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SR ae ame!
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ben die e 5
wicneriſche Schaubühne *
N aus dem Franzsſiſchen überſetzt. .
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Me quoque quod monui, bene multa
fideliter, odit,
Ovidius. »
bey Jo ſepho Kurtzboͤck, auf dem Hofe 1768.
5 0
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LEHE RE NEE
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5 ab
Briefe
wiener! eh: Sbaeubüöhr
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aus dem franzoͤſiſchen uͤberſetzt.
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Wien: den 24. Wintermonds
5 1 76 2
f Mein Herr!
e
in
& Die Geſchaͤffte, die meine Reiſe EN
M, anlaſſet haben, fangen endlich an,
eine vortheilhafte Geſtalt zu gewinnen.
Künftig, Freund! wollen wir uns nicht mehr
uͤber die Unzugaͤnglichkeit, die ſteife und be⸗
leidigende Amtsmine, und die Verkaͤuflich⸗
keit der kleinen und kleineren Komiß in Pa⸗
ris beſchweren, die, da ſie ſonſt ſo wenig
in der Welt zu bedeuten haben, ſich in den
verworfenen Augenblicken ſehr wichtig zu
machen wiſſen, in denen ein ehrlicher Mann
sat. Dit ih⸗
70
ihrer noͤthig zu haben ſcheinet. Wien gleicht,
wenigſtens in dieſem Stucke, Paris vollkom⸗
men Sie finden hier in dem krzimmer eines
jeden H. fr. .. fo ein Geſchoͤpf, das dür ch
ſeinen Stolz, und einen magiſtrats maͤſſg i
zuruͤckgebogenen Nacken den kleinen Komiß
fpielt: und wehe demjenigen, der nicht ſo⸗
gleich das Laͤcherliche dieſes Maͤnnchens
aufzudecken, und den Nebel der Wichtigkeit,
in den es ſich einhuͤllt, zu zerſtreuen weis!
es wird ihm den Zutritt zu dem Manne
durch hundert Raͤnke und Vorſpieglungeg
verſtellen, und ihn uber ſeine Geſchaͤffte aus⸗ |
holen, und ſich wohl gerne das Anſehen
eines Fuͤrſprechers und Beſchuͤtzers geben
wollen. Sie kennen mich: ich bin gewohnt,
ſolchen unnuͤtzen Geſchoͤpfen uͤber den Leib
wegzuſpringen, wenn fie nicht freywillig bey
Seite treten. Ich habe daher meine Ange⸗
legenbeiten geſchwinder in Gang gebracht,
als man es ſonſt hier erwartet.
| Und
8
Und nun bin ich ganz unbeſchafftiget. Die
Sehenswuͤrdigkeiten dieſer Stadt find bald
erſchoͤpfet. Das ſehenswuͤrdigſte derſelben
iſt ein Hof, der ganz Schönheit, ganz
Leutſeligkeit if, Ich habe die Fuͤrſtinn ges
fehen, die das allgemeine Wehklagen rechtfer⸗
tiget, welches die Nation uͤber der Gefahr
erhub, womit ihre Tage bedrohet wurden.
Ich habe den Fuͤrſten geſehen, der den rich⸗
ligſten Weg zur Unſterblichkeit waͤhlet, da
er ſeine Größe in ſich felbſt ſuchet. Ich
habe die Grazien in einem Kreiſe mit zween
Liebsgoͤttern gepaaret, geſehen. Ich moch⸗
te um diefer allein Willen meine Reiſe nach
Wien unternommen haben.
Die Bildergalerie kann Leuten, die aus
Frankreich kommen, und die Galerie des
Couvers, und im Pallaſte Luxemburg ges
fehen haben, nicht außerordentlich ſcheinen.
Der praͤchtige Buͤcherſaal, deſſen ſchoͤne
| Malerey von dem berühmten deutſchen Al⸗
„ %ͤöÜO—ö Vene
| 4
terthumskenner, Hrn. Winkelmann einem epi⸗
ſchen Gedichte verglichen worden, iſt in et⸗
nem bedaurenswuͤrdigen Zuſtande, weil
durch ein Verſehen, feine Grundfeſte, um ei⸗
nes kleinen Nebengebaͤudes wegen, untergra⸗
ben worden. Die Akademie, welche Wills
Genie und Kunſt in dieſe Gegenden verpflan⸗
zen ſoll, iſt noch erſt in ihrer Kindheit; und
die andere Akademie der bildenden Kuͤnſte
erhält ſich kaum dem Namen nach. Sie
finden zwar einzelne geſchickte Maͤnner, hie
und dort Talente; aber man weis dieſe Fun⸗
ken noch nicht zuſammzuhalten, um Licht
über die geſammte Nation zu verbreiten.
Die Kuͤnſte ſtehen nicht in derjenigen Ach⸗
tung, die, mehr als Reichthuͤmer, den faͤhi⸗
gen Mann aneifern koͤnnen. Ein Maler,
glich er auch einem Raphael, wuͤrde in dem
Vorzimmer des ſtolzen Großen, mit der
Schaar der gemeinen Handwerker vermengt,
warten muͤſſen, bis die Reihe an ihn kaͤ⸗
me,
0
me, mit dem Haus hofmeiſter feine Rechnung
abzuthun. Talente geben hier nicht, wie
bey uns, eine beſondere Unterſcheidung; und
weniger noch einen Zutritt in die Geſell ſchaft
des hoͤhern Adels: und man wundert ſich,
wenn die jungen Kuͤnſtler keine Vanloos,
die Gelehrten keine Alemberts, die Dichter
keine Chaulieus und Grekours werden? —
Ich habe, wie ſie mich kennen, mich in
allen Geſellſchaften nach den Gelehrten die⸗
ſer Stadt umgeſehen; ich fand keinen. Ich
erkundigte mich darnach. Haben Sie denn
nicht einige Maͤnner, die in dem Reiche
der wiſſenſchaften berühmt find? — Wir ha⸗
ben derer welche — Ich vermuthete ſie alſo
hier, oder in ſolchen Geſellſchaften anzu⸗
treffen — Sie haben geirret: unſre Ge⸗
lehrten kommen nicht unter uns — Und die
Urſache / wenn ich bitten darf — iſt, weil
unfte Kreiſe für fie ausſchluͤſſend find — Ich
begreife das nicht wohl: die Kreiſe des
A 3 Adels
Adels wären für die Gelehrten aus hläß
ſend — Ja — Sind denn die Gelehr⸗
ten zu fiolz , den Adel ihres Ungangs
werth zu halten? —Man laͤchelt „und ſagte
mir mit einer hoͤhnenden Verbeugung: nein
aber wir, wir ſind ſo beſcheiden, uns der
Ehre ihres Umgangs nicht wuͤrdig zu ſchaͤ⸗
tzen — Nun verſtand ich es. Alſo, fuhr
ich fort, wurde der Thorſteher / Volcaͤ⸗
ren / im Fall er hieher käme, die Thuͤre
verſagen — Un Vergebung, mein Herr!
dieſe Ausſchluͤſſung ſchraͤnkt ſich nur auf die
Gelehrten der Nation ein: wir haben einem
Metaſtaſto nie unſre Thuͤre verſchloſſen —
Das iſt aber, verfolgte ich, ein ſicheres
Mittel / unter ihren Gelehrten nie einen
Voltaͤr oder Metaftafio zu haben — Das
mag ſeyn! verſetzte man mit vieler Gleich⸗
guͤltigkeit; aber um einen Voltaͤr unter uns
zu erzielen, duͤrften wir uns ſchwerlich ent⸗
ſchluͤſen, den Bruͤdern und Oheimen unſcer
Dienſt⸗
Dienſtleute in unſeren Kreiſe
ſetzen zu laſſen. |
Die wieneriſchen Tunderdentronks verur⸗
£heilen ſich alſo ſelbſt zudem Umgange mit
bloß Hochgebohrnen .; und bannen die
Gelehrten zugleich auf lebenslang an ihre
Schreibpulte hin, da fie, aus dem natuͤr⸗
lichen Zuſammenhange der Urſachen und
Wirkungen, die gewiſſe Ungelenkſamkeit,
das geſchraubte Außenwerk, und den alt⸗
fraͤnkiſchen Bug annehmen muͤſſen, der be⸗
ſonders die Gelehrten Deutſchlandes unters
ſcheidet, und ihre ſonſt liebenswuͤrdigen
Talente für den Umgang und die Geſellſchaft
unbrauchbar machet.
So gar legen ſie es einem Manne, deſſen
Berufsgeſchaͤffte die Wiſſenſchaften ſind, als
ein Verbrechen aus, wenn ſein Kleid nach
einem neueren Schnitte, feine Strümpfe und
Stirne ohne Falten ſind. Man ſollte glau⸗
hen, die Gelehrten hier zu Lande waͤren be⸗
A 4 ſtimmt
n einen Stuhl
8
ſtimmt, den verlegenen und aus der Mode
gekommenen Waaren den Abzug zu verſi⸗
chern; ſo ſehr bleiben ſie in ihrem Anputze,
wie in ihren Meynungen, bey den vorüber
gehenden Jahrhunderte. Anathema dem
Neuerer, der es wagte, von dem Duͤnkel ſei⸗
nes Uraͤltervaters abzugehen, und an der
Unfehlbarkeit der ehrwuͤrdigen Vorfahren zu
zweifeln! Ich habe ihn — der denken, nicht
glauben wollte; der dafuͤr hielt, weil es ek⸗
laubt geweſen waͤre, die Zahl der Knoͤpfe
an den Roͤcken zu vermindern, ſo moͤchte es
wohl auch nicht unerlaubt ſeyn, die Vorur⸗
theile zu verringern, ich habe ihn, mit dem
Banne aller Herren in us belaſtet, in einer
ſittlichen Karikatur auf der hohen -
ausſetzen geſehen.
Mit einem Worte; die deutſchen Gelehr⸗
ten uͤberhaupt (denn es giebt doch eine, aber
nicht ſtarke Ausnahme) uͤberhaupt aber ſind
ſie ſonſt nichts als Gelehrte. Die Wiſſen⸗
ſchaf⸗
ſchaften und Grazie des Umgangs werden als
Eigenſchaften, die miteinander unvertraͤglich
ſind, betrachtet. Die ſchoͤnen Geiſter machen
daher nicht, wie bey uns, die Zierde, und das
Vergnuͤgen der artigſten Geſellſchaften aus,
auf deren Freundſchaft Herzoge und Fuͤrſten
ſtolz thun, deren Umgang fie durch wettei⸗
fernde Verbindlichkeiten ſich ſtreitig machen;
und ein Fremder, der ſie beſucht, wird in ei⸗
ner unfruchtbaren Unterredung; die noch da⸗
zu auf Handwerksſachen hinauslaufen muß,
wo der Auftritt nicht eine engliſche Scene
werden ſoll; kaum wird er fuͤr ſeine Neugier⸗
de ſchadlos gehalten.
Indeſſen erlauben mir meine Geſundheits⸗
umſtaͤnde bey dieſer Witterung nicht, von
hier abzugehen; und ich ſaͤhe einen traurigen
Winter vor mir, wenn nicht die Schaubuͤh⸗
ne mir wider die lange Weile eine Zuflucht
anboͤte.
A 3 | Die
70
Die Schaubuͤhne iſt von jeher meine Lieb⸗
lingsergöͤtzung geweſen: in Wien wird ſte einem
Fremden, der nicht Luſt hat, ſich durch die
Karte zu Grund zu richten, vollends unent⸗
behrlich. Meine Abende ſind alſo fuͤr die⸗
ſelbe beſtimmet; und ein guter Theil meiner
Tage ſoll dann verwendet werden, Ihnen uͤ⸗
ber die Schauſpiele, und die Schauſpieler /
das iſt: uͤber die Stücke, und ihre Auffaͤh⸗
tung meine Betrachtungen mitzutheilen.
Dieſe Betrachtungen werden mich manch⸗
mal auf die Juſchauer / und auf das Gefühl /
und den Geift der Nation ſelbſt leiten: denn
nichts iſt ausgemachter, als daß man von dem
Geſchmacke der oͤffentlichen Ergoͤtzungen auf
den Geſchmack eines Volkes fuͤr die Wiſſen⸗
ſchaften und Kuͤnſte, und, bis auf einen ge⸗
wiſſen Grad, auch auf die Feinheit feiner
Sitten, und des Umgangs folgern mag.
Zur Zeit noch, wird mit ſcherzhaften
waͤlſchen Sing pielen, und deutſchen Stücken
40 ab⸗
abgewe hſelt. Man ſpricht noch von einer
franzöſiſchen, und fo gar einer waͤlſchen
Truppe. Der groͤßte Theil, wenigſtens der
artigere Theil der Stadt hat ſich bis itzt fuͤr
die erſtern erklaͤret. Ich hielt immer dafuͤr:
man ſey der Nationalſchaubuͤhne die vorzuͤg⸗
lichere Aufmerkſamkeit, und Ermunterung
ſchuldig. Da ich, nach der unter uns gluͤck⸗
lich eingefuͤhrten Gewohnheit, der deutſchen
Sprache mächtig, und mit den beſſeren deut⸗
ſchen Schriftſtellern bekannt bin, ſo werde
ich bey den Vorſtellungen der deutſchen
Schaubuͤhne entweder die Rechtfertigung,
oder die Verurtheilung der Wiener zu unter⸗
zeichnen fähig ſeyn. Es können die Stucke /
es koͤnnen die Vorſtellenden die Schuld tra⸗
gen. Ich werde Gelegenheit haben, diejeni⸗
gen Schauſpieler bey uns voruͤber gehen zu
laſſen, die es einiger maſſen verdienen, daß
meine Aufmerkſamkeit ſich bey ihnen ver⸗
ſpeile. |
Die
Die waͤlſche Geſellſchaft der Sänger if}
in der That eine fürchterliche Nebenbuhlerinn
für die deutſchen Schauſpieler: fie beſteht,
bis auf ein Paar Menſchengeſichter zum une
terſtecken, aus den gewaͤhlteſten Per ſonen
ihrer Art. Sie ſollen dieſelben nach und
nach, genau kennen lernen, nach der Reihe,
als fie in den Stuͤcken erſcheinen, wovon
ich Sie unterhalten werde.
Bey dem geringen Kenntniſſe der Tonkunſt
werde ich unter vier Augen gleichwohl von
der Compoſition der Mufik ein urtheil wa⸗
gen. Ader mein Urtheil wird vielleicht von
dem Urtheile des muſikaliſchen Kunſtrichters
abgehen: denn ich werde weniger die gemei⸗
nen Regeln der Kunſt, als die Empfindun⸗
gen meines Herzens zu Handleitern waͤhlen.
Eine Muſik, nach allen Regeln des muſika⸗
liſchen Mechanismus, die mich kalt laͤgt, iſt
ein Bild nach dem genaueſten Ebenmaſſe ge⸗
zeichnet, aber ohne Waͤrme und Wahrheit.
Der
Der hoͤchſte Preis der ſchoͤnen Kuͤnſte, wie
der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, iſt ein entriſſener
Seufzer, eine entlockte Zaͤhre.
Das Praͤchtigſte der Wiener Schaubuͤhne
ſind ihre Ballete. Noverre / beynahe der
Erſchaffer ſeiner Kunſt, ſetzet fuͤr dieſelbe,
und unterrichtet die Tänzer in der Ausübung,
pick / das Muſter einer in allen Theilen ſyme⸗
triſchen Geſtalt, ein bluͤhender Juͤngling, den
Terpſichore ſelbſt erzogen hat — Lenzi ſonſt,
itzt Mom Trankard, deren jede Stellung die
ſanfte Grazie des Guido Reni beſchaͤmet —
Burnonwille / deren Richtigkeit und ‚Ger
ſchwindigkeit Bewunderung erregt; dieſe und
noch mehrere vortrefflichen Zoͤglinge der Tanz⸗
kunſt, was muͤſſen ſie unter der Hand eines
folgen Meiſters nicht im Stande ſeyn 2
Noverre hat uns indeſſen das Geſetzbuch
der Tanzkunſt entworfen: er mag ſichs ge⸗
fallen laſſen, daß ich ihn nach ſeinen eigenen
Geſetzen beurtheile.
Sg
Sehen Sie, mein Freund! welch ergiebi⸗
gen Stoff zu unſerem Briefwechſel, ſelbſt noch,
ehe die beiden erwarteten Truppen dazuſtoſ⸗
ſen Sie ſollen mit jedem Poſttage von mei⸗
nen Neuigkeiten erhalten, ohne daß ich Sie
zu eben dieſer Genauheit im Antworten ver⸗
pflichten will. Ich bin u. ſ. w.
An den Verleger.
Mein Herr!
2 kann ihrem Wunſche willfahren. Mein
Freund erlaubt mir, von feinen Brie⸗ i
fen jedesmal eine Abſchrift zu nehmen, und
Ihnen mitzutheilen. Er läßt ihnen ungebun⸗
dene Hand, damit zu thun, was Ihnen b.⸗
liebt. Wollen Sie nach ihrem erſten Einfal⸗
le noch immer dieſelben drucken, fo erinnert
er nur: daß Sie wiſſen muͤßten, wie weit⸗
Ihre Verhaͤltniſſe geſtatten wuͤrden, das, ge⸗
mein zu machen, was Freunde in einem ver⸗
kr au⸗
. .
EN 15 |
re
traulichen Briefwechſel, ohne Zuruͤckhaltung
und ohne jemanden zu ſchonen, einander gleich⸗
am ins Ohr ſagen. Die Namen koͤnnten
Sie allenfalls mit Anfangs buchſtaben hin⸗
ſetzen, oder dafür die gewöhnlichen Doris,
Alcindor, u. d. g. unterſchieben. Hier em⸗
pfangen Sie den erſten! wobey ich mir nur
ein Bedingniß ausmache: fehen Sie zu,
daß die Briefe meines Freundes wenigſtens
einem ertraͤglichen Ueberſetzer in die Haͤnde
fallen. Ich bin ER |
PS Ihr dienſtwilliger K* *
Joſeph Rurtzboͤck, Univerſitaͤtsbuchdru⸗
cker, macht ſich hiemit gegen das Pu⸗
blikum verbindlich, dieſe Briefe, welche
eine Art von einer Dramaturgie vor
ſtellen, auf gutem Schreibpappiere und
mit beſonderer auf die Korrektur ver⸗
wendeten Sorgfalt herauszugeben. Dies
ſer erſte Brief kann als ein Probeblatt
ſowohl in Anſehen des Formats, Pap⸗
piers und aͤußerlichen Geſtalt, als des
inneren Werths, und der Wahl, die er
mit
*
16
mit feinem Uberſetzer getroffen, gelten.
Wochentlich wird nur ein Stuͤck, einen
Bogen ſtark, erſcheinen, damit der Zu⸗
ſammenhang nicht zerſtuͤcket werden muͤſ⸗
ſe. Manchmal wird ein Blatt daruͤber,
manchmal eines weniger ſeyn; weil man
ſich nach dem Driginal halten muß.
Mittwoche, den böten Jaͤner 1768.
wird das erſte Stuck erſcheinen, und
immer an dieſem Tage im kursboͤcki⸗
ſchen Gewölbe auf den Hof damit fort⸗
gefahren werden. Die Oraͤnumera⸗
tion iſt auf ein viertel jahr 1. fl 18. kr.
Jedoch werden auch einzelne Stuͤcke,
zu 6. kr. ausgegeben, weil das Stuck
einen Bogen ſtark iſt. Der Verleger
verſpricht mit feinen Blaͤttern puͤnktlich
zuzuhalten, und erſucht: dieſes erſte
Schreiben aufzubewahren, weil es in der
Sammlung das erſte Stuck ausmachen
wird. b
2
Erſtes Schreiben
Wien: den 27. Wintermonds
SR 1767.
Mein Herr!
Y Ich befinde mich in dem Lande der
e Wunderwerke. Ein ernſthaftes
Re a Singſpiel ohne Zaftraten] —
eine Muſik ohne Solfezteren / oder wie ich
es lieber nennen moͤchte, Gurgeley — ein
waͤlſches Gedicht ohne Schroulſt und Flit⸗
terrritz mit dieſem dreyfachen Wunder⸗
derwerke iſt die Schaubuͤhne naͤchſt der Burg
wieder eroͤffnet worden. Noch wohl ein vier⸗
tes habe ich Luſt hinzuzuſetzen, und es iſt
vielleicht nicht eben das kleinſte: die erſte
Saͤngerinn eine gebohrne Deutſche.“
CM B Weil
* Der Ausländer ſieht in dieſer Stelle ſeht
durch; denn wir — haben dieſes letzte Wunder⸗
un ſchon zu Öfteren Malen erlebt⸗ Der Weber
ez er. *
Weil gerade eine bequeme Gelegenheit dazu |
ſich anbiet, fo ſende ich Ihnen das Stüe* aber
ſo, wie es der Dichter anfangs erſcheinen
ließ. Bey der Aufführung ward es abgekuͤrzet.
Ich habe die weggebliebenen Stellen mit
Roͤthelſtreifen angezeichnet; doch bin ich mit
dem Abkuͤrzer nicht durchgehends zufrieden.
Wer hieß zum B. den Mann die Anrede der
Koͤniginn wegſtreichen, die in der Vorſtel⸗
lung gewiß ſehr ruͤhrend ausgefallen ſeyn,
und auf die Zuſchauer nachdruͤcklich müßte
gewirket haben. |
2 Ewige ; unſterbliche Gottheit „wenn |
„dein Blick, dem das Innerſte der Ge
„danken unverholen iſt, in mir bis
„ itzt ein reines Herz, keuſche Wuͤnſche,
„ AUnſchuld und Menſchenliebe entdeckt
„ hat; wenn all mein Schickſal ich von
„ dir nur erfuhr; wenn ich nie deinen
, Dienſt
* Alceſte Tragedia,
a Dienſt, dieſes dein Bild nie verab⸗
„ ſaͤumet habe, o fo werde auch nun
„ mein Gebet und Opfer huldvoll von
„dir aufgenommen! I. Aufs. II. Auftr.“
Des Zuſammenhangs wegen durfte dieſe
Stelle ſogar durchaus nicht wegbleiben. Nur
erſt zwoeen Auftritte vorher ſagte ja die Koͤ⸗
niginn : fie wollte bey dem Gebete felbſt zu⸗
gegen ſeyn; ſie wollte ihrem Volke ſelbſt
das Beyſpiel der Ehrfurcht und Unterwuͤr⸗
figkeit werden: im dritten läßt der Ober:
prieſter bey der Annaͤherung Alceſtens mit
dem pfer innenhalten — und kaum if fie eins
getreten, fo 2 Mi
„ ſieht Apollo ihre Geſchenke mit nicht
| 35 gewoͤhulicher Huld an —
Wie ꝛ ſchon 2 und ehe noch das Opfer vollen⸗
det wird? — Ja! denn Alceſte iſt ſchoͤn;
| 3 wenig⸗
* Ich habe mich der vöitfändiden von H. v. S.
gemachten Ueberſetzung Aleeſtens bedienet. Der
Ueber foren
20
wenigſtens verſichert uns der Dichter davon
| einige hundert male, und Madam Bernaskoni
ſtraft den Dichter nicht eben Luͤgen. Apollo
war, wie es ſeine galante Geſchichte beweiſt,
gegen ſchoͤnes Frauenzimmer immer ſehr ar⸗
tig; er kam alſo auch hier, als ein Gott, der
zu leben weis, der Bitte reitzender Appen auf
dem halben Wege entgegen. |
Sie kennen die Alceſte des Euripides aus
dem P. Brumoi. Ich habe ſeine griechiſche
Schaubůhne nicht mit unter meiner Reiſe⸗
bibliothek; aber fie iſt unter ihren Vuͤchern.
Halten Sie das Singſpiel mit dem Trauer⸗
ſpiele zuſamm, wenn Sie wiſſen wollen, was
der waͤlſche Dichter dem Griechen ſchuldiz
iſt; was man ihm zum eignen Verdienſte an⸗
zurechnen hat. Soviel ich ungefehr auswen⸗
dig behalten habe, gehoͤrt Erfindung, Plan,
bis auf den Ausgang, und ſelbſt der groͤßte
Theil der Ausdruͤcke dem Euripides an. Denn
das ganze Dramma durch herrſchet der ruͤh⸗
rende
?
=“
21
rei de und zaͤrtliche Ton, wodurch Euripides
ſich von ſeinem Zeitgenoſſen und Nebenbuhler
Sophokles unterſcheidet; obgleich im Waͤl⸗
ſchen das Spruchreiche vermieden iſt, wo⸗
durch ſich der Schüler des Anaxagoras in
ſeinen Stuͤcken aller Orten verraͤth.
Sein eignes und großes Verdienſt iſt oh⸗
ne Zweifel der Muth, mit welchem er den
ſtrotzenden, und von taͤndelnden Spitzfindig⸗
keiten uͤberlaufenden Stil feiner National⸗
dichter verließ, und das Erhabene nicht in
den Stelzen des Ausdruks, das Ruͤhrende
nicht in dem Schnirkelwerke verſtandloſer
Einfaͤlle ſuchte. Die Sprache des H. von
Calſabigi iſt die ungekuͤnſtelte Sprache der
Empfindung; eine Quelle, die keinen andern
Lauf haͤlt, als nach dem ſanften Hange des
Erdreichs, woruͤber ſie wegfluͤßt; die uͤber⸗
all ſich ins Gleichgewicht ſetzet; und nur da
ein wenig aufſchaͤumt, wo ſie an einen in
den Weg geſtuͤrzten Stein ſtoͤßt.
B 3 Hie
x .
22
Hie und dort — Nun ja! hie und dort noch
ein Fleckchen von der Erbſuͤnde des Arioſtus
und Taſſo, welches die Thraͤnenflut / womit die
betrůbten Gegenden vonphera ůͤberſchwem⸗
met find, * leicht verwaſchen koͤnnte — Wenn
dieſe Art Blümchen nicht etwan eigenthuͤm⸗
liche Schönheiten der waͤlſchen Sprache find;
wozu man freylich, wie die Indianer zu den
Naſengehaͤngen ihrer Geliebten, von Ju⸗
gend auf ſeine Augen gewoͤhnt haben muß;
wenn ſie das nicht ſind; ſo hat der Verfaſ⸗
fer es vielleicht nothwendig gefunden ‚fie ſei⸗
nem Gedichte als einen Geleitsbrief mitzu⸗
geben, ohne welchen es ſchwerlich über die
Alpen dürfte gelaſſen werden — Und wer
weis „ koͤmmt es fo noch ohne Schwierig⸗
keit bey den kritiſchenpaßverwahrern vorbey.
Die erſte Vorſtellung eines Stückes gilt
in
* Mai fine i] pianto avrà;
Che queſte bagnera
Spiagge funeſte!
Man 45
in meinen Augen nie fuͤr etwas anderes, als
eine Hauptprobe. Heute Abends wird Alee⸗
ſte wiederholt. Kuͤnftig wollen wir von der
Wirkung ſprechen, die ſie auf die Zuſchauer
machet. Ich bin u. ſ. w.
Zweytes Schreiben
den 28. Wintermondes 1767.
etlich, mein Freund! unausſteh⸗
ich iſt — Alceſte in der Auffuͤhrung?
Rein! der Saufen der Zuſchauer; und dar
her die Theatralunternehmung in Wien das
undankbareſte Gefhäfft von der Welt. Was
fuͤr eine Ermunterung fuͤr den Dichter, den
955 B 4 Ton⸗
* Der ueberſetzer glaudt / daß man ihm gerne die
Brieffoͤrmlichkeiten erlaſſen und vergeben
wird / wenn das me in Herr! zum Anfange /
und ich bin: am Ende kaͤnſtig hinweg bleibt.
Sontünftier, für den Schauſpieler, Leuten
ohne Ohren, ohne Geſchmack, ohne Seele,
ohne das geringſte Gefuͤhl des Schoͤnen, zu
ſchreiben, zu ſetzen, zu ſpielen? Leuten, die
nur das grobe Vergnuͤgen zu lachen, nicht
die feinere Wolluſt einer niedlichen Schwer⸗
muͤthigkeit, einer ſanften Thraͤne zu empfin⸗
den fähig find — Ich rede vom Haufen —
Geroviß das iſt erbaulich! neun Tage oh⸗
ne Schauſpiele / und am zehnten eine See⸗
lenmeſſe — Wie: ich denke gar, hier iſts
auf Thraͤnen angeſehen? es kann ſeyn, daß
ich welche ver gieſſe — aus langer Weile —
Nein! das heißt ſeine zween Gulden weg⸗
werfen] eine vortrefliche Ergoͤtzung / eine
Haͤrrinn / die für ihren Mann ſtirbt Wo
ungefaͤhr glauben Sie, daß ich ſie hinge⸗
bracht habe — auf den Paradis? * Sie haͤt⸗
ken recht, 9205 demGgeſpraͤche alſo zu denken;
5 aber
Wie hier der Zehnkreutzer Platz.
25
aber fie ſitzen mitten auf dem adelichenpar⸗
terre. Wohl denn, meine Damen und Ca⸗
valiers! Sie koͤnnen nach ihrem Geſchmacke
bedient werden: kommen Sie! und Sie,
mein Freund begleiten Sie uns!
Geſetzt, auf der Meſſe von St. Germain
zieht ein fremder Handels mann durch die
Schoͤnheit ſeiner Waare die ganze Menge der
Anweſenden an ſich — Irgend in einer Ecke
ſteht ein Wurmdoctor / verlaſſen und ein⸗
ſam, und ſeiner Einſamkeit uͤberdruͤſſig: er
legt ſeine Bretter auf, laͤßt einen Affen gau⸗
keln „eine Schlange ſich um den Arm win⸗
den, pfeift auf der Siebenflöͤtte: und nach und
nach verſammelt auch er einen Haufen um
ſich her — freylich iſt es nicht die gewaͤhlte⸗
fie Geſellſchaft, die ſich daherum draͤngt: a⸗
ber immer ein Gedraͤng, das der Quackſal⸗
ber, nach Würde und Standesgebübr ge:
ehrtes / hochgeneigtes Auditorium nennet.
B 3 Das
Das ungefahr iſt die deutſche Schaubuͤh⸗
ne, auf welcher, indeſſen auf der einen Seite
Alceſtens Schickſal dem geruͤhrten Zuſchauer
Bewunderung und Thraͤnen abnoͤthigte, ein
ſehr ſchiefer, erbaͤrmlicher Nachahmer, eines
die deutſche Schaubuͤhne verunzierenden O⸗
riginals in einer Proberolle auftrat, und ver⸗
wegen genug war, in einer Hauptſtadt Deutſch⸗
landes einen Beyfall zu erwarten, der ihm
bey uns, auf dem elendeſten Dorfe wuͤrde
verſagt worden ſeyn —
Dieſen Beyfall, worauf berſprach er fi
denſelben? auf läppiſche Einfaͤlle; 5 ekelhaf⸗
te, ſchmutzige, ſittenloſe Zweydeutigkeiten,
(die gewoͤhnliche Würze, womit die deutſchen
Luſtigmacher ihren Geruͤchten den hohen Ge⸗
ſchmack zu geben ſuchen) auf Umkleidungen,
die wider Bern ft und Wahrſcheinlichkeit
eingedrungen wurden ; auf ein Geheul in No⸗
ten geſetzt, wozu er den ſchaͤndlichen Tertin
elenden Knittelverſen abdrucken zu laſſen, die
Un⸗
27
Unverſchämtheit beſaß; und wovon die Poli⸗
zey des Schauſpiels, dem oͤffentlichen Aer⸗
gerniſſe vorzubauen, einige Strophen zu
unterdruͤcken, für nothwendig hielt. Aber,
was nicht gedruckt werden durfte, warum hat⸗
te der Poſſenreiſſer das oͤffentlich auf den
Brettern geſungen? —
Mich verdrießt die fichtbare Geringſchaͤ⸗
tzung, mit welcher ſolche elende Geſchoͤp fe
einer ganzen, liebenswuͤrdigen Nation, bey
welcher die Morgenroͤthe des Geſchmacks
ſich wirklich ankuͤndiget, in den Augen ſo
vieker Fremden begegnen; und was ich nicht
begreife, iſt dieſes: wie man dieſelben, wann N
fie erſcheinen, nicht mit einem Steinhagel
empfaͤngt, und von der Buͤhne hinabwirft.
In der That, ſagen dergleichen Auswürfe
der gefunden Vernunft, fo oft ſie auftreten,
den Inwohnern der Hauptſtadt nicht ?
Meine Serren! wir halten euch für dumm
genug daß man euch platte Winfaͤlle fůr
| Witz
win een 11 wir 1 a
für genug poͤbels / daß ihr euch an
unſerm Laſttraͤgerſcherze ergoͤtzen; für
ungeſtttet genug / daß ihr lan un
fen Unflaͤttigkciten ein Wohlgefallen
tragen / und wohl gar für ſtirnlos genug /
daß ihr dieſes Wohlgefallen durch laͤrmen⸗
den Beyfall an den Tag legen werdet! ſa⸗
gen fie nicht alles das? und wohl noch das
darzu? ich halte die Wachſamkeit uber die
offentlichen Sitten fuͤr ſo erloſchen / daß
ich nichts dabey wage, wenn ich der Ehr⸗
barkeit und dem Anſtande unter ihren Au⸗
gen die toͤdlichſten Streiche verſetze? —
Welche Erniedrigung für die Wiener? Und
welche eine größere, wenn die Hoffnung die⸗
ſes Gaukelvolks ihren guten Grund hat!
Dieſer Hiſtrio; dem ich den Namen
Schauſpieler nicht beylegen kann, weil ſich
ein geſchickter und geſitteter Mann ſonſt da⸗
durch wie fuͤr gebrandmarket halten müßte;
f hat i
W
— ͤ — — . ——— —m—— nn
hat den erſten und zweyten Tag in der Schau⸗
buͤhne naͤchſt dem Kaͤrthnerthore geſpaſſer:
die Impreſa belohnte ihm die Tagwerke,
und ließ ihn auf einen andern Markt ziehen.
Wie man mir ſagt, hat er vor einiger
Zeit in der Jahre auch feine Geſchicklichkeit
im Tragiſchen bewieſen. Sie erachten es
bon ſelbſt, daß er ſich den Orosman wird
gewaͤhlet haben. Welcher Schtebiwandsicher,
der etwan einmal einen Brief abzugeben,
und dazu zu fügen hatte: ein Schreiben!
hält fich nicht für einen Schauſpieler 2 und
welcher Schauſpieler haͤlt ſich nicht fuͤr ge⸗
ſchickt, wenigſtens einen Orosman zu ſpie⸗
len? Jemand, ſo die Vorſtellung mit an⸗
geſehen hatte, verſichert mich: das waͤre
ſein ganz eignes Talent — ein Trauerſpiel in
eine Burleske zu verwandeln, und lautes
Gelaͤchter zu entlocken, wo der Dichter Thraͤ⸗
nen fodert. Ich glaube nicht, daß ich das
fo luſtig finden würde.
Ich mag wohl uͤber
ei⸗
einen Menſchen lachen, der ſich freywillig |
karikirt: aber eine wahre Karikatur erweckt
bey mir Mitleid, oder Ekel.
Habe ich Ihnen den Namen dieſes Fra⸗
zenkraͤmers und des Stückes, welches von
ſeiner eignen Mache, und ſeines Urhebers recht
ſebr wuͤrdig iſt, ſchon genennet ? Nein 2 —
ich will es alſo auch noch nicht thun die⸗
ſe Art Leute verlangen es ohnehin nicht beſ⸗
fer , als daß ihr Namen, es geſchehe nun
mit Ehren oder Schande, in der Welt her⸗
umgegeben werde. Sie zinden den Tempel zu
Epheſus an, damit ihr Andenken wenigſtens
auf der Schandſaͤule, die auf der Brand⸗
ſtaͤtte errichtet wird, zur Nachwelt hinuͤber
komme. Aber ein verſtandvoller Rathſchluß
der Griechen verbiet, ihren Namen nur aus⸗
| zuſprechen. Er fen auch für uns, in e
dieſer Heroſtraten des guten Geſchmacts ge
geben „dieſer Rathſchluß!
’
“
Da
* 16
31
Da mir Papier und Poſttag uͤber dieſen
Unrath der Schaubuͤhne einmal ſchon ver⸗
loren gegangen; ſo will ich Ihnen noch ei⸗
ne luſtige Anekdote mittheilen, die zugleich
von der aͤußerſten Unverſchaͤmtheit „und der
4 aͤußerſten Unwiſſenheit dieſer Gattung Leute
ein neuer Beweis werden 0 Ich babe
ſie aus einem Briefe, der der Seltenheit
der Sache wegen von Hand zu Hand herum⸗
Läuft. Da dieſer Menſch, von dem ich gere⸗
det, ehemals hier die Rolle des Orosman
gemis handelt, und damals einige von Nover⸗
res Balleten geſehen; kam er nach derjeni⸗
gen Stadt zuruͤcke, wo er als Principal eis
5 ne irrende Truppe unterhält. Der Adel
fragte ihm : wie er in Wien aufgenommen
worden? und was wohl eigentlich an dem
Wunderwerke der noverriſchen Ballete waͤ⸗
re? — Auf das erſte moͤgen Sie die Ant⸗
wort zum Theile errathen — Ich habe den
größten Werfel erhalten: man verehret,
man
— ...... . —„— »
man bewundert mich. Die Wienertrupp
iſt ſonſt ganz erträglich / wenn fie ein we⸗
nig zugeſtutzt wuͤrde; und man iſt mit
mir in Un terhandlung, die Aufſicht dar⸗
über zu übernehmen. Und Noverrs Bal, 4
lete? — Er machte aus der Fabel des Pr.
ramus und Thisbe ein Ballet; führte es
mit den vortrefflichen Taͤnzern ſeiner Trupp
auf — So / gnaͤdige Herren / gerade
ſo find Noverrs Ballete
13
Drittes Schreiben
Wien: den 5. Jaͤnner
1768.
a Die Mut in den Händen des Mans
IR, ung 0 0 . die e rn
bloß in einer ſtudirten Reihe
von Accorden * und Auflöfungen beſtehen
läßt, fondern die Accente der Leidenſchaf⸗
ten, und wenn ich mit Genehmhaltung der
muſikaliſchen Likurge das Wort wagen
darf, die Accente der Seele aufzufinden,
und dadurch den Geſang ausdruckvoll, und
redend zu machen weis; in den Haͤnden ei⸗
nes Mannes, der mit dem Geiſte des Dich⸗
ters ſetzet „ und da, wo dem mußſkaliſchen
Handwerker von den gemeinen Regeln Faͤſſel
angelegt find, dieſe Faͤſſel zerbricht, ſich uͤber
u die
* Der Ueber ſetzer hätte ganz leicht Wörter gefunden
die accords, accents, Modulation „Harmonie .
‚De g. zu berdeutſchen: allein er glaubte ſich vers
bunden um der Deutlichkeit Willen dieſe mehr ge⸗
laͤufgen Kunf woͤrter beyzubehalten.
die Regeln hinweg ſchwingt, und mit der
Freyheit des Genies ſelbſt Regel und Muſter
wird; in den Händen eines ſolchen Mannes
muß die Muſik Wunderwerke thun.
Die Alten waren davon uͤberzeugt. Sie
hatten gewiſſe kriegeriſche Spielftüce , wo⸗
durch fie die auflodernde Hitze ihrer Streiter
maͤſſigten: durch dieſe hielten fie ihre junge
Mannſchaft in Reih und Gliedern zuruͤcke,
wann ſie mit geſchloßner Stirne auf den
Feind einen Eindruck machen ſollte. Sie
hatten andere, welche bis zur Raſerey auf⸗
brachten, wodurch ſie imGGewuͤhle der Schlacht
die Tapferkeit erhitzten, und e
ken begeifterten.
Aelianus wo ich mich nicht irre, er⸗
zaͤhlt von einem Tonkuͤnſtler, der durch ſeine
Geſaͤnge die beſchrieenſten Zaͤrtlinge der Welt, |
die Era, ſo ſehr erhitzte, daß ſie ge⸗
gen⸗
* Verſchiedener Geſchichte 35 ten Buchs
43. Haupt- Der eber
38
geneinander die Waffen ergriffen. Aelian
verdient im Grunde zwar nicht viel Glau⸗
ben; aber feine Märchen koͤnnen immer als
ein Beweis von den Meynungen gelten, die
zu ſeiner Zeit im Schwange waren.
Der Harpenſchlaͤger David war mit den
Geheimniſſen der Tonkunſt ſo vertraut, daß er
dadurch die ſchwarze Unmuth von dem Haupte
Sauls verſcheuchte: und er hatte vielleicht
von der Allmacht ſeiner Kunſt zur Unzeit ei⸗
nen Verſuch machen wollen, und ſtatt der be⸗
fänftigenden Moltoͤne ſich zu lange unter
den ſchaͤrferen Kreuzen verweilet, als der
Fuͤrſt ſeinen Wurfſpies nach dem juͤdiſchen
Arion warf. i
Wenn wir zu unſeren Zeiten von den er⸗
ſtaunlichen Wirkungen der Tonkunſt nicht eben
die Begriffe haben; ſo koͤmmt es daher, daß
unſere Empfindungen, wie unſere Leiber zu
Weichlingen ausgeartet; daß uns Waͤlſchland
mit feinen entmannten Sängern auch feine
| NE kraft⸗
26 5
— ͤä ͤ——— -
kraftloſe Muſik aufgedrungen, und daß wir,
aufrichtig zu reden, nur eine Muſik für das
Ohr, keine für das Herz haben,
Ich moͤchte nicht gerne mit dem hitzigen
St. Preux über dieſen Punkt in einen Streit
gerathen. Wenn ich die waͤlſche Muſik nicht
fo göttlich, fo unnachahmlich finde als er;
ſo rede ich nur von meinem Geſchmacke,
und von dem Eindrücke, den fie auf mich
machet. Ich will auch darum fuͤr dit fran⸗
Zzöſiſche Muſik noch gewiß mit ihm keine
Lanze brechen. Ich erlaube ihm von unſrer
Eper alles moͤgliche Boͤſe zu ſagen, was ihm
nur gefaͤllt; und ich will in meiner Offen⸗
herzigkeit gegen ihn ſo weit gehen, zu beken⸗
\
nen, daß ich mich mit den ſchneidenden und
unmodulirten Tönen unſrer Muſik, auch
durch die Fels und Jeliotte nicht aus ſoͤhnen
kann. Aber ich waͤre begierig, recht eigent⸗
lich zu wiſſen, was der junge Menſch, der
ſeit der Zeit ſehr alt geworden, und nur erſt
itzt
| 9
itzt feinen Nichierfiuhl uber die Muſik mit
aller Foͤrmlichkeit errichtet hat, was er an
der Setzart des Ritters Gluck zu erinnern
faͤnde.
Dieſer iſt der muſtkaliſche Verfaſſer der
Alceſte. Seine Einbildungskraft iſt unge⸗
heuer: daher ſind ihm die Schranken aller
Nationalmuſiken zu enge: er hat aus der
wälſchen, aus der franzoͤſiſchen, aus den
Muſiken aller Voͤlker eine Muſik gemacht,
die feine eigne iſt: oder vielmehr: er hat in
der Natur alle Töne des wahren Ausdrucks
aufgeſuchet, und ſich derſelben bemächtiget.
Die Grundzuͤge ſeines Satzes ſind immer
dem Gegenſtande angemeſſen, und gleichſam
ein richtiger, freyer Umriß, durch ein ſchoͤnes
Kolorit bearbeitet, worinnen das Licht mit
der Haͤuslichkeit eines ſcharfen Beurtheilers
bertheilet, die Abſtechung ſorgfaͤltig, aber
mit Wahl angebracht, und uͤberhaupt die
feinſte Symetrie beobachtet wird. Jeder
C 3 Theil
Theil feiner Mufik macht, für ſich ſelbſt bes
trachtet, ein ſehr angenehmes Ganzes aus,
das aber zu dem groͤßeren Ganzen in einem
ſo ebenmaͤſſigen Verhaͤltniſſe ſteht, daß die
gluckiſchen Saͤtze die wohlgeſtaltet ſten Koͤr⸗
per ſeyn wuͤrden, wöͤferne die Töne ih
bar koͤnnten gemacht werden. I;
Alceſte war für dieſen geſchickten Mann
eine weitraͤumigte Bahn, die Fruchtbarkeit
ſeiner Gedanken zu zeigen. Es war ſchwer
bey einem Stoffe, uͤber den durchaus, Trau⸗
rigkeit und Schwermuth gleich verbreitet iſt,
der Einfoͤrmigkeit, und Wiederholung zu ent⸗
kommen. Gluck hat dieſe Schwierigkeit
mit vielen Ruhme uͤberwunden. Seine Choͤ⸗
re find immer weſentlich' unterſchieden: ſei⸗
ne Recıtative ſprechend, und das Akompa⸗
gnament nicht eine bloſſe Anſtimmung,
oder eine muͤſſige Ausfuͤllung des Zwiſchen⸗
raums, ſondern ein weſentlicher Theil des
Ausdrucks, und oft ſelbſt ſo ſehr Aus⸗
druck /
Fed
— ᷑ n ai sts SestnsereamBmentBEERBEETaEBCE ds. tsssrcäetsamessncenneesn
druck, daß fie den ganzen Inhalt faßlich,
und die Worte beynahe entbehrlich machen.
Seine Arien ſind neu, von einer einfa⸗
chen, aber gefühlvollen Melodie, an denen
mich beſonders der Schluß ganz außer mich
ſelbſt geſetzt hat. Ich werde durch die Wir⸗
kung, welche die zierathloſen Schlugfälle
der gluckiſchen Geſaͤnge auf mich gemacht
haben, beherzt, mich kuͤnftig laut gegen die
gekraͤuſelten Ausgaͤnge der waͤlſchen Arien zu
erklaͤren, wogegen ich im Geheim ſchon lan⸗
de mich empoͤret hatte.
Dieſe Formaten von einer unbegraͤnzten
Länge find hoͤchſtens gut, ein Probeſtuͤck von
der Gelaͤufigkeit der Kehle, und der unange⸗
griffenen Lunge des Saͤngers abzulegen. A⸗
ber konnte die geſunde Kritik der Tonkunſt je
ungeahndet zuſehen, daß der Ausdruck die
ſen mechaniſchen Geſchicklichkeiten, daß die
edleren Reitzungen der Empfindung, der ſinn⸗
lichen Wolluſt des Gehoͤrs geſchlachtet wur⸗
den?
*
40
den 2 — Oder iſt man vielleicht der Meinung,
daß die Taͤuſchung dadurch wohl ſehr gewin⸗
ne, wenn da, wo die Geſetze des Gehoͤrs mich
einen Schluß erwarten heiſſen, der Saͤnger
feinen Schlauch mit neuer Luft anfuͤllt, um
eine einzige Syllbe fünf bis ſechs Minuten
lang auf der Leiter der Toͤne nach mancherley
Fortſchreitungen auf und nieder zu ſchleppen,
und zuletzt mit einem Triller zu enden, der
mich für feinen Odem beſorgt macht? Was
fuͤr ein abentheuerliches Verhaͤltniß hat eine
einzige, ſo ſehr ausgedehnte Syllbe zu dem
kleinen Ganzen eines Geſangs? und in wel⸗
che Verlegenheit wird der Sänger, als Schau⸗
ſpieler betrachtet, dadurch nicht verſetzet, da
es unmöglich iſt, eine aus druckende Pantomime
anzubringen, welche durch die Ewigkeit der
Formate nicht in eine ſteife Stellung ausar⸗
ten ſollte? — Ich habe mich durch das Feuer
der Handlung, welches dieGeſchicklichkeit des
Tonkuͤnſtlers noch vermehrte, die Einſicht
und
41
und richtige Ausiühruug der handelnden Per⸗
ſonen uuterſtuͤtzte, dahinreißen laſſen: ich fuͤh⸗
le Furcht, Mitleid, Schrecken; denn ich glau⸗
be, ein Zeuge der Begebenheit zu ſeyn. Auf
einmal ſteht die Handlung, um einer Colora⸗
tur willen ſtille: der Schauſpieler erkaltet =
und ich mit ihm: und alle Antheilnehmung
iſt voruͤber.
Bekuͤmmert ſich denn aber der Haufen von
Compoſitoren, und Sängern ſehr darum, ei⸗
ne Oper zu einem ruͤhrenden Schauſpiele zu
machen? — Freylich nicht! und ſie ſetzen da⸗
her ein Miſerere nach eben den Grundſatzen
als ein Singſpiel; und jene ſingen beides e⸗
ben ſo _ Eben darum aber ſoll die Ton⸗
kunſt dem Manne groſſe Verbindlichkeit ha⸗
ben, der mit Gefahr ſeines Ruhmes ſie von
einem Fehler befreyet, welcher ihre edelſten
Endzwecke, den Ausdruck und die Rührung
hereitelt.
C 5- Wie
42
Wie ſagte ich? mit Gefahr ſeines Ruh⸗
mes / ich hatte da die muſtkaliſchen Pedanten
im Geſichte / welche an dem Singſpiele des
Ritters Gluck freylich manches auszuſetzen
haben werden, denn der verwegne Mann hat
ſich Dinge erlaubt — O hoͤren wir doch nicht
auf ein Geſchwaͤtz, welches nicht weniger
von dem Neide, als der Unwiſſenheit veran⸗
laſſet wird. Ich habe dieſem Manne zu ge⸗
fallen, große Luſt zu eitiren, und von ihm zu
ſagen, was Horaz von dem Igeifchen Dichter
ſagt : |
„Ihm befahl die Muſe, die Götter zu
„befingen, und die Helden und der Goͤt⸗
„ker Geſchlecht. —
Der allgemeine Beyfall hat ihn auch wirk⸗
lich gekroͤnet; und dieſer Beyfall iſt deſto
ee da er ſich durch die wieder⸗
hol⸗
* Anfuͤhren waͤre das Wort: aber ich habe eit!
ren beybehalten / weil es eine Anſpielung auf das
Gelehrtthun iſt. Der neberſ⸗
r
holten Vorſtellungen Alceſtens immer mehr
beftättiget. Man erwartet dieſes Singſpiel
im Drucke; ſonſt wuͤrde ich mich umſtaͤndli⸗
cher auf die Schoͤnheit der einzelnen Theile
einlaſſen. Sie werden dann ſelbſt nach ihrer
feinen Einſicht daruͤber urtheilen: und ich
bin begierig, ob Sie aus dem vortrefflichen
Ganzen mit mir einerley Lieblingsſtůcke waͤh⸗
len werden. Hier ſind die meinigen!
Im I. Aufs. III. Auftr. das Recitatis
des hohen Prieſters, angefangen von] den
Worten: von ihrer heiligen Wuth ergrif⸗
fen — Das Akompagnement des Orcheſters
zeigt, alle die verſchiedenen Erſchein ungen,
welche die [Gegenwart des Phaͤdus hervor⸗
bringt; und nun folget
In eben dieſem Auftritte nach dem Orakel⸗
ſpruch, das große, unnachamliche Stuck, wo⸗
rinnen Gluck Dichter und Tonkuͤnſtler zu⸗
gleich geworden, und durch ſeinen Satz das⸗
jenige ergaͤntzet und verfloͤſſet hat, wozu der
- Dich⸗
2
Dichkkunſt ihre Worte wenn ich ſo ſagen Ve f
keinen behandel baren Stoff gaben. Kaum er⸗
ſcholl unter dem ſchweigenden Volke der er⸗
ſchreckliche Goͤtterſpruch; fo laſſen die Baͤſſe
in tiefen und einfoͤrmigen Toͤnen ſich hoͤren,
das hole und furchtſame Gemurmel eines
Volkes auszudruͤcken, dem Schrecken und Er⸗
ſtaunen „den Mund zu artikulirten Worten
verſchloſſen Hält. Dieſes Hemurmel nimmt zu;
und bricht endlich in Ausrufungen aus; die
aber noch immer unterdruͤckt find, und nur
durch die Vergeſellſchaftung mehrerer Stim⸗
men zu vernehmbarer Staͤrke anwachſen. Die
Beſchaͤmung eines Volkes, das feig genug iſt,
einen wuͤrdigen und verehrten Fuͤrſten un⸗
dankbar zu verlaſſen, ſucht gleichſam eine Friſt,
die ſchon beſchloßne Flucht zu bemaͤnteln. End⸗
lich wird von ferne das verwirrte: Laßt uns
fliehen! von nur wenigen angeſtimmet. Von
ferne f welcher Meiſterzug! die Hoͤflinge, die⸗
ſer Haufen von Augendienern, die im Ange⸗
ſich⸗
—
ſichte der Fuͤrſtinn ſtanden, die wollten nicht das
Anſehen haben, als haͤtten ſie ihren Herren
am erſten verrathen. Der unbekannte und ent;
fernte Poͤbel, bis zu welchem die beſchaͤmenden
Blicke Alceſtens nicht reichen konnten, wagte
dabey am wenigſten, und konnte es alſo am
erſten wagen. Sobald der Anſtoß gegeben
war, brach die verraͤtheriſche Stimme aller
Orten hervor, ward allgemein, und der Hau⸗
fen ſchuͤtzte die einzelnen Ungetreuen. Dieſer⸗
Auftritt war eines von den ſchoͤnſten Gemaͤl⸗
den, die vielleicht jemals auf der Bühne es
ſchienen find.
Das Alleingeſpraͤch Alceſtens in dem Hayn
€ im II. Aufz. II. Auft.) iſt goͤttlich: und fo
ausdruckvoll und angemeſſen das Akompag⸗
nament hier durchaus iſt; ſo uͤbertrift doch⸗
die allgemeine Pauſe, die bey den Worten: trau
ernde Stille anfängt, und durch zween Tak⸗
te fortwaͤhret, nl was der Tonkuͤnſtler an
deſ⸗
6 _
deſſen Stelle geſetzt hätte. Dieſes Schwei⸗
gen iſt das redenſte Stuͤck der ganzen Mono⸗
loge.
Der Chor der unſichtbaren Gottheiten in
eben dieſem Auftritte iſt ein Beweis von der
tiefen und geläuterten Beurtheilung des Ver⸗
faſſers. Es wäre wider ſinnig, wenn die Schat⸗
ten ſehr modulirten: daher ſind die Sing⸗
ſtimmen auf einen tiefen Ton beſchraͤnketz die
Modulation iſt aber den uͤbrigen Stimmen
des Orcheſters aufgetragen. Bey den erſtern
Auffuͤhrungen machte dieſer Chor eine bey⸗
nahe unangenehme Wirkung, weil das Or⸗
cheſter zu ſtill akompagnirte, und die Stim⸗
men zu tief in die Schaubuͤhne hinein ver⸗
leget waren. In der Folge wurden die Saͤn⸗
ger zwiſchen die vordern Schiebewaͤnde ge⸗
ordnet, und ſtaͤrker akompagnirt: nun fd
ſo gar auch diejenigen bekehret, welche Arte
fangs zwiſchen dieſem Chore, und dem ver⸗
s ſtim⸗
en Nöubench den eine Aehnlichkeit
aufſuchten.
Ich ſpreche von meinen 09 Lieb⸗
lingsſtuͤcken, unter welchen die letzte Arie des
II. Aufzugs ihren Platz mit Würde behaup⸗
tet. Der Schluß iſt ein wahrhaft franzoͤſi⸗
ſcher, ſchneidender Ton; aber auch der wah⸗
re Accent der auf das hoͤchſte geſpannten
muͤtterlichen Empfindung, wo die Stimme
gleich ſam uͤberſpringt, und einen Mislaut giebt,
welcher dem Ohre peinlich faͤllt, aber eben da⸗
durch das Herz des Zuſchauers verwundet,
und den Stachel in der Wunde noch lange zu⸗
ruͤck laͤßt⸗
Die zweyſtimmigten Arien Alceſtens und
Admets — auch dieſe, und fo manches an⸗
deres, und alles wuͤrde in dieſem vortreffli⸗
chen Singſpiele für mich Lieblingsſtuͤcke ſeyn,
wo ich fortfuͤhre, das Vergnuͤgen bey mir zu⸗
ruͤckzurufen, ſo mir auch das kleinſte Stuͤck
deſſelben verurſachet hat. Nach meiner Weiſe
moͤch⸗
| 48
moͤchte ich die Setzart Glucks, die charakte⸗
riſtiſche nennen, und wohl ſehr wünfchen,
daß ſie unter den Tonkuͤnſtlern ſo viele Nach⸗
folger finde, als fie ſich unter den Liebhabern
der Muſik, deren Gefühl durch die fobaritifche
| „armonie der italiaͤniſchen Tonkunſt nicht
verwoͤhnet iſt, Bewunderer erworben hat.
Drittes Stück.
Viertes Schreiben
Wien: den 15. Jaͤnner
1768.
nz traͤgliche Schauſpieler waͤren,
fo eine Seltenheit? — dieſe
Frage fiel mir bey der ſechſten Vorſtellung
Alceſtens ein, als Tibaldi / den ich ehmals
als den froſtigſten Saͤnger von der Welt ge⸗
kannt hatte, ſich ſelbſt uͤbertraf, und mit wah⸗
rem Gefuͤhle, beſonders in dem Auftritte ſpiel⸗
te, wo ſein Zudringen Alceſten das Geſtaͤnd⸗
niß ihres großen Geluͤbds entreißt ? Wollen
Sie die Betrachtungen mit anhoͤren, worauf
mich dieſe Frage, und der Mann, uͤber den mir
dieſe Frage aufſtieß, geleitet haben?
Tibaldi war zu feiner Zeit eine der ſchoͤn⸗
ſten Tenorſtimmen Waͤlſchlands; und beſaß
auch ſonſt alles Talent, daß einen Sänger
ſchaͤtzbar mashet : aber auf der Schaubühne
| D hatte
wos —.—
hatte er keine Seele. Itzt, da er einige von
ſeinen hoͤheren Saiten verloren hat, und
oͤfters ſeine Zuflucht zu einem unangenehmen
Falſete zu nehmen gezwungen iſt, wird er be⸗
lebt. Seine Geberde iſt mehr als anftändig,
ſie iſt frey, angemeſſen, angenehm; ſein Ge⸗
ſicht begleitet und unterſtuͤtzt die Geberde⸗
und ich habe ihn ſo gar einzelne Zuͤge eines
ſtummen Spiels anbringen geſehen, welche
Richtigkeit der Empfindung, oder Einſicht
an ihm bewieſen. Wo war alſo damals, als
noch feine Stimme ihm ganz zuGgebot ſtand,
dieſer Ausdruck, auf deſſen Rechnung allein,
Tibaldi den groſſen Beyfall zuſchieben hat,
den er itzt in Wien findet, und verdienet?
Bedenkt man, daß das Feuer, welches die
Handlung des Schauſpielers beleben muß,
eher durch die Jahre erliſcht, als angefacht
wirdz daß auch nur die mechaniſche Geſchick⸗
lichkeit, den Koͤrper in ſeiner Gewalt zu ha⸗
ben, anhaltende Uebung vorausſetzet; ſo ge⸗
raͤth
raͤth man ſehr natürlich auf den Argwohn,
dieſer Saͤnger habe die Anlage welche ihm
zu einen geſchickten Schauſpieler von der
Natur gegeben worden, entweder vorſetzlich
unterdruͤckt, oder doch geringgeſchaͤtzt; als
etwas blos Beygaͤngiges, deſſen er bey der
hoͤhern Gabe einer unbeſcholtenen Stimme
gerne entrathen könnte:
Das iſt die laͤcherliche Salbſtgenügſamkeit
des großen Haufens der waͤlſchen Saͤnger
und Sängerinnen: fie daͤchten der Wuͤrde der
Kehle etwas zu vergeben, und ſich wohl
gar veraͤchtlich zu machen, wenn ſie den Ge⸗
ſang mit der Pantomime begleiteten, gleich
als haͤtte er, um unſere Bewunderung weg
zu haben, noch einer fremden Huͤlfe noͤthig!
— Beſtaͤttigen Sie ſich meine Beſchuldigung
mit einem einzigen Blicke auf eine Nation,
die mehr als irgend eine andere, Natio eo-⸗
mæda eft.* und im gemeinen Leben, jedes
Wort mit einer Mine, mit einer Geberde
D 2 ver⸗
die Nation iſt ganz Gauklerinn. Juven, der Ueberſ⸗
| EN En ki
m —— —̃—
vergeſellſchaftet; bey welcher alſo dieſe Stei⸗
fe auf der Schaubuͤhne, dieſer Froſt, dem
Temperamente widerſpricht, und beynahe als
erkünftelt und erzwungen muß angeſehen wer⸗
den. 8 .
Vielleicht aber thut Sie beſſer daran, nicht
nach einer Kunſt zu ſtreben, die wenigſten auf
einem gewiſſen Punkte der Vollkommenheit
ſehr ſchwer zu erreichen, und beynahe mit
dem Talente des Geſangs unvertraͤglich zu
ſeyn ſcheint. Und daraus moͤchte ſich wohl
meine Frage hauptſaͤchlich beantworten laſ⸗
ſen. Der Ausdruck der MWuſik, und der
Ausdruck der Aktion ſind, in einem gewiſſen
Verſtande, einander gerade entgegen geſetzt.
Jener, an das genauſte Maß in den allerklein⸗
ſten Abtheilungen der Zeit, und an die Ueber⸗
einſtimmung des mit verflochtenen Akom⸗
pagnemens gehaͤftet, fodert eine unnachgelaſ⸗
ſene Verſammlung, und Aufmerkſamkeit, um
nicht uͤber die Graͤnzlinie zu ſchreiten, die der
ſe⸗
53
ſetzende Tonkuͤnſtler fuͤr ihn beſchrieben hat.
Dieſer hingegen, durch die Hitze der Einbil⸗
dung in die Umſtaͤnde der Handlung, die der
Dichter angeleget, wahrhaft verſetzet, ver⸗
gißt alles, was um ihn her iſt, Schaubuͤh'
ne, Zuſchauer, ſich ſelbſtiz denkt nur feine
Furcht, ſein Schrecken, ſeine Wuth; und wird
von ihrer Heftigkeit uͤber alle Graͤnzen, oft
bis an das Scheinbarunregelmaͤßige dahinge⸗
riſſen. Entweder alſo, daß der abgezirkelte
Gang der Muſik die ungeſtuͤmmen, aber wah⸗
ren Ausbruͤche der Leidenſchaft hemmet; oder
daß der zuͤgelloſe Lauf des empoͤrten Affekts
alle Symmetrie des Geſangs um und uͤber
kehrt, und, gleich einem ungebändigten Läufer
(Courfier) über. alle Ziel und Schranken un:
aufhaltbar mit ſich hinwegfuͤhret.
Dieſes iſt an dem glukiſchen einfachen
Stil ein neuer, und vielleicht noch unerkann⸗
ser Vorzug, daß er dem Talente des Scham
wpielers weniger als jeder andre, Schwierig⸗
| D 3 Fan
keiten in Weg leget, weil er ſich fo nahe, als
es die Tonkunſt immer zugibt, an den Affekt
ſelbſt ſchmieget: es iſt das leichte, fließende Ge⸗
wand des Le Bruns, welches die Koͤrper nicht
verhuͤllet, ſondern ſich nach ihnen hinbeugt,
und den natuͤrlichen Wuchs ganz durchſcheinen
laßt. Seine Singfpiele werden auch immer
in der Auffuͤhrung eine ſtaͤrkere, eine anhal⸗
tendere Wirkung machen; und ich moͤchte bey⸗
nahe fagen, fie werden der Opernbuͤhne Schau⸗
ſpieler zu bilden fähig ſeyn. a
Wenn nicht zu bilden, wenigſtens die na⸗
tuͤrliche Gabe derſelben zu entwickeln, da, wo
ſie die Natur ihren Guͤnſtlingen ertheilet, und
die gewoͤhnliche, uͤberladene, und geſchminkte
Oper nmuſik fie ſonſt unnuͤtz gemacht hat. So
erklaͤre ich mir in dem Singſpiele Alceſte die
kibaldiſche Erſcheinung“ und die eben ſo ſelt⸗
e
*Im framöfifchen heißt es: Ceſt ainfi , que le phe-
nomène de Tibaldi, u. ſ. w. Ich glaube dieſe Re⸗
densart / die etwas zweydeutig iſt / aus dem Zur
Ä ammenhange des Vorhergehenden zu * 5 weil
7
35
ne, von einer Saͤngerinn, die noch etwas
mehr als Sängerinn gezeigt hat.
Madam Bernaskoni, ſpielte Alceſten, mit
einer Wahrheit, Empfindung, und Antheil⸗
nehmung die bewundert werden. Ich habe Ih⸗
nen ſchon bemerkt, daß dieſe Saͤngerinn eine
Deutſche iſt; ich muß hinzuſetzen, eine Wiene⸗
rin:die Nation thut auf fie ein bißchen ſtolz/ und
die Waͤlſchen beißen ſich uͤber die Lobſpruͤche,
die man gegen ſie verſchwendet, und woran
ganz leicht ein wenig Nationaleitelkeit mit Theil
haben moͤchte, ſtillſchweigend in die Lippen.
