befindlichen Restaurationen zu Hochelten, Mayen, Nideggen,
Oberwesel und Trier soll nach ihrer Vollendung berichtet werden. Die Re-
ferate über die Thätigkeit der beiden Provinzialmuseen enthalten die offiziellen,
an den Herrn Landeshauptmann der Rheinprovinz seitens der Herren Museums-
direktoren erstatteten Verwaltungsberichte. Die Mitteilungen über die Thätig-
keit der Altertums und Geschichtsvereine der Rheinprovinz und über die Ver-
mehrung der städtischen und Vereinssammlungen beruhen auf den mit dankens-
werter Bereitwilligkeit erstatteten Berichten der Vereinsvorsitzenden und der
Sammlungsdirektoren an den Königlichen Oberpräsidenten der Rheinprovinz.
Der Provinzialkonservator der Rheinprovinz
Giemen.
Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmal-
pflege in der Rheinprovinz vom I. April 1896 bis 31. März 1897.
In der Zusammensetzung der Provinzialkommission für die Denkmalpflege
ißt insofern eine Veränderung eingetreten, als an die Stelle der zwei ver-
storbenen Mitglieder, der Herren Geh. Baurat Cuno in Goblenz und Appella-
tionsgerichtsrat a. D. August Reiebensperger in Köln die Herren Regierungs-
nnd Geheimer Baurat Launer in Goblenz und Dompropst Dr. Parmet in
Monster getreten sind. Das Deeemat für Kunst und Wissenschaft in der Pro-
vinzialverwaltung hat an Stelle des Herrn Landesrats Vorster unter dem L April
1897 Herr Landesrat Klausener übernommen. Die Kommission ist in dem
Rechnungsjahre 1896/97 zweimal unter dem Vorsitz des Vorsitzenden des Pro-
vinzialansschusses Herrn Landrats a. D. Janssen zusammengetreten, am
21. Oktober 1896 und am 13. Januar 1897.
In der Sitzung vom 21. Oktober 1896 wurden aus dem zur Verfügung
des Provinzialausschusses stehenden Etatsbetrage für Kunst und Wissen-
schaft bewilligt:
Für die Vollendung d^r Sicherungsarbeiten an der Burgruine zu Blanken-
heim, zugleich für Aufnahme der Ruine 1000 M., für Sicherungsarbeiten an
der katholischen Pfarrkirche zu Wintersdorf (Landkreis Trier) ein Kredit von
2000 M., für die Vollendung der Restaurationsarbeiten am Turm der alten
katholischen Pfarrkirche zu Gruiten (Kreis Mettmann) 1535 M., als weitere
Beihttlfe für die Erhaltung der Burgruine Schmidtburg (Kreis Simmem) 200 M.,
ftir die Erhaltung der Burgruine Dill (Kreis Simmern) 450 M., für die Wieder-
herstellung eines steinernen Kreuzes zu Birgden (Kreis Lennep) 60 M., für die
Restauration des gothischen Hochkreuzes zu Brauweiler (Landkreis Köln) 250 M.,
ftlr die Aufnahme des ältesten romanischen Hauses in Trier, des sogenannten
Propugnaculums, 60 M., zur Untersuchung des Chores der Abteikirche zu
Steinfeld (Kreis Schieiden) 100 M., zu Vorarbeiten für die Restauration des
200 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
Holzhanses am Markte in Baeharach 100 M. Ftlr die von dem ProvinziaI>
conservator verfasste und in einer Auflage von 4000 Exemplaren gedruckte
Broehüre „Die Denkmalpflege in der Rheinprovinz^ wurden die Gesamtkosten
in der Höhe von 1362,60 M. auf den Etat für Kunst und Wissenschaft
fibemommen. Endlich wurde für die Anfertigung von Kopien der mittelalter-
liehen Wandmalereien in der Rheinprovinz ein weiterer Kredit von 2000 M.
bewilligt.
In der Sitzung vom 13. Januar 1897 wurden von dem Provinzialaus-
Schüsse aus dem Etatsbetrage fQr Kunst und Wissenschaft bewilligt:
Für die Wiederherstellung eines dreiteiligen Altargemäldes in der evan-
gelischen Pfarrkirche zu Schermbeck (Kreis Rees) 1500 M., zur Anfertigung
einer Kopie des im historischen Museum zu Düsseldorf befindlichen grossen
Planes eines Residenzschlosses ftlr Kurfürst Johann Wilhelm vom Jahre 1709
800 M.
Ausserdem wurden in den beiden Sitzungen die Anträge eingehend durch-
beraten, die dem 40. Rheinischen Provinziallandtage unterbreitet werden sollten.
Über die sämtlichen Anträge lagen der Kommission wie dem Landtage die
Gutachten des Provinzialconservators vor, die in den Verhandlungen des 40.
Rheinischen Provinziallandtages S. 416—436 abgedruckt sind. Die Anträge
wurden in der 1. Fachkommission des Landtages nochmals geprüft und dann
in der Plenarsitzung vom 15. März 1897 en bloc angenommen.
Ans dem Dispositionsfonds des Provinziallandtages, dem sog.
Ständefonds, ist die erhebliche Summe von insgesamt 170350 M. für Wieder-
herstellung von Denkmälern bewilligt worden.
Im einzelnen wurden die folgenden Summen bewilligt:
Für die Wiederherstellung der Grabdenkmäler der Pfalzgrafen von Pfalz-
Siramem in der evangelischen Pfarrkirche zu Simmern 2500 M., für die Wieder-
herstellung des Grabdenkmales des Herzogs Wilhelm des Reichen in der Lam-
bertuskirche zu Düsseldorf 2000 M., als Zuschuss zum Erwerb der alten kur-
fürstlichen Burg zu Coblenz 35000 M., zur Erhaltung des Turmes der alten
katholischen Kirche zu ückerath (Siegkreis) 3300 M,, zur Instandsetzung der
Clemenskirche bei Trechtingshausen (Kreis St. Goar) 2500 M., zur Restauration
der St. Nikolauskirchc zu Kreuznach 20 000 M., zur Instandsetzung und zum
Wiederaufbau des Schlosses Burg an der Wupper 20000 M., zur Restauration
der katholischen Pfarrkirche zu Nideggen (Kreis Düren) 10 000 M., zur Wieder-
herstellung des Inneren der alten katholischen Pfarrkirche zu Niedermendig
(Kreis Mayen) und zur Erhaltung ihrer Wandmalereien 6000 M., zur Restau-
ration des Turmes der katholischen Pfarrkirche zu Süchteln (Kreis Kempen)
6000 M., zur Restauration der Martinskapelle zu Altenberg (Kr. Mülheim a. Rh.)
6000 M., zur Restauration des Chores der evangelischen Pfarrkirche zu Kim
(Kreis Kreuznach) 5000 M., als weitere Beihülfe zur Restauration der katho-
lischen Pfarrkirche zu Mayen 5000 M., als weitere Beihülfe zur Restauration
des Portales der Liebfrauenkirche zu Trier 3850 M., als weitere Beihtllfe zur
Restauration der evangelischen Peterskirche zu Baeharach 3200 M., zur Re-
für die DonkiiiftlpHff,
1 der Rheinprc
äOt
stanration der Doppelkirehe zu Schwarz rhoindorf (Kreis Bonn) 10000 M., /.nr
Wiederherstellnng des Berliner Thores zu Wesel (Kreis Rees) 20000 M., zur
Behnug und zur Wiederherstellung des Rhcintliures zu ÄDdemacb iKreie Mayen)
10000 M.
Die Anträge und Projekte waren zum Teil seit langer Zeit vorbereitet.
Insbesondere Qher die Denkmäler, für die grössere Suuimen bewilligt wurden,
sind längere und ausfuhrliche Verhandlnngeu zwischen den einzelnen Behörden
gepflogen worden.
Die alte kurfUrstliche Burg zu Üoblenz, an der Stelle des rOtnischen
Kastelles nnd des Palasles der austrasiseben Könige 1276 dorcfa den Erzbischof
Heinrieh von Vinatingen errichtet, 1599 durch den eUdöstlieben Flügel er-
weitert und nach dem ilonibardemcnt durch die Franzosen im Jahre 168K
wiederhergestellt, das wichtigste historische Denkmal und zugleich das ältente
profane Bauwerk der Stadt, in seiner fast zweitausendjähngen Geschichte ein
für die ganze Rheinprovinz bedeutsames Monument, befand sich seit dem
Jahre 1802 in Privatbesitz, und es drohte, seit die darin untergebrachte Fabrik
aufgelöst war, der Abbruch oder die Verwandlung in eine Mietskaserne. Der
Kanfpreis betrug 145 000 M. Nachdem sich die Möglichkeit, die Burg zu
einem Kreishans umzugestalten nnd fUr den Landkreis Cublenz zu erwerben,
zerschiageD hatte, war die Stadt selbst in pietätvoller Würdigung der Ehren-
pflicht, ihr ältestes Denkmal, mit dem Coblenz gewachsen und gross geworden,
IQ erhalten, eingetreten. Fdr den Ankauf hatte die Stadt 70 000 M.- be-
willigt, für die Restauration besonders noch 40000 M, Der Herr Minister der
geistlichen etc. Angelegenheiten hatte staatlieherseits einen ZuHchoHS von
400OO M. in Aussicht gestellt. Durch die Bewilligung der fehlenden Summe
von 35000 M. durch den Provinziallandtag war es möglich, die Burg i»
öffentlichen Besitz zu aberfuhren und damit dauernd vor dem Untergang zu
retten.
Die St. Nikolanskirche zu Kreuznach, die älteste gotbiscbe Kirche ■□ dem
Gegierongsbezirk Cublenz, schon 1266 begonnen und im 15. Jahrhundert ver-
ändert, war bei der Erbauung einer neuen Pfarrkirche zunächst zum Abbrach
fiestimmt worden; die Gemeinde hatte sich aber dann bestimmen lassen, der
Frage einer Wiederherstellung näher zu treten. Schon im Jahre 1894 war
durch den damaligen Künigliefaen Landbaninspektor, jetzigeu StrasKbnrgcr
Douibanmeister Amt/, ein sorgfaltiger Restanrationscntwnrf ansgearbeitet worden,
der Kostenanschlag für die eigentliche Wiederherstellung scbloss mit der Summe
von 41 200 M. ab. Cm die Erballnog des knnstgeschichtlich wichtigen Bau-
vrerkes überhaupt zu ermöglichen, war ein bedentender Zuscbnss aus Öffent-
lichen Fonds notwendig.
FOr die Erhaltung und den Ausbau des Schlosses Burg an der Wnp|icr
■war nnr ans staatÜchen Fonds ein einmaliger Beitrag von 15iXMj M, bewilligt
worden, während durch die Opferwilligkeit des bergi^-hen Volkes fajst 2U0WK) M.
aus Privatmitteln aufgebracht worden waren. Eine schon 1891 zagetiicbert«
Ünterstfitzung durch die Provinzialverwaltnng konnte nicht eher isiKezablt
202 Bericht über die Thfttigkeit der Provinzialkommiflsioii
werden, weil die schon seit drei Jahren geplante Obertragnng an den Kreis
Lennep, der zugleich eine dauernde Garantie f tlr die Unterhaltung flbemehmen
sollte, nicht dnrchgeftlhrt war. Mit Rücksicht auf die historische und archi-
tektonische Bedeutung des Denkmales und auf das wachsende Interesse an
dem alten bergischen Residenzschlosse, das durch die stetig steigende Besuchs-
ziffer (fast 40000 Besucher im Jahr) am besten illustriert wird, beschloss der
Provinziallandtag eine Bewilligung in der Höhe von 20000 M.
In der Doppelkirchc zu Schwarzrheindorf, die nach den Zerstörungen
des 17. Jahrhunderts durch den Kurfürsten Clemens August 1747 notdürftig
wiederhergestellt und 1830—1832 gesäubert und oberflächlich restauriert worden
war, sind allmählich so vielfache Schäden zu tage getreten, dass eine gründ-
liebe Wiederherstellung ins Auge gefasst werden musste. Im Sommer 1895
war der Königliche Landbauinspektor Amtz mit der* Aufnahme des Bauwerkes*
und der Ausarbeitung von Restaurationsentwürfen betraut. Der Kostenanschlag
scbloss mit der Summe von 46 500 M. ab. Seit dem Jahre 1815 befand sich die
Kirche im Besitz des Staates; nach der Wiederherstellung im Jahre 1830 ist
aber die ünterhaltungspflicbt von der Gemeinde Vilicb übernommen worden.
Die Kosten ftlr die jetzige umfängliche Instandsetzung fallen in erster Linie
dem Staat als dem Besitzer zur Last; mit Rücksicht auf den ganz hervor-
ragenden Wert des einzigartigen Kunstwerkes wurde aber auch seitens des
Provinziallandtages ein Zuschuss be^-illigt.
. Das Berliner Thor zu Wesel, der bedeutendste Festungstborbau Preussens
aus dem 18. Jahrhundert, ein Werk Jean de Bodts aus den Jahren 1718 — 1722,
war bei der Entfestigung und Erweiterung der Stadt auf den Wunsch der
Staatsregieruug erhalten worden, nur die beiden Flügel hatten fallen müssen.
Die Gesamtkosten fär die Wiederherstellung des zumal an den Skulpturen sehr
verwitterten, seiner Attika beraubten Thores betragen 60500 M. Die Stadt
Wesel, die schon durch den Ausfall an zu bebauendem Terrain grosse Opfer
gebracht hat, hat 10000 M. übernommen, Se. Majestät der Kaiser hat für das
mit dem Namen von drei HohenzoUem verknüpfte Monument die Summe von
25000 M. aus dem Allerhöchsten Dispositionsfonds bewilligt, mit Rücksicht
auf die historische Bedeutung des Denkmales speziell ftir die klevisehen
Lande hat der Provinziallandtag die Summe von 20000 M. als Zuschuss
beigesteuert.
Über die Ausführung dieser zur Zeit noch nicht eingeleiteten Restaura-
tionen soll in den nächsten Jahresberichten Rechenschaft erstattet werden.
Die Durchführung der Instandsetzungs- und Restanrationsarbeiten erfolgte
in jedem einzelnen Falle unter Beteiligung des Provinzialeonservators; zur
Vorbereitung und zur Beaufsichtigung einzelner Arbeiten in Nideggen, Xanten,
Heisterbach, Trier, Wintersdorf, Süchteln wurden wie früher Snbkommissionen
eingesetzt, die aus einzelnen Sachverständigen der Provinzialkommission und
dem Provinzialconservator bestanden. Ausser den regelmässigen Besichtigungs-
reisen des Provinzialeonservators fanden wiederholt gemeinsame Bereisungen
durch Mitglieder der Provinzialkommission statt; in dankenswerter Weise be-
Iflr die Denkinal|iflege in ditr Rheinprovinz. 303
teiligten sich an diesen BereiHongen auch die nicht znr Kommiseion gehörigen
Herren Professor voa Gebhardt und Professor Schill in Düsseldorf, KanonikuB
Gübhels in Aachen und Bildhauer Mengelberg in Utrecht.
Die Einsetzung der Korrespondenten für Denkmalpflege bat sich im all-
gemeinen vortrefrtich bewährt. Es ergeht an sie erneut die Bitte, den Pro-
Tinzialconservalor durch Mitteilungen aller Art, auch Zusendung einfacher
Zeitungsnotizen /.u unterstützen, und in ihrem Kreise persönlich für ^ie Erhal-
tung und den Schutz der Denkmäler kräftig einzutreten. Mit den Altertums-,
Geschichts- and Kunstvereiuen der Provinz wurde Fllhlnng und Verbindung
angestrebt; wiederholt haben Bemühungen der staatlichen Denkmalpflege fUr
Erhaltung eines Bauwerkes bei den lokalen Vereinen warme und kräftige Unter-
stützung gefunden.
Das im Provinzialmuseum zu Bonn untergebrachte Denkmälerarchir
der Rbeinprovinz ist durch Ankäufe und Überweisungen auf 4300 Blatt
angewachsen. Neu erworben wurden weitere Messbildaufnabmen rheinischer
Bauwerke der unter der Leitung des Geh. Baurates Dr. Meydenbauer stehen-
den McBsbildanstalt zu Berlin und eine grössere Anzahl neuer photographischer
Aafnahmen aus dem Regierungsbezirk Köln. Durch die Königlichen Regie-
ruDgea wurden vollständige zeichnerische und photographiscbe Aufnahmen aller
zum Abbruch bestimmten oder wesentlich veränderten Baudenkmäler über-
wiesen. Endlich wurden die Aufnahmen, Pläne, Projektzeichnungen, Photo-
graphien von den mit Unterstützung der Provinzialverwaltung ausgeführten
Bestaurationsarbeitcn an Baudenkmälern dem Denkraälcrftrehiv einverleibt. Von
den restaurierten Glasgemälden in Xanten und Oberwesel, den Altargemälden
in Scbemibeck, Kamp und Orsoy sowie den Skulpturen zu Dflsseldorf, Meiscn-
beim und Trier wurden vor dem Beginn der Restauration grosse Photographien
angefertigt, die den alten Znstand genau zeigen.
Über die Anfertigung von Pausen und Kopien der mittelalterlichen Wand-
malereien in der Rheinprovinz wird unten besonders berichtet werden.
Giemen.
204 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
Berichte über die wichtigeren der ausgeführten Restaurationsarbeiten.
1. Aachen, Wiederherstellung und Ausschmttckung der
Münsterkirche.
Nach dem in der Generalversammlung des Karlsvereins am 6. December
1896 erstatteten Bericht sind an den äusseren Seiten des Münsters mehrere
nicht unerhebliche Arbeiten unternommen worden. Zunächst wurde der Neubau
des Treppenhauses zur St. Michaels-Treppe in Blaustein an Stelle des in Ziegel-
steinen ausgeführten Baues zwischen der Kreuzkapelle und der Capeila animamm
ausgeführt. Die Fensteröffnungen wurden mit bunten Scheiben verschlossen
und mit eisernen Gittern versehen, die alten Stufen der Treppe durch neue
aus belgischem Granit ersetzt. Ein stilgerechter, eiserner Gitterabschluss nach
einer Zeichnung des Stiftsarchitekten Peters aus der Kunstschlosserei von Joseph
Frohn in Aachen hat die bisher zum Treppenabschluss dienende, morsche Fach-
wand ersetzt. Die beiden alten Thüren oben und unten am Treppenaufgange
haben durch neue Thüren in Eichenholz mit stilgerechten, eisernen Beschlägen
Ersatz gefunden.
Die baufällige Fa^ade der Capella animarum gegen den Chorusplatz wurde
nach Beseitigung zahlreicher Einsätze von Ziegelsteinfen mit Material aus karo-
lingischer Zeit restauriert und überall ausgefugt. Zugleich wurde das bis zum
verflossenen Jahre zugemauerte, wieder geöffnete und mit neuen Stäben ver-
sehene gothische Fenster in der Altarnische der Kreuzkapelle mit neuer Ver-
glasung in bunten Farben nach einem alten vorgefundenen Muster geschlossen.
Die Verglasung, sowie diejenige an den Fenstern der St. Michaelstreppe sind
in der Werkstätte des Kunstglasers Mathias Dejosez in Aachen ausgeführt
worden.
Zugleich mit diesen Arbeiten erfolgte die Restauration des Innern der
St. Ilubertuskapelle, derjenigen Kapelle, die gegenwärtig als Vorhalle beim
Eintritt durch die sog. Krämerthür dient. Der durch eine Mauer bis zur halben
Höhe in zwei Teile geschiedene Raum, dessen hintere Hälfte im bisherigen ver-
wahrlosten Zustand zur Gerätekammer benutzt wurde, ist ein Bauwerk von
grosser Schönheit. Die mit dickem Schmutze bedeckten Wände wurden sorg-
fältig gereinigt, wobei alte, leider fast ganz zerstörte Wandmalereien zum Vor-
schein kamen. Die feinen Rippen des Gewölbes und der zart modellierte
Kammaufsatz der Trennungsmauer wurden ergänzt; ein Teil der Mauer selbst,
die durch irgend eine Erschütterung verschoben worden war, musste aufs neue
aneinandergefügt werden. Der grösstenteils abgebröckelte, gewaltige Schluss-
stein des Gewölbes ist genau in der Werkstätte von Johann Peter Radermacher
für die Drnkmalpfleg'e in ilei- Rheinprovin/. 205
nachgeahmt worden. Diesen Ersatz hat der Meister dem Ksirlavereiu zum üe-
scbenk gemacht.
Eine" weitere Arbeit wurde an dem Portal zwischen Kreuzkapelle nnd
OktogoD vorgenommen. Die Schwierigkeit, den Ucbergang aiie der Bogeu-
stellnng and dem lianstile der Krenzkapelle in den Baustil des Münsters zu
yermitteln, wurde glUeklicb gelfist. Die geringe Verengung des Zuganges ist
durcb Oeffnung eines zweiten, bisher durch ein Gitter verschlossenen Zuganges
ausgeglichen.
Die Kestauratinii der West- und Siidfa(;ade der Kreuzkapelle gegenüber
dem Fischmarktc ist begonnen. Hier hatten die Zeit mid auch bedeutende
Brände, wovon das in die Mauorfugen geflossene Blei zengte, zerstörend ein-
gewirkt. Die Zerstörungen waren durch Ziegelsteinverblendungen verdeckt
worden. Deshalb erwiesen sieb neue und verstärkte Verankerungen als not-
wendig. Durchweg wurden alle Ziegelsteine beseitigt und durch Blaustein-
inaterial ersetzt. Gleichzeitig wurde ein neues Treppenhaus zum nftrdlichen
Tnrmaufgnnge mit einem neuen Ausgange direkt auf den Dombof gebaut.
Dieser vielfach als ein Bedllrfnie geforderte Ausgang soll ebenso sehr dem
DUtern Teile des Münsters, wie auch dem HochmOnster zu Gute kommen und
namentlich für letzteres einen bis dahin noch fehlenden, direkten Verkehr mit
der Strasse vermitteln. Ftlr den Tbürverschluss an dieser Stelle ist eine der
beiden Bronzethüren in Aussieht genommen, welche auf dem HochmOnster sich
an der Karlskapclle und an der Annakapelle vorfinden, aber an beiden Stellen
wegen eines noch vorhandenen zweiten Gittervei'scbluBses tlbei-flüssig sind, wo-
gegen eine solche Thllre an dem neu geschaffenen Ausgange auf dem Dom-
hofe, neben den anderen Bronzethüren einen ebenso nützlichen wie prächtigen
Verscbluss bilden würde. Ein Gesuch um Gewährung der an der Annakapelle
betindlicben Bronzethür liegt dem Stiftskapitel zur Genehmigung vor.
Die bis zum 24, November d. J. ver^vendeten Kosten belaufen sich auf
17 517 Mark 78 Pfg, Zu bemerken ist noch, dass sSnimtlicbe Arbeiten auf
Vorlage der Kostenanschläge und Pläne vom Stiftskapitel genehmigt und, mit
Ausnahme des Neubaues der Michaelstreppe, nicht im Akkord, vielmehr wegen
nicht vorauszusehender Ausdehnung im Tagelohn ausgeführt worden sind.
Gleichwohl ist es durch sorgfÄltige Kontrole der Tagelöhne und der verwendeten
Baumaterialien gelungen, solide Arbeiten mit verhältnismässig sparsamer Aus-
rabrung zu verbinden.
Die Arbeiten, die nun noch für die äussere Eestanration des Mtlnsters
atiBsteben und hoffentlicb im nächsten Jabre vollendet sein werden, beziehen
sieh auf die Fa^ade des alten Kapitelsaales gegen den Domhof, auf das Dach
der Krenzkapelle und auf den für den Garten des Quadruras im Kreuzgange
in Aussieht genommeneu Brunnen. Wegen der Restauration der Fa^ade des
allen Kapitelsaales und des Daches der Kreuzkapelle ist die Genehmigung des
Stiftskapitels bereits erfolgt. Die von Herrn Professor Frentzen entworfenen
Zeiehnungen des Brunnens sind der geistbehen Behörde und dem Ministerium
vorgelegt worden und sind von der ersteren bereits genehmigt worden.
206 Bericht über die Thäti.srkeit der Provinzialkommission
Der Vorstand bat, wie im Beriebt ttber das Jahr 1895 mitgeteilt worden
ist, in der Sitzung vom 1. Dezember 1895 einer aus den Herren P. Stephan
Beissel S. J. in Exaeten^ Kanonikus M. Göbbels in Aachen, Domkapitular A.
Schnütgen in Köln, Wirklicher Staatsrat Dr. A. von SwenigorodskoX, zur
Zeit in Aachen, bestehenden Kommission von Sachverständigen den Auftrag
erteilt, die fär die bildnerische Ausschmückung des Oktogons passenden Dar-
stellungen zu bezeichnen. Geheimrat Loersch in Bonn hatte es übemonmien
den Meinungsaustausch zwischen den Kommissionsmitgliedem zu vermitteln und
ihre Beratung zu leiten.
Die Mitglieder der Kommission haben zunächst ihre Anschauungen in
schriftlichen Gutachten niedergelegt und nach eingehender Besichtigung des
Oktogons und eines dort angebrachten, den Papst Leo III darstellenden Kartons
am 3. Januar 1896 mündliche Beratung gepflogen, an der Herr von SwenigorodskoX
eines Unwohlseins wegen nicht Teil genommen hat. Es wurden von den
Anwesenden die folgenden Beschlüsse einstimmig gefasst.
1. Jede Aenderung der in der Kuppel vorhandenen Darstellung der
Maiestas Domini mit den 24 Aeltesten wird als ausgeschlossen angesehen. Das
Innere des Oktogons ist als eine dem Räume einer Concha zu vergleichende
Einheit aufzufassen und muss deshalb auch einen einheitlichen Bilderkreis
erhalten.
2. Die noch anzubringenden Darstellungen sind demnach zu der in der
Kuppel vorhandenen in Beziehung zu setzen, haben daran anzuknüpfen und
den darin enthaltenen Gedanken weiterzuführen im Sinne des Bilderkreises und
des Stiles der karolingischen Zeit, deshalb sind ausgeschlossen:
a) die in einem älteren Gutachten vorgeschlagenen, den verschiedensten
Zeiten und Ländern angehörigen Königsiiguren. Hierbei ist zu bemerken,
dass das im Westbau hinter dem Königsstuhl auf dem Hochmünster ge-
legene Gewölbe als der den Erinnerungen an Karl den Grossen und das
Königtum ausschliesslich zu widmende Raum angesehen werden muss.
b) alle alttestamentarischen Persönlichkeiten^ die auch in keinem der als
Vorbilder zu benutzenden Bilderkreise vorkommen. Die in S. Vitale
befindlichen alttestamentarischen Darstellungen haben nur die Bedeutung
von Vorbildern, lieber die Deutung einer von Manchen für Propheten
gehaltenen Serie von zweimal 16 Pei-sonen in S. ApoUinare nuovo daselbst
herrscht grosse üngewissheit. Jedenfalls würden die unmittelbaren Be-
ziehungen zur Maiestas Domini fehlen. Die Gewölbe des obem Umgangs
bieten die geeigneten Plätze für die Anbringung von Persönlichkeiten
des alten Bundes.
c) alle nachkarolingischen Persönlichkeiten, da deren Berücksichtigung zur
Zeit der Errichtung des Münsters selbstverständlich unmöglich gewesen
wäre.
3. Der fUr die Aufnahme bildlicher Daretellungen zur Verfügung stehende
Raum besteht lediglich aus den im Tambour der Kuppel neben, über und unter
den acht Fenstern vorhandenen Flächen. Es ergeben sich, abgesehen von den
rSr die Dpnkmalpflpgp in der Itheinprnvinz. 207
Kctimalen Flachen über und unter den Fenstern, neben jedem Fenster z«ei
gröfsere WanilstUcke, die sich nach unten bis zn dem die grossen Pfeiler iu
der Mitte teilenden Kämpfcrgesinis crstreL-keti. Diese 16 Flächen gcwfihren
nnr die Mn^^Uebkcit, neben jedem Fenster Kwei, in ihrer GrHsse zn den in der
Kuppel vorhiindcnen Ucslnlten iia»gcndc Stnndfignrcn anzubringen. Es sind
somit 16 Gestalten auszimjlhlen.
4. Die vorhandene Maicstas' Domini <?rheisebt nnter allen Umstünden die
Aiibriiigang der beiden bevorzngten, durch die altchristlichc Kunst eingeführten
Thronaesistentcn des Herra. Es sind somit die h. Jungfrau und S. Johannes
Baptist» rechts und links von der Fensteröffnung direkt unter die Christusägur
zu stellen und ihnen haben eich auf den beiden zunächst folgenden Mauerflächen,
gemäss demselben alten Kanon, die beiden Erzengel: Gabriet (der Bote des Heils),
Miebael (der üeberwinder des Satans) anznsebliessen.
5. Es sollen zu den Fflssen Marias Karl der Grosse, zu den Füssen des
Täufers Papst Leo III in knicender Stellung und als lebende Persönlichkeiten
gedacht (deshalb etwa mit dem viereckigen Nimbus versehen) angebracht
werden, um die Erinnerung an den Consckrator und an den Erbauer der Pfalz-
kapelle an bevorzugter Stelle wachzurufen. Ale Vorbild fllr diese Darstelluugeu
sei auf das bekannte Mosaik des Triklininnis vom Lateran verwiesen. Die
hierarchische Stcllong des Papstes wttrde zwar Anbringung seines Bildes auf der
Evangelienseite bedingen. Es ist aber im vorliegenden Falle Karl der Grosse
als Stifter der Kirche, die er der Muttergottes geweiht hat, m Füssen Marias
am^nbringen.
6. Zur Aussehmfickung der übrigen Wandflächen sind im weitem An-
Bchlnsa an die unter 4 genannten Gestalten verschiedene Figuronkreise denkbar.
Als statthaft erscheinen
tt) die ZwOlfzabl der Apostel als der Haupt vcrkUndiger der Heilsbotschaft,
h) je zwei Vertreter der durch das Missale und das Brevier anerkannten
sechs Hedigengmppen : Apostel, Märtyrer, Bekenner bischöflieben nnd
nichtbischöflieben Charakters, Jungfrauen und Frauen,
c) ein Kreis von heiligen, der vorkarolingischen Periode angehörigen Männern
und Frauen, die um die Einfithrung des Christentums im fränkischen
Reiche sieh besondere Verdienste erworben haben.
Von diesen drei ßilderkreisen empfielilt sich der unter a) genannte, weil
er als der klarste , einfachste und gemeinverständlichste , ehrwürdigste er-
seheint. Er entspricht auch zusammengenommen mit der Haupttigur der Kuppel
und den unter Nr. 4 genannten Figuren im Wesentlichen der iu der byzan-
tinischen Kunst vielfach vertreteneu sog. grossen DeSsis.
Gegen die Anbringung sämtlicher Apostelgestalten sprechen jedoch
einzelne Gründe. Diese Figuren gleichen sich sehr, da eine Charakterisiernng
der einzelnen Apostel durch die erat in der späteren Kunst angewandten In-
Bignien in karoliugischer Zeit ausgeschlossen ist. E£ fehlt in einem gewissen
Maaasc die für den Künstler notwendige Darstellbarkeit. Es würde aber
auch unterhalb der schon sehr monoton wirkenden Reihe der 24 Aeltesten eine
208 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
neue Reihe von nnter sich fast gleichen und jenen wiederum sehr ähnlichen
Figuren entstehen und den Eindruck der Monotonie gewaltig verstärken. Ausser-
dem ist bei der Aufnahme aller Apostel eine Beziehung der Figuren auf den
Ort und die Gegend, wo sich die alte Pfalzkapelle befindet, ganz ausgeschlossen.
Abgesehen von den hier aufgezählten Bedenken, muss aber doch die Anbrin-
gung der zwölf Apostelgestalten als eine zwar etwas schwielige, aber doch
durchaus statthafte und korrekte Lösung der Frage angesehen werden. Es
erscheint aber wohl richtiger, auf die unter b) und c) aufgeftlhrten Bilder-
kreise zurückzugehen, gegen deren ikonographische Zulässigkeit vom Stand-
punkte der Kunstgeschichte Bedenken nicht erhoben werden können. Dass
es erlaubt ist, neben die Maiestas auch Spezialheilige zu setzen, beweisen
manche alte Mosaiken wie in S. Vitale zu Ravenna, wo im Chor neben dem
thronenden Heiland ausser den beiden Engeln der h. Bischof Ecclesius und
der h. Vitalis erscheinen.
Es werden die folgenden Reihen von einander gegenüberliegenden Figuren
vorgeschlagen:
1. Maria 2. Johannes Bapt.
3. Gabriel 4. Michael
5. Petrus 6. Paulus
7. Jakobus Mai. 8. Thomas
9. Stephanus 10. Leopardus
11. Servatius 12. Hubertus
13. Georg 14. Quirinus
15. Odilia 16. Gertnid v. Nivelles.
Die Wahl der Apostelfürsten erscheint selbstverständlich. Bei den übrigen
Figuren waren als besondere Umstände ausschlaggebend: die Verehrung in der
Aachener Gegend und im fränkischen Reich (7: Jakobskirche zu Aachen in
der Tradition auf Karl d. Gr. zurückgeführt — der Wallfahrtsort zu Com-
postella — 13 und 14: S. Georg und S. Quirin hatten Kapellen im Atrium
des Münsters), das Vorhandensein von Reliquien im Münster (8, 9, 10 — bei
dem h. Stephanus kommt vor allem das berühmte vorkarolingische, zu den
Krönungsreliquien gehörige Kästchen in Betracht, auf dem noch im 15. Jahr-
hundert wichtige Eide der Aachener Bürgerschaft abgelegt worden sind; vergl.
Kessel, Gesch. Mittheilungen S. 159. Dieses Kästchen dürfte neben dem
Heiligen oder in seinen Händen bildlich dargestellt werden. — Von dem Mär-
tyrer Leopardus bewahrte die Pfalzkapelle den ganzen Leib; die zu seinem
Sarge gehörige alte Inschrift wurde bei den Nachgrabungen in den vierziger
Jahren gefunden ; vgl. K r a u s , Christi. Inschriften), die Beziehung zur Lütticher
Diözese, der Aachen früher angehörte (11, 12), die Beziehungen zur fränki-
schen Königsfamilie und zum fränkischen Reich (15, 16).
7. Die 16 Figuren sind so anzubringen, dass sie auf einem in gleicher
Höhe mit der unteren Linie der abfallenden Fensterbrüstungen liegenden Boden
zu stehen scheinen. Unter dieser Bodenlinie ergeben sich somit noch nach
unten 16 weitere zwickelförmigc Flächen. Zwei dieser Flächen werden aus-
für die Denkmalpflege in der Rheinprovinz. 209
gefüllt durch die knieenden Figuren Karls d. Gr. und Leos III (vergl. oben
Nr. 5), auf den übrigen sind innerhalb passender Ornamente 14 Medaillons
mit Brustbildern anzubringen, welche folgende Heiligen darstellen sollen:
(1. Karl d. Gr.) (2. Leo III)
3. Remigius 4. Arnulfus v. Metz
5. Bonifatius 6. Gregor v. Tours
7. Willibrordus 8. Ludgerus
9. Aegidius abbas 10. S. Amoldus (der Harfner).
11. Lioba 12. Ida
13. Chlotilde 14. Plectrudis
(oder Radegundis)
15. Genovefa 16. Irmina.
Es sind dies Heilige, die, zum Teil den Königsfamilien der Merowinger
und Karolinger angehörend, für die Ausbreitung des Christentums im fränki-
schen Reich, namentlich aber in dessen ripuarischen Teilen grosse Bedeutung
haben.
8. Bei jeder Figur ist der Name in grossen Buchstaben und in der
zur karolingischen Zeit noch üblichen Weise des üntereinanderstellens anzu-
bringen.
9. Es sind zwei Inschriften anzubringen:
a) die eine kann entweder zur Trennung des Tambours von der Kuppel
dienen und somit unterhalb der Figuren der Aeltesten ihren Platz finden,
so dass unmittelbar unter ihr die 16 grossen Standfiguren zu stehen
kommen — oder unterhalb der Fensterbrtistung angebracht werden. Rings
umherlaufend soll sie einen zweckmässig ausgewählten Spruch von allge-
meinerer Bedeutung enthalten.
b) die andere ist in roter Farbe unterhalb des mächtigen, die unteren von
den oberen Bogenstellungen trennenden Kranzgesimses auf die Mauer zu
malen. Sie soll die von Einhard erwähnte mit den Worten „Karolus
princeps" endigende völlig beglaubigte Inschrift wieder herstellen, deren
Wortlaut zu rekonstruieren sein wird. Vgl. Einh. Vita K. m. Cap. 32
(Jaff(6, Mon. Car. p. 537): Erat in eadem basilica in margine coronae,
quae inter superiores et inferiores arcus interiorem aedis partem ambie-
bat, epigramma Sinopide scriptum, continens, quis auctor esset eiusdem
templi; cuius in extremo versu legebatur: Karolus princeps. Ausser den
beiden letzten Worten haben auch die Worte auctor und templum
sicher in der Inschrift gestanden, für deren Abfassung im Sinne der
Zeit die Vorbilder in den Poetae minores Carolini aevi der Monumenta
Germaniae zu benutzen sind.
10. Die oben aufgezählten Figuren mit den sie umgebenden Ornamenten,
sowie die unter Nr. 9 a angeführte Inschrift sind in Mosaik herzustellen. Dies
ergiebt sich mit zwingender Notwendigkeit aus dem Vorhandensein der Kuppel-
mosaik und aus dem Zustand des Oktogons. Neben dem Kuppelmosaik würde
Jahrb. d. Vor. ▼. Alfeerthsflr. im Rheinl. 108. 14
210 Bericht über die Thitigkeh der ProviiixialkoimBiaBioii
jede Art ron Malerei und Vergoldmig TdlUg wirkimgdoß bleiben nod der dn-
heltliehe Charakter des Bauwerks aufgehoben werden. Der notorische Znstand
des Mauerwerks des Oktogons« welches die Feuchtigkeit in stärksten Maaase
anzieht und festhält, gefiihrdet aber auch jede Art von Malerei und die Ver-
goldung aufs Aenaserste. so dass sie nur auf kurze Zeit erhalten bleiben würde.
Es kann unmöglieh ein Wandschmuck mit grossen Opfern hergestellt werden,
der gar keine Dauer verheisst.
11. Die jetzt Torhandene Lichtmenge muss in ihrem ToDen Bestände
erhalten werden, wenn der Bilderschmuck sichtbar und die Bointznng too
Gebetb&chem in der Kirche möglich bleiben soll. Es ist daher ron der An-
bringung Ton Bronzegittem in den Fensteroffiiungen abcosehen« diese sind
Tiefanehr mit schmiedeeisernen Umrahmungen und hcDer Grisailleverglasung zu
schliessen, bei der höchstens schmale farbige Binder, Sinme und Zwickelstfieke
in Anwendung kommen dfirften.
Herr Dr. von SwenigorodskoT hat sich in zwei schriftlichen Gntachtoi
dahin ausgesprochen, dass die Darstellung der sog. groesoi Deesis, wof&r das
Reliquiar des h. Holzes im IXomschatze zu Limburg a. d. Lahn dn naheliegendes
Beispiel biete, aus dem Grunde vorzugsweise zu empfehlen sei. weil 1. dadurch
eine einheitliche Idee zur Veranschaulichung gelange, 2. sie ach streng im
Ideenkreise der karolingischen Zeit bewege, und 3. es nicht nötig sei, Figuren
in den Crklus hineinzuziehen, die in keiner oi^anischen Verbindung mit dem
Mittelpunkte des Ganzen, der Maiestas I>omini, und den fibrigen Figuren
ständen. Damit aber die 16 vorhandenen Flachen ohne imoingi^nische Ein-
sehiebung ausgefällt würden, und um die monotone Reihe der Apostel zu
unterbrechen, sei noch je nach dreien der^lben ein symbolisches Zeichen —
etwa Palmbaom. Taube, Phönix, Hirsch am Wasser u. dgl. — einzuschieben.
Durch die Beschlüsse des ökomeDiseheD Coneils von Xiziui sei nicht nur der
ikonographische Typus der einzelnen Figuren fixirt, sondern auch gerade im
Gegensatz zu der vordem in der Kunst vielfach herrschenden Willkür der An-
schauungen die Znsammenfassung der Einzeltiguren zu bestimmten, von einer
einheitliehen Idee getragenen Cyklen in bindender Weise festgestellt worden.
Die voniehmste dieser Zusammenfassuniren bilde aber die sog. grosse Deesis.
Es unterliege auch keinem Zweifel, da<5s die envähnten Concilbeschlüsse von
den ausführenden Künstlern des achten Jahrhunderts als durchaus maassgebend
angesehen wonleu seien. Gegenwärtig seien aber dieselben künstlerischen
Gesetze zu befolgen, wenn es sich um eine Restauration des Aachener Münsters
im Geiste der Zeit seiner Entstehung handele.
Auf Grund dieser Gutachten hat der Vorstand, namentlich gestützt auf
die in erster Reihe auch von der Begutachtungskommission entwickelten Grtinde,
die Ausführung der gn^ssen Dei^is einstimmig beschlossen. Dieser Beschluss
ist in Uel>ereinstimunuig mit ilem Beschlüsse des Stiftskapitels auch von dem
hochwürdigsten Herrn Kardinal und Erzbischof mit der Maassgabe genehmigt
worden, dass die Api>stel in der Reihenfolge des Missais sich Johannes dem
Täufer und dem nebenstehenden Erzengel anzuschliessen haben, und dus der
für die Denkmalpflege in der Rheinprovinz. 211
ausfahrende Kttnstler zur Beschränkung allenfallsiger Monotonie in der Dar-
stellung der Apostel bei deren Gewändern die Farben gemäss Apocal. Cap.
XXI, 14, 19 und 20 anwende.
Auch der Herr Kultusminister hat zu der erwähnten Darstellung mit der
Maassgabe seine Zustimmung gegeben, dass von einer genauen Nachahmung der
Figuren des Limburger Reliquiars abgesehen werde und letzteres dem Künstler
nur als Anhalt für seine Arbeit diene, und dass der von Professor Schaper zu
fertigende Entwurf zur Vorlage an Allerhöchster Stelle eingereicht werde.
Hierauf hat der Vorstand des Karlsvereins Anfangs November 1896
Herrn Professor Schaper den Auftrag erteilt, innerhalb 4 Monaten 1) 2 Axen
(4 Figuren) in Farbe und im Maassstabe von 1 : 10 ans dem genannten Cyklus
zu entwerfen, 2) eine dieser Figuren unter Darstellung in Farben in natürlicher
Grösse zum Aufhängen an Ort und Stelle anzufertigen und 3) einen Durchschnitt
— womöglich perspectivisch — im Maassstabe 1 : 50 zur Darstellung der Ge-
sammtwirkung zu liefern.
Die Kosten der Ausführung dieses Teiles des Münsterschmuckes sind
durch den vorhandenen Vermögensbestand gedeckt. Dagegen fehlen fast alle
Mittel zur würdigen Ausschmückung aller übrigen Teile des Münsters. Dieser
Umstand hat den Vorstand des Karlsvereins im Einvernehmen mit dem Stifts-
kapitel veranlasst, am 21. April 1896 bei den Herren Ressortministern das
Gesuch um die Erlaubnis zur Veranstaltung einer Lottene einzureichen und
dieses Gesuch damit zu begründen, dass die bedeutenden Mittel, welche bisher
schon im Gesammtbetrage von mehr als P/4 Million Mark durch Allerhöchste
Geschenke, durch das Stiftskapitel, durch die Stadt Aachen, durch die Provinz
und durch Beiträge und Geschenke von Vereinsgenossen und Privatwohlthätem
beschafft worden sind, nahezu erschöpft seien, dass es aber nicht unbillig er-
scheinen könne, wenn zur würdigen Herstellung des für die weitesten Kreise
so ehrwürdigen und bedeutungsvollen Aachener Kaiserdoms auch weitere Kreise
herangezogen würden, was aber erfahrungsmässig nur durch eine Geldlotterie
erreicht werde.
Auf dieses Gesuch war ein Bescheid bis Ende 1896 noch nicht einge-
gangen.
Der Karlsverein hatte im Jahre 1896 1402 Mitglieder. Da in diesem
Jahre das im letzten Berichte erwähnte Allerhöchste Gnadengeschenk von
M. 15000 ebenso wie die von der Provinz zugesagte Jahresrate von M. 11 000
zur Auszahlung gelangt sind, stiegen die Einnahmen auf M. 42 710,87. Die
Ausgaben betrugen M. 18 069,68, wovon M. 17 517,78 für Bauzwecke verwendet
worden sind. Das am 24. November vorhandene Vermögen belief sich auf
M. 123 030,35.
Loersch.
212 Bericht über die Thätigkeit der ProvinzialkommiBsion
2. Aachen. Wiederherstellung der Pfarrkirche zum hl.
Nikolaus.
Die Pfarrkirche zum hl. Nikolaus zu Aachen, ein dreisehiflSger grosser
Hallenbau mit ausgedehntem Chor, wurde im Anfange des 14. Jahrhunderts
als Klosterkirche der Franziskaner errichtet und verblieb dieser Bestimmung
bis zur Aufhebung des Klosters im Jahre 1802. Sie war mit den an der Nord-
seite liegenden Kloster- und Sakristeibauten verbunden. Im Laufe der Zeiten
ist die Kirche mehrfach restauriert und umgebaut worden, wobei die 1390
vorgenommene Vergrösserung des Chores am wichtigsten ist. — Bei dem grossen
Stadtbrande im Jahre 1656 brannte das ganze Kloster und das Kirchendach
ab. Hierdurch wurden ganz besonders die Nordseiten der Kirche, weil hier
die Klosterbauten lagen, durch das Feuer beschädigt. Da damals bei dem
gleich vorgenommenen Wiederaufbau des Klosters und der Wiederherstellung
der Kirche die Mittel sehr beschränkt waren, wurden die nötigsten Bauarbeiten
nur äusserst primitiv ausgeführt; das Kirchendach wurde entgegen der ur-
sprünglichen Anlage über alle drei Schiffe einheitlich gelegt und die Sakristei
in anderen Verhältnissen als die alte aber mit Verwendung alter Bauteile als
Baumaterial neu errichtet. Noch sei erwähnt, dass auch an der Südseite des
Chores nach der hier liegenden Grosskölnstrasse hin jedweder verfügbare Raum
durch winzige Wohnhäuschen verbaut wurde, die sich in höchst »unorganischer
Weise um die Chorstrebepfeiler herumlegten, wobei man sich nicht gescheut
hatte, diese Strebepfeiler beliebig wegzuhauen, wenn sie in den Räumen hinder-
lich waren.
Dies war der bauliche Zustand der Kirche, als im Jahre 1876 ein starker
Orkan das Kirchendach vernichtete. Hierdurch wurde die erste Veranlassung
zur gründlichen Wiederherstellung gegeben. Dieselbe wurde umgehend geplant
und erstreckte sich zunächst auf die Neuerrichtung des Daches in seiner ver-
mutlich ursprünglichen Form; das Chordach blieb ausgeschlossen, da es vom
Sturme verschont geblieben und die Baumittel sehr beschränkt waren. Femer
wurden alle Masswerke, mit alleiniger Ausnahme derjenigen von drei Chor-
feustern, die keiner Ergänzung bedurften, sowie die Süd- und Westseite der
Kirche wiederhergestellt. Alle diese Arbeiten würden nach dem Plane des
Kölner Architekten Schmitz von dem damaligen Domwerkmeister Baecker bis
zum Schlüsse des Jahres 1877 vollendet.
Nachdem 1894 nun infolge des Durchbiniches einer neuen in nördlicher
Richtung am Chor vorbeiführenden Strasse, der sog. Minoritenstrasse, und durch
den hiernach notwendigen Abbruch aller die Kirche nach dieser Seite hin ver-
deckenden hässlichen Anbauten das Chor und die ganze Nordseite der Kirche
freizuliegen kam, entschloss sich der Kirchenvorstand nunmehr auch die bereits
im Jahre vorher geplante Restauration aller dieser Teile sofort vorzunehmen
und gleielizeitig damit die an der Nordseite liegende baufällige Sakristei sowie
den ebenfalls baufälligen aus dem 17. Jahrhundert stammenden Kreuzgangs-
flügel neu zu ci-setzcn. Alle diese Arbeiten wurden in den Jahren 1894 — 96
ausgeführt.
fUr die Denkinalpfl«^ in der Rhelnprovina.
214 Bericht über die Thätisrkeit der Provinzialkommission
O'
Näheres über die alten niedergelegten Bauten siehe : Aus Aachens Vorzeit
(Mitteilungen des Vereins für Kunde der Aachener Vorzeit) Jhrg. 1895, S. 92 ff.
Die Wiederinstandsetzung der alten Fa^aden war stellenweise eine recht
schwierige, da das Mauerwerk nur nach aussen regelrecht in Verband gemauert
war, während der Kern an vielen Stellen eine schlecht verbundene Füllmasse
bildete. Da durch die grosse Feuersbrunst im Jahre 1656 aber gerade die
nach aussen liegenden Quadersteine sehr gelitten hatten und stellenweise fast
ganz zu Staub verbrannt waren, diese Steine also durch neue ersetzt werden
mussten, so musste mit ausserordentlicher Vorsicht das Mauerwerk stückweise
abgestützt und neu ersetzt werden. Besonders schwierig gestaltete sich dieses
bei den Chorstrebepfeilem, die in der angegebenen Art gemauert waren und
wie oben erwähnt bei dem Verbauen der Kirche arg geschwächt worden waren.
Hierbei wurde immer nur ein Strebepfeiler allein vorgenommen und zwar erst
die eine und dann die andere Hälfte desselben. Das innen verbleibende alte
Füllmauerwerk wurde vorsichtig, in entsprechenden Zwischenpausen, mit Cement
vergossen. Bei den zur Verwendung kommenden Materialien konnte das an
der alten Kirche verwandte Material, das in der Umgegend von Aachen bei
Herzogenrath gewonnen sein muss, nicht zur Verwendung kommen, da die
heutigen Brüche dieser Gegend kein wetterbeständiges Material mehr liefern
können. Die Bauleitung entschloss sich daher Quader zu wählen, die möglichst
mit dem alten Charakter übereinstimmen und mit den an der bereits restau-
rierten West- und Südseite verwendeten Steinen harmonieren. Da auch bei
dem alten Mauerwerk das Material wechselt zwischen hiesigem Kohlensandstein
und dem eben erwähnten Herzogenrather Sandstein, so wurden auch bei der
Wiederherstellung mit Absicht mehrere Materialien gleicher Güte nebeneinander
verwendet, auch aus dem Grunde, um ein zu glattes modernes Aussehen zu
vermeiden.
Zur Verwendung kamen in den Strebepfeilern Nahesandstein sog.
Rasberger, in den Flächen teils Tuffstein und teils grauer Eifler Sand-
stein. Für die Sockelfläcben wurde belgischer Granit verwendet, der mit dem
früher verwendeten hiesigen Blausteiu im Ansehen ziemlich übereinstimmt. Bei
den Sakristei bauten und dem Aufbau des Kreuzgangsflügels wurde für die
Architekturteile Euville (Kalkstein), für die Masswerke Morlcy, für die Flächen
Tuffstein verwendet.
Die sämtlichen in den Jahren 1894 — 96 ausgeführten Arbeiten erforder-
ten folgende Summen:
A) Wiederherstellung der Chorfa^aden und der Nord-
seite etc. rund 43 000 Mk.
B) Ausbau und Ergänzung des alten Treppenhauses . 3 100 „
C) Neuerrichtung des Chordaches 4 800 „
D) Neubau der Sakristei etc 49 900 „
E) Desgl. des Kreuzgaugflügels 24500 „
F) Verschiedene Reparaturen etc 9 200 „
Summa aller Ausgaben rund 134500 Mk.
IUI' di.' DcTikiiirtliilli><.'o in <\ve lihciiiprovini'.. 215
Diese Ausgaben wurilen in folgender Weise gedeckt:
durch eine Bewüligung des Provinziallandtages in
der Höl3e von 6 000 Mk.
durch Sammlungen des 8t. Niitolaimbauvcrein in der
Pfarre in der Il.ihe von 4000 „
durch Geschenke verschiedener Personen von rund . 8 000 „
durch ein Darlehen der Landesbank von .... 90000 „
(amortisiert und verzinst durch Umlage von 25''/„)
durch ein Privat-Uarlehen von 26500 „
(durch den St. Nikolausbauverein zu verzinsen).
Die Ausfahruiig der Arbeiten lag in folgenden Händen:
1. Wiedßrher8tcllniigs|iian und Entwurf der Neubauten sowie obere uud
s|iezielte Bauleitung Architekt Jos. Bnehkremer, Aachen.
2. Auslllhrung der Bauarbeiten sowie Lieferung aller Materialien, auch
ilcr Hansteiue: Joh. Pet. Raderniacher zu Aachen.
3. AusHlhrnng der Glasmalereien: Firma Biitsfeld n. Jansen, Trier.
4. Bildhancrariteiten, soweit figürlicher Natur: Bildhauer Piedbocuf, Aachen.
Job. Buchkremer.
3, Altenberg. Wiederheretellung und Anssehmiicknng
der CiBtercieuserableikirche.
Im Anscblnss an seine frühere Tliätigkeit und in Befolgung der bei Be-
ginn seiner Arbeiten aufgestellten leitenden Grundsätze hat der Verein auch
in diesem Jahre seine llauptanfgabc in der Wiederherstellung und Ergänzung
der kostbaren Glasmalereien erblickt.
Im Jahresbericht von 1896 konnte berichtet werden, dass die beiden
äussersten östlichen Fenster im nördlichen SeitensL-biff restauriert und dass drei
neue Fenster in Ansehluss an die alten Motive neben ihnen eingesetzt waren.
Seitdem sind die beiden letzten Fenster der Nordseite nach Westen hin her-
(,'estellt worden, und ebenso haben die Westfenster der beiden Seitenschiffe ihre
Glasgemälde erhalten, so dass also jetzt das ntirdliche SeitenschitT vollständig
in dem alten farbigen Schmuck wieder dasteht. Das nach sorgfältigen
Uutersuchnngen der erhaltenen Reste im Anfang aufgestellte Prinzip der all-
mählichen Steigerung der Farbe von Osten nach Westen nmsstc natürlich auch
hier beibehalten bleiben; ausserdem wurde ein leichter Wechsel von kalten
und warmen Tönen in den einzelnen Fenstern angestrebt. Im gleichen Maasse
wie die Farbe sich allmählich von Osten nach Westen steigerte, wurde auch,
genau im Ansehluss an die alten Reste, von Osten nach Westen ein stärkeres
Ilineinsickem von ügUrlicben Motiven in die Ornamente angestrebt : Köpfe,
heraldische Figuren, endlich in dem Mönchslenster, dessen Entwurf mehrfach
abgeändert worden war, ganze menschliche Gestalten. Da die ganze West-
seite der Kirche von dem grossen, fast die volle Breite des Mittelschiffes ein-
316
Bericht ttbcr die Th»tigk«il der Provln^finlkomtiiliisio
nohmeniJcn Westfi'nstcr beberrscbt wird, mnssteu die beiden dies Fcuater flan-
kierenden Scitenschifffeuater ftucli im Ton sich ibm anBcblieseen nnd nntev-
ordnen. Sie giod dei^lialb niif das iiu Mitteifcnster vorberrachende Gelb ge-
stimmt wordeil, aU Gruud ist da« gleichriille dem Mittelfeuater entlehnte grdn-
rote Scbachbrettmusler f-e"'älilt worden. Die Arbeiten sind wie die frilberen
dnrcb den Glasmaler Prol'essör A, [Jnncmanu in Frankfurt a. M. zur vollen
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Fig. 2. AJtenliBTK. nrisnillefeiiMler im Chor.
Znfriedenbeit des AugachusBes nud der etaatlicben Aufsichtsbehörden durch-
geflihrt worden.
Als nächtite Aufgabe wurde die Kestiiuration nnd Ergänzung des growea
Westfensters im» Aiigo gefasst. Das itebt Langttahnen iinifasseude Fenster war
am Sehlnss der letzten gronscn HeHtanrationspcriodc des DomeB in den Jahrca
1864 — 1865 durch das Königliche (Jlasmalerei-Institut in Berlin notdürftig
wiederhergestellt worden. Die beiden äusseren Langhahnon mit ihren vier
rUr di<; Denkmalpflege )u der Hhi^i
217
Heiligenfiguren und ilirea Baldachinen waren hierbei vUllig neu ani^efertigt
worden; im Couronneinent waren auttscr ornauieutalen Resten nur die untersten
Reihen, die musizierenden Engel nud die vier KirchcnvUter erhalten sowie der
den Mittelpunkt bildende grosse Chriälnskopf; die Ilbrigeti Felder waren mit
anfdringlieher farbiger Vevglasung gefüllt, die die harmonische Wirkung des
Fensters aufhob und den ganxfn Eindruck der Westseite von innen erheblich
m
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Fig. 3, AUeoberg. Grisaillcfciister im Clitr.
beeinträciitigtc. Die Vorarbeiten zur Wiederherstellung dieses Fensters, die
dnrch die Kaiser Wilhelm-Gedaclitnisstiftmig ermöglicht war, fallen noch in
das Jahr 1896. Nach mtlndlichen Überlieferungen waren die oberen Teile des
Cooronnements in den sechziger Jahren entfernt und nach Berlin geschafft
worden. Die HotTnungen, in dem alten Schloas zu Glienecke diese Reste wieder
aufzufinden, erwietteu sieb als trügerisch. Die seitens des Hofmarschallanites
des Prinzen Friedrich Leopold von Preiisscn mit dankenswerter Bereitwillig-
318
Bericht über rtie ThJltigkeii (k'r Provinxiulknmmissioi
keit gestattete Nacliforsehnng ergab nur (las Vorliandenaein älterer Seheilten
im sogenannten Klosterbot', die aber nieht aus der Kirche herrührten. Ei*
musste deshalb im Auschluss an die vorhandenen Darstellungen die Neukotu-
position des ganzen AbacbluHBes unternommen werden. Das Programm hierfür
wurde von dem Aiisscbuss mit UntcrstUtzimg von namhaften Autoritäten auf
dem Gebiet der mittelalterliehen Ikonographie festgestellt: um den alten
Christnskopf sollten sieh in den vier Dreipässen Engel mit don Leidenswerk-
zeugen Christi gruppieren \ in den zwei Vierpäseen sollten die Figuren Jobannie
des Tänfers und der Madomia Platz finden. Der .\nftrag wurde mit Zustim-
tnnng der Königlichen Rcgiermig dem Glasmaler Professor Linnemauu erteilt.
Gleieh/.eitig war auch die Wiederherstellung der Fenster im Obergadeu
de» Hanptehores in Angriff genommen worden. Von den sieben Fenstern, die
hier das Chorpolygon erlcuchteteu^ hcsassen fünf noch teilweise ihre alte Ver-
glaaung. aber in ganz ungenügender Weise in den Fünfziger Jahren mit modernen
viel zu hellen Ergäniiungeu vereinigt, die beiden liusueren waren nur einfach
verglast. Ute Wiederherstellung dieser in einfacher Grisaüle ohne starke Farbe
ausgeführten Fenster wurde der Anstalt Schneiders & Schmolz in KiSln Über-
tragen. Die alten Scheiben wurden sorgfUItig gereinigt und mit getreuen Er-
gänzungen in Antikglas vereinigt; der vorhandene Wechsel von leicht bläulich,
grünlich, gelblich uud rötlich augehauehten Scheiben wurde beibehalten and
nachgeahmt. Die beiden Fenster zur Seite erhielten mit ßeuntznng der vor-
handenen alten Motive und in derselben einfachen Zeichnung neue Glasmalereien.
Die Arbeiten wurden während des Winters in der genannten Auslalt mit grosser
Sorgfalt ausgeführt; die Einsetzung der Fenster erfolgte erst im Frühjahr 1897.
Die Zeichnung der Fenster {Fig. 2 nod 3) ist bei aller Soblichtheit von grossei'
monumeutaler Wirkung — bei der Höbe, in der die Scheiben sitzen, muaate
eine mögliehst klare Einteiluug der Laiigbahnen angestrebt werden. Da» wurde
erreicht durch die dentlieh jede Dahn gliedernde geometrische Einrahmung,
die in den einzelnen Fenstern verschieden ist uud doch einen gleicbmässig
ruhigen Eindruck bietet. Ans den geometrischen Gliedern wachsen dann ganz
organisch die Blütter und Ranken hervor, die die edelsten und sehünsten fi-Qb-
gothischen Motive zeigen. Wieder wegen der Höhe der Aufstellung konnte auf
Angabe der Rippen auf den Rlälteni vollslüudig verzichtet werden. Die F>uster,
die denen in Heiligenkreuz am näclisteu verwandt sind, gehören uueh den
letzten Jahrzehnten dcK 13. Jahrhunderts an. Genaue pliotograpluscbe Auf-
nahmen der Fenster, sowie sorgf)illige l'ausen hetiudeu sich im Denkmäler-
arehiv der Rheinprovinz zu Bonn.
Die im Hoehchor uud im nördlichen Querschiff, dem Grafenchor aufge-
stellten Grabdenkmäler der bergiseheu Grafen und Herzöge waren in den ersten
beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, vor allem in den Jahren 1806 bis
11^15 frevelhaft verstümmelt und beschädigt worden; das am weitesten Bildlich
gelegene Grabmal lies Grafen .\dolpli VIII. ij 1S4S) war durch den Einsturz
der südlichen Chorpartie noch liesomlers bei^childigt : die Grabiigur eclbst war
Tollstäudig zertrümmert. Die Wiederherstellung dieser Denkmäler — Ittr
rOr <)ie !) eil km al pflege In der Rhein pro vi
219
die Sc. Mi^jesUit der Kniscr und KAnig die Summe von 9762 M. ans dem
Allerhriclinten Dispositioiisfoiidii bewilligt hatte, war dem Dombildhaner Professor
Fuchs in Köln übertragen worden. Zunächst wurden in Altenberg seibat die
einzelnen in dem Dome und in seiner tJmg:elmng herumliegenden StUeke zu-
sammengesucht und thanliclist /.nsanmiengeBetzt. Die oben genannte liegende
Gestalt des Grafen Adolph VIII. war in nicht weniger nlß 36 kleine Bruch-
stlletce zertrflmmert, nur der Torso, der Kopf nnd die Beine waren In grösseren
Stilekon erhalten. Sodann wnrden nach sorgfältigen Aufnahmen an Ort und
Stelle die Rrnchettlcke nach Köln transportiert, wo sie im Atelier des Professor
Fuchs aiiffe neue zusainmengeBetzt wurden. Die fehlenden Teile wurden znnächst
in Thon hinznmodeUiert nnd dann sorgfältig in feinem Tuff naeligebildet. Bei
den Figuren wnrden alle alten Teile wieder verwendet uud nut den neuen
durch kupferne Dollen und Patentkitt verbunden; ein Nacharbeiten der allen Teile
blieb auegescbloBBen. Die architektonische Umrahmung der Platten war der-
tnassen «ertrllmniert, das» sie gilnzlieh neu angefertigt werden musste. Die
alten Beste wnrden dem Provinzialniuseum in Bonn (Iberwiesen. Die giinzlieb
zcrstörfß Grabplatte des Grafen Adol|)l) VIII., die zu den besten Arbeiten aus
der Mitte des 14. Jh. gehört, ist auf diese Art in mnstergtlUiger Weise wieder-
hergestellt worden (vgl. die Tafel). Bei der WiederherstcUnng des Grabmales
des Erzbischofs Bruno (t 1200), das gleichfalls aus der Mitte des 14. Jh.
stammt, fand sich unter einer Bemalung des 17. oder 18. Jh. die auf Kreidc-
gnind aufgesetzte sorgfältige ursprnngliche Polyehromioning vor. In Anbetracht
dcw grossen kunstgeschichtlicbcn Werte«, die diese Bemalung des 14. Jh. hat,
wurden die Farben sorgfältig aufgenommen uud dann auf neuem Kreidegrund
genau in den Originaltönen wieder aufgesetzt. Ein leichtes Abtönen des ganzen
Grabmales steht noch aus. Die Umrahmungen in Tuff und die Abschluss-
gesimse sowie die Sockel in Draehenfelser Trachyt wurden in dem Atelier
P. Bachems Witwe in Königswinter nach Zeichnungen nnd Modellen des Pro-
fessor Fuchs ansgeführt. Das Grabmal Herzog Gerhards II. (f 1475) wurde
gleichzeitig gründlich renoviert. Die ganze Einfassung in Draehenfelser Trachyt
wurde ernent; die zwölf Erxplatten, die das gravierte Bildnis des Herzogs
trugen, wurden von dem Erzgiesser Louis in Köln durch Abglühen wieder in
die alte Form gerichtet, dann auf vier neuen Sandsteinplatten (an Stelle der
ganz zerstörten alten Sebieferplatte) neu aufgelegt nnd festgeniefet. Die Ar-
beiten werden im Jahre 1897 fortgesetzt.
Clemen.
4. Flatnniersfeld (Kreis Altenkirchen). Restauration nnd
Umbau der evangelischen Pfarrkirche.
Die Kirche, eine frUhromaniBche flachgcdeekte Pfcüerbasilika des II. Jahr-
hunderts von dem ftlr die Rheiidande charakteristischen Tj*pu8, hatte im 15.
und 18, Jahrhundert vcrsehiedene Veränderungen erfahren; im 15. hatte das
nördliche Seitenschiff gotbisehe Masswerkfenster erhalten, das letzte östliche
220 Bericht über die Thiitigkeit der ProTinzialkommiäsion
Joch ein StemgewOlbe mit EngcIskSpfehen aIb Konsolen. Dne sUdlicIic Seiten-
echiff war im 18. Jahrhundort neu aufgeführt.
VeranlasBung zn den Restaurationsarheiten gab der baufällige Zustand
des stidliehen SeiteuBchtffes. Der Chorraiim war dmdi Aufetellnng von Bänken
für die Gemeinde seiner ursprUngticben Bestimmung: entzogen nnd das Mittel-
sehifF durch eine an seiner HtUlwand sich hinziehende Holzgallerie, welche die
seitlichen Rundbogen und zum Teil auch den Triumphbogen verdeckte, verun-
staltet. Es entstand in dem Unterzeichneten der Gedanke, das den Einstui?.
drohende Seitenschiff in einer Weise neu aufzubauen, dass ohne Venninderung
der SitzpUtzc der Chor seiner Bestimmung, als Ällarraum zu dienen, znrllck-
gegebeu und die Holzgallerie beseitigt werden kfinne. Auf Anraten des Ge-
heimen Baurnts Cuno wurde der Architekt Ludwig Hofmann in Herborn mit
Fi{,'. 4. Fliimnicrleld. Orundriss der i!vaugeli»ichen Pfarrkirche,
der AnsAlhrung des Projektes betraut, nach dem das sUdliehc Seitenschiff ab-
gebrochen nud zweistückig wieder aufgebaut werden sollte; in seinem oberen
Teile sollte eine geräumige Empore eingebaut werden, die stldliche .Scheide-
mauer war hierbei zum Teil zu durchbrechen; in den Öffnungen sollten Säulen
aufgestellt werden. In diesem Banplan war ferner die Versetzung der Kanzel
von dem letzten nördlichen Pfeiler an die nördliche Ecke des Triumphbogens
und eine zweckentsprechendere Aufstellung des Gestühlt« im Mittelschiffe vor-
gesehen.
Da die Gemeinde zur Aufbringung der Kosten eines solchen Erneuerungs-
nnd Umbaues aus ihren Mitteln ausser stände war, wandte sich das Presby-
terium mit der Bitte an die KcinigliLThe Regierung zn Coblenz, mit Rücksicht
auf den archäologischen Wert der bestehen bleibenden Gebäudeteile der Ge-
meinde fUr den Ban üntcrstiltzuugeu aus provinziellen und staatlichen Pondg
rür liie DenkmHlpflc^
1 üer Rhejuprnvi
äSt
ZU erwirkeu, Diese Bitte hatte den Erfolg, dasg vom 38. Provinziallandtag
eine ßeibulfe von 4000 M. nnd ane ileui Allerbßclifiten Dispositionsfonds ein
Gnadengeschenk von 3970 M. bewilligt wurden. Nachdem nun die Gemeinde-
vertretung die Anfhringiuig de» Resles der Bankonten durch Kirchensteuer be-
echloHHen halte, konnten die Bauftrbelten dem Unternehmer Lenz in Alteu-
kirchen übertragen werden, der sie in der Zeit von Mitte April bis Ende Ok-
tober vorigen .fahres nach dem oben besehriebcneu Plane dee Architekten
HofiuAnn ausgeführt hat. Die Bauleitung und Anfsicbt wurde von dem letz-
teren, die lirtliche Leitung von dem PreBbyferium ausgeübt.
Der Neubau ist in Keldbramlxiegeln mit reicher Verwendung von wester-
wülder Trachyt-Werketeinen ausgeführt und hat einen ans Kalkmörtel herge-
stellten Verputz erhalten. Fussboden und Decke der Empore zeigen sichtbare
Holzkonstmktion. Das Fnndament der Pfeiler iat durch eine Cementbeton-
sehicht, das Dach des Mittelschiffes durch ein Sprengwerk verstärkt. Alle
ScbUden am Mauerwerk der alten Gebäudeteile sind sorgfältig ansgebessert,
die ursprllngiicfa in der alten Stldfront befindlichen Fcnstermaeswerke wieder-
hergestellt und ini Neuban verwandt, die Chorfeneter mit Glasmalerei versehen.
Ohne Glasmalereien und sonstigen Kirchenschmuck, deren AnBchafTmig durch
Geschenke ermöglicht wurde, haben die Bankoston la Tö9 M. 28 Pf. betragen,
m da»s die Gemeinde ans ihren Mitteln 5789 M. 28 Pf. beisteuern muss. Die
im Plane des Architekten vorgesehene Überwcjibung konnte mangels der nStigen
Mittel vorerst leider nicht zur AnsfQhvung kommen. Immerbin macht das
Innere der Kirche auch jetzt schon zufolge Beseitigung der nuschUnen Iloiz-
gallerie und durch die interessante Verbindung des Mittelschitfs mit der neu-
augebauten .Seitenempore einen harmonischen, würdige« Eindruck.
Pfarrer Berns.
5. 6ode8berg (Kreis Bonn). Instandsetzung der Michaels-
kapel le.
Die Michaelskapelle im Hofe der Vorhnrg der Godesburg soll um das
Jahr 1210 n, Chr. durch Erzbischof Theoilorich von Köln hier aufgeführt worden
sein. Ihr ursprünglicher Standpunkt befand sieh alten Überlieferungen nach
auf der ßergesspitze, wo sieh heute der gewaltige runde Turm der Ruine er-
hebt. Im Jahre 1583 wurde die Kapelle Kwecks Verteidigung der durch die
Bajern belagerten Burg ihres Daches beraubt und dnrch Erdansdlllung zur
Bastion hergerichtet. Später nahm sich im Jahre 1691 Kurfürst Joseph Clemens
des Bauwerkes an nnd liess ihm die heutige Gestalt geben. Das Innere wurde
dnrch den Stuckatenr .loh. Peter Caatelli in den Jahren 1697 bis 1699
reich und Überladen ausgeschmückt. Nur der unschöne Glockenturm über
dem Chor ist eine Zuthat späterer Zeit. Vgl. über das Bauwerk Dick,
Kurze Beschreibung und Geschichte von Godesberg S. 24. — E. Renard,
Die Bauten der Kurftirsten Joseph Clemens und Clemens August von Kliln:
Bouucr Jahrbücher XCIX, S. 182.
222
Bericht über die ThStigkeit der Provin^slolkommission
Das Kirchenschiff ist mit einer beinahe halbkreisfönnigen Tonne, der
Chor unter dem Hanptturm mit einem achtseitigen Klostergewölbe mit oben
eingelegtem kleinen Spiegel überdeckt. Der Grundriss des Kloetergewölbes ist
ein Rechteck, dessen Ecken unter 40** abgestumpft sind. Die GewOlbe sind
mit Stuck verziei-UDgen und Gemälden in Barockstilformen beinahe ganz bedeckt.
Die Wandflächen zeigen, abgesehen von den 3 Barockaltären, keinen architek-
tonischen Schmuck.
Bei seinem Amtsantritt im Jahre 1890 fand der jetzige Pastor der katho-
Fig. 6. Godesberg, Aufriss der Michaelskapelle.
lischen Kirche, Dr. Winter, die Kapelle vollständig verwahrlost vor. Das
Dach war so undicht geworden, dass durch den einströmenden Regen die Ge-
wölbe und Mauern dnrchnässt wurden und Verputz und Stuck sich mehr nnd
mehr lösten und in Stücken herabfielen. Die Langmauem waren am West-
giebel stark ausgewichen, so dass breite Risse entstanden waren.
Aus freiwilligen Gaben der Katholiken und Protestanten Godesbergs in
Höhe von ca. 2400 Mk. wurden die Wände ausgebessert und verankert, das
Dach wurde beinahe ganz neu eingedeckt. Durch den Architekten Karl Hupe in
Bonn wurde sodann ein eingehender Kostenanschlag für die Instandsetzung des
für d'ici Denk mal pflegre in dir Rheiii|)roviiiz. 22:i
IniierPii auBgearbeitel. der mit der Sninnie von 3100 Mk. abHi-liIitgs. Der Pro-
vinzialausaehiiHH der Rliein|n'ovin/. bewilligte dazu in der Sitzung vom 6. März
185*5 eine Beihiitc von 1400 MV.. Die Civtlgeiiieiiiile Gndeabergs beteiligte sich
an den Baukosten mit lOOU Mk. nnd die katbolische Kirchengemeinde mit
filK) Mit. Ea standen hiernach 2900 Mk. für die Reparaturen znr Verfflguug.
Iin KoBtcnaniichlagc waren vorgesehen: I. die In»tandeetzuiig der Gewnibe,
ilircr StuckvcrRiertiugen nnd Geraftlde, 2. In»<taDdKet/.nng der 3 Altäre nnd der
Miuhaelsgruppe im Hochaltar, bestehend aus dem heiligen Michael, einem Bi-
Hchof, einem Hirten und einem Htier, alle Figuren in ca. '/^ LebcnsgröBEC nnd
ferner 3. Herstellung eines Kalkfarbeanatricbes des Kapelleninuern.
Godesberg. Grundriss der Michaekkapelle.
Im Frühjahr 1895 wnrden die Augbesserungen in Angriff' genommen.
Zncret wurde das Schiff eiugerllBtet und mit den Stuck reparaturen und Siehe-
rung des Gewölbes begonnen. Letzteres, wie auch das Chorgewölbe bestehen
ans einer mit ungeschälten Pliesterruthcn benagelten TannenbretterverBchalung,
vrelehe an kreisrund ausgeschnittenen Eichensparren befestigt ist. Zwischen
den FliesteiTUten, welche mit der Rinde an der Schalung anliegen, haftet der
GcwJllbepute uud an diesem die StnckverKierungen. Wo sich die Bretterver-
achalung morsch zeigte, wurde oben auf dieselbe ein Moniergewölbe aufgelegt
nnd an dicscB, oder an anderen Stellen an die noch gnt erhaltene ßrettersehalung
die loBC hängenden Stuckverzierungen mittele Schleifen aus verzinktem Eieen-
draht nufgohnngen. Fehlende Teile de» Stuckes wurden durch Modelleure an
Ort nnd Stelle augetnigen. Umfangreicher gestalteten »ieli die Reparaturen an
224 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
dem Chorgewölbe und seinen Stuekveraierungen. Hier mussten ganze Partien
der Stuck Verzierungen mittels Leimformen abgeformt, neugegossen und an voll-
ständig in Schalung und Sparren erneuerter ünterkonstruktion angesetzt werden.
Die grösste Vorsicht, Geduld und Geschicklichkeit erforderte aber die Befesti-
gung des Putzes der Deckengemälde. Zwei Versuche, den Putz mittels Ein-
spritzung von Wasserglas und von Gipsmilch durch Bohrlöcher von oben aus
an die Schalung zu befestigen, misslangen. Die losen Putzflächen mussten
schliesslich von unten mittels Kleister mit Fliespapier beklebt, vorsichtig mit
dem Spachteleisen abgelöst und mit Gipsmörtel genau an alter Stelle wieder
angesetzt werden. Diese Arbeiten wurden durch den Stuckateur A. Kirchhoff
in Godesberg mit grossem Geschick ausgefllhrt. Nachdem' die Putzflächen
sämtlich gesichert waren, wurde zur Restauration der Deckengemälde geschritten.
Mit dieser Arbeit war der Maler Thiel aus Aachen betraut worden, welcher
die verblassten Farben glücklich nachretouchirte und fehlende Teile ergänzte.
Von der Michaelsgruppe in der Hochaltarnische war nur der heilige Mi-
chael mit dem Drachen schadlos, abgesehen von der etwas abgeschlissenen
Vergoldung. Die drei übrigen weissgestrichenen Holzfiguren waren derart vom
Wurm zernagt, dass sie vollständig enieuert werden mussten. Die Wieder-
herstellung in Holz würde zu teuer gekommen sein, deshalb wurde Stuckateur
Kirchhoff beauftragt, die Figuren abzuformen und in Gipshartguss zu giessen.
Auf diese Weise sind die ursprünglichen Formen treu gewahrt geblieben bei
verhältnismässig geringem Kostenaufwand.
Da die Wände der Kapelle nicht gegen Erdfeuchtigkeit isoliert sind, das
Einbringen einer Isolierschicht in das stark mit Basaltsteinen durchsetzte Mauer-
werk aber zu grosse Kosten verursacht haben würde, wurden im Abstand von
5 cm von den Wänden 3 bis 4 cm starke Cement-Rabitzwände auf 1,50 m
Höhe aufgeführt und oben mit einem Cementgesims abgeschlossen. Auch diese
Arbeit führte der Stuckateur Kirchhoff aus.
Zum Schluss erhielt die Kapelle innen noch einen Kalkfarbeanstrich.
Die Gewölbe wurden mit einem mit Gelb abgestumpften Weiss, die Wände
mit abgestumpftem Gelb und die Altäre in der alten Farbengcbung gestrichen.
Die vier auf Leinwand gemalten Oelgemälde der zwei Seitcnaltäre und
einige ebensolche in Rahmen befindliche und an den Wänden hängende Ge-
mälde des 17. und 18. Jahrhunderts sind durch den Restaurator Carlos Schmidt
renoviert und auf den Rückseiten imprägniert worden. Letztere Arbeit, wie
auch die Herstellung der Rabitz-Cementwände waren nicht im Kostenanschlage
vorgesehen.
Im September 1896 waren sämtliche Reparaturen beendet, die Kapelle
konnte wieder ihrer Bestimmung übergeben werden. Die gesamten Arbeiten
sind unter Leitung des unterzeichneten Architekten ausgeführt worden.
Die Baukosten betnigen für sämtliche Arbeiten 4400 Mk. Der Kosten-
anschlag wurde mithin um 700 Mk. und die vorhandenen Mittel im Betrage
von 2900 Mk. mit 1500 Mk. überschritten.
K. Hupe.
für die Denkmalpflege in der Rheinprovinz. 225
6. Kirn (Kreis Kreuznach). Restauration und Erweite-
rung der evangelischen Pfarrkirche.
Die alte Pancratiuskirche zu Kirn bestand bis zum Jahre 1893 aus drei
Teilen, die dem 13., 15. und 17. Jahrhundert angehörten. Von der romanischen
Basilika stammte noch der Turm mit hohem trapezförmigen Dach über Giebel-
stelluugen, in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts entstanden. Bei dem
Erweiterungsbau um 1467 wurde der Chor in spätgothischen Formen neu auf-
geführt und das romanische Langhaus wurde neu eingewölbt, 1680 und 1750 wurde
dieses restauriert, das Mittelschiff ward hierbei mit einem Tonnengewölbe überspannt.
Bei der grossen Breite und den mangelhaften Widerlagern des Mittelschiffes
hatten sich schon längst Ausweichungen gezeigt. Das grosse Hochwasser des
Jahres 1875 hatte die Mauern der unmittelbar an der Nahe gelegenen Kirche
unterspült und die Fundameute angegriffen, im Jahre 1890 musste endlich die
Kirche wegen der Gefahr des Einsturzes geschlossen werden.
Bei den im Änschluss hieran nötigen Verhandlungen handelte es sich nicht
nur um die Aufhebung des Simultanverhältnisses und die Ablösung von der
katholischen Gemeinde, sondern auch um die Frage, ob die alte Kirche nicht
ganz abgebrochen werden und ob nicht an anderer Stelle eine neue evange-
lische Kirche errichtet werden sollte. Vom Standpunkte der Denkmalpflege
konnte dem nicht zugestimmt «werden. Der mit Netzgewölben, im Chorab-
Bchluss mit einem Sterngewölbe überdeckte schlanke Chor mit seinen feinen
und edlen Profilen, sowie der kräftige romanische Turm mit der anstossenden
Sakristei waren auf alle Fälle beizubehalten. Auf Veranlassung der König-
lichen Regierung und nachdem sich der staatliehe Conservator der Kunstdenk-
mäler, Geheimer Ober-Reg.-Rat Persius, für die Erhaltung ausgesprochen
hatte, entschloss sich die evangelische Gemeinde, der katholischen ihren Teil
für 21 000 Mk. abzukaufen und im Änschluss an Turm und Chor ein aus-
reichendes Langhaus aufzuführen. Die schwierige Aufgabe wurde dem Archi-
tekten Heinrich Wiethase in Köln übertragen, der im Einvernehmen mit dem
verstorbenen Geh. Baurat Cuno ein hohes spätgothisches Schiff mit nur zwei
freistehenden Säulen an die alten Teile anfügte, das sich mit diesen auf das
Glücklichste zu einer originellen durch Reichtum der Silhouette ausgezeichneten
Gruppe vereinigte. Die westlich vor der Kirche vorüber führende Strasse ver-
bot eine weitere Ausdehnung.
Gleichzeitig mit dem Erweiterungsbau wurde die Restauration der alten
Teile unternommen. Am Chor wurden Masswerk und Strebepfeiler ausge-
bessert; die Strebepfeiler wurden unterfangen. Das veränderte Verhältnis
zwischen Chor und Langhaus erforderte eine Erhöhung des Turmes. Auf
das ursprüngliche obere Stockwerk wurde ein neues in den gleichen Formen
mit Wiederholung der gleichen Fenstergliederung gesetzt und auf diesem
wieder die Giebel mit dem Trapezdach aufgebracht. Der Turm ist dadurch
um sieben Meter erhöht worden. Die grössere Belastung des Mauerwerkes
machte aber wieder ein Unterfangen und Verstärken der Fundamente durch
Einziehen eiserner Träger notwendig. Im Inneren wurde am Triumphbogen
Jahrb. d. Ter. v. Alterthaftr. im Rheinl. 108. 15
Ö28 Bericht über die' Thätig^keit der Provinzialkommission
erbauten Archiv- und Bibliothekgebäude am 22. März 1897 übernommen, und
es soll dieselbe den Künstlern zum Studium jederzeit zugänglich bleiben.
Nachdem im Frühjahre 1896 der auf Grund des allseitig genehmigten
Entwurfes ausgeführte Probe- Windfang aus Eichenholz zu einer Seitenthür des
Nordportals aufgestellt war, hat das hiesige Meti'opolitan - Kapitel unter dem
15. Juni 1896 ersucht, wegen anderweitiger Vorschläge zur Gestaltung der
Windfang- Vorbauten im Inneren der Domkirche von einer Fortfühioing der Ar-
beiten nach dem genehmigten Plane vorläufig Abstand zu nehmen. Eine Ent-
scheidung über die nunmehr in Vorschlag gebrachte Ausführung der Windfänge
in Haustein sowie über die in Aussicht genommenen umfangreichen, alle drei
Thüren der Portalwände einschliessenden steinernen Windfang-Einbauten konnte
bisher nicht getroffen werden, da die vom Metropolitan-Kapitel in Auftrag ge-
gebenen Pläne nebst Kostenanschlägen bis zum Schlüsse des Betriebsjahres
1896/97 nicht zur Vorlage gekommen sind.
Voigtel.
8. Kleve. Instandsetzung des Seh wanenturmes in
der Burg.
Auf der Burg zu Kleve, dem Stamm- und Residenzschlosse der Grafen
und Herzöge von Kleve, der grössten Burganlage am Niederrhein, war im
Jahre 1439 der alte Hauptturm, der der Tradition nach auf den Resten eines
Römerturmes stand, eingestürzt. Noch im selben Jahre begann Herzog Adolph
den Neubau, der aber erst im Jahre 1453 vollendet war. Auf der Spitze wurde
das Wahrzeichen der Stadt und das sagenhafte Wappentier der Herzöge von Kleve,
der Schwan, angebracht; — der Turm heisst von jetzt an der Schwanenturm.
Die Burg wurde 1560 durch den Anbau eines neuen grossen Flügels und 1579 — 80
durch die Errichtung der Gallerie durch den Architekten von Pasqualin, 1664
endlich durch Anlage der Arkaden im Hofe und Erbauung eines Zwischen-
traktes unter Kurfürst Friedrich Wilhelm wesentlich verändert und erweitert.
Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Rittersaal abgebrochen, der süd-
östliche Teil des Schlosses (Fig. 8 B und D) 1828 als Untersuchungs-Gefängnis
und Arresthaus eingerichtet und zu diesem Zwecke umgebaut; der nordöstliche
Teil (Fig. 8 A, B, C) dient zur Zeit als Landgerichtsgebäude. Ausführliche
Geschichte und Beschreibung der Burg bei R. Schölten, Die Stadt Cleve,
Kleve 1879, S. 601 und bei Giemen, die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz I,
S. 533.
Das Dach des Seh wanenturmes war bereits im 18. Jahrhundert durch
Brand beschädigt worden. Bei der letzten Wiederherstellung in den zwanziger
Jahren dieses Jahrhunderts wurde die Helmspitze in niedrigerer und verein-
fachter Gestalt wiederaufgeführt; wegen ungenügender Mittel konnte aber der
ursprüngliche Zinnenkranz nicht wieder hergestellt werden, das Mauerwerk wurde
deshalb oberhalb des Bogenfrieses glatt abgeschnitten und die steinerne Brüstung
durch ein Geländer ersetzt.
MpMge iu dt'r RhciuprovinK. 229
Di>r Turii] iKt mit «ehr starken Mauern (untere Mouerstärkn 3,2ö in), in
(Ich AusäcnDitclien teil« in Tuffsteinen, teils in Zie^elateiuen mit Eckeinfa&^uiij^cn
von Sanilslein aiirgefilhrt und bestellt ans einem Erdgeschoss und 7 Stock-
werken. Von dum 5. Stockwerk führen drei Stnfcn auf den "beron Umgang.
Unterhalten wird der Turm teils vom Landgericht, teils von der Arresthann-
Verwftltnng.
Im Laufe der Zeit war der Sehwanenturm so schadhaft geworden, daes
eine gramlliehe Ausbesserung nnvenneidUcli war. Der Zustand des Mancr-
Werks an der Südwestecke des Zimieiikranzes und unter dem Wehrgaiig schien
iurolge der verwitterten KouBolen bedeuklich, die Tuffsteine waren stark vcr-
Fig. ^. [Kleve. OmndrisH des Schlossps.
wittert und wie die Putzflächen auf deu Ziegelsteinen ahgeblättcrl. Auch
waren die Fenstereinfassungen aus Sandstein sehr schadbaft und die hfilzerneu
Zifferblätter au den 4 Tunnseiten fast gänzlich angefault, so dass eine Er-
Doneruuß dieser Teile unbedingt notwendig wurde. Die Untersuchung de«
Daches ergab, dass das llolzwerk der obersten Spitze der Laterne, namentlich
an deu Verbindungsstellen sehr angefault war und so stark schwankte, dasa
Gefahr vorhanden war, dass die Spitze vom Sturm abgcwcht werden würde.
•Um einem Unfall vorzubeugen, wurde die Spitne iin Jahre 1888 abgeuommen
nud durch ein Notdach ersetzt, damit der Unterbau gegen Witternngseinflflsse
gewhutzt wurde. Zugleich wurde von dem Krcisbüuinspeklor, Haurat RadholT,
230 Bericht über die Tbätlgkcit der ProvinziAlkonuniSHioii
aber die Erneuernng der Turmspitze ein erster Kostenanechlag aufgestellt, dem
bis zum Jahre 1893 noch mehrere folgten, die Bich der E^rsparais halber aber
lediglich auf die Erhaltung der Substanz bezogen. Von der Königlichen Re-
giemng in Dttsseldorf wurde dem Minieterinm der Öffentlichen Arbeiten der
Vorschlag unterbreitet, dem Turm bei seiner Erneuerung müglicbst annähernd
seine frühere Foi-m wieder zu geben. Im Ministerinm der Öffentlichen Arbeiten
wurde daraufhin eine Skizze angefertigt, nach der aber nur die Wiederher-
stellung der alten Turmspitze und die Erneuerung des unteren Zinnenkranzes
Fig. 8. Kleve. Ansicht des Schlosses.
in Aussicht genommen waren, von der Ausführung des oberen Zinnenkranzes
nnd der Wiederherstellung der EcktUrmchen war ganz Abstand genommen.
Nachdem der Conscrvator der Kunstdenkmäler, Geh. Ober-Eeg. Kat
Persius in einem Gutachten vom 14. August 1892 betont hatte, dasa wegen
der hervorragenden Bedeutung des Schlosses und seiner Beziehungen zum
preussiscbcn KOiiigshause, sowie wegen des lebhaften Interesses der Bewohner
von Kleve und der ganzen Landschaft an der Instandsetzung des Turmes die
Wicderhei-stcUung des früheren Zustande» mögliehst angestrebt werden möchte,
traten der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten und der Herr Justizminister •
dieser Anschauung bei nnd so erhielt der Kreisbauinspektor den Auftrag zur
Aufstellung eines neuen Kostenanschlages, der am 10. Februar 1893 der KOnig-
für die Denkmalpflege in der Bheinprovinz. 231
liehen Regierung zu Düsseldorf eingereicht wurde und mit einer Summe von
24000 M. abschloss. Zur Ausführung von Entwurfsarbeiten war dem Kreis-
Banbeamten der Regierungsbaumeister Kerstein überwiesen worden. Am 17.
und 18. Mai 1893 fand eine eingehende Besichtigung des Schwaucnturmes
durch den Geheimen Oberbaurat Nath als Kommissar des Herrn Ministers
der öffentlichen Arbeiten unter Beteiligung des Reg.- und Baurats Hasenjäger,
des Kreisbauinspektors Radhoff und des Regierungsbaumeisters Kerstein statt,
bei der folgende Hauptpunkte für die Ausführung festgesetzt wurden:
1. Die Bogenfriese einschl. der Übermauerung sind aus Ziegelsteinen zu
erneuern.
2. Die Brüstungen sind dem Anschlage gemäss von Werksteinen herzu-
stellen und zwar ist für die Abdeckungen ein besonderes wetterbeständiges
Material zu verwenden.
3. Für den Belag des unteren Wehrganges sind statt der Thonplatten
möglichst grosse Platten von Basaltlava zu wählen.
4. Die Ableitung der Niederschlagswasser sollte, wie bisher, durch Abfall-
rohre erfolgen.
5. Die Brüstung des unteren Wehrganges sowie die obere Krönung sind
zu verankern.
6. Für die Ausführung der Herstellung der beiden Brüstungen ist eine
feste Rüstung mit Schwenkkrahn auf dem unteren Wehrgange zu errichten.
An diese wird die fliegende Rüstung, welche zu der Instandsetzung des unteren
Tunuteiles notwendig ist, angehängt.
7. Die an allen 4 Seiten vorhandenen Zifferblätter der Uhr sind ans
Holz zu erneuern und zu bemalen.
Am 1. Juli 1893 wurde der Vertrag über die Herstellung der Rüstungen
und Ausführung der Maurerarbeiten mit dem Maurermeister Karl Ihnc zu Kleve
vereinbart. Gleichzeitig gelangte die Lieferung der erforderlichen Haustein-
arbeiten zur Ausschreibung. Im Oktober 1893 war der Turmhelm fertig aufgestellt
und am 17. desselben Monats erfolgte die Wiederaufbringung des Schwanes, des
Wahrzeichens von Kleve, unter grosser Beteiligung der Bürgerschaft und unter dem
Klange der Militärmusik. Alsdann wurde mit der Aufmauerung der Krönung begon-
nen. Nachdem durch Aufstellen des Gerüstes eine nähere Untersuchung des Mauer-
werks ermöglicht war, ergab sich, dass die ursprünglich beabsichtigte Beibe-
haltung der ausgekragten Ecken, welche den Unterbau der Eckttirmchen
bilden, ganz unmöglich war. Zu den Verzierungen, Bogenteilen, wie auch
teilweise zu den Mauerflächen waren Tuffsteine in kleinen vorgeblendeten
Stücken verwendet, welche trotz der unverkennbaren, bereits in früherer Zeit
vorgenommenen Ausbesserungen allenthalben verwittert waren. Die nach dem
Anschlage beabsichtigte einfache Ergänzung bezw. Erneuerung der schadhaften
Stellen envies sich als nicht ausführbar, um so mehr, als das Mauerwerk seiner
ganzen Beschaffenheit nach nicht mehr fest genug erschien, um die vermehrte
durch den Aufbau der Ecktürmchen bedingte Last, welche im wesentlichen
von den Kragsteinen aufzunehmen war, mit Sicherheit zu tragen. Es musste
Bericht über die Thftti^keit der ProvinztalkominiBBion
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Vi^. 9. Kiew. IXt Sclivan«uninn vor imd nach der WtedeitaaslcOBi^.
für dici DciiknmlpHojfo in der Rlioiiiproviun. 333
ilabcr eine vutlätändige Ememirting der E<Tken Platz greifen, auch muasten die
Kragsteine von Basaltlava nnd Traclij't, deren Köpfe stark verwittert waren,
xnm Teil enienert werden. Die vorgeseliene einfache Ringverankernnp schien
unter den gegebenen TJnigtfindcn nicht ausreichend xii sein, so daes die Ban-
leitnng fticli enIsehlosH, durch Ausftllinng der Ecken eine stürkere Belastung
der einbindenden Steine herbeizuführen, damit hei etwaigem Abspringen eines
Kragsteinkopfea der Gefahr des Kippens unter allen Umständen begegnet
wnrde. Unvorhergesehene Sehäden nnd Mängel hatten sieh auch an den Holx-
teilen der Laterne und der Krenzhalkenlage ergeben, auf welche die Laterne
aufgesetzt ist, so daas deren vollständige Erneuerung unvermeidlich wnr. Das
Ziegdsteinmauerwcrk tlber den Bogenfriescn niussfe in erheblicherer Menge, als
angenouimen war, abgetragen und erneuert werden, so dass die ausgeworfene
Suinme von 24000 M. fllr alle diese Melirarbeiten bei weitem nicht reichte.
Es war daher die Anfstellung eines Naehansehlages vom 10. Mai 1894 erfor-
derlich, die Gesamtkosten belicfen sich nach diesem auf 36500 M., ao daBB
noch 12500 M. zur Verfügung gestellt werden nmasten.
Da das Sfauerwerk abwechselnd Kilpfe und Läufer zeigte, so war ange-
nommen, dnss einzelne Binderseh ichten in den aus Ziegelsteinen hergestcllteu
Mauerwerkskem einbinden würden. Das war jedoeh nicht der Fall. Die
Binder waren höchstens bis zn '/, Stein lang und stiessen hart an das Ziegel-
manerwerk, während die weiteren Fugen /wischen den Läufern und dem Kem-
mauerwerk mit Mrtrtel und Steinbrocken ansgoftUlt waren. Um die Verbicndnng
an den Kern zn befestigen, waren in die nft 3 — 4 cm breiten Engen des alten
Mauenvcrks zugespitzte Bandeisen von '"/^i, mm Stärke eingetrieben worden,
an deren nageJartig anfgeschrauhten Köpfen ankersplintfthnliche Bandeisen von
etwa ^/ni, mm Stärke befestigt waren. Die im Äussern sichtbaren Eisenteile
waren stark verrostet, auch waren die Splinte znm Teil abgefallen. Eine der-
artige Verblendung konnte als eine sichere üntersllltzung der Wehrgangs-
hrllstung nicht angesehen werden, denn die Tuffsteine erwiesen sich als derart
verwittert und morsch, dass sie den Manern nieht einmal als Unterstötzung
für die Nulzriegel sicher genug erschienen, \-ielmehr die zum Einlegen der
Riegel erfordern eben Löcher bis in den Ziegelkeni hinein ausgestemmt vmrden.
Beim Abbruch des Mauerwerks stellte eich ferner heraus, dass unter der alten
Platten- hezw. Ziegelstpinabdeekung ein grosser Teti des Mauerwerks etwa 50 cm
hoch vollständig fani war, sodass eine Beseitigung dieses Mauerwerks bis auf
die festen gesunden Teile uncHässlicb schien, zumal der Mörtel durch Frost
nnd Fenchtigkeit mürhe geworden war. Ferner waren die Kragsteinköpfc,
die von unten ein durchaus gesundes Aueschen zeigten, teilweise tiefer einge-
mauert, als nach einer früheren Untersnclinng angenommen werden musste und
derart mit Frostrissen durchsetzt, dass sie bei geringem Schlag herunterfielen.
Auch die Ziegelsteine hinter der Verblendung hatten teilweise durch die Witte-
roDgaeinflllssc stark gelitten und mussten mit den Tuffsteinen zugleich entfernt
■werden.
Es schien fraglich, oh die Eincncrung der Vcrblendfläche unter Ans-
2M Bericht übur diu TbStiglcüil ilor rroviuÄialkoniiniBsiou
beBseran^ der einzelnea schadliaften Ziegelsteine hinreichende Sicherheit zar
UntcrBtfltzung der aufzaset7.ciideii massiven 50 em starken Wehrgangsbrllstuuff
bieten würde, dit deren Schwerpnukt 3 cm von der Vorderkante der Verblen-
dung entfernt lag. Um ein Umkippen der Brllstung anf alle Fälle zu ver-
hüten, innsete zur Gen-innung eines sicheren Auflagers für die Kragsteine die
1p8c Tnffßteinverblendnug und daa hiuter dieser liegende Ziegelnianerwcrk bis
auf den gesunden Mauerkern abgebrophen werden nnd die Wiederaufmaucrung
des nenen Mauerwerkes in frisch bindendem Mörtel erfolgen. Die Ausführung
dieser Arbeiten konnte von der in der Verhandlung vom 18- Mai 1893 vorgeschrie-
benen hängenden Rllstung aus nicht bewirkt werden, sondern musste von einer
StangenrUstnng aus geschehen. Da zur Heretciiuug einer solchen, ztinial die Emeae-
mng des Mauerwerks eine wesentliche Vermehrung erfahren inusste, keine Mittel
vorhanden waren, so sah sich der mit der iirtlichen ilauleitung beauftragte Ee-
gierungsbaumeister geniStigt, im Jnli 1894 die Einstellung der Arbeiten bis zum
Eingang einer hfiheren Orts getroffenen Entscheidnng auznordnen. Am 18.
Septeoiber 1894 erging darauf ein Ministerial-Erlass, nach welchem die Instand-
setzungen dem Vorschlage geiBias ausgeführt werden sollten. Eine sofortige
Wiederaufnahme der Arbeiten erwies sich als nicht angängig, weil hierzu zu-
nächst eine vollständige EinrUstung des Tarmunterbfutes notwendig wurde und
weil wegen der umbauten des an den Turm austossenden Landgerichts bei
dem geringen verfügbaren Raum eine KUsIting anf der Nordseite nicht Plati
hatte. Nachdem das Gerüst im Frühjahr 1895 fertig gestellt war, wurde mit
dem Abbruch des Mauerwerks an allen 4 Seiten begonnen. Die Schäden der
Tnffsteinverblendung zeigten sich weit umfaugrcieher als nach dem Befund an
der Nordost-Ecke vennutet werden konnte. Die cüizelnen Steine waren fast
durchgängig morsch. An den dem Luftzüge weniger ausgesetzten Stellen war
die Vorderfläche 3—4 em stark gut erhalten, hinter dieser war der Stein jedoch
mflrhe nnd morsch. Vermutlich trocknete in diesen Fällen nur die Oberfläche
rasch ab und diese konnte dann vom Frost weniger angegriffen werden, wäh-
rend der hintere mit Wasser gesättigte Teil des Steines den Frosteinwirknngen
erliegen muaste. In ähnlicher Weise lassen sich die starken Zerstörungen an
den Kragsteinen aus Basaltlava, ein Material, welches allgemein als niiver-
wQstlieh angesehen wird, erklären. Durch die Abbernfung des Regierungs-
baumeisters Kerstein im Juli wurden die Arbeiten für drei Monate unterhroehen,
bis der Untenteiehnete sie im Oktober wieder aufnahm. Zunächst wurde das
Gerüst einer eingehenden Prüfung unterzogen «nd alsdann die Abstemmungs-
arbeit fortgesetzt nnd mit der Aufmanerung begonnen, sobald ein sicheres
und festes Auflager gewonnen war. Dieses wurde erreicht durch Abstenimung
der schadhaften Mauer in einer Stärke von 60 — 7Ü cm, so dass ein guter
Verband der Tuffsteine mit dem neuen Zicgelsteinmauerwcrk hergestellt werden
konnte. Bis zum Dezember war das Mauerwerk bis zum Bogenfriea hochgefllhrt. So-
bald wie mögticb. Ende Mäni 1 896, wurden die Arbeiten wieder aufgenommen nnd
so beschleunigt, dans am 1 1 . Juli desselben Jahres der Schlussstein des Wehrgangcs,
in den eine den Bau betreffende Beschreibung eingemauert wurde, versetzt
MEISENHEIM.
SQdseite der Grabkapelle in der Schlosskirchc.
für die Denkmalpff^
werde» konnte. Die Ernenenmg der Tu ffwl ein Verblendung ging weit über das
zuerst gedachte Mass hinaus und nahm auf der Hofseite drei Viertel der gau/.eu
Fläche ein. Die Verblendung wurde uiit«r Verwendung einiger noch gut er-
haltener Tuffsleine sorgfältigst ansgefUlirt und im Sejitemher beendigt. Ab-
weichend vom ersten Anschlage wurde statt der Aephaltisoliorung unter dem
E'lattenbelag des Wchrganges der besseren Dauerhaftigkeit wegen eine Blei-
isolierung nach Patent Siebel gewählt. Die MehrkuHten, die durch die Her-
»telinng der Slangeiirilstung, die erhebliehe Erneuerung der Tuft'steinverblen-
dung und des Ziegelstcinmauerwerks entstanden, wurden in dem Ergänzungs-
außchlage vom 30. April 1895 auf 120Ü0 M. festgesetzt, so daas mithin im
gauzen fflr die Instandsetzung des Scliwanenlurmes 24000 + 12500 + 12 000
= 48 500 M- aus Kapitel 81 der Justizverwaltung zur Verfügung gestellt und
auch ganz aufgebraucht wurden.
Die vielfachen Hindernisse, die sich einer geregelten Ausführung der Ar-
beiten entgegenstellten, hatten zur Folge, dass die Arbeiten ei'st im Herbst
18% beendet werden konnten.
Die Leitung der AnHfiiiirnng lag in den Händen der Kttnigtichcn Regie-
rung zu Dflsseldorf. Mit der Örtlichen Leitung war von Febraar 18113 bis
Ende Juni 1895 der Kegiemngsbauineister Kerstein, von Oktoher 1895 bis
März 1897 der Unterzeichnete betraut.
Regierungshaumeister Ro h d e w al d.
9. Heiseiiheiin. Instandsetzung der Grabka pelle au
der fSchlosskirebe.
Die sehUne und stattliche Scldosskirchc, eine ilreisebiffige Hallenkirche,
hat im Jahre 1848 eine AusbcsBcruug des Inneren und in den Jahren 1865 — 1880
eine durchgreifende Wiedcrherstellnng unter Leitung des Architekten nnd
späteren Strassburger MUnsterbaunicistcrs Franz Schmitz erfahren. Hierbei
wurde die Über der sogenannten Ludwigsgruft neben dem Altarebor (eine zweite
Gruft, die Stephansgmft, ist unter dem MitlclBchifT gelegen) in Verlängerung
de» südlichen Seitenschiffs erbaute Grabkapelle nur insofern berücksichtigt, als
man das Masswerk der Fenster wiederherstellte und die Fenster neu verglaste.
Zu Weiterem fehlten die Mittel. Die in der Grabkapelle vorhandenen 6 Grab-
denkmäler und Gcdenklafelu blieben in ihrem stark beschädigten Zustande be-
steben, ebenso der Fussboden, dessen Sandsteinplatlen meist zertrümmert waren.
Der Wunsch, dass die Grabkapclle und namentlich die Denkmäler in
Stand gesetzt würden, war seit Langem bei allen, welche die Kapelle kannten,
rege. Ein Anschlag des Baumeisters Schmitz lag schon aus dem Jahre 1879
vor. Der Vorsitzende des Verwaltungsratcs des KirehenschafTueifonds, der hessen-
faombnrgisebc Rcutmcistcr ft. D. M. HobI, hatte schon damals Schritte in dieser
S<16 Bericht ühav diu TbälitTkcit der ProvinzialkDininitisioii
Angelegenheit gethan. Durch einen Artikel im Kreimiacher Generalanzeiger
vom 14. September 1893 wurde die Köuiglicbe Regierung auf den Zustand der
GrabkapcUe aufmerksam und trat der Frage der InstaudBetzung von Neuem
näher. Zu den Kosten beizusteuern, war der KircbeiiBchafliieitbuds uicbt in
der Lage, da er zur Restanration der Kirehe bedeutende Mittel beigotraf^cu
hatte; da aber die in der Kapelle beigeeetzten Hei-zOge und Pfalzgrafen von
Pfalz -Zwei brücken die direkten Abnßn des Bayrischen Künigsbauses sind, war
schon früher durch die Königlieb lia^Tisehe Regierung zu Öpcicr die Aussicht
auf eiueu Zuschuss v(in dieser Seite eröffnet worden.
Fig. 10. Meisenheim. Gewölbe der Grabkapelle in der Schlosskirche.
Im Kostenanxehlage des Baumeisters Kranz Schmitz war die Instand-
setÄimgssumme auf 132fi() Mk. augegeben, wovon 4^50 Mk. auf die Kapelle und
9000 Mk. auf die Grabdenkmäler |-erechnet waren. Das Projekt und der
Kostenanschlag wurden von dem Provinzial-Conservator Dr. Clemcn in Bonn
geprüft lind der Anschlag für zu hoch erklärt, da er weit über das hinausgehe,
was utttig sei, um die Kapelle im Sinne der Denkmalpflege in f^land zu setzen;
es wurde daher der Kostenanschlag auf 2000 + 4000 = 6000 Mk. berabgcsetzt
und nnnmcbr von der Königlichen Regierung unter Zugrundelegung des neuen
Kostenanschlages dem Herrn Minister für geistt. p.p. Angelegenheiten unter
dem 6. August 1H94 Bericht erstattet. Durch Erla«» vom 17. Destember 18Ä5
benachrichtigte der Herr Minister die Königlicbe Regierung, „dass Seine Ma-
u^UTOKmft^flege in der Rhdnprovin». 337
j«BWlt der Kaiser and König mitteln allcrküchatcii Erlasses vom 23. Oktobei*
1»95 zur IiialandBetznug der Gra))kapellu niid WiedcrliersteUung der darin be-
findlichen Grabdenkmäler in der Schlosskirehc zu Meisenlieim ein ftnadenge-
»elienk bis zum Betrage von 30110 Mk. /,n bewilligen geruLt haben." Nacb-
dem hiervon dem KönigUeli Bayrisehen Regierimgs- Präsidenten Herrn von Aner
in Speier Kenntnis gegeben war, erfolgt« unter dem 16. Januar 10% gleich-
falls die Antwort, „dass Seine Hoheit Prinz-Regent Luitpold von Bayern Ailcr-
hr>chst geruht haben, von dem Projekte der Restauriernng der (irahkapellc
nnd der darin beündtichen Ijrabdenkmälcr in der Sehtosskirehe zu Meiseuheim
Einsieht zu nehmen und zur Deckung d<T Ko«ten dieses Unternehmens einen
Beitrag von 3<KXi Mk. Allergnädigst zu bewilligen", welcher Antwort der Be-
trag gleich beigefügt war.
Nachdem somit die Mittel znr Instandsetzung znr Verfügung gestellt waren,
konnte unter dem 11. Februar HStlfi der Auftrag zur sofoiligen Inangriffnahme
der Arbeiten erfolgen.
Der Orundrise der Kapelle bildet ein Rechteck von 7,7 m Länge und
5,0m Breite; ihre Höhe bis zum unteren Gewölbe betrügt 11,9 m. Sie öffnet
sich nach dem SeilensehifF der Kirche in einem gothisehen Bogen, der von
spätgothischem Masswerk, dessen Zacken iu Blumen endigen, umsänmt ist.
Unten ist die Bogonöfinung durch ein 3,.5m hohes spätgothisches Gitter ans
Schmiedeeisen mit sich kreuzenden Stäben nnd einer Bekrflnung tlber dem zwei-
flflgeligeu Thor gefiehloeiJen. Aeusserst klln^tlich ist die Wölbung, welche in
der Mitte eine sechseckige, oben durch eine böhmiMche Kappe mit iu Fisch-
blasenformen vorliegenden Rippen überdeckte Erhöhung zeigt, unter der netz-
artig ein von dem unteren Gewülbe getragenes Rippenwerk mit Fisehblasea-
masHwerk frei schwebt. Da für den nach oben Schauenden bei jeder Aende-
rung der Stellung das Schlussgewölbe und das darunter freischwebende Rippen-
netz sich gegen einander verschieben, entsteht eine freilich nnruhige Wirkung,
die aber eines eigentümlichen Reizes nicht entbehrt. Die Schlussstcine in den
Kippenkreuznugen habeu Reliefs biblischer Darstellungen. Das Ganze, ein her-
vorragendes Beispiel kOnstlicher Steinmetsarhcit, war wohl erhalten. Nur an
der sUdögtlichen Ecke wurde eine Ausbesserung der ans der Wand heraus-
tretenden Rippen nötig, die durch einen schlechten Stein hervorgerufen war,
vielleicht veranlasst durch Feuchtigkeit. Es könnte zweifelhaft erecheinen, ob
die Anlage der Kapelle gleich im ursprünglichen Kirchenplane gelegen hat.
Die GewiHbeanlage unterscheidet sich von den übrigen einfacheren Gewölben
der Kirche durch die oben beschriebenen, vielfach verschlungenen, gleichsam
Masswerk bildenden Rippen, ferner aber lassen sich die beiden vermauerten
Btidlichcn Fenster des Kirchencbors in ihren Umrissen deutlich erkennen. Viel-
leicht ist während des Bauens (1479 — 1504), als die Chormanem mit ihren
beiden sndliehen Fenstern schon bestanden, die Kapelle angelegt. Die Fenster
sind dann wohl anfangs beibehalten, später aber, als die Grabdenkmüler er-
richtet wurden (das etxte 1571), zugemauert. An der Ostwand hat ein Altar
Bet
i'lil über die TliUtigkcü der ProvinKialkommission
gestanden, dessen Fundament bei der Neubcplattnng des Fiiggliodens vorge-
funden wurde.
Die Ka]ielle ist ausser im Oew/ilhe urBprÜnglicIi auch in den Wänden,
wenigstens im unteren Teile, bemalt gewesen, diese letztere Malerei alter, von
der Bieli noch der geringe Rest eines eine Kcr7,e tragenden Engels unter der
Tünche vorfand, dnrch die Aufstellung der die Wände ganz einnclinieuden
Denkmäler verdeckt worden. Auch der vorgenannte Altar niusete den Denk-
mälern weichen. Es war nicht tliunlich, den Rest der Wandmalerei zu erhalten.
Die sechs in der Grabkapelle eich befindenden Denkmäler sind lieiTor-
ragende Praehtwerke der deutschen SpätrenaisBaoce, nahe vei-wandt den in
Simmern, St, Goar, St. Johannisberg befindlichen Grabniälem. An der Nord-
wand steht zunächst das Denkmal des Herzogs Wolfgang von Pfalz- Zwei brücken
(t 1569) und seiner Getnahtin Anna von Hessen (f lö91)j um 1571 errichtet,
in der Mitte des mächtigen Anfbaues den Herzog und seine Gemahlin kniecnd
unter dem Kruzifix zeigend, oberhalb des Kruzifixes ein Relief mit der Dar-
stellung der Dreieinigkeit. Gegenüber an der Südwand das etwas spätere
Denkmal des Herzogs Karl I, des jüngeren Sohnes des Herzogs Wolfgang,
GrUndci-9 der Linie Pfalz-Birkenfeld (f 1600), mit der lebensgrosscn Figur des
Herzogs, der mit dem in die Seile gcslemmteu Kommandostab in der Mittel-
nische steht; am Aufsatz ein Relief mit der Darstellung der Auferstehung
Christi. Sodann sind noch von Gedenktafeln vorhanden: ein Epitaph der Pfalz-
grätin Anna, vierten Tochter des Herzogs Wolfgang (f 1576), der Pfalzgräfin
Christine, ältesten Tochter des Herzogs Wolfgang (t 1618), der ifalxgräfin
Carola Friederike, Tochter des Herzogs Friedrieh von Pfalz-ZweihrUckcn (f 1712),
des Pfalzgrafen Friedrich, Kind des Pfalzgrafen Friedrich Casimir (f 1617).
Genaue Besehreibnng der Grabdenkmäler bei Lehfeldt, Die Bau- und Kunst-
denkmäler des Regierungsbezirkes Coblenz, S. 459.
Die Instandsetzung hat sich auf die genannten Grabdenkmäler, auf Ge-
wölbe, Wände and den Fussboden erstreckt. Es wurde angestrebt, den Zu-
stand der Kapelle wieder herzustellen, in dem sie sieh nach Aufstellung der
Denkmäler befand. Unter der TUiiche des Ucwülbes fand sich die alte Be-
nialung, die Schlusssteiue der Rippen halten ihre Farben behalten. Diese Be-
malung besteht in den Gewölbezwickeln ans StrahlenhUscheln, über denen Blumen
nnd Kräuter sieh über die Kappen verbreiten. Sie wurde erneuert, teiU ge-
paust und nach Ausbesserung des Putzes genau in alter Weise aufgemalt; die
Farben der Scblusssteine wurden wieder aufgefrischt. Dieses war die erste
Arbeit, dann wurden die Wände in gelbliehcni Steinton bis zu den Denkmälern
herab gestrichen nnd in üblicher Weise gequadert. Nun erst, nachdem die
Gerüste entiernt waren, erfolgte die Instandsetzung der Denkmäler und zuletzt
die Erneuerung des Fussbodens. Nach Beseitigung der Tünche an den Wänden
zeigte sich, dass die Denkmäler auf der Wand eine schwarze Einfassung oder
vielmehr einen schwarzen Hintergrund hatten, der glciehsam als Trauerrand
und zugleich dazu diente, sie besser von der Wand ahznbeben. Sonstige
Malerei, mit Ausnahme des bereit« erwähnten Engels, fand sich nicht mehr.
für (lie Denkroalpflpgro in der ßheinprd
S39
Die Umrisse dieser EinfasBUUR folfrtcn den AuaBeiikanleu der Denkmäler und
zeigten 7.opli{;e Formen, die bei dem Denkmal des Herzog« Woli'gang noeb
eine mnssvolle künstlenBche Behandlung gefnnden hatten, bei den Gedenktafeln
»ua epiUcrer Zeit aber immer zop^er, bei einzelnen geradezu rob waren, so
dass von der Beibchaltnng bezw. Erneuerung in alter Weise Abstand genoniinen
werden musste. Den TraueiTand indessen ganz fortznlassen, erschien nicht
ratsam und es wurde einfach die Quaderung um die Denkmäler, oben mit ab-
getrepptem Abflcbluss im Ton der Niedermeudigcr Basaltlava gestrichen. Die
Wirkung ist eine dem Charakter einer Grabkapelle entsprechend düHtere und
Icierliehe.
Die Instandsetzung der Denkmäler durch den Bildbaner war eine sehr
mQhBame nnd bei dem vielfach zerstossenen, feinen Flacbomament, den vielen
abgebrochenen Spitzen des Blattwerks und abgestosseuen StUekcbeu der Kanten
nnd Ecken, was alles mit peinlichster deuauigkeit, teils unter Verwendniig von
Patentkitt, ersetzt wurde, sehr zeitraubend.
Am meisten rerstUmmelt war das echOne Denkmal des Herzogs Wolf-
gang und seiner Gemahlin Anna von Hessen. Dem Herzog war der vordere
Teil des Kopfes mit dem Gesichte abgetrennt, die Anne waren abgeschlagen.
Die Oruameutierung der Rüatung auf dem Oberkörper war abgestoasen und
zersehnnden, der Herzogin Anna fehlte der ganze Oberkflrper, dem Gbristus
Am Kreuze fehlten die Beine und von den beiden, das GebUlk tragenden
Pilastcrn waren die Wappenschilder vcrscbwunden. Wohl wurden viele kStlicke
hinter dem Denkmal nnd in den Ecken und Winkeln der Kapelle gefanden,
aber die Ersetzung aller fehlenden Teile erforderte ein genaues zeitraubendes
.Studium. Vergleichen nnd Anpassen. Dem hat sich der Bildhauer in dankens-
werter, erfolgreicher Weise unterzogen.
Der Stein, ans dem das Denkmal besteht, ist ein TulTstein von feinstem
Korn, dessen Weichheit (er lässt sich mit dem Messer schaben) und doch wieder
hinreichende Festigkeit dem Künstler (Jobannes von Trarbaeh) den Anlass
nnd die MlSglichkeit dargeboten hatten, ein so ungemein feines Flacbomament
und eine so zierliebc Herstellung der zartesten Blattformen an de« Kapitalen
und Wappen bei flottester, schwungvollster, nirgends steifer Behandlung aus-
zamhren. In Meiseubeim hatte man den Stein ftlr eine künstliche Masse ge-
halten, wozu die Beschaffenheit der Bniebflächen allerdings verleiten kann.
Es findet sieh dieser Tuffstein beim Dorfe Weibern, Kreis Adenan, in der
Nfthe des Laacher Sees nnd es gelang, Stücke in der Grösse zu erhalteu, wie
nie für Ersetzung der OberkJiiper nötig waren.
Von den zu erneuernden Kfipfen und Oberkörpern beider Figuren wurden
zuerst Modelle angefertigt, auch für die tiesichtsähnlichkcit von Porträts der-
selben ans dem Schlosse Scbleissheim Photographien beschalft, welche jetzt in
der Kapelle ausliegen nnd beim Herzog die Porträtähnliehkeit dartbnn. Bei
der Hcivogin ist dieses weniger der Fall, da das Porträt ans jüngeren Jahren
stammt. Es fand sieb noch der arg veratllmmelte Kopf der Herzogin vor,
nach welchem unter ZubiUenabme der i^hotograpliic lllr Ausbildung der Stirn
240 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
und Nase gearbeitet wurde. Viele Teile, so der Dolch des Herzogs, die Wappen
und sonstigen Ornamente waren durch Holzstifte befestigt; diese Holzstifte
wurden durchgängig durch Messingstifte ersetzt. Die übrigen Denkmäler waren
weniger beschädigt, einige bestehen aus demselben Weibemer Tuffstein, andere
aus Sandstein oder beiden Steinen zugleich.
Bei dem Herzog Carl-Denkmal war die ganze, ziemlich hoch stehende
Figur noch wohl erhalten. Es handelte sich meist um Ergänzungen abge-
stossener Ecken, fehlender Wappenschilder und Wiederherstellung der Gold-
schrift der Gedenktafeln. Diese Gedenktafeln sind eingelassene Schieferplatten,
in welche die Schrift eingemeisselt und vergoldet ist.
Nachdem die Denkmäler wiederhergestellt waren, wurde der Fussboden
in alter Weise mit Sandsteinplatten belegt und dann der untere Teil der Wände,
soweit sie zwischen den Denkmälern sichtbar sind, gestrichen.
Die Eisengitter, das vorgenannte, welches die Kapelle von dem Kirchen-
schiff trennt, und eine Gitterthür vor einer vom Kirchenchor schräge in die
nordostliche Kapellenecke führende Thüröffuung, Hessen uhter dem schwarzen
Anstrich rote Farbe erkennen, wurden demgemäss wieder so gestrichen und in
den Ornamenten, Krabben, Kreuzblumen und oberen Endungen vergoldet. Es
liegt dieser Behandlung die Idee zu Grunde, dass das Eisengitter von Feuer
angeglüht erscheine, wobei die vergoldeten Spitzen und Enden die Weissglüh-
hitze darstellen.
Drei in den bayerischen Farben gestrichene Fahnenstangen, eine noch
eine Zeugtroddel aufweisend, welche an Trageeisen von der Wand unter dem
Gewölbe in den Kapellenraum hineinragen, wurden an Ort und Stelle belassen.
Zu der Ausführung ergingen die Anordnungen durch den verstorbenen
Regierungs- und Geheimen Baurat Cuno zu Coblenz. Sie stand im üebrigen
unter Leitung des Königlichen Kreisbauinspektors zu Kreuznach, Baurat Lucas.
Die sehr schwierige, besonderes technisches Geschick und grosse Pietät er-
fordernde Wiederherstellung der Denkmäler wurde durch den Bildhauer Wüst
von der Firma Erfort u. Wüst in Stuttgart mit lobenswertem Erfolge ausge-
führt. Die Malerarbeiten waren dem Maler J. Rauland der Firma H. Beyerle
in Coblenz übertragen. Zu einzelnen Putzarbeiten und der Neubeplattung des
Fussbodens waren Meisenheimer herangezogen. Die besondere Leitung an Ort
und Stelle hatte der Königliche Regierungs-Bauführer Peisker, dessen Thätig-
keit namentlich im Aufnehmen der Denkmäler und der vorbereitenden Zu-
sammenstellung und Bestimmung der vielen vorgefundenen, oft nur kleinen
Bruchstücke, bestand.
Die von den Allerhöchsten Donatoren geschenkte Summe von 6000 Mk.
wurde durch die vorbeschriebenen Ausführungen nicht in Anspruch genommen,
sondern 2000 Mk. gespart. Auf Veranlassung des Regierungs- und Geheimen
Baurats Launer, im Einverständnis mit dem Provinzial-Conservator sind daher
noch die folgenden wünschenswerten Anschaffungen angeordnet worden:
Neue Verglasung der Fenster, Anbringung des grossen Pfalz-Zweibrücken-
schen Wappens in Bronzeguss, auf der sich im Fussboden durch 4 Eisenringe
kenntlich inachendeu (Irnftplatte und Beechaffung einer kUnstleriBcb verzierten
Ledcrdeckc für den in der Kapelle stebendeE, kunetlosen, einfach angestrichenen
bnlzerueu Tixeli, der frllhor in der Kirebc lange Zeit als Altartiecli gedient
hatte. Auf diesem Tisch sind in einem GlaHkasteu verschiedene in der Grutt
unter der firabkupelie gefundene Kleider- iind Gesehmeidereste aufbewahrt und
femer, wie scbon bemerkt, die Photographien der Porträts des Herzogs Wolf-
gang und Beiner Gcniablin aus dem Schlosse zu Scbleissheim unter Glas nnd
Kabinen ausgelegt.
Die neue Verglasung der 3 Fenster, von denen eins in der Ostwand, die
anderen in der Südwand liegen und von denen das hinter dem Denkmal des
Herzogs Carl fast bis zum oberen Masswerk verdeckt wird, ist wünschenswert,
weil sieb die jetzige Verglasung in nichts von der etwas handwerksmässigeii
Herstellung der tlhrigcn Kirchenfenster uoterseheidet, während sonst die Kapelle
durch die Behandlung der Decke und Wände und durch die Denkmale ein
bevorzugter Teil der Kirche ist. Es wird eine Verglasung mit Antikglas und
massigem »pälgothi»chcm Zicrrat, sowie den Wappen der Allerhöchsten Dona-
toren und dem Reicliswappen beabsiebtigl.
Lucas nnd Giemen.
10. Nenwork (Kreis Gladbach}. Restauration der ehema-
ligen Klosterkirche.
Da» Benedi ktinessenkloster von Nenwcrk wird urkundlich im Jahre 1135
Äuerst genannt; in diesem Jahre bestätigt der Erzbisehof Bruno II, von Köln
die Anordnung des Abtes Walter von Gladbach, der auf abteilichem Besitz
das Kloster, das novum Oratorium oder novum opus, Neuwerk, hiess, gestiftet
hatte. Die Klosterkirche ist um diese Zeit gebaut. In der 2. Hälfte des 13.
Jahrhunderts wurde das nürdlichc SeitenschifT neu eingewölbt, am Ende des
15. Jahrhunderts wurde das Mittelschiff mit einer s|)ätgothischen Wölbung ver-
sehen. Die Kirche wurde wahrseheiulicli in den Stürmen des truehscseischen
Krieges am Ende des 16. Jahrhunderts durch Brand zerstört. Sie ward im
17. Jahrbnndcrt notdürftig wiederhergestellt, das Langhaus neueingewölbt,
der Westgiebci aber nicht neu anfgefilhrt, die Westfaijadc wurde vielmehr
geradlinig abgeschlossen und über dem ganzen Langhaus ein mächtiges ge-
hrocfaeues Mansardendach errichtet. Der Turm, von dem nur noch zwei Stock-
werke standen, erhielt eine Krönung durch eine geschieferte barocke Haube,
Die Wiederherstellung der Kirche in den alten Foimen begann schon im
Jahre 1S7Ü. Bis zum Jahre 1875 waren im ganzen 42 000 Mk. verausgabt.
Das «adliche SeitenschifT wurde fast ganz neu aufgeführt und erhielt eine Ver-
lÄugeruug uaeh Osten. Im Jahre 1886 wurde der Tunn, der bis dahin nur
aus zwei Stockwerken bestand und mit eiiier malerischen barocken Haube ab-
scbloss, durch den Regieningsbaumeister Jul. Busch aus Neuss um ein Stock-
werk erhöht, die Provinzialverwaltung bewilligte hierzu einen Znschuss von
Ithrb. d. Vor. V. AliBithsrr. Im UliuloL l«. 16
242 Bericht Übor dii- ThÄtiKkeit der ProvinzialkominiSBion
3000 Mk. Im Jahre 1894 wurden die Spitzbogenöffnungeo. die ein paar Jahr-
zehnte vorher zwistrhen der nördlichen Empore und dem MittelschifT in die
Maner gebrochen waren, in romanische Fenster Tcrwandelt,
Der Westgiebel befand sich immer noch in dem äusserst verstümmelten
Zustande, in wetehen er im 17. Jahrhnndert vei'sctzt worden war, &h das
Hauptschiff von einem grossen Mansardendache überbaut n-nrde. An Stelle
kleiner Fenster, in der Mitte der Front, war eine grosse Fensteröffnung ge-
brochen worden, deren Bogen sich auf zwei, leicht vorspringende Lisenen aut-
setzte. Zwei seitliche, den Achsen der Seitenschiffe der Kirche enlspreehende
kleine Fenster waren durch grössere, spitzbogige ersetzt worden und Kwei
Fig. 11. Neuwerk. Gmndrias der Klnaterkirche.
Blenden, in der Form und Grösse der vorgenannten Fenster, bündig mit der
Mauerfläche vermauert.
Das Giebel-Dreieck, welches ureprüuglich den Giebel abschloas, war bis
znm Fasse des Daches abgebrochen, das Manflardendach darüber fortgeführt
und die Stimmauem der Seitenschiffe in der Höhe des verbliebenen Mittel-
schiff-Mauerwerkes erhöht und gradlinig geschlossen.
Das Mansardendach, bezw. der Dachraum der Kirche war durch ein
Zwischendach niil dem slldlicb gelegenen Turme verbunden, während das nörd-
liche Seitenschiff nnd ein später daran angehautea viertes gotbisches Schiff in
der ganzen Lunge durch ein einziges Dach, welches bis unter das obere Gesims
doB Manaardendaches hinaufreichte, überdeckt wurden. Die Stirnflächen dieser
beiderseitigen Dächer bildeten mit der steilen Fläcbe des Mansardendacbcs
über dem Westgiebel eine Ebene.
für die Denkmalptiege^in der Kh&inproviiu. I
Glllckliclienvefse zeigte die Fagade, mit Ausnahme ilirer Mitteipartie, die
Sparen der froheren Duirisso, sowie der Form nnd Grösse der ursprüngliclieu
Feustercheu und Teile des Bogenfrieses unterhalb des DftclifiisBes {Fig. 13).
Da die Üemeinde zur Reetauration der Kirche schon erbebliche Kosten
antgebracbt hatte, so wandte sich der Pfarrer Tbill Doebinals an die Pro-
vinzial-Verwaltiuig uud liess den Plan und Kostenanschlag zur Restauration
des Westpiebels und Erneuerung des ganzen Hauptdacbes durch den Regie-
rungs- Baumeister Jul. Busch in Neuss anfertigen. Das Projekt wurde durch
den Proviiizial-CoHservator und sodaun durch den Königlictjen Conservator der
KunstdentUBfileTr Geb. Oberregieningsrat Pereius geprllft, nach dereu speziellen
Fig. lä. Nmiwerk. Süd'
Angaben und Zeichnungen die Mittelpartie und die Architektur des Giebel-
Dreieckes geändert und festgestellt wurden.
Nach Bewilligung eines Zuschusses von 3000 Mark seitens des 37. Pro-
vinxial-Landtages erfolgte die AusfHhrnng in allen Teilen, Fenster, Blenden,
Gesims, Bogenfries, genau nach den vorlandenen Spuren, Die oben erwähnten
Linenen, denen Vorlagen an den Ecken entsprechen, wurden, weil zum ur-
sprünglichen Bauwerke gehürig, bis zum Bogenfries durchgeftlbrt, welcher sich
genau, in gleieher Teilung, wie die vorhandenen Stücke, zwischen dieselben
einfQgte. Oberhalb des Gesimses sind di* Liseuen in dem Giebel-Dreieck weiter
hinauf gefuhrt und teilen letzteres in drei Blendenfelder, 'welche mit Bogen
flberspannt sind. In dem Mittelfelde der Fa<;ade sind zwei Fenster in gleicher
Ilfihe und Grösse, wie die nehenanliegenden Blenden angelegt, und das Mittel-
feld oben im Giebel durch eine grössere Sechspass-Roeette belegt worden (Fig. 14).
Beriebt ttber die Thfttig'keit der Provlnzlalkoinmisalon
Fig. 13. Neuwerk. Die Westfaijade vor der Restauration.
Die Haupteingangs-Öffnung ist mit eiDem mÄchtigeD Thürsturze versehen
worden und darUber mit einer halbkreisförmigen Blend-Nische. Die Vorder-
fUr die Deokmalpflege in der BbeinproviDZ.
f^nfenf— !■ t t f t f ? t f r \ \ n — \-^:s.
Fig. 14. Neuwerk. Die WeHtfai;ade nach der Rehtauiation.
fläche des Sturzes erhielt nach einer Skizze des Provinzial-Conscrrators den
Scbmnck eines Medaillons mit dem Gotteslaiuni.
24f) Bericht über die Thätigrkeit der Provinzialkommission
Die ganze Fa^ade wurde unter Belassung der noch genügend gut erhal-
tenen Flächen mit neuen Tuffblendem ausgebessert und neu gefugt. Während
bisher das ganze Hauptschiff nebst dem Chore mit dem Mansardendache über-
deckt war, erhielt das neue Schieferdach (Satteldach) am Chore einen neuen
Giebel-Abschluss, an welchen sich jetzt das neue Chor-Euppeldach anschliesst.
Somit wäre die Restauration der Kirche in Neuwerk, die das 17. Jahr-
hundert uns gänzlich verstümmelt überliefert hatte, als vollendet anzusehen.
Ausführliche Geschichte und Beschreibung der Kirche bei Giemen, Knnst-
denkmäler der Rheinprovinz III, S. 507.
Busch und Giemen.
11. Trier. Wiederherstellung des Domes.
In der Zeit vom 1. April 18% bis 31. März 1897 erfolgte ausser der
Fertigstellung der Dächer und der Ausbesserung schadhafter Architekturglieder
und des Mauerwerks an dem Mittelschiff, den Seitenschiffen und den Emporen
auch die Wiederherstellung des nordwestlichen Turmes nebst Treppenturm und
des Westchores. An diesen waren, obgleich nur das ersetzt wurde, was in
absehbarer Zeit den Absturz drohte, doch umfassende Erneuerungen erforder-
lich, da die Gesimse, Konsolen etc. stark verwittert waren. Das zweite Glied
des mächtig wirkenden Hauptgesimses an dem Westebor fehlte gänzlich. Auch
der obere Teil des Mauerwerks daselbst war so schadhaft, dass es grösstenteils
erneuert werden musste. Der schadhafte Zustand des Daches und die mangel-
hafte Dachkonstruktion hatten im Laufe der Jahre diesen Schaden herbei-
geführt« Zur Verstärkung des Mauerwerks hatte man s. Z. in die halbkreis-
ftimiig geschlossenen Fensteröffnungen in der Kämpferhöhe flache Segment-
bögen oingesetxt und den verbleibenden Teil des Halbkreises ausgemauert.
Diese Bögen nebst Ausmauerung, sowie die Vermauerungen der Fensteröffnungen
am Nonhvesttunu und Treppenturm wurden beseitigt und allenthalben der ur-
sprüngliche Zustand wieder hei^restellt«
Der. insbesondere an dem Treppenturm vorhandene Abputz, welcher er-
halten werden sollte« erwies sich nicht als ursprünglich. Derselbe ist in spä-
terer Zeit, als die Steine bereits inkrustiert waren, aufgebracht worden. In
Folge der lukrustierung hatte der Putz auch nicht auf den Steinfläehen ge-
griffen. s<>ndera nur an den jedenfalls frisch aufgehauenen Mörtelfngen. Auf
den Steiuttächen seihst Ug er ganz hohl und war leicht zu entfernen. Es
wuTxle daher das sämtlicho Mauerwerk gründlich gereinigt, unter sorgfältiger
Schonung der im Laufe der Jahrhunderte zu stände gekommenen Deckschicht
und darnach nur auscefnct.
Für den Xorxiwestiunu war eine Xeudeckung des Helmes mit Schiefer
TVMrjv^^hen, Eine genaue rnter^uohung der Holrkonstruktion. welche erst nach
erf<>licier Einrüstuiic nuVrlioh war, en::ib inde:$i>en. da^^ auch diese der Er-
neaeruug betiurtte. Sie wurde daher durvh eine Eü^enkonsiraktion ersetzt.
Für die iu:!is«<^re Wiederher^eUung wurden bis jetzt rund 350 CmO X.
Ter;iia$;cabt. Domlnunne^er Wirti.
für die Denk mal pflege in tier Rlioinproviiiz. 24"
12. Wanderath (Kreis Adenau). Erweiterung der katho-
lischen Pfarrkirche.
Die katholisobe Pfarrkirche zu Wanderath hatte echon im Mittelalter vor-
scliiedene Wandlnngeu dmehgemacht. Sie war ursprünglich ein eiuschiffiger
Bau, wahrscheinlich mit qnadratiscbein Chor und Westtumi.
Sie wird zuerst 129(i als Jagdkapelle in Wombrechtrode erwähnt. Die
Anlage gehört ohne Zweifel dem Anfange des 13. Jahrhunderts an, da die
Tnrmfenster schon spitzhugige Formen zeigen. Das .Schiff war flach gedeckt,
da die Mauern (0,ö5 m stark) ein Gewölbe nicht getragen hätten. Die
Seitenechifi'e wurden beide 1530 angebant und golhisch gewilllit. Die Jahres-
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Fig. 15. Wanderath. GrundrisB der katfa. Pfarrkirche nach der Erweiterung.
y,ahl befand sich anf einem verwitterten Stein. Die Gewölbeform lässt auch
keine andere Zeitbestimmung zu.
Als man 1530 die Kirche vergrösaem wollte, mnssten nattlrlieb die Seiten-
wände durchbrochen werden; man liesa die schweren Pfeiler hierbei stehen.
Die EinWölbung des Mittelschiffes schien aber bedenklich, zumal die Seiten-
schiffe nur etwa halb so breit wurden als das Hauptschiff. Man setzte deshalb
schlanke Sanlen iu das Mittelschiff und wölbte dasselbe zweischiffig ein. Be-
Hondcre Bemerkung verdient das östliche Gewölbe wegen der Verschiebung der
Ostlichen Rippen. Diese Verscbiebong hat ihren <.<rund in der cigentUin liehen
Anlage kleiner Fcuster in der Nurduel- und Stldusteoke des Schiffes, wodurch
248 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
das Gewölbe sehr, glücklicb beleuchtet wurde. Zu beachten ist auch die An-
lage des nördlichen Seitenchores, welches breiter ist als das Schiff. An der
Sttdseite ging das Schiff in gleicher Breite durch. Im 18. Jahrhundert wurden
die gothischen Fenster durch Rundbogenfenster ersetzt und die Sakristei um-
gebaut. Vgl. über das Bauwerk Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler des Re-
gierungsbezirks Coblenz S, 26.
Die Kirche erwies sich schon seit Jahren als zu klein und reichte bei
der wachsenden Seelenzahl nicht mehr aus. Die Gemeinde dachte an einen
Neubau und hatte deshalb schon seit längerer Zeit keine Mittel mehr auf die
Instandsetzung verwendet. Im Jahre 1894 wurde der Bau von dem unter-
zeichneten Architekten aufgenommen. Nachdem verschiedene Projekte zur
Vergrösserung sich als undurchführbar erwiesen hatten, wurde endlich auf Vor-
schlag des Provinzial-Conservators das Projekt aufgestellt, an der Südseite ein-
fach ein breites Schiff anzulegen, das über den alten Chor hinausgriff und im
Westen mit einer Vorhalle abschloss. Auf diese Weise brauchte nur das alte
südliche Schiff beseitigt zu werden. Der Hochaltar und die Orgelbtihne wurden
in das neue Schiff verlegt. Der alte Turm tritt noch über die Westfront vor,
die Silhouette des Bauwerkes ist durch die verschiedenen Dachlinien eine sehr
reiche und originelle geworden. Um die Erhaltung des hochinteressanten und
durch die mittlere Säulenstellung für die Eifelkunst charakteristischen Bau-
werkes und gleichzeitig die Restauration der alten Teile zu ermöglichen, be-
willigte der Provinzialausschuss im Jahre 1896 einen Zuschuss von 5000 Mk.
Beim Abbnich des südlichen Seitenschiffes zeigte es sich, dass die Mauer-
pfeiler gar keinen Zusammenhang mehr hatten, es wurden deshalb Säulen
untergeschoben, welche schwierige Arbeit von dem Unternehmer Schöneberg
in Ahrweiler ohne jede Beschädigung der Gewölbe ausgeführt wurde. Das
neue Schiff wurde in demselben Material ausgeführt, das der bestehende Bau
aufweist. Der Bruchstein wurde in der Gemeinde gebrochen, die zugleich alle
Hand- und Spanndienste leistete. Die Kosten werden ausser durch den Zu-
schuss seitens der Provinzialvervvaltung durch eine Kirchen- und Hauskollekte
sowie sonstige freiwillige Gaben gedeckt. Die Konsolen des alten Seitenschiffes
sind im Neubau wieder verwendet worden. Der Bau wurde im Jahre 1896
begonnen und wird in diesem Jahre Mitte August 1897 fertig gestellt.
Die Anfertigung der Pläne und die Bauleitung lag in den Händen des
Unterzeichneten.
L. von Fisenne.
13. Wesel. Wiederherstellung der Willibrordikirche.
Der Bau der Willibrordikirche zu Wesel, der bedeutendsten gothischen
Anlage am Niederrhein nächst dem Xantener Dome und der glänzendsten
Leistung der Klevischen Bauschule, schon 1424 begonnen, aber erst 1500
energisch weitergeführt, war 1540 bei dem endgültigen Siege der Refor-
Wl-3c1, Diu NoixlsyiW der WJIIilirwJitirc-lje vor der ItoMaumion im Jahre ISS-'.
für dio Denkinalpfle^
I ilev Rheinpiovinz.
mation liegen geblieben. Es fehlte an dem groBsartigen Plane noch die Aue-
ftllimng des ganzen Streliesysteiues; MitteUcliiÖ', Quei-Bchiff und Chor hatten
de-tlialb auch noch nicht eingewölbt werden kennen und waren nur durch eine
flache Balkendecke abgeBchlowien. Der Chor war, wie sich bei den Nach-
grabnngon ergab, mit Cliorumgang und Kapellenkrauz geplant gewesen, doch
waren diese Teile nicht zur Autifltlirung gekoinnien. Die ursprünglich beab-
dielitigteu Querdäclier llber den Seitenechiffeu waren nachträglich durch unge-
Hft
Pig. 16. Wesel, ÜBlansiehi ikir WilJilirordikirdie i
Bchickt angeonlnete Lftngsdacber ersetzt worden. Es felilten endlieli der slld-
liehe QucrBchilTgiebel und die Spitze des Weatturmes.
Keines der an dem Bauwerk verwandten Materialien hatte sieh als wider-
Rlandsnthig erwiesen; verschiedene Brände und Restaurationen im Iti. und 17.
Jahrhundert hatten die äubstanx nur nach mehr angegriffen und geschwächt.
Wegen Baufälligkeit mnsete 1840 der Giebel der Nordseite zum grossen Teil
niedergelegt werden. Der Zustand war allmählich uuhaltbar geworden, die
ganze Kirche in ihrem weiteren Bestände bedroht — im Jahre 1874 musste
250
Bcriclil über die TIiJilip:koi
i- Pri>\
die Kirche ihres gefahrdrohenden baaÜL-hcn Zastaiides wegen ganz geschlossen
worden.
In der Gemeinde war die Frage der Instandsetzung schon mehrfach Ge-
genstand der Erörterungen gewesen, doch reichten die Genieindemittcl niebt
entfernt ans, den Anshan durchznftlhren. Bereits 1857 hatten der Geheime
Oberbaurat Stiller und der Conservator der Knnstdenkniäler von Quast sieh
gutachtlich über die hohe Bedeutung und den zunehmenden Verfall der Kirche
geilussert. Die Kirchengcuieinde lieas infolge dessen I8ÖH durch den damaligen
Kreisbaumeister Giersberg aus Cleve die erste architektonische Aufnahme des
Bauwerkes und einen Wiedcrherstellungsentwurf ausarbeiten; der erste Kosten-
anschlag fUr den Ausbau der Kirche sehloss mit der Summe vou 135000
Tbaleni ab.
Durch das im J. 1868 gefeierte dreibunderljährige Jubiläum der soge-
nannten ersten niederländischen Synode unter dem Kreuze zu Wesel wurde die
geschichtliche Bedeutung der Willi brordikirche wieder in Erinnernng gebracht
und ein neuer Antrieb für die Wiederherstellung des Gotteshauses gegeben.
Im J. 1870 wurde der Architekt FlUggc in Essen mit der Anfertigung
eines Entwurfes fttr den Anabau beauftragt, am 1. Mai 1872 wurden von ihm
ir> Blatt Zeichnungen nebst Kostenaoschlag eingereicht, ohne dass davon wei-
terer Gebrauch gemacht wurde.
Im Jahre 1873 hatte der Conservator von Quast, sowie 1878 der Ge-
heime Baurat Giersberg und Professor Bcrgau aus Ntlrnberg sich über die
Kirche ausgesprochen, doch erst naelideui der Pfarrer Hasbaeh auf Fllrs|iraehc
Sr. Künigl. Hoheit des Kronprinzen Friedrich Wilhelm das besondere Interesse
Sr. Majestitt des Kaisers Wilhelm I. erweckt hatte und nachdem auf höhere
Weisung im Jahre 1880 der Geheime Oberbaurat Adler in einem ausführliehen
Gutachten für die Erhaltung des Baudenkmales eingetreten war, ergab sich
die Möglichkeit, die erforderliehen Baarmittel soweit sicher zu stellen, daas der
AuslUhrung näher getreten werden konnte.
