KARL LIEBKNECHT
BRIEFE
VERLAG DIE AKTION / BERLIN-WILMERSDORF
Karl Liebknecht (Aufnahme aus dem Jahre IQ'S)
KARL LIEBKNECHT
BRIEFE AUS DEM FELDE, AUS DER UNTER-
SUCHUNGSHAFT UND AUS DEM ZUCHTHAUS
Ich kann nicht wägen, kann nur wagfn,
Nicht ernten - säen nur und fliehn,
Ich kann den Mittag nicht ertragen,
Ein Morgenrot - ein Abendglühn.
So sei mein Tag.
(Als einem früheren Briefe Karl Liebknechts,'
f-
/•
BERLIN-WILMERSDORF 1920
VERLAG DER WOCHENSCHRIFT „DIE AKTION"
(FRANZ PFEMFERT)
Dieses Werk wurde unter Mitarbeit der Frau
Karl Liebknechts herausgegeben von Franz Pfemfert
Alle Rechte vorbehalten
Copyriht 1919 by Franz Pfemfert. Berlin -Wilmersdorf
Den Druck dieses Werkes besorgte die Druckerei
Biko. Berlin C 19. Kurstrasse 34-35
Karl Liebknecht als Achtzehnjähriger
Seine loten mag der Feind betrauer7i\
Denn sie liegen ohne Wiederkehren;
Unsre Brüder sollt ihr nicht bedatiern:
Detin sie zuandeht über jenen Sphären.
Goethe, U es tö: dicker Diwan, .J>erccht'igU Alaune/-**
BRIEFE AUS DEM FELDE
(11. April 1915 bis 31. Oktober 1915)
Karl Liebknechl als Armierungssoldat 1915
11. 4. 15.
Meine Liebste!
Inzwisclien ist allerhand von Dir gekommen,
Briefe, Zeitungen und Pakete — die Zigarren noch
nicht — sie werden dankbarst erwartet. , Alles findet
viel Anklang, besonders die Tube mit dem Gelee. Ich
bitte Dich aber, außer etwa mittelstarken Zigarren
nichts mehr zu schicken — Ihr braucht das Geld
selbst dringend, ich komme schon aus. Und wenn.
Du mir vielleicht in einer Woche noch 30 Mark
schickst, so bin ich bis zum Reichstagsurlaub einschl'.
der Reise vollkommen versorgt. Von Sylvia kam eine
Karte. Daß die Zigarren Deiner Mutter eintrafen,
schrieb ich.
Hier ist alles beim alten. Mach Dir keine Sorgen.
Das ich keine Details schreibe,- bringen die Verhält-
nisse mit sich. Ich setzte ein paar Tage mit Schreiben
aus, war zu müde — und es war nichts zu schreiben.
Die Unregelmäßigkeit der Beförderung lähmt die
Neigung ein wenig. Ich verstehe nicht, wie Du Dich
über dieses Schwindelinterview aufregen kannst, es
ist ja inzwischen auch dementiert. Wenn Du nicht
lernst, über alle persönlichen Anfeindungen zu lachen,
wenn Du Dir nicht jenes Dante'sche segu' il tuo
corso e lasce dir' le gente, zur Richtschnur machst,
wirst Du, solang du meine Frau bist, nicht zur Ruhe
kommen. Darum pfeif auf die Gesellen und tröste
Dich damit, daß das Recht auf Deiner Seite ist und
damit alle Menschen auf die es einem vernünftiger
weise ankommen kann
Also in Lohengrin wart ihr. Haben die Kinder
etwas davon verstanden? Nun — Helmi ist ja
14 Jahre alt.
Das Wetter ist hier recht aprilmäßig, aber wir
haben feste Stiefel und dicke Mäntel. Die armen
Kerls die draußen an der Front liegen haben es ganz
anders. Den Artilleriekampf, der in der letzten Zeit
recht heftig war, konnten wir zum Teil recht gut be-
obachten. Grüße alle Freunde. Deiner Mutter werde
ich noch schreiben. Dir und den Kindern viele Küsse.
Dein Karl.
Anbei ein paar Veilchen —
Feldpostkarte
den 25. 4. 1915.
Liebstes Bobbcheii!
Das war ein sehr braver Brief von dir; ich
danke dir und habe mich über den Inhalt sehr ge-
freut. Schreib bald wieder einmal und sei recht
artig. Wir halten hier einen Baummarder gefangen;
heut war Fuchsjagd — aber Reinecke prellte die
Jäger und den Hund, der sich schließlich mit ein
paar armseligen Mäuslein zufrieden geben mußte.
Kanonengedröhn, Maschinengewehrgeknatter
und Flieger, Flieger — .
Ich küsse dich und euch alle.
Dein Papa.
Postkarte
28. 4. 15.
Mein Helmi!
Ich danke Dir für Deine ausführliche Karte, die
aber wirklich auch an der Zeit war. „Sie"! Das
ist bei Dir, kleinem Kerlchen, wirklich drollig und
wenn der Lehrer weiter beim Du bleibt, scheint
das ganz in der Ordnung. Jetzt wird die Schule
doch wirklich hochinteressant. Was ihr da lest,
gehört schon zur richtigen Wissenschaft und wenn
Du Dir eine wertvolle Zukunft mit tiefer und breiter
Allgemeinbildung aufbauen willst, so versäume diese
Zeit nicht. Ich hab nichts gegen Scherz und Ueber-
mut, wenn sie nur an der Oberfläche Abwechslung
schaffen; ihr kommt jetzt in die Zeit des Student-
chen-Spielens. — Laß darunter niemals das Ernste
und Wichtige leiden. Denk, wie glücklich Du bist,
vor Millionen anderer Kinder, die nur wegen der
Not ihrer Eltern nichts lernen können von all dem
Wundervollen und deren Anlagen verkommen und
verderben. Lernen, lernen und nochmals lernen.
Siehst Du es heute nicht ein, später wirst Du es
ganz verstehen. Dieses „Einschlafen" im Unterricht
ist Unfug und keine Heldentat. Paßt ordentlich auf,
ihr dummen Kerlchen: Zeichnen und Singen sollst
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Du weiter mitnehmen. — Hier ists Frühling. Die
Nachtigallen singen. Sonja schrieb ich von unseren
Funden. Ich küsse Dich, mein Junge und Euch alle.
Dein Papa.
7. 7. 15.
Mein liebstes Helmichen!
Gestern vor einer Woche ging ich fort. Es war
eine ziemlich abenteuerliche Fahrt — Cüstrin kreuz
und quer, eskortiert von einem Unteroffizier, der
meine Abfahrt zu überwachen hatte. Aus der Kaserne
schickte man mich, da sich die Mannschaften allzuviel
um mich versammelten, rasch weg — mit Marsch-
verpflegung für vier Tage und 3,30 Mark Löhnung
für zehn Tage. Die Marschverpflegung ungeheuer-
lich — so daß ich einen Di^nstmann hätte nehmen
müssen, hätte ich nicht gleich Vs an die Kameraden
verschenkt.
Am 3ü. war ich in Memel, wo ich auf Geld
warten mußte, denn hierher Geld zu bekommen,
ist fast unmöglich und dauert wohl 2 — 3 Wochen,
in Memel fand ich Freunde — wohnte auch bei einem
Genossen (Wolff) und machte mit ihnen mehrere
Ausflüge auf die Kurische Nehrung und nach
Schwarzort, wo die Memeler Flüchtlinge aus der
!\ussenzeit von den Hoteliers niederträchtig aus-
gebeutet worden waren. ^— Seebäder — kalt, aber
wundervoll — ; die Haff-Fahrten schön wie auf der
Havel. In Memel ist von der Zeit der Russen nichts
zu bemerken, außer zerbrochenen Fensterscheiben.
In der Umgebung solls schlimmer aussehen; ich ver-
mochte nichts zu bemerken! Plünderungen sind
vorgekonmien — in der Hauptsache aber nur an
Nahrungsmitteln, Kleidung — die zu nehmen, nacli
deutschem Militärstrafrecht keine Plünderung ist.
Mehrere Zivilpersonen scheinen erschossen; unter
welchen Umständen, ist mir höchst zweifelhaft, viel-
leicht bei den Gefechten auf den Straßen. Die An-
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gaben der natürlich höchst erschreckten und be-
dauernswerten Bevölkerung sind mit großer Vorsicht
aufzunehmen. Auf der Straße wurden mir sofort
tolle Mordsgeschichten von abgehackten Händen
erzählt und gegen meinen Zweifel eingewandt:
die Regierung streite das alles nur ab, um die Angst
der Bevölkerung zu dämpfen.
In der Nacht vom 1. zum 2., oder am 2. wurde
ein deutsches Handelsschiff auf der Fahrt von Libau
nach Memel torpediert — von einem englischen
oder russischen Unterseebot. Am 2. fuhr wohl
infolgedessen kein Transportschiff von Memel nach
Libau; am 3. sollte erst eins fahren, aber unter Be-
deckung eines armierten Begleitschiffes, des kleinen
— nicht größer als die Wannseeübersetzschiffe! —
Flußschleppers Puck, der mit einigen Revolver-
kanonen bestückt ist. Schließhch aber wurde das
Transportschiff zurückgehalten — nur Puck fuhr, auf
dem mitzudampfen ich mir die Erlaubnis holte. Die
Fahrt war natürlich unbequem — nicht mal Sitze
gabs; kein Bordgelände, so daß man- Acht geben
mußte, nicht über Eck zu gehen, aber frische Brise
und lebendige See, Mondschein und rosiger Sonnen-
aufgang, so daß ich trotz Dreck und Seekrankheit
einiger Gefährten eine famose Nacht verbrachte.
Ein großer Umweg muß wegen der Minengefahr
gemacht werden; die Russen haben ein gewaltiges
Minenfeld vor Libau gelegt, ein deutsches Lotsen-
schitf liegt am kritischen Ausgai gspunkt. Wir
fuhren ohne Lotsen und kamen glücklich durch.
Libau ■ ist lange von See aus zu sehen mit seinen
Türmen. Der Hafen ist großartig — riesig und
übersichtlich, wie ich kaum je einen sah. Die Ein-
fahrt ist noch durch versenkte Schiffe versperrt,
deren Sprengung eben im Gang ist. Zwei Taucher
sind dabei bereits getötet; der dritte fuhr mit mir
auf Puck nach Libau, Libau reinhch — ohne
Interesse.
Mit drei Artilleristen, die auch nach Grobin
wollten, im Mietswagen, natürlich nur Lastwagen,
die Beine an der Seite herunterhängend — nach
Grobin — zirka 12 Kilometer. Dort mit Müh das
Bataillonshauptquartier aufgestöbert — Bataillons-
Kommandeur Rittmeister Simon und Adjutanten
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vorgestellt — Waldbrand löschen helfen. Mit
Fouragewagen nach Aistern-Krug, zum Kompagnie-
Hauptquartier; gegen 10 Uhr abends weiter auf
holprigen Wegen wieder im Achswagen noch
16 Kilometer rund nach dem Gehöft Warwen bei
Durben — Quartier der 4. Korporalschaft. Die
Mannschaften — lauter Berliner und meist Ge-
nossen. Quartier: eine Scheune, gut verschließbar,
ohne Fenster. Alle haben Strohsäcke; Mantel als
Kopfkissen; eine Decke, natürlich an der Erde.
Läuse gibt es viel. Wasser wenig und sehr schlecht.
Kameradschaft erfreulich. Unteroffizier gut. Der
Sanitätsdienst äußerst miserabel. Ein besonderes
Kapitel. Heute wurde ich gegen Cholera geimpft —
während in Lothringen bei jedem eine neusterilisierte
Spritze genommen wurde, hier mit derselben
Spritze — ungereinigt — drei geimpft — ich als
letzter — die ekelhaftesten Krankheiten können so
übertragen werden; viele unserer Leute hier sind
sehr krank.
Die Bevölkerung fast ganz lettisch. — Man
sieht wenige 'Zivilmenschen hier — alles voll
deutscher Soldaten. Die Natur gleicht der ost-
preußischen. Leicht und breit gewelltes Terrain,
mit kleinen Gehölzen durchsetzt, meist auf den
Hügeln — nur 30 bis 100 Meter hoch und langsam
breit ansteigend die kleinen Dörfer und zerstreuten
Gehöfte, zwischen Bäumen. Eine eigentüm-
liche Baumart — knorriger, verzerrter Wuchs des
etwas lichten und dicken Stammes, nicht sehr hoch,
weidenartige Blätter — was mag das sein? Sonja,
die ja wohl nicht mehr zu Haus ist, muß es wissen.
Dann und wann Seen; einen sehen wir von der
Höhe unseres Gehöfts als schmales Silberband in
einer Stunde Entfernung. Abends dicker, weißer
Nebel in den Senkungen. Kriegsspuren hier wenig:
die zersprengten Forts von Libau, ein halb-
begrabenes faulendes Pferd an der Straße, einige
Gräber. Wir arbeiten an Befestigungen, weit hinter
der Front, nicht mal Kanonendonner hört man —
dann und wann ein deutscher Flieger. Essen bisher
gut und reichlich — Wetter gut — Ich arbeite mit.
wie alle. Briefzensur gibts hier nicht — so viel
ich sehe.
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So viel von mir. Laß diesen Brief auch Bobby
und Vera lesen — Natünicii vor allem bunja, wenn
sie noch da ist — er ist für Euch alle. Schreibt
schnell und gründlich. Seit zehn Tagen höre ich
nichts von Euch — das ist traurig.
Seid brav und artig.
Ich küsse Euch alle viel — vielmals.
Euer Papa.
9. 7. 15.
Liebste!
Ich frierend auf dem Hof sitzend, Wolkenfetzen
über mir hinjagend, die Abendröte gedämpft über
den nordwestlichen Hügeln zur See hinabklingend,
die Kameraden — lauter Berliner — schreibend,
Mundharmonika spielend, teils dazu tanzend und
lachend — rechts neben rfiir der Eingang zu
dem Schuppen, in dem wir 50 Mann hansen — durch
das offene Tor einige bereits zum Schlafen Ge-
gangene in Rembrandt — oder Dou — Beleuchtung
ihrer Kerzen sichtbar, die Vögel — auch die Schwal-
ben verschwunden — (sonst wimmelts davon und
Hänflinge, Buchfinken, Grasmücken, Schwarzbrust-
bachstelzen und Rotkehlchen besuchen uns und
singen uns von den Bretterzäunen und den Pyrami-
den-Holzstaffeln gastfreundlich an), — — Koch-
geschirr voll „Kaffee" vor mir und Vanity Fair
(das ich mit großem Genuß schlürfe) — so hast
Du die Requisiten meiner augenblicklichen Um-
gebung.
.... Noch immer keine Nachricht von zu Haus —
schon 10 Tage fort. Gestern bist Du hoffentlich
aus der Klinik heraus, und zwar ganz geheilt. Aber
nicht gesund — das muß durch den „Erholungs-
urlaub" erreicht werden, in dem Dich dieser Brief
bereits antreffen wird — denn Du sollst doch, wenn
irgend möglich, am 9. 8. wieder in Berlin sein, wenn
ich komme. Sorge gründlich für Dich, das geht
über alles. Ob die Kinder, d. h. die Jungen in Ober-
wiesenthal sind, bin ich begierig zu hören.
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.... Nun bin ich auch in Rußland, ohne Dich! Aber
unter welchen grauenhaften Umständen. -> Ich kann
meine morahsche Lage nicht schildern. Willenloses
Werkzeug einer mir in der tiefsten Seele verhaßten
Macht! Für wessen Interessen! Doch lassen wir
das. . . . Vom Ausgang der Parteiausschußsitzung
las ich kurz im „Memeler-Dampfboot". der einzigen
Zeitung, die man hier ziemlich rasch bekommt. Der
Vorwärts soll wieder erscheinen; unter welchen Be-
dingungen? Wie hat sich unsere Aktion gegen den
P. V. und Frakt.-Vorst. weiter entwickelt? Ich bin
gespannt. Näheres und Neuestes zu hören.
Hast Du neue Nachricht von den Deinen?
Berichte mir bitte rasch und gründlich von allem.
Wir ziehen hier wohl bald ab — wohin ist ungewiß.
Man spioniert hier natürlich heute wie immer.
Habeant sibi. Viel Arbeit. Ich bin ziemJich kaputt.
Sonntags wird genau wie wochentags gearbeitet.
Alles, alles Gute, ich küsse Dich vielmals.
Dein Karluscha.
10. 7. 15.
Mein liebstes Bobbchen!
Dein Brief war so nett, es hat mich riesig ge-
freut. Nur die Seite mit dem Rauchen und dem
Baden ist doch bedenklich. Rauchen ist nichts für
Euch Zwerglein und mit dem Baden heißts Vor-
sicht — denke an den Wannsee! Und die vielen
Opfer der anderen Seen. Es tut mir so leid, daß ihr
nicht reisen konntet — aber es ist ein Ausnahmejahr.
Und das müßt ihr „durchhalten"; und ihr wollts. Und
ihr werdet besonnen und artig sein und freundlich
und heiter. Hier ists kalt und regnerisch. Daß ich
Schillerfalter, Gabelschwanzraupen, Mondvogel,
braune Bären u. v. a. sah und viele Störche, habe
ich schon geschrieben. Die Adresse von W. Paradies
fehlt mir. Schreibe ihm einige Zeilen. Hoffentlich
sc'd ihr wohl. Wann und ob ich komme, ist ganz
ungewiß. \'iele, viele Küsse.
Papa.
15
23. 7. 15.
Liebe Sonja!
Deine beiden Briefe kamen, ebenso Tabak,
F^Idpostkarten und Verbandssachen. Vielen Dank.
Nunbrauciie ich ja nichts mehr, vorausgesetzt, daß ich
am 28. losgondeln kann. Ich bin s e h r zerschlagen,
es wird wohl nur vorübergehend sein. Im Sanitäts-
wesen habe ich tolle Erfahrungen gemacht; den
Leuten vertraue ich mich nicht lebendig an. Ge-
wissenlosigkeit ist für gewisse Dinge Euphemismus.
Mich behandelt man vorsichtig. Mit den Kame-
raden stehe ich natürlich vorzüglich.
Wir sind am 15. von Warwen nach Beben
umquartiert und werden v^'^ohl bald nach Hasenpot
oder sonst nach dem Osten weiter müssen. Toll ist
die, Ungezieferplage. Fhegen, Läuse, Flöhe, Ratten
quälen am meisten.
Die Natur großartig in ihrer Grenzenlosigkeit,
Kraft und Unberührtheit.
Alles alles 'Gute Dir und Euch allen
Dein Karl.
Die Post geht ab, ich bin totmüde.
27. 7. 15.
Liebste Sonitschka!
Ich habe den Urlaub bisher nicht. Er wird
möglicherweise ganz zu Wasser, so wie jetzt hier die
„Straßen" und unsere Kunstbauten. Von Sylvia er-
hielt ich Nachricht, daß sie Anfang August auf einige
Tage nach. Berlin kommt, um dann nach Schweden
zu reisen. Du wirst dann mitgehen oder nach-
folgen. — Natürlich wäre ich glücklich, wenn
Du während meines etwaigen Urlaubs mit mfr
bliebst. Für Deine Briefe vielen Dank. Seit drei
Tagen wieder keine Post, auch keine Zeitungen. Es
ist hier eine verfluchte Ecke. Die großen Hinden-
burg-Operationen ziehen uns natürlich tüchtig in Mit-
leidenschaft. Der Tabak schmeckt vorzüglich —
die große Sauerei ist aber kaum erträglich.
. . . . Könnte ich Euch nur bald sehen! — Ich
sitze im Stall — unserer Wohnung — auf
einer Kiste und schreibe auf einem Brett.
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Die Kameraden liegen im „Bett", d. h. auf
dem Stroh um mich herum. Das Lichtstümpfchen
will verglühen. Es ist lOV^. Wir sind auf die Haut
durchnäßt. Tausend Fliegen umsummen und pi-
sacken mich. Um 4 Uhr nachts Vvärd die Post weg-
gebracht durch eine Ordonnanz, im Rucksack, im
strömenden Regen, zum Kompägnie-.,HauptGuartier"
in Aistern-Krug. Wir sollen Gewehre bekommen.
Man will uns zur bewaffneten Truppe modeln. —
Kreuz Teufel. —
Alles Beste Euch allen. Viele Küsse
Dein Karl.
5. 8. 15.
Liebste Sonitschka!
Noch habe ich keinen Urlaub; ich werde also
kaum rechtzeitig* zum Reichstag in Berlin sein
können. Vielleicht zu meinem Geburtstag? Alles
schwebt im Ungewissen. Wenn ich Dich doch nur
wenigstens sehen könnte. Wer weiß, was weiter
folgt. Kannst Du es so einrichten, daß Du auf einige
Tage nach B. kommst, wenn ich dort sein sollte?
Ich werde ja nicht frei reisen können, ganz ab-
gesehen von der Reichstagsgebundenheit.
.... Hier ist alles beim Alten, Quartier ge-
wechselt. Ein Storch im Nest und Bienenstöcke und
Beerensträucher (darunter die von Dir so ersehnten
schwarzen Johannisbeeren) und ein f ischteich und
vieles andere würden den Aufenthalt idyllisch
machen, wäre man unter anderen Verhältnissen
hier Heute lag ich auf einem Rain — in der
Vesperpause. Ueber meinem Kopf wiegten sich
Blüten gelben Labkrauts — gegen einen tief-
blauen Himmel, beleuchtet von silbernen Sonnen-
strahlen. Dich hätte die Seligkeit überwältigt, wie
damals am Kohlhof bei dem Lupinenfeld.
Das Wetter war schlimm, die Wege grund-
los. Von der nahen See kamen fortgesetzt metereolo-
gische Ueberraschungen. Aber jetzt leuchtet die
Natur wieder herrlich. Und diese Abende! Ja,
wenn Du da wärst! Wieviel Genüsse und Be-
lehrendes gäbe es auch für die Kinder! Erst in
2 17
solchem Wiedererleben der Umstände der eigenen
Jugend, erkennt man ganz, was der heutigen Qroß-
stadtgeneration fehlt. Mir wird Borsdorf fortgesetzt
lebendig und unser Zusammenwachsen mit der Natur,
die wir nicht nur beim „Spazierengehn", nicht als
bloße „Sommerfrischler" von ferne, unpersönlich,
als fremdes Objekt sahen. Ich ge^e Nachricht, so
bald ich weiß, wann ich komme. Sorge bitte, daß
jedenfalls jemand zu Hause ist, der eine solche Nach-
richt erfährt, wenn Du weg bist. Ich werde auf
alle Fälle noch an Alice schreiben. Von den Kindern
kamen lange Briefe, die mir sehr wichtig waren.
Zigarren von Dir erhielt ich gerade jetzt. Vielen
Dank, tausend Küsse Dir. meine Herzliebste, und
den Kindern.
Dein Karolus
14. 9. 15.
Liebstes Bobbchen!
Wer weiß, wann ich euch wieder schreiben
kann. Rasch — weil auf dem Marsch — einige
Worte. Ueber Bauske-Barbern nach Kertschen, wo
der Bataillonsstab liegt, der bald nach Friedrichstadt
verlegt werden soll — jetzt ists noch zu unsicher
dort. Unsere Kompagnie liegt in Sauschinen — noch
ca. 30 km östlich von hier. Sie arbeitet an der Düna,
an der Front, unter tüchtigem Feuer.
Die Kanonen von Riga bollern gehörig — und
die Flieger umsummen uns und riesige Krähen-
schwärme ziehen durch die Luft und kreisen und
kreischen umher — ein widerliches Gesindel, das
hier gute Beute hat. Ich erzählte gern viel von dem
Traurigen und Ernsten, das ich sah — die Zeit drängt.
Liebes Bobbchen und ihr anderen Kinder, Helmichen
und Mausi, dieses noch einmal: Seid artig und fleißig
und schlagt euch tapfer durchs Leben, ohne rechts
und links zu schwanken. Geradeaus, obs euch be-
quem ist oder nicht.
Denk daran, welche grauenvolle Zeit es ist, die
wir durchleben. Da heißt es, sich zusammennehmen.
Ich denke immer an euch und möchte euch die
glücklichste Zukunft schaffen: Kraft vor allem und
Sonnenschein so viel es gibt.
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Ich habe euch so lieb, wie je ein Vater
seine Kinder. Ihr müßt das wissen; Ihr dürft
daran nicht zweifeln. Höhere Gewalten zwingen
mich immer wieder aus der Familie, Habt
Vertrauen zu mir und zu Sonja wie zu
euch selbst; aber nicht zu viel zu euch selbst
in dem Sinn, daß ihr töricht und eingebildet werdet.
Das w^äre ein Jammer! Gerade an sich selbst muß
jeder die schärfste Kritik, den schärfsten Maßstab
anlegen, sonst purzeJt er von den Stelzen in die
Pfützen. Arbeiten, arbeiten! Das befreit und be-
friedigt allein. Gründlich arbeiten, nicht an der
Oberfläche herumplätschern. Fleißig sein in der
Schule und immer an die besten Menschen als Muster
denken, die am meisten für die Menschheit geleistet
haben,
Selbstzufriedenheit und Selbstüjberhebung sind
ein Unglück und machen zum Narren, Das vergeßt
nicht, Selbstvertrauen heißt Vertrauen darauf, daß
man als tüchtiger Kerl arbeiten will, soweit die
Kräfte reichen, und zum Höchsten streben.
Ich hoffe, ihr werdet euren Vater nicht ver-
lieren, bevor ihr flügge seid; aber Sonja und Onkel
Thele, Willi, Curt und Alice, Gertrud und Onkel
Otto und Tante Etty und auch Isy und Quste
und viele andere, auch Sonjas Mutter und Ge-
schwister stehen für alle Fälle zu euch. Ihr werdet
nie verlassen sein, und wenn ihr tüchtig seid und
gut und arbeitet, so werdet ihr euer Leben zimmern,
wie ichs euch wünsche. — Seid Tante Alice dank-
bar und gut. Grüßt alle von mir. Ich küsse euch,
Ihr lieben Kerlchen vielmals
Euer Papa.
15. 9. 15.
Aleine liebe Sonjn !
Deinen Brief vom 3. 9., dem Tage meiner
Abfahrt aus Berlin, erhielt ich heute Abend hier bei
meiner Kornoralschaft. bei der ich nun endlich —
nach fast zwölfstündiger Abenteuerfahrt angelangt
bin. . . , Wir liefen nahe der Düna, bei Friedrichstadt
als ein vorgeschobener Keil, rechts und links russische
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Stellungen. Die Truppe hat schon scharfes Artillerie-
und auch Infanteriefeuer bekommen, ist auch zur Be-
setzung von Schützengräben verwandt worden. Ver-
wundete und Vermißte — noch l<einen Toten. Gestern
Nacht mußte unsere Korporalschaft ihr Quartier vor
Artiileriefeuer räumen. Auf dem Marsch hatten wir
Gelegenheit mit Fliegerbomben Bekanntschaft zu
machen. Wir liegen in ständiger Alarmbereitschaft
— dürfen uns nicht ausziehen ... In meiner Ab-
wesenheit hat die Truppe böse Strapazen gehabt.
Morgen ziehe ich mit aus. "Eben ist Nacht, d. h.
V4IO Uhr — kein Licht — außer einer Kerze, die ich
gerade zur Hand habe, in meinem Schuppen, natür-
lich ohne Fenster, mit ungeheuren Fliegenschwärmen,
die die Wände buchstäblich bedecken und stechen
und widerlich aufdringlich sind. Die Kameraden
schlafen neben und hinter mir. Das gibt
jetzt lange und immer längere dunkle, bt-
leuchtungslose Nächte; eine besondere Qual. Tabak,
Zigarren gar nicht mehr zu bekommen, das
ist das Schlimmste. Auf einer Beutesammel-
stelle bei Kertschen konnten wir gestern einen kleinen
Vorrat erstehen; ein Tropfen auf einen heißen Stein.
Kerzen und Rauchstoff ist Hauptbedarf. Post funk-
tioniert sehr langsam und unregelmäßig. Aus über
60 Kilometer Entfernung wird sie dann und wann ge-
holt, — das dauert jedesmal fünf Tage. Viel Ruhr
und Typhus — natürlich — aus einer Kompagnie
rund I5 (d. h. 100 Mann von 500); in unserer Kom-
pagnie gehts bis jetzt ganz gut. Unsere Arbeit ist
Baumfällungen in den Dünawaldungen.
Das Geschützfeuer ist gerade eben ziemlich
schwach. In dem Gehöft, wo wir jetzt liegen, war
eine alte Frau krank im Bett zurückgeblieben, als die
andern fortzogen — alle sind fortgezogen, die Ge-
höfte verödet und wüst, die Hunde heulen herum und
treiben sich mit den Katzen verwildert umher.
Krähenschwärme — riesig -^ dazu Dohlen
Gestern früh fand man die Alte tot vor dem Haus
liegen, sie ist am Weg neben ihrem Gehöft beerdigt.,
Was rede ich — das Elend ist so grauenhaft, die
Zerstörungen so entsetzlich, daß der Stift stockt.
Diesen Brief kann ich wiegen seines Inhalts
nicht nach derSchweiz gehen lassen. EndeSeptember
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wirst Du vielleicht doch in Berlin sein, wenn ichs
auch für Dich nicht hoffe. Von einer raschen Korre-
spondenz geordneter Art kann nicht die Rede sein,
da die Antwort stets 3 bis 4 Wochen dauert. Doch
kann jeder, ohne Antwort abzuwarten, häufig
schreiben und darum bitte ich Dich. Ich küsse Dich
Dein Karl.
20. 9. 15.
Liebste !
In Kürze wird sich das erste Triennium
unserer Ehe vollenden. Wo Du an diesem Tage sein
wirst, kann ich hier nicht einmal ahnen. Seit dem 3. 9.
ohne jedes Lebenszeichen von euch allen und ohne
Aussicht darauf. Ob dieser Brief bis zum 1. Ok-
tober in Berlin sein wird, steht sehr dahin.
Die Postverhältnisse sind hier toll, ebenso wie alles
andere. Wir arbeiten, ohne jede Sicherung vor
uns, unmittelbar an der äußersten Front, wo die
Feldwachen liegen und streifen. Die russische Front
steht hier noch diesseits der Düna. Tag und Nacht
Geknatter und Geknall und böses Gedröhn und Ge-
fauch und Gezisch und Geheul und Gepfeif und
Gekrach. Granaten und Schrappneils sind unsere
ständigen Abwechselungen'; Nachts jede Minute zum
Abrücken bereit. Wir sollen auch eventuell in die
Schützengräben; so gut haben sich — nach Hinden-
burg — die Schipper bewährt, daß sie dieser „Ehre"
teilhaftig werden sollen. Dabei alles ungedient und
unerfahren. Selbst der Unteroffizier, in dessen
alleiniger Obhut wir stehen, ganz ohne Erfahrung
und zudem nicht gerade beschlagen! Nun — bisher
gabs in unserer Korporalschaft noch keine Verluste,
obwohl sie bereits einmal das Quartier vor Ge-
schützfeuer räumen mußte und unser jetziges
Quartier mehrfach beschossen wurde. In anderen
Korporalschaften derselben Kompagnie gibts Ver-
luste. Erst vorgestern wurde ein Unteroffizier durch
Schrappneil getötet — Vater von sieben Kindern. —
Gestern schoß sich ein Mann mit Gewehr durch
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den Fuß. In anderen Kompagnien unseres Bataillons
sind geliörige Verluste.
Die Art, wie man uns verwendet, ist leicht-
fertig und verbrecherisch. Ich bitte Dich, erforder-
hchenfalls Haase davon Mitteilung zu machen. Da-
bei hat das ganze Bataillon von 2500 Mann nur einen
Arzt und was für einen; für 2500 Mann, die auf
einem Gebiet von 2-300 Quadratkilometern und
mehr in kleinen und kleinsten Abteilungen zerstreut
liegen. Dazu kommen für unsere Kompagnie mit
500 Mann noch zwei Sanitätsunteroffiziere — und
was für welche! Auf 500 Mann, die auf einem Ge-
biet von vielleicht 100 Ouadratkiiomeiern zerstreut
sind! Und von diesen Sanitätsunteroffizieren ist jetzt,
wo die Gefahr von Verwundungen recht ernst ist, der
eine zum Föuragetransport kommandiert und damit
dem Sanitätsdienst einfach entzogen! Und das an
der Front — es ist ein Skandal. Die Verpflegung
läßt hier höchlichst zu wünschen übrig, nur Kar-
toffeln, und zwar sehr gute, gibts auf den Feldern
im Ueberfluß. Tabak ist nicht zu erlangen — das
ist besonders empfindlich, weil Tabak das einzige
Stimulans bildet. Weiter hinten in der Etappe gibts
alles Mögliche. Z. B. auch täglich 2 Zigarren und
2 Zigaretten. Hier alle Jubeljahre eine Zigarre, man
zahlt oft 20 Pfg. für eine miserable Zigarette!
Daneben ist der größte Notstand der völlige Mangel
an Beleuchtung! Von 6V2 an dunkel. Keine Kerze
und nichts wird geliefert. Man drückt sich herum,
feann weder lesen noch schreiben, verkriecht sich
in „sein Bett", d. h. auf sein Stroh und wickelt sich
vor der ekligen Kälte natürlich im ungeheizten
Stall oder Scheune oft hundenaß in den Kleidern in
seinen Mantel und eine dünne Decke und friert die
ganze Nacht wie ein Schneider. Man braucht hier
schon die Wintersachen, d'e ich im Juni bei meiner
Abreise zu Haus ließ. Ich bitte Dich, schick die
Wintersachen, jede Woche regelmäßig fünf Päck-
chen billigsten Tabak und 20 Zigarren (zu 6 Pfg..
groß schwer) und jede Woche fünf Kerzen, nicht zu
große. Außerdem erbitte ich das Tageblatt, es
scheint eingestellt zu sein, der Vorwärts kam
einmal
Nun bin ich vom Anlaß meines Briefes ganz ab-
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geirrt. Ich war bei unserem Hoclizeitstag und will
Dir dazu einige gute und ernste Worte schreiben,
will Dir schreiben, daß ich Dich lieb habe, daß mir
unsere gemeinsame Vergangenheit geheiligt ist,
und daß ich, falls man heil aus dieser Sauerei
herauskommt, trotz alledem hoffe. Dir eine
Zukunft nach Deiner Sinnesart gestalten zu
helfen, mehr als bisher Verlebe -den Tag in
Gedanken an mich. Liebste, denk an Prag,
an Eger, an Schandau, an Schlachtensee und Ham-
burg, an Heidelberg und Worms und vieles andere,
woran ich denke Ich muß schließen, ich
friere wie zwei Schneider. Leb wohl, alles Beste —
ich küsse Dich und die Kinder.
Dein Karl. ,
• 21. 9. 15.
Liebste Kinder!
