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^2 £ zo ^
BRIEFWECHSEL
ZWISCHEN
JACOB GRIMM UND FR. D. GRAETER.
BRIEFWECHSEL
ZWISCHEN
JACOB GRIMM
UND
FRIEDRICH DAVID GRAETER.
AUS DEN
JAHREN 181O — 181 3.
HERAUSGEGEBEN
VON
HERMANN FISCHER.
HEILBRONN.
VERLAG VON GEBR. HENNINGER.
1877.
^QY Zö^
VORWORT.
Die unten mitgetheilten Briefe, welche die Correspondenz
Jacob Grimms mit Fr. D. Gräter fast ganz vollständig
darstellen, sind mir von zwei Seiten her bekannt geworden. Die
neun Briefe Grimms befinden sich unter dem handschriftlichen
Nachlass Gräters in der Handschriftensammlung der k. öffent-
lichen Bibliothek zu Stuttgart, wo sie mit anderen Briefen mehr
oder minder bekannter Männer an Gräter unter der Bezeichnung
Cod, misc. -^a, joc. vereinigt sind. Die elf Briefe Gräters ver-
danke ich der Güte des Herrn Professor Herman Grimm,
welcher mir erlaubte, Abschrift von denselben zu nehmen. Dass
die vorliegenden Briefe nicht den ganzen Briefwechsel der beiden
Gelehrten enthalten, wird sich unten zeigen; zugleich aber auch,
dass nur sehr wenig verloren sein kann.
Die Briefe schienen mir der Veröffentlichung aus mehr als
einem Grunde werth zu sein. Briefe von und an einen der Alt-
meister germanistischer Wissenschaft können nie ohne Belehrung
sein über den Stand der Wissenschaft in ihren Zeiten, über die
ß Vorwort.
ganze Richtung und Strömung der wissenschaftlichen Bewegung;
die ideale Auffassung, die warme, lebensvolle Theilnahme an
allen neuen Entdeckungen und Fortschritten, die sich oft bis
zum fieberhaften Eifer steigert, dürfen uns, die 'wir auf solider
Basis bequem weiter arbeiten können , immer wider vor Augen
geführt werden. Und dieser Briefwechsel hat noch specielleres
Interesse. Er zeigt die eben erwachende rein wissenschaftliche
Erforschung des germanischen Alterthums im Gegensatz und
Kampf mit einer älteren, mehr romantisch gefärbten Richtung,
die noch im engsten Zusammenhang mit Herder und mit dem
Bardenwesen der Genieperiode steht ; und er zeigt diesen Gegen-
satz an zweien der allerhervorragendsten Vertreter beider Rich-
tungen. Ich unterlasse es, an diesem Orte mich über die morali-
schen Factoren in dem Streite zu verbreiten, der sich zwischen denni
jugendlich kecken Grimm und seinem Gegner entspann, indessen
Briefen vielleicht Mancher eine Illustration und Bestätigung des
Grimmischen Urtheils über Gräter als einen »unmässig eitlen
Schriftsteller von viel Geschrei und wenig Wolle« (Deutsche
Mythologie, erste Ausg., S. XXIX.) finden wird, dessen Empfind-
lichkeit es wohl nicht vertragen möchte, dass der siebenzehn
Jahre jüngere Grimm sich mit berechtigtem Stolze neben ihn
stellte und mit seinem Tadel dann und wann nicht zurückhielt.
Eine sichere Abwägung ist schon deshalb nicht möglich, weil
der Zankapfel selbst, die Antikritik der Brüder Grimm gegen
Gräters Anzeige ihrer Edda, verloren gegangen ist.
Ich habe die Briefe mit Beibehaltung ihrer Orthographie
widergegeben. Mit lateinischen Buchstaben geschriebenes ist in
Cursivschrift widergegeben. Statt ' ß habe ich stets ss gesetzt.
Gräter schreibt die S-laute so, wie wir es jetzt meist thun; Grimm
setzt statt ss stets ß, ausser bei Zusammensetzung (»desselben« o.a.).
Vorwort. 7
Besonders störende Abkürzungen habe ich, wo sie ganz sicher
waren, aufgelöst.
In den beigegebenen Anmerkungen habe ich keine Mühe
gescheut, um alles, was für die Sache selbst von Belang oder
sonst ohne Durchstöberung allzu massenhaften Materials aufzu-
finden war, beizubringen. Nach allen Mücken wollte ich aber
gerade auch nicht schlagen. Ich hoffe, dass man nichts wesent-
liches vermissen werde.
Stuttgart, im Mai 1877.
H« F«
I.
Cassel 8 August lO.
Verehrter Herr Professor!
Erlauben Sie einem Freunde des altdeutschen Studiums, dass
er sich an einen der frühesten und glücklichsten Beförderer
desselben wende; die geringen Versuche welche ich von meinen
Studien vor das Publicum gebracht,' geben mir kein Recht dazu,
aber die Güte Eurer Wohlgeb. wird das Beste dabei thun. Ohne
Zweifel haben Sie selbst mehrmals gefühlt, wie unangenehm
man in seinen Arbeiten durch die Entfernung mancher Quellen
und Hilfsmittel zurückgehalten wird. Die Erlaubnis mit Ihnen zu
correspondiren, wäre schon ein schätzbares Hilfsmittel. Herr Pro-
fessor Nyerup in Copenhagen hat mir mit liebenswürdiger Bereit-
willigkeit schon die grössten Dienste gethan und mir unter andern
scahdinavischen Quellen neulich auch Olafsens Preisschrift om d.
nordiske Digtekonst verschafft, die bis zur Erscheinung der Original-
quellen sicherlich grossen Werth hat. Nun wünschte ich auch^
gar sehr, Ihre neueren Entdeckungen über die isländischen Metra
benutzen zu können. Glauben Sie aber, dass keiner von drei
Buchhändlern, woran ich mich längst gewendet, mir die einzeln
erschienenen Programme verschafft? Hätten also Eure Wohlgeb.
die Gefälligkeit solche nur an Zimmer in Heidelberg für mich zu
übermachen, so würde dieser die Auslage sogleich übernehmen.
Wahrscheinlich besitzen Sie auch die seltenen thorlacischen specimzna
vollständig, ich habe nur sp. i. 2 und 3. und ein Fragment aus
*dem septimum; (pag. 65 — 128) es fragt sich: ob Sie mir das
übrige zur Durchsicht auf eine zu bestimmende Zeit, nach Ihrer
Gelegenheit, mittheilen wollen?
I S. J. Grimms kleinere Schriften V 485 f.
10 Briefwechsel zwischen
9
Noch einige andere Fragen halten Sie meiner Wissbegierde
zu gut:
i) ist Aussicht, dass das angekündigte grosse Werk über die
nordische Mythologie bald erscheine?^
2) haben wir auf die im Messcatalog angekündigte Fort-
setzung der Bragur gewiss zu rechnen? und was wird sie ent-
halten? Das berliner altdeutsche Museum wird dieser Zeitschrift
sicher keinen Abbruch thun, davon abgesehen, dass es sich mit
nordischer Poesie und Literatur nicht besonders befasst. Sehr
gern vernähme ich Ihr Urtheil über meine Recension des ersten
Bands des berliner Mus., die jetzt wohl in den heidelberger Jahr-
büchern abgedruckt seyn muss.^ Jetzo arbeite ich eine Abhandlung
über den altdeutschen Meistergesang fertig,^ können Sie mir etwas
von unbekannten Materialien anzeigen oder zuweisen, so würde
das den grössten Dank verdienen. Überhaupt besitzen Sie gewiss
reichhaltige Sammlungen und mein Freund von Arnim hat mir
die Liberalität häufig gerühmt, womit Sie andere daran Theil
nehmen Hessen. Er hat mich längst ermuntert, mich gerade an
Sie zu wenden, welches ich bisher aus Schüchternheit unterlassen.
Erfreuen mich nun Eure Wohlgeb. mit einer gütigen Antwort,
so lasse ich wohl noch andere meiner Wünsche laut werden. Bis
dahin empfehle ich mich mit wahrer Hochachtung ganz ergebenst
Grimm.
StaatsRathsAuditor .
II.
Halle im Königreich Würtemberg.
I. Oct. 1810.
Hochzuverehrender Herr Staatsraths-Auditor,
Ochon längst habe ich mit grossem Vergnügen in der Lite-
ratur unter Ihrem Namen einen eifrigen Forscher des Nordischen
und teutschen Alterthums bemerkt, und Sie kommen meinen <
X S. Gräter, Nachrichten von dem zu erscheinenden Prachtwerk über die
nordische Mythologie; Hall 1809.
3 Diese Recension erschien erst 181 1.
3 Erschienen 181 1.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 1 1
Wünschen treflich entgegen, indem Sie mir selbst die Gelegenheit
verschaffen, mit Ihnen in eine trautere Bekanntschaft zu kommen,
als es aus dieser fernen Ansicht geschehen kann.
Nur haben Sie noch ein klein wenig Geduld. Das Schicksal
hat mich mit eisernen Ketten an Verhältnisse geschmiedet, die
mich seit etlichen Jahren durch die Menge von Arbeiten oder viel-
mehr Tagwerken meinen liebsten und theuersten und ältesten
Freunden, und damit mir selbst entzogen haben. ^ At si male
nunc, olim non sie erit.
Meine Briefe können vor der Hand nur sparsam, flüchtig und
gleichsam erstohlen seyn. Zusendungen und Communicationen
finden vollends nicht statt, ausser wenn Sie, wie Herr von Arnim
und Herr Arendt in Paris d. j. selbst hieher kommen, und meine
Bibliothek, meine Papiere und mich selbst .durchstäuben wollen.
Jetzt in Eile nur die Antworten:
i) Ueber die Nordischen Metra — meine Entdeckung und
Resultat finden Sie in meinen lyrischen Gedichten^ — die
ich überhaupt bitten möchte, irgendwo anzuzeigen. Mir ist ausser
der concisen von Hock in der Oberd. L. Z. gar keine Recension
noch bekannt. Den Schlüssel hiezu aber, nebst meiner Rede und
dem Programm, verbessert abgedruckt in Bragur VIII. — der
gewiss erscheinen wird 3.
2) Thorlac. Specim. besitze ich. Nur Nr. i nicht.
3) Das Prachtwerk über d. Nord. Mythol. soll erscheinen
— da aber meine Gesundheit sich wieder so sehr erhohlt hat,
dass es nicht pressirt, so übereile ich es auch nicht.
4) Ihre Recension über das Berliner Museum habe ich noch
nicht gelesen, aber gestern im Vaterland. Museum 2. Ihre Ueber-
1 Gräter war seit 1804 Rector und Oberinspector des Contubemiums zu
Hall, von wo er 18 18 ^als Rector und Pädagogarch an das Gymnasium nach
Ulm kam.
2 * Lyrische Gedichte nebst einigen vermischten von F, D. Gräter; Heidel-
berg 1809« ; a. u. d. T. : »F.D. Gräters gesammelte poetische und prosaische
Schriften. Erster Theil.c — Die metrischen Ausführungen finden sich daselbst
S. 325 if.
3 Bragur, Band 8 (auch mit den Titeln: Braga und Hermode, Band 5, und:
Odina und Teutona, Band i) erschien 1812. Derselbe enthält aber nichts über
die zwischen Grimm und Gräter ventilierte metrische Frage, welche Gräter vielmehr
im ersten Jahrgang von Idunna und Hermode (1812) , No. i ff., behandelt hat:
»Vorlesung über die Königsweise der Barden und Skalden.«
12 Briefwechsel zwischen
Setzung von Oehlenschlägers Erscheinung Christi' — finden Sie
übrigens in Oehlenschläger ein grösseres, reiferes und üppi-
geres Genie als in Baggesen? Wer weiss, ob der Hass gegen
Baggesen, den er sich freylich selbst zugezogen hat, nicht an einer
nachtheiligen Vergleichung zwischen beyden Schuld ist.
Vergeben Sie mir meine Eile. Sie ist Pflicht.
Mit der herzlichsten Hochachtung und Ergebenheit
4
der Ihrige
Graeter.
N, S.
Auf langes Zudringen dirigire ich gegenwärtig (sub rosa, denn
ich mag noch nicht dafür bekannt seyn) seit i . Juli ein Allgemeines
Teutsches Bürgerblatt, ^ das zu Heilbronn erscheint. Darin
werden Sie vieles Teutsche und Nordische finden.
III.
Cassel 23 October 18 10.
ii
.hr Schreiben vom i'«" dieses, hochgeschätzter Herr Professor,
so kurz und eilig es abgefasst war, ist mir dennoch sehr an-
genehm gewesen, und lässt mich ja hoffen, dass ich in Zukunft
längere erhalten soll. Möge Ihnen bald die volle Müsse wieder
werden, wie sie Ihnen die Freunde altdeutscher und nordischer
Poesie von Herzen wünschen müssen. Zu Ihren früheren Ver-
diensten um dieses Studium kommt nun auch, dass Sie durch
dessen Entbehrung, wie jeder fühlen wird, wahrhaft gelitten haben,
und dafür gebührt Ihnen Ersatz.
Die lyrischen Gedichte habe ich gelesen und werde davon,
sobald es meine auch nicht wenigen Geschäfte gestatten, Ihrem
1 Vaterländisches Museum, Band i (18 10), S. 211 f. Siehe jedoch Grimms
zweiten Brief.
2 Es ist mir nicht gelungen, über dieses Unternehmen irgend welche Notiz
zu bekommen.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. I2
gütigen Auftrag nach, eine critische Anzeige liefern.^ Ueber
einiges werde ich eben so freimüthig meine abweichende Meinung
sagen, als ich manches zu loben, und aufrichtig zu loben habe.
Dahin gehört besonders Ihr eigenes, und alles was in demselben
Geist unternommen worden ist, der in den nordischen Blumen"
herrscht ; weniger schon die versuchte Behandlung nordischer
Poesie in griechischer Form,^ sie ist meinem Gefühl zuwider,
und gerade Sie , als bewährter Kenner der scaldischen Kunst,
können damit am ersten schaden. — Die aus dem dän. u. schwed.
übersetzten Lieder^ und vollends das englische Stück ^ halte ich
Ihrer darauf gewandten Mühe nicht werth. Gegen die Einrichtung
. der Minnelieder 6 lässt sich vieles sagen, obwohl einiges auch für
diese bestimmte Art, im Gegensatz zu der tiekischen Modernisirung.
Ich gestehe, dass ich auf die Entdeckung der Königsweise ^
gespannter war, ich wusste mir nichts rechtes dabei zu denken,
indem die Form Drottmällt selbst aus mehrern nordischen Werken
als bekannt vorausgesetzt werden musste. Allein, wie ich nun
sah,, meinen Sie damit blos das Gelingen des Versuchs, dieselbe
Form in unserm modernen Deutsch und wo möglich ohne Zwang,
nachzuahmen und zu erneuern. Das ist Ihnen gewiss nicht übel
gelungen, andern aber, die es etwa nicht so genau mit dem Sinn
nehmen, wird es zuverlässig noch leichter von Statten gehen.
Zum Beispiel dem Herrn von Fouque in Berlin, einem gar nicht
unpoetischen, aber wie es mir daücht, über sich selbst und sein
Vermögen getauschten Dichter. Ich steh dafür, dieser würde in
einem Tag ganze Seiten, in den schwersten Scaldenformen, ja in
Alhendt und Hrynhendt zuwege bringen und das keineswegs ohne
blendenden Anschein, wie er das wirklich bereits in seinem Sigurd ^
1 Diese Anzeige erschien nicht.
2 Nordische Blumen von Friedrich David Gräter; Leipzig 1789.
3 S. Gräters Gedichte, S. 225 — 242 (»Skirnirs Fahrt oder die Brautwerbung c)
und 271 — 288 (»Das Lied von Erich dem Wandrer, oder die drei Stände«),
4 Gemeint sind wohl die > Wechselgesänge der schwedischen , dänischen und
teutschen Schwestermusen«, Gräters Gedichte, S. 163 — 180; vielleicht auch die
Uebersetzung von Baggesens »Erschaffung Ymers«, S. 251 — 256.
5 »Die Niederfahrt der Göttin Freya«, Uebersetzung von Sayers Descent of
Frea; Gedichte, S. 339 — 368 (auch Bragur 2, S. 3 ff.); s. auch Vorrede, S. 15 — 20.
6 »Minnelieder der teutschen Ritter«, Gräters Ged., S. 51 — 80.
7 S. Anm. 2 auf S. ii.
8 »Sigurd, der Schlangentödter« , 1808; bildet den ersten Theil der Samm-
lung »Der Held des Nordens«.
lA Briefwechsel zwischen
in der Form Fornyrda-lag und wo ich nicht irre, auch in
Drottmällt gethan hat. Ich bedanke mich aber dafür das Zeug
zu lesen, so wenig ich den gedachten Sigurd mag. An einer
fruchtbaren und glückhaften Wiedereinführung des reinen Al-
literationsprincips , so wie es in den alten eddischen Gesängen
erscheint, zweifle ich nicht, da unsere Sprache volle Macht dazu
hat, nach ihrem ganzen Character; auch Runhendt lasse ich mir
gefallen; dagegen hege ich der bei weitem giösseren Schwierig-
keit wegen Bedenken in Ansehung Drott und Togmällts. (Über-
haupt scheint es mir, dass unsere Poesie auf einem Punct steht,
wo ihr alle Form gleichgiltig und nur eine zu schwere, als wofür
sie die nöthige Unschuld verloren, unangemessen ist.) Was würde
Herder zu Fouques Versuchen sagen ? Und so fliessend sich auch
Ihre Chöre lesen, so dass wenige die alliterirenden Buchstaben,
und noch wenigere die inneren Reime (ich weiss kein besser Wort
dafür) merken werden; -so scheue ich mich doch nicht zu ver-
muthen, dass Ihr Gedicht als solches noch . besser geworden wäre,
wenn Sie gar nicht an die nordische Form gedacht hätten. Diese
Kunst ist ganz aus unserer Erfahrung gerückt, unser Ohr ganz
entwöhnt. Darf ich Ihnen ferner gestehen , dass meinem Gefühl
nach Ihnen die Alliterationen jedesmal besser gelungen sind, als
die Innern Reime? welche mir einigemal auf zu unbedeutende
Wörter gelegt scheinen. Verzeihen Sie mir diese Bemerkungen.