Die Wiener ſchaubuͤhne iſt nur erſt die zwey⸗
te, auf der Bernaskoni ſinget; und Alceſte ih⸗
re erſte ernſthafte Rolle, da ſie ſonſt, auch ſelbſt
noch hier, in der ſcherzhaften Oper ſang. Zeit,
Nachdenken, und lebung haben alſo noch nichts
zu ihrem Talente beytragen koͤnnen; ſie kam
| D4 ſo,
nämlich Tibaldi / der eher immer nur Sänger war /
in der glukiſchen Oper ſo ploͤtzlich Sch auſpieler ger
worden; ſo nennt er dieſes mit einem Ausdrucke
der Naturlehre: das nbaldiſche Phenomenon. Der
Heberiener. |
56
fo, wie fie iſt, aus den Händen der Natur:
Die Lebhaftigkeit ihres Gefuͤhls vertritt zur
Stunde noch die Stelle des Nachdenkens, und
die Richtigkeit der Empfindung, die Stelle
der Einſicht und Kunſt.
Sie iſt außer der Schaubuͤhne t
klein, aber auf den Brettern weiß ſte ſich ei⸗
ne Groͤße zu geben, die ſie anſehnlich machet,
und unterſcheidet. Ihr untadelhafter Wuchs
koͤmmt ihr dabey vortheilhaft zu ſtatten, und
ſteht ihr bey ihren Stellungen bey, die alle
richtig und edel gezeichnet find: dennoch her
ben ſich darunter noch die Seitenwendungen
ganz beſonders heraus, dergleichen ſie in den
Auftritten mit Admeten einige Male anzu⸗
bringen Gelegenheit hatte: ſie waren eines
e Pinſels wuͤrdig.
Ihre Bildung iſt fuͤr die Schaubuͤhne an⸗
be ihr Auge beredt, und bey ihrem Aus⸗
drucke nicht muͤſſig. Ihre Arme ſind frey, und
Haben „ohne in die gekuͤnſtelte Symmetrie zu
1 fal⸗
fallen, eine verlaufende Schwingung. Sie er⸗
laubt ſich mit ſelben Bewegungen, die den
geuͤbteſten Schauſpielerinnen oft mislingen;
naͤmlich die vor dem Koͤrper gleichſeitige Er⸗
hoͤhung in geraden Linien. Ohne Zweifel ficht
ſie die Schwierigkeit dieſer Bewegung nicht
ein, und darum iſt es auch fuͤr ſie keine.
Ihre Geberde folget nur den Bewegun⸗
gen des Herzens, und ihr Herz führer fie be⸗
ſtaͤndig auf den angemeſſenſten, und nicht
ſelten auf den feinſten Ausdruck. Sie hat
bey der dritten Wiederholung Alceſtens ei⸗
nen von dieſen gluͤcklichen Zůgen in der Schluß⸗
arie des zweyten Aufzugs bey den Worten:
dieß iſt der Qualen größte Qual / fich von
fo ſuͤſſen Rindern zu trennen, angebracht.
Das erſte und zweyte Mal machte ſie bey dem
Worte Trennen die Bewegung der gewaltſa⸗
men Entfernung! es war eine der malenden
Geberden, die fuͤr das Aug eben ſo deutlich
als die Worte fuͤr das Ohr find: aber auch
Sn D 5 ein
FF ˙²˙ 1 ̃¾— lt! ö].
ein allgemeiner Schauſpieler, oder allenfalls
der Dichter, ſo der Schauſpielerinn einen Un⸗
terricht gaͤbe, wuͤrde auf ſo etwas verfallen
ſehn. Das dritte Mal, ohne Zweifel, da ih⸗
re Einbildung von der bevorſtehenden ſchmerz⸗
lichen Trennung lebhafter geruͤhret, und ihre
Empfindung heftiger angegriffen war, ſchoß
fie ihren wilden, gefuͤhlvollen Blick auf Aſpa⸗
fien, ließ ihn eine Weile unbeweglich an ihr
hangenz dann aber als der Begriff der Tren⸗
nung nahte, warf fie ſich dem Kinde ploͤtzlich
an den Hals, umſchlang es mit beiden Armen,
gleich als waͤre der Augenblick der Trennung
wirklich vorhanden, und gleich als waͤre ſie
dieſen grauſamen Augenblick durch ihre Wider⸗
ſetzung zu entfernen faͤhig. Nichts iſt wahr⸗
hafter als dieſer Ausdruck. So wuͤrde auf
einem Gemälde des franzoͤſiſchen Raphaels
Clytemneſtra ihre Tochter umfaſſen, wann
ſie der grauſame Calchas an den Schlachttiſch
Dianens zu ſchleppen bereit ſteht; ſo wuͤrde
| der
2
der Bräutigam feine Braut umſchlingen, die
ihm die wuͤtende Wolluſt bruͤnſtiger Soͤldner
rauben will.
Ich habe dieſen Zug nur das eine Mal ge⸗
ſehen, ob ich gleich bey den folgenden Vor⸗
ſtellungen begierig darauf Acht hatte. Ich
bin verſichert, Hätte man die Bernaskom
um eine Urſache angegangen, ſie wuͤrde ſich
nicht lange bedacht haben, zu antworten: es
war ein Trieb der Natur — Daß doch die
Schauſpieler mehr auf dieſe Triebe merk⸗
ten, welche ſo richtige Wegweiſer ſind! ihre
Kunſt beſteht ohnehin einzig darinnen, die
Spuren der Natur aufzuſuchen, und Em
mit Wahl zu folgen.
Mein Pruͤfſtein der Schauſpieler und
Schauſpielerinnen iſt immer der Zwiſchen⸗
raum, wenn ſie nichts zu ſprechen ha⸗
ben, entweder wo ein anderer Zwiſchenre⸗
dner ſpricht; oder wo in den Singſpielen die
Miturnelle eingeſchaltet find. Es waͤre an
dit
| 60 f
die Dichter und wohl mehr noch an die Mu⸗
ſikſetzer eine nicht uͤberfluͤſſige Erinnerung,
bey ihren Arbeiten die Schaubuͤhne und alle
darauf anweſenden Perſonen ein wenig mehr
im Geſichte zu behalten, und die Geſpraͤche,
die Arien und Stuͤcke der mitbegleitenden
Muſik nicht laͤnger anzulegen, als ſich die
muͤſſig gelaſſenen Perſonen mit dem ſtummen
Spiele zu beſchaͤfftigen, im Stande ſind. Die⸗
fe Anmerkung, wenn fie weiters hinausge⸗
fuͤhret, und auf Beyſpiele angewendet wuͤr⸗
de, braͤche manchem witzigen Einfalle der
Dichter, und mancher colorirten Einleitung
der Arien den Stab: aber ich will ſie und
mehrere Unſchicklichkeiten der Singſpiele, wenn
es mir nicht ſonſt einmal an Stoff fehlen
ſollte, in ein eigenes Schreiben zuſammwer⸗
fen, und itzt meine Beobachtungen uͤber die
beurtheilte Saͤngerinn zu Ende bringen.
Gemeiniglich alſo find die Saͤngerinnen,
ſobald ihre Arie voruͤber iſt, ganz nicht mehr
x in
in der Scene: ihre Augen jagen entweder
nach neuem Raube, oder beſprechen ſich mit
denen, welche berits in ihrem Netze find.
Wie froſtig muß dann ein Schauſpiel aus⸗
fallen, worinnen das Geſpraͤch oder der Ge⸗
ſang nicht einmal bey den handelnden Perſo⸗
nen eine Antheilnehmung bewirket? ſoll ich
vielleicht ihrem Schmerzen, den ſie mir nur
erſt in den ruͤhrendſten Toͤnen geklaget, mein
Mitleid, meine Thraͤne ſchenken, da ich
wahrnehme, daß fie, ſobald das Singſtuͤck
voruͤber iſt, ihre Stirne aufheitern, und
einem gluͤcklichen Guͤnſtlinge zulaͤcheln? In
der That, Iris! — möchte ich ſagen, ihre Fo⸗
derungen find ſehr unbillig: warum ſoll ich
mich über einen Unfall noch haͤrmen, wor⸗
uͤber Sie, ſich wirklich ſchon getroͤſtet haben?
Dieſer Vorwurf kann Alceſten nicht gemacht
werden: ſie iſt immer, auch wann ſie ſchwei⸗
get, auf der Schaubuͤhne gegenwartig, und
unterſtuͤtzet durch ein wohlpaſſendes, ſtum⸗
mes Spiel, den Gang und die Hitze der
Han⸗
a, $ f e if das ganze Stück Pe im⸗
mer die leidende, die von fo mancherley
Affecten einer Mutter, einer Gattinn hin und
her geworfene Ungluͤckliche, deren Empfin⸗
dung, auch wenn ſie ſtumm iſt, noch empor
arbeitet, gleich der aufgebrachten See, die
noch lange vom Grunde auf Wellen ſchlaͤgt,
wenn ſchon der obere Sturm ſchweiget.
Dieſe Gaben, die fie zu einer der vortreff⸗
lichſten Schauſpielerinnen erheben, werden
von einer nach den kleinſten Verfloͤſſungen
beuͤgſamen Stimme vergeſellſchaftet, mit
welcher fie beynahe vier volle Oktaven ab»
Läuft, ohne daß die Voͤlle der tiefen Toͤne
der Reinigkeit der hoͤchſten nachtheilig iſt. Sie
iſt alſo auch eine angenehme und ruͤhrende
Saͤngerinn. Das was die waͤlſchen Ton⸗
kuͤnſtler Portamento di voce, und Aus⸗
druck nennen, wodurch eigentlich der Geſang
beſeelet, und ohne welche er ſteif und ein⸗
foͤrmig wird, beſitzet fie fo ſehr, daß ihre
Recitative eben fo melodiſch, eben fo anzie⸗
hend
63
hend (intereffant ) find, als ihre Arien, und
ihre Arien dringen gerade an das Herz. Sie
iſt vielleicht unter den bekannten Sängerinnen
die einzige, die den Geiſt der gluckiſchen
Muſik nicht toͤdtet. Doch es bieten ſich wohl
noch andere Gelegenheiten an, mich mit Ih⸗
nen von einer Perſon zu beſprechen, die als
ein aufbluͤhendes Talent, nach Ihrem erſten
Auftritte beurtheilet, einſt ſich auf die ober⸗
ſte Stufe der Vollkommenheit ſchwingen,
und in dem Ehrenfaale Thaliens und Euter⸗
pens Denkmaͤler erhalten wird, wenn fie
von dem ſo ſehr verdienten Beyfalle, er⸗
muntert nicht geblaͤhet, die Eigenliebe ſchwei⸗
gen zu heißen, und gegen die beſſernde, wohl⸗
meynende Kritik gelehrig zu ſeyn, das Herz
hat. Aber der Wettrenner, der ſich vor der
Zeit am Ziele glaubt, läßt von feinem Laufe
nach, und der Preis entgeht ihm Bernas⸗
Font iſt mit vielen Ruhme in ihren. erſten
Probeſtuͤcke aufgetreten; fie hat die Cabale
beſchaͤmt und zum ſchweigen genoͤthiget; fie
iſt
64
iſt jung und nicht ohne Reizungen. Ohne
Zweifel wird ſie ſich bald von wegelaurenden
Schmeichlern umringt erblicken, die ſie bis
an die Wolken erheben, die fie unverbeſſer⸗
lich, unnachahmlich, goͤttlich nennen, und
mit dem Dampfe des eigennuͤtzig verſchwen⸗
deten Weyrauchs wirbelnd zu machen ſu⸗
chen. Welch ein Gluͤck dann fuͤr ſie, wenn
ihr guͤnſtigeres Geſchick ihr einen unverdaͤch⸗
tigen Freund gewaͤhret, deſſen redlicher Hauch
dieſen betaͤubenden Dampf verblaͤſt, und zu
ihr im offenen, überzeugenden Tone der Wahr⸗
heit ſpricht *
Bientöt votre talent tiendra du Prodige:
N'entends. je point deià de nos illuſtres fous
L’eflain tumultueux. fremir autour de vous
Bourdonner en chorus, elle ef} ma fol Divine !
Et du Theatre enfin vous nomer I'heroine.
Craignes ces vains transports, qu'inſpi-
rent vos attraits!
La veritè confeille & ne vante jamais.
* Weil es verlorne Arbeit geweſen waͤre / dieſe Verſe
in dentſche Reime zu überſetzen; ſo hat man ſie im
Briefe bepbehalten.
x
ne Viertes Stück.
Fuͤnftes Schreiben
Wien: den 2 2. Jauer
.
N
%
5 Als um den Anfang des itzigen Jahr⸗
8. > hunderts Peter Cotta in Ve⸗
A nedig den Ariſtodemus des
Dottori auf die Schaubuͤhne brachte, hat⸗
te er die Vorſichtigkeit, auf dem Anſchlage⸗
zettel zu verkuͤndigen, daß in dieſem Stüs
cke Harlekin nicht erſcheinen, daß der In⸗
halt dieſes Trauerfpiels ſehr ruͤhrend, und
die Vorſtellung den Zuſchauern Thraͤnen
entreißen würde Aus den hierorts uͤbli⸗
chen Anſchlagezetteln zu urtheilen, wovon ich
Ihnen um der Seltenheit wegen einen bey⸗
lege *ift der Zuſtand der deutſchen Wiener⸗
E | ſchau⸗
* Heute Dienſtags: den 29. December wird auf
den kaiſerlichen privilegisten Theater naͤchſt dem
Kärthnerthore aufgefuͤhret werden / eine wohl ins
kriguirte/ überau luſtige und ſehenswuͤrdige Haupt⸗
Bowlesque betitelt: die groͤyte Thorhelt der
Wall iſt eine un gegruͤndete Eiferjucht zwiſchen vers
mnuͤuf⸗
66
ſchaubuͤhne ungefaͤhr derſelbe, mit dem da⸗
maligen Zuſtande des italiaͤniſchen Theaters:
und wenn ein deutſcher Cotta es waget, ein
Stuͤck von ernſthaftem Inhalte erſcheinen zu
laſſen: fo möchte er immer den großen Hau⸗
fen der Zuſchauer vorhinein dazu bereiten, daß
in dieſem Stücke Hanswurſt nicht erſchei⸗
nen / daß der Inhalt des Trauerſpiels ſehr
rührend, und die Vorſtellung den Zuſchau⸗
ern Throͤnen entreißen würde — und
dann — ja und dann wird das Schauſpiel⸗
haus ſo wuͤſte und leer ſeyn, als es bey der
zweyten Auffuͤhrung Hermanns und Thuß
neldens war denn |
Wer
nüͤnftigen Eheleuten / mit Hansreurft einem Tas
ſtigen Gaſtwirth / ciferfüchtigen Ehemann / lächers
lichen Prokurator des Hausftie dens / neumodiſchen
Frauenzimmers / kurioſen Hochzeitbitter / und bru⸗
talen Tracteur. |
DE Der Ueberſetzer bat ſich die Frenheit genommen,
ſtatt der franzöfifchen Pro fa dieſe Verſe Trug ers
herzuſetzen / weil fie den Sinn des Fremdlings
beynahe in ſich enthalten. Das Amt eines He
derſetzers iſt ohnehin ruhmlos: man vergoͤnne ihm
wenigſtens / daß er feinem Gedaͤchtniſſe hie und
dort Ehre machen moͤge.
67
Wird Helden anzufehn, in zwo Minuten ſatt.
Genug, daß ihn das Kleid des Helden eingenom⸗
men:
Doch ſpricht der Held: fo heißts: wird nicht
der Narr bald kommen?
Der ihn durch einen Schritt / ein Wortſpiel an
10 | ſich zieht:
Man lebt gleich auf / ſo bald man feines gleichen
ö lehnt >
Der Narr iſt allemal das noͤthigſte der Bühnen :
Der macht ſie angenehm / der muß das Geld ver⸗
dienen.
Hätte die hieſtge Schaubuͤhne einen Dra⸗
maturgiſten, der ein getreues Tagebuch
über die gegebenen Stuͤcke führte, der Mann
moͤchte Ehre einlegen, wenn er bey einem
Jakerl zu St. Mary: drey Sanswuͤrſten
von Salzburg: Baſilisko di Bernagaſſo:
Macht der Fey Galantine / galanten pilge⸗
rinn oder zwey Sans wurſten und allen den
cederwuůrdigen Stůͤcken von ſinnreicher Des
nennung und erbaulichem Inhalte, wenn er
bey ſolchen Stuͤcken ohne Zahl, ſeine innigſte
Vertraulichkeit mit den Geheimniſſen der
8 i E 2 Schau⸗
68
Schauſpielkunſt an Tag legen, und die Fein⸗
heit der witzigſten Wertſpiele, der niedlich⸗
ſten Zweydeutigkeiten, und den leiſen Gang
der Handlung „ und die Ueberraſchung der
Begebenheiten, und die Kunſt, das Fell der
Schauſpieler zu gaͤrben und —
a Rede ich noch immer von dieſem Wuſte
mit Ihnen, der Sie ohne Zweifel von fer⸗
ne anſtinkt, und den Abſcheu rechtfertigen
heißt, den die artigere Welt vor einem Schau⸗
ſpiele hat, welches nicht ſelten Anſtand und
Sitten, faſt beſtaͤndig die geſunde Vernunft
empoͤret? Sie ſollen kuͤnftig damit verſcho⸗
net werden. Indeſſen weis ich nicht zu ent⸗
ſcheiden: liegt der Fluch der Vernunft ſchwe⸗
rer auf denjenigen, die auf den Brettern gau⸗
keln, oder auf denjenigen „ die von unten
hinauf den Gauklern Bravo zurufen: ich
ſehe nur, daß ein feindſeliges Schick⸗
ſal über der deutſchen Schaubuͤhne waltet,
und die Bezauberung noch immer fortdau⸗
ret;
69
ret; aber vielleicht iſt ſie ihrem Ende nahe.
Hoͤren ſie, worauf ich meine Muthmaſſung
gruͤnde, und wie ich vermuthe, daß die Ver⸗
nainft und der Geſchmack in ihre Rechte wer⸗
den eingeſetzt werden!
Solange noch bey einem Stuͤcke, worin⸗
nen der Menſchenverſtand in jedem Auftritte
verlaͤugnet, aber entweder ein ſchwarzleine⸗
ner Teufel mit einer Schafblaſe, oder ein
papierner Drach an vier Leinen, oder ſo
was Aehnliches zu ſehen war, ſo lange bey
ſolchen Stuͤcken, wie man mich verſichert,
die Zuſchauer vor Gedraͤnge zu erſticken dach⸗
ten, ſo lange war alle Hoffnung, jeder Ver⸗
ſuch, die Schaubuͤhne zu laͤutern, eitel. Das
Publikum war ein Kranker in dem heftigſten
Anfalle der Hitze: das geringſte Einreden
wuͤrde ihn nur noch raſender gemacht haben.
Ungluͤcklich fuͤr die neue Theatralunter⸗
nehtkung, die das Schlachto pfer des oͤffent⸗
lichen Vergnuͤgens werden muß; aber viel⸗
E 3 leicht
leicht zum Gluͤcke für den Geſchmack,
koͤmmt ein Menſch, der nicht eine Syllbe
von der Landesſprache verſteht: er gewinnt
das Vertrauen des Unternehmers, man
Aberlaͤßt ihm die Beſorgung der deut ſchen
Schaubuͤhne. Er laͤßt Hunde tanzen, und
ruft: ſehen ſie meine Herren, das ſind
neue Ballete! Er wuͤhlet in dem Packhauſe
der abgenuͤtzteſten Frazenſtuͤcke das Unterſte
herauf, bringt die Verlegenſten auf die Buͤh⸗
ne, und ſpricht: ſehen fie meine Herren,
das ſind ſehenswuͤrdige Burlesken! mei⸗
ne Burlesten und meine Ballete werden
das Haus vollfüllen, Aber das Haus
wird micht voll; denn man hat, nur noch vor
einigen Jahren in einer Markthuͤtte wahre
Hunde weit artiger als die ſeinigen tanzen
gefehen : und über dem hundertmal aufge⸗
waͤrmten Krame mußte zuletzt bey den Zu⸗
ſchauern wohl Ekel entſtehen. Satt von
Poſſen und plattem Witze iſt dem Haufen,
ſelbſt
21
ſelbſt der Namen dieſer ſonſt ohne Aufhoͤ⸗
ren beklatſchte Namen Burleske, ein Ab:
ſcheu: ungefaͤhr, wie einem Menſchen, der
ſich an irgend einer Speiſe uͤberladen hat,
die kleinſte Erwähnung dieſer Speiſe zuwi⸗
der iſt.
Das iſt der guͤnſtige Augenblick, deſſen
man ſich bemaͤchtigen, und da nun einmal
die Eichel unſchmackhaft geworden, nach
und nach zu einer anſtaͤndigeren Nahrung
leiten muß. Die Unternehmung wird ver⸗
nünftigere, geſittetere Stücke aufführen: der
Adel, wenigſtens derjenige, der an der Na⸗
tionalehre einigen Antheil nimmt, wie ihm
von der Nationalſchande der ſeinige ganz ge⸗
wis zugemeſſen worden, wird dieſe Stuͤcke,
die den Geſchmack zu verbeſſern, und die
Schmach der Nation hinwegzunehmen ge⸗
widmet ſind, durch ſeine zahlreiche Gegen⸗
wart gleichſam einweihen; der uͤbrige Theil
wird ſeinem Beyſpiele folgen, und Schrift⸗
| E A4 ſtel⸗
72
ſteller durch Beyfall ermuntern; das Schös
ne wird durch ſeine Reizungen, auf die man
nun zu merken, Gelegenheit haben wird, an⸗
ziehen; die Kritik, die den poͤbelmaͤſſigen
Dichtern und Schauſpielern unerträglich
ſcheint, weil ſte ihnen ewig ihre Ungeſtalt⸗
heit vorwerfen muß, wird ihr beſſernde
Stimme ungehindert erheben, und gerne ge⸗
hoͤret werden, da fie nun nur Fleken abzu⸗
wiſchen hat, und ihre Erinnerungen mit ver⸗
dientem Lobe mildern kann: unbekannte Ge⸗
nies werden aufſtehen, und die Schaubuͤhne
vecherrlichen; von ihr wird die Klarheit ſich
uͤber den Umgang ausbreiten, und die Le⸗
hensart der ganzen Nation verfeineren — und
alle dieſe gluͤcklichen Folgen werden dem Vor⸗
gange des Adels, und einer geringen Ge⸗
faͤlligkeit gegen Stuͤcke zu verdanken ſeyn,
welche allenfalls nicht die vollkommenſten
ſind, aber Anlage zur drammatiſchen Dichte
kunſt, aber Funken der göttlichen Flamme
offen⸗
73
offenbaren, und in Zukunft Corncille oder
Voltaͤre verheißen.
Nun erſt werde ich gewahr, daß mich
meine Einbildung aus dem Standorte eines
bloßen beobachtenden Reiſenden weggehoben,
und in die Stelle eines Mannes verſetzet
hat, der von dieſer guͤnſtigen Veraͤnderung
mit dem lebhaften Gefuͤhle der Antheilneh⸗
mung ſpricht. Ich muß, dieſe Hitze verflie⸗
gen zu laſſen, mein Schreiben fuͤr heute aus
der Hand legen.
Sechſtes Schreiben
den 23. Jaͤner 1768,
Se. dachte ich, wuͤrde der Adel einer
| Nation, bey welcher Talente und Er⸗
munterungen nicht eben haͤufig find, fo wuͤr⸗
den ihre Großen, auf welche die Blicke der
nachaͤffenden Kleineren unabgewendet gerich⸗
ket find, deren oͤftere Gegenwart ſchon als
ein ſchmeichelhafter Beyfall gelten kann, ſo
E 5 wuͤr⸗
wuͤrden fie ermannen und Thufnelden *
aufnehmen; das zweyte Stuͤck eines Na⸗
tionaldichters, eines feinen Mannes, der
ſein Blut und Leben dem Vaterlande, und aus
einer eben fo patriotiſchen Abſicht ; feine er⸗
uͤbrigten Stunden den Wiſſenſchaften und Ge⸗
ſchmacke widmet, der ſchon nur dieſes ruhm⸗
wuͤrdigen Bemuͤhens wegen, ein Liebling ſeiner
Landesleute, und Guͤnſtling derjenigen zu ſeyn
verdienet, welchen Geburt und Wuͤrde den
Schutz der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte nicht
vergebens aufgetragen haben ſollten. Ich
habe geirret; und dieſes wirft die Hoffnung
welche man von der annäherenden Laͤuterung
des Theatralgeſchmack⸗ gefaßt haben konnte,
um ein halbes Jahrhundert zuruͤcke.
Die Schaubuͤhne war bey der erſten Vor⸗
ſtellung angefuͤllet; aus den Logen und vom
Par⸗
* Hermann und Thusnelde ein Tram
erſpiel in Berfen vom Verfaſſer des Aurelius.
* Im Vorberſcht gegen das End.
75
Parterr ward dem Verfaſſer Beyfall zuge—
rufen: und, welches den lauten Beyfall un⸗
endlich übertrifft, aufmerkſame Stille herrſch⸗
te in dem ganzen Raume des Schauſpiel⸗
hauſes. Warum verſagten ſie ihre Gegen⸗
wart der zweyten Vorſtellung? glauben fig,
daß man Trauerſpiele fuͤr eine einzige Vor⸗
ſtellung ſchreibt? warum werden ſie nicht
muͤde, ein waͤlſches poſſterliches Singſpiel
zehnmal hintereinander zu ſehen? — das
Vergnuͤgen des Ohrs iſt ein ſinnliches Ver⸗
gnuͤgen: die Ruͤhrung des Trauerſpiels iſt
ein Vergnuͤgen des Geiſtes: ſollte darinnen
die Urſache liegen; o fo mag der Geſchmack
wohl auf ewig Urlaub nehmen!
Das Trauerſpiel Hermann und Thus⸗
nelde iſt, im Ganzen betrachtet, nicht fehler⸗
frey: es iſt ſogar bey ſeinem Plane vieles
zu erinnern: aber es hat eine Menge ruͤh⸗
render Auftritte, es hat anziehungsvolle
Stellungen ( Situations ) es hat, unter eis
ner
. 86
net Menge leichten, und vielen ziemlich pro⸗
ſaiſchen Verſen, auch ſehr viele von vortreffli⸗
cher Harmonie, viele recht glaͤnzende Stel⸗ |
len, und manche, worinnen ſich die wahr:
haft maͤnnliche, und (Franzoſe gegen Fran⸗
zoſen geſprochen) die große deutſche Den⸗
kungsart ſchildert. Beſonders ſind dem Ver⸗
faſſer diejenigen Stellen ganz ausnehmend
gegluͤcket, wo der Soldat und Patriot
ſpricht. Die Seele des tapferen, ſeines
Vaterlands vollen Grenadiers wird darin⸗
nen gleichſam ſichtbar.
Sie ſind begierig einige von dieſen Stel⸗
len zu hoͤren? ohne Zweifel? ich will das
Buͤchelchen von ungefähr aufwerfen: denn
Sie finden derer beynahe auf jeder Seite.
Sejanus der Abgeſandte Roms.
Der Ruhm des deutſchen Volks, den laͤngſt
die Welt vernommen —
ers
104 N
germann.
Halt ein! wie? biſt du uns zu ſchmeicheln
hergekommen?
Hier haßt man bie! e Kunſt der roͤmſchen
Artigkeit:
Erſpare fie! — nnd ſag, was Caͤſar dir
gebeut!
Hermann gegen eben denſelben.
Sprich wär’ es uns wohl ſchwer, die Urs
e i fach zu ergruͤnden,
Daß unſre Sitten nicht der Römer Beyfall
finden?
Sind ſte vielleicht zu ſtreng, zu einfach und
zu rein?
Sind fie zu kriegeriſch, um euch beliebt zu
ſeyn?
Wollt ihr, um Nag dereinſt Ka an
uns zu rächen ,
Durch feiger Wolluſt Gift erſt unſre Koͤr⸗
per ſchwaͤchen?
Durch dieſe Sitten ſelbſt, die Rom ſo we⸗
ii 9
Hat Deutſchland euch den? Rhein zur Graͤn⸗
ze ſtets geſetzt:
Ihr Römer — ſeyd zu ſchwach, uns Graͤnzen
| auszuſtecken!
Beſchuͤtzt die eurigen, wir werden unſre
decken:
Ihr uͤberſchrittet fie mit Waffen in der
Hand —
Katumer Hermans Vertrauter.
Rom, das verwegne Rom, zu ſtolz auf jene
Macht,
Die in ihr eiſern Joch, die halbe Welt ge⸗
bracht
Beſtimmte dazumal auch unſerm Vaterlande,
Dem freyſten Volk der Welt, der Knecht:
N ſchaft harte Bande:
Fuͤr unſre Freyheit nur ergriffen wir das
| Schwerdt;
Mer nicht fie dieſe ſtirbt iſt nicht, zu leben,
| | werth:
Die Goͤtter und dein Muth verfochten unfre
Rechte,
Das
Das freye Deutſchland ward zum Grabe
roͤmſcher Knechte:
Rom ward gebeugt, und wir ſind frey — auf
ewig frey:
Sprich nun was willſt du mehr —
Hermann g
Ich will die Tyranen
In dem verhaßten Blut des letzten Roͤmers
| | ſtrafen:
Ich will der ganzen Welt, Recht, Gluͤck und
Freyheit ſchaſſen.
Dieſer Auftritt (der IV. im II. Aufzug) it
beynahe durchaus ſo koͤrnicht; und der Mann,
der ſo eifrig für den Krieg zu reden weis,
iſt auch ſehr beredt, wann er den Schlangen⸗
ſtab in die Hand nimmt, um ein Herold des
Friedens zu ſeyn. Eben dieſem Natumer
hat er Worte in den Mund gelegt, die man
jedem kriegeriſchen Volke, unaufhoͤrlich zuru⸗
fen, jedem Eroberer, als einen güldenen
Denkſpruch, uͤber feinem Raſtbette, auf dem
N. er⸗
a ET a
80 i
nn ——D— ——ñ—̃ͤ ——— = — 5 — =
er feine Vergrößerung und die Verheerung
der Welt beſchluͤßt, hinſetzen möchte —
Sprich! was gewinnen wir, wenn Deutſch⸗
land ſich vergrößert?
Wird feiner Bürger Stand in mindeften
gebeſſert?
Nur innre Ordnung kann der Staaten
| Macht erhoͤhn:
Ich habe kleine ſtark, und große ſchwach geſehn.
Soll Deutſchland gluͤcklich ſeyn: ſo ſey es
tugendhaft!
Durch Sitten heb' es ſich, durch Kunſt und
Wiſſenſchaft!
Nicht durch Eroberung, die ihm nie Muſſe
goͤnne,
Den beſſeren Gebrauch der Menſchheit zu
erkennen —
Sonſt wird man müde elendes Zeug abzu⸗
ſchreiben: aber ich würde es hier werden,
uber dem vielen Schoͤnen, welches ich onen
noch alles herſetzen koͤnnte —
2
Funfſes s Stück. 2
Siebentes Schreiben
Wien: den 27. Jaͤner
176
9
Kar Glaͤnzende Stellen im Hermann der
S De Fuͤlle — aber auch unedle,
| muͤſſige Verſe, das, was wir
unkorrekte nennen; und ſogar hie und da
Fli terwitz, wahre Concetti, die der geſet tere
Deutfche, dem taͤndelnden Italiaͤner übers
laſſen ſollte —
Unedel, um von jedem r nur ein Beyſpiel
zu geben, iſt der Ausdruck Segeſts * der ſei⸗
ne Verſoͤhnung mit Sermannen durch den
Untergang Roms zu beſtegeln, mit kriegeri⸗
ſcher Hitze ſich vermaß:
Ich will mit ihm vereint, auf Deutſchlands
Feinde gehn:
Und ſterben — oder mich an 75 e
Ja! "die Rache werd' eh nicht it ge:
nennet,
; 0 Als
g I, Außzug: 1. Auftritt.
82
Als bis das letzte Dach im Kapitole bren⸗
net —
Wenigſtens (will Segeſt ja durchaus Feuer
und Brunſt haben) haͤtte er ſprechen koͤn⸗
nen:⸗ 1
Als bis das Kapitol in lichten Flammen
brennet —
Wiewohl mir auch dieſer Ausdruck nicht
Genuͤge leiſtet, und es vielleicht am beſten
gethan war, den Gedanken des Schlußver⸗
ſes von dieſer Scene — den Gedanken des
Verſes, nicht den Vers — hinaufzuneh⸗
men 4
Bis Nom das deutſche Volk fuͤr ſeinen
Herrn erkennet:
Das war die eigne Wiedervergeltung fuͤr
den ſchaͤndlichen Triumph, den juͤngſt
Thusnelde zierte —
Ueberhaupt hoͤre ich Segeſten in dem
Anftritte ““ worinnen Hermann Thusnel,
den bey ihm findet mehr hadern als ſtrei⸗
ten,
III. Auß II. Auſtr ·
ei Aber ich wollte ja von jedem nur ein
Beyſpiel geben. >
Muͤſſige Verſe find alle, die der Rein
herbeygebracht; und dieſen boͤſen Streich |
fpielte er dem Dichter ſehr oft, und führte
ihn wohl auch manchmahl auf Unrichtigkei⸗
ten gegen die Sprachlehre, wie in der Stel ·
le“
Was As dir Verdacht für meine Worte ein?
Ich ſchmeichelte mir ſonſt von dir geglaubt |
zu ſeyn.
| Verdacht gegen Worte iſt ſprachrichtig:
und geglaubet leidend, kann nur unper⸗
ſoͤnlich gebraucht werden —
Noch augenſcheinlicher *
Geliebter Vater! ſag, 1 hätt’ Ahn wohl
wegt?
Der Groll, den er zum Schein, aus Trug
nur abgelegt. N
Bewegt wegen abgelegt; ſonſt ſollte es be⸗
wogen heißen: und: zum Schein: iſt offenbar
4 F muͤſ⸗
7 Auf IV. Auftr.
III. Aufzug J. Auftrit,
*
84
muͤſſig, da es den Begriff: aus Trug, wo⸗
einnen es ſchon enthalten iſt, nicht erhoͤhet
aber es war ein Fuͤllwort, zwo Syllben zu
gewinnen. Hauptſaͤchlich lauerte ihm der Reim
auf den Dienſt bey laͤngeren Reden und Er⸗
zaͤhlungen. Leſen ſie den dritten Auftritt
des letzten Aufzugs, wo Natumer Thus⸗
nelden den unvermutheten Uebergang der ſe⸗
geſtiniſchen Truppen an Hermannen erzaͤhlt.
Thusnelde.
I Doch ſage Katumer?
Mein Vater? mein Gemahl?
Katumer.
ah Fuͤr keinen ſorge mehr!
Sie find nunmehr verſoͤhnt, ohn alles
g | Blutvergieſſen
Verſoͤhnet — Fenn
B Thusnelde.
Himmel wie? o laß mich alles wiſſen!
Katumer.
Vernimm es! kaum, als noch dein groffer
Ehgemahl u. ſ. w.
Wan
85
Man blaͤſt zur Schlacht! und ſieh: ein
Ausbruch edler Hitze
Stuͤrzt deinen Gatten ſchon an der Cherus⸗
ker Spitze:
In jenen Theil des Feinds, der ihm 1
Begluͤckter Falllerweg: als waͤr es abaeredte
Wirft eine Schaar Segeſts ohn' alle Gegen⸗
wehre
Zugleich die Waffen hin; und 1 zu 1 1
eere
Dem Beyſpiel folgt ſogleich die Shen ge⸗
ſtandne Schaar
Die zweyte, dritte nach — ja eh nur moͤg⸗
ich war: u. ſ. w.
Raſtolf und andre mehr, die von dem naͤch⸗
ſten Haufen
. während dem Gefecht, aus Neugier
Zugelaufen,
| Begehren ſaͤmmtlich itzt, und 8 Segeſtens
Blut —
Die Leute, was haben die zu fordern? ſie
find hier eben ſo uͤberfluͤſſig, als bey dem Ge⸗
fechte, dem ſie aus Neugier zugelaufen —
x Ich weis nicht, was der Mann gegen eir
nen gewiſſe proſaiſche, und wie ich mich zu
erinnern glaube, gottſchediſche Redensart für
F 3 ei⸗
86
eine vorzuͤgliche Liebe hat, daß er davon ſo
oft Gebrauch macht 2
Und ſich auf jeder Stirn ſo Scham als Reue
zeiget —
Durch die du ſo Gemahl als Sohn zu neu⸗
em Schmerz —
Der Himmel muͤßt 70 erſt, ſo Muth, als
Kraͤfte rauben —
Dieſe Verbindungsart giebt dem Verſe ein |
gewiſſes ſchleppendes Anſehen, und iſt gleich
wohl ſo leicht zu vermeiden.
Und ſich auf jeder Stirn Reu und Beſchaͤ
mung zeiget -
Durch die du den Gemahl und Sohn zu
neuem Schmerz —
Der Himmel muͤßt euch erſt den Muth, die
Kräfte rauben.
Mich daͤucht, der Verfaſſer Zermanns habe
uͤberhaupt den Mechaniſmus der Poeſie zu
geringe geachtet; und die Muſe, die als ei⸗
ne Frauensperſon nicht gerne auch nur des
zufaͤlligen Zieraths entbehren will, habe ſich
an ihm deßwegen ein wenig geraͤchet. An un⸗
ſern Dichtern bin ich der proſaiſchen Spra⸗
| che
L
87
——
che freylich ganz gewohnt: aber was kann
ich dafür, daß mich die deutſchen Schriften
an etwas fo Koͤrnichtes, und Wohltoͤnendes
verwoͤhnet haben.
So viel ein Fremdling in das Weſen einer
Sprache, auf welche er nicht eben feine gan⸗
ze Lebenszeit verwendet hat, einzudringen ver⸗
mag, daͤucht mich, der poetiſche Wohlklang
der deutſchen Gedichte muͤſſe in einer gewiſ⸗
ſen edleren Ordnung der Rede geſucht werden,
die von der proſaiſchen dadurch abgeht, daß
ſie die Begriffe, auf denen der Nachdruck
ruhet, wie ein kluger Maler die Hauptper⸗
ſon ſeiner Handlung, ſtark ins Geſicht brin⸗
get, und ſich vollklingende Beywoͤrter, kuͤh⸗
nere Verſetzungen erlaubet. Die ungebundene
Sprache ſen ein Maͤdchen, daß ſich durch ih⸗
re Reinlichkeit und untadelhaften Geſchmack
empfihlt! die Sprache des Dichters, beſonders
des tragiſchen, ſey ein Maͤdchen, das durch ih⸗
re Den die Augen aller Welt auf ſich zieht!
5 4 Ei⸗
Eine prächtige, aber nicht eine WIEN
die fich zieret —
Freund! dieſe Thraͤnen hat der e nt
5 eee
Ich wuͤnſche, daß ſein Haß mit ih nen weg⸗
gefloſſen
Thraͤnen— bier —durchſtoſſe e meine Bruſt
Sieh, ob du Blut erhaͤltſt! und du erwar⸗
teſt Thraͤnen
Thraͤnen, mit welchen der Haß wegfluͤßt —
eine Bruſt, die durchſtoſſen, kein Blut
giebt: das find Flitterzierathen — ungefähr,
wie junge Mädchen, die noch keine achten
Juwelen haben, ihre Haare mit falſchen
Steinchen vollpropfen.
Ich bin Ihnen noch unkorrekte Beyſpiele
ſchuldig: eben habe ich eines vor mir, das
ſehr in die Augen faͤllt 2 |
Ein Herz das fein Gefühl, das Thaten uͤber⸗
herr ſich nicht durch den Glanz W
Worte beugen —
Ein
Ha Auf IV. Auftr. IV. Aufzug II. Auftritt
IV. Aufzug III. Auſtr.
a 89 6
Ein Herz beugen? bewegen ſazt man von
Herzen: beugen iſt nur bey Sinn üßs
lich, wegen des Beyworts ſteifer Sinn —
eber es mag hingegen! doch ein Herz durch
Clanz beugen? blenden allenfalls möchte
der Glanz, wo das Herz Augen haͤtte —
Die geſchminkten Worte will ich 0
men laſſen.
Noch eines von dieſer Art“
Er gleichet einer Flut, die, weil man ſie
verdaͤmmet !
Aufſchwellend maͤcht'ger wied „je langer man
| e hemmet
Ein Streich noch, der ihn krankt, entbindet
ſeine Wuth —
Betrachtet man das Gleichniß nicht als
ene Einſchiebung, die fir ſich ein abgeſoͤn⸗
dertes Ganzes machet — und in der Lage
Tann man es ſchwerlich alſo betrachten — fo iſt
es die ſonderbarſte und unzuſammenhangend⸗
ſte Allegorie von der Welt. Aber auch,
dann noch, wann man der Stelle dieſe Nach⸗
85 ſicht
. Aufl. IV. Auftr. N
90
ſicht wiederfahren laͤßt, wie kann man ſeine
Wuth durch den Streich entbinden?
Dieſe Unrichtigkeiten des poetiſchen ſowohl
als proſaiſchen Ausdruks werden eigentlich
— LE 7
dadurch begangen, daß der Schriftſteller die
angefangene Allegorie fahren laͤßt, und ſich
unvermerkt in eine andre verlieret; wenn er
einer Urſache Wirkungen zueignet, die ſich
nicht davon ableiten laſſen; wenn er das Ge⸗
birg der; Schwierigkeiten hinanſteigt, um
in den Hafen der Unſterblichkeit einzulaufenz
oder mit Horatzen zu ſprechen: wenn er
abentheuerlicher Weiſe Delphine in die Waͤl⸗
der, Eber in die Wellen verſetzt. Die
Korrektion des Ausdrucks iſt alſo die Ein⸗
heit der Allegorie. Feurige Genies, ben
denen die Bilder mit ſchneller Abwechslung
folgen, und einander ſchon verdraͤngen, ehe
fie noch ganz uͤberſchauet werden konnten;
dieſe ſind der Unkorrektion mehr unterwor⸗
fen, als die kalten Schriftſteller, deren Ein⸗
hill
91
bildung uͤber einem einzigen Gleichniſſe ſchon
auſſer Odem geſetzt iſt, wie ich ſelbſt mit einer
kleinen Unrichtigkeit zu ſagen verſucht bin: fo
ſchuͤſſen geile Auswuchſe weit eher auf gutem
Grunde als einer Sandhaide auf. Das
Mittel fie zu vermeiden, liegt in dem Gebo⸗
te des Britten:
„Entwirf mit Feuer; aber arbeite mit
35 Phlegma aus! N 8
Von dem Ausdrucke des Dichters, das iſt
von dem Volorit hätten Sie ungefähr mein
Urtheil nun find Sie auch auf den Gang der |
Handlung, der gleichfam der Umriß iſt, Des
gierig — Ich will dieſe Materie nicht zer⸗ 6
ſtuͤcken; und ich habe Sie für heute mit noch
etwas anderm zu unterhalten.
Wiſſen Sie, daß meine Briefe an Sie —
gedruckt werden! — gedruckt mein Freund!
und wann ich alſo wieder zu Hauſe komme,
ſo kann ich Ihnen mit der demuͤthigen Ge⸗
behrde eines Schriftſtellers gegen ſeinen
Goͤn⸗
92
Goͤnner ein neues Buch darreichen, ſo Sie
ſchon geleſen haben. Sehen Sie, vor langer
Weile werde ich Autor: das iſt zwar nichts
ſonderbares; wandelt doch der Schriftſtel⸗
lerberuf die meiſten vielleicht darum an, weil
ſie kein Handwerk koͤnnen, und alſo nicht
wiſſen, ſich womit zu beſchaͤfftigen — oder
zu naͤhren. 5
Die Geſchichte meiner Autorſchaft, werde
ich Ihnen einſt vorleſen: nun hoͤren Sie ein
kleines Autorabentheuer: denn in Wien zieht
die Autorſchaft gemeiniglich kleine „ und oft
auch wichtige Vorfälle zu.
Ich war bey der vierten Vorſtellung des
neuen Trauerſpiels zugegen: der Anblick ei⸗
nes ſo zahlreichen Adels war mir recht er⸗
freulich. Ich weiß nicht, welchen Antheil ich
ſeit einiger Zeit an dem Geſchmacke und Ruh⸗
me einer Nation nehme, unter welcher ich,
zwar nicht das gleißende Außenwerk der
Höflichkeit unſrer Pariſer, aber viele Gruͤnd⸗
lich⸗
93
lichkeit des Charakters, und eine einnehmen:
de Offenherzigkeit wahrnehme. Ich enthielt
mich alſo nicht, mein Vergnuͤgen einem, der
mir zunaͤchſt ſaß, mitzutheilen. .
Ich freue mich — hub ich gegen ihn an —
uͤber dieſe Menge von Zuſchauern bey einem
Stuͤcke, welches dem Gegenſtande nach, ge⸗
wiſſermaſſen auf Deutſchland das wirken ſoll⸗
te, was Bellois Belagerung von Calais
auf Frankreich wirkte —
Ich glaube nicht, verſetzte er mir, daß wir
unſern Patriotismus nach der oͤftern oder
ſeltneren Vorſtellung eines Schauſpiels bes
rechnen werden. Vielleicht iſt nicht ein eini⸗
ger Zuſchauer aus einem ſo erhabnen Be⸗
weggrunde zugegen —
Allein — fuhr ich fort — das Stuck an
ſich ſelbſt verdient geſehen zu werden: waͤre
es auch nur darum, um angehenden Dich⸗
tern durch einen Beyfall Ermunterung zu
An
a ER der Zee BER, als jede andre
Belohnung ſeyn muß —
Sie reden — fiel er ein — aus dem Frans
zoſen, der ſich ungebeten und unverdankt mit
unſrer Schaubuͤhne abgiebt, und in ſeinem
heutigen Schreiben, den Adel zu dieſem neu⸗
en Trauerſpiele hereinſchimpfen will.
Der Franzoſe war ich: und mir ſtieg ei⸗
ne Roͤthe auf, die mich verrathen haben folk
te, hätten wir fo. einander im Gefichte ge⸗
ſtanden, als wir nur neben einander ſaſſen —
Ja hereinſchimpfen; hub er nochmal an:
der Müffiggänger, wie er ſelbſt von ſich ſagt,
macht uns aus der Schaubuͤhne ein ernſthaftes
Geſchaͤft: wir ſollten, wenn es nach ihm gieng,
ein neues Stuͤck mit Gepraͤnge einweihen,
und in der Schaubuͤhne fuͤr die Ehre der
Ration gaͤhnen —
Gaͤhnen? — ſollten Sie uͤber u. Stuͤ⸗
cke wohl gegaͤhnet haben? — Nicht uͤber
dem Stucke, aber uͤber der Vorſtellung, wo⸗
durch
.
| EHE 95 .
durch das Stuͤck, ſo viel es an ſich ſelbſt
Anziehendes hat, ungemein verlor, und,
ich ſage es noch einmal, gaͤhnen machte.
Das moͤchte der Mann, der die Schuld un⸗
ſrer elenden Nationalbuͤhne dem Adel ſchlech⸗
terdingen aufbuͤrdet, ein wenig überdenken ,
ehe er ein fo voreiliges, ein fo kuͤhnes Urtheil
von dem beſſern Theile einer ganzen Nation
dahinſchreibt! das möchte er ein wenig über:
denken: daß die guten Stuͤcke auf unſrer Buͤh⸗
ne ſelten erſcheinen; und dann, wann ſie er⸗
ſcheinen, daß fie von den Schauſpielern oft
ganz unkennbar gemacht werden. Wann die
deutſche Schaubuͤhne erſt mit ſolchen Per⸗
ſonen beſetzt ſeyn wird, welche der Aufmerk-
ſamkeit der artigern Welt wuͤrdig ſind, dann
komme er, und erneure ſeine Foderung, dem
Nationalſchauſpiele den Vorzug vor einem
poſſierlichen Singſpiele zu geben, wo we⸗
nigſtens unſer Ohr ergoͤtzet wird, da in jenem
bis itzt Ohr und Auge nnr beleidiget werden!
9 106 85
66
er wird ſehen, ob wir ein Vergnuͤgen von
uns ſtoſſen, nach welchem wir uns ſo lange
und vergebens ſehnen, und aus Mangel deſ⸗
ſen allein wir zu dem auslaͤndiſchen Zeitver⸗
treibe die Zuflucht nehmen. |
Diefer ganze Verweis ward fo gerade zu
an mich gerichtet, daß ich auf allerley Arg⸗
wohn gerieth; und um unangenehmen Erklaͤ⸗
rungen vorzubeugen, mich unter dem Haufen
verlor. Beſorgen Sie darum nicht, daß ich,
weil mir jemand uͤber die Schulter guckt,
wann ich an Sie ſchreibe, in meinen Ur⸗
theilen aͤngſtlicher werde! ich mache es, wie
es der Schauſpieler machen folb: er vergeſſe
die Juſchauer, damit ſie vergeſſen, daß er
Schauſpieler iſt —
Sechſtes Stück.
Achtes Schreiben
Wien: den 20. Jaͤner
1 76 8. ö
W eine Armſeligkeit der andern auf
Rus der deutſchen Schaubuͤhne
Platz machet; ſo iſt es immer
beſſer gethan ‚ftatt mich auf ein langweiliges
Verzeichniß ekelhafter Poſſenſpiele einzulaſ⸗
ſen, ich ſpreche mit Ihnen weiter uͤber Her
mannen und Thusnelden — Stücke, an
denen plura nitent nur dieſe verdienen,
daß man bey ihnen ſtehen bleibt, und die
paucas maculas “ die fie allenfalls noch ver⸗
unzieren, verwiſcht wuͤnſchet. De
Wie komme ich doch heute dazu, Sorazen
anzufuͤhren ? es ſey darum! nun Soraz ein⸗
mal zugegen iſt; ſo laſſen Sie mich von ihm
ein wenig Gebrauch machen! unſer Brief⸗
G wech⸗
Vieles vortrefflich iſt —
Wenige Flecken —
998
wechſel bekoͤmmt dadurch ein gelehrtes An⸗
ſehen; und das iſt vielleicht doch auch zu ir⸗
gend etwas gut. |
So oft ich eine Schrift, und beſonders
ein theatraliſches Gedicht von einigem Wer⸗
the vor mir habe, worinnen ich Anlage und
Talent entdecke ſo errichte ich mit dem Ver⸗
faſſer in meinem Gedanken genaue Freund⸗
ſchaft, und wuͤnſche dann meinem Freunde,
den rechtſchaffenen und einſehenden Mann
des Flakus * der den leeren Vers tadle /
den harten ſchelte, den unedlen quer durch⸗
ſtreiche; der die üppigen Zierathen wege
ſchneide; der ihn anhalte, den dunkeln
Stel⸗
Vir bonus & prudens verſus reprehendet inertes,
Culpabit duros, incomtis allinet atrum
Trans verſo calamo ſignum, ambitiofa recidee
Ornamenta, parum claris lucem dare coget,
Arguet ambigue dictum, mutanda notabit,
Fiet Ariſtarchus, nec dieet: cur ego amicum
Offendam in nugis? hzf nuge feria ducune
In mala, derifum femel, exceptumque ſiniſtre—
„„ꝓꝑͥͥͤ Ü ⁰ ̃ em) wre mm | ⅛— 2 Besnenm ai ein
Nullum ultra verbum aut operam ſumebas
g njnanem
Quin ſine rivali teque & tua ſolus amares-
Stellen mehr Licht zu geben; der ihm
die Zweydeutigkeiten anzeige, bemerke, was
verſetzt werden ſoll; der fein Ariſt arch wer⸗
de, und nicht; etwan aus unzeitiger Kluge
heit ſage: aber warum ſoll ich einen Freund,
um einer Kleinigkeit wegen beleidigen?
Rleinigkeiten ? was ſo verdrüßliche Folgen
haben kann, daß man ausgelacht / daß die
Arbeit übel aufgenommen wird? Belei⸗
diget? ja wenn ich das ſaͤhe, dann gaͤbe
ich mir freylich nicht vergebliche Mühe /
dann verlöre ich ferner nicht ein Wort:
meinetwegen moͤchte dann der Autor ſich
und ſein Werk allein und ohne Nebenbuh⸗
ler bewundern.
Die Kunſtrichter! die Kunſtrichter! die 525
ben in Deutſchland fi ich nie ernſthaft an die
Schaubuͤhne, wenigſtens nicht an eine Local⸗
bühne gewagt — nicht wagen dürfen; ſo un⸗
umſchraͤnkt, fo tyranniſch ſonſt die Kritik fie
ber andere Geburten des Witzes ihre Herr⸗
G 2 ſchaft
100
ſchaft ausgeuͤbet hat. Und ohne Kritik —
vergebens hofft ohne ſie ſowohl der drama⸗
tiſche Schriftſteller als der Schauſpieler un⸗
tadelhaft zu werden. Die Maler und Bildhauer
er zu Athen ſetzten ihre Werke oͤffentlich an
der Straſſe aus: jeder, der voruͤber gieng
hatte das Recht, ſeine Erinnerungen dabey zu
machen; der Kuͤnſtler zog von denen Nutzen,
die er gegründet fand: fo entſtanden die ewi⸗
gen Werke, bey denen die Nachkommenſchaft
mit ehrerbietigem Entzuͤcken verweilet, den
Werkmeiſter bewundert, und ihn zu erreichen
verzweifelt.
Aber der deutſche Theatraldichter dankt
fuͤr die wohlmeinende Anmerkung gemeinig⸗
lich mit einem Strome Schimpfwoͤrter; der
Schauſpieler haucht ſeine Galle oft erſt bey
der Kanne, und dann ſtoͤßt er auf der Buͤh⸗
ne Grobheiten aus: crepat ignominioſa
dicta; die Zuſchauer klatſthen in die Hände,
als uͤber einen feinen Einfall, und der treu⸗
her⸗
herzige Kunſtrichter iſt froh, wenn er in ſei⸗
nen Mantel gehuͤllt, dem muthwilligen Poͤ⸗
bel unvermerkt entſchleichen kann.
Wer einſt eine umſtaͤndliche Geſchichte der
deutſchen Schaubuͤhne zuſammtruͤge, dem
koͤnnte Wien manche anzuͤgliche Anekdote
aus dieſem Fache mittheilen: ich habe mit
Huͤlfe eines Freundes Urkunden hiezu ge⸗
ſammelt; ſie koͤnnen aus einer vollſtaͤndigen
Sammlung der deutſchen Litteratur eben ſo
wenig wegbleiben, als die Inſekten und Mis⸗
geburten aus einem vollſtaͤndigen Natura⸗
lienkabinet — 7
Soͤndern ſie immer von dieſer allgemeinen
Unbelehrigkeit den Verfaſſer des zroeyten
Hermann aus: der brave Mann iſt ſelbſt
eben fo unhartnaͤckig, als er feinen Hermann
ſchilderte: er weiſt Erinnerungen nicht hoch⸗
muͤthig ab, er macht ſich dieſelben zu Nutz;
G 3 Wa⸗
* Han ſehe des UU. Aufzugs N, Anſtr. S. 2 2
Ich weis nicht / wohin der Ausländer yo 955 ce
102
Warum den zweyten Hermann? weil be⸗
reits ein * Trauerſpiel unter dieſem Namen
vorhanden iſt. Sermann iſt der Held Deutſch⸗
landes, gewiſſermaſſen die Jeane d' Ark
dieſer Nation, und er hatte zum Theil das⸗
ſelbe gelehrte Schickſal. Die ſchoͤnen Gei⸗
ſter unter derſelben wollten ihm ihre Auf⸗
Wartung machen, oder vielmehr, wie der a⸗
pentheuerliche Luftreiſer an den Schwelf des
Greifvogels, ſich an dieſen unvergeßlichen
Streiter feſthalten, und ſich von ihm hinu⸗
ver in die Unſterblichkeit ſchleppen laſſen.
Schoͤnnaich war Hermanns Chapalin; nur
daß der deutſche Chaplain ſeine Serman⸗
nias nicht nach Geding, aber eben ſo ſchlecht
arbeitete. Ich habe den Namen des Ges
ſchicht⸗
Stelle ziele: ob ihm von den Aenderungen wel⸗
che der Verfaſſer Hermanns mit ſeinem Au⸗
rel getroffen: ob ihm ſonſt eine literariſche An⸗
ekdote bekannt iſt? der Ueber ſetzer.
Auch noch riehrere / von Schön aich / Möfer:
aber natürlich find dieſe nicht bis zu dem Kenne‘
niſſe eines Auslaͤnders gelanget — Ueberſ.
103
ſchichtſchreibers nicht behalten, der dem An⸗
denken der Mamſel von Dom Remy in
einigen Foliobaͤnden eben den Dienſt leiſte⸗
te, den Lohenſtein in ſeinem Arminius und
Thusnelde dem Helden geleiſtet, durch den
— — die hohe Staͤdtefuͤrſtinn
„ Am ungetreuen Tagusſtrande
„Vom Feuer des Styx i
„In ihren Grundfeſten erſchuͤttert ward
und wenn gleich keinen Deutſchen je der
abentheuerliche Gedanken anwandelte, die
tragiſche Geſchichte Sermanns in Aufzüge
einzutheilen, wie Barnet von dem Maͤdchen
von Orleans den ganz eigenen Einfall hatte“
ſo hat Deutſchland den fünf Trauerfpielen,
die wir von dieſem tollkuͤhnen Mädchen auf-
weiſen haben, nun wenigſtens zwey entge⸗
gen zu ſetzen.
In einem Falle war es dem Helden beſſer
0 10 G 4 | be⸗
„ Dythirambe: Hermann: der Ueberſetzer.
Recherehes fur le theatre frane ois: ſecond age:
„Jean Barnet: P hiſtoire tragique de la Pucelle de
Dom Remy autrement d Orleans nouvellement
de partie par a ctes &c. der Ueberſetz 2592
3 A
5
$
192°
berathen: die Wenardiere und Benſeraden
waren mittelmaͤſſige Köpfe, und Aubignak
bey aller Strenge der theatraliſchen Be
geln, wie er ſeinen Trauerſpielen gemeinig⸗
lich vorzuſetzen pflegte, ein ſehr elender Thea⸗
traldichter. Schlegel hingegen, der Verfaſ⸗
fer des erfien Hermann, iſt noch itzt der beſte
drammatiſche Dichter, den Deutſchland her⸗
vorgebracht hat, und fein Sermann viel⸗
leicht gerade das beſte feiner Stuͤcke. Und auch
dem Grenadier dürfte, aus ſeinen erſten Ver⸗
fügen zu urtheilen, unter den Dichtern
Deutſchlandes ein unterſcheidender Ehrenplatz
angewieſen werden. | 5
Die beiden Deutſchen ſind einander in dem
Plane ihrer Stuͤcke nicht begegnet. Schlegels
Hermann hat die Niederlage des Varus
zum Augenpunkte: alſo, die Befregung
Deutſchlandes von der roͤmiſchen Herrſchaftz
einen für die Nation anziehungsvollen gluͤk⸗
lich gewahlten Stoff.— 1
f | Die
105
Die Handlung des zweyten ſpitzt ſich ,
wenn ich fo ſagen darf, auf den Tod Her⸗
manns und gewiſſer maſſen auf die Bitte zu,
die der ſterbende Herzog an die Deutſchen
Fuͤrſten thut — Ihr Deutſchen! ſeyd einig
unter euch! gleichfalls eine Handlung, wel⸗
che der Antheilneh mung der ganzen Nation
vergewiſſert ſeyn kann.
Der letztere fängt alſo da an, wo der er⸗
ſtere aufhoͤrt — Wie bey jenem, ein Hain,
worinnen die Deutſchen gewoͤhnlicher Weiſe
die offentlichen Angelegenheiten entſchieden:
aher dieſer Hain it ſchon mit den Adlern
— — die kin Schwert mit Varus Blut
beſpritzet, gezieret — Hier erſcheint Segeſt
und Katumer — ich verfolge die Anlage des
Stuͤcks vön Auftritt zu Auftritte.
Die Wiederkunft Segeſts iſt der Zeitpunkt,
von dem wir ausgehen. Die Unterredung
zwiſchen ihm und Ratumern kuͤndiget den Inn⸗
halt an. Wir erfahren: daß Rom Thus⸗
a G 5 nel⸗
106
nelden, Hermanns Gattinn im Triumphe
aufgefuͤhrt; daß ſie noch mit dem einzigen
Sohne Hermanns in den Haͤnden der Mor
mer iſt; wie fie in dieſelben gekommen: wir
erfahren den Groll Segeſts gegen ſeinen Ei⸗
dam, feine nunmehrige Verſoͤhnung mit ihm:
die großen Hoffnungen, welche Deutſchland
auf Segeſts Wiederkehr gruͤndet; da die
Deutſchen nur durch Deutſche bezwungen
werden konnten — Wir wiſſen nun alles,
was wir zu wiſſen brauchen.
Eine kleine Frage: warum ſind Segeſt
und Katumer allein da? ich wuͤnſchte, es
möchte mir wenigſtens in ein paar Zeilen ein
Grund dazu ſeyn angegeben worden, damit
ich mir die Frage nicht beantworten muß:
fie ſind der Expoſition wegen da.
DOPiodr, waͤre es vielleicht nicht beſſer gewe⸗
ſen, den erſten Auftritt in den zweyten eins
zuſchmelzen, und die Eroͤffnung durch die
allgemeine Verſammlung der deutſchen Fuͤr⸗
| ſten
107
ſten zu machen: Segeſts Wiederkunft, ein
wichtiger Vorfall fuͤr ganz Deutſchland,
konnte fie veranlaßt haben. Hermann hät:
te da den Vortheil, den Deutſchland hieraus
ziehen ſollte, auseinander geſetzt: Segeſt
haͤtte Roms hochmuͤthiges Verfahren vor
den Augen Deutſchlands bekannt gemacht:
die beiden Fuͤrſten haͤtten ſich vor ihrem
Teut und Mann — denn, im Voruͤbergehen,
Zevs und Olympus gehören nicht in ihre
Eidformeln — bey Teut und Mann haͤtten
ſie ihre Ausſoͤhnung beſchworen: eine ſolche
Ankuͤndigung wurde auch in Anſehen der
aͤußerlichen Pracht ungemein gewonnen ha⸗
ben. Die Gefangenſchaft Thusneldens und
ihres Sohnes wuͤrden wir ſchon dann aus
dem Munde Sejans erfahren, wann
es nothwendig iſt, davon e zu
ſeyn.
Ich bin den Dichtern ſehr gewogen, die
mit der Expoſition haushalten „ mich im⸗
mer
108
mer nicht mehr davon wiſſen laſſen, als
zum Verſtande des folgenden Auftritts er⸗
fodert wird. Sie iſt freylich ſchwer, dieſe
Art den Innhalt anzukuͤndigen; aber ſie er⸗
hoͤhet auch die Theilnehmung, weil ſie die
Erwartung ſpannet; und hier war ſie in der
That ſehr möglich —
Man Hätte im II. Auftritte die Ankunft
des Geſandten verkuͤndiget — und ihm Ge⸗
hoͤr ſogleich ertheilt — In denſelben Zeiten
gieng es mit, das ſo ohne Umſchweife zu
thun: das Gepraͤng war noch nicht ver⸗
wickelt; keine Beſuche und Gegenbeſuche —
Man haͤtte zwar, weil man ſeinen Vor⸗
trag nicht gewußt, auch nicht uͤber die Ant⸗
wort, ſo man ihm geben wollte, zu Rath
gehen koͤnnen. Deſto beſſer! man haͤtte
Segeſten ſein nicht ſehr feuriges: Ich Ser⸗
mann bin mit dir, und den nachfolgenden
III. ganz muͤſſigen Auftritt erſpart:
uf
109
Muͤſſig mußte er fuͤr uns Zuſchauer ſeyn:
denn wir wußten ja ſchon: daß man den
Frieden nicht bewilligen wuͤrde — Indeſſen
moͤchte ich eben uͤber dieſen Auftritt dem
Verfaſſer meinen großen, großen Gluͤck⸗
wunſch machen. Ungeachtet Hermann den
roͤmiſchen Abgeſandten nur das zu ſagen · hat⸗
te, was wir ſchon wußten; ſo iſt doch dieſe
Unterredung gerade die anziehendſte. Der
Schriftſteller hat ſtatt der Anziehung der
Handlung die Anziehung des Geſpraͤchs
und der Ausführung hineinzulegen gewußt:
der Stolz des Roͤmers, gegen die Größe
des Deutſchen, die beide ſich in allem Lichte
zeigen, ſtechen vortreflich gegeneinander ab:
waͤre es nur moͤglich, die wechſelweiſen
Reden ſich mehr durchkreuzen zu laſſen!