Nunmehr wurde durch den Geheimen Oberbaurat Adler ein neuer,
durch Fortlassung des ursprilnglleh beabsichtigten Kapellenkranzes mid Ein-
schränkung der Strehesysteme wesentlich vereinfachter Entwurf im Ministerium
der üS'entlichen Arbeiten aufgestellt. Nach seiner Genehmigung konnte im
Jahre 1882 das Baubureau, im Frühjahr 1883 die Bauhütte ihre Arbeit be-
ginnen. Die Fertigstellung der Arbeiten erfolgte 1896, am 7. August 1896
fand die feierliche Wiedereiuweihung in Anwesenheit Ihrer Majestät der Kaiserin,
als Vertreterin Sr. Majestät des Kaisers, sowie Sr. Königl. Hoheit des Prinzen
Heinrich statt.
Der ursiirUngliche Bauplan hat während der vierzehnjährigen BauausfOh-
rung verschiedene wesentliche Veränderungen und Erweiterungen erfahren.
Nach dem ersten Plane war flbcriiaupt nur die Wiederherstellung des eigent-
lichen Kirchenge bändes, unter Ausschins» des Tunnes, ins Auge gefasst worden.
Nur das Kirchengebäude gehörte der evangelischen Gemeinile, der Turm war
Eigentum der Stadt Wesel. Währcad des Baues ging auch der Turm in (
für riic DenUmHlp'!oi,'e in der Rheinprovir
Fig. 17. Wesel. Gruiidriss der Willibrordikircbe.
254 Bericht über die Thätig^keit der Provinzialkommiission
eingesetzt, auch der grösste Teil des Flnrbelages verlegt. Zum Temperieren
der Luft an kalten Wintertagen ist eine Mitteldruck-Wasserheizung mit Gas-
feuerung angelegt. Zum Aufstellen der erforderlichen Oefen mussten an zwei
Stellen Kellerräume geschaffen werden.
Im Jahre 1895 wurden alle im Inneren der Kirche und des Turmes noch
rfickständigen Arbeiten, Ausmalung, Verglasung, Plattenbelag u. A. fertiggestellt,
die Orgelempore errichtet, der Orgelprospekt mit Gehäuse für das Werk und
die Blasebälge aufgestellt und das grosse Orgelwerk eingebaut.
Im Jahre 189ft wurde die innere Einrichtung yollendet. Am Westportide
wurden die Standbilder von Melanchthon, Glarenbach und Heresbach aufge-
stellt, an den beiden Kreuzschiffgiebeln die Statuen des grossen Kurfürsten
und des Kaisers Wilhelm I. Zur Regulierung der Umgebung der Kirche
wurde das von der Gemeinde angekaufte Gebäude der Garnison- Verwaltung
abgebrochen und neue Trottoir- und Kanalanlage, sowie Pflasterung der Strassen-
fahrbahn ausgeführt. Die genehmigte Freilegung der Westseite ist zurück-
gestellt bis zur Bereitstellung der Geldmittel, welche die Allerhöchsten Ortes bereits
bewilligten Lotterien ergeben werden.
Die zum Bau erforderlichen Geldmittel sind in der folgenden Weise auf-
gebracht worden:
1. Einmaliger Zuschuss aus dem Allerhöchsten Dispo-
sitionsfonds Sr. Majestät des Kaisers .... 270000 Mk.
2. Einmalige Bewilligung des 27. Provinzial-Land-
tages (1881) 50000 Mk.
3. Sammlungen des Willi brordi-Sammel Vereins, Ergeb-
nis der Hauskollekte in Rheinland und Westfalen 100000 Mk.
4. Beitrag der evangelischen Gemeinde 120000 Mk.
6. Ergebnis zweier durch Se. Majestät den Kaiser be-
willigten Lotterien 700800 Mk.
G. Ergebnis einer dritten, nachträglich bewilligten
Lotterie . . . . , 800000 Mk.
2040800 Mk.
Die alten Hausteinarbeiten im Aeusseren des Kirchengebäudes waren zum
grossen Teil in Baamberger Stein (aus der Gegend von Münster in Westfalen)
ausgeführt worden. Infolge der überaus geringen Wetterbeständigkeit dieses
weichen Gesteins waren die Gliederungen, Profile und ornamentalen Verzie-
rungen der äusseren Architektur vor Beginn des Baues fast bis zur völligen
Unkenntlichkeit verwittert.
Von den alten Architekturteilen des Turmes sind die Gewände, Pfosten
und Masswerke sämtlicher Blendnischen, mit denen die Turmflächen belebt
sind, aus TufiFsteiue gefertigt; die Wasserspeier, die Masswerkbrüstung am
obern Ende des Turmes (wovon nur noch die Reste der Fialenkörper erhalten
waren), die Masswerke und Pfosten der SchallöflFnungen und das Westportal
bestanden aus Baumberger Material. Aus dem gleichen Gestein war früher
jedenfalls auch das Masswerk des grossen sechsteiligeu Westfensters hergestellt,
für die Deukmalpflcgo in der Rlieinprovinz, 255
das vor einigen Jahrzehnten bereits erneuert worden ist. Dagegen sind die Ge-
sinifie, einige grosse Laubwerktonaolen, das Gewände des Westportales nod
die Eckquadern der vier Tnriiikanlen aus Draehenfelser Trachj-t gefertigt.
Sowohl am Tunii wie am Kirchcngebaude sind sämtliche glatten äusBeren
Mauerfläehen mit TufTstcincii in Ziegelformat (25:12:llem) verblendet.
Die Rimdpfeiler und Dienste {einscliliessbch zweier Vieriingspfeiler) im
Inneren der Kirche sind aus einem ziemlich grobk<iriiigen festen .Sandstein ge-
arbeitet, welcher anscheinend aus der Riihrgegend berrührt. Die beiden grossen
in der Kirehe stehenden östlichen Tiirinpfeiler jedoch sind mit einem starken
Uausteinmantel aus Drachenfelser Tracbyt umkleidet; ans dem gleichen Material
sind anch die schweren dazugehörigen Selieidebögen de^ Tunucs, sowie zwei
von den Vicmngspfeilern in ihrem unteren Teile (bis zum Kampfer der Scheide-
bögen) hergestellt. Das Kem-Manerwerk der Turmpfeiier besteht in der Regel
abwechselnd aus Ziegel- und TulTmaterial und ist vielfach nur als Fullmancr-
werk ohne Verband ausgeführt.
Die Kapitale der Pfeiler und Dienst«, die Laubwerkskonsolen, wie über-
haupt alle sonstigen alten ornamentalen Arbeiten im Inneren sind teils aus Tuff-
steiii-, teils ans Baumbcrger Material hergestellt. Ein beträchtlicher Teil der-
selben hat erneuert werden müssen, weil sie vielfacli zerdrilckt waren. Die
Rippen nnd Anfänger der in grosser Mannigfaltigkeit ansgebildeten alten Stem-
gewölbe sind durchweg aus Tuffstein gefertigt.
Das an der Kirche verwendete Tuffmaterial war von zienilicb schlechter
IkschaiTenheit, denn die alte Tnffsteinrerblendnng der äusseren Wandflächen
war auf eine Tiefe von 3 — 5 cm so ansgencttcrt, dass die vollständige Erneue-
rung der Verblendung sich nicht hat umgehen lassen, während bei zahlreichen
anderen mittelalterlichen Bauwerken des Rheinlandes im gleichen Falle ein
blosses Abscharrieren der alteu Tuffsteinverblendung hingereicht hat, um für Jahr-
hunderte aufs neue eine gesunde und glatte Mauertlttchc zu schaffen. Ebenso
mnssten auch im Inneren der Kirche zahlreiche Rippensilicke der alteu Ge-
wOlbc herausgebrochen werden, weil dieselben vielfach zerdrUckt und völlig
verfault waren.
Es sei femer noch erwähnt, dass beim Abbrechen alter Manerteile mehrere
vermauerte grosse Ziegelformsteine gefunden worden sind, Fensterschmiegen mit
dem Ansatz der Masswerkspfosten, Auch' anderweitig haben sich vei-sehiedent-
licb Formsteine im Innern unter dem alten Putz gefunden. Es erseheint dar-
nach fast, als hätte seiner Zeit einmal der Gedauke vorgelegen, den Bau
ganz als Backsteiubau aufzuführen.
Bei Beginn der jetzigen Bauansführung ist binsiehtlicb der zu verwenden-
den Materialien eine möglichst sorgfältige Wahl getroffen worden. Fü!' die
ganze Anssenarcbitcktur am Kirchengebäude imd Turm üel die Entschei-
dung auf das Obernkirehener .Sandsteiumatcrial, welches mit einer fast marmor-
artigen Feinkörnigkeit eine grosse Festigkeit und Reinheit des Geftiges ver-
bindet und daher erfahrungsmässig ganz ausserordentliche Wetterbeständig-
keit besitzt. FUr die umfangreichen Instandsetzungsarbeiten, sowie fUr alle
256 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
neuen Architekturteile im Innern der Kirche, abgesehen von den Gewölben,
ist fast ausschliesslich üdelfanger Sandstein, aus der Gegend von Trier, ver-
wendet worden, der im Material und in der Bearbeitung billiger kommt
als der Obemkirchener Stein, sich vortrefflich zu omamentalen Sachen bearbeiten
lässt und dabei eine verhältnismässig grosse Druckfestigkeit besitzt. Zur Ver-
wendung im Aeusseren ist dieser Stein jedoch weniger geeignet.
Die Anfänger der neuen Hochschiffsgewölbe sind gleichfalls aus Üdel-
fanger Stein hergestellt, ebenso ein grosser Teil der in den Gewölben zahlreich
erneuerten Rippen. Im übrigen sind die Rippen der neuen Hochschiffs- und
Chorumgangsgewölbe aus Tuffstein gefertigt. Das Rohmaterial für diese, wie
auch die Tuffsteine in Ziegelformat zur Verblendung der äusseren Mauerflächen
wurde aus dem Brohlthal bezogen. Das Material ist als Weibemtuff bekannt.
Der oberste Leiter des ganzen Baues war der Wirkliche Geh. Oberbaurat
Adler, der im Einvernehmen mit den Königlichen Conservatoren der Kunstdenk-
mäler, Geh. Baurat von Dehn-Rotfelser und Geh. Oberregierungsrat Persius,
alle Restaurationsarbeiten und Bauausführungen anordnete. Die obere Bau-
leitung am Orte führten nacheinander Regierungs-Baumeister Schroeder 1882
— 1885, Baurat Mertens 1885 — 1887, Regierungs-Baumeister Mecum 1887,
Baurat Hillenkamp seit 1887. Mit der besonderen Bauleitung waren betraut
der Architekt Otter, der schon an der Projektbearbeitnng beteiligt war, und
von 1889 an ausserdem der Regierungs-Baumeister Lehmgrübner; in den Hän-
den beider lag auch die Vorbereitung der gesamten inneren Ausstattung.
Der bei weitem grösste Teil der Steinmetzarbeiten, sowie die omamen-
talen Bildhauerarbeiten wurden in eigener Hütte ausgeflihrt, welche 20 — 30,
zeitweise sogar 40 Steinmetzen beschäftigte. Meister derselben war C. Rein-
hard und nach dessen Tode von 18H9 an F. Gleichmar. Da bei Beginn
der Bauarbeiten für die Willibrordikirchc gerade am Kölner Dom wegen Ein-
schränkung des dortigen Betriebes eine grössere Anzahl von Steinmetzen und
Versetzem verfügbar wurde, so wurden dieselben mit einigen Polieren in die
neu gebildete Hütte der Willibrordikirchc übernommen. Die Maurer- und Ver-
setzarbeiten wurden ebenfalls in Regie ausgeführt unter Leitung des Meisters
Eichberg. Die genannten Meister entstammten alle der Hütte des Kölner Domes.
Die Wiederherstellung der alten Malereien in den Gewölben und die weitere
Ausmalung erfolgte durch den Maler Grimmer.
Ausführliche Geschichte und Beschreibung der Kirche bei Giemen, Die
Kunstdenkmälcr der Rheinprovinz II, S. 125. — Hillmann, Die evangelische
Gemeinde Wesel und ihre Willibrordikirchc S. 145, 180 ff. — üeber die Wiederher-
stellung vgl. Ccntralblatt der Bauverwaltung XVI, 1896, S. 371 und Monats-
schrift für Gottesdienst und kirchliehe Kunst I, 1896, S. 211. — Eine aus-
führliche Publikation steht durch den Wirklichen Geh. Oberbaurat Adler in
der Zeitschrift für Bauwesen bevor.
Otter.
D^EinälpBege in der Rheliiprovi
14. Anfertigung von Kopien der niiltclaltür lieben Wand-
malereien der Rbeinprovinz.
Die Provinzialkominiftsion hat selion im Jalire 1895 die Anfertigung von
Kopien und Pansen der mitte latterliclien Wandmalereien der Provinz beacliloBBen,
zunächst um diese kunstgeBchiehtlicIi ausBcrordentlich wertvollen Denkmäler,
die zum Teil in ihrem Bestände gefklirdet sind und immer mehr TcrBchwinden
nnd verbleichen, in ibrem jetzigen Zustande festzulegen, sodann aber um auf
diese Weise das Material flir eine grosse Publikation der sämtlicben Wand-
malereien zu sammeln, die im Verein mit der Gesellschaft filr rheinische Ge-
schichtskunde in Aussicht genommen ist. Von der grossen Zahl der in der
Rheinprovinz vorhandenen älteren Wandmalereien sind eigentlich nur drei
Cyklen, die zu Sehwarzrheindorf, Brauweiler nnd Kainersdorf in genOgender
Form durch aus'm Weertb publiziert; selbst von den wichtigsten Malereien, so
den in der Taufkapelle der Kirche St. Gereon zu Ktlln, sind nur ganz unzu-
längliche und dftrftige Proben verößfentlicht, von den ganz allein stehenden Ge-
mälden auf den Chorschranken des Kölner Domes existieren überhaupt keine
Abbildungen, und die kunstgesebicbtiicb besonders wichtigeu Wandmalereien
zu Aachen, Werden, Sayn, Trier, Oberwesel, Eltz haben bisher in der Litte-
ratur noch gar keine Beachtung gefunden. Im Rahmen der Denkmftterstatistik
ist für eine eingehende Behandlung dieser malerischen Reste kein Raum:
hier können nur einzelne Proben geboten werden.
Gerade in den letzten Jahren sind nun eine grössere Anzahl sehr bedeu-
tender Malereien erst entdeckt oder aufgedeckt worden.
lu den Kölner Kirchen sind teilweise systematische Nachforschungen an-
gestellt worden. In der Kirche Ht. Cäcilia wurde sehon 1894 unter der Lei-
tung des Stadtbaurats Heimann unter zwei späteren Tünchen, die eine Malerei
des 16. Jahrhunderts und eine vom Ende des 18. Jahrhunderts trugen, im
Chorhaus ein vollständiger Cyklus von Darstellungen in je drei Reihen über-
einander aufgedeckt, auf der Nordseite Scenen aus der Geschichte der Heiligen
Cäcilia, Tiburtins, Valerianus, Masimus, auf der Südseite Scenen aus der Ge-
schichte Christi von der Gehurt bis zum Verhör vor Pilatus. Die Gemälde
sind ganz besonders wichtig, weil sie zum erstenmal in Köln die Herrschaft
eines freien und grosszflgigcn golhiachen Monumentalstiles unter deutlichem fran-
zösischen Einfluss zeigen. Sie sind knrz nach den Malereien in Rameradorf,
ungeßlhr um das Jahr 13Ü0 anzusetzen. Weitere Reste sind au dem Triumph-
bogen, an den Pfeilern des Langhauses aufgedeckt worden. Die erhaltenen
Malereien sind photographisch aufgenommen. Alte Reste sind gepaust worden,
für das Denkmälerarchiv der Rlieinprovinz sind ausserdem von einzelnen Scenen
farbige Facsimiles angefertigt worden. Der ganze Cyklus ist durch den Maler
Bardenbewer ergänzt worden nnd soll im Sommer 1897 wiederhergestellt werden.
Über die Malereien soll nach Abschluss der Restauration der Kirche in diesen
Berichten noch besonders gehandelt werden.
In der Kirche St. Andreas zu Köln wurden sodann fast in sämtlichen
Seitenschi ßkapellen frUhgotbische 31alereien aus dem Anfang des X^M
Jahrb. d. Ver. v. Altertliifr. Im Blielal. lOJ. if "
258 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
hunderts aufgedeckt; in dem nördlichen QuerschiiF ausserdem Gemälde aus dem
Ende des 14. und dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Von besonderer Wich-
tigkeit sind hier die frtihgothischen Werke, vor allem die in doppelter Lebens-
grösse ausgeführten Darstellungen der Krönung Maria und der Dreieinigkeit in
der einen südlichen Kapelle, die von den Malereien in St. Cäcilia zu denen im
Dom und in S. Severin zu Köln überleiten und die Kette schliessen, die direkt
von den ersten gothischen Versuchen zu den Werken der Kölner Malerschule
am Ende des 14. Jahrhunderts führt. Die Würdigung der Kölner Malerschule
ist ohne die Hinzuziehung dieser Wandmalereien einseitig und schief.
In der Kirche S. Gereon wurden im Winter des Jahres 1896/97 bei der
Restauration des Inneren des Langchores in der Apsis sehr wertvolle Gemälde
entdeckt, die wohl kurz nach der Vollendung des Chores um 1160 entstanden
sind. Die Daretellung in der Concha: ein grosser Salvator in der Mandorla,
umgeben von den vier Evangelistensyrabolen, an den Seiten je zwei Einzel-
figuren von Heiligen, war durch die im 18. Jahrhundert hier aufgeführte Stuck-
dekoration stark beschädigt und nur in Bruchstücken vorhanden; dagegen
waren die grossen Einzelgestalten von gewappneten Heiligen aus der thebäischen
Legion und die Bischofsgestalten in den Fenstergewänden und in den unteren
Nischen ganz vortrefflich, auch in der Farbe, erhalten. Die Malereien in der
Concha sollen durch den Maler Osten mit Benutzung der fast gleichzeitigen
Gemälde in der Apsis des St. Patroklnsmünsters in Soest, denen die in St.
Gereon auflfällig verwandt sind, ergänzt, die übrigen Figuren sollen, soweit an-
gängig, nur sorgfältig nachretouchiert werden.
In der Nunkirche bei Sargenroth (Kreis Siramem) wurde in der Turm-
halle, leider auf sehr schadhaftem Putz, die ikonographisch sehr merkwürdige
Darstellung eines jüngsten Gerichtes entdeckt, die um die Wende des 12. und
13. Jahrhunderts entstanden ist. Sie wurde durch den Maler Wilhelm Batzem
sorgfältig kopiert. In der Markuskapelle zu Altenberg (Kreis Mülheim a. Rh.)
wurden die Spuren einer vollständigen dekorativen Ausmalung in den Formen
des Cbergangsstiles um 1230 aufgefunden, dazu an der Westseite eine grosse
Krönung Maria. Auch diese Malereien wurden durch den Maler Bardenhewer
genau aufgenommen. Bei der Untersuchung der Apsis der ehemaligen Abtei-
kirche zu Steinfeld (Kreis Schieiden) sind in der Concha eine grössere Dar-
stellung der Krönung Maria, zwischen den Fenstern Einzelgestalten von Aposteln
und Heiligen zum Vorschein gekommen; die weitere Aufdeckung ist in Aus-
sieht genommen.
In der katholischen Pfarrkirche zu Linz (Kreis Neuwied) waren schon in
den sechziger Jahren im ganzen Langhaus Wandmalereien aufgedeckt und auf
Veranlassung des damaligen Conservators der Kunstdenkmäler, von Quast,
wiederhergestellt worden. Da infolge der hierbei verwandten schlechten Farben
rasch eine Zersetzung der Malereien eingetreten war, wurden sie auf Veran-
lassung der Königlichen Regierung in Coblenz durch den Maler Bttschkens ein
zweites Mal restauriert. Die Malereien, die um 1220 entstanden sind (die
Kirche ist vor 1217 vollendet), zeigen über den Arkaden des MittelschiflFes
ttr die Denkmiilpfiege in der ßheinprovinz.
260 Bericht über die Thätigkeit der t^rovinzialkommission
unter dem Hauptgesims einen durchlaufenden Fries; über die Pfeiler treten
regelmässig unter einfachen Baldachinen Einzelgestalten. Auf der Südseite im
ersten Joch die grosse Gestalt Christi en face, der mit den beiden Händen zwei
in Pilgertracht erscheinenden Gestalten, einer bärtigen männlichen und einer weib-
lichen, wohl den Donatoren, Kronen aufsetzt. Von beiden Seiten strömen Pilger,
Bettler und Krankeraschen Laufes nach der Mitte zu (Fig. 18). Auf der Nordseite
am selben Joch in der Mitte die h. Ursula, unter ihrem Mantel sechs Jung-
frauen bergend, drei Engel mit Kronen und Palmen auf sie zuschreitend, in
dem Zwickel rechts weitere elf Jungfrauen. In den ferneren Jochen an der
Nordseite die grossen Einzelfiguren der heiligen Margaretha, Katharina, Bar-
bara, an der Südseite die heiligen Martinus und Petrus, jede Figur umgeben
von Engeln mit Kerzen und Rauchfässern, stehend, schreitend oder schwebend,
in schönen reichen flatternden Gewändern. Durch den Maler Bardenhewer sind
mit Benutzung der Pausen ümrisszeichnungen nach diesen Malereien hergestellt;
auf die farbige Wiedergabe musste hier, da die Gemälde eben schon z>vei
Restaurationen erduldet hatten, verzichtet werden.
Für die übrigen Aufnahmen ist die Aquarelltechnik gewählt worden. Die
Gemälde sind mit Benutzung von Photographien aufgenommen und mit allen
Schäden des Originales wiedergegeben, ähnlich den im Auftrage der commission
des monuments historiques angefertigten, im Museum des Trocadero zu Paris
aufbewahrten Blättern. Über die durch den Maler Otto Vorländer angefertigten
Kopien der Wandmalereien zu Boppard ist bereits im letzten Jahresbericht
der Provinzialkommission berichtet worden. Der Maler Vorländer, der für die
Sommermonate 1896 dauernd zum Zwecke solcher Aufnahmen in der Provinz
beschäftigt war, hat weiterhin Kopien der romanischen Wandmalereien zu
Bacharach und der gothischen Wand- und Gewölbemalereien zu Oberdiebach
(Kreis St. Goar) angefertigt. Durch den Maler Friedrich Stummel in Kevelaer
wurden die romanischen Malereien in der Krypta der Martinskirche zu Emmerich
und einzelne der romanischen und gothischen Gemälde in der Mttnsterkirche zu
Essen kopiert. Die Maler Ehrich und Döringer haben die im Chor der Lieb-
frauenkirche zu Trier befindlichen Reste frühgothischer Malereien sorgfaltig
aufgenommen. Der Maler Wilhelm Batzem hat endlich noch Kopien der ver-
schiedenen Wandgemälde in Mtinstereifel, Oberwesel und Andernach ausge-
führt. Die sämtlichen Aufnahmen sind dem Denkmälerarchiv zu Bonn einver-
leibt, dem auch die Origiualpausen der Wandmalereien zu Sayn, Linz, Boppard,
Oberpleis übenviescn worden sind. Die Arbeiten werden im Jahre 1897 fort-
gesetzt.
Giemen.
Berichte
Aber die Thätlgkelt der Provlnzlalmaseen In der Zeit vom 1. April 1896
bis 31. März 1897.
I. Bonn.
Die Unternehraungen des hiesigen Provinzialmuseums konzentrierteD sieh
diesmal hauptsächlich auf die Aufdeckung des Römerlagers bei Neuss, welche
dank der reichlichen Bewilligungen seitens der Museumskommission und des
Provinzialausschusses beträchtlich gefördert werden konnte. Zunächst wurde
in dem nordöstlichen Teile des Lagers die von der via principalis zum Nord-
thore führende Strasse auf deren ganzer Länge von c. 140 m durch Quer-
schnitte untersucht, welche feststellten, dass der mittlere Damm der Strasse an
der Sohle aus festgestampftem Lehm bestand, über dem mehrere Kieslagen
aufgetragen waren, und ihre Gesamtbreite c. 14 m betrug. Eine zweite den
Decimanus rechtwinkelig schneidende Strasse von 6 m Breite wurde 106 m
südlich der Umfassungsmauer festgestellt, nebst der sie begleitenden 49 cm im
Lichten breiten Rinne, deren Sohle aus Ziegelplatten und deren Wände aus
TuflF hergestellt waren, alsdann das Intervallum durch Quergräben in seiner
Breite von c. 29 m mit dem in seinem Rücken angebrachten, in den früheren
Berichten erwähnten Abschlusskanal ermittelt und die Umfassungsmauern der
Nordflanke auf eine Länge von 79 m blossgelegt. Ein dabei gefundenes Stück
des Aufbaues ergab, dass dereelbe über dem 1 ,20 m breiten aus Rheingeschiebe
und Lehm bestehenden Fundamente von behauenen TuflFsteinquadeni von 30 cm
Höhe und 60 cm Breite gebildet war, welche durch Eisenklammern mit ein-
ander verbunden waren. Ebenso fand die Frage, ob auch an der Nordseite
ein Umfassungsgraben vorhanden war oder der Rhein hier diesen Zweck er-
füllte, ihre Lösung, indem das Vorhandensein eines solchen ermittelt wurde,
dessen Profil jedoch wegen der hier in der französischen Zeit angelegten Ziegel-
öfen zerstört war. Wichtig war die Feststellung des Nordthores, bei dem eine
ältere und eine jüngere Anlage beobachtet wurde. Die ältere Anlage, welche
von den äusseren Mauerkanten gemessen eine Breite von 29V2 ™ ^^^ einer
Tiefe von ca. 13^» ni hatte, zeigte einen von dem östlichen Teil der Um-
fassungsmauer nach innen gehenden bogenförmigen ca. 1,15 m starken Mauer-
362 Berichte über die Thätigkeit der Provinzialmuseen
arm, dem vielleicht aof der anderen Seite ein gleicher Arm entsprach. Ein in
der Mitte aufgedecktes Maaerfnndanient bewies^ dass der Thordarchgang ge-
teilt war. Auf den fast bis zur Fnndanientsohle ansgebrochenen Teilen dieser
älteren Thoranlage war ohne Benutzung ihrer Mauern die jüngere von 26V2 ™
Breite und 15 m Tiefe errichtet mit zwei 2,90 m breiten, durch mächtige
Pfeiler getrennten Thoröffhungen, die an jeder Seite durch einen Turm von
15 : 9 m Seitenlänge flankiert waren. Während die Fundamente des älteren
Thores aus Tuff bestanden, bildete Sandstein das Material bei dem jüngeren
Thore, an dessen Stelle im Aufbau Tuff und in den omamentalen Teilen Jura-
kalk getreten zu sein scheint. In einem Abstände von 57^ m vor der Um-
fassungsmauer kam ein etwa 8,70 m langes Fundament zum Vorschein, mit
rechtwinkelig abgehenden Seitenmauem, welche in ihrem Verlaufe durch die
oben erwähnten Ziegeleien zerstört waren, so dass der Grundriss unaufgeklärt
bleiben musste. Indem die Grabungen nun sich dem Inneren des nordöstlichen
Lagerteils zuwandten, wurden zunächst zwischen der zum Nordthor f&hrenden
Strasse und dem Intervallum die Fundamente eines grossen Baues von
78V2 • 66 ro Seitenlänge freigelegt, der einen inneren Hof, mit einer Säulen-
Stellung auf allen 4 Seiten umschloss, um den sich 13,32 m tiefe Käume her-
umzogen. Die Aussenseite der Mauern war mit 60 cm breiten Pfeilern ver-
sehen. Von der Mitte der Nordseite f&hrte ein Kanal das Abflusswasser des
offenen Hofes in den grossen Kanal des Intervallums ab. Auf den Fundament-
resten dieses Baues, welcher nach der Analogie ähnlicher Anlagen als ein
Horreum anzusehen ist, ist in späterer Zeit ein anderes Magazin mit einem
ca. 64 m langen und 21,10 m breiten von Säulen eingefassten Binnenhofe er-
richtet worden, den an allen Seiten Räume von 7,70 bis 8,50 m Tiefe um-
geben. An beiden Seiten der Mauern, welche 1,20 m stark waren, befanden
sich in Abständen von SV* bis 4 m Wandpfeiler von 1,48 ra Breite und 70 cm
Tiefe. Die östlichen Teile dieses jüngeren Baues bedeckten ausser den Resten
des älteren Horreum noch einen dieses östlich begrenzenden Weg und den
grössten Teil von zwei an diesem Weg liegenden Kasernen. Dieselben gehören
zu einer Gruppe von vier kleineren 35,20 bis 35,70 m langen und 18,30 m
breiten Kasernen, welche durchschnittlich 14 Räume verschiedener Grösse ent-
hielten. Ihre schmalen Grundmauern waren aus Schiefer und Grauwacke er-
richtet, während für den Aufbau Tuff v^erwendet war. Beide Kasernen wurden
durch eine schmale Gasse getrennt, während eine zweite an ihrer östlichen
Langseite vorbeilaufende Gasse sie von einer dritten Kaserne scheidet, welche
zwar die Beschaffenheit der früher blossgelegten Kohorten-Kasernen hatte, aber
wegen ihrer geringen Dimensionen nur Raum für eine Centurie bot. Dadurch
wurde das wichtige Ergebnis gewonnen, dass in der Xordosteeke des Lagers
bloss 6 Ccnturien, also gerade eine Kohorte lagerten. Südlich des späteren
Horreum wurde dann ein Kolossalbau aufgefunden, welcher sich als die Bade-
anlage des Lagers er^vies. Mit Rücksicht auf die grossen Kosten, welche die
Freilegiing der Fundamente wegen ihrer grossen Tieflage verursacht haben
würde, beschränkten sich die Grabungen auf die Feststellung der Breite des
1 (lur Zuit ^
1. Aiiril 189Ü bis 31. Mllra Iö97.
Gebäudes, welche 88,80 m betrügt nnd die Aufdeckung einzelner Teile wie
z. B. zweier grosser Säle mit halbkreisförmigen Anbauten, welche mit Ziegel-
eatrich versehen waren. In dem ästlicheD Teile wurde ein Ofen von 5,50 : 6 m
Seitenlänge blossgelegt mit dem Praefumiom, über dem in höherer La^e ein
Heizkaaal vuu 18 cm lichter Rreitc und 2U cm lichter Höbe angetrüffcn wurde.
Die Wände desselben waren uiil Tuffstein, die Sohle und die Abdeckung aus
Ziegeln mit dem Stempel EXGERINF hergestellt, was für die Zeitbestimmnng
der Badcaulage vun Bedeutung ist. Aus einem 30 m langen und 6V« m breiten
Gemach der SUdostecke der Anlage, welches durch einen 2,9ü m breiten Gang
nördlich von einem über 25 m langen und 15,30 m breiten Saale getrennt
wurde, kam ein in westlicher Richtung verlaufender sorgfältig aus Tuffstein
gearbeiteter Abflusskanal von 60 ciu lichter Höhe und 40 cm lichter Breite,
dessen Sohle und Wände mit Ziegelplatten verkleidet waren.
We«!lieh der zu dem Nordtlior fUhrendcn Strasse wurden Teile von zwei
durch eine Quergasse getrennten Bauten aufgedeckt; zunächst nördlich der
Gasse die Ostseite eines 78,50 m langen Gebäudes, dessen Tiefe bis zu 20 m
verfolgt werden konnte. Ein 4,44 ni breiter Eingang in der Mitte führte zu
einem 41 m breiten Mittelraum, an den sich rechts und links 17 m breite
Räume anschlössen. Über die Einteilung dieses sowie eines zweiten südlich
der Quergasse angetroffenen grösseren Gebündes kennen die weiteren Grabungen
erst genaueren Anfschluss bringen.
Die im Spätherbst in dem südlich der Kölner Chaussee gelegenen Lager-
teile vorgenommenen Grabungen stellten die Beschaffenheit der via quintana,
des Intervallum, der Umfassungsmauer auf dieser Strecke, sowie das Vorhan-
densein eines 3,20 m tiefen und 3 m breiten Turmes an derselben fest. Von
Gebäuden, vrelche emiitteit wurden, sind zu nennen die Rückseiten von 6 Ka-
sernen von 11,50 m Breite, deren Vorderteile bereits bei früheren Grabungen
blossgelegt worden waren, femer nördlich der via Quintana und östlich von den
erwähnten Kasernen ein grosser Bau von 89,20 : 50 m Seitenlänge mit einem
Hof, ura den sich zwei Reiben durch 5 m breite Gänge geschiedener Zimmer
gruppieren. Ein Teil dieses Gebäudes, über dessen Bestimmung die Fortsetzung
der Grabungen auf dem Nacbbargrundstflck Aufklärung bringen kann, ist durch
den ümfassungsgraben der Westecke des späteren Alenlagers zerstört worden.
Auch dieser Graben, welcher wie die Lagerecke selbst abgerundet war, wurde
durch Grabungen als ein doppelter Spitzgraben bestimmt, während von dei"
Umfassungsmauer des Alenlagers nur geringe Spuren ermittelt wurden. Südlich
der via ijuintana wurden ferner die Hinterteile von vier Gcnturienkasernen aus-
gegraben, welche dieselbe Einrichtung wie die früher aufgedeckten Kasernen
hatten. Dieselbe Beschaffenheit ergaben auch drei an der Sfldflanke aufge-
deckte Cenlnrienkaseruen, deren völlige Offenlegung für die Bestimmung der
hier lagernden Truppenmasse von Wichtigkeit war. Östlich von den eben ge-
nannten Centuricnkaseriien wurden an der via quintana Teile von zwei grossen
nBscheinetid iu naher Beziehung zu einander stehenden Gebäuden freigelegt,
von denen das eine 50 m, das andere 77,70 m Länge hat. Die Feststcllnng
261
Berichte über die Thätigkeit der ProviiiEiAlmiiBeen
der Breite nnd des GrnndrisBes im eiozelnen mnss tod dea weiteren Grabongen
erwartet werden. Nach den aufgefundenen starken Brandschictiten und Eisen-
Bcfalacken durften sie Arbeltszweeken gedient haben. Unter überaus schwierigen
Verhältnissen erfolgten endlieh Grabungen in den Gärten der an der Stldseite
der Kölner Chaussee gelegenen Häuser, welche den Zweck hatten, die Grösse
des Praetoriuins festzustellen. Die Östliche Abschlassmaner des Praetorinrns
Würde gefunden und seine ganze Breite auf 88,80 m, also genau auf 3000 rö-
mische Fuss festgestellt, femer die dasselbe begrenzende ^etliche Seitenstrasse
Fig. 19. Bonn. Erwerbungen auH d. J. 1895—96.
sowie die Nordgrenze der liinter dem Praetorium liegenden Bauten nebst der
an ihr vorbeifuhrenden Gasse ermittelt. Das Ergebnis der Grabungen, welche
Herr Geheimrat Professor Nissen leitete, war auch diesmal an Eiozelfundeo
ein reiches. Unter den Fiiudstüeken (10508—10757. 10789—10883. 10901
— 10960. 11139—11235. 11326—11361. 11372—11436), deren Zahl sich
auf .597 Nummern belauft, sind ausser vielen Stirnzicgeln mit figürlichen Dar-
Kfellungcn, gestempelten Ziegeln, ornamentierten ArchitekturatUekcn, Waffen,
Henkeln, Griffen, Bcsch lagst ticken, chirurgischen Instnimeuten nnd Münzen be-
sonders hervorzuheben : aus Bronze ein Fingerring mit Gemme, auf der Her-
in der Zeit vom 1. April 1896 bis 31. März 1897.
265
knles dargestellt ist (10612), zwölf Zierknöpfe (11333), eine versilberte Zier-
scheibe (10882), eine emaillierte Scheibenfibula (10 881), ein emaillierter Messer-
griflf (10883), ein Würfel mit Augen in gelbem und blauem Email (10613),
eine httbsche Pincette (10 611), eine offene Lampe (11 326), ein Sehiebschltissel
(10691), ferner Gnssformen für Bronzeornamente nebst Schmelztiegel (11231
—11234. 11344—11345) sowie mehrere Inschriftfragmente (10 817—10823).
Bei Weitersburg unweit Bendorf wurde im Spätherbst von der Reichs-
Limes-Kommission ein grösserer Gebäudecomplex entdeckt, dessen weitere Un-
tersuchung von dem Museum auf seine Kosten übernommen wurde. Die bis
Ende Oktober, soweit die Felder zugänglich waren, fortgesetzten Ausgrabungen
U^^si-f^^;.
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Fig. 20. Weitersburg. Grundriss des römischen Gebäudes.
ergaben ein ca. 62 m langes ländliches Gehöfte mit Wohn- und Wirtschafts-
räumen, welches ausser einer Kelleranlage mit Nischen in allen vier Wänden
und einem mit Hypocaustum ausgestatteten Räume nichts Aussergewöhnliches
bot (Fig. 20). Die Ausgrabung stand unter der örtlichen Leitung des Herrn
Dr. Ritterling. Die Veröffentlichung der Resultate wird nach ihrer Vollendung
erfolgen. Unter den Fundstücken sind ein Schälchen (11072) und der Halb-
deckel eines GeiUsses aus Bronze (1 1 076) hervorzuheben.
Innerhalb des römischen Lagers bei Bonn wurden bei den Fundamen-
tiemngsarbeiten für den Neubau einer Braureei an der Nordstrasse ' Teile eines
266 Berichte über die Thätigkeit der Provinzialmuseen
bedeutenden Bauwerks gefunden, welche deshalb besonderes Interesse erregten,
weil sie sich unmittelbar an bereits früher auf dem Nachbargrundstück ge-
fundene Mauerzüge anschliessen. Der aufgedeckte Teil enthielt zu beiden
Seiten eines Mittelganges eine Reihe kleiner Räume, von denen die nördlichen
nach Norden, die südlichen nach Süden sich öffneten. Die Nordseite der
ganzen Baugruppe war durch eine Stellung von abwechselnd grossen und
kleinen Pfeilern begrenzt, welche auf einen ausgedehnten offenen Binnenhof
hindeuten. Die Ausgrabungen wurden vom Museum beobachtet und von Herni
Stadtbaurat Schulze aufgenommen. Von den ins Museum gelangten Fundstücken
(10 933—11016) ist namentlich ein Messergriff aus Bronze in Gestalt eines
Pferdekopfcs (11007) zu nennen. Die Veröffentlichung des Grundrisses liegt
in dem Jahrbuch 101 S. 169 f. des hiesigen Altertumsvereins vor.
Der Zuwachs der Sammlung beläuft sich auf 944 Nummera, von denen
folgendes eine besondere Erwähnung verdient:
I. Praehistorische Abteilung:
Eine Anzahl von Grabfunden der Hallstattperiode aus dem Gemeinde-
walde von Weis bei Engers (11037—11053. 11122—11138. 11369—11371),
darunter eine Schale mit Graphitverzierung auf rotbraunem Grunde (11 138),
Geschenk des Herrn Professor Loeschcke; ferner ein becherförmiges Thongefäss
mit Schnurverzierungen aus Urmitz (10501).
II. Römische Abteilung:
1. Steindenkmäler: Statue der Minerva (10495), gefunden in den
Steinbrüchen von Plaid t (besprochen in den Bonner Jahrb. 18. 75), Bruchstück
eines grossen Altars mit Reliefs aus Moselkem (1 1 029). Mehrere Basen und
SimsstUcke, gefunden in den Ruinen eines römischen Gebäudes zu Worringen
(10 884 — 10 888), Geschenk des dortigen Gemeinderats, Trommel einer Halb-
säule, gefunden in den Fundamenten der Kirche zu Bessenich (10 759), Ge-
schenk des Herrn Wirz in Sinzig.
2. Gräberfunde: Thonurne, Henkelkrug, nebst zwei verzierten Arm-
ringen und fünf Fibeln aus Bronze, gefunden zu Bonn (11020 — 11028). Grab-
fund aus Seh waf heim bei Moers, bestehend in einem Steinsarg, drei Henkcl-
krügen, einer Sigillataschüssel und einem gewöhnlichen Teller (11030 — 11036),
Geschenk der dortigen Gemeindevertretung.
3. Einzelfunde von Kleinaltertümern, a) aus Bronze: Statuette
eines Lar, gefunden beim Klinikenbau zu Bonn (10496), ruhender Herkules,
gefunden bei Bingerbrück (10900), frührömische Fibula, gefunden zu Bonn und
geschenkt von Herrn Dr. Compernass (10497), emaillierte Fibula in Gestalt
einer Fusssohle (11366), Schüssel mit Verzierungen (10892), Deckel einer
Büchse mit Reliefbüste (11367), Griff mit Habichtkopf (10962). b) aus T hon.
Henkelkanne mit braunrot aufgemalten Ornamenten aus Andernach (10502),
schwarzer Trinkbecher mit weisser Aufschrift Sitio (10968), Lampe mit ge-
flügeltem Greif (11096), und eine andere mit Silenskopf (10982), Urne mit
Lotosblattverzierung (10965). c) aus terra sigillata: Eine Anzahl von Krügen,
Tellern, Tassen, Schüsseln und Schalen aus Bonn, Köln, Friesdorf und Wor-
in der Zeit vom 1. April 1896 bis 31. März 1897. 267
rlDgen^ geschenkt von Frau Baumeister Laurentius, und den Herren Gemeinde-
vorsteher Mentis und Bürgermeister Bender, darunter Teller mit Stempel: Of.
Mont (10974), Sehale mit dem Stempel: Germani of (10764) und eine andere
mit Stempel Of Coto in Spiegelschrift (10773). d) aus Glas: Drei kugel-
förmige Flaschen, von denen eine von besonderer Grösse, gefunden in Köln
(10761 — 10762. 10767), Kuppe mit eingeschnittenen geometrischen Mustern,
gefunden in Bonn (10788).
4. Münzsammlung: Die Sammlung römischer Münzen wurde durch
einen Fund von Kleinerzen von Gallienus, Salouina und Saloninus aus Bonn
(10780—10787) bereichert. Ausserdem ist ein Bronzemedaillon des Antoninus
Pius, gefunden in Köln (11320) und ein Grosserz des Marc Aurel (11324)^
beide von vorzüglicher Erhaltung, zu erwähnen.
III. Fränkische Abteilung:
Grabfunde, bestehend in drei Ohrringen, fünf Schnallen aus Bronze, Thon-
perlen und EisenwaflFeu vom Grabfelde zu NiederdoUendorf (11293 — 11316),
geschenkt von Herrn Oberst z. D. Wulff in Oberkassel.
IV. Mittelalterliche und moderne Abteilung:
Zwei Vortragkreuze aus Rotkupfer, 14. und 15. Jahrhundert, sowie eine
Bischofsstabcurvatur von vergoldetem Kupfer (10492 — 10494), Geschenk des
Königlichen Kammerherm Grafen von Fürstenberg-Stammheim, gotischer Mess-
kelch aus Aachen (10507) und vier Siegelstampfen, darunter eine schöne von
Hambom (11093—11095. 11363).
Der Besuch des Museums an öffentlichen Tagen ist ein ziemlich reger
gewesen, dagegen an den übrigen Tagen sehr hinter den Erwartungen zurück-
geblieben. An Eintrittsgeldern wurde bloss eine Einnahme von 212 Mark
75 Pfg. erzielt.
An mehreren Seminarkonferenzen hielt der Unterzeichnete auch in dem
abgelaufenen Jahre Vorträge archäologischen Inhaltes und erklärte mehreren
wissenschaftlichen Vereinen der Provinz die Altertümer des Provinzialmuseums.
Der Museumsdirektor: Klein.
II. Trier.
Im verflossenen Etatsjalire wurden nur in Trier selbst Ausgrabungen
unternommen, welche über verschiedene wichtige Einzelheiten der römischen
Topographie von Trier interessante Aufschlüsse brachten.
Westlich von den Ruinen des römischen Kaiserpalastes und zwar ziemlich
genau in der Hauptachse dieses Gebäudes wurde innerhalb des vermutlich ur-
sprünglich zum Kaiscrpalast gehörigen Bezirkes bei Fundamentarbeiten für
Neubauten an der Agnetenkaserne ein römisches Badegebäude aufgefunden.
Dank dem Entgegenkommen der Garnisonvcrwaltung konnte das Museum die
Anlage vor der durch die .Neubauten notwendigen Zerstörung genau unter-
suchen und aufmessen. Auch wurden wohlgelungene photographische Auf-
568 Berichte über die Tli&ligkeit il«r Proviuaialinuseen
nabnieu vou der Geeaintatüage nnd von vcrBchiedenen Einzelheiten gemacht.
Vollständig freigelegt wurde der noch vortrefflich erhaltene Plattenboden des
AuBkleiderauiiies i,A auf der beigofü|?ten PlanskizKe), aus welchem man nach
Norden nnd iiaeh Süden durch kleine Treppen in je ein ebenfalls wohlerbal-
teucH Badehasein Ü uml C gelangte. Die beiden Bassins waren rechteckig
und von dicken Mauern niiiächlosscn, die nach der Innenseite mit weissen
Marmor platten verkleidet waren; auch der ßodeu zeigte einen Belag teils aus
Zum Kaisvrpnlast EngeUber^weg Zur Weberb ach Strasse
Fig. 21. Trier. Gruudriss des ri^inischen Bade».
Mannor- teils ans weissen Kalksteinplatten. Die Platten, von denen sich noch
eine Menge ansehnlicher Bruchstücke landen, waren mit langen Brouzestiftcn
befestigt. Molir als ein Dntxeiid dieser Stifte wurde im Museum anfhewahrt.
Bleirfihrcn fltbrlcn das verhranebtt; Wasser liei d nnd f aus den beiden Baseins
in zwei Kanäle, welche unter dem Boden des Anskleideraumee bei c sich zn
einem Kanal vereinigten, der in der Richtung nach Westen sich geradltoig
fortsetzte. Während nun im Sddwcstt^b des Ansklcideranmes nur noch fin heiz-
n der Zeit vom 1. April ISSfi bis 31. März 1S97. 269
barer Raum D festgestellt werden konnte, tla moderne Gcbände dort der wei-
teren [Intereacbnng Halt geboten, setzt eich die Anlage naeli Osten, also nach
dem Kaiserpalaet -/.u, noch weiter fort. Ans dem Auskleideraum nätniicti trat
man dnrcli eine 1,70 ra breite TliUr, deren Scbwelle noch crlialten war, in
ein heizbares Zimmer E von 7 m m r> m lichter Weite, in dessen östlicher
Wand zwei Heizkanäle angebracht waren. Eine 2 ni weite Thltr fuhrt als-
dann in ein Östlich aii^tossendes anscheinend noch etwas geräumigcreg Zimmer,
welches noch nicht nntersueht ist. Haben wir in den beiden Bassins K und C
die Alllage fllr kalte liüder (Frigidariuni ) zn erkennen, so worden wir Ranni
E wohl als Caldarium ansprechen dürfen. Es fanden sich nicht nnr in dem-
selben zahlreiche grosse .Stücke von Wasserbeton, sondern vor allem weist
aaf die Rugedentete ßestimmnng eine Rinne in der zum Apodyterinin A lllh-
renden Schwelle, welche augenscheinlich ein Wasserabflnssrobr enthalten hat.
Dass das Abwasser des Ranmes E thatsilehtich Über den Plattenboden von A
weglief, beweist auch ein in diesem bei b angebrachtes rnndes Einfallloch,
welches das Wasser in das nnterirdische Kanalsystem führte. Der Raum D
wird dann vielleicht das Tepidarium gewesen sein. Besonders wichtig ist, dase
aus zahlreich gefundenen Münzen, welche teils in den Abzugskanälen, teils in den
Zimmern lagen, ja sogar in den MOiiel des einen Bassins festgebacken waren, und
welche sfimtlicb der Zeit der sogenannten 30 Tyrannen angehören, sich mit
Wahrscheinlichkeit die Erbaunngszeit des Bades ergiebt. Bestimmbar sind bisher
je ein Kleinen des Piaonius Victorinus und des Tetricus, sowie drei Kleinerze
des Clandins Gothicus. Zu den wichtigeren Einzelfunden gehört aneh ein
Ziegel mit dem Stempel der XXII. Legion, in Trier bekanntlich eine grosse
Seltenheit (21034).
Dieses allem Anscheine nach der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts an-
gehörige Badegebände ist nun teilweise über und neben den Resten eines
filteren Bades erbaut, wie die weitere Dntorsuchuug im Südosten ergab.
Dieses ältere Bad, van dem bisher nur ein ziemlich kleines Bassin G nnd ein
daran anstosaendes Zimmer F gefunden wurden, dHrffe, nach den darin gefun-
denen Gefässscherben zn urteilen, der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts
n. Chr. angeboren. Es wurde durch Brand zerstört. Der Wasserabzugskanal
des jüngeren Bades a, b, c, d, e, g läuft quer über die beiden bisher gefun-
denen Räume des älteren Bades weg und ist auf dessen Brandschutt errichtet.
Die Fortsetzung der Ausgrabung gegen (Jen Kaiserpalast hin wird alsbald be-
ginnen; man darf hoffen, dass sich noch mit Sicherheit ergeben wird, ob der
jwaiserpalast mit dem jüngeren Bade zasammenbängt oder einer anderen Pe-
riode angehört.
Ueber die bisherigen Resultate der Anagrabung der römischen Stadt-
befestigung von Trier ist durch den Unterzeichneten in der Westdeutschen
Zeitschrift XV. 1896. S. iMl ff. eingehend berichtet worden. Die Fortsetzung
der Grubungen im verflossenen Jahre hatte im wesentlichen folgende Ke«nltJite.
Znnäehat wurde die bisher noch wenig nntersuchte Strecke nördlich vom
Amphitheater in Angriff genommen. Der allgemeine Lauf der Mauer auf dieser
270 Berichte über die Thätigkeit der Provinzialmtiseen
Strecke der Bergstrasse entlang war schon durch mehrere feste Punkte be-
kannt, doch war hier namentlich noch kein einziger Turm entdeckt worden.
Wir fanden alsbald einen solchen etwa 200 m nördlich vom Nordausgange des
Amphitheaters in der Nähe des Schützenhauses. Obwohl nur im Fundament
erhalten, liess er sich noch genau messen; es war ein Rundturm von 8,63 m
äusserem Durchmesser, stimmt also in Grösse und Anlage mit den übrigen
schon entdeckten Türmen übereiu. Die Versuche, von diesem Turm aus auf
den im Süden der Stadt ermittelten Distanzen weitere Tüime zu finden, w^aren
bisher noch nicht erfolgreich, indessen lässt sich jetzt schon sagen, dass die
Türme auf dieser Strecke jedenfalls nicht enger gestanden haben, als auf der
Südseite der Stadt. Die Breite des Stadtmauerfundamentes beträgt 3,63 m an
dieser Stelle. Reste des roten Fugenverputzes wurden im Schutt gefiiiid€a[i,
auch ein Mörtelbrocken mit dem Abdruck einer genagelten Schuhsohle (20924).
An einer Stelle lagen etwa 200 römische Falschmünzformen aus Thon (20660
—20852) haufenweise im Schutt.
Sehr wichtig war die Untersuchung einer etwa 90 m südlich des Turmes
gelegenen Stelle der Stadtmauer, wo dieselbe früheren Beobachtungen zufolge
von der ans dem Ruwerthal kommenden römischen Wasserleitung durch-
schnitten werden musste. In der That fand sich auch der Schnittpunkt der
einen erhaltenen Kante der Wasserleitung mit der Aussenseite der Stadtmauer.
In sehr spitzem Winkel trifft das Grünsteinmauerwerk des Kanals auf die Kalk-
steinverkleidung der Stadtmauer, deren Steine an der Schnittstelle deutlich mit
Rücksiebt auf die Wasserleitung abgeschrägt sind. Dieser Umstand führte zur
Vermuthung, dass mit dem Bau der Stadtmauer auf die schon vorhandene
Wasserleitung Rücksicht genommen werden musste, dass also die Wasserleitung
älter sei als die Stadtmauer. Um dieser für die Chronologie wichtigen Frage
noch weiter nachzugehen, wurde nunmehr ein langes Stück der Wasserleitung
gegen den Petersberg hin verfolgt, da man erwarten durfte, aus der Art, wie
die Wasserleitung den römischen Festungsgraben durchquerte, weitere Anhalts-
punkte für das zeitliche Verhältnis der beiden Anlagen zu einander zu be-
kommen. Wenn es nun auch vorderhand noch nicht gelungen ist, zu einem
abschliessenden Ergebnis zu gelangen, so hatte die Grabung doch wichtige Re-
sultate. — Der vorzugsweise aus Grünstein erbaute Wasscrleitungskanal hat
74 cm lichte Weite und 87 cm lichte Höhe. Im Innern mit dickem Wasser-
beton verkleidet, zeigt er in den Fugen die charakteristischen Mörtelwulste
(Viertelrundstäbe). Aussen reicht das Mauerwerk vom Gewölbeansatz 1,37 m
weit in die Tiefe, die Dicke des Kanalbodens beträgt also 50 cm. Oben ist
der Kanal rundbogig überwölbt. Das Fundament ruht stellenweise, wo es der
weiche, nasse Grund nötig machte, auf einem Pfahlrost, dessen Pfostenlöcher
an einer Stelle noch deutlich erhalten sind. Sehr merkwürdig und noch nicht
genügend erklärt ist die Erscheinung, dass der Kanal auf der einen Seite von
einer langen Reihe mächtiger Kalk- und Sandsteinquaderu begleitet ist, welche
augenscheinlich den Zweck der Festigung der einen Kanalwand haben. Da
diese Festigung gerade an demjenigen Teile des Kanals angebracht ist, wel-
in der Zeit vom 1. April 1896 bis 31. März 1897. ^1
eher yermiitlich durch den Graben geführt hat; so ist es möglich^ dass hierin
die Erklärung der auffallenden Erscheinung zu suchen ist, doch kann, bevor
ein gesichertes Grabenprofil an der Stelle ermittelt ist, noch nichts bestimmteres
hierüber gesagt werden. Der Lauf der Wasserleitung wurde auf etwa 100 m
durch die Ausgrabungen festgestellt; sie ist an einigen Stellen dieser Strecke
noch sehr gut erhalten, an anderen dagegen fast spurlos verschwunden.
Ganz neuerdings wurde der ebenfalls noch wenig untersuchte Teil der
Befestigung östlich von der porta nigra an der Bahnhof- bezw. Christophstrasse
in Angriff genommen. Zunächst stellte sich heraus, dass auch auf dieser
Strecke das Stadtmauerfundaraent die übliche Breite von etwa 3,50 m hat.
Dann gelang es, einen Teil des aufgehenden Mauerwerks zu finden, welcher,
genau wie bei der Südmauer, eine vierschichtige Dossierung, die Verkleidung
des Schieferbruchmauei-werks mit sauber zugerichteten Kalksteinen und deut-
liche Spuren des auch sonst beobachteten roten Fugenverputzes zeigte, so
dasB die Gleichartigkeit dieses Mauerteils mit den übrigen vollständig gesichert
ist. Etwa 100 m von der porta nigra fand sich in allerletzter Zeit ein Turm,
der allem Anschein nach dieselbe Beschaffenheit hat, wie die übrigen Türme.
Mit seiner Freilegung wird fortgefahren. (Vergl. Korrbl. d. Wd. Z. XVI,
1897 Nr. 40.)
Eine günstige Gelegenheit zur weiteren Untersuchung des nördlichen
römischen Gräberfeldes von Trier bot sich gerade gegenüber der porta
nigra auf der andern Seite der Nordallee, wo die Fundamentgrube für ein
grosses Hotel ausgeschachtet wurde. Es fanden sich 31 römische Urnengräber
des ersten und zweiten Jahrhunderts, welche sämtlich unter Aufsicht der Mu-
seumsdirektion gehoben und genau verzeichnet wurden. Dank dem Entgegen-
kommen des Besitzers, Herrn Kühlwein, war es möglich, fünf von den Gräbern,
die besonders wichtig sind, weil sie Münzen enthielten, ftlr das Museum zu er-
werben. Es sind die Nummern des Inventars: 21041 mit 4 Mittelerzen der
Antonia Augusta und des Tiberius; 21042 mit 2 Mitteleraen des Tiberius;
21043 mit einem Kleinerz des Caligula vom Jahre 40 (Coh. 7); 21044 mit
einem Mittelerz des Traian und 21045 mit einem Mittelerz des Nero. — Es
wurde femer beobachtet, dass das Gräberfeld nur bis etwa 60 m zur porta
nigra heran erhalten ist, dagegen näher zur porta nigra immer tiefer werden-
den Schuttschichten Platz macht; eine Erscheinung, die man mit Wahrschein-
lichkeit der Anlage des römischen Festungsgrabens zuschreiben darf. Über
die auf der anderen Seite des Grabens dicht an der porta nigra gefundene
Fortsetzung des Gräberfeldes ist bereits im vorjährigen Berichte gehandelt
worden.
Unter den Erwerbungen des Museums, welche sich insgesamt auf
638 Nummern belaufen, ist folgendes hervorzuheben.
A. Römische Abteilung.
I. Steindenkmäler. Inschriften: Weihinschrift an den Gott Mars
intarabuB; gef. in Trier-Loewenbrücken (21040, besprochen im Korrespondenz-
blatt der Westd. Zeitschrift XV. 1896 Nr. 39). Abguss der berühmten Ehren-
272 Berichte über die Thätigkeit der Provinzialmtiseen
und Dankinschrift der civitas Treyerorum an die XXII. Legion, gef. in Mainz
(20483 8. Westd. Zeitsch. XV. 1896 S.260). Zwei christliche Grabinschriften
des Agricius und der Rusticola, gef. in Maximin bei Trier (20446 und 20544,
bespr. im Korrbl. XV. 1896 Nr. 87 b und c).
Skulptur- und Architekturstücke: Wohlerhaltener Kopf ans weissem
Marmor, darstellend einen lockigen Knaben mit Lorbeerkranz, gef. in Trier an
der Agnetenkaserne (21038). Dreiseitig skulpierter Block von einem grösseren
Denkmal, darstellend: Apollo und Daphne, den delphischen Dreifussraub und
einen früchtenaschenden Eros, gef. in Trier an der Agnetenkaserne (20616
s. Korrbl. XV. 1896 Nr. 87a); Kopf aus Metzer Kalkstein, darstellend einen
bärtigen, älteren Mann mit verhülltem Hinterhaupt, vielleicht einen Priester,
gef. in Trier (20600). Bekränzter Kopf eines bärtigen Gottes aus Sandstein,
vielleicht von einer Gruppe des Reiters mit dem Giganten, mit mehreren kleinen
Skulpturfragmenten in Dudweiler bei Saarbrücken gefunden (20612). Abguss
der Eponastatue des Saarbrücker Museums (20484 abgeb. Westd. Zeitsch. XIV.
1895 S. 397). — Kleines, feinverziert'es Kapitell aus weissem Marmor (20466),
ein sehr schön erhaltenes Kompositakapitell aus Kalkstein (20465) und mehrere
Bruchstücke sogenannter toskaniseher Säulen aus Sandstein (20467 — 20470),
sämtlich in Trier gefunden.
IL Grabfunde. Ein Umengrab, bestehend aus einer Urne mit Schuppen-
Verzierung, zwei Sigillataschalen, einem Henkelkrug und einem vortrefflich er-
haltenen bläulichen Glasbecher mit der gegossenen Darstellung von vier Wagen-
lenkern mit ihren Quadrigen sowie einer Hasenhetze; am oberen Rand des
Glases stehen die Namen der Wagenlenker (21008 — 21013), gef. bei Jacobs-
Knopp an der Strasse Mttrlenbach-Schönecken (Eifel). Die fünf durch Münzen
datierten Umengräber (21041 — 45), welche schon oben erwähnt sind, aus dem
nördlichen Gräberfeld von Trier. Mehrere Urnengräber aus Gusenberg (bei
Hermeskeil), in einem befand sich eine emaillierte Fibel (20631 — 40). Der In-
halt eines Sarkophaggrabes, bestehend aus drei vorzüglich erhaltenen Henkel-
flaschen aus Glas, von denen eines mit einem Glasfaden umsponnen ist, zwei
schwarzen Thonbechern mit Aufschriften: „bibe" und „dos", einem schwarzen
und einem grauen Becher ohne Aufschrift und einem Sigillatanäpfchen, gef.
in Maximin bei Trier (20545—52 s. Korrbl. XV. 1896 Nr. 87b).
III. Einzelfunde von Kleinaltertümern.
a) aus Bronze: Kleine, ziemlich rohe Minervastatuette, gef. in Trier-
Loewenbrücken (20472), eine Marsstatuette, gef. in Tholey (20480), ein Votiv-
täfelchcn mit Weiheinschrift an Apollo und ein Wagescbälchen mit Stempel
„Bannaf." (20619 und 20618), gef. in Loewenbrücken (s. Korrbl. XVI. 1897,
Nr. 21), zwei emaillierte Fibeln, wovon eine in Gestalt eines Frosches, aus
Dahlheim (20620, 20622), eine emaillierte Fibel aus Trier (20572), ein Kan-
delaberfuss aus Trier (20610) und ein Gewicht mit silbereingelegtem Unzen-
zeichen aus Trier (21031).
b) aus Gold: ein sehr dicker Fingerring mit Nicologemme, worauf die
Darstellung einer grösstenteils nackten weiblichen Figur mit einem Helm in
in der Zeit vom 1. April 1896 bis 31. März 1897. 278
der Rechten, einer Lanze in der Linken, yermntlich Venus mit den Waffen
des Mars; gef. in Ehlenz in der Eifel (20479).
c) ans Thon: eine Reibschale mit Löwenkopf aus terra sigillata, gef. in
Trier (21021); ein Lämpchen mit Darstellung eines galoppierenden Pferdes
und eines mit springendem Widder (20478, 20531), gef. in Trier.
d) aus Glas: ein Becher mit umgebogenem Rand, gef. in Maximin in
einem Steinsarg (20649); ein kugelförmiges Gefäss aus sehr dünnem, blass-
grQnem Glase mit umgelegter Spiral Verzierung, gef. in Trier (21014).
B. Mittelalterliche und moderne Abteilung.
Reichyerziei*tes, romanisches Kapitell mit figürlichen Darstellungen, gef.
in Trier (20464). Frühmittelalterliches Gürtelblech mit reichen Ornamenten
und figürlicher Darstellung: „Hirt mit Heerde", gef. wahrscheinlich in Trier
(20476). Gotische Grabplatte mit weiblicher Figur in flachem Relief mit Um-
schrift. War in Trier in einem Hause der Brodstrasse vermauert (21039).
Porzellantasse mit Datum 1817 und kleine Porzellangruppe aus der ehemaligen
Trierer Porzellanfabrik (20462—63).
G. Münzsammlung.
L Römische Münzen. Prachtvoll erhaltenes goldenes Medaillon des
Diocletian und Maximianus Hercules (Coh. VL Nr. 7), gef. bei Morbach im
Kreis Bernkastei (20570). Goldmünze des Maximianus (ähnl. Coh. Nr. 326),
gef. in Wallhausen (20617). Bronzemünze des Licinins und Constantin (Coh.
VII. S. 211), unbekannten Fundortes (20473).
n. Kurtriersche Münzen: Thaler von Lothar von Mettemi ch vom
Jahre 1612 (21018). Dukat von Cari Caspar von der Leyen von 1654 (21019).
Dnkat von Franz Ludwig von der Pfalz von 1721 (21620).
Der Besuch des Museums und der Thermen in St. Barbara war auch im
verflossenen Jahre sehr lebhaft. An Eintrittsgeldern wurden insgesamt
2029,60 Mark erzielt, wovon 818,50 Mark auf das Museum und 1211,10 Mark
auf die Thermen entfallen. Eine Reihe hiesiger und auswärtiger Vereine, ins-
besondere die Teilnehmer an den Festlichkeiten des Trierischen Gesangvereins,
der Fleischeriunung und des Photographentages erhielten freien Eintritt, von
welchem erfreulicher Weise ein sehr lebhafter Gebrauch gemacht wurde.
Von dem illustrierten Katalog der römischen Steindenkmäler wurden
13 Exemplare verkauft, aus dem Verkaufe von Dubletten 85 Mark gelöst.
In der Woche nach Pfingsten wurde, wie alljährlich, der archäologische
Ferienkursus für westdeutsche Gymnasiallehrer durch Herrn Professor Hettner
und den Unterzeichneten abgehalten. Ausserdem hielt der Unterzeichnete ar-
chäologische Vorträge im wissenschaftlichen Verein und in der Gesellschaft für
nützliche Forschungen und erklärte den Schülern mehrerer Oberklassen hiesiger
ond auswärtiger Gymnasien das Museum und die römischen Bauten von Trier.
Der Museumsdirektor.
I. V.:
Lehner.
Jibrb. d. Ver. v. AltertbsAr. Im RheinL 108. 18
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- und Geschichtsvereine
und über die Vermehrung der städtischen und Vereinssammlungen
innerhalb der Rheinprovinz.
I. Die grösseren Tereine.
1. Bergischer Geschichtsverein.
Die Zahl der Mitglieder ist auf 625 gestiegen. Im Laufe des Berichts-
jahres sind die folgenden Vorträge gehalten worden:
Matthias Bethany: Cäsarius von Heisterbach.
Oberlehrer Dr. Felke: Plaudereien über bergische Namen.
Baumeister Fischer: Kunsthandwerk sonst und jetzt.
Oberlehrer Leithäuser: Volksglauben und Volksbrauch am Niederrhein.
Oberlehrer Dr. Nebe: Philipp Melanchthon.
Lehrer Otto Schell: Über den Bergischen Adel im 13. Jh.
Derselbe: Über die Franzosenzeit von 1795 — 1801 im Bergischen.
Professor Schleussner: Johann Georg Jacobi.
Lehrer Schönneshöfer: Johann Weyer, Der erste Bekämpfer des Hexen-
wahnes.
Adolf Werth: Johann Monheim, der Rektor der Landesschule in
Düsseldorf.
Gelegentlich einer Festfahrt, deren Ziel das Oberbergische Land war,
sprachen ausserdem noch Herr Golds trass über Gimbom und Herr Kreisschul-
inspektor Jäsche über Gummersbach.
Sowohl die Bibliothek, als auch die Vereinssammiungen haben im Berichts-
jahre stattlichen Zuwachs zu verzeichnen. Zu nennen sind ausser einer Reihe
ortsgeschichtlich wertvoller Stücke namentlich ein aus prähistorischer Zeit
stammender Steinmeissel, der vor mehreren Jahren im Dönberg, unfern Horath,
gefunden wurde. Der keramischen Abteilung wurden zwei Siegburger Krüge,
ein Frecheuer Bartmannskrug und eine Anzahl zum Teil sehr beachtenswerter
Steingutfragmente einverleibt.
Die Summe von 600 Mark, die bisher als Reservefond der Vei:ein8zeit-
schrift gedient hatte, wurde der Bibliothek überwiesen.
Der vom Bergischen Geschichtsverein gegründete und geförderte Museums-
verein, der etwa 600 Mitglieder zählt, wirbt vorläufig durch gelegentliche Vor-
träge und Ausstellung von Ölgemälden.
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 275
Der Jahrgang 1896 der im Namen des Vereinsvorstandes vom Geh. Ar-
chivrat Harless herausgegebenen Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins
enthält ausser einer Anzahl kleinerer Beiträge zur Geschichte des bergischen
Landes auch einige grössere Abhandlungen. Zu nennen sind u. a.
Centralarchiv-Direktor A. Mörath: Beiträge zur Korrespondenz des Kur-
prinzen Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit dem Grafen Adam zu Schwar-
zenberg (1634-1640).
Geheimer Archivrat Harless: Bericht über die Heimfahrt des Kurprin-
zen Georg Wilhelm von Brandenburg nebst Gemahlin nach Kleve (Juli und
August 1616).
Geheimer Archivrat Friedländer: Rechnungen des Cistercienserklosters
Mariawald aus dem Ende des 15. Jahrh.
J. Wolter: Chronologie des Theaters der Reichsstadt Köln.
E. Pauls: Kulturgeschichtliches.
Archivassistent Dr. Redlich: Frankreichs Rheingelüste im J. 1492.
Geheimer Archivrat Harless: Ungedruckte klevische Urkunden.
Derselbe: Ein Gedicht auf die Gründer des Kreuzbrüderklosters zu
Düsseldorf.
Die von Otto Schell herausgegebene „Monatsschrift des Bergischen Ge-
schichtsvereins" bringt auch in ihrem dritten Jahrgange (1896) eine Menge
kleiner Notizen meist kulturgeschichtlichen Inhalts. Von umfangreicheren Ab-
handlungen sind hervorzuheben:
Goldstrass: Gimborn.
Albert Weyersberg: Solinger Schwertschmiede des 16. und 17. Jh. und
ihre Erzeugnisse.
2. Historischer Verein für den Niederrhein.
Die Zahl der Mitglieder beträgt 763, darunter 123 Vereine. Abgesehen
von den Vorstandssitzungen fanden im Berichtsjahre zwei Versammlungen statt.
In der Frühjahrsvereamralung, die am 10. Mai zu Andernach abgehalten wurde,
verbreitete sich nach Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten zunächst
Progymnasial - Direktor Dr. Brüll über die Mayf eider Genofeva - Legende ;
nach ihm hielt Oberlehrer Stürmer einen Vortrag über das sogenannte Juden-
bad in Andernach. Der Vortragende kam zu dem Schlüsse, dass möglicher-
weise an dieser Stelle wirklich einmal ein Judenbad war und dass der Name
blieb, als das noch erhaltene turmartige Gebäude an derselben Stelle entstand.
Dr. Aloys Meister hatte zum Gegenstande seines Vortrages die Entwicklung
der Kaiser-Weissagungen bis auf Karl den Grossen gewählt. Den Schluss bil-
dete die Besichtigung der örtlichen Bau- und Kunstdenkmäler unter Führung
des Domkapitulars Schnütgen. — Die Herbstversammlung fand am 14. Ok-
tober 1896 zu Brauweiler statt. Auf dem Wege zum Versammlungsort wurde
das Bömergrab zu Weiden unter Führung des Dr. Klinkenberg besichtigt,
der dann in Brauweiler selbst seine Erläuterung fortsetzte. Sodann hielt Pro-
Tinzialconservator Dr. Giemen einen Vortrag über die Abteikirche zu Brau-
276 Berichte über die Tbätigkeit der Altertums* u. Qeschichtsvereine der Bheinprovinz.
weiler, in dem ftlr die Datierung der einzelnen Bauteile neues Material bei-
gebracht wurde. Stadtarchivar Prof. Dr. Hansen sprach sodann über das
Gutachten der Kölner theologischen Fakultät vom J. 1487 über den malleus
maleficarum und Dr. Kellet er über die Clematianische Inschrift zu St. Ursula
in Köln. Mit der Besichtigung der Abteikirche und ihrer Schätze war der wis-
senschaftliche Teil der Versammlung zu Ende.
Von den ,,Annalen des Historischen Vereins fllr den Niederrhein", deren
Redaction der Privatdocent an der Bonner Universität, Herr Dr. Aloys Meister
übernommen hat, ist im Berichtsjahre ausser der zweiten Hälfte des 60. Heftes,
die den Schluss des Gesamtregisters für die Hefte 41—59 enthält, auch das
62. Heft mit den folgenden grösseren Abhandlungen erschienen:
Hermann Hü ff er. Die Gemäldesammlung der Brüder Boisser^e im J.
1810. Der Verfasser giebt ein Verzeichnis jener Bilder, die sich
die Brüder bei ihrer Übersiedlung nach Heidelberg nachschicken
Hessen. Dr. Firmenich-Richartz hat für die meisten der angefahrten
Bilder den gegenwärtigen Verbleib festgestellt. Den Schluss bildet
eine Vertheidigung der Brüder Boisserie gegen die wider sie erho-
bene Beschuldigung, sie hätten als Kunsthändler die Gelegenheit be-
nutzt, den Bilderschmuck kölnischer Kirchen zu unverhältnismässig
geringen Preisen an sich zu bringen.
Hermann Hüffer, Sechs Briefe des Freiherm Josef von Lassberg an
Sulpiz Boisser^e. Sie betrefTen grossenteils Hans Memling, die Hol-
beins und die Lassberger Nibelungenhandschrift.
Paul Wagner, Die Entwicklung der Vogteiverhältnisse in der Siegbur-
ger Propstei zu Hirzenach.
Johann Esser, Das Dorf Kreuzau.
AI. Meister, Das städtische Freiheitsprivileg für Dinslaken.
Armin Tille, Zur Verteilung des Grundbesitzes im Kirchspiele Rommers
kirchen am Ende des 18. Jh.
F. W. E. Roth, Handschriften zu Darmstadt aus Köln und der alten
Erzdiöcese Köln.
Leonhard Korth, Urkunden zur Verfassungsgeschichte niederrheinischer
Landstädte.
Als Beiheft wurde den Vcreinsmitgliedern das erste Heft der im Auftrage
der ^Gesellschaft für rheinische Geschichtskuude" von Dr. Armin Tille be-
arbeiteten Übersicht über den Inhalt der kleineren Archive der Rheinprovinz,
enthaltend die Kreise Köln - Land, Neuss, Krefeld - Stadt und Land , St. Goar
überreicht.
Das 63. Heft der Annalen enthält unter andern die folgenden grösseren
Arbeiten :
AI. Meister, Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues.
E. Pauls, Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich 1604
und 1605.
E. Pauls, Zur Geschichte der Suitbertus- und Willeicusreliquien in Kai-
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 277
serswerth. Der Artikel enthält einen Bericht des Kölner General-
vikars Johann Gelen über die im J. 1626 vorgenommene Öffnung
des Kaiserswerther Rcliquienschreines.
Hermann Eeussen sen., Beiträge zur Geschichte Krefelds und des
Niederrheins.
Armin Tille, Tauf-, Trau- und Sterberegistcr am Niederrhein.
Kaspar Keller, Die historische Litteratur am Niederrhein.
Das zweite Beiheft bringt die Uebcrsicht über den Inhalt der kleineren
Archive in den Kreisen M.-Gladbach" Stadt und Land, Grevenbroich, Berg-
heim, Düsseldorf Stadt und Land.
3. Gesellschaft für nützliche Forschungen in Trier.
Für das im Herbst durch Versetzung ausgeschiedene Vorstandsmitglied
Herrn Professor van Hoffs steht die Neuwahl noch bevor. Die Zahl der Mit-
glieder ist im Wesentlichen dieselbe geblieben, gegen 300.
Die Gesellschaft hielt im verflossenen Jahre zwei Sitzungen ab. In der
Sitzung der ordentlichen Mitglieder, die am 18. Juni 1896 stattfand, wurden
nur geschäftliche Dinge beraten. — Die Hauptversammlung war am 19. Juli
1896. Eis wurden zwei Vorträge gehalten, Gymnasialdirektor Asbach aus
Prüm sprach über Kaiser Domitian, seine Persönlichkeit und seine Erfolge,
unter besonderer Hervorhebung seiner Thätigkeit am Rheine, Dr. Lehn er be-
richtete über die Unternehmungen und Neuerwerbungen des Provinzialmuseums
im verflossenen Jahre.
Ein Auszug aus dem ersteren Vortrage erschien im Korrespondenzblatt
der Westdeutschen Zeitschrift XV, 1896, Nr. 107, der wesentliche Inhalt des
letzteren Berichtes ist in den verschiedenen in der Westdeutschen Zeitschrift
und dem Korrespondenzblatt enthaltenen Museumspublikationeu zu finden.
Die von der Gesellschaft ausgegebenen Jahresberichte erscheinen in Zwi-
schenräumen von mehreren Jahren. Der letzte im Jahre 1894 erschienene
Jahresbericht enthielt ausser Vereinsnachriehten eine Abhandlung von Dr. L eb-
ner über vorgeschichtliche Grabhügel in der Eifel und im Hochwalde.
Im verflossenen Jahre gelangte an sämmtliche Mitglieder der Gesellschaft
die Publikation von Dr. Lehncr „Die römische Stadtbefestiguug von Trier '^
als ausserordentliche Vereinsgabe zur Verteilung. Dieselbe erschien in der
Westdeutschen Zeitschrift XV und gesondert bei Liiitz, Trier.
Das Westdeutsche Korrespondenzblatt mit dem Limesblatt wird monatlich
an sämtliche Mitglieder versendet.
4. Architekten- und Ingenieur-Verein für Niederrhein
und Westphalen.
Infolge des Ablebens des Oberbaurats Rüpp eil wurde Oberbaurat Jung-
becker zum ersten Stellvertreter des Vorsitzenden gewählt. Die Zahl der Mit-
glieder beträgt, wie im Vorjahre, 239. Über den Verlauf der im Berichtsjahre
278 Berichte über die Thätigkeit der AUertama- o. Greschichtsvereine der Rlieinproyiiiz.
abgehaltenen 16 Sitzungen geben die gedmckten ^^ofiKeicbnnngen'', die anch
den Inbalt der Vorträge anszogsweise wiedergeben, Aa&chlnss. Die Verein»-
angflflge batten die Besicbtigang gewerblicher üntemebmungen in der ümge-
bong Ton Köhi zum Zwecke. In der Angelegenheit der Porta Paphia nahm
der Verein in einer Immediateingabe an Seine Majestät im Sinne der Erhal-
tung dieses bedeutenden Denkmals Stellang. Die Architekten Below nnd
Schreiterer haben Seiner Majestät einen Wiederherstellnngsentwnrf Ar das
Thor vorgelegt.
Die Vorträge bebandelten die folgenden Gegenstände:
2. März 1896: Banrat Stubben über Aosta, seine römischen and mittel-
alterlichen Bauten.
16. März 1896: Baurat Stabben ttber Siena.
30. März 1896: Stadtbaurat Hei mann flber das Sehloss des deutschen
Bitterordens zu Marienburg in Westpreussen.
1. Juni 1896: Ingenieur Hintze über Kopenhagen.
19. Oktober 1896: Oberbaurat Jungbecker: Aus Altägypten.
7. und 21. Dezember 1896: Begierungsbaumeister Schilling: Über die
topographische und geschichtliche Entwicklung der Stadt Köln. Im
ersten Vortrag wurde die Entwicklung Kölns während der Bömerzeit
und bis zum 11. Jahrhundert behandelt, in dem zweiten zumal die
Ausbreitung der Befestigungen und deren spätere Schicksale.
Eine Reihe weiterer Vorträge behandelte technische Fragen.
In Aussicht genommen ist eine Publikation der älteren Privathäuser der
Stadt Köln, über die im nächsten Vereinsjahr weiter berichtet werden soll.
il. Die Vereine mit beschränktem Wirkungskreis.
5. Aachen. Aachener Geschichtsverein.
Der Vorstand ist in seiner Zusammensetzung unverändert geblieben. Die
Zahl der Vereinsmitglieder beträgt 570.
Im Laufe des Vereinsjabres haben vier Monatsversammlungen stattge-
funden, in denen Vorträge gehalten wurden. Die Generalversammlung hat am
21. Oktober 1896 stattgefunden. Über die bei diesem Anlass gehaltenen Vor-
träge berichtet Bd. XVIII der Vereinszeitschrift, S. 401. Im Laufe des Sommers
hat der Verein zwei wissenschaftliche Ausflüge nach Raeren und Düren unter-
nommen.
Der XVIII. Band der im Auftrage der wissenschaftlichen Kommission
von Dr. E. Fromm herausgegebenen „Zeitschrift des Aachener Geschichts-
vereins" enthält ausser kleineren Mitteilungen, Bticherbesprechungen und einer
Litteraturübersicht für 1895 und 1896 von F. Wissowa, eine Reihe grösserer
Arbeiten. G. von Below bespricht die Leistungen des Amtes Wassenberg
zum Jülicher Festungsbau i. J. 1576, E. Pauls behandelt Geschichte, Be-
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 279
Pflanzung und Namen des Lousbergs bei Aachen. Th. Lindner ergänzt seine
Kritik der Fabel von der Bestattung Karls des Grossen. H. Veitmann giebt
die zweite Abteilung des Verzeichnisses der Aachener Prozesse am Reichs-
kammergericht, welches auch die sonstigen Orte des Regierungsbezirks Aachen
berücksichtigt. Die Geschichte von Düren ist durch die Abhandlungen von
Seh 00 p über die Entwickelung der Dürener Stadtverfassung zwischen 1457
und 1692 und von Redlich über die St. Annen-Reliquie vertreten. F. W. E.
Roth veröflFentlicht eine Briefsammlung des Propstes Ulrich von Steinfeld aus
dem 12. Jahrhundert.
6. Aachen. Verein für Kunde der Aachener Vorzeit.
Der Verein, dessen Mitgliederzahl sich auf der Höhe von 220 — 230 hält,
veranstaltete im Berichtsjahre eine Reihe von wissenschaftlichen Sitzungen und
Ausflügen. Der erste Ausflug, am 4. August 1896, hatte die Burg Schimper
im Geulthale zum Ziele; daran schloss sich eine Besichtigung des Altcnberger
Domes. Pfarrer Schnock hielt einen Vortrag über das neutrale Gebiet von
Moresnet. Am 4. Oktober wurde unter Führung des Herrn Rhoen die Ruine
Wilhelmstein besichtigt. Bei diesem zweiten Ausfluge hielten Pfarrer Schnock
und Referendar Schollen zu der Geschichte Bardenbergs und der Burg
Wilbelmstein in Beziehung stehende Vorträge. In der Sitzung vom 15. Januar
1896 hielt HeiT Oppenhoff einen Vortrag über militärische Revolten unter
der Besatzung Aachens im Jahre 1795, Referendar Schollen über den Empfang
einer Gesandtschaft der Hansastädte in Aachen im Jahre 1606. In der Sitzung
vom 11. März 1896 sprach Herr C. Rhoen über alte Ansichten von Befesti-
gungswerken in Aachen, Dr. Brüning über Freiherrn v. d. Trenck und
Pfarrer Schnock über die Diözesanangehörigkeit Aachens und Burtscheids.
In der Generalversammlung vom 11. November 1896 wurde zunächst der
Jahresbericht erstattet, dann hielt Referendar Schollen einen Vortrag über
Aachener Strafrechtspflege im Mittelalter und Dr. Brüning über Beziehungen
Eugens von Savoyen zu Aachen.
Der neunte Jahrgang der im Auftrage des Vereins vom Pfarrer Schnock
herausgegebenen Zeitschrift ^Aus Aachens Vorzeit" enthält u. a. eine auch
sittengeschichtlich interessante Abhandlung über Burg Schoenau bei Aachen
von H. J. Gross, einen vom Herausgeber stammenden Artikel über das Zu-
sammenleben der Stiftsgeistlichkeit zur Zeit der Karolinger" und eine von J.
Fey verfasste Lebensschilderung des Aachener Malers Johann Adam Eberle,
der in Düsseldorf Schüler von Peter Cornelius war, dann seinem Meister nach
München folgte, wo er sich an der Ausführung der diesem gestellten monu-
mentalen Aufgaben beteiligte. Im Jahre 1829 ging er nach Rom, wo er 1832
starb. — Ausserdem enthält das Heft noch eine Reihe kleinerer, meist kultur-
§^chichtlicher Mitteilungen.
280 Berichte über die Tbätigkeit der Altertums- o. Geschicbtsvereine der Rheinprovins.
7. Bonn. Verein Alt-Bonn.
Der Verein veranstaltete am 26. Oktober 1896 seine Generalversammlang,
in welcher Herr Dr. Hauptmann über die Geschichte des ehemaligen Cassius-
stiftes in Bonn und Herr W. Fusbahn über die im Torigen Jahrhundert nach
Bonn gekommenen Türkenfahnen Vorträge hielten. Der zweite Vortrag ist im
Auszug gedruckt im General- Anzeiger für Bonn und Umgegend vom 29. Okto-
ber 1896; der erste vollständig bei F. Hauptmann, Allerlei aus alten Tagen,
Bilder aus der Geschichte von Bonn und Umgegend, S. 89 — 128. Die Vereins-
sammlungen haben sich um eine Anzahl lokalgeschichtlich bedeutsamer Stücke
vermehrt, unter denen eine auf die Reformation in Bonn bezflgliche Schrift
Bucers, eine gedruckte Relation über die Einnahme Bonns 1584, ein Fayence-
Öfchen aus der kurfürstlichen Privatwohnung, ein Miniaturporträt des Kurfiirsten
Clemens August, das geschnitzte Thor des Metternicher Hofes, sowie vor allem
eine der in der Truchsess'schen Belagerung geschlagenen Notklippen Hervor-
hebung verdienen.
8. Düsseldorf. Düsseldorfer Geschichts-Verein.
Der Verein, der 340 Mitglieder zählt, trat im Laufe des Berichtsjahres
— abgesehen von der Generalversammlung, die nur der Erledigung geschäft-
licher Angelegenheiten dient — sechsmal zu Sitzungen zusammen. Am 21.
Januar hielt Professor Dr. R. Hassencamp einen Vortrag über das Thema:
„Der englische König Karl IL in Düsseldorf (1654) und seine Beziehungen
zum Pfalzgrafen Philipp Wilhelm" (abgedruckt in der Deutschen Zeitschrift
für Geschichtswissenschaft 1896/97, S. 238). Kulturhistorische Schilderungen
gab Herr Ditges am 14. Februar in seinem Vortrage über „Düsseldorf im
Anfang dieses Jahrhunderts". Am 10. März sprach Herr Gymnasialoberlehrer
Dr. Gramer über „Rheinische Ortsnamen" und HerrBloos über „Düsseldorfs
ältesten lebenden historischen Zeugen". Der Vortrag, den Professor Dr.
Hassencamp am 27. Oktober hielt, galt Karl Immermann (abgedruckt im
Jahrbuche des Vereins Bd. XI, S. 1). Gymnasiallehrer Marseille sprach am
17. November über „Die zweite Heirat des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm
1631". Der Vortrag des Dr. Küch am 8. Dezember behandelte „Die Bau-
thätigkeit des Kurfürsten Jobann Wilhelm in Düsseldorf". Der Vortragende
schilderte zunächst an der Hand zeitgenössischer Berichte die Veränderung, die
sich in dem Äusseren der Stadt durch Johann Wilhelms Wirken vollzogen hatte
fasste dann zunächst die Männer ins Auge, die dem Kurfßrsten zur Seite ge-
standen hatten — Graf Matteo Alberti, Aloysius Bartoly, den Bologneser Ber-
nardi, Jakob Dubois und Ferdinand Orban — und ging dann zur Besprechung
der einzelnen Gebäude über, an denen sich die Baulust und der Kunstsinn
des Kurfürsten besonders bethätigt hat. Auf seine Veranlassung wurden Ko-
lonnaden im Schlosshofe errichtet, fiir die rasch wachsende Gemäldesammlung
wurde ein eigenes Gebäude aufgeführt, von dem noch der die Landesbibliothek
bergende Trakt erhalten ist. Das Pagenhaus, die „alte Kanzlei", das Gmpello-
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 28t
HanSy das Hontheimsehe Haus, ein Opernhaus, der „Jägerhof ^ — alle diese
und viele andere verdanken ihre Entstehung Johann Wilhelm, desgleichen eine
ganze Reihe kirchlicher Gebäude, so vor allem die jetzige Garnisonkirche. Sie
ist ein Werk des Jesuiten Ferdinand Orban.
Im Laufe des Sommers wurden drei Ausflüge unternommen. Am 3. Juni
besuchte der Verein Haus Bürgel und Schloss Benrath, am 18. Juli wurde die
Abteikirche von Werden, am 8. August das Römerlager in Grimlinghausen be-
sichtigt.
Der zehnte Band des Jahrbuches des Düsseldorfer Geschichts-Vereins
„Beiträge zur Geschichte des Niederrheins" enthält unter andern die folgenden
grösseren Aufsätze:
Dr. Otto Redlich, Düsseldorf und das Herzogtum Berg nach dem
Rückzuge der Österreicher aus Belgien 1794 und 1795.
Dr. Franz Gramer, Niederrheinische Ortsnamen.
Dr. F. Küch, Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm in Brüssel 1632.
Prof. Dr. R. Hassencamp, Ein brandenburgisch-bergisches Eheprojekt
im Jahre 1641.
— Das Zerwürfnis zwischen Goethe und F. H. Jacobi.
Ans dem Inhalt des elften Bandes seien die folgenden Stücke hervor-
gehoben :
F. Schaarschmidt, Fürstliche Bildnisse in der Gemäldesammlung der
Egl. Kunstakademie zu Düsseldorf. Der Verfasser sucht die dar-
gestellten Persönlichkeiten festzustellen und giebt auch vielfach
Hinweise auf die Künstler.
Dr. F. Küch, Beiträge zur Kunstgeschichte Düsseldorfs.
1. Das Grabdenkmal Herzog Wilhelm III. (V.) in der Lambertuskirche.
Das Denkmal, das als eine römische Arbeit des Gilles de Rivifere
und Nicolö Pippi von Arras galt, wird als Werk eines sonst völlig
unbekannten kölnischen Künstlers, namens Gerhard Scheben, fest-
gestellt. Vollendet wurde es im Jahre 1599.
2. Zur Baugeschichte der Andreaskirchc. Der Verfasser schildert den
persönlichen Anteil, den der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm an dem
Baue genommen. Den Entwurf schreibt Küch dem Hofarchitekten
Antonio Serro genannt Krauss zu, die Stuckarbeiten rühren im
^ wesentlichen von dem Strassburger Kalkschneider Johannes Kuhn
her. Der Hochaltar ist eine Arbeit Couvens.
Fr. Paulus Maria de Loe, Ord. Praed., Reformation»- Versuche im
Dominikaner-Kloster zu Wesel in den Jahren 1460 — 1471.
Dr. Otto R. Redlich, Französische Vermittlungspolitik am Niederrhein
im Anfang des 16. Jahrhunderts.
Zum Jahrestage der Stadterhebung, dem 14. August, wurde eine beson-
dere Gtedenkschrift ausgegeben:
F. Schaarschmidt, Gabriel Ritter von Grupello und seine Bronzestatuette
des Kurfürsten Johann Wilhelm im Jägerhof zu Düsseldorf.
Der tteh thmm Jakmi §rfhatUm Hcnuvgmbe tcs üi
der gwtfidbeB Stiftiigca de» Xiederrhcns Aehca
9. Estern. Hiftoriseher Verei« fir Stadt «ad Stift Essern.
Die ZaU der Veiriiiitgüeder iit aaf 165 gcstie^eB. !■ der aB^rmtmtm
TfriBi— tiife T<Mi 24. Febfw ^praeh Heir Fraaz Areas ibcr da» Hoqpital
mm U. Gciit Toa seiner GrüaJaD^ bis mm Jahr 1^03. — Voa dea ^Bcitrieca
lar GeseUehte roa Stadt aad Stift Enea"^ kat der Vereia zwei Hefle
la»n: Heft 16 eatkUt dea entea Tcfl eiaer GeseUchte des EacMi
— 1564 Toa Dr. Koarad Ribbeek, Heft IT foi^cade Aafisatae: Aas deai
aiitteiaherfiehea Ewea, ron Dr. Ferd. Sehroeder: die Siccier aad S^eDea-
berger Glasblttea, roa Wilhelm Grerel: das Hospital mm U. Gcst ia Eoea,
Tmk Fraaz Areas: die Fssrafr AiBeeordaaag' t. J. 1581: die Statatca des
Griiidbea Daneakapitck des Stiftes Eawa, beides wt^eih roa Fraaz
Areas. — Die Saaualaagea des Vereins siad dareh Aakaaf aad Znareadaag
Toa Biekera, Abbikiaa^a, Handsekriftea aad Urkaadea reni^rt worden.
10. Geldera. Historiseker Vereia fir Geldera aad üai*
gebaag.
Der Vereia. deana Mitgüederzabl aaf 139 aagewaeksea ist. kat in Be-
riektsjakre zwei Sitzaagen. eine in Gddern nnd eine in AUekerk abgekabea.
Die dabei gekaheaea Vortrag« bezogen sieb aaf die Ckroaik der Stadt and
des ahea Landes Geklem nnd aaf die römiseken Straneaaalagcn ia Gebiete
des Kreises. Die Mftnzengammhing nnd die BibUolbek werden fortwlkrend
erweitert. Ansserdem hat der Verein aaeh mehrere kleine Antiquitäten: Bilder,
Sehiesj^gerathe. Th&r^chkitsser und -Angeln. Gewichte, Herdplatten an äeh
gebracht.
11. Kempen. Kunst- und Altertumsverein.
Die 2Iahl der Mitglieder beträgt 102. Die Sammlung des Vereins soll
im Laufe des Herbstes in das Kuhthor übertragen werden, dessen Restaaration
und Ausbau endlich nach zweijähriger Arbeit abgeschlossen ist. VTährend des
Jahres wurden der Sammlung die folgenden Gegenstände einTcrleibt: Mehrere
alte Mfinzen. ein Kästchen aus Elfeubein, mehrere Figuren, rer^ehiedene Krüge
und SchOsseln. mehrere Leuchter. Gegenstände aus Zinn Känncben etc. nnd
Kupfer, ein sehr schöner Thüj^riff aus Bronze Löwenkopf mit Ring\^ Porzellan-
gegenstände. s->wie einige alte geschriebene und gedruckte Bücher.
12. Kleve. A 1 ter tumsverein.
Im Berichtsjahre ist die Neukonstiiuierung des Vereins erfolgt- Zum Vor-
sitzenden wurde Professor Dr. Mestwerdt gewählt.
Im Frühjahr 1896 wurden in der ehemaligen Klosterkirche za Bedburg
wertvolle Funde gemacht. Ein nunmehr gestorbener Bedbnrger behaoptete.
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereinc der Rheinprovinz. 283
sich noch lebhaft erinnern zn können, dass ein grosser Sargstein vom Chor der
Kirche entfernt und vor dem Westeingang vergraben worden sei. Infolge dessen
wurde eine Nachgrabung veranstaltet. Man stiess in geringer Tiefe auf die
Grabplatte, die deutlich die Vertieftingen zeigte, worin zwei Reliefstatuen ge-
legen haben mussten. Sodann wurden die Überreste der beiden Figuren zu
Tage gefordert. Es handelt sich um das Grabmal des Grafen Otto von Cleve
(1305 — 1311) und seiner Gemahlin Mechthildis, die nach den Chronisten beide
in der ehemaligen Klosterkirche in einem Hochgrab beigesetzt waren. Leider
ist man bei der Versenkung des Grabes im Anfang dieses Jahrhunderts mit
barbarischer Rohheit verfahren, die Figuren sind mehrfach zertrümmert. Zwei
gothische Gehäuse, mit Engelsköpfchen geziert, umgeben die beiden Grabmal-
figuren. Der Graf ist dargestellt in Ringelpanzer und langem Gewand und
mit mächtigem Wappenschild, die Gräfin in langem, wallenden Kleide, mit auf
2 Hunden ruhenden Füssen. So gut es sich ermöglichen Hess, sind die vielen
aufgefundenen Stücke zu einem Ganzen zusammengesetzt worden. Die Bild-
hauerarbeit ist von hohem Verdienst, die aus der 1. Hälfte des 14. Jh. stammenden
Grabmäler sind dem Denkmal des Grafen Adolph VIII. in Altenberg nahe ver-
wandt. Die Details sind mit grosser Sorgfalt ausgeführt. Die Figuren haben
eine Länge von circa 2 m, das Gehäuse eine Länge von circa 3 m und eine
Breite von IV« ni.
Femer wurde neben der Römerstrasse in der Nähe des Monterberges und
der alten römischen Niederlassung Burginatium südlich von Calcar eine Nach-
grabung veranstaltet. Man stiess an einer Stelle, die früher schon manche
Spuren eines römischen Grabfeldes gezeigt hatte, auf eine Anzahl kreisförmig
sich aneinander reihender Aschenamen, die freilich fast sämtlich nur als Scher-
ben aufgedeckt wurden, aber mehrfach die am Niederrhein gewöhnlichen Bei-
gaben enthielten.
Die aus diesem Fimde für unsere Altertumssammlung gewonnenen Gegen-
stände sind: 4 weisse Thonkrüge (1 verletzt und wiedergestellt), 2 graue Aschen-
nraen (1 grosse mit Knochenresten, 1 kleine leer und verletzt), 1 weisse kleine
ürae, 2 Töpfe von gelbrotem Thon, 2 Lämpchen von Thon, 1 Töpfchen von
terra sigillata, 2 Schalen (1 grosse, 1 kleine) von terra sigillata, Teile
eines Metallspiegels, 1 gut erhaltenes Salbfläschchen von grünem Glas, 1 Schild-
bnckel, 1 halbe Schale aus weissem Thon, 1 halbes Schälchen von Eisen,
1 grosse Schale mit Ausguss (sehr verletzt) und viele Scherben.
13. Koblenz. Kunst-, Kunstgewerbe- und Altertumsverein
für den Regierungsbezirk Koblenz.
Nach dem Rücktritte des bisherigen Voreitzenden, Geh. Kommerzienrates
Wegeier wurde Staatsarchivar Herr Archivrat Dr. Becker zum Vorsitzenden
gewählt Der Vorstand wurde durch die Neuwahl von drei Mitgliedern ergänzt.
Die Zahl der Mitglieder ist auf 132 zurückgegangen.
Während des Jahres 1896 hat der Verein zwei Versammlungen abgehalten,
mit welchen zugleich die ordentlichen Jahresversammlungen für 1895 bezw. 1896
284 Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz.
yerbnnden waren. Die erste Versammlnng fand am 16. April y. Js., die zweite
Versammlung am 7. Deeember v. Js. statt. In beiden Versammlungen bat der
Direetor des Central-Gewerbevereins zu Düsseldorf, Herr Frauberger Vor-
träge gehalten, und zwar in der ersten über die „Errichtung einer Vorbilder-
Sammlung in Koblenz^, in der zweiten über die Frage „Wie lässt sich ein
städtisches Museum fllr eine Stadt nutzbringend gestalten?'* Die Verwirklichung
der hier gegebenen Anregungen ist leider noch nicht möglich gewesen.
14. Köln. Verein von Altertums freunden.
In der Zusammensetzung des Vorstandes des Vereins der Altertumsfreunde
sind keine Veränderungen eingetreten; die Mitgliederzahl beträgt 58.
Es sind vom 1. Mai bis Mitte März 1896 zehn Sitzungen abgehalten worden,
von denen zwei allein der Erhaltung des römischen Nordthores in Köln gewid-
met waren; in den übrigen wurden folgende Vorträge gehalten:
Rector Schwoerbel: Geschichte des Ballspiels und seine einstige Pflege
in Eöhi.
Hofrat Aldenhoven: Der Salon 1896.
Direetor Dr. von Falke: üeber niederrheinisches Steinzeug.
Baurat Stubben: Ragusa und Cattaro.
Derselbe: Spoleto.
Stadtarchivar Professor Dr. Hansen: Die Universität Köln und der Hexen-
hammer.
Derselbe: Deutsche Kaisersiegel.
Dr. Kisa: üeber moderne Radierungen.
Diese Vorträge sind auszugsweise im Kölner Stadt-Anzeiger wiedergegeben.
15. Kreuznach. Antiquarisch-historischer Verein für Nahe
und Hunsrück.
Der Verein, dessen Mitgliederzahl sich auf 130 erhöhte, hielt im Berichts-
jahre eine allgemeine Sitzung ab; ausserdem haben mehrere Vorstandssitzungen
stattgefunden. Die siebzehnte Veröffentlichung des Vereines ist betitelt: Die
Reichsherrschaft Bretzenheim a. d. Nahe; ihr Verfasser ist A. Held mann.
Aus^^egraben wurde in der Flur von Kreuznach ein roh behauener fränkischer
Sarkophag aus gelblichem Saudstein, 203 cm lang, 56 cm breit, 65 cm hoch.
Die Seiten waren rechts und links gerundet, der Deckel abgeschrägt. Das
Innere war leer. Wie dieser Sarkophag, so wurde auch der im Vorjahre bei
Weinsheim gefundene fränkische Steinsarg samt seinem Inhalte: Bronzevei^
zicrungsstticke eines Gürtels und ein spätrömisches oder fränkisches Glasgefats
der Vereinsaammlung einverleibt. Unter den sonstigen neuen Erwerbungen ist
ein Bronzemesser und eine Nadel aus der Gegend von Bingerbrück besonders
zu nennen.
Berichte über die TbHtigkeit der Altertums- n. Gescbichtsvereine der Rheinprovinz. 285
16. Neuss. Altertumsyerein.
Die Zahl der Mitglieder beträgt 50.
Da das vor den Thoren von Neuss gelegene grosse römiscbe Lager seit
Jahren dureh das Bonner Provinzialmuseum ausgegraben wird (vergl. dessen
Bericht), wurden Ausgrabungen seitens des Vereins nicht unternommen. Bei
der Anlegung von Ziegeleien und bei der Ausschachtung eines Teiles des Stadt-
grabens fand man eiserne und steinerne Kugeln, eine Wallbüchse, römische
Münzen und GefUsse, von denen ein Teil der Vereinssammlung überlassen wurde.
Auch die Urkunden-Sammlung ist durch einige Gesclienke vennehrt worden.
Die in Aussicht genommene Neuordnung der Sammlungen hat erst zum
Teil ausgeführt werden können.
17. Prüm. Gesellschaft für Altertumskunde.
Sitzungen wurden im ganzen fünf abgehalten. In der Sitzung vom 10.
Mai 1896 wurde vorgelegt: ein Doppelgulden Philipps IV. von Spanien aus
dem Jahre 1635, gefunden in Schönecken, Kreis Prüm, und ein in der Nähe
von Prüm zum Vorschein gekommener halber Gulden von Albert und Isabella,
ausserdem ein vorzüglich erhaltenes Exemplar des Philipp IL von Spanien ge-
widmeten Theatrum oder Schaubuch des Abraham Ortel vom Jahre 1580.
In der Sitzung vom 8. Oktober 1896 sprach der Vorsitzende Direktor
Dr. Asbach im Anschluss an eine bei Urft gefundene Münze Diokletians über
die römische Wasserleitung in der Eifel, sodann verbreitete er sich über die
römische Villenniederlassung bei Blankenheim ; er wünscht eine Herstellung des
Katalogs der Sammlung des Museums der Grafen von Blankenheim, aus wel-
chem manches Stück in das Wallraff- Richartz- Museum in Köln übergegangen,
manches wohl im Besitze des Grafen Lobkowitz auf Schloss Vraez bei Prag
sei. Vorgezeigt wurden zwei gusseiseme Platten mit bildlichen Dai*stellungen, die
eine aus dem Kloster Niederprüm, die andere aus einem zur Burg Schönecken
gehörigen Hause stammend, ausserdem der Lehner'sche Plan des römischen
Trier.
In der Sitzung vom 27. Nov. 1896 hielt der Vorsitzende, Dr. Asbach,
einen eingehenden Vortrag über Georg Barsch und die Eiflia illustrata nach
Bärschs „Erinnerungen aus meinem vielbewegten Leben", in welchem er inter-
essante Mitteilungen über die Entstehung des Tagendbundes, über sein Ver-
hältnis zu Schill, über die Ursache des veranglückten SchilPschen Zuges, über
den Ursprung der Erhebung Preussens i. J. 1813 u. dgl., endlich über die
Bearbeitung der Eiflia illustrata von Job. Friedr. Schannat machte. In der-
selben Sitzung sprach Kreisbaumeister Schrader über die Ruinen von Baal-
beck, dem alten Heliopolis in Syrien. Er wies nach, dass die menschliche
Kraft hier staunenswerte Massen bewältigt und zusammengefügt habe. Die
Übeireste des dortigen Sonnen- und Zeustempels seien mächtiger als irgend
ein ähnlicher Bau in Griechenland, entbehren aber den Zauber der Anmut und
des edlen Masses. Vortreffliche Photographien veranschaulichten den Vortrag.
Hcir Obererer Dovsbach hielt im der Stammg tob 13w Febmr 1897
urffekliebeB Vortrag iber den MitImdieMt n KUnechc» Seicke, refe-
rierte iMbetoiidere iber d» den MithnedicBSt iiiifMH adi? Werk Ton CoaiMMt
^Text» et BouHMBtB ig^nres de )ütbn»'^. Der Vorstzcade wies wodMam mmt
eiBen Artikel der Kötmehen Volkateihn^ bin. wcsjeb tos wurhkMudigcr Seite
den Ardenncn das linksBoselaniiehe« rbeinieehe Sekiefagebiigey der Eifel das
besehrankte Gebiet zwis^en Mteslereifei. KTÜbv]^}. Orsost. Xirbv^p lag^
wiesen warde^ S^S^^ welebe AaCunnp sieh der Yorsitzcndey gestiUI aaf ge-
In einer Vocataadssitza]^ tcm 22. Febraar le^e Dr. A^baeh eine Ab-
k^w^n—p ^or. in der er an» Taeitns den Xaehweis zn fi^em snehte. dns die
ScUnekt dar^ St GeriaEs L J. 10 n.Ckr. die BaiaTO^ and ihre
Ton Trier zartektrieb, aaf dem rechten Moseiafier anicr
lonie entacUeden warde.
Die Yottrage warden aidkr oder Binder aasÜMieh in der KöluBden
ZtÜMMg, der Eifder Toikneitn^ and dem Korrespondenzblalt der
Die BibBoth^ hat eiaigcn Zawaeha bek
\^. Saarbrieken. Historiseh-aatiqaariseher Yereia ftr die
Saargegend.
In den Sitinngcn des Yercias warden aeht Vottrige gehalten. Ton denen
aeh zwei aaf die Saargegend beawgen. Rektor Jaagk spra^ 1. Über die
Hexcnproeesse der Saaigegcnd. 2. Über den Streik der V<ALlinga' Banem im
J. 1566 and sone Folgen.
Von den TereiBanitgliedeni ist Rektor Jungk mit der Aa&teDang der
Saarbrüeker Regesten besehäftigt: die Ko^en der dazu erforderlichem Reisen
nach Paris, Xancj nnd Metz wurden vom Vereine bestritten. Aach gab er
eine arkondliche Crescfaichte dei» Dorfes Kschmisheim heraas. Oberlehrer
Rappersberg bearb«tet aaf Kosten des Kreises die Xeoaosgabe der KoDner*
sehen Werke ftber Saarbrücken. Dr. Krohn rerfasste dne Chronik des Saar-
brtcker Kasinos mit Xotizen iber das Leben in Saarbrneken. In Heft 6 der
Mitteüangen soDen darch denselben Beiträge znr Saarbrüeker Crcschiehte rer-
5ffentlieht werden.
In Dndwefler wnrde in der Strasse mitten im Orte eine rooiisehe Aedi-
eala aut wenigen Trümmern bei Anlegnng der Wasserleitung anfgedeekt ;TgL
St Johanner Zeitnng 1^96. Xr. 196. 223>. Einige Stücke davon kamen nach
Trier, andere warden der Saarbrückener Sammlnng einverleibt. In Bezug aaf
den im Toijährigen Berichte erwähnten Rentrischer Stein ist noch nichts Wei-
teres geschehen.
Von den im Wiesbadener Staatsarchiv befindlieben Schli^ss^plänen aus dem
18. Jh. wnrden photographische Aufnahmen angefertigt. Davon beziehen sich
6 anf Saarbrückm, 5 aaf Philipsbom Xeohaos , 4 auf Xennkirchen, 3 aaf
Ottwdler, 2 aaf Ilombarg Ffalz'.
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 287
19. Werden. Historischer Verein für das Gebiet des
ehemaligen Stiftes Werden.
Anstelle der verstorbenen Herren Bürgermeister Sold an und W. Flügge
sowie des ausgeschiedenen Herrn vom Dorp sind die Herrn Bürgermeister
Trapp, Ernst Huf f mann und H. Siepenkothen in den Vorstand getreten.
Die Zahl der Mitglieder ist auf 148 gestiegen.
Der Verein hat seine Generalversammlung am 13. November abgehalten,
wobei Provinzial-Conservator Dr. Giemen einen Vortrag über das Thema hielt:
„Die ältesten Wandmalereien der Rheinprovinz mit besonderer Berücksichtigung
der Malereien in der Werdener Luciuskirche". Als praktischer Erfolg dieser Ver-
sammlung verdient hervorgehoben zu werden, dass die Übertragung der Lucius-
kirche, die bis dahin im Besitze des Herrn Kaplan Hellings war, in das Eigentum der
katholischen Kirchengemeinde behufs Erhaltung der darin noch erhaltenen hoch-
wichtigen Gemäldereste als dringend notwendig besprochen und lebhaft be-
fürwortet wurde; die Uebernahme ist seitens der kirchlichen Corporationen
schon erfolgt und steht zur Auflassung im Grundbuche nur noch die Geneh-
migung der höheren Behörden aus.
Im fünften Hefte der vom Vereine herausgegebenen Beiträge zur Ge-
schichte des Stiftes Werden veröffentlicht P.Jacobs unter dem Titel „Werde-
ner Annalen" eine Reihe chronistischer Aufzeichnungen zur Geschichte von
Werden. Den Beginn macht die Historia regalis et insignis monasterii et ab-
batiae Werthinensis, die Heinrich Duden, vom J. 1573 — 1601 Abt zu Werden,
aufgezeichnet hat. Ihr folgen die Chronik des Pfarrers Saldenberg, die Annalen
Gregors Overham, der im J. 1687 als Probst von Helmstedt starb und der
Abtskatalog des Conventualen Bernhard Roskamp. Dem lateinischen Texte ist
eine deutsche Übersetzung gegenübergestellt.
Trotz seiner beschränkten Geldmittel hat der Verein im abgelaufenen
Jahre in Gemeinschaft mit Professor Effmann (Freiburg, Schweiz) die Reste
der im X. Jahrhundert erbauten St. Clemenskirche am hiesigen Pastoratsberge
ausgraben lassen. Durch die Aufdeckung sind die Mauerzüge derselben in
solchem Umfange freigelegt worden, dass die Grundrissanlage ziemlich klar
hervortritt. Das Bauwerk stellt sich dar als eine dreischiffige Basilika mit
westlicher Vorhalle, östlichem über die Flucht der Seitenschiffmauem nicht her-
austretendem Querhause und drei in die nach aussen gerade geschlossene öst-
liche Querechiffmauer eingetiefte Altarconchen. Von der Ostmauer bez. den
Chorapsiden steht das Mauerwerk noch vollständig in einer Höhe von 1,50 m
über dem Fussboden, von dem im Querschiffe und besonders in der Vorhalle
und im Langhause umfangreiche Ueberreste enthalten sind. Auch die Funda-
mente des wahrscheinlich später eingebauten Turmes sind noch vorhanden.
Die Abräumungsarbeiten und eine entsprechende Ausschmückung des Ter-
rains hat der hiesige Verschönerungsverein übernommen ; jedoch dürfte zur Er-
haltung der Mauerreste und vorzugsweise der Altarconchen, die durch eine neue
Verblendung gegen das Eindringen von Wasser gesichert werden müssen, eine
288 Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Oeschichtsyereine der Bheinprovinz.
kräftigere Hülfe notwendig sein. Ein dieses bedeutsame Baudenkmal behan-
delnder Aufsatz ist von Herrn Professor Effmann in der Zeitschrift fOr Christ-
liehe Kunst, Jahrgang 1896, Spalte 341—348 veröflFentlicht worden.
20. Wesel. Niederrheinisches Museum für Orts- und
Heimats-Kunde.
Der Übergang der Sammlungen des Niederrheinischen Vereins für Orts-
und Heimatskunde in das Eigentum der Stadt Wesel ist im Laufe des Jahres
1896 thatsächlich vollzogen worden. Mit der Verwaltung ist ein aus fünf
Mitgliedern bestehendes Kuratorium betraut worden, das aus drei Angehörigen
der Stadtverordneten- Versammlung, den Herren Westermann, Rigaud und Tons,
und aus zwei frei dazugewählten Mitgliedern, den Herren Luyken und Prof.
Mummenthey, zusammengesetzt ist
21. Xanten. Niederrheinischer Altertumsverein.
Im Winter 1896 — 1897 bot sich dem Vereine Gelegenheit, auf einem
brachliegenden Ackerstücke die Untersuchung der Mauer, die von der nord-
östlichen Umfassungsmauer der früher aufgedeckten Niederlassung vor dem
Klever Thore (B. J. LXXXVII, S. 88 und 93) abzweigt, fortzusetzen. Diese
Mauer warde jetzt, soweit thunlich, blossgelegt, leider noch nicht in ihrer
ganzen Ausdehnung, da sie sich in das angrenzende, mit Wintersaat bestellte
Grundstück erstreckt, welches dem Vereine nicht zur Verfügung gestellt wurde.
Soviel kann man aber aus dem Verlaufe der Fundamente schliessen, dass es
sich hier um eine grosse Gebäudeanlage handelt. Es fand sich ein Stück
einer Säule, Teile von gefärbtem Mauerbewurf, Dachschiefer mit Nagelloch und
anderes, was auf das Bestehen eines Hauses an dieser Stelle Schlüsse zu ziehen
gestattet. Das Mauerwerk ist, wie das früher hier aufgedeckte, aus Grau-
w^acke und Thonschiefer mit grobem Kalkmörtel errichtet und ziemlich gut er-
halten. Die Zerstörungen aber, die im Laufe der Zeit hier stattgefunden, sind
so gründliche gewesen, dass von Thonsacheu sich nur einige ganz erhaltene
Stücke fanden, dagegen eine grosse Zahl Scherben, besonders von terra sigil-
lata, die sämtlich Spuren zeigen, dass sie mit Gewalt zerkleinert sind.
Der Fund an Kleinaltertümern war gross. Es fanden sich
A. Münzen. Mittelerze von Tiberius, Nero, Vespasian, Domitian, Antoninus
Pius, ein wohlerhaltenes Grosserz von Trajan (Coh. 386). Mehrere un-
deutliche, noch nicht bestimmte Münzen.
B. Ziegel. 1. Bruchstück der 22. Legion, gestempelt LEGXXIIPPF
2. Ein gleiches der 22. Legion, gestempelt KEGXXIi///
//////
3. Bruchstück mit Stempel F
4. Ebensolches mit Stempel d AM KIT///
5. Ebensolches, zeigt eingeritzt V
C. Terra sigillata. 1. Tasse, wohl erhalten mit Stempel ///AVS//
2. Fussscherbe eines roh ornamentierten Napfes, auf der Aussenseite ein
verkehrter Stempel TOS
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereino der Rheinprovinz. 289
3. Fussscherbe eines Napfes mit Stempel \A P I S O • FE
4. Fussscherbe eines Kumpens mit Stempel ALBVS
5. Teller, beschädigt, mit Stempel HABITVS
6. Fussscherbe mit Stempel I V Li I M
7. Fussscherbe mit Stemperc A L B I N I M
8. Teller, halb, mit Stempel OF-ARDA///
9. Fussscherbe eines Kumpens mit Stempel ME©ILLVS
10. Fussscherbe einer Tasse mit Stempel VITAL
11. Tasse, Bruchstück, mit Stempel SEN/////
12. Tasse, beschädigt, mit Stempel ////SIVS
13. Fussscherbe mit Stempel ROGWJl
14. Fussscherbe mit Stempel 0FVITA
15. Fussscherbe mit Stempel R V S T I C 1 0
16. Fussscherbe eines Kumpens mit Stempel VERVSFEC
17. Napf, halb, mit Strich Verzierung, auf der Ausseuseite eingeritzt Fl IS.
18. Wandscherbe eines ornamentierten Napfes mit Quadriga und Löwen.
19. Ebensolche mit Jagddarstellung.
20. Ebensolche mit einem liegenden Hirsch, mit einem schreitenden Hahn,
Krokodil, Reiher, mit einem Esel und einem erhabenen Band, worauf
ein undeutlicher Stempel.
21. Wandscherbe eines Napfes mit Blattornament.
D. Terra nigra.
1. Unterer Teil einer Urne, auf der Ausseuseite Stempel DIILIAXVT
2. Tasse.
3. Tasse, beschädigt.
E. Andere Thongegenstände.
1. Eine Kugel.
2. Amphorahenkel mit Stempel POREAPA
darunter eingeritzt : * X
3. Henkelstück mit Hals, auf dem Henkel eingeritzt XII, auf dem Hals-
rand MV
4. Lampe aus weisslichem Thon, beschädigt.
5. Lampe aus rötlichem Thon, ebenso.
6. 2 Vasen ohne Henkel, weiss.
7. Urne, grau.
F. Glas.
1. Bruchstück einer blauen Schale mit dicken Rippen.
2. Ring von blauem Olas.
O. Elfenbein. 1. Stilus, Spitze abgebrochen.
1. Eine Haarnadel, oberes Ende Büste einer Frau mit hoher Frisur.
H. Gegenstände aus Metall, a) Eisen.
1. Eiserne Nägel von 5 — 22 cm Länge.
2. Eisenstück mit Stielloch.
3. Viereckige eiserne Stange, 41*/^ cm lang.
Jilirli. d. Ver. y. Alterthsfr. im Rheinl. 108. 19
290 Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereinc der Rheinprovinz.
b) Bronze. 1. 6 Gewandnadeln.
2. Henkel.
3. Haken.
4. 3 Nadeln.
5. 2 Sonden, eine mit einem kleinen Spatel.
6. Ring.
7. Knauf.
8. Beschläge.
I. Gegenstände aus Stein.
1. Mühlstein aus Lava.
2. Säulenstück aus weissem Sandstein mit halbkreisförmigen, durch
schmale Flächen getrennten Kannelierungen, 25 cm hoch.
3. Dachschiefer.
Durch Ankauf und Geschenke vermehrte sich die Sammlung um folgende
Stücke:
1. Scherbe von weissgrauem Thon mit Stempel LEG TM! vermutlich von
einer Wasserleitungsröhre herrührend. Fundort: Birten.
2. Einhenkelige Thonkrüge, Lampe mit Stempel VIT F. Gefunden auf
dem Kirchhof vor dem Marsthor.
3. Amphorahenkelstück mit Stempel Q P P hf{. Gefanden in einem Garten
vor dem Klever Thore.
4. Bruchstück eines Acrotheriums von rotem Thon, ein Gesieht dar-
stellend. Fundort: Gastra vetera.
L V
5. Ziegelbruchstück der 5. Legion, mit Stempel PMIORIO. Fundort:
Castra vetera.
LEG V
6. Ebensolches, mit Stempel NHCERFE, derselbe Fundort.
7. Dachziegel mit Stempel LEGXXXAA. Fundort: Garten vor dem Mars-
thor.
8. Bruchstück mit Stempel KXXXVV
9. Ebensolches mit Stempel <XXX///
10. Randstück einer Schale mit Stempel ///ILCKI. Fundort: alte Burg.
Münzen.
11. ATr des Tiberius (Coh. 15). Fundort: Fürstenberg.
12. ATr des Valentinian IIL (Coh. 19). Fundort: Vyuen am Rhein.
13. Ä des Trajan (Coh. 140). Fundort: alte Burg.
14. M des Gordian (Coh. 4). Fundort: alte Burg.
An Gemmen wurden 8 Stück angekauft, welche teils auf der Flur „alte
Burg" vor dem Klever Thor, teils auf dem Fürstenberg gefunden sind. Hervor-
zuheben ist eine sechseckige braune Glaspaste. Die obere Fläche ist weiss-
lich, auf derselben befindet sich die Darstellung einer Henne, auf jeder der sechs
Seitenflächen je ein Buchstabe, die zusammen das Wort SV AVIS bilden.
Die Sammlung wurde durch die Fundstücke bei den Ausgrabungen, durch
Ankauf und Geschenke um 337 Nummern vermehrt.
Berichto über die Thätigkeit der Altertums- u. Ge»chichtävereine der Rheiuproviuz. 291
III. Die städtischen Sammlungen.
1. Aachen. Städtisches Suerraondt-Museum.
Bei den durch das Stadt-Bauamt 1896 ausgeführten Grabungen zur An-
higc von Kanälen sind Bruchstücke von römischen und älteren Gefässen ge-
funden und dem Museum überwiesen worden. Nach Beendigung der Kanal-
arbciten soll eine übersichtliche Zusammenstellung der Funde vorgenommen
werden.
Aus Mitteln des Museums und des Museumsvereins wurden ausser ver-
schiedenen Tafelwerken eine Sammlung von Ansichten Alt-Aachener Häuser
und drei Gemmen erworben, die sich früher im Domschatz befanden und zu
Anfang des Jahrhunderts von dort abhanden kamen, endlich die Handschelle
des früheren öffentlichen Ausrufers von Aachen. Von den privaten Zu-
wenduDgen, die dem Museum gemacht wurden, seien die folgenden her-
vorgehoben: Der Prinz von Oranien, von der Jagd zurückkehrend, Gemälde
von Jan Weenix, Geschenk des H. Karl Suermondt; Arbeiterfamilie in der
Romagna, Gemälde von A. Moradei; Geschenk des H. Moritz Honigmann,
eine moderne Bronzemedaille, Geschenk des H. Alfred Eich hol tz, Kästchen
mit Goldwage und Gewichten verschiedener alter Münzen, Geschenk des H.
Jakob Fellinger; Strauss mit Hufeisen im Schnabel aus gebranntem Thon
mit farbigem Schmelzfluss, Wahraeichen von Ulm, Geschenk des H. Arthur
Saermondt.
2. Düsseldorf. Historisches Museum.
Der Bestand der Sammlungen ist im J. 1896 um 59 Nummern vermehrt
worden. Ausser einer Anzahl von älteren Druckwerken und geographischen
Karten von Jülich, Berg, Kleve sowie älteren Plänen von Düsseldorf wurden
ei"worben : hölzerne Medaille zur Feier der 2. Vermählung des Kurf üreten Johann
Wilhelm, Goldgulden des Herzogs Arnold und des Herzogs Karl von Geldern,
Goldmünze des Grafen von Brotzenheim v. J. 1790, silberne Medaille auf den
Frieden von Ryswyk, Medaille mit den Brustbildern Johann Friedrichs von
Sachsen und seiner Gemahlin Sibylla von Jülich. An römischen Funden wurden
dem Museum einverleibt: eine Bronzekanne und zwei Bronzeschalen, der Bronze-
griff einer Opferschale, eine thönerne Vase, Reste gläserner Gefässe, Scherben
von Thon und terra sigillata.
3. Düsseldorf. Kunstgewerbemuseum.
Im vergangenen Berichtsjahr wurde zur Unterbringung der Arbeitsmittel
des Central- Gewerbe- Vereins für Rheinland, Westfalen und benachbarte Gebiete
der Neubau des Kunstgewerbemuseums am Friedrichplatz vollendet, der am
30, Oktober 1896 in Gegenwart der Minister der geistlichen, Unterrichts- und
292 Berichte über die Thätigkeit der AltertumB- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz.
Medicinalangelegenheiten und fttr Handel und Gewerbe sowie der beiden Ober-
präsidenten der Rheinprovinz und Westfalens feierlich eingeweiht werden konnte.
Ein Überblick über die Sammlungen ist erst seit der Vollendung der Auf-
stellung ermöglicht worden. Im Anfang, nach Gründung des Central-Gewcrbe-
Vereins im J. 1882 konnten nur eine kleine Sammlung von Gypsabgüssen nach
guten Originalen und eine kleine Sammlung guter moderner Arbeiten aus Oester-
reich, Bayern, Sachsen sowie einige ältere Proben angeschafft werden. Im
März 1883 wurde dann die Eduard Böninger- Sammlung als Geschenk über-
wiesen, die besonders reich an ethnographischen und kunstgewerblichen Gegen-
ständen aus China, Indien, Türkei, Mexiko und vor allem Japan war. Durch
den Entschluss der Provinzialverwaltungen der Rheinprovinz und Westfalens,
dem Central-Gewerbe- Verein laufende Zuschüsse zu gewähren, wurde es mög-
lich, weitere Erwerbungen von älteren kunstgewerblichen Gegenständen zu
machen. Von Dr. Franz Bock in Aachen, mit dem der Central-Gewerbe-
Verein zur Schaffung eines grossen rheinisch-westfölischen Centralmuseums ein
festes Abkommen traf, wurde 1884 eine mehrere tausend Nummern zählende
Textilsammlung erworben, 1885 eine Sammlung von Ledertapeten, Teppichen
und eine reichhaltige Bestecksammluug, 1886 sehr umfangreiche Collektionen
von Holzfüllungen, Schmuckkästchen, Fayencen, Eisen- und Bronzearbeiten
deutschen und italienischen Ursprungs, sowie Arbeiten aus Kupfer und Eisen,
1887 eine sehr reiche, auf alle Zweige des Kunstgewerbes ausgedehnte Samm-
lung orientalischer Gegenstände, 1888 eine höchst bemerkenswerte Sammlung
koptischer Stoffe, Gewänder und Fussbekleidungen, ferner eine Collektion von
Drechslerarbeitcn, 1889 eine umfangreiche Sammlung spanischer und portu-
giesischer Altertümer und 1890 eine anregende Sammlung alter Küchengeräte.
Durch die Güte des Herrn Franz Pascha in Kairo erhielt das Museum
Muscharabien, durch das Entgegenkommen des Herrn Brugsch Bey altägyp-
tischc Stoffe und Glasmosaiken, unter Mithülfe vieler Herren wurde eine sehr
reiche Sammlung von mittelalterlichen Stoffen zusammengebracht, und eine
recht ausgiebige Vermehnmg ergab die im Jahre 1890 vom Direktor Frauberger
unternommene Reise in den Orient, ausser dem Damascener Zimmer und verschie-
denen Kupfer-, Zink-, Leder-, Holz- und keramischen Objekten auch eine reich-
haltige Kollektion von antikem Goldschmuck aus Cypern. So konnte am Schluss
des Verwaltungsjahres — 30. Juni 1896 — das Inventar die sehr bedeutende
Zahl von 17038 Gegenständen aufweisen; dazu kommen noch etwa 1000 Gyps-
abgüsse nach vortrefflichen Originalen.
Die Bibliothek und die Vorbildersammlung, auf die der Central-Gewerbe-
Vereiu von Anfang an ganz besonderes Gewicht gelegt hat, zählt jetzt 27000
Vorlageblätter in 235 Mappen, eine Reihe kostbarer Textwerke (gegeji 1000)
und an 60 verschiedene Fachzeitschriften.
Über die einzelnen Abteilungen und ihre Gescliichtc sowie über die jetzige
Aufstellung orientieren die Festschrift zur Einweihung des neuen Museumsge-
bäudes in Düsseldorf 1896 und der Führer durch das Kunstgewerbemuseum in
Düsseldorf 1896.
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Bheinprovinz. 293
Die Erwerbungen während der Bauzeit förderten den Plan, bestimmte
Stile erläuternde Zimmereinrichtungen — einzelne Kulturbilder — zu schaffen.
So wurden eine vollständige, holländische Fischerstube — Hindelooper Kammer —
mit B\issbodenplatten, Wandfliesen, eingebauten Bettstellen, Kamin, mit farbigen
Möbeln, Porzellanen und Fayencen ; ferner Teile eines vläraischen Zimmers, Teile
eines deutschen Spätrenaissanceerkers, Teile eines Zimmers in Tiroler Gothik
und Ergänzungsstttcke zur altertümlichen Küche angeschafft.
Für Erwerbungen von Arbeitsmitteln besteht ein Fonds, der am 1. Juli
1896 Mk. 45562,88 betrug und während des Jahres durch freiwillige Beiträge
vermehrt wurde. Ein Teil dieses Fonds wurde zur Bildung einer plastischen
Vorbildersammlung verwendet; der Ankauf der an romanischen, gothischen und
Renaissance-Vorbildern überaus reichen Cesar Leers' sehen Gypssammlungen
ist hervorzuheben.
Seit 1896 wurden unter Anderem angekauft oder geschenkt:
Aus der Metallabteilung : Zwei f rühgothische Kirchenlcuchter in Schmiede-
eisen, aus Tirol.
Sonnenuhr von Messing und Silber, reich mit Gravieningcn, für den kur-
fürstlichen Hof gemacht von Claude Dunod in Düsseldorf a. d. 17. /18. Jh.
Kollektion altjapanischer Stichblätter, Schwertgriffe, Netzkes und kleine
Appliken in reichster Silber- und Goldtauschierung.
Ans der Textilabteilung :
Zwei Streifen- und eine Wappen-Goldstickerei aus Frankreich, a. d. 16. Jh.
Aus der Möbelabteilung:
Tmhe mit geschnitzten westftllischen Wappen, a. d. 16. Jh.
Truhe mit Flachschnitzerei, rheinisch, a. d. 17. Jh.
Schiebladkästchen, friesisch, 18. Jh.
Waschkästchen, Tiroler Gothik.
Holländischer Stuhl, 17. Jh.
Die Zeit zwischen der Eröffnung des Museums und dem Abschluss des
Berichtes war ausser den Betriebsarbeiten der Ordnung der mehrere tausend
Nummern zählenden, im Depot befindlichen Reservesammlungen gewidmet.
4. Köln. Museum Wallraf-Richartz.
Die Neuordnung der Sammlungen wurde gefördert durch die Voll-
endung der Umbauten im Ostflügel des oberen Stockwerkes. Durch die Ent-
fernung von Zwischenwänden wurden zwei neue grössere Ausstellungssäle ge-
wonnen^ mit Oberlicht versehen und zur Aufnahme der Gemälde moderner
Schalen hergerichtet, welche nun sechs Räume füllt. Der erste enthält aus-
schliesslich die Stiftung von Erben des verstorbenen Geheimrates Dagobert
Oppenheim, meist kleinere Bilder deutscher und italienischer Künstler, im an-
stossenden Erkerraume und in drei folgenden Sälen sind in möglichst histori-
scher Anordnung die übrigen modernen Gemälde untergebracht. Das Kabinet
am Ende des Flüg^els ist zur Aufnahme von modernen Handzeichnungen reser-
294 Berichte über die Thätigkcit der Altertums- u. GeschichtBvereine der Rheinprovinz.
viert. Der Oberlichtsaal im Westflügel wird für die italieDischeu , ein Raum
im nördlichen für die holländischen Gemälde hergerichtet, zwei Säle des Erd*
geschosses sind für Gipsabgüsse nach antiken Skulpturen bestimmt.
Die Katalogisierung wurde weitergeführt und für dieGrappe der christ-
lichen Plastik und die der römischen Steinaltertümer vollendet.
Neue Erwerbungen. Die Gemäldesammlung hat ausser einem Archi-
tekturbilde von Francesco Guardi und einem männlichen Bildnisse in der Art
des Tintoretto eine wertvolle Bereicherung durch die Wandgemälde aus dem
ehem. Hause Glesch in Köln (um 1420) zu verzeichnen. Sie stellen Szenen
aus der Geschichte vom lieblosen Sohn vor und wurden dem Museum von dem
jetzigen Besitzer des Hauses, Herrn Weiler, geschenkt. — Für die Sammlung
von Holzskulpturen wurde ein Antwerpener Schnitzaltar mit Christus und Magda-
lena (um 1500) erworben. — Von Gipsabgüssen sind hervorzuheben: Zwei
Reliefs vom Altare des Meisters Arnold in Calcar, die Nike von Samothrake,
die Aphrodite des Praxiteles im Vatikan, der Augustus von Prima -Porta, der
sterbende Gallier, Mars Ludovisi, der Diskobolos des Myron, eine Karyatide
vom Erechtheion und die Thauschwestem vom Parthenon. Hierzu kommt als
Geschenk von Herrn Arthur vomRath cinAbguss desHylas aus dem Museum
Diocletianum in Rom. — Hervorragende Bereicherung wurde der Kupferstich-
sammlung zu teil. Von Dürerschen Stichen wurden in vorzüglichen Abdrücken
und Zuständen envorben: Adam und Eva, die Melancholie, Melanchthon, die
Madonna im Grünen, die Genofeva, das Schweisstuch der Veronika, die Hei-
lung des Lahmen und sechs Blätter aus der kleinen Passion.
Von Rembrandtschen Radierungen : der grosse Coppenol, die Mutter Rem-
brandts, das Selbstbildnis mit Federhut, die Darstellung im Tempel, die heil.
Familie im Zinmier, die heil. Familie mit Josef zum Fenster hineinschauend,
Christus in Eniaus, die drei Hütten, die Landschaft mit dem viereckigen Turme,
die Landschaft mit der Turmruiue. Von W. Hondius: das grosse Bildnis des
Admirals Longk.
Den Zuwachs an römischen Altertümern bilden, da grössere Ausgrabun-
gen 1896 nicht stattgefunden haben, meist Grab- und Einzelfunde. Hervorzu-
heben ist der Aufsatz eines Grabmales mit der Figur einer Sphinx zwischen
zwei Löwen, welcher in der Severinstrasse gefunden und dem Museum von
Herrn M. Schaaf geschenkt wurde , der Fund von zwei Ziegelplatten mit
dem Fabrikstempel TRANS
RHENANA
und einer mit dem Stempel TRARENA
FECMILLX
SVPNEPOS
in der Vogelsangerstrasse zu Elirenfeld, ein Grabfund von St. Katharinen mit
Sigillatagefässen und Gläsern vom Ende des 3. Jahrli. u. Chr. und ein Grab-
fund der Bonner Strasse mit etwa gleichzeitigen Gläsern. Von Einzelfunden
sind die wichtigsten : ein Glasgefäss in Form einer Pilgerflasche mit vier Durch-
brechungen, in welchen Vögel sitzen, eine KugelHasche aus weiss und gelb ge-
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 295
bändertem Chaleedonglase, mehrere Kugelvasen mit azurblauen Henkeln und
Zickzackfäden; eine Traubenkanne u. A.
Von Thongeräten die Statuette eines Stieres. — Von Bronzen ein etrus-
kischer Spiegel mit Menelaus zwischen Helena und Aphrodite, ein Geschenk
des Herrn Commerzienrates Emil vom Rath, eine Strigilis und eine Apis-
statnette.
Durch Herrn H. Kappes erhielt das Museum einen grossen, auf dem
„Brande" gefundenen Mörser aus Jurakalk. — Unter dem Zuwachse an ger-
manischen Altertümern ist eine goldene Kreisfibel mit Goldfiligran, Saphiren
und Almaudinen aus Kyllburg bemerkenswert.
Sonderausstellung. Aus dem Besitzstande des Museums waren circa
1200 Stiche des 18. Jahrh. ausgewählt und nach Stecherschulen gruppiert. Am
besten vertreten war der farbige Kupferstich, der französische und deutsche
Porträtstich, die Aquatinta und die Schabkunst.
Vorträge. Direktor Aldenhoven hielt 1896 Vorträge tlber „Savonarola"
im Gfirzenich und im Altertumsverein über den „Pariser Salon"; Dr. Kisa
über „Antikes Kunsthandwerk am Rhein'* im Altertumsverein, über „Kunst im
Karneval" im Gtirzenich und über „die Anfänge der rheinischen Glasindustrie"
im Knnstgewerbevereine.
5. Köln. Städtisches Kunstgewerbemuseum.
Die Anzahl der Neuerwerbungen aus Ankäufen, Übei-weisungen und Ge-
schenken betrug im Berichtsjahr 1896/97 nach dem Zuwachs - Verzeichnis 150
Nummern im Gesamtwert von 27244,20 Mark. Davon entfallen auf städtische
Mittel einschliesslich der Zuschüsse von der Kgl. Staatsregiei*ung und aus dem
Dispositionsfonds des Herrn Oberbürgermeisters 16150 Mark, auf die Mittel des
kölnischen Kunstgewerbe - Vereins 6407,70 Mark und anf Geschenke und Über-
weisungen 4686,50 Mark.
In der Abteilung der Möbel: Ein italienischer Klapptisch der Frühre-
naissance, Cedemholz, geschnitzt um 1460; eine gothische Bettstatt aus Süd-
fmly Zirbelholz^ geschnitzt und bemalt und eine Truhe mit Untersatz von glei-
cher Art und Herkunft wie das Bett, Ende des 15. Jahrhunderts; einige Ve-
netianer Kirchenmöbel, geschnitzt im Stil Louis XV, um 1750, vergoldet; eine
Gruppe rheinischer Bauernmöbel des 18. Jahrb., geschnitzt in Eichenholz und
z. T. bemalt; schliesslich ein Lütticher Eckschrank mit Verglasung, Eichenholz
im Rokokostil geschnitzt, 18. Jahrh.
In der Abteilung der Keramik: Vier Fayenceöfen aus Zürich, Salzburg
and Franken, teils mit feinster Blaumalerei, teils in denFoimcn des 18. Jahrh.
modelliert und farbig glasiert, eine grosse PorzcUanterrine mit Deckel und Schüssel,
dier reiche Figurenschmuck daran modellirt von Kandier, die Malereien in der
Art des Herold; ein Hauptwerk ersten Ranges aus der Meissener Manufaktur,
um' 1735^ Porzellanfiguren von Berlin und Frankenthal; eine spanische Majo-
UkamdlllMel von Valencia, mit Goldlüstrebemalung, um 1500 (Geschenk eines
Vngenaiinten) ; eine Majolikaschüssel von Faenza, um 1490 (Geschenk des Herrn
296 Berichte über die Tliätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinproviiiz.
G.Bourgeois); Kölner Steinzeugfunde d. 16. Jahrb. In der Abteilung GlaR:
Eine Sammlung von c. 20 Pokalen und Bechern mit geschliffenen und geschnit-
tenen z. T. auch mit dem Diamant geritzten und punktierten Verzierungen. Die
Sammlung enthält nur tadellose und gewählte Exemplare und ist dadurch von
besonderem Wert, dass darin alle Hauptsitze der deutschen Glasschneidekunst
des 18. Jahrb., Schlesien, Böhmen, Nürnberg, Potsdam, Berlin mit charakte-
ristischen und z. T. bezeichneten Arbeiten vertreten sind.
In der Abteilung Metalle: Ein kleiner Flügelaltar mit Kreuzigung, die
Figuren Silber geschnitten, das Gehäuse mit punktierten Figuren kupfervergoldet,
eine seltene und bedeutende Arbeit der Kölner Goldschmiedekunst des 15. Jahr-
hunderts; eine Augsburger Silberkanne von 1618, mit biblischen Darstellungen;
ein Nürnberger Silberpokal um 1600; ein grosser Messingkronleuchter reichster
Foim aus der ersten Hälfte des 16. Jahrb.; eine grosse Kölner Zinnkanne, reich
graviert, vom Jahre 1554 (Geschenk des Freiherrn Albert von Oppenheim); ein
tadellos erhaltenes Exemplar der berühmten Zinnschüssel mit der Temperantia
und anderen allegorischen Figuren, Formschnitt von C. Enderlein nach Fr. Briot,
gegossen in Nürnberg 1611 von SebaldStoy; ein schmiedeisernes Balkongitter
aus Köln, um 1770.
In der Abteilung der Textilien: Westen, Fracks, Frauenröcke mit Platt-
stichstickerei im Stil Louis XVI; Lyoneser BrokatstofFe der Zeit Louis XIV;
ein alter Sumakteppich aus Daghestan (Geschenk des Herrn Commerzienrats
Emil vom Rath); ein Empireantependium mit Nadelmalerei und Metall-
stickerei aus Düsseldorf.
6. Köln. Historisches Museum der Stadt Köln.
Im Berichtsjahre sind die Sammlungen teils durch Ankäufe, teils durch
Schenkungen erheblich vermehrt worden, besonders die Abteilungen städtische
und rheinische Topographie, Portraits und französische Fremdherrschaft. In
Bezug auf die städtische Topographie besteht die Absicht, allmählich das ge-
samte noch vorhandene Material an kölnischen Stadtplänen und -Ansichten
hier zu vereinigen, ein Ziel, welches rücksichtlieh des grössten Teiles dieser
Gegenstände heute bereits verwirklicht ist. Besondere Erwähnung verdient
die Erwerbung der Originalkopien und -Pausen der aus dem 14. Jahrhundert
stammenden, von Vielen dem Meister Wilhelm zugeschriebenen Fresken im
Hansasaal des Rathauses, welche seiner Zeit (1878) vom Maler Martin ange-
fertigt worden sind.
Durch Überweisung aus dem Museum Wallraf-Richartz erhielt das Histo-
rische Museum: a) ein Ölgemälde auf Holz, St. Gereon und die Pfarrkirche
St. Christoph im Jahre 1644, b) ein Ölgemälde auf Leinwand, Festzug bei
Volleiidung des Domes 1880, c) eine grössere Anzahl von Plänen und Grund-
rissen von Kölner Gebäuden, Kirchen u. s. w.
Durch private Zuwendungen erhielt das Museum an hervorragenden Ge-
genständen vonseiten des Rentners Herrn A n t o n Sc heben: a) ein Spinett, b)
einen hölzernen Fahnenhalter in Armform, c) ein Kistchen mit Überzug von
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Gefichichtsvereine der Rheinprovinz. 297
gepnbztem Leder aus dem 16. Jahrhundert. Die Erben Berntgen schenkten
das lebensgrosse Kniestück des kürzlich verstorbenen Herrn Berntgen sen., in
der Uniform der 1848er Bürgerwehr.
7. Krefeld. Städtisches Kaiser Wilhelm-Museum.
Der Krefelder Museumsverein, in dessen Vorstand an Stelle des Herrn
Lagel^e Justizrat Hundt gewählt wurde, zählt etwa 1240 Mitglieder.
Seine Sammlungen wurden dem neugegründeten städtischen Museum über-
wiesen, zu dessen Leitung der bisherige Assistent am Hamburger Kunstge-
werbe-Museum, Dr. Deneken, berufen wurde. Nach der Vereinbarung,
die zwischen der Stadt und dem Museumsverein abgeschlossen wurde, bleibt
diesem die Mitwirkung an der Verwaltung auch fernerhin gewahrt.
Die Sammlungen des Vereins haben sich im Berichtsjahre um 275 Num-
mern vermehrt; davon entfallen 120 Nummern im Gesamtwerte von 5290 M.
auf Zuwendungen von Seiten verschiedener Privatpersonen. 155 Nummern sind
käufliche Erwerbungen, für die insgesamt 4500 M. bezahlt wurden. Der zwölfte
Bericht des Krefelder Museumsvereins enthält ein ausführliches Verzeichnis der
neuen Erwerbungen.
Unter den Schenkungen sind ausser verschiedenen Münzen, Büchern und
Tafelwerken und mehreren Gegenständen von lediglich örtlichem Interesse eine
niederrheinische Madonna aus dem 15. Jh., ein Zinnteller aus dem 16. Jh.
und eine grössere Anzahl römischer Funde zu nennen. Von den Ankäufen
seien die folgenden erwähnt:
1. Für die Gallerie: Schulz - Briesen, Der Feinschmecker und acht
Gouachen und Pastelle von G. Casciaro.
2. Für die kunstgewerblichen Sammlungen: Ein Schrank Hamburger
Schappes vom Ende des 17 Jh.; eine Anzahl Bronzeor%amente : Thürklopfer,
Gehänge, Leuchter, Plaketten, japanische Schwertverzierungen, Stichblätter
u. dgl.; Thon- und Steingutgeräte: Fliese, Kacheln, Leuchter, Schüsseln aus
Siebenbürgen und niederrheinischen Bauembäckereien, darunter ein Muttergottes-
bild vom Jahre 1716. Eine Kanzel aus derselben Zeit; altes Meissner, Fürsten-
berger und chinesisches Porzellan; Delfter Vasen und Geräte. Gipsabgüsse
nach zwei ßeliefs des Calcarer Marienaltars.
3. Für die Bibliothek: Bücher und Photographien.
Die Sammlung der römischen Altertümer erfuhr durch Funde aus Asberg,
aus Grimlinghausen und namentlich aus Gellep wertvollen Zuwachs, der teils
den Zuwendungen der Herren F. Camphausen in Krefeld und Wilhelm Tappen
in Düsseldorf, teils den von diesem letzteren und Dr. Oxe vorgenommenen Ver-
suchsnachgrabungen zu verdanken ist. Nach dem Bericht des Dr. Ox& sind
hierbei für das Museum gewonnen worden:
A. Steindenkmäler: Tuffstein mit Inschrift (Bruchstück eines Reiter-
grabmak). Vgl. darüber oben S. 127 ff.
_ B. Ziegel,
a. aus Gellep.
1. der legio I Minervia.