Übrigens bin ich auf Ihre Programme selbst, also auf deren
Abdruck in Bragur recht begierig und hoffe darin vieles Feine
und gelehrte über die Kunst der Scalden. War nur einmal der
dritte Theil der Edda gedruckt. Olafsen ist doch in manchen
Puncten gar zu nüchtern, unvollständig und wieder willkürlich. Im
Wort Drottmällt will er keine Königsweise bekanntlich erkennen,
es hat mich gefreut, dass Sie anderes Glaubens sind. Was sagen
Sie aber dazu, dass ich bei unsern Minnesingern manchmal, nicht
das vollständige Schema der scaldischen Form, namentlich nie
die Alliteration, wohl aber die Innern Reime (welche doch das
Hauptprincip in Drott und Togmällt sind) wiedergefunden habe?
Mehr davon in meiner kleinen Schrift über den altdeutschen
Meistergesang, die nunmehr bald fertig gedruckt ist und die ich
übrigens ihrer Nachsicht empfehle. Denn es ist ein abgedrungener
Versuch, dessen Ausführung ich mir vorbehalte.
Ich möchte wissen, was Bragur VIII. auserdem noch Gutes
und Erfreuliches enthalten soll? und besonders für die altdeutsche
J. Grimm und Fr. D. Gräter, I5
Literatur in specie. Alle Mittheilungen und Zusendungen schlagen
Sie mir zwar vorerst ab, ich würde aber schon dankbar genug
seyn, wenn Sie mich auf wichtige Entdeckungen und' Neuigkeiten
vorläufig und ganz kurz aufmerksam machen wollen. Nachrichten
von etwa in dortiger Gegend verborgenen mss. (sollte denn gar
nichts in Tübingen, Stuttgart, Memmingen etc. stecken?) wären
mir sehr willkommen und ich würde sie weiter verfolgen, falls
Sie, werthester Hdr Professor, durch andere Arbeiten daran ver-
zögert sind. Alle diese Gefälligkeiten aber wären nichts, gegen
die grosse, wenn Sie mir auf kurze Zeit zu der Kroka Refs Saga
(welche in der 1756 von Biörn Markusson edirten Octavsammlung
♦^befindlich) verhelfen könnten ? Ich vermuthe nämlich einen merk-
würdigen Zusammenhang dieser Sage mit dem Reinhart Fuchs,
den ich hoffentlich (im Vertrauen gesagt) aus einer vaticani-
schen Hs. des 13 J. h. herausgeben werde, und wo sich unter
andern interessante Aufschlüsse über den Zusammenhang dieses
ebenso berühmten al3 herrlichen Gedichts mit dem späteren platt-
deutschen, so wie mit dem französischen roman du renard ergeben
werden. Wissen Sie mir nun zu dem isländischen Buch kein Mittel,
so muss ich mich wohl an Nierup wenden, leider sind aber die
Communicationen mit Copenhagen unsicher und weitläufig.
Die Übersetzung der oehlenschläg. Lieder im vat. Mus. ist
nicht von mir sondern von meinem Bruder., welcher mit mir zu-
sammen in einem Plane und einem Felde arbeitet, und von dem
jetzo eine (recht getreue) Übersetzung der besten Kämpeviser
unter Presse ist.^ Ich weiss nicht zu sagen, ob ich mehr gegen
Baggesen oder weniger flir Oehlenschläger eingenommen bin.
Das aber weiss ich, dass mich keiner der beiden Dichter anzieht.
Auch scheint es mir, dass beide zu viel oder zu eilig schreiben.
Und wie wenig sind beide von der altnordischen Dichtkunst
gründlich durchdrungen? — Die Nials und Egilssaga^ werden
längst in Ihren Händen seyn, des Drucks sind beide würdig, aber
nicht des Vorzugs vor dem zweiten Theil der Edda Saemundar
und so vielem andern, was die Herausgeber für nicht so historisch
wichtig halten mögen, während seine poetische Importanz jene
Rücksicht weit überwiegt. Freilich war die schlözerische und
adelungische feste aber leere Critik der nordischen Literatur von
1 Die 181 1 erschienenen »Altdänischen Heldenlieder, Balladen und Märchen. «f
2 Beide erschienen 1809 sumptibus legaii Arna-Magnaeani,
jQ . Briefwiechsel zwischen
Nutzen, allein durchaus nicht als endliches Resultat, sondern nur
als mit dirigirend die von einem ganz andern Grund ausgehenden
Untersuchun*gen. Wie viel treffliche Dinge zeigt uns Einari, die
die beiden deutschen Gelehrten keines Blicks gewürdigt haben
würden. Um so ärgerlicher also, dass die scandinavischen damit
etwas saümig verfahren. Doch genug und schon zu viel. Eine
Antwort von Ihnen wird mich stets erfreuen und belehren. Ich
bin mit aufrichtigster Hochachtung der Ihrige
Jacob Grimm.
IV.
Hall' im Königr. Würtemberg,
den I. Jul. i8ii.
Mi
.it eben so grossem Vergnügen als Verwunderung hört' ich
aus Breslau, und lese es nun so eben selbst in dem Aprilheft der
Hallischen Allg. Lit. Zeit, dass Sie in Teutschland den zweyten
Theil der Sämundinischen Edda und zugleich auch den
Reineke Fuchs aus einer vaticanischen Handschrift heraus-
geben werden. Sie können denken, wie mich jenes und dieses so
hoch interessirt. Jenes, da ich nicht nur meines Wissens der erste
war, der aus dem gedruckten Theile der Sämundinischen Edda
Teutschland mit einigen der vorzüglichsten Stücke bekannt machte,^
sondern so eben in meinem neuesten Programme ^ es gewagt
habe, auch aus dem ungedruckten zweyten Theile Proben des
Originals zu geben, und um den teutschen Liebhabern und For-
schern die Mühe des Verstehens wenigstens einigermaassen zu
erleichtern, sie mit einer extemporanen lateinischen Uebersetzung
begleitet habe ; denn zu mehr reichte meine Zeit und meine Müsse
nicht hin; zum mindesten für diessmal. Ohne Zweifel wird dieses
Programm, wenn Sie meinen Brief erhalten, schon in Ihren Händen
seyn. Denn gewiss sind Sie es, mein verehrtester Freund, der
1 Wo immer dies geschehen, anzugeben würde zu weit führen. Jeder Band
von Bragur enthält einzelnes Hierhergehörige.
2 Helga-Qtiida Haddingia scata Quod programmatis loco . . . erudi-
torum examini subjicit Fr, D. Gräter. Hall 1811,
J. Grimm und Fr. D. Gräter. ly
ein Exemplar desselben durch die Herrn Moser und Zimmer in
Heidelberg vor 8. Tagen von mir abverlangen Hess. Es ist ohne
Verzug abgegangen. Wie freue ich mich, dass nun die Fortsetzung
dieser Programme durch die überglückliche Acquisition, die Sie
mit den Arbeiten des Magnäanischen Instituts für den 2ten Theil
der Edda gemacht haben, entbehrlich geworden ist!
Glauben Sie irgend, dass ich Ihnen bey Ihrer Bearbeitung und
Herausgabe förderlich seyn kann, so soll alles geschehen, was in
meiner Kenntniss und in meinen Kräften ist. Nur Bücher zu-
zusenden, ist bey weitem zu weitläuftig und kostspielig. Wenn
Sie mir aber denjenigen Theil des Manuscripts, von dem Sie
glauben, dass Ihnen meine Bemerkungen dienlich seyn könnten,
zuschicken wollen, so soll diess nicht vergeblich seyn.
Indessen kann ich nicht umhin, folgende Fragen zu thun:
i) Haben Sie nur die Abschrift aus einem einzigen Codex,
oder auch die kritische Vergleichung der übrigen?
2) Haben Sie von dem Magnäai;iischen Institut blos eine Ab-
schrift des Originals, oder auch die lateinischen Uebersetzungen,
und die kritischen und antiquarischen Commentare erhalten?*
3) Hat das Magnäanische Institut auch bereits das Glossar
zu dem 2ten Theile ausgearbeitet, und Ihnen mitgetheilt? Denn
das erste Glossar ist zum Verständniss des 2ten Theiles bey weitem
nicht ausreichend, wie Sie aus meiner Probe der Helga — Quipa
Haddingia ' Skata hinlänglich ersehen werden. Denn ob ich
gleich ausser dem gedachten Glossarium noch sehr viele andere,
und sogar ein selbstgearbeitetes, das ich unter der Leetüre sam-
melte, besitze, so sind mir doch mehr als eine Stelle vorgekommen,
über die ich sehr ungenau bin. Hieher gehört selbst das apaldr
dessen Etymologie ich nirgends finde, und daher glaubte, dass es
in dem Cod. Vidalinian. ein Schreibfehler für apalldr sey, da es
dem Sinne zusagt, wiewohl ich diese Vermuthung sehr gerne zu-
rücknehme, zumal da ich indessen auch in einem anderen alten
Fragmente das obige apaldr nochmals gefunden habe.
^tens Falls Sie den ganzen Apparat des Magnäanischen Instituts
besässen — warum wollen Sie diesen zweyten Theil mit einer
teutschen Uebersetzung begleiten, und nicht vielmehr dem
ersten Theile in jeder Hinsicht conform machen?
jtens Wann wird der Druck seinen Anfang nehmen ? und wo ?
Ich bin so ungeduldig darauf, dass ich mich der Bitte nicht er-
wehren kann, Sie möchten mir das Abgedruckte Bogen für Bögen
iS Briefwechsel zwischen
durch die Post zugehen lassen. Oder wenn es mit der Heraus-
gabe zu lange dauerte, dürfte ich nicht um die Abschrift derjenigen
Originalien, die ich noch nicht besitze, auf meine Kosten bitten?
Es ist mir hauptsächlich in antiquarischer Hinsicht daran gelegen,
da ich gerade mit den Angaben des ächten alten Kostüms für
den Künstler, der unter meinen Augen die ersten Entwürfe zu
. dem Prachtwerk über die Nord. Myth. macht, beschäftigt bin, und
eine vollständige Sammlung aller Züge aus den Eddischen Liedern
mir hiezu vorzüglich schätzbar ist ; wiewohl die Fabeln des Nordens
mit diesem zweiten Theile eine ganz andere Wendung nehmen,
ohne jedoch das Land, in dem sie gebildet oder umgebildet sind,
zu verleugnen.
Doch nun genug hievon. Von Ihrem Vorhaben den R e i n e c k e
Fuchs aus der Handschrift herauszugeben, schrieben Sie mir
schon, wie ich eben sehe, am 23ten Oct. v. J. Wissen Sie denn,
oder wissen Sie es nicht, dass ich die erste Handschrift des Rei-
neke Fuchs auf Pergament in einem flammändischen Codex der
Comburger Stiftsbibliothek ^ schon vor mehreren Jahren entdeckt,
und in einem meiner Programme über die Merkwürdigkeiten der
Comburger Bibliothek Proben davon gegeben habe.^ Auch be-
sitze ich von einem Theil des Manuscripts eine eigenhändige Ab-
schrift. Wenn Ihre Handschrift ganz sicher aus dem i 3 1 e n
Jahrh. ist, so hat sie übrigens allerdings den Vorzug. Ich bin
auf Proben daraus und Ihre Ansichten sehr begierig.
Die versprochene kritische Anzeige meiner lyrischen
Gedichte habe ich noch nirgends gefunden. Sollten Sie diese
Ihre gütige Zusage schon erfüllt haben, so bitte ich Sie mir ehe-
stens mit ein paar Worten zu melden, wann ? und wo ? Dass Ihnen
mein Eigenes mehr gefällt, als das assimulirte, ist mir ungemein
lieb. In Hinsicht des Nordischen bin ich allerdings, wie ehedem,
für die antike Form — die griechische dient nur als factischer
Beweis gegen die Ungläubigen ; daher auch meine ^-klqvt^qh ^Odoi-
noQia — aber als solchen müssen Sie es gelten lassen. Ob bei
Sayers Descent of Frea meine Mühe belohnt oder nicht belohnt
ist, kam bey mir nicht in Erwägung ; aber wohl wünsche ich eine
1 Jetzt im Besitz der k. öffentl. Bibliothek zu Stuttgart, mit der Be-
zeichnung: Cod. poet. et philo l, fol. 22.
2 Fünf Programme »Ueber die Merkwürdigkeiten der Comburger Bibliothek« ;
Hall 1805— 1809.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. lO
Vergleichung mit Herrn D. Neu^Dck, der das nämliche Stück ein
paar Jahre später in Wielands Merkur gab, aber sich, wie mich
dünkt, die Sache sehr leicht gemacht hat.^
Mit meinen Minneliedern vergleichen Sie doch ausser Herrn
Tiek^ (dessen Moderriisirungen ich leider, wie so vieles, noch nicht
kenne) auch Haugs Gedichte ^ — und nehmen Sie immer auch
darauf Rücksicht, wer dem anderen vorgearbeitet hat. Denn dem
letzteren ist immer zuzumuthen, dass er den ersteren übertrifft.
Da^ letzte (die fünfte Nacht ist mein Eigenthum.)
Sie scheinen mir .doch die Nachbildung der Königsweise
in der jetzigen Sprache für leichter zu halten als sie ist. Auch
hier frage ich nur, ob es einem andern vor mir gelungen ist, sie
überzupflanzen ? selbst Herrn v. Fouque? Fornyrda-lag ist eine
Kleinigkeit in der Kunst gegen Drottmäll. Ein paarmal höchstens,
glaube ich, stehen die innern Reine, wie Sie die Vocalharmonie
nennen, nicht auf dem höchsten Tone ; doch weiss ich dies jetzt,
da ich meine Sammlung nicht bey der Hand habe, auch nicht mit
voller Gewissheit zuzugeben ; aber a potiori sind gewiss Allitera-
tionen und Assonanzen an ihrer rechten Stelle. — Vielleicht sind
wir auch in der Stellung oder Verlegung derselben ver-
schieden. Zb.
Räumen soll heute der Römer
Racheschnaubend das Schlachtfeld, etc.
Brüder, zum heissen, zum blut'gen
Bade seyd ihr geladen, etc.
Das zweyte Heft meiner ästhetischen Bemerkungen hierüber er-
schien am Geburtsfest des Königs, 6. Nov. 1810 und enthält eine
Vergleichung mit Homer. Wenn ich nun das bey Homer ge-
funden habe (sogar die Alliterationen) so wundert mich nicht, dass
1 Wielands Neuer Teutscher Merkur, 4. Stück 1793, S. 337 — 360. »Ein
paar Jahre spätere ist gemeint im Verhältnis zum August 1791 , in welchem
Gräter das englische Gedicht erhielt, welches er kurz nachher übersetzt haben muss.
S. Gräters Gedichte, S. 15 — 20. Die >draraatischen Skizzen aus der Nordischen
Mythologie« , in welchen nach der eben angeführten Stelle Neubeck das Stück
>in einer zweyten reimlosen Uebersetzung« veröffentlicht hat , waren mir nicht
zugänglich.
2 »Minnelieder aus dem Schwäbischen Zeitalter neu bearbeitet und heraus-
gegeben von Ludwig Tieck. Berlin 1803.«
3 Joh. Christoph Friedr. Haugs > Epigrammen und vermischte Gedichtec
(Berlin 1805) enthalten im zweiten Bande 37 Uebersetzungen von Minnesinger-
Liedern.
20 Briefwechsel zwischen
auch in den Minnesingern sich die Spuren dieser Kunst entdecken
lassen. Ja, ich bin überzeugt, dass jede andere prosodische Kunst
später unter der teutschen Nation i fremder [?] ist.
Zu KrbkaRefsSaga kann ich Ihnen leider nicht verhelfen.
Umgekehrt verhelfen Sie mir einmal zu Björners Kjempedattary
ich will sie ja gern bezahlen.
Dass weder B. noch Oehlenschl. von der altnordischen Kunst
der Mythe gründlich durchdrungen sind, darin bin ich mit Ihnen
vollkommen eins.
Die Nials und EgilsSaga besitze ich allerdings.
Bragur Vlll. ist noch nicht angefangen, da Gräffs Hand-
lung (er hat bonis cedirt) noch geschlossen ist.
Schlözer war es, gegen den ich zuerst die Nord. Blumen
als Document vorlegte. Er hat aber gar keinen Sinn für das
ausserhistorische, und so war nicht mit ihm zu disputiren. Ade-
lung hätte zu seiner Ehre die beyden Aufsätze in Beckers Er-
höh!.^ nicht sollen drucken lassen. Zu seiner Schonung wenig-
stens habe ich meine Anmerkungen darüber noch jetzt im Pulte.
Die Wirkung seiner Aufsätze ist schon längst vorüber. Wozu
also noch?
Nun bitte ich Sie schliesslich nur noch um ein Verzeichniss
aller Ihrer gedruckten Schriften und Aufsätze und um eine
recht schnelle Antwort. Strafen Sie mich nicht für die Verspätung
der gegenwärtigen. Sollten Sie hie und da ein übriges Exemplar
haben, so würden Sie mich durch unmittelbare Zusendung noch
mehr erfreuen. Ihre Recension des isten Bandes des Berliner
Museums^ muss mir nicht zu Gesicht gekommen seyn, uner-
achtet ich die Jahrbücher lese. Haben Sie doch die Güte, mir
das Heft, worin er abgedruckt steht, anzuzeigen. Ich bin mit
ausgezeichneter Hochachtung und Ergebenheit
Der Ihrige
Gräter.
1 Waren mir nicht zugänglich.
2 Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Jahrg. 4 (181 1) Nr. xo und 11,
Erschienen waren diese beiden Nummern zur Zeit dieses Briefs jedenfalls.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 21
V.'
Cassel 23 Juli 1811.
I,
ch würde, verehrter Herr Professor, gleich schon vor vierzehn
Tagen und Ihrem Begehren nach, auf Ihr angenehmes Schreiben
vom i'^" d. geantwortet haben, wenn ich nicht auch ebenfalls
seinem Inhalt gemäss täglich das Programm von der Helgaquipa
erwartet hätte. Dieses aber hat mir Herr Zimmer erst gestern
geschickt; ich habe es sogleich durch gelesen und darüber ist
eine kleine Anzeige desselben für die heidelb. Jahrbücher ^^ ent-
standen, die ich, um dasselbe nicht noch einmal schreiben zu
müssen, so frei bin hierbei im Original zu übersenden. Ich
wünsche, dass sie Ihnen nicht misfalle und Sie selbst in klein-
lichen Bemerkungen die Aufmerksamkeit nicht verkennen mögen,
welche die Sache und Ihre darauf so sichtbar verwendete Gelehr-
samkeit verdient. Nach Durchlesung derselben bitte ich sie unter
beikommendem Couvert an Hrn. Prof. Wilken nach Heidelberg,
dem ich sie bereits angekündigt habe, abgehen zu lassen.