Es ist heute ein wilder Tag hier und ein sehr
böser Abend. Ein russischer Vorstoß aus Riga hat
uns überrascht. V/ir heben jetzt neue Stellungen
aus — in vorderster Linie. Es ist kühl. Neben
mir kracht es toll — auf uns ist die Hölle losgelassen.
Ich werde nicht schießen —
Lebt wohl — ihr Liebsten! Ich küsse euch
so heiß, wie ich euch lieb habe — in neun Wochen
auf Wiedersehn — alles, alles Beste.
Euer Papa.
22. 9. 1") (morgens)
Liebste Kinder!
Die xNacht ohne Angriff verstrichen; Ver-
stärkung kam soeben an. Die Artillerie begann
bereits ihr Werk am frühen Morgen. Diese Stundeii
sind unvergeßlich und für mich fürchterlich —
ich vermag das Großartige dabei höchstens zu
empfinden wie bei einem Brand, einem Erdbeben.
wie bei Tigergebrüll.
Menschlich ists niederschmetternd, sofern
man an den Menschen ein Maß anlcj^t, dessen er
selbst sich sonst vermißt.
23
Die Natur ist hier groß und weit und stark —
von elementarer Kraft.
Kalt, kalt — sorgt, daß die Wintersachen
kommen.
Schreibt bald und oft, wenn auch kurz.
Ich küsse euch vielmals, meine kleinen Kerlchen,
Euer Papa
23. 9. 15.
Liebste!
Auf der Fahrt nach Kertschen zum Bataillons-
arzt — ich habe eine Augenentzündung durch einen
bei der Arbeit ins Auge gefallenen Fremdkörper.
Eine Kleinigkeit — und gute Gelegenheit, wenigstens
ein paar Tage von der Front zu kommen. Ich
schreibe nachts 3 Uhr, ii^ einem, wie die Regel, von
den Bewohnern verlassenen einsamen Gehöft, wo
ich mit ein paar Kameraden untergekrochen bin.
Kosaken-Patrouillen sind gemeldet, so muß gewacht
werden und ich habs übernommen, um einmal gründ-
lich arbeiten und lesen zu können — eine Anzahl
Zeitungen fiel mir gerade in die Hände. Post bekam
ich noch nicht.
Augenblicklich ists ziemlich ruhig, wir sind
freilich 4 bis 5 Kilometer von der Front. Große
Geschütze sind eben nicht an der Arbeit. Gestern
Nacht gabs sehr blutige Kämpfe in dem großen
Dünawald. Die deutschen Verluste sind beträchtlich,
zum Teil durch zu kurz schießende deutsche
Artillerie veranlaßt. Große Operationen scheinen
sich hier vorzubereiten — von russischer und
deutscher Seite. Die Stimmung der Armierungs-
soldaten ist sehr erregt, ja ernpört, ich traf viele
alte Landstürmer, Bekannte, deren Zustand tief er-
greifend war. Alles ist die Schweinerei gründlich satt.
In den ersten Tagen gleich tauchten allerhand
Offiziere bei mir auf, darunter zwei Prinzen, um
mit mjr beim Kanonendonner zu diskutieren; das
geschah von mir mit aller Deutlichkeit und war ganz
amüsant. Ich sagte ihnen die ganze Wahrheit ins
Gesicht und erhielt das Zugeständnis des deutsch-
österreichischen Angriffs, eine Apologie des Kron-
24
Prinzenmordes von Sarajewo als eines wahren
Segsns, die ungenierte Verfeditung des Eroberungs-
ziels und von einem das Bekenntnis, daß er seit
Jahren für den Krieg gearbeitet habe und der Krieg
noch ein bis zwei Jahre dauern müsse. Ich werde
Dir, wenns geht, darüber noch ausführhcher be-
richten.
Es ist dunkel um mich, man singt fern. „Die
Tote" darfst Du mir nicht sein. Ich weiß nicht,
ich habe Angst, Dich zu verlieren, wahnsinnige
Angst. Die ganze Vergangenheit ist lebendig.
Und ich ertrinke in ihr, wenn Du mich nicht auf-
nimmst. Ich habe Dich lieb und strecke die Hände
nach Dir aus, gib mir Deine Hand. Hab mich lieb.
Hilf mir. Ich kann nichts ohne. Dich.
Dein Karl.
In mir zerbricht alles. '
26. 9. 15.
Mein liebster Junge!
Noch hab ich kein Wort von euch und heute
grad besteht Aussicht, Post zu bekommen. Ich
schreibe aber doch schon jetzt. Es streichen mir so
viele Erinnerungen aus meiner Jugend durch den
Kopf, Erinnerungen grad aus deinem Alter, in dem
der Geist und die Gefühle knospen Ich blättere
eben im Ploetz (Geschichte) und warf einen Blick in
die bunte, ernste Fülle der Menschheitsgeschicke,
und bei alledem wehten mir aus jeder Seite die Stim-
mungen entgegei], in denen ich sie einstens las und
mit einer träumerischen Phantasie in mich einsog.
Getrocknete Blumen mit ihrem leicht verwirrenden
Duft.
Diese Zeit des Werdens sollt auch ihr in ihrer
ganzen Zauberhaftigkeit durchleben. Das ist das
Verlangen, das mich jetzt erfüllt. Ihr werdet viel
ärmer sein in euren späteren Jahren, wenn ihr darum
betrogen werdet — und ihr sollt nicht darum be-
trogen werden.
Du bist jetzt groß genug, um mir schreiben zu
können, mir dein Herz auszuschütten. Und das
25
sollst Du tun, ganz ohne Vorbehalt, ohne das
Mindeste zu verbergen. Du trittst jetzt in das
Alter des Uebergangs von Kind zum Mann — in
der Seele treten neue Regungen auf, die leicht irre-
geleitet werden oder von selbst irrelaufen können.
Hab Vertrauen zu mir und zu Sonja. Nichts
vor uns verheimlichen, nichts tun, was Du uns zu
bekennen scheutest. Wir verstehen alles — ich habe
alle Irrwege des menschlichen Herzens durch-
wandert, durchtastet — durchkrochen. Nichts
könnte Dir beikommen, was ich nicht verstünde —
und Dir nicht verzeihen könnte und würde, wenn
ich Dein Streben sehe, dich durchzuarbeiten, hinauf-
zusteigen auf die Höhen — zur Sonne, in die un-
endliche Herrlichkeit der Welt. Deine Brust soll
hoch aufatmen und* ich wih dich sehen, wie du die
Arme weit ausbreitest, ihr, der Welt entgegen. —
Das will ich sehen, darauf warte ich. — Oeffne Dein
Herz — laß alles hineinfluten und Dich beseligen.
Und laß Dich leiten vom Vertrauen zu mir, von der
Liebe zu uns allen und zu den Menschen. Dann
fällt alle Arbeit leicht; dann ist sie nicht Mühsal,
sondern Glück und Entzücken.
Schreib mir, mein Herzenskind. Bald. Viel.
Ganz, wie Dirs ums Herz ist.
Ich küsse dich und euch alle, alle, tausendmal.
Dein Papa.
4. 10. 15.
Mein liebster Helmijunge!
Eure ausführliche Karte kam — Vera hat leider
wieder nicht unterschrieben. Das Fräulein will
wohl warten, bis ich ihr erst einen langen Brief
schreibe. Nun, der wird allerdings bald kommen.
Wir liegen noch an der Front und werden wohl
dauernd dort bleiben. Uebermorgen komme ich
wieder zur Korporalschaft zurück, nachdem mein
Auge wohl annähernd auskuriert ist. Ich werde
dann fast 14 Tage hier gewesen sein; in weiteren
43 bis 45 Tagen, d. h. 6 bis 7 Wochen, gehts dann
wieder zu Euch. Bis dahin freilich werden harte
Zeiten kommen. Wenn mir nur der Schützengiaben
26
nicht biüiit — alles andere, alle Gefahren spielen
keine Rolle; nur mitniurden — das kann ich nicht —
da hörts auf.
Die arme Bevölkerung hier! — Fast alle sind
geflohen — und die Gehöfte stehen verödet. Da
ist natürlich alles ratzekahl weggenommen — von
den Deutschen. Denen, die geblieben sind, wird
auch fast alles genommen. Keinerlei Vorsorge is:
getroffen, daß ihnen wenigstens das Nötige bleibt.
Und gar oft nicht requiriert mit gehörigem Schein,
sondern einfach genommen, geraubt. Heute kam
eine Frau hier an, der auf einen gefälschten Schein
das letzte Schwein genommen war. Die Soldaten
lachen leider gar oft noch über solche Unmensch-
lichkeit, nur selten verstehn sie die Lage der Be-
völkerung. Raub und Plünderiftig sind eben
Zwillingsgeschwister des Mords " — wie dieser —
legitime Kinder des Krieges. Ich habe darüber nun
manche Erfahrung.
Riesige Mengen von Feldfrüchten verkommen
hier allenthalben in der Erde — ihre Einbringung
wird nicht einmal versucht; es wird verzehrt —
direkt aus der Erde geholt — was jeweils grad ge-
braucht wird und damit basta.
Ich las hier von Euripides drei Stücke: Medea,
Hippolyt und Jphigenia bei den Taurier.n. —
Wundervolle Teile haben alle drei: Lest ihr schon
griechische Tragödien? Aeschylgs oder Sophokles?
Bald wirds soweit sein. Da mußt du dann freiUch
auch unsere Dichter besser kennen als bisher.
Schreibt bald und oft und recht gründlich — .
Ich küsse euch tausendmal.
Dein Papa.
S. 10. 15.
Liebste !
Das sind jetzt Erlebnisse. Gestern Mittag
im Haus neben uns eine Granate durchs Fenster —
ein Toter, ein Schwerverwundeter. Heute früh um
8V^ Uhr ein Korporalschaftskamerad bei der Arbeit
— schwerer Bauchschuß — noch lebend. Gestern
Mittag ein Schrappnell gerade über mir geplatzt, als
27
ich mit dem Leutnant auf dem Hofe des Quartiers
sprach — eine Kugel tanzte zwischen uns, ich habe
sie aufgehoben. Wir liegen in einem Gehöft nahe
am Dünawald; deutsche Artilleriestellungen, die bis
gestern dicht neben uns waren, sind wegen dauernder
Beschießung verlegt.
Wir arbeiten „nachts", d. h. gehen um 4V2 Uhr
nachmittags fort, gegen 5 Uhr erreichen wir den Ein-
gang zu den deutschen Gräben, durch deren Zick-
zack wir dann in der Dunkelheit ^/4 Stunden
laufen, stolpern, kriechen, — bis zur Arbeitsstelle.
Dort bis I Uhr Arbeit, 2 Uhr Abmarsch vom Stellungs-
eingang nach dem Quartier. Ankunft um 3 Uhr.
Kaffee. Dann zu „Bett". Natürlich im eiskalten
Stall, Stroh, Maötel, Decke. Heute waren bis 2 Grad
Kälte.
Eine berauschende flammende feierliche Winter-
sternnacht, den aufsteigenden Orion und meinen
Sirius, unseren Sirius vor mir, über mir durch das
herbstliche Gezweig der Sträucher und Bäume den
himmlischen Festesglanz. In die Erde gewühlt —
auf einem Friedhof in die Erde. Gewehrschüsse
knallen — bald einzeln, bald zahlreich: die Russen
liegen 80 bis 150 Meter vor uns und hinter uns jen-
seits der Düna, wir zwischen ihnen im spitzen Keil.
Weit vor uns halb rechts blitzt es auf — wie Wetter-
leuchten. Das gilt uns. Nach 10 bis 12 Sekunden
hören wir das Abschußdröhnen und das wilde
Fauchen des heranrasenden Ungetüms — Deckung!
d. h. Hinlegen. Näher, näher — — vorbei? — .
Getöse dicht neben uns. Ich richte mich auf —
Warnung — Sprengstücke abwarten. Richtung:
Dicht neben mir fällt's auf den Grabenrand.
Ein tüchtig schwerer Junge, so geht's weiter, zweimal
fallen Stücke dicht neben mir — das war beim Gang
zur Arbeitstelle, an die ich mit einem Feldwebel, nach-
dem ich dem diesen Abschnitt kommandierenden
Leutnant ein Croquis zu zeichnen geholfen hatte,
gegen ^/1>10 Uhr nachfolgte. Der Stellungsanfang
wurde beschossen — ausgezeichnet gezielt — was
den Russen überhaupt nachzusagen ist. An der
Arbeitsstelle sind wir sicherer. Die Ungeheuer fliegen
weiter darüber hinaus, so daß wir vor Sprengstücken
gesichert sind. Wir arbeiten, oder auch nicht, je nach
28
dem. Die Gräber und Kreuze um uns, die rascheln-
den Zweige über uns und das Geflimmer dazwisclien.
Ein Kamerad neben mir bricht plötzHch tief ein:
ein Sarg unter ihm ist eingebrochen — er
trampelt auf der Leiche — Dreck drauf — das
Loch ausgefüllt — und weiter gehts mit dem Spaten
inmitten der Gräber und Kreuze und Leichen und des
Gedröhns und Geknatters und Kugelgepfeifs Un-
geheure Visionen. — „Umschnallen!" Ein russischer
Angriff ist wahrscheinlich. Deutsche Leuchtkugeln
fliegen, wir ducken uns, klettern dann aus unserem
Grabenstück, das 30 bis 40 Meter getrennt liegt, vom
langen fertigen Graben. Stolpern über die Gräber,
durchs Gebüsclf — keiner weiß den Weg oder die
Richtung zum Hauptgraben. Mein Klemmer fällt von
einem Zweig abgestreift ins Gras; ich taste ihn zu-
fällig wieder. Plötzlich entdeckt einer den Graben.
Wir springen hinein. Der Unteroffizier ist un-
gehalten. Ich zanke mit ihm, nicht gar bös, denn er
ist ein guter Kerl, wenn auch sehr beschränkt und
überängstlich. Ich erkläre ihm, daß i c h nicht
schießen werde und wenn es befohlen würde. Dann
möge man mich erschießen. Andere stimmen mir
bei. Wir werden laut. Sofort pfeift's uns um die
Ohren, die Russen hören uns. Hören jedes Spaten-
geklapper. Ich habe mich vorläufig meines Gewehrs
wieder entledigt. Wandere also ohne Waffe auf
Arbeit. Da bin ich innerlich fast frei. Gestern früh
war mir nach einer geistig durcharbeiteten Nacht fast
jubelnd ums Herz, , , . Ich fühlte und sah und erlebte
diesen Herbst wie in Jünglingszeiten, wie in Friedens-
tagen, wie einst mit Dir. Und noch fühle ich mich so
sieghaft über allem was ist und kommen kann. Wie
kann ichs beschreiben! Ich las Dante und arbeitete.
Und diese Wintersternen-Nacht im Herbst! Alle
äußeren Molesten sind lächerlich. Ich spotte ihrer,
auch wenn mein Körper versagt.
Vor einigen Tagen fragte mich ein Rittmeister
neugierig, wie mir die Arbeit gefalle — ich trug gerade
Mist, Antwort: „Ja, wenn Frieden wäre" — Er
fällt ein: „Natürlich, dann würden Sie diese Arbeit
nicht machen". Ich: „ImGegenteil, dann würde ich sie
gern machen." Er: verblüfft: „und jetzt machen Sie.
29
sie nicht gern?" Ich: „Im Kriege kann ich nichts
gern machen, nichts, was dem Kriege dient." Er hat
sich wohl bis heute nicht beruhigt. Es ist nachmittags
3 Uhr. In fünfviertel Stunden Antreten zur Arbeit,
vorher noch Kartoffelschälen für morgen. Und für
mich arbeiten — an einem Expose für ein „inter-
nationales sozialistisches Institut". Fast fertig damit,
wenn natürlich auch stark extemporiert in der Dis-
position und voller Unvollkommenheit. Aber Zögern
gibts jetzt nicht. Seid ohne Sorge um mich. Die
Kameraden tragen mich auf Händen. Aus allen
Truppenteilen kommen sie hergelaufen und schicken
mir, was sie haben. Mein Auge ist fast gut. Tabak
fehlt, schick jeden Tag ein kleines Quantum im Brief,
wenn Pakete verboten. Das brauch ich. Ich bitte
Dich um diese kleine Mühe und schreib jeden Tag. . . .
Noch ist seit dem 15. 9. nichts von Dir gekommen.
Wie geht's Beba? Sei froh, daß er jetzt aus der
Hölle im Westen ist. Ich küsse Dich und Euch alle.
Dein Karluscha.
9. 10. 15.
Liebste!
Heute Nacht fällt die Arbeit aus, so melde ich
mich kurz bei Dir zur Stelle Die letzte Nacht war
kolossal anstrengend; ich krachte fast zusammen.
Als wir — in der Dämmerung abmarschiert, im
Dunkel den hohen Fichtenwald durchwanderten,
glitzerten die Sterne wie Weihnachtskerzen in
den Bäumen Die Arbeit auf dem Friedhof
folgte. In voller schwarzer Nacht — die Sterne
verschwanden. Schon dsn Gräberrasen abheben —
unsäglich schwer. Bei jedem Spatenstich tropft Fäul-
nisfeuer wie Glühwürmchen vom Spaten, Die fallende
Erde liört man nicht. Der Spaten schlägt hohl auf —
wieder ein Sarg. Und dumpfer Verwesungsgeruch.
Und Gewehrgeknatter — und die ganz nah vorbei-
pfeifenden Kugeln von jenseits der Düna und die
scharf aufknaüenden Explosivgeschosse vom nahen
russischen Graben, bei denen der Aiifschlagknall dem
Abschußknall vorangeht (für unser Ohr). Die Russen
30
verwenden sc!ir viel Explosivgeschosse (Gewehr-
granaten) wohl amerikanischen Fabrikats, die sehr
böse zurichten. Ich kroch bis zur Dünaspitze und
sah das erste Mal die silberschimmernde breite
Wasserfläche des Stromes. Die Kugeln nahe-
stehender russischer Posten pfiffen uns um die Ohren.
Die Russen haben zirka 10 Kilometer entfernt
von unserem hoch und weithin sichtbar gelegenen
Quartier einen Fesselballon, der ihnen gute Dienste
leistet. Heut war er wieder hoch. Die Schießerei
war heut Nacht geringer — die Russen arbeiteten
einen Drahtverhau vor uns und hielten sich daher
ruhig.
Eben sitze ich bei benachbarten Maschinen-
gewehrleuten — Parteigenossen — in warmer Bude.
Sie skaten und plaudern. Einer hat das bei
Langevviesche erschienene Büchlein über die deutsche
Malerei der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr-
hunderts „Der stille Garten", Reproduktionen aus
der .Tahrhundertausstellung — natürlich irgendwo
„mitgenommen". Ich las es eben und war dabei ganz
in Deiner Nähe. Hast Du das Heft? Ich rate
sehr dazu. . . .
Der gestern geschossene Kamerad Lohse hat
Lungen- und Bauchschuß — er ist schon ab, aber er
wird wohl sterben. Es gab neue Verluste in der
Stellung, wo wir arbeiten. Noch immer kein Wort
von Dir! Ich küsse Dich und die Kinder. Schreib
Deinem Karluscha bald.
13. 10. 15.
Mein Junge!
Nichts Neues von hier — aber leider
auch nichts von euch! Natürlich liegts an
der Post, die ganz miserabel funktioniert.
Schreibt aber doch möghchst jeden Tag, wenn auch
ganz kurz. Man dürstet danach — in dieser Ver-
einsamung. Wüßte ich nur wenigstens, wo Sonja
steckt ~ Seit genau 28 Tagen kein
Sterbens wörtlein.
Strahlender Spätherbst — sternenklar und
31
reifbegossen — kalt. Natürlich ohne Oefen. Nur
eine Decke im Stall oder Schuppen.
Ich küsse euch alle. Genießt die Ferien —
Euer Papa.
25. 10. 15.
Liebste '
Jetzt bist Du sicher zu Haus und wirst gesehen
haben, wie oft ich schrieb Ich habe seit langem
nichts von Dir, es mag mit der äußerst schlechten Ver-
bindung zusammenhängen. Wir bekommen fast nichts
mehr. Eine reine Qual. Ich bin zu ungeduldig und von
dem Postabholen zu sehr bedrängt, um viel schreiben
zu können Seit mehrerenTagen ist unser Ouartier
verlegt, wir hausen in russischen Unterständen;
weiter nordw^estlich wieder nahe der Düna. Es ist
sehr kalt. Seit heute auch echtes Schneewetter, so
daß ich mich heute früh in Schnee waschen konnte
— ein hoher Genuß.
Wahnsinnig viel Ungeziefer. Wie gehts bei
euch. Man kann nicht mehr schreiben, wenn man
nichts von zu Hause bekommt. Auch die Pakete — bis
auf einige kleine Tabakbriefe von Alice fehlen noch
ganz. Kein Licht, kein Block, keine Zigarren und
fast kein Tabak. So siehts heute sieben Wochen
nach meiner Abfahrt aus. Zum Auswachsen. Winter-
sachen brauche ich nicht mehr. Habe hier alles
empfangen. Schreib, schreib.
Ich werde widerlich bespitzelt, wie ich jetzt
erfahre, Schmiergesellschaft!! Ich küsse Dich und
euch alle
Dein Karl.
Notizen : Am 25. 10. 15 bittet mich . . .
aus der Bataillons-Revier-Stube heraus und
teilt mir mit: Es ist beim Bataillorr gemeldet,
daß Sie Propaganda für den Kirchenaustritt unter
•den Kameraden im Revier treiben. Das darf ich
nicht dulden, das Revier ist neutraler Boden. Ich
muß Sie ersuchen, es einzustellen (bis dahin dienst-
32
Karl Liebknecht. 6 Jahre alt
Karl Liebknecht, 13 Jahre alt
lieh). Sie sollen die Aufforderung zum Austritt auch
dadurch begründet haben, daß so ein Druck auf Be-
endigung des Krieges geübt werden könne und solle
— das könnte leicht als Aufruhr ausgedeutet werden
(ich widerspreche). Ich sage Ihnen das in bester
Absicht — wie ich sonst dem Austritt gegenüber-
stehe, tut hier nichts zur Sache. Ich stehe Ihnen ir
der Auffassung des Krieges gar nicht fern und
huldige stark pazifistischen Neigungen. (Worte
scharfer Kritik.) Sie können sich denken, daß Sie
von Spionen umgeben sind, die stets alles hinter-
bringen; also Vorsicht. Uebrigens weiß ich, daß
der Stabsoffizier der Pioniere Ihnen nicht gewogen
ist. Ich habe selbst aus seinem Munde gehört, daß
er — bei Gelegenheit Ihres iüngsten Urlaubs —
sagte: „Wenn Sie dort in Zivil gehen würden, würde
er Sie unweigerlich einsperren!" Seien Sie auf
der Hut.
Am. 26. 10. kommt der Bat.-Kom. und ruft mich:
Er habe von der Propaganda für Kirchenaustritt
gehört. Das gehe nicht. Er lege Gewicht darauf,
mit mir in aller Güte durchzukommen, sagen zu
können, daß ich tadellos gewesen sei. Er werde
diese Sache nicht weitergeben, er fasse sie nur
als privat zu seinen Ohren gekommen auf. Ich
solle nicht vergessen, daß eine ganze Zahl von den
Kameraden ins Gesicht gut Freund zu mir sei und
dann doch hinter dem Rücken gegen mich redeten
und hetzten und mich denunzierten. Daß ich mit
einzelnen mich unterhielte, deren Gesinnung ich zu
kennen glaubte, dagegen sei nichts zu sagen — er
selbst habe sich ja so mit mir unterhalten und werde
mich bei Gelegenheit wieder fragen, wenn ich vom
Reichstag kommen werde. Nur keine „Agitation"!
Der . . . sagte noch, ich solle auch nicht ver-
gessen, daß Briefe geöffnet werden könnten, es be-
stehe dazu die Befugnis (zur Verhinderung von Auf-
lehnung und Aufruhr). Ob bei mir schon geschehen,
wisse er nicht. Ich müsse mit allem rechnen. Es
sei einmal die Rede davon gewesen (im Bat.-Stab),
daß meine Frau im Ausland sei und ich durch eine
Deckadresse mit ihr korrespondiere.
33
14. 10. 15.
Liebe Sonja!
Dein Brief aus Bern vom 1. 10. kam heute . . .
Ich schrieb öfters, doch scheinen meine Briefe nicht
angelangt zu sein . . . Hier nichts neues. Die Nacht-
arbeit an der Düna (Mühlbachsnitze beim Brücken-
kopf Annen-Lenewaden) dauert an. Wir arbeiten
jetzt an der Dünaseite des Dreiecks, unmittelbar am
Rand der steilen bewaldeten Böschung 8 — 20 m tief,
in der das westhche Ufer in den Strom hinabstürzt.
Jenseits des Wassers arbeiten die Russen an ihrer
Stellung. Ihr Klopfen dringt zu uns, wie unser
Klappern und Khrren zu ihnen. Dazwischen das
helle Schwellen und Rauschen der breit strömenden
Flut. Die Kuppeln pfeif - um die Ohren — zischend,
fauchend wie Katzen, die Sterne flirren durch die
Aeste und zittern im Sniep^el des Wassers. Es ist
kalt und feucht und weiß-reifig. Wir graben uns in
die Erde. Ist's tief genug, wird wohl, geduckt oder
hegend, ein Pfeifchen geraucht. Um 12 gehts heim-
wärts durch das Labvrinth der Gräben, oft tief ge-
bückt und ohne Deckun^. unter fortp-esetzter zischen-
der Kugelbegleitung. Man wälzt sich — rechts und
links ausweichend in Schlangenwindungen, schwei-
gend und schleichend, die Posten an den Scharten
begrüßend. Neulich drang lustige Russenmusik von
der anderen Dünaseite zu uns. — Zwei Stunden
Wegs nach Haus — im Dunkel stolpernd. Totmüde,
bleierne Glieder. Der Orion stolz am Himmel. Vor
4 selten zur Ruh, um 6 wieder auf. Dann beginnt
mein Tag, meine Arbeit.
Leb wohl — lebt alle wohl.
Ich küsse Dich und Euch alle
Dein Kar!
30. 10. 15
Liebste!
Noch nichts von Dir, obwohl gestern, durch
guten Wind, mir wieder einige Zufallspost angeweht
wurde. Aber ich hoffe von Tag zu Tag, eine männ-
liche Hero ... In meinem Zustand hat sich einiges
gewandelt. Ich wurde bei Nachtarbeit und Marsch
34
ein paar Mal schlapp und alsbald in die Hände
unseres neuen sehr tüchtigen und gewissenhaften
Bataillonsarztes Dr. R. geliefert, der mich nun
morgen ins Lazarett Mitau (wahrscheinlich) bringen
läßt, von wo eventuell weiter zur Erholung. Ich
war, um auch das letzte auszukosten an Frontplage,
noch gern zu den Kameraden zurück. Dr. R. er-
klärt, das nicht verantworten zu können, Adresse
bleibt vorläufig die alte.
. . . Mein Zustand ist körperhch matt, mit eini-
gen etwas peinlichen Lokalbeschwerden. Geistig und
seelisch ganz au fait. Ich las wieder, etwas: Wasser-
mann: „Der Mann von vierzig Jahren", Andersen.
„Qlückpeter", Will Vesper: „Tristan und Isolde",
„Parzival". Letzteres sehr farbig, aus der Zeit her-
aus — objektiv und voll Leben, von manchen kleinen
Abrutschungen ins AUtäghche abgesehen, ganz im
Stil der phantastischen Legenden des Mittelalters,
wobei man zu seinem Erstaunen die enge geistige
Verwandtschaft dieser Wunderblüten mit denen aus
Tausend und eine Nacht oder dem Schach Namech
erkennt — übrigens wohl auch direkte Influenzierung
— Zeitalter der Kreuzzüge! Persönlich
wird Dich Wassermann, scheint mir, interessieren.
. . . Die Natur ist ein schimmerndes Feenschloß
— die Worte versagen vor der Zartheit und Größe.
Stets bin ich wach und erlebe alles mit ausgebreite-
ten Armen. Die Sterne, den weißen Mond, und er
wird rot an einer kleinen Stelle, ein goldener Kranz
legt sich um die Blüte; es wird heller, rosa gelblich,
weit am Rand über den Wäldern, wo war das erste
Rot? In den Furchen, an den Abhängen, auf den
schrägen breiten Giebeln und Dächern der schnee-
bedeckten Hütten, leuchtets im Widerschein heim-
lich - Opal - der harte Schnee knirscht unter
meinen Füßen. Alles glitzert auf — der Himmel
erhellt sich in seiner ganzen Wölbung — der Mond
will drin vergehen, wie ein Hchter Dampf in der
Luft. Es blitzt und strahlt und blendet — sie hat
den Königsthron bestiegen unter großem „Vortritt",
heute und fast alle die Tage. Diese großen Herrlich-
keiten: Warum kannst Du sie, können die Kinder
sie nicht genießen! Wie ich Euch um Euren Regen-
herbst bedaure.
o* 35
. . . Liebste, wir haben viel zu erzählen. Bald,
bald kommt die Zeit Ich küsse Dich tausendmal
und Euch alle. Die „Post" will fort, sie kommt
freiUch nicht zu uns, untreu in Potenz, alles Beste
Dein Karluscha.
An Helmi: 31. 10. 15.
Liebstes Kind!
Deine Karte vom 13., die ich vor einigen Tagen
bekam, freute mich sehr. Du sollst aber auch einen
Brief schreiben; für diesmal ists zu spät, aber das
nächste Mal — ich bitte Dich. Für diesmal ists
zu spät. Denn ehe Du dieses hast, läutet mir wohl
die Mitauer Bahnglocke und ehe Dein Brief hier
wäre, hätte ich Dich leibhaftig in den Händen.
Ich bin etwas zusammengekracht, infolge der
Anstrengungen, seit einigen Tagen wieder im Revier
und heute gehts nach einem Lazarett — wohl Mitau.
Ganz wie das erste Mal im September, so schickte
mich auch diesmal der Kompagniechef zum
Bataillonsarzt. Einmal nachts, als wir im Wald
arbeiteten (sägten), es war bitter kalt! wurde ich
ohnmächtig. Dann, nach dem russischen Rückzug
über die Düna, als wir nach unserer neuen Arbeits-
stelle zogen.
Dieser Marsch führte uns durch die eroberten
russischen Stellungen, unterirdische Labyrinthe,
kunstvoll und bequem ausgebaut. „Zerdeppert"
ratürhch jetzt vielfach. Da lagen die Leichen
herum, auf der eisigen Erde, gekrümmt wie Würmer
— oder mit ausgebreiteten Armen, als wollten sie
sich an die Erde oder den Himmel schmiegen,
retten. Die Gesichter nach dem Boden oder auf-
wärts. Schwarz schon zuweilen. Gott, ich sah
auch manchen unserer Toten in dieser Zeit und
half ihnen die Habseligkeiten abnehmen, die letzten
Erinnerungen für Frau und Kinder.
Eine Geschichte dieses Krieges wird einfacher
sein, mein Kind, als die Geschichte vieler früherer
Kriege. Weü die Triebkräfte gerade dieses Kriegs
ganz brutal an der Oberfläche liegen. Denk an die
Kreuzzüge, wie verwirrend der rehgiös-kulturell-
phantastische Anschein, der freilich auch fast nur
36
wirtschaftliche Tendenzen verdeckte: die Kreuzzüge
waren große Handelskriege.
Die Ungeheuerlichkeit in Maß, Mitteln, Zielen
des heutigen Krieges verdeckt nicht, sondern ent-
deckt, deckt eher auf. Darüber reden wir noch.
Und über vieles andere.
Du fragst, was Du lesen sollst. Ich rate zu-
nächst zu einer Literaturgeschichte. Den ganzen
Schiller nimm in die Hand, blättre und lies, lies
gründlich und immer wieder. Und dann nimm den
Kleist und den Körner und einige Goethe-Bände und
Shakespeare und Sophokles und Aeschylos und
Homer. Nasche überall und dann bleib hängen und
Ues gründlich. Sitz stundenlang allein mit den
Büchern. So werden sie Deine Freunde und Du ihr
Vertrauter. Ich möchte Dich nirgends hinzwingen.
Du mußt. Du sollst selbst suchen — jeder hat seiner,
eigenen Weg. Nun, auch darüber bald mündlich.
Die Schicksale Eurer Raupen sind erfreuhch.
Führt die Zucht nun einmal ordentlich durch.
Ich muß nun schließen — wir warten aufs Auto,
das uns zum Lazarett bringen soll. Ich muß packen.
Icli küsse Dich, mein Junge — habt keine Sorge
um mich.
Geht viel ins Freie. Grüßt alle. —
Dein Papa.
31. 10. 15.
Liebste!
Heute kam endlich das Auto, das uns morgen
fortbringen soll, und zwar wohl nach Schawli —
doch vielleicht auch Mitau — noch ungewiß —
anbei einige Zettel — bitte sorglichst verwahren.
Du magst sie natürlich lesen . . . Wann ich nun Post
haben werde, weiß ich nicht. Das ist ganz bös
und zum Verzweifeln.
Ich hab noch viel zu arbeiten — so schlapp
ich bin, es läßt mir keinen Moment Ruhe. Was
wird sein? Von Helmi hörte ich, Adolf sei ein-
berufen. Es wäre entsetzlich. Bitte gib Nachricht
noch an alte Adresse .... Ich bin wegen euch
sehr unruhig.
37
Wären wir doch bald zusammen.
Alles, alles Beste — ich küsse Dich vielmals,
meine Sonitschka.
Dein Karl.
Die Etappe!! Haufen von Korruption
von oben bis unten — Wohlleben und Machtvoll-
kommenheit vereint — verderbUch. —
5. 7. 15.
Liebste Sonitschka!
Nun weiß ich garnicht, wo Dich dieser Brief trifft.
Morgen wirst Du, wenn alles nach Wunsch, die Klinik
verlassen. Aber nur, um gleich wer weiß wohin, viel-
leicht nach Schweden - zu Deiner Mutter und Mira
abzufahren. Das muß sein, unbedingt. Ohne Rück-
sicht auf irgend etwas. Und ich hoffe, daß Du Deine
Nerven kräitigst - für die schweren Lasten, die auf
Dir liegen und für die Eroberung des Lebens, dem Du
noch immer wie ein 17 jähriges Mädchen sehnsüchtig
und fassungslos gegenüberstehst. Ich füge einen Brief
an Deine Mutter und einen an Mira bei, schick sie
ihnen. Der Tod Deines Vaters ist mir sehr, sehr nahe
gegangen. Ich hatte zu ihm ein ganz persönliches und
innerliches Verhältnis.
Im Halbdunkel schreibe ich an sehr kühlem Abend.
Von der Küste her fliegen die typischen Seewolken
herüber. Noch habe ich kein Wort von Euch, von Dir.