JttrK d. Ytr. T. Alterth8ft>. im Rheinl. 108. Id*
^8 Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinproyinz.
a) LEGI MI in rückläufiger Schrift.
b) ///////lAAl in rückläufiger Schrift.
c) LEGIMANT? in rückläufiger Schrift.
2. der legio XXX Ulpia Victrix.
a— g) LEG XXX VV nicht alle vollständig erhalten.
3. der Vexillatio exercitus Germaniae.
a u. b) VEXEXGR im Kreis geschrieben.
4. des Exercitus Germania) inferioris.
a u. b) EXGRIN mit hohen scharfen Buchstaben.
d — g) EX GER INF mit vertieften Buchstaben.
h — k) Derselbe Stempel mit kräftigeren Buchstaben.
1. EX:GER:INF im Kreis geschrieben und kaum leserlich. Darunter
ein kleines Hufeisen eingedrückt.
5. der Officina Marci Valerii Sau . . .
a— d) OF-M-V-S
eu.f) M-VSANO
g) MVAL-SANO
6. mit dem Fragment eines eingeritzten Datums.
[ IDV ]
b) aus Grimlinghausen. (Geschenke des Herrn W. Tappen.)
1. der legio XVL
a— d) LEG XVI -
2. der legio VI Victrix.
au.b) LEGVI
c) legvivic-r
d) VICR
3. der Fabrik des Rufius Priscus.
RVFIPR///f
C. Gefösse.
a) aus Gellcp.
1. Teller von Terra nigra, Form Koenen IX 23. Stempel VOCARAF.
2. Kleine Urne, Typus der Neronischen Zeit, Form und Verzierung
Koenen X, 22.
3. Urne, rötlich-gelb, mit eingezogenem horizontalem Bande. Form un-
gefähr K, IX, 2. Zeit Caesar- Augustus.
4. Kleiner Thonkrug, einhenkelig, weiss-gelb, Form der frühesten Kaiser-
zeit. Mit Nr. 3 und 4 wurden zugleich noch die Nr. 5 und 6 ge-
funden, die — nicht auf der Dreh-Scheibe hergestellt — in Form,
Farbe und Material germanischen Ursprung verraten.
5. Grosse, 30 cm hohe und breite Urne, teilweise mit Graphit geschwärzt,
Form etwa K. VI, 8a.
6. Plumper Kumpen, innen schwarz, aussen rot gebrannt, mit Qnarz-
steinchen durchsetzt.
7. Gefässboden von terra sigillata (Tasse?) mit dem Stempel SAC31F
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 299
8. Eine Menge Scherben von römischen Geßlsseu, wie sie in der mitt-
leren römischen Kaiserzeit; namentlich zur Zeit der Antonine, im Ge-
brauch waren. Z. B. Formen wie K. XV, 10. 26. XVI, 3. 22. 24.
25. 26. 27. 28a. 28b. Der Typus der Thonkrüge ähnelt mehr den
auf Tafel XI, 23—26, als den auf XV, 15—21 abgebildeten,
b) ans Asberg.
1. Gefässboden aus terra sigillata mit dem Stempel CATVSF, gefunden
mit einer Münze des Kaisers Domitian.
D. Gegenstände aus Metall,
a) ans Gellep.
1. Eine eiserne Pfeil- oder Lanzenspitze.
2. Eine gut erhaltene Armspange au8 Bronze.
3. Ein kleiner Bronzering.
4. Silbermünze (Quadrant) des Kaisers Commodus aus dem Jahre 186.
Avers: Kopf mit Lorbeerkranz und Umschrift M COMM [ANT] P FEL
AVG BRIT. Revers: Weibliche Figur (Justitia), in* der Rechten eine
Wage, in der Linken ein Füllhorn und Umschrift PM TR P XIU
IMP VIII COS V PP.
5. Silbermünze (Quadrant) des Kaisers Septimius Severus.
Die Berichte des Karlsvereins zur Restauration des Aachener Münsters,
des Altenberger Domvereins, des Kölner Domvereins sind in dem Jahresbericht
der Provinzialkommission für die Denkmalpflege enthalten.
Unlversltäts-Bnchdrnckerei von Carl Oeorf?i io Bonn.
Die Venvaltuiijr der Kasse des Vereins von Altcrlnms-
frfiunik» hat «la» Haiiklian» OoliJNclimlilt & Cle. Itinui,
Kniw-nilalvi nberiuininifn, nml werden dip Vi-rcins-Mitfilifdcr
beliufft Erlvii-Iiterunj; der K^ieeonfUliruii); ersuclil. iiireii Jalircs-
beitrat (IH Mk.) tlitinliciiKt am AHfanpc de» KalfJidcrjiUires
an dasselbe cinziiseitdeii.
Der Bcsueli dua ProvfDEtal-IHoRemns xu Bonn (Colinmil-
slrasae tfi) int di-n Vvrciiii>iiiJtf;liedcni aii allen Ta^cn, aiuacr
Montag, von 9 \m I Uhr morgen» «nd 2 bin 4 Dhr (im Wiiitov)
rtiftp. hii 6 übr (im Summer) imclimittai^ unvnlgeldlidi ^e-
staltal.
Die Yt^rHiisbfbliotlii^b \nl im Pruvium1-Mai»cmii xu Bonn
anfgcstelll. iinil werden ItUclier an die MitglicdiT Mittwoch thh
3 bis f) Uln- nai^lintitta^^ä dnreli den Bibliothekar «iisgef^ehi'n.
.iMAIIII»
BONNER JAHRBÜCHER.
JAHRBÜCHER
VEREINS VON ALTERTUMSFREUNDEN
RHEINLANDE.
11T i-j TtnuK DK» «t TKXTnairani.
BONN.
OBDttUCKT KVf KtlSTKN DR3 VEIIGINS.
MMN, BBI k. lilH-Iii.
BOMER JAHRBÜCHER
JAHRBÜOHEE
DES
VEREINS VON ALTERTUMSFREUNDEN
IM
EHEINLANDE.
UEFT 103.
■IT 12 TAFELN DKD 68 TBXTFIODBBir.
BONN.
GEDRUCKT AUF KOSTEN DES VEREINS.
BONX, BEI 1. HIBCIIS.
1898.
Inhalts-Verzeichnis.
I. Geschichte und Denkmäler.
Seite
1. Römische Bronzen aus Deutschland. Von A. Furtwängler. Hierzu Tafel I
und 5 Textfiguren 1
2. Flurteilung und Territorien in den römischen Rhei ulandeu. Von Dr. Schulten.
Mit 6 Textfiguren 12
3. Zur Geschichte des Frankenköuigs Chlodowech. Von Wilhelm Levisou . 42
4. Die arretinischen Vasen und ihr Verhältnis zur augusteischen Kunst. Vortrag,
gehalten in der Sitzung des Bonner Altertums Vereins am 24. Februar ^1898.
Von Hans Dragendorff. Hierzu Tafel II—V und 12 Textfiguren ... 87
5. Römisches Siegesdenkmal in Beuel. Von H. Nissen 110
€. Karlingisch- fränkische Töpfereien bei Pingsdorf. Von Constantin Koenen.
Hierzu Tafel VI 115
7. Ein gnostisches Goldamulet aus Gellep. Von Max Siebourg. Hierzu
Tafel VII und 3 Textfiguren 123
8. Fundbericht über die Reste der „Porta-Paphia" bei Niederlegung derselben
im Dezember 1897. Von Stadtbaurat Steuer nagel in Köln. Hierzu Tafel VIII
und 9 Textfiguren 154
II. Litteratur und Miscellen.
a) Litteratur.
1. Das Amphitheater Vindonissa. Von Otto Hauser. Besprochen von H. D. 164
2. Arthur Engel et Raymond Serrure, Trait^ de numismatique moderne
et contemporaine. Besprochen von vanVleuten 164
3. W. Brüll, Chronik der Stadt Düren. Besprochen von Constantin Koenen 166
b) Miscellen.
1. C ob lenz. Römerstrasse und Meilenstein mit Inschrift an derselben. Von
A. Günther 167
2. Zur Etymologie der Matronae Fachinehae. Von Dr. Pohl 168
3. Herten bei Eitorf. Reste einer Wasserleitung 168
III. Berichte.
-Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmalpflege in
der Rheinprovinz 169
Berichte über die wichtigeren der ausgeführten Restaurationsarbeiten . . 175
Anfertigung von Kopien 224
Mit 4 Tafeln und 27 Texttiguren.
rV InhaltB-Verzeichnis.
Seite
Berichte über die Thätigkeit der Provinzialmuseen in der Zeit vom I.April 1897
bis 31. März 1898
1. Bonn 228
2. Trier. Mit 1 Textfignr 234
Berichte über die Thätigkeit der Altertums- und Geschichtsvereine und über die
Vermehrung der städtischen und Vereinssammlungen innerhalb der Ehein-
provinz 239
I. Die grösseren Vereine 289
II. Die Vereine mit beschränktem Wirkungskreis 246
III. Die städtischen Sammlungen 259
I. Geschichte und Denkmüler.
I. Römische Bronzen aus Deutschland.
Von
A. Fnrtwängrler.
Hierzu Tafel 1.
Es ist anf dentschem Boden schon manche fein und schön gearbeitete
römische Bronzestatuette gefunden worden; doch pflegte das Beste dieser Art
leider ins Ausland zu wandern. Unter den unseren Museen erhaltenen guten
Bronzen ist eine der vorzüglichsten und interessantesten die auf Taf. I in drei
Ansichten wiedergegebene Statuette des Museums der ülrichskirche zu Re-
gensbnrg. Der Gefälligkeit des Vorstandes des Museums verdanke ich es,
dass ich die Bronze im Originale mit aller Müsse studiereu konnte ^).
Sie ist nicht unbekannt. Schon 1837 wurde sie in den Verhandlungen des
Historischeu Vereins des Regenkreises, Regensburg, Jahrg. 4, Heft 1 S. 143 if.
von Michael Rödig veröffentlicht unter Beigabe nicht eben schlechter Litho-
graphieen, und 1888 hat Fr. Wieseler im 35. Bande der Abhandlungen der
kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen ihr unter dem Titel „Archäolog.
Beiträge, Abth. I, über einige Antiken in Regensburg, namentlich eine Bronze-
statuette des Mercurius" eine ausführliche und gelehrte Besprechung zu Teil
werden lassen. Die diesen Abhandlungen beigegebenen Abbildungen sind in-
dcss doch so ungenügend und einige Angaben über das Thatsächliche nament-
lich bei Wiesel er so unzutreflFend, dass eine neue Publikation und Bespre-
chung nichts Überflüssiges ist.
Die Statuette ward auf einem „der Koiger" genannten Grundstücke bei
Rogging in der Nähe von Regensburg gefunden. Man hatte hier vorher „ein
ganzes Lager der schönsten Mauersteine" gefunden; dann kam der Mercur
zwischen „Kohle und Asche, Gebeinen von Tieren und Stücken von Eisen und
Nägeln** hervor; sonst fand sich „nichts von Belung" und die Ausgrabung ward
eingestellt. Wohl mit Recht nimmt der erste Herausgeber an, dass an der Stelle,
wo zwei römische Strassen sich gekreuzt zu haben scheinen, eine Niederlassung
1) Das Mainzer Centralrauseum hat dieselbe formen lassen xmd sind Abgüsse
Von dort su beziehen, ebenso wie von der unten S. (> bcKprocheuen Statuette.
Jalurb. d. Ver. y. Alterthsf^. im Rhelnl. 103. 1
2 A. Furtwängler:
bestand, ans dereu kleinem Heiligtum die Statuette stammte; die Tierknochen,
Kohlen und Asche an der Fundstelle erklärte er für Reste der Opfer.
Die Figur ist 14 cm hoch und natürlich voll gegossen; sie ist nach dem
Gusse in allen Teilen auf das sorgfältigste ciseliert und ganz vortrefflich er-
halten. Die Oxydation hat nirgends die Oberfläche angegriffen; der goldene
Ton des Metalls schimmert mehrfach unter der dunkeln Patina hindurch; nur
an tiefliegenden und rauhen Stellen ist grünliche Oxydation sichtbar. Von den
langen Flügeln des Petasos ist das Ende des einen verbogen, das des anderen
abgebrochen. Nach einwärts verbogen ist auch der linke Zeigefinger nebst
dem Ende des Stabes auf der Linken, über welchen gleich noch näher zu
sprechen ist. Die Spitze der Nase ist etwas beschädigt.
Das Band, an welchem der Köcher hängt, ist mit der Figur in Bronze
gegossen, allein darauf ist ein starker Streif Silber gelegt, der sich nun sehr
hübsch abhebt vom dunkeln Köi'per. Die Augäpfel sind indess nicht eingesetzt und
nur die Pupillen durch Gravierung hervorgehoben. Dagegen waren die Brust-
warzen, wie so häufig, aus rotem Kupfer eingelassen ; erhalten ist nur die geschützt
liegende linke, während an der rechten der Kupfereinsatz herausgefallen ist.
Sehr sorgfältig ciseliert sind die kurzen Locken des Haares. Die kleine
mit der Spitze nach oben gerichtete dreieckige Pubes ist nur durch gravierte
Punkte bezeichnet. In gleicher Weise, durch eng gestellte gravierte Punkte,
ist der Stoff des Hutes charakterisiert; und das gleiche Verfahren hat der
Künstler endlich auch am Gewände angewendet, dessen schweren Wollestoff
er durch weiter gestellte gravierte Punkte belebt hat, um das Gewand vom
Nackten noch stärker abzuheben. Es ist dies ein Verfahren, das wir schon
an altgriechischen Bronzen zuweilen bemerken, vgl. Samml. Somz6e Nr. 83 und
die im Texte dazu S. 52 abgebildete Pariser Bronze, ferner die gewiss nicht
einen Diadochen, eher Pan darstellende griechische Bronze Arndt, Porträts
Nr. 355/356. Sauber eingraviert ist endlich auch das Gefieder an den Flü-
geln des Petasos wie an den kleinen Fussflügeln.
Die Figur hat zunächst ein künstlerisches Interesse. Wie die meisten
der guten römischen Mercur-Bronzcn benutzt auch sie in freier Weise einen
statuarischen Jünglingstypus der klassischen Zeit des fünften Jahrhunderts (vgl.
Meisterwerke S. 426 flF. und in diesen Jahrbüchern Heft 90, S. 58 ff., sowie
über Statuenkopicen I, Abh. d. Münchner Akad. 1896 S. 56). Den hier zu
Grunde liegenden Typus der Stellung und Haltung (rechtes Standbein, Kopf
nach der Spielbeinseite gewendet, rechter Arm gesenkt, linker vorgestreckt)
kennen wir in verschiedenen Brechungen. Er ward im polykletischen Kreise
mehrfach benutzt; allein hier pflegt der Kopf mehr gesenkt und der linke Fuss
im Schritte zurückgezogen zu sein (Dresdener Knabe und seine Verwandten,
s. Meisterwerke S. 475 ff.) ; auch ist der Typus in diesem Kreise offenbar nicht
erfunden, sondern aus der attischen Kunst übernommen. Hier finden wir ihn
zunächst mit dem nach älterer Weise mit voller Sohle zur Seite gestellten
linken Fusse und energischem Blick in die Ferne; so an einer Meisterwerke
S. 517 besprochenen jugendlichen Helden- oder Herniesstatue. Der Typus lässt
Römische Bronzen aus Deutschland. 3
sich im attischen Kreise bis ins vierte Jahrhundert verfolgen, wo der Herakles
Lansdowne (ebda S. 515 f.) das grossartigste Beispiel ist. Mit im Sehritte zu-
rückgesetztem linkem Fusse, aber in besonders lebens- und energicvoller Ge-
stalt erscheint er am Diomed, der vermutlich auf Kresilas zurückgeht, einem
Werke, das dann einer vortreflSichen römischen, bei Zürich gefundenen Mercur-
statuette zur Grundlage gedient hat (Meisterwerke S. 324), die eines der glän-
zendsten Beispiele der Benutzung eines klassischen Meisterwerkes bei einer
römischen Mercur-Bronze ist. Dem Diomcd verwandt ist eine Aresstatue atti-
scher Erfindung (Meisterwerke S. 126). Zahlreiche andere Werke, freilich viel-
fach nur Torse (vgl. besonders was Meisterw. S. 518 genannt ist; dazu eine
schöne Hercules-Bronze des Louvre), zeugen von der Verbreitung des Typus
im attischen Kreise in der zweiten Hälfte des 5. und der ersten des 4. Jahrh.
Unser Mercur schliesst sich durchaus den attischen Vorbildern an. Der
linke Fuss ist nicht im Schritte zurückgezogen, sondern nur entlastet zur Seite
gesetzt mit kaum etwas gehobener Fei-se. Die Körperformen haben die allge*
meinen Kennzeichen der Periode gegen Ende des 5. und Anfang des 4. Jahrb.;
allein von den polykletischen unterscheiden sie sich durch geringere Flächig-
keit und mehr weiche saftige Fülle, wie sie an attischen Werken begegnen.
Auch die Pubes in ihrer dreieckigen Gestalt ist durchaus unpblykletisch. So-
wohl fSr Körperformen wie für Pubes sind als verwandte, auf attische Originale
zurückgehende Werke zu nennen der Torso Sammlung Somz6e Nr. 20 und der
dazu im Text abgebildete Pariser Torso.
Die Sorgfalt und die stilistische Einheitlichkeit unserer Bronze stellen sie
zu jener kleinen Serie ausgezeichneter Mercur-Statuetten, welche, wie jene
Züricher oder die Meisterwerke S. 427. 428 besprochenen Bronzen, sich ziem-
hch treu an das klassische Vorbild halten. Wie dort ist dies auch hier nicht
am Körper allein, sondern auch am Kopfe deutlich; erkennt man an jenen Bei-
spielen in Haar und Gesichtsschnitt deutlich das Vorbild polykletischer Werke
oder jenes Diomed, so zeigt unser Mercurkopf in den krausen kleinen Locken
und dem rundlichen Gesichte im allgemeinen deutlich das Vorbild attischer
Typen derselben Epoche, der wir die Herkunft der Körperstilisierung zuschrie-
ben. Der römische Künstler hat es übrigens sehr gut verstanden einen ge-
wissen Ausdruck liebenswürdig lächelnder Schlauheit hinzuzufügen, durch den
er den Mercur passend zu charakterisieren suchte.
Nach der stilistischen Würdigung betrachten wir die Attribute unserer
Statuette. Auf dem Kopfe trägt sie den an den römischen Mercur-Bronzen ge-
wöhnlichen kreisrunden flachen, mit grossen Flügeln ausgestatteten Hut, der
hier, wie häufig, in einer sehr elegant wirkenden Weise an vier Stellen aufge-
stülpt ist. Ganz denselben Hut, auch mit den den Filz charakterisierenden
gravierten Punkten trägt z. B. die schöne Mercur-Bronze in Paris, B a b e 1 o n-
Blanchet, catal. des bronzes ant. nr. 335; vgl. auch v. Sacken, d. Bronzen
in Wien Taf. 11, 3.
Die Linke trägt ein Attribut, das Wieseler zu den längsten Ausführungen
Teranlaflst bat; er erkannte in ihm ein „kurzes Scepter^, um welches hier die
4 A. Furtwängler:
Schlange der Heilgottheiten gewunden sei; Mercur sei also hier als Heilgott
gefasst. Irgend ein wirkliches Beispiel eines Mercur mit Schlangenstab weiss
er indess nicht anzuführen.
Eine genaue Betrachtung des Originales löst diese Schwierigkeit leicht.
Man sieht einen nach oben etwas dicker werdenden glatten i-unden Stab, der
oben glatt abschliesst. Um ihn ist nicht eine, sondern sind zwei kleine Schlan-
gen gewunden, deren Leib da abgebrochen ist, wo er sich zu beiden Seiten
des Stabes von demselben entfernte. Es war also ein Kerykeion ganz normaler
römischer Gestalt, genau übereinstimmend in der Form (bis auf die hier fehlen-
den Flügel) wie in der Art, wie es getragen wird, mit dem jener Pariser Bronze
Babelon-Blanchet Nr. 335, die wir schon wegen des völlig gleichen Hutes
verglichen haben.
Die Sandalen mit den P'lügeln sind sehr geschmackvoll ausgeführt, bieten
aber keinerlei Besonderheit. Bis hierher sind die Attribute — zu denen auch
die Chlamys auf der linken Schulter zu rechnen ist — die bei Mercur ganz
gewöhnlichen. Anders ist es mit dem an silbernem Bande über dem Rücken
getragenen kleinen eleganten Köcher mit dem üblichen spitzen Deckel. Er
kann nur eine Vermischung des Hermes mit Apollo bedeuten. Schon Wie-
se 1 e r hat als Analogie auf eine kleine Bronze der früheren Sammlung Milani
(Nr, 440 im Auctionskatalog, Frankfurt 1883) hingewiesen, wo Mercur der Be-
schreibung des Kataloges nach „einen Pfeilköcher über der Achsel, in der R.
das Fragment einer Börse" trägt; feiner auf zwei von Caylus, rec. H, 78 publi-
zierte Bronzen, wo der jugendliche Gott nur den Beutel von Mercur, dazu ein-
mal den Köcher allein, das andre Mal aber Köcher, Helm und Ägis trägt, also
einen starken Synkretismus oifenbart.
Hermes und Apollon stehen sich im Mythus wie im Kultus so überaus
nahe, dass eine Verschmelzung beider nicht unverständlich ist. Wurden doch
beide z. B. in Olympia an einem gemeinsamen Altare, beide als musische Götter
verehrt (Paus. 5, 14, 8). Denn es ist vor allem das musische Element, welches
das einigende Band der beiden Gottheiten ausmacht. Auf welchem Wege unser
römischer Künstler aber dazu gekommen sein mag, den Mercur mit Apoll zu
verschmelzen, wird uns später vielleicht noch etwas deutlicher werden.
Wir haben das letzte und merkwürdigste Attribut der Bronze zu be-
trachten: die gesenkte Rechte umfasst einen kurzen cylindrischen Gegenstand,
der vorn nicht abgebrochen, sondern vollständig ist Man wird zunächst die
Möglichkeit erwägen, dass hier das normale Attribut der rechten Hand Mer-
curs, der Beutel, nur in fragmentierter Gestalt vorliege (vgl. zur Haltung Ba-
belon-Blanchet Nr. 326. 328; v. Sacken Tf. 19, 8); man müsste dann anneh-
men, dass der herabhängende Teil des Beutels abgebrochen und die Bruchfläche
schon im Altertum sauber geglättet worden sei. Allein abgesehen von der
Bedenklichkeit einer solchen Annahme spricht dagegen auch der Umstand, dass
der Zeigefingerrand ein klein wenig über die Absclilussfläche jenes Gegenstan-
des in unverletzter Rundung herausragt, sowie ferner, dass die Form des Ge-
genstandes dem Ende eines Beutels nicht entspricht, indem sie jeder Biegung
Sömiache Bronzen aus Deutschland. S
nod aacli der Öffnung am oberen Ende entbehrt. Es bleibt sonacb nur übrig
eine Rolle zu erkennen, deren Rand freilich nicht sichtbar gemacht ist. Eine
ähnlich gebildete nnd gehalteoe Rolle kommt indcas auch sonst an rOmiechen
Bronzen vor; so z. B. an dem Pariser Asklepios^ Babelon-BlaDchet Nr. 598
(vgl. Über Statuenkopieen I, S. 58).
Die Rolle als Attribut des Hermes ist bis jetzt sonst nirgends sicher nach-
gewiesen. Auch Wieseler a. a. 0. S. 31 hat kein sicheres .Beispiel beizu-
briugen gewusst; nur in modernen Ergänzungen und in mehr als zweifelhaften
Fällen kaon er die Rolle bei Hermes anfuhren; so ist bei der Bronze v. Sacken
Taf. 11, 1 offenbar nur der Rest des üblichen Beutels zu erkennen. Nur die
HQDze, die Wieseler zoletzt sehr zweifelnd anfuhrt, zeigt, wie ich glaube,
wirklich die Rolle. Wieseler zitiert die Publikation des Museum Sanclemen-
tianum, nom. sei., p. II Rom 1809, tab. 35, 395, wo eine unter Oallienns ge-
prägte Münze von Tyrus gegeben ist. Wieseler vermutet, dass das dort ge-
zeichnete Attribut der rechten Hand des Hermes immer-
hin eine Rolle bedeuten könne. Durch die nie vcraagende
Gcftllligkcit von Imhoof-Blumer bin ich im Stande,
einen Abdruck der Mttnze in pbotographischcr Repro-
duktion hier zu veröffentlichen; derselbe macht mich
zugleich aufmerksam, dass der Typus jener Münze von
Tyrus auch onter Pbilippus nud Salonina vorkommt (Ba-
belon, eatal. des monn. gr., les Perses Acbäm^nides nr. 2273
pl. 37, 17; nr. 2358). Nach dem mir vorliegenden Ab- ^'
guBse der Münze zweifle ich nicht, dass Wieseler's Vermutung richtig war
nnd wirklich eine Schriftrolle in der Hand des Hermes dargestellt ist.
Dieser MDnztypus ist aber zugleich, was Wieseler nicht bemerkt hat,
entscheidend für den Sinn der Schriftrolle. Hermes ist hier nicht nur ^ unge-
wöhnlicher Weise mit einem kurzen Mantel um den MittelkOrper bekleidet,
sondern neben ihm steht ein Ibis: kein Zweifel, Hermes ist hier identifiziert
mit Thoth, dem ägyptischen Gotte, dessen heiliger Vogel der Ibis ist. Dass
die Griechen in Thoth ihren Hermes wiedererkauntea tind beide Gottheiten
identifizierten, ist bekannt. Schon Herodot 2, 138 erwähnt den Bermes der
Ägypter und Diodor 1, 16, 2 schildert den ägyptischen Hermes ausfuhrlieh
mit den Eigenschaften des Thoth.
Dass jener MUnztypus von Tyrus wirklich grie-
chisch-ägyptischer Herkunft ist, beweist eine Kupfer-
münze von Alexandrieii, unter Antoniuus Plus, von
der mir ebenfalls darch die Gute Imhoof-Blumer's
ein AbgusB vorliegt, der hier wiedergegeben wird.
Hier erscheint genau derselbe Hermestypus mit dem-
Hclbeo Gewände, das Kerykeion im linken Arm; unten
neben ihm der Ibis; die Rechte hält hier aber den
^wohnlichen Beutel, nicht die Rolle. DafUr ist ein
interessanter Zierrat anf dem Kopfe hier deutlich ; es
Fiff. 2.
6 A. Furtwängler:
ist eine emporetehende Feder. Dieselbe kommt anch bei dem Henneskofife
vor, den eine andere nnter Aotoninns Pins gc^bla-
#geDe Kopfennflnzc Alexandricna lei^, die heittlc-
bend nach Imhoof-iilnnier'ii Abgnss gegcl>eu ist.
Auf anderen MUnzen als diesen von Alexaudrin
kommt nacb Imboof's gati{;cr Mitteiinng dieser
Kopfschmuck nicht vor.
Eine zweite Ilrunzestaluclte des Museums zd
R c g e n B li n r g, die wir beistehend, Fig. 4, gel>eii
(sie ist 12 em bocb), kann dcb mit der ersten kUnst-
^*8r- 3- leriscb gar oicht entfernt messen; sie gehört zu iler
gcwöhnliehen Dutzendwaare der Hronzestatuetteu <ler Kaiserzeit. Ancli ilir Tyjius
und die Attribute sind ganz gewölinUch — »nd denuoeb ist eine Hauptsaelie
an diesem Typus kaum be-
achtet und noch gar nicht
irgend befriedigend erklärt
worden. Ich meine die Fe-
der, die über dem Kopfe
emporstcbt.
Betrachten wir die Fi-
gur näher; sie stand auf dem
rechten Fnssc, der verloren
ist; der linke ist enttastet;
auf der rechten Schulter ist
die Chlaniys geknüpft, die
nach dem linken Arme her-
(ti)ergczogeu und um densel-
ben gcwiekelt ist; das herab-
hängende Ende und die linke
Hand fehlen. Im .\rmc ruht
das Kerykcion. Die vorge-
streckte Keehte hält den ge-
füllten Beutel. Der Kopf ist
nneh der Seite des Stand-
beines gewendet ; er zeigt kur-
zes emporstrebendes Haar;
die Augen sind niebt cingc-
' '"' " setzt, die Pupillen sind ein-
graviert. Der schlanke K<jrperli.iu, die Anordnung der Chlamys, die Bildung
des Kopfes mit dem etwas erregten Ausdruck un<i dt'u znsanniieugezogeneu
Brnncn lehren, das» hier die Formgebung der hellcni^^tischen Epoche zu Oruude
liegt. Im Haare liegt ein Kranz von langen spitzen Blättern, ohne Zweifel
von Lorber. Ferner erkennt man die beiden am Kopfe ansetzenden Flügel
und in der Mitte zwisehen diesen und den Blättern des Kranzes einen gerade
Römische Bronzen aus Deutschland. 7
emporstebenden Gegenstand mit einer tiefer liegenden Mittelrippe, der nur eine
Feder sein kann. Diese Erklärung wird durch andere Exemplare bestätigt,
wo die Feder nocb deutlicher ist. Zumeist ist das Attribut der Feder auch
mit dem Lorberkranze verbanden. Es stimmt femer auch die Anordnung der
Cblamys sehr häufig überein und die Bildung des Kopfes und der Körperfor-
men ist immer in der Art der Regensburger Bronze, also auf der Basis helle-
nistischen Stiles. Die Fundorte der Bronzen dieses Typus, die bekannt sind,
gehören den verschiedensten Gegenden an: Athen, Italien, namentlich Pompeji,
Gallien und Germanien. Man vergleiche Babclon et Blanche t, catal. des
bronzes ant. nr. 356. 357. 358. 359. 360. Sal. Reinach, ant. uation.^ bronzes
figur^ de la Gaule rom. nr. 48. 49. Schumacher, Samml. ant. Bronzen
in Karlsruhe Nr. 934 (aus Athen). Antich. d'Ercol. VI, bron/i II, p. 125, t^v.
33, 1. 3; p. 129, tav. 34, 1. Montfaucon, antiqu. cxpl. I, pl. 68, 5; 69, 3.
V. Sacken, Bronzen in Wien Taf. XI, 1. Arch. Anzeiger 1889, S. 105f., in
Dresden (Kranz, Flügel und Feder wie an der Regensburger Figur nach freund-
licher Mitteilung P. Herrmann 's). Rom. Mitteil. IV, 1889, Taf. 11, S.312,
aus Ruvo, sehr oxydiert, wodurch die Feder etwas undeutlich geworden ist-
Endlich befindet sich ein dem Regensburgcr völlig gleichendes Stück in Zürich
(Ulrich und Heizmann, Catal. d. Samml. d. antiqu. Ges., 2. Teil, Taf. 1,
Nr. 2857, S. 16) und ein sehr ähnliches, nur geringeres und kleineres Exemplar,
an dem wie öfter der Kranz nur durch einen runden Reif angedeutet ist, im
Antiquarium zu München (Nr. 93).
Diese Bildung des Hermes mit der emporstehenden Feder ist bisher mei-
nes Wissens kaum beachtet und jedenfalls nicht erklärt worden. Babelon
nennt diesen Typus „Herm-ApoUon^S indem der Lorberkranz von Apollon, die
Feder von den Musen entlehnt sei. Allein wie man dazu hätte kommen sollen,
Mercur mit einem Attribute der Musen auszustatten, weiss er nicht anzugeben.
Ich hatte längst die Vermutung, dass jene Feder alexandrinischer Herkunft
sei und auf der Identifikation mit Thoth beruhen müsse. Da gaben mir die
Münzen die Gewissheit, deren Kenntnis ich der Gefälligkeit Imhoof-Blumer's
verdanke. Sie beweisen, dass der Hermes mit dem Ibis, also der Hemies-Thoth
in Alexandrien mit der Feder auf dem Kopfe dargestellt ward.
Den regelmässigen ägyptischen Typen des Thoth ^) gehört allerdings die
einzelne auf dem Kopfe emporstehende Feder nicht an, obwol Thoth auch mit
Federn auf dem Kopfe erscheint (Lanzone, dizion. di mitol. egiz. tav. 402, 3.
403. 404,3); allein er trägt die Feder öfter, wie die Schreibtafel in der Hand,
und, vor Allem, in der Gestalt als Ibis auf dem Gestell ist regelmässig eine
einzelne Feder vor ihm aufgepflanzt (z. B. ebenda Taf. 405, 3). Ferner ist
die einzelne emporstehende Feder das regelmässige Attribut auf dem Kopfe
der Ma, der Göttin der Wahrheit, die schon im Totenbuche (Cap. 141, 111)
Gattin des Thoth genannt wird. Sonst heisst sie auch seine Schwester, wäh-
1) Die Kenntnis dieser ward mir durch die gütige Unterstützung von Georg
Eb«rs wesentlich erleichtert.
8 A. Furtwängler:
rend Thoth fortwähreDd „der auf der Ma (Wahrheit) Ruhende^ genannt und
ganz gewöhnlieh mit Ma zusaromen dargestellt wird. Der Ma aber ist die ein*
zelne Feder so sehr charakteristisch, dass sie manchmal nur durch sie darge-
stellt wird, wie Thoth durch den Ibis mit der Feder davor,
Thoth ist bekanntlich der Gott aller Klugheit, der Herr und Erfinder aller
Wissenschaft und aller Kunst, auch der Musik, und insbesondere der Herr und
Erfinder alles Schriftenwesens. Als Gott der Klugheit identifizierten die Grie-
chen ihn mit ihrem Hermes. So entstand jener ägyptisch-griechische Hermes,
der Erfinder aller Rede, Schrift und Musik, 6 täv Xötujv fiT€mI)v, 6 YPcijijiictTi-
KTiq Kol ^oucTiKTi^ eup^TT]^ (Plut,, dc Is. ct Osir. 3), der Schöpfer der Worte, der
Schrift, der Götteropfer, der Sternkunde, der Palästra, der Körperpflege, der
Lyra und des Ölbaums (Diodor 1, 16, 2). Er galt daher im alten Götterstaat
als der kpoTpa^^oxeii^, der heilige Schreiber (Diodor a. a. 0.). Der kpOTpa^-
jnaxeii^ der Wirklichkeit aber hatte bei den Ägyptern, wie wir aus Clemens,
ström. VI, 4, erfahren und ein römisches Relief mit ägyptischer Priesterprozes-
sion, Visconti mus. Chiaram. tav. 2 bestätigt, iiTepä dm xfi^ KCcpaXfi^, aufrecht
stehende Federn auf dem Kopfe.
Weniger aus den ägyptischen Kultbildern als aus der volkstümlichen Vor-
stellung des Hermes-Thoth als heiligen Schreibers, als kpoTpammaTeu^ scheint
also die Feder auf dem Kopfe seines alexandrinischen Typus entstanden zu
sein, obwohl jene auf den ägyptischen Bildern vorkommende Verbindung der
einzelnen emporstehenden Feder mit Thoth und vor allem die mit seiner Ge-
nossin Ma entschieden mitgewirkt hat. Die Feder bezeichnet den Hermes als
den Erfinder von Wort und Schrift und als den Herrn der Klugheit.
Dass der Lorberkranz hinzugefügt zu werden pflegte, darf uns nicht wun-
dem; denn jener Hermes-Thoth ist ja auch ein musischer Gott, ist Erfinder
aller Musik, und auf diese Seite seines Wesens wies die alcxandrinische Kunst
durch den apollinischen Lorberkranz hin.
Es liegt nahe zu vermuthen, dass das Attribut der auf dem Kopfe empor-
stehenden Feder auch an der zweiten Stelle, an der es im griechisch-römischen
Kunstbereiche erscheint, die gleiche Bedeutung und Herkunft habe wie an der
ei'stcn. Jenes zweite Vorkommen ist das bei den Musen. Wie vom Hermes
mit der Feder besitzen wir auch von den Musen mit diesem Attribut nur Denk-
mäler römischer Zeit, die frühestens auf hellenistische Vorbilder zurückgehen.
Die Sage vom Kampfe der Musen und Sirenen, nach welchem jene sich mit
letzterer Pudern schmückten, erseheint literarisch erst bei Pausanias (9, 34, 3)
und in der Kunst nur in Denkmälern der Kaiserzeit. Es kann diese Sage sehr
wohl nur zur Erklärung des Kunsttypus der Musen mit den Federn auf dem
Kopfe entstanden sein. Der Ty])us selbst aber wird in Alcxandrien gebildet
sein. xVuch hier bedeutete die Feder auf dem Kopfe nichts anderes als bei
Hermes: sie bezeichnet die Musen als die Herrinnen alles Geisteslebens, der
Wissenschaft und der Kunst.
Die Genossinnen des ägyptischen Hermes-Thoth in seiner heiligen Stadt
Hermupolis nannten die Griechen, wie aus Plut., de Is. et Osir. 3 hervorgeht,
Römische Bronzen aus Deutschland. 9
„Musen"; unter diesen nahm die Ma, mit der Feder auf dem Kopfe, die
Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit, ohne Zweifel eine besonders hervor-
ragende Rolle ein: von ihr wird das Federattribut dann allen Musen der ale-
xandrinischen Religion zugekommen sein.
Wenn wir jetzt zu der ersten Regensburger Bronze zurückkehren, so
werden uns nun erst seine zwei merkwürdigen Attribute verständlich. Er trägt
zwar die Feder nicht, allein auch er ist von.deji alQx^indrinisidien Identifikatipn
mit Thoth beeinflusst. Statt des apollinischen Lorberkranzes ist ihm der apol-
linische Köcher gegeben, ihn als Herrn apollinisch-musischen Wesens zu be-
zeichnen, und die Rolle in der Rechten ist ganz aus jener Vorstellung des Her-
mes Thoth als des heiligen Schreibers, des Erfinders und Herrn alles Schrift-
wesens geflossen. Sie ist frei aus dieser Idee geschaflTen, nicht etsva ägyptischen
Kunst Vorbildern nachgeahmt; aber gerade darin zeigt sich acht alexandrinisch-
griechische Weise. Dass die Rolle alexandrinisch und nur aus der Identifika-
tion des Hermes mit Thoth herzuleiten ist, beweist jener Münztypus mit dem
vom Ibis begleiteten Hermes mit der Rolle.
Dies Resultat erklärt das Attribut auch bei dem zweiten Gotte, bei dem
es in der griechisch-römischen Kunst vorkommt, bei Asklepios ^). Denn auch
mit Asklepios ward Thoth, als der Erfinder auch der Heilkunst, identifiziert.
Aus dem reinen griechischen Begriff des Askjepios, seinem Kult- und Heilge-
brauch, dem Tempelschlaf und der Art von Hilfe, die er und seine Genossen
gewähren, ist die SchriftroUe nicht zu erklären. In Alexandricn konnte sie
ihm sehr leicht durch Mischung mit dem Wesen des Thoth, des Herrn aller
Schrift und alles, auch des ärztlichen Wissens zugeteilt werden. Eine bedeu-
tende statuarische Schöpfung, von der noch erhaltene Kopieen und freiere Nach-
bildungen zeugen, stellte Asklepios sinnend mit der Rolle in der Hand dar*).
Die Charakteristik in Kopf und Körper, die sich von dem klassischen Stile
völlig entfernt und altes, welkes Fleisch nachbildet, scheint mir unmöglich vor-
hellenistischer Zeit ^). Wir haben hier . vermutlich eine der bedeutendsten
Schöpfungen alexandrinischer Götterbildung vor uns.
So zeigt sich immer mehr und mehr, wie vieles in der uns erhaltenen
römischen Kunst auf jene in Alexandricn erfolgte Vereinigung der griechischen
Kultur mit der des alten Wunderlandes Ägypten zurückgeht.
Noch eine dritte Bronze aus Deutsehland sei hier kurz besprochen, obwohl
1) Die Beispiele, sämtlich aus römischer Zeit, zuletzt gesammelt in Pauly-Wissowa,
Reallexikon II, 1680. Eine kleine Marmor<j:ruppe des Asklepios und der Hy^ieia von
Athen aus der Kaiserzeit giebt dem Gotte ebenfalls die Rolle; ich habe die Gruppe
im Kunsthandel notiert.
2) Vgl. Amelung, Führer durch Florenz Nr. 186. Arndt- Am elung, Einzelverk.
Nr. 219-221.
3) Dies scheint auch Am elung 's Meinung; entschieden unrichtig urteilt Arndt
a. a. 0.
. Furtwniipler:
Bie einem giiDZ anderen Kreise angehört. Eb ist keine der gewühnliehen für
den Kuhns gearbeiteren Fignreu, sondern eine der in der Klasse der kleinen
Bronzen seltenen Kopiecn eines knnstgcsehielitlicli berllbmten Werkes, einer
Athlctenstatue (vgl. tljcr Htatnenkopieen 1, Abb. Bayr. Akad. 1896, S. 58U f.).
Die Bron'/.e lieündet bIcIi im Provinzialmnseum zu Trier, wo ich im ver-
{^aiigcncil Jabrc 7.wrnt m\( sio nufmerksam mirde. Der Gefälligkeit von
1'". H e 1 1 n c r verdanke ich die Pliotii-
graphie, die er hierzu publizicrön freund-
lichst gestattete. Leider ist die Figur
in sehr schlechtem Zustande und durch
Oxydation ganz entstellt. Man kann
nur eben das Motiv noch erkennen; allein
dies bildet hier auch das Hauptinteresse.
Ich habe „ Meisterwerke" 8. 470 die
schiine Florentiner Atbletenslatnc '), die
mit einer abscheulichen Vase in den
Händen restauriert, aber von Leo
Rloeh in einer noch viel gcschmack-
und urteilsloseren Weise (Rom. Mitt.
1892, S.86) ergänzt worden war, mit Hilfe
einer Nachbildung auf einer Gemme als
Apoxyomenos mit der Strigilis erklärt;
ich wies nach, dass die Rechte den
Griff der Strigilis hielt und die Linke
in die Schneide derselben fasste, wie
ich damals glaubte erklären zu rotlssen,
„um den Sehenkel energischer absn-
kratzen," Eine Berichtigung dieser letz-
teren Erklärung des Motivs, zugleich
aber eine Bestätigung meiner Feststel-
lung desselben, brachte dann ein von P.
Hartwig in der Berliner Philol. Wochenschrift 1897, S. 30 besprochener Fund.
Es war dies eine Marmorstatnette von Frascati, eine kleine Wiederholung der
Florentiner Statue mit vollständig erhaltenen Armen, wo denn, genau wie ich
es verlangt hatte, die Rechte den Griff der Strigilis fasst, während die Linke
berein greift, indem „dev Daumen der Linken in der Schneide der Strigilis
ruht", jedoch, wie Hartwig bemerkt, nicht um den Schenkel zu reinigen, den
die Strigilis nicht berührt, sondern um den Schmutz aus dem Geräte zu ent-
fernen.
Jetzt kommt die Trierer Bronzcfigtir als neue Wiederholung derselben, im
Altertum offenbar berühmten Statue hinzu. Auch hier hält die Rechte den
Griff der Strigilis, während die Linke in die Schneide faset, und auch hier
big. b.
1) Vgl. jetzt Amelnng, Führer durch die Antiken in Florenz Nr. 2B.
Komische Bronzen ans Deutschland. 11
ist deutlich, dass es sich nicht nm das Reinigen des Schenkels, der kanm be-
rührt wird, sondern um das des Gerätes selbst handelt^).
Eine kleine Abweichung von der Gemme und vermutlich auch von dem
Originale des Florentiner Marmors besteht darin, dass der rechte Unterarm
mehr gesenkt ist, während dort die rechte Hand über den Unterleib zu stehen
kommt. Die Handlung bekommt dadurch mehr Energie als sie in der Bronze
hat. Ferner ist an der Trierer Figur der Oberkörper aufrechter und der Kopf
weniger nach vorae als nach seiner linken Seite geneigt. Auch dies ist ge-
wiss eine Abweichung vom ursprünglichen Original; sie nimmt dem Motiv die
gespannte Aufmerksamkeit, die für diese Schöpfung so charakteristisch ist.
Die Formen des Körpers und Kopfes der Bronze sind zu sehr zerstört, als dass
sie sich näher vergleichen Hessen. Am Kopfe ist das aufstrebende Stinihaar nicht,
wohl aber der rundliche attische Gesamtlypus deutlich. Die Beinstellung stimmt
mit dem Marmor; die FUsse sind indess zerstört. Die Bronze ist also eine et-
was freie, im Einzelnen nicht ganz treue Kopie jenes Meisterwerkes, das in
Grösse des Originales in der Florentiner Statue kopiert erhalten ist, deren Motiv
so lange misverstanden ward.
Von der dem Vernehmen nach neuerdings in Ephcsos gefundenen Bronze-
statue, die eine Wiederholung der Florentiner sein soll, habe ich keine nähere
Kenntniss.
1) Dasselbe Motiv, das Auswischen der Strigilis mit dem Finger, aber bei mehr
gehobener Armhaltung, zeigt der Pcleus auf der schönen, in die letzten Dezennien des
5. Jahrh. gehörigen Vase, Musco ital. di ant. class. II, tav. 2 A; die Linke hält hier
die Strigilis, während der Daumen der Rechten den Schmutz herausstreift.
2. Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden.
Von
Dr. Schslten,
Privatdocent in Göttingen.
1. Scamnum auf einer kölnischen Inschrift.
Den Anlass zn den nachstehenden agrimensorischen Dntersachongen gab
eine im Wallraf-Richartz-Mnseam zu Köln befindliche kölnische Inschrift^ die,
soviel ich sehe, bisher noch ohne die verdiente Würdigung geblieben ist. Die
Inschrift ist am Besten mitgeteilt bei ßrambach, C. Inscript. Rhenanar. 348.
Gefunden wurde der Stein, wie es scheint, in der Gereonstrasse. Der Liebens-
würdigkeit des Herrn Dr. Kisa, Assistenten am genannten Bluseum, verdanke
ich die Übersendung eines Abklatsches und einer Zeichnung der Inschrift mit
den zugehörigen Angaben.
Die Inschrift lautet wie folgt.
1 SL ' -^.,
2 T////7.V " '
3 POSSESSOR
4 EXVICOLVCR
o TIOSCAMNO
6 PRIMO EXIMPL
T RIO I PSI VS
Der Stein — Jurakalk — ist oben und rechts abgeschlagen. Seine Höhe
beträgt 1,05, seine Breite 0,37 und seine Dicke 0,14 Meter. Auf der linken
Schmalseite ist ein Lorbeerbaum in Relief, auf der Vorderseite oben als
Rest eines viereckigen Reliefs das Stück eines cylindrisehen Altars und
der rechte Fus8 einer Figur zu sehen. Der erste Buchstabe der ersten erhal-
tenen Zeile ist ein S, der zweite wohl ein E. Darunter sind Spuren eines T
und eines zweiten, durchaus zerstörten Buchstaben 0 oder R nach Kisas
Antrabe zu erkennen. Hinter POSSESSOR Z. 3 mOifseu noch Buchstaben
gestanden haben: eri ist POSSESSO R[es]. zu ergänzen: hinter LVC R fehlt
das E:LVCR[e]. Wm dem 0 in SCAMNO Z. o. fehlt rechts ein Stück,
ebenso von dem E in lN\PE. Unter der Inschrift ist ein freier Raum ge-
lassen. Wie viel oben tehlt, lasst sich nicht sa^en. Der erhaltene Teil der
Inschrift lautet also: /?o^'^f^^*or[e,<J ex tko LHcr[e]tio scamno primo ex im-
Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 13
perio ipsitis.^ Vorangestanden mass also haben der Name einer^Gottheit und
das Verzeichnis der dedicierenden possessores. Das Relief stellte wohl den
neben einem Altar stehenden Gott dar. Über die Zeit der Inschrift teilt mir
Herr Professor Zangemeister mit, dass sie dem Schriftcharakter nach erst
ins 2. Jahrhundert n. Chr. zu gehören scheine, bezeichnet aber diese Bestim-
mung als nicht ganz sicher.
Das Hauptinteresse des Steins beruht auf dem Begriff SCAMNO PRIMO.
Von ihm ist auszugehen. Sehen wir also zu, was ein scamnum ist. Wenn ich
mich nicht begnüge, auf Rudorffs treffliche „Gromatische Institutionen"
(Schriften der röm. Feldmesser, herausgegeben von Blume, Lechmann, Ru-
dorff 2. Band p. 229—464) zu verweisen — er handelt von scamnum p. 290 f.
und 419 f. — so geschieht das, weil der Gegenstand eine neue, eingehende Be-
handlung erforderte, die ich schon jetzt geben möchte, da eine Neubear-
beitung der Agrimensoren, welche ich vorbereite, noch nicht so bald erschei-
nen wird.
Zunächst lasse ich die Stellen der Feldmesser folgen, welche von dem scam-
num und der ihm correlaten striga handeln. Es sind folgende (citirt sind
die Seiten des ersten Bandes der Feldmesser, der den Text enthält) :
1. p. 2, 1 (Frontinus de agrorum qualitate): j,Ager ergo diinsus ad-
signatus est coloniarum. Hie habet condiciones duas: unam qua plerumque
limitibus continetur, alter am qua per proximos possessionum rigor es ad-
signatum est sicut in Campania Suessae Auruncae. Quidquid autem secun-
dum hanc condidonem in longitudinem est delimitatum ^^per strigas'^ ap-
peUatur, quidquid per latitudinem (codd. altitudinem) ,,per scamna^^. . . .
ager per strigas et scamna divisus et adsignatus est more antiquo in hanc
similitudinem qua in provinciis arva publica coluntur'' (folgt Figur, welche
die scamna und strigae als langgestreckte Rechtecke darstellt: die vertical
gezeichneten sind kürzer als die horizontalen. Der Vergleich mit den eben-
falls die Anlage von scamna und strigae illustrierenden Figuren 200 f. zeigt,
dass die kürzeren Oblongen die scamna sind.
2. p. 110, 2 (Hyginus, de limitibus)^): „Strigatu^ ager est qui a
septetUrione in longitudinem in meridianum (cod. G: meridiano) decurrit,
seamnatus autem qui eo modo ab occidente in orientem crescit/*
3) p. 206, 7 Hyginus, de limitibus constituendis (für die Herstellung
des Textes vgl, Momrasen, Hermes XXVII S. 100): „Omnium rigorum
(so G; AB: agrorum) latitudines velut limitum observäbimus interstitione
limitari; versuras {mensuram: O.) per strigas et scamna agemus. Sicut
antiqui latitudines däbimus: decimano maximo et k{ardini) pedes XX, eis
{et: G) limitibus transversis, intet quos bina scamna et singulae strigae in-
terveniunt, pedes duodenos itemque prorsis limitibus, inter quos scamna
quattuor et quattuor strigas (so BG ; A ; scamna quattuor strigae) cluduntur,
1) Von Lachmann entnommen aus dem „commentum'^ des Agennius (cod. G.
fol. 18).
H Schulten:
■
pedes duodenoSy reliqtUs rigoribus linearm ped. octonos. Omnem mensurae
huius culturam (so B ; G : quadraturam) dimidio longiorem sive latiorem
facere debebimus: et quod in latitudinem longius fuerit sc-amnum est^
quod in longitudinem striga. Primum constituemus decimanum maximum
et Jcardinem maximum et ab eis strigas et scamna cludemu^. Actuarios
autem limites diligenter agemus et in eis lapides inscriptos defigemus ad-
iecto scamnorum numero, Primum a d{ecumano) m{aximo) et k{ardine)
incipiemus inscriptiones velut in quintariis ponere. Primo lapidi inscribe-
mus D. M. K. M. Ab hoc deinde singulis actuariis limitibus simüüer per
ipsos inscribemus D. M. LIMES II. K. M. LIMES SECVNDVS. Hac signi-
ficatione omnium quattuor regionum limites comprehendemus. His deinde
quartis (so G; partis: A, partes: B) ^) quadrarum [quadratum: AB) angulis
lapides clusaris (so Mommsen; codd. eius) generis ponemus sub hac in-
scriptione litteris singularibus: D.D. V.<K.>«) STRIGA PRIMA SCAMNO
(B: scamna) II. Hoc in lateribus lapidum: in fronte autem regionis indi-
dum D. D. V. K. Nunc quadrarum angulis lapides inscriptos inspiciamus.
Intra has strigas et scamna omnem agrum separavimuSy cuius totam posi-
tionem ad verum formatam inspiriemus, secundum quod rei praesentis for-
mam describamus."
4. p. 217, 17 {liber coloniarum I): „Colonia Sutrium... licet omnes
agri ad modum iugerationis sint adsignati, tamen pro parte (A : pro partem)
naturam loci secuti artifices agros censuerunt, id est fecerunt gammaios et
scamnatos riparum et coronarum natura et iuga collium sunt emensU''
5. p. 230, 7 : ^^Alatrium . . . ager eius per centurias et strigas est
assignatus."
6. p. 230, 15: y^Anagnia .. . ager eius per strigas est veteranis assig-
natus.^
7. p. 231,8 (ibid.): ^^Bovianum, oppidum . . , ager eius per centurias
et scamna est adsignatus.^
8. p. 236, 7 : y^Ostiensis ager ah impp, Vespasiano Traiano et Uadriano
in praecisuris in lacineis et per strigas colonis eorum est adsignatu^."'
9. p. 238, 14: y^Terebentum (= Tervcntum in Samnium) oppidum.
Ager eius in praecisuras et strigas est adsignatus . . . limitibus Julianis,"'
10. p. 255, 17 {liber. col, II): y^Ecicylanus {= Aequiculanus) ager per
strigas et scamna in centuriis est adsignatus . . . sed et signa {constituta
sunt) quibus ager arcifinius finitur.^*^
11. p. 257,5 (ibid.): y^Nursia. Ager eius per strigas et scamna in
centurÜH est adsignatus, Finittir sicut ager Asculanus/^
1) Sollte nicht quattuor zu schreibon sein? Im Archetypus stand yrohl IUI.
2) Zu dem überlieferten D. D. V. ^^-ehört doch wohl (K.>, so dass die auf der
Stirnseite des Steins aufgebrachte Inschrift: D(extra) D(ecumanum) V(ltra) K(ardinein)
auf den Seitenflächen neben der Angabe der scamna und strigae wiederholt sein
würde, was doch recht wohl möglich ist.
Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 15
12. p. 257, 26 (ibid.) : „Rente. Ager eins per strigas et per scamna
est assignatus.^'
13. p. 259, 17 (ibid.): ,^Afidena (= Aufidena). Muro ducta . . , ager
eiu8 per centurias et scamna est assignatus,^^
14. p. 260,10 (ibid.): Istoniis ( = Histonium) colonia; ager eins per
centurias et scamna est assignatus"
15. p. 293,11 (M. Jnnins Nipsus): y^Est ager scamnatus qui appel-
latury qui in longitudinem maiorem (iugerum^ (von Lacbm. ergänzt) nume-
rum Jiabebit quam in latitudinem, Hi quoque agri non nisi in re praesenti
depraehenduntur vel ex forma regionis. Hdbent enim agri scamnati in cen-
turiis singulis iugera ducentena quadragena quae per latitudinem habent
actus XX et per longitudinem actus XXIIII.^'
16. p. 326, 1 {casae litterarum): „J in scamnum iacet per iugum in
lanceolam/^
17. p. 397, 20 {[Boethii] demonstratio artis geometricae): „Omnem
mensuram huius culturae mediam longiorem sive latiorem facere debes: et
quod in latitudine longius fuerit scamnum est, quod vero in longitudinem
langius fuerit, striga.^^ {^Hygin p. 206, 15).
Sehen wir zu, was die einzelnen Stellen lehren. Der ersten Stelle
(Frontin) ist Folgendes zu entnehmen: Frontin handelt von den drei „quali-
totes agrorum^'y dem ager divisus et adsignatus, ager mensura per extremi-
totem comprehensus und dem ager arcifinius qui nulla mensura continetur.
Zuerst bestimmt er das Charakterisehe des ager divisus adsignatus. Er ist
typisch für die Colonien. Es giebt zwei Vermessungsarten : 1 . die Vermessung
durch Limitation, indem das zu assignirende Land durch ein Netz öffentlicher
Wege eingeteilt wird {qua limitibus continetur), 2. indem die einzelnen Loose
ipossessiones) abgegrenzt werden {qua per proximos possessionum rigores ad-
signatum est).
Die Art der Richtwege ist das Charakteristische. Den limites stehen
die rigores, also den öffentlichen Wegen die Orcnzrainc gegenflber. Wie in
der deutschen, besteht auch in der römischen Agrargeschichte der Gegensatz
zwischen der Separation mit Eoppelwegen (= ager limitatus) und der „ge-
mengen Lage", bei der es keine öffentlichen Wege, sondern nur private Grenz-
raine {rigores) giebt. Der Vergleich bezieht sich wohlverstanden nur auf das
Wegesystem: im übrigen ist die Anweisung eines geschlossenen Grundstücks
ifundus) bei der römischen Assignation, die Zersplitterung des Landanteils in
viele getrennt liegende Parzellen (in jedem Gewann eine) bei der germani-
schen Landteilung bezeichnend für die Verschiedenheit der römischen und
germanischen Bodenteilung. Auch bei der Limitation sind die einzelnen Acker-
loose abgegrenzt, natürlich! aber ihre Begrenzung hat keine öffentlich recht-
liche Bedeutung, wird nicht auf der Flurkarte {forma) eingetragen. Die Flur-
karte verzeichnet nur die Centurien, also die von den limites gebildeten Complexc
tmd den modus, den Umfang der einzelnen Loose, nicht aber ihre concrete
Lage/ Umgekehrt konnte man aus der forma des yjper strigas et scamna^
16 Schulten:
geteilten Landes die j^proocimi possessorum rigor ea^^ den concreten Grund-
besitz des einzelnen Loosempfangers, aber nicht den modus ersehen. Assigniert
wurde also bei Centuriation strenggedacht der CenturiC; nicht dem Einzelnen,
dagegen giebt es bei Vergebung von Land per strigas et scamna nur indivi-
duelle Landparzellen^ nicht grössere durch öffentliche Wege abgegrenzte Com-
plexe. Die Centuriation bedeutet eine genossenschaftliche Siedelung, die
Assignation per rigores wie die assignatio virüana (die A. ohne Coloniean-
läge) eine individualisierende Landvergebung. Vielleicht waren die hundert
Loosteile der Centuric ursprünglich sogar Gemeingut der Hundertschaft, so
dass jeder wohl einen Anteil pro parte virili, aber nicht ein individuelles
Stück Land gehabt haben würde. Am Anfang der römischen Geschichte
finden sich geroeinwirtschaftliche Institutionen auch sonst bezeugt. Sind doch
die bina iugera, das älteste Individualeigentum, ohne das GoiTclat der ge-
meinsam bewirtschafteten oder wenigstens gemeinsam besessenen Allmende
nicht zu verstehen.
Der ursprünglich ungemein präzise Gegensatz der Landvergebung an
eine Gemeinschaft von je hundert Assignataren und der individualistischen
Assignation an die einzelnen Empfilnger ist später verdunkelt worden. Ur-
sprünglich stehen die von staatlichen Wegen umzogenen Centurien den von
privaten Rainen geschiedenen Einzelloosen gegenüber, später hat man auch
das y^per proximos possessorum rigores^ vergebene Land in grössere Com-
plexe geteilt. Davon handelt Frontin im Folgenden (p. 3 Zeile 2 f.). Wir
erfahren andeutungsweise — die Sache wird als bekannt vorausgesetzt — dass
das per pr. poss, rig. assignirte Land in Oblonge eingeteilt war, die je nach
ihrer Lage strigae (wenn „iw longitudinem^ d. h. in nordsttdlicher Richtung
angelegt) oder (bei ostwestlicher Ausdehnung = „/;er latitudinem deUmitatum^)
Hcamna genannt wurden. Diese rechteckigen Bodenflächen sind aber nicht
öffentlich rechtliche Einheiten, sind nicht wie die Centurien limitirt d. h.
mit staatlichen Wegen umgeben, sondern sie bilden nur Complexe einer
wahrscheinlich variablen Anzahl von Parzellen. Bei der Centuriation ist die
Centurie, bei der Assignation „per prox. poss, rig.^ das Grundstück des Ein-
zelnen das Prius. Dort ist die Abgrenzung der Parzellen (ursprünglich hun-
dert, später weniger), hier die der scamna und strigae secundär.
Im dritten Teil der Behandlung des ager divisus assignatus sagt Fron-
tin, dass die Landteilung in scamna et strigae auf den arva publica der
Provinzen zur Anwendung gekommen sei (p. 4, 1). Mit arva publica sind
gemeint die ehedem zum ager picblicus gehörigen aber vom Staat (oder Kaiser)
den Gemeinden ccdirten agri cectigales, d. li. das Gemeindeland der provin-
zialcn Städte, welches gegen ein vectigal in eine Art von Erbpacht gegeben
zu werden pflegte (s. Mommscn, Hermes XX VII, 84). ,Die Hyginstelle
(Nr. i]) giebt, wie wir gleich selicn werden, den Coninientar zu der kurzen
Bemerkung Front ins.
2. Die zweite Stelle (Hygin de limitibus) sagt nur, dass man unter striga
ein Ackerbeet, dessen grösste Ausdehnung nordsüdliche Richtung hat {longi-
Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 17
tudo)f versteht) während beim scamnum die Längsansdehnung in ostwestlicher
RichtODg liege (latitudo) (vgl. Feldmesser II, 290).
3. Eis folgt nun die ungemein wichtige zweite Hyginstelle (p. 206, 7 f.).
Sie ist zuerst von M. Weber (Rom. Agrargeschichte p. 22 f.), dann von Momm-
sen (Hermes XXVII, 95 f. „Zum römischen Bodenrecht") behandelt worden,
ohne dass eine allseitig befriedigende Erklärung gefunden wäre. Beide Inter-
preten bedürfen ziemlich gewaltsamer Conjecturen: Weber nimmt in der Stelle
p. 206, 10 f. eine Verwechslung der limites transversi und prord an (p. 24),
Mommsen schlägt vor Z. 13 fftr yyscamna quattuor et quattuor strigae'' (soBG;
A: scamna quattuor strigae): scamna zu schreiben, jedenfalls aber et quattuor
gtrigae zn streichen. Mir will scheinen, dass hier gar keine Anzeichen für eine
Corruptel vorliegen. Dass hier die Cardinal-, vorher (Z. 11) die Distributivzahl
gesetzt ist^ dürfte doch wohl angehen können. Hygin berichtet, dass zwischen
den limites transversi 2 scamna nnd 2 strigae, zwischen den limites prorsi
4 scamna nnd 4 strigae gelegen seien: wie das zu zeichnen ist, mag schwer
zu sagen sein; an der Angabe ist deshalb jedenfalls nicht zu rütteln, weil wir
mit den gegebenen Daten keine befriedigende Zeichnung zu stände bringen. Die
einem völligen Verlust fast gleichkommende Corruption der die Feldmesser
erläuternden Zeichnungen ist grösser als man anschlägt und ohne die Zeichnungen
ist Manches nicht mehr zu verstehen. Man wird also versuchen, mit dem
Überlieferten auszukommen, und, gelingt das nicht, auf eine Erklärung ver-
zichten.
Dasselbe gilt in verstärktem Masse von Webers Vermutung: wenn man
das Schwarz der Überlieferung weiss macht, indem man {iXr prorsos: transversos
setzt, dann sind wir mit »der Erklänmg der römischen Agrimensorcn am Ende.
Hygin handelt von der Vermessungsfonn des ager arcifinius vectigalis
(p. 204, 16 — 208, 4). Wie für den ager colonicus die Centurien, so sind für
den ager arcifinius vectigalis die scamna nnd strigae charakteristisch: „nam
quemadmodum Ulis condicio (Rechtslage) diversa est, mensurarum quoque
actus dissimilis esse debet^ (205, 5).
Eb ist oben ausgeführt, dass bei der Vermessung nach scamna und strigae
die einzelnen fundi zur Evidenz kamen. Deshalb kam diese Vermessungsart
zur Anwendung auf dem ager vectigalis, denn hier galt es, die Grenze jedes
einzelnen steuerpflichtigen Grundstückes festzustellen ^), während beim ager
colonicus j soweit er immun war (nur diesen meint Hygin, wenn er kurzweg
den ager colonicus dem a. vectigalis gegenüberstellt), die einzelnen Grundstücke
keiner staatlichen Fixierung bedurften. Von Zeile 9 (S. 206) ab beschreibt
Hygin die Art der Vermessung j^per strigas et scamna^. Zunächst werden
wie bei der Centuriation zwei grosse Richtwege: decumanus, die West-Ost-
Linie, cardo, die Nord-Süd-Linie, gezogen. Sie erhalten auch hier die Breite
von 20 Fuss. Wie dann bei der Limitation die limites quintarii, d. h. die im
1) Gute Ausführungen über die Beziehung zwischen der Asaignation „per prox.
pos$. rigores^ und der Besteuerung bei Weber, a. a. O. p. 28.
Jahrbi d, Yer. t. Alterthsflr. im Rhelnl. lOS. 2
18
Schalten:
Abstand von je 4 Centarienbreiten gezogenen limüesy eine grössere Brdte als die
übrigen Wege erbalten (12 Fuss), so hier gewisse limites troMversi, d. b. dem
cardo maximus, und prorsiy d. h. dem decamanas maximns parallel laafende Wege.
Wenn Hygin sagt, dass zwischen je zwei der betreffenden 12 Fuss breiten
limites transversi je zwei scamna und eine striga, zwischen je zwei der limites
prorsi je 4 sCamna und 4 strigae lägen, so mass er damit den Abstand der
limites bezeichnen wollen, wie ja auch bei der Gentariation die Distanz der
limites durch die Angabe bezeichnet werden könnte, dass zwischen je zwei
quintarii 5 Centurien liegen. Die gemeinte Figur auf Grund der Überlieferung
herzustellen, scheint unmöglich (s. Figur 1). Wenn man gemäss den Angaben
A
litnes transversus
B
striga
1
H
»i
i
2
O
s
s
•N«
scam-
nutn
1
2
3
4
1
2
3
4
cardo mos
c.
C
Fig. 1.
des Textes in den von cardo und decumanus max. gebildeten Winkel 2 scamna
und 1 striga einträgt, würde man in AB den limes transversus von 12 Fuss
Breite erhalten. Um den l. prorsus BC zu gewinn^, hat man an 4 scamna
4 strigae anzureihen. Das so entstehende von cardo, decumanus, limes trans-
versus und prorsus begrenzte Rechteck lässt sich aber nicht mit scamna und
strigae des angegebenen Seitenverhältnisses (2:3, s. S. 206, 15) ausfllllen; es
bleibt vielmehr die ^/g eines scamnum oder einer striga betragende schraffierte
Fläche übrig. In der Überlieferung muss also ein Fehler stecken; welcher,
ist aber nicht zu sagen. Mommsens Figur (a. a. 0. S. 100; s. unten Figur 3)
wird nur der ersten Forderung, dass zwischen cardo und limes transversus 2
scamna und 1 striga liegen sollen, gerecht, nicht der zweiten, dass zwischen
decumanus und 1. prorsus 4 scamna und 4 strigae liegen. In M.s Figur sind
die 4 strigae (welche er im Text streicht) ignoriert. Damit ist die Überliefe-
rung verlassen und die construierte Figur rein hypothetisch.
Um seine Figur mit dem Text in Harmonie zu bringen, vermutet Mommsen
^scamna quaterna strigaeve senae^. Durch diese Vermutung wird der Figur
nicht geholfen, da die 6 strigae derselben nicht eine Fortsetzung der 4 scamna
bilden, sondern neben ihnen herlaufen, während doch die Angabe des Textes,
dass die limites so und so viele scamna und strigae von einander entfernt
seien, verlangt, dass die strigae mit den scamna eine fortlaufende Reihe bilden,
also wie Figur 2, nicht wie Figur 3 (nach Mommsen).
Weber hat die ganze Stelle völlig missverstanden. Er nimmt an, dass
FlurteilUDg und Territorien in den römischen Bheinlanden.
19
Hygin eme, wie er irrtümlich meint, einmal von Nipsns erwähnte Combi-
nation der Centnriation mit Scamnation und Strigation (s. oben N. 15) behandle,
während Hygin dort nur von der Anfmessung des einfachen ager scamnatus-
strigatos bandelt. Weber ist auf die verfehlte Idee dnrch die Annahme der
Lesart quadraturam (206, 15) statt cuUuram gekommen, indem er quadratara
mit centnria wiedergibt (p. 23). Es handele sich also am die Teilung einer
Centarie mit dem Seitenverhältnis 2:3^) in scamna und strigae. So inter-
pretiert er die Angabe (p. 205, 15), dass das in Frage kommende Flurmass, also
scamna und strigae, das Verhältnis 2 : 3 haben sollte. In seiner Figur (Anlage II)
schliessen die limites transversi also nicht eine 2 scamna und 1 striga breite
Fläche, sondern eine aus 2 scamna und strigae bestehende Centnrie (s. Figur 4) ein.
Zum mindesten hätte er doch sehen müssen, dass diese Centurien in keiner Weise
der Angabe, dass die limites transversi um die von 2 scamna und 1 striga
scamna
strigae
Fig. 3.
•
s
Vi
scamna
•
•s
§3
2
§5
Fig. 2.
/. prorsus
dcc. max.
Fig. 4.
gebildete Distanz von einander entfernt seien, gerecht werden. Da Weber
die überlieferten Verhältniszahlen 2 : 3 statt auf die scamna und strigae auf
eine aus ihnen zusammengesetzte Centurie bezieht (20 : 30 actus), haben natür-
lich seine scamna und strigae ein falsches Seitenverhältnis. Dieser Fehler
resultiert aber aus dem ersteren, bedurfte also keiner besonderen Censur, wie
sie Mommsen (S. 101 Anm.) giebt.
Über den Flächeninhalt resp. die Länge der Seiten der scamna und strigae
sagt Hygin nichts. Woher Weber (p. 23) die Angabe nimmt, dass die
Seiten der nach ihm aus 2 scamna und 1 striga bestehenden Centurie 20 : 30
und demnach die der scamna und strigae 10 : 20 actus lang gewesen seien,
weiss ich nicht ; vielleicht ist er durch das für die limites actuarii angegebene
Mass (20pedes) irregeleitet worden. Dagegen will Mommsen, indem er das
1) Budorff sagt irrtümlich (p. 290), das Verhältnis sei 1:2 gewesen; denselben
Fthler macht Nissen, Templum p. 21.
20 Schulten:
Seitenverhältnis 16 : 24 ansetzt, nur mit einem Beispiel das flberlieferte Verhältnis
2 : 3 darstellen, ans welchen Seitenzahlen sich ein Bechteck von 384, also an-
nähernd 400 actus = 200 iugera ergibt, eine Fläche, die der normalen Centnrien-
fläche entspricht und mit Recht gewählt ist, weil das scamnum und die striga
im letzten Gmnde nichts anderes als oblonge Genturien sind. Die scamna
des Nipsus (Stelle N. 15) — der übrigens longitudo und latitudo verwechselt —
haben bei 20 : 25 actus Seitenlänge (Verhältnis 4 : 5) 240 iugera Fläche.
Nach der Beschreibung der bei der Scamnation zu ziehenden limites
schildert Hygin (S. 207, 7 f.) die Bezeichnung der Grenzsteine. Die auf dem
decumanus max. stehenden Steine erhalten die Aufschrift D. M., die des cardo
max. die Aufschrift K. M.
Der auf dem Schnittpunkt des dec. max. und kardo max. mit dem 1.
limes transversus resp. prorsus gesetzte Stein wird ausser mit D. M., K. M. be-
schrieben mit LIMES. IL (seil, transversus oder prorsus). Die seitlich von
kardo und decnmanus stehenden Steine tragen die Bezeichnung der j^regio^,
also D. D. C. K. (dextra decimanum citra kardinem), D. D. V. K., S. D. C. K.,
S. D. V. K. Der Inschrift D. D. limes II, C. K. limes II entspricht auf centu-
riiertem Lande D. D. II C. K. II. Das heisst ^rechts (vom decumanus max.) der
2. limes", „diesseits (des Kardo max.) der 2. limes", denn die Formel D. D. II
(= dextra decumanum secundum) bedeutet y^dextra: decumanus II", wie
j^ante diem III idu^^ gesagt wird für j^ante idus die tertio^, „D. D. II" =
jydextra decumanum secundum'' bedeutet nicht etwa den rechts vom zweiten
decumanus liegenden dritten, denn die Formel soll auf dem zweiten (den de-
cumanus max. mitgerechnet) stehen. Eis heisst ja auch (s. o.) bei der Scam-
nation: „dextra decumanum limes 11*'. In beiden Fällen ist also 1) die Region
(einmal mit blodsem dextra, das andere Mal mit dextra decumanum), 2) die Zahl
des limes angegeben („ir' = „decumanusll" oder „limes IP'). Ausser der regio (dex-
tra, sinistra, citra, ultra) und dem limes, sollen ferner die Ordnungsnumniern der
scamna und strigae auf den Grenzsteinen notiert werden. Wie das gemeint ist,
kann man der Überlieferung, die hier offenbar korrupt ist, kaum noch entnehmen.
Mommsen (p. 102) verbessert den Text so, dass die Zahl der zwischen
den limites liegenden scamna und strigae angegeben sein würde ; er vermutet zu
S. 207, 14 statt des tiberlieferten „D. D. V. STRIGA PRIMA SCAMNO 11":
scamna quattuor (statt des interpolierten, wie er meint, D. D. V.) als In-
schrift der einen, „striga I (= una), scamna II (= duo)" als Inschrift der
anderen Seite des Steins. Wahrscheinlich ist diese Verbesserung kaum zu
nennen. Wenn wir nicht ganz willkürlich sein wollen, müssen wir doch
wenigstens an den Ordinalzahlen festhalten. Der Stein kann wohl nur dort,
wo das als „scamnum 11"^ bezeichnete scamnum mit der „striga prima'' zu-
sammcnstiess, gestanden haben. Dass die Parzellen nummeriert waren, zeigt
ja auch der kölnische Stein („possessor[e8] scamno primo"). Ein mit der In-
schrift „scamno II striga /" versehener Stein würd^ in Punkt A der umstehen-
den Figur 5 am Platze sein.
Ich komme nun zu den N. 4 — 14 zusammengestellten Erwähnungen der
Flurteilung und Territorien in den römischen Kheinlanden.
21
scamna und strigae iu den libri coloniamm. Über sie bandelt Mcitzen (Sied-
lung und Agrarweseu I [1895] p. 294). Das Auftreten der scamna und strigae
neben Genturien erklärt er mit Recht aus schwierigem Terrain, welches eine
Vermessung des ganzen Landes in Genturien nicht zugelassen habe. In der
That waren die grossen Quadrate der Genturien (mit 2400 pedes = c. 710 Meter
Seite) nur in weiten Ebenen bequem anwendbar, während sich die oblongen
scamna und strigae zur Aushülfe vortrefflich eigneten wo immer das zu limi-
tierende Land zu schmal für Genturien war, wie z. B. auf schmalen Hügel-
rücken. In solchen Fällen fahrte man die limites der Genturiation wohl nicht
über das Hindernis hinweg, indem man sübsiciva, d. h. nicht assignierbare En-
claven^ entstehen Hess, sondern nur bis zu ihm hin, indem die nicht als Gen-
turie ausgelegte Fläche scamniert oder strigiert wurde.
Die Stelle p. 218, 3 f. liefert für diese Auffassung den besten Beleg. Im
Gtebiet der Golonie Sutrium (heute Sutri) war in der üblichen Weise centuriiert
worden — das muss j^agri ad modum iugerationis sunt adtngnati^ wegen des
scam. II
Sir.
I
m
Fig. 5. Fig. 6.
Folgenden tarnen bedeuten — daneben aber trug man der natura loci durch
snbsidiäre Anlage von agri ganimati, d. h. gammaförmigen (f) und agri scam-
nati also oblongen Parzellen Rechnung. Im Gebiet von Boviannm kamen
ebenfalls unter den Genturien scamna vor (N. 7). Dasselbe wird bei Aufidena
(N. 13) and Histonium (N. 14) gesagt, in Alatrium sind es strigae (N. 5).
Wenn bei Nnrsia (N. 11) angegeben wird, sein Gebiet sei „j?er strigas et
scamna in centuriis^ assigniert, so bedeutet das natürlich ebenfalls Anlage
▼on Oblongen neben den Genturien: „iw centuriis^ ist beileibe nicht zu beziehen
auf Einteilung einer Gen turie in scamna und strigae, wie sie Weber aus der
gleich zu besprechenden Stelle des Nipsus (N. 15) herausgelesen hat (s. o.).
22 Schu Iten:
•
Strigae und scamna nebeneinander, wie wir sie bereits in Hygins theo-
retischer Beschreibung der Vermessung y^'per proximos possessionum rigor es^'
fanden, sollen ausser in Nursia in Reate vorgekommen sein (N. 12), aber hier
nicht auf im übrigen centuriiertem Boden, sondern selbständig. Dies ist das
einzige Beispiel, welches die libri coloniarum für reine Scamnation bieten.
Strigae als alleinige Vermessungsart sind bezeugt für Anagnia (N. 6) und
Ostia (N. 8).
Neben scamna und strigae als aushülfsweise angelegten Figuren werden
als verwandte Kategorien praecisurae (Schnitzel) und laciniae (Fetzen) ge-
nannt (s. Feldm. II, 361). Im Gegensatz zu den oblongen scamna und strigae
werden das gradlinig begrenzte, aber uuregelmässige Figuren gewesen sein.
Das zeigen die Namen und Figuren, wie z. B. Fig. 3 des Über diazografus.
Von den subsiciva unterscheiden sie sich nur insofern, als sie assigniert wurden,
was bei den subsiciva nicht der Fall ist, nicht etwa durch die Art der Begren-
zung, denn auch die subsiciva sind — soweit sie nicht an Flüssen liegen —
gradlinig begrenzt, da die Grenze des Territoriums wohl im Ganzen eine krumm-
linige ist, aber die Grenzlinie sich doch aus rigores zusammensetzt, wie meine
Figur 6 zeigt (a — m sind Grenzsteine) ; die an der Grenze ausserhalb der
vollen Genturien liegenden Dreiecke sind solche laciniae.
Ich komme nun zu der Stelle aus Junius Nipsus (N. 15), der Weber
seine Theorie von den in scamna und strigae zerlegten Genturien entnommen
hat. Nipsus sagt, dass der ager scamnatus grössere Länge als Breite^ d. h.
oblonge Form habe.
Unter ager scamnatus versteht er sicherlich die Elemente des ager scamnatus :
die scamna, denn der ager hat überhaupt keine regelmässige Form, sondern
ist ager arcifinius und krummlinig begrenzt. Von Länge uud Breite kann
man bei ihm gar nicht reden, denn diese Begrifife beziehen sich auf eine recht-
eckige Figur.
Wenn Nipsus dann sagt, dass die agri scamnati ^in centuriis singvlis^
240 iugera enthalten, welche Genturien 20 X 24 actus lang seien, so durfte
hieraus nimmermehr eine in Oblonge geteilte Centurie construiert werden, „ein
limitierter ager scamnatus, welcher in Genturien aufgemessen ist" (Weber
p. 22). Das ist denn doch mehr als „eine späte Zwitterbildung", das ist ein
Unding, ein agrimensorisches Monstrum.
Nipsus hat nur die Leichtfertigkeit begangen, die scamna als Genturien
zu bezeichnen, weil es oblonge Genturien gab, die den scamna aufs Haar ähn-
lich sahen, oder — seien wir nicht zu schnell im Tadel — er hat mit eben-
soviel Recht als man oblonge Genturien Genturien nannte, die oblongen
scamna so genannt. Was ist denn der Unterschied zwischen einer oblongen
Genturie und einem scamnuni? Man muss schon sehr viele Freude am Aus-
einanderspalten gleicher Dinge haben, um nicht zu sehen, dass die Genturie
quadratisch sein muss und wenn sie oblong ist, zum mindesten äusserlich scam-
num ist. Ist denn ein aus oblongen Genturien bestehender ager noch ager centu-
riatus? Sicherlich nicht! Doch der „in Genturien aufgemessene ager scam-
Flnrteiluug und Territorien in den römischen Rheinlanden. 23
natns" mag noch hingehen und in einem agrimensorischeu Begriffshimmel eine
Stätte finden, wie aber will Weber seine auf die Hy ginstelle basierte in 1
striga und 2 seamna geteilte Centurie (p. 23) legitimieren? Wozu denn eine
Centurie ausser in Loose noch in seamna und strigae zerlegen?! Das hätte
doch gar keinen praktischen Zweck gehabt und die Kunst der Feldmesser ist
doch nun einmal eine recht praktische Disziplin. Die irrige Lesart quadra-
turam (statt culturam) und die falsche Deutung des Wortes als Centurie hat
Weber eine reiche Ernte von grundverkehrten Aufstellungen gebracht (s. o.).
Das scamnum des Nipsus enthält bei 20:24 actus Seitenverhältnis 480
actus = 240 iugera. Dies ist die einzige überlieferte Notiz über den Flächen-
inhalt eines scamnum. Hier verhalten sich die Seiten wie 4:5; bei Hygin wie
2:3; mau sieht, das scamnum konnte sehr verschiedene Formen haben. Aber
sie genügt; um zu zeigen, dass das scamnum denselben Flächeninhalt wie die
reckteckigen Centurien hat, dass es nichts anderes als eine rechteckige Cen-
turie ist. Die Stelle hätte Weber sagen müssen, dass seine seamna und
strigae von 10 : 20 actus oder 200 actus =100 iugera Fläche eine Unmöglich-
keit sind.
Die Stelle ans den casae litterarum (N. 16) beschreibt ein Grundstück,
welches, weil auf einem langgestreckten Hügel (per iugum) gelegen, scam-
nirt ist.
Die Boethinsstelle (N. 17) ist aus Hygin p. 206, 15 entnommen.
Dies sind die bei den Feldmessern überlieferten Angaben über die Assig-
nation j^er strigas et seamna^. Fassen wir nun die einzelnen Punkte zu-
sammen. Um von der Etymologie, wie billig, auszugehen, so hat das jfScam-
nwmf^ seinen Namen von dem zwischen zwei Furchen liegenden Ackerbeet *).
Der Vergleich der lang fortlaufenden Rechtecke mit den beim Pflügen ent-
stehenden Beeten (s. Rudorff, Feldm. II, 296) lag nahe genug. Den Fur-
chen, welche diese Beete begrenzten, entsprechen die rigoresj die Greuzraine
der seamna. Die Ackerbeetc führen ihren Namen ihrerseits wegen der Ähn-
lichkeit mit einer Bank, denn sie bilden eine von den Furchen begrenzte Er-
höhung. Eine Vorstellung von den römischen seamna vermögen vielleicht die
„Hochäck^r^' zwischen Isar und Lech zu geben, schmale und sehr ausgedehnte
(Breite: 9 — 18 m, Länge: 300 m) Ackerbeete in den breiten Flussbetten der
Alpengewässer (s. Meitzen a. a. 0. I p. 358, III p. 161 f.). Fast möchte man
sie mit den seamna (oder strigae) identifizieren.
Das Gegenstück des scamnum, die nach dem cardo max., also nach N. S.
orientierte ,yStriga^^ bedeutet den „Streifen", hat also keinen spezifisch agra-
rischen Namen ^).
Seamna und strigae kommen wie centuria auch im römischen Lager vor
und bezeichnen hier ebenfalls oblonge Bodenflächeu. Die striga hat eine Breite
von BOFuss bei verschiedener Länge (s. v. Domaszewski in der Ausgabe des
1) Vgl. z. B. Columella 2, 4.
2) striga kann zwar auch die Furche, welche der Pflug giebt, bezeichnen, aber
davon nicht das Flurmass genannt sein (vgl. Rudorff, Feldm. II, 291 Anm.).
26 Schulten:
signati qua usque tunc solum uüle visum est, Propter magnüudinem enim
agrorum veteranos circa extremum fere finem vdut terminos disposuit pau-
cissimos circa coloniam et flumen Anam; reliquum («cod.: flumina reliquum)
ita remanserat ut postea repleretur^ etc.
p. 122; 8 sagt Hygin, dass in Spanien nach einem j^centuria^ genannten
Flarmaass gemessen wurde; p. 171, 1 (idem): Angnstus legt in Beturia in Eme-
rita Centurien von 400 iugera Fläche an „quibus divisionibus decimani hahent
longitudinis actus XL kardines actus XX, decimanus est in orientem"'. —
p. 171; 6: j,In EineriteiMium finibus aliquae sunt praefecturae quarum decimani
aeque in orientem diriguntur, kardines in meridianum: sed in praefecturis
MuUicensis et Turgaliensis regionis decimani habent actus XXy kardines
actus XL/^
p. 367, 26 (aus Isidorus): „Actus quadratu^ undique finitur pedibus CXX,
cxx
ita: cxx\_\ cxx; hunc Betici arapennem dicunt ab arando scilicet 0- • • • Ac-
cxx
tum provinciae Beticae agnam vocant. Porcam idem Betici XXX pedum
LXXX
latidudine et LXXX longitudine definiunt ita: xv\ \xv^^ (für XV ist in
LXXX
der Figur XXX zu setzen).
Afrika:
p. 57, 1 (Frontinas): ,yNam et de aedibus sacris quae constüutae sunt
in agris simües oriuntur quaestiones sicut in Africa inter Adrumentinos
et Tysdritanos de aede Minervae de qua iam multis annis litiguntJ^
p. 36, 19 spricht Frontin von dem in Afrika geltenden Wasserrecht, p.
47, 8 f. von den afrikanischen controversiae de modo, p. 122, 15 handelt Hygin
von den agri regii der Provinz Cyrene. — p. 180, 1 (Hyginus de limitibus
constit.): y^Quibusdam coloniis postea constitutis sicut in Africa Admederae
decimanus maximus et kardo a civitate oriuntur . . ." p. 307, 24 (Faustus
et Valerius vv. pp. auctores): jfDum per Africam assignaremus circa Char-
taginem in aliquibus locis terminos rariores constituimus ut inter se habeant
pedes IIGCGC.'' etc.
6 a 1 1 i a :
p. 29, 10 (Frontinus): j^Haec vocdbula (limites „prorsi*' und „transversi*')
in lege quae est in agro Uritano in Gällia adhuc permanere dicuntur/' —
p. 353, 1 : ffln Africa et in Galliis et Sirmium (= Sirmii) übi pertica nostra
definivity tälia signa constituimit^s'^ \ — p. 370, 6: „. . . Gallii lewas (= leugas)" \
p. 323, 16: „miliarius et dimidius apud Gallis levam facit"\ — p. 122, 6
(Hygiu): „/n provincia quoque Narhonensi varia sunt vocabula: alii appel-
lant libram, alii parallelam/^
1) vgl. p. 372, 17 (excerpta de mensuris): ^Arapennis vero, quem semHuge-
rum dicunt, idem est quod et actus inaior habens undique versum pedes CXX, per-
ticas vero XIL
Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 27
Germania:
p. 123, 9 (Hygin): ,Jtem dicitur in Germania in Tungris pes Drusianus
qui habet monetalem pedem et sescunciam^^ \ — p. 373, 18: ,yDuae levae
(= leugae) sive miliarii tres apud Germanos unam rastam effieüuU.^^
Donaaländer.
p. 121, 7 f. bericbtet Hygin, dass jüngst ein Agrimensor in Paunonien
jedes assignierte Ackerloos von Staatswegen abgesteckt habe (was gewöhnlich
den Loosempfängern überlassen wurde) : j^sed et extrema linea unius cuitisque
modum comprehendit.^^
p. 205, 3 f. berichtet der jüngere Hygin, dass man in Pannonien miss-
bräuchlich statt per scamna et striga^s in Centurien veimcsseu habe. Dies ist,
wie gesagt, das einzige Beispiel für die Scamnation des ager provincialis.
p. 353, 1 : „In Africa et in Galliis et Sirmium (= Sirmii) talia signa
eonstituimtis.'^ p. 122, 1 (Hygin) wird ein in Dalmatia übliches Flurmass
„voraus" erwähnt, der 8640 D-Fuss enthalte.
Dies ist die ganze, gewiss bei der Fülle des den Feldmessern zu Gebote
stehenden Materials recht dürftige Ausbeute ihrer Sammlung ^).
Für das römische Germanien finden wir nur eine allerdings recht wich-
tige Notiz bei Hygin (p, 123, 9): im Gebiet der „Tungri in Germania" wurde
ein pes Drusianus als Masseinheit angewandt, der P/g römische pedes misst
„qui habet monetalem {pedem) et sescundam^
Ich kehre nach dieser Voruntersuchung über die scamna zu der kölner
Inschrift, um derentwillen sie angestellt wurde, zurück.
Der Stein ist gefunden in Köln. Damit ist freilich keineswegs gesagt,
dass er ins Territorium der colonia Agrippinensis gehört. Er kann als Bau-
stein weither verschleppt sein. Der vicus Lucretius gibt keinen Ausschlag
pro und contra, denn vici kann es in jeder Stadtfiur geben. Sie kommen am
Rhein kaum auch als selbständige, höchstens einem Gau {pagus) untergeord-
nete Landgemeinden, wie in Afrika, vor *), da das römische Germanien (ab-
gesehen von den Batavern) an die zwei hier bestehenden Stadtgemeinden (Köln
und col. Traiana bei Xanten) und die Legionslager — als „territorium legio-
nis'^ 8) — aufgeteilt gewesen ist (s. u.). Wenn also das scamnum primum auf
1) Es ist bezeichnend, dass nur die besten Vertreter der Feldmesskunst Angaben
über die agrimensorischen Verhältnisse provincialer Territorien machen: Frontin
über Admedera in Afrika, Emerita^ die Palatini und Salmaticenses in Spanien;
Hygin über Admedera, den ager üritanus in Gallia und Emerita. Das Interesse
für die Individualität der Bestandteile des Weltreichs hat den Kömern gefehlt: das
war die Folge der Centralisierung. Wichtig für die Beurteilung des von den Gro-
matici verarbeiteten Materials ist der Umstand, dass Hygin und Frontin mit denselben
Städten (Admedera, Emerita) operieren.
2) Wie es in meinem Aufsatz „die Landgemeinden des röm. Reiches' (Phllologus
LIII p. 629 f.) angenommen ist. Ein Fall ist allerdings durch die „fines terrae vici^
bezeugt (s. diese Jahrb. Bd. 57 p. 6).
8) S. meinen Aufsatz „das territorium legionis', Hermes 1894.
28 Schulten:
das Territorinm der colonia Agrippinensis zu beziehen ist, so bildet das Factam,
dass das Land einer colonia iuris Italici — das ist Köln ^) — in scamna auf-
geteilt ist (ganz oder zum Teil) einen wertvollen Beitrag zu den anderen Zeug-
nissen für das Vorkommen von scamna auf ager colonicus.
Das scamnum primum ist zusammenzustellen mit der Angabe Hygins,
dass die einzelnen scamna und strigae gezählt und darnach bezeichnet worden
seien (s. o.)' Nachdrücklich abzuweisen ist die auf den ersten Blick vielleicht
scheinbare Combination *) von „ex vico Lucretio" mit ^^scamno primo" und die
Annahme einer in scamna geteilten Dorfflur wie etwa die Flar des germani-
schen Dorfs in Gewanne geteilt war. Etwas Ähnliches ist fttr römische Ver-
hältnisse unerhört, denn der römische vicus hat kein Territorium. Die den
vicanen possessores gehörigen Grundstücke bilden keine Dorfflur, keine
,juniversitas agrorum^ wie die municipalen fundi, sondern einen nur durch
den gemeinsamen Wohnsitz ihrer Besitzer einheitlichen Complex, nicht anders
wie etwa die zu einer Centurie gehörigen Colonisten. So wenig wie ihre
Grundstücke sind die possessores vici eine ,fUniversüas". Wie die Posses-
soren eines Dorfs können sich auch die anderer, benachbarter Grundstücke
also z. B. die Inhaber von Teilen derselben Centurie zusammenthnn. Ver-
einigungen von Possessoren eines Dorfs kommen mehrfach vor (s. den Aufsatz
über die römischen Landgemeinden a. a. 0. p. 657). Innerhalb des grossen Ver-
bandes der municipes konnten sich beliebige Gruppen bilden z. B. die Anwohner
einer Strasse, etwa mit dem Kult der Lares compitales, die y^municipes intramu-
rani^^y d. h. die innerhalb der Stadt wohnenden Bürger, die ^^municipes extramvr
rani" (Veji, Corpus XI, 3798), d. h. die Bewohner des platten Landes (= vicani,
soweit es Dörfer auf der Feldmark gibt) und als kleinerer Kreis ländlicher
municipes die Einwohner eines vicus. Wenn sich diese possessores vici oder
vicani niagistri wählen, so sind sie darum nicht minder eine rein private Ge-
meinschaft als die Corporation etwa der j^negofiatores fori pecuariV^ in Rom
(Wilmanns, Exempla 2518). Nichts ist verkehrter, als den Begriff der deutschen
Dorfgemeinde, von jeher des vollberechtigten Correlats der Stadtgemeinde — ab-
gesehen natürlich von gutsherrlichen und in städtischem Banne befindlichen
Dörfern — auf den römischen vicus zu übertragen: im römischen Reich gibt
es Landgemeinden nicht; was dergleichen vorkommt, ist Ausnahme, Über
diese Dinge kann ich auf die genannte Abhandlung verweisen.
Die Formel jjpossessores ex vico Lucretio^^ ist neu für das sonst übliche
„possessores vici..''. Die neue Formel beweist, dass nur ein Teil der Possessoren
sich an der Dcdication beteiligt. Offenbar ist ebenso die Formel ,possessore8
vici . . ." zu verstehen. Alle Possessoren eines vicus zusammen nennen sich
kaum possessores vici, sondera ,, vicani''. Die der obigen Inschrift sehr ähn-
liche Dcdication der ^jpossessores vici Vindoniani" aus dem Gebiet von Aquin-
eum (C. III, 3776) nennt etwa 10 Possessoren. Das sind sicherlich nicht alle,
denn nur dann kann man annehmen, dass im Dorf nur 10 Possessoren gewohnt
1) Di^. 50, 15, 8, 2: „in Germania inferiore Agrippinenses iuris Italici sunt.^*
"2) Wie ich sie selbst vorgetragen habe (Laudgeoieinden p. 657 Anra. 23).
FlarteiluDg und Territorien in den römischen Rheinlanden. 29
haben, wenn man die possessores als eine besondere Klasse von vicani, etwa
als die Grossgrundbesitzer, aufifasst, was aber possessores nicht heisst. Sicher-
lich hat es nie ein Dorf mit nur 10 Hüfnern gegeben. Bei der auf unserer
Inschrift erscheinenden Gruppe von Possidenti ist nicht der Wohnsitz im Dorf,
sondern die Zugehörigkeit zum scamnum I das Verbindende, weil die 5 — 10
Grundbesitzer, welche an der Dedication teilgenommen haben mögen, nicht als
possessores ex vico L,, sondern als Inhaber der ein scamnum bildenden Grund-
stücke eine Einheit bilden. Denn possessores gab es im vicus L. mehr als
5 — 10, zu einem scamnum aber werden kaum mehr Hufen gehört haben, da
die 200 — 240 iugera, welche wir als gewöhnliche Fläche der scamna ansetzen
dürfen — 240 iugera ist einmal überliefert: Feldm. 1, 293, 11 s. o. S. 15 — kaum an
mehr als 5 — 10 Höfe gefallen sein können: 24 iugera ist schon ein kleiner
Gmndbesitz. Gegen den Einwand, dass auch die j^possessores scamno primo^^
keine natürliche Einheit zu sein brauchen, kann ich deshalb wohl betonen, dass,
wenn die 5 — 10 Besitzer nur einen Teil des scamnum primum innegehabt haben
sollen, ein zu kleiner Grundbesitz, eine zu grosse Zerstückelung des scamnum
resultiert. Ausserdem thun sich zu solchen Dedicationen meist feste Gruppen
zusammen, nicht lose für den Moment gebildete Pe]*sonenyerbände. In der Be-
zeichnung „possessores ex vico Lucretio scamno /" ist also „ex vico Z." eine
secundäre Angabe; aber die doppelte Bezeichnung der Dedicanten zuerst nach
ihrem Wohnort, dann nach dem Medium, welches sie verbindet, kann nicht
auffallen. Correcter und einfacher wäre die Bezeichnung „possessores scamni
primi^' gewesen.
Der vicus Lucretius ist eins der zahlreichen inschriftlich bekannten Dörfer
der römischen Rheinlande (s. Landgemeinden p. 670). Nicht wenige von ihnen
haben römische Namen, wie der vicus Apolline(n)sis und v. Salutaris bei Mainz und
der V. Aurelianus (Öhringen). Aus Cäsar wissen wir, dass die Kelten wenige
befestigte, den römischen Städten vergleichbare Orte (pppida) hatten und im
Übrigen in offenen Dörfeni — der vicus ist nie befestigt, sonst heisst er „cos-
tellum'^ — oder Einzelhöfen siedelten. So haben die Helvetier 12 oppida und
400 vici (Cäsar de b. G. I, 5). Diese oppida und vici finden sich auch in den
römischen, ehedem keltischen Eheinlanden: ich nenne nur als evident keltische
vici den vicus Lopodunum (Ladenburg) und den vicus Altiacns (Alzey), deren
Namen schon den keltischen Ursprung verbürgen.
Die römischen Namen mancher vici sind natürlich nicht auf römische
Dorfgründung, sondern auf Umnennung zurückzuführen. Dörfer entstehen bei
der römischen Siedlung nie, sondern Städte oder villae. Die in den Abruzzen
häufigen vici sind rudimentär und Gründungen der Marser, Sabiner etc.
Die Inschrift bietet einen passenden Ausgangspunkt für eine Betrachtung
der in den römischen Rheinlanden (Germania inferior und superior) ^) vorliegen-
den agrimensorischen Verhältnisse.
1) Der Kürze halber wende ich im Folgenden auch auf das erste Jahrhundert
diese Bezeichnungen an, die im technischen Sinne erst nach der Gründung der Pro-
vinzen Germania sup. und inf. auftreten (vgl. Riese, Westd. Zeitschr. Correspondenzbl,
1895, p. 146 f.).
30 Schulten:
2. Die Territorien in den beiden Germanien.
Die ältesten römischen Anlagen am Rhein sind die Festangen — so mnss
man die castra stativa bezeichnen — Gastra Vetera and Mogontiacam. Vetera
ist das Lager der anter-, Mainz das der obergermanischen Legionen. So war
es im Jahre 14 n. Ch. (Tacitas ann. I; 31). Diesen Standlagem mass, wie das
üblich war; ein Streifen Land: das ,;territoriam legionis^', welches wir ans
mehreren Inschriften kennen, zugewiesen worden sein (s. meinen Aufsatz ;;Das
territorium legionis^' im Hermes 1894; p. 481 f.). Einen Teil des Territoriums
der in Vetera stehenden Legionen werden wir in den nördlich der Lippe ge-
legenen „agri vacui et müitum usui seposiW^y die Tacitus (Ann. 13, 54) zum
Jahre 58 erwähnt, erkennen dürfen. Das römische Germanien ist bekanntlich
erst spät Provinz geworden. Vorher steht es unter den beiden legeUi Aug.
exercitus Oermaniae inferioris und superioriSj ist also militärisches Gebiet.
Ich glaubC; dass man sagen kann, Germanien bestand, abgesehen von dem
Gebiet der Bataver und Ubier im J. 14 n. Chr. aus den beiden Territorien
der Legionen von Vetera und Mainz. Die Grenze der Sprengel würde als-
dann die spätere Grenze der provincia inferior und superior: der Vinxtbach
gewesen sein. Analoge Verhältnisse liegen vor in Nnmidien. Wenn die in
Lambaesis liegende legio III Augusta im ganzen südlichen Nnmidien Bauten
ausführte — nach dem Zeugnis ihrer Legionsziegel — so kann das nur auf-
gefasst werden als eine Änsserung des Hoheitsrechts, welches die Legion bez.
ihr Legat in Nnmidien innehatte. Nur auf ihrem Territorium konnte die Legion
bauen. Im Bereich der ^^quattuor coloniae Cirtenses'^, dem gewaltigen Gebiet
von Girta, fehlen denn auch die Bauinschriften der Legion völlig ^).
Nnmidien bestand ans zwei Temtorien: dem der legio III Aug. und dem
von Cirta. Bei einer Termination zwischen den beiden Gebieten würde ent-
sprechend der Formel der spanischen und pannonischen termini „inter terri-
torium legionis et agrum IUI coloniarum^' terminiert worden sein.
Im Jahre 50 wurde das „oppidum Ubiorum^^ — einen Namen scheint es
nicht gehabt zu haben; die Bezeichnung ^oppidum Üb." schlechthin zeigt, dass
es die einzige Stadt der Ubier war — zur colonia Agrippinensis erhoben
(Tacitus, ann. 12, 27). Der neuen Colonie musste ein Territorium assigniert
werden. Ihr Gebiet wurde entweder das ganze bis dahin der civitas Ubiorum
überlassene Land, welches eine Enclave des territorium legionis der Festung
Vetera darstellte: so sind in den Tres Galliae allmählig die Gaue in Territorien
ihres zur römischen Stadt entwickelten Hauptortes umgewandelt worden (s.
meinen Aufsatz „Die peregrinen Gaugemeinden des röm. Reichs^' im Rhein.
Mus. L. p. 398 f.), oder aber die neue Colonie erhielt nur einen Teil des Ubier-
1) Der legatus Aug. pr. pr. der Legion, welcher zug-leich Statthalter für ganz
Numidien ist, wird natürlich auf Inschriften des cirtensischen Gebiets genannt (vgl.
C. VIII, p. XV), genau so gut wie die Statthalter anderer Provinzen in dem der Städte
ihrer Provinz.
Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 31
gebiets nnd der Gau der Ubier blieb neben ihr bestehen, wie die Segusiavi
neben Lugdunam. Letzteren Modus nimmt Nissen (in diesen Jahrb. 1895, 150)
an. Seine Vermutung, dass die Ubier der Colouie attribuiert worden seien wie
die subalpinen Gaue den benachbarten römischen Städte Brixia, Verona etc.,
scheint mir überzeugend, weil sich nur so erklärt, dass ubische Soldaten pere-
grines oder latinisches Recht haben, wie aus ihrem Dienst bei den equites singu-
lares hervorgeht. Denn eine attribuieite Gemeinde hat stets minderes Recht als
die Stadt, der sie attribuiert ist (s. Mommsen, Staatsrecht III, 767). Durch
Nissens These erledigt sich die von Mommsen mit gewohnter Consequenz
aus dem Auftreten ubischer oder kölnischer equites singulares gezogene Folge-
rung (Hermes 19, 70), dass Köln nicht römisches, sondern latinisches Recht ge-
habt habe. Dieser Lösung steht nicht im Wege, dass die pereginen oder la-
tinischen Soldaten statt der civitas Ubiorum die „colonia Ära*' als ort^o nennen,
denn solche Leute führen oft abusiv als origo eine Stadt an (Mommsen,
Hermes 19, p. 26). Das beste Beispiel bietet ein aus dem attribuierten Gau
der Tmmplini gebürtiger Soldat, der sich bezeichnet als „domo Trumplic^^
(Mommsen, Staatsrecht III, 768 Anm. 4). Man wird also lieber ein Fort-
bestehen des Ubiergaus als attribuierter Gemeinde annehmen, als der col. Agrip-
pinensis die Qualität einer römischen Colonie absprechen.
Wie es bei attribuierten Gemeinden natürlich war, sind die Ubier bald
ganz mit den Colonisten verschmolzen. Die Attribuierten hatten zwar ein eigenes
Territorium, aber dasselbe galt in praxi als Teil des Gebiets der herrschenden
Gemeinde. Die factische Identität des Gebiets von Köln mit dem ehemaligen
Gebiete der Ubier geht daraus hervor, dass j^fines Ubiorum*^ und yyfines Agrip-
pinemium^* promiscue gesagt wird (vgl. Tacitns bist. 4, 28 mit 79) und dass
sich die Ubier „Agrippinenses'^ nannten (Tac. bist. 4, 29). Dasselbe folgt,
wie Nissen (in diesen Jb. XCVIII [1895] p. 150) mit Recht hervorhebt,
daraus, dass Ptolemaeus statt der sechs von Plinius (N. H. IV, 106) genannten
linksrheinischen Völker nur 4 nennt (Ptol. II, 9) : die fines Ubiorum waren das
Gebiet von Köln, die fines Cugernorum das der col. Traiana geworden.
Dass die Ubier nicht mehr Germanen, sondern Römer sein wollten, zeigt
Tac. bist. 4, 28 : infestius in Ubiis, quod gens . . . eiurata patria Agrippinenses
vocarenlur.^ Die Verschmelzung der Ubier mit der Colonie erhellt deutlich
ans der Stelle Tacitus bist. 4, 65, wo er die Agrippinenses (= Ubii) sagen
lässt, sie fühlten sich mit den deducierten Colonisten eins: „«i qui ex Italia
aui promnciis alienigenae in finibus nostris fuerunt^ eos bellum absumpsit
vel in 8uas quisque sedes refugerunt. Deductis olim et nobiscum per connur
bium sodatis quique mox provenerunfj haec patna est , , ,^ Man wird bei
dieser Stelle erinnert an das, was die der Stadt Tridentum attribuierten Völker
ausfahren (Edict des Claudius C. V, 5050): ^. . . icf hominum genus (die Attri-
buierten) . . .üa permixtum cum Tridentinis, ut diduci ab is sine gravi
splendidi munidpi iniuria non possU/^
Die Attribution an die Colonie und die daraus resultierende Umwandlung
der Gau- in eine Stadtgemeinde war der Lohn für den Übertritt der Ubier
32 Schulten:
auf römisches Gebiet (im Jahre 38 v. Chr.; als Agrippa am Rhein kommandierte:
Tae. ann. 12, 27; Strabo p. 194 Casaub.; Tacitus Germ. 28) »).
Die j^colofUa Claudia Ära (oder ^Augtista^^) Agrippinensium^ (s. N i s s e n
a. a. 0. p. 169 f.), wie das römische Köln mit vollem Namen heisst, hat
im III. Jahrhundert ') die bevorzugte Stellung einer colonia iuris Italici, d. h.
Steuerfreiheit und privatrechtliche Gleichstellung mit den italischen Städten.
Es wird anzunehmen sein, dass Köln <4iese Qualität gleich bei seiner Erhe-
bmig zur Colonie erhalten hat.
Um das Gebiet des römischen Köln zu bestimmen, haben wir leider nur
zwei Anhaltspunkte, indem Tacitus Tolbiacum (Zülpich) ') und Harcodurum
(Düren) als „in finibus Ubiorum^ gelegen bezeichnet (bist. 4, 28; 79).
Nach Westen scheint demnach das kölnische Gebiet sich bis zur Roer —
an der Düren liegt — ausgedehnt zu haben. Nach Süden zu liegt Zülpich
auf der Höhe von Bonn. Ob darum Bonn ebenfalls ubisch war, ist frag-
lich; die Grenze kann a priori zwischen Zülpich und Bonn nach Norden um-
gebogen sein ohne den Rhein zu erreichen; wahrscheinlicher ist aber, dass
man dem Gebiet der neuen Colonie natürliche Grenzen, also im Osten den
Rhein, im Westen die Roer gegeben und im Süden diese beiden Grenzlinien
durch eine gerade, „recto rigore^j laufende Linie verbunden hat. Ob dieser
südliche Grenzzug kurz unterhalb Zülpich oder — wie Nissen a. a. 0. p. 147
meint — längs der Grenze von Germania inferior und superior, also längs des
Vinxtbaches lief, ist nicht auszumachen. Ganz ohne sichere Punkte sind wir
für die nördliche Ausdehnung des Gebiets. Dass Geldnba (Gellep bei Crefeld)
ubisch gewesen sei, lässt sich nicht, wie Nissen thut (p. 147), mit Sicherheit
ans der Stelle Tacitus bist. 4, 26 entnehmen ; dort steht nur, dass das römische
Heer von Novaesium nach Gelduba gerückt sei und „proximos Cugernorum
pagos^ verwüstet habe. Vom Gebiet der Ubier ist direct keine Rede. Man
kann die Stelle übersetzen: „die Gaue der Ciigerner, die in der Nähe lagen":
dann befanden sich die Legionen in der Nähe des Cagernergebiets, also in dem
der Ubier. Man kann aber auch tibersetzen — und so wird man es zunächst
thun — : „diejenigen Gaue der C, welche zunächst lagen", so dass Gelduba selbst
schon cugcrnisch gewesen wäre. Wenn die Vermutung Könens (Jahrgang
1897 dieser Jahrbücher p. 1 f.), dass die „iw finibus Ubiorum^^ (Tac. ann. I, 31)
belegenen castra aestiva bei Neuss zu suchen seien (zwischen dem römischen
Lager Novaesinm und dem heutigen Neuss), zutrifft, so würde mit Neuss ein
fester Punkt auch für die nördliche Ausdehnung der fines übiorum gewonnen
sein. Im Norden grenzte an das Gebiet der agrippinensischen Colonie das Gebiet
1) „JVe Ubii quidem ..origine erubescunt transgressi olim et experimento fidei
super ipsam Rheni ripam coUocati . .'*
2) Paulus: Dig. 50, 15, 8, 2.
3) Das Itin. Antonini (p. 372) nennt Tolbiacum j,i'icius Supernorum^^, Super-
norum in Übiorum zu cmendicron wird kaum an«2:(>hen: das Itinerar meinte wohl die
Cugerni\ aber dass der südwestlich von Köln gelegene Ort ubisch war, unterliegt
darum nicht weniger keinem Zweifel.
Flurteiluno: und Territorien in den römischen Kheinlanden. 33
'O
der Cugerner resp. das Territorium der Festung Vetera. Ehedem wird es die
ganze Germania inferior, wie Mainz die supcrior, umfasst haben (s. o.); nach
der Deduction der Sugambrer (Cugerner) in diese Gegend (nach 9 v. Chr. s.
Sueton, Tiber. 9) und der Gründung der Colonie wurde es auf den Norden
beschränkt.
Oben ist bereits ausgeführt, dass, wenn Ptolemaeus am Niederrhein nur
die Batavi nennt, während Pliuius noch die Cugerni und Ubii anführt, dies nur
durch die Verwandlung der fines übiorum in das Gebiet von Köln, der fines
Cugemorum in das der colonia Traiana zu erklären ist (s. Nissen a. a. 0. p. 150).
Neue Veränderungen der territorialen Verhältnisse in Germania inferior brachte
also die Regierung Trajans. Er gründete die colonia Traiana (s. die Stellen der
Itinerarien bei Riese, das rhcin. Germanien in der antiken Litteratnr p. 389 f.).
Sie lag 1 röm. Meile nördlich der castra Vetera (s. It. Auton. p. 368: colonia
Traiana — Veteribus M. P. /.)^). Ebenso gründete Trajan für die neuge-
schaffene legio XXX Ulpia Victrix ein neues Lager; dies lag wohl nicht an
der Stelle des alten im Bataverkrieg zerstörten Lagers (auf dem Fürstenberg),
aber in seiner Nähe, denn im Itin. Antonini (p. 250) steht j^casfra leg. XXX^^
neben Vetera als eine Station.
Es ist möglich, dass Trajan den bei der legio tricensima entstandenen
canabae Stadtrecht verliehen und sie zur colonia Traiana gemacht hat, wie
das mit den Lagerorten bei den Donaufestungen Aquincum, Apulum etc. ge-
schehen ist. Die Entfernung der col. Traiana vom Lager der legio XXX —
eine Milie = 1,5 Kil. — entspricht der Distanz zwischen Lager und Lageratadt
Lambaesis. Bei Gründung der colonia Trajana muss das Territorium der
Cugerner ihr attribuiert worden sein, denn die neue Stadt musste eine Feld-
mark haben. Wenn hier die Cugerner ihr Gebiet an eine neue Stadtgemeinde
abtreten mussten, so ging zwischen dem Jahr 14 und 69 *) ein Teil des
kölner Gebiets an die beiden neuen Legionslager Novaesium (zwischen Neuss
und Grimlinghausen) und Bonna (Bonn) über. Wahrscheinlich wurden diese
Lager angelegt, als im Jahre 43 im Zusammenhang mit der britannischen Ex-
pedition Veränderungen in den beiden germanischen Corps eintraten. Durch
Novaesium muss das Gebiet von Köln eine Einbusse im Norden, durch Bonna
im Süden erlitten haben. Das bonner Festungsgebiet grenzte am Vinxtbach
an den obergermanischen Sprengel und zwar an das Territorium der Festung
Mogontiacum. Auf der rechten Rheinseite muss ebenfalls den Legionen und
den beiden Städten Gebiet assigniert worden sein, wie ja rt^gH in usum mili*
1) Die tab. Peutingeriana gibt m. p. XI. Das ist eine evidente Corruptel. Die
Ausgrabungen haben die Lage der col. Traiana in nächster Nähe des heutigen Xanten
— welches 1 römische Milie vom Fürstenberg, dem Ort der castra Vetera entfernt
ist — festgestellt (s. meinen Aufsatz das „Tcrrit. legionis" Hermes 1894, p. 493
Anm. 2).
2) Im J. 14 liegt noch das ganze niederrheinische Heer in Vetera (T ac. Ann.
I, 36), im Bataverkrieg dagegen verteilt in Bonna^ Novaesium, Vetera.
Jahrb. d. Ver. ▼. Altorthsfr. im Rheinl. 103. 3
d4 Schulten:
tum sepositi^ auf dem anderen Ufer gegenüber Vetera, also als Teil des zu
Vetera gehörigen territorium legionis, bezeugt sind (s. oben).
Im Inneren, im westlichen Teil von Germania inferior lag nach der ge-
wöhnlichen Annahme das Gebiet der Tungri (deren Hauptort später vom Gau
den Namen erhält = Tongern) und Batavi (mit Nijmegen = Noviomagus). Das
Gebiet der Bataver grenzte südlich an das der Festung Vetera. Auch die
civitas Menapiorum wird zu Germania inferior gerechnet, wenigstens von den
Neueren. Plinius (N.H. 4, 58) und Ptolemaeus (2, 9, 8) nennen nur die Bataver, nicht
Tungri und Menapii. Da nur diese Autoren eine wirkliche Statistik geben —
Strabo vermengt Gallien und Germanien, s. pag. 193 Gas. — , wird es angezeigt
sein, die Germania inferior mit der Maas zu begrenzen ; eine natürliche Grenze
ist schon a priori ein Erfordernis. Es wäre endlich einmal an der Zeit, dass
die Kartographen sich um diese Dinge kümmeilen, statt wie bisher die Sprengel
Germania inferior und superior oder gar die Provinzen mit den Namen der bei
Cäsar genannten Völkerechaften (z. B. der Coiidrusi) zu versehen. Mit einer
Karte lässt sich allerdings die Geschichte des rheinischen Germaniehs nicht
erläutern, sondera es sind für jede Epoche verschiedene anzulegen. Die Namen
aller in der Litteratur vorkommender Gaue auf ein Blatt zu zeichnen, ist ein
grober historischer Verstoss, denn in Germanien sind nicht alle von den Geo-
graphen genannten Gaue auch politisch anerkannt und den Provinzen einver-
leibt. Nur diejenigen j^quibus fines adsignati sunt^ gehören auf eine histo-
rische Karte der Provinz Geimanien.
Der obergermanische Sprengel muss unter die Festung Mainz und die
Gaue der Vangiones (mit Worms), Nemetes (mit Speier) und Triboci (mit Ar-
gentoratum [Strassburg]) ^) geteilt gewesen sein. Den äussersten Süden nahm
seit der Gründung des Legionslagers von Argentoratum (Strassburg) das Ter-
ritorium der legio VIII Aug. ein. Auf der anderen Rheinseite lag gegenüber
dem Gebiet der Festung Mainz der Gau- der Mattiaci, die j^civitas Mattiacorum^^
(oder Taunensium nach dem Gebirge) mit dem Hauptort ^) aquac Mattiacae
(Wiesbaden). Auf den Karten (auch im Text bei Moramsen Rom. G. V, 109)
findet man als zu Germania superior gehörig noch verzeichnet die Rauraci (mit
Augusta Rauracorum = Äugst bei Basel), Helvetii, Sequani und Lingones ^). Alle
diese Völker sind Gallier, woran noch niemand gezweifelt hat. Nun ist aber
nichts sicherer, als dass in die beiden germanischen Provinzen nur germanische
Gaue — wohlverstanden Gaue: die j^levissimus qtiisque Gallorum'^ der agri
decumates (Tacitus Germ. 29) haben wohl keine Gaue gebildet — aufgenommen
sind. Der Irrtum beruht auf Ptolemaeus (2, 9, 9) : man hat nämlich die von
ihm als den Rauraci — die er allerdings fehlerhaft zu Germania superior
1) Die Ortschaften dieser Gaue verzeichnet Ptolemaeus *2, 9, 9. Die drei Gaue
bei TacitUH Ger. 28; Plinius N. H. 4, 98; Ptolem. a. a. 0.; Amin. Marcell. 15, 11, 6.
2) s. Westd. Zeitschrift 1896, Correspondenzblatt p. 196.
3) Kiclitig ist die Grenze gezo<^en in Kieperts Atlas antiquus, falsch in der
Karte zu Mommscns Köm. Geschichte dem Text (p. 109) zuliebe. Zu demselben Re-
sultat kommt A. Riese (Westd. Ztschr. 1895 p. 148).
Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 35
rechnet — benachbart genannten, aber zu Belgien gehörigen Gaue der Lin-
gones, Helvetii, Sequani zur germanischen Provinz bezogen. Wie Ptolemaeus
nennt auch Plinius (4, 98) als Gaue der Germania superior die Vangiones, Nemeti,
Triboci; Ammiauus (15, 11, 6) nennt als Gemeinden: Mogontiacus, Vangiones,
Nemetae, Argentoratus. Die Triboci fehlen, weil ihr Gebiet Temtorium der le-
gio VIII Aug. von Strassburg geworden ist (vgl. den ähnlichen Fall oben p. 31, 33).
Das Gebiet der Mattiaci wird kaum den Main überschritten, sondern
im Norden bis zum Taunus, im Süden bis zum Main gereicht haben. An sie
grenzte wohl die dvitas Sueborum Nicrefium, deren Existenz Zangemeister
so glücklich festgestellt hat (N. Heidelberger Jahrb. III, p. 1 f.) ; denn ihr Haupt-
ort ist Ladenburg am unteren Neckar, der vicus, später die civitas Ulpia Lo-
podunum ^),
Von anderen Gaugemeinden des Decumatenlands wissen wir nichts, aber
es mag doch noch mehr davon — etwa andere Gaue des grossen Stammes
der Suehi — gegeben haben, wenn man in y^Nicretes^ das Distinctiv eines Gaues
von andern sieht, wie man doch wohl muss. Das Gebiet dieser Suebengaue
wird die nördliche Hälfte des Decumatenlaudes eingenommen haben, denn im
Süden war kaiserliches Domänengebiet. In Rottenburg am Neckar hat man
folgende Inschrift gefunden (Brambach 1633): „in h. d. d» . . ex decreto
ordinis saltus Sumelocennensis . . . cura agentibus (folgen 2 Namen) ma-
giistris) *)^. Es gab also hier ein domaniales Territorium {saltus, s. meine „Grund-
herrschaften" p. 17 f.), benannt nach dem Ort Sumelocenna, in dem sich wohl
die Verwaltung befand.
Völlig Singular ist nun aber, dass diese Domäne einen ordo, einen Ge-
meinderat, hat. Die magistri sind weniger auffallend, denn auch auf den afri-
kanischen saUus stehen die gutsherrlichen Colonen unter magistri (Grundherr -
Schäften p. 100). Für eine solche gutsherrliche Ortschaft würde uns auch die
Existenz eines ordo nicht zu sehr befremden, obwohl durchgeführte Gemeinde-
verfassung sich nicht ganz mit centraler Verwaltung verträgt, denn einen ordo
finden wir auch in den afrikanischen castella, den befestigten Dörfern. Hier
aber gehört wenigstens in der Formulierung der Inschrift der ordo nicht zum
vicus Sumelocenna, sondern zum saltus Sumelocennensis. Diese Auffassung
lässt sich nur aus der von mir öfters dargestellten (vgl. z. B. Grundh. p. 21)
1) Sehr wahrscheinlich ist v. Herzogs (in diesen Jahrb. Heft 102 p. %) Ver-
mutung, dass civitas S. T. der Inschrift Brambach 1593 vielleicht civitas Sfuebo-
rum) T( , . .) zu lesen sei; die Ähnlichkeit der Siglen (S. N. = Suebi Nicretes) spricht
sehr dafür. An Suebi T(outone8) zu denken, liegt nahe genug. Dann würde das
Land zwischen dem Main und unteren Neckar (Miltenberg— Ladenburg) suebisch ge-
wesen 'sein.
2) Die neueste Lesuug der Inschrift findet sich bei v. Herzog a. a. 0. p. 98.
MAGCistris), wie ich (Grundherrschaften p. 104) bereits hergestellt hatte, ist trotz der
Zerstörung der beiden ersten Buchstabon sicher. — In dem oben über den saltus Su-
melocennensis gesagten berühre ich mich vielfach mit v. Herzog (a. a. 0. p. 96 f.),
dessen vortrefflicher Aufsatz „Zur Occupations- u. Verwaltungsgesch. d. rechtsrhein.
Bömerlandes" mir erst bei der Drucklegung vorlag.
^ Schulten:
Tendenz, ein gutsherrliches Territorium als Territorium des Vorortes der Domäne
aufzufassen, ableiten. Der Abschluss dieser Entwicklung liegt vor in den nach einem
Gut benannten Städten, wie sie besonders in Gallien vorkommen: Floirac ist aus
ftmdus Floriacus, Savigny aus/*. Säbiniacus enstanden^); die römische villa wurde
zur französischen y^ville^. Man wird den Gemeinderat auf den ganzen saltus,
nicht etwa nur auf den Vorort zu beziehen haben, ebenso wie die beiden ma-
gistrL Dann haben wir also einen wie eine Gemeinde organisierten saltus.
Das ist bisher freilich ein Unicum, aber ein durchaus in die Entwicklung pas-
sendes. Die Competenz der localen Verwaltung gegen die der kaiserlichen
Domauialhehörde, des ^rocwra^or, abzugrenzen, wird kaum möglich sein; es ge-
nügt, festzustellen, dass kaiserliche und quasimunicipale Administration hier
konkumerten. Den kaiserlichen Procurator dieser Domäne hat uns eine asia-
tische Inschrift kennen gelehrt. Sie ist mitgeteilt von Mommsen, Westd.
Ztschr. 1886, p. 260 (vgl. auch Jahrbuch des arch. Instituts 1889, archäol. An-
zeiger p. 41). Der Anfang lautet: . . . . ou x^P«? | ^] OM^XoKevvricia^ xai , . .
cpXijiiTdvTi^ . Mommsen ergänzt am Anfang [dTTiTpoTTOv creßacTJoC und in
Zeile 3 [uirJepXiMiTdvTi^. Xiipa^ gibt er wieder mit „frac^w«" und hält den
Procurator — der zweifelsohne genannt gewesen ist — für einen procurator
tractua von Ritterrang, welche Domanialbehörde wir aus Afrika (s. Grundherr-
schaften p. 62 f.) kennen. Tractus war in Afrika ein domanialer, mehrere saltus
umfassender Verwaltungssprengel. Wegen des zweiten BegriflFs [uirJepXiMiTdvTic
(= translimitani) wird man x^pac mit tractus , nicht mit saltus wiedergeben
müssen, da man nicht wohl einen saltus translimäanus annehmen kann und
andernfalls statt x^P^^c ' x^P^^v stehen müsste (xujpiov = saltus, vgl. Ramsay
bist. Geography of Asia Minor, p. 176 f.). Die x^P« ZopeXoKCvvTicia xai unep-
XipiTdvTi = tractus Sumelocennensis et translimitanus muss also ein grösserer
Sprengel gewesen sein, in dem sich der saltus ISumelocennensis befond, wie
die saltus des Bagradasthals (Burunitauus etc.) im tractus Carthaginicnsis. Nur
so lässt sich der saltus Sum. mit dem tractus Sum. combinieren. Das Adjectiv
y^transUmitanus'^ zeigt, dass das Domäucngebict über den Limes hinausreiclite,
der ja auch nur eine militärische, keine Provinzialgrcnze war (s. Mommsen
zur Inschrift).
Das Dccuniatenland stellt sich uns also nach den bisher vorhandenen
Urkunden dar als bestehend aus einem peregrinen Gaugebiet (dem der Suehi
Nicretes) und kaiserlichem Domanialland.
1) Vg-l. die» vortreffliche Darstellung von Fustel de Coulanges, Instifufions
pol'it. de la France IIT, 1 (la villa «iallo-romainc») und A. de Jubainville, Rechei^ches
sur Voriijine de In propriefe fonciere et des noms des lieux hnbites de la France (livre
II: rech, sur rori'4'ino des noms des liiuix habit(''s on France).
Flurtoilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 37
3. Andere Urkunden der römischen Flurteilung am Rhein.
Die wichtigste Urkunde der römischen Flurteilung im Rheinlande bildete
den Ausgangspunkt dieser Abhandlung. Es giebt noch eine Inschrift derselben
Gattung. Sie ist gefunden in Obrigheim am Neckar.
Die Inschrift (Brambach N. 1724) lautet:
IN. H • D • D
MERCVRIO
AED- SIGN- \GR
> IUI . L . BELLONIVS
? MARCVS AMER
? IVSSVS ECIEL CONS
? VII
Die drei letzten Zeilen sind corrupt. Die Inschrift sagt, dass ein L. Bello-
nius dem Mercurius einen Tempel: aed{em), Statuen: sign{ä) und „agr(um)
centuriarum (das ist >) IUI" dediciert habe. Unser Interesse ruht natürlich
auf „agr{um) > IUP*. Dies kann kaum anders, als eben geschehen ist, gelesen
werden ; > kann z. B. nicht das Zeichen für iugera sein. An die militärische
Centurie ist erst recht nicht zu denken. Vier Centurien Ackerland, also in
dubio 800 iugera — es gab auch grössere Centurien (Feldmesser II, 352) — ,
sind freilich als Grundbesitz eines Possessor ein enormer Bestand, als Geschenk
vollends fast unerhört viel ^), aber im Decumatenland — ihm gehört der Stein
an — mag das Land in solch grossen Beständen vergeben worden sein. Hier
sind keine Städte mit stark parzelliertem Territorium gegrtlndet worden, man
scheint vielmehr dies Vorland von Obergermanien occupatorisch haben besie-
deln lassen. Charakteristisch für das Decumatenland sind die römischen Ein-
zelhöfe, deren oft sehr bedeutender Umfang *) sicherlich einem ausgedehnten
Grundbesitz entspricht. Einzelhöfe (viUae) und Grossgrundbesitz sind in der
Geschichte der römischen Siedlung in den Provinzen correlate BegriflTe. Auf
städtisch besiedelten Landstticken herrscht der Kleinbesitz; die grossen Herr-
schaften — „saltus^^ — sind schon äusserlich kenntlich an den Resten der
Einzelhöfe, der villae, und der Colonendörfer. Wir kennen diese Dinge jetzt
sattsam aus dem römischen Afrika: im Norden der Proconsularis, des heutigen
Tunesien, ist das Land mit den Resten zahlreicher Städte bedeckt, im Stlden,
in der Region der „Schotts" (grossen Salzseen), findet man dagegen die Reste
von Villen und Dörfern: hier war das Land in „saltus^^ besiedelt. Dieselbe
Erscheinung wie der Süden Tunesiens zeigt das Decumatenland, das Land
1) Über solches Tempelland („fines templares^^) vgl. Feldm. II, 263. Ich erinnere
nur an das Gebiet der Diana vom Tifata in Campanien (C. X p. 367, und an die dem
Silvanus resp. dem collegium Silvani geschenkten Grundstücke (C. X, 444 = Bruns
Fontes« p. 355).
2) 8. Schumacher, Westd. Ztschr. 1896, p. 1—17 („Die Meierhöfe im Lime«-
gebiet").
38 Schulten:
zwischen dem Rhein und dem Limes. Je spärlicher die Siedlungscentren —
Städte, Dörfer, Höfe — desto ausgedehnter der Grundbesitz : das ist ein wich-
tiger Erfahrnngssatz der Agrargeschichte. Was wir von der BesiedluDg der
agri decumates wissen, bestätigt die aus der Verteilung der Einzelhöfe sich
ergebenden Folgerungen, ursprünglich war die römische Grenze der Rhein;
das jenseitige Land galt höchstens als Vorland des obergermanischen Militär-
sprengels. Eine agrimcnsorische Bezeichnung kommt ihm für jene Zeit noch
nicht zu, da es nicht römisches Land ist. Seit Vespasian wurde die Grenze
über den Rhein vorgeschoben und immer weiter verlegt, bis sie schliesslich im
Limes ihre endgültige Fixierung erhielt.
Die klassische Stelle des Tacitus über die Besiedelung der agri decu-
mates (Germ. 29) lautet: „iVbw numeraverim inter Germaniae populos, quam-
quam trans Rhenum Danuviumque consederint eos qui decumates (codd. B c:
decumathes) agros exercent, Levissimus quisque Gallorum et inopia audax du-
biae posftessionis solum occupavere, mox limite acto promotiaque praesidiis
sinus („Ausbuchtung", Vorland) imperii et pars provinciae habentur.^ Wenn die
römische Regierung gallischen Schaaren die Occupation des rechtsrheinischen Vor-
landes ihrer Provinz erlaubte, wird sie den eigenen Bürgern erst recht das ius occu-
pandi zugebilligt haben d. h. das freie Anbaurecht, wie es auf dem ager pu-
blicus der Republik galt: den Landerwerb possessorischen aber faktisch dem
vollen Eigentum gleichwertigen Rechts. Wie die alten possessores müssen die
Occupanten des Decumatenlandes eine Quote gezahlt haben. Man wird daran
festhalten müssen (trotz Riese, d. röm. Germ. i. d. Litt. p. 471)^), dass die
agri decumates von einer decuma pars, dem von den Occupanten zu entrich-
tenden Zehntel des Bodenertrags, ihren Namen haben. Von dem ager publicus
der Republik wurde nach Appian (b. c. 1, 7) ein Zehntel bei Anbau mit Saat,
ein Fünftel bei Anbau mit Pflanzung geleistet. Mit Recht betont Mommseu
(R. G. V, 138 Anm.), dass ein solches Oceupationsrecht nur für die Republik
bezeugt ist; vielleicht bieten aber eben die agri decumates des Neckargebiets
einen Beleg für die Fortdauer jener Institution in der Kaiseraeit. Die In-
schriften aus den afrikanischen saltus haben ja gezeigt, dass auf den kaiser-
lichen Gütern, deren Verwaltung sich vielfach mit älteren Normen, wie sie
unter der Republik galten, berührt ^), ein sichtlich dem alten Oceupationsrecht
auf dem ager publicus nachgebildetes ius occupandi mit Qnotenleistung (meist
„tertiae partes''^) existierte.
Stellt man für die agri decumates die Frage, welcher Bodenkategorie sie
angehören, so kann kein Zweifel sein, dass sie ager arcifinius d. h. weder an
Private noch an Gemeinden assignirtcs Land sind. Die beiden anderen Kate-
gorien (vgl. über sie Mommsen, zum röm. Bodenrecht, Hermes XXVII, 82 f.),
1) „. . von einem Namen Decuma oder Äd decumam (sc. lapidem), den der ur-
sprüngliche Hauptort des mittelrheinischen Gebiets ji^eführt haben muss.**
2) Vgl. meine Erklärung der lex Manciana (Abhandl. der Kgl. Ges. d. Wiss. zu
Göttiugen, phil.-hist. Klasse. N. F. Band II, Heft 3 [1897]).
Flurteiluug uud Territorien in den römischen Rheiulanden. 39
der ager dwisus adsignattis und der ager per extremitatem metisura compre-
herntus sind ausgeschlossen, da beiden gemeinsam ist die Vergebung von Land
an (8tadt-)Gemeinden, indem der ager div, ads, sieh auf das an die Coh)nisten
vergebene ^), der a, p. extr. m. compr. sich auf das der Gemeinde als Samt-
eigentum übergebene Land (den „ager vectigalis^) *) bezieht. Rom hat aber
Gemeinden, das Substrat dieser beiden ^qualitates agrorum^, auf den agri
decumates nicht gegründet. Nur das den peregrinen Gemeinden wie der
j^civitas Suehorum Nicretium^ (s. o.) tiberlassene Land wird man als .,ager
p. extr. mensura compr ehensus, cuius modus universus civitati est adsignatus^^
bezeichnen müssen, denn die dieser Gemeinde überlassenen Landstriche sind
^fines genti adsignati^: so heisst solches Land nach Ausweis einer afrikani-
schen Inschrift ^). Der ager arcifiniusj wie der a. püblicus in der Kaiserzeit
heisst, bedurfte weder der Feststellung der Grenzlinie noch der Ausmessung
seines Areals: er galt in dubio als nach dem Ausland hin unbegrenzbar und
benötigte, da Anweisung an Gemeinden oder Private fehlte, auch nicht eine
die Assignation einleitende Limitation oder Vermessung des Landes in Centu-
rien. Aber zulässig war sowohl Grenzfeststellung als Vermessung — das
wird ausdrücklich betont — und sie kamen oft genug vor (s. Mommsen
a. a. 0. p. 83). So finden wir z. B. das ehemals dem Staat, später dem Kaiser
gehörende Land am Bagradas im proconsularischen Afrika in Centurien vermessen
(s. meinen Aufsatz „die lex arae Hadrianae" Hermes 1894 p. 220 und lex Manciana
p. 19). Damit haben wir die Bestimmung der auf dem oben behandelten Stein ge-
nannten Centurien gewonnen: es sind die Centurien, in welche das Decumatenland
eingeteilt war. Meitzen (Siedlung III p. 157) will in der Feldmark von Fried-
berg in der Wetterau (Oberhessen) noch Reste der römischen Centuriation erkennen.
In der That sind auf der von ihm mitgeteilten Karte (Anlage 34 zum 3. Band)
mehrere Centurien deutlich zu erkennen. Für den römischen Ursprung dieser
Feldteilnng spricht, dass sich innerhalb der Centurien die Reste römischer
Villen gefunden haben. Spuren der Limitation weist besonders stark das Ge-
biet von Parma, Padua und Capua auf. ^ Auch bei Carthago sind die Centurien
erhalten (vgl. über die Reste der römischen Flurteilung meinen demnächst in
den Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen erscheinen-
den Aufsatz).
Die Existenz einer kaiserlichen Domäne, des sdltus Sumelocennensis (s. o.)
in dieser Gegend passt vortrefflich zu der Annahme, dass dieses Gebiet ager
püblicus gewesen ist. Wie in Afrika wird auch hier der Kaiser die Domäne
vom Aerar überkommen haben.
1) ager divisus adsignatus coloniarum,
2) a. viensura comp, cuius ujiiversus modus civitati est adsignatus.
3) CIL. VIII, 8813: . . . fines adsignati genti Numidarum. Ein ähnlicher Fall
liegt C. VIII, 8369 vor, welche Inschrift dem Stamm der Zimizes ein Gebiet zuweist.
Über diese Territorien vgl. meinen Aufsatz „d. peregr. Gaugemeindeu" a. a. 0. p. 538 f.
40 Schulten:
So spärlich auch die Zeugnisse für die römische Flurteiluug in den Rhein-
landen sind ^\ so wichtige Schlüsse scheinen sie mir doch zuzulassen.
Das einzige Zeugniss, welches das agrimensorische Corpus für „Germania"
anführt, ist die Erwähnung des pes Drusianus, als der im Gebiet der Tungri
angewandten Maasseinheit (s. o. S. 27). Da die Tungri. nicht zu Germanien ge-
hörten (s. 0.), könnte ich die Stelle tibergehen; sie sei aber iv Trapöbiu mitbe-
handelt. Der Name kann wohl nur auf den älteren Drusus, den Begründer
der römischen Herrschaft am Rhein, zurückgeführt werden. Der von Drusus
angewandte Fuss differiert von dem römischen (pes Drusianus = 1 ^/g pedes),
muss also ein einheimisches Maass gewesen sein, wie sich deren die Agrimen-
soren mehrfach bedient haben. So wurde z. B. in den keltischen Ländern
nach der arapenniSj dem heutigen Arpent, gemessen^), im Osten nach TrXeGpa;
in Kyrene war der pes Ptolemaicus (= ff röm. Fuss) die Maasseinheit (s.
Feldm. II, 282).
So viel ich sehe, ist die Erwähnung des pes Drusianus in ihrer Bedeu-
tung für die Geschichte der römischen Occupation am Rhein noch nicht gewür-
digt worden. Der pes Drusianus führt zu der Folgeioing, daes bereits Drusus
am Unterrhein vermessen und zwar offenbar Land vermessen hat; denn bei
der Absteckung von Distanzen zu anderen Zwecken würde er sich natürlich
nicht eines peregrinen Maasses bedient haben. Die Anwendung desselben kam
nur in Frage, wo im Anschluss an die bestehende einheimische Flurteilung —
die ^consecratio vetu^^, wie die Feldmesser sagen (Feldmesser II, 277) — ,
die römischen Ansprüche mit der Messrute geltend gemacht oder die peregrinen
Messungen nachgeprüft wurden. Das Bestehende zu schonen and aufzunehmen
ist der Grundsatz der römischen Colonisation.
Die Vermessung des Gebiets der Tungri kann nur geschehen sein bei dem
von Drusus i. J. 13 u. ff. v. Chr. vorgenommenen Ccnsus der gallischen Pro-
vinzen, dessen Grundlage die Vermessung des Landes zur Anlage der Grund-
steuer (vectigal) bildete.
Befragt man, wie das für Galliefi mit solchem Erfolge geschehen ist, die
1) Nicht hierher gehört wohl die Inschrift Brambach N. 640 (Oberwintor bei
Rema<reii), in dereine PERTIC[a] VIATORIA (?) erwähnt wird. Die Inschrift lautet:
SECVNDVS
DECCOLAVG.
EX-EVOC-A/G .
CVM.PERTIC.
gllATORIA
V-S - L • /VN-
Ich weiss mit ihr nichts anzufangen.
2) Die arapeniiis als Landmaass in der Inschrift C. XII. 1657. Sie kommt vor
in der Narbonensis, in Pannonien (C. III, 10275: vhiede arp. CCCC) und in der Poebeiie
(0. V, 6587: are\2)€nnes\): das sind alles keltische Länder. Für (^lallien bezeu«^t
den Arpent Columella (1, 5, 5), für die Baetica (?) Isidorus (ori<»-. 15, 15, 4 = Feldmesser
I, 368, 1): jfhunc Betici [oder Boetici] arapennevi diciint^).
Florteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden. 41
Ortsnamen, so findet sieb, dass die auf einen fundus zurückführenden und
aus dem Namen eines römischen possessor und der Endung -ianus (oder
Plural -iana) zusammengesetzten Ortsnamen am Rhein fast ganz fehlen,
ebenso wie die mit der keltischen Endung -acus gebildeten. Juliacum (Jü-
lich) ist zwar benannt nach dem Gentile Julius, aber das ist wohl nicht
der Name eines Grundbesitzers, sondern des divus Julius, Ebenso heisst
der Ort Tiberiacum (It. Ant. p. 375) wohl vom Kaiser Tiberius. Da-
gegen dürfte Geminiacum (It. Ant. p. 377) auf den fundus Geminiacus eines
possessor Geminius zurückzuführen sein. An Ortsnamen auf -ianus finde ich
nur Rufiniana (seil, praedia) im Gebiet der Nemeter (Ptolem. 2, 9, 9). Die
Seltenheit solcher auf römische Landgüter zurückzuführenden Namen ist ver-
glichen mit ihrer Häufigkeit in Gallien und Italien auffallend und verlangt
eine Erklärung. Es wird zu sagei\ sein, dass am Rhein grosse Güter römi-
scher Possessoren mit eigenen Colonendörfern wenige bestanden haben. Im
Decumatenland, wo es sie gab (s. oben), haben die Possessoren nicht Dörfer —
auf denen jene Namen beruhen — sondern Höfe angelegt, deren Namen nur
dann zu Ortsnamen werden, wenn sich aus der villa ein viais entwickelt, was
dort unten nicht geschehen ist. Von allen den vici der Rheinprovinzen (s.
S. 29) trägt wohl nur der vicus Lucretius den Namen eines Grundherrn.
3. Zur Geschichte des Frankenkönigs Ghlodowech')-
Von
Wilhelm Levison.
Immer mehr ist vor dem prüfenden Auge der Forschung der Umfang
der Thatsachen zusammengeschwunden, die als zuverlässige Überlieferung über
Chlodowechs I. Thaten und die Begründung des Frankenreiehes gelten dürfen,
und immer ausgedehnter erwies sich der Kreis der Erzählungen, die vor der
Aufzeichnung durch das Prisma der lebendigen Überlieferung des Volkes*)
oder der Kirche hindurchgegangen waren. Während so der Bericht Gregors
von Tours, der einzige, der — von abgeleiteten Quellen abgesehen — Chlodo-
wechs ganze Herrscherzeit umfasst, zum grossen Teile als sagenhaft erkannt
wurde, schienen lange Zeit wenigstens seine spärlichen Zeitangaben und die
von ihm eingehaltene Ordnung der Ereignisse als fester Kern bestehen zu
können. Aber im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte drohten auch diese ein-
zigen Stützen des Gebäudes dahinzusinken, und man bemühte sich nun, aus
einzelnen Trümmern einen neuen Aufbau zustande zu bringen. Noch Richter^)
hatte die Zeit der Ereignisse aus Chlodowechs Herrschaft im wesentlichen im
Anschlüsse an Gregor bestimmt; aber dann folgte eine Reihe von Unter-
suchungen über des Königs Alamannensieg und Taufe, die bald diese, bald
jene Zeitangaben Gregors fallen Hessen oder von allen absehen zu können
glaubten. Nach dem Vorgange Useners'*) setzte von Schubert^) neben
1) Die Werke Gregors von Tours sind angeführt nach der Ausgabe von Arndt
und Krusch (scr. Merov. I). Von Abteilungen der Monumenta Gerinaniae historica
werden mit Abkürzungen bezeichnet die Scriptores (scr.); Scriptores reruni Merovin-
gicarum (scr. Merov.); Auetores antiquissinii (auct. ant.); Epistolae (epist.); Leg-um
Sectio II: Capitularia regum Francorum (capit.); Legum sectio III: Concilia (eoncil.);
Legum Sectio V: Forinulae (forniul); Diplomata (dipiom.); Poetae Latini medii aevi
(poet. med. aev ). Var. = Cassiodori Variae, ed. Mommsen (auct. ant. XII). N. A. =
Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde.
2) Vgl. besonders Godefroid Kurth, histoire poetique des Mörovingiens, 1893.
3) Gustav Richter, Annalen der Deutschen Geschichte im Mittelalter I, 1878,
S. 33-45.
4) Hermann Usener, anecdoton Holderi, 1877, S. 39—40.
5) Hans von Schubert, Die Unterwerfung der Alamanneu unter die Fran-
ken, 1884.
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 43
die AlamanneDSchlacht des Jahres 496 eine zweite in die ersten Jahre des
sechsten Jahrhunderts; Hodgkin^), Schnitze*), Boos^) und Hauck*) schlössen
sich seinen Ausführungen an. Weiter ging Vogel*); er verwarf alle Jahresangaben
Gregors und setzte den Alamannenkrieg 506, die Taufe auf Weihnachten des-
selben Jahres; aber er bestritt ihren Zusammenhang mit dem Siege ^), wie
dies auch Hauck'') that. Während Busch®) die Zeit des Krieges nach Vo-
gels Abhandlung für „nicht mehr zweifelhaft'* erklärte, erhob Krusch^) gegen
deren Beweisführung und Ergebnisse nachdrücklichen Einspruch, und auch
Cipolla^®), Mommsen") und Hartmann") hielten sich an Gregors Zeitbe-
stimmung der Alamannenschlacht, für die Ruppersberg") eintrat. Gund-
lach^*) verwarf 496 als Zeit der Taufe; nach seiner Ansicht hing Chlodowech
mit seinem Volke bereits 486 dem Christentume an, „als er zur Eroberung
des Römischen Reiches in Gallien auszog". Auch Krusch^*) löste die Taufe
aus dem Zusammenhange mit dem Siege und Hess sie erst 508 nach dem
Westgothenkriege zu Tours — nicht zu Reims — erfolgen. Dagegen hat Kurt h ^*)
wieder die herkömmlichen Ansätze vertreten, Schlacht und Taufe 496 gesetzt
und Reims als Schauplatz der letzteren in Anspruch genommen, unter der Zu-
stimmung von Demaison"), der die Stätte der Taufe innerhalb Reims näher
zu bestimmen suchte. In Bezug auf Alamannenkrieg und Bekehrung Chlodo-
1) Thomas Hodgkin, Italy and her invadors III, 1885, S. 389—391.