Nun zur näheren Beantwortung Ihres Briefes.
Die endliche Ausgabe der ungedruckten eddischen Lieder,
welche wir d. h. mein Bruder und ich , , und wahrscheinlich noch
in Verbindung mit dem Ihnen vermuthlich durch seine wichtige
isländische Grammatik bereits bekannten Dänen Rask, in Deutsch-
land veranstalten werden, ist noch nicht ganz so nahe, und kann
dies bei der trüben Lage des Buchhandels kaum seyn, wird aber
hoffentlich gewiss binnen Jahresfrist , wo nicht eher fertig werden
und erscheinen. Durch die unermüdete Verwendung unseres Ge-
sandten, des Grafen von Hammerstein haben wir eine correcte,
saubere Copie der vorzüglichsten copenhagener Handschrift bereits
seit mehrern Monaten in Händen, für genaue und vollständige
Benutzung aller übrigen Lesarten und Hilfsmittel, hoffentlich auch
der Apparate des magnäan. Instituts hat Herr Rask zu sorgen
versprochen. Von dem äuserlichen Plan der Ausgabe des ersten
Theils abzugehen, veranlassen uns mehrere Gründe ; hauptsächlich
1 Einen kleinen Theil die^s Briefes hat schon Gräter abgedruckt in Idunna
und Hermode, 1812, Nr. 17 (S. 65 f.).
2 Jahrgang 181 1, Nr. 63 (S, 999—1006),
22 Briefwechsel zwischen
die, weil der deutsche Commentar und die deutsche Übersetzung
vieles besser ausdrücken und erklären, und sodann auf mehr Leser
rechnen kann ; ganz ist indessen noch nicht gegen die lateinische
Version entschieden und ich bitte auch Sie um Gründe und Gegen-
gründe über einen so wichtigen und vielseitigen Punct. Zweitens
macht das nähere Eingreifen dieser noch nicht edirten Gesänge
in unsere deutsche Poesie eigene historische Untersuchungen noth-
wendig, um derentwillen ohne allen Zweifel der Plan des ersten
Bandes erweitert werden musste. Alle diese Arbeiten haben ihre
Schwierigkeiten; Ihre gütige Erlaubnis, Sie darüber im Einzelnen
zu Rath zu ziehen, ist mir sehr erfreulich gewesen und es wird
gewiss davon Gebrauch gemacht werden. Hoffentlich erhält sich
nun unsere Correspondenz lebhafter als bisher; ich wünsche es
aufrichtig.
Sobald der Druck beginnt, den wir durchaus nur selbst corrigiren
werden, hat es keinen Anstand Ihnen die einzelnen Bogen durch
die Post zu zuschicken. Vorläufige Abschrift Ihnen von den einzelnen
Gesängen zum Behuf des Prachtwerks über nord. Myth. machen
zu lassen, gibt es fast gar keine Möglichkeit; ein gewöhnlicher
Copist würde dazu nicht geschickt seyn, wir könnten die Originale,
die wir täglich brauchen, nicht aus Händen lassen, und die Ab-
schrift selbst zu machen, bleibt uns bei vielen andern Nebenarbeiten
kein Augenblick übrig. -Viel überhaupt für das altnord. Costum
dürfte sich aus diesem zweiten Theil nicht entnehmen lassen ; was
mir auffallen wird, soll treulich excerpirt werden.
Für das gütig mitgetheilte Programm, welches Alliterationen
im Homer aufsucht und findet,^ statte ich bestens Dank ab.
Glauben Sie mir, dass ich solche Untersuchungen schätze, und
erwarten Sie also nicht, dass ich nun die Vossische Übersetzung
zur Hand nehme, und aus diesem deutschen Buch ebenfalls solche
Beispiele von Buchstabenreimen aufspüre, welches nicht ganz fehl-
schlagen kann. • Allein ich weiss wohl, welcher ungeheure Unter-
schied zwischen der Naturpoesie des Originals und der steifen,
künstlichen Nachbildung Vossens liegt. In jenem ist nichts als
zufällig zu vermuthen, sondern alles natürlich, wichtig und be-
deutend; in dieser verhält es sich gerade zu umgekehrt. Was
ich gegen Ihre homerischen Buchstabenreime etc. vorläufig ein-
I Es ist mir nicht gelungen, dieses Programm aufzufinden. Dasselbe ist
wohl identisch mit dem in Idunna und Hermode Bd. i, Nr. 45. 47 abgedruckten
Aufsatz »Aesthetische Bemerkungen» über die Königsweise der Barden.«
J. Grimm und Fr. D. Gräter. ~ 23
zuwenden hätte, wären folgende Puncte: i) die Allit. ist mir
wesentlich ein auf den Wurzeln der Wörter ruhendes Princip,
so wie aber die Wurzeln die Seele des Worts sind, so regieren
die Hauptworte (nomina und verba) wiederum die Neben- und
Zwischenwörter, und sind deren Seele, folglich ruht die Allit. immer
auf sinnschweren, bedeutenden Worten (es müsste denn ein be-
sonders starker Sinn, Accent auf jene gelegt werden). Beispiele
wo 06, of, arra^, avxiY.a^ xoiv etc. alliteriren, nehme ich daher
nicht an. Und werfe überhaupt ein, dass die griechische Sprache
das Wurzelprincip insofern allgemein verwirft, als ihre Prosodie
nicht darauf gebaut ist, und nichteinmal ihre Accentuologie , als
etwas wiederum verschiedenes. 2) Die Allit, wie das Reimprincip
dulden eigentlich und in der Regel kein wiederholtes Niederlassen auf
dasselbe Wort in einem und demselben Satz. Hiermit stehen
ebenfalls viele Ihrer Beispiele im Widerspruch, zb. die von ytaQTcgoc,
devovTO, rje, etc. etc. 3) Die Allit. erfordert nahes Beisammen-
stehen. Sie werden mir kein Beispiel nord. Allit. zeigen können,
wo die Bindwörter durch so viele Silben getrennt sind, als hier
zb. zwischen fte/^Tte und Tiaaae liegen, vielmehr ist in einer solchen
Silbenzahl, als ungefähr jeder Hexameter hat, das dreifache
Band der gewöhnlichsten Art von Allit. immer schon absolvirt.
u. s. w.
Im Ganzen liegt etwas durchausWahres Ihrer Bemerkung
zum Grund, und besonders die (von der eigentlichen Allit. ursprüng-
lich unabhängigen) inneren Vocalassonanzen sind in Ihren Exempeln
unverkennbar. Das Ganze weist auf das uralte, tiefgegründete
Element der Alliteration etc. hin, und muss demnächst, wenn man
auch in andern Sprachen' darauf sehen wird , auf die Geschichte
der Bildung derselben ein neues Licht verbreiten.
Zur Wiedereinführung der nordischen Versmasse gehört vor
allem lange Sitte und Gewohnheit unserer Ohren daran, sonst
wird alles kalt und steif bleiben und statt aus dem Herzen aus
dem Kopf hervorgehen. Welcher unpoetische Misbrauch ist mit
griechischen Metren und italienischen Reimen unter uns getrieben
worden, jetzt ist eine Müdigkeit an allen Formen erzeugt worden
und diese Zeit ist der Lust und Liebe an scandinavischer Form
gewiss nicht günstig. Fouque weiss nur nicht manche Regeln
genau, sonst würde er sie, bei einer sündlichen Gewandtheit, die
er im Versmachen hat, schon alle herausbringen, ich wünsche
aber, dass er bald den Appetit verliere. Ihre Versuche sind un-
24 Briefwechsel zwischen
Streitig gründlicher, nur scheint es mir, haben Sie Sich einiges
ohne Noth schwer gemacht, z. B.
Räumen soll heute der Römer
Racheschnaubend das Schlachtfeld,
Brüder zum heissen zum blutgen
Bade seid ihr geladen i
scheinen nicht nur die Consonanzen r r (r) und b b (b) zu regel-
mässig und absichtlich in den Eingang der Zeilen gesetzt,
sondern die Vocalassonanzen aü, öm — ach (ach) — üd, ut —
ad (ad) ebenfalls absichtlich unmittelbar hinter jene Conso-
nanzen gebracht; — beides befolgen die gewöhnlichen Gesänge
in Drottmällt nicht; und was den zweiten Punct betrifft, so ist
meiner Ansicht nach das Princip der Consonanz und Assonanz
gänzlich von einander unabhängig, sie brauchen nicht dieselben
Wörter zu halten, und die Consonanz kann vor oder hinter der
Assonanz stehen. Dagegen haben Sie Sich vielleicht in der Silben-
zahl jeder Zeile mehr Freiheit genommen, als viele der alten
Scalden. Statt solcher einzelnen Bemerkungen, die sich in unserm
Fall ohne Weitläufigkeit und viele Beispiele nicht einmal recht
deutlich machen, lieber eine grosse, mir sehr anliegende Bitte.
Sie betrifft die von Ihnen aufgefundene Combacher^ Hand-
schrift des Reinhart Fuchses. Wie können Sie denken, dass ich
schon davon gehört haben sollte? Ihre einzelnen Programme
kommen gar nicht in den Buchhandel, das letzte von der Helga-
quipa habe ich bei 4 Buchhändlern mehrmals und vergebens ver-
schrieben, und selbst Zimmer, ohne die besondere Bekanntschaft
mit Ihnen, würde es mir nicht verschafft haben. (Sie müssen uns
auf allen Fall im nächsten Heft von Bragur solche zerstreute
schätzbare Nachrichten sammeln und wieder abdrucken lassen,
oder noch lieber, wenn Sie mir vorläufig eine compehdiarische
Notitz von andern in dortiger Gegend aufbewahrten Schätzen
geben wollten, falls das Programm nicht mehr zu haben wäre.)
Nun eine Hauptfrage : ist Ihr, wie Sie sagen, flamändischer Reineke
in Reimen oder Prosa und in beiden Fällen aus welcher ver-
1 S. Gräter, Gedichte. S. 332 (Chöre der Barden vor der Hermannsschlacht,
Strophe i); Grimm citiert hier, wie Gräter im letzten Briefe, nicht ganz genau;
es heisst: »Brüder, zum heissen, zum blut'gen Bade nun seyd ihr geladen.«
S. a. Idunna und Hermode, Jahrg. i, Nr. 3 (18. Jan. 1812), 5 (i. Febr.) und
8 (22. Febr.).
2 D. h. Comburger (bei Schwäbisch Hall); s. o.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 25
muthlichen Zeit? Ein niederländischer in Reimen hat existirt,
nach einer Stelle in van Wyns avondstonden I. 27 3/^ der ein Frag-
ment dieses Reintje de vos auffand, welches so schliesst:
dit boek es ghescreven in dien tiden
doen men scref m.cccc.lxxv en twe jden
op onser vrouwen auont in den oest
god moet wesen ons alre troest
amen
welche Jahrzahl 1475 sich vermuthlich blos auf die Zeit der ge-
nommenen Copie bezieht. Auch der berühmte, viel ältere, Maer-
lant in der »Naturenbloeme« sagt vom Fuchs: »aldus blivet in
dat hol Reinarde«, es kann folglich der erste Druck des pro-
saisch hoU. Buchs Gouda 1479 u. s. w. auf keinen Fall diese
Dichtung zuerst unter seine Landsleute eingeführt haben. Die
zweite Frage wäre: in wiefern stimmt das flamländ. Gedicht mit
dem plattdeutschen mehr oder weniger zusammen etc. etc.?
Mein vaticanisches hochdeutsches weicht, wie ich schon
gesagt zu haben glaube, davon gänzlich ab und ist ^m grossen
Theil auf ganz andere Fabel gegründet. Es gehört fast so gut
als gewiss ins 1 2'« Jahrh. schon seiner Einfachheit und fliessenden
Darstellung wegen und fängt an:
ditz buch heizet vuchs reinhart
got gebezzer vnser vart
vememet vremde mere
di sint vil gewere
von eime tiere wilde
da man bi mag bilde
nemen etc. etc.
Das ganze sind etwa 2300 Zeilen und verdient vor vielen andern
Denkmälern jener Zeit den ihm zugedachten Abdruck, zudem ich
so überaus glücklich gewesen bin, die alten pariser Handschriften
hierher geschickt zu bekommen, woraus ein bedeutender, zur Aut-
klärung des ganzen Cyclus höchst behilflicher Apparat erwächst.
An meinem Fleiss soll es wenigstens nicht mangeln. Erfreuen
Sie mich nun baldig mit genauen Nachrichten von
Ihrem Schatz, damit ich sehe, in wiefern er zu meiner Arbeit
unentbehrlich oder blos nützlich seyn würde, doch letzteres ist
er gewiss und ich rechne zum voraus auf freundschaftliche liberale
Mittheilung ; ich habe Ihnen freilich keine Seltenheiten zu cediren,
als Sie dem Herrn Arendt; werde mich aber zu allem bereit er-
klären, was Sie verlangen.
20 Briefwechsel zwischen
Sie sehen, dass es mir an literarischem guten Willen nicht
fehlt; ich denke überdas eine Ausgabe der trefflichen, altspani-
schen Romanzen zu veranstalten, die fast schon zum Druck fertig
liegt.^ Meine bisher ins Publicum gekommenen Aufsätze (auser
meiner dieses Jahr zu Göttingen erschienenen Schrift über den
altd. Meistergesang, worüber Sie mir ja Jhr Urtheil sagen
müssen) stehen im Neuen lit. Anz. und den Heidelberger Jahr-
büchern; zwer Abhandlungen auch im neusten Heft des berliner
Museums.2 Ebenso verhält es sich mit meines Bruders Arbeiten ;
seine Übersetzung der besten Kämpeviser aber ist kürzlich in
einem dicken Buch zu Heidelberg bei Zimmer erschienen; auch
darüber sind Sie, hochgeehrter Herr, mehr wie irgend jemand in
Deutschland competent, und mein Bruder wünscht Ihre aufrichtige
Meinung zu vernehmen. Da unsere einzelnen Aufsätze fast überall,
auch in den heidelb. J. B. namentlich unterzeichnet sind, so
stehen sie leicht zu finden, ohne dass ich Jahrgang und Numer
zu citiren brauchte.
Zur Fortsetzung d. Bragur sind wir so frei, Ihnen Beiträge
altdeutscher und scandin. Art hiermit anzubieten, vorausgesetzt,
dass Sie uns den bestimmten Anfang des Drucks einige
Zeit vorher zu eröffnen die Güte haben wollen. — Wie geht es
denn Heinze in Breslau.^ mit dem Sie gewiss noch in Verbindung
stehen. Hat er keine Aussicht bei der neuen Universität angestellt
zu werden, etwa als Bibliothecar ; wenn ihm nicht Büsching durch
seine Reisen den Rang abgelaufen hat.
Es ist Zeit zu schliessen. Also nebst vielen Empfehlungen
und mit wahrer Hochachtung freundschaftlichst der Ihrige
Jacob Grimm.
Zu einem Ex. der Kämpadatr weiss ich Ihnen nicht zu helfen,
ich habe mir schon vor einigen Jahren aus dem göttinger Ex.
den completten alten Text, aber ohne die schwed. und lat. Version
abgeschrieben. Die Wilkinasaga besitze ich, und könnte Ihnen
eine mir früher zu anderm Behuf verschaffte Abschrift der b 1 o s e n
latein. Version abtreten, falls Ihnen daran gelegen wäre.
1 Die Silva de romances viejos erschien freilich erst 1815.
2 Band 2, S. 226 ff. (über Karl und Elegast); S. 284 ff. (Homkind und
Maid Rimenild).
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 27
Aus Copenhagen haben wir neulich auch Abschriften der
Blomsturvalla und Jarl Magussaga empfangen. Beide schienen
uns wichtiger, als wir jetzt finden. — P. E. Müllers Abh. über
die Achtheit der Asalehre, Kopenhagen 1811. 92 S. in 8. wird
Ihnen auch zugeschickt worden seyn, mein Bruder hat eine um-
ständliche Recension geschrieben, die in: den heidelb. Jahrb. er-
scheinen wird. Ihre 2ytLQvr]Q0v odoinoQia^ haben wir noch nicht
gesehen, Rask schreibt, dass er damit recht zufrieden sey und
eine Rec. davon verfasst habe. Ich weiss aber nicht, wo die er-
scheinen soll. 2
VI.
erst abgegangen den 20. ejusd. Cassel 10 October 181 1
A,
.uf meinen letzten Brief, ich glaube vom Monat Juli,
habe ich unverdienterweise keine Antwort bekommen. Verzeihen
Sie es daher, hochgeehrtester Herr Professor, wenn ich Ihnen
schon wieder beschwerlich falle. Ich kann es indessen nicht unter-
lassen, mir nähere Nachricht von dem Combacher Ms. des Rein-
hart Fuchs auszubitten, da ich gegenwärtig stark an der Geschichte
dieser Fabel arbeite und wohl fühle, dass ein solcher neuer Fund
neue Aufschlüsse geben muss, mir kommen selbst Kleinigkeiten
in Betracht. Meinem Fleiss würden Sie wenigstens Gerechtigkeit
widerfahren lassen, ich habe das grosse Pariser Ms. du roman
de renard bestehend aus mehr als 25,000 altfranzösischen oft
schwerleserlichen Zeilen wörtlich, ja buchstäblich copirt und darin
freilich gar viel Merkwürdiges angetroffen.
Am liebsten wäre mir, wenn ich das Combacher altdeutsche
Ms. zur eigenen Ansicht und Benutzung auf einen oder . zwei
Monate erlangen könnte, ich würde Sie dann weniger zu bemühen
haben und doch manches genauer sehen, da Ihnen natürlich die
1 Gemeint ist wohl Gräters Programm zum i. Jan. 18 10: »lieber eine
griechische Nachbildung in homerischer Sprache und Versen der Nordischen Götter-
geschichte Skimers Fahrt, oder die Brautwerbung des Gottes Frey;« widerabge-
druckt in Bragur 8, S. 23 f.
2 Diese Recension habe ich nicht finden können.
28 Briefwechsel zwischen
andern Quellen nicht sämtlich gegenwärtig seyn können. Da der
Ort ganz in Ihrer Nähe liegt, so darf ich mir von Ihrer Liberalität
diese Gefälligkeit versprechen, um so mehr, da Sie von Ihrem
Prioritätsrecht auf das Ms. schwerlich öffentlichen Nutzen zu ziehen
vorhaben.
Im Isländischen arbeite ich fleissig fort und da lernt man
jeden Tag. Ob meine Rec. der Helgaq. II. gedruckt ist,' weiss
ich nicht, weil ich die H. Jahrb. nicht immer gleich erhalte.