Hier lenke ich nun wieder auf den Weg
des Verfaſſers ein. Der ſchlaue Roͤmer,
da er die Deutſchen nicht bewegen kann, den
Frieden als eine Gnade von Caͤſarn anzu⸗
neh⸗
1
— , un nee
nehmen, ſucht fie — und beſonders “er:
mannen, durch ein Geſchenk zu beſtechen: und
welch ein Geſchenk! Thusnelde und ihr
Sohn! — |
An dieſem Orte fängt der Knotten an,
ſich zu ſchuͤrzen — Thusnelde, Hermanns
Gemahlin! Segeſts Tochter! der Kampf
iſt wichtig: Natur und Liebe auf der einen
— Vaterland, pflicht auf der andern Sei⸗
te: wer wird ſiegen? —
Segeſt giebt durch ein ſtummes Spiel
ſeine Bewegung zu erkennen — Wie, wenn
er ſeines nur erſt abgelegtem Eides eingedenk,
den Römern die Unrechtmaͤſſigkeit ihres Be⸗
fies verwieſen, und uns hier belehret häf-
te, wie man fie ihm mit Lift entriſſen u. f
ww. 2 Ich ſehe es ein: der Autor wollte Sege⸗
Atem nicht handeln laſſen, um für feinen Hel⸗
den die ganze Groͤße, das ganze Verdienſt
zu erhalten; ich laſſe mirs gefallen: Her⸗
8 / mann
111
— —
—— —— —
mann ſpricht als Gemahl, dem der Geſand⸗
te den Antrag macht:
So eben trafen ſie hier in dem Lager ein:
Sie koͤnnen, willſt du es, noch heute bey die
| | ſeyn,
Wenn ihre Thraͤnen ih —
/ Schweig Grauſamer! —
Aber als Herzog ſagt er:
> — — — biſſe!
Daß man hier nur das Wohl des Vaterlands
| beſchließe!
oder vielleicht richtiger:
Daß man hier nur vom Wohl des Baterlands
entſchließe!
Das iſt die erſte Anwandlung einer pa⸗
triotiſchen Hitze: eine feine pſichologiſche Be⸗
merfung: daß dieſe bey einem Manne, der
ſich im Rechtſchaffenhandeln eine Fertigkeit
erworben hat, ſo gar die Ueberlegung uͤber⸗
hole: die Stuͤrme der Leidenſchaften thun
ihre Anfaͤlle erſt nachher —
| Schon
112
Schon wieder ein Wunſch! ſagte Ser⸗
mann nichts von ſeiner Privatrache da, wo
nur von Vaterlandsangelegenheiten die Rede
iſtz feine Antwort wuͤrde edler, er in Deutſch⸗
lands und auch den Augen des Zuſchauers
größer ſeyn; weg alſo mit dem 3
— — Ich will, ich wuß mich regen!
Bey dieſer Abkürzung kaͤme dann auch
das: richte dich nunmehr! gelegenheitlich
beyſeite, welches eine offenbare Provinzigl⸗
kedensart iſt — |
Mein Brief muß heute darum geſchloſſen
werden, warum die Wochenblätter gemeinig⸗
lich ſchluͤſſen: weil ich mit der vierten Sei⸗
le am Ende bin —
Siebentes S Stück.
Neuntes Schreiben 4
Wien: den 6. Hornung
* 1 68, N
5 N
N ebene mit den uͤbrigen
* Sn Fuͤrſten ab, und laͤßt Seja⸗
nen in dem Haine? Ich ſehe ſehr wohl das
Warum des Dichters — damit Segeſt, der
in folgendem IV, Auftritte Sejanen auf
ſucht, ſich im Angeſichte der Zuſchauer mit
ihm beſprechen koͤnne — Koͤnnen aber auch
wir mit dieſer Urſache zufrieden ſeyn? Iſt
es wahr ſcheinlich, daß man den Geſandten
einer Macht, welcher man den Krieg erklaͤ⸗
ret, ohne Zeugen, in einem der Nation
heiligen, den Berathſchlagungen der Nation
gewidmeten Orte zuruck laſſe 2 —
Die Einheit des Orts zwingt den Dich⸗
tern ſehr oft wider ihr beſſeres Wiſſen Un
wahr ſcheinlichkeiten ab. Ich bin z. B. verre
H ie
174 Ar
—:... nn: Re en one
ſichert: der Verfaſſer habe es ganz wohl
empfunden, daß die Privatunterredungen
Katumers und Hermanns im I. Auftritte
des II. Aufzugs nicht in den Hain gehören:
die Fuͤrſten, wenn ſie ſich mit ihren eieb⸗
lingen oder Freunden beſprechen wollen,
waͤhlen nicht den oͤffentlichen Gehoͤrſal da⸗
zu — daß es ſehr unbehutſam von einem
ſchlauen Manne, wie Sejan geſchildert if,
wäre gehandelt geweſen: die kurze Zuſam⸗
menkunft zwiſchen Segeſten und Thusnel⸗
den * an diefem öffentlichen Orte zu veran⸗
laſſen : beſonders, nachdem der Roͤmer feine
Furcht vor Sermannen in dem vorherge⸗
henden Auftritte nicht undeutlich blicken
ies -— |
Im V. Auftritte wird nun der Faden der
Schwierigkeiten angeſponnen — Schien Se⸗
geſt bewegt? nur der kleinſte Reſt des Haſ⸗
ſes gegen Hermannen! aus dieſem Funken
hofft
l. Aufing J. Aufer.
hofft der Geſandte eine Brunſt aufzublaſen,
die ganz Deutſchland ergreifen und feinem
Helden den Untergang bringen ſoll.
Segeſt koͤmmt im VI. Auftr. Wie gefagt:
der Ort zu einer Unterredung dieſer Art iſt
unvorſichtig gewählt; und die Unterredung?
— Jemand kluͤgern ſollte der Geſandte
nicht hintergangen haben; ſeine Liſt iſt zu
Tennbar: Segeſt koͤmmt ihm auch wirklich
auf die Spur: Sejan — ſuchſt du viel⸗
leicht mein Herze zu empoͤren? — G nein
ſagt der Geſandte; und der gutherzige Alte
laͤßt ſich mit dieſem Nein abfuͤhren;
recht, wie es ſich auf einen guten, kurzſiche
tigen Deutſchen gebuͤhrte. Mir Franzo⸗
ſen kann dieſer Ausdruck als eine kleine
Rache gegen einem deutſchen Schriftſteller
hingehen, fuͤr die Verſe; womit er ſich uͤbet
uns nur kurz vorher luſtig gemacht
Daß kit der 1 durch ſie ge⸗
taͤuſchet ward,
H 2 Dank
0
Dantt feiner Flüchtigkeit,
des eiteln
Volkes Art! 2
Uns, die wir nie ſo ſeicht, nie fo un⸗
männlich dachten u. f. w.
Der erſte Aufzug ſchluͤßt ſich alſo mit
der Verſicherung: daß Segeſt ſeine Tochter
in einer Stunde hier erblicken ſoll. Das
war gut, daß der Geſandte gleichſam
nach der Uhr ſah, und in einer Stunde
wieder zu kommen verſprach. Es iſt ſonſt
freylich nicht wohl gethan, in den Sroiſchen⸗
raͤumen der Aufzuͤge eine ſolche Puͤnktlich⸗
keit zu beobachten. Dieſe Swiſchenraͤume
ſind beſtimmt, der Handlung einen ſtarken
Stoß vor ſich zu geben: in folgendem Auf⸗
zuge muß man ſogleich die Folgen wahr⸗
nehmen, wie der Dichter dieſe Zeit ſich
zu Nutz gemacht: die Urſachen werden vor⸗
bereitet; die Wirkungen brechen aus — Nichts
von allem dieſem geſchieht hier: die Hand⸗
lung iſt ganz nicht von der Stelle; und wenn
| ſich
Eben da S. 5.
fich der Zuſchauer uͤber die kleine Unregel⸗
maͤſſigkeit, daß die Schaubuͤhne einen Au⸗
genblick leer geblieben, wegſetzt, und das
Orcheſter ſchweigt; ſo kann er die beiden
Aufzuͤge ohne alle Schwierigkeiten in einen
vereinbaren — Aber nun! freylich was konn⸗
te man in einer Stunde auch wohl vor ſich
bringen? 0 |
Und dieſe Stunde war dazu ſehr 695
verflo fen: denn nicht einmal Thusnelde war
im I. Puftritte des folgenden Aufzugs ange⸗
langt. Sermann und Xatumer eroͤffnen
ihn. Hermann iſt hier ein wenig wetterwen⸗
diſch, wie die jungen Weiber, die ihren Auf:
wärtern zur Qual nicht wiſſen, was fie wol⸗
len und nicht wollen — Er iſt traurig und
muthvoll, verliebt und Patriot; er will
Krieg, und ſeine Gattinn, die ihm doch nur der
Friede gewaͤhren kann. Ich tadle das nicht
etwan : es iſt die Menſchenſtunde des
Helden. Solche Gemaͤlde ſind anziehend
H 3 aber
8
aber fie fodern in der Ausfuͤhrung viele
Niedlichkeit, um nicht in das Sezierte und
Tendelnde zu verfallen. Bäcine war in
dieſem Stuͤcke ein großer Meiſter; er kann⸗
te die kleinſten Verfloͤßungen der Leidenſchaf⸗
ten, und wußte ſich derſelben mit Wahl und
Beurtheilung zu bemeiftern , feine Helden
ſind groß, und liebenswerth zugleich.
ERatumer ſpielt in dieſem Auftritte eine
ſeltſame Perſon: er raͤth Hermannen den
Frieden an: Fuͤrſt Natumer — haͤtte ich
Luſt ihm zuzurufen — warum ſagten Sie
das nicht bey der Verſammlung? da, wo
der Ort dazu, da, wo es Zeit war? ihre
Frage: weißt du denn, ob Deutſchland
das begehre? giebt mir keinen hohen Be⸗
griff von ihrem Gedachtniſſe: wie ſoll
Hermann das nicht wiſſen, da der Krieg
wirklich erklaͤrt iſt? haben Sie nicht ſelbſt,
wiewohl ein wenig in allgemeinen Aus⸗
drucken, das ihrige dazu beygetragen?
würs
n 119 1
wuͤrde ihr Freund nicht, wenigſtens einer
Uebereilung, wegen ſeines vorhergehenden
Entſchluſſes beſchuldiget werden? be⸗
denken Sie: mit Xriegserklaͤrungen ſpielt
man nicht — und dann noch der feine
Rath!
1 Doch, koͤnnte De utſchland nicht die
| Deinen itzt befreyen?
„ Erſt dich begluͤcket ſehn, und dann
den Krieg erneuen?
Sie ſagen zwar: Sie wollten ihren Rath
nicht auf ſchnoͤde Raͤnke gründen: aber
das iſt, wie die Kechtsgelehrten ſagen:
Proteſtatio facto contraria — Jedoch
muß ich denn gerade bey t Auftritte et⸗
was zu erinnern haben? —
Im II. thut Hermann dem Geſaudten
das Anerbieten : Thusnelden und feinen
Sohn mit Golde zu löfen: Sejanen ſcheint
dieſes für ermannen ſchimpflich. Der Auf⸗
tritt hat ſchoͤne Stellen. Der Geſandte wird
beurlaubt: er ſchůtzt Geſchaͤffte mit Sege⸗
94 ſtes
236
fies vor — Geſchaͤffte mit Segeſtes? und
das machte Sermannen, machte Ratumern
nicht unruhig? bewog ſie nicht, den Ge⸗
ſandten genauer zu beobachten? ſeine Schrit⸗
te zu beleuchten? — nein! ſie gehen ſorglos
ihrer Wege — um Segeſten die Buͤhne zu
raͤumen, der
Im III. Auftritte koͤmmt, ſich von dem
Roͤmer nach Willkuhr, und wie ein Kind be⸗
handeln, und zum vorigen Haſſe gegen ſei⸗
nen Eidam verleiten läßt — Im IV. Auf⸗
tritte wird Thusneldens Ankunft gemeldet:
und in der Schlußſcene dieſes Aufzugs macht
Sejan ſich uͤber den leichtglaubigen Deut⸗ g
ſchen luſtig, wie auch billig iſt. 5
Was geſchieht nun zwiſchen dem II. und
III. Aufzuge? — abermal nichts, als das
Segeſt ſeiner Tochter entgegen geht, und ſie
im I. Auftritte in den Hain bringt. Warum
nicht lieber gerade in dein Zelt, guter Alter?
wie
121
toie du es dem vorangeſchickten Geſandten *
verheißen hatteſt? wunderlich! vielleicht daß
die Leute die ſreye Luft, und das Spazier⸗
gehen liebten? wenigſtens iſt ihre Unterre⸗
dung anfänglich mehr das Geſpraͤch mit
ger, luſtoandelnder Leute: als eines Va⸗
ters, einer Tochter, die ſich nur auf wenige |
Augenblicke fehen , die ſtat der froſtigen Frage:
„ Thusnelde kennſt du noch die an⸗
muthsvollen Fluren u. ſ. w.
und der Antwort
„ Ich kenn, ich lieb ihn noch den reiz⸗
| erfuͤllten Hain —
die ſtatt ſolchen Geſchwaͤtzes dieſe koſtba⸗
ren Augenblicke zu Umarmungen, zu Thräs
nen genuͤtzt haben wuͤrden. Warum doch
ſo wenige Theatraldichter das Herz haben,
die Bewegungen der Natur nachzuſchildern ?
das unzuſammenhangende Stammeln des Af⸗
fekts nachzuſchreiben? Segeſt feſt in den Ar.
men der Tochter verſchlungen, an fangs
| ein
5 I. Auf: IV. Auftr.
ein ſtummes Paar, dann wechſelweiſe aus⸗
kufend: o Tochter! — o Pater! — ich
beſitze dich! — ich ſehe dich wieder — u⸗
fe w. ſolche Auftritte ſtuͤrmen auf die Zu⸗
ſchauer ein, entreißen ihnen Thraͤnen, die
Merkmale der Mitempfindung: aber eine
ſolche Sprache iſt niedrig in ihrem Gedan⸗
ken; ihre Zwiſchenredner muͤſſen ſich geſuch⸗
ter ausdruͤcken: fie ſchwaͤtzen, ws fie han⸗
deln, und ſind witzig, wo ſie 1
ſollten. |
Thusnelde erfährt von item Vater; daß
ihr Gemahl ſie nicht befreyen will: ſie hofft
ihn zu ruͤhren — Ein Ungefaͤhr fuͤhrt ihn.
im II. Auftritte zu ihr her: er umarmet ſei⸗
ne Gemahlinn: ihre Gegenwart legt ihm die
Gefahr naͤher, an ſeinem Vaterlande zum
Perraͤther zu werden: Segeſt dringt auf
ihn zu: der Held wankt: der Friede bes
ruht nicht auf ihm allein — er ſoll alſo,
fagt Segeſt, die Fuͤrſten, deren Spruch und
Wi⸗
122
. —.u.r..ñ̃̃ ——TfT—T—T.?!r:...........
Widerſpruch ſtets in ſeiner Hand war, zum
Frieden bewegen — Was ſoll Hermann
thun?
Das iſt der Innhalt des im III. Auftritte
folgenden Selbſtgeſpraͤchs? Soll er feine Ge⸗
mahlinn in Banden ſterben laſſen? — ſoll
er durch einen dem Vaterlande nachtheiligen
Frieden ihre Freyheit erkaufen? — Ratu⸗
mer koͤmmt im IV. Auftritte, und wird aber⸗
mal ein Friedensmittler — ſpricht politiſch
wie ein St. Keal, und beweget zuletzt Ser⸗
mannen und wirft ihn zugleich von ſeiner Hoͤ⸗
he herab. So viel an ihm liegt, hat er das
Vaterland ſeinem Vortheile nachgeſetzt —
aber die im V. Auftr. dazukommenden Fuͤrſten
geben feiner Kuhmbegierde zur rechten Zeit
einen neuen Ueberſchwung: er giebt Befeh le,
Sejanen mit Gewalt wegzuſchaffen und
eilt den letzten plan zur Schlacht ʒu faſ⸗
ſen. Dieſer Plan zur Schlacht, ſollte er
nicht fuͤr dieſelben Zeiten, wo Vegetius und
Fol⸗
124
Follard noch nicht die Handbücher der deut-
ſchen Feldherren waren, ein wenig zu mo⸗
dern ſeyn ?
Sejan wird von Segeſten in Schutz ge
nommen: er macht davon kein Geheimniß
mehr: dieß erfahren wir im II. Auftritſe des
IV. Aufzugs. Hermann befiehlt, den Ge⸗
ſandten herzubringen. Statt feiner koͤmmt
im III. Auftritt Segeſt; und koͤmmt mit ſei⸗ |
nem Gefolge; wie man ſteht, entſchloſſen,
das Aeußerſte zu wagen — Es formt auch
wirklich darauf an, man zankt: junger
Glattkinn! ſagt Segeſt — eigenſinniger
Alter! verſetzt Sermann u. ſ. w. Segeſt
erlaubt ſich zuletzt gegen dem allgemeinen
Herzogen Deutſchlandes Ausdrucke, die ihm
nicht nachgeſehen werden koͤnnen.
„Geh leg die Hoheit ab, der du dich
angemaßt! f
„„Die du Deutſchlandes Schmach zwoͤlf
Jahr gemisbraucht haft — |
Es nimmt 1 gar nicht Wunder, wenn
Her⸗
Herinann ihn will faͤſſeln laſſen. Ich ſah
es aber auch vor, daß dieſer, dem eine ſtar⸗
ke Leibwache zu Geboth ſteht, ſich nicht
wird faͤſſeln laſſen wollen; daß es dann zu
einem Streite kommen und
Thusnelde im IV. Auftritte ſich zwiſchen
Spieß und Schwerter werfen wird, weil
die Leute ſonſt zu Schaden kommen dürften,
Seit dem die geraubten Sabinerinnen fo
gluͤcklich zwiſchen die Heere ihrer Väter und
Maͤnner gelaufen und den Frieden hergeſtellt
haben; bat ſo mancher Dichter im großen,
und mancher nach dem verjuͤngten Maß ſtabe
dieſen Streich gebraucht, daß derjenige der es
nach dem Hundertenmale, das Hunderte und
einmal thut, ganz kein Verdienſt dabey hat,
geſetzt auch, er hätte ihn noch fo natürlich
herbeygefuͤhrt: und dieſes iſt vielleicht ur
eben der Fall nicht,
Ich mache dem Dichter keinen Vorwurf
aus dem Ehegterſiresche ; : dieſen Vorwurf
| macht
T
macht ſich ein Mann, wie er, natuͤrlich
ſelbſt, ſobald er ſeine Arbeit bey kalten Blu⸗
te in die Hand nimmt. Aber dieſer Theater⸗
ſtreich beſteht nicht darinnen, daß Thusnel⸗
de koͤmmt; ſondern daß ſie gerade erſt zum
Streite koͤmmt. Kommen konne fies wenn
Segeſt, in deſſen Zelte fie ſich befand, nicht
etwan ſie jemanden zur Verwahrung uͤberge⸗
ben; welche Vorſicht einen alten Mann al⸗
lenfalls nicht uͤbel gekleidet haben ſollte, der
nicht eben ein Wahrſager ſeyn darf, um
vorherzuſehen, daß ſeine Tochter, welcher ſein
Haß gegen Hermannen bekannt war, ihm
nachfolgen wuͤrde, um allem Unheile vorzu⸗
bauen. |
Weil nun aber Thusnelde koͤmmt: fo ſieht
man, daß Segeſt auf ſeine Tochter dießmal
nicht gedacht habe: alſo war nun ſchon an
ders nichts zu thun; ſie mußte kommen:
aber warum denn eben ſo ſpaͤt? — Daß ich
doch fragen mag? wäre fie eher gekommen,
ſo
ſo hätte das Combattement, wie das thea⸗
traliſche Kunſtwort heißt, ausbleiben muͤſ⸗
fen; und ſo ein Ding nimmt ſich vortrefflich
wohl aus, und iſt vermoͤgend in Wien einem
ganzen Stuͤcke den Schwung zu geben.
Unter uns geſprochen: der Verfaſſer ſcheint
der Mann nicht zu ſeyn, der das Gellirr der hoͤl⸗
zernen Spieße, und alle das Pappengefecht,
welches auf der Schaubuͤhne immer poſ⸗
ſterlich laſſen muß, fuͤr ſehr anzuͤglich hal⸗
ten ſollte. Ich habe ihn wirklich einer klei⸗
nen Bosheit wegen in Verdacht, und ich
denke, ich irre nicht; er gab den Zuſchau⸗
ern ſo etwas, wie fie es verlangen; ein
Zug aus einem Karitaͤtenkaften unters
halt fie mehr, als die anziehungsvolleſte
Situation. |
Dieſe folgte im IV, Auftritte: Thusnel⸗
de zwiſchen ihren veruneinigten Gatten und
Vater: gewiſſermaſſen ſind hier drey Situa⸗
tionen verflochten; jede Perſonen zwiſchen
ö den
138 4
re 3
den zwoen andern geſtellt — nur haͤtte der
Dichter allen feinen Kräften aufbieten ſollen,
um dieſen Auftritt auf das lebhafteſte, und
mit Mahrkeit zu bearbeiten. Thusnelde
iſt hier in ihrem Glanze: auf ihr beruht die
| Eintracht zwoer fo wichtigen Perſonen, auf
deren Eintracht gewiſſermaſſen das Schick“
ſal Deutſchlandes ankoͤmmt — Mit welchen
Waffen faͤllt ſie das Vaterherz des unver⸗
ſoͤhnlichen Segeſtes an? — Mit Gruͤndene
Thraͤnen? nicht doch! fie macht ſtatt deſſen eis
ne Grimaſſe — denn, wie ſoll ich das an⸗
ders nennen, wann eine Tochter ihren Va⸗
ter, der ſie liebt, den Dolch in die Hand
giebt, fie zu toͤden: — o! denkt der Zu⸗
ſchauer — Die Schlaue wußte es wohl,
daß er es nicht thun wurde — Und U
wie es auf eine Grimaſſe natuͤrlich folgen
mußte, gieng auch Segeſtes feiner Wege,
und nahm ſeinen Haß, nahm feine Rache
mit ſich weg. 1955
120
— —ñ ̃ ͤ—ę—=3 ęꝝ:2e⁴2mnᷓ.- nn
— —
— — —
Der V. Auftritt hat eine e Stelle, von der
ich wuͤnſchte, daß ſte der Verfaſſer beſſer ge⸗
müßt, und, wa; hier nur Geſpraͤch iſt;
in Handlung verändert haͤtte. Segeſt ſteht
in dem Wahne — ſpricht Hermann,
„Daß ich das Heer aus Stolz zu laͤn⸗
10 geren Krieg ermahne⸗
5 Er ng den Herzogſtab mich nieder⸗
legen ſehn:
55 Eh ‚ich ſey bereit fein Fodern
5 einzugehn
Das Fodern eingehen: iſt zwar ſehr matt
geſprochen, aber deſto großmuͤthiger gehan⸗
delt; nur am unrechten Orte. So eine That
war wuͤrdig in den Augen des ganzen Deutſch⸗
landes verrichtet zu werden, woferne ſte der
Hauptfigur, wenn ich nach Art der Maler res
den darf, die Erhabenheit und Groͤße erthei⸗
len ſollte, die, wie man wohl ſieht,
des Dichters Abſicht war — Das von.
theilhafte richt, in welchem Hermann ges \
J eig
)
zeigt waͤre, würde von dem Schatten, wo⸗
rinnen der durch eine ſo großmuͤthige Hand⸗
lung noch nicht befriedigte Segefies erſchie⸗
ne, nur deſto mehr erhoͤht — Wie
die Anlage itzt iſt, bleibt es bloß ein Win⸗
kelzug, der auf den Zuſchauer ganz keine
Wirkung macht: und wenn Segeſten die Er⸗
zahlung davon in dem Munde eines verlieb⸗
ten Weibes verdaͤchtig, unwahrſcheinlich vor⸗
koͤmmt; ſo findet ſein Mistrauen, ſein Un⸗
glauben Entſchuldigung — Wäre er aber
ſelbſt ein Augenzeuge geweſen; dann, wer
wuͤrde ihn dann nicht gehaßt haben? —
Dieſe Veranderung iſt möglich, ohne daß
darum der Gang des Stuͤckes anderſt gelei⸗
tet wiirde. Das, was Thusnelde hier eig
Abmahnungsgruͤnde anfuͤhrt — die Shoffnun⸗
gen Deutſchlandes — die Größe ſeiner
Pflichten — den Dienſt des Vaterlandes
— den eignen Ruhm — alles das, was in
es, dem
121
dem Munde einer Frau ohnehin ein wenig
zu ſtaatsmaͤnniſch lautet, koͤnnte ihm Raftolf,
oder ſonſt jemand von den Fuͤrſten entgegen
ſetzen. Thusnelde / welche der Dichter durch
dieſe Scene wichtig machen ſollte, wird da⸗
rum nicht mehr eine Nebenrolle, die nirgend
in dem Stuͤcke in derjenigen Geſchaͤfftigkeit
erſcheinet, daß er das Stuͤck von ihrem
Namen, mit Hätte uͤberſchreiben ſollen —
Der lezte Auftritt dieſes Aufzugs zeigt
nun den Ausbruch von Segeſtens Haſſe.
Zwiſchen dem IV. und letzten Aufzuge geht
eigentlich das vor, was Aatumer im III.
Auftr, erzählt: der Abfall der Truppen Se⸗
geſtens; die großmuͤthige Handlung Her⸗
manns, der Segeſten nicht nur vergiebt, ſon⸗
dern ihn auch vor der Strafe ſchuͤtzt. Die
beiden erſten Auftritte ſind alſo abermal ganz |
Aberfluͤſſig: Man ſieht es, daß es dem Di:
ler ſelbſt dazu an Stoff gemangelt; er muß
J 2 Thus⸗
132
Thuẽ nelden in dem ſchwermuth vollen ein;
ſamen Hain ſpatzieren ſchicken. |
Acrmann erfcheint im IV. Auftr. Die
Hinderniſſe, welche Segeſtes in Weg gelegt,
ſind bey Seite geſchafft; Segeſt iſt ohne
Truppen; die Roͤmer haben ſich zuruͤckgezo⸗
gen; der Verraͤther Sejan wird mit Schan⸗
de zuruͤckgeſendet; Thusnelde kehrt freywil⸗
lig zu den Roͤmern, um das gegebene Wort
ihres Vaters zu befreyen — Nun iſt die Hands
lung am Ende, der Vorhang faͤllt — Ha⸗
ben Sie das nicht erwartet 2 ich eben⸗
falls. Aber wie, nach der Sage der Sol⸗
daten, eine Kanonenkugel, die bereits ihr
Ziel erreicht, auf der Erde kraftlos dahin
waͤlzet, und kaum mehr eine Bewegung hat;
wann ſie in dieſer ſcheinbaren Ruhe, gegen
ein Sandkoͤrnchen ſtoͤßt, wieder Kraͤfte ge⸗
winnt, von neuem auffaͤhrt, und oft die⸗
jenigen coͤdtet, die ſich, ihrer Entfernung
we⸗
wegen, in Sicherheit glaubten; fo empfieng
die Handlung, die ganz ſchon an ih⸗
rem Ziele war, von einem ſehr uners
heblichen Umſtande eine neue Bewegung,
und N
Im VIII. Auftr, ſtirbt Hermann, für
den Sie gewiß nichts mehr beſorgten — er
ſtirbt, von den Haͤnden Segeſtens, nicht
etwann aus Rache — nein! bloß darum, daß
er den Alten, der ſeine Tochter dem Roͤmer
wider das verpflichtete Wort abnehmen woll⸗
te, zuruͤckhielt — Das haͤtte ich nicht
vermuthet, daß das Balgen dieſer zween
Leute bis dahin gehen wuͤrde! haͤtte doch
dießmal ein Gott den Arm des grauen
Mingers mit Stärke beſelet, damit er ſich
los geriſſen, und das Schauſpiel ein uns
blutiges End genommen hätte! —
Der Tod Sermanns und mithin auch der
Tod Thusneldens, der davon nur eine
33 e
Folge iſt, find N dem Stücke ganz zu⸗
faͤllig; die vorhergehenden Begebenheiten
haben darauf keine andere Beziehung als
die Zeitreihung — und doch ſcheint er des
Dichters Hauptzweck zu ſeyn: folglich ſoll⸗
fe jeder Umſtand entweder mittelbar oder
unmittelbar dahin beytragen, und wie in
einer Spitzſaͤule, jede von der Grundflaͤche
aus gezogene Linie nach dem Spitzpunkte zu⸗
laufen. PR
Der Anlaß, den Tod Hermanns recht
mitte, wenn ich fo ſagen ſoll, aus der
Verraͤtherey Segeſtes entſpringen zu laſ⸗
ſen, war nicht ſehr weit zu ſuchen.
Alles koͤnnte auf eben die Weiſe vor ſich ge⸗
gangen ſeyn, als es Ratumer im III. Auftr.
erzaͤhlt — allein der Zweykampf zwiſchen
Sermannen und Segeſten waͤre nicht am
Ende — Dieſes haͤtte Erwartung, Be⸗
wegung, Waͤrme in Thusneldens Geſpraͤch
er. ge⸗
gebracht. Segeſt, der ſich von fer
nem juͤngeren Gegner uͤberwältigt ſähe,
woferne er Mann fuͤr Mann ſtritte, haͤtte die
Liſt zu Hilfe gerufen. Das Gefecht geht
nicht ferne von dem Haine vor, weil der
Slang der Waffen auf Schilden von Thus⸗
nmelden konnte vernommen werden. — Wie
alſo, wenn der verlaſſene Segeſt ſeinen Gegner
durch verſtelltes Weichen hieher gezogen
hätte? — wenn das, was Katumer erzaͤhlt,
hier vor uns gehandelt wuͤrde? der Eidam
ihn von Platz huͤbe, ſtuͤrzete, das Schwert
enttiſſe, vor den ſchon gezuͤckten Schwer⸗
tern der uͤbrigen rettete und eben, da er ihn
aufrichten, eben da er ihn auf das zaͤrtlich⸗
ſte umarmen will „von ſeiner meichelmoͤr⸗
deriſchen Fauſt den toͤdtlichen Stoß em⸗
pfienge? |
Durch dieſe Berändernng wäre die un⸗
e un des letzten Aufzugs vew
Din
kuͤrzet, waͤre die Einheit der Handlung
hergeſtellet, wäre — abermal und ohne
Ende! werde ich mich etwan nicht aufs
neue darein vertiefen, was geweſen, und
nicht geweſen waͤre ? gleich als haͤt⸗
te ich nicht ohnehin mich ſchon zu lange bei
einem einzigen Stuͤcke verweilet, da ſich
mir der Stoff unter der Hand haͤufet, und
ich Ihnen noch ſo vieles nachzutragen ha⸗
be — und gleich als wäre es nicht leichter zu
jemanden zu ſprechen, ſetze zu! ſchneide ab!
als ſelbſt etwas von allen Seiten untadel⸗
haftes zu liefern — |
Achtes Stück. |
Zehntes Schreiben
Wien: den 19. Hornung
1768.
Qui partout n' auroit valu
„ | rien,
Ces pieces la font à leur place
Sur le theatre italien
Dieſer Gaſſenhauer paßt genau auf die
ſogenannten Opere Buffe, in denen weder
Witz, noch Menſchenverſtand, und nicht die
geringſte Spur von dem Doctor finden, der
für die waͤlſche Schaubuͤhne das, was Wo⸗
liere fir die franzoͤſiſche that; und fie von
dem Wuſte der alten, unſinnigſten Poſſent
ſpiele zu reinigen, und ihr eine regellaͤſſi⸗
gere Geſtalt zu geben, unternahm. SGol⸗
K do⸗
Dias war ein froſtig Stuck |
Das nirgend was getäuget hätte —
Doch dieſe Stuͤcke find auf ihrem Platze auf der
waͤlſchen Bühne Aus dem Ambigu Comique;
der Neberſ. g
138
doni, war ein ſehr fruchtbares Genie; ſei⸗
ne Stuͤcke koſteten ihn nicht eben ſonderbare
Muͤhe; aber man ſieht ihnen die Eilfertigkeit
auch recht ſehr an — Spaſſe, die dazu nir gend
als in Waͤlſchland fuͤr das gelten konnten;
langweiliges, innhaltleeres und meiſtens ce⸗
remonioſes (gepraͤngmaͤſſiges) Dialogiren;
Verwirrungen ſtatt Verwickelungen, ſchiele
Charaktere, und eine Sprache, die an vie⸗
len Orten unuͤberſetzlich wird, weil ſie voll
von waͤlſchen Wortſpielen iſt, das iſt unge⸗
faͤhr ſo immer das Gewebe der goldoniſchen
Schauspiele; und Sie ſollten Mühe ha⸗
ben, aus den ſechszig Stuͤcken des Goldoni
eines, nur eines auszuloͤſen, das eine ſtren⸗
ge Kritik aushalten, oder dem Miſanthrope
an die Seite geſetzt werden koͤnnte.
Die deutſche Schaubuͤhne hat juͤngſt ei⸗
nes von ſeinen Luſtſpielen, den wahren
Freund, aufgefuͤhret. Ich wuͤrde dieſes Stuͤck
nicht eben auf das bloſſe Wort Diderots,
| | ein
139
ein Poſſenſpiel nennen. Diderot iſt immer
ein wenig ungebehrdig wann man ihn
auf die Spur bringt, daß er von dem wah⸗
ren Freunde etwas zu dem netürlichen
Sohne heruͤbernommen habe: und der En⸗
ciklopediſt hat unrecht. Es iſt zu offenbar,
daß ihn der Italiaͤner gleichwohl auf die
Spur gebracht habe; und fein Läugnen iſt
die Grimaſſe eines Maͤdchens, dem ein Lieb⸗
haber einen Kuß geraubt „und das dann
kindiſch ſpricht: nein! fie haben mir
keinen Kuß gegeben — Mag doch der
wahre Freund dem Diderot immer am er⸗
ſten auf den Einfall feines natůr lichen sohns
getoieſen haben: das raubt ihm feinen Ruhm
im geringſten nicht. Wenn Praxiteles ein
Stuͤck Marmor, woraus ein elender Bild⸗
ner ſeiner Zeit eine Venus machen wollte,
vornimmt, es ganz anderſt behandelt, Stel⸗
lung und Charakter aͤndert, und eine wahre
K 2 De
Bon der dramatiſchen Dichtkuuff,
Venus daraus machet, die in dem Tempel
zu Gnidus die Verehrung der Sterblichen
verdienet , und die Wuͤnſche des Krieges⸗
gotts theilet; ſo gehoͤret dem Stuͤmper ge⸗
wiß nicht das geringſte von der Ehre des
Kuͤnſtlers, dem fein Klotz zum Stoffe ge⸗
dienet. Soldoni fand den Gedanken, die
erſte Idee des wahren Freundes: aber es
war in ſeinen Haͤnden ein Stuͤck pariſcher
Marmor, den er nicht zu bearbeiten wußte
— Alle Charaktere find ihm verungluͤcket:
ſein wahrer Freund, iſt kaum recht ein ehr,
licher Mann, oft ein ſehr ungeſchmaker Kerl.
das Maͤdchen iſt ein flatterhaftes Ding, das
nicht, wie Boſalie des Diderot zwiſchen
zween wuͤrdigen Freunden, die beide ihre
Wahl rechtfertigen und erſchweren, innen
ſchwebt, und wenn ich ſo ſagen ſoll, zerriſſen
wird; es wirft ſich dem Freunde ihres Lieb⸗
habers ſo mit Gewalt an den Hals, daß ſich
der Junge der Dirne nicht erwaͤhren kann —
5 und
14 Ya
und Thereſie — Aber wie geſagt, ich halte
einen grob behauenen Pflock, an dem man
nur die Hervorragungen fuͤr Haͤnde und
Fuͤſſe annehmen muß, um eine Geſtalt her⸗
auszubringen, fo einen truncum male do-
latum halte ich mit dem Meiſterſtuͤcke des
Meißels gegeneinander, und ſuche Aehnlich⸗
keiten auf.
Die Ueberſetzung des waͤlſchen Stuͤckes
war neben an recht erbaͤrmlich; und wenn
es bey ſeiner Auffuͤhrung doch einiger maſſen
erträglich ſchien; fo iſt das Verdienſt ganz
auf Seite der Schauſpieler. Insbeſondere
habe ich wahrgenommen, daß die Reden
des Florindo bey der Vorſtellung nicht
ſo unendlich ſchleppend und kraftlos waren,
als ich fie erſt beym Durchleſen fand. Sollte
die Art, mit der fie der Schauſpieler dekla⸗
mirte, dieſe Verwandlung zuwege gebracht
haben? ich las ihm nach — da hatte der
gute Mann, weggeſtrichen, verändert , hin⸗
„ een
142
eingekuͤnſtelt — Eh! dachte ich — guter
Freund! daran hat er wahrlich wohl
gethan! aber er hat übel gethan, daß er
nicht das ganze Stuͤck auf dieſe Art vor⸗
genommen hat. 85
Nun, der Verfaſſer des wahren Freun⸗
des hat drey ganz ſchoͤne Baͤndchen waͤlſche
Doffenfp.cle in Muſtik zu ſetzen, verfertiget,
und unter dem Titul Opere giocofe di Po-
liffenno Fegejo, fra li Arcadi &c. herausge⸗
geben. Ihr Gang iſt immer einerley: bey⸗
nahe in einer jeden koͤmmt ein Zweykampf vor,
wo ſich die Memmen voneinander auf eine
halbe Stunde entfernen, um ſich kein Boͤſes,
zuzufuͤgen — zu jeder koͤmmt eine Ohnmacht
oder ſo was; und am allerrichtigſten die
Stelle: il mio core poverello, fra I’ in-
cudin’ e martello, tiche, tache, toche mi
fa. Mir ſind die Spaſſe aller wegen ſehr
froſtig, ſehr ekelhaft vorgekommen: aber un⸗
ter den froſtigen und ekelhaften Spaſſen ſind
die
die walſchen, die man noch dazu beſtaͤndig
wiederkocht, die froſtigſten und efelhafteften.
Ich hahe Luft, Ihnen, von fo einer Af⸗
tergeburt des Witzes und der Thorheit ei⸗
nen kleinen Umriß zu machen. Sie waren
immer abweſend, wenn ſolch Zeug bey uns zu
ſehen war; und Sie koͤnnten vielleicht denken,
ich thaͤte den guten Stuͤcken mit unter wohl
ſehr unrecht. Man gab dieſe Faßnacht durch:
die Contadina in corte, il vechio geloſo,
la notte critica, il marcheſe villano; man
wiederholte den Viaggiatore ridicolo und
die Schiava — das naͤchſte, das Beſte!
II marchefe villano — Moliers bur-
geois - gentilhome buͤrfte ungefähr den
Grundgedanken zu fo einem Stuͤcke herleihend
ein Bauer, der, durch ſeine Reichthuͤmer
ſtolz gemacht, ſich marquiſiren laßt, der
ſich in ſeinen neuen Stand nicht zu finden
weis, und doch ſogerne damit aufgezogen
koͤmmt, der mit einer Familie ſich zu ver⸗
K 4 bin⸗
144
.. ̃ —. n !.. ñ —
binden wuͤnſcht, aber einen Jungen hat,
der con tuti i titoli ſuoĩ, con quel abito ri-
cho à doſſo, nichts anders iſt, als ein
Villano riveſtito, dem die hohen Gedan⸗
ken des Marcheſe Padre nicht zum Geſich⸗
te ſtehen, und dem ein Waͤſchermaͤdchen aus
dem Dorfe mehr zu taugen ſcheint, als die
Gräfin, welche ihm fein Vater beſtimmet -
das waͤren Geſchoͤpfe, woraus ſich ganz
ſaͤuberlich ein Stuͤck verfertigen ließ, uͤber
dem auch der ernſte Mann ſich des Laͤcheln
nicht erwaͤhrte, ohne daß die Vernunft bey
jedem Schritte gemishandelt wuͤrde. Es
liegt ſogar unendlicher Anlaß zu beſſerender
Satire darinnen, auf die laͤcherliche Titelſucht
auf ungleiche Heurathen, auf den Stolz
des Adels ſelbſt.
An alles das denkt der Waͤlſche nicht —
Lehren? Satire? Ganzes? Poſſen! er will
zu lachen machen; und weil vermuthlich dle
Nation ein wenig hartklungigt iſt; ſo laͤßt
er
145
er die feinen Züge fahren, zeichnet mit der
unzugeſpitzten Kohle — nicht eine Karikatur
— ſondern einen Wechſelbalg, malt ihn mit
den Fingern ein wenig aus; haͤngt ihn an
das Marktſchreyerquerholz; huy! da ſte⸗
hen Nobile, und Maulthiertreiber zuſamm⸗
gedraͤngt und lachen und lachen — ä
Georg, der Sohn des Dorfmarquis iſt
in veſpina verliebt; er bringt ihr ein Staͤnd⸗
chen; ſein Vater koͤmmt, und kuͤndiget ihm
an: daß er die Graͤfinn Olympia von Sar⸗
Zana heurathen foll: das will dem Jungen
nicht eingehen, dem das Waͤſchermaͤdchen im
Kopfe ſteckt; ſein Vater erpruͤgelt ſeine Ein⸗
willigung, und laͤßt ihn bey ſeinem Adel
ſchwoͤren — Aber ich bin nicht vom Adel!
ich erinnere mich, da ich ſieben Jahr hat⸗
te, den Weinſtock behauen zu haben —
Schlaͤge! — nun hat erjnichts mehr einzu⸗
wenden. Veſpina ſucht ihn auf, eben da
ihn ſein Vater verlaͤßt; er entdeckt ihr ſein
K 5 Un⸗
125
Ungluͤck: wie iſt zu helfen? er bitt das Maͤd⸗
chen, ſie ſoll etwas ausfindig machen, und
verſichert fie feiner Beſtaͤndigkeit, worauf
ſie ihm zu helfen verheißt; dann ſagt ſie,
das iſt ſo ſchroer nicht: ich habe nur mit
zween Narren zu thun. Und ſie 15 die
Wahrheit.
Der Podeſta im Dorfe hat eine Sie
die zu Genua erzogen worden, und eben an⸗
koͤmmt. Marquis Geoͤrge waͤre ein Mann
fuͤr ſie: wer thut aber dem auf ſeine Titel
vernarrten Tulipan den Antrag? dazu fin⸗
det ſich ein Schmarozer, der in beiden Haͤu⸗
fern den Zutritt hat; aber er wird abge⸗
wieſen: die Graͤfinn Olympia iſt Seoͤrgens
Verlobte, und man erwartet ſie. Vortreff⸗
lich! die Tochter des Podeſta kann ſich ja
vafuͤr ausgeben: der Vater geht hin, dem
alten Dorfmarquiſen ihre Ankunft zu mel⸗
den, und ſich durch ſeine uͤbergebenen Briefe
als ihren Bevollmächtigten zu rechtfertigen.
Eben
147 _-
Eben darauf war auch Veſpina verfal⸗
len: und ſie koͤmmt dem Dorfrichter in der
Ausuͤbung zuvor. Erſt in einem Reiſekleide
als Abgeordnete und Sekretaͤirinn der Graͤ⸗
finn hat ſie dem jungen Marquis das Por⸗
trait ſeiner Braut zu überreichen; aber Ges
oͤrge verlangt nichts davon zu wiſſen: er
will ſogar die Abgeordnete nicht ſehen; legt
das Portrait in den Hut! ſpricht er mit ab⸗
gewandtem Leibe — Sie koͤnnen es in mei⸗
nem Geſichte ſehen, welches der liebens⸗
würdigen Braut vollkommen ähnlich ſteht.
Sie zieht nun den Jungen mit Gewalt her⸗
uͤber, der durch ſeine ungebaͤndigte Freude,
da er Veſpinen erblicket, beynahe das gan⸗
ze Spiel verdorben hätte,
Die Gans begreift nicht, wohin das hin⸗
auslaufen ſoll: bis endlich Veſpina in
prächtigen Kleidern unter dem Namen der
Graͤfinn aufgezogen koͤmmt. Vor ihrer Ankunft
uͤbet der Vater ſeinen Dummkopf von einem
Soh⸗
Tat
Sohne in dem Empfangs komplimente; und
bey ihren wirklichen Empfange ſagt er ihm
daſſelbe aus einem Papiere ein; und da Ge⸗
aͤrge nicht weiter kann; fo nimmt der Vater
das Wort, legt das Papier in den Hut, und
lieſt es Wort fuͤr Wort heraus. Der dumme
Junge iſt immer Spitzbube genug, ſeinem
Vater einen Streich zu ſpielen, uud das Pa⸗
pier wegzuruͤcken; da denn die Verwirrung
des Alten laͤcherlich ausfaͤllt.
Nachdem das Waͤſchermaͤdchen abgetre⸗
ten, koͤmmt der Podeſta mit ſeiner Tochter:
Noch eine Gräfinn? welche iſt die wahre?
das macht den Knotten. Tulipan erklärt fi
fuͤr die erſte: der Dorfmagiſtrat haͤlt uͤber
ſein Wort: laͤßt den marquiſirten Bauern⸗
jungen einſperren; hält ein Verhoͤr, droht
ihm die Saite“ da kommt veſpina mit vier
bewaffneten Kerlen, und befreyet ihren Braͤu⸗
tigam: daruͤber koͤmmt — und fo immer eis
ne
La Corda.
ne Narrheit auf die andere — denn ich bin
wirklich muͤde, Ihnen ſolchen Unſinn
auszuziehen — bis zuletzt durch einen Brief
von dem Niemand weis, wo er herkoͤmmt,
die Verkleidung Veſpinens entdeckt wird.
Allein das feine Paar hatte es ſchon ſo weit
kommen laſſen, daß nichts mehr daran zu
aͤndern war, und der alte Marquis ſich da⸗
mit troͤſten muß; der tulipaniſche Stamm
reiche zu, auch die Braut edel zu machen =
So abentheuerlich, unzuſammenhangend,
gegen Wahrſcheinlichkeit und Möglichkeit fine
digend der ganze Gang der Stuͤcke iſt; ſo un⸗
natuͤrlich ſind auch die einzelnen Bearbeitun⸗
gen jedes Auftritts, die einzelnen Auszeichnun⸗
5 gen jedes Charakters; und iſt darinnen nur eine
Uebereinſtimmung beobachtet, die Ueberein⸗
ſtimmung des Unſinns, und ein genaues
Verhaͤltniß eben ſo abentheuerlicher T heile zu
ſeinem abentheuerlichen Ganzen.
Dis
150
Die Dichter dieſer Stuͤcke ſcheinen nicht
nach Scherzen zu jagen; fie laufen nach
dem Buffo, nach Frazen, nein! auch der
Ausdruck iſt zu gelinde: ſie laufen nach der
Farrheit, und ſuchen ihre Luſtigmacherey
in den Kaͤmerchen des Tollhauſes auf —
und oft in Orten, wo Schmutz und Dop⸗
pelſinnigkeiten die Hausſprache ſeyn moͤgen.
Und dieſe Stucke herrſchen gleichwohl auf
19 en Schaubuͤhnen Deutſchlandes, wie in
wien, und verdrängen. die N ationalſtuͤcke,
und entfuͤhren dem deutſchen Schauſpieler
das Herz und den Veyfall der Nati⸗
on. Worinnen ſoll ich die Urſache dieſer
ſonderbaren Erſcheinung finden? Auch
wir erholen uns manchmal von en Thraͤ⸗
nen, die uns vor der ern ſthaften Buͤhne
in die Augen traten , bey einer Opera
Comique: — doch ich werde unge⸗
recht, da ich Paralelen aufſuche, unſer
Theatre de la foire, ja, unſre Warionetten⸗
ſpie⸗
*
*
15T
ſpiele ſogar würden ſich ſchaͤmen, ſolch ver⸗
ſtandloſes Zeug, als die 810 der Buffen
iſt, aufzufuͤhren —
Ich uͤberwinde mich nicht, den Geſchmack
der Nation daruͤber anzuklagen, und aus der
Aehnlichkeit, welche die wälfchen Frazenſpiele
mit den deutſchen Burlesken haben, und
aus der vorzuͤglichen Liebe, welche vielleicht
gegen dieſe Spaſſereyen wahrgenommen
wird, eine Urſache aufzufinden. Das Reich
der Burlesken, wie ich bey ihren Vorſtellun⸗
gen angemerkt, iſt groͤßtentheils vor⸗
über: einmal vielleicht, ertraͤgt man fie, und
lachet — mehr über den vortrefflichen Janno,
den die Wiener Schaubuͤhne beſitzt, und
der dieſen Stuͤcken einſt den Schwung ge⸗
geben hat, als über die Stuͤcke ſelbſt — Aber
mehr als einmal wird die Verwaltung da⸗
bey ſchwerlich ihr Rechnung finden.
Sollten vielleicht die Schauſpieler, oder
wie fie lieber geheißen werden, die Sänger
5 der
152
der wälfchen Bühne durch ihre Vortrefflich⸗
keit die Poſſen und Ungereimtheiten em⸗
pfehlen? — Sollte nicht hauptſaͤchlich
die Tonkunſt ihnen Schutz ertheilen, und
das Vergnuͤgen des Ohrs das Misfallen
der Vernunft maͤſſigen, oder es gar nicht
wahrnehmen laſſen? Eine Reihe Fragen,
uͤber deren jede ich fie insbeſondere zu uns
terhalten gedenke!
|
_Heuntes Stück.
Eilftes Schreiben
Wien: den 25. Hornung
1768.
Schreibe ich doch nur Briefe an
Sie — nicht ein Buch: alſo
mag es mir gleichgültig ſeyn:
ob mich die Nation einſt unter ihre Lieb⸗
lingsſchriftſteller aufnehmen werde, oder
nicht, Waͤre aber auch wirklich meine Ab⸗
ſicht, durch geſammelte Beobachtungen,
mich zum Autor zu erheben; gerade da wuͤr⸗
de ich mirs zum Geſetze machen, ganz nicht
zu heucheln. Wer ſich um den Geſchmack
einer Nation wahrhaft Verdienſte erwerben
will, muß Muth genug haben, unangeneh⸗
me Wahrheiten mit maͤnnlicher Standhaf⸗
L tig⸗
„ Diefer Anfang scheint eine Beziehung auf eine Ant⸗
wort des Freundes zu Paris zu haben / der viel⸗
leicht ſeinem hieſigen Freunde die als zu große
Freymuͤthigkeit verwieſen haben duͤrſte / nachdem
er erfahren: daß die Briefe gedruckt werden⸗
Der neberſ. 55
EA
tigkeit zu ſagen, und dann mit dem komi⸗
ſchen Alten zu ſprechen:
Populus me fibilat: at ego mihi
plaudo *
Dieſer Populus, wann feine Leichtfertig⸗
keit berachtet wird, ermuͤdet und ſchweigt:
aber die geſagten Wahrheiten beſtehen und
wirken. Schriftſteller, die mit dem Publi⸗
kum buhlen, und um eines uͤberhingehenden
Beyfalls wegen, ſich nach ſeinem verwoͤhnten
Geſchmacke bequemen, ſind Liebhaber, die,
um eine kleine Aͤgeley von ihrem Mädchen
zu erhaſchen, feinen Eigenſinn erheben, und
zuletzt Sklaven ſeines Muthwillens werden.
Der redliche Mann getrauet ſich, an ſeiner
Geliebten Unvollkommenheiten wahrzuneh⸗
men, und fie davon zu überführen: er ers
wirbt ſich dadurch über fie eine Herrſchaft,
deren Recht die Vernunft gruͤndet; und ihrs
Hoch
Der Haufen ziſcht mich aus; aber ich loſſe mir
an meinem Selbſtbewußtſeyn genuͤgen —
3 e e NM,
Hochachtung iſt endlich der Lohn ſeiner wohl⸗
meynenden Offenherzigkeit.
Von welcher Seite Sie mich alſo anſehen
wollen; ich werde meine Sprache nie aͤndernz
nie mein Mis fallen über Ungereimtheiten ge⸗
heim halten; nie — um dahin einzulenken,
wo mein letztes Schreiben ſtehen blieb —
dieſen allgemeinen Vorzug, den man uͤber⸗
ktriebenen Stazen vor einem geſitteten Schau⸗
ſpiele giebt, billigen.
Vorzug? = woferne die Opera Buffa dieſes
Vorzugs wegen uͤber das deutſche Schauſpiel
Triumph! rufet; woferne die deutſche Schau⸗
buͤhne ſich daruͤber graͤmet; ich habe das
Mittel zur Hand, den Stolz der einen zu
demuͤthigen, und der andern Troſt zuzureden.
Eben die Zuſeher, die das Nationalſchauſpiel
um ihrer wegen ode ließen, liefen ſogleich auch
von ihr weg, den Gauklern zu, ſobald nur auf ei⸗
ner endern Seite Gaukler erſchienen. Der Zu,
lauf kann daher nicht von dem Werthe enk⸗
L 2 ſchei⸗
156
ſcheiden: ſondern, der Haufen, ift aller Or⸗
ten, zu allen Zeiten derſelbe; immer in ſei⸗
nem Beyfalle wechſelnd; immer des Taͤglichen
uͤberdruͤ ig; immer Haufen in feinem Ge⸗
ſchmacke — | |
Das Volk — ſagt Terenz in dem Vorred⸗
ner der Hecyra — hieng ganz vernarrt
an einem Seiltaͤnzer * und Secyra
blieb darüber einſam und unvollendet. Unſre
Franzoſen, die ſogerne uͤber den Geſchmack
andrer Nationen das Haupt ſchuͤtteln, und
an den Deutſchen beſonders, die Liebe zu Ma⸗
ſchinen und Flugwerken tadeln, moͤgen ſich
ihrer eignen Sterblichkeit erinnern, und mit
zerknirſchtem Herzen an ihre Bruſt klop⸗
fen, wenn fie auf folgende Stelle * ſtoſ⸗
fen, die ich, fo lange fie iſt, herzuſetzen ver⸗
ſucht bin, als ein kraͤftiges niederſchlagendes
Mit⸗
E — Populus ſtudio ſtupidus in ſunambulo au
mum Occuparat —
Charm lettres fur les foires de St. Germain
& Laurent,
F MESYE area
Mittel wider die aufivallende Nationaleitels
keit —
„ Das Publikum war ſogleich anfänglich
, durch die Verheißung herbeygezogen: daß
„ man einen Eſel werde fliegen ſe⸗
„ hen. Dieſer vorgegebene Flug beſtand
„ darinnen, daß man das arme Thier auf
einem uͤbergeſpannten Stricke von oben hin⸗
„ unter, und von einer Eke des Saals nach
„der andern hingleiten ließ. Angelockt,
= durch eine ſolche Armſeligkeit, die vielmehr
„ beſonders dem vernuͤnftigen Manne
„haͤtte Ekel erwecken ſollen, unterließ man
„ nicht, dieſes Schauſpiel mit vieler Begier⸗
„ de zu beſuchen, nicht nur, ſo lange der
„ Eſel erſchien — der eigentlich nur vier⸗
„zehn Tage flog — ſondern auch während
„ des ganzen Marktes, und dieſes, weil man
„ die Stuͤcke gleich unterhaltend und artig,
„ und kurz, alles zuſammgenommen, fo
5 durch die Mannigfaͤltigkeit und Neuheit,
. an⸗
>
anziehend fand; daß es unmöglich war,
der Neugierde zu widerſtehen, und daſſelbe
nicht oͤfters denn einmal zu befuchen.
„ Gleich anfangs erſchien ein Seiltanz,
der aus vier oder fuͤnf der vortrefflich⸗
ſten Taͤnzer und Taͤnzerinnen beſtand: uns
ter dieſen war beſonders eine Italiaͤne⸗
rinn, welche auf dem Seile die Fahne
ſchwang, mit mehrerer Geſchicklichkeit,
als jeder Meiſter es auf der Erde nicht
haͤtte verrichten koͤnnen. Weiters ward
ein Stuͤck aufgefuͤhrt, wovon die Schau⸗
ſpieler keine andre als Springer waren,
und darunter ein Deutſcher, welcher Stuͤ⸗
cke von einem eee Gleichge⸗
wichte zeigte —
„Mit ſolchen Schauſpielern, ohne Bey⸗
ſtand der Ballete und des Geſangs, mit
einem Worte, entbloͤßt von all demjeni⸗
„ gen, was ſonſt unentbehrlich ſcheint, ein
a Schauſpiel dieſer Art unterhaltend zu ma⸗
chen,
180
„„ chen, fand der Verfaſſer der Stuͤcke, wel—
che auf dieſer Buͤhne vorgeſtellt wurden —
es war le Sage, von dem die Rede iſt —
„ den Weg, ſeine Zuſchauer unendlich zu
„„ ergoͤtzen — u. ſ. w.
Ich erlaſſe Ihnen den Auszug des Stuͤ⸗
ckes, welches mit dem fliegenden Eſel die
Ehre theilte, unſre aufgeklaͤrten Pariſer
durch einige Wochen zu unterhalten, und
will Sie nur an das Siegeslied dieſer Gauk⸗
lertruppe erinnern, womit Momus den Pro:
log zu dem bezauberten Schloſſe endiget.
Vous alles partager 1’ eſpece
Avec vos rivaux, mes enfans!
Vos ſauts, & vos tours de ſoupleſſe
Valent leurs danſes & leurs chants —
Verlegen Sie den Schauplatz vom Markte
St. Germain nach Wien, und Sie ha⸗
ben das Schickſal der waͤlſchen Sinaſpiele
vor ſich, welche, ſo beliebt ſie bey jedermann
ſind, dennoch ſogleich verlaſſen wurden,
ſobald auf der andern Seite einige Kerle auf⸗
0 | K 4 | tra⸗ g
160
traten, die gleichſam der Beſtimmung der
Natur zum Hohne auf den Haͤnden gehen,
die Fuͤſſe in der Luft tragen, und alle ihre
Gliedmaſſen aus ihrer natuͤrlichen Lage ver⸗
ſetzen konnten —
Noch einmal alſo! der Zulauf bey einem
Schauſpiele beweiſt ſehr wenig: er beweiſt
oft gerade das Gegentbeil: wenn ein Kleid
einem Hoͤcker gerecht iſt; ſo kann es nicht eben
einen eleganten Zuſchnitt haben. Ich moͤch⸗
te daher beynahe ſagen: ein Theatraldichter
Hätte wichtige Urſache, fein Stuͤck zuruͤckzu⸗
nehmen, ſobald es mehr als vier Vorſtel⸗
lungen hintereinander aushaͤlt — denn, fage
Deutſchlands geſitteterer La Fontaine
Wenn eine Schrift des“ Lob erhaͤlt.
So iſt es Zeit ſie auszuſtreichen —
Den 26. Hornung.
ch uͤberleſe mein Schreiben, und — da
8 habe ich gerade nichts von allen dem
gejagt, was Sie, nach dem Schluſſe meines
letz⸗
161
letzteren erwarten mußten. Einmal ſtehen fie
nun da, dieſe allgemeinen Betrachtungen, und
fie mögen bleiben! habe ich doch die Frey»
heit, ein neues Blatt anzulegen — a
Das elende Gewebe der waͤlſchen Buffa,
das ſogar weit, weit unter den deutſchen
Frazen ſteht, ſehe ich gewiſſer maſſen als
das Holzgerippe einer Theatralverzierung
an. Was verſchlaͤgt es mir, daß es der
Zimmermann nur von unbehobelten Kloͤtzen
befeſtiget hat: ich ſehe die Kloͤtze nicht; ich
ſehe nur die Kunſt des Servandoni. Was
liegt mir an der albernen Erdichtung des
Buffaſchreibers! merke ich doch auf ſeine
Worte gar nicht, ſondern bloß auf die Ge⸗
ſchicklichkeit des Tonkuͤnſtlers. Denn, hier
iſt es nicht, wie bey dem ernſthaften Sing⸗
ſpiele, wo die Dichtkunſt und Muſik mitein⸗
ander in einem freundſchaftlichen Bunde ſte⸗
hen, mit vereinbarten Kraͤften nach dem
Beyfalle ſtreben, und ſich dann auch in den⸗
Big ſel⸗
162
felben gleich theilen. Der Frazendreher thut
weiter nichts, als den Pult halten, wo ein
Gualuppi, Piccini, oder Gasmann ihre
Muſikalien auflegen: oder ohne Gleichniß,
weniger witzig, aber von allen Seiten viel⸗
leicht richtiger geſprochen; der Dichter der
Buffa, legt nur die verſchiedenen Anlaͤſſe an,
nach welchen der Verfaſſer der Muſik unſe⸗
rem Gehoͤre Vergnuͤgen verſchaffen foll,
Er, der Dichter, kann ſeiner Seite ſehr
wenig zu dieſem Ver gnuͤgen des Ohrs bey⸗
tragen; aber er kann dem Muſikſetzer durch
ſeine Unſchicklichkeit unendliche Hinderniſſe
in Weg legen — durch die ermuͤdende Ein⸗
foͤrmigkeit des Innhalts — durch zu ſehr un⸗
terbrochene und innhaltleere Recitati⸗
ve — durch zu jaͤhling, zu oft, zur Unzeit
wechſelnde Versmaſſe — durch uͤbel ange⸗
brachte Entgegenſetzungen (Contrapoſten) —
durch gehaͤufte Duo und Tre und Tutti —
Mey ſolchen Gebrechen, die der Tonkuͤnſt⸗
a ler
162
ler unterſuchen muß, ehe er Hand anleget,
iſt das Buch unbrauchbar; ein unbehandel⸗
barer Klumpen, ohne die erfoderliche Hoͤhe
und Breite; der Kuͤnſtler wirft ihn weg,
weil er ſeine Kunſt, bey allem darauf ge⸗
wendeten Fleiße nur zu Schanden arbeiten
wuͤrde.
Finden ſich aber ſolche Schwierigkeiten
nicht; hat der Schriftſteller dem Tonkuͤnſt⸗
ler wenigſtens im Groben vorgearbeitet, und
uͤbrigens ſeinem Stoffe nur die Geſchmei⸗
digkeit nicht geraubet; ſo wird er ſich un⸗
ter der Hand des Meiſters folgſam ſchmie⸗
gen. Der Tonkuͤnſtler wird Dichter fuͤr das
Ohr, und legt Schoͤnheiten hinein, von de⸗
nen ſein vorarbeitender Handlanger nie eine
Ahndung gehabt; und oft, weis er ſelbſt
die handgreiflichſten Ungereimtheiten des
Schriftſtellers ſich zu Nutz zu machen, und
in Schoͤnheiten zu verwandeln, ſo, daß man
es der Unſchicklichkeit des Dichters einiger⸗
maſ⸗
164
maſſen Dank weis, weil wir ohne dieſelbe
dieſe Schoͤnheiten haͤtten entbehren muͤſſen.
Ich entwerfe hier kein Ideal der ſcherz⸗
haften Singſpiele: denn man ſieht wohl
mit leichter Muͤhe ein: daß das Vergnuͤgen
des Gehoͤrs die Geſetze der Wahrſcheinlich⸗
keit in dem Gedichte nicht ausſchloͤße; und
daß es ganz keine Unmoͤglichkeit waͤre, das
Laͤcheln der Vernunft, mit dem Entzuͤcken,
ſo die Harmonie gewaͤhret, zu vereinbaren.
Vielleicht, daß einſt ein italiaͤniſcher Dichter
aufſteht, der dieſe Misgeburten des vater⸗
ländiſchen Witzes, durch feine Carikaturen
in der Manier eines Ghezzi, verdraͤngt, und
den beleidigten Verſtand mit der ſcherzhaf⸗
ten Muſe Italiens verſoͤhnet.
Bis dahin iſticher nur die Tonkunſt, die in
Buffen in Exwegung gezogen wird — Und dar⸗
aus laͤßt ſich die Erſcheinung ſehr natuͤrlich
erklaͤren: wie man eben daſſelbe Muſikſtuͤck
wohl zwainzigmal mit immer gleichem, oder
we⸗
165
wenigſtens immer lebhaftem Ergößen anſe⸗
hen, oder eigentlich hoͤren koͤnne, da man
des beſten Schauſpiels, wie es bloß dekla⸗
mirt wird, nach einigen Wiederholungen,
wenigſtens muͤde wird. |
Das finnliche Vergnügen des Ohrs be
ſteht in dem angenehmen Gefühle, welches
die auf eine eigene Art durch das Beben.
der Toͤne bewegte Luft auf die Gehoͤrwerk⸗
zeuge machet, deſſen Eindruck aber mit der
Urſache ſelbſt, oder doch bald darauf ver⸗
ſchwindet. Dieſes Gefuͤhl erneuert ſich, ſo
oft die Luft auf die naͤmliche Art beweget
wird: und ſo, wie es unmoͤglich iſt, den
Duft einer Roſe nicht zuempfinden, wann
die Blume dem Werkzeuge des Geruchs ge⸗
nähert wird; eben fo muß die ergoͤtzende Kuͤ⸗
tzelung des Ohres unumgänglich erfolgen,
ſobald die Inſtrumente erſchallen. f
Die Einbildungskraft aber, hat nicht das
Vermoͤgen, dieſe finnlichen Empfindungen
zu⸗
zuruͤck zu rufen, wenn fie abweſend find.