2) Walt her Schul tze, Deutsche Geschichte von der Urzeit bis zu den Karo-
lingern II, 1896, S. 64-65.
3) Heinrich Boos, Geschichte der rheinischen Städtokultur I« 1897, S. 111-113.
4) Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 2, 1898, S. 318 f.
5) Friedrich Vogel, Chlodwig's Sieg über die Alamanncn und seine Taufe.
Historische Zeitschrift LVI, 1886, S. 385-403.
6) Zuletzt hat Vogel N. A. XXIII, 1897, S. 74 Anni. 1. die Ansicht ausgespro-
chen — die Beweise stehen noch aus — „dass Chlodwig die Alaniannen erst im Herbst
507 niederwarf, Weihnachten darauf die Taufe nahm und erst im Frühjahr 508 den
Krieg gegen die Westgothen eröffnete".
7) Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands I, 1887, S. 108 f; 2. Aufl., 1898,
S. 111 f., 579 f.
8) Wilhelm Busch, Chlodwigs Alamannenschlacht (I). Programmbeilage des
Gymnasiums zu M. Gladbach 1894, S. 14.
9) Bruno Kruse h, Chlodovechs Sieg über die Alamannen. N. A. XII, 1886,
S. 289-301.
10) Carlo Ci pol la, memorie della Reale Accademia delle Scienze di Torino, serie
II, t. XLIII, 1893, S. 105-108.
11) Theodor Mommsen, auct. ant. XII, 1894, p. XXXII— XXXIV.
12) Ludo Moritz Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter I, 1897, S. 155
und 171.
13) A. Ruppersberg, Über Ort und Zeit von Chlodwigs Alamannensieg. Bonner
Jahrbücher CI, 1897, S. 38-61.
14) Wilhelm Grundlach, N. A. XIII, 1888, S. 380-382; XV, 1890, S. 245*).
15) Bruno Krusch, Die ältere V. Vedastis und die Taufe Chlodovechs. Mit-
theilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung XIV, 1893, S. 427—448.
16) Godefroid Kurth, Clovis, 1896.
17) L. Demaison, le lieu du baptßme de Clovis (Kurth, Clovis p. 616—628).
44 Wilhelm Levison:
wechs fendcn Gregors Erzählungen im allgemeinen auch Wiedergabe bei Hau-
decoeurM und Stein*), wie in den Werken von Dahn^) und Lamprecht*).
Bei diesem Stande der Forschung*) mag es vielleicht angebracht erscheinen,
die Ursachen der vielen entgegengesetzten Ergebnisse darzulegen und aufs
neue zu untersuchen, wieweit die dürftige Überlieferung tlberhaupt eine sichere
Erkenntnis gestattet.
Das zweite Buch der Frankengeschichte Gregors von Tours enthält bei
der Darstellung von Chlodowechs Herrschaft folgende Zeitbestimmungen und
folgende Anordnung der Hauptereiguisse:
1. anno autem quinto regni eiua Sturz des Syagrius, der durch den
Westgothenkönig Alarich ausgeliefert wird (c. 27, p. 88).
2. decimo regni sui anno Thoringis bellum intulit eosdemque suis dicci-
onibus subiugavit (c. 27, p. 89).
3. Heirat von Chlodowech und Chrotechildis (c. 28, p. 89 — 90).
4. Bekehrungsversuche Chrotechildens; Geburt und Taufe zweier Söhne,
Tod des ersten, Krankheit des zweiten (c. 29, p. 90 — 91).
5. Chlodowechs Bekehrung in einer Alamanncnschlacht: actum anno 15.
regni sui (c. 30, p. 91 — 92).
6. Chlodowech und Remigius, seine Taufe (c. 31, p. 92 — 93).
7. Krieg gegen Gundobad, Ende Godegisels (c. 32 — 33, p. 93 — 96).
8. Zusammenkunft Chlodowechs und Alarichs (c. 35, p. 98).
9. Krieg gegen die Westgothen ; Rettung eines Klosters bei Poitiers
durch den Abt Maxentius: Anno 25. Chlodovechi. Interea Sieg des Königs
über die Feinde (c. 37, p. 99—102).
10. Chlodowech in Tours (c. 38, p. 102).
11. Beseitigung des übrigen Fränkischen Fürsten (c. 40—42, p. 103—106).
12. Chlodowechs Tod: migravit autem post Vogladinse beUum anno
quinto. fueruntque omnes dies regni eins anni 30; aetas tota 45 anni. a
transitu ergo sancti Martini usque ad transitum Chlodovechi regis, qui fuit 11.
anni episcopatus Licini Turonici sacerdotes, supputantur anni 112 (c. 43, p. 106).
Die Folge der Ereignisse bei Gregor enthält in sich keine Widersprüche;
gelegentliche Bemerkungen über die Teilnahme Chloderichs an der Gothen-
schlacht (c. 37, p. 101), über Ragnachars (c. 27, p. 88) und Chararichs (c. 41,
p. 104) Verhalten beim Kampfe gegen Syagrius stimmen zu der Stellung, die
1) A. Haudecoeur, Saint Remi, 1896 (vielfach Auszug aus Kurths Werk).
2) Friedrich Stein, Die Urgeschichte der Franken und die Gründung des
Frankenreiches durch Chlodwig. Archiv des Historischeu Vereins von Uuterfranken
und Aschaffeuburg XXXIX, 1897, S. 1—220.
3) Felix Dahn, Deutsche Geschichte 12, 1888.
4) Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte I^, 1894.
5) Unzugänglich blieben mir folgende Schriften des Jubiläumsjahres 1896: Ed.
d'Avenay, Saint Remi de Keims; L. Carl i er, Vie de S. Remi; 0. Havard, Clovia
ou la France au 5. siecle; J. B.^Klein, Clovis; Tournier, Clovis et la France au bap-
tistere de Reims; ebenso G. Kurth, Sainte Clotilde, 1897, und Jubaru, Clovis a-t-il
et6^.baptise k Reims? (Etudes rcligieuses LXVIII, 189ij, p. 292—320.)
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 45
Gregor der Er/ählung ihres Endes im Laufe der Daretellung anweist. Die
knappe Foim der Jahresangaben, ihre zum Teil an ürkundensprache erin-
nernde Fassung lässt die Zeitbestimmungen sieh deutlieh von ihrer Umgebung
abheben und namentlich vor den auf mündlicher Überlieferung beruhenden
ausführlichen Eraäblungen hervortreten. So glaubten JunghansM, Monod*),
Arndt^) und Kurth*) in jenen Zeitangaben Reste von Jahresaufzeichnungen
zu besitzen, die Kurth näher als Annalen von Tours bestimmte, Aufzeichnungen,
die den Schluss zu gestatten schienen, ^que si le detail des ^venements du
rfegne de Clovis et de ses fils, a ete fourni k Gr^goire par la tradition orale,
il poss6dait pourtant dans des documents historiques, precis et dignes de foi,
la mention s&che et sommaire des faits principaux, et la date cxacte de quel-
ques-uns d'entre eux. Nous pouvons par consequent accorder notre coniiance
ä Tensemble de son recit"^). Dennoch haben diese Jahresangabeu Bedenken
erregt*) und mit vollem Rechte; musste doch die merkwürdige Rolle auffallen,
die die Ftinfzahl in Chlodowechs Geschichte spielt: Der König besiegt im 5.
Jahre seiner Hen-schaft den Syagrius, im 10. die Thoringer, im 15. die Ala-
mannen, im 25. Alarich; er stirbt im 5. Jahre nach dem Gothenkriege, nach
SOjähriger Herrschaft und einer Lebensdauer von 45 Jahren. So zerfällt sein
Leben in drei gleiche Abschnitte, geschieden durch Thronbesteigung und Be-
kehrung. Diese Bedeutung der Fünfzahl im Berichte Gregors erscheint höchst
sonderbar und muss Verdacht gegen die Glaubwürdigkeit der Zahlen erregen.
Verschiedene Möglichkeiten .bieten sich dar. Sind die Angaben gänzlich un-
begründet und mit Vogel völlig zu verwerfen, etwa hervorgegangen aus künst-
licher Berechnung, einer Art Zahlenspielerei, die Chlodowechs Thaten in glei-
chen Abständen über die Zeit seines Lebens verteilen wollte? Oder entsprechen
sie der Wirklichkeit und verdanken dem Spiele des Zufalls ihre auffällige
Gruppierung? Oder 'ist der Mittelweg der richtige, sind die Zahlen etwa un-
genau und ihre seltsame Gleichartigkeit bedingt durch die Anlage von Gregore
Quelle? Derart urteilte Arndt, der eine solche Anordnung vermutete, „ut
post annum regis promotum quatuor qui insecuti sunt annorum spatium va-
caret". Kurth dachte an „fastes quinquennalices** und hielt es für wahr-
scheinlich, „que . . . Tauteur des Annales Turoniennes . . . partageait son 6crit
en periodes de cinq ann6es" und dass Gregor „aurait rapporte par erreur
chaque fois, k Tann^e initiale de ces periodes quinquennales, la date des faits
qu'il trouvait mentionnes comme s'^tant passes pendant chaque pcriodc'^
1) Wilhelm Junghans, Geschichte der Fränkischen Könige Childerich und
Chlodovech, 1857, S. 151—152.
2) Gabriel Monod, ^tudes critiques sur les sources de rhistoirc m6rovingienne
I, 1872, S. 85-86.
3) Wilhelm Arndt, scr. Merov. I, p, 22.
4) Godefroid Kurth, les sources de Thistoire de Clovis dans Gr6goiro de Tours.
Revue des questions historiques XLIV, 1888, S. 388-396; Clovis S. 590—591.
5) Monod a. a. 0. S. 86.
6) Arndt a. a. 0. Anm. 5 und in der Jenaer Literaturzeitung 1875, n. 48, S.845;
von Schubert S. 147, Anm. 4; Vogel S. 386; Kurth, sources S. 396,
46 Wilhelm Levison:
Stellen so Gregors Zeitbestimmungen schon in ihrer Gesamtheit diese
Fragen, so kommen dazn noch besondere Bedenken för zwei der Jahresan-
gaben, die 2ieiten der Alamannensehlacht nnd des Gothenkrieges, die nnr in
einem Teile der Handschriften vermerkt werden. So fehlen die Worte: ,,actQm
anno 15. regni sni'^ nnd ,,anno 25. Cblodovechi'' in dem wertrollen Codex
AI, finden sich aber in den Handschriften der Reihe B, der die ältesten Gre-
gortexte, solche des siebenten Jahrhunderts, angehören. „Omnes Historiae
Francorum Codices lacunis quidem laborant^' ^). Hat man diesen Gesichtspunkt
auch hier anzuwenden, sind die in keinem Zusammenhange mit dem Fort-
gange der Erzählung stehenden, ursprünglich vielleicht an den Rand gesetzten
Worte in A 1 durch Versehen des Schreibers oder mit Absicht weggelassen
worden, oder liegt in den anderen Handschriften ein späterer Zusatz vor? Die
historia epitomata des sogenannten Fredegar kennt beide Zahlen nicht; aber
ihr Schweigen beweist nichts für die zweite Möglichkeit, da sie nnr einen
Auszug darstellt und z. B. auch die Worte über den Thoringerkrieg nicht wie-
dergiebt, die sich in allen Gregorhandschriften finden. Der über historiae
Francorum enthält keine Zeitangabe zum Gothenkriege — wohl, weil er auch
die vorhergehende Geschichte vom Abte Maxentius übergeht — jedoch zum
Alamannensiege bemerkt er*): acta sunt Jiaec anno 15. Chlodoveo regnante,
Worte, die aus dem 727 geschriebenen Buche nicht in Gregorhaudschriften
des siebenten Jahrhunderts eingeschoben worden sein können, mithin eben aus
Gregors Werk entnommen sein werden. So erweist sich die eine Zahl als
ursprünglicher Besitz Gregors, und damit wird das Gleiche für die andere
Zahl wahrscheinlich '). Mit der Annahme eines späteren Zusatzes, der doch
sehr früh erfolgt sein müsste, wird die Frage nicht gelöst, sondern nur ver-
schoben. Sollte man dennoch beide Angaben nicht für ursprünglich halten,
vielmehr vermuten, die Zahlen 15 und 25 verdankten ihre Einfügung dem
Wunsche, die Reihe 5, 10, 30 zu vervollständigen, so ist dann nicht einzu-
sehen, warum nicht auch das 20. Jahr — der Burgunderkrieg bot eine passende
Gelegenheit — eingeschoben wurde. Dieses Fehlen der Zahl 20 in der Jahres-
reihe spricht entschieden auch gegen die Annahme einer durch Gregor vorge-
nommenen künstlichen Datierung. So vermag ich nur anzunehmen, 1. dass
jene beiden Zeitbestimmungen zum ursprünglichen Bestände des Gregortextes
gehören; 2. dass alle diese Zahlen nicht einer schematischen Anordnung Gre-
gors ihren Ursprung verdanken, sondern von ihm einer seiner Quellen ent-
nommen wurden; 3. dass ihre seltsame Einförmigkeit wahrscheinlich auf der
Anlage dieser Quelle beruht. Mau hat sich diese, wie schon Arndt und
Kurth vermuteten, so angelegt zu denken, dass immer jedes fünfte Königsjahr
hervorgehoben war und in die so entstehenden Abschnitte von Jahrfüuftcn Er-
1) Arndt, scr. Merov. I, p. 18.
2) c. 15 (scr. Merov. II, p. 2G2).
3) Vgl. c. 43 (p. 106): migravit autem post Vogladinse bellum anno quinto, fu-
eruntque omnes dies regni eius anni 30.
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 47
eignisse eingetragen wurden; diese mochten zum Teil wirklich dem Anfangs-
jahre des Lustrums entsprechen, teilweise aber einem der vier folgenden Jahre
angehören und vielleicht erst durch ein Missverständnis Gregors insgesamt
auf das erste Jahr bezogen worden sein. So bedarf es in jedem einzelnen
Falle der Untersuchung, ob wir uns mit Gregors Zeitangaben ohne weiteres
zufrieden geben mtlssen oder ob wir imstande sind, sie durch Heranziehung
anderer Quellen auf ihre Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu prüfen.
Zu diesem Zwecke ist es notwendig, Chlodowechs Königsjahre in Jahre
n. Chr. umzusetzen und dafür zunächst einen geeigneten Ausgangspunkt zu
gewinnen. Dieser bietet sich im Todesjahre des Königs. Nach Gegor starb
Chlodowech 112 Jahre „a transitu sancti Martini'*^), im elften Jahre des
Bischofs Licinius von Tours. Aber diese Synchronismen sind unbrauchbar,
weil sie sich widersprechen. Vom Todesjahre Martins von Tours aus, dem
Jahre 397*), führt ein Abstand von 112 Jahren auf 509. Dagegen ergiebt
die Summe der von Gregor, bist. X 31 für die einzelnen Bischöfe von Tours
gegebenen Zahlen bis zum 11. Jahre des Licinius nicht 112, sondern mehr als
123 Jahre, führt also auf 521. Mindestens eine der beiden Zeitangaben mass
also falsch sein. Somit ist Chlodowechs Todesjahr auf anderem Wege zu be-
stimmen.
König Theudebert starb nach der Chronik des Bischofs Marius von Aven-
ticum 548 (auct. ant. XI, p. 236), nach Gregor. III 37 (p. 140) und IV 51
(p. 188) 37 Jahre') „a transitu Chlodovechi", Chlothar I. nach Marius 561
1) Vgl. IV 51 (p. 188): a transitum sancti Martini usquc ad transitum Chlodovcchi
regis anni 112.
2) Gregor, hist. I 48 (p.55), X 31 (p. 444); de virtut. s. Martini I 3 (p.589). Rein-
kens, Martin von Tours, 1866, S. 245— 257, hat für die Bestimmung von Martins Todes-
jahr gegenüber den Daten des viel späteren Greg^or an sich durchaus methodisch die
Angabe des Zeitgenossen Sulpicius Severus zu Grunde gelegt, dass Martin nach dem
Trierer Priscillianistenhandel (385) „sedeeim postea vixit annos** (dialog. III 13, 6, ed.
Halm p. 211), und danach Martins Tod ins Jahr 401 gesetzt (vgl. scr. Merov. I p. 589,
n. 8). Da aber 397 von Gregor in doppelter und übereinstimmender Weise bezeichnet
wird, einmal durch das Consulat des Atticus und Cäsarius, dann als 2. Jahr des Ar-
cadius und Honorius (offenbar nach einer Chronik, die 395 nur als letztes Jahr des
Theodosius anführte und die Jahre seiner Söhne erst mit 396 begann), da femer das
von Gregor gegebene Verzeichnis der Bischöfe von Tours (X 31) allein zum Jahre 397
wenigstens annähernd stimmt, so halte ich doch mit Duchesne (les anciens catalo-
gues ^piscopaux de la province de Tours, 1890, S. 24, Anm. 1) 397 für Martins Todes-
jahr, indem ich mich seiner Vermutung anschliesse, dass „sedecim" bei Sulpicius Se-
verus auf den einfachen Schreibfehler XUI statt XIII zurückgeht. Andere Angaben
Gregors, die auf das Jahr 401 (de virt. s. Martini I 32, p. 603; II 1, p. 608) führen,
erklären sich hinreichend durch falsche Rechnung Gregors, und wenn er endlich ,,a
pasBione domini usque ad transitum sancti Martini" einen Zeitraum von 412 Jahren
annimmt (hist. I 48, p. 56; IV 51, p. 188; X 31, p. 449), so kann dioise Zahl zur Zeit-
bestimmung überhaupt nicht in Betracht kommen.
3) Vgl. III 23 (p. 131) und 37 (p. 140): Theuderich I. stirbt „vicinsimo tertio regni
soi anno*^, Theudebert ,14. regni sui anno".
48 Wilhelm Levison:
(p. 237), nach Gregor. IV 21 (p. 158) „anno quinquaginsimo primo regni sui"^).
Diese Angaben bestätigen und ergänzen einander: sie führen auf 511 als
Cblodowechs Todesjahr. Näber wird die Zeit seines Dabinscheidens bestimmt
durch die Unterschrift der zu des Königs Lebzeiten gefassten Beschlüsse der
ersten Kirchenversammlung von Orleans (concil. I, p. 9): „Cyprianus episcopus
de Burdigala suscribsi in die VI. idus mensis qainti, Feiice v. c. cunsule ;
Chlodowech starb also nach dem 10. Juli 511. Noch weiter führt eine Unter-
schrift des 5. Konzils von Orleans (concil. I, p. 108): ,,notavi die V. kal. No-
vembris, anno XXXVIII regni domni Childeberthi, indictione tertia decima".
Die 13. Indiction umfasste die Zeit vom 1. September 549 bis zum 31. August
550 ; es kann sich also nur um den 28. Oktober 549 handeln. Da dieser nun
in Childeberts 38. Jahr fiel, der König aber mit seinen Brüdern 511 den Thron
bestiegen hat, so kann seixi erstes Jahr erst nach dem 28. Oktober 511 be-
gonnen haben, Chlodowech also erst nach diesem Tage gestorben sein ^). Dazu
stimmen trefflich die Angaben von Kaiendarien der Bibliothfeque Sainte Gene-
vieve zu Paris; sie melden zum 27. November (V. kal. Decembres) den Jahres-
tag des grossen Königs Chlodowech (magni regis Clodovei)^). Dass man in
der später der h. Genovefa geweihten Apostelkirche, die dieser gegründet und
in der er seine letzte Ruhestätte gefunden hatte*), den Todestag des Stifters
nicht vergass, ist mehr als wahrscheinlich; vergleichen lässt sich Saint-Germain-
des-Pr6s, wo man die „depositio^' seines Sohnes Childebeii; I., des dortigen
Stifters, feierte^). Da Chlodowech jedenfalls nach dem 28. Oktober starb, so
liegt gegen die Annahme des 27. November keinerlei Bedenken vor, auch wenn
1) Chlotliar I. starb 561 nach dem 28. November, wie das Datum des Vertrages
von Andelot (28. November 587) lehrt: „facta pactio sub die 4. kalcndas Dccembris,
anno 26. regnum domni Gunthchramni regis (dessen erstes Jahr also nach dem 28.
November 561 begann), domni Childcberti (seit Dezember 575; scr. Mer. I, p. 191) vero
12. anni" (scr. Merov. I, p. 377); v<>;l. Krusch, Forschungen zur Deutschen Geschichte
XXII, 1882, S. 455.
2) Diese Zeitangabe kann als einer der von Mommson (N. A. XV^I, 1891, S. 61,
Anra. 3) gewünschten Beweise für die Annahme gelten, dass die Fränkischen Köni<i!:s-
jahre vom Tage der Thronbesteigung bis zu dessen kalendarischer Wiederkehr ge-
rechnet wurden, sich aber nicht an das bürgerliche Jahr anschlössen. Denn im letz-
teren Falle zählte als Childeberts erstes Jahr die Zeit vom Tode Cblodowechs bis zum
nächsten Neujahrstage, also bis zum 1. Januar oder 1. März 512, und der 28. Oktober
549 fiele nicht in Childeberts 38., sondern 39. Herrscherjahr.
3) Biblioth^que Sainte Genevi^ve, Codices saec. XllI/XIV n. 90 (fol. 70 et 1259
(fol. 8»*), über die ich der Liebenswürdigkeit von Herrn Dr. Ernst Die hl nähere Mit-
teilungen verdanke. Vgl. Hadriauus Valesius, rerum Francicarum libri VllI, 1G46,
p. 313; Antonius Pagi, critica historico-chronologica in universos annales ecclesiasti-
coH Baronii II, 1727, p. 491; Dubos, histoire critique de l'etablissement de la monar-
chie frauQoise III, 1734, p. 50—51; Via Hon, Clovis le Grand, 1788, p. 473; Kurth,
Clovis p. 552, n. 1.
4) Gregor. Tur. bist. II 43 (p. 106).
5) Usuardi martyrologium ad X kal. lan. (Migne, patrologiae ser. II, tom. CXXIV,
col. 829).
Zur Geschichte dos Frankenkönigs Chlodowech. 49
sich des Königs Anniversarien erst im neunten Jahrhundert nachweisen lassen
sollten ^).
Chlodowech starb also am 27. November 511 2), quinto anno nach dem
Siege über die Gothen, den Gregor in das 25. Jahr des Königs setzt. Mithin
sind die Worte: fueruntqtie omnes dies regni eins anni 30, so aufzufassen,
dass der Tod Chlodowechs in sein 30. Jahr fiel, dass dieses aber nicht voll-
endet wurde. Da er erst gegen Ende des Jahres 511 starb, so ist es wahr-
scheinlich, dass sein 29. Jahr in das Jahr 511 hineinreichte und dass Gregors
Zeitangaben in folgende Jahre n. Chr. umzusetzen sind^):
Geburt 466/7 15. Jahr 496/7
Antritt der Herrschaft 482/3 25. Jahr 506/7
5. Jahr 486/7 Tod Nov. 511
10. Jahr 491/2
Es gilt nun, die aus Gregor gewonnenen Zeitbestimmungen an der Hand
anderer Quellen zu prüfen. Die Angaben tlber Chlodowechs Alter*) und den
Thoringerkrieg müssen von vornherein unberücksichtigt bleiben, weil sie ver-
einzelt dastehen und entsprechende Nachrichten fehlen.
Über die Zeit der Anfänge Chlodowechs lässt sich nur das sagen, dass
das Jahr 482 zu den im Grabe Childerichs I. gefundenen Münzen stimmt,
deren späteste Zenon (474—491) und Basiliskos (475—477) angehören^), so
dass sich für Childerichs Tod und den Beginn von Chlodowechs Herrschaft
475 als terminus post quem ergiebt.
Ebensowenig ist es möglich, genau die Zeit des Falles von Syagrius zu
prüfen (486/7). Dieser flieht nach Tolosa zum Westgothenkönig Alarich IL,
der Ende 484 seinem Vater Eurich gefolgt war^). Gegen Gregors Zeitangabe
1) A. Molinier, les obituaires franQais au nioyen Äge, 1890, p. 29: „Les celfebres
anniversaires de Dagobert k Saint-Denis, de Childebert k Saint-Germain-des-Pr6s, de
Clovis Ä Sainte-Genevieve paraissent ^galement dater du IXe siecle".
2) Bin ding (Das Burgundisch-Romauische Königreich I, 1868, S. 213) hat also
folgende Inschrift aus Coudes mit Unrecht 511 gesetzt: In hoc touio|lo quieseit bo|ne
memoriae | Palladius | vixit annus | XVII | transiet klenjdas Septem] bris indictio | qinta
regis I Teudorici (Le Blant, inscriptions chr^tiennes de la Gaule II, 1865, p. 343, n. 570).
Da Theuderich I. am 1. September 511 noch nicht König war, so kommen von den
drei an sich möglichen Jahren 511, 526 und 601 nur die beiden letzten in Betracht.
3) Auffallend ist — ohne dass diese Thatsache weiter führt — dass diese Jahre
zugleich den durch 5 teilbaren Indictionen entsprechen:
486/7 5. Jahr ind. X
496/7 15. Jahr ind. V
491/2 10. Jahr ind. XV
506/7 25. Jahr ind. XV.
4) Vergleichen lassen sich nur die Wendungen, die Theoderich Var. III 2 (p. 79)
und 4 (p. 80) im Jahre 507 von Chlodowech und Alarich II. gebraucht: regii iuvenes,
florida aetate ferventesy aetate florentes.
5) Chiflet, anastasis Childerici, 1655, p. 255—256; Cochet, le tombeau de Chil-
d^ric I«r, 1859, p. 411, 432 — 433; Soetbeer, Forschungen zur Deutschen Geschichte I,
1862, S. 548.
6) Gegenüber den schwankenden Angaben der Chroniken lehrt die Unterschrift
des Konzils von Agde (Sirmond, concilia antiqua Galliae I, 1629, p. 173): „not. Bub
Jahrb. d. Ver. v. Alterihsftr. im Rheinl. lOS. 4
60 Wilhelm Levison:
spricht also nichts^ wenn sich freilich auch ihre Genauigkeit nicht darthun
lässt.
Mehr Bedenken hat die Zeit des von Chlodowech an unbekanntem Orte ^)
errungenen Sieges über die Alamannen (496/7) erregt wegen ihrer Erwähnung
in einem Schreiben des Ostgotenkönigs Theoderich an Chlodowech. Dieses
findet sich in Cassiodors Briefsammlung (Var. II 41, p. 73), deren einzelne
Stücke, wie üsener gezeigt hat*), erst nach 500 geschrieben sein können
und nach M o mm se ns ^) Ausführungen nicht über den Anfang von 507 zurück-
reichen. Theoderich weist in seinem Briefe Chlodowech hin auf die grossen
Erfolge, die dieser gegenüber den Alamannen errungen habe; aber nun solle
der Franke mit den erreichten Lorbeern zufrieden sein und die erschöpften
Reste des Volkes schonen, die sich auf Theoderichs Gebiet geflüchtet haben:
„Memorabilis triumphus est Alamannum acerrimum sie expavisse, ut tibi cum
cogas de vitae munere supplicare; sufficiat illum regem cum gentis cecidissc
snperbia, sufficiat innumerabilem nationem partim ferro, partim servitio
subiugatam.^ Sei mit dem Errungenen zufrieden und massige dich! ist der
Grundgedanke des Briefes, in dem Theoderich dem Frankenkönige nicht
etwa zu einem erfochtenen Siege Glückwünsche sendet, vielmehr ihn warnt,
die Alamannen auf gothischem Boden zu beunruhigen. Die von Cassiodor er-
wähnte Niederlage des Volkes kann keine andere sein als die von Gregor
berichtete; dies beweist der von beiden erzählte Fall des Königs, auf den auch
Ennodius anspielt*). Das Schreiben ist etwa Anfang 507 verfasst; aber es
ist darum keineswegs nötig, die Schlacht von 496/7 um ein Jahrzehnt zu ver-
schieben. Mit vollem Rechte hat Mommsen^) betont: „Omnino separandae
sunt duae res, victoria illa Francorum et receptio Alamannorura intra fines
regni Theodericiani"; zwischen beiden Ereignissen können sehr wohl einige
Jahre verflossen sein ^). Nirgendwo ist in dem Briefe angedeutet, dass der
die III idus Septembris Messala v. c. cousule (506), anno XXII. reg:ni domni nostri
Alarici regis", dass Alarichs I.Jahr vor dorn 11. September 485 begann. Da nun die
continuatio Prosperi Havniensis (auct. ant. IX, p. 313) — wenn auch zum falschen
Jahre — berichtet: „Euricus rex Gothorum penes Areias urbem, quam ipse ceperat,
moritur locoquc eius Alaricus fiiius eius confirmatur V k. Jan,^, eine Zeitangabc, an
deren Richtigkeit zu zweifeln kein Grund vorliegt, so ist Alarichs Herrschaftsanfang
auf den 28. Dezember 484 anzusetzen. Die Neueren haben zwischen 483 und den
beiden folgenden Jahren geschwankt, zuletzt hat Yver (etudes d'histoire du moyen Age
dedi6es k Gabriel Monod, 1896, p. 41) sich für 485 entschieden.
1) Zuletzt ist Ruppersberg a. a. 0. wieder für Zülpich eingetreten, ohne dass
aber die Identität von Chlodowechs Siege mit dem von Sigbert ausgefochtcnen Kampfe
bei Zülpich (Gregor. II 37, p. 101) sich als mehr denn eine blosse Möglichkeit er
weisen Hesse, die bei der Dürftigkeit der Quellen ebensowohl bestritten wie behauptet
werden kann. — Die vita Vedasti (scr. Merov. III, p. 406— 408) kommt nach Kruschs
Untersuchung für die Geschichte des Alamannenkrieges nicht mehr als selbständige
Quelle neben Gregor von Tours in Betracht.
2) Usener a. a. 0. S. 70. 3) auct. ant. XII, p. XXVII seq.
4) panegyric. 15, 72 (auct. ant. VII, p. 212). 5) a. a. 0. S. XXXIII.
6) Ob man Fredegar. III 21 (scr. Merov. II, p. 101): „novem ann. exolis a sedibus
Zur Geschichte des Fraukenkönigs Chlodowech. 51
Sieg eben erst erfochten sei; Cassiodors Hinweis auf die ruhmvolle Schlacht
soll nur die Aufforderung zur Mässigung begründen und rechtfertigen. So be-
weist das Schreiben nichts gegen Gregors Jahresangaben; aber es ergänzt
seinen Bericht. Es zeigt, dass mit dem Siege von 496/7 Chlodowechs Vor-
dringen gegen die Alamannen nicht sein Ende fand, sondern dass er ein
Jahrzehnt später — von der Zwischenzeit wissen wir nichts — aufs neue gegen
sie vorging. Es sind Bewegungen des Frankenkönigs, deren Kenntnis wir allein
diesem Briefe verdanken, die aber mit Theoderichs Warnung wohl ihren Ab-
schluss fanden, da Chlodowech sich bald darauf gegen Alarich wandte und
die unter Gothischem Schutze stehenden Alamannen dem Frankenreiche erst
ein Menschenalter später anheimfielen, als für die Ostgothen bereits der letzte
Kampf ums Dasein begonnen hatte ^).
Zwischen die Alamannenschlacht und den Westgothenkrieg fällt nach
Gregor der schliesslich ergebnislose Kampf Chlodowechs gegen den Burgunder-
könig Gundobad, also zwischen die Jahre 496/7 und 506/7, Grenzen, die sich
von anderer Seite her als richtig erweisen. Zum Konsulate des Patricius und
Hypatius, d. h. zum Jahre 500 berichtet Marius von Avenches auf Grund
Borgundischer Annalen, die auch Gregor benutzt hat, von der Schlacht bei
Dyon, Gundobads Flucht nach Avignon und seiner Wiedererhebung (auct.
antiq. XI, p. 234). Dazu kommt eine Bemerkung in der dem 7. Jahrhundert
angehörigen Gothaer Handschrift der Ostertafel des Victorius zum Jahre
501 : „Gundubadus fuit in Abinione" (auct. ant. IX, p. 729). Da nun diese
Angabe sicherlich auf Gundobads Aufenthalt nach seiner Niederlage geht *)
und da Marius ohnedies seinen Bericht nicht auf das eine Jahr 500 beschränkt,
sondeiii mit einem Hinweise auf Gundobads letzte Jahre schliesst ^), so scheint
es mir nicht unwahrscheinlich — wenn auch nicht sicher — dass der Rück-
schlag auf den 500 erfochtenen Sieg der Fränkischen Waffen erst im folgen-
den Jahre erfolgte *). Jedenfalls hat Gregor dem Burgunderkriege in der Folge
der Ereignisse den richtigen Platz angewiesen ^).
eorum^, hiermit in Zusammenhang bringen darf, muss bei dem Charakter der Quelle
zweifelhaft erscheinen.
1) Agathias I 6 (historici Graeci minores, ed. Dindorf II, p. 150).
2) Vgl. Marius a.a.O.: „Gundobagaudus Avinione latebram dedit**, und Gregor
II 32 (p. 94): „at illc .... terga dedit fugamque iniit Rhodanitidesque ripas pcrcur-
rens Avinionem urbem ingreditur".
3) regnumque, quem perdiderat, cum id quod Godegeselus habuerat,
receptum usque in diem mortis suae (516) feliciter gubernavit.
4) AUerdiugs verbindet Marius die Erzählung von Gundobads Wiedererhebung
mit der vorhergehenden Darstellung durch „eo anno", womit er sonst regelmässig
zu Ereignissen desselben Jahres überleitet. Doch ist der Bericht zum Jahre 500
besonders ausführlich, und es finden sich auch einige Fälle, in denen mit „eo anno''
ein neues Jahr beginnt (548, 556, 577, 580). Vgl. Wilhelm Arndt, Bischof Marius
von Aventicum, 1875, S. 25.
5) Ob überhaupt and wann Chlodowechs Zusammenkunft mit Gundobad statt*
gefunden hat, von der die vita Eptadii 8 (scr. Merov. III, p. 189) erzählt, lässt sich
nicht sagen; die vita scheint nach 11 (p. 190) an die Zeit vor 494 zu denken.
52 Wilhelm Levison:
Endlich wird die von ihm gegebene Zeitbestimmung des Westgothenkrieges,
die auf 506/7 führt, durch andere Quellen durchaus bestätigt. Die Chronik
von Saragossa meldet zum Jahre 507: ^His diebus pugna Gotthorum et
Francorum Boglada ^) facta; Alaricus rex in proelio a Francis interfectus est:
regnum Tolosanum destructum est" (auct. ant. XI, p. 223) *), und die fälsch-
lich dem Sulpicius Severus zugeschriebene chronica Gallica a, DXI berichtet
zum 15. Jahre des Kaisers Anastasius: „Occisus Alaricus rex Gothorum a
Francis" (auct. ant. IX, p. 665). Da diese Chronik des Kaisers 19. Jahr statt
des 21. und das Jahr 547 der Spanischen Ära von 38 v. Chr. statt des Jahres
549 dem Konsulate des Felix und Secundinus (511) und der 4. Indiction (510/1)
gleichsetzt ^), so führt Anastasius' 15. Jahr ebenfalls auf 507, und dieselbe Zeit
ergiebt sich, wenn einerseits Alarichs Herrschaftsdauer auf 23 Jahre angegeben
wird*), andererseits seinem Nachfolger Gesalich 4 Jahre, Theoderieh dem
Grossen (f 526) 15 Jahre der Herrschaft über die Westgothen zugeschrieben
werden *). Gregors Angabe erweist sich mithin als richtig ^).
Fassen wir nun die bisher gewonnenen Ergebnisse zusammen, so haben
sich allerdings Gregors Synchronismen zum Todesjahre Chlodowechs als un-
brauchbar erwiesen. Als richtig aber ergab sich die Zeit des Gothenkrieges,
1) Über die Frage nach dem Orte der Schlacht vgl. zuletzt A. F. Li 6 vre, Revue
historique LXVI, 1898, p. 90-104.
2) Allerdings würde diese Angabe allein das Jahr 507 nicht sichern, da einige
Ereignisse zum unrichtigen Jahre vermerkt sind; vgl. 450, 513, 525.
3) p. 666: XIX. Anastasi imperatoris anno consulatus fuit Fclicis et Seeundini,
indictio fuit quarta, era DXLVII.
4) 23 Jahre geben an die Chronik von Saragossa (auct. ant. XI, p. 222) zum
Jahre 485 und nach ihr Isidorus (auct. aiit. XI, p. 281), ferner das vor der Westgothi-
schen Gesetzessammlung stehende Königsverzeichnis (auct. ant. XIII, p.465; cf. Zeu-
mer, leges Wisigothorum antiquiores, 1894, p. 315). 507 als 23. Jahr Alarichs wird be-
stätigt durch das Datum der Konzilsbeschlüsse von Agde (506): „anno XXII. regni
domni nostri Alarici regis". Da er sein 23. Jahr nicht vollendete, erklärt sich Gregor.
Tur. II 37 (p. 102): „Regnavit autem Alaricus annos 22**.
5) Isidor p.282— 283; auct. ant. XIII, p.465 (Zeumer p. 315). Die Bruchstücke
der Chronik von Saragossa geben Theoderich richtig 15 Jahre (p. 223), dagegen Ge-
salich 7 Jahre, wohl infolge eines Verschreibens : Uli statt IUI (vgl. ihren Alisschreiber
Isidor, dem die vollständige Chronik vorlag: regnans annis quattuor\ womit es zu-
sammenhängen wird, dass sie von Gesalichs letzter Zeit 513 statt 511 erzählen. In
Isidors Gothengeschichte, deren Zahlen vielfach entstellt sind, giebt die kürzere Fas-
sung als Anfangsjahr Gesalichs aera DXLV (507), die ausführlichere als das Theode-
richs DXLVIIII (511); die anderen Zahlen DXLIIII (506), bezw. DXLV (507) können
unmöglich richtig- sein und müssen auf Schreibfehlem beruhen. Als Theoderichs erstes
Jahr wird 511 gesichert durch die Daten der Konzilien von Tarragona und Gerona
(Mansi, conciliorum collectio VIII, p. 541, 549): „anno sexto Theuderici regis, consulatu
Petri (516), sub die octavo idus Novembris" und „anno VII. Theoderici regis, VI. idus
lunias, Agapeto viro clarissimo con.sule" (517).
6) Bei dem zweifelhaften Werte der vita Severini verzichte ich darauf, ihre Zeit-
angabe gegen Gregors Bericht geltend zu machen (scr. Merov. III, p. 168): Eodem
tempore cum Chlodoveus rex Francorum anno XXV. regnaret in urbe Parisiu.s, tunc
in corpore suo gravis obvenit infirmitas, typus frigoris, per duos annos.
Zur Geschichte des Frankeukönigs Chlodowech. 53
und ebensowenig bot die Überliefening eine den übrigen Zahlen widersprechende
Thatsache. Wegen ihrer auffallenden Gleichförmigkeit mag man an ihrer Ge-
nauigkeit zweifeln; aber der Mangel anderer Quellen nötigt, bei den von Gregor
gegebenen Daten stehen zu bleiben *).
Aber in einer anderen Hinsicht ist es möglich, über ihn hinauszukommen;
wir sind imstande, seine Nachrichten hie und da zu ergänzen, wie es bereits
in Bezug auf die Alamannenkämpfe geschehen ist. Gregors Bericht über den
Westgothcnkrieg weiss nur von Erfolgen der Fi-änkischen Waffen, nicht von
Misserfolgen; er erzählt nichts von dem Rückschlage, der durch das Eingreifen
der Ostgothen gegen die vordringenden Franken und Burgunder — deren Teil-
nahme am Kriege Gregor ebenfalls nicht erwähnt — geübt wurde. Zeitbe-
stimmungen für diese Kämpfe geben die Chroniken des Cassiodor und Marius
(auct. ant. XI, p. 160, 234): „Venantius iun. et Celer. his conss. (508) contra
Francos a domno nostro destinatur exercitus, qui Gallias Francorum depraeda-
tione confusas victis hostibus ac fugatis suo adquisivit imperio"; und: „Inpor-
tuno. hoc consule (509) Mammo dux Gothorum partem Galliae depraedavit".
Die Anfangszeit des Ostgothischen Feldzuges bestimmt sich innerhalb des Jahres
508 noch genauer durch Theoderichs Gebot zum Aufbruche nach Gallien, der
auf den 24. Juni angesetzt wurde (Var. I 24, p. 27 — 28) *). Die Niederlage
1) Dagegen ist es fraglich, ob die Beseitigung der übrigen Frttnkischen Fürsten
durch Chlodowech von Gregor völlig mit Recht zwischen 507 und 51 1 eingereiht wor-
den ist — bei Ragnachar und Chararich kann man zweifeln — da die zusammen-
hängende Darstellung der ganzen Reihe von Mordthaten auf der Herkunft aus einer
einheitlichen Sagenbildung als Quelle beruhen mag; vgl. Kurt h, histoire po6tique
p. 314—315 und Clovis p. 283—285. Wenn übrigens auch der sagenhafte Charakter
dieser Erzählungen unbestreitbar ist, so ist doch zugleich zu betonen, dass wir hier
bei dem Maugel jeder anderen Nachricht Sage und Geschichte nicht mit Sicherheit
scheiden können, mithin ebensowenig berechtigt sind, zu Chlodowechs Gunsten von
diesen Dingen völlig abzusehen wie ihm alle Einzelheiten zuzuschieben. Das Beispiel
seiner Söhne und Enkel spricht jedenfalls nicht für die erste Auffassung, und es muss
daher eine Anschauung mindestens sehr gewagt erscheinen, wie sie vielleicht am krasse-
sten bei Haudecoeur a. a. 0. S. 130 ausgesprochen ist: „Sur la foi de legendes dont
la critique moderne a fait justice, on a döpeint Clovis sous des traits deforables, on Ta
accuse d'avoir vers6 le sang par ambition et d'avoir conscrv6 aprfes son bapt6me les
moeurs des barbares. Mais ce n'est pas \k le Clovis de l'histoire, c'est le Clovis de
r^pop^e barbare, qui a enlaidi sa physionomie cn la dessinant d'aprfes un id6al bar-
bare, et qui a mis un type de Convention ä, la place du vrai h^ros." Sollte hier nicht
zum guten Teile der Wunsch Vater des Gedankens gewesen sein!
2) Verzögert war Theoderichs Eingreifen wohl durch die drohende Haltung
Ostroms, dessen Flotte 508 die Küste Unteritaliens verheerte (Marceliin. com., auct.
ant. XI, p. 97; vgl. Cassiod. Var. I 16, p. 23 und II 38, p. 67). Dass bei den Unter-
nehmungen der Franken und Oströmer Einverständnis herrschte, ist anzunehmen;
vgl. Gregor. Tur. II 38 (p. 102) und Gasquet, Tempire Byzantin etla monarchie franque,
1888, S. laS; Kurth, Clovis S. 414 f.; Hartmann, a. a. 0. S. 160. Ansprechend ist
die Vermutung von Kurth (S. 421), in Theoderichs Schreiben an Chlodowech (Var.
^.^ in 4» p. 80—81) seien die Worte: „ut uullatenus inter vos scandala seminet aliena
(j, malignitas^S und: „qui vult alterum in praecipites casus mittere, eum certum est fide-
54 Wilhelm Levison:
der Franken erfolgte spätestens 510, da in diesem Jahre Ibbas, der sie be-
siegt ^), sich bereits gegen Gesalich wenden konnte *). Ferner war Arles, das
durch Franken und Burgunder belagert, von dem Heere Theoderichs entsetzt
wurde % vor dem 1. September 510 frei, da der König der Stadt nach ihrer
ruhmvollen Verteidigung „per indictionem quartam (1. September 510—511)
die Abgaben erleichtert: „Non decet statim de tributis esse sollicitum, qui
casum vix potuit declinare postremum. a quietis ista, non obsessis inquirimus.
quid enim a domino agri exigas, quem cum non colnisse cognoscas?" (Var.
III 32, p. 96). Vor allem aus diesem statim hat Binding*) schliessen wollen,
dass zur Zeit des Erlasses der Kampf kaum beendet war, den er darum An-
fang 510 setzte, entgegen der Angabe Cassiodors, der „in seinen Worten den
ganzen Erfolg des Krieges" zusammenfasse. Die Möglichkeit wird man zugeben
müssen, aber keineswegs die Notwendigkeit dieser Annahme. Arles war vor
Eröffnung der Schiffahrt entsetzt, da Theoderich der befreiten Stadt Geld für
die Herstellung der Mauern und Türme, sowie Lebensmittel schicken will, „cum
tempus navigationis arriserit" (Var. III 44, p. 100 — 101). Die Stadt war also
im Winter frei, und da nach dem Siege kaum lange mit der Neubefestigung
gezögert worden sein wird, doch wohl bereits im Winter 508/9 oder 509/10
(vor 1. September 510). Da femer die Entscheidungsschlacht und der Entsatz
von Arles schwerlich während des Winters stattfanden, also spätestens 509 an-
zusetzen sind, so scheint es mir überflüssig, weil nun Befreiung und Steuer-
nachlass doch nicht unmittelbar aufeinander folgen ^), von der Angabe des über
diese Zeit sicherlich genau unterrichteten Cassiodor abzugehen; ich sehe daher
in jenen Worten Theoderichs nur eine jener allgemeinen Wendungen, deren
unzählige Cassiodors Briefe erfüllen und die man nicht allzu genau nehmen darf.
Auch zwei Jahre nach dem Entsätze mussten sicli die Folgen der immerhin
langwierigen Belagerung noch bemerkbar machen, zumal der Krieg auf Galli-
schem Boden mit Ibbas' Siege sein Ende noch nicht erreichte, wie der Zug
des Mamnio 509 und die letzten Kämpfe mit Gesalich zeigen, der in Gallien
liter non monere," eine Anspielung auf Byzantinische Umtriebe; vgl. Var. IUI (p. 78):
„ne videamini eorura inmissione laborare, qui mali«i;;ne gaudent alieno certamine."
1) Jovdanis Get. 58 (auct. ant. VI, p. 135); vgl. Var. IV 17 (p. 122) an Ibbas:
Este contra talia onniino sollicitus, ut qui es hello clarus^ civilitate quoque reddaris
eximius .... omnes tibi libenter cedunt, quem gloriosum in bellorum certainine cogno-
verunt.
2) chron. Caesaraugust, ad a. 510 (p. 223): „quo anno idem Gesalecus ab Heb-
bane Theodorici Italiae regis duce ab Hispania fiigatus Africam petit". Vgl. Isidor
und Var. V 43-44 (p. 170/1).
3) Vita Caesarii 1 28—34 (scr. Merov. III, p. 467-470); Var. VIII 10 (p. 240).
4) Binding a. a. 0. S. 202, Anm. 699, und S. 207, Anm. 712. Seine Ausfüh-
rungen haben vielfach Zustimmung gefunden.
5) Var. JII 32, das Schreiben betreffs des Steuererlasses für 510/1 ist an Ge-
mellus gerichtet, den Theoderich nach erfochteuem Siege in das neuerworbene Gebiet
gesandt hatte; \^^\. Var. III 16 (p. 88): „in Gallias nobis deo auxiliante suhiectas vi-
cariuin te praefectorum nostra mittit auctoritas." Auch so wird ein grösserer Abstand
zwischen Ibbas' Erfolge und dem 1. September 510 wahrscheinlich.
Zur Geschichte des FrankenkönigB Chlodowech. 55
an der Durance 511 den Untergang fand. Nicht nur den Bewohnern von
Arles, sondern „universis provincialibus in Galliis constitutis" wird für die 4.
Indietion (510/1) ein Steuernachlass zu teil (Var. III 40, p. 99). So setze ich
den Entscheidungskanipf und den Entsatz von Arles bereits 508 nach dem Vor-
gange besonders von Jung h ans ^) und Momrasen *). Freilich sind es wesent-
lich Wahrscheinlichkeitsgrtinde, die für diese Ansicht sprechen; aber zu völliger
Sicherheit wird sich hier kaum ein Weg darbieten. Gehört dem Jahre 508
die Abwehr der vordringenden Feinde an, so gehen die Ostgothen 509 ihrer-
seits angreifend vor und verwüsten unter Mammo feindliches Gebiet (Burgun-
dien), worauf sich dann Ibbas 510 gegen Gesalich nach Spanien wenden kann.
Es bleibt noch die Frage übrig, zu welcher Zeit die weltgeschichtlich
bedeutendste That Chlodowechs erfolgt ist, sein Übertritt zum Christentume.
Die einzige eingehendere Darstellung der Bekehrung und Taufe des Königs
bildet die bekannte Erzählung Gregors von Tours (II 29 — 31). Er berichtet
von den Vereuchen Chrotechildens, den Gatten für ihren Glauben zu gewinnen,
von der Taufe und dem Tode ihres Erstgeborenen Ingomer, von der Taufe
und Krankheit des zweiten Sohnes Chlodomer, von Chlodowechs Bekehrung in
der Not der Alamannenschlacht von 496/7, von seiner Taufe durch den Bischof
Remigius von Reims. Der Bericht scheint „dem Gedanken und der Form nach
ein einheitliches Ganzes" zu sein, „auch einheitlich in der Ausführung" ^), reich
an rhetorischen Wendungen und an einzelnen Stellen sich zu rhythmischem
Schwünge erhebend. Aber bei näherer Betrachtung schwindet dieser Schein
der Einheitlichkeit *). Die Erzählung vom Alamannensiege (c. 30) lässt sich
ausschalten, ohne dass der Zusammenhang im mindesten zerrissen würde; es
ergeben sich zwei Darstellungen von Chlodowechs Bekehrung, die sich deutlich
scheiden lassen. „Auf der einen Seite weiss der Geschichtschreiber von einer
Einwirkung der Königin, die unterstützt wird durch Remigius von Reims und
durch ihn endlich zum Ziel kommt; auf der andern Seite kennt er die in
der namenlosen Alamannenschlacht geschehene Entscheidung des Königs" ^).
Innere Widersprüche gebieten diese Zerlegung der Erzählung Gregors. Im Ge-
tümmel des Kampfes erhebt der König unter Thräneu seine Hände gen Himmel
und spricht das Gelöbnis aus, im Falle des Sieges an Christus glauben und
sich taufen lassen zu wollen; er weist hin auf die Ohnmacht seiner Götter,
die ihren Anhängern keinen Beistand gewähren. Siegreich kehrt er aus dem
Felde zurück und erzählt der Gattin, „qualiter per invocationem nominis Christi
victuriam meruit obtenire". Aber die Bekehrung in der Schlacht „ist keine
Bekehrung; denn Remigius muss ihm nach derselben noch zureden, die Götzen
zu verlassen und ihm vorstellen, dass sie weder sieh noch anderen nützen
können"; er ermahnt ihn, „ut deum vei-um, factorem caeli ac terrae, crederit,
1) Junghans a. a. 0. S. 100 und 150—151.
2) Mo m rasen S. XXXI-XXXII.
3) von Schubert S. 134 f.
4) Vgl. Haucki S. 108, Anm. 2.
5) Hauck S. 108.
56 Wilhelm Levison:
idola neglegerit, quae neque sibi ncque aliis prodesse possunt", als ob Chlodo-
wcch kein Gelübde gethan und es nicht selbst von seinen Göttern ausgesprochen
hätte, „608 nullius esse praeditos potestatis". In der Schlacht, also im Bei-
sein seines Heeres, legt er sein Gelöbnis ab; aber nachher bedarf es der Heim-
lichkeit (clam), als Chrotechildis Remigius kommen lässt, um dem Könige das
Wort des Heils zu predigen. Oflfen verspricht dieser, im Falle des Sieges zur
Taufe zu schreiten, ohne irgend ein Bedenken, ohne den mindesten Vorbehalt,
ohne auch nur mit einem Worte die Besorgnis anzudeuten, auf Widerstand des
Volkes zu stossen. Als ihm aber nach der Rückkehr Remigius zuredet, da
macht er, wie wenn niemand von seinem Gelübde wisse, das Bedenken geltend :
„Populum, qui me sequitur ^), non patitur relinquere deus suos". Noch ehe
der König ein Wort gesprochen, bekennt sich die ganze Menge („omnes po-
pulus") durch ein Wunder zum Glauben an den unsterblichen Gott; aber es
ist nicht der Gott, der seine Macht im Sturme der Feldschlacht allen geoffen-
bart hat, sondern der Gott, „quem Remegius praedicat", obwohl der Bischof
insgeheim („clam") zu Chlodowech gekommen war und ihm heimlich zugeredet
hatte („secritius")' Von einer Einwirkung des Remigius auf das Volk, die
doch hier vorausgesetzt wird, hat Gregor vorher nichts berichtet. Diese That-
sachen nötigen zu der Annahme, dass in seiner Erzählung — von ihm selbst
oder seiner Quelle — zwei selbständige Darstellungen der Bekehrungsgeschichtc
zusammengearbeitet sind. Beide erzählten von Bemühungen Chrotechildens;
denn auch der Bericht über die Alamannenschlacht setzt sie voraus in dem
Gelübde an Jesus Christus, „quem Chrotchildis praedicat esse iilium dei vivi";
aber sie sind hier nicht ausschlaggebend. Dagegen weiss die andere Darstel-
lung nichts von der Alamannenschlacht; hier bringen die Anstrengungen der
Königin und des Bischofs den gewünscliten Erfolg. Auf der einen Seite steht
eine Er/ählung, die kriegerischen Charakter atmet; so mochte sich das kampfes-
frohe Volk die Art und Weise vorstellen, wie sein König nach den Prolog-
worten der lex Salica „torrens et pulchcr et primus recei)it catholicam bap-
tismi"; wie ein Gottesurteil entsclieidet der Ausgang des Kampfes über die
Wahrheit des neuen Glaubens. Einen ganz anderen Charakter tragen die zwei
Kapitel, die die zweite Darstellung von des Königs Bekehrung erhalten haben.
Nach den Einwirkungen der Königin, der Genesung des zweiten Sohnes giebt
Remigius den Ausschlag, willig hört Chlodowech seine Ermahnungen an und
lässt sich von ihrer Wahrheit überzeugen, und nachdem ein Wunder ihm die
Zustimmung des Volkes verschafft hat, schreitet er als ein zweiter Constantinns
zur Taufe. Euhemeristische Betrachtungen über die alten Götter, von denen
1) Mit Kurth, Clovis S. 331 f. und Stein S. 178 hior in popuhis nur die Antru-
stionen zu scluni^ ist Willkür, die dorn Wuuderbcrichtc Greirors das Wunderbare ab-
streift und ihn durch rationalistische Gründe l)e;irciHich zu machen sucht, statt ihn
in dem Sinne zu verstehen, in welchem er verstanden sein w'iW {praecurrente pofentia
(fei) und in welchem ihn der Verfasser des liber historiae Francorum c IT) (scr. Merov.
IT, p. 2(53) mit vollem Rechte aufgefasst hat, wenn er von ofunis popuhis Francorum
redet.
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 57
Saturnas, Jupiter, Mars und Mercurius im Hinblick auf ihre Schwächen und
Schandthaten genannt werden, stehen dem Hinweis auf den einen Gott gegen-
über, der Himmel und Erde geschaffen hat, dem jegliches Wesen sein Dasein
schuldet. So liegt die Annahme nahe, dass diese Darstellung kirchlichen
Kreisen ihren Ursprung verdankt. Einzelne Ausschmttckungcn mögen auf Rech-
nung Gregors zu setzen sein, so Vergilrcminiscenzcn ; aber im wesentlichen wird
er den Charakter seiner Quelle getreu wiedergeben, mag man nun an eine vita
Chrotechildis denken oder mit aller Gewalt an einer verlorenen vita Remigii fest-
halten oder am besten Bescheidung üben und auf ihre Benennung verachten.
So fragt es sich, welcher der beiden Darstellungen der Vorzug zu geben
ist; aber es knüpfen sich noch weitere Fragen an den Bericht Gregors. Den
Ort der Taufe giebt dieser nicht an; erst gegen 642 nennen die vita Vedasti
des Abtes Jonas (scr. Merov. III, p. 408) und Fredegars historia epitomata
(scr. Merov. II, p. 101) Reims. Da beiden Gregors Erzählung zu Grunde liegt,
so kann diese Angabe, die von der Folgezeit als richtig anerkannt worden ist,
ihren Ursprung lediglich einem Schlüsse aus der hervorragenden Rolle verdanken,
die der Bischof von Reims bei Gregor spielt. Aber es bleibt auch die Mög-
lichkeit, dass die von beiden Quellen selbständig überlieferte Nachricht nicht
auf einer unberechtigten Folgerung ihrer Verfasser beruht, sondern einer wirk-
lichen Überlieferung entsprochen hat. Gregors Worte entscheiden die Frage
nicht, sein Schweigen legt jenen Schluss nahe; der Ausdruck arcessere (c. 31)
lässt sich ebensowohl von einem Wege zur Königin innerhalb der Stadt Reims
verstehen, wie von einer Berufung des Remigius aus Reims in eine andere
Stadt.
Was die Zeit der Taufe angeht, so lässt Gregor sie unmittelbar auf den
Alamannenkrieg folgen; sie fiele also in das Jahr 496/7. Es fragt sich jedoch,
ob diese Zeitbestimmung bestehen bleibt, nachdem Gregors Erzählung auf zwei
Quellen zurückgeführt ist, deren eine nichts von der Schlacht weiss ^).
1) Das Glückwunschschreiben des Papstes Anastasius IL, der von November 496
bis November 498 den Stuhl Petri innehatte (Jaffe, regesta pontificum Romanorum I*,
p. 95, n. 745), kommt für die Zeitbestimmung der Taufe nicht mehr in Betracht —
gleich der „collatio episcoporum" für die Geschichte des Burgimderkrieges — nach-
dem Julien Havet 1885 die F«*il.schungen Ji'*r6me Vigniers aufgedeckt hat (Oeuvres I,
1896, S. 19—90). Man kann an sich Ruppersborg (a. w. O. S. 53) beistimmen, wenn
er von diesen, zuerst in d'Acherys spicilegium veröffentlichten Schriftstücken sagt:
„Selbst wenn die Unecbtheit einiger Stücke der Sammlung d'Achery*8 erwiesen sein
sollte, so brauehon darum nicht alle verworfen zu werden; eine solche Sammlung kann
sehr wohl Falsches und Echtes enthalten". Zweifellos; aber es fehlt die Möglichkeit,
beides zu scheidc'n. „Toutes ces pieces ne sont parvenues k notre connaissanco que
par les copies de Jcrome Vignier. Elles ^taient rest^es ignorees avant lui; elles n'ont
pas ete retrouv6es apres lui'* (Havet). Dies gilt von allen diesen Schriftstücken. Nach-
dem die grösseren als zweifellos unecht erwiesen sind, wird man auch diejenigen unter
ihnen nicht verwerten dürfen, die bei ihrem geringen Umfange an sich keinen be-
sonderen Anlass zum Verdachte darbieten, wie der Brief des Anastasius. Vignier ist
ein geschickter Fillscher gewesen; um so mehr wird man die Quellen, deren
Kenntnis wir ihm allein verdanken, in ihrer Gesamtheit unbenutzt lassen, nicht aber
einzelne herausgreifen, weil sie echt sein können.
58 Wilhelm Levison:
Dagegen läset sich mit Sicherheit über den Tag der Taufe urteilen.
Fredegar giebt Ostern an; aber sein spätes Zeugnis fallt weg gegenüber dem
gleichzeitigen Briefe des Bischofs Avitus von Vienne, der Weihnachten als
Zeit der Taufhandlung mit Nachdruck hervorhebt *).
Wie erfolgte also Chlodowechs Bekehrung? Besteht ein Zusammenhang
mit der Alamannenschlacht, lässt sich das Jahr 496/7 festhalten, war Reims
der Schauplatz der Taufe?
Eine ältere *) Quelle als in der Darstellung Gregors von Tours besitzen
wir in einem Briefe, den Bischof Nicetius von Trier in den 60 er Jahren des
6. Jahrhunderts an Chlothars L Tochter Chlodosuinda, die erste Gattin des
Langobardenkönigs Alboin, gerichtet hat (epist. III, p. 119 — 122). Nicetius
hat seine Jugend noch unter Chlodowechs Herrschaft verbracht, er wurde be-
reits 525 Bischof von Trier ') und steht so Chlodowech zeitlich nahe. Dazu
kommen seine engen Beziehungen zum Merovingerhause *), die seiner Aussage
besondere Bedeutung verleihen. In dem Schreiben sucht er Chlodosuinda aufs
eindringlichste zu Bemühungen anzufeuern, ihren Gatten Alboin von der Lehre
des Arius zum rechten Glauben zu bekehren. Er beschwört sie „per tremen-
dum diem iudicii"; er weist auf die Wunder hin, die an den Gräbern der
Gallischen Heiligen geschehen und von der Wahrheit des Katholizismus Zeug-
nis ablegen; er ruft ihr das Beispiel ihrer Grossrautter Chrotechildis ins Ge-
dächtnis: Audisti, ava tua, domna bone memoriae Hrodehildis, qualiter in
Francia venerit, quomodo domnum Hlodoveum ad legem catholicam adduxerit;
et, cum esset homo astutissimus, noluit adquiescere, antequam vera adgnosceret.
Cum ista, quae supra dixi, probata cognovit, hurailis ad domni Martini limina
cccidit et baptizarc sc sine mora promisit, qui baptizatus quanta in hereticos
Alaricum vel Guudobadum regum fecerit, audisti; qualia doua ipse vcl filii
sui in saeculo possiderunt, non ignoratis.
Bei der Verwertung dieser Aussage ist nicht zu vergessen, dass es nicht
die Aufgabe des Briefes war, eine vollständige Beschreibung der Bekehrung
1) auct. ant. VI 2, p. 75: et occiduis partibus in rege non novi iubaris lumen
effulgurat. cuius splendorem eongriia redemptoris nostri nativitas inchoavit: ut con-
sequenter eo die ad salutem regeneratrix unda vos pareret, quo natum redeinptionis
Huae caeli dominum mundus accepit. igitur qui celebcr est natalis domini, sit et vester:
(juo vos scilicet Christo, quo Christus ortus est mundo.
2) Vgl. Gregor. Tur. Hb. vit. patrum 17 (p. 727): Unde et ego aliqua de saucti
Niceti Treverici sacerdotis virtutibus . . . scripturus, reprehendi ab aliquibus vereor,
dicentibus mihi: Tu cum sis iunior^ (juomodo senioruvi gesta poteris scire. aut qua-
liter ad te eorum facta venerunt?
8) Nicetius wurde zur selben Zeit Bischof von Trier wie Gallus Bischof von
Clermont (lib. vitae patrum 6,3; p. 682), also 525 (scr. Merov. I, p. 685, n. 2).
4) Vgl. Gregor, lib. vitae patrum 17,1-3 (p. 728—730) über sein Verhältnis zu
Theuderich, Theudebert, Chlothar und Sigbert, so c. 1 (p. 728): „Venerabatur autem
cum et rex Theodoricus magno honore, eo quod saepius vitia eins nudaret, ac eri-
mina castigatus emendatior redderetur.'* Vgl. die Bitte, seinen Einfluss bei Hofe für
andere geltend zu machen (epist. III, p. 117, n. 6; vielleicht auch p. 138, n. 24).
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 50
und Taufe Chlodowcchs zu geben; ferner ist der Zusammenliang der Worte
mit den andern Teilen des Schreibens nicht ausser acht zu lassen. Mit keinem
Worte gedenkt Nicetius der Alamannenschlacht. Man könnte zur Erklärung
dieses Schweigens daran denken, dass es für ihn nur darauf ankam, Chrote-
cbildens Beispiel hervorzuheben, ibre Thätigkeit bei des Königs Bekehrung
zu betonen, um in ihr Chlodosuinda ein Vorbild zu zeigen. Aber er weist
dann darauf hin, wie grosse Siege Clodowech nun als Bekenner des wahren
Glaubens nach der Taufe über die Ketzer Alarich und Gundobad gewonnen
habe, welcher Lohn (dona) ihm und seinen Söhnen auf Erden zu teil geworden
sei. Da Nicetius so Chlodowcchs Siege als Folge der Bekehrung hinstellt, so
hätte er doch in erster Linie desjenigen Erfolges gedenken müssen, mit dem
in Gregors einer Quelle die Bekehrung unmittelbar verknüpft erscheint, der
Alamannenschlacht, wenn er überhaupt von einem Zusammenhange zwischen
dieser und des Königs Übertritt etwas wusste; in diesem Falle jenen Sieg un-
erwähnt zu lassen, „das hiesse doch das Feraeliegende erzählen und das Nächst-
liegende übergehen" (Hauck). Nicetius ist der älteste Zeuge, keine Thatsaehe
spricht gegen seine Glaubwürdigkeit, sein Schweigen stimmt zu dem der einen
Quelle Gregors. So fällt der m'sächliche Zusammenhang zwischen Alamannen-
krieg und Taufe, damit jedoch nicht die Möglichkeit, dass beide Ereignisse
einander zeitlich nahestanden.
Nicetius bringt den Übei-tritt Chlodowcchs in Beziehungen zu Tours;
denn an einen anderen Ort kann nicht gedacht werden. Wie die „limina
apostolorum" Rom, so sind die „limina domni Martini" Tours *). Aber welcher
Art sind diese Beziehungen, was besagen die Worte: „humilis ad domni Mar-
tini limina cecidit et baptizare se sine mora promisit?" Die einen haben hier
einen ausdrücklichen Hinweis auf Tours als Ort der Taufe sehen wollen;
andere *) haben eine Wallfahrt angenommen, die der König nach der Bekehrung,
aber vor der Taufe in Reims zu den Gebeinen des heiligen Martin unternommen
habe. In der That nennt Nicetius Tours wenigstens nicht ausdrücklich als
Schauplatz der Taufe ^), vielmehr nur als Ort des Versprechens, sich unver-
1) Vgl. z. B. Gregor. Tur. bist. IV 21 (p. 158): „Rex vero Chlotharius . . . cum
multis muneribus limina beati Martini expetiit et adveniens Toronus ad sepulcbrum
antedicti autestetis"; lib. II de virtut. s. Martini 7 (p. 611): „beati Martini limina rer
quirebat"; Venant. Fortunat. de virtut. s. £Ularii 6,17 (auct. ant. IV 2, p. 9): „ad beati
Martini limina." Von älteren Anschauungen über die Frage vgl. Valesius, rerum
Francicarum libri VIII, 1646, p. 262—264, wo an eine Martinskirebe bei Reims gedacht
wird, und die ähnliche Ansicht von Marlot, metropolis Remensis bist. I, 1666, p. 158
— 159, der sich gegen Zeitgenossen wendet, die bereits Zweifel über Reims aussprachen
und Tours in Erwägung zogen. Erwähnt sei auch die unwahrscheinliche Vermutung,
„domni Martini** sei eine falsche Auflösung aus „d(ivae) M(ariae).*'
2) Lecoy de la Marche, Clovis et les origines politiques de la France (rUni-
versite Catholique N. S. III, 1890, p. 22); Kurth, Clovis p. 339—340. Das vonKurth
genannte Buch von Lecoy de la Marche: ,,Saint Martin" (p. 362) war mir unzu-
gänglich.
3) In diesem Sinne wäre die Stelle nur dann aufzufassen, wenn „permisit*^ statt
60 Wilhelm Levißon:
ztiglich taufen zu lassen; er spricht von einem Besuche des Königs an der
Grabstätte Martins und in Verbindung damit von seinem Gelöbnisse des Über-
trittes. Dagegen lassen seine Worte die Frage nach dem Orte der eigent-
lichen Tauf handlung offen ^).
Gegen die Auffassung, welche diese nach Tours verlegt, spricht ein
schwerwiegendes Bedenken, das Schweigen Gregore von Tours, freilich ein
argumentum ex silentio, das so oft gefährlich ist, dem man aber in diesem Falle
kaum seine Bedeutung wird abstreiten können. Wenn Chlodowechs Taufe
wirklich in Tours stattgefunden hatte, so konnte die Erinnerung daran dort
noch nicht erloschen sein, als Gregor den Stuhl des heiligen Martiuus bestieg,
musste auch er, wenn nicht vorher, so doch in Tours Kunde von dem Ereig-
nis erhalten. Und wenn er davon wusste, so ist sein Stillschweigen einfach
unverständlich; er, der zu Martins Ruhme vier Bücher mit allen möglichen
und unmöglichen Wundergeschichten füllte, die der Heilige bewirkt haben
sollte, er hätte nicht an irgend einer Stelle wenigstens eine Andeutung darüber
machen müssen, dass Chlodowech in Tours „leprae veteris morbum sordentes-
que maculas gestas antiquitus recenti latice" zerstört habe, in Tours zu einem
neuen Konstantin geworden sei; er hätte dies Ereignis unter den „virtutes"
Martins nicht besonders hervorheben müssen?*) Ich halte das Schweigen
Gregors in dieser Frage für ausschlaggebend und glaube, dass seine Aus-
schreiber in der Schilderung der Thütigkeit des Remigius Reims als Schauplatz
der Taufe mit Recht zwischen den Zeilen gelesen haben, falls für sie dieser
Ort nicht ohnedies bereits vorher nach mündlicher Überlieferung feststand ').
Wenn man also für Tours nur eine geringere Rolle aus Nicetius Aussage er-
schliessen darf, wenn es sich nur um einen Aufenthalt kurze Zeit vor der
Taufe handelt, der hinter den glänzenden Tagen von 508 (Gregor, bist. II 38)
in Vergessenheit geraten sein muss, wie kam dann Nicetius dazu, in seinen
wenigen Worten einen Ort zu erwähnen, der in der Bekehrungsgeschichte zu-
rückgetreten war hinter Reims? Der Zusammenhang des Briefes giebt die
Antwort auf diese Frage. Nicetius hatte unmittelbar vorher auf die Wunder
hingewiesen, die sich an den Gräbern der Heiligen Galliens ereigneten, und
dabei an erster Stelle Martins gedacht und Alboin aufgefordert, Leute dorthin
zu senden, um als Augenzeugen der Wunder die Wahrheit des Katholizismus
zu erkennen: pHie si iubet ad donninni Martinnni per festivitate sua, quod
undccima dies facit November, ipsos mittat, et ibi, si audcnt, aliquid presu-
niant, ubi eaecos Iiodie inluminarc conspicinius, ubi surdis auditum et mutis
„promisif* zu lesen wHre (vgl. epist. III, j). 122, n. b); aber diese» Annahme ist nicht
notwendig.
1) So auch Hauckä S. 582.
2) Kruse h hat (Mitth. XTV, S. 447) eine Erklärung von Gregors Schweigen ver-
sucht, die mir aber niclit ausreichend erseheint.
3) Es sei aber andererseits auch daraufhingewiesen, dass sieh wie gegen Tours
das Schweigen Gregors, so «regen Keims das der Hitesten vita Remedii (auct ant. IV 2,
].. 64-G7) anführen IHsst (vgl. Krusch, N. A. XX, 1H95, S. 512-513; Hauck« S. 579);
doch fjillt dies bei dem geringen Umfange der vita nicht schwer ins Gewicht.
11
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 61
Sanitätern recipere." So konnte Nicetius wenige Zeilen nachher leicht an Tours
erinnert werden, auch wenn diese Stadt nicht Schauplatz der Taufe seihst war,
sondern nur den König vor dem förmlichen Übertritte das Versprechen der
Taufe in ihrem Heiligtume hatte ablegen sehen.
Nun ist aber Tours erst durch den Krieg von 507 Fränkisch geworden,
und noch auf dem Westgothischen Konzile von Agde erscheint 506 ein Ver-
treter des Bischofs Verus von Tours ^). Dagegen ergiebt sich aus Gregor
496/7 als Jahr der Taufe, und auch Nicetius setzt diese vor Chlodowechs Siege
über Gundobad und Alarich, also vor 500. Wie ist dieser Widerspruch zu
lösen? Ist es notwendig, mit Kruseh Nicetius' Angaben nur halb für richtig
zu halten und die Taufe 508 zu setzen, oder hat man von Tours ganz abzu-
sehen? Beides ist unnötig und ebenso abzuweisen wie die unwahrscheinliche
Annahme, dass Chlodowech den Boden des Westgothcnreiches mit Erlaubnis
Alarichs nur betreten habe, um als einfacher Pilger dem Heiligen seine Ver-
ehrung zu erweisen. So dürftig und trümmerhaft die Überlieferung auch ist,
in diesem Falle ist es wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich, die
Schwierigkeiten zu heben und den scheinbaren Widerspruch in Nicetius Worten
zu beseitigen.
In den Jahren, die dem entscheidenden Kriege von 507 unmittelbar voran-
gehen und nachfolgen, scheint man es vielfach versucht zu haben, die Gesin-
nungen in die That umzusetzen, von denen Gregor II 35 (p. 98) erzählt: ,,Multi
iam tunc ex Galliis habere Francos dominos summo desiderio cupiebant."
Wegen des Verdachtes des Landesverrates an die mit den Franken verbündeten
Burgunder muss um 505 Gäsarius von Arles nach Bordeaux in die Verbannung
wandern*); Verus von Tours stirbt um 508 im Exil, weil man ihm verräte-
rische Umtriebe zu Gunsten der Franken vorwirft^); bald nach Chlodowechs
Tode muss Quintianus von Rodez fliehen, „exprobrantibus civibus, quod velit
se Francorum ditionibus subiugare" '*). Ein ähnliches Ereignis erfolgte ein
Jahrzehnt früher, zwischen 496 und 499, die Verbannung des Bischofs Volu-
sianus von Tours, der im Verdachte steht, „quod sc Francorum ditionibus sub-
dere vellet" ^). Handelte es sich um eine vorübergehende Spannung zwischen
1) Sirmond a. a. 0. S. 174; „Leo diaconus missus a domino meo Vero opiscopo
Turonicae civitatis subscripsi;" Brief des Cäsarius von Arles, auct. ant. VIII, p. 274
(= Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinornm XXI, p. 448).
2) Vit. Caesarii I 21 (scr. Merov. III, p. 465); auct. ant. VIII, p. LXIV.
3) Gregor, bist. X 31 (p. 446).
4) Gregor II 36 (p. 99) berichtet das Ereignis vor dem Gotlienkriege von 507.
Aber wie zu Agde 506 (Sirmond a. a. 0. S. 174: „Quintianus episcopus Kutcnae civi-
tatis subscripsi"), so unterschreibt Quintianus auch noch zu Orleans 511 als „episcopus
de Rotenus" (concil. I, p. 9). Andererseits wird er Bischof von Clermont wenige Mo-
nate nach dem Tode des Eufrasius (lib. vitao patrum 4, 1, p. 675; bist. III 2, p. 110),
der Chlodowech um vier Jahre überlebte (bist. III 2, p. 109), also 515/6 starb. Vgl
Longnon, g6ographio de la Gaule au VIe si^cle, 1878, S. 518.
5) Gregor, bist. II 26 (p. 87): „a Gothis suspectus habitus ... in Hispaniis est
quasi captivus adductus, sed protinos vitam finivit;*' X 31 (p. 446): „huius tempore
62 Wilhelm Levison:
Franken und Gothen, oder hat sie bereits diesmal wie später ihre Entladung
in einem Kriege gesucht?
Die continuatio I^osperi Havniensis, die freilieh erst um 625 geschrieben
ist, aber gerade über die Westgothcn gute Nachrichten aufgenommen hat^),
bringt zu den Jahren 496 und 498 zwei merkwürdige Angaben (auct. ant.
IX, p^31):
p. c. Viatoris v. c. consulis. Alaricus ann. XII regni sui [SJantones
obtinuit.
Paulino v. c. consule. ann. XIIII Alarici Franci Burdigalam obtinuernnt
et a potestate Gothorum in possessionem sui redcgerunt capto Suatrio Gotho-
rum duce*).
Die zweite Nachricht hat besonderen Anstoss erregt; Bordeaux sollte be-
reits 498 in Fränkische Gewalt geraten sein, das noch 506 Gothisch erscheint*)!
So haben denn auch Richter *) und Holder-Egger ^) die Angabe verworfen
iam Chlodovechufl regnabat in aliquibus urbibus in Galliis; et ob hanc causam hie pon-
tifex suspectus Habitus a Gothis, quod se Francorum ditionibus subdere vellet, apud
urbem Tholosam exilio condompnatuSf in eo obiit/' Duchesne a. a. O. S. 25 setzt
Volusiauus' Verbannung 498 oder 499; doch kann es sich ebensowohl um 496 oder 497
handeln. Denn Gregor giebt als Gesaratsumme der von Martins Tode bis zu seinem
eigenen 21. Bischofsjahre (593/4) verflossenen Zeit richtig 197 Jahre an (bist. X 31,
p. 450), während die Summe der Einzclzahlen über 199 Jahre ergiebt. Es fragt sich
also, wo dieser Fehler anzusetzen ist. Duchesne hat die 2 Jahre der Zeit des Ve-
rus abgezogen, obwohl Gregor diese bis auf den Tag genau angiebt. Mir scheint es
wahrscheinlicher, dass der Fehler in der mehrfach zusammengesetzten Zahl des Bri-
cius zu suchen ist (p. 59—60; 444) oder bei Perpetuus, für den Gregor die runde Zahl
von 30 Jahren angiebt (p. 87; 445). Jedenfalls kann Tours — wenn meine Ausfüh-
rungen überhaupt begründet sind — erst nach Volusianus' Verbannung in Fränkischen
Besitz gekommen sein, da sie noch die Herrschaft der Gothen voraussetzt.
1) Vgl. die Jahre 457, 476 und 486/7 (auct. ant. IX, p. 305, 309, 313).
2) Über die unlösbare. Frage, ob diese Nachrichten auf Consularia Italica zu-
rückgehen oder einer Gallischen Quelle entstammen, vgl. zuletzt Mommsen, auct. ant.
IX, p. IX (= XIII, p. 720). Eine Zeitbestimmung nach Königsjahren findet sich auch
in dem Zusätze, den der continuator beim Jahre 453 zum ursprünglichen (hier einge-
klammerten) Texte Prospers macht (p. 302): „[Apud Gothos intra Gallias consistentes
inter filios Theodoris regis, quorum Thorisraodus maximus natu patri successerat] ter-
tioque iam anno regni sui [orta dissensio est, et cum rex ea moliretur, quae et Ro-
manao paci et Gothicae adversarentur quieti, a germanis suis .... occisus est.] in
eius locum Theodoricus confirmatur frater Thorismoti iunior." Vgl. Gregor. Tur. bist.
II 20 (p. 83): „Eoricus autem Gothorum rex Victorium ducem super Septem civitatis
praeposuit anno quarto deci7no regni sui/' Wenn Gregor gleich darauf Eurichs Tod
erfolgen lässt „anno vicissimo septimo regni sui," so dürfte diese Angabe auf seiner
eigenen Berechnung beruhen, und der Fehler — Eurich herrschte nicht volle 19 Jahre
— sich so erklären, das Gregor zu den 14+4 Jahren (4 Jahre giebt er Eurich nach
Victorius' Tod) irrtümlich die neun Jahre hinzurechnete, die Victorius in Clermont
zubrachte.
3) Sirmond p. 173: „Cyprianus episcopus de Burdigala metropoli subscripsi"
(Konzil zu Agde).
4) Richter a. a. 0. S. 38, Anm. 3.
5) HolderEgger, über die Weltchronik des sogenannten Severus Sulpicius und
ffüdgallische Annalen des 5. Jahrhunderts, 1875, S. 67—68; N. A. I, 1876, S. 261.
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 63
und vermutet: „Wahrscheinlich ist die Zahl XIIII aus XXIIII verschrieben,
obwol Alarich zur Zeit der Einnahme von Bordeaux nicht mehr
am Leben war." Erst Kurth ^) und Krusch^) haben die Nachrichten,
jener die erste, dieser die zweite, als richtig aufgenommen und mit vollem
Rechte. Bei der Dürftigkeit unserer Quellen ist es von vornherein mindestens
sehr gewagt, eine Angabe, weil sie vereinzelt dasteht, durch Annahme eines
doppelten Fehlers umändern zu wollen, eines Verschreibens der Zahl und eines
Irrtums; denn ein 24. Jahr Alarichs hat es nie gegeben. Man bedenke doch,
wie wenig wir nach dem Abschlüsse der Chroniken des Prosper und Hydatius
für die nächsten Jahrzehnte über die Geschichte des Westgothenreiches unter-
richtet sind. Nicht nur die zweite, sondern auch die erste Nachricht lässt auf
Kämpfe im Westgothischen Gallien schliesseu, und Kurth hat mit Recht be-
merkt, „que Saintes faisait partie de cette Aquitaine seconde qui 6tait le noyau
des possessions visigothiques en Gaule, et que, pour qu' Alaric doive la re-
conqu6rir en 496, il faut qu'elle lui ait et6 enlevee pröcödemment." 496 nahm
also Alarich Saintes, 498 erobern die Franken Bordeaux; kurz vor seiner Taufe,
die nach Gregor 496/7 erfolgte, war Chlodowech nach Nicctius in Toure.
Sollte hier ein Zusammenhang vorliegen, ist etwa Tours in der Zeit jener
Kämpfe in den Händen der Franken gewesen?
Bei Nicetius erscheint Clodowechs Bekehrung nicht als Folge eines äusseren
Ereignisses; bei Gregor verbindet sich mit dieser Auflfassung eine zweite, die
den Übertritt mit dem Alamannensiege verknüpft. Dazu kommt eine dritte
Überlieferung, die die Taufe mit einem Gothenkricge in Zusammenhang bringt,
der nur jener gegen Ende des 5. Jahrhunderts geführte sein kann ^),
Diese Überlieferung findet sich in der Lebensbeschreibung des Bischofs
Sollemnis von Chartres, die in ihrer heutigen Gestalt vielleicht erst der
ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts angehört, aber zweifellos alte Tradi-
tionen enthält. Chlodowech kommt auf einem Feldzuge gegen die Gothen
nach Chartres und gelobt hier dem Bischof Sollemnis, im Falle des Sieges
sich und sein Volk der Taufe zu unterwerfen. Siegreich kehrt er aus dem Felde
zurück und empfängt zusammen mit 364 vornehmen Franken durch Sollemnis
and Remigius die Taufe. Die Einzelheiten der Erzählung mögen vielleicht
späterer Ausschmückung ihren Ursprung verdanken; aber bemerkenswert ist
doch ihr Kern, die Thatsache, dass man in Chartres die Bekehrung des Königs
als Folge eines Sieges über die Westgothen, nicht über die Alamannen auf-
fasste^). Kann es sich hier um den Feldzug von 507 handeln, so dass Kruschs
1) Kurth, bist. po6t. p. 290-292; Clovis p. 447, n. 1.
2) scr. Merov. HI, p. 465, n. 1.
3) Zum Folgenden vgl. den Anhang.
4) Auch die vitae Deodati abbatis Blesensis (Acta sanctoioim Aprilis III, p. 273
—276) bringen die Taufe mit einem Gothenkriege in Zusammenhang, worauf Hauck^
(S. 110) hingewiesen hat, kommen aber gegenüber der vita Sollemnis nicht in Betracht.
Denn die zweite vita Deodati hat aus dieser geschöpft, und ihre Hltere Fassung, die
zudem frühestens unter Karl dem Kahlen entstanden ist (p. 274), erweckt dadurch
64 Wilhelm Levisou:
Ansicht eine Bestätigung filndc, nach der die Taufe 508 stattgefunden hat?
Diese Auflfassung ist unmöglich. Sollemnis wird Biscliof dreissig Tage, ehe
Chlodowech nach Chartres kommt; er bekleidet seine Würde bis zum Tode
drei Olympiaden lang, also zwölf Jahre. Da nun sein im voraus bestimmter
Nachfolger Aventinus bereits 511 zu Orleans erscheint^), so war Sollemnis da-
mals schon gestorben, muss also im spätesten Falle 499 den Bischofssitz
der Camuten bestiegen haben, und damit werden wir eben in die Zeit jener
Kämpfe geführt, von denen die Langobardenchronik meldet.
Eine Erinnerung an diese kann man vielleicht mit Kurth auch darin
sehen, dass Fredegar II 58 (p. 82) in einer sagenhaften Erzählung, der aber
geschichtliche Thatsachen zu Grunde liegen ^), die Zusammenkunft Chlodowechs
und Alarichs IL „post multa prilia, quae invicem gesserant", verabredet wer-
den lässt; doch ist darauf kaum Gewicht zu legen.
Fasst man alle diese Thatsachen zusammen: Alarichs Kampf um Saintes
496; die Eroberung von Bordeaux durch die Franken 498; die Verbannung
eines Bischofs von Tours in diesen Jahren, der im Verdachte steht, zu Gunsten
der Franken Ven*at begehen zu wollen; die Angaben der vita Sollemnis über
einen gegen Ende des Jahrhunderts geführten Gothenkrieg, so scheint mir
kein Grund vorzuliegen, an der Thatsächlichkeit dieses Krieges zu zweifeln,
obgleich unsere Überlieferung nur dürftige Kunde von ihm giebt und es schwer-
lich möglich ist, mit Sicherheit über diese hinauszukommen, wenn sich hier
auch eine Reihe von Fragen darbietet, die vergebens der Lösung harren.
Wann hat der Krieg, der ergebnislos verlaufen sein muss, sein Ende gefunden,
etwa bei jener Zusammenkunft auf einer Loircinsel, über die Gregor. II 35
(p. 98) berichtet? Hängt es mit diesen Kämpfen zusammen, dass Gundobad
nach der Einnahme von Vieune die gefangenen Franken an Alarieh sandte
(II 33, p. 06)? Trug der Krieg dazu bei, dass Alaricli gegenüber der Opposi-
tion der katholischen Bisehöfe seines Reiches eine freundlichere Politik ein-
schlug, die lex Romaua 506 erliess und die Kirehcnversannnlungen von Agde
und Toulouse 506 und 507 gestattete? 496 kämpfen die Gotlien erfolgreich um
Saintes, 498 nehmen die Franken Bordeaux; woher dieser Umschwung? Es
liegt nahe, zur Erklärung auf die Chronik von Saragossa hinzuweisen, die zum
kein besonderes Vertrauen, dass sie den König nach dem Sie^^e das Gebet des frommen
Mannes mit reichen Schenkungen lohnen lässt; ausser (Jold und Sin)er ist es ein ,,ager
amplissimus," den Chlodowech „sij^illo suo larg'itione conimiinita" gewährt. Aber ausser-
dem weiss die vita von dem ganzen Feldzuge fast nichts zu sagen, nichts von einer
Bekehrung, sondern sie knüpft ganz unvermittelt an die Schenkungen die Worte:
„Quibus rite perfectis, ad b. Remigium adiit et sacrum baptisma suscepit". Die ganze
dürftige Erzählung macht einen wenig selbständigen Kindruck; man wird Kurth bei-
stimmen (Clovis p. 598), der die Ansicht ausspricht: „Ce document, en ce qui conccrne
la partie relative a Clovis, semble s'inspirer de la vie de saint Solein, dont on gar-
dait le corps h Blois".
1) Vgl. den Anhang.
2) Nämlich die Zusammenkunft der beiden Könige (Gregor. II 35) und Theode-
richs Vcrmittlung^s versuche (Var. II T 1—4).
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 65
Jahre 496 berichtet: „his coss. Burdunelus in Hispania tyrannideni assumit'^,
und zum folgenden Jahre: ;,his coss. Gotthi intra Hispanias sedes acceperunt,
et Burdunelus a suis traditus et Tolosam directus in tauro aeneo impositus
igne crematus est." Erstand den Gothen derart in ihrem Rücken ein neuer
Gegner, gegen den sie sich wenden mussten, so sind die Fortschritte der
Fränkischen Waflfen begreiflich.
Wenn so die Franken 498 bis Bordeaux vordrangen, so ist es keines-
wegs unwahrscheinlich, dass auch das unmittelbar an der Grenze gelegene
Tours sich damals in ihrem Besitze befand. Auf der einen Seite stehen die
Nachrichten über die Kämpfe mit den Westgothen, auf der anderen die Angabe
über Chlodowechs Aufenthalt zu Tours. Wie die auseinandergerissenen Glieder
einer Kette fügen sich diese Thatsachen zusammen durch Einschaltung eines
verbindenden Gliedes, die Annahme, dass Tours während des Krieges zeitweilig
in Fränkischen Händen war. Bei Gelegenheit eines Feldzuges gegen die Gothen
wird Chlodowech die Stadt aufgesucht und hier am Grabe Martins das Ver-
sprechen der Taufe abgelegt haben, die dann Weihnachten zu Reims glanzvoll
erfolgte, so dass hinter dem Eindrucke der feierlichen Handlung das zu Tours
abgelegte Gelöbnis des Königs allmählich aus der Erinnerung verschwand,
gleichwie das Gedächtnis an den früheren Gothenkrieg verblasste unter dem
machtvollen Eindrucke der Katastrophe von 507. Diese Auffassung entspricht
dem Zeugnisse der ältesten Quelle: Sie legt in Nicetius' Worte nicht mehr
hinein, als sie thatsächlich besagen; sie steht im Einklänge mit der Gesamt-
heit seiner Angaben und ist nicht genötigt, willkürlich einen Teil derselben zu
verwerfen, die Zeitbestinmiung oder die Ortsangabe. Zweifellos ist jene An-
nahme unbeweisbar und nicht über ein bestimmtes Mass von Wahrscheinlich-
keit zu erheben; aber bei dem trümmerhaften Charakter der Überlieferung
wird man hier nicht ohne Hypothesen auskommen können. Kämpfte Chlodo-
wech 497 gegen die Westgothen, 496/7 gegen die Alamannen, fand eben in
diesen Jahren seine Taufe statt, so ist es durchaus natürlich, dass in dem le-
bendigen Flusse der mündlichen Überlieferung allmählich aus dem rein zeit-
lichen Verhältnis ein ursächliches wurde, dass man die Erklärung für die Be-
kehrung des Kriegshelden hier, in diesen, dort in jenen Kämpfen suchte, ganz
im Geiste jener sinnlichen Aufliissung der Religion, die bei Gregor von Tours
auf Schritt und Tritt begegnet und den wahren Glauben vor allem in äusseren
Zeichen und Wundem bestätigt sah.
In Wirklichkeit war also Chlodowechs Übertritt weder die Folge der
Alamannenschlacht, noch beruhte sie auf einem vor dem Gothenkriege geleisteten
Gelübde; nicht allzu wenige Thatsachen zeigen deutlich, dass der König schon
geraume Zeit vor der Taufe dem Christentum und seinen Vertretern freundlich
gegenüberstand^). Hier sei nur auf die bezeichnenden Worte des Avitus hin-
gewiesen (auct. ant. VI 2, p. 76): „Numquid fidem perfecto praedicabimus, quam
ante perfectionem sine praedicatore vidistis? an forte humilitatem, quam iam
1) Vgl. besonders Hauck S. 105 f.; 2. Aufl., 1898, S. 110 f.
Jftbrb. d. Ver. v. Alterthsfr. im Rheinl. 108.
66 Wilhelm Levison:
dudum nobis devotione impenditis, quam nnnc primam professione debetis?^
So wird es begreiflich, dass schon bei Chlodowechs Anfangen die Syrapathien
der katholischen Romanen sich dem Könige zuwandten, dass schon während
«einer ersten Jahre ^), „cum iam terror Francomm resonaret in bis partibus et
omnes eos amore desiderabili cupirent regnare^, Bischof Abrunculus von Langres
wegen des Verdachtes solcher Gesinnungen aus dem Burgunderreiche fliehen
musste (Gregor, bist. II 23, p. 86). Unterscheidet man nur zwischen dem förm-
lichen Übertritte und Chlodowechs innerer Überzeugung, die nicht das Werk
eines Augenblickes war, sondern sich, wie man der Überlieferung glauben
darf, unter der stetigen Einwirkung seiner Gattin allmählich entwickelte, so
versteht man es auch, w ie Remigius bereits beim Regierungsantritte des Königs
an diesen ein Schreiben richten konnte (epist. III, p. 113; cf. p. 719), in dem
er — ohne ihn auch nur mit einem Worte ausdrücklich als Christen zu be-
zeichnen — Chlodowech die Pflege christlicher Tugenden ans Herz legt, ihm
den Rat der Bischöfe empfiehlt und ihm überhaupt das Ziel setzt: „Hoc in-
primis agendum, ut domini iudicium a te non vacilletur^. So ist es unnötig,
wegen dieses Briefes mit Gundlach Chlodowechs Übertritt vor 486 zu setzen*).
Dass dieser nicht einer augenblicklichen Regung entsprang, sondern ei*8t nach
reiflicher Erwägung erfolgte, tritt auch darin zu Tage, dass vor der Entschei-
dung Arianische Einflüsse auf den König einwirkten und ihn auf ihre Seite
zu ziehen suchten, bis er sich endlich für den katholischen Glauben erklärte;
dies zeigen die Worte des Avitus (p. 75): „Vestrae subtilitatis acrimoniam quo-
rumcumque scismatum sectatores sententiis suis variis opinione, diversis multi-
tudine, vacuis veritate Christiani nominis visi sunt obumbratione velare. dum
ista nos aeternitati committimus, dum, quid recti unusquisque sentiat, futuro
examini reservamus, etiam in pracsentibus interlucens radius veritatis emicuit.
invenit quippe tempori nostro arbitrum quendam divina provisio. dum vobis
eligitis, Omnibus iudicatis; vestra fides nostra victoria est". Wenn Avitus er-
klärt, er wolle dem Könige nicht „misericordia" predigen, „quam solutus a
vobis adhuc nuper populus captivus gaudiis mundo insinuat, lacrimis deo**, so
mag man diese Worte immerhin wie früher auf den Alamannenkrieg beziehen
können; für wahrscheinlicher halte ich jedoch mit Krusch eine Hindeutung auf
die Gallo-Romanen, die die Herrschaft der Arianer drtickend empfanden und
nun in Chlodowechs Erfolgen die ersehnte Befreiung erblicken mochten. Chlo-
dowechs Versprechen gerade zu Tours erklärt sich aus der religiösen Bedeu-
tung des Ortes; es liegt aber auch der Gedanke nahe, dass die Wahl von Zeit
und Ort darauf berechnet war, dem Könige die Herzen der Katholiken des
Westgothenreiches noch enger zu verbinden.
1) Vgl. Grundiach, N. A. XV, 1890, S. 246 Anm.
2) Über den Brief v^l. auch Lecoy de la Mar che, bibliotheque de Tecole des
chartcs, VIe serie, t. II, 18ß(;, p. .^9-74; Kurth, Clovis p. 241, n. 2; Hauck« S. 580 f.
Hält man dennoch den Brief mit Chlodowechs Heidentume für unvereinbar, so liegt es
immer noch näher, mit Junghans und Löning* den Brief nicht an den König, son-
dern einen seiner Söhne gerichtet zu denken.
Zur Geschichte des Frankonkönigs Chlodowech. 67
Gegen diese Ausführungen, die Annahme eines fast verschollenen Gothen-
krieges und die darauf beruhende Erklärung von Chlodowechs Aufenthalt zu
Tours vor der Taufe, wird man vielleicht das Schweigen Cassiodors in Theo-
derichs Vermittlungsschreiben (Var. III 1 — 4) anführen; aber diese Thatsache
beweist kaum etwas. Man betrachte nur den Anfang des Briefes an Alarich
(III 1, p. 78): „Quamvis fortitudini vestrae confidentiam tribuat parentum
vestromm inuumerabilis multitudo , quaravis Attilam potentem reminiscamini
Wisigotharum viribus inclinatum, tamen quia populorum ferociura corda longa
pace mollescunt, cavete subito in aleam mittere, quos constat tantis temporibus
exercitia non habere". Nur den Kampf gegen Attila erwähnt Cassiodor, mit
keinem Worte die zahlreichen Kriege Theoderichs II. und Eurichs;- in dem
Bestreben, um der Erhaltung des Friedens willen die Waflfentüchtigkeit der
Westgothen als gering hinzustellen, mochte er über die Kriegsthaten der letz-
ten Vergangenheit mit Absicht stillschweigend hinweggehen, so dass sein
Schweigen nichts beweist, und das Gleiche gilt von Gregor. Wer bedenkt,
wie unvollständig dessen Daretellung ist, wie er z. B. den Ostgothischen Krieg
von 508 gar nicht erwähnt, wer beachtet, einen wie breiten Raum unter seinen
Quellen für die Zeit Chlodowechs und seiner Söhne die mündliche Überliefe-
rung einnimmt und wie in dieser frühere, ergebnislose Kämpfe vor dem ent-
scheidenden Schlage von 507 zurücktreten mussten, für den wird Gregors
Schweigen Tiichts Überraschendes haben.
Anhang.
Tita Sollemnis episcopi Carnotensis.
unser Wissen von dem Leben des Bischofs Sollemnis . von Chartres be-
ruht einzig auf einer kleinen Lebensbeschreibung eines unbekannten Verfassere,
da die Angaben in dem Martyrologium des Hrdbanus Maurtts^) aus ihr ge-
1) Die Verwaltungen der Stiftsbibliothek zu St. Gallen (cod. n. 457, saec. IX,
p. 135-136; n. 458, saec. IX, p. 168—169) und der Stadtbibliothek zu Mainz (II n. 66,
saec. XI exeunt., fol. 39) haben mir in liebenswürdigster Weise Kollationen zu dem
betreffenden Abschnitte (Migne, patrolog. ser. II, t. CX, col. 1170— 1171) zur Verfügung
gestellt. Hrabanus berichtet zum 24. September (VIII kal. Octobr.): Eodem die de-
positio Sollemnis episcopi, qui ab infantia del servitio devotus fuit, quod etiam mira-
culis claruit. nam cum quadam die itineris sui proficisceretur callem, obvium habuit
hominem a nativitate caecum, surdum et mutum, quem coroplexus collo osculavit et
cito Sanum reddidit. hie etiam cum defuncto Carnotensis nrbis episcopo electus est
ad episcopatum, quem ergo invitus accepit. Hludowicum vero regem adhuc paganum,
qui eodem tempore Francis imperabat, cum vellet contra Gothos in bellum pergere,
signo crucis in fronte et in pectore armavit et sie victoria de hostibus potitnm ac
domi reversum simul cum sancto Remigio Remonsium urbis episcopo, divina favente
(iS Wilhelm Levison:
Bchöpfl sind^) nnd auch die kürze Erwähnung des Bischofs in der Chronik
Sigiberts von Genibloux^) wohl aof ihrer Kenntnis beniht. Allerdings ge-
denkt Gregor von Tours einmal eines Heiligen dieses Namens; er erzählt
von der wundersamen Auffindung seines Grabes zu Maille (heute Lujncs an
der Loire unterhalb Tours) und erwähnt Heilungen, die sieh dort zugetragen;
aber sein Bericht ergiebt nicht das Mindeste über die Zeit und die Lebensver-
hältnisse des Heiligen'). So sind wir allein auf jene Vita angewiesen, und
virtute, cum gratiae alacritate b«iptizavit et cum eodem trccentos septnaginta nobiles
satrapas sacro foute regeneratos in spiritu sancto adoptionis parturivit tilios; sicque
memoratns sanctus dei, tres olimpiades gerens in episcopatn, de hac lace migravit
ad Christum.
1) Die Ansicht von Kurth, Clovis p. 609: „La Vie de ce saint .... n'est, selon
moi, qn'une amplification faite au XII« on XIII« si^cle sur le texte de Raban-Maur^,
widerspricht allen Analogien und wird zum Teil unmittelbar widerlegt durch einen
Blick auf die Handschriften; die einzige Abweichung: 370 statt 364 Franken, erklärt
sich am einfachsten als ungenaue Wiedergabe der Zahl durch Hraban. Dieser giebt
selbst an, dass er sein Martyrologium nach schriftlichen Quellen verfasst habe; vgl.
die Widmung an Abt Ratleik (Forschungen zur Deutschen Geschichte XXV, 1885,
S. 198): „Singulis diebus nomina sanctorum, quac scripta sive notata ab antecossori-
bus in libeUis repperi, ibidem inserui et cuiuscumque sancti obitum sive martyrium,
qualiter praesentem vitam ßnierint, legi, breviter prout potui notavi"; und die Wid-
mung an Abt Grimold (poet. med. aev. II, p. 169): „Hunc ergo ex scrjptis confeci
rite libellum | sanctorum patrum, frater amate, tibi''. Auf Hrabans Rechnung kom-
men „nur wenige spätere Zusätze'' (Dumm 1er, Forschungen z. D. Gesch. XXV, 1885,
S. 200).
2) Sigiberti Gemblacensis chronica ad ann. 6. Chlod. (scr. VI, p. 313) r „Sollemnis Car-
notensis episcopus claret, qui in predicando Francis Christum non segniter institit'.
3) Gregor. Tur. in glor. confess. 21 (p. 760— 761): Et licet de Turonica urbe ali-
qua iam scripserimus, tarnen quoniam nuper sancti Sollemnis scpulchrum aspexinius,
silere nequivinms, quod apud Malliacensim nionasterium — iu cacumine montis est
constitutum, ab antiquis vallatum aedificiis iam erutis — factum cogiiovimus. nam
ferunt, in eo loco, cum cripta adhuc haberetur occulta, et nullo chrisliauorum locus
ille esset revelatus, per singulas dorainicarum solemnitatum noctes ab habitatoribus
lumen cernebatur accensum. sed nullus sciebat, quid sibi hoc velit mysterium; tantum
suspicio retonebat homines, aliquid ibidem retenere divinum, interea advenerunt duo
inergumini ex basilica sancti Martini, qui, conlisis in sc palmis, clamare coeperunt,
dicentes: 'Hie requiescit Sollemuis beatissimus in cripta abdita. reserate igitur se-
pulchnnn amici dei. quod cum reppereritis, velis tegite, lumen accendite cultumque
debitum exibete. erit regioni huic salubre, si quae loquiuiur adimpletis*. et haec di-
centes, cum clamore magno eflfodere tellurem ungulis nitebantur. tunc videntes in-
colae quae gerebantur, accepto sarculo eflfodentes aperuerunt criptam, in qua per
seriem graduum discendentes, reppererunt sepulchrum magnum, de quo testabantur
illi adhuc mente infirnii, hunc esse sepulchrum Sollemuis beatissimi. qui mox sensu
discesserunt recepto. post haec autem coeperunt ad eum diversorum morborum aegroti
confluere et accepta sanitate redire incoloraes. sed et Litomeris urbis ipsius indigena,
cum ab illius quartani typi aegrotatione fatigaretur, acceptis ex hospiciolo suo cereis,
surrexit cum uno tantum puero accessitque ad locum. fusa vero oratione, accensis
cereis manu propria per totam noctem detentis, vigilias celebravit. dato igitur mane,
redivit ad propria n(»c ultra ab hoc morbo frigorae vel confractionis ullius pertulit
gravitatem.
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 69
es ist daher notwendig, nach Möglichkeit ihre Abfassungszeit festzustellen
und ihre Glaubwürdigkeit zu untersuchen.
Sie ist bestimmt, am Jahrestage des Bischofs vorgelesen zu werden, wie
der Schluss zeigt ^), und im Kreise des Klerus von Chartres verfasst, wo Sol-
lemnis nach der Ansicht der Vita begraben lag, wie man ohne Bedenken aus
ihrem Schweigen über eine Übertragung der Reliquien nach einem anderen
Orte — Maille, Blois — schliessen darf. Sie enthält keinerlei Angaben über
ihre Abfassungszeit; dass aber zwischen Sollenmis' Tode und ihrer Nieder-
schrift einige Zeit verflossen war, zeigen die Worte: „ut ritus priscorum
erat", und „ubi multa signa et virtutes usque in hodiernum diem esse vi-
dentur".
Weiter führt vielleicht ihr Inhalt. Er ist dürftig; ausser zwei Wundern,
die an den Glauben des Lesers grosse Anforderungen stellen, aber in der
Litteratur jener Zeit zahlreiche Parallen finden*), weiss die Vita nur von der
Wahl des Heiligen zum Bischöfe und von seiner Thätigkeit bei Chlodowechs
Bekehrung und Taufe Näheres zu berichten.
Ein „edictum" Chlodowechs befiehlt die Wahl des Sollemnis zum Bischöfe ;
Bischöfe versammeln sich darauf in Chartres, um ihn zu konsekrieren, ganz
entsprechend dem Verfahren der Merowingerzeit, in der das Bestätigungsrecht
des Königs oft zur thatsächlichen Ernennung führte^). Nach bekannten Vor-
bildern entzieht sich Sollemnis der Wahl durch die Flucht; an seine Stelle
wird der Archidiacon^) Aventinus gewählt. Sollemnis kehrt zurück; auf das
lärmende Verlangen des Volkes, dessen Einfluss mehr noch als nach recht-
1) Der gleiche Zweck ist ausgesprochen z. B. in der vita s. Naamatii 7 (analecta
Bollandiana XIV, 1895, p. 201) und in der vita Lucii confessoris 1 (scr. Merov. III,
p. 2). Vgl. vita s. Eligii, prol. (Migne, patr. s. II, LXXXVII, p. 479/80): Quotiescuuque
ergo sanctorum solemnia anniversario circulo celebramua, aliqua ex eorum gestis ad
aedificationem Christianae plebiö convenientia in Christi laudibus recitare debemus.
2) Zum Wunder bei Sollemnis' Bestattung vgl. z. B. Gregor. Tur. lib. vitae pa-
trum 7, 3 (p. 689) in Bezug auf die Gelegenheit und de virtut. s. Martin. IV 26 (p. 655
—656) in Bezug auf die Art des Wunders.
3) Vgl. Lee bell, Gregor von Tours und seine Zeit«, 1869, S. 266-278; Hin-
s Chi US, Kirchenrecht II, 1878, S. 517—519; Löning, Geschichte des Deutschen Kir-
chenrechts II, 1878, S. 174—186; Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte II 2^, 1882,
S. 61—65; Hauck, Die Bischofswahlen unter den Merovingern, 1883, und Kirchen-
geschichte Deutschlands I, 1887, S. 141 f; FustcldeCoulanges, la monarchie franque,
1888, S. 534—562; Weyl, Das fränkische Staatskirchenrecht zur Zeit der Merovinger,
1888 (Gierke, Untersuchungen XXVII), S. 51—60; Brunn er, Deutsche Rechtsgeschichte
II, 1892, S. 313; Krusch, Mittheilungen XIV, 1893, S. 431; Dahn. Könige der Ger-
manen VII 3, 1895, S. 230—242; Kurth, Clovis S. 519—522; Vacandard, Revue des
questions historiques XXXII, 1898, S. 321—383. Bezeichnend ist die Änderung, welche
sich in der jüngeren Bearbeitung der Vita findet: „Ut iam dictae civitatis cathedram
venerandus vir Sollempnis susciperet, clerus omnis vel populus urbis Carnotensis
auribus i'egis Chlodovei unaniniiter suggessit annuens itaque praecibus clerico-
rum et populi rex Chlodoveus praecepit" etc.
4) Über die hervorragende Stellung des Archidiaconus in dieser Zeit vgl. Lö-
ning H, S. 333—342; Hinschius II, S. 183—187; Fustel de Coulanges S. 516 f.
70 Wilhelm Levison:
liehen Gesiebtspunkten durch die Maeht der Thatsaehen anf den Ausfall der
Bischofswahlen häufig allein bestimmend einwirkte*), wird er auch jetzt noch
zum Bischof konsekriert. Dafür wird Aventinus zu seinem Nachfolger bestimmt
und erhält einstweilen Dunum (Chäteaudun) zum Wohnsitze. Eine passende
Analogie bietet sich bei Gregor, bist. V 5 (p. 196) : „Interea beatus Tetricus
(Bischof von Langres) a sanguine sauciatur. cui cum nulla medicorum fomenta
valerent, conturbati clerici et a pastore utpote destituti, Mondericum expetuut.
qui a rege indultus ac tonsoratus, episcopus ordinatur, ^sub ea specie, uty
dum beatus Tetricus viveret, hie Ternodorensem castrum ut archipresbiter
regerit atque in eo commoraretur, migrante vero decessore, iste succederet^^
(gegen 570). Dass aber Aventinus gerade Chäteaudun zum Sitze angewiesen
erhält, erinnert an einen Versuch, den später König Sigbert machte, als er
Chäteaudun von der grösstenteils zu Gunthchramns Reich gehörigen Diöcese
Chartres loszureissen suchte und dort einen eigenen Bischof Promotus ein-
setzte, der sich gegen die Beschlüsse des Pariser Konzils von 573*) bis zu
Sigberts Tode 575 behauptete, dagegen 584 seine Stellung vergebens wieder-
zuerlangen suchte^). Die Angaben der Vita finden ferner eine erwünschte Be-
stätigung in den Unterschriften der Konzilbeschlüsse von Orleans 511, an
denen Aventinus teilnahm*). Die einen Handschriften, dabei die älteste, nennen
ihn dort Bischof von Chartres, zeigen ihn also als Nachfolger des SoUemnis;
dagegen giebt ihm eine Handschrift noch des 7. Jahrhunderts (K) den Titel
„episcopus de Duno'*, eine des neunten (P) „episcopus eclesiae Dunensis".
Man möchte den Schluss ziehen, dass Aventinus in der Urschrift der Beschlüsse
von 511 seiner früheren Stellung gemäss seine Würde nach beiden Orten be-
nannte; jedenfalls erscheint sein Bischofsamt entsprechend den Angaben der
Vita in Beziehungen sowohl zu Chartres wie zu Chäteaudun.
1) Vo^l. z. B. Fustel de Coulanges S. 536: „Le droit est que les evc^ques nommcnt
leiir ein inoyeniiant qu'ils aient rasscntiment gen^ral; le fait est que la population ira-
pose son choix aux evöques."
2) Concil. I, p. 146-151. Vgl Hefele, Conciliengeschichte III, 1858, S. 28—29;
Löninp;' II, S. 124—126; Lon^non S. 327. Vielleicht ist es derselbe Promotus, der
585 zu MAcon unter den „episcopi . . . non hahentes sedes" unterschrieb (p. 173).
3) Gregor, hist. VIT 17 (p. 301): „Promotus vero, qui in Dunense Castro ordiuante
Sy^ibertho rege episcopus fuerat institutus et post mortem regis araotus fuerat, eo
quod castrum illud esset diocisis Carnotena; contra quem ita iudicium datum fuerat,
ut praesbiterii tantum officium fungeretur; accessit ad regem, depraecans, ut ordina-
tionem episcopatus in antedicto castro reciperet. Sed, obsistente Pappolo Carnotene
urbis episcopo ac dicente, quia: 'Diocisis meae est', ostendente praesertira iudicium
ej)iscoporum, nihil aliud potuit obtinere cum rege, nisi ea quae sub ipsius castri ter-
mino propria habebat reciperit, in qua cum genetrice adhuc superstite moraretur."
Man könnte denken, während dieser Streitigkeiten sei die Vita aus praktischen Ge-
sichtspunkten geschrieben worden; doch lässt sich diese Annahme nicht durchführen.
Ein Anhänger des ]*romotus würde Aventinus nicht die Pflicht auferlegt haben, Sol-
lemnis bei dessen Lebzeiten zu gehorchen („tuo sit obtemperans principatui"), ein
Mitglied der Gegenpartei ihm nicht die Nachfolge eingeräumt haben,
4) Concil. I, p. 10 seq.
Zur Geschichte des .Frankeiikönigs Chlodowech. 71
Was SoIIeniDis' Verhältnis zu Chlodowech angeht, so wird darauf nichts
zu geben sein, dass die Bekehrung des Königs als das Werk des Bischofs
hingestellt wird. Die Überlieferung der Kirche von Cliartres mochte begreif-
licherweise ihrem Bischöfe ähnliche Beziehungen zu Chlodowech zuteilen, wie
man sie an anderen Orten Remigius oder Vedastes zuschrieb. Dagegen kann
seine Teilnahme an der Taufe des Königs sehr wohl der Geschichte ange-
hören, da hier nach dem Briefe des Avitus (auct. ant. VI 2, p. 75) „adunatorura
numerosa pontificum manus" mitwirkte.
Wie die Bekehrung mit einem Gothcnkriege in Verbindung gebracht wer-
den konnte, habe ich bereits oben zu erklären versucht; es ist der Krieg der
90er Jahre, von dem der continuator Prospcri Havniensis dürftige Kunde er-
halten hat. Ganz im Geiste der Zeit liegen die „Auspicien", die dem Könige
zu Chartres im Psalmengesang zu teil werden, gleichwie Gregor solche 507 zu
Tours erfolgen lässt (bist. II 37, p. 99—100).
Schwierigkeiten scheint zunächst eine Angabe der Vita über diesen Krieg
zu bereiten: Der Sieg über die Gothen ist erfochten, und das Frankenheer
fordert den König auf, die Verfolgung der Feinde zu beginnen und ihr Reich
zu erobern. Der König billigt ihre Absicht, wie auch sonst das Heer unter
den Merovingern — selbst gegen den Willen des Königs — vielfach seine
Wünsche durchzusetzen weiss ^). Aber in der nächsten Nacht erscheint Sol-
lemnis dem Könige im Traume und verbietet ihm den Weitermarsch. Chlodo-
wech teilt dem Heere die Worte des Bischofs mit, der Rückweg wird ange-
treten. Die Frauken rücken in Aquitanien ein und verwüsten es weit und
breit auf dem Heimwege. Mithin war die Schlacht über die Gothen nach der
Anschauung der Vita an den Grenzen Aquitaniens, also im äussersten Süden
Galliens, geschlagen worden; oder man mUsste annehmen, der König habe
gegen den Willen des Bischofs den Krieg fortgesetzt, und es handle sich
nicht um den Rückweg, sondern um ein weiteres Vordringen, was einen Wider-
spruch in der Vita bedeutete. Der Schreiber der Pariser Handschrift hat hier
eine derartige Schwierigkeit empfunden und deshalb die Angabe über die Ver-
wüstung Aquitaniens gestrichen. Die Bedenken heben sich, wenn man Aqui-
tanien nicht in der umfassenderen Bedeutung versteht, sondern im Sinne der
späteren Römischen Provinzialeinteilung, die das Gebiet südlich der Garonne
als besondere Provinz Novempopulana von den zwei Aquitanien schied*). In
1) Vgl. z. B. Gregor, bist. IV 14 (p. 152); 49 (p. 184-185). Waitz II 1«, S. 191
— 193; Brunner II, S. 127; Wilhelm Sickel, Die merovingische Volksversammlung 5
(Mittheilungen des Instituts tür Oesterreichische Geschichtsforschung, Ergänzungs-
band II, 1888, S. 304-307).
2) Vgl. z. B. Hieronym. cpist. 123, IG (vom Jahre 409): „Aquitaniae Novemque
populorum, Lugdunensis et Narbonensis provinciae praeter paucas urbes populata
sunt cuncta" (Migne, patrol. XXII, col. 1058); den laterculus des Polümius Silvius von
449 (auct. ant. IX, p. 537); Gregor bist. II 25 (p. 87) von Eurichs angeblicher Katho-
likenverfolgung: „Maxime tunc Novimpopulanac geininaeque Gernianiae urbes ab
hac tempestate dcpopulatae sunt,^^ wo Germaniae zweifellos aus Aquitaniae verschrie-
ben ist.
72 Wilhelm Leyison:
diese Gegenden weist auch die Langobardenchronik, wenn sie die Franken
498 Bordeaux nehmen, also an der Südgrenze der Aquitania secunda kämpfen
lässt.
So würde der Inhalt der kleinen Vita nicht hindern, ihre Entstehung in
die frühere Merowingerzeit zu setzen, etwa zwei Menschenalter nach dem Tode
des Bischofs, und dafür scheint zu sprechen, dass sie im Gegensatze zu Gregor
von Tours noch nichts von dem Sollemnisgrabe in Maille weiss. Die Ansicht
von Kurth, der in ihr ein Machwerk des 12. oder 13. Jahrhunderts sieht*),
widerlegt ein Blick auf die Handschriften. Johannes Cleus sprach ihr ein
hohes Alter zu*), und Krusch verglich ihre Sprache mit der des Venantius
Fortunatus*). Der Annahme, sie sei ein Werk des 6. Jahrhunderts, scheinen
aber die Worte entgegenzustehen: „Chlodoveus tunc tempore rex in eodem
solo tenebat imperio principatura**. Von dem „imperium** der Frankenkönige
konnte erst seit 800 die Rede sein*); aber ist es denn notwendig, hier an
die engere Bedeutung des Wortes zu denken? Es hindert nichts, es in wei-
terem Sinne aufzufassen, in dem imperium ebensogut wie von den Römischen
Imperatoren von Germanischen Königen gebraucht werden konnte und auch
wirklich gebraucht worden ist^). Aber auch bei Ablehnung dieser Möglich-
keit darf es als sicher gelten, dass die Vita, die zweifellos vor Hrabans Martyro-
logium, also vor der Mitte des 9. Jahrhunderts^), verfasst ist, aus einer selb-
ständigen und keineswegs verächtlichen örtlichen Überlieferung geschöpft hat,
wie die Angaben über Aventinus zeigen. Vielleicht liegt sie uns nicht völlig
in ihrer ursprünglichen Gestalt vor; gerade bei ihrer Bestimmung, am Jahres-
1) Clovis p. 609.
2) Acta sanctoruin Scpteinbris VIT, 1760, p. 65: esse ea valde antiqua, mihi fit
omnino verisimilo.
3) scr. Merov. I, p. 760, n. 3: vitam a scriptorc autiquo corapositam, cuius sermo
Fortunatiano non adeo dissimilis est.
4) Vgl. z. B. die bezeichnenden Worte der vita Johann. Reom. 15 (scr. Merov. III,
p. 513): Cumque iam Gallias Francorum regis sue dictione, suhlato wiperii iure, gu-
bernacula ponerent et, postposita rei publice dominatione, propria fruerentur pote-
State ....
5) Vgl. die Worte Childeberts I. (capit. I, p. 2): „Et quia necesse est, ut plebs,
quae sacerdotes praeceptum non ita ut oportit custodit, nostro etiam corrigatur im-
perio, hanc cartam . . . decrevimus emittendam", und die „781 oder kurz darauf*
(Zeumer, N. A. VI, 1881, S. 81) geschriebene 11. Formel von Bourges (formul. p. 173):
in quantum v(5strum pollet imperium vel principatum.^'- Cassiodor redet von einem
imperium, Theoderichs (auct. ant. XII, p. 548), und auch der Sprachgebrauch des Jor-
danes zeigt die Anwendung des Wortes auf andere Fürsten als den Römischen Kaiser;
vgl. Mommsen, auct. ant. V 1, p. 190: „imperator non dicitur nisi Romanorum: im-
perare, imperiuin ad reges quoque pertinent, praesertim Attilam." Krusch geht also
zu weit, wenn er gegen die Worte der vita Aviti 12: „Childebertus Francorum prin-
ceps, qui Gallias suo imperio coercebat" (scr. Merov. III, p. 385) bemerkt: „imperio
autem suo Gallias coercebat rex Francorum nullus ante Karolum M. imperatorem"
(p. 381).
6) Dümmler a. a. 0. S. 199: Abfassung des Martyrologiums zwischen 842
und 854.
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech.
73
tage des Heiligen dem Vortrage zu dienen, mochte sie leicht mancherlei Um-
gestaltungen ausgesetzt sein.
Dies zeigt auch ihre spätere Geschichte. Je mehr die von Gregor und
seinen Ausschreibern vertretenen Überlieferungen an Verbreitung gewannen,
um so eher musste die andere Wege gehende Darstellung der Vita Verände-
rungen unterliegen. So zeigen die Handschriften der Reihe B ungeschickte
Interpolationen aus der vitaVedasti, die gegen 642 durch den Abt Jonas von
Susa mit Benutzung von Gregors Geschichtswerk verfasst worden war. Wenn
die Einfügung des Vedastus neben Remigius und Sollemnis („assumpsit secum
sacre legis cultores Remigium et Vedastum anstitites venerandos" statt „ad-
iuncto sibi sancto Remedio Remensium urbis episcopo") jene Annahme schon
unmittelbar nahelegt, so findet sie ihre Bestätigung bei folgendem Vergleiche :
vita Sollemnis 6
vita Vedasti 7 (scr.
Ursprünglicher Text
Interpolierter Text
Merov.III, p.411)
inclite rex
0 inclite rex et decus
Francorum
0 rex, tuorum decus
Francorum
und namentlich durch die Thatsache der Einflickung des Alamannenkrieges,
den sowohl Hrabamis Maurus wie der Verfasser der gleich zu besprechenden
jüngeren Vita in ihren Handschriften noch nicht erwähnt fanden, eine so un-
geschickte Interpolation, dass sie sich als solche schon aus den wenigen Mitteilungen
von Cleus über abweichende Lesarten mit Leichtigkeit ergeben konnte.
vita Sollemnis 7
vita Vedasti 2
Ursprünglicher Text
Interpolierter Text
(p. 406—407)
Yovitque rex dicens :
y,In his armis abiero et
populi si percepero bra-
vium,
me meumque baptismi
gratiae trado". talibus
lumbos armis succmc-
tus pergit ad praelium.
cumque
acies
contra aciem utrimque
tela emissa iactarent,
momen-
to Gothorum agmina
prostrantur.
Yemtqtie dicens: „/?*
his armis vadens, si a
Gothis vel Alamannis
superatus non fuero,
sed rediero in pace,
statim ad baptismnm
convolabo". talibus ar-
mis Siccinctus per git
dimicaturusa/Zbellum
statimque f e r o c e m
Alamannorum gen-
t e m debellavit atque
subegit. cumque contra
sc Gothorum agmina in-
struxissent, qui contra
eum bellum paraverant,
acie^que illius contra
aciem inimiconim tela
iniceret acriterque bel-
lum instaret, in momento
Gothorum agmina pro-
strantur.
Evenit, ut . . . adversum
Alamannos gentem
ferrocem bellaturus
pergerit.
74 Wilhelm Levison:
In umfassenderem Masse wurde die Vita durch Vereinigung mit den An-
gaben Gregors von Tours umgestaltet, und man muss dem Verfasser dieser
jüngeren Vita zugestehen, dass er sich nicht ohne Geschick bemüht hat, die
Abweichungen und Widersprüche zu vereinigen. Ausser zahlreichen Aus-
schmückungen, die mehr die Form als den Inhalt betreflFen, erweiterte er die
Geschichte der Taufe im Anschlüsse an Gregor, hist. II 31; vor allem aber
suchte er die Erzählung vom Sollemnisgrabe in Maille mit der alten Vita in
Einklang zu bringen und musste daher zuerst die Frage lösen: Wie kam der
Bischof von Chartres dorthin ? Die Antwort findet er in folgender Weise : Nach
Chlodowechs Taufe kehrte Sollemnis zu seiner Bischofsstadt zurück und lenkte
nun seine Herde „in longa pace", eine Zeitangabe, die der Verfasser wohl
vergessen haben muss, wenn er fortfährt: „Non multo post tempore interiecto
rursus motum est bellum inter Chlodoveum regem et Alaricum. congregans rex
itaque Chlodoveus omnem exercitum Francorum, devenit in pagum Turonensem,
ducens secum cum aliis episcopis beatum Sollemnem^^ So war dieser an den
Ort gebracht, wo Gregor von Tours sein Grab gesehen hatte, und der Bear-
beiter hatte nun weiter nichts zu thun, als ihn nach einer Eimahnungsrede an
die Seinen und nach frommem Gebete sterben zu lassen. „Sepultus est in
Malliacensi monasterio". Wie konnte aber das Grab des Heiligen in Vergessen-
heit geraten, um in so wunderbarer Weise wieder aufgefunden zu werden?
Auch hier weiss die jüngere Vita sich zu helfen: „Multo tempore quievit, us-
que quo iam dictum monasterium a paganis desolatum est. postquam autem per-
secutio quievit, praetiosum eins corpus et sepulchrum, quod diutius hnmanis
latebat obtutibus, qualiter ad laudem et gloriam nominis sui id ipsum dominus
revelare dignatus sit, beato Gregorio Turonum pontifice referentc cognoscimus''.
Folgt zum Schlüsse eine Abschrift von Gregors Erzählung. So hat diese Be-
arbeitung der Vita nicht den mindesten selbständigen Quellenwert.
Die Handschriften der älteren Vita (I) zerfallen in zwei Klassen:
A. Handschriften, die den Text ohne grössere Interpolationen darbieten:
W) Codex bibliothecae regiae Bruxcllensis sign. n. 7984, saec. X, fol.
209^' — 213^ (Catalogus eodicum hagiographicorum bibliothecae regiae Bruxcl-
lensis I 2, 1889, p. 183), die wertvollste Handschrift. „Fol. 1 in margine infe-
riori leguntur sequentia: CoUegii Soc, Jesu Molshem. Sed permutatione ali-
orum librorum domus professae Antverpiens^is factum, procurante P. Petro
Richarty et ut conjicere licet, etiam scripta erat haec alia nota quam rasuris
delere conati sunt: Codex Sancti Petri in Wissemburg ; quae nota repetitur
fol. 119'' in margine inferiori: Codex monasterii S, Petri in Wissenburg Or-
dinis S. Benedicti^' (p. 178).
C) Codex bibliothecae Nationalis Parisiensis sign. n. 12612, saec. XIII,
fol. 35^' — 38^' (Catalogus codieum ha^nographieoruin Latinoruni qui asservantur
in bibliotlieca Nationali Parisiensi HI, 1893, p. 164). „Olim ex libris Cor-
heiensis monasterii, deindc San-Germ." (p. 162).
Ma) Cod. bibl. reg. Bruxellensis n. 98—100, saec. XIII, fol. 210''— 21 P
(Catalogus I 1, 1886, p. 48; cf. p. 108). Nahe verwandt ist
Zur Geschichte des Frankeukönigs Chlodowech. 75
Mb) Codex s. Maximini Trevirensis, nicht in der Trierer Stadtbibliothek
vorhanden und mir nur aus den wenigen Mitteilungen der Acta Sanctorum
bekannt. In beiden Handschriften ist der Text stilistisch nicht unwesentlich
überarbeitet und geglättet.
B. Die zweite Handscliriftenreihe ändert den Text durch Interpolationen
aus der vita Vedasti, gestaltet ihn aber auch sonst durch zahlreiche stilistische
Abweichungen und kleinere Einschiebsel um; z. B. kehren Zusätze mehrmals
wieder wie: meuioratus, vir dei, domino opitulante, divina opitulante gratia.
Eine mit Ma und Mb verwandte Handschrift liegt zu Grunde, wie folgende
Beispiele zeigen:
c. 2 de siderio tegebatur auxilio: desiderio enim tegebatur divino et auxilio
Ma; desiderio tegebatur auxilio divino B.
c. 3 LX Villi: sexagesimo VII Ma; LXVII B.
c. 3 0 ineffabilem mercationem: o ineffabilis mercatio Ma B.
c. 9 claro lumine decorata: clari luminis decoratus M B.
c. 9 compages: compago Ma B.
c. 10 recolite: recondite Ma B. Zu dieser Reihe gehören 2 Handschriften,
die sehr nahe verwandt sind:
H) Cod. bibl. reg. Hagensis L. 29, saec. XV, fol. 185^—187«^ (analccta
Bollandiana VI, 1887, p. 181);
ü) Codex 8. Salvatoris Ultraiectensis, in den Acta Sanctorum nach einer
Abschrift wiedergegeben.
Von der jtlngeren Gestalt der Vita (II), in der die Angaben Gregors von
Tours mit denen der älteren Fassung vereinigt sind, konnte ich Abschriften
zweier Codices benutzen:
Pa) Code^ bibl. Nationalis Paris, n. 15437, saec. XI, fol. igO»"— 192-^
(Catalogus III, 1893, p. 324);
Pb) Cod. bibl. Nat. Paris, n. 5666, in. saec. XII, fol. 116^—126'- (Cata-
logus II, 1890, p. 530). Die zweite Handschrift schliesst sich in manchen Ein-
zelheiten enger an die ursprüngliche Vita an als die ältere; z. B. bewahrt sie
c. 5 holocaustum (sacrificium ä), summo repleti gaudio (sunimo cum gaudio a).
Die Handschrift, welche der Bearbeitung zu Grunde lag, enthielt einen besseren
Text als die erhaltenen Handschriften beider Reihen; dies zeigt folgender
Vergleich :
I II
c. 4: nie latebat in antro, iste
replebatur mestitia; ille solemnes
fundebat ad dominum praeccs, iste
consolatione(m) tristis quaerebat pro
abdito.
wo die jüngere Vita den ursprünglichen Sinn besser bewahrt hat^).
Ille latebat in antro, isti (illi ä)
replehantur mesticia; ille sollempnis
fundebat domino praeces, isti tristes
querebant absconditum.
1) Von anderen Handschriften der zweiten Vita sind mir drei Codices biblio-
thecae civitatis Carnotensis bekannt: N. 68, saec. XI, fol. 144r~14ev; n. 104, saec. XI,
76 Wilhelm Levison:
Herausgegeben sind die Viten durch Johannes Cleus in den Acta Sanc-
torum Septembris VII, 1760, p. 68 — 70 und 72—75, die ältere im wesentlichen
nach ü; daneben sind die Handschriften W und M^ wenig berücksichtigt.
unter dem Texte der neuen Ausgabe sind alle abweichenden Lesarten
der Handschriftenklasse A verzeichnet; doch sind kleine orthographische Ver-
schiedenheiten der Handschriften C und M, wie tnte statt vitaey sompnis statt
8omnis, michi statt mihiy nicht aufgenommen. Auch ist zu beachten, dass
mir M^ nur unvollständig bekannt war, dass also Schweigen über diesen Codex
nicht immer seine Zustimmung zu dem in den Text aufgenommenen Wortlaut
bedeutet.
Bei dem Versuche, die Abfassungszeit der Vita zu bestimmen, ist die
Sprache absichtlich unberücksichtigt geblieben. Auf Schritt und Tritt treten
die Mittel der Rhetorik des ausgehenden Altertums zu Tage, Parallclismus des
Satzbaues, Antithesen, Homoioteleuta, wohlfeile Wortspiele mit dem Namen
des Bischofs und vor allem die Formen des cursusj des rhythmischen Satz-
schlusses'). Die Regel ist durchgeführt, dass zwischen den accentuiertcn Silben
der beiden letzten Wörter zwei oder vier unbetonte Silben stehen. Am
häufigsten ist der sogenannte cursus planus der dictatores des Mittelalters
verwandt (<<, oo, oo «x» oo sanctus Sollemnis, sürdo et müto), an zweiter Stelle
der cursus tardus (rio «^, «^ r^ ^ *>j piigna certäminis, fr6mit in str6pitu); es fol-
gen der cursus velox (cL» ^ *^, *^ *^ -^ -^ fecibus involüti, 6culi ad vid6ndum)
und die Form rio ^ <x», oL, <v» (cl4rior flde, plüviae giittas). Weit weniger häufig
begegnet der Satzschluss oL» w <x», «^ ^ oo (v6lvitur mächina, c6ncrepant laudibns),
und ganz selten ist endlich der Fall, dass drei Accentsenkungen zwischen die
betonten Silben der beiden letzten Wörter treten (.-^^ oo, oo oo jf oo sanitati re-
stitüta). Die Anwendung dieser Regel bietet au manchen Stellen der Kritik
ein willkommenes Hilfsmittel. Im allgemeinen zeigt die älteste Handschrift
einen glatten und lesbaren Text; aber hie und da finden sich Vulgarismen, in
Orthographie wie Grammatik. Die Vokale e und i gehen durcheinander, z. B. :
Christi copulabatur amore, iste replebantur, luc/(n)s, tristis (luaerebant, sidereo,
tartar/o; halant^e steht statt halante, pector^e für pectori, wrbe statt orbe.
Das Schluss-m wird willkürlich abgeworfen und zugesetzt: in finem . . . pro-
baretur, Carnotensio urbis, punirentur sententiam, consolatione ([uaerebant, ad-
prchenso duxennit. Da der Unterschied zwischen canisj canit und canes,
canet für die Aussprache verschwunden ist, tritt canent durch Analogie an
fol. 2r-llr; n. 190, saec. XII, fol. 186r-188r (aiialecta Bollandiana VIII, 1889, p. 100,
121, 151; v^l. den Catalo<^ue «j^eneral des manuscrits des bibliotheqiies piibliques de
France, departemcnts XI [Chartres], p, 13, (JG, 222). Dazu kommt eine Handschrift
der Pariser Nationalbihliothek, n. 5333, saec. XIV, l'ol. 273v— 288r (Catalo^^^us II, 1890,
p. 251); sie enthält eine „Vita interpolata, diversa ab edita Act. iSS., ad d. 25 Sept.,
tom. VII, p. 72—75, lon^e scilicet oratorio fuco amplior."
1) Y}x]. Wilhelm Meyer, Göttin^^ f^^elehrte Anzei-en 1893, I, S. 1—27; Eduard
Norden, antike Kunstprosa II, 1898, S. 908—960. Über den Gallischen Stil des 6. Jahr-
hunderts vgl. Norden S. 631—642.
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 77
die Stelle von canunt. Man schreibt: anna in qua (quibus), tnnc tempore, opu
dum cognominawfe Dunum. Zum absoluten Ablativ gesellen sich absoluter
Nominativ und Akkusativ, das Präsenspartizip wird fast zum selbständigen
Prädikat. Ut und cum werden ohne Unterschied mit Indikativ und Kon-
junktiv verbunden, vor einem Folgesatze kann ut fortbleiben. Spuren scheinen
darauf hinzuweisen, dass die Vita einst mehr Vulgarismen enthielt; wenn W
pro äbditOj C rapide tum hat, so lässt dies auf ursprüngliches pro abditum
schliessen (c. 4), totam (W) und tute (C) auf tutam (c. 8). Im einzelnen lässt
sich freilich kaum sagen, was dem Verfasser der Vita, was späteren Abschrei-
bern angehört; doch stimmen alle sprachlichen Besonderheiten zu dem, was
die Sprachdenkmäler des 6. Jahrhunderts lehren^), ohne dass aber von
diesem Gesichtspunkte aus bei dem geringen Umfange der Vita eines der
nächsten Jahrhunderte ausgeschlossen würde.
Der folgende Text hat vor allem die älteste Handschrift zur Grundlage
und giebt daher im wesentlichen auch ihre Inkonsequenzen in Grammatik und
Orthographie (praehendere, prehendere; praeces, preces) wieder. Doch ist für
den Namen des Bischofs die in den Inschriften weitaus häufigere Form Sol-
lemnis angenommen, da sie sich bei den ältesten Zeugen, in den Handschriften
Gregors von Tours und Hrabans, findet. Der Codex W hat die Form Solemnis,
die auf den Steindenkmälern seltener auftritt (z. B. Bonn. Jahrb. 99, 1896,
S. 150); C schreibt meist Sollempnius, M Sollempnisj H Solempnw, P* Sol-
lempnis und Sollemnisj P^ Sollempnis, So spricht auch die Mehrzahl der
Handschriftea für die Schreibung mit Doppel-Z^).
Die Neuherausgabe der älteren Vita wurde mir ermöglicht durch die
Liebenswürdigkeit von Herrn Geheimrat Professor Usener in Bonn, der für
mich die Beschaffung von Kollationen vermittelte und mir wiederholt mit
seinem Rate wertvollen Beistand leistete. Es sei mir gestattet, an dieser Stelle
sowohl ihm herzlichen Dank zu sagen wie den Herren, welche die Mühe des
Kollationierens auf sich genommen haben. Es sind dies die Herren Professor
Dr. Franz Cumont von der Universität Gent (W, M*), Dr. Ernst Diehl in
Bonn (C), Oberbibliothekar Dr. Byvanck und Handschriftenkonservator Dr.
Brugmans von der Königlichen Bibliothek im Haag (H), endlich Herr Pro-
fessor Henri Lebfegue von der Ecole pratique des hautes 6tudes zu Paris,
dessen ausserordentlicher Zuvorkommenheit ich vollständige Abschriften von
P* und P** verdanke. Ihnen allen vielen Dank!
1) Vgl. besonders die Indices zu auct. ant. V 1 (Jordanes) und scr. Merov. I,
sowie Max Bonnet, le Latin de Gr6goire de Tours, 1890.
2) Über die Ursachen der verschiedenen Schreibweise des Wortes, in dem zwei
ursprünglich verschiedene Wörter zusammengeflossen sind, vgl. Thurney sen in Kuhns
Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung XXVIII, S. 160; Wilhelm Schulze,
quaestiomim Homericarum specimen, 1887, p. 29, n. 87.
Iiicipit vita titiati " Solleninis epii^eopi et confessoria.
id '' est Till kal. Octobris.
1. DivinoruDi igitur miraculonim csf^ inlueri nc perpeiidere discrefioiiis
arbitriuiii, cum i.am, eaelitiis'' ttuffragaiite"'), in cstrema actalc, muiKli canee-
cente iii^ margiiie, in qua^ ninndi volvihir maehiiia, ita sanctorani vitae*) rtis-
crepaiitur cxordiu, iit coiura sicquipcdce'"), terrcnia fecibns iiivoliiti, »d re^a
possent ' Bupcrna pertiiigere, qnia magni ^ pugna certaminis, ubi de Gbristi vie-
toria' triumpliatur.
2. Fnit quidaiti sacerdo» inerito^ nomine et gauctitate Sollcmnis, natali-
bus nobilis sed nobilior mente, clarne opcribne ecd clarinr fidc. puerilis coni-
putabatur iufantia, sed erat mentis eius scnectus in doniino; non immerito
niincupatur Solleninifi, cuius Bollemnitas'', fidci candorc'' lucens", aniicta* cari-
tatia fervoie, Christi copulabatur amore^ vigiliis et* oratinnibna praeBtanfi**,
gcnua' cordia'' Hectcna ad dominum, mundana' linquens"" studia, divinis lec-
tionibus vacabat. ieiunüs potius quam" pascebatur eibo. trihuebat eseas csti-
rientibna, elymtisiuara " pauperihus iugiterP ex" suis opibns'' largiebainr. tale'
mcuB saucta smiipsit initium', in" finem rei verilas probarctar**). ncc", valida
mundi dum* mergeretur^ procella in" pelagi fluctus", pcrtimeseehat naufrapia''
nee*, dnm gcrebat navale prelium'', tempcstatc submcrgi*), qnia, Holidatiis in
a) sancti M«. h) que C; id — Octobris am- M».
Cap. l. c) opus est C, d) deo add. C, dei M. e) gratia add. Mj,. f) om. AB.
g) quo M». h) sequi pedes A B. i) possint C, possunt M". k) rnngna est pngna C,
magnae sunt pugnse M", I) victoria vicCoriao triumpLnuCur M.
Cap. S. a} meritis M°'; et add. C. b) soletniiitna W. c) candorem C. d) lucis
(= lucls, Incins} WC, luceus M». e) anienitatem imritatis prestat fervorein, hie nsra-
que Christi C. f) amori M». g) om. W. h) praestas W, instans C, erat praestans et
per M. i) ieiuiiia Mb. k) cor M. I) iDundanaque C, et innndana M«. m) relinqaena
C. n) quamcibopascebatur C, pascebatur quam cibu M". o) elcniosinam CM", p) et
iugiter suis operibus multie divinam largiebatur opem M». q) et W. r) operibos C.
a) in talibue C. t) ul add. CM», u) finem C, in fliie M". v) probaret C. w) iiec (c
de/.} C, nam üIp M», nam illa M''. x) om. WC, d(icitu)r M", dum MK y) lurbatetur
M. z) om. W. a) fluctibus CM; non add. MK h) naulragari M. c) nam M; sed non
Te(«batnr pro tempestato eubmergi C. d) et poseet add. M.
1) er. Jordan. Bom. 385 (auct. ant. V 1, p. Bl): diu intercedente.
2) Zu sanciorum vitae exordia vgl. Gregor. Tut. IIb. vila« patrum praef. (p. Ö62),
3) Vgl. Du Cangß, glossarium raediao et inflmae Latinitatis VI, p. 198—199.
conctl. r, p. 101; 133. Liber diumus n. 83; 84 (ed. Slckel p. 92; 102). epist. Ill, p. 232.
Passio B. Desiderii 2 (scr. Merov. 111, p. 638). Acta s. Jnliani praef,; 1, 4; 7,29 (Acta SS.
Jan. I, p. 575; 676; 581). Vita a. SulpitÜ PÜ Bitur. 6, 27 (Acta SS. Jan. 11, p. 171).
4) Bonnot a. a. O. S. r>87: „Les propositious compl^tives qu'on a uoutume d'in-
troduire pat la conjonction ut, se pr6sentent quelquefols chez Grfigoire sous une forme
qui ne lui est pas exciusivement propro, mais qui est rare et qui peut därouter le
lectaiir; le verbo en est mis nu subjonctif, saus ßtre prect'.dä de u^."
5) Nee pertimoscebat naufrngia, dum validä procella mundi in üuctus pelagi
mergeretnr, nee pertimescabat tempeetate submergi, dum gerebat navale proeliam,
Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech. 79
solida® petra, ad portum salutis placidi^^) veniebat. erat enim lorica praecinc- ^^JJ^- *^^
tus iustitiae et galea salutis comatus^^; de^* siderio^) tegebatur auxilio* et, ia-
cula^ crucis emissa^), perforans pectora adversariorum prostravit catervas^
3: Tali armatus fide adletha* Christi paluiam^^) vietoriae triumphavit®.
angelico^ vultu divinitus radiabat oculis® prae^ splendore, fons sapientiae flue-
bat e pectore*^. sed quantum inter humana consortia exigua^ consistebat fra-
gilitaS; tantum vigor fortitudinis in eodem caelestis* gratiac coruscabat. sed^
tremendam^ attestationem non taeeani; sed™ huiuscemodi referam; ad** plebeni
narrentur mysteria. videlicet quadani vcro die, cum itineris° sui proficisceretur
callemP, obviavit^ homini a nativitate caeco surdo et muto; nisi*" tantum ha-
lante^ spiritu^), inpresso* pedis vestigio ruina corporis vehebatur eratque ruina
ipsius", ut submersus^ pondere in foveani^ mergeretur. cuius vir dei adprae-
hendcns manum dexteram, elevatis sursum oculis in caelum, canebat enim^,
sicut in psalmo LXVIIIiy legitur: DeuSj in adiutorium meura intende^; do- Psalm. 69,
miney ad adiuvandum me festina; et complexns colla^ osculatns est eum.
ilico autem lingua^ soluta est ad loquendum, oculi ad videndum auresque
eins® ad audiendum. o ineffabilem^ mercationem! ^) praestolatur '') adiutorium
et tribuitur a domino medicina, porrigitur osculum et caelesti medela purgan-
tur® simul corporis et animae cicatrices. sed hoc fuit praesagiura quod postea
rei conprobavit eventus.
4. Tum* ergo gentilium** populus, quem Franciae matris mundo partu-
e) valida W^\ erat add. M». f) placide CM. g) in coma tutus Ma. h) desiderio WM»,
sidereo C; enim add, M». i) divino et auxilio M». k) iaculo — emisso CM». 1) ipso-
rnm cidd. M^.
Cap. 3. a) athleta CM^. b) cum palma CM^. c) triumphabat M&. d) angeli-
cum vultum C, ex angelico eius vultu M. e) lux et ex oculis eius splendor fonsque
M. f) splendorem W. g) eius add. M». h) eius add. M*. i) celesti gratia C. k) sub
CM». 1) igitur add. M». m) sub tremendam — videlicet manu %U videtur prima del.