Manches würde ich jetzt anders und besser gesagt haben, z. b. über
jöreykr gar keinen Zweifel erhoben, fumus equorum cursu excitatus
steht fest, auser der Hervarars. steht das Wort Wilkinasage p. 222
und Heimskringla 2. 227 (der alten Ausg.) und wer weiss wo
sonst noch. Bei he fr a armi in der vierten Str. hatten Sie mich
durch die Verweisung d^i harbarzl. XXL i ganz irre geführt, hefr
(von hefiay heben) kann ohnedem nicht gut für hefir, hafis (von
hafa haben) stehen. In beiden Fällen ist der dativ hanom übel
erklärt, das beste remedium gewährt Thorlacius obs. IV, 24.^,
wo die Lesart sefr a armi (im Arm schläft) sich sogleich als
die richtige, einzige ankündigt. Der Anfang dieser Strophe ist
im ersten Theil der säm. Edda p. 192. not. 31. erklärt, mit der
folgenden (tPic, /laufom esindi etc.) kann prymsq, X, XI verglichen
werden. Doch warum halte ich Sie mit nochmaliger Revision
einer Arbeit auf? Sie könnten mir ohne Zweifel selbst viel lehr-
reichere Noten dazu machen.
Für die schwierigsten (aber auch neuesten) Stücke des zweiten
Theils halte ich ohne weiteres die beiden Atlamäl , unter die
*
leichteren gehört Gripissp4 etc. etc. Wie leicht und einfach sind
aber selbst jene gegen die Gesänge späterer Zeit in Drottmällt
und Runhendt, ich fühle wohl, dass ich noch einige Jahre studiren
muss, bevor ich dergleichen zu interpretiren wagen dürfte, wenn
am Ende ein solches Studium lohnt. Rechnen Sie R. Lodbroks
Sterbelied, den herrlichen Nomengesang aus der Niäla und Egills
Hofudlausm [?Höfudrausnf] ab, was haben wir aus späterer Zeit
herrliches, wogegen mir nicht ein kleines Stück der alten Lieder
zehnmal lieber wäre f Welcher Ertrag, dass man die zweimal, drei-
mal gehäuften poetischen Reden (das rekit.) endlich versteht? es
kann sie doch keine Seele nachverstehen, ohne denselben Domen-
t Sie erschien iSil in Nr. 63 der Heidelberger Jahrbücher. Was Grimm
in dieser Recension und im Briefe die xweite Helgaquida nennt, zählt jetzt als
die erste, die litl^MviJa Hj^n^arelss^mar.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 20
weg ZU thun. Wer kann grossen Gefallen finden an der Thorsdrapa
etc. etc. die Thorlacius so umständlich coiHmentirt hat ? wer zieht
nicht den einfachen Bericht der Dämrsaga vor, worin wahrlich
mehr Poesie steckt?
Ich habe endlich Thorlacius mir noch fehlende observatt. vor
kurzem erhalten und bewundere die Gelehrsamkeit darin. Im
Grund sind doch überhaupt die isländischen Linguisten ein bischen
gelehrter als unsere Adelunge I
Fast scheue ich mich, Sie mit Anfragen zu behelligen, bevor
Sie mir nicht ausdr. Erlaubnis dazu geben. Daher nur einiges
aus der ersten Helgaquifa.'. Wie lesen Sie die vier ersten Zeilen
der siebenten Strophe (incip. Drott fotti sa dauglingr vera etc.)?
Lesen Sie in der neunten ympis liomay oder mit Olafsen 112.
ynpis? In der iß'«"* fianda a milli, oder mit Olafsen p. 56.
fr an da a m.? — Wie erklären Sie in der 21"^" ognar lioma?
liomiy Schein, Glanz. Aber ognar von ogn terror? anderwärts
steht: or oduccum ognarlioma (Schreckenflamme). — Schwieriger
ist Str. 24 seint quap at telia af traun o eyri^ wo die Wolsunga
S. leider nur hat: nu er icke hägt at telja. Ich denke an eyri
(femin.) Küste, und das altdeutsche Tran, später Stran, jetzo
Strand.2. — Str. 29. varpat hraunnom haufn ping loga, ist mir
nicht recht klar. — Str. 44. tauttryg hypia. Man sieht wohl,
dass hypia die weibliche Endung eines Adj. oder Participiums ist, ^
wie rikia etc. etc. und die erste Silbe in tauttryg ist wiederum
deutlich (conf. Ihre v. to Lumpen, Fetzen) aber nicht so die Zu-
sammensetzung mit tryg. — Sed in his subsisto.
Ich habe die Ehre mit vollkommenster Hochachtung zu seyn
Ew. Wohlg.
ganz ergebener
Grimm.
PS,
Sollten Sie Sich mit Besorgung des Ms, von Reinecke F. zu
befassen nicht die Güte haben wollen, so wünsche ich wenigstens
die Adresse zu erhalten, wohin man sich nach Stuttgart etc. etc.
zu wenden hat?
I. Helgakvida Hundingsbana I.
2 Im Originalbrief ist mit Bezug hierauf an die Seite geschrieben:
in der Olaftryggvs. S. cap. "j"^, (IL Kr, i. 2gß) ein Schiff tranß,
3 Im Original ist hier als Einschaltung übergeschrieben:
conf. hervar, s. v, hiupa
30
Briefwechsel zwischen
VII.
Hall, den 22. Nov. 181 1.
Oeit 10. Tagen, verehrtester Herr StaatRAuditor , dass ich
Ihren letzten Brief vom 20ten in Händen habe, will ich Ihnen mit
jedem Posttag eine ausführliche Antwort auf diesen und Ihren
vorhergehenden, mir äusserst schätzbaren vom 23. jul. schreiben;
allein mit jedem Tage trügt mich die Hoffnung, so viele Müsse
zu erhalten, und selbst dieser Vormittag, den ich aufs ernstlichste
dazu bestimmt hatte, ist mir durch unaufhörliches Red- und Ant-
wortgeben zu Grunde gegangen. Schon ist es Mittag, und um
die Post, die um 3. Uhr abgeht, nicht abermals zu versäumen,
will ich Ihnen wenigstens Ihre Hauptanfrage kurz und bestimmt
beantworten, und nur als Hauptentschuldigung meiner Ver-
zögerung der Antwort auf Ihren ersteren Brief Ihnen die Neuigkeit
melden, dass Se. Majestät, der König, unerachtet ich kurz zuvor
die allergnädigsten Versicherungen für das hies. K. Gymn. und für
meine Person insbesondere erhalten hatte, sich in der Mitte des Jul.
auf der Reise bewogen gefunden haben, die sämtlichen Gymnasien
in denjenigen Städten, die nicht das Prädicat »Unsere gute Stadt«
haben, aufzuheben. Leider war unter diesen auch die hiesige
Stadt, und somit auch das K. Gymnasium. — Dass mir dieser
Umstand neue Beschäfftigungen ganzeigener Art zugezogen hat, die
meine literarische Correspondenz unterbrachen, können Sie nun,
ohne weitere Auseinandersetzung selbst ermessen. No.ch bin ich
übrigens hier, und bis zu der, mir allergn. decretirten Versetzung —
ist mir einstweilen mit Beybehaltung jedes honorifici & utilis das
Rectorat des Neuen Instituts übertragen — auch bin ich noch
Ephorus des bis jetzt nicht aufgehobenen Königl. Alumneums.
(Von alle diesem bitte ich jedoch vor der Hand in öffentlichen
Blättern keinen Gebrauch zu machen.)
Also die Handschrift des Reynaerd de Vos betreffend, so ist
meine, schon Vorjahren eigenhändig genommene und deutlich ge-
schriebene Abschrift in den isten Band von Odina und Teutona
(öder den 8ten von Bragur) aufgenommenen,^ und ich konnte sie
I Bragur 8, S. 265—375.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 3I
also, als ich Ihren Brief erhielt, Ihnen nicht mehr mittheilen —
denn da ich mehrere einzelne Programme d. d. darin niedergelegt
habe, so glaubt' ich vorzüglich auch, dass meine vier Programme
über die Merkwürdigkeiten der Comburger Biblioth. wovon die
entdeckte Handschrift des flammändischen Reineke den Beschluss
macht , darin des Aufbewahrens werth seven. Diesen Abdruck
des Textes sollen Sie nun sogleich erhalten, wie er aus der Presse
kommt, und zwar unmittelbar nach Cassel, wozu ich die gemes-
senste Weisung geben werde. Auf die Richtigkeit desselben dürfen
Sie sich verlassen, und unter dieser Vorausseftzung wird Ihnen auch
die Vergleichung mit dem Abdruck lieber seyn als mit meiner
Abschrift. Die wenigen Abbreviaturen habe ich alle gewissenhaft
beybehalten.
Uebrigens ist dieser Reynaerd in Versen, und der Verf. heisst
sich Willhe'lm. Doch die Kürze der Zeit gebietet mir zu
schliessen, und indem ich alles andere auf meinen nächsten Haupt-
brief aufbehalte, lege ich Ihnen blos die Blätter aus meinen Pro-
grammen, welche davon handeln, zu vorläufiger Notiz bey.
Hochachtungsvoll indessen
Der Ihrige
F. D. Gräter.
VIII.
Cassel am 12 Mai 1812.
D,
ie unterbrochene Correspondenz mit Ew. Wohlgeb. wieder
zu erneuern würde ich mich ohne die Veranlassung des In-
halts gescheut haben. Ich weiss nicht, ob Ihnen meine Frei-
müthigkeit, welche neben der aufrichtigsten Hochachtung Ihrer
Verdienste, (als die auf mein Lob nicht zu warten brauchten) be-
stand, oder etwas anderes in unseren Unternehmungen misfallen
hat; so viel ist gewiss, dass mehrere Gründe zusammentrafen, um
mich auf eine gewisse Ungeneigtheit Ihrerseits schliessen zu lassen.
Auf meine zum Theil angelegentliche Briefe empfing ich nur
kurze, eilige und späte Antworten, welche die Hauptsache ab-
sichtlich liegen zu lassen schienen; um einen anderen Beleg zu
32
Briefwechsel zwischen
geben, Sie federten durch gedruckte Circulare zu Beiträgen für
Id. u. H. auf, dessen eines selbst an einen Freund von mir ge-
schickt wurde, der sich nie ex professo mit altd. oder nord. Lit.
beschäftigt hat;^ ich bescheide mich gern, dass ich kein Recht
auf diese Ehre habe und Ew. Wohlgeb. diese Zeitschrift reichlich
mit lauter eigenen Aufsätzen auszustatten vermögen ; es wäre mir
vielleicht nichteinmal aufgefallen, wenn ich mich nicht erinnerte,
Ihnen früher Beiträge zu Bragur aus freien Stücken angeboten
zu haben, ohne dass darauf irgend eine Antwort erfolgt wäre.
Ich denke von dem Werth meiner Arbeiten übrigens sehr be-
scheiden und habe des ganzen Umstandes hier nur zu meiner
Entschuldigung erwähnt, dass ich auf Ihr geehrtes letztes Briefchen
nicht geantwortet.
Die Concurrenz in dem Reinhart Fuchs kann mir durchaus
nicht zur Last fallen, ich hatte erst lange nach meiner Ankündi-
gung und erst durch Sie selbst von der Existenz des flandrischen
Gedichts gehört und wäre von selbst von der natürlichen Idee,
es ebenfalls zur Herausgabe zu erlangen, abgewichen, wenn ich
gehört hätte, dass Sie es bereits drucken lassen wollen, worüber
ich mich herzlich freue. Beide Gedichte sind im Inhalt ganz
verschieden, und es findet zwischen uns keine Collision statt,
den Vortheil der früheren Erscheinung haben Sie ohnedem dabei.
Sie haben, geehrtester Herr Professor, in Num. 17. 18. der
I. u. H.2 (die mir vorgestern zugekommen sind) einen Aufsatz
über oder mehr gegen unsere Edda einrücken lassen, wir fühlten
uns zu der beifolgenden Erwiederung begreiflich gedrungen, wir
haben das feste Vertrauen, dass Sie lieber in kleinen Dingen ein
eigenes Unrecht eingestehen, als unserm Unternehmen schaden
und uns in einer für uns so bedeutenden Angelegenheit kränken
wollen, wir sind so frei, um baldigste Insertion zu bitten, wenn
auch der Mannichfaltigkeit wegen das Ganze in mehrere Blätter
vertheilt werden muss. Können Sie, ohne Ihre Kosten, ein
besonderes Intelligenzblatt dafür bestimmen, so ist das voll-
kommen einerlei. Sie werden sehen, dass in dem ganzen Aufsatz
1 Nach Grimms nächstem Briefe ist Arnim gemeint.
2 Jahrg. I, Nr. 17. 18 (S. 65 — 68. 71 — 72); die Recension, von Gräter
selbst herrührend, führt den Titel: »lieber den Aufsatz: Die Lieder der alten
Edda. Eine näheje Ankündigung der Herausgabe des 2ten Theils der sämun-
dinischen Edda von den Herrn Gebrüdem Grimm zu Cassel. Im Morgenblatt,
1812. Nr. 65. 66. 67 u. 68.«
J. Grimm und Fr. D. Gräter. ^^
keine Leidenschaftlichkeit stattfindet, wiewohl sich eine gewisse
Empfindlichkeit natürlich schwer verbergen Hess, erblicken Sie
Selbst darin, dass wir Ihnen zu allererst unsere Erwiederung unter
werfen, einen Beweis unserer Hochachtung, und Offenherzigkeit.
Nichts würde uns besser zeigen, dass Sie mit einer ähnlichen
Gesinnung unsere Antwort aufnehmen, als wenn Sie solche für
würdig halten, mit Ihren eigenen widerlegenden oder berichtigenden
Fortanmerkungen zu begleiten.
In wiefern dieser Anlass unserm Briefwec^hsel wieder aufhilft,
wird blos von Ihnen abhangen, im glücklichen Fall würde er für
uns angenehme Folgen gehabt haben. Auf jeden Fall bitte ich
ergebenst um ein Paar Zeilen mit einer der nächsten Posten, ob
Sie den Aufsatz einrücken lassen wollen; ich habe keinen andern
Ort für ihn, da die Redaction des Morgenblatts und wegen seines
für ihr Publicum unpassenden Inhalts mit Recht Schwierigkeiten
machen dürfte.
Der ich die Ehre habe mit unausgesetzter Hochachtung zu
beharren Ew. Wohlgeb.
ganz ergebenster
Jacob Grimm.
N. S.
Mit grosser Mühe und unverhältnismässigen Kosten habe ich
neulich zwei Exemplare von Graberg saggio istorico su gli
scaldi o antichi poeti scandinavi. Pisa 1811, erhalten, das Buch
ist prächtig gedruckt (253. S. gross 8.) aber mehr deshalb und
weil es von einem Schweden italienisch geschrieben worden^ eine
Rarität, als innerlich bedeutend. Gern biete ich Ihnen ein Ex.
davon an und verlange dafür nichts anderes, als dass Sie mir auf
14 Tage oder höchstens 3 Wochen Ihr Exemplar von spe einten
5. 6. 7^8. des Thorlacius leihen, damit ich mir einige Blätter zu
meinem heft weise empfangenen Ex. ergänzen kann.
I Im Original ist mit Bezug hierauf am Ende des Briefes hinzugesetzt :
auch Ragn. Lodbr. 2. ist darin grösstens übersetzt, ferner
Hävamal '
34
Briefwechsel zwischen
IX.
praes. 28 Mai.
[dies von J. Grimms Hand] Schw. Hall, am 20ten May, 18 12.
Üw. Wohlgeborn Schreiben vom I2ten d. habe ich vorgestern
den i8ten erhalten, und eile, Ihnen heute die Nachricht zu geben,
dass ich Ihre Antikritik in die Beylagen von Idunna u. Herrn,
wiewohl natürlich mit Beantwortung derjenigen Stellen, mit denen
ich mich nicht vereinigen kann, baldmöglichst einrücken im lassen
gar nicht abgeneigt bin. Nur muss ich erst das i/te u. i8te Stück
zur Hand erhalten, worin meine Bemerkungen über Ihr Vornehmen,
dessen Verdienstlichkeit ich ja gewiss nicht in Zweifel gezogen
habe, sich abgedruckt enthalten sollen. Denn ich besitze bis
diesen Augenblick (durch welchen bösen Zufall ist mir unbekannt)
noch nicht mehr als die 10. ersten Stücke, und kann mich durch-
aus nicht mehr jedes Ausdrucks erinnern, obgleich im Ganzen,
dass ich diesen Aufsatz vor der Absendung mehrfach durchgelesen,
und eben, um Ihnen keinen Anlass zu Voraussetzungen, von denen
Sie sprechen, zu geben, mehrere Stellen weggestrichen habe.
Ueberhaupt wird der Gesichtspunct anders, nachdem Sie erklären,
dass Sie blos diejenigen Lieder, die zu dem Cyclus des Helden-
buchs und der Niebelungen gehören, und nicht die Pars altera
EddcB ScsmundincB im Namen des Magnäanischen Instituts oder
doch als Stellvertreter desselben heraus geben wollen.
Doch darauf muss ich nun schon öffentlich antworten, und
breche daher von diesem Gegenstand ab.
Sie beschweren sich über meine späten und kurzen Antworten.
Allein die Hauptschuld davon war wohl die, dass meine Müsse
durch die Herausgabe der beyden Zeitschriften gänzlich absor-
birt war.
Durch ein gedrucktes Circular bedurfte ich Sie nicht erst zu
Beyträgen aufzufordern, ich hatte mir diese, so glaubte ich wenig-
stens bestimmt, schon schriftlich ausgebeten, und Sie antworteten
mir darauf: das würden Sie, sobald Sie wüssten, dass der Druck
seinen Anfang nehme.
Dass an einen Freund von Ihnen ein dergl. Circulare kam,
der sich nicht ex professo mit den N. u. d. Alterthümmern be-
J. Grimm und Fr. D. Gräter. oc
schäfftigt, kann ohne mein Wissen geschehen seyn, da ich einigen
Freunden mehrere Exemplare dieser kurzen Aufforderung zu-
schickte, um solche wieder an ihre Bekannten gelangen zu lassen.
Uebrigens wäre es mir doch interessant zu wissen, wer derjenige
Ihrer gelehrten Freunde ist, an den diese Einladung sich verirrt
haben sollte.