Vergebens denke ich mir die Roſe mit allen
ihren Schoͤnheiten; ich ſehe zwar, wenigſtens
einigermaſſen, ihr Bild; aber alle meine Be⸗
muͤhungen koͤnnen mir den Geruch dieſer Blu⸗
me nicht wiederſchaffen, wo ſie es nicht ſelbſt
thut. Eben fo verhält ſichs mit den Toͤnen.
Ich arbeite vergebens, die ganze Reihe der
Harmonie in dem innerſten meiner Seele zu
ordnen, und dasjenige wieder zu empfinden,
was ich bey der Ausuͤbung der Muſik ſelbſt
empfand. Alles, was ich durch eine tiefe
Selbſtverſammlung erhalte, iſt eine Art von
dem Körper der Töne, der aus dem Zeitmaſ⸗
fe und einigermaſſen aus den numeriſchenFort⸗
ſchreitungen und Verbindungen derſelben be⸗
ſteht, und zuletzt bey mir in einen Geſang ſelbſt
ausbricht, deſſen Gefuͤhl gleichwohl nach
dem Verhaͤltniſſe weniger entzuͤckend iſt, als
meine Kehle von der Kehle der Saͤngerinn
abſteht, und das Ganze der mirbegleitens
den
. 8 3
den Harmonie mangelt; das iſt: ſoweit, als
die Luft durch meine Ausuͤbung, gegen die
andere, auf eine merkwuͤrdig abſtehende Art
beweget wird. |
Und auf diefer Unmöglichkeit, durch mei⸗
ne Einbildung mir das Vergnuͤgen zu er⸗
ſetzen, wie ich es bey bloß deklamirten Stuͤ⸗
cken, wenigſtens in einem weit hoͤheren Gra⸗
de bewerkſtelligen kann, gruͤndet ſich die Be⸗
gierde, die Muſikſtuͤcke oͤfters wiederholen
zu hoͤren, woferne ich anfangs davon angenehm
geruͤhret ward: faſt, wie ich eine Speiſe wie⸗
derverlange, deren Geſchmack meinen Gaum
auf eine angenehme Art gekuͤtzelt hatte —
Wie denn? verwebe ich mich doch gar in
Metaphifik, ohne es gewahr zu werden! Ges
ſchwinde, laſſen Sie mich den Faden abreißen,
ohe ich ihn verwirre.
Von dem Verleger.
| Ich habe die zwey Schreiben unter der
Aufſchrift: an den Perfaſſer der Briefe
über
168
über die Wienerſchaubuͤhne, ſogleich beſtel⸗
len laſſen. Derjenige, durch deſſen Vermitte⸗
lung ich die Briefe des Fremden erhalte, brach⸗
te ſie mir uneroͤffnet zuruͤcke, mit der Ver⸗
ſicherung: daß ſein Freund nie ein Schreiben
annehmen werde, weil er ſich nicht das Anſe⸗
hen eines Schriftſtellers zu geben verlange.
Man glaubt ſich alſo verbunden, dieſes be⸗
kannt zu machen, und zu erinnern: daß in
BinEunft Feine Zuſchriften angenommen
werden.
|
Zehntes Stück.
Zwoͤlftes Schreiben
Wien: ben = 76
.
Die vortrefflichſten Stuͤcke, wenn
dug fie die Ausübung nicht unterſtuͤ⸗
— get, fallen: und darinnen, find
die deklamirten und geſungenen Schau⸗
ſpiele einerley Schickſale unterworfen. Die
Schauſpieler haben alſo mit Recht ihren Theil
von dem Beyfalle zu fodern, den die Vor—
ſtellungen erhalten. Die waͤlſchen Saͤnger ſind
zu dieſer Foderung ſo ſehr, als je irgend eine
Truppe in der Welt berechtiget. Sie beſtehen
hauptſaͤchlich aus vier Männern, und drey
Frauen, deren jede fuͤr ſich, in Waͤlſchland ei⸗
ne Buͤhne aufrecht zu erhalten, im Stande
waͤre: die übrigen find Flickſtuͤcke.
M Cara:
170
Caratoli ift wenig Sänger mehr, aber
deſto mehr Schauſpieler; und er weis ge⸗
wiſſermaſſen, den Geſang entbehrlich zu
machen. Seine Rollen ſind die Alten. Im
Viaggiatore ridicolo, und amore artig-
Slano zeigte er ſich eigentlich in ſeiner wah⸗
ren Staͤrke. Sogarth duͤrfte beſtaͤndig vor
der Buͤhne ſtehen, um die Stellungen die⸗
ſes Schauſpielers abzuzeichnen : er wuͤrde
in jedem Stuͤcke eine Reihe der vortrefflich⸗
ſten Karikaturen ſammeln koͤnnen. Sein
Geſicht beſonders iſt ausdruckvoll, wahr,
wie die Natur ſelbſt; fein Spiel manigfaͤl⸗
tig, und wechſelnd; ſeine Einſicht groß —
aber er verlaͤugnet dieſe Einſicht zu oft, um
eines leichten Gelächters wegen, das nicht
ſowohl der Beyfall, als die Ungereimtheit
dem Zuſchauer abnöthiget. Ich habe ihn in
der Notte critica, wo der Schauplatz ein
uͤber und uͤber gruͤnender Garten iſt, wo
die Magd und Tochter vom Hauſe ihre
Lieb⸗
177
Liebhaber bey Nachtzeit darinnen erwarten,
wo alſo die Jahreszeit ſehr deutlich beſtim⸗
met iſt, da habe ich ihn in einem ungewend⸗
ten Pelze erſcheinen geſehen — Ich ſah ihn
in einem andern Stuͤcke, das Kleid mit
Kreuzerſpiegelchen ſtatt der Knöpfe auszieren:
und uͤber haupt ſuchet er in feinen Anklei⸗
dungen immer das aͤußerſt Unſchickliche;
eine Veſte, die laͤnger iſt, als der Rock,
oder ſo etwas — Das moͤchte der brave Mann
einem Binetti üherlaffen, der, mehr an die
Poſſen der Gauklerbuͤhne gewoͤhnet, ſeine Zu⸗
flucht zu einem großen Haarbeutel, oder ei⸗
nem Tiſchtuche ſtatt eines Schnupftuches neh⸗
men, und ſich an dem Gelaͤchter des Poͤbels
muß genügen laſſen. Caratoli koͤnnte ſol⸗
cher Armſeligkeiten entbehren, da er die
Quelle des Scherzhaften und Laͤcherlichen in
ſich ſelbſt faͤnde, und nicht erſt den Beyfall
auf Koſten feines Verſtandes ſuchen dürfte
M 2 So
172
So oft ich dieſen Schauſpieler, feines
eignen Werths uneingedenk, ſich ſelbſt durch
unpaſſende Albernheiten verwerfen ſah, ſag⸗
te ich bey mir von ihm, was Boileau
einſt von Molieren fprach:
Peut etre de ſon art eut il remporte
le prix,
Si moins ami du peuple, en fes doc-
tes peintures
il n' eut point fait ſouvent grimacer fes
Faures —
Laſchi ſucht nie auf Koſten der Natur
das Haͤndeklatſchen des Parterrs. Er iſt ein
Schauſpieler von großer Einſicht: ſeine Scher⸗
ze find fein, anpaſſend, nie herbeygeſchleppt,
ſondern immer aus der Sache ſelbſt gefchöpfte
ſein Anſtand iſt frey; er iſt — wenn ſich die
beide Worte ja einiger maſſen vergeſellſchaften
laſſen — ein edler Buffo. Er ſpielt noch
die Liebhaber; aber man bemitleidet ihn uͤber
den Verluſt einiger Saiten an ſeiner Stim⸗
me, der ihm zuweilen Mistoͤne abzwingt⸗
Man ſieht es an der Anſtrengung ſeines Ge⸗
ſichts,
173
ſichts, und den Blinken feiner Augen, wie
ſehr er ſelbſt dieſen Verluſt fuͤhlet, den er
durch Verwechslung der Toͤne, und Colo⸗
raturen zu erſetzen ſuchet. Seine koͤrperliche
Ausuͤbung, und feine tiefen Kenntniſſe, ſowohl
in der Schauſpielkunſt, als der Muſik, verſi⸗
chern ihm indeſſen noch itzt einen Platz unter
den vortrefflichſten Theatralperſonen Italiens:
und was das Ohr hey ſeinen Arien zuweilen
leidet, daruͤber entſchaͤdiget er durch ſeine
Recitative, worein er alle Wahrheit und
Ausdruck zu legen weis. |
Poggi hat eine ſehr volle, und dennoch ſehr
angenehme Baßſtimme, die ihm nirgend
verſagt. Er vereinbaret mit einem angeneh⸗
men, und richtigen Geſange ein ergoͤtzendes
Spiel. Poggi iſt ein Liebling der Kenner,
weil er ihnen in beiden, als Saͤnger und
Schauſpieler, genug thut. Er uͤbertreibt
nichts z und fo ſehr ich auch auf ihn gelau⸗
ert, ich habe ihn nie uͤber einer Unrichtig⸗
M3 keit
174
keit feſthalten koͤnnen. Er iſt beſtaͤndig in
ſeiner Faſſung; und ſeine ungezwungene, nie
uͤberladene Gebehrde ſcheint immer feiner
Empfindung nur zu folgen. Der Alte im Ve⸗
chio geloſo war zwar ſeine Sache nicht. Ein
geſunder, raſcher Mann wird zu ſehr aus ſei⸗
ner Stelle verſetzet, wann er einen gelenk⸗
loſen Abgelebten vorſtellen ſoll. Seine
Hauptrollen ſind Bauern, die Vaͤter von
mittlerem Alter, und auch Bediente.
In der Contadina in corte, wo er den
ehmaligen Liebhaber des nach Hof verſetzten
Bauernmaͤdchens ſpielte, und die verſchiede⸗
nen Auftritte ihm Gelegenheit anboten, alle
das Verſchlagene und Nädifche, und wieder
das Bloͤde und Einfaͤltige ſeines Standes
anzubringen, ward er von Kennern beſon⸗
ders geruͤhmet. |
Im Marchefe villano war er der einzi⸗
ge der aus den Schranken des Scherzhaften
nicht in das Poſſenhafte uͤbertrat; und er
g ge⸗
175
gefiel darum nicht weniger in der Per ſon des
Dorfmagiſtrats — |
In der Notte critica, wo er den einen
Liebhaber der Magd als Bedienter vorſtell⸗
te, fand ich an ihm beynahe einen franzoͤſi⸗
ſchen Bedienten; die Unverſchaͤmtheit dieſer
Purſche ausgenommen, die mir, ſeit dem ich
in Deutſchland bin, anfängt zu widerſtehen.
Caribaldi iſt der Affe des Caratoli, aber
ohne ſeine Geſchicklichkeit zu beſitzen, und
ohne die noͤthige Beurtheilung, worinnen er
ſein Muſter eigentlich nachzuahmen habe. Er
erhaſcht alſo gerade das jenige, was er fah⸗
ren laſſen ſoll, und welches eben darum leicht
nachgeahmt werden kann, weil es ſchlecht iſt.
So kopiren unſre Schauſpielerinnen in den
Provinzen das Schnarren der Dumenil, und
glauben ſelbſt Dumenils zu ſeyn. Cari⸗
baldi hat ſeinem Vorgaͤnger nur die Ueber⸗
ladungen abgelernet, und giebt das, was er
gelehen, als eine verungluͤckte Kopie, ſchlecht
M 4 wie⸗
wieder. Sein Spiel iſt gezwungen, und
einfoͤrmig: der Schreiner im amore artig -
glano, wie Georgino im Dorf markiſen; und
der Bediente in der notte critica , wie
der Schreiner. |
Aber, der mittelmaͤſſige Schauſpieler hat
eine Kehle, die entzuͤckt; eine Tenorſtimme,
die etwas gewiſſes Ruͤhrendes, und Suͤſſes an
fich hat, und darüber er fo ziemlich Meiſter iſt,
um ihr an ſeinem Orte die ſchickliche Nachlaſ⸗
fung und Anfpannung zu geben, die im Geſange
das Helldunkle ausmachet, und fo die Seele
des Ausdrucks iſt, wie in der Deklamation
die Modulation. Seine Uebergaͤnge und Co⸗
loraturen ſind verbunden und flieſſend, aber
ohne Kunſt, nur die Tonleiter ſtuffenweiſe
ablaufend, und immer dieſelben. Der Mu⸗
ſikſetzer, welcher von der angenehmen Stim⸗
me dieſes Saͤn gers Vortheil ziehen will, wird
ſich, wie ich dafuͤr halte, ſehr in acht nehmen,
für ihn anders, als Andante zu ſchreiben.
| Ueber
| 177
Ueber die Frauensperſonen ſind die Stim⸗
men getheilt: die Auffuͤhrung der Contadi-
na in corte war ein merkwuͤrdiger Zeit⸗
punkt, der die eine Haͤlfte der Stadt gegen
die andere empoͤrte. Ich will Ihnen dieſe
fuͤr das Wienertheater unvergeßliche Epoche
mit den Worten einer Handſchrift herſe⸗
tzen, aus der ich noch eigentlich nicht klug
werden kann, ob ſie Satire oder Ernſt iſt;
die aber wenigſtens einen ſehr freymuͤthigen
Mann zum Verfaſſer haben muß — Er vers
birgt ſich hinter die Perſon eines alten Man⸗
nes, ruͤhmet ſich ſeiner Unpartheylichkeit,
weil unter dem Schnee ſeiner Haare
fein Serz gegen den Brand ſicher ſeyn
kann, den die Blicke einer jungen Schau⸗
ſpielerinn ſonſt darinnen anlegen düͤrf⸗
ten — und, um von ſeiner Unbeſtechlichkeit ei⸗
nen kleinen Beweis zu geben, erzaͤhlet er:
„ In der letzten, denkwuͤrdigen Spaltung,
„ da Galerie und Logen ſich in Gibellin⸗
MS nen
175
„ nen und Guelphen ſoͤnderten, und die
„ ſtreitenden Theile ſogar das Laͤrmen der
„ kleinen Galerie zu Huͤlfe ruften: damals
„ als amore artiggiano und contadina in
„corte ſich Bühne und Beyfall ſtreitig
„ machten; da die Hand des Einen gegen
„ alle, und aller Hände gegen Einen auf
„gehoben waren, wenn das abgefoderte
„Loſfungswort nicht Sandrina und Muͤn⸗
„chen lautete; damals war ich — weder
„ Bibellinn noch Guelph — ſondern hielt,
„fo ſchlau als Wielands Schiedrichter
„ am Ida, den Apfel immer in meiner Hand,
„Und itzt, wenn die redende Gebehrde, und
„die naife Schalkheit der einen, Aug
„ und Empfindung ergößte, neigte ich mich
e, gegen fie, und vergab ihr gerne, wenn
„ die Lebhaftigkeit der Handlung fie um ein
5 Achttheil des Tones hoͤher oder niedriger
„ ſtimmte, oder fie über! das Zeitmaß zu
5 ſchnell fortriß — und itzt neigte ich mich
ge⸗
179
—
„gegen die, ward nur Ohr, und druͤckte die
„Augen feſt zu, um durch die nach dem
„ Takte abgezirkelten Armſchwingungen der
„einen — oder die ſchlaͤfrige Unbeugſamkeit,
„ und das verdrußvolle Kopfwinden der an⸗
„dern mein Vergnuͤgen nicht ſtoͤhren zu
„ laſſen — Der gute Alte hat wirklich
das Geſicht nicht fo blöde * als er uns ans
ſchwaͤrzen will! denn er bezeichnet die Saͤn⸗
gerinnen, daß man ſie nicht leicht verkennen
wird. g | Sn
Sandrina war die Rolle, in welcher
Madam Bernas koni auf der hieſigen Schau⸗
bühne auftrat. Die Anhänger der beiden
andern Saͤngerinnen machten gegen ſie eine
Kabale. Die Schauſpielerinn gieng zitternd
auf die Buͤhne. Aber das Publikum ergriff
die Parthey einer Perſon, die nach der Hand
die⸗
*Die Handſchrift / aus welcher der Ausländer hier
ein Stück lanfuͤhrt / if mir unbekannt. Ich
war verſucht? / die Stelle hinweg zu laſſen: "als
lein es war nicht wohl moͤglich / ohne den ganzen
Zuſammenhang des Schreibens zu verſtuͤmmeln
Der Meberſetzer. |
180
dieſe voreilige Partheylichkeit rechtfertigte.
Man gieng damit bis zur Ungezogenheit: man
machte die aͤrmſte Sandrina beynahe jede Arie
wiederholen, und ihre Gegner boͤrſten —
Hoͤrte man die einen; ſo war Bernaskoni
eine elende Anfaͤngerinn. Sprach man mit
einem bernaskoniſchen Zeloten; ſo waren
Eberardi und Clementina unausſtehlich —
Aber ein Mann, der wie der Alte, mit
kaltem Blute einen Zuſch auer abgab, ſah,
daß man auf beiden Seiten mit der Verach⸗
tung, und Vergoͤtterung zu weit gieng. Iſt
es denn eine ausſchluͤſſende Sache um das
Talent? und iſt es unmoglich, drey
Sängerinnen zu vereinbaren, deren jede Ei
genſchaften beſitzt, die fie ſchaͤtzbar machen?
Gewoͤhnlicher Weiſe ſind zwar drey Saͤn⸗
gerinnen von ſolchem Talente nicht in einer
Truppe anzutreffen: aber die neue Unterneh⸗
mung thut in allen Stuͤcken das Ungewoͤhnli⸗
che, und ich möchte bald ſagen, das Unmoͤgliche.
Ma⸗
BE Ä
Madam Bernaskoni kennen Sie aus
der Alceſte: ſie iſt, wie einige fodern, im
Scherzhaften noch vortrefflicher. Ihr An⸗
ſtand aber ſcheint dem Niedrigen zu wi⸗
derſprechen: die Mittelcharaktere, die Naifen
Rollen, und das, nicht Buffe, ſondern uͤber⸗
ladene Romiſche hoͤchſtens, find für fie. Ihre
Bereitwilligkeit, das Publikum durch ihre
Talente zu verbinden, haben ſie zur Guͤnſt⸗
linginn Wiens gemacht.
Und vielleicht iſt das Gegentheil daran
Schuld, daß man Madam Clementinen
nicht nach ihrem Werthe ſchaͤtzet. Die
Stimme dieſer Saͤngerinn iſt Silber⸗
klang, ſo gelaͤufig, als man es nur fodern
kann, und ſchoͤn verflöffet: fie ſingt nicht
verwegen, aber richtig. Ihre Gebehrde iſt
anſtaͤndig, frey, edel. — Aber was nis
tzen dieſe Gaben, wenn eine in die Augen
fallende Verdroſſenheit davon keinen Ge⸗
brauch machet! fie ſpielte ſehr oft mit ſo
we⸗
282
— — —
weniger Mühe, mit ſo ſichtbarer Vernachlaͤſ⸗
ſigung, als erwieſe ſie dem Publikum eine
Gnade. Und ſo denkt das Publikum nicht.
Eine Frauensperſon kann zwar gegen die
Männer ſich ein wenig hoch tragen: aber
das Publikum hat kein Geſchlecht: es
ſieht in der Saͤngerinn nicht die Frauens⸗
perſon; es ſieht nur die Saͤngerinn, welche
zu ſeinem Vergnügen gemiethet iſt.
Mamſel Eberavdi hat einen angenehmen
Contraalt, welche Stimme ſelten iſt. Als
Saͤngerinn muß fie jedermann gefallen.
Ihr Triller ſchlaͤgt zwar ein wenig
in einen Sitterſchlag (Tremulanten) um;
und wenn das Tempo ſehr geſchwinde ge⸗
nommen wird, faͤllt ihr das Folgen ſchwer:
indeſſen hoͤret man fie immer mit Vergnuͤ⸗
gen — Aber, wie der Alte ſprach: ihrs
Armſchwingungen ſind einfoͤrmig, und ge⸗
zirkelt: fie läßt die Natur über dem Ger
kuͤnſtelten fahren; und wird ſteif und ge⸗
5 zwun⸗
183
zwungen „indem ſie die regelmaͤſſige Gebehr⸗
de zu muͤhſam auffucht.
Auch ſonſt eine Erinnerung wuͤrde dem
guten Mädchen heilſam ſeyn: und die moͤch⸗
te ſie allenfalls mit Clementinen theilen!
Sobald fie ihre Arie abgeſungen, oder ihre
Worte hergeſagt hat, iſt ſie nicht mehr auf
der Buͤhne. Das iſt ſehr der Fehler der
waͤlſchen Saͤngerinnen und Taͤnzerinnenz und
die Maͤdchen wiſſen nicht, wie viel ihnen
dieſe Zerſtreuungen Schaden bringen. Es
iſt nicht moͤglich, daß ihre Handlung jemal
den Grad der Hitze und Lebhaftigkeit errei⸗
che, der ihr den kaͤuſchenden Schein der
Wahrheit ertheilt, und dem Zuſchauer Be⸗
wunderung und Beyfall entreißt. Sie laſ⸗
fen einer Leidenſchaft, die fie alle Augenblicke
unterbrechen, nie Zeit, zu reifen, und auf
ihrem Geſichte, in ihren Gebehrden
diejenigen Veraͤnderungen hervorzubringen,
die, wie bey den wahrſagenden Prieſterin⸗
hen,
184 i
. 2 2
nen, die ſichtbaren Merkmale der Begeiſte⸗
rung eines Gottes ſind: und ſie ſpielen
daher immer nur, da ſie handeln, mit eigner
Empfindung handeln ſollten.
Ich moͤchte doch — dachte ich immer,
wenn ich die Maͤdchen unter dem Schnupf⸗
tuche fliſtern und einander auf der Buͤhne,
ohne Scheu vor dem Blicke des Zuſchauers
Sachen erzaͤhlen ſah, die ihre Stirnen ent⸗
falteten, und auf ein Geſicht, das die Trau⸗
rigkeit umwoͤlken ſollte, das Laͤcheln der
Schaͤckerey verpflanzten — ich möchte doch
wiſſen, ob ſie ſich dieſe Dinge nicht eine
Viertelſtunde vorher erzählen konnten?
Eilftes Stück.
Wien: den 13. d
1768.
Ich uͤberſehe meine vorhergehenden
55 Briefe, und da finde ich noch viel
nachzutragen, wenn meine Nach⸗
5 kichten ein wenig vollſtaͤndig ſeyn ſollen.
In Destouchens Geſpenſte mit der
Trommel ſpielten ein neuer Schauſpieler
und Schauſpielerinn ihre Proberollen. Die
Frau machte die vermeinte Wittib; und
der Mann den Pedanten mit dreyen Urſa⸗
chen —
„Ich finde die Gewohnheit mit den Pro»
berollen aller Orten aͤußerſt ungereimt und
widerſinnig. Eine Perſon, die fiir die Ver
trauten, oder ſonſt die kleinen Rollen ange⸗
nommen iſt, hat an dieſem Tage das Recht,
die Prinzeſſinn, die Hauptperſon des Stüs
1 N ckes
*
186
ckes zu ſpielen. Es ift kein Wunder, wenn
ſie ſich in ihre Stelle ſo wenig zu finden
weis, als Ninette bey Hof in den
Reifrock. Die ganze Beſtimmung der
Proberollen wird durch dieſen Misbrauch
vereitelt. Die Unternehmung ſollte ſehen, wo⸗
zu ihr die neue Schauſpielerinn brauchbar
ſeyn koͤnnte: das Publikum ſollte urtheilen⸗
ob es mit ihr zufrieden ſeyn wuͤrde — Sie
ſpielt die Baroninn erbaͤrmlich: was folgt
daraus? wann man eine Kuͤchemagd anneh⸗
men will; laͤßt man ſie verſuchen, ob ſie die
Ehren des Hauſes mit Anſtand zu machen
wiſſe? natuͤrlich weis ſie das nicht, und
immer noch kann ſie eine recht vortreffliche
Kuͤchemagd ſeyn — :
Die Rolle des Verwalters ift auch
keine Taͤndelrolle. Vielleicht haben die deut⸗
ſchen Pedanten einen ſo ſeltſamen Juſchnitt:
ich weis es nicht: aber ich weis, daß ſie
auf dieſem Fuſſe ſtatt des Gelaͤchters, Uns
! wil⸗
187
willen erweckten, und wie alle ekelhaften Ge⸗
genſtaͤnde, keine Originale zur Nachſchilderung
waͤren. Anfangs zwang ſich der Mann ein
wenig, ſeine Kniee unter ſich wanken zu laſ⸗
ſeu; aber er war der Verſtellung bald. müde,
und trat ſteif und ruͤſtig auf ſeine Beine,
wobey Frau Salome wenigſtens, ihre Rech⸗
nung beſſer finden wird — und was fragt er
nach dem Author, der ſchon lange im Gra⸗
be modert!
Die trunkenen Auftritte fallen auf den
deutſchen Schaubuͤhnen immer am natuͤrlich⸗
ſten aus: und dem Schauſpieler, der Lie⸗
golden machte, ließ die Trommel recht fo
als einem, der fuͤr ſie geſchaffen iſt — Die⸗
ſes Stuͤck, deſſen ganzer Gang auf eine
alte Weiberſage gebaut, und auch noch in der
franzoͤſiſchen Aufſtuͤtzung bis auf einige ein⸗
zelnen, mehr poflierlichen als ſcherzhaften Auf⸗
gritte froſtig iſt, möchte immer zur ewigen
Ruhe beygelegt werden — |
N 2 Die
188
Die ſtumme Schoͤnheit iſt ein deutſches
Original in Reimen, von Schlegeln, die⸗
ſem nur aufbluͤhenden Theatralgenie, uͤber
deſſen zu fruͤhen Tod die Deutſchen gerechte
Klagen ausſtoſſen, ſo oft die Unvollkom⸗
menheit der Schaubuͤhne bey ihnen geruͤgt
wird. Ich ſah es mit einigem Vergnuͤgen
aufführen; aber in einer Hauptſtadt iſt alle
Satire dieſes Stuͤcks verloren: die Sitten,
die Perſonen find fo kleinſtaͤdtiſch, ſo buͤr⸗
gerlich, und noch dazu ſehr auslaͤndiſch;
denn der Verfaſſer ſchrieb es für die daͤni⸗
ſche Bühne — Für die reiſenden Gefelk
ſchaften, die oft unterwegs in offenen Land⸗
ſtaͤdtchen abtreten muͤſſen, möchte die ſtum⸗
me Schoͤnheit ein Schatz ſeyn : denn auf
dieſen Plaͤtzen ſind das ſchoͤne Dratpuͤppchen,
und eine Praatgern in ihren Kreiſen.
Ein Dratpuppe muß Charlotte ſeyn! aber
nicht nur eine Dratpuppe; auch ſonſt ein
unbehuͤlflich Ding, das alles anſtaunt, was
| | fe
189 i
—— —̃ ' ——.. —
ſie ſieht, das, ſobald ſie eine fremde Per⸗
ſon ſieht, die Sprache verliert, und ganz
aus ihrer Faſſung iſt — Der Verfaſſer hat
auch ein ſtarke Doſis von Dummheit mit zu⸗
gemiſcht — ein Maͤdchen, das auf alle An⸗
trage ihres Braͤutigams weiter nichts als:
ſo? — und auf die Frage: ob fie die
Seinige werden wolle? — warum nicht?
antwortet: die ihrem Vater, welchen ſie das
erſtemal in ihrem Leben zu Geſichte be⸗
koͤmmt, und wie man daͤchte, ſchuͤchtern an⸗
ſtarren ſollte, mit einem Spiele Karten ent⸗
gegen koͤmmt — wirklich das Mädchen iſt
noch duͤmmer als ſtumm.
Gleichwohl ſcheint es, der Dichter habe
den Charakter Charlottens hauptfaͤchlich
nicht eben dumm anlegen wollen; und feine
Abſicht waͤre nur geweſen, das Steife einer
Erziehung durchzumuſtern, wo eine Praatgern
alles glaubt gethan zu haben, wenn das
Maͤdchen ſich ein wenig zu putzen, die Fuͤſ⸗
N 3, ſe
190
fe nach der Vorſchrift des Tanzmeiſters in
die dritte Stellung zu ſetzen, und zum Ue⸗
berfluß, Quadrille zu ſpielen weis — Frey⸗
lich iſt das nicht alles; und Eleonore in
der Abſtechung ſoll beweiſen: daß ein Maͤd⸗
chen, das Romanen lieſt, und ſogar Komoͤ⸗
dien ſteht, ohne dieſe Schraubereyen gerade
am artigſten wird — Das glaubt man dem
Dichter auf das erſte Wort: aber wo giebt
es die Praatgernen mit ſolchen Grund⸗
ſaͤtzen? Wo? — wer weis, ob man in
Deutſchland die Frage zweymal thun darf,
ohne daß uns die Antwort von mehr denn
einer Seite entgegen ſchallet: Hier!
Wie ſoll ſich alſo eine Schauſpielerinn
anlaſſen, um Charlotten nach der Abſicht
des Dichters als ein Mittelding zu zeigen?
Sie ſoll, daͤchte ich, wenn fie allein, oder
mit ihrem Maͤdchen iſt, eine andre Praat⸗
gern ſeyn — denn das iſt doch das Mu⸗
ſter, das fie täglich vor ſich ſieht — fie ſoll
ſchwaͤ⸗
191
ſchwaͤtzen! ungezogen ſeyn! aber kaum
koͤmmt ein Dritter dazu; da ſoll ſie ſich ge⸗
ſchwinde in ihre Falten ziehen! da ſoll in
Verlegenheit gerathen — da ſoll fie die Worte
nicht nur ſchleppen; ſondern gar keine zu
finden ſcheinen! —
Ein Auftritt, wo Eleonore ſich hinter
Lottchens Stuhl ſtecken, und ihr die Un⸗
terredung mit ihrem Braͤutigam zufliſtern
muß, iſt wirklich aus dem niedrigſten Fache
des Komiſchen — Doch Schlegel hat khn
gut genuͤtzt, und beynahe als nothwendig ver⸗
flochten: praatgern hatte ihre, Urſachen,
Eleonoren immer weit hinweg zuſchaffen;
das blieb alſo dem Dichter als das einzige
Mittel uͤbrig, ſie dem Braͤutigam gleichwohl
zu Geſichte zu bringen. Es geht gluͤcklich von
ſtatten — und das Stuͤck endet ſich durch
Huͤlfe eines epiſodiſchen Lakonius, der oh⸗
ne alle Urſache, als um dem Dichter zu
Huͤlfe zu kommen, da iſt. Durch ihn wird
N 4 die
die Betruͤgerey Praatgerns mit Unterſchie⸗
bung ihrer Tochter, entdeckt — Das uͤbrige
errathen Sie; denn das Stuͤck nimmt den
Weg aller Stuͤcke — bis an ein gluͤckliches
Ende: wo Eleonoren Charlottens Beſtimm⸗
ter zu Theil wird, und Frau Praatgerns
Tochter mit unter zu einem Manne koͤmmt,
der es ihr zum Verdienſte anrechnet: daß
ſie nicht ſpricht. |
Vierzehntes Schreiben.
Wien den 13. Maͤrz 1768.
Corfaires attaquant corſaĩres,
Ne font par leurs affaires:
ſagt Deſpreaux nach feinem Vorgaͤnger
Kegnier. Vielleicht ſollte ich es nachſpre⸗
chen, und die Winna von Barnhelm oder
das Soldatengluͤck nur obenhin mit einem
kobſpruche abfertigen, damit der Verfaſſer
dieſes Stuͤckes, einer der vortrefflichſten
deutſchen Kunſtrichter, wenn ihm einſt mei⸗
ne Briefe zu Geſichte kommen, gegen mich
glei⸗
103
gleiche Gefaͤlligkeit ausuͤbe. Aber der Mann
verdient ein wenig mehr als einen obenhin⸗
fahrenden Lobſpruch Die deutſchen Theatral⸗
dichter möchten immer lieber feine Minna,
als unſre franzoͤſiſchen Stuͤcke ſtudieren! —
Eeſſing hat in der Geſchichte der deutſchen
Literatur von mehr als einer Seite einen
berühmten Namen — beſondeks aber hat er
die Schaubuͤhne mit feinen Kritiken“ und
ſechs ſchoͤnen Luſtſpielen bereichert. So ei⸗
nem Manne mag ſeine Freymuͤthigkeit in
Beurtheilung andrer gerne hingehen: denn
Let fuch teach others, who themfel-
N Ves excel,
And cenfure freely, who have writ-
ten well“
N 7 Die
* eſſing ſchrieb eine theatraliſche Biblio-
thek / und haͤlt gegenwaͤrtig uͤber die Hamburger
Schaubuͤhne eine Dramaturgie / worauf der
Franzoſe mit dem Eingange dieſes Schreibens
15 anzuspielen ſcheint. Der Ueber ſetzer.
Die moͤgen andere unterrichten / die ſelbſt) vor⸗
trefflich ſind! und die moͤgen freymuͤthig Bi
beurtheilen / welche felbfi wohl zu ſchreiben wiſſen⸗
Pops — Der Ueberſetzer.
194
mn mes annanamLeL LEE emo menennSBretme nenn
Die Veranlaſſung des Stuͤckes iſt die edel⸗
muͤthige Handlung eines menſchenfreundli⸗
chen Offiziers, welche ein eben fo edelgeſinn⸗
tes Maͤdchen durch ihr Herz und Hand zu
belohnen, dem Vorſatz gefaßt hat. Man
ſagt: die Begebenheit habe ſich wirklich er⸗
eignet: und dann war ſie wuͤrdig, durch ein
glückliches Genie auf die Buͤhne gebracht,
und durch alle Reize der Dichtkunſt zur
Nachahmung empfohlen zu werden.
Tellheim, ein Major in preußiſchen Dien⸗
ſten, hatte von den Ständen eines fächfichen
Kreiſes, bey denen er die Kriegsſchaͤtzung
eintreiben ſollte, in Betrachtung ihres Un⸗
vermoͤgens die kleinſte Summe, auf die er
ſich, vermoͤg Befehl nur einlaſſen konnte, an⸗
genommen, und ihnen ſogar dieſe Summe
aus dem Eigenen vorgeſchoſſen. Sie gaben
ihm uͤber dieſen Vorſchuß einen Wechſel.
Minna von Barnhelm, ein ſehr reiches
Fraͤulein derſelben Gegend, von einer ſo groß⸗
muͤthi⸗
195
muͤthigen That eingenommen, ſuchte den
Major, wie ſie ſelbſt ſagt, auf, des Vorſa⸗
tzes, ihn zu lieben. Sie war ſeiner wuͤrdig,
und ſie verſprachen ſich. Es ward Friede.
Tellheim ließ ſeinen Wechſel unter die
Schulden verzeichnen, welche bey dem Frie⸗
den ratihabirt werden ſollten. Feinde die⸗
ſes wakern Mannes ergriffen die Gelegenheit,
ihn dadurch bey dem Koͤnige verdaͤchtig zu
machen, und dieſen Schuldſchein fuͤr eine
Beſtechung der Staͤnde anzugeben, welche
er darum ſo leichten Kaufs haͤtte durchkom⸗
men laſſen. Die Unterſuchung hieng: und
wie es gemeiniglich geſchieht, waͤhrend der⸗
ſelben geraͤth der Offizier in die elendſten
Umſtaͤnde.
Von dieſem Zeitpunkte hebt Leſſing fein
Stuͤck an. Tellheim iſt in einem Gaſthau⸗
ſe, wo ihn der Wirth nicht gerne mehr be⸗
halten will, weil er ihn fuͤr geldlos haͤlt.
Es koͤmmt eine Standsperſon, in eben dies
ſem
1096
ſem Gaſthauſe zu wohnen: das giebt dem
Wirthe eine willkommene Gelegenheit, den
Major einſtweilig in ein Hinterzimmer zu
ſchaffen. Dieſe Standsperſon iſt das Fraͤu⸗
lein Barnhelm, mit ihrem Maͤdchen Fran⸗
ziska. Der Schriftſteller laͤßt uns das durch
den gluͤcklichſten Einfall von der Welt wif
fen. Der Wirth bittet fie nämlich um ihren
Namen, Verrichtung u. ſ. w., um dieſes, nach
der Orts Gewohnheit, der Polizey einzuſen⸗
den, die alle Ankoͤmmlinge kennen will.
Tellheim hatte ſich gendthiget geſehen, den
Verloͤbnißring der Minna, als ſeinen letz⸗
ten Schatz, an den Wirth zu verpfaͤnden:
darauf war Winnens Namen. Dieſer Ring,
um deſſen Werth der mistrauiſche Mann
ſich bey dem Fraulein erkundiget, giebt Ge⸗
legenheit, daß Minna ihren Tellheim findet,
den ſte eigends, aufzuſuchen, gekommen war.
Sie loͤſt den Ring heimlich an ſich — Tells
heim will aus einer groſſen Niedlichkeit, wie
ich fagen möchte , Winnen nicht ehlichen.
Sie hatte einen blühenden Manne, einem
Manne von Hoffnung und Ausſicht, einem
gefunden Manne ihre Hand geboten: er ſey
das nun nicht mehr: er habe ſeinen Rang,
ſein Vermoͤgen verloren, ſey ein Kruͤppel,
ein Bettler — Minna will ihn dennoch, die⸗
ſen lieben Bettler — Aber Tellheim iſt zu
rechtſchaffen, ein verliebtes Maͤdchen in dem
Anfalle ihrer Liebe eine Thorheit begehen zu
laſſen, die ſie, nach der Wallung noth⸗
wendig gereuen muͤſſe. Minna, um dieſe
Hartnaͤckigkeit zu uͤberwinden, verfällt auf die
Lift; ſich gleichfalls erarmet zuſtellen: dieſes,
giebt ſie vor, waͤre ſie um ſeiner Liebe wegen
geworden, und ihr Oheim der fie enterbet hätte,
waͤre ihr Verfolger — Nun ſind wir gleich —
ruft Tellheim — und bitt fie um ihre Hand.
An ſeiner Stelle ſpielt nun das Maͤdchen
die Starrkoͤpfinn, giebt ihm alle feine Gruͤn⸗
de wieder zuruͤcke, und da eben ein Hand⸗
ſchrei⸗
198
ſchreiben vom Koͤnige ſeine Unſchuld erklaͤrt,
und ihm Befoͤrderung anbiet; ſo ergreift ſie
Gelegenheit, ihn mehr noch zu necken. Der
Bettler, ſagt fie, hatte die reiche Barnhelm
nicht haben wollen: der Oberſte Tellheim
muͤſſe ſich eben ſo wenig mit einem armen
Maͤdchen beladen. Sie giebt ihm ſogar den
Ring zuruͤcke — aher den, ſo ſie vom Wirthe
an ſich geloͤſt hatte — Nun geraͤth er in Ver⸗
zweiflung: will das koͤnigliche Handſchreiben
zerreißen — Aber mitten unter dieſem Zaͤnke⸗
reyen koͤmmt Graf Bruchſall, ihr Oheim, und,
wie Tellheim dafuͤr haͤlt, ihr Verfolger. Nun
vergißt der Liebhaber alle Zaͤnkerey, und
denkt nur, feine Minna gegen Bruchſallen
zu ſchuͤtzen — Sie erklaͤrt ihm ihre Erdich⸗
tung — der King? — er ſoll ihn anſehen!
es iſt nicht, wie er glaubte, der, welchen
er Minnen gegeben: es iſt der ihrige —
Bruchſall vereiniget fie nun nach ihrem
Wunſche —
Das
Das ift der Hauptgang des Stuͤckes,
worein Werner, ehmaliger Wachtmeiſter
Tellheime, der aber nun abgedankt hat, ein
kleines Guͤtchen beſitzt, und des Majors red⸗
licher Freund iſt, auf eine unnachahmliche
Art mit verwebet worden. Dieſer Mann hat
kein Geld, als zu des Majors Dienſten:
es ſchmerzet ihn, daß Tellheim ſich deſſelben
nicht bedienen will: er ſucht es ihm, ſogar
durch Luͤgen als fein eignes aufzudringen —
und da ihm dieſes nicht gelingt; ſo weis er
Gründe aufzuſuchen, die unwiderſtehlich find"
„Man muß nicht reicher ſcheinen wollen, als
man iſt — ſpricht Tellheim
Werner. Aber warum Armer? wir haben
ſo lange unſer Freund hat —
Tellheim. Es ziemt ſich nicht, daß ich
dein Schuldner bin!
Werner. Siemtifich nicht? — Wenn an eis
nem heißen Tage, den uns die Sonne und
der Feind heiß machte, ſich ihr Reitknecht
mit
mit den Kantinen verloren hatte; und Sie zu mie
kommen und ſagten: Werner! haſt du nichts
zu trinken? und ich Ihnen meine Flaſche reich⸗
fe: nicht wahr; Sie nahmen und tranken? —
Ziemte ſich das? — Ben meiner armen Seele /
wenn ein Trunk faules Waſſer damals nicht oft mehr
werth / war als alle der Quark (auf das Geld
zeigend) Nehmen Sie lieber Major: bilden Sie
ſich ein; es iſt Waſſer! auch das hat Gott für
alle geſchaffen— N RE
Dellheim. Du marterſt mich; du hoͤrſt ich will
dein Schuldner nicht ſeyn. i
Werner. Erſt ziemte ſichs nicht: nun mollen Sie
nicht! ja das iſt was anders. Sie mollen mein
Schuldner nicht ſeyn; wenn Sie es aber ſchon waͤren /
Herr Major? oder find Sie dem Manne nichts
ſchuldig / der einmal den Hieb auffeng, der Ihnen
den Kopf ſpalten ſollte / und ein andermal den Arm
vom Rumpfe hieb / der eben losdrͤcken / und Ihnen
die Kugel durch die Bruſt jagen wollte? — Was
konnen Sie dieſem Manne mehr ſchuldig werden?
oder hat es mit meinem Halſe weniger zu ſagen als
mit meinem Beutel? — Noch eührender aber / und
ich muß geſtehen / daß mir dabey die Thraͤnen in
die Augen traten — 2
Werner. Wenn ich manchmal dachte: wie wird
es mit dir aufs Alter wer den? wenn du zu Schanden
gehauen biſt? wenn du nichts haben wirſt? wenn
du wirſt betteln gehen müſſen? — fo dachte ich
wieder; nein! du wirſt nicht betteln gehen / du wirft
zum Major Tellheim gehen / der wird ſe nen letzten
Pfenning mit dir theilenz der wird dich zu tode füttern;
bey dem wirſt du als ein ehrlicher Kerl ſterben koͤnnen⸗
Tellheim. Und Kamerad das denkſt du nicht noch?
Werner. Nein! das denke ich nicht mehr —
Wer von mir nichts nehmen will / wann ers bedarf /
und ichs habe / der wil mir auch nichts geben /
wann ers hat / und ichs bedarf —
Abſchreiben iſt immer eine undankbare Arbeit: bey
elendem Zeuge wird man verdruͤßlich; und gute
Stuͤcke verdienen ganz geleſen zu werden. Ich lege
die Minna für itzt aus der Hand! mit dem Vor⸗
ſatze / fie im nuͤchſten Schreiben wieder vorzunehmen —
Swölktes Stück.
2 Funfzehn tes Schreiben. zZ
Wien den 18. Maͤrz 1763.
42
100 Ohne Zweifel haben Sie Wernern
9 558 ſchon ſehr lieb gewonnen; es
1 wird Ihnen mit jedem Charak⸗
tere alſo ergehen, ſo rechtſchaffen hat ſie der
Verfaſſer ſaͤmmtlich anzulegen gewußtz den eine
zigen Wirth ausgenommen, dem er alle die
gewinnſuͤchtige Geſchmeidigkeit ſeines Hand⸗
werkes beygelaſſen hat.
Kechtſchaffen iſt jede der handelnden Per⸗
ſonen, ohne daß jedoch daraus eine lang⸗
weilige Einfoͤrmigkeit ihrer Handlungen ent⸗
ſpringt. Aber fo etwas iſt nur Genieen ers
laubt. Der Troß von deutſchen Komoͤdien⸗
ſchreibern, weis den Gang feiner Stuͤcke nicht
lebhaft, und ſeine Zuſchauer nicht wache zu
erhalten, wenn er nicht dem Kechtſchaffenen
einen Schurken, der Kokette eine Sproͤde,
O den
282
dem Seheimnißvollen einen Glock“ entge⸗
gen ſtellet. Gemaͤchlicher iſt es freylich
auf eine ſolche Art, und ihre Koͤpfe kommen
uber dem Anſtrengen wenigſtens nicht zu
Schaden: aber es iſt auch abgenuͤtzt, ein
Alltags kunſtgriff und ruhmlos.
Aefjing hat die Abſtechung feiner Perſo⸗
nen aus den Verfloͤſſungen ihrer Charaktere
heraus zu holen gewaget. Der Kontraſt
liegt in der Art, wie die Redlichkeit bey jer
dem ausbricht; und dieſe Art wird durch die,
wenn ich ſo ſagen darf, charakteriſchen Ne⸗
benfehler der Perſonen beſtimmet, welche
der Verfaſſer jedem nicht nur beygelaſſen,
ſondern ſtark ins Spiel gebracht, und da⸗
durch die Mannigfaͤltigkeit, den unentbehr⸗
lichen Kontrapoſt bewirket hat.
Joſt iſt Bedienter; naif, auf eine grobe
Art, der auch über dem dritten Glaͤßchen
f Dan⸗
* Ich vermuthe / der Franzoſe habe hier nur die
Antitheſe perfönlich geben / nicht den Ver⸗
faſſer des Geheimnißvollen zum Troſſe zahlen wol⸗
len. Der Ueber.
203
Danziger nicht heuchelt, und dem Manne,
der feinem Herrn das Zimmer in feiner Abe
wefenheit geraͤumet hat, immer ins Geſicht
ſagt: er iſt doch ein Grobian, err Wirth!
der, um ſeinen Herren, an dieſem groben
Wirthe zu raͤchen, ihm ſein Tochter zur
H. machen das Saus hber dem Kopfe
anſtecken, oder mit einer Tracht Schlaͤge
auflauren will. Werner ſagt ihm ſehr recht:
Berl, man ſieht daß du packknecht gewe⸗
ſen! das ſteht man, en ſeiner Art ſich aus⸗
zudruͤcken, zu handeln, ſelbſt in feiner Red⸗
lichkeit und Treue gegen feinen Herren, fuͤr
den er, wenn das ſchlimmſte zum Schlim⸗
men kommt, betteln und auch ſtehlen kann
Aber dieſem ehrlichen, groben Joſt, wenn er
Tellheimen die Rechnung, mit verweinten
Augen übergiebt, und ſich der Thränen
ſchaͤmt; wenn er nicht ſchlechter als fein pu⸗
g O 2 del
* Dieſe Stelle iſt bey der Aufführung weggelaſſen
worden. Sie iſt in dem Munde des Packkneſch⸗
tes rielleicht am rechten Orte / aber für Die
Sch aubuͤhne zu raſch. Der neberſe tze,
204 i
del ſeyn will, wer iſt ihm bey aller ſeiner
Grobheit nicht herzlich gut?
Werners Geſinnungen, find etwas ge⸗
laͤuterter, die rechtſchaffenen Geſinnungen
eines Soldaten. Aber ihm fehlt der Fir⸗
niß der aͤußerlichen Hoͤflichkeit; und dieſer
Abgang wirkt das Steife, und Hoͤlzerne, zu⸗
gleich aber auch Eigene und Unterſcheiden⸗
de ſeines Betragens. Er liebt ſeinen Stand
auf Koſten der ganzen Welt; und wuͤnſcht
Krieg aus eben ſo redlichen Abſichten, als
jener Arzt einem alle Krankheiten an den
Hals wuͤnſchte, damit er an ihm ſeine Ge⸗
ſchicklichkeit zeigen koͤnnte. Mit dem Prin⸗
zen Heraklius zieht er ein wenig zu oft her⸗
an. Allein der Unwillen, mit dem er ſein
Geld, das der Major gefodert hatte, und
nun nicht nehmen will, hinwirft, macht, daß ich
ihm wohl froftigere Tiraden uͤberſehen wuͤrde⸗
Tellheim, der Held des Stuͤckes, iſt viel⸗
leicht ſeiner gebildeten Denkungsart, ſeiner
Phi⸗
208
loſophie, und alle des Lichtes, das der Ver⸗
faſſer auf ihn fallen laͤßt, um ihn, als eine
Hauptperſon der Schilderung herauszuheben,
aller dieſer Vorzuͤge ungeachtet am wenig⸗
ſten anziehend. Ich meyne als eine einzelne
Figur betrachtet — Denn im Ganzen des
Stuͤckes iſt er ſo anziehend, daß ich nicht
eben wußte, warum nicht ſowohl Tellhein
als Minna von Barnhelm dem Stuͤcke den
Namen geben koͤnnte. Und ich denke, Leſ⸗
ſing habe eben darum den zweyten, das
Soldatengluͤck, beyzuſetzen fuͤr nothwen⸗
dig gehalten.
Im Vorbeygehen ein Wort dieſes Namens
wegen! Wenn die Hauptperſon die Ehre ha⸗
ben muß, ihn dem Stuͤcke zu ertheilen; fo
ſollte das Stuͤck vielleicht Minna und Tell,
heim geheißen haben. — Oder das Solda⸗
tenglůck — warum Soldatengluͤck? find
die reichen Fraͤulein wie Minna, die gewoͤhn⸗
liche Belohnung wakerer Offiziere? Wäre
23 viel⸗
S
vielleicht das Soldatenglüc damit alle, daß
fie nach langer Ungerechtigkeit in einem koͤ⸗
niglichen Handſchreiben verſichert werden :
Sie ſeyn das nicht, wefür man fie angab?
Die Wahl der Aufſchrift darf zwar den Ver⸗
faſſer nicht in Verlegenheit ſetzen; ſie iſt auch
eine bloſſe Kleinigkeit — Nur — möchte ich
Keffingen mit feinen eigenen Worten fagen —
nur darf fie auch nicht irre führen —
nicht etwas anderes erwarten laſſen —
Tellheims Handlungen ſind die Hand⸗
lungen eines Mannes, der edel denkt, und
noch mitten in ſeinem Ungluͤcke der Ehrfurcht
gegen ſeinen Fuͤrſten nichts vergiebt — Die
Epiſode mit der Wittib MWarloff iſt ein
Schlaglicht, das ihn mit Gewalt hervor⸗
druͤckt. Seine Niedlichkeit, ein Maͤdchen
das ihn liebt, nicht in ſeine verzweifelten
Umſtaͤnde mit zu verwickeln, muß ihn in
aller Augen erhoͤhen. Wie wenige ſind einer
ſolchen Selbſtverlaͤugnung faͤhig! wie viel⸗
mehr
207
mehrere wuͤrden in ſeinen Umſtaͤnden es
machen, wie die Erfäufenden: fie hängen
ſich an einen Schwimmenden an, in Mey⸗
nung ſich dadurch uͤber dem Waſſer zu er⸗
halten, und ſie ziehen auch ihn mit ſich zum
Grunde — Seine Niedlichkeit iſt uͤbertrieben:
das gab Leſſingen den Knotten —
Teliheim ſoll Ihnen von feiner Minna
ſelbſt eine Schilderung machen! zwar ein
Liebhaber, der von den Reizungen ſeiner
Geliebten nicht eine Kleinigkeit vergeſſen
wird, aber auch ein Mann, der ſich uͤber
ihre Schoͤnflecken nicht ganz blendet — Sie
ſind — ſagt er — das ſuͤſſeſte, lieblichſte,
holdſeligſte, beſte Geſchoͤpf unter der Son;
ne, ganz Güte und Großmuth, ganz
Unſchuld und Freude — dann und wann
ein kleiner MWuthwille; hier und da ein
wenig Eigenſinn — er moͤchte immer hin⸗
zugeſetzt haben; manchmal ein wenig ge⸗
Zieret; und vielleicht auch manchmal am uns
O04 rech⸗
208
rechten Platze — Außer dieſem kleinen Feh⸗
ler, der zwar dem guten Tellheim am En⸗
de viel zu ſchaffen giebt, iſt Minna ein al
lerliebſt Maͤdchen; von einer aus Offenher⸗
zigkeit und Lebhaftigkeit zuſammgeſetzten Lau⸗
ne, die ſie muthwillig ſcheinen, aber nie
Pyn laͤßt, und allen ihren Handlungen, je⸗
dem ihrer Einfaͤlle, ihren Reden die Mun⸗
terkeit anhaͤftet, die an ihr fo ſehr einnimmt —
ſo ein Maͤdchen, mit einem Worte, wie fie
ſeyn muß, wenn dem Manne bey ihrer le⸗
benslaͤnglichen Geſellſchaft das ewig einfoͤr⸗
mige Gutſeyn nicht ungeſchmack werden ſoll.
Die Freundinn Franziska iſt das Ungefaͤhr
im Kleinen, was ihr Fraͤulein im Großen:
ein Bißchen geſchwaͤtzig; ſonſt in der That
das Maͤdchen, das man dem wackern Wer⸗
ner am liebſten goͤnnet.
Aus dieſen Perſonen, deren Charaktere
ſaͤmtlich mit Wahl und Geſchicklichkeit bes
ſchaͤfftiget und bearbeitet ſind, iſt dieſes
f Ori⸗
209
OGriginalſtüͤck zuſammge ſetzt, worinnen ein
Ueberfluß der kleinen, leinzelnen, ſtarcken
Zuͤge herrſchet, die das Geſpraͤch unterhal—
tend und lehrreich machen — Die Satire,
welche nicht ſparſam darinnen angebracht iſt,
verfehlt ihres Endzweckes deſto weniger, je
weniger fie Satire zu ſeyn ſcheint, und ge⸗
meiniglich aus dem Munde derjenigen Per⸗
ſonen koͤmmt, denen man es am wenigſten
zutrauet, daß ſie ſatiriſiren koͤnnten —
Alſo ganz keine Erinnerung gegen dieſes
Stuͤck? — Einige Kleinigkeiten, mein
Freund! denn Sie wiſſen ja, was Pope
ſagt:
Whoever thinks a faultlefs Sa to
ee,
Tunes what ne’er was, nor is, nor
e’er fchall be*
Vielleicht aber ſcheinen auch dieſe Kleinig⸗
keiten nur meinem Auge Flecken.
O 5 Leſ⸗
* Mer immer ein ganz untadelhaftes Stuck zu ſe⸗
hen glaubt / glaubt etwas das weder war / noch
iſt / noch ſeyn wird.
216
Leſſing hat eine ſo magere Geſchichte zu
feinem Vorwurfe gewählt, daß er Leſſing
ſeyn mußte, um darinnen den Stoff zu fünf
Aufzügen aufzufinden. Das Handſchrei⸗
ben des Koͤnigs hat ganz keine Aehnlichkeit
mit dem Befehle des Könige im Tartufe,
die jemand darinnen finden wollte: es macht
nicht, wie dort, die Entwickelung des Stuͤcks,
ohne alle Anlage und Zubereitung, ein
Schwert, das, wie auf den Sinnbildern aus eis
ner Wolke koͤmmt und den Knotten zerhaut —
So wuͤrde freylich ein dramatiſcher Werkgeſelle
zugefahren feyn: er würde den Knotten das
rinnen haben beſtehen laſſen, daß der un⸗
gluͤckliche Major das Mädchen nicht ungluͤck⸗
lich machen will: nun kaͤme das Schreiben,
die Schwierigkeit waͤre gehoben — nun wan⸗
derten ſie gewiß freudig dem Feldkaplane
zu — Nicht ſo aber Leſſing: er will vom
Zuſchauer nicht errathen ſeyn: der Brief,
ben er gehörig vorbereitet hatte, macht
ein
ein Theil der Verwickelung mit aus: — aber
er wirft den Liebhaber wider unſre Erwar⸗
kung aus dem Hafen wieder in die offene
See.
Im Ernfte : ich bin mit dem gezierten
Weſen des ſaͤchſiſchen Fraͤuleins nicht zufrie⸗
den: eine kleine Straͤubung noch — allen⸗
falls zur Rache, allenfalls, wie ſie ſelbſt
ſagt, um ſich den Anblick ſeines ganzen
Herzens zu verſchaffen⸗ dafuͤr wuͤrde ich
dem Verfaſſer gedankt haben“; aber die
Sperrung geht zu weit, und ſchwaͤchet bey mir |
das Wohl wollen gegen Minnen, der ich ſonſt
vom Herzen gut war. Wo will, denke ich |
bey mir, die Fantaſtinn damit hinaus? ich
weiß ja doch, daß fie ſich nur ziert, und
daß ſie den Augenblick ſchwer erwartet, ſich
ihm an den Hals zu werfen — Fuͤr den
Zuſchauer iſt alſo der Knotten immer ſchon
entzwey: er ſieht an dem Maͤdchen nur noch
eine kleine boshafte Kreatur, wie ſo vie⸗
| le
„
le ihres Geſchlechts, der man es ſehr ger⸗
ne glaubet: daß ihr Semahl ihr nie ei⸗
nen Streich ſpielen ſoll, ohne daß ſie ihm
nicht gleich wieder einen darauf ſpiele
und am Ende, wuͤnſcht man dem Major ſo vie⸗
le Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt, daß er das
naͤckiſche Weſen wieder nach Sachſen moͤch⸗
te ziehen laſſen.
Die Nebenliebe Werners und Franzis:
rens, fo ſorgfaͤltig fie der Verfaſſer nur an
der Hauptbegebenheit hergeſchmieget hat,
ſchwaͤchet immer den Hauptantheil. Man
hoͤrt nicht einen Augenblick auf, den gu⸗
ten Leuten recht gut zu ſeyn, und das
Maͤdchen iſt wirklich kluͤger als ihr Fraͤu⸗
lein: denn fie zieht ſich bey dem erſten Auf⸗
fahren ihres lieben Wachtmeiſters zuruͤ⸗
cke.
Rieaut de Narliniere, einen beurlaubten
Offizier, dem der Verfaſſer alle Unbeſonnen⸗
heiten, Großſprechereyen und Taſchenkuͤnſte
un⸗
/
213
unſrer Cadedis beygelegt, der feine Spra⸗
che wie das Deutſche radebricht, haben die
deutſchen Schauſpieler weggelaſſen: wie fie
ſagen: weil ſie keinen unter ihnen haben,
der das Franzoͤſiſche mit der nothwendigen
Fertigkeit ſpraͤche — Man vermißt ihn bey
der Auffuͤhrung im geringſten nicht. Eine
Rolle, die nirgend in einem Stuͤcke
die geringſte Luͤcke zurucklaͤßt, iſt gewiß eine
muͤſſige Rolle. Was moͤchte wohl alſo die
Abſicht des Verfaſſers geweſen ſeyn, als er
ſie mit in ſein Stuͤck aufnahm? Vermuth⸗
lich die Riſade! — Die Wienerbuͤhne hat
Ceſſingen gegen ſich ſelbſt Recht verſchafft:
fein Stuͤck braucht ſolcher angeflickten Schel⸗
len nicht; es hat eigenthumliche und wahr⸗
haft ſcherzhafte Einfaͤlle genug, die es auf⸗
heitern — |
Beſonders, wenn es von Schauſpielern
nach dem Sinne des Verfaſſers vorgeſtellet
wird. Unter hundert deutſchen Stuͤcken
n wird
1
214
wird vielleicht nicht eines ſo durchaus woh
beſetzt ſeyn, als die Winna war. Sogar
bis auf die Rolle des Wirths und Fran⸗
z iskens war jeder Schauspieler und Schau⸗
ſpielerinn auf ihrem Platze. Joſten ſpielte
H. Stark, der, wie ich hoͤre, nun zur ham⸗
burger Buͤhne abgegangen. Er traff den
ſchweren Mittelweg, dieſe Rolle luſtig zu ge⸗
ben, ohne das Spaßhafte zu ſuchen. Der
Charakter iſt vielleicht der ſchwerſten einer?
ein roher Knecht, der uns wehmuͤthige Em⸗
pfindungen erreget — und ſie durch das Un⸗
gehobelte ſeines Betragens ſogleich wieder
zerſtoͤhret: uͤber den wir bey dem Aufſatze
ſeiner Rechnung, und der Geſchichte des
Pudels mit uͤberlaufenden Augen lachen —
dazu gehörte die Einſicht dieſes Schaufpies
lers — Der ihm nachſpielt, uͤbernimmt
eine harte Rolle, weil man nun Vergleich⸗
ungen anſtellen kann.
H. 74
215
H. Jaquet war — Werner ſelbſt: der
ſteife Anſtand, die redliche und deutſche Mi⸗
ne, der Ton ſeiner Sprache, dieſe Ent
pfindung — und zum Lohne, die Mitempfin⸗
dung der Zuſchauer und der allgemeine
Beyfall. So einen Wachtmeiſter mußte
ſich Leſſing bey ſeiner Minna gewuͤnſcht
haben — bis etwan auf das tempomaͤſſige
Rechts umkehrt euch bey dem Fraͤule ln
Barnhelm, wozu Jaqueten, die Eitelkeit
belacht zu werden, verleitet haben mag.
Nicht doch, braver Mann! das braucht er
nicht! die Wahrheit ſeines Spiels mache
ohne dieſe Kniffe lachen, die ſeiner Einſicht
wehe thun —
Auch Winna — all das Launichte, all
das Muntere und wieder, das Bange und
Zaͤrtliche, wie es nur ein Verfaſſer zur gu⸗
ten Aufnahme ſeines Stuͤckes fodern kann,
brachte M. Suberinn in ihr Spiel —
Aber der Major war mir die beiden erſten
Vor⸗
Vorſtellungen, zu wild, zu ſtuͤrmiſch „ge⸗
gen Minnen, gegen Wernern, gegen alle
Es war nicht der artige Mann, der den
Lobſpruch ſeiner Geliebten rechtfertigte, daß
nicht alle Offiziere Tellheims wären: er
war Major auf dem Paradeplatze. H. Ste⸗
phanie nahm den ganzen Charakter von eis
ner falſchen Seite. Aber bey den folgenden
Vorſtellungen uͤberzeugte er ſich ſelbſt, und
ſpielte, wie man es von ihm erwarten konn⸗
de. s
|
*
Dreyzehntes Stück.
Sechszehntes Schreiben.
Wien den 22, März: 1768
a 10 * | |
8 8 kennen Stephanien vielleicht aus
S. keinem der kleinen, fliegenden
r
Boͤgen, die hie und dort uͤber
die deutſchen Schauſpieler geſchrieben wur⸗
den, und ihn alle, ſogleich bey ſeinem erſten
Auftritte, als einen Schauſpieler von Ber
deutung ankuͤndigten. Der Schluß meines
letzten Schreibens iſt alſo für. Sie eine
Zweydeutigkeit, wo ich ihn nicht weiter aus⸗
fuͤhre. Ich bin dieſem Manne uͤber die
freymuͤthige Beurtheilung ſeines Tellheims
zu keiner geringeren Genugthuung verpflichtet.
Stephanie entſchloß ſich zur Schaubuͤh⸗
ne aus keinem der kleinen, oder ſchandbaren
Urſachen, welche den Widerſachern dieſer vers
nuͤnftigen, und wo man es einzuleiten wuͤßte,
P bei
N
beſſernden Ergoͤtzlichkeit zu ihren Philippiken
ſo viele ſcheinbare Gruͤnde an die Hand ge⸗
ben, und auf die Theatralperſonen mehr als
alles uͤbrige einen Schatten zuruͤckwerfen,
den all das Licht der Philoſophie, welches
dieſe Zeiten erleuchtet, nie ganz wird verſchwin⸗
den machen. Die Schaubuͤhne war weder
ſeine Zuflucht gegen den Hunger, noch ein
Vorwand, oder gar die Gelegenheit zu ei⸗
nem ungebundenen Leben: er betrat ſie aus
Neigung und aus einem inneren Gefuͤhle,
daß er fuͤr dieſelbe taugte. Er liebt alſo
ſeinen Stand, und hat von demſelben hohe,
manchmal enthuſtaſtiſche Begriffe. Aus
dieſem fließt der Stolz, den ihm ſeine Fein⸗
de vorwerfen, und ſeine Freunde zum Ver⸗
dienſte anrechnen: der Stolz, ſeinem Stan⸗
de nichts zu vergeben, ſich nicht ſelbſt zum
Troſſe des Poͤbels zu zaͤhlen, und auf den
Umgang artigerer Geſellſchaften Anſpruch
zu machen.