C; huius eam referam ad plebom videlicet ut eius narrentur mysteria M». n) plebi C.
o) in itinere suo C. p) om. C. q) obvium habuit hominem — cecum surdum et mu-
tum C, obviavit ei homo — cecus surdus, et mutus M». r) nisi — spiritu om. C; et
nichil in t(antu)m alantem spiritum habens M». s) halantae W. t) qui in presse C.
u) tanta add. M. v) si submersus esset M. w) totus add. M. x) om. CM», y) LXVIII
W, LX nono C, sexagesimo VII M». z) intentende W. a) colium eius C, eius Collum
M». b) eius add. M». c) om. C. d) ineffabilis mercatio M*. e) purgantur (n del.) C.
Cap. 4. a) cum WCM^. b) gentilium — gleba om, C.
1) placide. 2) sidereo.
3) Über den absoluten Akkusativ vgl. Bonnet S. 561 f.
4) palmä, cum palma.
6) Einschränkung zu ruina corporis,
6) Cf. vita 8. Remedii 4, 13 = Venant. Fortun. vit. s. Albini 13, 37 (auct. ant.
IV 2, p. 65; 31): 0 ineffabilis gratia pietatis, a qua dum substantia sola petitur, tri-
plex remediuni obtinetur: victu pavit egenum, muneravit visu caecatum, reddidit li-
bertati captivum.
7) In passivem Sinne; vgl. Bonnet S. 407.
80 Wilhelm Levison:
rit* gleba^ — CblodoYeiis^ tunc tempore' ') rex in eodem solo tenebat' im-
perio** principatnin — nihiP aliud quam idolornm exercebat eoltnras et, ot mos
eraty deos anreos et argenteo«. ligneos atqoe lapideos adorabant^^ et com-
I1.1S4. i».pietar' sermo'" in illis^ quem David in psalmis canit dicens: Simile^ Slis fiantj
qui faciuni ea^ et omnes, qui confidunt in eis. et iternm sancta scriptnra
h. 83,11. dieit: Nolo mortem peccatoris^, sed ut convertatur^ et riro/.P*) domini vero**
. iob.i«9.gratia, qni'^ inlnminat omnem hominem venientem ad se, defoncto' Carnoten-
»io**) nrbiß epiBcopo, sneeendit*) in" »piracolmu ^) scintillae^ vivae corda^
regiSy nt non alins^ nisi Sollemnis sacraretnr episcopns. interrogayerat enim
faniam eins, et^ vnlgata fnerat in universo^ nrbe ^). andiens itaqne venerabilis
Sollemnis edietnm principis cernen^que pontifices, qoi enm ad eonsecrandnm^
Tenerant, fugit latenter, tridno qnoque** ') in speleo* latitavit. qnaerebatnr
enim** et non inveniebatnr. ille latebat in antro®, iste'®) replebantnr^ mestitia;
ille sollemnes** fundebat ad dominum praeces, iste' ^) consolatione^ tristis* qnae-
rebant" pro" abdito. verebantur** iussa principis, ne^ mortis punirentur** sen-
tentiam"^»^).
c) parturivit M. d) dum et add, M. e) Clodovicus W, Ludewicus M», Ludovicus M*>.
f) temporcis (e del,) Francorum rex C, tempore rex cxistens M. g") teneret CM. h) im-
perii C. i) gentilium populus nichil C. k) adorabat M^. 1) conplebatur M». m) in
iliis sermo CM» n) peccatorum C. o) couvcrtantur C. p) \ivant C. q) hoc provenit
gratia vero M», vero hoc provenit gratia Mb. r) quae CM*», s) igitur acLd. M. t) Car-
notcmsium C, Camotensiorum M. u) dei M. v) et scintillave WM», scintille vive C,
scintillave Mb. w) cor M. x) ibi add. M». y) ipsa add. M». z) universa WCM».
a) ^o requirandum C. b) triduoque CM«, c) speluncaWM«; quadam arfd. M». d) antem
M». e) atrio W. f) isti Pb, ilH Pa. g) replebatur AB, replebantur P. h) solemnes
W. i) isti P. k) coiisolationem CMa. 1) tristes P. m) quaerebat AB, querebaiit P.
n) Kapide tum C, abdite M'^ o) gerebantur AB. p) quis add, M\ q) puniretur WM».
r) sententia CM«.
1) Vgl. Bonnet S. 341.
2) Vgl. ähnliche Ausführungen bei Gregor hist. II 10 (p. 77—79). Ezechiel 33,
11 ist oben nicht nach der Vulgata (nolo mortem impii, sed ut convertatur inipius a
via Hiia et vivat) wiedergegeben, sondern nach einer älteren Übersetzung; vgl. ähn-
liche Fassungen der Worte bei Sabatier, bibliorum sacrorum Latinae versiones anti-
(juae II, 17.^)1, p. 817. Der gleiche Wortlaut findet sich Gregor, vit. patr. 10,2 (p. 707).
3) Carnotensium.
4) et'. Vit. 8. Leobini ep. Carnot. 14, 44 (auct. ant. IV 2, p. 77): rex caoli domi-
nus, in cuius manu cor regum est, Childebcrti regis cor ita sua inspiratione inflexit.
ut de bcato Leohino monacho pontificem in successorem eligendo regale daret de-
crrtum.
f)) Ul)er den Gebrauch von sjnraculum im Sinne von TTvori vgl. Ron seh, Itala
und Vulgata-, 1875, S. 38; Goelzer, Latinite de saint Jerome, 1884, S. 91
(») orbe.
7) Vgl. Bonnet S. 314: qxie. a trouve un concurrent en quoque.
8) isti.
9) isti consolationem tristes quaerebant.
10) sententia.
Zur^ Geschichte des FrankenkÖnigs Clilodowecli. 81
5. Cousiderantes igitar oves^ qaas sancta mater Ecclesia parturit, ne ra-
pacis lupi faucibus et*^ rapido morsu lauiarentur^ Aventiimm arcbidiaconum
iaudibus^ acelamantes, ut^ pastorcm^ siiuul et sacerdotcm instituerunt®. cum^
episeopalc*^ *) fuisset iunctus** consortium*, dilcetio^*) scparavit sacerdotum^
öoiivivio"". audivit itaque beatus ISoUcmDis in caverna, ubi latebat, quasi au-
ram" *; leuem per" siieiitia uoctis curreutem, fremitui' voeif eraiitem ^ choortis'^^):
Aventinus episcopus holocaustara^ obtalit^ deo; et cum" haee audisset^ ita fudit
ad doiiiinum preces: Üouiiiie, da lueeruam verbi lueere pedibus meis ad senii- ^^ ^^^^^^
tarn iuciö, ut beuedicat auima mea noniiui saueto tuo. cgrcssusque ibat oceur- li»' i<^-
rere^ sacerdoti. exspectabatur^^ euim* desideratus^ sicut aria^ '•) sitieus pluviae ^
guttas. et'^ rogautcs cum biuc plebis sonat in voeibus, ex* binc*' ruiiior populi cccic»ia«H<-.
t'remit in strcpitu, deindc cuucti^ concrepant'^ laudibus: Ecee Öollemnis, diguus
est*'), episeopus ordinciur! ad quorum laudes cxieruut*' episcopi et* suiunio
replcti gaudio dixeruiit: Diguus est, episcopus consecretur. nondum adbuc lue-
raut egressi de templo. et adprebeuso ^' ^) duxerunt ad aras tempii et indue-
ruut'* Stola caudida et corouam pretiosaui posueruut^ capiti, tradentes et^ ba-
culuiu pastoralem, ut dispersas oves cougregaret ad lidem sanctitatis.
13. Dicit-' sanctus Öoliemuis: Quid ergo facieums de Aventino episcopo?
respouderunt omues: 6i post tuum superstes luerit obitum, diguitatis obtineat
ioeum; sin autem, tuo sit obtempcrans prineipatui. et tum ^ eomplebitur^ sermo,
quem dominus intonat diceus: Veni^), serce bone et fidelis, intra in gaudium
25, 21 (23)
» 1 ^Cap. 5. a) om, CM». b) dignis add. M. c) om, CMa. d) eum sibi add. M*.
e) instituerent WM», t) hie cum C. g) episcopali C; igitur add. M. h) nactus WM,
vinctus C. i) consortio C. k) Sollempnis add. M. 1) sacerdotcm W>. m) a convivio
WM. n) om. W, aurcm C, auram M^^P. o) pro sileutio VVMa p) fremituque M^.
q) vocil'erante in W. r) cho o*-tis (s e co/t.) W, om. CM», s) holocausta W. t) optuiit
W. u) cum — audisset orn. C. v) occm-re W, ut occurreret C. w) expectans pluvic
guttas C. x) autem M«. y) arida WM»^. z) et — cum om. C; et oaincs rogantes erant
deum • Hinc plebes souaut M'^. a) et C. b) om- C. c) tunc W, om. C. d) concrepac
C d) excitaii episcopi lidc summi repleti C. t) om. WC. g) adprehensum CM**^.
h) eum add. M*^. i) iinposuerunt eins M^. k) ei M^.
Cap. G. a) itaque add. M. b) cum W, om. CM. c) completm* CM; iu eo add. M.
1) cum episcopali consortio iuuctus fuisset.
2) dilectio (Soiiemnis) separavit (Aveutinum) convivio sacerdotum.
'S) auram . . . vocit'erantem t'remitu cohortis.
4) Über die Schreibung von coAor« .vgl. Vol. Long, de orthogr. (Keil, Grammat.
Lat. VI1| p. 74): talis quaestio est et circa cohortes et coortesj ubi diversam volueruut
signiticatiouem esse grammatici, ut coortes sint villarum, unde homines cooriantur pa-
riter. . . . at cohortes miiitum a mutua cohortatione. nam cliortes audimus quidem
vulgo, sed bar bare dici.
5) area.
6) Über die Acciamation Dignus est im Gallikanischen Ritus vgl. Duchesne,
origines du culte chretien, 1H89, S. 359.
7) adprehensum.
b) Der Anfang des hier woiil aus dem Gedilchtnisse wiedcrgogebenen Vorsos
lautet sonst, dem Griechischen Urtexte entsprechend, euye.
JtUirb. d. Ver. v. Altcrthsrr. im Rhciul. idU. 6
^ Wilhi*>lm LeTisoa:
i** tmi; quia 9Mper pamca fmbfti^ fiddU, *mper mmlta omsiitMam^ te.
!i^ prifftea 9S(u pietate eommoCiGi^, ne «anda Buevlarctnr reüpo, dedh^ ho-
fiMi^ rei^ ^ r^pidom ' eo^nominante '^ Dumm, in qno^ Titae nae reli^onis^
i^^^fnniA exeri^ret cnltiiru.
P^t ter denri«» «ciKcet" die? ChlodoTeos* rex contra Gothornm aeiem
armatnm tende^faf^ exercitüm: comqne CanHXinani^ fniäset nrbeni in^icnpi,
p'^ktm. u. t ot riti» prii^cornin erat, «ab te^?miiie "^ eeele$iae taliter pe^ebatnr: Apprehemle
arm/t et Mmfum et ejtJturge in adiatoriHm mihi, dieant enhn'' ptocercs re^s*:
Ma^a nobiA or/rana relijsi<>!saqae* eanent"^ aQ>picia: et ÜMfurrlHit rex, qnd-
riam iKic"" esm^, dieant ei: CHrcorre SoUemni epk^enpo, ipw namqae tibi narra-
Mt niiAteria« tanc occarsam^ dedit rex sanas^ el^ «n satdKtcs ^>rio$o Soi-
lemni, oni S^fllemnis ait: Qao pergis^? rex att: Contra Gotborom re^ni ad
praelinm. regpondeih^ beatas .Sollemnis et**'» ait*: Inelite** rex, si velis, e^
te indao arma^, in qna adversarioram prri^temas^ catervas. et niiratns est rex,
objier'rabat'* enirn, nt haec*^ illi arma praeeingeret. qai^ dixit ei^: Nisi signatns
far-ri?**^ Mignacnlo cracis, ot de tropheo Christi triamphes, non aeeipies iialiiiam.
f:r ffj'.\t'*\:^ 7- Confeiitini* cam fletn flectensi cerviceni eordis petiit, at ei qacwl pro-
i\i dpi ofUL W. e) fidelis faiftti C. fi constiamte W, constimante M>, te coiistitiiaiii M**.
^} rnotuft C. h) adiit opidam co^oniinatam Dunnm M. i) hnios cerei C. k) qua WC.
I; nrlioiiiH W, ar ndi^i^ionis C. m) vero M*. n> Hindowicos W, Lndewicas M*. o) niisit
M*. p> Caniotinnm W, Camotum M*. q) teg-men C. r) antem M». s) ro«^i C. t) re-
\\ii;v)%j\ C U) cannnt C, i«ti cannnt M*. v) hec C. w) in occursuin dedit se rex M.
X) om. C y) f;t (del.) cum »uis satellitibus C. z) om. CM*, a) dixit CM», b) inclit^
p.x\ M*. c) armiM quibu« M*. d) ohsecrans eum C. rogabatque enni M*. e) bec illum
arma C, hi« illuin armin M* f; cui W.M*. ;:) om. M». h) fuerit W.
Cap. 7. a; autom add. M».
1) llniuHfe rei ist wohl nach Analogie von huhisce modi gebildet, im Sinne
von hr/r re, hac de cnnsa.
2) C'hateaudun heisst .sonst casfrum oder casfeUumj nicht npidum^ unter dem
On*^-or von Tour« „une ville forte d'une iniportance ordinairement superieure A celle
du raMfrttm** versteht fF^ongnon S. 14). Doch kann man hier an eine weitere Bedeu-
tun;c denken: „le mot oppidum etait pris ;i l'epoque merovingienne dans le sens de
paf/uM ou de t(*rritoire" tl-.ongnon); die jüngere Vita <!:iebt also mit Dunum castruift
ff Hiihnrhaiui fjus den Sinn vii'lleicht richtig wieder.
:»; (:ber den Clebrauch des aktivischen Präsenspartizips in passivischer Geltung
v;^^l. IjMiMMT, Jahrbücher für classische IMiiloloj^^jo CXVll, 187H, S. 55—56; Neue, For-
nHiilehre der Latrinischen Sprache III^ S. 12 f. Coj^nominante findet sich in glei-
cher Verwrtidun;^ di|)lom. I, p. IG (6.*J2/;^): rilfa coynoinennnte Ificinascoam, p. 91 (um
<;.'>();: /ttrt/ r(n/nfmihianfe (ifinniniaco; ebenso luincupante. vit. Theudarii 10 (scr. Merov.
III, p. Wl't*>), vit. (lau^e.riri \) (scr. Merov. III, p. 655) und sehr hilufig in diplom. I, zu-
«•rnt p, ID: /// htcn jionrtf/fdfifc. ('ofirrtco.
A} cannnt; v;;!. Bonn et S. 4'JO.
5) \';^l. lUninet S. 650: „Lc participe present devient ainsi pre.sque un äquiva-
lent de rindicatif; il hu Hit a loriner des |)ropositions principales, non pas tout k fait
in<lepcndantes, a la verite, inais jointes par que ou et j\ d'autres principales." Vgl.
c. .'I: lulpnn'hcvdf'nH . , . ranehaf enim.
Zur Gesehichto do8 FrankenkÖnigs Cblodowech. 83
miserat adimplcrct. extimplo^ autcm^ sanctus Sollemnis fronti** eins vixilluin
crucis signaculum et pectori® fecit. vovitque^rcx dicens: in his*^ armis abiero**
et* populi ßi percepero bravium, memet^ usque baptismi gratiam trade, tali-
bus luinbos^ ^) armis siiccinctiis'", pergit" ad praelium. ciimque^ acics centra
aciem utrimqucP tela** emissa iactarent, momento'' Gothorum agmina^ prostran-
tur, pectora^ perf odiuntur " et dorsa gladio^ cum^' terga dederunt. micabaf^
eniui crux in pectore, et coniscabat inucro victoria. fallax Gothonim gens ferro
praeciditnr, et firmiter Francoruni^ exercitus^' Christum '^ dominum eonlauda-
bant*"^. sed cum victoria accepta^ ipsi Gothi, qui rcmanserant*^, fuga lapsi *)
fuerunt**, et^ Francorum exercitus ad regem dixerunt^, ut ipsos persequi«? de-
bcrcnt -^j et rcguum eorum pereiperent^'. quae* rex gaudens^, eonlaudans* eo-
runi'" consilium et fortitudinem, dixit" eis, ut crastina die° ingrederentur re-
giones(|ue vastarent.
8. Sed cum i|)sa nocte se*^ sopori dedisset, appjiruit ei in sonmis vir
beatissimus'* Sollemnis episcopus et dixit ei: Quid agis rex? ne ingrediaris*^
in lianc regifmem, quia dominus non permisit tibi amplius ut ingrediaris. sed
dum Franci in ipso fcrvore*^ ad praeliandum ire volebant*', rex dixit eis: Ne
ingrediamini', (piia sacerdos ille Sollemnis, qui fecit nobis vixillum^ crucis in
fronte veP' in pectore, per cpiam* accepinuis palmam**, in viso* apparuit mihi et
ait: Ne ingrediaris'", rex, ([uo cupis, quia dominus non permisit tibi amplius
b) tunc C. c) om. C. d) fronti ci vixilluin manu prima^ eins vcxillum manu altera
W; Irontein eins et pcctus vexillo crucis signavlt C; fronti eins vcxilli M^. e) poctorao
WM«, f) vovit itaquc M. g) hec arma C. h) si abicro et populi percepero bravium
(ßpa߀lov) mc7»ct (m e corr.) usque ad C; abiboM. i) et populi si percepero victoriani
W; et si percepero victoriam M. k) nie meunique (populum add.^A) baptismi gratiae
WM. I) lumbi W, om. CM. m) accinctus M^. n) perrexitM^; rex atfd. M. o) cum M*».
p) utrique WM», om, Wk q) tela laccrarent (er superscr. manu prim^a ut videtur)
emissa iactarent W, tela iacerent C, tela emissa iactarent M. r) memento W, in mo-
mento C. s) agmina — fallax Gothorum om, M. t) per acquora W, per latcra C.
u) perfunduntur W, perfoduntur domino opitulant43 C. v) cum terga om. C. w) pu-
gnabat C. x) eorum W, istius C. y) vincens add. M». z) patrem add, M». a) coiir-.
laudabat CMa. b) esset accepta et ipsi M. c) remanserunt WM*>. d) fuissent CM.
e) om,, M. f) diceret C, dixit M. g) persequerentur M«^. Ii) acciperent CM», i) qui
W, om. C, rex vero M'\ k) et add. M». I) conlaudavit C. m) tale Ma. n) dixitquc
C. o) terram eorum add. M».
Cap. 8. a) rex add. M». b) beatissimis episcopus (-us Sollempn- om.) M*. c) iii-
gredieris C. d) suo add. M^. e) vellent CM», f) ingrediemini W, ingrcdimini M«^.
g) vixiilum W manu prima corr, in vcxillum. h) et M». i) quem M^. k) victorie
palmam Ma. 1) visu CM», m) ingredieris VV.
1) Cf. prov. 30,31; gallus succinctus lumbos; Epbes. G, 14: succincti lumbos ve-
stros; 1. Petr. 1, 13: succincti lumbos mentis vestrae.
2) Vgl. Bonnet S. 254: Lo verbe simple fugere est rcmplac6 souvcnt par uno
locution assez bizare, per fugam labi , . . fuga läbi,
3) Vgl. Bonnet S. 691: Chez Gr<^,goire le verbe debere . . . dovient un vrai
verbe anxiliairc de mode, n'ayant plus qu'un faible restc de sa signification propre.
84 Wilhelm Levison:
ad" ingrediendnm vel® devastandum, sed utP remeares cuni*i cxercitu ad pro-
pria. ingressusque*" Aquitaniam totamque* igni fen-o pracdaiido* vastavit, nee
poteraf* quisquam erueeiu^* devincere, in qua cunctum ^' tortuosi serpentis virus
depellitnr et tartaria* iura^ siraul et* invidiae refrcnantur. tale* tropheum cm-
ceni^ ^) rex obtinuit triumphum^ progressus*^ ab Aquitania, misit legatos suos®
ad beatum äollemneni; ut eum baptismi unda perfunderet, in qua vitae'* cri-
mina expiantur. qui, adiuncto sibi saneto Remedio^ ^) Remensium urbis epi-
scopo, divina favente** virtute*, cum summa alacritate baptizatus^ ^) abstcrsit^
atram cordis caliginem et"^ cum eodem CCCLXIIII" nobiles satrapes^^), quos
regeneratos fönte '^ baptismatis** sancta mater Ecelesia*" in spiritu saneto*** adop-
tionis parturit iilioS; ut aureus anni cireulus dierum compleretur in numero.
9. Magnam ergo vobis referam questioncm^ homo^* ille a nativitate cac-
cus surdus et mutus forma gentilium erat, quorum nativitas necdum inluminat^
fuerat baptismi gratia nee auribus^ audierat autea praedicantem prophetam^
nee verbo® loquebatur*' de deo, quia^ nondum erat fides** ad ercdendum in-
structa. originali ergo peccato pracponderata in interitu* mcrgebatur.
Sauctus vero SoUemnis^ eum sex^ lustra et quattuor^ aristaruni vitae vol-
n) ingrcdi ad devastandum C. o) ad add. M^. p) remeabis C, remea M''^. q) tun
add. M«^. r) ingrcssus itaque M*^. s) tute siguifer prelio domum pervenit, nee potorat
C; illam totam Ma. t) praelio domuit et vastavit M*. u) quisquam poterat M«. v) do-
inini add, M^. w) cunctus W in margine. x) tartara C, tartarea Ma. y) om, C.
z) et invidiae ovi. C. a) talem CM»; igitur add. Ma. b) per cruccm CM«, c) del. C,
om. Ma. d) regressnsque C, regressus vero M». e) om. CMa. f) vite eins criniina
expiarentar C, vita eius a crimine expiaretur M». g) Remigio CM. h) faventc Hra-
banus B, Hervente W, fYequente. (fre del.) C, scrvcntem M», fervonte Mb. i) regem
add. M. k) baptizaverunt CM. 1) abstersit — et 07n. C; abstersit autein dominus et
terram cordis eius ealiginem M'^ m) cum eodem itaque re<^e M'i. n) CCCLXIII \V.
o) satrapas CM»; purgavenmt add. M». p) fons WM\ q) baptismatis sancta om.
WM'i. r) om. WMk s) in add. M-K
Cap. 9. a) de homine iam illuminato add. M^^ b) enim add. M'^ c) audierat
aiiribus ante M^. d) prophetum W. e) verbuin C. 1) loquenteni M. |») quoriim M.
h) fides (s del.) C. i) interitum CM. k) sex om., lustris ijuattuor vite eius C. 1) more
add. M.
1) eruce, per crucem.
2) Über die Form Uemedius gegenüber Reniigius vgl. Bonnet S. 173, 735 1
Krusch, scr. Merov. III, p. 2G2 n. 1: In epistulis nomen suum liemegius scripsit . . .
At iam Gre«j;orius nomen ad vocabuhim remedimn rettulisse videtur.
3) Vielleicht ist hier absoluter Nominativ beabsichtigt; vgl. Bonnet S. 5G5 — 5()8
und z. B. Gregor, bist. II 21 (p. 81): „signo crucis sanctae munitus, nihil ei inimicus
nocere potuit." Doch ist der ganze Satzbau verworren.
4) Wegen der Verwendung von satrapa bei Deutschen Verhältnissen vgl. Beda,
bist. eccl. V 10 (Sachsen); Wright-Wülcker, Anglo-Saxon and old English vocabularies
r-, 1.SH4, S. 521) und epist. 111, p 424 (Angelsachsen); epist. 111, p. 51;") (Langobarden);
vita s. Kminerammi 33 (analecta Bollandiana V'lll, 188i), p. 245) und Urkunde bei
Meichelbeck, historia Frisiugensis 12, 1724, p. 31 (Baiern); vita Dagoberti IIL, c. 3 (scr.
Merov. 11, p. 513, eine sehr späte Quelle: Franken).
Zur Geschichte des Frankenkönigs Cblodowech. 85
verentur™ curricula", pontificale*^ promulgatußP honore*J, florebat enini' — ec-
clesia claro* liimiue decorata — fulgorc; tres* quoque olimpiadas" gcrcns cnra^'
triiiinpho de hac luce migravit ad Christum^. VIII kal. Octobrinni reddidit*
terrae cori)U8 de corpore^ snniptum. illa scilicet'' hora, qua gpiritiim corpus*
8U0 reddidit crcatori, tantnm^ domus replcta est de odore suavitatis, iit mentis
nostrae*^ eapacitas iion^^ possit euarrare; videriintque® columbam candidam de
ore eius egredientem et inter ehoros angeloriim psallentium ^ e volare ad astra*^.
Cum igitur eorpusculum ** feretro impositum ad tuniulum duceretur, erat qui-
dam latro, nomine Tar8ius^ iam triennio carcere^ sitiis et vinculis ferreis colla*
manns plantas ita constrictus, nt oninis natura"™ putrefaeta fetebat", sed cum
feretro** membra saneta dedncercntnri*, aspiciens latro exclaraavit*^ voce magna
dicens: 0 pie Sollemnis, qui caecis visum, siirdis anditnm restituisti et mutis
linguam, eriie me de bis^ vincnlis, in quibus* omnis membrorum meornm com-
pages* marcida fetet. 10. ilieo autem catenae, disniptae* e gressibus^^) per<^
media cnlmina tecti in*^ plateam rugientes* *) exilierunt, et universa plebs ter-
rore coucussa*", latroque^ egressus de carcere, extendens^ manum, adprehen-
dit spondam, in qua venerabilis Sollemnis iacebat, et confestim putredo eins
sanitati restituta est. cum veneranda videlicet' celebritate productus, conditus^
est in tnmnlo, ubi multa signa et virtutes^ nsqne in hodiernmn diem esse"*
videntur.
Cernite, fratres, quantam" famniis suis benignitas salvatoris domini nostri
Jesu Christi contulit*^ gratiamP, quantum in vita et post obitum divina in^ eis
m) volveretur W, volveret M. n) curlicula W. o) ad pontificaleni C, pontificalem M.
p) promotus M^»; est add. C. q) honorem sub quo C, in honore M»^, in honorem M*».
r) om. C, in M. s) clari luminis dccoratus M. t) trium quoque oHinpiadum C; per
tres M. u) oliinpididiadas W. v) triumphum CM. w) dominum M; et add. C. x) et
redditus est terrae, spiritu de corpore Humpto Ma. y) eadem ore (del) C. z) vero Ma.
a) 07». C. b) tanta W. c) nonduin W, cuiusquam M*. d) om. W. e) viderunt itaque
Ma; qui aderant add. C. f) psallentem et W, psallentes C, psallentem M», psallcn-
tium B. «r) ct'luin M». h) curpusculum W. i) Tharsis M^. k) in carcere C. 1) per
Collum et maniis et M*. m) eius add. M». n) feteret CM», o) in feretro CMa. p) de-
ducentur W. q} clainavit C. r) hoc vincnlo C. s) quo C. t) compago M».
Cap. 10. a) sunt add. CM». b) egressus W, egressique C, egressusque M».
c) per medium culmen C, de medio culraine M«. d) in plateum W, in platea C, pla-
team M». e) rugiens exilivit M«. f) est add. C; perculsa concurrebat Mk g) latro
itaque M». h) extendensque Ma. j) autem CM». k) est conditus M»; est om. W.
1) ostenduntur add. W. m) om. M*. n) quanta in W, quantam in (del.) C. o) con-
ferat Ma. p) gratia • In quantum vita et W; gratiam et quantum in vita et C; gra-
tiam • In quantum in vita ipsonim et M». q) meis W.
1) Vielleicht lässt sich e gresstis halten im Hinblick aufstellen wie Gregor, bist.
II 10 (p. 79): ex aliud, V 43 (p. 235): ex adsumptum hominem; Jordan. Get. 51, 267
(auct. ant. V 1, p. 127): ex vicina loca\ 60, 316 (p. 138): ex eortim latissima prata.
Zu gressus vgl. bist. VI 9 (p. 254): ut . . . debili usum gressuum, caeco restituerit Vi-
sum; virtut. 8. Mart. I 18 (p. 598): absolutis ^Tessibus . . . incolomcs exilivit.
2) Rugirc in ähnlicher Bedeutung Fredegar IV 5 (scr. Merov. II, p. 125): Eo
anno signum apparuit in caelum, fglobus igneos decedens in terram cum scintellis et
rugetoJx\\^\\M).
86 Wilhelm Levison: Zur Geschichte des Fraukenkönigs Chlodowech.
refulgeaf virtus. recolite^, fratres, quod auditis; sie* anniversariura celebrate
buDC diem et sie huic diel debitum exspeetate sermonem, ut, eius gratiae"
participes^ in paradiso^ unde vetus Adam calliditate serpeutis eieetus est,
novus Adam introducat^ vos in regnura caelorum, cni est honor et gloria,
laus^ potestas in saeeula sempiterna^y amen.
r) operetur C. s) recondite M». t) sicque M». u) gratiam CM», v) participetis pa-
radiso • Ut unde C; participemini et paradiso M». w) iiitrodui*at nos et in regnuin
celorum collocet M». x) laus potestas om, CM*, y) seculoruin CM».
Nachträglich erhalte ich durch Herrn Stadtbibliothekar Dr, Max Keuffer
in Trier die Nachricht, dass die Handschrift M^ sich in der Bibliothek des
dortigen Priester-Seminars befindet. Nähere Mitteilungen verdanke ich Herrn
Dr. Jakob Marx, Professor am Seminar, sowie meinem Commilitonen Herrn
cand. phii. Rudolf Weynand. Die Vita findet sich im Cod. n. 35 (saec. XIII,
fol. 124'" — 126^), der einst einen Teil des grossen Legendariums von St. Maxi-
min bildete (vgl. Sauer land; Trierer Geschichtsquellen des XI. Jahrhunderts,
1889, S. 57; Krusch, N. A. XVIH, 1893, S. 618— 628). Eine Untersuchung
der Handschrift hat durchaus die Annahme bestätigt, dass der von ihr gebo-
tene Wortlaut der Vita Sollemnis mit M"^ aufs engste verwandt ist; die Ab-
weichungen sind unbedeutend und kommen für die Textkritik kaum in Be-
tracht.
4. Die arretinischen Vasen und ihr Verhältnis zur augusteischen Kunst.
Vortrag, gehalten in der Sitzung des Bonner Altertumsvereins
am 24. Februar 1898 ').
Von
Hans Dragendorff«
Hierzu Taf. II— V und 12 Textfiguren.
Einige Bemerkungen über die arretinischen Vasen, die schönsten Er-
zeugnisse der Terra-sigillata-Industrie, dürfen auch im Rheinlande Interesse
beanspruchen, da diese Vasen für das Verständnis unserer einheimischen Fnnde
von grundlegender Bedeutung sind. In meiner Arbeit über die Terra sigillata
habe ich auch den dekorierten Gefässen von Arezzo schon einen besonderen
Abschnitt gewidmet ^). Aber das Material, das mir damals zur Verfügung stand,
war ein geringes. Auch beurteile ich es jetzt, nachdem ich selbst Italien und
seine Sammlungen besuchen konnte, in mancher Hinsicht anders, sodass ich
gern die Gelegenheit benutze, auf diese Frage zurückzukommen %
In Arezzo wurden schon seit dem Mittelalter, dann aber namentlich in
neuester Zeit durch die Forschungen Gamurrinis, massenhaft Scherben de-
korierter Sigillata-Gefasse und Bruchstücke von Formen zu ihrer Herstellung
gefunden, die sieh jetzt im Museum der Stadt befinden. Es sind die Scherben-
haufen der grossen Töpfereien selbst, welche man aufgedeckt hat, und zwar
stammt fast das ganze Material aus den Töpfereien des M. Perennius und des
P. Cornelius*).
1) Der Vortrag kommt hier im Wesentlichen in der Form zum Abdruck, in der
er gehalten wurde, nur mit einigen Bemerkungen und Zusätzen versehen.
2) B. J. 96. 55 flr.
3) Eine Neubearbeitung des ganzen Materiales und eine sorgfUltige Unter-
suchung des Stiles der verschiedenen arretinischen Reliefgefässe^ würde sicher die
Möglichkeit geben die einzelnen Fabriken genauer in ihrer Aufeinanderfolge fest-
zulegen und einen Stilwandel noch innerhalb der ganzen Gruppe zu erkennen. Diese
Arbeit ist aber erst möglich, wenn ein grösserer Teil der Funde im Museum von
Arezzo veröffentlicht sein wird, sodass wir einen wirklichen Überblick über das Vor-
handene erhalten. Bis dahin müssen wir uns begnügen, mit der Vasenklasse als
Ganzem zu arbeiten.
4) Vgl. B. J. 102. 111 ff. (Ihm).
88 Hans Dra^endorff:
G a um r r i u i bat die Ergebnisse seiner ForsebuugeU; die nocb manche
interessante Einzelheit bringen werden, noch nicht zusammenfassend publiziert.
Es stehen uns daher für die Frage, welcher Zeit diese Fabriken angehören,
nur wenige äussere Anhaltspunkte zur Verfügung. Sicher ist, dass die Fabri-
kation der roten Töpferwaare in Arczzo in der zweiten Hälfte des II. vor-
christlichen Jahrhunderts beginnt und dass sich die Industrie zur Zeit der Zer-
störung Pompeis in Italien schon in tiefem Niedergang befindet ^). In den
nördlichen Provinzen kommen dekorierte Scherben bester arretinischer Art
nur sehr selten und nur in ältesten Schichten vor^).
Ihm hat jetzt zusammengestellt, was sich aus dem von ihm für das
CLL. XI gesammelten Matcrialc crschlicsscn lässf*). Seine Untersuchungen
bestätigen, dass die Blüte der arrctiuischen Töpfereien in das I. vorchristliche
Jahrhundert, die Zeit bis zum Tode des Augustus etwa, fiillt. Namentlich ge-
hören die Fabriken, welche die schönsten dekorierten Gcfässe gefertigt haben,
dieser Zeit an. Zu demselben Resultate war auch P a s q u i durch seine Be-
obachtungen der Funde bei Sta. Maria in Gradi in Arczzo für eine einzelne
Fabrik, die des M. Perennius, die dann von seinem Freigelassenen Tigranes
übernommen wird, gekommen*). Den Perennius datiert Gamurrini in die
Zeit des Sulla, was wohl den Anfang seiner Tätigkeit bezeichnen wird. Die
besten Gcfässe verfertigen seine Sklaven Cerdo, Pilades, Pilcmo, Nikephorus.
Es folgt die Thätigkeit des Tigranes, die nach einer zwischen den Scherben
gefundenen Münze in die Zeit des Augustus fiillt. Dann beginnt sofort der
Verfall, der schnell fortschreitet. Die Hauptarbeiter dieser Zeit sind Bargates,
dann Crescens und Saturninus.
Gleichzeitig mit diesen arrctinischcn, namentlich den jüngeren, arbeiten
die Töpfereien in Puteoli. Ihre Dekorationsweisc untcrscboidet sich von der
der arretinisclien Werkstätten nur durch geringere Feinheit der Ausführung
und dadurch, dass ihr eine Reihe der besten Typen fehlen ^}.
Die Frage ist nun: giebt uns etwa die Dekoration der Gcfässe, geben
uns die Figuren und Ornamente seihst einen Anhalt dafür, die Zeit der Fa-
briken genauer zu bestimmen?
Mustern wir die Elemente, die der arrctinische T(">pfer zur Schmückung
seiner Gcfässe verwendet, so finden wir da eine grosse Mannigfaltigkeit, nicht
nur gegenständlich, sondern es ist auch die Art und Weise, wie die einzelnen
Dekorationsclemente aufgefasst und stilisiert sind, eine ganz verschiedenartige;
so verschiedenartig, dass schon dies allein beweist, dass die Töpfer hier mit
übernommenen Vorlagen arbeiten.
1) H. J. !)G. 40. 125.
2) X('U('r(liii«;s ist v\u (i.i:iiri'n^'"('sclniiü(.-kt('s (lotass bCvStcr Art in Neuss <::ol'iinden,
auf i\:\^ C. Kot' neu iiiicli aurincrUsaui macht.
.*>) n. .]. 102. 10»» tV. Für alle Kinzcllifitru verweise ich auf diesen Aufsatz.
li Xnt tl. seavi. A^"ost<)-\ov«'Uihre ISIUJ. \'):\ tV.
5) Pie Sch«'i(lun^', die ieli früher ii«Miiaeht habe, lässt sieh nicht aufrecht erhalten,
>vie mich die Funde im Museum von Arez/o gelehrt haben.
Dte «rretlnlsehen Vm
ml ilir Verhältnis jnr jingoätflBi-hen Kunst.
M9
Da ist /.unitcliHt i'iiJe Rcilif von rif!nron, lüe dcascihen VorlaKon entnmn-
nien gind. wie die der ungenannten nciiattiBolien '") nnd Caiiipanai'i'lipr». Eh iKt
ein ganx hestiinmtor enKlieprenzter Typpnscliatz, mit dem diese Künstler deko-
rieren, Dieser ist zum irTßSBtihn Teil Vorlfif*eii ans Älterer Zeit enlnmnmen.
Die atrenge Stilimerniifr snehen aiieli die Koiiisten festen halten, nnd wo nie
jtliigore Vorlafren lienntzen, wird iliiieii äntaerlieli ein al teil (imti che« Oeprilpe
fteBebe». Dadurch erhalten din Fijfnren vielfneli etwas alTektiertes, 7m den
SraKifisen Reweiriuisen passen die auffallend flehlankeii Krtrpcr der Figuren, die
lieBondera pern in leieliteni Tanzschritt dargestellt werden. Nur selten wird
eine wirklielie Handlnng gesehilderl. Die raenaeliliche Gestalt ist pleichsam
nrnamental verwandt nnd dazn passt die etwas nnlehendige Stilisiernnf:: dann
sehr pnt. Dargcutcllt sind Müdehen mit kurzen Rßckehen nnd einem peflneh-
tcnen Kalathos auf dem Kiipfe, die einen Tanz vor einem avchaisehen fiWter-
bild nder einem relieff^eselim tickten Altar auffuhren, Creflilfielte Oenien he-
krftnxen einen Altar nder Candelahcr. oder spenden einen Trank; Nike kniet
auf dem Stier, um ihn zn opfern. GeflUcelte sit/ende Genien mit entlddsstem
Oberkilriier spielen Leier nder blasen die Flute; an ihrer Stelle erseheint bis-
weilen ein bftrtiper Mann. Dann finden sieh RehHärmendo Satyrn nnd Münaden *).
Satyrn bei der Weinlese, die Ilnren mit ihren Gaben nnd ähnliehcs. Das Bei-
werk ist bei diesen DarstelhuiKen anf (las .\nsser8te besehrJUikt.
Daneben haben wir eine zweite flrnppe, Darstcllnnfren wie .lapdHZcnen.
die sieh in Seliilf nnd Sumpf abspielen: ilie Landsehaft ist {ranz realistiseli
wiederzugeben versucht*!. Opfeinzenen aus dem dionysisehen Kreis mit rea-
n Vi
21 Zu (ti
rior rcclite Ar
Ha
ier. Di.' Ni'uatlischen Relief». - B, J. 96. S8 fr.
.1. !M{, filh HUlfff>:»h»pn Typen kommen hiiiKn: InriKondn Milnntlp;
mit dem Thyrsr.« «urückffent reckt. — nttrtfser Rikm, sitiitinil um)
illn Doppelfliilp blnüi-nd, inilrro nr ilen Obcrklirpcr rflcUw«rtn dreht. — THnastuter
bXrti^er Silcn mit Her Doppel flöte, rter in der Slulluns iianz dem tanisenden Silpn in
Villa Bor^fheBe entspricht (Priedrichs-Woltcrs. QipsahifüHse 14271. — Stehende Ma-
nade in kurzem fie wand mit hohen Stiefeln, difiNehris iiuo.r über die Brust grrliunden.
Aorgebundenn? Haar. Dtsr linke Arm hHlt den Tliyrsns mit gesenkter Spitze: —
Esel mit ffeHp.nktem Kopf, darauf aitxt ein Reiter, von dem nur ein Fnss erliHlten ist.
Vielleicht Silen.
3) B. J. M. 73. Hinmi kommen auf Stfluhen des MnKCBins in Arezüo: ein Eher,
dem der Hund auf den ßQL^ke^ tresprunKen i«'- — l^i" Löwe, der auf einen Oernllenon
ger<pruu{rt'u ist. — Ein ^rrosser MnlnHseHutiid tnfl nalsbnnit — Eine angreifende Lö-
win. — Ein .lünfi'iujr mit dem breitrandigen Ja(rdhut. Er steht (linkes Rlandheln),
nackt bis anf eine über den Rücken liHn^endo Chlamys. Der linke Arm ist vorffu-
»reekt, der Speer rechts «reschultcrt, — Ein vollständig: erhaltimex Enemplar de» Rid-
tera sel^, daati er, ebenso wie der unter dum Riiubtior liegende Jll^er, den macedo-
nbcheu FiUhui trug-, wodnreh nein« Übcreinstlmmun« mit dem Reiter des Me«»oni-
flehen Reliefs im Louvra (Arcli. JHhrl). III 190; Loeschcke) noch prösser wirrt. Eine
Variante ist es. weim dir Reiter «ich zurückwendet und das Sc! i wert Über dem Knpfe
schwingt, »ndiisB die Flfruriu ihinr Stcllnnfi' der Alexnndersl.ituelte au» Pompei sleieht.
— Wir hnbpn hii-r also Kxccrpte aus einf-r jrrosaen H-rnrcnreichm Jajrddarstellunjr hel-
leniattschpr Ziil, nnch dpr wir im« wohl eine VorwiflUinü' von den venaliones dos
Akragna machen kiJnnen. Die mitcednniHche TrHi'ht und dii' ZttsanimenhUn^e mit
90 Hans Dragendorff:
listischer Wiedergabe aller Einzelheiten der Kleidang, Andeutung des Lokales
durch Pfeiler, kleine Götterbilder auf Säulen, Felsblöcke, Kränze^). Kämpfe
zwischen Kentauren und LApithen, auf felsigem Terrain, unter knorrigen Bäu-
men, deren ausgebreitetes Laubwerk sorgfältig wiedergegeben ist *). Im (Jegen-
satz zu der ersten Gruppe haben wir hier frei bewegte kräftige Gestalten.
Erinnerte uns die erste Gruppe an die neuattischen Reliefs, die als Nach-
ahmungen von Metallbeschlägen meist an Basen, Kandelaberftlssen u. s. w. an-
gebracht waren, so diese zweite Gruppe an die hellenistischen Reliefbilder,
die feinen Marmorreliefs, die an Stelle von Tafelbildern in die mit Marmor be-
kleideten Wände eingelassen waren').
Neben Figürlichem nimmt nun auch das Omamentale einen breiten Raum
ein. Und auch hier finden wir ganz verschiedene Auffassungen neben einander.
Um nur einiges charakteristische hervorzuheben, so zeigt uns zum Beispiel das
Fragment Taf. II 1 noch ganz streng stilisiertes Phantasierankenwerk, zwischen
dem ein kleiner Eros schwebt. Andere Fragmente haben stilisierte Ranken
mit Blumenkelchen, aus denen Tiere herauswachsen (z. B. Taf. II 2). Zahl-
reiche andere zeigen uns Blätter, Beeren, Früchte in vollkommen naturalistischer
Ausführung, die zu botanischer Bestimmung lockt. Neben lockeren Kränzen,
die aus ganz verschiedenartigem Blatt- und Blütenwerk zusammengesetzt sind,
dem messenischen Relief einerseits, der Alexanderstatuette andererseits sprechen wie-
der dafür, dass Loeschcke mit Recht für das messenische Relief auf die Gruppe in
Delphi hingewiesen hat.
1) Zur Ergänzung des B. J. 96. 61 IT gesa«:ten: Die unter 3 genannte Frau
trägt einen Ärmelchiton; die unter 7 genannte Fiorur ist sicher weiblich. — Hierzu
kommen' folgende Typen: 8) Variante von 5. Das Mädchen, dessen linke Schulter ent-
blÖHst ist, trä^t einen Teller mit Früchten auf der Hand. Den Kopf bedeckt das
kleine Kopftuch, welches z.B. der Berliner und Florentiner Hermaphrodit und manche
Fi«:uren auf hellenistischen Reliefbildern tra«:en; z. B. Schreiber, Wiener Brunnen-
reliefs p. 30. — 9) Mädchen trä«:t mit beiden verhüllten Händen einen Getrenstand, wahr-
scheinlich eine Ciste wie die schöne Marmorstatue des capitolinischen Museums im
Saal des sterbenden Galliers. Ähnlich B. J. 96. Taf. IV 42. — 10) II 4 kommt auch
stehend vor. — 11) Mädchen, das ein viereckig zusammen<refaltetes Gewand oder
Tuch auf dem Kopfe heranträg-t. — 12) Mädchen, das Haar in ein Netz zusammen-
^refasst, steht hinter einem p:r()8sen Tuch, das es vor sich ausbreitet und hebt, sodass
nur der Kopf zu sehen ist. — 13) Mädchen, das sich vorbeuget und ein Schweinchen
an den Hinterbeinen hält, sodass es nur mit den Vorderbeinen den Boden berührt.
Auf der linken Hand hält das Mädchen eine Schale. — 14) Bärtiger Priester in langem
Ärmelüfewand, das unter der Brust mit einer breiten Schäri)e <regürtet ist. Das Haar ist
im Nacken heraufjrestrichen und in eine Holle zusammeng'efasst. Auf der linken Hand
hält er eine Sehale, in der frcsenktcn rechten eine Kanne, aus der er auf den Altar
spendet. — Kleine Modifikationen der Typen finden sich auf Schritt und Tritt. Hier
wird eine. Vollständi«;keit der Sainnilun^i: nie mr»«^lich sein und ist auch unnütz, da
dies Willkürliehkeiten der Kopisten sind, die Grundtypen nicht treffen. Eine voll-
ständi<^e Sanimlunj^ der Haupttypen ist erreichbar und wird hoffentlich bald durch
Ganiurrini ^e<;*eben werden.
2) Die Typen, die ich früher nur von puteolanischeu Gefässen kannte, kommen
auch in Arezzo vor.
3) Schreiber, hellenistische Relief bilder. Ders., Wiener Bruunenreliefs.
iHCIien Vnaen x
■ «ur ftug^nsteischen uniigt.
finden wicli dit-ke Frncht^irlanden, die das fiefll«! nmziebes — alle» soi^ältig
aU8gef[Ibrte nalurnlietbclic EinzellieitRii, währcud der Gewunmteindrnrk doch
Dieist ein reiu (■rnAniCDlaler bleibt, der der Katar niclit selir nahe kfimiiit. (Taf.
113.4.5.) Wieder andere zeigen nnn deutlich dieses Ktrelicn, Hier ist cinfaeb
ein Lorbeer-, ein Eielien-, öl-, Eplicu- o^ler Reli/.weig nui da» Gefftss gescldnngen,
di« Blätter sind auf der Flllcho des Gefilssea ausgebreitet, ilire Form, ilire
feine Äderiing auf das sorgföltigi'te der Natur n«chgeahmt. Als Beispiel ma^
die Abbiltinng nach dem AupgHBS einer arretiniscben Ftirni ans der Fabrik
des M. Perennins (Ht. M PEREN) dieneu (Taf. II 6). Ähnliche Fragmente, z. T.
au» derselben Fabrik, sab ieb im rrtmisc-lien Kunsthandel.
Schon dieser knappe Üherbliek zeigt klar, daso hier abaolnt versehicdon-
artigcs, prinzipiell verschiedenes znaamnienkommt; dass diese Töpfereine Mnatcr-
samudung benutzen, die ihre Vorlagen yerschiedenartigster Kunstrichtung ent-
nimmt, mit lanter Überkommenem Gnt frei schaltet und waltet.
Wir müssen uns nun die Frage Btcllcn, ob es aoch Honst eine Richtung
in der Kunst giebt, die derjenigen gleich ist, weiche sieh auf den arretinisehen
Gefässen aussprieht, ob wir auch stmat im Verlaufe der antikeu Knnfitgescliieblc
eine Periode finden, in der diese scheinbar so verschiedenartigen Elemente
neben einander hergehen, sieh mannigfach mischen und kreuzen. Der Punkt
in der Entwicklung dekorativer Kuust, wo die arretinisehen GefHssc einzuoi-dncn
sind, läsBt sich, wie ich glaube, mit vollkommener Sicherheit finden.
Di« Richtung der Knnst, an deren Anfang als ihr Ralinbrecher Lysipp
steht, die dann während des III. Jahrhntiderts zahlreiche so glanzende Werke
geschaffen, hatte sieh im II. Jahrhundert überlebt. Die virtuose Reberrscbung
der Natnrformen, die Fähigkeit, «ie wiederzugeben fllhrt zu ihrer Übertreibnng,
Die mächtige Leidenschaft und Kr&ft, der Schwung, die Lebendigkeit, wie sie
in den älteren Werken pergamenineber Schule, Werken wie den Galliergrnppen
vor allem, sich zeigt, wird zu einem gewissen konventionellen Pathos. Nicht
mehr, weil der dargestellte Vorgang sie zu fordeni schien, sondern weil ihre
Wiedergabe reizte, wählt man eine komplizierte Stellung. Und die Vorgänge
wählt man so, dass sie Gelegenheit geben, diese äusseren Effcktmittel zu ver-
werten, die ganze technische Fertigkeit zu zeigen, den Beschaner zu packen
durch aufregende Szenen, wie den Dntereang des Laokoon, die Schleifung der
Dirke, die Tttdtung der Gelehrten des Odysseus durch die Skylla n, a. Auf
diesen gewaltsamen, alles bis an die austaerstcn Grenzen treibenden Stil mnsste
eine Reaktion folgen, eine Art Emöchterung. Und genau wie auf die Kunst
des Baroeco der Empiresld folgt, s» geschah es auch damals. Dass er eine
reiche Entfaltung, einen bleibenden Einäuss fand, erklärt sich genugsam ans
den ZeitverliiUtnissen. Denn dies ist der Zeitpunkt, wo die griechische Knnst
dauernd in Rom Wurzel fasat, und Rom in knrzcr Zeit das Kunstzentmm wird.
So gut die Künstler in der Zeit nach Alexander ans dem Mutterlande an die
Diadoehenhore übersiedeln, an denen ihnen vou kunstsinnigen und pracht-
liehenden Fürsten reiche Gelegenheit zur Ausübung ihrer Thätigkeit gegeben
wurde, Sil jet/f niii-h R-irn, wo wieder einmal Aufträge in Hlillc und Fülle an
92 Han8 Dragendorff:
sie ergingen. Sehen wir zu, wie sie dieser schnell sich steigernden Nachfrage
gentigten.
Die Entwicklung dieses griechischen Empirestiles in allen einzelneu Phasen
zu verfolgen, sind wir noch nicht im Stande. Er heginnt schon im IL vor-
christlichen Jahrhundert. Werke, wie die der späteren attischen Künstler, des
Polyklcs und seiner Söhne, zeigen schon diese Umkehr und Anlehnung an
Älteres. Ausgebildet aber liegt er uns vor in Rom in der augusteischen Zeit,
im weitesten Sinne gefasst als die Zeit, in der Octavianus Augustus lebte.
Hier in Rom kam ihm noch ein zweites Moment zu Htilfe. Die Kriege
hatten Rom in dauernde Fühlung mit dem griechischen Osten gebracht. Mit
reicher Beute beladen waren die römischen Legionen heimgekehrt. Tausende
von Statuen, Massen kostbaren Metallgerätcs hatten sie nach Rom gebracht^),
Kunstschätze aus allen Zeiten. Man fand Gefallen an dem schönen Besitz.
Es erwacht ein Interesse an diesen Sachen und allmählich eine gewisse Kenner-
schaft. Freilich eine Kennerschaft, die nicht in gleichzeitiger heimischer Kunst-
Übung wurzelt. Sie hat einen gelehrten Beigeschmack. Man interessiert sich
für einzelne Künstler, man sucht ihre Eigenart kennen zu lernen, man sucht
in den Besitz ihrer Werke zu kommen und wenn das nicht möglich war, we-
nigstens in den Besitz einer Copie. Kunsthistorische Forschung und künst-
lerische Produkti(m beeinflussen sich gegenseitig. Das war der Boden, auf
dem Künstler wie Pasitcles und seine Schule gedeihen konnten. An Stelle
eigener Neuschöpfungen setzen sie Copien alter Werke und Umbildungen sol-
cher, die umsomehr auf Anerkennung hoffen konnten, je genauer sie den Stil
irgend eines der beliebten alten Meister wiedergaben. Zeitlich entfernt liegen-
des kopiert man immer nur in Zeiten, denen es an eigener Schaffenskraft ge-
bricht, in Zeiten des Niederganges. So ist denn auch die uns beschäftigende
Zeit in Bezug auf künstlerisches Sclmtfen arm -). Vor Allem aber ist zu kon-
statieren, dass von charakteristisch national römisclieni in dieser Kunst sich
noch keine Spur findet. Sie ist vollkommen hellenistisch.
An ein paar Beispielen wollen wir uns die Eigenarten der Werke dieser
Zeit klar zu machen suchen.
Ich greife da zunächst das vornehmste uns erhaltene Denkmal augustei-
scher dekorativer Plastik heraus, zu dessen Ausführung gewiss einer der her-
vorragendsten Künstler seiner Zeit berufen wurde, die Ära Pacis Augustae, die
13 — 9 V. Chr. errichtet wurde ^). Dieses Monument in seiner kunstgeschicht-
liclien Bc<leutung ins rechte Licht gerückt zu haben, ist das bleibende Ver-
1) Das Material ;i,iel)t L. Urlichs: Griecliisclie Statuen im republikanischen Rom.
13. Pro^zr. d. von Wa^nerschen Kunstinstitutes. Würzhur^- 1880.
2) V^l. auch Furtwän;iler: StatucnUopien im Altertum. Abh. d. bayr. Akad.
phil.-liist. Klas.se. 20. 544 ff*.
3) Die Ivekonstruktion der Ära hat Petersen: Köm. Mitt. IX u. X <^egeben. Auf
seine abschliessende Arbeit ist für alles Aeussere, Anordnung* und Zusammengehörigkeit
des Reliefs zu verweisen. Seiner P^-eundlichkeit verdanke ich auch die Photographien
der im Foliienden benutzten Fragmente.
ITi^rTSuSiScDl'ii Vasen und Ihr Verhältnis «ur nugUHtcischcn Kunst.
9.f
dietiBt Wink hoff 8, der in seinor Einleitung xiir 1'iiblikatiViii der Wiener Ge-
nesishaniUcbrift mit sicheren Linien und feinstem KiiimlvL'rBUindniH wnn i-in
Itild der Eiitwieklniig' der romischen Knnst entworfen luiI. Es ist eim' der
aiirogenilBteu kunst^cscliichttichuii Arbciluu neueren Datums, und weiiuWiek-
hoff auch bisweilen llbcr dns Zie! hiunusschiestil, viele Prägen nur nbcnliin
berührt '), anderes gau/, ausser Acht läsRt, bo tbtit das dein Werte eciucr Ar-
beit, keinen Abbruch und eine -/.UBammenfnaifeude Behandlung der augUHteiHchcn
Kunst, die jetzt einuml versucht werden ninss, wird nnf Sehriit nnd Tritt
'Wiokh«»ff9 Anregiiii^ii zu folgen haben.
Die Aus»cn8eite der
Mauer, welche die .\ i
1'aeis umgab, war mit K'
liefs verziert, die in ?.\\i..
Streifen Übereinander an
geordnet waren. Von dem
«ntoren Streiten mag dn'
in rbm;ny, befindliche
Platte eine Vorslcllnn^
geben. [Abgcb. Fig. I.:
In eleganten Windun^'eii
sind schon gtilLsierie
schlanke AkautbuBraukeii
über den Reliefgmnd aus-
gebreitet, von grosserFeiii-
beit der Auüfilhrung, bald
frei »ich fast vom Grnnde
iJiKend, bald nur wie ant"
ihn graviert, mit ihm ver-
Bchwimnicnd. Üben «tet
auf einem DlUtenkelehe ein
Schwan mit ausgebreiteten
FlUgeln, jede Feder Borg-
fU!ligdargestelIt,dasgiinu' ;>...>;,},■, ■V^.l(,k*.U*^ViU>v>^i/>.**^<.*v>l*i.nit\lf"^'l'J.>rJ-
Uild aber doch bei aller . .
Naturbeobachtung im Ein- ^fAAftÄfA£:t:fc^.^i.t^
zcinen wieder rein orna- Fig i
mental wirkend. Ein clia-
l-akteristisoher Zug tritt ans schon hier entgegen, hei aller Feinheit eine ge-
wiasc Uärte, bewirkt durch die grooge Sorgfalt der .\usfllhrung. Es ist auch
kein eigentlicher Marmorstil, er iat nicht an das Material gebunden. Wie ans
Uctall getrieben und naehziselicrt neben diese Ranken und Blütter ans. Wie
auH Ulech gescbuiltcn und anf den Unuui geheftet die Flltgcl des Vogels.
ilfP
t^^ki£^.
1) Vgl,
<ntli>.'li <li>'
, Min. X. 237 er.
94
Hhiih tlriigptiiliirlT:
Zum Vergleich fllr Mlil mul AiisnUirmiK bieten sieh uietieniui di
Reliefs und Gcrüte.
In dem nlieren .Streifen ist dio Festpi
stellt '). Die Mitglieder des kaiscrliulie» Hause
fcicrlielicin Zuge zuui (<vf-- ■'■'•■.- '' '■"iv ■
niiii das Festopfor darge-
und die Voruehmen xicbeii in
nehmen Leuten bei einer snlehcn Oelegoiilicit ziemt, liegt Itber dem GAn/en,'in
jeder Bewegung. Und zn ilir stimmt die AuBfllhning in ihrer pcinlieben Sorgfalt
und Sauberkeit anfs Olllekliehste. Mehr Lohen lierrselit in den cigentliclmu
Opfersitcneu, wn miielilige Stiere und Sebweiiie von den Dienern hernngefllhrl
werden. (Fig. 3.j Unif hier werden wir aueli sofort an eine andere Monu-
menten-Ktiiesc erinnert, nn die hclleuiBtisehen ßcliefbibler. Man vergleiche
diutnl nur ciinnnl z. H. die Grinianisehcn Relief«, wie Wiekbuff es geth&n.
Da finden wir dieselbe Art die Landselinfl dnrKiistellcn. We Weiee, wie der
felsige lliiitergrnnd höhlenartig /.nrllekiritt, \»t hier wie dort gleich. Auf dem
Felsen das perHpektivieeh dargestellte Hans, in das man Idneinhiiekf, dnvm
der knorrige Hnumast mit den sorgtÄltigst auHgofilbrton Dlitttern, eine gewisse
llngeiDinigkeit in der Hcoliaebtuiig des Mnsi^tnbet:, hier wie dort ist es dfW-
»elbe, Und wie die gleiehe Anlage, so linden wir aueh dienelhe Art. der Aus-
l^ibnmg, denselben Naturatismns bei der Darstellung der hnrten Maut de«
Seiiweinew und der lockigen Stindiaare der Stiere wie hei dem tloekigen Foll
des Sebafe» an den Orinianischcir Hrnnncnreliefs. Es int kein Zweifel tnög-
1) Stack« des Frifsi
siuil iTipiHt erg&nv.l.
; b(-linili-n Hk-Ii [II Kk
t. wui iti Villii M<'<lin. Die Käpffi
96 Hana Pr>g«ii^ilorrr:
PUasten vsagvSamnt MttteIpbUr ilei- BOcLwile, Üt Dnr^eElDng der drei Ele- |
OK-atP, ODtcr seine bcUeDistbrhcn RHicEs anfgranaunoi ''. '.Fig'. i.)
Die aiTetiülsdiBH Vasfin und ihr Verhältnis sur nugusli'Uchen Rimst.
97
fatt sein — ist ans Pakzzo CHrnrcIti in das Berliner Mnsentn ^ekoiiinicn. Mit
;lltiger Erlanlmla der MuseiiniBvenvaltung wird er hier auf Tafel III abgebildet.
!r ist nicht nur ein schönes nnd cbaraktcmtisches Beispiel der Skulptur jener
!cit, »»ndeiTi gleichzeitig inleressant als eines der wenigen Beispiele eines
Bniigehcn Sarkophags aiis der frdhstcn Kaiserzeit.
Andere Monmnciite rei-
ten sieb nn, bei denen uns
Itetielben Kennzeichen den
Itile» entgegentreten nnd nns
ihren, dass es sieh niebt
Iwa nm eine einmalige Lainio
ineH eiiyelnen Künstlers han-
iclt. leb will nur knr/, auf
{d paar Beispiele hinweisen,
Ke jeder Icieht vermehren
Einer der rciKVollsteii
tesitKC des ThenneninuseiiniH
i Rom Bind die .Stnekrcliefs,
[ie neben der Villa Farnesc
icfunden wurden, wo sie die
PonncngewiHbc zweier kl einer
kmücber eines vornebmcn
BmiBohen Hauses scbinück-
6n ')■ IJnrch feine Leisten
Ind die Deeken in grüssere
jid kleinere Kelder und Stroi-
Mi gegliedert, die teil« mit
Jiirstcllnngen, tcitfi mit Or-
jftmenten gefüllt sind. Olc
^miptfelder werden von Bil-
|em mit laudHeliHrtlichoni
lintcrgrund eingenmunien,
lie vollkommen im Chivrakicr
ler bellenistischen Relicfliil
Icr gehalten sind. Die Zwi- °'
chenfelder sind mit Kandelabern gefüllt, an denen dieselben neUattiscUen Ge-
lien beschäftigt sind, in ihren zierlieh gefalteten fiatternden Eöckchen, mit
|gi) «ebarf gezeichneten FlUgeln, In den Streifen länft sclimflchtiges Ranken-
ferk, ans welchem Tiere, geflügelte spbhixartige Wesen u. dergl. herauswncli-
en, eine Dekoration, gegen die Vitruv (VIl ft, 3) rIh eine absurde Neuerung
piaer Zeit auftritt nnd die wir gleiebzcilig jn aueh auf arretiuieehcn Gefassen
:retcn sahen.
1) Mon. d. J. Soppi. Tnf. 32 ff.
J«1>l'b a. Vor. V, AlWnlufr, Im Rliulnl l
Ha
» Di-ngtindorff:
Diese Decken gehttren zn Wüiificii, die in «lern »ogcnannlcn zwcileii Htili
betualt Htnil, und zwar x-älilen die Wände zu den scliilnstcu und Hin wcitc»t(»
fnrtgegch ritteneu Itcispielen dic^oe ätilen '). .Schon hei flUehtigster DiirdiRien
liejjegnen niiB dieselben Elemente der Dekoration, die oben ilie 8tui'krclicfl|
boten. DaBselhe Rankeuwei-k, dieselben Fabeltiere, dieüellieu Bleirgrnziilsei
dekorativ verwandten Figuren, welebe Uuirlanden hatten, die genau wie i
der Ära Paei» aus den vcrsdnedenartigHtcn trcn nacligebiidelen BImiiuu
samnien gewnnden sind. Oder Blattkrünze in p'tri'iwsfcr Nntiirnnelialimniigi
/ioijii-b auBt;obreitet
" ii' an der Plat*
iK-iiiira, die Wie
li..n' abbililet. Daj
/.iviscben sind Taft^
iiililer eiii^clawiei!
iialil mil allen re^
lisiischcn Zügen da
liflleiii^tiHelien Roj
lii'Diilder iiu«gei(iatl
ii't. bal<l mit ciiM^
larlK-u ZeiebiiiiniiitHl
m wenig Farben vcA
^rlii-ii, mit denen wu
iii<-btfi VL'r{,'k'idiPnl
il.ir :ittittclten '
-niiidipen Lckytlicl
'li-rt V. Jnltrbunilisrli
i)iT/,wi!lreStil'
nnn wtit in C' '
oiwavoniiullain
Zeit au >ii'
Xnit il» ^
.'i4 IHt t\U
Und ivcifL'ii wir »■iiillii'li riiien Illirk tiv.<
am nildmten steliemle Denkniiilerkla^^f . i
gewahr, dans ancb ilir nllc A\?^p Dek..
•Stuck und Malerei kenneu gdcrrti tiJ
1) Miiii, Oiwh. .1. ilwov.it
U. Tnf. «. Xtl. 5 ff. Aur (lIoLi..
■ ileiie
Am
Slill-
die
0
9"
vir kaum sonst in einer KniisL
1 iiT Jalirbninlerteu ') und wisHcu
:i- ueiier Weise zu vertiiiidcn. Auf
<lic IUI »ltfitti»chc Knust erinnern nnd
' Natur iiiKrtiahinou, ohne jedca Ver-
u Figuren scheut der Künstler sieb
. ■ ^omu^Fustffi^eberZi-lt nii;ri'hörtuii(Schrui*
i(~li iiii'.lit iva^on. Znisclieii dor VurHcliUltiiu','
lobchBnZoit liegt nudi sdiuii mehr alti ein Julir-
-hi'im wüiiijTBr einheitficli ist, Imi Wiiid-r Ai'cli.
ii"it(ni, nkt Entsteh ttnjrszoit rii'r einxcliicu Stücki«
^ klit noch bt;8oiiil('rs auf die StUmiBchung
■■ t'igiir 6kli flmiet.
100
1 DragPiniorff;
aclien Aiideututi^ tlcr LandHcliart, Diit den Felsen, Altären, Pfeilern, Kränzen,
den knorrigen ßäunii^n, dem bald vollkommen rund ansj^eflilirten, bald nnr
leieht angedeuteten Keücf veranBcliauHclieii Stücke, wie die Kentaurcnbeehcr 1
ans Ilornay und Ponipei (von dem einen der letzteren eine Ansielit aut'Taf, IV)
und der Krater ans Ilildeslicim (Fij;. 10). der diesen Sebniuck wieder iu Ver-
bindung mit dem stiliaiertcn Akanthnsrankcnwork und den ilarntid hervorwacli-
senden Tieren zeigt ').
Flg. 9.
Neben diesen Stücken, deren Dekoration sii'h ganz in dem in atigii^teiselier
Zeit i.'eljfufisen Kreise bewehrt, finficn sieli in den grossen Silberachätzcn von
''.-'■■:■ ,' ■ ■ ...i iir.'i -■ , Ii, ■, . nhi/.i'It iiiicli snliOio. die entacliieden jtlngcrcn und
:ilu>ien Charakter tragen. Bei der
lii;ri!ichen Atlienaselialc, vicllcielrt
iliiii vollendetsten Stückgi-iecliischcr
Torcuteiiarlieit, dae auf uns pe-
klimmen ist, wird nieinand /.wei-
tilii, dass wir es mit einem Ori-
i.'iiinhverkc Itellenißtiscber KiinBl zu
tliiiLi liaben. Dem geponllber vcr-
II. .teil die Stil lieben bet-lier ans
(WisL-oreale (Fig. 1 1. 12) scboii den
Mil der letzten Zeit Porapeis').
I 'iinc Scliiltzc sind eben niclit ein
I iiilit-itlicbes Tafolserviee, sondern
- Ijiindclt sicli um Sammlangcu,
' von Kennern nnd Liebhnlicra
i-itiiimcngehraclit sind und deren
ui ii'/.clne ätUeke vcrscliiedcnster Zeit
1) Arch. Anz. Xll. 130.
2) Vergl Winter, An-Ii. An*. XI. 78,
Die arretlniachen Vasen und Ibr TerbOltnis snr KugOGt^achen Sanet.
101
«ng^ehOren kOuneii. Einen äDssereii Beweis giebt allein sclioii der vfrecliiedene
£rhaltntig8/.a8taDd. Neben vollkonimei) neuen Stücken Htclicu solche mit starken
(>ehraacrl]S8piiren, sogar Rejiaraturen. Es ist gewiss ktin Zufall das» du Still
lebeiiboclici" wio eben aus der Werkstatt kommend ansaelitu willirend die
Kannen mit dem Stieropler oder die Kentanrenbet her aus Pompei stark abgo
nutzt sinil'). Einen nnuiittclbaren Anlialt, die Eutitehiinpwoit des einzelnen zn
Aneli darf da M ^b hkcit hilIiI ^tkuguot
ermittoln, yriebt das nattlrbeli nieht.
werden, dass manche dieser Geffisse
treue Kopien Jllterer Vorlagen sein
kflnncn. Metsdlgefilsse Jiessen »ich
ja nieht allxiiseliwer kopieren und
Bind ja aneh, wie uns überliefert
ist, vielfach kopiert worden. Em
mag deshalb an dieser Stelle gu
ntigen, daran ku erinneni, das« die
meisten dieser Oefösse ihrer Uc
koratiun nach iu da» 1. vorcliii^l
liehe Jahrhundert hineinpassen 'i.
Also in Marmor, in Erz, in
Stuck, in Malereien — überall tritt
nns in dicM^r augusteischen Zeit dio-
selhe Kunatwcixe entgegen, ilberaJl
diesclheu vereehiedcuartigen Ek-
Diente, aus denen sieh das Gan/o
Diotwikartig zusammensetzt. Es ist
eine Kunst, die in ihrer Art ynv-
KUgliches leistet. Neben einer Teil]
nik, die jedes Material bewälli^'l,
«in dekoratives Talent, eine Fähi^'
keit, gefällig ZQ wirken, die .Staunen ^'fc'- '-■
erregen muss. Dabei ein Reichtum an Motiven, wie kaum sonst in einer Kunst.
Denn die Künstler arbeiten mit den Motiven von vier Jabrhunderten ") und wissen
da» scheinbar verschiedenartigste iu immer neuer Weise zu verbinden. Auf
Ägyptischen Ptlanzensäulen stehen Figuren, die an altattinehe Kunst erinnern und
sie halten Guirlandeu, die unmittelbar die Natur nachahmeii, ohne jeden Ver-
such der Stilisierung. Den altgriechischcn Figuren scheut der Künstler sich
1) Daraut) mi Hchliesiieu, risss letztere voraugusloischprZeit an;^hörten(ScbTi!i-
ber, hoUonist. Toremik 414). würde ich nicht wagen. Zwisfhtin der Vu-euliüttUDg
Poinpeis und dum Beginn der augUKt dächen Zeit liegt auch nctiun nielir alä riu Julir-
bQHdert.
2) Dasa der Schatz von Hlldpsheim weniger einheitlich ist, hnl Winter Areh.
Anz. XII, lä3 mit Keclii hervorgehoben. Die EnUtehuu^Kxeil di^r eiuxelneu Stücke
logt hier weiter auseinander.
3) Feteriten, Köm. Mitt. X. 145, liut noch bcsondiTs auf die Stllmischung
hingewiesen, wie sie oft an ein «iid derscllien Fisur sich lindet.
102 Hanß Drageudorff:
nicht eine ägyptische Federkrone, wie sie Osiris trägt, auf den Kopf zu setzen,
mit steifstilisierten Lotosbändem hellenistische idyllische Bilder einzurahmen.
Zugleich liegt hier die Schwäche dieser Kunst. Sie bringt nichts eigenes,
nichts empfundenes. Es ist alles gelernt, übernommen. So kann sie wohl
elegant sein. Aber bei allem dekorativen Reiz bleibt sie kühl. Verlor die
pergamenische Kunst durch das Zuviel ihre Wirkung, so ist die Kunst der
augusteischen Zeit zu gehalten. Es fehlt ihr die Innerlichkeit, das Tempera-
ment, das sich auch in der Ruhe ausdrucken kann. Und wo sie einmal wirk-
lich neues zu schaffen gezwungen ist; Ober den Rahmen des Dekorativen hin-
ausgehen muss, wie bei dem Zuge der kaiserlichen Familie an der Ära Pacis,
da verliert sie auch ihren dekorativen Reiz und wird langweilig.
Das unstilisierte, natumachahmende Pflanzenornament hält Wickhoff
für eine Errungenschaft augusteischer Zeit und in der Plastik dürfte es früher
auch kaum vorkommen. Aber auch dies ist keine Neuschöpf nng der augustei-
schen Kunst. Ihr wird nur diese Übertragung in die Plastik angehören.
Winter hat auf die vollkommen naturalistischen Goldkränze aus sUdrussischen
Gräbern des III. Jahrh. hingewiesen 0, und bemerkt, dass es nur ein weiterer
Schritt war, solche Kränze nun um die GefUsse zu schlingen. Zum Teil wird
auch die Malerei beeinflusst haben. Ganz in dieser Weise sind schon die Blu-
menkränze gearbeitet, die die Mosaiken der Casa del Fauno umgeben. Diese
sind zweifellos von Malereien hellenistischer Zeit abhängig^).
Immerhin sind diese Blumen und Blattgewinde mit das erfreulichste, was
die augusteische Kunst geleistet hat. Und in der technischen Routine, den
Stoff wiederzugeben, hat sie wohl kaum ihres Gleichen. Doch auch hier zeigt
sich ihre Beschränkung. Auch hier haben wir kein eigentliches Nachempfinden,
sondern ein Abschreiben der einzelnen Naturforraen. Es ist ein etwas trockener
Naturalismus und schliesslich macht ein Werk, wie der von Rosen umrankte
Pfeiler des Hateriergrabes, trotzdem seine Rosen statt 5 nur 4 Blätter haben
einen lebendigeren Eindruck, als die sorgfältig der Natur nachgebildeten aber
auch sorgsam zurechtgelegten und ausgebreiteten Blätter der Kränze auf Denk-
mälern augusteischer Zeit.
Das Angelernte dieser Kunst zeigt sich auch darin, dass sie an kein Material
gebunden ist, in allen Materialien gleich arbeitet. Sie ist materiallos. Damit
1) Arch. Anz. XII. 124. Comptc rcndu 1880. Taf. I u. III.
2) Diese müssen einmal zusammenfassend bearbeitet werden. Sie sind p^ewiss
alle von einer Hand. Bei allen finden sich die »ifleichen warmen bräunlichen Farbtöne.
Ein richtiges Blau fehlt bei Allen. Und auch ihre Vorbilder sind «gewiss alle einem
Kunstkreis entnommen, wie gewisse Eigentümlichkeiten, die bei allen wiederkehren,
zeigen. Sie sind alle ohne eigentlichen Hintergrund, die Alexanderschlacht so gut
wie die Stilllebcn. — Auf die Entwicklung des hellenistischen naturalistischen Pflanzen-
ornamentes hoffe ich bei anderer Gelegenheit zurückkommen zu können. Sie lässt
sich Schritt für Schritt verfolgen. Anfänge finden sich auf den unteritalischen Vasen,
während die attischen Maler stets stilisieren. Der Alexandersarkophag hat zwar schon
unstilisierte Weinblätter. Der Rebzweig aber, den der Künstler uns aus ihucu zu-
sammengesetzt hat, verzichtet noch ganz auf naturgetreue Wiedergabe.
Die arretinischen Vasen und ihr Verhältnis zur augusteischen Kunst. 103
verzichtet sie auf alle die kleinen Feinheiten, die durch das geschickte Be-
nutzen der Eigenheiten des Materials gegeben werden, auf alle die kleinen
Nuancen^ die die verschiedene Licht- und Schattenwirkuug hervorbringt. Sie
scheut sich nicht Metallformen in Marmor nachzubilden^ Marmorreliefs in Stuck.
Sie bildet auch toreutische Werke in Thon nach, ohne wie frühere Genera-
tionen gcthan, durch den Farbüberzug den Vorbildern wenigstens noch sich
zu nähern. Dass die arretinischen GefUsse toreutische Arbeiten nachahmen,
lässt sich auf Schritt und Tritt erweisen. Und dass die Vorbilder der besten
unter ihnen auch gerade in dieser Periode der Kunst liegen, haben, wie ich
hoffe, diese Ausfuhrungen gezeigt. In der That, sie können auch nach ihrer
Dekoration nicht anders datiert werden, als in das I. vorchristliche Jahrhundert,
in die Zeit etwa von Sulla bis Christi Geburt. Was für die Fabriken ans
anderen Gründen eingangs erschlossen, bestätigt die kunstgeschichtlichc Be-
trachtung vollkommen. Nicht die arretinischen Töpfer haben sich ihre mannig-
fachen Vorbilder da und dort aus den verschiedensten Stilen zusammengesucht,
sondern sie sind absolut schon abhängig von der Mischknnst ihrer Zeit. Und
so gut sich in dieser eine Reaktion gegen die hellenistische Kunst zeigt, so
bilden auch die schlichten reinen Formen der arretinischen Vasen einen Ge-
gensatz zu den barocken Formen der späteren hellenistischen Keramik.
Ich muss auch die untere Zeitgrenze, die ich soeben gegeben, noch kurz
begründen.
Im Verlaufe des I. nachchristlichen Jahrhunderts entwickelt sich aus dem
Naturalismus der augusteischen Zeit ein illusionistischer Stil. Nicht mehr die
äusseren Foraien in geschlossenem Zusammenhange getreu wiederzugeben ist
das Streben, sondern den Eindruck, den sie in einem Augenblick machen.
Wie dieser Illusionismus in Plastik und Malerei sich ausbildet, hat Wickhoff
eingehend zu zeigen versucht ^).
Auch in der Toreutik können wir ihn verfolgen. Becher, wie die Still-
Icbenbecher aus Boscoreale sind gearbeitet, wie die illusionistisch gemalten
pompejauischen Wandbilder. Aus der ganzen Menge unserer arretinischen 6e-
fässe aber wüsste ich kein Stück anzufahren, das diesen Illusionsstil aufwiese.
Diesen Wandel hat die arretinische Ornamentik nicht mehr mitgemacht. Ihre
Blüte wenigstens war vorher zu Ende. Und wir erinnern uns jetzt, dass uns
die dekorierten arretinischen Vasen, abgesehen von denen des Atcius, in den
nördlichen Provinzen sehr selten begegnen, während undekorierte noch in ziem-
licher Menge vorkommen. Die Nachfrage nach feinem Thongeschirr — denn
das waren die arretinischen Vasen — war mit dem steigenden Luxus ge-
sunken und damit starb ihre Fabrikation in Italien bald ab. Nur ganz kümmer-
liche Nachläufer finden wir hier. Schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert
— das zeigen uns die Funde von Pompei — steht hier die Terra sigillata-
1) Dass der Illussionsstil schon im II. d. pomp. Stile vorkommt, hat Mau, Rom.
Mitt. X. 227fr. bemerkt. Danach sind Wickhoff*s Bemerkungen einzuschränken.
Die Übertragung dieses in der Malerei ausgebildeten Stiles auf Plastik und Toreutik
scheint aber der nachaugusteischen Zelt anzugehören.
104 Haus Dragendorff:
Industrie, so weit es ornanieutierte Gefässe angeht; auf einem so tiefen Niveau,
dass man von einem wirklichen Stil der einzelnen Figur oder des einzelnen
Ornamentes gamicht mehr reden kann ^). Ganz anders ist es in den Provinzen.
Hier in den bescheideneren Verhältnissen fanden auch die hübschen roten Re-
liefgefässe noch Abnehmer genug, und hier blüht denn auch bald eine ein-
heimische Industrie. Interessant ist nun, dass während die undekorierten Teller
und Näpfe einfach die arretinischen Formen fortsetzen, die ornamentierte Schale
gänzlich andere Form und andere Dekorationsweise zeigt. Die schönen stark
profilierten Schalen ^) mit der feinen flachen Rankendekoration und dem wie bei
Metallgefässen geriefelten unteren Teil, wie sie in unseren frühesten Nekropolen
vorkommen, haben mit den arretinischen dekorierten Gefässen gamichts zu thun.
Aber auch von dem römischen Stile des I. nachchristlichen Jahrhunderts ist
nichts darin zu fühlen. Es ist eben ein eigener Proviuzialstil, der sich hier
zeigt und der ganz augenscheinlich auf älteres zurückgreift. Diese streng sti-
lisierten Ranken, die Blätter, die sich wohl an Naturformen anlehnen, sie aber
nicht wirklich nachahmen, erinnern ebensogut wie die Skulpturen des Julier-
Denkmals an griechisches, das etwa 200 — 300 Jahre älter ist. Auch die Aus-
wahl der Pflanzenmotive ist die nämliche. Gegenüber der Fülle augusteischer
Blattornamentik beschränken sich diese Gefässe wieder auf den alten Kreis:
Lorbeer, Epheu, Wein und wenig anderes').
Woher dieser provinziale Stil seine Anregungen empfangen hat, das bleibt
noch eine offene Frage. Aus dem augusteischen Rom aber sicher nicht.
Excurs I.
Wo die Primärqucllen dieser „augusteischen" Kunst liegen, welchen Kunst-
zentren sie ihre Anregungen verdankt, das ist eine Frage, die ausserhalb des
Rahmens dieses Vortrages liegt. Al)er sie ist wichtig und niüsstc jetzt einmal
in weiterem Zusammenhange mit Berücksichtigung des ganzen Materiales ein-
heitlich behandelt werden. Nachdem wir durch grundlegende Arbeiten wie
Ilausers neuattische Reliefs, Schreibers hellenistische Relicfbilder und helle-
nistische Toreutik, Mau 's Geschichte der Wandmalerei über einzelne Denk-
mälerklassen genauer orientiert sind und das Material übersehen, muss jetzt
die Zusammenarbeit erfolgen. Dann erst werden wir definitiv über diese Kunst-
periode urteilen können. Mit wenig Worten nur möchte ich meinen Standpunkt
andeuten.
Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass der Einfluss Alexandrias über-
schätzt wird'). Ich halte den Mischstil, den wir als dem I. vorchristlichen
1) cf. B. J. 9(). 108 f.
2) B. J. 9G. Taf. II. 29. 30.
3) Vergleichen iHsst sich für die Stilisierung der Blätter das kleine SchHlchen
des Hildesheinier Fundes, das Arch. Anz. XII. 121. Fig. 6. abgebildet ist und gewiss
zum ältesten Bestände dieses Schatzes gehört.
4) Schreiber, Wiener Brunnenreliet's 91. Anni. 95. Hell. Toreutik 170. Vgl.
B. J. 96. 51.
Die arretinischen Vasen und ihr Verhältnis zur augusteischen Kunst. 106
Jahrhundert eigen erkannt hatten, für römisch, d. h. für in Rom unter dem
Einflüsse der dort zusammengeschleppten Kunstwerke von griechischen Kttnst-
lera zur Ausbildung gebracht Unterstützt wurde ihre Richtung durch das kunst-
historische Interesse und die dadurch geförderte klassizistische Strömung der
ganzen Zeit einerseits, den Mangel eigener Erfindungsgabe andererseits. Dieser
Stil hat sein Zentrum in Rom, wo eben damals der künstlerischen Produktion
massenhaft Gelegenheit gegeben wurde sich zu bethätigen. Ausserhalb Italiens
ist er so gut wie ganz unbekannt. Wenn sich auch ein und das andere neu-
attische Stück oder hellenistische Rcliefbild ausserhalb Italiens und Roms nach-
weisen lässt, so fehlen doch Werke des eigentlich augusteischen Mischstiics hier
ganz. Und einen grösseren Gegensatz als zwischen der kühlen voraehmen
Prozession der Ära Pacis und den Bildern wilden malerischen Kampfgetümmels
an dem Julierdenkmal von St. Remy kann man sich kaum denken. Das eine
ist stadtrömische Kunst, die andere hängt direkt von griechischer Kunst ab
und zwar wohl von kleinasiatischer, wohin die Form des Denkmales im letzten
Grunde weist*). Die Vorbilder für diese Reliefs hat die griechische Malerei
geliefert, wie Wickhoff a. a. 0. S. 39 richtig ausführt. Die nächste Analogie
bieten die Alexanderschlacht aus Pompei ^) und etruskische Aschenkisten. Wenn
Wickhoff deslialb weiter toskanische Künstler in Gallien annimmt, so kann
ich ihm darin nicht folgen. Etrusker und massiliotische Künstler haben hier
die gleiche Quelle, und diese ist zu aller Zeit in erster Linie die ostgriechische
Kunst gewesen.
Unter den Vorbildern, nach denen die römischen Künstler im I. vor-
christlichen Jahrhundert arbeiten, sind zweifellos mancherlei alexandrinische oder
doch auf alexandrinische Anregung zurückgehende. Zunächst sondert sich ja
leicht alles das aus, was aegyptische Motive zeigt. Ferner halte ich es für
sehr wahrscheinlich, dass gerade in den sogenannten Reliefbildcm Schreibers
manches alexandrinische Gut steckt, obgleich mir der zwingende Beweis für die
ganze Gruppe nicht erbracht zu sein scheint ®). Weniger klar liegt die Frage bei
den neuattischen Reliefs. Hausers erste Gruppe ist, wie er selbst ausgeführt
hat, zum grossen Teile abhängig von attischen Vorbildern und die Künstler, die
sich auf Werken dieser Gruppe nennen, sind ja auch Attiker. Für die zweite
Gruppe nimmt Hauser alexandrinische Vorbilder an. Aber Beziehungen zu
den attischen Werken sind ebenso vorhanden. Die Kalathiskostänzerinnen der
1) Loeschcke, B. J. 95. 260flF. ef. Newton Discoveries I. 31.
2) Gleichartig komponiert ist ein Mosaikfragment des Neapler Museums (120618),
ebenfalls aus Pompei, auch in den Farben ganz mit der Alexanderschlacht überein-
stimmend. Offenbar war der Leukippidenraub dargestellt. Über einen Gefallenen
weg stürmt ein Gespann nach rechts hin. Erhalten sind die Beine eines auf den
Wagen springenden nackten Mannes, der Rest einer mit langem weissem Gewand
bekleideten Frau, deren Fuss den Boden nicht berührt, die also getragen wird. Da-
hinter ist noch der Rest eines zweiten Mannes erhalten.
3) Der Arbeit nach sind sicher zahlreiche dieser hellenistischen Reliefbilder
augusteisch. Auch Amelung (Bull. comm. 25. 1897. p. 125 Anm.) hält die grimanischen
Brunnenreliefs für augusteisch wenigstens in der Ausführung.
106 Hau8 Dragendorff:
zweiten Gruppe kann man von den Mänaden der ersten stilistiseh nicht trennen.
Nenattiker and Alexandriner haben also gleiche Vorbilder. Ich denke mir
den Hergang so, dass die erste Grappe die sogenannte neuattisehe Kunst im
eigentlichen Sinne darstellt, Werke attischer Steinmetzen, und eines der Ele-
mente, aus denen sich das Mosaik der augusteischen Kunst zusammensetzt,
noch frei von Zuthaten aus fremden Stilen, während die zweite Gruppe durch-
aus schon der römisch-augusteischen Mischkunst angehört. Daher die laxere
äusscrlichere Behandlung des Archaismus, die grössere Freiheit, mit der die
einzelnen Figuren wiedergegeben werden. Daher hier der Eklektizismus, der
neben attischem auch sicher alexandrinisches verwendet. Es wäre also der
Unterschied der beiden Gruppen Hansers in erster Linie ein zeitlicher.
Ebenso ist das naturalistische Pflanzenomament wohl nicht alexandrinisch.
Es tritt in Pompci, wie oben ausgeführt, an Denkmälern auf, die der klein-
asiatischen Kunst anzugehören scheinen. Das einzige griechische Schmuckstück
aus Aegypten, das aus einem naturalistischen Kranz besteht^), reicht an Na-
turwahrheit doch noch lange nicht an die südrussischen Kränze heran, die ge-
wiss dem kleinasiatischen Kunstkreis entstammen. Es steht stilistisch auf der
gleichen Stufe, wie der Blattfries am Alexandersarkophag. Das einzelne Blatt
ist zwar naturalistisch ausgeführt, nicht aber die Kanke.
Das alexandrinische ist zweifellos ein Element der augusteischen Kunst,
aber es ist nicht das einzige, vielleicht nicht einmal das wichtigste. Es ist
zunächst der griechische Osten, zu dem Rom in dauernde Beziehung tritt. Die
Beute an Statuen schleppen die römischen Heere vornehmlich aus Griechenland
und Kieinasien nach Rom *). Scipio bringt aus dem Krieg gegen Antiochus
massenhaft toreutische Sehätze dorthin; 133 kommt die attalischc Erbschaft hinzu.
Sollten alle diese Kunstwerke ohne nachhaltigen Eintluss geblieben sein und
die in und für Rom arbeitenden Künstler sich wirklich alle ihre Anregungen
aus Alexandria geholt haben? In Kleinasien, namentlich Rhodos, blüht bis ins
erste vorchristliche Jahrhundert hinein ein reiches Kunstlcben^); Alexandria
tritt dagegen, nachdem es anfangs offenbar eine Rolle in der Kunst gespielt
hat, in der späteren Ptolemäerzcit auffallend zurück. Wir kennen kaum einen
alexandrinischcn Künstler mit Namen. Und das wenige sieher alexandrinische
aus dieser Zeit ist wenig geeignet uns einen hohen Begriff von alexaudrini-
seher Kunst zu geben. Es ist ein venvcieliliehtcr attischer Stil, den diese
Werke zeigen, ganz versehieden von dem, den Schreiber Alexandria zu-
schreibt*). Ähnlich liegt es auf den einzelnen Kunstgebieten.
Schreiber hat, von einer ÄuHscrliehkeit der Henkelform ausgehend, eine
Menge Mctallgeräte zusaiinnengestellt und sie alle alexandriniseher Kunst zu-
geschrieben. So einleuehtend seine Argumentation im ersten Augenblick ist.
1) Schreiber, hclleiiist. Torcutik 302.
2) Vgl. IJrlichs a. a. 0.
3) Vgl. auch Rizzo, Rom. Mitt. XII. 298 ff.
4) Vgl. Ainelung bull, comni. 25. 1897.
Die arretinischen Vasen und ihr VerhAltnis zur augusteischen Kunst. 107
kann das Resultat meiner Ansicht nach in dem Umfange doch nicht gelten.
Die Schuabelhenkel und was damit zusammenhängt sind zweifellos von den
alexandrinischcn Toreuten verwendet worden. Aber nichts zwingt uns anzu-
nehmen, dass sie gleichsam ein Monopol der Alexandriner waren. Schreiber
selbst giebt ja auch für eine Reihe seiner Gefässe zu, dass sie in römischer
Zeit erst in Anlehnung an alexandrinische Muster gearbeitet seien. Wenn wir
aber Schreiber folgen, so sind eigentlich alle uns erhaltenen dekorierten
Prachtgefässe alexandriuisch. Schreiber erkennt sehr richtig die Stilmischung
im I. Jahrhundert und stellt die Vermutung auf, dass wie alle anderen Künstler
dieser Zeit, so auch die Toreuten bald jonisch-kyzikenische, bald attisch-per-
gamenische, bald alexandrinische Vorlagen benutzt hätten ^). Die Künstler sind
damals Kopisten, und sie haben sicher nicht nur alexandrinische Muster ko-
piert. Aber mustern wir die uns erhaltenen toreutischen Arbeiten und sondern
alles, was Schreiber für alexandrinisch erklärt, aus, so bleibt eigentlich
nichts mehr übrig, was jene anderen Kunstschulen repräsentieren könnte. Es
würde hier der eigentümliche Fall eintreten, dass nur aus der einen Gruppe
uns Beispiele erhalten geblieben, die anderen vollkommen verschwunden wären.
Wenn wir unserer litterarischen Überlieferung folgen, so ergiebt sich dem-
gegenüber als ein Faktum, dass alle berühmten Toreuten, soweit ihre Heimat
bekannt ist, Kleinasiaten waren *). Kein einziger Alexandriner wird genannt.
Deshalb und wegen der Herkunft der römischen Silberschätze aus Kleinasien,
müssen notwendigerweise auch Werke dieser Kunstrichtung in unserem Denk-
mälervorrat sein. Und es lassen sich zweifellos solche auf kleinasiatische Vor-
bilder zurückgreifende Werke nachweisen. Ich erinnere an die Athenaschale
des Hildesheimer Fundes, deren kleinasiatischen Ursprung Winter mit Recht
gegen Schreiber verteidigt hat 3).
Bei dem Becher mit den Störchen aus dem Fund von Boscoreale hat
Michaelis (Preuss. Jahrb. 85. p. 54) daran erinnert, dass die Störche in Aegypten
nicht brüten, wohl aber in Kleinasien, und der Becher daher eher dem dortigen
Kunstkreise zuzuweisen sei.
Stücke, die dem neuattischen Typenkreise angehören, sind ebenfalls nicht
alexandrinisch, und so Hesse sich noch mancherlei hinzufügen.
Mit Recht hat Rizzo (Rom. Mitt. XII 296) gerade auch auf Rhodos hin-
1) Plinius bezeugt ja auch ausdrücklich (33. 139), dass die Mode . beständig
wechselte. Zu seiner Zeit lag die Toreutik danieder. Wann dieser Niedergang einge-
treten, sagt er nicht. Es kann das gerade so gut erst nach der Zeit des Augustus,
wie vor derselben geschehen sein.
2) Zu beachten ist, dass auch unter den inschriftlich bekannten italischen Gold-
schmieden, die Schreibor (hell. Toreutik 133) aufzählt, mehrere sind, deren Namen
nach dem griechischen Osten weisen. So finden wir einen Antigonus, Seleucus, Po-
lynices natione Lydus. Es ist ganz dieselbe Erscheinung wie in den arretinischen
Töpfereien. (B. J. 96. 69.)
3) Winter, Arch. Anzeiger XII. 127 ff. Der Felsen und der Kranz daran erin-
nern wieder sehr an die hellenistischen Relief bilder, sind also auch nicht ausschliess-
lich alexandrinisch.
108 Hans Dragendorff:
gewiesen, als Heimat der Toreutik. Die von der Toreutik völlig abhängige
Reliefkeramik zeigt, soweit ich das Material übersehe, mehr Beziehungen zor
griechisch- kleinasiatischen Kunst als gerade zur alexandrinischen. Die Funde in
Ägypten sind hier sehr wenig ergiebig und die Fundstttcke selten erfreulich.
Dass die Mannorinkrnstation, die einen so entscheidenden Einfluss auf
die Wandmalerei ausübt, ans Alexandrien nach Rom gekommen sei, wie
Schreiber annimmt, ist, scheint mir, noch nicht bemesen. Die Technik ist
schon früh im Orient beliebt, sie ist dort schon im IV. Jahrh. im griechischen
Knlturkreis angewandt im Palast des Maussolos ^), doch sicher von griechischen
Künstlern, und ist zweifellos auch an den Diadochenhöfen Kleinasiens geübt.
Sie kann also gerade so gut von dort nach Italien gekommen sein^).
Meiner Ansicht nach arbeiten in Rom zunächst attische und kleinasia-
tische Künstler. Erst allmählich, namentlich seit der Eroberung Aegyptens,
macht sich der dortige Einfluss geltend. Die sicher alexandrinischen Elemente
sehen wir erst während des Verlaufes der von uns geschilderten Kunstepoche
eindringen. Das scheint mir der beste Beweis dafür, dass die Grundelemente
dieses Stiles nicht alexandrinisch sind. Auf den späten Wänden II. Stiles finden
wir sie. Das stimmt wieder zu den Zeitverhältnissen. Denn diese Wände fallen
ja gerade in die Zeit, in welcher Aegypten dem römischen Reiche einver-
leibt wird, die Beziehungen also direkte und enge werden. Und ebenso gehören
denn auch alle arretinischen Vasen, welehe sicher alexandrinische Motive ver-
wenden, die Grylloi, karrikierten Figuren, die Gerippe, ägj^ptischen Tiere u. a.
nach ihren Stempeln sicher der letzten Zeit der arretinischen Manufaktur an.
Der in. Stil ist das Endresultat dieses Eindringens alexandrinischer Kunst
in die Wandmalerei. Dass aber daneben selbständig sich ans dem II. Stil der
IV. entwickelt, der dann in Italien zur Geltung kommt, spricht auch für die
Existenz anderer nnalexandrinischer Strömungen in der Kunst jener Zeit ^). Vor
allen Dingen scheint mir auch dieser Umstand wieder dagegen zu sprechen,
dass die Kunstrichtung, von der der II. Stil ein Teil ist, rein alexandrinisch sei.
Excurs II.
Interessant für den Unterschied zwischen der Kunst der Hauptstadt und
der Landstadt, sind 2 Ornamentlcisten, die auf Tafel V abgebildet sind. Die eine
befindet sich in Florenz, stammt also jedenfiills aus Rom, und ist, wie ein Blick
'iQVf^ty stilistisch und in der Ausführung dem Akauthosornament der Ära Pacis
aufs nächste verwandt. Das sind dieselben eleganten Ranken, die scharf ge-
zeichneten Akauthosl>lätter und Blüten, bis zur kleinsten Ader und Faser fein
1) Plinius Sil 47. Vitr. 2. 8. 10. Schreiber, a. a. O. 4.
2) In Alexandria ist sie natürlich in weitem Umfange angewandt, vielleicht auch
in besonders priichtiger Weise. Wir haben aber in Kleinasien kein annähernd so
jrutes Beobachtunpjterrain wie den mit Marmorbroeken übersäten Meeresstrand an
den Ptolemäerpalästen.
3) Vgl. Mau's Bemerkungen. Rom. Mitt. X. 234.
Die arretinischen Vasen und ihr VcrhAltnis zur augusteischen Kunst. 109
ausgeführt, wie dort. Auch die sauber gefiederten Vögel finden sieh. Das
Gegenstück stammt von der Halle der Eumachia. Es ist dieselbe Rauke, die
abwechselnd in eine Blüte und in ein Blatt endet. Auch hier schlingen sich
um die Hauptranken einige feinere, in Blüten endende Stiele. Aber bei ge-
nauerer Betrachtung treten die Unterschiede klar hervor. Es fehlt die feine
Detailausfllhrung, die ja auch schon auf geringe Entfernung für das Auge ver-
schwindet. Es fehlt auch jene etwas trockene Genauigkeit und Schärfe in
der Begrenzung der einzelnen Formen gegen den Grund. Weicher und ge-
drungener ist alles geworden. Aber wenn auch das technische Können des
Künstlers nicht an das des Meisters des Florentiner Reliefs heranreicht, so hat
doch auch dieser pompeianische Steinmetz seine Aufgabe nicht schlecht gelöst
und wer den Fries aus einiger Entfernung betrachtet, wird keinen grossen
Unterschied bemerkt haben. Der pompeianische Künstler führt sein Relief ge-
rade so weit aus, wie es nötig ist, um den richtigen Eindruck zu geben. Ist
das Florentiner Stück zweifellos stadtrömische Kunst aus der Zeit des Augustus,
aufs nächste der Ära Pacis verwandt, so gehört das zweite, wie die Halle der
Eumachia überhaupt, in die Zeit des Tiberius, und neben dem Unterschied
zwischen stadtrömischer und italischer Kunst tritt uns hier noch eines entgegen,
schon ein gewisser Übergang zu der Kunst der folgenden Periode, in der die
Künstler wieder lernen, auf den Eindruck hin, illusionistisch zu arbeiten.
5. Römisches Siegesdenkmal in Beuel.
Von
H. Nissen.
Beim Ziehen der Gräben für die Fundamente der Caplanei, die an der
neuen Kaiserstrasse in Benel gebaut wird, stiessen die Arbeiter auf einen mäch-
tigen Steinblock und wollten ihn der bequemeren Fortschaffung wegen zer-
schlagen. Daran wurden sie durch Hinweis auf die Schrift des Steines ver-
liindert; mit Genehmigung des Kirchenvorstandes gelangte er am Tage der
Entdeckung 25. Juni zu später Stunde in Sicherheit, d. h. ins Provinzialmuseum ^).
Der Fund war geeignet Aufsehen zu erregen; denn unter den Fundstätten
rheinischer Altertümer kommt Beuel bisher nicht vor^), „das Fehlen der rö-
mischen Militärinschriften am ganzen rechten ünterrhein" stellt Mo m rasen als
gemeingültigen Satz hin ^). Da der Direktor zur Herstellung seiner Gesundheit
in diesen Monaten beurlaubt und die Leitung des Museums meinen Händen an-
vertraut war, liegt es mir ob über den Stein und die durch ihn veranlassten
Nachforschungen zu berichten.
Beuel nimmt eine langgestreckte Insel von etwa 2 km Länge und ^/g km
Breite ein, die erst in der Neuzeit verlandet ist. Die Mulde, die das Dorf vom
Bahnhof trennt, wird noch jetzt vom Hochwasser überflutet. In den Bela-
gerungen, die Bonn im IG. und 17. Jahrhundert zu bestehen hatte, bildete die
hier errichtete Schanze den Schlüssel der linksrheinischen Festung. Als die
Römer diese besetzt hielten, wird der jenseitige Uferrand ähnlich ausgesehen
haben wie heutigen Tages Nonnenwerth. Mithin wird die von M o m m s e n
1) Die Leitung des Museums erfüllt eine angenehme Pflicht, indem sie dem Haupt
des Kirchenvorstandes Herrn Pastor C 1 a r e n sowie Herrn Caplan Heyes für ihr
Ent<]^egenkommen, Herrn Oberpostassistenten Berghoff für mannichfache dienst-
bereite Unterstützung öffentlich dankt.
2) Nach dem Boneschen Register wird im Jb. G6. 97 von einem neueren
Münzfund gehandelt; jedoch ist dieser eine Stunde landeinwärts von Beuel gemacht
worden.
3) Römische Geschichte V 115.
Komisches Siegesdenkmal in Beuel. 111
angenommene Regel durch unseren Fund nicht erschüttert. Freilich ist die
Aufgabe des rechten Rheinnfers durch Kaiser Claudius nicht in dem Sinne zu
vei-stehen, als wäre fortan der Strom die mit peinlicher Strenge innc gehaltene
Grenzlinie des Reiches gewesen. Ohne Weiteres leuchtet ein, dass das Armee-
corps in Xanten, die beiden Divisionen von Neoas und Bonn, die Grossstadt
Köln über ein jenseitiges Vorland geboten haben. Aber der Umfang des Vor-
landes hat stark geschwankt, es bedarf sorgfältiger Untersuchungen um ihn
im Einzelnen zu bestimmen. Dahin gehört z. B. für unsere Gegend die etwas
mühsame Frage, ob die Römer wirklich im Siebengebirge Bau- und Inschrift-
steine gebrochen haben, wie man so oft liest, oder ob die Erschliessung dieser
Brüche erst von den Franken herrührt. Darüber haben die Geologen das ent-
scheidende Wort, nicht die Techniker. Unserem Bender Stein wiesen die letz-
teren seinen Ursprung auf der Wolkenburg an. Da ich diesem Bescheid miss-
traute, wandte ich mich an die erste Autorität über vulkanische Vorkommnisse
am Rhein. Laspeyres antwortete: „es unterliegt keinem Zweifel, dass die Ge-
steinsprobe aus den grossen Brüchen an der Hohenburg bei Berkum unweit
Mehlem stammt. Der dortige für den Kölner Dom vielfach gebrochene Tra-
cliyt ist sehr charakteristisch und hat sieh bisher an keinem anderen Orte ge-
funden (vgl. von Dechen Siebengebirge 1861 S. 86 ff.).^ Ohne andere Schlüsse
zu ziehen lehrt doch dieser Einzelfall, dass bei Angaben über die Herkunft
römischen Materials einige Voi*sicht angebracht sei.
Der Fundort befindet sich auf dem Scheitel des Uferrandes und ist hoch-
wasserfrei. Der Stein lag reichlich 1 m unter der Oberfläche, um welchen Be-
trag der Boden seit dem Altertum gewachsen ist. Sein Gewicht wie seine
Erhaltung schliessen die Möglichkeit, dass er vom Strom angeschwemmt sei,
unbedingt aus. Ebenso unfassbar ist der Gedanke, dass er vom jenseitigen
Ufer hierher verschleppt sein könnte. Viehnchr empfehlen die begleitenden
Umstilnde in dem Fundort zugleich den ursprünglichen Standort zu erblicken.
Neben dem Denkmal hoben sich von den Rheinkieseln des Untergrundes meh-
rere vulkanische Stücke scharf ab, die offenbar als Keile dazu gedient haben
jenes zu stützen und zu befestigen. Sei es von Menschenhand sei es durch
die Elemente ist das Denkmal später umgestürzt und allmählich begraben
worden. Es ist ein Pfeiler von 1,45 m Höhe, 0,72 m Breite, 0,45 m Dicke, der
oben einen 5 cm breiten Rundstab, darüber einen 18 cm hohen Aufsatz mit
Voluten an den Seiten und einer stumpfen Spitze in der Mitte hat. Der Auf-
satz enthält die Widmung an den besten höchsten Juppiter, dann folgen 18
Zeilen von 17—22, im Durchschnitt 18 — 19 Buchstaben. Die Rückseite ist nie
bearbeitet gewesen. Die rechte Seite (vom Beschauer aus) hat unbedeutende
Beschädigungen erlitten, dagegen ist an der linken ein grosses Stück abge-
hauen. Dies scheint in ziemlich alter Zeit geschehen zu sein, als der Stein
mit der Schriftseite nach unten am Boden lag: deshalb ist diese glimpflicher
davon gekommen als die Rückseite. Dagegen hat das Wetter das untere Drittel
der Inschrift arg beschädigt, indem das eindringende und gefrierende Wasser
die Schriftfläche des Trachyt lossprengte oder auch die Zeichen zerstörte« Als
112 H. N i s 8 e n :
der Stein ins Mos^nni gelangte, fehlten rnnd 120 von 340 Buchstaben und
zwar in der historisch wichtigen letzten Hälfte. Am 27. Jnni wnrde ein Stück
mit 21, am 30. Jnni ein anderes mit 4 Buchstaben nachgeliefert. Nach Aus-
sage der Arbeiter waren viele Stücke bei der Ausschachtung fortgeworfen
worden und in einem Erdhaufen von 50 chm Inhalt oder mehr versteckt, der
auf der Kaiserstrasse zu weiterer Verwendung lagerte. Ich habe mich gesträubt
aber zuletzt doch entschliesen müssen den ganzen Haufen planmässig durch-
suchen zu lassen: was zwei Mann, die Loeschckes Gefälligkeit von der
Limesgrabung fttr eine Woche beurlaubt hatte, diese Frist hindnreli vollauf
beschäftigte. In der That kamen kleine Splitter dutzendweise, vereinzelt auch
grossere zum Vorschein, aber die Masse rührte von der unbeschriebenen Rück-
seite her. Der Reinertrag beschränkte sich auf drei Buchstabenreste, die an
der Schriftfläche haften blieben und (ein freundlicher Zufall lohnte den Aufwand
an Zeit und Geld) den Schlüssel zum Verständnis des Textes lieferten. End-
lieh wurde an der mittlerweile anfgemauerten Wand, bei deren Fundierung die
Inschrift aufgefunden war, aussen ein Graben gezogen, um festzustellen ob etwa
hier Trümmer davon auftauchen mochten. Mit dem negativen Ergebniss waren
die Aussichten erschöpft. Der diesen Sommer herrschende Arbeitermangel ver-
zögerte und behinderte alle Untersuchungen in unliebsamer Weise.
In ihrem Verlauf drängte sich, auf eine falsche Ergänzung der Inschrift
gestützt, die Vermutung auf, dass der Stein vor einer Acdicula gestanden habe.
Demgemäss wurden schwache Spuren, die auf das einstige Vorhandensein einer
Kapelle hinzudeuten schienen, verfolgt. Indessen trog der Schein, römische
Fundamente wurden nicht entdeckt. Ausserdem lehrt der Text und lehrt die
rauhe Hinterseite, dass der Gedenkstein ohne Bezug zu irgend einem Bauwerk
für sich allein errichtet worden ist.
Die Schrift ist gut und sorgfältig, die Intcq)unktion regelmässig. In den
Kaisernanion kommen Z. 4. h drei Ligaturen vor, vielleicht auch Z. IT) in
. Flavio, sonst werden sie vermieden. Das Bestreben tritt klar zu Tage das
Ende der Zeilen dem Sinn anzupassen. Unter Beiriigung der nötigen Ergän-
zungen in eckigen Klannuern und Auflösung der Abkürzungen in Knndklamniern
lautet der Text:
[lovij o(ptinio) niaxinio) — [Marti] |)ropugnatori [sacnun]. [Victojriae
Saluti imi)(eratorisi [Sevejri Alexandri Ang ustij [nostrij, [et MJaineae Ang^ustae-
matri eius [et ejxereitns M(arei) Aureli S[everji Alexandri Pii Felicis [Invjirti
Augusti totin8[quJe domus divine eius, [le]g(io prima) M'inervia) [pia] fiidelis)
Severiana Ale[xand]r[ia]na cum auxiliis, [pu]gna r[ejbus peractis, [c]umqu[e]
T[it]io Rufin[o] [clarissimo] v(iro) leg(ato) [l]egionis eiu[sde]m ag[ent]e sub
Fla(vio) [Tit]ian[o legato Augusti pro praetore c]o(n js(ulari) n(ostro) po[n]endara
[eur]avit VI kal[enda8 N]o[vembres] imp' eratore) AI[exandro et Dione] co(n)-
8(ulibu8).
Komisches Siegesdenkmal in Beuel. 113
i - 0 . M
marti P R O P V G N ATO R I • 8
victo RIAE« SALVTI . IMP
seveRI-ALEXAhORIAVQ.N
5 et mAh€AEAVGMTR|.EIVS
et eXERCITVSM-AVRELI-Se
Verl- ALEXANDRIPII- FELICIS
invICTI- AVGVSTI-TOTIVS
quE-DOMVS-DIVINE-EIVS
10 leG-l-MpF. SEVERIANA-ALE
xandRiaNACVMAVXILIIS
puGNA-ReBVS-PERACTIS
cVMQVe • TitIO • RVFINo
cV- LEG lEGIONIS • EIVs
15 deMAGentE-SVB-FLAvio
titlANo 1. a. p. p. cOS- NPO
nENDAM curA VI T • VI • K AL
end nOvembres IMP- ALe
xandro et dione COS
Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken:
Z. 2. Bekannt ist aus den Münzen der Severe sowie durch ans den J. 197
— 238 stammende Acten eines vornehmen CoUegiums, das in Palatio in aede
lovis Propugnatoris zusammentrat (CIL. VI 2009 = Dessau 466), dass das
Beiwort dem höchsten Gotte zukommt. Nach der Stellung desselben auf der
Inschrift muss ein Hauptwort vorangehen, man hat die Wahl zwischen lovi und
Marti. Ersteres scheint durch das vorangehende lOM ausgeschlossen, letzteres
ist durch kein Beispiel belegbar aber dem Sinn nach ohne Anstoss. Am Schlnss
ist Raum fttr einen Buchstaben, schwache aber unsichere Spuren eines S werden
wahrgenommen. Wenn man zu Anfang nur 4 Zeichen ergänzt, wird der Raum
frei bleiben müssen.
Z. 3. Vom Schlussbuchstaben ist nur der senkrechte Strich erhalten.
Z. 4. Das R zu Anfang ist bis auf den Schwanz zerstört, ebenso das N
am Ende bis auf den ei*sten Strich.
Z. 5. Die Kaiserinmutter wird mit den Göttern auf gleiche Stufe gestellt;
wohl aus keinem anderen Grunde als um die Häufung der von einander ab-
hängigen Genetive von« 3 auf 2 zu er massigen.
Z. 10. Den Anfang ergab ein Splitter mit dem Rest eines G dann I und
halbem M. Die Beiworte Severiana Alexandriana der Legio Minervia waren
bereits bezeugt.
Z. 12. Die Lesung steht nach Anschluss eines grösseren und kleineren
Stückes an den Stein fest. Da nach dem ersten Punkt ein zwar verstümmeltes
aber sicheres R folgt, hierauf ein in schwachem Rest erhaltenes geradeliniges
Zeichen, muss rebus ergänzt werden. Davor steht -GNA- Dies kann nach
Z, 17 nicht Accusativ, muss also Ablativ sein. Derart gewinnen wir die That-
sache, dass die Bonner Division einen Handel mit den deutschen Nachbarn
Jfthrb. des Vor. v. Alterthsfr. fin Rheinl. 103. 8
114 H. Nissen: Römisches Siegesdenkmal in BeacL
nicht nach dem daznmal üblichen Verfahren dnrch Geld und gute WortCj son-
dern mit den Waffen zum Austrag gebracht und einen erfochtenen Sieg durch
unseren Stein verewigt hat.
Z. 13 — 16 fahren die Generalität auf. Es mag eine Äusserung von
Respekt sein, dass der Schreiber Namen und Titel sperrt und der einzelnen
Zeile nur 17 Buchstaben zuteilt.
Z. 13. Zu Anfang fehlt wahrscheinlich nur ein Zeichen, VM sind sicher,
dann folgt 0 oder Q, hierauf ziemlich sicher V, endlich nach einem aus-
gefallenen Zeichen ein Punkt. Die Mitte des ersten Namens ist zerstört, nach
den vorhandenen Spuren indess eine andere Lesung als die gegebene aus-
geschlossen. Somit begrüssen wir in dem Legionslegaten einen alten Bekannten,
der auch Curator von Köln gewesen ist. Beide Würden nebst der ganzen
Ämtcrfolge des M. Marius Titius Rniinus zählt die Beneventaner Inschrift CIL.
IX 1584 auf. Hatte man ihn bisher unbestimmt in die Zeit von Marc Aurel
bis einschliesslich Alexander Severus gesetzt (Klein, Verwaltungsbeamte von
Sicilien p. 122), so erweist sich jetzt die untere Zeitgrenze als richtig.
Z. lö. Das M steht nur zur Hälfte da. Am Schlnss scheint A mit V
ligiert zu sein.
Z. 16. Der Name des anher unbekannten Statthalters lässt kaum eine
andere Ergänzung zu. Wie sein Titel gefasst war, ist nicht zu sagen und hier
als blosse Vermutung hergesetzt worden. Aber es sei ausdrücklich betont, dass
die letzten 5 Zeichen so scharf und deutlich sind wie man wünschen kann.
Z. 17. Ein Splitter mit halbem M schliesst an das grössere Stück mit
ENDA an. Folglich darf das Object nicht Z. 12 in GNA gesucht werden,
ist vielmehr aram der Stein. Der Schi uss ist verwittert: AVI sicher, die näch-
sten 3 Zeichen wahrscheinlich, dann K mit kurzen Schrägbalken, A sicher,
endlich gerader Strich.
Z. 18. Den Jlonat giebt ein hier haftender Splitter mit 0 an. Ob das
Datum 27. Oktober für die Eniclituiig des Steines wegen der in Rom ge-
feierten ludi Victoriae gewählt ward, steht dahin. Der Rest ist zerstört. Vom
Ende angefangen erkennt man einen geraden Strich, A sieher, P wahrschein-
lich, ebenso halbes M und I. Nach vielerlei wenn auch unter ungünstiger Be-
leuchtung angestellten Proben glaube ich sagen zu dürfen, dass kein anderes
der Consulate 222 — 35 mit den Schriftresten und Mafsen des Steins überein-
stimmt. Die beiden Altäre Branibacli 866 1446 sind gleichfalls 229 zu Ehren
des Kaiserhauses geweiht worden.
Unser Denkmal bringt denjenigen, die Aufschlüsse über Caesars Rhein-
brücke, den niederrheinisclien Limes und ähnliche Dinge erwartet hatten, eine
Enttäuschung. Doch werden auch sie diesen Beitrag zur lückenhaften Geschichte
der Germaneukricge unter dem armen jungen Kaiser Alexander Severus will-
kommen heisscn. Die bauliehe Umgestaltung, der Beuel entgegen geht, seit-
dem der stolze Bogen einer deutschen Brücke sich über den Strom wölbt, lässt
auf neue Funde hoffen. Die dortigen Altertumsfreunde werden darüber wachen
und wie im vorliegenden Fall auch in Zukunft die Wissenschaft fördern wollen.
6. Karlingisch-fränkische Töpfereien bei Pingsdorf.
Von
Constantin Koenen«
Hierzu Tafel VI.
In der Zeit vom 6. bis 8. Juni 1898 nahm das Rheinische Provinzial-
mnseam Bonn unter der stellvertretenden Direktion des Geheimrats Professor
Dr. Nissen eine recht erfolgreiche Untersuchung karlingisch - fränkischer
Töpferei-Überreste vor. Von Nissen mit der örtlichen Leitung und mit der
VeröfiFentlichung beauftragt, habe ich zu berichten:
Die Fundstelle liegt in Pingsdorf (Reg.-Bez. Köln, Landkreis Köln), in
der nordwestlichen Ecke zwischen der Trierer Bezirksstrasse und der Busch-
gasse ^), auf dem Hofe der Wirtschaft von Anton Klein, Haus Nr. 51. Die
^) Von der Trier-Bonner Römerstrasse zweigt sich bei Eickerscheid eine Strasse
ab und geht durch das Erftthal über Münstereifel nach Pingsdorf. Hier fUUt sie mit der
Hauptstrasse des Ortes, der Trierer Bezirksstrasse, zusammen und zwar früher unter
dem Namen ^Ulstrasse* (Töpferstrasse). So heisst sie auch in ihrer Fortsetzung durch
Brühl, von wo aus sie sich nach Köln hinzog (Schneider, Bonner Jahrbücher, Heft 67,
S. 25). Im Verfolge dieser Linie hat man innerhalb Pingsdorf an mehreren Stellen
ältere Culturrcsto gefunden: bei dem Neubau für Herrn Sonntag zwei Steingeräte,
bei Bauten zur Wirtschaft „Im Jägerhaus" Skelette, Waffen, Gläser u. s. w., also
wohl merovingisch-fränkische Gräber, an mehreren Stellen entlang der Strasse auch
karlingisch-fränkische Töpferei -Überreste. Mit dieser Römerstrasse kreuzt sich in
Pingsdorf eine zweite. Die von Birteu über Alpen an Repeln vorbeigehende Strasse
teilt sich nämlich bei Mors in zwei Arme; der östliche führt über Borkum, dem Fusse
des Vorgebirges entlang durch Pingsdorf (Schneider a. a. 0., Heft 73, S. 1). An der
Nordseite des Dorfes liegt in beschriebener Linie die „Buschgasse'*, an der Südseite,
südlich der Ulstrasse den Namen „Knüppelgass** führend, in weiterer Fortsetzung
oberhalb Pingsdorf „alte Bonner Strasse** genannt. Im Verfolge dieser Strasse wurden
in der Pingsdorfer Gemarkung ebenfalls Altertümer gefunden: bei dem Bau der
Trierer Bahnlinie, dicht am Kirchberg zwei Steinsärge, bei der Anlage der Vorgebirgs-
bahn karlingische Töpfereireste; auf dem Felde von Segschneider in Badorf ein grosser,
noch nicht untersuchter Töpferofen karlingischer Zeit; auf dem katholischen Kirchhofe
Gefässe und Ausschussware karlingischer Töpfereien. Von letzterer Stelle befinden
sich einige Gefässe in den Altertümer-Sammlungen der Herren O. Rautert in Düssel-
dorf und W. Fussbahn in Bonn. Bei den Grundarbeiten zu der Klein'schen Wirtschaft
wurden neben zahlreichen karlingischen Gefässresten viele unzerbrochene, etwas ver-
backene Töpfe gefunden.
116 Constantin Koenen:
Ausschachtung wurde auf dem Hofe vor der dort befindlichen Bäckerei vorge-
nommen und förderte eine Schuttmasse von 6 m Länge, 7 m Breite und 2 m
Tiefe, also von rund 84 Kubikmeter zu Tage.
Die Oberfläche zeigt hier Humus, dann bis zu 2 m Tiefe Mergel und als
dessen Liegendes ein mächtiges Thonlager.
In den Mergel schien man die eigentlichen Oefen eingeschnitten zu haben,
denn wir fanden ausser mehr oder weniger runden, kesseiförmigen Einschnitten
hart gebackene, zum Teil verglaste Wandstücke, aber keine Spur von Mauer-
ziegeln oder Kalkbewurf. Sicheres über die Ofenaulage Hess sich freilich dort
nicht feststellen. Aber alles schien auf eine gewaltsame Störung und daraufhin
erfolgte dauernde Aufgabe des Betriebes zu deuten. Der Boden war mit
Scherben, mit halb und ganz verbackenen Gefassen bis wohl über Dreiviertel
seiner Masse vermischt. Diese über 63 Kubikmeter Gefässreste zeigten folgende
Eigentümlichkeiten.
a. Zubereitung des Thones. Der am Pingsdorfer Vorgebirgsrand
reichlich vorhandene Thon wurde geschlämmt, mit Saud vermischt, geknetet
und auf der durch Achsendrehung der Tretscheibe in schnellste Kreisbewegung
versetzten kleinen Scheibe mit den Händen gedreht, wobei auch wohl mit dem
Modellierholz nachgeholfen wurde. Darauf hat man die Gefasse mit einer
Schnur abgeschnitten.
b. Standplatte. Die so in ihrer Form fertig gestellten, abgeschnitte-
nen Gefässe wurden auf die obere Öffnung gestülpt. Dann stellte man
den Standring durch Herauskneten der dicker gelassenen Bodenmasse ver-
mittelst Daumens und Zeigefingers her, wobei er so geformt wnrde, dass er,
schräg nach aussen gerichtet, an allen äusseren unteren Seiten gerade aufstand,
während der übrige, nach der Mitte zugekehrte Teil gehöhlt erschien. Hier-
durch erreichte man einen festeren Stand als den, welchen wir bei merovingiscli-
fränkischen Gefassen finden, die unten derart glatt abgeschnitten sind, dass die
ganze Bodenfläclie aufrubt. Der gehöhlte, in der frülikarliugischen Zeit zuerst
auftretende Standring geht auf den römischen Fuss zurück: Der Römer ver-
stand es, seine Gefässe tadellos abzudrehen. Der Franke versuchte dasselbe
aus freier Hand, allein die Standfläche wurde dadurch uneben, und um das
Gefäss gerade zu stellen, drückte er den Standring hier oder da stärker aus.
Auf diesem Wege entstand die karlingische WcUenplatte (Gefässkunde, Tafel
XXI, 23), welche noch roli gehöhlt, dünn und mit scharfen Rändern ver-
sehen ist; sie bildet ein zuverlässiges Unterscheidungsmittel der Pingsdorfer
und verwandter karlingischer Ware von der vorkarlingischen. Bei dem mero-
vingischen Ausgusstopfe fehlt die Standplatte; der Boden ist einfach glatt ab-
geschnitten, bei dem im Provinzialmuseum zu Bonn befindlichen karlingischen des
Pingsdorfer Typus (vgl. S. 119, 3) zeigt sich der erste Versuch einer gehöhlten
Bodenplatte, allein noch fehlen die eigentlichen, eckig ausladenden Wellen.
c. Gefässrändcr (Taf. VI Fig. 1 — 271). Eine weitere Neuerung bei
den Pingsdorfer Gefassen bieten die oberen Gefässrändcr. Man ging bei deren
Herstellung von dem glatten, zuweilen an der Ausscuseite mit einem Stäbchen
Karlin^ißch-fränkische Töpfereien bei Pingsdorf. 117
versehenen merovingisch-fränkischen Rande aus und suchte denselben nach
römischer Weise durchzubilden. Es erscheinen mehrfach gegliederte, mit Stab
und Hohlkehle versehene Ränder, ja wir sehen — wenn auch in barbarischer
Form — alle Arten römischer Randformen von den glatten der Frühzeit bis
zu den reich gegliederten der mittleren und späteren Kaiseraeit. Eine grosse
Zahl der Ränder ist derart, dass nur ein geübtes Auge sie von den gleich-
artigen römischen unterscheiden kann. In vereinzelten Fällen ist es nicht die
Form des Randes allein, die das Neue oder Eigenartige erkennen lässt, son-
dern es wirken andere Ursachen mit: das mehr Abgerundete oder das Scharf-
kantige gewisser Flächen, die Weise des Brandes, die Art des Gekörnten der
Oberfläche, und vor allem das mehr Ungerade der Linienführung, doch muss
für die Unterscheidung auf Originale verwiesen werden; Worte und Abbildungen
allein genügen hierfür nicht.
d. Schnurhenkel (Taf. VI Fig. 15 u. 17). Den Töpfern von Pings-
dorf scheint die Fertigstellung ordentlicher Henkel besondere Schwierigkeit ge-
macht zu haben. Gegenüber der zumeist elegant gebogenen weiten Form des
römischen Henkels, ist die vorliegende gedrungen, sodass sie nur den Namen
Schnurhenkel verdient. Dieser kommt zwar auch bei* einigen römischen Ge-
fässen vor, z. B. bei dem Masskruge, allein er ist hier, wie alle römischen,
verhältnismässig elegant geformt. Dann lässt der römische Henkel den oberen
Rand des Gefässes frei abgerundet. Das ist auch noch bei den meisten mero-
vingischen Henkeln der Fall. Die Pingsdorfer Schnurhenkel hingegen sind alle
von der Innenseite des Gefässes aus breit an den oberen Rand angeknetet und
biegen sich von hier aus flach gebogen nach unten; sie sind mit dem oberen
Rande wie verwachsen. Man duldete keine Vertiefung zwischen Henkel und
oberem Rande. Sehr scharf finden wir diesen Typus ausgesprochen in den
Henkeln der karlingischen Reliefbandschmuck-Amphoren von Neuss (Gef&ss-
kunde XXI, 1).
e. Henkelgriff (Taf. VI Fig. 22). Merkwürdig ist der nach Art des
Gerashornes gekrümmte lange Griff eines Kugeltopfes. Ich habe zum Vergleich
den mit einem solchen Henkel versehenen 92 mm hohen Kugeltopf des Provinzial-
museums zu Bonn Inv. Nr. 7096 auf der Tafel VI Fig. 22 wiedergegeben.
In beiden Fällen ist der Henkel gleich unterhalb *des oberen Randes von aussen
angesetzt. In der Mitte der Ansatzstelle sieht man im Innern des GefUsses
eine später verschmierte Öffnung, die offenbar von der Herstellungsweise des
Griffes herrührt. Der Pingsdorfer Henkelgriff ist 95 mm lang; er eignet sich
vorzüglich zur festen Einlage der vier Finger, sodass der Daumen die linke
Seite des Griffes berührte und die obere Fläche an die Hand selbst dicht
anschloss.
f. Bemalung. Die Gefässwände sind, wie die beigegebene Tafel ver-
anschaulicht, fast durchgehends mit roher rotbrauner Malerei versehen. Eine
solche, wenn auch weit regelmässigere Bemalung erscheint bereits bei Gefässen
aus spätrömischen Gräbera (Gefässkunde XVII, 21, 21a, 21b, 22, 22a). Bei
diesen sieht man horizontale, schmale Gnrtbänder, auch wohl Kreise und runde
118 Constantin Koenen:
Tupfen; wir finden feraer christliche Symbole, wie z. B. die Palme; allein
alles hat hier noch etwas Sinn. Die Pingsdorfer Töpfe zeigen die Malereien
ebepso sinnlos and flüchtig hingeworfen, wie dies wieder unsere handwerks-
massig geschulten Töpfer seit dem vorvorigen Jahrhundert zu thun pflegen.
Wir sehen schiefe Reihen von kurzen Strichen, Tupfen, die bald rund, bald
kolonartig, oder halbkreis- oder halbmond- oder hufeisenförmig gestaltet sind.
Es erscheinen ferner Reihen von Schuppen-, von Zickzack- und Wellenlinien;
wir flnden schräg gegeneinander gestellte kurze Striche, rohe Zweige, quadrat-
förmig gestellte Striche, netzförmige Ornamente. Es werden sogar in sinnloser
Weise aufgerichtete netzförmig ausgefüllte Zacken oder wie Zacken gestellte
Zweige, in einem Falle einem breiten rautenförmig ausgefüllten Bande auf-
gesetzt (Fig. 25), eine Schmuckweise, die wie der römischen und merovingi-
schen, so auch der nacbfränkischen Keramik fremd ist.
g. Ausguss (Taf. Vi Fig. 15 u. 15b). Die Ausgüsse erscheinen fast nur
in Begleitung der Schnurhenkel; sie sind nicht mit einer Zutte versehen wie
die merovingisch-fränkisehen dieser Art, sondern völlig röhrenartig rund und
erbreitem sich oben ringförmig. Auch ist das Bestreben erkennbar, das, durch
die Zutte gewiss zu rechtfertigende, Anlehnen an den Gefasskörper (Gefäss-
kunde XX, 29) zu vermeiden. Der Ausguss ist mehr in eine schräge Richtung
gebracht und der ÖiTnungsrand ebenfalls schräger gestellt, als dieses bei dem
mehr horizontal gestellten merovingischen Ausguss üblich war.
h. Brand, Oberfläche und Farbe. Der Brand der Gefösse ist derart,
dass ein Anschlag klingt. Ein Einritzen der Oberfläche mit dünner Stahlspitze
erscheint unmöglich. Die Härte übertrifft die der römischen und merovingi-
schen Gefässe. Die Bruchfläche ist jedoch nicht so porenlos als das Steingut
der Kunsttöpfcrcien des Mittelalters; es fehlt der Pingsdorfer Ware noch die
glasige Zusammenfrittung, obwohl eher Steinzeug als jene irdene Ware vorliegt.
Die Gefasse haben zumeist eine vom weiss- oder graugclb bis in das kräftigste
Goldgelb übergehende Farbe; viele sind auch durch Dämpfe blau- oder grau-
schwarz gefärbt. Durch diese Brandart, durch die Art der Behandlung auf
der Drehscheibe und die Sandzusät/e ist die Oberfläche mit horizontalen flachen
Rinnen versehen, die häufig freilich kaum zu sehen sind und nichts gemein
haben, mit den scharf kantigcfn Rinnen einer etwas späteren Periode oder mit
den schön gewölbten regelmässigen Erhöhungen des 15. Jahrhunderts. Die
Sandzusätze machen die Oberfläche fein gekörnt, nicht glänzend; auch fehlt
dem Gefösse jede Spur einer wirklichen Glasur.
i. Der Gestalt nach sind folgende Arten zu unterscheiden:
1. Taf. VI Fig. 27a — e. Urnenförniigc Töpfe, nur in Bruchstücken
vorgefunden, Ränder bald einwärts bald auswärts gebogen, glatt, mehr oder
weniger wulstig, bisweilen recht scharfkantig, auch wohl mit Vorkehrung zum
Deekclverschluss verseilen. Diese Gefässe sind zu vergleichen mit den mero-
vingisch-fränkisehen Töpfen in meiner Gefässkundc Taf. XX, 1 — 5, ^, 8 u. 12;
in ihrer Weiterentwicklung zur frühkailingisehen Zeit nehmen sie die Form
Rarlingiseh-fränkische Töpfereien bei Pingsdorf. 119
(a.a.O.) XX, 26 u. 27 an; in vorliegendem Falle zeigen sie den spätkarlingi-
sehcn Typus (a. a. 0.) XXI, 4.
2. Taf. VI Fig. 1, 21 u. 22 Kugeltöpfe. Vgl. in der Gefässkunde
XX, 28 den frübkarlingisehen Typus dieser Art, Pingsdorfcr Kugeltopf unten
völlig gewölbt, also spätkarlingischer Typus in Gefässkunde XXI, 3. Der
kleinste Pingsdorfer Kugeltopf hat bei 80 mm Höhe 113 mm Bauch- und 88 mm
oberen Randdurchmesser, der grösste 180 mm Höhe, 212 mm Bauch- und 128 mm
Randdurchmesser.
3. Taf. VI Fig. 15a— c Doppelhenkeltöpfe mit Ausguss. Merovin-
gische Töpfe dieser Art vgl. Gefässkunde XX, 6. Die Pingsdorfer Töpfe
zeigen jedoch rohen scharfkantigen Wellenfuss, während die merovingischen
unten glatt abgeschnitten sind. Fig. 15 a zeigt die obere Ansicht dieser Art,
Fig. 15 die Seitenansicht, Fig. 15 b einen Ausguss und Fig. 15 c das obere
Randstüek eines solchen Gefässes. Das Bonner Provinzialmuseum besitzt unter
der Inv.Nr. 11270 einen Topf, der in der Technik völlig mit den Pingsdorfer
Gefässcn übereinstimmt, auch die merkwürdige braunrote Bemalung zeigt, allein
der Schnurhenkel nähert sich mehr als die Pingsdorfer dem merovingischen
Henkel; die karlingisch gehöhlte Bodenplatte ist schon vorhanden, allein es
fehlt ihr die zackige Ausbiegung, dann hat das Gefäss nur einen Schnurhenkel
da wo der merovingische Henkel angebracht ist, nämlich dem Ausgussrohr
gegenüber.
4. Doppelhenkelkrüge, Taf. VI Fig. 16 u. 17. Hier nur in Bruch-
stücken, welche jedoch auf die zum Vergleich punktiert angegebenen Umrisse
hinweisen (Gefässkunde XXI, 12). Augenscheinlich barbarische Umgestaltung
der spätrömischen Amphora (a. a. 0. XVII, 15 — 16). Das Bruchstück des
grösseren Kruges (Fig. 4) zeigt folgende Verhältnisse: 60 mm Randdurchmesser,
35 mm breiter, geriefter Henkel, 20 mm Halshöhe. Der kleine Krug Fig. 4a
hat 46 mm Halsdurchmesser, 20 mm Halshöhe, 32 mm Schnurhenkelbreite.
5. Kannen, Taf. VI Fig. 4 u. 5. Das Unterschiedliche im Vergleich zu
der römischen und der nachkarlingisch-mittelalterlichen Ware ist, dass diese
Kannen keinen Henkel und den gehöhlten scharfkantigen Wellenfuss haben.
Ihre Anfänge liegen in der etwas älteren karlingisch-fränkischen Becberform,
Gefässkunde Taf. XX, 25 (vgl. dazu Bonner Jahrb. LH, Taf. VI u. VII, Fig.
4 u. 5); doch fehlt der älteren Form noch der gehöhlte Wellenfuss. Die ab-
gebildeten Kannen haben folgende Verhältnisse: Fig. 4 245 mm hoch, 110 mm
Bodcndurchraesser, 100 mm Halsdurchmesser; Fig. 5 256 nun hoch, 90 mm
Bodendurchmesser, 88 mm oberer Randdurch messen Ein ähnlicher hat bei
150 mm Höhe, 69 mm Durchmesser der Bodenplatte; ein zweiter zeigt 185 mm
Höhe, 70 mm Bodenplatte; oberer Randdurchmesser 80 mm.
6. Becher krüge, Taf. VI Fig. 6. Zum Vergleich ihrer durch viele
Bruchstücke erkennbaren Form habe ich den wohlerhalteuen Becherkrug Inv.
Nr. 907 des Provinzialmuseums zu Bonn wiedergegeben. Dass sich diese Form
aus der merovingisch-f ränkischen Becherform entwickelt bat, ist wohl sieher;
120 Constantin Koenen:
doch zeigen die Pingßdorfer Becher den gehöhlten Wcllenfnss und andere
karlingische Eigenai*ten.
7. Becher, Taf. VI Fig. 2 u. 3. Zumeist kleine GefUsse von 100 bis
115 mm Höhe, 50 — 73 mm Boden- und 65—79 mm Randdurchmesser. Ent-
standen ist diese Form aus der merovingisch-fränkischen Becherform (Gefäss-
kunde XX, 9 u. 10 vgl. mit XXI, 8); allein der merovingischen fehlt noch
die bei den Pingsdorfcr Bechern stets vorhandene rohe scharfkantige, gehöhlte
Wellenplatte.
8. Eiförmiger Becher, Taf. VI Fig. 1 u. 20, wurde hier nur in diesen
zwei Exemplaren angetroffen. Unter den Bruchstücken mögen freilich noch
weitere, nicht mit Sicherheit bestimmbare Reste sein. Die Übergänge von dieser
zu der älteren, in die merovingisch-fränkische Zeit hineinreichenden Form zeigt
der Becher des Provinzialmuseums Inv.-Nr. CLXXII, welcher eine sehr schmale
abgerundete Standfläche hat. Nur das Eckige und das glänzend Schwarze des
Überzuges der Gefässe aus der Meroviugerzeit ist in karlingischer Zeit in Weg-
fall gekommen. Höhe des Pingsdorfcr Bechers 135 mm.
9. Ausgussbecher, Taf. VI Fig. 25. Es wurde nur ein Stück dieser
Art gefunden, bei dem die Beschaffenheit des Fusses nicht zu ermitteln war.
Höhe 78 mm. In merovingischen Gräbern wurde diese Form noch nicht beob-
achtet.
10. Cylinderbecher, Taf. VI Fig. 10 u. 11. Wir können solche mit
flachem (Fig. 11) und solche mit eiförmig abgerundetem Fuss (Fig. 10) unter-
scheiden. Die Entwicklung ist mit der des eiförmigen Bechers zu vergleichen.
In merovingischen Gräbern wurden diese beiden Formen nicht gefunden. Höhe
zwischen 170 — 180 mm, oberer Randdurchraesser 85 — 100 mm; flacher Fuss:
durchschnittlich 48 mm.
11. Becken, Taf. VI Fig. 12— 13d. Die Pingsdorfcr Becken lassen
mehrere Arten erkennen: die abgerundeten mit glattem oberen Rande Fig. 12,
die glatten mit einwärts ausladendem Rande Fig. 13a — d und drittens die ge-
schweiften mit auswärts gebogenem Rande Fig. 13— 14d. Die Ränder haben
reich gegliederte (Fig. 14a), oft auch einfache, glatt abgeschrägte Form (Fig.
14 c). Dieselben sind augenscheinlich hervorgegangen aus dem merovingisch-
fränkischen Becken (Gefässkundc Taf. XX, 1, 2, 7, 12, 13, 14—17), wenn
auch die Grundform im wesentlichen den altgernianisclicn Typus (a. a. 0.
Taf. XIX, 4 u. 6) beibelialten hat. Der gcliöhlte rohe scliarfkantigc Wellen-
fuss tritt aber in merovingisch-fränkischen Gräbern noch nicht auf, auch keine
neue P^igcntünilichkeit des Randes, der Brennweise und des Ornamentes, auf
welche ich bereits aufmerksam machte. Das abgerundete Becken Fig. 12 hat
78 mm Höhe, 140 mm Randdurchniesser, 55 mm Durchmesser des Fusses. Die
Becken-Scherben Fig. 8 u. 9 sind mit scharf eingeschnittenen unregelmässigen
Furchen bedeckt, und Fig. 13 hat einen gehöhlten Wcllenfuss; Höhe 115 mm,
Randdurchmesser 181 mm, Fuss 84 mm Durchmesser. Ein gleichartiges Becken
ist 115 mm hocli, hat 1G5 mm Randdurchmesser und 80 nnn Hodendurchmesser;
ein kleineres derselben Form: 115 mm hoch, 165 mm Rauddurchmesser, 80 mm
Earlingisch-fränkische Töpfereien bei Pingsdorf. 121
Fussdnrchmesser. Fig. 23 101 mm hoch, 193 mm Randdurchmesser, 65 mm
Fnssdurchm. Fig. 14a zeigt verschiedenartige Randprofile von solchen Becken.
12. Fussbecher, Taf. VI Fig. 23. In ihren allgemeinen Formen bereits
in allen vorfränkischen Culturperioden vorhanden. Die vorliegende Fussbehand-
lung in ihrer ürsprünglichkeit nachweisbar erst bei dem Taf. VI Fig. 24 dar-
gestellten Becher aus den sich der Karlingenzeit nähernden spätmerovingischen
Gräbern von Trippeisdorf bei Sechtem (6120 d Bonner Inventars). Die Form
des Pingsdorfer Fussbechers ist schlanker, der Fuss am äussersten Rande
flächig und oben schärfer eingeschnitten; auch ist der Pingsdorfer Fussbecher
im Innern mit den scharfkantigen Ausbiegungen der schneckcnfih'mig auslaufen-
den Fingerwirkung (durch die Achsendrehung der Tretscheibe verursacht) ver-
sehen, während der Trippelsdorfer glatt erscheint. Den Übergang zwischen
beiden Arten vermittelt ein Fussbecherrest, der in dem Habichtswalde zwischen
Natrup-Hagen und Velpe gefunden und mir von Professor Knoke- Osnabrück
vorgelegt wurde. Alle drei Becher haben einen nach ihrer Herstellung auf
der Scheibe vermittelst eines Bindfadens (von der Scheibe) abgeschnittenen
Fuss; man sieht den Ansatz der Schnur deutlich und wie sich die Schnur bei
dem Anziehen nach der Zugstelle hin verengte; dagegen fehlen die regelmässig
konzentrisch verlaufenden Rinnen des Abdrehens. Aber die Härte des Backens,
die gelbliche Farbe und andere Eigenarten lassen bei dem Pingsdorfer Becher
seine nachmerovingische Herkimft erkennen. Höhe 58 mm, Bodendurchmesser
18 mm.
13. Giessgefäss in Tiergcstalt, Taf. VI Fig. 19. Der cylindrische
Bauch 105 mm lang, das HalsstUck 35 mm lang, die vier Beinchen 30 mm.
Der obere Grifl^ 70 mm lang, 18 mm im Lichten weit geöfl^net. Auf dem
Rücken ist ein Loch rund eingeschnitten von 20 mm i. L. Durchmesser. Dieses
diente zum Einguss des Wassers, während der rohrartig geöffnete Hals als
Ausguss desselben verwendet wurde. Der Durchmesser der hinteren Bauchseite
58 mm.
Was die Zeitstellung der Pingsdorfer Ware betrifft, so ist zu beachten,
dass in der untersten Schuttmasse die S. 118, 1 und S. 120, 11 beschriebe-
nen urnenförmigen Töpfe und Becken erschienen. In den höheren, oben zu
Tage tretenden Lagen fanden sieh besonders häufig die Reste von blau-
schwarzen Kugeltöpfen, wie sie S. 119, 2 besprochen wurden. Die Doppel-
henkeltcipfe mit Ausguss erscheinen sowohl hier wie auch in den tiefsten Lagen
und es kamen auch die übrigen Thonarbeiten in einer Weise vor, welche be-
stimmt erkennen Hess, dass man es hier mit der Ausschussware einer bestimmten
Periode zu thun, in deren letzter Zeit die völlig abgerundeten Kugeltöpfe Mode
wurden, während die Becken ausser Gebrauch traten. Ein weiteres chronologi-
sches Bestimmungsmittel wird geboten durch den bereits in allen Lagen vorhan-
denen ältesten Typus der gehöhlten Bodenplatte mit Wellenfuss. Die Pingsdorfer
Ware stimmt in diesen wie überhaupt in allen Einzelheiten überein mit der
in meiner Gefässkunde S. 139 — 145 beschriebenen spätkarlingischen Ware ; die
von mir als der frühkarlingischen Periode zugehörig betrachtete Gefässmasse
122 Const. Koenen: KarÜDgisch-fränkische Töpfereien bei Pingsdorf.
(a. a. 0. S. 134 — 139) fehlt hier. Die Übergänge von dieser in die spät-
karlingische Zeit sind jedoch in reichster Ausstattung vorhanden und es ist
sehr bezeichnend, dass sich die in die Zeit Karls des Grossen gesetzten Rand-
profile der Meckenheimer Brandschicht (Rautert, Bonner Jahrb. Heft XCIII,
dazu Gefässkunde S. 134 — 139) nur in ihren späteren Typen und selbst diese
zumeist in einer etwas späteren Art vorgefunden haben. Die mit den kleinen
flachen Grübchen versehenen und mit der eingeritzten Wellenlinie ausgestatteten
ältesten frühkarlingischen Gefässarten (Gefässkunde Taf. XX, 25, 29, 30, 32 b
u. e) fehlen unter der Pingsdorfer Ware. Ebenso fehlt das auf blauschwarzem
Grunde leicht eingestrichene Rautenwerk (a. a. 0. unterhalb 29 links). Die
blauschwarzen, noch die merovingische Technik zeigenden Gefässarten des
Typus, Gefässkunde XX, 24 sind ebenfalls bereits ausser Mode. Wir werden
deshalb nicht fehl gehen, wenn wir die Erbauung der Pingsdorfer Öfen, welche
die hier besprochene Ware herstellten, etwa in die letzte Zeit der Regierung
Karls des Grossen setzen, ihre eigentliche Wirksamkeit jedoch der fol-
genden Zeit zuschreiben. Von nachkarlingischer Ware: Glasur, gewölbtem
Wcllenfuss, eigentlichem Steingut, fand sich keine Spur. Die tlberaus reichen
Thonlager der Fundstelle boten keinen Grund, ein bltthendes Gewerbe auf-
zugeben, während andererseits, wie gesagt, die Aufgabe augenscheinlich mit
einer gewaltsamen Zerstörung der Öfen zusammenhängt. Da nun die zuletzt
hergestellte Ware bis in das Ende des 9. Jahrhunderts zurückreicht, so dürften
es wohl die in der Umgebung Kölns alles verheerenden Normannenzüge vom
Jahre 881 gewesen sein, welche die Pingsdorfer Töpfereien zerstörten und dem
dortigen Betrieb ein plötzliches Ende bereiteten. Archäologisch liegt wenigstens
bis jetzt nichts vor, was dieser Auflfiissung widersprechen könnte.