Wenn Ihr Reinhart Fuchs von meinem Reynaerd de Vos
gänzlich verschieden ist, wie mir aus den Proben von Ihnen auch
gleich Anfangs einleuchtend schien, desto besser! Vermuthlich
haben Sie bereits den ganzen Abdruck des meinigen in Händen;
denn fertig muss er seyn, obgleich ich noch keine Zeile davon
gedruckt erhalten habe. So langsam gehen die Sendungen aus
Breslau durch Böhmen hieher an die Schwäbische Grenze.
Leidenschaftlichkeit finde ich in Ihrem Aufsatze zwar nicht,
ich wünschte aber, dass Sie auch die Empfindlichkeit unterdrückt
hätten ; so dürfte ich nichts darauf erwiedern, wiewohl es mir be-
lehrend ist, hieraus zu ersehen, wie Sie mich und meine allenfallsige
Einsicht in die Sache taxiren.
Ich denke übrigens bey alle dem, der Streit soll sich nicht
anders als zum Besten des Guten und der Wahrheit enden, und,
nachdem wir uns beyderseits unsere Meynung freymüthig gesagt,
und das wahrhaft oder Vermeintlich beleidigte Selbstgefühl gerächt
haben, uns nur desto mehr Achtung für unsre beyderseitige Kraft
einflössen, und uns vielleicht einer Freundschaft fähig machen, die
sich eben darauf, und nicht auf blosse Gefälligkeiten gründet.
Wenn Sie mir indessen miit dem allernächsten Postwagen
Ihr übriges Exemplar von Gräbergs Saggio istorico su gli Scaldi etc.
zusenden wollten, würden Sie mich deswegen sehr verbinden,
weil eben in der Sammlung m. Sehr, über die Nord. Vorzeit der-
jenige Bogen in der Presse ist, der die Zusätze zu dem Regner
Lodbroksgesang anfangt. Vielleicht könnt' ich davon noch Ge-
brauch machen. Eben so willkommen war' es mir, wenn Sie ein
zweytes Exemplar von Rask Isländische Sprachlehre be-
sässen, und dieses beyfügen wollten. Durch welches Geschick
ich sie noch nicht erhalten habe, weiss ich nicht. Aber dass ich
sie noch nicht besitze, ist gewiss. In der A. L. Z. hatte ich
übrigens Ew. W. sogleich als den Verfasser der ausführlichen
Kritik hierüber, die mir sehr interessant gewesen ist, erkannt.
Leid ist es mir übrigens, Ihren Wunsch in Hinsicht der Spec.
Thor ladt nicht auf die Art erfüllen zu können, wie es Ihnen
3*
'liß Briefwechsel zwischen
am angenehmsten zu seyn scheint. Das 4te und 8te könnte ich
Ihnen in keinem Falle zuschicken, weil das 4te mit den früheren
zusammengebunden ist, die ich wegen einer mythologischen Aus-
einandersetzung , die sich gerade auf diese Gegenstände bezieht,
nicht entbehren kann. Und das 8te besitze ich noch nicht. Das
6te und /te ist ebenfalls zusammengebunden; ersteres könnte ich
gegenwärtig wohl entbehren, aber letzteres nicht. Ich erbiete
mich daher, da Ihnen nur einige Blätter fehlen, Ihnen solche in
den ersten zwey Tagen nach Empfang der nöthigen Anzeige dieser
Blätter mit der grössten Genauigkeit abschreiben zu lassen, und
nach sorgfältiger Revision Ihnen solche ohne Verzug zuzusenden.
Dagegen wünsche ich ein Exemplar von Spec, Vlil. das die Fort-
setzung des Commentars von Thörs-drapa enthalten wird. Können
Sie mir dieses lehnsweise oder einstweilen abschriftlich verschaffen,
so werden Sie mich verpflichten, und ich will gerne die Kosten
dafür ersetzen, so wie für Grabergs Saggio,
Hochachtungsvoll, indessen
Ew. Wohlgeboren
gehorsamster Diener
Graeter.
N. S.
Dieses Schreiben sollte heute den 2isten mit der reitenden
Post abgehen, kam aber um einige Minuten zu spät; es kann
daher erst übermorgen, den 23sten d. abgeschickt werden.
X.
Cassel 29 Mai 1812.
E
rS macht mir viel Vergnügen, hochgeehrtester Herr Professor,
Ihren Wunsch zu erfüllen und Ihnen gleich mit der heutigen Fahr-
post den Gräberg zuzusenden; wäre es nur etwas besseres. In
der That und nun gar fiir einen geborenen Schweden, gehört eigene
Unverschämtheit dazu, mit einer so elenden Abhandlung der wich-
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 37
tigsten, schwersten Gegenstände hervorzutreten ; für Ihre R. L. 2.
wird sich aus den einzelnen hier paraphrasirten oder excerpirten
Strophen kaum etwas Gutes nehmen lassen. Der Vf. (der sonst
in der mittleren Geographie rühmliche Einsicht haben soll) scheint
gar nichts von dem zu wissen, was seit den letzten 50 J. in Däne-
mark geschehen und geschrieben ist; Sie müssen Sich doch die
Mühe nehmen, die Schrift zu durchlaufen und ich bin überhoben,
es jetzt noch einmal zu thun, um ein Paar lächerliche Beispiele
zum Besten daraus zu geben. Französische Critiker haben das Buch
nicht genug gewusst zu loben, ich denke nächstens eine ganz
entgegengesetzte Rec. zu schreiben, und selbst den schönen Druck,
als unnütze Verschwendung zu tadeln.' Sehen Sie also bei diesem
kleinen Beitrag zu Ihrer Bibliothek, weniger auf den innern Werth,
als auf den animum domantis,
Dass Sie unsere Erwiederung in Ihre Zeitschrift aufnehmen
wollen, erkenne ich mit schuldigem Dank und hatte es ganz so
erwartet; durch Aufrichtigkeit werden unter rechtlichen Leuten
Misverständnisse am besten und reinsten aufgehoben, die Gerechtig-
keit mittelt sich so von selber aus und auch über den Ton unserer
Polemik werden wir in Zukunft nicht weiter Ursache haben gegen
einander zu klagen. Da mir jede Zögerung des Abdrucks unan-
genehm ist, so werden Sie mich durch dessen Beförderung sehr
verbinden , um so mehr , als ich doch glaube , dass es auf buch-
stäbliche Einsicht Ihres Aufsatzes nicht ankommt, wir ihm auch
nirgendwo einen andern Sinn untergelegt haben, als den er
wirklich hat.
Schmeichelhaft war mir die Voraussetzung, worunter Sie
glaubten mich wirklich zu Beiträgen für Id. u. H. aufgefodert
zu haben, indessen gehe ich so eben Ihre Briefe durch und finde
keine Silbe davon, ja nicht einmal eine Erwähnung der Zeitschrift,
deren Erscheinung ich erst durch die öffentlichen Blätter erfuhr.
Wie ich also in dieser Beziehung geschrieben haben soll, dass ich
nur den Anfang des Druckes abwarten wolle, begreife ich gänzlich
nicht. Arnim war gerade hier bei uns zum Besuch, als er die,
wo ich nicht irre eigenhändig von Ihnen unterschriebene gedruckte
Einladung empfing und uns zeigte, ich durfte wohl von ihm sagen,
dass er die altdeutsche Poesie nicht ex pro f es so treibe, wiewohl
er sich dafiir lebhaft interessirt und es ihm ein leichtes seyn
I Diese Recension erschifii in Nr. 317 der Leipziger Literatnr-Zeitung, 1812.
^3 1 Briefwechsel zwischen
müsste, sie mit geistreichen Ansichten zu beleben; auch Do-
browsky aus Prag schrieb mir beiläufig ein Circular erhalten zu
haben, dieser würdige Gelehrte würde freilich auch ein Fach, worin
er nicht zu Hause ist, durch die Mannichfaltigkeit seiner ' Kennt-
nisse erläutern können ; es ist Ihnen daher in der Sache durchaus
nicht zu verdenken, dass Sie solche Namen für ein Unternehmen
zu gewinnen suchten, welches, wenn es einmal in der Gunst des
Publicums feststeht, hoffentlich auch einen um das doppelte ver-
mehrten Spielraum fodern wird.
Auch die früher versprochenen Druckbogen des Reynaert
Vos habe ich niemals bekommen, bitte aber nun, da das Ganze
schon fertig ist oder bald seyn wird, die deshalbige Bestellung
nicht zu erneuern, weil mir dadurch unnöthige Portokosten ent-
stehen würden. Inmittelst hat Wekherlin den Neugierigen
einige Proben mehr gegeben,^ (in Ihrer Ausg. wird das ohne
Zweifel correcter erscheinen, z. B. S. 132 grongaerde ist soviel
als unser : Grün oder Gelbschnabel — cf. Tkoflac, sp. vi. 1 26 —
Seite 139 sind die Namen falsch abgetheilt, ibid. vederslach st.
wederslach u. s. w.) es erhellt, dass die comb. H. S. leider nur
einen Theil des flandrischen Gedicht^ aufbewahrt hat, denn
dass dem Inhalt nach ebensoviel gereimt vorhanden gewesen
seyn muss, als unser plattd. Gedicht gibt, beweise ich sehr leicht
mit dem alten delfter Druck der Prosa, worin am Ende nicht
weniger als am Anfang die alten Reime häufig durchschimmern.
Ich denke aus Ihrer Ausgabe für den Commentar des vatic. Ge-
dichts viel Nutzen zu ziehen, dieser wird etwas umständlich werden,
allein über die Thiernamen mehrere Bogen lang.
Seitdem ist auch in neueren Blättern der Id. Ihre Übersetzung
der Vol. Q. gedruckt erschienen ,2 leider ohne den Originaltext>
ich war auf manche Variante gespannt, und nun werden wir immer
noch einige Zeit warten müssen. In der Abtheilung der Strophen
weichen wir ab, den Eingang in Prosa werden Sie hier absichtlich
ausgelassen haben. Ihre Übersetzung lässt sich sehr gut lesen,
eben aber wegen der Freiheit, die Sie sich, der Gewandtheit im
Deutschen zu gefallen, genommen haben, ist es schwer zu be-
I »Beyträge zur Geschichte altteutscher Sprache und Dichtkunst, von Ferdinand
Weckherlin. Stuttgart i8ii<; S. 125 — 151: »Zur Geschichte und Litteratur des
Reineke Fuchs.«
a Idunna und Hermode, Jahrg. I, Nr. 19 und 20: »Das Lied von dem
finnischen Königssohn Wölunder«.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. ^g
Stimmen, ob Sie einige Phrasen anders verstehen oder wirklich andere
Lesarten haben. Str. 3. sagen sie: und am 9'«" da kostets Müh
— der C. reg. enn inn niunda naupr um scilpi; zweideutig
nachdem man nauj)r durch Noth oder Ver^vandschaft, Ehe (wie
das lat. necessitudo) erklären will. Str. 4: die trefflichen Schützen;
der cod. reg. hat den sing. u. vegreygr. Str. 6: blank war
sein Harnisch. Cr. negldar voro brynior, genagelt, beschlagen
waren die Brynien etc. etc. Weiter zu verfolgen, fehlt es heute
an Zeit, damit das Paquet die Post nicht verfehlt. Melden Sie
mir doch gefällig in Ihrem Nächsten, wie der c. vidal. die 4 ersten
Zeilen (Fiordungr) Ihrer neunten, die 4 ersten Ihrer zwölften, die
4 letzten Ihrer aöste»^ liest? und ob Sie Str. 22 und 32 undir fen
f i ö t u r s haben, welches mir dann in Ihrer Uebersetzung zu allgemein
ausgedrückt scheint; fen wüsste ich durchaus nur durch Sumpf,
Moor, plattd. fenn, finne (s. Adelung h. v.) zu verstehen, wie
wohl fiöturs nicht ganz dazu passen will. Str. 26. initio: mehr
Schönheit wies sie, da bracht er Bier'' setzt um so eher eine
verschiedene Lesart voraus, als Thorlac. sp. IV. p. 7/. mit einer
leisen Änderung {;uissi statt kunni) gleich dem Cod. reg. liest:
bar hann hana biori, I)uiat hann betr kunni, auch übersetzt:
utpote qui doctior. Doch ich gerathe wieder hinein, wo ich ab-
brechen wollte, interessant waren mir die orthographischen Varianten
Chlodwer, Chladgudr, wofür wir hlaupver, hlapgupr — Bakrader
Str. 37. wohl Druckfehler für Dakradr, da das Metrum prakrapr
verlangt, was ich im Deutschen durch Dankrat geben würde,
wie takke danken. Gegen die Anwendung der Reime hätte ich
weniger, als dagegen, dass Sie dabei keine gleiche und feste Regel
halten. Allein unleugbar würde Ihre Übersetzung durch diesen
Zwang anderwärts wieder eingebüsst haben. Dies lobende und
tadelnde Urtheil gilt auch von der übrigens nicht minder gelungenen
Übersetzung des runhendischen Lieds- von Ormr Sturleson' (in
dessen isländ. Abdruck die vierte Zeile der ersten Str. ausgefallen,
aber wohl leicht zu restauriren ist.) Unter Ihren übrigen Auf-
sätzen in I. u. H. ist mir Ihre Rec. der müllerschen Abh.^ lehr-
reich gewesen, besonders wegen der nachgewiesenen allerdings
merkwürdigen Stelle.
1 Idunna und Hermode, Jahrg. I, Nr. 13: »Sniolfs Lied, von dem Kampf
in dem Dorfe Grund auf Island. 1362.«
2 Idunna und Hermode, Jahrg. I, Nr. 7; über P. E. MüUer's Schrift über
die Echtheit der Asalehre.
40
Briefwechsel zwischen
Was die von mir gewünschten Hefte des Thorlac. betrifft, so
muss entweder ich mich verschrieben, oder Sie mich misverstanden
haben. Denn sp, 4.. das Sie jetzt nicht entbehren wollen, brauche
ich gar nicht, da ich es vollständig habe. Sp. 8. habe ich eben-
falls noch nicht, nebst mehrern Sachen, die Hammerstein für uns
angekauft, hält es zu Lübek Quarantaine und Gott weiss, wann
es ankommen wird, sollte es sich doppelt finden, (denn dies ist
leicht der Fall) so versteht sich, dass Ihnen ein Ex. zu Dienst
steht. Sp. 7 besitze ich von pag. i — 128. Da Sie dieses durchaus
nöthig haben, so bitte ich, falls des fehlenden nicht gar zu viel,
mir eine Copie davon zu senden. Von sp. 6. habe ich nur i — 64
(fin. verbis: est Iduna at) es mangelt also ziemlich, in gleichem
Verhältnis mangelt mir in sp. 5. Da Sie sp. ß. jetzt gar nicht
brauchen, so erwarte ich dies von Ihrer Güte mitgetheilt, sp. 6.
könnten Sie wohl (wenn kein kostbarer Band zu verderben) von
sp. 7. losschneiden, der demnächstige neue Einband geht auf meine
Kosten. Sie legten wohl noch Sjöborgs Rigsmäl zur Einsicht
bei. Ich sende Ihnen alles gewiss 14 Tage nach Empfang wieder,
weil ich mir das fehlende nicht wörtlich abschreiben, sondern blos
excerpiren will, denn ich bekomme das Ganze doch einmal
in natura. So vermeiden wir die Kosten der Abschrift und Ihnen
wird die Mühe der Correctur erspart. Haben Sie die Güte das
Paquet mit nächstem Postwagen abzusenden. Mein Bruder em-
pfiehlt sich mit mir Ihrer Freundschaft und Gewogenheit. Hoch-
achtungsvoll der Ihrige
J. Grimm.
N. S.
es fällt mir eben ein, um dem bösen Zufall, der Ihnen Ihre eigene
Zeitung vorenthält, einen Streich zu spielen, dass ich dem Paquet
mein Ex. von n. 17 u. 18 beilege. Dies verübeln Sie gewiss nicht,
da mir aus aus. Gründen an der Förderung unseres Aufsatzes
liegt. Ich bitte aber die beiden Blätter den spp. Thorlac. wieder
beizulegen.
Im Originalbriefe ist auf der ersten Seite an den Rand geschrieben:
Zu einem Ex. von Rasks Gr. weiss ich leider keinen Rath zu
schaffen. Der böse Schlagbaum I
J. Grimm und Fr. D. Gräter. ai
XI.
Cassel 24 Juli 18 12
Werthgeschätzter Herr Professor,
s,
Sollten Sie das nun schon 2. Monate an Sie abgesandte
Paquet mit Gräbergs Saggio und einigen Num. von Id. und H.
nicht mit dem Postwagen empfangen haben ? Ich gerathe darüber
nach und nach in Unruhe, da ich erwarten durfte, dass Sie diesmal
mich nicht so lang harren lassen würden, zudem ich um eine
Gegenmittheilung dringend bat.
Ebensowenig ist bis zu N. 29. der Idunna der bewusste Artikel
abgedruckt, dafür findet sich ein boshafter Ausfall Hagens.^ Sollte
dieser das andere bei Heinze hintertreiben? Gewiss gegen Ihren
Willen. Leid thut es mir auch dass Heinze einen schon vor 4 Jahren
oder länger geschriebenen Aufsatz meines Bruders anficht ,* in
dieser Zeit ändern sich die Ansichten, wenn man in demselben
Fach fortstudirt, hier und da und es wäre sehr leicht Hm Heinze
noch ganz andere Waffen an Hand zu geben. Doch auf allen
Fall ehren wir seinen Ernst und Eifer und wie es scheint Partei-
losigkeit. Ueber andere Aufsätze der Zeitschrift hätte ich Ihnen
mancherlei zu sagen, einstimmend und abweichend, weiss aber
nicht, ob Sie es hören mögen.
Eben ist von uns eine neue Edition und Erklärung des alten
Fragments von Hildebrand u. Hadubrand, desgl. des berühmten
wessobrunner , das Sie auch einmal commentirten,^ erschienen.
1 »Wie es in den Wald hinein schallt, so schallt es wieder heraus«; datiert
vom 14. März 18 12 und gerichtet gegen Jacob Grimms Recension von Hagens
Buch der Liebe (in der Leipziger Litteratur-Zeitung 1812 , Nr. 62 — 64); Idunna
und Hermode, Jahrg. I, Anzeiger Nr. 13.
3 »Ueber die Anwendung der nordischen Mythologie auf Germanien«, Idunna
und Hermode, Jahrg. i, Nr. 29; gerichtet gegen Wilhelm Grimms > Ueber die
Entstehung der altdeutschen Poesie und ihr Verhältniss zu der nordischen < (in
Daub und Creuzers Studien, 1808, S. 75 — 121. 216 — 288).