Es fällt mir nicht leicht, das, noch länger zu ertragen.
Ich denke soviel an Dich - obwohl alles darauf an-
gelegt ist, einem hier alles Denken und Fühlen zu ver-
leiden, zu vertreiben. Hoffentlich gehts bei Euch, wie
es in diesen Tagen möglich ist. Das Quartier haben
wir noch nicht gewechselt. Ich möchte Dir viel er-
zählen, möchte Du wärst bei mir - unter anderem
Sterne freilich. Ich lese Vanity fair. Der erste Band
nur ist hier. Ich bitte Dich, mir die zwei anderen zu
schicken, leg sie bereit, wenn Du kannst. Absenden
erst, wenn Du meine feste Adresse hast. Ich denke
an Dich Liebste. Mir tut so vieles leid. Ich küsse Dich.
Dein Karlruscha.
38
BRIEFE
AUS DER UNTERSUCHUNGSHAFT
(3. Mai 1916 bis 6- Dezember 1916)
Nördliche militärische Arrestanstalt,
den 3. 5. 16.
Liebes Kind!
Die Sache wird sich noch etwas hinziehen.
Vorläufige Festnahme wegen Nichtbefolgung
eines Dienstbefehls in Idealkonkurrenz mit einigen
andern (begangen durch ein paar Rufe). Kein
Grund zur Unruhe. Die Haussuchung wird Dich et-
was gestört haben. Hoffentlich ist das wüste Durch-
einander in meinem Zimmer nicht zum Chaos ge-
worden. Bisher fand ich mich doch glänzend zurecht.
Bitte sei vorsichtig. Laß zusammen, was jetzt zu-
sammen liegt. Ich bin gut untergebracht. Nur
einiges brauche ich geschwind. Taschentücher,
Strümpfe, Kragen, Taghemden — Bücher: L Ploetz,
Qeschichtsgrundriß; 2. Hilferding, Finanzkapital;
3. Luxemburg, Akkumulation des Kapitals; 4. Ge-
schichte der französischen Revolution.
Wende Dich keinesfalls an einen andern Anwalt
als Thedel. Auch an keinen Reichstagskollegen. Ich
will keine unerbetenen und wenn noch so gut ge-
meinten Dienste. Das meine ich ganz strikt. Hast
Du schon mit einem gesprochen, so bitte revoziere
sofort. Vielleicht können wir uns bald sehen. Dich
und die Kinder küsse ich. Seid vergnügt, daß ihr
einige Zeit vor mir Ruhe habt. Grüße auch Theo,
Lu. Alice, Gertrud und alle anderen.
Dein Karl.
Am 4. 5. 16.
Liebes Kind!
Wie ich höre, darfst Du morgen kommen. Bitte
bring meine Militärsachen (Binde, Litewka, Mütze)
mit. Mehr darf ich Dir eben nicht schreiben. Alles
gut. Vielen Dank allen und viele Grüße. Dich und
die Kinder küsse ich.
Karl.
41
BerlinW., den 18. 6. 16.
Liebste!
Was war das für eine Erregung! Du mußt doch
bedenken, daß wir nicht allein sind, daß ich nicht so
zu Dir sein kann, wie ich möchte . . . Hat man nix
Gebratenes, so frißt man halt die Kohlsuppe und das
Kommißbrot des Lebens, wenns nur um einen an-
ständigen Zweck geht — . Lies Goethes Elegie,
„Hermann und Dorothea" (nicht das Epos)
uns lehret Weisheit am Ende
Das Jahrhundert, wen hat das Geschick nicht
geprüft?
(Beachte das Gewicht auf dem Anfang der
zweiten Zeile.) Montag hoffe ich Dich froher zu
sehen — lach — lach über die „stinks and arrows of
outrageous fortune" ... Ich verstehe Deine Sor-
gen — aber „mit Sorgen wird's nicht besser sein".
Ich küsse Dich und die Kinder.
Dein Karl.
Berhn, den 30. 9. 16.
Liebste! Tristram Shandy muß Dir Behagen
und Vergnügen machen in seiner weltbefreienden
Ironie. Laß Dich durch die altertümhche Sprache
und das breite lockere Gefüge nicht abschrecken.
Wenn kein Mensch Dich stören kann — abends,
leg Dich aufs Sofa und Hes. Wenn Onkel Toby
die Pfeife ausklopft, wirst Du Dir eine Zigarette an-
zünden, wie ich mir unwiderstehlich, eine Pfeife.
Und wenn Du von den Nasen liest, vergiß
nicht Cyrano und die Cadets de Gascogne und bei
den Zwickelbärten denk an mich und keinen andern.
Diese deutsche Ausgabe ist, trotz kleiner Mängel,
ausgezeichnet, unübertrefflich. Das Ganze gehört zu
Rabelais und Don Quichote. Natürlich kannst Du
tauschen, aber ich hoffe, du behältsts als Standard-
work. Ich fahnde noch nach der sentimental journey
Bring mir Band 2 und 3 rasch noch einmal her, ich
muß noch drin stöbern. Und Schoul for scandal
bitte auch und Macauley und die Dämonen. Und
nun, ich küsse Dich tausendmal. Ich mache ja keine
„Geschichten". Aber es ist mir doch nicht ver-
boten, an unseren Hochzeitstag zu denken. Ich habe
42
doch immer daran gedacht, sogar einen Monat zu
früh dieses Jahr, es fehlte mir immer nur an Zeit,
wenn Du auch meinst, in solchen Dingen dürfe es
nie daran fehlen. Wir können uns morgen nicht
sehen, aber ich bin doch bei Dir.
Sei vergnügt und ich hoffe, der Schandysmus
wird Dir erleichtern über vieles hinwegzulachen, wie
sichs gebührt. Noch tausend Küsse Dir und den
Kindern.
Dein vierjähriger Ehemann
Kari.
B., 21. 10. 16.
Lieb-^^tp'
Mantel und Taschentücher kamen gestern Abend
trotz meines Briefs. Ich danke — aber wenn ich
glauben könnte. Du würdest glauben, wenn ich sagen
würde, es war überflüssig, so würde ich sagen, es
war überflüssig. — Glaube mir. Aber weil usw.
Verstandez-vous?
Folgendes: Heut in 14 Tagen steigt die
Revision, d. h. sie steigt ab, d. h. wir müssen in
diesen 14 Tagen erledigen, was am nötigsten ist.
Dann ist Schluß.
Ich will nur Dich und die Kinder sehn. Alle
anderen mögen zusammen kommen, aber bitte nur
die unentbehrlichsten. Montag besprechen wir das
genau. Die Kinder sollen sich für Donnerstag oder
Freitag bereithalten. Aber nur zum vorletzten
Male ...
... Sei philosophisch! Was sind vier Jahre! —
Kopf hoch und das wichtigste wird zur Bagatelle —
sub specie aeternitatis nicht nur des Gesamt-,
sondern auch des Einzellebens.
Ich küsse und umarme Dich vielmals, vielmals
Dein Karl.
43
Berlin, 6. 12. 16.
Liebste!
Anbei ein Brief, den ich Dich mit der voll-
ständigen Adresse zu versehen bitte. Befördere
ihn dann. —
Jetzt sitzt Du wohl ebenso allein Steglitz,
Bismarckstraße 75 III, wie ich Lehrterstraße 59 III.
Aber ich habe Goethe vor mir — und Du?
Drum frisch nur auf's Neue — bedenke Dich
nicht —
Denn, wer sich die Rosen, die blühenden bricht
Den kitzeln fürwahr nur die Dornen
So heute wie gestern, es flimmert der Stern —
Nur halte von hängenden Köpfen Dich fern
Und lebe Dir immer von vornen. —
Wenn ich auch keine „charmante Person" bin.
das gilt auch Dir. Trotz allem und allem. Wie
kann man mit Goethe und der Kunst und tausend
anderen Bücher-Freunden kopfhängerisch sein?
Entschließe Dich kurz auf einen anderen Platz
zu treten, die Welt von einer anderen Seite zu
sehen. Jetzt siehst Du sie, wie ein falsch ge-
hängtes Bild.
Ob ich Dich noch hier treffen werde? Ich
wäre so froh. Aber wenn nicht, hast Du sofort
Nachricht und alles wird sich arrangieren.
Nur Kopf hoch. —
Ich küsse und umarme Dich.
Dein Karl.
. . . Moliere ist doch ein eminenter Kerl. Seit
wohl 23 Jahren hab ich ihn nicht mehr im Original
gelesen. Die Fuldaschen Uebersetzungen sind ge-
schickt und unsere Aufführungen von Malade
imaginaire und Georges Dandin, die ich zuletzt
sah, — letzteren mit Dir — weißt Du? — gewiß
gut. Aber doch — wie viel Feinheit geht da ver-
44
\
loren und wie viel besser goutiert man sie beim
Lesen,
Das ist Lebensanschauung sub specie aeter-
nitatls bei aller zeitlichen Gebundenheit. Und
soziologisch-geschichtlich interessant. Und in der
Fülle der Phantasie und der schlagenden Prägnanz
von leichtem Witz und ätzendem Spott in Wort und
Situation und in der typisierenden Herausarbeitung
der Charaktere unübertreffhch. Nimm ihn bitte zur
Hand in grillenhaften Stunden. — Er objektiviert
einem alle Misere. —
45
BRIEFE AUS DEM ZUCHTHAUSE
(11. Dezember 1916 bis 8. September 1918)
Eingangspforte zum Zuchthaus
in Luckau
Luckau, den 11. Dezember 1916.
Liebste!
Du könntest Donnerstag nicht kommen, weil
Du krank seiest — so wurde mir berichtet, als ich
schon wußte, daß ich am nächsten Morgen weg-
kommen würde. Was fehlt Dir? Ich bin unruhig,
hoffe aber, daß es nichts Ernstes war.
Mein Transport ging sehr „diskret" von statten.
8 Uhr morgens vom Anhalter Bahnhof mit dem D-Zug
bis Ukro, (Richtung Dresden), wenig über eine
Stunde, — und in rund einer Viertelstunde in Luckau,
wo die Strafanstalt etwa 10 Minuten vom Bahnhof
in der Hauptstraße links gelegen ist (sofort erkenn-
bares Gebäude). Diese Verbindung, mit der man
bereits gegen 10 Uhr hier im Hause sein kann, werdet
Ihr auch benutzen müssen bei Besuchen; nachmittags
gegen 5 oder 6 Uhr kann man wieder in Berlin sein.
Ich bin ganz wohl; keine Gedanken um mich! Zelle
geräumig mit Kachelofen; großes Fenster, das ich
selbst öffnen kann. Tisch. Waschbecken, sogar
Teller und Messer, außer Gabel und Löffel. Nur eins
fällt vorläufig schwer, das II bis \3 Stunden
im Bett liegen. Aber ich werde es lernen und mich
so daran gewöhnen, daß Du 1920 Deine Freude
dran haben sollst. Ich bin der „Schuhfabrik" zu-
geteilt, arbeite aber in meiner Zelle — 14 Tage braucht
nichts produziert zu werden, die nächsten zwei
Wochen ein Drittel, die nächsten — zwei Drittel;
dann nach sechs Wochen Lehrzeit volle Leistung.
Jetzt bin ich also Schuhmacherlehrling im Keim-
zustand. In der Freizeit, (Sonntags; an den Werk-
tagen in den Pausen) darf man lesen und schreiben.
Die Anstaltsbibliothek scheint gute Sachen zu haben,
wohl alle Klassiker. Das erste, was mir zulief, war,
neben dem sehr beachtlichen Jeremias Gotthelf (Uli,
der Pächter), Hermann und Dorothea — mit der
Elegie, aus der ich Dir vor einigen Monaten schrieb:
„Weise denn sei das Gespräch! Uns lehret
Weisheit am Ende
Das Jahrhundert, w^en hat das Geschick nicht
geprüft."
Ich wies auf das Felsgewicht, das hier dem „Jahr-
hundert" gegeben ist. In der hiesigen (Händeischen)
4 49
Ausgabe steht — sicher falsch — : „Das Ende des
Jahrhunderts"; solcher Härte war Goethe nicht fähig.
Es besteht Aussicht, daß ich bald auch an meine
eigenen Bücher kann — natürlich nur sukzessive.
Auch werde ich zum Schreiben eigenes Papier be-
nutzen dürfen. Vielleicht schickst Du in einiger Zeit
einiges, etwa so, wie das letzte Mal in die Unter-
suchungshaft.
Der Spazierhof ist sehr groß; jenseits der
Mauern sieht man Bäume und andere erfreuliche
Dinge (auch eine merkwürdige backstein-gothische
K.irche mit Riesenschiff) ; auf dem Hof ein Birnbaum
und üarteiianlagen (Gemüse und Blumen, Stief-
mütterchen, Primeln). Natürlich marschiere ich hier
in der Kolonne.
Ihr dürft mir — so wie ich Euch — vierteljähr-
lich nur einmal schreiben. In Ausnahmefällen —
bei dringenden Familiensachen auch außerdem.
Auch schreiben dürfen nur: Frau, Kinder und
Geschwister. Aehnlich ist's mit den Besuchen.
Hoffentlich höre ich bald und Gutes von Dir und den
Kindern. Jedenfalls keine Sorge um mich. Von
1460 Tagen sind schon bald 38 herum, d. h. rund ein
Achtunddreißigstel, d. h. etwa die „Wurzel" von 1460.
Hast Du die zwei Landtagsmappen von der
Arrestanstalt abgeholt? Auf sie habe besonders Acht.
Es sind darin noch mehrere kleine Fetzchen. Der
Unteroffizier Becker versprach mir, sie zu ver-
schnüren. Das mir nur nichts verloren geht. Ich
muß schließen. Ich küsse und umarme Dich, mein
Herz. Die Kinder küsse ich vielmals, ich vertraue,
daß sie brav und lieb sein werden und fleißig und daß
sie sich um mich nicht grämen werden. Viele Grüße
allen Verwandten und Freunden.
Dein Karl.
Vielleicht, ich hoffe es — werde ich von Zeit zu
Zeit Zeitungen haben können, vielleicht die Wochen-
ausgaben des Berliner Tageblatts! Schick sie doch
für alle Fälle her, vom 9. 12. an.
Bald auf Wiedersehen.
50
Vom Dezember 1916.
Ihr raubt die Erde mir, doch nicht den Himmel,
Und ist's ein schmaler Streif nur, den mein Auge
Erreichen kann —
Durch Qittermaschen,
Zwischen Eisenstäben,
Gedrückt von schweren Mauern,
Es ist genug.
Das selige, verklärte Blau zu schauen.
Von dem das Licht gedämmert zu mir dringt
Und auch zuweilen
Verlorenes Vogelzwitschern leicht herniedertanzt.
Es ist genug
Mir eine munt're Dohle, schwarz und plappernd,
O, treue Freunde meiner Festunestage,
Im freien Flug der Kreatur zu zeigen
Und einer Wolke wechselnd Wandelbild.
Und ist's ein schmaler Streif nur — jüngste Nacht,
Erschien der hellste Stern in dieser Enge.
Der hellste Stern des Firmaments erschien
Und strahlte aus des Weltenraumes Ferne,
Die Welt beherrschend, heller, heißer.
Urmächtiger in meiner Zelle Loch,
Als je er strahlt euch anderen da draußen.
Und eine glühnde Schnuppe warf er nieder. —
Ihr raubt die Erde mir, doch nicht den Himmel,
Und ist's ein schmaler Streif nur. eng.
Durch Qittermaschen, zwischen Eisenstäben,
Er macht des Leibes Sinne selbst
Beschwingt von freier Seele, freier
Als ihr je wart, die ihr m.ich hier im Kerker
In Fesseln zu vernichten v/ähnt.
Luckau, den 10. Januar 1917.
Meine Liebste!
Nun seid Ihr wieder zu Haus, mit den ersten Ein-
drücken von meinem hiesigen Zustand. Ihr wart, und
Du warst am meisten so erschrocken, mich hinter
dem Gitter zu sehen . . ■ . nun. ich hoffe, Ihr habt Euch
51
beruhigt. Ihr müßt Euch beruhigen — Ihr dürft,
und auch Du, mein Herz, darfst Dich über solche
äußerlichen Dinge niclit mehr erregen. Was ist denn
mit dem Gitter — was will es bedeuten, — was kann
es uns, mir. Dir, den Kindern anhaben! So wenig
wie die Anstaltskleidung, so wenig wie die Haar-
schur .... Wir sind und bleiben wir, trotz alledem.
Aequam memento rebus in a r d u i s servare
mentem; dieses Horazische Wort ist, wie Du weißt,
nicht nur stoische, sondern auch epikuräische Lebens-
weisheit. — Ich bin überzeugt, daß bei den künftigen
Besuchen diese Euch peinigenden Begleitumstände
wegfallen werden. Ich bitte Euch, ich bitte Dich,
mein armes verlassenes Vögelchen, jagt diese Ein-
drücke aus Eurer Erinnerung und vergegenwärtigt
Euch das Gute was Ihr hörtet und sähet. Sehe ich
nicht ganz gut aus? Bin ich nicht munter, lebendig,
voll Interesse nach allen Richtungen? Und beruhigt
es Euch nicht, daß ich heute diesen Extrabrief
schreiben darf? Und daß ich zwei Schreibhefte,
Bleistift und Gummi erhielt! Daß ich keine Tages-
zeitungen bekommen kann, darf Dich nicht er-
staunen. Froh bin ich und mußt Du sein, daß ich
eine Wochenzeituhg lesen darf — nicht wahr! . . .
Habt Ihr Euch nicht Luckau betrachtet? Es scheint
doch ein ganz freundliches Städtchen zu sein. Von
der großen Kirche khngt der Stunden- und Viertel-
stundenschlag Tag und Nacht zu mir und regelt
mein Leben. Ist der Spazierhof nicht wirklich er-
freulich groß und voll bester Luft und Ausblicke?
Viel besser insofern, als der Hof der Mihtärarrest-
anstalt!
Also Kopf hoch! Ihr habt Euch bisher so tapfer
gehalten, und das war mein Stolz — nun fahrt so
fort. Wenns mal schwer fällt, beißt die Zähne auf-
einander — und alles geht, geht besser und rascher
als man glaubt. Heute sind seit dem 4. November
68 Tage „rum", d. h. ein V2i,4 der vier Jahre, und
fast 8H Monat sitze ich schon im ganzen. Wie
rasend schnell verging diese Zeit.
Und wir sind doch nicht völlig getrennt. In
dringenden Fällen dürft ihr und darf ich auch außer
der Zeit schreiben. Und in ganz, ganz dringenden
Fällen darf auch außer der Zeit ausnahmsweise be-
52
sucht werden. Das muß euch doch auch ein starker
Beruhigungsgrund sein, aber natürhch: nur in wirk-
lich dringenden Fällen. — Ich freute mich so von
Helmi zu hören, daß Du wieder kunstgeschichtliche
Vorträge halten willst. Kind, Kind, mißachte das
nicht so, wie Deine Worte am iVlontag andeuteten.
Halte die Wissenschaft fest, als Deine Stütze, als
den Gegenstand Deiner Liebe, als Ersatz fiir mich,
bis unsere Zeit wieder beginnt, unsere Sonne wieder
aufgeht. Welches tiefe Glück kann man darin finden.
Lies, ich rate sehr wohl überlegt, lies Lessings Prosa-
schriften (Dramaturgie, Briefe über neuere Literatur
und antiquarischen Inhalts). Die Klarheit dieses
alles durchleuchtenden Geistes, die Kraft seiner
Dialektik, die Eleganz seiner Bewegungen, die
Knappheit und Eindringlichkeit seines Stils, die
souveräne Beherrschung der Wissenschaft und Ge-
lehrsamkeit — all dies ist heute noch faszinierend —
nicht langweilig, glaube mir . . . Lies mit Helmi
den Laokon, das wird auch Dir Genuß geben und
Ihr werdet euch nahe kommen.
Wenn ich am Montag ein wenig ärgerlich war,
weil Du die beiden letzt zurückgelassenen Mappen
noch nicht durchgesehen hast, so darfst Du
nicht böse sein, es hegt darin ein besonderes
Couvert mjt den Notizen aus meiner Lektüre und
einige Zettel. Ich bitte Dich, nimms in Deine Obhut
— laß es nicht verloren gehen. Und wenn ich wegen
der Rubrizierungsarbeit^) etwas ungehalten war, so
verzeihe, mein Herz, Verstehe, daß daran meine Ge-
danken jetzt unlöslich hängen, bis ich höre, daß sie
fertig ist. Fertig! Und bald, bald. Denk, was steckt
darin für Mühe, für Entbehrung! Soll das umsonst
gewesen sein? Es kostet schon alle Mühe und Du
weißt, daß mir die Glossen und Noten besonders
wichtig sind. Ich will Dich wirklich nicht quälen —
aber das v/ird Dich auch beruhigen. Laß Dir von
keinem anderen dazwischen reden, dann freilich
gibts Zerrerei ohne Ende, denn die andern verstehen
es nicht! Du nur verstehst es. Dir nur vertraue
ich. Der junge Franz^) höchstens mag Dir beistehen.
') Druck der Prozeßakten „Zuchthausurteil".
-) Franz Piemfert.
53
er ist gewandt. Also nichts, nichts erbitte ich von
Dir: außer der Sorge um Dich und die Kinder und
dieser Arbeit, die mein dauernder Gedanke ist. Du
liest doch meine Briefe genau! Denn wir müssen
jetzt jedes Wort abmessen und berechnen, wo wir
so wenig Worte für uns haben können . . . Meine
Akten, in denen alles vollständig ist, hast Du ja
Montag.mitgenommen. Deponiere sie bei einem der
Freunde, — bei wem, ist egal . . .
Wie sehr ich mich über Thedels und Lu's Jungen
gefreut habe, kannst Du Dir denken. Von T. kam
ein Brief mit Grüßen von Lu und Lotte. Gib ihnen
den anliegenden Zettel.
Und nochmals zu Dir. Was ist mit Deiner Er-
holungsreise? Jetzt ist die Zeit nicht sehr günstig.
Aber sie muß kommen, nicht wahr? Das halten wir
fest — Du darfst uns nicht kaputt gehen, Liebchen;
Du weißt doch, Vv'ie ich an Dir hänge und um Dich
bange. Könnte ich Dir nur mehr helfen! Morgen in
einer Woche ist Dein Geburtstag; wie so oft
wirst Du allein — ohne mich — sein. Ich werde an
Dich noch m.ehr denken als sonst — , werde durch
die Winterluft Dir Küsse schicken und alle, alle
Wünsche, die Du kennst; Wünsche auch wegen
Deiner Mutter, Adolfs und der Schwestern — und
Wünsche der Ruhe und des Friedens, der glücklichen
Einigkeit zwischen Dir und den Kindern, die Dich
lieb haben und immer lieber gewinnen werden.
Helmi wird stark sein und — sag ihm das — mit
der Welt fertig werden, das ist die Art, wie man
den Pessimismus ausrottet. Kampf — und Trotz
und Stolz — komme was kommen mag! Feiert
immerhin den 18., leider kann ich nichts schicken,
als diesen Gruß, diesen Wunsch und tausend Küsse
dazu, tausend Küsse und Umarmungen — ich
streichle Deine Stirn — sei ruhig. Liebste, und fest,
— „Nil admirari"; und „si fractus illabatur orbis
impavidum ferient ruinae — impavidum et impa-
vidam — so bleibst Du Siegerin trotz alledem.
Alles, alles Beste und nochmals viele, viele
Küsse Dir und den Kindern.
Dein treuer Karl.
54
Luckau, den 21. Januar 1917.
Meine Liebste!
Ich antworte erst heute. Briefe außer der
Normalzeit müssen stets — von dringendsten Aus-
nahmefällen abgesehen — Sonnabends beantragt
werden. Und dazu muß die Meldung am Donners-
tag oder Freitag erfolgen. Ich zweifelte, ob hier
ein Ausnahmefall vorliege und meldete mich erst
vorgestern zur „Rücksprache" — wobei der Herr
Direktor allerdings zu erkennen gab, daß er einen
Ausnahmefall angenommen haben würde. Kurzum:
entschuldige die Verzögerung beim Abgeordneten-
Haus aus den Umständen.
Und nun: (folgt die Beschreibung der Mappen
und der Regale in und auf welchen sich die aus
dem Abgeordneten-Haus entliehenen Bücher be-
fanden. F. P.)
Ich hoffe, diese Fingerzeige genügen, um Dir
dies Geschäft leicht zu machen; wie ärgerlich, daß
Du zu alledem auch noch solche Querelen am
Halse hast.
Was die Ordnung der „Bibliothek" betrifft,
(verabredete Bezeichnung für Pubhkation der Proz.-
Akten ... F. P.), so nehme ich gerade auch auf
Dich Rücksicht. Wenn ich Dir energisch sage: Du
machst Dir zu viel Kopfzerbrechen und Schwierig-
keiten, legst Dir alles selbst in den Weg und ganz
und gar ohne praktischen Sinn. Und läßt Dir von
Leuten helfen und raten, die absolut nicht
dazu passen und Dir Hemmschuhe sind
Warum folgst Du meinem Rat und meinen Bitten
hier so gar nicht? .... Ich erwarte nun bestimmt und
„kategorisch", daß Du mir in Deinem ordentlichen
Februar-Brief die Vollendung der Arbeit meldest —
der Abschluß ist auch für Deinen Zustand absolut
nötig — von mir ganz abgesehen. — Gelingts nicht,
so tragen nur die guten Freunde Schuld.
Ja, Liebste, ich fühle, wie abgespannt Du bist.
Ich bin ja bei Dir und bei euch, auch wenn ich in
der Zelle und hinter Eisenstäben von euch, von
Dir getrennt bin. Wie freue ich mich Deiner
Empfindung für die Musik — weißt Du, wie ich
55
Dich immer rief — zu meinem Spiel? Wie ich
fühlte — obwohl Du Dich unmusikalisch nennst —
daß das „Dämonische", das tiefst Mystische der
Musik Dir ins Innerste dringt? Nur triebhaft er-
faßt — meinethalben — aber in der musikalischen
Wirkung liegt ganz allgemein auch ein mächtiges,
fast kann man sagen, physiologisches Element.
Ich möchte eure Aufmerksamkeit auf die
Jugend lenken, deren Versorgung mit guter Lektüre
von Euch nie aus dem Auge verloren werden darf,
auch heute nicht und heute am wenigsten. Denkt
daran mit großem Ernst. — Du weißt, ihr alle wißt,
wie sehr mir das am Herzen hegt. Gerade daran
knüpfen sich meine Gedanken gar oft — jetzt —
w^o ich mich — wenn auch nur viertelstundenweise
— den Büchern wieder in tieferer Versenkung
widmen kann — (es handelt sich um die Gründung
einer Jugendzeitschrift. F. P.) Dein Geburtstag ist
nun vorüber — wie ging es wohl? Wie viel
Schweres hast Du dieses Jahr ertragen müssen. Hätt
ich Dich nur ein v/enig leise streicheln können über
Dein armes, gepeinigtes Köpfchen. — Und schenken
konnte ich Dir nichts — und auch die nächsten
Jahre wirds nichts werden. —
Nun kommen die Kinder-Geburtstage in einer
Reihe. Ich kann ihnen nur eben im Voraus alles,
alles wünschen und alle Küsse schicken, die einem
Papa in solchen Umständen zu Gebote stehen.
Wenn es sich beim Geschenk um ein Buch handeln
sohte, so rate ich zu einer deutschen Literatur-
geschichte (Scherer? Vilmar? Mehring wird
raten). Die Kinder werden, wie zu Weihnachten,
verständig sein und sich mit Selbstbewußtsein in die
Beschränkung fügen. Sie werden für höhere sitt-
liche Einsichten immer größeres Verständnis ge-
winnen und die Jungen besitzen es schon im erfreu-
lichen Grade, zu meiner großen Befriedigung. Die
Redensart von Bobbi, die Dich so freute, ist nur auf
diesem Untergrunde, als Zeichen einer frisch zu-
fassenden Art zu begrüßen.
Heute Nacht träumte ich von meiner Mutter
— und sonderbar — obwohl Du sie nicht kanntest
— sie war mit Dir und den Kindern. Wie ich,
wie wir alle mit unseren Eltern, mit unserer
56
Mutter waren, kann nicht mit Worten beschrieben
werden. Es erklärt sich aus vielem, auch aus der
Fülle gemeinsamer Not und Verfolgung. Und
wirklich — es gibt einen Grad und eine Art der
Liebe, die stärker ist als der Tod, der der Tod
nichts anhaben kann — der Gestorbene lebt lebendig
in der Vorstellung und im Gefühl der Hinterbliebenen
fort. So gings mir mit meinen Eltern — sie sind
nur eben abwesend und nicht mal das. So geht
es Dir gewiß jetzt mit Deinem Vater und Beba.
Nur noch Einiges:
1. Anbei ein Schreiben des Landgerichts II
über meine Streichung aus der Liste der Anwälte
für alle drei Berliner Landgerichte. Bring es zu
meinen Handakten. Es macht sie erst ganz voll-
ständig: aus Soldatenstand — aus Parlamenten —
aus Advokatur — Punktum. —
2. Zeitungen — die Wochenausgabe des Berl.
Tagebl. vom 26.^12. schicktest Du nicht! —
3. Schick eine Portion Stahlfedern für mich
an die Anstalt.
4. Schick Zahnpulver, aber nicht von Dr. Pierre
— sondern Schlemmkreide — Dr. Pierre ist zu
weichUch. —
5. Hast Du Geld (10 Mark) geschickt?
6. Schicke doch ein Stück Seife — vielleicht
bekomme ich sie, falls sie hier ausgehen sollte.
Nun, Liebste — Schluß. — Der Brief muß fort.
Mir gehts ganz gut. Keine Sorgen! Sorgt nur Ihr
für Eure Ernährung — es wird noch schlimmer
werden. — Zucker — Zucker. —
Ich habe den Kopf voller Gedanken — und das
Herz zum Zerspringen. —
Hätt ich Euch nur hier — was könnten wir
lernen und schwärmen — was könnte ich jetzt
gerade auch den Kindern sein. —
Nun — par distance — gehts auch — wenn der
Wille und die Kraft nicht fehlt — ui^d die dürfen
nicht fehlen. —
Ich küsse und umarme Euch — Dich und die
Kinder.
Dein Karl — Euer Papa. —
Grüße allen Verwandten und Freunden.
Von Wundt schick ev. die „Physiologische
Psychologie", doch hat's Zeit.
57
Luckau, 11. Februar 17.
Mein liebstes, liebstes Kind!
. . . Dein Brief erregt in mir Unruhe und Sorgen —
Unruhe und Sorgen sprechen aus jedem Wort. Wie
kannst Du, mein Herz, meinen, ich „drohte" Dir,
ich hätte Dir „gedroht".^) Fühlst Du nicht, daß das
meinem ganzen Wesen, meinem Fühlen, Denken und
allem, was in mir ist. Dir gegenüber ganz und gar
unmöglich ist. Du mußt doch wissen, wie ich
Dir verbunden, verschmolzen bin. . . . Wie man
gegen sich selbst wüten kann, gewiß, so könnte
ich auch, so kann ich auch einen Moment des Aus-
bruchs gegen Dich, gegen Dich als ein Teil meines
Selbst haben, unter dem ich leiden würde, als der
eigentlich Gepeinigte, Verletzte. Und Du mußt
drum fühlen, daß jedes Wort, jedes Zittern des Un-
muts, das gegen Dich gerichtet scheint, in Wahrheit
selbstquälerisch mich trifft. Und Du darfst Dich
nicht sorgen und von mir verletzt fühlen. Du
bist es nicht Was soll das heißen: Du willst mich
nicht vor Deiner Abreise besuchen? Aus Angst vor
meinem Aerger über die Nichtvollendung der Arbeit.
Ja, es liegt mir ungeheuer an dieser Arbeit; niemand
kann ermessen, was darin steckt, jetzt mehr als je,
außer Dir und mir. Sie ist für Dich und mich ein
ganzes Stück vergangenen und gegenwärtigen und
künftigen Lebens. Und nur darin kannst Du mir
jetzt helfen. Meine „Drohung" (ich ahne nicht, was
Du so verstandest) ging gegen die Besorgnis, daß
gutgemeinte Ratschläge bester Freunde, die aber
hier gerade anderer Meinung sind als ich (und auch
Du im Grunde), hemmend und hindernd im Wege
ständen, oder daß Du gar deren Hilfe abwarten
könntest, selbst wenn sie eine lange Verzögerung
bedeuten würde. Aber davon ist, wenn ich Deinen
Brief verstehe, keine Rede mehr. Danach handelt
es sich nur noch um die handwerksmäßige Hilfs-
arbeiten zum Abschluß, Deine Arbeit ist fertig,
*) Verzögeruns: des Druckes der Prozeßakten.
F. P.
58
absolut fertig. Verstehe ich Dich recht? Die Haupt-
sache ist — verstehe mein Lieb, daß Deine Arbeit
beendet ist und daß die fertige Arbeit wenigstens
an einer gewissen Zahl von Beispielen, gewisser-
maßen als Modell durchgeführt wird.^) Alles
andere hat dann im Notfall Zeit. Das bestimme ich.
Nun, und so wirst Du's ja noch machen, bevor Du
verreist. Und schon darum — welcher Gedanke,
Liebste, mich nicht besuchen zu wollen! „Angst
vor meinem Stirnrunzeln" zu haben, als sei ich ein
brüllender Hyrkanischer Leu — Blut und Tod im
rollenden Auge. Unsinn, nicht wahr. Du kommst.
Du darfst kommen (möghchst Sonnabends, weil ich
dann rasiert bin). Bitte vorher um Erlaubnis für
den Tag, Du bekommst sie sofort. Du mußt kommen.
Mußt, Liebste, mußt, wegen mir und wegen Dir.
Das wäre Zerfleischung — für Dich, für mich. Bis
JuU nicht sehen! Das hieße meine Strafe verdrei-
fachen und ich weiß es — Deine Erholung zunichte
machen. Du mußt also kommen — diesmal allein.
So daß nur wir zwei zusammen sind. Im April
dann die Kinder, im. dringenden Falle auch sie vor-
her Wegen der Kinder, deren Briefe mich sehr
freuten (Helmis ist sehr charakteristisch für seinen
Uebergangszustand, den Ihr ernst nehmen müßt!
Es kommt bei ihm jetzt plötzlich mit ungeheurer
Macht — der Eisgang), tue ich alles, was ich kann. . .
.... Mit der Nahrungsmittelnot ists gar schhmm
hier und die Kälteperiode war bös, wir hatten bis
23 Qrad. Um mich aber macht Euch keine Be-
denken, im Notfall retten mich die Freiübungen.
Meine Arbeit beider Arten geht gut vonstatten.