7. Ein gnostisches Goldamulet aus Gellep.
Von
Max Siebour^«
Hierzu Tafel VII und 3 Figuren im Text.
Das Gräberfeld des ehemaligen römischen Cohortenlagers Gelduba, welches
in dem heutigen Dorfe Gellep am Niederrhein lag, hat uns wiederum einen
Fund gespendet, der die Aufmerksamkeit der Altertumsfreunde in hohem Masse
verdient. Am 4. Januar 1897 grub dort der Ackerer Klassen auf seinem
Grundstück mehrere Gefässe von Thon und Glas, zwei Kupfermünzen, einen
eisernen Ring und vor allem zwei goldene Schmucksachen aus. Die Gefässe
sind schon von A. 0x6 in diesen Jahrbücheni, Heft 102, S. 138 erwähnt,
die Fundstelle trägt auf der von ihm S* 133 gegebenen, sehr zweckmässigen
Karte den Buchstaben f, Sie liegt also ziemlich am südlichen Ende des
antiken Friedhofes, der den westlichen Abhang des Hügels einnimmt, auf
dem einst Gelduba stand. Das Klassensche Grundstück hat bereits seit'
dem Anfang der 50er Jahre seinen Besitzern bei ihren zufälligen Grabungen
reichen Ertrag an Altertümern geliefert, die natürlich veratreut sind; Stoll-
werck hat aber wenigstens darüber Tagebuch geführt und, soweit es in sei-
nen Kräften stand, in seiner Schrift über Gelduba ^) von den Funden berichtet
Was das für uns zunächst Wichtigste, die Münzen, anbetrifft, so sind ihm ans
dem 1. Jahrh. ausser zwei Familienmünzeu Stücke von Augustus, Vespasian
und Domitian bekannt geworden, aus dem 2. Jahrh. solche von Traian, Fau-
stina, Septimius Severus, Julia Domna, aus dem 3. Jahrh. Postumns, Claudius
Gothicus und Tetricus pater „häufiger". „Am häufigsten sind die Münzen des
4. Jahrh., die Constantine, Constautinopolis und die Valentiniane, meistens
Kleinerze, Gratianus ziemlich häufig, doch die Mehrzahl verdorben; Magnus
Maximus, Mittelerz einmal gefunden," Zwar sind Stollwercks Mitteilungen
über die keramischen Funde ziemlich wertlos, da er nur Beschreibungen gibt,
die sich schwer identifizieren lassen ; doch sind die von ihm S. 45, 46 unter 1 , 2
geschilderten Terrinen aus Terra sigillata mit Reliefschmuck wohl von dem Typus
Dragendorff 37, also aus späterer Zeit, die S.49,s2-38 genannten „13 cm hohen
1) Die celtabisch-römische Niederlassung Gelduba. Ürdingen 1877. S. 45—57.
\
124 Max Siebourg:
Urnen von rothgelbem Tbon mit schwarzer Glasur" und 8 muldenförmigen Ein-
bauchungen von der Art, die Koenen^) „charakteristisch für die Gräberfelder
der Antoninenepoche" nennt; die gestempelten Terra sigillata Teller, die ich
aus dem epigraphischen Teil herauslese, weisen auch frühestens ins 2. Jahrhundert;
es sind vier Firmen, für die D r a g e n d o r f f ^) die nötigen Nachweisungen gibt :
a. C/NLVINIM p. 91, 5; Taf. II 6 = Dr. II 56,
b. MARINV8 p. 94, 19; Taf. II 15 = Dr. II 223b I 150,
c. ^ PRISCVS F ^ p. 96, 27; Taf. II 19 = Dr. II 302,
d. eOCCOFQ p. 97, 31; Taf. II 21 = Dr. I 149.
Nur zwei Gefösse von Glas erwähnt Stollwerck, dagegen mehrere interessante
Kleinbronccn, danmter ein würfelspielendes Mädchen, das in die Sammlung
Guntrum gekommen ist, die vor einiger Zeit dem historischen Museum in
Düsseldorf Übermacht wurde. Im ganzen genommen haben wir es, besonders
in Hinsicht auf das Vorwiegen der Münzen des 3. und 4. Jahrb., jedenfalls
auf dem Klassenschen Grundstück mit dem Teile des Gräberfeldes zu thuu,
der gegen Ende der mittleren und in der späteren Kaiserzeit im Gebrauch
war. Ob bereits Skeletgräber vorliegen, darüber sagen die bisherigen Beob-
achtungen nichts. Vielleicht erfahren wir darüber etwas aus unserm neuen
Funde, der sich zeitlich in den Rahmen des bisher Ermittelten einfügt.
Das Nähere über die Fundumstände verdanke ich A. Oxe, dem ich auch
für den ersten Hinweis auf den ganzen Fund und die Vermittelung der photo-
graphischen Aufnahme verpflichtet bin. Er schreibt mir Folgendes: „Die Fund-
stelle, die ungefähr in einer Tiefe von 1 m sich auch nur 1 m lang erstreckt
haben soll, liegt fast in der westlichen Ecke des von einer Hecke umfriedigten
Grundstückes, d. h. etwa 90 m von der Strasscufront und 1 m von der nord-
westlichen Hecke. Genauere Angaben sind nicht zu ermitteln, da die Gegen-
stände beim Einstossen von Erdmassen zu Tage kamen. Darnach lässt sich
nicht entscheiden, ob die Funde aus einem Brand- oder Skeletgrab herrühren^)
. . . Der Finder hielt lange Zeit seine Funde ängstlich geheim. Erst durch
Herrn Färbereibesitzer Emil Moleuaar in Krefeld, der die Gegenstände^) käuf-
lich erworben hatte, erfuhr ich anfangs dieses Jahres von den metallenen
Stücken, den zwei goldenen Schmucksachen, Münzen und dem eisernen Ring."
Bevor ich mich zu der Beschreibung der einzelnen Gegenstände wende,
ist e^ mir eine angenehme Pflicht, Herrn E. Molenaar für das liberale Ent-
gegenkonnnen zu danken, mit dem er mir die Abbildung des ganzen Fundes
und ein längeres Studium des Originals der Inschrift ermöglicht hat.
1) Gefas.sk linde S. 101, 3 a.
2) Dr. I = B. J. 96/97 S. 141 ff. Dr. II =^ B. J. 99, S. 54 ff.
3) Dasö die Wahrscheinlichkeit lür ein Skeletgrab spricht, wird sich unteu
ergeben.
4) Nur der Becher 2 auf Tafel VII kam in den Besitz des Herrn Obersten von
Carlowitz in Krefeld, der ihn mit dankenswerter Bereitwilli«jrkeit für die photogra-
phische Aulnahme hergelieheii liat. Die letztere rührt von Herrn Turnlehrer Otto
Scharf her.
Ein gfnostisches Goldamulet aus Gellep. 125
Von den beiden ziemlich unkenntlich gewordenen Kupfermünzen gehört
nach Herrn van Vleutens Bestimmung die eine dem Hadrian, die andere
dem Antoninus Pius. Sie sind nach der ganzen Art der Fundumstände für
den Zeitansatz nur mit Vorsicht zu verwenden und können höchstens den ter-
minus post quem ergeben. Sichereres lehren die Keramischen Stücke, die
Tafel VII wiedergibt. Es sind zwei schwarzgefärbte Trinkbecher mit weissen
Aufschriften von dem bekannten Typus, den Koenen, Gefässkunde, Taf. XVIII
10 und 11 abbildet. Auf Fig. 1 liest man AVEVITA, auf Fig. 2 AMOTE.
Diese Becher, die sich meist in Skeletgräbern und, wie auch in unserm Fall,
zusammen mit Kugelbauchflaschen finden, gehören zum grössten Teil der zweiten
Hälfte des 3. Jahrhunderts und dem 4. Jahrhundert au. „Gefässe von beson-
ders feinem Glanz, für deren Bemalung ausschliesslich Weiss, kein Gelb ver-
wendet worden ist, scheinen indes etwas früher zu fallen, sie finden sich auch
im Limesgebiet mehrfach" ^). Da diese Kriterien für unsern Becher zutreflFen
und ferner die Schrift ohne Trennungspunkte dick Mn der Barbotine Technik'
aufgetragen ist — was K o e n e n ^) als Charakteristikum der älteren Exemplare
angiebt — , so werden wir mit Sicherheit nicht über das 3. Jahrhundert hinaus-
zugehen haben, eine Zeitbestimmung, die im wesentlichen für die Würdigung
des Hauptfundstückes, des Amulets, genügt. — Von der Art der bereits vorher
als dieser Epoche eigentümlich bezeichneten Kugelbauchfiaschen sind die Glas-
gefasse Tafel VII, Fig. 4 und 6; andere Form zeigen Fig. 3 und 5.
Figur 9 stellt in natürlicher Grösse eine kleine Goldhülse mit drei Ösen
dar, so wie sie der Besitzer zuerst erhielt.* Da die Vermutung nahe lag, dass
sie einen Inhalt berge, so wurde der Deckel an der linken Seite entfernt und
dann von Herrn Molenaar ein gerolltes Goldplättchcn hervorgezogen, das auf-
gerollt und geglättet sich als mit griechischen Buchstaben beschrieben erwies.
Der Besitzer sandte es zur Entzifferung vergebens nach München, Berlin, Lon-
don ^). Erst als es von hier zurückkehrte, erfuhren 0x6 und ich von dem
Fund. Da wir noch weiteren Inhalt in der Hülse zu sehen glaubten, so wurde
sie auf unsere Veranlassung zu einem Goldarbeiter geschickt und so die Kon-
struktion der Hülse ermittelt, wie sie Figur 10 und 11 zeigt. Darnach sind
es zwei gleich lange Röhren aus reinem Gold, die, kreisrund im Durchschnitt
und beide mit einem Deckel versehen, sich in einander schieben lassen. Die
innere Röhre hat eine Öse, die äussere deren zwei, sowie einen Aus-
schnitt, der der Öse der inneren Hülse Platz lässt. Schon mit dieser äusseren
Gestaltung des offenbar zum Tragen bestimmten, wertvollen Schmuckstückes
ist für den Kenner, auch wenn er den Inhalt der Aufschrift des Goldblättchens
nicht wttsste, die Bedeutung gegeben: es ist ein Amulet. Ganz entsprechende
1) Hettner, Westd. Korrespondenzblatt X (1891) S. 233 Anm. 1.
2) GefRsskundo S. 110a.
3) Zwei von den LesungB versuchen liegen mir vor; es ist nicht einmal erkannt,
dass abgesehen von einer Zeile die Buchstaben in senkrechten Kolumnen stehen.
126 Max Siebourg:
Funde sind im Römerreich selten — schon allein des kostbaren Metalls wegen;
haben doch die beutegierigen Barbaren auch nicht die Gräber und ihren wert-
volleren Inhalt verschont. Insbesondere wüsste ich aus dem Rheingebiet kein
völliges Analogon anzuführen. Aber aus dem Altertum selbst haben wir noch
Vorschriften zur Anfertigung solch schützenden Schmucks, die ganz auf unser
Stück passen. Eine steht bei dem Gallier Marcellus, dem sogenannten Empi-
rien s, einem hohen Beamten und guten Christen^ der um die Wende des 4.
Jahrh. n. Chr. als Laie zu Nutz und Frommen der Fremden und Armen ein
Arzneibuch zusammenstellte, indem er die Vorschriften des Scribonius Largus
u. a. vermischte mit Rezepten des Aberglaubens und volkstümlicher Heilkunst,
an denen unsre Kurpfuscher und praktizierenden Schäfer ihre Freude haben
würden. Da heisst es p. 319, 26 (ed. Helmreich): Ad coli dolorem scribere
debes inlamina aurea de graßo au reo infra scriptos char acter es ^) luna prima
vigensima, et laminam ipsam mittere intra tubulum aureum. Also gegen die
Kolik soll man mit goldenem Griffel auf ein Goldblättchen, wie in unserm Fall,
griechische Buchstaben schreiben und es in eine goldene Röhre stecken, die
dann zu tragen ist — wie und wo, das geht uns zunächst hier nichts an.
Ganz ähnlich ist die Anweisung, die sich bei dem griechischen Arzt des 6.
Jahrh. n. Chr. Alexander von Tralles II p. 583 findet. Ein Mittel gegen die
Gicht gibt er mit den Worten : TTpoq)uXaKTripiov TTobdpTac. Aaßibv ir^raXov xpw-
coöv, ceXrjviic XriTOucric, Yp6q)€ iv auTifi ra u7T0K€i|Li€va ^), kqi dvbrjcac €ic V€upa
Y€pdvou, elia 5]ytotov tiJ* TTcrdXiu cu)Xrivdpiov (also tubulum aureum) TTOirjcac Kaxd-
KXeicov Kai qnSpei irepl touc dcTpaYdXouc.
In Übereinstimmung damit stehen ein paar Funde, die ich hier gleich
erwähnen möchte. „Bei dem Ausbau des südwestlichen Traktes des Gebäude-
komplexes, der den Rurgplatz in Wien umschlicsst — so schreibt Wesscly,
Wiener Studien 8, 175 f. — sticsscn am 28. Jänner 1662 die Arbeiter auf einen
roh gearbeiteten Steinsarg, der ausser den Totengebeinen noch enthielt :
einen kleinen Helm, zwei Kettchen, den Kopf eines Satyr, einen kleinen Krug,
alles aus Bronee, ein eisernes Messer, eine Münze aus dem dritten Jahr-
hundert n. C h r. und ausser anderm eine l ä n g 1 i c h e H ü 1 s e a u s G o 1 d,
in der eine andere aus Bronee cinges(*blossen war, in dieser eine
dritte aus Silber und endlich in dieser wieder ein zartes Goldblätt-
c h e n, das eng zusammengerollt war. Es war mit feinen Schriftzügen bedeckt,
die aber verkratzt waren" ^). — Der zweite Fund stammt aus Regensburg;
er wurde anfangs der 70er Jahre auf dem (iebiete des sogenannten Urnen-
feldes ^) an der Augsburger Strasse gemacht und ist jetzt im Privatbesitz.
1) Di« vorgeschriebenen griechischen Buchstaben s. p. 137 Nr. 16.
2) Den Text s. unten p. 138 Nr. 20.
3) Erwähnt auch bei Kopp, palaeogr. crit. III 165 und besprochen IV 384. Über
den Text vgl. unten p. 134 Nr. 2.
4) Der Ausdruck ist zuerst von Janner, Geschiclite der Bischöfe von Regens-
burg, darum gebraucht worden, weil auf diesem Teil des He^ensburj^er Gräberfeldes
die Brandbestattung vorherrschte. Die Gräber reichen von Marc Aurel bis zum Ende
des 3. Jahrh. Ebner a. a. 0.
Ein gnostisches Goldamulet aus Gellcp. 127
Ebner, der ihn in der Römischen Quartalschrift VI (1892) Taf. X abbildet
und p. 162 bespricht, berichtet darüber: „Ein weibliches Skelet, dessen Be-
gräbnis nach Ausweis der Lage des Grabes etwa in die M i 1 1 e des 3. Jahr-
hunderts fiel, trug am Halse ein cylindrisches Büchschen aus Silber
von 2,5 cm Länge und 0,8 cm Durchmesser, in welchem in einander gerollt
ein Kupfer-, ein Silber- und zuinnerst ein Goldblättchen lagen. Ersteres,
ganz oxydiert, Hess sich nicht herausnehmen, ohne die Kapsel zu zerstören und
befindet sich noch im Innern. Das silberne und das goldene Plättchen aber
wurden alsbald nach der Auffindung herausgezogen, aufgerollt und bedauer-
licher Weise mittels eines harten Gegenstandes geglättet, wodurch der grösste
Teil der darauf befindlichen, zumeist in griechischen Buchstaben abgefassten
Inschriften ^) verwischt wurde." Gemäss der Abbildung hatte das Büchschen
zwei Ösen, die sich als Reifen um die Hülse fortsetzten; nur die rechte Öse
ist erhalten. Ich vermute, dass das Kupferblättchen, welches sich nicht heraus-
nehmen Hess, eine zweite Hülse sein wird. — Ferner erwähne ich noch das
Amulet unbekannter Herkunft, welches F r ö h n e r veröffentlicht hat, das ich
aber nur aus der Besprechung von F. X. K r a u s in den Annalen des Vereins
für Nassauische Altertumskunde 9, 123 flf. kenne ^). Ein Blatt von geschwärztem
Silber, 64 mm lang, 34 mm breit, das 19 Zeilen griechischen Text enthält,
war in einer goldenen Hinsenföimigen Kapsel' eingeschlossen, die Kraus
S. 124 mit den bullae vergleicht, welche die Kinder der vornehmen Römer trugen.
Besonders klar lässt uns endlich die Verwendungsart unseres Amulets der
Grabfund erkennen, der in der Gemeinde Ripe san Ginesio in Picenum ge-
macht und in den Notizie degH scavi 1887, S. 157 beschrieben ist. Das Grab
enthielt die Reste eines Skelets, zu seinen Füssen Gefässe von Glas, keine
von Thon ; neben dem Skelet fanden sich 1 1 Stücke eines goldenen Hals-
schmuckes, mit Löchern zum Aufreihen versehen. Als einen Teil dieses Schmuckes
sieht der Herausgeber mit Recht eine 'kleine Röhre aus Goldblech'
an, die oben auf in drei kleine Schamiere endet (terminante dl di sopra in
tre piccole cerniere per appenderlo). Nach diesem zwar etwas unklaren Aus-
druck niuss sie vöUig der Gelleper Hülse gleichen. Eingeschlossen war im
Innern ein gerolltes Goldblättchen, das geglättet 0,034X0,047 m miset
und in lateinischer Schrift und — soweit verständlich — auch Sprache ein
Rezept gegen Augenschmerzen ^) enthält.
Bei dreien von den bisher beschriebenen vier Funden ist das Skeletgrab
ausdrücklich bezeugt, der erste und zweite gehören nach sicheren Indizien dem
3. Jahrh. an — gerade so wie der Gelleper. Für diesen ist es darnach, zu-
mal bei dem Charakter der Beigaben an Gefässen, höchst wahrscheinlich, dass
auch er einem Skeletgrabe entstammt.
1) S. unten p. 135 Nr. 6.
2) Kraus giebt an, die Publikation sei im Bulletin de la Soci^t^ des Antiqunires
de Normandic, 1^ ann6e, p. 217 fr. erfolgt. Das Citat ist fulsch; ich bin hier nicht in
der Lage, es zu verifizieren. Weiteres s. unten p. 135 Nr. 4.
3) S. unten p. 135 Nr. 3.
128 Max Siebourg:
Zusammen mit der Hülse wurde ein kleines Anhängsel ans
Gold gefunden, das auf Tafel VII Fig. 8 wiedergegeben ist. Seine Öse
gleicht völlig denen der Eöhre; es wird also wie diese als Halsschmuck ge-
dient haben, welcher dem, eher noch der Toten mit ins Grab gegeben wurde.
Zu seiner richtigen Würdigung muss ich hier etwas näher auf die Amulete des
Altertums eingehen. Gemäss dem ihm innewohnenden Kausaltrieb sah und sieht
noch vielfach heute der Mensch in den ihn tiberall umgebenden Gefahren und den
tagtäglich ihn treffenden Zufälligkeiten den Ausfluss des Waltens dämonischer
Wesen: seit uralten Zeiten haben sich die Völker vom Zauber des Wortes und
Blicks, gewisser Tiere und Vorgänge bedroht geglaubt — und nicht nur sich,
sondern auch ihr Hab und Gut, Haus und Hof, Garten und Feld *). Dagegen suchte
man sich zu schützen teils durch mancherlei sühnende Gebräuche im einzelnen
Fall, teils durch schutzgewährende Symbole, Amulete, welche man an Gebäu-
den und Mauern anbrachte oder frei auf Grundstücken errichtete, oder durch
solche, die man am Leibe trug: TrepiaMMaia — wie Basilius, der Erzbischof
von Caesarea (371 — 379) sagt^) — Kaid idc xeipac koi touc ßpaxiovac Kai
Touc aux^vac, also Anhängsel für Arm und Hals, die mit dem Nütz-
lichen das Angenehme verbanden, indem sie nicht blos schützten, sondern
auch schmückten und daher häufig aus edlen Metallen und Steinen verfertigt
wurden. Bei Griechen und Römern spielen sie namentlich in der Welt der
Kinder eine grosse Rolle; ihr noch schwaches Leben ist ja besonders in den
ereten Jahren ihres Daseins den verschiedensten Gefahren ausgesetzt, und die
sorgende Liebe ihrer Umgebung begnügt sich nicht damit, jeden Schritt ihres
Wachstums in den Schutz von Indigitamentengöttern ^) zu stellen, auch zauber-
kräftige Amulete sollen ihnen helfen. Zu den T^veöXiai böceic, die bei den
Griechen den Neugeborenen am 10. Tage von den Verwandten dargebracht
werden*), gehören besonders Amulete, und aus Plaulus"') lernen wir, was für
Dinge das waren: ein Möndchen, ein Ringlein, ein kleines Schwert mit dem
Namen des Vaters, ein kleines Heil mit dem der Mutter darauf — das alles
aus Gold. Bekannt ist die Indla aurea, die die Kinder der vornehmen Römer
trugen. Besonders interessieren uns hier die Uinulae, die ceXnvia — wie sie
Basilius a. a. 0. nennt — xp^cea Kai dpxupea f| Kai Tf|c euieXeciepac üXr|c, die
von den alten Mütterehen den Säuglingen uingeliängt würden, unter Gemurmel
zum apotropäischen Zweck. Wir kennen sie aucli aus der monumentalen Über-
lieferung. Der Knabe aus Xanten, den F i edl e r- H oubc n, Römisches Anti-
1) Für diese Frage ist noch immer zu verweisen auf 0. Jahns grundlegende
Arbeit: Über den Aberglauben des biisen Blicks bei den Alten, ßericlite der säch-
sischen Gesellschaft der Wissenschaften, VII (18r35) 28—110. Vgl. neuerdings: Bieu-
kowski: Malocchio, P'.ranos Vindobonensis p. 28;') ff.
2) Bast zu Greg. Cor. ed. Schaefer p. 874 ; Jahn a. a. 0. p. 41.
;3) Dass auch die griechische Keli^ion diese ' di cerfT des Varro besass, hat
Usener, Götternamen p. 122 ff. erwiesen.
4) Hermann Blümner, Griech. Privataltertümer, p. 282/.*].
f)) Epidic. 040. Kudens 115G.
Ein gnostisches Goldamnlet ans Gellep. 129
quanum Taf. XXV; 2 abbilden^ trägt einen Halbmond an einem Bande um den
Hals; ihrer mehrere gehören zu dem Halsschmuck bei Arneth, Gold- und
Silbermonumente IX 105. In jeder Sammlung römischer Altertümer kommen
sie namentlich in der Form vor^ in der ihr Amuletcharakter am deutlichsten
wird, nämlich versehen mit phallischen Attributen. Bei Frauen und Männern
waren solche ^r|vicKoi — lunulae auch hier am Rhein in römischer Zeit üblich.
Bemerkenswert ist da^ dass die Matronen mitunter den halbmondförmigen Hals-
schmuck haben*), so die Matronae Axsinginehae aus Köln B. J. 83 Nr. 281,
von den Matronae Octocannae des Gipswalder Steins Ibid. Nr. 322 deutlich
die linke und die mittlere. Das Kölner Museum besitzt zwei männliche Terra-
kotten mit lunulae*). Eine Keltin, die sich unter den Hermen von Welsch-
billig befindet, trägt den Halbmond mit einer Öse an einer Kette befestigt
um den Hals^). Noch heute hat man in Neapel am Arm silberne Halb-
monde zum Schutz gegen Epilepsie; sie müssen von selbst gesammelten
Almosen gemacht und vom Priester eingesegnet sein^). In dem medizini-
schen Aberglauben des Altertums — und auch dem anderer Völker, bis in die
Gegenwart hinein — spielt eben der Mond eine grosse Rolle, da er nicht nur
manche Krankheiten, vor allem die Epilepsie, verursacht, sondern dafür auch
wieder die Gesundheit fördert und erhält *). So begreift man die Verwendung
seines Bildes zu Amuleten. Nun, ich meine, das halbmondförmige Schmuck-
stück, das zugleich mit dem Gelleper Büchschen gefunden wurde, ist gleich-
falls eine solche lunula. Das Material bedingt die Stilisierung. Zwei Gold-
fäden sind halbmondförmig gebogen und durch Lötung verbunden. Die Enden
des inneren sind spiralförmig aufgedreht; die des äusseren stecken in einem
kleinen Stückchen Malachit, das um ihre Achse drehbar ist. Zur Verzierung
sind ferner Kerben eingekniflfen, nicht eingefeilt, und 12 Goldkügelchen auf-
gelöthet. Ganz ähnliche Gestalt — ich meine besondei-s die Hinzufügung des
Steinchens als Schlussstück — zeigt die lunula einer weiblichen Terracotta-
büste, die das Kölner Museum jüngst erworben hat und die der Frisur nach
ins zweite Jahrh. gehören wird*^); ferner auch die kopflose Thonbüste des
Bonner Museums Inv. Nr. 2895, sowie die Bronzelunula Inv. Nr. 9761, die
im Neusser Lager gefunden wurde.
Dass gerade das Gold bei der Anfertigung des Amulet-Schmuckes bevor-
zugt wird — eine Tatsache, die durch die unten zusammengestellten Beispiele
noch klarer wird — das gründet sich auf die Anschauung des antiken Aber-
1) B. J. 83 p. 39, wo die Bedeutung nicht erkannt ist.
2) Terrakottenschrank VH 344, 2941.
3) Hettner, Trierer Katalog Nr. 808. Falsch ist es, wenn Hettner bei Nr. 803
von einem 'keltischen Halbmond' spricht, wenn ihn auch der Madrider Kelte gleich-
falls trägt.
4) Jahn a. a. 0. p. 42, 48 nach Winckelmann Werke II p. 60.
6) Das Nähere bei W. H. Röscher, Über Selene und Verwandtes p. 67fif. p. 185.
6) Inv. Nr. 28. Eine Photographie davon verdanke ich Herrn Dr. Kisa. Sie
stammt aus dem Kunsthandel, ist aber nach Risas Mitteilung 'höchst wahrscheinlich*
Kölnischer Herkunft.
Jahrb. d. Ver. v. Alterihsfir. Im Rhelnl. 108. 9
IdO Max Siebonrg:
glaabeiWy da» jenem Metall eine i^chfitzende Z^aoberkraft beiwohnt. Sicher
stecken dahinter mythologische Vorstellon^n, auf die ich hier nicht eingehen
kann V; doch f$pielt aoch die Kostbarkeit des Materials dabei eine nicht geringe
Rolle. Je teorer eine Medizin ist, fflr am so wirksamer hält sie noch hent-
zotage der Patient. Wir erwähnten schon die irepto^ficrra xP^^a f{ dpTupd,
die nach Basilios von den Kindern den Zanber abhalten; die Geschenke in
den Plaatnsstellen sind von Gold. Platarch erzahlt ans ^}y dass Salla, der
'GIflckliehe'y in allen Schlachten ein goldenes Bildchen des Apoll im Basen
trog; in der Schlacht am kollinischen Thor, wo er einen Schinmiel ritt and
so weithin erkannt wurde, wäre er ams Haar von den feindlichen Lanzen
durchbohrt worden; seine Rettang schrieb er nar dem ära^M^niov za. Ge-
naneres lehrt ans Plinias. NH. 33, 84 schreibt er: Aurum pluribus niodis pollet
in rem'ediiSy^tolneratisque et infantibus adplicatuTy ut minus noceanty quae
inferantur veneficia. Demgemäss heisst es 33, 85, Gold sei nach der Lehre des
M. Varro gat gegen Warzen; 33,81: Pokale aas natfirliehem Weissgold, das
c. 80 electrum heisst and mit Vs Silber vermischt ist, zeigen darch Farben-
spiel Gift im Tranke an. 10, 109: Will man die Taaben sesshaft machen, so
mass man ihnen die Flttgel mit Gold statzen, sonst heilt die Wände nicht (auro
insectis alarum articulisy non aliter innoxiis vulneribus). 20, 29 : Einige meinen,
za Heilzwecken müsse man die Warzel des Eibisch ') mit Gold aasgraben.
Schon oben S. 126 hiess es in dem Rezept des Marcellas, man solle mit golde-
nem Griffel die Schrift aaf das Goldblättchen einritzen. Aach dem Silber
wird Heilkraft zageschrieben ; siegeln mit einem silbernen Ring — so heisst es
in den Geoponika XIII 9, — heilt den Skorpionstich. Wir werden das Ma-
terial nachher wiederholt za Amaleten verwandt finden. Im diametralen Ge-
gensatz zu dem zauberabwehrenden Gold steht das Blei, das dem bösen
Saturn zugewiesene Metall; es ist recht eigentlich das Material für den Schaden-
zauber, für die devotiones oder defixiones, über die wir durch Wünsch» Ar-
beiten belehrt worden sind^). In die Gräber, also in den Machtbereich der di
inferi wurden diese "Briefe an die Unterwelt' gelegt und in ihnen die chthoni-
schen Götter ersucht, den gehassten Gegner — so z. B. den Joekey der Gegen-
partei im Cirkus — zu 'binden', kalt und schwer wie das Blei zu machen.
Fragen wir uns jetzt, was uns denn das in dem Gelleper Büchschen ein-
geschlossene Goldblättchen zu sagen hat. Tafel VII Fig. 7 gibt dasselbe in
natürlicher Grösse nach einer photographischen Aufnahme wieder, die ich der
liebenswürdigen Bereitwilligkeit des Herrn Dr. Jürges verdanke. Man sieht
gleich, dass die Glättung des Blättchcus nicht völlig gelungen ist, dass es
1) Ich denke dabei daran, dass Gold das stehende Attribut der Lichtgötter ist,
8owi(* an die Unterordnung des Paieon unter ApoUo. Usener, Götternamen p. 333.
2) Piut. Sull. c. 29.
3) radicem hihisci (d. i. Althaca officinalis L.) auro effodiendam.
4) CIA. Appendix: Defixionum tfÄbcUae Atticae ed. R. Wünsch, p. III; Sethia-
nische Veriluchungstai'eln aus Rom p. 71/72.
Ein gnostischGS Goldamnlet ans Oellep.
131
Fig. 1.
vielmehr manche Falten nnd Fältchen
eothält, die die Lesung nicht gerade
erleichtern. Immerhin ermöglicht diese
Abbildung eine Kontrolle der hier bei-
gcffigtCQ UmrissKcichnnng. Dass diese
möglichBt genau und treu ausgefallen
ist, verdanke ich ebenfalls der Beleh-
rung des Herrn Dr. jQrges. Er machte
mir von der photographischen Platte eine
Kopie auf blansaurem Eieenpapicr. Der
ümriaa und die Buchstaben wurden dann
von mir mit schwarzer, unvcrluscbbarer
Tusche nachgezogen, resp. ergänzt und
endlieh der Blaudiiiek durch Eintauchen
in eine 4 '*/oige Lösung von oxalsaurem Kali zum Verschwinden gebracht, so
das» nur die Bchwarzeu Striche auf dem weissen Papiergrunde stehen blieben.
Das Blätteben, dessen Masse 0,084X0,057 sind, hat die Obliche recht-
eckige Form, nur unten ist es nicht grad abgeschnitten. Darauf hat eine nicht
allzu geschickte Hand griechische Buchstaben und Linien eingeritzt; mitunter
ist der Griffel ausgeglitten oder der Schreiber bat sich korrigieren müssen.
Allmählich ging es besser von Statten; die Kolumnen 5 — 9, sowie die Striche
rechts zeichnen sich vor dem Anfang durch gerade Richtung nnd sicherere
Fuhrung aus. — Mit den Linien beabsichtigte wohl der Verfasser oder seine
Vorlage eine architektonische Verzierung der Blattfläche herzustellen, etwa in
der Art eines Naiskos. Diese Form hat z. B. ein Amulct aus Sjrakus^), eine
Thonplatte, in deren Mitte Artemis steht, während der freie Raum mit Zeilen
von noch nicht gedentetem Griechisch bedeckt ist. An den Seiten sind Pi-
laster, das Ganze wird von einem dreieckigen Giebel gekrOnt. So sehen wir
auf unserem Blätteben auf gleicher Grundlinie mit dem Umrissreehteck in der
Mitte eine Art Nische, die mit 7 senkrechten Kolumnen beschrieben ist; an
beiden Seiten wird sie von einem pilasterartigen Streifen eingefasst, von denen
der linke nur halb so breit wie der rechte geraten ist; offenbar blieb dem
Schreiber mehr Raum, als er gedacht hatte. Jeder der beiden Pilaster trägt
wieder eine Kolumne Buchstaben. Die Zeichnung schlieset links und rechts ein
schmaler Streifen ab, während die obere Grundlinie gewissermassen als Archi-
trav dient. Auf ihm steht die einzige horizontale, von rechts nach links lau-
fende Zeile, deren Buchstaben grosser und tiefer als die übrigen eingeritzt sind.
Die beiden Abschlussstreifen sind über dem Architrav mit ein paar nicht sehr
klaren Strichen fortgesetzt; ich kann darin nur die Ansätze zu einer kapital-
artigen Bekrönnng jener beiden Streifen sehen. — Viel einfacher ist die Glie-
derung auf dem Goldblätteben des oben erwähnten Regensburger Amuleta; hier
ist der horizontal geschriebene griechisehe Text durch 5 Querstriche in 6 Gruppen
1) Bulletin hist. phil. de l'acad. de St. Pätersbourg 1819, d. 17. IS (Stephani).
132
Max Siebonrg:
von 1, 5, 2, 3, 5, 3 Zeilen zusanimengefasst. Kanstvoller ist schon die Um-
rahmung, die ein Zauberpapyrus des Britischen Museums ') für zwei Amnlete
vorschreibt.
CüßkdVaßxv^tiKßti.
r
61
A
•^ ß ß V ® tL,T
OXp H U.f/i<k)^Xt/i«Lßa
Fig. 2.
c
n
L
Cf
«.
0
e
&
• ••
^ l/S(XJJiV9L
OL Kf Cf/A/üL 0C
ny
Fig. 3.
Zum Schutz gegen Feinde, Ankläger, Räuber und Traumerscheinungen
soll man auf ein Gold- oder Silberblättchen Fig. 2 zeichnen und das Amulet
dann tragen. Ein Zinnblättchen, auf dem mit einem Erzgriffel Fig. 3 einge-
graben ist, verhilft zur Gewinnung von Gunst und Freundschaft.
Indem ich mich jetzt zur Feststellung der Lesung wende, gehe ich nur
auf die Buchstaben ein, die nicht klar sind oder verschiedene Auffassung zu-
lassen. Ich habe das Original längere Zeit in Händen gehabt und wiederholt
geprüft; darnach kann ich meinen Text, abgesehen von wenigen Zeichen, als
sicher hinstellen.
In der horizontalen Architravzeile kann über die sieben Vocalc ae tu ouiu
kein Zweifel sein; die Querstriche von aeri sehe ich auf dem Original deutlich.
Das uj ist kleiner und dünner eingeritzt; auch ist meines Erachtens am Schluss
der Griffel nach unten abgeglitten und so das X ähnliche Zeichen entstanden.
Wäre ein X oder a beabsichtigt, so hätte es der Schreiber an dieser Stelle
grösser geschrieben — ich will nicht geltend machen, dass seine Bedeutung
hier neben den bekannten Vokalen unerkläriich ist. Dass am Anfang der Zeile
über dem Pilaster nicht an jix oder tu zu denken ist, beweist die Dünnheit und
Zartheit der Linien, die genau mit denen der Umrahmung stimmen. — Ich
lese also die Zeile Aeriiouuj.
Von den 9 vertikalen Kolumnen bieten 1 und 2 die meisten Schwierig-
keiten.
Kol. L Die ersten 6 Buchstaben sind klar Xa)Lir|puj; zu der Form des
H mit der bloss halb gezeichneten rechten hasta vergleiche man denselben Buch-
1) Ken von, Greek Papyri in the British Museum p. 122, 24 ff. und p. 91, 215 ff.
Über Fig. 2 siehe unten p. 137 Nr. 12. Auf Fi^. 3, unten S. 137 Nr. 14 steht ausser
magischen Zeichen und Buchstaben der Dilmonennamc Aa^va^€V€uq, sowie das be-
kannte 'AKpa|i|iaxa|iap€i, das Wiedemann B. J. 79 p. 225 f. bespricht.
Ein gnostisches Qoldamulet aus Gellep. 133
Stäben in Kol. 5 ^). Die zwei schrägen Strichelchen nach r| gehören zu keinem
Buchstaben. Nach uj ist c für mich sicher; der dazwischen liegende, etwas
grössere Raum ist besonders iimzelig, trägt aber kein Schriftzeichen. Der dann
folgende Buchstabe ist am ersten ein nicht besonders geratenes c, dann kommt
ein sicheres tt, während der Schluss zweifelhaft bleibt; hier in der Ecke ist
die Glättung sehr wenig gelungen. Steht überhaupt ein Buchstabe da, so lese
ich N. Die Kolumne gestaltet sich also folgendermassen: Xqmtipujc c tt v (?).
Während über den Inhalt von Kol. 2 kein Zweifel sein kann, macht die
Lesung im einzelnen Schwierigkeiten. Sie ist am schlechtesten geschrieben.
Nach dem ersten c mit lang ausgeglittenem Querbogen folgt ein Zeichen, das
einem c ähnelt, aber schon seiner Kleinheit wegen kein Buchstabe sein kann,
sondern einen misslungenen Versuch darstellen wird. Nach einem zweifellosen
€ folgt ein sicheres fx, das aber merkwürdig venitzt ist^); es macht den Ein-
druck, als ob der Schreiber mit dem Auge nach der folgenden Kolumne der
Vorlage abirrend zuerst ein f geplant habe. Denselben Eindruck habe ich bei
dem folgenden Buchstaben; das Zeichen deute ich am ersten als ein mit f
ligiertes €, wobei dann f fehlerhaft wäre; Ligaturen kommen sonst in dem
Text nicht vor. Sieht man darin ein H, so bleibt der an der rechten Hasta
stehende Querstrich unerklärt. An TT ist nicht zu denken gemäss Kol. 6.
Der Rest ist zweifellos cxeiXaM; beim c ist der Griffel nicht ganz sicher gewe-
sen, so dass es fast einem e ähnelt. Die ganze Kolumne wäre also zu lesen
C€fi<T)€ceiXafi.
Kol. 3 ergibt ohne Schwierigkeit und Zweifel Cecevre^ßapqpap,
Kol. 4 enthält gleichfalls sicher cacei BTiXcapcfxi.
Klar ist femer in Kol. 5 die Lesung 'Iduj eriouiaeu,
in Kol. 6 TtavxouxiOacc,
in Kol. 7 CiIiG <t>pf\ itrav. Darnach giebt es eine doppelte Möglichkeit.
Entweder ist x zu lesen, oder die von links nach rechts gehende Hasta ist
durch Ausgleiten bei der ersten Hasta von N entstanden, die andere gehörte
dann zu dem folgenden c-Zeichen. uj bildet den Scbluss. Wir erhalten also
C&e 0pf\ i7ravx(?)caj.
Kol. 8. Zwischen 6 und B ist ein auffallend grosser Zwischenraum, der
aber kein Zeichen trägt. Der Rest ist klar: X (x allenfalls möglich) iiaßau.
Ich will nicht verschweigen, dass andere statt der beiden I I zwei P lesen;
nach wiederholter Prüfung und Vergleichung mit den P in Kol. 4 und 7 ist
mir meine Lesung sicher: OßXiiaßau.
In Kol. 9 kann man endlich nur beim letzten Zeichen schwanken zwischen
0 und 0; ich entscheide mich, wie meine Zeichnung schon erweist, für 0 und
lese also OOujcouO. Das Ganze wäre ako folgendermassen umzuschreiben:
1) Dieselbe Form bei Wünsch, Sethian. Verfluchungstafeln p. 53 B 4.
2) Ganz ähnlich ist des Schluss-^ bei Parthey, zwei griech. Zauberpapyri des
Berliner Museums, AdBA 1865, p. 155 II 168, wo c€|iiociXa|ii steht, was Parthey nach
dem Index für ccjnoctXaoc ansieht.
134 Max Siebourg:
Aetiiouuj
1. AafiTipwccTTV (?) 2. C€fi(T>ec€iXafi
3. Cecevre^ßapqpap 4. cacei BfiX capc^ii
5. Iduj er|ou laeu 6. TTavxouxiöacc
7. CuiO 0pn i7Tavx(?)ciü 8. ©ßXiaaßau
9. OOujcoue
Ehe wir an die Interpretation dieses zunächst recht dunkel erecheinendeu
Textes gehen, wird es sich empfehlen, zuvor eine Reihe anderer Gold- (oder
Silber-) Blättchen mit Aufschriften kennen zu lernen. Wessely hat bereits in
den Wiener Studien VIII p. 175flf. 7 Beispiele aus dem Corp. Inscr. Graec. und
3 andere gesammelt und ist dabei zu dem Schlüsse gekommen, dass derartige
Fundstücke Amulete seien. Ihre Zahl lässt sich heute vermehren; ohne Voll-
ständigkeit mir zur Aufgabe zu machen, die Sache des Herausgebers eines
Zauberkorpus wäre, stelle ich im Folgenden eine Reihe von Beispielen aus
der monumentalen und der littcrarischen Überlieferung, die von Wessely
nur eben gestreift wird, zusammen und wähle vor allem solche Stücke, die
den Zweck des Täfelchens recht klar machen. Das wird am ersten die rich-
tige Würdigung unseres Textes ermöglichen.
1. Wiener Studien VIII, ISOflF. (Wessely).
Goldblättchen aus Saloniki, jetzt im Kaiserl. Münz- und Antikenkabinet
zu Wien. Mit 12 Zeilen beschrieben. Es ist ein Lieb es am ul et. Nach einem
dunkeln Anfang und der Aufzählung von Göttern, unter denen 'Acppobirr] und
Miöpnc zu erkennen sind, folgt der Wunsch: iroiricaTai (= 7roir|caTe) ^trixopeiv
(= dtrixapiv) Euobiav^) Tiäciv dvöpiUTroic*) Kfe (= xai) fvvd£i (= T^vaiHi), fidXicta
be TTpöc 8v 0^Xi (= GeXei) auir)^). Wessely setzt es nach dem Schriftcha-
rakter ins zweite oder dritte Jahrb. n. Chr.
2. Ibid. 8, 175ff. 186. Oben S. 126.
Goldblättchen, gef. in Wien unter den oben geschilderten Umständen;
jetzt verloren und nur noch in Abschrift erhalten. Der lateinisch geschrie-
bene Text hat die unglaublichsten Deutungen erfahren, die man bei Wessely
des Näheren zur Ergötzung lesen mag. Äthan. Kircher fand Kolchisches,
Griechisches und Türkisches in den paar Zeilen; Katancsisch erklärte es
1792 für Slavisch, und Th. von Karajan suchte es 1854 als Ostgothisch zu
erweisen — 'Wiener Gothisch* sagt Wessely mit humorvoller Ironie. Er
selbst erkennt mit Recht in Z. 2 — 5 die vielfach vorkommenden magischen
Gottesnamen l)arnna\7neneu Ahlanatanalba Acramihavian, 3. Jahrh. ii. Chr.
Der Zweck des Amulets ist nicht ausdrücklich angegeben.
1) Wessely schreibt eOobiav; ich fasse es als Eigennamen, der mehrfach vor-
kommt; vgl. Pape-Benseler, Wörterbuch der griech. Eig'cnnamen s. v. 'iMacht wohl-
gefällig: die Euhodia bei allen Männern und Frauen*. Dazu vg;l. man den Leydener
Papyrus J 384 ed. Dieterich, Supjjl. zu Fleckeisens Jahrbb. XVI p. 810, 32: Durch das
Tragen eines Ringes mit dem Drachen als Sonnensymbol ^irixapic iräciv ^cei, u. a.
2) ävGpiüTToc = dvnp auch unten p. 14G Anm. 1.
3) Wessely aöxri.
Ein gnostisches Goldamulet aus Gellep. 135
3. Notizie degli Scavi 1887, p. 157. Eph. epigr. VIII n. 238. Oben
S. 127.
Goldblättchen ans Picennm, Ripe san Gincsio. Fundamstände oben.
Der Anfang des lateinischen Textes Ad oculo(rum) dolorem erweist es als
Mittel gegen Augensehmerz.
4. Oben S. 127.
Silberblättchen, unbekannter Herkunft, einst im Besitze eines römi-
schen Antiquars, jetzt im Mus6e Napoleon III. In 18 Zeilen wird Schutz
gegen alle bösen Geister gesucht, gegen Fieber, Fett- und Wassersucht, gegen
Gift und Malocchio. — Derselbe Text ist wieder ediert, ohne Wissen von
Fröhners Publikation, von Pellicioni in den Atti e Memorie della Rtt. • ;
depntazionj di storia patria per le provincie deir Emilia. Modena 1880. Nuova / ^
Serie V parte II p. 177 flf. und zwar nach einer faksimilierten Abschrift des
Abbate Girolamo Amati aus Savignano. In einzelnen Worten wird dadurch
Fröhners Lesung berichtigt. In der kurzen Erwähnung in Bursians Jah-
resbericht 1883 p. 150 ist die Identität nicht erkannt.
5. Oben S. 126.
Silberbüchsehen ans ßegensbnrg, enthaltend
a. Ein Silberblättchen 9 das, soweit lesbar, mit magischen Zeichen und
Buchstaben bedeckt ist. Wegen des Schwankens des Herausgebers stelle ich
noch besonders fest, dass erstlich in Z. 3 c/jOT nicht zu SOTER (= durrip)
zu ergänzen ist, und dass zweitens in Z. 4 von Xw (= XpicToö!) Hcou, also
Jesus Christus, keine Rede sein kann. Das vermeintliche X ist das häufig
voiH^ommende magische Zeichen ^, das z. B. auch oben auf Fig. 2 in der
ersten Zeile steht.
b. Ein Goldblättchen mit 19 griechischen Zeilen in 6 Gruppen; es
beginnt mit magischen Zeichen und Buchstaben. Abteilung 2 — 4 ist vom Her-
ausgeber nicht gelesen. In Abschnitt 5 erkenne ich dann auf dem Faksimile
die Gottesnamen 0ap9iaaj, 'laßox, Map[|ia]p€uj0, Idw, Caßaiü[0] 'Abuiveai, in
Abt. 6 den Akkusativ Aae^ova. Jedenfalls handelt es sich also um Schutz
gegen Dämonen ; das Nähere ist nicht ersichtlich. — 3. Jahrhundert.
6. Kraus, christl. Inschriften des Rheinl. I, Nr. 13. Wiedemann BJ. 79,
215 ff.
Silberblättchen gefunden in den Thermen von Badenweiler. Nach
. magischen Zeichen und Buchstaben folgen die Götter- und Dämonennamen Ma
CaßaiJü9 ['Abujvai 'Aß]Xava9avaXßa 'AKpa[Maxa^api CJejuieciXafi CTiCTiVT€^[ßapq)a-
paJvTTic und die griechisch geschriebene lateinische Aufforderung, einen Lucio-
lus vor jeder Gefahr zu schützen (cepouate aß ofivi TiepeKouXu)) ').
7. Kopp, pal. crit. III p. 158, nach Gruter, inscr. app. p. XXI, ein
Citat, das ich nicht verifizieren kann.
1) Das von Kraus p. 9 aus King, the gnostics and their remains 'p. 9 zitierte
'Blftttchen* aus Neapel ist ein rnndcs Bronccmedaillon ; die aus Ducange ed. Hen-
scliel I p. 28 zitierte Inschrift der Ulpia Paulina steht auf einer Gemme, nicht auf
einem Blättchen.
136 Max Siebourg:
Goldblättchen, in einem Skeletgrabe gefanden. An der Stelle des
Herzens habe gelegen 'bractea ex purissimo auro parva et perquam tcnuisy
cui inscriptae essent Septem vocales Graecae, totidem repetitae versibtis, sed
ordine semper alio\ Die Inschrift wird demnach so gelautet haben:
a € r| i 0 u (jü
€ r| i 0 u uj a
Tl l 0 U UJ a €
i o u UJ a € Tl
O U UJ a € Tl i
U UJ a € Tl i o
UJ a € Tl i o u
Hieran reihe ich zunächst ein paar Vorschriften zur Anfertigung von
Amuleten, die in den Zauberpapyri ^) stehen.
8. DWA 36, p. 51, 256. Silberblättchen als cpuXaKTripiov.
€{c XcTTiba dpTupäv soll man mit ehernem GriflFel auTÖ tö övofxa*) TP(a|Li-
juttTiüv) p', also den Namen von 100 Buchstaben einritzen und es tragen ijidvTi
6vou, an einem Riemen aus Eselshaut.
9. DWA 36^ p. 112, 2705: OuXaicTTipiov elc TrdtaXov dpTupoOv, auf das
man zwei Zeilen magischer Zeichen vermischt mit griechischen Buchstaben
schreiben soll.
10. DWA 36 p. 90, 1840. Goldblättchen für den Liebeszauber.
Aus dem Holz des Maulbeerbaumes soll man einen geflügelten Eros ma-
chen, angethan mit der Chlamys, den rechten Fuss vorgesetzt. In den hohlen
Rücken der Figur soll man dann xP^^oCv Ti^TaXov werfen, auf das man mit
'kupfernem Griffer ^) eingeritzt hat: inapca ßouTapOe t^voö |lioi trdpebpoc kqi
TrapacTctTTic kqi öv€ip0TT0)HTr6c. Damit gehe mau spät abends zum Haus der
Liebsten, klopfe mit dem Eros an die ThUr und spreche den Zauberspruch.
11. DWA 3(5 p. 100, 2226. Goldblättchen als Liebesamulet.
Das Rezept weist an, ev xP^crj Xeiribi die unverständlichen Zauberworte:
^upi Mupivec iLiaxecvujv zu schreiben und es zu tragen Ka0apiuj[c]. Den Sinn
1) Hier und im folgenden zitiere ich diese mit folgenden Abkürzungen:
Parthey PB I und II: Abhandlungen der Berliner Akademie, 1865, S. 120 ff. und 150 ff.
Darin die Berliner Papyri.
DWA = Denkschriften der Wiener Akademie, philosophisch-historische Klasse. XXXVI
(1888). Darin Wesselys Publikation von Pariser und Londoner Papyri.
Dieterich PLI = Fleckeis. Jb. Supplem. XVI p. 79:J ff. Leydener Papyrus J. 384.
Abraxas = A. Dieter ich, Abraxas. Studien zur Reliirionsgeschichte des späteren
Altertums. Leipxiir 1891. S. 1G9 ff. der Leydener Papyrus J. 395.
Kenyon = F. G. Kenyon, Greek papyri in the British Museum. Catalogiie with
Texts. London 1893.
Wessely. eph. gr. = K. W esse ly, Ephesia Grammata. XII. Jahresbericht des k. k.
Franz Joseph-Gymnasiums in Wien. Wien 1880.
2^ D der Papynis; über den Xamen von 100 Buchstaben vgl. Heim, iucan-
tamenta magica, Flockeis. Jb. Suppl. XIX p. 5-13.
3) KuiTpiuj Tpa^ptiu), unten in N. 17 acu cuprea.
Ein gpiostisches Goldamulet aus Gellep. 137
dieses Zusatzes erläntern die unten angefühi-ten Rezepte Nr. 16 und 17 aus
Marcellus, wo "mundtcs' und 'observata castitate' zur Bedingung gemacht wird.
12. Kenyon p. 122, 24; oben abgebildet S. 132 Fig. 2. Gold- oder
Silberblättchen.
Gegen Feinde, Ankläger, Räuber und Traumbilder hilft die zu tragende
Xdfiva xp\)c& f\ dpTupä, auf die man ausser magischen Zeichen und Buch-
staben die schon S. 132 Anm. 2 erwähnten Gottesnamen 'AßXavaOavaXßa,
'AKpamiaxajiapei und die 7 Vokale in verschiedenen Gruppierungen einritzen
soll. Von den Vokalen wird nachher des längeren die Rede sein.
13. Kenyon p. 102, 579. Als (puXaKTripiov cojfiaTOcpuXoH Tipöc baifio-
vac, TTpöc cpavrdcfiaTa, Tipöc Ttäcav vöcov Kai irdöoc wird empfohlen auf ein
Blättchen von Gold, Silber oder Zinn oder auf 'hieratisches Papier'*)
Zauberworte und Gottesnamen (darunter Iduj) zu schreiben, einen Drachen *) und
Zeichen (xapaKTfip€c) zu setzen und mit dem Gebet zu schliessen: biacpuXacce )liou
TÖ cwiia [Ktti] -rfjv ipuxnv öXÖKXripov, d^ioö toö beiva ^). Das Ganze ist zu
tragen.
14. Kenyon p. 91, 215. Zur Gewinnung von Freundschaft und Beliebt-
heit soll man auf ein Zinnblättchen (irdTaXov Kaccitepivöv) die oben
S. 132 Fig. 3 abgebildeten Namen und Zeichen mit ehernem Griffel ritzen
und es tragen.
15. Kenyon p. 99, 462. Als Liebesamulet wird ein zu rollendes Zinn-
blättchen besonders empfohlen (cpiXtpov KdXXicrov), auf das magische Zeichen,
Buchstaben, Namen und die Fonnel zu setzen sind : iroiricaTe tfjv beiva *) 91-
Xeiv iiiL
Ich schliesse diese Aufzählung mit ein paar Rezepten aus dem bereits
erwähnten Arzneibuch des Marcellus und einem aus den ©epaTteuTiKd des Ale-
xander von Tralles.
16. Schon S. 126 ist das Mittel ad coli dolorem erwähnt, gemäss
dem man auf das Goldblättchen mit goldenem Griffel am 21. des Monats^)
folgende characteres einritzen soll:
A VM0 Kl A
AVM0KI A
AVMeKI A
Welche Bedeutung dahinter stecken mag, weiss ich nicht ; möglicherweise
eine Zahlcnspielerei*^). Ich bemerke, dass, wenn man für die einzelnen Buch-
staben die Zahlen einsetzt (A = 30, V = 700, M = 40, 6 = 9, K = 20, I =
10, A = 1) und addiert, dass dann sich als Summe 810 = 9 X 90 er-
1) Vgl. darüber Parthey PB zu I 233.
2) Vgl. Nr. 22.
3) 4 <ier Papyrus.
4) 4 der Papyrus.
5) Bei abnehmendem Mond nimmt alles ab. Röscher, Selene p. 185.
6) Einiges darüber bei Heim, incantamenta magica p.642. Bekanntlich ergiebt
die Quersumme von aßpacoE die Zahl der Jahrestage 365.
138 Max Siebourg:
giebt. Das Goldblättchen ist in Ziegcnfell einzuhüllen und mit einem Rie-
men aus Ziegenleder an den rechten oder linken Fuss zu binden^ je nach der
Seite des Körpers, wo der Schmei-z sitzt. Hinsichtlich der Diät wird ver-
langt: sed dum utetur quis hoc praeligamine, abstineat venere et ne mulierem
aut praegnantem contingat aut sepulcrum ingrediatur, omnino observare debe-
bit. Als Radikalmittel gegen Kolik wird endlich am Schluss empfohlen, immer
zuerst den linken Fuss zu beschuhen. Probatum est.
17. Marcellus p. 69, 31 (VIII, 59): Goldblättchen gegen Trief-
äugigkeit.
Auf eine lamella aurea soll man acu cuprea^) schreiben opuui oopujbii
und es dem Triefäugigen mit einem Faden um den Hals hängen — quod po-
tenter et diu valebity si obftervata castitate die lunae illud facias et pona^.
18. Id. p. 202,22 (XX, 66) Silberblättchen gegen Magenschmerz.
Als grosses sympathetisches Mittel, remedium physicum^) magnumj ad-
versum dolorem stomachi soll man in lamina argentea schreiben: AritmcUho
auf er dolores stomachi Uli, quem peperit illa^). Dies Blättchen ist in Wolle
von einem lebenden Schaf zu wickeln und um den Hals zu hängen unter Wie-
derholung des eingeschriebenen Spruches.
19. Alex. Trall. II p. 581*). Goldblättchen gegen Podagra.
Darauf soll man den Homervers B 95 schreiben
TCTprixei b' dTOprj, uttö b' krovaxiZcTO TCtia,
und zwar ouctic ceXrivric tv Ivfib, KciXXiov bk ttoXü, läv dv X^ovri €up€8r|. Dass
dem Klang der Homerverse Zauberktaft beigeschrieben ward, ist bekannt; eine
Reihe von Belegen giebt Kenyon p. 83 — 88. Das Wiesbadener Museum ent-
hält in der Form einer Bulla einen Serpentinstein in Silberfassung mit Oese.
Darauf steht der zuerst von Rumpf erkannte Homervers €291
^eiva Tiap' 6(p6aX]Li6v, [X]euKOuc b' [djirepricev ö[b6v]T[ac]^
20. Alex. Trall. II p. 583. Oben S. 126. Goldblättchen als TipocpuXaK-
TiKÖv TTobdYpac. Der Zauhertext beginnt mit den Bezeichnungen der 12 Stern-
bilder: |Li€i 0peu )Li6p cpöp TeüH la Idjv Od Xou xpi T^ ^^ ^v und fährt fort: d)c
CTcpeoÖTai 6 f^Xioc ^v toTc 6v6)Liaci toutoic koi dvaKaiviZieTai kqG' ^KdcTr|v fijLiepav,
ouTUü cTepeüücaie touto tö TrXacjixa, Ka6djc fjv tö TTpiv f[br\ r^bri, laxu raxu *^).
'Ibou yoip Xeyuj tö juefa övojaa, iv.öj dvaTTau6)Lieva CTepeoöiai xal älvcp Cuujv
1) Oben in N. 10 Tpa9€{uj KUTrpdu.
2) q)uciKöc = magisch schon beim Scholiast zu Aristoph. Pliit. 883, wo der Zauber-
ring baKTuXioc q)uciKÖc und q)ap)naK{Tnc heisst. Th. Weidlich, Die Sympathie in der
antiken Litteratur (Pro«;-!*, des Stutt<^arter Gymnasiums 1894) p. 68.
3) = TU) beivi, f\ Ö€iva. Die Bezeichnung* der Herkunft mit dem Namen der Mutter
ist in diesen Dokumenten die übliche. Vgl. darüber zuletzt Wünsch, Sethian. Ver-
lluchungstafeln p. 64.
4) Diese und die folgende Stelle verdanke ich Heim, incantamenta magica
p. 516, 152; 534, 204.
5) IGST. 12580, 2. Rumpf in Fleckeis. Jb. 1866 (93) p. 716 ff.
6) Bekannte Schlussformel der Beschwörungen als Aufforderung zur Beschleu-
nigung.
Ein gnostisches Qoldamulet aus Gellep. 139
Bp^T^ ßaivxwujK ^), CTCpeiicare tö trXdcjia toOto KaOibc fjv tö TtpuiTOV f{br\ f{br\,
xaxö Taxu.
Schliesslich reihe ich noch zwei Mittel aus Marcellus an, die zwar nicht
die Verwendung eines Goldblättchens vorsehen, aber doch des Materials und
der sonstigen Vorschriften wegen für unsere Zwecke dienlich sind.
21. Marc. p. 309, 6 (XXIX, 23) Goldring gegen Kolik.
Ausdrücklich wird verlangt, dass der Eing von reinem Gold — holo-
chrysus — sei, dessen Heilkraft wir oben S. 130 kennen gelernt haben. 'Vice
gemmae^ sei darauf ein Fisch oder Delphin einzugravieren; ferner soll rings
umlaufend innen und aussen (in mnhitu rutunditatis utriusque, id est interius
et exterius) Graecis litteris der Vers stehen:
0€Öc KeXeuei \x^ ku€iv köXov tiövouc.
Wie bei Rezept Nr. 16 ist er je nach dem Sitz der Schmerzen an der 1.
oder r. Hand zu tragen; luna autem decrescente die lovis primum in usum
habendus erit anulus^).
22. Marc. p. 208, 22 (XX, 98). Ad stomachi dolorem remedium
physicum sie: In lapide iaspide exculpe draconem^) radiatum, ut habeat
Septem radios et Claude auro et utere in collo.
Überschauen wir einen Augenblick, was uns diese Liste lehren kann.
Metallblättchen mit meist griechischen Aufschriften finden sich in den verschie-
densten Teilen der antiken Welt als Araulet verwandt oder werden in der
Litteratur dazu empfohlen. Das Gold ist dabei bevorzugt; von Silber sind nur
4, 5 a, 6, 8, 9, 18; als Ersatz für Gold kann es eintreten bei 12, 13, in
letzterem Fall ist auch Zinn oder 'hieratisches Papier' zulässig. Sehen wir
von 14, 15 des Materials wegen (Zinn) ab, so dienen bloss 1, 10, 11 alsLie-
besamulet. Nr. 2, 5 ab, 7 enthalten blosse Götternamen ohne Angabe des
Zweckes. Alle übrigen sollen Schutz vor Gefahren jeglicher Art, besonder»
vor Krankheiten gewähren*); dabei haben 12, 16, 17 nur Dämonennamen,
magische Zeichen und Buchstaben, 21 den Homervers. Ihren sanitären Zweck
ergiebt die Einföhrung in dem Zauber- oder Eezeptbuch. Schrift und Sprache
sind fast ausschliesslich griechisch; nur das Rezept Nr. 18 sieht Lateinisch vor.
Die Badenweiler Tafel Nr. 6 hat lateinische Sprache in griechischer Schrift*).
Was die Zeit anbetrifft, so werden wir da, wo sie sich bestimmen lässt, in
das 2. — 5. Jahrh. n. Chr. gew^iesen. 1 setzt Wessely nach der Schrift ins
2. oder 3. Jahrhundert, 2 und 5 gehören ins 3. Die Papyri gehören dem 3.
1) ßaivxu)aiK vielfach vorkommender Dämouenname.
2) Vgl. S. 137 Anm. 5.
3) Vgl. Nr. 13.
4) Augenleiden in 3, 17, Kolik in 16, 21, Magenschmerzen in 18—19, Gicht in
20; allgemein gehalten sind 4, 3, 13.
5) Ebenso der Liebeszauber auf der Bleitafel von Hadrumet bei G. Mas per o,
Biblioth. Egyptol. II 297 ff. Umgekehrt zeigt die an gleicher Stelle p. 103 behandelte
Bleitafel mit Liebeszauber griechische Sprache, aber anfangs lateinische Schrift. Vgl.
die Bearbeitung von Deissmann, Bibelstudien I (Marburg 1895) p. 23 ff.
140 Max Siebourg:
und 4. Jahrb. an, ihre Quellen sind älter. Marcellus und Alexander von Tralles
erweisen den Gebrauch für ihre Zeit, wenn auch ihre Quellen viel älter sind.
Jetzt werden wir allmählich gerüstet sein, die Interpretation des Gelleper
Blättchens in Angriff zu nehmen. Gleich die erste Zeile, die durch die Grösse
der Buchstaben, durch ihre Stellung auf der Architravlinie und den dadurch
bedingten horizontalen Verlauf vor den übrigen ausgezeichnet ist, weist uns in
die richtige Sphäre, aus der wir uns Rat zu holen haben. Sie enthält die 7
Vokale und damit ein Hauptmysterium der sogenannten ^Gnosis'.
Ich verstehe darunter in der üblichen Weise jene Glaubensform der er-
sten christlichen Jahrhunderte, die wesentlich im Zeichen des Synkretismus
steht und aus heidnischen, jüdischen und christlichen Elementen ihr System,
besser ihre Systeme aufbaut. Freilich haben wir es hier nicht zu thun mit
jenen kühnen, oft poetisch schwungvollen Spekulationen über Weltschöpfung
und Seelenerlösung, wie sie uns in den Schriften der dagegen eifernden Kir-
chenväter oder in Kulthymnen und Berichten entgegentreten, die in dem Wust
der Zauberbücher vergraben liegen. Das oft zitierte Wort Jakob Grimms, dass
„der Aberglaube gewissermassen eine Seligion für den ganzen niedem Haus-
bedarf bildet" ^), passt, wenn schon für alle Völker und Zeiten, so doch erst recht für
diese Periode religiösen Lebens. Sie hat sich der Magie ergeben — in welch
riesigem Umfange, das haben uns erst klar jene Zauberpapyri gelehrt, die in
den letzten Jahrzehnten aus den Gräbern Ägyptens an das Licht des heutigen
Tages gekommen sind. Sie vor allem liefern uns die Mittel, um die noch er-
haltenen Monumente jener gnostischen Magie zu deuten; ein Blick auf die
bereits oben daraus vorgebrachten Stellen lässt erkennen, dass die Papyri viel-
fach die allgemeine Formel enthalten, nach der das einzelne Denkmal gemacht
ist. Wir brauchen nicht mehr ganz in das resignierte Wort des grossen Sca-
liger einzustimmen, der an M. Velser schreibt: 'Amuleta ista nemo intellegit,
niifi qui facienda curavit et frustra Ulis interpretandis opera datur^ ^).
Gleich bei der Erklärung der Vokalreihe unserer ersten Zeile haben wir
wohl zu berücksichtigen, dacs wir es mit einem gegen den Zauber schützenden
Instrument zu thun haben. Die sieben Vokale^) dienen der Gnosis zur Be-
zeichnung der sieben Himmelssphären, der Sonne, des Mondes und der 5 Pla-
neten; TuJv ^TTTct dciepujv sagt der Leydener Papyrus (Abraxas p. 185, 118) aus-
drücklich. A bezeichnet den Mond, € Merkur, ti Venus, i die Sonne, o Mars,
u Juppiter, uj den Saturn. Jeder dieser sieben Planeten untersteht der Herr-
schaft eines Geistes, des fipxujv, deren Namen und Natur bei den verschiedenen
Sekten wechseln. Ich führe als Beispiel eine ophitischc Liste hier an: 'laXba-
ßauü6, 'Idtü, Caßauj6, 'AbujvaToc, 'eXujaioc, 'QpaToc, ^AciacpaToc. Derjenige freilich,
der die sieben Planetenvokale an erster Stelle auf unser Goldtäfelchen schrieb.
1) Deutsche Mythologie 11^ p. 926.
2) Citicrt bei Kopp, pal. crit. III p. 16.
3) Zuletzt darüber Wünsch, Seth. Verfluchungstafeln p. 77 fif., wo auch Litteratur
angegeben ist.
Ein gnostisches Goldamtilet aus Gellep. 141
hat sicherlich dabei nicht an die Bedeutung gedacht; die sie innerhalb der
gnostisch - philosophischen Spekulation über Schöpfung und Erlösung hatten.
Nicht daran, dass — wie der Yalentinianer Markus gelehrt hat — der
Klang der Vokale ' Bilder und Erzeuger der Dinge auf Erden geworden sei ' *),
noch daran, dass die Seele, ehe sie zur ewigen Wonne eingehen kann, erst
jene sieben Sphären durchdringen und dabei den Nachstellungen der sie be-
herrschenden Archonten entgehen muss, ein Ziel, zu dem eben die tvoicic,
die Kenntnis der Geistemamen und' der sie bannenden Formeln nötig ist ^).
Nicht war es ihm eines der höchsten Mysterien, wie der koptischen Gnostik,
die zu uns aus dem Buche Pistis-Sophia spricht-, als die Jünger den Herrn
nach den liucxripia der verschiedenen Taufen fragen, ut KXiipovofiujfiev nos
quoque regnum tut patris, da sagt Jesus: nihil praestantius his fiucxTi-
pioic quae exploratis — eijuiiTi jiXucTripiov septem cpujviüv^). Der Schreiber
wie der Träger unseres Amulets hatte schützende, dienende Geister nötig, und
die Planetendämonen, die sie mit ihren sieben Vokalen meinen, sind ihnen das,
genau in der Geltung, die sie in ihrem Heimatslande haben — in Babylonien.
'Auf Schritt und Tritt sah sich auch der Babylonier von schädlichen Dämonen
umgeben *) ; an der Strasse lauem sie, die Stadt umtoben sie, von Haus zu
Haus ziehen sie umher; '^ keine Thür schliesst sie aus, kein Siegel hält sie ab,
durch die Thür schlüpfen sie wie eine Schlange, durch die Angel fahren sie
wie der Wind". In jeder Krankheit sieht man ihr unheilvolles Wirken*
u. s. w. Gegen diese Unholde hilft nur die alles beherrschende Macht der
sieben Planetengötter und die ihren Schutz herbeirufende Magie. Aus Babylonien
kam diese Lehre nach Ägypten und drang von da in die hellenisch-römische
Welt. Man lese nur den Eingang der Beschwörung, durch die die Ent-
deckung eines Diebes herbeigeführt werden soll, in einem Londoner Papyrus
bei Kenyon p. 67, 76flF.: dEopKiZuj ce Kaxa toiv axiiiv övoiidiujv — folgen un-
verständliche Zaubei*worte — Kai Katd tüjv cppiKTuiv övofidTUJv a ee Tir|ii
Uli 00000 uuuuuu ujujujujujuiiü . . . Trapdboc töv kX^tttiiv. Schauder soll also
den Dämonen fassen bei dem Klang der Vokale, die eben hier die symboli-
schen Namen der mächtigeren Geister sind. 'Es ist ja in der Magie bis heute
eine der wichtigsten Vorstellungen geblieben, dass durch die Nennung heiliger
Namen die Dämonen oder die Geister bezwungen werden' — qppiKxöv övofia
ToO 0eou^). .Was freilich dazu geführt hat, die Vokale für die Planetengeister
zu verwenden, inwieweit griechische Anschauungen von der Sphäreuharmonie
hier hereinspielen, das ist schwierig zu sagen und braucht uns hier nicht auf-
1) A. Dieterich, Abraxas p. 22.
2) W. Anz, Zur Frage nach dem Ursprung des Gnostizismus (v. Gebhardt-
Harnack: Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Litteratur
XV 4, 1897) S. 56 sieht darin die ' Centrallehre ' des Gnostizismus.
3) Pistis-Sophia ed. Schwartze-Petermann, lat. vers. p. 378.
4) Ich zitiere hier W. Anz, der a. a. 0. p. 68 die nötigen Belege giebt.
5) Deissmann, Bibelstudien I p. 42, wo auch das griechische Citat aus Joseph.
Bell. lud. V lO,.
U2 Max Siebonrg:
zuhalten '). Wenn Wünsch*) ihren Gebrauch 'natürlich als Griechisch' er-
klärt, so werden wir doch hinzusetzen müssen, dass es hellenistische Zuthat
Ägyptens ist — wenn anders wir dem Demetrios tt. ^pfiiiveiac c. 7 1 Glau-
ben schenken dürfen: dv AiTUTtTUi hi kqi Oeouc u^voOci bid tüjv ircrä qpuj-
vii^VTiuv o\ \€p€Tc ^qpcHfic 1^X00 VT€C autd, kqi dvri auXoO kqi dvri KiOdpac täv
Ypa^^dTujv TOÜTiuv 6 f\xoc dKOuerai utt' euqpuüviac^).
Den unholden Dämonen sind die Planetengeister furchtbar und dadurch
eben den Menschen günstig. Mitunter werden sie mit den Erzengeln gleich-
gesetzt*), und wird durch die Niederschrift der Vokale der Schutz der dpxdtr^Xoi
angerufen. Oft ist dafür zitiert die Inschrift vom Theater in Milet^), wo auf
ursprünglich sieben Feldern jedesmal die Anrufung &f\e qpuXatov xfiv ttöXiv MiX?i-
ciu)v KQI Trdvrac touc KatoiKOuvrac und darüber in sieben Umstellungen die
Vokale acniouuj stehen. Zusammenfassend heisst es dann am Schluss: dpxdT-
T€Xoi q)uXdcceT€ Tf|v ttöXiv MiXncjduv u. s. w.
Die schützenden, helfenden Planetengeistcr sind es also, die der Schreiber
unseres Amulets an erster und hervorragenderstelle meint. Er war desselben
Glaubens, wie der Jüngling bei Ammianus Marcellinus ^), dem freilich im Jahr
371 die Bekundung desselben schlecht bekommen ist. Im Bad empfindet er
Magenschmerzen, gleich wendet er das erprobte Hausmittel an: abwechselnd
berührt er mit den ausgestreckten Fingern beider Hände den Marmor und seine
Brust und sagt dabei die sieben Vokale her. Drob wird er vor das Ketzergericht
gebracht, gefoltert und nachher enthauptet. Freilich, nicht immer sollen die
Planetengeister nur gegen Dämonen helfen, auch zum Schadeuzauber müssen
sie ihre Dienste leihen. Zahlreich ist die Verwendung der Vokalreihen auf
den Verfluchungstafeln aus Rom, die Wünsch herausgegeben hat; auch die
dpxdTT^Xoi fehlen da nicht. Sie sollen im Bunde mit den vielen andern Göt-
tern den Jockey der Gegenpartei im Cirkus unschädlich machen oder dem
Tode überliefern. Wünsch hat selbst schon S. 78 bemerkt, dass man aus der
Anrufung der Planetengeistcr beim Schadenzauber nicht darauf schliessen dürfe,
dass die Verfertiger der Blcitafeln dabei noch eine hewusste Vorstellung von
der menschenfeindlichen Natur der Archonten gehabt hätten ; sie sind eben
nur dienstbare Geister, die zu Gutem und Schlimmem helfen können.
Mehr Schwierigkeiten bietet Kolumne 1; auf ein volles Verständnis werden
wir wohl verzichten müssen. In einer brieflichen Mitteilung meint Wünsch,
selbst zweifelnd, das X am Anfang könne X(ötoc) bedeuten, in der Weise, wie
1) ßaudissin, Studien zur semitischen Religionsgeschichte I 246 ff. Di et er ich
Abraxas p. 42 f.
2) Wünsch, Seth. Verfl.-Tafeln p. 114.
3) Wenigstens hinweisen mochte ich hier auf die merkwürdige Vorschrift, die
in einem Londoner Papyrus, Kenyon p. 66, 24 fF., über die Aussprache der Vokale
gegeben wird und die mir nur zum Teil verständlich ist.
4) So lautet eine andere ophitische Liste der Planeten-Archonten Mixa»iX Coupif^X
•Patpai'iX raßpii^iX GauGaßadje 'Epaxaibe Gapeapauje. W. Anz a. a. 0. p. 14.
5) CIQ. 2895 Lebas-Waddington III, 1, 218, PI. XIII, 1.
6) XXVIII 2^. Wünsch, Seth. Verfl. p. 78 f.
Ein gnostisches Goldamulet ans Qellep. 143
es am Anfang seiner Verfluchungstafeln teils ausgeschrieben, teils in der den Pa-
pyri geläufigen Abkürzung X vorkommt. Dann folgt allerdings auch die 'Rede',
die regelrechte Anrufung, beginnend mit u^Tc hie u. s. w. Das Gelleper Blätt-
chen kennt das nicht und hat ausserdem blosses X. Weiterhin ist man natflr-
lich versucht, bei der Lautgruppe npujcc an die f^pwec zu denken, an die ab-
geschiedenen Geister, die der antike Seelcnkult sich 'als festgehalten im
Bereich der bewohnten Erde, im Grabe oder in dessen Nähe dauernd oder
zeitweilig sich aufhaltend und darum den Gaben und Bitten der Ihrigen er-
reichbar denkt'*). Sie spielen desshalb eine Rolle in den Beschwörungen.
Angerufen werden z. B. in dem Pariser Papyrus DWA 36 p. 79, 408 die f^pu)€c
dTux€Tc, 0*1 ^v Tuj ^ TÖTTUi cuv^x^cOc XiipicpujTec, äXXoio^öpoi diuxeic oder 1443
'€p^fi xöövie Kai '€KdTr| xöovia Kai 'Ax^pujv xöövie Kai ibinöcpaTOi xöövioi Kai 6^€
X0övi€ Kai f^pu)€c xöövioi. Diese Heroen auf dem Gelleper Amulet wiederau-
finden ist erstens darum nicht angängig, weil die Lesung nicht feststeht, und
zweitens, weil das Amulet gar nichts Chthonisches enthält; wir haben es eben
nicht mit einer Defixion zu thun. Wir werden vielmehr eines oder mehrere
jener dunkeln Zauberworte vor uns haben, die man gewöhnlich unter dem
schon im Altertum geläufigen Namen '€q)^cia fpa}i\xaTa zusammenfasst^). Der
Name kommt nach einer Nachricht des Lexikographen Plutarch von den Worten
her, die auf den Füssen, dem Gürtel und dem Diadem der Diana von Ephesus
standen; als Beispiel solcher Wörter führt Hesych s. v. die Liste an acKi Ka-
TacKi XiE T€TpaH ba^va)üi€V€uc — das letzte, ein Gottesname ist uns schon
oben S. 132 Anm. 1 begegnet. Die Verwendung solcher Zauberworte ist durch-
aus nicht etwa blos der gnostischen Magie eigen ; sie hat ihn anderswoher über-
nommen. An den ufern des Nil, wie am Gestade des schwarzen Meeres, auf griechi-
schem wie auf italischem Boden ertönten seit Alters in Nöten und Gefahren
solche dunkelen Worte, die ßdpßapa övö^ata, wie sie mit Vorliebe heissen. Je
dunkler, desto kräftiger waren sie. Mit dem heilenden Klang des daris dar-
daries asidarides oder des huat hauat huat ista pista sista besprach der la-
tinische Bauer sein Vieh, wenn es sich verrenkt hatte'*). Wir wissen alle,
dass dieser 'Hocus pocus' auch heute noch lebenskräftiger ist, als man es
gerne Wort haben will. Was die Behandlung dieser Ephesia grammata betrifft,
so ist klar, dass man dabei zu scheiden hat zwischen solchen, die sinnlose
Lautgruppen darstellen — von derma övö^ata ist bei den Alten wiederholt die
Rede — und solchen, die irgend welche Worte und Stämme aus dem Grie-
chischen, Hebräischen, Ägyptischen u. a, enthalten. So wird doch wohl in
dem Gottesnamen Aa^va^eveuc das Verbum bdjuvrmi stecken. Freilich, wenn
1) Roh de, Psyche p. 650.
2) Eine ganze Sammlung aus der monumentalen und der litterarischen Über*
lieferung hat Wessely in dem S. 136 Anm. 1 zitierten Programm vereinigt. Nä-
heres bei Dieterich PL I p. 768, Heim, incant. mag. p. 525 ff., Wünsch im CIA.
Append. praef. p. XX.
3) Gate de agricult. c. 160, zuletzt von Wessely, Wiener Studien 1898, p. 135£f.
behandelt.
144 Max Siebourg:
ii^endwOy so hat vor allem hier die ars nesciendi Geltung zn beansprachen.
So will ich denn in Rfickeicht auf nnsre Kolumne 1 nar bemerken, dass die
Silbe Xc^i häufiger in den Eph. gr. vorkommt, so gleich als Schlnss in der fol-
genden Zeile C€^€C€lXa^, in Wörtern wie XaiXa^, Xa^q)6€vouu>0, XG^ii|iour)p, Xcx^-
i|ioupTi, Xa^l|louu)p, zu denen der Index of magical words bei Eenyon p. 261
die Belege giebt. Ich wörde also Xa^iripuüc zusammenfassen.
Besser bekannt sind wir schon mit dem seltsam klingenden Inhalt der
beiden folgenden Kolumnen, mit C€^€C€lXa^ und C€C€VT€^ ßapq>ap. Es sind
kurz gesagt Gottesnamen.
Der erstere von beiden kommt in den Formen ^) C€^€C€lXa^, C€fi€aXo^i, Cc^c-
coXc^x, C€^€C€lXa^q) (Kenyon, Index mag. s. y.), Cc^eciXajLiiiia, Cc^cciXa^iirc (Dieterieh
PLI p. 797, 25/26) vor. Die erste Form, die auch unser Täfelchen hat, ist
bei weitem die vorherrschende. Dass das Wort ein Dämonenname ist, kann
z. B. schon die Baden weiler Silbertafel lehren, auf der nach Sabaoth u. a.
unsre beiden [C]€^€ClXa^ und Ctictivtc^ [ßapq)apa]vTiic folgen mit der anschlies-
senden Aufforderung: sercate den und den. Aus Dieterich PLI p. 797 1125/26
lernen wir, welche Kraft dem so benannten Gott wenigstens in einem einzelnen
Fall beigelegt wird. Zum Zwecke eines Liebeszaubers wird er da angemfen
mit den Worten: cu el 6 biaXuiuv Kai b€c^€uu)v Ce^eciXa^ire: er vermag zu
lösen und zu binden. Was die Etymologie ^) anbetrifft, so scheint ja sicher
zu sein, dass er das hebräische D'n? vr^m wiedergiebt und 'die ewige Sonne'
heisst. Das Wort findet sich auch auf Gemmen, welche das Bild des Sonnen-
gottes auf seinem von vier Pferden gezogenen Wagen zeigen. Und dazu
stimmen würde auch die Vorstellung in der seltsamen Kosmopoiie, die Diete-
rich im Abraxas S. 16 ff. aus einem Leydener Papyrus hergestellt hat, jenem
merkwürdigen Bericht, der aus dem Lachen des Schöpfers die Welt, aus seinen
Thränen die Menscbenseele werden lässt. Beim dritten Lachen (V. 42) entsteht der
Neue Kaie'xuiV Kapbiav kqi ^KXr|6Ti *6p)Lific, bx oö id Trdvra )Lie9€p)üniV€U€Tai • fcxiv
b€ €Tri tOüv cppevOüv, bx' ou öiK0V0)Lir|9Ti tö iräv : ^kXiiGti be ce)LieciXa|Liv|j. Wie aber dieser
Hermes in jener Zeit des Synkretismus geradezu zum Sonnengott geworden ist,
das lese man Abraxas S. 63/64.
Etwas mehr Schwierigkeit macht der folgende Gottesname. Zunächst ist,
wie ich gegen Wiedemann und Kenyon^) betone, Cecevre^ ßapqpapaTTtc
nicht zu trennen, sondern stellt einen einzigen Namen dar, wenn auch in
zwei Worten. Das beweisen z. B. die Papyrusstellen, die ich gleich zur Er-
klärung heranziehen werde. Der Hauptwert scheint allerdings dem ersten Teil
1) Wessely Eph. gr. 18. Sicherlich sind manche Lesefehler hierbei untergelau-
fen. Parthey PB II 168 ist bereits oben S. 133 Anm. 2 aus c€.uociXaoc in ce^iociXan
emendiert.
2) Wiedemann, B. J. 79 p.226. Wünsch CIA. App. praef p. XX will in dem
zweiten Teil das griechische Verbum XdfiTTeiv wiederfinden. Das ist mir, ab<^esehcu
von der Misslichkeit, die die Annahme solcher hybriden Bildungen hat schon darum
zweifelhaft, weil die bei weitem üblichste Endung -XajLi, nicht -Xajiiq), -XauTrc ist.
3) Wiedemann a. a. O. p. 228; Kenyon, Index mao-ical.
Ein gnostisches Goldanmlet aus Gellep. 145
zuznkommen; denn er findet sich häufig allein in den verschiedensten Schrei-
bungen: C€C€TT^)üi, C€C€VT€^, C?iCTiVT€^, C€C€VT€V, C€ic€VTcpapaYYTlc (Dieterich PLI
p. 811 IX, 15) C€C€v cpapavTTic (oben S. 135 auf Nr. 4). Nie allein tritt dagegen
der zweite Teil auf, an dem jedoch, wie die beiden letzten Beispiele zeigen,
die Silbe ßap fehlen kann. Wenn Kenyon richtig gelesen hat, so hat sie bei
ihm p. 115, 6 die Form ßop. unser Blättchen bietet blos ßapcpap, eine Ab-
kürzung, die ich noch einmal zu erkennen glaube in dem cpuXaKtripiov bei Ke-
nyon p. 94, 311: 'Iduj CaßaibO ['Abuj]vai, 'AßXavaOavaXßa, 'AKpammaxa^apei be-
ginnt es, dann schreibt Kenyon weiter ecevTCV ßap . . . C€cppa2!aijü0 u. s. w.
In die Lücke von drei Buchstaben passt vortrefflich das qpap hinein. Gegenüber
dem häufigen Vorkommen des ganzen Namens glaube ich freilich das ßapq)ap
zu ßapq)apavTTic ergänzen zu müssen, — Was die Bedeutung dieses Dämonen-
namens anbetrifi't, so wird ihm im PLI Dieterich p. 803, 29 die gleiche Macht,
wie dem CcjuecciXaii zuerteilt, nämlich die, von Fesseln befreien zu können.
€iceX0€ — heisst es da — Kai Xöcov töv fy Kai böc auTiIi öböv diöbou [C€C€v]t€v
ßapcpapaxKTic, ö biaXiiujv Trdvta Kai biaXiiujv töv TrepiKeifüievov [cibtipjöv tuj 4,
und zwar soll er das thun, weil ihm gebeut ö ^ifac Kai fippriToc Kai öcioc Kai
biKaioc Kai cppiKjöc Kai icxupöc Kai äcpOevKTOC Kai cpoßepöc Kai dKaTaq)pöviiTOc toö
lieTdXou 9€ou baifüiujv. In einem Pariser Papyrus DWA 36, 70, 1019 wird er
beschworen mit den Worten €ic€X9e, cpdvriOi fioi, Kupi€ '), 6 dv irupl Tf|v bii-
va^iv Kai Tr|v Icxöv ?x^v C€C€VTe)üißapq)apaTY^c. Mir ist nicht recht klar,
was mit dieser 'Macht und Kraft im Feuer' gemeint ist. — Hinsichtlich der
Etymologie sagtWi ed emann 2), dass sich über den ersten Teil nicht einmal
Hypothesen aufstellen Hessen, 'in keiner der uns bekannten Religionen des
Orients findet sich ein nur irgendwie anklingender Göttemame oder Titel'.
Über den zweiten Teil sind zwar Hypothesen genug aufgestellt worden; man
findet sie bei Wiedemann a. a. 0. und mag noch hinzunehmen, dass
Kraus^) das auf dem Amulet oben S. 135 Nr. 4 schwerlich richtig ergänzte
Wort q)[apd]vTnc heranzieht, das hier die Bedeutung Schlund, Gurgel haben
soll, und daher meint, 'vielleicht hinge der Name des Dämon als Beschützer
gegen Halskrankheiten damit zusammen'. Während somit ein non liquet am
Platze ist, möchte ich doch darauf hinweisen, dass die Silbe ßap fehlen kann.
Kraus iührt a. a. 0. p. 8 als Analogie mit Recht ßapocpTta und Bepabujväi
an, und Wiedemann denkt p. 228 an das chaldäische und syrische na =
der Sohn; ich stelle aus Kenyons Index dazu Formen wie ßaOiaßiiX, ßap-
ßaOiauj.
Für den Anfang der Kolumne 4 weiss ich wenig Rat; nur scheint mir
die Lautgruppe cac€i wiederzukehren in einem Eph. gr. des PLI Dieterich
p. 797, 33. Angerufen werden da alle Götter im Himmel, in der Luft, auf
und unter der Erde, zu verleihen x^piv, fibuxXujcciav, dTtacppobiciav irpöc irdvtac
1) K6 Pap.
2) a. a. 0. p. 228.
3) F. X. Kraus, christl. Inschriften des Rheiniandcs 1 p. 8.
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsfr. im Rhefnl. 103. 10
146 Max Siebonrg:
dvOpuiTTOuc^) KQi Trdcac T^vaiKac, auf dass sie dem Sprecher in allem antertban
seien, weil er ist boOXoc toö uipicrou OeoO toO kqt^xovtoc töv ic6c|ük>v xai irctv-
TOKp[d]Topoc — folgen seine Namen >iap^apiu)9 Xacl^lulXr|6 ap^a cacr\ ßap
ßvaO. Das cacTi ist bei itazistischer Aussprache gleich nnserm cac€i.
Wohl bekannt ist uns der nun folgende Gottesname Bf\Ky der oberste Gott
der Babylonier, der Herr des Himmels und des Lichtes ^)y der Baal der Pbö-
niker. Der letztere erscheint in voller Erkenntnis seines Wesens wiederholt in
den Beschwörungen der Papyri, nämlich als BaXcdfiiic, der B^lschamem, der
Himmelsherr. DWA 36, 70, 1015 nimmt der Zauberer seine Gestalt an: ^tui
clfii 6 Tr€q)UKÜJC ^ktoO o{;pavoO, dvo^a ^oi BaXcä^r|c. Damit vergleiche man
die Nachricht des Philo vonByblos'), die Besiedler Phönikiens hätten bei einer
Dürre die Hände €lc oupavöv gestreckt, irpöc t6v i^Xiov. Toötov Yap Geöv dvö-
^ittov ^övov oupavoö Kupiov, B€eXcd)iiiv KaXouvrec, 8 ?cti irapd toic <t)oivigi Kupioc
oupavoO, Z€öc bk Trap' "exXiiciv. — Auf unserm Täfelchen hat der BfiX den Zu-
satz cap c^t; das ist, wie man mir sagt, phönikisch und heisst 'Herr meines
Namens \
'Idui erö£Fnet Kolunme 5, der weitaus am häufigsten in der Magie ge-
brauchte Gottesname; kaum in einer der zahlreichen Listen, ^ie die Beschwö-
rungen in den Papyri enthalten, fehlt er, auf Gemmen, Ringen, Plomben und
Nägeln, die der Abwehr des Zaubers dienen, erscheint sein Name. In einer
bekannten Abhandlung hat Baudissin^) nachgewiesen, — gegenüber
früheren Anschauungen, die in lao den weinfrohen Dionysos sahen, dem das
€uot erschallt — dass 'Iduj Jahtoe, den Gott der Juden bezeichnet, dass es
unbestreitbar das hebräische Tetragramm nin^ wiedergeben will. Man lese nur
die Worte des Diodor*), wo er von den grossen Gesetzgebern und ihrer gött-
lichen Legitimation spricht: napa )li^v xdp toTc *ApiavoTc Za9paucTr|v ktopoöci
TÖV dxaGöv baifiova npocTTOiricacGai touc vÖ)liouc auTui bibövai .... Trapd bk
ToTc loubaioic Mujucf^v töv 'Iduj ^) dmKaXouiLievov Geöv. — 1duj ist übrigens
nicht die einzige, rein vokalische Wiedergabe des Tetragramms; die verschie-
denen Formen, die bereits B a u d i s s i n zusammengestellt hatte, sind von
Deissmann, Bibelstudien I p. 1 flF. aus dem inzwischen bedeutend vermehrten
Papyrimaterial belegt worden. Mit Recht bemerkt er p. 13, dass die mannig-
faltigen vokalischen Transskriptiouen für die Ermittelung seiner Aussprache nur
geringe Bedeutung haben. Besondern Wert legt er auf die gleichfalls in der
Zauberlitteratur belegte konsonantische Transskription laße, in der er
die Aussprache der samaritanischen Juden erkennt und auf die ich gleich unten
zurückkommen muss. Wenn in dem Londoner Papyrus bei K e n y o n p. 66, 26
1) övGpuuTToc; = dvrip bereits oben S. 134 in N. 1.
2) Roschers Lexikon s. v.
3) FHG. III 566.
4) Studien zur semitischen Relig'ions<j;eschichte I 181 ff.
5) 1 94, 2.
6) Cod. D hat richtig iäw, trotzdem schreibt F. Vogel in def Teubnerschen
Ausgabe 'laiü.
ICIn gnoBtit
die Vorsflirift gepcben wird, tö töiÜ solle man yf], A^pi, oüpavip sageu, so wird
das ni. E. klar., ans der Schilderung des PL! Dieterit-li p. 808 VII 32: zitiert
wird da 6 iiavTOKpäTuJp 6e6c, und von itiiu gesagt, dasB oupavüc ^^v KeipoXii,
aiOrip (= ÖHp) hi QWita, ff\ nöftec, tö bfe Trepi^ujjia liiMuvöc. Mit dem wan-
dernden Volk der Jnden ist sein Jahwe nxtch Ägypten gekommen, da hat er
wohl Bcin griecliiaehes Gewand erhalten iiod von dort seinen Zng in die belle-
nisch-rHmisehe Welt gemacht. Ana Ägypten hat ihn anch die Gnosis'), ohne
da88 er etwa immer da« hfichste Weeen bezeichnete. Bei den Ophiten ist er
z. B. einer der Flaneteudämonen *), nnd auf nnserm Tüfelehen, wo er, wie in
so manchen Zaubersprüchen der Papyri, mitten unter anderen Namen steht,
wird er nur als seblltzender, hiirskräftiger Geist auxusebcn sein.
Hinter den nun folgenden Vokalgruppen enou laeu darf man keinen be-
sonderen Sinn »neben. Bei der grossen, oben erklärten Bedeutung, den die
sieben Vokale in der Magic gehabt haben, ist ihre massenhafte Verwendnng
bo^eiflich, nnd fast auf jeder Seite der Papyii tinden sie sieb in allen nur
denkbaren Permutationen als Zauberwoile gehraucbt. Um das auschaultcb zn
machen, 3et7.e ich das schon von Deisemann*) als instruktiv verwandte
Beispiel aus Abcaxas 200, fi her: iiriKaXoüiiai ce lueuo uiaeniaui aeii aicr]aii
lOuwEu leou ariuitit ujriuaii lujou T]avri v\]a iiuuuai luim tun « ou iiui aw, tö fiifa
6vo\ia. Wer das einmal abgeschrieben hat, wird begreifen, wieviel Fehler erst
unsere Papyri in diesen Dingen entballen mögen.
Nur weniges weiss ich znrErklilruDg der folgejiden Kolumne beizubringen,
die da« Wort navxmJX'Bcicc enthält; an /.wei Stellen der Papyri finde ich sie
wieder. Kenyon p. 99, 478 (f. giebt einen Liebeszauber, der im einzelnen
wenig klar ist nnd sicher der Emendation bedarf; jedenfalls ist da die Rede
von einem Thnn im Auftrage einer Gottheit: iTTOit]ca Kar' ^iriTaTnv: Travxouxi:
öaccou: dip" ou ^iriTaccöjitvoc noiriHic ') n. s. w. Der Papyrus scheint also
hier den Namen zu teilen in iravxouxi : 6accou. In etwas anderer Form ent-
hält denselben Namen der Leydener Papyrus W 21 a P) mitten unter einem
Sehwall meist unverständlicher Worte. Zuerst nennt er töv "HXiov iiifay
iivaov £q]9upT0V, dann nach einigen Vokalspielcreien und auderm den Cepca-
Xaiiipa, im weitereu Verlauf erschallt sogar der Kuf Aiövoce \mKap euic, spä-
terhin folgt die Form nuvxoxiTac oue. Ich halte es im Hinblick auf die eben
angeführte Stelle nicht für zufällig, dass auf das ac wieder ou folgt. Die Ab-
weichungen dieser Form machen keine Schwierigkeiten; zum Wechsel von o
und ou verweise ich auf PLI Dieterich ind. gramm. p. 820, der Ersatz der
Aspirata durch die Tennis ist gradcdem ägyptischen Griechisch ganz geläufig.
Ich lese also auch auf unsrer Tafel TTavxouxiöa«(ou ) in Erinnerung an die am
Ende gleicbFalts abgekürzte Kolumne 3. Zum Verständnis der Bildung und
1) Näheres bei Bnudlssin «.
2) Orig. c. CelB. VI 81.
3) BilielstudieQ p. 12 Anm. I.
4) Kenyon: itoirjc <ic.
B) Wessely, Ejib. gr. .%.
, O. p.
148 Max Siebonr^:
Heimmt den Namens bemerke ich, da» die Anweisoiig bd Wesselr Eph. gr.
397 dan Zauberwort OoXoa ^€^apa x^X^^ gi^bt, daaa Xouxui') neben laXbaßcniiO
in den kopftiaeben Bflcbem Jen der Arcbont des dritten Aion ist, den die Seele
aof ibrem Anfrtieg zor Seligkeit zn passieren hat Ikidlicb ist*) 'pa-n der
ägyptische AttribntiT- Artikel masc. sing, nnd bedeutet ''der (pa) des bez. der
(n>"; dann folgt ein Gottes- oder Göttinnenname. So gebildete Xamen nnd
bis in späte Zeit hinein hänfig; der Namensträger wird dnrch das Praefix
in nahe Verbindung zn dem Gotte gestellt \ Das scheint mir nicht auszo-
schliessen, dass in nnserm Wort ein ägyptischer Dämonenname steckt f&r einen
Geist, der einem andern nnterthan ist. Jedenfalls — nnd das ist immerhin
wichtig genug — werden wir nach Ägypten gewiesen').
Nach Ägypten weist uns auch wieder die folgende Kolumne, soweit sie
verständlich ist. In GuO sehe ich eine abgekflrzte Form fflr Cui^c und ver-
gleiche die Form (Xrcip, in der Osiris erscheint in dem Zauberrezept zum
Unsichtbarwerden bei Parthey PB I 251. Der Theurg giebt sich da wieder —
diesmal mit dem ägyptischen Pron. personale absolntum der 1. Person ovok —
als den Gott aus: ävoK 'Avoim, ävoK Oucip <t>pf). Auf den sethianischen Ver-
fluchungstafeln aus Rom ist der Vokativ MvcO die regelmässige Form, in der
der heilige Stier MvcOic erscheint^). Die Form CuiOi steht in der Anrufung an
die Kvpta ^ki bei Kenyon p. 100, 495: ^Ici CüMi, wie auch sonst (Horap. 1 3)
Isis mit dem Sothis-Steme, dem Sirius, der in der ägyptischen Chronologie
eine grosse Bolle spielte, in Verbindung gebracht wird^).
Nun folgt der alte ägjrptische Sonnengott Ra in der koptischen Namens-
form <t>pf), der vielfach in der Zanberlitteratnr verwandt wird. In voller Er-
kenntnis seines Wesens steht er z. B. in dem Rezept, das für alles gut ist, der
*ApKTiKf| TTctvTa iTOiouca DWA 36 p. 77, 1280: dirdKOucöv jioi, "HXie <t>pfi, [tov
lepov] 6 Tcx 6Xa cvyixmv Kai JIujotovujv töv cufiTTavTa Kocfiov. So erhält denn
auch Osiri» im Eingangsgebet der meisten Verfluchnngstafeln ans Rom ausser
den Beinamen seiner beiden heiligen Stiere '"Arne und Mveöic den Zusatz <t>Qf\:
€uXd)Liujv K(iT€X€ Oucipi 'Am Mveö <t>pr\^). Als 6 ^^yicTOc baijLiujv erscheint er
in der Dänionenlifite bei Kenyon p. 76, 351, der also schreibt: q)0ou9 . euxppri
o )Li€TiCTOc bai)Liu)v I lauü caßauüG u. s. w. Das offenbar als Glosse zugesetzte
6 fi^ficToc bai)Liujv ziehe ich zu Opfi, nicht zu 'Idtj, weil dies eine neue Zeile
beginnt und die Erklärung doch nicht vorangeht.
1) W. Anz a. a. 0. S. 27. •
2) Nach freundlicher Mitteilung Wiedemanns.
3) A. Dietorich denkt nach einer brieflichen Mitteilung Wünschs an den
Ott gebrauchten, offenbar viel geltend(»n Gottesnamen ßaivxujuux; dem steht, abgesehen
von lautlichen Schwierigkeiten (ai statt a) die oben dargelegte Zusammensetzung des
Wortes mit trav entgegen.
4) Wünsch p. 82.
f)) Mitteilung Wiedemanns.
6) Wünsch p. 82.
Ein gnoBtisches Goldamulot ans Gellep.
149
Der Kest der Kolumne ist mir nicht verständlich; ich wage nicht, den
AnfangHbuchstaben der folgenden Kolumne 0 binüuziizichcu nud navcu)6 zu
lesen, etwa gcBtützt auf das S, 148 Über das Präfix nav- Gesagte, Gleich dunkel
ist mir Kolumne 8. Doch will ich zwei Dinge nicht verschweigen. Dciss-
mann') führt unter den Korrnptiouen der konsonantischen Transskriptiou 'laße
auch die häufiger eich findende Schreibung laßu au, feiner laßouvri und mßoux;
vielleicht stellt auch der Schluss unserer Kohunne laßau eine solche Korruii-
tel dar. Der Umstand, dass 'läuj bereits vorangegangen ist, wllrde kein Hindernis
bilden. Andererseite wird auch das Wort ßau in Beschwörungen verwandt.
Kenyon p. 96, 377: iJopKiIui ce, Xuxvt, kotö ttjc unTpöc cou ''ecTiac jiri-
paXXq^ ß*) KOI Kara toö iiaTpöc cou 'HvaicTou jaeXißou yeXi ßou ^eX^ßau ßau ...;
bald darauf sagt der Zauberer von sich: if\h -f«P t^M' neXißou ntXißau (leXi-
ßau ß[au . . . Jedenfalls bildet also hier die Silbe ßau den Bestaudteil eines
D&monennamens.
Das Wort der let/.ten Kolumne 06u)cou6 mutet mit seiner Endnog auch
jlgyptisch an. Es scheint mir wiederzukehren im Anfang des Wettersegens,
der auf einer Bron^etafel des Museums von Avignon steht und von Fröhner
im Philologits Suppl. V S. 45 ediert ist.
®eC0C0YA6PKYii)® | oXujtiv oumi £aiv|eti \t\oz xpe^ov iK \ toOtou toö
Xujpiou I Ttäcav xuXalav kü'i | näcav vi<pdbav*) Klai öca ßXäTrrei x^üpo | K^Xeue
ßtöc wapou. I 0a Kai tu cuvepxei 'AßlpacdE 'Idii 'law.
Die beiden durch kreuzten Kreise am Anfang and Ende der 1. Zeile
wnd magische Zeichen. Zum Fehlen des <t> vergleiche ich bei Kenyon p. 72,
239/40 die Formen 6 (pvouvoxöovioc i^ oi vouvoxöovioi, wo in der .\nmcrkung
das 4) als der ägypt. Artikel des Mase. erklärt wird.
Überschauen wir jetzt einen Augenblick, was uns die Inschrift unseres
Goldblättchens gelehrt hat. Was wir verstehen künuen, sind Gottesnameu:
Semiten und Ägypter haben dazu beigesteuert, der Grieche seine Schrift ge-
geben. An hervorragender Stelle sind die Planetengeister Babylouieua genanni,
in dem gnostiaehen Gewände der Vokalreihe, die auch Kolumne 5 heherrseht.
Verwandter Herknuft ist der Belsarsmi. Von den Juden kommt Jahwe als
'Idüj, und ihre Sprache klingt jedenfalls in dem Namen Semcsilam wieder. Vor
allem werden wir nach .'Vgypten gefuhrt: Phre, Sothis, TTavxouxi9acc (teiucoue
weisen uns in das Land des Nil, zu dem klassischen Boden der Magie und
des Synkretismus. Bedenken wir femer, dass unser Amulet dem 3. Jahrh.
n. Chr. entstammt, so wird es uns nicht unbedeutsam sein, dass gerade bei den
koptischen Gnostikern das Mysterium der wiebcn Vokale zu den unumgäuglich
notwendigen gehurt*) — hier stehen sie an hervorragender Stelle, iu grösserer
Schrift.
1) BIbelfitudien I p. IG/17.
2) = 61c.
3) Frühiior viipuXav, Beisiiiuli; für ilcu
lad. p. 8S&.
4) W, Ana n. «, O. p. 30.
H'taplasi, AkkasFitiv l'LI Di.
Ma
Siebouri
Nor Namen enthält daa Amniet; kein Verbniu, kein Satz verrät seinen
Zweck. Darin gleicht es also völlig den ohen S. 139 angefulirteii Beispielen.
Eb wild den Träger oder die Trägerin vor Gefahren jeder Art haben schützen
eoUen. Wenn Faust sagt:
Name ist Uaueh und Schall^
UmDcbelnd Qimnielsglut,
Bo ist die Annehaunng, die unser Amulet und die ähnlichen belierrscht, grade
entgegengesetzt. Der blosse Name Gottes ist von grösster Krafl und Wirk-
samkeit, vor ihm schaudern die bösen Geister'). Besonders dem Ägypter war
die Bedeutung der Namen lebendig*), sie sind ihm so wirklieb wie das Indi-
viduum selbst, und spricht nicht die gleiche Vorstellung ans unserm Bei-
sarsmi, wenn anders es 'Herr meines Namens' heisstV Wer den Namen
kannte, besass damit die Herrschaft Ilber das Wesen und konnte es verwenden
naeU Belieben. Die Hauptkunst der Magier bestand eben in der Kenntnis der
Namen, durch die die Götter zur Dienstleistung gezwungen werden. Das ist
ihre 'tviIicic'. Darum durfte aber aneh an diesen zauberkräftigen Worten nicbtg
geändert werden, sonst verlieren sie ihre Wirksamkeit, und es gebt einem, wie
dem tiocthischen Zauberlehrling, der 'das Wort vergessen hat'*). Wenn nnser
Amniet Phönikisch, Ägyptisch und Hebräisch beibehält, so entspricht das der
Ansicht, die wir bei Origenes') finden, dass nämlich eine Übersetüung die Wir-
kung vereiteln würde: (övöfiaTa) neiaXaMßavÖM^va ek ä\\T\v tnä\tKtov, xä ne-
q)UKäTa bOvacöoi, ^v Tfl beivi bmWKTUJ oüksti Ävüfi ti, üjc f^vucEv ^v TOic oi-
Kciaic qjujvatc. Dabei haben der Verfasser wie der Besitzer unseres Amu-
lets schwerlich gewuast, was denn jene Namen bedeuteten; so wenig, wie
heute der schlichte Mann, der den hl. Viktor um seine Fürbitte bei Gott angeht,
weise, dass Viktor der Sieger heisst. Auch die Isisdiener am Rhein faabea
keine Kenntnis von der wirklichen Bedeutung der von ihnen verehrten Dinge
gehabt ^).
Leicht erklärlich ist endlich die Verwendung der griechischen Schrift;
sie begreift sicb,'wenn^ unser Anmlet ägyptischer Herkunft ist. In Ägypten
flössen die Religionen des Orients zusammen, dort eignete sie sich der Helle-
nismus au und verbreitete sie. Hier erwuchs die kosmogonisehe Spekulation
der hflhern Gnosis und blühte die schwarze Kunst der Magie. Hier sprach man
griechisch und gab, was man hatte, auch in dieser Form der römischen Welt
weiter. Aus der Herkunft der Anmiete erklärt sich also die voruehmliche
Verwendung der giiecbischen Sprache, auf die schon oben hingewiesen wurde;
es ist nicht nötig, darin noch eine besondere Bedeutung zu suchen. Dagegen
[_ ■ ; J) Deiflsmann a. a. 0. p. 42.
2) Nach G. Maspero, Bibl. Eg.vptol. II S. 29S: Collcctions du Musee Alaoul \
p. 64/65; Wiedemnnn, Le Mus6ou XViP- 49 fl'.
3) Usener, GoUernameu p. 336, Anm. 10, eriniiürC in trufftintl«' Weise au A&a \
March«n vom Simeliberg.
4) c. CelB. V 45.
5) Wiedemann, B. J. 78 p. 89.
Ein gno.stiücheB Goldamulet aus Gellep.
151
ist m. E. etDC andere Äiisserlichkeit an nuBerm Amnlet nicbt ohne Absicht.
Die sieben Vokale Btehcn über ilem Ganzen; 9=3x3 vertikale Kolumnen
folgen, 1 davon stehen in der eingerahmten Nisehe. Das Wort des rechten
Pilasters Oöujcouö enthält 7 Biicbstabon, der linke scheint ihrer 9 zu tragen.
Bekannt int es, welche grosse Rolle die Znlilenmyslik in aller Magie gespielt
hat und noch spielt. Grade 7 ist die beiligste Zahl und in ihrer Zauberver-
wendung sieber aus Babylonien gekommen.
Darf unser Amulet schon wegen seines werthvollen Materials und der
Seltenheit griechischer Insebriften am Rhein Beachtung beanspruchen, bo ver-
dient es diese in besonderem Masse wegen der religiösen Anscliauuug, die aus
diesem Denkmal des 3. Jahrb. n. Chr. spricht, Bis in diese Zeit hinein haben
Bonst der ubiscbe Baner wie der sessbaft gewordene römische Veteran oder
Kanfniaiin mit Vorliebe zu den heimischen Schutzgottheiten, den Matronen ge-
betet und um ihren Segen fllr Feld und Flur, Haus und Hof, 'fUr sich und
die Ihrigen' gefleht. Ich erinnere nur an die schUnen Votivsteine der Matronae
Octocannae '), die eine halbe Stunde von Gellep entfernt anf dem Gut Gripa-
wald bei Ossum gefunden worden sind und jetzt zum Teil im Bonner Provinzial-
musenm stehen. Freilich war bei diesem Kult auch schon ein gut Teil Synkre-
tismus wirksam gewesen; in römischem Gewände nach Sprache und Verehrungs-
weise erscheinen uns die schützenden drei Mütter der Kelten und Germanen,
mit dem Beiwort Augustae sind sie in den grossen Kreis der römischen Ge-
nien aufgenommen und assimiliert worden*). Aber hier, auf dam Gelleper
Amnlet, treten uns die fremdartig klingenden Namen des Orients entgegen;
die Götter der Juden, Babylonier, Phöniker und Ägypter sollen im Dienste
der Magie dem Menschen helfen und ihn schdfzen vor jeglicher Fährnis. Dass
die gewaltige Bewegung der Geister, die wir unter dem Namen 'Gnosis' be-
greifen nnd die gerade im 3. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, auch an
den Rhein gedrungen ist, das wussten wir bisher — abgesehen von den Abraxas-
gemnien, deren Herkunft oft zweifelhaft ist — einzig und allein aus dem Silber-
täfelchen von Badenweiier; ihm stettt sich jetzt als zweites gewichtiges Zeugnis
das Goldamnlet aus Gellep zur Seite. Bei diesem vereinzelten Vorkommen ist
es nicht müssig, sieh die Fragen vorznlegen: Wie ist es an den Niederrhein
gekommen? Wer hat es getragen? Berechtigt es zu weitergehenden Schlflssen?
Die altenide Welt des griecbisch-römischen Heidentums hatte sich längst
Ton den lichlnmflossenen Bewohnern des Olympus abgewandt und fand auch
in dem Rationalismus kein Genüge mehr. Die Sehnsucht der kranken Herzen
nach Erlösung, nach einem neuen Heil suchte Befriedigung in der Mystik und
Magie. Nicht vergessen darf man dabei, dass die drei ersten christlichen
Jahrhunderte eine Periode hoher materieller Blüte darstellen. Unter dem fried-
Tollen, staatsklugen Regiment der römischen Cäsaren wuchs der Wohlstand
und damit auch die Werthschätzung der materiellen Gflter, die Sucht nach Gc-
1) B. J. 83 Nr. 321-327.
2) Siebourg, Westd. Zoilsehrift VII p. 100, ](B.
152 Max Siebourg:
nuBS und mühelosem Erwerb der Mittel. Wer konnte sie besser gewähren, sia
die Zauberkunst, die die Götter aller Völker zu ihrem Dienst zwang und sie
beschaffen liess, was gut ist: l{Dr\v, iiTi€iav, cuirripiav, ttXoOtov, cureKviav, ^vri^r|v,
xdpiv, )iopq>iiVy KdXXo^ ktX.^). So begegnen sich materieller Sinn und mystisches
Bedürfnis in der Wertschätzung der Magie. Die Kaiser auf dem Throne, wie
Hadrian und Mark Aurel, der spekulierende Philosoph wie der gemeine Mann
— sie alle haben ihr gehuldigt. Sie ist für ganze Gemeinden, namentlich in
ihrem Heimatslande Ägypten, der Mittelpunkt gewesen. In den Papyri haben
wir noch ihre heiligen Lieder und Ceremonien — des Zaubers voll. Der rö-
mische Soldat und in seinem Gefolge der fahrende Händler und Kaufmann,
die überall die Pioniere der antiken Kultur gewesen sind, haben sie nach dem
Westen gebracht: in Italien, Spanien und Gallien, an Donau und Rhein finden
wir ihre Dokumente. Die Person — wohl sicher eine Frau — , die das Gelleper
Goldamulet getragen hat und schon des Materials wegen nicht arm gewesen
sein kann, mag aus Ägypten hergekommen sein, als das Weib eines Soldaten,
oder der jüdische Händler hat es ihr gebracht. Jedenfalls hat die Trägerin — das
ist mir sicher — nicht selbst die Buchstaben eingeritzt, etwa nach der Vorschrift
eines Zauberbuches. Solche Dinge sind gewerbsmässig hergestellt worden, so gut
wie es heutzutage Industrie und Handel in Devotionalien und ähnlichen Sachen
gibt. Wie das Amulet die Besitzerin im Leben vor aller Gefahr beschützt hatte,
so ward es ihr auch im Grabe belassen; denn auf der weiteren Fahrt bedurfte
sie erst recht des Schutzes.
Der Gelleper Fund zusammen mit dem Badenweiler berechtigt uns natür-
lich durchaus nicht dazu, etwa auf das Bestehen von magisch-gnostischen Ge-
meinden am Rhein zu schliesseri; dafür ist er zu vereinzelt, wenn ich andrer-
seits auch überzeugt bin, dass die Zeugnisse jenes Glaubens sich bei grösserer
Aufmerksamkeit verniehreu werden. Und doch hat er eine grosse religions-
geschichtlicbe Bedeutung. Das ßlättchen entstammt dem 3. Jahrh. n. Chr.,
Jahwe erscheint auf ihm im Verein mit babylonischen, phönikischen und ägyp-
tischen Göttern. Von Christlichem nicht die Spur, und so bestätigt sich abermals die
Beobachtung Baudissins ^), dass auf keinem der Anmiete mit dem Namen 'Idu) ein
christlichcrAusdruck oder ein christliches Symbol steht; dass auch das Regensburger
Amulet dazu stimmt, hal)en wir oben S. 135 Nr. 5 gegenüber dem Schwanken
Ebners besonders betont. Also nichts Christliches, sondern eine Mischung von
Jüdischem und Heidnischem stellt jene magische Gnostik dar: die Gnostiker
sind eben 'ursprünglich nichts weniger als christliche Sektirer gewesen, sondern
von heidnischen Gocteu ausgegangen' ^). Aber mögen die Kirchenväter noch
so sehr gegen die gottlosen Bräuche dieses Aberglaubens eifern, er war nötig,
um dem Christentum den Boden zu bereiten. Indem der herrschende Synkre-
tismus alle möglichen Götter, mit Vorliebe die der Semiten und Ägypter, heran-
1) Abraxas p. 151.
2) a. a. 0. 1 187.
3) A. D i e t e r i c h, Abraxas p. 148.
Ein gnoBtisches Goldamulet aus Gellep. 153
zog, mnsBte der Gedanke sich Bahn brechen, dass das alles doch nur ver-
schiedene Namen und Auffassungsformen ein und desselben Wesens seien. Nicht
unerwähnt will ich lassen, dass in 0pf), Bf^X und Ze^eceiXa^ unsrer Tafel der
Sonnengott erscheint, er, der als Mithras viele Verehrer auch hier am Rhein
hatte und in dem die grössten Götter der Völker zusammenflössen: Zeus und
SarapiS; Osiris und Dionysos^). Mithras- und Isiskult haben im Verein mit
dem Synkretismus der gnostischen Magie auch hier am Rhein den Weg bereitet,
auf dem christlicher Monotheismus und christliche Gesinnung einzogen. Dass
unser Gelleper Amulet ein wenn auch nur vereinzeltes Zeugnis aus dieser Pe-
riode des Übergangs ist, darin liegt seine besondere Bedeutung.
1) Vgl. z.B. Kenyon p. 65, 4 ff.: 'EiriKaXoCiiiai c€, Zcu "'HXic M(6pa Cdpairi <iv(KT|T€.
Oben S. 147 erschienen Helios und Dionysos.
8. FuniHiericht Ober die Reste der ^Porta-Paphia^ bei Niederlegung
derselben im Dezember 1897.
Von
Stadtbaurat Stevemagel
in Köln.
(Hierzu Taf. VUI und 9 Textfiguren.)
Die Stadtverordneten -Versammlung yon Köln hatte die Mittel bewilligt,
um yor der beschlossenen Beseitigung der Porta-Paphia die Mauerreste einer
Mrissenschaftlichen Dntersaehung zu unterziehen. Die hierzu yorgenommenen
Aufgrabungen mussten sich, um den Strassenverkehr nicht zu stören, auf den
Ostlich von der Strasse Dnter Fettenhennen gelegenen Teil des Thores, auf
den östlichen Seitendurchgang und den Eckthurm mit Anschluss an die römische
Stadtmauer beschränken. Mit Bezugnahme auf den Plan (Taf. VUI) und die
im Texte wiedergegebenen Abbildungen ist über den Fund wie folgt zu be-
richten :
Wenn nach der Sachlage auch von vorneherein kaam weitgehendere Er-
gänzungen der früheren Forschungen (Colonia Agrippinensis von Schnitze
und Stcuernagel, Bonner Jahrb. Heft 98) erwartet werden durften, so sind
doch noch einige immerhin interessante neuere Ergebnisse erzielt worden. In
erster Linie wurden die gewaltigen Fundamente, welche das aufgehende Mauer-
werk des Thurmes getragen haben, auf grössere Länge und*in ganzer Tiefe
freigelegt (vgl. Taf. VIII). Es zeigte sich dabei, dass sie etwa 1,45 m hoch
sind, eine auffallende Breite haben im Verhältnis zur Stärke des aufgehenden
Mauerwerks, und dass sie den ganzen östlichen Seitendurchgang des Thores auf
ganze Breite desselben unterfangen. An der nördlichen Aussenseite des Thurmes
sind diese Fundamente (Schnitt a b) 2,40 m oder etwa 8 römische Fuss stark
und springen nach innen etwa 0,70 m und nach aussen 0,52 m vor das auf-
gebende Mauerwerk vor. An der Ostseite (Schnitt c d) betrug die Fundament-
breite 2,62 m, die Vorsprüuge 0,39 m und 1,05 m, während an der 2,75 m
starken Westfront der äussere Vorsprung 1,57 m beträgt und der innere Vor-
sprung ganz fehlt. Die innere Mauerfläehe der Westfront ist sehr unregel-
mässig gemauert und hat nach unten einen schwachen Anzug. An der Süd-
seite des Thurmes wurde der äussere Fundamentansatz am Anschluss an die
Weetfront zu 1,07 m gemessen, ob ein innerer Voreproug: vorhanden war, konnte
hier nicht fesigeetellt weiden. An der Nordfront des eig:eutlichen Thorbanea
tritt das Fnndament 1,20 ni vor das auFg-ehende Mauerwerk vor. Die Funda-
luentHohle, weiche etwa 60 — 80 eni in den gewachsenen Lelim eingeschnitten
ist, liegt im Mitte! auf +]it,ör) m Kölner Pegel, die obere Fläche der Ausätze,
die überall mit Mörtel glatt abgeglichen ist, liegt auf +15,10 m. Letztere
bildet im Seitendurchgang des ThoroB gleichzeitig die feste Unterlage fllr den
Fnsmweg und i»t daselbiit kein besonderer Ketonbelag verbanden. Das auf-
gehende Thurmmauerwcrk, das fast ganz seiner änsscren Bekleidung beraubt
war, stand an dem vorderen Teile der Ostfront, der ganzen Nordfront und dem
vorderen Teile der Westfront noch bis zu 1,42 m hoch an, bis zur Höhe der
ersten Ziegeldurchschussschicht des Thores. Es hat einschliesslich der etwa
26 cm starken Verblendung eine >Stärke von 1,IS m oder 3 römischen Fnsa
und zeigt auf der Innenseite tlherall Verputz. Der Übergang vom Fundament
zom anfgehenden Mauerwerk wird durch einen einfach profilierten Sockcliiuader
(vgl. Taf. VIII) vermittelt, welcher 0,28 m in das Mauerwerk einbindet nnd
an der östlichen Tliorseite, am Anschlnss an die Stadtmauer, wie bereits frUher
festgestellt wurde, noch auf eine Länge von 1,76 m erhalten ist. Bei dem
vorhandenen guten Baugrnud nnd der vergleiehsweiso massigen Stftrke des
aufgehenden Mauorwerka ist die grosse Breite des Grundmanerwerks nnd der
Fundamentansätze dabin zu erklären, dass sie ein Unterminieren des Tborcs
durch den Peind erschweren sollte. Im übrigen zeigen Form und Stärke der
Fnndierung Ähnlichkeit mit derjenigen der porta nigra ta Trier, wenn auch
daselbst ein äusserer Vorsprang des Grundmanerwerks nicht festgestellt wor-
den ist. Es scheint daher die beschriebene Fundierungsart flblich gewesen zu
sein. Die' lichte Weite des Thurmes wurde zu ö,30 m und die Tiefe desselben
zu 4,84 m bestimmt. Anffallend erscheint, dass das Fundament der östlichen
Thurmfront sQdlich etwa 1 m Itber dasjenige der Stldfriint, wie solches am
Westende festgestellt wnrde. hinausgeht. Leider konnten an dieser Stelle
weitere Aufgrabungen zur Aufklärung dieser Curegelmässigkeit nicht statt-
finden.
Anschliessend an das Fundamentmanerwerk, nur etwas tiefer als die obere
Fläche desselben (Kchnirt a b und c d), fand sich au der Nordseite ein etwa
30 cm starker Kalkbeton von nngleielier Krcitc und nach Aussen zerstört; ob
derselbe als FuBssteig gedient oder etwa ebenfalls ein Unterminieren de» Thor-
mauerwerks erschweren sollte, mag dahin gestellt bleiben. Vor dem Thor-
etngang zeigte sieli dieser Beton noch anf melirero Meter Breite erhalten.
Mit Rücksicht anf die Veröffentlichung von Raschdorff im 37. Bande
der Bonner Jahrbücher, wonach er beim Neubau des Hotel St. Paul die Fun-
damcnircsle eines runden Thurmes zu erkennen glaubte, niusste die Frage er-
neut anftauchen, ob das Thor etiva später als die Stadtmauer errichtet, die
Stadtmauer daher früher unter demselben durehgcgiftigcn und jene Manerreste
einem der typischen Rundtbllrme derselben zuzuschreiben seien. Zur möglieb-
Bleu Feststellung dieses ümslandes wurdea von Norden aus unter das Fuudament
156
Sto
:.»:
des kleinen Ostdurchgangea, sowie an zwei Stelleu unter djiBJenige der Nonl-
front des Thurmes Stollen getrieben, welche etwa vorLandene Fundamente der
Stadtmauer unbedingt hätten antreffen müssen. Es zeigten sich aber keinerlei
Mauerreste, der vorgefundene gewachsene Sandboden war vollständig unbe-
rührt, mit keinerlei Spur einer Verunreinigung. Es ist daher unbedingt aas-
geschlossen, dass etwa früher bestandene Mauerreste in der Riehtung der Stadt-
mauer vorhanden gewesen oder ausgebrochen sein könnten. Die früher fest-
gestellten Mauerwerke (Col. Agripp.) aus Basaltsteinen, welche an dieser Stelle
bei der ersten Üatersucliung nur nnvollkonimcn untersacht werden konnten,
haben sich hei der jetzt vorgenommenen umfangreichen Aufgrabung als die
innerea Vorsprüngc der Thurmfundaniente erwiesen und haben mit der Stadt-
mauer niclits zu thnn. Da eich also keinerlei Spuren der Stadtmauer oder
Abbrucbreste derselben un-
ter dem Thore gefunden
haben und der Boden unter
den Thorlundamenten voll-
ständig rein und unberührt
war, so steht fest, dasa die
Stadtmauer keinesfalls älter
als das Thor ist, sowie fer-
ner, dass das Thor über-
haupt das erste Bauwerk
ist, welches an dieser Stelle
errichtet worden ist.
Es bliebe nunmehr noch
zu untersuchen, ob Thor uud
Mauer gleichzeitig errichtet
sind oder ob etwa das Thor
ein höheres Alter aufzuwei-
sen hat. Um diese Frage
möglichst aufzuklären,
wurde sowohl die technische
Ausführung wie auch das
Material beider Mauerwerke
oiiiem genauen Vergleiche
unterzogen und namentlich
auch der Anschluas des
Thurmes an die Stadtmauer
uiuer gründlichen Unter-
siK'liung untenvorien. Hier-
°' ' zu wurde die Mauer auf
mehrere Meter Länge uni ganze Tiefe freigelegt (Fig. 1). Sie zeigte das be-
kannte Profil (Taf. VIII, Schnitt e f) und Material und hatte, ähnlieh wie dies
auch an der Breitestrasse neben dem dortigen Thor gefunden war, auf der
Fnndbericht über d. Resto der .Portn-Pnphiii'' bvi Niederlegung Hei
tiDcx.1897. 157
vorderen Seite einen Dopiielsockel, von welchen der nnterc anf Rtlhe des ge-
waf.liaenen Bodens, auf +14,39 nj, und der obere, der Sclirägsockel, auf
+ 15,15 IQ liegt und in Ililhenlajre und Bearhcitnng orgaiiisch an den Thunn-
Bookelquader aDBcblieH»t (Taf. VIII, Sclinitt c d).
ßetraclitet man die technische AnsFdbrnog beider Manerwerke, so siebt
man, dass das Fundament der Stadtmauer auf eine RollBcbieht von grossen
Basalten aufgesetzt nnd mit ziemlieb ebenen Aassenflächen zwischen Brettern
bis zum onteren Sockel nnd von da ab bis zum Scbrägsoekel ganz glatt anf-
gemauert war. Sockel sowohl wie aufgebendes Mauerwerk zeigten eine tadellos
hergestellte regelmäseige Schichtsteinverkleidnng und im Innern das bekannte
Gussmaucrwerk in einzelnen Lagen, reichlich mit dem grobkiesigen Mörtel ver-
sehen in gleichmässiger Durchführung und vollständig dicht, ohne jeglichen
Zwischenraum. Abweichend hiervon ist das Fundamentmanerwerk der ThUrmc
ohne RoIlBcbicbt, nnregelmässig und uneben im Äugacren hergestellt. Das Quss-
mauerwerk ist zwischen den vorher gesetzten Sehichtsteinen in Lagen von 15
bis 20 em Höhe trocken aufgesetzt nnd sodann mit Mörtel Übergossen und letz-
terer auch abgeglichen worden. Der Mörtel ist nicht überall in die Fugen ein-
gelaufen, sodass viele Hohlräume vorgefunden wurden und das Mauerwerk sich
verhältnismässig leieht abbrechen licss. Das Blendmanerwerk ist viel nnregel-
mässiger als an der Stadtmauer und zeigt wechselnde Schichthöhen von 6 bis
12 cm. — Das Fundamentmauerwerk der Stadtmauer besteht aus Basalt, Grau-
wacke und Trachyt, willirend dasjenige des Tfaores ebenfalls Basalt und etwa
ein Drittel Traehyt, aber keine Grauwacke enthält. Auffallender ist dieses
noch bei dem aufgehenden Mauerwerk, denn während die Stadtmauer nur ans
Graawaeke und vereinzelten Trachytstüeken besteht, ist das Thormauerwerk,
einschliesslich der Schiehtsteinverkleidung nur ans Trachyt und vereinzelten
Bftsaltbrocken hergestellt, die Giauwackc fehlt ganz. WUre die Stadtmauer
früher unter dem Thor hindurchgegangen und später abgebrochen worden, so
wären von den grossen Abbruchmassen gewiss Granwackereste mit in das Thor-
mauerwerk hineingekommen oder es mlissten sieb Spuren im Bauschutt finden.
Ein gleiches würde der Fall gewesen sein, wenn Mauer und Thor dicht nebcu-
einander anf derselben Baustelle zo gleicher Zeit errichtet worden wären.
Der Mörtel des Thonnauerwerks enthält zumeist Sand mit wenig Kies,
der Kalk ist schlecht gelöscht und zeigt häutig nueh nicht zerfallene Kalk-
stücke. Die chemische üntersncbnng ergab, dass der Mörtel des Thores durch-
schnittlich 21 Teile hydraulische Substanzen und 79 Teile Kalk, und derjenige
der Mauer etwa 46 Teile und 54 Teile enthielt. Der Mörtel der Mauer ist
, daher ein anderer nnd von nel hydrauliaeherer Beschaffenheit wie derjenige
des Thores.
Bei der sonst vollständig gleichmässigen Beschatfenbett der Stadtmauern
einschliesslich der ThUrme in Technik und Material müssen diese Unterschiede
ttubodingt auffallen und zu der Ansicht hindrängen, dass Mauer und Thor nicht
gleichzeitig errichtet worden sind.
Bezüglich der Beschaffenheit der am Thorc zur Verwendung gekommenen
1B8 Sfeuernagel:
Basalte möge bemerkt sein, dass dieselben von dunkelblauer, fast schwarzer
Farbe waren, von äusserst zäher Structur und muscheligem, kurzsplitterigem
Bruche. Nach den von Herrn Ingenieur Jp au 1 Wagner durch die Basalt-
actiengesellschaft zu Linz freundlichst angestellten Untersuchungen kann das
Material nur den Brüchen des Unkelstein am Rhein, gegenüber von Unkel, ent-
stammen. Der zur Verwendung gekommene Trachyt enthält Glimmer, Blende
und häufig Feldspathkrystalle, und ist hiemach mit Sicherheit den Brüchen
am Drachenfels, wo bekanntlich auch später die zum Dombau venvendeten
Trachyte gebrochen worden sind, entnommen worden. — Betrachtet man den
Anschluss der Stadtmauer an die Ostseite des Thurmes (Taf. VIII. c d), so sieht
man, dass die Fundamente der Mauer etwa 30 cm tiefer heruntergehen als die-
jenigen des Thurmes und dass die letzteren einschliesslich des Sockelquaders
getrennt durch die Mauer hindurchsetzen, sodass die Stadtmauerfundamente
also stumpf mit Trennfuge an das Thurmmauerwerk anschliessen. Die 3 Schicht-
steine des Schrägsockels sind dabei organisch und in sorgfältiger Bearbeitung
an den Sockelquader des Thuimes angegliedert.
Der Anschluss des aufgehenden Teiles der Mauer an den Thurm konnte
nicht festgestellt werden, weil derselbe wahrscheinlich beim Bau der Domkurie
hier abgebrochen war.
Das Durchsetzen des Thurmfundaments einschliesslich des Sockelquaders
unter der Stadtmauer hindurch, sowie die vollständig getrennte Ausführung
beider Bauwerke lassen erkennen, dass das Thor zuerst fertiggestellt war und
erst dann die Stadtmauer angeschlossen worden ist.
Zieht man hierbei noch die vorerwähnte auffällige Verschiedenheit der
Ausführung und des Materials der Stadtmauer und des Thores, sowie das gänz-
liche Fehlen der Grauwacke in dem Thormauerwerke in Betracht, so dürfte
man berechtigt sein, dem Thor ein höheres Alter als wie der Stadtmauer zu-
zuschreiben. Ob der Zwischenraum, welcher zwischen der Errichtung beider
Bauwerke liegt, voraussichtlich ein grösserer ist, oder sich nur auf eine kurze
Zeitspanne erstreckt, möge weiterer Untersuchung überlassen bleiben.
Die bereits früher erwähnten Ziegeldurchschussschichten am Thore sind
bei der Niederlegung desselben herausgenommen worden; es zeigte sich dabei,
dass an dem östlichen Thorwiderlager nach Innen eine Reihe und nach Aussen
zwei Reihen Ziegelplatten der Länge nach nebeneinander gelegt waren, wäh-
rend der Zwischenraum zwischen beiden Reihen mit Bruchsteinmauerwerk aus-
geglichen war.
Jeder einzelne Ziegel wurde genau untersucht, es konnte jedoch, wie auch
früher, auf keinem derselben eine Spur von einem Legionsstempel oder einem
der späteren Fabrikantenstempel festgestellt werden.
Bezüglich des Vorkommens der Militärstempel möge aus der einschlä-
gigen Littcratur und den freundlichen Mitteilungen der Herren Prof essor K 1 e i n-
Bonn und Professor Wolff -Frankfurt am Main folgendes hier kurz Erwäh-
nung finden :
E. Ilübner macht darauf aufmerksam, dass in Britannien vor dem Ende
Fundbericht über il. Reste tler „Porta- Pap hia" bei Niederlegung ders. im Dez. 1897. 1B9
des 1. Jahrlmnderts die dort liegenden Legionen keine Ziegeleien für ihren
Redarf angelegt bähen'). Weiter erwähnt Mo mm sc n, daes die .Sitte, Militär-
ziegel zu stempeln in Pannonicn erst am Ende dcB 1. Jahrhunderts beginoc
and dasB in Dalmatien vor Veepasian keine Figlituie militaris angelegt seien ').
G. Wo) ff sehliesst sieh Vorstehendem im ganzen an nod kommt anf Grund
Keiner eingehenden Cntersuphungen zu dem Keaultate, dass am Rhein die Sitte,
Militär/iegel mit dem Stempel des Truppeuteils zu versehen, kurz vor dem Jahr
70 n, Chr. aufgekommen ist und sieh von dort erst später nach Britannien ver-
breitet hat, sodass z. B. die XIII. Legion, als dieselhe im Jahre 70 aus Bri-
tannien nach Obergermanien zurückkehrte, dort noch keine gestempelten Ziegel
zurflcklieas. Die in der Varianischen Niederlage untergegangenen Legionen
XVII, XVIII und XIX baben keine Stempel liinterlaBseii. Ebensowenig schei-
nen von den beiden im Jahre 43 nach Chr. naeh Britannien geftlhrten Legionen
II Äng. und XX Val. Victr. Stempel am Rhein vorhanden zu sein. Dagegen
hat die Legion VIII, die unter Nero nach Fannnonien verlegt wurde, nach der
Überlieferang von Fuchs in der Umgebung von Mainz Stempel hinterlassen').
Nach B. M. L e r s e h soll ein Ziegel der Legion XX zu Holledoom gefunden
worden sein*).
CouBt. Koenen berichtet in seinem Aufsatz über die Cnltnrreste der
Ehene zwischen dem Mecrthal und dem Lcgionslager zu Neuss, dass unter
der Menge der dort gefundenen Dachziegelplatten aus der Augusteischen Zeit
keine solchen mit Heeresbezeicbnuugen enthalten gewesen seieu. Es wurden
nur ein Paar Stempel angetroffen, wek'he der XVI. Legion angehören. Letz-
tere ist nuter Caligula an den Niederrhein versetzt worden '').
Hiernach würde man, wie mir Professor Wolff auf Anfrage nochmals
freundliehst beslätigte, das Ende der Regierung des Claudius als frühesten Ter-
min für das Vorkommen der Militärstempel bezeichnen dürfen. In spätrfl-
miscber Zeit wurden auf den Ziegeln keine Legionsstempel mehr angebracht.
Die Litteratnr schweigt sich, soviel mir bekannt, über eine Zeitangabe indeseea
ganz aus, da eine solche naturgemäss noch viel schwieriger ist, als wie die-
jenige über da« erste Auftreten der Stempel und aneh vielleicht örtlich ver-
schieden sein mag. Hie und da wird dieser Zeitpunkt auf die Mitte dea 3.
Jabrbnuderts versetzt.
Ob das Fehlen dieses Stempels anf den Platten des Nordthoree, wie ja
mrigtich, ein rein zufulligcs ist oder ob man daraus, itn Zusammenhang mit
den übrigen Fundumständen, etwa scbliessen darf, dass das Thor der Zeit
vor Claudius entstammt, möge dahingestellt bleiben.
Die Ausbeute au Ärehiteeturstücken bei den Aufgrahnngen hat den er-
warteten Hoffnungen nicht entsprochen, dieselbe war leider nnr äusserst gering.
1) Hermes XIII 621 u. 631.
2) Corp. inecr. lat. lU 482 u. 416,
3) Archiv für Frankfurter Geschichte und Knnst. HT. Folge. 8. 336 n. :S39,
4) Zeitschrift des Aachetier Geschichts verein». 7. Band. S. 168.
fi) Bonner Jnlirbücher. Heft 101.
160 Steuernagel:
Sie bestand ans:
1. einem stark ausladenden Rundkapitell mit doppeltem Kranz ungeglie-
derter, überhängender Blätter von 0,25 m unterem und 0,34 m oberem
Durchmesser aus grauem Sandstein. Gefunden an der Südseite des Ost-
thurmes hinter der Tuffsteintreppe, im Bauschutt;
2. einer Säulentrommel von 0,14 m Höhe und 0,39 m Durchmesser mit qua-
dratischem Dollenloch, aus gelblichem Sandstein. Gefunden in einer
alten Zwischenmauer der Domkurien in Richtung der Ostfront des Thurmes;
3. einer Säulentrommel von 0,45 m Durchmesser aus grauem Sandstein.
Gefunden in der südlichen Frontmauer der Domkurien;
4. einen sehr roh bearbeiteten Säulenkopf, mit glattem, doppeltem abge-
schwellten Wulst, dessen scharfe Einziehung durch ein dünnes Plättchen
bewirkt wird, aus gelblichem Sandstein. Gefanden in der Nähe von 2.
in der alten Mauer;
5. einem kleinen Stück einer korinthischen Säulentrommel mit durch Steg
getrennten Canneluren, aus Kalkstein. Gefunden vor der Nordseite des
östlichen Thorthurmes, 3 m tief im Schutt.
Von sämmtlichen vorbezeichneten Stücken möchte nach Bearbeitung oder
Material keines zum römischen Thorbau gehören, da auch die Rundung des
Stückes 5 auf eine Säule von allzugrossem Durchmesser hinweist. Bei einer
so bewegten Baustelle wie die vorliegende erscheint dieses weiter nicht auf-
fallend.
Zum Schlüsse möge nochmals knrz auf das bei der früheren Aufgrabung
in der südlichen Frontmauer der Domkurie gefundene Kapitell (Col. Agripp. 39
Taf. XVII) zurückgekommen werden. Wie bereits früher bemerkt, zeigt das-
selbe 2 Reihen von Akanthusblättern und eine Schilfblattreihe, worüber ein
Perlstab mit Blattwelle ruht. Eine genaue Untersuchung hat nunmehr ergeben,
dass aus der Blattwelle herauswachsend an den vier Ecken Valutenansätze vor-
handen waren. Das Kapitell muss daher als Compositform angesehen werden,
wenn es auch nicht den vollendeten Charakter des „römischen" Kapitells auf-
weist, wie solches nach den Angaben von W. L ü b k e *), H. Strack^) und
anderer Kunsthistoriker zum erstenmale an dem Triumphbogen des Titus (70
nach Chr.) beobachtet worden ist. Die doppelte Reihe von Akanthusblättern,
die den Kern des Kelchkapitells straflf umziehenden schilfartigen Blätter ^), die
direkt aus dem Eieretab herauswachsenden kleinen verkrümmten Voluten, das
Fehlen des Wulstes der jonischen Kapitellfonn, scheinen der römischen Archi-
tcctur am Rhein und der Mosel geläufig gewesen zu sein, wie die verhältniss-
mässig zahlreichen Architecturreste im Provinzialmuseum zu Trier und dem
Wallraf-Richarz Museum zu Köln beweisen.
Es ist hier eine Reihe von Abbildungen dieser und ähnlicher Formen
1) Geschichte der Architektur.
2) Baudenkmäler des alten Rom.
3) Vgl. Hettner, Die römischen Steindenkmäler des Prov.-Mus. zu Trier. S. 205 f.
Fundbericht über d. Reato der ,Porla-Paphia" bei Niederleguug ders. im Dea. 1897. ICl
beigefügt, vou denen die Trierer Fundätticke «lem Kataloge des Provinzial-Mu-
setima dortselbst entiioinmeD worden sind ')■
Ea müge hier zuerst anf Fig. 2 hingewiesen weiden, welche ein Kapitell
xcigt, das nnter Nr. 545 (V) im Kataloge beschriebeu nud 1879 in Trier nn-
weit des Kaiserpalastes gefunden worden ist. Es zeigen sieb auch hier die
AkautbUBblätter und die Schilfblattreibe, überlagert von ilem Pcrlstab und der
Fig. 2. Fig. 3,
Ftlattwclle, ans welcher die Voluten heranswacbsen. Letztere sind abgebrochen,
deren Stiele aber noch deutlich zwischen den Cannelcn sichtbar. Viel Ähn-
lichkeit mit rorstebender Form zeigt das Kapitell Fig. 3, welches im Kataloge
nnter Nr. 543 (V) angegeben ist. Der Fundort ist unbekannt. Anstatt des
Perlstahes ist ein mit Blattürnanient versehenes Band angebracht. In Fig. 4
ist eine Form verzeichnet, welche in ihrem Aufbau viel Ähnlichkeit mit dem
oben besproeheaen Kölner Kapitell hat. Dieselbe ist im Kataloge unter
Fig:, 4. Fig. 6.
Nr. 542 (V) beschrieben. Die Schilfblattreibe fehlt hier, anstatt des schmalen
Perlstaheß ist ein breites mit Blattwerk veraertes Band vorbanden. Kleine
Voluten nnd Rosetten am Abakus waren vorbanden. Der Fundort ist die Pa-
lastkaserne zu Trier.
Fig. 5 (Nr. 517 XI). Bei diesem Kapitell fehlt der untere korinthische
1) Hettoer, Die römischen SteindenkmfUer im Prov.-Mua. iu Trier. — Herrn
ProfesHür Dr. Ilettner miielilen wir aucli nii dieser Stelle für die freundliche Übor-
ItUBung der IjetrefTonden Clicb^s unsern besten Dank nusspreclien. Die Red.
JUirb. <1, Ver. r. AllerUiafr. Im Rlieiul. 103. II
CWr
ri^6. Amtk Uer tadrt aeh «c
Pcrfatab n4 BItftwtfc, am wdcAcr dk klexDes Ygluai, \
ciM riddar irt, bCTTonradKa.
AmA n^. 7, «tkhe wiederm ei> FQMlCfk^ildl lOBf, ktf dM
IkiKefce GotallaBK. Die SeUIfUittfäm kt dv«k cä ndon rckkns
ctMtcL AjmUU da Perbtabcs irt cm aä decauttgeB Bütten
Bui vorfcudoi. [^ fficlitbaR Une Tetate «ftcbt av des Eientab bawn.
Ttg. a zeigt eia Kapitdl na uaitAMMmtem Fndort (Sr. 1<0 des Kats^
logt), wekbo tnr eine Keibe AkaaCiiaibtittCT taSwöBL Der Iniwnkfifper
Kspildb irt dorcb einferitzle Stiidbe ä BcbÜfblattifaaHcbe ä(r«tfeB e**
da« Bltnircrfc iM aaf dai KspAeOcB mr ^anz lose MTgel^ Aieh Uv wftcM
die kleine Vtdale au dem Eicntab berror md filtt kso» Iber
urier. Etat VetWaditag der Voluten mit den Akaatknsblätteni ist M keäner
der vorbeMbrielMAen KapiteUfumco irabrzmiebDea.
Fig. Ö i'Nr. 103/164 den KataJogs) zeigt eine imter Torgcfclmlteoe Form
dei KspticUa, im dbrigeo aber bezOglieh des los« aof d^ Inornkürper *af-
gek^en Hlaitwcrke« cowie der eingerititei] Srbilfhläner Ähiiliciikcit mit d«r
Form yig. H. Die Volnten Bind hier grüner nnd dereo Entwickelan^ ciDe andere.
Die räfnikclie strenge CtitapfmiXtnTm mit dem korinthiwheD Evlch nnd detn
«direbgehildeten'* Aufsatz der j'toiscben Form kommt iredef bei den TriO'er
iK»eb Kßlner l-'DDrIrn vur, aneli findet eicli kein einziges jonisebea Eapilell.