3 Bragur 5, S. 118 — 155: »Das älteste teutsche Gedicht nach der, aus dem
einzigen Originale desselben in dem Bayerischen Kloster Wessobrunn von Herrn
Pater Anselm EUinger verfertigten, ersten diplomatischen Abzeichnung in Kupfer
gestochen. Erläutert von F. D. Gräter.«
A2 Bricfwcclisel zwischen
Auch das letztere ist in seiner alliterirenden Gestalt dargestellt
und somit Ihr damaliger Zweifel, ob es wirklich ein Gredicht ? gelost.
Bei erstem weichen wir oft genug von Reinwald ab. Dies ist ein
bioser Einschluss und soll Ihnen daher nicht als förmlicher Brief
angerechnet werden, mit herzlicher Hochachtung
der Ihrige
Grimm.
XII.'
Stuttgard, den 23. Aug. 181 2.
Hochzuehrender Herr Staatsraths-Auditor,
JlLs ist mir unangenehm, dass ich Ihrem eigenen Vorgang zu
Folge mit einer so fremden Anrede meine lange verzögerte Ant-
wort beginnen soll. Zwar scheine ich eben deswegen es zu ver-
dienen ; allein ich scheine es nur. Unter allen neueren Schriftstellern
über Nordische und Altteutsche Literatur hat mir in der That
keiner soviel Bewunderung und Achtung eingeflösst als Sie. Es
ist vielleicht eine Folge Ihres grossen Strebens und des idealischen
Bildes der Vorzeit, das noch jugendlich schön vor Ihrer Seele
steht, wenn Sie mit mehr Geringschätzung, als es billig scheint,
allein oder in Verbindung, auf andre herabsehen; denn ich em-
pfinde das Unrecht, das andern geschieht, gewöhnlich tiefer, als
das, was mir selbst angethan wird. Ohne bestimmt jetzt die Fälle
angeben zu können, in denen ich diess gefühlt habe, muss ich es
Ihnen im Allgemeinen bekennen; und es dünkt mich, wenn Sie
mir erlauben, aufrichtig zu seyn, Männer, die mit solcher Thätig-
keit und Umsicht, und mit so glücklichen Verbindungen, arbeiten,
bedürften es gar nicht, ihren Ruhm mit auf den Schatten anderer
zu gründen.
Wie Sie es nehmen mögen, und ob meine Empfindung eine
blosse verwerfliche Eigenliebe oder ein gerechter Stolz ist, ich
1 Dieser Brief gieng erst mit dem vom 5. Sept. ab; s. u.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. ' a^
kann nicht leugnen, auch auf mich selbst hat die Art Ihres Ur-
theils und Ihres Benehtnens einen unangenehmen Eindruck gemacht.
Sie geben ihm zwar in Ihrem vorletzten Briefe nur den Namen
einer Empfindlichkeit, allein sie ist etwas mehr, und mein Wunsch,
dass sie diese möchten unterdrückt haben, war gewiss gerecht.
Wir, die wir beyderseits zur Ehre und Empfehlung des poetischen
und mythischen Alterthums des Nordens arbeiten, hätten uns am
wenigsten entzweyen sollen. So kommt es mir wenigstens vor;
und von Ihnen allein hing es ab.
Doch vor allem zur Beantwortung Ihres letzten Briefes vom
24. Jul. den ich erst vor einigen Tagen, kurz vor meiner Abreise
nach Stuttgard erhielt.
Das Paket mit Gräbergs Saggio und den Nummern 17 u. 18,
von Idunna u. Herm. ist allerdings an mich angekommen, aber
bey weitem nicht so lange schon, als Sie glauben. Ich zögerte
hierauf nicht, Ihre Antikritik, die ich in dieser Form und Aus-
dehnung, so wie mit den darin enthaltenen Voraussetzungen und
gegenseitigem Tadel in der That für unnöthig hielt, nachdem ich
meinen eigenen Aufsatz, so wie den Ihrigen, nochmals durchlesen
hatte, — Schritt für Schritt zu beantworten. Auch hab' ich
Ihrer Aufforderung gemäss das vollständige Verzeichniss des Wi-
dalinianischen Codex mitgetheilt. Uebrigens war es mir keines-
wegs eine angenehme Arbeit, und ich hätte mich gern derselben
überhoben gesehen. Dessenungeachtet, da Sie ihre Antikritik
nicht zurücknehmen, auch die Empfindlichkeiten, durch die Sie
mich gewissermaassen herausfordern, nicht unterdrücken wollten,
musst' ich Sie abgehen lassen, und gerade so, wie sie ist. Ich
konnte mich aber gleichwohl — da mich diese Spannung zwischen
uns, so wie überhaupt jede, peinigt, — nicht enthalten, am
Schlüsse zu bemerken, man möchte diesen ganzen Streit für nichts
als eine Disputation halten, ein Act, bey dem man auch, nach
einem beyderseits heftigen und empfindlichen Kampfe, am Ende
doch bey einem fröhlichen Doctorschmause sich wieder vollkommen
auszusöhnen pflege, und ich überzeugte mich, dass der gegen-
wärtige Ihnen so wenig als mir vor den Augen des Publicums
zum Nachtheil gereichen werde. Wie dem aber auch nun sey,
ich wiederhohle es, die Beantwortung ging mir grösstentheils
contre coeur , und ich habe sie als eine Art von abgenöthigter
Selbstvertheidigung betrachten müssen.
44
Briefwechsel zwischen
Wenn sie etwas später erscheint' (bis Nr. 30 hab* ich sie
.noch nicht gefunden) so ist wohl der Umstand mit daran Schuld,
dass sie für die reitende Post nicht geeignet war, und der Post-
wagen Gang von hier nach ßreslau ein sehr trauriger Gang ist.
Uebrigens könnte sie nun doch wohl eingetroffen und abgedruckt
seyn. Doch sind mir schon , sogar Briefe , zwey Monate lang
unterwegs gewesen.
Was Hagens Ausfall, wie Sie es heissen, und Hein ze 's
Aufsatz betrifft, so könnt' ich nichts darüber sagen, indem ich so
eben erst hier in Stuttgard, die Nummern, worin sie sich befinden,
erhalten habe. Ersterer ist gänzlich ohne mein Wissen von Heinze
eingerückt, und mir grösstentheils unverständlich, da ich die Stücke
der Leipz. Lit. Zeit., worauf er sich bezieht, noch nicht gelesen
habe. Auch hätte ich kaum errathen, dass er Sie gelte; und
überhaupt sind mir alle Streitigkeiten dieser Art unangenehm.
Sind sie es denn nicht auch Ihnen?
Heinze's Aufsatz enthält vieles, mit dem ich einverstanden
bin, wiewohl er vollendeter seyn könnte. Auch ich konnte mich
mit den Ansichten Ihres Herrn Bruders nicht vereinigen. Uebri-
gens liegt in dieser Verschiedenheit der Meinungen durchaus keine
Beleidigung.
Eben so wenig halte ich es für Beleidigung, wenn Sie mir
die Verschiedenheit Ihrer Ansichten über die Aufsätze in Idunna
mittheilen, die ja ohnehin gar nicht die Prätention in sich halten,
in letzter Instanz abgesprochen zu haben. Sie regen die Unter-
suchung grösstentheils blos an, und geben Anlass zu weitern For-
schungen. Aber jemand soll und muss anregen. Theilen Sie
mir Ihre Bemerkungen mit, und erlauben Sie mir davon öffent-
lichen Gebrauch zu machen, nur mit der einzigen Bedingung,
dass die Auswahl derselben mir überlassen bleibe. Auch in
Bragur habe ich ja sehr oft Dinge zur Sprache gebracht, die
ohne diess vielleicht jetzt noch nicht, vielleicht nie gründlicher
wären untersucht worden , wie ZB. über die teutschen Geschlechts-
I Weder Grimms Antikritik noch Gräters Metakritik ist erschienen. Auch die
Manuscripte beider sind weder in Gräters Nachlass, noch, wie Herr Professor Herman
Grimm mir mitzutheilen die Güte hatte, in dem der Brüder Grimm. Es fehlt
mir also auch jeder Anhaltspunkt, um über die Berechtigung von Gräters Vor-
würfen mir irgend ein sicheres Urtheil bilden zu können.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. ac
namen,' über die Volkslieder und ihre Musik,» über die Gothischen
Quittungen 3 etc. Gleiche Bewandtniss hat es mit dem Wesso-
brunner Denkmal/ das nun auch Sie, wie Sie mir schreiben,
bearbeitet haben, und wovon der zweyte Theil meiner Bearbeitung
ja bereits seit 15 Jahren die Leipz. Censur passirt hat, aber noch
bis diese Stunde ungedruckt liegt.s Sie irren sich übrigens, wenn
Sie glauben, ich hätte es nicht gleich Anfangs für ein Gedicht
gehalten, und erinnern sich vermuthlich nicht, was ich darüber in
meinem ersten Programm über die Entdeckung der Anwendbarkeit
der Königsweise auf unsre jetzige Sprache gesagt habe. Ich bin
indessen sehr begierig, wie Ihre Alliteration, und meine, vor 15
Jahren versuchte in diesem Denkmal, miteinander einstimmen oder
auch abweichen werden.
Durch die Bearbeitung des Fragments von Hildebrand und
Hadubrand erwerben Sie sich in jedem Falle ein grosses Ver-
dienst. Von Ihnen war diess auch vorzüglich zu erwarten.
Hätten Sie mir lieber diese Ihre beyden neuesten Werke nebst
dem über den Meistergesang, als den gänzlich trostlosen Saggio
istorico zugeschickt, wofür ich mir übrigens die Rechnung zu
machen bitte.
Hiebey fühle ich mich indessen einigermaassen beschämt, da
Sie durch die Abänderung Ihrer Wünsche mich ausser Stand
setzten, Ihnen sogleich meine Dankbarkeit zu beweisen. Und so-
mit komm' ich auf die Beantwortung Ihres vorhergehenden Briefes,
den ich ebenfalls mit hiehergenomnien habe, weil ich in den ein-
samen Abenden oder Nächten im Gasthof eher als zu Hause zu
einer ruhigen Beantwortung Müsse zu haben glaubte.
Es ist Ihr Brief vom 29ten May mit Grabergs Versuche. Ihr
Urtheil über den letztern ist ganz das meinige. Nur suche ich
noch einen Grund der Entschuldigung darin auf, dass er in Italien
von allen Hülfsmitteln entblösst ist (Eichhorn führt er doch
an — sollte dieser in seiner Literargeschichte nicht unterrichteter
und nicht gerechter seyn?) und einen andern zu seinem Lobe —
dass er die Italiener wenigstens zuerst auf Nordens Schätze, wenn
I Bragur 5, Abtheilung i, S. 61 ff.; Abthl. 2, S. 65 ff.; Bragur 6, Abth. 2,
S. 100 ff. (Die letzte Abhandlung ist übrigens von A. C. Niz).
3 Bragur 3, S. 207 ff. Auch sonst enthält die Zeitschrift viel von Volksliedern.
3 Bragur 7, Abth. 2, S. 60 ff.
4 S. Anm. 3, S. 41.
5 Ist nicht erschienen.
aQ Briefwechsel zwischen
gleich mit unzählichen Misgriffen aufmerksam macht. Ich. habe
daher meine, in der ersten Unzufriedenheit niedergeschriebene
Kritik wieder zerrissen, und will sehen, pb sich das Werk nicht
billiger beurtheilen lässt. '
Ich wünschte das auch in Hinsicht Ihrer Antikritik. Denn
ich leugne Ihnen gar nicht, dass Sie in derselben die Mässigung
und Schonung meiner Bemerkungen nicht beobachtet haben.
Denn in jenen befinden sich meines Erachtens nur zwey Stellen,
die falsch gedeutet werden konnten — das innfialgt betreffend —
und der Schluss. Allein so wahr es scheint, dass das erstere ge-
straft heisse, um am Ende zu sagen, dass Sie die Strafe nicht
verdienen, — so auffallend war die Sache nicht sowohl, oder doch
nicht allein mir, sondern vielmehr andern. Ich assumirte also
das Widerspielende oder Seltsame, was sie darin fanden, um am
Ende sie durch die Erklärung zu beschämen, dass es ein blosser
Druckfehler sey, den sie mit einiger Aufmerksamkeit, eben so gut
hätten sehen können, als ich. Was aber das zweyte betrifft, so
ist es mein voller Ernst.^ Falls Sie sich alles dessen erinnerten, was
ich in 20. Jahren über die Zögerung des Magnäanischen Institutes
gemahnt habe, und das Interesse pflichtmässig finden, was ich an
den Pflichten dieses Instituts für den Dänischen Ruhm schon aus
meiner langjährigen Verbindung nehmen muss und nehme, könnt*
es Ihnen kaum auffallend seyn. Gegen Sie war es indessen
keineswegs gerichtet, und schwerlich wird unter den gegenwärtigen
Constellationen auch diese stärke Anmuthung einige Wirksamkeit
hervorbringen können. Aufrichtig gestanden aber müsste Ihnen
I Es erschien nur eine ganz kurze »vorläufige« Anzeige in Idunna und
Hermode, Band i, Nr. 50 (S. 199).
2 Gräter warf am Schlüsse seines Artikels (Idunna und Hermode, Jahrg. i,
S, 72) die vorwurfsvolle Frage auf: >ob denn Dänemark wirklich diesen nordischen
Nationalschatz [d. h. den von den Brüdern Grimm herausgegebenen zweiten Theil
der Edda] — ohne Schmer^ in fremde Hände geben, und dem ewigen Vorwurf
gleichgültig zusehen könne, dass die Nachwelt einst sagen wird: das sonst so
patriotische Dänemark sei nicht stolz , reich , thätig oder mächtig genug
gewesen , um dem ersten Theile der Edda aus dem Fonds des magnäanischen
Legats, und dem gelehrten Reichthum seiner Stipendiaten und Vor^eher, einen
zweiten in seiner eigenen Hauptstadt nachfolgen zu lassen ? « — Das oben erwähnte
innfialgt war durch Druckfehler in der Ankündigung der Grimmischen Edda an
eine falsche Stelle gerathen, und Gräter hat dies in etwas umständlicher Weise in
seiner Besprechung (a. a. O. Seite 66 f.) auseinandergesetzt, so allerdings, dass
sich die Brüder Grimm kaum ernstlich verletzt fühlen konnten, wiewohl sich ein
gewisser nergelnder Ton nicht verkennen lässt.
J. Grimm und Fr. D. Qräter. 47
die Vorarbeit des Magnäanischen Instituts gewiss selbst die will-
kommenste Gabe seyn.
Allein Sie haben in diese Antikritik so viel Neues gezogen,
und durch Belehrungen theils, die Sie mir geben, theils durch
wirkliche spottende Anspielungen mich gar zu sehr herausgefor-
dert, dass ich zwischen meiner Hochachtung und Liebe für Sie und
anderer Seits zwischen der Pflicht für mich selbst nur eine pei-
nigende Wahl hatte. Wie wird es wohl Ihnen nach 20. Jahren
gefallen, wenn ein späterer Schriftsteller, (wie es ebenfalls seyn
kann) Ihre zwanzigjährigen, von dem Publicum anerkannten For-
schungen mit gleicher Geringschätzung behandelte ? gesetzt auch, dass
Sie alle Hochachtung für die seinige empfänden, und die grössten
Hoffnungen daraus für die Fortbildung und Vervollkommnung der
Wissenschaft schöpften? Schwerlich — doch genug hierüber.
Ihr Versprechen, mir (nicht gerade zu der Alterthumszeitung,
die erst später entworfen wurde, aber genau damit zusammenhängt,
sondern) zu der Fortsetzung vonBragur überhaupt, jetzt Odina
und Teutona betitelt, Bey träge zu senden, befindet sich in Ihrem
Briefe vom 23. Juli 181 1., wobey Sie blos zur Bedingung machen,
dass ich Sie von dem Anfang des Druckes unterrichte, welches
ich nicht unterlassen zu haben glaube. Was die Alterthumszeitung
betrifft, so erfuhr ich Herrn Bahrdts Entschluss selbst erst kaum
vor dem Anfang des Drucks.^
Doch nun zur Hauptsache. Ich versprach Ihnen abzuschreiben
oder unter meinen Augen und meiner Revision abschreiben zu
lassen, was Ihnen an Thorlac, Specim, abgehe. Darüber hätt' ich
auch gewiss mit einer der nächsten Posten Wort gehalten. Allein
in Ihrem spätem Briefe verlangen Sie diese Specimina selbst mit-
getheilt nebst Sjöborgs Rigsmäl. Das setzte mich in Verlegen-
heit, denn da ich bey dem fortgehenden Druck meiner Gesam-
melten Schriften über d. Nord. Vorzeit und ihrer Revision keinen
Tag weiss, ob ich dieses oder jenes Hülfsmittels zur Vergleichung
benöthigt bin, so könnt' ich ohne hie und da den Drucker auf-
zuhalten, kein Buch dieser Art weggeben, wenigstens so lange
nicht, als die kritischen Vergleichungen dauerten, und diese sind
noch nicht am Ende. W^enn Ihnen aber meine Copie nicht ent-
gegen ist, so will ich Ihnen das Fehlende eigenhändig, wie ich
I Gemeint ist Idunna und Hermode, welche als »eine Alterthumszeitung c
im Verlag von Grass und Barth in Breslau erschien.
a8 Briefwechsel zwischen
versprochen habe, abschreiben, und lege Ihnen die ersten 3. ge-
druckten Seiten von der //. Sect, des Specim, VI, zur Probe bey,
weil Sie ausdrücklich melden, dass Sie dieses Specimen hur bis
/. 64 besitzen. Die Fortsetzung geht bis /. 82 und von da an
5. Seiten Varianten. Hingegen besitze ich das Spec, vii, ebenfalls
nur bis /. 64. Die letzten Worte sind exequi incipiunt; hinc
phra — Das Spec, Vi IL aber kenne ich noch gar nicht, weiss
auch seinen Inhalt nicht.
Sie melden mir, dass Sie das Spec. Vll. bis 128. besitzen.
Allein Rühs citirt in seiner Edda S. 150. eben dieses Spec, schon
bis /. 184 und darin eine Stelle, die mich sehr interessirt, Thorlac.
Erklärung von Ygdrasilly die ich im Ganzen wohl vor der mei-
nigen kannte, aber auf deren glückliche Ausfuhrung im Detail ich
begierig bin. Vermuthlich ist das Spec. Vlll. nichts als eine Fort-
setzung des Spec. Vil. Was halten Sie von Rühs Behauptungen?