90
219
: Ich komme Ihrer Verwunderung und
Frage vor. Dem deutſchen Schauſpieler
werden zwar in Wien auf ſeinem Sterbela⸗
ger die Sakramente nicht verſaget; aber es
ſind auch nur wenige Haͤuſer, die ſich uͤber
das Vorurtheil wegzuſetzen, und ihm den
Eintritt zu goͤnnen, das Herz haben. Wo
es ja geſchieht, da geſchieht es allenfalls
auf den Fuß eines Luſtigmachers und Haus⸗
ſchalken, welche Rolle einem ehrlichen Manne
ſehr ſauer werden muß. Die Geringſchaͤ⸗
tzung der Nationalſchauſpieler faͤllt deſto
ſichtbarer in die Augen, weil man unſre
Truppe mit aller Unterſcheidung empfaͤngt,
und beynahe möchte ich ſagen, auf eine laͤppi⸗
ſche Art vergoͤttert. Da, wo der deutſche
Schauſpieler in der Eke eines Vorgemachs
mit der Livrey vermengt, in demuͤthiger
Stellung erwartet, bis er das Gluͤck haben
kann, den ihn uͤberſehenden Vornehmen im
Vorbeygehen den Saum des Kleides zu kuͤſ⸗
| e fen,
220
kuͤſſen, da wird der Franzoſe unangemeldet
eintreten, und mit einer Umarmung empfan⸗
gen werden. In den unbedeutendſten Stuͤ⸗
cken iſt dieſe demuͤthigende Unterſcheidung
beobachtet: der fremde Schauſpieler z. B.
kleidet ſich zum Schauſpiele bey einem Wachs⸗
lichte an: der deutſche mag mit einem
uͤbelriechenden Talklichte (Unſchlitt) zufrie⸗
den ſeyn — eine Kleinigkeit, fuͤr ſich ſelbſt
betrachtet! aber nicht mehr eine Kleinigkeit,
ſobald es die Kennzeichen der Geringſchaͤ⸗
tzung gegen den Schauſpieler vermehret.
Unlaͤugbar zwar kann ſich der Adel uͤber
dieſes fein Verfahren nur zu ſehr rechtferti⸗
gen. Es iſt nicht moͤglich, einen Menſchen
den Mittag an die Tafel des Herrn zu zie⸗
hen, der Abends in einem Bierhauſe mit dem
Kutſcher eine Wette trinkt: und im Gros
ßen genommen, iſt dieſes Beyſpiel nur zu
allgemein auf die deutſchen Schauſpieler
anpaſſend. Aber wenn niemals irgend ein
An⸗
227
22 ——————.r5ßv5rXrF——ñññññññññ K
Anfang gemacht wird; ſo muß man die
Hoffnung einer jemaligen Verbeſſerung fah⸗
ren laſſen — Vielleicht, laͤge eben in dieſer
Allgemeinheit des luͤderlichen Betragens der
eigentliche Beweggrund, diejenigen von dem
Poͤbel der Schauſpieler zu unterſcheiden, die
ſich ſelbſt durch ihre anſtaͤndigeren Sitten
von ihren Berufsgefaͤhrten ſo ſehr auszeich⸗
nen! vielleicht wuͤrde eine ſolche Unterſchei⸗
dung das kraͤftige Mittel werden; wo nicht
die eingealteten Taugenichts von ihren Sauf⸗
gelagen abzuziehen — wenigſtens den jungen
Machwuchs davor zu warnen; wenigſtens
Talente aufzufodern, daß fie ſich nicht ſelbſt
verwerfen — Stolz und Talente ſind unab⸗
ſoͤnderlich, und man unterdruͤckt das letzte⸗
re, wenn man den erſten unterdruͤcken
will. Man wiſſe ihn zu leiten, und auf
gewiſſe Gegenſtaͤnde zu zlehen! ſo wird man
in jeder Gattung von Beſchaͤfftigung eben
die Wunderwerke thun, welche in dem Ka⸗
P3 bis
222
binete und Felde täglich durch eine Ele
Baͤndchens gewirket werden.
Vielleicht koͤmmt mir dieſe Betrachtung
noch einmal unter die Feder, und ich fuͤhre
ſie dann auf alle diejenigen Folgen hinaus,
welche zum Vortheile und Nachtheile der
deutſchen Bühne daraus gezogen werden
koͤnnen. Stephanie verdiente wenigſtens
durch ſein ſittliches Betragen nicht in dem
Wirbelder allgemeinen Verachtung mit fort⸗
geriſſen zu werden.
Seinen Handlungen fehlt das gewiſſe
Freye und Ungezwungene, das nur durch
den laͤngeren und vertrauten Umgang mit
der groſſen Welt kann erworben werden.
Dieſer Abgang iſt in der Verſchiedenheit ſei⸗
nes Spieles leicht wahrzunehmen. Alles,
wo die Charaktere ideal ſind, Helden, ho⸗
he tragiſche Rollen, gluͤcket ihm mit Vor⸗
zug: geſellſchaftliches Betragen, der Mann
von der Welt, und alle Rollen, die auf den
Ton
223
Ton des Umgangs hinausgehen, laſſen ſtu⸗
dirt: die Natur iſt da nicht in feinem Spies
le mit, und die Kunſt kann ſie nicht erſetzen.
Ich habe Gelegenheit gehabt, dieſen
Schauſpieler naͤher zu ſehen: was Nach⸗
ſinnen, Lektur, Anwendung und Uebung ge⸗
währen kann, iſt ihm eigen. Er hat feine
Kunſt ſtudiret, bis auf die kleinſten Theile
ſtudiret; und ſeine von Natur lebhafte Em⸗
| pfindung iſt nun ſicher und getreu.
Dieſe Empfindung iſt die Seele der Hand⸗
lung, und die Vorſchrift, welche Horaz den
Dichtern gegeben a
„Si vis me flere, dolendum eft
Primum ipſi tibi, tune tua me in-
fortunia lædent *
ſey auch den Schauſpielern geſagt! Trau⸗
rigkeit ohne eignes Gefühl;, iſt das grimaſ⸗
ſirte Gebehrden einer Wittwe, welche die
N 4 Flor⸗
Slut da / daß ich Shraͤnen vergiefe/ fo weine
Du zu af: dann wird denn Ungluͤck auch mich
ruͤhren —
224
Flor kappe für das Geſicht zieht, um hinter
derſelben deſto freyer bey dem Sarge ihres
Mannes lachen zu koͤnnen. 0
Die Natur muß einen Menſchen durch
dieſes Geſchenk zum Schauſpieler vorher bes
ſtimmet haben; aber er kann es durch Kunſt
erhoͤhen; ſowohl, als er uͤber ſein Gefuͤhl
eine Schwiele ziehen, und ſich bis zu einer
ſtoiſchen Unfuͤhlbarkeit verhaͤrten kann. Es
wuͤrde ſich alſo die Empfindung in eine
natürliche und kuͤnſtliche unterſcheiden laſ⸗
ſen: oder beſſer die Empfindlichkeit; wo⸗
von die Empfindung die Wirkung, oder
metaphiſiſcher geſprochen, das Keſultat iſt.
Die natuͤrliche Empfindlichkeit, waͤre
die Anlage zu dem ſchnellen Eindrucke ei⸗
nes erblickten, oder uͤberdachten Gegenſtan⸗
des; die Beweglichkeit der Faͤſerchen, wel⸗
che, wenn ich fo ſagen darf, die phiſikali⸗
ſche Vorſtelung bis zur Seele bringen. Je
haͤufiger ihre Wirkungen, je zudringender fie
ſind
| 0 a
| find, deſto gewaltſamer muß ihr Eindruck
werden; je weniger ſie der Vernunft, dem
Nachdenken Zeit laſſen, ihre Eindruͤcke zu
verloͤſchen, deſto richtiger erfolgt die Bewe⸗
gung. Ein trauriger Fall, der nur oben⸗
hin erzählt wird, rührt uns nur ſchwach.
Dichter, welche ihren Erzaͤhlungen die An⸗
ziehung zu geben wiſſen, ſind immer nach
dieſem Grundſatze verfahren: fie haben alle
einzelnen Umſtaͤnde der Begebenheit aufge⸗
ſucht, und ſie nach dem Verhaͤltniſſe der
Wirkung, die ſie machen konnten, oder ſoll⸗
ten, geordnet. Durch dieſen Kunſtgriff
macht die Erzaͤhlung Theramenens in der
Phaͤdra immer eine ſo gewaltſame Wirkung auf
den Zuſchauer: durch ihn erregt in den Troja⸗
nerinnen kuripids die wahrſageriſche Raſerey
Caſſandrens waͤhrend der Ermordung Aga⸗
memnons dieſes Grauen und Schrecken,
deſſen ſich Thomſon in ſeinem Agamemnon
ſo meiſterhaft bemaͤchtigte.
E Selbſt
416
Selbſt im gemeinen Leben, im täglichen
| Umgange, braucht man, ohne daran zu den⸗
ken, dieſes Fach der natürlichen Beredtſam⸗
keit: der Bettler auf der Straſſe begnuͤget ſich
nicht, uns feine Armuth überhaupt vorzu⸗
ſtellen: er ſtuͤrmt auf unſer Mitleid mit dem
Bilde aller einzelnen Theile ſeiner Noth ein —
ein Weib in Kindsnoͤthen — fünf Kinder,
denen er keinen Mundvoll Brodts reichen
kann, ſo ſehr ſie darnach rufen — ein grim⸗
miger Winter, gegen den ſie unverwahrt
find — kein Holz, die erſtarrten Glieder
vom Freſte zu entfaͤſſeln — er weis es, daß
das Gedraͤng dieſer verſchiedenen Umſtaͤnde,
mit Macht auf das Herz zugeht; er zerfleiſcht
es mit wiederholten Wunden — die Empfinds
lichkeit koͤmmt alſo auf ſchnelle, häufige,
und anhaltende Vorſtellungen eines Uebels,
oder eines Gutes an; und iſt nach dem Gra⸗
de ſtaͤrker oder lauer, nach dem die Behen⸗
| dig⸗
227
digkeit, die Menge und die Dauer dieſer
Vorſtellungen beſchaffen ſind.
Mit einem kleinen Nachdenken uͤber dieſe
Betrachtung wuͤrden die Schauſpieler auf die
Wege der kuͤnſtlichen Empfindlichkeit ges
langen koͤnnen. Wenn ſie ihre Einbildung
daran gewöhnen, nicht nur das Ganze übers
haupt zu uͤberſehen, ſondern jeden kleinen
einzelnen Umſtand zu bemerken, dabey ſtehen
zu bleiben, und die Beziehung auf das Gan⸗
ze, die Beziehung unter ſich wahrzunehmen;
wenn fie ihren moraliſchen Blick, wie der
Kuͤnſtler, ſein koͤrperliches Aug darinnen
uͤben, ideale Vergleiche anzuſtellen, und das
Bild, ſo ſie in ihrer Vorſtellung mit ſich her⸗
umtragen, mit dem vorkommenden Gegen⸗
ſtande zuſammzuhalten; ſo wird nach einer
anhaltenden, vielleicht anfangs muͤhſamen,
aber zu letzt ſehr belohnten Uebung die Vor⸗
ſtellungskraft ihren Willen uͤberholen; ihre
Scharfſfinnigkeit wird auf einmal alle Merk
ma⸗
328
male auffinden, und ihr zu einer gewiſſen
Weiche gebrachtes Herz die dardurch gemach⸗
ten Eindruͤcke nicht ſobald wieder fahren laſſen.
Es iſt mit den Kraͤften des Geiſtes wie
mit den koͤrperlichen: die Uebung kann es
darinnen bis zum Mechanismus bringen.
Manchem Kopfe iſt es ſo gelaͤufig ſchoͤne Ge⸗
danken hinzuſchreiben, als es dem geſchick⸗
ken Flautenblaͤſer iſt, aus feiner Flaute har:
moniſche Töne zu bringen:
Stephanie ſcheint ſeine Empfindlichkeit
durch Nachſinnen und Uebung erhoͤht zu ha⸗
ben: ſie iſt auf das aͤußerſte lebhaft, und
reißt ihn oft mit ſich uͤber die Graͤnzen hin⸗
weg. Es iſt ſchwer dem Sturme zu gebie⸗
ten, wo er feine Wuth brechen ſoll: es iſt
ſchwer, daß der reißende Strom in dem or⸗
dentlichen Beete den Lauf halte. Eine Ueber⸗
ladung des Affekts iſt ein Fehler; aber haͤt⸗
ten doch die Deutſchen mehrere Schauſpieler,
die dieſen Fehler zu begehen fähig wären —
Dann
| 229 2
m m
Dann aber ift es feine Ueberladung der
Leidenſchaft, wenn die Traurigkeit in ſchwar⸗
ze Schwermuth, der Zorn in Raſerey, die
Zaͤrtlichkeit in Kleinheit uͤbergeht: der Schau⸗
ſpieler, von dem ich Sie unterhalte, hat ſich
immer fo ſehr in ſeiner Gewalt, daß er ſei⸗
ne Handlungen nicht ausarten laͤßt — Alles
was man dießfalls von ihm ſagen kann,
mag vielleicht dieſes ſeyn: er fpiele für ei⸗
nen deutſchen Schauſpieler mit zu vieler
Waͤrme —
Seine Gebehrde iſt offen, ſchoͤn verlau⸗
fen, etwas weit ausgeholt, beſonders im
Komiſchen; aber immer, auch nach der
ſtrengſten Unterſuchung regelmaͤſſig, ohne
darum gezwungen zu ſeyn — Seine Stim⸗
me iſt voll, maͤnnlich, und abwechſelnd,
ihm ſtehn die feinſten Verfloͤſſungen derſel⸗
ben zu Gebote, und er hat Einſicht genug,
ſich derſelben an der rechten Stelle zu be⸗
dienen. Seine Rede iſt daher eine ſchoͤne
Har⸗
- Harmonie, ausdruckvoll, auch da, wo ihr
die Aktion nicht beyſteht. Er hat die Ga⸗
be, die uͤbellautendſten Verſe durch ſeine Re⸗
citation angenehm zu machen; und es iſt
fuͤr angehende Dichter, deren Stuͤcke vor⸗
geſtellt werden, ein Gluͤck, wenn a
nie ihr Freund iſt —
0
—
geyſtes Stück.
Siebenzehntes Schreiben.
Wien den 1. April 1768.
Wenn Bielefeld im Vorberichte zu ſei⸗
ZA of nem Progres des allemands
Er mit vieler Ernſthaftigkeit verſt⸗
chert, qu' en elevant ce petit monument
*
NS
au genie des allemands, fon but n’ etoit
nullement d' effacer celui des autres peu-
ples ſo iſt jeder Auslaͤnder bereit; ihm auf
ſein freyherrliches Wort zu glauben. Dieſer
Mann, der von den Werken des Witzes als
ein Finanzverſtaͤndiger, und von Finanzſa⸗
chen als ein witziger Kopf geſchrieben, hat
der Nation durch feine Gutherzigkeit einen
ſchlechten Dienſt erwieſen. Wer den Geiſt
der Deutſchen nicht anders als aus ſeinem
8% di⸗
Dieſe Worte find nur aus dem Gedaͤchtniſſe ange
führt: dann ſie heißen im Buche: en ele vant ce
petit monument an genie des Germain, mon in-
tention n' e% nullement de deprsmer celui des au-
tres nations der Ueberſ⸗
222
dicken Oktaobande kennet, der beurtheilet
Vanloon nach einem augſpurger Kupferſti⸗
che. Fuͤr Schriften, die den allgemeinen
Ruhm einer Nation angehen, ſollte, wie
bey den engliſchen Waaren, die ſchaͤrfeſte
Beſchau veranſtaltet werden, ehe man ſie
über die Graͤnzen läßt —
Bielefeld hat unter andern auch Leſſings
Mis Sara Sampſon uͤberſetzt. Huͤten Sie
ſich, den Verfaſſer darinn zu finden, den
ich ben Deutſchen vor unſern dramatiſchen
Schriftſtellern zum Muſter angeprieſen: die
Schoͤnheiten dieſes Schriftſtellers ſind ge⸗
wiſſermaſſen unuͤberſetzlich; und was ihn
ber alle Theatraldichter ſeiner Nation haupt⸗
ſaͤchlich hinwegſetzet, iſt der Dialog: dieſer
iſt es, worinnen Minna noch alle vorher⸗
gehenden Stuͤcke uͤbertrifft, und der es ganz
wohl werth iſt, daß ich einige Schritte zu⸗
ruͤckkehre, da mir die noch ungeoͤffneten
Schau⸗
*Im NIV. Schreiben.
233
Schaubuͤhnen dazu den Raum bergön⸗
nen. 8
Ich will aus dem ganzen Stuͤcke die
Stelle heraus heben, die ein wenig in das
Koſtbare umſchlaͤgt. So dacht ich —
ſpricht Tellheim zu Winnen in 6. Auf⸗
tritte des V. Aufzugs — ſo ſprach ich, als
ich nicht wußte, was ich dachte und
ſprach. Aergerniß und verbiſſene Wuth
hatten meine ganze Seele umnebelt. Die
Liebe ſelbſt, in dem volleſten Glanze des
Gluͤckes konnte ſich darinnen nicht Tag
ſchaffen: aber ſie ſendet ihre Tochter,
das Mitleid, die mit dem finſtern Schmer⸗
zen vertrauter, die Nebel zerſtreut, und
alle Zugänge meiner Seele den Zindrüs
cken meiner Zärtlichkeit öffnet — |
Noch eine Zweyte waͤre ich gleichfalls vers
ſucht unter die Taͤndelwerke des Witzes,
oder vielmehr der Beleſenheit heruͤberzu⸗
nehmen. Sie ſollen ſelbſt daruͤber urthei⸗
| Da len!
2 34
len! Winna durch das tiefe Schweigen
ihres Liebhabers beunruhiget, ſucht ihn
durch die Geſchichte ihrer Liebe aufzuheitern:
ſie ſagt in der Unſchuld ihres Herzens: ich
kam in dem feſten Vorſatze, Sie zu lie⸗
ben — ich liebte Sie ſchon — in dem fe⸗
ſten Vorſatze, Sie zu beſitzen, wenn ich
Sie auch ſo ſchroarz, ſo haͤßlich finden ſoll⸗
te, als den Mohr von Venedig; Sie
ſind ſo ſchwarz und haͤßlich nicht, auch ſo
eiferſüchtig werden Sie nicht ſeyn. Aber
Tellheim! Tellheim! Sie haben noch
viel Aehnliches mit ihm — Sieher ihr
Auge, auf mich Tellheim! ( der indeß
vertieft mit ſtarren Augen immer auf eine
Stelle gefeben ) woran denken Sie? Sie
hoͤren mich nicht?
Tellheim. O ja! aber ſagen Sie mie
doch, mein Fraͤulein! wie kam der Mohr
in die Venetianiſchen Dienſte? hatte der
Mohr kein Vaterland? warum vermiethe⸗
ö te
te er feinen Arm und fein Blut einem
fremden Staate? — Leſſing wollte das
durch die aͤußerſte Schwermuth des Majors
charakteriſiren, und laͤßt ihn Unſinn ſpre⸗
chen, das begreife ich — Aber ob der Un⸗
ſinn gerade ſſo Shakeſpeariſcher Unſinn
ſeyn mußte?
Nun aber, außer dieſen Kleinigkeiten,
finden Sie in dem Stuͤcke durchaus, nicht
etwan nur die molieriſche Manier im dia⸗
logiren, ſondern die große Manier der
Alten, denen Moliere die ſeinige abgeſehen
hat — die gluͤckliche Geſchicklichkeit, die
Unterredung ungezwungen herbeyzuführen,
die einſichtvolle Vertheilung des Stoffes
zwiſchen den unterredenden Perſonen — die
jeder Perſon, gemaͤß ihrer Denkungsart
in den Mund gelegten Worte, woraus die
Mannigfaͤltigkeit des Tones entſpringt,
durch den die Unterredung Leben erhaͤlt,
Natur im Ausdrucke, Adel der Geſinnun⸗
23 gen,
236
gen, ohne fpruchreich zu ſeyn, ohne zu
ſchwellen, und wieder Einfalt ( fimplici-
te ) ohne Niedrigkeit, und durchaus eine
gelenkſame, man darf ſagen, von ihm ſelbſt
geſchaffene Sprache —
Obgleich Deutſchland bereits theatraliſche
Schriftſteller aufzuweiſen hat, die ſich mit
Ehre an das Drama gewaget haben; ſo
mangelte es ihm bis itzt doch beſtaͤndig an ei⸗
ner theatraliſchen Sprache, wenigſtens an ei⸗
ner Sprache fuͤr das feinere Luſtſpiel. Die
Urſache davon laͤßt ſich angeben. Die
Zwiſchenredner des feineren Luſtſpiels, oder
eigentlicher, des edeln Romiſchen find übers
haupt Leute aus beſſeren Geſellſchaften ge⸗
nommen, Stands perſonen, Perſonen von
Erziehung, Perſonen aus der großen Welt:
ihr Ton; iſt eigentlich der Ton des Um⸗
gangs, der Ton der artigeren Welt, der
ſich bis auf die Bediente und Mädchen
hinab verbreitet, welche in unſeren franzoͤ⸗
ſi⸗
237
ſiſchen Stücen ſogar oft unausſtehlich wi⸗
tzig ſprechen. Hat aber Deutſchland bis
auf dieſe Stunde eine eigentliche Sprache
der großen Geſellſchaft? iſt es ſogar moͤg⸗
lich, daß ſie jemals dazu gelange, da an
allen Hoͤfen, in allen Hauptſtaͤdten, dem
Sitze des ſogenannten artigern Umgangs, in
allen Verſammlungen durchaus franzöfifch
geſprochen wird? da die Dame, die einen
jeden aus den Vierzigen * in ſeiner Mut⸗
kerſprache eintreiben wuͤrde, mit Muͤhe und
Noth drey zuſammenhangende Woͤrter in ih⸗
rer eignen herzuſtammeln weis, und man
darum in ganz Deutſchland auf den vortheil⸗
haften Einfall gerathen iſt, keine anderen
als franzoͤſiſche Dienſtleute anzunehmen —
Vergebens arbeiten die beſten Koͤpfe einer
Nation dieſem Hinderniſſe entgegen! ein
Schlegel, ein Chronegk, ein Gellert, ein
94 Wei⸗
* Vierzigen namlich einen aus der Akademie /
welche zur Verbeſſerung der franzoͤſiſchen Spra⸗
che errichtet worden. Der Ueber.
3:8
Weiße, ein Alodius geben ſich vergebens
Muͤhe, dem deutſchen Witze auch in dem
komiſchen Fache Ehre zu machen — Erfin⸗
dung, Plan, Situationen, Geſinnungen,
Anziehung, werden ihren Stuͤcken nicht man⸗
geln: ihr Geiſt kann hier allein ſeine Groͤße
zeigen: aber hundertmal werden ſie beym
Ausdrucke ſtille ſtehen, hundertmal wird
der Lebhaftigkeit ihrer Empfindung das Wort
nicht zuſagen, hundertmal wird ſich die
Sprache gegen ihre Gedanken ſtraͤuben,
und ſie den Mangel eines bearbeitetern ge⸗
ſellſchaftlichen Jargons (wenn ich ſo ſagen
ſoll) mit ihrem großen Unwillen empfinden
laſſen. Der Mann auf der Studierſtube
kann die redneriſche Sprache, die dichteri⸗
ſche Sprache, die gelehrte Sprache bear⸗
beiten, bereichern, verfeinern: er beſpricht
ſich durch ſeine Schriften mit der Welt, und
legt ihr feine Erweiterungen, oft als Geſetz⸗
geber, manchmal zur Genehmhaltung vor:
aber
239
aber der Mann in der Welt, in der großen
Welt, die Frau, die aus dem Mittelpunkte,
einen rauſchenden Kreis durch ihre Reize
beherrſchet, die von ihrem achtzehnten Jahre
bis in das vier und zwainzigſte den Ton
giebt, dieſe muͤſſen die Sprache des Um⸗
gangs bilden, dieſe muͤſſen ſie mit den feinen,
oft eigenſinnigen, aber lebhaften, aber
beißenden, ſchalkhaften, Redensarten berei⸗
chern, dieſe muͤſſen gewiſſen vielſagenden
Ausdruͤcken den Schwung geben, dieſe muͤſ⸗
ſen, und zwar durch eigenen Gebrauch, die
Sprache zurunden, ſie fuͤr das Theater
geſchmeidig machen und fuͤr den komiſchen
Dichter vorbereiten — Die franzoͤſiſche Spra⸗
che iſt den galanten Weibern vielleicht mehr
ſchuldig als der Akademie.
Eigentlich alſo hat der Deutſche keine
Theaterſprache, weil er keine Sprache des
Umgangs hat; oder wenigſtens ſeine Thea⸗
1 reichet nicht weiter, als ſeine ge⸗
2 5 ſell⸗
240
—. ñ— u me
ſellſchaftliche, und dieſe hat ſehr, ſehr
enge Graͤnzen. Dieſe Betrachtung leitet
mich auf eine andere, die den vorhergehen⸗
den zur Beſtaͤttigung dienen wird.
Die Verbeſſerung der Schaubuͤhne unter
uns, in ſo ferne ſie das Komiſche betraf,
wer und wo hat man ſie unternommen?
Moliere, ein Mann, der in allen guten Ge⸗
ſellſchaften nicht bloß wohl empfangen war,
ſondern geſucht wurde — und in Paris im
Angeſichte, unter dem Schutze, auf die
ausdruͤckliche Ermunterung Ludwigs, und
aller Großen. Daher herrſchet auch in ſeinen
Stuͤcken durchaus, in den Stuͤcken wenig⸗
ſtens, die Woliere, wenn er ſich nun ſelbſt
beurtheilen ſollte, nicht abſchwoͤren wuͤrde,
in dieſen Stuͤcken herrſchet der freye und
ungezwungene Ton, der Leuten, von denen
er ihn entlehnte, fo eigen iſt — Und nebſt
Wolicten, die Übrigen, Des Touches, Reg
nard, Warivaux, Sontanelle, Greſſet, ia
Chauſ⸗
241
Chauſſee, Voltaͤre, u. a. viele, lauter
Männer , die mitten in der großen Welt
lebten, ihr Manieren, Umgang, Spra—
che abgelernt hatten, und ſie in ihre Arbeiten
uͤbertrugen.
Halten Sie nun die Geſchichte des deut⸗
ſchen Theaters dagegen! eine lateiniſche
Magnifizenz, Gottſched verjaͤhrten Gedaͤcht⸗
niſſes, der ſich mit diktatoriſchen Pedantismus
uͤberhaupt zum Verbeſſerer ſeiner Mutter⸗
ſprache aufwarf, trat auch auf, die Buͤhne,
im Vorbeygehen umzuformen — ein Mann,
dem es, da er nun zu ſeinen Vaͤtern verſam⸗
melt iſt, der Himmel in ſeiner Gerechtigkeit
nicht moͤge entgelten laſſen: daß er einen
Kato gemacht, und Hallern getadelt hat —
ſeine andere Haͤlfte, die ſelbſt unter der
Hand eines ſolchen Mannes nicht ganz ver⸗
darb, leiſtete ihm darinnen Geſellſchaft, als
ein getreues Eheweib, welches bey ihrem Man⸗
ne in Kreuz und Widerwaͤrtigkeit feſthalten
wol⸗
242
ee ern
wollte — Dieſes Paar, ſo an einem deuts
ſchen Hofe in den heißeſten Sommertagen
in Sammt erſchien — um eine kleine Pro⸗
be von ihrem Weltgeſchmacke zu geben — warb
einge Zunft ſchaaler Koͤpfe aus dem Hoͤr ſaa⸗
le feiner Magniftzenz an: und ſo ſollte die
deutſche Buͤhne von Leuten ihre Reinigung
erwarten, die auf einen Namen ſtolz tha⸗
ten, der in .. aner endiget. — Und dieſe
merkwuͤrdige Veraͤnderung ſollte von Leipzig
her ſich uͤber ganz Deutſchland verbreiten —
von Leipzig, zwar einem ganz artigen
Stoͤdtchen , aber nur einem Staͤdt⸗
chen, wo der Umgang eben ſo klein und
alſo wenig Stoff für Nationalſchauſpiele
vorhanden iſt — |
Deutſchland ſah es zwar bald ein, daß
Gottſched nur ein Ufurpator des kritiſchen
Scepters war; aber es lebte in einer Anar⸗
chie, nachdem es ihn geſtuͤrzet — Einzelne
Maͤnner traten auf, ſich um die Buͤhne ver⸗
dient
243
dient zu machen — aber von den meiſten
konnte man ſagen:
Wenn ein unbaͤrtiger Poet
Der in dem Buch der Welt kaum an⸗
faͤngt zu ſtudiren
Mit dreuſter Fauſt ans Dramma geht,
Um Denkungsart und Sitten zu poli⸗
| ren“
ſo kommen da ſolche ſchoͤne Stuͤcke zum
Vorſchein, im Geſchmacke Holbergs, die
fuͤr Buͤrger und Rath eines offnen Land⸗
ſtaͤdtchens ganz vortreffliche, anziehungsvolle
Stuͤcke ſeyn koͤnnen. Aber dieſe ehrlichen
Leute nennen in der Aufrichtigkeit ihres Her⸗
zens auch den verguͤldeten Jagdwagen eines
Staͤdters, eine Gallakutſche — Für die
deutſchen Schauſpielertruppen zwar ſind die⸗
fe Art Stuͤcke gerade, wie fie ſeyn folen:
die meiſten haben noch nicht ein viel glaͤnzen⸗
de⸗
Eine Einſchalt ung des Ueberſetzers aus den dia⸗
logiichen Fabeln: aus dem Maler und
Dichter.
244
deres Schickſaal als den Karren des Thes⸗
pis, auf den ſie von Staͤdtchen zu Staͤdt⸗
chen fluͤchtig gehen — dann alſo fuͤr ſolche
Zuhoͤrer folge: Stuͤcke! — Aber was muͤſ⸗
ſen ſolche Dingerchen, wenn ſie vor einer
Hofſtadt aufgefuͤhrt werden, fuͤr eine maſu⸗
riſche Figur machen?
Wie ich bereits geſagt habe: den beſſeren
Genien auch, denen Deutſchland ohne
Zweifel die Ehre guter komiſchen Stuͤcke zu
verdanken haben wuͤrde, ihnen ſteht das Lo⸗
ral entgegen, weil es nicht wohl moͤglich iſt,
eine Welt zu ſchildern, in der ſie fremd
find — Daher find unter allen Stuͤcken
Gellerts, Schlegels, Weißens, Kruͤgers, Ro⸗
manus und einiger andern wenigeren Thea⸗
tralſchriftſteller nur diejenigen fuͤr große
Schaubuͤhnen, worinnen ganz auf keine La
kalſitten mit angeſpielt wird —
Unter allen dramatiſchen Dichtern Deutſch⸗
lands war AronegE in Umſtaͤnden, das
ko⸗
1 .
komiſche Fach mit Stuͤcken, die ſich auf die
groͤßern Sitten beziehen, zu bereichern: aber
er ſtarb zu fruͤhe fuͤr die Schaubuͤhne, und
auſſer ihm hat nie ein Mann, der auf den
Scchauplatze der Welt gelebt hätte, Hand an
das Werk gelegt. |
Leſſing iſt der einzige, der in einem wei⸗
tern Umkreiſe athmet, und ſeine Stuͤcke zei⸗
gen den maͤchtigen Einfluß dieſes Lokalvor⸗
theils hauptſaͤchlich in dem Eigenthumlichen
ſeiner Sprache: es iſt die feine Sprache des
Weltmanns, der in Wendungen und Ueber⸗
gängen ungezwungen, die Bindewoͤrter fah⸗
ren laßt, weil fie der Ton erſetzen kann
der ſeinen Ausdruck nicht aͤſthetiſch zergliedert,
ſondern zufrieden, den Gedanken halb gefagt
zu haben, die andre Hälfte errathen laͤßt,
aus Zuverſicht, daß er mit Leuten ſpricht,
die ihn errathen werden — der eine Poli⸗
teſſe mit einem Worte und gleichſam nur
auf ſeinem Wege mitnimmt, und dadurch
den
246
—— — ñ́ — — ̊
den Firniß einer feinen Lebensart uͤber ſeine
Geſpraͤche zieht, und dadurch das Gepränge
maͤſſige, welches fo eigentlich die Klein⸗
ſtaͤdterey verraͤth, vermeldet —
Beyſpiele von jeden? ja! wenn nicht das
ganze Stuͤck ein Beyſpiel waͤre! Sie muͤſ⸗
ſen das alſo ganz leſen, und mit andern
Stuͤcken der deutſchen Schaubuͤhne verglei⸗
chen, um meine Beurtheilung zu rechtferti⸗
gen! ich ſchluͤſſe Ihnen darum die Minna
von Barnhelm einzeln hier mit an —
|
ee Zmeotes Stick.
Achtzehntes Schreiben.
Wien den 8. Abril 17683
kenne muͤſſen freylich bey ei⸗
A ner Schaubuͤhne zu Huͤlf geru⸗
| fen werden, wo man die auf
fuͤhrbaren Nationalſtuͤcke beylaͤufig an den
Fingern herzaͤhlen kann: doch die Wahl iſt
hier eine andre Schwierigkeit — Ueberſetzer
mit dem Geiſte, mit welchem Bor neille und
Moliere einen Jopez de Vega nuͤtzten —
jedoch was ſchreibe ich! wer ſolche Ueberſe⸗
tzungen über ſich nehmen darf, iſt ſelbſt Ori⸗
ginal. Aber Ueberſetzungen, wie beſonders
die deutſchen Schauſpielergeſellſchaften gez
meiniglich auffuͤhren, ſind Provinzjunker,
die in ihrem altfraͤnkiſchen Putze in Paris
er ſcheinen, und als eine Art Wunderthiere mit
Finger gezeiget werden. Was thun ver⸗
nuͤnftigere Reiſenden, die irgend in eine gro⸗
R ge
248-
ße Stadt kommen, um fich nicht durch ihre
Kleidung vor dem ganzen Volke auszuzeich⸗
nen? ihren Kleidern geben ſie den landuͤbli⸗
chen Zuſchnitt, ihrem Betragen überhaupt die
Wendung der Lokalgewohnheiten: fie natura⸗
liſtren ſich fo ſehr, als es ihnen wenigſtens
äußerlich, möglich iſt — Da haͤtten die Ueber⸗
ſetzer ungefaͤhr einen kurzen Plan, nach dem
fie mit ihren Stuͤcken verfahren ſollten:
weg mit allem dem, was unbefchadet des
Ganzen aus dem Stuͤcke wegbleiben kann,
und den Ausländer verraͤth!
Derjenige, fo Goldonis Krieg unter
Haͤnden hatte, gab bey ſeinem Orginal ſich
ziemlich dieſe Freyheit — Ich verſtehe den
Krieg in der Ueberſetzung, womit die deutſche
Schaubuͤhne eroͤffnet worden: denn in der
gewoͤhnlichen Ueberſetzung * ift der Waͤlſche
durchaus eben ſo Schwaͤtzer als in ſeiner
ur⸗
* Die goldoniſchen Schauspiele ſind von Sahl
1767 ſanitlich ins Deutliche uͤberſetzet worden —
Der Ueberſetzer.
Pa.
urſpruͤnglichen Sprache: und ich tadle das
nicht, in ſoferne es Ueberſetzung iſt, wo
der Sprachenkuͤndige mit dem Verfaſſer einer
andern Nation bekannt machen will, und
wo ſogar Verſchöͤnerungen, weil ſie dieſer
Abſicht verfehlen, keinen Dank verdienen.
Aber, wenn das Stuͤck auf der Bühne ſelbſt
erſcheinen fol , da laſſe ich, meiner Seite,
dem Ueberſetzer freye Hand, wie er mit dem
Stuͤcke nur haushalten will: ich fodre Wir⸗
kung, und es wird mir gleich viel gelten,
ob ich meine Unterhaltung dem Verfaſſer,
oder jemanden ſonſt ſchuldig werde. Die
aufgefuͤhrte Ueberſetzung hat gleich anfangs
alle Perſonen des Stuͤckes umgetauft. J
billige dieſen Einfall ſehr: die Donna Flo⸗
rida und Don Ferdinando und Donna
Aſpaſia, und Don Fauſtino und Don 5
biou ſ. w. geben der ganzen Sprache ſo
durchaus ein ſchleppendes Anſehen, das ei⸗
nem fremden Ohre eben fo unerträglich Fällt,
. als
250
als die häufigen Luſtriſſimi, und Cellentiſſimi,
welche das waͤlſche Gepraͤng im gemeinen
Umgang eingefuͤhrt hat. Es waͤre denn,
der bezeichnete Ort der Handlung foderte
die Beybehaltung der urſpruͤnglichen Na⸗
men, ſonſt ſollte jeder Ueberſetzer ſeinen Ar⸗
beiten durch eine ſo geringe Verwandlung
eine freye Mine zu geben ſuchen —
Noch eine andre Kleinigkeit habe ich an⸗
gemerket, welche die deutſchen Ueberſetzer ſich
wohl zur Nachahmung moͤchten empfehlen
laſſen. So oft im Original eine Perſon
von der andern ſpricht, die abweſend iſt; ſo
geſchieht es immer mit Voranſchickung des
Titels Don und Donna, und wäre es auch,
daß Don Fabio, den Don Ferdinando ei⸗
nen .. nennen wollte. Ich lobe mir dies
ſe waͤlſche Hoͤflichkeit, die ſo puͤnktlich da⸗
rauf ſieht, niemanden an feinem Ehrentitel
etwas zu vergeben: wenigſtens aber in der Ue⸗
berſetzung ficht es ſehr der Sprache eines
Be⸗
| | 257 5
Bedienten ähnlich, der nie von feinem Ges
bieter redet, ohne einen gnaͤdigen Herrn
voranzuſchicken.
Nicht aber immer nur eitel Kleinigkeiten:
der Mann iſt oft auch mit ſcharfer Hand mit dem
guten Dottore zugefahren — Ein paar Stel⸗
len einander gegenuͤber zum Beweiſe! Erſter
Aufzug fuͤnfter Auftritt. Korb allein
„Was iſt der Krieg für eine vortrefliche
„Sache ich werde ihn immer loben, und
„ nie ſoll ein Wunſch nach Frieden aus mei⸗
„nem Herzen gehen! Wer iſt auf der Welt
„ der nicht vor allem auf ſeinen Nutzen be⸗
„ dacht wire? Der Advokat lebt vom Strei⸗
„ te, der Arzt von Krankheiten: wo iſt ein
„ Arzt, der die Leute geſund, und ein Advo⸗
„ kat, der Familien einig wuͤnſchet? — Waͤ⸗
„ ke kein Krieg, fo wäre kein Kriegskomiſ⸗
„ für; und wo iſt wohl der ‚fo bey Kriegs⸗
„ zeiten hundert tauſend Thaler in wenig
Jahren beyſeite legen könnte „ und aus
3 „Lies
252
ebe zu feinem Naͤchſ en, den Frieden wuͤn⸗
5 en ſollte? Mögen doch diejenigen wider
„ den Krieg ſchreyen, die er zu Grund rich⸗
s, fet! mir, der ich zum Unterhalte der Armee
„ NGetraide und Wein theuer genug verkaufe,
„und Geld zwainzig bis dreyfig vom Hun⸗
„ derte verdiene, der ich reich an Ehre, und
„beladen mit Beute zurückkommen wer⸗
1 de; mir, bey dem alles im Ueberfluſſe iſt⸗
2 wenn es jedermann an dem Nothduͤrftig⸗
35 ſten fehltz der beym Einkaufe und Verkau⸗
> fe gewinnet; der das Gold und Silber
„ einer ganzen Armee in feinen eigenen Beu⸗
> tel zu leiten weis, mir ſey der Reeg ge⸗
„ ſegnet! —
Hören Sie nun Goldoni predigen“
Polidor allein.
„ O was iſt der Krieg für eine vortreff⸗
„ liche Sache! ich werde ihn allemal loben,
und
1 Im Original ſtund hier der waͤlſche Tert: da aber
nicht allen Leſern die waͤlſche Sprache ſo gelaͤu⸗
fig ſeyn duͤrfte / fo hat der Ueberſetzer dieſer Briefe
den deutſchen Tert der aͤltern Ueberſezung eingeruͤckt⸗
253
„und es iſt nicht zu beſorgen, daß jemals
„ ein Wunſch nach Frieden aus meinem
„ Herzen gehen ſoll! Wer mich hoͤrte, der
>, koͤnnte vielleicht ſagen: du bitteſt nur fuͤr
>, dein eigenes Gewerbe, wie die Frau jenes
„ Scharfrichters, die den Himmel bat, daß
„ er ihrem Manne mehr und mehr zu thun
„ geben möchte — Doch, wer iſt wohl auf
„ der Welt, der nicht vor allen andern
„ Dingen auf feinen eigenen Nutzen bedacht
„ Wäre? Der Advokat lebt vom Streite,
5 der Arzt von Krankheiten: man zeige mir
» einmal einen Arzt oder einen Advokaten,
„ der da wuͤnſchte, daß alle Leute geſund,
„ und alle Familien einig ſeyn moͤchten!
5 wenn kein Krieg ware, fo gäbe es keine
„Kriegskommiſſaͤrs: und wo iſt wohl der⸗
„ jenige, der bey Kriegszeiten hundert tau⸗
„ ſend Thaler, in vier oder fuͤnf Jahren
„ bey Seite legen koͤnnte, und aus Liebe zu
5 feinem Naͤchſten, den Frieden wuͤnſchen
R 4 „folks
—
2
284
!... DU!!! — — —
„ ſollte? Nur diejenigen ſchreyen wider den
5, Krieg, denen das gehemmte Kom̃erz Scha⸗
„ den bringet, nicht aber diejenigen, die
>» die Armee mit dem Nothwendigen verſor⸗
„ gen, und auf ihre Waare oder Geld
2 zwainzig bis dreyßig vom Hunderte verdie⸗
2 nen. Ferner ſeufzen —
Ohne Zweifel ſeufzen auch Sie Bu dem
Ende — aber ohne Barmherzigkeit! Sie
muͤſſen aushalten: der Schluß iſt gar zu
ſinnreich — alſo
„ Ferner ſeufzen diejenigen Familien über
»s den Krieg, die ihren Vater, ihren Sohn,
„oder ihre Anverwandten verloren haben;
95 aber die nicht, die die ihrigen reich an
» Ehre, und beladen mit Beute zuruͤckkom⸗
e men ſehen — Auch beſchweren ſich bis⸗
weilen die Soldaten, ja ſelbſt die Offi⸗
„ ziers über den Krieg , wenn ihnen das
„nothwendige fehlt; niemals aber beklagt
1 ſich ein Kommiſſaͤr, wie ich, darüber,
| 920
Ar?
*
x
235
— —ʒ4—w— — IE ar
en 1 10 dem alles im Ueberfluſſe iſt, der beym
2, Einkauf und Verkauf gewinnt, der aus
„ dem Schmilztiegel feines Kopfes, alles
, Gold und Silber einer ganzen Armee in
„ feinen eigenen Beutel fließen laͤßt —
Was ſagen Sie, zu dem Raufmann und den
Scharfrichter und ſeiner Frau, und ganz be⸗
ſonders zu dem Schmilztiegel des Kopfes?
Zweifeln Sie noch ob Boileau die Wahr⸗
heit geſchrieben:
N on peut etre ala fois & pompeux
| & plaifant ?
So fauer, als Sie immer ſehen mögen :
Sie muͤſſen noch einmal⸗daran! Tröften Sie
ſich damit, daß mir das Abſchreiben wenig⸗
ſtens eben fo theuer zu ſtehen koͤmmt, als Ih⸗
nen das Leſen — |
Nach der aufgeführten Ueberſetzung im
zweyten Aufzug VII. Auftritt, als Euge⸗
nien die Freudigkeit ihres Liebhabers uͤber
den Anſchein des Friedens unbegreiflich
RS ſcheint,
256
ſcheint, da er nur erſt vor kurzem, nach der
Schlacht eben ſo begierig zu verlangen ſchien,
antwortet
Werenhelm.
„Fraͤulein! waͤre ich mehr Soldat als
„ Schwaͤtzer; ſo wuͤrde ich ihnen beweiſen,
„ daß aus zween verſchiedenen Gründen in
„eben denſelben Gemuͤthe eine Freude auf
„ die andre folgen koͤnne — Aber ohne Um⸗
„ſchweife! ein Mann von Ueberlegung uns
„ terwirft ſich der Nothwendigkeit ohne
„ Murren: er verfolgt feine Pflicht mit heis
„ trer Stirne; fie fälle oft feinem Herzen
„ ſchwer; fie kaͤmpft mit feinem liebſten
„ Wunſche — aber es iſt Pflicht: dieſes iſt
genug fuͤr ihn — Fuͤgt es ſich, daß ein
ungehoffter Fall ihn dieſer traurigen Pflicht
uͤberhebet, daß Ehre und Neigung ſich ver⸗
einbaren laſſen: dann breitet ſich die Freu⸗
„de ungehindert aus, dann (wirft ſich zu;
„ihren Fuͤſſen) uͤberlaͤßt er ſich ſeiner Sehn⸗
ſucht⸗
29
2
\d
7
92
an
257
„ ſucht, hängt an dem Auge feiner theuren
„ Geliebten, wuͤnſcht darinnen Mitleid und
„ Liebe zu leſen — wuͤnſcht ( ſieht fie ſtarr
„ an) und hofft —
Im Original —
5. Wenn ich mehr Philoſoph, als Soldat
„ Wäre; fo wollte ich ihnen beweiſen, wie
„ es möglich ſey, daß aus zween verſchie⸗
„ denen Gruͤnden, in eben demſelben Ge—
„ muͤthe, eine Freude auf die andere folgen
„ könne. Einige Gruͤnde einer natürlichen
„ Philoſophie aber hat ein jeder: deswegen
„ erlauben fie mir ihnen zu ſagen ! ich den⸗
ke, daß Fraͤulein ſollte hier geantwortet
haben: ich erlaube es nicht!) daß das Ver⸗
„ gnuͤgen, und das Misvergnuͤgen aus uns
„ fern Begriffen entſtehe, und zwar nach
„ der Beſchaffenheit unſers Gemuͤths, die
„ theils aus dem Affekt, theils aus unſrer
„Pflicht; oder auch aus der Nothwendig⸗
„ keit herzuleiten iſt: daher koͤmmt es, daß
„ ein
258
„ ein Menſch, der ſich von Affekten beherr⸗
„ ſchen laͤßt, eine Begierde oder Verlangen
„ nach einem Guten hat; wenn er uͤber ſei⸗
„ ne Pflicht nachdenket, ſo wuͤnſchet er ein
„ anderes; und bisweilen bewirkt die Noth⸗
„ wendigkeit bey einem Gemuͤthe die voͤllige
„ Entſchluͤſſung. Eine jede von dieſen Be⸗
„wegurſachen iſt im Stande, den ganzen
„ Menſchen einzunehmen; und es iſt weit
„ beſſer ſich einer einzigen Idee zu uͤberlaß⸗
, fen, als den innerlichen Streit unfrer un⸗
„ entſchluͤſſigen Leidenſchaften auszuſtehen.
5 Nun werden fie verſtehen —
Ganz gewiß, wenn Donna Florida an⸗
ders nicht eingeſchlafen iſt, ehe das metha⸗
phyſiſche Kollegium alle war! Koͤnnte ſich
ein Pinceau, oder Stifelius pedantiſcher
ausdruͤcken, als es dieſer feurige, zudringen⸗
gende Liebhaber gethan? und wuͤrden die
Offiziere wohl dieſe ſiegenden, unwiderſtehlf⸗
chen Maͤnner bey dem ſchoͤnen Geſchlechte
ſeyn,
0
*
4 89
ſeyn, wenn fie ſaͤmmtlich fo ekelhafte Schul⸗
fuͤchſe waͤren, wie die Don Ferdinande des
Goldoni?
Bemerken Sie: wie artig ſich dieſer
Menſch, der mit feinem Kavalier bey jeder
Gelegenheit um ſich wirft, und als ein wirk⸗
licher Faͤhndrich wegen feiner Heldenthaten
das Zeugniß der ganzen Armee aufruft, wie
ſich dieſer Held bey einer andern Gelegen⸗
heit auf eine ſo unnachahmliche Art anzu⸗
kuͤndigen weis — Unbemerkt trat er in das
Zimmer, wor innen ſeine Geliebte uͤber die
fehlgeſchlagene Hoffnung des Friedens ein
langes Selbſtgeſpraͤch hielt — fie wuͤnſchte,
es möchte jemand kommen, der fie bes
nachrichtigte — hier erblickt fie ihren Lieb⸗
haber und ruft beſtuͤrzt aus: woer iſt da? —
Wenn ſie einen Diener brauchen, Donna
Florida — antwortet er — hier iſt einer
zu Dero Befehl — Hat die Lebensart dieſes
Ka⸗
260
—— em
Kavaliers nicht vollkommen die Wendung
eines Miethlakeys?
Ich bin daher noch nicht mit mir einig,
ob es Voltaren, da er in dem bekannten
Briefe an Goldoni, ihn einen Maler und
Sohn der Natur gruͤßt, Ernſt geweſen,
oder ob er vielleicht eine Satire auf die Na⸗
tion im Sinn hatte, indem er dem Schrift⸗
ſteller ein Kompliment zu machen ſcheint.
Iſt Goldoni ein Maler der Natur, und
ſoll ich Voltaͤrens Lobſpruch wahr finden.
Aux critiques aux rivaux
La nature a dit ſans feinte,
Tout auteur a ſes defauts,
Mals Goldoni m' a peinte.
ſo muͤßte ich anfangen an demjenigen ſelbſt
zu zweifeln, deſſen Schilderungen von den
goldoniſchen ſo ſehr unterſchieden ſind. Zum
mindeſten hat der Advocato nicht die edel⸗
ſten Gegenſtaͤnde zu feiner Nachahmung ges
waͤhlet; und wenn man an ihm, wie an den
Nie⸗
262
niederlaͤndiſchen Malern Fleiß und Wahrheit
bewundert; ſo wird man zugleich bedauren,
daß er dieſen Fleiß an Wachſtuben und
Kauchzimmer verſchwendet habe.
Da Voltaͤre einmal dieſen Italiaͤner in
Schutz genommen, und ſeine Komoͤdien das
von den Sothen befreyte Italien genen:
net; fo betete der Schwarm auf Berante
wortung Voltaͤrs den Lobſpruch nach, ohne
zu unterſuchen, wie weit er ihn verdiene —
und das Haͤuflein auserwaͤhlter, ſelbſt
urtheilender Leſer, wagte es nicht, einem
Manne zu widerſprechen, deſſen Anſehen
unerſchuͤtterlich befeſtiget ſchien — Alſo war
nun Goldoni im ruhigen Beſitze feines Ruhms:
hieß eing Woliere Italiens — fehlerfrey
in der Anlage — da doch vielleicht ſeine
Inamorati und Pamelen ausgenommen,
alle Plane verwirrt, mit unverbundenen
Zwiſchenfaͤllen vollgepropft und unnoͤthig ver⸗
laͤngert find — hieß gluͤcklich in Situatio⸗
nen —
262
nen — die doch, wo ihm einige gelungen,
unter dem waͤſſerichten Geſchwaͤtze gleichſam
verſchwinden — hieß unnachahmlich in
Dialogiren — Sie haben an den angefuͤhr⸗
ten Stellen einen kleinen Beweis vor Augen,
wie ferne dieſes Lob ſeine Nichtigkeit habe:
und ich verbuͤrge mich: aus jedem ſeiner
Stuͤcke ganze Seiten der froſtigſten, in⸗
haltleeren Geſpraͤche, der unnatuͤrlichſten,
langweiligſten Selbſtgeſpraͤche, der taͤn⸗
delndſten Spitzfindigkeiten, und Concetti
herauszuheben —
Ich halte mir einen umſtaͤndlicheren Be⸗
weis bey feinem Cavaliere di bon guflo
vor, womit die waͤlſche Schauſpielertruppe,
die ſich drey Monate lang hier aufhalten
ſoll, den Anfang gemacht hat.
Drittes Stück.
Neunzehntes Schreiben.
Wien den 15 April 1768.
©, Wenn Sie nicht wenigſtens eine Eh⸗
IR renſache daraus machenz fo neh⸗
S me ich mein Wort, Goldonis
Cavaliere di bon guſto auseinander zu ſe⸗
gen, zuruͤcke. Ich habe ihn eben vor mir
liegen, und mit jeder Seite, die ich umſchlage,
ſage ich mir: aber warum will ich meinem
Freunde mit einem Beweiſe verdruͤßlich fal⸗
len: daß Kieſelſteine auf der Straſſe keine
Diamanten find? — Das ganze Stuͤck iſt
ein Flickwerk von muͤſſigem, kalten Geſchwaͤ⸗
tze, ausgedehnt, um die fuͤr die Schauſpiele
augeſetzten Stunden zu erſtrecken, ſonſt ohne
Innhalt, ohne Sitten, ohne Anziehung —
Die Karaktere find entweder ſchiel, oder
monotoniſch, und unthaͤtig: die Sprache
| S diurch⸗
264
—
durchaus dieſelbe, und durchaus die Sprache
des Pöbels, wenn ich einige zur Unzeit groß⸗
toͤnende Stellen ausnehme, wo ſie auf Stel⸗
zen einhertritt; der Gang des Stuͤckes,
wenn ich ſo ſagen darf, chronologiſch, der
Tag eines Menſchen, der, ohne etwas
Wichtiges zu thun, dennoch keine Stunde
für ſich hat; der Anotten eine übel anſtaͤn⸗
dige Zweydeutigkeit, durch die kahle Spitze
eines Eppigrams (Sinngedichts) aufge⸗
loͤßt; und oben darein, eine ſehr zwepdeuti⸗
ge Moral, wenn Moral bey einem dram⸗
matiſchen Stuͤcke nothwendig erfodert wird.
Ich hielte das Ganze etwan fuͤr eine fei⸗
ne Spötteren auf die Neugeadelten, wel⸗
che, wenn das Stuͤck Pergament in ihren
Haͤnden iſt, ihre Haͤuſer auf einen großen
Fuß ſetzen wollen, ohne den Geſchmack zu
haben, ihrem Aufwande Ehre zu machen —
etwan für einen bourgeois Gentilhomme
in destouſchiſcher Manier — a me non &
le.
265
lecito invigilare ſulle minute cofe della
famiglia * und gleich darauf ein umſtaͤndli⸗
ches Verzeichniß ſeiner Tafel machen —
bm! ſollte man denken, der Mann zähle
die Tafel wenigſtens nicht unter die kleinen
Sachen ſeines Haus weſens — die Wahl des
Haus hofmeiſters, die auf einen Livreybe—
dienten faͤllt, weil er zwoͤlf Jahre im Hauſe
iſt, die alſo auf den Kutſcher wuͤrde gefallen
ſeyn, wenn er funfzehen Jahre des Okta⸗
vio Pferde zu verſehen, das Gluͤck genoſſen
hätte — das oͤfters wiederholte la mia cara
mezza etä gerade, wie ein duͤrrer Kopf,
der, wenn ihm einmal ein witziger Einfall
gelungen, denſelben nicht eher fahren laͤßt,
als bis die kleine Spitze ſtumpf geworden —
das waͤren ziemlich charakteriſtiſche Züge
eines Jourdains — voila, ce que C' eft
S 2 que
* Erſten Aufzug V. Auftrittifür mich ziemt
5 ſich nicht / auf die Kleinigkeiten im Hauſe zu
ſehen.
Pein liebes Mittelalter: ſagt DO Etavio im
mer zu Eleonoren.
266
que de fe mettre en perfonne de quali-
te Ä
Nichts weniger, als dieß mein Freund!
Oktavio iſt von unſerm Sohne und Maler
der Natur ganz im Ernſte als ein Muſter
des guten Geſchmacks aufgeſtellt worden:
die Komoͤdie ſchluͤßt ſich wie ein Lebeereim
um uns das zu ſagen, was wir vielleicht
nicht errathen konnten; und noch umſtaͤndli⸗
cher ſagt man uns in der Vorrede —
Ingegnato mi fono a renderlo di buon
eufto nelle migliori cofe del mondo *
Wir wollen den Mann nach feiner Anleitung
ein wenig vornehmen! —
Tavola! ich denke da auf den deutſchen
Dichter: |
Damit ich fagen kann, was gut und
übel fi
el ſchmecket
Folgt es, daß ich ein Koch ſeyn muß?
Um ſeiner Kuͤche Ehre zu machen, muß er
denn den Kuchelzeddel ſelbſt zu ſchreiben wiſ⸗
„
Ich habe mirs angelegen ſeyn laſſen / ihn von Geſchma⸗
cke zu machen / in allem was auf der Welt gut IE —.
267 \
fen ? er darf ja nur feine Leute mit Einſicht
waͤhlen. Das weis er auch vortrefflich:
ſervitu! er nimmt ſeinen Haus hofmeiſter nach
der Jahrrechnung, und unterrichtet ſeinen
Sekretaͤr in der Liebe, damit er einen arti⸗
gen Brief an Damen zu ſchreiben wiſſe *
Trattamento, converſazioni, prote-
zioni, corriſpondenze und immer fo eines
nach dem andern in einem ziemlich langen
Verzeichniſſe — Suchen Sie die Züge auf!
welche, wie Goldoni ſpricht, vereinbart
den Mann bewunderungswuͤrdig mA
chen: wie trocken werden Sie Umriß und
Farbe des Bildes finden, das er malen woll⸗
te! — Seine Liebe zu den Wiſſenſchaften be⸗
weiſt ein Band von Wartiniere. Der Beweis
ſcheint wenigſtens dem Komoͤdienſchreiber
ſehr wichtig, da er dieſen Umſtand, ohne
Zweifel als einen ſtarken Zug, am Ende
ſeiner Vorrede insbeſondere anfuͤhrt —
u. Auf. II. Auftt,
S3 Be⸗
268
em
Bewundern Sie nicht das artige Betra⸗
gen dieſes Mannes? — das ſollen Sie mir
gewiß! oder faͤnden Sie es nicht artig, wenn
der Herr Graf der Frau Graͤfinn uͤber das
zehnte Wort ein oh diavolo ! unter die
Naſe pflanzt, und das Heurathen auf eine
recht edle Art una beftialita heißt! Ste⸗
hen Sie nur einen Augenblick an; ſo will
ich Ihnen eine ganze Seite ſolcher Artigkei⸗
ten aus dem Munde der Damen anführen:
Sie muͤßten kein Franzos ſeyn, wenn Sie
dieſe Lebhaftigkeit in einem ſchoͤnen Munde
nicht allerliebſt fanden — Nun alfo habe
ich gewonnen; denn bis auf den neuver⸗
wandelten Haushofmeiſter Brighella , und
auf den Koch Arlechino, alles fuͤhret in
dem Haufe des Manns vom guten Geſchma⸗
cke einerley Sprache.
Die aͤußere Artigkeit ( pulizia efterna )
ſtimmt mit der innern Kechtſchaffenheit (in-
terna ſincerità) recht harmoniſch überein.
Zwee⸗
TTT
Zweenen Frauen vom Stande anſchwaͤrzen,
daß man in ſie verliebt iſt, mit doppelſtim⸗
migen Worten ihnen die Ausſicht auf eine
Vereinigung zeigen, und dann, ſobald ſie
den Ruͤcken wenden — in ein Gelächter über
ihre gemisbrauchte Leichtglaͤubigkeit ausbre⸗
chen * ift das nicht gerade das Betragen
des Tomaſino aus den Amante di tre,
fpofo di nefluna ? einem ſcherzhaften Sing⸗
ſpiele, das wie ein deutſches Frazenſpiel mit
Schlaͤgen ſein Ende nimmt? =
Ziehen Sie alles zuſamm, was Goldoni
feinen artigen Mann handeln laͤßt! Klei⸗
nigkeiten! eine Tafel anordnen, ein Brief
in die Feder ſagen, das iſt alles — doch da⸗
rinnen bleibt er wenigſtens noch ein recht⸗
ſchaffener Man. In der Geſellſchaft aber,
iſt er grauſam, da er eine fuͤr das Gut ih⸗
res Sohnes mit Grunde ſorgfaͤltige Mutter
nur einen Augenblick im Zweifel laſſen kann;
S4 iſt
si Erſter Aufzug XII. Auftr. io crepo de la rifa —
270
iſt er ein Betrůͤger, der zweyen Weibern
eitle Hoffnungen macht, und ſie zuletzt der
grauſamſten Verwirrung ausſetzet, die einer
Perſon ihres Geſchlechts nur wieder fahren
kann; iſt er eine ſchiefe Kopie unſrer Ge⸗
meinbuhler, und vielleicht fuͤr Italien ein
verfuͤhreriſches, ſchaͤdliches Original —
Der Knotten iſt eine Sweydeutigkeit,
welche durch drey langweilige Aufzuͤge durch⸗
geſchleppet, in dem VI. Auftritte des drit⸗
ten Aufzugs endlich, wie geſagt, auf eine
eppigrammatiſche Spitze zulaͤuft — Eleono⸗
ra und Clariſſe, beide machten auf das Herz
des Grafen Rechnung: fein Betragen, ſeine
Reden hatten ſie zu dieſem Irrthume verlei⸗
tet — Oktaoio beſtaͤttiget fie darinnen im
II. Auftritte — |
Oktavio: nun: meine Damen: ich will
„Ihnen die Wahrheit entdecken. Ich ha⸗
„„ be bereits meine Braut gewaͤhlet: ich
„ wer⸗
| 371
„werde es oͤffentlich ſagen; jedermann wird
„ mit meiner Wahl zufrieden ſeyn „
Beatrice. Sollten wir ſie kennen, Ihre
Braut?
Oktavio. Ohne Zweifel; fie iſt hier mit
an der Tafel.
Clariſſe. Wie ?
Eleonora. An der Tafel?
Oktavio. Ohne Zweifel — Die guten bei⸗
den Praͤtendentinnen gerathen daruͤber in
Verlegenheit: jede fuͤrchtet, ihre Nebenbuh⸗
lerinn möchte die gluͤckliche Gewaͤhlte ſeyn:
jede ſucht ſich aus dem Irrthume, dieſem
peinigenden Irrthume zu reißen; jede fragt
ihn in Geheim: ob nicht die Wahl auf jene
falle? Nein, antwortet er: und die Fragen⸗
de konnte nun keinen Augenblick zweifeln, daß
feine Wahl nur auf fie fallen würde — Nun,
es verlangt mich in der That, wie er ſich da
heraus wickeln wird — Hoͤren Sie!
man umlagert ihn, man dringt in ihm, die
S 5 Wei⸗
272
Weiber erhitzen ſich, ſie fangen an, mit
Grobheiten um ſich zu werfen:
Oktavio. Gemach! ich will Ihnen ſaͤmmt⸗
„lich dieſes Vergnuͤgen verſchaffen. Herr
5„ Pantalon! dieſe Damen verlangen meine
>, Braut zu kennen: ich habe mich dazu an⸗
„, heiſchig gemacht: es iſt billig daß ich
99 Wort halte — Meine Damen! die Braut
„ die ich gewaͤhlet, die Braut die ich liebe,
„die Braut, die ich ehlige, wiſſen Sie,
„ wer fie iſt? — Eine — — Handlungs⸗
„ geſellſchaft mit Herren Pantalon Biſog⸗
„ noſt u. ſ. w.