. . . Mich interessieren besonders die Bedingun-
gen für die Entwickelung der sogenannten Ideologien
— zum Beispiel der Kunst, darunter natür-
lich auch der Malerei. Aus der Zeit Deines
Doktorexamens ist mir — dilettantisch in der
Erinnerung die Entwicklung der dreidimensio-
nalen Raum- (Tiefen-) Perspektive, aus der zwei-
dimensionalen Flächenperspektive — der byzanti-
nischen (wohl meist Goldgrund) Malerei; meines
^) Gemeint ist: vorläufig möge eine kleine Auflage gedruckt
werden. F. P.
S9
Wissens spielt Cimabue dabei eine große Rolle. Also
davon das Thema, das ich auf besonderen Zettel für
Dich notiere. Außerdem habe ich für Otto und für
Kurt anhegende Themen, bitte übernimm ihre Ver-
mittelung. Ich wäre sehr froh, wenn wir so zu
einem systematischen, wissenschaftlichen Zu-
sammenarbeiten kämen. . . .
Meine arme gequälte, arme Geliebte! Wärst
Du bei mir, wie würde ich Dich streicheln und
wärmen. Und Du würdest ruhig werden — stark,
über alle Not zu lächeln, zu triumphieren. An das
Ganze, an das Große, an das Unendliche denkend —
sub specie aeternitatis. Denke: heute sind 100 Tage
von 1460 herum und wie schneU vergings. Und
bald wird alles, alles anders. Und wie werden wir
dann jubeln. Du wirst noch glücklich sein, mein
armes Vögiein. Du wirst glücklich sein — glaube
daran und es wird um so rascher sein, die Zeit be-
kommt dann Flügel — wie freue ich mich dem Tag
unser Wiedervereinigung entgegen. Ruhig, mein
Kind — keine Sorge um mich! Ich küsse und um-
arme Dich — komm bald, bitte bald, zu Deinem
Karolus, der an Dich denkt, von Dir träumt. Viele
Grüße und Küsse allen Verwandten.
Luckau, 11. 2. 17.
Mein hebster Helmi!
Vielen Dank für deinen Brief, den ich aus-
führlich im März beantworten werde. Heute darf
ich dir schreiben: wegen der Schule.
Ich höre von Sonja und von dir, daß es da
schlecht steht und am Ende gar Versetzungs-
schwierigkeiten eintreten. Und von euch beiden
höre ich, daß es nicht an deinem Können liegt
sondern an Deinem unzureichendem Arbeiten und
das weiß ich selbst.
. . . Glaub nicht, daß ich dich und deinen jetzigen
Zustand nicht verstehe: die Knospen brechen auf —
alles treibt und drängt — schäumt über, sucht sich
seine Bahn — und alles wie es ahnungsvoll be-
glückt, zugleich beklemmt, quält, weil es unfaßbar
ist, die Kräfte fühlen, wie sie der ungeheuren Auf-
gabe nicht gewachsen sind, nicht gewachsen sein
60
können. Man fällt aus Finsternissen zum Lichte
tappend immer tiefer ins Dunkel — bis man die
Relativität alles menschlichen Wissens erkennt.
Und andere Triebe regen sich — der Trieb,
die Welt oder ein Stück von ihr nicht nur zu ver-
stehen, sondern zu bewältigen, zu erobern; und die
ersten Keime der geheimen Sehnsucht von endloser,
selbstvergeßner Tiefe, die Liebe genannt wird.
Und in all dem stehst du, kleines Kerlchen,
nun ohne miich — der dir die Wege aus den Irr-
sälen zu weisen, dich von den Irrlichtern zu behüten
vermöchte. Du kleines Kerlchen, wie ein eben
ausgekrochener Schmetterhng im Wirbel eines
Taifun Bin ich ein Philister? Nicht ein Mensch
vom Süd- zum Nordpol wagte es zu behaupten.
Nun, vertraue dich mir; mir, der dein Vater ist,
voller Hoffnung auf deine Fähigkeiten, deine Zukunft
und dessen Leben vernichtet w^re, würden diese
Hoffnungen zunichte.
Niemand fordert, daß du Außergewöhnliches
leistest. Du sollst nur — und das ist jedes Menschen
Pflicht gegen sich und die anderen — Deine Kräfte
nach Kräften entfalten 7- das Pfund, das in Dir
hegt — beharrlich und klug nutzen.
Die Schule — Du täuschst Dich, wenn Du sie
langweilig nennst. — MögHch, daß dieser oder jener
Lehrer langweihg ist — ganz wie auf der Univer-
sität, vielleicht nicht mal so sehr. — Aber das ist
nicht die Schule. — Die Schule: das sind die Gegen-
stände, die Wissenschaften, die Ihr dort lernt. Das
ist Geschichte, Geographie; das ist Mathematik.
Das ist Französisch, Englisch — evtl. Hebräisch!
Das ist der deutsche Unterricht, der Dir die fernsten
Formen unermeßlicher Horizonte öffnet — einen
Goethe, Schiller, Lessing, Herder, Klopstock usw.
zum Freunde gibt.
Und dann Griechisch. Latein. Ist das langweilig?
Sprachen sind die interessantesten menschlichen
Geistesprodukte. — Ihre Erkenntnis, ihre Anatomie,
ihre Zergliederung nach ihrer Struktur, das ist ihre
Grammatik und Syntax; dasselbe was die Anatomie
beim Tierkörper. Hast du keine Ahnung von der
Wunderwelt die die vergleichende Sprachwissen-
schaft auftut? Ich hatte stets ein so lebendiges
61
Interesse dafür, daß ich nicht verstand, wie von
langweilig geredet werden konnte.
Aber vor allem: Herodot, Xenophon, Thuky-
dides, Demosthenes und der göttliche Plato! Homer,
— das waren die Griechen, die wir lasen.
Und Cornelius Nepos, Caesar, Livius, Sallust,
Tacitus, Ovid, Yirgil, Catull, Horaz — das waren
die Römer, die wir lasen.
Nimm eine Geschichte der Kultur, der Wissen-
schaft, der Kunst, der Literatur zur Hand — diese
Sterne leuchten darin. Seit Jahrtausenden leuchten
sie. Und sie werden noch Jahrtausende leuchten
Lernst du sie jetzt nicht kennen, — du wirst sie
n i e kennen lernen. Du verherst Unendliches fürs
ganze Leben. Wie gern hätte ich jetzt meinen
Virgil, Horaz, Homer, Sophokles Plato hier. Wie
lebendig sind mir viele Horazische Oden wieder
geworden, sie kommen nachts — in den langen,
langen Nächten und leisten mir Gesellschaft — wie
glücklich wäre ich, wäre mein Schatz an solcher
Kenntnis zehnmal größer, lessingisch-groß !
Ist die. Art des Unterrichts pedantisch — du
hast's in der Hand — ihn frisch und voll Würze zu
machen. Ist das behandelte Thema, das Stück des
Schriftstellers klein, eng, zerfetzt, du kannst es er-
weitern. Ergreife nur das Gebotene!
DiePositiva, an Daten, Zahlen, Grammatik
— Worten, der Gedächtniskram, so trocken er
ist, bildet den Stoff aus dem sich erst alles Wissen,
alles wissenschaftliche Erkennen formt — so wie
die Peterskirche in Rom, der Dom von Reims aus
harten, nichtssagenden „trockenen" Steinen zu-
sammengesetzt sind. —
iVlein lieber Helmi! Denke, was alles das heißt!
Nimms in dich auf und handle danach. Aus Ein-
sicht in die innere Richtigkeit — in die Notwendigkeit,
diese Ratschläge deines Vaters, so ernst sie ge-
meint sind — so ernst zu befolgen. Und dann:
Ueberlege dir, was es heißt, daß ihr jetzt im Gym-
nasium sein dürft. Welche ungeheure Opfer —
anderer als eures Vaters — kostet es. Soll das ver-
schleudert werden?
62
Ueb eventuell ein wenig Singen (Schubert-
Lieder). Deine Handschrift ist wirklich nicht schön
— übrigens meine eben auch nicht — das hegt aber
an der schlechten Beleuchtung und Kühle
Wegen eurer Ernährung hab i c h Besorgnis
— um mich sorgt euch nicht.
Nun, beherzige alles — ich hoffe auf gute Nach-
richt. Keinen Weltschmerz! Je drohender und
ernster das Geschick — um so mehr gilts zu be-
stehen. Und stets sei dir bewußt: du bist nicht
ohne Vater, auch wenn ich im Zuchthaus bin. . . .
Ich küsse dich, mein kleines, großes Kerlchen
— und behüte dich an meinem Herzen, — trotz
alledem —
Dein Papa.
Mit Schlittschuhlaufen bei Tauwetter auf den
Seen höchste Vorsicht! Vorsicht! Das Eis wird
mürbe — nur, wo pohzeilich erlaubt, fahren und
nur so lange, wie erlaubt.
Luckau, den 18. März 1917.
An Vera
Mein kleines süßes Mäuschen!
Dein Brief vom 7. Februar, jetzt schon bald sechs
Wochen alt, war sehr fein. Wenn auch die Lehre-
rinnen in der neuen Schule streng sind, so paß auf,
bald wirst Du Dich gewöhnt haben. Nur fleißig und
artig sein, dann werden Dich die Lehrerinnen bald
lieb haben. Nun, zu Ostern, wenn Ihr mich in etwa
drei Wochen besucht — werde ich Eure Zeugnisse
sehen — nicht vergessen. Also Du warst in Wilhelm
Teil. Ja, man muß schon, wenn es irgend geht, was
man im Theater sehen will, vorher durchlesen. Das
machte ich im November 1915 mit den Jungen so, im
Lazarett, als sie im „Sturm" von Shakespeare waren.
Das Schnellsprechen wirst Du bald verstehen lernen,
das ist nur Uebung. Du bist ja noch so klein! Am
24. April wirst Du ja erst 11 Jahre! Ich gratuliere
Dir schon heute im Voraus dazu. Werde ja in-
zwischen nicht mehr schreiben können und schenke
Dir schon jetzt 100 wohlabgezählte Küsse. — Sonst
habe ich leider nichts. Daß Du Zahnschmerzen hast,
beunruhigt mich, es kommt von der schlechten Er-
63
nährung, aber auch von der Pflege; putze sie ordent-
lich jeden Tag zweimal. Und iß und trink nicht zu
heiß und nicht zu kalt. Wegen der Eisbahn jetzt
Vorsicht — bei dem Tauwetter. Lies, was ich Bobbi
schrieb. Den kleinen neuen Vetter Karl-Otto hast
Du nun wohl begrüßt — gefällt er Dir? Die Bücher
lies fleißig — Reinicke's Märchen kenne ich, „Klopf-
stock" nicht, auch nicht das „Sonntagskind", aber die
Schulbibliothek wird doch nur gute Bücher haben.
Du weißt aber, daß wir selbst sehr viele gute Bücher
haben. Ja. das Auskriechen von Schmetterhngen
macht viel Freude.
Auch Du wirst Ostern vielleicht nach Frankfurt
fahren — ei — umso besser, Frankfurt ist sehr schön.
Aber vielleicht wartest Du diesmal noch und bald
nach Ostern kommt Ihr zu mir. — Ich freue mich
schon so ungeheuer darauf. Euch, meine kleinen
Kerlchen, wiederzusehen und zu küssen. Haltet
Euch nur recht gesund und bringt gute Zeugnisse
mit. Und die Nachricht, daß Ihr allen Freude macht.
Dann wird unser kurzes Wiedersehen dreifach schön
sein.
Lies diesen Brief im abgeschlossenen „Eckchen",
das sicher sehr gemütlich ist und in dem ich Dich gar
zu gern einmal hocken sehe und von dem aus ich gar
zu gern einmal die Poschingerstraße hinuntergucken
würde. Die ganze Gegend ist mir ja noch unbekannt.
Ich küsse Dich viel, vielmals mein süßes Nesthäk-
chen. Auf Wiedersehn
Dein Papa.
Luckau, den 18. März 1917.
Mein liebstes Herz!
Wie gut ist es, daß ich Dir gleich noch einmal
schreiben kann! V/ie köstlich war Dein Besuch am
Dienstag, wie haben wir uns, wenn auch nur so kurze
Spanne Zeit, ganz für uns gehabt. Es war. wie bei
einem jener Besuche in Heidelberg, jene köstlich —
glücklich-qualvollen Stunden; und doch wars anders,
stärker, mächtiger. — Wie hats Dich erfrischt —
ein Zauberbrunnen hatte Dich umspült. Deine
Augen glänzten, ja — , meine glänzten auch —
64
sie glänzten, weil sie Dich widerspiegelten, sie
glänzten, weil sie meiner Liebe leuchteten.
Es wird öfter erlaubt werden, daß Du mich allein
besuchst, und ich vertraue, daß Du dabei künftig
keine peinlichen Intermezzi erleben wirst.
Du wirst dann auch wegen meiner Gesundheit
wenigstens in einem Punkte noch beruhigter sein, als
bisher; daß mir Milch verschrieben war, hatte Dich
in Zweifel versetzt — infolge eines Mißverständ-
nisses. Nun — die Sorge ist seit heute vorbei; sie
hat nur 14 Tage gedauert; heute ist mir die Milch
— ohne daß ich den Grund wüßte — wieder
entzogen.
Ich komme zum Geschäftlichen: (Hier folgt eine
trockene Aufzählung verschiedener Wünsche. F. P.)
Aber jetzt Schluß mit Aufträgen! Und nun
an Deine Reise gedacht. Nicht mehr gezaudert.
Bleibe recht lang und schreibe mir sofort, sobald
Du untergebracht bist, damit ich Dir schreiben kann.
Ich hoffe. Du kam.st Dienstag gut heirn. Ich be-
rechnete hier die Zeit, die Du noch in Luckau warst
und glaubte Dich zu fühlen, und glaubte Dich zu
sehen, als Du zum Bahnhof gingst. V/ie gern wäre
ich mit Dir gezogen und wenn nur auf ein Viertei-
stündchen. Aber Kind, Liebstes, denke: heute sind
4V2 Monate rum! Hundertf ünfunddreißig Tage! Von
1460! Doch schon was! Und es wird immer
schneller laufen! Und plötzlich ist die ganze Zeit
herum und wir stehen verblüfft dabei — wie hinter
einem vorbeigerasten Courierzug. Was habe ich
hier für herrhche Sachen gelesen, ich bitte Dich, laß
Dir Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straß-
burg und Walter v. d. Vogelweide nicht entgehen.
Der letztere wirkt ganz modern und ernstlich groß-
artig. Unseren größten Lyrikern und politischen
Dichtern (Pathetiker höchsten Stils) ebenbürtig
Wir werden noch viel, viel zusammen lesen — so-
bald wir wieder zusammen sind. Ich kanns kaum
erwarten, es gibt noch viel Glück für uns alle.
Sei guten Muts; ich küsse Dich tausendmal
und umarme Dich, umarme Dich wie nur wir zwei
uns umarmen können, grüß alle sehr.
Dein Karl.
s 6i
Luckau, den 18. März 1917.
Mein kleines liebes Böbbelchen!
Das ist ein verquerer Briefbogen — aber Du
wirst mir nicht bös sein. Ich freue mich der guten
Nachricht aus der Schule, die Du am 8. 3. schriebst.
Ist sie auch ganz zuverlässig^ Wenn Ihr nach
Ostern kommt, müßt Ihr die Zeugnisse mit-
bringen ; dann werden wir prüfen und entschei-
den.
. . . Daß Du Dich der Schmetterlingszucht außer-
dem widmest, freut mich sehr; aber ich erwarte:
1. daß Du dazu nur die Mußestunden benutzt, so daß
die Schule nicht leidet; und auch nicht Deine
sonstige geistige Fortbildung; 2. daß Du die
Schmetterlinge gut behandelst, sorgfältig und
kunstgerecht präparierst und verwahrst; 3. daß Du
zum P a u p e n ziehen übergehst, sobald die Jahres-
zeit v/eiter ist. So kommst Du der Natur näher,
siehst, wie sich eins ins andere fügt — Tiere, Pflan-
zen miteinander leben, — sich bekämpfend, sich
unterstützend und ergänzend; wie die leblose Natur,
Wetter und Jahreszeiten, der lebendigen Welt gleich-
falls bald fördernd, bald feindlich gegenüberstehen;
wie die Begriffe der Schädhchkeit oder Nützlichkeit
für den Menschen gar schwankend und willkürlich
sind.
Daß Du ein Kapitalist von 30 Mark bist, er-
schreckt mich fast. Nun, der Wert des Geldes ist
ungemein gesunken und wird nie wieder so hoch
steigen wie vor dem Kriege. Also sei doch noch
bescheiden und sieh nicht allzu hochmütig auf uns
arme leere Beutel herab.
Was liest Du jetzt? Hab ich euch geschrieben,
daß ich hier mit Jeremias Gotthelf (Pfarrer Bitzius)
„Uli, der Pächter" bekannt wurde? Ein wirklich
gutes Buch. Wenn ich nicht irre, hast Du es gelesen
und mir davon erzählt? Nansen und Sven liedin
sind gut und wichtig für Dich. Wegen des Stils be-
denke aber, daß beide übersetzt sind.
Vielleicht wirst Du mit Helmi in die Matthäus-
Passion gehen (mit Tante Alice oder Sonja), dann
müßt Ihr aber vorher den Text und die Musik ge-
nau ansehen, damit Ihr möglichst viel versteht. Ihr
66
bekommt ein Werk zu hören, dem keines in der
ganzen Welt überlegen ist, und in einer musterhaften
Aufführung, an die ihr euer ganzes künftiges Leben
denken werdet. Also nicht leichtsinnig drauf los,
sondern gründlich vorbereitet.
Zu Deiner Reise nach Frankfurt viel Glück; ver-
giß nicht Dir dort außer dem Römer und dem
Goethe-Haus an • Erinnerung auch die Pauls-
kirche anzusehen; dort tagte 1848 das erste
deutsche Parlament. DerVater Eurer
Großmutter (Hof- und Gerichtsadvokat Carl
Reh, dessen Bild Onkel Thedel im Büro hängen
hat) Vv^ar dort Abgeordneter, und sogar Prä-
sident. Lass Dir seinen Platz zeigen.
■ Für die Aufklärung wegen Vera's Klopfstock
danke ich Dir; ich hatte wirklich an den Dichter
Friedrich Gottlieb Klopstock (geboren 1714) ge-
dacht.
Wegen des Schlittschuhlaufens mahne
ich nochmals : seid vorsichtig! Man wird noch
auf den Seen fahren; das Tauwetter hat ja das
Eis noch längst nicht zerstört, Strom und Bäche
sind noch längst nicht „unter des Frühhngs holdem
belebenden Blick" vom Eise befreit, und der Mo-
ment, in dem es brüchig und gefährlich wird, ist
schwer zu bemessen und die Fischerlöcher bilden
eine heimtückische Gefahr!
Nun muß ich schHeßen, — ich küsse Dich viel-
mals, mein Junge!
Dein Papa.
Den Osterluzeifalter kenne ich sehr wohl.
Auch die anderen Edelfalter. Dein Präparierver-
such am Kaninchenkiefer macht mir Freude, aber
das rechte Präparieren ist doch etwas komplizierter.
Euer Besuch hier wird, wenn Du nach Frank-
furt fährst, erst nach Ostern sein können. Onkel
Willi und Otto wollen mitkommen, ich freue mich!
Besucht auch Tante Hedwig! Und grüßt auch sie
und Lene und Grete, sowie I s y und Auguste
allerbestens von mir.
Schreibt Onkel C u r t ! Und Willi Paradies
und grüßt auch diese von mir vielmals.
i' 67
Luckau, 18. 3. 17.
Mein liebster Helmi!
Vor meinern Fenster schreit der Frühlingssturm
und rennt stürmisch durch den Engpaß zwischen
den Mauern. Warm ists nicht. Märzluft. So
mags in Deinem Herzchen, Deinem Köpfchen aus-
sehn. Da heißts: die Lungen \\^it aufgespannt —
Bewegung und Entschlossenheit in die Glieder!
Kein Stubenhocken! Keine Mutlosigkeit.
Ich bin froh, in Deinem letzten Brief zu lesen,
wie allseitig Deine Interessen sind. Wenn Du aber
bekennst, daß Du in der Schule in manchen Fächern
schlecht stehst, weil Du zu Hause auf anderem
Gebiete arbeitest, so bekennst Du damit einen Grund-
irrtum über das Wesen des Wissens und Lernens.
Non multa sed multumJ Nicht in oberflächlicher
Expansion, sondern im gründlichen, tieferen Ein-
dringen, im vollen Beherrschen eines, wenn auch
engeren Gebiets liegt auch der Umfang des Wissens,
der Bildung. Denn dieser Umfang ist nicht räumhch,
sondern vier dimensional. Die Intensität ist seine
wichtigste Dimension. Hast Du ein Gebiet fest er-
obert, so kannst Du, von dort aus sicher orientiert,
dort fest angesiedelt, die Welt überblicken, die
Welt beherrschen. Was hat ein Wissen, das kein
Wissen ist, für eine andere Wirkung, als zu ver-
wirren, statt zu klären, zu schwächen, statt zu
kräftigen!
Gerade Latein und Mathematik sind ungemein
wichtig. Von höchstem Bildungswert für den Ver-
stand. Bedeutsamste Gradmesser für die Reife
des Verstands, des Scharfsinns, des Gedächtnisses.
Ganz ungeachtet ihrer Wichtigkeit für die allgemein-
v/issenschaftliche Entfaltung des Geistes!
Von Sonja erfuhr ich, daß die Versetzungs-
arbeiten gut ausgefallen sind. Wenn Ihr mich in
etwa drei Wochen besucht, bringt die Zeugnisse
mit. Ich will mich genau unterrichten
Dein Leben soll und wird Arbeit und Kampf und
Mühe sein, nicht Sonnenschein und Behagen. Aber
gerade darin wird Dein Glück liegen.
Du mußt lernen, daß die Menschen nichts
anderes sind als eine höhere Art von Tieren. Jeder
voll Schwächen und Kräfte, voll des „Guten" und
68
des „Bösen"; daß sie naturgeschichtlich
zu betrachten sind; daß die Aufgabe des Menschen,
der sich bewußt ein höheres Ziel setzt und der von
seinem Inneren vorangetrieben wird, das Edle zu
fördern, daß dessen Aufgabe ist, sich mit allen
seinen Fähigkeiten, mit seinem ganzen Wesen
hineinzuwerfen m das gew^altige Ringen um die
Höherentwickelung der Menschheit, die Befreiung,
die Wohlfahrt aller.
Der Krieg und die vielen Mängel der Welt
plagen und bekümmern Dich. Jawohl — sie müssen
jedes Gemüt umdüstern. Aber aus der Nacht
gibts Rettung, nur eine Rettung freüich: den
Entschluß, die Beseitigung dieser Uebel sich zum,
Lebenszweck zu setzen. Nur das Leben ist un-
möglich, das alles laufen lassen wollte, wie es läuft.
Nur das ist möglich, das sich selbst zu opfern bereit
ist, zu opfern für die Allgemeinheit.
Mein Leben war bisher, trotz allem, glücklich,
gerade in den Zeiten, in denen ich am heißesten zu
kämpfen und zu „leiden" hatte. Und so wirds Dir
sein. Das ist unser Krieg.
Du sollst nicht über Deine Bedenken hinweg-
springen. — Du sollst nicht auf meine Worte hören
— Du mußt alles von Grund aus durcharbeiten,
selbst für Dich — durchfechten. — Könnt ich dauernd
bei Dir sein. — Viel könnt ich Dir helfen. — So
wirst Du mir schreiben — stets darfst Du's, wenn
Du mich ernstlich brauchst. Nie fehle ich Dir.
In drei Wochen werde ich Euch hier haben.
Ich erwarte euch — gesund und voll guter Nach-
richten.
Um mich keine Sorge. Ich hatte sogar ein
paar (zwei) Wochen täglich V2 Liter Milch. Und
wenn man friert, macht man Freiübungen und
abends gehts früh zu Bett.
Ich muß schließen — der Brief wird geholt. —
Alle Deine Sorgen möcht ich Dir fortküssen —
fortscheuchen — mein armer, kleiner Kämpfer. —
Nun, in dem Kampf siegen wir!
Viele Küsse, Küsse.
Dein Papa.
Ihr sollt die Matthäus-Passion hören — in
klassischer Aufführung! Das wundervollste Werk
6>
auf dem Gebiet des Oratoriums. Die Noten hatte
ich im Mihtärarrest. Studiere sie vorher. Nicht
ganz leicht zu verstehen — Kontrapunkt und Fuge.
Gleich der erste Satz: achtstimmiger Chor nebst
Cantus firmus — ; durchblickt man das Zauber-
gewebe, ist man ganz berauscht vor Seligkeit.
Nichts Süßeres, Zarteres, Rührerendes und in den
Volksszenen — nicht Großartigeres 'kennt die Musik.
(Frühjahr 1917.)
Sturm, mein Geselle,
Du rufst mich!
Noch kann ich nicht.
Noch bin ich gekettet!
Ja, auch ich bin Sturm,
Teil von dir;
Und der Tag kommt wieder.
Da ich Ketten breche.
Da ich wiedrum brause.
Brause durch die Weiten,
Stürme um die Erde,
Stürme durch die Länder,
Stürme in die Menschen.
Menschenhirn und -Herzen,
Sturmwind, wie du!
Heulen des Sturmes ist mir liebliche Melodie,
Wenn wild er herabstürzt über die Mauern
In das Gedränge enger Gänge,
Wenn er mit Gebrüll
Sie zu zersprengen sucht.
Wenn sein flatternder ?^antel
Gegen die Steine klatscht.
Wenn er in rasender Wut
Stäbe und Gitter packt,
Sie zu zerbrechen! —
Wenn sein kalt-heißer Atem-
Durch Ritzen und Scheiben
Die Haut mir streift.
Das Blut mir siedet.
70
— Gerne wohl hör ich dich.
Urbild gewalt'ger Kraft. —
Lieber doch wüßt ich Dich,
Hört ich Dich, fütilt ich Dich,
Wärst du ein Bote mir
Anderer Kraft, Volives Kraft.
Heulender Sturrn der ^'acht,
Nimmer befreist du mich!
Anderer Kraft. Volkes Kraft
Harre ich seinisuchtsvoll.
Lausch ich voll Ungeduld,
Wann wirst du künden sie?
Friedens- und Freiheitsschlacht,
Kampfgebraus auch für mich!
Luckau, 2L 4. 17
An Vera
Mein liebstes Geburtstagskindlein!
Wenn Du's auch erst nach dem Geburtstag
bekommst, — Du sollst doch das Zeichen haben, daß
ich heut schon an Dich gedacht hab und am 24.
daran denken werde — aber was will ich — bin ich
in meinen Gedanken nicht immer bei Euch allen,
also auch bei meiner Vera?
Einen Geburtstagskuß kriegtest Du am Mitt-
woch schon, jetzt schicke ich noch einige Dutzend
nach, — just so viel, wie das kleine spröde Fräulein
vom Papa irgend ertragen mag.
Und die Wünsche sind so gewichtig, ernst und
zahlreich, daß sie aufzuzählen dieser Bogen und
noch mancher dazu nicht ausreicht. Die Geschenke
und die Feier werden dieses Jahr freilich noch be-
scheidener sein müssen, als die letzten zwei Jahre.
Das versteht aber Vera . . . und sie wird schon da-
für sorgen, daß trotz alledem und alledem an Freud
und Lust herausgeholt wird, was menschenmöglich.
11 Jahre alt — Eintritt ins 12.1 Und in zwei Jahren
ein Backfisch (Back-, nicht Bock-). Und bald —
aber das ist alles nicht auszudenken. Bleiben wir
in der Gegenwart.
Leider kam es am Mittwoch zu keiner ruhigen
Mitteilung und Unterhaltung mit Euch Kindern. So
gern hätte ich mir von Dir und Bobb näheres von
71
eurer Frankfurter Reise berichten lassen und was
ihr jetzt lest und sonst treibt.
Bald kommt ja euer Brief, — in etwa zwei
Wochen. Schreibt mir da alles recht genau: Ge-
burtstag, Reise, Schule (Stundenplan, Schulbücher!
Und wie euch die Lehrer gefallen und was ihr
leistet), wies zu Hause geht — auch von Hilma, die
ihr von mir grüßen sollt! Freundinnen und
Freunde, Verwandte, Bücher usw. Nicht wahr?
Es ist Samstag Abend; ein Hagelschauer
peitschte eben nieder; jetzt scheint die Sonne — die
Vögel zwitschern vor meinem Fenster — Buntfink
und Star, Rotkehlchen und Goldammern (zizideeh),
Amsel, Drossel und Grasmücklein, Meise und sogar
Pirol (Vogel Bülow); dazu die wilde Taube und
dann und wann auch ein Eulenschrei; und die lusti-
gen schwätzenden Dohlen, zuweilen von der gräm-
lichen Krähe zur Ordnung gerufen. —
Ein Hund bellt in der Ferne, Kindergeschrei und
Gejubel flattert durchs Gitter. Freihch s e h e ich we-
der Vögel, noch Hund, noch Kind.
Und kühl ists. Es wird wieder düster, neuer
Hagel droht. Nun zum Teufel, — wir lassen uns
den Humor nicht verderben — nicht wahr, mein
Kerlchen? Ich küsse Dich nochmals und nochmals.
— Alles, alles Gute allen, allen Verwandten und
Freunden.
Dein Papa.
Luckau, 22. 4. 17.
Mein liebster Helmi!
Ich verkünde Dir eine große Freude, große
Freude für mich und ich weiß, auch für Dich: der
Herr Direktor hat erlaubt, daß Du mich im Mai
einmal extra besuchen darfst und daß wir uns allein
aussprechen dürfen. Ich habe um diese Erlaubnis
gebeten, weil es absolut nötig ist, daß wir zwei
uns wieder ganz und fest zusammenfinden, daß das
Vertrauen zu einander gesichert wird, das gerade
in unserer heutigen Lage und in Deinem jetzigen
Sonn-Wend-Zustand Lebensnotwendigkeit ist. Ja,
Du, mein Aeltester, auf den ich und so viele
andere so große Hoffnungen setzen. Du darfst
72
mir nicht fremd werden, nicht mit einer Faser.
Und Du darfst Dich nicht verirren in der Wildnis
als die Dir jetzt plötzlich, fast unvermittelt, Welt
und Leben, das Aeußere und das Innere, Aus- und
Inweit gegenübertreten. Du wirst Dich mir ganz
geben, wie Du bist, mit allen Deinen Gedanken und
Gefühlen — mir — Deinem Vater, der das alles,
alles, mags auch verworren, dumm, schlecht und
wer weiß was scheinen, ganz, ganz versteht und
Dich lieb liat, wie ein Vater seinen Sohn nur lieb-
haben kann.
Den Tag des Besuches kannst Du wählen —
Mitte iMai vielleicht; Du kannst mir dann ja gleich
neuen Vorrat mitbringen, wenn auch schon vorher
noch einmal geschickt v/erden mag, falls Entbehr-
liches aufzutreiben — denn es ist unsäglich, wie
rasend - schnell scheinbar große Massen ver-
schwinden in einem Magen, gegen dessen Hunger
der hungrigste Soldatenmagen wie ein Fingerhut
ist gegen das Heidelberger Faß; was ihr brachtet
am Mittwoch., ist heut schon fast vertilgt und ein
Teil des Brots dazu. Mit Kuchen, Pudding ists
besonders toll. Wie alles geschmeckt hat! ich kanns
nicht beschreiben. Sagt den Spendern und Ver-
fertigern, daß ich ihnen intensivst danke. Im übrigen
ist mir mit Fischwurst und dergleichen keineswegs
Scherz gewesen. Auf Ouälität kommts mir wahr-
lich nicht an. Man weiß niclit, vVie lang die Ge-
legenheit dauert — il faut' en profiter.
Noch einiges: Bald ist der Jahrtag des BerJnns
meiner Muße (l^er 1. Mai. F. P.). — Ich hoffe, die
Freunde werden ihn, trotz meiner Abwes^-nheit,
feiern — sag ihnen dies — und sag ihnen — ich
rufe I^^iducit! und wie gerne wäre ich dabei!
Sorge macht mir noch die Zeitun?rsfrage. Vv'eißt
Du denn, wie und wo Du die zurückgesandt-^n
Zeitungen, während Sonjas Reise zu behandeln hast,
wo aufriuhcben, damit- nichts verloren geht — Du
darfst nie vergessen, wie wichtig mir gerade jetzt
die Zeituiir:?n sind — für jetzt und später, nach dem
4. 11. 19?f:.
Ich küsse Dich und Euch alle.
Dein Papa.
73
Luckau, 22. 4. 17.
Liebste — Liebste!
Erst heut — ich wollte den Besuch abwarten,
der Mittwoch (18.) stieg . . . Aber umso Tröst-
licheres denke ich sagen zu können.
Zuvörderst: Dein Brief — vom 6, schon! — ist
so gut und hat mir so ganz innerlich wohlgetan. Du
kannst (gesegnet sei's) keine „schönen" Briefe
künstlich machen: das meint Deine Selbstkritik in
diesem Punkte. Aber das was wahr ist und wirklich,
klar und warm und mit dem ganzen Zauber der
Unmittelbarkeit und in's unfaßbar Primitive ab-
getönt auszudrücken, das gehört zu Deinen
ganz eigenen Kräften, die umso stärker wirken, je
unbewußter, je von Dir selbst bestrittener sie sind.
Das blaue Lupinenfeld bei Heidelberg und meine
Sonitschka mit ausgebreiteten Armen, überwältigt
von Entzücken, Seele und Leib eine selige Emp-
findung — das ist mir das Sinnbild Deines Wesens
seit jenem Tag; und war mir das Sinnbild, schon ehe
sichs ereignete.
Ich freue mich Deiner günstigen Nachricht über
das Sanatorium, und bin gewiß: v/enn Du's tüchtig
und konsequent ausnutzest, wird Deine gesunde
Natur bald mit all dem Krankheitsgezücht Kehraus
machen; und beim nächsten Besuch in meiner Stadt
Luckau wird mir ein pausbäckiger Backfisch an den
Hals springen. — Am L3. März warst Du da —
übermorgen sinds sechs Wochen! So stürmt die
Zeit mit verhängtem Zügel! Du warst so jung, so
mädchenhaft an diesem Tag, so wie ich Dich früher
immer sah — so glücklich strahlend im Bück —
weggeblasen, weggetaut in dieser Sonne der Rauh-
reif der bösen Falten. Du kannst und wirst
1920 wieder und noch immer mein Mädchen
sein. 1920 . — am 3. November ist Schluß.
— Heut sind 170 Tage der Strafe herum —
170 von 1460. Noch sind 7^2 mal soviel als bisher
— und wir haben uns wieder. Und in 8 Tagen
sitze ich ein volles Jahr! Wie rasch ists doch ver-
strichen! So darfst Du Dich nicht bekümmern —
sondern nur hoffen und entschlossen den Kümmer-
nissen, die von anderer Seite auf Dich geworfen
74
werden, Trotz bieten: als hättest Du Siegfrieds
Schild.