Aber nun ist es hohe Zeit, dass ich für heute schliesse. Die
Mitternachtstunde hat längst geschlagen. Von Petersen' hörte
ich diesen Abend, der würdige Dobrowsky» sey noch hier, und
werde morgen früh nach Tübingen gehen. Vielleicht trefT ich
ihn noch, das würde mich sehr freuen.
Den 25ten Aug.
Der verehrungswürdige D ob rowsky geht heuteerst. Seine
Forschungen sind von grosser Wichtigkeit für die Völkergeschichte,
und vielleicht zünden sie auch den Sprachmischungen des Nordens
ein neues Licht an. Auch den bewundernswürdigen Jüngling,
Weckherlin, habe ich persönlich kennen lernen. Von beyden
erfahre ich erst, dass Sie K. Bibliothekar sind, eine Stelle,
um die Sie bey solchen Forschungen von mir wahrhaft könnten
beneidet werden.
Den 27teii.
Die Ruhe, die ich mir hier versprach, ist nun auch bereits
am Ende. Hätt' ich noch einen solchen Abend, wie vorigen
Sonntag, so würde dieser Brief noch eins so lange werden.
Schwerlich aber ist diess zu erwarten. Nur mit zwey Worten
I Bibliothekar in Stuttgart; f 1815.
a Der bekannte Begründer der slawischen Philologie, geb. 1753, f 1829
J. Grimm und Fr. D. Gräter. aq
noch diesS. Im Museum^ fand ich Ihre Recension von Weck-
herlins Beyträgen. Ich wunderte mich von Ihnen das Urtheil
zu lesen, dass meine Entdeckung des Reynaerd de Voes unnöthig
sey." W.enn auch Van Wyn (oder irre ich mich) in seinen Avond-
stonden eines gereimten niederl. Reineke's gedenkt — ist es
darum schon unnöthig, diesen zu entdecken ? oder unverdienstlich^
für seine Erhaltung zu sorgen? — Doch darüber, wenn ich das
Blatt selbst erhalte, mehr.
Ich würde nun schliessen, und den Brief von hier abgehen
lassen, allein unglücklicher Weise vergass ich, auch die von Ihnen
erhaltenen Blätter der Id. u. H. mit hieher zu nehmen.
Also muss es schon bis künftige Woche anstehen.
Indessen voll Hochachtung
der Ihrige
Gräter.
XIII.
Cassel 28 Aug. 181 2.
N
achdem Ew. Wohlgeb. den schon am 18 Mai richtig
empfangenen Aufsatz über Ihre Bemerkungen zu unserer Edda-
ausgabe während einem ganzen Vierteljahr nicht haben abdrucken
lassen, so fordere ich solchen, nebst den geliehenen Blättern Ihrer
Zeitung hiermit zurück und gestatte Ihnen von Empfang dieses
Schreibens an, weiter kein Recht darüber.
Hochachtend übrigens
Ew. Wohlgeb. ergebener Diener
Jacob Grimm.
1 Vielmehr in der Leipziger Literatur-Zeitung 1812, Nr. 205, Sp. 1633 — 1638.
2 Grimm hat den Vorwurf des unnützen Bemühens (a. a. O. Sp. 1637)
nicht gegen Gräter, sondern gegen Weckherlin erhoben.
50
Briefwechsel zwischen
XIV.
Hall, den 5ten Sept. 1812,
p. P.
s.
>o eben erhalte ich hier Ihre Zuschrift vom 2S. Aug. Der
strenge Ton derselben macht mich verlegen, ob ich Ihnen den,
in Stuttgard an Sie geschriebenen Brief beylegen soll, oder nicht.
Doch ja hier ist er ; indessen, da Sie für immer brechen zu wollen
scheinen, mit der Bedingung, dass kein öffentlicher Gebrauch da-
von gemacht werde.
Die Blätter 17. 18. von I. u. H. folgen hiemit ebenfalls. Aus
dem Stuttgarder Briefe ersehen Sie, dass Ihr Aufsatz nebst meiner
Beantwortung längst nach Breslau abgegangen ist. Wahrschein-
lich also befindet er sich bereits in der Presse, oder ist er schon
abgedruckt.
Sollte es nicht seyn, und wollen Sie ihn überhaupt in dieser
Form unterdrücken (doch diess steht bey Ihnen) so soll er nebst
der Antwort zurückgerufen werden.
Gegenwärtiges kann nach der hiesigen Einrichtung erst über-
morgen mit dem Postwagen abgehen.
Mit vollkommener Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
7. Sept. 12. geh. Diener
Graeter.
Hall, den 19. Sept. 12.
I
hre Ansicht und die meinige sind allerdings noch sehr ver-
schieden, und ich stehe ganz in der Meinung, dass nicht ich,
sondern Sie zuerst öffentlich geurtheilt haben, was Sie, wofern
Sie als Freund handeln wollten, unstreitig unterlassen, und mir
I Mehrere Stellen dieses Briefes beweisen, dass ein von Grimm zwischen
dem 5. und 19. September geschriebener Brief verioren gegangen ist.
J. Grimm und Fr, D. Gräter. 51
privatim Ihre Bemerkungen würden mitgetheilt haben. Ich weiss
wohl, was Sie dagegen anführen können, allein — es war in keinem
Falle der Weg zur Freundschaft, sondern zu einer öffentlichen
Prüfung und Darlegung der Kräfte. Gewiss kenne ich ganz den
Werth der Odinischen Lehre, die Sie mir aus Hävamäl^ citiren,
und Niemand kann die Freundschaft höher schätzen als ich, allein
dieser menschenkundige Lehrer gibt auch für andere Verhältnisse
einen Rathschlag, den ich glaubte befolgen zu müssen.
Indessen ist vielleicht der Rückschritt von beyden Seiten nicht
zu spät, und dann fangen wir a conto nuovo an. Mit eben dieser
Post geht ein zweyter Brief nach Breslau, um zu redressiren, was
redressirbar ist, falls es überhaupt mit dem vorigen Briefe nicht
bereits zu spät war.
Bey Ihnen lag es doch in der That, auf meine Bemerkung,
dass ich die Empfindlichkeit aus Ihrer Antikritik weggewünscht
hätte, Rücksicht zu nehmen. Ich bat allerdings nicht darum, das
konnten Sie auch im Ernst nicht erwarten, so wie ich überhaupt
die Zurücknahme von beyden Seiten für kein Opfer aus Gefällig-
keit, sondern für ein Opfer, das der guten Sache der Literatur
und der Humanität gebracht wird, halten würde.
Gesetzt nun aber auch, dass Ihr Aufsatz bereits abgedruckt
gewesen wäre, und meine Antwort folgen müsste — so bin ich
gleichwohl, immer noch zur Vereinigung bereit, und halte sie für
möglich. Bis Nr. 35. finde ich nichts. Ihren Aufsatz im Morgen-
blatt habe ich gelesen. Diesem nach erwarten Sie ja den Abdruck,
und fordern ihn noch.»
Kurz, es lässt sich nun durchaus nichts thun noch sagen, bis
ich ge\^iss bin, was in Breslau geschehen ist oder nicht.
Indessen zweifeln Sie in keinem Falle an meiner Vorneigung
zu jedem ehrenmässigen Frieden, falls Sie mich nur hiezu selbst
in den Stand setzen. Zweifeln Sie auch nicht, dass ich dasjenige,
I S. Havamal 41 ff.
3 In der Beilage zur Nummer des Morgenblatts vom 14. September 181 2,
»Uebersicht der neuesten Literatur« enthaltend , steht eine gegen v. d. Hagen
gerichtete Erklärung der Brüder Grimm hinsichtlich ihrer Eddaausgabe; in einer
Anmerkung dazu heisst es: >In einem früheren Aufsatz, gerichtet gegen einige
Bemerkungen des Hm, Professor Gräter, womit er unsere Abhandlung über die
Edda im Morgenblatt begleitet hat, haben wir schon auf diese Weise uns über die
Collision erklärt. Er ist schon am 18. May in den Händen des Hrn. Gräter
gewesen, der versprochen, ihn in derselben Zeitschrift erscheinen zu lassen, bisher
aber noch immer zurückgehalten worden.«
4»
c 2 Briefwechsel zwischen
was ich wirklich als Unrecht erkenne, mit Vergnügen jederzeit
zurücknehme, falls ich mich geirrt habe. Ihrer Herausgabe der
Eddischen Lieder würde indessen selbst meine Beantwortung Ihrer
Antikritik keinen Eintrag thun, so wie überhaupt nie eine solche
Absicht in mir gelegen hat.
Gräter.
P. P.
XVI.^
Hall, den 4. Nov. 181 2.
G
festern endlich — die Ursache der zweymonatlichen Zögerung
hievon ist mir ein unangenehmes Räthsel bis jetzt — erhielt ich
von Heinze die bestimmte Nachricht, dass Ihr Aufsatz und meine
Beantwortung desselben wirklich zurückgenommen ist.
Senden Sie mir also entweder einen andern, der von aller
Empfindlichkeit frey ist, oder geben Sie mir bestimmt die Haupt-
puncte an, iti denen Sie sich gekränkt glauben, und ich will thun,
was der Wahrheit und Humanität gebührt.
Nicht ein Wort schreibt mir Heinze von der Erscheinung der
Odina, und doch hatte ich schon vor 14 Tagen oder noch länger
von einigen Orten her Danksagungen für dte, in meinem Namen
überschickten Frey-Exemplare erhalten. Ich, der Herausgeber,
habe bis diese Stunde noch keins, und keine Nachricht. ,
Auch von I dun na hab' ich seit Anfang Septembers nichts
mehr gesehen.
Flüchtig indessen könnt' ich vor 8. Tagen in ein solches an-
gekommenes Freyexemplar sehen; ich schlug nur auf, und fand:
Das Lied vom schönen Midasü (Midel) und — pro etiam?!
(soll heissen proeliuml),'^ Ich hatte genug daran, und schlug
wieder zu. Darum meldet man mir nichts, darum schickte man
keine Revisions- oder doch Aushänge-Bogen.
1 Ob diesem Brief ein weiterer Jacob Grimms vorausgieiig, iHsst sich nicht
sicher ersehen. Eine Andeutung eines solchen scheinen die Worte »wo steht Ihre
Recension von Rühs?« zu enthalten.
a Es lohnte nicht, die beiden Druckfehler zu suchen.
J. Grimm und Fr. D. Gräter. 51
Haben Sie ein Exemplar erhalten? Auch das wünsche ich
zu wissen.
Wo steht Ihre Recension von Rühs?'
Ist das Spec. Vlli, von ThorL in Ihren Händen? und die her-
ausgegebenen Sagen, von v. d. Hagen? Was enthalten Sie?
Soviel für heute. Verzeihen Sie der Eile.
Ich bin mit herzlicher Hochachtung
der Ihrige
Graeter.
N. S.
Das pviat kann betr kunni des Cod. Reg, wie ich jetzt sehe,
in der V'öl. Q. hat freylich einen ganz andern Sinn. Ich las:
pviat hon meirr om veitti, Thorlac. hat vissi. Vielleicht ist es
aus diesem veitti entsprungen.
Diess gelegentl. zur Antwort auf eine frühere Frage.«
XVII.
Hall, den 5. Dec. 1812.
X' ür Ihren Hiltibrad und Hathubrand, den ich vorgestern erhielt,
sag* ich Ihnen meinen aufrichtigsten Dank. Eine Bearbeitung des-
selben war vorzüglich von Ihnen zu wünschen. Schade, dass das
Fragment nicht zugleich in Kupfer gestochen ist. Bis jetzt hab*
ich indessen nicht Ruhe genug gehabt, um Ihr schönes Werk zu
studieren, wie sichs gebührt, jedoch schon im Durchlaufen mehreres
gefunden, in dem ich mit Ihnen vollkommen einverstanden bin.
Es ist in der That sehr merkwürdig, und ein neuer (für mich,
sonst nicht) Beweis, dass es thöricht ist, die Möglichkeit sogar
1 In der Leipziger Literatur-Zeitung 1812, Nr. 387 f.
2 S. Grimms Brief vom 29, Mai 1812 (S. 36). Alle neueren Eddaau^aben
haben die Lesart des Cod. Reg. (Völundarkvida 28; Grimm a. a. O, citirt #26c).
54
Briefwechsel zwischen
abzuleugnen, es Hessen sich noch Bruchstücke aus Karls d. Gr.
veranstalteter Sammlung auffinden.^
Was Ihre Commentirung des Wessobrunners Gedichts betrifft,
so habe ich nicht sowohl gegen Ihr Verdienst die Alliteration zu
entziffern und darin zu finden (es können ja zwey, ohne von ein-
ander zu wissen, auf dieselbe Entdeckung gerathen, wie denn auch
das Ihrige mit dem Meinigen sehr übereinstimmt) etwas einzu-
wenden, als darüber, dass mir wohl etwas mehr bey diesem als ein
blos brauchbarer Commentar'» zuzuschreiben war, zumal da
man in München den Codex so lange besass, ohne das Zeichen
>fc, welches nicht leicht zu erklären war, ja ohne selbst das 7, zu
entziffern. Uebrigens sind wir ganz auf demselben Wege, und es
freut mich. Auch dass Sie das >|< für ein Runenzeichen ansprechen,^
ist mir sehr lieb. Hoffentlich wird längere Forschung und Nach-
suchung es immer mehr bewähren, was ich schon vor 20. Jahren
behauptet habe, dass nur die frühere Austilgung des Heidenthums
in Teutschland uns die meisten Beweise und Denkmale für die ge-
naue Uebereinstimmung mit dem Norden (besonders in Poesie,
Mythologie; Schrift und Sprache) zu Grunde gerichtet hat, dass
aber dessenungeachtet in dem heidnischen Teutschland keine andere
(im Ganzen) gewesen seyn kann noch wird.
Was unsre unterdrückte Streitsache betrifft, so lassen Sie nun
Ihren Aufsatz so wie den meinigen ruhen. Nächster Tage werde
ich eine kurze Erklärung darüber absenden, und nur die Haupt-
sache berühren, um die es sich drehte. Hätte ich Ihre Antwort
früher erhalten, so wäre mirs beynahe lieb gewesen. Hagens Edda,
Blomsturvalla - Volsunga- und Regnar - Lodbroks-
Saga, nebst einem Theil der jüngeren Edda habe ich vorläufig
angezeigt, und hier blos gesagt, dass es mich freut, diese Data
in Händen zu haben, wenn auch immerhin starke Druckfehler sich
finden etc. habe auch nicht unterlassen, die vorangesetzte fleissige
Literatur nach meiner wenigen Einsicht zu loben — das immer
zu prüfen hab' ich mir vorbehalten. Auch ist über Ihre letzte
Erklärung von demselben eine Antikritik eingekommen, und wieder
abgegangen, die mich übrigens ruhig dünkt. ^ Allein ich wünschte
in Zukunft I dun na von allen dergleichen Streitigkeiten gereinigt
X S. Grimm, die beiden ältesten deutschen Gedichte u. s. w, S. 43 f.
a S. ebendaselbst S. 86.
3 S. ebendaselbst S. 85.
4 Dieselbe findet sich in Idunna und Hermode 1812, Nr. 51 (S. 201 ff,).
J. Grimm und Fr. D. Gräter. et
ZU sehen, und werde in der Erklärung in Hinsicht des künftigen
Anzeigers diese Rubrik noch streichen, wenn es möglich ist. Hätte
Hr. Heinze nicht angefangen, gegen mein Wissen und meinen
Willen die erstere einzunehmen, ich würde es der dritten nicht
gestattet haben. Doch bitte ich hievon keinen öffentlichen Ge-
brauch zu machen.
Was Ihren Hiltibrad u. H. betrifft, so ist der erste freye
Abend einer Anzeige desselben gewidmet,' und ich wünsche, etwas
umständlich seyn zu können, dona mente — nur das sag' ich
Ihnen zum Voraus, dass ich die Uebergehung dessen, was von
mir für das Wessobrunner Denkmal geschah, nicht übergehe ; doch
dürfen Sie darauf rechnen, dass es so geschieht, wie teutsche
Männer sich dasjenige sagen, was ihnen nicht gefällt. Die be-
merkten Druckfehler sollen aufgenommen werden.
Dass Sie Odina^ noch nicht erhalten haben, dass Sie die
Aushängebogen nicht erhielten, ist nicht meine Schuld. Ich selbst
— halten Sie es für glaublich? — habe noch kein Exemplar.
Wenn Sie mich wegen eines correcten Drucks glücklich priesen,
so mochten Sie wohl den Grund dazu aus den ersten Blättern
der Idunna nicht geschöpft haben. Anzeiger Nr. 4. »die wir für
die Welt und nicht blos ums Lebenl anstatt »uns leben U
ist wohl so arg als das Lied vom schönen Midas. So auch
in der Anzeige von Müllers Asalehre: prosaisch wiss. , die
Or k r e yinga-Saga, Snorro, der jüngere Hattalykill 1 1 und Sämund
Erodr — Nr. 9. Fänsol, Hölas P. Friga, und in der Anzeige
von hl ensch lägers Digtninger — »wo Ewald die Wal-
kyre Rota zu der furchtbaren Macht, statt: »zu der Furcht-
baren macht« und s. w. u. s. w. deren Anzeige und Abdruck
ich immer noch vergeblich erwarte. Dessenungeachtet kann der
Druck des Reynaerd correcter seyn, worauf wenigstens Heinze
alle Sorgfalt zu verwenden versprochen hat.
Ihren vorigen Brief erhielt ich erst nach Abgang des Mei-
nigen. Verloren ist er nicht. — Was das Prachtwerk betrifft,
so sind Ihre Gründe vollkommen wahr, aber sie treffen nicht
mich. Entweder kommt es gar nicht, oder Sie haben gewiss
1 Ich finde eine solche weder im Bragur noch in Idunna und Hermode,
2 D. h. den achten Band des Bragur (181 2, mit den Nebentiteln »Odina und
Teutona, Band i< und >Braga und Hermode, Band 5<). Dieser Satz und
mehreres andere beweisen übrigens den Verlust eines weiteren Grimmischen Briefes.
cQ Briefwechsel zwischen
weder Täuschung, noch Uebereilung, noch Misbrau-
chung des MüUerschen Grabstichels zu befürchten.^ Wissen Sie
es gewiss, dass Abrahamson=» todt ist? Mir geht (wenn es
so ist) sein Verlust sehr nahe. Ich bitte um bestimmtere Nach-
richt. Rigsmäl kann ich wahrlich nicht entbehren, aber eine A b -
Schrift kann ich nehmen lassen, wenn Sie darauf bestehen.
Der Ihrige
Gräter.