O des gluͤcklichen Einf alls! o des uner⸗
warteten, der Ueberraſchung! uͤberlegen Sie
ſelbſt! die Braut iſt weiblichen Geſchlechts
— die Sandlungsgeſellſchaft ingleichen;
wie natuͤrlich laßt ſich die Erwartung anbrin⸗
gen — meine Braut iſt eine — Handlungs⸗
geſellſchaft — Wenn wenigſtens dießmal die
Sprachlehre dem Komoͤdienſchreiber einen
Streich
273
Streich geſpielt, und die Sand lungsgeſell⸗
ſchaft maͤnnlichen Geſchlechts gemacht haͤt⸗
te — Goldoni! wie haͤtteſt du deinem Schau⸗
ſpiele ein Ende finden koͤnnen? —
Oftavio iſt der Hauptkarakter: es laͤßt
ſich davon auf die uͤbrigen ſchluͤſſen. Die
Weiber find alle einerley, mannſuͤchtig bis
an die Graͤnzen der Unanſtaͤndigkeit, gemein
im Ausdrucke, Clariſſe wie Eleonora, und
dieſe wie jene, gleich Zwillingen, denen man,
um ſie nicht zu vermengen, Merkzeichen an⸗
haͤften muß — Der Scrocco Zelio thut weis
ter nichts, als die Geſellſchaft zahlreicher
machen, ohne daß er ſonſt irgend bey was
immer mitwirkte: Florinde iſt ein Menſch,
der neuerlich aus dem Kollegium gekommen,
und, wie es fuͤr einem bloͤden Jungen auch
wohl gethan iſt, ſich in nichts menget, und
ſich nicht verſpricht. Dieſes Stuͤck hat alſo
auch die gewöhnlichen Triebwerke nicht, wel-
che ſonſt den Mangel der Anziehung erſe⸗
tzen,
274
gen, und den Gang der Handlung beleben;
Triebwerke, die in den aus der Abſtechung
der Karaktere entſpringenden, naturlichen Vor⸗
faͤllen beſtehen, und der langweiligen Ein⸗
foͤrmigkeit ausbeugen, da ſie Verſchiedenheit
der Geſinnungen, und Wechſel in den Ton
des Geſpraͤchs bringen. Ich erwieſe dem
Ganzen zu viel Ehre, wenn ich mich auf
Kritik der Theile einlieſſe —
Es war gleichwohl ſo leicht, die Hand⸗
lungen des Oktavio durch den Lelio, wenn
er mit verflochten wuͤrde, contraſtiren zu
laſſen: den Eigennutz, die Unwiſſenheit, den
Stolz, den baroken Geſchmack des letzten,
der edeln und wohl angelegten Freygebigkeit,
den weitlaͤufigen, aber nicht pedantiſch aus⸗
gekraͤmten Kenntniſſen, der Herablaſſung oh⸗
ne Erniedrigung, der einſichtvollen Wahl
feiner Vergnuͤgen, zu einem Schlagſchatten
dienen zu laſſen: der ungebildete junge
Menſch konnte von ſeinem Oheime, nicht
bloß
275
bloß in Beyſpielen, er konnte auch durch
Lehren unterrichtet werden, wenn man die
Gelegenheiien herbeyzufuͤhren gewußt, wo
dieſe Lehren am rechten Orte ſtuͤnden, um
nicht in einen trocknen Moraliſtenton auszu⸗
arten — Es war moͤglich, und die Ehre da⸗
von iſt noch einem kuͤnftigen Dichter unbe⸗
ruͤhrt vorbehalten, aus dem Karaktere des
Mannes vom Geſchmacke ein unterhalten⸗
des Karakterſtuͤck zu machen, welches fuͤr
Juͤnglinge, die in die Welt eintreten, lehr⸗
reich ſeyn, und ihnen gewiſſermaſſen eine Art
von Welterziehung geben koͤnnte; welches
aber eben darum — nicht das Werk eines
Goldoni, deſſen Stuͤcke bey dem Verdien⸗
fie, das man ihm nicht ganz abſprechen kann,
dennoch, wie die Roͤmer zu ſagen pflegten,
fæces redolent, nach dem Weinhaͤffen rie⸗
chen „auch nicht eines Mannes auf der
Studierſtube, dem die große Welt, wenn er
darein verſetzt wuͤrde, ein eben ſo neues
i | Schau⸗
| 276
Schauſpiel feyn wiirde, als dem erſt ein⸗
tretenden Juͤnglinge — ſondern das Werk
eines Genies ſeyn muͤßte, das in dieſer Welt
zu Hauſe iſt — der Wann vom Geſchma⸗
cke müßte ſich ſelbſt ſchildern —
Die waͤlſche Schauſpielergeſellſchaft, gegen
welche das Publikum die Gefaͤlligkeit hat,
fie erträglich zu finden, hat dieſes Stuͤck
durch einen kleinen Zufatz luſtiger zu machen
gedacht. Wer mag doch dieſen Fremdlingen,
den Geſchmack des Haufens verrathen ha⸗
ben ? fie ſuchten ſich darnach zu bequemen.
Arlekin, der die Rolle des Kochs über fi
hat, wird von Goldoni nur einmal auf die
Buͤhne gebracht: aber vorher hatte Gktavio
gegen Brighellen erwaͤhnet: er wollte den
Koch ſprechen. Goldoni hat dieſen Anſtoß
weiter nicht genuͤtzet: die Schauſpieler⸗
geſellſchaft bemaͤchtigte ſich deſſelben, um
ihren Fanno in feiner ganzen Staͤrke zu zei⸗ i
gen: er uͤberbringt feinem Herren einen Kuͤ⸗
chen⸗
277
Kuͤchenzeddel, und da er Befehl erhält, ihn
herzuſagen, ſtottert er, als ob er nicht le⸗
ſen koͤnnte, daher: |
Il fiato per la prima fpurcada u. ſ. w.
anſtatt il piato per la prima Portada —
ich weis, Sie verlangen nicht weiter nach
dieſem unfläftigen Witze, womit man gleich:
wohl das Herz hatte, in Gegenwart etner Hof
ſtadt ziemlich lange fortzufahren — Unmoͤg⸗
lich konnte ich mich enthalten, als ich jemanden
neben mir, je groͤßer der Schmutz war, deſto
ein groͤßeres Gelaͤchter aufſchlagen hoͤrte,
zu ihm zu ſagen: Th, wenn man an ſol⸗
cher Waare Luſt findet, was iſt es nöͤ⸗
thig, fie aus Waͤlſchland zu verſchreiben:
ich denke, ſie iſt von eben der Gattung im⸗
mer uͤberfluͤſſig im Lande zu haben ges
weſen — j’ aime, ſetzte ich hinzu, um meine
Niedlichkeit durch Anſehen zu rechtfertigen:
j aime fur le theatre un agreable
acteur,
Qui
| 278 b
. ͤ — T— —
Qui ſans ſe diffamer aux yeux du
ſpectateur,
Plait par la raiſon ſeule, & jamais
ne la choque;
Mais pour un faux plaiſant, à groß
fiere equivoque,
Qui pour me divertir, n' a que la
| (alete,
Qu’ il feu aille, s’il veut, fur deux
tretteaux montè,
Amufant le Pont neuf de ſes ſor-
nettes fades
Aux laquais aflembles jouer les
Mafcardes *
* Boileau art poetique Chaut III, am Ende. Der
Verfaſſer des Briefs hat im erſten Verſe das Wort
Acteur, für Auteur wie es bey dem Deſpreaux
heibt / unter geſchoben Ueberſ.
Viertes Stück.
Zwainzigſtes Schreiben.
Wien den 23. April 1768.
n
N oder der Kaufmann von
08 London hat in Handelsſtaͤdten,
5 wie Ste wiſſen, eine erſtaun⸗
liche Aufnahme gehabt. Die Urſache davon
iſt ſehr naturlich: die Kaufleute ſchickten
ihre Leute in dieſes Schauſpiel ſtatt einer
Predigt. Der Eindruck davon iſt auf Leu⸗
te, auf die es einigermaſſen eine Stands⸗
beziehung hat, erſchrecklich. Milwood, die
mit allen Reizen ihres Geſchlechts, mit al⸗
len Anziehungen der Wolluſt, einem jungen,
unerfahrnen Menſchen die gefaͤhrlichſte
Schlinge legt, die ſein neues Herz durch
alle Kuͤnſte der Verſtellung anfaͤllt, und ſelbſt
feine natürliche Güte zum Werkzeuge ſeines
Verderbniſſes gebraucht, die ihn in einem
reißenden daufe von Laſter zu Laſter fort treibt,
D „ ei
280
und mit der Oberherrſchaft, derer ſich die
einmal verkoſtete Wolluſt über ihre Leiheige⸗
ne anmaſſet, einen Vatermord an ſeinem
Oheim, ſeinem Wohlthaͤter gebeut, welch
ein graͤßlicher Charakter! und in einem ſol⸗
chen Lichte gezeigt, welche Warnung! Lillo
hat nichts verabſaͤumet, der ſeichtſehenden
Jugend das uͤbertuͤnchte Grab der Wolluſt⸗
dirne aufzudecken:
Oportet intus oftendere mores mere -
tricum *
fagte der Knecht beym Plautus, da er den
Sohn ſeines Herrn in den Schlupfwinckel
zu einer feilen Buhlinn begleitet: der Ver⸗
faſſer Barnwelts zeigt Milwoods ganze
Haushaltung: er macht den Zuſchauer zum
Vertrauten ihrer geheimſten Gedanken; er
deckt das Innere ihrer Seele auf; ſie ſelbſt
kuͤndiget ihre erſchrecklichen Entwuͤrfe an:
Gold iſt ihr Goͤtze, Tugend und das maͤnn⸗
li⸗
* Man muß Jüͤnglingen zu ihrer Warnung die Sit⸗
ten der Wolluſtdirne von innen ſehen laſſen —
liche Geſchlecht das Opfer, das fie dieſem
Goͤtzen ſchlachtet —
Der Auftritt, wo Milwood den, von dem
Morde ſeines Oheims wiederkehrenden Barn⸗
welt mit Raubbegierde anfällt: Laß ben,
wie viel hat uns dieſe Frevelthat einge⸗
bracht? und dann, als fie uͤberzeigt iſt, daß
ſein Verbrechen unfruchtbar, daß die Hand,
die Entſchloſſenheit genug hatte, einen Dolch
in die Bruſt des betenden Greiſen zu ſtoſſen,
nicht auch kuͤhn genug war, den Leichnam
durch einen Diebſtahl zu entheiligen, die
augenblickliche Entſchluͤſſung, einen Mord,
wovon ſie ſelbſt Urheberinn war, dem Ge⸗
richte zu bedeuten, und den Moͤrder zu Übers
liefern, um nicht in die Unterſuchung mit
verſchleift zu werden; dieſe beiden Zuͤge ſind
in ihrer Art die einzigen. Wenn ſie dem
menſchlicken Verſtande, der ſte erfunden,
Ehre machen, ſo ſchimpfen fi ie das Herz,
Bl es derſelben fähig iſt =
. r So⸗
282
Sobald die Furie entlarvet, und dem
Wirgengel der Gerechtigkeit zum Ver ſoͤhnopfer
der Tugend uͤbergeben worden; ſo iſt die
theatraliſche Handlung an ihre Endperiode
gelanget; und der Vorſchrift der Kunſt ge⸗
mäß, hätte hier der Vorhang fallen ſollen.
Lillo zog weniger die Regeln der Kunſt, als
ſeine Abſicht zu Rathe, und er hat an Pop⸗
pen einen Vertreter: |
In ev ry Work regard the Writers.
End!
Since none can compafl more, than
ö they intend : |
And if the means be juft, the con-
duct true
Applauſe, in ſpight of trivial faults,
Br: is due *
er ſchrieb in England, er ſchrieb zur Warnung
der Jugend: es war ihm nicht genug auf die
ungluͤcklichen Folgen des Laſters einen Finger⸗
e zeig
* In jedem Werke betrachte den Endzweck des
Schriftſtellers: denn niemand iſt gehalten / mehr
zu Stande zu richten / als er abzielt: und wofer⸗
ne feine Abſicht gut / und das Mꝛittel / fie zu ers
reichen / wohl gewaͤhlt iſt; ſo gebuͤhrt ihm, Trotz
gtringer Hebertreltungen / immer fein Ruhm =
283 |
zeig gegeben zu haben; er will die ganze Rei⸗
he derſelben bis an das ſchimpfliche End, in
einem ſchaudervollem Gemaͤlde uͤberſchauen
laſſen: er fuͤhrt alſo in den finſtern Aufent⸗
Halt der Laſterhaften: er zeigt den mehr be⸗
daurenswuͤrdigen, als ſtrafbaren Barnwelt
unter der Laſt der fchmahligen Bande, von
feinem Gewiſſen, von der Ausficht eines ent⸗
ehrenden Todes gefoltert; er zeigt ihn dann
unter der heilenden Hand der Religion, die
Oel in feine Wunde, Erquickung in ſeine Seelr
gießt — er zeigt ihn unter dem demuͤthigen⸗
den Selbſtgefuͤhle des Laſterhaften, der ſein
Aug gegen einen liebvollen Herrn, gegen ei⸗
nen tugendhaften Freund nicht empor zu ſchla⸗
gen waget, weil ihre zaͤrtlichen Blicke Ver⸗
weiſe, weil ſie ſeinem Herzen Stachel ſind,
weil ſie ihn an die ehemalige Hochheit, in wel⸗
cher er ihnen gleich war, an die Hochheit der
ſich ſelbſt bewußten Unſchuld erinnern, und
ihn gleichſam auf einen Augenblick wieder auf
| 23 den
den Gipfel zurückführen, um ihn von da die
unermeßliche Tiefe uͤberſehen zu laſſen, in wel⸗
che er fich geſtuͤrzt hat. Die Zerknir ſchung des
Juͤnglings, der ſich der Umarmung ſeines tu⸗
gendhaften Freundes unwuͤrdig haͤlt, ſeine
ernſte Wiederkehr in den Schooß der Tugend, le⸗
gen in den, auf das Ganze nur angeſtuͤckten Auf:
zug eine Anziehung, die das Herz des Zufi chau⸗
ers auf das haͤftigſte preſſet, und ihn in Thraͤ⸗
nen des Mitleids auszubrechen noͤthiget —
Dieſe Thraͤnen folgen, wenn Marie, die
ſchoͤne und ſittſame Tochter feines Herrns ein-
tritt: der duͤſtre Aufenthalt des Laſters und
der Strafe, wird durch ihre Gegenwart gleich⸗
fon heiter — Bemitleidenswerther Jüngling!
du haſt Unſchuld, guten Namen, die Hoffnung
des Lebens verloren: doch, noch weißt du
deinen Verluſt nicht ganz — Warie liebte
dich — iu vieſen Augenblicken des Schmerzens
koͤmmt ſie, es dir zu entdecken: ſie hatte ſchon
ehe, von dir ungeſehen, gleich einem Schutz⸗
gei⸗
285
geiſte, an deiner Rettung, obgleich vergeblich,
gearbeitet; aber ſie hatte ihr Geheimniß, ihre
Neigung gegen dich, wie den koſtbaren Ge⸗
ruch des Balſams in einem ungeoͤffneten Ge⸗
faͤſſe verſchloſſen gehalten: nun will ihre mit⸗
leidige Hand dir dieſe Stärkung darreichen:
aber du biſt zu ſchwach, du erliegſt — die
Groͤße deines itzigen Ungluͤcks zeiget dir, wie
gluͤcklich du haͤtteſt werden können —
Das war ohne Zweifel die Abſicht, in wel⸗
cher Lillo das ſittſame Maͤdchen in das Ge⸗
faͤngniß kommen laͤßt; er hat die Augenblicke
mit Einſicht und Haushaltung der Kunſt ver⸗
theilet: er laͤßt ihn aus der Umarmung des
zaͤrtlichſten Mädchens auf das Schandgeruͤſt
rufen, um den ſcharfen Stachel des Todes em⸗
pfindlicher zu machen und zu verdoppeln.
Von dieſer Seite betrachtet kann der letzte Auf⸗
zug nicht als uͤberfluͤſſig angeſehen werden:
es iſt gleichſam der letzte Strich, das Bild
| T 4 des
286
des durch eigne Schuld elend gewordenen Las
ſters zu vollenden — 1 f
Die Aufnahme dieſes Stuͤckes entſchied
gewiſſermaſſen von dem Geſchmacke des Pu⸗
blikums in Wien, wenn dießfalls nur der
geringſte Zweifel uͤbrig war: er iſt fuͤr das
Fremde, und die Fraze. Barnwelt ward
von den deutſchen Schauſpielern auf der
Schaubuͤhne naͤchſt der Burg vorgeſtellet:
der woͤlſchen Truppe ward die Bühne am
Kaͤrnthnerthore zu einer der ungereimteſten
Burles ken aus dem alten waͤlſchen Theater
eingeraͤumt. Haͤtten die Deutſchen jemals
zahlreiche Zuhoͤrer erwarten ſollen, fo war es
dießmal. Was das Stuͤck an ſich nicht wirk⸗
te, das ſollte die Neugierde gethan haben, da
die Rolle Mariens fuͤr Mamſel Jaket an⸗
gekuͤndiget war, die bis hieher nur Kin⸗
derrollen geſpielet, aber von dem Publikum
immer mit vielem Beyfalle aufgenommen
worden —
Al⸗
297
Alles vergebens: die Logen waren verlaſ⸗
ſen, und auf dem adelichen Parterr mußten
ſich die Zuſchauer von ferne zurufen, wenn
fie einander finden ſollten. Dieſe Gleichguͤl⸗
tigkeit gegen das Nationalſchauſpiel, dieſe we⸗
nige Ermunterung einer angehenden und hoff⸗
nungsvollen Schauſpielerinn iſt fuͤr einen
Fremden ein unaufloͤsbares Raͤthſel: was
man von Seite der Nation auch immer zur
Entſchuldigung oder Ausflucht anfuͤhret, iſt
durchkreuzender Widerſpruch —
Aber, ſagt man, Barnwe lt iſt ein Stück
das nur für einen gewiſſen Stand eine An⸗
ziehung hat — Uber, möchte ich wieder fagen,
ſind die Verfuͤhrungen der Wolluſt nicht all⸗
gemeine Gemaͤlde 2 warnende Gemaͤlde fuͤr
die ganze Menſchheit? wuͤrde der Gang des
Stuͤckes ſehr verändert ſeyn muͤſſen, um ih⸗
nen ihren Sohn, ihren Bruder, Sie ſelbſt in
den ſchluͤpfrichen Jahren ihres unbewahrten
Juͤnglingsalters vorzuzeichnen ? aus irgend
eis
— 288 |
einem Stande mußte ja der verfuͤhrte Juͤng⸗
ling gewaͤhlet werden: der Verfaſſer hat ihn
aus dem Handelsſtande gewaͤhlet, weil er in
England ſchrieb, wo dieſem Stande die Hoch⸗
achtung erwieſen wird, die bey uns, und bey
ihnen der geadelte Muͤſſiggaͤnger widerrecht⸗
lich an ſich reißt: doch Barnwelt iſt hier
nicht Handelsmann; er iſt ein junger
Menſch, der von einer einzigen Ausſchwei⸗
fung bis auf die oberſte Stufe der Grau⸗
ſamkeit ſchnell hinaufglimmt: er iſt ſowohl
Graf als Kaufmann: und Milwood iſt das
Gemaͤlde der Verfuͤhrung, ſie moͤge nun in
der Geſtalt einer Abentheurerinn, oder Taͤn⸗
zerinn auf die Unſchuld, Geſundheit, und das
Vermoͤgen der Jugend im Hinterhalte lie⸗
gen —
Und, mein Herr! es locket Sie alſo die An⸗
ziehung des Stuͤckes in die Schaubuͤhne ? ich
wuͤnſche Ihnen zu ihrem Geſchmacke Gluͤck:
er macht Ihnen in der That Ehre: ein waͤl⸗
ſcher
289
fcher Poſſenreiſſer, der das ganze Reich des
Unſinns gebrandſchaͤtzet, um das widerſinnig⸗
ſte Zeug in ein Gemengſel zu bringen, Schmutz,
Zweydeutigkeiten, Wortſpiele, Stockſchläge,
gepappte Pferde, und wer mag das tolle Zeug
alles hernennen, das hat fuͤr Sie Anziehung?
mich nimmt es alſo ſehr Wunder, warum bey
der deutſchen Buͤhne nicht wenigſtens taͤglich
ein paar Zuſchauer erdruckt geworden; dann
wirklich, es hat von undenklichen Zeiten her,
wie man mich verſichert, nicht an dieſen be⸗
liebten Anziehungen gemangelt — Erklaͤ⸗
ren Sie ſich wenigſtens, moͤchte die deut⸗
ſche Schauſpielergeſellſchaft zu dieſen ekeln
Herrn ſagen — womit wir Sie unterhal⸗
ten ſollen? Wollen Sie ernſthafte Stücke;
Barnwelt war von der ernſthaften Gat⸗
tung: warum liefen ſie von ihm weg, die
Spaſſe eines grimaſſirten Bergamaskers
zu ſehen? — Oder wellen Sie Spaſſe?
da iſt ja beynahe täglich bey uns für Sie
auf:
290
22 21 SE BZ A
aufgetiſchet; und doch verſchmaͤhen Sie
unfre Gerüchte; und unfere luſtige perſon
ifi wenigſtens mehr werth als alle Arle⸗
Pine in ganz Waͤlſchland, ſeit dem Zacca-
gnino und Trufaldino nicht mehr ſind:
und vielleicht eben ſo viel, als dieſe beiden
Männer in ihren Zeiten werth waren.
Ja! aber euch haben wir immer — ich
ſchreibe Ihnen eine ganze Unterredung, die
wenigſtens koͤnnte gehalten worden ſeyn —
und dieſe Waͤlſchen ſind nur auf eine drey⸗
monatliche Erſcheinung hier — Nun, ich ha⸗
be nichts mehr einzuwenden: fie ſehen alſs
das fremde Schauſpiel, ungefaͤhr, wie ein
Wunderthier in einer Marktbude: es iſt ein
haͤßliches Ding, dieſe Beſtie, aber fo was ſieht
man nicht alle Tage
Es wuͤrde mir gewiß unendlich RE
werden, wenn ich etwan den Einwurf zu ber
antworten haͤtte, daß man ſich von der Vor⸗
ſtellung der deutſchen Stuͤcke zum vorhinein
nichts
291
nichts ſonderbares verheißen könne, da es der
Truppe an den unentbehrlichſten Schauſpie⸗
lern fehlt. Die Wienerbuͤhne hatte an Weis⸗
kernen einen vortrefflichen Alten, im Komi⸗
ſchen ſowohl, als Tragiſchen: dieſer Mann,
Werth der Neugierde eines Fremden, der zu
ſeiner anſehnlichen Geſtalt und dem wohl⸗
klingenden Tone der Stimme, Nachſinnen, Ein⸗
ſicht, Wiſſenſchaft und eine lange Uebung der
Schaubuͤhne geſellet, | ift durch eine ſchmerz⸗
liche Krankheit dem Vergnuͤgen der Zuſchauer
entriſſen worden; und die Truppe haͤlt ſeinen
Verluſt fuͤr unerſetzlich. H. Jaket hat Per⸗
ſon, Stimme, und die Gabe des Gefuͤhls;
aber wie ferne iſt er noch von der Einſicht
des Mannes, an deſſen Stelle er, wenn er
beſcheiden iſt, nur mit beben treten kann, weil
die Zuſchauer ihn unaufhoͤrlich mit Weisker⸗
nen vergleichen: und gewiß faͤllt dieſe Ver⸗
gleichung nicht zu ſeinem Vortheile aus, un⸗
geachtet er hoffen laͤßt, durch Anwendung in
a ſei⸗
feine Wege zu treten. Die übrigen Schau: ;
ſpieler, welche Odoarde und Anſelme fpies
len, ſuchen das Drollichte in Karikaturen:
wehe dem Schriftſteller, der den Ruhm
ſeines Stuͤckes dieſen Leuten anvertrauen
MUB re
Gleichwohl, welches Luſt⸗ oder Trauer⸗
ſpiel kann ohne Vater oder Alten aufgefuͤhrt
werden! — Und dann wie unentbehrlich iſt
eine junge Perſon zu den Rollen der Liebha⸗
berinnen! Daran fehlt es der Truppe eben⸗
falls: freylich Weiber ohne Zahl, aber von
welcher Gattung! — Waͤſchermaͤgde, Mar⸗
ketenderinnen, Troͤdlerinnen, da iſt die liebe
Natur mit im Spiele: aber in einem Stuͤ⸗
cke von beſſeren Innhalte, wo die handeln⸗
den Perſonen aus einer hoͤheren Klaſſe vor⸗
geſtellt werden ſollen, wie koͤnnten ſich Wei⸗
ber dahinein finden, die vielleicht nie eine
Standsperſon in ihrem Hauſe zu ſehen Ge⸗
eee gehabt! Milwood ſaß fo am Putzti⸗
fe,
293
ſche, daß man es ihr deutlich anmerkte, das
waͤre nicht die Stelle, an die fie gehoͤrte;
ihr Standort waͤre hinter dem Stuhle, um
der Gebiete rinn zuzureichen. Ich fodre aber
nicht nur Kunſt, Einſicht, Anſtand, ich fod⸗
re an einer ſolchen Perſon auch aͤußerliche
Geſtalt: und da iſt mir oft der Wunſch enk⸗
fahren, daß gute Schauſpielerinnen nie Al
tern ſollen, wie ſie gemeiniglich nicht aͤltern
wollen. Nicht bloß die Taͤuſchung ver⸗
ſchwindet, wenn die Geſtalt der Geliebten
nicht wenigſtens einigermaſſen die Leidenſchaft
des Liebhabers rechtfertiget; ſondern das
Ganze wird zu einer Parodie. In dem Au⸗
genblicke, da ich den Menſchen in der heftig⸗
ſten Hitze die jugendlichen Reize feiner.
Schoͤnen erheben hoͤre, ſehe ich dem Gegen⸗
ſtande ſeiner Flammen unter das Geſicht, und
denke: Junge du biſt blind, oder wahn⸗
witzig! Beynahe ſollte jede Truppe, mit einer
Blonden und Brunetten zum abwechſeln,
mit unter verſehen ſeyn: oder den Schrift
294
— —
=
ſtellern bey theatraliſchem Banne verbieten,
die Geſtalt der Maͤdchen nicht zu beſtimmen:
es iſt immer Spoͤttern eine Bloͤße gegeben,
wenn man die blauen Augen eines Maͤdchens
ruͤhmet, wo die Schauſpielerinn ſchwarze hat.
Mamſel Jaket kann für die Truppe ein
Kleinod werden: ſie hat ein niedlichen Wuchs,
und reitzende Bildung, eine anziehungs volle
Stimme, die beſonders im Traurigen zum
Herzen dringt, Abwechslung im Tone, ein
gluͤckliches und bedeutendes Augenſpiel, und
eine offne Gebehrde, Lektur und anhaltende Be⸗
trachtung koͤnnen ihr Herz und Zefuͤhl Uebung,
Freunde, und nicht verſchmaͤhte Kritik koͤnnen
ihre theatraliſche Geſchicklichkeit ausbilden:
aber den Anſtand, das freye Betragen, das
die Seele des edlen Spieles iſt, die Welt,
muß ſie von der Guͤte einer Dame erwarten,
welche großmuͤthig genug ſeyn wuͤrde, eine
junge, vielverſprechende Schauſpielerinn un⸗
ter ihren Schutz zu nehmen, und ihr, wenn
ich fo ſagen darf, die Erziehung zu geben⸗
— —
Fuͤnftes Stück.
Ein und zwainzigſtes Schreiben.
Wien den 30, April 1768.
IN
R war die Sprache eines Frem⸗
FR, 2 den der als ein Beobachter
unſers Geſchmacks freymuͤ⸗
thig an ſeinen Freund, nicht als ein Ver⸗
beſſerer an Schriftſteller, Schauſpieler,
oder Zuſchauer der Nation ſchrieb: er nenn⸗
U te
An den Verleger.
>> Mein Freund mard durch feine Angelegenheiten
>, Und die guͤnſtige Witterung plotzlich abgerufen: er
» bedauert es, daß er Sie in Verlegenheit zuſetzen
5 gezwungen iſt: aber er kann mehr nicht / als Sie
2 bedauren / und hoffen: daß Ste in einer Haupt⸗
> ſtadt Deutſchlands jemanden finden werden / der
, ihn / in Abſicht auf ihre Verbindlichkeit mit
„dem Publikum / erſetze. Ich bin u- ſ. w.
Ich habe mich auf dieſen Fall bereits eorgeſehen /
der ſich bey einem Fremden fruͤher oder ſpaͤter ereignen
mußte. Wenn die Sprache des Ueberſetzers
bis itzt einigen Beyfall gefunden / ſo duͤrfte in Hin⸗
kunft feine eigene Arbeit nicht weniger unglücklich
tenn. Um der Gleichheit des Stils und der bequemen
Abtheilung Willen hat er die Einkleidung der Briefe
beybehalten. Der Verleger.
te den großen Haufen das Publikum, und
hielt die geringe Zahl derjenigen, welche ſich
in einer Nation allemal durch ihre Einſicht
vom Haufen unterſchieden, fuͤr eine Aus⸗
nahme, welche die allgemeine Benennung
nicht ändern könnte. Einſame Pflanzen, die
auf einer Haide aufſchuͤſſen, machen ſie noch
zu keiner fruchtbaren Gegend.
i Der Haufen ift indeſſen unter allen Him⸗
melsgegenden Haufen: ungeachtet das Ge⸗
nie der Corneille, Raeine, Crebilon und
Voltaͤre ſeit fo langer Jahre auf Frankreich
wirken konnte; ungeachtet die Nation auf
die Namen dieſer Männer ſtolz thut, und
beynahe jeder Franzoſe ſich fuͤr einen Cor⸗
neille haͤlt, weil er von Corneillens Lands⸗
leuten iſt; ungeachtet ſo vieler Meiſterſtuͤcke
der tragiſchen und komiſchen Buͤhne, welche
den Geſchmack der Nation aufklaͤren, ſicher
machen, beſtimmen konnten; ungeachtet deſ⸗
fen kann Voltaͤr von den Einwohnern des
auf⸗
297.
aufgeklaͤrten Paris ſagen: das beſte Auſt⸗
fpiel, das beſte Trauerſpiel iſt nie ſo zahl⸗
reich N und ſo unablaͤßlich, von den naͤm⸗
lichen Zuſchauern beſucht, als eine mittel⸗
maͤſſige Opera: die regelmaͤſſigen, edeln
und ernſthaften Schönheiten, werden von
dem Saulen nicht am meiſten geſchaͤtzt.
wenn Cinna ein oder zweymal vorge:
ſtellet wird, fo giebt man die FeEtes ve-
nitiennes * drey Monate hintereinander?
ein epiſches Gedicht wird weniger geleſen,
als ein zůgelloſes Sinngedicht: ein kleiner
Roman wird mehr abgeſetzt, als die Ge⸗
ſchichte des Praͤſtdenten Thuans. Wenige
Privatleute laſſen große Maler für ſich
arbeiten: aber man uͤberbiet ſich bey ver⸗
N Ur Hhunz⸗
„Ein mittelmaͤſſiges Ballet / morinnen die Faß⸗
nacht / die Thorheit / Ziege uner / Ska⸗
ramouze und Pollichin elle untereinauder
gemengt find : es ward 17 10 zum erſtenmal auf
die Bühne gebracht / und nach verschiedenen Wie⸗
derholungen nahm es vom 10. December
17 50. bis 11. Hornung 1751. in einem
Stuͤcke den Schaupiaß ein.
298
hunzten chineſiſchen Maͤnnerchen und
gebrechlichen Gefaͤſſen. Man übergülder,
überfürnigt Kabinette, und vernachloͤſſiget
die edlere Baukunſt: mit einem Worte:
in jeder Gattung werden die kleinen Er⸗
göglichFeiten dem wahren Verdienſte vor⸗
gezogen. | /
Ich bin nicht an die Stelle des Auslaͤn⸗
ders getreten, um mit meinen Landesleuten
zu heucheln: dieſer Vorwurf paßt auf unſern
Geſchmack noch mehr, als auf die Franzo⸗
ſen: beſonders in ſoferne er meinen eigentlichen
Vorwurf, die Schaubühne angeht. Das
Vergnuͤgen des Ohrs und des Geſichts,
wird dem Vergnuͤgen des Geiſtes unendlich
vorgezogen; das erſchuͤtternde Gelaͤchter hat
einen groͤßeren Anhang als die ſtill verwein⸗
te Zaͤhre. Dieſe Beobachtung iſt unwider⸗
ſprechlich, aber eine andre, die ich machen
werde, iſt es nicht weniger⸗
Der
299 N
Der Geſchmack für das Unedle, für das
Niedere hat wenigſtens in einem gewiſſen
Verhaͤltniſſe hier abgenommen: eine Bur⸗
leske — dieſe Anmerkung trifft das ge⸗
meine Parterre — wird weniger beſucht,
als ein Trauerfpiel, oder rührendes Luſt⸗
ſpiel — die Scherze werden weniger als
die edeln Geſinnungen beklatſchet — im⸗
mer ein Schritt naͤher zur merkwuͤrdigen
Epoche der Geſchmacksveraͤnderung, welche
eine aufklaͤrende Kritik, das Beyſpiel, und
die Unterſtuͤtzung des Perikles unſrer Zeiten
herbeyfoͤrdern koͤnnen.
Eine aufklaͤrende Kritik, welche dem
Schriftſteller, dem Schauſpieler, dem Zu:
Hörer gleich nuͤtzlich iſt: vielleicht nicht jene
ſtrenge, unerbittliche, welche nie die Stirne
aufheitert, um einen jungen Genie zuzulaͤ⸗
cheln, und ſeine furchtſamen Schritte mit
Liehe zu leiten: aber auch dieſe, da, wo
Gelindigkeit den ſich verkennenden Stolz
Aan naͤh⸗
"300
naͤhren und Nachſicht für Beyfall kann ge⸗
nommen werden.
Nationen, wo der Geſchmack, wenn ich
ſo ſagen darf, nur erſt Knospen zu ſchlagen
anfaͤngt, ſind gemeiniglich gegen die Kritik
aufruͤhriſcher, als diejenigen, wo der Ges
ſchmack bereits einen feſten Stand gewon⸗
nen hat. Jede Erinnerung heißt Tadel:
der Beurtheiler einer Schrift wird als ein
Feind des Schriftſtellers angeſehen, und
Reid, oder ſonſt unruͤhmliche Abſichten muͤſ⸗
ſen ihm die Feder in die Hand gegeben ha⸗
ben. Gleichwohl ſind die Kuͤnſte und Wiſ⸗
ſenſchaften uͤberhaupt, und die Schaubühne
insbeſondere der Kritik hauptſaͤchlich die
Vollkommenheit ſchuldig, die wir an ihnen
bewundern. Die Dichter des Alterthums
laſen in den Kreiſen zuſammgebetener Freunde
ihre Werke, und machten ſich ihre Erinne⸗
rungen zu Nutz: die Appelles und Liſippe
ſetzten ihre Stuͤcke an die Straſſen, um aus
den
361
den Anmerkungen der Voruͤbergehenden Un
terricht zu ziehen; noch heute ſetzen die
Maler und Bildner ihre Meiſterſtuͤcke
in dem Louvre aus, und raͤumen dadurch
jedermann das Recht ein, daruͤber ſeine
Anmerkungen zu machen; und Sophokles
Tragoͤdien konnte der Preis nicht zugeſpro⸗
chen werden, wenn ſie niemand haͤtte beur⸗
theilen ſollen. Wo die Kritik als beleidigend
angeſehen wird, da verliert auch der Bey⸗
fall alles Schmeichelhafte. Rur dann kann
das Lob unverdaͤchtig ſcheinen, wenn es fre
ſtund, auch zu tadeln.
Die Schaubuͤhne bedarf es mehr, als
jeder andre Theil der ergoͤtzlichen Wiſſenſchaf⸗
sen, von der Kritik geleitet zu werden, und
ſie bedarf es unter uns mehr als irgend wo.
Wir haben bis itzt dieſen Theil bloß als ei⸗
ne Ausfuͤllung muͤſſiger Stunden, ohne
Beziehung auf ihren Einfluß in die Sitten,
und die Lebensart, ohne Beziehung auf den
14 Ruhm
une, u Me De
Ruhm der Nation betrachtet: aber fie if
von dieſen beiden Stuͤcken unzertrennlich;
es kann nicht als eine gleichguͤltige Sache an⸗
geſehen werden: ob ein großer Theil des
Tages dem Volke vor einem Schauplatze
hingeht, wo es Beyſpiele der niedrigſten
Ausgelaſſenheit und Raͤnke vor ſich ſieht,
und ſich durch die Gewohnheit damit ver⸗
traut machet, oder vor einer Buͤhne, wo
ihm die Geſinnungen durch edelmuͤthige Bey⸗
ſpiele erhoͤht werden. Der laute Ausbruch
des Beyfalls koͤmmt von dem hohen Grade
des Wohlgefallens, und das Wohlgefallen
von der Uebereinſtimmung der Empfindung
und Denkungsart her: ſo ſchimpft oder eh⸗
ret ſich alſo jedes Volk ſelbſt in den Augen
eines Fremden, wenn es einer ſchmutzigen
Zweydeutigkeit oder edeln Geſinnung zus
klatſchet.
Das iſt der moraliſche Theil des Schau⸗
ſpiels : der dichteriſche bedarf der Kritik nicht
we⸗
303
weniger. Es iſt wohl niemand, der mich
hierüber zum Beweiſe auffodern wird.
Deutſchland iſt, was die Schaubuͤhne betrifft,
unendlich entfernet, andre Nationen zu er:
reichen: Schlegel, Kronegk, Leſſing, Wei⸗
ße, Gellert, zu denen noch die Verfaſſer ei⸗
niger einzelnen Stücke gerechnet werden moͤ⸗
gen, wie klein iſt dieſes Verzeichniß deutſcher
drammatiſcher Schriftſteller! aber unter die⸗
fe auch darf Wien vielleicht nur den Verfaſ⸗
ſer Aurelius und Hermanns, und den Ver⸗
faſſer Juliens einrechnen — nicht, als ob es
nicht auch ſonſt einzelne Stuͤcke zu der Na⸗
tionalbuͤhne beygetragen haͤtte: aber —
Ich will nichts uͤberholen: da ich es übers
nommen habe, die Beobachtungen uͤber die
Schaubuͤhne an der Stelle des Auslaͤnders
fortzuſetzen; ſo werde ich von den verſchiede⸗
nen Stuͤcken nach der Reihe eigentlich zu ſpre⸗
chen haben. Jedoch der Ton meiner Brie⸗
fe wird von dem Tone des Auslaͤnders un⸗
Us ters
304
terſchieden ſeyn, wie meine Abſicht ſich von
der ſeinigen unter ſcheidet.
Wenn das Geſtaͤndniß nicht zu viele Ei⸗
genliebe verraͤth; fo erhebe ich meinen Wunſch
bis zur Verbeſſerung der Nationalbuͤhne:
und dieſem Wunſche gemaͤß ſollen die Mittel
gewaͤhlet werden. Beyſpiele und eigene Er⸗
fahrung haben mich uͤberwieſen, daß die ſtren⸗
ge Kritik noch zur Zeit ein zu heftiges Mit⸗
tel iſt: ich will meinen Kranken nur die lin
dernde Hand des Arzten empfinden laſſen.
Spott, und beißender Witz ſollen aus mei⸗
nen Urtheilen verbannet ſeyn: meine Anmer⸗
kungen ſollen den Ruhm des Schriftſtellers
zum Endzwecke haben, und dem Urtheile
des Zuſchauers eine Richtung, oder Beyſpiel
geben. Jede Gelegenheit, angehende Ta⸗
lente zu ermuntern, wird mir willkommen.
ſeyn; und wenn ich mich in die umſtaͤndliche
Zergliederung eines Stuͤckes einlaſſe; ſo ſe⸗ |
he man es als den uͤberzeugendſten Beweis
an,
3. 305
an, daß ich das Verdienſt des Verfaſſers
hochſchaͤtze. Elende Arbeiten belohnen die Muͤ⸗
he nicht, daß man ſie ausbeſſere; ſie muͤſſen
ſchlechterdings weggeworfen werden.
Dieſe Wahrheit macht aber auch mein
Schweigen vielbedeutend: es iſt der einzige
Tadel, den verdienſtloſe Schauſpieler, den
ſchlechte Schriftſteller von mir zu erwarten
haben: vielleicht aber iſt dieſer empfindlich
genug! Als Turenne nach einem Feldzuge,
worinnen durch bie untergeordneten Befehls⸗
haber einige Fehler vorbeygegangen waren,
Ludwigen Nechenſchaft ablegen ſollte, fragte
ihn der Monarch, wer diejenigen geweſen,
die ſich übel verhalten haͤtten: der Vicomte
nennte eine Reihe Namen, und ſetzte dazu,
dieſe, Sire! haben ſich wohl verhalten —
Ein junger Oberſter von einer anſehnlichen
Familie, deſſen Namen der Feldherr nicht ge⸗
nennet hatte, empfand den Schimpf dieſes
Schweigens ſo hoch, daß er ſich ſelbſt ent⸗
leibte. Bey
306
Bey der Mannigfältigkeit der Schauſpie⸗
le, womit die neue Unternehmung Fremden
den Aufenthalt dieſer Stadt angenehmer zu
machen, und den Geſchmack der Zuſchauer
zu befriedigen, bemuͤhet iſt, war der Plan
des Fremden zu weitlaͤuftig angelegt: er blieb
ſo manches ſchuldig, was er verheißen hat⸗
te, und woruͤber wir vielleicht ſeinem Urthei⸗
le am begierigſten entgegen ſahen: er hatte
Anzeigen von Noverrs Balleten verheißen,
und er wird ſeinem Freunde bey ſeiner An⸗
heimkunft davon nur muͤndlich Nachricht geben
muͤſſen, weil feine Briefe den anhaͤufenden
Materien nicht zureichten. Meine Betrach⸗
tungen haben engere Graͤnzen; ich beſchraͤn⸗
ke mich auf die Natienalbuͤhne, und behal⸗
te mir bloß die Freyheit vor, in das franzoͤ⸗
ſiſche Gebiet manchmal im vorbeygehen, und
hauptſaͤchlich da uͤber zu treten, wo ich mit
einigen nuͤtzbaren Anmerkungen fuͤr meine Lan⸗
desleute zuruͤckkehren kann. Ich laſſe auch
die
307
die übrigen Theile der Schauſpiele nicht aus
dem Geſichte, doch ſo, daß ſie meinem Haupt⸗
gegenſtande ſtets untergeordnet bleiben.
Manchmal ſoll mir das aufgefuͤhrte Stuͤck
zu nichts weiter, als zur Gelegenheit dienen,
gewiſſe Materien auseinander zu ſetzen, die
vielleicht beſonders auf dieſe Hauptſtadt, auf
unfern Geſchmack, und Denkungsart eine
Beziehung haben. Auf dieſe Art werde ich
nicht ſelten auch ſehr mittelmaͤſſige Stuͤcke
zu meinem Endzwwecke nuͤtzen, von denen ich
ohne einen ſolchen Kunſtgriff, mich ſelbſt zu
ſchweigen verurtheilet haͤtte.
Als ein Eifrer des Nationalruhms, und
literariſcher Patriot triumphire ich uͤber den
groſſen Beyfall, womit Voltaͤrs Semira⸗
mis auf der deutſchen Schaubühne vorge⸗
ſtellet worden. Man ſehe da — ſagte ich bey
mir ſelbſt, als das Parterre nicht muͤde ward,
fein Wohlgefallen durch betaͤubendes Hände:
klat⸗
308
klatſchen an Tag zu legen — man ſehe da ein
Volk, welches Poſſenſpiele lieben poll! —
Alles, was man gegen dieſes Trauerſpiel
Voltaͤrs aufbringen, alles womit Vol⸗
taͤr ſich und ſein Geſpenſt rechtfertigen konn⸗
te, iſt geſagt und geſchrieben worden. Der
gegruͤndeten und ungegruͤndeten Urtheile un⸗
geachtet macht Semiramis auf die Zuſchauer
immer eine ungemeine Wirkung. Der erſte
und zweyte Aufzug iſt etwas froſtig, und ge⸗
dehnt; aber in den folgenden Auftritten wird
die Handlung ſo ſchnell fortgetrieben, als die
Rache des Gottes, der fie fichtbar leitet.
Die unſchuldige Sorgfalt Azemens, welche
unwiſſend die Wege der Vorſicht zu erfuͤllen
dient, und dem Opferer das beſtimmte Opfer
uͤberliefert, iſt ein Meiſterſtuͤck des menſchli⸗
chen Verſtandes: ich vergebe Voltaren die
epiſodiſche Liebe der Prinzeſſinn, da er ſie an
dieſer Stelle fo vortrefflich genuͤtzet —
©
0
309
Löwens Ueberſetzung erreicht natuͤrlich
den Schwung des Originals nicht; aber wel⸗
che Ueberſetzung kann den jemals erreichen?
Kür eine Menge ſchieler, und hartlaͤufiger
Verſe halten uns eine Menge ſehr wohl⸗
klingende und ausdruckvolle ſchadlos.
Madam Suberinn ſpielte die Rolle der
Koͤniginn. Ihr Anſtand, ihre ſchoͤne Gebehr⸗
de, ihre wohlgezeichneten Stellungen erhoͤhten
die Feyerlichkeit des Stuͤckes: ich wuͤnſchte,
daß ihre Pantomime nicht durch zu haͤufige
Gebehrden uͤberladen wuͤrde: die Majeſtaͤt
einer Koͤniginn, und der Stolz einer Semi⸗
ramis erfodern gelaſſene Größe,
In dem Auftritte, wo Arſazes von dem
Muttermorde aus dem Grabe zuruͤckkehret,
übertraf H. Stephanie ſich felbft : die ver»
irrten Augen, der offene Mund, die unter⸗
druͤckte Stimme, das wahre Bild des Schre⸗
ckens — dieſer Auftritt, und die Sterbſcene
der Koͤniginn haben den franzoͤſiſchen Schau⸗
ſpie⸗
210
ſpielern, ungeachtet ſie der Sprache nicht
kuͤndig ſind, Lobſpruͤche entriſſen — Haͤtten
ſie noch vollends die Rolle Aſſurs von H.
Weiskern dazu gefehen!
Auf der franzoͤſiſchen Bühne endet das
Stuͤck mit den Worten der ſterbenden Se⸗
miramis: C'en eſt fait - - Dieſe Abkuͤr⸗
zung iſt nachahmungswerth: die Rede des
Oroes ſieht beynahe einer Standrede gleich,
die gehalten wird, nachdem der Uebelthaͤter
abgethan iſt: ſie ſchwaͤcht den Eindruck des
Zuſchauers, an den fie eigentlich gerichtet
feyn muß ‚ weil es doch nicht wahrſcheinlich
iſt, daß in dieſem ſchreckenvollen Augenbli⸗
cke jemand von den handelnden Perſonen
auf den guten Mann merken werde.
Sechſtes Stück.
Zwey und zwainzigſtes Schreiben.
Wien den 7. May 1768.
5 laͤugne es nicht: das Vergnuͤgen
8 des erſten franzoͤſtſchen Schau⸗
ſpiels, wovon die Erwartung
groß war, und welches dieſer großen Er⸗
wartung, leider! zuſagte, war durch die be⸗
truͤbte und nur zu ſehr uͤberzeugende Be⸗
trachtung um vieles gemindert: daß es um
die Nationalbuͤhne vollkommen geſchehen
ſey — Nun dann, rufte ich aus — man
hat ſich die glůͤckliche Zeit entwiſchen laſſen,
da die deutſche Buͤhne ohne Nebenbuhler
war! den gluͤcklichen Zeitpunkt, wo Schau⸗
ſpieler und Schriftſteller ihr aͤußerſtes haͤt⸗
ten daran wenden ſollen, um den duſchauer
anzuziehen; wo es Schauſpielern und
Schrifiſtellern wenigſtens leichter war, ihn
| * zu
Kite
zu befriedigen, weil er nicht gegeneinan⸗
der halten konnte! vielleicht daß ſie —
Jedoch was ſtimme ich Ihnen * ein
Klaglied an? laſſen Sie die deutſchen Schau⸗
ſpieler klug ſeyn; ſo werden ſie aus der
Gegenwart der franzoͤſiſchen Truppe Vor⸗
theil ziehen, und ſich darnach bilden! laſſen
Sie den Genius des Geſchmacks die Nati⸗
on, wenigſtens nicht mit ewiger Blindheit
geſchlagen haben; ſo kann das Auge des
deutſchen Zuſchauers durch den beſtaͤndigen
Anblick regelmaͤſſiger Schoͤnheiten ſeines bis⸗
herigen unedeln Vergnuͤgens an oſtadiſchen
Schilderungen entwoͤhnen, und das Reich
der Poſſen die Endperiode erreicht haben.
Von dieſer ſchmeichelnden Ausſicht einan⸗
dermal!
Man
Es iſt bereits erinnert worden / daß man die
Briefgeſtalt beyzubehalten Willens iſt: viel⸗
leicht / daß man um der Mannigfaͤltigkeit wegen
auch zu weilen die Perſonen / an die ſie geſchrie⸗
ben werden / verſchieden annimmt —
Man eroͤffnete die Bühne mit Voltaͤrs
Adelhaiden von Guesklin: in der Samm⸗
lung der voltaͤriſchen Werke heißt daſſelbe
Stuͤck Le Duc de Foix — Daſſelbe Stuͤck?
nicht doch! der Due de Foix iſt von der
Adelaide um Vieles unterſchieden, um Vieles
ſchwaͤcher, langweiliger, gedehnter
quinteſſenzirter — Voltär hat die Geſchich⸗
te dieſes Stuͤckes an einen ſeiner Freunde
uͤberſchrieben, und Le Kain, der die ver
bannte Prinzeſſinn im Jahr 1765. wieder
auf die Buͤhne brachte, ließ den Brief des
Verfaſſers ſtatt einer Schutzrede vorne abs
drucken —
„„Es find, heißt es — mehr dann drey⸗
„ ßig Jahre, daß ich vor eben dieſem Pub⸗
„ likum, ern Adelhaid von Gueeklin wag⸗
te, welche von einem Herzoge von Ven⸗
„ dome und einem andern von Nemour
* 2 E be⸗
* Z. B. im Due de Foix find aus dem erften ohne
hin langweiligen Aufzuge zween geworden: man
veraleiche die beiden Stuͤcke ſowohl im Ganzen /
als nach dem einzelnen Ausdrucke.
314
„ begleitet war, die beide in der Geſchichte
„nie geweſen find. Der Grund dieſes
„Stuͤckes war aus den Jahrbuͤchern von
„ Bretagne gezogen, und ich habe fie für
„die Buͤhne unter erborgten Namen zurecht
„gerichtet, wie ich gekonnt — Sie ward
„ beym erſten Aufzuge ausgepfiffen — Das
„ Auspfeifen nahm zu, als man im zweyten
„ Anfzuge Femouren verwundet, und mit
dem Arme in einer Binde auftreten ſah:
75 noch aͤrger war es, als man im fuͤnften
a Aufzuge den Kanonenſchuß hoͤrte, der
an vendomen zum Zeichen diente, daß ſein
„ Willen vollzogen ſey: und da zuletzt Ven⸗
5 dome ſagte: biſt du zufrieden Couci?
„ ruften einige Spaßvoͤgel laut auf: couſſi,
„ couſſi —
Sie urtheilen leicht, daß ich 0 nicht
5 ſche gegen dieſe vortreffliche Aufnahme
„verhärtete. Ich gab einige Jahre darauf
„eben dieſes Trauerſpiel nnter dem Namen
des
313
—
„ des Duc de Foix; aber ich ſchwaͤchte es
„ ſehr aus Hochachtung gegen das Laͤcherli⸗
„che. Dieſes Stuͤck, um viel verſchlim⸗
„wmert, ward ziemlich aufgenommen, und
„ich vergaß dasjenige ganz, fo wirklich
„ beſſer war.
„Eine Abſchrift von Adelhaiden befand
„ ſich noch in den Händen eines Schauſpie⸗
„ lers von Paris: er hat, ohne mir etwas
„ zu ſagen, dieſes verſtorbene Trauerſpiel
„ wieder erweckt; es ward mit vielem Bey⸗
„ falle aufgenommen: die Stellen, die am
„ meiſten ausgepfiffen worden, waren eben
55 die, welche man am meiſten beklatſchte.
Voltaͤr fährt nun fort, ſich über die Ver⸗
ſchiedenheit des Urtheils von einem und dem⸗
ſelben Publikum luſtig zu machen: und bey⸗
nahe moͤchte ich fprechen : er hat recht —
Die Parifer muͤſſen auch ſehr niedlich ſeyn.
Wo man in einem Zwiſchenakte einen gan⸗
zen Sturm ungeahndet konnte vor ſich gehen
X 3 laſ⸗
316
laſſen, da koͤmmt es, dachte ich, auf einen
Kanonenſchuß mehr oder weniger nicht an —
In der That ſind die Zuſchauer aller Na⸗
tionen ein unerklaͤrbares Raͤthſel; und Wehe
den Ungluͤcklichen, welche ihre Dienſte ei⸗
nem fo eigenfinnigen und ſtolzen Gebieter
gewidmet bahen ! Die Belagerung von
Calais fand Gnade vor dem Angeſichte der
Franzoſen, ungeachtet das ganze Verdienſt
des Stuͤckes in einigen froſtig verſificirten,
patriotiſchen Maximen beſteht: haͤtte, wenn
anders beſtimmte Grundſaͤtze das Urtheil des
pariſer Parterrs leiteten, haͤtte da ein Trau⸗
erſpiel nicht bis an die Wolken erhoben
werden ſollen, worinnen der Schriftſteller
alle Kniffe genuͤtzet, durch die ſich auch ein
mittelmäffiges Stuͤck erhalten könnte, |
Nos guerriers fur vos pas marchaient
à la victoire,
Et ſuivre les Bourbons, c' eſt voler
a la gloire —
— — = Qu’onaimela Patrie
Que
317
Que le lang des Capets eſt Ben
adore —
Dieſe Stellen ſollten das patriotiſche, und
dieſe:
II n' eſt point de Francois, que l' a-
mour zaviliſle,
Amants aimes, heureux ils cherchöient
le combats,
Ils courent a la gloire &c.
dieſe ſollte das galante Frankreich beſtochen
haben! und da moͤchte der Kunſtrichter, der
weder Natienaleiferer, noch galant iſt, im⸗
mer geſchrieen haben: aber öffnet wenig⸗
ſtens die Augen! hat man jemals einen
langweiligeren, einen uͤberfluͤſſigeren erſten
Aufzug geſehen, als dieſen, den man,
wenn es nicht um die einzige Rede des
Couci Schade waͤre, gerade zu wegwerfen
möchte, ohne daß man, ſelbſt an der Ex⸗
poſition, das Geringſte vermißte? Kann
man eine romaneskere Anlage eines
Stüdes denken 1 als dieſe Gefangenneh⸗
mung des Nemours, der eben ſo zu recht
her⸗
F |
herkommen muß, damit Voltaoͤr aus der
Verlegenheit geriſſen werde, wie gemei⸗
niglich die Ritter mit verhaͤngtem Zügel
daher ſprengen, ihre Prinzeſſinnen aus
den Haͤnden der Entfuͤhrer zu reißen ? iſt
etwas unwahrſcheinlicheres, als daß Ven⸗
dome ſo blind waͤre, die Liebe ſeines Bru⸗
ders zu Adelhaiden erſt im dritten Auf⸗
tritte des dritten Aufzugs zu entdecken,
da Nemour ſchon im zweyten Aufzuge,
(bon, ſobald er auf der Bühne erfcheint,
und Vendome ihm ſeine Eeidenſchaft er⸗
klaͤrt, mit der Hitze eines jungen Men ſchen,
die ihn verrathen mußte, ausbrach:
Ecoute! a ma douleur ne veux tu
qu' infulter ?
Mats connais tu? fcais tu, ce que
jb oſe attenter?
Dans ces funeſtes lieux (Gais tu ce qui
m' amene 2
immer moͤchte der Kunſtrichter ſo gerufen
haben; Patriotismus und Galanterie, haͤt⸗
te man erwarten ſollen, würden Voltaͤren
in
in ihren Schutz nehmen, und der Kritik zum
Trotze L auteur! L' auteur! rufen.
Es geſchah nicht: ſo viel koͤmmt auf Zeit
und Umſtaͤnde ſelbſt in den Werken des Wi⸗
tzes an: die ungeblendete Kritik verwarf
ſpoͤttend ein Trauerſpiel, welches der Na⸗
tionolgeiſt nach dreyßig Jahren in Triumphe
auf die Schaubuͤhne wieder einfuͤhrt. Bel⸗
lois hatte durch ſein Trauerſpiel, dem er ein
Nationalintereſſe zur Grundlage gab, die
Gemuͤther erhiget: die Franzoſen ſahen ſich
durch die, Wahl ihrer Dichter, wie einſt die
Griechen durch die Wahl der ihrigen, ge:
ſchmeichelt: Le Kain hemaͤchtigte ſich des
Enthuſiasmus, ein verungluͤcktes Stuͤck
von ähnlichem Innhalte her vorzuziehen: der
ſehr kleine Verfaſſer der Belagerung Kalais
ſchaffte dem großen Verfaſſer Oedips und
Meropens, ſicheres Geleit.
Die einzelnen Schoͤnheiten Adelhaids er⸗
ſetzen indeſſen, wenigſtens in Abſicht auf die
4 5 | Bor
320°
Vorſtellung, die Fehler des Plans: eine File
vortrefflicher Geſinnungen, anziehungsvolle
Situationen, edle und abſtechende Charakte⸗
re, Schoͤnheiten, die bey Auffuͤhrung eines
Stuͤckes dahinreiſſen, weil der Zuſchauer
das Ganze nicht mit einmal uͤberſehen und
die Verhaͤltniſſe gegeneinander halten, ab⸗
meſſen kann; weil ſeine Einbildung nur mit
den einzelnen Theilen, mit den vor ſich ſte⸗
henden Theilen, wie fie ruckweiſe vorkom⸗
men, beſchaͤfftiget iſt; ſolche Schoͤnheiten
werden Adelhaiden bey einem Hoͤrſaale im⸗
mer Beyfall verſichern, wo die Polizey wa⸗
chet, daß Spaßmacher ihren platten Ein⸗
faͤllen nicht auf Koſten des allgemeinen Ver⸗
gnuͤgens Luft ſchaffen koͤnnen. Ich geſtehe |
es: ich ſah an meinem Pulte, als ich das
Stuͤck nur las, noch weit mehr, was der
Kunſtrichter mit Grunde haͤtte tadeln koͤn⸗
nen; aber ich eilte folgenden Tages darum
nicht weniger mit Begierde der Schaubuͤh⸗
ne
321
ne zu, und vergaß uͤber der Vorſtellung al⸗
le die Schauſpiele, wie Poppe ſpricht:
Correctly Cold and regularly low,
That Shunning faults, one quiet te-
-nour Keep;
We cannot blame indeed — but we
| may sleep
Couci iſt ein liebenswuͤrdiger Mann, ein
Freund, wie ich ihn wuͤnſche, der ſich nicht
ſeinem Freunde mit jeder Minute vorwirft,
nicht über feine Dienſte ein Tagebuch hält;
der eben foviel Vergnuͤgen, ein Freund zu
ſeyn, als Vendome ihn zum Freunde zu haben,
empfindet: ſein Charakter iſt in ſeinem eignen
Munde auf das Vortrefflichſte bezeichnet
Quand un ami ſe perd, il faut qu'on
Lavertiſſe,
II faut qu'on le retienne au bord du
precipice :
Je
* Die mit Richtigkeit kalt und regelmaͤſſig niedrig,
Zwar Fehler vermeiden / aber Hi 0 einerley Lauf
halten
Bey denen man in der That nichts tadeln / aber
— einſchlaffen mag.
322
——ę—
Je T'ai du, je Lai fait, malgre votre
couroux — |
Vous voules y tomber, je m’y jette
avec vous —
Ueber Touci den Krieger vergeffe ich Aufrin
den Schauſpieler, der ihn geſpielt hat: aber
man mußte auch uͤber der Wahrheit ſeines
Spiels ihn vergeſſen: man ſah nur die⸗
fen edelmuͤthigen Freund, der Vendomen
ganz verdunkelt, vor ſich. Warum hatte ich
doch das ganze Schauſpiel durch nicht einen
jungen Schauſpieler auf der einen, und eine
junge Schauſpielerinn auf der andern Seite,
um mit ihnen uͤber die Auffuͤhrung des Stuͤ⸗
ckes meine Beobachtungen zu machen.
„Verlieren Sie, mein junger Freund —
„ haͤtte ich zu dem einen geſprochen — kein
„Wort, keinen Blick von Herrn Aufrins
„ Spiele! Sie koͤnnen ſich in der Kecita⸗
„tion kein vortrefflicheres Muſter waͤhlen:
„ da iſt Größe ohne Pralerey, Natur oh⸗
„ ne Miedrigkeit, Adel ohne Stolz! be
„ wun⸗
323
5 wundern Sie an ihm die Kunſt, die nach⸗
„„ druͤcklicheren Stellen herauszuheben, oh:
„ ne zu dem Geſchrey feine Zuflucht zu neh⸗
„ men! die Kunſt der Uebergaͤnge und Ber:
„ bindungen, die der Aufmerkſamkeit des
„ Zuhoͤrers einen Ruhepunkt anweiſt, ohne
95 fie zu unterbrechen. Bewundern Sie den
„ Eifer, wenn er für feinen Freund, noch
„ mehr, wenn er für fein Vaterland das
„ Wort führer, die gelaſſene Größe mit
5 der er von ſich ſpricht:
Couci ni vertueux ni brave à demi
„ welches in dem Munde eines andern fd
„ leicht eine Rotomondade werden konnte,
5 Und den Nachdruck dieſes Meiſterzugs:
— Voules vous m'ecouter?
„ wodurch er den falſchen Verdacht ſeines
„ Freundes und Prinzen ſchon vorhinein
„ mehr als durch die nachfolgende Erklaͤ⸗
„ tung widerlegt hat — Ich kann Ihnen
2 fein Spiel nicht in die Beſtandtheile feiner
f „ Schoͤn⸗
„„ Schönheit auflöfen : ich kann nur das
„ Beyſpiel jenes athenienſiſchen Malers nach⸗
„ ahmen, der feinen Schüler vor das Ges
„ maͤlde des Parrhaſtus führte und ſprach;
„ ſo mußt du es machen: — ich kann Ihnen
„ H. Aufrin eigen; Sie — muͤſſen fühlen.
Meine junge Schauſpielerinn wuͤrde ohne
Zweifel durch die Wuͤrde, mit welcher Ma⸗
dam Sainvil Adelhaiden vorgeſtellt, geruͤh⸗
ret worden ſeyn: „meine Freundinn! — wuͤr⸗
de ich mich nicht enthalten haben, ihr zuzu⸗
rufen — bemerken Sie es wohl: die ſanfte
„Stimme dieſer angenehmen Schauſpielerinn
„ ſchwaͤcht ihren Ausdruck nicht: dieſe Reden
Je vous plains, vous pardonne, &
Veux vous refpedter,
Je vous ferai rougir de me perſecuter,
Et je Conferverai malgre vötremenace
Une ame fans corroux, ſains craint e, &
fans audace —
Imités fa grande ame, & penfes come
| lu —
Jai reſettè vos voeux, que je n’ai
point braves, R
4. aĩ ·
„
Jai voulu votre Eſtime — & vous me
la deves —
„ diefe Reden find darum nicht minder mit
„ dem eigentlichen, mit dem nachdruͤcklichen
„ Tone der, ihrer Groͤße ſich bewußten Tu⸗
>, gend geſprochen, weil die Stimme der
„ Schauſpielerinn nicht bis zumlleberſchnap⸗
„ pen erhoben war! — Solche Stellen find
„ der Pruͤfſtein von der Einſicht einer Thea⸗
„ ktralperſon — Vor allem aber druͤcken Sie
„ ſich dem Adel ihrer Gebehrde, und jede ih⸗
„ ker reizvollen Zeichnungen ein! es find
„ ſo viele Gemälde nach den ſtrengſten Re⸗
„geln der Kunſt, und des Geſchmacks —
Nicht etwan als ob H. Aufrin und M.
Sainvil allein des Beyfalls der Zuſchauer
würdig gewefen : nicht als ob H. Neufvi!
nicht gleichfalls einen Schauſpieler gezeigt,
als ab er Vendomen nicht mit aller Ein⸗
ſicht geſpielt, nicht alle die Hitze hineinge⸗
legt haͤtte, welche den herrſchenden Ton
ſei⸗
32
—ññ xxx ̃ ̃ ..
feines Charakters ausmachet: aber die her⸗
vorſtehendſten Rollen dieſes Stuͤcks — und
dieß iſt vielleicht abermal ein Fehler, den
man Voltaͤren vorwerfen kann — die beiden
anziehungsvolleſten Rollen ſind Adelhaid
und Couci: dießmal alſo nur von die
ſen! bey Beurtheilung eines Gemaͤldes pflegt
man ſeine Blicke hauptſaͤchlich auf die
Heupeftue zu eg —
E
Siebentes Seück⸗
Drey und zwainzigſtes Schreiben.
Wien den 14. May 1768.
[N In allen menſchlichen Kenntniſſen iſt
5 Lo der Anfang ein Ungefähr, oder
ein Rothumſtand: immer aber
ſehr unbetraͤchtlich. Die Fortſchreitung zur
Vollkommenheit geſchieht, ſchneller oder
langſaͤmer , je nach dem die Umſtaͤnde fie
beguͤnſtigen: doch nie ſprungweiſe, nie fo,
daß bie erſten Verſuche gleich an den Mei⸗
ſterſtuͤcken graͤnzen. Der am erſten vier
Pfaͤle in die Erde trieb, und ſie mit Zwei⸗
gen verflochte, um ſich gegen Hitze und Froſt
zu bewahren, dachte wohl nicht, daß er den
Grund zu einer Kunſt lege, die ein Vatikan
erſchaffen wuͤrde. Als die Schauſpieler ih⸗
re Geſichter noch mit Haͤffen beſudelten,
hatten ſie wohl keine Vermuthung von ei⸗
nem kuͤnftigen ausvater, oder einer Alzire.
N Von
328
Von Theſpis Buͤhne an, die auf einem
Karren von Stadt zu Stadt gegaͤngelt ward,
bis auf den Wettſtreit der tragiſchen Muſe,
an welchem ganz Griechenland Theil nahm,
ſind verſchiedene Stufen. Die Trubadors,
und die Ohneſorge * welche die Geheim⸗
niſſe und Frazen zugleich auf einer geiſtli⸗
chen Schaubuͤhne auffuͤhrten, und an ihrer
Spitze von einem ſogenannten Prince des
ſots geleitet waren, ſind der Anfang der
heutigen fo vervollkommten franzöfifchen
Schauspieler: aber bis dahin zu kommen
mußten ſie erſt Turlupins und Jodelets
und andre Masken haben: und von dem
Marrenfeſte an, bis zum gelaͤuterten Schau⸗
ſpiele unſrer Zeiten mußte der Uebergang
durch das Gebiet der Poſſenſpiele geſchehen.