Du hast vieles erledigt — Geschäftliches meine
ich — wovon Du schreibst. Hast Du aber auch ge-
sorgt, daß Alice oder Helmi Bescheid wissen, was
sie mit den Zeitungen zu tun haben? Damit nichts
verloren geht und etwa Aerger erwächst? Nun, ich
hoffe!
Mit StahP) machst Du zu viel Wesen. Er ist ein
schmutzig kleines Lumpchen, dessen Rolle so
jammervoll ist, daß er einen wahrlich fast dauern
möchte. Ueberbhck einmal sein „Glück" — nie war
ein Erfolg vor aller Augen so brennend gezeichnet.
— Was Du von Rußland schreibst — wie Recht
hast Du! — kann ich ja leider nicht beantworten;
Du weißt ja aber, was ich sagen möchte
Ich las in letzter Zeit sehr viel — zum Aus-
arbeiten kam ich dagegen fast gar nicht, war auch
zu kaputt dazu. Viel von Lessing, daneben Ge-
schichte und Philosophie. Den Bernheim und Wolt-
mann hab ich jetzt auch. Von Hebbel: Epigramm:
ein Erfahrungssatz: „Leicht ist ein Sumpf zu ver-
hüten, doch ist er einmal entstanden, so verhütet kein
Gott Schlangen und Molche in ihm". Erinnere bitte,
Franz und Lene-) gelegenthch an dieses wichtige
Distichon.
Daß Du Klara trafst, freut mich sehr. Grüße
sie herzlichst von mir.
. . . Habt Ihr im Sanatorium eine gute Bibliothek?
Das ist so wichtig. Was treibst Du den ganzen
Tag? Schreib mirs bald und recht genau! Der
Arzt hat mir noch nicht geschrieben; ich erwarte
seinen Brief und recht bald. Die Sehnsucht nach
Heiner Mutter peinigt Dich in der Ruhe de«^
Sanatoriums und in der neuen Situation ihrer Um-
gebung gar leicht noch mehr als sonst. Ich ver-
stehe das so gut, obwohl Du über mein „Ver-
ständnis" spottest
^) Stahl — der mehrheitssozialdemokratische Nachfolger
K. L.'s im Reichstag.
') Leo Jo^r'ches.
F. P.
75
Am Mittwoch waren die Kinder mit Alice und
Wims bei mir. Das Näliere leliren die anliegenden
Briefe und Zettel — Bobb hat den ganzen Plisch
und Plum von Busch höchst amüsant nachgezeichnet
und mir gebracht. Ich würde ihn Dir schicken,
hätte ich die technische Möglichkeit. — Nun noch
einiges Persönliche: Meine Zähne werden mir hier
von einem als tüchtig anerkannten Zahntechniker
zurechtgemacht — was mir sehr beruhigend ist,
denn in den Backen wirds verflucht knapp bei mir.
Und weiter, was Du wohl schon von AHce weißt,
die ich bat, Dir meinen Brief zu schicken — Dein
Wunsch ist verwirklicht — es ist seit ganz kurzem
erlaubt, Nahrungsmittel aller Art, auch Torten,
Kuchen und sonstige Süßigkeiten, mögen sie Dir
noch so schlecht scheinen — auf die ich ja voll-
kommen und unersättlich verrückt bin, zu schicken
— unglaublich, was man da leisten kann. Am Mitt-
woch brachte die Gesellschaft eine ziemhche
Masse — heute schon ists fast alles hinüber, hin-
unter und noch kein Loch verstopft — vor allem
kein Kuchen-Loch — das klafft noch alles uner-
gründlich — mehr noch als je bei einer Rückkehr
vom Felde. Natürlich wird nach und nach ein Be-
harrungszustand eintreten. — Ich weiß nicht, ob Du
in München Gelegenheit findest, dergleichen zu be-
sorgen. Wer weiß, wie lang die Tür offen bleibt —
es gilt jetzt. Jede Woche mag geschickt werden —
wenns geht.
Ich schicke dies als Eilbrief, damit Mausi den
Geburtstagsbrief recht rasch kriegt. Lies Du aber
•die anliegenden Briefe ruhig und genau durch; sie
ergänzen den an Dich gerichteten Brief.
Der Herr Direktor hat Deinen Brief bekommen.
Er lüßt-fMr sagen, daß Du Dich auf sein Wohlwollen
verlassen und beruhigt halten kannst.
Schreibe bald — ich bitte — über alles — pfleg
Dich nach allen Regeln der Kunst und sorg Dich
niclit um Deinen Karolus. der sich schon durchhauen
wird un.d Dich umarmt und küßt und seiner Herz-
liebsten alles alles Beste wünscht.
Wenn Du Deiner Mutter oder Adolf schreibst,
grüße sehr.
76
Ich bin wohler, obwohl es noch so entsetzlich
kühl ist, Hagel und Schnee schauert. Aber die Vögel
sind mobil vor meinem Fenster und nie in meinem
Leben hatte ich dauernd vor morgens — „ehe die
Hähne krähn" (so früh stehe ich auf) bis abends zur
Dunkelheit so köstUche und bunte Musik wie jetzt.
Wärst Du bei mir, wie würdest Du Dich freuen,
wenn wir auch keinen Baum und keinen Vogel
sehen würden.
Luckau. iL 5, 17.
Mein liebstes Liebstes!
Mein Brief ist wie lang schon bei Dir — und
darin die Bitte um ein rasches Lebenszeichen. Und
der 8. Mai — als Stichtag für den Dreimonatsbrief —
ist herum und l^^ßine Nachricht von Dir! — Ich bin
so unruhig! Einiges über Dich hörte ich ja bei dem
jüngsten Massenbesuch (18. 4.), auch etwas aus den
Briefen der übrigen, die am 6. in meine Hände kamen.
Einiges wird mir ja auch Helmi heute sagen, der mich
übrigens nicht aliein (ohne Aufsicht) sprechen
darf, aber in Gegenwart des Herrn Direktors selbst,
auf seinem Amtszimmer, so daß wir uns ruhig werden
aussprechen können. Ich hoffe ihm (Helmi) dies für
Dich mitgeben zu dürfen.
Liebste, Liebste, warum schreibst Du nicht? Ich
bin so ganz in allen Gedanken bei Dir. und bei allem
in dieser köstlichen Maizeit knüpfen sich die Fäden
zu Dir. . . . Dieses Konzert jetzt vor meinem Fenster
jji'seits der Gitter, der Stäbe. — Wie mag's bei Dir
in Ebenhausen aussehen? Wie liegt's? Bitte, bitte
schreib sclinell, schnell! Du mußt noch lange
bleiben! —
Ein Paket von Dir mit einem Kuchen, Früchten
und Lachs traf ein. vortrefflich alles. Dank, Dank!
Der A:\^-.tit i^t nicht zu schildern. Es ist eben ein
großes Mankoaus langer Zeit zu
decken. Es braucht Monate. — v%'er Soldat war,
versteht das — es geht nicht im HandumdreiiL-n!
77
Refrain: schreib, schreib, schreib. — Und um
mich keine Sorge: Denk an Dich. Hast Du Nachricht
von Deiner Mutter? Und Adolf? Schreiben die
Kinder regehnäßig?
Welche Sehnsucht ich nach Dir habe! Wann
werde ich Dich wiedersehen? Schreib bitte sofort
und gut und lang, bitte! Hast Du Gesellschaft ge-
funden? Läufst Du viel? Ueberhaupt, wie lebst
Du? Denkst Du an mich oder hast Du mich ver-
gessen? Hast Du mich noch lieb? Alles mußt Du
schreiben. — Ich küsse Dich tausendmal. Du, Meine!
Und umarme Dich.
Dein Karlouscha.
Luckau. 26. 5. 17. ^
am 204. Tag der Strafvollstreckung.
Meine Liebste! ,
Heute darf ich schon extra schreiben, wegen der
Holland-Frage. Die Reise erfordert ja viele Vor-
bereitungen, Korrespondenz, Paß, und last not least
Verständigung mit den Kindern, die, wenigstens
Bobb, bereits im Begriff sind, andere Dispositonen ab-
zuschließen (mit Landesberger und einigen anderen
über eine lange Wanderung, gegen die ich an sich
Bedenken trage). Ich meine: auf alle Fälle „Ja!"
Und zwar für alle drei. Ich rechne doch damit, daß
auch Helmi, für den es mir fast am wichtigsten ist,
einen Paß bekommt. Er ist doch erst 16. Haupt-
gründe für das „ja": die Ernährung und die Erweite-
rung des Erfahrungskreises. Das letzte besonders
Vv^ichtig für Helmi, der noch nie im Ausland war.
Zweifellos heißt Arnheim (ein nettes Städtchen, Du
kennst es wohl auch) nicht nur Arnheim, sondern
auch Amsterdam, Rotterdam," Haag, Utrecht und
noch dies und das. Ueberall dort sind Freunde. In
Amsterdam wird Wibaut sein Haus mit Wonne
öffnen, und es ist ein reizendes, behagliches Haus.
In Hilverssum — Roland-Holst.
Wenn den Jungen die Sache recht vorgestellt
wild, werden sie einsehen, daß alle „niederen" und
78
„höheren" Interessen das Ja kommandieren. Und
auch Mäuschen's nickelstahipanzerglatter umgür-
teter Sinn wird mit guten Argumenten sturmreif ge-
schossen werden können. Die Sprache werden die
Kinder rasch lernen — scheint mir — . Also auf alle
Fälle: ja — ich hoffe, nous sommes d'accord und Du
wirst das nötige von Ebenhausen aus veranlassen.
Daß Du noch bis Mitte Juni bleibst, ist recht —
übrigens heißt das ja nur noch zwei bis drei Wochen!
Die Frische Deines Briefes! Er war und ist mir ein
Labsal, eben hab ich ihn zum sechsten oder siebenten
Male durchgelesen, schon kann ich ihn fast aus-
wendig und doch les ich ihn immer wieder. Mit den
Zügen Deiner Handschrift geschrieben, klingt mir
alles viel mehr von Dir wie im Ton Deiner Stimme.
Und viel lebendiger noch seh ich Dich dann vor mir!
Um alles in der Welt — so viel Wesen um die
Tortenfrage! Der Kuchen, von dem Du mir
erzähltest und von dem mir im April ge-
bracht wurde, ist mir schon wegen seiner
Konsistenz mindestens so lieb, denn: auf
Quantität kommts doch in erster Linie an,
Qualität tritt ganz zurück: „Dreck wird er fressen
und mit Lust" ... — Otto Bracke's Idee vom Kochen,
Wärmen usw. ist natürlich Illusion; das kannst Du
ihm schreiben. Dein Paketchen kam und erregte
Entzücken. Verzeih, wenn ich, ganz wider Absicht,
Dir, Deiner Freundin und Herrn Dr. Marcuse nebst
Gemahlin Scherereien gemacht habe. . . . Verzeih,
wenn ich Dich mit diesen elenden Freß-Geschichten
im Geringsten gestört habe — für einige Zigarren
täglich gab ich all das Zeug hin — und für andere
Dinge noch hundertmal mehreres und tausendmal
lieber.
Und was redest Du von „Leiden"? Woran ich
„leide", das weißt Du besser. . . . Was soll mir das
Geschwätz in einem fr<mzösischen Roman, was über-
haupt das Gered anderer Leute! Das Gurren der
wilden Taube das zu uns dringt, das ist etwas!
Kennst Du diesen merkwürdigsten aller Waldtöne
dieses klage d-sehnsüchiige Guuur- gu- gu- gu- (etwa
3 Noten tiefer) — Guur- gu- gu- gu usw., das die
Weite unter seinen Bann zwingt — trotz Pirol und
79
Amsel und Drossel — und trotz des munteren
„Laubsängers", der mich im Bund mit dem Buch-
finken aus nächster Nähe beglückt, während
die Kling-Klirr-Schnalzmeisen, die Zizi dä-Gold-
ammern und die Schwalben sich ferner halten und
nur zeitweise Gastrollen geben: die Schwalben bei
ihrem abendlichen Jagd- und Hasch-Wirbel-Rund
flug besonders. Zuweilen kommt auch ein kleiner
Freund durch mein Gesichtsfeld gehuscht — einen
Augenblick — und wenn ich mach ganz dicht ans
Gitter drücke, seh ich ein Paar Zweige. Das
Dohlengeplapper hat aufgehört, sie leben jetzt
en famille, zu zweien — In den Isar-
wäldern und -Büschen muß es doch von Vögeln
wimmeln, auch von wilden Tauben. — Liebste —
achte auf sie, laß Dich von Kundigen belehren, ihr
Ruf wird ein Erlebnis für Dich werden! Du
schreibst nichts von der Farbe des Isarwassers, die
mich so berückte. Ist sie Dir nicht nah? Oder bist
Du durch die Schweizer Kalkgewässer — Reuß-
Rhöne — so verwöhnt?
Von München bekam ich für mein Leben ent-
scheidende Fi?':fl''sse, 1889, achtzehnjährig, er-
wachend, aufatiiirTid, enthusiastisch, die ganze Welt
in mich einsS'ugCiid und durchglühend, ein Regen-
bogen alles Sein. Die Pinakotheken waren wochen-
lang meine Heinint Und von dort zum
ersten Mal nach Oberbayern über Starnberg, Kochel,
Benediktenwand, Walch^nsee, Merzogstand, Par-
tenkircii 'I;, Garinisch, Mittenwald, Eibsee -- später
(1890) Zugspitze, Eibsee, Hohenschwangau, Ammer-
see. — Du mußt, jed'nfails, vor der Heimkehr, einen
Abstecher ins Oberland machen.
Wie gut, daß Du Dir den Kopf so über die
Ferien der Kinder zerbrichst, die in Deiner Obhut so
sicher up.d treu bewahrt sind, wie in Abrahams
Schoß.
«
Rosa grüß herzlichst und danke für die Be-
lehrung'.^)
^) Rosa Luxemhnr?: schrieb mir. ich möge K. L. den Namen
des Wendehals mitteilen, eines Vogels, den wir alle drei zu-
sammen mal schürt haben und dessen Name iiir erst später im
Gefängnis einfiel. S. L.
80
Alles weitere im normalen Brief in 14 Tagen.
Schreib den Berlinern, daß sie erst in 14 Tagen
meinen Brief bekommen.
... Ja, wie selig war ich mit Dir in München und
im Isartal, ja, wie selig war ich mit Dir ohne München
und Isartal! Im Zuchthaus, meinethalb — wann
werd ich Dich wiedersehn?
Ich küsse und umarme Dich und drücke Dich
an meine Brust, geüebte Mulattin, sei mir gut, erhole
Dich, geh spazieren, bleib tapfer. Schreib bald wieder
Deinem Karolus.
Luckau, d. 10. 6. 17.
(Am 219. Tage der Strafzeit, 1 ist rum!)
6,666
Meine Liebste!
Spät schon ists heut — nach 6 Uhr ; sonst stehe
ich um 4^2 oder 4'Vi auf; vom offenen Fenster eine
frische kraftgeschwängerte Luft und ein „Jubelchor
von Sängern", dessen Herrlichkeit und Süße von
keiner Sprache gefaßt werden kann. Von Sängern,
die ganz dicht bei mir und doch wiegeln verdecktes
Orchester, oder die berühmten Musici hinter den
Kulissen meinem Blick verborgen sind, — sodaß ich
leider gar so vieler Töne Künstler nicht namentlich
bestin;men kann. Aber gewiß: sobald ich frei bin,
begebe ich mich zu einem Waldvogelsangs-Kundi-
digen in die Lehre und streife mit Dir und ihm —
Frühjahr 1921 — in die einsamsten Wälder.
Ich beeile diesen Brief, damit er Dich jedenfalls
noch in Ebeühausen trifft, ich kann nur nochmals
bitten, daß Du die Erltolung länp.stmöglichst aus-
dehnst und mit einer Qebirgsfahrt umrankst. Irgend
ein Lebenszeichen hätte ich nach meinem Bri-ef so
gern gehabt. Ich bin unruhig — freilich, ein ordent-
licher Schreibtermin ist jetzt nicht für Dich, und
doch, ich bin unruhig. Es geschielit soviel in der
Welt, wovon ich nichts weiß. Wie berührts Dich?
Wie erträgst Dus? Ich möchte Dich halten, die
Last Deiner stündlichen Sorgen und Aengste tragen
helfen. In einem Monat werden wir uns seh^n.
Nochmals: Du weißt, daß in ernstdringenden Fällen
6 81
Du außer der Zeit schreiben, auch telegraphieren und
besuchen kannst.
Meine geistige Beschäftigung ist diese Tage
recht zerspUttert — ein Zufall trieb mich vor ein
paar Wochen bis in Auerbachs Schwarzwald-Dorf-
geschichten. Die Fadheit sitzt mir noch auf der
Zunge. Eine interessante Bekanntschaft bildet der
enghsche Moralist Samuel Smiles (dessen „Pflicht"
ich hier fand): ein Zitaten- und Anekdotensack, un-
erschöpflich, wie Fortunats oder Schlemihls Säckel.
Zitate aus dem ganzen weiten Bereiche der eng-
lischen Literatur, Anekdoten oft bedeutenden Sinnes,
zuweilen plutarchischen Charakters, zur Nacheife-
rung in allen erdenklichen „Tugenden" der üblichen
Art, Anekdoten, deren historische Beglaubigung
mehr als halbdunkel bleibt und durch die Tendenz
noch mehr ins Nebelhafte gerückt wird. Aber ein
interessanter Typ, den man kennen muß. — Und
dann Kleist und — Tieck, dessen ich endlich habhaft
wurde. Hier findest Du den Stammvater der deut-
schen Romantik in ihren verschiedenen Gestaltungen
— von der „mondbeglänzten Zaubernacht" und
Genoveva, ja vom noch früheren blonden
Egbert, getrejuen Ekkard und den satyrischen
Stücken — '"ä la gestiefelter Kater (in dem
ich ein von meiner Mutter oft genanntes geist-
reich heiteres Werkchen endlich selbst kennen
lernte), bis zu den Novellen und kritischen Aufsätzen,
die voller Anregung — auch für uns noch, sind
(z. B. über V/allenstein, Prinz von Homburg und
Kätchen von Heilbronn, vor allem „Charaktere in
Hamlet"). Wir quälten uns einmal mit einer bei Re-
klam erschienenen Novelle (ich glaube „Gesellschaft
auf dem Lande"), sie schien uns unmöglich — ent-
sinnst Du Dich? Jetzt fand ich sehr reizvolle, z. B.
„Die Verlobung", „Der Abschied" — eine kon-
zentrierte Tragödie — fast Stella vergleich-
bar. Den „Aufruhr" las ich vor 25 Jahren, als
ihn mein Vater im Vorwärts abdruckte. Ich bin
sicher. Du wirst mit Tieck in Kontakt kommen, je
mehr Du mit Hölderlin vertraut bist Denkst Du
noch jener Juninacht im Tiergarten, Du — ein
schwarzes Eichkätzchen auf dem Baum — „mond-
beglänzte Zaubernacht". — Mir deucht, die Roman-
82
tik wird nach dem Kriege iu den Mittelschichten
und der idealistischen Intelligenz zur Hypertrophie
gedüngten Boden finden, wie vor den Märztagen —
wenn nicht alles anders kommt.
.... Mein Befinden ist in Ordnung — den ganzen
Tag am offenen Fenster Freiübungen, jeden Morgen
kaltes Abreiben, jeden Abend Frottieren — so findet
man sich mit den physischen Schwierigkeiten des
Eingesperrtseins am ehesten ab. Mir scheint sogar
meine Hautfarbe recht gut, Du weißt ja, daß ich un-
geheuer leicht braun werde. Wenn Du mich wieder-
siehts, sollst Du beruhigt sein; am Ende v/erde ich
mich dann bis zum normalen Zustand gepäppelt
haben. In meiner Hauptarbeit („Bewegungs-
gesetze") stocke ich. Die Grundlagen sind im ersten
Entwurf längst fertig — aber chaotisch. Jetzt gilts
ordnen, ' gliedern, ausbauen. Das reizt mich stets
weniger als das erste Produzieren, das Herausspru-
deln, das eigentliche Zeugen und Gebären und im
Gegensatz zu jenem Ordnen, das ich als ein Er-
ziehen bezeichnen möchte Wann wirst Du
wieder in Berhn sein? Orientiere micli, wenn auch
mit einem Wort, einer flüchtigen Karte Scheuß-
lich — ich möchte noch so viel "schreiben — aber der
Brief muß fort, — ich sehne mich sehr nach Dir,
Liebste; viel, viel mehr, als Du Dich nach mir.
.... Ich küsse Dich, komm, laß mich den Kopf in
Deinen Schoß legen und lange, lange ruhen.
Könnte ich jetzt hinaus und arbeiten — Kreuz —
nun, gehab Dich ruhig, unruhiges Herz.
Noch einmal Liebling, leb wohl — leb wohl.
Denk an mich, gerade wenn die „bösen Geister"
über Dich fallen, f^erade dann am. meisten — und
linde Festigkeit, Sicherheit im Gedanken an mich, im
Vertrauen auf mich — alles, alles Gute und meine
Küsse und Zärtlichkeit dazu.
Dein Karl.
Ich brauche dringendst etwas Salz; wir be-
kommen seit Monaten kein Körnlein mehr! Ich bat
schon neulich! Du oder Alice, bitte.
*6 83
Luckau, 10. 6. 17.
(am 219. Tage; vorgestern V2 Jahr hier!)
Liebster Helmi!
Nur l\urz heut — es fehlt die Zeit.
Holland! Ich weiß, ihr, besonders auch Du,
werdet mit Begeisterung einschlagen. Vom schon
Geschriebenen abgesehen: ihr kommt durchs
Industriegebiet — jedenfalls muß die Bahnfahrt
über Dortmund — Essen genommen werden und
wenn Ihr nicht aussteigt, das Umsehen allein schon
gibt kolossale Eindrücke (überhaupt bei der Bahn-
fahrt dauernd zum Fenster hinausschauen — und
zwar nach beiden Seiten). Auf der Rückfahrt
eventuell Cöln mit dem Dom, den hochwichtigen,
uralten romanischen und vorromanischen Kirchen
— und eine Rheinfahrt — und wenn nur bis
Bonn — der Rhein ist der schönste Fluß der Welt,
trotz des Hudson — .
Aber nur eventuell — kein Bestehen darauf —
wenns Schwierigkeiten macht — denn die Haupt-
sache, bleibt Holland, wegen der Ernährung und
des Landes selbst. — Wenns nur mit dem Paß
gelingt.
Nun zu Deinem Brief vom 3. 5.: Deine Astro-
nomiestudien scheinen sich nur auf Sternentopo-
graphie zu erstrecken. Das ist auch wundervoll,
aber nicht genug: es wird erst lebendig, wenn man
die Bahnen, die Bewegungen, die Entfernungen, die
chemischen Zusammensetzungen, die Spektral-
analyse und ihre Leistungen, die physikalischen Ge-
setze kennt — soweit wir sie bisher kennen —
die naturwissenschaftliche Einsicht steigert auch
den ästhetischen Genuß. Kant nennt den Sternen-
himmel über uns und das moralische Gesetz in uns
die beiden erhabensten Erscheinungen. — Betrachte
mit dem Opernglas (das ich in Olatz vortrefflich
astronomisch . verwenden konnte) die nördliche
Krone und ihre Umgebung — da gibt es auch Ueber-
rasc;iUnL;ji], wie bei den Plejaücn. Es konmit frei-
lich iiiiiiier ganz auf die Klarheit der Luft an —
von der der Gianz abhängt.
Kopf hoch! Bald sehen wir uns. — Denk an
mich und wie heb ich Euch habe. — Ich küsse Dich
vielmals. Dein Papn. dems gut geht und
dem alle Vögel singen.
84
An Vera in Sellin (Ostsee)
Luckau, 27. 7. 17.
Mein Mäuschen!
Dank für Dein Brieflein. Da gehts ja munter
her — viel lustiger als in der Weltgeschichte. Und
der damals schönste Tag wird hoffentlich inzwischen
längst übertroffen sein.
Nicht nur die See ist dort schön. Auch der Wald
und die Höhen — die Granite, die herrlichen Buchen!
Putbus — mit den weißen Hirschen im Park des
Schlosses. Aber die See ist auch gefährlich. Und
was Du von der einen Stelle schreibst, macht mich
ängsthch. Nimm Dich sehr in acht! Bleib ganz
weit von der Stelle. Die Strömung ist manchmal
stärker als so ein kleines Mädel. Also Vorsicht!
Vorsicht! Ißt meine Maus derm auch gehörig? See-
luft macht ja sehr hungrig.
Ich bin wohl und denke oft an Rügen und Sellin
und eine kleine Schelmin, die in Busch und Wald
und Strand und Wellen flattert und klabaudert, wie
ich hoffe, stets bei gutem Wetter.
Viele Küsse
Dein Papa.
Luckau, 2. 9. 17.
(303. Tag der Strafe. V4,8is!
morg3n 10. Monat.)
Meine Liebste!
Mein normaler Dreimonats-Brief. Wo heut an-
fangen, in der Fülle des Andringenden! Gut, mit
meinem Anfang, meinem Geburtstag. Allerhand De-
peschen kamen, Briefe und Karten — unter anderem
radikale Gruppe des 6. Wahlkreises, Vorstand
Teltow-Beeskow, Familie Zetkin, Adolf Hoffmann
und Freunde, Prof.Radbruchs, Fräulein Kantorowicz-
Levine's, Oskar Cohns, Otto Brake — Alice
— Gertrud — Theo — Lu und Kinder, Otto und
Kinder, Wims, Kurt, — Ihr — außer Böbchen, auf
dessen angekündigten Brief ich noch vergeblich
lauere. Biite allen meinen Dank übermitteln, keine
Beteueruiicc nötig, daß ich mich sclir gefreut habe;
für einip^e Angehörige liegen Zettel bei. A. H. und
ein Anzahl Gesinnungsgenossen schickten zwei
Rosen und vorzügliche Butter, auch dafür vielen
85
Dank; nicht minder bin ich gerührt von Paul Hoff-
mann und der von Dir ungenannten Dedil^antin des
Kirschsafts und allen anderen Hilfeleistungen für
mein Magenwohl. Klaras Depesche war mir eine
besondere herzliche Freude, schreibe ihr dies,
meinen Dank und meine Wünsche.
. . . Und nun zu Euch, zu Dir. Alles was Ihr schick-
tet, war köstlich, und sei gewiß, es schlägt bei mir gut
an; vernünftig lebe ich ja wie kein Zweiter: Fenster
weit offen Tag und Nacht (auch jetzt noch in der
Kühle, Freiübungen) zwei bis dreimal täglich folgen-
des Menü: die Arme herumgewirbelt je 60 mal
nach vorn und nach hinten, 20 Kopfwendungen, je
20 Bewegungen nach vorn, hinten iind nach rechts,
links, 60 mal Schulterrcllen, 60 Rumpfbeugungen
rechts und links, 250 oder mehr Auf- und Ab-
wanderungen in der Zelle — auf und ab zusammen
jedesmal 16 kleine Schritte, 250 mal — 4000 Schritt!)
Dazu kommt, daß meine Arbeit im Stehen verrichtet
v/ird. Kurz, ich sorge dafür, daß mein Blut in Be-
wegung bleibt, daß Nerven und Sehnen nicht ein-
rosten, daß jede Calorie der Nährstoffe ausgenutzt
- und an die rechte Stelle befördert wird. So werde
ich ausTialten, mag kommen was will. Ihr aber, ihr
denkt an euch und versorgt euch vor allem, vergeßt
doch nie, wie ihr euch um mich Gedanken macht,
so ich mich um euch. Und jeder Zweifel'über euer
Wohlbefinden beeinträchtigt mein Befinden weit
mehr noch, als mangelhafte Ernährung. Also Dank,
Dank, Dank für alles< für diese Vereinigung
von „Was" Ihr wollt" und „Wie es euch ge-
fällt"; aber denkt von nun ab zuerst an euch und
die Kinder und die Kinder i\' der Verwandtschaft und
Rosa und Franciscus und Käthe, Ernst. Lene.
Wohl bin ich wie ein Zeisig im Käfig, wie ein
Fisch im Goldfischglas, wie ein angeketteter Jagd-
falk. Der freilich, so wohl er ist, hinaus möchte auf
die Jagd, in den Kampf. Aber mit dem „Sterben"
hat es gute Weile und jene Alarmnachricht^) heißt
das beste Omen für ein langes Leben; das Tot-
gesagtwerden wird mir allmähhch zur Gewohnheit.
*) Meldung: im B. T über schwere Erkrankung K. L.'s.
F. P.
86
„Und stechen mich die Dornen und wirds mir hier
zu kahl", ]<ann ich zwar nicht ins Necl<:arthal reiten,
aber ich greife zum göttlichen William, diesem einen
Menschen, der ausreicht, die ganze Menschheit zu
adeln, die ganze Menschheit in all ihrem Schmutz
und Stumpfsinn. Denk, Romeo und Julia las ich seit
mehr als 25 Jahren zum erstenmal wieder —
for ever is no story of more woe
than this of Juliet and her Romeo.
Entsinnst Du Dich der Worte Romeos zum Apotheker
in Mantua, dem. er das Gift abkauft:
There is thy gold, worse poison to men's souls,
Doing more murders in this loathsome world
Than these pour Compounds that thou mayst notseil.
V/ichtig ist mir die jetzt erst gewonnene nähere
Bekanntschaft mit Willibald Alexis und Fontane,
den beiden preußischsten, ja brandenburgischsten
Dichten des 19. Jahrhundert, beide freilich in
edlerem Sinn: beide keine Brandenburger, keine
Preußen, keine Deutschen, sondern — Franzosen der
„Kolonie", südiranzösischen Refugies-Farnilien ent-
stammend, eine bittere Pille für die Nationalidioten
und Rassenfanatiker, die Fontane in seinem Roman
„Vor dem Sturm." auch unübertrefihch zeichnet:
nicht nur die Fürstengeschlechter sind ja aus dem
Blut aller europäischen und einiger asiatischer
Völker zusammengemischt, die Bevölkerung der
Mark Brandenburg, des „Herzstücks von Preußen",
wie ganz Ost-Elbiens, Sachsens ist fast rein
slavisch (wendisch), und zwar von unten bis oben.
Zum höchsten Adel. Gewiß, die stärkste Prädis-
position zum künftigen deutsch-slavisch-magyarisch-
türkisch-japanischen Bund gegen den germanischen
und romianischen Westen. Fontane ist etwas breit,
und der Kleinmalerei sehr zugetan. Aber aller Enge
abhold, eine „breite" Natur wie wenige; voller
lebendiger Erfahrung auf und unter der Oberfläche
vieler Gesellschaftsschichten und nicht nur Deutsch-
lands, sondern auch Ftankreichs, wo er 70/71 kriegs-
gefangen war, und Englands, wo er lange lebte, und
voller Natürlichkeit, Ehrlichkeit und oft Anmut
und Feinheit. Seine biographischen „Kinderjahre"
empfehle ich Dir sehr — auch Helmi mag
87
sich daran machen. Du wirst aus diesen
Sachen zugleich lernen und das eigenartige Leben in
der „Kolonie" wird Dich interessieren. Ich wäre
froh zu hören, daß Du meinen gelegentlichen literari-
schen Anregungen folgst.
Was draußen vor sich geht, ob's oder ob's nicht
wahrscheinlich ist, daß es bald heißt „bis Michaelis"
und nicht „von Michaelis" und über das andere viel
Wichtigere muß ich hier schweigen. Nun,
Du kennst meine Gedanken. Zurück zum Idyll:
zu den Vögeln! Verzeih, v/as macht das
berufene Vogelbuch? (Stimmen, aber auch
Abbildungen! und Beschreibung der Lebensweise,
wenn es so was zusammen gibt). An Bibliotheks-
arbeit^) wage ich nur noch in Träumen zu denken —
aber ein anderes: Le Sage — Gil Blas und Diable
Boiteux sind zwei Lücken, die ich noch peinlicher
empfinde als Rouge et Noir. Beide haben wir im
Bücherschrank meines Vaters in meinem 'Büro-
zimmer. Besorge sie m.ir bei Gelgenheit, bitte nicht
zu vergessen. ■ Im nächsten Monat ist wieder Be-
suchszeit! Sieben Wochen schon seit Deinem letzten
Besucl:! Wie ich mich freue, aber gib rechtzeitig
Nachricht vorher. . . Rosa besuche, so oft es geht und
schreibe ihr und sorgt für ihre Gesundheit; über zwei
Jahre hat sie nun während des Krieges hinter sich!!
Sag ihr, wieviel und herzlich icli an sie denke, daß
ich oft die Figaro-Ouvertüre vor niicli Irlnsümme und
mir dani] ihr Bild so lebhaft vor Au7,er> steht, als
sei Figaro „ein Stück von il
Verzeih, ich bin heut stuivipf und schwerfällig
und muß doch schreiben. Ich möchte. Du wärst hier
und liörtest mit mir die Grasmücke und das ferne
Kindergezwitscber und Hundegebell und wir lesen
Romeo und .lulia „It was the nightingale and not
the lark"
Also nochmals: hau: i_ iei--:-iü, scrgt liir euch, für
euch, für euch, nur wenn ich sicher bin, daß ihr
mindestens eb'^nsoviel und ebenso Gutes habt v/ie
ich, nur dann kann ich m.ich an dem Geschickten er-
bauen, nur dann bekommts mir; nur dann nehme
^) Das Erscheinen der Prozeßakten. V. P
88
ichs überhaupt an, sonst lasse ich es zurückschicken:
das ist mein Ernst!! Ich küsse und umarme Dich,
mein Herz.
Dein Karl
Luckau, den 8. 10. 17.
Mein liebstes Herz!
Fort seid Ihr, vorüber der Besuch, auf den ich
wartete, wie auf die Ausgießung des heihgen
Geistes; und nun — im neuen .Jahr erst winkt neuer
Trost. Aber noch seid Ihr in Luckau. Es ist erst
1 und V-i. Meine Hände und Lippen sind noch warm
von Deiner Berührung, von Deinen Küssen und Zärt-
lichkeit. Kommen soviele zusammen, fällt auf den
Einzelnen so wenig, wenns auch wiederum manches
intimer gestaltet, falls es sich nur um die Aller-
nächsten handelt. Ich werde fühlen, wenn ihr vor
dem Zuchthaus vorbei zur Bahn geht, und werde
horchen, ob ich den Pfiff der abgehenden Loko-
motive höre. Dir wollte ich noch so viel sagen und
Dich ermahnen, auf Deine Gesundheit zu achten —
der Schnupfen gefällt mir nicht — und auf Deine Er-
nährung — übermäßig wohlgenährt siehst Du wirk-
lich nicht aus! Denk nicht nur an die Kinder, son-
dern ganz gründlich und vorbehaltlos auch an Dich,
für Dich selbst, für mich, für die Kinder, für Deine
Mutter und Geschwister, für uns alle. Und jetzt ku-
riere den Schnupfen rasch aus, die kleinste Erkäl-
tung ist in der Uebergangszeit gefährlich. Wäre ich
jetzt im „Goldenen Ring" — bei Herrn Förster, dem
Bruder des Aufsehers, der gerad eben bei mir
Dienst tut, so würde ich Dir zwei heiße Glühweine
in die Kehle praktizieren. Zu Haus hols nach.