Gberwiegeod ivi daa Kurinl bisclie Kapitell rorkanden nnd namoolfieh
In Köln, Mainx, titnm nod Trier iDcbrCacb iu aebr sehDoer Fonn
Fuudboricilt über d. Heule der „Poria-Paphia" bei Niedurlcguiig dei
n Dez. 1897. IG3
Vergleicbt luau dieee letztere Thatsache mit dem Änftreten der m biiufig mit
iiiaiigelliaflem KuusIgefUliI, veraUudniBlos nnd uiiorganiscli znsatiiiuengefligten
Compositforiueii, so muss sich hier die Frage attfdriiogeu, ul) mao es aas-
Bcliliesslich mit entarteten Schöpruugen der Spätzcit oder etwa auch mit Übcr-
gAQgsformen zum rötnisclieu Coinpositkn|iitell zn lüun tiat. Leider sind die
vorliaudenen Quellen bc/.llglioh der Fundorte uud Ilcrkinift der Areliitekturtetle
Fig. 8. Fig. 9.
in den Museen sehr spärlich und nur nocb so wenige rOmischc Baureste in sitn
vorhanden, dass eine Datierung oder eine Feststellung bezüglich des Ganges der
Entn-ickclang der römischen Architektur in den Rheiulanden, wenn Überhaupt
möglich, 80 doch mit grossen Schwierigkeiten verbunden sein wird. Vielleicht
gibt vorstellende Mitteilung die Anregung, der Frage in weiteren Kreisen näher
zu treten und würde damit der Zweck derselben erfüllt sein.
n. Litteratur und Miscellen.
a)Litteratar.
1. Das Amphitheater Vindonissa. Verfasst als erste vorläufige Publikation der
Gesellschaft pro Vindonissa von Otto Haus er, cand. arch. Staefa. Buchdruckerei
E. GuU. 1898. 8». 16 S. 2 Tafeln.
In den ersten Abschnitten dieser kleinen Schrift wird kurz über die Geschichte
und die Schicksale von Vindonissa referiert, dann über den Gang der Ausgrabungen
unter der Leitung Hausers im Jahre 1897 berichtet. Durch dieselben wurde zunächst
ein Gebäude, nach den Inschriften ein Heiligtum des Mars, freigelegt; dann das Amphi-
theater erforscht, dessen Grundmauern soweit festgestellt werden konnten, dass eine
Aufnahme des sehr umfangreichen Baues möglich war. Von diesen Ausgrabungen
soll das Büchlein ein kurz zusammenfassendes Bild geben, das durch die beiden bei-
gegebenen Tafeln mit Plan und Aufrissen erläutert wird. Für alle Einzelheiten wird
auf die grosse Publikation, die Haus er in Aussicht genommen hat, verwiesen. Dem
Verfasser ist Dank zu sagen dafür, dass er durch diese rasche vorläufige Publikation
auch weiteren Kreisen Gelegenheit gegeben hat, sich über die Hauptftinde zu orien-
tieren. Wichtige Einzelfonde waren bei dem Charakter des Baues ja kaum zu er-
warten. Um so erfreulicher ist ein zufälliger Fund im Theater, der uns wieder eines
jener Silbergefässe mit Reliefverzierung im Stile der „hellenistischen Reliefbilder"
geschenkt hat, von denen wir schon eine ganze Reihe aus den Provinzen besitzen.
Die Darstellungen auf dem Griffe der Kelle beschreibt Hauser auf S. 12. Das Ge-
fäss trägt den Stempel: 0- CALVIMERATORIS(sic!) ANTO - SALONINI. Hauser
transscribiert „mercatoris" ohne eine Bemerkung über die obige Schreibung, die also
wohl nur zu den auifallend zahlreichen Druckfehlern und Flüchtigkeiten zählt, die das
Buch auszeichnen und in der abscliliessendcn wissenschaltlichen Bearbeitung, in wel-
cher Haus er hoffentlich auch einen etwas anderen Ton anschlagen wird, vermieden
werden müssen. Auch die Übersetzung des Stempels wird er sich dann wohl noch
einmal überlegen. Leider geht aus (Jiesem Bericht hervor, dass der Verfasser sich
nicht im Einverständnis mit den leitenden Kreisen der Erforschung der Altertümer
befindet. So erfreulich es ist, dass die Arbeit in Vindonissa energisch in die Hand
genommen wird, so ist doch gerade das, was wir brauchen, die einheitliche Erfor-
schung der Stätte in weitem Umfange, dadurch gefährdet. Man kann nur hoflFen,
dass die Zwistigkeiten beigelegt werden und dadurch die Arbeit Hausers in den
Rahmen der plaumässigen Erforschung Vindonissas eingereiht wird. H. D.
2. Artur Engel et Raymond Serrure, Trait6 de numismatique moderne
et contemporaine. Premiere partie, t^poque moderne (XVIe—XVIIIe siöcles),
363 iliustrations dans le texte. Paris 1897, bei Ernest Leroux. VIII u. 611 Seiten,
80. 20 Fr.
Die Verfasser haben 1891 und 1894 die ersten Bände der Numismatik des Mittel-
Llttoro-tTir.
166
altera verörrenllkht. welebe ich in unseren Jahrbüchern, Heft 90 8. 183 und Heft »
S. 238, liosprochen halns. Ich hahv mich durclt hänHgeä BemitKCn von der Brauch-
bni'keit und Zuverlilsäigkeit dieser Arbeiidii immer mühr überzeugt unil kann aag;en,
dnNfi ich dem dritten und iKitten Bnudc über die Münzen des Mittelalters, welcher die
Zeit des s. g. breiten Großcbens behandeln eollte, mit grosser Erwartung entgegen-
nah. An Stelle dieses dritten Bandes erscbiea nun der oben angeführte erste Band
über die neueren Münzen, der zwar nicht dns Erwartete, aber sehr Willkommenes und
Gutes bietet. Etwas abweichend von der in der Geschichte üblichen Zeiteinteilung
beginnt dies trait^ de numiamntiqne moderne für jedes einzelne Land verschieden
und zwar mit dem Zeitpunkt, an weichem die grossen Silberstücke, diu Thaler
u. 8. w. zuerst in die Erscheinung treten. Ich kann dies Vorgehen nur loben, denn
es wird dadurch alles ZusammengehGrige zusammen gelassen, und nicht zerrissen,
WAS doch gerade für die Übersichtlichkeit von grossem Werte ist.
Die Urteile, die ich von Münzveratän digen über das neue Buch gehört habe,
gehen etwas auseinander, je nachdem der Bflurteüer im Besitz einer grossen, mit Ver-
stAndnis sclion von früherer Zeil her reich ausgestatteten, numismatischen Bibliothek
ist, bezw. eine solche zur bequemen Benutzung erreichen kann, oder nicht. Jeder
aber, der nicht in der glücklichen Lage ist, eine solche Bibliothek zur Verfügung «u
haben, wird das Buch mit grosser Freude hegrüssen, denn — und hierin erblicke ich
den Hauptwert des traitä de nnmismatique moderne — es macht eine ganze Bi-
bliothek überflüssig. Der Sammler, der heute in der Lage ist, eine numlsmatischo
Bibliothek einzurichten, heute, wo viele dui'chans ni)lhigen Bücher im Buchhandel
vergrifTen und nur antiquarisch zu oft recht unvernünftigen Preisen erworben wer-
den können, wird sich sehr freuen, wenn ihm hier alles unumgänglich Nötige für die
betreffende Zelt zu einem massigen Preise geboten wird. Will Jemand SpezialStudien
über ein bestimmtes Land treiben, und sollte ihm das Gebrachte doch nicht genügend
erscheinen, so bieten die jeder Abteilung nnd Unterabteilung beigegebenen Litteratur-
übersichten auch hierfür sehr geeignete Fingerzeige.
Dasa auch diesem Bande ein ntphabetisches Register fehlt, ist ein sehr grosser
Ühelstaad (Heft 95 S. 539), und hier noch mehr als in den Bünden über das Mittel-
alter. Ein Beispiel wird dies klarer machen : Die Herren Verfasser haben für Deutsch-
land die Einteilung in 10 Kreise zu Grunde gelegt, wie sie unter Maximilian L nach
früheren, teilweise gescheiterten Versuchen fest begründet wurde. Nach dieser Ein-
teiinng gehört nun das Kurfürstentum Köln zum: Untern Rhein-Kreise, wlihrend die
Stadt Köln sum Westfälischen Kreise gerechnet wird; und so finden wir, volletKndig
folgerichtig, die Münzen von Kurköln S. 144-147 nnd die BtadtkölniKchen S.252 und
253 behandelt. Man wird mir aber zugeben, dass mancher Sammler — und für diese
scheint mir das Buch vorzugsweise zum Gebrauch und zur Information berechnet —
nicht über die geschichtlichen Detailkeuntnisse verfügt, welche nöthig sind, um hier
das Gesuchte ohne Mühe und ohne ^ Register zu finden.
Die Regentenreihen sind bei den einzelnen L.^ndern und LSndchen übersicht-
lich geordnet, die als Mänzherren auftretenden Namen durch einen beigedruckten
Stern besonders hervorgehoben. Bei den Regentenfamilien, welche in viele Linien
geteilt auftreten, ist die Entwicklung der Dinge durch eine klare schematischc Zeich-
nung erläutert, wie a. B, bei Sachsen S, 990, bei Reusa S. 3)0 nnd vielen anderen,
Viele Monogramme sind S. 134 aufgelöst. Besonders interessante Mtinsen wurden ab-
gebildet und manche in oft geradezu tollen Abkürzungen gtiprägteo Umschriften er-
lUutnrt; auch hierfür möchte ich einige B«ispiele anführen. (Die Ergänzungen in
Klammern) :
C(lemen8) A(ugn8tus) D(üi) 0[ratia) A{rcht) E(piscöpus) C(oloniensia) S(acri)
R[omani) limpcril) P(cr) I(taliam) A(i'chi) C(anceUriufi) ET Eflector) M(agni) Mfagisterü)
P(erl B(orussiam) A(dmi nistrat or) O(rdiniB) T(«utoniei) P{er) G(ermanianiJ E(t) I(laliam)
S(upremu3) Mtagister) E(plscopas) M(ona.sleriensiB] U(itdesieusis) r(aderbomcusis)
166 LItteratur.
V(triu8qTio) B(avariae) S(uperiori8) P(alatinatu8) A(ngariae) ET W(estphallae) D(ux).
(S. 136.) Als zweites Beispiel wähle ich einen Thaler von Maria von Jever: MARIA
G(eborne) D(ochter) V(nd) F(räulein) TO lEVER RV(ßtringen) OS(tringen) WA(ngerland).
S. 235.
Sehr sorgfältig wurden die verschiedenen Münzsysteme entwickelt und der Wert
der einzelnen Stücke zur Zeit ihres Umlaufes klargestellt, dagegen vermisse ich Hin-
weise auf den heutigen Handelswert der besprochenen Münzen. Ich bin weit davon
entfernt zu wünschen, dass nach dem Vorgange von Mionnet, Cohen, Sabatier
und anderen für jede Münze ein genauer Handelswert angegeben werde. Abgesehen
davon, dass durch diese Mitteilungen ein Werk, welches die Müuzthätigkeit aller
Kultur-Staaten während mehrerer Jahrhunderte umfasst, viel zu umfangreich werden
würde, so läuft bei diesen Schätzungen auch so viel Unzuverlässiges und Willkür-
liches mit unter, dass ich darauf keinen zu grossen Wert lege. Dagegen wären ein-
zelne Notizen über die Preise, welche besonders interessante Münzen in bekannten
und genau zu bezeichnenden Auktionen erzielt haben, sehr erwünscht. Das Vorgehen
würde jetzt folgendes sein müssen : nachdem man eine Münze mit Hülfe des Buches
bestimmt hat, muss man in den verschiedensten Verkauf-Katalogen nachsuchen, um
über den heutigen Wert einigen Anhalt zu gewinnen. Je seltener die Münze ist, um
so zeitraubender wird dies Beginnen werden, denn leicht kann es vorkommen, dass
man das Gesuchte erst im zwanzigsten oder dreissigsten Katalog findet. Dies würde
durch die gewünschten Notizen aber vermieden werden.
Das Buch auf etwaige kleine Fehler zu prüfen, muss ich für jetzt unterlassen,
da mir für eine solche Durchsicht Zeit und Litteratur fehlt; nur die Besprechung der
Kur-Kölnischen Münzen und die der nächstliegenden Territorien habe ich darauf hin
durchgesehen, und ist mir dabei aufgefallen, dass S. 145 der bekannte Kurfürst Sa-
lentin von Köln 1562—1668 nicht Salentin von Isenburg, sondern S. von Salm genannt
wird, ein Vorkommen, welches auf ein Versehen zurückzuführen sein dürfte. Noch
eines möchte ich bemerken: auf S. 424 und 425 werden bei Tassarolo und den Be-
sitzungen der Familie Doria die Imitationen der Silberstücke der Prinzessin Anna
Maria Louise von Dombes besprochen und abgebildet. Dies interessirte mich und
ich blätterte deshalb zurück, um auf S. 46 ff. unter: Dombes die Original-Typen zu
suchen, fand hier aber auch die Kopien reproduziert — ich meine, an letzterer
Stelle wären Abbildungen der Originale am Platze gewesen.
Aber solche kleine Ausstellungen sollen den gediegenen Wert des Buches nicht
beeinträchtigen; jeder der neuere Münzen sammelt, oder dieselben für andere Wissen-
schaften verwerten will, wird in dem traitc u. s. w. eine reiche Fundgrube für wissens-
werte Aufschlüsse erkennen.
van Vleutcn.
3. W. Brüll, Chronik der Stadt Düren. Mit 12 Holzschnitten und einem litho-
graphirten Stadtplan. Düren. L. Vetter & Co. 8^. 234 S.
Diese Chronik bildet im Wesentlichen „eine zusammengedrängte Sichtung und
Neubearbeitung** der in den Jahren 1835 — 1854 in Düren erschienenen „Sammlung von
Materialien zur Geschichte Dürens und seiner nächsten Umgebung", welche von
M. M. Bonn, D. Kumpel und P. J. Fischbach verfasst wurde. Wenn nun auch,
wie der Verfasser sagt, „hierbei auf Grund weiterer Forschungen, sowohl für die
ältere wie die neuere Zeit, manches hinzugefügt und ergänzt werden konnte, so soll
diese Chronik doch auch nur erscheinen, als Vorarbeit, niimlich als erster Versuch
einer Disposition, deren einzelne Teile weitere Ausarbeitung ebenso erheischen wie
verdienen**. Brüll hofft, die bereits 1895 begonnene Ordnung dos Stadtarchivs werde
lür die Zeit nach der Zerstörung Dürens vom Jahre 1543 späterhin hierfür noch reiche
Ausbeute liefern. Die Arbeit ist in acht Abschnitte eingeteilt, welche behandeln:
Miscellen. 167
Düren zur Römerzeit, den Ort in Fränkisch-Karlingischer Periode, den Ort als freie
Reichsstadt (?), die Statt« anter der Herrschaft der Herren von Jülich, den Landesteil
unter pfalz - neuburgischer Herrschaft, Düren unter pfalz - sulzbachscher Herrschaft,
Düren dargestellt unter französischer Herrschaft, Düren unter prcussischer Herrschaft.
Constantin Koenen.
b) Miscellen.
1. Coblenz. Römerstrasse und Meilenstein mit Inschrift an der-
selben. Herr Constantin Koenen stellt der Rednction folgenden Bericht zur Ver-
fügung, welchen der Hochbau-Techniker der Stadt Coblenz, Herr A. Günther, ihm
mitgeteilt hat d. d. Coblenz 6. Juli 1898: Ende verflossener Woche wurden auf dem
Baugrundstücke des Lehrers Zimmermann zu Coblenz am Engelsweg, südlich des
Löhrthores, von letzterem ca. 970 m entfernt, bei der Ausschachtung der Kellergrube
zwei Säulen aus Kalkstein aufgedeckt. Sobald ich davon erfuhr, ging ich am Montag
Morgen nach der Baustelle und fand die südliche Säule noch senkrecht, zur Hälfte
im Boden steckend stehen, während die nördliche bereits von den Arbeitern heraus-
genommen war. Von dem Maurerpolier konnte ich jedoch genaue Angaben über
ihren Standort erhalten.
Die beiden Säulen standen auf der Westseite des Weges, von letzterem 30^/^ m,
von einander 0,.^0m entfernt. Die nördliche Säule bestand aus dem vierkantigen
Unterteil von 60 cm Höhe und 44 cm Wandseito und dem cylindrischon Schaft von
1,30 m Höhe mit 42— 44 cm Durchmesser, ziemlich rauh bearbeitet, an der Westseite
abgeplattet, auf der Nordseito mit einer 7V2 c>^ breiten, 2 cm tiefen senkrechten Rille,
auf der Ostseite glatt, auf der Südseite mit senkrechtem Wulst entsprechend der Rille
auf der Nordseite, so dass es den Anschein gewinnen kann, als ob dieselbe nicht
fertig gestellt sei, bezw. aus altem Material hergerichtet werden sollte. Eine Inschrift
fand sich darauf nicht vor. Der Oberteil der Säule steckte 1,85 m unter der Boden-
oberfläche.
Die andere südliche Säule ist vollständig regelmässig bearbeitet, Sockel 75 cm
hoch, unten 50, oben 47 cm Waudseite, der Schaft 1,45 m hoch mit 45—48 cm Durch-
messer. Auf der Ostseito flndet sich, in schönen Buchstaben eingehauen, folgende
Aufschritt:
— V
\ E S A R C]aesar
0 N T M A : : I B pjont. ma[x. tr]ib.
P OTIIIIIMP VIII pot. IV imp. VIII
C 0 S D ESI G IUI P P cos. desig. IV p. p.
ABMOGMP ab Mog(untiaco) m(ilia) p(assuum)
LIX LIX
Die Buchstabenreihe AESAR begann 20 cm unter dem beschädigten Kopfende, nach
den Spuren — V stand über derselben noch eine oder mehrere Zeilen. Die Buch-
stabenhöhe der ersten lesbaren Zeite AESAR ist = 7 cm, der zweiten 6Va» der dritten
7, der vierten und fünften 6Vacm, der Zahl LIX = UV^cm. Diese 6 Zeilen zusammen
nehmen eine Höhe von 64 cm ein.
Der Kopf dieser SUuIe steckte 1,60 m unter Bodenoberfläche.
Von dem Eigentümer des Grundstückes, Herrn Zimmermann, Hess ich mir die
beiden Meilensteine für das Museum des Schölfenhauses schenken und veranlasste
168 Miscellen.
darauf sofort .das vollsiändige Ausheben des südlichen und den Transport beider
nach dem Schöffenhaus. Um auch die Strasse feststellen zu können, Hess ich gleich-
zeitig einen Graben in östlicher Richtung anlegen, es fand sich aber keine Pflasterung,
sondern in IVs ^ Abstand von der Säule ein 5,00 m breiter Kiesweg, dessen obere
Schichte aus 10 cm hoher Kieslage, die untere aus einer 15 cm hohen Mischung von
Kies und Lehm bestand.
Zu erwähnen ist noch, dass sich auf Schloss Stolzenfels der 56. Meilenstein be-
findet, welcher s. Z. bei Capellen aufgefunden wurde.
2. Zur Etymologie der Matronae Fachinehae (Fachineihae, Fahi-
neihae). Die auf den bei Zingsheim (vgl. diese Jahrbb. 96/97, S. 156 ff.) und Eus-
kirchen (Jahrbb. 102 S. 180 f.) gefundenen Inschriftsteinen vorkommenden Matronen-
namen Fachinehae, Fachineihae, Fal^ineihae hangen wahrscheinlich mit dem Namen
des Feybachs (Feibachs, Veibachs) zusammen. Der Zingsheimer Fundort liegt von der
Quelle dieses Baches ungefähr 4 km südöstlich, der Euskirchener von seiner Mündung
in die Erft etwa 2 km südwestlich entfernt. An dem Bache selbst oder in dessen
unmittelbarer Nähe liegen in der Reihenfolge von Süden nach Norden die Dörfer
bezw. Burghäuser Urfey, Eiserfey, Burgfey, Katzfey, Satzvey und Veinau. Streicht
man die bei Matronennamen nicht selten vorkommende Endung -nehae (neihae) ab,
so deckt sich der übrig bleibende Stamm Fachi (Fahi) genau mit Fei. Letzterer
Name aber soll nach K. Simrock (Handbuch der Deutschen Mythologie, 4. Aufl.,
S. 345; vgl. Freudenberg in diesen Jahrbb. 18, 128» f.) identisch sein mit Fee,
welches nach Grimm D. W. nach dem frz. f6e aus fata entstanden ist, wie n^e,
arm6e aus nata, armata. F. Kluge, Etymolog. Wörterbuch der deutschen Sprache,
5. Aufl.. S. 101 führt dafür aus dem Jahre 1588 noch „Fay, Veh, Fäh, Fein, Feinin"
an, womit auch engl, fay, fairy stimmen.
Volksetymologische Anlehnung an ital. gemeinroman. fata (eigentlich „Schicksals-
göttin^ zu lat. fatum) wird umsomehr zuzugeben sein, als hierzu einigermassen auch
sachlich die von E i c k. Die römische Wasserleitung aus der Eifel nach Köln, S. 53 f.
mitgeteilte Sage von der „Juffer Fey** passt, aber vom sprachwissenschaftlichen Stand-
punkte aus erregt mir doch das Fehlen der in Fachi (Fahi) enthaltenen, in fata (fatum)
fehlenden Gutturalis die schwersten, um nicht zu sagen unüberwindliche Bedenken.
Ich glaube vielmehr, dass Fach (Fah) dasselbe Wort ist wie Bach. Für die hier-
durch entstehende Tautologie in Feybach giebt es zahlreiche Analogieen, z. B. Erft =
urkundi. Arnapa (Arnus von der Sanskrit- Wurzel sru, daher srav-ftmi, tiiesse; apa,
Wasser; t ist unorganisch). Wegen der Lautverschiebung von F zu B vgl. Grimm
a. a. O. I Sp. 1049 ff. und wegen der Ableitung von Bach ebendaselbst Sp. 1057.
Kempen (Rhein). Dr. Pohl, Gymnasialdirector.
3. MertenbeiEitorf. In den letzten Tagen wurden auf dem Besitzthum
des Gastwirts Wilh. Werner die Reste einer Wasserleitung ausgegraben. Dieselbe
besteht aus 60 cm langen, mit der Hand in der einfachsten Weise angefertigten, in
einander gesteckten Thonröhren. Die Leitung hatte den Zweck, die neben dem ehe-
maligen Kloster liegenden uralten Befestigungen mit frischem QucUwasser zu ver-
sehen und gleichzeitig die Wallgraben mit Wasser gefüllt zu halten.
(Bonner General-Anzeiger 29. April 1898.)
Berichte über die Thätigkeit
der Provinzialkommission für die Denkmalspflege in der
Rheinprovinz,
der Provinzialmuseen zu Bonn und Trier,
der rheinischen Kunst- und Qeschichtsvereine
und
Über die Vermehrung der städtischen und Vereins-
sammlimgen innerhalb der Bheinprovinz 1898.
Vorbemerkung.
Der vorliegende dritte Bericht der Provinzialkommission für die Denkmal-
pflege umfasst die Ereignisse im Verwaltungsjahre 1897/98. Die Referate über
die einzelnen Restaurationsarbeiten sind wie bisher von den Leitern der Wieder-
herstellungsarbeiten und dem Provinzialconservator auf Grund des amtlichen
Materials verfasst worden. Nur einzelne grössere Restaurationen, bei denen es
sich um knnstgeschichtlich besonders wichtige Denkmäler handelt und die
durch die dabei gemachten Erfahrungen für ähnliche Arbeiten von Wert sind,
sind hier zur Darstellung gekommen. Über die Wiederherstellung des Domes
zu Trier soll der nächste Jahresbericht ein ausführliches Referat bringen,
ebenso über die Arbeiten an der Liebfrauenkirche zu Trier, an den ehemaligen
Stiftskirchen zu Hochelten, Nideggen, Mayen, den Kirchen zu Niedermendig,
Kreuznach, Trechtingshausen. Die Darstellungen der Thätigkeit der beiden
Provinzialmuseen enthalten die offiziellen an den Herrn Landeshauptmann der
Rheinprovinz seitens der Herren Museumsdirektoren erstatteten Verwaltungs-
berichte. Nach einem Beschluss des Provinziallandtages werden die gesamten
Berichte, die gleichzeitig auch in den Jahrbüchern des Vereins von Altertums
freunden im Rheinlande abgedruckt werden, auch den Mitgliedern des Pro-
vinziallandtages und den Königlichen Behörden der Rheinprovinz zugänglich
gemacht.
Bonn, im August 1898.
Der Provinzialconservator der Rheinproviuz
Giemen.
170 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
Bericht Über die Thätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmal-
pflege in der Rheinprovinz vom I. April 1897 bis 31. März 1898.
In der ZnsammeDSCtznng der Provinzialkonimission fttr die Denkmalpflege
ist im Rechnungsjahre 1897/98 eine Veränderung nicht eingetreten. Die Kom-
mission ist, wie üblich, zweimal, im Sommer und im Frühjahr zusammen-
getreten, am 27. Juli 1897 unter dem Vorsitz des Vorsitzenden des Provinzial-
ausschusses, Herrn Landrats a.D. Janssen und am 23. März 1898 unter dem
Vorsitz des stellvertretenden Vorsitzenden des Provinzialausschusses, Herrn
Grafen Beissel von Gymnich.
In der Sitzung vom 27. Juli 1897 wurden aus dem zur Verfügung des
Provinzialausschusses stehenden Etatsbetrag fttr Kunst und Wissenschaft be-
willigt:
Für die Instandsetzung des alten Holzhauses zu Bacharach (Kreis St. Goar)
2100 M., für die Erhaltung eines romanischen Portals an der Pfarrkirche zu
Olpe (Kreis Wipperfürth) 500 M., zur Vollendung der Instandsetzungsarbeiten
der Chorruine zu Heisterbach (Siegkreis) 550 M., für Restaurationsarbeiten am
Kreuzgang und Kapitelhause zu Garden (Kreis Cochem) 1500 M. als erste von
zwei gleichen Raten, zur Restauration der Pfarrkirche zu Cronenburg (Kreis
Schleideu) 2000 M., zur Instandsetzung der St. Mauritiuskapelle zu Mülheim
(Kreis Coblenz) 2600 M., zur Herstellung des Turmes der römischen Wacht-
station an dem Limes auf dem Hormorgcn bei Sayn (Kreis Coblenz) 700 M.,
für Reparaturarbeiteu an der Burgruine Hartelstcin in der Eifcl (Kreis Prüm)
100 M., für das Einmauern einer Grabplatte in der Kirche zu Weyer (Kreis
Schieiden) 75 M. Ausserdem sprach die Kommission ihre Bereitwilligkeit aus,
für die Restauration der katholischen Pfarrkirche in Crancnburg (Kreis Cleve)
die Summe von 10000 M. bei dem nächsten Provinziallaudtag zu beantragcu.
Für den Erwerb einer grösseren Zahl von Originalaufuahmen rheinischer Denk-
mäler von dem jetzigen Dombaumeister Arntz zu Strassburg i. E. für das
Denkniälcrarchiv wurde weiterhin die Summe von 992,50 M. bewilligt und
dem Proviuzialcouservator zu den laufenden Erwerbungen für das Denkmäler-
archiv ein Jahreskredit von 300 M. zur Verfügung gestellt. Dem Architekten-
für die Denkmalspflege tn der Rheinpi'ovinis,
171
und Ingenieur-Verein fUr Nieilerrhein und Westfalen zu Küln wurJe für die
Poblikation eines Werkes über die älteren Kölner Privathänscr die Swinnie von
KX)0 M. bewilligt und 500 M. fUr das näichste Jahr in Außsicht gestellt.
In der Sitzung vom 23. Mär/. 1898 wurden ebenso aus dem EtatBlwtrÄgo
fllr Kunst uud Wissenschaft bewilligt:
Für den Enveib des Johannisaltars in der Kircbe zu Lindern (Kreis
Geilenkirchen) and seine Anfstellung im Provinzialmuseum zu Bonn 900 M.,
für die weitere WiederberBtellnng des Uoclikreuzes auf dem Kirchhofe in
Brauweiler 175 M., für die Restauration eines Renaissauce-Bildstockes bei
Ippendorf {Kreis Bonn) 250 M., fUr die Wiederherstellung der Grabdenkmäler
der (irafen von Nassan-SaarbrUckcn in der Sehlosskirobo 7.u Haarbrllekcu und
zur Herslelhing grosser Aufnahmen derselben 1200 M., für die Erhaltung des
Chores der ehemaligen Pfarrkirehe zu Üattcnberg (Kreis Neuwied) 6iX) M., zur
Vollendung der Wiederherstellungsarbcilen an der alten Pfarrkirehe zu Köln-
Niehl 3000 M. (dazu 824 M. für die nileliste Sitzung zugesichert), für die
äicherung nnd Instandsetzung des Turmes der alten Kirche zu Serrig (Kreis
Saarbarg] 400 M., für die Sicherung nnd Instandsetzung der Vorburg der
Burgruine Gerolstein (Kreis Daun) 1200 M., für die Instandsetzung des Berg-
friedes der Bnrg Hartelstein eine weitere Beihilfe von löO M., für die Wieder-
hei'stcUnng den Kreuzganges nnd des Kapitel banges zu Garden (Kreis Coehcm)
weitere 1500 M., für dringliche Sicherungaarbeiten an der Kloeterruine zn
SehSnstatt (Kreis Gohlenz) 400 M., zum Abscbluss der WiederherBtcIlnngs-
arbeiten an der evangelischen Kirche za ItDebaraeb (Kreis St. Goar) 700 M.
Ausserdem wurde für die Anfertigung von Anfnahnien mittelaltcriiolier Wand-
malereien in der Kheinprovinz dem Proviunialcouservator ein weiterer Credit
von 2000 M, zur Verfügung gestellt.
Die Provinzialkooiniission nahm in ihren Sitzungen aneb mederbolt
Stellung -/.n Einzelfragen, in denen es sich um die Bedrohung wichtiger Mo-
numente handelte. In der ersten Sitzung wurde über das Projekt berichtet,
auf dem vorderen Schlossbof der erzbi schMiehcn Burg zu Andernach den
Neubau eines Amtsgerichtsgebäudes zu errichten, ein Projekt, gegen das bis*
her die Denkmalpflege vergeblich ankämpfte. Die Pro^Hnzialkominission sprach
sich einstimmig dahin aus, dass die Ausführung dieses Planes, durch die der
Eindruck der Kuinen daaernd beeinträchtigt würde, im Interesse der Denkmal-
pflege mögliebst zu verhindern, und dasa der projektierte Neubau an anderer
Stelle zu errichten sei. Die Bemühungen nach dieser Richtung haben unter-
dessen den erhofften Erfolg gebäht: der Justizflskus bat den Plan, innerhalb
des Burgterraius den Neubau aufzuführen, endgllltig aufgegeben.
In der zweiten Sitzung nahm die rruvinzialkommiseion ebenso Kenntnis
von dem bedauerlichen Vorgehen des Kircheuvurslandes zu Oberwesel, der den
wertvollen Renaissance Altaraufsatz Über dem Ilochatlare der Liebfrauenkirche
(fllr deren Wiederherstellung Seitens des Provinziallandtjiges die Hälfte der
Kosten, 20000 M,, bewilligt worden waren) beseitigt hatte und ihn, weil er
.ngcblicb nicht zun] Stil der Kirche passe, wicderaufzustelien sieh (lauernd
172 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
weigert, obwohl er sieh mit diesem Widerstand im Gegensatz zu allen Behörden,
auch den kirchlichen, befindet. Auch hier nahm die Provinzialkommission
gegen diese Beeinträchtigung des Bauwerkes und gegen den falschen und
längst überwundenen Standpunkt der Stileinheit Stellung. Der Provinzialaus-
schuss hat in seiner Sitzung vom 17. Mai sich noch weiter mit dieser Ange-
legenheit befasst und dem Kirchenvorstaud eröffnet, dass bei fortgesetzter
Weigerung, dem berechtigten Verlangen der Provinzialverwaltung zu entsprechen,
von einer Unterstützung aus Provinzialfonds für die weitere Wiederherstellung
der Liebfrauenkirche oder anderer der Kirchengemeinde gehörender kirchlicher
Bauwerke nicht mehi- die Rede sein könne.
Neben dem grossen unternehmen der Denkmälerstatistik der Rheinprovinz,
das seit 9 Jahren unter der Leitung einer eigenen Kommission, an deren Spitze
der Herr Geh. Justizrat Professor Dr. Loersch steht, durch den Provinzial-
conservator durchgeführt wird, sind seitens der Provinzialkommission zwei
einzelne Veröffentlichungen bestimmter Denkmälergruppen gefördert worden,
die die Denkmälerstatistik zum Teil ergänzen und entlasten sollen.
Zunächst ist eine besondere Veröffentlichung der kunstgeschichtlich ausser-
ordentlich wertvollen und von Jahr zu Jahr mehr verschwindenden älteren
Privathäuser der Stadt Köln in Anregung gebracht worden. Der Architekten-
und Ingenieurverein für Niederrhein und Westfalen hat diese Publikation auf
sich genommen. Den Grundstock bildet eine Sammlung von etwa 60 Auf-
nahmen älterer Privathäuser, die in den Jahren 1893—1896 durch den jetzigen
Münsterbaumeister zu Strassburg, Herrn Arntz, angefertigt worden sind: die
Aufnahmen sind Eigentum des Denkmälerarchivs der Rheinprovinz, werden
aber dem Verein für die geplante Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Die
neu herzustellenden Aufnahmen sind von Mitgliedern des Architektenvereins
bereitwilligst übernommen worden. Für die auf rund 7000 M. berechneten
Kosten der Herstellung hat der Provinzialausschuss die Summe von
1500 M. bewilligt, der gleiche Betrag ist seitens der Stadt Köln zugesagt
worden.
Daneben ist eine monumentale Veröffentlichung der mittelalterlichen Wand-
malereien in den Rheinlanden ins Auge gefasst worden. Der Provinzialaus-
schuss hat bereits seit einer Reihe von Jahren dem Provinzialconservator, der
auch diese Publikation vorbereitet, die Mittel zur Anfertigung von Kopien und
Pausen dieser Wandmalereien als der nötigen Vorlagen zur Verfügung gestellt
und noch in der letzten Sitzung wieder einen Credit von 2000 M. für diese
Zwecke bewilligt. Die Kosten für die Veröffentlichung und insbesondere die
farbige Wiedergabe einer Reihe von Tafeln werden für die romanischen Wand-
malereien bis zum J. 1250, deren Herausgabe zunächst allein beabsichtigt ist,
gegen 25000 M. betragen. Die Veröffentlichung wird unter die Publikationen
der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde aufgenommen werden, den
grössten Theil der erforderlichen Mittel hat ein bekannter rheinischer Mäcen
zur Verfügung gestellt.
Von grösseren Arbeiten, an denen die Denkmalpflege direkt, nicht nur
fär die Dcnkmnlspflege in der Kheinprovinz.
173
von Aufsicbtswegcn, beteilig;! ist, standen im letzten Jahr im Vordergrund de«
Interesses die Wiederherstellung des Domes zu Trier, de» Berliner Thorea la
Wesel, des Deutschordenshauses zu Coblenz, der St, Kikolauskirebe zu Kreuz-
nach, der ehemaligen Stiftakirehen zu Nideggen und IlotbeUen, der Clemens-
kirehc za Treehtings hausen. Fllr die Wiederberatellnng der Salvatorkirehe -in
Duisburg und der Kirchen zu Ravengiersburg und Tholey sind die Vorarbeiten
erledigt; die InangrifTuahme der Arbeiten an der Doppelkirehe xu Schwarz-
rheindorf mnsste bis zum J. 1899 aufgescbohen werden. Eine besondere Für-
sorge hat die provinziale Denkmalpflege von Anfang an aueb der Erhaltung
und Sicherung der wichtigsten Burgruinen zugewandt; für die Bargen /,n
Gerolstein, Blankenbctm, Schinidtbnrg, Dill, Hartelstein, Burg an der Wnpper,
Saarburg sind Aufwendungen gemacht, wegen Montjoie, Sponheim, Castellaun,
Nideggen, Andemaeb sind Verhandlungen eingeleitet. Es muss dankbar her-
vorgehoben werden, dass der Staat in gleicher Weise für die Erhaltung von
Burg Freusburg und — nach langem Zögern — der Löwenburg eingetreten ist.
Die DorchfOhrung der Instandsctznnge- und Restaurationsarbeiten, t'Ur die
Mittel aus provinzialen Fonds bewilligt waren, erfolgte in jedem einzelnen Falle
unter Betheiligung des Provinzialconservators. Ausser den regelmJlssigen Be-
sicbtigungsrcisen des Provinzialeonservators fanden gemeinsame Bereisungen
durch Mitglieder der ProvinzialkoramiEsion statt; der Decernent für Kunst und
Wissenschaft in der Provinzialverwaltnng, Herr Landesrat Klause n er, nahm
an einer ganzen Reihe der Besichtigungen und auswärtigen Verhandlungen Teil.
Da die Zahl der von der Provinzialkommission eingeleiteten und unter-
stützten Arbeiten ständig im Wachsen ist und da ihre Überwachung und Kon-
irolle— bei dem Mangel eigener Organe für diese Zwecke — immer schwieriger
wird, hat es sich immer mehr als erwünscht herausgestellt, die Königlichen
Regierungen mehr als bisher um die specielle Beaufsichtigung auch dieser
Arbeiten zu ersuchen und die Königlichen Kreisbauinspektoren mehr zur thä-
tigcn Anteilnahme an den Arbeiten der provinzialen Denkmalpflege bcranzu-
zieben. Die Herren Reg.- und Bauräte der Königlichen Regierungen haben
persönlich diesen Wünschen gegenüber ein weitgebendes und höchst dankens-
wertes Entgegenkommen gezeigt.
Auch die Einsetzung der Correspondenten für Denkmalpflege hat sich
wie bisher tretBich bewährt. Immer wieder von Neuem mass aber die Bitte
ausgesprochen werden, den Provinzialeoneervator und die Direktoren der beiden
Provinzialmuscen durch thunliclist rasche Mitteilungen, auch durch Zusendung
einfacher Zeitungsnotizen und kleinerer Druckschriften zu unterstützen. Be-
sonders wünschenswert würde auch ein noch stärkeres Interesse der grossen
und verdienstvollen ganzen Landschaften gewidmeten Vereine, voran des Eifel-
vereins und des Hochwald- und Hunsrückveroins, für die Aufgaben der Denk-
malpflege sein. Als vorbildlich für die Organisation und Tbätigkeit kleinerer
Vereine muss noch immer der von dem Küniglichen Landrat als Vorsitzendem
geleiteten Verein für Denkmal- und Landschaftspllcge im Kreise St, Goar be-
zeichnet werden. Die Gründung ähnlicher Vereinigungen, zumal an der Mosel,
174 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
durch die eine dauernde Schutztmppe auch gegen grobe Verunstaltungen der
Landschaft geschaffen werden könnte, würde allenthalben anzustreben sein.
Das im Provinzialmuseum zu Bonn untergebrachte Denkmälerarchiv
der Rheinproyinz ist durch Ankäufe, Schenkungen und Überweisungen auf
5Ö00 Blatt angewachsen. Neu erworben wurden vor allem 380 Aufnahmen
rheinischer Baudenkmäler aus den Regierungsbezirken Coblenz und Köln, von
dem jetzigen Dombaumeister Arntz zu Strassburg i. d. J. 1893—1896 ange-
fertigt, darunter insbesondere Zeichnungen der yon Abbruch und Zerstörung
am meisten bedrohten Privathäuser und Fachwerkbauten an Mittelrheiu und
Mosel, und eine Anzahl weiterer Messbildaufnahmen rheinischer Bauwerke der
unter der Leitung des Herrn Geh. Baurates Dr. Meydenhauer stehenden
Messbild-Anstalt zu Berlin. Durch die Königlichen Regierungen wurden voll-
ständige zeichnerische und photograpbische Aufnahmen aller zum Abbnich
bestimmten Baudenkmäler überwiesen. Unter den Überweisungen ist mit be-
sonderem Dank hervor/uheben eine Sammlung von 22 photographischen Auf-
nahmen der älteren Gebäude der Stadt Emmerich, die im Auftrage der Stadt-
verwaltung angefertigt worden sind. Von den restaurierten Glasgemäldcn in
Altenberg und den AltarflOgeln in Oreoy, Calcar u. s. w. wurden grosse photo-
graphische Aufnahmen angefertigt, die den alten Zustand genau zeigen. Von
einzelnen Teilen der Grabdenkmäler in Meisenheim, Altenberg, Düsseldorf und
der Altäre zu Calear wurden dem Denkmälerarchiv Abgüsse mverleibt.
Über die Anfertigung von Kopien der mittelalterlichen Wandmalereien in
der Rheinprovinz wird unten besonders berichtet werden.
Giemen.
für die Denkmalapflof
i der Rhoinproviiiz.
Berichte über die wichtigeren der ausgeführten Restaurationsarbeiten.
1. Aachen. Wiederherstellung itud AuEScIimUekung: der
Müiisterkirche.
Unter reg'ster iteteilignn^ der Einwohnerschaft Aachens hat der Karls-
vercin am 21. November 1897 zum AbscLIuss seiner fllnr/.igjlihrigcn Thütigkcit
eine Dank- mid Jubelfeier begangen, für die auch alle zu ihm in ßezichnng
stehenden geistliehen nud weltlichen Behörden ihre Teiliinhrae durch anerkennende
Glltckwünsclie bekundeten. Narh dem durch den hochwürdigsten Herrn Weiii-
biscluif Dr. Fischer im Münster gelmitenen Pnnlittkalamt fand die rcgelmjlssigc
Gencralverwimmlnng im Karlsiianso stnit, in der der Vorsitzende, Herr Staats-
prnkurator a, I). Dubusc über alle Vorgänge des Vereinsicbcns eingehenden
Kerichl erstnttet und allen denjenigen, die irgendwie die vom Verein verfolgten
Zwecke goFürdcit hnhen, den gehUhrenden Dank aiii^gefiprnciicn hat. Der mit
vier Lichltlruekcu gcschniUcktc, durt'h den Verein versandte gedruckte Uoricht
des Vorstandes Über das fUnfv-igstc Vcrcinsjalir 1897 giebt eine Bn&nihrlicbc
Darstellung der Feier.
In Ausfllhrung des ihm im November 1896 erteilten Auftrags, dcesen
Einzelheiten aus der vorjährigen Veriitfcntliehung der Provinzialkomniission zn
ersehen sind, hat Herr Professor Schaper Entwürfe zn den im Oktogon des
MQuaters herzu stelle uden Mosaiken eingeliefert, von denen insbesiindere die
Figur des Erzengels Gabriel in zwei verschiedenen AuBführuugeu an Ort und
Stelle zur Anschauung gebracht worden ist. Der Vereinsvorstand hat zur Be-
gutachtung dieser Entwürfe eine aus den Herren Wirkl. Geheimer Oberbanrat
Adler, Pater .Stephan Beissel, Provi nziaiconservator Giemen, Professur
Frentzen, Kanonikus Goebbels, Geheimrat Loerseh, Geheimer Ober-ße-
gicrungsrat Persius, Prälat Friedrich Schneider, Domknpitular Schntlt-
gen und Wirklicher Staatsrat a. D. von SwenigorodskoY bestehende Kom-
mission gewählt, welche am 22. Oktober 1897 in Aachen zusammengetreten
ist, an deren Beratungen jedoch die Herren PerBius und Schneider wegen
Krankheit nicht Teil genommen haben. An Stelle des Herrn Pcrsiua hatte
der Herr RuItnsmiDister den Herrn Geheimen Baurat Spitta und ausserdem
noch die Herren Geheimer Oberregierungarat Müller, Professor Dobbcrt und
Akademiedirektor Jans&en konmiiltiert. Nach eingehender Besichtigung und
Beratung aller Alteren und neuereu Entwürfe bat die Kommission mit allen
Stimmen gegen die des Herrn von SwenigorodakoT folgende Beschlllsse
gefasst:
„Mit Bezug auf die ktlnstterische Oestaltnng empfiehlt die Korainission
Anlehnung an die Glanzzeit der musiviweheu Malerei, für die Ikonographie
Anlehnung an die karolingische Zeit, gestattet jedoch bezüglich der Attribute
grössere Freiheit im Ansehlusa an die kirchlichen Vorbilder der folgenden
Jahrhunderte."
176 Bericht über die Thätigkeit der ProYinsialkommission
;,Die Kommission empfiehlt dem Karlsverein, Herrn Professor Schaper
nunmehr den Auftrag zur Ausschmückung des Tambours zu erteilen; sie em-
pfiehlt die Anfertigung einer einfachen Gesamtskizze, welche den später aus-
zuführenden Kartons zu Grunde gelegt werden soll."
„Im Anschluss hieran empfiehlt die Kommission weiter^ eine aus drei
Personen bestehende kleine Kommission zu ernennen, welche als steter Beirat
des Künstlers fungieren und mit der der Künstler engste Verbindung unter-
halten soll; sie empfiehlt als Mitglieder dieser Kommission zu ernennen Herrn
Geheimrat Persius mit der Ermächtigung sich vertreten zu lassen, Herrn Dom-
kapitular Schnütgen und Herrn Pater Beissel."
Der Vorstand des Karlsvereins hat diese Beschlüsse in allen Punkten an-
genommen.
Im Laufe des Jahres 1897 ist die Herstellung des Quadermauerwerks an
der Westseite der Kreuzkapelle vollendet worden. Ausserdem wurde eine den
Zutritt zur Vorhalle der nördlichen Turmtreppe vom Vorhofe des Münsters aus
vermittelnde Thüre angelegt und die hier im rechten Winkel anstossende
Fa^ade des sogenannten Kapitelsaales unter Erhaltung und Verwendung der
noch vorhandenen karolingischen Bauteile hergestellt. Über die bedeutsamen
Ergebnisse der bei diesem Anlass veranstalteten Nachgrabungen, die zur Auf-
deckung der Ueberbleibsel eines Teiles der das Atrium der Pfalzkapelle in
karolingischer Zeit bildenden Bauten geführt haben und die Kekonstruktion
der den Vorhof umgebenden Bogengänge ermöglichen, erstattet Herr Architekt
Privatdocent Joseph Buchkremer den hier folgenden selbständigen Bericht.
Auf das im vorigen Bericht erwähnte Gesuch des Vorstandes vom 21. April
1896 um Gewährung einer Lotterie ist unterm 8. Dezember 1896 ein sehr er-
freulicher Erlass der an dieser für den Fortgang der Münsterrestauration so
wichtigen Angelegenheit beteiligten vier Herren Ressortminister ergangen, in
welchem deren Geneigtheit, den Antrag Allerhöchsten Ortes zu befürworten,
ausgedrückt ist.
Der Verein zählt etwa 1400 Mitglieder. Die jetzt vorliegende endgültige
Rechnung des Jahres 1896 weist eine Einnahme von M. 51 218,15, eine Aus-
gabe von M. 47 848,06 und einen Kassenbestand von M. 3370,49 nach. Für
Bauten und Bauleitung wurden M. 22 546,27 ausgegeben, über M. 24 000 zins-
tragend angelegt. Der Vermögensbestand belief sich am 1. Januar 1897 auf
M. 119 290,67.
Loersch.
Atrium am Karolinger-Münster zu Aachen.
Bei der Instandsetzung des sog. Kapitelsaales (Fig. 1 H), der in der
Nordostecke des Domhofes liegt, fand man Baureste des karolingischen Atriums.
Die daraufhin vom Karlsverein auf Anregung und unter spezieller Beaufsichti-
gung des Herrn Stadtrats Schmitz und unter Mitwirkung des Unterzeichneten
systematisch vorgenommenen Untersuchungen deckten eine weitere Reihe von
Bauresten dieser Anlage auf, die um so wertvoller waren, als die in den 60 er
für die Denkmalpflege in der Kheinprovinz. IdS
vom 3. Jali bis zum 6. Augnst 1897. Das Eisengitter der an der Südseite
des Schlosses gelegenen Terrasse wurde ans Priyatmitteln beschafft.
Nach Abschluss der Wiederheretellung wurden durch den Provinzialcon-
servator die Anfertigung grosser Aufnahmen des Schlosses veranlasst, die durch
den Architekten Joseph Renard in Köln hergestellt und dem Denkmälerarchiv
der Rheinproyinz einverleibt worden sind.
Giemen.
5. Branweiler (Landkreis Köln). Wiederherstellung des
Hochkreuzes auf dem Kirchhofe.
Das jetzt auf dem Brauweiler Kirchhof, ehemals an dem Brandweiher
des Klosters Brauweiler stehende Hochkreuz aus Trachyt ist ein merkwürdiges
Werk des ausgehenden 15. Jahrhunderts; ein kräftiger in drei Geschosse zer-
legter Pfeiler, von denen das mittlere über Eck gestellt ist, trägt das mit
Maasswerknasen und schmiedeeisernen Blumen an den Kreuzesenden geschmückte
Kreuz; der Christuskörper besteht aus vergoldeter Bronze. Das Werk ist durch
die Einheitlichkeit des Aufbaues und durch edle und charaktervolle Detail-
formen ausgezeichnet. Vgl. Kunstdenkmäler des Landkreises Köln S. 69.
Die Gemeinde Freimersdorf beabsichtigte die Wiederherstellung des Hoch-
kreuzes durch Ausflicken mit Ccment und einen neuen Anstrich; da eine solche
Reparatur die Schäden nur verdeckt und den Charakter des Denkmals beein-
trächtigt haben würde, so wurde die Gemeinde zu einer sorgfältigeren Repara-
tur durch Ablaugen und massiges Abscharrieren und Einsetzen der abgestossenen
Ecken in Trachyt veranlasst. Zu den auf 500 M. veranschlagten Kosten be-
willigte der Provinzial-Ausschuss am 2L Oktober 1896 die Summe von 250 M.
Die Arbeiten wurden dem Bildhauer Wilhelm Fassbinder in Köln übertragen.
Bei der Ausführung der Arbeiten in dem Atelier des Herrn Fassbinder ergab
sich jedoch, dass der reich profilierte Sockel und ein Zwischenteil des Kreuzes
sehr stark verwittert waren, sodass ihre Benutzung bei dem Wiederaufbau
ausgeschlossen schien; diese Teile mussten in Trachyt neu angefertigt werden.
Ferner stellte sich heraus, dass über dem unteren Geschoss des Aufbaues
der dem Fusssockel entsprechende Sockel schon früher verloren gegangen war,
aus dem sich das zweite Geschoss organisch entwickelt; dieser Teil musste
gleichfalls ganz neu hergestellt werden. Die 4 grossen Eisenstreben, die das
Kreuz hielten, erwiesen sich als alt und wurden wieder verwendet, weil eine
dauernde Sicherung des Hochkreuzes ohne die Streben zweifelhaft erschien.
Zu den infolge der genannten Arl^eiten entstandenen Mehrkosten bewilligte der
Provinzial-Ausschuss am 23. März 1898 eine weitere Beihülfe von 175M. Das
Hochkreuz ist im August 1897 wieder auf dem Kirchhof aufgestellt worden;
die Gesamtkosten der Wiederherstellung betrugen 850 M.
Giemen.
Jahrb. des Vor. v. AUerfchsfr. tin Rhoinl. 103. 13
194 Bericht ^ber die Tfafttiglceit der ProTinsialkomtnission
6. Düsseldorf. Wiederherstellnng des Grabdenktnals
Herzog WiTbelms desReichen in der Lambertus-
kirche.
Die Lambertaskirche in Düsseldorf bewahrt in dem im Chorumgang ao
der Ostwand aufgestellten Grabdenkmal Herzogs Wilhelm des Reichen von Jülich-
Berg ein Monument, das die glänzendste^ nach Aufwand von Arbeit und Material
kostbarste und zugleich auch die künstlerisch bedeutsamste Schöpfung der
Spätrenaissance-Skulptur am Niederrhein darstellt. Nicht die niederländischen
Bildhauer Gilles de Rivifere und Niccolo Pippi von Arras sind die Verfertiger
dieses Werkes, wie bis vor kurzem immer angenommen wurde, sondern der
Kölner Meister Gerhard Scheben, der das Denkmal in den Jahren 1595 — 1599
in Köln fertigte (vgl. Giemen, die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises
Düsseldorf S. 40 mit Ansicht des Denkmals und Küch in den ^Beiträgen zur
Geschichte des Niederrheins' XI. S. 1). Das Material bildet schwarzer, weisser,
rpter, gelber und brauner Marmor; alle figürlichen Teile sind aus feinem, gelb-
lich getöntem Alabaster hergestellt. Auf dem im unterbau vortretenden Sar-
kophag ruht die lebensgrosse Figur des Herzogs in freier ungezwungener
Haltung, der vornehme und geistreiche Kopf ist meisterhaft behandelt, darüber
findet sich zwischen einer Stellung von 4 korinthischen Säulen ein grosses
ReUef mit der Darstellung des jüngsten Gerichtes, in den Nebennischen die
Figuren der 4 Kardinaltngenden, im Aufsatz wieder allegorische Gestalten, der
ganze Aufbau ist gekrönt durch die Figur des Auferstandenen.
Obwohl das Denkmal bereits verschiedene Wiederherstellungen erfahren
hatte, eine erste durch den Hofbildhauer Müller im Jahre 1634, eine zweite
durch den Hofbildhauer und Akademie-Professor Bäumgen im Jahre 1785 und
endlich eine umfassende Wiederherstellung für 2038 Thlr. in den Jahren
1825 — 1834 durch C. Kamberger, war dasselbe doch wieder stark in Verfall
geraten. Zumal die aus Alabaster hergestellten figürlichen Teile waren von
unendlich vielen Sprüngen durchzogen; eine ganze Reihe der vorstehenden
Glieder, Attribute, Gewandzipfel, Ornamente war abgestossen oder abgebröckelt
und ganz ungenügend befestigt.
Bereits 1894 waren auf Anregung des Provinzialconservators Kosten-
anschläge und Gutachten von verschiedenen Bildhauern eingefordert worden,
im Verlauf der Vorarbeiten wurde der Bildhauer Gustav Sobry, der sich bei
den Wiederherstellungsarbeiten der Renaissance-Epitaphien in Trier vortreflflich
bewährt hatte, mit den Arbeiten im Gesamtbetrage von 6000 M. betraut. Die
Kosten wurden zu gleichen Teilen auf Staat, Provinz und Stadt verteilt. Nach-
dem bereits die Stadt Düsseldorf in pietätvoller Würdigung der historischen
Bedeutung des Monuments einen Zuschuss von 2000 M. bewilligt und nachdem
der Herr Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten aus dem Allerhöchsten
Dispositionsfonds die gleiche Summe zugesichert hatte, beschloss der 40. Pro-
vinziallandtag am 15. März 1897 die Bewilligung des Restbetrages von 2000JM.
Die Wiederhcrstellungsarbeiten wurden durch den Bildhauer Sobry im
Herbst 1897 und im Frühjahr 1898 ausgeführt. Hierbei wurden die sämtlichen
für die Denkmalpflege in der Hlieinproviuz. 195
Figuren sorgfältigst gereinigt nnd rCBlaiiricrt, die fehlendea Glieder nach an-
gefertigteu Modellen in Alabaster ergänzt nnd sorgfültigst mit Kupferdollen
Hngesetzt, kleinere Teile nur in Vierungen eiugeHetzl und verkittet. Da die
Figuren mit in ßlci eiogelassenen Dllbeln mit dcrRUckwaud und dem marniorucn
Aufbau verbunden waren, konnteu sie nicbt herabgenommeu werden; die Ar^
beiten mugüten desbalb durchweg an Ort nnd Stelle ausgeführt werden. Bi^
sondere MUbe maebte das grosse Relief, aii dem eine ganze Reihe von einzelnen
Gliedern fehlten. Zum Öchluss wurden die Inscbriften autgefrisebt und die
Hanptsänlen glänzend poliert, während die (ibrigeu Teile matt gehalten wurden.
Die Arbeit ist durch den Bildhauer Sobry mit rühmenswerter Gewissenhaftig-
keit auegeführt worden.
Neben dem Denkmal wurde eine kleine Marmortafel eingelassen, die fol-
gende luBcbril^ trägt: Dieses DenkmnI, ein Werk des Gerbard Scheben a. d. J.
1595— lf>99, wurde /.um 1- Mal wiederhergCBtellt 1634 durch P. Müller, zum
2. Mal 1785 durch J. Ilaemgen, zum 3. Mal 1825—1834 dmcb C. Kamberger,
zum 4. Mal 1897—1898 durch G. Sobrj.
Giemen.
5. Grillten (Kreis Mettmann). Wiederherstellung des
Turmes der alten katholischen Pfarrkirche.
Die seit dem Jaliie 1879 verlassene alte katiinliscbe Pfarrkirche iuGruiten
(Fig. 11) gehörte einer grösseren Gruppe von romanischen Bauten an, die Über
das ganze bergisehe Land verstreut sind. Sie stellte den ältesten Typus dieser
Gruppe dar — einschiffige Anlage mit dem in einer Flucht mit dem Turme
liegenden Langhause, — doch war die Bedeutung des Bauwerkes als eines
kaust historischen Dokuments gegenüber den in unmillelbarer Nähe liegenden
ausgedcbutercn rumänischen Kirchen der gleichen (iattuug beschränkt (vgl.
Giemen, Knnst^lenkmäler der Rheiuprovinz III, S. 64). Da eine nur notdürf-
tige Wied^rbei'slellung des ganzen Baues wegen des ziemlich baulosen Zu-
standes des Langhauses und der Apsis eine Summe von mehr als 5000 M. erfordert
haben würde, die Gemeinde sich aber weigerte, einen Beitrag zu einer Re-
stauration zu zahlen, so wurde es für richtig erachtet, das Langhaus und die
Apsis abzubrechen und nur den Turm zit erhalten. Die malerische Wirkung
der Kirche beruhte mm grösstcn Teil in ihrer freien Lage auf dem Kirchbofs-
hUgel, die Erhaltung des Turmes allein beliess demnach die äilhonette des
Orte» in ihrer charakteristischen Form. In ähnlicher Weise ist wiederholt bei
dem Abbruch von Kirchen Gewicht darauf gelegt worden, daas der Turm
stehen bleibe: so sind mit üntei-stUtzung der Provinzialkommission die Türme
zu Büderich, Scrrig, ückerath in den letzten Jahren erhalten worden.
Für die Wiederherstellung des Turmes wurden vom Pvovinzial-Ausscbnsa
der Rheinprovinz am 18. Mai 1894 800 M. bewilligt. Die Abbrnehsarbeitcu
wurden auf Orund eines Vertrages einem Unternehmer aus Mettmann zu 650 M.
übertragen, ans dem Abbruclismaterial sollten 2M M. gewonneu werden, so dass
tUr dio Wiederherstellung des Turmes noch ca. 350 M. blieben.
106
Bericht Über die ThBtigkeit der Frovinztalkommisston
Nach dem GntachteD des Provinzialconaervators waren folgende Arbeiten
vorgesehen: Die mndbogige 2,27 m breite Oeffnong des Tnrmes nach dem
Laogbause sollte g^chlossen und in diese das Bildliche Hanptportal des Lang-
banses eingesetzt werden. Das nach Westen an der Stelle des nrsprflnglicfaeD
Fortals belegene Fenster sollte an seiner Stelle belassen and nach Innen mit
Holzladen versehen werden. Die in dem Gewölbe der Tnrmhalle dir die
Fig. 11. Gniitcn, kntliol. Pfnrrkirclie vor drm Abbrueh.1
Glockenseilc gebrochenen Lüclicr sollten vcmianert, die Tiillr zn der bislier
vom Langhange aus in der Mauorstärkc eniporfllhrendeii Treppe zu den oberen
Tnrmgesehosseii sollte mit einer IJolilenthUr geseblossen, ausserdem sollte am
Turm seibat die durch den Blitz bescliiuligtc Slldwestecke erneuert werden.
In der auf diese Weise entstandenen Kiipelle sollten sodann das spätgothiscbe
Sakrain" ' ' "nsclien aus dem GhorhauH mit seiner schmiedeeisernen Tbtlr eio-
für dte Denkmalpfl^fe In der RhsliiprovJiis. 197
gemauert, auBBerdem die bisher vor dem Altar helcgenen Grabstein platten an
den Wänden befestigt werden. Der gaoze Uaani Bellte dann als Kirchhofa-
knpelle weiter dienen.
Im Frühjahr 1895 wurden dnun das Langhaus und die Apsis der Kirche
niedergelegt. Bei den seitens des mit der Aufstellung eines speziellen Kosten-
anschlages rnr die Instandsetzungen des Turmes beauftragten KreißbauingpekturB
Baurat Thielen in Elberfeld vurgenummeneu gründliehen Untersuchungen des
Tnrmea nnd der wieder zn verwendenden Aichitek turteile des RUdportals am
früheren Langhansc stellte sieh nun lieraas, dass die romanischen Sänlen mit
dem verbindenden Rundstahe an genanntem Portale vollständig verwittert waren.
Eine Wiederverwendung dieser Teile war deshalb völlig ausgeschlossen; von
einer Ersetzung der verwitterten Architcktiirteile durch neue Werkstücke musste
wegen der damit verbundenen hohen Kosten Abstand genommen werden, da
die Kosten für die anderweitigen als dringend notwendig zu bezeicl inenden
Instandsetzungen am Turme schon die für die Wiederherstellung desselben be-
willigte Summe weit überschritten. Ferner ergab sich bei diesen Untersuchungen,
dass eine vollständige Erneuerung sowohl der Schalung wie der Sehieferein-
deckung notwendig war. Die Gesamtkosten för die Instandsetzung des Turmes
wurden daraufhin in dem aufgestellten Speziatanschlage zu 1785 M. ermittelt.
Da nun für das Jahr 1895 nur mit der verfügbaren Summe von höchstens
350 M. gerechnet werden konnte, so wurden in diesem Jalire nur die Arbeiten
bei Schliessung der TurmOtTnung nach dem früheren Langhanse, die Arbeiten
am Fenster an der Westseite, die notwendigsten Ausbesserungen am äusseren
Turnimauerwerk, die Herstellung einer Bohlentliürc an der Treppe zu den
oberen Turmgeaehossen, die kleineren Arbeiten am alten Turrahallenge wölbe,
an den Wänden des entstandenen Kapcllenranuies, die Herstellung eines Platten-
belages daselbst, die Anbringung des Sakramentshänscbens ebendaselbst und
sonstige kleinere Instandsetzungen ausgeführt. Die Kosten beliefen sich hier-
für auf 35Ü M.
Nachdem der Provinzial-Ausschuss anf Grnnd des Kostenanschlages des
Königlichen Kreisbaninspektors am 28. Oktober 1896 eine weitere Beihilfe von
1535 M. bewilligt hatte, wurden die Arbeiten im Sommer 1897 wieder aufge-
nonmieu. Neu hergestellt wurde die ganze Schalung nnd Schiefereindeckung
einschl. der Einfassung der Grate mit Blei, auch wurde« schadhafte Holzteile
an der Turmkonstruktion ausgewechselt. Der Anstrich des eisernen Tnrm-
krenzcs nebst Kugel und Bleimantcl wurde erneuert. An Stelle des verwitterten
alten Hahnes aas Eisenblech wurde ein neuer kupferner Hahn in den gleichen
Abmessungen wie beim alten Hahn angebracht. Ferner wurden neue Jalousien
aus Holz für die Schalltöeher hergestellt, soweit solche fehlten, die andere»
haben einen neuen Anstrich erhalten. Sehliesslich wurden die schadhaften
Stellen an den Aiiseenaeiten des Turmmatierwerks gründlichst ausgebessert.
Die Gesamtkosten für die WiederherBtellung des Turmes haben 1777 M.
betragen. Die Arbeiten wurden unter Leitung des Kreisbauinspektors Banrat
Thielen zu Elberfeld aufgeführt. Giemen.
rhHHglteit der Proviml«
8. Heisterbach. Wiederherstellung des Clioresder
A b t c i k i r e h c.
Hal(t nachdem im J. 1803 die CistercienBcrabtei Heisterbach anrgehobcn
worden war, hatle die Rcgiernng des GrossiierzogttiniB Berg Verhandlungen
angekiitliift wegen des AbbrndicB der Kirche und der Klostergeliände. In
den Jahren 1808 und 1809 wurde eine eingehende Materialtaxatiou anfgestellt,
(erhalten imStanloarcliiv xn Düsseldorf), worin der Wert des Kircliengcbämfes
selbst auf 3»7ÜTbaIer aligeschätKt wurde. Im J. 1809 wurde daraufhin durch
die Regierung die Kirche für den genannten Preis „mit Aussrlilnss aller auf
den Gottesdienst sich beiEiehcnden Geräte au Altiircn. lieicbt- und HetstQhlcn,
Bildern, Crueifisen, Bänken u. s. w." an den Unternehmer Piauta/, auf Ab-
bruch verkauft. Die Kirchenglocken waren bereits i. d. J. IHOö n. I80ti ver-
kauft und nach DüsBcldorf Ilhcrfubrt wurden, das Eisengitler mit dem RelJ-
()uii-nit1tar war dem Prior von NcumHlIer für die HtilHkircbü in Obeqdeis
tlberla^xen worden, auch der Ilochaltar und das Übrige vom Verk^uT .lusgc-
für flle Denlcninl pflege In der RhelnproHni
199
: Inventar sollte in der gleichen Weise an Kardien abgegeben werden.
Die ganze Ausstaltung der Kirche im Augenblick der Aufhebung ist in einem
noch erhaltenen Inventar v. J, I8Ü3 einzeln aufgezählt (DUsBcldorl', Staatsarchiv,
Landeslierrliche Aufhebungsakten betr. Heisterbaeh).
Im J. 1810 begann der ünteniehm*r Piaulaz das Werk der Zerstürung.
Das Baumaterial — lirohlthaler Tuff und Stenzelbcrger Trneliyt für die Hnu-
stcinteile — war urspriinglieh ttlr den Festungsbau in Jülich bestimmt; duch
ist nicht (las gesamte Material dorthin gewandert, sondern /um Teil anch nach
Neuss und Küln. Der Abbruch sehritt von Westen nach Osten vor — man
ging sehr gröndlich vor; aneh die Fiindaniente wurden 7.um grosaeu Teil be-
seitigt; die aur&teheiidcn Mauern niusslcn durch Minen gesprengt werden.
Nachgrabungen, die im J. 1896 nach meinen Angaben auf dem westticlica
Vorplatz augestelll wurden, ergaben, daes die Fundamente gründlich /.erstOrt
waren; der kryptejiartige Keller unter dem Weslbau, den Borsser^e ge-
zeichnet hat, war nicht auf/utinden. Nur durch einen Zufall blieb der Chor
erhalten — wahrscheinlich durch die eiagetrcteuc Stockniig an dem Festnngs-
hau /u JUlieh. unter den barbarischen Verwüstungen, dencu in den ersten
beiden Jahrzehnten unseres Jabrliunderts eine ganze Reihe der wertvollBten
Denkmäler des Rbeiulaudes -/.um Opfer fielen, war diese die barbarischste, na-
verständ Heilste, unberechtigtste, achinipflieliste.
Es nicht Aufgabe dieHcs Berichtes, eine ausführliche Geschichte des
merkwllrdigen Denkmales zu geben. Eine eingehende Untersuchung darüber
wird die in Vorhereilung befindliche Denkmälerslatistik des Siegkreises bringen.
Die von Himmerode ausgezogenen Cistercienaer halten /.nrüchst auf dem Strora-
beig im Siebfngebirge eine Niederlassung gegründet, waren aber schon nach
wenigen Jahren in das angrenzende Heisterbachcr Thal heruntergezogen, das
]et/.t zu einer zweiten clara vallis wurde. Die neue Kirche war 1202 begonnen
worden, war bereits 1227 soweit fortgesoliritten, dass eine grossere Reihe von
AltSren geweiht werden konnte, der Bau der Kirche ward aber erst 1237
abgeschlossen, und am 18. Oktober der Hochaltar eingeweiht.
Über die Geschichte der Kirche vor allem zu vergleichen: Jongeliiius,
Notitiae ahbatiaruni nnliuis Cistertiensis EI, p. 334. Die ältere Littcratnr vull-
zilhlig hei L. Janaoschek, Origines Cistereiensium, Wien 1877, I, S. 189
und in den Studien und Mitteilungen a. d. Benediktiner- und Cistercienser-
orden XI, S. 464. Von neuen Darstellungen ist in erster Linie zu verweisen
auf W. Harless, Heigterbaeh: Bonner Jahrbfleher XXXVII, S. 45. — von
Strainberg, Rheinischer Antiquarius 3. Abfeilung, Bd. VIII, S. 558 ff. —
0. n. Ch. Maassen, Geschichte der Pfarreien des Dekanates Königswinlor,
a. 323 fr.
Auch die eminente Bedeutung, die die Abteikirche zu Heisterbaeh fllr
die rheinische und für die ganze dcnlsclie Knnstgegcbichle hat. braucht hier
nicht besonders hervorgehoben zu werden. Die Kirche war die umfangsreicbsle
und künstlerisch wertvollste aller rheinischen CHstercicnscrbaulen vor der Er-
richtung des Alteubergcr Domes und unter allen Versuchen, innerhalb der
fttr die Deidtinalpfle^ In dar BhelnproTias.
SOI
Fciniieu iiud der Fesseln dea rbeinJRcheii Übergangsstiles doch eclion (leu Ge-
HCtzcu der an die Thore der Rlieinlaude pochenden frauzögisclicn Gotliik zn
entepreehen, der wichtigste, der originellste, gesehioBsenste und künstlerisch
reichste, bei dem man noch mit dem relativ grössten Recht von einer deutsehen
l'rotopothik reden dürfte. Es scheint, meint Dohnie nicht mit Unrecht, als ob
der Meister, mit dem Wesen der gothischen Constrnktion vollständig vertraut,
den Nachweis liabe liefern wollen, wie man dieselbe ungeschmälert sieh zn
Nutzen machen nnd doch das offene Strebewerk vermeiden kiinne. Es dürften
hier nber auch in der Grund rissdi^position und im Aufbau noch stärkere Ein-
wirkungen französischer Ordenskirchen zu konstatieren sein. Im Aufbau steht
der Ileisterbacher Kirche kein Bau näher als die Cistercienserabteikirehe m
Poutigny, die ein halbes Jahrhundert frUlier vollendet war, und die merkwürdige
Form des halbrunden Chores mit den kapellenarfigen Nischen darin entspricht
fast vollständig der Chorbildung an der Abteikirchc zn Dommartin (Baron A. de
Calonne, Histoire desAbhayes de Doinmartin et Saint-Andre-an-Bois, 1875. —
C. Enlart, Monuments religieux de l'arehiteeture romnne et de transition dans
la region Picarde. Anciens diocfeses d'Amiens et de Boulogne, Amiena 1895,
p. 104. Auf p. 107 lleisterhach neben Dommartin abgebildet). Nur ist in
Heisterbaeh diese Nisehcnanlage (vgl. den Gnindriss) auch im ganzen Langhaus
durchgeführt und iu einer ganz genialen Weise ausgenutzt, um die gleichsam
nach innen gezogenen Strebepfeiler zu maskieren.
Von dem abgebrochenen Bau sind nur die Aufnahmen erhalten, die Sulpice
Boisser^e (Denkmale der Baukunst am Niederrhein, München 18.33, Taf. 39 — 44)
veröffentlicht hat. Nach der Boisser^eschen Aufnahme ist der beiliegende
Grandrisa (Fig. 13) kopiert und mit Benutzung dieser Aufnahmen sind von dem
Herru Dombaumeister Baurat Tornow in Metz die beiden Perspektiven (Fig. 12
u. 14i angefertigt. Den hochinteressanten Anfbau des Chores endlich führen
die drei Orundrisse vor, die von Herrn Baurat Eschweiler in Siegbnrg auf-
genommen sind (Fig. 15). Die Aufnahmen sind in dankenswerter Weise ftlr
die DenkmiilerBtatistik zur Verfügung gestellt worden.
Die Ruine hat in den letzten drei Jahrzehnten eine ganze Reihe von
Sichernngsarbeiten nötig gemacht. Im J. 1870 wurde das schadhafte Halbkuppel-
gewöibc der Apsis, das ganz olfen lag, mit einer Cementabdecknng versehen.
Eine erste gründliche Wiederherstellung erfolgte dann in den J. 1878 — 1880.
Im J. 1879 wurde zunächst der Choruingang, der bis zur Höhe der Wölbung
de» Kapellenkranzes vollständig verschüttet war, freigelegt. Im Anschluss
daran wurden die beiden grossen Strebepfeiler zu beiden Seiten des Triumph-
bogeuB wiederhergestellt, cbeuso wurde das ganze äussere Mauerwerk an der
Ostsette repariert, die daselbst befindlichen sieben Chorfenstcr und die sechs
grossen Strebepfeiler wurden ausgebessert, die vier Gewdlbeanfänger nach dem
Mittelschiff und den Seitenschiffen wurden abgedeckt nnd wiederhergestellt.
Bei der Freilegniig des Choruragangcs hatte es sieh ergeben, dass die äussere
Dmmantcinng grfisstenteils aufgebrochen war; nur am Sockel nnd an einigen
kleineren Stellen fand sich der alte Mantel in Stenzclberger Trachyt noch vor.
Im J. 1885 wurde dieBe ümmantelung genau nach dorn Magtcr der noch vor-
handcuoß Teile und im gleioUcn Material wiederbergeBtellt; gleichzeitig wurden
die Wölbungen der Biehcn Nischen des Chörumgangea wiederlierffeHtellt und ea
wurde der ganze Chorumgang mit einem Schieferdacli versehen (im nntoraten
für die Denkmalpflege In tier ftheinprörUia.
»8
Ornndiiss sind die wiederhergestellten Teile heller eingezciehnet). Die Kosten
betrugeu in der Banperiode 1078—1880: 2960 M., zu denen der Provinzial-
vcrwaltniigsrat 15Ü0 M., der Besitzer, Se. Erlaut-lit der Graf zur Lippe-
Bieaterfeld, 500 M., der Veraphönerungavercin für das Siebcugebirge lOOUM.
bemlligtcn; in den J. 1885 — 1886 betrugen die Kosten 41n4 M.: hierzn be-
willigte der Provinzialverwaltungsrst 2200 M., der Besirzcr und der Versehflne-
rnngsverein je 1000 M. Die Arbeiten wnrden seit dem J. 1818 unter der
Leitung des Herrn Battiats Eschweiler zu Siegburg ausgeführt.
Die im J. I87ü über dem Kuppelgewölbe angeUracIite äussere Cenientab-
dccknng hatte nur einige Jahre hindnrcli gut gehalten; naeh und nach stellten
sieb aber immer mehr Risse ein, die fortgesetzte Reparaturen veranlassten. Das
Tngewa8»er drang durch die sich immer wieder ßffuendcn Risse und durch neue
.Sprtlngeduich und veranlasste den Beginn der Verwitterung def Tuffstein Wölbung,
in diesem Zustand stellte die ganze .Abdeckung geradezu eine Gefahr fllr das Ge-
wölbe selbst dar, da in den Rissen und HidilrUnmen das Wasser festgehalten
und immer von Neuem auf die selion schadhaften .Stellen geleitet wurde. Auf
einen Antrag des Vorstandes des Verse hCmerungB verein« für das Siebengcbirge
hin bewilligte der IVovinzialsnusaehnsB unter dem 4, M8r/. 1896 fUr die nötige
Instandset/.ung die Summe von 2000 M., und setzt gleichzeitig eine aus den
Herren Geb. Baurat Cuno in Cublenz, Geh. Baurat Htübben in Köln und
dem i'rovinzialeonser Vfltor bestehende Subknmmission ein, um über die Art des
Schutzes der Ruine uocli weitere Cntersueliungen anzustellen.
Bei einer Zusammenkunft in ticistcrbaeli am 7. Juni 1896 wurde nun zii-
nSchst festgestellt, dass die ganze Ruine sich in Bewegung befaud. Auf der
Abdeckung des Kuppelgewölbes waren nene Risse siehlbar geworden, das Ge-
wölbe selbst war feneht und wies eine Anzahl von mllrben und sehadhaflcn
Stellen auf. Es handelte sich hiernach um eine doppelte Aufgabe: Reparatur
der schadhaften Stellen und dauernde Sicherung des Gewülbes durch einen
bessere Gewähr versprechenden Schutz. Im Interesse der Wirkung der Ruine
erschien es natürlich zunächst erwünscht, keine neue Zuthat zu schalfen, die
den jetzigen Eindruck beeintrJiebtigen oder auch nur verändern würde. Als Ab-
dcekungsmiltel konnten mir noch Asphalt und Blei in Betracht kommen. Aber
auch bei dem orstcrcn war ein Zerspringen und Rissigwerden nicht zn ver-
meiden und ein wirkliches Trockenlegen des Gewölbes selbst «ar aneb bei
Bleiabdeckung ansgesehlossen. Es wunle deshalb nach dem Vorschlage und
Plane des Herrn Bnurals Eschwciler ein niedriges Halhkcgcldacb direkt
über dem Gewölbe in Aussicht genommen, von der Anbnugnng einer Dachrinne
sollte aber bei der Iciebten Mfiglichkeit einer Verstopfung und bei der Schwierig-
keit einer rogeluiilssigen Beaufsichtigung und Reinigung ganz abgesehen werden.
Der Dach überstand sollte direkt über d^-in alten Daehgesinis aufsitzen, die in
Cement ansgeführte höbe Rinne, die bei der letzteu Rcslaurnlion hergestcJlt war,
war zu diesem Zweek wieder zn entfernen.
Das Dach wurde im Laufe des J. 1896 in der Form ausgeführt, wie e*
die Ansicht und der Schnitt Fig. 16 zeigen. Der Dachslubl besteht ans 16
904 Berii^ht fiber die Tbßtiskeit der Provlnzlatkommlsslon
Fig. 15. Heislerbach, Alileikirche. Grundrlsu? von Obergaden, VmgAng u
EapeUeukiBDz der Cbonuia«.
für (lio Denkmalpfiege in der Hheioproi
205
(inreli laufenden Sparren und 15 Halbeparren, die Sparrcneehwellen sind mit
Bolzen direkt an das Mauerwerk befestigt, bei der geringen Neigung des Daches
erhielt die Bedachung zunächst ein ünterlager von asphaltierter Dachpappe und
wurde dann mit Schiefer dicht eingedeckt. Die Spitze des Daches wurde imeh
der Westseite zu durch eine etwa 40 cm hoho Aiifmauerung in Tuffsteinen mit
nnrogelmässigen Urnnsscn verborgen, so dass das ganze Dach von dem west-
lichen Wicsenvorplatz aus überhaupt nicht in Erecbeinung tritt. Es ist ledig-
lich von dem U8tlichen Bergabbaiig und von einem kurzen Abschnitt der Land-
etrasse aus sichtbar.
Im Laufe des Jahres 189T wurden die verwitterten Teile des Kuppelge-
Pi^. 16. Heisterbach, Abteikirche. Ansicht der Chorruine and Schnitt durch dos
Chorgewolbo mit dem 18&6 errit-liteteii Si-hutiiduuh.
wfllbes, das unterdessen ansgetrocknet war, wiederliergestellt. Die in der Sub-
stanz angegriffenen Tuffsteine wurden sorgfältig ausgezwickt und durch neue
ersetzt. Das Gewölbe hatte eine ganze Reibe von Löchern, in denen Fleder-
mäuse eicli ange^iiedelt hatten. Die Löcher wurden durch neue Tuffsteine
ersetzt und alle Fugen in Kalk-Cementniörtel verstriehen. Dann wurde der
Putz an den Sohlbänken und in den Laibungen der Apsidenfenster in verlänger-
tem Kalkcementmörtel erneuert, wobei der Ton des neuen Putzes dem alten
tfaunlichst augepasst wurde. Eine besondere Sorgfalt verlangte noch die Siche-
rung der beiden GewölheaniUnger des Mittelschiffes, die uebst den noch erhalte-
206 Bericht über die Thätigkeit der ProTinzialkommission
nen Teilen des Obergadens den Einsturz drohten. Im Anfang dos Jahres 1896
waren hier ganze Particen heruntergestürzt, so dass die eine Seite der Buino
hatte gesperrt werden müssen. Diese Manerteile ganz zu opfern schien nicht
angängig, weil sie eben noch das System des Langhauses zeigen und dadurch
einen ganz besonderen Wert haben. Die den Einsturz drohenden Teile wurden
deshalb herabgenoiumen und mittelst einer unsichtbaren Eisenkonstruktion wieder
befestigt, die oberen Schichten sämtlich mit dichten Fugen, aber ohne künst-
liche Abdeckung, die den malerischen Charakter der Ruine verwischt hätte«
Ebenso wurden die schadhaften und losen Steine an den- Resten der beiden
Rosettenfenster abgenommen und mittelst Dübeln und Klammern neu befestigt.
Die Gesamtkosten dieser Reparaturen betrugen 2550 M., die Kosten des
Daches beliefen sich auf 760 M., die der Sicherungs- und Ergänzungsarbeiten
am Mauerwerk auf 1640 M. Die Provinzialkommission bewilligte unter dem
27. Juli 1897 noch den Betrag der- Mehrkosten gegenüber der ursprünglichen
Anschlagsumme von 2000 M. in der Höhe von 550 M. Die örtliche Leitung
lag wieder in den Händen des Herrn Baurat Eschweiler von Siegburg; die
Ausführung wurde dem Bauunternehmer Scheidgen in Königswinter über-
tragen. Die Erhaltung der Ruine ist in vorderster Linie dem dauemden Interesse
und der liberalen Förderung seitens des Eigentümers, Sr. Erlaucht des Herrn
Grafen zur Lippe-Biesterfeld, Regenten in Lippe, zu danken.
Die Chorruine von Heisterbach erscheint durch diese weitgehenden Mass-
nahmen vorläufig in ihrem Bestand durchaus gesichert. Der ganze Bau be-
findet sich aber seit langer Zeit in Bewegung; durch den Abbruch des Lang-
hauses ist insbesondere die Widerstandskraft des Triumphbogens erschüttert.
Sollten an der Giebehnauer des Triumphbogens weitere Schäden eintreten, so
würde oberhalb des Kuppelgewölben auf der Ostseite ein langer Anker anzu-
bringen sein, der auf beiden Seiten mit grossen Schlüsseln einen möglichst
breiten Teil des Mauerwerkes zu fassen haben würde. Das Denkmal erheiöcht
jedenfalls dauernde sorgfältige Überwachung und Unterhaltung.
Giemen.
9. Koblenz. Wiederherstellung des ehemaligen Deutsch-
Ordenshauses.
Neben dem Castorhof, aiii deutschen Eck, auf der Insel an der Mündung
der Mosel in den Rhein, die erst bei der zweiten Umfestigung von Coblenz
um das Jahr 1280 mit der Altstadt in Verbindung gebracht wurde, hatte der
deutsche Orden im Jahre 1216 unter dem grossen Hochmeister Hermann von
Salza eine erste Niederlassung errichtet. Es war zugleich die erste Besitzung
des Ordens in den Rheinlanden, der spätere Sitz der Commende Coblenz und
der Hauptsitz der Bailei Coblenz, der bedeutendsten der Balleien des Ordens
in ganz Westdeutschland. Es stand an der Stelle schon ein Spital des St.
Florinsstiftes, von dem in dem Moselflügel noch Reste erhalten sind. Unmittel-
für die Diiiiik mal pflege in der Rhoinprovit
207
bar nach der GrOnJang waren die ereten Neuliaiiten in den Formen dee
riioiniiiohen ÜbergangsHlilcs aurget'Ithrt worden, am Ende dca JahrLunderts war
dann die fruligotliisclie Ordenskirclie erriclitet worden; weitere Neubauten und
OinbantcD braeliteii das 14. «nd 15. Jahrhundert; im Jahre 1676 nnd auch
in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts fanden weitere bauliebe Umgcstal-
tiingen statt.
Kurz naeh Anflösang des Deutschen Ordens iiu Anfang dieses Jahrliundcrts
wurde unter französiselier Herrechaft durch den General Guerin, der die aus-
gedehnten Räume des Üeutsch-Ordenshanses xii seinem Wohnsitze umgestalten
wollte, die Ordenskirche niedergerissen. Dem Zersttirungswerke setzte der Gang
der Geschiehte ein baldiges Emie, so dass Reste der Ordenskircbe und ein
kapellen artiger Anbau glücklicherweise erhalten blieben.
Seit der Besitzergreifung der Rheinprovinz durch Freussen dienten die
Banliebkeiten bis zum 1. Juli I89ö lediglich als Maga/.ine mid Kornspeicher
fllr die Militärverwaltung.
Das gauze Gebäude war zu diesem Zwecke mit neuen Buden durchzogen
worden, die Wände waren Uberputzt, die reizvolle Werksteinarchitektur wie
die Wandmalereien waren gänzlich verdeckt; das ganze Gebäude machte dazu
nach aussen einen verwahrlosten und unscheinbaren Eindruck,
Als das Gerncht sich verbreitete, der Militärfiskus beabsichtige die Ver-
äusscrung der Baulichkeiten, die den an ein Proviantmagazin zu stellenden
Aufordernngen nicht mehr entsprachen, wurde der Abbruch der dUsteren Ge-
bändemassen in weilen Kreisen als nahe bevorstehend angesehen. Ihre Majestät
die Kaiserin Augusta war die erste gewesen, die auf die Bedeutung des Baues
wieder hingewiesen hatte: sie hatle die Erhaltung des OeutschÜrdenshanses
als historische Ptliclit bezeichnet. Aber noch nachdem Se. Majestät Kaiser
Wilhelm ]I. die Entscheidung getroffen halle, dass das von der Rheinprovinz
zu errichtende Denkmal für Kaiser Wilhelm I. am „Deutsehen Eck" seine
Stelle erhalten sollte, wurden .Stimmen laut, die den Abbruch des Dentsch-
Ordenshausee als wOnschcnswert bezeichneten, da die Gebäude angeblich nicht
in die ümgebnng des zu errielitenden Kaiserdenkmales passlen.
Die Erhaltung des geschichtlich bedeutsamen und baukUnstleriscIi wert-
vollen Dfutsch-Ordenshauses war erst gesichert, als die prcussische Süiatsver-
waltuug das Interesse der Dcnkmalptlege wahrnahm und das Deutsch-Ordens-
haus von der Reichsverwaltung ankaufte.
Dem um die Denkmalpflege der Rheinlande hochverdienten verstorbenen
Geheimen Baurat Cuno gebnhrt der Dank dafür, dass dem ehemaligen Ürdens-
gebäude eine würdige Bestimmung und Ausgcstaltuug zu teil wurde.
Da die liisher dem Staatsarchiv zugewiesenen Räume in dem Ktintglicben
ßegierungsgebäude schon längst nicht mehr ausreichten, wurde der Umbau
des Deutsch-Ordenshanses, das naeh seiner isolierten Lage hierfür besonders
geeignet war, fUr die Zwecke des Staatsarchivs ins Auge gefasst.
Dieser umbau und die damit verbundene Wiederherstellung der Baulich-
keiten des Dentsch-Ordcnshauscs erfolgte iu den Jahren 1890 bis 1897 nach
SOB Bericht Aber (be Tbtti^MU:d«r PiOTinsüdkoiublarioa
Flg. 17. Koblenz, ehemal. Deatscb-OrdensluiiU' OrnndrlsB.
für (iie Peiikinal pflege iu licr RheloproviiiK. 209
den im Ministcriiun der öffentlichen Arbeiten geprüften Entwürfen. Die spezielle
Pi-üfnng in dem genannten Ministerium fand dureli den Geli. Banrat TliOr
8tntt; der im allgemeinen dnreb die Aufdeckungen vorgezeiehncte Weg /.nr
Wiederherstellung des früheren Znstandes im Sinne der Denkmalpflege wurde
im besonderen durch den Conservator der Künstdenkmäler, Hen-n Geb. Olier-
Keg.-Rat Pcrsius, festgelegt.
Die Oberleitung des Umbauet^ lag in den Händen des Geheimen BanrateB
Cuno bis zu seinem Tode im Juli 1896 nnd ging alsdann llber auf den Ge-
heimen Baurat Launer.
Die spezielle Bauleitung war dem Regiernngs- Baumeister Haltermann
übertragen, der auch unter Leitung des Geheimen Banrafcs Cuno mit der Auf-
Ktellung des Entwurfes betraut gewesen war.
Für den Entwurf bildete die spätere Zweckbestimmung des Baues die
besondere Grundlage.
Wenn auch bei Anfstelluug des Entwurfes auf eine rafiglicbBt getreue
Wiederherstellung des alten Zustandes des DeiitBeli-Ordensbauses gcrücksiehtigt
wurde, so konnte doch au eine Restauration in des Wortes eigentlicher Be-
deutung von vornherein nicht gedacht werden.
Den wesentlichsten Anhalt für die zunächst ins Ange gefassten Wieder-
herstellungen boten die von dem jetzigen Münsterbanmeister in Strassburg,
damaligen KOnigl. Landhauinspektor, Ludwig Arntz, gefertigten Aufnahmen
de» Deutseh-Ordenshaiises, die auch die Grundlage bei den Verhandlungen
wegen der Beetirauiung des Gebäudes für die Zwecke des Staatsarchivs ge-
bildet hatten.
Bald nach Inangriffnahme der Bauausführungen wurden beim Abbnieh
von Mauern und bei Entfernung alten Putzes Architckturtoile und Bemalungen
frei gelegt, welche die gehegte Hoifnung auf bcnicrkens werte Funde hestärkteu.
Das Haiiplangenmerk der Bauleitung war nun darauf gerichtet, soweit
es sich mit dem Baubetrieb und den Bauausführungen vereinbaren Hess, wo
nur irgemi ein Anhalt für erfolgreiche Aufdeckung vorlag, zur Freilegung von
Mauerwerk nnd Putz zu schreiten. Hierbei fand die Bauleitung dankenswerte
UuterstUtznng dnreli die zeitweilig überwiesenen Regiernngs- Bauführer Colley,
Miehol, Sackur, Pcisker und Hötig, welche die Freilegung von Architektur-
teilen und Malereien sieh angelegen sein liesseu und mit Eifer dabei mit-
wirkten, die mit Rücksicht auf die Zweckbestimmung der Räumlichkeiten nicht
zur Ausführung zu bringenden Wiederh erstellnngcn und Ergänzungen durch
Aufnahmczeichnungen für später festzulegen.
Die ganze Anlage, wie sie bei den Aufdeckungsarbeiten festgestellt wurde,
und wie sie im weseutlichen bei dem Cuobau wiederhergestellt werden konnte,
ist von ganz ausserordentlichem baugeschichtlichen nnd hnnstgcschiehtliclien
Wert: es ist die einzige frühe Deutsch-Ordensanlage in Westdeutschland, die
Überhaupt vollständig erhalten ist, von hfichstera Interesse durch das Vorwalten
der Formcnsprache des Profanbaues gegenüber den gleichzeitigen Anlagen der
geistlichen Orden in den Rheialauden und durch die deutlichen Beziehungen
Jalirb. ilus Var. v, Altärthifr. tin Baolnl. lOJ. 1(
!
filö Bflrieht Aber die "RiUlskelt der ProvinzUlkommlsBloii
zu den ostpreiissiacben Schfipftangen des OrdeDB. Die Anlage wird darch
die beigefügten Illustrationen rerdeatlieht, die nach den Inventarienzrach-
nuiigcn angefertigt sind (Fig. 17 — 21). Die Tafel mit der Ansieht des Dentach*
Ordenäliauses voui Rhein her zeigt den Bau in Verbindung mit dem grossen
Denkmal KaiBer Willichns, das die Bbeinprovinz am Dentschen Eck errichtet
hat. Auf die Wirkung gegenüber dem Denkmal nnd im engeren Zssammen-
bang mit dem weiteren Stadtbild muaste bei der DurchfOhning der Arbeiten
besondere EUcksicbt genommen werden: Die Ansicht zeigt, dasa das Deatsch-
Ordenshaus mit der schweren Bastion sich auf das Gltteklichste dem ganzen
Städtebild eingliedert.
Das Omndstflck des Dentsch-Ordenshanses in Coblenz wird nach Korden,
Osten nod Westen von der Hoselwerft, der Bheinwerft nnd dem Castorplalze
begrenzt, gegen Snden dehnt sich der zogehorige, etwa 23 ha grosse Garten
ans, m welchen die Schatten des ehrwürdigen Castordomes fallen. Der Hanpt-
zugang zur Anlage liegt gegenwärtig am Castarplat/.. Von ihm ans betritt
mau einen Hot', auf dem sieb ebemals die frUbgotbisebe Ordenskirche erhob.
Von der Kirche selbst igt, wie Eingange erwäbiit, bei dem Abbrach zu An-
fang dieses Jahrhunderts nur noch ein Teil: die bis zur KftmpferhShe der
Fensterbügen niedergelegte sUdlicbe Feusteiwand und eine Kapelle, das soge-
nannte Oratorinm (Fig. HD), erhalten geblieben.
Die nach Freilegung der vermauerten Fcngteröffnimgen malerische, mit
rankendem GrUu bewacbsene Feustcrwand und die Kapelle bilden den Ab-
schluBB des Hofes gegen den grossen Garten.
Die Wand weist noeb einige bemerkenswerte Werksteinarbeiten o. a.
reichausgebildctc Kragsteine mit der mittelalterlichen Bemalung anf. Die sich
ehemals an den Chor der Ordenskirche anlehnende gut erhaltene einschiffige
Kapelle zeigt reizvolle InneDausbildnng.
Die fUr den Umbau des Deutsch-OrdensbaueeB bereit gestellten Mittel
omfassten nicht die Wiederherstellung des Oratoriums.
Auf Anregung des Königlichen Ober-Präsidenten der Rheinprovinz, Herrn
Nasse, Excellenz, sind Staatsmittel erbeten, um auch dieses Oratorium, ein
wirkliches Kleinod der mittelrheinischen Gothik, in seiner reichen Formen- nnd
Farbengebnng wiedererstehen zu lassen.
Vom Eingangshof gelangt man durch eine im vorigen Jahrhundert ange-
legte Durchfahrt im WestflUgel — deren Einfahrtsbögen im Schlnssstein das
Wappen eines Gomthura des deutseben Ordens von Mirbach tragen — nach
dem Hanpthofe. Dieser Hanpthof, von drei Seiten durch die Baulichkeiten
des Ordenshaoses : den West6Ugel, den MoselflUgel im Morden nnd den Rhein-
dUgel im Osten eiogeBchloesen, Öffnet sich an der SQdseite nach dem grossen
Garten nnd giebt den Blick auf die Castorkirche frei.
Der WestflUgel (vgl. den Gmndriss Fig. 17C nnd den Schnitt Fig. 18
von Osten her gesehen) mit geräumigen Kellerränmen war frUber in seinem
oberen Geschosse angenseheiolich zu Wohnzwecken bestimmt. In ihm sind
nunmehr die Arbeitsränme der Archivbeamten untergebracht
für die Denk miti pflege in rler Uhcinprovinz. 211
Er enthält den ülteeten Teil iler Anlage, den sogenannten „alten Ban".
Der alle Bau war, bevor er mit einem nacli Süden sieb erstreckenden Anliau
den jetzigen Westflfigel bildete, von quadratischer Gnindrissform und eutbicU
ausser einem tief gelegenen Keller, ein GesehoHS zu ebener Erde und ein
Obergeseboss.
Die ältesten Teile dieses „alten Baues" gehören noch der ersten Ban-
]icriodc des Deutsch-Onleusbanses unmittelbar nach 1216 an. Den besten
Begriff von der ursprünglichen reichen Ansbildung dieses Baues geben zwei
reichbemalte gekoppelte Fenster des Obergescbossos in der früheren nördlichen
AoBSenwand des alten Baues, die aufgedeckt und in ihrer ursprünglichen Ge-
stalt und Benialung als Blenden in der gegenwärtigen Vorhalle zu den Arbeits-
ränmcu wiederhergestellt wurden. Die Vorhalle selbst wurde den aufgefnndeuen
Resten entsprechend ausgemalt (Fig. 20, der Tcppiehfries der Abbildung ist
nicht znr Ausführung gekontmen).
pig.
KobienK, nhemal. DeutBch-Ordenshaus. Schnitt durcli den UV-slflügpl,
Der zu ebener Erde gelegene, auf vier — nicht mehr der romanischen
Zeit angehörenden — Basaltsatdcn überwölbte Raum ist von den ihn durch-
querenden Mauern — gleichfalls Einbauten späterer Zeit — befreit und als,
znrn Teil offener, ballenartiger Vorraum am Hauptzu- und aufgange zu den
jetzigen Archivräumen ausgebildet. Durch Mauerausbrüehe sind parehblicke
in die an die Halle anschliessenden Keller gcschalTen, welche jetzt zur Auf-
nahme der zahlreich in den ausgebrochenen Manem anfgefundenen, nicht
wieder zur Verwendung gekommenen Architekturreste dienen.
An dem alten Bau konnte mit Sicherheit eine frühere Bemalung der
Aussenflächeu fesigestollt werden sowohl unter den deckenden Putzschichten
als auch an den Ecken dieses Bauwerks, da wo bei nachmaligen Erweiterungen
212 Bericht über die Tlilttigkeil der ProviiutialkommisBion
die FroutaDScblnssinaucr der Anbauten stumpf gcgengeBelxt waren. Die Be-
malnng bestand au» Qnaderuug, rot mit anfg^sctzteii weissen HoriznntalBtrichen ;
dieselbe Betnalnng fand sieb aneb am Än»ecm dee MaselllUgels wieder. Hier
sind die freigelegten Bruchstücke der Bemalung, aneb solche der Bögen von
Öffnungen und Niselieii an den vor Einfltlssen der Witterung geeehutzten
Stellen nnveriinilert erbalten und durch Aussparungen in den neuen Putzfläcbeu
sichtbar geblieben.
Der Moi^clfldget, dessen ITauptraum beute die Bibliothek des Staats-
archivs aufnimmt, enthielt, nie sicher anzunehmen ist, in seinen Kellern Kltcfaen-
and Voiratsräuine, im übrigen die Comlhurei (vgl. die Schnitte Fig. 19, die
den Zustand nach der Wicderberstellutig zeigen).
Auch die ursprüngliche Anlage des MoselflUgels gehörte, wie die des
alten Baues, noch der romanischen Zeit an; der ganze FlUgel hatte aber im
;Fig. 19. Koblenz, fbenial. Deuisch-Orden»h«Hfl. Sflmitle durch den Moselflugel.
15. Jahrhundert eine durchgreifende Umgestaltung erfahren, bei der sogar die
alten Geschosebühcn verändert worden waren. Bei der Frage Qber die Atte-
gestaltung des MoBelflügeU wurde die Entscheidung getroffen, dass die zo
Tage liegendcu gotbiscben Formen für die Wiederherstellung massgebend
sein sollten.
Ursprünglich erinnerte bei dem verbauten Zustande des MoselflUgels nichts
an die Formen der romanischen Anlage. Ei'st nach und nach wurde bei den
Abbruchsarbeiten die ursprüngliche Disposition in allen Teilen erkennbar. In
der nitrdlicbcn Längsfront des früher sechsachsigen Baues mit rechteckiger
firnudrissform wurden Reste von sämtlichen romanischen Fenstern an Ort and
Stolle aufgefunden. Ein vollständig erbalteucs gekuppeltes Fenster des Ober-
alpaege In der l
inproviiiB.
geseliiJsscB in der üstlicbcii Giebelwand wurde freigelegt und in seiner ursprüng-
liclien Foriiiengebnug and Bomalung wiederbergcstellt.
Von einer Bemalnng der Wände ina Innern aus romanischer Zeit waren
wegen des späteren mehrfaelien Überlüneheiis und ÜberputKena nur geringe
nnzUBaiiiuieubiingende Spuren zu entdecken.
Die Giebel des romantseben Baues waren Btaffelföiiuig ausgebildet. Ibre
gegenwärtige Form erhielten die Giebel, wie festgestellt wurde, dnreh spätere
Aufmauerung. Die Staffeln und Spuren ihrer Bemiiluug sind am Mauerwerk
im Inncru des Dachgeschosses noch jetzt ku erkennen.
Für die Eiuriebtung des Moselflllgels zur Bibliothek schien die vollständig
erkennbare und in allen Einzelheiten uacbznweisende guthisehe Anlage die
zweckentsprechendste zu sein. Der 9 m zu 16 m messende Inneuraum ist mit
sechs spitzbogigen Kreuzgewölben überdeckt.
Die bochgestocbenen (luadratiBclien Gewölbe ruhen auf zwei in der Längs-
achse des Raumes stehenden scblauken Basaltsäidcn und auf Wand- und Eck-
Consolen. Bei der Wiederherstellung des Baumes, der unverkenubar den Cha-
rakter der Remter der Ordensbauten in iler Provinz Preusseu trug, haben auf
Veranlassung des Geheimen Baurat Launer fdr die Ausbildung die Motive des
Comtliurremters zu Locbstedt als .\nbaltspuukte gedient.
Die ursprünglichen Formen des Masswerkes der drei grossen Nordfenster
konnten nach den aufgefundenen BruebstUcken vollständig festgestellt werden.
Der Fussbodenbelag ist, wie in fast sämtlichen Räumen des Umbaues mit
Ausnahme der Arbeitsrilume, welche Holzfussboden erhalten haben, aus hell-
gelben Thonplatten hergestellt. Thonplatten bildeten auch in alter Zeit den
Fussbodenbelag in den Bäumen des Deutscb-Ordenshauses. An mehreren
Stellen sind solche Beläge aufgedeckt. Es wurden nnglaaierte Platten mit
einfachen Mustern und gelb- und grünglasierte Platten mit reicheren Mustern
gefnnden. Für den gegenwärtigen Fussbodenbelag sind Thonplatten verwendet,
welche die Färbung und die Muster der alten einfachen Platten tragen.
In der südlichen Frontwand öffnet sich eine Thür nach einem kleinen,
beim Umbau hergestellten und mit einem schmiedeeisernen Gifter abgeschlossenen
Balkon. Diese Thtlr war früher Ausgang auf eine im 18. Jahrhundert ange-
legte, nicht mehr vorhandene, breit vor der Front gelagerte zweiarmige Frei-
treppe, welche hinunter nach dem Haaptliofe tllhrte.
Die Wände des Remters waren mil reichen Malereien versehen. Es fanden
sich solche auf den mehrfach übereinanderliegenden Putzschichten aus den ver-
schiedensten Zeitabsebnitten vor.
Gut erhalten ist eine unterhalb des östlichen SchildlKtgens auf der Süd-
wand freigelegte Kreuzigung. Die in Umrissen gezeichneten Gesichter des
Heilands, der Maria, des Johanne'^ u. s. w. zeigen gut gelungenen Ausdrnck.
Die Figuren heben sich wirkungsvoll von einem teppichartig gemalten Grunde
ab, dessen Motive: Lßwe, Adler und Fif*ch in eigenartiger ornamentaler Vc^
bindung verwendet sind. Diese Darstellung ist an der aufgefundenen Stelle
belassen und mit einer »chützcnden Laekschicht verschen.
tankmalpflega ii
Soweit die übrigen Wandmalereien zusamnienbäDgendc Muster erkennea
liesseu, sind diegelben nnch genauen Anfnahnicn in einem Ranme dea ebe-
innli^^n Tlioibaues als Wand- nnd Dcckenbemalung verwertet.
Die lar grUiidlicben Wiederherstellung und Erhaltung der anFgefundenen
Malereien crTorderlJche AuFüicbt der Aiisflibriingsarbeiteu lag in den Händen
deti Maler» J. Ranland.
Der vorgenannte ehemalige Tborban (vgl. die Ansicht von Norden
Fig. 21) ist ein Bau geringerer Abmessungen, welebor Moselflflgel und Rhein-
fiUgel mit einander verbindet; derselbe zeigt auf der Nordfront erneuerte, dem
früheren Zustande entsprechende Faebwetkausbildang des oberen Geschosses.
Der niedrigere Thorbau mit dem rot gestriehenen Fachwerk steht im wirkungs-
vollen Gegensatz zu der hochragenden Giebeldäche des Rbeinflilgels und der
Nordfront des Moaelflllgels. Diese dem Kaiser Wilhelm-Denkmal zugewendeten
Banten werden fllr den von der IIoehteiTasse des Denkmal« auf dieselben ge-
richteten Blick im unleren Teile von der Bastion, „dem deutschen Eck", und
den hieran beiderseits sieh anschliessende u vielumstrittenen Befestignngsmanem
gleichsam zusammcngeliiBSt.
Der nicht unterkellerte Rbeiufldgel, gegenwartig zur Anl'bcwabrung
der Bestände des Staatsarchives hergerichtet, dürfte ohne Zweifel als Spital-
bau gedient haben. Ans verschiedenen konstruktiven Aidialt.s))nnkten ist zu
schliessen, dass das Erdgeseboss grössere und kleinere Ränme enthielt nnd
dass aber denselben sich ein Saal befand, welcher nach Art der grossen mittel-
alterlichen Spitäler mit einer bis ins Dach reichenden Hulzdecke, hier auf
Kragsteinen ruhend, bedeckt war. Diese Kragsteine sind in dem alten Mauer-
werk der Längswände noch erhalten.
Bemerkenswert ist die bei der Erneuerung des Anssenpntzes erfolgte Auf-
deckung von Gewölbe Widerlagern an dem Slldgiebcl des Rheinflügels. Ans der
Spannweite der Gewölbe nnd den sonst gefundenen Spuren wurde das Vor-
handensein eines Vorbaues am Südgiebel nachgewiesen. Die Fundamente für
diesen Vorhau wurden in einer bestimmten Entfeniiing vom Giebel vermutet
und bei den hiernach vorgenommenen AnFgrabnngen an den betreffenden Stellen
gefunden.
Die weitere Annahme, dass dieser Vorbau ein Unterbau für einen Altan
gewesen sei, auf welchen die Kranken aus dem Saal direkt hinaustreten
konnten, nm den zur Genesung stlirkendcn Aufenthalt im Freien in der warmen
sonnigen Lage nach Süden unter dem Schatten der hohen Bäume des grossen
Gartens r.a gemessen, wurde durch einen weiteren Befund erhärtet. Eine znr
Verbindimg des Saales mit dem Altan notwendige Tbilröffnung wurde gefunden.
Es befanden sich in ihr noch Teile der durch die Mauer reichenden Balken
und Fussbodenbretter, die beim Vermanern der Tbüröffnung gelegentlich der
Beseitigung des Altans in der Flucht der Ansaenseite des Giebels abgeaebnitten
und dann überputzt waren.
Ansser den vorstehend aufgeführten umbauten sei noch die Errichtung
eines in mittolalterlicbe» Formen gehaltenen Neubaues am Eingang vom Castor-
Sl«
Bericht Über dls tUtlgkdt der ProvinBlaikommiMlon
hof BDB erwähnt, welcher die Archivdieuer- Wohnung eutbäll. Üeraelbe dient
zugleich als Fförtncrhaug.
Die Einfahrt iiii Thortunue daselbst iat mit eiuem schwereu schmiede-
eisernen Gitter abgeschlossen, dessen Formougebnng im Sinne uiiltclalterlidier
Wehrhftftigkeit gewählt ist.
Die nach Nordosten vorspringenden späteren Befestigungen, vor allem
die mächtige Bastion, das eigentliche „Deutsche Eck", die den Absclilass hier
bildet, wnrden natrli längeren Verbandlnngen und nach den sorgfältigsten Er-
wägungen über ihre Wirkung im Gesamthilde in der Form belaKBen, in der
sie überliefert waren. Die ganze Befestigungslinie erhebt sich auf den Grund-
mauern, die von der zweiten grossen Stadtbcfcatigung um das .Talir 1280
Btammen : ihre Reste sind noch an der Bastion selbst erkennbar. Naiib den
Fig. 21. Koblenz, ebeiiiRl. Deuts ch-Ordeneb aus. Ansicht dva elieinali^')
Abbildungen in Braun und Hogenbergs 8tädtcbuch vom Jahre 157)5 and in
Merians Topographia ardiiepiscopataum Moguntinensis, Trevirensis et Colo-
nieusis vom Jahre 1632, auch schon, obwohl undeutlicher, in Sebastian MQnstera
Cosmographey vorn Jahre 1541 und auf dem Hintergrund eines Wandgemälde)»
mit der Darstellnng des h. Martin in der Liebfraueukircbe zu Oberwesel be-
stand an dieser Ecke ein viereckiger etwas über die Mauer vorspringender
Turm, der auf den Abbildungen des 17. Jahrhunderts ein .Satteldach Irtlgt.
Die Bastion wurde dann nach dem SOjfthrigcn Krieg bei der dritten Stadt-
befestigung umgestaltet und erliielt zivischen 1657 und 1671 eiueu neuen
Anfsatz, von dorn der Mittelteil stammt, ihre jetzige Gestalt erhielt sie endlieh
bei der letzten, vierten, preussisuhen Umfestigung in den Jahren 1H]9^1831.
Die ganze Anlage, diß eine abgektlr/.te Geschichte der Stadt Coblcnz git^t,
und nicht zuletzt auch jene erste prenssittche Fortiükation erschien doch als
historisch bedeutsam genug, um sie unangetastet zu erhalten und von einer
für die Denk mal pfleg'o tu der RheiaprorinK.
sn
Wiprtei'hcrstellang dereolben im Sinne niittelalterliclier Befestigung abzuseilen.
Oerade die Rücksicht auf die cyklopisclie ArcUitektnr, die Bruno Scbmitz
für den Unterbau und die Pcrgrola meines KaiaerdcukmalB ^ewSldt hatte, ließs
es als einen besondere gl(leklicln.'n Umstand erscheinen, dass hier in unmitlel-
harc Nähe des Denkinaics ein ähnlieh groes und wnchtig wirkender Mauerklotz
trat. Auch der Aroliitekt des Denkmals, Banrat Bruno Schmitz, hatte sich
infolgedessen für die Beiliehaltung der Bastion ausgesprochen. Ähnlielie Er-
wägungen fllhrteu auch dazu, die niedrige mit Schiessseharten versehene Ab-
scblnssmauer naeh dem Rhein zu nicht vollständig niederzulegen. Sie wurde
nur bis auf die Höhe der Schiessaeharten ahgebrocUen, dann sorgfilltig abge-
deckt und fasst jet-/.t glllcklieh die nun einmal eine historische Gruppe bildenden
Banten der Castorskirehe und des Deutseh- Ordenshauses zusammen. Über der
Bastion selbst ist die Laub-Pergola wieder angelegt worden, die anf das Aa-
mntigste den oberen Abschluss belebt.
Über die Geschiehte des Deutgeh-Ordenshauaes vgl. J. H. Hennea, Die
Commcnde Coblenz: Picks Monatsschrift für rheinisch-westfälische Gesehichts-
forscimng und Altertumskunde III, 1877, S. 514, — Ders,, Commenden des
deutschen Ordens, Mainz 1878, S. 3, fi ff. — Die Urkunden bei Hennes,
Codex diplomaticus ordinis s. Mariae Theutonieorum I, p. 22, 24, 30 ff. —
Wegcler, Beiträge zur Geschichte der Stadt Coblenz 1882, S. 49. — Leh-
i'eldt, Die Bau- und Kuustdenkmäler des Regiernngsbezirks Cobleuz, Dössel-
dorf 1886, S. 173.
IlaEtermanu.
10. Köln. Fortban des Domes im Baujahre 1897/98.
Die irn Jahre 1890 begonnene Ausfuhrung der Mosaikbeflnrnng der Vie-
rung luid des Doniehora ist nunmehr im Laufe des Monats Mai d. J. durch
Fertigstellung der Hliftmosaik auf dem Presbyterium in der Umgebung des
Hochaltars znm Abschluss gebracht. Die Mitte des Presbyteriums nimmt die
auf dem Throne sitzende Gestalt des Papstes als Repräsentanten der geistlichen
Macht ein, umgeben von den vier Paradi esflUssen, welche das aus Urnen aus-
fliessende Wasser zu einem .Strome vereinigen, der, vom .\ltare ausgehend, die
Darstcllnngen der christlichen Kirche und der in ihr vereinigten Nationen durch-
fliesst und durch die in ihm schwinmiemlen Fische den Weg zum Altare zeigt.
Zn beiden Seiten des Hochallars sind nach dem vom hiesigen Metropolitau-
Kapitel aufgestellten Programme die sieben geistlichen und sieben weltlichen
Stände angeordnet. Auf der Nordseite, vor dem eiv-bischöflieben Throne die
typischen Figuren der geistlichen Würdenträger: in der Mitte der Papst, um-
geben von dem Kardinal, dem Erzbischofj dem Kanoniens, dem Priester, einem
Mfinch und einem Einsiedler. An der Stldseite die Gestalten des Kaisers, dos
Fürsten, des Ritters, des Kaufmanns, des Kunsthandwerkers, des Landmanns
und des Bettlers.
Mit Ausfuhrung der farbigen Detail -Skizzen für die MoKaikbeflnrung 'des
Domchores wie der Kartons in natürlicher Grösse war bekanntlich der ehe-
218 Bericht über die Thätigkeit der Provinzialkommission
malige Direktor des Germanischen Mosenrns in Nürnberg y. Essenwein betrant.
Längeres Unwohlsein des Genannten verzögerte die Fertigstellang dieser Kunst-
aafgabC; nnd bei seinem im Jahre 1892 erfolgten Tode hinterliess Essenwein
die Arbeit für das Chorinnere unvollendet zurück. Durch Vertrag von 1892
und 1895 tibertrug die Dombau-Verwaltung die Fertigstellung der Vorlagen für
den Raum zwischen den Chorstühlen und für den östlichen Teil der Chorbe-
flurung dem Maler Prof. G e i g e s in Freiburg i. B., der, unter Zugrundelegung
der Essenw einschen Vorarbeiten, sämtliche Kartons bis zum Schlüsse des
Jahres 1897 vollendete. Mittels Vertrages vom 7. Januar 1890 übernahm die
unter Leitung des Direktors Bingler stehende Mosaik-Fabrik von Villeroy
und Boch in Mettlach die Anfertigung der Stiftmosaiken im Bereiche des Chor-
umgangs, der Vierung wie des Chorinneren einschliesslich des Presbyteriums
und förderte diese Arbeit in mustergültiger und kunstvollendeter Weise bis zum
gegenwärtigen Jahre.
Für die Skizzen und Kartons sind aus der Dombaukasse an den Direktor
V. Essenwein 10300 Mark und an den Professor Geiges 13963,10 Mark ge-
zahlt, sodass für die Entwürfe im ganzen eine Summe von 24263,10 Mark ver-
ausgabt wurde. Die Herstellung der gesamten von Villeroy und Boch ausge-
führten Arbeiten erforderte einen Geldbetrag von 55198,1 Mark. Für diese
Summe wurden 834,234 qm Bodenflächc in reichem farbigem Stiftmosaik ge-
fertigt und verlegt. Der Durchschnittspreis für 1 qm Mosaik, teils Ornament,
teils figürliche Darstellungen enthaltend, hat somit etwa 66,2 Mark betragen.
Im Äusseren der Domkirche wurde im Laufe des Baujahres 1897/98 die
stark verwitterte Wandfläche des Chorbaues zunächst der Sakristei sorgfältig
ausgebessert, und die verwitterten Gesimse, Profile und Friesblätter wurden
durch neu eingesetzte Obcnikirchener Werksteine ersetzt.
Nachdem unter dem 15. Juni 1896 das hiesige Motropolitan-Kapitel wegen
anderweitiger Vorschläge zur Gestaltung der Windfangvorbauten das Ersuchen
gestellt, von der ferneren Ausführung der Windfänge in Eichenholz gemäss
den allseitig genehmigten Plänen vorläufig Abstand zu nehmen, sind die Pläne
und Kostenanschläge zu den beabsichtigten, alle drei Thüren der Portalwände
umfassenden lettnerartigen Vorbauten vom genannten Kapitel bisher nicht vor-
gelegt worden. Seit zwei Jahren haben daher die dafür in den Betriebsplänen
1896/97 und 1897/98 angesetzten Geldbeträge keine Verwendung gefunden.
Voigtel.
11. Köln-Niehl (Stadtkreis Köln). Wiederherstellung der
alten katholischen Pfarrkirche.
Die alte Pfarrkirche zur h. Katharina in Nichl ist neben der zu Kriel
einer der frühesten romanischen Bauten in der näheren Umgebung von Köln.
Der dreist(ickige Turm mit den leicht eingerückten oberen Stockwerken, im
zweiten Stockwerk durch Vertikal-Lisenen und Rundbogenfrics gegliedert, und
das einzige nördliche Seitenschiff gehören noch dem ältesten Bau an, der wahr-
fOr dia Denkmalpflege la der Rbdnprovlns.
S19
sclieiiilioli aus ilcr crstcu HälAc des II. JaltrhuDderts stanunt; das Hauptschiff
statniiit ans deui 14. Jahrhundert. Die Formoii der Anssenareliitektor, die
Froülc der Gliederuii^en luaehen dcu Dan zu einer interessaiitun roiiianiBclien
Anlage. Das Masswerk, die Fenster, die Rippen, Kapitelleiien und Cüusolen
iu dem frllliyotliischen Teil eind von feinen und zierlielien Profilen, die letzteren
mit gut gearbeitet etil Laubwerk uud figürlichen Darstellungen ausgesehmückt.
Dazu kommt der malerische Werl, den die Kirehe besitzt; sie ist iu der
Tliat Fast der schönste Piuikt des Rheinpanoramas zwischeu Köln und DUBsel-
Fig. 22. KBhi-Niehl, alte katholische Pfarrkirche. Nordunaicht nach der Wieder-
herstellnng.
dorf, über der Uferböschung auf einem leicht anfgemauerten Hügel gelegen,
beherrscht sie die ganze Umgegend (Fig. 22).
Für die Erhaltung des Baues war seit der Erbauung der uenen Pfarr-
kirche nichts mehr geschehen, Mauerwerk und Dächer waren schadhaft geworden.
Der Kirchen voi-stand Hess im Jahre 1893 durch den Architekt Theodor
Kremer in Köln einen Kostenanschlag zur Wiederherstellung der Kirche auE-
stellen, der mit lOnOO M. abschloss; auf das Gesuch des Kirchen Vorstandes vom
Ende des Jahres 1H93 bewilligte der Provinzial-Ausschuss am 18. Mai 1894
SaO B«lcht fiber die TbKigkttt der ProtliulalkoiiHBlaatoii
einen ZmobiiM ron 6000 H. zn den in dem Koeteiuuuohlag niedergelegten not-
wendigen Wiederlieratenni^iBarbeiten. Diese Arbeiten sollten lach im Wesrait-
lieben aat das Abebarrieren des TDfiMeinmsaerwerks nnd Ergbiznng desaelben
an sehr schadhaften Stellen, an{ Ansbessernng des Daches, Emeuenmg.der
TbUren, sowie auf den Abbmch des westlichen Vorbaues erstrecken; anasw-
dem kam eine BegnHemng des Kirebplatzes binm.
Die Ansfflhrnng der Arbriten, die im Sommer 1895 begonnen and hn
Scnnmer 1896 f(Htg<yetzt warden, ergab, da« die Kirche sich in einem wesent-
lich schlechteren baalichen Zostand befand, als in dem Kostenanschlag ange-
nommen war. Das nSrdlicbe Seitenschiff war so stark ansgewiehen, dass es
abgetragen nnd von Grand auf nen aof gemasert werden mnsete; der Tormhelm
war so schadhaft, da^ er beim Beginne der Arbeiten einstOizte tmd gleich-
falls voIlkomDien ernenert werden ninsste. Die Augbesserauj^ des Manerweii:s
nahm aiicli einen grösseren Umfang an, als voransznselien war, namentlich an
dem Tnrm mnssten sehr grosse Particen, die durcli eine Putzscbicbt verdeckt
gewesen waren, in der Tuff- Verblendung vollkommen ernenert werden.
Die dadurch verursaclite UeherBcli reitung des ersten Kostenanscfalages
war die VeranlaBsnng zn einer Unterbreeliiing der Wiederlierstellnngsarbeiten
im Sommer 1897; es blieli neben kleineren Arbeiten im Wesentlichen noch die
Restauration des Chores zurück. Aus diesen Gründen hat sieb der Provinzial-
Anssehnss für die Denkmalpflege veranlasst gesehen, unter dem 23. MArz 1898
eine weitere Beihtllfe von 3824 M. zur Vollendung der Wiederherstellnngs-
arbeiten bereit zu stellen. Mit Hlllfe dieser letzten Bewilligung und eines Zn-
Bcbnsses der Stadt Köln in der H(lhe von 625 M. ist die Wiederherstellnng
im Sommer 1898 endlich zu Ende geftthrt worden, so dasa das interessante
Baawerk in seinem weiteren Bestand als gesichert bezeichnet werden darf.
Giemen.
12. Oberdollendorf (Kreis Steg). Wiederherstellnng des
Turmes der katholischen Pfarrkirche.
Der Tnrm der katholischen Pfarrkirche in Oberdollendorf mit der an-
stoßenden Apside ist der Östliche Teil einer romanischen Anlage des 12. Jahr-
hunderts, deren Langhaus in den Jahren 1792 — 1793 durch einen einschiflSgen
schmucklosen Saalbau ersetzt wurde. Die mit einem Kreuzgewölbe tlberspanotc
Tnrmhalle mit der im Omndriss segmentförmigen Apside, der ursprOnglichen
Anlage als Chorhans dienend, wird jetzt nur als Sakristei benutzt. Der Turm,
der in seinen einfachen Formen anf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts als
Entstehnngszeit hinweist, umfasst drei Geschosse, von denen das Erdgeschoss
mit der Apside von einem einfachen Rundbogenfries abgeschlossen wird. Die
beiden unteren Gescbosse haben nur kleine Licbtßffnungen, das zweite Ober-
gcschoss zeigt Je ein dreiteiliges Säulenfenster in rnndbogiger, von kräftigem
Wulst cingefasster Blende, darüber erheben sieb auf kräftigem WOrfcIfries die
mit RnndbogeDfries und Wllrfelfrieg umrahmten Giebel des stumpfen Rhomben-
für die Denkmal |iflegc. iu licr RlieiDprovinz, 291
(lacheB; jedes Giebelfeld zeigt ein üweiteiligea SiUileufeiiBtev in niiidbogif^er
Rlende.
Ein vollkommenes Gegfeiistück findet diese eigcourtige Anlage in der
gleiulizettigen Kirche des benaclibarten Nicderdollendorf, niilircnd die gldcli-
zeiligon Oflttnrni-Anlageii in den nahegelegenen Orten KUdinghoven und Ober-
kasscl wenigstens in der Geeanitanlage mit OlierdoUendorf und NiederiloUendorf
tlbcreinstimmen. Die Gleicbmässigkeit der Anlage erklärt 8ich aus der gemein-
schaftlicbeu 1144 erfolgten Einverleibung der vier Kirchen in das Stift Vilicli
bei Bonn. {Vgl. Eft'mann, Die alten Teile der Pfarrkirche zn OberdoIIendorf
in der (Zeitschrift für ehrisfüche Ktinst' VI, Sp. 257.) Ein ferner liegendes
intercBsanles Heispiel einer Ostturni-Anlage in der Rheinprovinz bietet die Kirche
in Wintersdorf (Kreis Trier).
Der Turm befand sieb nicht nnr
in einem schlechten baulichen Znstand,
sondern war auch durch spätere Zu-
tbaten seines nrsprttngliehen Charaktere
zum Teil entkleidet. Der schlechte han-
liche Zustand lag einmal an der mangel-
haften Fund amen tierung, wurde aber
noch durch den Umstand verschlimmert,
diiBB die Glocken, in einem schadhaflen
Gloekenstuh! ruhend, bei dem Lünleu
an das Tumiraanerwerk anschlugen.
Ausserdem waren die Gesimse, die sämt-
lich aus TntTslein bestehen, zum Teil
bis znr Unkenntlichkeit verwittert; die
MauerSächcn trugen eine sehr schad-
hafte Putxschicht. Zu dem zweiten Turm
geschoss bezw. zu dem auf die Apside
aufgesetzten niedrigen Geschoss führte
eine gemauerte Freitreppe in einem Lauf
empor, sie zeigte beiderseitig gemauerte
BrHstangcu und ein Pultdach llber der
Oe£fnnng im Turm. Diese gleichfalls
aus dem Ende des 18. Jahrhunderts
stammende Anlage war zwar von male-
rischer Wirkung, durclisehnilt und ver-
deckte aber einen erheblichen Teil des
Turmes. Vor allem auch entstellte eine rnhe ümmantelnng des Erdgeschosses
von Turm und Apside, die bei der schlechten Fundamentierung grösseren
Hall gewähren sollte, die Auslebt des Bauwerks (Fig. 23).
Da der Bestand des Bauwerks gcfUhrdet erschien, so war Abhilfe dringend
erforderlich. Bereits 1 «93 hatte der Königliche Kreisbauinspektor, Banrat Escb-
wciler in Siegbnrg, einen Kostenanschlag der nothwcndigeu WicderhorstelluDga-
■
1
Fi^^. 23. Ober(li>lioiiiioJl. kaili. IT.irrkirche.
Ansicht des Turmes vor der Wieder-
hiTStellimg.
saa
Bericht über die Thiitif^koit der Provinsialkoi
arbeiten au^estelU, der mit der Samine von 6700 K. abscfaloss; dieser wurde!
am 2tJ. November 1894 dnrch die Königliche Regierung in Köln geprüft. Diel
verausi-blaglcn Arbeiten ereti-eekten sich im Wesentlichen auf das Unterfangea 1
der Fundamente, Eiiiencrong des Glockcnstulils, Entfernung der späteren An-
bauten lind Wiedcrberstollnug des Aeusscrcn, sowie den Anbau eines Treppen- I
tOrmchens zum Ersatz fUr die zu beseitigende Freitreppe (Fig. 24).
^1^3 @>[ff«u^i^ I
.1^4.^><»iJ<^ <U> fvJ^uX^.
»J..^ J„ %U
Fig. 24. OliardoHendorf, kAtfioI. PfArrklrclie. Ornndrlssp, Aufrisse
lies Tiirinesi nach der Wiedorherstellong.
Zu diesen Arbeiten bewilligte auf das Gesuch des Kircbenvorgtandes der j
ProTiuMal-AuBschuBS am 18. Mai 1804 eine Beihilfe von 2000 M., durch Aller-
böclistcn Erlaas vom 23. Oktober 1895 kam ein Gnadengeschenk in der HSbc J
für die Denkmalpflege in der Hheinprovinz. 2^3
von 2000 M. hinzu. Nachdem im März 1896 die Arbeiten dem Unternehmer
Seheidgen in Königswinter verdungen worden waren, wurde im April 1896
mit der Ausführung begonnen. Dabei ergab sieb, dass unter dem Verputz des
Turmes gutes Tuffsteinmauerwerk sass; es wurde deshalb an Stelle der im
Kostenanschlag vorgesehenen Erneuerung des Verputzes eine Ausbesserung
bezw. Auswechselung des Tuffmauerwerks ausgeftthi-t. Ebenso ergab sich, dass
die unteren Teile des Mauerwerkes aus Basalt bestanden; es wurde deshalb
der Verputz entfernt, die Fugen gereinigt und mit Cement-Mörtel ausgegossen.
Besondere Vorsicht erheischte die Beseitigung der unteren Ummantelung des
Turmes und der Apside; dabei mussten die Fundamente, die nicht durchweg
bis auf tragfähigen Boden herabgeftlhrt waren, unterfangen werden, darnach
wurde ein neuer Sockel aufgemauert.
Bei den stark verwitterten Gesimsen Hess sich die ursprüngliche Profilie-
mng nur dadurch genau feststellen, dass auf Anordnung des Bauleiters einzelne
herausgenommene Stücke von weniger beschädigten Stellen vorsichtig durchsägt
wurden; bei der Erneuerung der Gesimsteile und der Rundstäbe der Fenster-
blenden fand feiner Weiberner Tuff, bei der Ergänzung einiger Kapitelle und
Fenster-Säulchen Stenzelberger Trachyt Verwendung.
Der alte hölzerne Glockenstuhl wurde durch einen solchen aus Walzeisen
ersetzt, der für die Unterbringung der drei Glocken von 1,31 m, 1,22 m und
1,04 m Durchmesser hinreichend Raum bietet.
Da der Turm von dem Kirchenboden nicht zugänglich ist, so musste an
der Nordseite nach dem Entwurf des Baurats Eschweiler ein rundes Treppen-
türmchen in einfachen romanischen Formen aus regelmässigem Tuffsteinmauer-
werk angefügt werden; es ist bis zum ersten Obergeschoss hochgeführt und
mit kurzem geschiefertem Kegeldach abgedeckt.
Im Mai 1897 waren die Wiederherstellungsarbeiten vollendet; die Leitung
der Arbeiten lag in den Händen des dei*zeitigen Königlichen Kreisbauinspektors,
Baurat Kosh ab in Siegburg. Die Kosten betrugen für die Bauausführung
7574,20 M., für die Bauleitung 280,73 M., also insgesamt 7854,93 M. Die
Üeberschreitung des Kostenanschlages von 6700 M. liegt hauptsächlich in der
während der Ausführung sich ergebenden Notwendigkeit begründet, an Stelle
des vorgesehenen neuen Verputzes eine Ausbesserung des regelmässigen Tuff-
stein-Mauerwerkes treten zu lassen.
K 0 s b a b.
Beifdit ttber di« /Hiltti^fllt der ProriiuialkDiiiliilMlon
Fig. 25. Kiiln, S. Ciereon. Malerei von Je» Arknilpji des Kapelleiik
13. Airfertigung von Kopien der mittelalterlichen Wandmalerelen der
Rkeinprovinz.
Im Recfanim^afare 1897/98 rind nach d^ im vorigen Jahresbericht ans-
Alfarlich dargestdlten Grandafttzeo vor aliem io den Kölner Kirchen systema-
tiRfdi die Aofnahmeii dw mittelalterlichui Wandmalereien verröllat&ndigt worden«
Znnachat tnuidelte es sich um die Aafnabmea Aer Wand- und GewQlbe*
malereien in der Kirche S. Uaria Lyakirchen in Köln. Die ans dem Ende der
1. Hälfte des 13. Jahrhunderts stammenden Malereien an den drei Krenz-
gewölben des Mittelschiffes zeigen in jedem GewOlbefelde zwei Dar8tellang:en
nebeneinander, zumeist ans dem neuen Testamente, ron der Verkttndigung bis
zum Pfingstfest und dazu eine Reihe von typologischen Scenen ans dem alten
Testamente, in den Zwickeln in allen Feldern grossartig aufgefasste Fignren
von Propheten und Heiligen mit Spruchbändern und um den SchlussBtein in
dem ersten Joch in allen Feldern, im zweiten in zweien die Halbfignren von
Tugenden. Dazu kommen noch zwei ähnliche Gewölbe mit kleineren Dar^
Stellungen, aber in der gleichen Anordnung, in den beiden Seitenschiffen. Die
Malereien waren sämtlich durch den Kanonikus Göbbels restauriert und z. T.
ergänzt worden, die drei Hanptjoche im Mittelschiff sind jetzt durch den Maler
Otto Vorlaender sorgfältig in grossen Blättern in ümrisszeiehnung aufge-
nommen worden. Über dem Westportal auf der Innenseite der Kirche befindet
eich dann eine grosse Darstellung der Anbetung der Könige, die den Vorzog
bat, in der Farbe gänzlich unberührt zu sein. Das Bild, das wahrscheinlich
schon in der 2, Hälfte des 13. Jahrhunderts, aber von einem älteren conser-
vativen Meister geschaffen ist, von der glücklichsten Geschlossenheit nnd Ab-
rnndung in der Komposition, zeigt in der Mitte die Madonna auf dem Thron,
noch ganz archaisch, en face sitzend, von links nahen sich die drei Könige,
.Ispflege fn Abt Rh ein pro vi nz. 935
von rechts zwei nk'bt näher bezeicbDCte Heilige, wohl Propheten. Das Bild
ist von dem Maler Gerhard Schoofs aus Ktvelaer farbig aufgenominen worden.
Der Maler Schoofs war während einer ganzen Reihe von Monaten
danemd angestellt und hat nnter der Leitung des Provinzialconservatora in den
Kölner Kirchen weitere Kopien gefertigt. In der Krypta von St. Maria im
Kapitol wurden die Malereien an dem Gewülhe in der mittelsten [östlichen)
Kapelle, ktlnstleriseb wie ikonographisch gleich merkwördigc und bedeutende Dar-
stellungen aus dem Leben des b. Johannes dos Täufers, wohl die ältesten in Köln
erhalteneu romanischen Malereien, farbig aufgenommen. Die Darstellungen an der
Nord- und Südwand waren dagegen so weit zerstört, dass nur noch unbestimmte
Furbenfiecke erkennbar sind. In der Kircbc St. Pantalcou sind in den östlichen
Fig. 26. Köln, S. Cücilin. Fr uhg'o tische Malereien von der Nordwand des Laaghanacfl.
Teilen noch eine Reihe von romanischen Malereien aus der 1. Hälfte des 13. Jahr-
hnndertfl gänzlich uDberlIhrt erhalten, deren Untersuchung wegen der Technik
und Farbengcbung besonders wichtig war: Über dem Tjmpanon des Seitenportals
im nördlichen QnerschitF eine thronende Madonna, zwischen zwei Engeln in
feierlicher Haltnng auf einem romanischen Kissentbron sitzend, die Fiisse
gegtotzt von zwei nackten Halbtiguren mit aufgelösten Haaren als die Verkör-
perungen von Erde und Meer, anf dem SchooHSc das Kind haltend, das die
fieohte segnend erhebt, in der aasgestreckten Linken die Erdkugel trägt. Dann
Jslirb. dal Ver. v. AltorllialV. tu Rh«inl. i
^ Bericht Aber die ThäÜgkeit der ProvinsialkommisBion;
im sfldlichen SeitenchOrchen, in der Apsis eine grosse Darstellung des thro-
nenden SalTators in einer Mandorla, die Bechte segnend erhebend, in der Linken
ein offenes Buch auf dem linken Knie haltend, umgeben von yier Heiligen,
die dem Mittelfelde zugewendet sind, und den vier EvangelistensTmbolen. End-
lieh in einer Blende in der Ostmauer dieses ChOrchens ein weiteres Bild der
Madonna, umgeben von zwei Einzelfiguren von Heiligen und zwei fliegenden
Engeln, schon aus der 2^ Hälfte des 13. Jahrhunderts, und über dem südlichen
Eingang noch ein flberlebensgrosser Salvatorkopf von strenger Schönheit« Alle
Malereien sind gleiehfiiUs farbig aufgenommen worden.
In der Kirche St. Qereon wurden femer die Malereien über den grossen
Arkaden des unteren Kapellenkranzes, die durch die dort bis zur letzten
Bestauration und zur Ausmalung der Kirche durch Essenwein befindlichen
hölzernen Beliquienk&sten ziemlich gut erhalten waren, aufgenommen« Sie
zeigen in der Mitte je das Brustbild eines der ältesten Kölner Bischöfe in
einem Medaillon, umgeben von Engeh, die auf stilisierten Wolken schweben
und Weihrauchfässer und Kerzen schwingen — die Darstellung von grosser
Kunst der Baumfflllung. In der zweiten der sfldlichen Kapellen des Polygons
wurden ausserdem die einzigen alten Malereien, die hier im Polygon selbst er-
halten waren, Darstellungen aus der Legende des h. Dionysius, in Umrisszeich-
nungen aufgenommen. Von den Bischofsportraits ist als Vignette hier eine
kleine Probe in ümrisszeichnung gegeben (Fig. 26)^ dazu noch von den schon
im vorigen Jahresbericht beschriebenen frflhgothischen Wandmalereien in der
Kirche St Cäcilia in KOln eine Probe mit zwei Darstellungen von der Nord-
wand aus der Legende der h. Cäcilia, um von dem Stilcharakter dieser kunst-
geschichtlich so interessanten Malereien eine Probe zu bieten. Die Scenen
stellen dar die Unterweisung des Maximas und seiner Haasgenossenschaft in
der christlichen Lehre and die nachfolgende Bekebrnng dnrch Cäcilia und das
Brüderpaar Tiburtius und Valerianus (Fig. 26).
In der Nähe von Köln, in der romanischen Pfarrkirche zu Lipp (Kreis
Bergheim) ist das Kreuzgewölbe des Chorhauses ganz mit Malereien aus der
Legende der h. Ursula bedeckt, die aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts
stammen. Leider sind die Malereien selbst durch den Maler Müller aus Bed-
burg sehr stark restauriert worden^ so dass ihre Farbe keine Aathenticität mehr
besitzt. Die Umrisse sind aber noch gut erhalten und die Darstellungen von
grossem gegenständlichen Interesse. Als Probe ist hier das zweite Feld, mit
der Ankunft der Heiligen und ihres Verlobten gegeben (Fig. 27).
Durch den Maler Otto Vorlaender sind endlich in den beiden letzten
Jahren vollständige Kopien aller Reste der Wand- und Gewölbenialereien an-
gefertigt worden, die sich in dem Nonnenchore des Essener Münsters befinden.
Die nach der Zcitstellung — sie sind nach den dürftigen Resten im Aachener
Münster und in der St. Luciuskirche zu Werden die frühesten in den Rhein-
landen — wie durch die ikonographischen Beziehungen — Verbindung der
traditionellen neutestamentliehen Darstellungen mit Bildern aus der Engelsge-
schichte — gleich wichtigen Malereien sind schon wiederholt behandelt und
für die Denkmalpflege in der Kheinprovinz. 227
besprochen worden (W, TCnnisecn in den Bonner Jahrbüchern LXXXII,
S. 134 nnd in Prüfers Archiv für kirchliebe Kunst XI, Nr, 11. — Giemen
in den Knnatdenkmälern der Stadt und des Kreises Essen S. 35). Sie sind
jetzt auf zehn grossen farbigen Blättern aufgenommen, die jede Überhaupt
noch erhaltene Farbspur zeigen. Die Blätter sind ebenso vrie eine Anzahl
ErgänznngsentwUrfe des Malers Vorlaender dem Denkmälerarcbiv einverleibt
worden.
C I e m e n.
Fig. 27. Lipp, katliol. Pfarrkirche. Gewölbefeld des Chorhanses.
Berichte
aber die Thätigkeit der ProTinzialmuseeii in der Zeit Tom 1. April 1897
bis 31. März 1898.
I. Bonn.
Im yerflossenen Etatsjahre wurden Ausgrabungen nur innerhalb des Römer-
lagers bei Neuss vorgenommen; welche den Zweck hatten, über die im nord-
westlichen Teile desselben vorhandenen Bauwerke Aufschlnss zu verschaffen.
Zunächst wurde der ümfassungsgraben der Nordfront untersucht, welcher
bei einer Tiefe von 3,40 m, einen Durchmesser von 10 m am Rande zeigte mit
einer vorliegenden Berme von 2,80 m Breite. Die ebenfalls gefundene Um-
fassungsmauer hatte hier eine Stärke von 1,90 m gegenüber der sonstigen
Breite von 1,40 m. In ihr wurde ein Mauerturm in Trapezform von 2,10:
2,80 m Breite und 2,50 m Tiefe aufgedeckt, dessen Seitenmauern 1,25 m stark
sind, dessen Rückenmauern jedoch eine Breite von 1,45 m und ausserdem zwei
Pfeiler zur Verstärkung haben. In seinen Fundamenten fanden sich mehrfach
Ziegelstücke, darunter auch eines mit dem Stempel CLAV .... (11921)
eingemauert. Von Gebäuden wurde zuvörderst zwischen dem Nordthor und
dem eben beschriebenen Turm im Intervallum ein aus einem 37 m langen und
7^2™ breiten Mittelbau mit 5 gleich grossen Räumen und zwei 14,80 m langen
und 7 m breiten vorspringenden Flügeln bestehendes Bauwerk aufgedeckt,
dessen 1,45 m starke, sorgfältig aus Tuff mit Kalk errichtete Fundamente durch
40 Pfeiler ringsum verstärkt sind. Wie sich von der inneren Ausstattung
nichts erhalten hat, ebensowenig ist auch im Inneren etwas wahrgenommen
worden, aus dem sich seine Bestimmung erschliessen lässt. Da jedoch seine
Mauerzüge zum Teil die Wallstrasse durchschneiden, so fällt seine Erbauung
später als die der Wallstrasse. Nach dem Lagerinnern hin kamen alsdann
hintereinander liegend zwei in gleicher Richtung mit dem erstgenannten Bau-
werk verlaufende, völlig gleichartig angelegte Bauten von etwa 33,30 m Länge
und 13,80 m Tiefe mit mächtigen Eckpfeilern von 2,50 m Seiteulänge und
einer grossen Anzahl von Verstärkungspfeilern in den Fundamenten zum Vor-
schein. Das Innere beider durch eine 6 m breite Gasse getrennter Bauten
weist eine grosse Anzahl schachbrettartig verteilter Steinfundamente von etwa
0,70 m Seitenlänge auf, welche teils aus demselben Material wie die um-
BeriirhCe ttbor die ThilUg'kdt <l»r ProviiizialmuHeeti. 229
faesiiii^mauer, teils aua hochkant g;estcllten Ziefjelßt (leiten hergestellt sind, von
denen mehrere den Stempel der 16. Legion tragen. Nach dJeeer Einrichtung
nnd nach den in ihnen gefundenen Getreidereslen zn «chlieRsen, haben beide
Baulichkeiten als Getreideniagazine gedient. Eine iu der Westecke des ersten
Oebändes angetroffene tiefe Grube ergab sich als eine Drunnenanlage, die bei
der Einäscherung des älteren Lagers im Jahre 70 n. Chr. tersehüttet worden
zu sein scheint. An den Schmalseiten beider Gebäude lief ein auf je 8 Säulen
von 1,50 ni Seitenlange ruhender gedeckter Gang von 4,60 m lichter Breite
einher. Auf der Ostseite dieser Bauten wurde, geschieden dnreh eine 6 ra
breite Gasse, eine dritte bauliche Anlage von 65.20 m Gesamtlänge und einer
zwisehen 31,20 m bis 36 rn schivankenilen Breite angetroffen, welelie im Norden
bis Kum Intervallum sich erstreekt und im Osten von der /.um Nordthor fllhren-
den Strasse begrenzt wird. Dieselbe seheint ans 3 Teilen zu bestehen. Ob
jedoch diese Dreiteilung im nrsprönglichen Plane gelegen, oder einer itn Laufe
der Zeit vorgcnoninienen Erweiterung des Grundrisses ihren Ursprung verdankt,
liess sich mit Sicherheit nicht ermitteln. Die Fundamente des Mittelbaues
zeigten an der Nord- nnd Ostseite starke Verstärkungen, während solche bei
dem NordflUgel bloss an der Ostmauer äu sehen waren, ebenso einen 4,50 m
i. L. breiten Eingang mit ziemlieh kräftigen Pfeilern, Ob aus den gefundeneu
Steinksgeln ein Rllckschlnss auf seine Beatimnmng gestattet ist, mag unent-
schieden bleiben. Jedenfalls lässt sich ilem Mittelbau und dem nJlrdlichcn
tlügel ein magazinartiger Charakter nicht absprechen. Anders dagegen der
WestftUgel; er hat keinesfalls iu seiner ursprünglichen Anlage dem gleichen
Zweck gedient. Denn sein Inneres birgt eine Reihe älterer Mauerztlge, welche
leils unter den jüngeren liegen, teils von diesen durchschnitten werden. So
weit sich ein Urteil ans ihnen bilden lässt, scheinen die älteren Fundamente
einer Kaserne anzugehören, deren Umbau jedenfalls noch während der Zeit
erfolgt sein muss, wo die 16. Legion die Garnison bildete, weil ihre Ziegel
sich im Mauerwerk gefunden haben. Westlich dieses eolossalcn Bauwerkes
kamen im Rücken der Eingangs besprochenen Magazine drei Kasernen zn Tage,
eine grössere nnd zwei kleinere. Bei der gleichen Länge von 31,80 m hat die
grossere 17,10 nr, die beiden kleineren 8,65 m Breite. In der grosseren, welche
durch eine 5,80 m breite Strasse von dem Kolossalban getrennt wird und
strassenwärts mehrere 2,30 i. L. weite Eingänge bat, wurden 17 dnreh Gänge
zum Teil verbundene Zimmer ermittelt. Eine 1,70 m breite Gasse trennt sie
von den beiden kleineren, selbst durch eine 5,30 m breite Strasse geschiedenen
Kasernemenls, welche die gleichen Grflsaenverhältnissc, Einteilung und Zahl
der Räume haben, nämlich am Nordende einen die ganze Breite des Gebäudes
einnehmenden Raum von 4,60ni Tiefe, daran anschliessend einen langgestreck-
ten, in zwei Hälften geschiedenen Trakt mit je 7 Räumen, von denen die Öst-
lichen 4,40 ra, die westliehen 3,80 m lang sind. Bei dem fünften Raum ist die
Scheidewand durch eine Mancriinterbrcchiing zu einem I m breiten Durchgang
gestaltet. In einer Entfernung von 2,70 m westlich liegt eine 77,70 m lange
Centarienkaseme. Ihr nördlicher, die Centnrionenwohnnng enthaltender 12 m
910 Berielite flber die Thfttigkeit der ProTi]isiiümiiBee&
imiter Teil nmfasst 8 bis 9 TerBchiedentlich grosse Bftamei zu welcli^ yoü
der Strasse her ein Hanpteingang von 1,10m Weite und ein zweiter unmittel-
bar daneben lieg^der 0,70 m breiter Nebeneingang führen. Ein in der Nord-
ostecke aufgefundener Kanal leitet die Abwftsser in den grossen das Intervallum
begleitenden Hauptkanal. Der hintere fOr die Mumsehaften bestimmte Flflgel
^thftlt drei hintereinander liegende Beihen von je 12 Bäumen mit durch-
schnittlich 3,26 m Breite. Die der Strasse zunächst liegende Beihe besteht
aus einer auf Holzpfosten ruhenden Halle, d^en einzehie Bäume 2,60 m Tiefe
haben, während diese bei der mittleren Beihe 2,20 m und bei der hinterra
4,60 m beträgt. Nordwesdich vcm dieser Kaserne wurde eine 6,60 m breite
Gasse und die Anfänge einer zweiten Kaserne festgestellt, deren Grundriss erst
durch die Fortsetzung der Grabungen auf dem Nachbargrundstflck Auftlärnng
finden wird. Sehr wichtig fflr die Zeitbestimmung dieses Lagerteiles ist die
Auffindung mehnsrer Gräber (12060—12086), welche in dem Schutt der ge-
nannten Bauwerke, namentlich der Magazine, angelegt waren. Eines derselben
ist sogar in dne Mauer derselben eingeschnittra. Sie zeigen, dass das Lager
in der mittlere Kaiserzdt, der die in den Gräbern aufgefundenen Thongefässe
sämtlich uigehOren, bereits als solches aufgegeben war. Da die Gräber aber
auch ausserhalb des späteren Alralagers liegen, so kOonen me sehr wohl von
seiner Besatzung herrfihren. Endlich kamen südwestlich von den eh^n be-
schrieben^! Kaserne, getrennt durch eine 6 m breite Querstrasse, vier weitere
Kasemenbauten von 33,60 m Länge zu Tage, von denen die beiden äusseren
9 m, die inneren 18,60 m breit sind. Bei der Ostlichsten von ihnen, von deren
Mauerwerk der aus Tuffstein hergestellte Aufbau stellenweise etwa 26 cm
erhalten war, Hessen sich sowohl die Eingänge zu den einzelnen Zimmern als
auch der Hanpteingang noch deutlieh erkennen. Sie enthielt 13 ungleich breite
Räume in zwei Reihen, von denen die der östlichen 5,20 m und die der west-
lichen 3,40 m tief sind. An der Innenwand des nordöstlichen Eckraumes fand
sich eine Anzahl kleiner runder Gruben, deren Form und Beschaffenheit deut-
lich zeigte, dass sie zur Aufstellung von Amphoren gedient haben. Der da-
rauf folgende Bau weist vier Reihen von je 8 Zimmern auf mit Eingängen
von 1,15 bis 1,30 m lichter Weite. Wie derselbe im nördlichen Teile gestaltet
war, darüber liess sich keine rechte Klarheit gewinnen. Die dritte Kaserne
stimmte im Grundriss und in der Bauart mit der zweiten ttberein. Von der
vierten konnte bislang nur die Ostseite in ihrer ganzen Länge blossgelegt
werden, weil der grösste Teil in das nicht zur Verfügung stehende Nachbar-
grundstflck sich hineinzieht.