Das Schickſal der deutſchen Buͤhne iſt alſo
dem Schickſale der uͤbrigen Voͤlker gleich:
von
* Enfans fans ſouci nenuten ſich die Schauſpieler /
welche ſich mit den Paſſtionsbrüdern ver⸗
einigten / und his an das 1547: in dem Thea-
tre de la Trinitè ihre Stücke aufführen.
329
von der Frage zu Poſſenſpiele, von Poſſen⸗
ſpielen zu den niedern Romiſchen: von nie
dern Romiſchen — Nicht weiter! zur
Stunde noch halten wir — ich rede von der
hieſigen Buͤhne — wir halten noch erſt bey
dem niedrigen Komiſchen, und vielleicht
werden wir dieſen Standort nicht a
verlafien.
Die franzoͤſiſchen Zuſchauer, a dieſem
Ueberfluſſe von feinen und gefuͤhlvollen Stuͤ⸗
cken, haben gleichwohl nicht ſelten Ruckkaͤlle,
in denen ſie die Poſſenſpiele Regnards
oder eine Schule der Männer und ähnliche
Stuͤcke von Molieren nicht ungerne aufneh⸗
men. Criſpin, dieſer Spaßmacher mit ei⸗
nem handbreiten Degengehenke, und Hans⸗
wurſt mit ſeinem Bruſtlaze ſind Handwerks⸗
genoſſen: ihre Beſtimmung iſt Gelächter zu
erregen: und Kegnard, deſſen Stuͤcke ſich
unter den ſcherzhaften Dichtern der franzoͤſi⸗
ſchen Buͤhne, wegen ihres Salzes, und
| N 2 flie⸗
32323 8
fließenden Verſtfikation am laͤngſten erhal⸗
ten, hatte keinen andern Endzweck.
Sie erwarten es wohl am wenigſten, daß
ich uͤber die Verbeſſerung der Poſſenſpiele
Betrachtungen anſtellen werde? — In der
That ich werde es: man wuͤnſcht freylich
daß ein Kind ſchon ſich vollkommen auf ſei⸗
nen Fuͤſſen halten moͤchte! aber es iſt noch
zu ſchwach: uͤberlaͤßt man es darum feinem
eignen Unvermoͤgen, und verſagt ihm unbarm⸗
herzig eine leitende Hand? da der Geſchmack
an dem Laͤcherlichen noch ſo viele Anhaͤnger
hat, laſſen Sie mich verſuchen, wie die
Poſſe zum Scherze erhoben werden koͤnnte?
Horaz ſelbſt hielt es nicht unter ſeiner Wuͤr⸗
de, den Dichtern daruͤber ſeine Vorſchrift
zu hinterlaſſen. Die Faunen — ſpricht er,
die nun eben aus den Waͤldern kommen,
ſollen zwar nicht ſo ſprechen, als ob fie
in der Stadt gebohren waͤren; nicht wie
Redner, oder zarte Herrchen! aber fie
| ſol⸗
331
follen ſich eben ſowohl hüten, Unflaͤthe⸗
reyen, oder Grobheiten auszuſtoſſen! denn
der Ritter und Edle, der vermoͤgende
Mann werden dadurch beleidiget, und
nehmen das, was der Pöbel beklatſchet,
der Nuͤſſe und Erbſen kauft, nicht mit
Beyfall auf |
Horaz zeichnet dem Dichter den Mittelweg,
zwiſchen den Fraze und dem feineren Scherze
aus — die Reden] des Faunus, worunter
der Roͤmer die luſtige Perſon ſeiner Zeit
bezeichnet, ſollen eine ihrem Charakter an⸗
gemeſſene Sprache fuͤhren! nicht die Sprache
eines Mannes von Erziehung — aber auch
nicht die Sprache eines Pickel haͤrings, uͤber
den zwar der ungeſittete Haufen laut auf⸗
93 ſchreit,
* Sylvis deducti caveant me judice fauni,
Ne velut innati triviis, ac pene forenſes,
Aut teneris nimium juvenentur verfibus unquam,
Aut immunda crepent ignominiofaque dicta !
Of
332
— . ß —
ſchreit, aber der geſittete Mann die Naſe
ruͤmpft — |
Eine verborgene Erinnerung des roͤmiſchen
Kunſtrichters auch an die Zuſchauer! Ich
thue dabey weiter nichts als ſeine Worte
einander naͤhern: Grobheiten und Unflaͤ⸗
thereyen beklatſcht der Pöbel, der Nuͤſſe
und Erbſen kauft — der Ritter, Edle
und vermoͤgende Mann aber werden da⸗
durch beleidiget. Es wird nach dieſer An⸗
merkung auf jeden ankommen, ſich durch
ſeinen Beyfall oder Abſcheu ſelbſt ſeine
Klaſſe anzuweiſen —
Von den aͤlteſten Poſſenſpielen iſt uns
außer dem Eyflops des Euripides keines
uͤbrig, wo wir die Theorie Horatzens mit
der Ausfuͤhrung zuſammenhalten koͤnnten.
Ariſtophanes hat Stuͤcke, die zu eben der⸗
ſel⸗
Offenduntur enim quibus eſt equus & Pater, & res,
Nec fi quid fricti eiceris probat & nucis emtor,
quis accipiunt animis, donantve corona.
333
felben Gattung gehören : Terenzen wage
ich nicht, mit dem plautus in eine Reihe zu
verſetzen: der erſtere hat uͤ er feine Stuͤcke
eine gewiſſe Farbe des Anſtands gezogen,
welche ihn dem geſitteten neuern Luſtſpiele
nähert: der letztere iſt voll Wortſpiele,
Froſtigkeiten, Schmutz, oft wuͤrdig an der
Spitze der elendeſten Frazenkraͤmer unfter
Zeit zuſtehen, eben ſo thoͤricht als dieſe von
ſeinen Zeitgenoſſen bewundert, die Grobhei⸗
ten von Scherze nicht zu unterſcheiden
wußten
Die Waͤlſchen, welche ſich die deutſchen
Schauſpieler und Poſſenſchreiber ungluͤckli⸗
cher Weiſe zum Muſter gewaͤhlet, ſuchen
das Saltz ihrer Poſſenſpiele in Zweydeutig⸗
. 9 A kei⸗ |
= u os 2
At noſtri Proavi Plautinos & numeros &
Laudavere ſales, nimium patienter utrumque
Ne dicam ſtulte mirati, fi modo ego & tu
Seimus inurbanum lepido ſeponere dicto —
334
keiten und Wortſpielen: jeder Narr ( fast
Corenzo bey Shakeſpearn zu einem ſolchen
Witz ſchnapper) jeder Narr kann mit einem
Worte ſpielen: Zünftig denke ich, wird
die beſte Art des Witzes darinn beſtehen,
daß man ſchweigt: und das Reden wird
nur an Papagayen geſchaͤtzt werden —
Gleichwohl laͤuft vielleicht niemand fo ſeht
nach dieſer unſchicklichen Art des Witzes,
als eben Shakeſpear, dieſes abentheuerliche
Genie, welches ſehr oft in einem und dem⸗
ſelben Stuͤcke die zween aͤußerſten Ende der
Empfindungen ohne Mittelband vereiniget,
und den Leſer mit Thraͤnen in den Augen
zum lauten Gelaͤchter noͤthiget. Shakeſpear
in allen ſeinen Schauſpielen ſcheint ſich die
alte Komoͤdie der Griechen hauptſaͤchlich zum
Muſter hingeſtellt zu haben: er füchte die
Empfindung des Trauerſpiels mit dem
Belächter zu vereinbaren * Helden und
Nar-
& 4 . u = 2.
TD incolumi gravitate jocum tentavit,
335
Narren treten auf: feine luſtige Perſonen
find Spoͤtter, riſores, und beißend dica-
ces, ſie koͤnnten es nicht mehr ſeyn: ſeine
Helden ſind oft Luſtigmacher: der Narr,
im Leben und Tode des Königs Lear *
ſagt ſeinem Koͤnige in dem beißendſten Tone
ſehr bittre Wahrheiten — und Koͤnig Lear
macht Spaſſe — Seine Stuͤcke find alſo
immer Ungeheuer, wo der Held, der nur
itzt in Gold und purpur erſchien, mit
pöbelhaften Reden der Schenke zuwan⸗
dert, worinnen wieder Wahrſcheinlichkeit,
Sitten und Anſtand verſtoſſen wird; und
die bey allen den Flammen des tragiſchen
Genies mehr bewundert, als nachgeahmt
zu werden verdienen.
Ich komme alſo wieder auf das franzoͤſt⸗
ſche Bas - comique zuruͤcke, welches, in
ſoferne man idieſe Straſſe nicht umgehen
kann, wenn man in das Gebiet der feineren
Y 5 Scher⸗
II, Auftr. I. Aufl,
336
Scherze einmal gelangen will, ich unferen
ſcherzhaften Schauſpieldichtern zum Vorbil⸗
de aufſtellen moͤchte. Der Liebhaber des
Lachens findet dabey ſeine Rechnung, und
der Geiſt iſt nicht ganz unbeſchaͤfftigt: die
Thorheit aus Liebe, welche auf der fran⸗
zoͤſiſchen Buͤhne gegeben worden, ſoll mir
die kurzen Anmerkungen an die Hand geben,
welche ich uͤber dieſen Gegenſtand zu machen
Willens war.
Albert ein haſtiger Alter, hat ſich uͤber
Agathen, eine junge Perſon, ich weis nicht
durch welche Wege, ein Recht erworben,
deſſen er ſich bedienet, ſie zu einer Ehe zu
zwingen. Er geht, um ſich ihres Herzens
zu verſichern, die große Straſſe der Alten,
welche aus innerm Gefuͤhle des eignen Un⸗
werths junge Maͤdchen unter genauer Auf⸗
ſicht halten. Agathe wird dadurch einem
alten ekeln Manne nur noch graͤmer. Eraſt,
der ſie ehe gekannt und geliebt hatte, koͤmmt
mit
337
mit feinem Bedienten, dem Criſpin an, findet
Mittel ſeine Geliebte zu ſehen — Das Maͤd⸗
chen, das die Liebe verſchlagen macht, ſtellet
ſich naͤrriſch an, und bringt in der verſtell⸗
ten Thorheit ihrem Liebhaber unter dem
Scheine eines muſikaliſchen Parts einen
Brief bey, worinnen ſie mit ihm die Abrede
zu ihrer Entfuͤhrung nimmt. Eraſt iſt ohne
Geld: eine zweyte Anwandlung von Thor⸗
heit verſchafft ihr auch dieſes: endlich wird
Criſpin fuͤr einen Arzten ausgegeben, der
ihre Heilung durch Verbannung der Narr⸗
heit in einem andern Körper zu bewerkſtelli⸗
gen verheißt. Erſt thut er Alberten den
Antrag, die Narrheit ſeiner Geliebten auf
ſich zu nehmen: und auf feine wohlvorher⸗
geſehene Weigerung iſt Eraſt, der an Cri⸗
ſpinens Vorgeben zu zweifeln ſcheint, er⸗
bietig, an ſich den Verſuch machen zu laſ⸗
fen, Die Zauberworte werden ausgeſpro⸗
chen; ſogleich erfolgt ihre Wirkung: Eraſt
raſt,
338
—
raſt: und in dem Anfalle der Raſerey geht
er auf Alberten los, der die Flucht ergreift,
dadurch aber Agathen und Eraſten ihre
Entkommung erleichtert. Da Albert wie⸗
der koͤmmt, ſieht er, daß er der Hinterfuͤhr⸗
te iſt.
Die Moral dieſer Stuͤcke iſt nicht gerade
ihr erbaulichſter Theil, iſt eben nicht das je⸗
nige, wodurch ſie ſich hauptſaͤchlich empfeh⸗
len: geſchraubte Vaͤter, Männer, verjährte
eiferſuͤchtige Liebhaber, denen das Haͤlmchen
durch den Mund gezogen wird, das ſind ſo
immer die gewoͤhnlichen Innhalte dieſer
Stuͤcke: allein, was fo gewoͤhnlich iſt, if
nicht gerade auch nothwendig. Wenn die
Griffe, durch welche hier der Betrug, oft
das Laſter ſiegt, wider das letztere ange⸗
wendet werden — wenn der Dichter die ver⸗
wegen ſcheinenden Schritte eines Maͤdchens
wenigſtens zu rechtfertigen und ihnen eine
un⸗
339
unfchnldige Abſicht zu geben weis — wenn
eine laͤcherliche Seite der Gegenſtand der
Anfaͤlle eines Bedienten, eines Liebhabers
wird — wenn wenigſtens die Wendung ſo ge⸗
nommen wird, daß keine unmoraliſche Folge
daraus abgeleitet werden kann; ſo darf man
ſich von dieſer Seite beruhigen, da’ die Ber;
beſſerung der Sitten fuͤr itzt nicht als eine
Hauptabſicht der Schaubuͤhne betrachtet wird.
Das Scherzhafte des Niedernkomiſchen
liegt nun nicht eben in dem Charaktere des
Betrogenen: fo ein Gegenſtand ſollte bey⸗
nahe Mitleid eher, als Gelaͤchter erwecken:
es liegt in der Art, wie der Betrug ge
ſchieht. Die Verwickelung eines niedrig
komiſchen Stuͤckes muß alſo auf eine fuͤhl⸗
bare, plumpe Art geſchehen: die Einfalt des
Geſchraubten, der bey hellem Mittage nicht
ſieht, ſich die albernſten Dinge anſchwaͤrzen
laͤßt, und immer das Spiel feiner eigenen
Vor⸗
4
340
Vorkehrungen wird, dieſe macht mich laͤ⸗
cheln — daß Albert einem Bedienten auf ſein
Wort zutraut, er koͤnne die Narrheit aus
einem Koͤrper in den andern zaubern — daß
er mit offenen Augen nicht ſieht, wie Aga⸗
the Eraſten ein Briefchen zuſchiebt — daß
er ſich ſo gutwillig um einen Beutel Gelds
ſchrauben laͤßt — eine ſo unglaubliche
Dummheit unterhaͤlt uns; aber man wuͤrde
ihrer bald ſatt werden, wenn ſie nicht durch
witzige und paſſende Schlagreden, und noch
mehr durch eine Satire, die ſtark und rich⸗
tig iſt, unterſtuͤtzet wuͤrde. Dieſe Satire
iſt dreiſt genug, ſich immer gerade zu an
denjenigen zu wenden, den ſie hauptſaͤchlich
bezeichnet, und der es am wenigſten zu fuͤh⸗
len ſcheint, daß fie ihn bezeichnet; oder den
der Dichter in eine ſolche Situation verſe⸗
tzet, daß er ſichs gefallen laſſen muß, feinen
Rucken zu den Streichen geduldig herzulei⸗
| hen —
341
hen — Hier aus erſpringt das Laͤtheln, deſſen
ſich auch der Weiſe nicht ſchaͤmet, und das
bey einem Originale unter den Zuſchauern,
manchmal eine Tiefe in ſich ſelbſt Hinabſtei⸗
gung veranlaſſet „ wo man, wie Strabon
dem Demokrit, vergebens rufen möchte:
Eh lachen Sie doch mein Herr! lachen
Sie! ihm, um den herum alles ſich er⸗
ſchuͤttert, iſt gar nicht a „den er
fuͤhlet fih —
Hat der deutſche Zuſchauer jemals Hoffnung
bey denen Schauſpielen, wozu nichts weiter,
als das hagere Geripp der Auftritte an die
Schiebewand aufgehangen wird uͤber den
plumpen Gang des Stuͤckes durch dasjenige
entſchaͤdigt zu werden, was der Schauſpie⸗
ler aus dem Stegreife herzuſagen fähig iſt?
ſetzen Sie ſich an die Stelle dieſer Beute! was
koͤnnen fie fo auf dem Stegreife aufbringen?
wenn es hoch koͤmmt ein, oder ein Paar
Ein⸗
| 342
en v8
Einfaͤlle: und follen dieſe genug ſeyn, uns
trockne Geſpraͤche von dreyen Stunden er⸗
traͤglich zu machen, da wir uns bey einem
regnardiſchen Poſſenſpiele am Ende nicht
allemal des Gaͤhnens erwehren wuͤrden,
wenn nicht die Schauſpieler durch die An⸗
ziehung ihres Spiels der Anziehung des
Innhalts zu erſetzen wuͤßten —
Achtes Stßck.
Vier und zwainzigſtes Schreiben.
Wien den 20. May 176 8.
ER
5 Wenn man ein haͤßliches Geſicht ficht,
of ſo ſagt man: das iſt ein haͤß⸗
liches Geſicht, und wendet die
Augen ab: es iſt eben kein beſonderes Vergnuͤ⸗
gen, zu unter ſuchen, wodurch es ſo haͤßlich ger
worden iſt: verſteht ſich, wenn dieſes haͤß⸗
liche Geſicht ohne Foderung iſt, und ſich
nicht etwan fuͤr wohlgebildet aufdringen
will: denn eine ſolche Blindheit empoͤret
uns, und wir finden, indem wir unſern
Geſchmack rechtfertigen, ein Vergnuͤgen,
den ſich verkennenden Stolz ein wenig zu
rechte zu weiſen — |
Hingegen ſteht unſre Aufmerkſamkeit bey
den anziehenden Reizen einer Geſtalt lange
ſtille: wir laſſen uns nicht genuͤgen, die
3 Schoͤn⸗
Schönheit des Ganzen zu bewundern; wir
ſuchen die Urſachen unſers Vergnuͤgens ſtuͤck⸗
weiſe auf, wir zerlegen die Schoͤnheit in ihre
Beſtandtheile — welche Augen! welcher
Mund! — die Uebereinſtimmung der Theile
zu dem bezaubernden Ganzen legt unſter Be⸗
wunderung zu: wir fodern den Pinſel auf,
ſie nachzuſchildern, den Meißel, ſie nachzu⸗
bilden — |
So ungefähr würde ein Kunſtrichter zu
Werke gehen, der nicht etwan nur des haͤ⸗
miſche Vergnuͤgen des Tadels kennte — er
wuͤrde ſagen: das iſt ungeſtaltet! und uͤber⸗
lieſſe den Beweis dem Auge und Ge⸗
ſchmacke derjenigen, zu denen er ſpraͤche.
Saͤhe er aber, daß man ungeſtaltete Din⸗
gerchen zu Modelen in der Kunſt erheben
wollte: dann muͤßte er freylich hingehen,
und ſie als eine Scheuſaͤule an die Straſſe
ſtellen, dem voruͤbergehenden Kuͤnſtler und
Beurtheiler zum Beyſpiele und Warnung⸗
An⸗
8.
Anſtatt nun dem Manne, der ſo etwas vor
hat, gram zu werden, fol man ihn bedau⸗
ren, daß er zu einer ſolchen undankbaren
Arbeit verurtheilet iſt; ſoll man ihm Dank
wiſſen, daß er ſeine Augen waget, um dem
unſeren den Anblick eines misfaͤlligen Ge⸗
genſtandes zu erſparen —
Dieſer Eingang macht Sie fuͤr irgend
einen verungluͤckten Autor fuͤrchten! nicht
wahr? — beruhigen Sie fi! für dießmal
nicht! es iſt nur eine nothwendige Vorſich⸗
tigkeit, wenn ich einſt zu einer ſolchen Stren⸗
ge gezwungen wuͤrde: es iſt ein Hollah!
an die Schrifftſteller, damit fie nicht etwan
auf guten Glauben meiner Gelindigkeit ſich
Foderungen erlauben, die man ihnen nicht
vergeben koͤnnte — Ich habe fie ſonſt von
einem Stuͤcke zu unterhalten, toben ich
mich dem Vergnuͤgen zu loben, freudig uͤber⸗
laſſen kaun — Aber freylich gehoͤrt von demi
Lobe, unſrer Nation weiter nichts, als
33 .
346
der kleine Antheil des Ueberſetzers, nnd ab
lenfalls desjenigen, der es zur 8
gewaͤhlet hat —
Ueberſetzer — wann werden einmal die
Deutſchen, auf fremden Ruhm eiferſuͤchtig,
mit feineren Stuͤcken von ihrem eigenen
Gemache die Nationalbuͤhne bereichern 2
wann ? — der Zeitpunckt iſt vielleicht nicht
eben zu beſtimmen: aber die Frage laͤßt ſich
doch beantworten — dann, moͤchte ich ſagen —
wann der deutſche Schau ſpield ichter hof⸗
fen darf, daß er für diejenigen ſchreibt:
quibus placuiſſe, maxima laus eſt: dann,
wann man nicht mit dem Vorurtheile,
feine Bemühungen zu verwerfen, ſondern
zu prüfen, zu übertragen, wo er Anlage
verraͤth, ihn zu ermuntern, vor die Schau⸗
bühne treten wird; wann das Schau⸗
0 ſpiel⸗
Principibus placuiſſe viris—
we zu gefallen / der ſchmeichelhafteſte Ruhm
347 |
ſpielſchrelben nicht ein Gewerb, ſondern
Beruf ſeyn; wann der artige Wann,
der Mann von der Welt vielleicht ſelbſt
die Feder ergreifen, oder wenigſtens dem
Dichter ſeine Einſicht, ſeine Beurtheilung
leihen; wann die Geſchicklichkeit nicht das
Zeichen der Verwerfung ſeyn, wann man
die Vollkommenheit einer fremden Bühne
dem Nationalſchauſpieler zur Nacheiferung,
nicht sur Verzweiflung erheben wird —
Bis dahin wollen wir immer mit wohlge⸗
rathenen Ueberſetzungen vorliebnehmen, wie
dieſe iſt, welche uns eine geſchickte Feder
von Sedains Philoſophe ſans ſavoir ge⸗
liefert hat — Es ſoll von eben dem Stuͤcke
noch ſonſt eine Ueberſetzung vorhanden feyn:
welche die hamburger Bühne auffuͤhrt: aber
ſie iſt mir nicht zu Geſichte gekommen. Der
Ueberſetzer, den ich vor mir habe, hat den
Namen des Stuͤckes, der woͤrtlich lauten
ſollte: der Weiſe, ohne es zu wiſſen: durch
| 3 3 der
348
der Weiſe in der That gegeben. Er mag
vielleicht Marmontels Erzählung der Ken
ner, vor Augen gehabt haben, worinnen
Fintak beſtaͤndig Philoſophie ſpricht, und
immer ſehr unphiloſophiſch handelt; da hin⸗
gegen Vanderk, ohne ſich mit ſeiner weiſen
Gleichmuth zu zieren, in den doͤrnichtſten
Auftritten ſeines Lebens alſo handelt, wie
der Kenner hätte handeln ſollen.
Das Stuͤck iſt in jedermanns Händen?
es iſt von der ruͤhrenden Gattung, welche
nun auf der Schaubuͤhne zu herrſchen ſcheint.
Vergebens hat man dem ruͤhrenden Aufts
ſpiele das Vermögen, den Zuſchauer zu uns
terhalten, ſtreitig gemacht: vergebens, wo
die Gruͤnde zu ſchwach ſchienen, die Spoͤt⸗
terey zu Huͤlfe gerufen: vergebens iſt ſelbſt
Yoltäre auf die Seite eines Desfontaines
getreten, um ſich gegen das Weinerliche
a Luſt⸗
349
Cuſtſpiel zu erklaͤren * er, der ſich, was er
immer dagegen ſagen mag, durch ſeine Nanine
und Schottlaͤnderinn am erſten widerlegt: die
Rechtfertigung dieſer Gattung von Schau⸗
ſpielen muß man nicht in der Poetik des
Ariſtoteles, man muß ſie in un ſerm Herzen
finden. Wie ? weil ein Grieche keine Ab⸗
theilung für das ruͤhrende Luſtſpiel ger
macht; ſo iſt es in ein paar tauſend Jahren
darauf, dem Franzoſen oder Deutſchen
nicht erlaubt, bey dem Ungluͤcke ſeines Ne⸗
benbuͤrgers zu empfinden? — Ohne Zwei⸗
fel iſt der Antheil an dem Ungluͤcke eines
Vaters, einer Mutter aus meiner Klaſſe,
3 4 uns
* Tous les deux, nous fimes par moitiè
Un dramme court & non verfifit
Dansle grand Goüt du Iarmoyant comique
Roman moral, Roman metaphifique
Il eft bien Vrai, que je fais peu de cas
De ce faux genre, & j’aime afles qu on rie,
Souvent je baille au tragique bourgeois,
Au vains efforts d'un auteur amphibie ,
Qui defigure, & qui braveä la fois,
Dans fon jargon Melpomene & Thalie.
Le pauvre Diable
unendlich ſtaͤrker, als der Antheil, den ich
an den Begebenheiten eines Helden, einer
Aöniginn nehme. Wenn die Regierungs⸗
ſucht ſich durch Bruͤdermord, durch Gift
den Weg zum Throne ebnet; wenn eine ver⸗
liebte Prinzeſſinn gegen die Straͤubung ihres
Herzens, das Schlachtopfer der Staats⸗
ſucht wird; ſo ſehe ich das, wie einen Sturm
am Geſtade, hoͤchſtens mit Mitleid an, und
Schrecken? nein! mit Schrecken gewiß nicht,
weil dieſe Empfindung nur da ſtatt findet,
wo meine Stellung mich aͤhnliche Ungluͤcks⸗
fälle beſorgen laßt. Vielleicht danke ich in
dieſem Augenblicke der Vorſicht, die mich
durch die Niedrigkeit meines Standes vor
ſolchen graͤulichen Leidenſchaften, wie den
Schilf durch ſeine Beugſamkeit vor dem Wuͤ⸗
ten der Stürme, geborget hat. Mithridat,
Werope, Gedip, Phedra haben auf der
Buͤhne nicht mehr Wirkung, als in einem
Gemälde; ich bin mehr mit der Kunſt des
Pin⸗
351
. ͤ — . —
Pinſels, als mit der Wirklichkeit des Gegen⸗
ſtandes beſchaͤfftiget. Aber, wenn ich einen
Sohn die Nachſicht ſeiner Mutter hinterge⸗
hen ſehe; wenn ich einen zaͤrtlichen Vater
bemuͤht ſehe, ſeine Kinder mit Sanftmuth
von ihren Verwirrungen abzuziehen: wenn
ich einen weiſen Mann das Opfer eines
Vorurtheils werden ſehe; wenn die Unſchuld
der Raub der Verfuͤhrung wird, welche mit
der Tugend Mummerey fpielt: wenn ich
ſolche Begebenheiten erblicke: dann kehre ich
mein Aug von der Buͤhne auf mich: ich
habe einen Sohn, eine Tochter: ſie ſind
eben dieſen Faͤllen ausgeſetzt — Hier, wo
ich nicht ſelten eine Aehnlichkeit der Hand⸗
lung finde, wo mir die Folgen meiner Nach⸗
ſicht vor Augen ſtehen, hier kann Schre,
cken mich befallen, wenn ich mich, wenn ich die
Meinigen dem Sturze ſo nahe erblicke; wenn
ich eben dieſelben Folgen zu befuͤrchten habe;
vielleicht ein heilſames Schrecken, wo es noch
35 Zeit
„35°
Zeit iſt, zuruͤck zu beben. In der hohen
Tragödie liegt — wenn ja ein Antheil darin⸗
nen liegt, der Antheil eines Standes,
der dazu nicht ſehr zahlreich iſt — in dem
buͤrgerlichen Trauerſpiele, wie man es zu
nennen pflegt, liegt der Antheil des ganzen
menſchlichen Geſchlechts.
Dieſe Allgemeinheit hat es zum Lieblings⸗
ſchauſpiele aller Nationen gemacht, und
wahrſcheinlicher Weiſe wird es ſich lange in
der Gunſt behaupten: der Stoff dazu iſt ſo
unerſchoͤpflich, ſo unzaͤhlbar die Verbindun⸗
gen der haͤuslichen Begebenheiten find, de⸗
ren jede unter der Hand eines geſchickten
Mannes ein anziehungs volles Gemälde wer⸗
den kann. Der Weiſe in der That verbin⸗
det mehr denn einerley Abſicht: er ſcheint be⸗
ſtimmt zu ſeyn, den Vorzug des Sandel⸗
ſtands darzuthun; darzuthun: daß er auch
erlauchte Ahnen nicht beſchimpfe. Es iſt
eine Schande fuͤr unſre Zeitgenoſſen; ein
Der
8
Beweis wider die fo ſehr geruͤhmte Aufklaͤ⸗
rung unſers Jahrhunderts, wenn man ſo
was noch zu beweiſen hat: man ſollte davon
bereits Bberzeigt ſeyn! — und dennoch ſcheint
es Sedain ſelbſt, nicht recht zu ſeyn, ſo
furchtſam find feine Schritte. Vanderk,
der rechtſchaffene Vanderk, ergreift dieſen
Stand bloß als eine Zuflucht wider die Duͤrf⸗
tigkeit: dieß raͤumt er dem Sohne in der Un⸗
terredung des IV. Auftr. im II. Aufz. ſelbſt
ein; er iſt in einem fremden Lande, er legt
ſich einen fremden Namen bey; heißt das
nicht geſtehen, daß er den Namen Warthelz
durch ſeinen itzigen Stand beſchimpft haͤlt?
Dieſer Mann, über den die Vorurtheile ihre
Gewalt verloren zu haben ſcheinen, ſagt in
eben dieſem Auftritte zu ſeinem Sohne: wenn
du glaubſt, daß ich den Namen unſrer
Vorfahren durch die Handlung entehret
habe, ſo iſt es deine Sache, dieſe Scharte
guszuwetzen — warum bedingnißweiſe?
wenn
354
wenn es der junge Menſch glaubt, wie es noch
ſehr das Anſehen hat; ſo ſollte ihn der kluͤgere
Vater zu rechte weiſen. Ich ſehe wohl, wo
der Verfaſſer hinausgewollt: es ſollte dem
Sohne ein Sporn mehr ſeyn, rechtſchaffen
zu handeln — Eh! ſoll man guten Hand⸗
lungen jemals uͤble Gruͤnde unterlegen? wenn
es allenfalls bey einer einzigen That, allen⸗
falls zu Beſchleunigung eines ſchnellen Ent⸗
ſchluſſes hingehen koͤnnte; ſoll man auch ein
ganzes Gebaͤude der Tugenden auf Sand auf⸗
fuͤhren? und iſt es nicht ſelbſt wider Van⸗
derks des Vaters, eigne Grundſatze: wel⸗
cher wollte, daß die Tugenden des Soh⸗
nes mehr aus ihm ſelbſt, als aus
dem Stolze auf einen großen Namen
entſpringen ſollten? An ſeiner Stelle
wuͤrde ein Mann, der von dem Vorzuge des
Handelſtandes wahrhaft uͤberzeugt geweſen,
geſprochen haben: wenn die Welt glaubt,
daß ich den Namen unſrer Vorfahren durch
die
u. Au fz. IV. Aufttr. am Ende.
355
die Handlung entehret; fo iſt es deine Sa⸗
che zu zeigen, daß dieſes dem Staate ſo vor⸗
theilhafte Geſchaͤfft die Geſinnungen nicht
entadelt: daß Vanderks Sohn die Ehre
der Wa tholze vermehret —
Widerlegungen, wo die Vertheidiger ge⸗
gen das Vorurtheil ſich ſo gefaͤllig erweiſen,
beſtaͤttigen es vielmehr, als daß ſie es aus⸗
rotten ſollten: man hält dafuͤr, die Sache
konne nicht beſſer vertreten werden, weil fie
nicht beſſer vertreten wird. Goldoni in ſei⸗
ner pamela Fanciula verfällt in eben den
Fehler. Richardſon laͤßt das tugendhafte
Maͤdchen durch ihre Tugend allein, zur Ehre
einer Myladi gelangen: Goldoni legt feinen
Roman zum Grunde: aber der gute Andrews,
den der Englaͤnder durch ſeine einfaͤltige
Tugend, und die Verachtung aller Vorthei⸗
le, welche der Kaufſchilling der Schande
ſeyn ſollten, ſo wichtig zu machen wußte,
der gute Alte bekoͤmmt von dem Wälfchen
einen Adelsbrief: er muß Graf Auſping
mer;
256
werden und der Schmeichler laͤßt Bonfiln
nach dieſer Entdeckung ausrufen: ach! Pa⸗
melens Tugend ſollte mir zu erkennen ge⸗
geben haben, daß ihr Serkommen nicht
niedrig ift ! * — Elender! möchte ihm das
beleidigte menſchliche Geſchlecht zurufen: iſt
die Tugend ausfchlüffend ein Erb des
Adels 2 e
Die zweyte Abſicht Sedains war die
Bekaͤmpfung eines Vorurtheils, welches die
Macht der Geſetzte trotzet, und der ſtraffer⸗
tigen Gerechtigkeit zum Hohne, dem Staate
noch immer manchen tapfern Bürger raubet.
Der fünfte und achte Auftritt des dritten
Aufzugs koͤnnen als ein Supplement zu den
Gruͤnden betrachtet werden, welche Rous⸗
ſeau von der Schuͤlerinn demMeiſter predigen
läßt — Grauſamer Misbrauch der Ehre!
du konnteſt nicht anders als bey einer
ſtolzen, eiteln Nation, bey einem Volke
dei⸗
Atto II Scena XI, am Ends
357
deinen Sitz aufſchlagen, von dem jedes
Mitglied feine Perfon für alles, Vaterland
und Familie aber für nichts rechnet —
Und ihr, ihr weiſen Geſetze, was hat eure
Sorgfalt der Ehre Schranken zu ſetzen,
gefruchtet? fie hat das Schaffot in Ans
ſehen gebracht? — eure Strenge hat zu
nichts gedienet, als das Herz des ehrli⸗
chen Mannes zwiſchen der Schande und
der Marter zu foltern —
Wie dieſe wenigen Zeilen, eben ſo fluͤſſend,
eben ſo ungezwungen, ſo nachdruͤcklich iſt
die ganze Ueberſetzung. Die Ehre die ſich
ein faͤhiger Mann durch ſolche Arbeiten er:
wirbt, iſt nicht eben ſehr glänzend: aber er kann
dieſelbe gegen den Nutzen, den er dadurch
ſchafft, aufheben: eine wohlgerathene Ue⸗
berſetzung widerlegt wenigſtens den Vorwurf:
daß die deutſche Sprache der feineren Wen⸗
dungen, der Niedlichkeit, welche der theatral⸗
dialog fodert, nicht faͤhig fey : er wider⸗
N legt
legt ihn darum kraͤftiger, als ſelbſt die beſ⸗
‚feren deutſchen Orginale, weil dem Zweifler
Gelegenheit gegeben wird, zu vergleichen.
uf der Geſchmeidigkeit der Sprache, wol⸗
len wir wenigſtens die Schuld nicht liegen
laſſen, wenn man uns Stuͤcke in dem unedel⸗
‘fein Ausdrucke aufdringen will.
Am Ende des Stuͤckes hat der Ueberſetzer eine
; Meine Abänderung getroffen / fuͤr wel che ich ihm ſehr
(Danck weis. Der Verfaſſer ließ das Schickſaal Jul⸗
chens unentſchieden — Er kanute ohne Zweifel den
. Antheil ſelbſt nicht / welchen der Zuſchauer an dem
Schickſaale dieſes lieben Maͤdchens nehmen wurde
‚er dachte alſo nach der geweinen Regel der Poetik
er habe genug gethan, wenn er das Schickſaal der
Hauptperſonen entſchiede / und Julchen ſchien ihn
nur eine Nebenrolle — eine Nebenrolle da haͤtte er
das Kind nicht fo reizend / nicht fo anziehungsvoll machen
müſſen / wenn fie das hätte ſeyn folfen ! Außer Va n⸗
derken dem Vater und Sohne nehme ich ſonſt
an niemanden einigen Antheil als an ihr / und ihre
liebenswuͤrdige Unruhe verdiente eine Belohnung /
& fo ſehr / als fie mein Herz für fie foderte/ wenn ich
‚ nicht unzufrieden von der Schaubühne weggehen
ſoll. Der Ueberſetzer hat es mit wenigen Worten
gethan: die Freundinn Julchens / und der
: Sohn vereinbaren ihre Wuͤnſche / aber die Gegen⸗
wart einer aufgeblafenen Muhme / erlaubt ihnen mehr
nicht als: liehſter Vater zu ſeuͤtzen — Daß iſt
dem Vater genug: dieſer Seüftzer / ſagt er dem
Sohne / ließ mich in das Inuerſte deines Herzens.
ſehen : ich verſtehe dich — Erwarte alles von mei⸗
ner Liebe — Ich ziehe dieſen niedlichen Schluß
einem Eheverlobniſſe vor / welches gewohnlicher Weiſe
am Ende der Komödien nach christlichen Gebrauche
vor Notarius und Zeugen geſchloſſen wird / und
darüber der aute Van derk mit feiner Schweſter
ſich gewiß erſt hätte zanken muͤſſen.
Neuntes Stück.
Fuͤnf und zwainzigſtes Schreiben.
Wien den 29. May 1768.
PR NS *
\ Manchmal wandelt ihren Freund, in
ot Auſehen der Schaubuͤhne, eine
| ähnliche Grille an, wie fie den
Verfaſſer Utopiens und Oceana in Anſehen
der Staaten angewandelt; da traͤume ich
mir, wie ſie ihren Staat ohne Verwirrung,
ohne veränderliche Geſetze, fo träume ich
mir eine Schaubuͤhne ohne Fehler. Ich
verfolge dieſen Traum oft ſehr weit, und |
verirre mich zuletzt unvermerkt durch meine
Einbildung aus dem Gebiete der bloſſen
MöglichFeit in das Land der Wirklichkeit.
Haben Sie Luft, fo einen Traum anzuhören?
haben Sie Luft? wenigſtens ein Stuͤck dar
von! — 5 |
| Bey meiner Schaubuͤhne, der vollkom⸗
meuſten Schaubuͤhne in der Welt, wo alle
A a Trau⸗
360
Trauerfpiele in ihrer Art wenigſtens Gedi⸗
pe * alle Luſtſpiele Zausvaͤter, wo alle
Schauſpieler Saͤrriks und Claͤrons und
alle Zuſchauer K** ſeyn — denn auf⸗
merkſame, fuͤhlen de und einſichtvolle Zu⸗
ſchauer gehoͤren ganz unentbehrlich mit in
den großen Entwurf meiner unverbeſſerlichen
Schaubuͤhne — hier wird kein Stuͤck auf⸗
gefuͤhret, wovon nicht zuvor wenigſtens ſechs
ganz ordentliche Proben, ſo genaue Proben
gehalten werden, daß ihnen nichts, als die
Zuſchauer abgehen, um wirkliche Vorſtellun⸗
gen zu ſeyn. Dadurch werden den Schauſpie⸗
lern die Auftritte und Abgaͤnge geläufiger :
dadurch werden die Bilder, wo in einem
Stuͤcke dergleichen vorkommen, ungleich
richtiger in Ganzem geordnet, und jeder
Gruppe nach ihrer Wirkung ein Platz ange⸗
wieſen; dadurch werden die ſtummen Spie⸗
le, die fo oft der Schönheit des Stuͤckes
beyſetzen, die Ruͤhrung befoͤrderen, die Feh⸗
| | ler
Der Griechiſche.
361
ler des Dichters, wo er von der Hitze feiner
Einbildung fortgeriſſen, die Vorſtellung aus
den Augen verlor, bemaͤnteln, dieſe werden
anpaſſender, wechſelſeitiger, uͤbereinſtimmen⸗
der. Der junge Schauſpieler, deſſen ſich
ſelbſt uͤberlaſſene Einſicht dieſe Luͤcken aus⸗
zufuͤllen, noch unvermoͤgend iſt, wird durch
den faͤhigeren geleitet — Doch gemach! ehe
ich noch es zur Probe kommen laſſe, habe
ich noch ſo Vieles voranzuſchicken, |
Ich laſſe allen Schauſpielern, nicht ihre
einzelnen Rollen, ſondern immer das ganze
Stuck im Zuſammenhange austheilen.
Dieſer kleine Aufwand iſt unvermeidlich,
wenn der Schauspieler und Schauſpielerinn
ihre Charaktere vollkommen innen haben
ſollen. Die Wahrheit des Spiels, ſein
Angemeſſenes, ſein Wechſel ſind nicht aus
einzelnen, verſtuͤmmelten Reden abzuneh⸗
men; der Zuſammenhang weiſt dazu an:
der Zuſammenhang weiſt, wie, nach des
. 5 Aas Dich⸗
362
Dichters Abſicht, der Zwiſchenredner die
Erinnerung, die Nachricht, den Vorwurf,
die ihm gegeben, gemacht werden, aufzu⸗
nehmen hat; durch welche ſtumme Spiele
er den Zuſammenhang nachhelfen, unterſtuͤ⸗
tzen ſoll. Der Dichter laͤßt hundertmal ei⸗
ne Erzaͤhlung in Mitte unterbrechen, weil
dieſe Erzählung bey demjenigen, an dem |
fie gerichtet iſt, eine Gemuͤthsveraͤnderung
verurſacht, Schrecken, Verwirrung, Zorn,
Traurigkeit erwecket, Thraͤnen entlocket —
Wenn der mitſpielende Schauſpieler von die⸗
ſer langen Rede weiter nichts, als das
Schlagwort innen hat; ſo iſt es moͤglich,
daß die vortrefflichſte Stelle, der ruͤhrendſte
Auftritt, in eine Parodie ausarte. Die
Beyſpiele hiezu kommen zu haͤufig und all⸗
taͤglich vor, als daß ich lange darunter
wählen follte: das naͤchſte, fo mir bey
faͤllt! Olban ſpricht Naninen zu : fe
tzen Sie ſich! ich erweiſe Ihnen, was
ih⸗
363
1 SE m ee m erst ntser rer <armnenmnnn
ihre Reize, ihre Tugend verdienen: iſt
ein Diamant, den man in der wuͤſte
finder, weniger ſchoͤn, weniger koſtbar,
weniger werth? — wie ihre ſchoͤnen Augen
ſind in Thraͤnen? — wenn nun aber die
Schauſpielerinn gerade nicht 1 aus
ſaͤhe? —
Die Einſicht des Schauſpielers kann zwar
einigermaſſen ſolche Unſichicklichkeiten vers
meiden, wenn ſie ihn in die Abſicht des
Dichters, nach dem Zuſammenhange mit
dem was vorgeht, und folget, eindringen,
und aus ſeiner gegenwärtigen Stellung die
ſtumme Gebehrde errathen laßt. Zum min⸗
deſten aber kann er bey der feinſten Einſicht,
der Schauſpieler den Zeitpunkt nicht vor⸗
herſehen, da der Dichter, zum Beyſpiele die
Leidenſchaft ſo ſtark angeſpannt zu ſeyn glau⸗
bet, daß ihre Wirkung ausbricht: ihr beid⸗
ſeitiges Gefuͤhl muͤßte die genaueſte Ueber⸗
einſtimmung haben, damit ſie durch denſel⸗
f Aa; ben
364
ben Trieb auf denſelben Grad erhöht wuͤrde:
und wenn auch eine ſolche ungewoͤhnliche
Harmonie vorau⸗geſetzt werden koͤnnte, wel⸗
che dazu von jedem aeͤußerlichen Umſtande
zerſtoͤhret werden kann; ſo hat der Dichter
gar oft dichteriſche Gruͤnde, welche ihn be⸗
muͤſſigen, die Wirkungen der natuͤrlichen
Empfindung bis auf einen gewiſſen Punkt
zuruͤckzuhalten, oder ſie zu uͤberholen — Die⸗
ſer einzelne Vortheil iſt nicht der einzige,
den meine Schauſpieler aus der Ueberleſung
des ganzen Stuͤckes ziehen ſollen: ich fodre
mehr. a
Jeder Schauſpieler muß aus dem Zu⸗
ſammenhange des Stuͤckes, das er in Haͤn⸗
den hat, den Charakter deſſelben feſt⸗
ſetzen: denn nicht nur jede einzelne Perſon
eines Schauſpieles, ſondern auch jedes
Schauſpiel hat ſeinen eignen Charakter,
durch welchen es ſich von andern unterfcheis
det — Nicht etwan darinnen beſtuͤnde der
| | Cha⸗
365
Charakter des Stückes , daß es von der
| zührenden Gattung, von der ſcherzhaften,
von hohen, von niedrigen Komiſchen iſt:
das ſind Geſchlechter, oder wenn ſie ja
wollen, die Arten: aber, wie der Weiße,
| der Braune, der Neger zwar uͤberhaupt
eigne Arten ausmachen, jedes einzelne Glied
dieſer Arten aber, wenn ich ſo ſagen darf,
ſeine individuelle Bildung hat, wodurch es
ſich von den uͤbrigen auszeichnet; ſo gehoͤret
zwar Melanide, die Mütterſchule, der
Hausvater, Nanine, die Schottlaͤnderinn,
der Weiſe in der That, Eugenie der recht⸗
ſchaffene Wiſſethaͤter, die zärtlichen
Schweftern u. d. g. unter einerley Gattung;
aber jedes derſelben wird durch einen eigenen
Umriß, und nur ihm eigne Charakteriſticke
von dem andern unterſchieden. Wenn Sie
wollen, ſo nehmen Sie das, was ich den
Charakter des Stuͤckes nenne, eine Ver⸗
floͤſſung, wie in den Farben, welche aus dem
Aa⸗ Mehr
366
Mehr oder Weniger der Hauptfarbe, und
aus der Beymiſchung andrer Farben, nach
dem verſchiedenen Verhaͤltniſſe des Zuſatzes
entſpringt: eben auf dieſe Weiſe wird der
höhere oder gemaͤſſigtere Grad der Traurig⸗
keit, nach dem Beyſatze von ſanfteren oder
heftigeren Leidenſchaften, nach der Verſchie⸗
denheit der Perſonen, unter welchen die
Handlung vorgeht, nach dem Vorwurfe der
Handlungen, und ſeiner groͤßeren oder un⸗
betraͤchtlicheren Anziehnng, nach dem Maſſe
der Hitze, mit welcher alles verfolget, und
daraus heftigere Uebergaͤnge der Empfindun⸗
gen, gewaltſamere Preſſungen unſers Her—
zens, oder nur eine angenehme Schwer⸗
muth veranlaſſet werden; nach der Ver ſchie⸗
denheit dieſer unendlich mannigfaltigen
Verlaufungen, wird jedes Stuͤck ſeine
weſentlichen Unter ſcheidungsmerkmale haben:
und eben ſo das Scherzhafte nach ſeinen
Geſchlechtern.
5 Der
367
Der feſtbeſtimmte Charakter des Stuͤckes
beſtimmet, wenn ich mich ſo ausdruͤcken
darf, die Einheit des Tons, der in dem
Ganzen herrſchen muß Ich will eine
kleine Anwendung auf den Weiſen in der
That verſuchen, da dieſes Stuͤck nur erſt
wiederhohlt worden, und noch ganz in ih:
rem Gedaͤchtniſſe ſchwebet. Das ganze
Stuͤck iſt das Gemälde eines rechtſchaffe⸗
nen, edeldenkenden Hauſes: aber der
Stand, den Vanderk ergriffen, giebt ſeinen
Handlungen eine ganz eigne Wendung, die
mitten zwiſchen dem Stolze des Adels, und
dem gemeinen Betragen des buͤrgerlichen
Standes innen ſteht: nur dieſe Linie! dieſſeits
und jenſeits wird es fehlerhaft. Jede Per⸗
ſon dieſes Hauſes muß nach derſelben Rich⸗
tung wandeln: der junge Vanderk, ſo ſehr
er Offizier iſt, muß noch immer die Sitt⸗
ſamkeit ſeines Standes athmen; immer noch
gegen die freyen Offiziere aus den hoͤheren
Aa 8 Haͤu⸗
368
Haͤuſern merklich abſtechen. Der Frau
muß von ihrem Gemahle mit Achtung ohne
Bedienung „von ihren Kindern mit derjeni⸗
gen Ausſchuͤttung des Herzens begegnet
werden, die der füffefte Lohn der muͤtterlichen
Sorgfalt iſt; ein eignes Vorrecht des gluͤck⸗
lichen Mittelſtandes, denen Muͤttern aus
den hoͤheren Klaſſen unbekannt, welche ihre
Kinder von Jugend an in einer großen Ent⸗
fernung halten, und von ihnen vielleicht ge⸗
ehrt, aber ſelten geliebt werden. Das
Hausgeſind wird weder veraͤchtlich angelaſ⸗
fer, noch einer innigen Vertraulichkeit ger
wuͤrdiget: man begegnet ihm als Gliedern
einer Familie, welche die Liebe vereinbaret,
worinnen die Erkenntlichkeit und Pflicht je⸗
dem feine Stufe und Abhängigkeit ans
weiſt — Die zwo Perſonen, welche von
außen herkommen, und in dieſes Familien⸗
ſtuͤck eingeflochten werden, Blankenfeld und
die Haroneſſe von Frontheim machen den
ſitt⸗
369
3
ſittſamen Familienton noch kennbarer. Der
eine begegnet Vanderken mit der uͤberſe⸗
henden Mine, die den eingebildeten Stolz
auch da nicht verläßt, wo er des Beyſtandes
der Niedern noͤthig hat. Blankenfeld giebt
Vanderken eine volle Lage beißender Wahr⸗
heiten, die man einem Manne erſparen
wuͤrde, dem man eine Zuruͤckhaltung ſchul⸗
dig zu ſeyn glaubte. Der gelaffene Handels⸗
mann ſtichelt nicht entgegen: er widerlegt
die Anſpielungen durch Thaten. Die Ba⸗
roneſſe, die doch von ihres Bruders Wohl⸗
thaten lebt, handelt mit einer ſo ſichtbaren
Selbſterhoͤhung, ihr wird mit ſo vieler
Ehrerbietung von jedermann begegnet —
Die Situation des Hauſes iſt alſo aͤußerliche
Ruhe und geheime Gaͤhrung — Was immer
fuͤr Veraͤnderungen darinnen vorfallen mo:
gen, alles muß nach dieſer ſtillen Groͤße
ziehen. Es muß ein Gemaͤlde von einer
Far;
378
Farbe ſeyn; die Erhöhungen und Vertie⸗
fungen find nur Verlaufungen derſelben —
Vergeſſen Sie nicht daß meine Schauſpie⸗
ler Gaͤrriks, meine Schauſpielerinn Claͤ⸗
rons find: ich trage ihnen alſo nicht zu viel
auf, wenn ich verlange, jeder ſoll ſich nun
den beſondern Charakter der Rolle aus⸗
ziehen, die ihm zugetheilt iſt. Sie gehen
daher das ganze Stuͤck abermal durch, um
den Geſtchtspunkt auszufinden, von welchem
der Dichter denſelben gezeigt haben will.
Derjenige, dem die Rolle des alten Van⸗
derks zugefallen, findet: Sedain habe ei⸗
nen Mann von gepruͤfter Rechenſchaft, von
einer Gelaſſenheit, die ſich auf Nachdenken
gruͤndet, ſchildern wollen: er huͤtet ſich,
ihn als einen Unempfindlichen zu zeigen,
uͤber den die Begegnungen des menſchlichen
Lebens nichts vermoͤgen: er iſt ein Menſch:
das Ungluͤck ruͤhret ihn, die Freude iſt ihm
willkommen: aber er laͤßt ſich von dem ei⸗
nen
371
nen nicht zu Boden druͤcken, von der an⸗
dern nicht uͤber die Wolken hinfuͤhren; er
weis, beides zu ertragen: auch die Vorur⸗
theile der Welt verachtet er nicht ganz: er
kennet ſie als ſolche; aber er weis, daß es
nicht immer erlaubt iſt, ſich daruͤber weg⸗
zuſetzen — Nunmehr fragt er: wie wird ein
ſolcher Mann ſich in den Auftritten des Le⸗
bens betragen, in welche ihn der Dichter
ver ſetzt hat? an einem Tage, wo ſeine Toch⸗
ter getraut wird, wo das Gemuͤth eines
Mannes, der in feiner Kinder Gluͤcke das
feine ſuchet, mit Freude uͤberſchuͤttet ſeyn
muß, an einem ſolchem Tage die graͤulichſte
Verwirrung, die Furcht, ſeinen Sohn zu
verlieren, wie wird er dieſe empfinden? wie,
mit einer ſcheinbaren Zufriedenheit ſeine Un⸗
ruhe in ſich verſchluͤſſen, um die Freude der
Feyer nicht zu ſtoͤhren? wie wird er die
Mittel, dem Ungluͤcke vorzubeugen, ver⸗
anſtalten? mit ausbrechender Unruhe? oder
mit
372
mit Gelaſſenheit? Wie die Nachricht aufı
nehmen, daß ſein Sohn wider Gebot ent⸗
kommen? — wie wird er das Geſchwaͤtz ei⸗
ner adelſuͤchtigen Schweſter ablehnen? —
wie wird er ſich in dem Geſpraͤche mit Blan⸗
kenfelden, das ihm nur zu deutlich den
furchtbaren Gegner entdecket, betragen? —
die drey ſchrecklichen Schlaͤge! wird er da⸗
bey ſich von Schmerzen ganz uͤberwaͤltigen
laſſen? und der Uebergang zur Freude, da
er ſeinen Sohn rechtſchaffen und unverletzt
erblickt? Der Dichter legt ihm zwar die
Worte in Mund; aber die Richtigkeit der
Empfindung giebt erſt den vorgeſchriebenen
Worten den zukommenden Ton giebt den Ge⸗
behrden, dem Geſichte, den Stellungen die
Wahrheit —
Der junge Vanderk hat etwas von dem
freyen Aeußerlichen ſeines Standes : er er⸗
innert ſich mit Zwange ſeines geglaubten
Herkommens: aber er trägt auch ſeine Ge⸗
dan⸗
373
danken zu hoch, um Riedrigkeit damit zu
verknuͤpfen. Gegen ſeinen Vater ehrerbie⸗
tig, von dem Vorurtheile einer falſchen Ehre
hingeriſſen, fuͤhlet er es, daß er das Un⸗
glück einer ganzen Familie machen : und⸗
doch will er es machen: für Julchen einge:
nommen, iſt ſeine Familie nicht das einzi⸗
ge Beſorgniß. Ein junger Mann mit dieſer
Gemuͤthsbeſchaffenheit, in dieſem Zuſtande,
wann ihm der Vater ungefaͤhr vom Trauer,
ſpiel aufführen, wann Julchen von verwun⸗
det werden ſpricht, wie wird er ſich befras
gen? wie ? mit welcher Beaͤngſtigung, und
Nachdruck das: Keinem als mir, wiederholen:
dieſes bedeutende Reinem als mir, das er
verſtanden und auch nicht verſtanden haben
wollte? wie wird er die Nachricht
von ſeiner adelichen Herkunft aufnehmen?
wie begierig den Umſtand von ſeines Vaters
Schlaͤgereyen auffangen? wie ſeine Ehrer⸗
bietung gegen die Einrede ſeines Vaters mit
dem
374
dem verkennten Rufe der Ehre vereinigen?
wie die ungeſtuͤmmen Liebkoſungen ſeiner
ſoldatentollen Tante ertragen? —
Julchen, in dem franzoͤſtſchen Viktorine,
wird ſich nicht ſelbſt zu einem Folgemaͤdchen
herabſetzen: ſie wird ſagen: Julchen iſt die
Freundinn, die Geſpielinn der Tochter vom
Hauſe: aber auch die Tochter des Dieners.
Wenn das erſte ihr bey des jungen Van⸗
derks Liebkoſungen Muth macht; ſo thut
das Andenken des letzten ihr Einhalt: und
doch kann ſie dem Ausbruche ihrer Neigung
bey der Gefahr, die ihm droht, bey ſeinem
vermeinten Tode nicht währen: wie hat ſich
ein Maschen in ihre Stellung zu finden,
damit fie nicht für eine Kinerte gehalten
werde? — So find meine Schauſpieler zu.
dieſem Stuͤcke zubereitet — die hieſigen mögen
ſich darnach prüfen — und die Fuſchauer fie
darnach beurtheilen —
EEE Ä
— — — —
u Sehntes Stück.
Sechs und zwainzigſtes Schreibe.
Wien den 2. Junius 17688
eben wir uns heute ein großes
Schauſpiel! ein Schauſpiel,
wie Griechenland oft ſah,
wann es ſaß, und zwiſchen Sophoklen und
Euripiden den Ausſpruch that — Wir
wollen uͤber Nationen urtheilen! unſer Herz
ſoll entſcheiden, wer von beiden, der Fran⸗
zoſe oder Britte den ſicherern Weg zu dem⸗
ſelben zu finden, und es mit Abſcheu gegen
ein verderbliches Laſter zu erfuͤllen wußte
Das war ohne Zweifel die Abſicht Rede
nards, als er ſeinen Spieler arbeitete: Valer
ſollte denjenigen, welche von einer fo tollen
Leidenſchaft hingeriſſen werden, Beyſpiel
und Warnung ſeyn! eben dieſen Eindruck
füollte Beperleys bethraͤntes Schickſal ind
b chen;
= - TS
.
2 *
a N &
Y
1
x
IN
376
chen: es ift ein lehrreiches Vergnügen,
zween Maͤnnern die Kunſt abzuſehen, mit
welcher ſie denſelben Gegenſtand behandeln,
wie fie nach demſelben Zwecke auf verſchie⸗
denen Wegen eilen. |
Kegnards Spieler erſchien gegen das En
de 1696., ward mit großem Beyfalle aufge-
nommen, und erhaͤlt ſich immer noch auf
der Schaubuͤhne, ſelbſt zu einer Zeit, da
man bey Moliers Geizhals ſich der langen
Weile hart erwehret. Dufreny beſchuldigte
Kegnarden: er hätte den Stoff zu dieſem
Luſtſpiele ihm entriſſen : er wollte dieſe
Beſchuldigung durch den Chevalier Joueur
belegen, welchen er folgendes Jahr mit ei⸗
nem Prologue auf die Schaubuͤhne gab —
Das Parterre war ein billiger Richter: es
nahm ein froſtiges Stuͤck mit der Verachtung
auf, die es verdiente: Kegnard ſchob von
ſeiner Seite die Beſchuldigung auf den
̃ Du⸗
377
Dufreny nicht zuruͤcke: er überließ ihm ſei⸗
nen Chevalier ganz und eigen.
Kickoboni der Vater, wagte am Ende
1718. einen neuen Spieler in einem aus
dem Stegreife geſpielten Stuͤcke: „ man iſt
>, der Meynung — ſagt der nouveau mer-
„, eure de france von dieſem Stuͤcke — es
„ fen eine Verwegenheit, einen bereits ber
„ kannten Stoff auf die Schaubuͤhne zu
„bringen; beſonders, wenn er von einem
„ Schriftſteller des erſten Rangs iſt behan⸗
„ delt worden. In der That, es ſey nun,
„ daß man zum Beſten desjenigen einge⸗
„„ nommen iſt, der uns zu erſt das Vergnuͤ⸗
„ gen gab, oder, daß man dafür haͤlt, er
„ könne nicht beffer bearbeitet werden; man
s, muß bekennen, es habe zu unſrer Zeit je⸗
Ben Schriftſteller gereuet, der ſich Ver⸗
5 gleichungen ausgeſetzet. Aber, dieſe
„ Schwierigkeit iſt am leichkeſten in den
55 Karakteren des Geizhalſes, Tartufs, Lüg⸗
Sb: „ners
„ners und andern ähnlichen darzuthun:
„ von dieſen kann man behaupten, daß aus
„ ßer den Zügen, durch welche fie geſchildert
„werden, es vorzuͤglich auf die Wahl der
„Farben ankoͤmmt. Iſt dieſe Wahl ein⸗
55 mal durch einen Mann von Geſchmacke
5 getroffen; fo ſieht man dann die Sache
„ faſt als unmoͤglich an, den naͤmlichen
„ Karakter wiederzuzeichnen, ohne in die
„Nachahmung oder Wiederholung zu
3, verfallen — Der Auszug, der hierauf
von dem Stuͤcke des Xickoboni gegeben
wird, beſtaͤttiget dieſe Betrachtung ſehr,
ungeachtet man dem neuen Spieler die
Gunſt erweiſen wollte, ihn als ein Ausnahme
anzufuͤhren. Der waͤlſche Spieler verliert,
wie der Franzoſe durch ſeine ungemaͤſſigte
Spielſucht ſeine Braut; die Glaͤubiger quaͤ⸗
len ihn eben ſo — wenn er nicht das Portrait
feiner Geliebten an Madame Beſſource ver⸗
pfaͤndet; fo ſpielt er doch ein ſolches Stückchen
mit
379
mit ihrer Uhr: die Karten, welche ihm in
Gegenwart ſeines Maͤdchen zur Taſche her⸗
aus fallen, und wovon er ihr anſchwaͤrzt,
daß die Gelehrten einen eigenen Gebrauch
machen, gelten ungefaͤhr den Seneka bey
Kegnarden. Es ſind nicht die naͤmlichen,
aber es ſind aͤhnliche Zuͤge: ich wuͤßte nicht,
wie Kickoboni genauer den Gang, die
Verwirrung, die Entwickelung ſeines Vor⸗
gaͤngers haͤtte nachahmen koͤnnen, er haͤtte
ihn denn — überſetzt.
Der ungen annte Verfaſſer des engliſchen
Spielers, der im Jahre 1753. in London
die verdiente Aufnahme erhielt, iſt dem
Franzoſen weder auf dem Wege, noch am
Ende begegnet: er hat ſich einen ganz an⸗
dern Sehpunkt auserſehen. Nach der ſeiner
Nation eignen Staͤrke, war es ihm nicht ge⸗
nug, das Herz zu rühren ; er wollte er⸗
ſchuͤttern: er wollte die Spielraſerey nicht
Bb z ver⸗
2 |
veraͤchtlich, er wollte fie furchtbar, er⸗
ſchrecklich machen —
Die epiſodiſchen Auftritte einer laͤcherli⸗
chen, aͤlternden Kokette, und eines War⸗
keſen von gutem Gluͤcke bey Seite geſetzt,
welche die Schriftſteller damaliger Zeiten dem
Geſchmacke des Parterrs, wie die Nord—
ſchiffer die Spieltonnen dem Wallfiſche, zur
Unterhaltung Preisgeben mußten: wodurch
hat Regnard bey feinen Landsleuten Ab⸗
ſcheu vor dem Spiele zu erwecken geſucht?
er laͤßt den jungen Menſchen ſeine Geliebte
vetlieren das iſt freylich ein betraͤchtliches
Ungluͤck, bey einem ſo galanten Volke: aber
dieſe Geliebte ſollte ſeine Frau werden! das
| macht das Unglück wenigſtens ertraͤglicher
bey eben dem Volke, das an die bitter⸗
ſten Sarkasme gegen eine lebenslaͤngliche
Verbindung verwoͤhnt iſt. Er laͤßt ihn
von dem Vater enterben und verfluchen —
das: je te donne ma nialediction, iſt in dem
ö Mun⸗
381
Munde der Staatspächter ſchon zu gemein,
zu abgenuͤtzt, zu entheiligt geworden; es
verurſacht ſelbſt, wann es ein verehrungs⸗
wuͤrdiger d' Orbeſſon ausſpricht, nicht mehr
die Erſchuͤtterung, welche auf ein ſolches
Donnerwort erfolgen ſollte. Aber hier iſt
es ernſtlich gemeynet — gut! iſt es, ſo ernſt⸗
haft es nun gemeint ſey, ein Mittel, den
lockeren, ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Purſchen
zu rechte zu bringen? wird ſichs der Enterb⸗
te eben zum ſonderlichen Ungluͤcke anrech⸗
nen 2 aus der Schlußrede wenigſtens, mit
der er abgeht, zu urtheilen, ſcheint es
nicht — Kein Stachel alſo, der durch eine
ſichere, unwiderſtehliche Gewalt, durch eine
kurze, koͤrnichte Schlußrede, aus der vor;
angeſchickten Begebenheit gezogen, in unſre
Seele gedruckt, von der Buͤhne weggenom⸗
men, und lange noch mit ſich, auch wider
Willen herumgetragen wird:
— — qualis conjecta cerva ſa-
gitta, |
382
Quam procul incautam memora inter
creiia fixit
Paftor agens telis, liquitque volatiæ
| ferrum:
= — illa fuga filvas faltusque pere-
grat
Dictæos, hæret lateri letalis arundo —
Die Schwäche des Eindrucks, der mir
am Ende uͤbrig bleibt, iſt eine natuͤrliche
Folge der wenigen Antheilnehmung, wel⸗
che Kegnard in die Karaktere aller Perſo⸗
nen gelegt: lauter Mitteldinge von Geſchoͤ⸗
pfen, die, weder recht gut ſind, und beys
nahe möchte ich ſagen, weder das Herz ha⸗
ben, recht laſterhaft zu ſeyn — zwar wie
man fie im gemeinen Leben am meiſten fins
det; aber die gemeinſten Karaktere ſind auch
nicht die dichteriſchſten. Durch ſolche
kalte Weſen konnte eben nicht viele Hitze in
die Handlung gebracht werden: keine Abs
ſte⸗
383
ſtechung; keine Wirkung und Gegenwirkungz
keine beſondere Bewegung; keine Situation
wo keine Anhaͤnglichkeit iſt; keine Empfin⸗
dung; keine, auch nicht einmal ſpieleriſche
hervorſtechende Geſinnung! —
Das Maͤdchen iſt ein leichtſinniges Ges
ſchoͤpf, das an einem Menſchen Geſchmack
findet, der ſeine ihr nicht verhoͤlte, tolle
Spielbegierde, durch keine einzige glaͤnzen⸗
de Eigenſchaft erkauft, und ihrem Eigen⸗
ſinne ihn zu lieben, nicht den geringſten Vor⸗
wand leiht. Um ſeinerwillen faͤhrt ſie einem
rechtſchaffenen Manne kaltſinnig mit „der
ihr feine Hand anbiet. Solch einem Maͤd⸗
chen goͤnnte man es gerne, daß ſie fuͤr ih⸗
re Blindheit durch eine Ehe mit Valeren ge⸗
zuͤchtiget wuͤrde: und man ſagt dem braven
Manne, der ihre Hand e } gewiß
nicht das reizendſte Schickſal vor.