Ich sprach mit dem Herrn Direktor über die
Helmi-Frage, er gab mir spontan und nach seiner
eigenen Erziehungspraxis an seinen Kindern einen
Rat, der aufs haarkleinste meine Ansicht traf. Ich
machte den Vorschlag, Dir noch heute schreiben zu
dürfen, weil ich Dir die letzte Entscheidung über-
lassen, jedenfalls nicht gegen Deine Aufassung ver-
stoßen möchte, und Dir meine Meinung in Gegen-
wart der Kinder nicht sagen konnte, ohne präjudi-
ziell zu wirken. Ich denke so: Ich glaube gern, daß
89
der Schulunterricht jetzt wertlos, wenn nicht ge-
radezu verwahrlosend ist, also das Gegenteil seines
Zwecxks sowohl in geistiger wie Charakterbildung^.
Arbeitet der Junge für sich selbst systematisch, —
so bringt ihn das sicher geistig und in Selbstzucht
tüchtig voran: der Vorteil schon der Verselbständi-
gung ist dann offenbar und außerordentlich. Fragt
sich, ob die Bedingung erfüllt werden wird, d. h. ob
Helmi systematisch arbeiten wird, auch seine Ge-
sundheit nicht vernachlässigt. Ich glaube das. Denn
Energie hat er und auch den Drang, sein Wort zu
halten, seine Vorsätze auszuführen. Diese Erwar-
tung noch weiter zu garantieren, lege ich noch einen
Brief für ihn bei und dann: es handelt sich nicht um
ein Definitivum, sondern um ein Interimistikum von
zwei Monaten. Also, auch im ärgsten, ärgsten Fall
nicht ein zu gefährhches Experiment, das aber, wenn
es günstig ausschlägt, von großem, erziehlichem
Werte ist und dessen günstige Chancen ich recht
hoch taxiere. JHelmi bohrt in dieser Sache nun seit
iVlonaten. Leicht wird ihm die Erreichung seines
Wunsches wirklich nicht gemacht. Allzu schwer
aber darf man die Erfüllung eines ernsthaften tief-
gewurzelteri Verlangens nicht m.achen. Das letztere
war es, was der Herr Direktor auf Grund seiner Er-
fahrung besonders betonte (er hat auch Söhne). Er
bemerkte, daß er bei Nachgiebigkeit in derartigen
Fällen stets gute Erfahrung gemacht habe. Dies
meine Ansicht. — Also, entscheide Du. Ueberzeugt
Dich obiges, so sag Helmi ja und gib ihm den bei-
liegenden Brief. Bleibst Du ablehnend, so sag ihm
nein und gib den Brief nicht. — So. —
Und nun noch ein Wort zu den Klößen und was
dazu gehört: Sie waren noch warm.! Ich aß mit
phänomenalem Appetit dVz. Geschmack: märchen-
haft. Der Rest wird bei kalter Temperatur, aber
heißem Appetit heut abend und morgen verspießen
werden. R.I.P.S. (,,Rips", d. h. requiscat in pace
sancta) den Spendern der Rohstoffe und den Köchen»
wohl Hilma — meinen bestgekneteten Dank. Und
nun Schluß, der Brief soll ja heute noch hinaus. Und
doch noch eins: Was ist der „König Johann" auch
voll größter Partien! Ich kannte ihn noch gar nicht.
Dieser Bastard! Und die Constance. Mutter des
90 «
Artur. Ihre Klage nach Arturs Gefangennahme ge-
hört zum Erschütterndsten in der Welthteratur. Ich
weiß nicht, wie es übersetzt ist, aber Du hast noch
eine kleine englische Ausgabe da, einen ziemhch
dünnen, ganz unscheinbaren Band. In allerkleinster
Liüiputschriit. Stand in der alten Wohnung nahe
bei der Oxford-Edition unter der fremdspachigen,
englischen und französischen Literatur. Nimm ihn
doch zur Hand, schreibe Dein Urteil — Akt 3,
Scene 4!
Grüß alle herzlichst, beide rranzen und Lene
und alle. Lene besonders. Theo dank für den Brief.
Von Pochs ritterlichem Eintreten für ihren Zucht-
hausonkel habt ihr leider nicht erzählt. Und nun
Küsse, Küsse und sorgt für euch! Nicht frieren!
Nicht erkälten, nrnährt euch gut vor allem.. Könnte
ich heute mit Dir soupieren! In der Mönchszelle!
Wie oft hatte ich mich gesehnt im Kloster zu leben!
Fast erschrecke ich über die Erfüllung aller meiner
Wünsche — Polykrates Nr. 2. Nun aber wirklich
Schluß und nochmals viele Küsse von Deinem Mönch
Polykrates.
An Vera
Luckau, 9. 11. 17
Mein Mäuschen!
Auch du, die mir einen so langen schönen Brief
schrieb, bekommst nur einen kleinen Zettel — und
wenig Zeilen. Aber viele V/ünsche und gute aller-
beste Wünsche. Wünsche zu Vv^eihnachten, die icli
wieder von euch getrennt bin (nun aber nur noch
zweimal!) und zu Neujalir. Und zur Reise nach
Frankfurt. Du freust dich gewiß schon! Und bist
in Erwartung alles dessen, was da kommen wird,
so artig, wie ein Turteltäubchci:.
Könnt ich euch was schenken! Weihnachten —
Neujahr — alles kommt jetzt so rasch. Und bald
werden die Tage wieder jänger. Hoffenthch friert
ihr nicht! Auch für die Eisenbahnfahrt sorgt, daß
es keine Erkältung gibt, Füße vor allem stets trocken
und warm.
Ich küsse dich. Kleinstes — und küsse dich
nochmals — denk auch ein bischen an deinen Papa,
91
der aber sehr gesund ist. Küsse auch Lotte wie den
Poch und die „Jungen" aus der Thomasiusstraße.
Dein Papa.
(Ohne Datum; wahrscheinlich November 1917.)
Liebste Sonitschka!
Ich schreibe dies bei volllvommener Dunkelheit
— nur nach dem Gefühl — und bei gehöriger Kälte,
im übrigen aber bestem Wohlbefinden. — Die
Arbeitszeit füllt jetzt die Stunden der Helligkeit fast
bis aufs letzte aus — von einer Laterne draußen
fällt ein schmaler Lichtschein schräg durchs Fenster,
der durch das dichte Gittergeflecht und die Stäbe
noch gehemmt wird — so bin ich jetzt in der
Schreiberei und Leserei sehr gehemmt. Die wenigen
Sonntagsstunden wars so düster, daß ich kaum das
zur Orientierung erforderliche Zeitungslesen er-
ledigen konnte — mein Schustermeister hat mir
jüngst eine erheblich raschere Produktion auf-
gegeben, widrigenfalls ich die Zuschneiderei ver-
liere, die mir in vieler Beziehung doch sehr bequem
und angenehm ist. Auch das bindet mich noch
mehr als sonst . —
Alles andere mündlich, hoffe ich. Die Zeit fehlt.
Grüße allen Freunden. Dir und den Kindern
Küsse.
Dein Karl.
Luckau, den 11. XI. 17
(am 373. Tage)
Mein Herz!
O Sonja, my fair wife — my life, my food, my
joy, my all the world .... my prisons' comfort and
my sorrows eure! Daß ich diesen ersten Oktober
versäumte! Nachdem ich wie eine der törichten
Jungfrauen an so vieles nebenbei gedacht habe, an
so manche Quinquilierie Glasperle und Imitation!
Die echte Perle, den Rubin verpaßt! Ich
bin noch heut nach über sechs Wochen nicht
wieder normal sedimentierr. Morgen werden es
fünf Wochen seit Eurem Besuch. Am Abend des
92
Tags, nachdem der Eilbrief fort war, traf mich der
Blitz. Und nun wurde mir so vieles klar. Deine Ent-
täuschung als Du meinen Zettel lasest — Du hattest
gehofft, er werde vielleicht doch noch ein Zeichen
vom. 1. Oktober sein. Gib mir ein Wort, daß Du
mir verzeihst, ob Du mir verzeihst, daß Du Dich
nicht mehr grämst, daß Du verstanden hast und
verstehst. Die Selbstbeobachtung sagt's ja, wie
gerade stärkste Besorgtheit zuweilen zur Ver-
säumnis führt. Und bitte. Liebste, besorg Dir eine
gute Ausgabe von Tieck — Alles unmöglich, aber
eine Auswahl: Jedenfalls mit Vittoria Accorombona,
Aufruhr in den Cevennen, Dichterleben. Ich bitte
Dich, erfülle diesen Wunsch, ich kanns ja nicht
selbst. Und nimm's als sei es von mir; und schreib
hinein: 1. Oktober 1917.
Ich darf Dir heute schreiben aus einem beson-
ders erfreulichen Anlaß: mir ist eigene Beleuchtung
erlaubt. Das heißt: Montag bis Freitag ist jetzt Ein-
schluß mit Qaslöschen um V2I Uhr. — Aufschluß
um "U Uhr. Sonnabend: Einschluß um 6 Uhr —
Aufschluß um 7 Uhr; Sonntag: Einschluß um V26 Uhr,
Aufschluß um. '"\{1 Uhr. Licht bis zirka 10 Uhr heißt
17^/^ plus 4 und 4^^ — 26 Stunden pro Woche.
Du regtest neulich an, ich möge auf eigene Be-
leuchtung antragen. Folglich hattest Du irgend
welche Beleuchtungsmittel „in petto", welche? Nur
vvohlgemerkt, auch hier Euch nichts entziehen!! Nur
das ohne große Müh und Ausgabe Mögliche. Ich wäre
ia gar nicht auf diese Anregung gekommen, wenn
Du neulich nicht den Funken in das Pulverfaß meiner
Lichtgedanken geworfen hättest. Daß mich jetzt die
Hoffnung beseligt und jeder Tag um den sie früher
erfüllt wird, mir als ein kostbarer Gewinnst vor-
leuchtet, male Dir aus. Früher wurde Einzelnen An-
staltslicht bis 10 Uhr gewährt, dagegen bestehen
jetzt Bedenken. Wie die Chose zu machen, über-
sehe ich nicht ganz, am besten versiehst Du mich
mit Vorrat an Brennstoffen, Anzündern, Ersatzteilen
immer auf drei Monate, von Besuch zu Besuch.
Jetzt bis Mitte Januar, eurem nächsten Besuch. . . .
Soeben händigt mir der Herr Direktor die Zei-
tungen aus — also doch diese Woche ein Lebens-
zeichen von euch, vielen Dank, Dank.
93
Hier große Umwälzung: Aus Licht- und Heiz-
ersparnisrücksicht ist unser „Kloster" geräumt. Ich
liege seit 18 Tagen in Nr. 45 des sogenannten Flügels
(Isolierflügel) des großen Backsteinhauses, gegen-
über dem Kloster statt nach Süden, jetzt nach Nor-
den. Die Zelle etwas enger und nur die üblichen
Klappfenster zum Lüften und Hinaussehen — aber
ich sehe den Himmel und abends, nachts, die Sterne:
den großen Wagen, den Nordstern,
„the Northern-Star, — of whose true — fixed and
resting quality —
There is no fellow in the firmament.
The skies are painted with unnumber'd sparks,
They are all fire and everyone doth shine,
But there's but one in all doth hold his place."
und auch Arcturus blitzt links obenauf; und morgens,
um ^/^6 Uhr, am Platz des großen Wagens die
schimmernde Cassiopeia. Und nun gibt's Licht.
Was werde ich da arbeiten können. Kaum kann
ich's erwarten.
Die Zeitungen konnte ich erst ganz ober-
flächlich ansehen. Der ungeheure Prozeß der
sozialen und wirtschaftlichen Revolutionierung
Rußlands vom Bodensatz bis zum Schaum,
dessen Ausdruck nur die politische — die Ver-
fassungs- und Verwaltungsrevolutionierung ist, steht
nicht am Abschluß, sondern im Beginn, vor unbe-
grenzten Möglichkeiten — weit größer, als die große
französische . Revolution; die Spannung zwischen
dem Qev/esenen und dem jetzt Erstrebten und Mög-
lichen ist größer; ebenso die Spannung zwischen dem
Niveau, den Bedürfnissen und Möglichkeiten in den
verschiedenen kulturell so sehr differierenden Ge-
bieten und Volksteilen; und vor allem die Spannung
zwischen der Lage, den Bedürfnissen und Zielen der
verschiedenen Schichten und Klassen in den kul-
turell und wirtschaftlich entwickeltsten Gebieten und
Volksteilen. Die soziale Revolution, deren Gefahr in
Deutschland die bürgerliche Revolution verkrüppelte,
scheint in Rußland schon stärker als die bürgerliche
Revolution, wenigstens zeitweilig, wenigstens in den
konzentriertesten Zentren Rußlands. Freihch steht
der russische Kapitalismus nicht allein, der englisch-
französisch-amerikanische stützt ihn. Ein Problem,
94
für das eine provisorische Teillösung in der Kriegs-
frage zu gewinnen, schon Titanenarbeit fordert.
Was ich über diese Vorgänge erfahre, ist so spora-
disch, so zufällig, so äußerlich, daß ich mich mit Kon-
jekturen begnügen muß. Nirgends empfinde ich die
Abgeschnittenheit meiner heutigen geistigen Lage so,
wie in der russischen Frage
Deinen neulichen Brief an den Herrn Direktor
bekam ich zu lesen. Ja, Kind, ich bekam alle Pakete
— und gerade eben, Sonntag mittag 2 Uhr bringt mir
der Herr Hausvater auch das neue, das wieder voll
erstaunlicher Sachen ist — von denen ich nicht v/eiß,
wie ich für sie danken soll — und von denen ich
wünschte, ernsthch wünschte, daß ihr sie zum großen
Teil mindestens für euch verbraucht hättet. Ich
bitte Dich, bitte Dich, denk an Dich, an Euch, ich bin
wirklich jetzt gesund und kräftig, auf alles gerüstet,
aber ihr — immer wieder habe ich Sorge — und das
vergällt mir jeden Bissen. Und ich versichere, daß
mir Kriegsmus so gut schmeckt wie die vornehmste
Marmelade und daß die früher übliche Torte mir so
lieb war, wie die Märchenkuchen, mit denen Ihr mich
jetzt bezaubert. Solche und ähnliche Delikatessen
bitte behalte für Dich. Warum tust Du mir das nicht
zuliebe. Was machen die Freunde? Allen Gruß und
Glück auf — trotz allem — nicht einen Zoll gewichen!
Ist denn draußen gar nichts los? Das österreichische
Gegenstück zu Vv'ürzburg war auch geldwert. Zwei
Hauptpfeiler für das neue Italienunternehmen, dessen
kriegspolitische Erfolglosigkeit die bisherige Wirkung
in Deutschland leicht in ihr Gegenstück umschlagen
wird. Oui vivra — verra. Sind die Kinder gesund?
Denkt Bob an Brentano's Märchen? Heimi vor allem
soll viel ins Freie. Bewegung! Und nicht so spät
aufbleibe.;. Ihr seid doch wohl? Kommt der Brief
bald? Ich muß schließen, meine Liebste, ich umarme
und küsse Dich tausendmal.
Dein Karolus.
Luckau, den 9. 12. 17.
am 401. Straftag.
Mein Kind! •
Das wird heut nicht sehr munter werden. Nebel
95
draußen, Dicker Nebel, Nebeldunst überall. Es
will einem in alle Glieder, in alle Adern und Nerven
hineinziehen. Aber ich wehre mich und werde mich
wehren, und der Teufel soll mich und soll jeden
holen, der nachgibt. Ja, jetzt draußen sein, jetzt
rennt man sich an die Wände. Aber ich bin oben-
auf, gesund und ahes. Drei Wochen schon mit
Licht — abends zwei Stunden über Einschluß. Ge-
schichte, Philosophie, dazu öfter etwas Shakespeare
— zuletzt Othello, Lear, Koriolan. Verträgt sich
vorzüghch mit der Schusterei. Hast Du den Tieck?
Datum hineingeschrieben? Lies nicht wahllos,
sonst wirfst Du's -sofort weg, sondern, was ich Dir
vorschlug. Deine Theaterrevue brachte eine
kulturelle Gesamtcharakteristik. Geduld ist eine
Tugend der Sklaven. Die Sklaverei zu beseitigen,
bedarfs doppelter Ungeduld; um dieser Tugend
Herr zu werden, um sie wegzuschwemmen. Diese
„freiheitsquakenden" Philister-Ochsenfrösche. Wun-
der, wunder, daß einem die Galle nicht platzt. . . .
x'vlorgen sind es drei Wochen seit Gertruds
und der Jungen Besuch und neun Wochen
seit Deinem letzten und in vierzehn Tagen ist Weih-
nachten. Was wird nun? Die Kinder nach Frank-
furt? Du zur Erholung nach dem Süden? Ich
kann nichts raten, weil mir der Ueberblick der Mög-
lichkeiten fehlt. Nur dies kann ich sagen, tu was
erdenklich für Deine Kräftigung, Deine Ablenkung
und noch dies: Laß mich nicht zu kurz kommen in
der Gewinnbeteiligung an Dir. Wann kommst Du?
Anfang Januar ist euer Normalbesuch fällig. Am
8. L 17 war euer erster Besuch hinterm Gitter.
Solltest Du dann fort sein, so wird Dir sicher eine
Vorverlegung zwischen Weihnachten und Neujahr
erlaubt. Vermutlich wirst Du denn allein kommen,
wie am 13. März, bald neun Monate her. Meine
Träume knüpfen sich schon an das ersehnte Er-
eignis, gib ihnen durch bestimmtes Datum bald den
festen Halt In diesen Wochen ist auch Rosas Ge-
burtstag, bestell ihr von mir alles Herzliche. Das
ist jetzt die schwerste Belastungsprobe, auch sie
muß und wird überstanden werden. Die Freunde:
die arme Berta — und Westmeyer — das ist jammer,
jammerschade. Schreib seiner Frau mein Beileid,
96
Januar 16 traf ich ihn zuletzt. Erst im Krieg hab ich
seinen Wert ganz erkannt. Der Verlust ist größer, als
dem ersten Bhck scheinbar. Er hat einen ver-
teufelten Posten jahrelang mit großer Tapferkeit ge-
halten. Und Artur^), der freilich sehr abgebraucht
war und doch, in vielem kaum entbehrlich und eine
ehrliche opferfähige Haut; seine Behebtheit bei den
Massen wohl begründet Sein Kreis wird wohl
den Regierungs-Pudeln burgfriedhch zugeschanzt
werden, ä la Potsdam — jedenfalls alle Vorsicht
am Platz.
Ist jetzt Nachricht von Deiner Mutter und den
andern da? Die Vorstellung von ihnen ist so ganz
mit der Vorstellung der ungeheuren politischen und
sozialen Wirbel verknüpft, die unsere Hoffnungen
bedrohen. Meine Auffassung über Rußland kennst
Du. Noch kann ich nicht glauben, daß Lenin,
Trotzky keine internationalen prinzipiellen Sozi-
ahsten, sondern russische Friedensopportunisten und
Demagogen sind, und für den nur russischen Augen-
blickserfolg einer vorübergehenden Erhaltung ihres
Regimes ins Lager des deutschen ImperiaHsmus
desertieren, den kämpfenden deutschen Sozialisten
und der ganzen Internationale in den Rücken fallend
und den Scheidemann-, David-Schuften die
Ernte einbringen helfen. Das jetzige Sonder-
vorgehen suche ich vorläufig noch so zu deuten:
die Entente von innen heraus revolutionär zur Ver-
handlungsbereitschaft zu peitschen, die Friedens-
intrigue des deutschen Imperialismus zerfetzend —
die Eroberungspläne nicht nur Deutschlands, son-
dern auch Oesterreichs und Bulgariens (Balkan!
Ganz öffentlich offiziell) enthüllen und brandmarken.
Dies und schon der Widerstand Deutschlands gegen
allgemeine Waffenruhe (schon wegen U-B.krieg) und
Ausnützung der Entlastung an der Ostfront würde
die deutschen Massen erregen. Wenn also die
Entente auf revolutionären Druck ihre imperi-
ahstischen Ziele aufgibt, so kann die internationale
revolutionäre Wechselwirkung mit voller Wucht
einsetzen. Der Selbstbestimmungsrechtshumbug in
Bezug auf Polen, Littauen, Ostseeprovinzen (jetzt
*) Artur Stadthagen
97
zum größten Teil evakuiert — gerade von den nicht
unterwürfigen Elementen!) zeigt die gerissene Dema-
gogie. — Freilicli ist es mindestens ein verwegenes
Spiel, das Lenin und Trotzky treiben. Wenn sie der
Scylla baldigen Sturzes ä tout prix entgehen wollen,
v/erden sie um so leichter der Charybde zum Opfer
fallen: als Gefangene ihrer Friedenspolitik in
Konsequenz ihrer Wehrlosmachung des russischen
Volkes, noch bevor jene internationale Wirkung ein-
tritt, Sonderfrieden müt dem deutschen Imperialismus
schheßen zu müssen. Einen Frieden, den man
wahrlich dem Zarism.us hätte überlassen können.
Sie werden dann keine Regierung der russischen
Großgrundbesitzer und Kapitalisten sein, aber eine
Regierung des deutschen Kaisers in Rußland. Un-
erträglicher Gedanke, daß damit das revolutionäre
Rußland, das russische Proletariat, die russischen
Sozialisten belastet werden sollten! Der infamen
Ausnutzung der russischen Revolution für die
Zwecke der Mittelmächte muß mit allen, aber auch
allen Mitteln entgegengewirkt werden.
Es wird zu viel — ich werde nicht rechtzeitig
fertig. Bald sehen wir uns, nicht wahr. Du schreibst
bald, ihr dürft öfter schreiben ein für
allemal: das gilt für die Angehörigen aller Ge-
fangenen. Nur ich (der Gefangene) darf nur einmal
vierteljährlich schreiben. Also, verzeih diesen kalten,
nüchternen Brief — die Begründung der Wahlrechts-
vorlage ist Brief und Siegel zur Schande des
deutschen Proletariats, zu seiner Kapitulation vor
den herrschenden Klassen, wenn auch die Vorlage
ein Produkt der Angst vor dem Aufwachen eben
dieses Proletariats ist. Gelingts, die Sache bis zum
Frieden zu verschleppen, dann Ade — wenigstens
bis auf Weiteres. Zeit gewonnen — alles ge-
wonnen — für die herrschenden Klassen. (Fünf
Monate haben sie ja schon Vorschuß, seit
Juli); — Zeit verloren, alles verloren für
die Massen; alles verloren, wenigstens den
ganzen Vorteil der gegenwärtigen Konstellation.
Auch geschickte Verschleppungstaktik ist Haupt-
augenmerk auch der Regierung, dafür ist durch die
Mischung Hertling (der jede Reform macht, wenn
er muß, jede Reaktion, wenn er kann), Friedberg
98
(dem nationalliberalen Zedlitz) Drews gesorgt und
durch militärische Ablenkung und Entlastungs-
offensiven Hindenburgs — Massen heraus — Frauen
heraus! — Ja, meine Liebste, Ihr spielt jetzt eine
große Rolle. Aber Schluß, Schluß! Endhch die
vielen Küsse, Küsse, Küsse.
Dein Karl.
Dostojewski^) las ich: wieder ganz incommen-
surabel. In der titanischen Gestaltung der ver-
schlungensten, mannigfaltigsten Schicksale und
Charaktere und sozialer Verhältnisse, in der Zu-
sammenballung der differentesten Elemente zu
einem ungeheuren Ganzen fast gewaltiger noch als
Raskolnikow und Brüder Karamasow.
Nächstens kommt Gogol und Puschkin an
die Rehe.-
Luckau, 14. 12. 1917.
Liebste! Wenn auch nur dies kleine Zettelchen
— ganz kann ich der Versuchung, die Gelegenheit
zu nutzen, nicht widerstehen. Zumal Weihnachten
vor der Tür steht und ich „weh mir, daß ich nichts
besseres weiß" noch einmal bitte: das nächste in
Aussicht genommene Paket verteilt Ihr als mein
„Weihnachtsgeschenk" unter euch. Ich bin gut ver-
sorgt und werde das, was ich verzehre, mit drei-
fachem Genuß und Nutzen in mich einsaugen, wenn
ich weiß, daß jene Verteilung von euch unter euch
wirklich vorgenommen wird.
Deine Stimmung ist jetzt fortwährend bösen
Attacken ausgesetzt, so daß das Bedürfnis, Dir nahe
zu sein, mich mehr erfüllt als jemals. Ich möchte
Dich m die Arme nehmen und tragen — durch diesen
Strom, dieses wilde Meer. Weißt Du noch, wie ich
Dich in Heidelberg den Steg hinauftrug? Heidel-
berg! Um alles in der Welt! Aber es
kommt noch einmal — auch für uns wird
Heidelberg auferstehn — , Liebste — heiliger
*) „Der Idiot".
7» 99
noch als einst. — Wann besuchst Du mich? Wie
wirst Du die Feiertage verbringen? Wie war's vor
drei und noch vor zwei Jahren! Den Freunden be-
richte das Wesentliche, auch dieses Briefs. —
Lenin-Tr 0 tzlcy können doch nichts
anderes wollen, als ich skizzierte. Je mehr
ich's mir überlege, um so klarer wird's mir, um so
beruhigter werde ich. Um so aussichtsreicher oder
doch minder aussichtslos erscheint mir ihre wag-
halsige Taktik, die in dem allgemeinen Morast, vor
allem hier, befreiend, die Atmosphäre reinigend,
wirken kann. Freilich muß hier alles, aber auch
alles geschehen! Jeder Soldat sei eingedenk, daß
jeder Tropfen Schweiß und Blut, die er heute auf
Hindenburgs Befehl vergießt, die Ausbeuter. Erobe-
rungs-Realpohtiker unterstützt, Hindenburgs Offen-
siven gegen das Wahlrecht, den Frieden.! Lenin-
Trotzky müssen ihre Herrschaft außer durch Frie-
denspolitik (die aber nur eine anständige, inter-
nationale und sozialistische sein darf oder nicht
sein darf) befestigen durch soziale und wirtschaft-
liche Umgestaltungen großen Stils, d. h. Durch-
führung der sozialen (nach der politischen) Revo-
lution!
Ich küsse Dich tausendmal und umarme Dich —
Liebste — und küsse die Kinder.
Dein Karlouschenka.
Rosa allerherzlichst gratulieren. Viele Qrüße
allen Freunden. Besten Gruß auch Hilma.
Luckau. l. 3. 18.
Meine Liebste!
Endlich der Brief. — Kurz kam er, doch er kam.
— Ich beantworte ihn näher am 10. 3., meinem Nor-
malbrieftag; im April ist dann Besuchstag und „da
leuchtet ein Bildchen, ein göttliches, vor" — wie ich
mich freue — . Du beruhigst mich über die Kinder —
von Dir schreibst Du kein Wort — wie's in Dir aus-
sieht weiß ich und empfinde ich mit, wenn Du es
auch bestreitest — nur ein Beweis, daß Du mich
100
schlechter kennst und verstehst, als ich Dich. Aber
das Körperliche hat auch seine Bedeutung — warum
darüber kein Wort? Ich will Dich gesund wissen
und wenn ich herauskomme, ein frisches junges Weib
in die Arme schließen. Dafür sorg — das ist keine
Bitte, das ist eine Forderung!
Eben beginnt der Gefangenenchor auf dem
Korridor das seit einigen Wochen übliche Abendhed;
vierstimmig — eine respektable Leistung, die mir
Musikfreund willkommen ist.
Die Schatten der Nacht sinken herunter — ich
erwarte das Licht, um weiterschreiben zu können.
Mit Bobbs Reise bin ich einverstanden — ich schreib
ihm einen Zettel darüber — laß ihn Dir geben — . Er
muß das ISchulpensum selbst durcharbeiten. Mir
scheint die Sache sehr gut . . . Danke auch Paul
Hoffmann . . .
Wie geht's Rosa? Ihre Grüße erwidere ich
herzlichst. —
Wäre ich nicht so blöd und schwerfällig. — Das
benimmt mir oft für mich persönhch nur, nicht für
die Sache! — den frischen Ausblick. — Aber was
den Teufel! Schon fangen die Amseln an vor meinem
Fenster zu pfeifen und flöten — Schon seit einer
Woche! — Und die Stare! Aber andere Frühlings-
zeichen erlustieren mich noch ganz anders. —
Bald mehr — könnt ich bei Dir sein! Oder Du
bei mir!
Alles alles Beste und Küsse, viele, schönste
Dein Karl.
Luckau, den 10. III. 18.
(Am 492. Straftag, 674. Hafttag — Rest 968.)
Liebste!
In aller Morgenfrische am offenen „Fenster",
auf dem Zuschneidetisch, nach einer Nacht voll
guter, starker Träume und zahlreicher Notizen im
Dunkeln — nach meiner Technik und Manier. Vor-
läufig nur Spatzengezwitscher. Wie weht so scharf
der Märzenwind. Es riecht nach 1871 — Paris —
und 1848-49 allerwärts und 1917 in Rußland, wo es
jetzt wörtlich gilt: Oue veut cette horde d'esclaveSt
101
de traitres, de rois conjures, das mir heute durch
Mark und Bein summt und brennt. Der anliegende
Brief an Willi handelt vom Schicksal Deines Briefes,
das sich aber ganz anders enthüllte: Er war vom
Herrn Direktor zurückgehalten — wegen politischer
Bemerkungen, die ja — wie Du vergessen zu haben
scheinst — unzulässig sind; nach Ausschneidung des
Beanstandeten kam ich in den Besitz aller Deiner
persönlichen Worte, die so rührend, so warm sind,
so unmittelbar, daß sie Dich mir ganz gegeben
haben, in meine Arme, so weit wir auch getrennt
sind und die mich, wenn Eros noch der Allmächtige
ist, unsterblich machen werden. Was aber das Aus-
gemerzte betrifft, so v/eißt Du ja, daß mein Urteil
von Deinem nur durch die größere Schärfe abweicht.
Und dadurch, daß ich es in Handlung umsetze, und
auch in individuell — innerlich erlösende Tat, wo
immer und solange ich kann. Gedanklich — (durch
Analyse der Ereignisse, zwecks Aufdeckung der Ur-
sachen des Vergangenen, zwecks Klarlegung der
Zusammenhänge, des Oegenvvärtigen, zwecks Ab-
leitung der Prognose für die Zukunft und Fest-
stellung der Aufgaben für Gegenwart und Zukunft)
— die Ereignisse laufend verarbeitend, schon diese
Gedankenoperationen des Politikers, die dem Han-
deln vorangehen, erheben über die Ereignisse, sie
geistig bewältigend. Nicht des sub specie aeterni-
tatis bedarf's hier wirf einen Blick
über die Geschichte — und Du wirst wunderbar ge-
stärkt sein. Die Zwischenspiele dieser Tage werden
Dich nicht mehr verwirren, alles Gedröhn nicht be-
täuben. Wie klein und erbärmlich, ja scheint mir
auch lächerlich, sind die Menschen, gerade die, die
sich am größten dünken. Zwischenspiele, Zv/ischen-
spiele und inzwischen heißts für jeden, seine Schul-
digkeit zu tun. (Denk an Napoleons Dutzend-Renu-
bliken, seine Staatenfabrik. Die Kultivierungswir-
kung ist freilich diesmal mehr als problematisch.
Nicht revolutionäre Errungenschaften werden ex-
portiert, sondern ihr Gegenteil. Und nichts ist
sicherer Episode, als was den Stempel plumper
Opposition gegen die Naturgesetze trägt. Unheil
genug kanns freihch bringen.) Das persönhch Pri-
vate, das Schicksal Deiner Mutter und Deiner Ge-
102
schwister, das freilich ist damit nicht abgetan. Daß
ich Dir jetzt nicht zur Seite stehen l<:ann, in diesen
auffressenden Aengsten, greift mir so in die Seele.
Alles bewegt mich, jede Zeitungsnachricht, die auf
ihre Lage Bezug haben kann. Was wird sich dem
Auge bieten, wenn sich die Sintflut verläuft, die
chaotischen Dünste verziehen? Noch ist nicht ein-
mal an Nachricht zu denken. Ich möchte Deine
Hand halten und Deine Stirn küssen und Dich nicht
von mir lassen.
In drei Tagen ists ein Jahr, — seit Du
vor Deiner Fahrt nach Ebenhausen bei mir warst,
zum ersten Mal allein. Und schon sinds 2V^ Monat
seit Deinem letzten Besuch. Bald hab ich Dich
wieder auf eine Stunde. Rechtzeitige Nachricht.
Ich hörte von Deinem kranken Fuß, ich möchte ihn
gesund küssen. Erinnerst Du Dich, wie wir einst
im Grunewald auf der schönen Terrasse saßen?
Bei einer Bowle? Wir zwei allein. Da hattest Du
dieselben Schmerzen und zogst den Schuh aus —
zu meiner Erlustierung!-
Was Du von den Kindern schreibst, freut mich.
So muß es bleiben. Bobbi und Vera waren am
2. herzlich und munter und sahen wohl aus. — Auch
Willi und Lottchen, die höchst angenehme Ueber-
raschung. Bobb war nicht sehr für Holland. — Das
gute Kerlchen trennt sich nicht gern von euch, er
ist ein Familienmensch und weichen Gemüts. Vor
allem möchte er nicht bis Kriegsende gebunden sein,
das ist ja auch nicht nötig. Zunächst ein halbes
Jahr, nicht wahr? Aber entscheide Du, Du triffst
schon das Rechte. Er muß natürlich Bücher mit-
nehmen. Außer den Schulsachen Geschichte, Geo-
graphie und Naturgeschichte. (Schillers Abfall der
Niederlande, Goethes Egmont, der so ganz unhisto-
risch edel, und doch voll wahren Lebens, soll er
lesen.)
Hier gewaltiger Umsturz: Auf Veranlassung
des Reichswirtschaftsamts wird die Schusterei in
den Strafanstalten eingestellt; obgleich auf Simons
(Nürnber^^* Wunsch, wie mir scheint, sinnlose
Weise. Meine Zukunft liegt im Düsteren. Hof-
fentlich nicht Korbflechterei.