Auf der Südseite dieser Kasernen stiessen die Grabungen auf eine 3,20 m
breite Gasse^und auf die daran anstossende Rückseite dreier grosser Bauten,
von denen vor der Hand nur ein schmaler Streifen untersucht werden konnte.
In dem östlichen Bau, welcher eine Breite von 36,10 m hat, liess sieh ein 3,10 m
breites Badegemach feststellen mit einem Estrich, dessen Rand mit einem
Viertelrundstab versehen war. Während dieser Bau von dem zweiten 34,20 m
breiten Gebftude 1,30 m entfernt ist, trennt dieses und das dritte Gebäude nur
rUr die Zeit \
. April 18!)7 bis 81. Murz
231
ein Zmselienranm von 0,95 m. Die sorgfältip ans Baealt hergestellten Funda-
mente, das ans Tnfffiteinen gnt gofilgte anflehende Maaerwerk, sowie die Spnrcn
farbigen Waiidverput/es weisen auf Qnarliere hftliercr Offiziere tiin. Endlich
wurde auch noch die von der via priucipalis zum Nordthore flllirendc Strasse
sowie der in ihr liegende Kanal untei-sucht.
Im Laufe dos Winters wandten sich die Grabungen der Anfsuchung der
in dem südlich der ProvinzialstraBsc liegenden Haupgarten des Sehnslers Pajw
vorhandenen Oetflanke des Praetorinms zu. Es gelang, so weit dies die vor-
handene Banrnknllur gestattete, eine von Süden nach Norden laufende Mauer
aus Basalt und Tnfl', welche vier grosse Räume bcgren/t, bloss zu legen. Ein
a,50 m i. L. breiter Oang iTcnntc diese Käume, deren Tiefe noch nicht fest-
gestellt werden konnte, von einem 27,32 ni langen Flllgel. Zwischen diesem
BÜdltehen und dem nördlichen, noch der Aufdeckung harrenden Teile der Ost-
flanke des Praetoriums fand sieh ein 6 m breiter Eingang, dessen wirkliche
Breite jedoch durch einen Einbau an der Nordseite auf 3,7.t m vermindert
wird. In dem anBchliessenden HdberacheD Garten wurden eine etwa SfiO m
breite Strasse und Teile /.weier mit den Langseiten dem Praclnrinm parallel
laufender Kasernen eimittelt mit je zwei Reiben von Zimmern. Der nördliche
Trakt der zweiten Kaserne war zum Teil zerstört durch später an seiner Stelle
errichtete Fundamente, welche, wie eine nähere üntersnebung ergab, Reste des
Ostthorcs des späteren Alenlagers waren, von dessen Anlage ein befriedigendes
Bild erst durch weitere Grabungen gewonnen werden kann. Die Ausbeute an
kleineren Funden war auch diesmal eine beträchtliche (11774 — 12021, 12036
—12108, 12256—19289, 12304—12320). Darunter verdienen eine besondere
ErwShnung ein Griff in Gestalt eines springenden Pferdes (11785), eine
Hängevcrziernng mit punktierten OrnHnienten (11847), eine GefässbekrOnung
in Gestalt eines Dreizacks mit Dcipbineo (11914), ein Zierstück in durch-
brochener Arbeit (12263) nnd eine emaillierte sechseckige Schmnckplatte
(12268).
Die ErilfTnong zufällig zu Niederdollendorf im vorigen Sommer aufge-
fundener frfinkiseber Gräber, die der Eigcntflmer des Terrains gelegentlich
einer Fabrikanlage selbst vornehmen lies», wurde vom Museum beobachtet. Die
Fundstfleke gelangten durch Schenkung des rierm Fabrikbesitwrs Zürbigins
Museum (12169—12220), Ahdeekungsarlieiten auf den Bimssteingrnben bei
Weissenthurra führten zur Auffindung von Wohnstätten aus vorrömischer und
römischer Zeit, wodurch die Örtliebkeit der dortigen Ansiedlungen genauer
ermittelt wurde (s. Bonn. Jahrh. 102, S. 19:^). Von den bei dieser Gelegen-
heit bloBSgelegten Töpferöfen wurde einer, der besonders gut erhalten war,
vom Museum genauer untersucht und aufgenommen, unsere Kenntnis» des
römischen Bonn hat auch in diesem Jahre eine Bereicherung erfahren, indem
sowohl innerhalb des römischen Lagers in unmittelbarer Nähe des im vorigen
Jahresbericht erwähnten Bauwerkes (s, Bonn. Jahrb. 101, S. ]6nf.) Teile
eines zweiten Geliäudes, als auch an der Coblenzerstrasse Reste einer Villcn-
Mtlage aufgedeckt wurden, welche zweifellos mit den im Jahresbericht für
232 Berichte über die Thäligkeit der Proviuzialmuseen
1895/flG bcBeliriebenen Gebäulichkeiten im Garten des Erzbischöflitheii CouvietB
in Zusammenhang:: stehen. Von beiden Ansgrabnn^n wurden durch Herrn
Stadtbaurat Sehultze g'enaiie Aufnahmen gemacht.
Aus den Erwerbungen des Museums, welche sieh insgesamt auf 901
Nummern belaufen, sind besonders folgende hervorzuheben.
1. Praehiatorische Abteilung.
Ein Grabfund mit Thongefössen der Hallstattzeit vom Brilekberg bei
Siegbnrg (12027— 12040) und zwei rohe germauiscbc Gcfasse (11675— 11676),
Oesehenke der Stadt Homberg,
II. Römische Abteilung.
1. Steindenkniäler. InBcbriften: Weibinsebriftan die Matronac Fahineibae,
gel. in Enskirfben (117Ü7), besproeben in Bonn. Jahrb. 103, S. 180 f.; Grab-
denkmal des Seiiuatius Tertius mit dem Bildnis des Verstorbenen aus Köln
(121 10), Grabstein des Militärtribunen einer Cohorte, gef, in Heddesdorf
(11680), sowie zwei Grabinschriften aus Köln und Bonn (12293, 12261),
9. Bonn. Jahrb. 102, S. 188 ff.
2. Skulptur- und Architektnrstfleke : Statuette eines sitzenden Jupiter
ans Bonn (11717), die Hülfte eines Viergfittersteines ans rothem Sandstein
mit Minerva, gef. in Euskirchen (11708), a. Bonn.'Jabrb. 102, S. 181 und
ein Pilasterkapitäl mit einem männlichen Kopf aus Köln (12111).
3. Grabfunde. Zwei reich ausgestattete Urnengräber, deren eines durch
eine Mitnze des Vespasian datirt ist, ans Bonn (11728 — 11756), Geschenk der
Lese- nnd Erbolnngsgescllschaft hicrselbst. Zwei ebenfalls durch die Mttnz-
beif;atiCTi datierbare rialtciiyrilbcr uns Bnmi ( 1 1 iMI4 — 1 1 G'."l9). Dlt Inhalt eines
Skelettgrabes, gef. zn Köln mit reichen Beigaben von Thon und Glas, sowie
eines verzierten Bronzearmbandes (12041 — 12049). Ein spätrömiseher Grab-
fund von Mastershansen (12295—12303) mit charakteristischen Thongescbirren
und einer Zierscheibe aus Silber in durchbrochener Arbeit,
4. Einzelfnade von KleinaltertUmem : a) ans Bronze: Mercnrstatnette,
gef. bei Ncnss (12160), Geschenk des Herrn Tappen, zwei AppUken mit
den Büsten einer Victoria und eines Atys aus Köln (11702. 11706), eine
Doppcllampe ans Call (Eifel) (11701), ein Armband mit eingestanzten Vogel-
fignren (12152) und ein solches mit spiralförmig aufgerollten Enden (11767),
s. Bona. Jahrb. 102, S. 179 nnd drei emaillierte Fibeln aus Weissenthurm (12149
-12159) besprochen in den Bonn. Jahrb. 102, S. 192.
b) ans Thon: eine Terrakotte der Venus mit Amor, 26 cm h., und eine
Fortuna, 16'/, em h. (12115 — 12116), ein Becher, mit Thierßguren in Barbotin-
teehnik (11437) nnd ein solcher mit weiss aufgemalter Aufschrift „Felix"
(11439), ein steilwaudiger, mit Gruppen horizontaler Parallellinien verzierter
Becher aus Eich bei Andernach, Nachbildung eines ähnlichen Glasbechers ( 1 1689)
nnd zwei Lampen, die eine mit drei Brennern, die andere mit der Darstellung
eines Schafes (11678-12294).
c) Ans Glas: eine vierseitige Flasche, 27 cm hoch, mit der Fignr dea
für die Zeit vom 1. April 1897 bis 31. März 1898. 233
Mercur und einem Fabrikstempel im Boden (11692), eine Phiole aus violettem
Glas (11719) und eine Schale mit umfallenden Rand (11720), Nachbildung
eines ähnlichen Thongefässes.
III. Fränkische Abteilung.
Waffen und Schmucksachen aus fränkischen Gräbern bei Oberkassel
(11721-11727; 11758-11764), geschenkt vom Oberst z. D. Wulff daselbst.
Der Inhalt eines Frauengrabes aus Bacharach, bestehend aus einem goldenen
vierseitigen Haarnadelknopf, welcher oben mit Einlagen farbiger Glasflüsse be-
deckt ist, einem silbernen Ohrring, einer Perlenkette und einem Napf aus
schwarzem Thon (12023—12035. 12031), ferner eine Anzahl Waffen, darunter
zwei wohlerhaltene Langschwerter und zwei seltene Wurflanzen, Angonen, aus
einem Gräberfelde bei Zülpich (12228-12248), s. Bonn. Jahrb. 102, S. 193 f.
IV. Mittelalterliche und moderne Abteilung.
Eine hübsche romanische Fenstersäule mit Kapitell und eine Fussboden-
fliesse mit romanischen Ornamenten (11546—11547), Geschenk der Stadt
Bonn, s. Bonn. Jahrb. 101, S. 173. Bruchstücke von Kacheln mit gothisieren-
den Verzierungen, wahrscheinlich Poppelsdorfcr Fabrikat (12160), s. Bonn.
Jahrb. 102, S. 169; eine kleine schmiedeeiserne Truhe (11716), ein reich
verzierter Sporn aus Kupfer (12118), sowie Reste von Grisaillemalereien des
13. Jahrhunderts aus den Chorpolygonfenstem des Altenberger Domes (11757),
als Depositum überwiesen von der Königl. Regierung zu Köln.
V. Münzsammlung.
a) Die römischen Münzen wurden bereichert durch einen Münzfund vom
Hunsrück mit 585 Mittel- und Kleiner/en von Gallien bis Constantius II.
(11548-11668) und einen Aureus des Honorins (11679).
b) Für die mittelalterliche Sammlung wurde ein Oberweseler Goldgulden
des Erzbischofs Werner von Falkenstein (11773) erworben.
Der Besuch des Museums an den öffentlichen Tagen war besonders rege,
an Eintrittsgeldern wurden insgesamt 267 Mark vereinnahmt. Einer Anzahl
von Vereinen, deren Mitglieder an in Bonn abgehaltenen Festversammlungen
Teil nahmen, wurde freier Eintritt gewährt. Ausserdem erläuterte der Unter-
zeichnete den Lehrern verschiedener Kreise der Provinz sowie den Schülern
von Lehrerseminaren und höherer Schulen die Denkmäler des Museums und
behandelte an der Hand der Sammlungen des Museums in einer für Studierende
bestimmten Vorlesung die Culturentwicklung des Rheinlandes in vorrömi-
scher Zeit.
Der Museumsdirektor
Klein.
234 Berichte über die ThHtigkeit der Provinzialmuseen
IL Trier.
Die Hauptthätigkcit des Provinzialniuseums galt im verflossenen Jahre
der Ausgrabung eines römischen Wohnhauses in Trier. Das Gebäude liegt im
Centrum des römischen Trier, gegentlber dem Kaiserpalast auf einem Grund-
stück des Herrn Fabrikbesitzers Schaab, der die Ausgrabung in liberalster
Weise gestattete und förderte. W^ährend im Norden die jetzige SQdallee, im
Westen ein Privatweg, im Süden die Rücksicht auf moderne Bauten der gänz-
lichen Freilegung des römischen Bauwerkes Halt geboten, konnte wenigstens
die östliche Hausfa^ade genau untersucht werden. Einer römischen, in nord-
südlicher Richtung verlaufenden Strasse entlang (vgl. Fig. 28) standen hier
zunächst die mächtigen Sandstcinsubstruktionen einer geräumigen Vorhalle and
mit ihnen verbunden die Vorrichtungen für den Ablauf des Regenwassers.
In dem 2^l^m breiten Hausthor, dessen Pfeilerfundamente noch erhalten
waren, lag noch ein grosser Teil der Sandstcinschwelle (a). Betritt man durch
dieses Thor das Haus, so hat man zur Rechten (nördlich) die ausgedehnte
Badeanlage, zur Linken (südlich) die Wohn- und Wirtschaftsräume. Von der
ersteren war schon im Jahre 1895 das Apodyterium (l) und Frigidarium (2)
freigelegt worden, jetzt fand sich auch das Tepidariura (3) und Caldarium (4)
mit mehreren wohlerhaltencn Badczellen und grossen Teilen der Heizanlage
samt dem Hcizkanal. Von der Schwelle des Apodyterium aus führt ein Haus-
gang in südlicher Richtung (5) zu den Wohn- und Wirtschaftsräumen. Von
den ersteren ist zunächst zu nennen ein geräumiges, nicht heizbares Zimmer
von 7 V2 • 5 Dl lichter Weite (6), welches vollständig unterkellert ist. Ein
doppeltes Kreuzgewölbe, welches grosseuteils noch erhalten war, trug den
Ziniracrboden. Dieses ist aber erst in einer späteren Bauperiode an die Stelle
einer Balkendecke getreten, wie deutliche Spuren von Balkenlageni nach dem
Entfernen der Gewölbebogen zeigten. Nacli Süden schliesst sich an dieses
Zimmer durch einen schmalen Korridor (7) getrennt, ein rot verputzter Licht-
hof (8) an, um welchen sich drei Wohnzimmer gruppieren. Zunächst südlich
von dem Lichthof liegt ein grosser Saal (9), der augenscheinlich die Form
eines griechischen Kreuzes hatte. Seine grösste bisher ermittelte Ausdehmmg
beträgt 9^1^ m im Lichten. Der grösste Teil des Saales hatte Hypocausten-
vorrichtung, die ebenso, wie die Heiz- und Ranchzttge in den Wänden noch
in ansehnlichen Resten erhalten war. Unter dem nördlichen, nicht heizbaren
Teil des Saales befindet sich der Keller (9a), aus dem die Heizung des Sa<iles
besorgt wurde. Von dem Mosaikboden des Saales waren nur spärliche Reste
erhalten. Westlich von dem grossen Saal liegt ein kleines, quadratisches, un-
geheiztes Zimmer vonSV^ni lichter Weite, vollständig unterkellert. Dies
Zimmer (10) zeichnete sich durch einen prachtvoll erhaltenen Mosaikboden aus,
der mit einem sehr aparten Muster geziert ist. (Vergl. die Tafel.) Herr
Schaab hatte die Freundlichkeit, diesen Mosaikboden dem Provinzialmuseum
zu schenken. Südlich stösst an dieses Gemach ein grösseres, heizbares, aber
nicht völlig ausgegrabenes Zimmer (11), nördlich ein kleines heizbares Zimmer,
Trier. Mosjikboder
i dem römischen Wohnhaus gegenüber dem Kiiiserpalasi,
jetzi im Provinzialmuseum.
für die Zeit vom 1. April 1897 bis 31. März 1898. 235
dessen Heizvorriehtung, sowohl Boden- als Wandheizung, noch sehr gut erhalten
war (12). Auch dieses Zimmer besass einen Mosaikboden, wie einige Reste
zeigten. Sein Licht empfing es durch ein 2 Meter breites Fenster (b) aus dem
oben erwähnten Lichthof. — Weiter nördlich schliesst sich ein geräumiger
Hof an, dessen Boden mit grobem, gestampftem Kies bedeckt war (13). — Im
südöstlichen Teil des Gebäudes fanden sich zunächst zwei kleine gewölbte
Keller (14 u. 15), welche in frühere Wohnräume hineingebaut waren, und
südlich davon noch zwei Gemächer, deren eines (17) heizbar war, während
das andere, unheizbare, über einem wohlerhaltenen Kellergewölbe liegt. Da
diese Räume aber eret zum Teil freigelegt werden konnten, so lässt sich über
ihre Ausdehnung und Bestimmung noch nichts mitteilen. Bereits vor zwei
Jahren aber ist festgestellt worden, dass die Kellereien des Gebäudes noch^ein
gutes Stück weiter nach Süden führen und so darf man von einer Fortsetzung
der Grabung bis zu dem neuen Fabrikgebäude des Herrn Schaab noch man-
ches wichtige Resultat erwarten.
Bezüglich der Erbauungszeit der ausgegrabenen Räume kann hier nur
kurz festgestellt werden, dass einzelne Teile des Bauwerkes in weit ausein-
anderliegenden Zeiträumen gebaut sind. Mit grösserer oder geringerer Klarheit
lassen sich einige frühere Räumlichkeiten herausschälen, die höchst wahrschein-
lich schon im 1. Jahrh. n. Chr. gebaut sind. Dagegen kann der späteste um-
bau des mehrfach veränderten Bades nicht vor das letzte Viertel des 4. Jahrh.
n. Chr. fallen, da unter dem noch wohlerhaltenen Estrich des Tepidariums
eine Bronzemünze des Kaisers Valentinian L gefunden wurde. Auch sonstige
Münzenfunde im Bade bestätigen diesen Ansatz. Genauere Mitteilungen hier-
über müssen einem durch Pläne und Abbildungen illustrierten Berichte vorbe-
halten bleiben.
Da das Terrain bebaut werden soll und die römischen Ruinen also gänz-
lich vom Erdboden verschwinden müssen, so ist es doppelt erfreulich, dass
ausser genauen Aufnahmen und Photographien des Ganzen und seiner Teile
zwei Gypsmodelle hergestellt werden konnten, wozu Se: Excellenz der Herr
Graf von Fürsten berg-Stammheim die Mittel zur Verfügung stellte. Das eine
Modell im Massstabe 1 : 50 stellt das ganze Gebäude (Fig. 28), das andere, im
Massstabe 1 : 25 die Badeanlage gesondert dar. Ausser dem Provinziaimnseum
haben noch andere wissenschaftliche und technische Anstalten solche Modelle
erworben. Ein vorläufiger Bericht des Unterzeichneten über die Ausgrabung
erschien in der wissenschaftlichen Beilage zur Münchener Allgemeinen Zeitung
vom 30. August 1897 Nr. 194.
Zwischen Biewer und Eh rang wurde ein sehr interessantes Gräber-
feld untersucht, dessen Begräbnisse der Übergangszeit aus der einheimischen
in die römische Kultur angehören. Es liegt etwa in der Mitte zwischen den
genannten Orten auf der die Mosel begleitenden Höhe am Rande eines Fichten-
waldes und in der Nähe des dort endigenden Feldweges Lay auf Biewerer
Bann. Etwa 50 Gräber wurden ausgegraben, sie ergaben eine Menge von
spätgallischen und frührömischen Thongefässen, ferner La Tino- und früh-
^M
ffle Borlchte über die Thatigkelt der I'rovlnzialmaseeii '
römiaehe Bro»zc- und EiscDfibeln, sowie Bronzeringe und Eisenwaffen, unte
inderem eine eiserne Feile.
Ein grosser Teil der WintemioTiate wnrde znr Sichtnng, Anfetellung nm
InTentarisation der ncnanfgcnoniracnen Sammlung koptischer Stoff'
nnd knnstgewerblicljer Gegenstände verwendet, welche durel
rrierer Herren von Herrn Dr. Book in Aachen erworheu im Musenm deponier
wnrde. Die sehr reichhaltige nnd nach vielen Richtniigen interessante Sainm
liing, welche ausser einer prachtvollen Auswahl koptischer Gewebe aus frllh
•hriölliehen Grfibern Oberägvptens eine grosse Anzahl genaBsterter Seidenstoffe
1
^^UiSl^
L
Fig:. 2S. Trier, rSmischee Haus {jpgpnüber dem Kaiserpiilast, nach dem im
Provinzial-Museum zu Trier befindlichen Modell.
Stickereien inid Spitzen, ferner Holzmöbel, Tralieu nnd KSstcbeu ans Holz
jeder und Eisen, keramische Erzeugnisse, schmiedeeiserne Arbeiten, kostbAP
Jucheinbämle, kleinere Sclmitz- nnd DrechBolarbeiteii u. a. m. umfasst, ut»
velehe dem Kunstgewerbe in mancher Beziehung Anregung zu bieten im Stande
lein wird, konnte mit den vorbandeneu Mitteln im verflossenen Jnlirc erst zdh
feil aufgestellt und zum geringsten Teile restauriert werden. Es ist sehr zi
vilnsebcn, dass die Mittel znr Vollendung dieser Arbeit möglichst bald zn.
iTerfOgang stehen m'ichten.
1
für die Zeit vom 1. April 1897 bis 31. März 1898. 237
Unter den sehr zahlreichen Ei nzeler Werbungen des Museums seien fol-
gende besonders hervorgehoben:
A. Vorrömische Altertümer.
Ausser dem Inhalt der Biewerer Gräber, soweit er hierher gehört, sind zu
nennen die Spät-La-Tfene-Grabfunde aus zwei Gräbern bei Grügelborn (Kreis
St. Wendel) bestehend aus Urnen, Näpfen und einem eisernen Beil (21216 —
21228, s. Korrespondenzblatt der Westd. Zeitschrift XVII. 1898. Nr. 11).
B. Römische Altertümer.
I. Steindenkmäler. Grabinschrift des Mascellionius Marcellinus, gef.
bei Heiligkreuz (21592 s. Korrbl. XVII. 22). Block von einem Grabdenkmal
aus rotem Sandstein, auf der Vorderseite nur teilweise erhalten die Figur eines
Erwachsenen, daneben ein Kind mit Weintraube und Vogel, auf den beiden
Schmalseiten je ein Baum, an dem eine Schlange emporzüngelt, gef. ebenda
(21593). — Eine sehr rohe Gruppe des Reiters mit dem Giganten, gef. auf der
Grenze zwischen Euren und Trier (21314 vergl. Westd. Ztschrft. XVII. S. 296 fif.
und Taf. 21, Fig. 1 und 2).
II. Bauteile. Mosaikboden mit reicher ornamentaler Verzierung; Wand-
heizung aus einer halbrunden Badenische, die Schwelle des Hausthores und
mehrere Säulenfragmente aus der oben beschriebenen Ausgrabung eines römischen
Hauses. Sämtlich Geschenke des HeiTn Schaab.
III. Einzelfunde von Kleinaltertümern.
a) aus Stein: ein Spielsteiu aus grauem Marmor mit eingeritzter Dar-
stellung eines Pferdes und Inschrift: Aurora Auspicitts var, gef in Trier
(21209, s. Korrbl. XVII. 1898 Nr. 21); ein Baisamarium aus Alabaster, gef. bei
der Ausgrabung bei Schaab (21313).
b) aus Metall: Goldring mit Intaglio, darstellend einen Delphin, gef. in
Trier an der Saarstrasse (21229); Löwenkopf aus Bronze (21280), Bronzeschnalle
mit Email (21290), gef. in Trier bei Schaab; Bronzescheibe mit Löwenkopf,
Glocke, sowie mehrere andere Bronze- und Eisengegenstände, gef. in der Gegend
von Quint (21545—53), eine Bronzewaage mit Gewicht und Hängevorrichtung,
gef. in Trier (21119).
c) aus Elfenbein: Messergriff, der in einen Delphin ausgeht, gef. in
Trier, Saarstrasse (21120), Messergriff mit schöner durchbrochener Veraierung,
gef. in Trier bei Neubauten des Priestereeminars (21236).
C. Münzsammlung.
I. Römische Münzen: Goldsolidus des Maximianus Hercules, Rv.
Herculi victori PTR (21151); Goldsolidus Constautin I. Rv. 3 Feldzeichen SPQR
optimo principi (21150); Goldsolidus des Jovinus, in Trier geprägt Rv. (21149). —
Em Münzfund von 103 Kleinerzen von Valentinian, Valens und Gratian, gef. bei
Trier, 1. Moselufer (21192).
IL Kurtrierer Münzen.
Merovingischer Goldtriens. Av. Kopf n. r. Treveris civitate, Rv. stehende
988 Berichte tber die ThMgkeit der ProvinüAliiiiueeiL
Victoria mit nicht ganz dentlicher Umschrift (21135). Silbermfinze mit Av.
T
VERIS (Treyeris ins Erenz gestellt), Ry. Kirchenfa^ade (21136). Drei Denare
E
nnd ein halber Denar Alberos (21137 bis 21141), yierzehn Qoldgalden Cnnos
yon Falkenstein (21171—84); eine Mflnze Ottos yon Ziegenhain, Conyention
yon 1425 (21142); Doppelthaler Lothars yon Mettemich yon 1610, bisher un-
bekannt, ygL Bohl Nr. 14, geschenkt yon Herrn Bechnimgsrat Nnsbanm (21143).
Der Besuch des Proyinzialmasenms war im yerflossenen Jahre sehr rege.
Die genaue Zählung sämtlicher Besucher ergab die Anzahl 13277 Personen.
Demgemäss waren auch die Einnahmen ans Eintrittsgeldern sehr hoch. Sie
beliefen sich insgesamt auf 2466,30 M., woyon auf das Museum 1082,75 M.,
auf die Thermea in St Barbara 1383,55 M. entfalle. Von dem illnstrierten
ffatubg der Steindenkmftler wurden 16 Exemplare, yon dem Ende September
erschienenen Führer 92 Exemplare yerkauf t. Von den oben erwähnten Modellen
des römischen Oebäudes wurden 6 an auswärtige Anstalten geliefert Der Er-
lös aus Katalogen, Fflhrem und ModeOen beUef sich insgesamt auf 190 M.
In der Woche nach Pfingsten wurde der archäologische Ferienkursus für
westdeutsche Gymnasiallehrer durch Herrn Professor Hettner und den Unter-
zeichneten iibgehalten. Ende September erschien „Fflhrer durch das Proyinzial-
museum zu Trier^ yon dem Unterzeichneten.
Der Museumsdirektor
L V.
Dr. Lehner.
Berichte Über die Thätigkeit der Altertums- und Geschichtsvereine
und über die Vermehrung der städtischen und Vereinssammtungen
innerhalb der Rheinprovinz.
I. Die grösseren Vereine.
1. Vcreiu vod AI t er t nm sir c umleii im R li ein land c.
Seit Aufstellung des im Jahrbuch 101 abgeiliuckteu M i tgiieder-Vcr-
zeichnisses vom 2. Juli 1897 hat der Verein einen Verlost von 39 orilent-
licben Mitgliedern zu verzeichnen gehabt, dem ein Gewinn von 48 neuen Mit-
gliedern gegenüber steht, gn dass die Zahl nm 9 gewachsen ist. Der Verein
zählte demnach Ende August d. J. 512 ordentliche Mitglieder, wozu noch 5
Ehren-Mitglieder nud 3 aUBSernrdentlichc Mitglieder kommen.
Von Publikationen wurden seit der Iet;£ten (ieneral-Vei-sainmlung Jahrbuch
102 mit G Tafeln und 27 TexChguren und das vorliegende Jahrbuch 103 mit
12 Tafeln und 63 Texttiguren ausgegeben.
Die Bibliothek vermehrte sich dureh den Tauschverkehr mit andern Ver-
einen in tlhlieher Weise; angeschuCTt wurden nur einige Fortsetzungen. Es uitiss
jedoch an dieser Stelle eines Übelstandes gedacht werden, der bereits bei dem
Einzug des Vereines iu seine neuen Käume befürchtet wurde, des wachsenden
Platzmangels in dem zur Aufstellung der liUchcr bestimmten Uaume. Die
Bücher füllen jetzt die Fächer reichlich, so dass die Einreibung des jedes Jahr
etwa 21)0 Bände betragenden Zuwachses in absehbarer Zeit unmöglich werden
wird. Uerr Dr. Sounenhurg, der seit lütiS in dankenswertester Weise die
Bibliothek verwaltet, deren Umzug in die neuen Räume geleitet und eine ge-
ordnete Benutzuug der Bücher müglich gemacht hatte, musste 2U Ostern d. J.
zu dem lebhaften Bedauern des Vereines ans dem Vorstände ausscheiden, da
er einem Rufe ab l'rufessor au die Akademie zu Münster Folge leistete. Die
Bibliiithcks-VerwaUiuig wurde nunmehr von Herrn Universitäts-Bibliothekar
Dr. Masslow übernommen.
Abo 9. Dezember 1897 beging der Verein in (ibticher Weise Abends 7 Ülir
im Hdlel Kley zu Hunn das Winekeliuaiius-Fest. Den Festvortrag halte
Berr Prof. Dr. E 1 1 e r llbernommen, der unter Vorlage zahlreicher Karten,
840 Boriehte über die ThlUgkeit der Altort- vl OeeelilelitoTereiiie der BlieliiproTliUb
Pläne und Abbüdungen Aber „Das alte Rom in der Vorstellnng des Mittel-
alters^ spraeb. Dann maebte Herr Prof. Dr. Loesebeke ipe Bdbe von
Mitteünngc»! Aber ansgesteUte AHertflmer. Eän gemeinsebaftUebes Abendetten
bildete den Seblnss der Feier.
An den Yortragabenden wurden im lanfenden Jabre folgende Yortrige
gebalten:
I. am 20 Januar:
üsener, Über SflndflnÜegenden.
Giemen, Über das Mfinster zn Aaehmi.
U. am 24. Februar:
Dragendorffy Über die arretinteeben Yasm und ibr Yerbftltnis
zur augusfeiseben Euistt^).
Loesebeke, UcSier die GtormanendarsfeOungen in der rOmk^ben
Kunst,
üsener, Über das neu gefundene Mosaik Ton Torre Annunziatay
welebes die Platbnisebe Akademie Erstelle.
Die Yer^insreebnung batte Ende 1896 mit einem Bestuid von 618 Mk.
42 Pfg. abgesehloesen. Im Jahre 1897 betrug die Einnabme 6881 Mk. 69 Pfg.
Dieselbe bestand wesentffieb in den JabresbeiMigen der Mitglieder, zu Aeaen
der efaimaUge Beitrag tines lebenslängiieben Mitgliedes (250 Mk.) und der ErlOs
flir verkaufte I^eksebriftra (135 Mk.) kamen.
Die Ausgabe war 3680 Mk. 74 Pfg., davon kamen auf den Druek des
Jabrbucbs, Einladungen u. s. f. 1818 Mk. 66 Pfg., auf Honorar ftr fieitrige
zu den Yereinspublikationen 613 Mk. 20 Pfg., für die HersteOung von Zeieh-
nuDgen, Tafeln und Glicht 759 Mk. 55 Pfg., Bnchbinderarbeit and Versenden
der Hefte 501 Mk. 70 Pfg., Vereinsbibliothek 377 Mk. 15 Pfg. Als Rest ver-
blieben der Kasse Ende 1897 2200 Mk. 95 Pfg. Die Rechnung wurde nach
ihrem Abschlüsse von den Herren Oberstlieutenant Heyn und Rentner Henry
geprüft und richtig befunden.
2. BergiscberGeschichts-Verein.
Der Verein zählt 600 Mitglieder, ausserdem ca. 50 korrespondierende Mit-
glieder.
Ausser den Generalversammlungen fanden in Elberfeld 8 Sitzungen statt,
es sprachen die Herren:
M. Bethany über einen Aberglauben der Gelehrten,
Oberlehrer Dr. Burgass über Elberfelder Familiennamen,
Prof. H. Hengstenberg über die Entwickelungsgeschichte der Städte
Neuss, Düsseldorf und Elberfeld-Barmen,
Oberlehrer Leithäuser-Barmen über Sparen des Donarmythus in Tolks-
tümlichen Sagen und Ueberlieferunged,
*) Abgedruckt im Jahrbuch 103, S. 87 ff.
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschichtsvercine der Rheinprovinz. 241
Oberlehrer Dr. Marseille- Düsseldorf über Katharina Charlotte, die zweite
Gemahlin des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg,
Oberlehrer Dr. Nebe über Konrad von Heresbach,
Dr. Ludw. Salomon über Karl Simrock,
B. Schönneshöfer-Lennep über Theodor Joseph Lacpmblet,
Adolf Werth-Baimen über Johannes Monheim.
Ausserdem veranstaltete der Verein, um das Interesse für die heimische
Geschichte zu beleben und in immer weitere Kreise zu tragen, zu Beginn des
Winters einen für jedermann zugänglichen besonderen Vortrags-Cyklus über die
Geschichte Elberfelds im vorigen Jahrhundert. Herr Otto Schell verwertete
in demselben wichtige, bisher unbenutzte Quellen, die er mit glücklicher Hand
im Stadtarchiv entdeckt hatte, und behandelte: Elberfeld im Anfang des 18. Jahr-
hunderts, Elberfelds Wehr und BewaflFnung in früherer Zeit, Elberfeld im sieben-
jährigen Kriege, Geschichte der Zünfte in Elberfeld vor 100 Jahren. Ebenso
wie dieser Cyklus fanden zwei gleichfalls von HeiTU Otto Schell im Auftrag
des Vereins gehaltene Vorträge in Wülfrath (Aus Wülfraths Vorzeit) und in
Mettmann (Bilder aus der Geschichte Mettmanns) statt.
Die Februar-Sitzung des Barmener Zweig-Vereins galt dem Gedächtnis
des 400jährigen Geburtstags Melanchthons, indem Oberlehrer Dr. Nebe „Me-
lanchthon in seinen Beziehungen zum Niederrhein ** behandelte. In der März-
Sitzung hielt Herr A. Werth einen Vortrag „Zum Andenken Kaiser Wilhelms I."
im Anschluss an eine reichhaltige Ausstellung von Erinnerungsgegenständen aus
seiner Zeit. Und schliesslich in der November-Sitzung sprach HeiT A. Werth
im Hinblick auf den 200 jährigen Geburtstag Tersteegens über Gerhard Ter-
steegen, die mit der Gedenkfeier verbundene Ausstellung enthielt eine grosse
Anzahl von wertvollen Stücken, besonders eine Fülle von Originalbriefen aus
dem Kreise Tersteegens und seiner Freunde. In den anderen Sitzungen des
Barmener Zweigvercins sprachen die Herren:
Baumeister Fischer über eine kunsthistorische Reise durch Jülich-Berg,
Oberlehrer Leithäuser über Wuppcrthaler Familiennamen,
Professor Schlcusner über die Bedeutung Johann Georg Jacobis.
Die erste Generalversammlung des Vereins fand am 12. März statt.
Sie ward eingeleitet durch eine Ansprache des Herrn Direktors Prof. Evers-
Barmen zum Gedächtnis Kaiser Wilhelms I., deren Dnicklegung und Zusendung
an alle Mitglieder beschlossen wurde. Ein von Herrn Baumeister Fischer
ausgearbeiteter Entwurf für das Cäsarius-Denkmal fand die Billigung der Ver-
sammlung, die für die Einweihung desselben die im Juni stattfindende Festfahrt
ins Siebengebirge in Aussteht nahm.
Bei Gelegenheit der Festfahrt nach dem Siebengebirge am 20. Juni 1897
hielt am Vormittag in Königswinter Herr Bethany einen Vortrag über Cäsarius
von Heisterbach, am Nachmittag fand in Heisterbach die Einweihung des von
dem Verein mit einem Kostenaufwand von 1200 Mk. errichteten Denkmals des
Cäsarius von Heisterbach statt.
Die 3. Generalvei*sammlung fand am 3. Dezember in Elberfeld statt; in
Jahrlk des Ver. v. Alterthsftr. im.Rheinl. 109. 16
242 Berichte über die Thätig^keit der Altert- u. Oeschicbtsvereine der RheinproTinz.
ihr berichtete Herr Clement über die Thätigkeit der Siegel-Kommission, Herr
A. Werth über die Arbeiten an Schloss Burg und Herr Prof. Hengstenberg
über den Altenberger Domverein. Ausserdem wurden zwei neue Kommissionen
gebildet, um Andenken an den Krieg 1870/71 zu sammeln und die Portrait-
Sammlung des Vereins zu ergänzen.
Der Jahrgang 1897 der im Namen des Vereinsvorstandes vom Geh. Arehiv-
rat Harless herausgegebenen „Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins"
enthält ausser kleineren Beiträgen an grösseren Abhandlungen zur Geschichte
des bergischen Landes:
Dr. L. Schmitz: Das Inventar des Wert-Nachlasses des Herzogs Johann H.
von Cleve.
E. Pauls: Zur Geschichte der Krankheit des Herzogs Johann Wilhelm von
Jülich-Cleve-Berg (f 1609).
Derselbe : Kulturgeschichtliches (Fortsetzung).
Archivrat Dr. Sauer: Zur Geschichte der Besitzungen der Abtei Werden.
Geh. Archivrat Harless: Relation über die Hochzeit des Pfalzgrafen Jo-
hann Kasimir mit Elisabeth Herzogin zu Sachsen in Heidelberg (1570).
Derselbe : Aktenstücke^ betreffend die Bestattung der Herzogin Maria von
Jtilich-Cleve-Berg in Qeve (1582).
Von der durch Otto Schell herausgegebenen „Monatsschrift des Bergischen
Geschichtsvereins" erschien der vierte Jahrgang (1897); derselbe enthält ausser
einer Fülle von kleineren archivalischen Mitteilungen an grösseren Abhandlungen :
Bethany: Das Leben Engelberts^ Übersetzung aus Cäsarius von Heisterbach.
Aegidius Müller: Windeck.
Schell: Historische Wanderungen durchs Bergische Land.
Die Sammlungen des Vereins erfuhren eine sehr werthvolle Bereicherung
durch die Zuwendung von 12 Ahnenporträts der bergischen Familie Tesche-
macher, ausserdem wurden erworben eine Anzahl bergischer Silbermünzen,
einige Waffen, Siegburger Krüge und verschiedenes Hausgerät.
Der Verein bat die systematische Anlegung einer auf das Bergische Land
sich cretreckenden Siegelsanimlung begonnen.
3. Historischer Verein für den Niederrhein.
Die Mitgliedcrzabl des Vereins beträgt ca. 700, darunter ca. 125 Vereine.
Abgesehen von den Vorstandssitzungen wurden im Berichtsjahr zwei
General-Versammlungen abgehalten, die erste zu Düsseldorf am 2. Juni. Der
Bericht darüber findet sich im 65. Heft der Vereins-Annalen S. 273 fg.
Vorträge hielten Conservator Fr. R. Seh a arsch mid t über die histo-
rische Entwicklung der Stadt Düsseldorf in künstlerischer Hinsicht, Professor
Hüffer über die Beziehungen Sulpiz Boisserccs zu Goethe, Dr. Tille über
die Repertorisierung der kleineren Archive der Rheinprovinz. An die Ver-
sammlung schloss sich eine Besichtigung des Gewerbe-Museums, der Kunst-
akademie und der vorzüglichsten Kirchen Düsseldorfs.
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschichtsyereine der Hheinprovinz. 243
Die zweite VersammluDg fand zu Essen am 13. Oktober gemeinschaftlich
mit dem historischen Verein für Stadt and Stift Essen statt. Einen Bericht
enthält das 65. Heft der Annalen S. 276 fg. Vorträge hielten: Kammer-
präsident Schorn über die Etymologie des Namens „Essen", Rector Franz
Arens über den Liber Ordinarius der Essener Stiftskirche, Oberlehrer Dr.
Ribbeck über das Essener Stift unter den sächsischen und salischen Kaisern.
Es folgte eine Besichtigung der Münsterkirche und ihrer Schätze.
Von der Vereins-Zeitschrift: ^Annalen des historischen Vereins für den
Niederrhein" erschien das 64. Heft, dasselbe enthält die von Herrn Stadtarchivar
Prof. Dr. Hansen herausgegebenen Inventare der zum Teil recht bedeutsamen
niederrheiuischen Stadtarchive zu Kempen, Goch, Kaikar, Rees, Neuss und
Düren. Das 65. Heft der Vereins-Zeitschrift enthält neben kleinereu Beiträgen
die Aufsätze:
Postrat Sautter: Die französische Post am Niederrhein bis zu ihrer
Unterodnung unter die General-Postdirektion in Paris, 1794—1799.
Dr. Herm. Keussen(t): Beiträge zur Geschichte Crefelds und des
Niederrheins (Fortsetzung).
Dr. Bettgenhäuser: Drei Jahresrechnungen des kölnischen Offi-
zialatsgerichts in Werl, 1495—1516.
Dr. Knipping: Ungedruckte Urkunden der Erzbischöfe von Köln aus
dem 12. und 13. Jahrhundert.
4. Gesellschaft für nützliche Forschungen in Trier.
Der Vorstand wurde im Berichtsjahr durch die Wahl der Herrn Prof.
Hettner zum zweiten Sekretär und F. Lintz zum Kassierer ergänzt. Die
Gesellschaft zählt 15 Ehrenmitglieder, 24 ordentliche und 240 ausserordentliche
Mitglieder.
Es fanden zwei Sitzungen statt, in der Sitzung der ordentlichen Mitglie-
der am 11. Mai wurden nur geschäftliche Dinge beraten.
Am 5. Juli fand die Hauptversammlung im Provinzialmuseum statt. Herr
Rechtsanwalt Dr. Görtz hielt einen Vortrag über die Trierer Stadtverfassung
zu Ende des 13. Jahrhunderts. Ausgehend von der Bedeutung, die Trier schon
in römischer Zeit als Stadt und Vcrwaltungscentrum gehabt hatte, schilderte
der Vortragende die wechselnden Schicksale der Bedeutung Triers im Mittel-
alter. Dann besprach er den wirtschaftlichen Aufschwung im 10. Jahrhun-
dert, die Entwicklung der Gewerbe, Stadtrechte und städtischen Pflichten und
der politischen Bedeutung vom 11. bis 13. Jahrhundert.
Alsdann berichtete der erste Sekretär, Herr Dr. Lehn er, über die wich-
tigsten Ausgrabungen und Ei*werbungen des Provinzialmuseums im vergangenen
Jahre unter Vorzeigung der Originalfundstücke und vieler Pläne und Photo-
graphien. (Bericht in der Museographie der „Westdeutschen Zeitschrift für
Geschichte und Kunst" Band 16, S. 360.)
Nach Schluss der Sitzung begaben sich die Teilnehmer unter Führung
244 Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschicht^vereine der RheiDprovin2.
des stellvertretendeD Museamsdirektors za den Ausgrabungen der römischen
Wasserleitung an der Sckützenstrasse und zu dem soeben freigelegten römischen
Gebäude an der Sttdallee. Beide Ausgrabungen wurden eingehend und mit
grossem Interesse besichtigt.
5. Architekten- und Ingenieur-Verein für Niederrhein
und Westfalen.
Der bisherige erste Stellvertreter des Vorsitzenden, Oberbaurat Jung-
b eck er, wurde zum Vorsitzenden gewählt, während der bisherige Vorsitzende,
Geheimer Baurat StUbben, in die Stelle des Stellvertreters einrückte.
An Stelle des Eisenbahn - Bau- und Betriebs - Inspektors Zieger wurde
Stadtbauinspektor Schilling zum Mitgliede des Vorstandes gewählt und dem-
selben das Amt des Schriftführers übertragen.
Die Zahl der Mitglieder stieg von 239 auf 245.
Ueber den Verlauf der im Berichtsjahr abgehaltenen 15 Sitzungen geben
die gedruckten „Aufzeichnungen", die auch den Inhalt der Vorträge auszugs-
weise wiedergeben, Aufschluss. Von den Vorträgen haben die folgenden auch
ein historisches Interesse:
25. Januar 1897: Geh. Baurat Stubben über Dalmatien und seine
Bauten.
17. Mai 1897: Stadtbaurat Heimann über römische Eindrücke.
14. Juni 1897: G. Heuser über die Entstehung architektonischer Stil-
formen.
22. November und 6. Dezember 1896: Stadtbauinspektor Gerlach über
das römische Gräberfeld an der Luxemburgerstrasse in Köln.
Die im Sommer stattfindenden 6 Vereinsausflüge hatten die Besichtigung
von Neubauten und gewerblichen Anlagen zuui Zweck; ausserdem fand ein
grösserer Ausflug nach Brüssel zur Teilnahme an dem internationalen Archi-
tekten-Kongress statt.
Der im Jahr 1896 gewählte Ausschuss für die Veröffentlichung alter
Kölner Wohnhäuser hat einen üeberschlag über den Umfang und die Gesamt-
kosten der Publikation aufgestellt; den Grundstock bildet eine Sammlung von
etwa 60 Aufnahmen älterer Privathäuser, die in den Jahren 1893 — 96 durch
den früheren Königlichen Landbauinspektor, jetzigen Münsterbaumeister in
Strassburg, Herrn Arntz angefertigt worden sind. Die Aufnahmen sind Eigen-
tum des Denkmälerarchives der Rheinprovinz und wurden dem Verein für
die geplante Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Das Werk soll insge-
samt 80 Blatt umfassen , die neu herzustellenden Aufnahmen sind von Mit-
gliedern des Architektenvereins bereitwilligst übernonmien worden. Die Her-
stellungskosten sind auf rund 7000 Mk. berechnet. Hierzu hat der Provinzial-
ausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juli 1897 die Summe von 1500 Mk. be-
willigt, der gleiche Beitrag ist von der Stadt Köln zugesagt.
Der Ausschuss zur Herausgabe des Werkes über die „Entwickelung des
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 245
deutschen Bauernhauses^ hatte bis zum Mai 1897 die Aufnahme von 7 Bauern-
häusern bewirkt; es verpflichtete sich eine Anzahl von Vereinsmitgliedern noch
je 2 Aufnahmen anzufertigen. Die Aufnahmen werden dem Verband zur Her-
ausgabe des Werkes eingeliefert werden.
IL Die Vereine mit beschränktem IVirkangskreis.
6. Aachen. Aachener Geschichtsverein.
Der Vorstand ist in der Generalversammlung vom 20. November 1897
auf drei Jahre wiedergewählt worden; an Stelle der ausscheidenden Herren
Gymnasialdirektor Dr. Schwenger und Direktor der Lehrerinnen-Bildungs-
anstalt Dr. Wacker wurden die Herren Oberbürgermeister Veit man und
Architekt Rhoen als Beisitzer gewählt.
Die Zahl der Vereinsmitglieder beträgt 580.
Im Laufe des Jahres haben drei Monatsversammlungen stattgefunden und
ein wissenschaftlicher Ausflug nach der holländischen Stadt Valkenburg bei
Maastricht. Ueber die in der Generalversammlung und in den Monatsver-
sammlungen gehaltenen Vorträge wird der 20. Band der Vereinszeitschrift
berichten.
Es erschien der 19. Band der Zeitschrift^ der mit besonderer Unter-
stützung der Stadtverwaltung anssergewöhnlich umfangreich hergestellt und mit
zahlreichen Illustrationen verstehen^ als Festschrift zur Eröffnung der Stadt-
bibliothek ausgegeben worden ist. Der erste Teil des Bandes enthält die fol-
genden Aufsätze:
Stadtbaurat J. Laurent: Das neu errichtete Archiv- und Bibliothek-
Gebäude der Stadt Aachen.
Dr. E. Fromm: Geschichte der Stadtbibliothek.
Dr. A. Richel: Astrologische Volksschriften der Aachener Stadt-
bibliothek.
Dr. E. Fromm: Die Dante-Sammlung der Alfred von Renmont'-
schen Bibliothek.
Dr. A. Richel: Zur Geschichte des Puppentheaters in Deutschland im
18. Jahrhundert.
Die zweite Abteilung des Bandes umfasst neben kleineren Mitteilungen
an Abhandlungen ortsgeschichtlicben Inhalts:
Major E. v. Oidtman: Das Wappen der Stadt Aachen.
Dr. 0. Redlich: Urkundliche Beiträge zur Geschichte Aachens im 15.
Jahrhundert.
E. Pauls: Zur Geschichte des Archivs des Roerdepartements in Aachen.
Dr. Th. Lindner: Zur Fabel von der Bestattung Karls des Grossen.
Nachtrag.
246 Berichte über die Thätigkeit der Altert.- iL Geschichtsvereine der Bheinprovins.
Kaplan F. X. Bosbach: Gründung und Gründer der Burtseheider
Benediktioner-Abtei.
Kanonikus Dr. Beiles heim: Beiträge zur Geschichte Aachens im 16.
Jahrhundert.
Prof. Dr. M. Schmid: Zur Geschichte der Familie von Trier.
Dr. W. Brttning: Aachen während der Fremdherrschaft und der Be-
freiungskriege.
7. Aachen. Verein für Kunde der Aachener Vorzeit.
An Stelle des als Seminardirektor nach Saarburg versetzten ersten Vor-
sitzenden Dr. Wacker wurde der Direktor der Lehrerinnen -Bildungs-Anstalt^
Herr Dr. Kellet er, in der Generalversammlung vom 28. October 1897 gewählt.
Die Zahl der Mitglieder hielt sich auf der Höhe von ca. 220.
In den Sitzungen des Vereins wurden die nachfolgenden Vorträge ge-
halten :
21. Januar 1897: Herr Staatsanwaltschafts-Sekretär Schollen gab Kultur-
bilder aus der Geschichte Aachens im 15. Jahrhundert. Herr Land-
gerichts-Sekretär J. Fey sprach über den Musiker und Xylophonisten
Gussikow, der im Jahre 1837 in Aachen ein frühes Grab fand.
16. März 1897: Herr Schollen schildert den Besuch Napoleons in Aachen
nach dem Bericht eines Augenzeugen. Herr Fey sprach über den
Aufenthalt Fr. Aug. von Klinkowströms in Aachen im Jahre 1814^ der
hier als chef de bureau des Generalgouvemeurs Sack bei der Organisie-
rung der Landwehr thätig war. Herr Dr. Brüning teilte das Protokoll
einer Stadtratssitziing aus dem Jahre 1819 mit, nach dem die Strassen-
beleuchtung in Aachen abgeschafft wurde. Herr Oberlehrer Oppen-
hoff sprach über M. KOrfgen und seine grossen Verdienste um die
Schöpfung der Anlagen auf dem Lousbcrg im Jahr 1818.
3. Juni 1897: Herr Schollen hielt einen Vortrag über Aachener
Strassen-, Flur- und Ortsnamen. Herr Architekt Rhoen sprach über
italienische und Aachener Mosaiken.
28. October 1897: Herr Dr. Brüning teilte einen Original-Bericht über
die Feierlichkeiten bei einer der letzten Königskrönungen in Aachen
mit, sodann den Bericht eines Augenzeugen über die Überbringung
des Leichentuches Ludwigs XV. nach Aachen durch den General-In-
tendanten Ludwigs XVI. Herr Fey sprach über den ehemaligen
Zciclicnlelirer Salm, in Aachen un(J legte dessen Zeichnungen von
Aachener historischen Gebäuden vor.
Am 30. Juni 1897 veranstaltete der Verein einen wissenschaftlichen Aus-
flug nach dem ehemaligen Prämonstratenserkloster Wenau, dessen Erklärung
Herr Pfarrer Schnock übernommen hatte, und nach den Ruinen des Klosters
Schwarzenbroich.
Von der im Auftrag des Vereins herausgegebenen Zeitschrift yjAxis Aachens
Berichte über die Tbätigkeit der Altert.- u. Qeschichtsvereiue der Rheinprovinz. 247
Vorzeit^ ist der 10. Jahrgang erschienen. Derselbe enthält neben einer Anzahl
von kleineren Mitteilungen an grösseren Aufsätzen:
H. J. Gross: Schönau (Fortsetzung).
W. Brüning: Zum Rastatter Gesandtenmord.
Franz Sehollen: Ein „gemeiner Bescheidt" des Aachener SchöflFen-
stuhls.
H. Schnock: Aufzeichnungen eines Haarener Kirchenbuchs aus den
Kriegsjahren 1792—1795.
J. Fey: Zur Geschichte Aachener Maler des 19. Jahrhunderts.
K. Wacker: Max von Schenkendorf am Rhein und in Aachen.
A. Bommes: Zur Geschichte des Ortes Schevenhütte.
8. Bonn. Verein Alt-Bonn.
Die Zahl der Vereinsmitglieder betrug 154. Am 18. November 1897
hielt der Verein seine Generalversammlung ab, in derselben sprach zunächst
Herr Dr. Armin Tille über das Archidiakonat Bonn, sodann Herr W. Fuss-
bahn über ein Spottgedicht auf den letzten Kurfürsten von Köln. Eingehende
Berichte über die Vorträge erschienen in der „Deutschen Reichszeitung" vom
19. November und in dem „General-Anzeiger für Bonn und Umgebung" vom
20. November 1897.
Die Archivalien des Vereins sind durch HeiTn Dr. Tille geordnet und
katalogisiert worden. Unter den Erwerbungen für die Sammlungen des Vereins
sind zwei seltene Druckschriften „Kurtze Relation über die Einnahme von Bonn
1584" und Meinertzhagen „des evangelischen Bürgers Handbüchlein, Bonn 1544"
sowie eine silberne Medaille auf Friedrich III von Brandenburg und den Feld-
zug des Jahres 1689 gegen Bonn hervorzuheben.
9. Düsseldorfer Geschichtsverein.
Die Mitgliederzahl des Vereins betrag am Ende des Berichtsjahres 333.
An Stelle des Herrn Prof. Bone, der durch Krankheit gezwungen war,
den Vorsitz niederzulegen, wurde Herr Prof. Dr. Hassenkamp zum Vorsitzenden
gewählt; an die Stelle des wegen Ueberbürdung ausscheidenden Vorstandsmit-
gliedes, des Herrn Landtagsabgeordneten Kirsch, trat Herr Regierungsrat Dr.
von Krüger.
In den Verearamlungen des Vereins wurden die folgenden Vorträge gehalten :
19. Januar 1897: Herr Pauls sprach „über den Hexenwahn am Nieder-
rhein".
16. Februar 1897: Herr G. Bloos: Zur Geschichte der Pest und der Rochus-
kapelle. Der Redner behandelte zunächst im Allgemeinen das Auftreten der
Pest in Deutschland vom Mittelalter an und den Zusammenhang zwischen den
Pest-Epidemien und den Gründungen von Rochuskapellen. Für Düsseldorf
speziell wies er dann die Erbauung einer ersten Rochuskapelle um 1350 nach*
248 Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz.
Herr Bio ob sprach dann ausführlich über das öftere Auftreten der Pest in
Düsseldorf im 17. Jahrhundert bis zu ihrem letzten Auftreten im J. 1669. Im
Zusammenhang mit dieser letzten Epidemie steht die Erbauung der noch he-
stehenden Rochuskapelle in den Jahren 1667 — 1670^ deren Baugeschichte von
dem Redner auf Grund eines reichen Aktenmaterials eingehend behandelt wurde;
der Vortrag schloss mit einer künstlerischen Würdigung des Bauwerks und seiner
Einrichtung.
9. März 1897: Herr Oberlehrer Dr. Bützler: Die Belagerung von Neuss
durch Karl den Kühnen.
3. April 1897: Herr Archivar Dr. Redlich: Wilhelm L, Herzog von
Berg (t 1408). — Herr Ditges: Das Eisenbahnwesen vor fünfzig
Jahren.
28. Oktober 1897: Herr Pauls: Zur Geschichte der Herzogin Jakobe
von Baden und der Geisteskrankheit ihres Gemahls, des Herzogs Johann
Wilhelm von Jülich-Cleve-Berg.
23. November 1897: HerrDr.Küch: Die Stadt Düsseldorf in ihrer wirt-
schaftlichen Entwicklung.
19. Dezember 1897: Herr Oberlehrer Dr. Bützler: Israel Ory und die
armenischen Königspläne des Kurfürsten Johann Wilhelm.
Zwei Ausflüge wurden im Sommerhalbjahre unternommen, die sich beide
einer zahlreichen Beteiligung erfreuten. Der erste fand statt am 16. Juni und
galt der Besichtigung von Mülheim a. d. Ruhr, des* Schlosses Broich und des
interessanten Museums des Herrn R. Rh einen am Kahlenberge. Am 4. August
wurde zugleich mit dem Bergischen Geschichtsverein das Schloss Burg a. d.
Wupper besucht.
Am 14. August, dem Tage der Stadtgründiing, wurde eine Festschrift
vom Vereine herausf!:c^cben, welche das in der Königlieben Kunstakademie neu
aufgefundene Portrait der grade vor 300 Jahren verstorbenen Herzogin Jakobe
von Baden den Mitgliedern zugänglieli machte und ausserdem zwei im hiesigen
Königliclicn Staatsarchive aufbewahrte Geistesprodukte der unglücklichen Fürstin
publizierte. Der erläuternde Text ist von Herrn Conservator Schaarschmidt
verfasst.
Der 1897 ausgegebene XII. Band des Vereins - Jahrbuchs „Beiträge zur
Geschichte des Niedcrrlicins" enthält hauptsächlich eine Abhandlung von Dr.
F. Küch „Die Politik des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm 163l> bis 163(). Zu-
gleich ein Beitrag zur Geschichte von Jülich und Berg während des dreissig-
jährigeu Krieges'', ausserdem von Prof. Dr. Ilassenkamp, „Beiträge zur Ge-
schichte der Gehrüder Jacobi. IV. Die Beziehungen Joh. Jak. Wilh. Heinses
zu den Gebrüdern Jacobi" und von Dr. Franz Z am er „Zwei denkwürdige Orts-
namen am Niederrhein (Xanten und Birten)."
Auf die Darlegungen des Vercinsvorstandes vom 13. September 1897 hat
die Stadtverwaltung den jährlichen Zuscliuss auf 800 Mk., also auf das doppelte,
erh(')ht und diesen auf weitere 3 Jahre bewilligt. Es wird nunmehr möglich
sein, die Vorarbeiten zu der schon lange geplanten Publikation, der Heraus-
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- a. Geschichtsvereine der Rheinprovinz. 249
gäbe der Urkunden der bergischen Klöster, zu beginnen. Mit der Drucklegung
einer diese ürkundenbücher betreffenden Deukscbrift soll in der nächsten Zeit
der Anfang gemacht werden.
10. Essen. Historischer Verein für Stadt und Stift Essen.
Die Zahl der Mitglieder des Vereins stieg auf 169. Der Verein hielt im
Laufe des Jahres 3 Sitzungen ab, bei denen die nachfolgenden Vorträge ge-
halten wurden.
22. Januar 1897: Herr Oberlehrer Dr. Ribbeck sprach über die Blüte
des Essener lutherischen Gymnasiums unter dem Direktor Joh. Heinr.
Zopf (1719-1774), Herr Julius Bädecker über die Anfänge des
Buchdrucks in Essen und dessen Entwicklung im 18. Jahrhundert (ge-
druckt in Heft 18 der Vereins-Zeitschrift).
26. März 1897: Herr Franz Arens sprach über das Essener Siechen-
haus und seine Kapelle (gedruckt in Heft 18 der Vereins-Zeitschrift).
Am 13. Oktober 1897 fand eine gemeinschaftliche Sitzung mit der
Herbstversammlung des historischen Vereins für den Niederrhein in Essen
statt. In derselben sprachen Herr Kammerpräsident Schorn über die Ety-
mologie des Wortes Essen, Herr Franz Arens berichtet über das in zwei
Exemplaren — aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts und aus dem 15. Jahr-
hundert — erhaltene „Liber Ordinarius" der Essener Stiftskirche; dasselbe
enthält die Anweisungen zur Abhaltung des Gottesdienstes unter genauer Angabe
aller Ceremonien u. s. w., Herr Oberlehrer Dr. Ribbeck hielt einen Vortrag
über die Glanzzeit des Essener Stiftes, der zugleich als Einleitung zur Be-
sichtigung der Münsterkirche und ihrer Schätze diente.
Das 18. Heft der Vereins-Zeitschrift: Beiträge zur Geschichte von Stadt
und Stift Essen enthält folgende Aufsätze:
G. Humann: Gegenstände orientalischen Kunstgewerbes im Kirchen-
schatze des Münsters zu Essen.
Dr. L. Wirtz: Die Essener Äbtissinnen Irmentrud (ca. 1140 — 1150)
und Hadwig II. von Wied (ca. 1150-1180).
Franz Arens: Das Essener Siechenhaus und seine Kapelle. Der Ver-
fasser behandelt zunächst auf Grund eines reichen Urkunden-Materials
die Geschichte des aus dem 14. Jahrhundert stammenden Leprosen-
hauses, dessen Bau indessen verschiedentlich durch Neubauten ersetzt
wurde; im Anschluss daran giebt er die Geschichte der in der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts erbauten und noch bestehenden Siechen-
kapelle, die jedoch in den Jahren 1628 und 1760 weitgehende Wieder-
heretellungen erfuhr,
Dr. F. Schroeder: Sittliche und kirchliche Zustände Essens in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Julius Bädecker: Über die Anfange des Buchdrucks und des Zei-
tungswesens in Essen und beider Entwicklung im 18. Jahrhundert.
250 Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschichtsvereine der Bheinprovinz.
Das 19. Heft der Vereins-Zeitschrift bildet:
Dr. Eonrad Ribbeck: Geschiebte des Elssener GyrnDasioms. IL Teil:
Die lutherische Stadtschule 1564-1611.
Auf Veranlassung des Vereins sind ca. 50 photographische Aufnahmen
von älteren Strassen und Gebäuden Essens hergestellt worden.
11. Geldern. Historischer Verein für Geldern und Umgegend.
Die Mitgliederzahl des Vereins stieg auf 150. In den drei Sitzungen
des Vereins wurden die folgenden Vorträge gehalten:
27. Mai 1897 in Geldern: Herr Ehrenbürgermeister Freiherr von Geyr:
Über Hexenprocesse.
1. August 1897 in Camp: Jlerr Real: Entstehung und Entwicklung
GampS; insbesondere der ehemaligen Gisterzienser-Abtei.
Derselbe: Die Schlacht bei Klostercamp am 16. Oktober 1760.
8. December 1897 in Geldern: Herr Ehrenbürgermeister Müllenmeister:
Die römischen Befestigungen am Niederrhein, EastellC; Marschlager
und Standlager.
Herr Bürgermeister Hambachs: Das Rathaus zu Geldern.
Von den beiden letztgenannten Vorträgen sind Druck-Ausgaben er-
schienen.
Die Vereinssammlungen erfuhren eine Bereicherung um eine Anzahl
preussischer Münzen, einige alte Ansichtwerke, Bilder u. s. w.
Im Lauf des Jahres hat der Verein Verbindungen angeknüpft mit zwei
in Holland, im Bezirk des alten Herzogtums Geldern, bestehenden Altertumsver-
einen, Dämlich „Provinciaal Genötehap voor geschiedkundige Wetenchapen,
taal en kuiist" zu Roermond und „Vereeniging Gelrc'^ in Arnheim.
12. Kempen. Kunst- und Altertumsverein.
Die Zahl der Vereinsmitglieder betrug in dem Berichtsjahr 105, die der
Vorstandsmitglieder 15.
Der Verein hielt eine Generalversammlung ab, ausserdem versammelte
sich der Vorstand regelmässig alle drei Monate und dann noch nach Bedürfnis
zur Besprechung von Vereinsangelegenheiten.
Im Laufe des Jahres erfuhren die Sammlungen im wesentlichen die
folgenden Vermehrungen: ein Kabinetsschrank (Intarsia-Arbeit), geschnitzte Holz-
figuren, Sttihlc, Krüge (Racrencr Henkelkrug und ägyptischer Krug), chinesische
Tassen, Schüssel und Kanne aus Zinn, Laterne aus Kupfer, schöne alte Münzen
aus Silber und Kupfer, Denkmünzen, eine gothische Stickerei, zwei Bücher mit
Illustrationen der Schlachten des Prinzen Eugen, ein Zunftbrief, ein Glaspokal
mit Deckel, zwei Römer, eine gebrannte Scheibe, ein McssergriflF im Renais-
sance-Stil.
Berichte aber die Thatig-kuit der Altert,- u. GoschlchtsvereJno der Rhclnprovlna. 251
13, Kleve. Altert ums verein.
Die Zahl der Vercinsmilglieder betrug 108. Eb fand am 20. Januar 1898
eine Vereinasitznng statt, in der der Vorsitzenile über das römische Bindern
und die dort vom Verein veraustaltclca Ansgraban^en spraeh.
Nach der Lage der Stadt Kleve ist anicunebmeii, dass in römischer Zeit
eine Heerstrasee nahe vorbei führte. ZnnäcliBt sachte nun der Klevieehe Verein
die Spuren des rümisetien Gräberfeldes, welebes eicb schon längst in der Nähe
dieser Strasse vrestlich von Moyland nachweisen Hess, weiter zu verfolgen.
Über frllhere Fnnde in jener Gegend vgl. Bonner Jahrb. IX, 41 ff. und Kunst-
denkmülcr der Rbeinprovinz, Kreis Kleve, S. 91 u. 135. Mit Erlaubnis des
Bo^itzers der Ländercien, auf denen die Tfaätigkeit einsetzen musste, konnte
der Verein im Juli 1897 seine Nacbforschangen beginnen. Etwa 50 Meter von
der KCmergtrasae entfernt, deren eigentflmi iche Anlage sich noch jetzt aus den
zum Teil durch Getreidefelder sich hindurch ziehenden Kiesschiehten feststellen
lässt, findet sich eine mit Kiefern bewachsene Hügelkette von etwa 12 m Höhe,
die ein weites Plateau nach Osten hin gegen die Rheinebene abgrenzt, nach
dieser hin ziemlich steil abfällt und vom Kamm bis zum Fuss an der Hochebene
sieh etwa 170 m ausdehnt. Sie ward auch vor 30 Jahren durchforscht, und
68 kamen bei den damaligen Ausgrabungen Gegenstände zum Vorsehein, die
zum Teil zu den selteneren Beigaben der Gräber gehören, so namentlich eine
flache, runde, stark versilberte Sehllssel und eine viereckige Tafel von Blei
von etwa 5 cm Breite und Höhe mit einem in der Mitte eingeschnittenen Kreis,
um welchen die Inschrift eingegraben ist: Cape pignns ameris. Albaune . . . tes.
{Vergl. «her diese und ähnliehe Tafeln Bonner Jalirbb. XLVII., XLVIII,
L, LI,)
Die Bemühungen fahrten zum Aufdecken von Krügen, Thonschflsseln,
GlasBcherhen, Umenrcsten, wie sie sonst auch sich beisammen zu finden pflegen,
aber nicht in der Qblichon Lage zu einander. Auf dem Kamm des Hltgelrllckous
waren die Gräber in der geringen Tiefe von etwa 1 m zu finden, während
nach dem Fasse zu die Tiefe bedeutend zunahm, was mit dem Umstände zu-
Banimenhangt, dass im Laufe der Jahrhunderte die oberen Erdschichten nach
der Seite zu abgeschwemmt sind. Man kam der Römerstrasae näher als frflher.
Es scheint, dass die Gräber unmittelbar an diese anschlössen, denn es ist durch
manche Erfahrung bestätigt, dass auf dem schmalen Felde zwischen der Htlgel-
kette und der Strasse von den Bauern solche Gefässe gefunden und oft mut-
willig zerbrochen sind, die nur ans römischen Gräbern stammen können. Die
ganze römische Ansicdlungsetelle bei Moyland bleibt auch fernerhin ein Gegen-
I stand aufmerksamer Nachfürsohnng seitens des Klevischen Vereins; dieser hofft
in diesem Jahre dort seine Thätigkcit fortsetzen zu können.
An dieser alten Rhein- oder "Waaletrasse fand man schon frtlher im heu-
tigen Dorfe Rindern iinsehnlichc Überreste einer rämisehen Ansiedinng; et) sei
hier nur hingewiesen auf die Abhaudlungen in den Bonner Jahrbb. X, Gl ff.,
I XVU, 221 ff., XXIII, 32 fl"., XXV, 7 ff., XXXI, 121 fl"., XXXVI, 80 ff-, XXXIX,
252 Berichte über die Thätigkeit der Altert- u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz.
168 ff., XL VI, 173 ff., LXI, 60 ff., Knnstdenkmäler der Rheinprovinz, Kreis
Kleve, S. 145, Dederich, Geschichte der Römer und der Deutschen am Nieder-
rhein S. 102 ff.
Als in den Jahren 1870 — 72 in Rindern ein Neubau der Kirche vorge-
nommen wurde, fand man unter und ganz nahe an der alten Kirche sehr feste
römische Grundmauern: einen Flur aus Gussmauerwerk mit 10 Reihen von
Pfeilerchen, die dort eine Badeanlage (suspensura) vermuten Hessen, ferner ein
Gewölbe von demselben Material auf einer aus Ziegelplatten hergestellten Boden-
fläche. Das Ende dieses Gewölbes hat man damals nicht erreicht; aber ganz
zweifelos erstreckt es sich weiter nach Norden unter dem Kirchhof.
Im vorigen Jahre versuchte der Klevische Verein durch Ausgrabungen
weitere Aufschlüsse zu gewinnen. Diese waren durch neue Gräber, die in-
zwischen an jener Stelle nördlich von der Kirche angelegt worden, ausser-
ordentlich erschwert. Ein abschliessendes Urteil über das Gefundene, viereckige,
von festen Grundmauern umschlossene Räume, verschiedenartige Bodenbeläge,
Kies- und Betonschichten, Hess sich noch nicht geben. Unter den kleineren
Gegenständen, die innerhalb der ummauerten Räume zu Tage traten, seien
2 Ziegel mit dem Stempel der 22. Legion erwähnt: LEG XXII PRI (primi-
genia).
14. Koblenz. Kunst-, Kunstgewerbe- und Altertumsvereins
für den Regierungsbezirk Koblenz.
An Stelle des aus Gesundheitsrücksichten aus dem Vorstand des Vereins
ausscheidenden Herrn Geheimen Regierungsrates Breden wurde der Herr Re-
gierungs- und Gelieime Baurat Launer gewählt. Die Zahl der Mitglieder ist
auf 110 zurückgegangen.
Während des Jahres 1897 hat der Verein nur eine Versammlung abge-
halten, mit welcher zugleich die ordentliche Jahres-Versamnilung für 1897 ver-
bunden war. In dieser Versammlung, welche am 20. Deccmber 1897 stattfand,
hielt der Direktor des Central-Gewerbe-Vereins in Düsseldorf, Herr Frauberger,
einen Vortrag über „Email."
Der Vorstand des Vereins veranlasste, dass von den in den Bimssand-
felderu des Herrn Oelligs 7Avischcn Urmitz und Weissenthurm aufgedeckten
Töpferöfen einer erhalten blieb, damit eine Aufnahme durch das Provinzial-
Museum in Bonn erfolgen konnte.
Die Sammlungen des Vereins haben die nachfolgenden Vennehrungen er-
fahren:
An römisclien Funden Ziegel, Gefässe, Münzen u. s. w., die in der Stadt
Koblenz bei Kanalisationsarbeiten gefunden und von dem Stadtbauamt über-
wiesen wurden, eine kleine Urne und Gefässstücke aus einem römischen Grab
im Koblenzer Stadtwald. Am wertvollsten sind die Funde, die in den oben
genannten Birassandfeldcrn zwischen Urmitz und Weissenthurm gemacht wurden
und teils durch Kauf, teils durch Schenkung an den Verein kamen; es sind
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- a. Geschichts vereine der RheinproYinz. 253
hauptsächlich eine Anzahl Spangen und Schiffszinken (zum Dichten der Schiffe)^
ein 25 cm langes Gewandstück einer Bronzefigur, eine Anzahl von Mühlsteinen
aus Mendiger Basaltlava, ein seltener Mühlstein aus rotem Sandstein, femer eine
Reihe von Bronze-Werkzeugen, die mit einem Modellier-Stichel aus Hom zu-
sammen gefunden wurden. Der Verein erwarb an Gegenständen der
späteren Zeit zwei in Koblenz gefundene fränkische Urnen und zwei
schmiedeeiserne Oberlichtgitter der Renaissancezeit aus Ehrenbreitstein.
15. Köln. Verein von Altertumsfreunden.
Die Mitgliederzahl des Vereins beträgt 58. Es fanden in dem Vereins-
jahr (Mai 1897 bis Mai 1898) 9 Sitzungen statt; in denselben wurden die fol-
genden Vorträge gehalten:
Stadtbaurat Heimann: Die Peterskirche.
Derselbe: Der Vatikan.
Stadtbauinspektor Moritz: Wanderungen durch englische Kathedralen.
Derselbe: Regensburg und seine Bauten.
Stadtarchivar Prof. Dr. Hansen: Inquisition und Hexen wahn.
Dr. Kisa: Orpheus.
Direktor Dr. von Falke: Altkölnisches Steinzeug.
Kaufmann Stedtfeld: Römisches Münzwesen.
Stadtbauinspektor Gerlach : Römisches Gräberfeld an der Luxemburger
Strasse. Die Erbreiterung der Luxemburger Strasse, der alten nach Zülpich
führenden Römerstrasse, Hess von vornherein eine Reihe von römischen Funden
erwarten; als sich bei den Arbeiten, die im Juni 1898 an der südöstlichen
Seite der Strasse begonnen wurden, die ersten Spuren eines römischen Gräber-
feldes zeigten, bewilligte die Stadt einen Zuscbuss zur systematischen Ausbeu-
tung; die Arbeiten standen unter der Leitung des Redners und des Museums-
Assistenten Herrn Dr. Kisa. Das aufgedeckte Gräberfeld hatte bei einer
Länge von 300 Meter eine Breite von 10 — 12 Meter. Der Strasse entlang
lagen die vornehmeren Gräber, weiter zurück die der ärmeren Bevölkerung.
Die Ausbeute war über Erwarten reich ; die Anlage wies die verschiedensten
Grab- Arten auf, sie besteht aus Brand- und Skelettgräbern, zeigt Grabkam-
mem mit Architekturresten, eine grosse Anzahl von Steinkisten, Skelettgräber
mit Steinsarkophagen und Spuren von Holzsärgen bis zu den einfachen Platten-
gräbem, bei denen die Aschenume durch einige Steinplatten geschützt wurde.
Es ergab sich ferner, dass die Begräbnisstätte während der grössten Zeit der
römischen Herrschaft in Benutzung gewesen ist. Über die überaus reiche
Ausbeute an Insehriftsteinen, Skulpturen und Grabbeigaben, Töpfereiarbeiten,
Glas, Bronze, Bein- und Bemsteinschnitzereien, über die der Redner auch aus-
führlich sprach, vergleiche den Bericht des städtischen Museums Wallraf-Richartz
in Köln.
254 Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschichtsvereine der Rheinproviiiz.
16. Erenznacb. Antiquarisch-historischer Verein
für Nahe nnd Hnnsrück.
Die Mitgliederzahl des Vereins betrug 130 wie im Vorjahr. Eis wurden
in dem Berichtsjahr zwei Vorstandssitzungen und eine General- Versammlung
abgehalten. Zur Instandsetzung und Erhaltung des Turmes der Burg Sponheim
bewilligte der Verein einen Zuschuss von 100 M. Eine von dem Verein veran-
staltete Sammlung ermöglichte die Erwerbung der von dem Bildhauer Cauer
modellierten Bronzebüste des Dichters des Nahethaies, G. Pfarrius; die Stadt
Kreuznach hat die Kosten der Aufstellung des Denkmals übernommen. Für die
Vereins-Bibliothek wurden eine Anzahl von Druckschriften, darunter sämtliche
Werke von G. Pfarrius, und an Handschriften namentlich notarielle Akten aus
der französischen Zeit Kreuznachs erworben. Ausserdem Hess der Verein pho-
tographische Aufnahmen von den Grabsteinen der St. NicolausKirche und der
englischen Kirche anfertigen. An Erwerbungen für die Sammlung sind römische
Münzen und GefUsse sowie Glas- und Thonperlen zu nennen, die in der Nähe
von Kreuznach gefunden wurden. Mit dem Besitzer des neuerdings bei Münster
gefundenen grossen römischen Mosaikbodens unterhält der Verein Fühlung, um
eine Veräusserung des Fundes möglichst zu verhindern.
17. Neuss. Altertumsverein.
In dem abgelaufenen Berichtsjahre ist weder in Zusammensetzung des
Vorstandes noch in der Zahl der Mitglieder eine Änderung eingetreten.
In den gewöhnlichen Sitzungen wurden Lokalfragen behatidelt, so alte
Heer- und Handelsstrassen im Kreise Neuss, das Merdal (Marthal) vor dem
Oberthor der Stadt, einige als Lach bezeichnete Niederungen, Wallhecken an
der Grenze des Burgbaues u. a.
Ausgrabungen hat der hiesige Verein auf seine Kosten nicht unternommen.
Dagegen sind von anderen Seiten teils planmässige Grabungen teils mehr zu-
fällige Aufdeckungen in der Feldmark bei Neuss bewirkt worden. So hat zu-
nächst das Bonner Provinzialmuscum das Römcrlager Novaesium weiter unter-
suchen lassen (vergl. dessen Bericht). Ferner sind auf einem Ziegelfelde
zwischen jenem Lager und der Stadt viele und zum Teil recht wertvolle Sachen
gefunden^ diese sind von dem Eigentümer jenes Feldes, Herrn Heinrich Sels,
zu einer besonderen Sammlung vereinigt worden (eingehender Bericht darüber
in den Bonner Jahrbüchern, Heft 101). Auch auf einem noch näher bei
Neuss liegenden Felde sind bei Planierungsarbeitcn manche Altertümer aus
römischer Zeit aufgedeckt worden. Die Eigentümer hat sich bisher nicht be-
reit finden lassen, die Sachen dem Verein abzutreten.
18. Prüm. Gesellschaft für Altertumskunde.
Im Vereinsjahr 1897/98 fand nur eine ordentliche Sitzung statt, die Ge-
neralversammlung vom 22. Juni 1897. In dieser wurde zunächst der alte Vor-
stand wiedergewählt; an die Stelle des ausscheidenden Oberlehrers Rad er-
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- n. Oeschichtsvereine der Rheinprovinz. 255
mach er trat Prof. Dr. Hermes als 1. Schriftführer. Dann berichtete der
1. Vorsitzende^ Herr Gymnasialdirektor Dr. As b ach, über einen grossen Münz-
fiindy den der Ortsvorsteher Bretz in Dackscheid, Kreis Prüm, am 16. Mai
gemacht hatte. Im Anschlüsse daran wurden 30 Münzen ans dem gefundenen
Münzschatze vorgezeigt. Der stellvertretende Vorsitzende, Herr Landrat Dom-
bois, teilte mit, dass er den Finder bestimmt habe, die Münzen, etwa 5000
an der Zahl, auf dem hiesigen Landratsamte niederzulegen, wo sie von dem
schon früher benachrichtigten Herrn Dr. Lehner aus Trier eingesehen und
geordnet wurden.
Im weiteren Verlauf der Sitzung wurden sodann 4 spanische Silbermünzen
von Philipp IL und Philipp III. vorgezeigt, die ein Ackerer aus Fleringen bei
Prüm beim Pflügen gefunden hatte. Ausserdem wurden 3 in Bleialf gefundene
Münzen vorgezeigt, 2 burgundische aus dem 14. Jahrhundert mit der Umschrift
Philippus, eine spanische aus dem Jahre 1666 und eine wenig deutliche, wahr-
scheinlich römische. Dann hielt Oberlehrer Donsbach einen Vortrag über die
Erziehung des Adels vor 200 Jahren, indem er über ein Kapitel des „Oeco-
nomus pimdens et legalis continuatus^ des Franciscus Philippus Florinus (Nürn-
berg 1719) referierte.
Infolge der im Herbst 1897 erfolgten Versetzung des Herrn Gymnasial-
direktors Dr. Asbach trat eine Unterbrechung in der Thätigkeit der Gesell-
schaft für Altertumskunde ein. Erst in einer im Mai 1898 abgehaltenen Sitzung
wurde an seine Stelle Herr Gymnasialdirektor Dr. Brüll zum 1. Vorsitzenden
gewählt.
19. Saarbrücken. Historisch-antiquarischer Verein für die
Saargegend.
Die Zahl der Ausschussmitglieder betrug in dem Berichtsjahr 10, die der
Mitglieder 270. In den Sitzungen des Vereins wurden 9 Vorträge gehalten;
darunter zu nennen:
Herr Dr. Lehn er, Trier: Über die altheimischen Gottheiten und Götter-
bilder, namentlich im Anschluss an der Vereins-Sammlung.
Herr Köhler: Über den gegenwärtigen Stand des Volksliedes in der
Saar-Gegend.
Herr Schaede: Über den Rhein-Mosel-Kanal.
Herr Pfarrer Schütte: Über die deutschen Burschenschaften und ihre
Verfolgungen.
Die Vereins-Sammlung wurde im wesentlichen vermehrt um ein Bronze-
kelt, in Burbach gefunden, einige kleine Funde vom sogen. Quellenheiligtum
zu Dudweiler und einen in Saarbrücken gefundenen Degen mit geschweifter
Parierstange. Der HI. Teil des Bibliothek-Katalogs ist in Arbeit, derselbe
soll als Heft 6 der Mitteilungen des Vereins erscheinen.
Die Stadt Saarbrücken hat dem Verein vom 1. Oktober 1897 ab ein
Vereinslokal von 5 Zimmern zunächst auf 5 Jahre kostenfrei zur Verfügung
256 Berichte über die Thätigkeit der Altert.« u. Geschichtsvereine der Rheinprovinz.
gestellt. Die Sammlungen des Vereins sind in diesen Räumen zweekent-
sprechend aufgestellt worden; die 2500 M. betragenden Kosten der Neuein-
richtung und Aufstellung wurden durch eine freiwillige Beisteuer aufgebracht.
20. Werden. Historischer Verein für das Gebiet des
ehemaligen Stiftes Werden.
Die Zahl der Mitglieder ist auf 153 gestiegen^ namentlich traten sämt-
liche Gemeinden des ehemaligen Stiftes Werden mit grösseren jährlichen Bei-
trägen dem Verein bei.
Das im Druck befindliche 6. Heft der Vereins-Zeitschrift: Beiträge
zur Geschichte des Stiftes Werden enthält ausser kleineren Mitteilungen fol-
gende Aufsätze:
Pfarrer Dr. Jacobs: Rechnungen des Kirchspiels Born in den Jahren
1599—1603.
Prof. Dr. Gallee, Utrecht: Einige Pflichten des Kellners und Küsters
in Werden.
Dr. Kranz: Das Gasthaus und das alte Rathaus in Werden.
Pfarrer Sierp, Venne: Die Verhältnisse der alten lateinischen Schule.
Prof. Dr. Jostes, Münster: Über die vita ^ Lucii.
Die Vereins-Bibliothek wurde um eine Reihe voa Druckschriften und
Urkunden bereichert.
21. Wesel. Niederrheinisches Museum für Orts- und Heimatskundc.
Das Kuratorium des im Jalir 1896 in städtischen Besitz übergegangenen
Museums hielt im Berichtsjahr vier Sitzungen ab, am 9. Januar, am 22. Februar,
am 29. März und am 14. Mai 1897. In der zweiten Sitzung wurde von dem
Kuratorium der Entwurf zur Verfassung des Museums beschlossen. Da die
Verfassung, die der Organisation des von dem Gründer, dem Herrn Professor
K. Munimenthcy, früher ins Leben gerufenen Vereins für Orts- und Heimats-
kundc im Süderlande in Altena eng verwandt ist, für die ganze Gruppe der
niederrlieinischen Geschiclitsvereine von Interesse sein dürfte, so folgt dieselbe
hier im Wortlaut:
Verfassung des Niederrheinischen Museums für Orts-
und Heimatskundc zu Wesel.
§ 1. Das Museum zu Wesel ist aus den Sammlungen des im Jahre 1889
gegründeten Niederrheinisehen Vereins für Orts- und lleiniatskunde hervorge-
gangen und seit dem 14. November 189() Eigentum der Stadt Wesel. Sein
Zweck besteht in der Pflege und Förderung der Orts- und Heimatskunde am
Niederrhein, insbesondere in den Kreisen Kees, Horken, Cleve, Geldern, Mors
und Ruhrort; sein amtlicher Name lautet: „Xiedcrrheiniselies Museum für Orts-
und Heimatskunde zu Wesel".
§ 2. Die Mittel, durch welche das Museum seinen Zweck zu erreichen
sucht, sind: 1. Uebersichtlich geordnete Sammlungen sinnlich wahrnehmbarer
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Geschichtsvereine der RheiDprovinz. 257
Gegenstände; welche sich auf die Niederrheinische Heimat beziehen; 2. die
Herausgabe von Jahrbüchern, VeröflFentlichungen durch die Tagesblätter und
mündliche Vorti'äge; 3. ein fortlaufender jährlicher Zuschuss von mindestens
300 Mark aus der Stadtkasse; 4. freiwillige Beiträge.
§ 3. Die Sammlungen des Museums enthalten folgende Abteilungen:
I. Die geschichtliche Zeit des Niederrheins.
1. Abteilung: Kunst. 1) Gegenstände der bildenden Kunst: a) Bild-
hauer-, Schnitz-, Bildgiesserkunst ; b) Malerei; c) Zeichnende Kunst.
2) Bilder und Abbildungen, welche auf mechanischem Wege (durch
Oelfarbendruck, Photographie, Lichtdruck u. a. Verfahrungsarten)
hergestellt sind.
2. Abteilung: Gewerbefleiss. (Geschichtliches Gewerbe -Museum.)
1) Gegenstände des niederrheinischen Kunstgewerbes. 2) Gegen-
stände des sonstigen Gewerbefleisses am Niederrhein.
3. Abteilung: Das Leben am Niederrhein in Haus und Feld, Ge-
meinde und Staat. 1) Das niederrheinische Bauernhaus und die
Geräte des wirtschaftlichen Lebens. 2) Die niederrheinische Stube.
3) Gegenstände, welche sich auf Volksbräuche, Volksfeste, auf
Gemeinde-Einrichtungen und Rechte am Niederrhein beziehen.
4) Gegenstände, welche die Zugehörigkeit des Niederrheins zu
dem jedesmaligen Staate darstellen, insbesondere Erinnerungs-
zeichen an die grossen vaterländischen Kriege, sowie an die
Kämpfe, welche zur Verteidigung der Heimat stattgefunden haben.
4. Abteilung: Die umgebende Natur. 1) Die Lufthülle und der ge-
stirnte Himmel, des Niederrheins (astro-physikalischc Abteilung).
2) die Pflanzenwelt des Niederrheins. 3) Die Tierwelt des Nieder-
rheins. 4) Der Boden des Niederrheins (Mineralien, Gesteine,
Gewässer).
5. Abteilung: Büchersammlung. 1) Handschriften und Karten.
2) Druckschriften.
6. Abteilung: Münzen.
7. Abteilung; Der Wandertrieb der Bewohner des Niederrheins, dar-
gestellt an Erzeugnissen der neuen Heimat.
IL Die vorgeschichtliche Zeit und die Urgeschichte des Niederrheins.
1. Abteilung: Fundstücke, Zeichnungen, Modelle von Gegenständen,
welche sich auf das Dasein des Menschen und auf seine Thätig-
keit in der vorgeschichtlichen Zeit und Urzeit des Niederrheins
beziehen.
2. Abteilung: Fundstücke der vorweltlichen Pflanzenwelt.
3. Abteilung: Fundstücke der vorweltlichen Tierwelt.
§ 4. Mit der Verwaltung des Museums ist ein besonderer städtischer
Ausschuss beauftragt, welcher den Namen : „Kuratorium des Niederrheinischen
Museums für Orts- und Heimatskunde" führt und sich aus fünf Personen zu-
sammensetzt, nämlich: a) aus drei Mitgliedern der Stadtverordneten-Versamm-
Jabrb. des Ver. v. AlterthsfV. im Rheinl. 103. 17
258 Berichte über die ThÄtigkeit der Altert.- tt. Geschichtsvereine der Rheinprovinz.
long, b) aus zwei Nichtmitgliedem der Stadtverordneten- Versammlung. Diese
fünf Personen werden anf die Daner von 6 Jahren von der Stadtverordneten-
Versammlung gewählt.
In der vierten Sitzung wurde beschlossen, die Gründung eines Museums-
vereins in der Art des Göttinger Geschichtsvereins anzubahnen.
Im Anschluss an die vier Sitzungen haben in dem Berichtsjahr die Be-
mühungen des Kuratoriums um Beschaffung eines geeigneten Raumes für die
Sammlungen, um Erhöhung der jährlichen Geldmittel, um Einrichtung öffent-
licher Sitzungen und Herausgabe eines Jahrbuches begonnen.
Die Sammlungen des Museums wurden um eine Anzahl von Druckschriften,
Plänen und Ansichten von Wesel vermehrt; ausserdem überwies die Gasanstalt
in Wesel eine Armillar-Sphäre der astro-physikalischen Abteilung des Museums
als Geschenk. Die Weseler Liebfrauen- Kompagnie übergab dem Museum ihre
Vereinsgegenstände (Fahnen, Trommeln u. s. w.) zur Aufbewahrung.
22. Xanten. Niederrheinischer Altertums-Verein.
Die Mitgliederzahl des Vereins beträgt 20.
Es fanden zwei Sitzungen des Vereins statt, am 15. August und am 20. No-
vember 1897. Ausgrabungen hat der Verein seit den umfassenden Arbeiten
vor dem Clever Thor im Winter 1896/97 nicht unternommen.
Die Vereinssammlungen erfuhren folgenden Zuwachs:
Ein goldener Fingerring mit einer Gemme, roter Jaspis, bonus eventus
darstellend; gefunden wurde derselbe von einer Arbeiterin auf der sogen,
„alten Burg".
Eine Gemme, Carneol, nach links gewendete, stehende weibliche Figur.
Der Fundort ist derselbe.
Ein Carneol, springender Ziegenbock, auf dem „Fürstenberg" gefunden.
Ein blauer Glasflnss, Frau mit einem Kinde auf dem Schoosse, von der-
selben Fundstelle.
Von rr»niisclicn Münzen ist zu erwähnen ein Grosserz des Severus Alexan-
der, ein Denar desselben Kaisers.
An Bronzen wurden mehrere Gewandnadeln, Ringe nnd Beschläge erworben.
Auf der sogen, „alten Burg" wurden bei dem Umsetzen eines Acker-
stückes einige Sigilhitasclierben entdeckt und dem Verein als Geschenk über-
wiesen. Dieselben haben folgende Stempel:
OFCRGSI
OFCOGLI
OFVITAL
BFKATVLLVSF
T/Ä///TALVS = Ta[n]talus,
ferner ein Ziegclbruehstüek mit dem Rundstempel LXGPFTVfVST.
Die Schrift passt zum Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. Der Töpfer-
name (vielleicht [T?]ntus) ist bisher noch nicht bekannt.
Berichte über die Thätigkeit der Altert- u. Geschichtsvereino der Hheinprovinz. 259
III. Die städtisehen Sammlangeii.
1. Aachen. Städtische» Suermondt-Museum.
Die Sammlungen des Museums haben aus dem Jahre 1897 folgende Er-
werbungen zu verzeichnen:
Aus den Mitteln des Museums und des Museums -Vereins wurden erworben:
1. Männlicher Kopf (bemalt), Holzskulptur des 16. Jahrhunderts,
2. Kaiser Karl V. betritt das Kloster St. Just, Karton von Alfred Rcthel.
Von der Stadt wurden tiberwiesen :
3. Ein kleines Gemälde, Flusslandschaft, von Caspar Scheuren,
4. eine alte Geldtruhe aus Burtscheid.
Als Geschenke einzelner Pereonen envarb das Museum:
von den Erben Dr. St rät er ein männliches Bildnis, Oclgemälde von
Pottgiesser aus dem Ende des 17. Jahrhunderts,
aus dem Nachlass des Professors Dr. Degen ein Elfenbein-Kruzifix aus
der Zeit der Spätrenaissance und 12 Gemälde neuerer Meister,
von Herrn Franz Husmann Stura der Verdammten, Kupferstich nach
Rubens von Snyderhof, 1642,
von Hcrni Joseph Schillings eine Büste von Alfred Rethel,
von Herrn Franz Roderstein ein kleines Gemälde, die hl. Theresia,
Jugendarbeit von Caspar Scheuren.
An kleineren Geschenken, die dem Museum zugingen, sind erwähnens-
wert 6 Ansichten von Aachen, eine Karrikatur auf das Musikfest von 1854,
das Modell eines Seeschiffes, ein römisches Glasgefäss u. s. w.
«'
2. Düsseldorf. Historisches Museum.
Der Bestand der Sammlungen ist im Jahre 1897 um 48 Nummern ver-
mehrt worden. Die Sammlungen erfuhren im Wesentlichen die folgenden Ver-
mehrungen: an Münzen: dreifacher Dukat Karl Theodors vom J. 1787,
Dukat des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Dinslakener Denar,
Bielefelder Denar, Turuose Wilhelms IL von Berg, Thalerklippe zum Andenken
an die Belagerung von Jülich und eine Brouzemcdaille mit den Brustbildern
Kaiser Leopolds und seiner Gemahlin, an Gemälden: 4 Porträts, Ölgemälde
von Maucourt, und 2 Porträts in Aquarellmalerei, sämtlich Angehörige der
Familie Custodis darstellend (Geschenk der Familie Custodis); an römischen
und fränkischen Funden einige Terra sigillata-Gefässe mit Blattornamcnten,
in Neuss auf der Niederetrasse gefunden, und eine schlanke fränkische Grab-
urne mit weitem, mit punktiertem Ornament verzierten Hals, auf dem neuen
Friedhofe gefunden; ferner Grundstein, Stiftungsurkunde und Ansichten der
alten Rochuskapelle. Der Grundstein ist eine quadratische Steinplatte, mit einer
flachen Vertiefung in der Mitte zur Aufnahme der Bleiplatten mit der Stiftungs-
urknnde, an den Ecken finden sich vier Kreuze.
9ea fiericfata «bcr di# TbitiglEell deriJt«rL-«.Cteidd^sTereiiie dar BkeiopfOTlBiL
Von deo llbrigai Erw^tangen and erwihiieiuiwert zwei in DüMeldorf
geftmdeiie Hnmmntzilmei Ardutektttr-Fragmenie Ton dem alten Dttaddorf^
SeMon, sowie dnige Stadtansiehtea imd Photograplden alter Hiaser in
DOaaeldorl
Die Sammhmg« sind im Yerlanf des Beriehtqahres in das von der Stadt
nmgelNHite diwialige Lag^bans RenterkasCTne Nr. 1 ftberfUirt word^i.
8. Köln. Mvsenm Wallraf-Biehartz.
Die Kenordnnng der Sammhmgen wurde doreh Yollendnng der Sile
für die itaHeniseh«, hollindiseben nnd flanuselien Malerschül^i gefördert Nen
erworben worden:
Ffir die Gemäldegalerie eine Landsebaft von J. van Goyen (Ge-
sebenk des Landgeriditwates Nakatenns), dne Landschaft mit Tobias nnd dem
Engel Ton C. Troyon, eine Marine von Tb. Weber nnd ein Aquarell „Spaniseber
Gddurter^ ron Fr. Pradilla (beide Gesebenke des Mnseoms- Vereines), ein
Kldnis Ton C. Sobn (Gescbenk des Gebeimrates Kublwetter).
Für die Sammlung von Gypsabgflssen eine Beibe yon Reproduktionen
antiker Skulpturen.
Grosse Bereieberung erfnbr die Sammhmg römiseber Altertflmer, ror
ADem dureb die neuCT Grabfunde von der Luxem|l)urger Strasse. Die
Vorarbeiten zum Bau der Vorgebirgsbabn erschlossen hier in den Sommer- und
Herbstbionaten 1897 eine Strecke des Gräberfeldes von etwa 250 m Länge und 6 m
durebsebnittlicher Breite. Es enthielt ca. 350 Grabstätten yom 1.— 4. Jahrb.,
Brand- und Skelettgräber in den verschiedensten Formen der Bestattung, einige
mit Resten grösserer arcbitektonischer Anlagen, andere mit Steinsetznngen,
welche eine fortlaufende Reihe von Kammern bildeten. Da die Ordnung und
Bearbeitung der sehr zahlreichen und zum Teil hoehbedeutenden Funde noch
nicht abgeschlossen ist, kann hier nur auf einige der wichtigsten kurz hinge-
wiesen werden.
Grabstein aus Jurakalk mit Giebeldreieck und Inschrift:
Q • P 0 M P E I
vs • q . a n i e n
sis . fo ro . i vli
bvrrvs-nL-ex
l e g • x v.ann . l
stip.xxh.s.e.h.f-c
Grabstein aus Jurakalk, mit Rest eines Brustbildes und Relief und der
Inschrift:
QVETINIOVERO
MATER. QVINtlNIA
MATRNAFILIODVL
CISSI/V\0-9< COLFA-TI
CEN. IM ANN- XXXI.
M-VII-D-XXVI.FE
Berichte über die Thätigkeit der Altert- u. Geschichte vereine der Bheinprovinz. 261
Grab8teiu aus Jurakalk mit Sehuppenstreifen, Gicbeldreieck und Inschrift:
D •)• M
C.FRONTINIo
C A N DIDO
AGRIPINEn
C.CANDIDI
ER
Von grösseren Skulpturen sind hervorzuheben der Torso einer Kalkstein-
gruppe des Aeneas mit Anchises und Ascanius, eine Replik des bereits zwei-
mal früher in Köln gefundeneu Typus; ein Grabaufsatz mit einer Harpyie zwischen
zwei Löwen, eine Gruppe aus Kalkstein, wie sie in Köln schon dreimal ge-
funden wurde; ein lebensgrosscr Matronenkopf, ein männlicher bärtiger Kopf,
drei Frauenköpfe, der Torso einer Mercurstatuette, sämtlich aus Kalkstein.
Von den Grabbeigaben sind namentlich die reichen Funde von Gläsern
bemerkenswert, unter ihnen eine Reihe der spezifisch kölnischen Schlangen-
gläser des 2. Jahrb., verziert mit farbigen Glasfäden in phantastischen Win-
dungen, eine flache Schale aus Krystallglas mit eingeschlifl^ener Gladiatoren-
gruppe, eine Oelflaschc in Form eines Gladiatorenhelmes. In drei Särgen wurden,
an Güiiielhaken befestigt, je zwei bronzene Strigiles neben einem kugeligen Oel-
fläschchen aus Bronze gefunden; ausserdem Tintenfässer und Schreibgeräth,
Spiegel, Schmuckgerät, ein zierlicher Kerzcnleuchter in Form eines Drcifusses
und eine kleine Dose mit Grubenschmelz. Von einem durch den Leichenbrand
zerstörten Kästchen aus Elfenbein haben sich zahlreiche Bruchstücke von Amo-
retten, Masken, Säulchen und ornamentierten Friesstreifen erhalten, aus gleichen
Materiale Messergrifl^e , einer z. B. in Form eines menschlichen Beines, ein
anderer mit Apollo und Greif; aus Bernstein Fingerringe, gewundene stabartige
Griffe, eine Schmuckschale in Form einer Muschel mit Fischen in Relief, eine
Spiegelkapsel mit Amor u. A. — Unter den Thongeräten ist Sigillata vom
1. — 4. Jahrb. an vertreten, die älteren Exemplare zumeist gestempelt. Auch
die zahlreichen Lampen gehören allen Perioden der Römerherrschaft an. Be-
sonders hervorgehoben seien zwei kleine Amphoren aus hellgrün glasirtem Thon
mit Reliefverzierung — Bacchus und Ariadne zwischen Weinranken.
Grössere Grabfunde wurden ferner gemacht: Am Eigelstein ein Brand-
grab mit einer Gesichtsurne, Thongefässen und Lampen vom Anfange des
2. Jahrh. — In der Schillingstrasse Skelettgräber mit Thongefässen und Gläsern
des 3. Jahrh. — An der Kreuzung der Aachener Strasse mit dem Lindenthaler
Sammelkanal eine Grabkammer von etwa quadratischer Form und 1,40 m Höhe,
aus Bruchsteinen von Basalt, Tuff, Schiefer und aus Ziegelstücken aufgemauert,
mit einer gläsernen Urne und Thongeräten von der Wende des L und 2. Jahrh.
Daneben lagen zwei andere Brandgräber mit Thon- und Glasbeigaben dereelben
Zeit, sowie ein Grabstein aus Jurakalk mit weiblichem Medaillonbildnis und
der Inschrift:
868 Berichte ttber die TUMykett der Altert.- o, Qesehiditovereiiie der Bheioprovins^
0 M
ET.PERPETVE
SECVR ITATI
IVLBVRSP R^
IVL.HALVISIVS
SORORI.F.O
Auf dem Maria-Abla88platze wurden Brandgrftber des 2. und 3. Jahrh.
gefunden^ welche Sigülatagefässe in späteren Formen, auch mit eingeschnittenen
Mustern, Gläser , darunt^ eine scfaüne, 26 cm hohe Kanne aus Eobaltglas,
Lampen, Thonkrfige, Haaniadehi u. A. enthielten. Die Funde kamen als Ge-
schenk der Grundeigentttmerin, der Yersicherungsgesellschaft Golonia, an das
Museum. Die Anlage d^r neuen Pietä - Kapelle an St. Gereon ergab neben
Grabfunden der mittleren Kaiserzeit Beste einer Säulenbasis, ein Stück dner
Gewai^gur und eine Kalksteinstatuette einer thronenden Göttin mit einem
Tier auf dem Schoosse.
Von Einzelfunden sind erwähnenswert: Ein Fingerring aus Goldfiligran,
ein solcher aus geschmiedetem Golde mit Traubasomament und einer Impera-
torengemme, ein goldeitös Ohrgehänge mit einem Smaragd; bronzene Zi^bci
schlage in Form eines Delphines, eines Löwenkopfes, eines Pegasus, eines
Schififes, ein Gerätf uss mit Pantherkopf, ein Rundbeschlag mit Trompetenmuster,
ein sog. Athletenring, ein Armband aus wellenförmigem Bronzedrahte; ein grosses
Bmchstäck einer flachen Schale aus Millefioriglas, ein Anhänger aus bunter
Glaspaste in Form einer Fratze, eine Reihe von Gläsern mit farbigen Zickzack*
fäden; unter den Thonlampen eine mit Jupiter und Antiope, eine andere mit
Jupiterbüste und Adler; unter den Thongefässen ein grosser Barbotinebecher
mit einer JagdsceuC; eine Urne aus Terra nigra mit aufgelegter Kettenver-
zierung u. A.
Ausser Lokalalterttimern erhielt das Museum durch Herrn Herst att-Müngers-
dorf eine Sammlung von spätrömiseheu Grabfunden aus Palästina, Gläser, Tbon-
gefasse, Lampen und Münzen.
Sonderausstellungen. Von Januar bis April 1897 war eine Aus-
stellung von Maler-Radirungen deutscher Künstler der Gegenwart veranstaltet,
welche 550 Nunuuern zählte. Ihr folgte eine Ausstellung von ca. 500 Aqua-
rellen, Pastellen und Zcicbnungen von Anton de Peters (1723 — 1795), einem
tüchtigen, jetzt ganz vergessenen Kölner Künstler, der in Paris bei Greuze ge-
schult, den grösstcn Teil seines Lebens daselbst und am Hofe zu Brüssel ver-
bracht hatte.
4. Köln. Städtisches Kunstgewerbemuseum.
Die Anzahl aller Neuerwerbuugen des Museums aus Ankäufen, Ueber-
weisungen und Gcscbeuken betrug im Jahr 1897/98 209 Nuraniern im Gcsamt-
buckwert von 49627 Mk. gegen 150 Nummern zu 27 244 Mk. im Vorjahr.
Davon entfallen auf städtische Mittel einschliesslich der Zuschüsse von der
Berichte über die Tliktigkeit der Altert.- u. Gescliiclitsvereiue der Rlieinprovinz. 263
königl. Staatsregierung nud ans dem Dispositionsfonds des Herrn Oberbttrger-
uieisters 16407 Mk., auf die Mittel des Kuustgcwerbevereins einschliesslich
des 3000 Mk. betragenden Zuschusses der Provinzialverwaltung 7840 Mk. und
auf Geschenke und Ueberweisungen 25245 Mk. (im Vorjahr 4886 Mk.) Der
wertvollste Zuwachs ist den Sammlungen der Glasgemälde und des nieder-
rheinischen Steinzeugs zu Teil geworden.
In die erstcre Abteilung wurde von der Stadtverwaltung mit Zustim-
mung des Herrn Provinzialconservators überwiesen ein Glasgcmälde mit der
Anbetung der heiligen 3 Könige und dem Kölner Wappen aus der Kathaus-
kapellc, kölnische Arbeit aus dem 15. Jahrhundert. Angekauft wurde das sog.
Kaiserfenster, stammend aus der Karmclitcrkirche zu Boppard (vergl. Dr. Oidt-
manU; Die Glasmalerei, Köln 1898, S. 244). Das Fenster von über 4 Meter
Höhe gehört der Zeit um 1400 an und zeigt eine Mariendarstellung und die
Zehn Gebote. Dadurch ist wenigstens eines der berühmten Bopparder Fenster
wieder fttr das Rheinland zurückerworben. Als Geschenk erhielt das Museum
ferner ein dreiteiliges Fenster vom Jahre 1528, früher im Kloster St. Blasien
im Schwarzwald, das auf der Auction Douglas in Köln für den Betrag von
21 780 Mk. erworben wurde. Der Kaufpreis wurde dem Museum von den
Herren A. Camphausen, C. Eltzbacher, M. Guilleaume, L. Hagen,
J. Heidemann, H. Leiden, G. Mallinckrodt, G. Michels, A. v. Oppen-
heim, Emil vomRath, E.Rautenstrauch, H.Stein, R.Stein, J. Vorster
und J. van derZypen und vom Kunstgewerbe- Verein zur Verfügung gestellt.
Die keramische Sammlung erhielt eine durch Ausgrabung in der Maxi-
minenstrasse zu Köln erworbene Colleetion von ca. 100 Steinzeugkrügen kölni-
scher Arbeit, der Zeit von 1520 bis 1550 angehörend. Sie vertritt die bisher
fehlende Epoche der Frtthrenaissance in der rheinischen Keramik und ist da-
durch, abgesehen von der hohen künstlerischen Bedeutung, von grösster Wich-
tigkeit für die Geschichte dieses Kunstzweiges. Ein kurzer Vorbericht ist ent-
halten in „Kunst und Kunsthandwerk ^ , Zeitschrift des k. k. österr. Museums
in Wien, Januar 1898, HeftI; eine ausführliche Behandlung wird in den „Jahr-
büchern der königl. Museen zu Berlin" erscheinen.
Unter den weiteren Erwerbungen sind hervorzuheben:
Ein LUtticher Kamin, in Eiche geschnitzt, um 1750; eine Renaissance-
truhe von 1590 mit alter Bemalung, aus Overath; italienische Majoliken des
16. Jahrhunderts; ein Rococoofen mit Figuren aus Trient; ein Baldachinbchang,
gestickt, ausKyllburg, um 1520; ein persischer Knüpfteppich mit Thierfiguren,
17. Jahrb. (Geschenk des Herrn Dr. Rieh, Schnitzler in Köln).
Von der Büchcrsammlung der Bibliothek des Museums wurde ein ge-
druckter Katalog herausgegeben.
Vorträge wurden von dem Direktor Dr. v. Falke abgehalten im Gürzc-
nich über den Bronzeguss und seine Patinierung, ferner über die Geschichte
der deutschen Trachten im Mittelalter.
264 Berichte über die Thätigkeit der Altert- u. Geschichteverelne der Bheinprovinz.
5. Köln. Historisches Museum der Stadt Köln.
Von den Sammlungen erfiihr in dem Berichtsjahr 1897/98 besonders die
Münzsammlung, welche die Stadt-Kölnischen und die Kurkölnischen Münzen um-
fasst, eine ausserordentlich wertvolle Bereicherung. Die von dem bekannten
Kölner Sammler Karl Farina (f 21. August 1896) hinterlasscne grosse Samm-
lung Kölnischer Münzen, welche einen Taxwert von M. 51,500 besitzt, wnrde
in der Weise erworben, dass die Wittwe sie für den Preis von 30,000 M. über-
liess; von dieser Summe wurden 15,500 M. durch freiwillige Beiträge von Seiten
einer Reihe von (achtzehn) Gönnern gedeckt, während der Rest der Kanfsumme
in der Höhe von 14,500 M. aus städtischen Mitteln bezahlt wurde. Die Namen
dieser Gönner sind: 1) Herr Caspar Bourgeois, 2) Herr Arthur Camphausen,
3) Herr Max Guilleaumc, 4) Herr Louis Hagen, 5) Herr J. M. Heimann,
6) Herr Geh. Rat Aug. Heuser, 7) Herr B. Liebmann, 8) Herr Comm.-
Rat G. Mallinckrodt, 9) Herr Geh. Rat Dr. von Mevissen, 10) Herr Geh.
Rat G. Michels, 11) Herr Dr. Jos. Neven-Du Mont, 12) Herr Friedrich
Oehme, 13) Herr Willi. Peill, 14) Herr Arthur vom Rath, 15) Herr Comm.-
Rat Emil vom Rath, 16) Herr Comm.-Rat Eugen Rautenstrauch, 17) Herr
Franz Schultz, 18) Herr Julius van der Zypen. Das Historische Museum
ist auf diese Weise in den Besitz, einer der kostbarsten existierenden Sammlun-
gen Kölnischer Münzen gelangt, die durch seine älteren Bestände in erwünsch-
tester Weise ergänzt wird.
Die systematische Sammlung der Pläne und Ansichten sowohl der ganzen
Stadt als einzelner Teile derselben wurde mit gutem Erfolg fortgesetzt, auch
die Sammlung der historischen Portraits wiederum reich vermehrt. Besondere
Erwähnung verdienen der Ankauf eines grossen Oelportraits des Kölner Bürger-
meisters Peter Oecklioven (f 1640), sowie dreier Oelportraits des Patriciers
Thomas Beywegli nebst seiner Schwester und des Bannerlierrn Johann Mültgens.
Von einer gW'jssern Anzahl von altern Kölner Häusern, welche im Laufe des
Jahres abgebrochen worden sind, sind Photographien angefertigt und der Samm-
lung des Museums einverleibt worden.
Endlich konnte auch die Rheinische Topographische Sammlung, deren
Grundstock von dem verstorbenen Sammler J. J. Merlo gelegt worden ist,
durch eine grössere Zahl von Ankäufen wesentlich vermehrt werden. Es be-
findet sich darunter u. a. die Ilandzeiehnung des Schlosses zu Brühl von J. M.
Met/, welelie als Vorlage zu einem Blatt aus der bekannten Kupferstiehfolge
von Nieolaus Mette! gedient hat.
6. Krefeld. Städtisches Kaiser Wilhelm-Museum.
Nach A'olleudung des Neubaues am Karlsplatz und nach Einordnung der
Sannnhingcn wurde das Kaiser Willielni-]\hisenm am 6. November 1897 der
(Hfcntliclien Benutzung ül)crgei)cii; die städtischen Behörden, das Kuratorium des
Museums, der Vorstand des Mnseumsvereins und die Architekten, die den Bau
geleitet hatten, wohnten der Erötlnung bei. Nachdem der Schlusssteiu gelegt
Berichte über die Thätigkeit der Altert.- u. Gescliichtsvereine der Rheinprovinz. 265
war, übergab der Vorsitzende des Museumsvereins Herr C. W. Crous die
Sammlungen des Vereins der Stadt Krefeld. Der Oberbürgermeister Herr Ge-
heimer Regierungsrat Ktiper nahm sie im Namen der Stadt entgegen und tiber-
gab die Leitung des Museums dem Direktor Dr. Dencken, welcher in kurzen
Zügen seine Ziele, soweit sie die Förderung des Kunsthandwerks bezwecken,
darlegte. Die Feier endete mit einem Rundgang der Anwesenden durch die
Räume und Sammlungen.
Die Sammlungen. Den Grundstock der Sammlungen des Kaiser
Wilhelm-Museums bilden die vom Krefelder Museumsvcreiu erworbenen Bestände
au Gemälden, Eraeugnissen des Kunsthandwerks alter und neuerer Zeit sowie
an römischen Altertümern aus Krefeld und Umgebung. Eine Sammlung von
Gipsabgüssen der Antike und der Renaissance wurde durch Vermittelung der
Generalverwaltung der Königlichen Museen in Berlin aus städtischen Mitteln
angeschafft. Dazu kam die kostbare Sammlung alter niederrheinischer Kunst-
arbeiten, welche der Stadtverordnete Herr Albert Oetker vom Conservator
Conr. Kramer in Kempen erworben und dem neuen Museum zum Geschenk
gemacht hatte (vgl. über die Sammlung Giemen, Kunstdenkmäler der Rhein-
provinz, I, S. 99 ff.).
Bei der Verteilung der Sammlungen auf die Museumsräume wurden die
antiken Gipsabgüsse in dem durch das Oberlicht des Treppenhauses erhellten
üntergeschoss und in der westlichen Galerie des Obergeschosses, die Abgüsse
der Renaissance im Korridor des Hauptgeschosses aufgestellt. In einem der
kleineren Oberlichte des Obergeschosses fand die Sammlung neuerer Gemälde
Platz.
In der Anordnung der alten Kunstarbeiten wurde, soweit diese im Haupt-
geschoss Aufstellung fanden, von der üblichen kunstgewerblichen Einteilung ab-
gewichen. Die geschnitzten Möbel und Figuren, die Gemälde, Waffen, die
Steinzeugarbeiten und Gläser der 0 et k ersehen Schenkung und ein Teil der
Vereinssammlungen wurden dazu verwendet, eine Reihe von Zimmern mit ein-
heitlichen kulturhistorischen Gruppen in chronologischer Folge auszustatten.
Für grössere Museen hat es gewiss seine volle Berechtigung, wenn Fachsamm-
lungen der verschiedenen Zweige alten Kunsthandwerks zur Schau gestellt
werden. Die Erforschung der Geschichte der Fayence, des Porzellans, der
Metallarbeit u. s. w. kann des greifbaren urkundlichen Materiales nicht entraten.
Es ist aber nicht zu billigen, wenn diejenigen kleineren Museen, deren Aufgabe
die künstlerische Erziehung des lokalen Handwerks und der heimischen In-
dustrien ist, nach denselben Grundsätzen sammeln und gruppieren. Denn an
alten Arbeiten ist überhaupt nicht mehr so viel in freien Händen, als nötig
wäre, die vielen kunstgewerblichen Sammlungen zu einiger historischen Voll-
ständigkeit auszugestalten, und den wissenschaftlichen Sammlungen wird das
Material, das sie dringend gebrauchen, durch die planlose Zersplitterung in
bedauerlicher Weise entzogen. Vor allem aber war es ein verhängnisvoller
Irrtum, zu glauben, dass mit kunstgewerblichen Massen dem Handwerk erspriess-
liche Anregungen zu geben sind. In der verflossenen kunstgewerblichen Periode
2öS Beridite Aber die Tbitigkett der Aftert^ IL GesdiiebttTeniiie A^
kraute man sieh niclite Höheres Aeskea ab das gebeoe Ki^iereii aller «Vchw
büder**. IMeaea yon den Kimalgewerbe-Miiaera aad -Sehnlm geiiifarte ewjge
Kofkatea all^ Arbeiten bat jetzt n einem gewiaeen Üb^dmaa g^Bhrt. Man
•ieht nael^;era4e mit Beaehimnng zorHek anf eine Methode, die den L^rnend^
^jratematveh znr ünadbetftndigkeit erzog, nnd man gesteht sieh, dass die N^h
anflag» der Möbel nnd Geräte des 16. nnd 17. Jdudmnderis mit den teehni-
sehen Ermngensebaften unserer Zdt nnd mit nnsem modamen Bedürfnissen
denn doch wenig im Einklang stcJten. Die jflngere G^seration nasser Künstler
bat Wandel geschafft Sie wendm sieb ab von den historischen Stilen nnd
faogen soznsag^i von yom an, indem m bei jedem G^it, das sie entwarfen,
anCs nene die Frage stellen, wie den Bedingungen des Zweckes, des Materials
nnd der BQcksicht anf edie Gestaltung zu genügen ist An Stelle der Nach-
abmnng ist die Erfindung das lebengebende Elanrat bei äßtk Künstkm,
die für das Handwerk schaffen, geworden.
Die Künstler, die diese Bewegung angebahnt haben, betrachten die Ar-
beiten des Alteren Kunsthandwerks mit einer gewissen Gteringschützung. Das
ist begreiflich nnd yerzeiblich. Sie glauben in ihrer stürmoiden Erfinderkraft,
die Problane, die sie sich stellen, ohne fremde Hülfe lüsen zu können, nnd es
scheint ihnen abgeschmackt, das, was den Lebensbedingungen einer ferneren
Vergangenhdt diente, in die Gewohnheiten des modernen Lebais hineinzu-
zwfogen.
Aber die grundsätzliche Abwendung Ton den Kunsterzeugnissen alter Zdt
wird nicht yon Dauer sein. Künstler und Handwerker werden einsehen lernen,
dass man sehr wohl von den Werken der alten Meister lernen kann. Nur muss
man sich nicht mit einer änsserlichen Aneignung ihrer Formen begnügen, son-
dern Sinn und Auge an ihren kQnstieriscben Qnalitäten schärfen. Eine derartige
tiefere Auffassung der alten Kunstwerke ist aber nur möglich, wenn man, wie
J. Brinckmann bereits nachdrücklich gefordert hat, die Möglichkeit giebt,
die Erzeugnisse in ihrem zeitlichen Zusammenhang nnd in ihrer gegenseitigen
Bedingtheit zu begreifen. Die Museen der Praxis werden daher gut thun, das
kunstgewerbliche Prinzip zu verlassen und ihren Besitz in den Znsammenhang
zu bringen, aus dem er herausgerissen ist, d. i. das vereinigen, was aus dem
Geiste eines Zeitalters hervorgegangen ist. Wenn man die Arbeiten der
verschiedenen Gewerbe zu geschlossenen Grappen vereinigt, so giebt man eine
Reihe von kulturgeschichtlichen Querschnitten, die ein eindringendes Studium
der Stile ermöglichen. Für alle diejenigen, die für die Kunst des Hauses ar-
beiten, sind solche Gruppierungen unendlich viel wichtiger als die nummem-
reichen Fachsammlungen.
Man wird indes die technologischen Sammlungen nicht ganz beseitigen
dürfen. Man wird zwar ihre Reihen an Umfang beschränken, dafür aber das
lehrhafte Moment, die Demonstration der technischen Verfahren stärker hervor-
heben. Und während es bei den kulturhistorischen Gruppen darauf ankommen
wird, Arbeiten von ausgezeichnetem Werte vorzuführen, kann es sich in der
technologischen Abteilung nur darum handeln, zahlreiche Kunsttechniken alter
Berichte über die Thäti|>^keit der Altert.- u. Geschicht8vereiue der HlieiDprovinz. 267
und besonders neuerer Zeit vorzuführen, an denen Handwerk und Industrie
ihre Kenntnisse bereichern und ihre Leistungsfähigkeit steigen! können.
Es schien geboten, über diese Fragen bei der Einrichtung des Kaiser
Wilhelm-Museums zur Klarheit zu kommen, da dem Museum von vornherein
das Ziel gesteckt war, auf Handwerk und Industrie in Krefeld belebend und
neubildend zu wirken.
So wurden denn die eben dargelegten Gesichtspunkte massgebend für die
Anordnung der Saumilungen älterer und neuerer Kunstarbeiten im Ilauptgeschoss.
Nach einem Zimmer, das dem Krefelder Kunsthandwerk eingeräumt ist,
folgt die Reihe der kulturhistorischen Zimmer. In dem ersten, das Arbeiten
der gothischen Zeit enthält, und im zweiten, in dem Arbeiten der nieder-
rheinischen Renaissance aufgestellt sind, haben die meisten und bedeutendsten
Stücke der Oetk ersehen Schenkung Platz gefunden: in der gothischen Ab-
teilung ein grosser, zweithüriger Kirchenschrank aus Gladbach (Giemen a. a. 0.
Nr. 1), ein Stollenschrank aus Wachtendonk mit ausgezeichneten Eisenbeschlägen
(ebd. 7, mit Abb.), ein kleinerer Schrank mit zierlich durchbrochenen, farbig
hinterlegten Füllungen (ebd. 8) und in zwei Schauschränken eine grosse Zahl
geschnitzter Figuren, treffliche Beispiele der niederrheinischen Holzplastik vom
Ende des 14. Jahrhunderts bis in das erste Viertel des 16. Jahrhunderts.
Als Ergänzungen kommen hinzu holzfarbene Abgüsse von Meister Arnolds
Marieualtar in Kaikar und von Teilen des Brügge mann sehen Domaltars in
Schleswig. An der Wand hängen zwei Gemälde der Kölnischen Schule aus
dem Anfang des 15. Jahrhunderts.
Für die Einrichtung des Renaissancezimmers stand ein vielseitiges Material
zu Gebote. Ausser den Möbeln, zwei reichgeschnitzten Schränken des soge-
nannten Bocholter Meisters (Giemen a. a. 0. 4 u. 5), einem einthürigen Schrank
mit gut ausgeführten Wappen und drei Stollenschränken (ebd. 9 u. 11), konnten
hier auch einige charakteristische Waffen der Zeit aufgestellt werden, Rüstungen,
Helme, Speere, Hellebarden, Armbrüste u. a. Die Keramik der rheinischen
Renaissance ist durch eine Sammlung von Steinzeuggeschirren vertreten; in den
Fenstern hängen gemalte Scheiben; ein grosses Gemälde eines niederländischen
Meisters, die Anbetung der Könige darstellend, dient als Wandschmuck.
Von den Renaissancearbeiten kommend, betritt der Besucher das Zimmer,
das die Kunst des 18. Jahrhunderts vorführt. Dieser Stil kommt zum Ausdruck
in goldgerahmten Gemälden, in Möbeln und in einer Sauimlung der damaligen
höfischen Keramik, des Porzellans. Auch den geschnittenen Gläsern des 18.
Jahrhunderts ist ein Schauschrank eingeräumt.
Im folgenden Zimmer, das für die Kunst des 19. Jahrhunderts bestimmt
ist, findet man neben Arbeiten der Empirezeit auch neuzeitige Möbel und ke-
ramische Erzeugnisse. Unmittelbar daran schliesst sich" ein kleiner Raum, der
eine modenie englische Zimmereinrichtung enthält.
Die Reihe der Ausstellungsräume im Hauptgeschoss schliesst mit der
chinesisch-japanischen Abteilung, die noch im Werden ist, aber doch schon
einige treffliche Metall- und Thonarbeiten enthält.
S88 BerMili fibet ikb Thii%kcil der Ate<tt> », Qeieiiidrtgywine der Bhginpwxflüm
Dar grOBSte Baum des Hau^tgesdioaMS ist ab Leswaal in AaqynMii ge-
nommen. Anf den Leedisehen * U^pen S2 ZeHs^riflMi ftr EnnstwusenBehafly
Afeiiiolog^e vnd KnnsflmndwolL mtf • Den Bemehern des Lesexfanmers steht
fern^ eine liirtoriseh geordnete Blitterssnunlnng fw Yeifilgmig:, die Abirildu^en
der namhaftesten Kvnstwerke aHor Zriten entiiilt Die Bt^^rttndnng dn«r
MotiTensarnmlnng fflr Knnsthandwerker ist in Angriff graommen, abcar noeh
nieht yoUendet Andi die knnstwissensdiaflüehe Bibliodiek des Mnseoras be-
findet sieh noeh in dra Anfangsstadira.
Im üntergesehpss rind anss^ dm antiken Gipeabgissen die rtaiisehea
Altertflmer, die teehnc^ogimAra Samminngen nnd ein niederrheinisehes Baimn-
Zimmer des 18. Jahrhnnderfs anfgestellt. Aneh eine in stidtischem Besitz be-
findliehe Mineraliensamminng, dne Stiftung des 1854 zn Krefeld yerstorbaien
Friedrieh Wilhelm HorainghiMiSy hat hier yorlftnfig Unterkunft gefanden«
Erster Znwaehs. Fflr die innere Ansstattong des Mnsenms war ein
Fondi yon insgesamt 33000 M. yerfllgbar. Ans diesem Fonds konnte aber
aneh dn namhafter Betrag zur Ergänzung der Sammhn^ien yerwendet werdoi.
6200 M. wurden ftlr die Besehaffbng der OipsabgOsse yarwendet, auf 320Ö M.
beliefen sieh die Kosten flUr die Ausstattung des en^isehen Zimma«, ein
kleinerer Betrag wurde ausgeworfesy um einige ausgezeiehnte englisehe Bueh-
einbände yon Cobden, Sanderson und Eiyiirci ft Son, London, zu er-
werben, Arbeiten, die als erst^ Anfang dner Sammlung modernen Budigewerbes
anzusehen sind.
Zu diesen Ankäufen kamen wertvolle Sehenkungen : fflr den Schmuek des
Lesesaales schenkte die Gebrflder J. und L. Wintgens drd Kopien nach
den Originalen der Galleria Pitti in Florenz: Raffaels Madonna del Grandaca,
Tizians Bella und Murillos grosse Madonna. Ein yiertes Ölgemälde stiftete
Herr A. von Randow, eine Kopie nach Murillos Spielern in der Pinakothek
zn München.
Ferner wurden der Sammlung neuerer Gemälde willkommene Schenkungen
zuteil: von Herra Rud. Krahnen das Gemälde „Seesturm" von Herm. Hendrich^
von Frau Wilh. Jentges ein Gemälde von Professor Wilhelm Camphansen,
Friedrich der Grosse auf der Schlossterrasse zu Sanssouci, von Herrn Alfred
Molen aar „Tanzstunde im Spreewald*' von 0. Piltz. Der Kunstverein für
die Rheinlande und Westfalen stiftete das nachgelassene Kolossalgemälde des
Professors Julius Roeting „Die Grablegung Christi'*; der Maler Herr Alfred
Mohrbutter in Altona sein grosses Ölgemälde „Eine junge Dame".
Auch einige plastische Werke wurden dem Museum vor der Eröffnung
zugewendet. Herr Max Heydweiller tiberwies eine Marmorbtiste Napoleons I.
auf Marmorsockel, eine gute Arbeit von idealistischer AuflFassung, die zu An-
fang dieses Jahrhunderts nach einem Original Cauova's ausgeführt ist. Herr
Adolf von Becker ath in Berlin, ein geborener Krefelder, schenkte die holz-
geschnitzte Gruppe eines flandrischen Meisters des XV. Jahrhunderts „Die h.
Anna selbdritt", Herr Aurel von Beckerath in Moskau eine interessante
Sammlung russischer Bronzemedaillen.
Berichte Über die Tbätigkeit der Altert.- n. Oeschichtsvereine der tlheinprovinz. 269
KuDstaüBBtellung bei Eröffnung des Museums. Es gelang;
zur Beteiligung an der Ausstellung zahlreiche Künstler Deutschlands und des
Auslandes zu gewinnen. Ausgestellt wurden 346 Gemälde, 32 Skulpturen,
152 keramische und 14 verschiedene Kunstarbeiten, im Ganzen 544 Gegenstände.
Unter den Malern waren die benachbarten Düsseldorfer in der Mehrzahl.
Erschienen waren u. a. A. und 0. Achenbach, W. von Beckerath, Berg-
mann, von Bochmann, Brütt, Dücker, Frenz, Günter, Heimes, Her-
manns, A. und E.Kampf, Chr. und Magda Kröner, Liesegang, Oeder,
F. von Wille. Aus Karlsruhe kamen: Eschke, Grcthe, Graf von Kalck-
renth, von Volkmann; aus München: von Berlepsch, von Canal, Co-
rinth, Eckmann, Harburger, Kubierschky, von Lenbach, Stuck,
von Uhde; aus Aibling: Leibl und Sperl; aus Frankfurt a. M. : Hans
Thoma; ans Berlin: Alberts, Fehr, Gude, Leistikow, Liebermann,
Menzel, Meyerheim, Noster, Schlabitz; aus Woi-pswede: H. am Ende,
Mackensen, Modersohn, Overbeck, Vogeler; aus Hamburg: Helene und
Molly Gramer, Eitner, Henriette Hahn, Kuths, Siebelist; aus Holstein:
Burmester, Mohrbutter, Olde.
Von den ausländischen Künstlern hatten besonders die Dänen eine Reihe
bemerkenswerter Arbeiten gesandt. Vertreten waren: Viggo Johansen, Wal-
demar Irminger, L. A. Ring, Fritz Syberg, J. F. Willumsen. Aus
Grossbritannien waren nur Walter Crane und Macanlay Stevenson er-
schienen; aus Holland: H. Mesdag und v. d. Waay; aus Belgien: Boudry,
Joors, Laermans; aus Frankreich: J. W. Alexander, Louise Breslau,
Jules Breton, Harrison, H. Martin; aus Italien: Bergamini, Benlliure
und Segantini.
In der weniger umfangreichen Abteilung der Skulpturen hatten neben
deutsehen und dänischen Künstlern die Belgier Paul Dubois, Constantin
Mennier und Gh. van der Stappen ausgezeichnete Bildwerke ausgestellt.
Einen ganz internationalen Charakter hatte die keramische Abteilung, die
den östlichen Frontsaal ganz einnahm. Im Mittelpunkt standen die Arbeiten
des dänischen Bildhauers J. F. Willumsen und seiner Gattin. Daran
schlössen sich andere Arbeiten der neuerdings zu so hoher künstlerischer Be-
deutung entwickelten dänischen Keramik: Herm. Kahle rs metallisch glän-
zende Gefässe und Tierfiguren, die glasierten Steinzeugarbeiten des Bildhauers
N. Hansen-Jacobsen und die vielbewunderteu Erzeugnisse der König-
lichen Porzellanfabrik und der Porzellanfabrik von Bing & Gröndahl in
Kopenhagen. Ferner sah man Fayencen des Engländers William de Mor-
gan, glasierte Steinzeuggefässe der Franzosen Bigot, Dalpeyrat, Dam-
mouse,Delaherche,Revernay, Rousseau, Stoltenberg-Lerche.
Minder zahlreich waren die Arbeiten der deutschen Kunstkeramik: Porzellane
der Königliche Porzellanmanufaktur in Berlin, Fayencevasen von Th. Schmu z-
Baudiss und der Familie von Heider, München. An die keramischen
Erzeugnisse reihten sich Gruppen der geschnittenen Glasarbeiten Emile
G a 1 1 6 8 y Nancy, und der geblasenen Gläser T i f f a n y s , New York, sowie
yon MosaikverglasQngen des Hamburgers K. Engelbrecht,
Uro Beriehlt iber die ThiUgkeit der Attart- iL Oeschiehtsrerdne der Bheii^roTini.
bi AttKMwsB an die ansgertdlten Arbetteo der k^nmisehen AMdhing
ikh d^ Direktor im Leeeiaal des Miuenng tot den Mi^edem des MiiseBii»-
Y6reiii8 ftwei Vortrftge tber y^Dtaiadies Porzellan^ und ,^odenie Kmnttöpferd'^
Zuwaebs aus der Enttstansstelliiiig. Eänen merkbaren Gewiim
truf das Mnaeimi von der Erdfbm^jfsaiiflrtellmig daron, insofern eme Beibe der
bestm aasgesldltra Arbeiten dm Sammlongoi dnreh Sebenlrang oder dnreb
Ankanf Terblieb.
fine Anzabl jnnger Krefelder Damen yereinigte sieb, nm das Ölgem&lde
des dinisebra Ualen Georg Aeben ^^Gewitter bd Sonnennntei^sng'' ffir
das Mttsenm zn erw^ben. Die Malerin Frl. Helene Gramer, Hamlnnrg^
sdbeidLte ibr BlnmenstlldiL i^Magndtra'^ Ein angenannter Frennd des Mnsenms
stiftete 6000 M. zor Erwerbung von zwei ölgemäldeii: A. MobTbntter ,,S<Hne-
h0äfi Daiiings^' nnd W. Leistikow y^Dämmerang in Ostfriedand^ sowie der
Temkottagnippe ^ntt^ nnd Kind'' yon dem amerikaniseben, in Norwegen
lebenden Bildbaner Signrd Neandros. Die Krefelder Handebdeammer
sebenkte one grosse Vase der KgL Porzellanmannfaktnr zn Berlin. Fran
Mofits vom Brnek, Eisäiaeb, q)endete einen nambaftra Betrag, ffIr den
twei Yasm nnd die Fignr eines g&bnenden Eäsbftren ans der KgL Porzellan-
fabrik an Koprabagra angduMift werden konnten.
Ans Mnsenmsmittefai worden mrwinrb^i: dn Ölgemälde „Gebirgslandsebaff'
Tön Prof. G. Oeder, ein Aquarell „Im Dampf von Obr. Kröner, Stucks
Brmizefignr „Atblet'^, oidlicb Töpferarbeiten von Bing & Gröndabl, J. F.
Willumsen, Sebmuz-Baudiss, De Morgan, Bigot, Dalpeyrat, Dam-
mouse und Glasarbeiten von E. GalH und K. Engelbrecbt
Der Gesammtwert dieser Erwerbungen betrug ca. 30000 M. Ausserdem
wurden in der Ausstellung Gemälde und Kunstwerke zum Betrage von 24500 M.
verkauft; sodass das finanzielle Gesamtergebnis sieb auf rund 54500 M. belief.
Wechselnde Ausstellunge d. Nachdem die Eröffnungsansstellung
geschlossen war, wurde die früher vom Museumsverein besorgte „Permanente
Kunstausstellung^' vom Museum fortgesetzt und hierfür der grosse Oberlichtsaal
in Anspruch genommen. Auf eine Ausstellung der Worpsweder Vereinigung folgte
eine Serie von Bildern jüngerer Düsseldorfer Maler wie Jernberg, Wendung,
Klein-Chevalier, Fritzel, Liesegang, Thoeren, Fr. von Wille. Dann
konnten einige Werke der Berliner Secession gezeigt werden: von Alberts,
Dora Hitz, Liebermann, Leistikow und Curt Herrmann. Zwei
der Stillleben des letzteren, „Citronen*' und „Äpfel", wurden von Herrn Notar
Gustav Schelleckes erworben und dem Museum geschenkt. Um mit der
Anlage einer Sammlung neuerer Kunstdrucke einen Anfang zu machen, erwarb
das Museum Otto Eckmanns Holzfarbendrucke und eine erhebliche Anzahl
von Steindrucken Hans Thomas. Die letzteren regten die Veranstaltung
einer kleinen Sonderausstellung von Werken dieses Meisters an, die neben zwei
Ölgemälden die erworbenen und mehrere geliehene Steindrucke erhielt. Von
den geliehenen Blättern wurden einige angekauft. Zwei ausgezeichnete Abzüge
der nicht im Handel befindlichen Blätter „Porträt seiner Mutter" nnd ^;Selb6t-
tp
Berichte über die Tbätigkeit der Altert.- u. Oeschicbtsvercine der Rheinprovinz. 271
porträt" erhielt das Museum vom Künstler geschenkt. Im Februar und März
fand im Ostsaal eine Ausstellung alter Kupferstiche aus der Sammlung des
Herrn Kommerzienrat Heinr. Seyffardt, Krefeld, statt, nnd zwar wurden
zunächst drei Serien je zwei bis drei Wochen zugänglich gemacht: Dürer und
seine Zeitgenossen, die deutschen Kleinmeister, Rembrandt und seine Schule.
Beziehungen zu Krefelder Kunstvereinen. Um in Krefeld
neue Betriebe ins Leben zu rufen, schien es nötig, ein Organ zu schaffen, das
ohne Einschränkung befugt war, unmittelbar und thatkräftig einzugreifen. Dieser
Aufgabe zu gentigen, trat im Juli 1897 unter dem Vorsitz des Herrn C. W. Crous
ein Kreis von Kunstfreunden zur Gründung der „Vereinigung zur Förderung
der Kunstarbeit in Krefeld" zusammen. Laut den Satzungen will diese Ver-
einigung ihr Ziel erreichen: durch Unterstützung der bestehenden und Begrün-
dung neuer Kunstbetriebe; durch Herbeiführung von Aufträgen auf künstle-
rische Arbeiten; durch Ausbildung tüchtiger Künstler und Kunsthandwerker
sowie durch andere zweckdienliche Mittel.*' Ihre fördernde Thätigkeit begann
die Vereinigung damit, zur Gründung einer Werkstatt für Mosaikverglasung,
die F. W. H oller, Krefeld übernahm, beizutragen; dieselbe arbeitet nach dem
Vorbilde der gleichartigen Anstalt von K. Engelbrecht in Hamburg, vorzugs-
weise mit amerikanischen in der Masse gefärbten Gläsera. Die ersten künstle-
rischen Arbeiten wurden nach Entwürfen von Professor Otto Eckmann aus-
geführt. In der kurzen Zeit seines Bestehens hat das neue Unternehmen so
guten Erfolg gehabt, dass es der ferneren Unterstützung der Vereinigung
nicht mehr bedarf, sodass diese sich nunmehr anderen Aufgaben zuwenden kann.
In Verbindung mit dem Museum steht ferner die im Oktober gegründete
„Kunstvereinigung", deren Mitglieder sich regelmässig im Lesezimmer des Mu-
seums vcraammeln, um durch Vorträge und Mitteilungen über das Gesamtgebiet
der Kunst, im besonderen der neueren Kunst, sich gegenseitig anzuregen und
zu belehren, und deren Mitglieder bemüht sind, das Interesse für die Ziele des
Museums in weitere Kreise zu tragen.
Mit Anerkennung muss drittens des Museumsvereins gedacht werden.
Seine Mitglieder haben unausgesetzt dafür gewirkt, immer reichere Mittel für
die Sammelthätigkeit des Museums zu beschaffen. Einzelne Voretandsmitglieder
haben durch persönliches Werben dem Verein nicht nur eine ganze Zahl neuer
Mitglieder zugeführt, sondern auch viele bewogen, ihre Jahresbeiträge beträcht-
lich zu erhöhen. Ausser den 4200 M., die der Verein zur ersten Einrichtung
des neuen Gebäudes beisteuerte, hat derselbe für das erste Halbjahr noch
5000 M. an die Museumskasse abgeführt.
Universltäts-Buehdraekerei von Carl Oeorgi in Bonn.
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'er. V. Alterthsfr. im Rheinl. Heft 103.
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Die Venveltung der Kasse des Vereta» roa Altertuiua-
rreunden bat das ßankbans Gntdächmidt &, CIc. Doon,
Kaieerplatz tlbernommen, und werden die Vereinä-Mit^licdcr
bbLufs Rrleictiteruiig der KtifveiifUhniiig erencht, ihren Jahres-
beJtrng (10 Mk.) rltimljcbst mu AnfiiuKi.- do? Kiilfiiilurjahn^
au dasselbe ciiisusiendcii.
Der Beeach des ProvInxial-MnsenmH /n Bonn (Colinanl-
straane 16) ist dcu Vereiui^iiiitgliederu au allen Tagen, ausser
KIoDtag, \'0D 9 bia l Ulir morgens und 2 bis 4 Ubr (im Wiiitcr)
resj). t)rs 6 Gbr (im Sommer) uaclimittags unentgeldlicfa ge-
stattet.
Die Verelnsblbllotlh'l ist im l'rüvinxial-MuHeitni y.u Hmin
anfgestcllt und werden Hucber au die Mitglicdi*r Mittwoch von
3 bis ö Uhr imebniittugs diirL'b den [tibliotbokar aaisgt-^'beii.
Stanford University Lil
Stanford, Californii
R«tuni thü book on or before d
6niWG1984