XVIII.
Cassel 9 Januar; 1813.
o.
'dina und Teutona habe ich endlich dieser Tage in einem
hiesigen Buchladen gefunden und mit Müsse durchgesehen; am
wichtigsten war mir darin, wie sich versteht , der Reynaert Vos,^
nächstdem Ihre Abhandlung über den Königstitel ^ und Ihr Versuch
Skirnisför ins Griechische zu übertragen.^ Jens Möllers Preisschrift ^
misgönne ich, offenherzig zu gestehen, die 80 S. die sie einnimmt,
sonderlich, wenn ich bedenke, was zurückgelegt worden ist. Beim
Reynaert geht es nicht ohne Druckfehler ab, wie Sie selbst ver-
mutheten, (wer kann sich davor retten, bei bestem Willen, man
1 Erschienen ist dieses Werk nie. Eine bedeutende Anzahl von Zeichnungen
nordischer Götterfiguren , die für dasselbe gefertigt worden zu sein scheinen , be-
findet sich in Gräters Nachlass, Cod. misc, fol. ji a. der k. öffentlichen Bibliothek
zu Stuttgart.
2 Werner Hans Fredrich Abrahamson, dänischer Officier und fruchtbarer
Schriftsteller, geb. 1844, f Sept. 181 2; s. Nyerup und Kraft, Litteraturlexikon
S. 7 f.
3 Odina und Teutona S. 265 — 375.
4 Ebendaselbst S. 151 — 170: »Ueber das Alter und den Ursprung des
teutschen Königstitels. <
5 S. Anm. I, S. 27.
6 Odina und Teutona S. 46 — 120: »Wäre es der schönen Literatur des
Nordens zuträglich, wenn die alte nordische Mythologie eingeführt und von unsern
Dichtern statt der griechischen allgemein angenommen würde? Eine akademische
Preisschrift von Jens Möller, aus dem Dänischen übersetzt von Blök Töxen.c
(Die Aufgabe war [s. a. a. O. S. 47] schon 1800 gestellt worden, aber zwischen
1802 und 18 12 erschien kein weiterer Band von Bragur.)
J; Grimm und Fr. D. Gräter. 57
wird einmal von der Correctur abgerufen und übersieht einen Satz
beim Wiederanfangen; so ist im Hildebrandslied einmal stehen
geblieben: lithos-tratos (I) statt litho-strotos , fan statt fem etc.
doch sind mir beim Durchlesen überhaupt keine schwierige oder
entstellte Lesarten aufgefallen, die ich mir nicht getraute zu er-
klären und zu reinigen. Ich tadele, dass Sie i .) keine Interpunction
beigefügt haben; ein bei diesem Gedicht, wo der Sinn selten mit
der Zeile ruht und worin oft ein lebhafter Dialog stattfindet, em-
pfindlicher Mangel. ^.) dass die Abbreviaturen geblieben, ja
einige sogar in Holzstöcken repräsentirt sind. Sie waren hier, .
ich wage zu sagen, sämmtlich, leicht aufzulösen und aus ihrer
Figur ist nichts, das ich wüsste, zu lernen. 3.) über die Ortho-
graphie und Varianten der Eigennamen hätte ich eine Noten-
harmonie gewünscht, so wie durchgehende Vergleichung mit dem
Plattdeutschen. 4.) Sie sagen in der Vorrede xxix „über dieses
letztere Werk hätte ich mehreres zu erinnern; aber ich verspare
es auf eine andere Gelegenheit undmitAbsicht". Ich wünschte,
Sie hätten das deutlicher ausgedrückt; ich errathe Ihre Absicht
nicht, selbst wenn sie sich auf meine vorhabende Ausgabe des R.
bezöge. Sie können mir freilich öffentlich einwenden, dass niemand
das Recht habe, Ihnen Ihre Absicht, die Sie für sich behalten
wollen, abzufordern, und auch ich bin weit entfernt, es einmal
privatim zu thun; jenes war ein bioser Wunsch.
Beim Lied vom Morgener* ist der Abgang der Interpunction
weniger anstössig ; für ungeübte Literatoren hätte immerhin, däucht
mir, bemerkt werden mögen, dass das schon sonst mehrmals ge-
druckte vom Möringer genau dasselbe, und letztere Lesart sogar
die. richtigere sey (so auch Neyffen statt Eyffen). In meiner
Abhandlung über den Meistergesang (gegens Ende in den Zusätzen 2)
habe ich bemerkt, dass dieser Möringer mit dem Minnesänger
Morungen vermuthlich zusammenfalle.
Was sagen Sie, dass wir eine altdeutsche Zeitschrift auf eigene
Hand wagen ?3 Die Zeit konnte nicht ungünstiger seyn, aber es
war zu spät, das erste Heft ist schon ausgegeben und enthält einen
Aufsatz über Parcifalls berühmtes Versinnen in die Blutstropfen ; *
X Ebendaselbst S. 200 — 210: >Des edlen Ritters Morgeners Wallfahrt in
St. Thomas Land.«
3 Über den altdeutschen Meistergesang, S. 184.
3 Die altdeutschen Wälder.
4 S. 1—30.
58
Briefwechsel zwischen
auserdem etwas über Agges und Elegast.^ Die folgenden Hefte
sollen Ihnen besser gefallen , das Februarstück wird ein inter-
essantes ungedrucktes Fabliau= enthalten. Sie sehen vor allen
Dingen, dass wir mit Ihrer Alterthumszeitung nicht im geringsten
collidiren; die Aufsätze werden meistens so gross seyn, dass sie
3 oder 4 Stücke jener gekostet hätten, wenn sie Ihnen sonst zur
Aufnahme auch geeignet geschienen hätten. Ich empfehle Ihnen
beiliegende Anzeige zur Empfehlung und Unterstützung.^ Hoffent-
lich greifen wir uns beiderseits unter die Hände, indem wir das
. Publicum desto mehr aufregen und vielseitig stimmen. Wenigstens
ist dies mein wirklicher Glaube und eine äuserliche Collision mein
letzter Gedanke.
Haben Sie wohl schon unsere Kinder und Haus Märchen zu
Händen und angesehen, die vorigen Monat ausgegeben worden
sind ? (Berlin Realschulb.) Nahe an hundert, aus mündlicher Tra-
dition treu gesammelte Märchen ! Mit dem Sammeln und Beiträgen
dazu gehts so gut von statten (wider Erwarten) dass wir binnen
Jahresfrist einen ebenso inhaltsschweren (dies Wort verdient die
Sache, nicht unsere Mühe darum) zweiten Band nachfolgen zu
lassen denken.'* Ich hatte Sie längst bitten wollen, es aber stets
vergessen, oder damals, als wir uns entzweiten, nicht gewagt, uns
schon zum ersten Band einen Beitrag zu liefern, der ihn sehr ver-
schönert haben' würde; ich weiss von Arnim, dass Sie das lieb-
liche Märchen vom Zuckerhäuschen und dem Wolf, der darin sitzt,
in schwäbischem Dialect besitzen ; erfreuen Sie mich durch dessen
Mittheilung und Erlaubnis es abdrucken zu dürfen, (versteht sich,
dass Ihnen alle Ehre zugewendet wird) oder wenn Sie das nicht
thun wollen, so geben Sie ihm doch einen Platz in Ihrer Idunna.
Überhaupt könnten Sie in diesem Fach uns viel reiches und
lebendiges aus dem Schwabendialect mittheilen und andere Lands-
leute aufregen. Sie können denken, wie erwünscht mir solche
Beiträge wären. Wenn Sie wollen, trete ich Ihnen dafür andere
altdeutsche inedita ab. Abrahamson ist leider gewiss todt. Die
fehlenden Sachen aus Thorl. spec, habe ich nun glücklich bei-
sammen. Mit vollk. Hochachtung der Ihrige
Grimm,
^ s. 31—34.
2 Gemeint ist wohl die Erzählung Von zwein Kaufmann, S. 35 — 71.
3 In Idunna und Hermode finde ich keine Anzeige der altdeutschen Wälder.
4 Erschien 18 14, mit der Jahreszahl 1815.
J. Grimm und Fr. D. Gräter., cq
[Auf den Rand der zweiten Seite geschrieben:]
Hagens Antwort^ nennen Sie ruhig; ich mit vollkommener
Ruhe nenne sie matt und unbedeutend. Rühs hat mit unsäglicher
Grobheit meinen Bruder anticritisirt,^ wird aber schön abfahren.
Meine Rec. ist nun auch gedruckt. Nov. der Leipz. Lit. Z.^
{a propos nehmen Sie doch Heinzen seinen vermutlichen Wahn, dass
ich die Idunna daselbst recensirt habe,* sonst perhorrescire ich
öffentlich.) Gegen Rühs erscheinen in Dänemark 2 Schriften von
Müller und Rask, sagen Sie dies aber vorläufig noch nicht weiter.^
XIX.
Hall, den ii. Febr. 1813.
n
'as ungeheuer lange Ausbleiben der Odina ist allein Schuld,
dass ich Ihnen auf Ihre gütigen Mittheilungen erst heute antworte,
und die Versicherung beyfuge, dass nun mit dem Postwagen, der
künftigen Montag von hier abgeht, ein Exemplar derselben von
meiner Hand an Sie erfolgen wird.
Eben dieses 2 monatliche Ausbleiben aller Nachrichten von
Breslau, so dass ich selbst bis Ende Januars nicht wusste, ob
Idunna mit dem neuen Jahre fortgehe oder nicht, ^ hat auch alle
meine Arbeiten und Sendungen dafür sistirt. Was gleichwohl
von mir kommt, sind nur Ueberreste und Lückenbüsser des vorigen
Jahres.
X S. Anm. 4, S. 54.
2 Wo, konnte ich nicht finden. Auf den Ton dieser Antikritik lässt sich
vielleicht ein Schluss ziehen aus dem Aufsatz von Rühs »lieber Herrn C. W. Grimms
Isländische Sprachkenn tnissc in Idunna und Hermode 1813 , Anzeiger Nr. 10
(12. Juni 1813), welcher nicht grob, sondern pöbelhaft ist.
3 Leipziger Literatur-Zeitung 1812, Nr. 287 und 288 (17, und 18. Nov.).
4 1812, Nr. 231 (17. Sept.).
5 Bei Nyerup und Kraft finde ich nichts angeführt, was sich mit Sicherheit
mit den beiden Schriften identificieren Hesse. Mir steht von Rasks und Müllers
Werken zu wenig zu Gebot, um selbst entscheiden zu können.
6 Das Blatt ging bis 1816 fort.
gO Briefwechsel zwischen
Ueber Ihren mir sehr wichtigen Hildubrand und Hathubrand
liegt daher auch meine versprochene Anzeige nur angefangen
noch da. Sie haben mir ein ungemein werthes Geschenk damit
gemacht. Die noch mitgetheilten Druckfehler werde ich ebenfalls
bemerken.
Eine durchgehende Vergleichung des Reynaerd de Vos mit
dem Plattteutschen war wohl nicht möglich. Bedenken Sie selbst,
diess würde sich so ausgedehnt haben, dass der ganze Band allein
auf diesen Gegenstand gegangen wäre.
Die reservatio mentalis in der Vorrede betrifft Sie keines-
wegs. ' Glauben Sie ja nicht , dass ich auch nur entfernt gegen
Ihre Bearbeitung und Ausgabe eines handschriftlichen Reineke
das mindeste auf dem Herzen habe. Im Gegentheile freue ich
mich sehr darauf. Non omnia possumus omnes. Dass ich meinen
eigenen Fund auch nach langen Jahren endlich selbst abdrucken
Hess, damit habe ich blos eine gerechte Pflichtfoderung an mich
selbst erfüllt. Dass die Abbreviaturen nicht sehr schwer waren,
weiss ich wohl, doch wenn der Typograph damit zufrieden ist,
wenn das gleichwohl Genauere und Sichere dem möglich-unsichern
vorgezogen wird, warum wollen Sie das ohne Noth tadeln?
Der jetzige Abdruck des Liedes von Möringer ist ohne
Zweifel älter (und daher der Bekanntmachung werth) als der schon
ehmals in Bragur gegebene von Herrn Präl. Schmidt.«
Rühs handfeste Antwort oder Antikritik habe ich gelesen.
Wenn er RecTit behielte, so passte sich das Motto darauf:
Hvem har Rätt? — jo den som hackar
Ögat ut p2t Träto — Brorn,
Ich habe indessen Ihre Rec. in der Leipz, (ni fallor) und Ihres
Herrn Bruders in den Heidelb. J.^ selbst gelesen, und beyde mit
grossem Vergnügen. Nur schienen Sie mir in der Leipz, ihm
noch zu viel einzuräumen, oder wenigstens sich zu weit einzulassen.
Doch diess nur aus schon geschwächter Erinnerung.
Von Heinze habe ich nichts gegen Sie gelesen, wenigstens
bis jetzt nicht. Wo soll denn diese Behauptung stehen?
Was ich zu Ihrem Unternehmen einer eigenen Zeitschrift
sage ? Dass es mir sehr wohl gefällt, und dass ich Ihren gemein-
1 Siehe Grimms Brief vom 9. Jan. 1813 ^Seite 57),
2 Bragur 3 (i794), S. 402-415.
3 Heidelbergische Jahrbücher 18 12, Nr. 61 und (>?.
J. Grimm und Fr. D. Gräter, 6l
schaftHchen Eifer, Ihren Forschungsgeist, Ihre Unermüdsamkeit
und den Reichthum Ihrer Arbeiten bewundere, so wie es mir be-
neidenswerth erscheint, in brüderlicher Gemeinschaft auf einem so
seltenen, (und zu den Brodstudien in keinem Falle gehörigen,
nur von dem Enthusiasmus für das Schöne und Grosse und Biedere
der Vorzeit ergriffenen Felde fortschreiten und solche Riesenschritte
machen zu können.
Noch ist mir indessen von Ihren Wäldern nichts zu Gesichte
gekommen. Ich bin sehr begierig darauf.
Von Collision kann nicht die Rede seyn. Wenn auch beyde
Zeitschriften gleichen Zweck hätten, es würde doch kaum in einem
Menschenalter alles, was noch dahinten liegt, können erarbeitet
werden.
Auch Ihre Kinder und Hausmährchen kenne ich, wie
achl so vieles noch nicht. Wenn Ihnen mit dem Mährchen vom
zuckerigen Häuschen, dessen sich vermuthlich Herr v. Arnim
erinnerte, gedient ist, steht es Ihnen allerdings zu Befehl. Nur
bedarf es dabey meines Namens keineswegs. Zwey andere wären
indess interessanter, wenigstens poetischer, allein der Himmel
weiss, ob ich einmal Ruhe und Gelegenheit gewinne, sie doch durch
Vettern und Basen aus der Vergessenheit zu retten.
Geben Sie mir doch nähere Kunde' von Abra[ham]*sons
Tod. Der trefliche Mann verdiente w[enigstens] * ein sta viator.
Um Thorlac, Spec, VIIL wag' ich Sie nicht zu bitten, da ich,
wenn gleich hier die Nothwendigkeit eintrat, meine Hefte bey der
Hand zu behalten, gegen Sie in demselben Falle unfreundschaftlich
habe erscheinen müssen.
Genug für heute. Vielleicht ist schon die Post versäumt.
•
Hochachtungsvoll^
der Ihrige
Graeter.
* am Rand abgerissen.
02 Briefwechsel zwischen J. Grimm und Fr. D. Gräter.
XX. ^
Hall, den 28. Febr. 1813.
iVJ einem Versprechen gemäss habe ich endlich die Ehre, Ihnen
ein Exemplar meiner Odina und Teutona selbst zu übersenden.
Nehmen Sie diess einstweilen als eine abschlägliche Vergütung
für Grabei'gs Saggio istorico an. Ihre altteutschen Wälder habe
ich noch nicht gesehen. Das Kindermährchen ist noch nicht ab-
geschrieben. Von Idunna 1813. kenne ich erst Nr. i — 3.
Diess in Eile. Hochachtungsvoll
Der Ihrige
Graeter.
N. S.
Meine Handschrift des Reynaerd de Vos ist noch nicht zurück-
gekommen. Ich konnte daher die etwaigen Druckfehler Ihnen
nicht zugleich mittheilen. Diess ein anderes Mal.
X Es scheint nicht, dass zwischen diesem und dem vorhergehenden Brief
einer von Grimm verioren gegangen sei.
AUS DEM VERLAGE
VON
GEBR. HENNINGER IN HEILBRONN.
Alte gute Schwanke, herausgegeben von Adelbert von
Keller, Zweite Auflage, i Mark 80 Pf.
Altfranzösische Sagen, gesammelt von Adelbert von Keller.
Zweite Auflage. 6 Mark.
Goethes Westöstlicher Divan. Mit den Auszügen aus dem
Buch des Kabus, herausgegeben von K, Simrock. Brochirt 3 Mark. In eleg.
Leinwandbd, 4 Mark 40 Pf.
Der arme Heinrich des Hartmann von Aue , übersetzt von
A'. Simrock. Mit verwandten Gedichten und Sagen. Zweite Auflage.
Broch. 3 Mark. In eleg, Leinwandbd. mit Goldschn. 4 Mark 40 Pf.
Friedrich Spees Trutz Nachtigall, verjüngt von K. Simrock,
Broch, 3 Mark. In eleg. schwarz. Lwdbd. mit Goldschn. 4 Mark 40 Pf,
Schimpf und Ernst nach Johannes Pauli. Als Zugabe
zu den Volksbüchern erneut und ausgewählt von K, Simrock, 5 Mark.
Italienische Novellen, ausgewählt und übersetzt von
K. Simrock, Zweite verbesserte und vennehrte Auflage. 4 Mark 20 Pf.
Christoph Martin Wieland's Leben und Wirken in Schwaben
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lichen Quellen von E, L, Rochholz. 10 Mark.
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Crecelius, i Mark 60 Pf.
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Die Niflungasaga und das Nibelungenlied. Ein Beitrag
zur Geschichte der deutschen Heldensage, von A. Raszmann, , 5 Mark.
Reiserechnungen Wolfgers von Ellenbrechtskirchen,
Bischofs von Passau, Patriarchen von Aquileja. Ein Beitrag zur Waltherfrage.
Mit einem Facsimile von y. V. Zingcrle, 2 Mark.
Das Steinbuch. Ein altdeutsches Gedicht von Volemär.
Mit Einleitung, Anmerkungen und einem Anhange herausgegeben von Hans
Lambel. (Unter der Presse.)
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PiererVche Hol buchdruckerei. Stephan Geibel ft Co. in AltenborR.