Vielleicht einige Wochen Interregnum, „Arbeits-
los
losigkeit", die für mich hieße: Arbeiten können, was
mein Herz begehrt (cum grano sahs) dann würde
ich Bücher brauchen (vgl. Zettel). Jedenfalls wird
sich mein Zustand umwälzen.
Deine „Befreiungshoffnung" wäre mir wenig
sympathisch; und wie ich alles Amnestieartige und
gar ein Geplärre darum zum Teufel wünsche, ist
Dir bekannt. Entweder — oder. Vorläufig heißts
noch: in die Zuchthäuser! Nicht: aus den Zucht-
häusern.
Mehrings Erkrankung beunruhigt mich sehr, ich
hoffe, die Besserung hat angehalten. Sage ihm das
und meine besten herzhchsten Wünsche und meine
Gratulation zu seiner Landtagsrede, die ich freihch
nicht gelesen habe (mangels Zeitungsbericht), deren
— übrigens selbstverständliche Vortrefflichkeit sich
aber aus einer gehässigen Bemerkung der Deutschen
Tageszeitung ergibt. Wenn er freilich auf der
Straße so stürmt, daß solche Konfhkte und Karambo-
lagen entstehen, so ists an der Zeit, Freund Fran-
ciscus zu erinnern, daß er nicht 17, sondern 12 Jahre
alt ist! Grüße beide sehr, d*esgleichen alle Freunde,
lulek und die Seinen, Käthe, Mathilde, Frau Rosen-
baum, die Hoffmiänner, Hofer und Ströbel.
. . . Jüngst nahm ich die Odyssee zur Hand, die
Kunst ist unvergleichlich. Diese klare Gegenständ-
hchkeit, diese leuchtenden Farben, diese reine Na-
türhchkeit, und dabei doch wie edel stilisiert. Im
Großen und im Kleinen, Alltäglichen — vgl. den An-
fang des 20. Gesangs, Odysseus in der Nacht — und
dann das erwachende Treiben im Hause am iVlorgen,
welche prägnante Kürze — ein vollendetes Genre-
bild ans andere gereiht — aber alles durchaus in
Handlung aufgelöst. Und im 24. Gesang Agamem-
nons Schilderung von Achills Tod und die Trauer
um ihn (zu Achills Schatten in der Unterwelt):
„Dich umringten die Nymphen, des Nereus Heb-
liche Töchter,
Um Dir schluchzend den Leib in ambrosische
Kleider zu hüllen.
Alle die Musen, die neun, mit silbernem Ton in-
einander
Stimmend, klagten um Dich, und ringsum weinten
die Krieger."
104
Die Odyssee ist übrigens eine Epopöe, ein Hohe-
lied der Treue, der Treue des Gatten (der selbst Ka-
iypsos Versucliung und Unsterblichkeitslocl^ung
widerstellt!), der Gattin, des Sohnes und der
Dienstmannen, ja selbst der Tiere (Hund Argos,
17. Gesang) und der Treue zur Heimat — d. h. jener
angeblich spezifisch deutschen Tugenden, die im
Nibelungenhed und Gudrun nur einseitig in der Form
der Frauen- und Dienstmannentreue ins Großartig-
Ungeheure gesteigert sind.
Jahrzehnte möchte ich studieren, ohne aufzu-
sehn, und zugleich frei wirken können, ohne zu
rasten. Ich brauche ein verdoppeltes Leben um ganz
Ich sein zu können.
Es ist nachmittags, gleich muß ich schließen und
abhefern. Mittags kamen die Zeitungen — mille
fois merci. Und gestern ein Paket, dafür^uch, wie
für die neuhch gebrachten Klöße Dank, Dank, vielen
Dank. Zweimal • letzthin Malheur: eine Flasche
(Salat) und ein Honigglas zerbrachen. Ihr müßt
Glas möglichst vermeiden (lieber Blech), wenn aber
doch, so nie unmittelbar an den Rand legen, wo di-
rekter Stoß und Druckgefahr — und gegen alles
Harte gut geschützt. Das „Aktionsbuch" und Ottos
Geschenk wurden mir nicht ausgehändigt, heb sie
und die anderen zurückgegebenen Bücher gut auf.
Mir liegt die Erhaltung und Verbesserung meiner
Bibiliothek sehr am Herzen.
Wann seh ich Dich! Sorg für Dich — ich bin
versorgt — könnt ich nur heraus — es reißt mich
heraus. Leb wohl! Man kommt zum Abholen —
ich küsse Dich, streichle Deine Schläfen, umiarme
Dich — Liebste. Denk an mich und halte Dich auf-
recht, stark und stolz — und wärens zehnmal mehr
und schlimmere Feinde als heut — wir stehen zu-
sammen — Du und Dein Karl.
An Helmi schreibe ich wegen der Körperbewe-
gungen, Freiübungen usw. Das beachte auch Du!
Du turntest ja früher, es ist rasend wichtig für die
ganze Leistungsfähigkeit. Wie ists mit evtl. Fecht-
unterricht für Helmi! Er darf kein Stubenhocker
werden.
Zu Bob: Bitte schreibe der Scheveninger Fa-
milie, daß sie von allem Wichtigen, besonders von
105
jeder Erkrankung, stets sofort Mitteilung machen,
evtl. auch telegraphisch, daß sie Bob vor schlechter
Gesellschaft, deren Gefahr in einem Badeort be-
sonders nahetritt, hüten, ein regelmäßiges Leben mit
Schlaf und Bewegung im Freien und tüchtiger Arbeit,
aber auch Bewegungsfreiheit fördern. Bob muß ganz
regelmäßig schreiben, wöchentUch zweimal, und
wenn auch ganz kurz.
An Vera
Liebstes kleinstes Mäuschen!
22 Monat sitze ich jetzt eingesperrt im Käfig.
Ist das nicht schade? Und 32 Monate stehen noch
bevor — ein Drittel der Strafe ist herum: ist das
nicht schon ein ganzer Batzen? Es wird rasch zu
Ende sein! Und wir werden uns wiederhaben —
nicht bl(^ so alle Viertel- oder halben Jahre.
Drosseln pfeifen schon vor meinem Fenster — und
doch gibts heut wieder Schnee! In ein paar Stunden
sehe ich Dich und küsse Dich und höre alles von Dir
— aber D e i n B r i e f fehlt noch! Er wird Dir nicht
geschenkt. Schwarz auf weiß will ich hier bei mir
in der Zelle haben, was Vera mir zu berichten hat.
Schon werde ich gerufen. — Gleich kommen die
lebendigen Küsse.
Sei artig! Fleißig! Brav!
Dein Papa.
Zu Deinem Geburtstag schreib ich noch. —
Gruß und Kuß Lotte, Poch und den Herren Vettern
in der Thomasiusstraße. — Onkel Thele und Tante
Lu natürlich nicht minder.
(Im Zuchthaus geschrieben),
(wahrscheinlich April 1918)
NACHTGEDANKEN
Fang ich euch, Träume, Bilder, die ihr mich
Umflattert, wie ich in mein Innres sinne?
Ich greife zu, ihr gleitet durch die Hand —
Wie Mondes Silberlicht; ihr schlüpft davon —
Scheu, geisterhaft. — Ich werfe meine Schlingen
Euch, Flüchtige, zu halten; — wehe, wehe —
Ihr schwindet fort — versinkt, entweicht — wohin?
106
Ihr süßen Träume, elfenzarte Schemen —
Wenn ich euch habe, hab ich Seligkeit! —
Mein Herz will überfließen, meine Sinne
Zurück ins Innere gekehrt, sie fühlen
Euch nah, — fast hab ich euch, ihr Lieblichen! —
Doch ihr entflieht, entflieht, entfliehet wieder —
Und meine Seele sinkt ermattet hin —
Wie faß ich euch, wie halt ich euch, Gebilde?
Werd ich euch je und je erreichen können
In stillen, fremden Schauern nur geahnte
Geschöpfe aus geheimen Wundertiefen. —
Horch ich nach Innen — leise da hör ich euch —
Blickend in mich hinein, dämmernd da schau ich
euch — ;
Schleich ich zu euch heran — immer doch, immer
doch.
Seid ihr verschwunden. —
Luckau. den 11. Mai 1918 (553. Tag)
(Rest 907).
Liebste !
Bleistift, da Löschpapier. Verzeih. Zunächst
zum Fall Bob. Ganz Deiner Ansicht, wenn Du sie
auch selbst als „kleinbürgerlich" karikierst, komme
aber doch zu anderemi Ergebnis, das ich Dir unter-
breite, ohne Dir vorzugreifen, ganz unmaßgeblich.
Du entscheidest . . . Also: die Jungen befinden sich
jetzt in einem Ausnahmeverhäfitnis, gerade wenn sie
die Schule besuchen. Der Unterricht, die Schulfeiern,
alle sonstigen Einwirkungen der Schule sind heute
für sie eine fast ununterbrochene Kette von Wider-
wärtigkeiten und Demütigungen. Das ist mir nach
den Schilderungen der Briefe, die die Wirklichkeit,
wie ich weiß, noch bei weitem nicht erreichen, wieder
so lebendig geworden, daß ich es aussprechen muß.
Auch ich habe in meiner Jugend eine Fülle politischer
Anfechtungen erfahren, in der Schule und anderwärts,
und ich habe sie mit Stolz, Verachtung und Mitleid
getragen; und sie haben mich gefestigt und erhoben.
Ich denke nicht daran, meine Kinder verzärteln zu
wollen; mögen sie sich früh Narben holen, so werden
sie rechtzeitig hart sein. Aber in der Schule handelt
107
es sich heute um keinen Kampf, der stählt, sondern
um passives Erdulden, um stumpfe Ergebung, die ent-
nervt, und noch mehr: um häßliche Kompromisse von
Tag zu Tag. Du entsinnst Dich der Kaiserhoch-
Affaire Bobs. Bob war vor Gott und der anständigen
Welt im Rechten, da er nur als aufrechter ehrlicher
Junge sich geweigert hatte, an einem Akt teilzu-
nehmen, der seinem ganzen Empfinden und Denken
widersprach. Das gab selbst Dr. Prenzel zu und
dennoch wurde das Ultimatum gestellt: entweder
künftig alles mitmachen — ohne Rücksicht auf die
Gesinnung, oder die Schule verlassen; und so kam
das Kompromiß zustande, unter dem die armen Kerle
jetzt ,im Krieg dauernd leiden. Fortgesetzt auf-
gezwungene Unwahrhaftigkeit, tiefste Unsittlichkeit
— nun Du v/eißt ja, w^as ich meine. Sie müssen sich ja
fügen, wollen sie ihr Leben nicht im Keime zerstören.
Nicht einmal der Weg ins Ausland steht ihnen ja heute
offen, wenn sie verwiesen werden. Kurz und gut:
Kann man ihnen diese demoralisierenden Erlebnisse
abkürzen — so soll man es tun, scheint mir. Genug um
ihnen die fürs Leben nötige Fügsamkeit beizubringen,
bleibt doch noch übrig. Ich rede nicht vom Lernen.
Handelte es sich darum, so wäre ich unerbittlich
und ganz Peitsche. Sage nicht, daß solche Demüti-
gungen heute auch Dir, auch jeden außerhalb
der Schule nicht erspart bleiben; sicher, aber die
Fälle liegen doch verschieden und die Erleichterung,
die möghch ist, sollte man, beiden Jungen,
auch Bob, zuteil \yerden lassen. Sie sind m
einer Ausnahmelage gegenüber der Schule; indem
man sie davon befreit, stellt man sie in die Situation,
in der sich ihre — mit dem Strome schwimmenden —
Kameraden befinden. Dies meine Ansicht. Natür-
lich kommt ein Dispens nur in Frage, wenn er mög-
lich ist. D. h., wenn er bei der Schule erzielt werden
kann und eine Verwendung des Dispenses zu er-
warten ist, die nicht schlimmer ist, als das zu ver-
meidende Uebel. Natürlich darf das Schulziel nicht
gefährdet werden. Daran, daß Bobbi auch ohne
Schule fleißig lernen wird, zweifle ich nicht, natür-
lich darf er nicht ins Bummeln und Lüderjahnen
geraten; Ordnung tut ihm vielleicht noch mehr not
als Helmi
108
. . . Seit einiger Zeit bin ich in den Stand der
Tütenkleber getreten; die beschäftigungslose, die
köstliche Zeit hat leider nicht lange gewährt. Vorläu-
fig noch Lehrling. Das Pensum beträgt: 1000 pro
Tag. Durch Zählen (eins — zwei — drei — bei jeder
Tüte) suche ich mich zu spornen und zu unterhalten.
Die Arbeit ist reinlich und relativ angenehm. Für
mein Studium bleibt jetzt nur wenig übrig: von
6 Uhr früh bis ^'48 abends, bleiben außer der Mittags-
und Abendpause nur ein paar Viertelstunden; in
denen auch zu essen und der „Haushalt" zu ordnen
ist. Aber die Abende werden länger, ich werde sie
nach Kräften ausnutzen, ich bin so durstig und
möchte das Meer austrinken . . .
... Ja, mein Kind, der „Friede im Osten" ist
geschlossen! Du wunderst Dich, auch das
Wort „Frieden" hat heut seine Bedeutung ver-
ändert. In der Tat, eine neue Sprache tut
not ... Du wußtest bisher nicht, daß Du eine
Ukrainerin bist. Jetzt wird Dir's eingepaukt. Aber
ruhig. Liebste, — Episode — Episode — Episode —
Kartenhaus — Kartenhaus — Kartenhaus — Eintags-
fliegen — Eintagsfliegen — Eintagsfliegen. Und was
ich sonst noch sagen möchte und nicht sagen darf,
weißt Du. Du unpohtischstes Geschöpf der Erde
empfandest in der russischen Botschaft doch rich-
tiger als die Politiker, von denen Du erzählst. Grüß
Joffe und die übrigen von mir. Daß Du um alles in
der Welt bei ihnen und anderen keinen Firlefanz,
keine Wehleidigkeiten, kein Brimborium irgend wel-
cher Sorte um mich machst; meine jetzige Lage
ist eine Selbstverständlichkeit und Kleinigkeit, nichts
weiter. So fasse ich's, so faßt Du's, so fassen es
Fahne, Maikommers, Karl-Marx-Amnestien — Spie-
lereien — Spielereien — treiben sie die rechte Po-
litik, darauf allein kommt es an. Von Dehors und
honneurs mag ich heutzutage nichts hören. Gern
wäre ich draußen — um kämpfen zu können, möchte
zugleich hier sitzen und draußen wirken und
schaffen, was mein Herz begehrt. Wäre meine
Kraft so groß wie mein Wille. Genug davon.
Die wetterängstliche Verzärtelung^ kann einen
*) Es handelt sich um eine verabredete Bezeichnung der
Demonstrationen. F. P.
109
Hund jammern. Heraus ins Freie! Abhärtung, Soll
ewig jeder Luftzug einen Schnupfen bringen und
jeder Schnupfen zitterndes Zimmerhüten, so mag ein
Frosch Mensch sein . . .
Es wird dunlcel — Leb wohl. Liebste, die ich mit
tausend Fäden meiner Sehnsucht zu mir ziehen
möchte. Ich küsse Dich, Deine Hände, Deine Augen
und Deinen Mund. Vergiß mich nicht.
Deinen Karolus
Für Pfemfert zu Diesterwegs Sl^izze von Benn;
Bei aller Abstrusität der Form — sie imponiert mir;
— ein Stück tiefsten Expressionismus — alles Sein
und Geschehen ausschließlich und unbedingt nur in
der Spiegelung erfaßt, die es in der Seele Diesterweg
findet; im Schatten, den es in die Höhle seines
Innern wirft — nach Piatos großem Bilde. An
Hamsuns Auflösung der Welt in Stimmung und Emp-
findung gemahnend, auch in der Eindringlichkeit der
Schilderung ihm verwandt . . . Bakunin bekam ich
leider nicht. Danke Pfemfert und grüße beide.
— — — Versäume doch — trotz des Stall-
geruchs^) — den Wüllnerschen Manfred nicht.
Wüllner ist gewaltig und dem Manfred umso kon-
genialer, als er um verwandter Erlebnisse willen
Vergessenheit sucht. Es ist Unsinn, Manfred als
Faust- und Hamlet-Pfropfreis aufzufassen. Er ist
das persönhchste, allereigenste von allen Byronschen
Werken, ein reines, fast zu individuelles Selbst-
bekenntnis, eine dramatische Gestaltung des Seelen-
zustands, in den ihn das Verhältnis zu seiner
Schwester gebracht hatte. Aber zu solcher Er-
habenheit und schließlich doch Allgemeingültigkeit
gesteigert, daß es ein gleich ergreifendes mensch-
liches Dokument schwerlich gibt. Die Schumann-
sche Musik wird Dich auch packen. Ich glaube,
auch Helmi soll es versuchen. —
Sobald Brief an Deine Mutter möglich, gib Nach-
•richt. Welche Erleichterung, daß ihr Brief kam.
Wie glücklich bin ich für Dich. —
^) Manfred wurde im Circus gespielt.
110
Luckau, 20. 5. 18.
Mein kleines Böbbchen!
Was Du mir leid tatst — und wir gern ich Dich
zur Pflege mitgenommen hätte !^) Aber nur keine
Hypochondrie — diese Anfälle haben nichts zu be-
deuten — wenn das Nötige dagegen
getan wird! Das weiß ich aus meiner Jugend.
— Und das Nötige ist: gute Pflege, Schonung,
nicht Ueberanstrengung — weder körperhch,
noch geistig. Früh zu Bett. Lang und gut schlafen.
Aber keine fünf Minuten wach im Bett liegen.
Kein Einschließen. Viel in frischer Luft: nimm
Deine Bücher mit hinaus — lerne dort im Lagern
beim Vogelgesang und Schmetterlingsgeflatter und
Wolkenzug. Aber Augen geschont (nie in der
Sonne lesen).
Kopf hoch, mein Kerlchen. S'ist halt eine Sau-
zeit, aber gerade für euch, wie ich weiß auch eine
große Zeit. Nur für euch, die Jugend. Und darum
Kraft und Stolz gegen alle Bedrängnisse, die ich euch
wahrhaftig gern auf ein späteres Alter verschoben
hätte. Kopf hoch und — bei Schonung! — fleißig
für Schule arbeiten. Das Pensum muß erledigt
werden.
Wie schade, daß ich Deine Zeichnungen dies-
mal nicht sah. Da war ich Dir richtig böse. Du
weißt doch, wie mich das interessiert. Hast Du
Unterricht? Ich vergaß ganz zu fragen. —
Ich küsse Dich — alles wird gut sein! —
Dein Papa, der allen im Juni schreibt.
Luckau, 16. 6. 18.
An Vera.
Mein Mäuschen!
Also nach Holland ausgerissen — ans Meer. Ei
der Teufel! Und nicht mit einer Silbe mir Adieu
gesagt. Sünderin, kleine.
Wohl fühlst Du Dich, vergnügt wie eine Schnee-
königin oder wie der Buchfink vor meinem Fenster.
So schrieb mir Sonja. Und so ists, hoffe ich, wahr.
Aber Vorsicht — verstehst Du? Eure Küste ist ge-
*) Bobbi wurde beim Besuche ohnmächtig:. F. P.
in
fährlich! Da kommen Minen angeschwommen und
törichte Menschen spielen mit ihnen und sie explo-
dieren und alles geht in Fetzen. Daß Du mir fern-
bleibst von solchen Dingen, nicht wahr? Und auch
sonst vorsichtig. Und artig — und freundhch —
und dankbar denen, die Dich so gut aufgenommen
haben, so vortrefflich verpflegen und versorgen.
Danke ihnen auch von mir aufs herzlichste und grüße
sie. Vergiß auch die Schule nicht — es darf kein
Zurückbleiben geben. Nicht wahr?
Ich bin wohlauf — und werde noch wohler sein,
wenn ich zuweilen von meinem Mäuschen ein
Lebenszeichen bekomme.
Viele, viele Grüße von
Deinem Papa.
16. 6. 18.
Lieber Helmi!
■Deine Abfahrt steht bevor — noch ein paar
kurze Worte:
Schicke Dich'in die Leute, auch wenn Dir vieles
fremd und unbehaglich und unerwünscht scheinen
mag: es wird nur der erste Eindruck sein. Was Dir
auch gegen den Strich gehen mag: verschlucke
Deine Bedenken — such jeden erst aus sich selbst
und seinen Verhältnissen heraus zu verstehen — so
wirst Du mit ihm leben können. Kritisiere Dich
selbst mehr als andere, so wirst Du erkennen, daß
alle Fehler der anderen auch in Dir stecken. Wie-
viele Erfahrungen derart mache ich jetzt im Zucht-
haus!
Schone die Leute auch in Politicis (natürlich
unter fester Wahrung Deines Standpunktes), wenn
sie so harmlos und unpolitisch sind wie ich vermute.
Kurz: Takt, Takt — äußeren — , noch mehr aber
inneren. Alles Kleine und Aeußerliche aus dem
Sinn. Frisch die frische, strotzende Natur genossen,
frisch das Landleben.
Du wirst bald fühlen, ob man kleine Gefällig-
keiten, ein Zur-Hand-gehen in diesem und jenem von
Dir erwartet — sei gefällig! Eventuell auch in die-
ser oder jener landwirtschaftlichen Verrichtung.
Sieh Dich um. in der Landwirtschaft,
112
suche sie zu verstehen. Das ist höchst wertvoll.
Natürlich keinen freiwilligen „Hilfs-
dienst", auch keinen Ansatz dazu.
Schule nicht vergessen! Ich will kein Zurück-
bleiben, keinen Durchfall. Arbeite systematisch.
Ein ruhiges Plätzchen drinnen (und seis in der
Scheune oder im Stall) oder draußen wirds immer
geben. So hab ich mich zu allen meinen Examini
auch vorbereitet.
Aber immer draußen hegen — wenns nicht
Feldsteine regnet. Ausflüge. Beim Baden und
überhaupt in der fr e m den Natur Vor-
sicht. Der bayerische Wald ist doch recht weit
ab. Sieh Dir auch die Städte an und Dörfer und ihre
Eigenart in Bau und Leben. Viel kannst Du seelisch
und physisch von dieser Reise profitieren. Ich weiß
nicht, wie lang sie dauern soll, aber ich hoffe be-
stimmt, daß sie nicht vorzeitig abgebrochen wird.
Mein Pflanzenbuch ist bei Delitzsch (aus Glatz!).
Das Vogelbuch benutze auf der Reise gut — hebe
die Natur — dann entbehre ichs gern. Wir müssen
stets wissen wies Dir geht! Gib regelmäßig Nach-
richt nach Hause und zuweilen auch an mich.
Dein „Jäger" (Neuere Geschichte) ist zum Teil
nicht schlecht; echt nationalliberal, aber mit diesem
Vorbehalt meist brauchbar; sogar mit hchten Inter-
vallen.
Nun leb wohl! Halte Dich tanfer und nutze die
Zeit systematisch. Alles Beste. Sei freundlich zu
allen Menschen. Ich küsse Dich.
Dein Papa.
Luckau. den 16. VI. 18.
Liebste!
Nach einer Nacht, in der mich eine fiedelnde und
stechende Mücke so beharrlich verfolgte, daß ich
veritabel von ihr träumte, am jungen frischen Morgen,
während ich durchs Fensterchen hoch in den Wolken
zwei Habichte kreisen sehe, komme ich zu Dir,
zu meiner Sonitschka. Deine beiden Maibriefe
8 113
liegen vor mir: der letzte voller Sorge um mich.
Mager soll ich geworden sein. Nun, Kurts Fach-
urteil wird diese Nebelschwaden zerblasen haben,
ich bin vollkommen in Ordnung und meine Unruhe um
Euch, speziell um Bob, hält sich doch in den Grenzen,
die einem Gatten und Papa nach Natur- und Kunst-
recht zustehen, wahrlich kein Wechselwirkungs-
unruhegrund für Euch. Und Deine iVlaßnahmen für
Bobs Gesundheit sind so glänzende Zeugnisse Deiner
Umsicht, daß jedes Wort dazu schattenhaft bleibt.
Ich bin beruhigt, mein Herz, bis auf eins: das bist Du.
Die Kinder hast Du aufs Herrlichste untergebracht,
mich fütterst Du, wie schwerlich eine andere Frau
in der Welt ihren Mann, aber was tust Du für Dich?
Könnte ich dekretieren, könnte ich um Dich sein,
Dich in meine Arme nehmen und dahin tragen, wo es
am schönsten ist. Könnte ich Dich in eine Nachti-
gall verwandeln, oder in eine glitzernde Libelle und
Du flögest durch die Gitter zu mir, und niemand
wüßte davon. „O wäre nur ein Zaubermantel mein".
Wo bleibst Du, unmöglich, daß Du etwa längere Zeit
und noch gar ohne Hilma allein in der Wohnung
sitzt ... Im Juli, in drei bis vier Wochen höchstens
ist Termin für Deinen Besuch. Ueber zwei Monate
schon seit dem letzten! Dann wirst Du mir über
alles Näheres berichten, auch von Deinen Bezie-
hungen zur russischen „Botschaft", von der Du
weißt, wie ich zu ihr stehe. Sehr freute mich Helmis
Mitteilung von der neuen Nachricht aus Rostow.
Aber ist nun regelmäßige Verbindung zu erwarten
und beiderseitige? Ich lege für alle Fälle wieder ein
paar Zeilen bei, sie sind nur kurz und trocken, aber
es darf ja nichts geschrieben werden, — auch nicht
nach der „verbündeten" „Ukraine' .
Was die Geld- und sonstige Hilfsfrage betrifft;
Es ist natürlich unerwünscht, anderen, außer den
allernächsten verpflichtet zu werden. Ich will und
kann künftig nicht an allerhand „moralischen" Ketten
hängen! Und nun? — — — Ja, Du behütest
auch meine Papiere, Manuskripte und alles.
Glaub nur nicht, daß ich das Zeug für wert-
voll halte, gar für unersetzlich, es sind viel-
leicht nur wenige brauchbare Ansätze dar-
unter, und ich möchte noch etwas Rechtes draus
114
machen. Im April brachtest Du mir ein Manuskript
mit zur Verifizierung, Natürlich sind mir so-
fort allerhand Erinnerungen daran, Ergän-
zungen und Korrekturen eingefallen. Ein Ka-
pitel ist darin vom „Dilemma"^) bitte dort
einzufügen: „Der Klassengegensatz in den so-
zialen Gegensätzen ganzer Länder und Völker, der
aber hinter dem andauernden Klassengegensatz selbst
weit zurückbleibt, oft wechselseitig ist, dauernd dem
Niveau — ausgleichenden Einfluß — kapitalistischer
und proletarischer Wanderung unterliegt und den
internationalen Charakter von Kapital und Arbeit
nicht aufhebt, die Tendenz zu seiner Betätigung eher
stimuliert!" Am Schluß heißt es etwa: „Die Expan-
sion ergreift den Produktionsbereich und den Absatz-
bereich. Sie erfolgt in einer sich ständig erweitern-
den Doppelspirale usw." Am Ende dieses Absatzes
und wohl des ganzen Kapitels füge bitte ein: „So
führt der Imperialismus, wenn ihn die soziale Ka-
tastrophe nicht vorher ereilt, automatisch zur wirt-
schaftlichen Katastrophe, Selbstvernichtung durch
Erzeugung der sozialen Macht, die ihn überwinden
wird, Selbstvernichtung durch Aufhebung seiner
eigenen wirtschaftlichen Voraussetzungen — das ist
sein doppelt besiegeltes Schicksal".
Und noch einiges Geschäftliche: Die Zeitungen
waren bis jetzt hier stets so pünktlich eingetroffeUi
die beiden letzten Male klappte es nicht, so daß ich
sie drei oder vier Tage später bekam. Das ist aber
wichtiger „sogar" als die Eßpakete, zu denen ich
gleich übergehe: Du beklagst Dich, aus keinem Brief
ZU erfahren, ob die Lebensmittel ausreichen. Aber
Sonitschka! Sie reichen, reichen, reichen — absolut.
Glaub mir doch! Nur wünschte ich, daß Ihr. daß Du,
das Bessere behältst. Du kannst nicht alles vertragen
wie ich. Was liegt mir am Geschmack — Dir liegt
daran und muß daran liegen. Insofern Du mir zu
„feine" Sachen schickst, bin ich nicht zufrieden.
Bücher. Helmi trug ich bereits auf: Müller-
Lyer, Band 2, Volney „Le Ruines" (in meinem köst-
lichen kleinen Lederbändchen und einiges andere).
*) Dilemma des Imperialismus.
&• 115
. . . Wie geht es Rosa? Sahst Du sie in
letzter Zeit? So oft Du sie siehst oder ihr schreibst,
grüß herzlich von mir. Sie muß sich gesund halten.
Und nun zurück zu Dir. Führst Du die Frei-
übungen durch? Was machen die Spaziergänge?^)
Am Stubenhocken ist Hopfen und Malz verloren!
Wäre ich draußen, ich jagte Euch raus. Und Deine
Kunstgeschichte! Hältst Du Vorträge? . . . Mir
hegt so viel an der Erhaltung und Pflege der Seele
Deiner Seele. Die Vorträge schätze ich als Antrieb
für Dich und als nützliches Werk.
Als ich jüngst das dritte Kapitel des „Ekklesiastis"
suchte: „Ein jegliches hat seine Zeit", geriet ich an
Kapitel 7 der „Sprüche" diese züngelnden
wilden Flammen in Schilderung und Diktion! Gibt's
etwas, was darüber ginge! Die Fülle der an-
dringenden Gedanken reizt immer wieder zur Zer-
splitterung, erschwert meine Hauptarbeit — es ist ja
auch gar zu wenig Zeit, die ich für mich habe — da-
bei sind jetzt die längsten Tage. Aber ich lasse nicht
nach. Kurt sah gut aus. Du schriebst, er stecke in
einem zwar kleinen Ort, aber außer der Front. Das
trifft leider nicht zu. Er ist so weit vorn, wie das bei
einem Arzt irgend möglich ist. Du mußt wissen, daß
ich von Kindheit an ihm besonders nahe stand, in
manchem sein Lehrer war, vor allem in der
Schmetterlingszucht, die ein gutes Stück unseres
Jugendglücks ausmachte.
Eben kommen die Zeitungen — prompt und ein-
schließlich Sonnabend früh. Tausend Dank. Ich
nahm schon ein kleines Schmutzbad — brr! Kind,
ich bin oft im Zweifel, ob Du die nötige Härte besitzt,
um diesen täglichen Attacken auf alles Große, Edle,
Heilige, die die jetzige Zeit bringt, Stand halten, diese
täglichen Triumphe der Feigheit, Kleinheit, Tierheit,
Knechtigkeit, alles Niedrige und ErbärmHche ertragen
zu können. Das ist ja heute die Hauptschwierigkeit.
Aber Du wirst auch da nicht versagen. Das Bewußt-
sein der Ueberlegenheit und die Zuversicht künftigen
Sieges hilft über alles hinweg. Die verstandesmäßige
Zergliederung des Geschehenden, seiner Ursachen
*) Demonstrationen. F. P.
116
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und seiner Wirkungen bietet die beste Handhabe,
schon weil sie die Anteilnahme aus der Sturm-
atmosphäre der Leidenschaft in die ruhigen Gestade
der Vernunftbetrachtung führt.
Das Tütenkleben gibt mir mehr Interesse als Du
ahnst. Ich studiere daran systematisch das Wesen
der Technik, die Psychologie des Erfindens, den Be-
griff der Geschicklichkeit. Du magst lächeln, und
sicherlich sind ähnliche experimental psychische
Untersuchungen schon oft gemacht und wohl auch
wissenschaftlich verwertet. Nur genaue Selbst-
beobachtung kann volle Klarheit geben. Jede kleinste
Bewegung des ganzen Körpers und der einzelnen
Glieder, ihre Haltung, die geringsten Modifikationen
in der Verwendung der Sinne, besonders der Augen
und des Gefühls, die Rolle der geistigen Funktionen
und des Stimmungszustandes, der Art und Ordnung
des Materials, der fortgesetzten Repitition gleich-
artiger Bewegungen, des Tempos und Rhythmus der
Handgriffe und der Beobachtung anderer und der
Belehrung durch sie und der eigenen praktischen Er-
fahrungen — unzählige Einzelheiten und Kleinig-
keiten sind's, aus denen sich schließlich eins der wich-
tigsten Bewegungsgesetze der menschlichen Ent-
wickelung ergibt, das im Kleinsten dasselbe ist wie
im Größten.
Aber bis zum Pensum habe ich's trotz aller
Theorie noch nicht gebracht. Muß immer wieder an
Mephistos Schülerbelehrungen denken — kann wohl
beweisen, daß es so sein muß — bin aber noch kein
Weber geworden. Erhoffe es aber noch. Gerade
die Einfachheit der Arbeit, macht sie wie der Beob-
achtung, so der praktischen Erlernung auch durch
Tolpatsche ä la moi zugänglich und anderwärts als
im Zudhthaus findet man nicht leicht die Muße dazu.
Heut ist der 590. Tag der Strafe, Rest 870. In
Haft 775 Tage. Bei Deinem Julibesuch werden noch
zwei bis drei Wochen bis zur Hälfte fehlen. Das
Wichtigste was ich auf dem Herzen hätte, darf ich
Dir nicht schreiben . . .
Im vergangenen Jahr plantest Du Dich in Luckau
einzunisten, hattest schon Wohnung gesucht, wie mir
die Dohlen ausschwätzten. Und bliebst doch aus.
Wie wär's mit diesem Jahr? Aber in Deine Hände
117
lege ich die Entscheidung. Leb wohl, mein Herz,
mein Liebstes, denk an Dich jetzt, für die andern hast
Du vorgesorgt und denk an mich. Ich küsse und
umarme Didh
Dein Karolus.
Grüß Jascha und alle Freunde, besonders die
beiden Franz, Klara, Käthe, Lene und die übrigen.
Beste Grüße auch Hilma, die ja jetzt auch etwas Ruhe
haben wird. Vergiß nicht, Witebskis und Frau Meyer
meinen herzlichsten Dank zu sagen.
(Ein Zettel, beim Besuch herausgegeben)
Luckau, 7. 7. 18.
Liebste,
„Rostow erinnert durchaus auch in seinem leb-
haften fröhlichen Treiben, mit Lauten- und Mandolinen-
klang während der Nacht, an Mailand und Florenz"^).
Ich male mir Dich aus - in diesem Milieu, in
Deiner Kindheit und wenn Du heut dort wärst und
alles anders wäre. Und träume davon, nun doch
noch einmal nach Rußland zu kommen und Rostow
zu sehen und durch die zauberische Krim mit Dir und
den anderen zu fahren - auf flüchtigen Tartaren-
wäglein. Und mit Dir auf dem Don zu seegeln und
den Kaukasus zu bezwingen.