Der Vater des Spielers verdient alles,
was ihm wiederfaͤhrt: warum hat er nicht
ö Be bs das
384
das Herz, Vater zu ſeyn: auch felbft feine
Guͤte weis er nicht ins Spiel zu bringen;
nicht ſeine Nachſicht zur Wiederbringung ſei⸗
nes Sohns geltend zu machen: er wird
von Sohne und Bedienten durchgezogen: dem
Schwaͤchling geſchieht nach ſeinem Willen —
Valer — ein Spieler, das iſt alles: er
macht Schulden, verpfaͤndet — die Alle⸗
tagsgeſchichte des Spielergeſchlechts, aus
deren Klaſſe ihn nichts heraushebt — Hektor
iſt beynahe die ſittlichwichtgſte Perſon: aber
auch er hat nicht die Geſchaͤfftigkeit, die den
Bedienten eines riſpiele karakteriſiren
ſollte. —
Alles zuſammgefaßt: Regnards Spieler
warnet hoͤchſtens vor einem Laſter, vor
dem der ſtarke Pinſel des Britten uns zu⸗
ruͤckbeben macht: ſo ſchrecklich find die
Folgen an einander gereihet.
Bey ihm iſt der Mann, welcher von der
Leidenſchaft zum Spiele beherrſchet wird,
die⸗
7
335
dieſen einzigen Fehler ausgenommen, tus
gendhaft, ſchaͤtzbar, ein zaͤrtlicher Gatte,
ein liebreicher Bruder „ein heißer Freund:
durch dieſe Eigenſchaften hat er unſer Herz,
und wir bemitleiden ihn: ſein Beyſpiel
wird warnender, weil der Fall eines Zus
gendhaften das Mistrauen der Schwache⸗
ren ſpannen muß. Jede ſeiner geſchaͤtzten
Eigenſchaften wird eine traurige Quelle des
Ungluͤcks: welche nachdruͤckliche Lehre! ſo ent⸗
zuͤndet ein einziger Tropfe Gift, der in un⸗
ſern Adern wallet, das ganze Gebluͤt, und
verwandelt alle Saͤfte des Lebens durch ſeine
Gaͤhrung in Tod — Er hat eine tugendhaf⸗
te Gattinn — um ſie ungluͤcklich zu machen.
— Ihr Ungluͤck iſt nicht die Armuth allein:
die Armuth ſetzet ſte auch den Angriffen der
Wolluſt aus: ſie, welcher in den beſſeren,
welcher auch in den mittelmaͤſſ geren Um⸗
ſtaͤnden, das Laſter und die Verſuchung na⸗
he zu kommen, ſich nicht erfrechen durfte,
ſie
386 9 9 0
ſie ſieht ſich bis dahin erniedriget, daß ein
Stukely ihr eine Liebeserklaͤrung machen
darf — HE
Ein Stukely! der Abſchaum aller Boͤße⸗
wichte, der ſtch durch das Spiel in die
Freundſchaft Beverleys zu ſchleichen, das
Geheimniß gefunden, und nun das Trieb⸗
werk aller traurigen Begebenheiten iſt, wo⸗
von wir vor der Buͤhne Zeugen werden. Er
hat ſich durch eine der ſchwaͤrzeſten Verſchwoͤ⸗
rungen mit einer Bubenrotte, die ihn als ihr
Haupt erkennet, in dem Vertrauen des recht⸗
ſchaffenen Mannes feſt geſetzt: und er hat
ihn nun unter dem Joche. Beverley war
ein Spieler — Von hier muß man ausge⸗
hen, um den Faden nicht zu verlieren, und
den Englaͤnder gegen die zu verantworten,
welche dem Stuͤcke ſeine Anziehungen zwar
nicht ſtreitig machen, aber dabey einwen⸗
den: die Ungluͤcksfaͤlle des Mannes waͤren
nicht die Folge des Spiels: fie koͤnnten al⸗
| ſo
„
387
fo auch nicht als abſchreckende Beyſpiele ger
gen daſſelbe betrachtet werden.
Nichts anders als Folgen des Spiels ſind
die Armuth der Familie, die Verzweiflung
Beverleys und ſein ungluͤckliches Ende. Er
war ein Spieler: als ein ſolcher nur, konn⸗
te er in die Vertraulichkeit des Buben Stu⸗
Eely gerathen: als ein ſolcher fiel er in feis
ne Schlingen, da er gegen die betruͤgeriſche
Rotte verlor, die auf Rechnung Stu⸗
kelys ſpielte, und es dem Betruͤger leicht
machte, einem redlichen, und unvorſichti⸗
gen Manne Geld zu leihen, und ihn ſo tief
zu verſchulden, daß keine Rettung mehr
übrig war — Nicht leihen, nein! er ſchien
mit ihm gemeinſchaftliches Spiel zu halten,
und ſich, in dem er den Freund zu retten
ſuchte, ſelbſt zu Grund zu richten. Das
heißt, einen rechtſchaffenen Mann unter die
grauſamſte Verbindlichkeit beugen: Stukely
wußte es: was konnte Beverley nun we⸗
niger
388
niger thun, als das Aeußerſte verſuchen,
um einen Freund zu retten, der ſich ihm geo⸗
pfert zu haben ſchien — Die Schlinge iſt
in einer großen Entfernung verborgen; aber
darum nur deſto gewiſſer ihres Fanges. Al⸗
les Nachfolgende hat nun zwar das Anſe⸗
hen, als floͤſſe es felbft aus dem edeln Karak⸗
ter des Beverley: Und darinnen eben liegt
die hohe Lehre daß das Spiel, wenn es
auf einen gewiſſen Punkt koͤmmt, uns die
Leitriemen unſrer Geſchaͤffte fahren zu laſ⸗
ſen, zwingt: man wird von unbaͤndigen
Läufern hee dem Abſturze zuge⸗
riſſen.
| Frau
* Die der Schriftſteller dem LZewſon am Ende in
den Mund gelegt:
» Dem Sturze eines Stroms gleich / reißt uns
5 das Laſter fort / wenn feinen erſten Lauf nichts
„„ Einhalt thut: dann widerſteht nichts feiner
» Gewalt: Verſtand iſt dann zu ſchwach / ums
>. ſonſt Vernunft: Natur, Ehre alles weichet
„„ ſeinem Grimme: Bedaurenswördige Opfer ei⸗
„ ner ungiucklichen Neigung / mir ſtuͤrzen von
„„ Abgrund in Abgrund / bis wir e
e lich verloren ſind —
389
Frau Beverley, Charlotte, alles wird
der Freundſchaft gegen Stukely, der im⸗
mer von ferne gezeigten Hoffnung, ſich und
ihn zu retten, geſchlachtet: alle Bemuͤhun⸗
gen des tugendhaften Lewſons, das ſanft⸗
muͤthige Leiden einer Gattinn, die ihre
Thraͤnen verſchlingt, und den Gatten im⸗
mer mit heitrer Guͤte empfaͤngt; alles iſt
gegen die Griffe Stukelps unkraͤftig. Er
hat ſeine Klauen tief in ſeinen Raub ge⸗
ſchlagen: Beverley iſt dahin gebracht, wo
es Stukely wuͤnſchte. Dieſer wagt nun ſeinen
Anfall auf die Gattinn; aber er wird mit der
Wuͤrde der Tugend abgewieſen — Bever⸗
ley ſoll dafuͤr ſeine Wuth erfahren! ein Ker⸗
ker wird ſein Haus — Hier wachen die
Vorwürfe auf, da die Blendung aufhört.
— Sie gieng ſoweit, dieſe Blendung, daß
es ſelbſt dem Gluͤcke unmöglich gemacht 0
ward, ihn zu retten: ein Onkel, deſſen Erb
er ſeyn ſollte, ſtarb — nicht für ihn: er
| hats
5
hatte auch die Hoffnung dieſer Erbſchaft
verſpielet —
Sie kennen die Kataſtrophe — Sie ha⸗
ben beide auch auf der Bühne gefehen :
laſſen Sie ſich den Vorzug nicht blenden,
mit dem Beverley auf der deutſchen Buͤh⸗
ne vorgeſtellet worden! Beurtheilen Sie
nicht die Schauſpieler, ſondern die Schrift⸗
ſteller! des Britten Gewalt uͤber das Herz,
die anziehenden Situationen, die aus den ſo⸗
wohl angelegten Karakteren natuͤrlich ent⸗
ſpringen, die edeln und unvergeßlichen Ge:
ſinnungen, die unter feinen Kiele flieſſen =
Sie erkennen ihm mit mir den Preis zu?
nicht wahr? =
| Kilftes Stud,
Sieben und spainzigfles&chreib,
Wien den 11. Junius 1768.
.
* 5 Die Franzoſen, die Englaͤnder
g haben ihre Nationalſchaubuͤh⸗
hi; ne== aber wir? — aber was
iſt denn das eine Nationalſchaubůhne? —
Was eine Nationalſchaubuͤhne iſt? — y
zum Senker , werde ich Ihnen denn
nicht einmal ſagen koͤnnen, wie ſchwarz
ausſieht! ich bin doch nun ſo alt auf der
welt geworden, und habe noch nicht ge⸗
lernt, wie ſchwarz ausſieht — Unter hun⸗
derten, von denen dieſer an ſich wahre Vor⸗
wurf nachgebetet wird, werden neun und
neunzigen fo verlegen, wie Rriſpin * ſeyn;
aber nicht ſo offenherzig, ſich mit der Fauſt
ei vor
x Fung, Blinder Ehemann k Aufzus
392
vor die Stirne zu ſchlagen, und aus zurufen:
daß ich doch ſo dumm bin! —
Eine Nationalſchaubuͤhne? — wir wollen
die Theatralkunſtrichter, da ſie gleichwohl
fo häufig find, eine Weile herumrathen laſ⸗
fen — Eine Nationalſchaubuͤhne? wäre fie
es nicht, wenn der Stoff der Stüde aus
den Jahrbüchern der Nation geholet wor⸗
den? Laß ſehen! — Die Griechen haͤtten
nach dieſer Bedeutung ihre Schaubuͤhne: der
Zeitpunkt des zerſtoͤhrten Troja verſah ſie
mit Helden, Verbrechern und Ungluͤcklichen;
drey Gegenſtaͤnden, an denen die tragiſche
Kunſt ſich hervorthun konnte: ihre Goͤtter—
lehre, welche die Bewohner des Olympus
menſchlichen Schwachheiten unterwarf,
Goͤtter verbuhlt, Goͤttinnen eiferſuͤchtig und
rachgierig machte, vermehrte dieſen Reich⸗
thum: Eſchil, Euripides, Sophokles
hatten dieſen ganzen Schatz vor ſich. Selbſt
die komiſchen Dichter hielten ſich an die
Sr.
1 5 393
Geſchichte der Nation: die Kitter des Aris
ſtophanes ſind das Gemaͤlde der Großen
ſeiner Zeit: die Acharnenſer haben eine Be⸗
ziehung auf ein geheimes Liebes vverſtaͤndniß
des Pericles und der Aſpaſie: der Friede —
kurz alle Stuͤcke der griechiſchen Buͤhne
find national — Nach dieſer Bedeutung häts
ten auch die Engländer ihre Bühne : Sha⸗
keſpear hat die Geſchichte ganzer Regierun⸗
gen auf die Scene gebracht: viele ſeiner
Stuͤcke, find wahre Broniken — Aber nach
eben dieſer Bedeutung waͤren die Haͤlfte ſei⸗
ner Stuͤcke, Othello, der Raufmann von
Venedig, die zween Edelleute von Vero⸗
na, ſein Coriolan, ſein Julius Caͤſar, ſein
Antonius und Kleopatra, ſein Romeo und
Juliet und mehrere noch, auf der engliſchen
Buͤhne nur Fremdlinge: Thomſon gehoͤrte
ihr durchaus nicht an — Ich zweifle,
daß die brittiſchen Kunſtrichter mit dieſer
Bedeutung zufrieden ſeyn werden, die von
Ce 2 ih⸗
394
ihren Davenant, Dryden, Johnfehn, Beau⸗
mont, Fletſcher, Otway, Rowe, Noung und
andern Dichtern mehr, ihnen nur die Namen
eigenthumlich uͤberlaſſen wuͤrde.
Und weniger noch als die Englaͤnder, wer⸗
den die Franzoſen ſich zu einer Bedeutung
verſtehen, die Ihnen die tragiſchen Genien
Corneille, Racine, Crebillon, und Vol⸗
taͤre entreißt, und fie bis auf den ſehr bes
klatſchten, aber nicht ſehr bewunderten Ver⸗
faſſer der Belagerung von Calais, und die
Helden des Waͤdchen von Orleans herab⸗
ſetzet — Welcher Abfall! geſetzt, daß auch
noch einige wenige Stuͤcke aus der Natio⸗
nalgeſchichte uͤbrig ſind; gerade ſolche Stuͤ⸗
cke von denen die galliſche Thalie vielleicht
gerne wuͤnſchte, daß fie nicht übrig wären —
Ueberhaupt zwingt dieſe Begraͤnzung
die Dichter aller Nationen zu ſehr in die
Enge: der Stoff zu Trauerſpielen iſt ſehr
arm
Bis auf den Duc de Foix —
395
arm in den eignen Jahrbuͤchern mancher
Nation: die Begebenheiten, die gerade am
ſchicklichſten waͤren, tragiſch behandelt zu
werden, ſind es wegen hundert nothwendi—
ger Beziehungen ganz und gar nicht: und
die Quelle der merkwuͤrdigen Begebenheiten,
das Alterthum, die griechiſche und roͤmiſche
Geſchichte, waͤre dadurch auf ewig verſchuͤt⸗
tet — |
Vielleicht wäre es uns Deutſchen am vor⸗
theilhafteſten, in dieſe Erklaͤrung der Natio—
nalſchaubuͤhne zu verwilligen: wir haͤtten
dann eben fo gut als die Franzoſen unfre
Buͤhne: wir haͤtten einen Hermann von
Schlegeln — einen andern von Airenho⸗
fern — und ſaͤhen dem dritten von Klop⸗
ſtocken mit Ungeduld entgegen. Aber —
Sie ſollen weiter rathen! -
Wäre eine Nationalſchaubuͤhne nicht efe
wan diejenige, welche ſich nach den Sitten
der Denkungsart, den Temperamente der
ö Ce3 Na⸗
396
Nation modelt? — das heißt; welche den
Ajax und Achill zu einen galanten Oberſten
machet — den Coriolan ſich kaltbluͤtig eine
Kugel durch dem Kopf jagen, oder in die
Themſe ſpringen — den Nato, wie einen
deutſchen Profeſſor uͤber die Unſterblichkeit
der Seele ein Kollegium halten läßt — In
der Tragoͤdie — wird man dieſer Erklaͤrung
das Korrektif nachtragen — in der Tra⸗
goͤdie nicht: das iſt eben der Vorwurf, den
man den franzoͤſiſchen Dichtern ſo gerne
machet, weil fie ihn nicht von ſich weiſen
koͤnnen; daß fie überhaupt mit ihren Helden,
wie Kegnard mit feinem Demokrit umge⸗
hen, und aus Griechen oder Roͤmern, arti⸗
ge heutige Pariſer machen —
Alſo nicht in der Tragödie? wohl denn
aber im Luſtſpiele? — Woliere, Regnard,
Destouches, La Chauſee, Grafigny, Sagen,
Boyſſy, und andre haben ſaͤmmtlich aus
der Quelle des Nationallaͤcherlichen geſchoͤp⸗
fet? =
397
fet? — der Geiſt der Dichter ift alſo ſehr
auf Unkoͤſten der Nationalſitten beruͤhmt
geworden — Doch ſind ihre Stuͤcke wirklich
nur nach franzoͤſiſchem Coſtume behandelt 2
koͤnnen Karakterſtuͤcke nur auch ein Nario⸗
nalkoſtume haben? ihre Hauptzuͤge ſind Zuͤge
aus dem Herzen der Menſchen, nicht von
dem aͤußerlichen der Voͤlkerſitten genommen:
alles, was hier National ſeyn kann, iſt der
zufaͤllige Ausdruck — Wie aber? gehoͤren
Fontenelle, Greſſet, St. Foix denn nicht
auch der Nationalbuͤhne Frankreichs an?
nach dieſer angenommenen Bedeutung wenig⸗
ſtens nicht — Sidney; das Orakel,
die tuͤrkiſchen Wittwen, die Colonie,
der Derwiſch — faſt in allen Stuͤcken, den
Finanzpaͤchter, die doppelte Verkleidung,
und Julie ausgenommen, hat St. Foix ſei⸗
ne feinen Scherze und Moral unter fremder
Tracht erſcheinen laſſen — Fontanellnes
Stuͤcke find meiſtens — fontanelliſch —
Cc 4 den
398
Den einzigen Dienſt, den dieſer Verſtand der
Nationalſchaubuͤhne Frankreichs leiſtete, waͤ⸗
re: daß er ihr den großen Vorneille zueig⸗
net, der ihr nunmehr wenigſtens durch feine
Cůgner, Clitander, Wittwe und noch ein
Paar andre Stuͤcke angehört — Der Dienſt
iſt wichtig genug, um ſeinetwegen andre
Unrichtigkeiten durchkommen zu laſſen —
Warum aber haͤtten dann die Deutſchen
nicht ſowohl ihre eigne Buͤhne als an⸗
dre Rationen? Gellerts Stucke, Schlegels
Stöcke, Leſſings Stucke, feine Miß Sarah
abgezogen, Weißens Luſtſpiele, Kruͤgers
Kandidaten, Löwens, Romanus, Brandes,
eines Ungenannten Hamburgers vier neue
Stucke — noch mehr Gutes und Schlechtes;
aber immer Stuͤcke, die nur Deutſchland
gehoͤren — Und vielleicht wird mancher uͤber
das Verzeichniß erſtaunen, der ſchon lange
den deutſchen Luſtſpielen den Prozeß ge⸗
macht, ohne ſich jemals darum zu erkundigen,
5 ob
399
ob derſelben viele find, und ob fie auch
ſonders und faͤmmtlieh ſeine Ungnade ver⸗
dienen.
Sogar einer Lokalbuͤhne koͤnnten wir
uns ruͤhmen, da es unſern hieſigen Dich⸗
tern ſo oft beliebt, ihren Stuͤcken durch ei⸗
nen kleinen Kunſtgriff einen Schwung zu ge⸗
ben, und darunter ſetzen zu laſſen; auf die
Sitten von Wien eingerichtet — Das waͤ⸗
ren alſo die Sitten von Wien, die ſie ſchil⸗
dern? eine demuͤthige Anfrage an die Ver⸗
faſſer iſt hier vielleicht an feinem Orte! und
wäre fie es auch nicht, die Gelegenheit die⸗
ſelbe aufzuwer fen, dürfte ſich ſobald nicht wie⸗
der anbieten — Von welcher Gattung
ihrer Mitbuͤrger haben ſie dieſe Sitten ent⸗
lehnet? — es wuͤrde ihnen ſchwer werden,
eine beſtimmte Autwort zu geben — ein
Haus — eine Familie — ſind kein Wien,
ſind nicht der ganze Stand — Der vergeſſene
Verfaſſer der bürgerlichen Dame machte
| Ce 5 ei⸗
400
eine Epoche von dieſem Misbrauche: die Auf⸗
ſchrift war gut gewaͤhlet: unter Haͤnden ei⸗
nes Menſchen, der ein verbreiteteres Kennt⸗
niß der Ge ſellſchaft, und des Umgangs ges
habt haͤtte, als man in den kleinen Trink⸗
gelagen erwerben kann; der ſich dieſes Kennt⸗
niß zu Nutz zu machen, und gewußt haͤtte,
die Stellungen herbeyzufuͤhren, wo ſich der
laͤcherliche Stolz eines Weibes zeiget, das mit
Damen im Aufwande wetteif ert, und ſich
und Familie zu Grund richtet, das in ihrem
Betragen, den hohen Adel kopirt, und in
ihrer Kopie zu kurz fallt, ſchief wird; um
ter den Haͤnden eines Mannes, der da⸗
bey die Hilfsmittel des guten Ausdrucks
nicht zu gering geſchaͤtzt, der ſich, wie ſeine
Thoͤrinn ſie reden mußte, eine gezierte Spra⸗
che erſchaffen haͤtte, unter ſolchen Haͤnden
haͤtte dieſer Stoff; ergiebig an Satire, Ge⸗
ſinnungen „ Unterricht; ergoͤtzend und
lehrreich werden koͤnnen: aber der Mann
war
401
war ſeinem Unetrnehmen nicht gewachſen; er
erreichte nicht einmal die molieriſche Fraze
den bourgeois gentilkomme. Dennoch —
ob er gleich die Karaktere ekelhaft, ſchmutzig
bearbeitete; ob er gleich das Geſpraͤch von
Poͤbelwitz vollpropfte, gleichwohl erhielt das
Stuͤcke, vielleicht gerade von ſolchen Wei⸗
bern, welche ſich durch nichts als ihren
Aufwand und Liverey uͤber andre Klaſſen
wegzuſetzen wiſſen, auf welche die Aufſchrift
umgewendet, genau paſſet, von aͤchten bir,
gerlichen Damen empfieng dieſes Stuͤck ei⸗
nen Schwung; und die angehenden Dichter
vermengten den Beyfall dieſer Art, mit dem
ſchmeichelhaften Beyfalle des wahrern und ein⸗
ſehendern Adels — Um alſo kuͤnftig ein zwey⸗
deutiges Stuͤck durchkommen zu machen; um
ihm Schutz, und Beyfall der Logen zu vers
ſichern, machte jeder Theatraldichter —
denn das duͤnken fie ſich wenigſtens zu ſeyn
ſeine handelnden Perſonen zu Herren von,
die
402
die Mädchen zu Fräulein — und alles der
Ordnung nach, die Stubenmaͤgde zu Ram⸗
merjungfern: fie glaubten dem hohen Adel
ihre Aufwartung dadurch zu machen, wenn
fie den mitteren dem Geſpoͤtte ausſetzten —
Glauben Sie es nicht — moͤchte man
bey dieſer Gattung Frazenſpiele aufgerufen
haben — glauben Sie es nicht meine Da⸗
men und Kavaliers! das iſt nicht das
Innere der Haͤuſer, welche dieſe Leute ſchildern
wollen, ohne hinein zu kom̃en: ihre Herren von,
ſind vermummte Packtraͤger, ihre gnaͤdigen
Frauen find Troͤdlerinnen; das verraͤth ih⸗
re Sprache, ihr Anand; und fie verrathen
auch die Geſellſchaft, wo die Verfaſſer
ſich dieſe Muſter holten — Wenn aber je⸗
der ehrenveſte Herr, ein von ſeyn will,
wenn jede geſtrenge Frau ein Ihr Gna⸗
den, jede Jungfer ein Fraͤulein — iſt es
erlaubt fortzufahren? — wenn jeder Wohl⸗
gebohrne ein Hochgebohrner, jeder
Hoch⸗
403
Hochgebohrne — koͤnnte man nicht bis an die
oberſten Stufen der buͤrgerlichen Geſellſchaft
hinanſteigen? aber was folgt daraus? nichts
iſt der buͤrgerlichen Geſellſchaft gleichguͤl⸗
tiger, als die Erhoͤhung der Titel; wenn
an einer Leiter die oberſte Sproſſe nach der
Höhe gezogen wird, iſt es natuͤrlich,
daß alle andern folgen: übrigens entſteht
hieraus für das Ganze keine Verwirrung:
wo alles zugleich erhoben wird, bleibt auch
alles in vorigem Verhaͤltniſſe und Ab⸗
ſtande — Ich will nicht etwan der Apolo⸗
gift der lächerlichen Titelſucht werden: nein!
ich beobachte nur: daß dieſes Laͤcherliche
alle Klaſſen angefallen; und wenn ſich oft
ein vermögender Bürger ſchaͤmet, Herr —
gerade zu zuheißen, und ſich ſogerne ges
gen Gebuͤhr, ſeinen Namen durch die
verherrlichenden drey Buchſtaben verlaͤn⸗
gern läßt ; ſo thut er eben das, was mancher
Kaͤmerer thut, der ſich nach dem Geheimen
| | Rath
404
Rath ſehnet, und fich ſogerne auf Ab⸗
ſchlag Excellenz nennen hoͤrt. Kein Stand
liefert der Schaubuͤhne die Urbilder aus⸗
ſchluͤſſend: alle Staͤnde haben die ihri⸗
gen — f
Folglich? — Nicht weiter! ſollte ich über
dieſen Punkt alles das ſagen, was ſich mit
ſo vielem Grunde ſagen ließ; ſo muͤßte
ich Anwendungen machen; und ich habe
nicht mehr dazu Luſt, ſeitdem ich mich ſo
gluͤcklich der undankbaren Muͤhe, Fehler
aufzuſuchen, entzohen habe. Man wird
mir indeſſen leicht abmerken, daß ich mich
durch die Aufſchrift nicht verleiten laſſe ,
Wien eine Lokalbühne zuzugeſtehen, weil
es vielleicht ein Paar Karikaturen aufwei⸗
ſet, welche uns ſo ziemlich das Queerfell
erſchuͤttern, da uns der Nachbar mit ei⸗
ner geheimnißvollen Mine das Original in
der Nähe zeigt, und in die Ohren ziſchelt
— hie eſt — n
5 | Zum
405
—
Zum mindeſten eine gewiſſe Anzahl dram⸗
matiſcher Nationaldichter? — Hier waͤren
wir endlich an etwas, woruͤber man ſich
vereinigen koͤnnte, aber vorher noch erſt
verſtehen muͤßte — Wer iſt ein National⸗
dichter? derjenige, der wie gewiſſe deutſche
Kunſtrichter ſagen: mit Bleiſter und Schee⸗
re aus den Stuͤcken andrer Nationen etwas
fuͤr die ſeinige zu recht flicket — ungefaͤhr
wie Gottſched feinen Kato? — nicht doch —
Derjenige, welcher nach dem Richtſcheide ei⸗
ner andern Nation, Raraktere, Verwicke⸗
lung, Auflöfung hinzieht — entweder wie
ein Franzoſe feine Helden zärtlich girren ,
oder wie ein Engländer feine Weiber melan⸗
choliſchen Unſinn ſchwaͤtzen läßt 2 — nicht
doch — Derjenige alſo, der das Tempera⸗
ment der Nation ſtudirt, der unterſuchet,
durch welche Triebwerke er in ihrem Ge⸗
muͤthe die Erſcheinungen bewirken kann,
die ſein Endzweck find; der nach einer ſol⸗
N i chen
406
chen wichtigen, aber ſchweren Entdeckung
von dem unerſchoͤpflichen Vorrathe der Ge⸗
ſchichte; es moͤge eine Begebenheit von ans
dern behandelt, oder noch nicht ſeyn beruͤh⸗
ret worden; oder aus dem graͤnzenloſen
Gebiete der Erfindung und der Zuſammen⸗
ſetzung hervorlangt, damit als mit ſeinem
Eigenthume waltet, ordnet, aͤndert, und
mit ſchoͤpferiſcher Kunſt daraus ein Ganzes
geſtaltet, welches ihm eigen iſt, und —
Ich will hier den Faden noch nicht abrei⸗
ßen
Sdwölftes Stud
Acht und zwainzigſtes Schreiben,
Wien den 1.9 Junius 1768.
G
s Ein
Nationaldichter If alſo derjenige,
welcher, was immer ſuͤr einen
Stoff; eigenthůmlich zu lehan⸗
deln, und ohne ſich von der Wahrheit zu
entfernen, ſeine Handlung nach der groͤßten,
nach der unfehlbarſten Wirkung zu grup⸗
piren weis — Dieſe Bezeichnungen ſind zu
ſchwankend: ich will fie naͤher beſtimmen —
Eigenthůmlich behandeln — ſeinen Plan
nicht irgend einem Griechen, Englaͤnder,
oder Franzoſen abborgen: fur itzt, nur erſt
darum nicht, weil man einem Maler nicht
ſchon die Ehre eines Originals zugeſtehet,
welcher Plan, Anordnung, Zeichnung einem an⸗
Fern ſchuldig iſt, und etwan nur das Kolo⸗
eit nach einer Veranderung bearbeitet —
| D» Der
2 408
Der Ausdruck, ein Sittenſpruch, eine Ges
finnung machen keinen Theatraldichter: ſie
ſind dem Dichter unentbehrlich; aber wenn
er ſeines Gegenſtandes voll iſt, wenn er den
Karakter, den er eben ſchildert, beſchaulich
vor ſich hat; wenn er fuͤr ihn fuͤhlt, denktz
wie er fuͤhlt und denkt; ſo kann er um
den Ausdruck nicht verlegen ſeyn: Geſinnun⸗
gen und Lehren entſtehen unter ſeinem Kiele,
ohne daß er darnach ſinnet: wenn er dar⸗
nach ſinnen muß; wenn ihn ſeine erhitzte
Dichteranwandlung nicht in ihrem Laufe eben
ſo erhebt, wie der gedraͤngte Strom von
ſelbſt Wellen ſchlaͤgt; ſo wird er ſie im Tone
des trocknen Moraliſten vortragen, ſie wer⸗
den geſucht, geziert, froſtig ſeyn.
Pope hat die Dichter an die Alten ange⸗
tiefen — Der junge Waro ſagt er, als er
die Natur ſtudierte —
Na-
409
Nature and Homer were ( he found)
the fame *
er raͤth ihnen daher, auf fie zurückzufehen?
denn
J0 copy nature, is to copy them **
Gut! dachte mancher Dichter; es iſt denn
auch richtig: to copy them, is to copy
nature: und fo kann ich mirs ſehr bequem
machen — und er uͤberſetzte die Griechen,
oder plinderte die Römer — und das nach
folgende Geſchlecht ſprach in der Einfalt ſei⸗
nes Herzens: die Nachahmer der Alten find
in Anſehen unſer, was Somer und Virgil
und Sophokles, und Kuripides für fie wa⸗
ren, und ſie wurden Nachahmer der Nach⸗
ahmer: und auf eben die Art, wie es mit
den Epopeen geſchah; da Virgil Someren
vor ſich hatte, und die neuern den Virgil —
da Wilton unferm KXlopſtock diente und
Dd Rlop⸗
a Natur und Homer fand er — tbaren einerley.
t Die Natur nachahmen / iſt fie nachahmen ⸗
416
Mlopſtock fi) mußte gefallen laſſen, von
allen Serametriſten Deutſchlandes berupft
zu werden.
Ich weis es nun zwar, daß die ſonſt unerbitt⸗
lichſten Kunſtrichter uͤber dieſen Punkt dem
Schriftſteller nachſichtvoll die goldne Ruthe
hinbeugen: die Alten find — Nun, moͤgen
denn alſo die Alten fuͤr die Dichter das ſeyn,
was die Antiken den ſchildernden Kuͤnſten
ſind: aber wenigſtens ſeyn die Graͤnzen der
Nachahmung feſtgeſetzt! — und es nenne ſich
nicht jeder einen Zeichner, der auf einem
durchſichtigen Blatte der untergelegten Zeich⸗
nung mechaniſch nachfährt.
Ohne ſich von der Wahrheit zu entfer⸗
nen — nicht von der hiſtoriſchen Wahrheit,
welche alles ſaget, was ſich ereignet, und
nichts ſaget, was ich nicht ereignet hat?
ſondern von der dichteriſchen, welche, nach
angenommenen gewiſſen Karafteren , die
durch vorausgeſetzte Umſtaͤnde zu handeln
ver⸗
411
veranlaſſet werden, ſie gerade aaf die Art
handeln laͤßt, wie ſie handeln wuͤrden —
oder auch koͤnnten. Die dichteriſche Wahr⸗
heit iſt die Wahl derjenigen Begebenheiten
aus den möglichen , welche den bezeichneten
Umſtaͤnden am gemaßeſten, und dem Ends
zwecke des Dichters am zutraͤglichſten find —
eigentlich alſo nur Wahrſcheinlichkeit, und
zwar bedingte Wahrſcheinlichkeit — es
doch, fodre ich ſie da wie auf ein aͤſthetiſches
Bollegium: gleich als wäre Ihnen Baum⸗
Harten ſo wenig bekannt, als unſeren mei⸗
ſten Landeslenten, die es wohl wenig an⸗
fichtet, daß irgend auf einer deutſchen Aka⸗
demie ein trockner deutſcher Philoſoph den
ſeltnen Einfall gehabt: eine artem pulere
cogitandi zu entwerfen; und über die Schoͤn⸗
heit des ſinnlichen Ausdrucks eine ſyſtema⸗
tiſche Anleitung zu geben: der Profeſſor!
haben nicht unſre Mufter, und Meiſter,
und Alles, die Franzoſen, von ſo vielen Zei⸗
Ddz fen
412
ten her ſich artig, und wenn Ich ein wenig
wortſpielen darf, ſinnlich artig auszudruͤcken
gewußt: und dieſen unſern Landsleute ſelbſt,
fehlt es ihnen an muntern Einfaͤllen, an
Spitzen, an Schlagreden — ohne daß ſie
ſich nach ſeinem: Das ſollſt du, und das
ſollſt du nicht! im geringſten umgeſehen —
Der eigenthumlich, nach der Wahrheit
behandel e Stoff, alſo in ſeinen einzelnen Thei⸗
len geordnet, wie die Wirkung am ſicher⸗
ſten erfolgen wird — Beide erſteren Stuͤcke
haben die Dichter aller Nationen gemein⸗
ſchaftlich; dieſer Dritte iſt das Unterſchei⸗
dungszeichen des Nationaldichters, wozu
er ſich ſeinen eigenen Weg erwaͤhlen muß.
Die Denkungsart einer Nation durch ihre
Regierungsform, durch ihre Religion, durch
ihre Sitten, durch ihre Vorurtheile gebildet,
beſtimmet nicht nur den größern oder kleine⸗
ren Grad der Antheilnehmung, nach Ver⸗
ſchiedenheit des Gegenſtandes, ſondern be⸗
ſtim⸗
413
gm Senn: won r nem
ſtimmet überhaupt die Tauglichkeit oder Un⸗
tauglichkeit der Begebenheiten, an denen der
Dichter ſeine Staͤrke verſuchen will; das
Temperament eines Volkes menget ſich in
feine Empfindungen, beſchleuniget oder halt
die Antheilnehmung zuruͤcke: und, wie die
verſchiedenen Gebräuche, nach der Verſchie⸗
denheit der Nationalgewohnheiten bald aus⸗
druͤckend, bald gleichguͤltig ſind: eben ſo
wird eine und dieſelbe Begebenheit auf der
Buͤhne, wie in der Wahrheit, dem einen
Volke eine außerordentliche Ruͤhrung ver⸗
urſachen, welche bey einem anderen kaum
eine geringe Empfindung erregen wird.
Der Beweis, wenn Sie einen foderten,
iſt in dem Herzen eines jeden Menſchen auf⸗
zufinden: dem einen erwecket der Anblick ei⸗
nes Gauklers, der auf dem Saile izt, izt
zu ſtuͤrzen ſcheint, aber nicht ſtuͤrzt, ein
Vergnuͤgen: ein andrer muß ſein Geſicht
von einem Gegenſtande abwenden, der ihm
Dd4 ab⸗
8 8
abſcheulich iſt. Ein Mann 7 der das Elend
zu kennen Gelegenheit gehabt, ſieht den
Schweiß feines Nachbarn, und feine Mühe:
er ſeufzet, indeß der Weichling, der in Fuͤl⸗
le und Muͤſſiggang fett geworden, wie der
Levit bey dem Leidenden voruͤbergeht, und
nicht einmal Oel des Mitleids in ſeine Wun⸗
den gießt. Die Schmerzen der Aeltern ſind
Muͤttern vielleicht kennbar; und bey dem
Beyſpiele eines Sohnes, der die Hoffnung
der Aeltern unbarmherzig vereitelt, ſchmilzt
ein Barer in Thraͤnen, da der Ehloſe,
der ſeinen Stolz der Pflicht, dem Staa⸗
te Buͤrger zu geben, vorgezogen, da er
uͤber den Thoren ſpottet, der ſich durch ſei⸗
ne Schwachheit ſein Ungluͤck ſelbſt geſchaf⸗
fen. Demokrit lachet, woruͤber Heraklit
weinet — x |
Ich wende mich von einzelnen Menſchen,
von den Verfloͤſſungen einzelner Raraktere
auf Nationalkaraktere; dann jede Nation
| hat
415
— —
hat den ihrigen, er ſey nun urſpruͤnglich, und
einfach, oder erkuͤnſtelt, und zuſammgeſetzt,
Ohne Zweifel gehört eine größere Kraft das
zu, einen Hoͤrſal aus ſeiner naturlichen
Stellung zu heben, der aus kriegeriſchen,
abgehaͤrteten, ſtrengen Menſchen beſteht h
als wenn Leute vor der Bühne ſtehen, der
nen aus Weichlichkeit bey jeder zaͤrtlichen
Stelle die Augen uͤberlaͤuft — Diderots
Orbeſon wuͤrde Maͤnnern, wie Brutus war,
ein ſteafbarer, uͤberſehender Alter ſcheinen:
und Orbefon würde den Brutus einen Moͤr⸗
der ſchelten. Die Ungluͤcks falle des erſten
wuͤrden den ſtrengen roͤmiſchen Vaͤtern den
Vgter laͤcherlich; die Standhaftigkeit des
Conſuls wird ihn Leuten, die von der Ver⸗
bindlichkeit gegen das Vaterland gemaͤchli⸗
chere Begriffe haben, abſcheulich machen.
Wenn eine Mutter auf unſern Buͤhnen die
Erzaͤhlung von dem Tode dreyer Soͤhne an⸗
hoͤrt; fo ſchreyt fie auf : die Unglückliche }
Dd5 und
416
und die Spartanerinn, die zu ihrem Sohne
ſprach: mit dieſem Schilde, oder auf dem⸗
ſelben! wuͤrde ihre Gluͤckſeligkeit beneiden.
Melanide, an deren Schickſal unſre Maͤd⸗
chen ſo großen Antheil nehmen, weil es ſehr
oft ihre eigne Geſchichte iſt, dieſe Melani⸗
de wuͤrde bey mehr als einem Volke, an⸗
ſtatt daß man ihre Schwachheit entſchuldi⸗
get, ihrer Vergehung wegen getadelt wer⸗ |
den. Kato, der ſich ehender mit wuͤthender
Fauſt das Eingeweide herausreißt, als ei⸗
nem Könige unterwirft, wird von dem Mes
publikaner bewundert, und von dem Buͤr⸗
ger des monarchiſchen Staates, der in dem
Schatten des Thrones ſeine Ruhe findet,
fuͤr einen Menſchen angeſehen, der in das
Tollhaus gehoͤrt. Dieſe Verſchiedenheit der
Wirkung eben und derſelben Urſache muß
von dem Dichter, wie von dem Geſetzgeber
beobachtet werden, um ſeine Triebwerke
darnach einzurichten, und unſre Bewegungen
folg⸗
417
folgſam und gelehrig nach feinem Endzweckt
zu lenken.
Es giebt, wenn ich ſo ſagen darf, ge⸗
meinſchaftliche Stellungen fuͤr alle geſitte⸗
ten Nationen: es giebt alſo auch gewiſſe ge⸗
meinſchaftliche Schauſpiele, deren Eindruck
auf allen Bühnen untruͤglich iſt — die Ges
maͤlde der Menſchheit und ihrer anerſchaffe⸗
nen Stände — Der Franzoſe, wie der Eng⸗
laͤnder, wie der Deutſche, iſt Vater, Gat⸗
te, Sohn — Aber ſelbſt noch in dieſen muß
die Folge des Ungluͤcks, das, zum Beyſpie⸗
le den Engländer „ erſchuͤttern ſoll, weiter
hinausgetrieben werden, als bey dem Fran⸗
zoſen, da ſeine Leidenſchaften, wenn ich ſo
ſagen darf, nicht ſo ſehr, als bey dem letz⸗
tern auf der Oberflaͤche liegen. Erinnern Sie
ſich einer Bemerkung, die wir bey der Ver⸗
gleichung des franzoͤſiſchen und engliſchen
Spielers gemacht haben! das Aeußerſte,
wohin den Franzoſen ſeine Spielſucht gefuͤh⸗
ret,
Ma |
ret, war der Verluſt feiner Geliebten — und
uͤberhaupt kommen die franzoͤſiſchen Tho⸗
ren oder Laſterhaften gemeiniglich am Ende
mit dieſer Strafe durch: vielleicht iſt es bey
ihnen auch genug — aber die engliſche Ka⸗
taſtrophe zeigt Tod und unwiderbringlichen
Untergang — uͤber die Kleinigkeit, ein Maͤd⸗
chen zu verlieren, wuͤrde der Britte nur ein
Hohngelaͤchter aufgeſchlagen haben.
Faſt hat Shakeſpear durch einen Zug
ſeines Timons die Feſtigkeit des englaͤn⸗
diſchen Nationalkarakters bezeichnet: leiht
mir eines Narren Herz, und die Augen
eines Weibes, ſo will ich weinen! laͤßt
er den Athenienſer aus feiner Höhle zu den
Senatoren ſprechen, welche ihm in Namen
der Republik Genugthuung fuͤr die angetha⸗
ne Beleidigung anzubieten kamen. Ueber⸗
haupt will der engliſche Zuſchauer ſeinen Em⸗
pfindungen nicht geliebkoſet haben: ſeine Be⸗
d we⸗
Timon von Athen V. Aufl 3° Sem: .
N nn: Se
wegungen muͤſſen Erdbeben, feine Strahlen
Blitze ſeyn: die Umriſſe feiner Koͤrper muͤſ⸗
ſen ſtark, die Muskeln erhaben, nervicht
ſeyn: das Große, nicht das Sanfte, das
Schreckliche, nicht das Ruͤhrende, das ho⸗
he Melancholiſche, nicht das Schwermuͤthige
iſt fuͤr ihn: die große Einfalt laͤßt ſeinen Geiſt
zu muͤßig; er will Verwickelung, die ihn
beſchaͤfftige; Begebenheiten, deren Erwar—⸗
kung ihn vor dem Schlummer bewahre, wo⸗
rein ihn der ruhige Gang der franzoͤſiſchen
Trauerſpiele wiegen wuͤrde: groß bis in je⸗
der Kleinigkeit, muͤſſen ſeine Pikelhaͤringe
raſen, und ſein Non ſenſe Bathos ſeyn.
Vergleichen Sie Molierens und Sha⸗
keſpears Menſchenfeinde in ihren Beurlau⸗
bungsteden — Aleeſte bleibt neben Timon
kaum ein unwilliger Meuſch:
Trabi de toutes parts, accabl& d’injus-
tices;
je
| 420
Je vais ſortir d'un gouffre, ou trium-
| pPhent les vices:
Et chercher, für la terre, un endroit
ecarte
Ou d’etre homme d’honneur , on ait la
libert, |
Wenigſtens hofft der franzoͤſiſche Mens
ſchenfeind irgend auf der Erde einen ſolchen
Ort zu finden, wo man dieſer Freyh eit ges
nieſſen moͤge: aber der engliſche — hören
Sie ihn nach der wielandiſchen Ueber⸗
| ſetzung, da ich den engliſchen Shakeſpear
nicht eigen beſitze ,, Laßt mich noch einmal
„ nach euch zuruͤckſehen, o ihr Mauern,
„ die dieſe Wölfe umzingeln! verſink in den
„ Erdboden, Athen! ihr vermählten Frau⸗
„en, werdet unkeuſch! ihr Kinder em poͤrt
euch wider eure Eltern! und Sklaven und
Wahnwitzige mögen den ehrwuͤrdigen graue -
„ en Senat von feinen Baͤnken reißen, und
„ an ihrer Stelle den Staat regieren! gieh |
„ dich
35
421
3 dich der allgemeinen Unzucht Preis, uns
„ keiffes Maͤdchen! thu es vor deiner El⸗
„ kern Augen! haltet feſt ihr Bankerotierer!
„eh ihr den Ruͤcken kehret, die Meffer.
„ heraus, und ſchneidet euren Gläubigern
3, die Kehlen ab! ſtehlt, ihr Sklaven! eue⸗
„ ke ehrſamen Herren find nur Diebe mit
3, laͤngern Haͤnden, und ſtehlen unter dem
, Schutze der Geſetze. In deines Herrn
„„ Bette Magd! deine Frau it im B..
3, Sechszehnjaͤhriger Sohn! reiß deinem
„ alten hinkenden Vater die Kruͤcke aus der
2, Hand, und ſchlag ihm damit das Hirn
„aus! Furcht und Mitleiden, Scheu vor
3 den Göttern, Friede, Gerechtigkeit, Wahre
„ heit, haͤusliche Zucht, Nachtruhe,
5 Nachbarſchaft, Unterricht, Sitten, Ne
3 ligionsgebraͤuche, Unter ſchied der Stände,
„ Herkommen, Gewohnheiten und Geſetze
„ artet in euer zerruͤttendes Gegentheil aus,
„ und nichts als die Zerruͤttung beſtehe! —
„Ihr |
432
Ihr Plagen alle, deren der Menſch fahig
iſt, haͤufet eure gaͤhrenden anfleefenden
Fieber uͤber Athen zuſammen; es iſt reif
zum Untergang! du kalte Gicht, mach unſ⸗
‚ ve Rathsherren zu Krippeln, damit ihre
„Glieder fo lahm ſeyn mögen als ihre Auf⸗
fuͤhrung! Zaumloſe Ueppigkeit und wilde
Frechheit kriech in die Herzen und in das
Mark unſter Jugend, daß fie dem Strom
der Tugend entgegen arbeiten, und ſich
ſelbſt in Ruchloſigkeit ertraͤnken ! Kraͤtze
und Eyterbeulen uͤberdecken jeden athenis
enſiſchen Buſen, und ihr Kropf ſey lautet
Ausſatzl ein Athem ſtecke den andern an,
damit ihre Geſellſchaft (wie ihre Freund⸗
ſchaft ) durch und durch vergiftet ſeys
Nichts will ich aus dir hinaustragen als
Naktheit, du abſcheuliche Stadt! nimm
noch, mit vervielfachten Fluͤchen, dieſe
Verſicherung: Timon will in den Wald,
wo er die wildeſten Thiere milder als den
Meuſchen finden wird.
Es hat ſeinen guten Grund, daß ich bey
dem Karakter der Engländer einen langen
Stillſtand gemacht habe: er führt mich auf
den unſrigen —
Dreyzehntes Stück.
Neun und zwainzigſtes Schreiben.
Wien den 26. Junius 1763.
Ihe Sehr bekannte deutſche Kunſtrichter,
Jan denen nun mancher gezuͤch⸗
tigte Autor, wie das Graue.
thier an dem todten Löwen, feine Wunde
raͤchet, haͤtten gewollt, daß ſich Gottſched
nie mit der deutſchen Schaubuͤhne abgege⸗
ben haͤtte Die Maͤnner uͤberdachten nicht,
daß bey Aufführung eines Gebaͤudes die Sand⸗
langer auch unentbehrlich find : aber frey⸗
lich Architekte muͤſſen ſie nicht abgeben wol⸗
len, ſondern ſich ſittſam an der Ehre genuͤ⸗
gen laſſen, die Materialien herbeyzuſchaffen.
Das waͤre ſo das eigentliche Amt die⸗
ſes Mannes geweſen, einem andern Ropfe
mit feinen arbeitſamen Haͤnden zuzulangen,
Ee Aber
* Briefe u. d. d. Lit. 3. Theil |
424
Aber er griff nach Zirkel und Bleymaß,
und — nun haben die Berliner Recht. Ue⸗
berſetzen, und Ueberſetzen heißt freylich
noch nicht einer Nation ein eigenes Theater
ſchaffen: beſonders wo die Arbeit ſo ruͤſtig
vor ſich geht, und die Wahl ſo ungluͤcklich
„ausfällt. Der Srammatiker mit feinen
belorberten und unbelorberten Schuͤlern fiel
mit Gewalt uͤber die Franzoſen her: und
die Franzoſen ſind gerade am wenigſten die
Modelle, nach denen ſie ſich haͤtten uͤben
ſollen: die ewige Einfoͤrmigkeit ihrer Lie⸗
besintriguen, welche ſie allen ihren Stuͤcken
zum Grunde legen; der ſeufzende Ton ihrer
Helden, und der galante Ton ihrer Tyran—
nen koͤmmt uns, wenn wir ihn nach unſern
inneren wahren Gefühle — nicht demjeni⸗
gen, welches die Gewohnheit erkünſtelt
hat — unterſuchen, kahl und froſtig vor;
ein Deutſcher hat nicht das Herz „in Anſe⸗
hen des Plans des ſi grands Evenemens
f 4
445
à des ſi petites cauſes, und ſehr oft in An⸗
ſehen der Cataſtrophe des fi petits evene-
mens à des fi grands Cauſes zuruͤckzufuͤh⸗
ren: ſein Nationalkarakter haͤlt das Mittel
zwiſchen dem Waͤſſerichten des Franzoſen,
und dem Feurigen des Englaͤnders.
Beobachten Sie mit mir, daß die fran⸗
zoͤſiſchen Schriftſteller ſich feit einiger Zeit;
ſeit der Zeit, da ſie ſich haben bewegen laſſen,
bis zu den Sprachen andrer Nationen here
abzuſteigen, und die auswaͤrtigen Schrift⸗
ſteller kennen zu lernen; daß fie ſich ſeit dies
fer Zeit ſtillſchweigend über das Leichte ihres
eignen Charakters Gerechtigkeit ſelbſt wieder⸗
fahren laſſen: fie wagen es nicht, ſobald irgend
ein Charakter gründlich gezeichnet ſeyn ſoll⸗
ihn aus der Mitte ihrer Nation zu holen;
Sie nehmen ihn daher, wo dieſe Gruͤndlich⸗
keit zu Hauſe iſt: ein Franzoſe mit ſtarken
Geſinnungen ſcheint ihnen gleichſam die
Wahr ſcheinlichkeit zu verletzen.
Ees Aber
426
Aber dem Deutſchen ſchlaͤgt das Herz har⸗
moniſch in ſeinem Buſen, wie man es von
zweyen gleichgeſtimmten Toninſtrumenten ſa⸗
get, wenn er den handelnden Britten erblickt.
Gründlich, in ſoferne die tolle Nachahmung,
und ein ungluͤcklicher Aufenthalt in Paris
ſeine Denkungsart nicht gegen das Leichtſin⸗
nige hingezogen, tiefſinnig, heftig, lang⸗
ſam in feinen Entſchluͤſſungen, und uͤberle⸗
gend, aber beftändig, den angenommenen
Plan zu verfolgen, wuͤrde er eben fo une
beugſam ſeyn, eben ſo frey denken, und ſei⸗
nem Ausdrucke das Gepraͤg der Offenher
zigkeit, die Ru hnheit eindruͤcken, wenn der
Unter ſchied der Regierungsform ſeinen Ton,
wie ich ſagen moͤchte, nicht in etwas herab⸗
geſtimmet hätte. Die Mittelkaraktere, we⸗
der ganz boͤſe, und laſterhaft, noch ganz
tugendſam, ſind unter uns ſeltner: wir verein⸗
baren gar oft, in einem Herzen eine große
und edle Eigenſchaft, mit der hoͤchſten Stu⸗
i fe
427
u — ———
fe der Ruchloſigkeit: gleich den Heigiiway.
men „ welche die Straſſen nach Londen unſt⸗
cher machen, toͤdten wir den, welcher ſich
weigert uns ſeinen Beutel auf die erſte An⸗
foderung hinzuſtrecken; und geben den ges
raubten Beutel dem Nothleidenden hin, der
uns darum anfleht —
Gehen unſre Dichter dieſer Beobachtung
nach ; fo werden fie die Mittelſtraſſe zwifchen
der franzoͤſiſchen Politeſſe, und der englis
ſchen Ruggedneſs wandern; ihre Anlagen
werden nicht ſo abentheuerlich ſeyn, als die
Plane Shakeſpears, der mich, wie einen
Ballen von einer Ecke in die andre ſchleu⸗
dert, itzt mich zum Zeugen einer Zuruͤſtung
in Frankreich nimmt, und den Augenblick
mir die Gegenanſtalten an den Kuͤſten Al⸗
bions fehen laßt; itzt mich in dem Palaſſe
des Theſeus zum Vertrauten der Geſpraͤche
des Koͤnigs und ſeiner Braut machet, und
gleich darauf mich zwinget, Peter Squen⸗
Eez3 zen
—
428
zen hinter einem Zaune feine Proberolle ſpie⸗
len zu ſehen — aber auch nicht ſo unwahr⸗
ſcheinlich Korrekt als die korneliſchen,
welcher der Einheit des Orts zu liebe, Cin⸗
nen feine Verabredung mit den Mitver⸗
ſchwornen in dem Vorſaale des Auguſtus
halten laͤßt, wo er ſelbſt an den Mauren
Ohren fuͤrchten ſollte: worinnen; weil der
Dichter die Einheit fuͤr zu heilig hielt, um
den Zuſchauer in den Kerker zu verſetzen; er
die Gefälligkeit hat, den Gefangenen in ſei⸗
nen Banden im Vorgemache des Koͤnigs
herumwandern zu laſſen, und oft ohne Be⸗
| gleitung herumwandern zu laſſen, weil das
allein ſeyn zu den verliebten Zuſammkuͤnften
doch bequemer iſt — Sie werden ihre Zwi⸗
ſchenredner weder ſo elegiſch noch ſo eppi⸗
gramatiſch ſich ausdruͤcken laſſen, als die
Zwiſchenredner der frangöfifchen Buͤhne ges
woͤhnlich fig aus druͤcken; wo die Liebeser⸗
klaͤrung faſt immer witzig, und das letzte
1 | Wort
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Wort des ſterbenden Helden eine Pointe iſt:
aber auch nicht ſo rauh als die engliſchen,
wo Koͤnige und Helden ſehr oft wie Lot⸗
terbuben ſchimpfen, oder wie Bramarbaͤs
pralen; nicht ſo kuͤhn in ihren Troppen:
um z. B. ein Maͤdchen zu ihrem Liebhaber
ſagen zu laſſen: eine huͤbſche Salve von Wor⸗
ten und fertig losgebrannt: oder von eis
nem witzigen Mädchen, wenn ich reden wollte,
fie wurde mich mit Spöttereyen in die
Luft ſprengenz fie wurde mich aus mir ſelbſt
hinauslachen, und mich mit Witze zu Tode
preſſen: aber auch nicht ſo niedrig, um die
Leidenſchaft eines Liebhabers einem wachtel⸗
hund zu vergleichen, der ſich nur deſto
ſchmeichelnder um die Füffe kruͤmme, je
mehr er weggeſtoſſen wird: er wird, mit
einem Worte, durch die Negelmäffigkeit der
franzöſiſchen Bühne, die Ungebundenheit
der engliſchen maͤſſigen, und von der einen
die Vorrektion entlehnen, in ſoweit fie der
Ee 4 Staͤr⸗
430
Stärke unnachtheilig iſt, von der andern die
Freyheit und Staͤrke ohne der Vorrektion
welche ſich in den Regeln der Wahrſchein⸗
lichkeit gruͤndet, nahe zu treten.
Ich zeichne den Umkreis unſrer Faͤhigkeit
mit unpartheyiſcher Hand: ich traue es uns
kaum zu, daß unſre Dichter die ſtolze Kuͤhn⸗
heit des Pinſels je erreichen würden, der es
gewagt, die Zwietracht der Fuͤrſten zu ſchil⸗
dern: nun fůttert der Tod ſeine morſchen
Ainnbacken mit Stahl, Schlachtſchwer⸗ |
ter find feine Zähne und Griffe, und nun
ſchmaußt er und frißt ſich, indeſſen Aö⸗
nige hadern, an menſchenfleiſche ſatt —
daß ſie jemals die Wuͤrde dieſes Gemaͤldes
erreichen werden: Schmerz iſt ſtolz, und
macht ſeinen Beſitzer eigenſinnig: zu mir,
zu dem Hofſtaat meines großen Aums
mers moͤgen die Könige ſich verfammeln !
denn mein Kummer iſt ſo groß, daß nichts
als die unbewegliche gigantiſche Erde ihn
un⸗
431
unterſtůtzen kann: — Hier ſitze ich, und
me in Schmerz; hier iſt mein Thron: ſage
den Roͤnigen daß fie kommen, und ſich
vor ihm buͤcken! Eben ſo wenig aber halte
ich ſelbſt unſre ausgearteſten Schrifterlinge
faͤhig zu ſchreiben: ja, wenn die Stunden
Eecher voll Sekt waͤren, die Winuten
Capaunen die Glocken sungen von
Aupplerinnen, die Uhren Schilde von
%” häufen, die Sonne ſelbſt ein huͤb⸗
ſches roßiges WMenſch in ſeidenfarbnen
Taft — oder im tragiſchen T Tone: ſo ent⸗
ludeſt du, du gemeiner Gaſſenhund! dei⸗
nen gefraͤßigen Buſen des koͤniglichen
Richards, und itzt wollteſt du gerne wie⸗
der eſſen, was du geſpieen haſt, und heulſt
es zu finden — Dieſe einander ſo entgegen
geſetzten Stellen ſind beide „ nicht nur von
Schriftſtellern einer Nation; ſie ſind von
demſelben Schriftſteller, der noch heute von
feinen Landesleuten weder in Erhabenen ,
. Ees5 noch
432
noch in dem Niedrigen iſt erreicht worden?
und von Deutſchen? fie werden zwar nie
ſo tief in dem Schlamm des Unſinns, und
der Unanſtändigkeit verſinken; aber auch nie
ſich in ſo hohe Gegenden aufſchwingen: wir
ſind weder zu ſolchen Schoͤnheiten, noch zu
ſolchen Fehlern groß genug —
Immer aber noch groͤßer; wenn wir nicht
ſelbſt den Keim des Genies durch knechtiſche
Nachahmung erſtickten, als alle unſre Mit⸗
werber; fähig, von beiden die Fehler zu ver⸗
meiden, und vielleicht das Schauſpiel ſeiner
idealen Vollkommenheit am naͤchſten zu brin⸗
gen, wenn irgend Aufmunterung und Um⸗
ſtaͤnde ein gluͤckliches Genie erwecken, auf
dem eignen Wege des Nationalkarakters zu
wandeln, und ein deutſcher Schauſpieldich
ter zu ſeyn.
Dieſem Dichter find dann auch National⸗
ſchauſpieler zu wuͤnſchen: denn dieſe gehoͤren
nicht weniger zu einer Nationalbuͤhne; und
viel⸗
—
437
I ̃—˖Ü . ... r......
vielleicht iſt nie einem Manne von der
Kunſt ein Zweifel aufgeſtiegen, ob es eine
Gattung von Nationalaktion gebe: Baron,
Champmesle, La Couvreur, Gaͤrrik, Old⸗
fields, Cläron, Ze Kain, Dumenisl koͤnnen
ſie allgemeine Muſter, Muſter fuͤr die Schau⸗
ſpieler aller Voͤlker ſeyn? Der Stolz, die
Eigenliebe jeder Nation hat zwar den Aus⸗
ſpruch laͤngſt gethan: die einen rufen: zu
uns ihr angehenden Talente! zu uns! um
euch nach uns zu bilden! — nicht doch:
rufen die andern: hier, hier iſt Ausdruck,
Wahrheit, Staͤrke! dieſer von verſchiede⸗
nen Seiten ſchallende Zuruf ſelbſt aber be—
weiſt, daß es mehr als eine Art des thea⸗
traliſchen Spieles geben koͤnne, deren jedes
ſeinen Zuſchauern vortrefflich ſcheint, weil
es mit ihrem Temperamente, mit ihrem
Ge uͤhle gleichſam ſympathiſt ret: aber man
verwechsle die Zuſchauer! wie? — ſpricht
der Engländer, und der Deutſche ſpricht es
nach —
434
m ̃ ——.
nach — dieß waͤre der wunder wirkende
Schauſpieler, dieſer Le Kain, der auf der
Bühne herrſchet, mit dieſer Anwandlung
von Kaſerey, mit dieſem Ungeſtuͤmme,
der über Ziel und Graͤnzen hinausſtuͤrzet,
und alle Wahrſcheinlichkeit beleidiget? —
aber der Franzoſe vor der engliſchen Buͤhne
ſucht den großen Gaͤrrik, und glaubt ihn
nicht vor ſich zu haben, in dieſem ſcheinruhi⸗
gen Schauſpieler, an dem Stimme und
Gebehrde ſchweigt, und nur das Geſicht und
Muskeln empor arbeiten, und ſeinen Schmerz,
ſeine Wuth reden; an dieſem Manne, den
der tragiſche Seneka bezeichnet zu haben
ſcheinet: quamvis ipſe ſileat, totus in vul-
tu eſt dolor — Le Kain wird dem Eng⸗
laͤnder faſeln, und Gaͤrrik den Sana
froftig ſpielen —
Der Ausdruck der i Voͤlker
koͤmmt von ihrem Temperamente her, von
dem hoͤheren oder geringeren Grade der Hi⸗
tze;
435
EAA —..ĩðê̊ — — — —
tze; die Laͤnder, welche ihre Lage dem her⸗
ßeren Himmels ſtrichen naͤhert, die Morgens
länder, die Griechen, die Walfchen, find von
der Natur Gebehrdenreich: die Nordlaͤnder;
die Englaͤnder beſonders, behalten das Fleg⸗
ma auch in ihren Aeußerlichen: die Hand
begleitet ſelten, oder nur in kleineren Be⸗
wegungen ihre Stimme: und dieſe Stimme f
ſelbſt iſt geſetzter, als die Stimme des Fran⸗
zoſen, der einen großen Gedanken durch Ers
hoͤhung des Tones herauszuheben ſucht, den
der Englaͤnder ſeiner Groͤße uͤberlaͤßt und
durch nichts aufzuſtuͤtzen fuͤr noͤthig achtet:
der Deutfche ? abermal zwiſchen beiden ges
ſtellet, wird er aus der Hitze des Franzoſen,
und dem natürlichen Kalten des Englaͤnders,
eine dritte Art heraus bringen, die ſeine
eigne ſeyn wird. Die Stelle aus Airenho⸗
fers Hermannen: dieß Recht erwarten wir
von Gott, und unfern Waffen! die Ste⸗
phanie ſo unverbeſſerlich zu ſagen wußte,
mwmuͤr⸗
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wuͤrde in dem Munde eines Franzoſen, der
vielleicht mehrere Hitze hineingelegt haͤtte,
eine Groß ſprecherey geworden ſeyn; und der
Englaͤnder wuͤrde den Gedanken mit einem
kleineren Antheil von Waͤrme untergetaucht
haben, daß er ganz verloren gegangen waͤ⸗
re — Faſt möchte ich ſagen, das Marchons!
in Voltaͤrs Tankreden koͤnne nur ein guter
deutſcher Schauſpieler nach des Dichters
viel bedeutender Abſicht ſagen. Wie wir al⸗
ſo unſte eigenthuͤmliche Miſchung der Saͤf⸗
te, eben ſo koͤnnen wir, ſollen wir, ein ei⸗
genes Theatralſpiel haben, das weder von
einem noch anderen alles annimmt, noch ver⸗
wirft. Nur diejenigen Stuͤcke unterwerfen
den Schauſpieler auch in dem Gebehrden⸗
ausdrucke dem Cuſtume, wo die Begeben⸗
heit National, der Schauplatz Lokal iſt —
Und das iſt ein Verdienſt, welches kaum
unter hundert Zuſchauern einer an Stepha⸗
nien zu ſchaͤtzen weis, dieſe ſtrenge Beobach⸗
tung der Nationalkaraktere, mit wel⸗
cher er einen eiferſuͤchtigen Fulgentio von
einem eiferſuͤchtigen Bon fil, einen deutſchen
Helden, von allen übrigen zu unter ſcheiden,
und ſelbſt in den Karakteren der Nation mit
unerfchöpfter Mannigfaltigkeit, einen Wil⸗
kam Siward anderſt als Li ellefonten einen
Beverley anders als einen Varnwelt zu
verfloͤſſen weis.
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