Und Moskau und Petersburg ~ und Odessa und
Kiew zu erleben; mit Dir.
Heut bist Du wie ein Fisch, der an Strand
geworfen ist. Dann werde ich Dich in Deinem
Element, Deinem ureigensten sehn. In Rußland -
und in Italien.
Liebste, v/ie ich Dich zu mir wünsche -
Liebste -
Dein Karl.
Den Plan eines sozialistischen Forschungs-Instituts
entwarf ich im Herbst 1915 im Felde- in den Düna-
wäldern. Damals dachte ich an die Schweiz und
leitete die Anregung dahin -
Die „wissenschaftliche Arbeit", die Du mir neulich
0 Professor Albrecht Wirth, Deutsclie Kriegswochenschau,
herausgegeben vom Kriegspresseamt, vom 2. 6 18.
118
herbrachtest, ist dieser Entwurf - den ich teilweise bis
in's kleinste Detail ausführte, durch viele Ergänzungen
und die Umstände der Entstehung ist die Chose zum
Teil verworren und umständlich, ungleichmäßig, oft
überbreit. Leider bin ich auch nie zur Durchsicht
gekommen. Sag das den russischen Freunden, gib
ihnen Kenntnis von dem Geschriebenen - mit allen
Vorbehalten wegen Unkorrigiertheit, gib ihnen die
obigen Bemerkungen, obig in Abschrift -
Anfang August 18.
Zu Unruh's „Geschlecht".
Bei allen Vorzügen dieses Dramas, die stark s:e-
nug sind, — es ist inhaltlich, in Gedanken und Ge-
fühl noch durchaus Gährung, nicht Klärune. stellt
Rätsel hin, keine Lösungen. Man mag den Dichter
als einen Verwandten jener Weltweisen gelten
lassen, von welchen Lessing rühmt, daß sie sich
mehr Mühe geben, Wolken zu machen als zu zer-
streuen. Aber warten wir, was die anderen Teile
der Trilogie bringen. Der erste Teil sieht die Pro-
bleme „allgemein menschüch". Diese absolute ele-
mentare Seite packt Unruh so ernst wie möglich.
Aber doch nur als ein mit dem Geschicke hadernder
A.ngehöriger der bürgerlichen Gesellschaft, der seine
Faust gegen die Sterne ballt, das Weltall anklagt
und sich selbst zerfleischt, der keinen Ausweg sieht,
— fliehen möchte und nicht kann — in tatenloser
Verzweiflung zusammenstürzt, statt kämpfend zu
handeln, um eine neue Welt zu schaffen. Sekundäre
Probleme verdecken ihm das Primäre. Ueber den
Folgen erkennt er nicht die Ursachen, erkennt nicht
die sozialen Wurzeln des Furchtbaren, das ihn um-
klammert, nicht die Kraft, die sie ausrotten kann.
Dieses Werk ist das Drama der aus dem Wahne
von der Göttlichkeit ihrer eigenen Weltordnung ge-
rissenen Bourgeoisie. Doch durchbrodelt revolu-
tionär gährender Geist die ungemein konzentrier-
te und intensive Gestaltung. Warten wir. ob dieser
Dämmerung der Tag folgt.
110
Luckau, 12. 8. 18.
Liebste!
Nur zwei Sätze: ich bekam erst heute abend
Nachricht vom m.orgigen Besuch.
Für Deine Briefe und Deine Karte aus Würz-
burg vielen Dank — wie gern hätte ich Jascha ein
Wort geschickt — wo mag er jetzt stecken! Diese
Reise ist ein großes Abenteuer!
Würzburgs entsinne ich mich sehr gut — ich
habe dort nicht studiert, nur promoviert — aber auch
getollt, grad genug! Und Tiepolos Gemälde sehe ich
deutlich vor Augen! Hast Du Milton ge-
lesen? Bitte tu's. Ich schwöre Dir, Milton hat Dich
gekannt — seine Eva — das bist Du, aber bis aufs
kleinste! Du wirst's nicht leugnen — lies!
Es ist stockfinster. Ich muß schließen —
viele tausend Küsse — ich umarme Dich, Liebste. —
Dein Karl.
Allen Freunden Grüße und Wünsche. — Rosa
besonders — Mathilde und den ihren.
Luckau, 23. VIII. 18.
Liebste!
Heut früh bekam ich Deine Karte aus Saarow
und hörte von Deiner Telephonanfrage beim Herrn
Direktor. Ich bin total verblüfft — Dir gehngt, was
so leicht noch keinem gelang. Eva — Eva! Alles
hast Du in meinem Brief verstanden — alles, alles,
aber wie ists möglich, daß Du gerade diesen Punkt
nicht verstandest!^) Ich habe mich doch so klar
ausgedrückt. Offenbar hast Du ihn gar nicht recht
gelesen. Deutlich habe ich doch geschrieben, so
deuthch ich irgend kann. Aber ich wiederhole,
wenns wohl auch schon zu spät ist — nun
also nein! Die vielen Gründe, die nicht
nur für mich zutreffen, darf ich hier nicht
*) Es handelte sich um einen Vorschlag der russischen
Botschaft an die deutsche Regierung, die politischen Gefangenen
gegen einige Mitglieder der Zarenfamilie auszutauschen.
120
schreiben. — Obwohl ich sehr gern möchte, da das
Entscheidende für mich nicht das mündhch Gesagte
ist, und jedenfalls nichts Sentimentales. Heute nur
dies und daß meine Liebe zu Dir noch viel wärmer
ist, als der Brief nach Deinem Urteil war. Und daß
ich gewiß bin, Du würdest die märkische Landschaft
in Dein Herz sclüießen, wenn wir zwei sie zusamimen
durchwandern würden. Und daß ich Deine Photo-
graphie dringend und sofort will. — Warum spannst
Du mich auf die Folter? . . . Daß ich die Blocks be-
kommen habe und danke, und das französische
Lexikon (nur Reklam) (nicht größer!) bald erwarte,
daß der Merlan^) nicht eben sehr tief und gründUch
und nur auf die neuere zivilisierte Musik beschränkt
ist, leider auch Technisches, das ich suche, nicht bietet
(ich brauche ihn nämlich für meine Arbeit), daß
er aber doch viel Anregung gibt, meist von klugen
weiten Gesichtspunkten und einer selbständigen,
sehr fortgeschrittenen Geschichtsauffassung be-
herrscht ist, von der aus er gerade mir viel Anregung
bietet — wie er denn auch Rosas Urteil über
Beethoven und Schubert, in dem sie so ganz daneben
schießt, zu korrigieren helfen wird — wenn noch
einmal Stunden der Kunst für uns kommen sollten.
(Hast Du übrigens Rosa meinen Gruß und Dank
ausgerichtet?) Und daß ich die Zeitungen die letzten
Male prachtvoll pünktlich erhielt und hoffe, daß es
so bleibt und alle Freunde grüße und Dich tausend-
mal umarme und küsse.
Dein Karl.
Was — tausendmal! „So viel Zweige, so viel
Blätter, so viel Blüten — so viel mal hätt' ich
meinen Schatz geküßt", war er hier.
Noch eins, wenn Bob sehr quälen sollte, länger
als bis Oktober bleiben zu dürfen, ich würde nicht viel
einzuwenden haben. Gesundheitlich hat ers nötiger
als Helmi und von der verunglückten Hollandaffaire,
die ja ins Endlose geplant war, meint er eine erste
Hypothek zu haben. Aber ich überlasse Dir natür-
lich alles absolut.
*) „Geschichte der Musik".
121
Heut Nacht ein Gewitter von seltener Groß-
artigkeit; nach Berlin zu am ungeheuersten — ich
dachte an Dich, arme kleine Maus — wohin hast Du
Dich verkrochen?
Luckau. den 8. 9. 18.
Meine Liebste!
Jetzt habe ich Dich; in den Händen! Und laß
Dich nicht wieder los. Ais ob ich Dich nicht tausend-
mal so gesehen und umarmt hätte. Brauchst Dich
wirklich nicht zu entschuldigen, daß Du gerade in
diesem Sommer ein paar NÄ^ochen so ausgesehen
hättest. Nur das mit dem Haarwulst über der Stirn
gefällt mir nicht. Ich will Deine Stirn frei haben,
sie verdient es wirkhch. Aber kurz und bei alledem:
das war und ist eine große, große Freude, die ich Dir
nur mündlich danken kann.
Um sie anzudeuten und wegen des L Oktobers
schreibe ich heute! Ja, verehrte Gattin, ein halbes
Dutzend Jahre, wovon wir freilich knapp die Hälfte
zusammen waren. Du „reizendes Gebrechen der Na-
tur". Ist's vorstellbar, daß wir uns jem.als nicht ge-
liört haben? . . .
„Mein Schicksal hab ich unauflöslich fest
An Dich geknüpft!
Mit Dir soll Tod mir Leben sein!
Ich fühle tief im Innern meiner Brust
Von der Natur zu meinem zweiten Selbst
Allmächtig mich gezogen. —
Verlor' ich Dich, hätt' ich mich selbst verloren!"
Wäre ich frei, ich schenkte Dir die schönste Milton-
Ausgabe und wir würden uns ganz allein zusammen
auf Dein Sofa setzen und den vierten Gesang lesen.
Und am Abend wäre ich der Satan im neunten Ge-
sang, aber ein vom süßen Taumel gänzlich Besiegter.
So müssen aber Phantasien und Hoffnungen die
V/irklichkeit ersetzen. Und nun folgendes:
Herr Direktor geht vom 10. ab, wohl zwei oder
drei Wochen auf Urlaub, darum schreibe ich schon
heut und darum nur ganz kurz. Alles sonst hole ich
122
nach seiner Rückkehr nach. Otto's Besuch kann auch
in diesen Wochen steigen — er wird dann vom Herrn
Inspektor überwacht.
Unterbrechung — Ankunft der Zeitungen — aber
noch nicht gelesen. Vielen Dank ! für Deine Prompt-
heit.
Du tadelst, ich wiederholte oft dasselbe. Es ist
nicht Qreisenschwäche! Es ist Hämmern. Bis der
Nagel fest sitzt. Axtschlagen — bis der Baum fällt.
Pochen — bis Schlafende aufwachen. Peitschen.
Bis Träge und Feige aufstehen und handeln.^) Und so
— ja, es ist streicheln, bis meine Liebste meine Bitte
erfüllt und mir die Lexika schickt Ich
möchte helfen unter Opferung von tausend eigenen
Leben, mithelfen an dem Einzigen, was der russischen
Revolution und der Welt helfen kann. Verdammte
Ohnmacht. Ich stoße an die Wände.
Am Dienstag, den 3. 9. erhielt ich „Marx",^) ich
war mehrere Tage tief aufgewühlt. Den zweiten
Teil, den ich noch nicht kannte, las ich schon zwei-
mal. Die Darstellung zeigt wiederum den Qlanz der
unübertroffenen Meisterschaft. Mein Urteil über den
ersten Teil kann ich nur auf ihn ausdehnen. Leider
darf ich ja dieses und wie gewaltig meine Freude
war, Freund Mehring nicht schreiben, aber sage es
ihm und nochmals meinen herzlichsten Dank und daß
ich mich über manches, wo ich sachlich etwas ab-
weiche, mit ihm — wie seit langem ersehnt — noch
hoffe aussprechen zu können — in besserer Zeit!
Und daß ich eine Rettung des alten Blanqui wünschte,
der es nicht weniger verdient wie Bakunin, wenn
er auch persönlich nicht so mitgenommen und ver-
schandelt wurde, wie dieser. Und grüße bitte beide
Mehrings und alle, die keine Schlafmützen sind. Dir
meine zärtlichsten Küsse.
Dein Karl
^) Dieser Brief, zwei Monate vor dem Beginn der Revo-
lution geschrieben, ist Karl Liebknechts letzter Ruf aus dem
Zuchthause: ein Ruf zur Revolution, ein Alarm, der russischen
Revolution beizustehen.
a) Franz Mehrings Marxbuch. F. P.
123
I
A N H AN G
„GEGEN DIE FREIHEITSSTRAFE"
Ein Entwurf
Frühjahr 1918
Man müßte die Gefangenen mit den Menschen,
der Gesellschaft verknüpfen. Statt dessen trennt
man sie radil<:al von den Menschen, schneidet sie
vollends von der Gesellschaft ab und selbst von
ihrer Familie entfernt man sie. Man müßte sie mit
den allgemeinen Interessen verbinden, verflechten
— statt dessen entfremdet man sie, selbst ihre
Kenntnisse immer weiter von diesen Interessen,
durch künstliche, gewaltsame Isolierung: Keine
Kunde von der Außenwelt, außer dem Persön-
lichsten ; keine Zeitungen (im Krieg Aus-
nahme für Kriegsnachrichten).
Man müßte ihnen die idealen Interessen näher
bringen, sie damit tränken — injizieren — statt
dessen wird die geistige Beschäftigung — Lektüre
usw. als „Vergünstigung" betrachtet (statt sie als
ßildungs- und Erziehungsmittel zum^ System zu er-
heben) und als lästig. Die Freizeit, die für die
„Zucht" (Selbstzucht) jedenfalls nicht minder
wichtig als die Arbeitszeit, wird so knapp, wie
irgend möglich zugeschnitten.
Man müßte sie systematisch an Selbständigkeit
gewöhnen („Erregen" der Selbständigkeit, vergl.
Wilh. Meisters Lehrjahre V. 16), statt dessen zer-
bricht man dem, was an Selbstständigkeit in ihnen
steckt, systematisch alle Knochen, lenkt sie, drängt
sie, soweit unzerstörbar, ins Unterirdische, Heim-
hche, in die niedersten Regionen, die guten Keime
mit den schlechten korrumpierend, pervertierend,
vergiftend.
Man müßte sie an („freien") Verkehr mit edlen,
pädagogisch gewandten Menschen gew^öhnen —
ihnen solchen Verkehr zum Bedürfnis machen, statt
dessen werden sie nur der schädlichsten gegen-
seitigen Beeinflussung, der gegenseitigen Verderbnis
ausgesetzt (Schiebungen — noch das Harm-
loseste), im übrigen fast stets nur als Objekt be-
handelt; die Beamten treten ihnen, von Ausnahmen
abgesehen, nicht nahe, sind zumeist auch pädago-
gisch ganz unfähig (ä la Militär). Schematismus
127
und Massendrill statt individueller Behandlung,
Mißtrauen auf Schritt und Tritt, statt Vertrauens.
Man müßte sie an Offenheit und Vertrauen ge-
wöhnen und so alles Gute herauslocken und pflegen.
Statt dessen werden sie zur Heimlichkeit —
Heuchelei, Verstocktheit, zu unterirdischem Seelen-
leben und auch zu unterirdischer Führung des
äußeren Lebens, zu einer höchst giftigen Heim-
lichkeit dressiert, gedrängt durch die schematische
Behandlung.
Man müßte die Rudimente ihres Selbst-
vertrauens behüten und planmäßig ausbauen, statt
dessen wird es planmäßig zerdrückt, ausgerottet.
Man müßte sie individuell behandeln und er-
ziehen — statt dessen werden sie schematisch ge-
preßt und geschliffen.
Man müßte sie an eine Lebensführung ge-
wöhnen, wie sie exemplarisch auch für das Leben
in der Freiheit ist — statt dessen kommandiert
man eine Tageseinteilung, die (abgesehen von der
Arbeit) ganz anormal, ja unmöghch ist — ein
Hemmschuh jedes wertvollen Tätigkeitsdranges,
eine Erstickung aller strebsamen Regungen und
fördert durch frühes und langes ins Bett zwingen,
durch lange Dunkelheit (im Krieg künstliches Licht
äußerst gespart) alle erdenklichen Lotterneigungen.
Man müßte diese an sich sozial geschwächten
Individuen zum freien Kampf ums Dasein stärken,
kräftigen, aufmuntern, — statt dessen werden sie
korrumpiert, ihre Kräfte untergraben. Man müßte
alle Keime von Selbständigkeit in ihnen pflegen —
statt dessen werden sie zertreten, so daß sie sich
in der wiedergewährten Freiheit wie unvernünftige
Kinder aufführen, sie zum Austoben benutzen.
Selbst ihre Arbeit ist gar oft Pfuscharbeit für
Schmutzkonkurrenz — keine ordentUche Lehre. • —
Man sollte sie eng an die Familie ketten —
statt dessen löst man sie auch von ihr, zum schweren
Schaden meistens auch der Familie.
Man sollte sie für ihre Familie sorgen, arbeiten
lassen, statt dessen verkommt die Familie.
Man sollte ihre sohdarischen, sozialen Neigun-
gen locken und kräftigen, statt dessen wird
niedrigste, kleinlichste Selbstsucht großgezogen,
128
0)
selbst ein großzügiger Egoismus durch Verkrüpne-
lung ins Kleinste, Qequetschteste noch tiefer ver-
schandelt.
Man sohte ihnen nach der Entlassung alle
Wege ebnen, alle Tore öffnen — zum Empfang des
einprozentigen reuigen Sünders (mehr Freude im
Himmel über einen davon, als über 99 Gerechte!!)
— statt dessen bleiben sie stigmatisiert, finden keine
Arbeit, die Arbeiter weigern oft Zusammenarbeit
mit ihnen — auch die „Fürsorge" zeigt die ganze
Hilflosigkeit der heutigen Gesellschaft im Kampf
gegen das Verbrechen, fesselt und stigmatisiert
und ist in ihrer heutigen Form ein Krebsschaden,
eine Kette, die der Entlassene am Fuß schleppt
(nicht viel besser als Polizeiaufsicht) — byzanti-
nische, heuchlerische, kriechende, devote, bigotte,
scheinheiUge, anschmiererische Kreaturen er-
zeugend, fördernd — keine Charaktere, die eben
nur durch Stählung, als Produkt eines eignen
Kampfes, nicht durch süßliche Qnädigkeit und Wohl-
wohen, nur durch Veredelung des Trotzes, nicht
durch Knickung aller Rippen und Zerrung aller
Sehnen entwickelt werden können, nur in eigner
Arbeit des Kriminellen, nicht von oben herab, wie
ein Segen, nur aktiv, nicht passiv, nur sozusagen
revolutionär im Kriminellen selbst, nicht aufgeklärt
— despotisch durch obrigkeitliche Beglückung. In
wie weit könnte auch hier Selbsthilfe, Organisation
etc. der Entlassenen selbst auch nützen? Diesen
durch Kampf gegen die Ursachen des Verbrechens
zur aktiven Regeneration verhelfen?
Kurz: die soziale Schwächung der Kriminellen
^\ ird statt behoben oder gemildert, vielmehr mächtig
verschlimmert und durch die soziale Schwächung
oder gar Zerstörung der hilflos gebliebenen Familie
ins Rettungslose gesteigert — circulus viciosus der
Freiheitsstrafe — am meisten gerade der von
Krohne, Finkelburg u. a. sonst oft Einsichtsvollen ge-
rühmten, wenigstens bevorzugten — langfristigen —
Einzelhaft. (Außerdem: Schmutz- und Schleuder-
konkurrenz, Pfuscharbeit etc.) Keine Rede meist
auch nur von technischer Schulung für einen künf-
tigen Beruf, gar vielfach sogar Zerstörung vorhanden
gewesener und vor der Strafe praktizierter Fertig-
129
keiten — durch Entwöhnung (mangelnde Uebung)
oder Pfusch-Korruption — besonders verderblich für
Jüngere, beruflich noch nicht konsolidierte, die so
beruflich oft vöUig wurzel- und haltlos bleiben oder
werden und für Aeltere — der Ausgangs-
schwelle sozialer Verwertbarkeit
nahestehende. —
Man zwingt sie zur Arbeit, aber in einer Weise,
die die Arbeit statt zu einer Lust zu einer Last
machen muß — Hausordnung: der geringe Verdienst
lohnt diese kaum! Nur Geschenk — kein Recht —
erst nach drei Jahren Eigenverwendung zulässig und
erst bei über 30 Mark nur 1 Mark pro Monat. Also
ganz wertlos für meiste Fälle. Disziplin- Strafen:
Ketten, Prügel (noch praktisch), Simulationsriecherei.
Arztversorgung: Lazarettgehilfe!! (Keine Ahnung!!)
Man erzwingt eine gewisse Regelmäßigkeit des
äußeren Lebens, aber eine unnatürliche und peinliche,
die in der Freiheit nirgends Gewohnheit, Selbstver-
ständhchkeit, ja nur Möghchkeit sein oder werden
kann, vielmehr so, daß diese „Ordnung" nach der
Entlassung schleunigst wieder abgelegt werden muß
und also mit Recht nur als eine lästige Fessel emp-
funden wird.
Man verhindert gewisse verwerfhche Handlun-
gen, aber mit Mitteln, die diese Verhinderung nicht
zu einer Art freier Entschließung entwickeln, sondern
das Unterlassen stets nur als erzwungen, als pein-
lichen, widerwillig erduldeten Zwang empfinden
lassen, w^eit davon entfernt, sie zu einem Ausfluß
freien, selbständigen Willens oder auch nur zu einem
Verhalten der Gewohnheit werden zu lassen.
Man müßte einem Weiterfressen des Uebels vor-
beugen — statt dessen wird nur allzu leicht (es ist
alles darauf angelegt) dem einen Sünder die ganze
Familie in den Abgrund nachgeworfen, w^ährend die
Strafanstalt selbst einen kriminellen Seuchenherd
(Ansteckungsherd) erster Klasse bildet und alle
Fehler und Laster der Schwachen, der Gedrückten,
Getretenen, Rechtlosen wie auf einem Mistbeete
noch hinzugezüchtet werden (Kriecherei, Heimtücke,
Angeberei, Mißtrauen, Neid, Lügenhaftigkeit) ahe
Energie nach Kräften ertötend oder doch dämpfend,
drückend, stumpfend — statt die falsch gerichtete
130
geschickt nur in rechte Bahn zu lenken! Alle Initia»
tive nach Kräften ausrottend, ausbrennend, die Ge-
fangenen nur als willenlose Werkzeuge in der
souveränen Gewalt anderer, der Beamten ohne jede
Selbstbestimmung behandelnd und so gewöhnend.
Und auch im Uebrigen alles darauf angelegt,
diese unseligen Menschen für den Kampf ums Dasein
in der Freiheit wehrlos, statt wehrhaft, hilflos statt
kräftiger zu machen.
So bleiben aller Versuche der „Resozialisie-
rung" des Verbrechens durch die Freiheitsstrafe
nicht nur fruchtloses, aussichtsloses Bemühen, ein
verzweifelter prädestiniert vergeblicher Kampf,
echteste Sisyphusarbeit und bestenfalls ein frommer
Wunsch „humaner" Schwärmer, sondern das Proto-
typ eines circulus viciosus. Sie können nicht ver-
hindern, daß das Uebel, das man beseitigen möchte,
beseitigt oder auch nur verringert, es wird ver-
größert und vom Schuldigen auf Unschuldige über-
tragen, die in vermehrtes Elend und Verachtung ver-
sinkend um. so leichtere Beute nicht nur der körper-
Uchen Verderbnis und geistig-seehscher Zerrüttung,
sondern auch des Verbrechens, der Prostitution
werden.
Das Verbrechen als soziale Erscheinung kann
nicht isoliert, sondern nur im sozialen Gesamtzu-
sammenhang aus dem es — als der Eiter aus einer
schwärenden Wunde der Gesellschaftskonstitution
— geflossen ist und dauernd fließt und nur mit so-
zialen Mitteln bekämpft werden — durch Beseitigung
seiner Ursachen, Verstopfung seiner Quellen, durch
Bekämpfung des Elends in allen Gestalten, der Un-
wissenheit, der Verwahrlosung, durch Vermehrung
der Selbständigkeit, der freien Energie und des
offenen Selbstgefühls.
Dabei kann alle „Erziehung" und psychisch-
geistige Einwirkung nur dann ein ernstes, bleibendes
Resultat zeitigen, wenn die sozialen Vorbedingungen
dazu geschaffen werden.
9» 131
Karl Liebknechts letzter Zettel.
Berlin, 10. 1. 19.
Liebste!
. Ich hoffe Ihr seid wohl und nicht unruhig um
mich. Ihr werdet mich bald sehen und täghch Nach-
richt haben. Helmi war heut früh nicht zu Haus?
Ich küsse Dich vielmals und umarme Dich, Liebste.
Dein Karl.
Küsse den Kindern. Viele Grüße allen, auch
Hilma.
I!
132
NACH
•w
ORT
VON FRANZ
P F
E M F E R T
Als gedungene Hände einer vertierten Soldateska
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg meuchlerisch er-
mordeten, wurde die deutsche Revolution katastrophal
getroffen: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren
nicht nur mächtigster Wille, waren nicht nur unbeirr-
bare, klarste, entschiedenste Kämpfer des revolutionären
deutschen Proletariats, — sie waren Glanz und Reich-
tum, Gewissen und Gewißheit, Hoffnung und Erfüllung,
Geist und Tat allen Bedrückten der Erde.
In dem Dokument „Das Zuchthausurteil" lebt der
Karl Liebknecht, den die Massen sahen, den sie geliebt,
wie Führer selten geliebt worden sind; lebt der un-
beugsame Revolutionär, der, ganz Schwert und Flamme,
die Sache der betrogenen, ausgebeuteten Menschheit
zum Siege bringen will.
Das vorliegende Buch hat die Aufgabe, das Bild
Karl Liebknechts zu ergänzen, zu verdeutlichen, ihm
jene Züge einzuzeichnen, die nur Denen vertraut sind,
die das hohe Glück hatten, dem leidenschaftlichen
Kämpfer persönlich nahe zu stehen. Der Geschichte
soll das Bild vollkommen übergeben werden: Das
rechtfertigt die Herausgabe dieses Werkes nicht nur, das
läßt alle privaten Gefühle und Hemmungen zurücktreten
und macht diese Publikation zwingend notwendig. Das
Proletariat hat ein heiliges Recht, Karl Liebknecht ganz
zu kennen, wie seine Gestalt in der Zukunft leben
wird. Denn er, der sich im Dienst des proleta-
rischen Befreiungskampfes rücksichtslos verschwen-
dete, der mit jedem Tage der Revolution als Führer
und Mensch über sich selbst hinauswuchs, er wird in
diesem Buch recht in seiner vollen Größe sichtbar. —
Erst der nahe Umgang mit ».öffentlichen Menschen"
kann uns ihren wahren Wert absolut offenbaren. Wer
Karl Liebknecht persönlich nahe gewesen ist, der wird,
135
ist er kein seelischer Krüppel, jene Stunden als das
lichteste Erlebnis aufbewahren durch seine restlichen
Lebenstage hindurch. Liebknecht, der harte Streiter,
besaß eine geistige und künstlerische Intensität, eine
Reinheit und Wärme des Gefühls, die die Masse nur
ahnte. Und wenn heute „Intellektuelle", denen ihre
bürgerliche Bequemlichkeit zu kostbar ist, um
aufzugehen im Dienste für die Arbeiterklasse, sich
hinter den Deckmantel des „Geistes" verkriechen, wie
wirken sie dann armselig neben einer Erscheinung wie
Karl Liebknecht, der sein ganzes privates Wohlbefinden
freudig opferte, der all seine vielartigen tiefen Neigungen
zur Literatur, zur Kunst, zur Musik, zur Natur ohne
Schwanken preisgab für das Eine: Befreiungsarbeit für
Jene, denen eine verbrecherischeGeselischaftsunordnung
nur Not und Elend gibt.
Der Karl Liebknecht, der, abgehetzt, totmüde um
12, um 1 Uhr nachts heim kam, sich dann ans Klavier
setzte, um noch einige Minuten Chopin oder Beethoven
zu spielen als Abschluß des Kampftages: das ist der
Karl Liebknecht, der aus dem vorliegenden Buche uns
entgegentritt. Diese Briefe, geschrieben im schmutzigen
Kittel des Armierungssoldaten und in der Sträflings-
kleidung des Zuchthäuslers, - geschrieben für die
nächsten, liebsten Menschen, die Karl Liebknecht hatte,
geben den ganzen Mann. Neben der Lauterkeit, Reinheit
und Zartheit in persönlichen Angelegenheiten, von denen
jedes Wort zeugt, ist es immer wieder die unermüdliche
innere Teilnahme am Kampfe, die hervorbricht, selbst
wo sie, wie unter der Zensur des Zuchthauses, unter-
drückt werden soll.
Heroisch, überwältigend wirken die Lebensäuße-
rungen, die aus der Luckauer Strafanstalt kommen.
Streng abgeschlossen von der Außenwelt, angewiesen
auf die dürftige Lektüre, die die „Hausordnung" dem
Sträfling erlaubt, nur alle drei Monate eine rasend
eilende Besuchsstunde, nur alle drei Monate die Frei-
heit zu einem Brief, und trotz diesem fast völligen
Begrabensein: ein stets energisches Reagieren auf jedes
Ereignis da draußen, ein vulkanisches Miterleben des
Lebens da draußen, ein unerschütterlicher heiliger
Glaube an die Zukunft trotz alledem, — das ist Karl
Liebknecht hinter Zuchthausmauern.
Die Briefe konnten natürlich nicht in aller Klar-
136
Karl Liebknechts Grab in Friedrichsfelde (Juni 1919)
heit und Deutlichkeit Stellung nehmen zu den Er-
scheinungen der Zeit, meist mußte es ein Zwischen-
den-Zeilen-schreiben, ein Umschreiben, ein Andeuten
bleiben. Aber in engster Schrift bis auf das letzte weiße
Fleckchen vollgeschrieben, sprühen die Seiten von
Feuer, suchen sie vorwärtszustoßen, sind sie Kampfes-
mut und Zuversicht.
Für diesen Löwen im Käfig waren Widerstände
nur Antrieb zu gesteigertem Kräfteanspannen. Er hat
die Zuchthauskieidung nicht deshalb erhalten, weil er am
I.Mai 1916 auf dem Potsdamer Platz sein „Nieder mit
der Regierung", „Nieder mit dem Krieg!" gerufen: die
Zuchthausjahre sind nicht einem Angeklagten
als Strafe, sondern dem unerbittlichen Ankläger
als Rache auferlegt worden von der militärischen
Mörderklique, über die Karl Liebknecht zu Gericht
saß. Karl Liebknecht hatte den Prozeß durchgekämpft,
hatte vernichtendes Material wider die deutschen Kriegs-
macher zusammengetragen, hatte eine Abrechnung von
welthistorischer Bedeutung vorgenommen, um dem
deutschen Volke zu zeigen, wie es belogen und ver-
raten ward. Aber die Presse, wie stets völlig auf
Lakaiendienste dressiert, unterschlug^ den Prozeßbericht;
kein Wort drang an die Oeffentlichkeit. Doch Karl
Liebknecht hatte auch dies vorausgesehen: war die
Wahrheit verhindert, legal zu wirken, dann mußte der
illegale Weg ihr gebahnt werden. Und deshalb kommt
Karl Liebknecht immer wieder zurück auf das „Ordnen
der Bibliothek" - auf die Herausgabe des Dokumentes
„Das Zuchthausurteil". Die Lüge darf nicht weiter-
wuchern, darf nicht triumphieren ! -
Und Karl Liebknecht erlebte den Tag, da die Lüge
jämmerlich zusammenbrach.
Die Revolution, die er ein Leben lang mit allen
Fasern seines Herzens herbeigesehnt, die er, auf dem
gefährdetsten Posten stehend, jahrelang mitvorbereitet
hatte, die Revolution begann.
Die Wahrheit, das Menschenrecht zum Siege zu
bringen, die zusammenbrechende morsche, schuldige
Gesellschaftsunordnung zu beseitigen, den Sozialismus
in die Tat umzusetzen, das war das Gebot der Stunde.
Wie immer stand Karl Liebknecht voran. Haß
und Wut und Verleumdung umbrandeten ihn. Die
Bestie wurde auf ihn gehetzt. Von den Litfaßsäulen
137
Berlins peitschten Plal^ate auf, ihn zu vernichten, ihn zu
morden. Alle Gemeinheiten, deren eine verfaulte Ge-
sellschaft fähig ist, wurden gegen Karl Liebknecht ver-
sucht. Doch er, der ja während seiner Kämpferjahre
und, besonders, während der Kriegszeit der Meute
standgehalten hatte, trotzte auch diesen Angriffen mutig,
jetzt, da es den letzten, den entscheidenden Kampf galt.
Noch am Morgen des Tages, an dem bezahlte
Subjekte seinen Körper töteten, rief Karl Liebknecht
siegesgewiß den Feinden zu:
„Unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest
und stolz dahin bis zum Ziel. Und ob wir dann
noch leben werden - leben wird unser Programm;
es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen.
Trotz alledem!"
Und das Programm lebt! Lebt und wirkt allüber-
all, wo revolutionäre Arbeiter sich zum großen End-
kampf formieren. Karl Liebknecht! Gehet hin auf
welchen Fleck dieser gemarterten Erde immer und
rufet den Unterdrückten diesen Namen zu: die Pulse
werden lebendiger pochen, Augen, von langer Arbeits-
frohn matt, werden hoffnungsfroh aufleuchten: Karl
Liebknecht gibt ihnen die Gewißheit des Sieges -
Denn er fiel unbesiegt. Und seine Waffen
sind nicht zerbrochen. - Nur ein Herz zerbrach.
138
INHALT DIESES BUCHES
BRIEFE AUS DEAI FELDE 7
BRIEFE AUS DER UNTERSUCHUNGSHAFT .... 39
BRIEFE AUS DEM ZUCHTHAUSE 47
ANHANG:
Entwurf „Gegen die Freiheitsstrafe" 125
Karl Liebknechts letzter Zettel . 132
NACHWORT von Franz Pfemfert 133
BILDBEIGABEN:
Karl Liebknechts Porträt aus dem Jahre 1913 .... 3
Karl Liebknecht achtzehnjährig 5
Karl Liebknecht als Armierungssoldat 1915 7
Karl Liebknecht, 6 Jahre alt 33
Karl Liebknecht, 13 Jahre alt 34
Das Zuchthaustor von Luckau (Mark) 49
Facsimile eines Briefes aus dem Zuchthause .... 117
Karl Liebknecht in den Revolutionstagen Dezember 1918
in der Berliner Siegesallee redend ....... 129
Karl Liebknecht, ermordet, auf dem Totenbett . . . 136
Das Grab in Friedrichsfelde im Juni 1919 .... 137
(Nach einem Gemälde von Max Treitel)
A A AI E R K U N G E N
Die Briefe sijid an Sophie Liebknecht, Karl Liebknechts
szveite Fran, und a7i die Kinder erster Ehe geschrieben
tuorden.
In der Urschrift haben die persönlichen Eürxvörter der
Anrede kleine Anfangsbuchstaben.
Kiirzunzen sind durch vier Punkte angedeutet.
POLITISCHE AKTIONS -BIBLIOTHEK
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